Kopulaverben und Kopulasätze: Intersprachliche und intrasprachliche Aspekte 9783484305120, 9783110938838

This collection provides an overview of present-day research on copulative clauses and copulative verbs. They center on

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German Pages 306 [308] Year 2007

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Table of contents :
Vorwort
Einleitung: Kopulaverben und Kopulastze
Teil I: Interpretation und Typisierung von Kopulastzen
Spezifikation und Kongruenz: Die Syntax der Kopulastze im Ungarischen und Englischen
On so-called truncated clefts
Die Topik-NP eines spezifizierenden Satzes als Artterm
Non-Verbale Prdikation in der Deutschen Gebrdensprache (DGS): Probleme der Abgrenzung von Attribution und Prdikation in einer kopulalosen Sprache
Teil II: Klassentypische Eigenschaften von Kopulaverben
Lexikalische Blockierung und die grammatischen Folgen bei Kopula-Konstruktionen mit werden
Bleiben - eine unterspezifizierte Kopula
sein. Kopula, Passiv- und/oder Tempus-Auxiliar?
Kopulastze in altindogermanischen Sprachen
Die Kopula im Romanischen
Teil III: Die Analyse von kopulaverdchtigen Konstruktionen
Sein + Direktionalergnzung: Bewegung ohne Bewegungsverb
Anna ist essen! Neue berlegungen zum Absentiv
Einige Bemerkungen zum Partizip II in Er hat den Arm verbunden
Autorenverzeichnis
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Kopulaverben und Kopulasätze: Intersprachliche und intrasprachliche Aspekte
 9783484305120, 9783110938838

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Linguistische Arbeiten

512

Herausgegeben von Klaus von Heusinger, Gereon Mller, Ingo Plag, Beatrice Primus, Elisabeth Stark und Richard Wiese

Kopulaverben und Kopulas&tze Intersprachliche und intrasprachliche Aspekte

Herausgegeben von Ljudmila Geist und Bjçrn Rothstein

Max Niemeyer Verlag Tbingen 2007

n

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet ber http://dnb.ddb.de abrufbar. ISBN 978-3-484-30512-0

ISSN 0344-6727

) Max Niemeyer Verlag, Tbingen 2007 Ein Imprint der Walter de Gruyter GmbH & Co. KG http://www.niemeyer.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschtzt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzul=ssig und strafbar. Das gilt insbesondere fr Vervielf=ltigungen, >bersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany. Gedruckt auf alterungsbest=ndigem Papier. Druck und Einband: AZ Druck und Datentechnik GmbH, Kempten

Inhaltsverzeichnis

Vorwort .......................................................................................................................... VII Ljudmila Geist & Björn Rothstein: Einleitung: Kopulaverben und Kopulasätze ...................................................................

1

Teil I: Interpretation und Typisierung von Kopulasätzen Dejan Matić: Spezifikation und Kongruenz: Die Syntax der Kopulasätze im Ungarischen und Englischen ......................................................................................

21

Line Mikkelsen: On so-called truncated clefts ...................................................................................…...

47

Olav Mueller-Reichau: Die Topik-NP eines spezifizierenden Satzes als Artterm ...............................................

69

Silvia Kutscher: Non-Verbale Prädikation in der Deutschen Gebärdensprache (DGS): Probleme der Abgrenzung von Attribution und Prädikation in einer kopulalosen Sprache ..........................................................................................

91

Teil II: Klassentypische Eigenschaften von Kopulaverben Holden Härtl: Lexikalische Blockierung und die grammatischen Folgen bei Kopula-Konstruktionen mit werden ............................................................................... 117 Barbara Schlücker: Bleiben – eine unterspezifizierte Kopula ........................................................................ 141 Rolf Thieroff: sein. Kopula, Passiv- und/oder Tempus-Auxiliar? ......................................................... 165 Rosemarie Lühr: Kopulasätze in altindogermanischen Sprachen .............................................................. 181 Eva-Maria Remberger & Kay-Eduardo González-Vilbazo: Die Kopula im Romanischen ......................................................................................... 201

VI

Teil III: Die Analyse von kopulaverdächtigen Konstruktionen Raphael Berthele: Sein+Direktionalergänzung: Bewegung ohne Bewegungsverb ..................................... 229 Petra Maria Vogel: Anna ist essen! Neue Überlegungen zum Absentiv ...................................................... 253 Björn Rothstein: Einige Bemerkungen zum Partizip II in Er hat den Arm verbunden ............................. 285 Autorenverzeichnis ......................................................................................................... 299

Vorwort

Der vorliegende Sammelband geht auf eine Arbeitsgruppe zurück, die Ljudmila Geist und Elisabeth Löbel auf der Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Sprachwissenschaft 2005 in Köln koordiniert haben. Ziel der Arbeitsgruppe war es, neuere Arbeiten zu Kopulasätzen und Kopulaverben vorzustellen. Ein zusätzliches Diskussionsforum bot der Workshop „Zusammengesetzte Prädikate und Kompositionalität“, den Ljudmila Geist im Juni 2005 am Institut für Linguistik/Germanistik der Universität Stuttgart veranstaltete. Die in diesem Sammelband enthaltenen Beiträge repräsentieren einen Teil der aus intensiver Diskussion in der Arbeitsgruppe und in dem Workshop entstandenen Ergebnisse. Wir möchten allen Teilnehmern für das gute Gelingen und die angenehme Arbeitsatmosphäre auf den beiden Workshops danken, und auch für die Mühe, die sie mit der internen Begutachtung der vorliegenden Aufsätze auf sich genommen haben. Wir danken ferner Elisabeth Löbel für ihre vielseitige Unterstützung des Sammelbandes, ganz besonders aber Klaus von Heusinger für seine intensive und aufwendige Betreuung. Für die Hilfe bei der Erstellung der Druckvorlage danken wir Svetlana Malner und Diana Venneri. Schließlich möchten wir uns auch bei den Herausgebern für die Aufnahme in die Reihe Linguistische Arbeiten bedanken.

Stuttgart, im Oktober 2006 Ljudmila Geist Björn Rothstein

Ljudmila Geist & Björn Rothstein

Einleitung: Kopulaverben und Kopulasätze

1.

Standortbestimmung

Die moderne Grammatiktheorie wurde am Beispiel von Sätzen mit prototypischen, d. h. transitiven Verben entwickelt, in denen ein bedeutungstragendes Vollverb als Träger von Finitheitsmerkmalen fungiert und zusammen mit dem von ihm subkategorisierten Komplement und dem Subjekt einen vollständigen Satz formt. Sätze wie in (1) werden hingegen aufgrund ihrer syntaktischen Simplizität in der Grammatiktheorie oft vernachlässigt: (1)

a. b. c. d. c.

Sie ist Linguistin. Peter ist in Urlaub. Der Gewinner bin ich. Der Kranke wird bald gesund. Atomkraftwerke bleiben gefährlich.

Dabei gehören solche Sätze unbestritten zur Kerngrammatik einer Sprache. Im Unterschied zu Sätzen mit typischen Vollverben weisen Sätze wie in (1) die folgende Besonderheit auf: Während in Sätzen mit Vollverben das Verb die lexikalische Bedeutung trägt und grammatische Funktionen erfüllt, setzt sich in Sätzen wie in (1) die Gesamtbedeutung des Prädikats aus der Bedeutung des Kopulaverbs, das oft als semantisch schwach gilt, und aus der Bedeutung seines prädikativen Komplements zusammen. Gegenstand dieses Sammelbands sind Sätze wie in (1) und damit verwandte Phänomene. Die folgenden Abschnitte sollen in das Thema einführen und die Attraktivität von Kopulae für die Theorienbildung aufzeigen.

1.1.

Kopulaverben

Traditionell werden Verben nach Voll-, Modal-, Hilfs- und Kopulaverben klassifiziert. Kopulae nehmen eine Stellung zwischen den Hilfsverben und den Vollverben ein. Sie bilden aufgrund ihrer Eigenschaft, zusammen mit einem prädikativen Komplement einen Satz zu formen, eine Gruppe. Die Beiträge in diesem Sammelband konzentrieren sich hauptsächlich auf die Verben sein, werden und bleiben, die als Kopula fungieren bzw. fungieren können. Bekanntlich können manche dieser Verben auch die Funktion eines Voll- oder Hilfsverbs übernehmen. Diese Eigenschaft ist auch für das Verb haben charakteristisch, das jedoch kein Kopulaverb im engeren Sinne ist. Im Folgenden charakterisieren wir die Gruppe der hier untersuchten Verben am Beispiel von sein im Deutschen. Da die Entsprechungen von sein in einer Reihe von europäischen Sprachen viele Eigenschaften mit sein teilen, werden wir uns mit dem Kürzel SEIN auf das Verb sein und seine Entsprechungen in anderen Sprachen beziehen. Nach Lang (1999) ist

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die Kopula SEIN „das in jeder Hinsicht idiosynkratischste Verb“, was er an den folgenden vier Punkten ausführt: i.

ii. iii. iv.

Das Verb SEIN hat syntaktisch ein Komplement, aber für dessen kategoriale Belegung wenig Beschränkungen. NPs, APs, PPs und VPs können als Komplement von SEIN vorkommen. Das Verb SEIN ist „polyfunktional“, d.h. subklassifizierbar in Vollverb, Kopula und Hilfsverb. Das Verb SEIN ist lexikalisch-semantisch leer. Das Verb SEIN hat das suppletionsformenreichste Verb-Paradigma (Lang 1999: II)

Diese Idiosynkrasien gehören zu unterschiedlichen linguistischen Bereichen: (i) fällt in die Domäne der Syntax (vgl. dazu die Analysen von Heggie 1988 und Moro 1997). Mit (ii) liegt eine Klassifikation vor, die den Zusammenhang zwischen Morphosyntax und Semantik reflektiert. (iii) stellt ein klassisches Untersuchungsfeld der Semantik dar (vgl. den Überblick in Dölling 2001: 123ff., die Untersuchungen von Rothstein 2001, Maienborn 2003) und (iv) betrifft die diachrone Morphologie. Im Vergleich zum Verb sein sind werden und bleiben bisher in geringerem Maße Gegenstand eingehender Analysen gewesen. Sie weisen jedoch in Bezug auf i–iii nicht weniger Idiosynkrasien als sein auf. Nur hinsichtlich der morphologischen Besonderheit ist sein im Deutschen von den anderen Verben werden und bleiben verschieden. Die Formen bist – sein – war, die heute das Paradigma von sein im Deutschen ausmachen, sind aus drei verschiedenen Stämmen entstanden: auf den indogermanischen Stamm *bhū geht z.B. die Form bin zurück, auf den indogermanischen Stamm *es z.B. die Formen sein und ist, aus dem althochdeutschen Verb wesan sind die Vergangenheitsformen wie z.B. war entstanden (Pfeifer 1989: 1608). Im Gegensatz zu sein hat das Verb werden ein morphologisch schwaches suppletives Paradigma, wobei für das Hilfsverb und die Kopula die Partizip II-Formen unterschiedlich sind (worden vs. geworden). Das Verb bleiben hat zwar kein suppletives Paradigma, wird jedoch nach dem Muster der starken Verben konjugiert. Nach der Beschreibung der morphologischen Besonderheiten von sein, werden und bleiben gehen wir nun ausführlicher auf die drei verbliebenen Eigentümlichkeiten (i) bis (iii) ein, um zu zeigen, was die Untersuchung von Kopulaverben so interessant macht. 1.1.1.

Selektion des Komplements

Ähnlich wie sein kann auch bleiben NPs, APs, PPs und VPs als Komplemente nehmen. Werden nimmt bis auf PPs dieselben Komplementarten. (2)

Klara ist Lehrerin/gesund/in der Stadt/zu verstehen. Otto bleibt Lehrer/gesund/in der Stadt/sitzen. Anna wird Lehrerin/gesund/*in der Stadt/fahren.

Bei werden kommen noch weitere Restriktionen für Komplemente hinzu. Ausgeschlossen in der Komplementposition von werden sind z.B. APs wie erkältet. Wie Steinitz (1999)

Einleitung: Kopulaverben und Kopulasätze

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feststellt, können auch einige absolute Adjektive wie nackt oder kaputt zwar mit sein, aber nicht mit werden kombiniert werden. (3)

a. Anna ist / *wird / bleibt erkältet. b. Anna ist / *wird / bleibt nackt. c. Das Auto ist / *wird / bleibt kaputt.

Verschiedene Analysevorschläge sind hierzu unterbreitet worden (s. die Übersicht in Härtl (in diesem Band)). Tendenziell zeichnet sich ab, dass in (3) wider Erwarten nicht eine, sondern jeweils unterschiedliche Restriktionsverletzungen vorzuliegen scheinen. Die Restriktion in (3a) betrifft die Wortbildungsart des Adjektivs: werden kann nicht mit Adjektiven kombiniert werden, die von einem Verb abgeleitet sind (vgl. *erkältet werden vs. krank werden). Die Restriktion in (3b) ist eher semantischer Natur. Wie Härtl (2005) feststellt, kann werden nur mit Adjektiven kombiniert werden, die eine unkontrollierte Eigenschaft bezeichnen. Nackt ist jedoch eine kontrollierte Eigenschaft. Für den Ausschluss der Kombination *kaputt werden in (3c) greift eine solche Erklärung jedoch nicht. Kaputt ist weder eine deverbale Ableitung noch bezeichnet es eine kontrollierte Eigenschaft. Hier muss offensichtlich eine andere Restriktion vorliegen. Die Analyseherausforderungen von Kopulaverben dürften damit bereits deutlich geworden sein. Nötig werden Erkenntnisse über die Schnittstellen von Syntax, Semantik und eventuell Pragmatik. Dies ist das Thema der Aufsätze im zweiten Teil dieses Bands. 1.1.2.

Polyfunktionalität (kategorielle Mehrdeutigkeit)

Verben wie sein und werden sind kategoriell mehrdeutig oder „polyfunktional“. So unterscheidet z.B. Eisenberg (1999: 85, 341) im Deutschen zwischen sein als Kopula in (4) und (5) und als Hilfsverb in (6) und (7). Nach Hentschel & Weydt (32003: 71) wird in (8) sein als Vollverb (Existenzverb) verwendet. (4) (5) (6) (7) (8)

Der Bürgermeister ist jung. Peter ist Lehrer. Das Buch ist zu empfehlen. Der Zug ist angekommen. Ich denke, also bin ich.

Die Subklassifikation von sein in Kopula, Hilfsverb und Vollverb entspricht der morphosyntaktischen Kategorisierung des Komplements: das typische Merkmal der Kopula ist ihr Vorkommen mit substantivischen und adjektivischen Prädikatsnomina. Hilfsverben sind Bestandteile zusammengesetzter Verbformen. Sein als Vollverb hat keine Komplemente.1 Kategorisiert man die Komplemente von sein mithilfe der Merkmale [V] und [N], ergibt sich folgendes Bild: –––––––—–– 1

Die Frage, ob sein in Kombination mit Präpositionalphrasen wie in Anna ist in Prag als Kopula klassifiziert werden soll, lässt Eisenberg (1999) offen. Steinitz (1997) und Bierwisch (1988) zählen sein-Sätze mit PPs hingegen eindeutig zu den Kopula-Prädikativ-Konstruktionen.

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Die Kopula sein selegiert [+N ±V]-Komplemente (NP, AP). Das Hilfsverb sein selegiert infinite [−N +V]-Komplemente (verbale Partizipien, Infinitive). Eine weitere Subklassifikation in Tempus- und Passivauxiliar ist möglich.

Nach demselben Prinzip kann auch das Verb werden subklassifiziert werden, vgl. Lang (1999: IV): (10)

Die Kopula werden selegiert [+N ±V] Komplemente (NP, AP) Das Hilfsverb werden selegiert [−N + V] Komplemente – Das Futurauxiliar werden selegiert infinitivische [−N + V] Komplemente. – Das Passivauxiliar werden selegiert Partizip II-köpfige [−N +V] Komplemente.

Somit scheinen sein und werden abhängig von der Kategorie des Komplements eindeutig bestimmbar. Jedoch erweist sich die Kategorisierung von sein im sog. Zustandspassiv wie Die Suppe ist gewürzt als kritischer Punkt. Die Schwierigkeit besteht in der Bestimmung des Partizips II in dieser Konstruktion als verbale oder adjektivische Kategorie. Wäre hier das Partizip II eine verbale Kategorie, würde man sein gemäß (10) als Hilfsverb kategorisieren. Ist das Partizip II eine adjektivische Kategorie, wäre sein eine Kopula. Die Tatsache, dass das Partizip II oft verbale und adjektivische Eigenschaften aufweist, bereitet Probleme für die eindeutige Klassifizierung des Zustandspassivs als Kopula-PrädikativKonstruktion oder als Passiv-Konstruktion (vgl. u.a. die Diskussion in Lenz 1993 und Rapp 1996). Abgrenzungsprobleme für die Kopula-, Hilfs- und Vollverb-Funktionen von sein entstehen auch in Konstruktionen wie Wir sind essen oder Er ist ins Haus. Dabei ist die Kategorisierung von sein in solchen Konstruktionen eine Frage, die von der Analyse der ganzen Konstruktion abhängt. So würde beispielsweise die Analyse von Er ist ins Haus als Ellipse aus Er ist ins Haus gegangen dafür sprechen, sein als Tempus-Auxiliar zu kategorisieren. Interessant in diesem Zusammenhang sind auch Konstruktionen mit haben wie Er hat den Arm verbunden. Das Verb haben wird zwar in der Regel nicht als Kopulaverb kategorisiert, ist aber ähnlich wie sein und werden polyfunktional, da es als Vollverb und als Hilfsverb fungieren kann. Die Polyfunktionalität von Kopulaverben erweist sich damit als ein weiterer noch forschungsbedürftiger Aspekt. Die ausführliche Analyse der Konstruktionen mit sein und haben und die daraus resultierende Kategorisierung des finiten Verbs in diesen Konstruktionen als Voll-, Kopula- und Hilfsverb finden sich im dritten Teil des Sammelbandes. 1.1.3.

Lexikalische Mehrdeutigkeit

Im Allgemeinen wird angenommen, dass Kopulaverben, insbesondere SEIN, lediglich als Satzbildner fungieren, nämlich als Träger von Finitheitsmerkmalen (Kongruenz, Tempus, Modus), ansonsten aber lexikalisch-semantisch arm sind. So wird in der IDS-Grammatik das deutsche sein als „semantisch weitgehend ausgebleicht“ charakterisiert (Zifonun et al. 1997: 702). Aufgrund der lexikalisch-semantischen Unterspezifikation können Kopulaver-

Einleitung: Kopulaverben und Kopulasätze

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ben kontextabhängig unterschiedliche Bedeutungen annehmen. Seit Carlson (1977) wird in Sätzen mit der Kopula SEIN eine Differenzierung zwischen Stadien-Prädikaten und Individuen-Prädikaten gemacht. Nach traditioneller Auffassung drücken IndividuenPrädikate zeitlich stabile Eigenschaften von Individuen aus, vgl. (11), wohingegen StadienPrädikate temporäre, episodische Eigenschaften von Individuen beinhalten, vgl. (12): (11)

Individuen-Prädikat Firemen are altruistic.

(12)

Stadien-Prädikat Firemen are available.

Stump (1985), Diesing (1992) und Kratzer (1994) nehmen an, dass in Sprachen wie dem Englischen zwei homonyme Kopulae SEIN vorliegen, die jeweils nur Stadien-Prädikate bzw. nur Individuen-Prädikate einbetten. Das Spanische mit den beiden unterschiedlichen Kopulae ser und estar wird häufig als Beispiel einer Sprache angeführt, die für die zwei Prädikatarten separate lexikalische Kopulaverben ausgebildet hat, nämlich estar für Stadien-Prädikate und ser für Individuen-Prädikate. (13)

a. Stadien-Prädikat La caja estaba vacía. die Schachtel warESTAR leer ‚Die Schachtel war leer.‘

(Luján 1981: 172f)

b. Individuen-Prädikat Enzo es muy discreto. Enzo istSER sehr diskret ‚Enzo ist sehr diskret.‘

Kratzer (1995) formuliert einen argumentstrukturellen Unterschied und somit zwei separate Lexikoneinträge für SEIN: SEIN mit der Bedeutung von estar weist im Gegensatz zu SEIN mit der Bedeutung von ser ein zusätzliches Argument für zeitlich-räumliche Lokalisierung auf. Anders als Kratzer nimmt Maienborn (2003) eine einheitliche Bedeutung für SEIN an, der Stadien- Individuen-Unterschied wird als rein pragmatischer Unterschied analysiert. Auch die Kopula bleiben ist lexikalisch-semantisch mehrdeutig. In Kombination mit einem infiniten Positionsverb ist bleiben ambig zwischen einer Zustandswechsellesart und einer Lesart, in der es auf einen andauernden Zustand referiert: (14)

Das Auto blieb an der Ampel stehen. a. Der Autofahrer bremste rechtzeitig, so dass das Auto an der Ampel zum Stehen gekommen ist. (Zustandswechsellesart) b. Wegen einer Panne ist der Motor des Autos nicht mehr angesprungen. Der Fahrer musste das Auto an der Ampel stehen lassen. (andauernder Zustand)

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Wie für jedes mehrdeutige Wort stellt sich auch für bleiben die Frage, wie die kontextabhängige Bedeutung zu erfassen ist. Eine partielle Lösung für einige bleiben-Konstruktionen bietet Krämer (2004), indem sie die Bedeutung des andauernden Zustands als grundlegende Bedeutung von bleiben annimmt. Die Aufgabe wäre nun, ein konstantes Bedeutungsmuster für alle Konstruktionen mit bleiben herauszuarbeiten, das bestimmt, auf welche Weise sich die einzelnen Bedeutungsvarianten unter den jeweiligen kontextuellen Bedingungen ergeben, womit auch die lexikalische Mehrdeutigkeit von Kopulaverben Grund zu weiterer Forschung ist. Dies ist ein Schwerpunkt der Beiträge im zweiten Teil des Sammelbandes. Die bisher besprochenen Eigenschaften von SEIN und den anderen Kopulae stellen eine Auflistung der Idiosynkrasien dar. Diese teilweise nur vermeintlichen Besonderheiten systematisch zu analysieren und in die Grammatik zu integrieren, stellt eine beträchtliche Herausforderung dar. Im Abschnitt 2 dieser Einleitung werden einige Analyseversuche dazu vorgestellt.

1.2.

Kopulasätze

Betrachtet werden in diesem Sammelband Sätze mit der Kopula SEIN und anderen Kopulaverben. Im ersten Teil des Sammelbandes werden Sätze mit SEIN detailliert untersucht. In der Sprachphilosophie seit G. Frege und B. Russell herrscht die Meinung, dass das Verb SEIN in den mit diesem Verb gebildeten Sätzen mindestens dem Ausdruck der Prädikation, der Subsumption und der Identität (Gleichsetzung) dienen kann: 1. Prädikation: Maria ist intelligent. 2. Subsumption: Die Tanne ist ein Nadelbaum. 3. Identität (Gleichsetzung): Der Morgenstern ist der Abendstern. Eine Klassifizierung der Kopulasätze, die nach philosophischen Gesichtspunkten berechtigt erscheint, muss nicht ebenso auch für die Grammatik relevant oder auch nur einschlägig sein. Aus linguistischer Sicht scheint es einerseits sinnvoll, die Funktionen „Prädikation“ und „Subsumption“ unter „Prädikation“ zusammenzufassen, da in beiden die postkopulare Phrase die Eigenschaft bezeichnet, die vom Subjekt-Referenten prädiziert wird. Andererseits scheint es angebracht, die Klassifizierung um weitere Typen von Kopulasätzen zu erweitern. So nimmt Higgins (1979) neben dem Typ der prädizierenden Sätze und dem Typ der Identitätssätze zusätzlich den Typ der spezifizierenden und identifizierenden Kopulasätze an (zu anderen Kopulasatz-Typisierungen s. Declerck 1988 und Hengeveld 1992). Nach der Klassifikation von Higgins (1979), die einigen Aufsätzen in diesem Band zugrunde liegt, werden Kopulasätze nach vier Typen klassifiziert. Als Kriterien dienen die Interpretationen der Konstituenten links (NP1) und rechts (NP2) der Kopula und die daraus resultierende Interpretation des Gesamtsatzes.

Einleitung: Kopulaverben und Kopulasätze

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Typ

NP1

NP2

Beispiele

I.

referential

predicational

John is a teacher

referential

referential

The Morning Star is the Evening Star.

referential

identificational

That woman is the Mayor of Cambridge.

superscriptional

specificational

The winner is John.

Predicational II. Equative (Identity) III. Identificational IV. Specificational Tabelle 1: Klassifikation der Kopulasätze nach Higgins (1979) Im prädizierenden Satz (Typ I „predicational“) wird über John die Eigenschaft Lehrer sein prädiziert. Im Identitätssatz (Typ 2 „equative“) wird die Identität zweier durch the Morning Star und the Evening Star repräsentierter Referenten behauptet. Im identifizierenden Satz (Typ III „identificational“) wird durch die NP the Mayor of Cambridge der Referent des Subjekts that woman identifiziert. Im spezifizierenden Satz (Typ IV „specificational“) wird die Relation zwischen NP1 und NP2 von Higgins (1979: 8) wie folgt beschrieben: „[…] the subject phrase constitutes the heading of the list and the predicate complement is an item on the list“. In dem entsprechenden Beispiel in Tabelle 1 wird die Liste der Gewinner durch den Namen John spezifiziert. Obwohl die von Higgins vorgeschlagene Typisierung der Kopulasätze nach ihrer Interpretation durchaus plausibel erscheint, weist sie dennoch erhebliche Schwächen auf: Es ist nicht klar, welche Reflexe die vorgenommene Unterscheidung in der Grammatik der Kopulasätze hat. Die Einführung der Etiketten für NPs bei Typ III „identificational“ und Typ IV „superscriptional“ und „specificational“ rührt von dem Bedürfnis her, unterschiedliche Verwendungsweisen von Nominalgruppen voneinander abzugrenzen. Solche Etiketten sagen aber wenig über den referenziellen Status der jeweiligen NP aus. So verdeckt das Etikett „identificational“ bei NP2 in identifizierenden Sätzen, dass es sich um referenzielle Phrasen handelt, so dass identifizierende Sätze als Untertyp der Identitätssätze (Typ II) betrachtet werden können. Tatsächlich wird in der Literatur zwischen identifizierenden und Identitätssätzen kaum unterschieden, und der Terminus „identifizierender Satz“ wird für beide Satztypen verwendet. Im Folgenden bezeichnen auch wir mit „identifizierender Satz“ beide Satztypen. Bei spezifizierenden Sätzen (Typ IV) bleibt unklar, in welcher Beziehung die Unterscheidung „superscriptional“ vs. „specificational“ bei Nominalphrasen zu der grammatisch relevanten Unterscheidung referenziell/nicht-referenziell steht. Spezifizierende Sätze werden in der Literatur kontrovers diskutiert. Im Zentrum der Diskussion steht dabei die Frage, was diesen Typ ausmacht und in welchem Verhältnis dieser Satztyp zu anderen Typen von Kopulasätzen, den prädizierenden (Typ I) und den identifizierenden Sätzen (Typen II/III), steht. Die entscheidende Frage scheint, ob die NP1

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in spezifizierenden Sätzen referenziell verwendet wird und als Argument fungiert, oder ob sie nicht-referenziell ist und eher als Prädikativ und formal-semantisch als Prädikat vom Typ analysiert werden sollte. Moro (1997), Heggie (1988) und Williams (1983) nehmen an, dass die NP1 Prädikatstatus hat, und spezifizierende Sätze somit syntaktisch als Inversionen der prädizierenden Sätze zu analysieren sind. In Gegensatz zu prädizierenden Sätzen, in denen einem Individuum (NP1) eine Eigenschaft (NP2) zugeschrieben wird, wird in spezifizierenden Sätzen für eine Eigenschaft (NP1) der Träger dieser Eigenschaft (NP2) spezifiziert. Heycock & Kroch (1998, 1999, 2002) argumentieren hingegen dafür, dass die NP1 in spezifizierenden Sätzen eine referenzielle NP ist, die ein Individuum bezeichnet. Spezifizierende Sätze drücken somit die Identität von zwei Individuen aus, was die Zusammenfassung dieser Sätze unter identifizierende Sätze plausibel macht. Basierend auf der Prädikat-Inversion-Analyse für spezifizierende Sätze von Williams (1983), Heggie (1988) und Moro (1997) decken Mikkelsen (2005) und Geist (2006) neuere Aspekte dieses Satztyps auf. Geist (2006) zeigt, dass die prädikative NP1 einen semantisch hybriden Charakter aufweist, da sie einerseits wie referenzielle NPs die Existenz eines Individuums präsupponiert, andererseits aber in Bezug auf die Pronominalisierung sich wie ein Prädikatsausdruck verhält. Somit heben sich die spezifizierenden Sätze nicht nur syntaktisch von den prädizierenden Sätzen ab (sie stellen eine Prädikatinversion dar), sondern auch semantisch (die prädikative NP1 ist ein hybrides Prädikat). In Mikkelsen (2005) wird der Zusammenhang zwischen der Syntax, Semantik und Informationsstruktur der spezifizierenden Sätze vergleichend mit prädizierenden Sätzen untersucht. Sie stellt fest, dass, während in prädizierenden Sätzen eine kanonische Zuweisung der prominenten syntaktischen Rolle des Subjekts an die referenzielle NP erfolgt, in spezifizierenden Sätzen im Englischen eine ungewöhnliche Zuweisung der syntaktischen Rolle des Subjekts an die satzinitiale prädikative NP erfolgt, obwohl diese prädikative NP nicht-referenziell ist. Diese ungewöhnliche Zuweisung ist informationsstrukturell bedingt: Das bereits bekannte Material muss dem neuen Material vorangestellt werden. Diese Analyse hat eine hohe Erklärungskraft für spezifizierende Sätze im Englischen. Ein Vergleich mit anderen Sprachen zeigt jedoch, dass Mikkelsens Annahme, die NP1 in spezifizierenden Sätzen sei ein syntaktisches Subjekt, keine universelle Geltung haben kann. So gilt diese Annahme zwar für das Englische, aber nicht in Sprachen wie dem Deutschen, Italienischen, Russischen oder Ungarischen. Als wichtiges Merkmal für Subjekte gilt seit Keenan (1976) die Kongruenz mit dem finiten Verb. Besteht in spezifizierenden Sätzen im Englischen Kongruenz zwischen NP1 und Kopula, wie in (15a), so kongruiert die Kopula beispielsweise im Russischen und in seiner deutschen Entsprechung mit der NP2, wie in (15b): (15)

a. The reason for the accident was broken brakes. b. PričinojSG avarii byliPL neispravnye tormozaPL. UrsacheINS UnfallsGEN waren defekte Bremsen ‚Die Ursache des Unfalls waren defekte Bremsen.‘

Dieses repräsentative Beispiel macht die Kongruenzunterschiede in spezifizierenden Sätzen zwischen Englisch einerseits und Russisch/Deutsch andererseits deutlich. Im Englischen richtet sich die Numerus-Kongruenz der Kopula be nach der im Singular stehenden NP1 the reason for the accident. Die NP1 ist daher nach dem Kongruenz-Kriterium das syntaktische Subjekt, wie Mikkelsen auch zu Recht annimmt. Im Russischen kongruiert die Kopula in

Einleitung: Kopulaverben und Kopulasätze

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Bezug auf Numerus mit der satzfinalen NP2 neispravnye tormoza ‚defekte Bremsen‘. Daher dient nicht die NP1 sondern die NP2 als Kongruenzgeber und somit als syntaktisches Subjekt. Der Sprachvergleich macht deutlich, dass eine sprachenübergreifende syntaktische Definition des Typs der spezifizierenden Sätze nicht möglich ist. Was nun ansteht, ist die Suche nach universell gültigen Eigenschaften der spezifizierenden Sätze. Dabei scheint es aus methodischen Gründen sinnvoll, die „Spezifikation“ als abstraktes Konzept, eine Art tertium comparationis, anzusehen, das in unterschiedlichen Sprachen durch spezifizierende Sätze zum Ausdruck gebracht werden kann. Zu klären wäre, was die universellen und sprachspezifischen Eigenschaften der Spezifikation sind. Dieselbe Frage gilt auch für prädizierende Sätze, die als derivationelle Ausgangsbasis für spezifizierende Sätze angenommen werden. Einige der hier skizzierten Problembereiche werden in den Beiträgen in diesem Band weiter untersucht. Im Folgenden wird nun auf die einzelnen Aufsätze eingegangen.

2.

Übersicht über die einzelnen Teile des Sammelbandes

In diesem Band werden synchrone, diachrone, semantische, syntaktische und typologische Aspekte von Kopulaverben und Kopulasätzen innerhalb verschiedener Ansätze (etwa Minimalismus, DRT, Construction Grammar) diskutiert. Dabei nehmen die Beiträge direkten Bezug auf die Ergebnisse neuerer Monographien zur Kopulasatzforschung wie Maienborn (2003), Pustet (2003), Mikkelsen (2005), Geist (2006) und Remberger (2006). Die AutorInnen dieses Bandes diskutieren die in der Literatur vorgeschlagenen Analysen, prüfen sie auf ihre Tragfähigkeit, verfeinern und vertiefen sie. Im Einzelnen ergeben sich dabei folgende thematische Schwerpunkte: (i) Interpretation und Typisierung von Kopulasätzen, (ii) klassentypische Eigenschaften von Kopulaverben und (iii) die Analyse von kopulaverdächtigen Konstruktionen. Aus diesen Schwerpunkten ergeben sich drei thematische Teile des Sammelbandes.

2.1.

Teil I: Interpretation und Typisierung von Kopulasätzen

In diesem Teil des Bandes erscheinen die Beiträge, die sich mit der Problematik der Interpretation und der darauf basierenden Typisierung von Kopulasätzen befassen. Spezifizierende Kopulasätze werden in den Beiträgen von Dejan Matić, Line Mikkelsen und Olav Mueller-Reichau untersucht. Silvia Kutscher widmet sich den prädizierenden Sätzen. Dejan Matić untersucht die Kriterien, die ein Satz aufweisen muss, um als spezifizierender Satz interpretiert zu werden. Anhand einer detaillierten Analyse der ungarischen Kopulasätze und eines Vergleichs mit englischen Daten zeigt er, dass spezifizierende Sätze sich im Ungarischen syntaktisch anders als im Englischen verhalten. Der universelle Status der spezifizierenden Sätze als syntaktischer Satztyp wird somit in Frage gestellt. Im Englischen werden spezifizierende Sätze aus prädizierenden Sätzen durch die Bewegung

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Ljudmila Geist & Björn Rothstein

des -Prädikats in die Subjektposition abgeleitet. Im Ungarischen hingegen ist nicht die Besetzung der Subjektposition, sondern die Besetzung der Topikposition durch das Prädikat entscheidend. Dies hat u.a. unterschiedliche Extensionen der Kategorie „Spezifikation“ in den beiden Sprachen zur Folge. Aus diesem Grund wird an Stelle einer syntaktischen eine auf der Bündelung des semantischen Merkmals und des pragmatischen Merkmals [Topik] basierende übereinzelsprachlich gültige Definition der spezifizierenden Sätze vorgeschlagen. Line Mikkelsen analysiert Cleft-Sätze des Typs „It’s Beverly“ im Englischen. Sie geht der Frage nach, ob sich diese Sätze in die Klassifikation der Kopulasätze von Higgins (1979) einordnen lassen. Gezeigt wird, dass Cleft-Sätze keinen neuen Typ in Higgins Klassifikation darstellen, sondern eine Ausprägung des Typs der spezifizierenden Sätze sind, in denen das Pronomen it die satzinitiale Position einnimmt. Wie für alle satzinitialen NPs in spezifizierenden Sätzen nimmt Line Mikkelsen auch für it an, dass es ein Prädikat vom Typ ist. Die Annahme, ob die NP1 in spezifizierenden Sätzen semantisch ein Prädikat ist, wird jedoch im Aufsatz von Olav Mueller-Reichau in Frage gestellt. Im Gegensatz zu Mikkelsen (2005) und Geist (2006), die die NP1 eines spezifizierenden Kopulasatzes als Prädikat analysieren, betrachtet Olav Mueller-Reichau diese NP als einen referenziellen Ausdruck. Die Besonderheit dieses Ausdrucks besteht darin, dass er nicht auf eine Entität der ontologischen Sorte „Objekt“ referiert, sondern auf eine Entität der ontologischen Sorte „Art“. Spezifizierende Sätze erhalten so eine neue semantische Charakterisierung auf der Basis der NP-Referenz. Nach diesem Vorschlag könnte man die einzelnen Kopulasatztypen von Higgins (1979) durch paarweise kombinierte „Objekt“- und „Art“-Referenz auf folgende Weise definieren: In spezifizierenden Sätzen referiert die NP1 auf eine Art, die NP2 auf ein Objekt, während in prädizierenden Sätzen die NP1 auf ein Objekt und die NP2 auf eine Art referieren. In identifizierenden Sätzen referieren entweder beide NPs auf Arten oder auf Objekte. Neben den spezifizierenden Sätzen sind auch prädizierende Sätze (Typ 1 in der Klassifikation von Higgins) ein Untersuchungsgegenstand in diesem Sammelband. Silvia Kutscher geht der Frage der Abgrenzung des Typs der prädizierenden Sätze in der Deutschen Gebärdensprache (DGS) nach: In der DGS enthalten prädizierende Kopulasätze keine Kopula, wobei das Prädikativ der Prädikationsbasis (Subjekt) nachgestellt wird (SCHÜSSEL BLAU ‚Die/eine Schüssel ist blau‘). Auf der syntaktischen Oberfläche sind prädizierende Sätze den Attributionen gleich, da in der DGS auch Attribute ihrem semantischen Nukleus nachgestellt werden können (SCHÜSSEL BLAU auch als ‚blaue Schüssel‘). Da es keine morphosyntaktischen Kennzeichnungsmittel gibt, die die Verwendung einer Eigenschaftsbezeichnung als attributiv oder prädikativ kennzeichnen, stellt sich die Frage, ob in der DGS andere sprachliche Mittel zur Verfügung stehen, um die Prädikation von der Attribution abzugrenzen. In dem Aufsatz wird gezeigt, dass die mit der lautsprachlichen Prosodie vergleichbaren non-manuellen Komponenten der DGS zur Identifizierung von Phrasengrenzen herangezogen werden können. Da die Prosodie allgemein als informationsstrukturierendes Mittel gilt, rückt die Informationsstruktur als konstituierende Komponente der prädizierenden Kopulasätze in den Vordergrund. Somit findet die Idee des Beitrags von Dejan Matić, dass die einzelnen Kopulasatztypen nach Higgins (1979) sprachenübergreifend informationsstrukturell festgelegte Bedeutungskomplexe sind, eine Unterstützung.

Einleitung: Kopulaverben und Kopulasätze

2.2.

11

Teil II: Klassentypische Eigenschaften von Kopulaverben

In den Aufsätzen dieser Gruppe rückt ein weiterer, für Kopulaverben klassentypischer Aspekt in den Vordergrund: die semantische Unterspezifikation. Diese korreliert mit deren Mehrdeutigkeit, Polyfunktionalität und wenig restringierten Selektionsbedingungen. Der Zusammenhang zwischen diesen einzelnen Merkmalen kann auch anhand der diachronen Entwicklung dieser Verben nachgewiesen werden. Bei Kopulaverben geht man davon aus, dass sie aufgrund ihrer semantischen Unterspezifikation keine bzw. eine anders geartete Theta-Rolle ihren Komplementen zuweisen (vgl. Löbel 2000) und keine bzw. wenig selektionale Bedingungen an die Komplemente stellen. Es scheint jedoch notwendig zu sein, innerhalb von Kopulaverben zu differenzieren, da sich zwischen „mehr Semantik“ und „mehr Selektionsbeschränkungen“ eine Korrelation feststellen lässt. So wird angenommen, dass werden „mehr Semantik“ hat als sein. Dieses „mehr an Semantik“ bei werden schlägt sich zunächst in seinen kategoriellen Selektionsbeschränkungen nieder: werden hat mehr syntaktische Restriktionen als sein, da es zwar NPs und APs, aber keine PPs als Komplemente nehmen kann, vgl. Bsp. (2) oben. Auf eine weitere kombinatorische Beschränkung bei werden geht Holden Härtl in seinem Beitrag ein. Das Adjektiv kaputt und das determiniererlose Nomen Pleite können nur mit sein, aber nicht mit werden kombiniert werden, vgl. (16a/b). Statt *kaputt werden und *pleite werden werden Konstruktionen mit gehen verwendet, vgl. (16c): (16)

a. Der Fahrstuhl ist kaputt. b. *Der Fahrstuhl ist kaputt geworden. c. Der Fahrstuhl ist kaputt gegangen.

Die Firma ist pleite. *Die Firma ist pleite geworden. Die Firma ist pleite gegangen.

Dass werden nicht mit allen APs kombinierbar ist, haben wir schon in Abschnitt 1.1. gezeigt. So ist das Adjektiv nackt in der Komplementposition von werden ebenfalls ausgeschlossen. (17)

a. OKDer Schauspieler ist nackt. b. *Der Schauspieler ist nackt geworden.

Liegt vielleicht in (16b) dieselbe Restriktion wie in (17b) vor? In (17b) verstößt das Adjektiv nackt gegen die Selektionsbeschränkung von werden, da, wie in Härtl (2005) festgestellt, werden im Komplement Eigenschaften verlangt, die obligatorisch unkontrolliert sein müssen, was bei nackt, welches eher eine kontrollierte Eigenschaft bezeichnet, nicht der Fall ist. Die Komplemente kaputt und pleite in (16) bezeichnen jedoch unkontrollierte Eigenschaften und verstoßen nicht gegen diese Selektionsbeschränkung. Die Frage ist nun, ob die Verletzung in (16b) auf eine andere, bisher unbekannte Selektionsbeschränkung von werden zurückzuführen ist, die im Lexikon vermerkt werden muss. Härtl argumentiert dafür, dass in (16b) keine Selektionsverletzung vorliegt. Er belegt anhand von Korpusdaten und den semantischen Eigenschaften der untersuchten Struktur, dass Fügungen wie kaputt werden/pleite werden grammatisch sind und lediglich durch die Konstruktionen mit gehen in (16c) lexikalisch blockiert sind. Blockierungen liegen generell immer dann vor, wenn blockierte und blockierende Form auf einer bestimmten – hier der semantisch-lexikalischen – Ebene der Strukturbildung identisch sind. Härtl weist nach, dass dies bei den Konstruktionen (16b) und (16c) der Fall ist.

Ljudmila Geist & Björn Rothstein

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Bekanntlich lassen Kopulaverben aufgrund ihrer semantischen Unterspezifikation Mehrfachinterpretationen zu. Mit diesem Gesichtpunkt, nämlich mit der lexikalischen und kategoriellen Mehrdeutigkeit befassen sich die Beiträge von Barbara Schlücker und Rolf Thieroff. Barbara Schlücker beobachtet beispielsweise, dass bleiben ambig ist zwischen einer Lesart, in der es auf einen andauernden Zustand referiert (Susanne bleibt traurig), und einer Zustandswechsellesart (Nora warf den Kaugummi gegen die Wand, wo er kleben blieb). Interessant ist hierbei vor allem die Frage, wie die jeweilige Interpretation zustande kommt, ob für sie Polysemie der Kopula bleiben im Lexikon angenommen werden muss, oder ob eine einzige uniforme Bedeutung der Kopula bleiben möglich ist, von der die unterschiedlichen Lesarten lediglich kontextuelle Varianten sind. Diese Frage hängt mit den Annahmen zur Architektur der Grammatik zusammen. Je nachdem welche Komponenten (Lexikon, Syntax, Diskurs etc.) an ihrer Disambiguierung beteiligt sind, kann dies Aufschluss für Schnittstellen-Ansätze liefern. Barbara Schlücker entwickelt eine Analyse, nach der bleiben im Lexikon unterspezifiziert ist und erst im jeweiligen Kontext disambiguiert werden kann. Dabei wird der Kontextabhängigkeit bei der Interpretation von bleiben durch den diskurssemantischen Rahmen, in dem die Analyse erfolgt, Rechnung getragen. Neben der lexikalischen Mehrdeutigkeit stellt auch die kategorielle Mehrdeutigkeit ein Problem für die lexikalische Repräsentation von Kopulaverben dar: Wie wir in Abschnitt 1.1. gezeigt haben, existieren häufig formgleiche Varianten zu Kopulaverben, beispielsweise als Hilfsverben. So können im Deutschen mindestens drei Funktionen des Verbs sein in Abhängigkeit von der Kategorie des Komplements unterschieden werden, nämlich die Funktion als Kopula (Die Haare sind rot), als Passiv-Auxiliar (sog. Zustandspassiv, Die Haare sind gefärbt) und als Tempus-Auxiliar (Perfekt, Die Haare sind gewachsen). In dem Beitrag von Rolf Thieroff werden verschiedene in der Fachliteratur immer wieder unterbreitete Vorschläge diskutiert, einzelne dieser Konstruktionen zu einer Konstruktion zusammenzufassen, nämlich Kopulakonstruktion und Zustandspassiv als Kopulakonstruktion, Zustandspassiv und Perfekt als Resultativum und alle drei Konstruktionen als Kopulakonstruktion. Der daran anschließende Vergleich von Kopula-, Passiv- und Perfektkonstruktionen in ausgewählten germanischen und romanischen Sprachen führt schließlich zu dem Ergebnis, dass dennoch grundsätzlich zwischen drei verschiedenen Verben, einer Kopula sein, einem Passiv-Auxiliar sein und einem Perfekt-Auxiliar sein, unterschieden werden muss. Die Erklärungen für die klassentypischen Eigenschaften der Kopulaverben wie kategorielle und lexikalische Mehrdeutigkeit sind in der Entstehungsgeschichte dieser Verben zu suchen. Rosemarie Lühr und Eva-Maria Remberger & Kay-Eduardo González-Vilbazo analysieren hierzu eine Vielzahl von einzelsprachlichen Daten aus diachroner Perspektive. Die AutorInnen zeigen, dass Kopulaverben in verschiedenen Sprachen eine sehr ähnliche Entstehungsgeschichte haben: Sie entstehen oft durch die Grammatikalisierung von Positions- und Bewegungsverben wie STEHEN und SITZEN.2 Im Laufe des Grammatikalisierungsprozesses verliert das jeweilige Positions- bzw. Bewegungsverb die Bedeutungskomponente der Körperposition, was zur Aufweichung von Selektionsrestriktionen führt. Oft bleibt die ursprüngliche Bedeutung des Vollverbs neben den Bedeutungen, die –––––––—–– 2

Die Großbuchstaben zeigen an, dass es sich nicht um das lexikalische einzelsprachliche Verb handelt, sondern um Variablen für die verschiedenen einzelsprachlichen verbalen Realisierungsmöglichkeiten der Bedeutung „stehen“ und „sitzen“.

Einleitung: Kopulaverben und Kopulasätze

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auf verschiedenen Grammatikalisierungsstufen desselben Verbs entstanden sind, bestehen. Diese Entwicklung hat lexikalische und kategorielle Mehrdeutigkeit zur Folge. Rosemarie Lühr untersucht altindische Kopulakonstruktionen mit den Positionsverben GEHEN, STEHEN und LIEGEN und zieht dabei eine Parallele zwischen der Herausbildung von Kopulakonstruktionen im Altindischen und der Entstehung des Progressivs im Englischen. Die englische progessive form ist mit den untersuchten altindischen Konstruktionen aus einem Positionsverb und Partizip Präsens oder präsentischem Partizip Perfekt unmittelbar vergleichbar. Demnach haben die Positionsverben in diesen Fügungen kopulativen Charakter. Altindische Positionsverben signalisieren etwa in Verbindung mit einem Partizip, dass die im Partizip ausgedrückte Verbalhandlung das Merkmal [DURATIV] oder [ITERATIVDURATIV] hat und fordern eine entsprechende Ergänzung. Das Aspektmerkmal [IMPERFEKTIV] der Wortart Partizip Präsens und das inhärente Aktionsartmerkmal [DURATIV] oder [ITERATIVDURATIV] des im Partizip ausgedrückten Verbs sind hierfür die passenden Aspektualitätspartner. Auch die Frage, warum das Altindische überhaupt derartige Kopulasätze hat, wird durch den Sprachvergleich mit dem Englischen beantwortet. Eva-Maria Remberger & Kay-Eduardo González-Vilbazo zeigen, dass das ursprünglich eine Körperhaltung kodierende lateinische Verb stare im Altromanischen zur Kopula wird und in das Gebiet der ursprünglichen Kopula essere eindringt. In romanischen Sprachen wie dem Spanischen und Portugiesischen setzt sich zwischen ESSERE und STARE eine „Arbeitsteilung“ als Tendenz durch: Prädikationen mit ESSERE bezeichnen IndividuenPrädikate, wohingegen Prädikationen mit STARE als Stadien-Prädikate dienen. Auch in Lokativkonstruktionen mit Präpositionalphrasen konkurriert in manchen romanischen Sprachen STARE mit ESSERE. Die „Arbeitsteilung“ zwischen den beiden Verben in Lokativkonstruktionen kann in den romanischen Sprachen jedoch nicht auf einen gemeinsamen Nenner zurückgeführt werden. Die Autoren arbeiten die Merkmale heraus, die für die Selektion von ESSERE und STARE in den romanischen Sprachen verantwortlich sind, und formalisieren die einzelsprachliche Parametrisierung im Rahmen des Minimalistischen Programms.

2.3.

Teil III: Die Analyse von kopulaverdächtigen Konstruktionen

Neben den etablierten Kopulakonstruktionen mit sein, werden und bleiben gibt es eine Reihe weiterer Fügungen, die ein kopulaverdächtiges oder kopulaähnliches Verb beinhalten. Diese haben in der Literatur bisher wenig Beachtung gefunden. Dazu gehören zum Beispiel Fügungen aus sein plus Direktionalergänzung (Er ist auf den Baum). Konstruktionen dieser Art drücken eine räumliche Bewegung aus. Hinzu kommen die als Absentiv bezeichneten Konstruktionen mit sein (Anna ist essen), die die räumliche Abwesenheit des durch ihr Subjekt bezeichneten Individuums ausdrücken. Mit den bekannten Kopulae sein und werden teilen sich die an den betreffenden Fügungen beteiligten Verben die semantische Unterspezifikation und die Realisierung vorwiegend grammatischer Funktionen. Die Frage, ob in diesen Konstruktionen Kopulaverben oder eher Voll- bzw. Hilfsverben auftreten, hängt im Wesentlichen von der Analyse der Gesamtkonstruktion ab.

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Ljudmila Geist & Björn Rothstein

Petra Maria Vogel argumentiert beispielsweise für die Konstruktionsgleichheit zwischen gehen + Infinitiv (Er ging schwimmen) und absentivischem sein + Infinitiv (Sie ist schwimmen), was zwangsweise zur Analyse von sein als Nicht-Kopula führt, da gehen + Infinitiv keinen substantivischen Infinitiv beinhaltet. Im ersten Teil des Aufsatzes stellt sich heraus, dass der so genannte Absentiv (vgl. de Groot 2000) in 26 von 36 europäischen Amtssprachen vorkommt und sich aus einer finiten Form des Verbs sein + Infinitiv(ersatzkonstruktion) zusammensetzt. Als Erklärung für die Absentivkonstruktion wird neben die gängigen Ellipsenhypothesen (etwa Ausfall des Partizip Perfekts gegangen, vgl. dt. Sie ist schwimmen gegangen > Sie ist schwimmen) eine weitere gestellt, die auf die Konstruktionsgleichheit von gehen + Infinitiv(ersatzkonstruktion) und absentivischem sein + Infinitiv(ersatzkonstruktion) abzielt. In diesem Zusammenhang wird auch postuliert, dass sein weder Hilfsverb noch Kopula ist, sondern Vollverbstatus hat. Der zweite Teil ist auf das Deutsche konzentriert und fasst Ergebnisse zum Absentiv im gegenwärtigen Standarddeutschen aus Krause (2002) zusammen. Ergänzend wird ein Blick auf Besonderheiten der deutschen Dialektlandschaft sowie die historische Entwicklung des Absentivs im Deutschen geworfen. Raphael Berthele betrachtet Fügungen, die unzweifelhaft zum Ausdruck von räumlichen Bewegungskonzepten dienen, obwohl sie keinerlei Bewegungsverb enthalten. Neben dem auch in der deutschen Standardsprache gängigen Gebrauch von Modalverben mit Direktionalergänzungen (Er muss ins Haus) werden auch typisch dialektale oder umgangssprachliche Fügungen mit sein diskutiert (Er ist ins Haus). Diese Fügungen mit sein gleichen stark den Kopulakonstruktionen Er ist im Haus, die jedoch keine Bewegung, sondern eine Ruhelage bezeichnen. Raphael Berthele zeigt anhand von Beispielen, die hauptsächlich aus einem schweizerdeutschen Dialektkorpus stammen, das zur Untersuchung von Bewegungsverben erhoben wurde, dass für den Typ sein+Direktionalergänzung die gängige Interpretation als Ellipse (Er ist ins Haus gegangen) nur partiell zutreffen kann. Als Alternative wird eine Analyse vorgeschlagen, die sich an grundlegenden Konzepten der Konstruktionsgrammatik (Construction Grammar) orientiert, und die neben Fügungen des Typs sein+Direktionalergänzung auch solche mit Modalverben erklären hilft. Ausgehend von der Idee der Konstruktionsgrammatik, dass nicht nur Verben, sondern auch ganze Konstruktionen einen Valenzrahmen eröffnen können, wird gezeigt, dass die bewegungsverblosen Fügungen als Varianten einer Bewegungskonstruktion gesehen werden können, in der nicht finite oder infinite Vollverben das Direktionalargument lizensieren, sondern eben die Konstruktion als Ganze. Die in gewissen Dialekten auffällig häufige Verwendung von sein als Finitum in der Bewegungskonstruktion wird schließlich in Bezug gesetzt zu typologischen Studien des Bewegungsverbgebrauchs, wobei vermeintlich gesicherte Erkenntnisse über Lexikalisierungsmuster „des Deutschen“, etwa die dominierende Verwendung sogenannter Art-und-Weise-Verben der Bewegung (hüpfen, springen, etc.), aufgrund der Dialektdaten in Frage gestellt werden. Björn Rothstein untersucht die Fügungen des Typs Das Pferd hat die Fesseln bandagiert, die als „partizipiale Haben-Konfigurative“ bezeichnet werden. Diese Konstruktionen teilen mit Kopulakonstruktionen das semantisch sehr leichte Finitum, das lediglich grammatische Informationen (wie Modus, Tempus, Person- und Numeruskongruenz) und allenfalls eine Zuordnung von Subjekt, dem nominalen Komplement und dem Partizip leistet. Das Verb haben wird zwar in der Regel nicht als Kopulaverb kategorisiert, es kann aber abhängig von der syntaktischen Kategorie des Komplements ähnlich wie die Verben

Einleitung: Kopulaverben und Kopulasätze

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sein und werden als Voll- und als Hilfsverb fungieren. Obwohl das Partizip II des „partizipialen Haben-Konfigurativs“ auf den ersten Blick sowohl adjektivische wie auch verbale Eigenschaften zeigt, kann durch Anwendung von Standardtests nachgewiesen werden, dass dieses Partizip II ein Adjektiv ist. Dazu ist die Annahme eines bestimmten Wortbildungstyps, der phrasalen Adjektivierung (Rapp 1996), nötig. Somit kann erklärt werden, warum einige der prototypischen Eigenschaften von adjektivischen Partizipien in der untersuchten Konstruktion ausbleiben. Insofern stellt der „partizipiale HabenKonfigurativ“ eine Bestätigung für die Existenz der beispielsweise von Rapp vorgeschlagenen phrasalen Adjektivierung dar. Die hier vertretene Analyse zeigt weiterhin, dass es nicht nötig ist, Partizipien als Mittelwörter oder Kontinua zwischen Adjektiven und Verben zu analysieren. Die Klassifikation des Partizips II als Adjektiv wirft die Frage auf, wie haben innerhalb des partizipialen Haben-Konfigurativs analysiert werden soll. Spekuliert wird, ob es sich möglicherweise um eine Kopula handelt.

3.

Ausblick

Unsere einleitenden Bemerkungen zu Kopulaverben und Kopulasätzen dürften die Attraktivität und Bedeutung des Themas deutlich gemacht haben. Sätze mit Verben, die oft als „semantisch ausgebleicht“ oder „semantisch arm“ gelten, erweisen sich als ergiebiger Untersuchungsgegenstand, um die Prinzipien der Grammatik hinter den scheinbar idiosynkratischen Phänomenen aufzudecken. Die unterschiedlichen Herangehensweisen der vorliegenden Beiträge belegen eindrucksvoll, wie vielseitig und interessant die Analyse von Kopulaverben und Kopulasätzen dafür sein kann. Wir hoffen, dass unser Sammelband nicht nur zur weiteren Beschäftigung mit der Kopula anregt, sondern Kopulasätze als Prüfstein für bestehende linguistische Auffassungen zugänglich macht.

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Ljudmila Geist & Björn Rothstein

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Einleitung: Kopulaverben und Kopulasätze

17

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Teil I: Interpretation und Typisierung von Kopulasätzen

Dejan Matić

Spezifikation und Kongruenz: Die Syntax der Kopulasätze im Ungarischen und Englischen1

1.

Syntax und Semantik der Kopulasätze

Seitdem Higgins (1979) die klassische Aufteilung der Kopulasätze in prädizierende und identifizierende um einen weiteren Typus, nämlich spezifizierende Sätze, erweitert hat, stellt die Frage nach der semantischen und syntaktischen differentia specifica der Spezifikation ein im höchsten Maße umstrittenes Thema in der linguistischen und sprachphilosophischen Literatur dar (vgl. den Dikken 2006: 339ff., Mikkelsen 2005: 41ff.). In Folge ihrer außerordentlich mehrdeutigen Syntax und ihrer schwer greifbaren Semantik hängt die Interpretation der syntaktischen Struktur oft von den Annahmen über die Semantik ab, oder umgekehrt, ihre semantische Beschaffenheit wird über die angenommene syntaktische Struktur determiniert, so dass die Erforschung der spezifizierenden Sätze die gängigen Hypothesen über den Isomorphismus von Form und Bedeutung sehr anschaulich widerspiegelt. Das Ziel der vorliegenden Arbeit ist, auf formale und pragmatische Aspekte der typologischen Variation im Bereich der Spezifikation hinzuweisen und auf dieser Grundlage auf die Isomorphismusfrage aus sprachvergleichender Perspektive näher einzugehen. Anhand einer detaillierten Analyse der ungarischen Kopulasätze und eines Vergleichs mit englischen Daten wird der universelle Status von Spezifikation als syntaktischer Kategorie in Frage gestellt und an seiner Stelle eine auf Bündelung ähnlicher semantischer und pragmatischer Merkmale basierende übereinzelsprachlich gültige Definition vorgeschlagen. Diese wird ihrerseits als Anlass benutzt, die Validität einer universalistischen Etablierung von sprachlichen Kategorien, die auf angenommener Identität von formalen und inhaltlichen Merkmalen basiert, zu hinterfragen. Ein gängiges Beispiel für den Unterschied zwischen prädizierenden und spezifizierenden Kopulasätzen2 stammt von Kripke (1972: 271): (1)

The winner might have been the loser.

Im Kontext des Eurovision Song Contest 2004, in dem die Ukrainer die ersten und die Briten die letzten waren, kann dieser Satz, je nach dem, ob er als prädizierend oder spezifi–––––––—–– 1

2

Ich bedanke mich bei den Teilnehmern der Arbeitsgruppe ‚Kopulasätze‘ im Rahmen der 23. Jahrestagung der DGfS, insbesondere bei Ljudmila Geist, Elisabeth Löbel, Line Mikkelsen, Olav Mueller-Reichau und Björn Rothstein. Mein Dank gilt außerdem Antje Casaretto und Elvira Veselinović und meinen ungarischen Informantinnen, Gabriella Zopcsák und Leila Behrens. Für verbleibende Fehler bin ich alleine verantwortlich. Der identifizierende Typus (Der Morgenstern ist der Abendstern, Cicero ist Tullius usw.) wird in diesem Aufsatz weitgehend ignoriert.

Dejan Matić

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zierend interpretiert wird, mindestens folgende zwei Lesarten haben (vgl. Higgins 1979: 271, Mikkelsen 2005: 57): (1’) (1’’)

Die Ukrainer hätten verlieren können. [prädizierend] (das Individuum ‚Gewinner‘ hätte die Eigenschaft ‚Verlierer‘ haben können) Die Briten hätten gewinnen können. [spezifizierend] (die Eigenschaft ‚Gewinner‘ hätte dem Individuum ‚Verlierer‘ zukommen können)

Der allgemeine Eindruck ist, dass in der prädizierenden Lesart die erste DP irgendwie stärker referentiell ist als die zweite, während in der spezifizierenden Lesart das Verhältnis ein umgekehrtes ist, und dass die beiden Lesarten unterschiedlichen, aber verwandten syntaktischen Repräsentationen zuzuordnen sind. Das sind auch die Prämissen, auf denen die meisten Ansätze zur Erforschung der Struktur der Kopulasätze in den letzten Jahren basieren. Der Deutlichkeit halber formuliere ich sie hier etwas ausführlicher: – Der Bedeutungsunterschied zwischen prädizierenden und spezifizierenden Sätzen ist in der Semantik der Phrasen um die Kopula herum zu verorten, nicht in einer hypothetischen Polysemie der Kopula selbst. – Prädizierende und spezifizierende Kopulasätze sind derivationell verwandt, sie weisen die gleiche Struktur auf und stellen somit keine grundsätzlich unterschiedlichen Konstruktionen dar. Dem ersten Punkt wurde in der Literatur auf unterschiedliche Weisen Substanz verliehen, so dass z. B. NP1 in spezifizierenden Sätzen als nicht-referentiell, attributiv-referentiell, hyperonymisch, intensional, askriptiv, prädizierend usw. gedeutet wurde, was dann mit der Referentialität, Hyponymie, Extensionalität, Identifikationalität usw. der NP2 einhergehe (vgl. den Dikken 2006: 296ff. für eine vollständigere Liste). Wie die Paraphrasen der Lesarten (1’) und (1’’), die die Termini ‚Individuum‘ und ‚Eigenschaft‘ beinhalten, zeigen, schließe ich mich den Forschern an, die von einem typensemantischen Unterschied im Sinne von Partee (1986, 1987) ausgehen, wie etwa Mikkelsen (2005, in diesem Band) und Geist (in Vorbereitung): In prädizierenden Sätzen wird einem Individuum eine Eigenschaft zugeschrieben, in spezifizierenden wird für eine Eigenschaft der Träger dieser Eigenschaft spezifiziert.3 Etwas vereinfacht lässt sich die Distribution der semantischen Typen in prädizierenden und spezifizierenden Sätzen in diesem Rahmen folgendermaßen darstellen: (2)

Semantik der NPn in Kopulasätzen NP1 prädizierend spezifizierend

Individuum Eigenschaft

NP2 Eigenschaft Individuum

Die unbestimmte Markierung in der obersten Zeile – NP an Stelle von Ausdrücken wie Subjekt und Prädikatskomplement – zeugt von einer weit verbreiteten Unsicherheit bezüglich der geeigneten syntaktischen Analyse von Kopulasätzen, die in der Literatur –––––––—–– 3

Es ist wichtig, anzumerken, dass die hier vorgeschlagene syntaktische Analyse von dieser spezifischen Interpretation von Prädikation und Spezifikation weitgehend unabhängig ist, d.h. sie kann mutatis mutandis auch dann angewandt werden, wenn man sich zu einer anderen semantischen Deutung bekennt, wie z.B. der Artterminterpretation von Mueller-Reichau (in diesem Band).

Syntax der Kopulasätze im Ungarischen und Englischen

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nicht selten anzutreffen ist (vgl. z. B. Higgins 1979, Declerck 1988, Jacobsson 1990, Allerton 1991/2 u. a.). Die Ansätze, die sich explizit zu einer syntaktischen Analyse bekennen, lassen sich grob in zwei Gruppen aufteilen (vgl. den Dikken 2006: 339ff., Adger & Ramchand 2003: 327ff., Mikkelsen 2005: 41ff.). In den nicht-prädikationalen Ansätzen (z. B. Carnie 1997, Heycock & Kroch 1999) werden spezifizierende Sätze mit den identifizierenden zusammengefasst und dieses Konglomerat dann als von dem prädizierenden Typus syntaktisch distinkt behandelt. Die in den letzten Jahren immer größer werdende Familie von prädikationalen Ansätzen (z. B. Moro 1997; Adger & Ramchand 2003; Mikkelsen 2005, in diesem Band; Geist in Vorbereitung) geht hingegen davon aus, dass der identifizierende Typus in der Tat eine besondere syntaktische Repräsentation erfordert, betrachtet aber die spezifizierenden und die prädizierenden Sätze als zwei Instanziierungen einer einheitlichen zu Grunde liegenden Struktur. Außer zahlreichen formalen Vorteilen, die der letztere Grundansatz bietet (vgl. zuletzt die Argumentation bei Adger & Ramchand 2003), ist er m.E. dem ersteren auch aus semantischen Gründen vorzuziehen, da er die Intuitionen über das Inversionsverhältnis zwischen Prädikation und Spezifikation besser erfasst. Außerdem wird er den typologischen Daten gerecht, die wiederholt auf eine formale Spaltung zwischen den identifizierenden Sätzen einerseits und den prädizierenden und spezifizierenden andererseits hinweisen (vgl. z. B. Adger & Ramchand 2003 für Schottisch-Gälisch, Geist in Vorbereitung für Russisch, Matić im Druck für Guaraní). Die Idee, dass sich Prädikation und Spezifikation auf semantischer Ebene durch umgekehrte Reihenfolge der semantischen Typen ‚Individuum‘ und ‚Eigenschaft‘ unterscheiden, findet ihren direkten Ausdruck in der syntaktischen Analyse der Kopulasätze, die von einer unterschiedlichen Zuweisung der Subjektrolle in beiden Satztypen ausgeht (vgl. Moro 1997 und Mikkelsen 2005, in diesem Band). Die Kopula wird hier als raising verb verstanden, das einen small clause als Komplement nimmt. Im small clause befinden sich eine referentielle (Individuum) und eine nicht-referentielle (Eigenschaft) Konstituente. Bei prädizierenden Sätzen wird die Individuen-DP in die Subjektposition angehoben, bei spezifizierenden Sätzen die Eigenschafts-DP. Prädizierende und spezifizierende Sätze unterscheiden sich somit weder in ihrer syntaktischen Struktur noch in ihrer Semantik – beide basieren auf der Anhebung einer der Konstituenten des small clause in die Subjektposition und beide schließen ein referentielles und ein nicht-referentielles Element ein – sondern in der Zuweisung der Subjektrolle, indem bei Prädikation die Individuen-DP das Subjekt ist, bei Spezifikation die Eigenschafts-DP. Die Subjektposition, zu der das referentielle oder das nichtreferentielle Element des small clause angehoben wird, um das Merkmal [uD] zu überprüfen (= EPP), wird als [Spec,TP] definiert. Eine vereinfachte Darstellung dieser strukturellen Interpretation von prädizierenden und spezifizierenden Kopulasätzen ist in (3) gegeben (das Schema bezieht sich auf die Mikkelsensche Variante dieser Analyse): (3)

[TP [Spec,TP] [T’ [To] [vP [vP] [PredP [Spec,PredP DPIndividuum] [Pred’ [Pred] [DPEigenschaft]]]]]]

Die Frage nach der funktionalen Motivation der Anhebung des einen oder des anderen Elements des small clause, die erst in den letzten Jahren gestellt worden ist (Partee 2000, Heycock & Kroch 2002, Mikkelsen 2005, in diesem Band), hat die informationsstrukturellen Merkmale wie Topik und Fokus in den Vordergrund gerückt. So nimmt z. B. Mikkelsen (2005: 133ff., 162ff.) an, dass das Eigenschaften denotierende Element nur dann zur Subjektposition angehoben wird, wenn es topikal ist, was syntaktisch durch das

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Einführen eines zusätzlichen zu überprüfenden Merkmals [utop] des Kopfes T, dessen Spezifikator die Subjektposition liefert, motiviert ist. Das System funktioniert also folgendermaßen: Wenn der Kopf T kein [utop] Merkmal hat, d. h. wenn die Äußerung/der Satz topiklos ist, gilt nur das EPP (d. h. Merkmal [uD]), so dass dann immer die nähere, individuenreferierende DP ([Spec, PredP]) zum Subjekt wird, und das Ergebnis ist ein prädizierender Satz, der keine Topiks enthält: (4)

FIREMEN are available. (nicht etwa die Polizei) [‚Firemen‘: , –Topik, Subjekt]

Das EPP (= das Merkmal [uD]) ist also verantwortlich für das Bewegen der Individuen-DP in die Subjektposition und folglich auch für die Entstehung einer prädizierenden Satzstruktur in Fällen, in denen das Merkmal [utop] nicht vorhanden ist. Die meisten Sätze der natürlichen Sprachen haben aber ein Topik, also auch das Merkmal [utop]. In diesem Fall, also wenn [utop] an dem Kopf T vorhanden ist, wird in die Subjektposition immer das topikale Element angehoben, um dieses Merkmal zu überprüfen. Falls das Individuum topikal ist, wird die referentielle DP angehoben, und das Ergebnis ist wieder ein prädizierender Satz: (5)

[Was hältst du von Roland?] Well, Roland is my BEST friend. [‚Roland‘: , Topik, Subjekt]

In den Fällen schließlich, in denen die Eigenschaft das Topik darstellt, hebt man die Eigenschaften denotierende DP an, wodurch spezifizierende Sätze mit einem nicht-referentiellen Subjekt entstehen: (6)

[Wer ist dein bester Freund?] My best friend is ROLAND. [‚my best friend‘: , Topik, Subjekt]

Spezifizierende Sätze sind also Sätze, bei denen die Subjektposition von dem nicht-referentiellen Element der Prädikation besetzt wird, und das Wesen der Spezifikation besteht in der Zuweisung der Subjektrolle zu dem eigenschaftsdenotierenden Prädikationselement auf Grund seiner Topikalität. Prädizierend sind dagegen alle Sätze, in denen das individuenreferierende Element das Subjekt ist, was sowohl bei topikalen (wegen des [utop] Merkmals) als auch bei nicht-topikalen (wegen EPP) Referenten möglich ist. Schematisch: (7)

Die Struktur der prädizierenden und spezifizierenden Kopulasätze prädik.: {Individuum [+/–Topik]}SUBJEKT {Eigenschaft [+/–Fokus]}PRÄDIKATSKOMPL spezif.: {Eigenschaft [+Topik]}SUBJEKT {Individuum [+Fokus]}PRÄDIKATSKOMPL

Wie die Beispiele (1) und (4) – (6) zeigen, funktioniert diese Analyse tadellos in einer konfigurationalen subjektprominenten Sprache wie Englisch, in der die Tendenz, topikale Propositionselemente als Subjekt zu kodieren, extrem stark ausgeprägt ist. Bei der Zuweisung der grammatischen Rolle Subjekt ist hier nämlich die Topikalität von entscheidender Bedeutung, sie ist stärker als die semantischen Kriterien wie Referentialität, die nur in topiklosen Sätzen eine gewisse Rolle zu spielen scheint (vgl. z. B. Sasse 1982). Allerdings

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hat eine solche im Wesentlichen auf dem Abbilden der semantischen und informationsstrukturellen Merkmale auf die Syntax basierende Deutung Folgen bezüglich der Extension des Begriffs der Spezifikation: Prädikationen, in denen das Eigenschaften denotierende Element keine DP ist, sondern eine AP oder PP, können keine spezifizierenden Sätze bilden, da APn und PPn den kategorialen Anforderungen von [Spec, TP] nicht entsprechen, d. h. sie können keine Subjekte werden. Dies bedeutet wiederum, dass die Fälle von ‚Inversion‘, in denen APn oder PPn wegen ihrer Topikalität vorangestellt werden, wie in (8) und (9), nicht als spezifizierende Sätze gelten, weil sich das vorangestellte topikalisierte Element nicht in der Subjektposition, sondern an einer höheren Stelle ([Spec, CP] laut Mikkelsen 2005: 185) befindet. (8)

Immedately recognizable here is the basic, profoundly false tenet of Movie Philosophy 101, as it has been handed down from “Aunty Mam” and “Harold and Maude” ... (Birner & Ward 1998: 156)

(9)

[Text über Mutter Teresa] With the Nobel Peace Prize winner are Archbishop Francis Stafford, Mother Mary Thomas Beil and ... Marcian O’Meare ... (Mikkelsen 2005: 144)

Spezifizierende Sätze sind demzufolge lediglich eine syntaktische Subklasse der pragmatisch definierbaren Klasse der Inversionssätze. Diese Subklasse zeichnet sich dadurch aus, dass das topikale nicht-referentielle Element auf Grund seiner kategorialen Merkmale nicht auf einer der Topikalisierungspositionen landet, sondern als Subjekt kodiert wird. Das Wesentliche an diesem Ansatz ist, dass er grundsätzlich syntaktisch ausgerichtet ist, d. h. er ist darum bemüht, eine universelle, potentiell parametrisierbare syntaktische Konfiguration zu definieren, die einem semantisch-diskurspragmatischen Bedeutungskomplex entspricht und die als definitorische Basis für eine übereinzelsprachliche Kategorie – in diesem Fall die Kategorie der Spezifikation – dienen kann. Die zu Grunde liegende Idee ist die des Isomorphismus zwischen Form und Bedeutung: Eine semantisch-pragmatische Konfiguration, die sich in mehr als einer Sprache identifizieren lässt, kann nur éiner syntaktischen Konfiguration entsprechen, die folglich in allen betreffenden Sprachen ihre Gültigkeit haben muss. Potentielle Probleme sind hier aber schon auf den ersten Blick zu finden. So ist z. B. Spezifikation z.T. wortartenabhängig, da die Zuweisung der Subjektrolle nur bei den mit dem Merkmal [+N] versehenen Konstituenten erfolgen kann. Die syntaktische Distribution der Wortarten ist aber bekanntlich ein sprachspezifisches Phänomen (vgl. z. B. Sasse 1993, Dryer 1997). Es ist auch bekannt, dass Sprachen im Hinblick auf die Prinzipien des Abbildens der Informationsstruktur auf die Syntax stark voneinander abweichen können (vgl. z. B. Kiss 2001, Matić 2003: 627ff.), was im Fall der spezifizierenden Kopulasätze, die ja von einer spezifischen Topik-Fokus-Artikulation abhängen, zu kaum parametrisierbaren syntaktischen Konfigurationen in unterschiedlichen Sprachen führen kann. Die Frage, die sich vor dem Hintergrund solcher und möglicher ähnlicher potentieller Probleme stellt, ist, ob die Kategorie ‚spezifizierender Kopulasatz‘ übereinzelsprachlich gültig oder nur in einem besonderen Sprachtypus, der u. a. durch das Englische repräsentiert wird, gerechtfertigt ist, und, wenn Ersteres der Fall sein sollte, ob es sinnvoll ist, die syntaktische Basis der Kategorie (Eigenschaftsbezeichnung als Subjekt) beizubehalten. Um diesen Fragen nachgehen zu können, werde ich in diesem Aufsatz die Syntax der Kopulasätze in einer Sprache untersuchen, deren Struktur von dem englischen Modell auffällig abweicht, näm-

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lich im Ungarischen. Die Datenbasis dieser Untersuchung stellt eine Mischung aus elizitierten Sätzen und (mehrheitlich) Beispielen aus mehreren Google-Abfragen und aus dem Hungarian National Corpus (HNS), die alle zusätzlich von meinen ungarischen Informantinnen überprüft und beurteilt wurden.

2.

Die Struktur des Ungarischen

In der in den Achtzigern entflammten Konfigurationalitätsdebatte spielte das Ungarische eine sehr prominente Rolle (vgl. z. B. Aufsätze in Abraham & de Meij 1986). Es verfügt nämlich einerseits über eine eindeutig konfigurationale Struktur mit einer fest definierten hierarchischen Abfolge von Konstituenten, andererseits scheinen aber die definitorischen Merkmale, die dieser Struktur zu Grunde liegen, völlig andersartig zu sein, als dies in den besser bekannten europäischen Sprachen der Fall ist. Der Schluss, zu dem man gekommen ist, ist, dass es mehr als nur eine Art von Konfigurationalität gibt und dass das Ungarische als Idealvertreter der zweiten Art, der diskurskonfigurationalen Sprachen, anzusehen ist (vgl. Kiss 2001). Diskurskonfigurationalität bedeutet in diesem Zusammenhang soviel, dass die Domäne des ungarischen Satzes, die hierarchisch artikuliert ist, nämlich die linke Peripherie, nicht durch Begriffe wie Subjekt, Objekt, Komplement usw. zu beschreiben ist, sondern durch eine Mischung aus diskurspragmatischen und semantischen Größen wie Topik, Fokus, Quantor usw.4 Um dies zu veranschaulichen, gebe ich in (10) eine relativ vollständige Darstellung der ungarischen Satzstruktur:5 (10)

Ungarische Satzstruktur I [TopicP [EvalP [QuantP [FocusP [AspP [AgrP [MoodP [TP [VP [XP1 XP2 ...]]]]]]]]]]

Die angenommenen Projektionen entsprechen gewissen Typen der diskurspragmatischen Artikulation von Propositionen, wie Topikphrase und Fokusphrase, oder gewissen semantischen Klassen, wie Evaluationsphrase (die Position der Satzadverbien) und Quantorenphrase, während die Aspektphrase u. a. die in das Verb inkorporierten Satzelemente, sog. Verbmodifikatoren, beherbergt. Ein wichtiges Merkmal der fokussierten Konstituenten ist ihre unmittelbare Adjazenz zum Verb (die u. a. das postverbale stranding der Verbmodifikatoren auslöst), was normalerweise durch das Anheben des Verbs in Foco simultan zur Positionierung des Fokus in [Spec, Foc] erklärt wird. Die Verbphrase wird im Allgemeinen als flach angesehen, d. h. man geht davon aus, dass die Argumente des Prädikats als Schwestern symmetrisch angeordnet und ohne feste Reihenfolge dem Kopf der Phrase, d. h. dem Verb, folgen. Es gibt nur eine wesentliche Restriktion für die Elemente innerhalb –––––––—–– 4

5

Öztürk (2005) leitet Diskurskonfigurationalität als typologische Variable von der Fähigkeit gewisser Sprachen ab, Kasus und Referentialität gleichzeitig innerhalb einer funktionalen Kategorie zuzuweisen, während Sprachen wie Englisch dafür Bewegungstransformationen brauchen. Das Schema basiert auf Arbeiten von Katalin É. Kiss (1992, 2002a). Obwohl sie in Details umstritten sein mag (vgl. den Dikken & Lipták 2003), stellt diese Darstellung im Großen und Ganzen die heutige communis opinio bezüglich der strukturellen Eigenschaften des ungarischen Satzes dar.

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der Verbphrase, nämlich, dass sie referentiell sein müssen; die nicht-referentiellen Elemente werden in AspP inkorporiert, sind also präverbal. Da in diesem Aufsatz nur die Topikposition und die Fokusposition eine Rolle spielen, werde ich mich im Folgenden eines wesentlich einfacheren Satzschemas bedienen, welches in (11) gegeben ist. Um die Ökonomie der Repräsentation zu gewährleisten, verzichte ich auf die Darstellung hierarchischer Verhältnisse und begnüge mich mit einer linearen template-ähnlichen Struktur (die Tilde markiert die obligatorische Adjazenz zwischen Fokus und Verb). (11)

Ungarische Satzstruktur II [Topik] [Fokus]~[VP [Verb] [referentielle Phrasen]]

Ein wichtiger Punkt, der in der Literatur selten erwähnt wird, betrifft die pragmatische Deutung des postverbalen Materials, d. h. der VP. Sie kann sowohl eine präsuppositionelle Interpretation bekommen, insbesondere wenn sie diskursgebundene Information enthält, als auch als Projektionsfläche für den weiten Fokus dienen, also für den Fokustypus, der das Verb und mindestens eins seiner Argumente einschließt. Wie dieses System funktioniert, lässt sich an folgenden Beispielen veranschaulichen: (12)

a. [Marika]TOP.SLOT [ISKOLÁBA]FOC.SLOT ~[mente Jánossal]VP. Marika Schule-in ging János-mit ‚Was Marika betrifft, so ging sie mit János in die SCHULE (nicht auf die Post).‘ b. [Jánossal]TOP.SLOT [ISKOLÁBA]FOC.SLOT ~[mente Marika]VP. ‚Was János betrifft, so ging Marika mit ihm in die SCHULE (nicht auf die Post).‘ c. [Iskolába]TOP.SLOT [JÁNOSSAL]FOC.SLOT ~[mente Marika]VP. ‚Was die Schule betrifft, so ging Marika dahin mit JÁNOS (nicht mit Feri).‘ d. [Marika]TOP.SLOT [MENTE Jánossal]VP ‚Was Marika betrifft, so ging sie mit János (sie blieb nicht allein zu Hause).‘

(13)

[Okosnak]TOP.SLOT [IMRÉT]FOC.SLOT ~[tartom]VP. Imre-AKK halte klug-DAT ‚Für klug halte ich IMRE (nicht János).‘

Die Satzpositionen sind unabhängig von grammatischen Relationen und von lexikalischer Semantik. So können die Topikposition und die Fokusposition vom Subjekt (12a), komitativen Adjunkt (12b) oder Lokativkomplement (12c) besetzt werden. Referentialität, die man lange als notwendige Bedingung für die Besetzung der Topikposition betrachtet hat, kann nur als statistische Tendenz aufgefasst werden, wie (12c) und (13) zeigen. Die Topik- und Fokusposition weisen keine kategorialen Restriktionen auf, wie man der Positionierung des Adjektivs okos ‚klug‘ im Topikslot in (13) unschwer entnehmen kann. Die einzigen Bedingungen, die eine Phrase erfüllen muss, um im Topik- und Fokusslot erscheinen zu dürfen, sind diskurspragmatischer Natur – sie muss topikal bzw. fokal sein. Beide Positionen können auch unbesetzt bleiben, z. B. bei einem intendierten weiten Fokus bleibt das Fokusslot in der Regel leer, so dass die Verbphrase als Fokusdomäne fungieren kann (12d).

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3.

Subjekt und Kongruenz im Ungarischen

3.1.

Subjekttests

Die flache VP im Ungarischen und die Unabhängigkeit der hierarchisch strukturierten linken Peripherie von grammatischen Relationen und Kasus haben eine für die vorliegende Arbeit relevante Folge, nämlich die mangelnde Asymmetrie zwischen Subjekt und VP-internen Phrasen. Ungarisch ist im Unterschied zum Englischen, das ja als Basis für die meisten theoretischen Arbeiten zur Spezifikation gedient hat, keine subjektprominente Sprache. Dies ist nicht nur für eine übereinzelsprachliche Definition von spezifizierenden Kopulasätzen relevant, wie wir sehen werden, sondern es ist auch ein praktisches Problem in der syntaktischen Analyse der Kopulasätze. Um bestimmen zu können, ob die Spezifikation im Ungarischen eine Kategorie ist, und ob sie der syntaktischen Konfiguration im Englischen entspricht, müssen wir nämlich imstande sein, das Subjekt zu identifizieren. Wie die Literatur der letzten zwanzig Jahre zeigt (s. Kiss 2002a: 27ff.), schlagen im Ungarischen sämtliche Tests für den Subjektstatus einer Konstituente wie VP-Tilgung, multiple Konstituentenfragen, Idiomdeutungen, unterschiedliche Bindungsphänomene usw. fehl, d. h. sie stellen keine zuverlässige Diagnostik für die Identifizierung des Subjekts dar, da sich das Subjekt identisch verhält wie andere Konstituenten. Dazu kommt, dass gewisse Tests, die in der Analyse der Kopulasätze in einigen anderen Sprachen eingesetzt werden können, wie tagging, welches im Englischen nur die pronominale Wiederholung des Subjekts zulässt (Mikkelsen 2005), oder Spaltkonstruktionen, in denen nur die Extraktion des Subjekts möglich ist (Allerton 1991/2), im Ungarischen nicht durchführbar sind, aus dem einfachen Grund, dass es in dieser Sprache weder tagging noch echte Spaltsätze gibt. 3.2.

Subjekt und Kongruenz

3.2.1.

Kongruenz in Kopulasätzen

Was übrig bleibt, sind morphosyntaktische Merkmale, Kasus und Kongruenz. Im Ungarischen bekommen die Nominalelemente in allen Sätzen mit Kopula den gleichen Kasus (Nominativ mit finiten Verben, Dativ bei gewissen Infinitivkonstruktionen), so dass Kasus als Kriterium für Unterscheidung zwischen Subjekt und Prädikativ entfällt. Die Analyse, die in diesem Aufsatz angewandt wird, basiert also notgedrungen hauptsächlich auf den Kongruenzverhältnissen.6 Wie in vielen anderen Sprachen werden die relevanten Kongruenzmerkmale des Subjekts, Person und Numerus, in Kopulasätzen auf dem finiten Verb, der Kopula, kodiert; –––––––—–– 6

Dieses analytische Prozedere ist zulässig für eine Sprache wie das Ungarische, in der die Kongruenz bei intransitiven Prädikaten eindeutig ausschließlich vom Subjekt bestimmt wird. Die nicht enden wollende Diskussion über die Bedingungen für die Kongruenz in englischen Kopulasätzen (vgl. z.B. Jakobsson 1990, Allerton 1991/2, Moro 1997 usw.) zeigt, dass dies keinesfalls ein universelles Faktum ist. Hudson (1999) geht soweit, zu behaupten, dass die Subjekt-Verb-Kongruenz im Englischen keine gültige syntaktische Regel darstellt.

Syntax der Kopulasätze im Ungarischen und Englischen

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zusätzlich dazu bestimmt der Numerus des Subjekts u.U. den Numerus des Prädikativs. Typische Beispiele sind in (14) und (15) gegeben: (14)

(15)

Én szomorú vagy-ok. ich traurig sei:1SG ‚Ich bin traurig.‘ Az

ing-ek kék-ek volt-ak. Hemd:PL blau:PL war:3PL ‚Die Hemden waren blau.‘

DEF

Aus der Perspektive der besser bekannten europäischen Sprachen ist es nicht weiter verwunderlich, dass die Numerusmerkmale der Adjektive in Prädikativposition vom Subjekt kontrolliert werden. Da aber das Hauptthema dieser Studie das Verhältnis zwischen prädizierenden und spezifizierenden Sätzen ist, werde ich mich im Folgenden auf die Konstruktionen beschränken, bei denen eine spezifizierende Lesart wahrscheinlich ist, nämlich auf Sätze mit zwei DPn. Der Fall, der für die vorliegende Untersuchung von besonderer Relevanz ist, ist der, in dem die kongruenzrelevanten Merkmale der beiden DPn voneinander abweichen, wie in Diese Bücher [PL] sind das Ergebnis ihrer Arbeit [SG]. Nur in solchen Sätzen ist es nämlich aufgrund der Kongruenzmerkmale der Kopula möglich, das Subjekt vom Prädikativ eindeutig zu unterscheiden. Das Ungarische weicht aber hier gewissermaßen vom durchschnittseuropäischen Schema ab, indem eine Misskongruenz zwischen dem Subjekt und dem Prädikativ nur in einer sehr geringen Anzahl von Fällen möglich ist (vgl. Kenesei et al. 1998: 59, Behrens 2000: 35). Das Subjekt im Ungarischen kontrolliert nämlich die Numerusmerkmale des Prädikativs meistens auch bei nominalen Prädikatskomplementen, oder etwas agnostischer ausgedrückt, es ist in vielen Fällen nicht möglich, auf Grund der Kongruenz das Subjekt vom Prädikativ zu unterscheiden. Im Einzelnen nenne ich hier zwei besonders prominente semantische Konfigurationen, in denen die nominalen Prädikative kongruieren müssen: – Pluralität von Individuen (3. Person) + Eigenschaft mit einer potentiell distributiven Interpretation. Bei Subjekten der dritten Person im Plural müssen die lexikalischen Prädikative, bei denen eine distributive Interpretation möglich ist, auch im Plural stehen: (16)

A

kéziszámítógépek [PL] a vírusok következő célpontjai [PL] Handrechner:PL DEF Viren folgende Zielpunkt:PL:POSS ‚Die Handrechner sind die nächste Zielscheibe der Viren!‘7 * A kéziszámítógépek [PL] a vírusok következő célpontja [SG] lesznek. DEF

(16’)

lesznek. werd:3PL

– Pluralität von Individuen (3. Person) + anaphorisch ausgedrückte Eigenschaft. Wenn ein Eigenschaftspronomen (zum Begriff vgl. Declerck 1988: 119ff. und Mikkelsen 2005: 67ff.) im Kopulasatz erscheint, wie etwa in (Bist Du glücklich?) Ich bin es, dann verhält sich dieses Pronomen im Unterschied zu vielen europäischen Sprachen wie ein Adjektiv, d. h. es übernimmt die Numerusmerkmale des Subjekts, unabhängig davon, ob das Antezedens nominal (17) oder adjektivisch (18) ist: –––––––—–– 7

http://hirek.prim.hu/cikk/34663

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30 (17)

(17’) (18)

(18’)

„– Apu is jegesmedve?“ „– Az.“ Vater auch Eisbär das „– A nagyszüleim [PL] is azok [PL] voltak?“ „– Azok voltak.“ DEF Großeltern:PL:POSS auch es:PL war:3PL es:PL war:3PL – ‚Ist dein Vater ein Eisbär?‘– ‚Ja.‘– ‚Deine Großeltern waren es auch?‘– ‚Das waren sie.‘8 * A nagysüleim [PL] az [SG] voltak. Vallásos nem vagyok, ők [PL] azok [PL] voltak. es:PL war:3PL religiös nicht sei:1SG sie ‚[Meine Großeltern sind gestorben.] Ich bin nicht religiös, sie WAren es.‘9 * ... ők [PL] az [SG] voltak.

Da die Kombination von einem Einzelindividuum und einer distributiven Eigenschaft in natürlichem Diskurs kaum vorkommt, bleiben nur zwei semantische Konfigurationen, in denen Misskongruenz möglich ist. Sie müssen entweder kollektiv/einzigartig interpretierbare Eigenschaften oder Pluralindividuen, die den Sprecher oder den Gesprächspartner einschließen, beinhalten. Die Voraussage ist, dass die Kopula mit derjenigen DP kongruieren wird, die das Subjekt darstellt. 3.2.2.

Misskongruenz: Konfiguration 1

Die erste semantische Konfiguration, die bei der Subjektbestimmung aufschlussreich ist, schließt eine Pluralität von Individuen (3. Person) und entweder eine Eigenschaft mit kollektiver Interpretation, wie in Sie waren eine Familie, oder eine mit Einzigartikeitsimplikation versehene Eigenschaft, wie in Sie waren die größte Schande Europas, ein. Beispiele (19), (20) und (21) zeigen diese Kombination in unterschiedlichen Reihenfolgen: (19)

(19’) (20)

(20’) (21)

Ők [PL] család [SG] voltak [PL]. war:3PL sie Familie ‚Sie waren eine Familie.‘ (HNC) * Ők [PL] család [SG] volt [SG]. Régen a kedvenc szoftvercégem [SG] ők [PL] voltak [PL], mostmár Blizzard. war:3PL nun B. früher DEF lieblings- Softwarefirma:POSS sie ‚[In einer Diskussion über Microsoft] Früher waren SIE meine Lieblingssoftwarefirma, jetzt ist es Blizzard.‘10 * ... a kedvenc szoftvercégem [SG] ők [PL] volt [SG]. Ilyen még Romániában sincs, pedig eddig solches noch Rumänien:in auch_nicht_ist aber bisher az Európa szégyene [SG] ők [PL] voltak [PL]. DEF Europa Schande:POSS sie war:3PL ‚So was gibt es nicht mal in Rumänien, wobei bis jetzt SIE die Schande Europas waren.‘11

–––––––—–– 8 9 10

http://www.termeg.lapok.hu/viccek/5.htm http://lapforum.lap.hu/pageforum.php?action=pageonline&FID=298&AID=7080 http://www.sg.hu/listazas.php3?id=986471934

Syntax der Kopulasätze im Ungarischen und Englischen (21’)

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* ... az Európa szégyene [SG] ők [PL] volt [SG]

Die Reihenfolge der beiden Elemente ist in allen Beispielen unterschiedlich (mehr dazu in Abschnitt 4.1), die Kongruenzverhältnisse bleiben aber konstant: Die Kopula kongruiert im Numerus mit der DP, die auf Individuen referiert, was in dieser semantischen Konfiguration Pluralkongruenz bedeutet. Die Varianten, in denen sie mit der eigenschaftsbezeichnenden DP kongruiert ((19’), (20’) und (21’)), also im Singular steht, sind alle ausnahmslos ungrammatisch. Laut Hypothese, dass die DP, die die Kongruenz auf der Kopula kontrolliert, das Subjekt ist, bedeutet dies, dass die Subjektrolle immer der DP zugewiesen wird, die auf Individuen referiert, ungeachtet ihrer Position in der Satzarchitektur.12 Dies steht im klaren Kontrast zu den Gegebenheiten aus dem Englischen, in dem, wie in Abschnitt 1 gezeigt, DPn mit dem semantischen Gehalt durchaus Subjekte werden können. 3.2.3.

Misskongruenz: Konfiguration 2

Die in Beispielen (19)–(21) illustrierten Verhältnisse werden auch durch die zweite relevante semantische Konfiguration bestätigt, in der ein Individuum, das dem Sprecher oder dem Gesprächspartner gleich ist (1./2. Person Sg.), oder eine Pluralität von Individuen, die den Sprecher oder den Gesprächspartner einschließt (1./2. Person Pl.), mit einer Eigenschaft kombiniert wird, wie in Ich bin es / Wir sind es oder Du bist der größte Held / Ihr wart das beste Team. Da wir es hier auf formaler Ebene mit einer Personeninkongruenz zu tun haben, kommt zu dem Kriterium der Kopulakongruenz noch das Kriterium des Erscheinens der verbalen Kopula. Im Präsens ist nämlich das kopulative Verb van defektiv, zumindest wenn das Prädikativ eine DP oder AP ist. In diesem Fall erscheint die Kopula in der 3. Person Sg. und Pl. nicht. Das volle Paradigma ist in (22) angeführt: (22)

1.Sg én vagyok a gyilkos 2.Sg te vagy a gyilkos 3.Sg ő a gyilkos

[ich bin der Mörder] [du bist der Mörder] [er der Mörder]

‚Ich bin der Mörder‘ ‚Du bist der Mörder‘ ‚Er ist der Mörder‘

–––––––—–– 11 12

http://www.tv2.hu/cikk.php?cikk=100000098621&hozzaszol=1&next=100 Um die Suche nach schwer auffindbaren Beispielen von Misskongruenz in großen Corpora möglich zu machen, habe ich mich in diesem Abschnitt hauptsächlich auf Fälle beschränkt, die Personalpronomina (also lexikalisch suchbare Elemente) beinhalten. Dass dieselben Muster sich auch dann zeigen, wenn statt Personalpronomina deskriptive Phrasen als individuenreferierende Ausdrücke fungieren, zeigt u.a. der folgende Satz: (i) A magyarok [PL] voltak [PL] az egyetlen keleti nép [SG], amely a DEF Ungar:PL war:3PL DEF einzig östlich Volk REL DEF Kárpát-medencében képes volt tartósan megvetni a lábát. DEF Fuß:POSS Karpathenbecken:in fähig war dauerhaft legen ‚Die Ungarn waren das einzige Volk aus dem Osten, dem es gelungen ist, im Karpathenbecken Fuß zu fassen.‘ (HNC) (i’) * A magyarok [PL] volt [SG] az egyetlen keleti nép [SG]...

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32 1.Pl mi vagyunk a gyilkosok [wir sind die Mörder] 2.Pl ti vagytok a gyilkosok [ihr seid die Mörder] 3.Pl ők a gyilkosok [sie die Mörder]

‚Wir sind die Mörder‘ ‚Ihr seid die Mörder‘ ‚Sie sind die Mörder‘

Die Voraussage ist, dass, wenn die Kopula erscheint, das Subjekt die DP ist, die Individuen der 1. oder 2. Person bezeichnet, weil die Subjekte der 3. Person das Ausbleiben der Kopula auslösen. Sätze (23) und (24) illustrieren den Fall, in dem nur Personeninkongruenz ohne Numerusinkongruenz erscheint (beide mit einem Eigenschaftspronomen): (23)

(23’) (24)

Hallo. Az én vagyok, Jézus. Leányom, ne felejtsd el, lélek vagy... hallo das ich sei:1SG Jesus Mädchen:POSS nicht vergiss PERF Seele bist ‚Hallo. Das bin ICH, Jesus. Mein Mädchen, vergiss nicht, dass du eine Seele bist...‘13 * Az én Ø, Jézus. Az

angyal között [...] volt egy különleges csoport. Ez az, amelyik családot Engel zwischen war INDF besondere Gruppe dies das REL Familie alkot. Ti ezek vagytok. ausmacht ihr das:PL sei:2PL ‚Unter den Engeln [...] gab es eine besondere Gruppe. Das ist diejenige, die die Familie bildet. Ihr seid DAS.‘14 * Ti ezek Ø. / * Ti ez Ø. DEF

(24’)

In (25) und (26) erscheinen gleichzeitig Person- und Numerusinkongruenz: (25)

(25’)

Mi voltunk az első Hitler által megszállt ország. wir war:1PL DEF erstes Hitler von besetzt Land ‚Wir waren das erste von Hitler besetzte Land.‘15 * Mi az első Hitler által megszállt ország Ø.

(26)

A

fény meg a hő mi vagyunk!? Licht und DEF Wärme wir sei:1PL ‚[Ein Paar vor der Trennung; Sie: Es ist nichts mehr übrig. Er: Nur Du und ich. Und vielleicht noch etwas Licht und Wärme ... Überbleibsel davon ...] Sie: Das Licht und die Wärme, (das) sind WIR!?‘16 * A fény meg a hő mi Ø!? DEF

(26’)

Die Kopula muss in allen Fällen erscheinen, ungeachtet der Satzposition, die die beiden DPn einnehmen, und trägt dabei immer die Kongruenzmerkmale der 1. oder der 2. Person. Das Subjekt ist also, wie erwartet, in allen diesen Fällen die DP, die auf Individuen

–––––––—–– 13 14 15 16

http://www.tlig.org/hu/humsg/hum12.html http://shaumbra.wire.hu/html/2Fold-1.html E. Jelinek, ‚Az osztrákok – a halottak élén‘, Szombat. Zsidó politikai és kulturális folyóírat, Dez. 2004, p. 14. http://www.bmhirlap.hu/index.php?apps=vers&id=308

Syntax der Kopulasätze im Ungarischen und Englischen

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referiert. Die Varianten, in denen die Eigenschaften denotierende DP als Subjekt fungiert ((23’) – (26’)), d. h. in denen die Kopula ausbleibt,17 sind eindeutig ungrammatisch. 3.2.4.

