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German Pages 364 Year 2021
Jan Alexander van Nahl Kontingenz und Zufall in den altisländischen Königssagas
Ergänzungsbände zum Reallexikon der Germanischen Altertumskunde
Herausgegeben von Sebastian Brather, Wilhelm Heizmann und Steffen Patzold
Band 130
Jan Alexander van Nahl
Kontingenz und Zufall in den altisländischen Königssagas
ISBN 978-3-11-075877-1 e-ISBN (PDF) 978-3-11-075928-0 e-ISBN (EPUB) 978-3-11-075935-8 ISSN 1866-7678 Library of Congress Control Number: 2021945783 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2022 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston Druck und Bindung: CPI books GmbH, Leck www.degruyter.com
Die Wirklichkeit bildet eine Insel, einen Archipelagus im Ozean des Möglichen. So unsicher alles Navigieren auf ihm bleibt, so klar wird dem, der sich nur ein Stück weit hinaustraut und zurückblickt, die Borniertheit, die im Genügen am Realen liegt. (Demandt 1986, S. 139) Nichts verletzt so tief wie die Vermutung, alles könnte auch ganz anders sein. Es gibt keine dunkleren Gedanken als den, die göttlichen Vorfahren, denen man verdankt, was man ist, seien nicht mehr gewesen als Tropfen im Ozean besserer Möglichkeiten. (Sloterdijk 2014, S. 225)
Inhalt Zu diesem Buch
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Aufbau, Zielsetzung, Grenzen – Eine Vorbemerkung
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Die Königssagas als Humangeschichte – Eine Problemskizze . Die Königssagas: Überlieferung und Forschungsgeschichte .. Bemerkung zum Untersuchungscorpus 9 10 .. Die Überlieferungslage .. Der Forschungsstand 13 25 . Literaturanthropologische Einordnungen .. Historische Widersprüchlichkeit – Zur Sturlungaöld .. Domestizierung der Unbestimmtheit? 35 38 .. Mittelalter und Literaturtheorie ... Zur Alterität des Mittelalters 38 43 ... Fiktionalität und Autorschaft 54 ... Hermeneutische Reserven .. Nordeuropa im kontinentalen Diskursgefüge 56 56 ... Kurze Forschungskritik ... Grenzüberschreitungen 61 75 . Zusammenfassung
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Kontingenz und Zufall in Geschichte(n) – Theoretisch-methodische 77 Überlegungen 77 . Zum Sinn (in) der Geschichte – Eine Vorbemerkung . Kontingenz und Zufall im Mittelalter – Gelehrte Positionen 83 .. Zur so genannten Renaissance des 12. Jahrhunderts 83 .. Die Wiederentdeckung des Aristoteles 88 .. Kontingenz und Theologie 94 . Kontingenz und Zufall im Mittelalter – Lebenspraktische Positionen 102 .. Planung und Kontingenz 102 108 .. Katastrophe, Krieg, Kontingenz .. Notwendigkeitsbewältigung 113 . Kontingenz und Zufall im Mittelalter – Erzähltheoretische 119 Positionen .. Ambiguitätsfernes Mittelalter? 119 .. Kontingenz und Zufälle in mittelalterlicher Erzählung 131 ... Der absichtliche Zufall – Terminologische 131 Präzisierung
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Inhalt
... Emphatisches Empfindungserlebnis – Wahrscheinlichkeit 138 und Subjektivität . Zusammenfassung 146
Fagrskinna, Heimskringla, Morkinskinna – Eine Alternativlesung 149 149 . Vorbemerkung . Geburt und Kindheit 152 .. Kontingente Existenzen – Hákon góði, Guðrøðr ljómi, 152 Eiríkr blóðøx 155 .. Raumzeitliche Kollisionen – Óláfr Tryggvason .. Im dichten Wald – Haraldr Sigurðarson 156 157 . Herrschaftsgewinnung .. Störfaktoren – Der glückliche Hákon Haraldsson 157 160 .. Óláfr Tryggvason ... Wind und Wasser – Der zufällige Weg nach Norwegen 160 ... Jetzt geht es ums Überleben – Der Fall von Jarl Hákon 165 169 .. Óláfr Haraldsson 169 ... Jetzt bin ich gefallen – Der Weg nach Norwegen ... Glückliche Todesfälle – Der konkurrenzlose Óláfr 174 ... Zwei Seiten – Óláfr Haraldsson gegen 180 Óláfr Eiríksson 186 ... Subtile Botschaften – Emundr von Skara 188 .. Vier Todesfälle und ein König – Magnús Óláfsson .. Begrenzte Cleverness – Haraldr Sigurðarsonar 192 196 .. Zufällig König – Magnús berfœttr Óláfsson .. Diesen Rat will ich nicht – Magnús Óláfssons Söhne und Enkel 198 203 .. Ambiger Sieg – Ingi Haraldsson . Höhepunkt der Macht 205 .. Strategisch ineffektiv – Hákon Haraldsson 205 207 .. Óláfr Haraldsson ... Schattenseiten der Entscheidungen – Die Orkadenjarle 207 ... Kontingente Nachfolger – Der Streit mit Island 210 und den Färöern ... Kalkül und Zufall – Die Fahrt von Þórir nach 212 Russland .. Wind und Gegenwind – Haraldr Sigurðarson und 216 Magnús Óláfsson .. Zweifelhaft ambig – Magnús berfœttr Óláfsson 221 .. Chaos I – Ingi Haraldsson und Hákon herðibreiðr 223
Inhalt
IX
. Herrschertod 228 228 .. Die allergrausamste Komödie – Zur Ynglinga saga .. Fatale Kausallogik – Hálfdan svarti 231 .. Im Schneesturm der Geschosse – Das Ende von Hákon Haraldsson 234 .. Das könnte einmal deinen Tod bedeuten – Óláfr Tryggvason 236 .. Óláfr Haraldsson 238 ... Uneinigkeit und Uneindeutigkeit – Der ratlose 238 Óláfr ... Das Glück versuchen? – Das kontingente Leben 242 von Óláfr .. Orientierungslos – Haraldr Sigurðarson 246 249 .. Unklug war ich – Magnús berfœttr Óláfsson .. Fehlentscheidungen – Ingi Haraldsson und Grégóríús Dagsson 251 253 .. Chaos II – Magnús Erlingsson
258 Die Entlastung vom Absoluten – Unbestimmtheit als Kompetenz 258 . Vorbemerkung . Kontingenz und Historiographie 259 259 .. Menschliches Handeln und soziale Kontingenz .. Menschliches Handeln und natürliche Kontingenz 265 274 .. Zum Geschichtsverständnis der Königssagas 276 . Kontingenz und Narratologie .. De-Konstruktion 276 284 .. Wahrscheinliches (e/E)rzählen – Versuch eines Nachtrags . Kontingenz und Anthropologie 287 287 .. Notwendigkeit und Hoffnung 291 .. Unbestimmtheitskompetenz . Zusammenfassung 303
306 Bibliographie Quellenverzeichnis Literaturverzeichnis Index
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English Summary
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306 307
Zu diesem Buch Die vorliegende Studie wurde im Dezember 2020 von der Ludwig-Maximilians-Universität München, Fakultät für Sprach- und Literaturwissenschaften, als Habilitationsschrift im Fachbereich „Nordische Philologie“ anerkannt. Für die Veröffentlichung wurde sie überarbeitet. Gedankt sei hier an erster Stelle den Mitgliedern des Fachmentorats: Herrn Prof. Dr. Wilhelm Heizmann (Universität München), Herrn Prof. Dr. Jörg Schwarz (Universität Innsbruck) und Frau Prof. Dr. Julia Zimmermann (Universität Graz); daneben den beiden externen Gutachtern Frau Prof. Dr. Stefanie Gropper (Universität Tübigen) sowie Herrn Prof. Dr. Lutz von Padberg (FTH Gießen / Universität Paderborn). Die Grundidee dieser Arbeit formte sich kurz nach meiner Ankunft in Island im Spätsommer 2014, im Rahmen eines dreijährigen Postdoc-Projekts an der Universität Island (Háskóli Íslands) und dem Árni Magnússon-Institut (Stofnun Árna Magnússonar) in Reykjavík. In welcher Weise der tägliche Umgang mit isländischen Kollegen, aber auch das dortige Kommen, Gehen und Wiederkehren von Forschern und Studierenden aus aller Welt diese Studie beeinflusst haben, lässt sich schwerlich bemessen; stellvertretend gedankt sei Herrn Prof. Dr. Torfi Tulinius (Universität Island) und Frau Prof. Dr. Guðrún Nordal (Stofnun Árna Magnússonar) für vielfältige Unterstützung. Dass es in diesem Austausch wiederholt darum ging, einerseits dem eigenen kulturellen und akademischen Hintergrund treu zu bleiben, andererseits Ideen in andere Sprache und Mentalitäten zu übertragen, war eine prägende Herausforderung. Herausfordernd war bisweilen auch der Zugriff auf potenziell relevante Neuerscheinungen, vor allem aus dem deutschsprachigen Raum, die in den Bibliotheken vor Ort nur in kleiner Auswahl zugänglich waren. Verschärft wurde dieser Umstand in der Abschlussphase dieser Studie durch erschwerte Reisebedingungen und generell strikte Zugangsbeschränkungen, auch zu Bibliotheken, im Zuge der Covid-19-Maßnahmen. In den Jahren ihrer Entstehung und Entwicklung erfuhr diese Studie auf Tagungen, bei Gastvorträgen und durch kleinere Veröffentlichungen zahlreiche Impulse. Nennen möchte ich neben zwei Saga-Konferenzen (2015 in Zürich, 2018 in Reykjavík) und einem Aufenthalt als Gastdozent an der Schlesischen Universität Katowice, Polen (2015), die wiederholten Vorträge im Rahmen des Mediävistikseminars (Miðaldastofa) an der Universität Island, an der Universität Greifswald sowie die Oberseminare des Instituts für Nordische Philologie (unter Leitung von Herrn Heizmann) und des Instituts für Deutsche Philologie (unter Leitung von Herrn Prof. Dr. Michael Waltenberger) an der Universität München. Ein Dankeschön gebührt schließlich Herrn Prof. Dr. Werner Wolf (Universität Graz), der mir zu einem frühen Zeitpunkt dieser Arbeit unkompliziert einen Aufsatz zur Verfügung stellte, der sich für die literaturwissenschaftliche Erfassung der Thematik als richtungsweisend erwies, sowie Herrn Prof. Dr. William Ian Miller (Universität Michigan), der mich nachdrücklich zu Fortsetzung und Abschluss des Projekts in Buchform aufforderte. https://doi.org/10.1515/9783110759280-002
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Zu diesem Buch
Für die Aufnahme dieses Buches in die Ergänzungsbände zum Reallexikon der Germanischen Altertumskunde danke ich den Reihenherausgebern Wilhelm Heizmann, Herrn Prof. Dr. Sebastian Brather und Herrn Prof. Dr. Steffen Patzold. Für die redaktionelle Betreuung auf dem Weg zum Druck gebührt Herrn Robert Forke und im Besonderen Frau Julika Moos vom Verlag de Gruyter Dank. Zwei wichtige Personen in meinem Leben verstarben während der Ausarbeitung dieser Studie: 2015 mein Vater Dr. Rudolf van Nahl, 2019 mein Lehrer Prof. Dr. Dr. h.c. Heinrich Beck. Ihnen sei dieses Buch gewidmet.
Aufbau, Zielsetzung, Grenzen – Eine Vorbemerkung Die drei großen mittelalterlichen Kompilationen altwestnordischer Königssagas – Fagrskinna, Heimskringla, Morkinskinna – haben seit dem 17. Jahrhundert die Aufmerksamkeit der internationalen Forschung auf sich gezogen. Dabei sind sie über Forschergenerationen hinweg wesentlich aus editionsphilologischem Interesse und unter der Frage nach historischer Zuverlässigkeit betrachtet worden. Ein Konsens wurde nicht erzielt. Erst in jüngster Forschung wird verstärkt eine narrative Subtilität, Mehrdeutigkeit und Unbestimmtheit dieser Sagas diskutiert – ohne dass bereits Studien vorlägen, die verstreute Beobachtungen unter einem gemeinsamen Konzept bzw. Konzeptcluster zu strukturieren und in größere Kontexte einzuordnen suchen würden. Diese Phänomene, deren mangelnde Greifbarkeit zugleich ihren sinngebenden Kern formt, stehen im Zentrum der vorliegenden Studie. Sie plädiert dafür, die Entstehung der Königssagas zwar – dem Gros der älteren Forschung folgend – im Zusammenhang von als krisenhaft empfundener gesellschaftspolitischer Entwicklungen des 13. Jahrhunderts auf Island zu deuten, sie aber nicht – darin der dominanten Forschungsposition entgegenlaufend – auf die (national‐)politische Auseinandersetzung zwischen Island und Norwegen zu reduzieren. Die populäre Prämisse, die Königssagas ließen sich anhand ideologiekritischer Subtexte mehr oder weniger deutlich einer isländischen oder aber einer norwegischen Perspektive zuordnen, und unter dieser Perspektive sei die jeweilige Erzählung auf ihre identitätsstiftende Funktion hin zu untersuchen, ist in ihrer vorgeblichen Klarheit fragwürdig. Nicht allein wird der Begriff der Identität in seiner vermeintlichen Selbstverständlichkeit gerade für die so genannte Vormoderne mittlerweile verstärkt hinterfragt. Auch hat die bisher dominante geschichtswissenschaftliche Argumentation die konkreten Erscheinungsformen und narrativen Funktionsweisen proklamierter Subtexte im Zusammenhang sowohl des unmittelbaren Erzählkontextes als auch der jeweiligen Königssaga in ihrer Gesamtstruktur (zumal bei Vorhandensein verschiedener Fassungen) vernachlässigt. Kurzum: Der Blick der Königssaga-Forschung war und ist in Grundannahmen oft durch Thesen gelenkt und beschränkt, deren methodisches und theoretisches Fundament ins Wanken geraten ist. Dem Desiderat einer Neuinterpretation der Königssagas unter geänderten Vorzeichen stellt sich die vorliegende Studie. Sie argumentiert dafür, diese Sagas vor gesellschaftlichen, politischen und gelehrten Diskursen vom 12. bis zum frühen 14. Jahrhundert zu interpretieren, sie dabei aber über isländisch-skandinavische Grenzen hinaus auch als Teil der europäischen Literatur zu lesen. Für die jüngst verstärkt (an‐)erkannte Mehrdeutigkeit mittelalterlicher Literatur, der altnordischen Sagaliteratur im Speziellen, ergeben sich in diesem zeitlich und räumlich weitgespannten, aber doch schlüssig zu begründenden Rahmen neue Koordinaten, anhand derer der Geschichtsentwurf der Königssagas erstmals in seiner narrativen Gesamtkonzeption erfasst wird. Es ist ja bezeichnend, dass viele Königssagas suggerieren, Herausbildung und Etablierung des norwegischen (aber auch dänischen, schwedihttps://doi.org/10.1515/9783110759280-002
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schen und englischen) Königtums seien einem oft unkontrollierbaren Wechselspiel von Aufstieg und Fall unterworfen gewesen, in dem Herkunft und Religion, Legitimation und Status keine distinkte Rolle spielten – und dies nicht nur in nordischen Ländern, sondern auch in Gebieten des Kontinents, von mythischer Vergangenheit bis in die Gegenwart der schriftlichen Kompilation um 1200. Zeitlich und räumlich wird hier eine weitreichende Unbestimmtheit, damit Verunsicherung quer durch eine nordische Herrschaftsgeschichte aufgezeigt, deren narrative Form als zugleich reagierendes und agierendes Element einer krisenhaften Grundstimmung des 12., 13. und frühen 14. Jahrhunderts in Erscheinung tritt. Die narrative Aufarbeitung von widerstreitenden Emotionen, wie sie sich aus dem Blick auf Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft speisten, konnte konstruktiv zum Gefühl der Kontrolle beitragen, konnte die Last der Unbestimmtheit aber auch über den literarischen Raum hinaus als real empfundenes Phänomen manifestieren. Im Zentrum der Argumentation steht damit letztlich die Frage nach dem Sinn und Nicht-Sinn von Geschichte und Geschichten in Krisenzeiten, mit den Königssagas als bisher unausgeschöpftem Quellencorpus. Die Frage nach Unbestimmtheit scheint sich zunächst der konkreten Ansprache zu entziehen. Wesentliche Aufgabe der vorliegenden Studie ist es daher, einen theoretisch-methodischen Rahmen für eine Lesart der Königssagas zu entwickeln, die der Instabilität, Nichtdeterminiertheit, gar Widersprüchlichkeit dieser Erzählungen im Kontext historischer Gegebenheiten gerecht zu werden sucht. Fruchtbar gemacht werden dazu Konzepte von Kontingenz und Zufall, unter Berücksichtigung der anknüpfenden Konzepte Ambiguität und Koinzidenz. Dabei kommen im Blick auf mittelalterlich wirksame Mentalitätsgeschichten einerseits gelehrte, andererseits lebenspraktische Positionen des 12. bis 14. Jahrhunderts als Beurteilungshintergrund zur Sprache: umwälzende Ereignisse und Entwicklungen wie die Kreuzzüge, die Wiederentdeckung der aristotelischen Schriften, die Trennung von Philosophie und Theologie sowie die Etablierung einer neuen Form der (fiktionalen) Literatur. Konzepte von Kontingenz und Zufall haben angesichts dieser diskursiven Breite in Germanistik, Anglistik und Geschichtswissenschaft, aber auch in Philosophie, Psychologie und Politikwissenschaft fruchtbare Debatten herausgefordert. In der skandinavistischen Mediävistik sind sie indes länderübergreifend allenfalls punktuell beachtet worden. Ein eigentlicher Dialog zwischen Vertretern verschiedener Disziplinen hat zudem meist nur im Kleinen stattgefunden. Im Bestreben, dieses Defizit im gegebenen Rahmen zu beheben, werden in der vorliegenden Arbeit vielfach Bezüge zu Nachbardisziplinen gesucht; Eigenarten der altwestnordischen schriftliterarischen Überlieferung sowie relevanter Forschung gewinnen in diesem Gespräch ebenso an Kontur wie deren Gemeinsamkeiten mit kontinentalem Diskurs und entsprechender Forschung. Diese Interdisziplinarität – in der die Skandinavistik trotz des gewählten Untersuchungscorpus also nur einen wichtigen Teilbereich darstellt – impliziert die Herausforderung einer grenzüberschreitenden, zugleich zielgerichteten Abwägung, Adaption und Zusammenführung von Thesen, Theorien und Methoden. Im forschungsgeschichtlichen Blick gilt es nicht zuletzt, die Bedingungen zu reflektieren, unter denen vor allem im 20. Jahrhundert die Er-
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forschung einer kontingenten Geschichte und schließlich des Sinns einer solchen Geschichte vonstattenging, mit Auswirkungen noch auf jüngste Positionen auch in der mediävistischen Forschung. Dass in der entfalteten Kontingenzdebatte nirgends Vollständigkeit erreicht werden kann und die Forschungsdiskussion weiterhin Entwicklungen durchläuft, die vorliegende Studie also allenfalls Momentaufnahmen einer literaturanthropologischen Auseinandersetzung zur Betrachtung wählen kann, diese Grenze bedarf kaum der Erwähnung, soll hier aber dennoch einmal explizit ausgesprochen sein.¹ Für die Interpretation der Königssagas erscheint der Bezug zu Kontingenz und Zufall zumindest zweifach produktiv: Erstens lassen sich diese Phänomene seit der Antike diskurs- und mentalitätsgeschichtlich vielfältig perspektivieren und können begründet im Zentrum einer Debatte um soziale, politische und kulturelle Entwicklungen im 12., 13. und 14. Jahrhundert verortet werden. Zweitens sind sie gleichsam Dreh- und Angelpunkt der literaturwissenschaftlichen Analyse von (mittelalterlichen) Erzähllogiken: „Wozu überhaupt erzählen, wenn nicht Kontingenz erzählen und Kontingentes?“, wie Harald Haferland einmal pointiert fragte.² Die Zusammenführung beider Momente hat sich für die vorliegende Studie als ergiebig erwiesen; nicht umsonst adelte Werner Wolf die Untersuchung des narrativen Zufalls seinerzeit als „one of the privileged ‘doorsʼ that permit access to the hidden depths of implied worldviews“.³ Diese Studie versteht sich insofern auch als ein Versuch, die (historische) Stellung des Menschen in der Welt an sich weiter zu erhellen. Der erste Teil der Arbeit widmet sich grundlegenden, literaturanthropologisch perspektivierten Fragestellungen, deren Erörterung die Auseinandersetzung mit gelehrten, lebenspraktischen und erzähltheoretischen Positionen zu Kontingenz, Zufall und Ambiguität vorbereitet. Neben Fragen zu Untersuchungscorpus und Forschungsgeschichte der Königssagas im Speziellen geht es hier um die Bestimmung von Koordinaten in der Erforschung mittelalterlicher Mentalitäten, vor allem mit Blick auf deren literarische Dimension. Bereits in dieser einleitenden Diskussion sind isländischskandinavische bzw. skandinavistische Positionen fließend in die Erörterung eingebunden, im Versuch, interdisziplinäre Übereinstimmungen, Berührungspunkte und Unterschiede hinsichtlich der verhandelten Konzepte und Fragestellungen herauszuarbeiten. Am Ende des ersten Teils ist damit ein mentalitäts- und forschungsgeschichtlicher Rahmen entworfen, der Grundthesen dieser Arbeit verortet und präzisiert und für die weitere Argumentation vorbereitet.
Ich verstehe den Begriff der Literaturanthropologie hier im Sinne eines Ansatzes, der das wechselseitige Verhältnis von Literatur und Mensch in den Blick nimmt, Literatur also nicht allein als festgeschriebenes Produkt menschlicher Imagination versteht, sondern zugleich als einen Möglichkeitsraum, der Impulse für das menschliche Leben setzen kann (vgl. ausführlich Kap. 1.2 sowie zur Einordnung van Laak 2009). Haferland 2010, S. 337. Wolf 2008, S. 167; vgl. weiterführend Kap. 2.4.2.1.
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Der zweite Teil der Studie strebt zunächst die genauere begriffs- und ideenhistorische Einordnung von Kontingenz und Zufall an. Von einer Kommentierung der jüngeren Debatte vornehmlich in Philosophie und Geschichtstheorie schreitet die Erörterung voran zur dezidiert mediävistischen Forschung und deren bisweilen diametralen Beurteilung eines mittelalterlichen Welt- und Geschichtsverständnisses. Diese gleichsam zurückschreitende Annäherung vom 20. und 21. Jahrhundert ins 12., 13. und frühe 14. Jahrhundert ist schon deshalb geraten, weil das moderne Kontingenzverständnis seine Eigenart oft auf eine (fragwürdige) Kontrastierung mit einem vermeintlich andersartigen vormodernen Verständnis stützt. Weiter wird unterschieden – der Natur der Sache gemäß nirgends scharf getrennt – in gelehrte und lebenspraktische Positionen gegenüber der Einsicht in die Offenheit der Zukunft. Damit werden, wie angedeutet, Bereiche betreten, deren Vermessung in der interdisziplinären Forschung eine unüberschaubare Fülle an Publikationen gezeitigt hat; die in der vorliegenden Arbeit angestrebte Diskussion bleibt ein Versuch, der sich dem Vorwurf der Selektion aussetzen muss. Gleichwohl, so das Bestreben, kristallisieren sich in dieser voranschreitenden Auseinandersetzung weitere Koordinaten heraus, die der Neulesung der Königssagas die nötige theoretisch-methodische Präzision und Geltung verleihen. Thematisiert wird in diesem Zusammenhang auch das für diese Sagas besonders relevante Verhältnis von Unbestimmtheitsphänomenen zu menschlicher Planung. Relevant zum einen, weil damit die Brücke zu etablierten Positionen in der Sagaforschung geschlagen wird, in der die individuellen Befähigungen einzelner Protagonisten (und damit verbunden die Bedeutung von deren Glück oder Schicksal) seit Langem besonderes, wenn auch oft einseitiges Augenmerk auf sich gezogen haben. Zum anderen deshalb, weil menschliche Planung, im Sinne bewusster Entscheidungen, als grundlegende Reaktion auf eine als unbestimmt und damit bedrohlich empfundene Situation verstanden werden muss. Das Bedürfnis nach einer Organisation der Zukunft scheint mit der Einsicht in die Kontingenz dieser Zukunft wesenhaft verbunden. Versteht man menschliche Macht, wie sie ein Kernthema der Königssagas ist, als die Fähigkeit, Entscheidungen zu treffen und umzusetzen, dann ist Machtausübung wesentlich ein Versuch der Beherrschung von Kontingenz. Vor diesem Hintergrund aber treten unerwartete Ereignisse, Zufälle, umso krasser in Erscheinung – auch auf Erzählebene. Dieser wissenschafts- und mentalitätsgeschichtlichen Auseinandersetzung folgt insofern die erzähltheoretische und literaturgeschichtliche Vertiefung. Hier gilt es, den aktuellen Stand der mediävistisch-literaturwissenschaftlichen Forschung, die in den letzten Jahren themarelevante Entwicklungen durchlaufen hat, kritisch nachzuvollziehen, vor allem im Blick auf das jüngst verstärkt kritisierte Forschungsparadigma einer vermeintlichen Ambiguitätsferne des Mittelalters. Dabei werden gelehrte Positionen von der Antike bis ins ausgehende Mittelalter herangezogen und mit erstens den einleitenden Überlegungen zu historischem und literarischem Erzählen, zweitens den intellektuellen Entwicklungen im Europa vor allem des 12. und 13. Jahrhunderts zu einem literaturanthropologischen Rahmen zusammengeführt. Vor
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diesem Hintergrund gewinnt die erzähltheoretische Dimension von Kontingenz und Zufall, zwischen Spezialfall und Grundbedingung, weiter an Kontrast. Die Kernthesen dieser Betrachtungen bilden den Beurteilungshintergrund für die Textuntersuchung, die Fagrskinna, Heimskringla und Morkinskinna vergleichend liest. Diese komparatistisch angelegte Interpretation der Königssagas versteht sich als ein Experiment mit Beobachtungs- und Ansprachemöglichkeiten von Kontingenz, ohne eine durchweg geschlossene Deutung zu erzwingen. Damit ist eine Grenze der Durchführbarkeit und Leistungsfähigkeit einer vergleichenden Lesung markiert, die einerseits, zumal in monographischer Form, auf einem weitläufigen theoretisch-methodischen Feld in notwendig engem Rahmen operieren muss, die sich andererseits, mit Blick auf das Untersuchungscorpus, immerhin sechszehn oft umfangreichen Königssagas in jeweils bis zu drei teils deutlich abweichenden Fassungen gegenübersieht. Auch gibt die Sortierung dieser Sagas entlang der chronologischen Herrschaftsabfolge norwegischer Magnaten keine hinreichende Struktur für die Diskussion vor: Nur auf den ersten Blick treten die Königssagas als jeweils geschlossene Erzählungen um spezifische Herrscher in Erscheinung; die konkrete Lektüre zeigt rasch, dass zahlreiche Figuren in mehreren Sagas in Erscheinung treten, zudem immer wieder rückblickende Bezüge gesucht und zugleich Wiederholungen in der Erzählung gerafft werden, sodass im Gesamtblick der Eindruck eines durchkomponierten Erzählkontinuums um die nordische Geschichte entsteht. Die notwendige Gliederung erfährt diese große Erzählung in der vorliegenden Studie insofern vielmehr durch die grundlegenden Abschnitte des menschlichen Lebens selbst, das bestimmt ist durch Möglichkeiten und Grenzen, Offenheit und Planung. Hier stehen als gewählte Kategorien Geburt und Kindheit, Etablierung in der Gesellschaft, die eigene Prägung dieses Umfeldes, schließlich Alter und Tod. Dass nicht jede Königssaga unter diesen Vorzeichen in gleichem Maße für die Diskussion fruchtbar gemacht werden konnte, ist der Preis einer notwendigen Skepsis gegenüber oberflächlicher Theorieapplikation. Vorausgehend erarbeitete theoretische und methodische Leitgedanken werden nach der eingehenden Neulesung insofern nochmals kritisch auf Geltung und Grenzen befragt. Dies mit Blick auf die Königssagas erstens als Historiographie, zweitens als Narration. Anhand dieser Zusammenführung werden die einleitenden Überlegungen zur Krisenstimmung in Island vor allem im 13. Jahrhundert um literatur- und kulturanthropologische Aspekte präzisiert und erweitert. Am Ende steht damit erstmals eine im obigen Sinne systematisch vergleichende Gesamtlesung der drei genannten Kompendien an Königssagas unter Voraussetzung eines übergeordneten, nicht aber starren Interpretationskonzepts. Gegenüber bisherigen Detailstudien, so das Bestreben, wird damit das theoretische und methodologische Augenmerk auf die noch unausgeschöpfte Leistungsfähigkeit dieses umfangreichen mittelalterlichen Textcorpus gerichtet – getreu Birgit Sawyers
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letztem Appell: „if one does not agree with earlier interpretations and is convinced that they are deficient – even misleading – new analyses are needed“.⁴ Die Überlegungen, Versuche und Ergebnisse dieser Studie verstehen sich im Gesamtblick aber nicht allein als Beitrag zu einer „heilsame[n] Auflockerung unserer Literaturgeschichten“, um eine Formulierung von Alois Wolf zu borgen.⁵ Sie verstehen sich auch als (literatur‐)anthropologischer Beitrag zu einem historisch geschärften Verständnis der Funktionsweisen von Erzählungen in Krisenzeiten. In heutiger Zeit, in der das Konzept ‚Europa‘ vielfältig herausgefordert ist, verstehe ich diese Perspektivierung auch als einen gesellschaftlich relevanten Beitrag zu einer ungleich größeren Debatte.
Sawyer 2015, S. ix. Wolf 2014, S. 48.
1 Die Königssagas als Humangeschichte – Eine Problemskizze 1.1 Die Königssagas: Überlieferung und Forschungsgeschichte 1.1.1 Bemerkung zum Untersuchungscorpus Die Abgrenzung des Genres ‚Königssaga‘ erscheint nur auf den ersten Blick unproblematisch. Abgesehen von genereller Kritik am Genrekonzept¹ kursieren in der Forschung heterogene Corpusdefinitionen. Zur Jahrtausendwende notierte Julia Zernack, „enge literarische Beziehungen“ würden zu einer erweiterten Definition raten, nach der dann „so gut wie alle historiographischen Werke aus dem altwestnordischen Sprachgebiet, die sich mit der skandinavischen Geschichte befassen, zu den Königssagas zu zählen“ seien.² Mehr noch seien neben volkssprachlichen auch lateinische Zeugnisse relevant, darunter die so genannten norwegischen Synoptiken. Dazu fügt sich die spätere Bemerkung von Theodore Andersson, die Kategorie ‚Königssaga‘ sei letztlich „a loose accumulation of sagas that happen to be about kings but have distinctive identities“.³ Für eine monographische Studie muss eine Auswahl erfolgen, die Einwände in Kauf nimmt, die man gegen jede Selektion vorbringen kann. Der Fokus der vorliegenden Untersuchung liegt auf den unseres Wissens im frühen 13. Jahrhundert zeitnah entstandenen Sammlungen Fagrskinna, Heimskringla und Morkinskinna, in den Worten Zernacks, auf den drei „isländische[n] Geschichtskompendien über die norwegische Geschichte“⁴ – „a peculiar Icelandic invention“, wie Shami Ghosh meinte, „perhaps an effort to create a new form of cultural capital for Icelanders to export“.⁵ Den didaktischen Aspekt gerade dieser drei Sammlungen betonte Viðar Pálsson:
Vgl. Bampi 2017. Kritisch Kreutzer 1989b, S. 114 f., der den praktischen Wert von Genrekonzepten als „Mittel der Verständigung“ einräumte, zugleich aber deren „starke innere Dynamik und Offenheit“ betonte. Vgl. auch die Kritik bei Buhl 2003, S. 59, die Rekonstruktion von Abhängigkeiten zeige nicht, „how the Kings’ sagas developed as a literary genre, that is, as one narrative tradition of historical expression. This in some ways rather obvious statement has been ignored in most Kings’ saga studies“, sowie die Forderung bei Ghosh 2011, S. 199, das Spektrum an Erzählungen, die sich mit der nordischen Vergangenheit auseinandersetzen, als „a kind of generic continuum“ anzuerkennen, das im Gesamtblick als „expression of the Icelanders’ sense of history“ verstanden werden könnte. Zernack 2001, S. 128. Andersson 2016, S. 160; vgl. Andersson 2017, S. 156: „There are no doubt many ways to classify the Kings’ sagas“. Zernack 2001, S. 129. Ghosh 2011, S. 191. https://doi.org/10.1515/9783110759280-003
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With Morkinskinna and Heimskringla in particular, though also to a considerable extent with Fagurskinna [sic!], unprecedented breadth and depth are achieved with regard to the depiction of the dynamics of the political culture in which their stories are set; the modes and mentality of political action become examinable and approachable.⁶
Die vorliegende Untersuchung deklariert damit keinen Anspruch auf Deutungshoheit über das Corpus an Königssagas generell (das also weitere Sagas umfasst, überliefert u. a. in der Sammelhandschrift Flateyjarbók aus dem späten 14. Jahrhundert). Sie versteht sich als eine komparatistische Lesung der genannten Kompilationen, die etablierte Interpretationen hinterfragt, präzisiert und korrigiert. Dass dabei einzelne Sagas rückblickend in der Argumentation ergiebiger erscheinen als andere, ist, wie notiert, schon angesichts des umfassenden Corpus nicht verwunderlich. Die Berücksichtigung nicht allein einzelner Sagas (wie in der Forschung bisher meist geschehen), sondern die Gesamtlesung dieser drei so genannten Geschichtskompendien verleiht der vorliegenden Studie aber, so das Bestreben, das nötige Gewicht, um künftige Auseinandersetzungen über den gesetzten Rahmen hinaus anzustoßen und diesen als Orientierungspunkt zu dienen.
1.1.2 Die Überlieferungslage Die heutige Überlieferung der Königssagas – Fagrskinna, Heimskringla und Morkinskinna im Speziellen – lässt sich von verschiedener Seite betrachten und wiederum werden mit der Wahl der Perspektive Entscheidungen getroffen, die die Ausrichtung dieser Studie leiten. Zunächst ist festzuhalten, dass die heute greifbare handschriftliche Überlieferung der Königssagas nicht vor der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts beginnt, das Gros der Texte überhaupt erst in späteren Abschriften erhalten ist: Wird die ursprüngliche Entstehung der untersuchten Kompilationen in den ersten Jahrzehnten des 13. Jahrhunderts verortet, so datieren die meisten erhaltenen Handschriften frühestens ins 14., teils aber auch erst ins 17. Jahrhundert, eine Eigenart, die für die Sagaliteratur generell zu verzeichnen ist. Konkret stellt sich die Überlieferung folgend dar: Die Heimskringla ⁷ ist in sechs Hauptmanuskripten erhalten, die sich grob in zwei Gruppen gliedern lassen: die Kringla-Gruppe (x) und die Jöfraskinna-Gruppe (y). Zu x): Kringla ist heute der geläufige Name des allein erhaltenen Pergamentblatts (Lbs. fragm. 82) von etwa 1260, das einen kleinen Ausschnitt aus der Óláfs saga helga bewahrt; der ursprüngliche Text des Manuskripts scheint in Abschriften des 17. Jahrhunderts erhalten zu sein. Die Handschrift AM 39 fol. datiert auf etwa 1300, AM 45 fol. (Codex Frisianus) ins frühe 14. Jahrhundert. Zu y): Die Jöfraskinna selbst stammt aus der ersten Hälfte des
Viðar Pálsson 2017, S. 51. Die vorliegende Studie verwendet Bjarni Aðalbjarnarson 1941– 51 als Textgrundlage der Heimskringla; vgl. zur Einordnung Zernack 2001.
1.1 Die Königssagas: Überlieferung und Forschungsgeschichte
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14. Jahrhunderts und ist ebenfalls nur in wenigen Blättern erhalten, daneben in Abschriften, deren älteste in die 1560er Jahre datiert; weiter gibt es AM 47 fol. (Eirspennill) aus dem 14. Jahrhundert und Gullinskinna von etwa 1400, erhalten in der Abschrift AM 42 fol. Keine erhaltene Handschrift überliefert sämtliche Texte, die heute in Editionen der Heimskringla zugerechnet werden, teils verlustbedingt, teils, weil von Beginn an nur ausgewählte Texte zusammengeführt wurden. Der Text der seit dem 17. Jahrhundert so genannten Morkinskinna ⁸ fußt in der Íslensk Fornrit-Edition wesentlich auf drei (bzw. vier) Manuskripten: GKS 1009 fol. von etwa 1275, eine Handschrift, die durch mehrere größere Lakunen geprägt ist, u. a. am Anfang und am Ende des Textes; GKS 1005 fol. (Flateyjarbók) aus dem späten 14. Jahrhundert, in der Teile des in GKS 1009 verlorenen Textes erhalten sind, wobei GKS 1005 ihrerseits durch Auslassungen gegenüber der älteren Handschrift gekennzeichnet ist; sowie AM 66 fol. und GKS 1010 fol. aus dem 14. bzw. frühen 15. Jahrhundert, die wohl auf einer gemeinsamen Vorlage fußen. Die Fagrskinna ⁹ ist erhalten in je drei Abschriften von zwei ursprünglichen Handschriften (A und B), die wie Teile der Überlieferung von Heimskringla und Morkinskinna dem Feuer von Kopenhagen 1728 zum Opfer fielen. Die beiden wichtigsten Abschriften sind AM 303 4to (A) und UB 371 fol. (B), beide aus dem späten 17. Jahrhundert; die Íslensk Fornrit-Ausgabe fußt auf letzterem Manuskript. Deutlich wird, dass die überlieferten und den modernen Editionen zugrundeliegenden Texte bereits Rezeptionsstufen darstellen, deren Abhängigkeiten seit jeher Anlass zur Spekulation geboten haben. Das Verhältnis von Fagrskinna, Heimskringla und Morkinskinna wurde bereits 1937 von Bjarni Aðalbjarnarson, Herausgeber der Heimskringla-Edition in Íslenzk Fornrit, nüchtern-kritisch kommentiert: „Forskerne er kommet til motstridende resultater i næsten alle spørsmål“,¹⁰ ‘Forscher sind in fast allen Fragen zu widerstreitenden Resultaten gekommen’. Dieses frühe Urteil hat seine Gültigkeit nicht verloren. Auch Theodore Anderssons Feststellung aus dem Jahre 1985, die Forschung sei immer noch auf wenige (vermutlich) historische Gestalten des mittelalterlichen Islands fixiert, darf in dieser Hinsicht weiterhin einige Geltung beanspruchen: „We have not learned to deal with sagas that do not derive from Sæmundr, Ari, or known texts“.¹¹ Poetisch brachte diese Kritik 2003 Alison Finlay in ihrer neuen Edition (und Übersetzung) der Fagrskinna auf den Punkt, wenn sie Stemmata zu den Königssagas nicht ohne leichte Resignation verglich mit „an astronomer’s chart of the heavens, so plentiful are the stars designating works known or surmised to
Textgrundlage für die Morkinskinna ist in der vorliegenden Arbeit Ármann Jakobsson/Þórður I. Guðjónsson 2011; vgl. zur Einordnung Gade 2002. Textgrundlage für die Fagrskinna ist Bjarni Einarsson 1985; vgl. zur Einordnung Kolbrún Haraldsdóttir 1994. Bjarni Aðalbjarnarson 1937, S. vii. Sämtliche in dieser Arbeit angegebenen Übersetzungen von Zitaten aus Quellen und Forschungsliteratur sind, soweit nicht anders vermerkt, meine eigenen. Andersson 1985, S. 218.
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have existed, but of which no text now survives“.¹² Gleichwohl setzten Andersson und Kari Gade in ihrer zeitnahen Übersetzung der Morkinskinna weiterhin ein klar bestimmbares Verhältnis zu Fagrskinna und Heimskringla voraus, wenn sie festhielten, gerade der Isländer Snorri Sturluson († 1241), vermutlich der kreative Kopf hinter der Heimskringla, sei bestrebt gewesen, „to simplify the episodic disorganization of Morkinskinna by stripping the þættir away, clarifying the political issues, and emphasising the underlying biographical features“¹³ – ein verallgemeinerndes Fazit, das stärker an forschungsgeschichtlichen Prämissen, denn dem Detail der Erzählung orientiert schien. Noch die jüngste Morkinskinna-Ausgabe von Ármann Jakobsson und Þórður Ingi Guðjónsson aus dem Jahre 2011 ist in ihrer umfangreichen Einleitung insofern charakteristisches Beispiel der traditionellen Auseinandersetzung: Einer Aufzählung der erhaltenen Manuskripte folgt ein Paragraph zu Verfasserfragen und Abfassungszeitraum, gefolgt von Spekulationen zu handschriftlichen Vorlagen der heute bekannten Morkinskinna-Fassung, wobei bereits im ersten Stemma drei von fünf gesetzten Positionen als spekulativ markiert sind;¹⁴ es schließt sich ein erneuter Versuch an, das Verhältnis der Morkinskinna zu anderen Königssagas zu entwirren bzw. der Schwierigkeit eines solchen Unterfangens Nachdruck zu verleihen: Allmargar norrænar konungasögur greina frá sama efni, og eðli málsins samkvæmt hafa rannsakendur sagnanna því verið mjög uppteknir af innbyrðis skyldleika. Í yfirlitsgrein eftir Theodore M. Andersson er kenningum þeirra um það efni lýst með miklum og flóknum uppdráttum sem sýna hvernig hver konungasagnaritari sækir til annars. […] engan veginn er hægt að reikna með því að öll sagnarit frá 12. og 13. öld hafi lifað til okkar daga. Jafnframt eru óvissuþættir svo margir að erfitt er að skera úr með vissu hvernig skyldleika konungasagna er háttað.¹⁵ Sehr viele Königssagas haben dasselbe Thema und naturgemäß sind diejenigen, die diese Sagas untersuchen, vor allem mit deren Verwandtschaftsverhältnissen beschäftigt gewesen. In Theodore M. Anderssons Überblicksbeitrag sind Theorien der Forschung zu diesem Thema in großen und komplizierten Entwürfen dargelegt, die zeigen, wie welcher Sagaverfasser auf andere Bezug nimmt. […] Man kann keineswegs damit rechnen, dass sämtliches Sagaschrifttum aus dem 12. und 13. Jahrhundert bis in unsere Tage überlebt hat. Zugleich sind die Ungewissheiten so zahlreich, dass es schwierig ist, mit Sicherheit zu entscheiden, wie das Verhältnis der Königssagas zueinander beschaffen ist.
Diese seit Forschergenerationen geführte Diskussion ist editionsphilologisch perspektiviert und in dieser Ausrichtung für die vorliegende erzähltheoretisch und literaturanthropologisch argumentierende Studie nur von Randinteresse. Natürlich lässt
Finlay 2004, S. 3. Sverre Bagge notierte zeitnah, trotz aller Bemühungen, „we may be as far from a solution to the difficult questions about the relationship between the early narratives on Norwegian history as fifty or hundred years ago“ (Bagge 2006, S. 484). Vgl. die Polemik bei Starý 2013, S. 93 f., altnordische Geschichtsschreibung sei zwar ein „angestaubte[s] Thema“, die meisten der damit verknüpften Fragen seien aber „bis heute ungeklärt“; dazu bereits Schreiner 1926. Andersson/Gade 2000, S. 64. Ármann Jakobsson/Þórður I. Guðjónsson 2011, S. xxii. Ármann Jakobsson/Þórður I. Guðjónsson 2011, S. xxxiv.
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sich für die potenziell ergiebige Interpretation von Sagas im historischen Kontext des jeweiligen Entstehungszeitraums eines betrachteten Manuskripts argumentieren.¹⁶ Das umfangreiche Untersuchungscorpus indes nicht allein in Kontexte des Zeitraums der angenommenen Erstausarbeitung einzuordnen und in diesem bereits vielstimmigen Rahmen zu interpretieren, sondern zudem die historischen Kontexte jedes einzelnen Manuskripts zu erkunden und fruchtbar zu machen, eingedenk zudem der ohnehin unvollständigen Überlieferung – dies wäre für eine monographische Studie ein überwältigender Anspruch. Hier steht, wie oben bemerkt, zu hoffen, dass die vorliegende Arbeit Anreiz genug setzt, die Fragestellung in künftiger Forschung weiter zu verfolgen. Dass nicht allein der angenommene Entstehungszeitraum der Königssagas im frühen 13. Jahrhundert als diskursiver Beurteilungsmaßstab herangezogen werden darf, dafür wird in der vorliegenden Arbeit gleichwohl nachdrücklich plädiert.
1.1.3 Der Forschungsstand The charm of Kings’ sagas study is decidedly remote.¹⁷
Bis vor wenigen Jahren haben die altisländischen Königssagas als literarische Zeugnisse einer im Wandel begriffenen mittelalterlichen Gesellschaft geringes Forschungsinteresse auf sich gezogen.¹⁸ In seiner bekannten Literaturgeschichte subsummierte Jan de Vries bereits in den 1960er Jahren unter dem Terminus ‚Saga‘ allein die Isländersagas, Vorzeitsagas und Rittersagas;¹⁹ im Jahre 2004 zählte auch Heiko Uecker zur „Geschichtsdichtung“ allein Isländersagas und Vorzeitsagas,²⁰ und noch 2014 hielt Alois Wolf zur Heimskringla, in Abgrenzung zu ‚Sagas‘ fest: „Snorris Werk ist durch und durch Historiographie und kein Epos. Die sich herausbildenden Sagas hingegen, diese unköniglichen Spiegelungen des kargen isländischen Gemeinwesens, verließen die Bahn der etablierten Historiographie“.²¹ Erst in jüngster Zeit mag man Anzeichen sehen, dass sich die Diskussion in Richtung einer Neubewertung bewegt.²² Umso stärker fällt ins Auge, dass Interpretationsansätze zu den Königssagas lange Zeit homogen geblieben sind – und damit bereits zu deren dynamischem Entstehungs-
Zur aktuellen Diskussion vgl. Orning 2015, Pratt et al. 2017 und Heslop/Glauser 2017. Andersson 1985, S. 198. Vgl. die Beurteilung bei Ghosh 2011, S. 177: „It is symptomatic of scholarship on the use of the past in medieval Iceland […] that the Kings’ sagas do not feature prominently in the author’s analysis, despite the fact that many of them were written by Icelanders, and almost all were apparently preserved predominantly in Icelandic manuscripts. […] there is still much that needs to be done in understanding the place of the Kings’ sagas in the historical consciousness of twelfth- and thirteenthcentury Iceland“. Vgl. de Vries 1999 [1941], S. 314. Vgl. Uecker 2004. Wolf 2014, S. 50. Vgl. die ausführliche Diskussion in van Nahl/van Nahl 2019, S. 79 – 140.
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zeitraum, der als krisenhaft bis widersprüchlich empfundenen Sturlungaöld des 13. Jahrhunderts, in eigenartigem Widerspruch stehen.²³ Anderssons retrospektive Feststellung 1985, das Forschungsinteresse an den Königssagas sei aus einer philologischen Tradition erwachsen, die vor allem an „textual relationships“²⁴ interessiert gewesen sei – oftmals im Dienste der Suche nach einer ‚Originalfassung‘ –, erfasst gleichwohl nur einen Teilaspekt dieser Forschungsgeschichte.²⁵ Denn dass gerade in der Editionsphilologie bis auf den heutigen Tag in vielen Punkten kein Konsens erzielt wurde, ist nur die eine Seite. Spätestens Peter Erasmus Müllers Abhandlung von 1823, Critisk Undersøgelse af Danmarks og Norges Sagnhistorie. Eller om Troværdigheden af Saxos og Snorres Kilder, deutete ein zweites prägendes Forschungsinteresse an, und seit Gustav Storms einflussreicher Arbeit zu Snorre Sturlassöns historieskrivning. En kritisk undersögelse von 1873 stand neben der Frage nach möglichen Quellen der Darstellung²⁶ sowie deren gegenseitigen Beeinflussung vor allem die historische Zuverlässigkeit der Schilderungen zur Debatte. Nicht zu Unrecht attestierte Oskar Bandle der Forschung später eine „Fixierung auf die Königssagas als historische Quelle“.²⁷ Wesentlichen Anteil an deren Einstufung als Quelle für eine historisch mehr oder weniger akkurate Darstellung hat der nüchterne Stil gehabt; bereits 1920 bemerkte Sigurður Nordal über Snorri Sturluson: „Margar af viðburðarskýringum Snorra fara hvergi feti framar en leyfilegt má telja vísindalegri sagnaritun. Þær skýra samhengi sögunnar, eins og sennilegast er, að hafi verið, þær eru pragmatiskar“,²⁸ ‘viele von Snorris Erklärungen von Ereignissen gehen nicht über das hinaus, was man berechtigt wissenschaftliche Geschichtsschreibung nennen
William Ian Miller attestierte der Sagaforschung eine regelrechte „obsessiveness […] with the question of saga origins“, als Reaktion auf den Unglauben vieler Gelehrter, „that such a sophisticated, subtle, almost ridiculously and paradoxically ‘urbaneʼ literature should have been produced in the Middle Ages of all times in the middle of nowhere of all places“ (Miller 2017, S. 6). Zum selektiven Forschungsinteresse vgl. bereits Schier 1998, S. 182, der bemerkte, „daß in Island selbst im 16. und 17. Jh. an der Heimskringla – im Gegensatz zu anderen historischen Werken – offenbar nur verhältnismäßig geringes Interesse bestand“. Zum historischen Kontext vgl. Friese 1981, zur Einordnung van Nahl/van Nahl 2019, S. 106 – 112, sowie weiterführend Kap. 1.2.1. Andersson 1985, S. 217. Bezeichnenderweise war Andersson selbst dieser Tendenz verhaftet, wenn er noch 2012 zur Óláfs saga helga beispielhaft festhielt: „To extract an underlying attitude from the Óláfs saga helga that forms the second part of Heimskringla is problematic because we do not have the original version from which the author worked“ (Andersson 2012, S. 119). Der Gedanke ist augenfällig der, dass allein die postulierte ‚Originalfassung‘ eines Werks der Interpretation angemessen sei. Dazu fügen sich auch die einleitend schwerpunktmäßig behandelten Fragen nach spekulativen (mündlichen) Quellen, Textrelationen und der historischen Chronologie erzählter Ereignisse in der englischsprachigen Übersetzung der Morkinskinna (Andersson/Gade 2000). Müller 1823; Storm 1873; vgl. dazu zuletzt ausführlich White 2005. Bandle 1993, S. 27. Unverständlich ist, wie Ghosh 2011, S. 96 f., folgern konnte: „The question of the historical value of the Kings’ sagas for the past that they narrate […] is a delicate one, with […] historians abandoning the Kings’ sagas altogether“. Sigurður Nordal 1920, S. 204.
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kann. Sie erklären den geschichtlichen Zusammenhang nach dem wahrscheinlichsten Verlauf; sie sind pragmatisch’. Zeitnah wies Gustaf Cederschiöld in die gleiche Richtung mit der Bemerkung, gerade in der Heimskringla zeige sich die Tendenz, „att sätta händelserna i naturligt orsakssammanhang“, ‘die Geschehnisse in einen natürlichen Ursachenzusammenhang zu setzen’.²⁹ Rationalismus, Realismus und Geschichtspragmatik sind seither sprachraumübergreifend wiederkehrende Schlagwörter der Forschung. Snorri sei „meiri skynsemishyggjumaður en aðrir norrænir sagnaritarar“ gewesen,³⁰ ‘stärker ein Vernunftmensch gewesen als andere altnordische Geschichtsschreiber’, wie Sverrir Tómasson in den 1980er Jahren betonte; Snorris Material sei strukturiert „nach dem Prinzip der Wahrscheinlichkeit, nach dem Prinzip des Realen und Empirischen“, mit dem Ziel, „so viel wie möglich aus den natürlichen Bedingungen menschlichen Verhaltens zu erklären“, wie auch Bandle festhielt.³¹ Noch 2016 sah sich Andersson angesichts dieser pragmatischen Eigenart zu einem verhaltenen Urteil über die literarische Qualität der Königssagas angehalten: „The sagas about Norwegian kings are also remarkable, but they do not have quite the dramatic force or the skill in characterization that set the native sagas apart“.³² Sein ergebenes Fazit von 1985, „the last fifty years of Kings’ sagas research have left us empty-handed“,³³ wird man zwar nicht mehr pauschal teilen wollen. Doch Andersson präzisierte schon damals, einzelne Königssagas hätten zu wenig Aufmerksamkeit hinsichtlich ihrer historisch-literarischen Eigenart erhalten³⁴ – und seine eigene Bemerkung von 2016 scheint gleichsam Beleg der anhaltenden Bedeutung dieser Sicht zu sein: Die Königssagas sind als Literatur selten zur Kenntnis genommen worden.³⁵ Noch deutlicher formulierte 2012 Ármann Jakobsson: „In fact most scholars would have thought it a waste of effort to discuss the narrative art of the Kings’ sagas at all“.³⁶ Die geschichtswissenschaftliche Lesart hat sich rückblickend also auch deshalb als einflussreich erwiesen, weil literaturwissenschaftliche Entwürfe rar geblieben sind – und selbst Kritiker keinen eigentlichen Gegenentwurf präsentiert haben.³⁷ Hallvard Cederschiöld 1922, S. 9. Sverrir Tómason 1988, S. 288. Bandle 1993, S. 38 und S. 46; vgl. die Überlegungen bei Wolf 2014, S. 94, zu einem „altisländischen Humangewebe“ in der Njáls saga, sowie Kap. 4.4.1. Andersson 2016, S. 2. Andersson 1985, S. 211 Andersson 1985, S. 221. Daran hat auch ein späteres Urteil wie bei Torfi Tulinius 2014, S. 151, wenig geändert, „the sagas about early Icelanders are, as a literary genre, the offspring of the Kings’ sagas“ – hier ging es vor allem um die formale Einordnung der Isländersagas. Eine frühe Ausnahme bildet neben Hallvard Lie (siehe unten) Eirik Øverås, der sich den „stilistiske knep“, den ‘stilistischen Kniffen’ der Heimskringla widmete (Øverås 1941, 51), allerdings in nur wenigen Beispielen. Zu nennen sind zudem Heller 1961 und Heller 2018, sowie der Versuch bei Klingenberg 1999, S. 118, anhand einer Figurenanalyse für den „Durchbruch zum freien, individuellen Erzählen“ in der Heimskringla zu argumentieren. Ármann Jakobsson 2012, S. 3. Dies ungeachtet der Kritik, als „Grundlage für historische Forschung“ sei „die Heimskringla schlichtweg ungeeignet“ – dies zumindest im Blick auf „Epochen, Ereignisse oder Bräuche der
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Lies Abhandlung Studier i Heimskringlas stil von 1937³⁸ hatte zwar ein gutes Jahrhundert nach Peter Erasmus Müller eine Richtungsänderung eigentlich vorbereitet, blieb aber eigenartig unberücksichtigt; noch Andersson tat sie beiläufig ab als „the boldest attempt to recapture Snorri’s artistry […] in shaking off source questions to probe Snorri’s underlying habits of mind“.³⁹ Und auch forschungsgeschichtliche Kritik etwa von Marlene Ciklamini oder Tatjana Jackson änderte daran wenig, fiel solche Kritik doch meist auf jenen methodischen Boden zurück, den die vermeintlich selbstevidente Einstufung der Heimskringla als Historiographie vorgab.⁴⁰ „Heimskringla as a description of society and as evidence of social and political attitudes“ war entsprechend Anfang der 1990er Jahre Sverre Bagges Leitsatz, dem er in Publikationen zur Thematik seither treu geblieben ist.⁴¹ Obwohl auch Bagge die literarische Gestalt der Heimskringla anerkannte, lag sein Interesse dezidiert „not in literary or aesthetic aspects“;⁴² vergleichbar formulierte zeitgleich Diana Whaley zur Heimskringla: „If we treat it primarily as a literary text, it is our choice, not Snorri’s“.⁴³
skandinavischen Vorgeschichte“ (Pesch 1996, S. 178). An Versuchen, die Ynglinga saga mit archäologischen Funden in Einklang zu bringen, hatte bereits Krag 1991, S. 244, Kritik geübt: „For en logisk betraktning har vi ikke i noe tilfelle annet enn tilfeldige arkeologiske og litterære opplysninger, hver for seg (‚tilfeldige‘ i forhold til hele det virkelighetsmangfold vi ikke har spor etter)“, ‘für eine logische Betrachtung haben wir in keinem einzigen Fall mehr als zufällige archäologische und literarische Auskünfte, jeweils für sich (‚zufällig‘ angesichts der ganzen Wirklichkeitsvielfalt, von der wir keine Spur haben)’. Lie 1937. Andersson 1985, S. 220. „Despite the recognition that Snorri is one of the most imaginative, resourceful, and skilled writers of the Middle Ages, there is no literary analysis of his work in English […]. In general, studies devoted to Snorri’s work have had a utilitarian rather than an esthetic objective“ (Ciklamini 1978, Vorwort). Jackson verwies zwar auf Snorri Sturlusons „creative activity“ (Jackson 1984, S. 125), doch bemühte sie sich dann primär um eine „evaluation of the authenticity of the Icelandic Konungasögur“ (ebd., S. 107). Bagge 1991, S. 2. Frühzeitig kritisierte von See 1999b, S. 370, diese Haltung: „Daß Bagge als Historiker und nicht als Philologe arbeitet, wirkt sich hier zum Nachteil aus. Denn detaillierte Textanalysen sind seine Sache nicht, und so mag es ihm entgangen sein, daß Snorris Konzeption nicht – wie bei einem modernen Historiker – als explizit geäußerte persönliche Meinung oder Argumentation in Erscheinung tritt, sondern als Tatsachenbehauptung, d. h. verlagert in das Arrangement der Erzählung selbst und in die fingierten Reden der darin Handelnden“. Auch Orning 2014, 201, sowie Sawyer 2015, 8 f., kritisierten Bagge später für fehlende Quellenkritik. Bagge räumte selbst ein: „I have mainly given a historical explanation […]. This does not imply a general belief in historical texts being directly determined by political or social conditions“ (Bagge 1996, S. 160); er fügt allerdings vage an: „Norway may very well be a special case“ (ebd.); grundsätzliche Kritik an der Phrase ‚historical explanation‘ hatte bereits White 1943 geübt. Bagge 1991, S. 2. Der bei Ármann Jakobsson 2017, S. 130, proklamierte Trend, seit den frühen 1990er Jahren habe die Forschung die „older distinction between literary and non-literary texts“ zunehmend problematisiert, trifft auf Bagges Studie nicht zu. Damit sei nicht gesagt, dass die Problematik Bagge nicht vor Augen stand; vgl. etwa Bagge 1992, S. 61: „Since they [i. e., the Kings’ sagas] are not considered to be pure fiction, literary scholars have avoided them, while the historians have had the feeling of putting their hands into a hornet’s nest when trying to derive factual information from them“. Whaley 1991, S. 143.