Zuweisung der Subjektrolle in ungarischen Kopulasätzen

Die Analyse der Kongruenzverhältnisse in ungarischen Kopulasätzen, in denen die beiden DPn Numerus- und/oder Personeninkongruenz aufweisen, zeigt eindeutig, dass die Zuweisung der Subjektrolle im Wesentlichen von den typensemantischen Merkmalen der beiden Phrasen abhängt. Im Unterschied zum Englischen, in dem die Topikalität die entscheidende Rolle bei der Verteilung der grammatischen Relationen spielt, stellt im Ungarischen das Merkmal, das man provisorisch als [+Individuum] oder [+] bezeichnen kann, das Hauptkriterium dar. Wenn also in einem Kopulasatz zwei Elemente mit unterschiedlichen typensemantischen Merkmalen vorkommen, wird immer dasjenige zum Subjekt, das Individuen denotiert. Ähnliche Kongruenzmuster sind in vielen anderen Sprachen zu finden, u. a. im Italienischen (Moro 1997: 60ff.), Niederländischen (den Dikken 1998: 248ff.) und Russischen (Padučeva & Uspenskij 1979, Geist in Vorbereitung), wozu noch Deutsch, Griechisch, Serbokroatisch usw. erwähnt werden können. Das Ungarische eignet sich aber mit seiner flachen VP und seiner nach diskurspragmatischen Parametern streng hierarchisierten Linksperipherie für die Überprüfung einer syntaxbasierten Theorie der Spezifikation besser als die oben genannten mehr oder weniger konfigurationalen Sprachen, einerseits, weil es den meisten ad-hoc-Erklärungen standhalten kann, und andererseits, weil es die informationsstrukturellen Eigenschaften der Propositionen eindeutig syntaktisch kodiert. Über den letzteren Punkt wird in Abschnitt 4 die Rede sein, deswegen wende ich mich an dieser Stelle Erklärungsversuchen für die Kopulakongruenz zu, die darum bemüht sind, die Subjektwahl in anderen Sprachen dem englischen Muster anzugleichen. Der bekannteste derartige Versuch stammt von Moro (1997: 60ff.). Im italienischen spezifizierenden Satz (27)

La causa della rivolta [SG] furono [PL] le foto del muro [PL]. ‚Der Grund für die Rebellion waren die Fotos an der Wand.‘

kongruiere die Kopula nur anscheinend mit der auf Individuen referierenden DP, die ja kein Subjekt auf der Satzebene sei. Die eigentliche Kongruenz finde zwischen der Kopula und einem in die Subjektposition [Spec,IP] angehobenen prädikativen pro (Prädikat des small clause bei Moro) statt, das einerseits von der Individuen-DP (Subjekt des small clause) die kongruenzrelevanten Merkmale übernimmt, andererseits aber mit der linksadjungierten Eigenschafts-DP koindiziert ist, wie in (27’) dargestellt: (27’)

[IP la causa ...i ] [IP [Spec,IP proi (φj)][I’ [I° furono (φj)] [SC [DPref le foto ...j ][DPpred ti ]]]]

So sei das Subjekt durch den gleichen semantischen Typus instanziiert wie im Englischen, nämlich durch eine eigenschaftsdenotierende Phrase, mit dem parametrisch begründeten –––––––—–– 17

Das Zeichen Ø in den Beispielen ist lediglich der Klarheit halber hinzugefügt und impliziert keine Analyse, die von einer phonologisch leeren Kopula oder einer Kopulatilgung ausgeht.

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Unterschied, dass diese Phrase ein pro ist, nicht eine volle NP. Ob diese Analyse für das Italienische plausibel ist oder nicht, möge hier dahingestellt bleiben. Sicher ist, dass sie wenig geeignet für Sprachen wie Niederländisch oder Deutsch ist, die ja über kein pro verfügen (vgl. den Dikken 1998: 249ff.). Für das Ungarische ist sie aus einem allgemeineren Grund abzulehnen: Diese Sprache kennt keine obligatorische Anhebung eines der Prädikationselemente in eine der prominenten Satzpositionen, um einem formalen Prinzip wie EPP gerecht zu werden (vgl. Tóth 2001). Dies bedeutet, dass eines der Argumente unabhängig von den strukturellen Anforderungen der Satzarchitektur als Subjekt ausgewählt und markiert wird (ob im Lexikon, wie É. Kiss 2002b vorschlägt, oder durch andere Mechanismen, ist an dieser Stelle nicht wesentlich).18 Dadurch werden für das Ungarische Interpretationen grundsätzlich entkräftet, die mit phonologisch leeren Konstituenten arbeiten, deren Zweck darin besteht, strukturelle Anforderungen der Satzarchitektur zu befriedigen. Im Ungarischen kann das Subjekt in Kopulasätzen mit einem vom Englischen abweichenden Kongruenzmuster kein pro sein, weil die Sprache keine Anforderungen an die Subjektposition stellt, ja über keine strukturell definierte Subjektposition verfügt.

4.

Strukturelle Positionen in Kopulasätzen

4.1.

Semantische Analyse und syntaktische Folgen

Wenn das Subjekt in ungarischen Kopulasätzen immer dem gleichen semantischen Typus, nämlich , angehört, dann folgt aus der in Abschnitt 1 geschilderten Typologie der Kopulasätze, dass das Ungarische keine Unterscheidung zwischen prädizierenden und spezifizierenden Sätzen kennt, besteht doch der Hauptunterschied zwischen den beiden in unterschiedlichen Zuweisungen der Subjektrolle, die bei Prädikation dem Typus , bei Spezifikation dem Typus zukommt. Dies ist eine prinzipiell mögliche theoretische Position, wie in Abschnitt 1 angedeutet. Die Klassen im Bereich der kopulativen Konstruktionen wären somit eine sprachspezifische Angelegenheit, die nur in den Sprachen ihre Gültigkeit hat, die über spezifische typologische Merkmale wie Konfigurationalität und Subjektprominenz verfügen. Diese Auffassung ist aber insoweit unbefriedigend, als sie alle ungarischen Kopulasätze als eine einheitliche Gruppe definiert und somit gewissen strukturellen Phänomenen und gewissen klaren Intuitionen über die Unterschiede im kopulativen Bereich keine Rechnung trägt. Vergleichen wir folgende Sätze: (28)

Azért nyertek, mert ők a legjóbb csapat deswegen siegten weil sie DEF beste Gruppe

voltak. war:3PL

–––––––—–– 18

Man könnte sogar argumentieren, dass das ungarische Subjekt nicht die gleiche Art von Entität darstellt wie das englische Subjekt, was meine These von der Unmöglichkeit, ein übereinzelsprachlich gültiges syntaktisches Primitivum ‚Spezifikation‘ zu identifizieren, weiter unterstützen würde. Zur Frage von Universalität der grammatischen Relationen vgl. Dryer (1997).

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[– ‚Warum hat die Truppe „Schwarzer Skorpion“ auf dem Terrain „Aki II“ gesiegt? Weil sie die einzige Truppe auf diesem Terrain waren?‘] – ‚Nein, sie haben deswegen gesiegt, weil sie die BESTE Gruppe waren.‘ (im Kontext eines Internetspiels)19 (29)

A

legjóbb csapat a mezőnyben ők voltak! best Gruppe DEF Feld:in sie war:3PL [Diskussion über ein Internetspiel: Ein Teilnehmer behauptet, die beste Gruppe seien „Löwen“ gewesen, der andere korrigiert ihn, es sei doch die „Ungarische Legion“, die gegen vier weitere Gruppen gespielt habe.] ‚Die beste Gruppe auf dem Feld waren (doch) SIE!‘20 DEF

Die Übersetzungen können einigermaßen treu wiedergeben, worin der diskurspragmatische Unterschied zwischen den beiden Sätzen besteht, obwohl in beiden die gleiche DP als Subjekt dient, nämlich die, die auf Individuen referiert (ők, ‚sie‘). In (28) handelt das Gespräch von den Gründen, warum die Gruppe „Schwarzer Skorpion“ gesiegt hat; dies macht den Diskursreferenten ‚Schwarzer Skorpion‘ zum besten Kandidaten für das Topik. In dem Satz Ők a legjóbb csapat voltak (‚sie waren die beste Gruppe‘) ist also das Pluralindividuum ‚sie‘ (ők) als Topik zu verstehen: Über den Referenten von ők wird nämlich assertiert, dass für ihn die Eigenschaft ‚die beste Gruppe sein‘ gilt. In (29) wird dagegen darüber diskutiert, welche Gruppe die beste ist, was dazu führt, dass in dem Satz A legjóbb csapat a mezőnyben ők voltak! (‚Die beste Gruppe auf dem Feld waren sie‘) die Topikrolle der Eigenschaft ‚die beste Gruppe‘ zukommt, während die Assertion darin besteht, das Individuum, für das diese Eigenschaft gilt, zu spezifizieren. Es ist auffällig, wie stark diese Paraphrasen an die üblichen Definitionen von Prädikation und Spezifikation erinnern (vgl. Abschnitt 1), wobei Beispiel (28) einen eindeutig prädizierenden Satz darstellen würde, Beispiel (29) dagegen einen spezifizierenden. Trotz der gleichen Zuweisung der Subjektrolle (in beiden Sätzen ‚sie‘, ők) lassen sich also im Ungarischen ähnliche semantische und diskurspragmatische Effekte erzielen, wie in einer Sprache mit variierender Zuweisung. Dies bestätigen alle in diesem Aufsatz angeführten authentischen Beispiele: prädizierend anmutend sind u. a. noch (16), (17), (18), (24) und (25), spezifizierend u. a. (20), (21), (23) und (26). Diese Unterscheidung findet aber im Ungarischen einen ganz anderen syntaktischen Ausdruck als im Englischen. Dies ist auch der Grund, warum sich das Ungarische besonders gut dafür eignet, die syntaktische Basis der Klassifizierung von Kopulasätzen zu überprüfen (vgl. 3.2.4): Im Unterschied zu vielen anderen Sprachen, die eine ähnliche Subjektzuweisung (oder zumindest ähnliche Kongruenzmuster) aufweisen, ist die Topik-Fokus-Artikulation hier eindeutig syntaktisch kodiert, fast ohne die Möglichkeit, informationsstrukturell ambige syntaktische Konfigurationen zu bilden. Die Sätze mit einer spezifizierend anmutenden Lesart unterscheiden sich syntaktisch von denen, die eher prädizierend zu verstehen sind, indem sie auf Grund ihrer andersartigen Informationsstruktur eine spezifische Verteilung der Elemente in der strukturell definierten Topik-, bwz. Fokusposition aufweisen. Ich wiederhole hier das leicht modifizierte vereinfachte Strukturschema des ungarischen Satzes aus (11): –––––––—–– 19 20

http://www.cserkesz.de/kecsap!/2001-1/kecsap!2001-1-19.htm http://www.csocso.hu/forum.phtml?f=showtopic&topicid=333

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36 (30)

Ungarische Satzstruktur III [Topikposition] [Fokusposition]~[VP [Verb] [referentielle Phrasen]]WEITER FOKUS

Was im Vergleich zu (11) modifiziert wurde, sind die Bezeichnungen für die ersten beiden Slots, die in (30) ‚Topikposition‘ und ‚Fokusposition‘ anstatt ‚Topik‘ und ‚Fokus‘ heißen. Diese Umbenennung dient dazu, die Polysemie der Termini ‚Topik‘ und ‚Fokus‘ zu vermeiden. Sie werden im Folgenden ausschließlich in Bezug auf semantische/pragmatische Entitäten auf der Ebene der Proposition/Äußerung gebraucht; ‚Topikposition‘ und ‚Fokusposition‘ beziehen sich hingegen auf syntaktische Entitäten, d. h. auf die strukturellen Positionen des ungarischen Satzes. Um den syntaktischen Unterschied zwischen der prädizierenden und der spezifizierenden Lesart zu zeigen, führe ich an dieser Stelle noch ein Minimalpaar, (31) und (32), auf (32=23). Die Sätze sind mit einer pseudoformalen Notation versehen, die die Verteilung der Elemente auf die Satzpositionen klar macht: (31)

[Én]TOP.POSIT. [ez]FOK.POSIT. vagyok. ich das_hier sei:1SG (unter einem Foto auf einer Homepage, mit einem Pfeil, der auf den Verfasser zeigt) ‚Ich bin DAS (hier).‘21

(32)

Hallo. [Az]TOP.POSIT. [én]FOK.POSIT. hallo das ich ‚Hallo. Das bin ICH, Jesus.‘

vagyok, Jézus. sei:1SG Jesus

Satz (31) ist von der Interpretation her prädizierend – über ein Individuum wird behauptet, dass für dieses eine Eigenschaft (eine bestimmte Person unter den anderen auf dem Foto zu sein) gilt. Diskurspragmatisch gestaltet sich das so, dass das Individuum als Topik gewählt wird, während die Eigenschaft im Fokus steht, und zwar als enger Fokus mit exhaustiver Interpretation. Dies wird auf der Ebene der Syntax so kodiert, dass das topikale Element, das in diesem Fall ein Individuum bezeichnet, in die Topikposition gelangt, während der eigenschaftsdenotierende enge Fokus seine übliche verbadjazente Fokusposition einnimmt. Die Situation in (32) ist umgekehrt. Die Interpretation ist nämlich spezifizierend – für eine Eigenschaft (derjenige zu sein, der sich meldet) wird spezifiziert, für welches Individuum sie gilt. Die Eigenschaft wird dadurch zum Topik der Äußerung, das zu spezifizierende Individuum wird fokussiert. Das syntaktische Ergebnis ist, dass die DP, die die topikale Eigenschaft bezeichnet, in der Topikposition erscheint, während die auf das fokussierte Individuum referierende DP die Fokusposition einnimmt, da es sich auch hier um einen engen Fokus mit exhaustiver Interpretation handelt. Strukturell stellen also die Sätze mit spezifizierender Deutung ein genaues Spiegelbild der prädizierenden Sätze dar, indem die beiden typensemantisch unterschiedlichen DPn genau die umgekehrte Verteilung auf strukturelle Positionen aufweisen – eine Situation, die stark an die Inversionsanalyse der englischen u.ä. Kopulasätze erinnert (vgl. Abschnitt 1). Der Unterschied besteht darin, dass es sich im Ungarischen nicht um strukturelle Positionen wie [Spec, IP] oder [Spec, TP] handelt, also um die Positionen, die grammatische Relationen definieren, sondern um ausschließlich durch Informationsstruktur bestimmte Satzstellen, Topikposition (normalerweise als [Spec, TopP] beschrieben) und Fokusposition –––––––—–– 21

http://www.gmor.tripod.com/id1.html

Syntax der Kopulasätze im Ungarischen und Englischen

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([Spec, FocP]). Mit anderen Worten, das relevante Merkmal ist hier nicht die Opposition Subjekt vs. Nicht-Subjekt, sondern die Opposition zwischen der Topikposition und der Nicht-Topikposition. Der Kontrast zwischen (31) und (32) liegt in der Besetzung der Topikposition durch eine individuenreferierende DP (31) bzw. durch eine eigenschaftsdenotierende DP (32). Eine erste annähernde formale Definition der beiden Satztypen im Ungarischen ließe sich demzufolge folgendermaßen darstellen: (33)

Die Struktur der prädizierenden und spezifizierenden Kopulasätze im Ungarischen prädizierend: {Individuum [+Topik]}TOPIKPOSITION spezifizierend: {Eigenschaft [+Topik]}TOPIKPOSITION

Die Fokusposition ist in diesem Kontext lediglich von untergeordneter Relevanz, obwohl die Minimalpaare (28)–(29) und (31)–(32) den Schluss nahe legen könnten, die komplementäre Distribution der semantischen Typen in dieser Position sei genauso wichtig wie deren Distribution in der Topikposition, stehen doch in prädizierenden Sätzen in beiden Fällen die Eigenschafts-DPn im Fokusslot, in spezifizierenden Sätzen hingegen die Individuen-DPn. Dass dies nicht immer der Fall sein muss, zeigen folgende Beispiele (34=25): (34)

[Mi]TOP.POSIT. [voltunk az első Hitler által megszállt ország.]VP = WEITER FOKUS wir war:1PL DEF erstes Hitler von besetzt Land ‚Wir waren das erste von Hitler besetzte Land.‘

(35)

A

csípéssel megfertőződött emberek egy százaléka azonban súlyosan Stich:mit infiziert Mensch:PL ein Prozent:POSS jedoch schwer megbetegszik, agyhártyagyulladást kap. erkrankt Hirnhautentzündung bekommt [Ilyen megbetegedés]TOP.POSIT. [volt az 1999-es New York-i eset.]VP = WEITER FOKUS Fall solch Erkrankung war DEF 1999:ADJ N.Y.:ADJ ‚Von den durch einen Stich infizierten Menschen erkrankt dennoch ein Prozent schwer: Sie bekommen nämlich eine Hirnhautentzündung. Eine solche Erkrankung war der New Yorker Fall im Jahre 1999.‘ (HNC) DEF

Satz (34) ist laut Kriterien aus (33) prädizierend (Individuen-DP im Topikslot), die DP aber, die sich auf Eigenschaften bezieht, ist in der VP geblieben und bildet somit mit der Kopula eine Fokusdomäne, die i.d.R. als weiter Fokus interpretiert wird. Im spezifizierenden Satz (35) steht die Eigenschafts-NP regulär im Topikslot, die auf Individuen referierende DP az 1999-es New York-i eset bildet aber mit der Kopula einen weiten Fokus innerhalb der VP. In beiden Fällen bleiben die nicht-topikalen DPn in der VP, weil sie den Anforderungen der präverbalen Fokusposition nicht entsprechen, sei es wegen mangelnder Exhaustivität oder wegen dem breiteren narrativen Kontext, in dem sie sich befinden (vgl. Szabolcsi 1980, 1994 und Kiss 2002a: 77ff. zur Semantik des ungarischen präverbalen Fokus). Jedenfalls hängt die Besetzung der präverbalen Fokusposition nicht vom Typus des Kopulasatzes ab, sondern von den konstruktionsunabhängigen semantischen Eigenschaften dieser Satzposition. Es ist jedoch wichtig zu betonen, dass das nicht-topikale Element auf der Ebene der Äußerung immer fokussiert wird, eng oder weit. Die vorangehende Diskussion bezieht sich nur auf die formale Seite dieser Fokussierung, d. h. auf die Besetzung der Fokusposition [Spec, FocP] im Falle des engen exhaustiven Fokus oder auf das Bleiben in

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der VP beim weiten Fokus. Das in (33) gegebene Schema kann jetzt folgendermaßen ergänzt werden: (36)

4.2.

Die Struktur der prädizierenden und spezifizierenden Kopulasätze im Ungarischen prädiz.: {Individuum [+Topik]}TOP.POSIT. {Eigenschaft [+Fokus]}FOK.POSIT./VP {Individuum [+Fokus]} FOK.POSIT./VP spezif.: {Eigenschaft [+Topik]}TOP.POSIT.

Evidenz für die syntaktische und semantische Struktur der spezifizierenden Sätze

Ehe ich mich den Folgen widme, die diese Merkmalsbündelung für die Definition einer übereinzelsprachlich anwendbaren Kategorie Spezifikation haben kann, führe ich an dieser Stelle zusätzlich zu den Hinweisen, die aus der allgemeinen Satzstruktur des Ungarischen abgeleitet sind, unabhängige Evidenz für das in (36) vorgeschlagene Schema an. Zwei Behauptungen sind zu beweisen: Erstens, dass die Eigenschaften denotierende DP in spezifizierenden Sätzen in der Tat die Topikposition einnimmt, und zweitens, dass diese DP typensemantisch ist. Es gibt grundsätzlich zwei Tests, durch die die Topikphrase von dem prädikativen Teil des Satzes (welcher mit der FocP anfängt und alle folgenden Satzstellen umfasst) unterschieden werden kann. Der erste ist prosodischer Natur. Da der Hauptsatzakzent im Ungarischen immer auf die erste Konstituente des prädikativen Satzteils fällt (vgl. Varga 1983), lässt sich seine linke Grenze, vor der nur noch die Topikphrase stehen kann, auf Grund des Hauptakzents unschwer bestimmen. Dieser fällt in allen Fällen auf die Fokusphrase, wenn sie vorhanden ist. So ist z. B. in (26) (A fény meg a hő [MI]FOK.POSITION vagyunk, ‚das Licht und die Wärme sind wir‘) das fokale mi der Träger des Satzakzentes, was für die Phrase a fény meg a hő nur noch die Interpretation als Topikphrase möglich macht. Wenn der Satz einen weiten Fokus hat, dann ist das Element, das am linken Rand des prädikativen Teils steht, nämlich das finite Verb, die Kopula, akzentuiert, wie z. B. in (35) (Ilyen megbetegedés VOLT az 1999-es New York-i eset, ‚eine solche Erkrankung war der New Yorker Fall im Jahre 1999‘), wo die Prosodie ilyen megbetegedés als Topikphrase identifiziert. Der zweite Test beruht auf den Restriktionen zur Stellung der Satzadverbien wie valószinűleg ‚wahrscheinlich‘ oder remélhetőleg ‚hoffentlich‘. Diese können nämlich nicht innerhalb des prädikativen Satzteils erscheinen, so dass die Stellung nach der Topikphrase die sich am weitesten rechts befindliche Stellung für Satzadverbien darstellt, da diese Position gleichzeitig die linke Grenze des prädikativen Satzteils ist. Die Position nach den Eigenschaftsbezeichnungen in spezifizierenden Sätzen ist in der Tat die letzte mögliche Position für Satzadverbien, wie die Variationen von Satz (29) (wiederholt hier als (37)) mit dem Adverb valoszinűleg (‚wahrscheinlich‘) unten zeigen. (37)

[A

legjóbb csapat] [ŐK]FP voltak! best Gruppe sie war:3PL ‚Die beste Gruppe waren SIE!‘ DEF

(37’)

Valoszinűleg [a legjóbb csapat] [ŐK]FP voltak!

Syntax der Kopulasätze im Ungarischen und Englischen

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(37’’) [A legjóbb csapat] valoszinűleg [ŐK]FP voltak! (37’’’) * [A legjóbb csapat] [ŐK]FP valoszinűleg voltak! ‚Die beste Gruppe waren wahrscheinlich SIE!‘

Eigenschaftsdenotierende DPn sind also nach der Evidenz beider Tests Topikphrasen in spezifizierenden Sätzen. Die Evidenz, dass die Topik-DPn in spezifizierenden Sätzen in der Tat Eigenschaften denotieren, fällt leider weniger eindeutig aus, als dies in den Sprachen wie Dänisch oder Englisch der Fall ist (vgl. Mikkelsen 2005: 64ff.). Im Ungarischen fehlen nämlich die wichtigsten Indizien in Form von Genusunterschieden in Pronominalisierungskontexten, da es in dieser Sprache keine Kategorie Genus gibt. Trotzdem lassen sich einige schwache Indizien aus der Annahme ziehen, dass der semantische Typus der NP die Form der auf sie referierenden Pronomina bestimmt. Die Regeln der Pronominalisierung (vgl. Kenesei et al. 1998: 120ff., 170) besagen, dass in präverbaler Stellung das Personalpronomen der 3. Person ő nur auf eine NP mit dem Merkmal [+menschlich] anaphorisch referieren kann; das multifunktionale Demonstrativum az steht dagegen in anaphorischer Verbindung sowohl mit NPn mit dem Merkmal [–menschlich] als auch mit NPn, die [+menschlich] sind. Schematisch: (38)

Distribution der Pronomina in Topikposition [+menschlich]: ő, az [–menschlich]: az

Dies gibt uns die Möglichkeit, durch übliche Pronominalisierungstests wie Linksversetzung (Kiss 1992: 109ff.) und Frage-Antwort-Paare die Phrasen, die auf menschliche Wesen, auf Individuen also, referieren, von denen zu unterscheiden, die trotz der lexikalischen Semantik ihrer Bestandteile (‚Gewinner‘, ‚Freund‘ u.ä.) nicht Individuen, sondern Eigenschaften bezeichnen und deswegen nicht durch das Personalpronomen ő wieder aufzunehmen sind. Die Voraussage ist also, dass, wenn eine DP Eigenschaften denotiert, sie in präverbaler Position (also in Topikposition in unserem Fall) nicht durch ő wiederaufgenommen werden kann. (39)

János, ő/az a legjóbb barátom Freund:POSS János er/das DEF bester ‚János, der war mein bester Freund.‘

(40)

A

volt. war

legjóbb barátom, az János volt. bester Freund:POSS das János war ‚Mein bester Freund, das war János.‘

DEF

(40’)

* A legjóbb barátom, ő János volt.

Die Phrase a legjóbb barátom ‚mein bester Freund‘ kann trotz der lexikalischen Semantik von barát ‚Freund‘ kaum durch ő wiederaufgenommen werden (40’), was den Schluss zulässt, dass das Denotatum der Phrase kein Individuum mit dem Merkmal [+menschlich]

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ist, sondern eine extensional unterschiedliche Kategorie, nämlich die Eigenschaft, der beste Freund zu sein. Das gleiche Ergebnis bekommt man bei Frage-Antwort-Paaren: (41)

Mi volt János? was war János Ő/?Az volt a legjóbb Budapesti fogorvos. er/das war DEF bester Budapester Zahnarzt ‚Was war János? [gefragt z. B. nach seiner Rückkehr aus Budapest nach Szeged]‘ –‚Er war der beste Zahnarzt in Budapest.‘

(42)

Ki volt a legjóbb Budapesti fogorvos? Budapester Zahnarzt wer war DEF bester Az János volt. Das János war ‚Wer war der beste Zahnarzt in Budapest?‘ – ‚Das war János.‘ * Ő János volt.

(42’)

Auch hier kann trotz der lexikalischen Semantik von fogorvos ‚Zahnarzt‘ die Phrase a legjóbb Budapesti fogorvos ‚der beste Zahnarzt in Budapest‘ nicht durch das auf menschliche Lebewesen spezialisierten Pronomen ő wieder aufgenommen werden, sondern nur vom neutralen az. Die Phrase referiert also nicht auf ein mit dem Merkmal [+menschlich] versehenes Individuum. Die Pronominalisierungsphänomene zeigen, dass Topik-DPn in spezifizierenden Kopulasätzen nicht auf menschliche Wesen referieren. Ich schlage vor, dies als ein Indiz dafür zu interpretieren, dass sie Eigenschaften denotieren, obwohl ich mir bewusst bin, dass auch andere Interpretationen hier möglich wären, wie z. B. die, dass sie nicht-overte Propositionen (vgl. Mikkelsen 2005: 70f.) oder Artterme (vgl. Mueller-Reichau, in diesem Band) kodieren.

5.

Extension der Kategorien Spezifikation und Prädikation im Ungarischen

Ob ein ungarischer Kopulasatz prädizierend oder spezifizierend ist, entscheidet sich also auf Grund des semantischen Typus der DP, die sich in Topikposition befindet, während die Zuweisung der Subjektrolle konstant qua irrelevant ist. Nicht anders als die Inversionsanalyse der englischen Kopulasätze ist diese Definition im Wesentlichen eine syntaktische: Sie definiert die beiden Kategorien als unterschiedliche Abbildungen von semantischen und diskurspragmatischen Merkmalsbündelungen auf vordefinierte strukturelle Positionen im Satz. Somit wird Spezifikation im Ungarischen durch eine unterschiedliche Bündelung von Merkmalen als im Englischen bestimmt. Dies hat natürlich auch extensionale Folgen, von denen ich hier die beiden wichtigsten aufliste: (A) Die Kategorie der spezifizierenden Kopulasätze im Ungarischen ist breiter als im Englischen und anderen ähnlichen Sprachen. Da die Topikposition (laut gängigen Beschrei-

Syntax der Kopulasätze im Ungarischen und Englischen

41

bungen [Spec, Top]) keine kategorialen Restriktionen aufweist, zählen auch die Sätze, in denen der semantische Typus nicht durch eine DP, sondern durch eine AP oder PP ausgedrückt ist, zu den spezifizierenden, vorausgesetzt, die betreffende Phrase befindet sich in Topikposition.22 Hier ist ein Beispiel, in dem die Stellung der AP in Topikpositon durch die Position des Satzadverbs gesichert ist: (43)

Hallgathatóak remélhetőleg lesznek a TunesMusicStore-ból hörbar:PL hoffentlich werd:3PL DEF TunesMusicStore:aus letöltött dalok. untergeladen Lied:PL [Durch den Kauf der neuen Soundkarte werde ich vieles hören können, was mein Computer bis jetzt nicht schaffte.] ‚Hörbar werden hoffentlich die Songs, die von Tunes Music Store heruntergeladen wurden.‘23

Dies steht im Kontrast zu Sprachen, bei denen Spezifikation durch die Bewegung der Eigenschafts-DP in die Subjektposition definiert wird, wie der Vergleich mit Beispielen (8) und (9), die ja im Englischen nicht als spezifizierend gelten, zeigt. (B) Die Kategorie der prädizierenden Sätze ist enger als im Englischen. Da Prädikationalität durch die Stellung der Individuen-DP in Topikposition definiert wird, gehören die Sätze, die kein Topik haben, nicht zum prädizierenden Satztyp. Die Abwesenheit von Topiks auf der Äußerungsebene hat das Ausbleiben der Topikphrase auf der strukturellen Ebene zur Folge. Mit anderen Worten, wenn die Äußerung kein Topik hat, hat auch der Satz keine Topikphrase und ist somit nicht prädizierend, wie im folgenden Beispiel (vgl. auch Kiss 2001, 2002a: 14ff.): (44)

A

TŰZOLTÓK voltak elérhetőek. Feuerwehrmann:PL war:PL erreichbar:PL ‚Die FEUERWEHRMÄNNER waren erreichbar (nicht etwa die Polizei).‘ DEF

Kein Element der Proposition wird als Topik gewählt, so dass keine Topikposition gegeben ist (A tűzoltók befindet sich in [Spec, FocP] oder [Spec, AspP], je nach Theorie). Dieser Satz gilt dementsprechend als nicht-prädizierend. Im Englischen und ähnlichen Sprachen hingegen, in denen Prädikationalität durch die Stellung der Individuen-DP in Subjektposition definiert wird, gehört auch ein topikloser Satz wie (44) (vgl. Beispiel (4)) zum prädizierenden Typ. Mangels topikaler Phrasen muss nämlich in diesem Sprachtyp die fokussierte individuenreferierende DP in die Subjektposition angehoben werden, um dem EPP, das hier als ein starkes Merkmal gilt, gerecht zu werden (vgl. Abschnitt 1). Das Ergebnis ist ein prädizierender Satz, der sich formal nicht von Sätzen unterscheidet, in denen die Subjektposition von topikalen individuenreferierenden Phrasen besetzt wird. –––––––—–– 22

23

Laut Geist (in Vorbereitung) können APn im Russischen keine Topikposition einnehmen, bzw. sie können nur dann vorangestellt werden, wenn sie mit einem Fokusakzent versehen sind. Im Ungarischen gilt diese Restriktion nicht, da vorangestellte APn auch ohne Fokusakzent und ohne Kontrast (pace Kiss 2002a: 22ff.) als Topikphrasen fungieren können (vgl. Alberti & Medve 2000). www.hwsw.hu/hir.php3?id=26218

Dejan Matić

42

6.

Typologische Konsequenzen

Wenn wir die schematischen Darstellungen der prädizierenden und spezifizierenden Kopulasätze im Englischen (7) und im Ungarischen (36) vergleichen, bekommen wir das folgende Bild: (45)

Prädizierende Kopulasätze im Englischen und Ungarischen {Eigenschaft [+/–Fokus]}PRÄDIKATSKOMPL. Eng.: {Individuum [+/–Topik]}SUBJEKT Ung.: {Individuum [+Topik]}TOP.POSIT. {Eigenschaft [+Fokus]}FOK.POSIT./VP

(46)

Spezifizierende Kopulasätze im Englischen und Ungarischen {Individuum [+Fokus]} PRÄDIKATSKOMPL. Eng.: {Eigenschaft [+Topik][DP]}SUBJEKT {Individuum [+Fokus]} FOK.POSIT./VP Ung.: {Eigenschaft [+Topik]}TOP.POSIT.

Um eine übereinzelsprachlich gültige Kategorie zu bekommen, müssen wir die gemeinsamen Elemente in den jeweiligen Schemata suchen. Bei spezifizierenden Sätzen lässt sich dies relativ leicht durchführen: Was dem Englischen und dem Ungarischen gemeinsam ist, ist die Bündelung der Merkmale ‚Eigenschaft‘ und ‚Topik‘;24 was die beiden Sprachen unterscheidet, ist (a) die syntaktische Realisierung dieser Merkmale (Subjekt im Englischen, Topikposition im Ungarischen) und (b) die daraus folgenden kategorialen Beschränkungen (nur DPn im Englischen). Spezifikation kann also trotz der in den Abschnitten 3–5 besprochenen Unterschiede als typologisch gültige Kategorie gerettet werden. Dafür muss man allerdings in Kauf nehmen, dass die syntaktische Grundlage der Kategorisierung, um die ja die meisten Ansätze bemüht sind, entfällt. Spezifikation lässt sich übereinzelsprachlich nur als eine besondere Bündelung der typensemantischen und informationsstrukturellen Merkmale definieren, die dann in unterschiedlichen Sprachen oder Sprachtypen nach den jeweiligen Regeln des Abbildens der Semantik und der Informationsstruktur auf die Syntax sprachlich realisiert wird. Im Sprachtypus, der durch das Englische repräsentiert wird, bedeutet dies die Zuweisung der Subjektrolle zu dem Prädikationselement, das mit den Merkmalen [Eigenschaft] und [Topik] versehen ist, was dann gewisse Restriktionen im Wortartenbereich zur Folge hat. In Sprachen wie Ungarisch wird dieses Element in die Topikposition versetzt und ist somit frei von kategorialen Beschränkungen. Ein typologischer Vergleich ist also nur dann möglich, wenn Spezifikation als eine semantisch-pragmatische, nicht als eine syntaktische Kategorie aufgefasst wird.25 Schematisch: (47)

Spezifikation Englisch: {Eigenschaft, Topik} → Subjekt (⇒ DP) Ungarisch: {Eigenschaft, Topik} → Topikposition

–––––––—–– 24 25

Auf die untergeordnete Relevanz der Fokusstruktur wurde in diesem Zusammenhang schon in Abschnitt 4.1 hingewiesen. Trotz Bemühungen, eine Parametrisierung zu finden, die die Subjektprominenz zu einem besonderen Fall der Topikprominenz machen würde, sind die beiden nicht restlos auf die gleiche syntaktische Basis reduzierbar (vgl. Sasse 1982, Kiss 2001, 2002b, Holmberg & Nikanne 2002).

Syntax der Kopulasätze im Ungarischen und Englischen

43

Der übereinzelsprachliche kategoriale Status der prädizierenden Sätze ist weniger eindeutig, da es keine zwei Merkmale zu geben scheint, deren Bündelung in beiden hier verglichenen Sprachen eine notwendige Bedingung für einen prädizierenden Satz wäre. Im Ungarischen scheint die semantisch-informationsstrukturelle Kombination {Individuum, Topik} ausschlaggebend zu sein (wobei sich die Informationsstruktur in dieser Sprache immer auch in der Syntax widerspiegelt, so dass Topikalität immer auch die Topikposition impliziert). Im Englischen ist es hingegen die semantisch-syntaktische Konfiguration {Individuum, Subjekt}. Dazu kommen noch die unterschiedlichen Extensionen in den beiden Sprachen. Man könnte vielleicht spekulieren, dass das Wesentliche an einer übereinzelsprachlich gültigen Kategorie der prädizierenden Sätze die Besetzung einer prominenten Satzposition durch eine Individuen-DP ist. Dies ist aber zu vage, nicht zuletzt, weil es unklar ist, wie man den Begriff ‚prominente Satzposition‘ definieren sollte. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, ob die Annahme einer einheitlichen Kategorie ‚prädizierender Satz‘, so wie sie in diesem Aufsatz dargestellt wurde, gerechtfertigt ist und ob es nicht sinnvoller wäre, die Kategorie mit weiteren Merkmalen anzureichern und folglich weiter zu spalten, so dass man schärfere Grenzen erzielt. Da ich mich nicht in der Lage sehe, eine klare Antwort auf diese Frage zu geben, lasse ich sie an dieser Stelle offen.

7.

Schlussfolgerungen

Es wurde gezeigt, dass sowohl der Sprachvergleich als auch die Einzelsprachbeschreibung einiges dazugewinnt, wenn man auf eine syntaktische, oder etwas allgemeiner, auf eine sich auf Sprachform beziehende Definition der Kategorien verzichtet und sich statt dessen der Kategorien bedient, deren Grundlage semantischer und/oder pragmatischer Natur ist, weil man dadurch der Vielfalt der formalen Ausprägungen der natürlichen Sprachen eher gerecht wird. Aus der Diskussion des formalen Aufbaus von zwei formal sehr unterschiedlichen Sprachen, des Englischen und des Ungarischen, geht darüber hinaus hervor, dass die Hypothese vom Isomorphismus zwischen Inhalt und Form, zumindest in ihrer strengen Formulierung, kaum aufrecht zu erhalten ist. Nicht nur, dass ähnliche Inhalte in diesen Sprachen auf ganz unterschiedliche Strukturen abgebildet werden, sie werden auch über den semantischen Raum anders verteilt, je nach den inhärenten semantischen und pragmatischen Merkmalen, die mit den einzelsprachlich definierten formalen Merkmalen verbunden sind. Die semantischen und pragmatischen Merkmale, die in einer Sprache für den formalen Aufbau entscheidend sind, wie Topikalität im Ungarischen, können in den anderen ganz unterspezifiziert bleiben, wie man an Hand von englischen prädizierenden Kopulasätzen deutlich sehen kann. Eine unterschiedliche Aufteilung des semantischen Raumes gemäß den einzelsprachlichen Bündelungen von Form und Inhalt lässt Zweifel hinsichtlich der Universalität von semantisch/pragmatisch basierten Kategorien zu, so auch hinsichtlich der Kategorie der Spezifikation, wie ich sie oben definiert habe. Ich halte diese Zweifel für durchaus gerechtfertigt, vorausgesetzt, die Kategorien werden essentialistisch verstanden, d. h. als Entitäten, die universell und unabhängig von einzelsprachlichen linguistischen Gegebenheiten existie-

44

Dejan Matić

ren. Mein Vorschlag bezüglich der Kategorie Spezifikation ist bescheidener. Er basiert nämlich auf Ähnlichkeiten, nicht auf Identität, und ist lediglich als heuristisches Mittel gedacht, mittels dessen sowohl typologischer Vergleich als auch einzelsprachliche Beschreibung ermöglicht werden.

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Line Mikkelsen

On so-called truncated clefts*

1.

Introduction

This paper is concerned with the kinds of copular clauses given in (1). (1)

a. b. c. d.

It’s Beverly. That was his father. It could have been me. That might be Adrian.

These are known as “truncated clefts” (or hidden or reduced clefts) in the literature, based on their similarity to the clefts in (2) (see Poutsma 1916: 732, Jespersen 1958: 149, Declerck 1988, Büring 1998, Hedberg 2000, Merchant 2001: 117-120, Ward et al. 2003, Birner et al. 2005 among others). (2)

a. b. c. d.

It’s Beverly that makes the best pies. That was his father that went to Hamburg. It could have been me that drove the car. That might be Adrian that’s knocking on the door.

As these authors observe, the sentences in (1) and (2) are similar in both form and meaning. The truncated clefts in (1) look like the clefts in (2) minus the cleft clause, and in the right contexts, each of the sentences in (1) can be used with the meaning of the corresponding sentence in (2). Following a question like Who went to Hamburg?, (1b) can be used to convey what (2b) conveys, and following a knock on the door, (1d) can be used with the meaning of (2d). The issue that I will try to address here is how truncated clefts relate to the general taxonomy of copular clauses developed by Higgins (1979: 204-293) and assumed in much subsequent work on copular clauses. Truncated clefts have a number of characteristic properties (reviewed in section 2) and the question is to what extent these properties can be explained in terms of properties of any of the general classes of copular clauses in Higgins’ taxonomy together with specific features of truncated clefts, specifically their subject –––––––—–– *

This paper grew out my presentation at the workshop on copular clauses held as part of the 27th Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Sprachwissenschaft in Cologne in February of 2005. I am grateful to the workshop organizers and participants for very stimulating interaction, as well as to the anonymous reviewer of the paper and to the editors of this volume. The current version of the paper has also benefitted from conversations with Kent Bach, Chris Barker, Betty Birner, Eric Potsdam, and Gregory Ward. Finally, I thank Sharon Inkelas and Cheryl Zoll for help with the title and Maziar Toosarvandani for close reading of the penultimate draft.

Line Mikkelsen

48

pronoun. One possibility – that is, in a sense, the null hypothesis – is that truncated clefts do not belong to any of the categories in the taxonomy and that they have to be recognized as a class in their own right. However, it is also possible that truncated clefts constitute a subclass of one of the four classes in the existing taxonomy. It is important to examine this possibility, since, if true, it would allow us to expand the empirical coverage of the taxonomy without expanding the taxonomy itself, as well as further our understanding of truncated clefts by explicating their relationship to other copular clauses. Higgins (1979) distinguishes four classes of copular clauses: predicational clauses (3), specificational clauses (4), equative clauses (5), and identificational clauses (6):1 (3)

a. Beverly is a fine baker. b. My neighbor is from Alabama. c. She is tired.

(4)

a. b. c. d.

(5)

a. SHE is Beverly. b. Cicero is Tully.

(6)

a. That woman is Beverly. b. That is Beverly.

The best pie-maker is Beverly. The one who went to Hamburg was his father. The driver could have been me. The person at the door might be Adrian.

[predicational]

[specificational]

[equative]

[identificational]

To my knowledge, no one has proposed that truncated clefts are predicational, and since I see no evidence for that position I will not discuss it further. Higgins (1979: 236-240) seems himself to consider truncated clefts identificational, grouping (6b) with (6a). In Mikkelsen (2004; 2005: 118-130) I argue that truncated clefts like (6b) do not form a natural class with sentences like (6a) and that (6b) should instead be classed with the specificational copular clauses in (4). The basic idea behind this proposal is that truncated clefts are specificational clauses with a pronominal subject, which implies that (6b) stands in the same relationship to (4a) that (7) does to (8): (7) (8)

He left. Frank left.

In their studies of full and truncated clefts Ward et al. (2003) and Birner et al. (2005) argue that truncated clefts are a special kind of equative clause, i.e. they belong in (5). Finally, Büring (1998) proposes that truncated clefts are a kind of expletive construction, and hence not directly classifiable within Higgins’ taxonomy, though his analysis shares elements with the equative analysis. I will not repeat the arguments against truncated clefts being identificational (see Mikkelsen 2005: 118-130), but will focus on detailing the –––––––—–– 1

Higgins uses the term identity clause for (5), but the term equative is more widespread in the linguistic literature and I will therefore use it here.

Truncated clefts

49

specificational analysis of truncated clefts and comparing this to the equative and expletive analyses. My overall conclusion will be that while there are unresolved issues for a specificational analysis of truncated clefts, it is a promising line of analysis, and that the assumptions it makes about the subject pronouns of truncated clefts (it and that) are better supported than the ones made by either the equative or expletive analyses. Under the specificational analysis truncated clefts are neither clefts nor truncated, but simply monoclausal specificational copular clauses with a pronominal subject. I nonetheless use the term truncated cleft throughout for consistency with the literature. The reader is invited to supply mental scare quotes. The idea that truncated clefts are specificational is not new. It is proposed by Declerck (1988), and noted in passing by Hedberg (2000: 901, fn. 17; 907, fn. 22) and Geist (to appear: section 4.2). Here I adopt a specific syntactic and semantic understanding of specificational clauses – the one developed in Mikkelsen (2005) – and examine how far that gets us with accounting for the characteristic properties of truncated clefts. Making the specificational analysis more explicit also allows for a clearer comparison with the alternative analyses of truncated clefts mentioned above, though it should be kept in mind that there are competing syntactic and semantic analyses of specificational clauses (due to Heycock & Kroch 1999, Schlenker 2003, Romero 2005, Mueller-Reichau in this volume and others), each of which would make different sense of the claim that truncated clefts are specificational and some of which would not be incompatible with the equative analysis of Ward et al. (2003) and Birner et al. (2005). It should also be noted that I am only considering English truncated clefts in this paper. Many languages have copular clauses that seem very similar to English truncated clefts in form and/or function, but from the little I know about these structures in the various languages, they all differ in one way or another from the English construction examined here, with Danish as a possible exception (Mikkelsen 2005: 118-130). Matić’s paper in this volume, provide an illuminating crosslinguistic perspective on specificational copular clauses, though he does not specifically discuss the truncated cleft variety. See also the discussion of Russian copular clauses in Geist (to appear). The remainder of the paper is organized as follows. In section 2, I lay out the characteristic properties of truncated clefts. In section 3, I present the analysis of specificational clauses that I will assume, and in section 4, I examine how well it accounts for the properties of truncated clefts. The alternative analyses are discussed in section 5 and section 6 concludes the paper.

2.

Properties of truncated clefts

Much of this section is based on Higgins (1979: 204-293), Declerck (1988), and Büring (1998), though I organize and present the data somewhat differently from these authors. In the first three subsections, I describe the restrictions on the three pieces of a truncated cleft: the subject, the verb, and the post-verbal element. In the last subsection, I discuss properties of the entire construction.

Line Mikkelsen

50 2.1

Restrictions on the subject

There is agreement in the literature that truncated clefts need to be distinguished from otherwise identical copular clauses with she, he, I, you, we, or they in subject position. (This distinction is the explicit starting point for the discussions in Declerck 1988 and Büring 1998.) There is less agreement that It is DP and That is DP should both be considered truncated clefts. Higgins (1979) only discusses That is DP, so it is unclear how he would classify It is DP. Ward et al. (2003) and Birner et al. (2005) also focus on the demonstrative version, but acknowledge the existence of the parallel It is DP construction, while leaving open whether their equative analysis extends to constructions with it as well (Birner et al. 2005: 8, 21 fn. 11). Büring (1998) only discusses It is DP, but notes (p. 52) that That is DP exhibits parallel behavior in many respects. Similarly, Declerck (1988) focusses on It is DP, but suggests (p. 238) that that may substitute for it in certain circumstances. In contrast, Hedberg (2000: 894-904) argues that the two should be grouped together as truncated clefts and that what distinguishes them is the restrictions placed by it and that on the givenness (in the sense of Gundel et al. 1993) of the content of the missing cleft clause. She shows that similar contextual factors govern the use of it vs. that in full clefts and ties it to the use of these items more generally. Given Hedberg’s arguments and given that It is DP and That is DP exhibit parallel behavior in all the ways examined below, I will assume that the two do group together and, hence, that we should aim for a unified analysis. 2.2

Restrictions on the verb

Truncated clefts are found only with the copula verb be. The non-copular clauses in (9) are impossible as variations on the copular clauses in (10). As (11) shows the characteristic it and that can be found as the surface subject of non-copular verbs, but only as the result of raising from the subject position of an embedded non-finite copular clause. (9)

a. b. c. d.

*It seems Beverly. *That appeared his father. *There is someone at the door and I wonder what it wants. *It could become your new assistant.

(10)

a. b. c. d.

It is Beverly. That was his father. There is a man in the kitchen and I wonder who it is. It could be your new assistant.

(11)

a. It seems to be Beverly. b. That appeared to be his father.

(cf. Declerck 1988: 215) (cf. Büring 1998: (33b’))

Truncated clefts

2.3

51

Restrictions on the post-copular phrase

The post-copular phrase of a truncated cleft must be a DP. This is a little hard to show, because it and that can also occur as the subjects of predicational copular clauses with nonDP complements, as in (12). These sentences differ from the truncated clefts in (10) in two respects: first, the sentences in (12) ascribe a property to an entity (heaviness in (12a)), whereas truncated clefts specify who bears a certain contextually salient property (Beverly in (10a)). Secondly, the sentences in (12) can only be used with reference to non-humans, which is not true for truncated clefts, as (10a-d) show (Higgins 1979: 237ff). (12)

a. It is [heavy]. b. That is [from Sweden].

The sentences in (12) could be used to describe an inanimate object like a table, but to describe a person a non-neuter pronoun must be used, as in (13a-b). (13)

a. He is heavy. b. She is from Sweden.

As Higgins (1979: 239) observes, being nominal is not enough to qualify for the postcopular position; a determinerless NP is impossible in the post-copular position of the truncated clefts in (14), whereas the determiner may be left out in the copular clauses in (15). (14)

a. It is the mayor of Cambridge. b. *It is mayor of Cambridge.

(15)

a. Beverly is the mayor of Cambridge. b. Beverly is mayor of Cambridge.

Furthermore, not all DPs can occupy the post-copular position in a truncated cleft. In particular, the post-copular DP cannot be quantificational (Declerck 1988: 230; though see Büring 1998: ex. (25) for a possible counterexample in German):2 (16)

a. #It was many people. b. #That was every student.

In contrast, names, pronouns, definite and indefinite descriptions, possessives, and demonstrative descriptions are all possible in the post-copular position: –––––––—–– 2

Eric Potsdam (p.c. January 30, 2006) has brought various English examples to my attention that challenge this generalization, in particular examples where a (seemingly) quantificational DP is acceptable in the post-copular position of (what looks like) a truncated cleft, but not in the corresponding full cleft. Serious consideration of these must await another occasion, though see Declerck (1988: 240) for relevant observations.

Line Mikkelsen

52 (17)

[Who spotted the leak?] It was Frank/him/the neighbor/a neighbor/my sister/that guy.

Finally, if the post-copular element is a possessive, it presupposes existence and uniqueness, whereas these presuppositions may be lost in the corresponding copular clause with a non-neuter subject pronoun. This is brought out in (18) and (19), which are elaborations of examples in Higgins (1979: 266-7), who attributes the observation about the loss of uniqueness presuppositions to Jespersen (1924: 153).3 (18)

A: Who is that? B1: That’s Adrian’s sister. B2: (I don’t know, but) that’s not Adrian’s sister.

(19)

A: How is Mary related to Adrian? B1: She’s his sister. B2: (I don’t know, but) she’s not his sister.

The answers in (19) are compatible with Adrian having more than one sister (B1) or no sister (B2), whereas the answers in (18) both presuppose that Adrian has exactly one sister.4 2.4

Properties of the entire construction

There are three things to note about truncated clefts in their entirety. First, they can be used to answer questions of the form in (20), indicating that the post-copular element is the focus (it corresponds to the wh-phrase of the question): (20)

a. Who is the best pie-maker? It’s Beverly. b. Who went to Hamburg? That was his father.

Second, reversing the order of the two DPs results in a markedly different meaning, infelicity, or even ungrammaticality (Higgins 1979: 239-240):

–––––––—–– 3

4

Büring (1998: 50) makes a similar observation about the projection of existence presuppositions in modal contexts. Since my treatment is extensional throughout, I will not discuss this case here, nor the observations Büring makes about the relative scope of the post-verbal element with respect to an epistemic modal. The status of the contrast in (18) and (19) is far from clear. Several native speakers of American English, including John MacFarlane and Kenneth Easwaren, report a lack of contrast and the editors of this volume further suggest that the contrast is a purely pragmatic one, governed by context and not by semantic type. With these serious caveats in mind, I nonetheless include the data here for completeness and as a basis for further empirical investigation.

Truncated clefts (21)

53

a. Who is the best pie-maker? #Beverly is it. b. Who went to Hamburg? #Your father was that.

Third, whereas truncated clefts can generally be paraphrased by overt clefts, this is not possible when the cleft clause is of the form who it/that is or who is that/it: (22)

a. Who is the best pie-maker? It is Beverly (who’s the best piemaker). b. Who is it? It is Beverly (#who it is/#who is it).

(23)

a. Who is going to Hamburg? That is his father (that’s going to Hamburg). b. Who is that? That is his father (#who that is/#who is that).

Part of this last observation (that full clefts of the form It’s X who that is are infelicitous) is made in Birner et al. (2005: 18). See also Declerck (1988: 230-231) and Merchant (2001: 117) for related observations. I take these to be the central properties that an analysis of truncated clefts should account for.

3.

The predicate raising analysis of specificational clauses

In his influential 1997 book, Moro proposes that specificational clauses are derived from the same underlying structure as predicational clauses.5 Thus the predicational clause in (24) and the specificational clause in (25) share the underlying structure in (26), in which the copula verb takes a small clause (SC) complement (see also Bowers 1993, 2001). (24) (25) (26)

Beverly is the best baker. The best baker is Beverly. is [SC Beverly the best baker]

The small clause consists of an initial referential element (Beverly) and a second predicative element (the best baker). The predicational clause is derived by raising the first element of the small clause to subject position (24’), whereas the specificational clause involves raising the second, predicative, element of the small clause to subject position (25’) (hence the term ‘predicate raising’ for this analysis of specificational clauses). (24’) (26’)

[IP Beverlyi is [ ti the best baker]] [IP The best bakeri is [Beverly ti]]

In Mikkelsen (2005) I adopt the core of this analysis and extend it in two ways. Whereas Moro remains uncommitted about the internal structure of the small clause complement of –––––––—–– 5

Moro uses the term ‘canonical copular clause’ for predicational clauses and ‘inverse copular clause’ for specificational clauses.

Line Mikkelsen

54

the copula, I analyze it as the projection of a functional head, Pred, which takes a predicative XP as its complement and a referential XP as its specifier: (27)

PredP ru Pred’ DPe Beverly ru Pred DP

6

the best baker The selection and combination of these elements is governed by the semantic type of Pred, which is, in extensional terms, . The Pred head does not contribute any semantic content beyond this: it simply passes the property-denotation of its sister on to be combined with the other contentful element of the small clause, namely the referential element in Spec-PredP. In a copular clause, PredP is the complement of the copula, which I analyze as an unaccusative light verb vb. The projection of vb is the complement of T, and Spec-TP is the subject position: (27’)

TP ru T’ ru T vbP ru PredP vb ru be Pred’ DPe Beverly ru Pred DP

6

the best baker

The highest verbal head, here vb, raises to T, resulting in the finite form is. The second departure from Moro’s analysis is that information structure is given a decisive role in determining which element raises to subject position. Following suggestions in Partee (2000: 199), I propose that raising of the predicative element is only possible when it is the topic of the sentence. In all other contexts, the referential XP raises. This goes part of the way in accounting for the long-standing observation that the topicfocus structure of specificational clauses is fixed (subject is topic, post-copular element is focus) whereas the topic-focus structure of predicational clauses is not restricted (see Higgins 1979: 234-236, Partee 2000: 199-200, and references cited there). In the minimalist analysis developed in Mikkelsen (2005: 162-190), predicate raising is triggered by the presence of an uninterpretable topic feature on T, which must be checked by the DP that raises into subject position. Just in case the referential DP is not topic but the predicative DP is, the latter will move to subject position. The English lexicon also contains a T that

Truncated clefts

55

lacks the uninterpretable topic feature, which is involved in deriving predicational clauses with non-topic subjects: since the referential DP is the one closest to T, it will move to subject position, all other things being equal (see Mikkelsen 2005: 176-179). I further assume that the nature of the EPP restricts the subject position to DPs, which is why (28) is not a possible specificational clause (compare (28) with the predicational (29)). (28) (29)

*Tired is Beverly. Beverly is tired.

One of the central tenets of the predicate raising analysis is that the subject of a specificational clause is semantically predicative (type ), and that this sets specificational clauses apart from predicational and equative clauses, which both have referential (type e) subjects.6 As will become clear below, the special semantic status of the subject is key to the hypothesized connection between specificational clauses and truncated clefts.

4.

Truncated clefts as specificational clauses

We are now in a position to substantiate what it means to analyze truncated clefts as specificational clauses. For concreteness, let us consider the truncated cleft in (30). (30)

It is Beverly.

Applying the predicate raising analysis to (30) leads us to say that it is derived from an underlying PredP structure in which the pronoun is the sister of Pred and Beverly is in the Spec-PredP position: (31)

TP ru T’ ru T vbP ru PredP vb ru be Pred’ DPe Beverly ru Pred DP it

–––––––—–– 6

This is not the only possibility. Predicational clauses may have quantificational subjects: (Everyone is tired) and equative clauses can equate non-individuals (Seeing is believing; Honest is honest). What is unique to specificational clauses is that they have a predicative subject and an individual-denoting complement. See section 4.3.

Line Mikkelsen

56

The predicative pronoun raises to subject position, while Beverly remains in situ, resulting in the surface order in (30). The pronoun must find an antecedent in either the linguistic or non-linguistic context, and since the pronoun is semantically predicative the antecedent must be a property of some sort. The rest of this section is devoted to examining to what extent the predicate raising analysis can account for the properties of truncated clefts outlined in section 2. I start with the restrictions on the subject. 4.1

Restrictions on the subject

Recall that truncated clefts allow only it and that as subject, and not she, he, they, those or any other pronoun. This restriction finds a natural account under a specificational analysis, once we consider another set of pronominalization facts discussed in Mikkelsen (2005: 6493). As the examples below illustrate, there is a systematic contrast in pronominalization of the subject of specificational, predicational, and equative copular clauses. This contrast can be observed in tag questions (32) and in left-dislocation structures with resumption (33): (32)

a. The best baker is Beverly, isn’t it? b. The best baker is from Germany, isn’t she/he/*it? c. Beverly is Mrs. Robinson, isn’t she/*it?

(33)

a. The best baker, that/it is Beverly. b. The best baker, she/he/*it/*that is from Germany. c. Beverly, she/*it/*that is Mrs. Robinson.

The a. sentences are specificational and the subject is referred back to with the neuter pronoun it or with the demonstrative that.7 In contrast, the subject of predicational (32b, 33b) and equative (32c, 33c) clauses is resumed with the appropriate non-neuter pronoun she or he. In Mikkelsen (2005) I argue that this reflects a difference in semantic type (though see Mueller-Reichau (2006: section 4.1) for a different view). The pronouns she and he are referential (type e) and as such can be anaphoric to another individual-denoting DP. In contrast, it and that can only be used referentially with reference to non-humans, and when they occur with an antecedent describing a human, as in (32a) and (33a), they are in fact property anaphors (extensionally, type ). The use of it and that as property anaphors is independently attested in the following, non-specificational examples (see section 5.1 for discussion of this point). (34) (35)

They said that Sheila was beautiful and she is that. John is president of the club. It is a prestigious position.

(Ross 1969: 357) (Doron 1988: 299)

In (34), that is anaphoric to beautiful (itself the predicate complement of a predicational clause), and in (35), it is anaphoric to president of the club (also the predicate complement –––––––—–– 7

The demonstrative that cannot occur in tag questions for prosodic reasons (Kuroda 1968: 250-251, Declerck 1988: 238). The assumption that the pronoun in a tag question is anaphoric to the subject of the tagged clause is defended in Mikkelsen (2005: 90-92).

Truncated clefts

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of a predicational clause). At this point we can make a connection to truncated clefts via the question-answer pair in (36): (36)

Q: Who do you think the best baker is? A1: It/That’s Beverly. A2: The best baker is Beverly.

The question in (36) is specificational in form and can be answered felicitously with a truncated cleft (A1). Note that Beverly corresponds to the wh-word of the question, and my proposal is that it/that corresponds to the best baker (we can tell that the best baker is in subject position of the embedded clause, because it precedes the copula; Higgins 1979: 226-227). The “regular” specificational clause in A2 is also a possible truth-conditionally equivalent answer, though the repetition of the definite description perhaps makes it somewhat pedantic. Under the proposal that I am making here, (36) is analogous to (37), where the two answers differ only in whether the subject is pronominal or not. (37)

Q: Who do you think Fred likes? A1: He likes Beverly. A2: Fred likes Beverly.

Now contrast (36) with (38): (38)

Q: Where do you think the best baker is? A1: He/She’s in the kitchen. A2: #It/#That’s in the kitchen.

The question in (38) is predicational in form and requires a predicational answer, such as A1. A2 of (38) shows that it and that cannot be used with reference to a human, replicating the pattern in tag questions and left-dislocation structures (see (32) and (33) above). This is important because it challenges an alternative analysis of truncated clefts, one where the subject pronoun is assumed to be referential along with the complement, in particular the equative analysis proposed in Ward et al. (2003) and Birner et al. (2005). I return to this in section 5.1. It’s worth asking what the specificational analysis predicts about the meaning of truncated clefts, in particular the interpretation of the subject pronoun. As pronouns, the predicate anaphors it and that depend on context for their interpretation. Like other pronouns, their denotation can be fixed either by the linguistic context or by the nonlinguistic context. The question-answer pair in (36) is an example of the former, the latter is exemplified by (1d) when it is used following a knock on the door (see Büring 1998 for a fuller range of examples). In either case, general strategies for pronoun resolution require that a) the antecedent be of the right kind (in this case a property), b) the antecedent be contextually salient, and c) the resulting interpretation be pragmatically felicitous. Thus, while he could in principle refer to someone other than Fred in (37), Fred is the only antecedent that is of the right kind, is contextually salient, and that makes A1 a felicitous answer to the question posed. Analogously, while it/that could in principle refer to any property whatsoever, in (36) the best baker is the only antecedent that is of the right type, is

Line Mikkelsen

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contextually salient, and that makes the truncated cleft a felicitous answer to the question posed. 4.2

Restrictions on the verb

Let us next consider the fact that truncated clefts occur only with the copula and not with other raising verbs (like seem). First, note that there are severe restrictions on the PredPs that seem (and other raising verbs) can combine with in the first place (see Matushansky 2002): (39) (40) (41)

Beverly seems tired. ?Beverly seems a good baker. *Betty seems from Germany.

But let’s assume for the sake of argument that seem can combine with PredP in principle and allow the referential argument of PredP to raise to subject position, as in (39) and (40). Then, the question becomes why the second predicative element cannot raise. If it could, sentences like (42) and (43) should be grammatical. (42) (43)

*The best baker seems Beverly. *It seems Beverly.

I would like to suggest that this is because the T that bears the uninterpretable topic feature is severely restricted in its distribution. In particular, it selects for a vbP complement, and hence cannot combine with a vP headed by any other verbal element. The intuition behind this suggestion is as follows: the topic feature on T has the effect of letting subject choice be governed by information structure. In Mikkelsen (2005) I suggest that this is possible in copular clauses because of the extreme semantic lightness of the copula. The ungrammaticality of (42) and (43) indicates that, even though raising verbs like seem are also fairly light semantically, they do not allow this (Matushansky 2002 for detailed discussion of the semantics of seem). Note that this restriction also accounts for why we don’t find topic-driven movement to subject position in regular transitive clauses (i.e. why He saw Sally can’t mean that a topical male individual was seen by Sally). 4.3

Restrictions on the post-copular element

Under the predicate raising analysis of specificational clauses, the post-copular DP in truncated clefts is the element merged in the specifier of PredP. The semantic type of Pred requires this element to be referential (type e), which goes a long way towards accounting for the restrictions on the post-copular DP in truncated clefts. In the positive direction, (most) DPs can certainly be referential, so we expect them to occur there. In the negative direction, other phrases (NP, AP, PP, VP, and CP) standardly denote something other than an individual (e.g. a set of individuals, a set of events, a truth value, or a function from world-time indices to these) and hence we understand why they do not occur in the post-

Truncated clefts

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verbal position of truncated clefts. However, it has been argued that at least some of these, including APs like blue, non-finite VPs, and CPs, can type-shift into expressions of type e via a type-shifting operator nom (Chierchia 1984, Partee 1987, Potts 2002). This allows us to understand why the sentences in (44) have specificational readings: (44)

a. Her favorite color is blue. b. The next step is finding a suitable location. c. The problem is that they never reported the theft.

Moreover, there are truncated cleft versions of these, as long as we specify a suitable antecedent for the subject pronoun: (45)

Q: I wonder what her favorite color is. A1: It’s blue.

(46)

Q: I wonder what the next step should be. A: It should be finding a suitable location.

(47)

Q: I wonder what the problem is. A1: It’s that they never reported the theft.

Contrast (45) with (48), in which the embedded clause is predicational and, at any rate, asks for a property. The question forces blue to be semantically predicative () in the answer, which is fine in the predicational A2, but rules out the truncated cleft in A1 as a possible answer:8 (48)

Q: I wonder what color her eyes are. A1: #It’s blue. A2: They are blue.

As for disallowing a quantificational DP in the post-copular position, regular specificational clauses parallel truncated clefts: (49) (50)

#It was no one/everyone. #The leader of the demonstration was no one/everyone.

–––––––—–– 8

Heggie (1993) argues that full clefts don’t allow predicative elements in the post-copular position, because that would violate a restriction on the null operator in the cleft clause (essentially that this operator cannot be thematically unsaturated). She further argues (pp. 50-53) that apparent examples of full clefts with a predicative element in the post-copular position (It’s blue that her eyes are) are metalinguistic in nature and require a different account. To the extent that no predicative reading is available for blue in the truncated cleft in A1 of (48), irrespective of context, that would indicate that truncated clefts do not allow metalinguistic readings. See also Hedberg (2000: fn. 31) for relevant discussion.

Line Mikkelsen

60

We could appeal again to the semantic composition of PredP to account for this. Recall that the phrase that surfaces in the post-copular position in specificational clauses is merged as the second argument of Pred, i.e. as the sister of Pred’ (see (27) and (27’)). The semantic type of Pred’ is (the result of combining the Pred head of type with its type complement), which I have interpreted above as s-selection for a referential second argument. If so, we understand why (49) and (50) are out: the second argument of Pred is quantificational, but Pred requires a referential second argument. However, there are two reasons to question this account. The first is theoretical: if s-selection is understood in terms of the semantic type of heads, it would be appealing to reduce it to typecompatibility (in the spirit of type-driven interpretation): if a node can combine with its sister by one of the recognized principles of semantic composition (most prominently functional application) then s-selection is met. Interpreting s-selection in this way, we lose our account of (49) and (50): if the DP sister of Pred’ is quantificational (type ) it can combine with a Pred’ of type , though the DP would be the functor taking Pred’ as its argument, and not vice versa. One could respond by retreating from identifying sselection with type-compatibility and maintain that Pred s-selects (in some richer sense) for a referential second argument. However, and this is the second objection, there is evidence that PredP can take a quantificational DP as its second argument. In particular, predicational copular clauses with quantificational subjects are possible (51), as are embedded PredPs with an initial quantificational DP in situ (52) (see also foonote 6). (51)

a. No one was the leader of the demonstration. b. Most people are in the kitchen. c. Everyone is a winner.

(52)

I consider [most people honest].

If we want a unified analysis of predicational copular clauses, it seems that we must allow PredP to take a quantificational second argument (which can be done by not imposing any s-selectional restrictions beyond type-compatibility). Then, the challenge is how to prevent predicate-raising of the lower DP across this quantificational DP. I don’t have much to say about this at present, except to note that quantificational DPs are also generally infelicitous in the focus position of full clefts (see Heggie 1993 for relevant discussion). Finally, we turn to the observation that possessives carry their usual existence and uniqueness presuppositions when they occur in the post-verbal position of a truncated cleft, whereas these may be lost in the corresponding copular clause containing a non-neuter subject pronoun. On a somewhat speculative note, I’d like to suggest that we can understand this as follows: in their normal use, possessives carry existence and uniqueness presuppositions (Barker 1995: 4-5, 78ff). In terms of semantic types, the normal uses involve referential (type e) and quantificational (type ) possessives. However, when used predicatively (type ), the existence and uniqueness presuppositions are lost and the possessive simply denotes the set of entities that satisfy the descriptive content of the DP (see Partee 1987: 125 for a related suggestion about definite descriptions; the discussion in Graff 2001: 12-23 is also relevant here). Thus, Adrian’s sister would denote the set of individuals who stand in the sister-relation to Adrian, without placing any restrictions on the cardinality of this set (see Barker 1995: 52). The predicative meaning is

Truncated clefts

61

possible in copular clauses like She is Adrian’s sister because she denotes an individual that can be predicated over. In contrast, in It is Adrian’s sister, it denotes a (contextually salient) property, forcing the possessive into its referential denotation, and hence we find the usual existence and uniqueness presuppositions. 4.4

Properties of the entire construction

If truncated clefts are indeed specificational clauses with a pronominal subject, we expect them to have a distribution similar to that of specificational clauses, but with the additional requirement that a suitable antecedent for the pronoun be available. This lets us understand the question-answer pair in (36) above. As noted in the introduction in connection with (1d), non-linguistic antecedents are also possible. This is as expected if it and that are simply pronouns here, since other pronouns, including the referential versions of it and that, allow either linguistic or non-linguistic antecedents; they are deep anaphors in the sense of Hankamer and Sag (1976). The fact that truncated clefts almost never invert (cf. #Beverly is it), whereas regular specificational clauses generally can (Beverly is the best piemaker), presents a problem for the predicate raising analysis, since this analysis assumes (at least in the implementation developed in Mikkelsen 2005) that predicational clauses are unmarked and always possible. While I can’t offer a definitive solution to this problem, I would like to mention some factors that seem relevant to a future solution. First, the claim that a predicational realization is always possible is based on the observation that it represents the default alignment of semantic type with syntactic position (specifically type e with subject position and type with non-subject position). However, this ignores the pragmatic contribution of pronominalization (thanks to Gregory Ward for pointing this out to me). It is possible that when both DPs are non-pronominal a predicational realization is indeed always possible, but that when the predicative element is pronominalized it “tips the scale” in favor of the specificational realization, because pronominals are natural (continuation) topics (cf. Centering Theory). While this line of reasoning seems promising to me, an immediate problem is that She is it, where both DPs are pronominal, is no more felicitous than Beverly is it. A second possibility is that the inverted (i.e. predicational) versions of truncated clefts somehow “lose out” to ellipsis. That is, A2’ in (53) is degraded because the elliptical realization in A3 is available (Baltin 1995 and Mikkelsen 2005: 99-101 argue that A3 is the result of VP ellipsis despite the apparent category mismatch). That proposal in turn raises the question of why the availability of VP ellipsis does not render A1’ infelicitous. Here, it might be relevant that A1’ does not depend on the presence of a salient property (the definite description does not require an antecedent), whereas A2’ and A3 both do. (53)

Q: Who is the best pie-maker? A1: The best pie-maker is Beverly. A1’: Beverly is the best pie-maker. A2: It is Beverly. A2’: #Beverly is it. A3: Beverly is.

Line Mikkelsen

62

A third potentially relevant observation is that there do seem to be certain semantic domains (involving standard personal attributes like names, addresses, phone numbers, shoe sizes etc., as well as times and dates) where the specificational realization (the a. sentences) is unmarked compared to the predicational one (the b. sentences): (54)

a. Her name is Beverly Bouwsma. b. Beverly Bouwsma is her name.

(55)

a. His phone number is 56789012. b. 56789012 is his phone number.

(56)

a. The time is 5PM. b. 5PM is the time.

(57)

a. The date is May 17th. b. May 17th is the date.

The b. sentences are grammatical, but seem to require a special (contrastive) context. One could speculate that the truncated cleft pattern in (53 A2-A2’) is a special case of this. Finally we turn to the observation that there are contexts where a truncated cleft is felicitous, but its full cleft counterpart is not. In particular, questions that are formed on truncated clefts can be felicitously answered by a truncated cleft, but not by a full cleft: (58)

Q: Who is it? A1: It is me. A2: #It is me that it is. A3: #It is me that is it.

The fact that A1 is a possible answer is expected under the specificational analysis: the question is itself specificational in form and contains a predicative proform it (anaphoric to some contextually given property). The predicative it in the answer tracks the it in the question (either by being anaphoric to it in the question or by being codependent on the antecedent of the it in the question). What is puzzling is that a full cleft is not possible here, as shown by A2 and A3. I want to suggest that the infelicity of these full clefts comes from their cleft clauses being ill-formed. The cleft clause in A2 (that it is) is formed by relativization of the post-copular element of a truncated cleft: the subject pronoun is in its regular pre-verbal position, whereas the copula is followed by the gap of the A-bar extraction. Now note that relativization of the post-copular element of a specificational clause is generally impossible, whereas relativization of the referential element in predicational clauses is grammatical: (59)

a. *You should talk to Beverly, who the best pie-maker around here is. b. You should talk to Beverly, who is the best pie-maker around here.

Truncated clefts (60)

63

a. *I went to see my sister, who the only one who understands these matters is. b. I went to see my sister, who is the only one why understand these matters.

I don’t know what causes the ungrammaticality of (59a) and (60a) (see Moro 1997: 25-27, 45-50, Heycock & Kroch 1999: 370-371 and Rothstein 2001: 259-263 for discussion of related cases and also McCloskey 2002: 218 and references cited there for a possible account in terms of the relationship between relativization and information structure), but I want to suggest that whatever it is it is also the source of the badness of A2 in (58). The status of A3 is different, since the cleft clause by my criteria is not specificational (cf. the post-copular position of it). Instead, the cleft clause manifests a predicational order with a pronominal predicate, something that is generally prohibited (cf. (21) above). We can thus attribute the infelicity of both A2 and A3 to the infelicity of their cleft clauses, whose form is in turn governed by the question. This contrast between full and truncated clefts suggests a potential argument against treating the truncated clefts as derived from full clefts by deletion, as suggested by Declerck (1988: 241).

5.

Alternative analyses of truncated clefts

We have seen above that the specificational analysis of truncated clefts is fairly successful in accounting for their properties, though several questions remain unanswered. In this section, I consider two alternative analyses proposed in the literature: Ward et al.’s proposal that truncated clefts are equative and Büring’s expletive analysis. 5.1

Truncated clefts as equatives

Ward et al. (2003) and Birner et al. (2005) (henceforth BKW) propose that sentences like (61) are equative clauses with a demonstrative subject.9 (61)

That’s Beverly.

BKW argue that there are two possible interpretations for (61). In one, that is deictic and (61) equates the referent of that with the referent of Beverly. This deictic reading is available when (61) is used with no prior linguistic context, but a referent for that is available in the non-linguistic context. This use may be accompanied by a pointing gesture. When (61) is used as the answer to a question, say Who is the best pie-maker?, a second reading arises, which BKW identify as the truncated cleft reading. The question makes –––––––—–– 9

There are a number of earlier proposals to the effect that truncated clefts are equatives and that it or that is chosen over she, he, etc. when i) the number and gender of the subject referent is not clear, ii) the referent of the subject is unknown or unmentioned, or iii) the referent is “presented in dim outline.” Declerck (1988: 210-215) provides a useful review of these analyses and shows convincingly that they all fail to account for the full range and use of truncated clefts.

Line Mikkelsen

64

salient an open proposition (in the sense of Prince 1986), and that refers to the variable of the open proposition. In the present example, the question makes salient the open proposition THE BEST PIE-MAKER IS X, and that refers to the variable X. Given an equative semantics for the copula, this results in the interpretation that the best pie-maker is identical to Beverly. Notice that at the sentence level this is indistinguishable from the meaning assigned by the specificational analysis, namely that Beverly has the property of being the best pie-maker. The two analyses differ in the meanings assigned to the pieces of the clause, in particular to the subject demonstrative, which is referential for BKW, but property-denoting under the specificational analysis. For an example like (61), the equative analysis entails that that is referentially linked to a human individual, either directly (the deictic reading) or indirectly via the variable of the open proposition (the truncated cleft reading). However, and this is my main criticism of the equative analysis, outside the context of truncated clefts that cannot be used in either of these ways. Consider first the deictic reading. (62) shows that that cannot be used felicitously with deictic reference to a human, and when the predicate selects for a human-denoting argument, as in (63), that gives rise to ungrammaticality. (62) (63)

[Pointing to a person speeding by on the sidewalk] #That is moving very fast. [Pointing to a person leaving a voting booth] *That probably voted for Harper.

Similarly, if it were possible for that to be referentially related to a person via the variable of a salient open proposition (OP), we would expect the examples in (64) and (65) to be well-formed, contrary to fact.10 (64)

Q: Who did you give the keys to? A:#I gave the keys to that/it.

(65)

Q: I wonder who voted for Harper. A:*That voted for Harper.

[OP: YOU GAVE THE KEYS TO X]

[OP: X VOTED FOR HARPER]

On the other hand, my claim that that denotes a salient property is not without problems either. As pointed out to me by Gregory Ward and Betty Birner, there are examples where it is not possible to get a property-anaphoric reading for that, despite the existence of a contexually salient property. For instance, it is not possible for that to refer to the property of being tall in (66) even when this is arguably contextually salient: (66)

[Context: An extremely tall guy enters the kitchen and takes down several objects from a very high shelf] A: #I wish I was that.

–––––––—–– 10

One could question this criticism on the grounds that in the answers in (64) and (65), unlike in truncated clefts, that is not equated with anything and hence the variable in the OP remains uninstantiated. If this were the source of the impossibility of these answers, one would expect Someone voted for Harper and Whoever voted for Harper voted for Harper to be equally infelicitous in (65), but these seem merely uninformative, whereas the answer in (65) is downright ungrammatical.

Truncated clefts

65

To achieve property-anaphoric reference here, like that must be used. I don’t currently understand why. There are two ways to interpret this set of observations: reference to humans by that and it is impossible, though they can denote properties, and when they occur as the subject of truncated clefts they denote (contextually salient) properties. Other factors make propertyanaphoric use of that impossible in (66). Alternatively, one could conclude (with MacClaren 1982: 99 and BKW) that it is generally impossible for that (and it) to denote humans, but that this ban is loosened exactly in the subject position of truncated clefts. The question that immediately arises is what singles out this position. In the absence of an answer to that question, the first position seems more attractive.11 Regarding the restrictions on truncated clefts reviewed in section 2 above, the equative analysis can account for most of these. The issue of restricting the subject position to it and that doesn’t really arise in so far as truncated clefts are classed with equatives, which allow gendered pronouns. The semantic and pragmatic differences between the two kinds of equatives could be accounted for by saying that non-neuter pronouns cannot refer to the variable of an open proposition. The restriction to the copula follows from the semantics of equatives; seem cannot combine two referential elements (cf. *She seems Beverly; *Cicero seems Tully). The restrictions on the post-copular element likewise follow from the semantics of equatives: both arguments of the copula must be referential (or more generally, of the same type; see footnote 6). The fact that truncated clefts cannot be inverted is more difficult for the equative analysis, as other equative clauses can be inverted, including ones like (62) which involve one pronominal and one non-pronominal DP: (61)

a. Cicero is Tully. b. Tully is Cicero.

(62)

a. SHE is Beverly. b. Beverly is HER.

Finally, Birner et al. (2005: 18) suggest that full clefts are infelicitous as answers to Who is that? (see (58)) because the cleft clause is redundant. –––––––—–– 11

The example in (i) (from Cold Case 1/26/05 and related to me by Gregory Ward) indicates that there is at least one other environment where human-denoting that is possible, namely in the collocation anyone but that. (i) Scotty: You are the goods, Nicky. Nick: But what you can’t do ... is Ruth’s sister. You know what I mean. Scotty: What do you think? What are you talkin’ about? Nick: Scotty, serious. Anyone but that. In this example, that seems to refer to a human, namely Ruth’s sister. Note that that is not in subject position; if we undo the ellipsis we are left with (something like) you can do anyone but that, where that is part of the direct object. It might be relevant that the same speaker uses what in the pseudo-cleft in his earlier remark (what you can’t do ... is Ruth’s sister), since this is barred in some (more conservative?) dialects when the complement denotes a human. It doesn’t seem sensible to claim a property-denotation for that in (i), nor that that refers to a non-human entity, so I would have to allow for human-denoting that in at least this context.

Line Mikkelsen

66 5.2

Büring’s expletive analysis

Büring (1998: 44-46) argues that the subject of a truncated cleft is an expletive and that the post-copular DP is the logical subject (positioned in Spec-VP). The meaning of the “missing” cleft clause is attributed to a null proform which occupies the position occupied by the cleft clause in full clefts and is interpreted as a definite description. The null proform finds its antecedent in either the linguistic or non-linguistic context and the copula equates it with the overt post-copular element. This is similar to BKW’s equative analysis, except that i) the second individual is contributed by a null proform and not by the subject pronoun, and ii) the anaphoric element finds its referent directly and not via an open proposition. Büring’s analysis can account for most of the restrictions on truncated clefts: The restriction to the copula follows from the semantics of equatives, as does the requirement that the overt post-copular element be a referential DP (see Büring’s paper for details). Büring’s analysis provides a particularly clear account of why truncated clefts cannot be inverted: if it is an expletive, we do not expect to find it outside subject position (though see Postal and Pullum 1988). The restriction to neuter subjects is also straightforwardly explained, since non-neuter pronouns cannot be used as expletives. However, as (63) and (64) show, that also does not occur as an expletive (Hedberg 2000: 892), which means that the expletive analysis cannot straightforwardly be extended to truncated clefts introduced by that, as Büring acknowledges (p. 52). (63) (64)

*That seems that they are late. (cf. It seems that they are late.) *That snowed yesterday. (cf. It snowed yesterday.)

Given the parallel behaviour of truncated clefts with it as subject and those with that, I take this to be a shortcoming of the expletive analysis. Moreover, other things being equal, an analysis that does not posit a null proform is preferable to one that does.

6.

Conclusion

In this paper, I have grappled with the question of where truncated clefts belong in the general taxonomy of copular clauses. Building on earlier proposals, I examined the possibility that truncated clefts are specificational clauses with pronominal subjects, adopting the type-theoretical characterization of specificational clauses from Mikkelsen (2005). I found that the specificational analysis is fairly successful in accounting for the distinctive properties of truncated clefts, though some puzzles remain (including why the post-copular phrase cannot be a quantificational DP and why truncated clefts do not invert). I contrasted the specificational analysis with two other proposals from the literature: the equative analysis of BKW and the expletive analysis of Büring (1998). While each of these can also account for most of the properties of truncated clefts (in some cases better than the specificational analysis), they each face some problems that the specificational analysis avoids. One of the central assumptions of BKW’s equative analysis

Truncated clefts

67

is that that can denote a human individual (either directly or via the variable of a truncated cleft), but I have given data that show that this is generally not possible, leaving this key assumption of the equative analysis unsupported. Moreover, BKW deal only with half of the puzzle, in so far as they do not analyze truncated clefts introduced by it. One of the drawbacks of the expletive analysis is that it relies on a null proform, and it is somewhat unclear what restricts the distribution of this proform. Moreover, the expletive analysis also only deals with half of the puzzle, in so far as it does not generalize to truncated clefts introduced by that. One could envision a hybrid analysis which analyzes That is DP as a demonstrative equative (following BKW) and It is DP as an expletive construction (following Büring 1998), thereby covering the full empirical range. How such a hybrid equative-expletive analysis would compare to the uniform specificational analysis suggested above, would depend, among other things, on how convinced one is by Hedberg’s (2000) argument that the two differ only in the slightly different pragmatic requirements imposed by it and that.

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Olav Mueller-Reichau

Die Topik-NP eines spezifizierenden Satzes als Artterm1

1.

Überblick – der besondere Status der Topik-NP eines spezifizierenden Satzes

Der Vorschlag, den ich in diesem Beitrag unterbreiten möchte, kann wie folgt zusammengefasst werden: Im Gegensatz zu Mikkelsen (2004) und Geist (2004), die die Topik-NP eines spezifizierenden Kopulasatzes als prädikative Nominalphrase analysieren, betrachte ich sie als referentiellen Ausdruck. Seine „Besonderheit“ besteht darin, dass sie nicht auf eine Entität der ontologischen Sorte Objekt referiert, sondern auf eine Entität der ontologischen Sorte Art. Während für Geist und Mikkelsen die NP der Mörder in einem spezifizierenden Satz wie (1a) also vom semantischen Typ ist, ist dieser Ausdruck für mich vom semantischen Typ , genauer gesagt: (wobei k für „kind“ steht). (1)

a. Der Mörder ist Raskolnikov. b. Ein Mörder ist Raskolnikov.

Obwohl streng genommen auch solche Sätze, die wie (1b) mit einer indefiniten NP beginnen, zu den spezifizierenden Sätzen gezählt werden sollten, werde ich sie in diesem Beitrag unberücksichtigt lassen. Die hier diskutierten spezifizierenden Sätze bestehen strukturell betrachtet also aus einer definiten deskriptiven NP, gefolgt von der sein-Kopula und einem objektreferierenden Ausdruck (typischerweise einem Eigennamen). Es ist umstritten, ob es sich bei der initialen definiten NP um das syntaktische Subjekt des Satzes handelt. Unumstritten ist jedoch, dass diese NP die Information über das Topik des Satzes liefert. Ich spreche deswegen hier und im Folgenden von der „Topik-NP“. Man könnte die kommunikative Funktion eines spezifizierenden Satzes so beschreiben, dass er von einem Sprecher geäußert wird, um den Hörer über die Identität des Inhabers eines bestimmten, durch die Topik-NP ausgedrückten exklusiven Status zu informieren. Diesem besonderen Status entspricht grob gesagt jeweils eine bestimmte soziale, berufliche oder gesellschaftliche Rolle. Typische Beispiele wären etwa: Bürgermeister (einer bestimmten Stadt), Präsident (einer bestimmten Organisation), Papst, einflussreichster Architekt des 20. Jahrhunderts, Gewinner (eines konkreten Wettbewerbs), Träger des gelben Trikots (bei einer bestimmten Etappe der Tour de France), Dirigent (eines bestimmten Orchesters), Mörder, Opfer oder einziger Zeuge (eines bestimmten Mordfalls), bester Freund –––––––—–– 1

Die, denen mein Dank gilt, {das/ ?die} sind Ljudmila Geist, Dejan Matić und Björn Rothstein sowie Petr Biskup, Andreas Bulk, Diana Forker, Fabian Heck, Antje Lahne, Ingolf Max, Andrew McIntyre, Nicole Richter, Anita Steube und Christina Unger. Für verbleibende Fehler bin ich alleine verantwortlich.

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Olav Mueller-Reichau

(einer bestimmten Person), diensthabende Krankenschwester (in einem bestimmten Krankenhaus), Hauptschauspielerin (in einem bestimmten Film), Besitzer (eines bestimmten Dings) oder Autor (eines bestimmten Buches). Mikkelsen (2002, 2004) beobachtet, dass – im Gegensatz zu prädizierenden Sätzen – im Question Tag eines englischen spezifizierenden Satzes das Pronomen it erscheint. Sie wertet dies als Evidenz dafür, dass die Topik-NP dieser Sätze einen nicht-referentiellen semantischen Status hat (semantischer Typ ). (2a) zeigt einen spezifizierenden Satz, (2b) zeigt einen prädizierenden Satz: (2)

a. The lead actress in that movie is Ingrid Bergman, isn’t it? b. The lead actress in that movie is Swedish, isn’t {she/*it}?

Das Pronomen she ist im Question Tag von (2a) mitnichten ausgeschlossen. Nach Mikkelsen (2002, 2004) erzwingt es allerdings eine identifizierende Interpretation: [W]ithout the tag (2a) is ambiguous between a specificational reading and an equative reading (due to the possibility of either a predicative or referential interpetation of the definite description). The specificational reading, which is the more neutral one, is forced by using it in the tag, whereas the equative reading is forced by using she in the tag. (Mikkelsen 2004: 107 [Nummerierung angepasst])

Der Question Tag Test lässt sich nicht auf das Deutsche anwenden. Dennoch kann dasselbe Muster anhand von Pronominalisierungen in größeren Texteinheiten sichtbar gemacht werden, vgl. das folgende Beispiel von Geist (2004: 57). (3b) zeigt den relevanten spezifizierenden Satz. (3d) zeigt, dass anaphorischer Zugriff auf die Topik-NP dieses Satzes, der Mörder, besser mittels eines neutralen Pronomens geschieht: (3)

a. b. c. d.

Wer war der Mörder? Der Mörderi war Raskolnikov. Nein, das glaube ich nicht. Doch, es/#eri war wirklich Raskolnikov.

Vorsichtig folgert Geist: „Dies dürfte ein Hinweis darauf sein, dass die NP1 kein Argument, sondern eher ein Prädikat ist“. Vorsicht ist angebracht angesichts der Tatsache, dass eine adäquate Verwendung der definiten NP die Existenz eines konkreten Mörders zur Voraussetzung hat: Da NP1 eine Existenzpräsupposition enthält, kann sie nicht als eine prädikative NP analog zu Lehrer in Er ist Lehrer analysiert werden, weil solche genuin prädikativen NPs keine Existenz von Referenten präsupponieren. (Geist 2004: 58)

Wie kann es sein, dass ein nicht-referentieller Ausdruck die Existenz eines Referenten voraussetzt? Als Lösung des Problems schlägt Geist vor, Topik-NPn spezifizierender Sätze in besonderer Weise syntaktisch zu klassifizieren, nämlich als „IdentDPs“. IdentDPn unterscheiden sich als abgeleitete Ausdrücke vom semantischen Typ von nicht-abgeleiteten Ausdrücken desselben semantischen Typs (die Geist „NPs“ nennt) dahingehend, dass sie im Zuge ihrer syntaktischen Derivation ein referentielles Stadium als Argument-DP

Die Topik-NP eines spezifizierenden Satzes als Artterm

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(semantischer Typ ) durchlaufen. Das also soll den besonderen Status von Ausdrücken wie der Mörder in (3b) erklären: Die IdentDP impliziert die Existenz eines Referenten, weil die Vorstufe von IdentDP eine referenziell abgeschlossene DP ist. [...] Da aber die IdentDP als Ganzes ein Prädikat ist, ist sie kein geeignetes Antezedens für ein Personalpronomen. (Geist 2004: 60)

Im Deutschen manifestiert sich die Asymmetrie im linguistischen Verhalten, um die es hier geht, darüber hinaus im Falle von sog. linksversetzten Nominalphrasen, vgl. die folgenden Beispiele aus Altmann (1981). Wird die Topik-NP eines spezifizierenden Satzes linksversetzt (4b und 4d), so muss die pronominale Wiederaufnahme offenbar mittels das erfolgen: 2,3 (4)

a. b. c. d.

Rosemarie Ackermann, {?das/die} ist die Favoritin im Hochsprung. Die Favoritin im Hochsprung, {das/?die} ist Rosemarie Ackermann. Karl Krause, {?das/der} ist der Liebhaber von Auguste. Der Liebhaber von Auguste, {das/?der} ist Karl Krause.

Die Beispiele legen folgenden Zusammenhang nahe: Semantisch lassen sich die Prädikationen in (4) sowohl identifizierend als auch spezifizierend verstehen. Wenn der Eigenname initial erscheint, ist die identifizierende Interpretation nahegelegt. Erscheint er final, die spezifizierende. Durch die Wahl des Pronomens erfolgt eine Festlegung auf eine der zwei möglichen Interpretationen, wobei das neutrale Pronomen die spezifizierende Interpretation auslöst. Aus theoretischer Sicht hat Geist’s Annahme einer IdentDP den unschönen Effekt, dass so eine zusätzliche syntaktisch-semantische Kategorisierung für Nominalphrasen eingeführt wird – zusätzlich zu Partee’s (1987) prädikativen, referentiellen und quantifizierten Nominalphrasen. Theoretisch wünschenswert ist eine möglichst geringe Zahl an Bedeutungsformaten, mit denen eine einzelne Form assoziiert ist. Im Idealfall korrespondiert eine einzelne Form mit einem einzelnen semantischen Typen. Ich möchte dieser Lösung deswegen eine eigene entgegensetzen, die ohne eine neue syntaktisch-semantische Kategorisierung eines Artikel-Nomen-Syntagmas auskommt und stattdessen die beobachteten Besonderheiten der Topik-NPn spezifizierender Sätze aus allgemeinen, unabhängig begründeten Prinzipien herleitet.4 –––––––—–– 2

3

4

Die Einschätzung, ob ein Pronomen im gegebenen Satz gut, schlecht oder unmöglich ist, ist nicht immer eindeutig. Anders als Altmann, dessen Beurteilung hier wiedergegeben ist, halte ich die Varianten mit das in (4a) und (4c) für völlig akzeptabel. Dieses Muster ist nicht nur auf definite NPn beschränkt (vgl. Altmann 1981: 246): (i) Karl Krause, {?das/der} ist ein Liebhaber von Auguste. (ii) Ein Liebhaber von Auguste, {das/?der} ist Karl Krause. (iii) Raskolnikov ein Mörder? Das glaube ich nicht. - Doch, Raskolnikov ist {es/*er} wirklich. Mit Geist’s Idee, einen koverten Typeshifter zu postulieren, der aus (referentiellen) DPn, sobald sie in syntaktischen Prädikatpositionen erscheinen, (nicht-referentielle) IdentDPn macht, scheint mir auch ein konzeptuelles Problem verbunden zu sein. Sehen wir uns an, unter welchen Bedingungen dieser Typeshifter zur Anwendung kommt. Geist’s Operator wird aktiviert, wenn ein bestimmter Ausdruckstyp in einer Prädikatposition erscheint. Syntaktisch muss es sich bei diesem Ausdruck um ein Syntagma aus overtem Artikel und Nomen, d.h. um eine DP, handeln und se-

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Eines dieser „allgemeinen Prinzipien“ ist die Annahme, dass referierende Ausdrücke ihre Referenten grundsätzlich sowohl in der Objektdomäne als auch in der Artdomäne bestimmen können. Diese Annahme kann als unumstritten gelten (u.a. Carlson 1977, Krifka et al. 1995, Dayal 2004). So kann sich auch eine definite NP wie z.B. der Mörder zum einen auf eine Art (auf einen Typ), zum anderen auf ein Objekt (auf ein Token) beziehen. In Abschnitt 2 werde ich in aller gebotenen Kürze auf die systematische Unterscheidung zwischen Arten und Objekten als Referenten sprachlicher Ausdrücke eingehen. Erst vor dem Hintergrund dieser ontologischen Unterscheidung ist das zweite „allgemeine Prinzip“ zu verstehen, auf das ich den besonderen referentiell-semantischen Charakter der Topik-NP eines spezifizierenden Satzes zurückführen möchte. Dabei handelt es sich um den semantischen Effekt, der sich einstellt, wenn artreferierende Ausdrücke syntaktisch in Argumentpositionen von Objektprädikaten erscheinen. Dann nämlich muss der Interpret, damit die semantische Komposition gelingt, von der Existenz der denotierten Art auf die Existenz von Instanzen (=Objekten) der Art schließen. Dieser Prozess, der mit Chierchia (1998) „abgeleitete Artprädikation“ genannt werden kann, ist meines Erachtens entscheidend für das Verständnis spezifizierender Sätze. Ihm ist Abschnitt 3 gewidmet. In Abschnitt 4 werde ich mich genauer mit den syntaktischen und semantischen Gründen auseinandersetzen, die den Schritt motivieren, spezifizierende Sätze als eigenen Kopulasatztyp in der linguistischen Beschreibung anzusetzen. In Abschnitt 5 werde ich dann vorführen, wie der Mechanismus der abgeleiteten Artprädikation als zentraler Bestandteil der Bedeutungskomposition spezifizierender Sätze im Rahmen der DRT formalisiert werden kann. Ich werde dabei für eine artbasierte Analyse argumentieren, d.h. für eine Analyse, die davon ausgeht, dass die Artdomäne die primäre ontologische Domäne darstellt, relativ zu der sprachliche Ausdrücke denotieren. Abschnitt 6 beschließt diesen Beitrag mit einer allgemeinen Bemerkung über die Möglichkeit der Einschränkung des Geltungsbereichs einer Art.

–––––––—–– mantisch muss es sich um einen referentiellen bzw. existenzquantifizierten Ausdruck handeln. Letztere semantische Bedingung ist notwendig, um die ansonsten automatische Anwendung des Operators auf Ausdrücke wie eine Heldin in prädikativen Sätzen wie Sie ist eine Heldin zu verhindern. Geist schließt sich also der (verbreiteten) Ansicht an, dass ein overter Artikel unter bestimmten Umständen „semantisch leer läuft“ (Geist 2004: 32). Zu einem Problem wird das, weil diese „bestimmten Umstände“ genau dieselben sind, unter denen auch der Geistsche Typeshifter zur Anwendung kommen soll. Es gibt folglich zwei Möglichkeiten, wie ein Artikel-Nomen-Syntagma in -Position interpretiert werden kann. Entweder der Artikel läuft semantisch leer, so dass seine kanonische Funktion, Prädikate auf Terme bzw. Quantoren abzubilden, außer Kraft gesetzt ist. Was wie eine DP aussieht, ist in diesen Fällen in Wirklichkeit eine NP. Oder aber der Artikel entfaltet seine Bedeutung, was zu einer regulären DP in Prädikatposition führt, was dann sogleich den „unsichtbaren Reparaturdienst“ (Dölling 1999) aktiviert, der sie in eine prädikative IdentDP überführt. Die zweite Möglichkeit kann also nur realisiert werden, wenn die erste nicht realisiert wird. Was aber, frage ich mich, verhindert, dass die erste realisiert wird?

Die Topik-NP eines spezifizierenden Satzes als Artterm

2.

73

Art- versus Objektbezug

Es steht außer Frage, dass es artreferierende und objektreferierende Nominalphrasen gibt. Während sich das Subjekt von (5b) auf ein konkretes Exemplar der Art ‚Säbelzahntiger‘, d.h. auf ein Objekt, bezieht, bezieht sich das Subjekt von (5a) auf die Art ‚Säbelzahntiger‘ selbst: (5)

a. Der Säbelzahntiger ist ausgestorben. b. Der Säbelzahntiger ist gestorben.

Diese Tatsache zwingt jede vollständige Semantiktheorie dazu, neben der Domäne der „gewöhnlichen Individuen“ (=Objekte) eine Artdomäne in die Ontologie aufzunehmen. Dabei stellt man sich Objekte als reale, d.h. konkret in Raum und Zeit existierende Entitäten vor, während Arten als abstrakte Konzepte angesehen werden, die von Objekten realisiert (=instantiiert) werden können (vgl. Krifka 1995). Es stellt sich sodann die Frage, welcher morphosyntaktische Nominalphrasentyp einer gegebenen Sprache – wir betrachten hier Deutsch – sich auf welche Sorte Entitäten beziehen kann. Die gegenwärtige Standardauffassung (vgl. Krifka et al. 1995, Cohen 2002) lässt sich wie folgt zusammenfassen: Definite NPn können sowohl auf Arten als auch auf Objekte referieren (vgl. 5). Indefinite NPn können ihr Denotat innerhalb der Objektdomäne bestimmen (6b), daneben ist jedoch auch Artreferenz möglich – allerdings nur auf Unterarten, nicht auf die „Art selbst“. Dies illustriert Satz (6a), der so verstanden werden muss, dass eine Unterart der Art ‚Säbelzahntiger‘ ausgestorben ist:5 (6)

a. Ein Säbelzahntiger ist ausgestorben. b. Ein Säbelzahntiger ist gestorben.

Was artikellose Plural-NPn (bare plurals) angeht, so streiten sich die Forscher. Die einen (z.B. Krifka 2004) sind der Meinung, dass Bare Plurals ambig sind: mal beziehen sie sich wie indefinite NPn auf Objekte, mal referieren sie auf eine Art. Die anderen (z.B. Chierchia 1998) schließen sich Carlson’s (1977) Position an, wonach Bare Plurals ausnahmslos6 als Artterme zu behandeln sind. Für Vertreter der Ambiguitätsthese denotiert das Subjekt in (7a) die Art ‚Säbelzahntiger‘, während das in (7b) eine Objektvariable in den Diskurs einführt, die auf der Textebene existentiell gebunden wird: (7)

a. Säbelzahntiger sind ausgestorben. b. Säbelzahntiger sind gestorben.

–––––––—–– 5

6

Dayal (2004) behauptet, dass sich eine indefinite NP entgegen der Standardauffassung nicht nur auf Unterarten, sondern auch auf die durch das Kopfnomen genannte Oberart beziehen kann. In Mueller-Reichau (2006) liefere ich Argumente, die diese Position unterstützen: dass ein Säbelzahntiger in (6a) nur die Unterartlesart aktualisiert, erweist sich als ein Effekt der semantischen Komposition mit dem spezifischen Artprädikat aussterben. Nicht ganz: in bestimmter Weise modifizierte Bare Plurals wie parts of that machine oder books she lost yesterday werden nicht als Artterme gewertet (vgl. Carlson 1977: 316-325).

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Olav Mueller-Reichau

Für Vertreter der Carlsonschen Position hingegen denotiert das Subjekt in beiden Fällen die Art ‚Säbelzahntiger‘. Für die offenkundig existentielle Interpretation des Subjekts in (7b) werden die speziellen semantischen Anforderungen des Objektprädikats (hier: sind gestorben) verantwortlich gemacht. Die Idee ist, dass diese Anforderungen eine Anpassung des Bedeutungsformats des von Hause aus artreferierenden Subjekts erzwingen – erst ein solcher Anpassungsmechanismus ermöglicht die erfolgreiche semantische Komposition von Subjekt und Prädikat. Dies führt zu dem Effekt, dass die Bedeutung des Satzes in toto die Existenz von Säbelzahntiger-Objekten enthält, obwohl die Bedeutung der Subjekt-NP für sich betrachtet lediglich einer Art entspricht. Chierchia (1998) nennt Prädikationen, die diesen Effekt zeigen, „abgeleitete Artprädikationen“: die Eigenschaftszuweisung erfolgt an ein Objekt, das jedoch von der durch das Subjekt beigesteuerten Art erst abgeleitet werden muss.7

3.