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Bagges Argumentation fußte auf der These, Snorri habe um 1230 in der Heimskringla historische Entwicklung primär anhand der ruhmreichen Taten weltlicher Machthaber erklären wollen.⁴⁴ Der narrativen Ausformung der umfangreichen Darstellung widmete Bagge kaum Beachtung, stattdessen rekurrierte er wiederholt auf die Frage der historischen Zuverlässigkeit: „There is no reason to be particularly optimistic concerning Snorri’s trustworthiness. His view of historical evidence differs radically from ours […]. Nevertheless, there are reasons to believe that his reconstruction is not totally inadequate“.⁴⁵ Von ihm als Bewertungsmaßstab herangezogene Kriterien wie historische Glaubwürdigkeit – die Suche nach einer mittelalterlichen Gesellschaft „as it actually was“⁴⁶ – standen deutlich noch unter dem methodisch problematischen Vorzeichen der frühen Forschung.⁴⁷ Die auch von Bagge zur Argumentationsprämisse gesetzten Errungenschaften ‚großer Männer‘ sind in der Erforschung der Königssagas einerseits hinsichtlich der Fähigkeiten der Machthaber interpretiert worden: Deren Charakterisierung sei „a combination of panegyrics of a ruler or a great man […] and an evaluation of the person in question as a leader, based on his skills in dealing with a number of different situations“.⁴⁸ Dahinter steht nicht zuletzt die wesentlich an lateinischsprachiger Historiographie gebildete Überzeugung, die Taten herausragender Individuen sollten zur Imitation anregen.⁴⁹ Weniger greifbar sind andererseits wiederholt bemühte Konzepte von ‚Glück‘ oder ‚Schicksal‘, die die Protagonisten in ihrem Handeln – und damit nordische Geschichte überhaupt – mehr oder weniger stark beeinflusst hätten.⁵⁰ Bereits 1971 notierte Aaron Gurjewitsch: „The idea of fate represents an ac-
Vgl. z. B. Bagge 1991, S. 202; zustimmend wiederum Whaley 1991, S. 129. Bagge 1991, S. 239. So die Formulierung bei Bagge 1999, S. 1, S. 5 und S. 7. Es bleibt unklar, was Bagge meinte, wenn rückblickend festhielt: „The study of the Kings’ sagas as historiography is only in its beginning“ (Bagge 1997a, S. 419). Anderssons Urteil, Bagges Studie sei ein erster Schritt „in overcoming the exclusion of the Kings’ sagas from the histories of European historiography, an exclusion that has hitherto been total“ (Andersson 1997, S. 416), greift erstens zu kurz, denkt man an Arbeiten wie Sverrir Tómasson 1988, spezifiziert zweitens das Konzept von Historiographie nicht weiter; vgl. van Nahl 2016a. Bagge 1997b, S. 56. Zur Diskussion vgl. Kempshall 2011 und Bäuml 1980. Dabei überwiegt in der Mediävistik die Einschätzung, der Rückgriff auf die Fortuna sowie auf Konzepte von Glück und Schicksal seien in mittelalterlicher Geschichtsschreibung funktionalisiert worden, um Ereignisse zu erklären, die sowohl einem geschichtsteleologischen als auch einem rationalen Zugriff zu widersprechen schienen; vgl. u. a. Bagge 1991, S. 219: „Luck, or fate, serve to explain the aspects of events which men cannot control and which modern historians explain by chance of structural conditions“. Hans-Werner Goetz bemerkte, das „Walten der Fortuna“ sei in mittelalterlicher Geschichtsschreibung „keineswegs von vornherein unglückbringend […] oder entsprechend negativ bewertet“ (Goetz 1996, S. 79 f.); zugleich betonte er: „Der gar nicht seltene Rückgriff der Chronisten auf dieses Motiv resultiert, wie ich meine, gerade aus dieser Unbestimmtheit, die es erlaubte, fortuna auf das (ebenfalls unbestimmte und oft unbegreifliche) historische Geschehen zu beziehen, und zwar, mit einem gewissen Unbehagen, vor allem dann, wenn der Ausgang den Erwartungen widersprach oder
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knowledgement of human bondage in the world and of man’s dependence on external conditions [o]f existence, conditions which he must accept“.⁵¹ Zugleich führte er aus, „fate and luck“ seien gerade in der Heimskringla zwar bisweilen „something unstable and accidental“, meist aber „a quality immanent in the king“.⁵² Dass „the concept of luck“ in den Königssagas von Bedeutung sei, betonte auch Bagge, und ebenso, es gäbe in den Texten „nothing to suggest that it is synonymous with God’s providence“;⁵³ es gäbe dort allerdings, wie er einräumen musste, auch nirgends eine einigermaßen klare Definition von ‚Glück‘.⁵⁴ Peter Vogt monierte 2011 rückblickend zu Recht, die „immer wieder so gern zitierten ‚großen Männer‘“ hätten in der Diskussion früh zu einem regelrechten „Stellungskrieg zwischen Indeterminismus und Determinismus“ geführt – ohne befriedigendes Resultat.⁵⁵ Die Vorstellung eines den Menschen treffenden und lenkenden Schicksals ist in der germanischen Literatur, auch der altisländischen, zwar anzutreffen.⁵⁶ Es ist aber schwierig festzumachen, wie weit der darin angelegte Determinismus geht.⁵⁷ Solch fehlende Eindeutigkeit ist nur zum Teil Resultat einer fehlenden zeitgenössischen Definition. Zugleich ist sie Resultat eines Überangebots an zeitgenössischen Termini, und man muss fragen, ob die Sagaverfasser sich dieser Mehrdeutigkeit nicht sehr wohl bewusst waren und sie gezielt instrumentalisierten.⁵⁸ Heinrich Beck stellte Ende der 1990er Jahre heraus, das häufig gebrauchte altisländische Substantiv hamingja würde in mittelalterlichen Texten mindestens ein halbes Dutzend unterschiedliche Konnotationen abdecken;⁵⁹ damit zeigte er sich kritischer einen ebenso beklagenswerten wie epochalen Wandel, vor allem den Fall eines Herrschers, symbolisierte“ (ebd., S. 85). Vgl. weiterführend Kap. 2.2.2. Gurjewitsch 1971, S. 43. Gurjewitsch 1971, S. 44. Bagge 1991, S. 220. Bagge 1991, S. 219: „Snorri gives no precise definition of his concept of fate“. Vage blieb Bagges Ansicht nicht zuletzt aufgrund seiner Ergänzung, in der Heimskringla sei mit „some rationalization of the concept of luck“ zu rechnen (ebd., S. 222). Vogt 2011, S. 378. Kritik an der Vorstellung, historische Entwicklung läge primär in den intendierten Handlungen einer Elite begründet, übte auch Gerd Althoff, wenn er monierte, konkrete Formen von herrschaftlicher Entscheidungsfindung seien von der mediävistischen Forschung zugunsten generalisierender Aussagen ausblendet worden (vgl. Althoff 2016b, S. 12 f.). Vgl. bereits Gehl 1939 sowie zur forschungsgeschichtlichen Einordnung Gropper 2017. Von jüngerer Forschung weitgehend unbeeindruckt meinte Bettina Sejbjerg Sommer zwar noch 2007, „luck“ sei generell „defined by unpredictability“, indes: „In Norse culture, the case is quite the opposite in that luck had nothing to do with what we would refer to as coincidence or chance. On the contrary, luck was a quality inherent in the man and his lineage, a part of his personality“ (Sommer 2007, S. 275). Ihre Argumentation führte zu dem vagen Fazit, das Konzept von „luck“ in der Sagaliteratur „does not consist of one clearly defined idea, but is rather a multifaceted concept reflecting several co-existing views on luck that have grown out of a range of different ideas and merged in a complex fashion“ (ebd., S. 293). Vgl. Ármann Jakobsson 2004a sowie weiterführend Kap. 2.4.1. Vgl. Beck 1999b. Dieses Spektrum spiegelt sich auch in der Handhabung des Terminus in modernen Wörterbüchern wider, in denen neben dem unpersönlichen Glück auch auf Personifizierungen etwa im
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als zuvor Gurjewitsch, der hamingja zwar zum „most significative term“ erklärte, ihn dann aber als Mischform aus „personal luck, good fortune, and the guardian spirit of a person“ analytisch unbefriedigend erfasste.⁶⁰ Beck erneuerte hingegen eine Position, die zeitnah zu Gurjewitsch Peter Hallberg eingenommen hatte,⁶¹ die seither aber noch weiter untermauert worden ist. So verwies Nicolas Meylan 2014 auf verschiedene Substantive und Phrasen, die im Altnordischen mit den genannten Konzepten verknüpft sind; auf die Problematik einer umfassenden Untersuchung reagierte er pragmatisch (aber unbefriedigend), indem er frequent gebrauchte Wörter wie hamingja und gipta schlicht aus der Analyse ausschloss.⁶² Rigoros verfuhr zeitgleich Bruce Lincoln, wenn er hamingja zur „self-fulfilling prophecy“ erklärte: „Hamingja was a discursive construct that actively constituted that of which it spoke, for once hamingja had been attributed to a man, others hesitated to oppose him, as his reputation for success promted discouragement and intimidation“.⁶³ Chandar Lal hielt zum Bedeutungsspektrum von hamingja speziell in der Óláfs saga Tryggvasonar weiter fest: One encounters ambiguities whereby abstract and concrete manifestations of luck seem to coexist. As such ambiguities abound, the decisive role of the modern reader becomes increasingly marked […] The text’s apparent construction of luck, then, would be necessarily contingent on a modern reader’s conception thereof.⁶⁴
William Sayers wiederum verlor sich provozierend in einem terminologischen Sammelsurium von „happenstance, fortune, fate, supernatural malevolence, or however they [i. e., a saga’s protagonists] or we might chose to label effects whose causality seems beyond understanding“.⁶⁵ Und Stefanie Gropper schloss später ihre Reflexion Sinne von Schutzgeistern oder Glücksmächten verwiesen wird; eine systematische Unterscheidung ist nicht zu erkennen. Vgl. Tanzer 2008, S. 26: „Formal betrachtet ist das Wort ‚Glück‘ stets starkes Neutrum und ohne Plural. Gerade weil ‚Glück‘ keinen grammatischen Plural hat, erzeugen seine Kontexte eine Vielfalt von Bedeutungsnuancen. ‚Glück‘ ist ursprünglich ‚Schicksal, Geschick, Ausgang einer Sache‘, sei dieser Ausgang eines Geschehens oder einer Angelegenheit nun günstig oder ungünstig; darüber hinaus ‚Schicksalsmacht‘, die Günstiges oder Ungünstiges schickt, und ‚Zufall‘ als von außen wirkende Macht. Erst durch die nähere Bezeichnung ‚gutes‘ Glück bzw. ‚böses‘ Glück, wie sich dies im englischen ‚good luck‘ und ‚bad luck‘ bis heute erhalten hat, wurde die positive oder negative Bedeutung zum Ausdruck gebracht“. Gurjewitsch 1971, S. 43. Vgl. Hallberg 1973, S. 168: „Much is problematic and ambiguous about the concept of fortune in saga literature, and will probably remain so“. Hallbergs Interesse lag allerdings auf der Frage, in welchem Maße im Norden christliche Einflüsse anzunehmen sind. Meylan 2014, S. 157: „That fate is heterogeneous is further suggested by the use by Old Norse speakers to refer to this etic concept. […] In order to keep the analysis manageable, I choose not to include here the equally etic concept of luck reflected by such Old Norse terms as gipta and hamingja“. Lincoln 2014, S. 80 f. Lal 2014, S. 108 und S. 110 f. Allein ein Appell für einen reflektierteren Umgang mit den genannten Konzepten blieb Lals Fazit: „Ideas of luck are open to subjective authorial interpretation rather than prescribed consistently by a collective understanding“ (ebd., S. 123). Sayers 2007, S. 401.
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über den altnordischen Schicksalsbegriff mit den nüchternen Worten, jede Saga demonstriere „an individual concept of fate as well as an individual handling of the topic“.⁶⁶ So sehr die verstärkt kritische Bewertung des Bedeutungsspektrums von hamingja und semantisch verwandeter Termini zu begrüßen ist, so erscheint sie im Gesamtblick also nivellierend. Lincoln etwa folgerte, es spiele ohnehin keine Rolle, ob hamingja nun irgendeine Form von Glück oder eine Art göttlichen Segens bezeichne – „the results are the same in either case“.⁶⁷ Für eine mentalitätsgeschichtliche Bewertung erzählweltlicher Ereignisse ist die Unterscheidung göttlicher Fügung von profanen Konzepten aber durchaus von Relevanz: Nicht zuletzt geht es hier, das betonte auch Gropper, um die Stellung des freien menschlichen Willen in der mittelalterlichen Gesellschaft,⁶⁸ ein Thema, das ab dem späten 13. Jahrhundert einen wichtigen Aspekt der Kontingenzdebatte darstellte. Hamingja und semantisch verwandte Termini können also trotz fehlender Eindeutigkeit keinesfalls als belanglose Rudimente der Erzählung abgetan werden, dürfen aber auch nicht als vermeintlich selbstverständliche Qualität der Sagafiguren vorausgesetzt werden, sondern müssen auf ihre jeweilige Funktion im narrativen Kontext befragt werden. Mit der plakativen Rede von großen Männern und deren wie auch immer wirksamer Lenkung durch menschlich unverfügbare Mächte ist jedenfalls wenig gewonnen. In Frage gestellt ist auch, welches Gewicht diesem spezifischen Vokabular, das in den Königssagas tatsächlich nur selten Erwähnung findet, zukommen kann. Bereits 1991 deutete Whaley an, gerade in der Heimskringla sei das Interesse an „fate, personal luck or the will of God“ ohnehin bemerkenswert gering, vielmehr sei ein komplexes Interesse an profaner Kausallogik aufgezeigt, wie es in zeitgenössischer Historiographie ansonsten nicht zu finden sei.⁶⁹ Im Vergleich gerade zu lateinischer Geschichtsschreibung muss in jedem Fall die detaillierte Darstellung der äußeren Welt in den Königssagas ins Auge fallen, innerhalb derer die Figuren agieren und reagieren. Die präzise Beschreibung dieser Umwelt sei, wie auch Bagge notierte, eine Eigenart dieser Sagas, hinter diesem Interesse an „physical surroundings“ stünde das Bestreben, „to show precisely how things happened“.⁷⁰ Doch hat sich an der Registrierung solcher Umweltbedingungen bisher keine nennenswerte Debatte entfacht. Zwar kritisierte bereits Anfang der 1980er Jahre Carol Clover, in der Sagaforschung herrsche die Tendenz vor, alle Erzählmomente, die nicht der Kernerzählung zugehörig schie Gropper 2017, S. 207. Demgegenüber erscheint Grzegorz Bartusiks jüngste Einschätzung als Rückschritt: „The Old Norse-Icelandic word hamingja […] in the wake of Christianization and Europeanization of Scandinavia, came to be identified with the ancient Roman goddess of fortune and fate“ (Bartusik 2019, S. 113). Lincoln 2014, S. 84. Gropper 2017, S. 207. Whaley 1991, S. 131. Bagge 2016, S. 9; vgl. Sayers 2017, S. 17 f.: „The sagas are otherwise seldom interested in description for its own sake or for the creation of a general sense of place and mood. When present, the realistic detail, which may be as slight as a place name on an itinerary or an everyday object, is often a pivot on which the plot turns“.
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nen, schlicht zu ignorieren – und dies, obwohl solche Momente in vielen Sagas frequent in Erscheinung träten.⁷¹ Solche Einwände blieben indes weitgehend ungehört, wenn Whaley einige Jahre später bemerkte, die Ereignisabfolge in den Königssagas sei „tightly forged out of human action and external circumstances“⁷² – ohne dass sie ausführte, worin diese äußeren Bedingungen konkret lägen, die damit erneut den Charakter eines strukturellen Hilfsgerüsts ohne eigenen Sinngehalt zugewiesen bekamen. Noch 2008 fasste Vésteinn Ólason den Stand der Erforschung der Königssagas mit dem lapidaren Satz zusammen: „Kongene er individer som har forskjellige egenskaper, og disse egenskapene, i samspill med omstendighetene, gjør at deres skjebner blir forskjellige“,⁷³ ʻKönige sind Individuen mit verschiedenen Eigenschaften, und diese Eigenschaften, im Zusammenspiel mit den Umständen, bedingen, dass ihre Schicksale verschieden sindʼ. Hinter dieser Tendenz zur Vernachlässigung vermeintlicher Randbedingungen oder Störfaktoren der Erzählwelt scheint ein generelles Unbehagen gegenüber der geschichtswissenschaftlichen Anerkennung von Zufallsereignissen zu stehen. Diese werden, um eine pointierte Formulierung von Karsten Reise zu übernehmen, als Abweichungen oder Ausnahmen beiseite geschoben: „Gewissermaßen stören sie wie die Schlaglöcher auf der Autobahn dabei, über einfache und elegante Erklärungen zu einem erhofften universalen Verständnis zu gelangen“;⁷⁴ der Zufall sei, so bemerkte bereits Rüdiger Bubner, „eine beziehungslose Größe […], die im historischen Geschehen störend umhergeistert“.⁷⁵ Nicht ohne leise Ironie referierte insofern Vogt, derjenige Historiker, „der vom Zufall spreche, sei nicht anders zu beurteilen […] als ein Schüler, der nach einer nicht bestandenen Prüfung […] seine Leistung, anstatt auf mangelnden Fleiß oder ungenügende Konzentration, auf den Zufall zurückführt“.⁷⁶ Diese skeptische Grundhaltung hat rückblickend auch in der geschichtswissenschaftlich dominierten Erforschung der Königssagas zu einer Gemengelage geführt, in der zufällige Begebenheiten irgendwo zwischen interpretatorischem Ärgernis und Grundbedingung historischer Erklärung changieren.⁷⁷
Vgl. Clover 1982, S. 27: „Like other European works of imaginative prose from the same period, the sagas subscribe to a principle of open composition. The whole has no fixed shape, but is a flexible structure that can be adjusted to the needs of a particular story or the whims of an individual narrator“; vgl. ebd., S. 28: „Discussions of saga form have tended to focus on main actions and key scenes and to consign the remainder to the category of deviant or unintegrated material, no matter how many pages that remainder may occupy in a given saga, and no matter how regularly such remainders crop up in text after text“. Whaley 1991, S. 138. Vésteinn Ólason 2008, S. 36. Reise 2014, S. 34. Bubner 1984, S. 34. Vogt 2011, S. 106; vgl. ebd., S. 326: „Die Geschichte und die Geschichtsschreibung, sie kennen, so die dabei wohl zugrundeliegende Annahme, keinen Konjunktiv“. Gerade Bagges Auseinandersetzung ist in ihrer Rhetorik bezeichnend: Snorri sei zwar kein „modern rationalist“, habe aber doch eine „rational explanation of historical events“ bevorzugt, die
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Im Versuch, dieses Dilemma zur Herausforderung zu wenden, haben sich in den letzten Jahren Stimmen gemehrt, die die Königssagas verstärkt anerkennen wollen als Erzählungen „with a mixed audience, mixed tone, and mixed purpose“.⁷⁸ Mit dieser noch vagen Einsicht rückt der lange vernachlässigte literarische Konstruktionscharakter der Köngissagas in den Interessensfokus. Clover stellte bereits 1982 die (wenig beachtete) These auf, der klassische Erzähltypus, der charakterisiert sei durch „economy, simplicity, and inevitability“, sei im 13. Jahrhundert nicht unbesehener Maßstab der Sagaschreibung gewesen;⁷⁹ gerade den Königssagas seien Erzählmomente zu eigen, die „neither strictly necessary nor strictly superfluous“ seien, „but something in between“.⁸⁰ Dreißig Jahre später notierte Ármann Jakobsson zur Morkinskinna ähnlich, die versammelten Königssagas seien „a mixture of the significant and the insignificant“,⁸¹ während Theodore Andersson und Kari Gade festhielten, „Morkinskinna seems unstructured, and we may ask whether, in fact, the composition is unified from beginning to end by any particular concept“.⁸² Und so ist hier auch Lincoln zuzustimmen, wenn er die Königssagas gar zum mittelalterlichen Paradebeispiel für „the subtlety, hidden interests, and consummate skill of the storytellers“⁸³ erklärte. Das Spektrum der potenziell angesprochenen Rezipienten – einerseits der norwegische Königshof, andererseits die isländische Elite, durch (indirekte) Vermittlung aber auch weitere Kreise – hätte Mehrdeutigkeit als Prinzip geradezu gefordert,
eng mit einer politischen Botschaft der Heimskringla verknüpft gewesen sei (Bagge 1991, S. 224 f.) – die Prämisse der ‚großen Männer‘ wurde hier zugleich zum Resultat einer vorgeblichen Deduktion. Weiter bemerkte Bagge, es gäbe in der Heimskringla zwar diverse Episoden um zufällige Zusammentreffen, allerdings seien diese nie primärer Auslöser für ernsthafte Konflikte (vgl. ebd., S. 81 f.). Doch zugleich notierte er, der Zufall könne retrospektiv so gedeutet werden, dass unvorhergesehene Ereignisse eben doch zu größeren Auseinandersetzungen führen (ebd.). Vergleichbar bemerkte später Hans Jacob Orning, die„uncertainty as to whether a conflict would result in violence or not“ (Orning 2013a, S. 51) sei Eigenart der Königssagas. Lincoln 2014, S. 122. Allerdings gibt es weiterhin Gegenstimmen, vgl. etwa Magnús Fjalldal 2013, S. 456: „Because recent studies of Heimskringla so often place it in an European context as a history of kings […] it is easy to forget that Snorri’s work is primarily composed for an Icelandic audience“. Er betonte allerdings zugleich, Snorri habe seine antiroyale Botschaft – „warning his readers against the Norwegian royal dynasty“ – subtil vermittelt „by selecting the kind of information that he chooses to present“ (ebd., S. 457). Hinter dieser Einschätzung ist der Forschungstopos einer starren Konfrontation von Island und Norwegen wirksam. Clover 1982, S. 20; zustimmend Kreutzer 1989b, S. 131: „Die nahezu durchgängige Tendenz altnordischer Texte zu innerer Erweiterung wurde mit gutem Recht häufig mit dem Einfluß der Mündlichkeit in Verbindung gebracht. Es gibt aber auch eine ungebrochene Tradition von der antiken Rhetorik her für Digressionen, Extensionen, Interpolationen, Amplificationen u. ä., auf die sich skandinavische Autoren berufen konnten“. Clover 1982, S. 54. Ármann Jakobsson 2012, S. 14. Eine Einschätzung, die schon Whaley 1991, S. 103, vage zur Morkinskinna notiert hatte: Deren Erzählstruktur sei „random rather than purposeful“. Andersson/Gade 2000, S. 64. Lincoln 2014, S. 2.
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gleichsam verborgen in scheinbar nebensächlichen Erzählmomenten.⁸⁴ Gerade die Heimskringla hätte den Spagat zwischen konkurrierenden Interessen erprobt,⁸⁵ sei „more ambiguous, intricate, allusive, and indirect, more subject to internal contradiction, and much more shrewd in advancing its line of critique“,⁸⁶ als andere Sammlungen an Königssagas. Ähnlich bemerkte wiederum Ármann Jakobsson: „The complexity of meaning to be found in Morkinskinna, and other medieval stories, is entirely comparable with that of modern stories“.⁸⁷ Solche Subtilität würde indes, so Lincoln weiter, in jedem Nachvollzug der Sagas mit einem „creatively misapprehending“⁸⁸ von Erzählmomenten einhergehen: When a story matters deeply, none of its details are trivial. Each piece, no matter how small, does work of some sort or another, establishing some point, influencing some judgment, or adding some nuance to an audience’s impressions. Every narrator is thus obliged to treat these details with care, although ‘careʼ need not imply fidelity. Thus, some narrators will use their skill to modify certain details, innovating even – perhaps especially – in stories that represent themselves as traditional accounts of well-known historical events.⁸⁹
Als gemeinsamer Nenner dieser jüngeren Stellungnahmen kristallisiert sich heraus, Mehrdeutigkeiten und damit potenzielle Widersprüche in den Königssagas nicht länger als einen Mangel der Darstellung abzutun, den der moderne Historiker mit vermeintlich überlegenen Methoden zu beheben hätte.⁹⁰ Pointiert betonte Lincoln, es
Lincoln 2014, S. 108; ähnlich Sawyer 2015, S. 2. Snorri Sturlusons persönlichen Zwiespalt zwischen dem norwegischen König Hákon Hákonarson und dessen Berater und Oheim Jarl Skúli erörterte Heinz Klingenberg, wobei er es als „lockere Spekulation“ stehen ließ, „ob Snorri mit dem letzten großen, positiven Herrscherportrait der Heimskringla seinen Gönner Skúli ansprechen wollte“ (Klingenberg 1998, S. 94; vgl. Sprenger 2000, S. 9 – 66). Auf diese Spannung verwiesen auch Ghosh 2011, S. 192 (mit Verweis auf Wanner 2008): „Jarl Skúli seems to have been considerably more knowledgeable and receptive to Snorri’s verse than was Hákon, and might also have been more receptive to a form of historical narrative less focused on promoting a new form of courtly ideology centred around a divinely legitimated king; after all, the more the authority of the king increased, the less important the magnates became“. Von „Snorri Sturluson’s two horses“ sprach im Zusammenhang Sawyer 2008. Lincoln 2014, S. 108. Ármann Jakobsson 2014a, S. 134. Lincoln 2014, S. 105. Lincoln 2014, S. 105. Vergleichbar forderte Müller 1998, S. 2, für die Interpretation des Nibelungenliedes, es gälte, „die vielen angeblichen Widersprüche des ‚Nibelungenliedes‘ unter die Lupe zu nehmen. Unbestreitbar gibt es solche Widersprüche im Gang der Handlung immer wieder […]. Aber sie werden nicht als ‚Fehler‘ betrachtet, an denen das ästhetische Mißlingen des Epos ablesbar ist, sondern als Spuren, die auf eine andere Sicht der Welt und eine andere Ästhetik hinführen“.Vorsichtig zustimmend Heinzle 2009, S. 69: „Die Zeitgenossen kannten sehr wohl ein Erzählen, das sich Kohärenzbedingungen unterwarf, die im Nibelungenlied nicht erfüllt sind.Wenn die Analyse auf solche Bedingungen abhebt, ist das keineswegs anachronistisch, sondern die einzige Möglichkeit, den Text in seiner zeitgenössischen Besonderheit zu erfassen“. Den kritischen Umgang mit der „retrospektiven Deutungsleistung, die schon die Zeitgenossen selbst vorgenommen haben“, erklärte Görich 2009, S. 185, zur Herausforderung auch der ak-
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sei vielmehr Herausforderung künftiger Forschung, dem Umstand gerecht zu werden, dass sich eine Gesamtinterpretation der Königssagas stets zu entziehen scheine: At a certain point, however, it becomes apparent that there is no convenient point of closure. […] It seems that narratives meant to stabilize state institutions and secure the political order are themselves profoundly unstable. Why should this be so? Do they suffer from some inevitable and inescapable contradiction? Have they been set an impossible task?⁹¹
Hinter dem wachsenden Interesse an individuellen narrativen Verfahren auch in solchen Texten, die allzu lange zur „self-evident historiography“⁹² degradiert wurden, steht schließlich die wachsende Bereitschaft, die etablierte Zäsur zwischen so genannter Vormoderne und so genannter Moderne in Frage zu stellen. Anders gesagt: Interpretationen, die mit der Prämisse strikter Erzählschemata operieren, wie sie mittelalterlichen Erzählungen angeblich zu eigen gewesen seien, wird nun die Offenheit solcher Erzählungen entgegengehalten. Für die Königssagas bedeutet dies, dass die Phrase des pragmatischen Erzählens problematisiert, das Überspringen störender Erzählmomente durch einen vagen Glücks- und Schicksalsbegriff kritisiert wird. Zugleich wird in diesem Aufbrechen narrativer Interpretationsschablonen die vermeintliche Eindeutigkeit einer mittelalterlichen Lebenswelt in Frage gestellt, wird neben der providenziellen Weltdeutung ein kontingentes Geschichtsverständnis wahrscheinlich gemacht. Die aktuelle Erforschung auch der Königssagas stellt das vor neue Herausforderungen – Gunnar Harðarson brachte sie metaphorisch auf den Punkt, wenn er die Erforschung der „belligerent atmosphere of the Sturlung Age“ mit einem isländischen Schneesturm verglich: „The only way to make any progress is to take the risk of driving just a bit farther, in the hope of making it to the next road marker“.⁹³ Die folgenden Ausführungen verstehen sich in diesem Sinne als Wegmarken auf einem schwierig zu überschauenden, weil forschungsgeschichtlich marginalisierten oder interdisziplinär verzweigten Diskussionsfeld.
tuellen Geschichtswissenschaft, um die „Offenheit der historischen Situation wiederzugewinnen“ (ebd., S. 187). Lincoln 2014, S. 104. Hier sei auf eine pointiert-kritische Bemerkung des späten Hans Robert Jauß verwiesen: „A significant qualification on the part of literary hermeneutics should be that not all texts and text types naturally represent an answer“ (Jauß 1994, S. 2). Ähnlich Morson 1998, o.S.: „Instead of either closure or anti-closure, the work displays what might be called aperture. The work renounces the privilege of an ending that would tie up all loose ends and complete a pattern. That never happens, could never happen, and the work may always continue“. Abweichend Herberichs 2010, S. 161 f., die meinte, ins Leere laufende Erwartungshaltungen würden in der Erzählung eine „teleologische Dynamik“ erzeugen, „die sich als eine des mehrfachen Aufschubs und damit als eine Dynamik der Kontingenz erweist“; hier überwiegt, so verstehe ich es, die Vorstellung einer finalgerichteten Erzählweise, in der Kontingenz zur bloßen Digression wird. Vgl. weiterführend Kap. 2.4. O’Connor 2017, S. 89. Gunnar Harðarson 2017, S. 255.
1.2 Literaturanthropologische Einordnungen
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1.2 Literaturanthropologische Einordnungen 1.2.1 Historische Widersprüchlichkeit – Zur Sturlungaöld Leben wir in einem neuen Sturlungenzeitalter? Einem Zeitalter von harten Machtkämpfen, Zwietracht und sozialen Auflösungsprozessen? Der Vergleich mag weit hergeholt scheinen, und doch kann man Parallelen finden, die bedenkenswert sind.⁹⁴
War die gesellschaftspolitische Situation Islands nach Bankahrunið, der Finanzkrise 2008, durch Orientierungslosigkeit geprägt – „was als ein wirtschaftlicher Zusammenbruch begann, erweist sich im Rückblick als ein viel umfassenderes Phänomen mit weitreichenden politischen, soziokulturellen und psychologischen Dimensionen“⁹⁵ –, so ist es nicht überanstrengt, dem mittelalterlichen Island Ähnliches zu attestieren. Wurde in isländischen Medien eine Sturlungaöld hin nýja, ein neues Sturlungenzeitalter beschworen, so bezeugt diese Wortwahl die tiefe Verankerung der mittelalterlichen Sturlungaöld, also der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts, im isländischen kulturellen Gedächtnis als eine Zeit des Niedergangs.⁹⁶ Die Bedrohung dessen, was als isländische Identität bezeichnet worden ist,⁹⁷ durch einen innen- und außenpolitischen Machtkampf, der kurz nach 1260 in der Unterordnung Islands unter Norwegen und später Dänemark gipfelte, ist zum Topos des isländischen Nationalbewusstseins geworden. Diese Auseinandersetzung seit dem Mittelalter ist nicht zum „clash of Nordic nationalities“ zu übersteigeren,⁹⁸ doch wird ein Anlass der Auswanderung vieler Norweger nach Island ab dem 9. Jahrhundert in der harten politischen Linie des legendären norwegischen Königs Haraldr hárfagri gesehen.⁹⁹ Wenn die Bewohner der Nordatlantikinsel zur Sturlungaöld eine „‘lost generation’ of Icelanders“¹⁰⁰ waren, wie Ármann Jakobsson meinte, dann gründet das indes nicht allein auf der abstrakten Bedrohung des mächtigeren Nachbarn jenseits des Meeres. Dann
„Lifum við nýja Sturlungaöld? Öld harðar valdabaráttu, sundrungar og félagslegrar upplausnar? Samlíkingin kann að virðast langsótt, en engu að síður má finna ýmsar hliðstæður sem vert er að hugleiða“ (Halldór Guðmundsson 2009, S. 4). Glauser 2011, S. 158; vgl. Durrenberger/Gísli Pálsson 2015 und Krístin Loftsdóttir 2019. Vgl. bereits Einar Ó. Sveinsson 1940 sowie die spätere Beurteilung bei Byock 1986. Vgl. wegweisend Hastrup 1990a sowie Ármann Jakobsson 2014a und Long 2017; zu Identitätskonzeptionen im mittelalterlichen Nordeuropa vgl. Foerster 2009. Kritik am Konzept einer nationalen Identität übte frühzeitig Sverrir Tómasson 1992, S. 360: „hugtakið fósturland, föðurland er líka svo óljóst í íslenskum ritheimildum á miðöldum að ekki verða af því dregnar ályktanir um hugmyndir landsmanna um eigið þjóðerni eða ríkisvald“, ‘der Begriff Heimatland/Vaterland ist so undeutlich im isländischen Schrifttum des Mittelalters, dass daraus keine Rückschlüsse zu ziehen sind auf Vorstellungen der Isländer über ein eigenes Volk oder einen eigenen Staat’; vgl. dazu Predatsch 2018. Ármann Jakobsson 2014a, S. 288; vgl. van Nahl 2017a. Zum unklaren Status von Haraldr hárfagri zwischen Geschichte und Mythos vgl. u. a. von See 1981 [1961], Sverrir Jakobsson 1991, Helgi Skúli Kjartansson 2006 und Lincoln 2014. Ármann Jakobsson 2003, S. 338.
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ist vielmehr auch nach dem Scheitern von Ordnungen innerhalb der isländischen Gesellschaft und schließlich auf persönlicher Ebene gefragt.¹⁰¹ Etablierte sich um 1200 das Sturlungengeschlecht als dominante Macht auf Island, so war damit zugleich der Beginn einer jahrzehntelangen innerisländischen Fehde gesetzt, die die Unterordnung der Insel unter Norwegen begünstigte; ob als angestrebte Stabilisierung einer als ausweglos empfundenen Situation oder als unabwendbare Konsequenz zersetzender Machtkämpfe, ist eine andere Frage. Die Sturlungaöld war aber auch jene Zeit, in der die isländische Erzählkunst einen Höhepunkt erlebte. Das Spannungsverhältnis zwischen isländischem Identitätsbewusstsein und norwegischen Machtansprüchen habe zu jener Zeit eine Entwicklung angestoßen und zur Entfaltung der altisländischen Literatur maßgeblich beigetragen. Diese Literatur habe die Möglichkeit geboten, das Verhältnis der Isländer zum norwegischen König, auch im historischen Rückblick, ins rechte Licht zu rücken. Die letzten zwei Jahrhunderte blicken auf zahlreiche Versuche, diese Blütezeit zu deuten. Wo frühere Forschung Island zur Enklave altgermanischer Erzählkunst verklärte,¹⁰² da wird mittlerweile mit diversen kontinentalen Einflüssen gerechnet – ohne dass damit, wie Kurt Schier zu Recht betonte, in Frage gestellt wäre, dass die altisländische Literatur nicht nur an Umfang die Literaturen aller anderen skandinavischen Länder im Mittelalter weit übertrifft, sondern daß hier auch Werke und Gattungen vorhanden sind, zu denen es in den übrigen Literaturen des Nordens und manchmal auch in den anderen mittelalterlichen Literaturen Europas überhaupt kein Gegenstück gibt.¹⁰³
Die ab dem 11. Jahrhundert deutlicher nachzuweisende Reisetätigkeit skandinavischer Gelehrter, Händler, Söldner und Pilger trug dazu bei, kontinentalen Diskurs zeitnah im Norden bekannt zu machen und Verschmelzungen anzuregen. Die isländische Elite des 13. Jahrhunderts ist als „one of the best-educated classes in Europe“ bezeichnet worden,¹⁰⁴ doch dürfte die altwestnordische Literatur einen breiteren Empfängerkreis angesprochen haben: Bereits unter dem norwegischen König Sverrir Sigurðsson († 1202) zeichnete sich die Tendenz ab, der Volkssprache gegenüber dem Lateinischen Priorität einzuräumen, auch in der Literatur. Und nicht zuletzt die auf Island lange Zeit weitgehend fehlende Trennung zwischen einem klerikalen und einem profanen Stand dürfte die Einsickerung kontinentaler Wissensdiskurse quer durch die Gesellschaft
Vgl. van Nahl 2017a und, speziell zur Sturlunga saga, Úlfar Bragason 2010 sowie Torfi Tulinius 2020 und Torfi Tulinius 2021.Vgl. auch die Einschätzung bei Reichert 2000, S. 143: „Wir werden aber die Liste der Antriebe, die man den Handlungen der Figuren altnordischer Dichtung gemeinhin zuspricht, erweitern müssen, und zwar um die Begriffe Neid, Haß, Kommunikationsschwierigkeiten und vor allem Angst in verschiedenen Ausformungen“. Einflussreich vor allem Heusler 1941. Schier 1994 [1991], S. 212. Jón V. Sigurðsson 2017a, S. 20.
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befördert haben.¹⁰⁵ Der Machtkampf isländischer Familien zur Sturlungaöld ging also in einem gesellschaftlichen Rahmen vonstatten, in dem Literatur eng mit dem alltäglichen Leben nicht nur einer isländischen Oberschicht verbunden gewesen sein dürfte. Angesichts der im Äußeren wie Inneren konfliktgeladenen Ausgangslage scheint es dann legitim, der Insel im Atlantik besonderes Erkenntnisgewicht für eine, um eine Formulierung Jan-Dirk Müllers zu borgen, „literaturwissenschaftliche Spielart der Historischen Anthropologie“¹⁰⁶ zuzugestehen – Island erscheint, wie Alois Wolf prägnant formulierte, als „einmaliges soziokulturelles Experiment“ im europäischen Mittelalter.¹⁰⁷ Damit darf der nordische Raum nicht zum Kuriosum vor dem Maßstab eines ‚Kerneuropas‘¹⁰⁸ werden. Das Desinteresse an einem länderübergreifenden Austausch zwischen Mediävisten, im deutschsprachigen Raum zwischen Skandinavisten und Germanisten,¹⁰⁹ scheint neben sprachlichen Hürden¹¹⁰ und nationalpolitischen Vorgaben¹¹¹ auch der Auffassung geschuldet, das mittelalterliche Island sei eine ‚nordische Sonderkultur‘ gewesen, wie Klaus von See Anfang der 1990er Jahre wirkungsvoll formulierte.¹¹² Für Michael Borgolte war das damalige Island zwar „der europäische Sonderfall“;¹¹³ er merkte aber kritisch an:
Vgl. Gunnar Harðarson 2016a. Damit ist keiner egalitären Gesellschaft im mittelalterlichen Island das Wort geredet, wie sie sich wiederum als Topos der Forschung festgesetzt zu haben scheint; vgl. die kritischen Bemerkungen bei Axel Kristinsson 2002. Müller 2007, S. 7. Wolf 2002, S. 73. Zum Begriff vgl. Waßenhoven 2006, S. 15; zum mittelalterlich-kartographischen Konzept ‚Europa‘ vgl. von den Brincken 2008 [1973] sowie zur Einordnung u. a. Simek 1990 und Barber/Delano-Smith 2018. Vgl. van Nahl 2013c; kritisch auch Beck 2016, S. 6: „Während die Nachbarwissenschaften (Germanistik, Anglistik etc.) eine lebhafte (und andauernde) Diskussion führten, harrten altnordische Texte vergebens einer solchen Aufmerksamkeit – ein Grund, daß Nachbarwissenschaften (wie etwa die Geschichtswissenschaft) leider nur unzureichende philologische Geneigtheit fanden (und finden), um ein förderliches Gespräch über die Fach-Grenzen hinweg zu führen“. Vgl. van Nahl 2015c. Vgl. Long 2017, S. 19: „Until recently, medieval Scandinavian historical research has been dominated by national paradigms. Given the long-standing emphasis on constitutional history and the desire to establish the glorious past of the medieval Icelandic state to justify more recent claims to autonomy, it is hardly surprising that considerations of the early relationship between Iceland and Norway remain few and far between“.Vgl. die Kritik bei Mortensen 2017, van Nahl 2017b sowie MünsterSwendsen 2018. Vgl. von See 1999b; zur Diskussion vgl. Simek 2009, S. 196: „I see no need to talk of two cultures, of a particular (and unexplained) Icelandic uniqueness or an Icelandic Sonderkultur. What the Icelanders achieved, and could rightly be proud of, was a not insubstantial cognitive surplus“, sowie van Nahl 2013b, S. 105 – 112. Borgolte 2002, S. 217.
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Wenn wir die Frage unserer Gegenwart ernst nehmen, wie wir mit Angehörigen anderer Rassen, Religionen und Kulturen leben sollen, bleibt auch in der Erforschung des Mittelalters nicht mehr nur das Dominante wichtig, sondern müssen die anderen schwächeren Stimmen im Dialog der Gruppen und Gesellschaften gleichrangige Beachtung finden.¹¹⁴
Sicherlich zeichnet sich Island durch Eigenarten aus, die in der Forschung zu Recht betont worden sind, vor allem das gesellschaftliche Konstrukt, der so genannte Freistaat: Per Gesetz soll unser Land befriedet werdet, diesen pathetischen Leitspruch formuliert u. a. die berühmte Njáls saga im 13. Jahrhundert, doch durch das Mittelalter hindurch fehlten auf Island Institutionen, die dieses öffentlich vorgetragene Gesetz gegen Widerstände hätten durchsetzen können – ein ambiges bis ambivalentes Konstrukt. Konsequent wurde angesichts solcher Spannungen vorgeschlagen, Widersprüche und Mehrdeutigkeiten in altnordischen Rechtstexten als Ausdruck historischer Widersprüche zu interpretieren.¹¹⁵ Hier muss der Blick aber auf den größeren Kontext gerichtet werden. Denn die Irritation der isländischen Gesellschaft fiel in eine Zeit, in der die höfische Welt des Kontinents bereits ein revolutionäres literarisches Programm intiiert hatte. Mit dem höfischen Roman, dafür hat vor allem Walter Haug argumentiert, sei im 12. Jahrhundert „das Fiktionale im Mittelalter erstmals als ein Bereich begriffen, in dem die Einbildungskraft nicht eine immer schon vorgegebene Wahrheit zur Anschauung bringt, sondern in einem offenen Horizont auf die Suche nach der Wahrheit geht“¹¹⁶ – und diese narrativ entfaltete Suche habe dem Zweck gedient, „bewußt zu machen, daß wir uns notwendigerweise in der Welt des Zufälligen bewegen“.¹¹⁷ Den Anstoß zu dieser Entfaltung volkssprachlicher Literatur im Frankreich des späten 12. Jahrhunderts hat man in gesellschaftspolitischen Parametern gesehen: Der radikale Ausbau der Königsmacht unter Philipp II. († 1223) beschnitt die Rechte der Aristokratie, welche ihrerseits in die intensivierte Beschäftigung mit einer rekonstruierten Vergangenheit geflüchtet seien, die imaginäre Alternativen eröffnet hätte.¹¹⁸ Dass Literatur damit
Borgolte 1996, S. 252. Vgl. Boulhosa 2005, S. 212. Haug 1989, S. 104; skeptisch u. a. Knapp 2002 sowie später Glauch 2014. Haugs Verdienst liegt vor allem darin, der These einer primären Abhängigkeit Chrétiens von lateinischer Gelehrsamkeit (im Blick auf Rhetorik und Poetik) einen volkssprachlich-literaturtheoretischen Zugang zur Seite gestellt zu haben; zu potenziellen Einflüssen auf Chrétien vgl. im Übrigen Green 2012, S. 60: „We still possess no monograph devoted to the role of fiction in his artistry“. Haug 1995, S. 224. Haug unterschied hier bisweilen die historische Perspektive auf den Zufall als das, was „quer zum Sinn“ stehe (Haug 2003 [1998], S. 83), von der narratologisch-interpretatorischen Perspektive, der zufolge der Zufall im höfischen Roman „sinnstiftend eingesetzt und damit, von außen gesehen, immer schon gebannt“ sei (Haug 1995, S. 224). Soweit ich überblicke, hielt Haug diese Trennung aber nicht konsequent durch. Spiegel 1993, S. 114, bemerkte prägnant, die treibende Kraft des höfischen Romans sei „the loss of legitimate domains of aristocratic experience“ gewesen, ein Verlust „that discursive repetition attempts in vain to revive in words“. Ähnlich Harris 2008 [1986], S. 232: „The authors, their own horizons shrinking throughout the thirteenth and fourteenth centuries, were obviously interested in the ex-
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sowohl reagierendes als auch agierendes Element gesellschaftlichen Handelns ist und beiträgt zur „Konstitution der Geschichte des Menschen“, kann nicht bezweifelt werden:¹¹⁹ Gerade in Krisensituationen, so resümierte František Graus, seien „Widersprüche und ihr Bewußtwerden“ mentale Orientierungspunkte und Grenzlinien.¹²⁰ Literatur trägt bei zum menschlichen Bedürfnis, Erfahrungen in einer als unkontrolliert und damit bedrohlich empfundenen Welt zu verarbeiten – „ein Verstehen-Wollen, ein Wunschdenken, eine Selbstvergewisserung und eine Suche nach Alternativen, nach Lösungen“,¹²¹ wie Thomas Fechner-Smarsley formulierte, eine „Entlastung vom Absoluten“,¹²² in Odo Marquards einprägsamen Worten. So ist es ausdrucksstarkes Zeitzeugnis, wenn der französische Dichter Chrétien de Troyes († ca. 1190), eng der bedrängten Aristokratie verbunden, in Erec et Enide (ca. 1160), selbstbewusst festhält: Des or comancerai l’estoire | qui toz jorz mes iert an mimoire | tant con durra crestïantez | de ce s’est Cretïens vantez, ‘nun beginne ich diese Geschichte, die immerwährend im Gedächtnis bleiben wird, solange die Christenheit besteht. Dessen hat sich Chrétien gerühmt’.¹²³ Ganz ähnlich lesen wir im altnordischen Herrschergedicht Háttatal (ca. 1220): Þat mun æ lifa | nema ǫld farisk, | bragni(n)ga lof, | eða bili heimar, ‘Immer wird leben – Menschen eh’ sterben, Erd’ versinkt eh’r – Der Edlen Preisung.‘¹²⁴ Ein fundamentaler Aspekt dichterischen Schaffens wird hier aufgerufen und zugleich umgesetzt: Dichtung verspricht Krisenzeiten, Zeit überhaupt, zu überdauern – und das impliziert nicht allein den Gepriesenen, sondern auch den Preisenden, den
panding world of their forebears“, sowie Ármann Jakobsson 2014a, S. 224: „In medieval Europe, […] the boundary between life and art grew increasingly unclear“. Diese historisch-soziologische These war bereits von Köhler 1970 vorgestellt worden; kritisch dazu Green 2004, S. 25, positiv würdigend MüllerOberhäuser 2008, S. 356. Engster 1983, S. 170; vgl. die Kritik bei von See 1999a, S. 262; vgl. auch Peter 1999, S. 29: „Als ästhetisches Sprachwerk prägt die Literatur mit ihren Konventionen für Gattungen und Erzählstrategien das Wirklichkeitsbild von Autor und Leser, wie sie andererseits auf soziale Wirklichkeit verändernd wirkt“; grundlegend bereits Oexle 1987, S. 71: „Aufgrund von Externalisierung ist die Gesellschaft Produkt des Menschen. Aufgrund von Objektivierung wird sie Wirklichkeit sui generis. Aufgrund von Internalisierung ist der Mensch Produkt der Gesellschaft“. Graus 1987, S. 11; vgl. Rexroth 2009. Müllers Kritik an der älteren Forschung zum Nibelungenlied, „scheinbar Disparates in den überlieferten Texten zu verbinden und scheinbar Widersprüchliches zu plausibilisieren“ (Müller 1998, S. 201), machte zu Recht auf die Gefahr einer modernen Psychologisierung aufmerksam; diese Kritik richtete sich aber nicht gegen die Annahme einer grundsätzlichen Wirkung von Literatur auf den Rezipienten. Zuzustimmen ist aber auch Bagge 2009, S. 73, Literatur sei keine soziologische Erklärung in dem Sinne „that a certain kind of society will inevitably produce a certain kind of literature. […] we are dealing with connections and probabilities, not with exact correlations“. Fechner-Smarsly 1996, S. 11; vgl. bereits Auden 1968, S. 49: „Present in every human being are two desires, a desire to know the truth about the primary world, the given world outside ourselves in which we are born, live, love, hate and die, and the desire to make new secondary worlds of our own or, if we cannot make them ourselves, to share in the secondary worlds of those who can“. Marquard 1998. Zitiert nach Haug 1985, S. 103. Faulkes 2007, S. 38, und Neckel/Niedner 1966, S. 330 f. (in poetisch-freier Übersetzung).
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Dichter, der, mit den blumigen Worten von Óskar Guðmundsson, „nur in der Schreibarbeit, in der Dichtkunst, […] seine Kraft zu spüren und einen Anteil an der Ewigkeit zu erlangen“ vermochte.¹²⁵ Es ist bezeichnend, dass es diese historische Umbruchszeit weniger Jahrzehnte um 1200 war, in der volkssprachliche Literatur, so komplex die Entwicklung im Einzelnen ist, einen vormals ungekannten Wert erhielt – eine „revolutionäre literarische Leistung“.¹²⁶ Nicht allein mit den Königssagas, sondern auch mit den Antikensagas – Übertragungen lateinisch-antiker Werke ins Altwestnordische – und den Rittersagas – fußend vor allem auf französischen Versromanen – lässt sich in Norwegen und Island für denselben Zeitraum der Beginn eines verstärkten Interesses an kontinentaler Literatur verzeichnen:¹²⁷ Die ab Anfang des 13. Jahrhunderts erfolgte Übertragung ausländischer Dichtung ins Altnordische bezeugt das intensive Bestreben u. a. des norwegischen Königs Hákon Hákonarson († 1263) und dessen Umfelds, kontinentale Kultur und Literatur zu importieren und zu adaptieren¹²⁸ – ein literarischer „Modernisierungsprozeß Norwegens in einem kaum vorstellbaren Maß“,¹²⁹ wie Heiko Uecker formulierte. Diese Konfrontation kultureller Momente, intellektueller Erwartungshaltungen und narrativer Verarbeitungsmuster über das Medium der Literatur implizierte aber die Reflexion über das Andere und den Anderen¹³⁰ – eine literarische Reflexion, die zur Selbstvergewisserung der eigenen Identität beitragen konnte, die aber auch (an‐)erkennen musste, dass Ordnungen von Kosmos und Gesellschaft va-
Óskar Gudmundsson 2011, S. 261. Wanner 2008, S. 29, kritisierte insofern die Ansicht, Muße und Distanz zum verhandelten Gegenstand seien Grundbedingung für kulturell bedeutsame Werke (vgl. Øverås 1941, S. 36), zu Recht als „scholastic fallacy“. Knapp 2013, S. 191. Vgl. Würth 1998 und Würth 2005, S. 163 – 169, sowie zur Einordnung van Nahl/van Nahl 2019, S. 127– 130. Der Hákonar saga Hákonarson (ca. 1265) folgend, ließ sich der König auf dem Totenbett Königssagas vorlesen: lét hann þá lesa fyrir sér norrænubækr nætr og daga, fyrst heilagra manna sögur, ok er þær þraut lét hann lesa sér konungatal frá Hálfdani svarta, ok síðan frá öllum Noregskonungum, hverjum eftir annan (Hák ii, 397), ‘da er ließ sich Tag und Nacht altnordische Bücher vorlesen, zunächst Geschichten über Heilige, und als diese ausgingen, ließ er sich das Konungatal vorlesen ab Hálfdan svarti und danach von allen norwegischen Königen, einem nach dem anderen’; dabei mag es sich um die Sammlung Fagrskinna gehandelt haben (vgl. Sverrir Tómasson 1992, S. 364). Uecker 2008, S. 7 f.; vgl. die Diskussion in Gravier 1975 sowie Torfi Tulinius 2002, aber auch bereits Schlauch 1934, S. 149: „Of course the new style reached Iceland very soon. In fact Norway and Iceland were so closely connected, culturally and linguistically, at this time, that it is idle to separate their literary histories completely“.Vgl. auch Kalinke 2011, S. 5: „With one exception the Arthurian narratives thought to have been translated in thirteenth-century Norway are preserved solely in Icelandic manuscripts. Without Iceland, King Arthur would be all but unknown in Scandinavian literature today“. Dass mit der Tristrams saga ok Ísǫndar von 1226 (vgl. Uecker 2008 und Orning 2013b) ausgerechnet jener kontinentale Erzählstoff den Anfang dieser Übersetzungstätigkeit machen sollte, der von zeitgenössischen Erzählschemata in einem entscheidenden Punkt abwich – dem unglücklichen Ende, das der Held nicht überlebt –, ist bemerkenswert. Zur mediävistischen Debatte vgl. Classen 2002; zum mittelalterlichen Norden vgl. jüngst Eriksen et al. 2020.
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riabel begriffen werden konnten.¹³¹ Das Streben nach der narrativen Verarbeitung fremder Denkstile kann angesichts dieses Spannungsverhältnisses nicht auf Unterhaltungstrieb reduziert werden. Sicherlich ist das Ungewisse und Fremde auch in mittelalterlicher Literatur ein Faszinosum, das „Spannung verspricht, den Reiz des Exotischen, ganz Anderen, auch Anrüchigen befriedigt, Evasionsbedürfnisse befriedigt“.¹³² Die altisländische Literatur erfasst diesen Aspekt von Erzählung mit dem Terminus skemtan, Unterhaltung; Klaus von See sah darin „die Entdeckung oder doch zumindest die theoretische Formulierung eines bewußten Vergnügens an literarischen Fiktionen, eines von allen anderen Legitimationen losgelösten Kunstgenusses an sich“.¹³³ Doch kennt dieselbe Literatur mit fróðleikr, Gelehrsamkeit, einen starken Komplementärbegriff, und bezeugt um 1200 Einsicht in den zweifachen Zweck von Erzählung, auf ihre Empfänger sowohl ästhetisch als auch intellektuell zu wirken.¹³⁴ Jenseits eines schwer zu fassenden individuellen Kunstgenusses kann die literarische Auseinandersetzung mit anderen Denkweisen also eine Dynamik entfalten, die in einer literarisierten Gesellschaft eine regelrechte „Sekten- oder Club-Phantasie“¹³⁵ zu provozieren vermag, eine intensivierte Suche nach imaginären Alternativen, die schließlich auf Gesellschaft generell ausstrahlen können.¹³⁶ Die genannte Mehrdeutigkeit altwestnordischer Rechtstexte, als Ausdruck historischer Uneindeutigkeit, ist
Vgl. Utz 2007, S. 138: „The ritualistic and often formulaic discourse of poetic creation in the Middle Ages may not be explained by simply enumerating statements in lists of topoi that suggest an unbroken chain of tradition from the Classical to the early modern western world. Rather, each of these creative writings of alternative fictional worlds deserve specific historicizing attention and detailed epistemological contextualization“. Vgl. Haug 2008a [2006] und Knapp 2013. Herweg 2010, S. 51; vgl. ebd. S. 49 f.: Die erzählte „Ur-Situation der Reise“, im Sinne eines „stets ungewissen, den Glücks- und Unglücksfällen des Lebens schonungslos ausgelieferten UnterwegsSeins“ erlaube dem Rezipienten, sich „auf den Weg [zu] begeben, hörend und lesend Wissen und Erfahrungen [zu] sammeln, die dem eigenen Blick aufgrund der engen Lebensräume der Zeit meist lebenslang entzogen blieben“. von See 1981a, S. 94. Bereits Bäuml 1980, S. 253, verwies auf die implizite Problematik: „Accompanying the inevitable creation of a fictional narrator in written narrative is the equally inevitable creation of a fictional public. For just as the author is absent from the public, which must ‘constituteʼ a narrator on the basis of the text, and an ‘authorʼ implied by the text, the public is absent from the author, who must ‘constituteʼ the public whom he addresses in his text“. Sloterdijk 2014, S. 8 und S. 10, brachte diese Komplementarität poetisch auf den Punkt, wenn er bemerkte, Literatur würde stets eine „Verführung in die Ferne“ begünstigen, zugleich aber eine „schicksalhafte[…] Solidarität“ derer suggerieren, „die dazu auserwählt sind, lesen zu können“. Sloterdijk 2014, S. 10. Vgl. Peter 1999, S. 34: „Ein kultureller Wandel wird oft durch eine (literarische) Gruppenbildung beschleunigt oder sogar ausgelöst. Indem die Gruppe neue Erfahrungen gemeinsam verarbeitet oder ihren Leidensdruck in einer neuen sprachlichen Symbolwelt ausdrückt, stiftet sie zunächst innerhalb der Gruppe eine Identität […]. Aufgrund ihrer Distinktion von gültigen Konventionen und Normen strahlt sie auf die Gesamtgesellschaft aus“. Für die Pariser Universität im frühen 13. Jahrhundert argumentierte Bubert 2016, S. 309, vergleichbar für „ein Gruppenbewusstsein der Artes-Magister, die sich als Philosophen verstanden und als solche von anderen Gruppen unterschieden“; vgl. Kap. 2.2.
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vor diesem literaturanthropologischen Hintergrund keine corpusspezifische Eigenart, sondern Teil eines weitreichenderen Phänomens. Die These, dass narrative Ambiguität, also die in Erzählungen sich ergebende oder intendierte Mehrdeutigkeit von Erzählelementen, Ausdruck zeitbedingter gesellschaftlicher und politischer Instabilität sei, wurde für mittelalterliche Literatur wiederholt verhandelt.¹³⁷ Welche Deutungsmöglichkeit mit welcher Begründung im erzählten Geschehen verwirklicht wird, ist, dieser These folgend, bereits in Erzählungen des 12. und 13. Jahrhunderts nicht mehr strikt an erzählschematische Vorgaben gebunden.¹³⁸ Der Übergang von einem Erzählzustand in einen anderen einerseits durch Handlungen der Figuren, andererseits durch figurenunabhängige Einflüsse in der Erzählwelt wäre dann nicht mehr von gradliniger Kausallogik geprägt; Carol Clover sprach wie gesagt einmal vom Ende des klassischen „proof of necessity“.¹³⁹ Übergänge wären nun vielmehr kontingent: Das erzählte Geschehen, die Ereignisverknüpfung, schafft in synchroner Perspektive einen Raum möglicher Fortsetzungen, deren jeweilige Geltung erst im erzählten Resultat, also retrospektiv in etwas Neuem sichtbar werden kann. Dieser narrative Spielraum widerstreitender Möglichkeiten jenseits des geltenden Realen eröffnet die Möglichkeit, Ordnungen „‚spielend‘ zu verändern: zu überhöhen, karikieren, subvertieren, verkehren“.¹⁴⁰ Und es geht dann in diesem Widerstreit der Deutungen auch darum, sich im subtilen Erzählen auszuzeichnen: As a given text introduced ever-more-subtle innovations to its version of the story, the fewer and more select would be the number of those who could recognise these shifts and understand their import. And a skillful narrator could make telling use of just such variation.¹⁴¹
Bruce Lincolns Bemerkung zu den verschiedenen Versionen der Saga von König Haraldr hárfagri steht beispielhaft für eine (noch zögerliche) Tendenz der jüngsten Forschung, bisher vernachlässigte Bedeutungsebenen der Königssagas eingehender zu betrachten. Dahinter steht die These, dass sich mittelalterliche Literatur in stär-
Vgl. noch einmal die pointierte Bemerkung zum Nibelungenlied bei Müller 1998, S. 2: „Widersprüche im Gang der Handlung“ seien nicht als Mangel zu betrachten, sondern als „Spuren, die auf eine andere Sicht der Welt und eine andere Ästhetik hinführen“. Vgl. Torfi Tulinius 2002, S. 41 f., „mental realities“ in mittelalterlicher Literatur seien „an expression of the contradictions in the society that has given rise to them: indeed, a reflection – sometimes conscious, but most often unconscious – of these contradictions and, likewise, of the society“, sowie die Problematisierung in Lienert 2019 sowie die Bemerkungen in Kiesel 2009, die an moderner Literatur formuliert, in ihrem Anspruch aber für vormoderne Literaturen diskussionsfähig sind. Vgl. ausführlich Kap. 2.4. Clover 1982, S. 54. Müller 2010b [2004], S. 100. Lincoln 2014, S. 4. Ähnlich notierte bereits Kreutzer 1989, S. 50, für die Skaldendichtung: „Schon im Mythos vom Skaldenmet wird ja von guter und schlechter Dichtung gesprochen. Eine reine Bewertung nach der metrischen Korrektheit […] ist sicher nicht angebracht. Kreativität, semantische Dichte und Komplexität sind gewiß nicht nur für uns wichtige Kriterien, sondern waren es ebenso für die Zeitgenossen im Mittelalter“.