Abgeleitete Artprädikation

Artterme, die sich syntaktisch mit episodischen Objektprädikaten verbinden, begegnen einem nicht nur als Bare Plurals. Auch Sätze mit definiten Subjekt-NPn können den Effekt der abgeleiteten Artprädikation zeigen, vgl. z.B. (8a): Obwohl die Bedeutung des Subjektausdrucks als Artterm von sich aus nicht die Existenz von realen Kartoffeln („KartoffelObjekten“) enthält, erzwingt die Interpretation dieses Ausdrucks im Satzzusammenhang, dass es im 18. Jahrhundert eine oder mehr reale Kartoffeln gab. Entsprechendes gilt für die anderen Beispiele (vgl. Krifka et al. 1995: 12): (8)

a. Die Kartoffel erreichte Europa im 18. Jahrhundert. b. Der Mensch betrat den Mond im Jahre 1969. c. The rat was reaching Australia in 1770.

Warum sollten sich abgeleitete Artprädikationen mit definiten Subjekten auf verbale Prädikate beschränken? Ich behaupte, diese Konstellation tritt auch in Kopulasätzen auf. Die Klasse der spezifizierenden Sätze umfasst gerade solche Kopulasätze, deren definite TopikNP von einem Artterm gestellt wird, deren Prädikation sich jedoch auf eine Instanz der Art, d.h. auf ein Objekt, bezieht. Mit anderen Worten: die initialen NPn in (8) und (9) haben alle einen referentiellen Sonderstatus in dem Sinne, dass sie sich kraft ihrer hauseigenen Semantik zwar ausschließlich auf eine Art beziehen, jedoch im Satzzusammenhang, d.h. im Kontext der jeweiligen Objektprädikation, mit Objektbezug interpretiert werden. (9)

a. b. c. d.

The lead actress is Ingrid Bergman. Die diensthabende Krankenschwester ist heute Rina. And the winner is... Mary! Der Mörder ist Raskolnikov.

–––––––—–– 7

Präziser wäre es, in diesem Zusammenhang von „abgeleiteter Objektprädikation“ zu sprechen. Ich werde mich im Folgenden aber an Chierchia’s Terminologie halten.

Die Topik-NP eines spezifizierenden Satzes als Artterm

75

In spezifizierenden Sätzen denotiert die NP vor der Kopula demnach eine Art, die NP nach der Kopula denotiert ein Objekt und der Satz im Ganzen wird vom Sprecher geäußert, um den Objektreferenten der Postkopula-NP als Instanz des Artreferenten der Präkopula-NP zu identifizieren. Neben ihrer Definitheit sind Artterme, die sich als Topik-NPn eines spezifizierenden Satzes eignen, noch durch ein weiteres Charakteristikum gekennzeichnet. Und zwar müssen sie mit einer Einer-Instanzenmenge assoziiert sein.8 Mit anderen Worten, bei der bezeichneten Art muss es sich um ein funktionales Konzept handeln (vgl. Löbner 1985). Die Funktionalität eines nominalen Konzepts kann semantisch begründet (einziger Zeuge, Papst, lead actress ...) oder pragmatisch/kontextuell bedingt sein, wie in den Beispielen (9b-d). Ist die Beschränkung auf eine Einermenge pragmatischer Natur, so kann sie getilgt werden, vergleiche den folgenden Dialog zwischen Dr. Watson und Sherlock Holmes: (10)

a. b. c. d.

Wer ist denn nun der Mörder? Der Butler oder der Gärtner? Was denken Sie, Watson? Hm, ich denke, dass es der Butler ist. Nein, mein Lieber, der Mörder sind in diesem Fall der Butler UND der Gärtner.

Ich betrachte die Topik-NP eines spezifizierenden Satzes also als einen Artterm, der mit einer Einer-Instanzenmenge assoziiert ist. Dieser Artterm verbindet sich syntaktisch mit einem Objektprädikat, das im typischen Fall aus der Kopula und einem Eigennamen besteht. Das Objektprädikat weist die Eigenschaft zu, mit dem Träger des Eigennamens identisch zu sein. Da die Eigenschaftszuweisung an ein Objekt erfolgt, die Topik-NP jedoch lediglich eine Art bezeichnet, entsteht ein semantisches Missverhältnis, das jedoch durch den Mechanismus der abgeleiteten Artprädikation aufgelöst werden kann. Im Ergebnis steht dann der spezifizierende Satz, der ein Objektindividuum (z.B. Raskolnikov) als die eine Instanz einer auf eine Einer-Instanzenmenge beschränkten Art (z.B. ‚Mörder‘) ausweist.9 Bevor ich in Abschnitt 5 eine Formalisierung vorstelle, soll diskutiert werden, wie der von mir unterbreitete Vorschlag die Empirie erfasst.

4.

Wie die vorgeschlagene Analyse die Daten erklärt

Wir hatten gesehen, dass sich die Topik-NP eines spezifizierenden Satzes durch zwei scheinbar widersprüchliche Eigenschaften auszeichnet. Einerseits muss die pronominale Wiederaufnahme durch das neutrale Pronomen erfolgen, was Nicht-Referentialität nahe–––––––—–– 8 9

Ich ignoriere der Einfachheit halber spezifizierende Sätze wie Die Gewinner sind Hans und Peter, deren Topik-NPn natürlich nicht auf eine Einer-Instanzenmenge beschränkt sind (s.a. Fußnote 1). Hier wird deutlich, dass sich meine Artkonzeption von anderen wie der Chierchia’s (1998) unterscheidet: Chierchia lässt Konzepte, die mit Einer-Instanzenmengen korrespondieren, nicht als Arten gelten (vgl. Chierchia 1998: 350). Im Gegensatz zu Carlson (1977), der mit Einermengen assoziierte Arten zulässt. So belegt Carlson (1977: 457) die artbezogene Lesart der NP the president mit folgendem Beispiel: Five times since the turn of the century, the president has been assassinated by a disgruntled job-seeker.

76

Olav Mueller-Reichau

legt. Andererseits impliziert die Interpretation der Topik-NP die Existenz eines Referenten, was, ganz im Gegenteil, für Referentialität spricht. Dieser unklare referentielle Status führt Geist zu der Annahme, es mit Ausdrücken einer eigenen, quasi-zwittrigen syntaktischen Kategorie, IdentDP, zu tun zu haben. Mein Gegenvorschlag besagt, dass die Topik-NP eines spezifizierenden Satzes als Artterm lediglich einen Artdiskursreferenten in die semantische Repräsentationsstruktur einführt. Die Topik-NP ist somit referentiell in dem Sinne, dass sie auf eine Art referiert. Sie ist jedoch nicht-referentiell in dem Sinne, dass sie auf kein Objekt referiert. Kann dieser Vorschlag erklären, warum das neutrale Pronomen gewählt werden muss? Und wie erklärt sich im Lichte dieses Vorschlags die beobachtete Existenzpräsupposition? 4.1.

Pronominale Wiederaufnahme

Wenden wir uns zunächst dem Problem der pronominalen Wiederaufnahme zu. Zunächst möchte ich grundsätzlich feststellen, dass die Möglichkeit oder Unmöglichkeit des anaphorischen Bezugs auf eine bestimmte NP mit einem bestimmten Pronomen häufig genug nicht eindeutig beurteilt werden kann – vergleiche in diesem Zusammenhang Fußnote 2. Man sollte mit Generalisierungen, die auf solcher Art Evidenz beruhen, also vorsichtig sein. Beispielsweise gilt es gemeinhin als ausgemacht, dass pronominale Bezugnahme auf die Postkopula-NP in sog. prädikativen Sätzen unmöglich ist. Damit wird dann begründet, dass die betreffenden NPn nicht-referentiell sind: (11)

a. Angela ist ein Staatschef. {Sie/*er} ist sehr mächtig. b. Peter ist ein Genie. {Er/*es} kann rückwärts sprechen.

Es gibt jedoch Gegenbeispiele, die diese vermeintliche Tatsache in Frage stellen: (12)

a. Dieser Baum ist eine Ulme. Sie ist sehr hoch.10 b. Leipzig ist zur Zeit eine Riesenbaustelle. Sie ist sehr unübersichtlich.

Meine zweite Bemerkung betrifft die Situation im Englischen. Gemäß dem von mir unterbreiteten Vorschlag macht die Wahl des Pronomens im Question Tag von Sätzen wie (2) sichtbar (hörbar), ob sich die Topik-NP auf ein Objekt oder auf eine Art bezieht. Im ersteren Fall wird (s)he, im letzteren Fall wird it gewählt. Nun könnte man meinen, dass ich damit voraussage, dass pronominale Artreferenz im Englischen grundsätzlich mittels des neutralen Pronomens erfolgt. Doch das ist offenkundig nicht der Fall: (13)

a. My purpose is principally to outline some of the characteristics of the Indian as {he/*it} has been created by Europeans, and not to consider the lives of real Natives. b. Five times since the turn of the century, the president has been assassinated by a disgruntled job-seeker and every time, {he/*it} survived.

–––––––—–– 10

Dieses Beispiel stammt von Elisabeth Löbel (p.c.).

Die Topik-NP eines spezifizierenden Satzes als Artterm

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Auf den ersten Blick scheint dies meiner Analyse zuwider zu laufen. Bei näherer Hinsicht erweist sich die Beobachtung, dass sich (s)he aus einem Question Tag heraus nicht auf Arten beziehen kann, jedoch als Teil eines allgemeineren, nicht nur auf spezifizierende Sätze beschränkten Musters: (14)

a. b. c. d.

?

The Neanderthal has died out, hasn’t he? The Neanderthal lived from about 130,000 to 30,000 years ago, didn’t he? The Neanderthal has died out. He lived from about 130,000 to 30,000 years ago. The Neanderthal has died out. They lived from about 130,000 to 30,000 years ago.

?

Anders als in einem Question Tag ist die pronominale Wiederaufnahme einer Art mittels (s)he in einem autonomen Nachfolgesatz akzeptabel. Allerdings bevorzugten meine Informanten die Variante mit dem Pronomen they, das nicht auf die Art, sondern auf die Menge der Instanzen der Art referiert. Vor diesem Hintergrund möchte ich klarstellen: meine Deutung des Datums in (2) impliziert nicht, dass pronominale Artreferenz im Englischen mittels it erfolgen muss. Ich behaupte lediglich, dass pronominale Referenz, die aus einem Question Tag heraus mittels (s)he erfolgt, auf Objektreferenz festgelegt ist. Letztere Beschränkung hat zur Folge, dass, wenn das Antezedens wie in spezifizierenden Sätzen eben kein Objekt ist, auch nicht (s)he gewählt werden kann. Das Deutsche verfügt über keine vergleichbare Question Tag Konstruktion. Zum Zwecke pronominaler Artreferenz muss stets das genuskongruente Pronomen gewählt werden. Dies sowohl in verbalen Sätzen (15) als auch in Kopulasätzen (16): (15)

a. Der Blauwal wurde durch den kommerziellen Walfang beinahe ausgerottet. Heute existiert {er/*es} nur noch in der Antarktis, in einer Zahl von 500 bis 1000 Exemplaren. b. Der typische Junggeselle lebt allein in einem möblierten Zimmer. {Er/*es} ernährt sich von Fertiggerichten. c. Ein Mörder muss nicht unbedingt ein niederes Motiv haben. {Er/*es} kann sehr wohl aus einem edlen Ideal heraus töten.

(16)

a. Der Blauwal ist ein Bartenwal. {Er/*es} ist sehr groß. b. Ein Junggeselle ist ein unverheirateter Mann. {Er/*es} ist einsam aber frei. c. Ein Mörder ist ein Mensch, der einen anderen Menschen vorsätzlich tötet. {Er/*es} ist sich seiner Tat also bewusst.

Bei Linksversetzungen ist allerdings ein überraschender Unterschied innerhalb der Klasse der Kopulasätze zu beobachten. Während die linksversetzte Konstituente im Falle der Kopulasätze (17a-c), genau wie bei Sätzen mit verbalen Prädikaten (17d-f), von einem genuskongruenten Pronomen aufgegriffen werden muss, kann im Falle der Kopulasätze in (18) auch das neutrale Pronomen gewählt werden. Wenn die linksversetzte NP indefinit ist, ist die neutrale Form sogar deutlich besser: (17)

a. b. c. d. e.

Der Blauwal, {der/*das} ist selten. Der typische Junggeselle, {der/*das} ist unordentlich. Ein Mörder, {der/*das} ist sich seiner Tat bewusst. Der Blauwal, {der/*das} wurde durch den kommerziellen Walfang beinahe ausgerottet. Der typische Junggeselle, {der/*das} lebt allein in einem möblierten Zimmer.

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Olav Mueller-Reichau

(18)

f. Ein Mörder, {der/*das} muss nicht unbedingt ein niederes Motiv haben. a. Der Blauwal, {der/das} ist ein Bartenwal. b. Der typische Junggeselle, {der/das} ist ein unverheirateter Mann, der alleine in einem möblierten Zimmer lebt. c. Ein Mörder, {*der/das} ist ein Täter, der unter Ausnützung der Wehr- und Arglosigkeit seines Opfers und mit niedrigen Motiven dessen gewaltsamen Tod herbeiführt. (Altmann 1981)

Dieses Datum zieht die Annahme in Zweifel, wonach anaphorische Referenz auf die TopikNP eines spezifizierenden Satzes durch ein neutrales Pronomen ein Indikator dafür ist, dass diese NP eine Eigenschaft denotiert, d.h. vom semantischen Typ ist. Rufen wir uns die relevanten Beispiele aus Abschnitt 1 nochmals in Erinnerung: (19)

a. ...der Mörder... Doch, es war wirklich Raskolnikov. b. Die Favoritin im Hochsprung, das ist Rosemarie Ackermann. c. Der Liebhaber von Auguste, das ist Karl Krause.

Mit (18) zeigt sich nun, dass anaphorische Referenz mittels eines neutralen Pronomens nicht nur auf spezifizierende Kopulasätze wie in (19) beschränkt ist. Wenn man aber aus (19) schließt, dass es sich bei den linksversetzten Konstituenten um Ausdrücke des semantischen Typs handeln muss, dann sollte man das auch für (18) tun. Das jedoch führt zu einem Problem. Denn wie soll die semantische Komposition funktionieren, wenn, unter der üblichen Annahme, dass die prädikativen NPn in (18) vom semantischen Typ sind, auch der jeweilige Argumentausdruck vom semantischen Typ ist? Die Beispiele (20) bis (22) belegen noch einmal, dass der Gebrauch des neutralen Pronomens nur für bestimmte Kopulasätze möglich ist und dass, wenn die linksversetzte Konstituente indefinit ist, das neutrale Pronomen sogar die einzige Option darstellt. Die Verwendung des neutralen Pronomens scheint sich auf solche Kopulasätze zu beschränken, deren Postkopula-NP syntaktisch vollausgebildet ist (d.h. einer „DP“ entspricht). (20)

a. Die Tomate, {die/*das} gehört zur Familie der Nachtschattengewächse. b. Die Tomate, {die/das} ist ein Nachtschattengewächs.

(21)

a. Eine Galapagos-Tomate, {die/*das} ist sehr kleinwüchsig. b. Eine Galapagos-Tomate, {?die/das} ist eine sehr kleinwüchsige Tomate.

(22)

a. Der Delphin, {der/*das} ist intelligent. b. Der Delphin, {der/das} ist ein intelligentes Tier.

Formulieren wir also eine vorläufige Hypothese: das neutrale Pronomen kann gewählt werden, wenn zwei explizit beim Namen genannte Arten über die Kopula zueinander in taxonomische Relation gesetzt werden. So wird z.B. in (22) die Art ‚Delphin‘ als Unterart der Art ‚intelligentes Tier‘ ausgewiesen. Dass das grammatische Prädikat eine syntaktisch vollausgebildete NP (DP) enthalten muss, damit das neutrale Pronomen erscheinen kann, illustriert nochmals (23). Dieses Beispiel belegt zudem, dass sich das Muster, das wir hier beobachten, nicht nur auf Linksversetzungen beschränkt:

Die Topik-NP eines spezifizierenden Satzes als Artterm (23)

79

Der Knurrhahn ist kein Hahn. {Er/Es} ist ein Fisch. {Er/*Es} ist sehr hässlich.

Es ist klar, dass spezifizierende Sätze wie in (19) von der oben formulierten vorläufigen Hypothese nicht erfasst werden. In diesen Fällen nennt die Postkopula-NP schließlich keine Art beim Namen, sondern ein Objektindividuum! In diesem Zusammenhang beachte man, dass das neutrale Pronomen auch in Identitätssatzstrukturen erscheinen kann. In vielen Fällen scheint es mir sogar die bessere Variante zu sein: (24)

a. Cicero, {der/das} ist Tullius. b. Der Morgenstern, {der/das} ist der Abendstern. c. Pippilotta Victualia, {die/das} ist Pippi Langstrumpf.

Unsere Hypothese muss also verallgemeinert werden, um auch spezifizierende Sätze und Identitätssätze erfassen zu können: Zwei-Entitäten-Hypothese: Man kann das neutrale Pronomen nur dann wählen, wenn zwei explizit beim Namen genannte Entitäten über die Kopula zueinander in Relation gesetzt werden. Entitäten können entweder durch volle NPn (DPn) oder durch Eigennamen „explizit beim Namen genannt“ werden.

Dabei kann die Kopula zwischen zwei Arttermen (25a), zwischen zwei Objekttermen (25b), zwischen einem Objektterm und einem Artterm (25c) oder zwischen einem Artterm und einem Objektterm (25d) erscheinen: (25)

a. Ein weißer Ritter, das ist ein Unternehmen, das ein von einer feindlichen Übernahme bedrohtes Unternehmen übernehmen will. b. Norma Jean Baker, das ist Marilyn Monroe. c. Nessy, das ist ein drei Meter langer Wels. d. Ein Verräter, das bin nicht ich, das bist du!

Wenn, wie im letzteren Fall, eine Art und ein Objekt in Beziehung gesetzt werden und die Art, anders als im letzteren Fall, semantisch oder pragmatisch auf eine Einer-Instanzenmenge beschränkt ist, dann hat man es mit einem spezifizierenden Satz zu tun: (26)

4.2.

Der Verräter, das bist du!

Existenzpräsupposition11

Dass ein spezifizierender Satz die Existenz eines Objekts, auf das die nominale Deskription der Topik-NP zutrifft, semantisch enthält, verrät uns nicht viel über den semantischen Status der Topik-NP. Diese Tatsache ist auch dann korrekt vorausgesagt, wenn man wie Mik–––––––—–– 11

Wenn hier von Existenzpräsupposition die Rede ist, dann ist immer eine Existenzpräsupposition hinsichtlich eines Objektindividuums gemeint. Ich nehme an, dass auch artbezogen interpretierte definite NPn die Existenz eines Individuums präsupponieren, allerdings nicht die Existenz eines Objektindividuums, sondern die eines Artindividuums. Dies wird in diesem Beitrag jedoch nicht weiter thematisiert.

80

Olav Mueller-Reichau

kelsen (2004, 2005) davon ausgeht, dass es sich bei der Topik-NP um einen nicht-referierenden Ausdruck handelt, oder wenn man wie ich davon ausgeht, dass es sich bei der Topik-NP um einen artreferierenden Ausdruck handelt. Wenn, wie Geist (2004: 57-58) betont, die Existenz eines Mörders offenbar präsupponiert ist, hat das dagegen wichtige Implikationen für die semantische Analyse. Für eine Existenzpräsupposition spricht, dass, intuitiv, auch die negierten Sätze in (27) die Existenz einer neuen Mitarbeiterin, eines Mörders bzw. eines Gewinners enthalten: (27)

a. Unsere neue Mitarbeiterin ist nicht Frau Schmidt. b. Der Mörder ist nicht Raskolnikov. c. Der Gewinner ist nicht Karpov.

(Geist 2004)

Nur wenn die definiten NPn in (27) jeweils eine Existenzpräsupposition tragen, können die Sätze die Existenz einer neuen Mitarbeiterin, eines Mörders bzw. eines Gewinners implizieren, obwohl die Wahrheit der beschriebenen Sachverhalte durch die Negation ja bestritten wird. Dies ist ein Problem für Mikkelsen: wie kann es sein, dass die Wahrheit von z.B. (27c) die Existenz eines Gewinners zur Voraussetzung hat, wenn der Gewinner gar nicht referiert? Dies ist genauso ein Problem für mich: wie kann ein Gewinnerobjekt präsupponiert sein, wenn der Gewinner gar nicht objektreferiert, sondern lediglich artreferiert? Wie in Abschnitt 1 gesehen löst Geist dieses Problem dadurch, dass sie eine neue, besondere syntaktische Kategorie, IdentDP, postuliert, die einerseits nicht-referierend ist, andererseits aber die Existenz eines Referenten impliziert. Ausgangspunkt des Präsuppositionsarguments ist also die Beobachtung, dass wir intuitiv geneigt sind, von der Wahrheit eines negierten Satzes wie (27c) auf die Wahrheit von Es existiert ein Gewinner zu schließen. Wenn mit der Negation in (27c) die Wahrheit des nicht-negierten Satzes bestritten wird, dann lässt sich diese Beobachtung nur so erklären, dass die NP der Gewinner mit einer Existenzpräsupposition assoziiert ist. Aber wie können wir sicher sein, dass unsere Intuition auch wirklich von dieser Funktion der Negation gespeist wird? Inhaltlich kann die Negation in (27c) im wesentlichen zu zwei Interpretationen Anlass geben. Zum einen kann der Hörer darüber informiert werden, dass die durch den nichtnegierten Satz ausgewiesene Identität des Gewinners nicht den Tatsachen entspricht. Im Kontext einer Korrektur führt das zu der prosodischen Realisierung in (28a). Zum anderen kann der Hörer darüber informiert werden, dass der durch den nicht-negierten Satz beschriebene Sachverhalt nicht den Tatsachen entspricht. Dies führt im Kontext einer Korrektur zu der Realisierung (28b): (28)

a. Der Gewinner ist nicht KARpov (..., sondern KasPArov). b. Der Gewinner ist NICHT Karpov.

Der Punkt ist nun folgender: Dass (27c) die Existenz eines Gewinnerobjekts impliziert, obwohl mit dem Prädikat lediglich zum Ausdruck gebracht wird, wer nicht Gewinner ist, stellt, wenn man wie in (28a) Karpov als den Fokus des Negationsworts betrachtet, gar kein Problem für meine Analyse dar. Der in Abschnitt 3 beschriebene und in Abschnitt 5 formalisierte Mechanismus der abgeleiteten Artprädikation, auf dem meine Analyse ja basiert, wird in diesem Fall trotz der Negation ausgelöst. Dadurch wird ein Objektdiskursreferent

Die Topik-NP eines spezifizierenden Satzes als Artterm

81

eingeführt, was voraussagt, dass wir auch angesichts des negierten Satzes (27c) auf die Existenz eines Gewinners schließen. Mit anderen Worten, wenn wir die Sätze in (27) als Sätze mit engem Negationsfokus lesen, erklärt sich die „gefühlte Existenz“ eines Gewinners auch ohne die Annahme, dass die Topik-NP eine Existenzpräsupposition trägt. Wie nun, wenn (27c) wie (28b) gelesen wird? In diesem Fall wird die Wahrheit des nicht-negierten spezifizierenden Satzes, Der Gewinner ist Karpov, bestritten. Das Negationswort operiert über dem Wahrheitswert des Satzes, ganz so wie die Postkopula-Ausdrücke in (30): (30)

a. Der Gewinner ist {tatsächlich/ wirklich/ mit absoluter Sicherheit} Karpov. b. Der Gewinner ist {vielleicht/ unter Umständen/ möglicherweise} Karpov. c. Der Gewinner ist {definitiv nicht/auf keinen Fall/ nicht} Karpov.

Was ich nun zeigen möchte ist, dass, wenn die Negation der Sätze in (27) die Gesamtproposition betrifft, keine Existenzpräsupposition an die Topik-NP geknüpft ist. Dazu stellen wir uns folgende Situation vor: Karpov und Kasparov spielen eine Schachpartie. Du wettest um 10 Dollar, dass Karpov gewinnt. Ich wette dagegen, dass Karpov nicht gewinnt. Das heißt also, ich bekomme von dir 10 Dollar, wenn entweder Kasparov gewinnt oder wenn die Partie mit einem Remis endet. Nach der Partie (der du aus irgendwelchen Gründen nicht beiwohnen konntest) informiere ich dich über den Ausgang unserer Wette mit den Worten: (31)

Sie haben Remis gespielt. Der Gewinner ist also NICHT Karpov. Du schuldest mir 10 $.

Was das zeigt ist, dass (27c) auch in Situationen adäquat geäußert werden kann, in denen kein realer Gewinner existiert (man beachte, dass die Information darüber, dass es keinen realen Gewinner gibt, unmittelbar vor der kritischen NP der Gewinner geliefert wird). Dies wäre unmöglich, wenn der Gewinner mit einer Existenzpräsupposition assoziiert wäre. Auch wenn wir von der Wahrheit der folgenden Sätze ausgehen, verpflichten wir uns nicht dazu, an die reale Existenz eines Retters des Nürnberger AEG-Werks, eines Mannes, der Maria’s Herz erobert, oder des Antichrists zu glauben: (32)

a. Der Retter des Nürnberger AEG-Werks ist {definitiv nicht/auf keinen Fall/ nicht} Edmund Stoiber. b. Der Mann, der Maria’s Herz erobert, ist {definitiv nicht/auf keinen Fall/ nicht} Peter. c. Der Antichrist ist {definitiv nicht/auf keinen Fall/ nicht} George W. Bush.

Bedingung für die Verwendung einer definiten NP als Topik-NP eines spezifizierenden Satzes ist nicht die tatsächliche Existenz eines Referenten (wie die Annahme einer mit der Topik-NP verbundenen Existenzpräsupposition voraussagen würde), sondern lediglich die erwartete Existenz eines Referenten. Ganz genau dies ist vorausgesagt, wenn wir die TopikNP, wie hier vorgeschlagen, als einen Term ansehen, der sich auf eine (mit einer EinerInstanzenmenge assoziierte) Art bezieht. Denn Arten sind intensionale Entitäten, die potentielle Objekte definieren und tatsächliche Objektinstanzen haben können, aber eben nicht müssen. Der definite Artikel bewirkt, dass die denotierte Art als präsupponiert verstanden werden muss (vgl. Fußnote 11). Dies führt aus pragmatischen Gründen zu der Erwartung, dass es Instanzen (bzw. eine Instanz) der Art gibt. Denn der Zweck der Etablierung von

82

Olav Mueller-Reichau

Arten besteht ja darin, Objekte zu sortieren. Wozu, fragt sich der Hörer, sollte von einer etablierten Art die Rede sein, wenn es keine Instanzen dieser Art gibt? 4.3.

Wie erklärt also der Vorschlag die Daten?

Fassen wir zusammen: Im Question Tag eines englischen spezifizierenden Satzes muss das neutrale Pronomen erscheinen. Dies erkläre ich dadurch, dass ich annehme, dass (s)he sich aus einem Question Tag heraus nur auf Objekte beziehen kann. Weil es sich bei der TopikNP eines spezifizierenden Satzes um einen Artterm handelt, ist es in diesem Fall folglich unmöglich, (s)he zu verwenden. Will der Sprecher einen Question Tag benutzen, so muss er die Variante mit dem neutralen Pronomen wählen. Bei Linksversetzungen im Deutschen kann unter bestimmten Bedingungen (die ich als 2Entitäten-Hypothese formuliert habe) das neutrale Pronomen das benutzt werden. Sind diese formalen Bedingungen erfüllt, so ist, ähnlich wie im Falle englischer Question Tags, ein genuskongruentes Pronomen für Objektreferenz reserviert. Das wird anschaulich durch das folgende Beispiel belegt:12 (33)

Der Mörder, {das/ *der} sind der Gärtner UND der Butler.

Beispiele wie (18a), (18b), (20b), (22b) oder (23), in denen das genuskongruente Pronomen trotz Artreferenz und 2-Entitäten verwendet wird, kann ich nur so erklären, dass hier durch die Wahl des Objektpronomens eine veranschaulichende Wirkung erzielt wird: der Sprecher präsentiert die jeweilige Art als sei sie ein Objekt. Ich habe des Weiteren nachgewiesen, dass die definite Topik-NP eines spezifizierenden Satzes im Gegensatz zu der definiten Subjekt-NP eines prädizierenden Satzes keine Existenzpräsupposition bezüglich eines Objektes trägt. Nicht die tatsächliche, sondern die erwartete Existenz ist Voraussetzung für den Gebrauch einer definiten NP als Topik-NP eines spezifizierenden Satzes. Die vorgeschlagene Analyse berücksichtigt dies, indem die Topik-NP nicht als objektreferierend, sondern als artreferierend angesehen wird. Weil im spezifizierenden Satz die semantische Verrechnung der Bedeutungen von Argumentausdruck und Prädikatausdruck über den Mechanismus der abgeleiteten Artprädikation erfolgt, stellt sich der Effekt ein, dass die Interpretation eines (nicht-negierten) spezifizierenden Satzes in toto die Existenz eines Objekts enthält, welches die nominale Deskription der Topik-NP erfüllt, obwohl diese NP für sich betrachtet dies nicht tut. Dies macht es so schwierig, die Topik-NP als Artterm zu erkennen, denn unsere Intuition sagt uns ja (zurecht), dass es hier um ein reales Objekt geht. Mikkelsen (2005: 9) weist auf eine Schwierigkeit hin, die mit ihrer eigenen Theorie verbunden ist. Wie kann ein nicht-referentieller Ausdruck die Information über den Redegegenstand (das Topik) des Satzes liefern? Ich möchte diesen Abschnitt mit der Bemerkung beschließen, dass die von mir präsentierte Theorie diese Schwierigkeit nicht hat: das Topik eines spezifizierenden Satzes ist eine Art. –––––––—–– 12

Auf diesen Kontrast hat mich Gudrun Weiland aufmerksam gemacht.

Die Topik-NP eines spezifizierenden Satzes als Artterm

5.

83

Eine Formalisierung im Rahmen einer artbasierten DRT

Es gilt nun, eine Formalisierung für die bis jetzt nur informell charakterisierte Bedeutungskomposition spezifizierender Sätze zu entwickeln. Dazu gehe ich von einer Hypothese aus, die durch die folgende Beobachtung von Krifka (1995) motiviert ist: [K]inds seem to be ontologically prior to specimens; if we want to call some real object a bear, we have to relate this object to the kind Ursus, whereas it is not necessary to have some real specimens in mind in order to talk about the kind Ursus. (Krifka 1995:399)

Krifka konstatiert hier eine Asymmetrie zwischen Arten und Objekten: Arten sollten im Vergleich zu Objekten als ontologisch primär angesehen werden. Seine Beobachtung legt folgende Hypothese nahe:13 Duale-Referenz-Hypothese: Jede Referenz auf ein Objekt impliziert die Referenz auf eine dem Objekt zugrundeliegende Art (aber Referenz auf eine Art impliziert nicht notwendigerweise Referenz auf ein Objekt, das die Art instantiiert).

Im Rahmen der Diskursrepräsentationstheorie (DRT) nimmt die Duale Referenz Hypothese folgende Form an: Duale-Referenz-Hypothese (DRT Version): Jeder Ausdruck, der einen Objekt-Diskursreferenten in den Diskurs einführt, muss auch einen Art-Diskursreferenten einführen sowie eine Bedingung, die festlegt, dass der entsprechende Objektreferent eine Instanz des entsprechenden Artreferenten ist.

Die allgemeinste Art, unter die ein Objekt fallen kann, ist die Art ‚Objekt‘. Erfolgt Objektreferenz mittels einer deskriptiven Nominalphrase, so wird die zugrundeliegende Art durch die Wahl des Kopfnomens der NP auf eine spezifischere Art als ‚Objekt‘ eingeschränkt. Mit Farkas & de Swart (2003) gehe ich hier davon aus, dass sich die DRS einer voll ausgebildeten deskriptiven NP (DP) in zwei Schritten aufbaut. Zunächst wird durch das Kopfnomen ein sogenanntes thematisches Argument in die DRS eingeführt, das sich von einem normalen Diskursreferenten dadurch unterscheidet, dass es nicht im Universum der DRS erscheint (34a). Das Argument besitzt sozusagen noch keine „referentielle Kraft“ (vgl. McNally & Van Geenhoven 1998). Den Status eines Diskursreferenten erhält es erst kraft des Determinierers, dessen semantischer Beitrag eben darin besteht, ein thematisches Argument durch einen Diskursreferenten zu ersetzen (34b).14 Farkas & de Swart benutzen die Buchstaben x,y,z,... für thematische Argumente und u,v,w,... für Diskursreferenten: –––––––—–– 13

14

Die theoretische Position, die man durch die Annahme dieser Hypothese einnimmt, wird innerhalb der Kognitiven Psychologie als „Sortalismus“ bezeichnet. Sortalisten wie z.B. Xu (1997), Carey & Xu (1999) oder Macnamara et al. (1994) gehen davon aus, dass es unmöglich ist, auf ein individuelles Objekt zu referieren ohne Kenntnis eines sortalen Konzepts zu haben, unter das das Objekt fällt (vgl. Blok, Newman & Rips 2005). Unschwer zu erkennen, dass meine Vorstellung von Arten ziemlich genau der Vorstellung eines sortalen Konzepts entspricht. Dies entspricht Farkas & de Swart’s Mechanismus der D-Instantiierung. Als Instantiierung bezeichnen Farkas & de Swart die Ersetzung eines thematischen Arguments durch einen Diskursreferenten („Substitute u for all occurrences of x in ConK“). Der spezielle Prozess der D-Instantiierung wird wie folgt beschrieben: „Instantiate the thematic argument x of the NP by the dis-

84

Olav Mueller-Reichau (34)

a. Indianer → [ | Indianer(x) ] b. ein Indianer → [ u | Indianer(u) ]

Sei mit Geurts (1999) und van der Sandt (1992) zudem angenommen, dass der definite Artikel signalisiert, dass der Diskursreferent an einen bereits im Vordiskurs etablierten Diskursreferenten anzubinden ist. Wenn kein zur Anbindung geeigneter Diskursreferent existiert, so muss einer akkomodiert werden, um den Anforderungen des definiten Artikels genüge zu leisten: (35)

a. Indianer → [ | Indianer(x) ] b. der Indianer → [ u ... [ ... | Indianer(u) ] ]

Nun soll diese DRT-Version um eine Unterscheidung zwischen Arten und Objekten erweitert werden und zwar derart, dass der von Krifka beobachtete primäre Status von Arten gegenüber ihren Instanzen Berücksichtigung findet. Mögen von nun an Großbuchstaben für Arten stehen und Kleinbuchstaben für Objekte reserviert sein. Sei des Weiteren angenommen, dass die primäre (=lexikalische) Bedeutung eines Nomens in der Einführung einer einem thematischen Art-Argument auferlegten Bedingung besteht: (36)

Indianer →

[

| Indianer(X) ]

Objektbezug ist sekundär, setzt also eine Ableitung von dieser lexikalischen Basisbedeutung voraus. Dieser Schritt soll hier als die Einführung einer Bedingung loc (für „raumzeitliche Lokalisierung“) modelliert werden. Ähnlich wie Carlson’s (1977) Realisierungsrelation R drückt loc (x,X) aus, dass das, wofür am Ende x stehen kann, Instanz dessen sein muss, wofür am Ende X stehen kann: (37)

Indianer →

[

| Indianer(X) & loc(x,X) ]

Unter diesen Voraussetzungen kann sich ein Artikel prinzipiell also mit zwei Sorten von Nomen syntaktisch verbinden. Zum einen mit einem „kind-level“ Nomen (36), zum anderen mit einem „object-level“ Nomen (37). Die hier gewählte grammatische Architektur bewirkt, dass die Artebene der Objektebene zugrundeliegt, so dass Objektbezug automatisch immer auch Artbezug beinhaltet. Die Artikelbedeutung entspricht in Übereinstimmung mit Farkas & de Swart einer Funktion, die thematische Argumente durch Diskursreferenten ersetzt. Dabei, so nehme ich an, sind die deutschen Artikel blind (lexikalisch unterspezifiziert) dafür, ob es sich bei den jeweiligen thematischen Argumenten um Art- oder Objektargumente handelt. Appliziert ein Artikel an ein artbezogenes Nominal, entsteht ein

–––––––—–– course referent u contributed by material under D, and subscript u with the index x, writing ux“ (Farkas & de Swart 2004: 52). Aus Gründen der Übersichtlichkeit werde ich in meiner Darstellung auf die Indizierung von Diskursreferenten durch die thematischen Argumente, die sie ersetzt haben, verzichten.

Die Topik-NP eines spezifizierenden Satzes als Artterm

85

Artterm (38). Verbindet der Artikel sich mit einem objektbezogenen Nominal, so entsteht ein Objektterm (39):15 (38)

a. ein Indianer → [ U | Indianer(U) ] b. der Indianer → [ U ... [ | Indianer(U) ] ]

(39)

a. ein Indianer → [ u U | Indianer(U) & loc(u,U) ] b. der Indianer → [ u U ... [ | Indianer(U) & loc(u,U) ] ]

Die Bedeutung der Kopula entspricht der Funktion eines Prädikatmachers. Ein Syntagma aus sein-Kopula und Nominalphrase (bzw. DP) denotiert stets die Funktion, die die Menge aller Individuen charakterisiert, die mit dem Referenten der Nominalphrase identisch sind. Tritt die Kopula also an einen Artterm, so ergibt sich ein Ausdruck, der die Menge aller mit der bezeichneten Art identischen Individuen charakterisiert: (40)

a. ist ein Indianer → b. ist der Indianer →

[ U | Indianer(U) & =(U,X) ] [ U .. [ | Indianer(U) & =(U,X) ] ]

Tritt die Kopula an einen Objektterm, so denotiert der neue Ausdruck jene Funktion, die die Menge aller mit dem Objekt-Referenten des Objektterms identischen Individuen charakterisiert: (41)

a. ist ein Indianer → b. ist der Indianer →

[ u U | Indianer(U) & loc(u,U) & =(u,x) ] [ u U .. [ | Indianer(U) & loc(u,U) & =(u,x) ] ]

Die thematische Argumentstelle eines Artprädikats wie (40a) gewinnt den Status eines Diskursreferenten, wenn sich das Prädikat mit einem Artterm, z.B. mit (42a), zu einem Satz verbindet. Dann nämlich wird das thematische Argument durch den durch den Term eingeführten Diskursreferenten ersetzt (=instantiiert, vgl. Fußnote 14):16 (42)

a. der Apache → [ V...[ | Apache(V) ] ] b. ist ein Indianer → [ U | Indianer(U) & =(X,U) ] c. der Apache ist ein Indianer → [ V... [ U | Apache(V) & Indianer(U) & =(U,V) ] ]

Jetzt haben wir das Rüstzeug zusammen, um uns der semantischen Komposition eines spezifizierenden Satzes zuzuwenden. Gemäß den bisherigen Überlegungen treffen im Falle eines spezifizierenden Satzes ein Arterm und ein Objektprädikat aufeinander. Das Objektprädikat besteht aus der Kopula und – häufig – aus einem Eigennamen. Aus sortalistischer Perspektive (vgl. Fußnote 13) gilt auch für Eigennamen die Duale-Referenz-Hypothese, so dass auch Eigennamen neben einem Objekt-Diskursreferenten, der für den Träger des Na–––––––—–– 15

16

Hinsichtlich der Objektterme in (39) ist zu überlegen, ob die Konstruktionsanweisung des Artikels sich wirklich auf beide Diskursreferenten u und U oder aber zwingend nur auf den Objekt-Diskursreferenten bezieht. Ich lasse das hier offen. Dies entspricht Farkas & de Swart’s Mechanismus der A-Instantiierung: „Instantiate the n-th thematic argument of a verbal predicate by the discourse referent contributed by the fully interpreted nominal argument“ (Farkas & de Swart 2004: 52).

86

Olav Mueller-Reichau

mens steht, einen Art-Diskursreferenten in den Diskurs einführen. Letzterer entspricht zumindest der allgemeinsten aller Arten, der Art ‚Objekt‘, sofern er nicht durch Informationen aus dem Kontext oder dem Weltwissen der Sprecher restringiert wird. Im Falle von Personennamen ist die Annahme plausibel, dass die zugrundeliegende Art zumindest auf Personenarten beschränkt ist (vgl. Macnamara et al. 1994): (43)

Geronimo → [ u U ... [

| u=Geronimo & loc(u,U) & Person(U) ] ]

Die Kopula appliziert wieder in ihrer Funktion als Prädikatmacher. Der resultierende Ausdruck charakterisiert die Menge aller mit dem Objektindividuum Geronimo identischen Objekte: (44)

ist Geronimo → [ u U ... [

| u=Geronimo & loc(u,U) & Person(U) & =(u,x) ] ]

Um interpretierbar zu werden, muss das thematische Argument x den Status eines Diskursreferenten erhalten. Dies kann durch Ersetzung (A-Instantiierung) durch einen Diskursreferenten gleicher ontologischer Sorte geschehen, der durch das syntaktische Argument dieses Prädikats ins Spiel gebracht wird. Wenn der Argumentausdruck von dem Objektterm (45a) gebildet wird, so läuft das für den Satz auf die semantische Repräsentation (45c) hinaus: (45)

a. der Apache → [ v V...[ | Apache(V) & loc(v,V) ] ] b. ist Geronimo → [ u U ... [ | u=Geronimo & loc(u,U) & Person(U) & =(u,x) ] ] c. der Apache ist Geronimo → [ u U v V ...[ | u=Geronimo & loc(u,U) & Person(U) & Apache(V) & loc(v,V) & =(u,v) ] ]

Bei (45c) handelt es sich um einen identifizierenden Satz. Er könnte als Antwort auf die Frage fallen: „Wer ist der Apache da, der uns die ganze Zeit über anstarrt?“ – „Der Apache ist Geronimo“. Worauf wir hier abzielen ist aber die Semantik eines spezifizierenden Satzes. Ein Kontext, in dem derselbe Satz als spezifizierender Satz aktualisiert würde, wäre folgender: Um die Indianer in ihre Reservationen einzuweisen, findet ein Treffen mit den Häuptlingen der Kiowa und der Apachen, Satanta und Geronimo, statt. Auf einer Pressekonferenz werden sie den anwesenden Journalisten vorgestellt. Einer der Journalisten ist schlecht vorbereitet und wendet sich an einen Kollegen mit der Frage: „Du sag mal, welcher von den beiden ist denn nun der Apache? Geronimo oder Satanta?“ – „Der Apache ist Geronimo.“

Gemäß dem in diesem Beitrag unterbreiteten Vorschlag kommt die spezifizierende Lesart zustande, wenn die initiale Argument-NP artbezogen interpretiert wird. Für die semantische Komposition ergibt sich dann das Problem, dass die Argument-NP von sich aus keinen object-level Diskursreferenten in die Bedeutungsstruktur einspeist, durch den das thematische Objekt-Argument x des Prädikatausdrucks ersetzt werden könnte. Es ergibt sich eine semantische Diskrepanz (mismatch), was dazu führt, dass die Struktur in (46c) prima facie nicht interpretierbar ist:

Die Topik-NP eines spezifizierenden Satzes als Artterm (46)

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a. der Apache → [V...[ | Apache (V) ] ] b. ist Geronimo → [ u U ... [ | u=Geronimo & loc(u,U) & Person(U) & =(u,x) ] ] c. der Apache ist Geronimo → [ u U V ...[ | u=Geronimo & loc(u,U) & Person(U) & Apache(V) & =(u,x) ] ]

Damit die Prädikation gelingen kann, muss von der Existenz der denotierten Art auf die Existenz von Instanzen der Art geschlossen werden. Dafür hat Chierchia (1998) die Regel der abgeleiteten Artprädikation (DKP-Regel) vorgeschlagen: [W]henever an object-level argument slot in a predicate is filled by a kind (in an episodic frame), the type of the predicate is automatically adjusted by introducing a (local) existential quantification over instances of the kind [...] Derived Kind Predication (DKP): If P applies to objects and k denotes a kind, then P(k) = ∃x [∪k(x) & P(x)]. (Chierchia 1998: 364)

Die vorgeschlagene Analyse eines spezifizierenden Satzes läuft genau auf die Bedingungen hinaus, die nach Chierchia zu einer automatischen Nachregulierung (automatic adjustment) gemäß der DKP-Regel führen. Innerhalb der hier vertretenen Diskursrepräsentationstheorie kann die DKP-Regel wie folgt formuliert werden: DKP-Regel (DRT Version): Wenn die DRS des grammatischen Prädikatausdrucks ein thematisches Objekt-Argument enthält, der grammatische Argumentausdruck jedoch lediglich einen ArtDiskursreferenten in die DRS einspeist, dann akkommodiere lokal, d.h. innerhalb der sich durch den Satz aufbauenden DRS, einen Objekt-Diskursreferenten und eine Bedingung loc, die diesen auf den Art-Diskursreferenten bezieht.

Entscheidend an diesem Mechanismus ist seine Lokalität: obwohl die Topik-NP definit ist, endet der akkomodierte Objekt-Diskursreferent innerhalb der „inneren“ DRS, d.h. dort, wo man einen durch eine indefinite NP eingeführten Objekt-Diskursreferenten erwarten würde. Dies führt, um es noch einmal zu sagen, dazu, dass die Topik-NP im Endeffekt (im Satzzusammenhang) existentiell verstanden wird, obwohl sie für sich betrachtet generischer Natur ist, d.h. nicht die Existenz eines Objekts enthält, geschweige denn präsupponiert. Aus (46c) wird via DKP (47): (47)

der Apache ist Geronimo → [ u U V ...[ v | u=Geronimo & loc(u,U) & Person(U) & Apache(V) & =(u,v) ] ]

Das Pronomen im Question Tag eines englischen Satzes wie (2a) ist sensitiv nicht für die komponierte, sondern für die autonome Bedeutung der Topik-NP. Es zeigt nur dann Genuskongruenz, wenn die Topik-NP von sich aus einen Objekt-Diskursreferenten einführt (wenn sie „strong“ ist im Sinne von McNally & Van Geenhoven 1998).

6.

Schluss – der Geltungsbereich einer Art

Arten etablieren sich innerhalb einer Sprechergemeinschaft qua Abstraktion über Eigenschaften, die die Objekte der realen Erfahrungswelt der Sprecher tragen. Objekte, die nach

88

Olav Mueller-Reichau

Maßgabe ihrer realen Eigenschaften in den Augen der Sprechergemeinschaft ein ausreichendes Maß an Ähnlichkeit aufweisen, werden gemeinsam unter einer Art kategorisiert. Entsprechend den Eigenschaften, welche für ihre Etablierung als relevant erachtet werden, bilden Arten Taxonomien: eine Art ‚A‘ ist dann eine Unterart einer Art ‚B‘, wenn ‚A‘ sämtliche Eigenschaften von ‚B‘ trägt plus mindestens einer weiteren Eigenschaft.17 Entscheidend ist, dass Arten und ihre Eigenschaften stets relativ zu einem realen Weltausschnitt definiert werden. Maßgabe sind die Eigenschaften, die die realen Objekte tragen, die diesen Weltausschnitt bevölkern. Weil das so ist, kann zu jeder Art eine raumzeitliche Lokation angegeben werden, innerhalb der die betreffende Art nach dem Dafürhalten der Sprechergemeinschaft relevant ist. Diese raumzeitliche Lokation könnte man den Geltungsbereich einer Art nennen. In den folgenden Beispielen begegnen uns Artterme, deren Geltungsbereich die gesamte reale Welt umspannt: (48)

a. Der Mensch ist sterblich. b. Die Tomate gehört zu den Nachtschattengewächsen. c. Die Demokratie ist eine Herrschaftsform.

Arten mit globaler Geltung können auf Einer-Instanzenmengen beschränkt sein, wie in den folgenden Beispielen: (49)

a. Der Papst ist das Oberhaupt der katholischen Kirche. b. Der Literatur-Nobelpreisträger kam in 85 von 99 Fällen aus den USA oder Europa.

Der Geltungsbereich einer Art muss aber nicht global, sondern kann auch lokal eingeschränkt sein. In vielen Fällen ist es kommunikativ sinnvoll über Eigenschaften von Arten mit lokal eingeschränkter Gültigkeit zu sprechen: (50)

a. Der Konsument in Deutschland ist in diesen Tagen sehr zurückhaltend. b. Der Bewohner dieser Gegend wirkt auf den ersten Blick etwas borniert. c. Der Wähler in Deutschland kann grundsätzlich nur über Kandidatenvorschläge entscheiden, die ihm von den Parteien vorgegeben sind.

Auch eingeschränkt-gültige Arten können mit Einer-Instanzenmengen assoziiert sein: (51)

a. Der Präsident der USA war noch nie eine Frau. b. Die Festplatte dieses Computers habe ich schon dreimal austauschen müssen. c. Der Sheriff in dieser Stadt wird erfahrungsgemäß nicht besonders alt.

Gemäß der vorgeschlagenen Analyse sind es auf Einer-Instanzenmengen beschränkte Artterme, die in spezifizierenden Sätzen auftreten. Häufig handelt es sich dabei um einge–––––––—–– 17

Es ist möglich, dass diese weitere, kritische Eigenschaft von ‚A‘ eine der Eigenschaften von ‚B‘ überschreibt. So teilt die Art ‚Albinorabe‘ sämtliche Eigenschaften ihrer Oberart ‚Rabe‘ bis auf die Eigenschaft, schwarz zu sein.

Die Topik-NP eines spezifizierenden Satzes als Artterm

89

schränkt-gültige Arten, z.B. (52a) bis (52c). Aber auch Arten mit globaler Geltung sind natürlich möglich (52d): (52)

a. b. c. d.

Der Besitzer dieser Fabrik ist Dagobert Duck. The lead actress in that movie is Ingrid Bergman. Der Häuptling der Apachen ist Geronimo. Der Papst ist seit kurzem Benedikt der soundsovielte.

In Abschnitt 1 war davon die Rede, dass spezifizierende Sätze geäußert werden, um über die Identität des Inhabers eines besonderen (gesellschaftlichen, sozialen, beruflichen,...) Statusses zu informieren. Das Ergebnis der vorgestellten Analyse ist, dass dieser Sonderstatus linguistisch als eine Art zu analysieren ist, die (im Normalfall) nur von einem Objekt instantiiert werden kann. Dasjenige Objektindividuum hat den betreffenden Status inne, das diese Art instantiiert.

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90

Olav Mueller-Reichau

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Silvia Kutscher

Non-Verbale Prädikation in der Deutschen Gebärdensprache (DGS): Probleme der Abgrenzung von Attribution und Prädikation in einer kopulalosen Sprache∗

1.

Einleitung

Nach dem heutigen Stand der Forschung scheint ein universelles Charakteristikum von Gebärdensprachen zu sein, dass sie für prädizierende, spezifizierende und identifizierende Prädikationen nicht über eine lexikalische Kopula verfügen.1 Dieser in der einschlägigen Literatur unter dem Begriff ‚non-verbale Prädikation‘ bekannte Konstruktionstyp liegt auch in der Deutschen Gebärdensprache (DGS) vor (vgl. auch Keller 1998: 122, Erlenkamp 2000: 114). Diese Typen der Prädikation haben in der DGS die Form einer Juxtaposition von Prädikativum und Prädikationsbasis (Subjekt), wobei das Prädikativum stets dem Subjekt nachgestellt ist. In der DGS können auch Attribute ihrem semantischen Nukleus nachgestellt werden. Es gibt keine morphosyntaktischen Kennzeichnungsmittel (die z.B. vergleichbar wären mit phraseninterner Kongruenzmorphologie in Lautsprachen), die die Verwendung einer Eigenschaftbezeichnung als attributiv oder prädikativ kennzeichnen. Diese morphosyntaktischen Gegebenheiten werfen die Frage auf, ob in der DGS Mittel bereit stehen, um nachgestellte Attribute und prädikativ verwendete Eigenschaftsbezeichnungen auf anderem Wege voneinander zu unterscheiden. Aus Untersuchungen zu anderen Gebärdensprachen ist bekannt, dass Gebärdensprachen über einen reichhaltigen Satz nonmanueller2 Komponenten verfügen, der zur Identifizierung u.a. von Konstituentengrenzen (Intonationsphrasen, Phonologische Phrasen) und zur Identifikation von Einheiten der Informationsstrukturebene (Topik, kontrastiver Fokus) eingesetzt werden. Diese non-manuellen Komponenten werden aus diesem Grund mit prosodischen Mitteln von Lautsprachen (Intonation, Intensität, Rhythmus) gleichgesetzt. Im vorliegenden Artikel werde ich zeigen, dass vergleichbare prosodische Mittel in der DGS eingesetzt werden, die auch ohne Kopula und andere morphosyntaktische Mittel nonverbale Prädikationen und Attributionen voneinander abgrenzbar machen. Dazu werde ich in fünf Schritten vorgehen: Nach einer kurzen Einleitung zur soziolinguistischen Situation der DGS-Benutzer und den für die vorliegende Untersuchung verwendeten Daten in Ab–––––––—–– ∗

1 2

Für zahlreiche Kommentare zu diesem Artikel danken möchte ich Ljudmila Geist, Nina Klein, Katrin Lehmann, Elisabeth Löbel, Dejan Matić, Björn Rothstein. Mein besonderer Dank gilt den DGS-Sprechern, die mit viel Freude bereit sind, ihre Sprache mit mir zu teilen. Das Fehlen einer lexikalischen Kopula ist auch in Lautsprachen ein weit verbreitetes Phänomen, s. Dik (1989: 161-182, 1997: 193-216), Stassen (1997). Unter den Begriff non-manuell fasse ich hier auch zwei über die Hände erzeugte Komponenten, nämlich den aktive Gebrauch der nicht-dominanten Hand („dominance shift“ (Frishberg 1985)) und das „Stehenlassen“ von Teilgebärden als Gebärdenreste der nicht-dominanten Hand, sogenannte Fragment-Bojen (Liddell 2003), auch als ‚H2 spread‘ (Sandler 1999) bezeichnet.

Silvia Kutscher

92

schnitt 1 werde ich in Abschnitt 2 einen Überblick über die für den Gegenstand des Artikels zentralen Bereiche der DGS-Grammatik geben. In Abschnitt 3 wird das Konstruktionsverfahren der DGS für den prädizierenden bzw. askriptiven Typ der non-verbalen Prädikation vorgestellt. Abschnitt 4 stellt die distributionellen Charakteristika von Eigenschaftsbezeichnungen kurz dar. In Abschnitt 5 werde ich dann zeigen, dass die non-manuellen Komponenten ‚Augenbrauen‘, ‚Dominanzumkehr der Hände (dominance reversal)‘, ‚Bewegung des Oberkörpers‘ und ‚verlängertes Halten einer Gebärde (hold)‘ in der DGS als prosodische Mittel eingesetzt werden, um nachgestellte Attribute und prädikativ verwendete Eigenschaftsbezeichnungen voneinander zu unterscheiden. Die DGS ist eine visuell-gestische Sprache, die von der Mehrzahl der ca. 80.000 Gehörlosen und von zahlreichen Schwerhörigen in Deutschland als primäre Kommunikationsform verwendet wird. Nur eine geringe Zahl der Gehörlosen wird in Familien mit mindestens einem gehörlosen Elternteil geboren. Die überwiegende Mehrheit der Gehörlosen stammt aus Familien mit hörenden Eltern. Dies führt dazu, dass viele Gehörlose die DGS nicht von Geburt an, sondern erst später durch den Kontakt mit anderen Gehörlosen erlernen. Zur Zeit gibt es noch keine normierte Form der DGS. Die DGS untergliedert sich in eine Reihe von Dialekten, die bisher nur wenig systematisch untersucht wurden. Man geht bis jetzt davon aus, dass sich die Dialekte im wesentlichen auf lexikalischer Ebene voneinander unterscheiden. Die Schulpraxis in Deutschland ist weitgehend oral orientiert, so dass sich DGS-Sprecher in der deutschen Laut- und Schriftsprache verständigen können. Um die Konsistenz der Daten zu gewährleisten, habe ich mich für die hier vorliegende Pilotstudie zur non-verbalen Prädikation in der DGS zunächst auf die Arbeit mit einem gehörlosen Informanten beschränkt. Dieser ist von Geburt gehörlos und als Kind gehörloser Eltern aufgewachsen. Das von mir erstellte Datenkorpus besteht aus ca. 150 elizitierten Kopulasätzen mit Deutscher Schriftsprache als Elizitierungssprache (ELI), einer freien Nacherzählung einer geschriebenen Geschichte (NAR) und spontansprachlichen Daten aus Dialogen während der Elizitierungssitzungen (DIA).

2.

Grundzüge der DGS-Grammatik

Anders als in der Lautsprache werden in gebärdensprachlichen Äußerungen grammatische und inhaltliche Informationen über mehr als einen Übertragungskanal gleichzeitig vermittelt. Während in der Lautsprache sowohl segmentale als auch suprasegmentale Komponenten nur über die Stimme, den vokalen Kanal, übermittelt werden, werden sprachliche Informationen in der Gebärdensprache gleichzeitig über verschiedene Kommunikationskanäle übertragen. Daher werden in der DGS drei verschiedene Arten von Zeichen mit bedeutungstragenden Funktionen unterschieden: a) mit den Händen ausgeführte Zeichen, die als Gebärden bezeichnet werden, b) mit Mund, Gesicht, Kopf und Oberkörper ausgeführte Bewegungen, sogenannte non-manuelle Komponenten, und c) mit dem Mund geformte „Wörter“ der deutschen Lautsprache, die in der Regel tonlos artikuliert werden und deren Artikulation sich häufig auf den sichtbaren Teil des lautsprachlichen Wortes beschränkt.

Non-Verbale Prädikation in der DGS

93

Diese werden als Mundbilder oder Ablesewörter bezeichnet.3 Gebärden im engeren Sinne, also mit den Händen ausgeführte, konventionalisierte Form-Bedeutungs-Relationen müssen von spontanen Gebärden, Fingeralphabetzeichen und Gesten unterschieden werden. Die Ausführung einer Gebärde kann als eine Einhändige konventionalisiert sein oder als eine koordinierte Bewegung beider Hände. Die beiden Hände des Gebärdenden werden als dominante und nicht-dominante Hand spezifiziert. Die dominante Hand (für Rechtshänder in der Regel die rechte Hand) führt konventionalisierte einhändige Gebärden aus und ist diejenige Hand, die sich in asymmetrischen zweihändigen Bewegungsgebärden bewegt, während die nicht-dominante Hand still steht.4 Neben diesem visuell-gestischen Aspekt ist vor allem der räumliche Aspekt ein spezifisches Charakteristikum von Gebärdensprachen. Syntagmatische Beziehungen zwischen Gebärden und die zeitliche Verankerung von Sachverhalten werden im wesentlichen über die Ausführung von Gebärden in bestimmten Teilen des Raums vor dem Oberkörper und dem Kopf des Gebärdenden (Gebärdenraum) ausgedrückt.5 DGS-Äußerungen sind daher stark an der Visualität von Situationen orientiert. Bevor die eigentliche Ereignisbeschreibung gebärdet wird, wird zunächst der Raumkontext etabliert. Nachdem der Ground (vgl. Talmy 1983) etabliert ist, folgen Figure und Prädikat. So beginnt in (1) die Schilderung einer anstrengenden Fußreise über einen Alpen-Pass mit der Setzung der topologischen Gestalten TAL und BERG als Ground.6 –––––––—–– 3

4

5 6

Mundbilder sind von Mundgesten zu unterscheiden. Mundbilder dienen u.a. der Disambiguierung homomorpher Gebärden (z.B. Heßmann 2001: 86ff) bzw. sind ein Verfahren der Lexikonerweiterung (Becker 2003: 90ff). Diese Bewertung des Mundbilds wird allerdings nicht von allen Forschern geteilt (s. die Debatte in den Heftnummern 43-46 der Zeitschrift Das Zeichen, 1998). Auch scheinen Ablesewörter nicht in allen Gebärdensprachen von Bedeutung zu sein. Mundgesten hingegen sind in allen bisher bekannten Gebärdensprachen verbreitet und sind eindeutig sprachsystematisch. Sie werden u.a. zur Modifikation von Prädikationen eingesetzt, wo sie adverbiale und aspektuelle Funktionen ausüben. Ein Beispiel hierfür ist die Gebärde SPAREN, ausgeführt von einem Rechtshänder: die linke Handfläche ist horizontal ausgestreckt, die Innenfläche nach oben gerichtet (nicht-dominante Hand). Die rechte Handfläche ist leicht nach innen gekrümmt. Sie wird vertikal mit der Handkante auf die Fingerspitzen der linken Hand gesetzt und in Richtung Oberkörper gezogen (dominante Hand). Diese Bewegung wird einmal wiederholt. Für eine umfassende Untersuchung des Raums als konstitutives Element der DGS s. Keller (1998). Notationskonvention: Großbuchstaben: Gebärde, Unterstrich: Dauer der Fragment-Boje, D: dominante Hand, ND: nicht-dominante Hand, B: Gebärdenname ist beidhändig, fa: Fingeralphabetzeichen, gestrichelte Linie (----): non-manuellen Komponente wird über mehr als eine Gebärde ausgeführt, Anführungsstriche (z.B. „trüb“): Gebärde wird üblicherweise durch spezifische Mimik begleitet, intensiv: spezifische Mimik (zusammengezogene Augen und gespannter Mund), +: reduplizierte Gebärde, IDX: Gebärde INDEX, eine mit den Zeigefinger ausgeführte auf virtuelle oder sichtbare Entitäten zeigende Bewegung mit grammatischen Funktionen (näheres s. z.B. Keller 1998). Gebärdennamen sind zur Identifizierung der Gebärden in Transkriptionen gedacht und orientieren sich in der Regel an Übersetzungen in die deutsche Lautsprache und dem eventuell zur Gebärde artikulierten Mundbild. Die Semantik bzw. Funktion der Gebärden stimmen jedoch in vielen Fällen nicht mit den aus der Lautsprache herangezogenen Wörtern überein. Wie die Grammatik ist auch das Lexikon der DGS anders strukturiert als die deutsche Lautsprache.

Silvia Kutscher

94 (1)

Kotext: Früher musste man zu Fuß über die Berge gehen. Brauen Mimik Gebärde Dominanz Oberkörp. Kopf Brauen Mimik Gebärde Dominanz Oberkörp. Kopf

Brauen Mimik Gebärde Dominanz Oberkörp. Kopf

neutral--------------------------------------------------------------------neutral----------------- anstrengend---------------------------------LAUFBERGHOCH ANSTRENGEND TAL BERG D ND:Boje D B neutral---------------------------------------------------------------------neutral----------------------------------------------------------------------------------------------hoch-------------------------- neutral -------------------------neutral----------------------Negation SCHNELL MÜDE FLACH LAUFFLACH MÜDE D ND D ND B -----------------------------------------------------------------------------leicht links neutral--------------------------- geneigt schütteln ---------- hoch----------------------------------------------------------------------------------------------------- anstrengend NICHT FLACH LAUFFLACH LAUFBERG Geste: (verkürzt) HOCH puuh D D ND ND D --------------------------------------------- leicht rechts--------------------- neutral--------------------------------------------------------

‚Tal und Berg: Den Berg hinauflaufen ist sehr anstrengend. Man wird schnell müde. Im Tal laufen macht nicht müde. In der Ebene laufen nicht, aber den Berg hoch, puuh!‘ (NAR) Typische verbale Kategorien wie Tempus, Modus und Aspekt werden, Lautsprachen des isolierenden Typs (z.B. Chinesisch) ähnlich, durch lexikalische Elemente und nicht durch Flexion kodiert. Die zeitliche Verankerung erfolgt über freie lexikalische Formen (GESTERN, FRÜHER, MORGEN, SPÄTER). Satzarten, Irrealis und Konditional werden über Mimik und Mundgestik ausgedrückt und evtl. durch lexikalische Mittel begleitet.7 Die DGS hat keinen grammatischen Aspekt (im Sinne einer systematischen perfektiv-imperfektiv Unterscheidung). Aktionsarten-Aspekt wird über Reduplikation von Gebärden, über die Mimik und über lexikalische Mittel (z.B. durch die Gebärden SCHON, FERTIG) ausgedrückt. Gemäß der von Dik (1989) aufgestellten ‚copula support theory‘, die die Kopula als einen semantisch leeren Träger für Tempus/Aspekt/Modus-Kategorien auffasst, ist für

–––––––—–– 7

So kann z.B. die Protasis eines Konditionalgefüges durch die Gebärde WENN eingeleitet werden.

Non-Verbale Prädikation in der DGS

95

die DGS daher zu erwarten, dass sie keine lexikalische Kopula aufweist, was, wie Abschnitt 3 zeigt, für prädizierende bzw. askriptive non-verbale Prädikationen tatsächlich der Fall ist. In der DGS gibt es keine der deutschen Lautsprache entsprechenden Kategorien wie Kasus und Genus, es gibt keine Artikel und die Kennzeichnung des Numerus einer Nominalphrase ist nicht obligatorisch. Das Fehlen spezifischer nominaler Kategorien und weitestgehend auch verbaler Kategorien, wie sie aus Lautsprachen bekannt sind, führt dazu, dass die Wortartenklassifikation für die Forschung zur Zeit noch strittig ist. Während z.B. Keller (1998) von den klassischen Wortarten Verb, Adjektiv und Nomen ausgeht, stellt Erlenkamp (2000) diese Klassifikation in Frage. Ich werde im folgenden die Gebärden im jeweiligen Verwendungskontext ontologisch-semantisch in Eigenschaftsbezeichnungen und Appellativa unterscheiden und die Frage nach der morphosyntaktischen Kategorienzugehörigkeit der Prädikative ausklammern. Wichtige Mittel zur Strukturierung des Diskurses in Gebärdensprachen sind sogenannte Fragment-Bojen (‚fragment buoys‘ (Liddell 2003)). Hier bleibt nach Ausführung einer zweihändigen Gebärde die nicht-dominante Hand an der Ausführungsstelle als ‚Fragment‘ der Gebärde stehen, während die dominante Hand weitere Gebärden ausführt. Dadurch ist klar signalisiert, dass sich diese Gebärden auf das Denotat der Gebärde beziehen, deren Fragment durch die nicht-dominante Hand angezeigt wird. So bleibt z.B. in (1) nach der Ausführung der Gebärde BERG die Hand am Ende der Ausführungsstelle stehen, während mit der zweiten Hand die Gebärde LAUFBERGHOCH ‚den Berg hoch laufen‘ ausgeführt wird. Fragment-Bojen können allerdings nicht zur Phrasenidentifikation oder zur Identifikation von Äußerungseinheiten herangezogen werden, da sie Phrasengrenzen überschreiten können, s. z.B. (2), (17), (19). Liddell (2003) vertritt die Auffassung, dass bei der nächsten folgenden zweihändigen Gebärde die Boje aufgelöst wird, die Dauer der Boje also durch rein phonetische Gegebenheiten bestimmt wird. Dagegen spricht Beispiel (2). WASSER8 ist in der Regel eine zweihändige Gebärde, wird aber in (2) nur von der dominanten Hand ausgeführt, während die nicht-dominante Hand weiter als Fragment-Boje der Gebärde AQUARIUM stehen bleibt.9

–––––––—–– 8 9

Die vom Gebärdenden verwendete Gebärde ist in der Zitierform eine zweihändige symmetrische Gebärde, die z.B. im Dialekt von Köln der Gebärde NASS entspricht. Ähnliche Beobachtungen machen auch Brentari & Crossley (2002: 114) für ASL (American Sign Language). Sie sehen Fragment-Bojen (von ihnen als ‚H2 Spread‘ bezeichnet) als redundante Kennzeichnung von prosodischen Konstituenten an, die simultan zu non-manuellen Zeichen auftreten.

Silvia Kutscher

96 (2)

Brauen Mimik Gebärde Dominanz Oberkörp. Kopf

neutral gerunzelt neutral--------------------neutral intensiv neutral „trüb“ DRIN WASSER TRÜB AQUARIUM B, ND: Boje D D neutral-------------------------------------------------------------neutral----------------------links geneigt--------------

‚Das Wasser im Aquarium ist trüb.‘

(ELI)

Da die genaue Funktion der Fragment-Bojen weiterer Untersuchungen bedarf, habe ich sie in den angeführten Beispielen zwar notiert (s. den Unterstrich), werde sie aber in der folgenden Argumentation zur Frage der Abgrenzungsmöglichkeit von Prädikativen und Attributen in der DGS nur am Rande berücksichtigen. Schwierig gestaltet sich auch die Gliederung von gebärdensprachlichen Äußerungen in Einheiten, die lautsprachlich Intonationseinheiten bzw. schriftsprachlich Sätzen entsprechen. Eine solche Gliederung des Äußerungsflusses setzt genaue Kenntnisse ‚suprasegmentaler‘, ‚prosodischer‘ Komponenten bzw. ihrer Entsprechungen in der visuell-gestischen Modalität voraus. Hier steht die Gebärdensprachforschung allerdings noch am Anfang. Erste Erkenntnisse zeigen, dass eine Reihe non-manueller Komponenten von Gebärdensprachen solche prosodischen Mittel zur Identifikation von phonologischen Phrasen und Intonationseinheiten bzw. von Konstituenten und Sätzen bereitstellen. Die meisten der insgesamt noch wenig zahlreichen Untersuchungen beziehen sich allerdings auf Erkenntnisse zur amerikanischen (ASL), israelischen (ISL) und schweizerdeutschen (DSGS) Gebärdensprache (Sandler 1999, Nespor & Sandler 1999 für ISL und Wilbur 1994, 2000, Brentari & Crossley 2002 für ASL, Boyes-Braem 1999, 2001 für DSGS). Mit Ausnahme kurzer Erläuterungen zur Segmentierung seiner Daten in Heßmann (2001: 118ff) liegt für die DGS noch keine entsprechende Untersuchung zur Funktion non-manueller Komponenten als Mittel der Prosodie in der Gebärdensprache vor.

3.

Zur non-verbalen Prädikation in der DGS

In den Sprachen der Welt gibt es verschiedene semantische Gruppen von Sachverhaltsbeschreibungen, die typischerweise durch non-verbale Prädikationen ausgedrückt werden. Für diese Gruppe intransitiver Prädikationen werden in der Literatur unterschiedliche semantische Klassifikationen vorgenommen (vgl. z.B. Higgins 1979, Declerck 1988, Hengeveld 1992, Stassen 1997, Mikkelsen 2004). Da sich dieser Artikel nicht als Diskussionsbeitrag zur Klassifikation non-verbaler Prädikationen versteht, werde ich mich im vorliegenden Abschnitt darauf beschränken, die Konstruktionsweise solcher Prädikationstypen zu illustrieren, die für die Diskussion der Abgrenzungsprobleme in Abschnitt 4 relevant sind. In der einschlägigen Literatur werden diese als prädizierend (‚predicational‘, z.B. Higgins 1979) bzw. als askriptive (‚ascriptive‘, Hengeveld 1992) bezeichnet. Hengeveld (1992) unterscheidet innerhalb der Klasse der askriptiven Prädikationen noch zwischen eigenschaftszu-

Non-Verbale Prädikation in der DGS

97

weisenden (‚property assignment‘, z.B. Dt. Peter ist schlau) und statuszuweisenden (‚status assignment‘, z.B. Dt. Peter ist Lehrer). Diese Terminologie werde ich im folgenden verwenden. Die verschiedenen von mir untersuchten Typen askriptiver Prädikationen in der DGS werden auf die gleiche Weise konstruiert. Sie weisen keine lexikalische Kopula auf und Prädikationsbasis (Subjekt) und Prädikativum stehen in Juxtaposition. Der typischen Wortstellung der DGS gemäß (Verbendstellung) steht das Prädikativum nach dem Subjekt. Die DGS hat keine Artikel (vgl. Keller 1998: 417), und Eigenschaftsbezeichnungen können in Argumentposition stehen, ohne die Verwendung eines Appellativs als overtem semantischem Nukleus der Phrase (s. (17)). Daher ist für die DGS die Abgrenzung des eigenschaftszuweisenden bzw. statuszuweisenden askriptiven Typs non-verbaler Prädikation von äquativen Prädikationen nur über den Kontext und die Beurteilung des Wissensstands der Diskurspartizipanten möglich.10 Äquative Prädikationen (i. S. v. Hengeveld 1992: 101ff) sind solche, deren non-verbales Prädikat ein referenzfähiger Ausdruck ist und der u.a eine klassifizierende (z.B. Dt. Peter ist ein Lehrer) oder identifizierende Funktion (z.B. Dt. Peter ist der Lehrer) haben kann. Im folgenden werden die beiden askriptiven Prädikationstypen der DGS kurz dargestellt. 3.1

Statuszuweisende Prädikation

Statuszuweisende Prädikationen werden ohne lexikalische Kopula konstruiert. Dies gilt für alle drei Zeitebenen der DGS. Weder im Präsens (3a), noch im Präteritum (3b) noch für zukünftige Aussagen (3c) erscheint eine Kopula. Die Tempusangabe erfolgt in der DGS durch lexikalische und nicht durch flexivische Mittel, so dass eine overte Kopula, anders als z.B. im Russischen, als Träger der Tempusinformation nicht zwingend erforderlich ist. (3)

a. Brauen Mimik Gebärde Dominanz Oberkörp. Kopf ‚Peter ist Lehrer.‘

hoch neutral-----------neutral------------------PETER LEHRER D B neutral------------------rechts geneigt----------(ELI)

–––––––—–– 10

Vergleichbares wird auch für die spanische Gebärdensprache festgestellt (Herrero Blanco & Salazar García 2005).

Silvia Kutscher

98 b. Brauen Mimik Gebärde Dominanz Oberkörp. Kopf

hoch-------------------------------------------- neutral neutral----------------------- „früher“ neutral S(abine) IDX FRÜHER SCHNEIDER D:fa D D B neutral--------------------------------------------------------------neutral---------------------------------------------------------------

‚Sabine war früher Schneiderin (jetzt macht sie eine Umschulung).‘

(ELI)

c. Kotext: ‚Peter arbeitet jeden Tag zwölf Sunden hart,‘ Brauen Mimik Gebärde Dominanz Oberkörp. Kopf

hoch gerunzelt--------------- neutral----------------------neutral intensiv----------------- neutral----------------------GRUND WILL SPÄTER ABTEILUNG LEITER B D D B B neutral--------------------------------------------------------------------neutral--------------------------------- links geneigt----------------

‚denn er will Abteilungsleiter werden.‘

(ELI)

Im Präteritum kann die Gebärde GEWESEN verwendet werden: (4)

Brauen Mimik Gebärde Dominanz Oberkörp. Kopf

hoch---------------------------------------------------- neutral----neutral-----------------------------------------------------------------KLAUS IDX GEWESEN DIEB IDX: Geste: EjDu DORT D D D D D D rechts geneigt---------------------------------------------------------neutral-----------------------------------------------------------------nicken

‚Schau mal, da ist Klaus, der ist mal ein Dieb gewesen.‘

(DIA)

Diese Gebärde ist jedoch ein eigenständiges lexikalisches Segment, dass auch in verbalen Prädikationen verwendet wird. Sie kann z.B. mit der prädikativen beidhändigen Gebärde SITZEN ‚wohnen‘ verwendet werden, wie (5) illustriert.

Non-Verbale Prädikation in der DGS

(5)

99

Kontext: Betrachten eines Stadtplans Brauen Mimik Gebärde

hoch--------------------------------------------------------------------------neutral-----------------------------------------------------------------------MEIN ELTERN GEWESEN SITZ IDX: IDX: DORT DORT Geste: Zeigen auf Stadplan

Dominanz Oberkörp. Kopf

Geste: Zeigen

D D B D B D ND: Boje ND neutral-----------------------------------------------------------------------neutral-----------------------------------------------------------------------nicken nicken---------

‚Meine Eltern haben früher hier gewohnt. (Jetzt sind sie umgezogen).‘

(DIA)

Die genaue Funktion der Gebärde ist noch nicht erforscht. Die Äußerung in (6) zeigt, dass die Gebärde GEWESEN mit einer Tempus-Gebärde, z.B. GESTERN, kombinierbar ist. (6)

Brauen Mimik Gebärde Dominanz Oberkörp. Kopf

hoch--------------------------------------------------------------------fragend-----------------------------------------------------------------SCHAU GESTERN GEWESEN FERNSEHER D D B, ND: Boje D neutral------------------------------------------------------------------neutral-------------------------------------------------------------------

‚Hast du gestern Fernsehen geguckt?‘

(DIA)

Nach meinem derzeitigen Kenntnisstand kommt die Gebärde GEWESEN nur in Verbindung mit einem Tempusmarker der Vergangenheit (z.B. GESTERN, FRÜHER) vor, steht also nicht alleine als Tempusmarker. Hinzu kommt, dass sie nicht mit Individual-Level Prädikaten kombinierbar ist. Die Funktion der Gebärde GEWESEN ist also eher aspektueller als temporaler Natur. Heßmann (2001: 144) vermutet, dass die Gebärde GEWESEN die Abgeschlossenheit einer Handlung in der Vergangenheit kennzeichnet. Meine eigenen Daten lassen die Vermutung zu, dass GEWESEN auch Sprechereinstellungen (nämlich das emphatische Hervorheben eines vergangenen Ereignisses) signalisiert. 3.2

Eigenschaftszuweisende Prädikation

Auch eigenschaftszuweisende Prädikationen werden ohne lexikalische Kopula konstruiert. Dies gilt für das Präsens (7a) ebenso wie für Präteritum (7b) und Futur.

Silvia Kutscher

100 (7)

a. Brauen Mimik Gebärde Dominanz Oberkörp. Kopf

neutral--------------------neutral „müde“ ICH MÜDE D B neutral--------------------nicken

‚Ich bin müde.‘ b. Brauen Mimik Gebärde Dominanz Oberkörp. Kopf

(ELI) hoch neutral-------------------neutral---------------------------- „froh“ GESTERN ICH FROH D D D neutral---------------------------------------nicken

‚Gestern habe ich mich gefreut.‘

(ELI)

Anders als z.B. im Spanischen (s. Remberger & Gonzáles, in diesem Band) wird auch nicht konstruktionell zwischen Stage-Level (7) und Individual-Level (8) Prädikaten unterschieden. (8)

Brauen Mimik Gebärde Dominanz Oberkörp. Kopf

neutral-------------------------neutral-------------------------AUGE GRÜN D B neutral-------------------------neutral leicht links

‚Meine Augen sind grün.‘

4.

(ELI)

Zur Distribution von Eigenschaftsbezeichnungen

In der DGS muss zwischen zwei Arten von Eigenschaftsbezeichnungen unterschieden werden: sogenannte ‚Space And Size Specifiers‘ (SASS) und solche, die andere Eigenschaften von Entitäten bezeichnen, z.B. dispositionale Eigenschaften (9) oder Farben (10). SASS sind eine für alle bisher bekannten Gebärdensprachen typische Gruppe von Gebärden. Sie beschreiben Größe und Form von Referenten und sind daher semantisch als eine spezielle Unterklasse der Eigenschaftsbezeichnungen zu betrachten. Zusätzlich müssen sie in der DGS auch hinsichtlich ihrer morphosyntaktischen Eigenschaften als eine eigene Klasse gewertet werden. Sie unterscheiden sich formal von anderen Eigenschaftsbezeichnungen vor allem bezüglich distributioneller Kriterien. SASS können nur nach dem semantischen Nukleus einer Phrase stehen (s. (15)), vgl. auch Glück (2000). Im Gegensatz dazu können

Non-Verbale Prädikation in der DGS

101

Eigenschaftsbezeichnungen, die nicht in die Klasse der SASS gehören, sowohl nach (9a) als auch vor (9b) dem semantischen Nukleus stehen. (9)

a. Brauen Mimik Gebärde Dominanz Oberkörp. Kopf

hoch------------------------------ gerunzelt neutral---------------------------- „nett“ KOLLEGE NEU NETT D B D neutral------------------------------------------neutral------------------------------------------nicken

‚Der neue Kollege ist nett.‘ b. Brauen Mimik Gebärde Dominanz Oberkörp. Kopf

(ELI)

hoch----------------------------- neutral------------------------neutral intensiv neutral------------------------PETER IDX + NEU KOLLEGE D D B D neutral---------------------------------------------------------------neutral----------------------------------------------------------------

‚Peter ist ein neuer Kollege.‘

(DIA)

In der Literatur herrscht übereinstimmend die Ansicht, dass Eigenschaftsbezeichnungen, die einem Appellativ vorangestellt sind, in der DGS immer in Attributsfunktion stehen (Keller 1998, Erlenkamp 2000, Heßmann 2001), vgl. (9), (10). Da vorangestellte Eigenschaftsbezeichnungen bereits durch die Wortstellung als Attribute identifiziert werden können, ist eine besondere Prosodie durch explizite non-manuelle Komponenten, wie wir sie in Abschnitt 5 näher betrachten, funktional nicht notwendig. So sind vorangestellte Attribute im allgemeinen nicht durch auffällige non-manuelle Komponenten begleitet. Wie in (10) illustriert, wird in der Regel ein neutraler Gesichtsausdruck verwendet, ohne dass zwischen Eigenschafts- und Appellativgebärde oder vor bzw. nach der Nominalphrase z.B. ein Wechsel in der Stellung der Augenbrauen oder des Oberkörpers vorgenommen wird (vgl. auch (9b)). (10)

Brauen Mimik Gebärde Dominanz Oberkörp. Kopf

neutral------------------------hoch-----------------------------------neutral----------------------------------------------------------------------ALT

SCHIFF

UMBAU

IDX:DORT

GEHÖRLOS

HEIM

D B B D D B neutral------------------------------------------------------------------------neutral------------------------------------------------------------------------1x nicken

‚Sie haben ein altes Schiff umgebaut. Dort ist das Clubheim der Gehörlosen.‘ (DIA)

Silvia Kutscher

102

Im Korpus liegen auch einige Äußerungen mit Wechsel im mimischen Ausdruck zwischen Attribut und semantischem Nukleus vor, s. (11). Dieser Wechsel ist allerdings nicht als prosodischer Prozess zu bewerten. In der DGS gibt es eine Reihe von Eigenschaftsgebärden, die regelmäßig von einer spezifischen Mimik begleitet werden. So wird die Gebärde NETT (s. (11a)) durch einen vorgeschobenen Mund und eine gerunzelte Stirn begleitet, während die Gebärde TEUER (s. (11b)) durch eine gerunzelte Stirn und zusammengekniffene Augen begleitet wird. (11)

a. Brauen Mimik Gebärde Dominanz Oberkörp. Kopf

neutral gerunzelt hoch intensiv „nett“ neutral INDEX + NETT LEHRER D D B neutral----------------------------------------------neutral----------------------------------------------nicken

‚Er ist ein netter Lehrer.‘ b. Brauen Mimik Gebärde

(ELI)

hoch---------------neutral-------------

gerunzelt-----------------------------inten- inten- „gern“ „teuer“ siv siv

neutral neutral

MEIN

IDX +

SCHUH

FREUND

KAUF

GERN

TEUER

++

Dominanz Oberkörp. Kopf

D B ND B D D neutral---------------------------------------------------------------------neutral----------------------- hin u. her geneigt neutral---------

‚Meine Freundin kauft gerne teure Schuhe.‘

(ELI)

Ob es sich um ein lexikalisches Merkmal dieser Gebärden handelt, möchte ich an dieser Stelle ungeklärt lassen. Zwar werden Gebärden wie TEUER oder NETT in der Regel durch die hier beschriebene Mimik begleitet, sie können aber auch mit neutralem Gesichtsausdruck gebärdet werden. Auch ist die Form des mimischen Ausdrucks variierbar und kann z.B. simultan zum semantischen Gehalt der Gebärde noch eine Modifikation wie z.B. eine Intensivierung (‚unheimlich teuer‘, ‚wahnsinnig nett‘) ausdrücken. Im Gegensatz zur Analyse von Erlenkamp (2000: 87, 113), nach deren Ansicht nachgestellte Eigenschaftsbzeichnungen stets prädikativ zu interpretieren sind, deuten die Daten in meinem Korpus darauf hin, dass auch nachgestellte Eigenschaftsbezeichnungen in Attributsfunktion stehen können. Diese Einschätzung wird von Keller (1998: 122) und Heßmann (2001) geteilt. Dem semantischen Nukleus nachgestellte Eigenschaftsbzeichnungen können mithin mal in Attributs-, mal in Prädikatsfunktion stehen, ohne durch morphosyntaktische Mittel unterscheidbar zu sein. Eine kontextfreie und rein auf die Berücksichtigung der manuellen Komponenten beschränkte gebärdensprachliche Äußerung wie in (12) scheint damit bezüglich ihrer Interpretation zunächst vage zu sein zwischen einer prädikativen und attributiven Funktion der Eigenschaftsgebärde.

Non-Verbale Prädikation in der DGS

(12)

Gebärde Dominanz

LEHRER B

103 NETT D

‚der nette Lehrer‘ / ‚Der Lehrer ist nett‘ Im nächsten Abschnitt werde ich zeigen, dass in der DGS zur Etablierung von Phrasengrenzen non-manuelle Komponenten eingesetzt werden, die mit prosodischen Mitteln zur Identifikation von Konstituenten in Lautsprachen vergleichbar sind. Nachgestellte Eigenschaftsbezeichnungen sind mithin nicht als grundsätzlich vage hinsichtlich ihrer funktionellen Interpretationsmöglichkeiten zu betrachten, da in der DGS ungeachtet der nicht vorhandenen morphosyntaktischen Mittel andere sprachliche Mittel vorliegen, an denen ablesbar ist, ob eine nachgestellte Eigenschaftsbezeichnung prädikativ oder attribuierend zu interpretieren ist.

5.

Non-manuelle Komponenten zur Identifikation von Konstituentengrenzen

In der DGS stehen zur Unterscheidung von attributivem und prädikativem Gebrauch von Eigenschaftsbezeichnungen keine manuellen Mittel zur Verfügung, die z.B. Kasuskongruenz oder anderen Mitteln der morphologischen Ebene in den Lautsprachen entsprechen. Die Erforschung vor allem der Amerikanischen (ASL), der Israelischen (ISL) und der Schweizerdeutschen (DSGS) Gebärdensprachen hat gezeigt, dass gebärdensprachliche nonmanuelle Komponenten den prosodischen Mitteln von Lautsprachen entsprechen. Ähnlich wie Rhythmus und Intonationsverläufe in Lautsprachen (Nespor & Vogel 1986, Ladd 1996) geben non-manuelle Komponenten wie u.a. Augenblinzeln, Augenbrauen-, Mundwinkel-, Kopf- und Oberkörperbewegungen Anhaltspunkte zur Gliederung von Äußerungen in prosodische Konstituenten wie Intonationsphrase, phonologische Phrase und prosodisches Wort (Sandler 1999, Nespor & Sandler 1999 für ISL und Wilbur 1994, 2000, Brentari & Crossley 2002 für ASL, Boyes-Braem 1999, 2001 für DSGS). Für die DGS wurde bisher noch keine Untersuchung zur Rolle non-manueller Komponenten als prosodische Mittel zur Identifikation von Konstituentengrenzen durchgeführt. Daher versteht sich der vorliegende Beitrag als eine Pilotstudie der Verwendung prosodischer Mittel zur Abgrenzung nachgestellter Attribute von Prädikativa in der DGS. Die vorliegenden Daten deuten darauf hin, dass vor allem die non-manuellen Komponenten Augenbrauenposition, Oberkörperbewegungen und eine aktiv gebärdende nichtdominante Hand zur Kennzeichnung von Nominalphrasen mit nachgestelltem Attribut fungieren. Diese non-manuellen Komponenten spielen auch in anderen Bereichen der DGSGrammatik eine Rolle. So fungieren gehobene Augenbrauen u.a. als Kennzeichnung der Interrogation, zusammengezogene Augenbrauen zur Kennzeichnung der Apodosis eines Konditionalsatzes und Drehungen des Oberkörpers unterscheiden verschiedene Diskurspartizipanten bei Wiedergabe von Ereignissen in direkter Rede. Auch das Aufspalten verschiedener Aussageteile auf die dominante und nicht-dominante Hand kann u.a. als Mittel des Diskurstopiktrackings und für die Gliederung eines Sachverhalts in Figure und Ground

Silvia Kutscher

104

(vgl. (1)) beobachtet werden. In diesen Fällen wird die nicht-dominante Hand als die aktiv gebärdende Hand eingesetzt, während sich die dominante Hand passiv verhält (Dominanzumkehrung). Die folgenden Beispiele illustrieren die Verwendungen der verschiedenen nonmanuellen Komponenten bei nachgestellten Eigenschaftsbezeichnungen in attributiver Funktion. 5.1

Augenbrauenbewegungen

Ein wichtiges Mittel zur Kennzeichnung von Konstituenten ist das Heben der Augenbrauen. Diese non-manuelle Komponente wird für die ASL und auch für die DGS (s. Keller 1998) als Topikmarker diskutiert (s. z.B. auch (13)). Wie (13) zeigt, kann sie auch für die Identifikation des attributiven Gebrauchs nachgestellter Eigenschaftsbezeichnungen herangezogen werden. (13)

Brauen Mimik Gebärde Dominanz Oberkörp. Kopf

neutral-------------------------- hoch---------------------------neutral----------------------------------------------------------------BLAU BITTE HOLEN SCHÜSSEL D D B, ND: Boje D neutral----------------------------------------------------------------neutral-----------------------------------------------------------------

‚Bitte hole die blaue Schüssel.‘

(DIA)

In Beispiel (13) bilden die Gebärden SCHÜSSEL und BLAU eine Phrase, die als Objekt zur verbalen Gebärde HOLEN fungiert. Während sich die Augenbrauen zu Beginn der Äußerung noch in neutraler Stellung befinden, werden sie zu Beginn der Gebärde SCHÜSSEL angehoben und erst nach dem Ende der Gebärde BLAU, am Äußerungsende, wieder in die neutrale Position abgesenkt.11 Das Heben der Augenbrauen ist nicht auf Phrasen in bestimmten Satzstellungen beschränkt, wie (14) illustriert.

–––––––—–– 11

Darüber hinaus bleibt der Gebärdenteil der nicht-dominanten Hand als Fragment-Boje stehen, während die dominante Hand die nächste Gebärde, BLAU, formt. Dies unterstreicht zusätzlich, dass die Gebärde BLAU eine Modifikation der Gebärde SCHÜSSEL darstellt. Wie oben bereits erläutert, ist die Funktion der Fragment-Gebärden noch strittig. Es besteht aber Einigkeit darüber, dass sie nicht der Markierung von Konstituentengrenzen dient (vgl. (2)).

Non-Verbale Prädikation in der DGS

(14)

Brauen Mimik Gebärde Dominanz Oberkörp. Kopf

105

hoch------------------------------ gerunzelt neutral---------------------------- „nett“ KOLLEGE NEU NETT D D D neutral--------------------------------------------neutral--------------------------------------------nicken

‚Der neue Kollege ist nett.‘

(ELI)

In (14) beginnt die Äußerung mit einer durch die Gebärde NEU modifizierten Nominalphrase, über die die Eigenschaftsbezeichnung NETT eine dispositive Eigenschaft des Referenten der Gebärde KOLLEGE prädiziert. Die Nominalphrase KOLLEGE NEU ‚neuer Kollege‘ wird durch gehobene Augenbrauen gekennzeichnet, die mit Beginn der Gebärde NETT abgesenkt werden. Zusätzlich wird die Gebärde NETT durch ein Kopfnicken begleitet. In der Forschung zur Gebärdensprachprosodie der ASL wird das Kopfnicken als Kennzeichnung einer Intonationseinheitsgrenze bei affirmativen Äußerungen diskutiert (vgl. Wilbur & Patschke 1999). Ob und welche Funktion das Kopfnicken in der DGS hat, wurde noch nicht untersucht. Da es in meinen Daten nur selten vorkommt, ist zu vermuten, dass es zumindest kein obligatorisches Mittel der Kennzeichnung von non-verbalen Prädikationen ist. Während für einen großen Teil der mir vorliegenden Daten die non-manuelle Komponente ‚Augenbrauenbewegung‘ als Kennzeichnung der nachgestellten Eigenschaftsbezeichnung in Attributsfunktion klar zu erkennen ist, erscheint die in (15) angeführte Äußerung in dieser Hinsicht zunächst als problematisch. In (15) wird die Gebärde PFOTE12 durch eine SASS-Gebärde näher spezifiziert. Während sich über die Dauer der Gebärde PFOTE eine Senkung und Hebung der Augenbrauen erstreckt, werden die Augenbrauen zu Beginn der SASS-Gebärde BREIT zusammengezogen. (15)

Brauen Mimik Gebärde

hoch-------------- neutral hoch neutral----------------------------------DA PFOTEN HUND IDX

Dominanz

B, ND: Boje

Oberkörp. Kopf

neutral---------------------------------------------------------------------neutral---------------------------------------------------------------------nicken nicken

D

D

B

gerunzelt-------------------„breit“-----------------------BREIT STAPFEN (breitpfotig) B B

‚Diese Hunde haben sehr breite Pfoten, auf denen sie breitpfotig stapfen.‘ (NAR)

–––––––—–– 12

PFOTE ist eine einhändige Gebärde. Die simultane Verwendung beider Hände in (15) ist ein Mittel zur Pluralbildung (zu den verschiedenen Mitteln der Pluralbildung s. Pfau & Steinbach 2005).

Silvia Kutscher

106

In (15) ist also zwischen Nukleus und Eigenschaftsbezeichnung die non-manuelle Komponente ‚Augenbrauenbewegung‘ nicht durchgehend einheitlich. Auch bleibt der Körper während des Gebärdens der gesamten Äußerung in neutraler Position. Semantisch liegt es nahe, die Abfolge der Gebärden PFOTE und BREIT als eine Konstituente zu interpretieren, die als Argument der Gebärde DA ‚haben, besitzen, vorhandensein‘ fungiert. Möglicherweise liegt in diesem Beispiel eine Interferenz zwischen lexikalisierter und prosodischer Mimik vor (Sandhi), da die SASS-Gebärden in der Regel durch mimische Mittel, wie z.B. zusammengezogene Augenbrauen, begleitet werden.13 Die konventionalisierte Mimik des SASS würde in diesem Fall mit der Funktion der Augenbrauenbewegung als Kennzeichnung von Konstituenten interferieren. Ob und in welcher Art solche Interferenzen vorliegen, bedarf noch genauer Untersuchungen. Die Kennzeichnung der Konstituente durch die Stellung der Augenbrauen kann auch durch weitere non-manuelle Komponenten – Bewegungen des Oberkörpers (16) und Kopfneigung (17) – begleitet sein. Die Neigung des Kopfes oder die Bewegung des Oberkörpers kommen – anders als die Augenbrauenbewegung – in meinem Datenkorpus allerdings nicht als alleinige Kennzeichnung der attributiven Verwendung der nachgestellten Eigenschaftsbezeichnung vor. In (16) wird die Prädikation REIF ‚reif sein/reif werden‘ über die Nominalphrase TOMATE GRÜN durch das Zurücklehnen des Oberkörpers (zusätzlich zum Heben der Augenbrauen und dem Drehen des Kopfes nach rechts) begleitet. (16)

Brauen Mimik Gebärde Dominanz Oberkörp. Kopf

hoch-------------------- neutral hoch neutral----------------------------------------TOMATE GRÜN REIF WIE ND B B B neutral----------------- zurück vorne neutral----------------- rechts-------------

‚Wie wird die grüne Tomate reif?‘

(DIA)

In (17) erfolgt das Hochziehen der Augenbrauen über die gesamte Dauer der Nominalphrase SCHÜSSEL BLAU. Zu Beginn der nächsten Gebärde – AUFFALL ‚gefallen‘ – setzt ein Wechsel der Augenbrauenposition und der Mimik ein. Diese non-manuellen Komponenten begleiten diese Gebärde üblicherweise und sind daher kein eindeutiger Hinweis auf eine Phrasengrenze (vgl. auch das Sandhi-Problem in (15)). Gleichzeitig wird zu Beginn der Gebärde AUFFALL der bis dahin senkrecht aufgerichtete Kopf leicht nach rechts geneigt.14 –––––––—–– 13 14

vergleichbar einem Ton-Sandhi in Tonsprachen, also der Interferenz zwischen zwei benachbarten lexikalischen Tönen bzw. zwischen einem lexikalisierten und einem intonatorischen Ton. Zu beachten ist, dass die Fragment-Boje der Gebärde SCHÜSSEL über die gesamte Äußerung hinweg als Teilgebärde der nicht-dominanten Hand stehen bleibt. Die Fragment-Boje signalisiert, dass die Schüssel das Thema der gesamten Äußerung ist – es werden eine weiße und eine blaue Schüssel miteinander verglichen. Sie kann nicht zur Identifikation von Konstituentengrenzen herangezogen werden (vgl. (2)).

Non-Verbale Prädikation in der DGS

(17)

Brauen Mimik Gebärde Dominanz Oberkörp. Kopf

107

hoch---------------------- „gerunzelt“ hoch gerunzelt-------neutral „intensiv“ Negation AUFFALL WEISS NICHT SCHÜSSEL BLAU B, ND: Boje D D D D neutral--------------------------------------------------------------------neutral----------------- rechts geneigt------------------------------schütteln

‚Mir gefällt die blaue Schüssel und nicht die weiße.‘

(DIA)

Laut Sandler (1999: 206) fungiert der Kopfpositionswechsel in der ISL als Konstituentenmarkierung. Für die DSGS berichtet Boyes-Braem (1995: 109), dass in konditionalen Ausdrücken die Apodosis durch eine Änderung der Kopfstellung gekennzeichnet wird. Ob und welche Rolle die Neigung des Kopfes in der DGS spielt, ist noch nicht untersucht worden. Der Positionswechsel in Beispiel (17) weist jedoch auf eine vergleichbare Funktion dieser non-manuellen Komponente in der DGS hin. 5.2

Dominanzumkehrung der Hände

In der Forschung zur ASL wird ein weiteres Mittel der Phrasenkennzeichnung diskutiert (Frishberg 1985). Es besteht in der Verwendung der nicht-dominanten Hand als die aktiv gebärdende, dominante Hand und wird als Dominanzumkehrung (‚dominance reversal‘) bezeichnet. Wie (18) illustriert, wird dieses Mittel auch in der DGS eingesetzt. (18)

Brauen Mimik Gebärde Dominanz Oberkörp. Kopf

gerunzelt-----------------------------------------------------bitte neutral-------------------------------------BLAU HOLEN BITTE ++ SCHÜSSEL D B, ND:Boje D ND vor-------------------------------------------------------------neutral----------------------------------------------------------

‚Bitte hol mir die blaue Schüssel (...).‘

(DIA)

In (18) werden die ersten beiden Konstituenten der Äußerung mit der dominanten Hand gebärdet, die Augenbrauen befinden sich über beide Konstituenten – BITTE und SCHÜSSEL BLAU – hinweg in der gleichen Stellung. Die Gebärde HOLEN wird mit der nicht-dominanten Hand ausgeführt. Sie fungiert als Prädikat der Äußerung, zu dem die Phrase SCHÜSSEL BLAU in Argumentfunktion steht. 5.3

Oberkörperposition

Aus Untersuchungen zur ASL (Wilbur & Patschke 1998) und DSGS (Boyes-Braem 1999: 186ff) ist bekannt, dass Bewegungen des Oberkörpers zur Signalisierung von Phrasengren-

Silvia Kutscher

108

zen eingesetzt werden. Dieses Mittel findet sich auch in der DGS, wie (19) und (21) illustrieren. In (19) wird die Gebärde KAFFEE mit vorgebeugtem Oberkörper ausgeführt. Dieser richtet sich bei Ausführung der Gebärde KALT auf. Die Stellung der Augenbrauen scheint ebenfalls Hinweise auf die Konstituentengrenze zu geben: Zu Beginn der Eigenschaftsgebärde KALT werden sie stark zusammengezogen. (19)

Brauen Mimik Gebärde Dominanz Oberkörp. Kopf

neutral gerunzelt-------------------ablehnend „kalt“ ablehnend KALT Geste:ääh KAFFEE B, ND: Boje D vorgebeugt aufrichten neutral--------------------------- kurz schütteln

neutral neutral WEGSCHÜTT ND neutral

‚Der Kaffee war kalt. Ungenießbar. Ich habe ihn weggeschüttet.‘

(ELI)

Bei der Gebärde KALT ist es allerdings üblich, diese durch eine spezifische, auch die Augenbrauen mit einbeziehende Mimik zu begleiten. Die Augenbrauenposition während der Ausführung der Gebärde KALT unterliegt daher möglicherweise ebenfalls einem SandhiProzess und liefert für die Interpretation der Gebärde KALT als attributiv oder prädikativ fungierend keine eindeutige Kennzeichnung. Der für die Elizitierung von (19) vorgelegte Stimulus zielte auf die Produktion einer prädikativen Verwendung der Gebärde KALT ab (vgl. lautsprachliche Übersetzung von (19)). Während die Augenbrauen kein klares Signal für die Interpretation der Äußerung geben, kennzeichnet die non-manuelle Komponente ‚Position des Oberkörpers‘ jedoch eine Konstituentengrenze, die zur Interpretation der Gebärde KALT als in prädikativer Position stehend führt. Ähnlich verhält es sich mit der Äußerung in (20). Auch hier liefert die Augenbrauenposition keine eindeutigen Signale bezüglich der attributiven oder prädikativen Funktion der Gebärde BLAU. Die Augenbrauen, die bereits seit Beginn der Gebärde SCHÜSSEL gerunzelt sind, werden zu Beginn der Gebärde BLAU kurz gehoben und dann wieder gerunzelt. Diese Zusammenziehung der Augenbrauen hält während der Ausführung der Gebärde DA an. Der Oberkörper hingegen wird zu Beginn der mit der nicht-dominanten linken Hand ausgeführten prädikativen Gebärde DA ‚besitzen, haben, vorhandensein‘ aufgerichtet und leicht nach links gedreht.