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kerem Maße als lange angenommen durch reflektierte Ambiguität auszeichnet.¹⁴² Lincoln bemerkte zur Heimskringla, es handle sich um einen höchst subtilen Text, „including a critique it advances so skillfully and slyly that most modern critics have failed to perceive it“.¹⁴³ Auch Birgit Sawyer bemerkte zu Snorri Sturluson, dieser habe zwar viele Vorläufer „in the art of ambiguity“ gehabt, es sei aber gerade in seinem Fall die meisterliche Beherrschung des ambigen Schreibens gewesen, die es ihm in der Heimskringla erlaubt hätte, persönliche Ansichten zu verbreiten und doch oberflächlich allgemeine Erwartungshaltungen zu erfüllen.¹⁴⁴ Nicht allein würde, diesen aktuellen Einschätzungen folgend, in den Königssagas über Phänomene der Irritation, Unvorhersehbarkeit und Unbestimmtheit berichtet, wären diese also Thema der Erzählung (und damit den Figuren inhärent). Erzählverfahren selbst würden destabilisiert in der Weise, dass die Unter- und/oder Übermotivation von Ereignissen auf Erzählebene und die uneindeutige Verknüpfung von Erzählzuständen ein Spektrum möglicher Erzähllogiken hervorbringen können. Aus dieser Sicht bemessen sich literarische Produktivität und Innovation in der „Aktivierung von Potentialität“,¹⁴⁵ d. h. im Ausspekulieren kontingenter Möglichkeiten, die dem Geltenden und Realen vorausliegen. Sind Konfrontationen und Krisen also in dem Sinne produktiv, dass sie „ein Potenzial freisetzen (können), welches die ernsthafte Auseinandersetzung mit einer Bedrohung und die spielerische Bewältigung eines ungleichgewichtigen Zustands anstrebt“,¹⁴⁶ dann mag man die im frühen 13. Jahrhundert sich intensivierende Produktion von Sagas über norwegische Könige als augenfälliges Krisensymptom deuten.¹⁴⁷ Nicht umsonst bezeichnete Oskar Bandle die Königssagas als „ein Stück Humangeschichte“,¹⁴⁸ ein Begriff, der umso gerecht-
Vgl. weiterführend Kap. 1.2.1 und 2.4.1. Lincoln 2014, S. 7; vgl. Magnús Fjalldal 2013, S. 463, der die Heimskringla als „grotesque catalog of atrocities“ bezeichnete. Sawyer 2015, S. 146 f. Bulang 2008, S. 99 f. Fechner-Smarsly 1996, S. 11; vgl. jüngst Knaeble/Wagner 2017, S. 8: „Eine aus einer Krisensituation gewonnene Zukunftsperspektive lässt sich dementsprechend auch als spezifische Komplexitätsreduktion beschreiben, die den Zweck hat, Handlungsfähigkeit zu erzeugen. Der Umgang mit Zukunft ist insofern grundsätzlich entscheidend für die Überlebensfähigkeit sozialer Gemeinschaften und Systeme“. Vgl. die Bemerkungen zur ‚Notwendigkeitsbewältigung‘ in Kap. 2.3.3. Bereits Sigurður Nordal 1920, S. 214, betitelte das Sturlungenzeitalter als Zeitraum von „hryðjuverk og sagnaritun“, ‘Terror und Sagaschreibung’. Zur selben Zeit betonte Koht 1921, S. 77: „Vi veit jo at den tid da sagaskrivningen blomstret, det var en tidsalder med voldsomme samfundsbrytningar, og jeg tror ennog det tør sies, at selve brytningene hadde en vesentlig del i at sagaene i det hele blev skrevet“, ‘wir wissen ja, dass die Zeit, zur der die Sagaschreibung blühte, ein Zeitalter gewaltsamer gesellschaftlicher Umbrüche war, und ich glaube, man darf sagen, dass eben diese Umbrüche einen wesentlichen Anteil daran hatten, dass die Sagas überhaupt geschrieben wurden’. Bandle 1993, S. 46; vgl. Viðar Pálsson 2017, S. 56: „If texts produced and consumed in early thirteenth-century Iceland are made to bear witness to its sociopolitical Weltanschauung, as they certainly can be, then the Kings’ sagas must occupy a central place“. In seiner Interpretation der Njáls saga erklärte zeitnah Wolf 2014, S. 94, so genannte ‚Humanisierungstendenzen‘ zum zentralen Thema,
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fertigter erscheint, folgt man Aaron Gurjewitschs Feststellung, die mittelalterliche skandinavische Überlieferung räume dem Individuum „so viel Platz ein wie keine andere Literatur dieser Epoche, eine Erscheinung, die mit Fug und Recht das Epitheton ‚einzigartig‘ verdient“.¹⁴⁹ Die gesellschaftspolitische Krise der Sturlungaöld entzieht sich vor diesem literaturanthropologischen Befund aber einer Zuordnung in die überanstrengten Kategorien Fakt und Fiktion. Sicherlich ist es richtig, narrative Erklärungen als Reaktion auf die „Kontingenz des Faktischen, de[n] Widerfahrnischarakter praktischer menschlicher Lebenserfahrung“ zu verstehen, wie Matías Martínez formulierte.¹⁵⁰ Aber in diesem reagierenden Moment ist das Potenzial von Narration einseitig erfasst. Die isländische Krisenstimmung des 13. Jahrhunderts, die mit dem Verlust der politischen Unabhängigkeit um 1260 zudem nicht einfach ein abruptes Ende fand, erscheint vor dem skizzierten ambigen Hintergrund mehr noch als etwas Imaginäres, im Sinne von „Energien, aus denen Literatur ihre Impulse bezieht und denen sie Gestalt verleiht: Wünsche und Phobien, Begehren und Abwehr, Neigungen und Ängste, Ideale und Schreckbilder, Selbst- und Gesellschaftsentwürfe“.¹⁵¹ Mit der Sedimentierung dieses Imaginären in und durch Erzählung – „das Produkt ist dem Produzenten vorgeordnet“,¹⁵² wie Jan-Dirk Müller einmal griffig formulierte – ist eine Prämisse gesetzt, die neuerlich nach der Auseinandersetzung literaturschaffender Isländer mit der norwegischen Geschichte fragen lässt. Sicherlich kann man Marianne Kalinke zustimmen, dass hier „the Icelanders’ instinct for and interest in history“ wirksam war.¹⁵³ Doch dann ist es umso bemerkenswerter, dass viele altisländische Königssagas die Etablierung des norwegischen Königtums als oft unvorhersehbares Wechselspiel von Aufstieg und Fall darstellen, im Sinne einer historisch weit zurückreichende Verunsicherung, die Knechte, Bauern, Lokalprominenz und Magnaten, Heiden und Christen gleichermaßen erfasste. Ein so gezeichnetes Bild
im Sinne einer narrativen Fokussierung individueller Schicksale: Die Njáls saga sei ein regelrechtes „altisländisches Humangewebe“, mit dem Ziel einer ‚Humanisierung‘ und ‚Sentimentalisierung‘ der Erzählung. Vgl. Kap. 4.4.1. Gurjewitsch 1994, S. 32; Gurjewitsch betonte die Rolle der Volkssprachigkeit, ähnlich wie zuvor Bäuml 1980, 264 f.: „The new ambiguity of the limits of a text, which was one consequence of the new mode of communication represented by vernacular literacy, is closely related to the simultaneous development of the concept ‘fiction’ as distinct from ‘falsehood’. […] With the evolution of vernacular literacy, textual as well as pictorial narrative changes its communicative function from commenting on ‘reality’ to constituting a ‘reality’“. Martínez 1996, S. 23. Müller 2010b [2004], S. 99. Hastrup 1990a, S. 101, bemerkte pointiert: „My conclusion is that the Icelandic Freestate, as such, is a literary product. By means of an optical illusion the authors of the twelfth- and thirteenth-century Icelandic literature created an image of an original ‘free state’ as the essence of Icelandic social identity“. Diese These ist für Island umso interessanter, bedenkt man den seinerzeitigen Einwand bei Byock 1986, archäologische Untersuchungen würden eine Erschütterung der isländischen Gesellschaft im 13. Jahrhundert, wie literarische Quellen sie suggerieren, nur schwach stützen. Müller 2010a [1999], S. 18. Kalinke 2011, S. 8.
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nordischer Geschichte erscheint als ambige Stellungnahme, die zur geschichtlichen Selbstvergewisserung nur bedingt geeignet gewesen sein dürfte. Hefir þat lengi verit, at ýmsir hafa sigraðir verit, ʻes ist seit jeher so gewesen, dass mal der eine, mal der andere besiegt worden istʼ – Jarl Hákon Eiríkssons Replik in der berühmten Óláfs saga helga erfasst diesen Umstand prägnant.¹⁵⁴ Sie weist ein teleologisch wirksames Königsheil ebenso als falsche Kategorie zurück, wie sie der These einer gradlinig-finalgerichteten Erzählweise der Königssagas widerspricht. Im Gesamtblick erscheint diese eingängige Figurenrede geradezu als Leitspruch der vorliegenden Studie: ekki er þetta óhamingja, ʻdas ist kein fehlendes Glückʼ – das ist Geschichte!
1.2.2 Domestizierung der Unbestimmtheit? Irritationen der eigenen Lebenswelt, die Einsicht in die Unwägbarkeit der Geschichte sind eine Kontingenzerfahrung, deren Verarbeitung – womit nicht allein Bewältigung oder Verschleierung,¹⁵⁵ sondern auch Instrumentalisierung gemeint ist – aus lebenspraktischen Gründen erfolgen muss; in den griffigen Worten von Emil Angehrn: Es ist für den Menschen nicht unerheblich, ob er seine Geschichte wie einen Text lesen, sie sinnhaft durchdringen und aneignen kann […]. Je nachdem ist schon das Erzählenkönnen eine Art Bewältigung der Geschichte, genau wie die theoretische Durchdringung der Welt uns erlaubt, mit ihr vertraut zu werden und ihre Fremdheit oder Bedrohlichkeit zu überwinden. […] die Welt lesbar zu machen, entspricht einem tiefverankerten Bedürfnis des Menschen.¹⁵⁶
Vgl. Kap. 3.3.3.2. Der Begriff der Kontingenzbewältigung lässt sich zumindest bis in die 1980er Jahre zurückverfolgen; Lübbe 2004 [1986], S. 166, beantwortete die Frage nach der ,Bewältigung von Kontingenz‘ in der einprägsamen, aber interpretationsbedürftigen Formel: „Bewältigte Kontingenz ist anerkannte Kontingenz“. Er betonte, jedem menschlichen Versuch, Kontingenz mit gezieltem Handeln entgegenzutreten, sei eine enge Grenze gesetzt: „Es gibt die Kompetenzen nicht, die zu mobilisieren und zu entwickeln waren und die es dann erlaubten, die Schwierigkeiten, die es uns bereiten mag, da und so dazusein, durch Transformation unseres Daseins in ein daseinssouverän neukonzipiertes Resultat seines eigenen Handelns zu beheben. Just in diesem Sinne gibt es somit auch Kontingenzbewältigung nicht“ (ebd., S. 161). Lübbes Urteil fußte allerdings auf der weitgehend unhinterfragten Prämisse, Religion im Sinne eines „anthropologischen universale“ (ebd., S. 105 f.) zu verstehen, mit dem erklärten Ziel, Religion nach der Aufklärung (so der Titel des Buches) eine weiterhin zentrale Bedeutung für das menschliche Leben zuzugestehen. Wie Feil 1988, S. 83, kritisierte, „steht und fällt Lübbes Konzeption mit der Angemessenheit dieser Bestimmung der Religion“, die insofern wiederum nur eine (einflussreiche) Sicht auf Kontingenz darstellt. Vgl. dazu die forschungs- und politikgeschichtliche Kritik bei Benne 2019, der das Konzept der Kontingenzbewältigung mit einer Vergangenheitsbewältigung im 20. Jahrhundert parallelisiert, sowie die deutlichen Worte bei Makropoulos 2020, o.S., der Begriff ‚Kontingenzbewältigung‘ sei eine „analytisch unfruchtbare, aber unmissverständlich wertende Formulierung“. Angehrn 2010, S. 15 f. Ausführlich werden diese Grundannahme und die in den folgenden Abschnitten vorgestellten Überlegungen in Kap. 2 diskutiert.
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Die Erfahrung „eines Zeitbruchs, einer Divergenz, einer Diskontinuität, eines Kontinuitätseinbruchs in Lebensordnungen“ fordere insofern, wie auch Jörn Rüsen betonte, zu „historischen Erinnerungen und narrativen Sinnbildungsleistungen“ geradezu heraus.¹⁵⁷ Damit sind bewusst und unbewusst ablaufende Vorgänge angesprochen,¹⁵⁸ in denen der Stellenwert von Kontingenz für die Konstitution historischer Erfahrung und damit Geschichte immer wieder zum Gegenstand der Reflexion gemacht werden muss.¹⁵⁹ In Anlehnung an Peter Sloterdijk könnte man diesen Akt der Bewusstmachung und Verarbeitung von historischer Widersprüchlichkeit als eine Form der Domestikation von Unbestimmheit bezeichnen. Sloterdijk benannte damit zivilisationsdynamische Aussagen von mittlerem Abstraktionsgrad, die sich am Prinzip der Folgenoffenheit von Innovation orientieren, gleich ob es sich um technische Innovationen, Rechtsinnovationen, Verhaltensinnovationen oder Anspruchsinnovationen handelt. Hauptsächlich tragen die Sätze den gewandelten epistemologischen Verhältnissen Rechnung, unter denen Kulturtheorie auf der Höhe zeitgenössischer Begriffsbildungen und sozialer Selbstwahrnehmung sich entfalten. […] In Umschwüngen dieses Typs handelt es sich um die Ausmessung der Asymmetrien, die in ‚nach vorne offenen‘ Prozessen auftreten. Man könnte ebenso von der Domestikation der Unbestimmtheit sprechen, ohne die sich Zustandsveränderungen in komplexen Systemen nicht zur Sprache bringen lassen.¹⁶⁰
Domestikation ist aber, wie zeitnah Kevin Liggieri betonte, „ein Wort mit zwei gleich starken Bedeutungen“:¹⁶¹ Es erfasst einerseits den Aspekt der Zähmung, andererseits den Aspekt der Züchtung. Domestizierung verstehe ich in der vorliegenden Studie analog als erstens das Streben des Menschen nach der Bändigung einer als bedrohlich offen empfundenen Lebenswelt, zweitens das Bestreben, diese Umwelt im Sinne einer Chancenoffenheit zu funktionalisieren. Damit ist Domestizierung kein analytischer Begriff, sondern eine Metapher, deren doppelte Semantik die Ambivalenz von Kontingenz zwischen Unsicherheits- und Handlungsbereich versinnbildlicht, jene eigenartige Widersprüchlichkeit, in der Kontingenz erst eine „eigentliche Dramatik“ ge-
Rüsen 2001, S. 79. Aus mediävistisch-literaturwissenschaftlicher Sicht vgl. Haferland 2010, S. 343: „Dies löst auf der einen Seite philosophische Unruhe aus, auf der anderen Seite lässt es sich narrativ fruchtbar machen“; vgl. auch Mieth 2007, S. 5: „Vielleicht kann man allgemein sagen, daß eine Kontrasterfahrung oder gar ein Überdruß an verordneten und abgestumpften Gewißheiten eine Zündung ist, die manches literarische Feuer entfacht“. Ein anschauliches Beispiel der Problematik bietet wiederum die Forschungsgeschichte zum Nibelungenlied, wenn Heinzle 2009, S. 69, narrative Widersprüchlichkeiten als „unwillkürliches Zucken des Textes“ verstand, gegen Jan-Dirk Müllers Interpretation solcher Widersprüche als „intentionale Zeichen“. Vgl. Makropoulos 1997, S. 13: „Kontingenz ist […] eine Kategorie sozialer Selbstproblematisierung und so ein Reflexionsprodukt, das unauflöslich mit dem Selbst- und Weltbild einer Gesellschaft korrespondiert“. Sloterdijk 2014, S. 90 f. Liggieri 2013, S. 14 f.
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winne, wie Annette Gerok-Reiter formulierte.¹⁶² Diese Ausmessung von, mit Uwe Walter, „provozierte[r] und gehegte[r] Kontingenz“¹⁶³, ihrer Domestizierung im obigen Sinne, erfolgt zentral im Medium der Erzählung, als privilegierte Möglichkeit, das menschliche Bedürfnis nach Ordnung zu befriedigen. Erzählung ist dann, mit Michael Waltenberger, die Verarbeitung einer tiefgreifenden epistemischen Verunsicherung: der Erfahrung nämlich, dass das alltägliche Handeln sich immer stärker an Teilordnungen […] ausrichtet, deren Hierarchie nicht mehr selbstverständlich ist und deren umfassende Einheit immer weniger greifbar wird.¹⁶⁴
Damit ist nicht gesagt, in welcher Weise und in welchem Maße eine solche Domestizierung in und durch Erzählungen funktioniert. Gary Morsons an Aristoteles’ Poetik formulierte These: „chance intrudes only to be tamed“,¹⁶⁵ ist nur eine (populäre) Perspektive in der Ausmessung jener Asymmetrien. Die auch für mittelalterliche Erzählungen zunehmend anerkannte „bewusst intendierte Spannung in der Gestaltung von Konträrem in der Literatur, aber auch in deren Rezeptionsanweisung“,¹⁶⁶ gemahnt die eingehendere Auseinandersetzung, in der solche Spannungen vom vermeintlich genrespezifischen Randphänomen zu einem Kernthema der Erzählforschung erklärt werden.¹⁶⁷ Denn die Beobachtung, dass mittelalterliche Erzählungen „von Gegensät Gerok-Reiter 2010, S. 152; vgl. Walter 2017, S. 97: „Die Unterbestimmtheit oder gar Unbestimmbarkeit (und daraus folgend: Unbeherrschbarkeit) des Handlungsraumes erlaubt Handlungen nur so, dass diese zwar je für sich (in der Regel) ein bestimmtes Ziel verfolgen, aber in ihrer Summe eine jeweils singuläre, höchst komplexe Kombination von beabsichtigten und nichtbeabsichtigten Haupt- und Nebenfolgen ergeben“. Hier lässt sich auch an Hastrup 1990b, S. 298, anknüpfen, aus anthropologischer Sicht habe sich die mittelalterliche isländische Gesellschaft weg vom Vertrauen in die eigene Handlungskompetenz und hin zur Akzeptanz externer Einflüsse entwickelt. Walter 2017, S. 111; solche „Kontingenzeinhegung“ sah Walter von zwei komplementären Seiten erfolgt: „Menschen suchen auf allen Ebenen ihrer sozialen Integration – von der Familie bis zur Weltgesellschaft – einerseits mit der Möglichkeit und Wirklichkeit von Instabilität und Diskontinuität fertigzuwerden, soweit diese negativ konnotiert ist […]. Sie versuchen andererseits, das Unbestimmbare als Chance planmäßig zu gestalten“ (ebd., S. 101). Waltenberger 2010, S. 244. Mieth 2007, S. 8, bemerkte vergleichbar, Ungewissheit erschiene als „Grenze des rational Zugänglichen“, eine Grenze, die mit „literarischer Kompetenz aufgezeigt“ werden könne; sie verwiese aber zugleich auf einen „tieferen Zusammenhang, in welchem die Ungewißheit zu einem allgemeinen Gefühl existentieller Ungesichertheit wird“. Morson 1998, o.S. Auge/Witthöft 2016, S. 7; vgl. bereits Grünkorn 1994, S. 26: „Statt der stark gelenkten und konsensfördernden Rezeption der mündlichen Darbietungsform legt der Leser jetzt [d.i. im schriftliterarischen Umfeld] selbst Anlaß der Lektüre, Lesetempo, Pausen, Wiederholungen etc. fest. Damit hat er die Möglichkeit, freier zu assoziieren und zu imaginieren. Durch ‚Leerstellen‘ und ‚Unbestimmtheiten‘ des Textes – um es mit den Begriffen der Rezeptionsforschung auszudrücken – wird der Leser angeregt, durch seine eigenen kreativen Synthese- und Vervollständigungsleistungen den Sinngehalt des Textes mitzukonstituieren“. Zum ‚Sinn‘-Begriff vgl. weiterführend Kap. 2.1. Besonders die Rezeption des biblischen Hiob ist Ausgangspunkt entsprechender narratologischer Studien geworden (vgl. Richter 2008 und Heydenreich 2015). Im Blick auf die altisländische Literatur bemerkte Stefanie Gropper frühzeitig (in de Vries 1999 [1941], S. xxxix), „die Berücksichtigung des
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zen dominiert werden und Sinnstiftungen auf einem intendierten ‚Sowohl-als-Auch‘ liegen“,¹⁶⁸ ist ein komplexes und tiefgreifendes Phänomen. Gefordert ist eine Neulesung von Texten, deren aktuelles Verständnis, wie Ármann Jakobsson treffend formulierte, oft noch geprägt ist vom Forschungsmythos „that the past was more simple or primitive than the present and that mediaeval [sic!] texts are consequently more simple than modern ones“.¹⁶⁹ Folgt man im Blick auf den Zeitraum vom späten 12. bis ins frühe 14. Jahrhundert der Prämisse einer imaginären, mentalitätsprägenden Literatur, dann implizieren narrative Ambiguität, also erzählweltliche Mehrdeutigkeiten, und narrative Kontingenz, also fehlende Determiniertheit des erzählten Geschehens, das Risiko, Verunsicherung nicht einseitig zu zähmen, sondern zugleich das Bewusstsein für solche Uneindeutigkeit und Unsicherheit zu kultivieren.¹⁷⁰
1.2.3 Mittelalter und Literaturtheorie Ein Konsens darüber, was mittelalterliche Fiktionalität sei, ist keineswegs in Sicht.¹⁷¹
1.2.3.1 Zur Alterität des Mittelalters An das Konzept von Erzählung, wie es vorausgehend skizziert wurde und den weiteren Überlegungen als ein Orientierungspunkt dient, sind Prämissen geknüpft, zu denen in der Mediävistik bis heute kein Konsens erzielt worden ist. Zentrale Streitpunkte sind die vorgebliche Alterität des Mittelalters und, daran geknüpft, der Eigenwert¹⁷² von
Marginalen, das Eingeständnis der Pluralität und damit vor allem auch die Akzeptanz von Widersprüchen, Paradoxa und der Ambiguität“, seien offensichtlich auf Weg, sich als neue Forschungsschwerpunkte zu etablieren. Auge/Witthöft 2016, S. 4. Ármann Jakobsson 2004a, S. 51; konsequent forderte er: „Close examination of saga texts is needed to distinguish the meaning of the texts themselves from the simplifications made by generations of readers“. Vgl. zur Forschungsgeschichte Kap. 1.1.3. Melville 2002, S. 29, formulierte pointiert: „Uns verwundern die Phantastereien der mittelalterlichen Fiktionen, dem mittelalterlichen Menschen aber stillten sie einen Erklärungsbedarf angesichts von unfaßbaren Gegebenheiten und lieferten ihm damit ‚Wahrheiten‘, die tiefer griffen als die Evidenz einer unverständlichen Wirklichkeit. Solche ‚Wahrheiten‘ aber hatten beträchtliche Konsequenzen, denn sie beeinflußten gerade durch ihre Popularität sehr pragmatisch die Vorstellungshorizonte und Handlungsziele des Mittelalters bis hinein in konkrete politische Bereiche und formten dadurch wiederum ihre ihnen angemessene Wirklichkeiten“. Schnell 2013, S. 85 f. Vgl. Bartl/Famula 2017; die Herausgeberinnen hielten fest: „Mit der Frage nach dem Eigenwert der Literatur wird damit ein Blick vorgeschlagen, der nach Literatur als jener Instanz fragt, die jenseits von konsekutiven Wertzuschreibungen und Rückbezüglichkeiten auf andere einen autonomen, eigenen Wert aufweist, der eigenes Gewicht innerhalb der Realität für sich in Anspruch nimmt – wobei hier natürlich stets mitgedacht werden muss, dass jeder solche Befund eines Eigenwertes von Literatur
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Literatur im Mittelalter. Diese Formulierung berührt bereits den Kern der Debatte, denn, wie Rüdiger Schnell zusammenfasste: „Alle Fragen danach, wie sich Mittelalter und Neuzeit unterscheiden, zementieren die Vorstellung von etwas, was es nicht gibt: ‚das‘ Mittelalter und ‚die‘ Neuzeit“.¹⁷³ Die Debatte reicht historisch weit zurück und hat in jüngster Zeit Ausnutzung bis Missbrauch von Mittelalterbildern auch in digitalen Medien erfasst.¹⁷⁴ Spätestens Ende des 18. Jahrhunderts hatte sich bereits eine Gemengelage herausgebildet, in der ‚das‘ Mittelalter mal positiv, mal negativ konnotiert war, und es sind diese Extrempole, die noch heute keinesfalls allein in populärwissenschaftlichen Darstellungen bedient werden.¹⁷⁵ Dass die Mediävistik nach den ersten Nachkriegsjahrzehnten vor allem das Ferne und Andere in ihrem Untersuchungsgegenstand sehen wollte, ist sicherlich einem damaligen Interesse geschuldet, „als alles Fremde, Ungewohnte, Sonderbare eine zuvor ungeahnte publizistische Aufmerksamkeit erhielt“.¹⁷⁶ Man wird dahinter aber auch den Versuch einer Positionierung zur eigenen Forschungsvergangenheit sehen müssen; um 1970 kam es zwar, wie Anne Nagel betonte, zum „Generationswechsel“ in der Mediävistik,¹⁷⁷ doch zugleich urteilte Ulrich Wyss, die 1970er und 80er Jahre seien zumindest in der Altgermanistik wesentlich eine Zeit des „Weiterwurstelns“ gewesen.¹⁷⁸ Die Mediävistik war auf der Suche nach ihrem Profil. Sie sah sich dabei, wie Julia Zernack rückblickend festhielt, in ein „komplexes Geflecht von Traditionslinien mit Überschneidungen, Wechselwirkungen und Brüchen“¹⁷⁹ verstrickt und, wie Walter Haug betonte, mit der Frage konfrontiert, ob sich „die Vergangenheit über Kontinuitäten aufschließen [lässt], die zu uns hinführen und über die wir uns erst eigentlich in unserer historischen Position und Bedingtheit verstehen“, oder ob „die Vergangenheit das grundsätzlich Andere [ist], zu dem wir keinen Zugang mehr haben“.¹⁸⁰ Der hermeneutische Begriff der Alterität, also die Prämisse eines „eigentümliche[n] Realitäts- und Wahrheitsverständnis[ses]“ im Mittelalter,¹⁸¹ ist in der mediävistischen Literaturwissenschaft vor allem mit Hans Robert Jauß (1921– 1997) verbunden. Jauß betonte die hermeneutische Kluft zwischen Mittelalter und Neuzeit:¹⁸² Die Erschließung der „eigentümlichen Bedeutung mittelalterlicher Literatur“ erfordere die Auseinandersetzung mit einer „archaischen, politisch wie kulturell ganz für
trotzdem von einem Außenstehenden postuliert wird und damit von der individuellen Person, ihrer Zeit und Kultur anhängig ist“ (ebd., S. 16). Schnell 2013, S. 41 f. Vgl. Utz 2017 und Elliott 2017. Vgl. zu ausgewählten Aspekten Zernack/Schulz 2019. Schnell 2013, S. 47. Nagel 2002, S. 432; vgl weiterführend Nagel 2005. Wyss 2015 [2003], S. 279. Vgl. zeitnah grundlegend Beck 2004 sowie Iggers 2002; vgl. weiterführend van Nahl 2014a. Zernack 2005, S. 125. Haug 2008c [2003], S. 4. Müller 2010b [2004], S. 83 f. Jauß 1977a [1975], S. 414; vgl. die Aufsätze in Warning 1979.
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sich stehenden geschichtlichen Welt“¹⁸³ – „weder nachschaffende Identifikation mit dem Bewußtsein des Dichters, noch imaginative Rekonstruktion des sprechenden Subjekts“ könnten diese Kluft schließen,¹⁸⁴ und doch läge in diesem Dilemma, wie Jauß es bezeichnete, der Anreiz zur Erforschung mittelalterlicher Literatur: Deren „Alterität im Vergleich zu anderen Epochen“ mache die „Überwindung des Zeitenabstands zu einer ständigen Aufgabe hermeneutisch kontrollierter Interpretation“.¹⁸⁵ Jauß’ wirkungsmächtige Überlegungen zu einer Rezeptionsästhetik rückten insofern den modernen Leser ins Zentrum: Dem Befund des „unpersönlichen Autors und des nicht-werkhaften Textes“ stünde heute der Leser gegenüber, „der mit ästhetischem Vergnügen einen mittelalterlichen Text aufzunehmen weiß“ und dem damit über den Prozeß der „Horizontverschmelzung“ (ein Kernkonzept Hans-Georg Gadamers) ein „unschätzbarer Zugang“ zu mittelalterlicher Literatur eröffnet würde.¹⁸⁶ Aufgabe und Kompetenz des modernen Rezipienten im Verstehensprozess mittelalterlicher Literatur sind auch in der Altskandinavistik diametral bestimmt worden. 1975 bemerkte Michail Steblin-Kamenskij, die Prämisse „that the psychology of medieval man is identical with that of modern man“ sei als argumentum ex silentio zu selten auf ihr Fundament hin befragt worden;¹⁸⁷ er schloss mit der bissigen Metapher: „The savage who believes that monkeys do not speak because they are very sly men is surely convinced that his explanation is the best possible, and it would certainly be futile to try to refute his explanation“.¹⁸⁸ Steblin-Kamenskijs Überzeugung, das in der Sagaliteratur entworfene Bild mittelalterlicher Mentalität(en) stünde dem heutigen Rezipienten grundsätzlich fern, rief Kritik hervor. Bereits ein Jahr nach Veröffentlichung warf Peter Hallberg Steblin-Kamenskijs These schlicht „absurdity“ vor,¹⁸⁹ während Gerd Wolfgang Weber sie 1981 als „meisterhafte[n] Zirkelschluß“ bezeichnete.¹⁹⁰ Ende der 1980er Jahre kritisierte dann Rolf Heller Steblin-Kamenskij dafür, die notwendige „Aufmerksamkeit für jede Aussage, ja für jedes einzelne Wort“ in den Sagas nicht hinreichend an den Tag gelegt zu haben;¹⁹¹ sein Fazit: „Aus der besonderen Art der Darstellung in den Sagas Rückschlüsse auf eine von der unseren ab-
Jauß 1977b, S. 15. Jauß 1977a [1975], S. 414. Jauß 1977a [1975], S. 414. Jauß 1977a [1975], S. 415. Jauß’ Einfluss zeigte sich noch 2016 in Sarah Timmes Untersuchung zur Edda-Rezeption, in der sie sich methodisch explizit (wenn auch oberflächlich) auf Jauß’ Rezeptionsästhetik bezog (vgl. Timme 2016, S. 16); vgl. meine Kritik in van Nahl 2018c. Auch Utz 2017, S. 82, attestierte der Mediävistik kritisch die anhaltende Tendenz „to see an insurmountable otherness in medieval culture“. Steblin-Kamenskij 1975, S. 187. Steblin-Kamenskij 1975, S. 191. Hallberg 1976, S. 165. Weber 1981, S. 143. Heller 1989, S. 66. Solche Kritik übte später auch Müller 1998, S. 202, an früherer Forschung zum Nibelungenlied, der er den Mangel an einem „streng textbezogene[n] Vorgehen“ im Umgang mit „vermeintlich überzeitlichen[n] Annahmen über psychologisch plausibles Verhalten“ vorwarf.
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weichenden Psychologie der Isländer jener Zeit zu ziehen, ist sicherlich der falsche Weg“.¹⁹² Einen Mittelweg wählte Diana Whaley, als sie 1991 kritisch notierte, die moderne Rezeption gerade der Heimskringla sähe sich „double standards“ gegenüber: We enjoy and praise the parts where, according to our modern taste, there is literary interest, then have to find excuses for the rest, resorting to what we take to be a more thirteenth-century viewpoint. […] We recognise what we may take as universals in human behaviour, while at the same time revelling in the differences.¹⁹³
Dass sich daran bis heute wenig geändert hat, illustrierte noch 2014 Bruce Lincolns Kommentar zu den Königssagas: „No reading of any text is ever perfect and complete. […] all readers are disposed to see certain things and to remain somewhat blind to others“.¹⁹⁴ Prämissen und Geltungsbereich einer „Ästhetik der Leseerfahrung“ sind also einerseits weiterhin in der Diskussion.¹⁹⁵ Andererseits bewirkte auch die Gegenforderung, man solle die Eigenarten mittelalterlicher Literatur eher als Ausdruck einer „spezifischen Literarizität“ denn einer „anthropologischen Alterität“ verstehen,¹⁹⁶ zunächst wenig mehr, als dass die Prämisse vom mentalitätsgeschichtlichen auf das literaturtheoretische Feld verschoben wurde. In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts wurde dort für eine schematische Erzählweise mittelalterlicher Literatur argumentiert, eine wirkungsmächtige, von formalistischem und strukturalistischem Gedankengut beeinflusste Grundthese, die eine Zäsur zwischen, vereinfacht gesagt, individuellem und freiem Erzählen der Moderne und schemagebundenem Erzählen der Vormoderne etablierte.¹⁹⁷ Zum Ende des 20. Jahrhunderts war die literaturwissenschaftliche Auseinandersetzung um mittelalterliche Literatur somit in eine, wie Schnell formulierte, „merkwürdig verquere Diskussion“ geraten, suggerierte doch Heller 1989, S. 75. Whaley 1991, S. 141 und S. 143. Lincoln 2014, S. 122. Jauß 1977a [1975], S. 415; vgl. Knapp/Knapp 2017, S. 20 f.: „Granting aesthetic attention to medieval texts has only recently garnered much enthusiasm. The enterprise was often thought counter-intuitive because ‘aesthetics’ had not been invented when these narratives were written and first enjoyed. […] Much medieval scholarship has concentrated on establishing philological ‘firsts’, findings about what medieval society was like, clues to the origin of modern artistic archievements, or a kind of tourism through ‘otherness’“. Nicht zuletzt Jauß’ seit den 1990er Jahren verstärkt ins Licht gerückte SS-Vergangenheit hat die Debatte belastet (vgl. grundlegend Richards 1997 sowie die Perspektivierungen bei Benne 2019). Schneider 2013, S. 186; kritisch Müller 1998, S. 201 f: „Die Unterstellung anthropologischer Konstanten in Affekten, Habitus, Einstellungen, psychischen Mechanismen usw. [ist] eine vorwissenschaftliche Naivität. Dies gilt auch für das europäische Mittelalter, in dem erst die Weichen gestellt werden für die Ausbildung der Handlungs- und Verhaltensstereotypen, die wir unreflektiert-selbstverständlich als die normalen unterstellen“. Das ist allerdings eine Pauschalisierung: Gerade Müllers Rede von psychischen Mechanismen wäre in verschiedenen Kontexten individuell zu bewerten. Vgl. die Einordnung in van Nahl/van Nahl 2019, S. 89 – 93; kritisch bereits Beer 1981, S. 85: „The presence of formulae in medieval texts poses methodological problems to a modern scholar. All too frequently the recognition of a formula promotes a formulaic method of analysis“.
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einerseits die Rede von Alterität ein mittelalterliches Literaturverständnis, das dem heutigen entgegenstünde, glaubte andererseits „die literaturwissenschaftliche Postmodernedebatte im Mittelalter postmoderne Literaturverhältnisse“ zu entdecken: „Das Mittelalter war nun nicht mehr nur das ‚andere‘ [sic!] zur Moderne, sondern das ‚Gleiche‘ zur nachklassischen Periode bzw. zur Postmoderne“.¹⁹⁸ Für eine Neuorientierung auf dem umrissenen Themenfeld hat sich in der Altskandinavistik bis in jüngste Zeit die Kritik als hinderlich erwiesen, dass „critical methodologies and theories“ in der Erforschung mittelalterlicher Literatur von geringem Nutzen seien.¹⁹⁹ Wie auch immer man diesen Generalverdacht präzisieren mag, Literaturtheorie gilt manchem Mediävisten gerade im skandinavischen Raum als „ein Fähnchen im Winde fremder Wissenschaften, eine Mitläuferin in der Mode wechselnder Wissenschaftsparadigmata“²⁰⁰ – eine oberflächliche Einschätzung, der Wolfgang Iser bereits in den späten 1970er Jahren explizit widersprochen hatte: „Bedeutungen literarischer Texte werden überhaupt erst im Lesevorgang generiert; sie sind das Produkt einer Interaktion von Text und Leser und keine im Text versteckten Größen, die aufzuspüren allein der Interpretation vorbehalten bleibt“.²⁰¹ Dass Literaturwissenschaft überhaupt nur über die Prämisse bestimmter Theorien und Thesen betrieben werden könne, betonte dann Ende der 1990er Jahre Jan-Dirk Müller: „Wer darauf verzichten zu können glaubt, täuscht sich nur über die (dann freilich undurchschauten) theoretischen Grundannahmen, die sein eigenes Vorgehen leiten“.²⁰² Susanne Kramarz-Beins Bemerkung von 2014 sind insofern Appell für eine Neubewertung auch in der skandinavistischen Mediävistik: Innerhalb der skandinavistischen Forschungsdisziplinen gab es in der Vergangenheit eine unterschiedlich große Bereitschaft, sich mit modernen Theorieoptionen auseinanderzusetzen. […] Literaturtheorien sollten die behandelten Themenspektren nicht inflationär überfluten, gleichwohl ist eine dosierte und reflektierte Anwendung moderner Theorieoptionen andererseits in vielen Fällen aber in der Lage, eine vertieftere Erkenntnis zu generieren.²⁰³
Schnell 2013, S. 80 f. Gísli Sigurðsson 2005a, S. 288; vgl. Gísli Sigurðsson 2005b, S. 35 – 48; vgl. auch die pejorative Bemerkung bei Williams 2000 zu einer „litteraturteoretisk lekstuga“, einem literaturwissenschaflichen Spielzimmer. Matuschek 2001, S. 174. Iser 1979a [1971], S. 229. Müller 1998, S. 5; er führte weiter aus: „Es gibt keine Philologie oder Textarbeit, die nicht versteckt oder offen theoriegeleitet ist und deren Ergebnisse nicht von der Validität jener Theorie abhängen, und es gibt keine literaturwissenschaftliche Theorie, die unabhängig von ihrem Gegenstand ist und die nicht ihre Triftigkeit in der Auseinandersetzung mit Texten darzutun hätte“. Aus anthropologischer Perspektive ähnlich Hastrup 1990b, S. 296: „Any theory in anthropology is informed by the empirical, and all ‘evidenceʼ is marked by theoretical assumptions. Once data have become evidence they are evidence of something external to themselves“. Kramarz-Bein 2014, S. 11.
1.2 Literaturanthropologische Einordnungen
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1.2.3.2 Fiktionalität und Autorschaft Konzepte, deren Geltung bis auf den heutigen Tag scharf debattiert werden, sind mittelalterliche Autorschaft und, daran gekoppelt, Fiktionalität in mittelalterlicher Literatur. Auch für das Corpus der Königssagas, das in der Forschung verbreitet, aber vage als mittelalterliche Historiographie kategorisiert wird,²⁰⁴ ist diese Debatte von Relevanz. Vereinfacht gefragt: Gab es ab dem 12. Jahrhundert, jener Zeit, zu der schriftliterarische Zeugnisse europaweit in der Überlieferung stark zunehmen, eine im eigentlichen Sinne selbstbewusste Literatur, in der kreative Weltentwürfe entfaltet werden konnten, die weder den restriktiven Vorgaben früherer Autoritäten noch einem realhistorischen Geschehen verpflichtet waren? Eine Literatur, die gleichsam eine „Lizenz zur mehr oder weniger uneingeschränkten schöpferischen Aktivität“²⁰⁵ hatte und „eigenes Gewicht innerhalb der Realität“²⁰⁶ beanspruchen konnte? In der Beurteilung, die oft metaphorisch unverbindlich erfolgt, ist bis heute kein Konsens erzielt.²⁰⁷ Das hat zu kritischer Resignation geführt; bereits in den 1970er Jahren bemerkte Iser im Blick auf Versuche, literarische Fiktion von ‚Wirklichkeit‘ zu trennen: „Die vielen in solche Richtung verlaufenden Bemühungen ermuntern nicht zur Fortsetzung“.²⁰⁸ Er selbst plädierte seinerzeit dafür, Fiktion als „Kommunikationsstruktur“ zu verstehen,²⁰⁹ die Frage nach ihrer Bedeutung also abzuwandeln zur Frage nach ihrer Wirkung – womit der Maßstab freilich subjektiv bleibt. Solche Diskussionsanstöße haben ohnehin nur begrenzt Wirkung entfaltet; noch 2014 resümierte Sonja Glauch: „Mit der mediävistischen Fiktionalitätsdebatte tut man sich nicht leicht. Frisch ist sie nicht mehr, und resignative Stellungnahmen in jüngster Zeit haben ihr Stagnation oder gar beginnendes Zurückfallen in bereits Erreichtes bescheinigt“.²¹⁰ Zugleich betonte auch sie, die Frage nach dem „Status des Fiktionalen“ sei weiterhin „alles andere als ausgereizt und erledigt“.²¹¹ Der kritischste Punkt in dieser Auseinandersetzung ist die Frage, wo Fiktionalität anfängt und aufhört; „Fiktionalität ist skalierbar“, wie Jan-Dirk Müller formulierte, Übergänge zwischen „historiographisch fingierendem und fiktionalem Erzählen“ sind
Vgl. Kap. 1.1.3. Erchinger 2009, S. 2. Bartl/Famula 2017, S. 16. Bereits Minnis 1988, S. 3, hielt fest, die Erforschung spätmittelalterlicher Literaturtheorie sei vor allem deshalb wenig vorangeschritten, weil Mediävisten dem 13. Jahrhundert – „anachronistic and highly misleading“ – ein simples Desinteresse an literaturtheoretischen Fragen unterstellt hätten: „literary theory died or at least went underground“. Dieser Meinung, dass Kunst und Dichtung in der Scholastik wenig Interesse zugekommen wären, hielt Minnis vor allem den immensen Einfluss aristotelischer Schriften entgegen, die der Literaturtheorie im Gegenteil neues Prestige und neue Ausformungen verliehen hätten – selbst wenn Aristoteles’ Poetik im 13. Jahrhundert wenig Wirkung entfaltet habe (ebd., S. 6). Zum Argumentationsspektrum vgl. z. B. Knapp/Niesner 2002. Iser 1979b, S. 277. Iser 1979b, S. 278. Glauch 2014, S. 85 f. Glauch 2014, S. 86.
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fließend.²¹² Die Debatte reicht, ohne dass durchgehende Abhängigkeiten zu bestimmen wären, bis zu Platon und Aristoteles zurück.²¹³ Wo Ersterer sich in seiner utopischen Politeia in widersprüchliche Polemik gegen Dichtung verstrickte,²¹⁴ da erklärte Letzterer es um 335 v.Chr.²¹⁵ in seiner berühmten Poetik zur Aufgabe des Dichters, etwas so darzustellen, „wie es gemäß (innerer) Wahrscheinlichkeit oder Notwendigkeit geschehen würde, d. h., was (als eine Handlung eines bestimmten Charakters) möglich ist“.²¹⁶ Die Tatsächlichkeit einer Begebenheit hat damit auf Erzählung keinen ausschlaggebenden Einfluss: „Sie kann der Persuasion vielleicht nützen (für Aristoteles ist, was geschehen ist, gelegentlich auch wahrscheinlich); sie kann im Gegenteil aber auch rhetorisch-narrativer Nachhilfe bedürfen“.²¹⁷ So sei es gerade das „Überschreiten der Realitätsgrenzen“ gewesen, dass für Aristoteles den Wert von Dichtung ausgemacht hätte.²¹⁸ Doch diese These bedarf der Spezifikation. Aristoteles’ erzähltheoretische Betrachtungen rekurrieren auf Erwartungshaltungen, die sowohl gattungstheoretischer Natur sind, als auch an lebensweltlicher Möglichkeit bemessen werden. Erzählen funktioniert durch die Bezugnahme auf Gesetze, Regeln oder Regelmäßigkeiten als Beurteilungshintergrund, und es geht dann nicht allein um die Aneinanderreihung von Ereignissen im Sinne des „fertigen Vollzug[s] des Geschehens“,²¹⁹ sondern um Wirkungs- und damit Bedeutungszusammenhänge, die sich in sprachlichen Äußerungen wirkungsästhetisch entfalten.²²⁰ Aristoteles, so urteilte
Müller 2010b [2004], S. 94 f. Der Vorwurf bei Knapp 2002, S. 159, mancher Mediävist wolle „die Fiktionalitätsdebatte der Literaturwissenschaft durch den Erweis der Fiktionalität auch der Geschichtsschreibung für überflüssig erklären“, würde damit aber nur eine der „tatsächlich entscheidenden Neuerungen in der europäischen Ideengeschichte, die Entdeckung der reinen Fiktionalität, ungerechtfertigt, weil bloß scheinbar zum Verschwinden“ bringen, scheint überspitzt; unklar bleibt im Übrigen, was Knapp im Zusammenhang mit ‚reiner‘ Fiktionalität meinte. Vgl. Haug 1998, S. 71: „Wenn die poetische Erfindung nichts weiter als Lüge ist, dann muß man – mit Platon – die Poeten aus der Gesellschaft austreiben. Wenn eine fiktionale Erzählung aber eine bestimmte Wahrheit besser vermitteln kann als die kruden historischen Fakten, dann erhält sie – mit Aristoteles – eine Würde, die sie der Philosophie annähert. Die Geschichte dieser Kontroverse besteht in einer Folge von wechselnden Kompromissen“. Vgl. Gaier 2017, S. 19 – 38. Kritisch zur Datierung Fuhrmann 1992, S. 13: „Die Entstehungszeit der Poetik ist und bleibt unbestimmt, soviel Scharfsinn man auch auf dieses Problem angewandt hat. […] keiner dieser Hinweise gestattet, auch nur das Jahrzehnt der Entstehung zu bestimmen“. Schmitt 2008, S. 13. von Moos 1988, S. 216. Bartl/Famula 2017, S. 13. Bubner 1984, S. 13. Mit Bubner unterscheide ich also Ereignis und Geschehen: „Während das Geschehen den aktuellen Ablauf selber bezeichnet, setzt das Ereignis das Abgelaufensein oder den fertigen Vollzug des Geschehens voraus. Ereignis ist das, was geschehen ist und als solche bewußt wird oder zur Sprache kommt“ (ebd.). In der Poetik bemerkt Aristoteles, die sprachliche Dimension der Tragödie umfasse „das Beweisen, das Widerlegen, das Hervorrufen von Affekten (wie Mitleid, Furcht, Zorn, und was alles von dieser Art ist) und außerdem (die Kunst), die Größe oder Bedeutungslosigkeit einer Sache deutlich zu machen. Natürlich muss man sich bei (der Darstellung von) Handlungen (wie von Reden) nach denselbe
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Gerrit Kloss im rezeptionsgeschichtlichen Blick, entwickle in seiner Poetik eine Beschreibung dessen, was man in der modernen Literaturwissenschaft mit Begriffen wie ‚Fiktionalität‘, ‚Poetizität‘ und ‚Motivierung‘ belegt. Nirgendwosonst ist in der Antike der Charakter von Dichtung als einer Aussageform, die auf die Realität Bezug nimmt und zugleich ganz eigenen Gesetzen folgt, so scharf gesehen worden wie in der Poetik des Aristoteles.²²¹
Kloss’ Fazit, „alles, was gesagt werden mußte, hat Aristoteles selbst gesagt“,²²² war indes eine gezielte Provokation vor dem Hintergrund einer langwierigen Kritik an der Poetik, die angeblich eine bisweilen „kaum durchschaubare und daher wenig überzeugende Gedankenfolge“ darstelle.²²³ Die schmale Schrift wurde unseres Wissens erst um 1250 ins Lateinische übertragen und ihr unmittelbarer Einfluss zu jener Zeit wird gering eingeschätzt.²²⁴ Das bereits von Aristoteles skizzierte Spannungsverhältnis zwischen Geschichtsschreibung und Dichtung hat für die Mediävistik aber schon insofern Bestand, als Aristoteles Einfluss bereits auf römische Autoren übte, die ihrerseits im 12. Jahrhundert rezipiert wurden.²²⁵ Und noch aktuelle Klärungsversuche des Verhältnisses einer historisch-realitätsorientierten und einer literarisch-fiktionalen Dimension von Erzählung stehen ja vor der Beobachtung, dass der Gegenstand der Geschichte und der Gegenstand von Literatur identisch sein können: „Die berühmte Frage, worin sich Dichtung und Historie, die beiden konkurrierenden Gattungen in der Darstellung der Welt als Geschichte, unterscheiden lassen, kann nicht leicht beantwortet werden“, wie Eung-Jun Kim noch 2004 bemerkte.²²⁶
Prinzipien richten, wenn man bewirken will, dass eine Handlung Mitleid oder Furcht erregt, bedeutend oder wahrscheinlich ist. Der Unterschied liegt lediglich darin, dass sich die Wirkung im einen Fall ohne (ausdrückliche) Belehrung einstellen muss, während sie im andern Fall in der Rede vom Redner erzeugt werden und sich aus der Rede ergeben muss. Denn welche Funktion hätte der Redner, wenn sich (ein bestimmter Effekt) auch unabhängig von der Rede so einstellte, wie er sein soll?“ (Schmitt 2008, S. 27). Die Aufgabe des Dichters unterscheidet sich damit nach Aristoteles von der des Redners, denn wo der Redner seinen Stoff in z. B. politischen Situationen vorfindet, da muss der Dichter zunächst schöpferisch tätig werden. Zum Wechselverhältnis von Poetik und Rhetorik vgl. Fuhrmann 1992, 7– 15; zum aristotelischen Kriterium der Wahrscheinlichkeit in Erzählungen vgl. weiterführend Kap. 2.4.2. Kloss 2003, S. 182. Ähnlich notierte bereits Ricoeur 1984, S. 45: „Artisans who work with words produce not things but quasi-things; they invent the as-if. And in this sense, the Aristotelian mimesis is the emblem of the shift […] that, to use our vocabulary today, produces the ‘literarinessʼ of the work of literature“. Kloss 2003, S. 182. Horn 1988, S. 115. Die erste heute noch greifbare Übersetzung in Lateinische erfolgte wohl 1256 in Toledo (durch Hermannus Alemannus († 1272)), auf Grundlage der arabischen Übertragung des Averroes; die erste Übersetzung aus dem Griechischen erfolgte vermutlich 1278 durch Wilhelm von Moerbeke († 1286). Vgl. Green 2004, S. 1– 17. Kim 2004, S. 24. Insofern erscheint mir die Einschätzung bei von Moos 1976, S. 96, die antike und mittelalterliche Literatur beweise „die praktische Wirkungslosigkeit der aristotelischen Kontrastierung von Dichtung und Historie“, einseitig. Zustimmend hingegen Sverrir Tómasson 1988, S. 192, unter
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Dass eine übergreifend gültige Definition des Konzeptes ‚Fiktionalität‘ nicht in Aussicht steht, ist in der mediävistischen Forschung hinreichend deutlich geworden. Die folgenden Bemerkungen beleuchten einige für die vorliegende Studie relevanten Aspekte und tragen bei zu einer Arbeitshypothese, die im weiteren Verlauf der Untersuchung themaspezifisch präzisiert wird. Will man nicht bestreiten, dass die moderne Wertung der Fiktion eine „starke Attraktivität auf den Interpreten“ ausübt und dass wir „in der Fähigkeit zur literarischen Fiktion eine Errungenschaft“ sehen wollen,²²⁷ wie Glauch formulierte, so ist damit doch noch kein Urteil gefällt zum Mittelalter mit seiner angeblich „andersartigen und uns fremdgewordenen Kunstästhetik“.²²⁸ Bereits Hans Robert Jauß nivellierte seinen Befund des unpersönlichen Autors und des nicht-werkhaften Textes, wenn er eingestand, dass aus der proklamierten Alterität mittelalterlicher Literatur „natürlich immer wieder Werke von autonomen Status herausragen“ würden.²²⁹ Doch Glauchs Vorwurf, man suche heute nach dem Fiktionalen in mittelalterlicher Literatur, um damit ein „scheinbar objektives Kriterium für ein unausgesprochenes und unmittelbares Werturteil“ zu gewinnen,²³⁰ ist schon deshalb oberflächlich, weil von einem klaren Ausgangspunkt, was man im Mittelalter ‚fiktional‘ nennen könnte, eben gar nicht zu sprechen ist.²³¹ Fiktionalität
Verweis auf von Moos: „Ef sagnaritarar miðalda hefðu haldið fast við hina aristótelísku skiptingu milli skáldskapar og sagnfræði, hefði það óhjákvæmilega leitt til þess að sagnfræði þeirra hefði orðið þurr annálarritun“, ‘wenn die Geschichtsschreiber des Mittelalters an der aristotelischen Trennung von Dichtung und Geschichte festgehalten hätten, dann hätte dies unvermeidlich dazu geführt, dass ihre Geschichtsdarstellung trockene Annalenschreibung geworden wäre’. Kritischer Knapp 1992, S. 48, der festhielt, die von Aristoteles herausgestellte „beträchtliche graduelle Differenz zwischen Epos (bzw. Drama) und Geschichtsschreibung“ sei erst von modernen Kritiker vorschnell „zu einer absoluten hypertrophiert“ worden. Oberflächlich ist bei Horowitz 2011, S. 69, der Versuch der Etablierung einer Grenze zwischen ‚Geschichte‘ und ‚Literatur‘ am Beispiel des Zufalls: „History is full of accidents, and literature is not“: „Accidents tell us something about the broader relation between history, which is suffused with accident, and literature which is not. Simply put, these realms are not commensurable; they obey distinct laws and follow discrete logics“ (ebd., S. 77). Woran Horowitz sich offensichtlich störte, ist die Kontingenz des Erzählaktes selbst. Glauch 2009, S. 163. Glauch 2009, S. 162. Jauß 1977a [1975], S. 414. Glauch 2009, S. 163. So bleibt der Versuch einer ,idealtypischen Taxonomie narrativer Formen‘ bei Lincoln 2014, S. 117, insofern einseitig, als er zwar „non-fictional narratives“ umfangreich aufschlüsselt, als Gegenbegriff aber kommentarlos „fiction, imaginary tales“ setzt; die Relation dieser vermeintlichen Pole unter einem Oberbegriff ‚narratives‘ bleibt in Lincolns Schema völlig unklar. Oberflächlich blieb auch die Kritik bei Zipfel 2001, S. 285, in der Forschung habe es „bisher nur einige wenige Ansätze einer historischen Betrachtung von literarischer Fiktion“ gegeben; zuzustimmen ist Zipfel hingegen darin, dass meist von der „Frage nach dem Aufkommen eines Fiktionsbewußtseins“ ausgegangen würde und dabei „recht unterschiedliche Schwellenzeiten“ zur Debatte stünden. Pragmatisch Schäfer-Hartmann 2009, S. 15: „Ich werde der Einfachkeit halber auch im Folgenden die Begriffe ‚Fiktion‘ und ‚Fiktionalität‘ für literarische Texte verwenden, wobei keinesfalls die neueren Diskussionen um ‚Fiktionalität und Faktizität‘ der mediävistischen Historiker und Literaturwissenschaftlicher unberücksichtigt bleiben oder
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sei, so zusammenfassend Rüdiger Schnell, ebenso greifbar als „Verzicht auf die Nachahmung von ‚Realität‘, Natur und Alltagserfahrung“, wie auch als „Wiedergabe eines gesellschaftlich verbindlichen Verhaltensmodells (das allerdings nicht ‚realisiert‘ werde, sondern nur als Fiktion existiere)“;²³² die Frage literarischer Autonomie ist damit unterschiedlich bestimmt. Scharfe Kritik an jeder versuchten Trennung von historischem Fakt und literarischer Fiktion übte bereits in den 1980er Jahren Rüdiger Bubner, wenn er festhielt, es mache schlicht „keinen Sinn, von der Objektivität des Vergangenen jenseits der Erzählung zu reden“, sei Vergangenes doch immer „allein als Erzähltes“ existent.²³³ Walter Haug stimmte dem aus literaturwissenschaftlicher Perspektive zu, wenn er bemerkte: „Das Faktische an sich ist ja sinnlos, es gewinnt seine Wahrheit oder eine Wahrheit erst in der deutenden Darstellung“.²³⁴ Und auch Müller betonte später, der sinnstiftende Gehalt einer literarischen Aussage sei von einem an Faktizität orientierten „richtig-falsch Schema“ gar nicht berührt,²³⁵ es ginge vielmehr um die „Möglichkeit, Wahrheit unter den Bedingungen eines Als-ob zu denken und Texttypen nach diesem Wahrheitsanspruch zu unterscheiden“.²³⁶ Grundsätzlich Position gegen die These eines allein theologisch geprägten Verständnisses von Wahrheit im Mittelalter bezogen in der Folge u. a. Panagiotis Agapitos und Lars Boje Mortensen: When we confront medieval texts claiming to be true accounts of the past, our immediate reaction may be that the medieval idea of ‘truthʼ is theological and hence more abstract and immovable than the one implied in our scholarly search for the ‘truthʼ in a particular, concrete historical case. But, in fact, the reverse argument could be made.²³⁷
Diese Debatte wurde in ganzer Breite auch in der Altskandinavistik geführt, wobei die Isländersagas größeres Augenmerk auf sich gezogen haben als die Königssagas.²³⁸ Der
gar in Frage gestellt werden sollen. Jedoch fehlt der mittelalterlichen Literatur, trotz aller Bewegung in dieser Diskussion, bisher immer noch ein angemessener Fiktionsbegriff“. Schnell 2013, S. 85 f. Bubner 1984, S. 13. Haug 2000, S. 72. Müller 2010b [2004], S. 96. Müller 2010b [2004], S. 91. Agapitos/Mortensen 2012, S. 11. Eine selektive, aber kritische Zusammenfassung der seinerzeitigen Forschungsdebatte bietet bereits Einar Ó. Sveinsson 1971; sein Beitrag war zugleich Teil der monierten Forschungsgeschichte, denn trotz seines einleitenden Verweises auf den Prolog der Heimskringla als methodischen Ausgangspunkt betrachtete er allein die Isländersagas: „It would be interesting to investigate the Sagas of Kings further for events of the 9th and 10th and 11th centuries, but I would rather deal in a little more detail with another sort of saga covering the same period, whose problems are to some extent the same, and at all events just as interesting. This is the group know as Íslendingasögur“ (ebd., S. 296). Befremdlich scheint daher die Kritik in Agapitos/Mortensen 2012, S. 16 f., der angebliche Fokus der Forschung auf den französischen, englischen und deutschsprachigen Literaturen des Mittelalters sei bisher derart dominant, „that the peripheral literatures have been marginalized more than they de-
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in der Forschung populären Meinung, die Königssagas seien „self-evident historiography“,²³⁹ widersprach schon 1920 Sigurður Nordal, wenn er zur Heimskringla notierte: „Markalínuna, þar sem sagnaritum hættir og sögulegur skáldskapur tekur við […], er örðugt að draga“,²⁴⁰ ‘die Grenze, an der Geschichtsschreibung endet und historische Dichtung beginnt, ist schwer zu ziehen’. ‚Geschichtlich‘, so betonte 1956 dann Walter Baetke für die Isländersagas, sei nach mittelalterlichem Maßstab das gewesen, „was alle angeht“, d. h. außergewöhnliche, erinnerungswürdige Ereignisse, die die Inhalte einer „historischen Tradition“ gebildet hätten,²⁴¹ sich allerdings nicht im Sinne von ‚faktisch‘ hätten vereinnahmen lassen. Wenig später argumentierte Anne Holtsmark zwar für eine Auffassung der Sagas als hochstehende Literatur des isländischen 13. Jahrhunderts; die Frage: „hva er historie og hva er kunst“,²⁴² ‘was ist Geschichte und was ist Kunst’, sei damit aber, wie sie betonte, keinesfalls geklärt, sondern bedürfe stets der Detailanalyse. Nochmals zehn Jahre später leitete W. H. Auden seinen berühmten Essay The World of Sagas mit der Metapher einer Heirat zwischen Historiker und Dichter ein: „The question who is in command and who to obey, is the source of constant quarrels“.²⁴³ Grundsätzlich kritisch zeigte sich Anfang der 1980er Jahre auch Gerd Wolfgang Weber, wenn er zum vermeintlichen Gegensatz von mittelalterlichem Faktizitätsglauben und neuzeitlichem Fiktionalitätsbewusstsein für die altisländische Literatur kritisch festhielt, dieser sei „durchaus unerheblich“: Die Aufgabe des Dichters sei die „Weltdeutung“ gewesen, die Faktizität des verhandelten Stoffes hinge mit der „Seinsdeutungsfunktion des literarischen Werks“ gar nicht zusammen – und das hatte ja schon Aristoteles bemerkt.²⁴⁴ Nochmals ein Jahrzehnt später bezeichnete dann Diana Whaley die Heimskringla vage als „historical narrative“ und „imaginative historiography“.²⁴⁵ Zeitnah monierte Oskar Bandle mit kritischem Blick
serve“. Zu monieren wäre eher, dass der sprachraumübergreifende Austausch nur zögerlich erfolgt (vgl. van Nahl 2015c). O’Connor 2017, S. 89. Sigurður Nordal 1920, S. 204. Baetke 1956, S. 22 und S. 14. Baetkes kritische Abwägung ist in jüngerer Forschung eigenartig verkürzt worden, etwa bei O’Connor 2017, S. 93, der Baetke (und mit ihm Rolf Heller) implizit vorwarf, die Isländersagas nachhaltig zu „pure entertainment“ degradiert zu haben; zu Baetkes forschungsgeschichtlicher Verortung vgl. van Nahl 2014b. Holtsmark 1959, 516. vgl. van Nahl 2018a. Auden 1968, S. 49. Weber 1981, S. 144; vgl. bereits Weber 1972. Zur Debatte in der Altskandinavistik vgl. weiterführend Beck 1999a, zur weiteren Diskussion Ray 1985. In gleiche Richtung verwies später Schneider 2013, S. 172: „Der Begriff des verisimile hat […] in der mittelalterlichen Poetologie zwei Seiten: eine ontologische und eine narratologische“. Vgl. auch Rüsen 2001, S. 29: „Durch Erzählen gewinnt Zeit die sinnhafte Subjektivitätsqualität, die die Menschen kulturell benötigen, um in ihr leben zu können. ‚Historisch‘ im weitesten Sinne ist diese mentale Transformation von Zeit in Sinn dann, wenn sie im Medium der Erinnerung erfolgt. Sie wird am Erfahrungsmaterial der Vergangenheit geleistet, das erinnernd als bedeutungsvoll für die Orientierungszwecke der Lebenspraxis gegenwärtig gehalten wird“. Whaley 1991, S. 113. Abweichend Hermann Pálsson 1978, der die Königssagas als vermeintliche Chroniken aus der Gruppe der „early Icelandic imaginative literature“ ausschloss.