Non-Verbale Prädikation in der DGS

(20)

109

Kotext: ‚Du möchtest eine Schüssel kaufen, beispielsweise eine blaue‘ Brauen

gerunzelt

hoch gerunzelt-

Mimik Gebärde

fragend-----------------------------SCHÜSSEL BLAU DA

Dominanz

B

Oberkörp. Kopf

neutral-------------------- links gedreht-------------------------------neutral---------------------------------------------- schütteln------------

D

ND: Boje

hoch

gerunzelt

überlegend

Negation WISSEN

ICH

D

D

Geste: überlegen D

‚Habe ich eine blaue Schüssel (in der Küche)? Ich weiß nicht.‘

neutral

(DIA)

Semantisch ist der Äußerungsabschnitt SCHÜSSEL BLAU als Argumentphrase zum Prädikat DA interpretierbar. Diese Interpretation wird durch die Oberkörperbewegung als Signal für eine Konstituentengrenze nach BLAU bestärkt. Ebenfalls unterstützend für die attributive Interpretation der Gebärde BLAU spricht die fließende Bewegung, mit der beide Gebärden in einander übergehen (vgl. 5.4, ‚Innehalten‘ als Grenzsignal). Gegen eine solche Interpretation spricht, dass eine Augenbrauenbewegung von mir bisher als Indiz für eine Phrasengrenze gewertet wurde. Die Brauenbewegung auf BLAU in (20) unterscheidet sich jedoch von den bisher besprochenen dadurch, dass eine Hebung und Senkung der Brauen innerhalb der Ausführung einer Gebärde stattfindet, vergleichbar einem Hoch-Tief-Ton auf einer Silbe in der Lautsprache. Diese Augenbrauen„modulation“ dient möglicherweise der Hervorhebung eines Teils einer Konstituente, einer kontrastiven Fokusintonation der Lautsprache entsprechend. Dafür spricht der Kontext, in der die Äußerung in (20) artikuliert wurde. Der Gebärdende überlegt, ob sich unter den in seiner Küche vorhandenen Schüsseln auch eine blaue befindet. 5.4

Verlängertes Halten einer Gebärde (‚hold‘)

Die Äußerung in (21) ist, anders als die Äußerung in (19), keine elizitierte Übersetzung eines schriftsprachlichen Satzes, sondern stammt aus einem längeren spontansprachlichen Abschnitt. Es ist die Fortsetzung der Äußerung in (18). Während der Ausführung der Gebärden SCHÜSSEL und BLAU befinden sich die Augenbrauen in gleicher Stellung wie schon bei der Äußerungseinheit KOMMTZURÜCK, die vor der Äußerung in (21) steht.15 Zu Beginn der Gebärde BLAU lehnt sich der Gebärdende deutlich nach vorne. Zu Beginn der nächsten Gebärde, der Negation PHH ‚nicht vorhanden‘, lehnt er sich in die neutrale Körperposition zurück. –––––––—–– 15

Die Mimik besteht aus heruntergezogenen Augenbrauen und Mundwinkeln. Sie nimmt die negative Aussage, dass sich entgegen der Vermutung des Gesprächspartners keine blaue Schüssel im Küchenschrank befindet, vorweg.

Silvia Kutscher

110 (21)

Kotext: (Ich sage zu ihm) „Bitte hole die blaue Schüssel.“ Er geht in die Küche und kommt zurück (und sagt): Brauen Mimik Gebärde Dominanz Oberkörp. Kopf

gerunzelt----------------------------------------------ablehnend----------------------------- Negation PPH + SCHÜSSEL(verkürzt) BLAU B, ND: Boje D D neutral vor neutral neutral--------------------------------- schütteln

‚„Eine Schüssel in blau ist nicht vorhanden“.‘ ‚„Eine Schüssel, eine blaue, ist nicht vorhanden“.‘

(DIA)

In (21) kann das Zurücklehnen des Oberkörpers zu Beginn der Negation (Gebärde PPH, obligatorisch durch Kopfschütteln begleitet) als Signal für die Phrasengrenze nach der Gebärde BLAU herangezogen werden. Die unveränderte Position der Augenbrauen während der Dauer der Gebärden SCHÜSSEL und BLAU spricht einerseits für die Interpretation der Eigenschaftsbezeichnung BLAU als Attribut. Andererseits hebt der Gebärdende durch das expressive Nachvornelehnen des Oberkörpers die Gebärde BLAU besonders hervor. Diese Veränderung der Oberkörperhaltung zu Beginn der Gebärde BLAU deutet darauf hin, dass die Gebärde eine eigene Konstituente bildet. Unterstützt wird diese Annahme dadurch, dass der Gebärdende nach der Ausführung der Gebärde SCHÜSSEL kurz innehält (in (21) gekennzeichnet durch einen senkrechten Doppelstrich). Aus der Forschung zu den prosodischen Funktionen der non-manuellen Komponenten der ISL ist bekannt, dass ein verlängertes Halten einer Gebärde (‚hold‘) als Signal für eine Phrasengrenze fungieren kann (Nespor & Sandler 1999, Sandler 1999). Beim heutigen Wissensstand zur DGS bleibt noch unklar, ob die Gebärde BLAU in (21) als Koprädikat oder als eigene, fokussierte Nominalphrase zu interpretieren ist (vgl. die zwei Übersetzungen). Beispiel (22) zeigt eine minimal kontrastive Äußerung zu (21). Hier wird das verlängerte Halten (‚hold‘) für die Gebärde BLAU ausgeführt (gekennzeichnet durch einen senkrechten Doppelstrich). Die Position des Oberkörpers bleibt während der Ausführung der Gebärden SCHÜSSEL und BLAU gleich (vorgebeugt) und verändert sich erst zu Beginn der Negationsgebärde PPH. Vergleichbar zur Äußerung in (21) geben Mimik und Augenbrauenposition keine Hinweise auf Konstituentengrenzen. (22)

Brauen Mimik Gebärde Dominanz Oberkörp. Kopf

gerunzelt-------------------------------------------ablehnend------------------------------------------BLAU + PPH SCHÜSSEL B, ND: Boje D D vor----------------------------------- neutral neutral------------------------------- schütteln

‚Eine blaue Schüssel ist nicht vorhanden.‘

(DIA)

Non-Verbale Prädikation in der DGS

111

Wie in Äußerung (21) unterstützt das verlängerte Halten einer Gebärde die Signale, die bezüglich der Konstituentengrenze durch die non-manuelle Komponente ‚Oberkörperposition‘ ausgehen. Anders als in (21) wird die Konstituentengrenze nach der Gebärde BLAU gesetzt und die Äußerung kann als Prädikation über eine (durch den vorgebeugten Oberkörper emphatisch betonte) attributive NP ‚blaue Schüssel‘ interpretiert werden. 5.5

Zusammenfassung

In Abschnitt 5 konnte gezeigt werden, dass die DGS über eine Reihe non-manueller Komponenten verfügt, die zur Unterscheidung von nachgestellten Attributen und prädikativ verwendeten Eigenschaftsbezeichnungen eingesetzt werden können. Die aufgezeigten prosodischen Mittel gleichen den aus der Forschung zu anderen Gebärdensprachen bekannten Mitteln zur Identifizierung von Konstituentengrenzen. Die in Abschnitt 5 behandelten Daten zeigen, dass insbesondere vier der besprochenen non-manuellen Komponenten in der DGS als Signale für Phrasengrenzen gewertet werden können: - Augenbrauenbewegungen - Dominanzumkehrung der Hände (‚dominance reversal‘) - Bewegungen des Oberkörpers - verlängertes Halten einer Gebärde (‚hold‘) Allerdings bereitet die Interpretation der vorliegenden Daten auch einige Probleme, da keine eindeutige Form-Bedeutungs-Korrelation zwischen eingesetzten non-manuellen Komponenten und Identifizierung von Phrasengrenzen festgestellt werden konnte. Nicht jede der behandelten non-manuellen Komponenten wird in allen Äußerungen der DGS als Konstituentensignal eingesetzt. Darüber hinaus üben einige non-manuelle Komponenten Funktionen auf unterschiedlichen Ebenen des Sprachsystems aus16 (Mimik und Augenbrauen: Lexikon, adverbiale Modifikation; Körper- und Augenbrauenbewegungen: Satzmodus und Konditionalgefüge; Mimik und Kopfbewegung: Negation; Körperbewegung und Dominanzumkehrung: Identifizierung von Partizipanten im Diskurs). Dadurch stellt sich u.a. das Problem der Interferenz (Sandhi) der unterschiedlichen funktionalen Anforderungen der verschiedenen Ebenen, wie sie z.B. auch aus Lautsprachen bekannt sind.

6.

Ergebnis

Der vorliegende Artikel stellt eine Pilotstudie über die Verwendung prosodischer Mittel zur Identifikation von Konstituenten in non-verbalen Prädikationen der DGS dar. Es konnte –––––––—–– 16

s. Wilbur & Patschke (1998), die für ASL eine einzige Funktion für die Komponente ‚Hebung der Augenbrauen‘ annehmen (A’-Markierung), aus der sich die anderen in der Literatur beschriebenen Funktionen als Epiphänomene ableiten lassen.

112

Silvia Kutscher

gezeigt werden, dass die non-manuellen Komponenten ‚Augenbrauenbewegung‘, ‚Dominanzumkehrung der Hände‘ (‚dominance reversal‘), ‚Bewegungen des Oberkörpers‘ und das ‚verlängerte Halten einer Gebärde‘ (‚hold‘) in der DGS als Signale für Phrasengrenzen gewertet werden können. Allerdings ist die Interpretation der vorliegenden Daten in einigen Fällen problematisch, da keine eindeutige Form-Bedeutungs-Korrelation zwischen eingesetzten non-manuellen Komponenten und Phrasengrenzen festgestellt werden konnte. Zur Klärung der geschilderten Analyseprobleme und zum Verständnis der Prosodie in der DGS ist eine sehr viel detailliertere Untersuchung der DGS erforderlich. Dazu muss nicht nur ein vollständiger Katalog prosodischer Komponenten erstellt werden, sondern es muss auch untersucht werden, wie die einzelnen non-manuellen Komponenten miteinander interagieren. So stellt sich u.a. die Frage nach der systematischen Erfassung von Sandhi-Phänomenen non-manueller Komponenten. Auch steht eine Klärung der Frage an, inwieweit die einzelnen non-manuellen Komponenten in ihrem systematischen Beitrag zur Prosodie der DGS gewichtet werden müssen. Aufgrund des jetzigen Wissensstandes und der geringen Datenmenge zur Prosodie der DGS sind hierzu im vorliegenden Artikel nur erste, vortheoretische Annahmen bei der Besprechung der Einzeldaten formuliert worden.

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Non-Verbale Prädikation in der DGS

113

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Teil II: Klassentypische Eigenschaften von Kopulaverben

Holden Härtl

Lexikalische Blockierung und die grammatischen Folgen bei Kopula-Konstruktionen mit werden*

1.

Das mentale Lexikon als interaktiver Schmelztiegel?

Eine Theorie des mentalen Lexikons muss im Wesentlichen zwei Dinge leisten: Einerseits muss sie die grammatisch relevanten Merkmale der einzelnen Einträge definieren, und es müssen andererseits die Bedingungen, die den Zugriff auf einen Lexikoneintrag restringieren, in irgendeiner Weise festgelegt sein. In einem generativen lexikalischen System, wie es hier im Sinne von Bierwisch & Schreuder (1992); Härtl (2001); Pustejovsky (1991); Wunderlich (1997) u.a. angenommen wird, kommt hinzu, dass das sprachliche Verhalten lexikalischer Einträge regelhaft und vorhersagbar erfasst sein muss. Betrachtet man nun das lexikalische System als singuläre Komponente an der Schnittstelle zwischen grammatischer und semantisch-konzeptueller Strukturbildung, müssen daneben die lexikalischen Zugriffsbeschränkungen, welche von ganz unterschiedlichen Ebenen der Strukturbildung stammen können, unter Einhaltung der Modularitätsprinzipien (s. Fodor 1983) implementiert werden. Besonders gut deutlich wird dieses Wechselspiel der sprachlichen Ebenen bei den Kopula-Prädikativ-Konstruktionen mit werden, dessen selektionale Beschränkungen u.a. mit morpho-syntaktisch kategorialen (1a), ereignisstrukturellen (1b), konzeptuell-semantischen (1c), ontologischen (1d) und pragmatischen Faktoren (1e) zu assoziieren sind: (1)

a. *Georg ist allein geworden.1 b. *Der Apfel war verfault geworden.2 c. *Joan ist nackt geworden.

–––––––—–– *

1

2

Ein wesentlicher Teil der vorliegenden Arbeit ist im DFG-Projekt „Kopula-Prädikativ-Konstruktionen“ (ZAS Berlin, Leitung: Prof. Dr. Ewald Lang) entstanden. Ich danke Ljudmila Geist, Claudia Maienborn, Andrew McIntyre, Susan Olsen, Björn Rothstein, Florian Schäfer, der/dem anonymen Gutachter/-in und den TeilnehmerInnen des ILG Workshops V: „Zusammengesetzte Prädikate und Kompositionalität“ (Universität Stuttgart, Juli 2005) für kritische Kommentare und anregende Diskussionen zur Thematik und Peter Schöpperle für die technische Unterstützung. An dieser Stelle ist eine Bemerkung zu den Akzeptabilitätsurteilen vonnöten: Eine Konstruktion wird hier dann als abweichend mit den entsprechenden Abstufungen (*/??/?) markiert, wenn sie – unter Ausblendung irrelevanter kontextueller Faktoren – im wie auch immer gearteten Kontrast zur entsprechenden Konstruktion mit sein steht, welche also als Kontroll-Konstruktion im empirischen Sinne fungiert: (i) Die neue Redakteurin ist für den Nahen Osten verantwortlich. (ii) ?Die neue Redakteurin wird für den Nahen Osten verantwortlich. Man beachte, dass entsprechende passivische Sätze im Partizip Perfekt mit dem form-ähnlichen Auxiliar grammatisch sind, vgl. Der Berggipfel war erreicht worden, was hier aber nicht besprochen wird.

118

Holden Härtl d. *Diese Stadt ist südlich geworden. e. %Die Uhr ist kaputt geworden.3

In (1a) liegt eine Verletzung vor, die damit zusammenhängt, dass nicht-attributivische Modifizierer nicht im Komplement von werden auftreten können.4 Dass werden nicht mit dem Partizip Perfekt kombiniert werden kann, wie in (1b) illustriert, ist nach Zimmermann (1999) wiederum darauf zurückzuführen, dass hier eine illegitime Dopplung der ereignisstrukturellen Bedeutung eines Zustandswechsels vorliegt. (1c) ist nach Härtl (2005) damit zu motivieren, dass die im Komplement von werden beschriebene Eigenschaft obligatorisch unkontrolliert sein muss, was bei nackt nicht der Fall ist, da es einen ausschließlich kontrollierten Zustand denotiert (s. Abschnitt 2.1.). In (1d) liegt eine außersprachlich basierte Verletzung dahingehend vor, dass Entitäten wie Städte ontologisch normalerweise auf unveränderliche räumliche Gegebenheiten festgelegt sind. Ein pragmatisch basiertes Prinzip schließlich zeichnet für die Abweichung in (1e) verantwortlich: Wie im Folgenden gezeigt werden wird, ist kaputt werden blockiert durch kaputt gehen, welches eine hoch-frequente Formalternative bereitstellt und daher – im Sinne der Grice’schen Kooperationsprinzipien (s. Grice 1975) – den Wettbewerb mit %kaputt werden gewinnt. Ich widme mich in dieser Arbeit nun einer einfachen Frage: Warum weist eine Form wie kaputt gehen, welche die Form %kaputt werden lexikalisch blockiert, andere grammatische Eigenschaften auf als die blockierte Form? Diese Frage ist keineswegs trivial. Nimmt man nämlich an, dass die blockierte und die blockierende Form auf einer bestimmten Ebene der sprachlichen Strukturbildung (hier die (lexikalisch-) semantische) prinzipiell kompositional identisch sind, dann müssen diese Unterschiede also sorgsam motiviert werden, wobei auch externe – wie bspw. syntaktische oder pragmatische – Faktoren eine Rolle spielen können, die in die Zugriffsbeschränkungen für die Kopula integriert werden müssen. Wir sehen solche grammatischen Unterschiede bspw. beim Anschluss einer Dativ-DP mit der Interpretation eines Verursachers, was gut verträglich mit kaputt gehen ist, aber weniger gut verträglich mit semantisch vergleichbaren werden-Konstruktionen wie bspw. wertlos werden. Ich werde diesen Unterschied auf verschiedene syntaktische Strukturen der beiden Typen von Konstruktionen zurückführen: kaputt gehen als genuin unakkusatives Verb verfügt über ein internes Argument, werden-Konstruktionen hingegen basis-generieren ihr Subjekt extern im Spezifizierer einer eigenständigen Kopula-Projektion, was deren Subjekt für den Dativ-Lizenzierer unzugänglich macht. Abstrakt semantisch betrachtet sind beide Typen von Konstruktion also identisch, sie unterscheiden sich jedoch in ihren syntaktischen Strukturen. –––––––—–– 3

4

Ich verwende im Folgenden das Zeichen %, um eine Abweichung verursacht durch eine lexikalische Blockierung zu markieren auch an den Stellen, wo vorerst nur hypothetischerweise von einer Blockierung ausgegangen wird. Diese Beobachtung verdanke ich Manfred Bierwisch (p.K.). Inwiefern allerdings die Rigorosität dieser Regel durch Beispiele wie der Champus wurde schnell alle, aber *der alle Champus in Frage gestellt wird, bleibt noch zu klären. Ferner kommen auch – meist determiniererlose – Nomina im Komplement von werden vor, wie in Aus Angst wurde Verzweiflung. Aufgrund der unklaren kategorialen Sachlage behandele ich im Folgenden nur diejenigen Modifizierer, die auch attributivisch verwendet werden können.

Lexikalische Blockierung und die grammatischen Folgen

119

In einer ähnlichen Weise wird die unterschiedliche Anschließbarkeit eines Modifizierers wie von selbst erklärt, welcher gut mit kaputt gehen, aber weniger gut mit werden-Konstruktionen zu kombinieren scheint. Hier jedoch wird der Unterschied nicht syntaktisch motiviert, sondern pragmatisch. Ich werde argumentierten, dass von selbst bei solchen Konstruktionen erlaubt ist, die einen Verursacher bzw. eine Verursachungsrelation in irgendeiner Weise nahe legen bzw. implikatieren, und dass von selbst genau diese Implikatur annulliert. Prinzipiell muss aber erst einmal festgestellt werden, ob eine Blockierung überhaupt tatsächlich vorliegt und nicht etwa ein Ausschluss durch anderweitig linguistische Gründe (vgl. hierzu etwa (1c) und (1e)). Ich werde hierfür einen entsprechenden Nachweis mittels empirischer Daten für die blockierte Form %kaputt werden erbringen, welche bspw. im österreichischen Deutsch regulär ist. Semantisch irreguläre Formen wie bspw. *nackt werden sind hingegen in keiner sprachlichen Variante nachweisbar. Die abstrakt-semantische Identität von blockierendem kaputt gehen und entsprechenden werden-Konstruktionen werde ich anhand verschiedener Tests nachweisen, welche die selektionalen Beschränkungen der Kopula werden aufdecken. Werden stellt nämlich u.a. eine selektionale Bedingung an sein adjektivisches Komplement dahingehend, dass dieses eine unkontrollierte Situation beschreiben können muss. Dies schlägt sich nieder in der Sensitivität von werden-Konstruktionen für verschiedene linguistische Umgebungen, die mit semantisch-konzeptueller Kontrolle zu assoziieren sind. Wie sich zeigt, verhalten sich werden-Konstruktionen und die hier interessierenden blockierenden Formen in den verschiedenen semantischen Testumgebungen jeweils identisch. Auf diese Weise werde ich anhand eines Fallbeispiels die Zusammenarbeit der verschiedenen Faktoren sprachlicher Strukturbildung aufzeigen und in einem modularen Modell der Grammatik verankern. Wir konzentrieren uns dazu neben der Blockierung durch kaputt gehen auf Kopula-Konstruktionen mit Adjektiv und werfen einige Blicke auf determiniererlose Nomina wie im ebenfalls blockierenden pleite gehen. Im Resultat wird deutlich werden, dass auch in scheinbar unübersichtlichen Fällen eine systematische Trennung der verschiedenen linguistischen Komponenten sinnvoll bzw. notwendig ist und dass das mentale Lexikon, dessen lexikalische Konzepte den verschiedenen strukturbildenden Ebenen in systematischer Weise zugänglich sein müssen, in diesem Sinne keineswegs als Sammelort ausschließlich ideosynkratischer Information fungiert.

2.

Lexikalische Blockierung und die grammatischen Folgen

Eine lexikalische Blockierung liegt nach Giegerich (2001) immer dann vor, wenn ein sprachlicher Mitbewerber das Vorkommen einer anderen – oftmals komplexeren – regulären sprachlichen Form verhindert. In diesem Sinne sind Blockierungen als Instantiierung eines pragmatischen Prinzips anzusehen, welches besagt, dass für einen unmarkierten Ausdruck in einer kanonischen sprachlichen Umgebung die jeweils konventionalisierte Form zu wählen ist. Dieser Typ von Blockierung wird oft auch als synonymy blocking bezeichnet, was im Kontrast zu equality blocking steht, bei welcher das Vorhandensein einer festge-

120

Holden Härtl

legten Form-Bedeutung-Beziehung die Anwendung einer produktiven Regel verhindert wie bspw. im Falle von Öffner, das auf eine INSTRUMENT-Lesart festgelegt ist und daher in kanonischen Kontexten nicht als ein Nomen Agentis wie Trinker instantiiert werden kann. Im Gegensatz zu der vereinzelt formulierten Annahme, dass nur bei synonymy blocking ein Ausschluss durch repräsentationelle Gleicheit (i.e. ‚preemption by equality‘, s. u.a. Briscoe et al. 1995) vorliegt, nehme ich dies für beide Formen von Blockierung an, bei equality blocking ist die Gleichheit allerdings auf die materielle Zeichenebene festgelegt. Im Folgenden finden sich einige der bekannten Beispiele für lexikalische Blockierungen (vgl. Blutner 2002; Briscoe et al. 1995; Helmreich & Farwell 1996): (2)

a. b. c. d. e.

Petra isst gerne %Kuh → Rind Stehler → Dieb % Neugierigkeit → Neugier % geschwimmt → geschwommen % tot werden → sterben %

Das Phänomen der lexikalischen Blockierung ist keineswegs als trivial anzusehen. Zum einen ist hier eine diachronische Motivation in Betracht zu ziehen – bspw. ist sterben mit dem althochdeutschen sterbo (‚Pest‘) verwandt und rückte an die Stelle des konkurrierenden touwen, aus dem sich seinerseits das heutige tot ableitete (s. Pfeifer 1993). Zum anderen liefern Vorkommen der blockierten Form wichtige Hinweise auf die Eigenschaften der zugrunde liegenden linguistischen Repräsentationen. Nimmt man nämlich an, dass die blockierte Form per se regulär ist, d.h. den kompositionalen Prinzipien der Grammatik entspricht, dann folgt daraus, dass die blockierte Form mit einer bestimmten wenn auch niedrigen Frequenz nachweisbar sein muss. Ferner sollte die blockierte Form – da ja grammatisch regulär – höher frequent als eine ungrammatische Form vorkommen, welche keinerlei linguistische Berechtigung aufweist. Prinzipiell liegen nun zwei Möglichkeiten vor, warum die blockierte Form in bestimmten sprachlichen Umgebungen auftreten kann: Einerseits kann dies an der Nicht-Existenz der blockierenden Form im Lexikon liegen. Dies ist bspw. in den Stufen des Spracherwerbs der Fall, wo bestimmte Formen im lexikalischen Gedächtnis nicht stabil etabliert sind und somit Blockierungsfehlschläge in Form von Übergeneralisierungen auftreten (s. u.a. Marcus et al. 1992), was seinerseits nicht notwendigerweise auf kindliche Sprache reduziert ist. So zeigt bspw. Stemberger (1982), dass Blockierungsfehlschläge in allen Stufen der Sprachverwendung bei niedrig-frequenten Formen häufiger auftreten als bei hoch-frequenten Formen. Andererseits kann das Auftreten einer blockierten Form daran liegen, dass diese im Sinne eines last-resort-Mechanismus verwendet wird, um einen Verstoß gegen eine linguistische Restriktion, der die blockierende Form unterliegt, zu vermeiden. Schauen wir uns zur Illustration einmal einige Beispiele an: (3)

a. Ein weiteres „Nebenprodukt“ des Kunstdüngers ist, dass die Böden tot werden.5 b. Uwe isst Kuh ja nicht so gerne, aber Stier schmeckt ihm. c. the ten stealers

–––––––—–– 5

Quelle: http://www.taoismus.de/board/thread.php?threadid=384&boardid=10.

Lexikalische Blockierung und die grammatischen Folgen

121

Die Konstruktion in (3a) ist damit zu begründen, dass das Verb sterben als notwendige sortale Bedingung eine Belebtheitsanforderung an sein Subjekt stellt. Dieser Anforderung kann die DP die Böden nicht gerecht werden, weshalb die blockierte verbale Form tot werden selegiert wird, um der Markiertheit der auszudrückenden Situation sprachlich gerecht zu werden. Für das blockierende Rind, anstelle dessen in (3b) Kuh eingesetzt wird, gilt keine Sexuseinschränkung, was die Verwendung von Kuh mit Referenz auf ein weibliches Rind erzwingt. Shakespeares the ten stealers erklärt sich damit, dass das stealer blockierende thief ein belebtes Individuum denotiert, womit also die intendierte Bedeutung, i.e. Finger, nicht ausgedrückt werden kann. Wir sehen also, dass uns das Auftreten einer blockierten Form wichtige Hinweise über die sprachlichen Bedingungen, welcher die blockierende Form unterliegt, liefern kann. Bei den oben aufgeführten Beispielen handelt es sich in einer verhältnismäßig unstrittigen Weise um Instantiierungen von lexikalischen Blockierungen. Schwieriger wird eine solche Festlegung in Fällen, bei denen anstelle einer Blockierung auch semantische Motivationen eine Rolle spielen können: (4)

a. a.’ b. b.’ c. c.’ d. d.’

??

Der Insasse ist endlich frei geworden. Der Insasse ist endlich frei gekommen. % Die antike Vase ist bei dem Erdbeben kaputt geworden Die antike Vase ist bei dem Erdbeben kaputt gegangen. % Die kleine Firma wurde nach kurzer Zeit pleite. Die kleine Firma ging nach kurzer Zeit pleite. *Die Knef ist für den Film nackt geworden. Die Knef hat sich für den Film ausgezogen.

Es ist an dieser Stelle noch unklar, ob bei den abweichenden Beispielen in (4) tatsächlich Blockierungseffekte sichtbar sind oder ob es vielmehr semantische Bedingungen sind, die für die Abweichungen verantwortlich zeichnen. Einen ersten Hinweis auf vorliegende Blockierungen liefern die etymologischen Daten: Der Komplex kaputt machen bspw. wurde im 17. Jhrdt. aus dem Französischen faire qn. capot (‚jemanden schwarz/ohne Stich spielen‘) als ein Ausdruck des Kartenspiels entlehnt, woraus das Adjektiv kaputt abgeleitet wurde. Die Herkunft des Adjektivs erzeugte wohl eine kategoriale Unsicherheit, weshalb es präferiert mit gehen aber nicht mit werden kombinierte (vgl. auch flöten gehen). Das Nomen Pleite kam im 19. Jhrdt. (von Rotwelsch plete bzw. Jiddisch plejte für ‚Flucht bei/vor Zahlungsunfähigkeit‘) ins Deutsche und wurde zunächst im Berliner Slang mit gehen als Ausdruck einer umgangssprachlichen Verwendung kombiniert (s. Pfeifer 1993). Eine ausschließlich kategorial basierte Motivation für den Ausschluss von %pleite werden greift nicht, da Konstruktionen gut möglich sind, wie das Örtchen Steinstücken wurde nie Osten oder aus Verzweiflung wurde Wut, bei denen ebenfalls determiniererlose Nomina mit werden kombinieren (vgl. auch Gisela wurde Lehrerin). Um nun die Sachlage schlüssig zu klären, muss einerseits getestet werden, ob sich die angenommenermaßen blockierende Form sprachlich parallel zu einer korrespondierenden Konstruktion verhält. Andererseits müssen Vorkommen der blockierten Form, die ja an sich regulär ist, nachgewiesen werden. Nehmen wir nun einmal an, und dies wird im Folgenden auch gezeigt, dass %kaputt werden tatsächlich durch kaputt gehen (s. (4b)) blockiert ist. Dann gilt es zu klären, wie bestimmte grammatische Unterschiede zwischen kaputt ge-

122

Holden Härtl

hen und einer entsprechenden werden-Konstruktion zu erklären sind. So verträgt kaputt gehen den Anschluss eines Dativ-Causers als Ausdruck einer unfreiwilligen Verursachung (s. hierzu u.a. Cuervo 2003a; Härtl 2003; Kallulli 2004; McIntyre 2005), was bspw. bei wertlos werden nur schlecht möglich ist: (5)

a. Dem Hans ist der antike Teller kaputt gegangen. b. ??Dem Hans ist der antike Teller wertlos geworden.6

Die Frage, die sich stellt, ist, ob die unterschiedliche Anschließbarkeit auf einen semantischen Unterschied zwischen den beiden Konstruktionen weist oder ob hier vielmehr eine strukturelle Konstellation vorliegt, die eine Dativ-DP des o.g. Typs erlaubt bzw. verhindert. Unter der Annahme einer lexikalischen Blockierung sollte letzteres der Fall sein, da %kaputt werden ja den kompositionalen Regularitäten entspricht und sich also parallel zu wertlos werden verhalten sollte und die Abweichung im Kontext einer Dativ-DP bei der blockierenden Variante somit auf strukturelle Gegebenheiten zurückzuführen ist. In ähnlicher Weise muss geklärt werden, warum ein Modifizierer wie von selbst bei werden-Konstruktionen sowohl mit unbelebtem als auch belebtem Subjekt im Gegensatz zu Komplexen mit kaputt gehen offensichtlich eine Abweichung erzeugt: (6)

a. Der antike Teller ist von selbst kaputt gegangen. b. ??Die Ampel ist von selbst rot geworden. c. ??Klaus ist von selbst schlank geworden.

Weist dieser Unterschied auf einen Unterschied in den entsprechenden lexikalisch-semantischen Repräsentationen, sodass wir nicht von einer Blockierung von kaputt werden durch kaputt gehen ausgehen können? Im Folgenden werde ich den Nachweis erbringen, dass Beispiele wie (4b/c) im Gegensatz zu den übrigen in (4) tatsächlich Instantiierungen einer lexikalischen Blockierung sind, und dass die Anschließbarkeit der Dativ-DP bei kaputt/pleite gehen nicht auf einen semantischen Unterschied, sondern auf deren strukturelle Eigenschaft als unakkusative Verben zurückzuführen ist. Für die Anschließbarkeit von von selbst bei kaputt gehen hingegen sind spezielle Implikaturen verantwortlich, die in ähnlicher Weise auch bei regulären werden-Komplexen vorliegen können. Schauen wir uns aber zunächst einmal die semantischen Bedingungen an, denen werden-Komplexe mit Adjektiv unterliegen, und testen, ob die angenommenermaßen blockierenden Konstruktionen in einer ähnlichen Weise sensitiv für diese sind. 2.1.

werden und seine lexikalisch-semantischen Bedingungen: Kontrolle

Zunächst einmal ist festzuhalten, dass kaputt nicht etwa aufgrund seiner Eigenschaft als absolutes Adjektiv (und der daraus folgenden Inkompatibilität mit einer graduellen/durativen –––––––—–– 6

Man beachte, dass hier nicht die nicht-ursächliche Incommodi-Lesart intendiert ist (s. hierzu Abschnitt 2.4.)

Lexikalische Blockierung und die grammatischen Folgen

123

Semantik) nicht im Komplement der Kopula werden auftreten kann. Kopula-PrädikativKonstruktionen mit werden kommen als Instantiierungen jeglichen Typs von Veränderung vor: (7)

a. b. c. d. e. f.

Dann wurde Harriet zum fünften Male schwanger. Lolita wird nun im September volljährig. Bei dem Unfall ist Georg blind geworden. Der alte Kater ist mit den Jahren völlig taub geworden. Die Großmutter ist ziemlich dick geworden. Das Mahnmal ist erstaunlich groß geworden.

Die Beispiele zeigen, dass werden-Komplexe sowohl punktuelle (7a/b/c) als auch durative Zustandsänderungen (7d/e/f) gleichermaßen gut realisieren und somit keine ereignisstrukturellen Restriktionen für das Prädikativ angenommen werden können (vgl. hierzu auch die Diskussion in Musan 1999; Steinitz 1999). In Härtl (2005) wird argumentiert, dass werden eine selektionale Bedingung an ein adjektivisches Komplement stellt dahingehend, dass dieses eine unkontrollierte Situation beschreiben können muss. Kontrolle definiert sich in Anlehnung an Kaufmann (1995); Wunderlich (2001) wie folgt: (8)

CONTROL(z,φ) → [¬∃z → ¬φ] If an entity z controls a situation φ, then if there is no z, then there will be no φ.

Für werden-Komplexe gilt demnach die folgende Wahrheitsbedingung: (9)

WERDEN(φ) = 1, if φ → ¬∃x [CONTROL(x,φ)]

Die Wahrheitsbedingung besagt, dass das (adjektivische) Prädikativ eines werden-Komplexes eine unkontrollierte Situation ausdrücken können muss: Ein WERDEN einer Situation φ ist wahr, wenn keine Entität x der Art existiert, dass x die Situation φ kontrolliert. Verschiedene sprachliche Tests liegen vor, mit denen die semantische Eigenschaft der Kontrolle getestet werden kann. Wenn man Kontrolle mit Intentionalität assoziiert, dann sind Ausdrücke, welche Kontrolle ausschließen, in den sprachlichen Umgebungen abweichend, die einen Verweis auf ein intentional handelndes Individuum einfordern. Dies ist bspw. bei Finalsätzen der Fall (vgl. Levin & Rappaport Hovav 1995; Roeper 1987): (10)

a. Das Schiff wurde versenkt, um die Versicherung zu kassieren. b. *Das Schiff sank, um die Versicherung zu kassieren.

An die passivische Struktur in (10a) mit einem impliziten und intentional handelnden Agens kann ein Finalsatz angeschlossen werden, was bei einem (dekausativen) unakkusativischen Verbkomplex wie in (10b), welcher kein solches implizites Agens aufweist, ausgeschlossen ist. Eine vergleichbare Sachlage liegt bei werden-Komplexen vor, bei denen in der pragmatisch unmarkierten Lesart der Anschluss eines Finalsatzes eine Abweichung erzeugt:

124 (11)

Holden Härtl a. ??Georg ist taub geworden, um die Unfallversicherung zu kassieren. b. ??Boris wurde dunkel-blond, um Barbara zu gefallen.

Ähnlich verhält sich dies bei kaputt gehen und auch bei pleite gehen: (12)

a. ??Der antike Teller ist kaputt gegangen, um die Versicherung zu kassieren. b. ??Die kleine Firma ist pleite gegangen, um Anleger in den Ruin zu treiben

Die Parallelität zwischen (11) und (12) legt die Annahme nahe, dass beide Typen von Konstruktionen hinsichtlich der Implikation eines intentional handelnden Individuums identisch sind dahingehend, dass ein solches in den zugrunde liegenden Wahrheitsbedingungen für beide Strukturen nicht vorgesehen ist. Analog verhält sich dies mit weil-Sätzen, die eine bestimmte ursächliche Intention (i.e. causa finalis), welche mit dem im Matrix-Satz ausgedrückten Sachverhalt umgesetzt werden soll, ausdrücken. Sie sind im Kontext eines (dekausativen) unakkusativischen Verbkomplexes abweichend, aber nicht in passivischen Kontexten (vgl. Härtl 2003): (13)

a. ??Der Teller ist zerbrochen, weil Gerda ihn kitschig fand. b. Der Teller wurde zerbrochen, weil Gerda ihn kitschig fand.

Die Beispiele in (14) zeigen, dass sich Komplexe wie wertlos werden als auch kaputt gehen im Kontext eines finalen weil-Satzes wiederum identisch verhalten. Bei beiden ist der Anschluss eines entsprechenden weil-Satzes nur schlecht möglich: (14)

a. ??Die antike Uhr ist wertlos geworden, weil Gerda sie kitschig fand. b. ??Die antike Uhr ist kaputt gegangen, weil Gerda sie kitschig fand.

Die Ursache hierfür ist darin zu suchen, dass keine der beiden Konstruktionen auf ein intentional handelndes Individuum verweist, welches den im Matrix-Satz ausgedrückten Zustandswechsel verursacht. Gestützt wird diese Überlegung durch die Anschließbarkeit von weil-Sätzen, welche die direkte Ursache (i.e. causa efficiens) für einen Zustandswechsel angeben. Sie sind gut möglich im Kontext von dekausativen Strukturen aber abweichend mit passivischen Strukturen: (15)

a. Der Teller ist zerbrochen, weil Karl ihn gegen die Wand geworfen hat. b. ??Der Teller wurde zerbrochen, weil Karl ihn gegen die Wand geworfen hat.

Auch hier verhält sich kaputt werden analog zum entsprechenden werden-Komplex. Beide erlauben den Anschluss eines weil-Satzes des Typs in (15): (16)

a. Die antike Uhr ist wertlos geworden, weil Karl sie gegen die Wand geworfen hat. b. Die antike Uhr ist kaputt gegangen, weil Karl sie gegen die Wand geworfen hat.

Der Unterschied zwischen passivischen und dekausativen Verbkomplexen ist damit zu motivieren, dass im Passiv wie in (15b) bereits eine direkte Verursachungsrelation implizit denotiert ist, welche mit der in einem effizienten weil-Satz angegebenen Verursachungsre-

Lexikalische Blockierung und die grammatischen Folgen

125

lation in Konflikt gerät. Ein solcher Konflikt liegt bei dekausativen Strukturen wie in (15a) und denen in (16a/b) nun nicht vor, da keiner diese Komplexe eine direkte Verursachungsrelation ausdrückt. Schauen wir uns abschließend den Aspekt der Generizität an. Es fällt auf, dass der Akzeptabilitätsgrad semantisch ausgeschlossener werden-Adjektiv-Kombinationen unter einer generischen Lesart des Subjekt-Nomens steigt: (17)

a. *Die Tänzerin ist nackt geworden. a.’ Ungeziefer ließ den Menschen [im Verlauf der Evolution] nackt [d.h. ohne Körperbehaarung] werden.7 b. *Das Buch mit den fehlenden Seiten wird kostenlos.8 b.’ Schulbücher werden im nächsten Jahr kostenlos. c. ??Ripley wird schuldig. c.’ Wer schweigt, wird schuldig.

In Härtl (2003) wird argumentiert, dass die Verbesserung der abweichenden Kombinationen unter einer generischen Lesart damit zusammenhängt, dass Generizität auf eine konstitutive und damit unkontrollierbare – im Sinne einer notwendigen, objekt-definierenden – Eigenschaft einer Individuenart rekurriert (s. Krifka et al. 1995). Demnach stützt dieses Verhalten von werden-Konstruktionen die o.g. Hypothese, dass das adjektivische Komplement von werden einen unkontrollierbaren Zustand beschreiben können muss. Auf der anderen Seite zeigt dieses Testbett, dass %kaputt werden oder auch %pleite werden nicht aus semantischen Gründen abweichend sind, da diese auch unter einer generischen Lesart – es sind dies die Strich-Beispiele in (18) – nicht an Akzeptabilität gewinnen: (18)

a. a.’ b. b.’

%

Der Teller mit dem Goldrand ist gestern kaputt geworden. Porzellan-Teller werden schnell kaputt. % Peters Firma wurde vergangenen Monat pleite. % IT-Firmen wurden Ende der 90er sehr schnell pleite. %

Insgesamt erhärtet sich also auch aus theoretischer Sicht die oben formulierte Annahme, dass %kaputt/pleite werden lexikalisch blockiert sind: Semantisch betrachtet verhält sich die blockierende Struktur (i.e. kaputt/pleite gehen) identisch zu entsprechenden werden-Konstruktionen, und die blockierte Struktur ist – im Gegensatz zu regulären werden-AdjektivKombinationen – nicht sensitiv für bestimmte sprachliche Umgebungen wie sie bspw. bei Generizität des Subjekt-Nomens vorliegen.

–––––––—–– 7 8

Quelle: FAZ.NET, 8. Juni 2003, [Addenda d.A.] Auch bei Artenreferenz der definiten DP sind – entsprechend der hier vorgestellten Argumentation – solche Sätze grammatisch, da sie ebenfalls generisch referieren, vgl. Das Telefonbuch wird kostenlos.

126 2.2.

Holden Härtl

Vorkommen der blockierten Form

In Abschnitt 2 wurde festgehalten, dass blockierte Formen – im Gegensatz zu solchen, die aus grammatischen Gründen ausgeschlossen sind – sich mit einer Frequenz, welche oberhalb der Grenze der empirischen Nachweisbarkeit liegt, finden lassen sollten, da sie ja prinzipiell reguläre Produkte des grammatischen Systems konstituieren. So sollten sie in bestimmten Perioden des Spracherwerbs nachweisbar sein oder in verwandten sprachlichen Varianten auftreten, welche die blockierende Form nicht in ihrem Lexikon aufweisen, welche aber ansonsten auf einem vergleichbaren grammatischen System basieren. Letzteres ist bspw. im österreichischen Deutsch der Fall, bei welchem die blockierende Form kaputt gehen nicht bzw. weniger stark etabliert ist.9 Wir finden dort daher die im deutschen Deutsch blockierte Form %kaputt werden mit einer vergleichsweise hohen Frequenz. Im Folgenden sind einige Beispiele aus dem Österreichischen Zeitungskorpus (OZK) des Instituts für Deutsche Sprache (IDS Mannheim) wiedergegeben.10 Die Form kaputt werden findet sich bei 6843 Vorkommen des Adjektivs kaputt im genannten Korpus achtzehn Mal und kaputt gehen sechzig Mal: (19)

Daß man keine Nadelbäume pflanzen läßt, weil sie durch die Luft kaputt werden könnten, heißt wohl, das Pferd von hinten aufzuzäumen. Richtig wäre es, die Luft zu verbessern! (K97/JAN.01329 Kleine Zeitung, 08.01.1997; Grazer Baumschutz: Von Tränendrüse bis Zumutung) In Wirklichkeit aber haben 17 Bauern Interesse an einem Platz im geschlossenen Kiosk, weil sie Angst haben, daß ihre Waren im Winter kaputt werden (K97/MAI.44000 Kleine Zeitung, 23.05.1997; Pavillon viel zu klein) Den Koffer soll man nie zu voll stopfen: Der Inhalt zerknittert und der Koffer könnte ka putt werden. (K00/MAI.43673 Kleine Zeitung, 03.05.2000; Das Bündel richtig schnüren)

Wesentlich ist nun, dass für das deutsche Deutsch ein Vorkommen von %kaputt werden festgestellt wurde, das unterhalb der Nachweisgrenze liegt. Kaputt gehen hingegen tritt mit einer Frequenz von fünfundvierzig Mal bei einem Vorkommen des Adjektivs kaputt von 1279 Mal auf.11 Die Form *nackt werden bspw. liegt auch im österreichischen Deutsch unterhalb der Nachweisgrenze: In der Gesamtanalyse wurde ein einziges Datum festgestellt, welches darüber hinaus ein generisches Subjekt-Nomen aufweist (s. Abschnitt 2.1. und (17a’)). In anderen empirischen Umgebungen finden wir aber auch im deutschen Deutsch Belege für die tatsächliche Grammatikalität der blockierten Form. Hier sind es insbesondere Daten –––––––—–– 9

10 11

Hier ist eine Differenzierung dahingehend vorzunehmen, dass – meinen österreichischen Informanten zufolge – kaputt gehen im österreichischen Deutsch zwar nicht etabliert, aber durchaus als existent bekannt ist. Das OZK-Korpus enthält 1.272.996 neuere österreichische Zeitungstexte mit insgesamt 233.576.061 Wörtern. Hierbei handelt es sich um ein Korpus mit insgesamt 117.098.587 Wörtern aus 328.438 Texten aus deutschen Zeitungen neueren Datums.

Lexikalische Blockierung und die grammatischen Folgen

127

aus den Stufen des Spracherwerbs, wo die lexikalische Blockierung noch nicht aktiv ist und daher die reguläre Form produktiv gebildet wird:12 (20)

a. Warum ist die Wippe denn kaputt geworden? b. Der Roller von Anorte ist heute in der Kita kaputt geworden!

Auch die empirischen Daten legen also nahe, dass %kaputt werden als Instantiierung einer lexikalischen Blockierung und nicht eines grammatischen Ausschlusses anzusehen ist. Diese – auch durchaus unserer Intuition – entsprechende Annahme wird nun aber in Frage gestellt durch grammatische Konstellationen, wie sie sich in den Beispielen (5) und (6) manifestieren, wo wesentliche Unterschiede zwischen werden-Konstruktionen und solchen mit kaputt gehen festgestellt wurden. Wie sind diese Unterschiede zu motivieren? Schauen wir uns zur Beantwortung dieser Frage zunächst einmal den Modifizierer von selbst und dessen Kombinatorik im Kontext der hier interessierenden Konstruktionen an. 2.3.

von selbst als Implikatur-Annullierer

Die Beispiele in (6) – hier als (21) wiederholt – machen deutlich, dass zwischen kaputt/pleite gehen und werden-Adjektiv-Konstruktionen ein Unterschied in der Anschließbarkeit eines Modifizierers wie von selbst zu bestehen scheint: (21)

a. b. c. d.

Der antike Teller ist von selbst kaputt gegangen. Die kleine IT-Firma ist von selbst pleite gegangen. ?? Die Ampel ist von selbst rot geworden. ?? Klaus ist von selbst schlank geworden.

Für Levin & Rappaport-Hovav (1995) liefert die Anschließbarkeit von von selbst einen Hinweis auf die per se kausative Natur von (alternierenden) unakkusativen Verbkomplexen wie in (22a/b): (22)

a. b. c. d.

Der antike Teller ist von selbst zerbrochen. Das marode Seil ist ganz von selbst zerrissen. ?? Peter hat von selbst gezittert. ?? John hat von selbst geweint.

Demnach modifiziert von selbst eine (morpho-syntaktisch nicht realisierte) Verursachungsrelation in Strukturen wie in (22a/b), was mit unergativen Strukturen wie in (22c/d) scheitert, da diese überhaupt gar keine entsprechende CAUSE-Konstante enthalten. In den lexikalisch-semantischen Repräsentationen, die den Unakkusativa zugrunde liegen, ist demnach das externe Argument von CAUSE und das des resultierenden Nachzustands ko-referentiell –––––––—–– 12

Die folgenden Daten sind Hörbelege aus Äußerungen eines 3-jährigen Mädchens mit deutschsprachigen Eltern.

128

Holden Härtl

(x = y), woraus sich – unter Ausblendung hier irrelevanter morpho-syntaktischer Faktoren – eine Repräsentation wie die folgende ergibt (vgl. hierzu auch Härtl 2003): (23)

y von selbst zerbrechλy λe [e INST [CAUSE(x, BECOME [BROKEN(y))]] & BY(yREFL)] : x = y

Falls die dem entsprechende Hypothese von Levin & Rappaport-Hovav (1995) sich als angemessen erweist, dann würde der Argumentation gemäß kaputt gehen also die lexikalische Konstante CAUSE enthalten, werden-Komplexe hingegen nicht, da letztere kein von selbst zu erlauben scheinen (s. (21)). Für die hier vertretene Analyse ergäbe sich damit einerseits das Problem, dass wir aufgrund der unterschiedlichen Dekompositionsstrukturen von kaputt gehen im Gegensatz zu denen von werden-Konstruktionen nicht mehr von einer lexikalischen Blockierung ausgehen können, da nun keine Identität im Sinne des equality blocking (s. Abschnitt 2 oben) mehr vorläge. Andererseits würde für kaputt gehen auch die Hypothese von der Unkontrollierbarkeit in Frage gestellt, da CAUSE als Ausdruck einer spezifischen Verursachungsrelation – welche im kanonischen Falle durch ein intentional handelndes Agens gestiftet wird – in der lexikalisch-semantischen Repräsentation figuriert. In Härtl (2003) wird argumentiert, dass die Hypothese von Levin & Rappaport-Hovav (1995) der empirischen Datenlage nicht gerecht wird: Unakkusative Verben des o.g. Typs weisen keine kausative Semantik auf. Bspw. erlauben Unakkusativa einen Dativ-Causer (s. (24a)), was damit begründet werden kann, dass bei diesen eine kausative Komponente überhaupt erst in die Repräsentation eingeführt werden kann, was bei passivischen Komplexen, die eine solche kausative Komponente tatsächlich bereits explizit aufweisen, zwangsläufig die (einzig mögliche) Incommodi-Lesart der Dativ-DP in (24b) auslöst: (24)

a. Der antike Teller ist dem Hans zerbrochen. b. Der antike Teller wurde dem Hans zerbrochen.

(Hans = Causer/Benachteiligter) (Hans = Benachteiligter)

In diesem Sinne wendet sich auch Piñón (2000) gegen eine Annahme, wie sie sich in (23) ausdrückt, und weist darauf hin, dass eine solche Repräsentation eine Interpretation wie „der Teller tat (absichtlich) etwas, das verursachte, dass er zerbrach“ auslöst, was keineswegs den Implikationen von von selbst zerbrechen entspricht. Die Anschließbarkeit von von selbst bei unakkusativen Ausdrücken des o.g. Typs ist also auf andere Weise zu begründen. Ich plädiere dafür, diesen Fall aus der Grammatik auszulagern und hierfür stattdessen die spezifischen konversationellen Implikaturen, welche Verben des Zustandswechsels auslösen, verantwortlich zu machen: Von selbst ist genau bei den Konstruktionen erlaubt, die einen Verursacher bzw. eine Verursachungsrelation in irgendeiner Weise nahe legen bzw. implikatieren. (25)

Proposition: Der Teller ist zerbrochen. Implikatur: Also hat den Teller jemand/etwas zerbrochen.

Unterstützung für die Annahme, dass Verursachungen auch implikatiert (also auf konzeptueller Ebene erschlossen im Gegensatz zu logisch impliziert wie bei den Passiva) sind, kommt aus der Kognitionspsychologie. Bereits Houssiadas (1964) hat festgestellt, dass Veränderungen stets als verursacht wahrgenommen werden, auch dann, wenn keine solche

Lexikalische Blockierung und die grammatischen Folgen

129

Verursachungsrelation explizit angegeben bzw. wahrnehmbar ist (s. auch Hecht & Kerzel 1999). Eine typische Eigenschaft konversationeller Implikaturen ist es nun, annullierbar zu sein (s. Grice 1975). Genau dies leistet von selbst: Es annulliert die implikatierte Verursachungsrelation, löscht diese aus der konzeptuellen Bedeutungsrepräsentation und fokussiert damit den inchoativen Bedeutungsaspekt. Der Modifizierer von selbst ist also immer dann möglich, wenn eine entsprechende Implikatur vorliegt bzw. überhaupt vorliegen kann.13 Von selbst wiederum erzeugt eine Implikation dahingehend, dass keine konkrete Individuengröße für den bezeichneten Zustandswechsel verantwortlich zeichnet. Folgende Beispiele zeigen, dass der Anschluss von von selbst bei einer Vielzahl von Typen von Verbkomplexen (i.e. Activity-, Zustands- und nicht-kausativen Achievement-Verben) möglich ist und zwar auch dann, wenn eine entsprechende Verursachungsrelation semantisch erzwungen werden kann bzw. muss: (26)

a. Shawn hat heute ganz von selbst ein Buch gelesen. Gelöschte Implikatur: Jemand hat ihn dazu angeregt. b. Thomas wusste die Antwort diesmal ganz von selbst. Gelöschte Implikatur: Jemand hat sie ihm gesagt. c. Das marode Hüttchen ist von selbst eingestürzt. Gelöschte Implikatur: Jemand hat es abgerissen.

Entsprechend weniger gut möglich ist der Anschluss, wenn eine Verursachungsrelation nur schlecht implikatiert werden kann wie etwa bei den folgenden Beispielen von individual level predicates (s. (27a/b)) oder solchen, wo die Konzeptualisierung einer Verursachung etwa aus bio-physischen Gründen erschwert wird (s. (27c/d)): (27)

a. b. c. d.

??

Robert hat ganz von selbst blaue Augen. Annabelle ist ganz von selbst ein intelligentes Mädchen. ?? Der Apfel ist von selbst verfault. ?? Der Schnee ist über Nacht von selbst getaut. ??

Ebenso verhält sich dies bei der Mehrheit von werden-Komplexen, da diese kanonischerweise eben keine Verursachungsrelation implikatieren: Von selbst erzeugt hier also eine Tautologie dahingehend, dass die entsprechenden Zustandsveränderungen ohnehin als nicht-verursacht interpretiert werden und von selbst eine unzulässige Dopplung dieses Bedeutungsaspekts erzeugt: (28)

a. b. c. d.

??

Birger wurde von selbst arbeitslos. Die Tickets wurden von selbst wertlos. ?? Die Blätter sind von selbst gelb geworden. ?? Der alte Gaul ist von selbst taub geworden. ??

–––––––—–– 13

Exakterweise muss es lauten, dass von selbst eine Verursachungsrelation bei jenen Ausdrücken präsupponiert, bei denen eine solche Ursache implikatiert wird. Ich danke dem Gutachter/der Gutachterin für diesen Hinweis.

130

Holden Härtl

Es liegen aber auch werden-Komplexe vor, bei denen eine solche Implikatur verhältnismäßig gut möglich ist, bei denen wir also eine entsprechende Verursachungsrelation erschliessen können wie es etwa im Fall von (29c) die Zufuhr von Hormonen ist, welche einen verstärkten Muskelaufbau bewirkt, was seinerseits durch von selbst annulliert wird: (29)

a. b. c. d.

Die Schuhe sind ganz von selbst schmutzig geworden. Die Maschine ist plötzlich von selbst sehr laut geworden. Gabriel ist ganz von selbst so muskulös geworden. Hannes ist ganz von selbst so reich geworden.

Zu genau dieser Gruppe können wir nun auch kaputt/pleite gehen zählen, mit denen von selbst gut verträglich ist. Sie lösen eine Implikatur aus dahingehend, dass für die mit ihnen ausgedrückten Zustandswechsel eine konkrete verursachende Größe verantwortlich zeichnet wie etwa eine Person im Falle von kaputt gehen oder wirtschaftliche Missstände bei pleite gehen, (s. (21)). Es wird damit deutlich, dass die Anschließbarkeit von von selbst nicht auf einen Unterschied in den lexikalisch-semantischen Strukturen von kaputt/pleite gehen einerseits und werden-Komplexen andererseits (s. (22)) hindeutet, sondern lediglich einen Unterschied in den mit den Ausdrücken verknüpften Implikaturen aufdeckt. Wir können also an der oben formulierten Hypothese festhalten und von einer Parallelität der lexikalisch-semantischen Strukturen von werden-Komplexen und kaputt bzw. pleite gehen und in diesem Sinne vom Vorliegen einer lexikalischen Blockierung im Falle der letzteren ausgehen. Bleibt also noch zu klären, wie sich unter der Annahme lexikalisch-semantischer Identität die unterschiedliche Anschließbarkeit eines Dativ-Causers bei werden-Komplexen vs. kaputt/pleite gehen erklärt (s. Beispiel (5) oben). Diesem Aspekt wollen wir uns im nächsten Abschnitt widmen, wo ich zeigen werde, dass die Lizenzierung einer entsprechenden Dativ-DP in Zusammenhang mit der unakkusativischen Syntax von Verbkomplexen wie kaputt gehen steht, welche für werden-Komplexe nicht angenommen werden kann. 2.4.

Unakkusativität und der Dativ-Causer

Die folgenden Beispiele zeigen, dass eine Dativ-DP im Kontext von werden-Komplexen nicht lizenziert ist bzw. ausschließlich als Incommodi-Dativ interpretiert wird (s. (30a/b)),14 bei kaputt gehen jedoch sowohl die Incommodi-Lesart als auch die eines nicht-inten–––––––—–– 14

Ich selbst erachte die Beispiele in (30a/b) generell als abweichend. Dies wird bestätigt durch Fragebogendaten, die ich unter 10 deutschen und österreichischen Sprechern erhoben habe: Auf einer Skala von 1 (= völlig akzeptabel) bis 5 (= völlig falsch) werden Sätze des Typs in (30a/b) im Mittel mit 3.8 beurteilt. Einzelnen anderen Informanten zufolge ist die Verbindung von werdenKomplex mit Dativ-DP jedoch akzeptabel, was sich aber offensichtlich stets auf die IncommodiLesart bezieht: (i) Jetzt sind der armen Hausfrau auch noch die Kartoffeln matschig geworden! (ii) Dem armen Kätzchen wird doch das Fell ganz nass! (iii) Nun ist dem Starkoch zu allem Überfluss auch noch die Crème kalt geworden.

Lexikalische Blockierung und die grammatischen Folgen

131

tionalen Verursachers (i.e. eines Dativ-Causers) möglich ist (s. (30c/d)), welche bei werden-Komplexen in jedem Falle ausgeschlossen ist: (30)

a. b. c. d.

??

Gestern ist dem überreizten Mechaniker die teure Uhr wertlos geworden. Dem Eigentümer ist die Firma insolvent geworden. Gestern ist dem überreizten Mechaniker die teure Uhr kaputt gegangen. Dem Eigentümer ist die Firma pleite gegangen. ??

Man beachte, dass in den hier interessierenden sprachlichen Umgebungen auch ein Dativus Iudicantis möglich ist wie in der Mantel wurde ihm zu gross, welcher nach Wegener (1985) keine Ergänzung im Verbalkomplex darstellt, sondern als Attribut der Gradpartikel zu lizenziert ist. Erzwungen werden kann die Verursacher-Lesart der Dativ-DP bspw. mit dem Adverb versehentlich und es zeigt sich, dass kaputt gehen dieses erlaubt, die korrespondierende werden-Konstruktion jedoch nicht:15 (31)

a. Gestern ist dem überreizten Mechaniker (versehentlich) die teure Uhr kaputt gegangen b. Gestern ist dem überreizten Mechaniker (??versehentlich) die teure Uhr wertlos geworden

Liegt demnach also werden-Komplexen eine andere lexikalisch-semantische Struktur zugrunde als Verbkomplexen wie kaputt/pleite gehen? Zur Klärung dieses Sachverhalts müssen wir uns zunächst noch einmal den Unterschied zwischen einem (In-)Commodi-Dativ und einem Dativ-Causer vor Augen führen. Der (In-)Commodi-Dativ wird traditionellerweise als Ausdruck einer Person oder Sache, zu deren Vor- bzw. Nachteil etwas geschieht, definiert (s. Bußmann 2002; Wegener 1985, 1991). In Ansätzen zur syntaktischen Dekomposition (u.a. Hale & Keyser 1993; von Stechow 1995) wird dieser Dativ häufig als affected dative bzw. affected applicative bezeichnet (s. u.a. Cuervo 2003a, 2003b; McIntyre 2005). Die semantische Komponente der Betroffenheit ist auch durch den anderen, hier interessierenden Typ von Dativ-DP, i.e. dem Dativ-Causer impliziert (s. u.a. Härtl 2003; Kallulli 2005; Schäfer 2005). Zusätzlich steht bei diesem jedoch das bezeichnete Individuum in einer ursächlichen Relation zum mit dem Verbkomplex ausgedrückten Zustandswechsel. Für beide Typen von Dativ ist in jedem Falle das Vorhandensein eines affizierten bzw. effizierten Objekts (32a) und (32b) vonnöten, weshalb also bspw. unergative Strukturen wie in (32a’) und (32b’), die kein solches Objekt aufweisen, einen entsprechenden Dativ nicht lizenzieren. Die Lesart eines Verursa–––––––—–– 15

Ich möchte darauf hinweisen, dass sich die Kopula bleiben, welche oft als in einer dualen Beziehung zu werden stehend eingestuft wird (s. u.a. Lenz 1993), hinsichtlich der Anschließbarkeit einer Dativ-DP ambivalent verhält: In seiner zuständlichen Lesart erlaubt bleiben keinen Dativ-Causer: ?? Dem Friseur blieben versehentlich die Haare der Kundin grau. (i) Bleiben-Komplexe mit BECOME-Lesart jedoch, die meist bei der Kombination mit Positionsverben vorliegt (s. u.a. Krämer 2004, Schlücker, i.d. Band), erlauben eine entsprechende Dativ-DP: (ii) Dem Fahrer blieb das Auto versehentlich im Matsch stecken. Ich werte dies als Hinweis darauf, dass die Kombination von werden mit Dativ-Causer tatsächlich aus strukturellen (und zwar aus syntaktischen, wie ich hier argumentiere) und nicht aus semantischen Gründen ausgeschlossen ist, da ansonsten auch bleiben in der BECOME-Lesart keine solche Dativ-DP erlauben sollte.

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Holden Härtl

chers erhält die Dativ-DP immer dann, wenn keine salientere (bspw. eine intentional erreichte) Verursachungsrelation im Verbkomplex bezeichnet ist (32c). Falls eine solche ausgedrückt ist, weicht die Interpretation für die Dativ-DP entsprechend auf die Incommodi-Lesart aus (32c’):16 (32)

a. a.’ b. b.’ c. c.’

Der kleine Junge heulte der Mutter die Ohren voll. *Der kleine Junge heulte der Mutter. Die Mutter kochte dem Sohn eine Suppe. *Dem Sohn kochte eine Suppe. Die geheime Akte verbrannte dem Novizen. Der Abt verbrannte dem Novizen die geheime Akte.

Die Beispiele machen deutlich, dass zum Anschluss einer Dativ-DP an eine einstellig prädikative Struktur das entsprechende Argument als ein internes Argument – im Sinne der Unakkusativitätshypothese (s. Burzio 1986; Perlmutter 1978) – figurieren muss. Genau diese Einsicht liefert uns die Begründung für die Unakzeptabilität von Dativ-DPn im Kontext von werden-Konstruktionen (s. (30a/b)): Wie im Folgenden gezeigt wird, entstammt das Subjekt von werden-Konstruktionen – obwohl diese die typischen Unakkusativitätstests bestehen – nicht einer internen Argumentposition, sondern einer externen Argumentposition eines kopulativen Kopfes. Eine exklusiv semantische Begründung für die Abweichung ist nicht ausreichend, da werden-Konstruktionen – genau wie kaputt/pleite gehen – über affizierte bzw. effizierte Entitäten prädizieren. Ausdrücke wie kaputt gehen können aus synchroner Sicht trotz ihrer morphologischen und semantischen Komplexität nicht mehr als kompositional eingestuft werden, da gehen hier nicht als prädikativer Kopf fungiert, der sein Komplement frei wählen kann, vgl. etwa *rot/hart/krank gehen. Aufgrund ihrer Nicht-Kompositionalität und -produktivität plädiere ich dafür, Funktionsverbgefüge wie kaputt und pleite gehen in Anlehnung an Stiebels & Wunderlich (1994) als (syntaktisch transparente) komplexe lexikalische Einheiten – formal aus Adjektiv und Verb assembliert ähnlich wie etwa kurz treten oder krank feiern – einzustufen. Diese sind ähnlich den Partikelverben demnach im Lexikon gebildet und weisen damit die typischen strukturellen Eigenschaften hinsichtlich Wortakzent, Diskontinuität und Derivationen auf. Im Gegensatz zu werden-Konstruktionen entstammt das Subjekt einer kaputt/pleite gehen-Konstruktion – gemäß der Unakkusativitätshypothese – einer internen Argumentposition eines komplexen verbalen Kopfes. Wenn wir nun den neueren Analysen zur syntaktischen Dekomposition folgen und annehmen, dass eine Dativ-DP in der Spezifizierer-Position einer Projektion eines Applikativkopfes (i.e. ‚applicative head‘, s. u.a. Cuervo 2003a; Marantz 1993; McGinnis 2000) bzw. eines VDAT, wie ihn McIntyre (2005) vorschlägt, lizenziert ist, projizieren (unakkusative) verbale Komplexe mit zerbrechen oder kaputt gehen und Dativ-DP wie folgt: –––––––—–– 16

Diese Systematik liefert uns übrigens auch die pragmatisch motivierte Begründung für die Interpretation der Nicht-Intentionalität für Dativ-DPn dieses Typs: Die Verwendung einer nichtkanonischen Konstruktion – wie der Dativ-DP zum Ausdrucks eines Verursachers – erzeugt eine Interpretation, welche von der der kanonischen – in diesem Falle eine, die Intentionalität impliziert – abweicht (zu den Regularitäten im Ausdruck markierter Situationen s. u.a. Horn 1984; Blutner 2002; McCawley 1978).

133

Lexikalische Blockierung und die grammatischen Folgen (33)

der Anne der Teller kaputt geht / zerbricht.

vPBECOME ApplP

vBECOME

DPDAT

Appl’ Appl0

vPBE v0BE +ROOT 〈STATE〉

DPOBJ der Anne der Teller

kaputt geh- / zerbrech-

Abbildung 1: Unakkusative Syntax mit Dativ-DP/ApplP Die Annahme ist, dass der dativlizenzierende Kopf Appl0 nur die Art von v-Projektion selegieren kann, die auf der Oberfläche als unakkusative Struktur erscheint, woraus sich die Unterschiede in der Anschließbarkeit einer Dativ-DP, wie in (32) dargestellt, ergeben.17 Bei den entsprechenden transitiven, kausativen Komplexen ist die ApplP strukturell zwischen den v-Projektionen für das verursachende und das verursachte Ereignis eingruppiert (s. Cuervo 2003b; McGinnis 2000). Warum kann eine Dativ-DP nun bei werden-Konstruktionen nicht angeschlossen werden bzw. erhält dort ausschließlich die Incommodi-Lesart? Schauen wir uns dazu die syntaktische Struktur von Kopula-Prädikativ-Konstruktionen an. Dazu ist zunächst einmal festzuhalten, dass ich der in Löbel (2000) formulierten Annahme folge, dass das Subjekt einer Kopula-Prädikativ-Konstruktion im Spezifizierer einer eigenständigen verbalen Projektion der Kopula generiert wird (vgl. Löbel 2000: 250): (34)

das Hemd sehr knittrig wird.

VP DPSUB

V’ V0

AP Spec

A’ A0

das Hemd

sehr

knittrig

werd-

Abbildung 2: Syntax der Kopula-Adjektiv-Konstruktion mit werden –––––––—–– 17

Ich danke Andrew McInytre für die ertragreiche Diskussion zu diesem Punkt.

134

Holden Härtl

Eine solche Analyse wendet sich gegen die u.a. in Heggie (1988) und Kratzer (1995) ausgedrückte Annahme, dass die Kopula selbst keine speziellen thematischen Rollen zuweist, sondern ausschließlich der prädikative Kopf an seine Argumente. Zwar ist es richtig, dass das Prädikativ die Wahl der Argumente sortal einschränkt, jedoch weist – wie in Härtl (2005) und in Abschnitt 2.1. gezeigt – die Kopula selbst selektionale Beschränkungen auf, sodass für die Kopula im Sinne von Löbel (2000) von einem eigenen Lexikoneintrag mit entsprechendem thematischen Raster auszugehen ist. Mit einer Syntax wie in Abbildung 2 wendet man sich auch gegen small-clause-Analysen für das prädikative Komplement der Kopula wie sie u.a. von Heggie (1988); Moro (1997) vorgeschlagen wurden bzw. Annahmen, die davon ausgehen, dass die Subjekt-DP der Spezifizierer-Position im prädikativen Komplement der Kopula entstammt und die Kopula als Anhebungsverb charakterisieren (s. u.a. Haegeman & Guéron 1999). Gegen eine solche Position argumentiert bspw. Breul (2004), dass die Spezifizierer-Position traditionellerweise für Adverbien wie sehr reserviert sein muss, was in Fällen wie (34) nicht mehr gegeben ist, wenn bereits die Subjekt-DP im [Spec,AP] basis-generiert wäre. Es spricht also einiges für die syntaktische Struktur in Abbildung 2 und ihre Übersetzung in die Bedingungen einer Dekompositionssyntax ergibt die folgende Struktur: (35)

das Hemd sehr knittrig wird.

vPBECOME v’BECOME

DPSUB

v0BECOME

AP Spec

A’ A0

das Hemd

sehr

knittrig

werd-

Abbildung 3: Kopula-Adjektiv-Konstruktion mit werden in einem Dekompositionsansatz Die Strukturen in Abbildung 2 und 3 machen deutlich, dass werden-Konstruktionen kein internes Argument – im Sinne der Unakkusativitätshypothese – aufweisen, sondern ein externes, und eine wichtige Voraussetzung zum Anschluss einer Dativ-DP damit nicht mehr gegeben ist. Vielmehr erzeugt die Einfügung einer Dativ-DP nun in Entsprechung mit der Struktur für (33) die folgende Konstellation, welche nicht mit der Lesart der Dativ-DP als Verursacher, sondern ausschließlich der des Incommodi verträglich ist, da die THEMADP (i.e. das Hemd in (36)) sich nicht in der Domäne des Applikativkopfes befindet (vgl. zur Thematik der Domäne von Appl0 u.a. McGinnis 2000):

135

Lexikalische Blockierung und die grammatischen Folgen (36)

das Hemd dem Lothar knittrig wird

vPBECOME DPSUB

v’BECOME v0BECOME

ApplP Appl’

DPDAT AP

Appl0

das Hemd dem Lothar sehr knittrig

werd-

Abbildung 4: Kopula-Adjektiv-Konstruktion mit Dativ-DP Wie aber ist diese Annahme eines externen Arguments bei werden nun verträglich mit der Einsicht, dass Kopulae wie werden und sein – entgegen der Erwartung – ein unakkusatives Verhalten aufweisen? Dieses zeigt sich sowohl in der Wahl des Perfektauxiliars als auch bei der Bildung von Partizipial-Attributen: (37)

a. Der Hans ist früher mal klug gewesen. a.’ Gitte ist ein bisschen dicker geworden. b. der früher mal klug gewesene Hans b.’ die bisschen dicker gewordene Gitte

Dazu ist festzuhalten, dass unter keiner der o.g. Analysen der Kopula die THEMA-DP aus der Position eines internen Arguments bzw. eines Komplements (im Sinne eines „direkten Objekts“), wie es die Unakkusativitätshypothese meint, abgeleitet sein kann. Ein Erklärungsbedarf besteht hier also in gleicher Weise für Analysen, bei denen die THEMA-DP APintern (bzw. prädikativphrasen-intern) und dort in der Spezifizierer-Position generiert wird (s. oben). Das unakkusative Verhalten ist also einzig auf die Kopula und nicht den syntaktischen Status der THEMA-DP zurückzuführen. Man beachte ferner, dass die Annahme eines syntaktisch externen Arguments für die Kopula keineswegs dazu zwingt, dieses Argument dem Adjektiv lexikalisch-semantisch abzusprechen. Vielmehr gehe ich davon aus, dass aus lexikalisch-semantischer Sicht in der Prädikat-Argument-Struktur die Argumentstelle des THEMAS des Adjektivs gesättigt ist, diese jedoch in der Komposition mit einer Kopula mit deren syntaktischer Spezifizierer-Position gelinkt ist. Zusammenfassend bleibt also festzuhalten, dass die unterschiedliche Anschließbarkeit einer Dativ-DP bei werden-Komplexen vs. kaputt oder pleite gehen auf strukturelle Gegebenheiten zurückzuführen ist: Letztere weisen wie die klassischen Unakkusativa syntaktisch ein internes Argument auf, welches innerhalb der Domäne des Dativlizenzierers lokalisiert ist (s. Abbildung 1). Dieses ist bei werden-Komplexen nicht der Fall, da bei ihnen das Subjekt im Spezifizierer einer verbalen Projektion für die Kopula basis-generiert ist (s. Abbildung 4). Diese Erkenntnis erlaubt es uns, die oben ausgearbeitete Annahme einer Blockierung von %kaputt/pleite werden durch kaputt/pleite gehen aufrecht zu erhalten: In

136

Holden Härtl

ihren zugrunde liegenden semantischen Repräsentationen entsprechen kaputt/pleite gehen den Wahrheitsbedingungen von werden-Konstruktionen, sie unterscheiden sich jedoch von den letzteren strukturell in ihren Linking-Eigenschaften, was zu jeweils unterschiedlichen syntaktischen Konstellationen führt und sich damit in der unterschiedlichen Anschließbarkeit von Dativ-DPn und deren Interpretation niederschlägt.

3.

Zusammenfassung

Hinsichtlich der auf den ersten Blick wenig systematisch scheinenden Selektionsbedingungen, die werden stellt (s. (1)), und der grammatischen Unterschiede zwischen werden- und den hier interessierenden gehen-Konstruktionen (s. (5) und (6)) haben wir nun ein wesentlich klareres Bild vor Augen. Auf der einen Seite wird die Wahl des Komplements von werden durch eine semantische Restriktion eingeschränkt. Werden stellt eine selektionale Bedingung an ein adjektivisches Komplement dahingehend, dass dieses eine unkontrollierte Situation beschreiben können muss. Daneben darf für den Zielausdruck – wie es etwa bei % kaputt werden der Fall ist – keine lexikalische Blockierung durch eine höher frequente Form vorliegen. Hierfür muss zunächst einmal nachgewiesen werden, dass es sich tatsächlich um die Instantiierung einer lexikalischen Blockierung handelt und nicht etwa um einen Ausschluss durch andere linguistische Gründe. Im Falle von %kaputt werden wurde dies in der vorliegenden Arbeit mit Daten aus dem österreichischen Deutsch festgestellt, welches die im deutschen Deutsch blockierte Form %kaputt werden ganz regulär aufweist. Die Annahme einer lexikalischen Blockierung setzt voraus, dass auf einer betreffenden Ebene sprachlicher Strukturbildung (hier der lexikalisch-semantischen) die blockierte und die blockierende Form repräsentationell identisch sind. Falls diese Annahme richtig ist, dann sind grammatische Unterschiede zwischen der blockierten und der blockierenden Form also andernorts zu motivieren. So wurde die scheinbare Systematik in der Anschließbarkeit des Modifizierers von selbst bei der Teller kaputt gehen im Gegensatz zu bspw. die Ampel rot werden auf der Ebene der Pragmatik begründet. Es wurde festgestellt, dass von selbst genau bei den Konstruktionen erlaubt ist, die einen Verursacher bzw. eine Verursachungsrelation enzyklopädisch implikatieren, und dass von selbst diese Implikatur annulliert. Ganz im Kontrast dazu steht die Anschließbarkeit einer Dativ-DP mit der Interpretation eines Verursachers bei kaputt gehen im Unterschied zu bspw. wertlos werden, was eine solche Dativ-DP nicht annimmt. Es wurde vor dem Hintergrund eines Ansatzes zur syntaktischen Dekomposition festgestellt, dass hierfür syntaktische Gründe vorliegen: kaputt gehen figuriert in der syntaktischen Struktur als genuin unakkusatives Verb mit internem Argument, was charakteristischerweise mit einer Dativ-DP verträglich ist. Dem gegenüber stehen werden-Komplexe, die in einer eigenständigen Kopula-Projektion realisiert werden. Das Subjekt der Kopula-Konstruktion fungiert dabei als externes Argument, welches sich außerhalb der Domäne des dativlizenzierenden Kopfes (hier Appl0) befindet, wodurch eine CauserLesart für diese DP ausgeschlossen wird. Es wird anhand dieses Fallbeispiels deutlich, dass das Zusammenarbeiten dieser verschiedenen Typen linguistischer Faktoren gut verträglich ist mit einem modularen Modell

Lexikalische Blockierung und die grammatischen Folgen

137

sprachlicher Strukturbildung und der Konzeption eines generativen lexikalischen Systems, wie es hier vertreten wird. Dazu muss die Interaktion der komputationell abgeschlossenen Komponenten der Grammatik (i.e. Syntax, Semantik, Lexikon etc.) und der benachbarten Module (i.e. Pragmatik, Wahrnehmung etc.) wohl definiert sein in dem Sinne, dass systematische Schnittstellenmechanismen vorliegen, welche die Übersetzung ebenenspezifischer Repräsentationen leisten. Eine dem entsprechende Modellierung lexikalischer Konzepte, welche diese Schnittstellenfunktion innehaben und auf welche – wie hier illustriert – Strukturbildungsmechanismen ganz unterschiedlicher Natur zugreifen, ist zukünftigen Überlegungen vorbehalten.

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Barbara Schlücker

Bleiben – eine unterspezifizierte Kopula∗

1.

Einleitung

Aus der Gruppe der deutschen Kopulaverben sein, werden und bleiben hat die Kopula bleiben in der Literatur vergleichweise wenig Beachtung erfahren. Der vorliegende Beitrag, der sich mit ihrer Bedeutung auseinandersetzt, will dazu beitragen, diese Lücke zu füllen. Gleichzeitig versteht sich die vorliegende Analyse auch als ein exemplarischer Beitrag für die Untersuchung eines Phänomens aus dem Bereich der lexikalischen Semantik in einem diskursbasierten Ansatz. Sein, werden und bleiben unterscheiden sich hinsichtlich ihres semantischen Beitrags zur Kopulakonstruktion. So bezeichnet sein das Vorliegen eines Zustands zu einer bestimmten Zeit. Werden hingegen denotiert einen Zustandswechsel und zeigt den Übergang in den vom Prädikativ bezeichneten Zustand an. Bleiben schließlich denotiert das Verharren an einem Ort oder das Andauern eines Zustands. Nach der Standardanalyse (beispielsweise Lenz 1996, Steinitz 2000) assertiert bleiben daher einen Zustand und präsupponiert einen identischen Vorzustand. Im Folgenden wird eine Reihe von Daten präsentiert, bei denen bleiben entgegen dieser allgemeinen Charakterisierung nicht das Andauern eines Zustands, sondern einen Zustandswechsel auszudrücken und somit äquivalent zu werden zu sein scheint. Eine Analyse, nach der bleiben einen Zustand assertiert und einen identischen Vorzustand präsupponiert, scheitert für diese Daten. Es stellt sich deshalb die Frage, ob eine einheitliche Bedeutungsanalyse von bleiben überhaupt möglich ist. Ich werde diese Frage im Folgenden positiv beantworten und dafür argumentieren, dass es sich bei bleiben um eine unterspezifizierte Kopula handelt, genauer gesagt um einen Zustandsausdruck, dessen zwei Lesarten, das Andauern eines Zustands sowie der „Zustandswechsel“, das Ergebnis einer Spezifizierung im aktuellen Diskurs sind. Um dieser Kontextabhängigkeit bei der Interpretation Rechnung zu tragen, erfolgt die formale Umsetzung der Analyse im Rahmen der Segmented Discourse Representation Theory, kurz SDRT (Asher & Lascarides 2003), einer diskursbasierten Semantiktheorie, die es erlaubt, den Einfluss des sprachlichen Kontexts bei der Interpretation einer Äußerung zu modellieren. Ein weiterer Unterschied zur Standardanalyse hängt mit der Beobachtung zusammen, dass bleiben typischerweise in Kontexten auftritt, in denen anstelle des von bleiben behaupteten Zustands das Vorliegen seiner Negation, des so genannten Gegenzustands, –––––––—–– ∗

Dieser Beitrag ist im Rahmen meines Dissertationsprojekts im Graduiertenkolleg „Ökonomie und Komplexität in der Sprache“ (Humboldt-Universität zu Berlin / Universität Potsdam) entstanden. Ich danke Mascha Averintseva, Holden Härtl, Ewald Lang, Claudia Maienborn, Andrea Rentschler und Björn Rothstein für anregende und kritische Kommentare.

Barbara Schlücker

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wahrscheinlicher erscheint und daher erwartet wird. Ich nehme daher an, dass bleiben die Präsupposition des (erwarteten) Gegenzustands einführt. In Abschnitt 2 werden zunächst die zu untersuchenden Daten vorgestellt. Abschnitt 3 diskutiert, ob es sich bei der „regulären“ und der Zustandswechsellesart tatsächlich um zwei verschiedene Lesarten handelt. Abschnitt 4 enthält eine Kurzeinführung in SDRT (Asher & Lascarides 2003). In Abschnitt 5 wird ein Lexikoneintrag für bleiben vorgestellt. Abschnitt 6 behandelt die Wechselwirkung zwischen lexikalischer Ebene und Diskursebene bei der Interpretation von bleiben-Konstruktionen, Abschnitt 7 schließlich bietet eine Zusammenfassung.

2.

Daten

Die „reguläre“ Bedeutung von bleiben, nach der bleiben das Andauern eines Zustands denotiert, wird anhand der Beispiele in (1) illustriert. Im (a)-Satz assertiert bleiben danach den Zustand des Traurig-Seins von Susanne und präsupponiert, dass sich Susanne unmittelbar vorher ebenfalls in diesem Zustand befand. (1b) assertiert den Zustand des In-der-SchuleSeins von Philipp und präsupponiert, dass er unmittelbar zuvor ebenfalls in der Schule war, entsprechend der (c)-Satz. (1)

a. Susanne bleibt traurig. b. Philipp bleibt heute in der Schule. c. Nora bleibt morgens immer ewig liegen.

Im Kontext eines infiniten Positionsverbs allerdings kann bleiben nicht nur das Andauern eines Zustands denotieren, so wie in (1c), sondern auch einen Zustandswechsel, vgl. (2): (2)

a. Als Philipp am Schaufenster vorbeiging, sah er die Uhr und blieb stehen. b. Bei dem Versuch, aus dem Fenster zu klettern, blieb Susanne an einem Haken hängen. c. Nora warf den Kaugummi gegen die Wand, wo er kleben blieb.

Bleiben bezeichnet hier den Wechsel von einem Bewegungsereignis zu einem Zustand. Wie bei der „regulären“ Bedeutung assertiert bleiben einen Zustand, präsupponiert aber keinen identischen Vorzustand, sondern ein Bewegungsereignis unmittelbar vor dem Assertionsintervall. Neben diesen Infinitivkonstruktionen gibt es noch eine Reihe weiterer Daten, bei denen bleiben ebenfalls einen Zustandswechsel auszudrücken scheint: (3)

a. Wo sind unsere Steuergelder geblieben? b. Jemand trommelte eine Weile von innen gegen die Tür, dann blieb es still. [zitiert nach Rosenthal (1984: 35)]

Bleiben – eine unterspezifizierte Kopula

143

c. Kriege, was auch immer ihr Ziel sein mag, schaden der ganzen Menschheit; sie schaden auch den Völkern, die Sieger bleiben ... [Saint-Simon]1 d. Wenn der Bürger dieses Verhalten durch Nicht-Wählen quittiert, dann bleibt als überparteiliches Resultat nur die Beschädigung der Demokratie. [St. Galler Tagblatt, 30.09.1997]

Diese Sätze können folgendermaßen paraphrasiert werden: (4)

a. b. c. d.

Wo sind unsere Steuergelder hingekommen? Jemand trommelte gegen die Tür, dann wurde es still. (...) sie schaden auch den Völkern, die als Sieger hervorgehen. (...) dann entsteht als überparteiliches Resultat nur die Beschädigung der Demokratie.

Bei diesen Beispielen wird der assertierte Zustand als neu eintretender Zustand nach einem Ereignis interpretiert. Bleiben denotiert also auch hier keinen andauernden Zustand. Wir können daher festhalten, dass bleiben neben der „regulären“ Lesart auch in einer „Zustandswechsel“-Lesart auftritt.2 Wegen der Bedeutungsnähe zur Kopula werden wird diese Lesart die BECOME-Lesart von bleiben genannt, und die „reguläre“ Lesart, nach der bleiben das Andauern eines Zustands bezeichnet, die REMAIN-Lesart (cf. Steinitz 2000).3 –––––––—–– 1 2

3

Dieses Beispiel verdanke ich Ewald Lang. Auf einen weiteren Unterschied zwischen den beiden Lesarten weist Härtl (i.d. Band) hin: in der Zustandswechsellesart erlaubt bleiben eine Dativ-DP, die den Verursacher benennt, in der „regulären“ Lesart i.d.R. hingegen nicht, vgl. (i) vs. (ii). (i) Nora blieb der Kaugummi an der Wand kleben. … dann bleibt dem Volk als überparteiliches Resultat nur die Beschädigung der Demokratie. (ii) ??Susanne blieben die Briefe wochenlang unbeantwortet liegen. ??Das Meerschweinchen blieb der Tierärztin krank. Bleiben (in der BECOME-Lesart) und werden sind allerdings nicht äquivalent, wie Tests mit ereignisbezogenen Modifikatoren zeigen: bleiben denotiert keinen Zustandswechsel, sondern bezeichnet einen Zustand als Nachzustand eines impliziten Wechsels. Bleiben (in der BECOMELesart) und werden referieren daher auf unterschiedliche Situationstypen: bleiben denotiert Zustände, werden hingegen Ereignisse. Dieser Unterschied zeigt sich bei der Kombination mit ereignisbezogenen Modifikatoren: im Gegensatz zu werden und anderen Ereignisausdrücken lässt bleiben keine ereignisbezogenen Modifikatoren zu, siehe (i), (ii). Zustandsmodifikation hingegen ist auch bei bleiben in der BECOME-Lesart möglich, siehe (iii): (i) Jemand trommelte gegen die Tür, dann blieb es *langsam still. Jemand trommelte gegen die Tür, dann wurde es langsam still. (ii) (...) dann bleibt *allmählich als überparteiliches Resultat die Beschädigung der Demokratie. (...) dann entsteht allmählich als überparteiliches Resultat die Beschädigung der Demokratie. (iii) Als Philipp am Schaufenster vorbeiging, sah er die Uhr und blieb lange stehen. Nora warf den Kaugummi gegen die Wand, wo er für Wochen kleben blieb. Scheinbare Gegenbeispiele sind folgende Sätze: (iv) Der Zug blieb langsam stehen. Der Trecker fuhr durch den Schlamm, aber innerhalb von zwei Minuten blieb er stecken. Hierbei handelt es sich um Uminterpretationen, bei denen der ereignisbezogene Modifikator nicht den (impliziten) Zustandswechsel, sondern die Endphase des vorangehenden Ereignisses modifiziert. Aus diesem Grund kommen solche Uminterpretationen ausschließlich bei bleiben-

Barbara Schlücker

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Die Konstruktion bleiben + infinites Positionsverb ist im Nullkontext ambig. Erst im Kontext kann die Disambiguierung erfolgen, vgl. (5) und (6). (5)

Paul blieb am Fenster stehen. → Auch als Anna zur Tür herein kam, blieb Paul am Fenster stehen: REMAIN-Lesart → Er wäre beinahe an Anna vorbeigelaufen, doch im letzten Moment blieb Paul bei ihr am Fenster stehen: BECOME-Lesart

(6)

Das Auto blieb am Straßenrand liegen. → Spielzeugauto (nach Rast vergessen): REMAIN-Lesart → PKW (Motorschaden): BECOME-Lesart

Auch bei Konstruktionen wie unter (3) werden die Lesarten durch den Kontext disambiguiert. So treten beispielsweise Konjunktionen wie schließlich oder dann auf, die eine Äußerung als Weiterführung eines Diskurses kennzeichnen und so die Interpretation des behaupteten Zustands als neu eintretenden Zustand steuern, vgl. (7): (7)

3.

Sie blieb ruhig, weil sie mich noch in der Nähe glaubte. → Obwohl der Mann ihr Angst einflößte, blieb sie ruhig, weil sie mich noch in der Nähe glaubte. → Zuerst jaulte sie ohne Unterlass, aber schließlich blieb sie ruhig, weil sie mich noch in der Nähe glaubte. [http://www.yorkie.ch/forum/archiv4/7/msg279051.html; 18.08.2005]

Bleiben – eine einheitliche Kopula?

Die Beispiele zeigen, dass die Interpretation von bleiben-Konstruktionen kontextabhängig ist, weil die Ambiguität nur mit Hilfe kontextueller Informationen aufgelöst werden kann. Ich nehme daher an, dass bleiben eine unterspezifizierte Kopula ist, die die Existenz eines Vorzustandsintervalls unmittelbar vor dem Assertionsintervall präsupponiert, dessen Wert jedoch unterspezifiziert ist und erst im jeweiligen Kontext spezifiziert wird. Liefert der Kontext Informationen derart, dass der unterspezifizierte Vorzustand als identischer Vorstand spezifiziert werden kann, dann wird bleiben in der REMAIN-Lesart interpretiert. Folgt aus den kontextuellen Informationen, dass er nicht identisch ist, handelt es sich um die BECOME-Lesart. Auf diese Weise kann bleiben einheitlich analysiert werden. Gleichzeitig ist es möglich, den Einfluss des Kontexts bei der Interpretation zu modellieren, ohne dies als reine Uminterpretation ausschließlich auf die pragmatische Ebene zu verlagern. Es stellt sich zunächst allerdings die Frage, ob bleiben tatsächlich mehrdeutig ist und mit der REMAIN- und der BECOME-Lesart zwei verschiedene Lesarten unterschieden werden müssen. Autoren wie Rosenthal (1984) und Krämer (2004) verneinen diese Frage. Rosen–––––––—–– Konstruktionen mit infinitem Positionsverb vor und unterliegen starken Restriktionen, vgl. Schlücker (2006).

Bleiben – eine unterspezifizierte Kopula

145

thal (1984) nimmt stattdessen an, dass bleiben immer einen andauernden Zustand denotiert, der lediglich in bestimmten Kontexten als neuer Zustand interpretiert wird. Krämer (2004) legt ebenfalls eine einheitliche Analyse als andauernder Zustand zugrunde. Sie geht davon aus, dass das Vorzustandsintervall entweder ausgedehnt (in der REMAIN-Lesart) oder punktuell (in der BECOME-Lesart) ist. Ihre Analyse bezieht sich in erster Linie auf Konstruktionen mit infinitem Positionsverb. Die Bildung dieser Konstruktionen unterliegt in der BECOME-Lesart einer Restriktion: Bei der präsupponierten Bewegung muss die Position, die der Subjektreferent relativ zum Raum einnimmt, identisch sein mit der durch das infinite Verb ausgedrückten Position. Außerdem muss sie eine „Normalposition“ des Subjektreferenten in Bezug auf die jeweilige Bewegung darstellen (cf. Steinitz 2000). Bei einem menschlichen Subjektreferenten beispielsweise ist sitzen bleiben in der BECOMELesart nicht möglich, weil die sitzende Position keine Normalposition für menschliche selbstverursachte Fortbewegung ist. Beispiel (8a) scheitert aus diesem Grund, (8b) und (8c) hingegen erfüllen diese Bedingung: (8)

a. *Hänschen lief um die Ecke und blieb dort plötzlich sitzen. b. Häschen hoppelte durch den Wald, doch plötzlich blieb es vor einer Tanne sitzen. c. Nora ging durch die Stadt, doch plötzlich blieb sie stehen.

Nach Steinitz (2000) werden Positionsverben wie stehen über eine Moduskomponente definiert, die angibt, in welcher Position sich das jeweilige Objekt relativ zum Raum befindet, beispielsweise [UPRIGHT] bei stehen. Auch bei Bewegungsverben ist eine solche Moduskomponente Teil der Bedeutung, beispielsweise [UPRIGHT] bei gehen; zusätzlich verfügen sie über ein Fortbewegungsprädikat. D.h. es wird ausgedrückt, dass es eine Bewegung gibt, und zwar in aufrechter Position. Nach Krämers (2004) Analyse ist nun das Vorzustandsintervall in der BECOME-Lesart punktuell und fällt mit dem linken Randpunkt des Assertionsintervalls zusammen. Betrachten wir dazu Beispiel (8c). Wenn zu einem Intervall unmittelbar vor dem Präsuppositionsintervall ein Bewegungsereignis, beispielsweise gehen, stattfindet, dann gilt für dieses gesamte Intervall des Gehens von Nora [UPRIGHT(nora)], so auch für den rechten Randpunkt dieses Intervalls. Dieser Punkt ist nach Krämers Analyse identisch mit dem linken Randpunkt des Assertionsintervalls und mit dem (punktuellen) Vorzustandspräsuppositionsintervall. Damit ist die Präsuppositionsforderung eines identischen Vorzustands erfüllt, denn für das präsupponierte (punktuelle) Vorzustandsintervall gilt ebenso wie für das Assertionsintervall [UPRIGHT(nora)]. Die Annahme, dass bleiben nicht ambig ist, sondern durchweg das Andauern eines Zustands denotiert, ist aus sprachökonomischen Gründen attraktiv. Sie macht Erklärungen über den Zusammenhang und die Bedingungen zweier Lesarten überflüssig. Nun ist Krämers (2004) Analyse in erster Linie aber auf Konstruktionen mit infinitem Positionsverb zugeschnitten. Für andere Konstruktionen in der BECOME-Lesart wie unter (3) nimmt Krämer an, dass sie überhaupt nur dann zulässig seien, wenn der behauptete Zustand wenigstens mit Unterbrechungen schon vor dem Assertionsintervall vorgelegen habe, so wie in (9a):

Barbara Schlücker

146 (9)

a. Immer wieder klopfte er gegen die Tür. Dann blieb es plötzlich still. b. Die Sirene heulte mit einem langanhaltenden Ton. Dann blieb es plötzlich still. [Krämer (2004: 269)]

Durch die Momente der Stille zwischen dem Klopfen in (9a) wird die Präsuppositionsforderung von bleiben erfüllt. In (9b) hingegen kann es mangels Unterbrechungen keine Momente der Stille geben und die Präsuppositionsforderung nicht erfüllt werden. Nach Krämer (2004) handelt es sich daher nicht um eine Situation, auf die mit bleiben referiert werden kann. Krämer bezeichnet (9b) als markiert, eine Bewertung, die, wie sie selbst schreibt, nicht von allen Sprechern geteilt wird, auch von mir nicht. Auch die Zulässigkeit der Sätze unter (3) kann nicht dadurch erklärt werden, dass der assertierte Zustand wenigstens mit Unterbrechungen bereits vor der bleiben-Situation vorgelegen habe. Diese Daten können durch eine einheitliche Analyse von bleiben als andauerndem Zustand nicht erfasst werden. Die Verwendung von bleiben ist auch dann möglich, wenn der behauptete Zustand im vorangehenden Intervall überhaupt nicht vorgelegen hat und es sich deshalb um einen neu eintretenden Zustand handeln muss. Aus diesem Grund nehme ich an, dass bleiben ambig4 ist und die Existenz eines Vorzustandsintervalls präsupponiert, dessen Wert jedoch unterspezifiziert ist und erst im jeweiligen Kontext spezifiziert wird. Dies ermöglicht eine einheitliche Analyse aller bleiben-Daten.

4.

Kurzeinführung SDRT

Die Segmented Discourse Representation Theory (Asher & Lascarides 2003) ist eine Theorie der dynamischen Semantik, die die Semantik-Pragmatik-Schnittstelle modelliert. Sie untersucht, wie die lexikalische und kompositionale Semantik bei der Interpretation einer Äußerung durch zusätzliche Informationsquellen angereichert wird. Vor diesem Hintergrund bietet sich SDRT als theoretischer Rahmen für die Erklärung der Herleitung der Lesarten aus einem unterspezifizierten Lexikoneintrag an. Der wichtigste Unterschied zwischen dynamischen und statischen Bedeutungstheorien besteht darin, dass erstere Äußerungen nicht isoliert betrachten, sondern mit Bezug auf die vorangegangenen Äußerungen interpretieren. Die semantische Repräsentation eines Diskurses wird daher in dessen Verlauf fortwährend durch hinzukommende Äußerungen er–––––––—–– 4

Ich verstehe unter einem ambigen Ausdruck einen mehrdeutigen Ausdruck mit mehreren alternativen bestimmten Denotaten, im Gegensatz zu einem vagen Ausdruck, der über ein unbestimmtes Denotat verfügt, vgl. Pinkal (1991). Dass es sich bei der Mehrdeutigkeit von bleiben um Ambiguität und nicht um Vagheit handelt, zeigt sich auch darin, dass die Unbestimmtheit des Ausdrucks nie auf Sprecher-, sondern nur auf Hörerseite vorliegen kann. Bei Vagheit hingegen ist die Unbestimmtheit Bestandteil der Bedeutung und von Sprecher und Hörer gleichermaßen akzeptiert. Pinkal (1991) unterscheidet eine starke und schwache Form der Ambiguität, wobei die schwache Form darin besteht, dass es eine einheitliche unbestimmte Basislesart gibt. Bei bleiben besteht diese nun darin, dass bleiben einen Zustand vor dem Hintergrund seiner Negation denotiert, dem ein weiterer (identischer oder nicht-identischer) Zustand vorausgeht.

Bleiben – eine unterspezifizierte Kopula

147

gänzt, sodass neue semantische Repräsentationen entstehen. Dieser Prozess heißt DiskursUpdate. Die Bedeutung eines Satzes wird als sein Kontextveränderungspotential angesehen. Im Hinblick auf den Formalisierungsapparat weist SDRT große Ähnlichkeit zur Discourse Representation Theory, kurz DRT (Kamp & Reyle 1993) auf. So werden Äußerungen als Diskursrepräsentationsstrukturen, grafisch umgesetzt als „Boxen“, repräsentiert. Der Hauptunterschied zwischen SDRT und DRT besteht darin, dass in SDRT Diskursrelationen (oder „rhetorische Beziehungen“) zwischen Äußerungssegmenten angenommen und als Teil der logischen Form repräsentiert werden, in DRT hingegen nicht. Dem liegt die Annahme zugrunde, dass die Bedeutung eines Diskurses von seiner rhetorischen Struktur abhängt und mit ihr interagiert. Die rhetorische Rolle einer Äußerung bestimmt sich dadurch, in welcher rhetorischen Beziehung sie zu anderen Äußerungssegmenten im Diskurs steht. Die grundlegende Bedeutung von Diskursrelationen in SDRT ergibt sich aus der Beobachtung, dass Diskursrelationen wahrheitskonditionale Effekte auf die Interpretation von Äußerungen haben können, die über den Beitrag von Syntax und kompositionaler Semantik der einzelnen Äußerungen hinausgehen. Ein klassisches Beispiel stellen die Diskurse unter (10) dar: (10)

a. Max fell. John helped him up. b. Max fell. John pushed him.