1.2 Literaturanthropologische Einordnungen
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auf solche Terminologie, gerade der Erforschung der Heimskringla sei ein „Vulgärbegriff von Fiktionalität“ zu eigen, der „grundsätzlich alles von erfundenen Figuren und Ereignissen bis zu Gesamtdeutungen des Geschichtlichen“ umfassen könne.²⁴⁶ Ähnlich kritisch zeigten sich in der internationalen Forschung u. a. Preben Meulengracht Sørensen,²⁴⁷ Torfi Tulinius²⁴⁸ sowie Klaus Böldl.²⁴⁹ Und so konstatierte kurz nach der Jahrtausendwende Alois Wolf zur Sagaliteratur nüchtern: „Unsere Begriffe von Fiktion und Historiographie dürften wohl nicht angemessen sein“.²⁵⁰ Noch deutlicher formulierte Jesse Byock, wenn er „the old argument that the sagas are either creative literature or history“ mit den Worten konterte: „The answer is that the presumptions to this distinction are simply wrong“.²⁵¹ Eine Kritik, an die Shami Ghosh mit Blick auf die Königssagas wieder anknüpfte, wenn er bemerkte, die Ansicht, die moderne Forschung besäße klarere Begriffe von Geschichte und Fiktion als Menschen im Mittelalter, sei ein hermeneutischer Trugschluss.²⁵² Ralph O’Connor stimmte dieser Einschätzung jüngst zu und betonte zu Recht, kritisch betrachtet sei in der Diskussion seit Peter Erasmus Müllers Studie Critisk Undersøgelse af Danmarks og Norges Sagnhistorie. Eller om Troværdigheden af Saxos og Snorres Kilder, ‘Kritische Untersuchung von Dänemarks und Norwegens Geschichtsschreibung. Oder zur Glaubwürdigkeit von Saxos und Snorris Quellen’, aus dem frühen 19. Jahrhundert wenig Fortschritt erzielt worden.²⁵³ Dieser Einschätzung ist weiterhin zuzustimmen.
Bandle 1993, S. 29. Bandle selbst sprach dann allerdings vage von einer regelrechten Entfiktionalisierung in der Heimskringla: „Aber Snorri (eventuell mit Vorgängern) hat nicht nur ‚nackte Fakten‘ fiktionalisiert, er hat auch entfiktionalisiert, so daß Passagen, die einen nüchtern-objektiven oder gar abrißartigen Eindruck machen, in der Heimskringla u.U. auch sekundär sein können. Snorri verschmähte zwar nicht alles, was seinem Wahrheitsbegriff zuwiderlief, aber er beurteilte doch das ihm vorliegende Material nach dem Prinzip der Wahrscheinlichkeit, nach dem Prinzip des Realen und Empirischen“ (ebd., S. 37 f.). Vgl. Meulengracht Sørensen 1992, S. 33: „From the point of view of our conceptual world, we are unable to decide whether the family sagas are primarily fictitious expositions of general patterns of ideas or interpretations of reality making use of these patterns. They are in fact both“. Vgl. Torfi Tulinius 2002, S. 217: „Anything written by a historian is a selection from the infinite variety of events that have taken place, limited by the knowledge the historia possesses about what has happened and by his choice of what seems pertinent to him; i. e., what seems to him to have meaning“. Die „Verpflichtung der Sagaautoren“, so Böldl 2005, S. 46, habe weniger gegenüber historischen Ereignissen bestanden, als vielmehr gegenüber „gesellschaftlichen und kulturellen Realitäten“. Böldls Schlussfolgerung, dieser „‚Realismus‘ der Saga“ ermögliche es, „Hypothesen mit relativ hohem Wahrscheinlichkeitsgrad über die den Sagas zugrundeliegende Wirklichkeit zu formulieren“, blieb indes vage. Wolf 2002, S. 79. Byock 2004, S. 303. „Even the most ‘objectiveʼ academic histories are certainly at the very least constructions of their authors, and not necessarily representative of any sort of absolute ‘truthʼ or ‘factsʼ“ (Ghosh 2011, S. 201). O’Connor 2017, S. 88 (Verweis auf Müller 1823); vgl. auch Kap. 1.1.3. Bereits Baetke 1956, S. 14, betonte im kritischen Blick auf den seinerzeit „fortgeschrittensten Standpunkt der Saga-Philologie“, es sei „der Klärung der literaturgeschichtlichen Fragen […] nicht günstig gewesen, daß man alle diese
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Die Herausforderung, sich in der Diskussion mittelalterlicher Literatur auf Fachbegriffe zu einigen und zugleich deren hermeneutische Grenzen anzuerkennen, umfasst, mit vorausgehenden Bemerkungen eng verknüpft, auch die Frage nach mittelalterlicher Autorschaft. In der Altskandinavistik war es zeitgleich zu Jauß vor allem Steblin-Kamensky, der behauptete, für das skandinavische Mittelalter sei fehlendes Verständnis für selbstbewusste Autorschaft anzunehmen – „the creativity of the saga writer or narrator could […] approach zero“.²⁵⁴ Weniger strikt notiert zeitnah Aaron Gurjewitsch: „The author of a saga did not realize himself as such, and considered his function to be that of ‘putting togetherʼ, ‘writing downʼ, but he never regarded himself as a sovereign creator“.²⁵⁵ Einar Ólafur Sveinsson schließlich formulierte im selben Jahr pointiert eine Position zum Saga-Autor, die bis heute Gültigkeit hat: Is he simply and solely a copyist, or is he an author? Does he intend to write history, and if so, what kind of history? […] is the saga-writer just a collector of traditions who does his best to harmonize them, or an historian who selects and rejects? […] But then there is also the possibility that the saga-writer may not be an impartial artist; that he may take sides with one or other of his characters; that the whole work, even, may be coloured by his partiality – and what then?²⁵⁶
Gültig insofern, als sich in den letzten Jahrzehnten kein Konsens in dieser Debatte herauskristallisiert hat, die, wie Böldl im forschungsgeschichtlichen Rückblick konstatierte, oft auf „starre ideologische Positionen“ beschränkt geblieben ist.²⁵⁷ Der zeitweilige Versuch, mittelalterliche Texte allein unter strukturalistisch-narratologischen Aspekten zu beurteilen, ist zu Recht in die Kritik geraten: Die Globalthese ‚Tod des Autors‘ sei, wie Carlos Spoerhase 2007 rückblickend kritisierte, geprägt gewesen von einer methodisch unzulässigen Entkontextualisierung, die „alle spezifischen Argumentationszusammenhänge der autorkritischen Gründertexte ausblendete“.²⁵⁸ Ohne Berücksichtigung des Kontextes, so betonte vor über dreißig Jahren bereits Bubner, würden vergangene Ereignisse „gar kein Gegenstand der Erinnerung oder
Fragen: Entstehung, Tradition und Geschichtlichkeit – oft in unmethodischer Weise – miteinander vermengt und verschachtelt hat“. Steblin-Kamenskij 1973, S. 52 und S. 55. Gurjewitsch 1971, S. 42. Einar Ó. Sveinsson 1971, S. 293 f. Böldl 2005, S. 41. Spoerhase 2007, S. 12. Nünning 2009, S. 65, hatte versucht, einen Schlussappell zu setzen, wenn er festhielt, es sei höchste Zeit, dass auch die Verfechter einer strukturalistisch geprägten Narratologie endlich die Aufgabe ernst nehmen würden, die Texte, die sie sezieren, in größere Kontexte einzuordnen. Müller 2010b [2004], S. 97, polemisierte gar, es gehöre „zu den Meisterplänen literaturwissenschaftlicher Analyse […] zu beweisen, dass der literarische Text letztlich nur auf sich selbst und auf andere literarische Texte verweise und metapoetisch seine eigenen Verfahren ausstelle“. Er erklärte es zum Irrtum, „dass mit der Ersetzung des einen fiktiven Autortextes durch mehrere mögliche Texte die Interpretation von Texten vorerst zu schweigen habe“ (Müller 2010a [1999], S. 25). Vgl. die Bewertung bei von Contzen 2018.
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Wiedergabe, weil sie in der Pluralität des ewig Gleichen untergingen“.²⁵⁹ Doch auch diejenige Forschungsposition, die explizit mit einem Autorbegriff operiert, ist diffus geblieben. So wird man zwar nicht der These widersprechen wollen, dass die „Komposition erzählender Geschichtsschreibung“ auch im Mittelalter nicht zu trennen gewesen sei von „den Intentionen, dem Publikum und der erkenntnisleitenden Absicht des jeweiligen Autors“.²⁶⁰ Ohne ein Übereinkommen zwischen Autor und Rezipient, so meinte Dennis Green mit Blick auf die höfische Literatur, sei eine positive Wertung des Begriffs der Fiktion überhaupt nicht möglich.²⁶¹ Und sicherlich hat auch Hans-Werner Goetz Recht, wenn er betonte, „Geschichtsbild und Geschichtsbewußtsein sind ihrerseits ‚historische‘, sich immer wieder wandelnde Phänomene“.²⁶² Doch gerade in Goetz’ Ausführungen wird die hermeneutische Herausforderung problematisch greifbar, wenn er folgerte, die Erforschung dieses sich wandelnden Geschichtsbewusstseins erfordere „sowohl autoren- wie epochenspezifische Betrachtung“: Unter solchen Voraussetzungen läßt sich also untersuchen, in welcher Form, in welchem Maße und zu welchen Zwecken die Menschen vergangener Zeiten über ihre Geschichte nachgedacht haben, wieweit sie sich durch ihre Vergangenheit beeinflußt sahen und wieweit sie diese zum Maßstab und zur Grundlage ihres Denkens, Handelns und Empfindens gemacht haben.²⁶³
Mit dieser Prämisse setzte Goetz für einen zu untersuchenden Zeitraum voraus, dass dieser sich wegen und trotz seiner Andersartigkeit greifbar als eine Epoche konstitutiere, der dann literarisch tätige Individuen zugeordnet werden könnten, die wiederum die Existenz dieser Epoche und deren Eigenarten bestätigen würden – eine Formulierung, die die Gefahr des hermeneutischen Zirkels anzeigt.²⁶⁴ Ein vergleichbares Beispiel lässt sich wiederum in der Altskandinavistik anführen, wenn es Sverre Bagge Anfang der 1990er Jahre zur Prämisse seiner Heimskringla-Studie erklärte, Snorri Sturluson sei „the author of Heimskringla in a sense that is not radically different from the modern one“.²⁶⁵ Doch ist gerade der vielaufgerufene Snorri Sinnbild
Bubner 1984, S. 22. Hug 1982, S. 102. Erst unlängst betonte Hermann 2017, S. 43, „the authors’ preoccupation with the narrative and literary cultures accessible to them in the twelfth to fourteenth centuries“ sei zentraler Gegenstand der Sagaforschung: „The saga is the best evidence that authors did not merely continue, but radically transformed and reworked cultural pretexts“. Green 2004, S. 13. Goetz 2008, S. 28. Goetz 2008, S. 28. Hier sei auf die pointierte Kritik an solchem Denken in Epochen bei de Grazia 2007, S. 463, hingewiesen: „It is hard to know what to do about the dilemma other than to point it out. We could rehaul the divisions, and politics or theory or even institutional exigencies might challenge or pressure us to do so. But could we dispose of them altogether?“. Bagge 1991, S. 61.
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der verworrenen Diskussion um mittelalterliche Autorschaft.²⁶⁶ Bagge selbst hielt zwar fest, es sei „of crucial importance“ näher zu unterscheiden zwischen „a real author, a compiler, or the expression of a collective mentality“.²⁶⁷ Doch nicht nur nahm er dann in seiner Studie Abstand von der dafür angeblich nötigen „complete literary analysis of Heimskringla“²⁶⁸ – er unterlief mit seiner Prämisse, für eine Erzählung des 13. Jahrhunderts einen Autor in mehr oder weniger heutigem Sinne vorauszusetzen, auch seine prinzipielle Unterscheidung zwischen moderner und mittelalterlicher Historiographie.²⁶⁹ Schließlich hat es Versuche gegeben, die Debatte durch weniger verbrauchte Konzepte, durch zeitgemäß erscheinende Terminologie oder durch schlichten Pragmatismus zu beleben. Mitte der 1990er bemerkte etwa Hans Schottmann, bei der Interpretation der Königssagas ließen sich die verwobenen Aspekte der Autorenfrage ohnehin „nicht reinlich trennen“; das Augenmerk müsse vielmehr gerichtet sein auf „die Verfahren der Leserlenkung, die Art der Handlungslogik, die Rolle des Individuums“, während Snorri, selbst bei Ansprache als immanenter Erzähler, „nur ein Glied in einer breiten, auch ihn bindenden Überlieferung“ sei und die verschiedenen erhaltenen Fassungen der Köngissagas dementsprechend als „Zeugen eines allgemeinen Erzählpotentials“ zu verstehen seien.²⁷⁰ Damit rückte gegenüber dem abstrakten Werkbegriff der konkrete Text in den Fokus, ohne dass der Blick allein auf narrative Strukturen gerichtet wäre. Kritik an der bloßen Ersetzung der historischen Gestalt Snorri durch einen anonymen Autor/Kompilator/Schreiber wurde zugleich von
Zwar wird Snorri in der ältesten erhaltenen Handschrift der Prosa-Edda (Codex Uppsaliensis, um 1300) einleitend als Kompilator (setja saman) genannt, doch kein mittelalterliches Manuskript der Heimskringla nennt ihn explizit; erst in frühneuzeitlichen Abschriften wird Snorri als Urheber genannt (vgl.van Nahl 2013b, S. 10–12). Kritisch Berger 1999, S. 7: „The attribution of Heimskringla to Snorri is no longer generally trusted, and thus there is no longer any reason to date it with Snorri’s terminus ante quem“. Als maðr witur og margfróðr, ‘weiser und gelehrter Mann’, wird er indes bereits in zeitgenössischen altisländischen Annalen bezeichnet, und dort findet sich auch die Aussage, Snorri habe fræðibækur islendskar saugur, ‘gelehrte Bücher zu isländischen Erzählungen’, zusammengestellt (Storm 1888, S. 481; vgl. van Nahl 2015b, S. 125). Bagge 1991, S. 24. Bagge 1991, S. 24. Ähnlich Andersson 1985, S. 219: „The answer to this question must lie in closer literary studies of Heimskringla to ascertain whether the various parts are homogeneous or heterogeneous with respect to style and authorial viewpoint“. Auch Andersson leistete diese Arbeit indes nicht. Bagge 1991, S. 25. Bagge wurde für diesen Widerspruch später scharf von Ghosh 2011, S. 180, kritisiert: „Bagge seems unable to decide about the extent to which Snorri is or is not like a modern historian, a confusion arising at least partly from the fact that he is unable to clarify the extent to which either modern or medieval historiography can be considered ‘objectiveʼ and ‘factualʼ“; allerdings präsentierte Ghosh keine Alternative. Bagges Entscheidung, Snorri nicht wesentlich anders als einen modernen Autor zu werten, wurde hingegen kommentarlor von Sawyer 2015, S. 4, gestützt: „If we bear the nature of medieval authorship in mind, we are fully justified to treat each text as stamped by its author’s personal views“. Schottmann 1994, S. 540.
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anderer Seite geübt, womit vor allem die terminologische Frage berührt war.²⁷¹ Pragmatisch war dann auch Wolfs Einschätzung, „der hohe Rang, den gutes Erzählen einnahm, was auch das Dichten einschließt“, hätte in der Sagaliteratur einen ästhetischen Freiraum aufgetan, „für das, was wir fiktionales Erzählen nennen könnten. […] Strukturierung des Geschehens, Gestaltung einprägsamer Episoden, Psychologisierung und Heroisierung, wobei jedes dieser Momente es in sich trug, über die Wirklichkeit hinauszuweisen“.²⁷² Den Versuch, die Diskussion vom philologischen auf ein mentalitätsgeschichtliches Feld zurückzuführen, unternahm (nach den Arbeiten Gurjewitschs in den 1990er Jahren)²⁷³ u. a. Keith Oatley: „Fiction is best thought of not so much as something that has been made up, but as a set of narratives about selves and their projects in the social world. It’s based on mental models. It’s by means of such models that we can explore and understand our own social world“.²⁷⁴ Bereits zur Jahrtausendwende hatte Torfi Tulinius vergleichbar für die Anwendbarkeit des von Maurice Godelier geprägten Konzepts der ‚mental realities‘ auf altisländische Literatur argumentiert, ohne damit eine nennenswerte Debatte anzustoßen.²⁷⁵ Vergleichbar erneuerte Müller den Begriff des ‚Imaginären‘, als „Teil jener Realität, auf die sich Literatur bezieht“, aber auch als „Inbegriff jener Energien, aus denen Literatur ihre Impulse bezieht“: „Wünsche und Phobien, Begehren und Abwehr, Neigungen und Ängste, Ideale und Schreckbilder, Selbst- und Gesellschaftsentwürfe u. ä.“.²⁷⁶ Rüdiger Schnell stimmte wiederum Müller zu, wenn er betonte, bei Fiktionalität ginge es vor allem um „das Imaginäre“.²⁷⁷ Er kritisierte allerdings zu Recht, diese Kategorie hätte
Vgl. Walter 1998, S. 287: „Wenn wir von einem Anonymus als Verfasser sprechen müßten, hätten wir in unserem Falle nicht viel gewonnen“; vgl. Kolbrún Haraldsdóttir 1998, S. 108: „Es ist nicht ersichtlich, was damit gewonnen wäre, wollte man sie [d.i. Schreiber in Snorris Diensten] für die genannte, ganz typische Art des Umgangs mit den Quellen verantwortlich machen; damit wäre das Problem nur verschoben“; vgl. auch meine seinerzeitige Formulierung in van Nahl 2013a, S. 29: „Keine Untersuchung konnte bisher überzeugend darlegen, welchen Anteil Snorri tatsächlich an dem Gesamtwerk hatte, wie es überliefert und ihm zugeschrieben ist; das gilt indessen gleichermaßen für spätere Redaktoren. Snorri in die methodische Debatte einzubinden, erteilt einer Varianz der Überlieferung daher keine Absage“. Wolf 2002, S. 79. Gurjewitsch habe, wie ein Nachruf urteilte, eine besondere „ability to synthesise historical, anthropological and semiotic approaches to culture“ (Mazour-Matusevich/Neretina 2006, S. vii) unter Beweis gestellt; zur Rezeption vgl. Mazour-Matusevich/Korros 2010. Oatley 2012, S. 19. Vgl. Torfi Tulinius 2002, S. 41 f.: „If these mental realities present models, they also present antimodels, both of characters and of behaviour, so that a sort of internal debate arises in these texts, an expression of the contradictions in the society that has given rise to them: indeed, a reflection – sometimes conscious, but most often unconscious – of these contradictions and, likewise, of the society“. Dementsprechend verzichtete er auf eine Definition von Fiktionalität im Blick auf die von ihm untersuchten Isländersagas. Vgl. aber Torfi Tulinius 2020, S. 119, wo er die Isländersagas als „fictional space“ definierte. Müller 2010b [2004], S. 99. Schnell 2013, S. 85.
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das Problem einer Bestimmung von Fiktion lediglich erneut verschoben, das Imaginäre müsse zunächst selbst „in seinen verschiedenen literarischen Ausformungen“ erfasst werden.²⁷⁸ Ein Appell, der auch das Konzept der ‚mental realities‘ erfasst, dessen analytischer Wert weiterhin zur Diskussion steht.
1.2.3.3 Hermeneutische Reserven „The study of late medieval literary theory is still in its infancy“²⁷⁹ – Alastair Minnis’ Momentaufnahme von 1988 scheint ihre Geltung bis heute nicht verloren zu haben. Die Vorzeichen eines hermeneutischen Gesprächs mit der Vergangenheit, wie er programmatisch gefordert wird, sind weiterhin offen. Festhalten lässt sich, dass es die bewusste Entscheidung von an der jeweiligen Materie interessierten Personen des 12. und 13. Jahrhunderts (und, mit Blick auf die handschriftliche Überlieferung, auch folgender Jahrhunderte) war, ihre Weltanschauungen schriftlich darzulegen oder darlegen zu lassen – und damit Anderen zugänglich zu machen. Dies unter verschiedenen Zielsetzungen, zwischen denen keine klare Linie gezogen werden kann. Die zumindest bis zum römischen Dichter Horaz († 8 v. Chr.) zurückreichende Dichotomie einer unterrichtenden (prodesse) und einer unterhaltenden (delectare) Dimension von Literatur, vor allem aber deren Zusammenwirken, wurde im Mittelalter breit rezipiert und auch in altisländischen Texten wie gesagt unter der Formel til fróðleiks og skemmtunar, ‘zur Bildung und Unterhaltung’, regelmäßig aufgerufen. Im zeitgenössischen Prolog zur Heimskringla findet sich die weiterführende Bemerkung: sumt er ritat eptir fornum kvæðum eða sǫguljóðum, er menn hafa haft til skemmtanar sér. En þótt vér vitim eigi sannendi á því, þá vitum vér dœmi til, at gamlir frœðimenn hafi slíkt fyrir satt haft, ‘einiges ist nach alten Gedichten oder erzählenden Liedern geschrieben, die den Leuten zur Unterhaltung dienten. Und obwohl wir den Wahrheitsgehalt dieser Überlieferung nicht kennen, da kennen wir doch Beispiele dafür, dass alte Gelehrte sie für wahr hielten’. An dieser Bemerkung wird in der Forschung der Anspruch abgelesen, eine Erzählung sei an bestmöglicher historischer Korrektheit zu orientieren. Doch wird im Verweis auf den Konstruktionscharakter dieser Darstellung, der sich in den Königssagas immer wieder explizit reflektiert findet, zugleich deutlich, dass Überlieferung nicht unverändert und gleichsam unbewusst verschriftlicht wird, sondern dass diese Erzählungen eine nach Prinzipien und Konzepten strukturierte und bearbeitete Auswahl darstellen. Davon zeugt auch der zeitnahe Prolog zur so genannten eigenständigen Saga von Óláfr helgi: Dort wird betont, dass mehr als tvau hundruð vetra tólfrœð, mehr als 240 Jahre seit der Besiedlung Islands vergangen waren, bevor man begonne habe, sǫgur at rita, ‘Geschichten zu schreiben’. Schnell 2013, S. 86. Minnis 1988, S. 3; vgl. die zeitnahen Vorbemerkungen bei Haug 1985, 3, wo dieser vom „Wagnis einer Geschichte der Literaturtheorie im deutschen Mittelalter“ spricht. Skeptisch auch Agapitos/ Mortensen 2012, S. 12: „There is no Archimedic point in conceptual and literary history from which we can dissect medieval narratives“.
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Und damit ginge, diesem Vorwort folgend, die Möglichkeit einher, at eigi skilisk ǫllum á einn veg […] ok gengsk þeim mjǫk í minni optliga (Hkr ii, 422), ‘dass diese Geschichten nicht von allen auf die gleiche Weise verstanden […] und sie in der Erinnerung oft stark verändert würden’. Etwa die Óláfs saga helga der Heimskringla legt weiter Zeugnis von diesem Konstruktionscharakter ab, wenn es u. a. heißt: nú er þar til máls at taka, er áðr var frá horfit (Hkr ii, 129), ‘nun müssen wir dort weitererzählen, wo wir vorher abschweiften’. Und die Óláfs saga Tryggvasonar lässt gar einen Widerwillen an gleichförmiger Wiederholung deutlich werden, wenn der Erzähler potenziell umfangreiche Schilderungen schlicht überspringt: er þat at segja skjótast (Hkr i, 325); er þat skjótast […] at segja (Hkr i, 342) – ‘in aller Kürze ist zu sagen’. Gleiches gilt für die Magnúss saga góða, in der die Schlachten von Magnús in gleicher Weise abgekürzt werden: þat er skjótast at segja (Hkr iii, 57). In der Morkinskinna heißt es in der Erzählung zu Magnús vergleichbar: verðr hér frásǫgn at hvílask fyrst, því at eigi má allt senn segja, ‘hier muss die Erzählung zunächst ruhen, denn es soll nicht alles auf einmal erzählt werden’ (Msk i, 55) – „auf diese Weise gibt der Erzähler zu verstehen, dass hier eine Geschichte erzählt wird, und bedient sich gleichzeitig aller Instrumente der Erzählkunst, um die Leute bei der Stange zu halten“,²⁸⁰ wie Ármann Jakobsson festhielt. Zugleich ist gerade mit Blick auf die Morkinskinna die Erweiterung der Erzählung durch zahlreiche Kurzgeschichten, die so genannten þættir, bemerkenswert: Wo der Verfasser der generell umfangreicheren Heimskringla den Anspruch erhebt, die Darstellung nach eigenem Gutdünken zu raffen, da wird der Erzählstrang der Morkinskinna wiederholt durch solche þættir aufgesplittert, deren Bedeutung im Erzählkontext der Deutung bedürfen. Diese Beispiele und Fragen werden noch aufzugreifen sein. Mit diesem Befund ist erstens eine mittelalterliche Literaturauffassung vorausgesetzt, die das Medium des geschriebenen Wortes als angemessenes Ausdrucksmittel lebenspraktisch relevanter Fragen bejaht – Fragen nach Ursprung und Herkunft, nach geschichtlichem Werdegang und damit auch nach der Einordnung der Gegenwart und künftigen Geschehens.²⁸¹ Erinnert sei an die berühmte Formulierung der Landnámabók (Melabók): vér vitum víst várar kynferðir sannar […]; enda eru svá allar vitrar þjóðir, at vita vilja upphaf sinna landsbyggða, ʻwir kennen unsere wahre Herkunft genau […]; es ist Eigenart aller zivilisierten Völker, den Ursprung ihrer Landesbesiedlung kennen zu wollenʼ – eine Versicherung gegen útlenda menn, ‘Ausländer’, die die isländischen Siedler angeblich als Knechte und Verbrecher ansehen würden.²⁸² Pointiert: Literatur reklamiert ihren Wert in der Gesellschaft durch das Gewicht der verhandelten Dinge, sie erscheint auch im weltlichen Bereich als ein Medium, um die menschliche Realität zu durchschauen und, um eine Formulierung von Heinrich Vormweg zu borgen, „ganz ‚oben‘ anzukommen, wo Vernunft und Wahrheit verfügbar
Ármann Jakobsson 2007, S. 124. Vgl. Haug 1985, S. 23. Finnur Jónsson 1900, S. 258; vgl. Hastrup 1990a, S. 98 – 100.
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sind“.²⁸³ Dass das 13. Jahrhundert als Zeitraum anzuerkennen ist, in dem solche „literarische Konstitution von Sinn und die Probleme seiner Vermittlung“²⁸⁴ verstärkt zum Reflexionsgegenstand wurden, wird im zweiten Teil dieser Studie näher entwickelt. Mit der Prämisse einer bewusst sinnreflektierenden Literatur ist aber zweitens eine Autor-Identität vorausgesetzt, die in der Kommunikation mit dem Rezipienten „eine Vermittlung zwischen Individuum und einer gesellschaftlich akzeptierten Autorrolle darstellt“.²⁸⁵ Die Selbstverständlichkeit, mit der gerade in der Heimskringla und Morkinskinna immer wieder auf deren literarischen Konstruktionscharakter hingewiesen wird, aber auch die Tendenz der Morkinskinna, den primären Erzählstrang durch Kurzerzählungen immer wieder zu unterbrechen, seine Relevanz als solchen überhaupt in Frage zu stellen – diese Eigenheiten lassen keine Zweifel daran, dass hier kreative Personen selbstbewusst Entscheidungen trafen, die das Gesamtbild der Erzählungen prägen. Dass dieser Schaffensprozess „unbewußt Gestaltetes bewußt wahrgenommen werden [kann] und umgekehrt“,²⁸⁶ wie Hermann Reichert in Anlehnung an Sigmund Freud formulierte, kann und muss nicht bezweifelt werden. So lässt sich abschließend weiterhin Walter Haugs abgeklärtem Urteil zustimmen, bei diesen theoretisch-methodischen Fragen handle es sich letztlich um „hermeneutische Reserven, mit denen man nun einmal leben muß und kann“.²⁸⁷
1.2.4 Nordeuropa im kontinentalen Diskursgefüge 1.2.4.1 Kurze Forschungskritik Die Sturlungaöld, also die erste Hälfte des 13. Jahrhunderts auf Island, wird oft als Krisenzeit angesprochen, in der das Denken und Handeln einflussreicher Isländer und auch Norweger auf innerpolitischen Machtkampf konzentriert gewesen sei. In der Forschung ist allerdings mittlerweile vielstimmig, wenn auch nicht systematisch herausgearbeitet worden, dass Island und Festlandskandinavien zu dieser Zeit längst Teil einer politischen und kulturellen Gesamtentwicklung geworden waren, in der sich das heutige Konzept ‚Europa‘ entfaltete. Diese interkulturelle und interdisziplinäre
Vormweg 1979, S. 606. Haug 1985, S. 23. Meier 2004, S. 210. Reichert 2000, S. 119. Haug 1989, S. 95. Von einem „unendlichen hermeneutischen Prozeß“ des Interpretierens sprach Haug auch an anderer Stelle (Haug 1994, S. 387). Später ähnlich Nederman 2009, S. xxi: „Historically minded scholars need to become comfortable on the unsteady ground that stems from the recognition that there are many potentially necessary, indispensable, or useful contexts for a given text, rather than some single correct and final context“. Vgl. auch Agapitos/Mortensen 2012, S. 12: „We will, as it were, always be intruding observers because our interest in medieval truth claims must entail an application of and reflection on our terms which serve both as vehicles to enter and to exit a medieval story world“. Dazu fügt sich schließlich die Phrase eines „hermeneutic pendulum“ in der Sagaforschung bei Rankovićs 2017, S. 408 f.
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Debatte bedarf weiterer Forschung und die Grenzen heutiger Sprach- und Ländergrenzen müssen dabei konsequenter als bisher überwunden werden. Das vorliegende Kapitel kann dieser Herausforderung nur punktuell begegnen und einige Bedingungen, Möglichkeiten und Probleme des intellektuellen Austausches zwischen Nordund Mitteleuropa bis ins frühe 14. Jahrhundert beleuchten. In dieser Diskussion werden, in Anlehnung an vorausgehende Überlegungen, weitere Koordinaten bestimmt, die die genauere Einordnung der Königssagas in ein kontinentales Diskursmilieu fördern und den wissenschafts- und mentalitätsgeschichtlichen Erörterungen dieser Studie als Orientierungspunkte dienen. Um 1250 berichtet die Konungs skuggsjá, der norwegische Königsspiegel, drei Motivationen gäbe es, andere Länder unter Lebensgefahr zu bereisen: kapp, forvitni und féfang – Tatkraft, Wissbegierde und materieller Reichtum. Wissbegierde ist hier der Empirie verbunden, denn es sei mannzens natura at forvitna oc sia þa luti er hanum ero sagðer oc vita hvart sva er sæm hanum var sagt eða æige, ʻdes Menschen Natur, Dinge, von denen ihm berichtet wird, zu erforschen und zu prüfen, ob es sich so verhält, wie ihm mitgeteilt wurde, oder nichtʼ.²⁸⁸ Diese Vergewisserung durch eigene Anschauung findet sich in verschiedenen altnordischen Texten betont, so auch im Prolog zur Heimskringla, wo die Zeugenschaft an einem Ereignis (menn, þeir er þessi tíðendi sá eða heyrðu, ‘Männer, die diese Ereignisse sahen oder davon hörten’) zur Bedingung eines glaubhaften Berichts erklärt wird. Wo Zeitzeugen nicht greifbar sind, so dieser Prolog weiter, da muss auf Berichte verständiger Männer zurückgegriffen werden: þótt vér vitim eigi sannendi á því, þá vitum vér dœmi til, at gamlir frœðimenn hafa slíkt fyrir satt haft, ‘obwohl wir den Wahrheitsgehalt [solcher Berichte] nicht kennen, so haben wir doch Belege dafür, dass alte Gelehrte solches für wahr hielten’.²⁸⁹ In der Konungs skuggsjá, dafür hat Sverre Bagge argumentiert, ließe sich zudem ein gradueller Unterschied zwischen der Vorstellung von Gottes Wirken einerseits in der Gesellschaft, andererseits in der Natur notieren; der mittelalterliche Verfasser sehe Gottes Eingriff stärker in der sozialen als der natürlichen Umwelt wirksam.²⁹⁰ Die theologische Dimension aller Empirie werde damit nicht grundsätzlich in Frage gestellt, wie Jens Eike Schnall betonte, die rationale Durchdringung der Schöpfung richte den Blick vielmehr „auf die Allmacht, welche die Wunder [der Natur] geschaffen hat, auf die Weisheit, mit welcher die Dinge geordnet sind“.²⁹¹ Solche rationale Durchdringung als theologische Methode ist ein Gedanke, wie er im lateinischen ge-
Holm-Olsen 1983, S. 29. Vgl. die Bemerkungen bei Waßenhoven 2006, 68; zur Einordnung ist weiterhin Schnall 2000 empfehlenswert. Vgl. grundlegend Beck 1999a sowie weiterführend van Nahl 2013b, S. 151– 156. Zur methodischen Kritik vgl. Constable 2008, S. 232: „It is at once the great advantage and the great danger of an eyewitness source that it records certain events very fully. The author knows his facts, but he seldom knows all the facts, and his point of view is consequently often more limited than that of someone viewing the events from a distance“. Vgl. Bagge 1994, S. 35. Schnall 2000, S. 170.
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lehrten Schrifttum ab dem 12. Jahrhundert greifbar ist; die Rezeption aristotelischer Schriften im 13. Jahrhundert förderte dann die Verhärtung der Fronten, wobei einflussreiche Gelehrte wie Thomas von Aquin († 1274) und Albert der Große († 1280) zugleich für die Vermittlung zwischen Positionen eintraten. In ihren epistemologischen Grundannahmen und didaktischen Absichten fügt sich die Konungs skuggsjá jedenfalls zu zeitnahem Diskurs auf dem Kontinent.²⁹² Die Frage nach skandinavischer Teilhabe an der intellektuellen Umbruchsstimmung des Kontinents und nach den Konsequenzen dieser Konfrontation ist mit diesem Beispiel natürlich nur angedeutet. „The multimodal nature of Old Norse intellectual culture“,²⁹³ wie Stefka Eriksen noch 2016 diffus formulierte, hat bisher nur selektiv das Interesse der Mediävistik geweckt.²⁹⁴ Es ist angebracht, die weitere Betrachtung mit einigen kritischen Bemerkungen einzuleiten. Hier sei zunächst der traditionelle Fokus der Forschung auf wenigen ausgewählten Personen genannt, vor allem „de to gigantene“ Saxo Grammaticus († 1220) und Snorri Sturluson († 1241).²⁹⁵ So ergiebig entsprechende Detailuntersuchungen sind, so bedingt diese Konzentration doch verringerte Aufmerksamkeit gegenüber anderen Überlieferungen, Diskursen und personellen Konstellationen des gleichen Zeitraums. Sicherlich tritt gerade Snorri auch als Reisender in Erscheinung, mit mehrjährigen Aufenthalten in den höchsten Kreisen Norwegens und Schwedens; auch Kontakte zu weitgereisten Gelehrten lassen sich bei diesen Aufenthalten wahrscheinlich machen.²⁹⁶ Bedingt wurde durch diese Omnipräsenz Snorris – der gerade in isländischer Forschung bis in jüngste Zeit zum Genie verklärt wird²⁹⁷ – frühzeitig ein geringes Interesse an anderen Sammlungen von Königssagas. Klaus von See bemerkte bereits 1961 (und dann nochmals zwanzig Jahre später), Snorri genieße „als quellenkritischer Geschichtsschreiber besonderes Ansehen. Sein Bericht pflegt daher allen neueren Darstellungen als wesentliche Quellen-
Dass die Konungs skuggsjá in ihrer Grundhaltung dem kontinentalen Milieu des 12. Jahrhunderts bemerkenswert nahesteht, betonte bereits Bagge 1987, S. 173. Vgl. ausführlich Kap. 2.2. Eriksen 2016, S. 394. Mundal 2007b, S. 29, meinte, „det springande spørsmålet“, die entscheidende Frage sei, welcher Art die Verbindung zwischen der geistigen Neuorientierung auf dem Kontinent und den Ereignissen in Skandinavien und Island um 1200 eigentlich gewesen sei; selbst merkte sie nüchtern an: „Her vil truleg ulike forskare gje ulike svar“, ‘verschiedene Forscher werden hier sicherlich verschiedene Antworten geben’. Es ist bezeichnend, wenn Bandlien 2016, S. 137, in seiner Reflexion zu „intellectual identities“ in Island um 1200 noch immer auf Paul Lehmanns zweibändige Studie Skandinaviens Anteil an der lateinischen Literatur und Wissenschaft des Mittelalters von 1936/37 als Referenzwerk zurückgriff. Ommundsen 2016, S. 243, bemerkte zeitgleich: „An overview of Latin education and learning in Norway and Iceland 1100 – 1350 is yet to be written“; diese Forderung wäre einerseits auf Dänemark und Schweden, andererseits auf volkssprachliche Gelehrsamkeit und deren Literatur auszuweiten. Bagge 2010, S. 167. Vgl. van Nahl 2013b, S. 59 – 61. Vgl. etwa die Rede von „Snorri’s stroke of genius“ bei Gísli Sigurðsson 2020, o.S., sowie die weitere Bemerkung: „There is reason to think that the turning point in Icelandic literary history may have occurred in a flash of inspired originality in the mind of Snorri Sturluson“.
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grundlage zu dienen“.²⁹⁸ Dies sei, so von See, aber dort nachteilig, wo Snorris Erzählung offensichtlich ein Missverständnis oder eine bewusste Abweichung gegenüber früheren Quellen darstellen würde: „Der Historiker ist nicht geneigt, sich das festgeformte, traditionelle Bild der norwegischen Reichseinigung so radikal zerstören zu lassen, und auch beim Philologen sitzt das Vertrauen in die Glaubwürdigkeit der Saga noch ziemlich fest“.²⁹⁹ Nicht zuletzt hat der Fokus auf Snorri den Jahrzehnten nach dessen Tod 1241 in der Forschung wenig Beachtung zuteil werden lassen, mit fragwürdigen auch methodologischen Konsequenzen.³⁰⁰ Zu kritisieren ist weiter die Tatsache, dass das heutige Fehlen von Manuskripten bestimmter kontinentaler Werke in altnordischer Übersetzung immer noch regelmäßig gleichgesetzt wird mit der Unkenntnis des darin vertretenen Gedankenguts. Dieser oberflächlichen Einschätzung lässt sich mehreres entgegenhalten. Zunächst: Bekanntermaßen ist nach allgemeiner Ansicht der Forschung nur ein Bruchteil aller mittelalterlichen isländischen Manuskripte überhaupt auf uns gekommen, diese Überlieferung ist hochgradig kontingent.³⁰¹ So betonte Ármann Jakobsson, das 12. Jahrhundert sei in Island „the age of the lost works“ gewesen,³⁰² eine Beobachtung, die Åslaug Ommundsen untermauerte;³⁰³ pointiert sprachen sie und Tuomas Heikkilä von „the accidental manuscript collections of the North“.³⁰⁴ Sicherlich hat auch Aidan Conti Recht, wenn er zur Stellung der lateinischen Sprache im mittelalterlichen Norwegen bemerkte: „Arguments based on absence are dubious and a list of negative evidence could have no end“.³⁰⁵ Dass damit der heutigen Forschung aber keine methodische Grenze gezogen ist, bemerkte Conti selbst, wenn er darauf verwies, die vergleichsweise geringe Zahl latei-
von See 1981c [1961], S. 305. von See 1981c [1961], S. 305. Vgl. die Kritik bei Berger 1999, die allerdings mittlerweile selbst ein (wenig beachteter) Teil der Forschungsgeschichte geworden ist. Ghosh 2011, S. 198, forderte zu Recht, künftige Untersuchungen müssten stärker berücksichtigen, dass die großen volkssprachlichen Sammlungen dieser Sagas zwar wohl im frühen 13. Jahrhundert komponiert worden seien, die erhaltenen Manuskripte aber frühestens ins späte 13. Jahrhundert datieren würden, in die so genannte ‚norwegische Zeit‘; vgl. dazu auch Lange 2000, S. 328 f. Demandt 1986, S. 34, nannte in diesem Zusammenhang die Werke des Aristoteles als Paradebeispiel: „Die Zufälligkeit unseres Besitzes an Kultur- und Geistesgütern ist besonders deutlich im Hinblick auf das antike Erbe. Beispielhaft ist die abenteuerliche Geschichte der Werke des Aristoteles. Alle 18 Dialoge des Philosophen sind verloren. […] Die uns erhaltenen Texte sind bloß Lehrschriften für den Vorlesungsbetrieb“. Ármann Jakobsson 2012, S. 7. Ommundsen 2016, S. 244. Ommundsen/Heikkilä 2017, S. 1. Auf die methodische Problematik verwies bereits 1975 Lars Lönnroth mit Blick auf französischen Einfluss im altnordischen Schrifttum (in Halvorsen 1975, S. 273): „When passages in the Norse texts do not have equivalents in the preserved French texts, this may be because the Norse translator invented something on his own. But he may also have worked from a French manuscript version that was radically different from any one that is now preserved and which represents oral traditions now impossible to reconstruct“. Conti 2015, S. 156.
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nischer Werke im mittelalterlichen Norwegen sei kein Beweis dafür, „that Latin textual culture and learning was superficial, backwards or lacking in any meaningful sense. Indeed, in spite of the absence of sustained literary activity, Latin may have enjoyed a wider circulation than is usually thought“.³⁰⁶ Das ist eine Hypothese, die sich auf das Verhältnis von einst zirkulierenden und heute überlieferten volkssprachigen Texten generell übertragen lässt, und die zitierten Bemerkungen mögen ein langsames Umdenken der Forschung andeuten. Im Gesamtblick muss man derzeit aber weiterhin Thomas Haye zustimmen, es sei symptomatisch, dass „in den meisten modernen Literaturgeschichten mediävistischer Philologien der Überlieferungsverlust weitgehend ausgeblendet“ würde.³⁰⁷ Mit diesem Einwand verbunden, ist gegen die Prämisse einer Abhängigkeit isländischer Gelehrter von schriftlichen Quellen weiter anzuführen, dass die isländische Schriftkultur lange Zeit von einer wohl vergleichsweise schwachen Infrastruktur geprägt und dementsprechend traditionell auf den kreativen Umgang mit jeglicher Ressource angewiesen war.³⁰⁸ Die Ausstattung einiger Bibliotheken auf Island darf man sicherlich nicht unterschätzen.³⁰⁹ Die Teilhabe an einem intellektuellen Milieu setzt aber nicht die Lektüre bestimmter Texte voraus. Einar Ólafur Sveinsson betonte schon in den 1950er Jahren die große Rolle, die der mündlichen Wissensvermittlung auf Island zugekommen sei;³¹⁰ in jüngerer Zeit argumentierte vor allem Gísli Sigurðsson für den Einfluss einer diffus so genannten ‚oral tradition‘ auf die Sagaschreibung,³¹¹ aber auch Paul White betonte die mündliche Vermittlung von Vorlagen für literarische Kompositionen, wenn er festhielt, isländische Gelehrte hätten nicht physisch in bestimmten Zentren anwesend sein müssen, um in ihrem Schaffen von intellektuellen Strömungen beeinflusst zu werden.³¹² Die bereits genannte fehlende
Conti 2015, S. 156. Haye 2016, S. 5. Vgl. Würth 2005, S. 170: „Since in Iceland there can only have been very few libraries that owned several copies of one text, the limited material conditions must have forced the Icelandic compilers to make creative use of their exemplars and to transform them into new literary works on the basis of their own knowledge“. Unter dem Titel Ritmenning íslenskra miðalda, ‘Schreibkultur des isländischen Mittelaltersʼ werden seit 2020 interdisziplinäre Projekte auf Island gefördert, die u. a. diese Infrastrukturen eingehender untersuchen; Veröffentlichungen stehen noch weitgehend aus. Helgi Guðmundsson 1997, S. 82, betonte die Ausstattung der Klosterbibliothek in Helgafell in den 1180er Jahren, die bereits wenige Jahre nach Gründung zumindest 100 Bücher umfasst haben soll. Einar Ó. Sveinsson 1956; zur Situation in Norwegen vgl. Bagge 2004b, S. 367: „There seems to be a continuity from the earlier local tradition, not only in the use of the vernacular but also in the attempts to reach a non-learned audience through clear and explicit statements, striking expressions, and the use of stories and anecdotes. Propaganda and agitation, whether ideological or not, had to address the same non-learned and to some extent non-aristocratic audience in order to be effective“. Vgl. ähnlich Hofmeister 2009, S. 13: „Wer immer im Mittelalter mit Hilfe der Sprachkunst eine breitere Öffentlichkeit erreichen wollte, um sein Wissen über ‚Gott und die Welt‘ darzubieten, musste dafür ausdrucksstark das Medium der volkssprachigen Mündlichkeit einsetzen“. Vgl. Gísli Sigurðsson 2005b. Vgl. White 2005, S. 119.
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Trennung einer weltlichen und einer geistlichen Elite auf Island bedingte zudem, so eine etablierte These, dass „die Lese- und Schreibfähigkeit der [dortigen] Bevölkerung im Mittelalter und bis in die neuere Zeit weit über dem kontinentalen Standard lag“.³¹³ Gerade im 12. Jahrhundert sei die isländische Gelehrtenkultur gekennzeichnet gewesen durch eine gute Ausbildung, die ihren Niederschlag genauso in religiösen wie profanen Texten gefunden habe.³¹⁴ Die an mitteleuropäischer Überlieferung gebildete Überzeugung: „Die Geschichtsschreiber des Mittelalters waren bis ins 14. Jahrhundert ausnahmslos von geistlichem Stand“,³¹⁵ trifft auf Island in dieser Einseitigkeit daher nicht zu, nicht einmal auf Festlandskandinavien; schon Einar Ólafur Sveinsson bemerkte kritisch, die Annahme, die altisländische Literatur sei ähnlich der kontinentalen Literatur hauptsächlich in Klöstern entstanden, sei eine unzulässige Verallgemeinerung.³¹⁶ Bereits im frühen 12. Jahrhundert gab es auf Island ja zudem nicht allein die Kathedralschulen der Bischofssitze in Skálholt und Hólar, sondern auch Privatschulen, deren Rang durch prominente Absolventen dokumentiert ist, die aber fraglos eine größere Zahl an Studenten hatten.³¹⁷ Soweit eine erste Kritik, die wesentlich Bekanntes ins Gedächtnis rufen sollte.
1.2.4.2 Grenzüberschreitungen Kontinentale Einflüssen auf altisländisches Schrifttum haben sich trotz methodischer Einschränkungen und theoretischer Bedenken als eine Grundprämisse der Forschung etabliert und sind in Aspekten für ein breites Spektrum altwestnordischer Literatur diskutiert worden. Bereits 1941 bemerkte Jan de Vries richtungsweisend: „Die geistige Atmosphäre Westeuropas ist im 12. Jahrhundert so reich und lebendig, daß hier bildende Kräfte wirksam sind, die weit ausstrahlen können. […] Auch Island wurde von diesem Strom berührt“.³¹⁸ Dem stimmte Alf Önnerfors 1970 nachdrücklich zu: „In jenen Ländern [d.i. Deutschland, Frankreich und Italien] geistig ausgebildet, hatten die Skandinavier den Schlüssel zum Vergangenen und zum Umgang mit der zeitgenössischen Kultur in ihre Hände bekommen“.³¹⁹ Die älteste nachweisbare Erzählkunst Nordeuropas, die Skaldendichtung mit einer Überlieferung wohl seit dem 9. Jahrhundert, parallelisierten Theodore Andersson sowie Klaus von See mit der französi-
Heizmann 2012, S. 171 f., sowie Ghosh 2011, S. 141 f. Vgl. Gunnar Harðarson 2016a, S. 39. Hug 1982, S. 99. Vgl. Einar Ólafur Sveinsson 1956, S. 16. Vgl. auch White 2005, S. 120: „It would be a mistake to make a habit of looking only to the religious institutions of Iceland as centers of literary production. There had been a library at Oddi since the days of Sæmundr [d.i. seit etwa 1100], and this library was in the care of Jón Loptsson when he fostered the young Snorri Sturluson, who eventually compiled Heimskringla at his private residence at Reykjaholt. To judge by the foreign sources found in Heimskringla, Snorri must have possessed a formidable library himself“. de Vries 1999 [1941], S. 216 f. Önnerfors 1970, S. 104.
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schen Troubardourdichtung (ohne einseitigen Abhängigkeiten das Wort zu reden);³²⁰ Detailstudien haben diese Skaldik seither im Lichte lateinischsprachiger Poetiken beleuchtet und konzeptuelle Entlehnungen wahrscheinlich gemacht.³²¹ Es wird auch kein Zufall sein, dass die großen volksprachlichen Sammlungen an Herrschergeschichten des mittelalterlichen Nordens wohl in den ersten Jahrzehnten nach 1200 komponiert wurden, einem Zeitraum, dem wie gesagt gerade in Frankreich wegweisende literarische Entwicklungen vorausgegangen waren. Zwar wird man Peter Footes kritischem Kommentar zum bereitwilligen Entdecken von Parallelen zwischen Frankreich und Island zustimmen: „We all find what we are looking for […]. Much of this belongs to an atmosphere, to an age, and when one is dealing with the influence of French upon the whole life of the Icelander in the XIII-th century, one must be very careful“.³²² Doch hat sich das Bild dieser „French connection“, wie Matthew Driscoll unlängst formulierte,³²³ seither in zahlreichen Facetten erweitert und gefestigt. Bereits Anfang der 1980er Jahre argumentierte Carol Clover nachdrücklich für den Einfluss kontinentaler ästhetischer Prinzipien auf die altnordische Sagaliteratur generell,³²⁴ und zur selben Zeit wurde speziell der Einfluss der kontinental-höfischen Kultur auf die so genannten Rittersagas aufgezeigt, ein Corpus, das Inhalte und Anstöße von altfranzösischer und mittelhochdeutscher Dichtung bezog.³²⁵ Auch hinsichtlich der Königssagas ist sowohl für Einflüsse lateinischer Hagiographie und Historiographie³²⁶ als auch französischer³²⁷ sowie anglo-normannischer³²⁸ Quellen argumentiert worden. Merklich zurückhaltender wird die Diskussion um mögliche philosophische Einflüsse geführt, obwohl gerade das Werk des Aristoteles durch die letzten Jahrzehnte hindurch immer wieder als Bezugpunkt gesucht wurde. Anthony Faulkes bemerkte Anfang der 1990er Jahre lapidar, es gäbe „no likelihood that Aristotle was
Vgl. Andersson 1969 sowie von See 1980, von See 1999a und von See 2011. Vgl. Males 2016. Replik in Boyer 1975, S. 182. Driscoll 2019. Vgl. Clover 1982. Vgl. grundlegend van Nahl 1981 und Glauser 1983; vgl. auch Glauser/Kramarz-Bein 2013. Vgl. Bagge 1991 und Bagge 2016. Bereits Lönnroth 1975, S. 45, erkannte in der Óláfs saga Tryggvasonar „[a] strange mixture of pious royalism, chivalric romance and love stories, crusading spirit, miracles and visions, plus heroic legend“; die Vermittlung sah er, in vager Formulierung, erfolgt über „the continental pilgrim routes which the Icelanders are known to have travelled in the 12th century“; vgl. aber auch die Diskussion im selben Band (ebd., S. 46 – 52). Vgl. später White 2005, S. 24: „We should picture the dissemination of Western European literature to Iceland by means of returning scholars and pilgrims as a continual process which gradually and constantly enriched the libraries of the monastic houses and schools in Iceland from the eleventh century through the thirteenth century“. Vgl. White 2005, S. 115; vgl. aber die Kritik bei Bagge 2016, S. 3, dessen Vergleich der Königssagas mit lateinischer Historiographie wiederum Ghosh 2011, S. 135, scharf kritisierte: „Bagge’s points of comparison often seem spurious“.
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available in Iceland in the thirteenth century“,³²⁹ eine Prämisse, der sich Sverre Bagge zeitnah anschloss: „It is a priori extremely unlikely that Aristotle’s political thought should have been known earlier in this remote part of Europe than in main centres of learning“.³³⁰ Schon ein Jahrzehnt zuvor hatte Margaret Clunies Ross zu den Snorri Sturluson zugeschriebenen Skáldskaparmál (ca. 1220) genauer bemerkt: „The similarity between Snorri’s and Aristotle’s formulation is striking“³³¹ – eine Beobachtung die 1974 schon Bjarni Fidjestøl gemacht hatte, wenn er bei Aristoteles „ein parallel til den variasjon som er eit konstituerande drag ved kenningsystemet“, ‘eine Parallele zu jener Variation, die eine konstituierende Eigenschaft im Kenningsystem istʼ, erkannte.³³² Gegen Fidjestøl verwies Clunies Ross aber darauf, dass „even indirect influence seems unlikely as the first Latin translation of a version of Aristotle’s text […] was not completed until c. 1256“.³³³ Zeitgleich bemerkte Hallvard Magerøy in einem Aufsatz mit dem bemerkenswerten Titel Aristotles og Snorre: „Snorre visste truleg svært lite om Aristoteles, allvisst om Aristoteles’ poetikk. Snorre døydde i 1241, og Aristoteles’ poetikk vart kjent i Vest-Europa fyrst gjennom ei omsetjing til latin frå 1250-åra“,³³⁴ ʻSnorri wusste vermutlich äußerst wenig über Aristoteles, zumal von Aristoteles’ Poetik. Snorri starb 1241 und Aristoteles’ Poetik wurde in Westeuropa erst durch eine Übertragung ins Lateinische in den 1250er Jahren bekanntʼ. Auch Ármann Jakobsson rekurrierte später auf dieses kritische Datum in seiner Studie zur Morkinskinna.³³⁵ Die aristotelische Poetik, soweit heute nachvollziehbar, gewann im europäischen Raum tatsächlich erst in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhundert an Bedeutung, später als andere Schriften des Philosophen. Sie steht damit zunächst hinter originär lateinischsprachigen Poetiken zurück, deren potenzieller Einfluss speziell auf die Skáldskaparmál wiederholt diskutiert worden ist.³³⁶ Dies ändert nichts an der methodologischen Kritik: Bereits Clunies Ross ließ den Umstand außer Acht, dass die ihrer Argumentation zugrundeliegende Formulierung der Skáldskaparmál nicht einmal im ältesten erhaltenen Manuskript der Prosa-Edda von etwa 1300 bezeugt ist, sondern Faulkes 1993, S. 64. Vage hatte bereits Gurjewitsch 1971, S. 115, behauptet: „The Icelandic sagas could not, however, compete with West European historiography of the twelfth und thirteenth centuries in philosophical speculation. They did not, and in fact could not, raise consciously the problem of the meaning of human history“. Bagge 1994, S. 36. Clunies Ross 1987, S. 97. Fidjestøl 1974, S. 17. Clunies Ross 1987, S. 97. Magerøy 1986, S. 50. Ármann Jakobsson 2014a, S. 78 f.: „Aristotle has exercised a profound influence on literary theory in the western world. In the thirteenth century, however, his ideas were known only via a 1256 translation from Arabic sources. This translation, dating from several decades after the creation of Morkinskinna, seems not to have influenced European literary aesthetics“. Vgl. u. a. Males 2016 und Malm 2016; vgl. auch Mikael Males’ ausführliches Beispiel einer möglichen Entlehnung in den Skáldskaparmál aus Horaz’ Ars poetica: „Snorri […] gjorde sitt bästa för att ikläda de latinska förlagorna en inhemsk dräkt“ (Males 2017, S. 68), ‘Snorri tat sein Bestes, um die lateinischen Vorlagen in ein einheimisches Gewand zu hüllen’.