[Asher & Lascarides (2003: 6)]

Obwohl Tempus und Situationstypen der Verben identisch sind, unterscheiden sich die temporalen Strukturen beider Diskurse, denn in (10a) stimmen Ereignisabfolge und Erzählabfolge überein, in (10b) hingegen nicht. Für die Interpretation der temporalen Struktur der Diskurse wird offensichtlich nicht nur die Anordnung der Sätze untereinander und ihre Syntax und Semantik verwendet, sondern auch die Art und Weise, wie sich die einzelnen Sätze zueinander verhalten. Eine der Relationen zwischen zwei Äußerungen, bei der die Ereignisabfolge identisch mit der Erzählabfolge ist, heißt Narration. Wenn wir annehmen, dass die zwei Sätze in (10a) durch die Diskursrelation Narration miteinander verknüpft sind, dann hat das den wahrheitskonditionalen Effekt, dass das Ereignis des Fallens von Max dem Ereignis des Helfens von John vorangegangen sein muss. In (10b) stimmt die Ereignisabfolge nicht mit der Erzählabfolge überein, denn das Schubsen von John geht dem Fallen von Max voran und erklärt es. Daher sind diese Äußerungen durch die Relation Explanation miteinander verbunden. Eine weitere Diskursrelation ist Elaboration, die zwei Äußerungen miteinander verknüpft, von denen die eine weitergehende Informationen zu der Proposition, die von der anderen Äußerung beschrieben wird, liefert, vgl. (11a). Die Diskursrelation Background liegt dann vor, wenn eine Äußerung, i.d.R. eine Zustandsdenotation, Hintergrundinformationen für das Ereignis, das von der anderen Äußerung beschrieben wird, liefert, s. (11b). (11)

a. Das letzte Jahr ist für mich wirklich toll gelaufen. Ich habe mich selbstständig gemacht, habe geheiratet, und dann bin ich auch noch Mutter von Drillingen geworden. b. Als ich in die USA eingereist bin, war ich Single.

Diskursrelationen sind binär und sie sind anaphorisch. Das eine Argument ist die Konstituente, deren Diskursfunktion durch die Diskursrelation angegeben wird. Das andere

148

Barbara Schlücker

Argument ist eine Konstituente im alten Diskurs. Mit Hilfe der Diskursrelationen wird auch die Kohärenz von Diskursen definiert: Ein Diskurs ist dann kohärent, wenn alle anaphorischen Elemente aufgelöst sind, d.h. wenn jede Äußerung durch Diskursrelationen mit anderen Informationssegmenten verbunden ist, sodass eine zusammenhängende Diskursstruktur entsteht. Außerdem müssen alle Präsuppositionen und anderen anaphorischen Ausdrücke aufgelöst sein. Wenn es keine (sinnvolle) Anbindung an andere Segmente gibt, ist der Diskurs inkohärent.5 Wichtig für die Interpretation von Präsuppositionen und damit auch für die Analyse von bleiben ist die Relation Defeasible Consequence. In SDRT werden Präsuppositionen, wie Assertionen auch, durch Diskursrelationen mit dem Diskurs verknüpft, anders als beispielsweise bei Van der Sandt (1992). Dort erfolgt die Auflösung von Präsuppositionen entweder durch Identifikation mit einem Antezedens oder durch Akkommodation, d.h. Hinzufügung, wenn kein passender Antezedens gefunden werden kann. Die Bindung von Präsuppositionen durch Diskursrelationen hat den Vorteil, dass kein zusätzlicher Mechanismus wie Akkommodation eingeführt werden muss, da diese ausschließlich der Interpretation von Präsuppositionen dient (vgl. Asher & Lascarides 1998). Nach Asher & Lascarides (1998, 2003) werden Präsuppositionen von der Grammatik als in zweifacher Hinsicht unterspezifiziert generiert: sowohl die genaue Art der Diskursrelation, mit der die Präsupposition verbunden wird, als auch der Anknüpfungspunkt, also das andere Argument der Diskursrelation, sind unterspezifiziert. Beim Diskurs-Update werden sie durch Werte ersetzt. Ein Diskurs, der nur aus einem Satz ohne Präsupposition besteht, wird durch eine einzige SDRS repräsentiert. Ein 1-Satz-Diskurs hingegen, der eine Präsupposition enthält, führt immer eine zusätzliche SDRS ein, die durch eine Diskursrelation gebunden sein muss. D.h. die Grammatik produziert zwei SDRSen, eine für die Assertion und eine für die Präsupposition. Sowohl Assertionen als auch Präsuppositionen werden also via Diskursrelationen im Kontext verknüpft. Im Gegensatz zu Assertionen allerdings, die grundsätzlich frei in der Wahl der Diskursrelation sind, werden Präsuppositionen in der Regel mit Background oder Defeasible Consequence angebunden, es sei denn, der Präsuppositionstrigger spezifiziert eine andere Diskursrelation, wie z.B. Parallel beim englischen too (vgl. Asher & Lascarides 1998). Die Relation Defeasible Consequence drückt ein schwaches Konditional zwischen Äußerungen aus: Wenn A, dann normalerweise B. Bei Beispiel (12) liegen nun zwei verschiedene Diskursrelationen vor: zum einen die Relation Consequence, die die Äußerungen If John scuba dives und he’ll bring his regulator verknüpft und die durch if ... then ausgelöst wird, zum anderen die Relation Defeasible Consequence (a, b∂). Dabei steht a für John scuba dives, und b∂ für John owns a regulator. „∂“ zeigt an, dass es sich bei dieser Information um eine Präsupposition handelt. D.h. Beispiel (12) kann paraphrasiert werden –––––––—–– 5

Kohärenz in der Diskursinterpretation ist eine skalare Eigenschaft. Je mehr rhetorische Beziehungen zwischen zwei Segmenten bestehen, und je mehr anaphorische Ausdrücke aufgelöst sind, desto kohärenter ist die Interpretation. Das Prinzip „Maximise Discourse Coherence“ (MDC) wird dazu verwendet, mögliche Interpretationen in einer Rangfolge anzuordnen und die kohärenteste auszuwählen. MDC hilft auch bei der Bestimmung einer Diskursrelation, wenn es mehr als eine mögliche Interpretation gibt.

Bleiben – eine unterspezifizierte Kopula

149

als: [Präsupposition] Wenn John Sporttaucher ist, dann besitzt er (normalerweise) ein Mundstück, [Assertion] und wenn er tauchen geht, dann nimmt er sein Mundstück mit. (12)

If John scuba dives, he’ll bring his regulator.

[Asher & Lascarides (2003: 239)]

Bei Beispiel (12) scheint es sich allerdings bei näherer Betrachtung eher um eine konversationelle Implikatur zu handeln als um eine semantische Präsupposition. Dies zeigt, dass der Präsuppositionsbegriff bei Asher & Lascarides nicht auf Präsuppositionen im engeren Sinn, also auf semantische Präsuppositionen beschränkt ist. Auch pragmatische Präsuppositionen bzw. konventionelle Implikaturen (beispielsweise but oder too, vgl. Stalnaker 1974, 1978, Karttunen 1974, Grice 1975, Karttunen & Peters 1979) werden einheitlich als Präsuppositionen behandelt. Diese einheitliche Behandlung spielt eine Rolle im Hinblick auf die Analyse von bleiben, siehe Abschnitt 5.1. Was SDRT für die Analyse von bleiben interessant macht, ist die Tatsache, dass Diskursrelationen nicht nur zwischen Äußerungen auf Diskursebene angenommen werden, sondern auch auf lexikalischer Ebene, z.B. bei Verben mit einer komplexen Ereignisstruktur. So nehmen Asher & Lascarides (2003) beispielsweise an, dass ein kausatives Verb wie das englische sink aus zwei Teilereignissen zusammengesetzt ist: aus dem eigentlichen Sinken, also dem Effekt, und einem vorangehenden Ereignis, das das Sinken verursacht. Dieses Verursachungsteilereignis ist unterspezifiziert, und wird erst im jeweiligen Kontext identifiziert. Ein Lexikoneintrag in SDRT für sink umfasst daher Repräsentationen beider Teilereignisse, sowie die Diskursrelation Result, die diese Teilereignisse miteinander verknüpft. Äußerungen werden als Diskursrepräsentationsstrukturen, grafisch umgesetzt als „Boxen“, repräsentiert. Solche Strukturen, SDRSen (Segmented Discourse Representation Structure) genannt, sind Tripel 〈A, F, LAST〉. A ist die Menge der Labels. Labels (π, π1, π2, π3, etc.) werden verwendet, um den Inhalt eines Äußerungssegments (z.B. ein Satz), aber auch größerer Einheiten, zum Zweck der Abstraktion zu „etikettieren“. LAST ist ein Label in A, und zwar das Label der Einheit, die als letztes zum Diskurs hinzugefügt wurde. Die Auszeichnung eines Labels als LAST ist u.a. relevant für die Bestimmung der möglichen Anknüpfungspunkte für neu hinzukommende Äußerungen. Spielt dies keine Rolle, kann eine SDRS auch als Paar 〈A, F〉 dargestellt werden. F ist eine Funktion, die jedem Mitglied von A ein Mitglied aus Φ zuweist. Φ ist die Menge der wohlgeformten SDRS-Formeln, und sie ist folgendermaßen definiert: 1. 2. 3.

Ψ ⊆ Φ (wobei Ψ die Menge der vollspezifizierten logischen Formen für atomare natürlichsprachliche Sätze ist) Wenn R Symbol für eine n-stellige Diskursrelation ist und π1, ..., πn Labels sind, dann ist R (π1, ..., πn) ∈ Φ. Für φ, φ’ ∈ Φ, (φ ∧ φ’), ¬φ ∈ Φ, wobei „∧“ dynamisch verstanden wird [übersetzt nach Asher & Lascarides (2003: 138)]

Damit werden Diskursrelationen als Teil der logischen Form repräsentiert. Betrachten wir nun den Aufbau einer SDRS anhand eines Beispiels. In Beispiel (13) dient π1 als Etikett für den Satz in a) und π2 für den Satz in b).

Barbara Schlücker

150 (13)

a. Peter ging zum Friseur. b. Dann besuchte er seine Tante.

π1 π2

Beide Äußerungen (in vereinfachter Form) und die Labels, die sie etikettieren, werden als Bedingungen in der Box in Abbildung 1 dargestellt. Eine weitere Bedingung ist die Diskursrelation Narration, die π1 und π2 miteinander verknüpft. π0 ist das „oberste“ Label, das den gesamten Diskurs in (13) repräsentiert. π 1, π 2 π1: [Peter ging zum Friseur] π2: [Dann besuchte er seine Tante]

π0:

Narration (π1, π2) Abbildung 1 Diese Beispiele zeigen, wie in SDRT Informationen aus dem Kontext bei der Interpretation von Äußerungen verwendet werden. Aus diesem Grund bietet sich SDRT für die Analyse von bleiben als einer unterspezifizierten Kopula, deren Lesarten das Ergebnis einer Spezifizierung im aktuellen Diskurs sind, an.

5.

Bleiben: ein Lexikoneintrag

5.1

Die Präsupposition des erwarteten Gegenzustands

Die Bedeutung von bleiben besteht aus drei Komponenten: der Assertion eines Zustands s mit P (s, x), der Präsupposition einer Situation e’ unmittelbar vor s und der Präsupposition eines erwarteten „Gegenzustands“, einer Situation e mit ¬ P (e, x). Mit dieser letzten Komponente wird ein weiterer Aspekt der Bedeutung von bleiben erfasst, der bisher unberücksichtigt geblieben ist: es zeigt sich nämlich, dass bleiben typischerweise in Kontexten auftritt, in denen das Vorliegen des Gegenteils dessen, was bleiben behauptet, wahrscheinlicher erscheint als das, was tatsächlich behauptet wird, und daher erwartet wird. So assertiert bleiben in Beispiel (14a) den Zustand des Ganz-Seins der Vase, obwohl aufgrund der kontextuellen Information zu erwarten wäre, dass die Vase kaputt ist, entsprechend in (14b).6 –––––––—–– 6

In bleiben-Diskursen treten oft lexikalische Elemente wie aber oder trotzdem auf, die eine Kontrastinterpretation hervorrufen. Die Beispiele unter (14), die sich durch die Abwesenheit solcher Elemente auszeichnen, zeigen jedoch, dass die Kontrastinterpretation, die durch die Präsupposition des Gegenzustands entsteht, in der Bedeutung von bleiben verankert ist und nicht lediglich durch den jeweiligen Kontext hervorgerufen wird. Zur Interaktion zwischen der lexikalischen Ebene und Kontrastmarkern auf der Diskursebene siehe Abschnitt 6.

Bleiben – eine unterspezifizierte Kopula (14)

151

a. Die Vase fiel zu Boden und blieb ganz. b. Nach drei Jahren kehrten wir nach Deutschland zurück. Mein Herz blieb in Afrika.

Eine wichtige Frage für die formale Einordnung der „Erwartung des Gegenzustands“ besteht darin, ob sie sich zurücknehmen lässt. In (15) liegen mit „das war im Grunde klar (...)“, „genauso, wie ich es vorhergesagt hatte“, „wider Erwarten“ solche Rücknahmen der Erwartung scheinbar vor. (15)

a. Der Wäscheberg blieb gestern ungewaschen. Das war im Grunde klar, da sowieso niemand Zeit hatte, sich dieser unangenehmen Arbeit zu widmen. b. Der Wäscheberg blieb gestern ungewaschen, genauso, wie ich es vorhergesagt hatte. c. Der Wäscheberg blieb wider Erwarten ungewaschen.

Dass sie keinen semantischen Widerspruch auslösen, könnte ein Hinweis darauf sein, dass es sich bei der Erwartung des Gegenzustands um eine pragmatische Gelingensbedingung handelt. Wird jedoch die Bedingung „Erwartung des Gegenzustands“ in (15) tatsächlich zurückgenommen? Der für bleiben relevante erwartete Gegenzustand besteht darin, dass die Wäsche zur Zeit der Assertion gewaschen ist. Die expliziten Zurücknahmen („das war im Grunde klar“ etc.) nehmen jedoch nicht diese Erwartung zurück, sondern beziehen sich auf die gesamte bleiben-Konstruktion. Was im Grunde klar war, ist: [Die Wäsche ist ungewaschen entgegen der Erwartung, dass sie gewaschen ist]. D.h. offensichtlich besteht in (15) die Absicht, die Wäsche zu waschen (bei der es sich beispielsweise um eine explizit geäußerte Absicht, aber auch die kulturspezifische Vorstellung, dass dreckige Wäsche zu waschen ist, handeln kann). Diese Absicht motiviert die Erwartung des Gegenzustands, also dass die Wäsche gewaschen ist. Das ist deshalb deutlich, weil es keinen Sinn machen würde, über die Erwartung zu sprechen, wenn das Vorliegen des Gegenzustands nicht geplant gewesen wäre. Die Beispiele in (15) zeigen also, dass eine solche Zurücknahme nicht möglich ist, was dafür spricht, dass es sich hierbei tatsächlich um einen invariablen Teil der Bedeutung von bleiben handelt und nicht um eine Gelingensbedingung. Anders hingegen bei (16): hier steht sein an Stelle von bleiben. Deshalb fehlt die durch bleiben ausgedrückte implizite Erwartung, dass die Wäsche gewaschen ist. Weil der zweite Satz in (16) auf die Erwartung, dass die Wäsche gewaschen ist, Bezug nimmt, ist er unangemessen, denn diese fehlt. (16)

Der Wäscheberg war gestern ungewaschen. ?Das war im Grunde klar, da sowieso niemand Zeit hatte, sich dieser unangenehmen Arbeit zu widmen.7

–––––––—–– 7

Durch die Hinzufügung von noch im ersten Satz wird die Weiterführung akzeptabel. Dies hängt mit einer Parallele in der Bedeutung von bleiben und noch (sein) zusammen: auch noch referiert auf einen erwarteten Gegenzustand, aber anders bei bleiben bezieht sich dies nicht auf die Zeit der Assertion, sondern auf eine zukünftige Zeit: noch sein P behauptet P für eine Zeit t und präsupponiert ¬ P für die Zeit nach t (vgl. Doherty 1973, Löbner 1989, Van der Auwera 1998, Max & Malink 2001, Schlücker 2006).

Barbara Schlücker

152

Auf die durch bleiben ausgedrückte Erwartung, dass die Wäsche gewaschen wird, weist überdies auch die Verwendung des Demonstrativpronomens in dieser unangenehmen Arbeit hin: dieser hat hier offensichtlich zurückverweisende Funktion, und es ist das erwartete Waschen der Wäsche, auf das zurückverwiesen wird, und das die notwendige Vorerwähnung von dieser Arbeit darstellt. Ein zweiter Hinweis darauf, dass es sich bei dem Bezug auf den Gegenzustand um einen invariablen Bedeutungsbestandteil von bleiben handelt, folgt aus Restriktionen, die bei der Bildung von bleiben-Konstruktionen auftreten. (17)

a. Die Tür bleibt zu. b. Die Tür bleibt geöffnet.

(18)

a. #Nora bleibt tot. b. #Der Brief bleibt verbrannt.

Die Beispiele unter (17) und (18) zeigen, dass die Bildung dieser Konstruktion offensichtlich beschränkt ist: nicht alle Prädikative sind gleichermaßen zulässig. Diese Restriktion lässt sich nun unter der Voraussetzung erklären, dass der Bezug auf den Gegenzustand Teil der Bedeutung von bleiben ist. Die Erwartung des Gegenzustands setzt nämlich ihrerseits voraus, dass ein solcher Wechsel möglich sein muss. Dies ist der Fall bei zu und geöffnet, weil sie reversible Zustände denotieren. Tot und verbrannt hingegen referieren auf irreversible Zustände und sind daher keine zulässigen Prädikative in bleiben-Konstruktionen. Weil aber wiederum die Frage, wann ein Zustand als irreversibel angesehen werden muss, auch vom jeweiligen Kontext abhängt, ist es nicht ausgeschlossen, dass bei Prädikativen wie in (18) eine Uminterpretation als reversibler Zustand stattfinden kann. Ich nehme daher an, dass es sich hier nicht um grammatische Verletzungen handelt, sondern um pragmatisch markierte Konstruktionen, was durch „#“ angezeigt wird. D.h. es bedarf hier einer Uminterpretation, um den durch das Prädikativ denotierten Zustand als reversibel zu interpretieren, was wiederum Voraussetzung für die nicht-zurücknehmbare Erwartung des Gegenzustands ist. Wenn nun bleiben den Bezug auf den Gegenzustand präsupponiert, dann liegt darin der entscheidende Unterschied zu sein. Die Beispiele unter (19) und (20) illustrieren diesen Unterschied: die Frage, ob das Prädikativ auf einen reversiblen oder irreversiblen Zustand referiert, ist hier offensichtlich irrelevant, da sein nicht auf den Gegenzustand Bezug nimmt. (19)

a. Die Tür ist zu. b. Die Tür ist geöffnet.

(20)

a. Nora ist tot. b. Der Brief ist verbrannt.

Dieser Vergleich zwischen bleiben- und sein-Konstruktionen im Nullkontext zeigt wiederum, dass es nicht der Kontext ist, der den Bezug auf den Eintritt des Gegenzustands auslöst, sondern dass es sich hierbei um eine notwendige Bedingung von bleiben handelt.

Bleiben – eine unterspezifizierte Kopula

153

Dieser Befund bedarf jedoch weitergehender Explikation. Eine Einordnung der Erwartung des Gegenzustands als (semantische) Präsupposition lässt nämlich erwarten, dass sie unter Negation konstant bleibt. Dies ist jedoch nicht der Fall, wie (21) zeigt:8 (21)

a. Peter bleibt krank (zu t). → Peter ist nicht krank (zu t). b. Peter bleibt nicht krank (zu t). → Peter ist krank (zu t).

Die Einordnung der Erwartung des Gegenzustands mit Hilfe der Kriterien Löschbarkeit (cancelability) und Ablösbarkeit (detachability) (Grice 1961, 1975, Karttunen & Peters 1979) legt nahe, dass es sich hierbei um eine konventionelle Implikatur handelt. Konventionelle Implikaturen sind nicht löschbar, d.h. sie können nicht ohne Selbstwiderspruch bestritten werden, aber sie sind ablösbar, d.h. es gibt eine Paraphrase, die, abgesehen von der Implikatur, dasselbe bedeutet. Die Nicht-Löschbarkeit der Erwartung des Gegenzustands ist bereits oben im Zusammenhang mit Beispiel (15) deutlich geworden, vgl. dazu auch (22).9 Gleichzeitig ist diese Bedingung ablösbar, wie (23) zeigt: die Paraphrase mit sein ist wahrheitskonditional identisch mit bleiben (die Assertion eines Zustands), aber es fehlt der Bezug auf den Gegenzustand. (22) (23)

??Der Wäscheberg blieb ungewaschen, aber ich habe erwartet, dass er ungewaschen war. a. Peter bleibt krank (zu t). → Erwartung, dass Peter gesund ist (zu t). b. Peter ist krank (zu t).

Die Präsuppositionen vieler „typischer“ Präsuppositionstrigger wie even, but, too, manage to, die bei Stalnaker (1974, 1978) und Karttunen (1974) als pragmatische Präsuppositionen bezeichnet werden, werden bei Grice (1975), Karttunen & Peters (1979) als konventionelle Implikaturen interpretiert. In der jüngeren Literatur hingegen (beispielsweise Van der Sandt 1992, Asher & Lascarides 1998) werden beide Phänomene oft einheitlich unter dem Begriff der Präsupposition behandelt. Wie wir in Abschnitt 4 gesehen haben, eignet sich der Präsuppositionsbegriff bei Asher & Lascarides (2003) gleichermaßen für die Interpretation von semantischen und pragmatischen Präsuppositionen. Ich bezeichne die Erwartung des Gegenzustands daher als (pragmatische) Präsupposition. Wir werden im folgenden sehen, dass das Modell der dynamischen Bedeutungsrepräsentation es erlaubt, genau zu spezifizieren, welche Teile des sprachlichen und außersprachlichen Diskurses der Motivation dieser Erwartung auf welchem Wege dienen.

–––––––—–– 8

9

Dies gilt nicht für die Präsupposition des Vorzustands. Die folgenden Beispiele zeigen, dass sie unter Negation konstant bleibt: (i) Peter bleibt krank. → Peter war vorher krank. Peter bleibt nicht krank. → Peter war vorher krank. Im Gegensatz zu den Beispielen in (15), wo sich die Zurücknahme auf die gesamte von bleiben ausgedrückte Bedeutung bezieht, bezieht sich der Selbstwiderspruch in diesem Beispiel nur auf den Gegenzustand.

Barbara Schlücker

154 5.2

Die lexeminternen Relationen

Wenden wir uns nun dem Lexikoneintrag von bleiben zu. Die Repräsentation in Abbildung 2 enthält die drei im vorangegangenen Abschnitt genannten Bedeutungsbestandteile von bleiben: Die Assertion eines Zustands s mit P (s, x), die Präsupposition einer Situation e’ unmittelbar vor s und die zweite Präsupposition eines erwarteten Gegenzustands, einer Situation e mit ¬ P (e, x). πa etikettiert die Assertion, die besagt, dass es einen Zustand s mit einem Zustandsprädikat P gibt, das auf einen Referenten x angewendet wird, und dass dieser Zustand zu einer Zeit t gilt. Das Superskript reversible gibt an, dass der Zustand, auf den P referiert, reversibel sein muss. πp1 und πp2 etikettieren die Präsuppositionen von bleiben.10 „∂“ dient als Marker für Präsuppositionen, d.h. alles, was dahinter in Klammern steht, wird präsupponiert. In SDRT werden Präsuppositionen, wie Assertionen auch, immer durch Diskursrelationen mit dem Diskurs verknüpft und niemals akkommodiert. Dabei ist der Anknüpfungspunkt, also das zweite Argument der Diskursrelation, unterspezifiziert (in unserem Fall u bzw. v). πp1 etikettiert nun die erste Präsupposition, nach der es zur Zeit t eine Situation e gibt, für die ¬ P gilt, wobei e für eventuality i.S.v. Bach (1986) als Oberbegriff für Zustände, Prozesse und Ereignisse steht. πp2 ist die Präsupposition des Vorzustandsintervalls mit einem unterspezifizierten Prädikat Q (e’, x). Aus der Bedingung Q = ?, Q = P ∨ Q = ¬ P geht hervor, dass Q entweder als P oder als ¬ P zu spezifizieren ist. Die Bedingungen Def-Consequence (u, πp2) bzw. Def-Consequence (v, πp2) legen fest, dass die Präsuppositionen im Diskurs durch die Diskursrelation Defeasible Consequence mit den Diskursreferenten u bzw. v verknüpft werden. U und v sind unbekannt, d.h. sie müssen mit Diskursreferenten im alten Diskurs identifiziert werden. Im Lexikoneintrag ist diese Bedingung daher unterspezifiziert. Außerdem gibt es zwei Diskursrelationen, die die Beziehung zwischen der Assertion und den Präsuppositionen bestimmen. Die erste besagt, dass die Assertion πa mit der Präsupposition πp1 durch Background verbunden ist, also dass ein bestimmter Zustand vor dem Hintergrund seines Gegenzustands assertiert wird. Die zweite Relation ist eine unterspezifizierte Relation zwischen πa und πp2, die entweder als Remain- oder Become-Relation zu spezifizieren ist, wobei α und β als Platzhalter für Labels dienen. Die Relation Background (α, β) liegt, wie oben bereits gesagt, dann vor, wenn eine Äußerung Hintergrundinformationen für das Ereignis, das von der anderen Äußerung beschrieben wird, liefert. Für die Äußerungen, die sie verknüpft, gilt eine temporale Bedingung, nach der die Ereigniszeit der Situationen, auf die in den Äußerungen referiert wird, temporal überlappen muss. Daneben nimmt Asher (2004: 177) an, dass die Hintergrundkonstituente thematisch auf die Vordergrundkonstituente bezogen sein muss und sie nicht ausschließlich Informationen liefern darf, die schon aus der Vordergrundkonstituente hervorgehen. Die Relation Background (πa, πp1) in Abbildung 2 erfüllt diese Bedingungen: Da die Situationszeit von πa identisch mit der von πp1 ist, wird die temporale Beschränkung in –––––––—–– 10

Die Label π’ und π’’ sind keine Diskursreferenten, sondern dienen nur dazu, Teile der Struktur, die von der Grammatik bereitgestellt wird, zu kennzeichnen, um über sie zu reden. πp1 und πp2 hingegen sind Diskursreferenten, die über rhetorische Relationen verankert werden (vgl. Asher & Lascarides 1998, Fußnote 5).

Bleiben – eine unterspezifizierte Kopula

155

λPλxλtλs πa, πp1, πp2 πp1 π a:

Preversible (s, x) holds (s, t)

e

π’: πp1: ∂ (

¬ P (e, x) holds (e, t)

)

Def-Consequence (u, πp1) u=?

πp2 e’ π’’:

Background (πa, πp1) R (πp2, πa) R=? (R = Remain (α, β) ∨ Become (α, β))

πp2: ∂ (

Q (e’, x) abuts (e’, s)

)

Q=? (Q = P ∨ Q = ¬ P) Def-Consequence (v, πp2) v=?

Abbildung 2 unserem Lexikoneintrag erfüllt. Außerdem fügt πp1 der Assertion, dass ein Zustand P (x) zu t vorliegt, die Behauptung hinzu, dass zu t ¬ P (x) vorliegt. Dass es sich dabei tatsächlich um das Bereitstellen zusätzlicher Information handelt und nicht um einen logischen Widerspruch, werden wir unten sehen. Die Relation R zwischen πa und πp2 ist unterspezifiziert. Doch um diese Diskursrelation inferieren zu können, muss zunächst die Unterspezifikation in πp2 aufgelöst, d.h. Q entweder als P oder ¬ P spezifiziert werden. Dies wird in Abschnitt 5.3 anhand eines Beispiels dargestellt. Die Auflösung der Unterspezifiziertheit in πp2 vorausgesetzt, kann die unterspezifizierte Relation R zwischen πa und πp2 spezifiziert werden. Dazu führe ich zwei Diskursrelationen ein, Remain (α, β) und Become (α, β). Die Diskursrelation Become entspricht dabei nicht dem in semantischen Dekompositionsanalysen verwendeten Zustandswechselprädikat BECOME, sondern unterscheidet sich von diesem Prädikat u.a. darin, dass sie keine Phase des Zustandswechsels einführt, die modifiziert werden könnte. Auch für Remain und Become gibt es eine Bedingung über die temporale Beschränkung der Argumente: das Ende

Barbara Schlücker

156

der Ereigniszeit der Situation, auf die durch Äußerung β referiert wird, muss mit dem Beginn der Ereigniszeit der Situation, die durch Äußerung α denotiert wird, zusammenfallen. Die Relation Remain (α, β) liegt dann vor, wenn überdies auch die folgende semantische Bedingung erfüllt ist: wenn P (x) eine Bedingung in der Äußerung ist, die durch α gekennzeichnet ist, dann muss P (x) auch eine Bedingung in Äußerung β sein. Für Äußerungen, die durch Become (α, β) verknüpft sind, gilt, dass wenn P(x) eine Bedingung in α ist, ¬ P (x) eine Bedingung in Äußerung β sein muss.11 5.3

Die Bindung der Präsuppositionen

Aus dem Lexikoneintrag in Abbildung 2 geht hervor, dass die Präsuppositionen πp1 und πp2 durch die Diskursrelation Defeasible Consequence im Diskurs zu binden sind. Um die Unter- spezifikationen in den Bedingungen Def-Consequence (u, πp1) und Def-Consequence (v, πp2) aufzulösen, müssen also im Diskurs geeignete Antezedenten für diese Relationen identifiziert werden. Das bedeutet, dass die Auflösung dieser Präsuppositionen erst durch die Einbindung der Äußerung, die die bleiben-Konstruktion enthält, in einen Diskurs beim Diskurs-Update erfolgen kann. Betrachten wir die Auflösung der Präsuppositionen anhand des Beispiels in (24): (24)

π1 Gabi kam unauffällig näher und schubste Petra von hinten. π2 Trotzdem ist Petra stehen geblieben.

Diesen Diskurs repräsentieren wir (vereinfacht) zunächst wie in Abbildung 3. Unter Vernachlässigung temporaler Informationen ist πa das Label für die Information, dass Petra zu einer Zeit t steht. Die Präsupposition πp1 besagt, dass Petra zu eben dieser Zeit nicht steht (Erwartung des Gegenzustands). Diese Präsupposition muss aufgelöst werden, indem sie an einen geeigneten Diskursreferenten angeschlossen wird, und zwar durch die Relation DefConsequence. Wie in Abschnitt 4 erläutert, entspricht sie dem schwachen Konditional. DefConsequence (u, πp1), u = ? bedeutet also, dass es eine Informationseinheit u gibt, und wenn die Information, die u etikettiert, gilt, dann gilt normalerweise auch die Information, die durch πp1 etikettiert wird. Die Identität von u ist allerdings noch unbekannt. Die Präsupposition aufzulösen heißt, den Referenten von u und damit den Antezedens der Relation DefConsequence (u, πp1) zu identifizieren und so den Inhalt der Präsupposition mit dem Diskurs zu verknüpfen. Ein solcher Diskursreferent in unserem Minidiskurs (24) ist π1: wenn Gabi Petra zu einer Zeit unmittelbar vor t schubst, so gilt normalerweise, dass Petra in der Folge fällt und zu t nicht steht. Die Information, dass Petra zu t nicht steht, folgt also als Defeasible Consequence aus π1. Ein logischer Widerspruch zu πa ergibt sich dabei nicht: Der Schluss, dass Petra zu t nicht steht, ist ja eben nur ein schwacher Schluss, und er wird durch die explizite Information, die die Assertion bereitstellt, überschrieben.

–––––––—–– 11

Für die Herleitung der Relation Become (α, β) gelten außerdem weitere Bedingungen, die die Restriktionen der BECOME-Lesart sicherstellen, vgl. Schlücker (2006).

Bleiben – eine unterspezifizierte Kopula

157

π1, π2 e π1:

schubs’ (e, g, p) t(e) < t(s) πa, πp1, πp2 πp1 π a:

steh’ (s, p) holds (s, t)

s’ π':

πp1: ∂ (

¬ steh' (s’, p) holds (s’, t)

)

Def-Consequence (u, πp1) u=?

π2: πp2 e’ πp2: ∂ ( π’’:

Q (e’, x) abuts (e’, s)

)

Q=? (Q = P ∨ Q = ¬ P) Def-Consequence (v, πp2) v=? Background (πp1, πa) R (πp2, πa) R=? (R = Remain (α, β) ∨ Become (α, β))

Abbildung 3 πp2 labelt die Information, dass es ein Prädikat Q (e’) gibt, das auf den Referenten x angewendet wird, und dass die Situationszeit von Q (e’) dem assertierten Zustand unmittelbar vorangeht. Über Q wissen wir, dass dieses Prädikat entweder identisch mit P ist oder ¬ P entspricht. Außerdem enthält π’’ die SDRS-Formel Def-Consequence (v, πp2), v = ?, aus der hervorgeht, dass die Präsupposition πp2 durch die Diskursrelation Defeasible Consequence mit einem noch nicht identifizierten Antezedenten verknüpft wird. Wiederum kann π1 als

Barbara Schlücker

158

Antezedent identifiziert werden: Wenn Gabi Petra schubst, dann tut sie das normalerweise nur dann, wenn Petra zu diesem Zeitpunkt auch steht. D.h. wenn Gabi Petra zur Zeit vor t schubst, dann gilt normalerweise, dass Petra zur Zeit vor t steht. Die unterspezifizierte Bedingung Q (e’) kann also als Zustand des Stehens von Petra, steh’ (s’’, p), spezifiziert werden. Diese Information folgt ebenfalls als Defeasible Consequence aus π1. Für beide Präsuppositionen gilt demnach, dass sie durch Diskursrelationen des Typs Defeasible Consequence an π1 gebunden werden. Wenden wir uns nun der unterspezifizierten Diskursrelation R (πa, πp2) zu (siehe Abschnitt 5.2). Durch die Auflösung der Unterspezifikation des Prädikats in πp2 ist die Voraussetzung für die Spezifizierung dieser Relation gegeben. Da steh’ (p) eine Kondition in πp2 und in πa ist, liegen die semantischen Bedingungen für die Relation Remain (α, β) vor, sodass Remain (πp2, πa) hergeleitet werden kann. Damit sind alle Unterspezifikationen aufgelöst und die Präsuppositionen im Diskurs gebunden. Das Resultat dieses DiskursUpdates ist als SDRS in Abbildung 4 dargestellt.12 π1, πp1, πp2, π2 e π 1:

s’ schubs’ (e, g , p) t(e) < t(s)

πp1:

¬ steh’ (s’, p) holds (s’, t)

s’’ πp2:

steh’ (s’’, p) abuts (s’’, s)

Def-Consequence (π1, πp1) Def-Consequence (π , π ) 1 p2 πa

π a: π 2:

steh’ (s, p) holds (s, t)

Background (πp1, πa) Remain(πp2, πa)

Abbildung 4 Wenn wir nun anhand von Beispiel (25) die Interpretation von bleiben in der BECOMELesart untersuchen, können wir sehen, wie die BECOME-Lesart hergeleitet werden kann, indem die geeigneten Antezedenten für die Defeasible Consequence-Relationen im Kontext ermittelt werden. Das unterspezifizierte Prädikat in der Vorzustandspräsupposition kann als –––––––—–– 12

Steht bleiben diskursinitial, ist die Auflösung der Präsuppositionen im Diskurs nicht möglich. Wie in Abschnitt 4 dargestellt, führt die Nichtauflösung anaphorischer Ausdrücke zu Inkohärenz. Dies erklärt, weshalb bleiben in diskursinitialer Position immer (leicht) markiert ist.

Bleiben – eine unterspezifizierte Kopula

159

¬ P spezifiziert werden, womit die Voraussetzungen für die Herleitung von Become (α, β) vorliegen. π1 Jemand trommelte gegen die Tür. π2 Dann blieb es still.

(25)

Die Assertion von bleiben, durch πa etikettiert, enthält die Bedingung still (s), die Präsupposition πp1 die Bedingung ¬ still (s), vgl. Abbildung 5. Def-Consequence (u, πp1) ist die Relation, durch die die Präsupposition im Diskurs gebunden wird. Als Antezedens kommt π1 in Frage. π1 besagt, dass zu der Zeit vor t gegen die Tür getrommelt wurde. Es gibt keine Information, aus der ein Wechsel oder Abbruch dieser Aktivität abzuleiten ist. Die präsupponierte Bedingung ¬ still (s) folgt daher als Defeasible Consequence aus π1. Die Präsupposition πp2 enthält die unterspezifizierte Bedingung Q (e’, x). Um diese Unterspezifikation aufzulösen, muss zunächst der Antezedens, aus dem πp2 als Defeasible Consequence folgt, identifiziert werden. In Betracht kommt wiederum π1. Aus π1 folgt, dass es vor t nicht still war. Weil es sich dabei um einen Zustand handelt, wird die Bedingung Q (e', x) in πp2 als ¬ still (s) spezifiziert. Dies ermöglicht uns, die unterspezifizierte Diskursrelation R zwischen πp2 und πa herzuleiten. Da ¬ still (s) eine Bedingung in πp2 ist und still (s) eine Bedingung in πa, sind die semantischen Bedingungen der Relation Become (α, β) erfüllt, sodass R (πp2, πa), R = ? als Become (πp2, πa) spezifiziert werden kann.

π1, πp1, πp2, π2 e π1:

trommel’ (x, e) t(e) < t(s)

πp1:

¬ still (s’) holds (s’, t)

Def-Consequence (π1, πp1) πa π a: π2:

still (s) holds (s, t)

Background (πp1, πa) Become (πp2, πa)

Abbildung 5

s’’

s’ πp2:

¬ still (s’’) abuts (s’’, s)

Def-Consequence (π1, πp2)

Barbara Schlücker

160 5.4

Die Verknüpfung auf Diskursebene

Nicht diskutiert worden ist bisher die Verknüpfung der Informationssegmente auf Diskursebene, d.h. die Frage, wie die neue Äußerung im alten Diskurs verankert wird. Betrachten wir dazu zunächst den Diskurs unter (26): (26)

π1 Die Vorstellungen über die Zukunft der Selbsthilfegruppe sind sehr unterschiedlich. π2 Petra geht. π3 Susanne bleibt.

Offensichtlich liegt hier zwischen π3 und der vorausgehenden Äußerung π2 eine gewisse Parallelität, aber auch ein Gegensatz, ein Kontrast vor. Asher & Lascarides (2003: 168f; 465) unterscheiden zwei Arten der Contrast-Relation. Die eine Unterart wird dadurch hervorgerufen, dass zwei semantisch verschiedene Segmente mit möglichst ähnlichen syntaktischen Strukturen miteinander verbunden werden. Dies trifft offensichtlich auf die Äußerungen in π2 und π3 zu. Voraussetzung ist allerdings, dass bleiben in der REMAINLesart interpretiert wird, da nur dann ein semantischer Gegensatz zu (weg-)gehen besteht. Die dazu notwendige Spezifizierung des Vorzustands als identischer Vorzustand erfolgt hier aus der Information in π1, da daraus abgeleitet werden kann, dass Susanne (und Petra) Mitglieder der Gruppe sind. Betrachten wir nun (24), hier wiederholt als (27): (27)

π1 Gabi kam unauffällig näher und schubste Petra von hinten. π2 Trotzdem ist Petra stehen geblieben.

Das Wort trotzdem legt intuitiv nahe, dass π1 und π2 hier ebenfalls durch eine ContrastRelation miteinander verknüpft sind. Diese Unterart der Contrast-Relation wird „Violation of Expectation“ genannt und ist von der Anwesenheit eines Schlüsselworts wie trotzdem, aber abhängig. Die Contrast-Relation zwischen den beiden Äußerungen besteht darin, dass durch die erste Äußerung eine bestimmte Erwartung aufgebaut wird, deren Zutreffen durch die zweite Äußerung verneint wird. Dies ist der Fall bei Beispiel (27): die Information in π1, dass Gabi Petra schubst, weckt die Erwartung, dass Petra in der Folge nicht steht. Das Zutreffen dieser Erwartung wird durch die Information in π2 verneint. Für die vollspezifizierte Diskursstruktur von Beispiel (27) muss der Struktur in Abbildung 4 also die Bedingung Contrast (π1, π2) hinzugefügt werden. Für den Diskurs unter (25) hingegen scheint eine Verknüpfung durch die Relation Contrast (α, β) intuitiv nicht angemessen. Das Wort dann scheint hier weniger das Bestehen eines Gegensatzes zwischen zwei Äußerungen, als vielmehr die Weiterführung eines bekannten Themas anzuzeigen, und gilt daher als Schlüsselwort für das Vorliegen der Relation Narration (α, β). Dass es sich hier um ein Beispiel von bleiben in der BECOMELesart handelt, stellt die Voraussetzung für die Herleitung der Relation Narration zwischen der Äußerung, die bleiben enthält (π2), und der vorhergehenden Äußerung π1 dar, denn nur dann wird der assertierte Zustand als neu eintretender Zustand interpretiert. Narration wird durch eine raum-zeitliche Bedingung definiert, nach der das Ereignis, das durch die erste Äußerung denotiert wird, unmittelbar vor Beginn des Ereignisses, auf das die zweite Äußerung referiert, endet. Daneben gibt es eine thematische Bedingung, nach der Narration (α, β) ein zusätzliches Topik einführt, welches das allgemeine Thema,

Bleiben – eine unterspezifizierte Kopula

161

das die Äußerungen α und β teilen, repräsentiert, und das angibt, wovon der Diskurs handelt. Narration ist eine skalare Relation, d.h. je mehr und je spezifischere Informationen α und β teilen, desto kohärenter ist der Diskurs. Der Diskurs in (25) erfüllt sowohl die raum-zeitliche wie auch die Topik-Bedingung: die Situationszeit des Ereignisses in π1 endet unmittelbar vor Beginn des Zustands in π2. Als gemeinsames Thema von π1 und π2 könnte beispielsweise das Verhalten von x (zu einer bestimmten Zeit an einem bestimmten Ort, was der Kontext noch näher spezifizieren muss) etabliert werden.

6.

Wechselwirkung zwischen lexikalischer Ebene und Diskursebene

Im letzten Abschnitt wurde anhand von Beispiel (26) gezeigt, dass die Auflösung der Präsuppositionen die Voraussetzung für die Herleitung der Relation zwischen den Äußerungen π1 und π2 auf Diskursebene darstellt. Doch diese Reihenfolge ist nicht die einzig mögliche. Denn umgekehrt kann auch die Herleitung auf Diskursebene vor der auf lexikalischer Ebene erfolgen und diese steuern. Dies ist dann der Fall, wenn die Herleitung der Relationen auf Diskursebene aufgrund von Schlüsselwörtern monoton erfolgt. Grundsätzlich werden Diskursrelationen nach Asher & Lascarides (2003) auf der Basis nicht-monotoner Regeln hergeleitet. Dazu werden lexikalische und kompositionale Semantik, aber auch Weltwissen und mentale Einstellungen von Sprecher und Hörer herangezogen. Für jede Diskursrelation besteht ein Axiom, das spezifiziert, dass beim Vorliegen einer unterspezifizierten Diskursrelation zwischen α und β sowie bestimmter anderer Konditionen nicht-monoton die Relation R (α, β) inferiert werden kann. Handelt es sich beispielsweise bei der zu verknüpfenden Äußerung α um eine Zustandsdenotation, und referiert β auf ein Ereignis, dann folgt daraus nicht-monoton die Herleitung der Relation Background (α, β), vgl. Beispiel (11b). In manchen Fällen werden Diskursrelationen allerdings monoton hergeleitet, und zwar beim Vorliegen bestimmter Schlüsselwörter, so genannten monotonic cues, vgl. die Herleitung der Relationen Contrast („trotzdem“) und Narration („dann“) in Abschnitt 5.4. Andere Schlüsselwörter sind beispielsweise aber, jedoch, hingegen, aus denen die Herleitung der Relation Contrast monoton folgt. Grundsätzlich überschreiben monotone Regeln nicht-monotone Inferenzen. Wenn ein Diskurs ein bestimmtes Schlüsselwort enthält, dann folgt die entsprechende Diskursrelation monoton und unabhängig von der Spezifizierung der Relationen auf lexikalischer Ebene. Vielmehr kann die Herleitung auf der Diskursebene in diesem Fall die Interpretation auf der lexikalischen Ebene steuern. Betrachten wir dazu folgendes Beispiel: (28)

π1 Letzte Woche wollte Petra endlich mal ausgehen. π2 Aber trotzdem blieb sie zuhause.

Aber in π2 dient als Schlüsselwort für die Herleitung von Contrast (π1, π2). Das Vorliegen der Contrast-Relation auf Diskursebene verlangt allerdings auf lexikalischer Ebene die Interpretation von bleiben in der REMAIN-Lesart, d.h. R (πp2, πa) muss als Remain (πp2, πa)

Barbara Schlücker

162

und Q (x) als P (x) spezifiziert werden. Die Spezifizierung von Q (x) als P (x) kann aber überdies auch unabhängig als Defeasible Consequence aus π1 erfolgen. D.h. wegen aber wird die Relation Contrast auf Diskursebene monoton hergeleitet. Contrast wiederum verlangt auf lexikalischer Ebene die Interpretation von bleiben in der REMAIN-Lesart. Da der Vorzustand unabhängig davon aufgrund der kontextuellen Informationen als identischer Vorzustand spezifiziert werden kann, ist diese Steuerung durch die Diskursebene unproblematisch. Bei Beispiel (29) wird die Relation Contrast (π1, π2) auf Diskursebene ebenfalls monoton hergeleitet. Die Spezifizierung der Vorzustandspräsupposition von bleiben ist hier allerdings schwierig, weil der alte Diskurs π1 diesbezüglich keine Informationen liefert. Weil Contrast bei bleiben aber die Relation Remain (πp2, πa) verlangt, wird durch diese Information von der Diskursebene die Spezifizierung von R (πp2, πa) als Remain (πp2, πa) gesteuert. (29)

π1 Petra hatte immer viel Spaß beim Ausgehen. π2 Aber jetzt bleibt sie immer zu Hause.

Vergleichen wir nun Beispiel (30). Auch hier verlangt Contrast (π1, π2) die Etablierung von Remain (πp2, πa) und damit von Q (x) als P (x), also „Petra ist zuhause vor t“. Dies steht aber im logischen Widerspruch zu π1, weil aus π1 „Petra ist nicht zuhause vor t“ folgt, was den Antezedens für Become (πp2, πa) darstellt, und erklärt so die Unangemessenheit von π2. (30)

π1 Am liebsten würde Petra mal nicht ausgehen. π2 ??Aber sie bleibt zu Hause.

Der Widerspruch zwischen den Informationen aus der Diskursebene einerseits und der lexikalischen Ebene andererseits erklärt die Inkohärenz des Diskurses unter (30). Eine sinnvolle Anbindung von π2 an π1 ist nicht möglich. Diskursrelationen können also sowohl nicht-monoton als auch monoton hergeleitet werden. Die interne Reihenfolge zwischen Assertion und den Präsuppositionen ist beim Diskurs-Update nicht festgelegt; dies ermöglicht eine Wechselwirkung zwischen Informationen der lexikalischen Ebene und der Diskursebene bei der Herleitung der Diskursrelationen und der Auflösung von Unterspezifikationen.

7.

Zusammenfassung

In dem vorliegenden Aufsatz habe ich anhand der Kopula bleiben gezeigt, wie wortsemantische Ambiguitäten und komplexe Ereignisstrukturen von Verben mittels einer diskursbasierten Semantiktheorie untersucht werden können. Wir haben gesehen, dass die Kopula bleiben ambig zwischen einer Lesart als andauernder und als neu eintretender Zustand ist, und dass diese Ambiguität erst im aktuellen Diskurs aufgelöst werden kann. Die Standardanalyse, nach der bleiben immer einen andauernden Zustand denotiert, scheitert aus diesem Grund. Bleiben wurde daher als

Bleiben – eine unterspezifizierte Kopula

163

unterspezifizierte Kopula analysiert, die einen Zustand assertiert und ein unterspezifiziertes Vorzustandsintervall präsupponiert, das mit Hilfe kontextueller Informationen spezifiziert wird. Je nach Art der Spezifizierung wird bleiben entweder in der REMAIN- oder in der BECOME-Lesart interpretiert. Ein zweiter Unterschied zur Standardanalyse besteht in der Annahme, dass bleiben die Präsupposition des Gegenzustands einführt. Die Existenz dieser Präsupposition erklärt, weshalb bleiben bevorzugt in Kontexten auftritt, in denen das Vorliegen des Gegenzustands wahrscheinlicher erscheint als der tatsächlich durch bleiben behauptete Zustand. Die Segmented Discourse Representation Theory (Asher & Lascarides 2003) erlaubt es, den Einfluss des Kontexts bei der Interpretation von bleiben im aktuellen Diskurs darzustellen. Ich habe einen Lexikoneintrag für bleiben im Rahmen von SDRT vorgeschlagen, der die Unterspezifiziertheit und Kontextabhängigkeit des Lexems erfasst. Dabei wurde auch deutlich, wie sich die lexikalische Ebene und die Diskursebene bei der Interpretation wechselseitig beeinflussen. So haben wir gesehen, wie Informationen von der Diskursebene dazu dienen, die Ambiguität aufzulösen und bleiben im aktuellen Diskurs zu interpretieren.

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164

Barbara Schlücker

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Rolf Thieroff

sein. Kopula, Passiv- und/oder Tempus-Auxiliar?

0.

Einleitung

In allen mir bekannten Grammatiken des Deutschen werden für das Gegenwartsdeutsche drei verschiedene Funktionen des Verbs sein unterschieden. Danach ist sein in (1) eine Kopula, in (2) ist es ein Passiv-Auxiliar und in (3) ein Tempus-Auxiliar.1 (1) (2) (3)

Die Haare sind rot Die Haare sind gefärbt Die Haare sind gewachsen

(Kopulakonstruktion) (Zustandspassiv) (Perfekt)

Die Berechtigung der „Analyse“ in (1) bis (3), die besonders nachdrücklich etwa von Helbig (1987) und in Helbig/Buscha (2001) vertreten wird, ist immer wieder in Frage gestellt worden. Insbesondere die Existenz eines Zustandspassivs wird häufiger bestritten, so etwa von Hermanns (1987) und von Rapp (1996, 1997). Rapp erörtert ausführlich die Gemeinsamkeiten und Unterschiede von Kopulakonstruktion und traditionell angenommenem Zustandspassiv und kommt zu dem Ergebnis, daß es kein Zustandspassiv gibt, sondern daß die Zustandspassiv-Konstruktionen nichts anderes als Kopula-Konstruktionen sind, daß es also einerseits die Kopula-Konstruktion und andererseits das Perfekt gibt. Nicolay (2004) setzt sich ausführlich mit den Argumenten von Lenz (1995), die für die Annahme eines Zustandspassivs plädiert, und denjenigen von Rapp (1996), die dagegen plädiert, auseinander und kommt zu dem Ergebnis, daß diejenigen sein + Partizip II-Konstruktionen, die nicht Perfekt sind, zusammenzufassen sind, und daß hier das Partizip II als Mittelwort, eben zwischen Adjektiv und Verbform zu fassen sei. Während Hermanns, Lenz, Rapp oder Nicolay sich mit Gemeinsamkeiten und Unterschieden von Kopula-Konstruktion und Zustandspassiv befassen (und die formalen Bezüge zum Perfekt gänzlich außer acht lassen), beschäftigt sich Leiss (1992), umgekehrt, mit Gemeinsamkeiten zwischen Zustandspassiv und Perfekt, ohne die Kopula-Konstruktion zu berücksichtigen. Leiss argumentiert, daß Zustandspassiv und sein-Perfekt in Wahrheit einer einzigen Kategorie zuzuweisen seien, nämlich einer Kategorie Resultativum. Wenn es nun einerseits Autoren gibt, die die Kopula- und die Passiv-Funktion zu einer Funktion zusammenfassen und andererseits Autoren, die die Passiv- und die Perfekt-Funktion zu einer Funktion zusammenfassen, dann ist früher oder später zu erwarten, daß auch alle drei Funktionen zu einer einzigen zusammengefaßt werden. Und tatsächlich argumentiert Teuber (2005), daß es weder ein Zustandspassiv noch ein sein-Perfekt im Deutschen gibt, sondern –––––––—–– 1

Ob darüber hinaus (viertens) ein Vollverb sein in Sätzen wie Ich denke, also bin ich oder Gott ist angenommen werden muß, kann hier offen bleiben (vgl. auch Eisenberg 2004: 86).

Rolf Thieroff

166

daß sein + Partizip II grundsätzlich immer eine Kopulakonstruktion sei. Insgesamt werden also die drei Fälle in (1) bis (3) (neben der Analyse eben als drei unterschiedliche Fälle) mindestens so wie in (4) zusammengefaßt. (4)

Verschiedene Reduktionen der 3 Funktionen2 KK ZP

KK (Rapp 1996)

Mittelwort (Nicolay 2004)

Perf

RESUL (Leiss 1992)

KK (Teuber 2005)

Aus (4) ergibt sich die Gliederung der vorliegenden Arbeit: Nach einem Blick in Abschnitt 1 auf die Argumente, die für das Ansetzen einer Kategorie Zustandspassiv vorgebracht werden, nenne ich im zweiten Abschnitt einige Punkte, die für die Zusammenfassung der Kopula- und der Zustandspassiv-Konstruktion (also gegen das Zustandspassiv) geltend gemacht werden. Im dritten Abschnitt diskutiere ich die Argumente für die Zusammenfassung von Zustandspassiv und Perfekt zur Kategorie Resultativ und im vierten Teil die Argumente für die Zusammenfassung aller drei Funktionen. Den Abschluß (Abschnitt 5) bilden ein Vergleich mit analogen Konstruktionen in einigen anderen europäischen Sprachen sowie ein Fazit (Abschnitt 6).

1.

sein + Partizip II als Zustandspassiv

Eine Konstruktion aus sein + Partizip II gilt in der Regel genau dann als Zustandspassiv (im folgenden: ZP), wenn sie auf ein entsprechendes sog. Vorgangspassiv, also auf eine Konstruktion aus werden + Partizip II beziehbar ist. So beginnt der Abschnitt zum ZP in Helbig/Buscha (2001: 155) mit den Worten: „Ein Zustandspassiv (oder sein-Passiv) setzt immer ein entsprechendes Vorgangspassiv (und Aktiv) voraus“; Zifonun et al. (1997: 1808) treffen eingangs ihres Abschnitts zum ZP die Festlegung: „Als SEIN-PASSIV fassen wir nur nur [sic] diejenigen Konstruktionen auf, zu denen es ein entsprechendes werden-Passiv gibt“, und die Duden-Grammatik (2005: 559) bezieht sich auf eben jenes Zitat. Auf den Unterschied zwischen ZP und Kopulakonstruktion (im folgenden: KK) gehen Helbig/ Buscha (2001: 157) nur kurz ein, indem sie erklären: Im Unterschied zum Zustandspassiv ist beim adjektivischen Prädikativ […] kein verbaler Ursprung mehr erkennbar. Deshalb kann das adjektivische Prädikativ weder auf eine Präsensform (wie das Perfekt Aktiv […]) noch auf ein Vorgangspassiv (wie das Zustandspassiv) noch auf eine reflexive Form (wie das Zustandsreflexiv […]) zurückgeführt werden.

In jüngerer Zeit wird die Existenz eines von der KK unterschiedenen ZP wieder häufiger in Frage gestellt. Argumente gegen die Subsumierung des ZP unter die Kopulakonstruktionen –––––––—–– 2

KK = Kopulakonstruktion; ZP = Zustandspassiv; Perf = Perfekt; RESUL = Resultativ

sein. Kopula, Passiv- und/oder Tempus-Auxiliar?

167

werden u.a. in Zifonun et al. (1997) und bei Nicolay (2004) aufgeführt. Ich beschränke mich hier auf fünf der gewichtigsten Argumente, die für die Existenz eines von der KK unterschiedenen ZP geltend gemacht werden. Erstens. Gegen die Analyse der Partizipien in Zustandsformen als Adjektive spricht für Zifonun et al. (1997: 1822) zunächst die folgende Beobachtung: „Wie in anderen periphrastischen Formen sind die Partizipien II in den Zustandsformen nicht steigerungsfähig, Graduierung wird vielmehr durch das verbspezifische und bei Adjektiven ausgeschlossene mehr ausgedrückt“ (Zifonun et al. 1997: 1822). Dies belegen Zifonun et al. (ebd.) mit (5): (5)

a. *Durch ihr Schweigen ist meine Frage beantworteter als durch alle nur denkbaren Ausflüchte b. Durch ihr Schweigen ist meine Frage mehr beantwortet als durch alle nur denkbaren Ausflüchte

Diese Aussage ist allerdings genau das Gegenteil dessen, was Rapp schreibt, die das Beispiel (6) anführt und gerade weil Komparation des Partizips möglich ist, meint, man müsse von einer KK ausgehen. (6)

Diese Region ist gefährdeter

Daß das Partizip II in (5a) nicht kompariert werden kann, ist darauf zurückzuführen, daß dieses einen Resultatszustand (target state) bzw. einen Nachzustand (resultant state) im Sinne von Parsons (1990) liefert, der sich eben nicht graduieren läßt. Der durch das Partizip II eingeführte Zustand erlaubt in der Regel keine Komparation, da sich einzelne Phasen des Nach-/Resultatszustands nur schwer miteinander vergleichen lassen. Parsons’ Definitionen: For every event e that culminates, there is a corresponding state that holds forever after. This is “the state of e’s having culminated,” which I call the “Resultant state of e,” or “e’s R-state.” If Mary eats lunch, then there is a state that holds forever after: The state of Mary’s having eaten lunch. (Parsons 1990: 234) It is important not to identify the Resultant-state of an event with its “target” state. If I throw a ball onto the roof, the target state of this event is the ball’s being on the roof, a state that may or may not last for a long time. What I am calling the Resultant-state is different; it is the state of my having thrown the ball onto the roof, and it is a state that cannot cease holding at some later time. […] For a large number of verbs, there is a “typical” independently identifiable state that its object is in after the verb is true of it. If the state is transitory, then we come to use the adjective form of the past participle to stand for the transitory state instead of for the permanent resultant state. For example, anything that is cracked and then not repaired is in a state that is easy to identify – until the repair. (Parsons 1990: 235)

Dagegen liegt in (6) kein solcher Nach- oder Resultatszustand vor. Hier wird lediglich ausgesagt, daß die Region in dem Zustand ist, gefährdet zu sein.3 –––––––—–– 3

Für den Hinweis auf Parsons danke ich Björn Rothstein.

Rolf Thieroff

168

Zweitens. Ein weiterer wichtiger Unterschied zwischen ZP und KK ist für Zifonun et al. (1997: 1823): Das Verb im Zustandspassiv kann wie jede andere Verbform durch Verbgruppenadverbialia modifiziert werden: Die Bank ist grün/frisch gestrichen wie Die Bank wird grün gestrichen vs. *Die Blätter sind rot farbig

Nicolay (2004: 263) führt eine ganze Reihe analoger Beispiele auf, darunter die in (7) bis (10): (7) (8) (9) (10)

a. b. a. b. a. b. a. b.

Der Brief war mit Bleistift geschrieben *Der Brief war mit Bleistift unleserlich Das Haar war ziemlich schlampig gekämmt *Das Haar war ziemlich schlampig unordentlich Das Muster war in die Vase geritzt *Das Muster war in die Vase antik Der Sprengstoff war in einer Tasche versteckt *Der Sprengstoff war in einer Tasche gefährlich

Zu den Beispielen in (7) bis (10) schreibt die Verfasserin: Die Gegenüberstellung zeigt zum einen, dass das Partizip II in Verbindung mit sein nicht wie ein ‚echtes‘ prädikativ gebrauchtes Adjektiv analysiert werden kann, und zum anderen, dass die passivische sein-Konstruktion sich in einem wichtigen Punkt von anderen stativen Konstruktionen unterscheidet, nämlich darin, dass mit Adverbialen, die ansonsten auf dynamische Kontexte beschränkt sind, der Bezug auf die Verlaufsweise eines Ereignisses hergestellt werden kann. Die unter [(7) bis (10)] aufgeführten Beispielsätze stellen also die Verfechter der Position, derzufolge das Partizip II adjektivisch zu analysieren ist, sowohl in syntaktischer als auch in semantischer Hinsicht vor ein kaum lösbares Problem. (Nicolay 2004: 263)

So konzediert denn auch Rapp, angesichts von ähnlichen Fällen wie (7) bis (10): „Es existiert also beim Zustandspassiv neben einer rein adjektivischen Struktur auch eine Struktur, die verbaltypische Eigenschaften aufweist“ (Rapp 1996: 255). Drittens. Zifonun et al. (1997: 1823) stellen fest: „Partizipien II zu intransitiven habenVerben können nicht attributiv verwendet werden“ und belegen dies mit den Beispielen in (11) und (12). (11) (12)

Dem Hans ist geholfen Für Getränke ist gesorgt

– –

*der geholfene Hans *die gesorgten Getränke

Tatsächlich müßten, wären geholfen und gesorgt „normale“ Adjektive, die attributiven Konstruktionen in (11) und (12) möglich sein. Viertens. Nicolay argumentiert, daß die Prämisse, „dass sich die ‚verbale‘ und die ‚adjektivische‘ Variante der Konstruktion sauber trennen lassen“, falsch sei:

sein. Kopula, Passiv- und/oder Tempus-Auxiliar?

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Man hat eben nicht einerseits die Kopula-Adjektiv-Konstruktion, in der un-Präfigierung und Steigerung des Partizips zulässig sind, und andererseits die Verbalkonstruktion bzw. die adjektivierte Partizipialphrase mit sämtlichen Ergänzungen und Angaben. (Nicolay 2004: 272f)

Dies zeigt Nicolay mit den Beispielen in (13) und (14). (13)

(14)

a. b. c. a. b. c.

Die Gerüchte sind vom Pentagon noch unbestätigt Seine Leistungen sind von den Nachfolgern unerreicht Er war von ihrem Auftritt unbeeindruckt Ich war enttäuschter von seiner Rede als von der Diskussion Er ist begeisterter von seiner Mutter als von seiner Freundin Er ist schockierter von den Fotos als von den Erläuterungen

Fälle wie (13) und (14) sind (unter anderen) wesentliche Gründe für Nicolay, sein+Partizip II-Konstruktionen als Konstruktionen aufzufassen, die weder eindeutig verbal noch eindeutig adjektivisch sind, also weder als Zustandspassiv noch als Kopulakonstruktion. Fünftens. Als letztes Argument für die Zustandspassiv-Interpretation sei schließlich noch Nicolays Beobachtung erwähnt, daß viele mit un- präfigierte Partizipien II gerade nicht in der sein+Partizip II-Konstruktion vorkommen können, obwohl sie uneingeschränkt attributiv verwendet werden können. Nicolays Beispiele: (15) (16)

a. b. a. b.

der unbemerkte Versprecher *Der Versprecher war unbemerkt die ungestellte Frage *Die Frage war ungestellt

Darüber hinaus stellt Nicolay auch fest, daß die b-Sätze mit der Kopula bleiben möglich sind und merkt an, daß dieses Verhalten bei keinem Adjektiv vorkomme.

2.

Zustandspassiv = Kopulakonstruktion?

In der Literatur wird eine ganze Reihe von Gründen geltend gemacht, die dagegen sprechen, ein ZP von der KK zu unterscheiden. Ich beschränke mich auch hier auf fünf Punkte, die teilweise in Zifonun et al. (1997) und teilweise in Rapp (1996) genannt werden. Erstens. „Partizipien II können wie Adjektive auch mit anderen Kopulaverben verbunden werden, etwa bleiben oder wirken“ (Zifonun et al. 1997: 1822) wie in (17) und (18), und sie können „in Verbindung mit sein oder Kopulaverben durch adjektivspezifische Intensitätsausdrücke wie ganz, total, relativ, verhältnismäßig und zu modifiziert werden“ (ebd.) wie in (17). (17) (18)

einen Zusammenhang, der aber relativ konturiert [sic] bleibt Die ganze Geschichte wirkte konstruiert

Rolf Thieroff

170

Zweitens. Immer wieder wird festgestellt, daß „Partizipien II […] in Verbindung mit sein das Adjektivpräfix un- erhalten“ (Zifonun et al. 1997: 1822; vgl. Rapp 1996: 233 et passim) wie in (19) und (20). (19) (20)

Der König ist unbesiegt Die Suppe ist ungewürzt

Drittens. Rapp hat festgestellt, daß die Argumentstruktur von Aktiv und vorgeblichem seinPassiv nicht dieselbe ist: „Subjekts-Argumente und Modifikatoren, die nur bei einer Tätigkeitsphase erscheinen, sind im Zustandspassiv oft ausgeschlossen“ (1996: 246). Ihre Beispiele sind: (21) (22)

a. b. a. b.

Meine Nichte leert den Mülleimer Der Mülleimer ist (*von meiner Nichte) geleert Meine Nichte leert den Mülleimer langsam/genüßlich Der Mülleimer ist (*langsam/genüßlich) geleert

Viertens. Rapp (1996: 251) stellt richtig fest, daß es sich in (23) nur um Kopulakonstruktionen handeln kann. Dies bedeutet jedoch, so Rapp weiter, „daß die einfachen Formen gelöst, gefährdet – da sie als Basis für die genannten Affigierungen dienen – ebenfalls als Adjektive auftreten können“ (ebd.). (23)

a. Die Aufgabe ist ungelöst b. Diese Region ist gefährdeter

Dies führt, nimmt man an, daß es ein ZP gibt, dazu, daß die Sätze in (24) strukturell ambig sind, also sowohl als KK als auch als ZP zu werten sind, und dies, obwohl kein Bedeutungsunterschied zwischen den beiden Strukturen festgestellt werden kann. (24)

a. Die Aufgabe ist gelöst b. Diese Region ist gefährdet

Rapps Fazit ist, daß kein Grund vorliege, „das grammatische System durch zwei Verfahren zu belasten, die exakt die gleiche Wirkung haben“ (1996: 251). Fünftens. Ein weiteres Argument gegen die ZP-Hypothese, das Rapp ins Feld führt, ist, daß sich das Partizip II beim sog. Zustandspassiv auch in syntaktischer Hinsicht wie ein Adjektiv und nicht wie eine Verbalform verhalte, was Rapp mit den Beispielen in (25) und (26) zeigt. (25)

(26)

a. b. c. a. b. c.

Man serviert das Fleisch roh Das Fleisch wird (roh) serviert Das Fleisch ist (*roh) serviert Wir überreichten ihm die Äpfel poliert Die Äpfel werden ihm (poliert) überreicht Die Äpfel sind ihm (*poliert) überreicht

sein. Kopula, Passiv- und/oder Tempus-Auxiliar?

171

Während im Aktiv (a-Sätze) und im Vorgangspassiv (b-Sätze) Adjektive stehen können, „die in einem prädikativen Verhältnis zum Akkusativobjekt bzw. zum Subjekt stehen“ (Rapp 1996: 251f), ist eine entsprechende Konstruktion beim ZP ausgeschlossen (c-Sätze). Die Konstruktion zeigt damit dasselbe Verhalten wie bei nicht vom Verb abgeleiteten einfachen Adjektiven wie in (27) und (28). (27) (28)

*Das Gras ist grün kurz *Sie ist intelligent schön

Die in diesem und im vorhergehenden Abschnitt referierten Argumente zeigen sehr deutlich, daß das sog. Zustandspassiv im Deutschen sowohl verbale Eigenschaften aufweist, die bei entsprechenden Kopulakonstruktionen nicht möglich sind, als auch Eigenschaften, die bei vergleichbaren Verbformen (Aktiv, Vorgangspassiv) ausgeschlossen sind. Eben dies ist, wie gesehen, für Nicolay (2004) der Grund, das ZP als eine Konstruktion der „dritten Art“ (die weder ein Passiv noch eine KK ist) anzusehen. Daß die Partizipien in diesen Konstruktionen teilweise verbale Eigenschaften aufweisen, die nicht abgeleitete Adjektive nicht haben, muß jedoch kein Hinderungsgrund sein, diese Partizipien dennoch als Adjektive zu klassifizieren. Denn es gilt ganz allgemein, daß bei einem Wortartwechsel bestimmte Eigenschaften der ursprünglichen Wortart erhalten bleiben. So gibt es keine Zweifel, daß Hoffnung ein Substantiv ist, obwohl es (vom Verb hoffen ererbte) Valenzeigenschaften hat, die nicht abgeleitete Substantive in der Regel nicht haben, wie (29) zeigt. (29)

a. die Hoffnung, daß du kommst b. *der Tisch, daß du kommst4

Daß es systematische Zusammenhänge mit dem Vorgangspassiv gibt, kann allein sicher ebenfalls kein Grund sein, ein Zustandspassiv von einer Kopulakonstruktion zu unterscheiden.

3.

Zustandspassiv = sein-Perfekt?

Leiss (1992: 164) ist der Überzeugung, „daß sein + Partizip II im Neuhochdeutschen weder ein Perfekt noch ein Zustandspassiv ist“, sondern einheitlich als Resultativum zu werten sei. Begründet wird dies zuerst mit der einheitlichen Form, entsprechend dem Leiss’schen Credo, daß es viel weniger Homonymien gibt als gemeinhin angenommen und daß der Linguist generell gehalten sei, bei einer Form zunächst auch nach einer entsprechenden Funktion zu suchen (1992: 139). Leiss behauptet, daß im Neuhochdeutschen die sein + Partizip II-Formen nur von telischen „Verbalereignissen“ gebildet werden könnten –––––––—–– 4

Daneben gibt es allerdings auch vereinzelt genuine Substantive, die Komplementsätze erlauben (die Tatsache, daß du kommst).

Rolf Thieroff

172

(1992: 157); sie meint, daß sein + Partizip II schon deshalb nicht als Tempuskategorie klassifiziert werden könne, weil „alle sein + Partizip II-Fügungen intransitiv sind“ (1992: 164) und fährt fort: „Eine Tempusform nur für intransitive Verben und Verbformen anzunehmen [,] ist nicht naheliegend und hat als These exotische Qualität“ (1992: 164f). Allerdings bleibt diese These ebenso unbewiesen im Raum stehen wie die, „daß der kompetente Sprecher des Deutschen sein + Partizip II als Einheit realisiert“ (1992: 164) und jene weitere, daß „nur diejenigen, die es gelernt haben […] dazu imstande [sind], die Unterschiede [zwischen sein-Perfekt und sein-Passiv] überhaupt herauszufinden“ (1992: 171). Als die Grundbedeutung des Resultativums gibt Leiss die des Nachzustands an, d.h., daß der durch sein + Partizip II als eingetreten bezeichnete Zustand noch andauert. Auf einigen Umwegen, die ich hier nicht nachzeichnen kann, gelangt Leiss zu der „neu vorgeschlagenen Klassifikation“ in (30). (30)

Leiss (1992: 169): RESULTATIVUM: PERFEKT: PASSIV:

sein + P II haben + P II werden + P II

mit ergativer Syntax mit akkusativischer Syntax mit akkusativischer Syntax

Am Ende ihrer Ausführungen kommt Leiss dann allerdings doch nicht umhin zuzugeben, daß es auch sein + Partizip II bei atelischen Verben gibt (Die Stadt ist bewacht), was die Autorin dazu zwingt, neben dem Resultativum dann noch eine weitere sein + Partizip IIKategorie zu postulieren, nämlich das Stativ, das sich vom Resultativ durch das Fehlen des „Merkmal[s] des Nachfolgezustands“ (Leiss 1992: 185) unterscheidet. Auf dieses Problem kann ich hier nicht weiter eingehen, obwohl es sich durchaus lohnen würde. Die These, daß sein-Perfekt und sein-Passiv ein und dasselbe, nämlich ein Resultativum seien, ist meines Erachtens leicht zu widerlegen. Für Leiss liegt in den Sätzen (31) und (32) dasselbe Resultativum vor: (31) (32)

Er ist eingeschlafen Die Ausstellung ist eröffnet

Erweitert man nun (31) und (32) durch ein vergangenheitsbezogenes Temporaladverbial wie in (31’) (32’)

Er ist gestern eingeschlafen *Die Ausstellung ist gestern eröffnet

durch ein Adverbial, das typischerweise Zustände modifiziert, wie in (31’’) *Er ist immer noch eingeschlafen (32’’) Die Ausstellung ist immer noch eröffnet

oder durch einen Satz, der dem erreichten Nachzustand widerspricht, wie in

sein. Kopula, Passiv- und/oder Tempus-Auxiliar?

173

(31’’’) Er ist eingeschlafen, aber dann ist er wieder aufgewacht (32’’’) *Die Ausstellung ist eröffnet, aber dann wurde sie wieder geschlossen

dann zeigt sich in allen Fällen ein unterschiedliches Verhalten dieser beiden „Resultativa“, bzw. es wird deutlich, daß in (31) kein Resultativum vorliegt, sondern eben doch ein Perfekt (vgl. dazu auch Thieroff 1995).

4.

Zustandspassiv = sein-Perfekt = Kopulakonstruktion?

Teuber (2005) stellt die Frage, was denn eigentlich eine analytische Verbform ist und wie sie von anderen Verbalgruppen abzugrenzen ist. Dabei geht er von der folgenden Heuristik aus: „Wenn die Bedeutung eines syntaktisch komplexen Ausdrucks sich nicht nach dem Kompositionalitätsprinzip ergibt, jedoch auf die Bedeutung eines der Teile zurückzuführen ist, handelt es sich um eine analytische Form“ (2005: 11). Danach muß hat geschlafen als Form des Verbs schlafen angesehen werden, da sich die Bedeutung des Ausdrucks nicht aus der von haben (= besitzen) und der von schlafen ergibt, sondern allein auf die Bedeutung von schlafen zurückgeht („die Bedeutung von hat geschlafen ist die Perfektbedeutung von schlafen“; ebd.). Dagegen darf laut Teuber umgekehrt immer, wenn die Bedeutung kompositionell erklärt werden kann, keine analytische Form angenommen werden (ebd.). Bezüglich ist eingeschlafen (sein-Perfekt) und ist gelesen (Zustandspassiv) gelangt Teuber zu dem folgenden Ergebnis: Erstens handelt es sich in beiden Fällen nicht um analytische Verbformen, sondern um rein syntaktische Gegenstände, nämlich Kopula + ‚Prädikatsnomen‘-Komplexe. Zweitens hat man es nicht mit zwei verschiedenen Fällen zu tun, sondern mit einundderselben [sic] sein+Partizip2-Konstruktion. (Teuber 2005: 137)

Der erste Punkt ergibt sich für Teuber daraus, daß er die Bedeutungen der syntaktischen Einheiten kompositionell aus ihren Teilen und den allgemeinen Kompositionsbedingungen für Kopula-Komplexe herleitet. D.h. es liegen „transparente Phrasen“ vor, und damit gehören sie nicht ins Wortparadigma. Der zweite Punkt, also daß es nur eine einzige sein+Partizip II-Konstruktion gibt, ergibt sich einfach daraus, daß beim sog. sein-Perfekt und beim sog. Zustandspassiv dieselbe syntaktische Struktur vorliegt und daß bei beiden genau derselbe semantische Kompositionsprozeß angewendet wurde, und zwar, wie Teuber betont, „notwendigerweise, weil es ja nur der Kopula+‚Prädikatsnomen‘-Kompositionsprozess sein konnte“ (2005: 137). Teubers Argumentation ist in sich schlüssig, und es sieht zunächst so aus, als müßte man sich damit abfinden, daß das Deutsche nicht nur kein Zustandspassiv hat, sondern daß nicht einmal jedes Verb ein Perfekt hat. Dieselben Argumente, die gegen die Thesen von Leiss (1992) vorgebracht wurden, können jedoch auch gegen Teubers Analyse geltend gemacht werden. Teuber schreibt:

Rolf Thieroff

174

Eine Äußerung von Pauline ist eingeschlafen zu einem Zeitpunkt, wo Pauline zwar tatsächlich eingeschlafen war, aber jetzt schon wieder aufgewacht ist (also Pauline schläft nicht wahr ist) können wir nicht für normales Deutsch halten. (Teuber 2005: 132)

Das ist so zwar richtig, aber es ist ohne weiteres möglich, die Wahrheit von Pauline schläft zu verneinen, und das geht bei der entsprechenden Kopula-Konstruktion gerade nicht: (33) (34)

Pauline ist eingeschlafen, aber gleich wieder aufgewacht *Pauline ist müde, aber jetzt ist sie wieder munter

Auch temporale Modifikation erwähnt Teuber. Er kommentiert (35)

Pauline ist gestern um sieben eingeschlafen

mit den Worten, (35) könne nur heißen: „Gestern um sieben war Pauline schläft wahr“. Ob (35) wirklich diese Bedeutung hat, kann hier nicht geklärt werden. Auf jeden Fall problematisch für Teubers Analyse ist aber die Tatsache, daß die Verknüpfung von vergangenheitsbezogenen Zeitadverbialen mit dem, was wir als Perfekt kennen, offenkundig einen anderen Status hat als die Verknüpfung mit Kopula-Konstruktionen. (36)

?Pauline ist gestern um sieben müde

(36) ist zwar nicht ausgeschlossen, die Kollokation von präsentischer Kopula und dem Adverb gestern hat aber einen deutlich anderen Effekt als die von Perfekt und gestern. Nebenbei ist die Koordination von Partizip und Adjektiv eindeutig zeugmatisch, und zwar unabhängig vom Tempus der vorgeblichen Kopula: (37)

a. *Pauline ist gestern um sieben müde und eingeschlafen b. *Pauline war gestern um sieben müde und eingeschlafen

Natürlich ist nur eine Kombination, bei der die Kopula im Präteritum, das Perfekt-Auxiliar dagegen im Präsens steht:5 (37)

c. Pauline war gestern um sieben müde und ist eingeschlafen

–––––––—–– 5

Zu diesem Problem führt Teuber (2005: 192) aus: „Dass bei der zeitlichen Interpretation der VGr eingeschlafen sein […] die ‚Nachzeit‘ t2 topikal wird, ist […] auf die Bedeutung des (adjektivischen) Partizips zurückzuführen. Zu den unbestreitbaren Parallelen dieses Falles mit dem habenPerfekt gehört, dass aber auch hier das Temporaladverbial auf die Situationszeit t zu beziehen ist. Wenn das Partizip deverbal ist, besitzt es eine solche Situationszeit vor der Topikzeit. Deshalb führt die Interpretation von präsentischem sein und gestern zu keinen Problemen. Dass demgegenüber ist müde nicht mit gestern interpretiert werden kann, ist darauf zurückzuführen, dass nicht-abgeleitete Adjektive lexikalisch gar keine ‚Nachzeit‘ besitzen. Vielmehr wird ihr einziges lexikalisches Zeitintervall mit der Situationszeit von sein identifiziert. D.h. jede Standardinterpretation des Präsens muss sowohl Äußerungszeit als auch ‚gestern‘ mit der Situationszeit in Verbindung bringen – und damit scheitern.“

sein. Kopula, Passiv- und/oder Tempus-Auxiliar?

175

Als Fazit der bisherigen Überlegungen ergibt sich zunächst, daß das sein-Perfekt eindeutig zu unterscheiden ist von KK und ZP, d.h. es ist mindestens zu unterscheiden zwischen einem Tempus-Auxiliar sein einerseits und einer Kopula sein andererseits. Weniger eindeutig konnte bisher die Frage beantwortet werden, ob zusätzlich zur Kopula, drittens, auch noch ein Passiv-Auxiliar sein anzusetzen ist, doch haben wir gesehen, daß die verbalen Eigenschaften, die Partizipien II in sein+Partizip-Konstruktionen aufweisen, nicht zwingend zu einer solchen Analyse führen müssen. Unter anderem unter Berücksichtigung des Rapp’schen Ökonomie-Arguments (vgl. Abschn. 2) scheint vieles dafür zu sprechen, die These von einem von der KK unterschiedenen ZP aufzugeben.

5.

sein-Konstrukionen im Sprachvergleich

Zum Schluß möchte ich einen vergleichenden Blick auf einige wenige andere westeuropäische Sprachen werfen. Dieser Vergleich hat zwar keine Beweiskraft für die Analyse des Deutschen, aber es können doch Indizien ausgemacht werden, die für die eine oder andere Analyse sprechen. Im folgenden berücksichtige ich eine weitere germanische Sprache, das Englische, sowie drei romanische Sprachen, Französisch, Italienisch, Spanisch (vgl. dazu auch Thieroff 1994). 5.1.

Kopula sein

Eine Kopula mit der Bedeutung sein finden wir in allen germanischen und romanischen Sprachen. Die Sätze in (38) und (39) haben jeweils dieselbe Bedeutung. (38)

(39)

a. b. c. d. a. b. c. d.

Sie ist schön She is beautiful Elle est belle Lei è bella Er ist Lehrer He is a teacher Il est professeur Lui è professore

Deutsch Englisch Französisch Italienisch Deutsch Englisch Französisch Italienisch

Die Daten in (38) und (39) stützen also zunächst die These, daß es ein Kopulaverb mit der Bedeutung von deutsch sein in einer nennenswerten Anzahl von europäischen Sprachen gibt.

Rolf Thieroff

176 5.2.

Zustandspassiv

Die Konstruktion, die wir im Deutschen als Zustandspassiv kennen, gibt es ebenfalls in allen genannten Sprachen. Die Sätze in (40) haben wiederum dieselbe Bedeutung. (40)

a. b. c. d.

Die Tür ist geschlossen The door is closed La porte est fermée La porta è chiusa

Deutsch Englisch Französisch Italienisch

Wenn man sich nun die Grammatikographie der anderen Sprachen anschaut, so stellt man fest, daß diese Konstruktion in aller Regel als Kopulakonstruktion angesehen wird. Die Interpretation, daß es sich hier um eine spezielle Zustandspassiv-Konstruktion handle, scheint eine Besonderheit der deutschen Grammatikschreibung zu sein. 5.3.

Vorgangspassiv

Während im Deutschen (und genau so auch im Spanischen) Vorgangspassiv und Zustandspassiv formal eindeutig unterschieden sind, gilt dies beispielsweise für das Englische, Französische und Italienische so nicht. (41) Dt. Span. Engl. Frz. Ital.

Vorgang

Zustand

Die Tür wird (von Hans) geschlossen La puerta es cerrada (por Juan) The door is (being) closed (by John) La porte est fermée (par Jean) La porta è chiusa (da Gianni)

Die Tür ist geschlossen La puerta está cerrada The door is closed La porte est fermée La porta è chiusa

Die Sätze in der linken Spalte in (41) haben im Englischen, Französischen und Italienischen nur dann eindeutig die Vorgangspassiv-Lesart, wenn das in Klammern angegebene Agens genannt wird. Ohne Nennung des Agens ist die Zustandspassiv-Lesart die präferierte, die Vorgangspassiv-Lesart jedoch nicht ausgeschlossen. The door is closed, La porte est fermée und La porta è chiusa sind also systematisch ambig.6 Für diese Sprachen stellt sich die Frage, ob das Äquivalent von sein auch ein PassivAuxiliar sein kann, also auf eine gänzlich andere Weise als für das Deutsche. Die Grammatiken des Englischen, Französischen und Italienischen stimmen übrigens in der Auffassung

–––––––—–– 6

Eine Formengleichheit ganz anderer Art gibt es im Niederländischen. Hier hat das Perfekt des Vorgangspassivs dieselbe Form wie das Präsens des Zustandspassivs und das Plusquamperfekt des Vorgangspassivs dieselbe Form wie das Präteritum des Zustandspassivs. So kann der Satz De deur is gesloten sowohl ‚Die Tür ist geschlossen worden‘ als auch ‚Die Tür ist geschlossen‘ bedeuten. Dazu ausführlich Thieroff (1994: 53-55).

sein. Kopula, Passiv- und/oder Tempus-Auxiliar?

177

überein, daß be bzw. être bzw. essere in Fällen wie denen in der linken Spalte ein PassivHilfsverb sei.7 5.4.

Perfekt

Nach traditioneller Auffassung gibt es solche Sprachen, die ihr Perfekt nur mit einem Äquivalent von haben bilden und solche, die ihr Perfekt mit einem Äquivalent von haben und sein bilden. Zu den ersteren gehören etwa Englisch und Spanisch, zu den letzteren Deutsch, Französisch und Italienisch. Unbestritten ist, daß die Bedeutung der Sätze in (42) jeweils dieselbe ist. (42)

a. b. c. d.

He has seen her He has come He has washed himself He has been tired

Er hat sie gesehen Er ist gekommen Er hat sich gewaschen Er ist müde gewesen

Il l’a vue Il est venu Il s’est lavé Il a été fatigué

Zusätzlich zu den bereits gegen die Analyse, nach der das sein-Perfekt eine KK sein soll, vorgebrachten Argumenten, habe ich angesichts der Daten in (42) erhebliche Schwierigkeiten, das sein-Perfekt als KK zu akzeptieren. Täte man das, so hieße das, daß in (42a) alle drei Sprachen ein Perfekt haben, in (42b) Deutsch und Französisch das englische Perfekt mit einer Kopula-Konstruktion ausdrückten, in (42c) Englisch und Deutsch ein Perfekt benutzten, wo Französisch die Kopulakonstruktion verwendet und in (42d) Englisch und Französisch Perfekt hätten, Deutsch hingegen die Kopulakonstruktion. Aus kontrastiver Sicht ist eine solche Analyse sicher nicht überzeugend. Ein letztes Argument gegen die Analyse als Kopulakonstruktion ist schließlich, daß sowohl im Deutschen als auch im Französischen das Perfekt im Gesprochenen dabei ist, das Präteritum bzw. das Passé simple zu ersetzen (s. z.B. Thieroff 2000: 282-285). Und dies geschieht vollkommen unabhängig davon, ob das Perfekt mit haben/avoir oder sein/être gebildet wird. Und das wiederum scheint mir ein weiteres starkes Indiz dafür zu sein, daß es sich bei den Formen in (42) eben doch jeweils um Formen derselben Kategorie handelt.

6.

Fazit

Aus kontrastiver, übereinzelsprachlicher, sprachtypologischer Sicht scheint nur ein Fazit möglich zu sein: Die Antwort auf die im Titel dieser Arbeit gestellte Frage kann offenkundig nur lauten, daß in der Tat drei semantisch-syntaktisch verschiedene Verben sein anzu–––––––—–– 7

Aus der Tatsache, daß das Partizip II, wie die Beispiele zeigen, im Genus (und im Numerus) mit dem Subjekt kongruiert, wird dabei ebenso wenig der Schluß gezogen, daß es sich um eine Kopulakonstruktion handeln müsse wie bei dem vergleichbaren sog. accord von Akkusativobjekt und Partizip II im Perfekt in Fällen wie Il les a vues ‚Er hat sie (FEM) gesehen‘.

Rolf Thieroff

178

setzen sind, und zwar auch dann, wenn man für das Deutsche kein Zustandspassiv annimmt. Es ergibt sich das folgende Bild. 1. sein als Kopula In Konstruktionen, die aus sein und seinen Übersetzungsäquivalenten und einem Adjektiv oder einem Substantiv bzw. einer Nominalphrase bestehen, wie in (38) und (39), ist sein ein Kopulaverb. (38)

(39)

a. b. c. d. a. b. c. d.

Sie ist schön She is beautiful Elle est belle Lei è bella Er ist Lehrer He is a teacher Il est professeur Lui è professore

Deutsch Englisch Französisch Italienisch Deutsch Englisch Französisch Italienisch

Dasselbe gilt (in Übereinstimmung mit Eisenberg (2004: 86)) auch für Konstruktionen aus sein und Adverb, bei denen sein eine lokale oder temporale Situierung impliziert, wie in (43) und (44). (43) (44)

Karl ist hier Das Endspiel ist morgen

Ein Kopulaverb liegt auch dann vor, wenn sein mit einem Partizip II verbunden ist, vorausgesetzt, daß diese Konstruktion einen Zustand bezeichnet. Weitere Bedingungen sind etwa, daß eine Attributkonstruktion möglich ist (die geschlossene Tür), daß prinzipiell un-Präfigierung und Komparation möglich sind und anderes, kurz, daß das Partizip II wesentliche (wenn auch keineswegs alle) Adjektiveigenschaften aufweist. Auch die Sätze in (45) enthalten demnach das Kopulaverb sein. (45)

a. b. c. d.

Die Tür ist geschlossen The door is closed La porte est fermée La porta è chiusa

Deutsch Englisch Französisch Italienisch

2. sein als Passiv-Auxiliar Immer dann, wenn die Konstruktion aus sein und Partizip II dieselbe außersprachliche Situation darstellt wie ein entsprechender Aktivsatz, wenn ein Agens problemlos hinzugefügt werden kann, wenn also das deutsche Übersetzungsäquivalent das Passiv-Auxiliar werden ist, liegt das Passiv-Hilfsverb sein vor. Damit verfügen etwa Englisch, Französisch und Italienisch über ein Passiv-Auxiliar sein, wie in (46).

sein. Kopula, Passiv- und/oder Tempus-Auxiliar? (46)

Engl. Frz. Ital.

179

The door is (being) closed (by John) La porte est fermée (par Jean) La porta è chiusa (da Gianni)

Dagegen hat das Deutsche kein Passiv-Hilfsverb sein. Vielmehr ist das deutsche PassivHilfsverb werden. 3. sein als Perfekt-Auxiliar Schließlich ist in einer Konstruktion aus sein + Partizip II sein genau dann ein PerfektAuxiliar, wenn in einer Vergleichssprache die Übersetzung von sein ein Äquivalent von haben ist. In (47) liegen also deshalb Perfektformen vor, weil etwa die englischen Übersetzungen he has come, he has been tired und he has washed himself lauten. (47)

Er ist gekommen Il est venu Er ist müde gewesen Il s’est lavé

Im Einklang mit der traditionellen Auffassung bedeutet dies, daß beispielsweise Englisch und Spanisch kein Perfekt-Auxiliar sein aufweisen. Das heißt auch, daß die Kopula sein die einzige Verwendung von sein ist, die in allen germanischen und romanischen Sprachen anzutreffen ist. Davon unberührt ist die Tatsache, daß nicht jede haben + Partizip II-Konstruktion ein Perfekt ist – daneben gibt es auch noch das (im Deutschen auf das bekommen-Passiv beziehbare) haben-Zustandspassiv (s. Rothstein in diesem Band).

Literatur [CRLG=] Centre de Recherche en Linguistique Germanique (Nice) (Hg.) (1987): Das Passiv im Deutschen. Akten des Colloquiums über das Passiv im Deutschen, Nizza 1986. Tübingen: Niemeyer. Duden (2005): Die Grammatik. Unentbehrlich für richtiges Deutsch. 7., völlig neu erarbeitete und erweiterte Auflage. Herausgegeben von der Dudenredaktion. Duden Band 4. Mannheim etc.: Dudenverlag. Eisenberg, Peter (2004): Grundriß der deutschen Grammatik. Band 2: Der Satz. 2., überarbeitete und aktualisierte Auflage. Stuttgart/Weimar: Metzler. Helbig, Gerhard (1987): „Zur Klassifizierung der Konstruktionen mit sein + Partizip II (Was ist ein Zustandspassiv?)“. In: CRLG (Hg.), 215-233. Helbig, Gerhard/Buscha, Joachim (2001): Deutsche Grammatik. Ein Handbuch für den Ausländerunterricht. Berlin usw.: Langenscheidt. Hermanns, Fritz (1987): „Ist das Zustandspassiv ein Passiv? Versuch, einer terminologischen Ungereimtheit auf die Spur zu kommen“. In: CRLG (Hg.), 181-213. Leiss, Elisabeth (1992): Die Verbalkategorien des Deutschen. Ein Beitrag zur Theorie der sprachlichen Kategorisierung. Berlin, New York: de Gruyter (Studia Linguistica Germanica. 31).

180

Rolf Thieroff

Lenz, Barbara (1995): un-Affigierung. Unrealisierbare Argumente, unausweichliche Fragen, nicht unplausible Antworten. Tübingen: Narr. (Studien zur deutschen Grammatik 50) Nicolay, Nathalie (2004): Aktionsarten im Deutschen und die Beschreibung stativer Sachverhalte. Diss. Bonn. Parsons, Terence (1990): Events in the Semantics of English. A Study in Subatomic Semantics. Cambridge, MA: MIT University Press. Rapp, Irene (1996): „Zustand? Passiv? – Überlegungen zum sogenannten ‚Zustandspassiv‘“. Zeitschrift für Sprachwissenschaft 15, 1996. 231-265. Rapp, Irene (1997): Partizipien und semantische Struktur. Zu passivischen Konstruktionen mit dem 3. Status. Tübingen: Stauffenburg (Studien zur deutschen Grammatik 54). Rothstein, Björn (in diesem Band): „Einige Bemerkungen zum Partizip II in Das Pferd hat die Fesseln bandagiert.“ Teuber, Oliver (2005): Analytische Verbformen im Deutschen. Syntax – Semantik – Grammatikalisierung. Hildesheim etc.: Olms (Germanistische Linguistik Monographien 18). Thieroff, Rolf (1994): „Vorgangspassiv und Zustandspassiv in romanischen und germanischen Sprachen“. Sprachtypologie und Universalienforschung (STUF) 47. 37-57. Thieroff, Rolf (1995): Rezension von „Elisabeth Leiss: Die Verbalkategorien des Deutschen. Ein Beitrag zur sprachlichen Kategorisierung“. Beiträge zur Geschichte der deutschen Sprache und Literatur 117. 295–302. Thieroff, Rolf (2000): „On the Areal Distribution of Tense-Aspect Categories in Europe“. In: Dahl, Östen (Hg.): Tense and Aspect in the Languages of Europe. Berlin, New York: Mouton de Gruyter. 265–305 (Empirical Approaches to Language Typology [EALT] / EUROTYP 20-6). Zifonun, Gisela/Hoffmann, Ludger/Strecker, Bruno und andere (1997): Grammatik der deutschen Sprache. 3 Bände. Berlin/New York: de Gruyter.

Rosemarie Lühr

Kopulasätze in altindogermanischen Sprachen

1.

Vorbemerkung

Untersuchungsgegenstand sind bestimmte Kopulaverben im Altindischen, die in Verbindung mit den inhärent imperfektiven Partizipien des Präsens und präsentischen Perfekts von Durativa, Iterativ-Intensiva und bestimmten punktuellen Verben in Kopulasätzen eine Festlegung auf den imperfektiven Aspekt bewirken. Eigentlich sind die Kopulaverben Verben des GEHENS, SITZENS, STEHENS, deren partizipiales Komplement eine Modifikation der im finiten Verb bezeichneten Tätigkeit ausdrückt und dabei zu einer Entsemantifizierung des finiten Verbs zum Kopulaverb führt. Die Konstruktion mit STEHEN zeigt dabei eine parallele Entwicklung wie die von lat. STARE, einem ursprünglich eine Körperhaltung kodierenden Verb, das zur Kopula im Altromanischen wurde und in die Domäne der ursprünglichen Kopula ESSERE eindrang (vgl. den Beitrag von Remberger & González-Vilbazo in diesem Band). Im Altindischen beruhen die partizipialen Komplemente zum einen auf Verben, deren Bedeutung keinen Nachzustand signalisiert, das Durativ ,suchen‘, ,zuhören‘, das Durativ ,tragen‘, ein Iterativ-Durativ zu ,bringen‘, das Intensiv-Durativ ,brüllen‘, die Iterativ-Durative ,berühren‘, ,immer wieder, d.h. ununterbrochen [Feinde] erschlagen‘, ,hierhin und dorthin sehen‘, ,hüpfen‘, ,schlottern‘, ,wiehern‘. Ein Nachzustand wird dagegen implizit in dem Iterativ-Durativ ,austeilen‘ mitverstanden. Hinzu kommen punktuelle Verben mit Nachzustand – der Ereignispartizipiant ist hier aber in das unmittelbar vorhergehende Ereignis involviert: ,sich kleiden‘, ,an etwas erstarken, heranwachsen‘, ,vermehren‘, oder die Aktivität des Agens geht mit der Bewegung des Patiens einher: ,in Bewegung setzen‘, ,geleiten‘. Auch werden Ereignisse, die gleichzeitig zu einem anderen Ereignis stattfinden oder eine Gegensätzlichkeit ausdrücken, mit Kopulaverb und Partizip Präsens bezeichnet, und zwar von den Durativen ,beschauen‘, ,fernhalten‘, dem Iterativ-Durativ ,zucken‘ und dem punktuellen Verb ,ankündigen‘ (wiederum mit Einbezug des Ereignispartizipianten in den Handlungsablauf). Diese Art von punktuellen Verben findet sich auch bei der Bedeutung ,auch weiterhin tun‘ des Kopulaverbs, bei ,ausbreiten‘, ,sich emporwölben‘. Dagegen ist ein Verb der Bedeutung ,erkennen‘ kein Kandidat für ein Kopulakomplement, da diese Bedeutung kein den Agens involvierendes, vorausgehendes Ereignis erschließen lässt. Während also die Aktionsartmerkmale [DURATIV] und [ITERATIV-DURATIV] ohne weiteres zu dem Aspektmerkmal [IMPERFEKTIV] des Partizips passen, sind Verben mit dem Aktionsartmerkmal [PUNKTUELL] nur dann mit diesem Typ von Partizip vereinbar, wenn sie ebenfalls eine irgendwie geartete Zeitdauer präsupponieren. Notwendig wurden solche Konstruktionen, weil das vedische Imperfekt neben unabgeschlossenen, teilartigen Handlungen auch abgeschlossene, ganzartige bezeichnete und so ein Mangel an einem imperfektiven Aspektpartner bestand. Typologisch ist die altindische Kopula-Konstruktion am ehesten mit der „Rheinischen Verlaufsform“ mit am und der progressive form und dem Gerund des Englischen zu vergleichen. Dabei zeigt die Spezifik der zu behandelnden altindischen Kopulakonstruktionen, dass

Rosemarie Lühr

182

auch „exotisches“ Datenmaterial „Erweiterungen“ zu einem altbekannten Phänomen liefern kann. Vom Lateinischen her ist die Verbindung einer Kopula mit einem Prädikatsnomen im Nominativ bekannt, das im Numerus und Kasus, gegebenenfalls auch im Genus kongruiert. Das Prädikatsnomen kann Substantiv oder Adjektiv sein. (1)

a. Animus immortalis est. b. Animus donum dei est.

Dieser Gebrauch findet sich in allen altindogermanischen Sprachen. Doch gibt es weitere Verwendungsweisen. Anders als das Lateinische hat z.B. das Altgriechische ein Partizip Präsens als Prädikatsnomen im Nominativ. Es erscheint u.a. bei Verben, die ein „näher bestimmtes Sein“ ausdrücken: (2)

tugkhánō ‚ich bin zufällig oder gerade‘ lanthánō ‚ich bin heimlich‘ diágō, diateléō, diagígnomai ‚ich bin fortwährend‘ phaínomai ‚ich bin offenbar‘ phthánō ‚ich bin früher‘ oízomai ‚ich bin fort‘

Von diesen Verben ist besonders der Ausdruck ‚ich bin fortwährend‘ von Interesse, weil sich in Verbindung mit einem Partizip die Aktionsart in einem Satz ändern kann: (3)

Kúros elpídas légōn diége ‚Kyros vertröstete [die Soldaten] fortwährend‘

Das Prädikat erhält hier einen durativen Charakter.1 Auch das Altindische kennt prädikative Partizipien des Präsens im Nominativ in Kopulasätzen. Das Partizip erscheint aber bei Verben, die im eigentlichen Sinn ‚gehen‘, ‚sitzen‘, ‚stehen‘ bedeuten. Während dieser Gebrauch in der altindischen Prosa häufig belegt ist, ist er nach Delbrück (1888: 390) in der Dichtung, vor allem im ältesten Denkmal, im Rigveda, nur begrenzt nachweisbar. So habe z.B. das Verb ‚gehen‘ hier noch seine eigene Bedeutung, eine Auffassung, die auch in jüngeren Übersetzungen des Rigveda zum Ausdruck kommt. Eine andere Ansicht vertritt Grassmann in seinem Wörterbuch zum Rigveda: Er spricht bei Kopulasätzen, die ein solches Verb und ein Partizip enthalten, ausdrücklich von einer bloßen Modifikation der Tätigkeit. Überprüfen wir daher die Verbindungen der Verben ‚gehen‘, ‚sitzen‘, ‚stehen‘ mit einem Partizip Präsens in der ältesten altindischen Dichtung.

–––––––—–– 1

Die meisten der unter (2) genannten Verben sind wegen ihrer Eigenbedeutung kaum als Kopulaverben klassifizierbar (vgl. dazu Steinitz (1992: 191ff; 1999: 122ff)).

Kopulasätze in altindogermanischen Sprachen

2.

183

Gehen

Bei dem Verb ‚gehen‘ – im folgenden wird es GEHEN-Verb genannt – erscheinen als Partizip Präsens zunächst Intensiva – Intensiva bezeichnen im Altindischen Intensivierung oder Iteration der Verbalhandlung und werden mit Reduplikation gebildet.2 Dabei ergibt sich eine durative Bedeutung, wenn eine Verbalhandlung iteriert wird. Ist nun neben einem GEHENVerb und einem Intensiv-Partizip wie ,brüllend‘ mit intensiver Bedeutung eine Ortsbestimmung vorhanden, liegt in der Tat, wie Delbrück vorgeschlagen hat, die Deutung als reines Bewegungsverb nahe: (4)

RV3 1,140,5 yát sīm

mahím

avánim

prábhí márm4śad

wenn

groß-ACC.SG.F

Bahn-ACC.SG.F

PFX-PFX-zupackend-

nur-PART

PTC.PRES. NOM.SG.M

–––––––—–– 2 3

Im ältesten altindischen Denkmal sind Intensiva viel häufiger als in der späteren Sprache. Abkürzungen: ABS = Absolutiv ACC = Akkusativ ADV = Adverb AOR = Aorist DAT = Dativ DU = Dual F = Femininum GEN = Genitiv IMP = Imperativ IND = Indikativ INST = Instrumental IPF = Imperfekt KOP = Kopula LOC = Lokativ M = Maskulinum MED =Medium N = Neutrum NOM = Nominativ PART = Partikel PASS = Passiv PF = Perfekt PFX = Präfix PL = Plural POSTP = Postposition PRES = Präsens PTC = Partizip RV = Rigveda SBJ = Konjunktiv SG = Singular VOC = Vokativ

Rosemarie Lühr

184 abhiśvasán

stanáyann

schnaufend-PTC.PRES.NOM.SG.M.

donnernd- PTC.PRES.NOM.SG.M

éti

nánadat

geht-3.SG.IND.PRES

brüllend-PTC.PRES.NOM.SG.M

‚wenn er zupackend, anschnaubend, donnernd, laut brüllend seine mächtige Bahn zieht.‘4

Vgl. auch: (5)

RV 9,70,6 sá

mātárā



dádrśāna

na

er-NOM.SG.M

Mutter-ACC.DU.F

wie

sehend-PTC.PF.NOM.SG.M

wie

usríyo

nānadad

eti

Stier-NOM.SG.M

brüllend-PRES.NOM.SG.M

geht-3.SG.IND.PRES Maruts-GEN.PL.M

iva

svaná# /

wie-PART

Rauschen- NOM.SG.M

rtám

jānánn

wissend-PTC.PRES.NOM.SG.M Gesetz-ACC.SG.M

svàrNaram

práśastaye

SvarNara-ACC.SG.M Lob-DAT.SG.F

marútām

prathamáM

yát

richtig-ACC.SG.M

dass

kám

avrNīta

welchen-ACC.SG.M

wählte-3.SG.IND.IPF

sukrátu# einsichtsvoll-NOM.SG.M

‚Er geht wie ein Stier ausschauend zu (nach) den beiden Müttern, brüllend wie das Rauschen der Maruts. Da er weiß, welches der erste rechte Weg ist, hat er sich SvarNara für sein Lob erwählt, der Einsichtsvolle.‘ (Geldner)

So ist brüllen ein activity-Verb im Sinne Vendlers (1957[1967]), also ein Durativ ohne Nachzustand. Fehlt aber in den altindischen Kopulasätzen mit GEHEN-Verb und einem solchen IntensivPartizip eine Ortsbestimmung, bietet sich eine verdeutlichende Übersetzung mit der „Rheinischen Verlaufsform“ mit am an. Im Englischen stünde hier die progressive form. Vgl. mit dem Intensiv-Partizip kánikradat- von der Wurzel krand ‚wiehern, brüllen‘:5 (6)

RV 9,33,4 tisró

váca

úd īrate

drei- NOM.PL.F

Reden-NOM.PL.F

PRX-erheben sich-3.PL.IND.PRES.MED

gávo

mimanti

dhenáva# /

Kühe-NOM.PL.F

brüllen-3.PL.IND.PRES

milchend-NOM.PL.F

hárir

eti

Falbe-NOM.SG.M KOP-3.SG.IND.PRES

kánikradat wiehernd-PTC.PRES.NOM.SG.M

‚Dreierlei Reden heben an, die Milchkühe brüllen, der Falbe ist am Wiehern‘ (: Geldner: ‚wiehernd geht der Falbe‘)6

–––––––—–– 4 5 6

Zur Bildung vgl. Schaefer (1994: 143). Schaefer (1994: 109f.). Vgl. auch:

Kopulasätze in altindogermanischen Sprachen (7)

RV 1,140,8 tásāM von ihnen-GEN.PL.F eti KOP-3.SG.IND.PRES

185

jarám

pramuñcánn

Alter-ACC.SG.F

nehmend-PTC.PRES.NOM.SG.M

páraM

nánadad brüllend-PTC.PRES.NOM.SG.M janáyañ

ásum jīvám

beste-ACC.SG.M

schaffend-PTC.PRES.NOM.SG.M

Leben-ACC.SG.M

Geist-ACC.SG.M

ástrtam unverwüstlich-ACC.SG.M

,Das Alter von ihnen nehmend ist er am Brüllen, höheren Geist, unverwüstliches Leben erzeugend.‘ (: Geldner: ‚kommt er brüllend‘)

Oder mit bíbhar- ‚tragen‘, einem ursprünglichen Iterativ zu bharati7 ‚tragen, bringen‘:8 (8)

RV 4,22,1 yán

na

índro

was-ACC.SG.N

von uns-GEN.PL

Indra-NOM.SG.M

yác

ca

vá1Ti

tán

was-ACC.SG.N

und

begehrt-3.SG.IND.PRES

das-ACC.SG.N

mahán

karati

groß-NOM.SG.M

bráhma

PART

Erbauung-ACC.SG.N

hat gern-3.SG.IND.PF.MED

no uns-DAT.PL

á

śu1my

soll schaffen-3.SG.SBJ.PRES

cit /

juju1é

stark-NOM.SG.M

herbei-PFX

stómam

maghávā

Loblied-ACC.G.M

mächtig-NOM.SG.M

sóman

ukthá



Soma-ACC.SG.M

Sprüche-ACC.PL.N

wer-NOM.SG.M

áśmānaM DonnerkeilACC.SG.M

éti

śávasā

bíbhrad

Kraft-INST.SG.N

tragend-PTC.PRES.NOM.SG.M KOP-3.SG.IND.PRES

‚Was er (Indra) von uns gern hat und was er wünscht, das soll der Große, Mutige von uns bestellen, der Freigebige: Erbauung, Loblied, Soma (und) Lobgedichte, der mit Kraft den Schleuderstein am Tragen ist.‘9 (Geldner: ‚der mit Kraft den Schleuderstein tragend auszieht‘)

–––––––—–– RV 9,97,13 v41ā

śóNo

abhikánikradad



Stier-NOM.SG.M rot-NOM.SG.M

anwiehernd-PTC.PRES.NOM.SG.M

nadáyann

eti

prthivím

Kühe-ACC.PL.F

utá

erschütternd-PTC.PRES.NOM.SG.M

KOP-3.SG.IND.PRES

Erde-ACC.SG.F

und

dyám / Himmel-ACC.SG.F

7 8 9

‚Der rote Stier ist die Kühe am Anwiehern, Himmel und Erde erdröhnen machend.‘ (: Geldner: ‚der den Kühen entgegenbrüllt, geht Erde und Himmel erdröhnen machend‘; ebenso Schaefer (1994: 143)). Im Altindischen ist die Zitierform des Verbs die 3. Singular. Gotō (1987: 226); Schaefer (1994: 163). Vgl. auch:

Rosemarie Lühr

186

Wie erklärt sich der Bedeutungswandel zum Kopulaverb? Das GEHEN-Verb hatte in derartigen Kontexten die Bedeutung ‚in bestimmter Weise in Bewegung sein‘10 und musste durch ein Prädikativ, das die Art und Weise der Bewegung bezeichnet, gesättigt werden. Da GEHEN-Verben den sie ergänzenden Präsenspartizipien keine Merkmale wie [DURATIV] oder [ITERATIV-DURATIV] zuweisen, müssen solche Merkmale den zugrundeliegenden Verben inhärieren. Von der Wortart bieten sich für Durativa in Kopulasätzen wie (6), (7) und (8) Partizipien des Präsens an; denn sie sind Stativa: Nach Petra Maria Vogel (1996: 201)11 sind sie imperfektiv, da jede Phase einer anderen möglichen gleicht. Doch kommen auch nichtdurative Verben als Partizip Präsens neben einem GEHEN-Verb vor. Es handelt sich dann um Partizipien von iterativen Verben, also der zweiten Art von Intensiv-Partizipien im Altindischen. Vgl. mit carati ‚gehen, wandern‘ und dem Partizip Präsens járbhurāNa- von bhur- ‚hüpfen‘:12 (9)

RV 1,163,11 táva

śárīram

patayi1Nv

dein-GEN.SG

Körper-NOM.SG.N

fliegend-NOM.SG.N Renner-VOC.SG.M

àrvan

táva

cittáM

váta

iva

dein-GEN.SG

Geist-NOM.SG.N

Wind-NOM.SG.M

wie-PART fliegend-NOM.SG.M

dhrájīmān /

táva

ś4$gā$i

ví1Thitā

purutrá

dein-GEN.SG

Hörner-NOM.PL.N

sich verteilend-PTC.PF.NOM.PL.N

vielerorts-ADV

-araNye1u

járbhurāNā

caranti

Ferne-LOK.PL.N

zappelnd-PTC.PRES.NOM.PL.N

KOP-3.PL.IND.PRES

‚Dein Körper eilt mit Flügeln, o Renner, dein Geist saust dahin wie der Wind. Deine Hörner sind vielerorts verteilt. In den Wäldern sind sie am Auf- und Abhüpfen.‘ (: Geldner: ‚in den Wäldern bewegen sie sich auf und ab hüpfend‘)

Das Intensiv-Partizip ist hier ebenfalls durativ, und zwar iterativ-durativ, interpretierbar. Bislang ist somit festzuhalten: GEHEN-Verben signalisieren in Kontexten wie (4) bis (7), dass die im Partizip ausgedrückte Verbalhandlung das Merkmal [DURATIV] oder [ITERATIV-DURATIV] hat und fordern eine entsprechende Ergänzung. Das Aspektmerkmal –––––––—–– RV 3,30,14 máhi

jyótir

níhitaM

vak1áNāsv

groß-NOM.SG.N Licht-NOM.SG.N

bewahrt-PTC.PRET.PASS.NOM.SG.N

āmá

pakváM

carati

bíbhratī

Bäuche/Euter-LOC.PL.F

roh-NOM.SG.F

gekocht-ACC.SG.N

KOP-3.SG.IND.PRES

tragend-PTC.PRES.NOM.SG.F

gaú# / Kuh-NOM.SG.F

10 11

12

‚Ein großes Licht ist in ihren Eutern verwahrt: die rohe Kuh ist die gekochte (Milch) am Tragen.‘ (:Geldner: ‚die rohe Kuh wandelt die gekochte (Milch) tragend‘) Vgl. Sein Mund geht ununterbrochen. Vgl. auch Tichys (1995: 22) Beschreibung der semantischen Leistung von Partizipien: „Partizipien haben die charakteristische Funktion, Nebenhandlungen begrenzter Dauer in ihrem zeitlichen Verhältnis zur Haupthandlung des Satzes zu bezeichnen. Die Bezeichnung bleibender Eigenschaften liegt hingegen, aufs Ganze gesehen, außerhalb ihres Anwendungsbereichs.“ Dazu Schaefer (1994: 159ff.).

Kopulasätze in altindogermanischen Sprachen

187

[IMPERFEKTIV] der Wortart Partizip Präsens und das inhärente Aktionsartmerkmal [DURATIV] oder [ITERATIV-DURATIV] des im Partizip ausgedrückten Verbs sind hierfür die passenden Aspektualitäts-Partner. Vgl. z.B. wieder mit eti ‚gehen‘: (10)

RV 10,86,119 ayám

emi

dieser-NOM.SG.M

KOP-1.SG.IND.PRES

vicákaśad wahrnehmendPTC.PRES.NOM.SG.M

vicinván

dásam

áryam /

unterscheidend-PTC.PRES.NOM.SG.M

Barbar-ACC.SG.M

ArierACC.SG.M

... ’bhí dhíram

acākaśaM

um-PFX sachverständig-ACC.SG.M

schaute-1SG.IND.IPF

‚Ich bin am Umschau Halten zwischen Dāsa und Arier scheidend. ... Nach einem Sachkundigen habe ich ausgeschaut.‘

Das präfigierte Intensiv cákaś- hat in der Mehrzahl der Belege die Bedeutung ‚sehen, betrachten‘; für das Intensiv-Partizip in Verbindung mit einem kopulativen GEHEN-Verb kann aber die ursprüngliche iterative Bedeutung ‚hierhin und dorthin sehend‘ postuliert werden, wie sie auch an der zweiten Belegstelle in (10) vorliegt.13 Auch für die Wiedergabe der Partizipien in den Kopulasätzen (9) und (10) würde man im Englischen die progressive form verwenden. Vgl. Konstruktionen wie: (11)

a. Rebecca was knocking. b. Her eyelid was twitching.

Rebecca war am Klopfen. Ihr Lid war am Zucken.

Die genauen Vorkommens- und Interpretationsbeschränkungen solcher Verben hat Engelberg (2000: 74) aufgezeigt. Erstens muss auf den Punktualitätsbegriff rekurriert werden. Punktualität ist nach seiner Definition die Eigenschaft eines Ereignisses, extrem kurz zu sein (2000: 67). Zweitens ist bei der Analyse eines Ereignisses nach Teilereignissen der Nachzustand zu berücksichtigen. So handelt es sich bei den altindischen und englischen Verben im Partizip Präsens bzw. in der progressive form um durative oder punktuelle Verben ohne Nachzustand. –––––––—–– 13

Nach Schaefer (1994: 104) ist dagegen unklar, ob punktuelle oder durative Bedeutung vorliegt. Die ursprüngliche Bedeutung von eti kann vorhanden sein in: RV 1,24,10 candrámā náktam eti vicákaśac Umschau haltend-PTC.PRES.NOM.SG.M

Mond-NOM.SG.M

nachts-ADV wandelt-3.SG.IND.PRES

‚Des Nachts wandelt Umschau haltend der Mond.‘ Vgl. die Richtungsbestimmung in der vorausgehenden Fügung kúha cid díveyu# ,sie [die Sterne] sind am Tag irgendwohin [gegangen]‘. Da eine Richtungsbestimmung in vicákaśac candrámā náktam eti fehlt, ist aber auch die Bedeutung ,Der Mond ist nachts am Umschauhalten‘ oder ,... ringsum strahlend‘ denkbar.

Rosemarie Lühr

188

Nun hat Engelberg noch eine weitere Bedingung für die Verwendung der progressive form im Englischen erkannt: An Konstruktionen wie: (12)

Rebecca was winning (the game). Rebecca was arriving. Jamaal was dying. The twig was breaking

Rebecca war (das Spiel) am Gewinnen. ?Rebecca war am Ankommen. ?Jamaal war am Sterben. Der Zweig war am Abbrechen.

zeigt er, dass auch punktuelle Verben mit Nachzustand den Progressiv erlauben, und zwar unter zwei Bedingungen: Entweder ist a) lexikalisch präsupponiert oder b) kontextuell erschließbar, dass der Ereignispartizipiant in Subjektsposition auch in ein unmittelbar vorausgehendes Ereignis involviert ist. Dieses Ereignis muss dabei in enger kausaler oder konsekutiver Relation zu dem punktuellen Ereignis stehen. So werde durch gewinnen präsupponiert, dass Rebecca an dem Spiel teilnimmt, und durch ankommen, dass sie vor dem Ankommen unterwegs war. Auch unter den altindischen Kopulasätzen mit Partizipialkonstruktion gibt es solche Fälle, und zwar auch bei Nicht-Intensiva: In (13) ist bei dem Nachzustandsverb váste ‚sich kleiden in‘14 der Ereignispartizipiant in das dem Nachzustand vorausgehende Ereignis mit einbezogen: (13)

RV 3,38,4 ātí1Thantam

pári

víśve

besteigend-PTC.PRES.ACC.SG.M

PRX-

alle-NOM.PL.M

abhū1añ umringten3.PL.IND.IPF

chríyo

vásānaś

carati

Glanz-ACC.PL.F

kleidend- PTC.PRES.MED.ACC.PL.F

KOP-3.SG.IND.PRES

svároci# / selbst-leuchtend-NOM.SG.M

‚Alle umringten ihn, als er (den Wagen) bestieg. Der Selbstleuchtende ist dabei, sich in seine Herrlichkeiten zu kleiden.‘ (: Geldner: ‚Seine Herrlichkeiten anlegend wandelt der Selbstleuchtende.‘)

Gleiches gilt für das mit dem Verb ‚an etwas erstarken, heranwachsen‘ bezeichnete Ereignis. (14) enthält ein Partizip Perfekt in präsentischer Bedeutung:15

–––––––—–– 14

15

Zu dieser seltenen Bedeutung des Präsens váste vgl.: RV 5,85,4c sám abhréNa vasata

párvatāsa#

mit-PFX

Berge-NOM.PL.M

Wolke-INST.SG.N

umgeben sich-3.PL.INJ.PRES

‚mit Regenwolken bekleiden sich die Berge‘ Nach Kümmel (2000: 481ff.) muss diese dynamische, ingressive Bedeutung des Präsens der Aoristund Perfektbildung zugrunde liegen. Vgl. aber Kümmel (2000: 471): Das mediale Partizip, das eher präsentisch gebraucht ist, hat schon beinahe adjektivischen Sinn ‚gewachsen, gestärkt = stark‘.

Kopulasätze in altindogermanischen Sprachen (14)

189

RV 10,54,2 yád ácaras

tanv°

vāvrdhānó

als

Leib-INST.SG.F

wachsend-PTC.PF.NOM.SG.M

KOP-2SG.IND.IPF

bálānīndra

prabruvāNó

Kräfte-ACC.PL.N-Indra-VOC.SG.M

offenbarend-PTC.MED.NOM.SG.M

jáne1u / LeuteLOC.PL.M

māyét



te

Blendwerk-NOM.SG.F-PART dies-NOM.SG.F

yáni

yuddhány

sie-NOM.PL.M

āhúr

welche-ACC.PL.N Kämpfe-ACC.PL.N

sagen-3.PL.IND.PF

‚Als du dabei warst, am Leib zu erstarken, deine Kräfte unter den Völkern kund tuend, Indra, – da war nur Blendwerk, was sie von deinen Kämpfen sagen.‘

Während hier der Ereignispartizipiant sowohl am vorausgehenden Ereignis als auch am Nachzustand teilnimmt – er ist in etwas gekleidet; du bist an etwas erstarkt –, verhält es sich bei dem Partizip des faktiven Präsens īráya- ‚in Bewegung setzen‘ anders. Gleichzeitig zur Aktivität des Agens wird bei diesem Kausativverb die Bewegung des Patiens mitgedacht: (15)

RV 9,97,14 rasáyya#

páyasā

pínvamāna

kräftig-NOM.SG.M Milch-INST.SG.N

schwellend-PTC.PRES.MED.NOM.SG.M

īráyann

e1i

in Bewegung setzend-PTC.PRES.NOM.SG.M

mádhumantam

aMśúm

süßen-ACC.SG.M

Somasaft-ACC.SG.M

KOP-2.SG.IND.PRES

‚Würzig, von Milch schwellend bist du dabei, den süßen Stengel [d.h. Soma] in Bewegung zu setzen.‘16

Weiterhin mit dem einen Nachzustand implizierenden Verb ,austeilen‘: (16)

RV 1,103,6 bhúrikarmaNe

vr1abháya

v41Ne

tatenreich-DAT.SG.M

Bulle-DAT.SG.M

brünstig-DAT.SG.M

–––––––—–– 16

Vgl. auch mit dem Partizip jíghnamāna- ‚immer wieder, d.h. ununterbrochen [Feinde] erschlagend‘ von dem reduplizierten medial flektierenden thematischen Präsens jíghnate, das zu dem Verb hanti ‚erschlagen‘ gehört (Joachim (1978: 175); vgl. aber Schaefer (1994: 203)): RV 3,30,4 tváM hí 1mā cyāváyann ácyutāny du

denn

éko

vrtrá

fürwahr-PART

allein Feinde-ACC.PL.M

erschütternd-PTC.PRES.NOM.SG.M

Unerschütterliches-ACC. PL.N

cárasi

jíghnamāna# /

KOP-2.SG.IND.PRES

erschlagend-PTC.PRES.MED.NOM.SG.M

‚Denn du fürwahr, der du das Unerschütterliche erschütterst, bist allein die Feinde am Erschlagen.‘ (: Geldner: ‚du ziehst allein aus, die Feinde erschlagend‘)

Rosemarie Lühr

190 satyáśu1māya

sunavāma

sómam /

wahrhaft kräftig-DAT.SG..M

wollen auspressen-1.PL.SBJ.PRES

Soma-ACC.SG.M



ād4tyā

paripanthīva

der-NOM.SG.M

herausschlagend-ABS

Wegelagerer-NOM.SG.M-wie-PART

śúró

’yajvano

vibhájann

Held-NOM.SG.M

opferlos-GEN.SG.M

austeilend-PTC.PRES.NOM.SG.M

éti

véda#

KOP-3.SG.IND.PRES

Besitz-ACC.SG.N

‚Dem tatenreichen, männlichen Bullen, von echtem Kampfesmut wollen wir Soma auspressen, dem Helden, der herausschlagend wie ein Straßenräuber dabei ist, den Besitz des Opferlosen aufzuteilen.‘ (: Geldner: ‚der mit Bedacht wie ein Straßenräuber des Opferlosen Besitz aufzuteilen pflegt‘)17

Zu diesem Gebrauch stimmt, dass Ereignisse, die gleichzeitig zu einem anderen Ereignis stattfinden, mit carati + Partizip bezeichnet werden – eine Richtungsbestimmung fehlt hier: (17) RV 4,3,10 4téna

-hí

1mā

Gesetz-INST.SG.N

denn

ja-PART Stier-NOM.SG.M

púmā&

agni#

páyasā

pr1Thyèna /

Held-NOM.SG.M

Agni-NOM.SG.M

Milch-INST.SG.N

rahmig-INST.SG.N

vr1abháś

cid PART

aktá# gesalbtPTC.PRET.PASS.NOM.SG.M

áspandamāno

acarad

vayodhá

nicht zuckend-PTC.PRES.MED.NOM.SG.M

war-3.SG.IND.IPF

Kraftspender-NOM.SG.M

v41ā

śukráM

duduhe

Stier-NOM.SG.M

glänzend-ACC.SG.M hat gemolken-3.SG.IND.PF

p4śnir gescheckt-NOM.SG.M

údha# Euter-ACC.SG.N

‚Von Rechts wegen wurde ja der Stier, der männliche Agni, mit der rahmigen Milch gesalbt. Der Kraftspender war [dabei] nicht am Zucken, der Stier [Agni] hat sich den klaren [Soma] gemolken, der Gescheckte, aus dem Euter.‘ (: Geldner: ‚Der Kraftspender pflegte nicht auszuschlagen‘) (vgl. Kümmel 2000: 249)

(18) RV 1,162,4 yád

dhavi1yàm

rtuśó

devayánaM

wenn

zu opfernd-ACC.SG.M

nach der Reihe

Götterweg-ACC.SG.M

–––––––—–– 17

Vgl. auch: RV 7,89,2 yád émi

prasphuránn

wenn KOP-1.SG.IND.PRES

heftig bewegend-PTC.PRES.NOM.SG.M

iva wie-PART

d4tir



dhmātó

adriva# /

Blase-NOM.SG.M-

wie-PART

-balg-NOM.SG.M

mit Steinen versehen-VOC.SG.M

mrlá ... verzeih-2.SG.IMP.PRES

‚Wenn ich wie am Schlottern bin, wie ein Schlauch aufgebläht, du Herr des Steins, – verzeih ...‘ (: Geldner: ‚Wenn ich wie ein Schlotternder gehe‘)

Kopulasätze in altindogermanischen Sprachen

191

trír

mánu1á#

páry

áśvaM

dreimal

Menschen-NOM.PL.M

herum-PFX

Pferd-ACC.SG.M führen3.PL.IND.PRES

náyanti /

átrā

pū1Ná#

prathamó

bhāgá

dann

Pū1an-GEN.SG.M

erster-NOM.SG.M

Opferanteil-NOM.SG.M KOP3.SG.IND.PRES

eti

yajñáM

devébhya#

prativedáyann

ajá#

Opfer-ACC.SG.N

Götter-DAT.PL.M

ankündigend- PTC.PRES.NOM.SG.M

Bock-NOM. SG.M

‚Wenn die Menschen das zum Opfer bestimmte Ross dreimal der Reihe nach den Götterweg herumführen, so kündigt [dabei] der Opferanteil des Pū1an als erster, der Bock, den Göttern das Opfer an.‘ (: Geldner: ‚so geht der Opferanteil des Pū1an voran, der Bock, der den Göttern das Opfer meldet‘)

(19)

RV 3,48,3 upastháya

mātáram

ánnam

aiTTa

herantretend-ABS

Mutter-ACC.SG.F

Speise-ACC.SG.N

flehte an-3.SG.IND.IPF.MED

tigmám

apaśyad

abhí

scharf-ACC.SG.M

schaute-3.SG.IPF.IND

nach-POSTP

údha# /

prayāváyann

acarad

g4tso

Euter-ACC.SG.N

fernhaltend-PTC.PRES.NOM.SG.M

KOP-3.SG.IPF.IND

KlugeNOM.SG.M

sómam Soma-ACC.SG.M

anyán andere-ACC.PL.M

‚Vor seine Mutter tretend rief er nach Speise; er schaute nach dem scharfen Soma als dem Euter. Die anderen hielt der Kluge [währenddessen] fern.‘ (: Geldner: ‚Die anderen pflegte der Kluge fernzuhalten‘).

Ferner wird zur Bezeichnung der Gegensätzlichkeit zweier Ereignisse die kopulative Konstruktion mit Partizip verwendet: (20) RV 2,40,5 víśvāny

anyó

bhúvanā

jajána

alle-ACC.PL.N

der eine-NOM.SG.M Wesen-ACC.PL.N

víśvam

anyó

abhicák1āNa

hat erschaffen-3.SG.IND.PF

alles-ACC.SG.N

der andere-NOM.SG.M

beschauend-PTC.PRES.MED.NOM.SG.M

eti / KOP-3.SG.IND.PRES

‚Der eine hat alle Wesen erschaffen, der andere ist demgegenüber alles am Beschauen.‘ (:Geldner: ‚der andere wandelt alles beschauend‘)

Auch dieser Gebrauch stimmt mit der englischen progressive form überein. Abweichend von dem Gebrauch der englischen progressive form wäre jedoch die Verwendung eines GEHEN-Verbs mit einem Partizip eines Verbs der Bedeutung ‚erkennen‘. Denn für solch ein Verb kann kein den Agens involvierendes, vorausgehendes Ereignis lexikalisch präsupponiert oder erschlossen werden. Vgl. den ungrammatischen Satz (21):

Rosemarie Lühr

192 (21)

?Rebecca war ihn am Erkennen.18

??Rebecca was recognizing him.

Eine hierher gehörige Textstelle aus dem Altindischen übersetzt Geldner mit: (22)

RV 3,54,2 máhi

mahé

divé

hoch-NOM.SG.N

hoch-DAT.SG.M

Himmel-DAT.SG.M will singen-1.SG.SBJ.PRES

p4thivyaí

kámo

ma

Erde-DAT.SG.F

Wunsch-NOM.SG.M mein-GEN.SG

arcā icháñ suchend-PTC.PRS.NOM.SG.M

carati

prajānán /

KOP-3.SG.IND.PRES

erkennend-PTC.PRES.NOM.SG.M

‚Ein hohes (Lied) will ich dem hohen Himmel, der Erde singen. Mein Wunsch geht suchend, den Weg kennend (zu ihnen)‘

Neben carati steht jedoch nicht nur das Partizip prajānánt- ‚erkennend‘, sondern auch das Partizip ichánt- ‚suchend‘. Es kann also auch icháñ carati als kopulative Struktur aufgefasst werden. Bestimmt man deshalb prajānánt- als Attribut zum Subjekt ergibt sich: ‚Mein Wunsch ist [sie] am Suchen, [den Weg] erkennend‘ – und der Gebrauch stimmt wieder zur englischen progressive form.

3.

Sitzen

Betrachtet man nun die Belege mit SITZEN-Verb + Partizip Präsens, so findet sich hier ebenfalls das Partizip vibhájant- ‚austeilend‘ wie in (16). In der in (24) metaphorisch beschriebenen Opfersituation ist jedoch nicht von konkretem Sitzen die Rede, vielmehr sind die Priester damit beschäftigt, die Opferfeuer in Gang zu halten. Und genau diese Bedeutung empfiehlt sich als Übersetzung für das SITZEN-Verb in Verbindung mit einem Partizip Präsens: ‚mit etwas beschäftigt sein‘. Im Englischen stünde hier die Gerund-Konstruktion: (23)

he was busy sorting the books ‚er war damit beschäftigt, die Bücher zu ordnen‘

(24)

RV 2,13,4 prajábhya#

pu1TíM

Kinder-DAT.PL.F

Nahrung-ACC.SG.F austeilend-PTC.PRES.NOM.PL.M

āsate

rayím

iva

KOP-3.PL.IND.PRES.MED

Reichtum-ACC.SG.M

wie-PART

pr1Thám

prabhávantam

Rücken-ACC.SG.N

vergrößernd-PTC.PRES.ACC.SG.N

vibhájanta

āyaté / ankommend-PTC.PRES. DAT.SG.M

–––––––—–– 18

Vgl. Leisi (1960: 221).

Kopulasätze in altindogermanischen Sprachen

193

‚Sie [die Priester] sind damit beschäftigt, den Kindern [d.h. den verschiedenen Opferfeuern] den Vorrat auszuteilen. Dem Ankommenden [Agni] (begießen sie) den Rücken, der wie der Reichtum größer wird.‘ (: Geldner: ‚sie sitzen da, indem sie den Kindern den Vorrat austeilen‘)19

Ähnlich: (25)

RV 9,10,7 samīcīnása

āsate

hótāra#

vereinigt-NOM.PL.M

KOP-3.PL.IND.PRES.MED

Hotar-NOM.PL.M

/

saptájāmaya#

padám

ékasya

7 Geschwister habend-NOM.PL.M

Schritt-ACC.SG.N

einzig-GEN.SG.M

píprata# geleitend-PTC.PRES.NOM.PL.M

‚Vereinigt sind die Hotar, die sieben Schwestern haben, damit beschäftigt, den Schritt des Einzigen [d.h. Soma] zu geleiten.‘ (Geldner: ‚... sitzen die Hotr’s da, ..., indem sie den Schritt des Einzigen geleiten‘)20

–––––––—–– 19 20

Geldner (1978: I, 292 Anm. zu 4). Auch für (i) passt die konkrete Bedeutung ‚sitzen‘ nicht: (i) RV 10,65,7 divák1aso agnijihvá

rtāv4dha

Himmelsbewohner-NOM.PL.M

agnizüngig-NOM.PL.M

Wahrheitsmehrer-NOM.PL.M

rtásya

vimrśánta

yóniM

Wahrheit-GEN.SG.N

Schoß-ACC.SG.M

āsate / berührend-PTC.PRES.MED.NOM.PL.M KOP3.PL.PRES.MED

‚Die Himmelsbewohner, deren Zunge Agni ist, die Wahrheitsmehrer, sind damit beschäftigt, den Schoß der Wahrheit zu befühlen.‘ (: Geldner: ‚... sitzen da, den Schoß der Wahrheit befühlend [überdenkend]‘) Auf die Opfersituation bezieht sich weiterhin ein Beleg mit einem Partizip Perfekt in präsentischer Bedeutung: (ii) RV 10,71,11 pupu1ván rcáM tva# pó1am āste Verse-GEN.PL.F einer-NOM.SG.M

Mehrung-ACC.SG.M. KOP-3.SG.IND.PRES.MED vermehrendPTC.PF.NOM.SG.M

gāyatráM

tvo

Gesangsweise-ACC.SG.M

anderer-NOM.SG.M singt-3.SG.IND.PRES

gāyati

brahmá

tvo

Brahman-NOM.SG.M

anderer-NOM.SG.M trägt vor-3.SG.IND.PRES

vorhandenes Wissen-ACC. SG.F

yajñásya

mátrāM

ví mimīta

u

Opfer-GEN.SG.N

Maß-ACC.SG.F

setzt fest-3.SG.IND.PRES.MED PART

vádati

śákvarī1u / Śakvarī-Verse-LOC.PL.F

jātavidyáM

tva# anderer-NOM.SG.M

Kümmel (2002: 314) übersetzt: ‚An Gedeihen der Verse reich sitzt einer [der Hotar] da, einen Gesang singt einer [der Udgātar] in Śakvarīs’. Wegen der figura etymologica mit pó1a- sei das Partizip nicht faktitiv zu verstehen, zumal es präsentisch gebraucht werde. Doch dürfte hier wie in den übrigen Belegen die Bedeutung ‚beschäftigt sein mit‘ bei āste vorliegen: ‚Der eine ist mit der Vermehrung der Verse beschäftigt, der andere singt eine Gesangesweise auf

Rosemarie Lühr

194

4.

Stehen

Kann aber ein SITZEN-Verb auf diese Weise konstruiert werden, ist gleiches für ein STEHEN-Verb denkbar, da es sich in beiden Fällen um stativische Verben handelt: (26)

RV 1,35,10 apasédhan

rak1áso

fernhaltend-PTC.PRES.NOM.SG.M

Unholde-ACC.PL.M Zauberer-ACC.PL.M

yātudhánān

ásthād

devá#

pratido1áM

KOP-3.SG.IND.AOR

Gott-NOM.SG.M

abends-ADV

grNāná# gepriesen-PTC.PRES. MED.NOM.SG.M

‚Der Gott ist abends damit beschäftigt, die Unholde und Zauberer abzuwehren, der Gepriesene.‘ (: Geldner: ‚Die Unholde und Zauberer abwehrend steht der Gott allabendlich da‘)

Und wieder mit einem Partizip Perfekt in präsentischer Bedeutung: (27)

RV 10,123,3 samānám

pūrvír

abhí vāvaśānás

gleiches-ACC.SG.M

viele-NOM.PL.F

PFX-brüllend-PTC.PF.NOM.PL.F

tí1Than

vatsásya

mātára#

sánīlā# /

KOP-3.PL.INJ.PRES

Kalb-GEN.SG.N

Mütter-NOM.PL.F

gleiches Nest habend-NOM.PL.F

‚Die vielen Mütter des Kalbes aus dem gleichen Nest sind damit beschäftigt, sehnsüchtig nach dem gemeinsamen (Jungen) zu brüllen.‘ (: Geldner: ‚Des Kalbes viele Mütter aus dem gleichen Neste stehen da dem gemeinsamen [Jungen] zubrüllend‘)21

(28) RV 5,45,10 á

súryo

aruhac

chukrám

árNó

PFX

Sūrya-NOM.SG.M

bestieg-3.SG.IND.AOR

licht-ACC.SG.N

MeerACC.SG.N

’yukta

yád

dharíto

angeschirrt-PTC.PRET.PASS.NOM.SG.M

da

Falbinnen-ACC.PL.F geradrückig-ACC.PL.F

vītápr1Thā# /

udná



návam

anayanta

dhīrā

Wasser-INST.SG.N

wie

Schiff-ACC.SG.F

lenkten-3.PL.IND.IPF.MED

verständigNOM.PL.M

āśrNvatír

ápo

zuhörend-PTC.PRES.NOM.PL.F Gewässer-NOM.PL.F

arvág in der Nähe-ADV

ati1Than KOP-3.PL.IND.IPF

‚Sūrya hat jetzt das lichte Meer erstiegen, da er die geradrückigen Falbinnen angeschirrt hat. Die Verständigen [die Opferer durch ihr Lied oder die Götter] lenkten (ihn) wie ein Schiff

–––––––—––

21

Śakvarīversen. Der eine trägt als Brahman das vorhandene Wissen vor, der andere bestimmt das Maß des Opfers.‘ Vgl. dazu Schaefer (1994: 179ff.); Kümmel (2002: 486f. und Anm. 953).

Kopulasätze in altindogermanischen Sprachen

195

durchs Wasser. In der Nähe waren die Gewässer dabei zuzuhören.‘ (: Geldner: ‚In der Nähe zuhörend standen die Gewässer still.‘)

An der folgenden Stelle erscheint dagegen neben der progressiven Lesart die Interpretation des STEHEN-Verbs als ‚auch weiterhin tun‘ (vgl. engl. to keep doing something ‚auch weiterhin tun‘) möglich – der Grund liegt in der finalen Konstruktion: (29) RV 3,14,4 mitráś

ca

túbhyaM

váruNa#

Mitra-NOM.SG.M

und

dir-DAT.SG

VaruNa-NOM.SG.M siegreich-VOC.SG.M

sahasvó

’gne

víśve

marúta#

sumnám

Agni-VOC.SG.M

alle-NOM.PL.M

Maruts-NOM.PL.M

Lobgesang-ACC.SG.N

arcan / singen-3.PL.INJ.PRES

yác

chocí1ā

dass

Flamme-INST.SG.N Kraft-GEN.SG.N

sahasas

putra

tí1Thā

abhí

k1ití#

pratháyan

súryo

PFX-

Länder-ACC.PL.F

ausbreitend-PTC.PRES.NOM.SG.M

Sonne- NOM.SG.M

Sohn-VOC.SG.M

KOP-2.SG.SBJ.PRES

n9n Männer-ACC.PL.M ‚Mitra und VaruNa, o siegreicher Agni, und alle Maruts singen dir einen Lobgesang, damit du, o Sohn der Kraft, als Sonne mit deiner Flamme sie weiterhin über Länder und Menschen ausbreitest.‘ (: Hettrich 1988: 388: ‚... damit du, o Sohn der Kraft, mit deiner Flamme aufstehest, über die Länder, sie ausbreitend, die Sonne der Männer‘ (nach Geldner))

Ähnlich mit Imperativ: (30) RV 10,18,12 ucchváñcamānā

prthiví



aufwölbend-PTC.PRES.MED.NOM.SG.F

Erde-NOM.SG.F

weiterhin KOP-3.SG.IMP.PRES

sahásram

míta

tausend-NOM.SG.N Pfosten-NOM.PL.F

ti1Thatu

úpa



śráyantām /

PFX-

denn

sollen stützen-3.PL.PRES.IMP.MED

‚Die Erde soll sich weiterhin aufwölben, denn tausend Pfosten sollen sie stützen.‘ (anders Hoffmann: [1975: 140]: ‚sich emporwölbend stehe die Erde fest, denn tausend Pfeiler sollen sie stützen‘)22

–––––––—–– 22

Beide Lesarten sind dagegen in RV 1,190,6 denkbar: anarváNo abhí yé

cák1ate

Unerreichbar-NOM.PL.M

sehen-3.PL.IND.PRES.MED

PFX-

die-NOM.PL.M



’pīvrtā

aporNuvánto

uns-DAT.PL

verschlossen-PTC.PRET.PASS.ACC.PL.F

aufschließend-PTC.PRES.NOM.PL.M

asthu# KOP-3.PL.IND.AOR

‚Die Unerreichbaren [d.h. A$giras], die auf uns sehen, schlossen auch weiterhin die verschlossenen (Tore) auf.‘ oder: ,... waren dabei die verschlossenen (Tore) aufzuschließen.‘ (: Geldner: ‚die sind dagestanden, indem sie die verschlossenen [Tore] aufschlossen‘

Rosemarie Lühr

196

5.

Fazit

Wie gezeigt, sind im Englischen progressive form und Gerund und im Deutschen die „Rheinische Verlaufsform“ mit am Konstruktionen mit unseren aus einem GEHEN-, SITZEN-, STEHEN-Verb und Partizip Präsens oder präsentischem Partizip Perfekt bestehenden altindischen Kopulasätzen unmittelbar vergleichbar. Es spricht so nichts dagegen, der alten These Grassmanns zuzustimmen, wonach die GEHEN-, SITZEN-, STEHEN-Verben hier kopulativen Charakter haben.23 Zu fragen ist aber dann zweierlei: Was hat die englische progressive form mit dem Gerund gemeinsam? Und warum hat das Altindische überhaupt derartige Kopulasätze? Die erste Frage hat Petra Maria Vogel (1996: 183f.) beantwortet: Während (31)

a. dogs bark einen generischen Sinn und ‚alle Hunde haben die Eigenschaft, dass sie bellen können‘ bedeutet, steht dogs are barking ‚einige Hunde bellen‘

für Aktualität, Teilartigkeit, Unbestimmtheit. Dasselbe Phänomen wiederhole sich im Gegensatz von Infinitiv und Gerund: (31)

b. I saw him cross the street vs. I saw him crossing the street.

Nach Vogel ist im ersten Satz von (31b) von einer abgeschlossenen, ganzartigen Handlung die Rede, im zweiten von einer unabgeschlossenen, teilartigen. Abgesehen von der gemeinsamen sprachhistorischen Entwicklung von progressive form und Gerund im Englischen24 haben diese beiden Konstruktionen also die Bedeutungsmerkmale [unabgeschlossen], [teilartig] gemeinsam. Warum aber, und das war die zweite Frage, ist es im Vedischen zur Ausbildung ähnlicher Konstruktionen mit Partizip Präsens gekommen? Auch zur Beantwortung dieser Frage hilft das Englische weiter: Die Ausbreitung der progressive form im Englischen hängt sicher mit dem Schwund des perfektivierenden Präfixes ge- zusammen. Die Folge davon war, dass alle Verben in ihrer merkmallosen Form als perfektiv oder imperfektiv interpretiert wer–––––––—–– 23

24

LIEGEN hat im Altindischen dagegen keine kopulative Bedeutung. Vgl. demgegenüber die Positionsverben SITZEN, LIEGEN, STEHEN im Schwedischen: (i) Han sitter och äter. Er sitzt und isst. ,Er ist am Essen.‘ (ii) Han ligger och läser. Er liegt und liest. ,Er ist am Lesen.‘ (iii) Han star och diskar. Er steht und spült. ,Er ist am Spülen.‘ Vgl. auch das Kopulaverb span. estar, das aus dem Positionsverb lat. stāre ,stehen‘ stammt. Vgl. die Verbindung einer Lokalpartikel und einem Verbalnomen he was on fighting vs. he was afighting seit dem 15. Jh. (Mossé (1925: 296)). Vgl. dazu Greenbaum (1996: 59ff.); Huddleston (2002: 80ff.).

Kopulasätze in altindogermanischen Sprachen

197

den konnten. Nach Vogel (1996: 185) „nahm das Englische die Entwicklung hin zur Perfektivität, wohl gestützt durch die [progressive form], die als mögliche Imperfektivkonstruktion bereitstand“.25 Nun weist Eva Tichy (1997: 606) darauf hin, dass im Vedischen ein vergleichbarer Sprachwandel eingetreten ist: Das Imperfekt, das ursprünglich zur Bezeichnung des imperfektiven Aspekts diente, habe in dieser Sprachstufe „zusätzlich zu seiner angestammten Verwendung auch noch die Funktion des sequentiellen Tempus der ferneren Vergangenheit übernommen“.26 In Vogels Worten würde dies heißen: Das vedische Imperfekt bezeichnete sowohl unabgeschlossene, teilartige Handlungen wie abgeschlossene, ganzartige, während der Aorist weiterhin nur zur Bezeichnung von abgeschlossenen Handlungen mit dem zusätzlichen Tempusmerkmal „nähere Vergangenheit“ verwendet wurde. Damit aber war im Vedischen die gleiche Situation wie im Englischen gegeben, die dann zum Ausbau der progressive form und des Gerunds geführt hat. Zur Bildung imperfektiver Partner zu einem „perfektiven“ Imperfekt wurden Kopulasätze mit GEHEN-, SITZEN-, STEHEN-Verb in Verbindung mit einem Partizip Präsens oder präsentischem Partizip Perfekt geschaffen; vgl. noch einmal mit einem Imperfekt: (14)

RV 10,54,2 yád ácaras tanv° vāvrdhānó bálānīndra prabruvāNó jáne1u / māyét sá te yáni yuddhāny āhúr ‚Als du dabei warst, am Leib zu erstarken, deine Kräfte unter den Völkern kund tuend, Indra, – da war nur Blendwerk, was sie von deinen Kämpfen sagen.‘27

–––––––—–– 25

26 27

Die der englischen Progressivform vergleichbare „Rheinische Verlaufsform“ Ich bin am Überlegen, seltener Ich bin beim Aufräumen, die im Gegensatz zur englischen Form nicht voll grammatikalisiert ist, wird vorzugsweise bei Tätigkeitsverben ohne Ergänzungen verwendet. (Duden: Die Grammatik (2005: 434)). Ihre Entstehung kann nicht durch das „Perfektivierungsmittel“ mhd. ge- verursacht sein, da die durch dieses Präfix bedingte Aspektopposition schon früh abgebaut wurde (Vogel (1996: 171)). Hoffmann (1967: 151). Auch im Altgriechischen gibt es Ansätze zu einer solchen Entwicklung; vgl. (i) N 11 kaì gàr hò thaumázōn und denn der-NOM.SG.M bewundernd-PTC.PRES.NOM.SG.M hésto ptólemón te mákhēn saß da-3.SG.IND.IPF.MED Schlacht-ACC.SG.M und Kampf-ACC.SG.F

te und

‚Denn er war dabei, die Schlacht und den Kampf zu bewundern‘ (vgl. engl. sit reading) (ii) B 254f. tṑ nún Atreíd Agamémnoni poiméni daher nun

Atride-DAT.SG.M

Agamemnon-DAT.SG.M

Hirt-DAT.SG.M

laón

hésai

oneidízōn

Völker-GEN.PL.M

sitzt da-2SG.IND.PRES.MED

tadelnd-PTC.PRES.NOM.SG.M

‚Daher nun tadelst du (Thersites) unablässig den Atriden Agamemnon, den Hirten der Völker‘ aber mit finitem Verb:

Rosemarie Lühr

198

Vom Imperfekt aus müsste sich dieser Gebrauch dann auch auf das Präsens und den Aorist ausgebreitet haben. GEHEN-, SITZEN-, STEHEN-Verben sind also in den meisten der angeführten Kopulasätze wie in anderen Sprachen auch Kopulaverben.28 Schon in der ältesten altindischen Dichtung sind sie in Verbindung mit einem Partizip Präsens oder präsentischem Partizip Perfekt grammatikalisierte Aspektualitätspartner29 durativer oder durativ-iterativer Verben und dienen zum Ausdruck des imperfektiven Aspekts. Sie füllen eine Lücke, die durch die Funktionserweiterung des Imperfekts um das Merkmal [perfektiv] entstanden war.

Literatur Duden: Die Grammatik, hg. vom Wissenschaftlichen Rat der Dudenredaktion, Mannheim 2005. Engelberg, Stefan (2000): Verben, Ereignisse und das Lexikon. – Tübingen: Niemeyer (Linguistische Arbeiten 414). Geldner, Karl Friedrich (1951; 21978): Der Rigveda. Bd. I – III. – Cambridge, London: Harvard University Press. Gotō, Toshifumi (1987): Die „I. Präsensklasse“ im Vedischen. Untersuchung zu den vollstufigen thematischen Wurzelpräsentien. – Wien (Sitzungsberichte der Österreichischen Akademie der Wissenschaften 489). Grassmann, Hermann (1875; 61996): Wörterbuch zum Rig-Veda. – Wiesbaden: Harrassowitz. Greenbaum, Sidney (1996): The Oxford English Grammar. – London: Oxford University Press. Heine, Bernd & Tania Kuteva (2002): World lexicon of grammaticalization. – Cambridge: Cambridge University Press.

–––––––—–– (iii) B 268 hò

d’

ár’

der-NOM.SG.M aber nun tárbēsén fürchtete sich-3.SG.IND.AOR.ACT

28

29

hézeto setzte sich/saß-3.SG.IND.IPF.MED/AOR.MED te und

‚Der aber hatte fortwährend Angst.‘ Nachhomerisch sind aber keine Spuren dieser Konstruktion nachweisbar (freundlicher Hinweis von Daniel Kölligan) Vgl. zum Gebrauch von ‚stehen‘ als Kopulaverb: italien. (Io) sto andando a casa ‚Ich gehe gerade nach Hause.‘ (Io) vado a casa ‚Ich gehe nach Hause/Ich gehe gerade nach Hause.‘ (Hinweis von Sergio Neri) span. estoy + Gerund: estoy escuchando la radio ,Ich höre gerade Radio.‘ (port. estou a ecsutar a rádio,id.‘). Ferner ndl. zitten te + Inf.: Ik zit te eten ‚Ich esse gerade.‘; ndl. mit loopen te + Inf.: Loop niet te zeuren ,Jetzt mecker’ nicht die ganze Zeit.‘; bulg. sedi i čisti po cjal den v kašti ‚Sie (sitzt und) putzt das Haus den ganzen Tag.‘. Weiteres bei Heine & Kuteva (2002: 276ff.). Als Test für Grammatikalisierung eines Kopulaverbs gilt u.a. die Kombination mit einem unbelebten Agens. Die angeführten altindischen Beispiele erfüllen diese Bedingung nicht, da in der dichterischen Sprache auch Unbelebtes als belebt gedacht wird.

Kopulasätze in altindogermanischen Sprachen

199

Hoffmann, Karl (1967): Der Injunktiv im Veda. Eine synchronische Funktionsuntersuchung. – Heidelberg: Carl Winter. Hoffmann, Karl (1975): Aufsätze zur Indoiranistik. Bd. I, hg. von Johanna Narten. – Wiesbaden: Reichert. Huddleston, Rodney N. (2002): „The verb.“ – In: R. N. Huddleston, G. K. Pullum (eds.): The Cambridges grammar of the English language. – Cambridge [u.a.]: Cambridge University Press, 71-212. Joachim, Ulrike (1978): Mehrfachpräsentien im Rgveda. – Lang: Frankfurt am Main/Berlin/Las Vegas. Kümmel, Martin Joachim (2000): Das Perfekt im Indoiranischen. Eine Untersuchung der Form und Funktion einer ererbten Kategorie des Verbums und ihrer Weiterentwicklung in den altindoiranischen Sprachen. – Wiesbaden: Reichert. Leisi, Ernst (1960): „Die Progressive Form im Englischen“. – In: Die Neueren Sprachen Neue Folge 4, 217-226. Mossé, Fernand (1938): Histoire de la forme périphrastique être et participe présent en germanique. – Paris: Klincksieck (Collection linguistique publiée par la Société de Linguistique Paris 42, 43). Remberger, Eva-Maria & González-Vilbazo, Kay (in diesem Band): „Die Kopula im Romanischen.“ Schaefer, Christiane (1994): Das Intensivum im Vedischen. – Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht (Historische Sprachforschung. Ergänzungsheft 37). Steinitz, Renate (1992): „Durative und inchoative Prädikate und die Adverbialkomplemente von Verben.“ – In: L. Hoffmann (Hg.): Deutsche Syntax. Ansichten und Aussichten. Berlin/New York: de Gruyter, 186-205. – (1999): „Die Kopula werden und die Situationstypen.“ – In: Zeitschrift für Sprachwissenschaft 18, 121-151. Tichy, Eva (1995): Die Nomina agentis auf -tar- im Vedischen. – Heidelberg: Carl Winter. – (1997): „Vom indogermanischen Tempus/Aspekt-System zum vedischen Zeitstufensystem.“ – In: E. Crespo, J. L. G. Ramón (Hgg.): Berthold Delbrück y la syntaxis indoeuropea hoy. Actas del Coloquio de la Indogermanische Gesellschaft, Madrid, 21-25 de septiembre de 1994. Madrid/Wiesbaden: Ediciones de la UAM-Ludwig Reichert, 589-609. Vendler, Zeno (1957): „Verbs and Times“.– In: The Philosophical Review 66, 143-160 (auch in: Vendler, Zeno: Linguistics and Philosophy, 69-121. – Ithaca: Cornell University press 1967). Vogel, Petra Maria (1996): Wortarten und Wortartenwechsel. Zu Konversion und verwandten Erscheinungen im Deutschen und in anderen Sprachen. – Berlin/New York: de Gruyter (Studia Linguistica Germanica 39).

Eva-Maria Remberger & Kay-Eduardo González-Vilbazo

Die Kopula im Romanischen

1.

Einführung

Ausgangspunkt unserer Untersuchung ist die unterschiedliche Verwendung der beiden Kopulaverben ser und estar im Spanischen. Beide sollen hier als Hilfsverben interpretiert werden. Die Kopula ser wird in Kontexten verwendet, die Individuenprädikate (ILP – Individual Level Predicates) betreffen, die Kopula estar erscheint vornehmlich zusammen mit Stadienprädikaten (SLP – Stage Level Predicates). Auch in anderen syntaktischen Konstruktionen des Spanischen werden ser bzw. estar als Hilfsverben gebraucht, so z.B. im Passiv oder der progressiven Gerundialkonstruktion. Auf letztere Fälle wird im Folgenden nicht eingegangen. Die semantische Unterscheidung zwischen SLP und ILP1 kann hier nicht detailliert behandelt werden; kurz zusammengefasst, kodieren ILP solche Eigenschaften, die dem Subjekt als Individuum und nicht dem Zustand eines Individuums zugeschrieben werden. Diese Eigenschaften sind üblicherweise dauerhafte, inhärente Eigenschaften des Individuums. Sie sind in Bezug auf Zeit-Raum-Referenz und Situation nicht spezifiziert oder generisch. SLP hingegen kodieren temporäre oder episodische Eigenschaften des Subjekts. Sie können in Bezug auf Zeit-Raum-Bezüge und die Ereignissituation spezifisch genannt werden.2 Ser ist nur mit ILP kompatibel und kann daher nicht im Kontext einer spezifischen Referenzsituation (wie ‚gerade eben‘ oder ‚in diesem Moment‘)3 auftreten. Man vergleiche die folgenden spanischen Beispiele:

–––––––—–– 1

2 3

Zur SLP/ILP-Unterscheidung gibt es zahlreiche Literatur, vgl. besonders die Generalisierung über Individueneigenschaften in Milsark (1974), die Einführung der Terminologie Stage Level und Individual Level Predicates in Carlson (1977) sowie die bekannte Interpretation von ILPs als einer Prädikation, der ein Ereignisargument fehlt, in Kratzer (1995). Für unsere Analyse (vgl. González & Remberger 2005) besonders relevant ist die Unterscheidung generisch vs. existentiell (bzw. spezifisch) in ILP/SLP-Kontexten, wie sie in Diesing (1992) mit der Mapping Hypothesis dargestellt wird; vgl. auch Chierchia (1995), Raposo & Uriagereka (1995), Kornack (1998); siehe auch Mejías-Bikandi (1993), Maienborn (2003, 2005) und die dort zitierte Literatur. Vgl. Sasse (1987), Ladusaw (1995), Raposo & Uriagereka (1995). Hier ist die Spezifizität der Referenzsituation zeitlich festgelegt; sie kann natürlich auch räumlich festgelegt sein, vgl. Maienborn (2001, 2003). Wie hier werden wir auch im Folgenden – im Sinne von Maienborns Diskurssituation bzw. Topiksituation (vgl. auch Klein 1994) – immer von der Referenzsituation statt von Referenzzeit sprechen; ebenso auch von Ereignissituation statt Ereigniszeit (vgl. Reichenbach 1947 sowie weitere Ausführungen dazu in González & Remberger 2005).

202

Eva-Maria Remberger & Kay-Eduardo González-Vilbazo (1)

(2)

(3)

Ana es / *está inteligente. Ana SER.3sg / ESTAR.3sg intelligent ‚Ana ist intelligent.‘ *Ana es inteligente en este momento. Ana SER.3sg intelligent in-diesem-Moment ‚Ana ist-SER gerade intelligent.‘ Ana *es / está borracha. Ana SER.3sg / ESTAR.3sg betrunken ‚Ana ist betrunken.‘

[ILP/ser]

*[SLP/ser]

[SLP/estar]

Diese semantische Unterscheidung zwischen ILP und SLP wird auch in anderen Sprachen durch grammatische Mittel dargestellt, so z.B. im Keltischen oder Russischen.4 In der vorliegenden Arbeit wird nach einer kurzen Diskussion des Begriffs „Kopula“ (unter 2) eine diachrone Sichtung der relevanten Daten in der Romania vorgenommen (unter 3).5 Anschließend wird die Verwendung der Kopulaverben im Spanischen (unter 4.1), im Portugiesischen (unter 4.2), im Katalanischen (unter 4.3) und ansatzweise im Neapolitanischen (unter 4.4) untersucht; dabei werden stets auch die entsprechenden Lokativkonstruktionen mit Präpositionalphrase aufgeführt. Schließlich folgt (unter 5) eine syntaktische Analyse, die sich, mit leichten Modifizierungen, im Rahmen des minimalistischen Programms gemäß Chomsky (1995) bewegt. Ziel der Arbeit ist eine Systematisierung der Daten, das Aufzeigen möglicher Grammatikalisierungprozesse der untersuchten Konstruktionen und die Formalisierung einzelsprachlicher Parametrisierungen innerhalb eines syntaktischen Modells. Die abschließende Bemerkung (unter 6) fasst die Ergebnisse zusammen.

2.

Die Kopula

Wir behandeln die Kopula als Hilfsverb, da sie eine semantisch leere verbale Kategorie darstellt, d.h. eine Kategorie, die nur funktionale, keine lexikalische Bedeutung trägt (zur Argumentationsführung, vgl. González & Remberger 2005).6 SEIN/SER/ ESSERE etc.7 ist –––––––—–– 4

5 6

Vgl. Devitt (1990); zum Keltischen, wo es neben einem kopulativen Hilfsverb noch eine defektive Kopula gibt, deren Erscheinen zudem von der syntaktischen Inversion des Prädikativums begleitet ist, vgl. z.B. Adger & Ramchand (2003); zum Russischen, wo das nominale Prädikativum im ILPKontext im Nominativ, im SLP-Kontext aber im Instrumental erscheint, vgl. Geist (2006). Vgl. Pountain (1982) und Wandruszka (1965). Vgl. auch Remberger (2002, 2006): Kopulaverben gehören also zusammen mit den temporalen Hilfsverben, den passivischen Hilfsverben, den aspektuellen Hilfsverben etc. der Klasse der funktionalen verbalen Elemente an, die aufgrund bestimmter Tempus-Aspekt-Modus-Markierungen in die Derivation eingesetzt werden müssen. Der Unterschied zwischen den meisten anderen Hilfsverben und der Kopula besteht darin, dass letztere im kanonischen Fall (nicht aber in dem hier behandelten Sonderfall von STEHEN/ESTAR/STARE) nurmehr als verbale Hilfskategorie in solchen Sätzen erscheint, die ohne verbales Element nicht auskommen können. In Sprachen wie dem Lateinischen, Russischen, Maltesischen etc., die in bestimmten unmarkierten Fällen gar kein

Die Kopula im Romanischen

203

die prototypische, d.h. unmarkierte Kopula. In den im Folgenden untersuchten romanischen Sprachen gibt es nun noch ein weiteres häufiges Kopulaverb, das mit SEIN konkurriert: STEHEN/ESTAR/STARE. Diese Kopula ist markierter als SEIN und v.a. durch Kodierung aspektueller Eigenschaften gekennzeichnet; daher wird sie, im Gegensatz zu dem aspektneutralen SEIN, manchmal auch als aspektuelle Kopula (vgl. Lema 1995) oder „Quasikopula“ (vgl. Ramos 2002) bezeichnet. Eine Kopula erscheint immer in syntaktischem Zusammenhang mit einem Prädikativum. Die syntaktische Kategorie des Prädikativums kann, wie folgt, variieren, wobei sich hinsichtlich der ILP/SLP-Eigenschaften Bedingungen ergeben (für eine detailliertere Darstellung, vgl. ebenfalls González & Remberger 2005): – – –

Kopula + DP: Mit einer DP als Prädikativum ergibt sich immer eine ILP-Konstruktion.8 Kopula + AP: Ein adjektivisches Prädikativum kann in ILP- oder in SLP-Kontexten erscheinen; hier liegt also das Kerngebiet des variierenden Kopulagebrauchs. Kopula + PP: Auch ein präpositionales Prädikativum kann in ILP- oder SLP-Kontext erscheinen; im Falle einer lokativen PP muss darüber hinaus noch zwischen Kopulakonstruktionen im eigentlichen Sinne und Lokativkonstruktionen unterschieden werden.

Im Folgenden werden wir Kopulakonstruktionen des Typs Kopula + PP(-lok) und Kopula + AP sowie Lokativkonstruktionen (also Kopula + PP(+lok)) besprechen.

3.

Diachronie: ESSE/*ESSERE – STARE

Eine diachrone Betrachtung der Kopula STARE, die grammatikalisierungstheoretische Aspekte berücksichtigt, kann nicht ohne die Betrachtung des lokativen Gebrauchs von STARE, ausgehend vom Lateinischen, durchgeführt werden (vgl. hierzu Vañó-Cerdà 1982, Stengaard 1991, Ramos 2000, Devitt 1990, Kuteva 1999, Heine 1993, Bybee et al. 1994).9 –––––––—––

7

8

9

overtes verbales Element für eine vollständige Proposition brauchen, kann die Kopula daher auch ganz wegfallen, vgl. González & Remberger (2005:97-98). Im Folgenden werden immer Majuskeln verwendet, wenn nicht das lexikalische oder flektierte Element einer Einzelsprache gemeint ist, sondern hervorgehoben werden soll, dass es sich um einen Verbtyp handelt, also den Typ ESSERE, den Typ STARE etc. Beispiele wie estar pez ‚schwimmen/die Orientierung verloren haben‘ müssen als lexikalisierte Ausnahmen angesehen werden. Die einzige Möglichkeit eine DP wie z.B. médico ‚Arzt‘ mit estar zu benutzen, ist, sie durch Hinzufügen von de in eine PP umzuwandeln, z.B. Juan está de médico ‚Juan arbeitet gerade als Arzt‘ (vgl. Fernández Leborans 1999: 2429). Auf den ersten Blick erscheint es erstaunlich, dass es im Spanischen keine DP-Komplemente von Pr° mit SLP-Eigenschaften gibt. Diese Lücke im System ist jedoch semantisch motiviert: DPs und APs bezeichnen beide Eigenschaften von Mengen von Individuen. DPs bezeichnen darüber hinaus ausschließlich temporär stabile Eigenschaften von Mengen von Individuen. Deshalb können sie keine SLP-Eigenschaften aufweisen. Hier die ausführlichsten (Vor-)Arbeiten zur Diachronie: Stengaard (1991) behandelt das semantische Feld der Positionsverben vom Lateinischen bis zu den romanischen Sprachen im 13. Jahrhun-

204

Eva-Maria Remberger & Kay-Eduardo González-Vilbazo

3.1

ESSE/*ESSERE im Lateinischen

Das Verb ESSE/*ESSERE10 stellt im Prinzip die primäre Kopula des Lateinischen dar. Diese kann bekanntlich auch in manchen Fällen11 weggelassen werden. Da im Lateinischen auch die Lokativkonstruktionen (also in der Bedeutung ‚sich an einem Ort befinden‘) mit esse gebildet werden (vgl. (4), s. auch Ramos 2000: 65–66, Pinkster 1988: 1, Fn. 4), stellt sich bereits hier die Frage, ob eine Unterscheidung zwischen lokativen und nicht-lokativen Konstruktionen immer sinnvoll ist: (4)

3.2

Poteras autem eo tempore auguratum petere cum in Italia können.Impf.2sg aber zu-dem-Zeitpkt. das-Augurat erstreben.Inf als in-Italien Curio non esset....? Curio nicht ESSE.Konj.Impf.3sg ‚Konntest Du denn zu einem Zeitpunkt das Augurat anstreben, als Curio nicht in Italien war...?‘ (Cicero, Phil. II, 4)

STARE im Lateinischen

Das lateinische stare dagegen hat (noch) den Status eines lexikalischen Vollverbs. Es kann allerdings in verschiedenen Bedeutungsstufen verwendet werden, vgl. die in den folgenden Unterabschnitten aufgeführten Beispiele (vgl. v.a. Stengaard 1991). 3.2.1

‚aufrecht stehen‘

In (5)–(7) bezeichnet stare die Körperhaltung des Stehens, die, z.B. explizit gemacht durch ad pedes ‚auf Füßen‘, in klarem Bedeutungskontrast zu sedere ‚sitzen‘ und iacere ‚liegen‘ steht: (5)

Hi stant ambo, non sedent. diese STARE.3pl beide, nicht sitzen.3pl ‚Die beiden stehen, sie sitzen nicht.‘ (Plautus, Capt., prol. 1 sq. nach Pountain 1982: 144)

(6)

... ut quis aut stet, aut sedeat, aut iaceat. ... dass jemand oder STARE.Konj.3sg, oder sitzen.Konj.3sg, oder liegen.Konj.3sg ‚...dass jemand entweder steht oder sitzt oder liegt.‘ (Is. Et. II, 26, 18 nach Stengaard 1991: 14)

–––––––—––

10

11

dert. Vañó-Cerdà (1982) untersucht *ESSERE/STARE im Spanischen und Altspanischen. Ramos (2000) diskutiert *ESSERE und STARE sowie existentielle Konstruktionen im Altkatalanischen. Im Folgenden in romanischem Kontext nur noch ESSERE genannt (*ESSERE ist die rekonstruierte vulgärlat. Form). Der spanische, der portugiesische und der in manchen Varietäten auftauchende katalanische Infinitiv ser kommt wahrscheinlich von lat. sedere ‚sitzen‘; im Verbalparadigma von ser vermischen sich Formen von essere und sedere durch Suppletion. Diese Möglichkeit betrifft, wohl seit dem Indogermanischen, vornehmlich die 3. Person im Indikativ Präsens, vgl. Hofmann & Szantyr (1997: 419–423).

Die Kopula im Romanischen (7)

3.2.2

205

... Giton, qui ad pedes stabat.... ... Giton, der auf-Füßen STARE.Impf.3sg ‚... Giton, der auf den Füßen stand.‘ (Petronius, Satyricon, 58,1, nach Stengaard 1991: 38)

‚(stehen) bleiben‘

In (8) und (9) entspricht stare dem Verharren an einem Ort (im Gegensatz zur Fortbewegung), die Körperhaltung selbst ist nicht mehr relevant: (8)

Quid stas? Quin intro is? – Eo. was STARE.2sg Warum.nicht hinein gehen.2sg gehen.1sg ‚Was bleibst Du stehen? Warum gehst Du nicht hinein? – Ich gehe schon.‘ (Plautus, Mil., 4, 9,1380 nach Stengaard 1991: 31)

(9)

... qui domi STARE non poterant ... welche zuhause STARE.Inf nicht können.Impf.3pl ‚... welche nicht zuhause bleiben konnten.‘ (Cicero, Briefe, 6,13 nach Stengaard 1991:42)

3.2.3

‚an einem Ort stehen‘

In (10) und (11) kodiert stare die Lokalisierung seines – aufrechten – Subjekts an einem konkreten Ort (in rostris, in comitio): (10) ... quorum statuae steterunt in rostris ... deren Statuen STARE.Pf.3pl auf-der-Tribüne.pl ‚... deren Statuen auf der Tribüne standen.‘ (Cicero, De or., 2, 86, 353 nach Pountain 1982: 144) (11) te [...] stetisse in comitio cum telo dich STARE.Inf.Pf auf-dem-Komitium mit-der-Waffe ‚dass du in Waffen auf dem Komitium standest.‘ (Cicero, Catil. 1, 15 nach Pinkster 1988: 219)

3.2.4

‚sich in einem Zustand befinden‘

In (12) und (13) wird nicht mehr die Lokalisierung des Subjekts von stare an einem bestimmten konkreten Ort ausgedrückt, sondern seine Befindlichkeit, sein psychischer Zustand in einer Situation: (12) Mihi anima in naso esse; stabam tanquam mortuus. mir das-Herz in-der-Nase sein.Inf STARE.Impf.1sg wie tot.msg ‚Mir steckte das Herz in der Nase; ich stand da wie tot.‘ (Petronius, Satyricon, 57, 5, nach Stengaard 1991: 38)

206

Eva-Maria Remberger & Kay-Eduardo González-Vilbazo (13) stare tristis, turbido vultu, subductis cum superciliis senes. STARE.Inf traurig mit-verstörtem-Gesicht hochgezogenen-mit-Augenbrauen die-Alten ‚Die Alten standen finster da, mit verstörtem Gesicht und hochgezogenen Augenbrauen‘ (Turpil. Com., 169, nach Pinkster 1988: 219)

Die Verwendung von stare in (13) zusammen mit dem Adjektiv tristis ‚traurig‘, kommt der Funktion einer Kopula schon sehr nahe. So bemerkt z.B. auch Pinkster (1988: 241): „Und warum sollte man [hier] nicht auch stare als eine Art Kopulawort betrachten können?“ In der diachronen Entwicklung zum Vulgärlateinischen kann man allerdings keine spezifische Entwicklung von stare hin zu einer Kopula feststellen (Stengaard 1991: 57). Die hier genannten verschiedenen Bedeutungsmöglichkeiten bei der Verwendung von stare bleiben weiterhin bestehen. Was sich anhand der Daten aus dem 3.-8. Jhd. n. Chr. vielleicht feststellen läßt, ist eine quantitative Zunahme der Verwendungsweise als lokatives Verb ohne explizite Positionsangabe (Stengaard 1991: 58) oder – als Weiterentwicklung der unter 3.2.2 genannten Bedeutung – als ein Unbeweglichkeit anzeigendes Verb (Stengaard 1991: 59). 3.3

STARE: Semantik und Grammatikalisierungstendenzen

Stengaard (1991) hat in ihrer umfassenden Untersuchung drei für die lateinischen Zustandsverben relevante Seme (d.h. lexikalisch-semantische Merkmale) herausgearbeitet: (14) a. posición – Position – b. duración – Dauer – c. locación – Lokalisierung –

[pos] [dur] [loc]

vgl. (5)–(7) vgl. (8)–(9) vgl. (10)–(11)

Von diesen drei Merkmalen kann jeweils eines mehr oder weniger in den Vordergrund treten. Im Laufe der Grammatikalisierung (Desemantisierung, Dekategorisierung etc.12) von STARE können sich neben der Funktionalisierung dieser Merkmale (d.h. ihrer Entwicklung von lexikalisch-semantischen zu grammatisch-semantischen Merkmalen13) auch weitere sekundäre Merkmale, z.B. [resultativ] oder [kumulativ], ergeben.14 Ein erstes Anzeichen dafür, dass sich ein Haltungsverb vom Vollverb zum funktionalen Element entwickelt, ist nach Kuteva (1999: 205) die Tatsache, dass nicht mehr eine bestimmte Körperhaltung, sondern eine rein physikalische Position im Raum kodiert wird: „The first prerequisite for posture-verb structure to start along the path of auxiliarisation is the use of posture verbs as unmarked/canonical encodings of the spatial position of physical objects.“ Im Grunde genommen begibt sich also auch STARE bereits dann auf den Grammatikalisierungspfad, wenn sein Subjekt nicht mehr zwingend das Merkmal [+menschlich /+belebt] haben muss. –––––––—–– 12 13 14

Vgl. die V-to-TAM-Chain, d.h. die typischen Entwicklung von (Hilfs-)Verben zu Tempus-AspektModus-Markern, bei Heine (1992, 1993). Vgl. Lehmann (1995). Für eine Entwicklung der Positionsverben GEHEN, SITZEN und STEHEN zu Kopulativverben in altindogermanischen Sprachen, vgl. Lühr (in diesem Band).

Die Kopula im Romanischen

207

Auch der von Devitt (1990) für Verben wie STARE (nämlich Haltungsverben – postural verbs) vorgeschlagene Grammatikalisierungspfad scheint in diesem Zusammenhang der beobachtbaren Tendenz von STARE Rechnung zu tragen: (15) Grammatikalisierungspfad für Haltungssverben nach Devitt (1990: 103)

postural verbs

locative verbs

existential verbs

copula with a temporary sense

Ein Verb, das eine Körperhaltung ausdrückt, kann sich also, wie im Falle von stare auch geschehen, zu einem Lokativverb entwickeln. Die Weiterentwicklung über ein existentielles Verb15 zu einer Kopula, kann für stare ebenfalls nachvollzogen werden; allerdings muss die Verschiebung der ursprünglichen semantischen Merkmale von stare, wie wir im Folgenden sehen werden, genauer betrachtet werden: die von Devitt postulierte temporale Bedeutung als Merkmal der Kopula muss weiter differenziert werden. 3.4

STARE/ESSERE im Altromanischen

Die Verwendung von STARE/ESSERE im Altromanischen ist ein umfangreiches Forschungsgebiet; hier soll nur ein kleiner Ausschnitt aus den o.g. Vorarbeiten (vgl. Fn. 9) dargestellt werden. In den folgenden Beispielreihen soll jeweils nach rein kopulativem Gebrauch und Gebrauch mit lokativer PP unterschieden werden. 3.4.1

Die Kopula

Im Altromanischen schwankt nach Vañó-Cerdà (1982: 246) der Gebrauch von ESSERE und STARE als Kopula, vgl. die Beispiele (16) versus (17), die dasselbe prädikative Adjektiv, aber einmal ESSERE und einmal STARE benutzen, oder Beispiel (18), das den oszillierenden Gebrauch sogar innerhalb ein und desselben Satzes dokumentiert: (16) altsp. En tod esto los cristianos estavan ya cansados. in-all-diesem die-Christen ESTAR.Impf.3pl schon müde ‚Bei alle dem waren die Christen schon müde.‘ (González, 365 ab, nach Vañó-Cerdà 1982: 246) (17) altsp. Folgaron e dormieron, que eran muy cansados. ausruhen.Indef.3pl und schlafen.Indef.3pl weil SER.Impf.3pl sehr müde ‚Sie ruhten aus und schliefen, da sie sehr müde waren.‘ (González, 136 c, nach Vañó-Cerdà 1982: 246)

–––––––—–– 15

Auf existentielle Konstruktionen, die in Zusammenhang der Entwicklung von einem konkreten Raum-Bezug zu einem existentiellen, kontextuellen Raum-Zeit-Bezug stehen, kann hier als eigener Punkt nicht eingegangen werden.

208

Eva-Maria Remberger & Kay-Eduardo González-Vilbazo

(18) altkat. „libri“, ço és, les consciènces: lo libre quan està tanquat „Bücher“, das ist, das-Gewissen.pl das-Buch wenn ESTAR.3sg verschlossen no· y pot hom legir, mas quant és ubert, sí. nicht dort können.3sg man lesen.Inf, aber wenn ÉSSER.3sg offen, ja [...], mas ara són tanquades, que no y pot legir [...] aber jetzt ÉSSER.3pl verschlossen, dass nicht dort können.3sg lesen.Inf degú. niemand ‚Bücher, das ist das Gewissen: wenn das Buch verschlossen ist, kann man darin nicht lesen, wenn es aber offen ist, schon. Aber jetzt sind sie [die Bücher] verschlossen, und niemand kann darin lesen.‘ (Ferrer, Sermons IV, 53-54, nach Vañó-Cerdà 1998: 29)

3.4.2

Die Lokativkonstruktion

Auch was die Lokativkonstruktion betrifft, kann in demselben Kontext einmal STARE und einmal ESSERE erscheinen, vgl. (19) und (20): (19) altkat. En Jerusalem, al peu del mont de Sion, era una fontana... in-Jerusalem, am-Fuß des-Bergesvon-Sion,ÉSSER.Impf.3sg eine-Quelle ‚In Jerusalem, am Fuße des Berges Sion lag eine Wasserquelle...‘ (Ferrer, Quaresma II, 59, nach Vañó-Cerdà 1998: 35) (20) altkat. Al peu del mont de Sion estava [la font dita]... am-Fuß des-Berges von-Sion ESTAR.Impf.3sg [die-Quelle genannt] ‚Am Fuße des Berges Sion lag sie [die besagte Quelle]...‘ (Ferrer, Quaresma II, 61, nach Vañó-Cerdà 1998: 35)

Im Vergleich zum Lateinischen ist also im Altromanischen eine generelle Tendenz der Ausbreitung und das Eindringen von STARE in das Anwendungsgebiet von ESSERE sowohl in Lokativ- als auch in Kopulakonstruktionen zu beobachten. So kann in (18) und (20) estar auch mit einem unbelebten Subjekt beobachtet werden. Die betroffenen altromanischen Varietäten sind hier v.a. das Altspanische, Altportugiesische und Altkatalanische (hier im weiteren Verlauf besonders das Valencianische).

4.

Die romanischen Daten

Wir werden im Folgenden nur das Spanische (unter 4.1), das Portugiesische (unter 4.2) und das Katalanische (unter 4.3) untersuchen, in denen die Unterscheidung zwischen den beiden Kopulaverben ESSERE und STARE relevant ist. In den anderen großen modernen romanischen Sprachen spielte STARE als Kopula keine Rolle. Im Französischen z.B. ist STARE (bis auf eventuelle Suppletivformen für être) völlig verschwunden. Im Standarditalieni-

Die Kopula im Romanischen

209

schen ist die prototypische Kopula weiterhin essere (s. aber die neapolitanischen Daten unter 4.4).16 Wir werden im Folgenden auch hier die Verwendung von ESSERE und STARE getrennt nach Kopula- und Lokativkonstruktion betrachten. Die Unterscheidung bei den Kopulakonstruktionen zwischen ILP- und SLP-Kontext ist in allen untersuchten Sprachen relevant, es ergeben sich aber noch weitere Spezialisierungen. 4.1

Spanisch

Wie unter Abschnitt 1 angesprochen, stimmt im Spanischen die Verwendung von ser und estar in Kopulakonstruktionen mit der Unterscheidung zwischen ILP- und SLP-Kontexten überein (4.1.1). In Lokativkonstruktion hingegen muss eine weitere Unterscheidung hinsichtlich des Typs des Subjekts gemacht werden (4.1.2). 4.1.1

Kopula + AP / + PP(-lok)

Das Spanische weist eine eindeutige Korrelation zwischen den zwei Kopulaverben und einer ILP- bzw. SLP-Interpretation auf (vgl. dazu v.a. González & Remberger 2005). Kopulakonstruktionen mit ser werden als ILP, solche mit estar als SLP verstanden. Die folgende Graphik erfasst diese Korrelation formal: (21) Merkmalsunterscheidung für die Kopula im Spanischen Kopula

ILP ser

SLP estar

Die folgenden Beispiele, (22) und (23) jeweils mit adjektivischem Prädikativum, (24) und (25) mit (nicht-lokativer) Präpositionalphrase, exemplifizieren diese Verhältnisse: (22) La sangre es roja. das-Blut SER.3sg rot ‚Blut ist rot.‘

[inhärente Eigenschaft => ILP]

–––––––—–– 16

Im Italienischen hat stare noch den (oft mit Zeitdauer und Lokalisierung verbundenen) lateinischen Bedeutungscharakter oder kann nur mit ganz bestimmten Adjektiven in festen Wendungen gebraucht werden (vgl. stare dritto / stare zitto / stare fermo/ stare attento ‚aufrecht stehen / still sein / stehen bleiben / aufpassen‘), ohne dass Generalisierungen festgestellt werden können (vgl. Catalani 2004). Stare kann im Standarditalienischen natürlich auch als Hilfsverb gebraucht werden, v.a. in Gerundialkonstruktionen.

210

Eva-Maria Remberger & Kay-Eduardo González-Vilbazo (23) El semáforo está rojo. die-Ampel ESTAR.3sg rot ‚Die Ampel steht auf rot.‘

[spezifischer temporärer Zustand => SLP]

(24) La cabaña es / *está de madera. die-Hütte SER.3sg / *ESTAR.3sg aus-Holz ‚Die Hütte ist aus Holz.‘

[inhärente Eigenschaft => ILP]

(25) Juan está /*es de mal humor. [temporärer seelischer Zustand => SLP] Juan ESTAR.3sg/*SER.3sg von-schlechter-Laune ‚Juan ist schlecht gelaunt.‘

4.1.2

Lokativkonstruktion

Auch in Lokativkonstruktionen finden wir im Spanischen ser und estar. In diesem Fall korreliert die Wahl der Kopula auf den ersten Blick nicht mit der ILP/SLP-Unterscheidung. Vielmehr wird ser verwendet, wenn das Subjekt der Prädikation ein Ereignis ist (vgl. (26)), und estar in allen anderen Fällen der Lokalisierung im physischen Raum (vgl. (27)): (26) El próximo mundial de fútbol es en Alemania. die-nächste-Fußball-WM SER.3sg in-Deutschland ‚Die nächste Fußball-WM findet in Deutschland statt.‘

[Subjekt: +Ereignis]

(27) Juan está en Madrid. Madrid está en España. Juan ESTAR.3sg in-Madrid. Madrid ESTAR.3sg in-Spanien ‚Juan ist in Madrid. Madrid liegt in Spanien.‘

[Subjekt: -Ereignis]

Als Graphik ergibt sich folgendes Bild: (28) Merkmalsunterscheidung für die Lokativkonstruktionen im Spanischen Lokativkonstruktion

-Ereignis estar

+Ereignis ser

Dennoch kann (26) auch als Kopulakonstruktion interpretiert werden, wenn man berücksichtigt, dass es eine inhärente Eigenschaft von Ereignissen an und für sich ist, dass sie an einem Ort stattfinden. Die lokative PP würde daher keine Lokalisierung des Subjekts im Raum kodieren, sondern eine dem Subjekt inhärente Eigenschaft spezifizieren. In diesem Fall hätte man also für das Spanische eine klare Entscheidung für estar bei Lokativkonstruktionen und eine ILP/SLP-abhängige Kopulaselektion.

Die Kopula im Romanischen

4.2

211

Portugiesisch17

Im Portugiesischen verhält sich bei der Kopulaselektion im Prinzip wie im Spanischen (vgl. 4.2.1). Unterschiede zum Spanischen gibt es, wie in 4.2.2 gezeigt, nur bei den Lokativkonstruktionen. 4.2.1

Kopula + AP / + PP(-lok)

Die folgenden Beispiele, (29) und (30) mit adjektivischer Prädikation und (31) und (32) mit Präpositionalphrase als Prädikativum, zeigen durch die Wahl der Kopula eine klare Unterscheidung zwischen ILP- und SLP-Kontexten: (29) As folhas desta árvore são amarelas. [inhärente Eigenschaft => ILP] die-Blätter dieses-Baums SER.3pl gelb ‚Die Blätter dieses Baums (dieser Art von Baum) sind (typischerweise) gelb.‘ (Querido 1976: 351) (30) As folhas desta árvore estão amarelas. [temporärer Zustand => SLP] die-Blätter-dieses-Baums SER.3pl gelb ‚Die Blätter dieses (konkreten) Baums sind (gerade) gelb.‘ (Querido 1976: 351) (31) O relógio é de ouro. die-Uhr SER.3sg von-Gold ‚Die Uhr ist aus Gold.‘

[inhärente Eigenschaft/Material => ILP]

(32) O meu pai está de mal humor. [temporärer seelischer Zustand => SLP] der-mein-Vater ESTAR.3sg von-schlechter-Laune ‚Mein Vater ist schlecht gelaunt.‘

Die formale Darstellung der portugiesischen Kopulaselektion entspricht also der des Spanischen: (33) Merkmalsunterscheidung für die Kopula im Portugiesischen Kopula

ILP ser

SLP estar

–––––––—–– 17

Vgl. Costa (1998), Querido (1976), Pountain (1982). Wir danken Uli Reich (Universität zu Köln) für wertvolle Hinweise zum Portugiesischen. Wir werden im Folgenden nicht auf die Verhältnisse im brasilianischen Portugiesischen (vgl. Lemos 1987) eingehen.

212

Eva-Maria Remberger & Kay-Eduardo González-Vilbazo

Möglicherweise tendiert das Portugiesische allerdings dazu, diese Korrelation zwischen Kopulawahl und ILP/SLP-Unterscheidung etwas weniger restriktiv zu halten als das Spanische (vgl. Pountain 1983). Beispiele wie (34) könnten auf eine solche Tendenz hindeuten: (34) Os seus olhos estâo/sâo cheios de caridade e de doçura. die-seine-Augen ESTAR/SER.3pl voll.mpl von-Barmherzigkeit und von-Milde ‚Seine Augen sind voller Barmherzigkeit und Milde.‘ (Peral Ribeiro nach Pountain 1982: 141)

Allerdings kann auch hier nicht mit Sicherheit ausgeschlossen werden, dass sich bei der Wahl der Kopula estar im Gegensatz zu ser eine aspektuelle Zusatzinformation ergibt (vgl. auch Costa 1998). 4.2.2

Lokativkonstruktionen

Auch im Portugiesischen gilt es, wie im Spanischen, im Fall der Lokativkonstruktionen eine Unterscheidung nach dem Typ des Subjekts zu treffen. Die Kopulawahl hängt hier davon ab, ob das Subjekt beweglich, d.h. [±mobil] ist, vgl. die folgenden Beispiele: (35) O João está em Lisboa. der-João ESTAR.3sg in-Lissabon ‚João ist in Lissabon.‘ (36) Lisboa é em Portugal. Lissabon SER.3sg in-Portugal ‚Lissabon ist/liegt in Portugal.‘

[Subjekt: +mobil] (Pountain 1982: 141) [Subjekt: -mobil] (Pountain 1982: 141)

Die Formalisierung kann also folgendermaßen dargestellt werden: (37) Merkmalsunterscheidung für die Lokativkonstruktionen im Portugiesischen Lokativkonstruktion

+ mobil estar

- mobil ser

Dennoch könnte Beispiel (36), parallel zu den spanischen Beispielen (26), auch als echte Kopulakonstruktion interpretiert werden, wenn man annimmt, das die lokative PP im Grunde als Prädikat anzusehen ist, das eine inhärente Eigenschaft unbeweglicher Subjekte (in der Tat meist Orte, Gebäude etc.) spezifiziert. Der unterschiedliche Gebrauch von ser und estar in spanischen und portugiesischen Konstruktionen mit lokativer PP wäre dann durch unterschiedliche Dominanzverhältnisse bestimmter inhärenter Merkmale von Subjekten (Individuen) zu erklären (im Spanischen dominiert immer ein Ereignismerkmal, im Portugiesischen dominiert immer ein Unbeweglichkeitsmerkmal).

Die Kopula im Romanischen

4.3

213

Katalanisch18

Die Datenlage im Katalanischen ist kompliziert. Sowohl bei der Kopulaselektion als auch bei den Lokativkonstruktionen sind zumindest historisch andere Merkmale ausschlaggebend als im Spanischen. 4.3.1

Kopula + AP / + PP(-lok)

Grundsätzlich kann man zum Katalanischen im Unterschied zum Spanischen sagen, dass die ILP/SLP-Unterscheidung nur zum Teil greift (vgl. v.a. Ramos 2002). Das liegt daran, dass wir im Katalanischen v.a. bei der Kopulaselektion vor dem Problem der Datenvariation stehen. Diese ist auf ein Wechselspiel zwischen dem kontinuierlichen Einfluss des Kastilischen und den katalanischen Normierungsbestrebungen zu sehen. Innerhalb der gesprochenen bzw. dialektalen Varietäten des Katalanischen lassen sich grob zwei Bereiche unterscheiden: – –

A: Konservativere oder isolierte Gebiete (Rosselló/Frankreich, L’Alguer/Sardinien, Balearen); hier herrscht der normative Sprachgebrauch vor; B: Gebiete mit erneuernden Tendenzen (Barcelona – València); Varietäten jüngerer Sprecher; Varietäten, die unter Einfluss der Medien stehen.

Um die komplexe Datenlage anschaulicher zu machen, soll hier zuerst ein Überblick in Form der graphischen Darstellung gegeben werden; die exemplifizierenden Daten folgen im Anschluss (vgl. Beispiele (39) bis (49)): (38) Merkmalsunterscheidung für die Kopula im Katalanischen Kopula

ILP

SLP

ésser vgl. (39)–(41)

+dur

-dur

estar vgl. (42)–(45)

+belebt

-belebt

estar

A: ésser – vgl. (48) B: estar– vgl. (49)

vgl. (46)–(47)

In ILP-Kontexten, wenn also inhärente Eigenschaften des Subjekts prädiziert werden, ist die Kopula immer ésser: –––––––—–– 18

Vgl. Ramos (2000, 2002), Falk (1990), Ballesta i Roig (1987).

214

Eva-Maria Remberger & Kay-Eduardo González-Vilbazo (39) Aquest producte és sense conservants ni colorants. dieses-Produkt ÉSSER.3sg ohne Konservierungsstoffe noch Farbsstoffe ‚Dieses Produkt ist konservierungs- und farbstofffrei.‘ (Ramos 2002: 2007) (40) La cadira és alta. der-Stuhl ÉSSER.3sg hoch ‚Der Stuhl ist hoch.‘

(Ramos 2002: 2013)

(41) El teu home és honrat. der-dein-Mann ÉSSER.3sg ehrenhaft ‚Dein Mann ist ehrenhaft.‘

(Ramos 2002: 2013)

Was SLP-Kontexte betrifft, muss weiter unterschieden werden, ob es sich um eine Dauer (hier dargestellt durch [+dur]19) ausdrückende Prädikation handelt bzw. ob das Subjekt belebt oder unbelebt ist. Dauer ausdrückende Prädikationen stehen immer mit estar: (42) Aquesta substància està /*és espessa des de fa dos dies. [+dur/-belebt] diese-Substanz ESTAR/*ÉSSER.3sg zähflüssig seit-von-vor-zwei-Tagen ‚Diese Substanz ist seit zwei Tagen zähflüssig.‘ (Ramos 2002: 2012) (43) La porta estarà tancada tota la tarda. die-Tür ESTAR.Fut.3sg geschlossen ganze-der-Nachmittag ‚Die Tür wird den ganzen Nachmittag geschlossen sein.‘

[+dur/-belebt] (Ramos 2002: 2014)

(44) El noi estava mullat tota la estona. der-Junge ESTAR.Impf.3sg nass ganze-die-Weile ‚Der Junge war die ganze Zeit nass.‘

[+dur/+belebt]

(45) En Joan estava tranquil tota la estona. der-Joan ESTAR.Impf.3sg ruhig ganze-die-Weile ‚Joan war die ganze Zeit ruhig.‘

[+dur/+belebt]

Nur in nicht Dauer ausdrückenden Kontexten wird die Unterscheidung [±belebt] relevant. Handelt es sich um ein belebtes Subjekt, ist die Kopula weiterhin estar: (46) Ton pare està amb 39 de calentura. dein-Vater ESTAR.3sg mit 39 von-Temperatur ‚Dein Vater hat 39 Grad Fieber.‘ (47) Avui estic cansat. heute ESTAR.1sg müde ‚Heute bin ich müde.‘

[-dur/+belebt] (Ramos 2002: 2007) [-dur/+belebt] (Ramos 2002: 2013)

Handelt es sich um ein unbelebtes Subjekt in einer Prädikation, die keine Dauer ausdrückt, dann bleiben die A-Varietäten bei ésser, während die B-Varietäten estar gebrauchen: –––––––—–– 19

Das Merkmal [±dur] ist eine Spezifizierung von SLP. ILP können nie [±dur] sein, da sie eine generische Referenzsituation kodieren, die nicht aspektuell spezifiziert werden kann.

Die Kopula im Romanischen

215

(48) El llum és encès. die-Lampe ÉSSER.3sg angeschaltet ‚Die Lampe ist an.‘ (49) El llum está encès. die-Lampe ESTAR.3sg angeschaltet ‚Die Lampe ist an.‘

[-dur/-belebt/A] (Ramos 2002: 2013) [-dur/-belebt/B] (Ramos 2002: 2013)

Betrachtet man die B-Gebiete allein, nähern sich die Verhältnisse der Kopulaselektion im Katalanischen denen des Spanischen bereits fast bis zur Übereinstimmung an. Die konservativeren A-Gebiete dagegen spiegeln noch eine für das Katalanische spezifische Unterscheidung wider. Die diachrone Entwicklung des Kopulagebrauchs und das allmähliche Eindringen von estar in Bereiche von ésser im Katalanischen lassen sich hier in der Synchronie der Varietäten nachvollziehen. 4.3.2

Lokativkonstruktionen

Die Verbwahl bei Lokativkonstruktionen im Katalanischen ist von einer weiteren Besonderheit abhängig, die weder im Spanischen noch im Portugiesischen relevant ist. Im Katalanischen spielt es offensichtlich, varietätenunabhängig, auch hier eine Rolle, ob die Lokalisierung der Lokativkonstruktion von Dauer ist oder nicht (vgl. Ramos 2002): (50) El gos de la Carme és a la seva caseta. der-Hund von-der-Carme ÉSSER.3sg in-der-seinen-Hütte ‚Carmes Hund ist in seiner Hütte.‘

[-dur] (Ramos 2002: 1996)

(51) El gos de la Carme está molt de temps a la seva caseta. [+dur] der-Hund von-der-Carme ESTAR.3sg viel-von-Zeit in-der-seinen-Hütte ‚Carmes Hund ist (schon) lange Zeit in seiner Hütte.‘ (Ramos 2002: 1996)

Diese Merkmalsunterscheidung ist also graphisch wie folgt darzustellen: (52) Merkmalsunterscheidung für die Lokativkonstruktionen im Katalanischen Lokativkonstruktion

+dur estar

-dur

ésser

Falls im Katalanischen das Subjekt ein Ereignis kodiert, erscheint übrigens, wie im Spanischen, unabhängig von der [±dur]-Unterscheidung das Verb ésser, ein Hinweis darauf, dass es sich wiederum um eine Kopulakonstruktion im ILP-Kontext und nicht um eine echte Lokativkonstruktion handelt:

216

Eva-Maria Remberger & Kay-Eduardo González-Vilbazo (53) El judici va ser sense públic. der-Gerichtsprozess gehen.Aux.3sg ÉSSER.Inf ohne-Publikum ‚Der Gerichtsprozess fand ohne Zuschauer statt.‘

[+Ereignis] (Ramos 2002: 2008)

Im Katalanischen kann die Wahl des Verbs ésser in einer Lokativkonstruktion über die [-dur] Interpretation sogar in einer kulminativen Interpretation münden, auch wenn das Subjekt belebt ist: (54) Un cop siguis a casa, telefona’m. ein-Schlag ÉSSER.Konj.3sg zu-hause, ruf.an-mich ‚Sobald du zu Hause bist, ruf mich an.‘

[-dur] (Ramos 2002: 1997)

(55) Quan vam sentir el primer brogit, tots érem a casa. [-dur] als gehen.Aux.1pl hören.Inf den-ersten-Lärm, alle ÉSSER.Impf.1pl zu-hause ‚Als wir den ersten Lärm hörten, waren wir alle zuhause.’ (Ramos 2002: 1996)

4.4

Neapolitanisch20

Als weitere Varietät mit ESSERE/STARE-Unterscheidung in Kopulakonstruktionen soll hier noch kurz die Datenlage im Neapolitanischen skizziert werden. 4.4.1

Kopula + AP / + PP(-lok)

Anders als im Italienischen kann im Neapolitanischen auch STARE als Kopula erscheinen. Die folgenden Beispiele (mit belebten und unbelebten Subjekten) lassen darauf schließen, dass sich hier ebenfalls immer SLP-Interpretationen ergeben: (56) ma ’o zulu sta disturbato e nun l’avite provocà... aber der ‘Zulu’ STARE.3sg gestört und nicht ihn-haben.Aux.2pl provozieren.Inf ‚aber der Zulu ist verärgert und ihr dürft ihn nicht provozieren...‘ (99 Posse, nach Remberger 1997) (57) stammo aspettando troppo tiempo e stammo stanche... STARE.1pl warten.Gerund zuviel-Zeit und STARE.1pl müde ‚Wir warten schon zu lange und wir sind müde...‘ (Almamegretta, nach Remberger 1997) (58) saname stu core ca mo sta malato ’e te... heilen.Imperat.mir dieses-Herz weil jetzt STARE.3sg krank von-dir ‚heil mir dieses Herz, denn es ist krank durch dich...‘ (Almamegretta, nach Remberger 1997)

–––––––—–– 20

Zum Süditalienischen, vgl. u.a. Renzi et al. (1991: 194), Catalani (2004: 103–143), Pountain (1982) und Rainer (1986); ausführliche Untersuchungen für das süditalienische Sprachgebiet stehen noch aus.

Die Kopula im Romanischen

217

(59) Te pare no portiento che accossí fresca sta [la rosa]? dir scheinen.3sg ein-Wunder dass so frisch STARE.3sg [die Rose] ‚Scheint es Dir ein Wunder zu sein, dass sie so frisch ist [die Rose]?‘ (Consiglio 1973: 111) (60) Nun esse’ tanto avaro cu’ nuie napulitane, ca stammo senza pane... nicht sein.Inf so-geizig mit-uns-Neapolitanern weil STARE.3pl ohne-Brot ‚Sei nicht so geizig mit uns Neapolitanern, denn wir haben nichts zu essen.‘ (Consiglio 1973: 92) (61) pecché stammo mmiezo ’e ’mbruoglie... weil STARE.3pl inmitten von-Verwirrungen ‚...weil wir in Schwierigkeiten sind...‘

(Almamegretta, nach Remberger 1997)

Typische Adjektive für ILP-Kontexte wie ‚verärgert‘, ‚müde‘, ‚krank‘, ‚frisch‘ oder auch PPs wie ‚ohne Brot‘ (=> ‚hungrig‘) oder ‘in Schwierigkeiten‘ erscheinen mit STARE. Genauere Untersuchungen für den italienischen Varietätenraum stehen jedoch noch aus.21 4.4.2

Lokativkonstruktionen

Anders als das Italienische verwendet das Neapolitanische STARE auch als Lokativverb: (62) Sud ind’a stu core staje... Süden in-diesem-Herz STARE.3sg ‚Der Süden ist in diesem Herzen...‘

(Almamegretta, nach Remberger 1997)

(63) freva e friddo tengo quanno sto vivino a te... Fieber und Kälte haben.1sg wenn STARE.1sg nahe-bei-dir ‚Mir ist heiß und kalt, wenn ich nahe bei dir bin...‘ (Almamegretta, nach Remberger 1997)

Das Standarditalienische würde in diesen Fällen, wie bereits erwähnt, das Verb ESSERE benutzen. Auch hier gilt es in weiteren Untersuchungen zu klären, ob zusätzliche Merkmale wie etwa [±dur] eine Rolle spielen.

5.

Minimalistische Analyse

In der nun folgenden Analyse gehen wir von einer Reihe minimalistischer Prinzipien aus, die hier kurz erläutert werden sollen. Wir berufen uns dabei auf den Minimalismus, wie er in Chomsky (1995) dargestellt wurde und vernachlässigen dabei vorerst noch die Weiter–––––––—–– 21

Catalani (2004: 124) spricht von Tendenzen des Neapolitanischen, die ESSERE/STARE-Unterscheidung, die in Richtung des Gebrauchs im Spanischen weisen; allerdings verzeichnet er auch Schwankungen.