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erst in Manuskripten aus der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts, ein volles Jahrhundert nach angenommener Entstehung der Skaldskaparmál und ein halbes Jahrhundert nach der ersten heute noch bekannten Übersetzung der Poetik ins Lateinische – deren Alleinstellung zu jener Zeit der Überlieferungssitation geschuldet sein mag.³³⁷ Die gleiche Kritik greift für Ármann Jakobssons Urteil zur Morkinskinna, datiert deren älteste erhaltene Haupthandschrift doch erst in die späten 1270er Jahre, immerhin zwei Jahrzehnte später als die auch von ihm genannte Poetik-Übersetzung. Damit sei der Bedeutung dieser Poetik für die altisländische Literatur nicht das Wort geredet, aber doch eine methodisch fragwürdige Tendenz der Forschung aufgezeigt. Fragwürdig auch deshalb, weil sich neben dieser anhaltenden Forschungsmeinung bereits frühzeitig Gegenstimmen bemerkbar machten. So argumentierte 1990 z. B. Þorsteinn Vilhjálmsson nachdrücklich für den Einfluss griechischer Gelehrsamkeit auf isländisches Schrifttum,³³⁸ und in ähnliche Richtung verwies zeitgleich Rudolf Simek.³³⁹ In einer, soweit ich sehe, unbeachtet gebliebenen Studie postulierte später auch Per Meldahl den prägenden Niederschlag antik-philosophischer Konzepte speziell in der Heimskringla, wobei seine Studie wesentlich in Einzelbeobachtungen bestand, aus denen ein geschichtsphilosophisches System nur mühsam herauszulesen ist.³⁴⁰ 2015 betonte dann Christian Etheridge, spätestens im frühen 12. Jahrhundert hätte gar islamische Wissenschaft (und damit vermutlich zu Teilen auch aristotelisches Gedankengut) Island erreicht.³⁴¹ Bemerkenswerte Parallelen in der Argumentation des so genannten Prologs der Prosa-Edda zu aristotelischen Konzepten notierte wiederum Gunnar Harðarson;³⁴² seine Untersuchung der isländischen Handschrift
Diese Unaufmerksamkeit bei Clunies Ross ist einerseits insofern befremdlich, als sie im Rekurs auf Fidjestøl selbst auf das Fehlen der Formulierung im ältesten Manuskript verwies (Clunies Ross 1987, S. 97); andererseits ist es bezeichnendes Beispiel für die Anziehungskraft von Snorri, wenn dessen Lebensdaten zum Rezeptionsmaßstab wurden. „Á 12. og 13. öld var hafist handa um að þýða slíka meiri háttar forngríska texta á latínu og vinna úr þeim í kennslubókum og öðrum slíkum annar stigs ritum. Þannig fór þekking forngrískra fræðimanna að berast um Evrópu, þar á meðal til Íslands. Í sumum tilvikum virðist sem ekki hafi liðið nema einn til tveir áratugir frá því að tiltekið rit var samið á meginlandi Evrópu þar til það hafði borist hingað til lands og farið að nota það við samningu íslenskra rita“ (Þorsteinn Vilhjálmsson 1990, S. 43), ‘im 12. und 13. Jahrhundert begann man bedeutende altgriechische Texte ins Lateinische zu übertragen und sie in Lehrbüchern und anderen solchen Sekundärwerken zu behandeln. Damit breitete sich das Wissen der altgriechischen Gelehrten in ganz Europa aus, darunter auf Island. In einigen Fällen scheinen nicht mehr als ein oder zwei Jahrzehnte vergangen zu sein, bis bestimmtes in Kontinentaleuropa verfasstes Schrifttum ins Land gelangte und man anfing es beim Abfassen isländischer Schriften zu nutzen’. Vgl. Simek 1990, S. 114 f. Vgl. Meldahl 2007. Vgl. Etheridge 2015. Es sei „tempting“, so Gunnar Harðarson 2016b, S. 80, „to explain this kind of reasoning as the author’s having been acquainted with the basic principles of hypothetical or conditional arguments as found in Aristotelian or Boethian logic“; vgl. bereits Dronke/Dronke 1977.Wer einen ersten Überblick zu philosophischen Schriften im mittelalterlichen Island erhalten will, ist im Übrigen auch heute noch
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GKS 1812 4° aus dem 14. Jahrhundert, in der ein Diagramm die Aufschlüsselung philosophischer Disziplinen überliefert, verdeutlicht aber auch die Problematik: Zwar zeige dieses Diagramm „a classification system of philosophy and the sciences that may be dated to the second half of the 11th century“, datiere also deutlich früher als jene Systeme, die dann in Paris im 12. und 13. Jahrhundert kursiert wären.³⁴³ Aber trotz seiner detaillierten Analyse rückte Gunnar Harðarson die Frage, wie dieses Wissen nach Island gekommen sei, an den Rand: „Let it suffice to say that several Icelandic scholars are known to have traveled or studied abroad in the 11th and 12th centuries, and so could have come into contact with philosophical manuscripts of various sorts“.³⁴⁴ Einen jüngsten Versuch unternahm 2019 Grzegorz Bartusik, der für die Adaption der Metapher des Rads der Fortuna im mittelalterlichen Island argumentierte, zu konkreten Wegen lateinischer Texte in den Norden jedoch einräumen musste: „After centuries, these texts reached Scandinavia in a rather blurred line of transmission from Rome“.³⁴⁵ Dass die altisländische Literatur generell reiches Zeugnis von unmarkierter Übernahme kontinentalen Gedankenguts ablegt, bemerkten Ursula und Peter Dronke bereits in den 1970er Jahren,³⁴⁶ und speziell für altisländisches kosmologisches Schrifttum betonte Simek schon vor über drei Jahrzehnten, „daß die isländische und norwegische Wissenschaft im 12. Jahrhundert (und am Anfang des 13. Jahrhunderts) noch auf dem letzten Stand der europäischen war“ und namhafte Autoren „mit nur wenigen Jahrzehnten Abstand“ rezipiert wurden; zu dieser Zeit hätten isländische Gelehrte aber begonnen, mit gelehrtem Import regelrecht zu spielen und in dieser selbstbewussten Auseinandersetzung eigene Ideen zu entwickeln.³⁴⁷ Simek hielt indes
wesentlich angewiesen auf Gunnar Harðarson/Stefán Snævarr 1982; dort finden sich vierzig Einträge vom 12. bis 16. Jahrhundert gelistet. Gunnar Harðarson 2015, S. 20. Gunnar Harðarson 2015, S. 19. Garðar Gíslason diskutierte solche Kontakte mit Blick auf die Frankreichfahrt des isländischen Gelehrten Sæmundr inn fróði († 1133) in den 1070er Jahren: „Einmitt á þessum tíma gerðist það, sem var nýmæli, að fróðleiksfúsir námsmenn fóru skóla úr skóla, fóru á milli þar sem meistara var að heyra. Þeir flykktust úr Englandi, Þýskalandi, og sunnan úr álfu frá Ítalíu og Grikklandi, allir einmitt til Frakklands, þar voru þekktustu meistararnir“ (Garðar Gíslason 2001, S. 148 f.), ‘genau zu dieser Zeit kam es zu der Neuerung, dass wissbegierige Studenten von einer Schule zur nächsten reisten, dorthin, wo Magister zu hören waren. Alle reisten sie aus England, Deutschland und südlichen Ländern wie Italien und Griechenland vor allem nach Frankreich, wo die bekanntesten Magister waren’. Garðar folgerte, Sæmundr habe fraglos in Frankreich studiert, unklar müsse allerdings bleiben, an welcher Schule; gleichwohl sei er prominentes Beispiel eines fruchtbaren Austauschs zwischen Island und Frankreich in der zweiten Hälfte des 11. Jahrhunderts. Bartusik 2019, S. 109. Vgl. Dronke/Dronke 1977. Simek 2009, S. 191.Vgl. bereits Simek 1990 sowie Krebs/Simek 1991, S. 304: Die Verfasser betonten „the very high standard of Icelandic natural science by the end of the twelfth century and the first half of the thirteenth century, which knew nearly all the continental scholars of any stature“. Vgl. ähnlich Bagge 1984, S. 4: „Concerning education, Iceland must thus, together with Denmark, be considered the most advanced of the Nordic countries during this early period“.
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erneut fest, es sei charakteristisch für isländische Kompilatoren, ihre kontinentalen Quellen nicht zu nennen; vor allem Wilhelm von Conches († nach 1154), der in seinen vielrezipierten Schriften für eine rationale Weltsicht eintrat,³⁴⁸ sei „extensively used by the Icelandic compilators, but never mentioned anywhere“.³⁴⁹ Vésteinn Ólason folgerte insofern noch 2005 zur Entstehung der Königssagas in Island um 1200, dieses plötzliche Interesse sei schwierig zu erklären, deute aber doch darauf hin, dass zu jener Zeit latente intellektuelle Einflüsse schließlich zum Durchbruch gekommen seien; er schloss bezeichnend metaphorisch: „New kinds of literature surfaced at this time when the cold stream of Nordic tradition was mixed with the warm stream of literature and learning coming in from Europe“.³⁵⁰ Und Mats Malms aktuelle Einschätzung, Snorris Rückgriff in der Prosa-Edda auf kontinentales poetologisches Gedankengut sei „elaborate although inconspicuous […], congenial – and, as so often with Snorri, vague and inconclusive“,³⁵¹ illustriert den unentschiedenen Charakter noch der jüngsten Forschung.³⁵² Deutlich wird, dass sich die Diskussion seit Jahrzehnten auf Indizien stützen muss und ihr notwendig ein spekulatives Moment zu eigen ist; Clunies Ross bemerkte bereits 1987, „documentary evidence for such intellectual influences is lacking“.³⁵³ Obsolet ist die Debatte keineswegs, denn immerhin hat Clunies Rossʼ damalige Feststellung, dass „cumulative circumstantial evidence“ schließlich doch belastbare Schlussfolgerungen erlauben würde, in diesen Jahrzehnten, wie vorausgehend skiz-
Vgl. Kap. 2.2.2. Krebs/Simek 1991, S. 305; vgl. Simek 1990, S. 67. Vésteinn Ólason 2005, S. 189. Malm 2016, S. 319. Darüber führt die Kritik an der Prämisse eines „kausal samanheng“ zwischen kontinentalen Umwälzungen und Entwicklungen auf Island ab dem späten 12. Jahrhundert bei Mundal 2007b, S. 38 f., nicht hinaus: „Impulsar frå 1100-talets renessanse på kontinentet og i England har sjølvsagt nått Island – som Norden elles. Men også her ser vi at det er mange andre faktorar som kan vere med på å forklare det som skjer på Island frå slutten av 1100-talet og utover“, ‘Impulse dieser Renaissances des 12. Jahrhunderts vom Kontinent und aus England haben Island natürlich erreicht – wie den Norden generell. Aber auch hier sehen wir, dass es noch viele andere Faktoren gibt, die dazu beitragen können, das Geschehen auf Island ab dem späten 12. Jahrhundert zu erklären’. Clunies Ross 1987, S. 34. Zwar ist in den letzten Jahren die altisländische grammatische Literatur verstärkt in die komparatistische Betrachtung einbezogen worden, doch sind die Schlussfolgerungen oft unverbindlich, so etwa Angela Beuerles Zusammenfassung, die vier so genannten Grammatischen Traktate (12. bis 14. Jahrhundert) seien „prägnante Zeugnisse einerseits für ein Denkkollektiv, das, am Rande der europäischen Kultur des lateinischen Mittelalters situiert, offensichtlich einen vom mainstream mittelalterlicher Bildung teilweise verschiedenen Denkstil pflegte, und andererseits für einen Paradigmawechsel, der sich innerhalb dieses Denkkollektivs durch die zunehmende Einflussnahme der lateinischen Kultur vollzogen hat“ (Beuerle 2010, S. 468). Auch Mikael Males notierte im Blick auf Skaldendichtung und entsprechende Zitate in den Königssagas, das Ideal des Prosimetrums sei in der lateinischen Historiographie zu jener Zeit zwar etabliert gewesen, dementsprechend der zeitnahe Nachweis in altnordischer Literature „striking“, doch könne man „no particular lines of influence“ nachvollziehen (Males 2016, S. 289).
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ziert, an Gewicht gewonnen.³⁵⁴ Beachtung verdient in diesem Zusammenhang u. a. Dominik Waßenhovens prosopographische Auswertung skandinavischer Reisender zwischen 1000 und 1250:³⁵⁵ Für diesen Zeitraum verzeichnen Annalen, Gedenküberlieferung und Itinerarien (nach Waßenhovens seinerzeitiger Zählung) 572 als weitgehend gesichert geltende skandinavische Reisende zu Zielen außerhalb Skandinaviens, sowie weitere 307 mögliche Reisende;³⁵⁶ die am häufigsten genannten Ziele sind Rom (57 Nachweise), Jerusalem (25 Nachweise), Paris (19 Nachweise) und Konstantinopel (18 Nachweise).³⁵⁷ Papst Gregor VII. hatte bereits 1079 die dänischen und norwegischen Könige aufgefordert, hochrangige Jünglinge zur kirchlichen Ausbildung nach Rom zu schicken, damit diese später in Skandinavien selbst lehrend tätig werden könnten.³⁵⁸ Kontakte nach Rom und Jerusalem reichen zeitlich aber noch weiter zurück, bis zur Bekehrung Islands um 1000.³⁵⁹ Eine Durchsicht der sicher belegten Reisenden nach Mittel- und Südeuropa ergibt für den Zeitraum vom 11. bis zum 13. Jahrhundert rund 60 Isländer, zehn Prozent aller heute bekannten Reisenden aus Skandinavien. Neben einer unabschätzbaren Zahl nicht verzeichneter Reisender – „it is very difficult to form any clear idea of the total number of students from this fragmentary material“,³⁶⁰ wie bereits Sverre Bagge notierte – ist auch innerskandinavische Reisetätigkeit nicht erfasst; gerade die Königssagas, aber auch die Isländersagas zeichnen das Bild eines intensiven Austauschs in Nordeuropa, und Snorri Sturluson, mit Reisen nach Norwegen und Schweden, ist prominentes Beispiel.
Clunies Ross 1987, S. 34. Vgl. Waßenhoven 2006; grundlegend bereits Johnsen 1951. Zur methodischen Problematik vgl. Waldispühl 2018. Das vor wenigen Jahren initiierte Project Norse World (http://norseworld.nordiska.uu.se, letzter Zugriff 14.07. 2021) versammelt darüber hinaus eine eindrucksvolle Zahl an Nennungen kontinentaler Orte in altostnordischen Quellen: Jersualem etwa wird rund 500 Mal erwähnt, Rom rund 300 Mal; mit insgesamt fast 1500 Nennungen wird kein Großraum häufiger genannt als der arabische Raum, gefolgt vom deutschen Sprachraum mit über 1000 Nennungen. Sicherlich wären diese Belege einmal im Einzelnen zu betrachten und mit altwestnordischen Belegen abzugleichen – ein Interesse am europäischen und außereuropäischen Ausland auch in mittelalterlicher schwedischer und dänischer Literatur wird aber mehr als deutlich. Vgl. Bagge 1984, S. 2. Bereits für die erste Hälfte des elften Jahrhunderts wird von elf hochrangigen Geistlichen auf Island gesprochen, aus u. a. Irland und England, dem deutschsprachigen Gebiet sowie aus Armenien (ermskir) – „alltså ha vi att göra med inflytelser från olika håll“, ‘also haben wir es mit Einflüssen aus verschiedenen Richtungen zu tun’, wie Einar Ólafur Sveinsson 1956, S. 9, pragmatisch folgerte; um 1200 habe es dann bereits 220 Kirchen und einen Bedarf an fast 300 Priestern auf Island gegeben (ebd., S. 12).Vgl. Birch 1998, S. 152: „Links between Iceland and the Church in Rome seem to have been forged from an early date. Indeed, the early bishops of Iceland all travelled there to confirm their appointmens. […] Together with the ecclesiastics […] were a large number of laymen making the same journey, mostly as pilgrims“. Debra Birch vermutete dabei einen ursächlichen Zusammenhang: „Surviving evidence suggests that pilgrimage to Rome may have remained relatively popular in the twelfth century among certain groups, most notably amongst those more recently converted to Christianity. The Icelanders, for example, were one such group“ (ebd., S. 151); vgl. Krötzl 2016. Bagge 1984, S. 5.
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Bereits die belegten Zahlen lassen jedenfalls keinen Zweifel daran, dass Skandinavier ab dem 12. Jahrhundert verstärkt an einer, wie Michael Borgolte formulierte, „vagierende[n] Gelehrsamkeit“ partizipierten, die schließlich zu einem regelrechten „Massenphänomen“ jener Zeit geworden zu sein scheint.³⁶¹ Jón Ǫgmundarson, Bischof von Hólar († 1121), studierte u. a. in Frankreich und Italien (den Annalen zufolge in Begleitung des berühmten Sæmundr inn fróði),³⁶² und beschäftigte nach seiner Rückkehr in Hólar ausländische Lehrer; auch Þorlákr Þórhallsson, Bischof von Skáltholt († 1193), studierte von 1153 bis 1159 u.a in Paris.³⁶³ Auf die zunehmend engen Kontake zwischen dem Erzbistum in Nidaros und Sankt Viktor in Paris zu jener Zeit wird in der Forschung bereits seit den 1950er Jahren aufmerksam gemacht; 1984 hielt Bagge resümierend fest: Extant sources from St. Victor and other centres in the Paris region clearly indicate that members of the higher clergy of Norway […] regularly went there to study during this period. Admittedly, their number was not large, but they represented the very élite of the Norwegian Church at the time, and they were men with considerable influence both in the political and the cultural field.³⁶⁴
Diese Einschätzung ist seither mehrfach untermauert worden,³⁶⁵ und erst vor wenigen Jahren arbeitete David Albertson heraus, welcher Stellenwert der Abtei in St.Victor im 12. Jahrhundert auch für philosophisches Gedankengut zukam:³⁶⁶ Bedeutende zeitgenössische Gelehrte der Abtei (etwa der spätere Bischof Achard († 1171) und der Universitätslehrer Godfrey († 1195)) hätten, so Albertsons Fazit, die damaligen Grenzen der Metaphysik wegweisend überschritten – Jahrzehnte bevor Aristoteles seine Wirkung zu entfalten begann. Teodoro Manrique Antón verwies weiter darauf, die zur Mitte des 13. Jahrhunderts sich intensivierenden Kontakte zwischen dem norwegi Borgolte 2002, S. 296. Man wird dieser Notiz kein allgemeines Gewicht zugestehen wollen, aber es ist bemerkenswert, wenn zur Mitte des 12. Jahrhunderts im Umfeld der berühmten Pariser Abtei Sankt Viktor offenbar eine Warnung vor einer als Überzahl empfundenen Gruppe an Norwegern ausgesprochen wurde (vgl. ebd., S. 284). Vgl. Waßenhoven 2006, S. 217. Vgl. Bagge 1984, S. 4; Waßenhoven 2006, S. 285. Bagge 1984, S. 3; vgl. wiederum bereits Johnsen 1951. Vgl. Klingenberg 1993, S. 38: „Bekanntschaft mit der gelehrten Urgeschichte der ‚Franzosen‘ hätte unter anderen Aris Zeitgenosse Sæmundr hinn fróði (gest. 1133) vermitteln können, der in den 1070er Jahren in Frankreich studierte. Aber auch enzyklopädische Fredegar-Rezeption des 12./13. Jahrhunderts und Traditionswege nach Island sind zu bedenken. Zahlreiche Studenten Skandinaviens besuchten im 12./13. Jahrhundert die berühmte Bildungsstätte St. Victor in Paris, Zentrum auch des auf Island dominierenden Augustinerordens“. Auch Gunnar Harðarson betonte, dass von 1161 bis 1214 sämtliche Erzbischöfe von Nidaros engen Kontakt zu Sankt Viktor in Paris gepflegt hätten (vgl. Gunnar Harðarson 2016c); zum Einfluss auf altnordisches Schrifttum bemerkte er: „Bæði Konungs skuggsjá og Stjórn bera vitni um notkun texta eftir fræðimenn úr Viktorsklaustri“ (ebd., S. 135), ‘sowohl Konungs skuggsjá als auch Stjórn belegen die Verwendung von Texten von Gelehrten aus dem Kloster Sankt Victor’; vgl. White 2005, S. 21– 24. Vgl. Albertson 2017, S. 385: Es gäbe „surprising instances of philosophy in the School of Saint Victor, in the last decades before the rediscovery of Aristotle, that perfom the same feat“.
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schen und dem spanischen Königshaus seien wahrscheinlich auf ein Treffen des Infanten Felipe († 1274), Bruder von König Alfons X. (der Weise), und dem späteren norwegischen Bischof Pétr von Hamar († 1260) an der Pariser Universität in den 1240er Jahren zurückzuführen – beide waren vermutlich Studenten des zu dieser Zeit dort tätigen Albert des Großen († 1280), des Lehrers von Thomas von Aquin.³⁶⁷ Auch wenn Studentenzahlen sehr unsicher sind – „most Nordic students probably went there, but only a relatively small proportion of them are mentioned in the material“³⁶⁸ – so lassen die mittelalterlichen Quellen doch wenig Zweifel, dass Paris in der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts das Ausbildungszentrum auch der intellektuellen Elite Festlandskandinaviens geworden war. Dies ist auch insofern bedeutsam, als Paris im 13. Jahrhundert ein Ort der „Diversität und Differenzierung“ sowie einer „Vielzahl von wissenschaftlichen Ansätzen und Denkweisen“ war,³⁶⁹ eine Entwicklung, die ins 12. Jahrhundert mit seinen konkurrierenden Schulen zurückverweist.³⁷⁰ Antonie Vos bemerkte unlängst: „Quantitatively, the University of Paris was the alma mater of the thirteenth century. Qualitatively, its theological faculty was in fact the academic capital of Europe“.³⁷¹ Ian P. Wei deutete angesichts dieser Bedeutung der Pariser Intellektuellenkultur ab 1200 aber zu Recht an, man müsse der gegenseitigen Beeinflussung skandinavischer und kontinentaler Gelehrter mehr Augenmerk widmen: Scandinavians who came to Paris and engaged sucessfully with the intellectual culture generated by the university did not have simply to be passive receivers of normative assertions that might or might not address social and spiritual needs at home. […] The intellectual culture of the University of Paris was not merely ‘translatable’, it required translation if its full potential were to be realized.³⁷²
In diesem Zusammenhang stellt sich auch die Frage nach der Praxis solcher Übersetzung. Peter von Moos bemerkte vor einigen Jahren pragmatisch: Vgl. Antón 2013, S. 23; vgl. weiterführend auch Fischer 2016. Bagge 1984, S. 6. Schütz 2014, S. 138. Vgl. Courtenay 2006, S. 38 f. sowie Marenbon 2007, S. 148 f.: „Although the University of Paris would not be founded until 1200, the twelfth-century schools, with their many masters of grammar, logic and theology were already a university in less structured, less self-conscious form“. Generell, so Mazal 2006, S. 326, sei das 12. Jahrhundert erstmals geprägt gewesen durch „interdisziplinäre Arbeit“: „Im 12. Jahrhundert wuchs die Zahl der Lehrer an, und ehrgeizige Studenten wanderten zu verschiedenen Spezialisten, sei es für verschiedene Fächer, sei es innerhalb eines Faches. […] Mancher Lehrer interessierte sich auch für andere Fächer, und so gab es Einflüsse aus der Logik auf die Grammatik, der Grammatik und der Logik auf die Theologie“; vgl. jüngst Giraud 2019. Zu Gruppenbildungen an der Pariser Artistenfaktultät vgl. auch Bubert 2016, S. 322: „Die um die Mitte des 13. Jahrhunderts konsolidierte Fakultätsstruktur der Universität bildete die Grundlage einer Wahrnehmung fakultätsspezifischer Differenzen und damit einer entsprechenden Selbst-Kategorisierung der Akteure“. Vos 2018, S. 57. Wei 2016, S. 96 f. Auf die teils mehrjährigen Besuche kontinentaler Gelehrter in Nordeuropa, auch Island, verwies Heizmann 2012, S. 178 f.
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Im Allgemeinen hat der Historiker keinen Anlass, Probleme der Sprachschranken stärker zu dramatisieren, als seine Quellen es tun […]. Unser Pilger hatte aufgrund der damaligen langsamen Reisegeschwindigkeit alle Zeit, sich von Land zu Land den unterschiedlichen Verhältnissen anzupassen und sich die für seine Kommunikationsbedürfnisse nötigen Fremdsprachenkenntnisse allmählich anzueignen. […] Aufgrund solcher Akklimatisierungsprozesse lässt sich eine tendenzielle Mehrsprachigkeit Europas im Mittelalter annehmen […].³⁷³
Das weitgehende Schweigen mittelalterlicher Quellen zur sprachlichen Dimension von Kommunikation, so von Moos, sei zu deuten als die Zuversicht, „dass Sprachbarrieren grundsätzlich überbrückbar seien und dass Verständigung mit Hilfe von Dolmetschern, notfalls durch nonverbale Erklärungen oder Gesten fast immer irgendwie möglich sei“.³⁷⁴ Wie weit solche Zuversicht und Kompetenz jenseits der Alltagskommunikation reichten, ist eine Frage, die kaum zu klären sein dürfte. Übereilt wäre es, den Austausch zwischen Skandinavien und Mitteleuropa in seiner Bedeutung herabzusetzen, weil die Kommunikation an sprachlichen Hürden vermeintlich gescheitert wäre. Schon Clunies Ross räumte am Beispiel der Skáldskaparmál ein, zeitgenössischer Diskurs fände seinen Niederschlag nicht notwendigerweise in wörtlichen Anleihen: It is most unlikely that Snorri was directly acquainted with the writings of the twelfth century theoretical grammarians, though he may have come into contact with some of their ideas at second hand. Alternatively, we may think of his interests and theirs as manifestations of fundamental intellectual preoccupations of the age.³⁷⁵
Das betonte später auch Rita Copeland: Die Rezeption kontinentaler Ideen im Medium der Literatur müsse nicht einer bestimmten Terminologie einhergehen, intellektuelle Neuerungen könnten in „new self-conscious attitudes to literary discourse“ greifbar werden, ohne dass ein gelehrter Wortschatz erforderlich gewesen wäre.³⁷⁶ Im Vergleich altisländischer Werke und theologischem, vor allem biblischem Wortschatz ist gleichwohl wiederholt gezeigt worden, dass die Adaption von Ideen und Diskursen auch mit übersetzten Termini einhergehen konnte.³⁷⁷ Anhand einer Fallstudie zum zweiten Erzbischof von Nidaros, Øystein Erlendson († 1188), spezifizierte Waßenhoven zudem Wege der Kulturübersetzung jenseits der sprachlichen Dimension.³⁷⁸ Abgesehen von der methodischen Einschränkung, dass kulturelle Transferleistungen auf-
von Moos 2008, S. 695 f. Vgl. weiterführend die Beiträge in Classen 2016. von Moos 2008, S. 696. Clunies Ross 1987, S. 33. Copeland 2016, S. 236 f. Auf das Problem macht frühzeitig Walter Haug für Chrétiens Erec et Enide aufmerksam: „Damit man aber dem fiktionalen Charakter des neuen Romans und seine produktionsund rezeptionstheoretischen Bedingungen explizit hätte fassen können, wäre ein entsprechendes, neues poetologisches Instrumentarium erforderlich gewesen. Es stand nicht zur Verfügung; so war man auf das Begriffsinventar angewiesen, das die Tradition bereitstellte“ (Haug 1985, S. 104 f.). Vgl. bereits Walter 1976 sowie van Nahl 2013b. Vgl. Waßenhoven 2006, S. 105 – 144.
1.2 Literaturanthropologische Einordnungen
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grund fragmentarischer Überlieferung selten im Detail verfolgt werden können, hob er einen wichtigen Punkte hervor, wenn er darauf verwies, dass die Øystein zugeschriebenen Texte aller Wahrscheinlichkeit nach in Kollektivarbeit entstanden seien, und allein Øysteins exponierte gesellschaftliche Stellung die Nennung von Mitarbeitern unterdrückt hätte.³⁷⁹ Der Erzbischof habe auf seinen Reisen „Eindrücke gesammelt und Ideen entwickelt“, für deren Adaption er anschließend auf die Hilfe zahlreicher Fachleute angewiesen gewesen sei.³⁸⁰ Über eine solche Zusammenarbeit wären auch sprachliche Herausforderungen zu meistern gewesen. Waßenhoven verwies weiter auf die bekannten Leiðarvísir des Nikulás Bergsson († 1159) von etwa 1155, die Beschreibung einer Pilgerreise nach Rom und Jerusalem: Nikulás nennt nicht nur die Stationen auf dem Weg nach Rom und Jerusalem und die Entfernungen zwischen ihnen, sondern macht an vielen Stellen Bemerkungen, die darüber hinausgehen und die erahnen lassen, welche Eindrücke der Pilger abseits des Weges aufnehmen konnte. […] Da Nikulás nicht in Latein schrieb oder diktierte, sondern in Altnordisch, ist an ein weiteres Publikum über die Mönche seines Klosters hinaus zu denken.³⁸¹
Kritischer gegenüber der These von Nikulás als autonomem Reisenden und Autor zeigte sich Tommaso Marani, der allerdings Teilhabe und Interesse an kontinentalem Wissen in Island und Skandinavien ebenfalls hoch einschätzte: Leiðarvísir is an itinerary that describes a real route, and not a real journey, from Iceland to the Holy Land. Like other guides, it is for the use of both actual travellers and pious readers who never intended to go on a pilgrimage. Certain sections of Leiðarvísir are composed using written sources […] and there is no basis for considering it an account of an individual journey.³⁸²
Dem gelegentlich vorgebrachten Argument von nur langsam einsickernden ausländischen Einflüssen in Island hielt wiederum Waßenhoven entgegen, dass z. B. das verschärfte Heiratsverbot unter Verwandten, das 1215 auf dem Vierten Laterankonzil beschlossen worden war, bereits zwei Jahre später im isländischen Recht nachweisbar sei.³⁸³ Für den Einfluss dieses bedeutendsten Konzils des Mittelalters auf die isländische Gesellschaft wurde wiederholt argumentiert; in altisländischen Annalen ist es u. a. als kenni manna fundr i Latran, þing i Latran oder concilium i Latran verzeich-
Vgl. Waßenhoven 2006, S. 137: „Wenn nur wenige Quellen zur Verfügung stehen, ist die Versuchung besonders groß, das Bild eines genialen Vordenkers zu zeichnen und ihn aus der gesichtslosen Masse herauszuheben“; auf die gleichgelagerte Problematik bei Gestalten wie Snorri Sturluson und Saxo Grammaticus wurde verwiesen. Zur Diskussion vgl. jüngst Schröder 2019. Waßenhoven 2006, S. 137. Waßenhoven 2008, S. 32 f. Marani 2012, S. 110. Vgl. Waßenhoven 2006, S. 142 f.; vgl. die Verweise in Strauch 2013.
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1 Die Königssagas als Humangeschichte – Eine Problemskizze
net.³⁸⁴ Ein prominenter skandinavischer Teilnehmer war Anders Sunesøn († 1228), Erzbischof von Lund, der in den 1180er und 90er Jahren in Paris und Oxford, vielleicht auch in Bologna studiert hatte. Bekannt wurde er durch seinen so genannten Kreuzzug gegen Estland im Jahre 1219 (als Snorri Sturluson nach Schweden reiste), inspiriert von kontinentalen Entwicklungen (Innozenz III. hat auf dem Vierten Laternkonzil den fünften Kreuzzug (1217– 1229) ins Leben gerufen); nordeuropäische Christen waren seit 1147 formal zu kreuzzugähnlichen Kampagnen authorisiert.³⁸⁵ Doch auch Andersʼ Übertragung des Schonischen Rechts ins Lateinische, sowie sein 800 Verse umfassendes didaktisches Gedicht Hexaëmeron lassen ihn als eine illustre Gestalt skandinavischer Gelehrsamkeit des frühen 13. Jahrhunderts hervorstechen, die Eindrücke von Aufenthalten auf dem Kontinent zeitnah in Skandinavien umsetzte: „Sunesen stands as the example of what the Europeanization of university education could produce in the outlying areas“, wie William Ian Miller resümierte.³⁸⁶ Für den Einfluss speziell des Analogiekonzepts – das auf dem Laterankonzil als Antwort auf die Frage nach Möglichkeiten und Grenzen menschlicher Erkenntnis in theologischen Fragen kanonisiert worden war³⁸⁷ – auf die isländische Gelehrtenwelt argumentierte seit den 1990er Jahren Heinrich Beck.³⁸⁸ Der auf dem Konzil geweihte Erzbischof von Niðarós, Guttorm, der 1216 nach Bergen zurückgekehrt war, kann als zeitgenössischer Vermittler solcher Ideen in den Norden gelten.³⁸⁹ Nicht nur berichten Annalen von Guttorms Einberufung eines Treffens mit hochrangigen isländischen Repräsentaten kurz nach dessen Rückkehr: stefnt hófþingivm af Íslandi á fvnd Gvthorms erki byskups,³⁹⁰ ‘man hatte die Oberhäupter auf Island zu einem Treffen mit Erzbischof Guttorm einberufen’. Auch Snorri hielt sich ab 1218 am norwegischen Königshof im unmittelbaren Wirkungskreis Guttorms auf (im Kontext der Einberufung?), als der Erzbischof zum engen Berater des jungen Königs Hákon Hákonarsson aufgestiegen war, in dessen Gefolge Snorri dann bereits um 1220 den höchsten Rang eines lendr maðr, Lehnsmann, bekleidete; es wird kaum Zufall sein, dass Snorris literarische Schaffensperiode wohl unmittelbar nach seiner Rückkehr nach Island begann.³⁹¹ König Hákon selbst wiederum stand spätestens ab den 1240er Jahren im
Der Verweis auf kennimenn kann dabei sowohl Lehrer implizieren als auch Priester (vgl. Fritzner 1891, S. 275 f.); die Spezifikation deutet gegenüber der Direktübersetzung þing í Latran darauf hin, dass das Laterankonzil als Versammlung ausgezeichneter Gelehrter wahrgenommen wurde. Vgl. Muceniecks 2017, S. 12; vgl. die kritische Bemerkung bei Møller Jensen 2004, S. 234 f.: „For too long, a fundamental concept in Danish historiography has been that the crusading movement was non-existent in the North – or at most, it was a cloak for purely economic or political motives“. Vgl. weiterführend Unger 2006 und Fonnesberg-Schmidt 2007. Miller 2016, S. 83. Vgl. Weingartner/Marshall 1998. Vgl. grundlegend Beck 1994; weiterführend Beck 2007 und 2013 sowie van Nahl 2013b, S. 53 – 67. Vgl. van Nahl 2015b, S. 129. Storm 1888, S. 185. Missverständlich formuliert war insofern die Einschätzung bei Sverrir Tómasson 1992, S. 370: „Snorri fer ekki utan til náms svo að hann hlýtur að hafa numið flest sín fræði hér heima og þá
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engen Austausch mit Kirche und Kaiser auf dem Kontinent, wurde zu kreuzzugähnliche Kampagnen in Skandinavien angehalten und unterstützte offenbar auch Kreuzzüge ins Heilige Land finanziell – „Hákon fand als erster norwegischer König vollen Anschluß an den Kreis seiner Herrscherkollegen im Westen und Süden“, wie Thomas Behrmann betonte.³⁹² Für seine vielfältigen Bestrebungen, Norwegen enger an den Kontinent zu binden, wurde Hákon in der jüngeren Forschung gar als ‚ProEuropa‘-Politiker bezeichnet.³⁹³ In den Fokus rücken damit auch Dänemark und Schweden, u. a. Boethius von Dacien († um 1284), Kleriker der Diözese in Linköping, und Lehrer an der Universität Paris ab den 1260er Jahren,³⁹⁴ sowie dessen Zeitgenosse Petrus von Dacien († 1289), der 1269 zum Studium nach Paris gegangen war und dort vermutlich Vorlesungen bei Thomas von Aquin hörte.³⁹⁵ Als Anhänger des ab 1270 für seine Lehrmeinungen wiederholt verurteilten Sigers von Brabant († 1284) und als Verfechter eines radikalen Aristotelismus vertrat Boethius die Auffassung, dass zwischen rationaler Welterkenntnis und christlichem Glauben kein prinzipieller Widerspruch zu konstatieren sei. Das „Spezifische des Menschen“, so fasste Kurt Flasch diese Grundhaltung des Boethius zusammen, sei die Vernunft: „Die Zweckbestimmung des Menschen ist daher die Entfaltung der Vernunft in der Betrachtung des Wahren und im Tun des Guten“.³⁹⁶ Der Wissenschaftler, Boethius folgend, dürfe „nie vergessen, wo die Grenze der wissenschaftlichen ‚Spiele‘ insgesamt liegt“, und müsse sich „jederzeit im Klaren darüber sein, ob er gerade ‚als Christ‘ oder ‚als Philosoph‘ spricht“.³⁹⁷ Das implizierte bei ihm indes zugleich, anders als etwa bei seinem Zeitgenossen Thomas, dass Offenbarungswissen aus wissenschaftlicher Argumentation prinzipiell fernzuhalten sei.³⁹⁸ Boethius’ Versuch der systematischen Trennung von Zuständigkeitsbereichen der Theologie einerseits, der Philosophie andererseits, gewinnt vor entsprechenden Strömungen im Europa des 13. Jahrhunderts an Gestalt und bezeugt abermals die intellektuelle Einbindung skandinavischer Gelehrter in das kontinentale Universitätsmilieu und schließlich die Debatte um aristotelisches Gedankengut; bezeichnen-
sennilegast í Odda“, ‘Snorri studierte nicht im Ausland, sodass er den Großteil seines Wissen auf Island erworben haben dürfte, am wahrscheinlichsten in Oddi’. Von einem regelrechten Auslandsstudium Snorris wissen wir in der Tat nichts; doch wird er uns als gelehrter Verfasser eben erst greifbar, nachdem er mehrere Jahre im Ausland verbracht hatte. Behrmann 1996, S. 46; vgl. die Briefe von 1241 und 1246 in Diplomatarium Norvegicum (vgl. Lange/ Unger 1847/48, S. 19 f. und S. 31). Antón 2013, S. 22. Eine umfangreiche Untersuchung zu Martinus und Boethius von Dacien bietet Beuerle 2010; zur genaueren Einordnung vgl. Steel 2001 sowie die Bemerkungen in Kap. 2.2.3. Vgl. Schütz 2014, S. 138. Flasch 2013, S. 417. Beuerle 2010, S. 85. Vgl. Ebbesen 2006, S. 86: „Christian beliefs about a temporal beginning of the world, about the existence of a first pair of human beings, or about the resurrection and the ultimate good of the individual are true, but it would be an error to try to assign them a place in scientific theories“.
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1 Die Königssagas als Humangeschichte – Eine Problemskizze
derweise musste Boethius nach den erneuten Aristotelesverboten von 1277 selbst aus Paris fliehen,³⁹⁹ das, wie Johannes Schütz formulierte, zu dieser Zeit ein „Ort handfester Auseinandersetzungen“ geworden war.⁴⁰⁰ Umfassende Studien zum intellektuellen Verhältnis des mittelalterlichen Skandinaviens und Mitteleuropas ab dem 12. Jahrhundert stehen nach wie vor weitgehend aus. Damit bleibt dieses Verhältnis bis auf Weiteres ein Feld der Spekulation – aber doch ein Feld, auf dem sich einige Grundannahmen in den letzten Jahren durch Detailuntersuchungen gefestigt haben. Der Blick auf mannigfache Grenzüberschreitungen konterkariert aber, um schließlich diese Kritik zu üben, die befremdliche Tendenz jüngster Forschung, wieder verstärkt in geographischen, um nicht zu sagen nationalen Einheiten zu denken, wodurch sowohl der innerskandinavische Austausch als auch der Austausch zwischen Nord- und Mitteleuropa eigenartig aus dem Blick rücken. Lars Boje Mortensen übte 2016 scharfe Kritik an der „nationalizing lazy habit“ der aktuellen Forschung, Skandinavien in der Diskussion primär auf Island und Norwegen zu beschränken, und zugleich mit dem Konzept eines „ill-defined ‘Europe’“ zu operieren, um dann Island zu einer Sonderkultur zu stilisieren: „Ironically, a better comparison with a ‘Europe’ of distinctive and distinguishable parts (and not just lumped together) could have provided an argument against Icelandic exceptionalism“.⁴⁰¹ Versuche, einer nordischen Sonderkultur das Wort zu reden und zentrale Werke der altisländischen Literatur zu genialen Einzelleistungen zu verklären, gehen an der komplexeren Realität der damaligen Jahrhunderte vorbei. Man wird auch kaum annehmen dürfen, dass mittelalterliche Ereignisse, die bereits von Zeitgenossen in ihrer Bedeutung für die westliche Welt erfasst wurden – die Kreuzzüge ab 1100, die Entwicklung der Universitäten und ihrer gelehrten Streitkultur im 12. Jahrhundert, das Vierte Laterankonzil in Rom 1215 –, in Nordeuropa kein Interesse geweckt haben sollten, allein weil in der heute erhaltenen Überlieferung explizite Referenzen selten greifbar sind. Die Koinzidenz von Zeit und Ort der skandinavischen Besuche auf dem Kontinent deutet ebenso in die entgegengesetzte Richtung, wie der zeitnahe Beginn der skandinavischen Rezeption kontinentaler Dichtung. Für die weitere Untersuchung ist insofern mit Waßenhoven festzuhalten, die intellektuelle Entwicklung in Skandinavien und Island habe sich „nicht schneller vollzogen als andernorts in Europa, […] aber eben auch nicht langsamer“.⁴⁰² Im Gesamtblick darf man dann weiterhin auch Preben
Flasch bemerkte pointiert zu Boethius und dessen Pariser Kollegen Siger (den wiederum Thomas’ Kritik aus Paris vertrieb): „Die Anklagen sind so erheblich und so detailliert, dass es sich nicht einfach um arglose Christen gehandelt hat, die eben das Unglück hatten, von Berufs wegen Aristoteles-Philosophie treiben zu müssen […]. Es handelt sich um selbständig denkende Philosophen, die im ungestörten Vernunftgebrauch weiter gehen wollten als die meisten ihrer Zeitgenossen, und in diesem relativen Sinn waren sie – im Rahmen der mittelalterlichen Welt – Aufklärer. Es empfiehlt sich durchaus, sie so zu nennen“ (Flasch 2013, S. 411). Schütz 2014, S. 138. Mortensen 2017, o.S. Waßenhoven 2006, S. 143.
1.3 Zusammenfassung
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Meulengracht-Sørensen zustimmen, es gäbe „special reason to consider medieval Icelandic literature in the light of the humanistic interest in language, poetry and philosophy which has come to be called the twelfth-century Renaissance“.⁴⁰³
1.3 Zusammenfassung In den vorausgehenden Kapiteln wurden Koordinaten herausgearbeitet, die die Texte und Thesen dieser Studie für die weitere Auseinandersetzung in einem forschungsgeschichtlich-diskursiven Milieu verorten. Deutlich wurde in diesem einleitenden Teil die Herausforderung, zwischen mehrdeutigen bis widersprüchlichen Positionen zu vermitteln, aber auch etablierte Forschungsmeinungen kritisch zu hinterfragen, um ein erstes belastbares Fundament zu erarbeiten. Ließen sich diese Positionen nirgends auf simple Nenner reduzieren, so lassen sich nach der bisherigen Betrachtung doch die folgenden Punkte als Prämissen der weiteren Arbeit festhalten: − Die drei betrachteten mittelalterlichen Kompilationen altisländischer Königssagas – Fagrskinna, Heimskringla, Morkinskinna – sind in der Forschung primär auf Handschriftenrelationen und historische Zuverlässigkeit der Schilderungen hin befragt worden. Ein Konsens in diesen auch methodisch teils problematischen Fragen wurde nicht erzielt. Vor allem gegenüber den in ähnlichem Milieu entstandenen, thematisch aber anders ausgerichteten Isländersagas erscheinen die Königssagas forschungsgeschichtlich einseitig erfasst, ihre literarische Dimension zugunsten des Bemühens um eine historiographische Lesart vernachlässigt. Ist dieser Zugang in der internationalen Forschung weiterhin dominant, so mehren sich mittlerweile doch Stimmen, die fordern, die literarischen Qualitäten der Königssagas stärker ins Zentrum des Interesses zu rücken. − Diese literarischen Eigenarten müssen in ihren historischen Kontext eingeordnet werden. Im Laufe des 12. Jahrhunderts, zunächst wohl vor allem in Frankreich, bildete sich in Europa eine neue Form der volkssprachlichen Literatur heraus: Erzählen folgte in dieser Literatur nicht länger strikten Schemata, in dem Sinne, dass alle Erzählabschnitte folgerichtig auseinander hervorgehen und konsequent auf ein festgelegtes Ende hinlaufen würden, und dieses Erzählen war auch nicht mehr allein der Abbildung des tatsächlich Gegebenen verpflichtet. Vielmehr erlaubte diese neue Form der Literatur eine spielerische Schöpfung von narrativen Alternativwelten, in denen vorgegebene Erzähl-, Gesellschafts- und Weltordnungen hinterfragt werden konnten. Ein wichtiger Anstoß dieser Entwicklung dürfte im intellektuellen und praktischen Interesse an anderen Religions-, Gesellschaftsund Denkformen liegen, wie es durch gesellschaftspolitische und kulturelle, aber auch wissenschaftliche Umbrüche jener Zeit befördert wurde; hier wurde u. a.
Meulengracht Sørensen 2000, S. 10 f.; bereits 1988 betitelte Bjarne Fidjestøl Snorri Sturluson im Speziellen als „European humanist“ (vgl. Fidjestøl 1997 [1988]).
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bereits verwiesen auf die Rezeption aristotelischer Philosophie, die Formung der Universitäten sowie die Kreuzzüge. Gerade für Frankreich wird in der Forschung zudem der radikale Ausbau der Königsmacht und die Zurückdrängung der Aristokratie zum Ende des 12. Jahrhunderts herausgestellt. In dieser Krisenzeit habe sich fiktionale Literatur als eine Form der Reflexion und Selbstvergewisserung gegenüber einer als bedrohlich empfundenen Gegenwart etabliert. In der Auseinandersetzung mit dem Anderen, Ungewohnten und Bedrohlichen erlaubte fiktionales Erzählen die Erprobung von Alternativentwürfen von Ordnungen, die nun sowohl im sozialen Leben als auch, u. a. durch die langsame Etablierung der Wissenschaften, in der natürlichen Umwelt manipulierbar erschienen. Menschliche Geschichte und Geschichten waren damit nicht länger auf ein heilsgeschichtlich-teleologisches Verständnis reduziert, das eine notwendige Entfaltung nach wesentlich unveränderlichen, göttlich bestimmten Prinzipien voraussetzte. Ordnung wurde vielmehr kontingent gesetzt, Möglichkeiten wurden aufgezeigt, ohne dass Notwendigkeit für die Verwirklichung einer bestimmten Möglichkeit gegeben schien, weder in der Vergangenheit, noch der Gegenwart, noch der Zukunft. Die Rolle des Zufalls für historische Entwicklung rückte damit weiter in den Vordergrund. Die literarische Kreation von alternativen Ordnungen, als eine Form des Umgangs mit historischer Unbestimmtheit, diente allerdings kaum der einseitigen Zähmung solcher Unbestimmtheit, sondern konnte zugleich zu deren gesteigerten Wahrnehmung und damit schließlich außerliterarischen Bedeutung und Wirkung beitragen. Domestizierung ist in diesem Sinne ein ambivalenter Begriff, der Kontingenz als Raum sowohl der menschlichen Macht als auch Ohnmacht versinnbildlicht. Der angenommene Beginn der schriftliterarischen Ausformung der isländischen Sagas ab 1200 datiert in die so genannten Sturlungaöld, einen Zeitraum, der für Island als Krisenzeit angesprochen wird, geprägt durch Unsicherheit und Widersprüchlichkeit. Ähnlich wie in Mitteleuropa, vermutlich angestoßen durch personelle und diskursive Kontakte, erscheint insofern auch die Sagaliteratur als narratives Krisenphänomen (ohne dass sie darauf zu reduzieren wäre). Die Königssagas sind innerhalb der Sagas aber ein besonders interessantes Corpus für die Frage nach dem narrativen Umgang mit Krisenzeiten, erstreckt sich ihre Darstellung doch zeitlich von mythischer Vorzeit bis in den eigenen Entstehungszeitraum, räumlich über europäische Grenzen hinaus, und ist ihr Anspruch dezidiert (auch) der einer historisch klärenden Darstellung von menschlicher Macht durch die Geschichte. Die Befragung der Königssagas auf ihre historiographische, erzähltheoretische und anthropologische Dimension als Krisenliteratur findet in Konzepten von Kontingenz, Zufall und Ambiguität eine bisher ungenutzte, potenziell aber ergiebige theoretische Grundlage.
2 Kontingenz und Zufall in Geschichte(n) – Theoretisch-methodische Überlegungen Wir Menschen sind stets mehr unsere Zufälle als unsere Wahl.¹
2.1 Zum Sinn (in) der Geschichte – Eine Vorbemerkung² In den folgenden Kapiteln gilt es, historische Perspektiven herauszuarbeiten, die Konzepte von Kontingenz und Zufall für die Lesung der altnordischen Königssagas fruchtbar machen. Solche Perspektiven sind bestimmt von Bedingungen, unter denen ihre Etablierung erfolgt. Wenn die folgenden Überlegungen in der Frage nach dem Sinn bzw. fehlenden Sinn in und von Geschichte(n) einen Drehpunkt finden, dann ist es notwendig, einige Bemerkungen zur historischen Einordnung dieser Frage vorauszuschicken. „What is the meaning of history? Has history ascertainable meaning?“³ Beantwortete Howard W. Scott diese Frage im Jahre 1905, indem er die Geschichte der Menschheit als notwendige Entfaltung einer wohldefinierten Ordnung präsentierte,⁴ so erklärte 1942, mitten im Irrsinn des Zweiten Weltkriegs, Friedrich Meinecke, Historiker müssten den Zufall „hart und entschlossen anerkennen als einen der geschichtlichen Grundfaktoren, als eine Pforte, durch die etwas Sinnloses in die Ge-
Marquard 2015, S. 160. ‚Sinn‘ fasse ich mit Angehrn 2004, S. 21, ultimativ als einen normativ-wertenden Begriff, im Bezug auf die Frage „nach dem Sinn des Lebens oder des Leidens“. Die Untersuchung erfolgt indes primär aus semantischer und hermeneutischer Perspektive, die ‚Sinn‘ erfasst als „Korrelat eines Verstehens“: Sinn ist dann, mit Angehrn, das „in einem gegebenen Zusammenhang Verstehbare, seine Bedeutung […]. Von einem Sinn historischer Gebilde zu sprechen heißt, dass Geschichten verstehbar, dass sie wie ein Text lesbar – auf ihre Bedeutung hin befragbar, in ihrem Sinn interpretierbar – sind“ (ebd., S. 18). Mit Luhmann 1971, S. 31, setze ich damit Sinn zugleich als „Ordnungsform menschlichen Erlebens“ voraus, womit gemeint ist, dass Sinngebung auf wiederkehrender Selektion zwischen gegebenen Möglichkeiten beruht, ohne dass die Fülle an Möglichkeiten damit dauerhaft reduziert wäre; Komplexität würde, mit Luhmann, vielmehr „von Moment zu Moment in immer anderer Weise reduziert und bleibt dabei bewahrt“ (ebd., 33 f.). Die mediävistische Diskussion wird in Kap. 2.2 und 2.3 entfaltet. Scott 1905, S. 237. Vgl. Scott 1905, S. 249: „The development of man in history is not a casual or arbitrary motion; it moves in a regular and consistent plan. Each part is unfolded in due order, the whole expanding like a single plant“. Das erinnert an Aristoteles’ Physik, in der er die zweckgerichtete Entfaltung aller Lebewesen zur Prämisse setzte; allerdings machte er dort deutlich, dass eine solche Idealentwicklung gestört werden könne durch Zufälle: „Von einem jeden (Ausgangspunkt) aus ergibt sich für ein jedes nicht dasselbe, und schon gar nicht etwas Beliebiges, allerdings will sich immer (wieder) dasselbe bilden, wenn nicht etwas störend eintritt“ (Zekl 1987, S. 93). https://doi.org/10.1515/9783110759280-004
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2 Kontingenz und Zufall in Geschichte(n) – Theoretisch-methodische Überlegungen
schichte immer einzubrechen droht und oft genug auch eingebrochen ist“.⁵ Meinecke, so bemerkte später Peter Vogt, demonstriere eine beispielhafte Auffassung des Zufalls „als irrationales und residuales factum brutum einer durch keine theoretische Konstruktion aufzulösenden Sinnlosigkeit der Geschichte“.⁶ Dass die Erfahrung zweier Weltkriege das Konzept einer sich nach vernünftigen Ordnungsprinzipien entfaltenden Geschichte bis zur Aufgabe erschütterte (und weit über die wissenschaftliche Betrachtung hinaus auch zur literarischen Reflexion anregte), kann nicht verwundern.⁷ Bereits kurz nach Ende des Ersten Weltkrieges formulierte Howard R. Patch eindringlich, angesichts der Erfahrung des völligen Ausgeliefertseins an eine chaotische Welt müsse jeder Mensch für sich die Entscheidung treffen, ob er bereit sei, das Leben als Risiko anzunehmen und zu leben – oder nicht.⁸ Jede Entscheidung, so lässt sich der Gedanke abstrahieren, ist eine notwendige, aber nicht notwendig erfolgreiche Reaktion auf die Unbestimmtheit der Zukunft – deren potenzieller Schrecken durch erfahrene Erschütterungen verstärkt wird. So verwundert es nicht, wenn Sir Richard William Southern 1973 in einer Rede als Präsident der Royal Historical Society einleitend bemerkte: The cultivation of a sense of the past now appears rather as a private luxury than as the medicine for the universal ill. But a hundred years ago, the study of history offered a sense of stability, permanence, and the gentleness of change, in place of a long vista of meaningless and inhuman errors.⁹
Nur ein Jahr später notierte Ernest Nagel: „It would not be difficult to suggest plausible explanation, pychological and sociological, based on the events of the past few decades, for the current intellectual hostility towards the assumption of a thoroughgoing determinism in human history“.¹⁰ Diese Skepsis der Nachkriegsjahrzehnte gegenüber allen Versuchen, die Idee einer von „einzigartigen historischen Individuen durchgehaltene Kontinuität der menschlichen Vernunfttätigkeit“ im Sinne einer Vernunftsgeschichte fortzuführen,¹¹ hat sich ins 21. Jahrhundert fortgesetzt. So leitete
Meinecke 1959 [1942], S. 262; vgl. Meinecke 1939 sowie Vogt 2011, S. 288 – 293. Vogt 2011, S. 289. Einflussreiche Historiker wie Theodor Schieder, ein „begnadeter Wissenschaftsorganisator“ (Haupts 2007, S. 277), teilten diese Überzeugung nach Kriegsende: „Im Zufall tritt uns die Unberechenbarkeit in der Geschichte in ihrer absolutesten Form als das völlig Unerwartete, Regelwidrige, als die Entscheidung durch Kräfte entgegen, die außerhalb einer großen Kontinuitätsreihe an der Peripherie fallen oder diese Kontinuitätsreihe plötzlich abreißen lassen“ (zitiert nach Vogt 2011, S. 289). Zur wissenschaftsgeschichtlichen Verortung vgl. Forman 1971. Patch 1927 [1922], S. 5. Southern 1973, S. 245. Nagel 1974, S. 189. Jaeger/Rüsen 1992, S. 106. Wilhelm von Humboldt notierte 1796/97: „Das allgemeine Bestreben der menschlichen Vernunft ist auf die Vernichtung des Zufalls gerichtet“ (Leitzmann 1904, S. 6) – eine Einschätzung, die Alexander Demandt im Rückblick nüchtern kommentierte: „Dieser Glaube hat sich nicht bestätigt. Die Kategorie des Zufalls hat sich als resistent erwiesen“ (Demandt 1986, S. 29).
2.1 Zum Sinn (in) der Geschichte – Eine Vorbemerkung
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kurz nach der Jahrtausendwende Jörn Rüsen seine Überlegungen über eine ‚zerbrechende Zeit‘ provozierend ein mit den Worten: Kaum etwas könnte unzeitgemäßer sein, als über den Sinn der Geschichte nachzudenken und ihn gar noch mit der Vernunft zu verschwistern. Beides scheint so gründlich diskreditiert, daß jeder Versuch, sie als Kategorien des historischen Denkens (wieder) zu Ehren zu bringen, aussichtslos, also: sinnlos und unvernünftig erscheint.¹²
Eine Einschätzung, die Emil Angehrn später aktualisierte, wenn er festhielt, das „Vertrauen in den Sinn“ sei brüchig geworden, und damit die Frage „ob unser Leben einen Sinn hat, ob die Welt eine sinnvolle Ordnung besitzt oder die Geschichte einem sinnvollen Verlauf folgt“ dringlicher denn je gestellt.¹³ Scheint das Nachdenken über den Sinn der Geschichte heute mehr denn je legitimationsbedürftig, dann steht auf der anderen Seite die anthropologische Konstante, dass Verstörungen der Welt – Ereignisse, die nicht in einen vorgegebenen Deutungszusammenhang passen – beantwortet werden müssen: Die Welt verstehen zu können, aus dem Sinnlosen Sinn zu machen, indem wir die zerstreuten Materialien und zusammenhanglosen Fakten in das Netz einer sinnhaften Verknüpfung integrieren, die Welt lesbar zu machen, entspricht einem tiefverankerten Bedürfnis des Menschen.¹⁴
Damit ist Zufall nicht per se negativ besetzt: Der Zufall sei, so Odo Marquard, „keine mißlungene Absolutheit, sondern – sterblichkeitsbedingt – unsere geschichtliche Normalität. Wir Menschen sind stets mehr unsere Zufälle als unsere Wahl“.¹⁵ Mit der Grunderfahrung, dass Menschen ihre Geschichte machen, aber nicht vollständig unter Kontrolle haben, hebe „historisches Bewußtsein“ überhaupt erst an, wie Rüdiger Bubner formulierte.¹⁶ Das betonten unlängst auch Jan-Hendryk de Boer und Marcel Bubert, wenn sie von einer „berechtigen Sorge vor Akteurskonzepten“ sprachen, die diesen „die vollständige Kontrolle über ihr Tun zuweisen und annehmen, ihnen seien ihre Absichten so transparent, dass absichtsvolles Handeln zum bevorzugten Mittel der Weltgestaltung werden könne“; Kontingenz sei aus dieser Sicht eine „Herausfor-
Rüsen 2001, S. 7; vgl. Angehrn 2004, S. 15: „Im Blick auf die Desillusionen der Geschichte können wir die Frage als unzeitgemäß ansehen, als Ausdruck einer Verbundenheit mit Geschichte oder eines Vertrauens in die Geschichte, die wir verloren haben“. Angehrn 2010, S. 1. Dies sei allerdings, wie er zu Recht betonte, kein Signum erst unserer Zeit, sondern gehöre seit jeher zu den „offenen Fragen des Denkens“ (ebd.). Angehrn 2010, S. 15 f.; vgl. Rüsen 2001, S. 148 f. Zur anthropologischen Perspektive ähnlich Friedrich 2014, 176: „Die kontinuierliche Geschichte, die Fähigkeit, das Leben in eine kohärente Form zu bringen, bildet das Ideal einer Subjektphilosophie, nach der eine Person die Heterogenität der ihr widerfahrenden Ereignisse in der narrativen Zusammenschau synthetisiert“. Vgl. die Perspektivierungen in Roese/Olson 1995 (die allerdings das Mittelalter ausklammern), Becker/Scheller/Schneider 2017 und Hufnagel et al. 2017. Marquard 2015, S. 160. Bubner 1984, S. 25.