218

Eva-Maria Remberger & Kay-Eduardo González-Vilbazo

entwicklungen von Chomsky (2000, 2001, 2005). Die syntaktische Derivation erfolgt dementsprechend mittels syntaktischen Basisoperationen wie Merge (‚verschmelzendes Einfügen‘) und Move (‚Bewegung‘), die ihrerseits auf den Mechanismen der Theorie vom Merkmalsabgleich (Checking Theory) beruhen. Sowohl lexikalische als auch funktionale Elemente befinden sich im Lexikon und sind mit entsprechenden formalen Merkmalen ausgestattet, welche die Derivation steuern. Die funktionalen Kategorien sind in ihrer Anzahl auf die Core Functional Categories C, T, kleines v und D reduziert. Im Zusammenhang mit Kopulakonstruktionen soll das in Chomsky (1995) vertretene Modell leicht modifiziert werden (für eine detaillierte Darstellung, vgl. Remberger 2002, 2006). Die wichtigste Neuerung ist die Einführung einer Prädikationsphrase PrP nach Bowers (1993, 2001). Diese PrP stellt laut Bowers eine (implizite) Ereignisposition zur Verfügung und instantiiert die Prädikation. Die PrP stellt eine verallgemeinerte Form der kleinen vP dar, vgl. die VP-Shell-Analyse nach Larson (1988); sie gilt also nicht nur für verbale, sondern auch für adjektivische, präpositionale oder substantivische Prädikationen. Die Art der Prädikation wird nur mehr als ein kategorielles Merkmal in Pr° kodiert, d.h. z.B. durch ein A-Merkmal für eine adjektivische Prädikation. Im Folgenden sollen die bisher herausgearbeiteten Merkmale, die für die Selektion von ESSERE oder STARE in den romanischen Sprachen verantwortlich gemacht werden können, für die Einzelsprachen in parametrisierter Form innerhalb des minimalistischen Modells dargestellt werden. 5.1

Die Kopulaselektion im Span./Port.: ser – estar

In González & Remberger (2005) haben wir die prototypische Kopula des Spanischen als Hilfsverb interpretiert, welches erst spät in die Derivation gelangt. Ser hat dabei die Rolle einer Default-Kopula, die, selbst semantisch leer, nur aufgrund eines starken V-Merkmals in T durch Merge in die Derivation eingefügt werden muss, um diese zu retten. Diese syntaktische Analyse von ESSERE gilt nun auch für alle weiteren hier behandelten romanischen Sprachen, vgl. die folgende Baumstruktur: (64) Ana es inteligente. Ana SER.3sg intelligent Tempusphrase TP Spec ‚Ana‘

T’ Prädikationsphrase PrP

T° V° ‚es‘

T° T Dstark Vstrark ...

Pr’

Spec Pr° Pr A

AP A° YP ‚inteligente‘

Die Kopula im Romanischen

219

Eine nicht-markierte nicht-verbale Prädikation mit ILP-Lesart zieht in den hier behandelten Sprachen zunächst keine Einsetzung eines Hilfsverbs und erst unter T die Einsetzung von ESSERE nach sich. Eine SLP-Interpretation dagegen ergibt sich immer dann, wenn es sich um eine spezifische Referenzsituation handelt, für welche die Prädikation gelten soll. In diesem Fall ist also die Referenzsituation markiert. In González & Remberger (2005) haben wir gezeigt, dass die Kopula estar im Spanischen in SLP-Kontexten daher schon früher in der Derivation erscheinen muss: Wir haben angenommen, dass das spezifische Verhältnis der Referenzsituation R zur Ereignissituation E unter Pr°, dem Kopf der Prädikation, kodiert wird. Mit anderen Worten: Handelt es sich im Spanischen um einen SLP-Kontext, also eine spezifische Referenzsituation, so muss ein bestimmter Prädikationskopf gewählt werden. Dieser Pr-Kopf hat aber im Spanischen, obwohl er keine verbale Prädikation kodiert, immer auch ein starkes V-Merkmal, welches sofort überprüft werden muss. Aus diesem Grunde wird daher die spezifische Kopula estar durch Merge in die Derivation eingefügt, und zwar unter Pr°, wo der Merkmalsabgleich stattfinden kann, vgl. die folgende Baumstruktur: (65) Anna está borracha. Ana ESTAR.3sg betrunken Tempusphrase TP T’

Spec ‚Ana‘





Pr°

V° ‚está‘

Prädikationsphrase PrP

Pr°

T Dstark V stark ...

Pr’

Spec

AP

Pr°



Pr°

A° ‚borracha‘

YP

Pr A V stark Rspezifisch ...

Ausschlaggebend für die Wahl der markierten Kopula estar ist im Spanischen also die Tatsache, dass eine Prädikation mit spezifischer Referenzsituation ein passendes verbales Element benötigt. In den anderen romanischen Sprachen kann die Wahl von STARE ebenso von diesem Merkmal (Portugiesisch, Katalanisch A, Neapolitanisch), aber auch von noch weiter spezifizierten Merkmalen (Katalanisch B) abhängen.

220 5.2

Eva-Maria Remberger & Kay-Eduardo González-Vilbazo

Die Lokativkonstruktionen mit estar

Für die echten Lokativkonstruktionen muss man vorerst annehmen, dass es sich um eine Vollverbkonstruktion, also eine VP, handelt, die ein präpositionales lokatives Element selegiert. Das lokative Verb estar des Spanischen, Portugiesischen, Katalanischen und Neapolitanischen darf somit als V° interpretiert werden, welches von einer verbalen Prädikationsphrase, also einer Pr° mit einem V-Merkmal selegiert wird. Dieses V-Merkmal einer verbalen Prädikation ist in den betroffenen romanischen Sprachen immer stark, was Verbbewegung zunächst nach Pr°, dann nach T° (welches ebenfalls ein starkes V-Merkmal trägt) auslöst. Die Lokativkonstruktion mit STARE als Vollverb, kann also für das Spanische wie folgt dargestellt werden:22 (66) Madrid está Madrid ESTAR.3sg

en España. in-Spanien

Tempusphrase Spec ‚Madrid‘

T’ Prädikationsphrase

T° Pr° V° ‚está‘

T° Pr°

Spec

Pr’

T Dstark Vstark ...

VP

Pr° V°

Pr°

Pr Vstark ...

Spec

V’ V° PP ‚en España‘

Bei dem lokativen Vollverb handelt es sich um ein typisches SLP-Verb. Die Tatsache, dass im Spanischen bei Ereignissen und im Portugiesischen bei unbeweglichen Subjekten STARE blockiert ist, hängt mit genau dieser SLP-Eigenschaft zusammen: Ereignisse werden im Spanischen als inhärent lokativ interpretiert, so dass eine ILP-Interpretation erforderlich wird, die von estar nicht geleistet werden kann. Im Portugiesischen werden unbewegliche Subjekte, wie Orte als inhärent lokativ interpretiert, so dass auch hier estar mit dieser ILP-Eigenschaft nicht kompatibel ist. In beiden Fällen muss ESSERE in der Derivation erscheinen. Genau diese Verhältnisse aber zeigen, dass die Phänomene, die das –––––––—–– 22

Wir zählen hier lokatives estar zu der Klasse von unakkusativischen Verben, die von Mendikoetxea (1999: 1607ff) als verbos de existencia y aparición („Verben der Existenz und Erscheinung“) mit implizitem oder explizitem lokativem Element zusammengefasst werden.

Die Kopula im Romanischen

221

Lokativverb STARE einerseits und die Kopula STARE/ESSERE andererseits betreffen, nicht nur in der Diachronie sehr eng zusammenhängen (vgl. dazu die Überlegungen in 6). Die hier festgelegten Rahmenbedingungen für die Analyse der Kopulaselektion bzw. der Verbselektion bei den Lokativkonstruktionen sollen im folgenden Unterabschnitt für alle unter 4 behandelten Sprachdaten spezifiziert und in einer Übersicht dargestellt werden. Da die Kopula ESSERE als Default-Kopula interpretiert wird, muss im folgenden hauptsächlich auf den Gebrauch von STARE eingegangen werden. Die im Zusammenhang mit dem Erscheinen von STARE relevanten Merkmale können schließlich auch grammatikalisierungstheoretisch erklärt werden: jedesmal, wenn STARE erscheint, haben wir es mit einem besonderen Merkmal zu tun, welches das Einfügen gerade dieses Verbs (und nicht von ESSERE) in die Derivation erzwingt. 5.3

Überblick zu den Kopulakonstruktionen (67) Sprachen mit klarer ILP/SLP-Differenzierung Sprache ILP-Kontext SLP-Kontext Spanisch ESSERE STARE Portugiesisch ESSERE STARE Katalanisch B ESSERE STARE Neapolitanisch ESSERE STARE

Die grammatikalisierungstheoretische Ebene für die Entwicklung von STARE kann folgendermaßen erfasst werden: Ein lexikalisches Merkmal ist zu einem funktionalen Merkmal geworden; in diesem Fall hat sich das von Steengard (1991) herausgearbeitete [loc]-Merkmal auf eine spezifische Referenzsituation eingeschränkt, d.h. auf eine temporale Lokalisierung: (68) Merkmal unter Pr° in Sprachen mit ILP/SLP-Differenzierung Grammatikalisierung lexikalisches Merkmal => funktionales Merkmal [loc] => [Rspezifisch]

Im Katalanischen spielen zudem noch andere Merkmale eine Rolle: (69) Sonderfall Katalanisch (konservativere A-Varietäten) Sprache ILP-Kontext SLP-Kontext: +belebt/±dur Katalanisch A ESSERE STARE

SLP-Kontext: -belebt/-dur ESSERE

Das bedeutet, dass in manchen Varietäten des Katalanischen die drei von Steengard (1991) herausgearbeiteten Seme von STARE weiterhin relevant sind, wenn sie auch bereits funktional verschoben erscheinen:

222

Eva-Maria Remberger & Kay-Eduardo González-Vilbazo

(70) Merkmale unter Pr° für das Katalanische (A-Varietäten) Grammatikalisierung lexikalisches Merkmal => funktionales Merkmal23 [loc] => [Rspezifisch] [pos] => [+belebt] [dur] => [+dur]

In Sprachen ohne ILP/SLP-Unterscheidung gilt ESSERE für beide Kontexte: (71) Sprachen ohne ILP/SLP-Differenzierung Sprache ILP-Kontext SLP-Kontext Italienisch ESSERE Französisch ESSERE

Was das Standarditalienische und Französische betrifft, ist STARE also nicht als Kopula grammatikalisiert worden. ESSERE hat daher seine Domäne behalten können und wird erst als Default-Verb unter T° eingefügt. 5.4

Überblick zu den Lokativkonstruktionen (72) STARE als Lokativverb [-Ereignis] im Spanischen Sprache +loc/-Ereignis +loc/+Ereignis Spanisch STARE ESSERE (73) STARE als Lokativverb [+mobil] im Portugiesischen Sprache +mobil +loc /-mobil Portugiesisch STARE ESSERE

Im Spanischen und Portugiesischen hat ESSERE seinen Status als Lokativverb völlig verloren und ist in dieser Funktion durch STARE ersetzt worden (d.h. das [loc]-Merkmal von STARE tritt hier in den Vordergrund). Wie unter 4.1.2 und 4.2.2 ausgeführt, können die Ausnahmen bei Lokativkonstruktionen im Spanischen und Portugiesischen auch auf dominante inhärente Merkmale der relevanten Subjekte zurückgeführt, d.h. in den Bereich der ILP-Kontexte verwiesen werden. (74) STARE als Lokativverb [+dur] im Katalanischen Sprache +loc /+dur +loc /-dur Katalanisch STARE ESSERE

–––––––—–– 23

Natürlich handelt es sich um Merkmale heterogener Art: Während es sich bei [Rspezifisch] und [+dur] um Merkmale der Zeitorganisation bzw. Zeitkontur der Prädikation handelt, ist das Merkmal [+belebt] das eines Arguments, hier des syntaktischen Subjekts. Die (auch in unakkusativischen Konstruktionen gegebene) Subjektposition im Spezifizierer der Prädikationsphrase (vgl. Remberger 2002, 2006) muss natürlich immer mit dem entsprechenden Prädikationskopf kompatibel sein.

Die Kopula im Romanischen

223

Das Katalanische bewahrt in den Lokativkonstruktionen noch zum Teil den Zustand des Lateinischen. Nur in durativen Kontexten hat sich bereits das Verb STARE durchgesetzt (d.h. hier tritt neben dem [loc]-Merkmal von STARE v.a. die [dur]-Kennzeichnung in den Vordergrund). (75) STARE als Lokativverb im Neapolitanischen Sprache +loc Neapolitanisch STARE

Das Neapolitanische scheint auf demselben Entwicklungsstand hinsichtlich der Lokativkonstruktionen zu sein, wie das Spanische und Portugiesische (weitere Untersuchungen sind durchzuführen). (76) ESSERE als Lokativverb im Italienischen und Französischen Sprache +loc Italienisch ESSERE Französisch ESSERE

Im Französischen und Italienischen hat ESSERE auch als Lokativverb seine Domäne bewahrt.

6.

Abschließende Bemerkung

Wie können nun die Fälle von ESSERE in Lokativkonstruktionen minimalistisch analysiert werden. Vgl. die folgenden Beispiele: (77) it.

I bambini sono nel giardino. die-Kinder ESSERE.3pl in-dem-Garten ‚Die Kinder sind im Garten.‘

(78) frz. Je suis à Paris ich ÊTRE.1sg in-Paris. ‚Ich bin in Paris.‘

Diese Sprachen scheinen (in den meisten Fällen) weder ein eigenes aus STARE entwickeltes Lokativverb zu benutzen, noch eine zweite aspekt- oder ähnlich markierte Kopula zu kennen. Wenn man nun annimmt, dass das Kopulaverb ESSERE in diesen Sprachen direkt unter T° durch Merge in die Derivation eingefügt wird, warum sollte man dann diese Analyse nicht auf die Lokativkonstruktion ausdehnen? ESSERE könnte auch in Lokativkonstruktionen als semantisch leeres Hilfsverb gelten, da ja die gesamte lokative Information in der lokativen PP steckt. Ließe man eine solche Analyse gelten, muss man sich aber ebenso nach dem semantischen Gehalt des Lokativverbs STARE selbst fragen, besonders wenn, in Sprachen wie dem Spanischen oder Portugiesischen, seine ursprünglichen Merkmale [pos]

224

Eva-Maria Remberger & Kay-Eduardo González-Vilbazo

oder [dur] nicht mehr relevant sind und nur mehr das [loc]-Merkmal im Vordergrund steht. Diese Fragestellungen bedürfen einer gesonderten Diskussion. Als Ergebnisse unserer Studie lässt sich das Folgende festhalten: Das ursprünglich eine Körperhaltung kodierende lateinische Verb stare kann in der diachronen Entwicklung der romanischen Sprachen zur Kopula werden; in diesem Falle konkurriert es mit der Kopula ESSERE. Dabei ist die Tendenz zu beobachten, dass die ILP/SLP-Unterscheidung mit der Verteilung von ESSERE und STARE korreliert. Was die Merkmalsspezifizierungen der Kopulaverben betrifft, ist STARE als Kopula immer markierter als ESSERE. Auch in Lokativkonstruktionen kann STARE als Konkurrent zu ESSERE erscheinen; in manchen romanischen Sprachen wurde letzteres aus dem lokativen Kontext weitgehend verdrängt. Da die Verdrängung von ESSERE als Kopula und in seiner Funktion als Lokativverb in den betroffenen romanischen Einzelsprachen parallel läuft, muss auch dies als Anlass dafür genommen werden, über eine einheitliche Behandlung von Lokativ- und Kopulakonstruktionen in allen Kontexten nachzudenken.

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Teil III: Die Analyse von kopulaverdächtigen Konstruktionen

Raphael Berthele

Sein+Direktionalergänzung: Bewegung ohne Bewegungsverb.1

0.

Einleitung

In diesem Beitrag werden Fügungen des Typs sein+Direktionalergänzung (vgl. (1), (2)) diskutiert. Diese Fügungen teilen mit Kopulakonstruktionen i.e.S. das semantisch sehr leichte Finitum, das lediglich grammatische Informationen (wie Modus, Person- und Numeruskongruenz oder die Wortartbedeutung ‚Verb‘) und allenfalls eine schematische Zuordnung von Subjekt und „Prädikativ“ vermittelt, hier also eine Zuordnung des sich Bewegenden zur räumlichen Umgebung. (1) (2)

Er ist auf den Baum. Sie ist ins Haus.

Verschiedene Interpretationen dieser insbesondere in gewissen dt. Mundarten relativ häufigen Konstruktionen werden vorgestellt. Es wird gezeigt, dass die intuitiv plausibelste Analyse im Sinne einer elliptischen Fügung, also mit erspartem Partizip II des Bewegungsverbs (3), aus verschiedenen Gründen nicht befriedigend ist. (3)

Er ist auf den Baum geklettert.

Aufgrund der Analyse eines eigens zur Untersuchung des Bewegungsausdrucks erhobenen Korpus wird gezeigt, dass diese Fügung einen Extremfall der generellen Tendenz gewisser Mundarten darstellt, die Verbstelle mit semantisch leichten Verben zu besetzen. Mittels eines konstruktionsgrammatischen Ansatzes (in Anlehnung an Goldberg 1995) ist es möglich, die Fügungen mit sein+Direktionalergänzung zusammen mit verwandten Phänomenen, etwa dem Gebrauch von Modalverben als „Bewegungsverben“ (4), auf einfache Weise zu verstehen. (4)

Er will auf den Baum.

Die Direktionalergänzung ist in dieser Sichtweise nicht ein Teil der Verbvalenz, sondern wird von einer Bewegungskonstruktion als Ganzes in den Satz eingeführt.

–––––––—–– 1

Ich danke Petra Vogel, Ljudmila Geist, Björn Rothstein und Irmi Kaiser ganz herzlich für zahlreiche wichtige Anmerkungen zu früheren Versionen dieses Aufsatzes.

230

1.

Raphael Berthele

Grundlegendes

Die theoretischen Grammatikmodelle im Umfeld der Generativen Grammatik gehen davon aus, dass die sprachliche Kompetenz in Komponenten oder Module unterteilt ist, etwa in ein phonologisches, ein syntaktisches und ein semantisches Modul. Die Aufgabe der Grammatik im engeren Sinne ist es, allgemeine Regeln zu finden, die die Kombination von Elementen zu Sätzen leiten. Analog wird in der kompositionellen Sichtweise der Satzsemantik davon ausgegangen, dass die Gesamtbedeutung eines Satzes aus den lexikalischen Bausteinen im Satz und gewissen Regularitäten in ihrer semantischen Verknüpfung aufgebaut wird (so genanntes Frege-Prinzip, vgl. Lyons 1995: 204; Taylor/Cuyckens/Dirven 2003: 14; Löbner 2003: 20). Auch Ansätze der kognitiven Linguistik wie etwa Talmys einflussreiche Typologie der Bewegungsverbsätze (Talmy 1985; 2000: 212ff., in der Version von 2000 ausgebaut zu einer allgemeinen Theorie der Ereigniskonzeptualisierung) gehen implizit von einer kompositionellen Sichtweise aus: Hier wird angenommen, dass eine Einheit der konzeptuellen Ebene jeweils genau einer Einheit der syntaktischen Ebene zugeordnet werden kann, und dass sich die Gesamtbedeutung des Satzes aus diesen Bausteinen zusammensetzt. Der Grundtyp eines (deutschen) Satzes also, der räumliche Bewegung eines Objektes ausdrückt, besteht aus einer Subjekts-NP, die die Figur2 enthält, einem Verb, das den Bewegungsprozess codiert, und einer Ergänzung zum Verb (in der Regel ein direktionales Adverbiale in der Form einer Präpositionalphrase oder eines Adverbs), die den Weg angibt, den die Figur zurücklegt, sowie den räumlichen Grund spezifiziert, in dem oder relativ zu dem die Figur sich bewegt. Der deutsche Satz benötigt also ein Verb als Kopf, in diesem Fall eben ein Bewegungsverb, in dessen Lexikoneintrag eine Subkategorisierung für ein direktionales (in der Regel präpositionales) Komplement vorgesehen ist. Das Verb kann auch selbst schon Weginformationen enthalten (5), wie dies ein gerade in romanischen Sprachen typisches Lexikalisierungsmuster ist (6a, b, c). Sowohl das deutsche als auch das französische Modell jedoch setzen voraus, dass es in einer kompositionellen Sichtweise für den Ausdruck von Bewegung ein Bewegungsverb braucht. (5) (6)

Der Kater klettert auf das Dach. Le matou… a. …monte [sur le toit]. (‚Der Kater steigt auf das Dach.‘) b. …sort [de la maison]. (‚Der Kater verlässt das Haus.‘) c. …descend [de l’arbre]. (‚Der Kater kommt vom Baum herunter.‘)

Die Zusammensetzung der Lexeme zu Syntagmen folgt allgemeinen und semantikfreien Regeln, wie sie beispielsweise den Kernbereich einer syntaktischen Beschreibung im Geiste der GG bilden. Dem semantischen Kompositionalitätsprinzip entspricht also in der Regel auf der syntaktischen Ebene die Annahme, dass die grammatische Kompetenz aus allgemeinen Regeln des Kombinierens von lexikalischen oder phrasalen Elementen besteht. Alle –––––––—–– 2

Gemeinhin wird das Bewegte in der kognitiven Semantik als Figur oder, insbesondere bei Langacker (1990), als Trajector bezeichnet, die räumliche Umgebung des Bewegten andererseits ist der Grund (bei Langacker die Landmark).

Bewegung ohne Bewegungsverben

231

Anomalien und Idiosynkrasien sind, zusammen mit den Informationen zu den Subkategorisierungen der lexikalischen Elemente, im Lexikon gespeichert. Diese Grundannahmen sind dann problematisch, wenn man davon ausgeht, dass Phraseologismen oder mehr oder weniger idiomatische Kollokationen mehr sind als lediglich ein peripherer Bereich der Sprachkompetenz (vgl. hierzu Fillmore et al. 1988, Burger 1998). Aber auch wenn man Fügungen des im vorliegenden Beitrag zu behandelnden Typs mit „fehlendem“ Bewegungsverb betrachtet, reichen die eben grob skizzierten kompositionellen Modelle nicht aus. Zwar ist auch die Bedeutung der unten diskutierten Fügungen (partiell) kompositionell, die semantische Interpretation des Zusammengefügten gehorcht jedoch spezifischen Regularitäten, die es plausibel machen, dass die Fügungen zu einer bestimmten Konstruktion gehören (vgl. Croft/Cruse 2004: 253).

2.

Hintergrund und Datenlage

Eine vergleichende Untersuchung des Ausdrucks von räumlicher Stase und Bewegung in verschiedenen deutschen und romanischen Varietäten (Berthele 2004a/b, 2006) hat gezeigt, dass in gewissen Varietäten vergleichsweise häufig Fügungen des in (1) angegebenen Typs gebraucht werden. Die Daten für diese Analyse wurden mittels der in einschlägigen Studien seit längerem verwendeten Froschgeschichte (Mayer 1969) erhoben, einer Bildergeschichte, deren „bewegter“ Inhalt die Versuchspersonen zu bewegungsverbreichen Nacherzählungen animiert. Tabelle 1 zeigt die Frequenzen solcher Fügungen in den untersuchten Varietäten, wobei sich die relativen Zahlen auf die Anteile beziehen, die die fraglichen Belege an der Gesamtheit der Bewegungsverbsätze im analysierten Korpus haben. sein ModalV +Direktionalergänzung

MUD (Muotathaler Dt.) WSD (Walliserdt.) BED (Berndeutsch) SED (Senslerdt.) STD (Standardhochdeutsch) SUS (Sursilvan) SUM (Surmiran) VAL (Vallader Ladin) FR (Standardfranzösisch)

10% 6% 5% 3% 2% 2% 1% 1% --

Rätoromanisch

Schweizerdeutsch (Hochalemannisch)

Varietät

(61) (6) (13) (8) (10) (6) (2) (2)

4% (23) -1% (2) --1% (2) ----

Total 14% 6% 6% 3% 2% 3% 1% 1% 0%

Tabelle 1: Anteile VPs ohne Bewegungsverben an der Gesamtheit jeweils aller Bewegungs er eignisse der untersuchten Varietäten (in Klammern absolute Häufigkeiten) Auf die untersuchten Varietäten wird in Abschnitt 6 weiter eingegangen. Fügungen des Typs sein+Direktional sind typisch vor allem für Mundarten im Süden des deutschen

232

Raphael Berthele

Sprachraums (vgl. für Varietäten auf (süd-)deutscher Seite auch die Bemerkungen im SSA 2000:III/1.401, S. 2). Die Diskussion wird sich im Folgenden weitgehend auf die im Rahmen der oben zitierten Studie untersuchten schweizerdeutschen Varietäten beschränken. Vereinzelt finden sich sein+Direktional-Fügungen auch in den rätoromanischen Daten, doch diese wurden auf Nachfrage von den Sprechern als sehr schlechtes Rätoromanisch (da vom Schweizerdeutschen beeinflusst) taxiert. Die Tabelle berücksichtigt auch Fügungen von Modalverben mit Direktionalergänzungen, da diese im Folgenden (Abschnitt 4) ebenfalls eine Rolle spielen werden. Sowohl die Fügungen mit Modalverben als auch jene mit sein gehören zu einer ganzen Gruppe von Bewegungskonstruktionen, die sich alle dadurch auszeichnen, dass sie keine Bewegungsverben enthalten. Diese Gruppe kann bereits rein deskriptiv in verschiedene Subkategorien unterteilt werden: Klar elliptische verblose Konstruktionen (7–10), Konstruktionen mit Modalverben als „Vollverben“ (11–12) sowie jene Konstruktionen, um die es hier vordringlich gehen soll, also jene, wo sein als eine Art Bewegungsverb fungiert (12– 15). (7) (8) (9) (10) (11) (12) (13) (14) (15)

Patatra – Antonio dans le ravin. (FR) ‚Rums – Antonio in die Schlucht.‘ Basta, els dus omisdus sur quei grepet giu. (SUS) ‚Basta, die zwei beide über dieses Felslein hinunter/drunten.‘ Dr hund uuf und naahi. (BED) ‚Der Hund auf und nach.‘ De frosch ussem glas. (MUD) ‚Der Frosch aus dem Glas.‘ Da wett är i baum ufe. (MUD) ‚Da will er in den Baum rauf.‘ E suenter ha’l buc pudiu ora cul tgau. (SUS) ‚Und dann hat er nicht gekonnt raus mit dem Kopf.‘ Und da isch är uffen baumstumpe. (MUD) [vs. Und da isch är uffem baumstumpe.] ‚Und da ist er auf-einen Baumstumpf.‘ ‚Und da ist er auf-dem Baumstumpf.‘ Är isch ufe baum. (MUD) ‚Er ist auf-den Baum.‘ Also sindsch wägg vom hüüs und ubere ine groosse wald. (WSD) ‚Also sind sie weg vom Haus und rüber in einen grossen Wald.‘

Ellipsen werden als Äußerungen verstanden, deren fehlende Elemente durch den syntaktischen, semantischen oder gar den weiteren Weltwissenskontext kompensiert werden (Plewnia 2003: 40ff.). Fehlende Ergänzungen werden von den Rezipienten gleichsam automatisch hinzugefügt, in einem Satz wie (16) entscheidet also zum Beispiel der Kontext, um welche Bewohner (eines Hauses/Altersheims/etc.) es sich genau handelt. (16)

Die Bewohner waren entrüstet.

Die elliptischen Fügungen (7–10) stellen insofern für eine kompetenzorientierte grammatische Beschreibung kein Problem dar, als sie als performanzbedingte Phänomene gesehen werden können, also lediglich im Sinne der in Plewnia (2003: 31) diskutierten Definitionen vervollständigt werden müssen, um von den gängigen Theorien erklärt werden zu können.

Bewegung ohne Bewegungsverben

233

Schwieriger jedoch sind Fügungen des zweiten und dritten Typs (12–15). Die Kombination von Modalverben und Direktionalergänzungen wird in Abschnitt 4 behandelt. Für die mit Beispielen (14–16) illustrierten Fügungen von sein+Direktionalergänzung, die in diesem Beitrag im Zentrum stehen sollen, könnte man argumentieren, dass lediglich ein Partizip Perfekt, also der zweite Teil der Satzklammer, zu ergänzen wäre (vgl. Bsp. (3) oben). So argumentieren auch jene Dialektologen/Dialektologinnen, die das Phänomen beobachtet haben (v.g. z.B. der SSA im Kommentar zu Karte III/1.401, S. 2). Dagegen spricht jedoch, dass solche Fügungen im hier ausgewerteten Datenmaterial - und übrigens durchaus im Widerspruch zu meiner muttersprachlichen Intuition - auch in Kontexten vorkommen können, die klar im Präsens stehen: (17)

Der buob luegd hinnenache, z ischer abbe, isch zwar echli verärgered - z isch z glaas kchabut, aber der hund tued em z gsicht abschläcke - säisch, bisch wider guät? (MUD) ‚Der Junge schaut hintennach, jetzt ist er runter, ist zwar ein-bisschen verärgert - jetzt ist das Glas kaputt, aber der Hund tut ihm das Gesicht abschlecken - sag, bist du wieder gut?‘

Die zitierte Passage legt also nahe, dass hier die Fügung sein+runter nicht als elliptische Perfektform zu verstehen ist, denn der von der Ellipsenhypothese somit zwingend implizierte Tempuswechsel in ein Vergangenheitstempus wäre hier narrativ sehr inkonsistent. Unsere Sätze mit ‚fehlendem‘ Vollverb sind also zumindest nicht in jedem Fall elliptische Fügungen. Sie sind außerdem auch ohne Kontext vollumfänglich verständlich, es ist klar, dass auf die Bewegung einer Figur referiert wird. Es muss also nichts ergänzt werden, um die ausgedrückte Proposition zu vervollständigen. Klassische Ellipsendefinitionen sehen zudem vor, dass das Ausgelassene „im Wortlaut (nicht nur dem Sinn nach) eindeutig aus dem unmittelbaren sprachl. Kontext heraus rekonstruierbar ist.“ (Glück 1993: 161). Gerade die Rekonstruktion des Wortlautes jedoch ist im vorliegenden Fall problematisch, bleibt es doch unklar, welches Lexem denn genau zu ergänzen wäre – als Vervollständigungen kämen eine ganze Reihe von intransitiven Bewegungsverben in Frage (klettern, gehen, kriechen, etc.). Die Fügungen mit finiten Formen des Verbs sein und räumlich-direktionalen Ergänzungen sind in den schweizerdeutschen Mundarten morphosyntaktisch stark restringiert. Beispielsweise können keine Formen gebildet werden, in denen der finite Teil nicht im Präsens steht. Dies ist einerseits bereits im Verbalparadigma durch den oberdeutschen Präteritumschwund bedingt, es gibt also in den alemannischen Mundarten gar keine synthetische Präteritumform von sein. (18)

*Er war auf den Baum.

(keine Entsprechung wegen obdt. Präteritumschwund)

Während ein Satz wie (18) im Schweizerdeutschen gar nicht formulierbar ist, ist er in der Standardsprache nach meiner Intuition ungrammatisch. Vergangenheitsformen von sein sind in den alemannischen Mundarten nur analytisch bildbar. Die entsprechende Konstruktion mit direktionaler PP ist jedoch ungrammatisch (19). (19)

*Är isch uf de baum gsi. (*‚Er ist auf den Baum gewesen.‘)

234

Raphael Berthele

Formen mit Doppelperfekt (20), natürlich jetzt mit Partizip II des Bewegungsverbs, sind im Schweizerdeutschen gängig und grammatisch. Nach meiner Intuition denotieren sie eine perfektive Aktionsartkomponente (vgl. Abschnitt 5), während das einfache Perfekt bezüglich der Aktionsart nicht spezifiziert ist. (20)

Är isch uf de baum gchlätteret gsi. (‚Er ist auf den Baum geklettert gewesen.‘)

Da (20) möglich und geläufig ist, würde die Ellipsenhypothese logisch implizieren, dass auch (19) möglich sein muss. Angesichts der Unmöglichkeit von (19) liegt hier also ein starkes Argument gegen die Ellipsenhypothese vor. Fügungen mit der Futurform von sein (21) sind im Schweizerdeutschen wie in der Standardsprache klar ungrammatisch, solche mit werden und sein (vgl. 22) sind grammatisch, haben allerdings ausschließlich eine modal-hypothetische und keine rein temporale Lesart. (21) (22)

*Är wird uf de baum. (‚Er wird auf den Baum.‘) ?Är wird uf de Baum si. (‚Er wird auf den Baum sein.‘; nur in hypothetischer Lesart grammatisch)

Außerdem ist es nicht möglich, die Fügung (weder im Schweizerdeutschen noch in der Standardsprache) von sein+Direktionalergänzung im übertragenen, nicht-räumlichen Sinne zu verwenden: (23) (24)

*Ich bin in die Linguistenkarriere. (=Ich beginne eine Linguistenkarriere.) *Er ist aus der Bank-Laufbahn. (=Er verlässt die Bank-Laufbahn.)

Es scheint also eine Fügung vorzuliegen, die nur sehr beschränkt produktiv ist. Diese eingeschränkte Produktivität deutet darauf hin, dass ein gewisses Maß an Idiomatizität vorliegt, dass hier konstruktionsspezifische Einschränkungen der Kombinierbarkeit vorliegen. Zudem fragt sich angesichts des fehlenden Bewegungsverbs, wo denn das Konzept der Bewegung in Fügungen mit sein+Direktional überhaupt untergebracht ist, denn nur als Bewegungsverbsatz (wohl in der Regel zielimplizierend, also mit einer Profilierung des Resultatzustandes der Bewegung, siehe unten, Abschnitt 3), kann die Fügung verstanden werden. Und drittens stellt sich die Frage, wovon denn die Direktionalergänzung genau regiert wird bzw. abhängig ist, wenn lediglich sein als Kopf der VP fungiert. Genau solche Phänomene auf der syntaktischen und semantischen Ebene sind es, die in den verschiedenen verwandten Ansätzen der Konstruktionsgrammatik (vgl. zur Übersicht Croft/Cruse 2004: 257) ganz besondere Aufmerksamkeit genießen. Im Folgenden soll deshalb versucht werden, die Fügungen als Konstruktionen im Sinne Goldbergs (1995) zu verstehen: Constructions are taken to be the basic units of language. Phrasal patterns are considered constructions if something about their form or meaning is not strictly predictable from the properties of their component parts or from other constructions. (Goldberg 1995: 5)

Bewegung ohne Bewegungsverben

235

Dabei wird es wichtig sein, sie von sehr ähnlichen, aber weniger spezifischen Konstruktionen wie etwa der Kopulakonstruktion im engeren Sinne abzugrenzen.

3.

Ein Netzwerk von verwandten Konstruktionen

Fügungen wie in 25 (wiederholt das Beispiel (1)) gleichen sowohl stark den Kopulakonstruktionen im Allgemeinen als auch der statischen Lokalisierung wie in (26) im Speziellen. (25) (26)

Er ist auf den Baum. Er ist auf dem Baum.

Das einzige ausdrucksseitige Element, das den Satz (25) von Satz (26) unterscheidet, ist die Kasusmorphologie im Artikel: Nur an der Akkusativmarkierung in Satz (25) ist abzulesen, dass nicht die Ruhelage wie in (26) denotiert wird. Man könnte sich fragen, ob die Bewegungsbedeutung kompositionell vom Akkusativ beigesteuert wird, ist doch der Akkusativ auch historisch der Kasus, der das Ziel einer Handlung angibt (vgl. den Akkusativ der Richtung im Lateinischen). Dem Akkusativ hier neben der Zielbedeutung auch noch die Bewegungsbedeutung „aufzuladen“, ist in Anbetracht der durch solche Überlegungen losgetretenen „Polysemielawine“ für die Inhaltsseite von Kasusmarkierungen problematisch. Andererseits könnte man auch davon ausgehen, dass die Wechselpräpositionen je nach Kasus, den sie regieren, unterschiedliche Bedeutungen haben – etwa in Form eines Teilkonzeptes wie BECOME im Falle der deutschen Wechselpräpositionen+Akkusativ (vgl. Wunderlich/Lakämper 2001: 391). Der Kasus wäre dann so etwas wie eine Markierung dafür, welche der Bedeutungen der Präposition zu aktivieren ist. Ich ziehe es hier in der Tat vor, den Kasus als eine Art Suchanweisung zu verstehen, die den Suchbereich auf spezifische Weise einengt. Auch Behr/Quintin (1998: 102) gehen in ihrer Untersuchung von verblosen Sätzen davon aus, dass die Kasus nicht direkt selbst semantische Inhalte tragen, sondern „Orientierungsfunktion“ haben, also eine Art Anweisungen sind, um Bedeutungen aus dem Kontext zu übertragen. Im Sinne einer solchen Suchanweisung könnte man davon ausgehen, dass die in der PP mit Wechselpräposition und Akkusativ ausgedrückte Angabe des Grundes und die Zielgerichtetheit auf dieses Grundelement eine Bewegung der Figur „irgendwie“ impliziert. Die Leistung der Bewegungskonstruktion, so soll im Folgenden argumentiert werden, ist es, diesen vom Rezipienten bottom-up gesammelten Indizien für Bewegungssemantik (oder der Sprecherintention, eine solche auszudrücken) ein von der Konstruktion lizenziertes direktionales Argument zuzuordnen. Das in (26) angegebene Beispiel der statischen Lokalisierung kann als ein Vertreter der Klasse der Kopulakonstruktionen im engeren Sinne gesehen werden, also jener Konstruktionen, die durch ein fixiertes Verb, sein, und ein prädikatives Element gekennzeichnet sind. Kopulakonstruktionen sind typischerweise dadurch definiert, dass sie zwei Elemente, die Subjekts-NP und das Prädikativ, einander zuordnen oder gleichsetzen (Maienborn 2003: 19; vgl. auch Hentschel/Weydt 2003: 71). Ob das Verb in Lokalisierungsausdrücken wie

236

Raphael Berthele

(26) oder (27) tatsächlich den Kopulaverben3 zuzuordnen ist und nicht einfach ein Vollverb wie (28–30) ist, spielt für unseren Zusammenhang keine zentrale Rolle (besonders zur im folgenden diskutierten Semantik der Kopula-Konstruktionen siehe auch Geist 2006 und Mikkelsen in diesem Band). (27) (28) (29) (30)

Die Tasse ist auf dem Tisch. Die Tasse steht auf dem Tisch. Das Buch liegt auf dem Tisch. Der Junge sitzt auf dem Tisch.

In seiner kognitiven Grammatik nimmt Langacker (1990) semantische Unterscheidungen vor, die für die Analyse unserer Sätze nützlich sind. Mit Langacker (1990: 81) können wir die Semantik des Prädikativs als eine atemporale Relation beschreiben. Atemporal ist die Relation deshalb, weil sie nicht sequenziell, d.h. als sich über verschiedene Zeitschnitte erstreckend konzeptualisiert wird (siehe unten). Eine atemporale Relation besteht zwischen zwei Entitäten, und sie kann einfach oder komplex sein. Im Anschluss an Langackers Darstellungsweise kann man solche Relation wie in Abbildung 1a versinnbildlichen. In beiden Fällen wird die Relation als Ganzes konzeptualisiert, d.h. eben auch die komplexe atemporale Relation wird nicht sequenziell „gescannt“ sondern summarisch - sie wird mit anderen Worten holistisch konzeptualisiert. Im Gegensatz zu den atemporalen Relationen geht Langacker (1990: 83, Abbildung 2) davon aus, dass finite Verben und finite Sätze per definitionem Prozesse denotieren. Mit dem Begriff Prozess verweist Langacker dabei auf eine Abfolge von Zuständen einer bestimmten Relation, die sequentiell und nicht summarisch konzeptualisiert wird. In der Regel verändern sich diese Zustände relativ zueinander, sie müssen aber nicht, wie dies etwa in statischen Raumlokalisierungen (Beispiele (27– 30)) der Fall ist.

–––––––—–– 3

Es ist ohnehin nicht ganz unumstritten, inwiefern Kopulaverben eine separate Verbklasse bilden. Gewisse Grammatiken verzichten bekanntlich ganz auf das Ansetzen einer eigenen Kategorie Kopulaverben, so z.B. die Duden-Grammatik von 1998 (Eisenberg et al. 1998: 92), in der neuesten Überarbeitung (Eisenberg et al. 2005) erscheint die Kategorie der Kopulaverben wieder (S. 421), allerdings mit dem Zusatz „so genannt“.

Bewegung ohne Bewegungsverben

237

tr

tr lm

lm t (b)

(a)

Abbildung 1: einfache (a; z.B. der kleine Mann) und komplexe (b, z.B. Infinitiv kommen) atemporale Relation; tr: Trajector/Figur; lm: Landmark/Grund

tr lm t

Abbildung 2: Prozess (z.B. er kommt) In Abbildung 2 ist die Prozesshaftigkeit der mentalen Vorstellung durch den fett ausgezeichneten Abschnitt auf der Zeitachse symbolisiert. Wie jede dynamische Lokalergänzung entspricht die PP in (1), wenn wir Langackers Sichtweise folgen, einer atemporalen Relation, einer Relation also mit verschiedenen Zuständen, deren letzter das „Auf-dem-Baum-Sein“ der Figur darstellt. Dieser letzte Zustand

238

Raphael Berthele

wird mittels der eben beschriebenen „Ziel-Semantik“ des Akkusativs besonders hervorgehoben (profiliert). Die Relation wird jedoch, um in Langackers terminologischem Rahmen zu bleiben, summarisch gescannt und es liegt keine besondere Profilierung auf den sukzessiven Veränderungen in der Zeit. Eine solche wäre, wie gesagt, typisch für Verben oder für ganze Sätze.

tr lm t

Abbildung 3: Komplexe atemporale Relation mit Profil auf letztem Zustand (z.B. in der PP auf den Baum) Um die Konstruktion in (25) als syntaktisch und semantisch vollständig erklären zu können, ohne auf eine Erklärung via Ellipse zurückgreifen zu müssen, ist es also notwendig, zwei Dinge nachzuweisen: Erstens muss geklärt werden, welches Verb (oder genereller, welche syntaktische Einheit) die Präposition regiert, welche ihrerseits dann die Grund-NP regiert und ihr den Akkusativ zuweist, und zweitens muss geklärt werden, woher der Satz das oben beschriebene semantische Profil und seine Bewegungssemantik nimmt. Bevor wir diese Fragen mit Hilfe eines konstruktionsgrammatischen Ansatzes zu beantworten versuchen, ist es nützlich, eine weitere Konstruktion zu diskutieren, die ebenfalls zu den „Bewegungssätzen“ ohne Bewegungsverben gehört.

Bewegung ohne Bewegungsverben

4.

239

Modalverben

In Bspp. (4), (11) und (13) scheint ein Modalverb eine direktionale PP zu regieren. Konstruktionen, in denen auf diese Weise Modalverben mit anderen als den eigentlich zu erwartenden verbalen Ergänzungen auftreten, sind in den germanischen Sprachen weit verbreitet (van Riemsdijk 2002: 143).4 Solche Modalverbkonstruktionen eröffnen grundsätzlich zwei syntaktische Analysen: Entweder ist das Modalverb hier kein Modalverb mehr, sondern wird zum Vollverb, oder aber es gibt ein Vollverb im Satz, wenn auch ein phonologisch leeres. Van Riemsdijk (2002) kommt in seiner dem generativen Paradigma verpflichteten Analyse zum Schluss, dass die zweite Lösung der Fall sein muss. Seine Argumentation, die sich vor allem auf schweizerdeutsche Belege stützt, lautet in etwa folgendermaßen: In germanischen OV-Sprachen müssen die abhängigen XPs links von „ihren“ Verben stehen. Darum sind (31) und (32) in Ordnung, nicht aber (33). (31) (32) (33)

wil är usem glas het welle gumpe ‚weil er aus-dem Glas hat wollen springen‘ wil är het welle usem glas gumpe ‚weil er hat wollen aus-dem Glas springen‘ *wil är het welle gumpe usem glas ‚weil er hat wollen springen aus-dem Glas‘

Die so genannten „extrem-rechten Direktionale“ im Schweizerdeutschen widersprechen nun aber dieser Regel (vgl. Bsp. (34), das aus van Riemsdijk 2002: 149 entnommen ist). (34)

...das si nüme hät wele i d schuel ... ‚dass sie nicht-mehr hat wollen in die Schule‘

Dieser scheinbare Verstoß gegen die allgemeine Regel der Abfolge der Konstituenten in germanischen Sprachen kann nun erklärt werden, indem man annimmt, dass die PP i d schuel in Satz (34) eben nicht vom Modalverb wollen abhängig ist, sondern von einem phonologisch leeren Verb GAA (gehen), das man sich ergänzend zu Bsp. (34) hinzudenken kann (35): (35)

...das si nüme hät wele i d schuel GAA ... ‚dass sie nicht-mehr hat wollen in die Schule GEHEN‘

Van Riemsdijk geht also davon aus, dass in Konstruktionen ohne sichtbares Vollverb die Kombination eines Modalverbs mit einem phonologisch leeren GAA-Verb vorliegt. –––––––—–– 4

Van Riemsdijk nennt hier das Englische als Ausnahme, was wohl für das Standardenglische zutrifft (vgl. den komischen Effekt, den ein österreichischer Werbespot mit Hermann Maier und seinem Ausspruch I must to the bank erzielt). Doch sobald man Varietäten des Englischen mitberücksichtigt, sind vergleichbare Konstruktionen durchaus zu finden, z.B. I want out! im schottischen Englisch (Peter Trudgill, persönliche Mitteilung).

240

Raphael Berthele

Im Anschluss an das in Sätzen (11) und (13) gegebene Beispiel stellt sich die Frage, ob die Annahme eines phonologisch leeren GAA-Vollverbs wirklich immer angemessen ist. Ich habe an anderer Stelle argumentiert (Berthele 2006), dass es Gründe gegen eine solche Annahme gibt. Erstens ergibt eine Befragung von Muttersprachlern, dass solche Sätze mit extrem rechten Direktionalen entweder gar als völlig ungrammatisch, mindestens aber als „schlechte“ Mundart wahrgenommen werden, die befragten Muttersprachler bevorzugen klar Sätze des Typs (36), wo das Bewegungsverb offen ausgedrückt ist. (36)

...das är nüme häd welle id schuel ga

Diese Urteile von Muttersprachlern sprechen insofern gegen van Riemsdijks Annahme eines phonologisch leeren GAA, als er eben dieses phonologisch leere GAA nicht etwa als ein beim Sprechprozess entfallenes Element ansieht (im Gegensatz etwa zu Barbiers 1995, der von PF-deletion ausgeht), sondern als einen lexikalischen Eintrag ohne PF, und er müsste also Regeln angeben können, wann und warum das phonologisch leere GAA und wann das „normale“ ga (gehen) gewählt wird. Trotzdem hat m.E. die Grundidee van Riemsdijks, nämlich jene eines an der sprachlichen Oberfläche nicht manifestierten Bewegungsverbs, etwas für sich. Aus kognitiv-semantischer Sicht ziehe ich es jedoch vor, davon auszugehen, dass nicht unbedingt ein „unsichtbares“ Verb, sicher aber ein Bewegungskonzept angesetzt werden muss, ein Konzept, das eben in diesem Fall keinem Morphem des Syntagmas direkt zugeordnet werden kann. Als alternativer Ansatz soll hier wie bereits mehrmals angekündigt die Annahme einer Konstruktion im Sinne der Konstruktionsgrammatik (CG, Fillmore/Kay/O’Connor 1988 oder Goldberg 1995) vertreten werden.

5.

Ein konstruktionsgrammatischer Vorschlag

Im Folgenden wird versucht, sowohl die Fügungen mit Modalverben als funktionale Köpfe als auch jene mit sein+Direktional im Rahmen einer konstruktionsgrammatischen Analyse zu verstehen. Ein Satz mit sein+Direktional (vgl. Bsp. (1) und (26)) kombiniert die folgenden räumlich relevanten Informationen in seinen Bausteinen (in der Reihenfolge ihres Auftretens): Figur in der Subjekts-NP, Weg der Figur (AUF-Relation) in der Präposition, Akkusativ im mit der Präposition verschmolzenen Artikel, räumliches Grundobjekt in der von der Präposition regierten NP. Dass der Satz auf ein Bewegungsereignis referiert, muss aus der Kombination der Präposition mit einer NP im Akkusativ hergeleitet werden, denn auf kann sowohl Kopf statischer als auch dynamischer Raumergänzungen sein. Der Akkusativ in der PP ist dabei kein zwingendes Merkmal einer bewegungsverblosen Konstruktion, wie Beispiel (37) unten verdeutlicht.

Bewegung ohne Bewegungsverben (37) (38) (39)

241

Är isch zum baum. ‚Er ist zum Baum (=er ging/geht zum Baum).‘ Är wott zum baum. ‚Er will zum Baum.‘ Är isch de bärg duruuf. ‚Er ist den Berg durch-auf (=er ging/geht den Berg hinauf).‘

Entscheidend ist also vielmehr für die Bewegungslesart, dass die PP die Semantik der Zielgerichtetheit übermittelt, sei es durch die Kombination einer (Wechsel-)Präposition+NP im Akkusativ oder zu+NP im Dativ, und sogar ein adverbialer Akkusativ (39) ist nach meiner Einschätzung nicht ungrammatisch. Es wird nochmals ganz offensichtlich, was – neben dem sprachlich-situativen Kontext, in den die Äußerung eingebettet ist – die dynamische Lesart von solchen Sätzen gleichsam erzwingt: Es ist die Semantik des Adverbiales. In van Riemsdijks Sichtweise fungiert wie oben (Abschnitt 4) diskutiert zumindest in Fügungen des Typs (38) das Adverbiale als Ergänzung eines phonologisch leeren GAA-Verbs. In der Ellipsen-Sichtweise muss man sich in allen Fällen (37–39) das elidierte Vollverb hinzudenken, das dann erst eigentlich eine Valenzposition für eine Direktionalergänzung eröffnet. Aus einer konstruktionsgrammatischen Perspektive könnten wir nun für alle hier gezeigten Fälle argumentieren, dass die Konstruktion als Ganzes eine Stelle für die direktionale Ergänzung vorsieht – und dies wäre dann der Beitrag der Konstruktion, der aus keinem Lexikoneintrag eines der Einzelteile des Syntagmas hergeleitet werden kann. sem

Bewegung < Figur PRÄD

syn

V

Weg (+Grund)


>

SUBJ

direktionale Lokalergänzung

Abbildung 4: Die Bewegungskonstruktion (mit der Variable PRÄD, die für beliebige intransitive Bewegungsverben steht) Wie jede Konstruktion ist auch die Bewegungskonstruktion ein komplexes zweiseitiges Zeichen, das aus einer semantischen Seite (sem) und einer syntaktischen Seite (syn) besteht. Die semantische Seite umfasst die Vorstellung einer Bewegung und zwei mit ihr verbundene semantische Rollen, FIGUR und WEG. Diese semantische Zweiwertigkeit drückt sich auch auf der syntaktischen Seite der Konstruktion aus: Das erste syntaktische Argument ist die Subjekts-NP, das zweite eine direktionale Lokalergänzung, syntaktisch realisiert in Form einer PP, eines Richtungsadverbs oder eines adverbialen Akkusativs+Adverb. In Abbildung 4 steht die Abkürzung PRÄD für eine Variable, die wiederum die möglichen einsetzbaren Bewegungsverben repräsentiert; in Abbildung 5 ist das Bewegungsverb hüpfen als Beispiel eingesetzt.

242

Raphael Berthele

sem

Bewegung

< Figur

Weg (+Grund)

>

z.B.

HÜPFEN

< der Hüpfende

der durchhüpfte Weg

>

syn

V

SUBJ

direktionale Lokalergänzung

Abbildung 5: Die Bewegungskonstruktion mit eingesetztem Beispielverb; z.B. wie in „der Junge hüpft über den Rasen/zur Schule/etc.“ In Anlehnung an die Darstellung in Goldberg (1995) bedeuten durchgezogene Linien zwischen der sem- und der syn-Ebene, dass hier spezifische thematische Rollen (Goldberg spricht von participant roles) der Konstruktion obligatorisch mit thematischen Rollen der in die Konstruktion eingefüllten Verben „fusionieren“. Gestrichelte Linien werden dort eingesetzt, wo eine bestimmte Rolle von der Konstruktion beigetragen wird und nicht obligatorisch mit einer vom Verb eröffneten Argumentstelle zusammenfällt. Die direktionale Lokalergänzung wird also in der hier präsentierten Sichtweise von der Konstruktion eingeführt (oder „regiert“). Mit Goldberg können wir nun annehmen, dass Konstruktionen komplexe Netzwerke bilden, so genannte Polysemie-Netzwerke. Goldberg (1995: 75ff.) illustriert dies mit der englischen Ditransitive- und der Caused-Motion-Konstruktion. Mittels Polysemieverknüpfungen (Polysemy Links) können erweiterte Varianten der Konstruktion von der Grundkonstruktion abgeleitet werden. In unserem Fall könnte man sich vorstellen, dass die Konstruktion mit der Semantik BEWEGUNG, die in Abbildung 4 beschrieben wird, eine Ableitung MODALE BEWEGUNG hat, die wie in Abbildung 6 beschrieben werden kann. Wie in Goldberg (1995) wird auch hier die von der zentralen Konstruktion „geerbte“ Information kursiv gedruckt. sem

modale Bewegung PRÄD

syn

V

< Figur

Weg (+Grund)

< SUBJ

> >

direktionale Lokalergänzung

Abbildung 6: Die modale Bewegungskonstruktion Verben wie wollen, können, sollen, dürfen, müssen steuern in dieser Konstruktion einerseits jeweils ihre lexikalische Semantik der Modalität bei. Andererseits sind sie in ihrer finiten Form für das sequentielle Scannen der Relation verantwortlich, sie tragen also auch die Prozess-Komponente zur Satzbedeutung bei. Die eigentliche Bewegungssemantik wird jedoch von der Konstruktion und nicht vom Finitum oder von der Valenz oder Subkategorisierung des Modalverbs beigetragen. Die in Abbildung 6 dargestellte Konstruktion erbt somit sämtliche Eigenschaften der in Abbildung 4 dargestellten Bewegungs-Konstruktion, spezifiziert aber, dass die Bewegung modal „gebrochen“ ist, d.h. etwa im Fall von wollen, dass es nur eine beabsichtigte Bewegung sein kann. Das „Gewollte“ im semantischen Va-

Bewegung ohne Bewegungsverben

243

lenzrahmen des Verbs wollen fusioniert deshalb mit der direktionalen Lokalergänzung. Auch hier wird also das Konzept der Bewegung wie bei den sein+Direktional-Konstruktionen nicht vom Verb beigetragen, sondern es gehört zur Semantik der gesamten Konstruktion. Die Annahme einer Bewegungskonstruktion erlaubt es also auf einfache Weise, den Gebrauch von Modalverben mit Direktionalergänzungen zu verstehen. Im Folgenden soll erörtert werden, dass sie auch die Fügungen mit sein als „Bewegungsverb“ erklären hilft. Der Vorteil dieses Ansatzes ist, dass man dabei auf die problematische Ellipsentheorie oder van Riemsdijks phonologisch leeres Bewegungsverb nicht mehr angewiesen ist. (40)

Är isch ufe baum. ‚Er ist auf den Baum.‘

(MUD)

Dass solche Beispiele tatsächlich Bewegung codieren, wird auch daraus ersichtlich, dass sie mit temporalen Adverbialien modifiziert werden (41–42) können, und auch „Transportadverbiale“ (43) sind problemlos integrierbar (alle Beispiele sind Kompetenzbelege des Autors). (41) (42) (43)

Är isch schnäll/langsam i wald. ‚Er ist schnell/langsam in den Wald.‘ Si isch mit schnälle schritt is büro. ‚Sie ist mit schnellen Schritten ins Büro‘ Si isch mit em zug/mit em taxi is büro. ‚Sie ist mit dem Zug/mit dem Taxi ins Büro.‘

Wie Beispiel (41) zeigt, kann das beschriebene Ereignis mit einem die Dauer spezifizierenden temporalen Adverbiale modifiziert werden, was nochmals ein Indiz dafür ist, dass hier tatsächlich auf einen Prozess und nicht auf einen Zustand Bezug genommen wird. Gleichzeitig codiert die Konstruktion eine Aktionsartkomponente. Mit Langacker (1990: 5) können wir hier zwischen dem Profil und der Basis des (in diesem Falle räumlichen) Prädikats unterscheiden. Die Basis ist der zurückgelegte Weg, das Profil liegt aber auf einem ganz besonderen Teil des Weges, nämlich auf dem Ziel. Im Bewegungsereignis wird in diesen Konstruktionen also der Endzustand profiliert, jener Zustand, in dem die Figur das Ziel des Wegs erreicht hat. Die Fügungen mit sein+Direktional haben demnach eine perfektive semantische Komponente (vgl. Abbildung 7).

244

Raphael Berthele

tr lm t

Abbildung 7: Temporale Relation mit Profil auf dem letzten Zustand (z.B. sie ist in die Höhle) Möglicherweise lässt sich auch die Absentivkonstruktion (s.a. Vogel, in diesem Band, de Groot 2000) in das Netz der hier diskutierten Konstruktionen einbinden. Die Absentivkonstruktion ist nämlich ebenfalls mit einem Profil auf dem Endzustand der Bewegung ausgestattet. Sie ist semantisch aber insofern komplexer, als der letzte Zustand intern wiederum aus einer komplexen atemporalen Konstruktion besteht (vgl. Bsp. 44). (44)

Er ist essen.

Statt der Angabe des räumlichen Ziels der Bewegung in der sein+Direktional-Konstruktion wird in der Absentivkonstruktion ein Handlungsziel angegeben, wobei unspezifiziert bleibt, ob die Figur zum Zeitpunkt der Äußerung gerade dabei ist, diese Handlung zu verrichten, oder erst auf dem Weg zum Ort dieser Handlung bzw. schon wieder weg von diesem ist. Auch die Absentivkonstruktion impliziert, dass die Figur sich von der Quelle der Bewegung wegbewegt hat. Die Konstruktionen mit (vermeintlich) elidiertem Partizip II können somit neu, nämlich ohne den Rückgriff auf eine elliptische Interpretation analysiert werden. Es liegt hier ebenfalls eine Variante der Bewegungsverbkonstruktion (Abbildung 4) vor. In Abbildung 8 wird diese Variante analog der modalen Bewegungskonstruktion dargestellt. Wiederum werden sämtliche Eigenschaften der Mutterkonstruktion geerbt, inklusive der Semantik, die jedoch bezüglich ihrer Aktionsart spezifiziert wird: Die Bewegung ist bei dieser Konstruktion perfektiv und der Endzustand der Bewegung ist profiliert. Da nur ein einziges Verb (sein) die Verbstelle besetzen kann, liegt hier nach Goldberg (1995: 79) nicht ein Polysemielink vor, sondern lediglich ein besonderer Fall der Bewegungsverbkonstruktion (Goldberg spricht in solchen Fällen von instance link).

Bewegung ohne Bewegungsverben

sem

Bewegung < Figur SEIN

syn

< das „Seiende“

V

SUBJ

245 Weg (+Grund)

>

„Prädikativ“

>

direktionale Lokalergänzung

Abbildung 8: Die Bewegungskonstruktion mit sein Das Verb sein eröffnet zwei syn-sem-Stellen, beide mit extrem schematischem Inhalt: Einerseits handelt es sich um das „Seiende“, andererseits um etwas, was ich in Abbildung 8 versuchsweise „Prädikativ“ genannt habe. Es handelt sich um dasjenige Merkmal, das im Prädikat der Subjekts-NP zugeordnet wird. Damit nehme ich bewusst die Begrifflichkeiten auf, die im Falle eines Gebrauchs von sein als Kopulaverb angemessen wären (vgl. Bsp. (45); Hentschel/Weydt 2003: 71f.). (45)

Er ist krank.

Auch die Verwendung von sein als Vollverb in statischen Lokalisierungsausdrücken kann hier zum Vergleich herangezogen werden, denn auch in Sätzen wie (46) wird dem Subjekt etwas zugeordnet, nämlich ein Ort: (46)

Der Frosch ist im Glas.

Wenn die „Zuordnungs-Semantik“ des Voll- oder Kopulaverbs sein mit der Bewegungsverbkonstruktion (Abbildung 4) fusioniert, dann wird einerseits alles, was in letzterer angelegt ist, ausgedrückt, und zusätzlich trägt das Verb sein die für eine temporale Relation notwendige PROZESS-Semantik (vgl. Abschnitt 3) bei. Sätze wie (40) haben wie oben gezeigt eine dynamische Bedeutung und bedeuten mehr als lediglich das für Kopula-Prädikativ typische Zuordnen des Prädikativs zum Subjekt. Genau dieses Mehr an Information, bzw. die genaue Art der Integration der verschiedenen Konzepte (Figur, Weg, Prozess) wird in der Bewegungsverbkonstruktion gespeichert, definiert und von ihr beigetragen. Van Riemsdijks (2002) Annahme eines phonologisch leeren leichten Verbs GAA, zu der er aufgrund seiner Analyse im generativen Rahmen kommt, entspricht in einem CG-Ansatz gewissermaßen die Zuordnung der Semantik BEWEGUNG zum formal-syntaktischen Muster (syn-Ebene). Die Modalverben bringen in diese Konstruktion gewisse ihrer Grundcharakteristika mit ein, also im Falle von wollen etwa, dass syntaktisch-semantische Stellen für eine wollende Instanz und das Gewollte eröffnet werden. Im Unterschied zum kanonischen Gebrauch der Modalverben entsteht durch die Fusion der von der Verbvalenz vorgesehenen Stelle des Gewollten mit dem von der Bewegungskonstruktion geerbten Weg-Slot eine neue Kombinationsmöglichkeit, nämlich jene von Modalverb und direktionaler Lokalergänzung (im Gegensatz zur kanonischen Subkategorisierung der Modalverben für Vollverb-Infinitive). Ein weiteres, letztes Argument zugunsten der Annahme einer Bewegungskonstruktion sei hier angebracht. In ihrer Studie zur Semantik der Bewegungsverben schlagen Levelt/Schreuder/Hoenkamp (1976) verschiedene Tests zur Bestimmung der Semantik von

246

Raphael Berthele

Bewegungsverben vor. Es wird unter anderem auch vorgeschlagen, man könne das Vorhandensein einer semantischen Komponente ORTSVERÄNDERUNG durch den „über“Test ermitteln: Verben, die eine solche (nicht unbedingt dimensional oder topologisch spezifizierte) Ortsveränderung5 codieren, müssen in Konstruktionen verwendbar sein, die nicht nur einen Ausgangs- und Zielort, sondern auch einen intermediären Ort angeben, nach dem Muster: (47)

sie V-ten über NP / sie krochen über den Rasen

Im Gegensatz hierzu sind Bewegungsverben ohne Ortsveränderungssemantik in solchen Konstruktionen nicht möglich: (48)

*Sie zitterten über den Rasen.

In den vorhergegangenen Abschnitten wurde bislang immer zugunsten der Annahme einer Bewegungsverbkonstruktion argumentiert, weil sich in den untersuchten Daten Sätze finden, deren Finita offensichtlich keinerlei Bewegungssemantik tragen. Wenn die Annahme einer solchen Bewegungskonstruktion korrekt ist, so müssten wir erwarten, dass sie nicht nur die „bewegungssemantisch“ völlig leeren Verben wie sein und wollen „einzubürgern“ vermag, sondern dass sie auch die Möglichkeit schafft, eine über-PP mit einem Verb wie zittern zu verbinden. Wenn wir entsprechende Suchabfragen in größeren Korpora durchführen, finden sich tatsächlich zahlreiche Kombinationen, die gemäss Levelt/Schreuder/ Hoenkamp (1976) nicht vorkommen dürften. Stellvertretend für die in allen größeren Online-Korpora leicht zu findenden Gegenbelege seien hier Bspp. (49) und (50) zitiert.6 (49) (50)

Mit einem einzigen Hieb trennte er eines der langen Beine ab. Zuckend fiel dieses nieder und zitterte über den Boden. Simons Hand zitterte über die kühle Mauer neben ihm.

Solche Gegenbelege können als Hinweis darauf gedeutet werden, dass die Bewegungskonstruktion eine Vielzahl von Verben in die Finitumstelle integrieren kann. Gerade auf dieser Möglichkeit basiert Talmys (z.B. 2000: 222) grundlegende These, dass die Verbstelle in Sprachen wie dem Deutschen oder Englischen für eine Vielzahl von so genannten Co-Ereignissen zur Verfügung steht, d.h. für den Ausdruck der genaueren Umstände oder der Ursache der Bewegung.7 –––––––—–– 5

6 7

Mit Ortsveränderung ist in Levelt et al. (1976) offensichtlich nicht genau dasselbe gemeint wie mit Weg: Erstere schliesst wie gezeigt Artverben wie kriechen mit ein, die lediglich implizieren, dass die Figur sich irgendwohin bewegt. Allerdings setzt Wegsemantik sicherlich immer Ortsveränderung voraus. Die Beispiele wurden durch eine Suche in google.com mit der Phrase „zitterte über“ ermittelt. Talmy (2000) spricht von satellite-framed languages, im Gegensatz zu verb-framed languages wie dem Spanischen oder Französischen, die kanonischerweise bereits Wegsemantik im Verb ausdrücken und damit an der Stelle des Finitums keine zusätzlichen, sekundären Angaben zur Art der Bewegung machen können. Vgl. hierzu grundlegend Slobin (1996a) oder (2004), aber auch Berthele (2004a) und (2006).

Bewegung ohne Bewegungsverben

247

Die Annahme einer Bewegungskonstruktion, die hier vorgeschlagen wird, hat den Nachteil, dass keine formale Theorie vorliegt, die spezifiziert oder voraussagt, welche Verben denn in die Konstruktion eintreten können und welche nicht. Diesbezüglich hat van Riemsdijks (2002) Ansatz den Vorteil, dass genaue Lizenzierungsbedingungen für das phonologisch leere GO-Verb angegeben werden können. Diese Bedingungen werden allerdings in Marušič & Žaucer (2005) aufgrund einer Analyse des Slowenischen angezweifelt. Die Frage stellt sich trotzdem für den konstruktionsgrammatischen Ansatz, wie die Theorie erklären kann, dass die Bewegungskonstruktion nur in ganz bestimmten Kontexten auftritt, bzw. wieso nur ganz bestimmte Verben in die Konstruktion integriert werden, Verben wie werden oder bleiben (vgl. die Beispiele (53) und (54) unten) aber nicht. Ich würde hier über die Semantik der Verben sowie der Konstruktion argumentieren: Verben können dann die Verbstelle der Konstruktion besetzen, (a)

(b)

(c)

(d)

wenn sie entweder direkt selber die Bewegung spezifizieren: d.h. alle Bewegungsverben i.e.S., wo das Figur-Konzept der Konstruktion mit der Figur des Bewegungsverbs problemlos fusionieren kann, wenn sie ein – z.B. auch akustisches – Co-Ereignis der Bewegung angeben: z.B. in die Gänse schnattern aus dem Gehege, wo also das Agens des (hier akustischen) Co-Ereignis-Verbs mit der Figur der Konstruktion fusioniert, wenn sie „modale Rahmenbedingungen“ der Bewegung ausdrücken: z.B. er darf jetzt wieder aus dem Bett, wo die Figur mit dem Dürfenden, Wollenden, etc. fusioniert, wenn sie semantisch so leicht sind, dass sie nur noch maximal schematische Konzepte wie ZUORDNEN oder zumindest PROZESS (vgl. die Ausführungen in Abschnitt 1 und 3) denotieren: er ist auf den Baum.

Sätze wie (51–55) sind von der Bewegungsverbkonstruktion nicht lizenziert, da die Verben (oder, im Falle von (51), die mehrteiligen Prädikate) semantisch das Konzept STASE (mit-)codieren und damit nicht kompatibel sind mit dem direktionalen Konzept in der Argumentstelle der Konstruktion. Ein Satz wie (55) dagegen enthält zwar ein Bewegungskonzept im Verb, allerdings keines, das mit einem direktionalen Argument der Bewegungskonstruktion fusioniert, da gar keine solche Konstruktion vorliegt: Der Satz denotiert auf der Makroebene eben nicht Bewegung, sondern das Sich-Aufhalten der Figur in einem bestimmten Raum (vgl. Talmys 2000: 228 Begriff der „self-contained motion“). (51) (52) (53) (54) (55)

*Er will in die Stadt sein. *Er wohnt in die Stadt. *Er bleibt auf den Baum. *Er wird auf den Baum. Er geht im Wald.

Das Verb werden, das zwar fast prototypisch das BECOME-Konzept einschliesst (vgl. die Diskussion in Abschnitt 3), kann vermutlich deshalb nicht in die Konstruktion eintreten, weil es selbst schon für andere Konstruktionen reserviert ist, etwa die Passiv- und „Zustandsänderungs“-Konstruktion (wie in sie wird rot). Erkannt wird die Bewegungskonstruktion rezeptiv wohl an möglichen Kandidaten für ein Weg-Argument der Konstruktion. Diese Kompatibilität ist im Deutschen oft durch den Akkusativ der Präpositionalphrase mit Wechselpräposition markiert, er kann aber auch in

248

Raphael Berthele

der direktionalen Semantik eines Adverbs (z.B. rein, raus, etc.) oder einer Präpositionalphrase mit Dativ (zum Bahnhof) angelegt sein. Genau dann, wenn ein Verb mit einer direktionalen Semantik kompatibel ist und mit einem solchen Kandidaten für ein Weg-Argument zusammen auftritt, liegt eine Instanz der Bewegungskonstruktion vor.

6.

Sein als Bewegungsverb: Eine Korpusanalyse

Gemäß dem führenden Ansatz in der Bewegungsverbtypologie (Talmy 2000, Slobin 2004) zeichnet sich das Deutsche ganz wie das Englische und viele andere westeuropäische Sprachen durch einen großen Reichtum an so genannten Manner-Verbs aus, d.h. Bewegungsverben, die die Art und Weise der Bewegung spezifizieren. Eine vergleichende Studie der Raumreferenz in deutschen und romanischen Varietäten (vgl. Berthele 2004a und 2006) hat jedoch ergeben, dass besonders kleinere, alpine Mundarten, in unserer Stichprobe prototypisch jene des Muotathals in der Zentralschweiz, in konsistenter und signifikanter Weise Abweichungen von standardsprachlichen Mustern zeigen, obwohl diese im Bereich der relevanten strukturellen Merkmale mit der Standardsprache identisch sind. Für unseren Zusammenhang ist hier namentlich die Tendenz zu signifikant kleineren Verbrepertoires im Bereich der Bewegungsverben zu nennen (messbar über die Type-Token-Ratio für das Verb-Lexikon der Froschgeschichten), eine Tendenz, die einhergeht mit einem fast schon monotonen Gebrauch des generischen Bewegungsverbs ga (gehen) sowie natürlich eben der hier behandelten Präferenz für Konstruktionen ohne eigentliches Bewegungsverb. Die Konstruktionen mit sein als „Bewegungsverb“ bilden also gleichsam den „entleerten“ Extrempunkt auf einer angenommenen Skala der semantischen Abwertung der Stelle des Bewegungsverbs, da sein eben neben den grammatischen Bedeutungen lediglich Talmys AKTIVIERUNGSPROZESS trägt, während alle restlichen Bestandteile der konzeptuellen Ebene – wenn überhaupt – in der Konstruktion bzw. in den Verbschwester-Konstituenten ausgedrückt werden. Zuletzt soll hier noch auf die Verwendung von sein+Direktional in der Standardsprache eingegangen werden. Eine Suche im COSMAS II-Korpus8 für Sätze mit einer finiten Form von sein und – im maximalen Abstand von 3 Wörtern – hinauf liefert für diese Behauptung der Dialektalität solcher Konstruktionen zusätzliche Evidenz.9 Die Abfrage ergibt insge–––––––—–– 8 9

Es wurden am 16. Dezember 2003 alle Korpora der geschriebenen Sprache in COSMAS II abgefragt. Suchen für andere Adverbien (hinein, hinaus, etc.) ergeben analoge Bilder, die jedoch aus Platzund Zeitgründen hier nicht systematisch ausgewertet werden sollen. Die Auswertung ist zeitraubend, da alle Belege mit einer Verbform von sein und den entsprechenden Adverbien zuerst auf die Präsenz eines Part. II und auf andere hier nichtintendierte Konstruktionen abgesucht werden müssen. Bei einer Gesamtzahl von Belegen von 3335 für die Kombination von sein + {hinauf, hinunter, hinab, hinaus, hinein} wurde von einer solchen Auswertung aller Adverbien abgesehen und einzig die Kombination von sein + hinauf im Detail untersucht. Suchstring: &sein /+w3 hinauf; und nicht: &sein /+w3 hinauf oder hinaus oder hinein oder hinab oder hinunter

Bewegung ohne Bewegungsverben

249

samt 6 Belege, die der hier diskutierten sein+Direktional-Konstruktion entsprechen. Alle Beispiele stammen aus österreichischen Zeitungen, und alle Belege sind aus Passagen mit direkter Rede von der Art des in Bsp. 56 Wiedergegebenen: (56)

Da kam zufällig der Arbeiter Werner Aldrian (35) aus St. Andrä/Höch vorbei und zögerte keine Sekunde: „Ich bin die Leiter hinauf und hab` die Kinder geborgen, erst das Mädchen, dann den Buben.“ (Neue Kronen-Zeitung, 03.12.1994)

Für die ausschließlich österreichische Provenienz der Belege habe ich hier keine abschließende Erklärung. Sie legt aber zweifellos den Schluss nahe, dass die Konstruktion im Oberdeutschen lebendig ist und zumindest in Österreich bis in gewisse Gebrauchsweisen der geschriebenen Standardsprache hineinreicht. In der Schweiz wird die Konstruktion möglicherweise als so dialektal wahrgenommen, dass sie im „muttersprachlichen“ Deutschunterricht in der Schule sanktioniert wird und auch in der Journalistenprosa nicht einmal mehr in der Wiedergabe direkter Rede angemessen scheint. Keine Zweifel bestehen bezüglich der Zuordnung der Konstruktion zur gesprochenen Sprache, was sie zweifellos wieder in die Nähe der vorwiegend gesprochenen alemannischen Varietäten der deutschen Schweiz rückt.

7.

Schlussdiskussion

In der Bewegungsverbforschung ist bis anhin relativ unbestritten, dass Sprachen wie das Deutsche (in Talmys 2000 Terminologie satellite-framed languages) ihre Verbstelle mit einer Vielzahl von Verben besetzen, die die Art der Bewegung spezifizieren. Das Bewegungsverblexikon in den betreffenden Sprachen wird dadurch massiv ausgebaut, ist größer und macht feinere Unterscheidungen als das entsprechende Lexikon in Sprachen, die die Verbstelle kanonischerweise für die Angabe des Wegs benutzen. In der einschlägigen Literatur (etwa Talmy 2000: 216f.) wird dabei davon ausgegangen, dass die Verbstelle von satellite-framed languages eine Art Sogwirkung ausübt, die den Ausdruck der Art der Bewegung geradezu erzwingt. Auf diesem Automatismus basiert insbesondere auch Slobins (1996b) neo-relativistische Idee des thinking for speaking, die argumentiert, dass Sprecher und Sprecherinnen etwa des Englischen oder Deutschen Bewegungsereignisse mit mehr Art der Bewegung konzeptualisieren, weil ihre Sprachen sie daran systematisch gewöhnt haben. Wenn diese Postulate auch auf die meisten bisher untersuchten Standardsprachen des Typs satellite-framed zuzutreffen scheinen, ergibt sich doch ein völlig anderes Bild, sobald man Dialektdaten mit in die Untersuchung einbezieht. Wie in Abschnitt 2 gezeigt und in Berthele (2004a und 2006) ausführlich nachgewiesen, verhalten sich gewisse syntaktisch identisch strukturierte alemannische Varietäten markant anders als die deutsche Standardsprache. Sie zeichnen sich insgesamt durch ein – im Vergleich mit der deutschen, aber auch mit der französischen Standardsprache – relativ kleines benutztes Inventar von Bewegungsverben aus, sie besetzen die für den Ausdruck von Art und Weise freie Verbstelle vorzugsweise mit semantisch relativ leichten Verben. Dies ist, im Fall des Muotathaler Dialekts, sogar durchaus der Normalfall und nicht wie in Talmy 2000: 285 beschrieben eine

250

Raphael Berthele

okkasionell angewandte Alternativstrategie. Die in diesem Beitrag zentrale Konstruktion von sein+Direktional ist der Endpunkt auf der Skala der semantischen Entleerung der Verbstelle, und auch diese Konstruktion ist charakteristisch für die genannten Dialekte. In den in Abschnitt 6 gemachten Bemerkungen zu den Frequenzen der Konstruktion wurde argumentiert, dass der Gebrauch von semantisch leichten bis sehr leichten Finita ein Merkmal der Mündlichkeit zu sein scheint. In der Tat zeigen unterschiedlichste Forschungen zu konzeptioneller Mündlichkeit und Schriftlichkeit (etwa Koch/Oesterreicher 1985) oder zum sog. pragmatischen vs. syntaktischen Modus (Givón 1979), dass vergleichsweise kleine Repertoires für das Lexikon der offenen Wortklassen von prioritär mündlich gebrauchten Varietäten typisch sind.10 Es wäre deshalb abzuklären, inwiefern sich ähnliche Abweichungen vom ‚Standard-Muster‘ des Deutschen als satellite-framed language auch in anderen Varietäten auf dem Kontinuum zwischen Standard und Basisdialekten nachweisen lassen. Die hier vorgeschlagene konstruktionsgrammatische Analyse hat gegenüber den konkurrierenden Theorien den Vorteil, dass auf phonologisch leere syntaktische Elemente oder auf das für gewisse Fälle problematische Ansetzen von Ellipsen verzichtet werden kann. Sie erlaubt es zudem, benachbarte Konstruktionen wie jene mit Modalverb+Direktional auf einfache Weise herzuleiten. Zwei Aspekte der Bewegungsverbtypologie bedürfen ausgehend von den hier präsentierten Analysen der Revision: Erstens zeigt sie deutlich, dass es keinen Zwang zur Spezifizierung der Art und Weise der Bewegung gibt, dass es den Sprecherinnen und Sprechern also freisteht, sie unter Umständen lediglich dann zu leisten, wenn sie im Interaktionszusammenhang wirklich „nennenswert“ oder für die jeweilige Varietät charakteristisch ist. Zweitens, und viel grundlegender, zeigt sich, dass es nicht einmal nötig ist, ein Bewegungsverb in den Satz zu integrieren, da die Bewegungssemantik wie gezeigt gar nicht vom Bewegungsverb beigesteuert wird, sondern der Konstruktion inhärent ist.

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–––––––—–– 10

Sicherlich muss man mit solchen sehr pauschalen Charakterisierungen sehr vorsichtig sein, insbesondere auch deshalb, weil gewisse für die jeweilige Varietät zentrale Gegenstandsbereiche im Gegenteil durch ein extrem reiches Lexikon gekennzeichnet sein können (vgl. hierzu die ausführliche Diskussion dieses Faktors in Berthele 2006).

Bewegung ohne Bewegungsverben

251

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252

Raphael Berthele

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Petra M. Vogel

Anna ist essen! Neue Überlegungen zum Absentiv1

1.

Einleitung

In seinem Artikel „The absentive“ von 2000 bezeichnet de Groot Fügungen vom Typ Anna ist essen! als grammatische Kategorie des Absentivs. Der Absentiv zeichnet sich durch die folgenden Eigenschaften aus: i.

Morphosyntax a) Es liegt das Verb sein sowie ein weiteres Handlungsverb vor, wobei das Subjekt in jedem Fall mit sein kongruiert. b) Es dürfen nicht obligatorisch Elemente wie weg, (weg)gegangen und Ähnliches vorkommen, die auf lexikalischer Ebene Abwesenheit signalisieren.

ii.

Semantik a) Die im Subjekt kodierte Person X hat sich vom Ausgangsort als dem deiktischen Zentrum entfernt und ist abwesend, d. h. auch nicht in Sichtweite. b) Grund der Abwesenheit von X ist eine im Handlungsverb kodierte Tätigkeit an einem anderen Ort. c) Grundsätzlich wird angenommen, dass X nach einer der Tätigkeit angemessenen zeitlichen Abwesenheit wieder zurückkehrt. d) Diese Tätigkeit wird von X regelmäßig durchgeführt (z. B. als Hobby).

Eine besonders häufig vorkommende Situation für die Verwendung des Absentivs ist ein Austausch folgender Art an der Tür oder am Telefon (de Groot 2000: 695): (1)

A: Péterrel szeretnék beszélni. Peter:COM[ITATIVE] like:COND:1SG speak:INF ‚I would like to speak with Peter.‘ B: De hiszen úszni van. well swim:INF is ‚Well, he is off swimming.‘

Ungarisch

Ein weiterer typischer Kontext ist die mündliche oder schriftliche Mitteilung, dass und warum man (demnächst) abwesend ist (ebd.).

–––––––—–– 1

An dieser Stelle möchte ich mich bei allen (insbesondere auch den Herausgebern), die zu diesem Artikel beigetragen haben, für ihre Kommentare, Hinweise und Verbesserungsvorschläge bedanken.

Petra M. Vogel

254 (2)

We zijn lunchen. we are have_lunch:INF ‚We are off having lunch.‘

Niederländisch

Vergleiche ein funktional ähnliches Beispiel aus dem Deutschen (Krause 2002: 26): (3)

- andrea - andrea is was essen (Arzthelferinnen in bezug auf ihre Kollegin; [...])

Deutsch

De Groot (2000: 695f.) geht von 8 europäischen Sprachen aus,2 die einen Absentiv im Sinne seiner Definition aufweisen, nämlich Deutsch, Finnisch, Friesisch, Italienisch, Niederländisch, Norwegisch, Schwedisch und Ungarisch; Ebert (2000: 635) nennt zusätzlich Faröisch. In die Grammatiken der jeweiligen Einzelsprachen hat der Absentiv allerdings noch kaum Eingang gefunden. De Groot (2000: 718) erklärt dies damit, dass es sich um eine „newly discoverded grammatical category“ handelt; ein anderer Grund mag jedoch darin liegen, dass die Konstruktion im Allgemeinen der gesprochenen bzw. der Umgangssprache angehört. Auch an Einzeluntersuchungen der jeweiligen Gegenwartssprachen fehlt es weitgehend; zu nennen sind hier aber zum Niederländischen de Groot (1995a), zum Schwedischen Ekberg (1993), zum Tschechischen bereits Dokulil (1949)3 sowie zum Ungarischen de Groot (1995b). Auch Krause (2002) bezieht bei seiner empirischen Untersuchung des Progressivs im Deutschen den Absentiv mit ein.4 Der vorliegende Artikel ist folgendermaßen aufgebaut: Abschnitt 2 widmet sich den insgesamt 9 bei de Groot und Ebert genannten europäischen Absentivsprachen, wobei in 2.1 gezeigt wird, dass sie sich in drei Strukturtypen einteilen lassen. Anschließend daran werden in 2.2 zwei gängige Erklärungen für die Konstruktionsweise des Absentivs untersucht und eine dritte vorgestellt, die für alle Absentive gleichermaßen Gültigkeit beanspruchen kann. Im Zusammenhang damit wird auch diskutiert, ob es sich beim absentivischen sein um ein Kopula-, Hilfs- oder Vollverb handelt. 2.3 geht schließlich auf Ersatzfügungen und ihr Verhältnis zum Absentiv ein. Abschnitt 3 zeigt, basierend auf den in Abschnitt 2 gewonnenen Ergebnissen, dass es innerhalb Europas noch mehr Absentivsprachen gibt und welche das sind. Abschnitt 4 stellt schließlich einen Exkurs zum Deutschen dar, wobei in 4.1 auf der Grundlage von Krause (2002) der Absentiv in der deutschen Gegenwartssprache im Überblick dargestellt wird. 4.2 behandelt Besonderheiten des Absentivs in der deutschen Dialektlandschaft, während 4.3 die historischen Ursprünge untersucht. Abschnitt 5 fasst die Ergebnisse abschließend zusammen.

–––––––—–– 2 3 4

Da der Absentiv von de Groot im Rahmen des EUROTYP-Projekts „entdeckt“ wurde, sind bisher nur europäische Sprachen daraufhin untersucht. Für diesen Hinweis danke ich Tilman Berger. Vergleiche dazu auch den entsprechenden Verweis in der Duden-Grammatik (2005: 434).

„Anna ist essen!“ Neue Überlegungen zum Absentiv

2.

Absentivsprachen bei de Groot und Ebert

2.1.

Absentivstrukturtypen

255

Betrachtet man die Absentivkonstruktionen in den 9 von de Groot und Ebert genannten europäischen Sprachen in morphosyntaktischer Hinsicht genauer, so zeigt sich, dass sie sich nicht, wie von de Groot (2000: 695f.) vorgeschlagen, in fünf, sondern sogar nur in drei Gruppen einteilen lassen: 1. sein mit reinem Infinitiv, 2. sein mit markiertem Infinitiv, 3. sein mit Infinitiversatzkonstruktion. Als Gemeinsamkeit für alle Absentivkonstruktionen kristallisiert sich damit zum einen das Verb sein heraus, zum anderen aber auch die Tatsache, dass die jeweiligen Handlungsverbkonstruktionen alle etwas mit „Infinitheit“ zu tun haben. 1.

Mit dem reinen Infinitiv steht der Absentiv im Deutschen, Niederländischen und Ungarischen.

(4)

a. Jan ist boxen. b. Jan is boksen. Jan ist boxen:INF c. János boxolni van. János boxen:INF ist

Deutsch (de Groot 2000: 696) Niederländisch (ebd. 695) Ungarisch (ebd. 696)

2.

Durch ein zusätzliches Element wird der Infinitiv im Finnischen, Friesischen und Italienischen markiert. Während in den indoeuropäischen Sprachen die Infinitivpartikel zu vorliegt, ist es im Finnischen ein Inessiv-Kasuselement. Für alle drei Sprachen ist außerdem zu beachten, dass es sich bei dem Handlungsverb sowohl um die Verwendung als Verbalnomen wie auch um die als verbaler Infinitiv handeln könnte (letzteres, da in allen drei Sprachen Verbergänzungen möglich sind). Ich folge hier de Groot, der die Konstruktion als Absentiv einordnet und damit von einem verbalen Infinitiv ausgeht.

(5)

a. Jussi on nykkeile-mä-ssä. ist boxen-INF-INESS b. Jan as tu boksin. ist zu boxen:INF c. Gianni è a boxare. ist zu boxen:INF

3.

Finnisch (de Groot 2000: 696) Friesisch (hier: Fering) (ebd.)5 Italienisch (ebd.)

In einer dritten Gruppe schließlich liegen mit dem zu sein gehörigen Subjekt referenzidentische finite Handlungsverbkonstruktionen vor, die auch als Infinitiversatzstrategien6 bezeichnet werden, weshalb ich allgemein von Infinitiversatz(konstruktionen) spreche. Parallel zur „Pseudokoordination“ im Schwedischen (vgl. z. B. Teleman / Hellberg / Andersson 1999: 905) kann man diesen Terminus auch auf die Verhältnisse im Faröischen und Norwegischen anwenden. Das heißt, auf die mit dem Subjekt kongruierende

–––––––—–– 5 6

De Groot (2000: 718, Fußnote 3) weist jedoch darauf hin, dass dieser Absentiv nicht nur im Fering (auf Föhr gesprochene Variante des Friesischen), sondern in allen friesischen Varianten existiert. Zu Infinitiversatzstrategien i. Allg. siehe z. B. Mayerthaler / Fliedl / Winkler (1995: 213 – 216).

Petra M. Vogel

256

Form von sein folgt die Konjunktion und sowie die ebenfalls mit dem Subjekt kongruierende Form des entsprechenden Handlungsverbs. (6)

2.2.

a. Jan er og boksar. ist und boxt:PRS b. Jan er og boksar. ist und boxt:PRS c. John är och boxar. ist und boxt:PRS

Faröisch7 Norwegisch (de Groot 2000: 696)8 Schwedisch (ebd.)

Absentiverklärungen

Speziell für Deutsch und Italienisch wird häufig davon ausgegangen, dass es sich beim Absentiv um die elliptische Variante einer „Langform“ sein + Partizip Perfekt von gehen handelt, bei der das Partizip Perfekt weggefallen ist, z. B.: dt. er ist schwimmen (gegangen), ital. è (andato) a mangiare (vgl. Bertinetto / Ebert / de Groot 2000: 542). Das ist im Prinzip auch für Finnisch, Friesisch und Niederländisch möglich, da sie ebenfalls mindestens ein Vergangenheitstempus mit sein + Partizip Perfekt von gehen aufweisen. Dieser Typus von „elliptischer“ Interpretation kann aber nicht für Ungarisch sowie die skandinavischen Sprachen Faröisch, Norwegisch und Schwedisch gelten. Was das Ungarische angeht, so gibt und gab es dort überhaupt kein mit kongruierendem sein zusammengesetztes Vergangenheitstempus (vgl. z. B. Kenesei / Vago / Fenyvesi 1998: 294 – 297).9 Dagegen können im Faröischen sowie regional beschränkt auch im Norwegischen und Schwedischen10 Perfekt und Plusquamperfekt von gehen zwar mit sein gebildet werden, eine elliptische Interpretation scheint aber nicht möglich. Ein Absentiv wie schwedisch John är och boxar würde dann nämlich eine „Vollform“ wie John är gangen ut och boxar voraussetzen, ein solcher Satz mit der Tempuskombination Perfekt (är gangen ut) und Präsens (boxar) ist jedoch ungrammatisch. Die Schwierigkeiten im Skandinavischen sind möglicherweise auch der Grund dafür, warum einige Linguisten für diese Sprachen einen anderen, indes trotzdem elliptischen, Ansatz wählen. So gehen z. B. Ekberg (1983) für Schwedisch und Sandøy (1986: 113 – 118) für Norwegisch davon aus, dass es sich beim Absentiv um eine Art übergeneralisierten Ausfall einer Lokalbestimmung handelt. Einem norwegischen ho er og fiskar ‚sie ist fischen‘ würde also so etwas zugrunde liegen wie ho er på sjøen og fiskar ‚sie ist am Meer / –––––––—–– 7 8 9

10

Pers. Mitt. Eivind Weyhe, s. a. Ebert (2000: 635). Diese Konstruktion existiert nicht nur, wie von de Groot angegeben, im Nynorsk, sondern auch im Riksmål / Bokmål (pers. Mitt. John Ole Askedal und Arnfinn Muruvik Vonen). Zwar gab es ein mit sein zusammengesetztes Vergangenheitstempus, doch bestand dieses aus unveränderlichem vala (‚war‘ = ‚sein‘ in der 3. Person Singular Imperfekt) und dem Paradigma des Vollverbs im Präsens (z. B. várok vala ‚I waited‘, vársz vala ‚you waited‘ usw.) bzw. im Präteritum (z. B. vártam vala ‚I had waited‘, vártál vala ‚you had waited‘ usw.) (Kenesei / Vago / Fenyvesi 1998: 296). Vor allem die Form mit dem Vollverb im Präteritum war noch bis ins 20. Jahrhundert in der Literatursprache in Gebrauch (pers. Mitt. Ralf-Peter Ritter). Gebräuchlich ist heute im Schwedischen und Norwegischen allerdings die Bildung mit haben (zum Schwedischen vgl. etwa Wessén 1970: 289f.).

„Anna ist essen!“ Neue Überlegungen zum Absentiv

257

See fischen‘ (Sandøy 1986: 113, 115). Sandøy (1986: 114) spricht deshalb auch von einem „fjern lokativ“ oder „bare lokativ“. Dieser Ansatz einer Lokalbestimmungsellipse kann nicht nur für die Sprachen mit Infinitiversatz, also Faröisch, Norwegisch und Schwedisch, gelten, sondern auch für die restlichen 6 Absentivsprachen mit Infinitiv, vgl. Deutsch: Er ist im Freibad(,) schwimmen (Krause 2002: 86). Prinzipiell halte ich eine polykausale Erklärung bzw. Entstehung für durchaus möglich, möchte aber noch einen dritten Lösungsvorschlag machen, der ebenfalls für alle Absentive Gültigkeit beanspruchen kann. Die Gemeinsamkeit besteht darin, dass sich in den genannten Sprachen der Infinitiv bzw. die Infinitiversatzkonstruktion statt mit absentivischem sein auch mit einem Bewegungsverb wie (weg)gehen11 verbindet. Man vergleiche:12 (7)

(8)

(9)

Mit reinem Infinitiv a. Jan geht boxen. Jan ist boxen. b. Jan gaat boksen. Jan is boksen. ‚Jan geht / ist boxen.‘ c. János boxolni medy. János boxolni van. ‚János geht / ist boxen.‘ Mit markiertem Infinitiv a. Jussi käy nykkeilemässä. Jussi on nykkeilemässä. ‚Jussi geht / ist boxen.‘ b. Anna keert ütj tu boxin. Anna as tu boxin. ‚Anna geht weg / ist boxen.‘ c. Gianni va a boxare. Gianni è a boxare. ‚Gianni geht / ist boxen.‘ Mit Infinitiversatzkonstruktion (zum Spezialfall Faröisch s. u.) a. Jan går og boksar. Jan er og boksar. ‚Jan geht / ist boxen.‘ b. John går och boxar. John är och boxar. ‚John geht / ist boxen.‘

Deutsch Niederländisch

Ungarisch

Finnisch

Friesisch

Italienisch

Norwegisch

Schwedisch

Aufgrund der offenkundigen Parallele zwischen der Struktur der (weg)gehen- und der absentivischen sein-Konstruktion nehme ich an, dass es sich beim Absentiv sein + Infini–––––––—–– 11 12

Siehe auch zu gehen im Sinne von „source“-orientiertem weggehen z. B. Fillmore (1972). Die Beispiele sind in Anlehnung an 2.1 gewählt, wobei die gehen-Variante grundsätzlich in der Präsensform steht (s. a. die Formen im Anhang).

Petra M. Vogel

258

tiv(ersatz) auch um eine Ableitung von der Konstruktion mit einem Bewegungsverb wie (weg)gehen handeln kann, wobei sein strukturell gesehen an Stelle von (weg)gehen „eingeschleust“ wird.13 sein

(weg)gehen

+

Infinitiv(ersatzkonstruktion)

Eine solche Ableitung ist unter Umständen deshalb möglich, weil das absentive sein inferentiell als Resultat von (weg)gehen interpretiert werden kann. Auch eine Reduktionsinterpretation ist denkbar. Während (weg)gehen als inchoatives Verb mit den Komponenten BECOME (für Zustandswechsel) und BE (für Resultatszustand) analysierbar ist, repräsentiert das absentive sein nur noch die Komponente BE für Resultatszustand. In beiden Fällen stellt die Absentivkonstruktion die Fokusverschiebung auf das Resultat von (weg)gehen dar: irgendwohin (weg)gehen > irgendwo sein. Die Reduktionshypothese geht also ebenso wie die Ellipsenhypothese von einem Zusammenhang zwischen gehen und (absentivischem) sein aus. Es wird jedoch nicht notwendigerweise eine konstruktionelle, sondern nur eine konzeptionelle „Ellipse“ angenommen. Als einzige der 9 Absentivsprachen scheint diesbezüglich aber Faröisch aus dem Rahmen zu fallen. Hier verbindet sich sein wie im norwegischen und schwedischen Absentiv zwar mit der Infinitiversatzkonstruktion, gehen wird jedoch mit einem mit at markierten Infinitiv kombiniert. (10)

a. Anna er og boksar. ‚Anna ist boxen.‘ b. *Anna fer og boksar. = Anna fer at boksa. ‚Anna geht boxen.‘

Faröisch

Meines Erachtens lässt sich diese Diskrepanz aber so erklären, dass es sich bei dem Absentiv mit og ‚und‘ um ein Relikt handelt. Speziell mit Verben der Bewegung sind nämlich im Altnordischen sowohl Infinitiv als auch Koordination (Infinitiversatzkonstruktion) möglich (Holm 1958: 230f., s. a. ebd. 201 – 205). Man vergleiche etwa Altisländisch (ebd. 202):

–––––––—–– 13

Zu einem ähnlichen Schluss kommen im Übrigen auch Dokulil (1949: 84) im Hinblick auf den tschechischen Absentiv (für diesen Hinweis danke ich Tilman Berger) sowie Berthele (in diesem Band) im Rahmen der Konstruktion sein + direktionales Lokalargument, z. B. schweizerdeutsch er isch zum baum. Wahrscheinlich ist so auch die Tatsache zu werten, dass sich im Paradigma von spanisch ir(se) bzw. portugiesisch ir(-se) ‚(weg)gehen‘ in einigen Tempora und Modi Formen von ser ‚sein‘ finden, z. B. span. se fue a comer ‚er / sie / es ist essen gegangen‘ (wörtlich: ‚ist gewesen essen‘) (für den Hinweis zum Spanischen danke ich Peter Koch). Dieses Phänomen war offensichtlich schon im Vulgärlatein verbreitet, hat sich aber nur auf der iberischen Halbinsel aufgrund des Nebeneinanders von ser und estar gehalten (vgl. zum Spanischen etwa Lathrop 2002: 191).

„Anna ist essen!“ Neue Überlegungen zum Absentiv (11)

a. Fara Þeir nú ok leita hans. (Heimskringla S 93: 20) b. Nú fara Þeir at leita hans. (Heimskringla M 94: 3) ‚Nun gehen sie und suchen ihn / ihn zu suchen.‘

259 Altisländisch

Offensichtlich geht der Absentiv in allen drei skandinavischen Sprachen, Faröisch, Norwegisch und Schwedisch, auf die Variante gehen + Infinitiversatzkonstruktion zurück. Während jedoch im modernen Schwedisch und Norwegisch mit gehen nur noch die Pseudokoordination „erlaubt“ ist, ist sie im Faröischen verschwunden und der (markierte) Infinitiv hat sich auf deren Kosten ausgebreitet (s. o.).14 Mit der Fokusverschiebung innerhalb von (weg)gehen auf seinen Resultatszustand sein wird nun auch deutlich, warum die Konstruktion weiterhin a) das Merkmal der Abwesenheit aufweist, b) trotz des stativen Verbs sein der Weg und damit Direktivität involviert ist, und c) in Kombination mit sein ein Handlungsziel steht, entsprechend dem Handlungsziel der Fortbewegung in Kombination mit gehen. Auf dieser Grundlage hängt die Einordnung von sein als Hilfs-, Voll- oder Kopulaverb davon ab, wie gehen in der parallelen Konstruktion zu kategorisieren ist. Hier bietet sich die Einordnung als Vollverb an, da sowohl gehen als auch sein in Kombination mit einem Infinitiv ihre „volle“ Semantik beibehalten. Dies gilt auch für die Erklärungsvariante, die einen „Fernlokativ“ mit elliptischer Lokalbestimmung und sein (im Sinne von ‚sich befinden‘) ansetzt. Damit ist vor dem Hintergrund einer monokausalen Erklärung ein eventueller Hilfsverbstatus von sein ausgeschlossen. Dieser wäre aber evtl. dann möglich, wenn auf die Ellipsentheorie im Sinne einer Rückführung auf sein-haltige Perfekt- oder Plusquamperfektformen von (weg)gehen referiert wird. In jedem Fall ausgeschlossen ist eine Interpretation als Kopulaverb (vgl. Krause 2002: 86 für Deutsch). In dem Fall müsste der Infinitiv im Absentiv bzw. in der gehen-Fügung als Prädikatsnomen und damit als Verbalnomen eingeordnet werden. Damit würde jedoch kein verbaler Infinitiv und so auch kein Absentiv vorliegen. Aus sprachübergreifender Sicht müsste zudem im Ungarischen die Kopula sein in der 3. Person Präsens Indikativ (also van) obligatorisch entfallen, das ist jedoch im Absentiv nicht möglich.15 2.3.

Absentiversatzkonstruktionen

Noch einmal zusammengefasst besteht das Absentivkonzept neben der morphosyntaktischen Festlegung auf sein + Handlungsverb(konstruktion) in semantischer Hinsicht im Wesentlichen aus drei Teilen (vgl. auch de Groot 2000: 693, 700f.; Ebert 1996: 47):

–––––––—–– 14

15

Im Gegensatz dazu kann das moderne Isländisch gehen immer noch sowohl mit að als auch mit og (hier jedoch nur mit Konjunktiv im zweiten Verb) verknüpfen: Ég fer að synda á morgun. / Ég fer og syndi á morgun. ‚Ich gehe morgen schwimmen.‘ Einen Absentiv hat es dagegen nie entwickelt oder wieder verloren, da keine entsprechende Konstruktion existiert. Pers. Mitt. Vilmos Ágel.

Petra M. Vogel

260 a) b) c)

Entfernung vom Ausgangsort als dem deiktischen Zentrum (DZ); Weg zu einem anderen Ort und zurück; Ausführung eines Handlungsziels (sowie damit verknüpfte Tätigkeiten) an diesem anderen Ort.