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2 Kontingenz und Zufall in Geschichte(n) – Theoretisch-methodische Überlegungen
derung, die von Tatmenschen willentlich bewältigt würde“ – eine Sichtweise, die auch in der Forschung begünstigen würde, „unkritisch nach den verborgenen Absichten großer Männer zu suchen“.¹⁷ Dass eben diese unkritische Perspektive auch die Erforschung der Königssagas geleitet hat, wurde vorausgehend erörtet, der monierte Stellungskrieg zwischen Indeterminismus und Determinismus wird durch die Frage nach Intentionalität, also Planung, aber um einen Aspekt erweitert, der für die vorliegende Studie von besonderer Relevanz ist.¹⁸ Zu Recht bemerkte angesichts dieser Gemengelage Heinz Eidam vor einigen Jahren, das „Problem des Zufälligen“ gehöre „keinesfalls zu den bereits erledigten“; im Gegenteil spiele der Zufall weiterhin eine maßgebliche Rolle auch für die Theoriebildung in Alltag und Wissenschaft.¹⁹ Der Zufall ist also grundlegendes Charakteristikum der Welt, in der wir leben; rückblickend ergebe sich allerdings der Befund, so Vogt, dass Historiographie und Geschichtstheorie im 20. Jahrhundert im Ganzen zu einer systematischen Bestimmung dessen, was mit einer auf die Sphäre der menschlichen Geschichten bezogenen Semantik von Kontingenz und Zufall in der Geschichte gemeint sein könnte, nicht nennenswert vorgedrungen sind.²⁰
Das geforderte anhaltende Nachdenken über den Sinn der Geschichte, und damit den Sinn des Zufälligen in der Geschichte, steht dann aber auch vor der Frage nach dem Sinn von Sinnverlust. Walter Haugs These, das Kontingente sei per se „sinnindifferent“, in der Aktualisierung als Zufälliges stünde es hingegen „quer zum Sinn“²¹ erscheint hier ebenso einseitig, wie seine Definition von Zufälligkeit als „das Zusammenhanglose, das Sinnwidrige“.²² Denn „Sinn-, Orientierungs- und Totalitätsverlust“ sind keine „‚Abfallprodukte‘ von Sinn und Orientierung“, die es schlicht zurückzulassen gälte; vielmehr müssten sie, wie Martin Dillmann betonte, als „mindestens ebenso komplexe semantische Konstruktionen […] wie ihre oft unhinterfragt als ‚positiv‘ betrachteten Gegenbegriffe“ anerkannt werden.²³ Erst das Zusammenwirken von
de Boer/Bubert 2018, S. 17 f.; vgl. die Kritik bei Görich 2009. Vgl. Kap. 2.3.1. Eidam 2007, S. 95 f. Vogt 2011, S. 294.Vogts These, die zeitweilige „Verdrängung der Zufalls- und Kontingenzthematik in den zeitgenössischen Geschichtswissenschaften“ stünde in einem Zusammenhang mit der „Abkehr von der Geschichte in den Geisteswissenschaften im Allgemeinen und vom Historismus in den Geschichtswissenschaften im Besonderen“ (ebd., S. 333), ist bedenkenswert. Böhme 2011, S. 393, bemerkte pointiert: „Ist der Zufall gewesen, so wird er post festum vom Historiker beobachtet und ist insofern kein Zufall mehr, weil er kontextuell eingebunden wird. Tritt der Zufall hingegen gerade jetzt ein oder kommt er aus der Zukunft auf uns, so ist er per se nicht Gegenstand des Historikers“. Unlängst bemerkte Dinzelbacher 2017, S. 206: „Seeking causal nexus does by no means contradict the acceptance that these were shaped as much by chance as by intention“. Haug 2003 [1998], S. 83. Haug 2000, S. 72. Dillmann 2011, S. 9.
2.1 Zum Sinn (in) der Geschichte – Eine Vorbemerkung
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Zufall und Ordnung, so resümierte Hartmut Böhme, konstituiere das, „was wir nicht nur die geschichtliche Welt, sondern auch die Natur oder gar die Welt nennen“.²⁴ Angesichts dieser fundamentalen Bedeutung ist es nicht verwunderlich, dass Konzepte von Kontingenz und Zufall in historisch arbeitenden Disziplinen gesteigerte Aufmerksamkeit erfahren. Allerdings, und damit ist ein zentrales Problem berührt, hat kaum jemand nach ihrem Stellenwert in der Debatte gefragt.²⁵ Vogts monumentaler Überblick über die ideen- und begriffsgeschichtliche Entwicklung von Kontingenz und Zufall hat dieses Desiderat zwar für Philosophie und Geschichtstheorie aufzuarbeiten versucht, hat aber zugleich gezeigt, dass jede Definition kontextsensibel ist: Während sich die Entwicklung des Kontingenzbegriffes wesentlich in einer Geschichte nachvollziehen ließe, sei „der deutsche ‚Zufall‘“ nur ein Terminus „für die Bezeichnung eines freilich in vielen Sprachen und einer vielfältigen Terminologie bezeichneten Sachverhaltes“.²⁶ Der Begriff des Zufalls bezeichne bereits seit Aristoteles etwas anderes als der Begriff der Kontingenz: Während sich Kontingenz meistens auf etwas Mögliches bezog – und es, so Vogt, „semantisch angeraten ist, den Begriff der Kontingenz in ebendiesem Sinne zu verwenden“ –, bezeichne der Zufall „etwas, was ist, aber eben auf eine spezifische Weise ist. Der Zufall bezieht sich somit niemals auf noch nicht Existierendes, gleichviel, ob es als möglich behauptet wird oder nicht“.²⁷ Auch diese scheinbar griffige Trennung Vogts bedarf allerdings insofern der Spezifizierung, als der Begriff contingens bereits in der schöpfungstheologischen Debatte des 13. Jahrhundert zunehmend vom Begriff possibile getrennt wurde, Kontingenz also nicht mehr einfach alles im eigentlichen Sinne Mögliche erfasse, sondern vielmehr das, was bereits ist, aber eben nicht notwendigerweise ist. Aus dieser Trennung, so bemerkte Vogt selbst, seien „neue Denk- und Sprachgewohnheiten“ erwachsen.²⁸ So ist in der Forschung auch gelegentlich und zu Recht darauf hingewiesen worden, dass die verbreitete „Entgegensetzung von Kontingenz als Handlungshemmung und Handeln als Kontingenzbewältigung“ oberflächlich bleibt.²⁹ Ist Kontingenz ontolo Böhme 2016, S. 5. Vgl. Wetz 1998, S. 30: „Sicherlich bedeute Kontingenz oder Zufall auch Anders- und Nichtseinkönnen. Gleichfalls sei das Zufällige oder Kontingente aber auch das Unbeabsichtigte, Ungewollte, Unbezweckte, das Willkürliche; außerdem das Unerwartete, Ungewohnte, Ungewöhnliche oder Unvorhergesehene; weiter das Undurchschaubare, Unberechenbare, Gesetz- und Regellose, das Beliebige; ferner das Unwesentliche wie auch Abweichende, Vereinzelte sowie das Einmalige, Neue, Individuelle; dann das Grund- und Ursachelose, das Unbestimmte und nicht zuletzt das Unverfügbare, Unabänderliche, das Widerfahrnis, kurz gesagt, die Fügung, die von niemandem verfügt wird, das Schicksal, das niemand geschickt hat“. Vogt 2011, S. 70 f. Bereits Lübbe 1978, S. 246, bemerkte prägnant, es sei nicht ohne Komik, dass alltagssprachlich die Rede vom Zufall durchaus geregelt sei, die theoretische Reflexion hingegen zu einem verwirrenden Wortgebrauch geführt habe. Vogt 2011, S. 144. Das fügt sich zu Haug 1998, S. 151: „Kontingenz ist also Potentialität, der Zufall ist die Aktualisierung von Möglichkeiten in ihrem Rahmen, wobei ‚in ihrem Rahmen‘ meint, daß die Vorgänge eben keiner (erkennbaren) Notwendigkeit gehorchen“. Vogt 2011, S. 55. Dunkel 1989, S. 228 f.
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2 Kontingenz und Zufall in Geschichte(n) – Theoretisch-methodische Überlegungen
gische Bedingung für die Möglichkeit des Zufalls, dann ist sie, als nie vollständig verfügbare, stets unabgeschlossene Lebenswirklichkeit, vielmehr Bedingung der Möglichkeit, Sinn zu konstituieren, weil sie den nötigen Freiraum bietet – Kontingenzerfahrung ist „Vorbedingung menschlicher Autonomie“.³⁰ Kann man sich also, wie aus geschichtstheoretischer Perspektive vor allem Rüsen betont hat, menschliches Leben ohne solche „Erfahrung beunruhigender oder gar zerstörender zeitlicher Veränderung, die quer zu den Hoffnungen, Erwartungen und Absichten geschehen,“ gar nicht denken – und daher „auch nicht ohne die dauernden Bemühungen des Menschen, sie zu überwinden, mit ihnen fertig zu werden“³¹ –, dann verliert Dillmanns Polemik, Kontingenz sei in den letzten Jahren zu einem Modeterminus geworden, an Gewicht.³² Das Gegenteil scheint der Fall. Die geschichtstheoretische Einsicht des 20. Jahrhunderts, dass ganzheitliche Theorieansätze ihre Grenzen erreicht haben, impliziere die Aufgabe, so richtig Arnd Hoffmann, die Frage nach der „spezifischen Unbestimmtheit von Objekten, Phänomenen oder Prozessen“ (immer) wieder ins Zentrum des Erkenntnisinteresses rücken – für die lebenspraktische Dimension von Kontingenzbewältigung sei die theoretische Auseinandersetzung weiterhin „nicht modisch, sondern notwendig“.³³ Damit wird Kontingenz zu einem Reflexionsbegriff, der uns an eine hermeneutische Grenze stoßen lässt: Weder lässt sich ‚Kontingenz‘ als Bezeichnung für bloße ‚Faktizität‘ und ‚Unverfügbarkeit‘ verstehen, noch läßt sie sich als Titel bloßer, auch anders möglicher Interpretativität ausgeben; vielmehr kommt es im ‚Denken von Kontingenz‘ darauf an, gerade diesen Zusammenhang von ‚Perspektivität‘ und ‚Nichteinholbarkeit‘, von ‚Interpretativität‘ und ‚Faktizität‘ sowohl thematisch als auch methodologisch bewußt zu halten.³⁴
Historisch arbeitende Disziplinen wie die Mediävistik, die in der Reflexion ihrer Beobachterperspektive menschliches Verstehen über Zeitabstände hinweg untersuchen, sind damit in besonderem Maße aufgefordert, die Auseinandersetzung mit den Unbestimmtheitsphänomenen Kontingenz und Zufall aktiv zu suchen. Dies nicht zuletzt deshalb, weil, wie Hans Joas betonte, die heutige Sicht auf Geschichte, die „dem
Mertens 2010, S. 204. Rüsen 2001, S. 150. Vgl. Dillmann 2011, S. 2; ähnlich bereits Palonen 1999, S. 5: „Today it is almost fashionable to speak of contingency in political theory, philosophy and historiography. […] the idea of contingency is so multi-faceted that almost everyone can recourse to some of its faces to one’s own purposes“. Hoffmann 2012, S. 49; zustimmend Walter 2005 und Vogt 2011, S. 341. Hoffmann 2005 wurde allerdings dafür kritisiert, das Mittelalter ausgespart und die „Reflexion auf Kontingenz und Zufall als Bedingungen geschichtlicher Erkenntnis“ allein auf Grundlage der „Sozialgeschichtsschreibung des 20. Jahrhunderts“ betrieben zu haben (Herberichs 2010, S. 172). Die geschichtstheoretische Rehabilitierung der Begriffe Kontingenz und Zufall erscheint aber geraten angesicht der Proklamation eines regelrechten „Zeitalters der Kontingenz“ im Zusammenhang von omnipräsent scheinenden Krisen im 21. Jahrhundert; vgl. Joas 2012, S. 24, sowie für das mittelalterliche Island van Nahl 2017a und van Nahl 2018b. Ricken 1999, S. 193.
2.2 Kontingenz und Zufall im Mittelalter – Gelehrte Positionen
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Möglichen gegenüber dem Wirklichen und der Nicht-Selbstverständlichkeit und Nicht-Notwendigkeit des Wirklichen größte Aufmerksamkeit widmet“, historisch weit zurückreiche und erst im Nachvollzug dieser historischen Dimension verständlich würde.³⁵ Dass sich damit neue Perspektiven auf vermeintlich hinlänglich erörterte Kategorien eröffnen, betonte unlängst Uwe Walter: „Unter dem Begriff Kontingenz lassen sich bislang nicht selten isoliert oder gar als Gegensätze betrachtete Grundkategorien historischer Existenz und Reflexion produktiv miteinander verbinden, nämlich Handlung, Struktur, Erfahrung, Wandel und Rationalität“.³⁶ Unter dieser Maxime werden in den folgenden Kapiteln historische Perspektiven herausgearbeitet, die die Konzepte von Kontingenz und Zufall für die vorliegende Studie (und damit, so die Hoffnung, künftige mediävistische Betrachtungen) fruchtbar machen.
2.2 Kontingenz und Zufall im Mittelalter – Gelehrte Positionen 2.2.1 Zur so genannten Renaissance des 12. Jahrhunderts Gelehrte Überlegungen zum entwickelten Fragenkomplex reichen bis zu Aristoteles zurück und viele modernen Betrachtungen beginnen mit Verweis auf den „Vater aller Zufallstheorien“.³⁷ Wie die langen Jahrhunderte des Mittelalters in der vielstimmigen Entwicklung zu charakterisieren sind, ist hingegen eine Frage, die nur schlaglichtartig erörtert worden ist. Sicherlich wird die historische Dimension von Kontingenz seit Langem u. a. aus geschichtstheoretischer, philosophischer und theologischer Perspektive diskutiert.³⁸ Viele Erörterung bleiben aber oft entweder recht abstrakt, ohne konkreten Bezug zu historischen Texten und Kontexten, oder konzentrieren sich auf Einzelgestalten, vornehmlich lateinischsprachige Gelehrte des 13. und 14. Jahrhunderts, etwa Thomas von Aquin († 1274), Johannes Duns Scotus († 1308) oder Wilhelm von Ockham († 1347), bzw. Einzelpersonen der Forschungsgeschichte. Zugleich wird meist nur unscharf zwischen der Entwicklung des Kontingenzbegriffs und der des Zufallsbegriffs getrennt. So ergiebig diese Untersuchungen sein können, so führen sie doch deutlich vor Augen, dass von einem übergreifenden Interesse mediävistischer Disziplinen am Themenkomplex weiterhin keine Rede sein kann. Dieses eigenartige Joas 2011, S. 11; vgl. Leser 1996, S. 16: „So wie wir unser eigenes Leben nicht als bloßen Schauplatz von Kräften und Konflikten, die uns determinieren und uns keine andere Möglichkeit offengelassen haben als die tatsächlich ergriffenen, betrachten können, ohne uns dabei selbst auszuradieren, können wir auch in der Geschichte nicht an unverwirklichten Möglichkeiten, die nicht zum Tragen gekommen sind, aber sehr wohl zum Tragen hätten kommen können, vorbeigehen“. Walter 2017, S. 96. Hier ließe sich an die Skizzen „towards a theory of causation“ bei Hastrup 1990b anschließen, wie sie sie als Quintessenz ihrer anthropologischen Studien zum mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Island vorlegte. Vogt 2011, S. 332. Vgl. u. a. die seit 2016 erscheinende Reihe Kontingenzgeschichten (Becker/Brakensiek/Scheller 2016 ff.).
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2 Kontingenz und Zufall in Geschichte(n) – Theoretisch-methodische Überlegungen
Desinteresse mag nicht zuletzt darin begründet zu sein, dass die Kontingenz- und Zufallsdebatte, gegen die Betonung ihrer historischen Dimension, immer noch geprägt scheint von einem Denken in distinkten Epochen: Der Übergang von der so genannten Vormoderne zur Moderne erscheint als „historischer Umschlagpunkt“,³⁹ vor dessen Eintritt mit einem befremdlich eingeschränkten Interesse an und Verständnis von Welt zu rechnen sei.⁴⁰ Selbst wenn ‚das Mittelalter‘ heute meist nicht mehr zum finsteren Zeitalter degradiert wird,⁴¹ so gereicht die Suggestion von klaren Epochengrenzen der mediävistischen Diskussion doch insofern zum Nachteil, als sie weiterhin eine Simplifikation des Mittelalters zum ‚Zeitalter des Glaubens‘ fördert. Vielfach stößt man in der Forschungsliteratur auf das Axiom, im christlichen Mittelalter sei scheinbar Sinnwidriges leicht zu erklären gewesen: Wenn dem Guten scheinbar sinnloses Leid widerfährt, so verstehe sich dies als „Prüfung seiner moralischen Beharrlichkeit“ in einem heilsgeschichtlichen Plan.⁴² Damit wird ein homogenes mittelalterliches Weltverständnis zur Prämisse gesetzt, das von der erbaulichen Überzeugung des göttlichen Ratschlusses getragen gewesen sei. Scheinbar arbiträre Phänomene wären in einer allumfassenden Ordnung aufgehoben, Providenz und Kontingenz stünden nicht gleichwertig nebeneinander, sondern in einem hierarchischen Verhältnis zueinander.⁴³ Nachhaltige mentalitätsgeschichtliche Entwicklungen
Reichlin 2010a, S. 13 f.; vgl. Schäfer/Wimmer 2004.Wenn Goetz 2008, S. 17, bemerkte, es sei „ebenso möglich wie notwendig, das Geschichtsbild einer ganzen Epoche zu erarbeiten“, dann ist damit ein Anspruch verbunden, der in der vorliegenden Studie nicht angestrebt wird; Goetz hielt zudem fest, „selbst eine uns auf den ersten Blick recht einheitlich erscheinende Epoche wie das Mittelalter“ impliziere natürlich eine „Vielfalt an Geschichtsbildern“ (ebd.). Beispielhaft sei hier nochmals Southern, auch Verfasser der einflussreichen Studie The making of the Middle Ages (Southern 1953; vgl. Melve 2006, S. 234), zitiert: „History was monolithic, and what men knew they knew without ambiguity“ (Southern 1971, S. 160). Bereits zuvor hatte zwar Blumenberg 1981 [1963], S. 47, von der „äußersten Steigerung des Kontingenzbewußtseins im späten Mittelalter“ gesprochen, aus dem „das technische Pathos der Neuzeit“ erwachsen sei, damit allerdings doch eine Zäsur zwischen Mittelalter und Neuzeit vorausgesetzt. Blumenbergs These fand noch jüngst Zustimmung u. a. bei Makropoulos 2020, o.S., der „das Ende der transzendent garantierten Ordnung des Mittelalters“ als Voraussetzung für die Herausbildung einer regelrechten Kontingenzkultur sah, womit „die Kontingenzsemantik eine spezifisch neuzeitliche Semantik“ sei. Speer 1995, S. 5, bemerkte kritisch, die „unvoreingenommene Beschäftigung mit den mittelalterlichen Beiträgen zur Kosmologie und zur Naturphilosophie“ werde durch das „nach wie vor bestehende Vorurteil vom ‚finsteren Mittelalter‘“ nachhaltig gestört; vgl. Herman 2013, S. 195, der eine Überwindung der ‚Dark Ages‘ erst im 11. Jahrhundert einsetzen sah, also den Zeitraum zwischen Antike und Hochmittelalter weiterhin in solcher Weise degradierte. Haug 2003 [1998], S. 65. Unkritisch formulierte noch Hanska 2002, S. 47: „The religious world-view was not only all-explaining, it was also presented as the only possible way of explaining the world“. Gleichwohl räumte sie ein: „Natural philosophers and other learned persons sought to give rational explanations to natural disasters“ (ebd., S. 105). Kritisch Reichlich 2010a, S. 13 f.: „Auf eine einfache Formel gebracht lautet die These: Während in der Vormoderne Kontingenz bloß eine vordergründige Instabilität darstellt, die durch eine höhere zeitlose Ordnung stabilisiert ist, wird in der Moderne die ‚Ordnung‘ selbst kontingent“. Ähnlich Peter Schnyder 2010, S. 390: „Die Versuchung ist groß, die Differenz zwischen Mittelalter und Früher Neuzeit
2.2 Kontingenz und Zufall im Mittelalter – Gelehrte Positionen
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seien, diesem Verständnis folgend, erst im Übergang zu so genannten Frühen Neuzeit um 1500 zu verzeichnen.⁴⁴ Vor allem die jüngere Forschung hat indes versucht, solch schematisches Denkens durch das Schlagwort einer mittelalterlichen Renaissance mentalitätsgeschichtlich aufzulockern. Nicht zu Unrecht sprach Leidulf Melve 2006 im Rückblick von „a virtual explosion of research into the twelfth-century renaissance“.⁴⁵ Diese Forschungsgeschichte, die hinsichtlich der untersuchten Themen und Räume weiterhin Lücken aufweist, kann hier nur in Schlaglichtern beleuchtet werden. Mit der Prämisse eines vielstimmigen, dialektischen, die westliche Welt unaufhaltsam transformierenden 12. Jahrhunderts ist ein fragmentarisches bis widersprüchliches Fundament gesetzt, das, wie Egon Boshof formulierte, von einem „letztlich nicht weiter zu erklärenden Drang nach Erkenntnis bei der nun entstehenden Schicht der Intellektuellen“ geprägt gewesen sei.⁴⁶ Angesichts des zunehmend (an‐)erkannten
als die zwischen einer Epoche der Providenz und einem Zeitalter der Kontingenz zu bestimmen. Jeder genauere Blick zeigt allerdings, dass eine solche Oppositionsbildung in mehrfacher Hinsicht problematisch ist, zumal der Begriff der Kontingenz tief in der Überlieferung der christlichen Philosophie wurzelt“. Das 2015 erschienene Themenheft des Mediävistenverbandes, (Be‐)Gründung von Herrschaft. Strategien zur Bewältigung von Kontingenzerfahrung, illustriert diese Beobachtung, wenn die Herausgeber Kontingenz dezidiert „nicht in einem streng psychologischen, philosophischen oder soziologischen Sinn“ verstanden wissen wollten (Becher et al. 2015, S. 8). In dieser Richtung argumentierte noch Akopyan 2021, S. 6, der die Debatte um „fate und fortune“ zwar in der Theologie des 13. Jahrhunderts vorbereitet sah, eine eigentliche Entwicklung aber erst ab dem 15. Jahrhundert verortete und dabei vor allem der Reformation im 16. Jahrhundert mentalitätsgeschichtliche Bedeutung beimaß: „The Reformation that had eroded the religious unity across Europe; the dramatic socio-political developments of the time; and the proliferation of texts that challenged the notion of universal design, from both philosophical and scientific perspectives, all made the contingent, in general, and one’s personal fate, in particular, matters of notable anxiety“. Melve 2006, S. 232. Charles Haskins leitete sein berühmtes Buch The renaissance of the twelfth century 1927 mit den bezeichnenden Worten ein: „The title of this book will appear to many to contain a flagrant contradiction“ (Haskins 1927, S. v); explizit an Haskins schloss sich später Benson/Constable/ Lanham 1982 an. Zum Begriff einer norrönen Renaissance vgl. Mundal 2007b, deren Ausführungen allerdings unverbindlich blieben, sowie bereits de Vries 1999 [1941], S. 215: „In der Geschichte der westeuropäischen Kultur bedeutet das Jahr 1100 einen scharfen Einschnitt: das dunkle Mittelalter ist zu Ende, eine Zeit der Wiederbelebung fängt an. Man nennt deshalb das 12. Jahrhundert die zweite Renaissance“. Kritisch u. a. White 2014, S. 359 f.: „We sift through the evidence, ignoring what seems unmodern, while looking for little bits of the present embedded in the past as if they were precious ore locked in a rock formation“; sehr kritisch Dinzelbacher 2017 (bes. S. 279 – 284), der das Gros bisheriger Forschung zum Thema als repetitiv und oberflächlich kritisierte. Boshof 2007, S. 270. Stark 2005, S. 35 f., resümierte, bisher hätte niemand eine adäquate Zusammenschau dessen gewagt, was sich zu jener Zeit ereignete. Wird dieses Desiderat für das frühe Mittelalter mittlerweile interdisziplinär angegangen (man denke an die Ergänzungsbände zum Reallexikon der Germanischen Altertumskunde oder Brill’s Series on the Early Middle Ages) und liegt für die Frühe Neuzeit ein momumentales Überblickswerk als facettenreicher Ausgangspunkt vor (vgl. Jauman 2011), so macht sich für die Jahrhunderte dazwischen die nur partielle Aufarbeitung deutlich bemerkbar; vgl. Speer 1995, S. 9, der in der Forschung „die eigene philosophische Bedeutung des 12. Jahrhunderts kaum gewürdigt“ sah, sowie Marenbon 2007, S. 131 f.: „the term ‘renaissanceʼ has too often been used […] in a
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Spektrums an mittelalterlichen Denkstilen wird mittlerweile jedenfalls in berechtigten Zweifel gezogen, dass das Weltverständnis vom 11. bis zum 15. Jahrhundert anhand einfacher Schemata zu erfassen wäre. Gegen die Vorstellung eines monolithischen Mittelalters, das auf die lineare Entwicklung weniger Grundnenner zu reduzieren wäre, hat u. a. Peter Dinzelbacher explizit argumentiert: Wir werden […] viel mehr als bislang bedenken müssen, dass die Mentalität einer bestimmten Periode zwar Tendenzen aufweist, die sich im historischen Rückblick als die ausschlaggebenden erweisen und damit ihre Zeit bestimmt haben, dass es aber in ihr genauso Gegenströmungen gab, dialektische Komponenten, deren Verfall keine vorgegebene geschichtsphilosophische Struktur bewirkte, sondern im einzelnen nur mehr sehr fragmentarisch nachzuvollziehende Entscheidungsprozesse.⁴⁷
Auch dem Gemeinplatz eines ‚Zeitalter des Glaubens‘ wird nun entgegengehalten, dass es spätestens ab dem 12. Jahrhundert unterhalb der Legitimation durch Gott weitere Legitimationsverfahren gegeben habe, die problematische Ereignisse rechtfertigen sollten.⁴⁸ Denn so oft mit der Formel von Gut und Böse operiert worden ist, so musste sie doch, wie bereits Walter Haug eindringlich bemerkte, irgendwann „jedem auch nur einigermaßen sensiblen weltgeschichtlichen Betrachter aufgrund der offenkundigen Unverhältnismäßigkeit von Mittel und Zweck unerträglich erscheinen“.⁴⁹ Dies umso mehr, wenn man hinter den Spekulationen der Scholastiker nicht allein genuine Gelehrsamkeit vermutet, sondern sie als Reaktion auf lebenspraktische Anforderungen versteht; darauf wird zurückzukommen sein. Wenn dem 12. Jahrhundert also mittlerweile Tendenzen einer Zeit der intellektuellen Umwälzung zugesprochen werden, dann lassen sich trotz Forschungslücken mehrere Faktoren für diese Einschätzung anführen. Sicherlich wird man einen Stimulus im Investiturstreit sehen dürfen, durch den, wie Boshof formulierte, „geistige Kräfte entbunden [wurden], die nach weiterer Erkenntnis, nach Wissen und nach der Durchdringung der Glaubens-
certain traditional historiography of medieval Latin philosophy to draw an unfavorable comparison with the thirteenth century“. Die mehrbändige Geistesgeschichte des Mittelalters sowie die Aufarbeitungen zur Philosophiegeschichtsschreibung in Schulthess/Brungs/ Mudroch 2017 mögen eine jüngste Wende andeuten. Dinzelbacher 2006, 210; vgl. jüngst Dinzelbacher 2017 sowie dazu van Nahl 2021. Vgl. Dendle 2008, S. 51: „Every age is an age of ‘faith’ in something or other […] but for the literate community, belief in the existence, nature, and goodness of God was by no means such an unspoken, implicit premise underlying medieval thought. It was not the ‘bedrock’ […] but a vibrant, swirling eddy within the current itself“. Es ist eine gewichtige Momentaufnahme, wenn le Goff 2015, S. 107 und S. 109, mit den prägnanten Worten schloss: „Surely the Renaissance did not more than prolong the Middle Ages. The Middle Ages themselves grew directly out of antiquity, and, if not all of medieval theology, then at least scholasticism from the twelfth century onward relied habitually on rationalist argumentation. […] The reality is that in the course of the Middle Ages there were a number of renaissances, more or less distinctive, more or less triumphant“. Haug 1998, S. 153.
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wahrheiten mit den Mitteln der Vernunft strebten“.⁵⁰ Seit etwa 1100 hatten aber vor allem die Kreuzzüge, die die gesamte westliche Welt ergriffen, erheblichen Anteil an gesellschaftlichen und auch wissenschaftlichen Umwälzungen, weckten sie doch nicht allein Begehrlichkeiten nach materiellem Reichtum, sondern auch nach Wissen, und führten sie zu einem wachsenden Austausch zwischen islamischer und christlicher Gelehrsamkeit.⁵¹ Wohl ist der Umfang dieser Kontakte und ihrer Auswirkungen im Einzelnen unterschiedlich bewertet worden; bereits in den 1920er Jahren hielt Charles Haskins fest: „Plainly the Crusaders were men of action rather than men of learning, and there was little occasion for Western scholars to seek by long journeys to Syria that which they could find nearer home in Spain. Nevertheless, intellectual relations with the Arabs of Syria were not wholly lacking“.⁵² Seine damalige Bemerkung, der Einfluss der Kreuzzüge auf das intellektuelle Leben in Europa sei sehr unterschiedlich bewertet worden, wurde 2008 von Giles Constable kritisch erneuert: „There is no reason to believe that this process of revision is near an end or that any agreement concerning the nature and impact of the crusades will ever be reached“.⁵³ Die Kreuzzüge als Thema nicht allein einer mittelalterlichen intellektuellen Elite, sondern einer breiteren Gesellschaft, werden ebenfalls noch aufzugreifen sein. Zu jener Zeit erreichten Mitteleuropa gelehrte Abhandlungen, Übersetzungen und Kommentare aus dem arabischen Raum, die die christliche Philosophie und Theologie nachhaltig prägen sollten.⁵⁴ Die Vermittlung erfolgte ab etwa 1150 wesentlich über die iberische Halbinsel, vor allem das für seine Übersetzungsaktivität berühmte Toledo, „a nexus of Greek, Arabic, Hebrew, and Latin learning“;⁵⁵ allein dem dort tätigen Gerhard von Cremona († 1187) werden rund 70 Übersetzungen u. a. aus der Philosophie, Mathematik und Medizin zugeschrieben, und Michael Scotus († 1235) wurde berühmt wurde seine Übersetzung von Aristoteles-Kommentaren des Averroes. Fehlten dem lateinischen Mittelalter Kenntnisse des Griechischen weitgehend – und war damit der Zugang zu zahlreichen gelehrten Werken der griechischen Antike zunächst
Boshof 2007, S. 231 f. Dinzelbacher 2006, S. 202, nannte den Investiturstreit ein Paradebeispiel für die „Spaltung einer ursprünglich einheitlichen Weltsicht in einen religiösen und einen profanen Bereich“. „The crusading spirit opened the frontier between Islam and Christendom to a steady trickle of scholars who traveled to Sicily and southern Italy, Asia Minor, and above all Spain“ (Herman 2013, S. 226). Kritisch Rüther 2015, S. 34: „Der gegenwärtige Diskurs gefällt sich darin, davor zu warnen, von dem Islam und den Muslimen zu sprechen, doch gleichwohl werden topische Metakonstrukte vom Westen aufgerufen“. Dieser (zu Recht betonten) Problematik wird hier nicht das Augenmerk geschenkt; vgl weiterführend die Beiträge in Muldoon 2010. Haskins 1927, S. 130. Herman 2013, S. 225, bemerkte, zumindest hätten die Kreuzzüge den in Toledo erarbeiteten Übersetzungen „an eager and grateful audience“ verschafft; vgl. zur Einordnung Fried 2009, S. 225 – 238. Constable 2008, S. 32. Einen konzisen Überblick über relevante Entwicklungen der arabischen Philosophie bietet Mazal 2006, S. 339 – 360; vgl. weiterführend Speer/Wegener 2006. Copeland/Sluiter 2009, S. 368; vgl. weiterführend Puig 1994, Menocal 2006 und Hasse 2013.
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verschlossen gewesen –,⁵⁶ so beförderten ab dem späten 12. Jahrhundert diese in rascher Abfolge übertragenen Schriften des Aristoteles eine Wende, die Robert Bartlett nicht zu Unrecht als „one of the most dramatic reversals in European intellectual history“ bezeichnete.⁵⁷
2.2.2 Die Wiederentdeckung des Aristoteles Die Bedeutung der Wiederentdeckung und Aneignung aristotelischer Schriften ist geistesgeschichtlich nicht zu überschätzen. Die unüberschaubare Forschung stimmt darin überein, in der Aristotelesrezeption einen für das Abendland einschneidenden Vorgang zu sehen.⁵⁸ Es wurde gar dafür argumentiert, die Herausbildung einer europäischen Intellektuellenkultur ab dem 12. Jahrhundert weder unmittelbar an die Entstehung der Universitäten, noch an die Entwicklung einer Städtekultur zu knüpfen, sondern ihren Ursprung allein in der intensivierten Auseinandersetzung mit der griechischen Philosophie zu sehen – eine Auseinandersetzung, die den verhandelten Werken in Übersetzungen und Kommentaren (auch volkssprachlich) verschiedene Ausprägungen verliehen hätte. So deutlich dürfte die Trennung von Intellektuellenund Universitätskultur für den betreffenden Zeitraum indes nicht möglich sein.⁵⁹ Denn wenn das 12. Jahrhundert heute als ‚logisches Jahrhundert‘ betitelt wird, dann auch deshalb, weil die Probleme der Logik, wie sie aus der Rezeption der griechischen Philosophie erwachsen waren, gerade im Zusammenhang mit den Neugründungen der Schulen, etwa in Paris, Hochkonjunktur hatten. Einige logische Schriften des Aristoteles hatten zu dieser Zeit durch den spätantiken Gelehrten Boethius bereits Einfluss auf die Scholastik genommen; letzterer hatte den Plan einer umfangreichen Aristotelesübersetzung skizziert, ein monumentales Unterfangen, das er nie zum Abschluss brachte.⁶⁰ Dennoch war es wesentlich Boethius’ Entscheidung, unter wel Vgl. pointiert Berschin 1980, S. 31: „Man hatte genug mit dem Lateinischen zu tun, das niemandem mehr an der Wiege gesungen wurde, und das dennoch als Liturgie- und Reichssprache, als Sprache der Wissenschaft und der meisten Künste unentbehrlich war und fast alle Energie des Sprachenlernens an sich zog. Das Griechische konnte bestenfalls ‚zweite Fremdsprache‘ werden“. Bartlett 2008, S. 30. Vgl. u. a. Bartlett 2008, S. 31: „What the works of Aristotle, along with the other Greek and Arabic texts which were translated in this period, offered the Latin West was something new – systematic, naturalistic, and rationalistic analysis of the world from a non-Christian viewpoint“; vgl. auch Beuerle 2010, S. 28: „Über mehrere Jahrhunderte und in verschiedenen Stufen und Stadien arbeitete sich das Mittelalter an der Unfertigkeit und Widersprüchlichkeit des aristotelischen Werkes ab, die scholastische Wissenschaft entstand wesentlich im Lesen und Kommentieren seiner Texte“, sowie Shank 2011, S. 84: „By the eleventh and twelfth centuries, larger numbers of scholars built on these earlier efforts by translating and absorbing a massive library of natural-philosophical, medical, astrological, and mathematical works primarily from the Arabic. The thirteenth century marks a turning point in the histories of world culture and of the scientific enterprise“; vgl. zur Einordnung Wood 2014. Vgl. die Diskussion bei Wei 2012, S. 87– 169, sowie Courtenay 2006. Vgl. Ebbesen 2011.
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chem Vokabular die aristotelische Logik Eingang in die philosophisch-theologische Diskussion der Scholastik fand.⁶¹ Für die Scholastiker scheint Boethius’ aus diversen Quellen schöpfendes Œuvre zunächst weitgehend unproblematisch gewesen zu sein.⁶² Doch dessen Verschmelzung aristotelischer Konzepte von Möglichkeit, Wirklichkeit und Notwendigkeit in dem ambigen Terminus contingens implizierte für das Mittelalter ein großes Konfliktpotential.⁶³ Boethiusʼ Consolatio zählte zu den meistrezipierten Werken im Mittelalter – sie gibt aber keine eindeutige Antwort auf die zentrale Frage, in welches Verhältnis Kontingenz und Providenz zu setzen seien: Wie lassen sich Ideen von Unendlichkeit, Ewigkeit und Notwendigkeit mit der Sphäre des Endlichen und Kontingenten in Einklang bringen?⁶⁴ Hier sind bei Boethius zwei Aspekte bedenkenswert. Zum einen die Vorstellung von causae, deren Zusammenwirken für den Menschen nur unvollständig durchschaubar sei: Boethius hatte auf das Merkmal der sich verkettenden Umstände, der confluentes causae, Wert gelegt um zu zeigen, daß ein Zufall sich nicht als isolierte Erscheinung ereignet, daß er vielmehr aus der alles nach Zeit und Ort bestimmenden göttlichen Providenz hervorgeht, Zufall somit stets nur scheinbarer Zufall ist.⁶⁵
Solch unvorhersehbares Zusammenprallen von Kausalketten hatte bereits Aristoteles thematisiert, und noch Thomas von Aquin sollte später die menschliche Zufallsanfälligkeit durch Zweit- und Drittursachen erklären. In Boethius’ Consolatio kommt aber zum anderen der Fortuna als personifizierter Schicksalsmacht eine wichtige Funktion zu. Jerold Frakes hat diese Position grundlegend herausgearbeitet, wenn er festhielt, die Fortuna bei Boethius erschiene zwar als „the capricious controller of material goods“, hätte aber keine Kontrolle über des Menschen „true, internal, spiritual good“.⁶⁶ Die antike Charakterisierung der Fortuna als Göttin des Zufalls nahm mit ihrer Instrumentalisierung durch Boethius insofern ihr Ende, um in der mittelalterlichen Geschichtsschreibung als vielschichtigeres Phänomen neu in Erscheinung zu treten.⁶⁷ Die Virulenz des Themas zeigte sich spätestens im 12. Jahrhundert, als die bei
Vgl. Sweeney 2006; Vogt 2011, S. 50, sprach treffend von „semantische[n] Schleusen, durch welche der Begriff ‚contingens‘ Eintritt in die nachantike und mittelalterliche Welt, vor allem in die theologische Diskussion dieser Zeit fand“. Vgl. Marenbon 2011, S. 65, und Magnano 2013, S. 170, sowie umfangreich Lagerlund 2008. Vgl. Schulthess 2010, S. 67, der gar von einer „Unsitte“ des Boethius sprach. Vgl. Massie 2011, S. 217; die Darlegung einer möglichen Antwort des Boethius bei Huber 1976, S. 58 – „Gottes Vorsehung erkennt das zukünftig Mögliche als Gegenwärtiges in bedingter Notwendigkeit“ – lässt Spielraum für Interpretation. Worstbrock 1995, S. 40. Frakes 1988, S. 34. Vgl. Goetz 2007, S. 590: „Der gar nicht seltene Rückgriff der Chronisten auf dieses Motiv resultiert, wie ich meine, gerade aus dieser Unbestimmtheit, die es erlaubte, fortuna auf das (ebenfalls unbestimmte und oft unbegreifliche) historische Geschehen zu beziehen, und zwar, mit einem gewissen Unbehagen, vor allem dann, wenn der Ausgang den Erwartungen widersprach“. Zur weiteren Entwicklung vgl. die Beiträge in Brendecke/Vogt 2017.
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Boethius wesentlich negative Konnotation des Zufälligen der Auffassung des Zufalls als Chance wich: „Das Kalkül stellt sich dem Risiko. Die Veränderbarkeit der Welt provoziert das subjektive Wagnis, das Spiel mit dem Glück“,⁶⁸ wie Haug formulierte. Die neu übertragenen und kommentierten Schriften des Aristoteles, die wieder ein regelrechtes corpus aristotelicum zu formen begannen, boten zugleich die Möglichkeit, der Frage nach dem Verhältnis von Schöpfer und Schöpfung wissenschaftlichrational zu begegnen: „Die Lateiner entdecken in Aristoteles eine Gesamtdeutung von Wirklichkeit unter dem Anspruch der reinen Vernunft“.⁶⁹ Diese Entdeckung verliert auch dann nicht an Gewicht, wenn man eine „deutliche Lücke zwischen der ‚Wiederentdeckung‘ des Aristoteles und seiner Aneignung“⁷⁰ annimmt, die nachhaltige Aristotelesrezeption jenseits der Logik also erst im 13. Jahrhundert ansetzt. Sie entspringe, so Andreas Speer, einem „theoretischen Impuls“: Damit ist der Vorgang der ‚Entdeckung‘ der Eigengesetzlichkeit, Konstitution und Struktur der Natur im Sinne einer physisch-physikalischen Realität durch die von theologischen Prämissen unabhängige Vernunft gemeint, die sich ihrer Erkenntnis nunmehr allein durch wissenschaftliche, der logischen Form des Arguments verpflichteten Begründungsverfahren zu versichern suchte.⁷¹
Aristoteles’ Wissenschaftstheorie bot keinen Platz für Glaubenssätze, der Grundgedanke seiner Argumentation war das systematische Hinterfragen des ‚Warum‘, die Frage nach Ursachen: Wissen, darin lässt sich Aristoteles folgen, bedeutet zuallererst das Wissen um den Grund einer Sache.⁷² Es handelte sich hier insofern um keinen Säkularisierungsprozess (in dem religiöser Glaube gar mit ‚Unglaube‘ o. ä. zu kontrastieren wäre),⁷³ sondern um das Streben nach der intellektuellen Durchdringung der Schöpfung – es ging, wie Kurt Flasch prägnant formulierte, um die „Gewinnung eines Diskussionsfreiraums“.⁷⁴ Das Interesse an logisch-rationaler Welterkenntnis Haug 2003 [1998], S. 68 f. Auf den Bedeutungswandel des wesentlich von Boethius etablierten Rads der Fortuna (vgl. Radding 1992) verwies Reichlin 2010b, S. 247, für die mittelhochdeutsche Literatur: „Damit […] wird der Topos des gelükes rat radikal umgedeutet: Er verweist nicht mehr auf transzendente Werte, sondern auf das schnelle Ergreifen der Möglichkeiten, die im unsteten Wandel aufblitzen“; vgl. auch Lyons 2012, S. 15: Boethius’ „most important contribution to the history of chance“ sei die Verknüpfung einer kontingenten Welt mit eingängigen Bildern gewesen, sei es das sich stetig drehende Rad, der unberechenbare Wind oder die unbezähmbare See. Söder 2014, S. 134. Söder 2008, S. 56. Speer 2007, S. 28. Vgl. Gaybba 1988, S. 154: „A causal relationship is intelligible. A mere event in its contingency is not. Intelligibility involves seeing or explaining why something is the way it is“. Zur Problematik vgl. Dinzelbacher 2009. Das Interesse an „blind fate“ und „fatalism“ im 12. Jahrhundert, so hielt Dinzelbacher 2017, S. 127, noch einmal fest, sei nicht erklärbar durch „the new reception of classical references only; it also was a half-conscious manifestation of an intellectual experiment, viz. preliminarily disbelief“. Flasch 2013, S. 413; vgl. Fichtenau 1998, S. 315: „Aristotle did not supplant theology, but he was now a more attractive topic of study“.
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ergriff in der Tat frühzeitig einflussreiche Gelehrte.⁷⁵ Anselm von Canterbury († 1109), der bisweilen so bezeichnete Begründer der Scholastik, prägte die Formel des fides quaerens intellectum, des Glaubens, der nach Einsicht sucht – dem spezifischen Argument wurde nun gegenüber der Autorität der Kirchenväter verstärkt Bedeutung eingeräumt, und in dieser Suche nach rationes necessariae‚ nach notwendigen Gründen, wurde zugleich die Kontingenz menschlicher Erkenntnis deutlich.⁷⁶ Wenig später sollten u. a. Hugo von Sankt Viktor († 1141), Anselm von Havelberg († 1158) und Otto von Freising († 1158) einen Typus von Universalgeschichtsschreibung etablieren, in der Menschheitsgeschichte als dymanische Geschichte verstanden wurde, die durch Kontinuitäten, aber auch durch Wandel gekennzeichnet sei.⁷⁷ Um 1122 war es Peter Abelard († 1142), der in seiner Abhandlung Sic et non die berühmte Maxime aufstellte: dubitando quippe ad inquisitionem venimus; inquirendo veritatem percipimus, ‘indem wir zweifeln, gelangen wir zur Untersuchung, und indem wir untersuchen, begreifen wir die Wahrheitʼ.⁷⁸ Vergleichbaren Rationalismus, den ‚methodischen Zweifel‘, bezeugt zeitnah der „Anhänger eines extremen Realismus“⁷⁹ Wilhelm von Conches († nach 1154), neben seinen naturphilosophischen Schriften vor allem als Kommentator von Boethius und Platon bekannt und auch im altisländischen gelehrten Schrifttum (anonym) zitiert:⁸⁰ In seiner vielgelesenen Philosophia Mundi forderte er auf, in allen Dingen den Grund für ihr So-und-nicht-anders-Sein zu suchen.⁸¹
„The twelfth century desacrilizes nature, proclaiming both the intelligibility of the natural world and the efficacy of human inquiry“, wie Gross 2005, S. 90, griffig formulierte. Vgl. grundlegend Chenu 1997 [1957], S. 5: „Our concern is with the realization which laid hold upon these men of the twelfth century when they thought of themselves as confronting an external, present, intelligible, and active reality […] – a realization which struck them at the very moment when, with no less a shock, they reflected that they were themselves caught up within the framework of nature“, sowie zur scientia naturalis Speer 1995. Vgl. Schönberger 2004, S. 25: „Ein Argument von der verlangten Unwiderleglichkeit muss einem nicht einfallen. […] Die Gewinnung solcher Einsichten kann daher nur punktuell und in kontingenter Weise erreicht werden. ‚Punktuell‘ – dies darf nur so verstanden werden, dass nicht das Ganze der Offenbarung in die Form vernünftiger Einsicht überführt wird“; vgl. dazu Zimmermann 2010, S. 212. Vgl. Goetz 2008, S. 209: „Es gab ein Bewußtsein einzelner Wandlungen, aber auch einer grundsätzlichen, im Wesen des von der Zeit geprägten irdischen Daseins liegenden Vergänglichkeit und Wandelbarkeit alles Geschichtlichen schlechthin, einer mutabilitas, die wohl nirgends deutlicher zum Tragen kommt als in den Werken Ottos von Freising. […] Eine solche Einschätzung wurde von Ottos Zeitgenossen durchaus geteilt“; vgl. Campopiano/Bainton 2017 und Feiss/Mousseau 2017. Boyer/McKeon 1976, S. 103; vgl. Mazal 2006, S. 323: „Die Bedeutung des Buches [d.i. Sic et non] liegt in seinem Beitrag zur Entwicklung der scholastischen Methode, verschiedene Ansichten und Gründe für dieselben anzuführen und Lösungen der Probleme zu suchen“. Peter, so meinte Ursula Schaefer, sei mit seinen Schriften zudem „hervorragender Zeuge für die ‚Entdeckung der Individualität im 12. Jahrhundert‘ (Schaefer 1996, S. 54); zum Begriff der Wahrheit bei Abelard vgl. Bezner 2007. Mazal 2006, S. 329. Vgl. Kap. 1.2.4.2. „Wilhelm hielt es für eine nicht hinnehmbare Beeinträchtigung der Suche nach wahrer Erkenntnis, die Naturdinge lediglich gebrochen durch traditionelle Muster symbolischer Deutung zu betrachten. Es schien ihm wissenschaftlich unbedingt erforderlich, die Dinge in der ihnen eigenen Gestalt zu erfassen
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Auch Wilhelms Zeitgenosse Adelard von Bath († 1152), weitgereister Übersetzer aus dem Arabischen, forderte in seinen Quaestiones naturales dazu auf, die Dinge genau zu untersuchen, äußere Umstände zu bedenken und Kausalitäten anzusetzen – denn seien Wirkungsweisen (rerum effectus) einmal durchschaut, so sein Fazit, dann könnten die Resultate nicht verwundern.⁸² Und die Aussage im Text: de homine enim homines disputare convenit, ‘es geziemt sich, dass Menschen sich über den Menschen wissenschaftlich austauschen’,⁸³ ist bezeichnendes Zeugnis für den Stellenwert, den das Thema ‚Mensch‘ in philosophischer Reflexion bereits einnahm.⁸⁴ Johannes von Salisbury († 1180), Schüler von Adelard und Wilhelm, hielt bereits einige Jahre später in seinem Metalogicon (um 1155) fest, Aristoteles sei eine Autorität in vielen Disziplinen, aber in Fragen der Logik sei er die einzige.⁸⁵ Mit seinen Ausführungen war aber über die ambige Ansprache des aristotelischen Möglichkeitsbegriffs bei Boethius ein bedeutsamer Schritt getan. Kontingenz war schon bei Aristoteles zweifach angelegt, erstens als das, „was möglich ist, insofern es nicht unmöglich ist“ (contingens est, quod non est impossibile), zweitens als das, „was möglich ist, insofern es weder unmöglich noch notwendig ist“ (contingens est, quod est nec impossibile nec necessarium).⁸⁶ Gemein ist beiden Begriffen der Bezug von Kontingenz zum Möglichen (possibile). Eine vermeintliche Synonymität, wie Boethius’ Terminus contingens sie suggerieren konnte, wurde bei Johannes von Salisbury nun dezidiert in Frage gestellt, sein Metalogicon daher nicht umsonst als die „entscheidende Inaugurationsurkunde dieses neuartigen Kontingenzverständnisses“⁸⁷ bezeichnet. Neu war die Definition von Kontingenz als das nicht notwendige Wirkliche: Im 13. Jahrhundert sollte daraus die Vorstellung einer Kontingenz von Welt an sich erwachsen, in der das Wirkliche als
und sie in ihrer Entstehung ebenso wie in ihrer Struktur und Funktion aus den ihnen eigenen, natürlichen Ursachen heraus zu erklären“ (Köhler 2000, S. 53). Anthropologisch bedeutsam in Wilhelms Ansichten, so Theodor Köhler, sei gewesen, dass er „das Eingebundensein des Menschen in die Natur nicht nur statisch als Zustand auffaßt, sondern ebenso auch dynamisch als ein Geschehen“ (ebd., S. 57). Vgl. Marenbon 2007, S. 151: „As a natural scientist, William […] is noteworthy for his keenness to explain away whatever he found physically improbable in the Bible“. „Die Wirkungen der Dinge gehen aus einer außerordentlich feinen Verbindung von vorausliegenden Ursachen hervor, und die Ursachen unterscheiden sich untereinander hinsichtlich ihrer außerordentlich feinen Wirkungen, die zwischen diesen bestehen“ (zitiert nach Speer 1995, S. 56); vgl. Daston/Park 1998, S. 109. Zitiert nach Köhler 2000, S. 52. Vgl. Aertsen 2002, S. 61: „Die Annahme, daß der Mensch im Zuge seiner Selbsterkenntnis alles erkenne, setzt notwendigerweise einen zumindest logisch gestuften Erkenntnisprozeß voraus, in welchem der Mensch ein primär zu Erkennendes bzw. ein Erkanntes darstellt, das die Erkenntnis aller übrigen Dinge vermittelt“. Vgl. Hermand-Schebat 2015, 193. Johannes’ Skeptizismus wird bereits im Vorwort zum Metalogicon deutlich, wenn er festhält: „Being an Academician in matters that are doubtful to a wise man, I cannot swear to the truth of what I say. Whether such propositions may be true or false, I am satisfied with probable certitude“ (McGarry 1955, S. 6). Vogt 2011, S. 53. Vogt 2011, S. 54.
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alleiniger Bezugspunkt des Möglichen nachhaltig in Zweifel gezogen wurde.⁸⁸ Peter Vogt ist insofern darin zuzustimmen, dass wir es hier mit dem „begriffsgeschichtlichen Geflecht[…] eines sukzessiven und dabei doch niemals einheitlich und widerspruchslos verlaufenden Prozesses der Transformation des Begriffs und der Auffassung der Kontingenz“ zu tun haben.⁸⁹ Wie ist diese Begriffsgeschichte, die bei aller Brisanz ja nur einen Aspekt der weiteren Entwicklung darstellt, wissenschafts- und mentalitätsgeschichtlich zu verorten? Neben eine religiöse Offenbarungswahrheit, die allein im Glauben Teilhabe erlaubte, trat im gelehrten Bewusstsein des 12. Jahrhunderts, das verdeutlichen die genannten Beispiele, eine weltliche Wahrheit, die der menschlichen Vernunft zugänglich war. Diese Prämisse einer intellektuell durchschaubaren Weltordnung bedeutete eine grundlegende Neubewertung der theoretischen Leistungsfähigkeit des menschlichen Denkens, fachte das Streben nach rationaler Welterkenntnis weiter an. Aristoteles nahm in dieser Bewegung keine alleinige Stellung ein, wohl aber ab dem späten 12. Jahrhundert eine zeitweise unübertroffen gewichtige.⁹⁰ Das scholastische Aristotelesverständnis als „monolithische Formation“ zu begreifen, wäre, wie der vorausgehende Blick auf die Wandlung des Kontingenzverständnisses zeigte, verfehlt;⁹¹ gerade die Frage nach deterministischen Tendenzen im aristotelischen Denken sei, wie David Lindberg betonte, „a very thorny one“.⁹² Aristoteles’ Wirkungsgeschichte vom vierten vorchristlichen Jahrhundert bis zu Thomas von Aquin im vorangeschrittenen 13. Jahrhundert (und darüber hinaus), mit Wegen u. a. über die arabischen Kommentatoren Avicenna († 1037) und Averroes († 1198) sowie deren Übersetzer,⁹³ wurde einerseits als Paradebeispiel für transkulturelle Verflechtungen
Vgl. Stoellger 2000, S. 86: „Erst hier wird die strikte Kontingenz, als das, was nicht unmöglich, nicht notwendig und nicht nur möglich, sondern faktisch ist, präzisiert“; vgl. Kap. 2.2.3. Vogt 2011, S. 55. Vgl. Elamrani-Jamal 1994; kritisch Speer 1995, S. 9: „Was hat das Interesse an den aristotelischen Schriften ausgelöst? Warum unterzog man sich der Mühe einer umfangreichen Übersetzungsarbeit aus dem Griechischen und Arabischen? Wie ist das Verhältnis zwischen Übersetzertätigkeit und Rezeption zu bewerten?“ Hier ist keine Pauschalantwort möglich; argumentiert wird in Kap. 2.3 für den in der Forschung vernachlässigten Einfluss der lebenspraktischen Dimension von Kontingenz und Zufall auf die zeitgenössische Gelehrtenwelt; das Interesse an Aristoteles dürfte nicht allein Ausdruck intellektueller Neugier gewesen sein, sondern auch Reaktion auf neue Erklärungsansprüche in Auseinandersetzung mit einer im Wandel begriffenen Welt generell. Knebel 2006, S. 663. Zum Forschungsstand um die Jahrtausendwende kritisch Schupp 2003, S. 331: „Unsere Kenntnis des Aristotelismus des 13. und des beginnenden 14. Jhd.s ist aufgrund der Forschungslage immer noch eher unzureichend“. Kritisiert wurde auch die Tendenz der Forschung, scholastisches Denken in distinkte Schulmeinungen zu zerlegen (vgl. Courtenay 2006, S. 39 f.). Lindberg 2007, S. 230. Beispielhaft kritisch (im Blick auf die aristotelische Poetik) Wels 2005, S. 305: „Der Text des Averroes wurde in der Forschung bisher wahlweise als Übersetzung, Kommentar oder Paraphrase bezeichnet, jedoch bestimmen alle diese Begriffe den Charakter des Textes nur sehr ungenau“. Der Einfluss von Averroes und Avicenna auf die scholastische Rezeption der aristotelischen Schriften kann hier nicht verfolgt werden; Amos Bertolacci bemerkte noch 2013: „A clear and complete picture of
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herangezogen. Andererseits ist sie nicht zu Unrecht als Kette von Mißverständnissen bewertet, geschuldet dem Unvermögen von Übersetzern, Kommentatoren und Forschern (bis auf den heutigen Tag) gleichermaßen kompetent im Persischen, Arabischen, Griechischen und Lateinischen zu sein und Quellenkritik zu betreiben.⁹⁴Allerdings, darin ist Volkhard Wels nachdrücklich zuzustimmen, wäre es auch falsch, die Eigenständigenkeiten von Übertragungen „durch einen Vergleich mit dem aristotelischen Text zu einem bloßen Missverständnis zu degradieren“.⁹⁵ Details und Implikationen solch fruchtbarer Missverständnisse und kulturell bedingter Umarbeitungen sind oft herausgearbeitet worden, ohne dass der vielschichtige Rezeptionsprozess, der zunehmend über aristotelisches Gedankengut hinausführte, durchweg offenliegen würde.⁹⁶ Hier kann es entsprechend nicht um eine Bewertung des scholastischen Aristotelismus in seinen Ausformungen gehen. Wie Joachim Söder festhielt, sei Aristoteles in der Scholastik nicht zur Autorität geworden, „weil man ihm glaubt, sondern weil er Argumente bietet, die der Vernunft zugänglich sind. Und in eben dem Maß, wie die Vernunft noch bessere Argumente findet, wird auch die Autorität des Aristoteles kritisierbar“.⁹⁷
2.2.3 Kontingenz und Theologie Das intellektuelle Milieu des 13. Jahrhunderts erfuhr in der kritischen AristotelesRezeption wegweisende Impulse, anhand derer auch Konzepte von Kontingenz und Zufall in ihrem mittelalterlichen Verständnis beleuchtet werden müssen. Ab dem frühen 13. Jahrhundert, als die Beschränkung auf den „Kult der Logik“⁹⁸ fallen gelassen worden war, wurden durch die rationale Argumentation entlang aristotelischer
Avicenna’s influence in Latin is still lacking“ (Bertolacci 2013, S. 243); im gegebenen Kontext besteht kein Anlass, einen weiteren kursorischen Überblick anzufügen. Zur Kritik vgl. Bertau 2005, S. 222– 224; vgl. bereits Haskins 1924, S. 153: „If Plato could be found only in the Greek, Aristotle was available also in Arabic, and for most of his works there exist two or more parallel Latin versions“. Vgl. König 2016, S. 143 f.: „Aristotelische Ideen waren also in hohem Maße räumlichen, zeitlichen und sozialen bzw. soziokulturellen Dynamiken ausgesetzt, wurden hierdurch immer wieder in neue Kontexte eingebunden und banden selbst neue Rezipientengruppen zusammen“. Wels 2005, S. 311. Vgl. die exemplarische Aufarbeitung in Horn/Neschke-Hentschke 2008; Zimmermann 2001, S. 410, bemerkte kritisch, es herrsche weiterhin eine „gewisse Verwirrung“. Söder 2014, S. 138. Frühes Beispiel für diese skeptische Einschätzung ist Johannesʼ von Salisbury Bemerkung im Metalogicon: „I do not claim that Aristotle is always correct in his views and teaching, as though everything he has written were sacrosanct. It has been proven, both by reason and by the authority of faith, that Aristotle has erred on several points“ (McGarry 1955, S. 243 f.); vgl. HermandSchebat 2015, S. 194. Mazal 2006, S. 371.