Graphisch lässt sich das folgendermaßen darstellen: Ort DZ

Weg

Handlungsziel

Der Rahmen soll außerdem andeuten, dass der Komplex von Weg und Handlungsziel nicht „aufbrechbar“ ist, d. h. es handelt sich um obligatorische Bestandteile des Absentivkonzepts. Steht sein außerdem im Präsens, kann nur vermutet werden, ob sich X auf dem Weg (hin oder zurück) befindet, Handlungsziel Y (z. B. Schwimmen) als solches ausübt oder auch nur eine der an dem Ort damit verknüpften Tätigkeiten (z. B. Umziehen, Duschen, zum Schwimmbecken laufen u. Ä.). Daneben gibt es verwandte Konstruktionen, die jedoch vom Absentivkonzept partiell abweichen. Auf der Morphosyntaxebene weisen sie z. B. statt sein + Verb die Kombination sein + (Verbal)Nomen oder ein lexikalisches Abwesenheitselement auf. Im semantischen Bereich fokussieren sie dagegen nur einen Teil des Absentivrahmens. Da sie aber im Hinblick auf die „fehlenden“ semantischen Bereiche unterspezifiziert sind und diese dann situations- und kontextabhängig implizieren können, fungieren sie häufig als Absentiversatzkonstruktionen (s. a. Ebert 2000: 630f.). Im Prinzip weisen alle Sprachen Ersatzkonstruktionen mit dem Verb (weg)gehen oder auch einem Adverb wie weg auf, d. h. mit einem lexikalischen Element, das explizit Abwesenheit bzw. die Entfernung vom Ausgangsort signalisiert. In der dänischen Konstruktion sein + Infinitiv ist ein solches Adverb sogar obligatorisch, weshalb Dänisch von de Groot als Nicht-Absentivsprache eingeordnet wird: Jens er ude at bokse (de Groot 2000: 717). Ebenfalls als Ersatzkonstruktionen können Fügungen vom Typ sein + (Verbal)Nomen fungieren, die verschiedene semantische Teilbereiche fokussieren. Man vergleiche z. B. im Deutschen: (12)

Anna ist schwimmen – –

Anna ist im Schwimmbad (bezieht sich auf den Ort und damit verknüpfte Tätigkeiten); Anna ist beim Schwimmen (bezieht sich auf die Tätigkeit als solche + den damit typischerweise verknüpften Ort);16

–––––––—–– 16

Eine andere Progressivkonstruktion mit Verbalnomen, Anna ist am Schwimmen, kann dagegen im Standarddeutschen nicht als Ersatzfügung für den Absentiv fungieren, da hier kein Nebenmerkmal Absentivität möglich ist. Zum Verhältnis von am-, beim- und Absentivfügungen s. a. Ebert (1996: 47).

„Anna ist essen!“ Neue Überlegungen zum Absentiv –

261

Anna ist zum Schwimmen (bezieht sich auf die Entfernung vom Ausgangsort mit dem Handlungsziel des Schwimmens).

In mehreren der 9 Absentivsprachen lässt sich außerdem nicht eindeutig entscheiden, ob in den jeweiligen Absentivsituationen eine Teilrahmenkonstruktionen mit absentivem Nebenmerkmal oder ein „echter“ Absentiv vorliegt. So könnten etwa fries. Jan as tu boksin und ital. Gianni è a boxare auf Grund der Uneindeutigkeit des Handlungsverbs als Infinitiv mit Infinitivpartikel („echter“ Absentiv) oder als (artikelloses) Verbalnomen mit Präposition (Absentiversatzkonstruktion entsprechend dt. Anna ist zum Schwimmen) interpretiert werden. Auch finn. Jussi on nykkeilemässä (‚Jussi ist boxen‘) kann entweder als Progressiv17 und damit als Teilrahmenkonstruktion mit stativ-lokalem Verbalnomen im Inessiv (‚X ist im Xen‘) oder als „echter“ Absentiv betrachtet werden. Wenn grundsätzlich beide Interpretationen, Infinitiv und Verbalsubstantiv, möglich sind, und sich die entsprechende sein-Fügung konstruktionell parallel zu der gehen-Konstruktion verhält, wird im Zweifelsfall davon ausgegangen, dass zwei ausdrucksmäßig gleiche, aber auf unterschiedlichem Weg entstandene Konstruktionen vorliegen: eine auf lokalen Strukturen basierende Teilrahmenkonstruktion und ein „echter“ Absentiv, der von einer Fügung abgeleitet ist, die aus (weg)gehen und einem weiteren Verb bzw. einer Verbkonstruktion besteht, die ein Handlungsziel wiedergibt.

3.

Weitere europäische Absentivsprachen

Über die bei de Groot und Ebert genannten 9 Absentivsprachen hinaus habe ich alle weiteren Amtssprachen18 in den europäischen Ländern untersucht. Hauptbestandteil der Befragung waren zwei Szenarien, die die jeweiligen SprecherInnen19 (in deutsch oder englisch) vorgelegt bzw. zugeschickt bekamen:20 –––––––—––

17 18

19

Nach Ebert (2000: 607, 635) kann auch die faröische Konstruktion sein + und + finites Verb sowohl absentive wie progressive Bedeutung haben. Diese Annahme basiert jedoch auf einer irreführenden Angabe in Lockwood (1964: 140). Für Eivind Weyhe, der mir als Muttersprachler des Faröischen zur Verfügung stand, hat die Konstruktion rein absentive Bedeutung, wie sie auch im Norwegischen und Schwedischen vorliegt (s. a. Sandøy 1986: 113). Siehe zum finnischen Progressiv etwa Tommola (2000). Dabei wurden die nur regionalen Landessprachen außer Acht gelassen. Unberücksichtigt geblieben sind also etwa die Sprachen der Nationalitäten in den Teilrepubliken Russlands, das auf Grönland als autonomes Gebiet Dänemarks gesprochene Inuktitut, Baskisch in Spanien, Ladinisch in Italien usw. Luxemburgisch / Moselfränkisch ist in Abschnitt 4 zum Deutschen eingegliedert. Für ihre Geduld und Ausdauer danke ich: Vilmos Ágel; John Ole Askedal; Shani Asllani; Christian Benz; Markus Beutler; Yamileidi Bur-Cecilio Hechavarria; Antoinette Camilleri-Grima; Michael Chambers; Luís Cordeiro; Emilija Crvenkovska; Hortènsia Curell Gotor; Simone De Angelis; Karen H. Ebert; Ray Fabri; Denisa Fülöpová; Kjartan Gíslason; Dinha Gorgis; Jadranka Gvozdanović; Randi Heltne Pöhlmann; Mathilde Hennig; Elke Hentschel; Axel Holvoet; Gunnar Hrafn Hrafnbjargarson; Enrique Huelva Unternbäumen; Yannis Kakridis; Ali Kaydul; Daniela

262

Petra M. Vogel

1. Sie klingeln an der Tür ihrer Freundin Anna, weil Sie sie etwas fragen möchten. Ihr Mann / Freund öffnet und Sie fragen ihn „Ist Anna da?“. Sie ist jedoch nicht da, weil sie nämlich zum Baden / (Brot / Milch) Einkaufen / Essen weggegangen ist. Ihr Mann / Freund antwortet deshalb: „Nein, sie ist nicht da, sie ... .“ Wie ließe sich der Satz in ihrer Sprache am sinnvollsten ergänzen? Wenn es mehrere Möglichkeiten gibt, nennen Sie alle, die Ihnen einfallen. 2. Sie haben am Tag zuvor bei Ihrer Freundin Anna an der Tür geklingelt, weil Sie sie etwas fragen wollten, es hat jedoch niemand geöffnet, weil sie nämlich zum Schwimmen / (Brot / Milch) Einkaufen / Essen weggegangen war. Heute treffen Sie ihren Mann / Freund auf der Straße und fragen ihn „Wo war Anna gestern, als ich bei euch angerufen habe?“. Er antwortet: „Sie ... .“ Nennen Sie auch hier so viele Möglichkeiten, wie Ihnen einfallen. Bei der Auswertung der Daten tauchte in manchen Fällen das bekannte Problem auf, dass nicht mit Sicherheit zu entscheiden war, ob das auf sein folgende Handlungsverb ein „echtes“ Verb (Infinitiv) oder ein Verbalnomen bzw. ein „echter“ Absentiv oder eine Teilrahmenkonstruktion war. Wenn grundsätzlich beide Interpretationsmöglichkeiten gegeben waren und, wie in 2.3 dargelegt, dieselbe Konstruktion auch in Kombination mit einem Bewegungsverb wie gehen möglich war, so galt prinzipiell „in dubio pro absentivo“. Darunter fallen (Genaueres s. u.): – Estnisch (vgl. Finnisch, könnte auch eine lokal-stative Konstruktion mit Verbalnomen mit progressiver Bedeutung sein); – Englisch (könnte auch der ing-Progressiv sein); – Irisch (könnte auch entweder eine lokal-stative Konstruktion mit Verbalnomen mit progressiver Bedeutung oder eine direktive Konstruktion zu + Verbalnomen sein); – Katalanisch und Rätoromanisch (vgl. Italienisch, könnte auch eine direktive Konstruktion zu + Verbalnomen sein); – Maltesisch (könnte auch eine lokal-stative Konstruktion mit progressiver Bedeutung sein).

–––––––—––

20

Kohn; Virginie Lapaire; Ljiljana Leuchtenmüller; Alja Lipavic Oštir; Dimitra Loli; José Manuel López de Abiada; Gino Luka; Carl-Erik Lundbladh; Bruno Maignant; Frederico Meinberg; Tatiana Mikhailopoulou; Maryna Mikulič; Dragan Milić; Cèsar Montoliu-Garcìa; Bruno Moretti; Brian Nolan; Kirsi Pakkanen-Kilpiä; Michael Pawlus; Jan Peleška; Sara Pirovino; Jacques Poitou; RalfPeter Ritter; Alexander Schewtschuk; Flurin Simeon; Arnalda Stegnar; Mari Tarvas; Lora Taseva; Olga Tomić; Csilla Varga Neuenstein; Arnfinn Muruvik Vonen; Aleksandra Vrdoljak; Bernhard Wälchli; Eivind Weyhe; Björn Wiemer. Vergleiche dazu auch die Frage zum Absentiv im gerade in Arbeit befindlichen Projekt „Syntaktischer Atlas der deutschen Schweiz“ am Deutschen Seminar der Universität Zürich unter der Leitung von Elvira Glaser (pers. Mitt. Guido Seiler; s. a. Bucheli / Glaser 2002: 68f.). „Frage: Sie rufen Ihre Nachbarin an, um ihr das Neueste zu erzählen. Der Sohn nimmt ab. Sie sagen ihm, dass Sie mit seiner Mutter sprechen wollen. Er antwortet: + Vervollständigen Sie den Antwortsatz; er soll Auskunft darüber geben, wo die Nachbarin ist („einkaufen“): Oh, si isch nid da, si isch_____________________________________________________“

„Anna ist essen!“ Neue Überlegungen zum Absentiv

263

Nicht zu den Absentivsprachen wurden Isländisch und Türkisch gezählt (Beispiele s. Anhang), da das auf sein folgende Element eindeutig als Verbalnomen und nicht als Infinitiv einzuordnen ist. Das ergibt sich durch die lokal-stative Konstruktion, die gleichzeitig nicht (wie z. B. im Estnischen oder Finnischen) mit gehen verknüpfbar und deshalb nicht als Handlungsziel interpretierbar ist. Unter diesen Prämissen kann man davon ausgehen, dass sogar die Mehrheit, nämlich 26 (unter Einschluss der von de Groot genannten 7), der 36 europäischen Amtssprachen einen potenziellen Absentiv aufweist; lediglich 10 sind keine Absentivsprachen. Nicht-Absentivsprachen verwenden in den entsprechenden Situationen deshalb eine der Ersatzkonstruktionen (vgl. 2.3), bevorzugt die (weg)gehen-Fügung (s. a. Anhang). Außerdem hat sich herausgestellt, dass zwischen einer Voll- und einer Teilkategorie Absentiv unterschieden werden muss. Bezüglich der Vollkategorie kann sein auch im Präsens auftreten, in Sprachen mit einer Teilkategorie dagegen nur in einem oder mehreren Vergangenheitstempora. Eine Begründung dafür steht noch aus. Es ist jedoch denkbar, dass das Merkmal der Rückkehr zum Ausgangsort hier eine Rolle spielt (s. 1). Deshalb „passt“ ein Vergangenheitstempus besser zum Absentiv, da dieses nicht eben nur die Entfernung, sondern auch die Rückkehr der jeweiligen Person impliziert, während die Rückkehr bei Verwendung des Präsens im Prinzip nur vermutet oder erhofft werden kann. Dadurch ist ein Absentiv in einem Nicht-Vergangenheitstempus ein „schlechter“ Absentiv. Innerhalb der 26 Absentivsprachen weisen 19 den Absentiv als Voll- und 8 als Teilkategorie auf, wobei Englisch mit einer Voll- und zwei Teilabsentivkonstruktionen in beiden Gruppen vertreten ist. Die folgende Tabelle und Überblickskarte zeigen, um welche Sprachen es sich dabei jeweils handelt. Eine Zusammenstellung der jeweiligen Konstruktionen findet sich im Anhang.

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264 Vollkategorie Absentiv Bulgarisch Deutsch (s. a. de Groot) Englisch Estnisch Finnisch (s. a. de Groot) Irisch Italienisch (s. a. de Groot) Katalanisch22 Maltesisch Mazedonisch Niederländisch (s. a. de Groot) Norwegisch (s. a. de Groot) Rätoromanisch Rumänisch / Moldawisch23 Schwedisch (s. a. de Groot) Serbisch Slowakisch Tschechisch Ungarisch (s. a. de Groot)

Teilkategorie Absentiv Bosnisch21 Englisch Französisch Kroatisch21 Lettisch Litauisch Polnisch Slowenisch21

Kein Absentiv Albanisch Dänisch Griechisch Isländisch Portugiesisch Russisch Spanisch Türkisch Ukrainisch Weißrussisch (Belaruss.)

Regionalsprachen Faröisch (s. a. Ebert) Friesisch (s. a. de Groot)

–––––––—–– 21

22 23

Im Bosnischen, Kroatischen und Slowenischen scheint die Konstruktion jedoch sehr stark dem Substandard anzugehören, da sie von einem Teil der SprecherInnen akzeptiert, von anderen jedoch abgelehnt wurde. Deshalb sind diese Gebiete bzw. Sprachen auf der Karte bzw. im Anhang mit einem Fragezeichen markiert. Katalanisch ist Amtssprache in Andorra. Moldawisch wurde bis 1940 als Varietät des Rumänischen angesehen, mit der Abtrennung des Gebietes von Rumänien jedoch zur eigenen Sprache erklärt und in der Verfassung des unabhängigen Staates von 1991 als Amtssprache des Landes bestätigt.

„Anna ist essen!“ Neue Überlegungen zum Absentiv

265

Abbildung 1: Der Absentiv in den europäischen Amtssprachen (inkl. Faröisch und Friesisch)24 Die Überblickskarte zeigt, dass es sich beim Vollabsentiv um ein großflächig verteiltes Phänomen im Zentrum Europas handelt mit Teilabsentivübergängen zu den Nicht-Absentivgebieten an den westlichen und östlichen Rändern. Inwieweit es sich dabei um zufällige Gemeinsamkeiten, ererbte Strukturen oder Entlehnungserscheinungen handelt, ist an dieser Stelle aufgrund fehlender einzelsprachlicher Untersuchungen historischer Art nicht zu beantworten. Immerhin geht Dokulil (1949) nicht von einer direkten Entlehnung des tschechischen Absentivs aus dem Deutschen aus. Auch Berger (im Druck) vermutet, dass es sich hier eher um eines der Phänomene handelt, „in denen der Sprachkontakt den Anstoß zu einer ähnlichen, aber eigenständigen Entwicklung gegeben haben dürfte“. Ähnliches könnte hinsichtlich des Deutschen z. B. auch für Lettisch, Litauisch, Slowakisch oder Ungarisch gelten. Die 19 „neuen“ Absentivsprachen (unter Ausschluss der von de Groot genannten 7) verteilen sich ebenfalls auf die 3 Strukturtypen 1. reiner Infinitiv, 2. markierter Infinitiv und 3. Infinitiversatzkonstruktion. Hinzu kommt im Englischen das Partizip Präsens, ebenfalls eine infinite Form und historisch gesehen ein Verbalnomen. In allen Fällen liegt eine strukturell parallele Konstruktion zur gehen-Fügung vor. In der folgenden Aufstellung stehen die gehen- und die absentivische sein-Konstruktion bei Vorliegen eines Vollabsentivs grundsätzlich im Präsens. Dabei impliziert die Möglichkeit der Verwendung des Präsens im Absentiv immer auch die Verwendung eines Vergan–––––––—–– 24

Länder mit Sprachen ohne Absentiv sind weiß, mit einem Vollabsentiv schwarz, mit einem Teilabsentiv schraffiert markiert.

Petra M. Vogel

266

genheitstempus (s. a. Anhang). Bei Vorliegen eines Teilabsentivs kann der Absentiv nur in einem Vergangenheitstempus angegeben werden. Mit reinem Infinitiv (13)

(14)

Teilabsentiv a. Anna va acheter du pain. Anna a été acheter du pain. ‚Anna geht / war Brot kaufen.‘ b. Anna se ide kupati. Anna se (je) bila kupati. ‚Anna geht / war baden / schwimmen.‘ c. Anna aiziet peldēties. Anna bija peldēties. ‚Anna geht weg / war baden / schwimmen.‘ d. Anna nueĩna pláukti. Anna bùvo pláukti. ‚Anna geht weg / war baden / schwimmen.‘ e. Anna idzie się kąpać. Anna była się kąpać. ‚Anna geht / war baden / schwimmen.‘ f. Anna se gre kopat. Anna se je bila kopat. ‚Anna geht / war baden / schwimmen.‘ Vollabsentiv a. Anna ide sa kúpat’. Anna je sa kúpat’. ‚Anna geht / ist baden / schwimmen.‘ b. Anna jde se koupat. Anna je se koupat. ‚Anna geht / ist baden / schwimmen.‘

Französisch25

Kroatisch

Lettisch

Litauisch

Polnisch26

Slowakisch

Slowakisch

Tschechisch

Mit markiertem Infinitiv (15)

(16)

Teilabsentiv a. Anna goes to buy some bread. Anna has been to buy some bread. ‚Anna geht / war Brot kaufen.‘ Vollabsentiv a. Anna käib tantsimas. Anna on tantsimas. ‚Anna geht / ist tanzen.‘

Englisch

Estnisch

–––––––—–– 25 26

Näheres zum Austausch aller / être vgl. z. B. auch Grevisse (2004: 1209f.). Für manche SprecherInnen auch nur mit Adverbialbestimmung wie z. B. ‚gestern‘ möglich.

„Anna ist essen!“ Neue Überlegungen zum Absentiv b. Téann Anna ag snamh. Tá Anna ag snamh. ‚Anna geht weg / ist baden / schwimmen.‘ c. Anna se n’ana a dinar. Anna és a dinar. ‚Anna geht weg / ist essen.‘ d. Anna va a magliar. Anna ei a magliar. ‚Anna geht / ist essen.‘

267 Irisch

Katalanisch

Rätoromanisch (hier: Surselvisch)

Mit Infinitiversatzkonstruktion Pseudokoordination (17)

(18)

Teilabsentiv Anna went and bought some bread.27 Anna has been and bought some bread. ‚Anna ging / war Brot kaufen.‘ Vollabsentiv Anna tmur tiekol.28 Anna qiegħda29 tiekol. ‚Anna ist / war essen.‘

Englisch

Maltesisch

Pseudosubordination (19)

(20)

Teilabsentiv Anna ide da kupi hljeb. Anna je bila da kupi hljeb. ‚Anna geht / war Brot kaufen.‘ Vollabsentiv a. Anna otiva da kupuva chljab. Anna e da kupuva chljab. ‚Anna geht weg / ist Brot kaufen.‘ b. Anna odi da kupi leb. Anna e da kupi leb. ‚Anna geht weg / ist Brot kaufen.‘ c. Anna merge să cumpere lapte. Anna éste să cumpere lapte. ‚Anna geht / ist Milch kaufen.‘

Bosnisch

Bulgarisch

Mazedonisch

Rumänisch / Moldawisch

–––––––—–– 27 28 29

Die gehen-Variante ist im Präsens nicht möglich. Hierbei handelt es sich um eine asyndetische Pseudokoordination. Hierbei handelt es sich laut Borg / Azzopardi-Alexander (1997: 49) um sein in Form eines Partizip Präsens mit der Bedeutung ‚she is located‘, das am häufigsten optional mit einem Prädikatsnomen steht, wenn sich dieses auf einen Ort bezieht, z. B. Ommu (qiegħda) l-knisja. ‚His mother is at church‘.

Petra M. Vogel

268 d. Anna ide da kupi hleb. Anna je da kupi hleb. ‚Anna geht / ist Brot kaufen.‘

Serbisch

Mit Partizip Präsens (21)

Nur Vollabsentiv Anna goes swimming.30 Anna is swimming. ‚Anna geht / ist baden / schwimmen.‘

Englisch

Wie weiter oben erwähnt, ist die entsprechende Fügung im Englischen, Estnischen, Finnischen, Irischen und Maltesischen auch als Progressiv interpretierbar und könnte damit Teilrahmen- bzw. Ersatzkonstruktion für den (fehlenden) Absentiv sein. Es wurde jedoch argumentiert, dass hier auf Grund der Parallele zur gehen-Fügung genauso gut ein Absentiv vorliegen kann, der strukturell zufällig mit dem Progressiv identisch ist. Mit absoluter Sicherheit lässt sich diese Frage nicht entscheiden, weshalb Englisch, Estnisch, Finnisch, Irisch und Maltesisch zumindest als potenzielle Absentivsprachen anzusehen sind. Eine solche Parallele gibt es aber nicht beim Progressiv im Albanischen, Portugiesischen und Spanischen, wo es sich also um „echte“ Progressive handelt, auch wenn sie in Absentivsituationen verwendet werden können: (22)

a. Anna shkon për të ngrënë. Anna geht PARTIKEL PARTIKEL essPARTIZIP ‚Anna geht essen.‘ b. Anna është duke ngrënë. Anna ist PARTIKEL essGERUNDIV ‚Anna ist am Essen.‘

(23)

a. Anna vai almoçar. Anna geht essenINFINITIV ‚Anna geht essen.‘ b. Anna está a almoçar. Anna ist an Essen ‚Anna ist am Essen.‘

(24)

a. Anna se va a comer. Anna weggeht zu essenINFINITIV ‚Anna geht essen (weg).‘ b. Anna esta comiendo. Anna ist essPARTIZIP ‚Anna ist am Essen.‘

Albanisch (hier: Toskisch)

Portugiesisch

Spanisch

–––––––—–– 30

Die Verknüpfung von gehen mit Partizip Präsens scheint dabei v. a. für solche Verben möglich zu sein, die mit Sport oder Hobby zu tun haben und keinen festgelegten Anfang bzw. kein festgelegtes Ende haben (vgl. z. B. Swan 2005: 202).

„Anna ist essen!“ Neue Überlegungen zum Absentiv

269

Albanisch, Portugiesisch und Spanisch sind damit noch nicht einmal potenzielle Absentivsprachen.

4.

Exkurs zum Absentiv im Deutschen

4.1.

Der Absentiv in der modernen Standardsprache

Details zur Beschreibung der Absentivkonstruktion sein + Infinitiv im Standarddeutschen finden sich v. a. bei Krause (2002). Dieser untersucht in seiner Abhandlung verschiedene potenzielle Progressivkonstruktionen des Deutschen, wobei er im Übrigen ebenfalls zu dem Schluss kommt, dass der Absentiv nicht als Progressiv im eigentlichen Sinne einzuordnen ist, denn „[d]ie Progressiv-Konstruktionen lassen eine derart umfassende Referenz nicht zu“ (ebd. 202, s. a. ebd. 235). Was den Status von sein angeht, so spricht Krause (ebd. 86) im Hinblick auf den Absentiv von einer Kopula. In 2.2 wurde jedoch bereits argumentiert, dass diese Annahme nicht haltbar ist. Im Falle einer Kopula wäre ein Verbalnomen (im Prädikativum) (s. a. Metzler Lexikon Sprache 2005: 7, wo von einer „Prädikativkonstruktion“ die Rede ist) anzusetzen, was aber eine Absentivinterpretation im Sinne der Definition ausschließt. Wenn man zudem, wie hier vorgeschlagen, von einem Zusammenhang zur gehen-Konstruktion ausgeht, hat z. B. Fuhrhop (2003: 105f.) gezeigt, dass im Falle von gehen nicht von einem Verbalnomen bzw. einem substantivierten Infinitiv auszugehen ist. Statt dessen wird hier sein als Vollverb kategorisiert, parallell zu gehen. Syntaktisch kann die Kombination von gehen und sein mit Infinitiv als Verbalkomplex betrachtet werden (s. z. B. Engel 2004: 258f.). Eine andere Möglichkeit besteht darin, den Infinitiv (sowie eventuelle Ergänzungen) als Ergänzung zum Vollverb einzustufen (vgl. Eisenberg 2004: 250 oder Engel 2004: 228). Engel (2004: 228) spricht hier (z. B. Kartoffeln holen in Anna ging Kartoffeln holen) von einer Direktivergänzung. Eisenberg (2004: 251f.) trägt der Nähe zu einem finalen Adverbiale Rechnung, indem er eine „abstrakte Richtungsbestimmung“ ansetzt. Eine Einordnung als Hilfsverb ist, wenn überhaupt, nur auf der Basis eines elliptischen Perfekts oder Plusquamperfekts von gehen möglich. Das in Krause (2002) verwendete deutsche Korpus (das mir der Autor freundlicherweise zur Verfügung gestellt hat) weist 42 Absentivkonstruktionen auf, verteilt auf 26 Verben.31 Das sind immerhin 10.3% des Gesamtkorpus, das Progressivkonstruktionen mit am, beim, im sowie dabei einschließt (ebd. 88). Dem Wirkungsfeld des Absentivs gemäß handelt es –––––––—–– 31

Diese sind (die Klein- / Großschreibung ist jeweils beibehalten): arbeiten (2), baden (1), (Mails) beackern (1), (Freund) besuchen (1), duschen (1), einkaufen / einkoofn (4), (was / wat) ess(e)n (6), hottn (1), J / joggen (2), kacken (2), (Platten) kaufen (1), kegeln (1), laufen (1), (waesche) machen (1), M / mittagessen (2), (beeren) pflücken (1), pissen (1), putzen (1), (hirsch) schießen (1), schwimmen (2), shoppen (1), spaziern [sic] (1), surfen (1), tanzen (2), Telefonieren (1), T / tennisspielen (2), zelten (1).

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270

sich dabei um Verben, die zumindest in dem jeweiligen Kontext eine Abwesenheit vom Ausgangsort implizieren. Besonders oft kommt dabei einkaufen / einkoofn (4 Belege) und ess(e)n vor (8 Belege, unter Einschluss von M / mittagessen). Schwerpunktmäßig ist die Fügung in der gesprochenen Sprache sowie im Chat vertreten (ebd. 88 – 91). Konjunktive finden sich so gut wie überhaupt nicht, im Indikativ überwiegt das Präteritum mit 54.8% gegenüber dem Präsens mit 38.1% (ebd. 95). Das ist deshalb auffällig, da der Präsensanteil bei den Progressivkonstruktionen mit am, beim, im und dabei viel höher ist und sich auf zwischen 56.9% und 75% beläuft (ebd. 94f.). Hinsichtlich der Personenkategorie kommt der Absentiv im Korpus v. a. in der 1. und der 3. Person vor (1. P. 45.2%, 3. P. 45.3%).32 Die Lücke in der 2. Person (7.2%) speziell im Präsens ist nicht überraschend, da der / die Angesprochene ja abwesend ist und deshalb für die Kommunikation nicht zur Verfügung steht (ebd. 117). Wenn man T / tennisspielen und M / mittagessen (je 2 Vorkommen) als einstellige Verben einordnet, dann stehen 71.4% ohne jegliche Ergänzungen, die restlichen Verben weisen ein Akkusativobjekt auf, sind also transitiv (s. a. Krause 2002: 128). Nahezu zwei Drittel der Belege im Korpus kommen mit Adverbiale vor, wobei fast ausschließlich Temporaladverbiale (eben, (ein)mal, heute usw.) auftreten (Krause 2002: 154). Lokaladverbiale stehen dagegen nur in vier Fällen, wobei diese immer mit der Abwesenheit vom Ausgangsort korrelieren, d. h. keines ist mit der Bedeutung ‚next to me‘ vereinbar (Krause 2002: 154). Bei den vier Verbklassen nach Vendlerschem Vorbild, nämlich activities, accomplishments, achievements und states, überwiegen beim Absentiv mit 81.4% eindeutig activities (ebd. 166). Zu den accomplishments (11.6%) zählt Krause (ebd. 190) die fünf Beispiele mit einkaufen (alleine 4x vertreten, unter Einschluss der Berlinischen Variante einkoofen) sowie (Hirsch) schießen. Den achievements (4.7%) ordnet er (Platten) kaufen und (Beeren) pflücken zu. Ausgesprochene state-Verben finden sich im Korpus nicht. Dies alles stimmt mit der Beobachtung de Groots (2000: 705 – 709) überein, dass der deutsche ebenso wie der italienische, niederländische und ungarische Absentiv einen sehr hohen Grad an Agentivität aufweist, da nicht nur belebte, sondern sogar nur maximal agentive Verben zugelassen sind: *Hans ist Geschenke kriegen. Im Gegensatz dazu stehen die nordischen Sprachen (unter Einschluss von Fering), wo auch Nicht-Agentivität möglich ist, vorausgesetzt, es liegt eine gewisse Intentionalität vor (ebd. 706). (25)

Jan er og får presanger. John is and get presents ‚John is off getting presents.‘

Norwegisch

Der niedrigere Grad an Agentivität ermöglicht es letztlich, dass auch bei agentiven kausativen Verben wiederum nur die nordischen Sprachen (unter Ausschluss von Fering) den Ausdruck des Beteiligten zu zulassen: Hans ist (*den Mechaniker) das Auto reparieren lassen (ebd. 707). –––––––—–– 32

Die Zahlen basieren auf eigenen Berechnungen der Korpusbeispiele, da Krause in dieser Tabelle Rechenfehler unterlaufen.

„Anna ist essen!“ Neue Überlegungen zum Absentiv (26)

271

Jan er og får bilmekanikaren til å reparere bilen hans. John is and get:PRS car-mechanic:DEF to to repair:INF car:DEF his ‚John is off having the mechanic have his car fixed.‘

Norwegisch

Das Schwedische lässt, allerdings als einzige der betroffenen Sprachen, sogar eine Passivkonstruktion zu (ebd. 709): (27)

Han är och blir fotograferad. he is and becomes photographed ‚He is off getting photographed.‘

Schwedisch

Die folgende Tabelle fasst die Ergebnisse bzgl. des Merkmals Agentivität im Absentiv in den von de Groot untersuchten Sprachen noch einmal zusammen (nach de Groot 2000: 715): Dutch Fering Finnish German Hungarian Italian Norwegian Swedish non-agentive verbs overt causee passive

4.2.



+

+







+

+

– –

– –

+ –

– –

– –

– –

+ –

+ +

Dialektbesonderheiten des Absentivs im Deutschen

Was die Verbreitung der Konstruktion in den verschiedenen Dialektgebieten des deutschsprachigen Gebiets angeht, so sind hier zwei Auffälligkeiten zu beobachten.33 Zum einen tauchte bei manchen SprecherInnen des östlichen Mittel- und Oberdeutschen (hier: Erzgebirgisch, Thüringisch; Bairisch, Ostfränkisch,) ein Phänomen auf, das in 3 als Teilabsentiv bezeichnet wurde. Fall ein Absentiv überhaupt akzeptiert wurde, was insbesondere bei SprecherInnen unter 30 der Fall war, so kam es zu dezidiertem Widerstand gegen präsentische Formen. Akzeptabel war also häufig sie war essen / ist essen gewesen, nicht jedoch sie ist essen. Besonders bei Gegenwartsbezug wurden deshalb von den jeweiligen SprecherInnen Konstruktionen mit absentivischer (Neben)Bedeutung bevorzugt, also Fügungen mit beim (beim Essen sein), zum (zum Essen sein) und v. a. mit gehen ((zum) Essen gegangen sein) (s. a. 2.3). Eine zweite Besonderheit liegt offensichtlich im Alemannischen vor. Dort verknüpft sich gehen ebenso wie absentivisches sein nämlich nicht mit dem reinen, sondern mit einem mit –––––––—–– 33

Für die Auskünfte zu ihren jeweiligen Dialekten danke ich: Martin Clausen, Patrick Linder und Beat Siebenhaar (Hoch- und Höchstalemannisch); Rudolf Kleinöder (Nordbairisch); Cedric Krummes und Raoul Rudin (Luxemburgisch / Moselfränkisch); Hans Christian Luschützky und Gertrude Pauritsch (Südbairisch); Horst Simon (Mittelbairisch); Rüdiger Harnisch (Thüringisch); Dagmar Bittner (Erzgebirgisch); Rolf Thieroff (Rheinfränkisch); Christa Bhatt (Mittelfränkisch); Johannes Reese (Westfälisch); Uwe Carstensen (Nordniedersächsisch). Für ihre Vermittlung von InformantInnen aus den jeweiligen Dialekten danke ich außerdem Björn Wiemer (Niederalemannisch), Nanna Fuhrhop (Berlinisch) und Jürgen Ruge (Nordniedersächsisch).

Petra M. Vogel

272

Hilfe der Partikel go, ga, gi u. Ä. markierten Infinitiv. Besonders auffällig ist diese Erscheinung im geschlossenen alemannischen Sprachraum der deutschsprachigen Schweiz. Vergleiche:34 (28)

Ër isch go schwüme. er ist PARTIKEL schwimm:INF ‚Er ist schwimmen.‘

Zürichdeutsch (Hochalemannisch)

So verzeichnet der in Arbeit befindliche „Syntaktische Atlas der deutschen Schweiz“ bei 3114 gültigen Antworten nur 10 unmarkierte Absentive mit reinem Infinitiv (an 9 Orten) (pers. Mitt. Guido Seiler). Die wenigen Ausnahmen können evtl. als Relikt (zu gehen + reiner Infinitiv vgl. Schweizerisches Idiotikon 1885: Sp. 325) oder auch als standardsprachlicher Einfluss gewertet werden. In anderen Sprachatlanten des alemannischen Raums sind solche Partikelfügungen (mit gehen bzw. sein) (noch) nicht veröffentlicht (z. B. Vorarlberger Sprachatlas) oder kommen nur unter „Zusatzmaterial“ vor (z. B. im Südwestdeutschen Sprachatlas 1998 unter Frage III / 1.401 oder im Sprachatlas von Bayerisch-Schwaben 1998: 64 – 67). Deshalb sind an dieser Stelle keine detaillierteren Aussagen dazu möglich. Damit bleibt aber immer noch die Frage zu klären, um welche Art von Partikel es sich dabei handelt. In Anbetracht von dt. zu oder ital. a, die als Präposition Raum- und als Infinitivpartikel Handlungszielgerichtetheit transportieren, ist es nicht abwegig, auch im Alemannischen nach einem solchen Element zu suchen. Von Lötscher (1993) wird diese These bestätigt, er vermutet in alem. go, ga, gi u. Ä. nämlich die ursprüngliche direktionale Präposition ‚gen, gegen‘. In manchen Dialekten ist sie auch heute noch produktiv, z. B. im St. Galler Rheintal: ... und drumm gang i oo nöd gi St. Galle! ‚.. und darum gehe ich auch nicht nach St. Gallen!‘.35 Als Infinitivpartikel (entsprechend z. B. ital. a) erscheint das Element mit Bewegungsverb und zielgerichtetem Infinitiv, z. B. (29)

a. Ër chunt go schwüme. b. Ër gaat go schwüme. ‚Er kommt / geht schwimmen.‘

Zürichdeutsch

Zu der Verwendung mit gehen passt dann im Rahmen der Ableitungshypothese (s. Abschnitt 2.2) der parallel konstruierte Absentiv mit sein. (30)

a. Ër gaat go schwüme. b. Ër isch go schwüme. ‚Er geht / ist schwimmen.‘

Zürichdeutsch

Allerdings wird go im heutigen Schweizerdeutschen offenbar nicht mehr als Infinitivpartikel, sondern als Infinitiv gaa ‚ehen‘ interpretiert, da go ‚en, gegen‘ lautlich gaa ‚gehen‘ –––––––—–– 34 35

Im Gegensatz zu de Groot (2000: 718, Fußnote 2) und mit Bucheli / Glaser (2002: 69, Fußnote 25) ordne ich diese Konstruktion als Absentiv ein. Für diesen Hinweis danke ich Raphael Berthele. Vgl. dazu auch Schweizerisches Idiotikon (1885: Sp. 322).

„Anna ist essen!“ Neue Überlegungen zum Absentiv

273

ähnelt. In der Kombination mit gehen wird go deshalb als Verbverdoppelung aufgefasst. Diese Bildungsweise wird dann auch teilweise auf andere Verben mit auslautendem Langvokal wie choo ‚kommen‘ usw. übertragen (s. dazu genauer Lötscher 1993). Deshalb ist neben Ër chunt go schwüme z. B. auch Ër chunt cho schwüme verbreitet. 4.3.

Zum Ursprung des Absentivs im Deutschen

Im Gegensatz zu den anderen Absentivsprachen, für die sich keinerlei Hinweise hinsichtlich der historischen Entwicklung des Absentivs finden, wird in der sprachhistorischen Forschung zum Deutschen die neuhochdeutsche Konstruktion sein + Infinitiv mit absentivischer Bedeutung (z. B. baden sein, einkaufen sein usw.) regelmäßig erwähnt. Das hat seinen Grund darin, dass sich die Frage stellt, ob diese heutige Fügung etwas mit der zwar schon im späten 11. Jahrhundert belegten, aber erst ab dem 15. Jahrhundert zahlreicher auftretenden, Konstruktion sein + Infinitiv mit rein progressiver Bedeutung zu tun hat, z. B. (zitiert nach DWB 1905 / 1984: Sp. 325): (31)

nun was der jung konig ie warten des reichs [1488] ‚nun war der junge König schon auf das Reich wartend‘

(d. städtechronik 3, 84, 1)

Im Allgemeinen wird angenommen, dass progressives sein + Infinitiv durch Endungsabfall aus der älteren progressiven Fügung sein + Partizip Präsens entstanden ist (z. B. DWB 1905 / 1984: Sp. 324), die sie im 15. und 16. Jahrhundert sogar verdrängt (Holmberg 1916: 32; Limmer 1944: 17). sein + Infinitiv stirbt jedoch nach dem 17. Jahrhundert selbst aus (Limmer 1944: 17),36 wobei diese Lücke sukzessive durch die auch im heutigen Deutschen noch verbreitete progressive Konstruktion am Xen sein gefüllt wird. Für letztere Fügung lassen sich frühe Beispiele schon im 16. Jahrhundert finden, auch wenn es sich in der Literatursprache noch bis heute nur um eine marginale Erscheinung handelt (Van Pottelberge 2004: 233, 236). Die folgende Tabelle soll noch einmal einen zeitlichen Überblick über das Auftreten der progressiven Konstruktionen im Deutschen geben.

AHD (800-1050) MHD (1050-1350) und ÄLT. FNHD (1350-1500) JÜNG. FNHD (1500-1650) NHD (ab 1650)

sein + P I X

sein + INF

X

X X

am Xen sein

X X

–––––––—–– 36

Möglicherweise ist das Verschwinden der Form sein + Infinitiv durch die Verschiebung von werden + Infinitiv bedingt, das sich im 16. Jahrhundert endgültig als Futurperiphrase etablierte (Ebert et al. 1993: 392). Bis dahin standen sein + Infinitiv (bzw. Partizip Präsens) und werden + Infinitiv (bzw. Partizip Präsens) nämlich in einer systematischen Opposition Progressivität vs. Ingressivität. Zu einer anderen Erklärung vergleiche z. B. Reimann (1997: 55 – 57).

Petra M. Vogel

274

Was nun einen möglichen Zusammenhang zwischen rein progressivem sein + Infinitiv und absentivischem sein + Infinitiv angeht, so wird ein solcher allerdings von allen Autoren, die sich mit der Frage beschäftigen, verworfen und statt dessen davon ausgegangen, dass absentivisches sein + Infinitiv durch Ellipse eines Partizip Perfekts gegangen entstanden sei. Diese Meinung vertreten etwa Dal (1966: 102), Grimm (1898: 101), Holmberg (1916: 33), Langl (2003: 80), Limmer (1944: 18, 95, 109f., 112) und Wilmanns (1906: 176f.). Reimann (1997: 55) lehnt dagegen auch den Ellipsenansatz ab, eine alternative Erklärung bietet sie jedoch nicht. Als Alternative zur Ellipsentheorie schlage ich hier vor, von einer Ableitung der Konstruktion sein + Infinitiv(ersatzkonstruktion) bzw. Partizip Präsens von der Fügung gehen + Infinitiv(ersatzkonstruktion) bzw. Partizip Präsens auszugehen. Prinzipiell lässt sich allerdings bei absentivischem sein + Infinitiv bis zum Aussterben von rein progressivem sein + Infinitiv nach dem 17. Jahrhundert nicht entscheiden, ob es sich um einen Progressiv mit absentivischem Nebenmerkmal oder um eine Ableitung von gehen + Infinitiv und damit um einen „echten“ Absentiv handelt. Folgen wir allerdings derselben Argumentation wie z. B. für Englisch Anna is swimming in 3, kann auch für das Mittelhochdeutsche von einer direkten Ableitung des Absentivs aus der gehen-Konstruktion ausgegangen werden. Immerhin ist die Kombination des Infinitivs in seiner Funktion als Handlungsziel mit germ. gaggan oder faran schon alt und bereits im Gotischen belegt (vgl. z. B. Grimm 1898: 107f.). Die frühesten belegten Fälle von absentivischem sein + Infinitiv stammen dabei aus dem Lanzelet des Ulrich von Zatzikhoven, also aus der Zeit um 1200 (vgl. auch DWB 1905 / 1984: Sp. 324f.). Bemerkenswerterweise handelt es sich in beiden Fällen um direkte Rede, das entspricht der Einschätzung des Absentivs als Bestandteil der gesprochenen Sprache und erklärt auch seine Seltenheit in der Literatursprache. (32)

(33)

mîn her Wâlwein kom sider, [...]. er was schowen die ritterschaft. ‚Mein Herr Wâlwein kam später, [...], er war sich die Ritter anschauen gewesen.‘ dar zuo ist mir unkunt, wie vil der ritter sî erslagen, die mit dem künege wâren jagen. ‚Auch weiß ich nicht, wie viele Ritter erschlagen wurden, die mit dem König jagen waren.‘

(Lanzelet 3012-3014)

(Lanzelet 6746-6748)

Auffällig ist außerdem, dass die beiden Konstruktionen im Präteritum stehen, dem „natürlichen“ Tempus für den Absentiv. Im ersten Beispiel ist die Rückkehr außerdem faktisch gegeben, während sie im zweiten Fall zumindest vorausgesetzt wird, auch wenn sie dann aufgrund des Mordes an den Rittern nicht mehr eintreten kann.37 –––––––—–– 37

Zu zwei weiteren möglichen Absentiven aus dem 15. bzw. 16. Jahrhundert vgl. Langl (2003: 71f.).

„Anna ist essen!“ Neue Überlegungen zum Absentiv

5.

275

Zusammenfassung

Aus der vorliegenden Untersuchung ergeben sich im Wesentlichen drei Ergebnisse. 1. Neben zwei Ellipsenansätzen, die immer nur für einige Sprachen gelten können, ist es möglich, eine gemeinsame Motivation für alle Absentivkonstruktionen in 26 europäischen Amts- und zwei regionalen Sprachen (Faröisch, Friesisch) zu finden. Diese Motivation, so wurde festgestellt, liegt in der konzeptionellen Verknüpfung von (weg)gehen und sein, da letzteres als Resultatszustand von ersterem interpretiert werden kann. Dadurch kann sein den Platz von (weg)gehen in der Konstruktion besetzen, wodurch „seltsame“ Verbindungen von sein mit einem zielgerichteten Infinitiv, mit ‚und / dass + finitem Verb‘ (Infinitiversatzkonstruktion) und sogar mit Partizip Präsens wie im Englischen erklärt werden können. Prinzipiell ist diese Ableitung von ‚sein + X‘ aus ‚gehen + X‘ zu im System aller Sprachen angelegt, es muss jedoch nicht notwendigerweise dazu kommen. Teilweise wird als Auslöser auch Kontakt mit einer Absentivsprache vermutet, so z. B. für Tschechisch (Berger im Druck). Innerhalb der 28 Absentivsprachen weisen jedoch 8 einen Teilabsentiv auf, d. h. die Konstruktion ist nur in einem Vergangenheitstempus vorhanden. Eine mögliche Erklärung zielt darauf ab, dass beim Absentiv immer auch die Rückkehr impliziert ist, was jedoch nur in der Vergangenheit als gesichert gelten kann. Der Teilabsentiv kann als noch nicht vollständig ausgebildeter, aber typischer Absentiv eingeordnet werden 2. Im Hinblick auf die deutschen Dialekte ist außerdem auffällig, dass nicht alle sein + Infinitiv aufweisen. Im Alemannischen (v.a. im Schweizerdeutschen) kann die Konstruktion jedoch auf einen mit ‚zu‘ markierten Infinitiv zurückgeführt werden, wie er etwa auch im Italienischen vorliegt. SprecherInnen des östlichen Mittel- und Oberdeutschen lehnen den Absentiv häufig ganz ab, einige, v. a. jüngere, akzeptieren ihn zumindest in einem Vergangenheitstempus. Hier liegt also nur ein Teilabsentiv vor. 3. Was die historischen Ursprünge des Absentivs ‚sein + Infinitiv‘ im Deutschen angeht, so stammen die frühesten Beispiele aus dem späten 12. Jahrhundert, obwohl ‚gehen + zielgerichteter Infinitiv‘ schon germanisch ist. Bis zum 17. Jahrhundert und dem Aussterben der progressiven Konstruktion ‚sein + Infinitiv‘ lässt sich theoretisch nicht entscheiden, ob es sich dabei um einen Progressiv mit absentivischem Nebenmerkmal oder um einen „echten“ Absentiv ‚sein + Infinitiv‘ als Ableitung von ‚gehen + Infinitiv‘ handelt. Aufgrund der Vergleichsmöglichkeiten mit anderen Sprachen, wo es ebenfalls Übereinstimmungen von Progressiv und Absentiv gibt, wird jedoch dafür plädiert, von der Annahme einer Progressivableitung abzusehen und der gehen-Ableitung den Vorzug zu geben.

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Petra M. Vogel

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„Anna ist essen!“ Neue Überlegungen zum Absentiv

277

Holm, Gösta (1958): Syntaxgeografiska studier över två nordiska verb. Uppsala, Wiesbaden: Lundequist. Holmberg, John (1916): Zur Geschichte der periphrastischen Verbindung des Verbum Substantivum mit dem Partizipium Praesentis im Kontinentalgermanischen. Uppsala: Almqvist & Wiksell. Kenesei, István, Vago, Robert M., Fenyvesi, Anna (1998): Hungarian. London, New York: Routledge. Kommentare zum Südwestdeutschen Sprachatlas (2000). 2. Lieferung. Hrsg. Von Ulrich Knoop, Volker Schupp, Hugo Steger. Bearb. von Bernhard Kelle et al. Marburg: Elwert. Krause, Olaf (1997): „Progressiv-Konstruktionen im Deutschen im Vergleich mit dem Niederländischen, Englischen und Italienischen.“ – In: Sprachtypologie und Universalienforschung 50, 48–82. – (2002): Progressiv im Deutschen: Eine empirische Untersuchung im Kontrast mit Niederländisch und Englisch. Tübingen: Niemeyer. Langl, Annette (2003): Synchrone und diachrone Untersuchung des Absentivs und Progressivs im Deutschen. München (Magisterarbeit). Lathrop, Thomas (2002): Curso de gramática histórica española. Barcelona: Edition Ariel. Limmer, Ilse (1944): sein + Infinitiv in der Entwicklung vom Mittelhochdeutschen zum Neuhochdeutschen. München (Diss.). Lockwood, W. B. (1964): An introduction to Modern Faroese. 2. printing. København: Munksgaard. Lötscher, Andreas (1993): „Zur Genese der Verbverdopplung bei gaa, choo, laa, aafaa (‚gehen‘, ‚kommen‘, ‚lassen‘, ‚anfangen‘) im Schweizerdeutschen.“ – In: Werner Abraham, Josef Bayer (Hgg.): Dialektsyntax, 180–200. Opladen: Westdeutscher Verlag. Mayerthaler, Willi, Fliedl, Günther, Winkler, Christian (1995): Infinitivprominenz in europäischen Sprachen. Teil II: Der Alpen-Adria-Raum als Schnittstelle von Germanisch, Romanisch und Slawisch. Tübingen: Gunter Narr. Metzler Lexikon Sprache (2005). 3., neubearbeitete Auflage. Herausgegeben von Helmut Glück und Friederike Schmöe. Stuttgart, Weimar: Metzler. Reimann, Ariane (1997): Die Verlaufsform im Deutschen: Entwickelt das Deutsche eine Aspektkorrelation?. Bamberg (Diss., Mikrofiche-Veröffentlichung). Sandøy, Helge (1986): Han er åt og kjem seg: Om ein vestnordisk aspektkonstruksjon. Bergen: Nordisk Inst., Univ. i Bergen. Schweizerisches Idiotikon. Wörterbuch der schweizerdeutschen Sprache (1885). 2. Band: G – H. Bearb. von Friedrich Staub, Ludwig Tobler und Rudolf Schoch. Frauenfeld: J. Huber. Sprachatlas von Bayerisch-Schwaben (1998). Band 6: Formengeographie I: Verbum. Hrsg. von Werner König. Bearb. von Edith Funk. Heidelberg: Winter. Südwestdeutscher Sprachatlas (1998). 5. Lieferung. Hrsg. von Hugo Steger, Volker Schupp. Bearb. von Markus Hundt et al. Marburg: Elwert. Swan, Michael (2005): Practical English usage. 3rd edition. Oxford: Oxford University Press. Teleman, Ulf, Hellberg, Steffan, Andersson, Erik (1999): Svenska Akademiens grammatik. 4. Satser och meningar. Stockholm: Svenska Akademien. Tommola, Hannu (2000): „Progressive aspect in Baltic Finnic.“ – In: Östen Dahl (Hg.): Tense and aspect in the languages of Europe, 655–692. Berlin, New York: Mouton de Gruyter. Ulrich von Zatzikhoven (1997): Lanzelet. Mittelhochdeutsch / Neuhochdeutsch von Wolfgang Spiewok. Greifswald: Reineke-Verlag. Van Pottelberge, Jeroen (2004): Der am-Progressiv: Struktur und parallele Entwicklung in den kontinentalwestgermanischen Sprachen. Tübingen: Narr. Vorarlberger Sprachatlas mit Einschluss des Fürstentums Liechtenstein, Westtirols und des Allgäus (VALTS) (1985–). Hrsg. und bearb. von Eugen Gabriel und Hubert Klausmann. Bregenz: Vorarlberger Landesregierung. Wessén, Elias (1970): Schwedische Sprachgeschichte. Band I: Laut- und Flexionslehre. Berlin: de Gruyter.

Petra M. Vogel

278

Wilmanns, Wilhelm (1906): Deutsche Grammatik: Gotisch, Alt-, Mittel- und Neuhochdeutsch. Abteilung III: Flexion, 1. Hälfte: Verbum. Strassburg: Trübner.

Anhang Der Absentiv in den 36 europäischen Amts- sowie den Regionalsprachen Faröisch und Friesisch Anmerkung: An Ersatzfügungen wurde für Nicht-Absentivsprachen lediglich die besonders häufig vorkommende (weg)gehen-Konstruktion notiert, andere nur dort, wo eine solche nicht genannt wurde (s. Albanisch, Isländisch und Türkisch auf die Frage „Wo war Anna?“). + / – Absentiv

Sprache



Albanisch (Toskisch)

Bemerkungen (‚essen‘)

Wo ist Anna?

Anna ka shkuar për të ngrënë. Anna hat gegangen Partikel Partikel essPARTIZIP Anna është duke ngrënë. Wo war Anna? Anna ist Partikel essGERUNDIV Anna ishte duke ngrënë. Anna war Partikel essGERUNDIV ? + (Verg.) m. Inf.ersatz

Bosnisch Wo ist Anna?

+ m. Inf.ersatz

Bulgarisch Wo ist Anna?

(‚Brot kaufen‘) Anna je (ot)išla da kupi hljeb. Anna ist (weg)gegangen dass kauft Brot Der Absentiv wird Wo war Anna? Anna je bila da kupi hljeb. nicht von allen Anna ist gewesen dass kauft Brot SprecherInnen oder akzeptiert. Anna je (ot)išla da kupi hljeb. Anna ist (weg)gegangen dass kauft Brot (‚Brot kaufen‘) Anna e da kupuva chljab. Anna ist dass kauft Brot Wo war Anna? Anna beše da kupuva chljab. Anna war dass kauft Brot

← gehen mit Inf.ersatz Progressiv Progressiv

← gehen mit Inf.ersatz

gehen mit Inf.ersatz: Anna otiva da kupuva chljab. Anna weggeht dass kauft Brot

„Anna ist essen!“ Neue Überlegungen zum Absentiv



Dänisch Wo ist er? Wo war er?

(‚boxen‘) Jens er ude at bokse. Jens ist weg zu boxen Jens var ude at bokse. Jens war weg zu boxen

279

s. de Groot gehen mit mark. Inf.: Jens går ud at bokse. Jens geht weg zu boxen gehen mit Inf.ersatz: Jens går ud og bokser. Jens geht weg und boxt

+ m. einf. Inf.

Deutsch (‚boxen‘) Wo ist Anna? Anna ist boxen. Wo war Anna? Anna war boxen.

s. de Groot gehen mit einf. Inf.: Anna geht essen.

+ m. Partizip I

Englisch (‚baden / schwimmen‘) Wo ist Anna? Anna is swimming. Wo war Anna? Anna was swimming.

gehen mit Partizip I: Anna goes swimming.

+ (Verg.) m. mark. Inf.

Wo ist Anna? Anna has gone to buy some bread. Wo war Anna? Anna has been to buy some bread.

← gehen mit mark. Inf.:

+ (Verg.) m. Inf.ersatz

Wo ist Anna? * Wo war Anna? Anna has been and bought some bread.

gehen mit Inf.ersatz nur Verg.: A. went and bought some bread.

+ m. mark. Inf.

Estnisch Wo ist Anna?

+ m. Inf.ersatz.

Faröisch Wo ist Anna?

(‚boxen‘) Anna er og boksar. Anna ist und boxt Wo war Anna? Anna var og boksaði. Anna war und boxte

s. a. Ebert gehen mit mark. Inf.: Anna fer at boksa. Anna geht zu boxen

Finnisch Wo ist Anna?

s. a. de Groot gehen mit mark. Inf.: Anna käy nykkeilemässä. Anna geht boxINFINITIV+INESSIV

+ m. mark. Inf.

+ (Verg.) m. einf. Inf.

(‚tanzen‘) Anna on tantsimas. Anna ist tanzINFINITIV+INESSIV Wo war Anna? Anna oli tantsimas. Anna war tanzINFINITIV+INESSIV

(‚boxen‘) Anna on nykkeilemässä. Anna ist boxINFINITIV+INESSIV Wo war Anna? Anna oli nykkeilemässä. Anna war boxINFINITIV+INESSIV Französisch Wo ist Anna?

(‚Brot kaufen‘) Anna est allée acheter du pain. Anna ist gegangen kaufen Brot Wo war Anna? Anna a été acheter du pain. Anna hat gewesen kaufen Brot

gehen mit mark. Inf.: Anna käib tantsimas. Anna geht tanzINFINITIV+INESSIV

← gehen mit einf. Infinitiv

Petra M. Vogel

280

+ m. mark. Inf.

Friesisch Wo ist Anna?



Griechisch Wo ist Anna?

(‚boxen‘) Anna as tu boxin. Anna ist zu boxen Wo war Anna? Anna wiar tu boxin. Anna war zu boxen (‚einkaufen‘) Anna echei paei na psonisei Anna ist gegangen dass einkauft Wo war Anna? Anna eiche paei na psonisei Anna war gegangen dass einkauft

s. a. de Groot gehen mit mark. Inf.: Anna keert ütj tu boxin. Anna geht weg zu boxen

← gehen mit Inf.ersatz

+ m. mark. Inf.

Irisch Wo ist Anna?

(‚baden / schwimmen‘) Tá Anna ag snamh. ist Anna zu baden / schwimmen Wo war Anna? Bhí Anna ag snamh. war Anna zu baden / schwimmen

gehen mit mark. Inf.: Téann Anna ag snamh. weggeht Anna zu bad. / schw.



Isländisch Wo ist Anna?

← gehen mit Verbalnomen

(‚baden / schwimmen‘) Anna fór í sund. Anna ging in Baden / Schwimmen Anna er í sundi. Anna ist in Baden / Schwimmen Wo war Anna? Anna var í sundi. Anna war in Baden / Schwimmen

sein mit Verbalnomen sein mit Verbalnomen gehen auch mit mark. Inf. / Inf.ersatz, aber nicht hier: Ég fer ad synda á morgun. ich gehe zu baden / schwimmen:INF morgen Ég fer og syndi á morgun. ich gehe und bade / schwimme:PRS SUBJ morgen

+ m. mark. Inf.

Italienisch Wo ist Anna?

+ m. mark. Inf.

Katalanisch Wo ist Anna?

(‚boxen‘) Anna è a boxare. Anna ist zu boxen Wo war Anna? Anna era a boxare. Anna war zu boxen (‚essen‘) Anna és a dinar. Anna ist zu essen Wo war Anna? Anna era a dinar. Anna war zu essen

s. de Groot gehen m. mark. Inf.: Anna va a boxare. Anna geht zu boxen

gehen m. mark. Inf.: Anna se n’ana a dinar. Anna sich weggeht zu essen

„Anna ist essen!“ Neue Überlegungen zum Absentiv

281

? + (Verg.) m. einf. Inf.

Kroatisch Wo ist Anna?

← gehen m. einf. Infinitiv

+ (Verg.) m. einf. Inf.

Lettisch Wo ist Anna?

← gehen mit einf. Infinitiv

+ (Verg.) m. einf. Inf.

Litauisch Wo ist Anna?

+ m. Inf.ersatz

Maltesisch Wo ist Anna?

+ m. Inf.ersatz

Mazedonisch Wo ist Anna?

+ m. einf. Inf.

Niederländisch (‚boxen‘) Wo ist Anna? Anna is boksen. Anna ist boxen Wo war Anna? Anna was boksen. Anna war boxen

s. a. de Groot gehen mit einf. Inf.: Anna gaat boksen. Anna geht boxen

+ m. Inf.ersatz

Norwegisch Wo ist Anna?

s. a. de Groot gehen mit Inf.ersatz: Anna går og boksar. Anna geht und boxt

(‚baden / schwimmen‘) Anna se (ot)išla kupati. Anna sich (weg)ging baden / schwimmen Der Absentiv wird Wo war Anna? Anna se je bila kupati. nicht von allen Anna sich (ist) gewesen baden / SprecherInnen schwimmen akzeptiert. oder Anna se (ot)išla kupati. Anna sich (weg)ging baden / schwimmen (‚baden / schwimmen‘) Anna ir aizgājis peldēties. Anna ist weggegangen s.-baden / schwimmen Wo war Anna? Anna bija peldēties. Anna war sich-baden / schwimmen (‚baden / schwimmen‘) (Anna ỳra nuė΄jusi pláukti.) Anna ist weggegangen baden / schwimmen Wo war Anna? Anna bùvo pláukti. Anna war baden / schwimmen (‚essen‘) Anna qiegħda tiekol. Anna istFEMININUM isstFEMININUM Wo war Anna? Anna kienet qiegħda tiekol. Anna warFEMININUM istFEMININUM isstFEMININUM (‚Brot kaufen‘) Anna e da kupi leb. Anna ist dass kauft Brot Wo war Anna? Anna beše da kupi leb. Anna war dass kauft Brot

(‚boxen‘) Anna er og boksar. Anna ist und boxt Wo war Anna? Anna var og bokset. Anna war und boxte

gehen mit einf. Inf.: Anna nueĩna pláukti. Anna weggeht baden / schw.

gehen mit Inf.ersatz: Anna tmur tiekol. Anna gehtFEMININUM isstFEMININUM

gehen mit Inf.ersatz: Anna odi da kupi leb. Anna weggeht dass kauft Brot

Petra M. Vogel

282

+ (Verg.) m. einf. Inf.

Polnisch Wo ist Anna?

← gehen mit einf. Infinitiv



Portugiesisch Wo ist Anna?

← gehen mit einf. Inf.

(‚baden / schwimmen‘) Anna poszedła się kąpać. Anna ging sich-baden / schwimmen Für manche Wo war Anna? Anna była się kąpać. SprecherInnen nur Anna war sich-baden / schwimmen mit Adverbiale möglich.

+ m. mark. Inf.

(‚essen‘) Anna foi almoçar. Anna ging essen Wo war Anna? Anna tinha ido almoçar. Anna hatte gegangen essen Rätoroman. (Surselvisch) Wo ist Anna?

(‚essen‘)

Rumänisch / Moldawisch Wo ist Anna?

(‚Milch kaufen‘)

Anna ei a magliar. Anna ist essen Wo war Anna? Anna era a magliar. Anna war essen + m. Inf.ersatz



+ m. Inf.ersatz

+ m. Inf.ersatz

← gehen mit einf. Inf.

gehen mit mark. Inf.: Anna va a magliar. Anna geht zu essen

Anna éste să cumpere lapte. Anna ist dass kauftPRÄSENS SUBJUNKTIV Milch Anna erá să cumpere lapte. Wo war Anna? Anna war dass kauftPRÄSENS SUBJUNKTIV Milch

gehen mit Inf.ersatz: Anna merge să cumpere lapte. Anna geht dass kauftPRS SBJ Milch

Russisch Wo ist Anna?

← gehen mit einf. Infinitiv

(‚baden / schwimmen‘) Anna pošla kupat’sja. Anna ging sich-baden / schwimmen Wo war Anna? Anna chodila kupat’sja. Anna ging[hin+zurück] s.-baden / schwimmen Schwedisch (‚boxen‘) Wo ist Anna? Anna är och boxar / boxas. Anna ist und boxt / sich-boxt Wo war Anna? Anna var och boxade / boxades. Anna war und boxte / sich-boxte Serbisch Wo ist Anna?

(‚Brot kaufen’) Anna je da kupi hleb. Anna ist dass kauft Brot Wo war Anna? Anna je bila da kupi hleb. Anna ist gewesen dass kauft Brot

s. a. de Groot gehen mit Inf.ersatz: Anna går och boxar / boxas. Anna geht und boxt / sichboxt

gehen mit Inf.ersatz: Anna ide da kupi hleb. Anna geht dass kauft Brot

„Anna ist essen!“ Neue Überlegungen zum Absentiv

283

+ m. einf. Inf.

Slowakisch Wo ist Anna?

(‘baden / schwimmen’) Anna je sa kúpat’. Anna ist sich-baden / schwimmen Wo war Anna? Anna bola sa kúpat’. Anna war sich-baden / schwimmen

gehen mit einf. Inf.: Anna ide sa kúpat’. Anna geht sich-baden / schw.

? + (Verg.) m. einf. Inf.

Slowenisch Wo ist Anna?

← gehen mit einf. Infinitiv



Spanisch Wo ist Anna?

← gehen mit mark. Inf.

(‚baden / schwimmen‘) Anna se je (od)šla kopat. Anna sich ist (weg)gegangen baden / schw. Der Absentiv wird nicht von allen Wo war Anna? Anna se je bila kopat. SprecherInnen Anna sich ist gewesen baden / akzeptiert. schwimmen oder Anna se je (od)šla kopat. Anna sich ist (weg)gegangen baden / schw. (‚essen‘) Anna se fue a comer. Anna wegging zu essen Wo war Anna? Anna se había ido a comer. Anna hatte weggegangen zu essen

← gehen mit mark. Inf.

+ m. einf. Inf.

Tschechisch Wo ist Anna?

(‚baden / schwimmen‘) Anna je se koupat. Anna ist sich-baden / schwimmen Wo war Anna? Anna byla se koupat. Anna war sich-baden / schwimmen

gehen mit einf. Inf.: Anna jde se koupat. Anna geht sich-baden / schw.



Türkisch Wo ist Anna?

← gehen mit Verbalnomen



(‚Zigaretten kaufen‘) Anna sigara almaya gitti. / Anna Zigaretten KaufDATIV ging Wo war Anna? Anna sigara almakta(dõr) Anna Zigaretten KaufLOKATIV(istPRÄSENS) Anna sigara almayadõ. Anna Zigaretten KaufLOKATIV-istPAST Ukrainisch Wo ist Anna?

(‚baden / schwimmen‘) Anna pišla kupatysja. Anna ging sich-baden / schwimmen Wo war Anna? Anna chodyla kupatysja. Anna ging[hin+zurück] s.-baden / schwimmen

sein mit Verbalnomen sein mit Verbalnomen

← gehen mit einf. Infinitiv

Petra M. Vogel

284

+ m. einf. Inf.

Ungarisch Wo ist Anna?



Weißrussisch Wo ist Anna?

(‚boxen‘) Anna boxolni van. Anna boxen ist Wo war Anna? Anna boxolni volt. Anna boxen war (‚baden / schwimmen‘) Anna vyjšla kupacca. Anna wegging sich-baden / schwimmen Wo war Anna? Anna chadzila kupacca. Anna ging[hin+zurück] s.-baden / schwimmen

s. a. de Groot gehen mit einf. Inf.: Anna boxolni medy. Anna boxen geht

← gehen mit einf. Infinitiv

Björn Rothstein

Einige Bemerkungen zum Partizip II in Das Pferd hat die Fesseln bandagiert1

1.

Einleitung

Ein viel diskutiertes Phänomen der deutschen Grammatik ist das so genannte Zustandspassiv mit sein. Dies belegt bereits die enorme Anzahl der vorgeschlagenen Analysen (u.a. Lenz 1993, Rapp 1996, Maienborn 2005). Besonderes Interesse hat der Status des Partizips II geweckt: handelt es sich hierbei um ein adjektivisches oder ein verbales Partizip? Oder ist es am Ende gar eine dritte Kategorie? Entsprechend sind die Klassifizierungsvorschläge für sein: es wird gelegentlich als Auxiliar, Kopula oder als eine eigene Verbgruppe definiert. Verblüffenderweise liegen keine entsprechenden Untersuchungen für das Äquivalent mit haben vor. Gemeint sind Konstruktionen folgenden Typs: (1)

Er hat den Arm eingegipst.

Hierbei geht es um die nicht-perfektische Interpretation von (1): Das Subjekt ist jetzt in einem besonderen Zustand: sein Arm ist eingegipst. Diese Interpretation darf nicht mit der Perfektlesart von (1) verwechselt werden, die besagt, dass er selbst zu einem vergangenen Zeitpunkt (vermutlich einer anderen Person) den Arm eingegipst hat. Mit Hole (2002) bezeichne ich die Konstruktion mit der nicht-perfektischen Lesart als „partizipialen HabenKonfigurativ“, kurz PHK. Temporaladverbiale disambiguieren zwischen dem PHK und dem Präsensperfekt. Eine Perfektlesart wird erzwungen mittels Modifikation durch Temporaladverbien, die eine Ereigniszeit vor dem Sprechzeitpunkt lokalisieren: (2)

Er hat den Arm gestern eingegipst.

(nur Perfekt)

Das Interesse am PHK ist vor allem Ende der siebziger und Anfang der achtziger Jahre durch die Arbeiten von Latzel (1977), Helbig (1978) und Leirbukt (1981) entstanden, dann ist die Konstruktion wieder aus der Diskussion gekommen. Die einzige mir bekannte neuere Arbeit, die sich detailliert mit dem PHK auseinandersetzt, ist Hole (2002). In der Diskussion um die Einordnung des Zustandspassivs mit sein spricht heute niemand vom –––––––—–– 1

Für Diskussion zu diesem Thema bedanke ich mich bei den Teilnehmern der Arbeitsgruppe Kopulasätze: intrasprachliche und intersprachliche Aspekte auf der DGfS 2005 in Köln sowie bei Ljudmila Geist, Claudia Maienborn, Heinrich Weber und vor allem bei Nele Hartung. Meinen Studierenden aus dem Wintersemester 2004/2005 an den Universitäten Stuttgart und Tübingen bin ich ebenfalls zu Dank verpflichtet. Sie haben einen großen Teil der hier vorgestellten Daten in Form eines Fragebogens bewertet. Wie immer bin ich alleine verantwortlich für etwaige Fehler.

Björn Rothstein

286

PHK. Ebenso wird er beim Vergleich von Perfekt und Passiv völlig außer Acht gelassen. Beispiele hierfür sind Abraham (2000), Klein (2000) und Musan (2002).2 Ziel dieses Beitrages ist daher, den morphosyntaktischen Status des Partizips II näher zu beleuchten. Es wird dafür argumentiert werden, dass das Partizip II des PHK ein adjektivisches Partizip ist, obwohl es auf den ersten Blick auch Charakteristika eines verbalen Partizips enthält. Die Einordnung des Partizips als Adjektiv wirft ebenfalls die Frage auf, wie haben zu klassifizieren ist. Die Ergebnisse der Untersuchung sollen auch dazu dienen, die bereits „auf dem Markt“ existierenden Vorschläge zur Analyse des Partizips II im Zustandspassiv mit sein zu vergleichen. Dabei soll es vor allem darum gehen, ob Partizipien II als Mittelwörter oder Kontinua zwischen Verben und Adjektiven (dazu Lenz 1993) zu analysieren sind oder ob es nicht Evidenz dafür gibt, sie entweder als Verben oder als Adjektive aufzuführen. Die Valenz und die Semantik des PHK werde ich in diesem Beitrag nicht untersuchen. Was die Selektionseigenschaften des PHK betrifft, so verweise ich auf Hole (2002). Der Beitrag gliedert sich wie folgt: nach einer kurzen Bemerkung zur Datenerhebung werden im Abschnitt 3.1. Standardtests zur Ermittlung der Wortart von Partizipien II vorgestellt und auf den PHK angewandt. In 3.2. werden die Ergebnisse der Tests diskutiert. Der vierte Abschnitt widmet sich der Syntax der Gesamtkonstruktion. Eine kurze Zusammenfassung und ein Ausblick beschließen den Aufsatz.

2.

Eine Randnotiz zur Datenerhebung

Die meisten der hier erhobenen Daten stammen aus google.de, da die mir bekannten Korpora zumeist nicht die gewünschten Daten in ausreichendem Umfang enthielten. Die aus google.de stammenden Daten werden im Folgenden dadurch gekennzeichnet, dass der jeweilige Link zu ihrem Ursprung beigefügt wird. Die Arbeit mit google.de mag mir Schelte einbringen. Google-Daten sind stets problematisch, da unter anderem nicht ausgemacht werden kann, ob sie von Muttersprachlern stammen oder nicht. Die Wahl fiel dennoch auf google.de, um eine introperspektive Datenerhebung mit mir selbst als einzigem Informanten auszuschließen. Um dennoch eine verlässliche Datenlage vorweisen zu können, wurden die google.de Daten anschließend durch einen Fragebogen bewertet. Befragt wurden insgesamt 45 Studierende an den Universitäten Tübingen und Stuttgart. Dabei wurde darauf geachtet, dass es sich ausschließlich um Muttersprachler des Deutschen handelt. Insofern hoffe ich, eine saubere Datenlage zu präsentieren.

–––––––—–– 2

Für Kritik hierzu vergleiche Rothstein (2004).

Einige Bemerkungen zum Partizip II

3.

287

Zum morphosyntaktischen Status des Partizips im PHK

Die Wortart des Partizips II im PHK ist bisher nicht detailliert untersucht, sondern lediglich dessen Satzgliedstatus angegeben worden. Helbig (1978: 43) spricht von einem „prädikativen Attribut“ und von einem „latenten Nebenprädikat“, ohne jedoch die Wortart zu präzisieren. Leirbukt (1981) betrachtet den PHK als Prädikativ, auch hier fehlt jedoch der Wortartnachweis. Im Folgenden wird daher die Wortart des Partizips II untersucht. 3.1.

Die Wortart des Partizips II

Verschiedene Tests zur Ermittlung des Wortartstatus von Partizipien II sind unter anderem von Höhle (1978), Litvinov & Nedjalkov (1988), Reis (1985), Lenz (1993) und Rapp (1996) vorgeschlagen worden. Im Folgenden werden diese Tests auf den PHK angewandt. 3.1.1.

Koreferenzeigenschaften (T1)

Der PHK erlaubt andere Koreferenzeigenschaften als das Präsensperfekt (vgl. Helbig 1978: 42f). In der nicht-reflexiven Lesart wie in (3) und (5) verbietet das Präsensperfekt Koreferenz zwischen Dativargument und Subjekt der untersten VP: nur Peter kann es gewesen sein, der Mark die Gitarre umgehängt hat bzw. nur Julia kann Maria die Lippen geschminkt haben. Die Koreferenzbeschränkungen von (4) und (6) sind jedoch anders geregelt. Hier sind zwei Lesarten möglich: eine nicht-reflexive wie aus (3) und (5) und eine reflexive, die Koreferenz des Subjekts der untersten VP mit dem unterdrückten Dativargument erlaubt. Mark kann sich die Gitarre selbst umgehängt haben oder ein anderer kann es getan haben. Marias Lippen wurden nicht unbedingt von ihr selbst geschminkt. (3) (4) (5) (6)

Peter hat Mark die Gitarre umgehängt. Mark hat die Gitarre umgehängt. Julia hat Maria die Lippen geschminkt. Maria hat die Lippen geschminkt.

(nicht-reflexiv) (reflexiv oder nicht-reflexiv) (nicht-reflexiv) (reflexiv oder nicht-reflexiv)

Mit Rapp (1996: 256) nehme ich an, dass (4) und (6) gegen den verbalen Status des Partizips II im PHK sprechen, denn verbale Partizipien, wie sie beispielsweise im Präsensperfekt vorliegen, erlauben diese Art von Koreferenz nicht. 3.1.2.

Blockierungseffekte (T2)

Der PHK ist bei einigen resultativen Verben wider Erwarten nicht akzeptabel. Schließen gehört beispielsweise zu der Gruppe von Verben, die der PHK bevorzugt selegiert:3 –––––––—–– 3

Vergleiche auch Hole (2002).

Björn Rothstein

288 (7)

Das Geschäft hat geschlossen.

Demzufolge sollte auch verschließen im PHK möglich sein. Entgegen Voraussage ist dies nicht der Fall: (8)

*Das Geschäft hat verschlossen.

Als Erklärung für (7) und (8) nehme ich Blockierung an. Die gebräuchliche Form geschlossen konkurriert mit der Verwendung von verschlossen in (7) und blockiert diese. Blockierung besagt, dass eine normalerweise produktive Wortbildungsregel gelegentlich nicht möglich ist, da ihre Anwendung ein Synonym zu einem bereits lexikalisierten Wort ergeben würde. So blockiert beispielsweise geheiratet in (9) verheiratet in (10). (9) (10)

*Carola ist seit letztem Sommer geheiratet. Carola ist seit letztem Sommer verheiratet.

(Rapp 1996: 253) (Rapp 1996: 253)

Blockierungseffekte sind auf die Wortbildung beschränkt und treten in der Syntax nicht auf (dazu u. a. Olsen (1986), Reis (1999) …). Die Unsystematik in der Bildung des PHK von resultativen Verben spricht daher für einen Wortbildungsprozeß, der die Wortart des ursprünglich verbalen Partizips II verändert. 3.1.3.

Koordination (T3)

Adjektivische Partizipien lassen sich mit Adjektiven, verbale Partizipien mit Verben koordinieren. Ein Beispiel stellt das adjektivische Partizip II des so genannten Zustandspassivs dar. Hier ist in der Tat die Koordination mit einem genuinen Adjektiv möglich: (11)

Wer noch auf der Suche ist, sollte ganz schnell die Fühler ausstrecken. Amors Pfeile sind gespitzt und treffsicher. (www.freenet.de/freenet/horoskop/ ihr_horoskop/jahreshoroskop/jungfrau/)

Asymmetrische Koordinationen von Adjektiven mit Verben sind nicht möglich, was die Koordination von Präsensperfekt mit dem Adjektiv griffbereit belegt: (12)

*Er hat geschlafen und nun den Bleistift griffbereit.

Aus der Tatsache, dass das Partizip II des PHK mit Adjektiven koordinierbar ist, schließe ich, dass das Partizip II des PHK ein adjektivisches Partizip II ist: (13)

Im Detailbereich haben Sie alle Informationen zum aktuellen Kontext klar und übersichtlich dargestellt und griffbereit. (http://www.hyperwave.com/d/downloads/documents/navigator_healthcare.pdf)

Einige Bemerkungen zum Partizip II

3.1.4.

289

Prädikative (T4)

Doppeltes Vorkommen von Prädikativen in derselben syntaktosemantischen Funktion ist ausgeschlossen: 4 (14)

*Er serviert das Fleisch blutig roh.

(Reis 1985: 144)

Unter der Annahme, dass die zweifache Verwendung derselben syntaktosemantische Funktion nur koordinativ möglich ist, erklärt Rapp (1996: 252) die Beschränkungen für das Vorgangspassiv in (15) und das Zustandspassiv in (16). (15) (16)

Das Fleisch wird (roh) serviert. Das Fleisch ist (*roh) serviert.

Das adjektivische Partizip II im Zustandspassiv steht bereits selbst in einem prädikativen Verhältnis zum Subjekt und verbietet damit ein weiteres nicht-koordiniertes Adjektiv. Das Partizip II im Vorgangspassiv ist verbal und löst daher keine entsprechende Beschränkung aus. Auch der PHK schließt ein weiteres prädikatives Adjektiv aus: (17)

(18)

Und damit es nach dem Schnitt keine „kurzen Überraschungen“ gibt, sollten naturkrause Haare immer trocken geschnitten werden. (www.swr.de/kaffee-oder-tee/ tipps-tricks/hautnah/2004/05/10/) *Er hat die Haare trocken geschnitten. 5

Die Tests (T1) bis (T4) haben zum vorläufigen Ergebnis, dass das Partizip II des PHK ein Adjektiv ist. Es stehen aber noch Tests aus. Diese scheinen gegen den adjektivischen Charakter des Partizips II zu argumentieren. Es handelt sich hierbei um mögliche Komparativmorphologie, Präfigierung durch un- und adjektivtypische Zusätze. Es wird gezeigt, dass wider Erwarten die Anwendung dieser Tests den adjektivischen Status des Partizips II im PHK negiert. Besonders problematisch ist in dieser Hinsicht, dass die besagten Tests zu den Kerneigenschaften adjektivischer Partizipien zählen. Prototypische genuine Adjektive können gesteigert, durch un- präfigiert werden und erlauben adjektivtypische Zusätze wie zu. Daher sollten die folgenden Tests eigentlich erst recht den adjektivischen Status des Partizips II im PHK belegen. 3.1.5.

Komparativmorphologie (T5)

Adjektivische Partizipien erlauben in der Regel den Komparativ: (19) (20)

Diese Region ist noch gefährdeter. *Diese Region wird noch gefährdeter.

(Rapp 1996: 239)

–––––––—–– 4 5

Dieser Test geht auf Reis (1985: 144) zurück. (18) ist als Präsensperfekt, bei dem „er“ sich selbst oder jemand anderem die Haare bereits geschnitten hat, jedoch grammatisch. Dies liegt an der verbalen Natur des Perfektpartizips.

Björn Rothstein

290

Den bisherigen Ergebnissen zufolge sollte Komparation des Partizips II im PHK akzeptabel sein. Sie ist jedoch, entgegen Voraussage, nicht möglich: (21) (22) (23)

*Er hat die Gitarre umgehängter. *Das Pferd hat die Fesseln bandagierter. *Er hat den Arm verbundener.

Zu bedenken ist, dass die am PHK beteiligten Partizipien II prinzipiell schlecht steigerbar sind. Dies belegen die folgenden adjektivischen Verwendungen derselben Partizipien II: (24) (25) (26)

a. b. a. b. a. b.

*Die umgehängtere Gitarre *Die Gitarre ist umgehängter. *Die bandagierteren Fesseln *Die Fesseln sind bandagierter. *der verbundenere Arm *Der Arm ist verbundener.

Es gibt jedoch einige vom PHK selegierte Partizipien II, die steigerbar sind: (27)

Du bist ja geschminkter als Kiss.

Wider Erwarten bleibt der Komparativ im PHK jedoch aus: (28)

*Du hast das Gesicht ja geschminkter als Kiss.

Dies spricht gegen die Adjektivanalyse.6 3.1.6.

Präfigierung durch un- (T6)

Adjektive können durch un- präfigiert werden, Verben jedoch nicht. So ist die Präfigierung durch un- im Präsensperfekt nicht möglich aufgrund des verbalen Partizips II: (29)

*Peter hat gestern Mark den Arm unverbunden.

Auch im PHK ist die un-Präfigierung nicht möglich: (30)

*Peter hat den Arm unverbunden.

Erneut entsteht das Problem, dass die am PHK beteiligten Partizipien II prinzipiell schlecht durch un- präfigiert werden können. Dies belegen ihre Verwendungen in Konstruktionen mit adjektivischem Partizip II. (31)

a. *der unverbundene Arm b. *Der Arm ist unverbunden.

–––––––—–– 6

Das soll nicht heißen, dass Adjektive stets steigerbar sein müssen (vgl. prima, schwanger etc.).

Einige Bemerkungen zum Partizip II

291

Allerdings erlauben manche der relevanten Partizipien II in attributiven Verwendungen oder im Zustandspassiv durchaus das Präfix un-: (32)

a. ihre ungeschminkten Lippen b. Ihre Lippen sind ungeschminkt.

Entgegen der hier vertretenen Analyse ist die Präfigierung durch un- jedoch ausgeschlossen beim PHK. Dies ist ein zweites Argument gegen die Adjektivanalyse. (33)

*Sie hat die Lippen ungeschminkt.

(33) könnte demnach dadurch erklärt werden, dass das Partizip II verbal ist. Ich komme auf die Analyse als verbales Partizip II in Abschnitt 3.2 zurück. 3.1.7.

Adjektivtypische Zusätze

Ein drittes Argument gegen die Adjektivanalyse betrifft die Modifikation durch auf Adjektive spezialisierte Zusätze. Adjektivische Partizipien erlauben adjektivtypische Zusätze wie zu. Diese sind jedoch vom PHK ausgeschlossen. (34)

*Vorsicht! Jetzt hat er den Arm zu verbunden!

Auch hier ist es zunächst schwierig, Partizipien II zu finden, die sowohl im PHK verwendet werden als auch adjektivtypische Zusätze erlauben: (35) (36) (37)

*die zu umgehängte Gitarre *Die Fesseln sind zu bandagiert. *Der Arm ist zu verbunden.

Aufknöpfen erlaubt jedoch prinzipiell adjektivtypische Zusätze und kann auch im PHK verwendet werden: (38) (39)

Er trägt eine dunkelblaue Jeans und ein weißes Hemd, das für das aktuelle Wetter zu aufgeknöpft ist. Er hat sein Hemd aufgeknöpft.

Es ist jedoch nicht möglich, dieses Partizip II im PHK durch adjektivtypische Zusätze wie zu zu modifizieren: (40)

*Er hat sein Hemd zu aufgeknöpft für das aktuelle Wetter.

Auch dies spricht gegen die Adjektivanalyse und scheint die Analyse als Verb zu begünstigen.

Björn Rothstein

292 3.1.8.

Zwischenzusammenfassung

Die Anwendung der Tests ergibt folgendes Bild. Gegen eine Adjektivanalyse sprechen die ausbleibende Komparativmorphologie, die unmögliche Präfigierung durch un- und die fehlenden adjektivtypischen Zusätze, die die Einordnung des Partizips II im PHK als Verb nahe legen. Für die Adjektivanalyse sprechen wiederum die Koreferenzeigenschaften, Blockierungseffekte, Koordination und Prädikative des PHK. Die Ermittlung der Wortart führt somit zu einem in sich widersprüchlichen Bild: Das Partizip II des PHK scheint sowohl Adjektiv wie auch Verb zu sein. 3.2.

Verbale und adjektivische Eigenschaften des Partizips II im PHK

Drei Analysen, wie der scheinbare Widerspruch zwischen verbalen und adjektivischen Eigenschaften des Partizips im PHK aufgelöst werden kann, sind möglich: (A1) Es ist nicht davon auszugehen, dass Partizipien II entweder Adjektive oder Verben sind. Man muss vielmehr annehmen, dass es ein Kontinuum zwischen adjektivischen und verbalen Partizipien II gibt. Diese Position ist zum Beispiel von Lenz (1993) für das Zustandspassiv vertreten worden. (A2) Das Ausbleiben von Komparativmorphologie, adjektivtypischen Zusätzen und Präfigierung durch un- ist durch die Syntax / Semantik des am PHK beteiligten haben erklärbar. (A3) Ein besonderer Wortbildungstyp ist für die gemischt verbal-adjektivischen Eigenschaften des Partizips II verantwortlich. Der Ansatz (A1) sieht Partizipien II als Mittelwörter zwischen Adjektiven und Verben. Partizipien II haben demnach sowohl adjektivische wie verbale Eigenschaften. Dies scheint zunächst der Datenlage gerecht zu werden. Als problematisch erweist sich jedoch, dass die am PHK beteiligten Partizipien II in anderen Konstruktionen wie im Zustandspassiv sehr wohl durchweg adjektivische Eigenschaften aufweisen: (41) (42) (43) (44)

Ihre Lippen sind ungeschminkt. *Sie hat ihre Lippen ungeschminkt. Sein Hemd ist für das aktuelle Wetter zu aufgeknöpft. *Er hat sein Hemd für das aktuelle Wetter zu aufgeknöpft.

(PHK)

Dies hat zur Folge, dass das Partizip II des PHK im Wortartkontinuum Adjektiv-Verb an anderer Stelle eingeordnet werden muss als das des Zustandspassivs. Damit sagt (A1) voraus, dass es verschiedene Wortbildungstypen/Wortarten für Partizipien II gibt. Der im PHK involvierte Typ unterdrückt gewisse adjektivische Eigenschaften wie Komparativmorphologie usw., die jedoch in anderen Konstruktionen mit adjektivischem Partizip II wie dem Zustandspassiv nicht unterdrückt werden. Diese Position ist nicht unmöglich, aber systemtheoretisch kaum wünschenswert, da sie zwangsweise zu einer Vielzahl unterschiedlicher Wortbildungstypen/Wortarten für Partizipien II führt und somit sehr unökonomisch ist.

Einige Bemerkungen zum Partizip II

293

Nach (A2) werden die ausbleibende Komparativmorphologie, die adjektivtypischen Zusätze und die Un-Präfigierung durch die Syntax / Semantik von haben unterdrückt. Obwohl diese Analyse, was Vorstellungen von Kompositionalität verbaler Periphrasen betrifft, zunächst einleuchtend ist, kann sie hinsichtlich der folgenden Fakten nicht aufrechterhalten werden. (A2) sagt voraus, dass die im PHK fehlenden adjektivischen Eigenschaften auch bei genuinen Adjektiven und Adverbien ausbleiben. Genuine Adjektive und Adverbien werden hier als Wörter verstanden, die nicht durch einen Wortbildungsprozess entstehen, sondern im Lexikon als Adjektive bzw. Adverbien aufgeführt werden. Die beim PHK fehlenden adjektivischen Eigenschaften der Partizipien II sind bei genuinen Adjektiven jedoch möglich: (45) (46) (47)

(48)

Ihr Mann hat es schwerer - für seine Eltern ist er ein verlorener Sohn. (www.lomdim.de/md2003/06/0603_02.htm) „Kein Kommentar, der hat es schwer genug.“ (www.stern.de/wirtschaft/unternehmen/magazin/?id=526828) „Nein, Adolphe, du hast unrecht!“ rief René. Er war aufgesprungen und lief im Zimmer auf und ab. „Du hast unrecht, und ich werde es dir beweisen.“ (gutenberg.spiegel.de/gerstaec/tahiti/tahit28.htm) Ich habe es ungern, wenn ich das Gefühl habe, dass man über mich bestimmt, über mich verfügt. (www.thomas-oestreicher.de/texte/hoger.htm)

Damit kann (A2) nicht erklären, warum manche Adjektiveigenschaften ausbleiben. Bleibt (A3) zu untersuchen. Nach (A3) ist ein besonderer Wortbildungsprozess für die fehlenden Adjektiveigenschaften Komparativmorphologie, Un-Präfigierung und adjektivtypische Zusätze verantwortlich. Solch ein Wortbildungsprozess ist von Kratzer (1993) und Rapp (1996) vorgeschlagen worden. Beide unterscheiden zwischen zwei Adjektivierungsarten von Partizipien II. In beiden Fällen wird mittels eines adjektivischen Nullaffixes ein ursprünglich verbales Partizip II adjektiviert.7 Es können entweder phrasale oder lexikalische, d.h. nicht-phrasale, verbale Basen adjektiviert werden: (49)

a.

phrasal

b.

lexikalisch

A

VP

A

ØA

V

ØA

Die Notwendigkeit zweier verschiedener Nullaffixe resultiert aus Kombinationsrestriktionen von adjektivischen mit verbalen Eigenschaften der Partizipien. Nicht möglich sind beispielsweise tätigkeitsbeschreibende Zusätze in Kombination mit Un-Präfigierung oder Komparation: (50) (51)

*Sonja war hässlich ungeschminkt. *Sonja war hässlich geschminkter.

–––––––—–– 7

Ob Konversion konkatenativ oder nicht-konkatenativ ist, spielt an dieser Stelle keine Rolle (für Diskussion siehe beispielsweise Olsen 1986). Das Nullaffix repräsentiere ich als „Ø“.

Björn Rothstein

294

Lexikalische Adjektivierung erlaubt die Un-Präfigierung und die Komparation des Partizips. Sie schließt aber tätigkeitsbeschreibende Zusätze aus. Der phrasale Adjektivierungsmechanismus des Partizips II lässt sich demnach durch tätigkeitsbeschreibende Zusätze nachweisen. Wie (52) zeigt, liegt im PHK phrasale Adjektivierung vor. Da Komparation und Un-Präfigierung nur bei lexikalischer Adjektivierung möglich sind, erklärt dies unmittelbar ihr Ausbleiben im PHK. (52)

Sie hat die Lippen sorgfältig geschminkt.

Dies gilt auch für die adjektivtypischen Zusätze:8 (53) (54)

*Ihre Lippen sind sorgfältig genug geschminkt. *Die Stadt ist genug zerstört / zerstört genug von den Römern.

Die Annahme von phrasaler Adjektivierung des Partizips erklärt zwar die bisher untersuchten Fakten, bringt jedoch eine unangenehme Konsequenz mit sich. Phrasale Adjektivierung erlaubt von-Phrasen im Zustandspassiv mit sein: (55)

Die Suppe ist von Maja gewürzt.

(Lenz 1993: 40)

Demzufolge sollten von-Phrasen auch im PHK möglich sein. Der PHK schließt AgensAngaben in von Phrasen jedoch aus. Nach Helbig (1978: 42) bleibt das Agens im PHK „unausgedrückt“. Demzufolge ist (56) ungrammatisch: (56)

*Er hat den Arm verbunden von seinem Bruder.

Zunächst ist zu bemerken, dass die von-Phrase im PHK gelegentlich möglich ist: (57) (58)

Er hat das Gesicht von tiefen Falten durchfurcht. (Latzel 1977: 299) Hatte er Arme, Beine und Brust zerkratzt von Disteln, Stroh und Grannen (Litvinov & Nedjalkov 1988: 46)

Da beide von-Phrasen jedoch kein Agens enthalten, gibt die Akzeptabilität von (57) und (58) keine Antwort darauf, warum (56) ungrammatisch ist. Die agentive von-Phrase in (56) ist Teil der Ereignisstruktur des zugrunde liegenden Verbs. Sie modifiziert somit die Tätigkeit, die zu dem durch das Partizip II ausgedrückten Resultatszustand geführt hat. Für die Angabe tätigkeitsbezogener Zusätze im adjektivischen Passiv gibt es nach Rapp (1996: 257) Beschränkungen: Bedingung für die Adjektivierung einer Kategorie im 3. Status ist, dass diese keine Information enthalten darf, die für den Resultatszustand nicht charakteristisch ist. Dies schließt beim phrasalen Zustandspassiv bestimmte tätigkeitsbezogene Phrasen aus (73), ermöglicht jedoch andere (74): (73) a. *Der Brief ist langsam geschrieben. b. *Ihre Haare sind mit einem goldnen Kamm gekämmt.

–––––––—–– 8

(53) ist unakzeptabel in der Lesart, dass geschminkt von genug modifiziert wird.

Einige Bemerkungen zum Partizip II (74)

a. b.

Der Brief ist mit roter Tinte geschrieben. Ihre Haare waren sorgfältig/schlampig gekämmt.

295 (Rapp 1996: 257)

Es verhält sich demzufolge so, dass das Auftreten tätigkeitsbezogener Zusätze im Zustandspassiv zwar von der phrasalen Adjektivierung vorhergesagt wird, es aber unabhängige Gründe dafür gibt, dass nicht jede Art von Zusatz möglich ist. Für den PHK bedeutet dies, dass die phrasale Adjektivierung von- Phrasen zwar ermöglicht, ihr häufiges Ausbleiben im PHK jedoch kein Argument gegen den besagten Wortbildungstyp ist. Es ist in der Literatur zum PHK wiederholt bemerkt worden, dass die vom PHK selegierten Verben alle visuell wahrnehmbare Resultatszustände denotieren. So stellt Latzel (1977: 289) fest, dass das Partizip II im PHK aus (59) ersetzt werden kann durch ein deiktisches so wie in (60): (59) (60)

Das Pferd hat die Fesseln bandagiert. Das Pferd hat die Fesseln so.

(Latzel 1977: 289) (Latzel 1977: 289)

So ist mit einer Zeigegeste verbunden. Die Substitution des Partizips II durch so zeigt demnach, dass der Resultatszustand des Partizips II visuell wahrnehmbar sein muss. Demzufolge sind nur solche von-Phrasen möglich, die ebenfalls visuell wahrnehmbar sind. Dies erklärt die Akzeptanz von (57) und (58). In beiden Fällen ist der Resultatszustand wahrnehmbar. Die Falten sind zu sehen und die Spuren von Disteln, Stroh und Grannen ebenfalls. In (56) sind keine solchen erkennbaren Spuren zu finden. Welche Spuren sollte der Bruder beim Verbinden des Armes auch hinterlassen können? Für diesen Ansatz sprechen auch solche Beispiele, die gewissermaßen ein visuelles Erkennungsmerkmal, das den zugrunde liegenden Agens der Ereignisstruktur signalisiert, enthalten: (61)

Er hat den Arm von einem Fachmann verbunden. Der Verband ist perfekt.

(Hörbeleg)

Es konnte bisher gezeigt werden, dass der PHK aus haben und einem adjektivierten Partizip II gebildet wird. Da das Partizip II nicht alle adjektivtypischen Eigenschaften aufweist, wurde im Einklang mit Kratzers (1993) und Rapps (1996) Untersuchungen zum Zustandspassiv ein bestimmter Adjektivierungsprozeß angenommen. Der PHK erlaubt nur phrasale Adjektivierung. Von-Phrasen sind vom PHK ausgeschlossen, da der durch das Partizip II denotierte Resultatszustand visuell wahrnehmbar sein muss.

4.

Einige Bemerkungen zur Syntax der Gesamtkonstruktion

Der PHK ist ohne Akkusativobjekt bis auf die Ausnahmen öffnen, schließen und heizen (Latzel 1977: 302) nicht möglich: (62)

Der Laden hat geöffnet / geschlossen / geheizt.

Björn Rothstein

296

Es gibt nur wenige Adjektive, die von haben selegiert werden. Dabei scheint es sich um lexikalisierte Verbindungen zu handeln. (63)

Der Laden hat offen.

Der PHK ähnelt damit Objektprädikativen des folgenden Typs: (64) (65)

Sie hat den Bleistift stets griffbereit. Ich will erst die Arbeit fertig haben, dann kümmere ich mich um die Liebe. (de.geocities.com/flirtkurse/teil1.html)

Von einer Ähnlichkeit mit Resultativkonstruktionen wie im folgenden Beispiel kann keine Rede sein. (66)

Er trinkt die Flasche leer.

Hier ist das Resultat Ergebnis der Verbalhandlung. Das Trinken bewirkt, dass die Flasche leer wird. Der griffbereite Bleistift in (64) und die noch zu beendende Arbeit (65) sind nicht das Resultat eines Ereignisses oder Zustands haben. Für die Annahme einer parallelen Struktur von Objektprädikativkonstruktionen in (64) und (65) und dem PHK spricht, dass in beiden Konstruktionen weder das Objekt noch das Objektsprädikativ ausgelassen werden können: (67) (68) (69) (70)

Er hat den Bleistift stets *(griffbereit). Er hat *(den Bleistift) stets griffbereit. Er hat den Arm *(verbunden). Er hat *(den Arm) verbunden.

Wie bereits erwähnt, kann der PHK mit Objektprädikativen koordiniert werden: (71)

Im Detailbereich haben Sie alle Informationen zum aktuellen Kontext klar und übersichtlich dargestellt und griffbereit. (http://www.hyperwave.com/d/downloads/documents/navigator_healthcare.pdf)

Die Koordination mit Adjektiven in nicht-objektsprädikativer Funktion ist nicht akzeptabel: (72)

*Er hat den Arm schon seit Wochen eingegipst und deshalb frei.

Daher kann nicht von einer Syntax wie „Kopula + Adjektiv“ die Rede sein, vielmehr muss angenommen werden, dass haben ein komplexes Komplement selegiert, das aus einer NP und einem adjektivischen Partizip II besteht.

Einige Bemerkungen zum Partizip II

5.

297

Zusammenfassung und Ausblick

Ziel dieses Beitrages war, dem morphosyntaktischen Status des Partizips II im PHK auf die Schliche zu kommen. Obwohl es auf den ersten Blick sowohl adjektivische wie auch verbale Eigenschaften zeigt, konnte durch Anwendung von Standardtests nachgewiesen werden, dass dieses Partizip II ein Adjektiv ist. Dazu war die Annahme eines bestimmten Wortbildungstyps, der phrasalen Adjektivierung im Kratzerschen und Rappschen Sinne, nötig. Somit konnte erklärt werden, warum einige der prototypischen Eigenschaften von adjektivischen Partizipien im PHK ausbleiben. Insofern stellt der PHK eine Bestätigung für die Existenz der von Kratzer und Rapp vorgeschlagenen phrasalen Adjektivierung dar. Die hier vorgeschlagene Analyse zeigt weiterhin, dass es nicht nötig ist, Partizipien als Mittelwörter oder Kontinua zwischen Adjektiven und Verben zu analysieren. Die Syntax der Gesamtkonstruktion gleichwohl wie die Syntax von Objektprädikativkonstruktionen im Allgemeinen erwarten noch weitere Untersuchungen. Unklar ist beispielsweise, warum haben eine Art komplexes AP/DP-Komplement selegiert, dessen Konstituenten beide obligatorisch im PHK sind. Auch der Status von haben muss weiter untersucht werden: Ist es ein Vollverb oder liegt mit dem PHK eine weitere Kopulakonstruktion im Deutschen vor? Für die Kopulaanalyse spricht die Wortart des Komplements. Die Entdeckung einer Kopula haben in der deutschen Grammatik hätte auch den Vorteil, dass sie die Aufnahme dieses Beitrags in einen Sammelband über Kopulaverben und Kopulasätze legitimierte. Was zunächst gegen eine Kopulaanalyse zu sprechen scheint, ist die sehr kleine Gruppe von Adjektiven, die sich mit haben verbinden. Auch die Semantik des PHK ist ein Problem für die Kopulaanalyse: Haben stellt nämlich keine prädikative Beziehung zwischen dem Akkusativobjekt und dem adjektivischen Partizip II her. Aber für den Moment sind dies nur Überlegungen. Ich hoffe, Antworten auf diese Fragen an anderer Stelle nachtragen zu können.

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Björn Rothstein

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Autorenverzeichnis

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