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Prinzipien auch die Schöpfungstheologie in produktiver Weise herausgefordert.⁹⁹ Es war diese Konfrontation, die Aristoteles zum „ernsten theologischen Problem“ werden ließ, wie Fritz Peter Knapp formulierte;¹⁰⁰ Ludger Honnefelder sprach gar von einer „durch die Aristoteles-Rezeption ausgelöste[n] Krise des 13. Jahrhunderts“.¹⁰¹ 1210 trat in Paris das berühmte Aristotelesverbot in Kraft, das jegliche Lektüre aristotelischer Schriften zur Naturphilosophie mit der Exkommunikation bedrohte;¹⁰² 1215 wurde dieses Verbot im Auftrag von Papst Innozenz III. auf die Metaphysik ausgeweitet, bevor es 1231 von Papst Gregor IX. nochmals bestätigt wurde, dahingehend spezifiziert, dass die „heterodoxe Auslegung“ der aristotelischen Schriften nicht Gegenstand des offiziellen Unterrichts sein dürfe – eine Mahnung an die Magister der Universität.¹⁰³ 1245 verbot Papst Innozenz IV. dann auch an der Universität Toulouse aristotelische Schriften; nach Gründung der Universität 1229 war Toulouse zunächst prominentes Refugium für Aristotelesstudien gewesen.¹⁰⁴ Doch trugen die wiederholten Verbote wohl vor allem zur Faszination an Aristoteles bei. Der englische Theologe und Philosoph Robert Grosseteste († 1253) etwa war vermutlich 1210 zu Studien in Paris gewesen und erarbeitete dann in den 1220er und 30er Jahren sowohl seine Aristoteles-Kommentare als auch seine naturphilosophischen Schriften, die, so Andreas Speer, „ein aufschlussreiches Beispiel für jene philosophischen Motive [seien], die für das Interesse an den aristotelischen Schriften maßgeblich wurden“.¹⁰⁵ Auch Wilhelm von Auvergne († 1249) setzte sich als Bischof von Paris bereits ab 1228 kritisch, aber keinesfalls einseitig verurteilend mit aristotelischem Gedankengut auseinander; er erscheint damit gleichsam als weiterer Vorarbeiter von Albert dem Großen († 1280):¹⁰⁶ Der Lehrer von Thomas von Aquin und
Nicht umsonst hielt Honnefelder 1991, S. 250, fest, dem 13. Jahrhundert käme philosophiehistorisch besondere Bedeutung zu: „Von den philosophischen Fragestellungen und Lösungswegen, durch die die Epoche über sich hinaus weist und das Denken der Neuzeit bestimmt, nehmen die meisten hier ihren Anfang“; vgl. Speer 1995, S. 10: „Zweifelsohne müssen die […] systematischen Entwürfe der Philosophie und Theologie im 13. Jahrhundert auch als Antworten auf jene Fragen verstanden werden, die im 12. Jahrhundert zur Erschließung und Aneignung neuer Quellen führten. Diese Quellen werden jedoch nicht nur übersetzt; ihre Wirkung setzt vielmehr erst zusammen mit ihrer systematischen Erschließung ein, die stets im Zusammenhang bestimmter Fragen und Problemstellungen erfolgt“. Nicht bruchlos zu dieser Bemerkung warnte Andreas Speer davor, die eigenständige Bedeutung des 12. Jahrhunderts gegenüber dem 13. Jahrhundert herabzusetzen (vgl. FN 46, S. 85 f). Knapp 2011, S. 109. Honnefelder 2011, S. 10. „Nec libri Aristotelis de naturali philosophia nec commenta legantur Parisius publice vel secreto, et hoc sub pena excommunicationis inhibemus, Aristoteles’ Bücher über die natürliche Philosophie sowie die Kommentare zu ihnen sollen in Paris nicht gelesen werden, weder öffentlich noch privat, und dies unter Androhung der Exkommunikation“ (Bartlett 2008, S. 30). Heinzmann 2008, S. 159. Vgl. Herman 2013, S. 232, und Weinberg 2016, S. 127– 132. Speer 2007, S. 39. Vgl. Schupp 2003, S. 330 f.: „Schon bei Wilhelm […] ist die Überlegenheit der aristotelischen Begrifflichkeit nicht zu übersehen, und dies bedeutet auf längere Sicht: Der Augustinismus muß sich
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spätere Schutzpatron der Naturwissenschaften entwarf um 1250 den Plan eines umfassenden Gesamtkommentars zu Aristoteles’ Werk;¹⁰⁷ Albert, selbst „an astute observer of nature“,¹⁰⁸ war ab den 1240er Jahren in Paris mit aristotelischem Gedankengut konfrontiert und hatte in den übertragenen Schriften und ihren Kommentierungen einen systematischen Rahmen gefunden, innerhalb dessen er seine eigenen Überlegungen ordnen konnte.¹⁰⁹ Die erste uns bekannte vollständige Übertragung von Aristoteles’ Schriften ins Lateinische leistete dann zeitnah (wohl wesentlich im Auftrag von Thomas von Aquin) Wilhelm von Moerbeke († 1286).¹¹⁰ Bemerkenswert ist schließlich auch, dass um 1255 die bis dahin übertragenen Schriften des Aristoteles gar zur Pflichtlektüre an der Pariser Artistenfakultät erklärt wurden. Doch war das aristotelische Denken damit keinesfalls generell entlastet: 1277 wurde der Lehrsatz: quod causa prima non posset plures mundos facere, ‘die erste Ursache kann nicht viele Welten schaffen’, vom Pariser Bischof Stefan Tempier offiziell verboten, schränke doch Aristoteles’ Argumentation gegen die Möglichkeit der Existenz einer anderen Welt als der bestehenden Gottes Allmacht ein.¹¹¹ Die Verbote von 1210 und 1215 waren insofern erste theologische Reaktionen auf das wachsende Interesse an einem durch Aristoteles’ Schriften beförderten Weltverständnis, „das seinen universalen Anspruch nicht auf das von Gott geoffenbarte Wort, sondern auf die durch Wissenschaftlichkeit sich ausweisende Vernunft stützt“.¹¹² Eine Entwicklung die wiederum zu verorten ist im geistigen Milieu der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts,
gegenüber dem Aristotelismus legitimieren. Wilhelm hatte auch schon ganz klar erfaßt, daß eine wissenschaftstheoretische Abgrenzung von Philosophie und Theologie erarbeitet werden mußte, und er erkannte auch die systematische Eigenständigkeit der Philosophie an“. Vgl. Söder 2014, S. 134 f. Wallace 1982, S. 462. „Zwar sah Albertus den Stagiriten nicht als unfehlbar an und bemerkte sogar, dass man in Sachen des Glaubens und der Moral eher auf Augustinus als auf Aristoteles hören solle, falls sich beide widersprächen; doch glaubte Albertus, dass eine Synthese der neuen, aus griechischer und arabischer Wissenschaft gespeisten Bildung mit dem Christentum möglich, ja notwendig sei“ (Mazal 2006, S. 371). Flasch 2013, S. 412, bezeichnete Albert gar als direkten Vorläufer der radikalen Aristoteliker. In diesen Zusammenhang sei Augenmerk gerichtet auf die um 1260 entstandene Übersetzung von Aristoteles’ Politik, die von Albert und Thomas rezipiert wurde – Thomas machte sich dabei Aristoteles’ Konzept des politikon zoon zueigen, wenn er festhielt: naturale autem est homini ut sit animal sociale et politicum, ‘von Natur aus ist der Mensch ein soziales und politisches Tier’ (zitiert nach Bartlett 2008, S. 31). Diese Formulierung war insofern einflussreich, als politische Ordnung zum Resultat natürlichmenschlicher Aktivität erklärt wurde, damit aber zugleich die Veränderlichkeit solcher Ordnung in den Blick rückte (vgl. Miethke 2008). Vgl. Schulthess 2010, S. 73 – 78, sowie Langer 1995, S. 28 f.: „In order to maintain God’s omnipotence, one must posit the creation of contingency as one of God’s possible acts. In other words, there must be a principle of the unneccessary in what is otherwhise a totally neccessary structure, for only the unneccessary is a guarantee of God’s power“. Honnefelder 1991, S. 250.
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das durch einen zunehmenden Ideen- und Informationsaustausch geprägt war,¹¹³ und die zugleich bereits den Übergang zum 14. Jahrhundert vorbereitete, als die Frage nach dem freien Willen sowohl Gottes als auch des Menschen zentral wurde (siehe unten). Zum Ende des 13. Jahrhunderts hatte die Rezeption der einschlägigen aristotelischen Schriften also zu einem, wenn man so will, radikalen Aristotelismus geführt, der sich der christlichen Lehre widersetzte. Die im Hintergrund des Urteils von 1277 stehende Diskussion hatte sich dabei bereits weit über Aristoteles’ ursprünglichen Gedankengang hinaus entwickelt, sodass die Jahrzehnte um 1300 in der Forschung mittlerweile als philosophische Umbruchszeit gesehen werden, die den Abschluss vorausgehender Debatten und zugleich den Anfang einer neuen Philosophie darstellten. Vor allem die theologische Frage nach der Schöpfung der Welt hatte zu jener Zeit eine „ontologische Brisanz und Bedeutung“ erhalten, wie sie in den aristotelischen Schriften und deren spätantiken Kommentaren gar nicht angelegt gewesen war.¹¹⁴ Konzepte von Kontingenz erwiesen sich als Kernproblem, ohne auf einen Grundgedanken reduziert werden zu können.¹¹⁵ Bedeutsam wurde, dass neben der real existierenden Welt – ein Wirklichsein, das bei Aristoteles stets Bezugspunkt des Möglichen war – nun eine mögliche Welt als reiner „Gedanke oder Plan in Gottes Geist“ angenommen werden konnte“.¹¹⁶ War der Begriff der Unmöglichkeit damit nicht mehr als physikalisch Unmögliches aufzufassen, so waren mögliche Welten allein noch an logische Widerspruchsfreiheit gebunden – denn Gottes schöpferisches Handeln folge dem Prinzip des Logos.¹¹⁷ So bemerkte Thomas, der wie sein Lehrer Albert der Große keinen prinzipiellen Widerspruch zwischen Glaube und Vernunft anerkennen wollte,¹¹⁸ in Quaestio 25,3 seiner Summa
Vgl. Weiler 2017, S. 220: „Institutions like the mendicants universities, the crusading movement of the thirteenth century and the imperial papacy post-1215 had fundamentally changed the social context within which the writing of history occured. More news was circulating more widely. It was a lot easier, for instance, to gather news about Eastern Europe or Denmark or Armenia because routes and networks of communication had been transformed beyond anything imaginable in the previous century“. Vogt 2011, S. 52. Vogt 2011, S. 55, sprach von einem „begriffsgeschichtlichen Geflecht eines sukzessiven und dabei doch niemals einheitlichen und widerspruchslos verlaufenden Prozesses der Transformation des Begriffs und der Auffassung der Kontingenz“. Bezeichnend ist auch Henrik Lagerlunds Bemerkung zu seinem eigenen 60-seitigen (!) Aufsatz zu „some of the problems and developments from the late twelfth century into the mid-thirteenth century“ in Bezug auf die Assimilation der aristotelischen Logik: „Even though this chapter is fairly long, I have only been able to scratch the surface of the rich debates“ (Lagerlund 2008, S. 281 f.). Schulthess 2010, S. 74. Vgl. Vogt 2011, S. 204 f. Vgl. Wallace 1982, S. 462: „Thomas’ basic conviction, no doubt deriving from Albert, was that reason and faith played complementary roles in making the whole of knowledge, both human and divine, available to mankind. Reason was the prior and necessary requirement“. Konsequenter als zuvor etwa Wilhelm von Auvergne und abweichend von Zeitgenossen wie Bonaventura († 1274) erkannte Thomas insofern die (aristotelische) Philosophie als eigenständigen Bereich neben der Theologie an, ohne ein geschlossenes philosophisches System aufzubauen: „Der Theologe beginnt mit dem
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theologiae, Gott werde omnipotens genannt, quia potest omnia possibilia absolute, ‘weil er alles auf absolute Weise Mögliche’, also Widerspruchsfreie, erschaffen könne.¹¹⁹ Diese potentia absoluta war aber gleichsam Einfallstor für ein radikalisiertes Kontingenzverständnis, denn sie implizierte, dass Gott eben alles auch anders hätte entscheiden können.¹²⁰ Zum Allgemeinanspruch des aristotelischen Wissenschaftsbegriffes stand diese radikale Kontingenz der Gegenstände der Wissenschaft – d. h. „der partikulären hier und jetzt existierenden Gegenstände, die wir beschreiben und erklären wollen“¹²¹ – in Konflikt. Hatte Aristoteles die Existenz nur einer einzigen, eben der wirklichen Welt verteidigt, und war damit bei ihm der Gedanke der Kontingenz eben nicht auf die Welt schlechthin zu beziehen, so war nun eine schöpfungstheologische Position formuliert: Die göttliche creatio ex nihilo war fortan untrennbar dieser contingentia mundi verbunden.¹²² Und eben dieses Bewusstsein, dass Gott die Welt auch nicht hätte schaffen können, lässt aus „dem Begriff der Kontingenz ein Problem der Kontingenz“ werden¹²³ – mit den Worten Paul Tillichs: „Contingent does not mean causally undetermined but it means that the determining causes of our existence have no ultimate necessity“.¹²⁴ Mit diesem im 12. Jahrhundert vorbereiteten und bis zum Ende des 13. Jahrhunderts zunehmend verschärften methodischen Zweifel an einem universalen Determinismus gewann die bereits von Aristoteles formulierte Einsicht in akzidentielle Verursachungen in der Welt wieder an Gewicht.¹²⁵ Hatte sich im 12. Jahrhundert die Überzeugung geformt, die Voraussetzung von Ursache-Wirkungsprinzipien ermögliche weitreiche Erkenntnis der Ordnung der Welt – und war damit, in Johannes Frieds Formulierung, bereits „die Axt an die Wurzel bloßen Glaubens gelegt“¹²⁶ –, so gewann diese rationale Anschauung im Laufe des 13. Jahrhundert einflussreiche Fürsprecher, wenn etwa Thomas (Quaestio 19,8) nun konsequent unterschied zwischen „einer aus dem göttlichen Wesen entspringenden Ursache, die niemals zufällig sein kann“ und „so genannten sekundären Ursachen oder Mittelursachen, die entweder notwendig Glauben und erforscht dessen Inhalt und Implikationen; der Philosoph hingegen verlässt sich auf die Vernunft und benützt Prämissen und Prinzipien, die auf normaler Erfahrung beruhen. […] Den Gipfelpunkt philosophischer Reflexion stellt aber auch für Thomas philosophische Theologie dar“ (Mazal 2006, S. 376). Vgl. weiterführend McInerny 1981, Aertsen 2005, Doyle 2011 sowie Zapf 2011. Caramellus 1952, S. 140. Vgl. Langer 1990, S. 93: „Everything could have been different, even if we are sure that things will not be different. […] The only limitation to God’s power is the principle of noncontradition, which is thus the only substantial definition of God’s potentia absoluta“. Pinborg 1975, S. 242. „Beide Redeweisen lassen an der unüberbietbaren ontologischen Dimension und Relevanz des scholastischen Kontingenzbegriffs keinerlei Zweifel aufkommen“, wie Vogt 2011, S. 195, betonte. Vogt 2011, S. 196. Tillich 2014 [1952], S. 42. Vgl. weiterführend Kap. 2.4.2 sowie die pointierte Formulierung bei Mertens 2010, S. 204, die „endgültige Wahrheit“ sei von diesen Auseinandersetzungen zwar unberührt geblieben, diese Wahrheit sei nun allerdings „sehr weit weg“. Fried 2009, S. 226.
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oder zufällig miteinander verknüpft sein können und nun im letzten Falle den Spielraum für den Zufall eröffnen“:¹²⁷ divina voluntas quibusdam volitis necessitatem imponit, non autem omnibus, ‘der göttliche Wille erlegt manchen Dingen Notwendigkeit auf, aber nicht allen’. Dem Menschen war angetragen, von der göttlichen Gabe der Vernunft Gebrauch zu machen, um Wirkungsweisen der Schöpfung zu durchschauen. Die menschliche Ein- und Durchsicht konnte aber gestört werden per accidens, durch das Zusammentreffen von Ereignissen im Sinne einer „plötzlichen und unerwarteten Störung eines berechenbaren kausalen Ablaufs durch hinzutretende Zweit- und Drittursachen“.¹²⁸ Bei Thomas war insofern nicht allein eine erkenntnistheoretische Trennung von Theologie und Philosophie formuliert – ohne die letzte Überlegenheit der Theologie zu bezweifeln: Auch jene Dinge, die dem Menschen zufällig erschienen, seien letztlich eben der voluntas divina, dem göttlichen Willen untergeordnet. Es war mit ihm, in der Vermittlung zwischen aristotelischem Gedankengut und christlicher Doktrin, auch eine Position zu Kontingenz und Zufall formuliert, die deren Existenz und Relevanz im menschlichen Leben nicht bezweifelte – und die über seinen Tod hinaus virulent blieb. Spätestens ab den 1270er Jahren wurde sie aber auch problematisch, als Thomas’ gewichtiger Gegenspieler in Paris, der „champion of the new movement“,¹²⁹ Siger von Brabant († 1284), für einen radikaleren und daher theologisch umso bedenklicheren Aristotelismus eintrat (und damit, wie notiert, auch skandinavische Gelehrte ergriff). Und so erfasste die Verurteilung aristotelischer Lehren von 1277 zeitweilig auch Sätze des Thomas, während Siger zu jener Zeit bereits aus Paris geflohen war. Rückblickend darf man wohl Steven Weinbergs jüngstem Fazit zustimmen: „Perhaps the course of events in the thirteenth century can be summarized by saying that the condemnation saved science from dogmatic Aristotelianism, while the lifting of the condemnation saved science from dogmatic Christianity“.¹³⁰ Doch auch Otto Mazal hatte Recht, wenn er bemerkte, der lateinische Aristotelismus habe eine „ambivalente Position“ gehabt: „Es war und ist auch nicht leicht zu beantworten, ob die neue Strömung den wissenschaftlichen Fortschritt gefördert oder teilweise auch gehemmt hat“.¹³¹ Und angesichts dieser Gemengelage hat
Vogt 2011, S. 559; vgl. Langer 1990, S. 89: „The universe is not immediately caused in all of its present effects by God, although he is the first efficient cause; rather, there are secondary causes that explain the relative imperfection of the created world in time. If, a contrario, God were the only immediate cause of all events, then presumably the universe would be timeless, infinite, and perfect, since all events would receive their being immediately from the divine nature“. Störmer-Caysa 2007, S. 152. Offensichtlich an Thomas’ Formulierung orientierte sich Beuerle 2010, S. 71, in ihrer Diskussion der antiken und mittelalterlichen causae, ein weitgefasstes Konzept von ordnender Kausalität: „Da zwar alle in ursächlicher Abhängigkeit zum ersten Prinzip [d.i. Gott] stehen, mit diesem jedoch nicht unmittelbar, sondern nur mittelbar verbunden sind, ist auch nach mittelalterlicher Vorstellung Zufall (casus) denkbar“. Sie setzte den Beginn einer intensivierten Diskussion aber zu spät erst im 14. Jahrhundert an (vgl. ebd., S. 470); vgl. weiterführend Schneider 1990. Wallace 1982, S. 463. Weinberg 2016, S. 132. Mazal 2006, S. 362.
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auch Alois Dempfs frühe Einschätzung, der Zeitraum von 1250 bis 1280 sei „die geistig bewegteste Höhe des Mittelalters“ gewesen, weiterhin etwas für sich.¹³² Aufmerksamkeit verdient aber auch die Zeit um und nach 1300, in der die theologisch-philosophische Debatte, wie Kurt Flasch formulierte, vielleicht mehr noch als zuvor „in brodelnder Bewegung“ war.¹³³ Nach Thomas’ Kanonisierung im Jahre 1323 und Aufhebung früherer Verbote ab den 1340er Jahren wurden die Magister der Universität Paris wiederum verpflichtet, Aristoteles und dessen Kommentatoren im Unterricht zu lehren, soweit die entsprechenden Lehrsätze dem christlichen Glauben nicht widersprächen.¹³⁴ Zu diesem Zeitpunkt hatte sich die Kontingenzdiskussion vor allem durch das Werk von Johannes Duns Scotus († 1308), der u. a. in Oxford, Paris und Köln als Lehrer gewesen tätig war, in eine Richtung entwickelt, die in der aristotelisch bestimmten Debatte nur in Teilaspekten vorgegeben gewesen war.¹³⁵ Wie Oswald Schwemmer zusammenfasste, führte der zunehmende Rückgriff auf Duns Scotusʼ wirkungsmächtige (in der Überlieferung aber bisweilen ungeordnete) Betrachtungen ab dem frühen 14. Jahrhundert generell zu „neuen und weiterführenden Konzeptionen, die zwar durch tradierte Leitideen zusammengehalten werden, im übrigen aber durchaus eigenständige Entwicklungen teilweise bereits selbst darstellen, teilweise in Gang setzen“.¹³⁶ Der Beitrag des Duns Scotus zur Kontingenz-Diskussion wurzelte insofern zwar weiterhin in der Frage nach dem Verhältnis von Gottes Allwissenheit und der Kontingenz des faktischen Geschehens. Der Gelehrte war aber in geradezu radikalem Maße bestrebt, die überkommene Diskussion auf neue Grundlage zu stellen, auf ein kritisches Verständnis von Wirklichkeit, „das es mit der wissenschaftlichen Vernunft aushält und zugleich existentiellen Dimensionen wie dem Glauben Raum zu verschaffen vermag“.¹³⁷ Duns Scotusʼ Kritik sowohl an theologischen als auch philosophischen Standpunkten seiner Zeit war erkenntnistheore-
Dempf 1930, S. 79. Flasch 2013, S. 485. Vgl. Lindberg 2007, S. 249. Die Forschung ist sich uneinig, wie weit der Einfluss aristotelischen Denkens auf Duns Scotus reichte; vgl. bereits Maier 1949, S. 219 – 250, hier S. 250: „Die ‚Kontingenz‘ der natürlichen Vorgänge bildete kein ernsthaftes Problem mehr – um dagegen auch die Kontingenz der Freiheit auszuschliessen [sic!], oder mindestens in Frage zu stellen, bedurfte es anderer Voraussetzungen und anderer Einflüsse, als sie in der Gedankenwelt des christlichen Aristotelismus gegeben waren“. Abweichend Honnefelder 2005, S. 113, der diese Diskussion bei Duns Scotus „ganz und gar im Kontext der aristotelischen Vermögenspsychologie“ verortert sah. Zur vielstimmigen Debatte vgl. Ingham/Dreyer 2004, Goldstein 2007, Honnefelder 2011, Gonzáles-Ayesta 2018 sowie Vos 2018, vgl. jüngst ebd., S. 89: „Within the context of his studies, he [i. e., Duns Scotus] starts with Aristotle and takes him utterly seriously. In reconstructing theology he concentrates on eliciting philosophical answers from faith and from theological viewpoints, dilemmas and doctrines. This movement from logical and philosophical answers mirrors just the development of medieval theology and philosophy“. Schwemmer 1995, S. 511. Honnefelder 2011, S. 13.
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tisch orientiert und räumte der menschlichen Erfahrung zentralen Stellenwert ein.¹³⁸ Vor allem Antonie Vos hat dafür argumentiert, dass persönliche Erfahrungen, etwa die Verbannung aus Paris (wie sie zeitnah ja auch andere Gelehrte betraf), maßgeblichen Einfluss auf die theoretischen Überlegungen von Duns Scotus gehabt hätten: „What happened to John Duns amidst all the stormy affairs during the year 1303 […]? As to the 1303 exile of Duns, this event did not only upset Dunsʼ personal expectations, but also the expectations, calculations and scholarly ambitions of the Franciscan Order“.¹³⁹ Der Gelehrte hatte die ‚Kontingenz des Lebens‘ also am eigene Leib erfahren und seine theoretischen Überlegungen erscheinen auch als Versuch, einschneidende Erfahrungen zu verarbeiten – dass sein früher Tod wenige Jahre später durch diese persönliche Niederlage befördert wurde, ist keine abwegige These. Die Einsicht, dass sich nicht alles in der real erfahrbaren Welt aus Notwendigkeit entwickle, dass, abstrakter gedacht, alles Seiende zum Zeitpunkt seines Entstehens auch gegenteilig hätte entstehen können, diese auf praktischer Erfahrung und theoretischer Reflexion fußende Einsicht lasse sich, so Duns Scotusʼ Lösungsansatz, ultimativ nur dann sinnvoll machen, wenn man bereits die erste Ursache allen Seins, Gottes Willen, im Sinn einer Entscheidung, die so oder so hätte ausfallen können, verstünde, den göttlichen Willensakt also als kontingent voraussetze. Damit war einerseits der menschlichen Erkenntnis neuerlich eine Grenze gesetzt: Auch die Theologie müsse ihre Inhalte letztlich als „Wissen von kontingenten Tatsachen“ begreifen.¹⁴⁰ Andererseits war zum Willen auch des Menschen eine wirkungsmächtige Aussage getroffen, denn ausgehend vom kontingenten Willensakt Gottes sollte nun auch menschliches Handeln als kontingente, also freie, aber auch verantwortungsvolle Willensentscheidung verstanden werden.¹⁴¹ Duns Scotusʼ Überlegungen sind, wie Ludger Honnefelder betonte, zugleich Abschluss der aristotelischen Debatte des 13. Jahrhunderts und Neuanfang: „Nach Scotus’ denkt man in Philosophie und Theologie ‚anders‘, und das tun auch die, die ihm in den inhaltlichen Lösungen nicht folgen“.¹⁴² Die Jahrzehnte um 1300, mit Duns Scotus als prägendem Gelehrten, treten damit im Gesamtblick als Zeitraum fundamentaler Kritik an mehr und mehr in Zweifel gezogenen Grundannahmen der
Vgl. Ingham/Dreyer 2004, S. 93: „Indeed, the human experience of reflective planning, of intentational discussion with others about one’s actions, reveals that there are contingent events. Otherwise, one could act blindly and random actions would always produce successful outcomes“. Vos 2018, S. 135. Flasch 2013, S. 496. Kundert 2010, S. 312, erkannte bei Duns „ein überaus aktives Kontingenzverständnis“, in dem Sinne, dass sich mit dessen „Kontingenztheorie […] sowohl Gottes Schöpfermacht als auch der freie Wille des Menschen als Handlungsfreiheit schon im Bereich der Philosophie konzipieren“ lassen. Allgemeiner Störmer-Caysa 2007, S. 177: „Die mittelalterlichen Philosophen denken dabei auch und vor allem an den Willen: Jeder einzelne Willensakt könnte so, aber auch anders ausfallen, er ist eine Quelle der Kontingenz im Leben des einzelnen und ein Prüfstück für die Ordnung der Gemeinschaft und die Lebenswerte des einzelnen“. Honnefelder 2011, S. 35.
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Theologie und Philosophie in Erscheinung, ein kritischer Zweifel, der weit über gelehrte Kreise hinauswirken sollte: Das soziale Leben und die Politik wurden denkbar als kontingentes Feld menschlicher Handlungen. Dieses dem Menschen freigegebene Feld bedurfte zu seiner moralischen und politischen Durchdringung einer neuen Rechts-, Sozial- und Staatsphilosophie. […] Was blieb, war der neue Standard an begrifflicher Strenge, waren die Beispiele scharfsinniger Kritik an berühmten Argumenten, war der Rekurs auf die sinnliche Erfahrung, auf Praxis und auf Wille. Die Welt erschien insgesamt kontingenter und individueller.¹⁴³
2.3 Kontingenz und Zufall im Mittelalter – Lebenspraktische Positionen Tätigsein ist alles; man lebt grundsätzlich im Unvollendeten; so vermag es der Tod nicht mehr, einen aus einer Planung herauszureißen.¹⁴⁴
2.3.1 Planung und Kontingenz Der Zeitraum des späten 12. und des 13. Jahrhunderts wird als Periode einer „schöpfungstheologische[n] Neuorientierung“,¹⁴⁵ eines „philosophischen Rationalismus“ und eines „szientifischen Autonomiebestrebens“¹⁴⁶ angesprochen, kulminierend in den Jahrzehnten um 1300, als Zeit der „philosophisch argumentierende[n] Metaphysikkritik“, in der menschliche Erfahrung ein Prüfstein der Erkenntnis wurde.¹⁴⁷ Während Kontingenztheorien als gelehrtes Problem jener Zeit mittlerweile in der Forschung recht umfangreich untersucht worden sind, ohne dass überall ein Konsens erzielt worden wäre, so ist die Frage nach Wechselwirkungen zwischen einer zunehmenden Radikalisierung des Kontingenzgedankens und dem sozialen und politischen Leben weiterhin offen. Die philosophisch-theologische Lösung, den kontingenten Willensakt Gottes dadurch zu entschärfen, dass man dessen Handeln nur das Gute zutraue, wurde in ihrer Geltung für praktische Erfahrungen des damaligen Lebensalltags bereits hinterfragt. Deutlich formulierte vor einigen Jahren Richard Heinzmann:
Flasch 2013, S. 489 und S. 499. Haug 2003 [1998], S. 85. Schulthess 2010, S. 78. Hödl 2003, S. 949. Flasch 2013, S. 487.
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Der Gedanke der ewigen Ordnung, in der die Welt ihren Ausdruck gefunden habe, war damit verabschiedet. Die Welt lief Gefahr, vom Kosmos zum Chaos zu pervertieren; dem Menschen drohte Orts- und Orientierungsverlust. Die Grenze zwischen der absoluten Freiheit Gottes und dem Zerrbild eines Willkürgottes wurde zunehmend verwischt.¹⁴⁸
Mag diese Einschätzung auch etwas überzeichnet sein, so bedarf die Fragestellung doch der eingehenderen Betrachtung. Denn eben in diesem Zeitraum, vom späten 12. bis in 14. Jahrhundert hinein nahm die altisländische Literatur ihren greifbaren Anfang, durchlief wichtige Entwicklungen und wird sie in der handschriftlichen Überlieferung zunehmend greifbar. Die Königssagas, mit ihrem zentralen Interesse an geschichtlicher Entwicklung, an Politik und Gesellschaft durch die Jahrhunderte, sind potenziell besonders empfänglich für entsprechende Diskurse. Dass diese Sagas von gelehrten Umwälzungen beeinflusst wurden, dafür wurde vorausgehend argumentiert. Doch die zunehmende Präsenz des Problemthemas ‚Kontingenz‘ in Theologie, Philosophie und eben Literatur kann schwerlich allein als Resultat genuiner Gelehrsamkeit gelten.¹⁴⁹ Die komplementäre These könnte lauten, dass das facettenreiche Interesse auch die Reaktion auf Erfahrungen und Empfindungen eines Alltags war, in dem Kontingenz und Zufall längst eine kaum zu überschätzende lebenspraktische Relevanz zugestanden wurde. Das damit vorausgesetzte Zusammenwirken verschiedener Sphären der hoch- und spätmittelalterlichen Lebenswelt ist bisher wenig erforscht, geschuldet wohl auch der schriftlichen Überlieferung, die wesentlich einer kleinen Elite zugeschrieben wird. Hier lässt sich gleichwohl weiterdenken. Charles Connell betonte noch 2016, ein Volk im eigentlichen Sinne, dessen Interesse sich auf bestimmte Aspekte konzentrieren und das politischen Einfluss üben hätte können, sei im Mittelalter nie existent gewesen; gleichwohl sei „the medieval ‘phantom publicʼ“ sehr real gewesen im Sinne der steten Gefahr, dass die zahlenmäßig vielfach überlegene ‚einfache‘ Bevölkerung sich gegen eine herrschende Schicht erhebt.¹⁵⁰ Die Berücksichtigung dieser praktischen Dimension mittelalterlicher Herrschaft, so betonte Hans Jacob Orning auch für die Herausbildung des norwegischen Königtums, sei „the most important, but also the most controversial, methodological approach“; grundsätzlich gäbe es „little a priori reason to be optimistic about the possibilities of getting behind the idealized account
Heinzmann 2008, S. 247. Vgl. Bubert 2016, S. 310: „Auch wenn es geradezu absurd wäre, die Bedeutung der AristotelesRezeption zu bezweiflen, so wäre dennoch die Frage zu stellen, unter welchen konkreten ‚Rezeptionsbedingungen‘ diese Rezeption stattfand, und auf welche Weise diese Bedingungen eine entsprechende Wirkung erst ermöglichten“. Die „Identität der Artes-Magister“ sah Marcel Bubert gleichwohl geprägt durch Praxisferne: „Die Philosophen definieren und kategorisieren sich als Nicht-Praktiker, indem sie sich von den Gruppen unterscheiden, deren Tätigkeiten durch Praxisbezug gekennzeichnet ist“ (ebd., S. 321). Daraus potenziell entstehende Spannungen, sind mit dieser Beobachtung allerdings allein angedeutet. Vgl. Connell 2016, o.S
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in the Kings’ sagas to reach the historical actors“.¹⁵¹ Das ist unnötig pessimistisch. Denn gerade die unberechenbare Volksmasse findet sich in den Königssagas regelmäßig explizit funktionalisiert, wenn dort einer größeren Bevölkerungsgruppe (fólk, bœndr, bóndafólk, alþýða) eine Stimme zugestanden wird – und dies als ernstzunehmendes Argument. In der Magnúss saga góða der Heimskringla etwa wird erzählt, Sveinn, der Sohn des berühmten Knútr inn riki, habe für seinen Versuch, gegen Magnús ein Heer aufzustellen, von den zuhörenden Bauern nur geringen Beifall (lítill rómr) erhalten habe; selbst das Einschreiten redegewandeter Lokalherrscher vermag danach deren Ansicht nicht mehr zu ändern: en bœndr svǫruðu ok tǫluðu í mót, ‘aber die Bauern antworteten und widersprachen’ – Sveinn sieht sich gezwungen, von seinem Vorhaben abzusehen.¹⁵² Auch in der Óláfs saga helga ist es eine große Versammlung an Bauern, die den schwedischen König Óláfr Eiríksson, gegen dessen Plan, zum Einlenken zwingt – und damit die skandinavische Geschichte nachhaltig prägt: Herra, þat sýnisk mér ráð, teilt einer der Königsberater mit, at þér […] stefnið þá til yðar fólkinu, farið nú ekki með stirðlæti, bjóðið mǫnnum lǫg ok landsrétt, drepið niðr herǫrinni. Mun hon enn ekki víða hafa farit yfir landit, því at stund hefir skǫmm verit, ‘Herr, das scheint mir ratsam, dass Ihr eine Versammlung mit dem Volk einberuft, nicht mit Härte vorgeht, sondern den Leuten Gesetz und Landesrecht anbietet und den Aufruf zum Krieg bannt. Er wird sich noch nicht weit über das Land verbreitet haben, weil die Zeit zu kurz war’. Allerdings trifft der Schwedenkönig vor Ort dann auf ein Bauernheer, das nicht allein durch Masse bedrohlich erscheint, sondern das sich bereits Tag und Nacht beraten hat (bœndr áttu þing dag og nótt) und den König, gegen alle Erwartungen und Ratschläge der Gelehrten, gezielt zur Aufgabe seiner Pläne zwingt.¹⁵³ Aber auch das Vorhaben des norwegischen Königs Óláfr Haraldsson, mit dem Schwedenkönig zu einem Vergleich zu kommen, wird durch den Druck einer breiteren Bevölkerung motiviert: bœndr í Víkinni rœddu sín í milli, at sá einn væri til, at konungar gerði sætt ok frið milli sín, ‘die Bauern in Vík besprachen sich untereinander und erklärten, das einzig Richtige wäre, dass die Könige zu Vergleichen und Frieden miteinander finden würden’.¹⁵⁴ Und der norwegische König Haraldr gráfeldr, so berichtet die Óláfs saga Tryggvasonar, findet den Tod in einem Hinterhalt, weil er gegen die Warnung seiner Berater dem Druck des gemeines Volkes (alþýða) nachgibt und ein verräterisches Angebot seiner Feinde annimmt.¹⁵⁵ Einerseits ist angesichts dieser Beispiele Connell darin zuzustimmen, dass sich die Machtausübenden im Laufe des Mittelalters stärker der Bedeutung bewusst wurden, ‚das Volk‘ zu verstehen und zu beeinflussen, um politische Ziele zu erreichen. Andererseits illustrieren diese Beispiele die Grenzen solcher Einflussnahme angesichts unvorhergesehener und unkontrollierbarer Umstände. Orning hatte Recht,
Orning 2008, S. 35. Vgl. Kap. 3.3.4. Vgl. Kap. 3.3.3.4; vgl. weiterführend van Nahl 2018b. Vgl. Kap. 3.3.3.3. Vgl. Kap. 3.3.2.1.
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wenn er die „unpredictability“ des Herrschers als „a necessary constituent in the exercise of royal power in the High Middle Ages“ definierte.¹⁵⁶ Sein Urteil blieb aber einseitig, weil darin Unberechenbarkeit zur gezielten Handlungsanweisung stilisiert wird. Im zitierten Beispiel der Óláfs saga helga wäre dies etwa der Ratschlag an Óláfr Eiríksson, im Falle eines Zusammentreffens mit dem aufrührerischen Volk ekki með stirðlæti, ‘nicht mit Härte’ vorzugehen; ein Rat, wie er z. B. auch König Hákon in der Hákonar saga góða gegeben wird: konungi myndi ekki þat duga at heitask eða herja á innanlandsfólk ok þar sízt, er mestr styrkr er landsins, sem í Þrándheimi var, ‘der König sollte nicht darauf zurückgreifen, die eigene Bevölkerung zu bedrohen oder zu bekriegen, schon gar nicht dort, wo das Machtzentrum des Landes war, nämlich in Þrándheimr’.¹⁵⁷ Aber das tatsächliche Geschehen ist dann von Gegebenheiten jenseits herrschaftlicher Entscheidungsgewalt geprägt: Die Einschätzung der Berater von Óláfr Eiríksson, die Zeit sei zu kurz gewesen, als dass der Unmut des Volkes sich hätte organisieren können, erweist sich als falsch, das Bauernheer tritt als vorbereiteter Verhandlungspartner in einen Austausch, in dem schließlich die Verhandlungskompetenz der königlichen Beratern explizit durch den Vermittler Emundr bezweifelt wird: þá grunaði hann, hvárt þetta ráð myndi framgengt verða, ‘da bezweifelte er, dass dieser Beschluss Erfolg haben würde’. Und im Falle von Hákon ist es nicht die Einsicht des Königs, die die Auseinandersetzung mit dem eigenen Volk verhindert – konungr var svá reiðr, at ekki mátti orðum við hann koma, ‘der König war so wütend, dass er keinen Worten zugänglich war’ –, sondern es ist das unerwartete Eintreffen der Söhne von Hákons ärgstem Widersacher, Eiríkr blóðøx. Mehr als die Kontingenz der Welt im Sinne eines theologisch-philosophischen Ordnungsdiskurses, so könnte man abstrahieren, war die Kontingenz des praktischen Alltags und der sozialen Umwelt ein latentes Problem im weltlichen Machtkampf. Ein Problem, das pragmatischer Lösungen bedurfte, deren Scheitern zu einer schwer kontrollierbaren Potenzierung von Kontingenz führen konnte. Diese lebenspraktische Virulenz des Umgangs mit Unwägbarkeiten und Zufällen kann kaum überschätzt werden und Thematisierungen reichen historisch weit zurück. Eine Positionsbestimmung findet sich bereits im 5. vorchristlichen Jahrhundert in den Ausführungen des griechischen Historikers Thukydides zur tyche; tyche, so hielt Peter Vogt fest, sei bei Thukydides eine „analytische und für rein deskriptive Zwecke sinnvoll zu gebrauchende Kategorie hinsichtlich der zu rekonstruierenden menschlichen Geschichte“.¹⁵⁸ Dies in dem Sinne, dass tyche als zufällige Begebenheit die Fehler mangelhafter Planung verstärken würde, ohne per se entscheidenden Einfluss nehmen zu können. Für Thukydides konnte der Zufall als Unvorhergesehenes somit zwar zu menschlicher Planung quer stehen, er war aber rational zu bewältigen; Geschichtsschreibung, im Sinne der Übertragung des Erzählten auf die praktische Erfahrung,¹⁵⁹ vermittle den
Orning 2008, S. 317. Vgl. Kap. 3.3.1. Vogt 2011, S. 104. Vgl. Bubner 1984, S. 24.
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rechten praktischen Umgang mit dem Zufall. Den Begriff der tyche übernahm dann nicht nur der Geschichtsschreiber Polybios, der sie in seiner Universalgeschichte im Sinne von unkontrollierbaren und unerwarteten Ereignissen verstand.¹⁶⁰ Auch Aristoteles griff tyche auf als etwas Unbestimmbares, das für die menschliche Lebenspraxis aber von wesentlicher Bedeutung sei.¹⁶¹ Wenn allein Notwendigkeit den alltäglichen Lauf der Dinge bestimmen würde, so führte er in Kapitel 9 von De Interpretatione aus, dann bräuchte kein Mensch irgendetwas zu planen: Was sich denn also ergibt, ist derlei Unsinn und derartiges mehr, wenn denn bei jeder Behauptung und Verneinung […] notwendig von den entgegengesetzten Aussagen immer die eine wahr, die andere falsch sein müßte, es aber bei Gegenständen des Werdens kein ‚Wie es sich gerade so fügte‘ gäbe, sondern alles aus Notwendigkeit sein oder eintreten müßte. So bräuchte man denn weder zu Rate zu gehen noch sich die Mühe der Überlegung zu machen.¹⁶²
Diese ‚unsinnige‘ Hypothese musste Aristoteles sogleich ablehnen, denn, wie er selbst sagte, „wir sehen, daß zukünftig Eintretendes seinen Ausgangspunkt nimmt sowohl vom Beraten aus wie davon, daß man zu handeln beginnt, und überhaupt, daß im Bereich der Dinge, die nicht immer wirkend sind, das ‚Kann sein oder auch nicht‘ sich findet“.¹⁶³ Vogt fasste diese aristotelische Position prägnant zusammen: Wo eine an Regelmäßigkeiten orientierte Erkenntnisweise im Sinne von episteme nicht weiterhilft, kann praktische Klugheit bezüglich einzigartiger Handlungen in folgenreicher Weise dem Leben der Menschen nützlich sein. Angesichts eines unerwartet einbrechenden Zufalls hilft weder die Suche nach letztgültiger Gewissheit bei unveränderter Beibehaltung der geltenden Handlungsmaximen noch defaitistische [sic!] Handlungsabstinenz, wohl aber situationsabhängiges Räsonnieren. Aristoteles empfiehlt so gleichsam, so möchte ich es sagen, praktische Intelligenz.¹⁶⁴
Vgl. Hau 2011, S. 19: tyche bezeichne bei Polybios Ereignisse „which happen outside of human control (or at least the control of the focaliser of a given passage) and are unexpected, strikingly coincidental, or momentous“. Aristoteles unterschied zu automaton, als dasjenige, was keiner planenden Vernunft entspringen kann, etwa ein Sturm; gegenüber dem weiter gefassten, tyche einschließenden Begriff automaton bezieht sich tyche also allein „auf den Bereich der Handlungen […] und desjenigen, was Gegenstand des Handelns sein kann“ (Jedan 2000, S. 24); zur Diskussion vgl. Vogt 2011, S. 138 – 145. Zekl 1998, S. 113. Zekl 1998, S. 115. Vogt 2011, S. 126. Wenn der muslimische Philosoph Alpharabius († 950) in der islamischen Welt neben Aristoteles (auf den er sich kritisch beruft) als maßgeblicher Gelehrter galt, dann ist es bemerkenswert (wenn auch nicht verwunderlich), in seinem Werk ähnliche Gedanken zu finden: „Gäbe es in der Welt keine zufälligen Dinge, d. h. solche, die keine erkennbaren Ursachen haben, so würde die Furcht und Hoffnung aufhören. Geschähe aber dies, so würde in den menschlichen Dingen durchaus keine Ordnung stattfinden […]. Man würde weder Gott gehorchen, noch das Gute vorziehen, da der, welcher weiß, dass das Morgende [sic!] zweifelsohne sein und seinen Lauf nehmen werde, ein Tor und Narr wär, da er ja sich abmühen würde, das zu tun, wovon er weiß, dass es keinen Nutzen bringt“ (zitiert nach Vogt 2011, S. 57).
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Das Wissen um die Kontingenz der Zukunft und das stets unabgeschlossene Streben, diese Unvorhersehbarkeit dennoch zu beherrschen, sind in ihrer unlösbaren Verbindung eine anthropologische Konstante, die zur praktischen Philosophie herausfordert. Bezeichnend erklärte zeitnah zu Thukydides der Dichter Aischylos († 456 v. Chr.), Prometheus’ erste Gabe an den Menschen sei nicht das Feuer gewesen, sondern die Unwissenheit hinsichtlich des eigenen Todestags¹⁶⁵ – ein Heilmittel gegen das Gift des Vorauswissens. Ein Gedanke, der sich viel später dann auch in Strophe 56 der altisländischen Hávamál (überliefert um 1270, vermutlich aber älter) findet: meðalsnotr | skyli manna hverr, | æva til snotr sé; | ørlǫg sín | viti engi fyrir, | þeim er sorgalausastr sefi,¹⁶⁶ ‘man sollte durchschnittlich weise sein, nicht allzu weise; sein Schicksal kenne niemand voraus, so hat er das sorgloseste Gemüt’. Anders gesagt: Die unhintergehbare Kontingenz der Zukunft ist Vorbedingung eines autonomen menschlichen Lebens – ein Leben, das nur aufgrund dieser Offenheit menschliches Handeln überhaupt sinnvoll und erinnerungswert erscheinen lässt: „Die Besonderheit der erinnernswerten Prozesse versteht nur, wer das Geschehen als ein Zusammenwirken von Taten und beiherspielender Kontingenz bestimmen kann“¹⁶⁷ – ein Grundpfeiler der erzählenden Geschichtsschreibung, wie sie uns dann in den zeitnah zu den Hávamál überlieferten Königssagas begegnet, zu einer Zeit also, in der die Frage nach dem Stellenwert von willentlichen Entscheidungen des Menschen auch in der gelehrten Debatte an Gewicht gewann. Gleichwohl lässt sich dafür argumentieren, dass die Erwartungshaltung von Menschen gegenüber einer offenen Zukunft durch die Geschichte hindurch nicht homogen war, sondern dass zu bestimmten Zeiten Kontingenz stärker als Bedrohung empfunden wurde. Für Aristoteles selbst, so argumentierte James Jasinski, sei Kontingenz allein ein lokales Phänomen gewesen, praktisch aufgefangen in der institutionellen Struktur der polis, dem griechischen Staatsverband, theoretisch im telos, dem Endzweck des menschlichen Lebens: „This narrowing of the struggle with contingency to the choice of means for reaching a predetermined end was another form of its domestication“.¹⁶⁸ Wann, Jasinskis Gedankengang folgend, Kontingenz dann von situationeller Ebene auf einen „historical horizon“ übergriff, ist eine andere Frage, zumal Jasinki seine Argumentation unter dem Eindruck jüngster Entwicklungen der Theorie der Rhetorik entwickelte und von Aristoteles einen Sprung ins späte 20. Jahrhundert vollzog und dabei, wohl wenig verwunderlich, in diesen gut zwei Jahrtausenden eine Radikalisierung des Kontingenzbewusstseins verzeichnete, im Sinne einer „more significant confrontation with the abyss of uncertainty and indeterminacy“.¹⁶⁹ Diese Radikalisierung begann aber, wie gezeigt, bereits im Laufe des 13. Jahrhunderts, und die Konfrontation theoretischer Überlegung mit praktischer
Vgl. Guth 2016, S. 14: „Ich nahmʼs den Menschen, ihr Geschick vorauszusehn“. Jónas Kristjánsson/Vésteinn Ólason 2014, S. 333. Bubner 1984, S. 7. Jasinski 2001, S. 110. Jasinski 2001, S. 111.
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Erfahrung nahm spätestens um 1300 zentralen Stellenwert in der gelehrten Diskussion ein – befördert, so die These, durch den gestiegenen Druck auf überkommene theologisch-philosophische Erklärungsmodelle aufgrund faktischer Verunsicherungen in jener Zeit.
2.3.2 Katastrophe, Krieg, Kontingenz Richard Utz stellte vor einigen Jahren die These auf, Kontingenz sei dann im 14. Jahrhundert gar „the general cultural condition“ und „the central mood“ der westlichen Welt geworden, angestoßen durch eine Konzentration verstörender Ereignisse.¹⁷⁰ Über mehr oder weniger distinkte Ereignisse hinaus, so meinte auch Gert Melville, sei ‚der Europäer‘ im Verlauf vom 12. zum 14. Jahrhundert geradezu „herausgerissen [worden] aus der Selbstsicherheit seiner autistischen Klause“;¹⁷¹ eine generelle „Verstörung in der Welt“¹⁷² im 13. Jahrhundert postulierte Peter Sloterdijk und auch Ludger Honnefelder, wie notiert, erkannte eine „Krise des 13. Jahrhunderts“,¹⁷³ während Peter Dinzelbacher gar von einem „weltuntergangsbesessenen 13. Jahrhundert“ sprach.¹⁷⁴ Der technische Aufschwung im 13. und 14. Jahrhundert, so eine Meinung der Forschung, habe die Verdrängung der religiösen Erklärung von Naturereignissen, die eine kollektive Katastrophenwahrnehmung hervorriefen, zugunsten eines profanes Umgangs bedingt, im Sinne von Maßnahmen zur Verbesserung der Lebensverhältnisse durch Technik. Der Rückzug auf „theozentrische Deutungen“ sei zunehmend als eine „Art Versicherung“ marginalisiert geworden, für den Fall, dass technisch-profane Maßnahmen doch scheiterten – wie erfolgreich eine solche Versicherung zu jener Zeit noch sein konnte, ist allerdings fraglich.¹⁷⁵ Für das 14. Jahrhundert sind europaweit jedenfalls zahlreiche Naturkatastrophen (Erdbeben, Überflutungen, Seuchen) überliefert und auf eine Häufung solcher Katastrophen im frühen 14. Jahrhundert auch in Island ist in der Forschung wiederholt (am Rande) verwiesen worden. Stephen Mitchell fasste die in isländischen Annalen gelisteten
Utz 2007, S. 126: „The Black Death (after 1347), the Hundred Years War (1337– 1453), the revolts of the French Jacquerie (1357) and the English peasants (1381), the rise of the middle class, the violent dissension in the Church (from the ‘Babylonian Captivity’, 1302– 78, to the ‘Great Schism’, 1378 – 1417)“. Melville 2002, S. 44. Sloterdijk 2014, S. 362. Honnefelder 2011, S. 10. Dinzelbacher 1996, S. 127. Masius 2011, S. 161. Bynum 2001, S. 26 f., knüpfte diese Entwicklung an das wachsende Interesse an der Idee historischen Wandels, bedingt durch „changing social circumstances“ u. a. in Landwirtschaft und Städtekultur. Im Blick auf die frühe Neuzeit dem Providenzmodell verhaftet zeigten sich Spinks/Zika 2016, S. 3: „When dealing with early European societies […], the line between the sphere of ‘nature’ and the sphere of the human is extremely elastic and complex. Both are firmly within the scope of divine providence and action. What we understand to be natural disasters and human-indicated disasters have the divinity as their primary cause. All are subordinated to the divine will and plan“.
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Ereignisse zwischen 1300 und 1330 zusammen als „cycles of volcanic devastation, earthquakes, harsh weather, failed crops, and plague“.¹⁷⁶ Auf mehrere aufeinander folgende Hungersnöte auf Island bereits im frühen 13. Jahrhundert machte Michael Borgolte aufmerksam,¹⁷⁷ und Steven Hartman und Astrid Ogilvie notierten „the occurence of severe seasons in the 1180s and 1190s“ sowie „a spell of severe weather in the first few years of the thirteenth century“.¹⁷⁸ Die Íslendinga saga aus der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts, die die Geschichte der Sturlungen erzählt, scheint zudem auf einen heftigen Vulkanausbruch im Winter 1226/27 zu verweisen: þessi vetur var kallaður sandvetur og var fellivetur mikill og dó hundrað nauta fyrir Snorra Sturlusyni, ‘dieser Winter war ein sehr harter Winter und es starben hundert Tiere von Snorri Sturlusons Vieh’¹⁷⁹ – ein Unglück, das also in jene Jahren fiel, in denen die Entstehung der Heimskringla unter Snorris Federführung allgemein angesetzt wird. Egal, wie man Verfasser- und Datierungsfragen gegenübersteht, der Einfluss des Wetters auf das tägliche Leben in Island kann für den betrachteten Zeitraum kaum überschätzt werden. Bernadine McCreesh schloss unlängst ihre Studie zur Rolle des Wetters in den Isländersagas mit den Worten: As far as medieval Icelanders’ attitudes to the weather are concerned, if the saga-authors’ views are representative of those of the general population, they were not particularly positive […]. The reasons for such a negative point of view are evident. In the Middle Ages, no season in Iceland would have been without its problems, from snowstorms in winter to rotten ice in the spring and floods at any time of the year. Moreover, not even good weather can be trusted.¹⁸⁰
Das lässt sich auf die Königssagas übertragen und erscheint vor der dort weiter gespannten zeitlichen Dimension umso mehr als historische Konstante. Aber auch ‚menschengemachte‘ Probleme vormals fast ungekannten Ausmaßes waren damals allgemein bewusst geworden. So wird man einen zentralen Impuls für die zunehmende Hinterfragung der Deutungshoheit eines theologischen Ordnungsmodells in den Kreuzzügen vermuten dürfen – selbst wenn die Forschungsdiskussion ein belastbares Fundament noch nicht gezeitigt hat.¹⁸¹ Auf die Problematik, wie der Einfluss der Kreuzzüge auf das intellektuelle Milieu Europas zu werten ist, wurde bereits verwiesen. Dass der islamische Monotheismus als rivalisierendes System eine religiöse Verunsicherung, aber auch Selbstreflexion förderte, ist in der Forschung jedenfalls zu
Mitchell 1991, S. 129. Vgl. Borgolte 2002, S. 216. Hartman et al. 2017, S. 132; vgl. bereits Jón Steffensen 1975 sowie Ogilvie 1991. Örnólfur Thorsson 2010, S. 300; sandvetur und fellivetur sind schwierig direkt zu übersetzen. McCreesh 2018, S. 137. Vgl. Connell 2016, o.S.: „Though most scholars seem ready to accept the notion of a high degree of religious enthusiasm in the period, the degree to which the response to the crusades was uniform and deserving of the descriptor ‘massive’, or that the use of the term ‘masses’ is at all meaningful, remains contested“.
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Recht betont worden.¹⁸² Peter Abelards Erzfeind Bernhard von Clairvaux († 1153) tat sich in seinen Predigten zur Mitte des 12. Jahrhunderts nicht nur als Mitinitiator des Zweiten Kreuzzuges besonders hervor, sondern auch als Fürsprecher von kreuzzugähnlichen Kampagnen in ganz Europa. Gerade die späten 1140er Jahre waren geprägt durch „Christian campaigns on all fronts against the surrounding pagans and Muslims“;¹⁸³ Papst Eugen III. authorisierte 1147 auch in Nordeuropa entsprechende Aktionen. Die Teilnahme englischer und skandinavischer Söldner an verschiedenen Kreuzzügen ist nachweisbar;¹⁸⁴ und als um 1200 das Interesse der Kreuzfahrer an der als ‚Griechisches Feuer‘ bezeichneten berüchtigten Kriegswaffe erwachte, wurde der als Brandmittel verwendete Schwefel (brennisteinn) vor allem aus Island bezogen.¹⁸⁵ Damit ist auch angedeutet, dass die Kreuzzüge in der Praxis eine logistische Herausforderung vormals ungekannten Ausmaßes waren, von der alle gesellschaftlichen Schichten betroffen waren.¹⁸⁶ Die zeitgenössische Dokumentation des desaströsen Zweiten Kreuzzugs von 1147 bis 1149, so bemerkte John France, belege ein immenses Interesse an der Bewältigung praktischer Herausforderungen.¹⁸⁷ Bereits der Vgl. von Padberg 2010, S. 127: „Die Folgen der Kreuzzüge waren erheblich. Für Europa stellten sie vor allem eine Horizonterweiterung dar. Die Begegnung mit fremden Kulturen wie auch die Erfahrung gemeinsamer Kriegszüge haben zur Selbstfindung des Westens beigetragen, der sich erst jetzt deutlicher als ‚die Christenheit‘ verstand. Andererseits kam es verstärkt zur Ausbildung nationaler Identitäten, was sich nachhaltig auf die Entwicklung der europäischen Staaten auswirkte. Das Scheitern der Kreuzzüge ließ überdies die Skepsis gegenüber dem Machtanspruch der Papstkirche wachsen und stärkte neben dem nationalen auch den laikalen Gedanken. Eine vom Monopol der Kirche losgelöste Gesellschaft wurde nicht nur denkbar, sondern in Grundzügen bereits erkennbar. So haben die gescheiterten Kreuzzüge Europa in einen großen Umwälzungsprozess gestürzt“.Vgl. Jaspert 2006, S. 168: „The encounter with Islam showed the Latin West its own characteristics, for perceptions of the other and of oneself go hand in hand. […] The crusades at the most fundamental level led both Christendom and Islam to self-discovery“, sowie Dendle 2008, S. 50: „Medieval Christians could never rest blithely or unthinkingly entrenched in their worldview as a matter of course but were forced to continuously reassert beliefs in the face of sometimes powerful, and always threatening, alternatives“. Constable 2008, S. 229. Vgl. Unger 2006 und Fonnesberger-Schmidt 2007. Vgl. Borgolte 2002, S. 240, sowie Helgi Þorláksson 2017, S. 100 – 102, hier S. 101: „Mun óhætt að miða við […] að íslenskur brennisteinn hafi verið orðinn eftirsóttur á erlendum mörkuðum vart síðan en um 1250“, ‘man kann sicherlich davon ausgehen, dass isländischer Schwefel kurz nach 1250 auf europäischen Märkten gefragt geworden warʼ. Auf profane Motive der Teilnahme an Kreuzzügen verwies von Padberg: „Natürlich gab es auch weltlichere Motive wie Reise- und Abenteuerlust, Hoffnung auf Beute und Landbesitz sowie die Flucht vor Problemen zu Hause. Bei den weiteren Kreuzzügen [d.i. nach dem ersten] kam noch manches hinzug, wirtschaftliche Interessen der Seehandelsstädte, politische Pläne der Herrschenden und das Streben des Papsttums nach Vorherrschaft über Könige und Kirche. Von einem war indes in der gesamten Kreuzzugsepoche nicht die Rede, von der Mission. Nirgendwo findet sich ein Aufruf zur Bekehrung der Muslime“ (von Padberg 2010, S. 121 f.). Das fügt sich zu den Bemerkungen in der Konungs skuggsjá, kapp, forvitni und féfang, ‘Tatkraft, Wissbegierde und materieller Reichtum’, seien Anlass zu (gefahrvollen) Reisen in ferne Länder (vgl. Kap. 1.2.4.1). Housley 2003, S. 45, bemerkte kritisch: „Historians of the crusades still tend to consider the central issue of response and motivation without adequate reference to the question of funding“. Vgl.
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Zeitgenosse Robert von Torigni († 1184), Chronist und Abt von Mont-Saint-Michel, bemerkte kritisch, dieser Kreuzzug sei wesentlich finanziert gewesen durch das schändliche Ausplündern der Armen und der Kirchen.¹⁸⁸ Die erste nachweisliche Erhebung einer generellen Abgabe zur Finanzierung von Unternehmungen im so genannten Heiligen Land erfolgte 1166, die erste Abgabe auf bewegliches Eigentum sowie sonstige Einnahmen dezidiert zur Finanzierung der Kreuzzüge 1188;¹⁸⁹ David Benjamin sprach nicht zu Unrecht von einer regelrechten „commercialisation of crusading warfare“ im späten 12. Jahrhundert.¹⁹⁰ Das Besteuerungsprogramm zur Kriegsfinanzierung lege in seiner Formulierung nahe, so Connell, dass erstens zahlreiche Individuen dem Kreuzzugsgedanken ablehnend gegenüberstanden, dass zweitens eine allgemeine Bitterkeit unter den Betroffenen herrschte.¹⁹¹ Norman Housley betonte insofern zu Recht, es sei zwar Gemeinplatz der Forschung, dass die Kreuzzüge immer teurer geworden seien, dies sei aber schlicht die faktische Entwicklung gewesen, die bereits zeitgenössisch Aufmerksamkeit erregt hätte: „Factors of uncertainty entered the situation which were more taxing even than those which faced people trying to plan such a campaign in secular warfare“.¹⁹² Solche Unsicherheit bereits in der Planung potenziert sich aber, als gerade das Kriegführen seit jeher „zwischen Theorie und Handwerk, zwischen Regelwissen und Improvisation, zwischen objektiver Notwendigkeit und mitspielendem Zufall“ liegt¹⁹³ – die „Willkürlichkeit des Krieges“, so formulierte Cornelia Herberichs griffig,
France 2006, S. 93: „The sources testify to problems of supply and to the importance which leaders attached to solving them. At the same time an examination of logistical problems is inseparable from questions of overall organisation. […] In short, what we see is ramshackle by modern standards but it approximated to what was possible in that age“. Vgl. Althoff 1992, S. 96: „Die geradezu permanente Reisetätigkeit aller wichtigen Leute samt ihrer Begleitung erforderte Planung, Organisation und Kommunikation in beträchtlichem Ausmaß, Leistungen auf Gebieten also, auf denen wir das frühe und hohe Mittelalter wohl nicht ganz zu Unrecht als nicht sehr leistungsfähig einschätzen“. Zu Herausforderungen einer Reise per Schiff (relevant vor allem für Nordeuropa) vgl. Classen 2018, zur religiösen und sozialen Dimension von Reisen vgl. Kuuliala/Rantala 2020. „It forms no part of our purpose to recount the troubles and miseries which they suffered in their journey […]. But since that enterprise had its commencement, for the most part, in pillaging the poor and robbing churches – the perpetrators of which disgraceful disorders escaped unpunished – nothing worthy of being remembered occurred in this expedition“ (zitiert nach Constable 2008, S. 119). Vgl. auch Abels 2014, S. 19, zur Kriegsführung im 13. Jahrhundert (vornehmlich in Frankreich): „Real warfare was characterized by ravaging and pillaging, the most common military activities of the period […]. The main victims of warfare were peasants and townsmen“. Vgl. Constable 2008, S. 121 f. Benjamin 2015, S. 191. Moore 2017 schlug vor, man solle auch die Entwicklungen der Sturlungaöld verstärkt unter dem Gesichtspunkt von Transformationsprozessen über europäische Grenzen hinaus betrachten; dabei attestierte er ökonomischen Aspekten besondere Relevanz. Vgl. Connell 2016, o.S. Housley 2003, S. 59. Böhme 2011, S. 392.
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sei „gleichsam überzeitliches Wesensmerkmal“.¹⁹⁴ Prägnant betonte Egon Boshof, mit dem verlustreichen Zweiten Kreuzzug sei „der einstige Nimbus der Unbesiegbarkeit“ der Kreuzfahrerstaaten gründlich zerstört gewesen.¹⁹⁵ Eine Einschätzung, die Giles Constable mit Blick auf die Überlieferung zur Mitte des 12. Jahrhunderts bestätigte: „The incredible lack of Christian success“¹⁹⁶ sei angesichts der gewaltigen Dimension bereits des Zweiten Kreuzzuges zu einem Problem geworden, das wenige schreibende Zeitgenossen durch „inexplicable divine will“ gedeckt gesehen hätten.¹⁹⁷ Einleitend wurde auf Jarl Hákon Eiríkssons nüchterne Registrierung eines historischen Wechselspiels von Sieg und Niederlage in der Heimskringla verwiesen: hefir þat lengi verit, at ýmsir hafa sigraðir verit, ʻes ist seit jeher so gewesen, dass mal der eine, mal der andere besiegt worden istʼ¹⁹⁸ – Figurenrede, aber bezeichnend, spiegelt sie doch die schlichte Akzeptanz unvorhersehbarer, mal vorteilhafter, mal nachteiliger Ereignisse im Laufe der (nordischen) Geschichte wider, derer menschliche Planung nur zu einem gewissen Grad Herr werden kann.¹⁹⁹ Vor diesem Hintergrund erscheint die im 12. Jahrhundert verstärkt einsetzende gelehrte Reflexion von Kontingenz und Zufall auch als Reaktion auf Einsichten, die den Erfahrungen jener Heerführer, Söldner und auch Pilger entsprungen waren, die
Herberichs 2010, S. 166; vgl. die berühmte Formulierung bei Carl von Clausewitz († 1831): „Es sind die kleinen Unregelmäßigkeiten und winzigen Schwierigkeiten, die sich zu einer ‚entsetzlichen Friktion‘ aufbauen. […] Die Friktionen bestehen ebenso aus den unberechenbaren Störmomenten der materiellen Welt (des Geländes, des Wetters), aus der Ungewissheit des Wissens (der Nachrichten, der Kenntnis des Gegners), aus der zu keinem Augenblick überschaubaren, nahezu unendlichen Menge intermittierender menschlicher wie nichtmenschlicher Faktoren, aus dem stets eintretenden Unerwarteten und Zufälligen“ (zitiert nach Böhme 2011, S. 408). Boshof 2007, S. 79. Constable 2008, S. 230. Constable 2008, S. 282. Pointiert formulierte auch Connell 2016, o.S.: „Public Opinion [sic!] is fickle and cruel. Ignoring the heavenly gain of those who died in the effort, critics quickly turned on those who had preached and promised rewards for participating in this sacred war“. Eine Kritik, die auch die teilnehmenden Söldner erfasste; vgl. Rüther 2011, S. 211: „Die zunehmende Bedeutung von Söldnern für die Kriegsführung seit dem ausgehenden 12. Jahrhundert wird flankiert von einer breiten Kritik an dieser Personengruppe […]. Sie ist bestimmt durch eine Rhetorik der Ausgrenzung, welche die Söldner als fremd und anders markiert“. Vgl. Kap. 1.2.1. Es ist bezeichnend, dass die altisländischen Hávamál (überliefert um 1270, zu Teilen aber älter), bevor sie sich Einzelheiten der Gastfreundschaft widmen, mit der Ermahnung beginnen, die Umgebung gut im Blick zu halten, wisse man doch nie, wo ein Widersacher säße: gáttir allar, áðr gangi fram, um skoðask skyli, um skyggnast skyli, því at óvíst er at vita, hvar óvinir sitja á fleti fyrir (Jónas Kristjánsson/Vésteinn Ólason 2014, S. 322); vgl. dazu Gurjewitsch 1994, S. 45: „Der erste Eindruck, der sich dem Leser aufdrängt, ist der, daß viele Belehrungen einen Menschen ansprechen, der einsam ist. Dieser Mensch schlägt sich allein gegen alle durch eine Welt, die ihm feindlich gesonnen ist und auf Schritt und Tritt Gefahren für ihn bereithält“.
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den Unsäglichkeiten des Krieges (fern der Heimat) ausgesetzt waren.²⁰⁰ Heimskringla und Morkinskinna liefern zumindest ein schlagendes Beispiel dafür: Der erste norwegische König, der zeitnah zum Ersten Kreuzzug ins Heilige Land reiste – als Krieger und Pilger zugleich –, Sigurðr Magnússon († 1130), litt der Erzählung folgend nach seiner Heimkehr zunehmend an geistigem Verfall, hatte Halluzinationen, Lachanfälle wechselten mit Depressionen, er war gewalttätig und unberechenbar: þá sló á hann hlátri svá miklum, at þar flygði staðleysi, ok kom þat síðan mjǫk optliga at honum (Hkr iii, 262), ‘da überkam ihn ein solch gewaltiger Lachanfall, dass seine Sinne verwirrt wurden, und das passierte ihm danach noch sehr oft’. Es bleibt Spekulation, liegt hier aber nahe, zwischen Kriegserfahrung und mentalen Störungen eine Verbindung zu ziehen. Die Kreuzzüge dürften jedenfalls auch bei skandinavischen Teilnehmern Kriegstraumata in zuvor unbekannter Weise hervorgerufen und verstärkt haben und wären damit ab dem 12. Jahrhundert zumindest als latentes Thema wirksam gewesen;²⁰¹ dass im frühen 13. Jahrhundert, zur angenommenen Entstehungszeit der Königssagakompilationen, sowohl der Vierte Kreuzzug (1202– 1204) als auch, in zwei Kampagnen, der Fünfte Kreuzzug erfolgte (1217– 1222 und 1228 – 1229), ist genauso ein bemerkenswerter zeitlicher Zusammenfall, wie die zeitgleich erfolgenden kreuzzugähnlichen Kampagnen im Baltikum.
2.3.3 Notwendigkeitsbewältigung Das Wechselspiel zwischen der lebenspraktischen Akzeptanz einer offenen Zukunft und Versuchen, Zufälle in dieser kontingenten Welt durch Erfahrungswissen zu entschärfen – damit auch die Unterscheidung von Gefahr (d. h. unvorhersehbare Bedrohungen von außen) und Risiko (d. h. kalkulierte Verlustszenarien) –,²⁰² hat in der mediävistischen Forschung bisher nur selektives Interesse geweckt. Werner Röcke betonte, theoretisch wie praktisch sei gerade ‚das Risiko‘ eine der wichtigsten Funktionsweisen von Kontingenz überhaupt, müsse es doch stets eingegangen werden, wenn Möglichkeiten realisiert werden sollen: „Es setzt, anders gesagt, den Vollzug einer riskanten Entscheidung voraus, wenn es als Risiko sichtbar und beurteilbar werden soll“.²⁰³ Verstehen wir Geschichte als Raum, in dem der Mensch einerseits Vgl. Heebøll-Holm 2014, S. 244: „Even a trained warrior accustomed to war could succumb to trauma, and some actions were too much even for these battle-hardened warriors as, for instance, the crusader chroniclers recognise“. Zur Diskussion in der Altskandinavistik vgl. Torfi Tulinius 2017. Vgl. Scheller 2017b, S. 185 f.: „Das Wort Risiko […] stammt aus dem Mittelalter. Risiko, risk, risque, rischio: Sie alle gehen auf das mittellateinische resicum bzw. risicum zurück, das Mitte des 12. Jahrhunderts erstmals belegt ist und im 13. Jahrhundert fester Bestandteil der Kontingenzsemantik wird. […] Obwohl die Rede vom Risiko im Mittelalter aufkam, hat die Mittelalterforschung zur Geschichte des Risikos kaum einen Beitrag geleistet“. Röcke 2010, S. 271 f.; vgl. ebd.: „Risiken sind Funktionen menschlicher Entscheidungen. Sie drohen, weil ihre Möglichkeit bewusst in Kauf genommen wird, sie also aus Entscheidungen folgen
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seine Möglichkeiten entfaltet, in der Erfahrung von Grenzen andererseits aber auch „die Faktizität und Kontingenz seines Seins und Soseins“ erkennt,²⁰⁴ dann verstehen wir Handlungsraum als Entscheidungsraum. Ein Raum der zwar begrenzten, aber doch vorhandenen Reaktionsmöglichkeiten auf Ereignisse und eben auch als „Reich des Zufalls“.²⁰⁵ Diese Ambivalenz von Kontingenz, die Verwirklichung von Unverfügbarkeit als Zufall, von Verfügbarkeit als Handlung, gilt für kulturelle und narrative Kontexte gleichermaßen.²⁰⁶ Entscheidungsfindung nimmt auch in den Königssagas besonderen Stellenwert ein: Zahlreiche Handlungen der Figuren, die Einfluss auf die nordische Geschichte nehmen, werden als Resultat langer Beratungen und eingehender Planungen dargestellt – ob dann erfolgreich oder nicht.²⁰⁷ Doch auch hier ist bisherige Forschung lückenhaft. Gerd Althoff konstatierte noch 2016 nüchtern, angesichts der „epochen- und kulturübergreifenden Dimension des Themas ‚Beratung‘“ sei es erstaunlich, dass die langen Jahrhunderte des Mittelalters weitgehend aus der Betrachtung ausgeklammert worden seien: „Formen und Inhalte der Beratung, die Möglichkeiten und Grenzen des Rat-gebens [sic!] und […] deren Bedeutung für das Funktionieren der mittelalterlichen Herrschaft“²⁰⁸ seien weitgehend unerforscht. Sicherlich hat die so genannte Spiegelliteratur, zu der im Norden vor allem die Konungs skuggsjá, der Königsspiegel aus der Mitte des 13. Jahrhunderts zählt, Forschungsin-
können, aber nicht müssen. Anders als Gefahren, die einem von außen zukommen, ohne dass man sie selbst verursacht hätte oder sich in jedem Fall der Gründe für die Gefahren überhaupt bewusst wäre, sind Risiken durch eigene Entscheidungen bedingt, wären also auch prinzipiell vermeidbar“. Erinnert sei an Howard Patchs wuchtige Übertragung dieser Einsicht auf den Wert oder Nicht-Wert des Lebens nach dem Ersten Weltkrieg (vgl. Kap. 2.1). Angehrn 2010, S. 376. von Arnauld 2003, S. 171; vgl. Makropoulos 1998, S. 61: „Handeln im strengen Sinne des Wortes setzt also eine signifikante Spannung zwischen der Wirklichkeit und mindestens einer anderen Möglichkeit voraus, die allererst [sic!] einen distinkten Handlungsbereich bildet. Das ist systematisch der Sachverhalt – der zugleich das Zufällige näher bestimmbar macht. Zufällig ist vor diesem Hintergrund ein Ereignis nämlich gerade dann, wenn es zwar ebenfalls in diesem ‚Spielraum offener Möglichkeiten‘ eintritt, sein Eintreten aber im Unterschied zum entscheidungsgenerierten und damit begründbaren Handeln als grundlos erklärt wird“. Diese Position ist bereits in Aristoteles’ Physik erfasst, vgl. Müller 2014, S. 28: „Die Existenz von Schicksalsfügungen zeugt nach Aristoteles davon, dass man dem Menschen die Fähigkeit zuschreiben muss‚ ‚aus sich heraus‘ bestimmen zu können, inwiefern sich das, was ihm widerfährt[,] in seinem Handeln einfügt“. Vgl. Makropoulos 1990, S. 409. Am Rande notierte das bereits Sverrir Tómasson 1992, S. 382: „Í Heimskringlu koma einnig fram aðrar nýjungar. Persónurnar halda ræður á þingum og fyrir orrustur; samtöl eru tíð. Almennt er álitið að ræðurnar og samtölin séu persónulegasti skerfur Snorra til sögu sinnar. Í ræðunum gætir Snorri þess að láta andstæð sjónarmið njóta sín og hann hefur að jafnaði þann hátt á að bera saman fortíð og nútíð“, ‘in der Heimskringla werden auch andere Neuerungen sichtbar. Die Protagonisten halten Reden auf Versammlungen und vor Kämpfen; Gespräche sind in Mode. Man nimmt an, dass diese Reden und Gespräche Snorris persönlichster Beitrag zu seiner Königsgeschichte sind. In diesen Reden genoss es Snorri, gegensätzliche Aspekte sich entfalten zu lassen, und üblicherweise verglich er dabei Vergangenheit und Gegenwart’. Althoff 2016b, S. 12 f.
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teresse auf sich gezogen; doch handelt es sich hier um erbauliche Lehrwerke, die der Sagaliteratur nur bedingt vergleichbar sind. In der Altskandinavistik ist das Motiv des Beratens und Ratgebens ansonsten wesentlich auf Randbemerkungen im Zusammenhang mit den inflationär behandelten Themen Freundschaft und Verwandtschaft als gesellschaftliche Wirkungsmechanismen beschränkt geblieben.²⁰⁹ Formen der Beratung, so zeigte Althoff, durchliefen aber ab dem 12. Jahrhundert nachhaltige Entwicklungen, wenn der Wert solcher Beratung und Planung zunehmend kritisch bedacht wurde: Mehr und mehr wurden gesellschaftliche und politische Krisen als Resultat falscher Beratung verstanden. Prominent wird diese Einsicht um 1260 in der altnordischen Alexanders saga dem harðla goður klerkur og inn mesti spekingur að viti, ‘dem ausgezeichneten Gelehrten und größten Weisen‘, eben Aristoteles, in den Mund gelegt; dieser wendet sich an seinen Schüler Alexander (den Großen) mit den Worten: það vil eg þér fyrst ráða að þú sér [sic!] ráðvandur, að þú hafir jafnan ina bestu menn við þína ráðagerð. Hlýð ekki á hviksögur þeirra manna er tvítyngdir eru,²¹⁰ ‘das will ich dir als erstes raten, dass du gewissenhaft bist und stets die besten Männer zu deiner Beratung bei dir hast. Höre nicht auf die Gerüchte von Leuten mit gespaltener Zunge’. Bemerkenswert nicht zuletzt, da der vermutliche Urheber der Saga, Brandr Jónsson († 1264), Bischof in Hólar, selbst als einflussreicher politischer Vermittler agierte.²¹¹ Aus der zunehmenden Hinterfragung des praktischen Werts von Beratung und dem Konkurrenzdenken zwischen Beratern heraus, so weiter Althoff, sei eine dynamische Beziehung zwischen Herrschern und Beratern erwachsen, in der Königsherrschaft Gegensätze ausgleichen musste: „Durch nichts konnte sie selbst schneller Krisen erzeugen, als durch einseitige Bevorzugung einzelner Parteien oder Personen. Konsensuale Herrschaft war daher auch so etwas wie ein Ritt auf dem Tiger“.²¹² Für die mittelalterliche isländische Gesellschaft wurde Ähnliches notiert,²¹³ doch blieb der Aspekt des Ratgebens als konstituierendes Moment von Herrschaft ausgeklammert zugunsten der Betrachtung von sozialen Hierarchien und Freundschaftsbündnissen.
Vgl. z. B. Jón V. Sigurðsson/Småberg 2013, Jón V. Sigurðsson 2017b,Viðar Pálsson 2017, Mora 2017. Die Bemerkung bei Mora 2017, S. 144: „Für die Verfasser der Sagas ist es selbstverständlich, dass Freunde als Ratgeber fungieren“, ist beispielhaft für die oberflächliche Thematisierung. Gunnlaugur Ingólfsson 2002, S. 5 f. und S. 8. Vgl. Ashurst/Vitti 2011, S. 316. Althoff 2016a, S. 276. Orning 2013b, S. 132, bemerkte, in dem Moment, in dem das Gleichgewicht von Herrscher und Beratern zugunsten letzterer umschlüge, liefe ein König Gefahr, seinen Status als oberste Entscheidungsinstanz zu verlieren (und damit ókóngligt zu werden); er konnte dann, wie Orning für die Tristram saga ok Ísöndar festhielt, zum „most ambigious character“ der Erzählung werden. Dies umso mehr vor dem Hintergrund eines dynamischen Wertehorizonts der Sagas, vor dem es keineswegs selbstverständlich sei, welche Handlungen akzeptabel und welche inakzeptabel seien (vgl. Orning 2008, S. 315). Vgl. Jón V. Sigurðsson 2013, 45: „A chieftain had to satisfy both parties or he risked losing one of them who might think that he would be better off with another“. Auch Ármann Jakobsson 2014a, S. 258, notierte für das Bild des Königs in der Morkinskinna: „In the society of the saga, power, law and justice, money and fame, are all contested. These matters are constantly in a state of flux“.
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Dass diese Aspekte in den Königssagas von Bedeutung sind, kann nicht bezweifelt werden. Doch wenn etwa Jón Viðar Sigurðsson festhielt, „a friendship was easy to establish and easy to terminate, and was therefore a good instrument for chieftains to employ to achieve their aims“,²¹⁴ dann wurden wirksame Mechanismen und Dynamiken auf eine binäre Struktur, eine Art on-off-Beziehung reduziert, die den oft ambigen Figuren und der Kontingenz sowohl der natürlichen als auch der sozialen Umwelt in den Königssagas nicht gerecht werden. Vor allem aus literaturwissenschaftlicher Perspektive bleibt diese Marginalisierung unbefriedigend. Nicht nur vernachlässigt sie die Reflexion des angesprochenen Wertes von volkssprachlicher Dichtung und Literatur in der isländischen Gesellschaft des 13. Jahrhunderts – zumal im Vergleich zur lateinischsprachigen Historiographie des Kontinents, die, in den Worten Aaron Gurjewitschs, sprachlich außerstande gewesen sei, „die Gedankenstruktur der Menschen jener Zeit adäquat wiederzugeben“.²¹⁵ Hier wird auch der Umstand ausgeblendet, dass in den Erzählwelten der Königssagas Aufstieg und Fall einzelner Herrscher und ihrer Familien und Gefolgschaften eben als Resultat der kontinuierlichen Abfolge von Beratungen, Planungen, Zufällen, erneuter Beratung usw., also als Resultat allenfalls temporär verfügbarer Momente in einem komplexen Wechselspiel von Handeln und Erleiden geschildert werden, in dem soziale Interaktion keinesfalls als klar regulierter Mechanismus erscheint. Entscheidungsfindung scheint Handlungsmaxime, doch wird ihre Geltung als solche immer wieder in Frage gestellt. Im narrativen Ablauf wird eine finalgerichtetgeordnete Entwicklung zugunsten kontingenter Übergänge von Erzählzuständen aufgegeben – Übergänge, die neue narrative Konfigurationen eröffnen: Kontingenz als „Einschussstelle neuer Handlungsmotivationen“, wie Annette Gerok-Reiter treffend formulierte.²¹⁶ Diese narrativ verhandelten Dynamiken fordern eingehendere Betrachtung: In ihnen werden, auch im Blick auf einen gesellschaftlichen und politischen Alltag, Multiplikatoreffekte für Kontingenz sichtbar und wirksam. Nicht allein die natürliche Umwelt, sondern auch die Sozialwelt des Menschen ist aufgrund der Unberechenbarkeit des Einzelnen geradezu „hoffnungslos kontingent“.²¹⁷ Das deutete bereits Aristoteles im zweiten Buch der Physik an, wenn er nicht nur Naturabläufe als störanfällig ansah, sondern auch in der sozialen Interaktion von „Nebenbei-Ursachen“ sprach, die ‚Als ob‘-Zusammenhänge suggerieren würden.²¹⁸ „Zukünftig Eintretendes“, so führte er in Kapitel 9 von De Interpretatione weiter aus, nähme seinen Ausgangspunkt „sowohl vom Beraten aus wie davon, daß man zu handeln beginnt“, doch erfolge dieses Handeln eben in einem Bereich des „‚Kann sein oder auch nicht‘“.²¹⁹ Niklas Luhmann hat den Begriff der doppelten Kontingenz für das Dilemma
Jón V. Sigurðsson 2013, S. 55. Gurjewitsch 1994, S. 55. Gerok-Reiter 2010, S. 143. Haferland 2010, S. 345. Zekl 1987, S. 93. Zekl 1998, S. 115.
2.3 Kontingenz und Zufall im Mittelalter – Lebenspraktische Positionen
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etabliert, dass in sozialen Situationen das künftige Handeln für das jeweilige Gegenüber kontingent bleiben müsse, damit aber auch das eigene Handeln nicht eindeutig bestimmt sei – eine „zirkuläre Unfähigkeit zu Selbstbestimmung“.²²⁰ Menschliche Handlungsplanung kann also, so Harald Haferland, letztlich nur einen zu kleinen Ausschnitt sichern, „um den Verlauf unseres Lebens zu unserer Zufriedenheit begreifen zu können“: Als Menschen haben wir die Zusammensetzung unserer Eigenschaften nur unzureichend im Griff, und welche Eigenschaft auf welche Belastung hin zutage tritt, wissen wir oft selbst nicht und sind uns dann selbst kontingent. Allemal sind wir es uns gegenseitig, wenn wir nicht absehen können, wie die Begegnung mit einem Anderen verläuft und ausgeht.²²¹
In ähnliche Richtung verwies für die Königssagas Hans-Jacob Orning, doch deutete er das Moment der Unberechenbarkeit in sozialer Kommunikation wiederum als herrschaftliches Werkzeug: „The king acquired much of his power by playing on the adversary’s uncertainty as to how he would react, in which his outbursts of anger appeared ‘as ambiguous as they were intolerable’“.²²² Am Beispiel der Hrafnkels saga (zweite Hälfte 13. Jahrhundert) illustrierte William Ian Miller unlängst diesen sozialen Aspekt von Kontingenz auf narrativer Ebene, wenn er festhielt, es käme selten vor, dass eine Handlung nicht aus einem „mix of desire, emotions, motives, and goals“ resultieren würde, was aber weder vom Handelnden selbst, noch von seiner Umwelt gänzlich durchschaut würde.²²³ Zumal für die von gewalttätigen Auseinandersetzungen geprägte Sagawelt sei dies ein latent bedrohlicher Zustand: If you come up with one single vice, or emotional state, or character trait that you think concludes the question, you would not survive long in that society in any high-stakes encounter where surviving depends on being a better psychologist than is your average therapist or literary critic today. Reading a person, like reading literature, is a probabilistic enterprise; and in each case some people are better at it than others.²²⁴
Zweierlei wird deutlich. Erstens, dass Versuche der Forschung, soziale Interaktion in der altnordischen Gesellschaft in zweidimensionalen Strukturen abzubilden, weder eine so genannte historische Realität noch deren narrativ-literarische Formung hinlänglich abbilden. Zweitens und daran geknüpft, dass mit einer bloßen Konstratie-
Luhmannn 1981, S. 13. Haferland 2010, S. 345. Orning 2008, S. 319. Ähnlich bemerkte Rexroth 2016, S. 91, „Unwägbarkeiten des Sozialen“ seien nicht per se „Indikator für mangelnde Stabilität“, sondern vielmehr produktiver Teil des Sozialen. Miller 2017, S. 12. Miller 2017, S. 13. Vergleichbar zur Hrafnkels saga bereits Kratz 1981, S. 443: „There is therefore a sort of ambivalence present in the attitude of the narrator. On the one hand pride, haughtiness, and arbitrary exercise of power are berated and the right of weaker subjects are championed. On the other hand the untenable position of the little man who has come into power beyond his capabilites is shown. The result is, psychologically speaking, a very complex and sophisticated piece of literature“.
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2 Kontingenz und Zufall in Geschichte(n) – Theoretisch-methodische Überlegungen
rung von geplantem Handeln und zufälligem Geschehen das Verhältnis zwischen dem Menschen und der ihn umschließenden natürlichen und sozialen Kontingenz nicht hinreichend erfasst ist: Neben der Suche nach innerer Gewissheit ist es doch vor allem das aus lebenspraktischen Gründen erfolgende Streben des Menschen nach äußerer Sicherheit,²²⁵ das Kontingenz gerade nicht ausschaltet, sondern sie, und in der Aktualisierung Zufälle, als das Unverfügbare überhaupt sichtbar macht. Es kann dann nicht mehr von einem Primat menschlicher Planung gegenüber dem Zufall die Rede sein, wie Thukydides es behauptete, aber bereits Aristoteles es bezweifelte. Das Nichtkalkulierbare erfolgt vielmehr aus dessen Gegenteil: der Planung künftigen Geschehens. Anders gesagt: Planung impliziert Entscheidung als ersten Handlungsakt – und „ohne bestimmtes Handeln besäße der Zufall keine Chance“.²²⁶ Darin liegt die fundamentale Ambivalenz von Kontingenz. Vor der Einsicht, dass Problemkomplexe des menschlichen Lebens als Konsequenzen von Planung, Entscheidungen und darin bewusst werdenden Unsicherheiten und Zufällen zu deuten sind – mit den Kreuzzügen ab dem 12. Jahrhundert als wuchtiges Beispiel – drängt sich schließlich die Frage auf, wie sich Entwicklungspotenzial und Handlungsspielraum überhaupt gewährleisten lassen. In der gelehrten Debatte des 13. Jahrhunderts wurde hier zunehmend die Verknüpfung des freien Willens mit der ethischen Maxime des guten und gerechten Handelns bedeutsam. Doch im Lebensalltag blieb diese Lösung fraglos oft abstrakt. Hier wird brisant, was vorausgehend gesagt wurde, nämlich die Bedrohung, die in der Potenzierung scheiternder Lösungen von lebenspraktischen Problemstellungen liegt. Damit, zentral für das Thema der Königssagas, ist auch ein Aspekt von Macht angesprochen, im Sinne der Fähigkeit, „in Situationen mit Handlungsalternativen eine Entscheidung zu treffen und für ihre Verwirklichung zu sorgen […] und zwar derart, daß andere in die Ausführung einbezogen werden“.²²⁷ Anders gesagt: Wenn Kontingenz ohne Bezug zu menschlicher Planung und menschlichen Wünschen nicht formuliert werden kann, und damit zugleich die ontologische Bedingung für den Zufall gegeben ist, dann impliziert dies die Bewertung von Entscheidungen als „Notwendigkeitsbewältigung“²²⁸ – eben die Bewältigung der Notwendigkeit, eine Entscheidung zu treffen, um Handlung zu realisieren; mit den Worten Rüdiger Bubners:
Vgl. Rüther 2017, S. 271: „Gesellschaftsplanung mit dem Bedürfnis nach securitas zeigt im späteren Mittelalter nicht mehr die religiöse Überwindung der Welt, sondern die rationale Verwandlung der Welt an“. Bubner 1984, S. 41. Arweiler/Gauly 2008, S. 9. Röcke 2010, S. 282; diesen Terminus verwendete auch Kundert 2010, S. 336, für die Minneklage: „Die Frage nach der Kontingenz wird in der Minneklage von der anderen Seite gestellt als in der modernen Kontingenz-Diskussion. Sie fragt nicht: Wie lässt sich in einer unberechenbaren Welt Planungssicherheit für die eigenen Handlungen erreichen? Sondern sie fragt: Wie lassen sich in einer festgefahrenen Situation, die weder durch äußere Fährnisse noch durch die Handlungen der Beteiligten eine Veränderung erfährt, wieder Entwicklungspotential und Handlungsspielraum gewinnen?“. Zur Begriffsgeschichte von ‚Notwendigkeit‘ vgl. Ricken 1999, S. 194– 201.
2.4 Kontingenz und Zufall im Mittelalter – Erzähltheoretische Positionen
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Ohne die Nötigung, im Handeln praktische Bestimmung als Wählen eines Worumwillen aus einer im Überlegen bereitgestellten Vielzahl anderer Möglichkeiten zu setzen, entfiele von vornherein der Ausschluß anderer Möglichkeiten. Wären keine Möglichkeiten ausgeschlossen oder ließen sich alle realisieren, dann unterläge das Handeln auch keinen Zufällen mehr. Das Ausgeliefertsein an das grundlose Eintreten des Zufalls ist im Bereich des Handelns Ausdruck seiner Endlichkeit.²²⁹
Es geht in diesem Sinne, um den Bogen zu Röckes einleitend zitierter Bemerkung zu schlagen, um die aktive Gestaltung der Zukunft durch die „Kalkulation künftiger Handlungsweisen verschiedener Personen, deren Instrumentalisierung für einen bestimmten Zweck, häufig sogar gegen deren eigenen Willen“²³⁰ – ein Wille zur Gestaltung der natürlichen und sozialen Lebenswirklichkeit, der mit dem Risiko leben muss, an der zukünftigen Wirklichkeit zu scheitern. Hier nun entfaltet, so die These der vorliegenden Studie, Literatur als willentlicher Akt ihren eigenen Wert.²³¹
2.4 Kontingenz und Zufall im Mittelalter – Erzähltheoretische Positionen A token of the world’s instability and of human powerlessness, chance is inevitably a crucial literary theme.²³²
2.4.1 Ambiguitätsfernes Mittelalter? Wenn die Götter das Geschick nicht mehr lenken, tritt an ihre Stelle der Zufall und mit ihm der Erzähler als Inszenator.²³³
Im vorausgehenden Teil dieser Studie wurde der Versuch unternommen, einen mentalitäts- und wissenschaftsgeschichtlichen Rahmen vom 12. bis ins 14. Jahrhundert zu zeichnen, innerhalb dessen Konzepte von Kontingenz und Zufall verortet werden können. Thematische Anknüpfungspunkte zu den Königssagas wurden herausgestellt, diese Überlegungen gilt es nun literaturgeschichtlich und narratologisch zu präzisieren. Vorausgeschickt sei: Inwieweit der reine Akt des Erzählens von einer unhintergehbaren Kontingenz geprägt ist, ist eine Frage, die keine überzeugende Antwort gefunden hat. Zu Recht hielt Philipp Erchinger vor einigen Jahren fest, „Kontingenz in einem emergenten Erzählverlauf“ sei nicht einfach etwas, das „außerhalb der eigentlichen Ordnung des Textes steht, um sie zu durchkreuzen oder zu zerstören“, sondern vielmehr „konstitutiver Faktor der Kette performativer Akte, aus
Bubner 1984, S. 41 f. Röcke 2010, S. 282. Vgl. Kap. 4.4.2. James 2009, S. 3. Gerok-Reiter 2010, S. 152.
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2 Kontingenz und Zufall in Geschichte(n) – Theoretisch-methodische Überlegungen
denen die komplexe Gesamtstruktur des Werks überhaupt erst hervorgetrieben wird“.²³⁴ Sein Fazit einer „diskursiven Dimension, die jede Erzählung latent begründet, ohne dass sich ihre Emergenz jemals vollständig daraus deduzieren ließe“, blieb bezeichnend vorsichtig.²³⁵ Dieser Frage soll hier nicht weiter nachgegangen werden. Generell kann zu Kontingenz in mittelalterlicher Literatur weiterhin nur begrenzt auf vorliegende Forschung zurückgegriffen werden. Zwar bemerkte Walter Haug bereits Ende der 1990er Jahre, auch im 12. und 13. Jahrhundert hätte die „Sinnfrage als Aufgabe für den Einzelnen“ nur gestellt werden können, „wenn man ein Miteinander von Ordnung und Chaos, von Notwendigkeit und Zufall voraussetzt, oder genauer gesagt: wenn das Verhältnis zwischen beidem offen ist“.²³⁶ Eine Feststellung, die das skizzierte Forschungsinteresse an der gegenseitigen Bedingtheit von menschlicher Autonomie und Kontingenzerfahrung für die literaturwissenschaftliche Mediävistik fruchtbar zu machen suchte. Doch forderte Haugs These, soweit ich überblicke, keine Diskussion heraus. Es sei, so notierte über ein Jahrzehnt später Harald Haferland kritisch, angesichts der Tatsache, dass Literatur „den einzig privilegierten Gestaltungsbereich von Kontingenz und Finalität dar[stellt], schon sehr merkwürdig, dass die Begriffe in der Literatur- und Erzähltheorie keine oder doch so gut wie keine Rolle spielen“.²³⁷ Sicherlich hat es Annäherungen an Kontingenz in und von Literatur gegeben, doch hat mittelalterliche Literatur dabei keine nennenswerte Aufmerksamkeit erfahren, gilt Kontingenz oft weiterhin, wie Christina Lupton noch 2019 beispielhaft formulierte, als „characteristic of post-religious society“ und damit vermeintlich als irrelevant für das Mittelalter.²³⁸ Kritik an diesem Epochendenken wurde geübt. Verstärkt wird mittlerweile hingegen das Phänomen bzw. Konzept von mittelalterlicher Ambiguität diskutiert. In der Forschungsliteratur wird allerdings oft entweder nicht klar zwischen Kontingenz und Ambiguität unterschieden ist – „die Kontingenz ist wesentlich ambig“²³⁹ – oder ein Begriff wird zugunsten des anderen gemieden. Dazwischen liegen Versuche der Anknüpfung an dritte Begriffe, etwa die narratologische Ansprache von Kontingenz als eine „Weise von Ambivalenz“.²⁴⁰ Die
Erchinger 2009, S. 284; ähnlich Waltenberger 2010, S. 232: „Erzählen […] ist nicht selbst schon ein Ordnungsdiskurs, der dem Kontingenten nur vorläufig im Prozess der Ordnungsrestitution Geltung verleiht. Im Erzählen wird vielmehr stets die Differenz zwischen Zufälligem und Notwendigem prozessiert, und ob dies etwa der Bewältigung oder der Ausstellung von Kontingenz […] dient, hängt umso mehr von der ko(n)textuellen Einbettung ab, je deutlicher die Kontingenz des Erzählens selbst an seinen ‚Rändern‘ akzentuiert wird“. Erchinger 2009, S. 301. Das deckt sich mit Annäherungen gar über den Weg der Mathematik, die Suche nach einem regelrechten Algorithmus des Erzählens – die allerdings zu Ernüchterung geführt hat: „The question is whether a solution can in principle be found – and hence when to stop looking for one“ (Meister 2012, S. 535). Haug 2003 [1998], S. 83. Haferland 2010, S. 348. Lupton 2019, o.S. Stoellger 2000, S. 80. Becher 1997, S. 66.
2.4 Kontingenz und Zufall im Mittelalter – Erzähltheoretische Positionen
121
Formulierungen sind oft so uneindeutig, dass Marina Münkler resümierte: „Jeder Versuch, die Begriffsverwendung von Ambiguität definitorisch festzulegen, scheint zum Scheitern verurteilt“.²⁴¹ Hier ist für die literaturwissenschaftliche Betrachtung eine pragmatische Lösung anzustreben. Ambiguität könnte dann zunächst auf einen Text in seiner Gesamtheit bezogen werden; damit wäre der Umstand erfasst, dass dieser Text der subjektiven Rezeption gegenüber deutungsoffen ist; das wurde auch für die Königssagas notiert. Analytisch ist das wenig befriedigend, denn, wie auch Münkler monierte, die „Subjektivität des Lesers als Grundlage von Deutungsoffenheit“ blende „beschreibbare Widersprüchlichkeiten“ im Text aus²⁴² – eine Kritik, die die Relevanz des subjektiven Aspekts im Rezeptionsvorgang allerdings nicht verneint. Im Folgenden wird Ambiguität aber spezifischer im Sinne einer narrativen Ambiguität verstanden; sie ergibt sich, mit Münkler, aus der „Komplexität narrativer Konstruktionen, in denen sich Erzählerstimmen, Figurenperspektiven und die Polysemie der Sprache, insbesondere die historisch wechselvolle Semantik von Begriffen, überschneiden“.²⁴³ Auf Erzählebene verortet, wird Ambiguität als widersprüchliches Angebot an Deutungen, als konkurrierende semantische Ordnungen verstanden. Ambig können z. B. die Handlung und Rede, aber auch die generelle Charakterisierung einer Figur erscheinen, weil das Gegenüber (der Rezipient oder andere Figuren) nicht über ausreichend Informationen verfügt – d. h., diese werden nicht zur Verfügung gestellt –, um das Deutungsangebot auf eine bestimmte Interpretation festzulegen. Ambiguität kann in gleicher Weise auf terminologischer Ebene wirksam sein, wie am semantischen Feld von hamingja bereits aufgezeigt wurde.²⁴⁴ Damit liegt die Deutungshoheit beim Rezipienten, sie wird aber durch identifizierbare (wenn auch nicht widerspruchsfreie) Signale gesteuert, die in der Untersuchung ansprechbar sind. Es geht darum, den Spielraum zwischen Definition und Deutungsbeliebigkeit, jene „Asymmetrien im nach vorne offenen Prozess“,²⁴⁵ auszuloten. Aus narratologischer Sicht wird Kontingenz insofern in der vorliegenden Studie wesentlich als Strukturbegriff verstanden, der die Nichtdeterminiertheit des Übergangs zwischen Erzählzuständen erfasst. Welche Möglichkeit des Fortgangs des Geschehens (sei es in Handlung, Rede oder äußeren Bedingungen) erzählerisch aktualisiert wird – zumal bei Unterbrechung des Erzählstrangs –, ist erst nachträglich offensichtlich und kann daher auch erst in der Retrospektive auf eine spezifische Begründung befragt werden. Frank Rexroths Bemerkung, kontingente menschliche
Münkler 2016, S. 114; vgl. die kritische Reflexion in Weimar 2009. Münkler 2016, S. 127. Die Beschreibung von (vermeintlichen) „Widersprüche[n] im Motivationsgefüge des Textes“, im Sinne eines Mangels, darf dabei nicht zur alleinigen Aufgabe des Literaturwissenschaftlers werden, wie Heinzle 2009, S. 67 f., mit Blick auf die altnordische Nibelungentradition andeutete: Widersprüche kämen „gewiß nicht nur, aber doch wohl auch und in signifikanter Weise dadurch zustande, daß konkurrierende Varianten handlungslogisch nicht voll integriert sind“. Münkler 2016, S. 128. Vgl. Kap 1.1.3. Sloterdijk 2014, S. 90 f.; vgl. Kap. 1.2.2.
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2 Kontingenz und Zufall in Geschichte(n) – Theoretisch-methodische Überlegungen
Erfahrungen seien in vormoderner Narration, zumal in Geschichtsschreibung, „durch Sinngebung stabilisiert“,²⁴⁶ lässt sich auf komplexe Erzählungen wie die Königssagas nur bedingt anwenden. Vielmehr ergibt sich eine Dynamik: Figuren reagieren auf die erzählweltliche Unentschiedenheit des Geschehens im Sinne einer Notwendigkeitsbewältigung, also durch die in der einen oder anderen Weise motivierte Entscheidung für eine Möglichkeit, deren Geltung sich dann erst nachträglich erweisen kann. Da jede Entscheidung nie universal, sondern immer nur partiell, damit notwendigerweise unvollständig und schon daher in der Rezeption ambig ist, kann unmittelbar ein neuer Erzählzustand geschaffen werden, dessen Übergang zum nächsten als kontingent erscheint. Narrative Ambiguität, das widersprüchliche Angebot an Deutungen, kann funktionalisiert werden, um mögliche Deutungen in ihrer Geltung zunächst gleichberechtigt nebeneinander, also offen erscheinen zu lassen und damit den kontingenten Status von Erzählübergängen und die Flüchtigkeit von darin getroffenen Entscheidungen zu markieren. Aus Rezipientensicht geht es dann um Begründungen des erzählten Geschehens zwischen Möglichkeit, Notwendigkeit und Wahrscheinlichkeit. Es wurde festgehalten, dass Historiographie und erzählende Literatur (soweit man trennen will und kann) auf denselben Typ von Begründung rekurrieren: Sie erzählen komplexe Geschichten, in denen „atomare Erzählungen“ zu einer Kette zusammengesetzt sind, ohne dass für diese Kette ein allgemeines Gesetz geltend gemacht werden könnte²⁴⁷ – „Sinn bleibt prekär, auch und gerade in den Operationen des historischen Erzählens,“²⁴⁸ wie Jörn Rüsen festhielt. Sowohl literarisch-fiktive als auch historische Erklärungen sind „notorisch ‚unvollkommen‘, nämlich partiell (weil sie nur einzelne Aspekte des erklärungsbedürftigen Ereignisses erklären), rudimentär (weil sie die relevanten Antecedensbedingungen nur lückenhaft anführen) und skizzenhaft (weil sie die relevanten Gesetze nicht explizit nennen)“.²⁴⁹ Narrative Ereignisverknüpfung, Rexroth 2016, S. 86. Martínez 1996, S. 23. Zur aktuellen Diskussion vgl. Walter 2017, 97: „Die Unterbestimmtheit oder gar Unbestimmbarkeit (und daraus folgend: Unbeherrschbarkeit) des Handlungsraumes erlaubt Handlungen nur so, dass diese zwar je für sich (in der Regel) ein bestimmtes Ziel verfolgen, aber in ihrer Summe eine jeweils singuläre, höchst komplexe Kombination von beabsichtigten und nichtbeabsichtigten Haupt- und Nebenfolgen ergeben“; vgl. bereits Pannenberg 1973, S. 65 f.: „Eine kontingente Ereignisfolge wird konstituiert durch die zeitliche Abfolge je individueller Ereignisse. Die Form der Abfolge hat mithin selbst einmaligen, historischen Charakter. Sie ist einer narrativen Beschreibung zugänglich, aber sie läßt sich nicht in der Gesamtheit ihres charakteristischen Verlaufs als Anwendungsfall eines einzigen Gesetzes beschreiben“. Die Formulierung bei Haferland 2010, S. 337, „wozu überhaupt erzählen, wenn nicht Kontingenz erzählen und Kontingentes?“, ist in diesem Sinne durchaus treffend. Damit ist die Frage nach der Finalität einer Erzählung angesprochen, wie sie gerade für mittelalterliches Erzählen postuliert worden ist; vgl. Schulz 2010, S. 210: „Wo alles Erzählen im Wesentlichen ein ‚Noch nicht‘ ist, wo das Erzählen nur die Entelechie eines ‚zeitlosen‘ Seins‘ ist, reicht die Macht des Zufalls nicht sehr weit“. Dass solche Finalität allerdings „ein nur schwer abzustellendes Gestaltungsmittel allen Erzählens“ darstellt, notierte wiederum Haferland 2010, S. 353. Rüsen 2001, S. 41. Martínez 1996, S. 24.
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der Übergang von einem Erzählzustand in einen anderen, kann sich durch fehlende Determiniertheit auszeichnen – sei es durch ein ambiges Angebot an Deutungen, sei es durch den Zufall, der gar keine Erklärung erlaubt. Um die Erzählung zu einer sinnvollen Erzählung zu machen, ist der Rezipient zur Konkretisierung dieser Unbestimmtheit, zur Entscheidung unter narrativ gesteuerten Alternativen aufgefordert. Im Zufall sieht er sich zugleich vor Deutungsleerstellen, die nicht geschlossen, nur überbrückt oder umhegt werden können. Damit ist auch gesagt, dass Erzählen erst durch Abweichungen von Erfahrungsmustern – die dazu dienen, Kontingenz und Zufälle in Alltagshandlungen weitgehend auszublenden²⁵⁰ – zu einem Akt der Kommunikation wird: Ohne Abweichungen von dem, was wir ohnehin erwarten würden, tendierte der Informationsgehalt einer Erzählung gegen Null. Es ist also gerade dieser „Anschein der Eigengesetzlichkeit bis an die Grenzen der Zufälligkeit“,²⁵¹ der die Entwicklung von einem Erzählzustand in den anderen individualisiert und das Geschilderte zu einer erzählenswerten Geschichte und damit Geschichte überhaupt werden lässt. Hermann Lübbe fasste 1978 treffend zusammen: Wenn einer tut, was er will, indem er kann, was er will, so ergibt das keine Geschichte, die wir als passierte Geschichte erzählen würden. […] Warum sollte man denn erzählen, was einer getan hat, wenn man weiß, was er wollte und konnte? Eben damit weiß man normalerweise ja ohnehin, was er entsprechend tat – es sei denn, es wäre etwas dazwischengekommen. Das allerdings würde man dann erzählen, um zu erklären, wieso einer nicht tat, was seinem primären Können und Wollen entsprochen hätte.²⁵²
Damit ist die narratologische Ansprache von Kontingenz als Strukturmerkmal hin zur Interpretation überschritten, welche Kontingenz als Thema des erzählten Geschehens und schließlich als außertextliches Phänomen zu bedenken hat.²⁵³ Es geht, wie JanDirk Müller formulierte, um die „Öffnung von Spielräumen statt um eindeutige Fest-
Vgl. Brunold 2011, S. 47: „Voraussetzung dafür [d.i. die Wahrnehmung von Zufälligem] ist, daß sie uns als besonders unwahrscheinlich erscheinen, da andernfalls die Organe unserer bewußten Wahrnehmung pausenlos Milliarden von Zufällen zu registrieren hätten und auf der Stelle eine vollständige Lähmung erlitten“. Müller/Meister 2009, S. 37. Lübbe 1978, S. 237. Diese Position wurde von Haferland 2010, S. 337, erneuert: „Was jemandem zugestoßen ist (wovon er vorher nichts wissen konnte), was sich alles ereignete (ohne dass man es absah), was sich plötzlich herausstellt (niemand ahnt etwas, nicht einmal der Leser) – das weckt überhaupt erst unsere Beteiligung und bringt die alles entscheidende Spannung ins Spiel, die wir vom Erzählen erhoffen“. Vgl. ähnlich Gerok-Reiter 2010, S. 151: „Eine Narration ohne Ordnung verfällt der Beliebigkeit oder dem Chaos; eine Narration ohne Kontingenz setzt sich dem Vorwurf des Automatismus aus. Das Mischverhältnis zwischen Ordnung und Kontingenz wird – je nach historischem Kontext – unterschiedlichen austariert“. Vgl. Haug 2003 [1998], S. 75: „Vom dichterischen Entwurf aus gesehen sind also ‚Zufälle‘ der Struktur unterstellt; sie sind im Blick auf sie sinnvoll gesetzt. Gerade deshalb aber kann diese Zufälligkeit herausgehoben und zum Thema gemacht werden“. Haug vereinseitigte hier allerdings, wenn er „das Zufällige“ als „das Sinnlose“ erkannte (ebd.).
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legung“,²⁵⁴ oder, in den Worten Peter von Moos’, um die „Bedeutsamkeit eines Als ob, mit dem das Schwergewicht der Dinge, die Festigkeit der Meinungen ins Schweben gebracht werden können“.²⁵⁵ So, wie die Einsicht in die Offenheit der Zukunft vom Menschen aus lebenspraktischen Gründen immer wieder eine individuelle und/oder kollektive Entscheidung, bewusst und unbewusst, verlangt, so erfordert der Nachvollzug erzählter Welten Interpretationsentscheidungen vor Erwartungshaltungen, die auf Wahrscheinlichkeiten basieren, aber durch programmatisch ambige Signale der Erzählung gebrochen werden können.²⁵⁶ Eröffnet sich damit ein dynamisches Spannungsfeld „zwischen historiographischem Wissen und narrativen Spielräumen, zwischen geschichtlicher Determiniertheit und literarischer Kontingenz“,²⁵⁷ so wird mittlerweile verstärkt diskutiert, wie sich auch in vormoderner Literatur aus dieser Spannung heraus eine „besonders sublime Form der geistigen Auseinandersetzung“ entwickeln konnte²⁵⁸ – „eine diabolische Lust an Irritationen eingefahrener Verständigungsmuster“, wie Jochen Hörisch eingängig formulierte.²⁵⁹ In der Bewertung dieses literarischen Spielraums im Blick auf das 12., 13. und frühe 14. Jahrhundert ist die literaturgeschichtliche Einordnung angebracht. Denn in der klassischen Rhetorik wurde Ambiguität (obscuritas) oft als Mangel aufgefasst – ohne dass damit gesagt sei, dass in der rhetorischen Praxis Ambiguitäten nicht sehr
Müller 1998, S. 51. von Moos 1988, S. 285; vgl. Miller 2011, S. 201 f.: „Near misses and close calls are themselves the contingencies in plots that make tragedies tragic, comedies comic, farces farcical, and history historical. The sense of what if, in others words, need not be any more an occasion for lament than one for guffaws“. Vgl. Grünkorn 1994, S. 26: „Durch ‚Leerstellen‘ und ‚Unbestimmtheiten‘ des Textes – um es mit den Begriffen der Rezeptionsforschung auszudrücken – wird der Leser angeregt, durch seine eigenen kreativen Synthese und Vervollständigungsleistungen den Sinngehalt des Textes mitzukonstituieren“; vgl. Eisenhut 2009, S. 9: „Da jede Interpretation einer Situation (auch einer fiktiven) eine Entscheidung darstellt, die zukünftige Handlungsmöglichkeiten zwangsläufig einschränkt, kann zwischen Informationslücke, Interpretationshypothese(n) und weiteren Textinformationen eine Oszillation hervorgerufen werden, die je nach Amplitude, Frequenz und Dauer als in hohem Maße involvierende, anstrengende, elaborative Tätigkeit empfunden wird“. Herberichs 2010, S. 172. Haug 1985, S. 12. Den gezielten Versuch mittelalterlicher Erzählungen, die „Deutungsmöglichkeiten in der Schwebe zu lassen“, verstand Haug 2003 [1998], S. 73, als Ausdruck einer „Lebenskunst der Zurückhaltung, des Zögerns, des Aufschubs, der Toleranz“. Vgl. die prägnante Formulierung bei Garber 2011, S. 30: „The happy resistance of the text to ever be fully known and mastered“ träte als „one of the most exhilarating products of human culture“ in Erscheinung. Müller 2021, S. 374, sprach jüngst prägnant von „Ordnungsstörung als Komplexitätsgewinn“. Hörisch 2010, S. 294. Zur These einer im Mittelalter durch religiöse Ordnung strikt regulierten Erzählliteratur vgl. jüngst Fuhrmann/Selmayr 2021b, S. 12: „Bei genauer Betrachtung der narrativen Literatur jener Zeit […] zeigt sich jedoch, dass diese göttlich garantierte Ordnung zwar durchaus im Hintergrund der Erzählung steht, mitunter auch deren Zielpunkt bilden kann, dass die narrativen Weltentwürfe aber mitnichten konstante Bejahung des von Gott Gegebenen sind, sondern sich vielmehr für die darin enthaltenen Ver- und Aushandlungsspielräume interessieren“; vgl. auch die weiteren Beiträge in Fuhrmann/Selmayr 2021a.
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wohl gezielte Anwendung fanden.²⁶⁰ Grundsätzlich aber sollten klare Erwartungshaltungen evoziert werden, die der gleichsam automatischen Überwindung von Kontingenz in Kommunikationssituationen dienen.²⁶¹ Unter Verweis auf diese klassische Position etablierte sich in der Mediävistik frühzeitig die Meinung, „dass doppeloder auch mehrdeutige Aussagen, Handlungen und Deutungsmuster zumeist negativ konnotiert und in zahlreichen Diskursen ganz vermieden wurden“.²⁶² Uneindeutigkeit und Unabgeschlossenheit einer Erzählung seien als das poetisch Verbotene aufgefasst worden: „Ganz allgemein läßt sich für die nachantike Zeit feststellen, daß für etwa 1000 Jahre dem Ambiguitätsbegriff keine neuen Aspekte abgewonnen werden, vielmehr in weitgehend unveränderter Form bereits vorhandene Klassifikationen übernommen werden“, wie Wolfgang Ullrich meinte.²⁶³ Doch diese proklamierte Ambiguitätsferne (wenn nicht Ambiguitätsfeindlichkeit) des Mittelalters und der mittelalterlichen Literatur wird zunehmend als einseitiger Befund erkannt, dem nun Konzepte der Ambiguitätstoleranz²⁶⁴ und Ambiguitätskompetenz entgegengestellt werden.²⁶⁵ Denn hinter der traditionellen Einschätzung ist forschungsgeschichtlich erstens das kritisierte Epochendenken wirksam gewesen, dem das Mittelalter als eigenartig genügsamer Zeitabschnitt zwischen Antike und Renaissance galt. Zweitens, und damit verbunden, waren und sind hinter einer ambiguitätsskeptischen Haltung strukturalistische Ansätze wirksam, die mittelalterlicher Literatur ein Verhaftetsein in Erzählschemata attestieren und in Zweifel ziehen, dass in einer solchen Schemaliteratur überhaupt „von einer Möglichkeitenfülle in Bezug auf Handlungsentwicklungen die Rede sein kann“.²⁶⁶ In der mediävistischen Literaturwissenschaft hat vor allem
Vgl. Münkler 2016, S. 124: „Die Ambiguitätskompetenz des Orators besteht darin, dass er sich bemüht, Ambiguitäten so weit wie möglich zu vermeiden, die des Beobachters darin, dass er sie aufzulösen versucht“. Abweichend Dugan 2013, S. 223: „The negotiation of ambiguities, and their artful deployment, was characteristic of the political speech of the time. The hermeneutical decisions involved in interpreting both texts and their reception by audiences were conducted on an exceedingly fine scale“. Um 300 n. Chr. betonte der Rhetoriker Lactantius die verhüllte Rede als ästhetische Leistung des Dichters: Das officium poetae, die Aufgabe von Dichtung sei es, so Lactantius: ut ea, quae vere gesta sunt, in alias species obliquis figurationibus cum decore aliquo conversa traducat, ‘wirklich Geschehenes durch verhüllende Darstellung in andere Erscheinungsweisen ästhetisch zu verwandeln’ (zitiert nach Brinkmann 1980, S. 171 f.); vgl. dazu Green 2004, S. 93, der bei Laktantius „indirect figurations“, „obliquity“ und „inexplicitness“ als Maxime wirksam sah. Der potenziell interessante Sammelband Strategies of Ambiguity in Ancient Literature (Vöhler et al. 2021) lag mir zum Zeitpunkt der Drucklegung dieser Arbeit leider nicht vor. Dabei stehen, daran erinnerte Münkler 2016, S. 124, in der „face-to-face Kommunikation […] besondere Disambiguierungsinstrumente zur Verfügung, die in der schriftlichen Kommunikation fehlen“; vgl. bereits Grünkorn 1994, S. 26 – 28. Auge/Witthöft 2016, S. 1. Ullrich 1989, S. 141. Hier sei, ohne näher darauf eingehen zu können, vor allem auf Bauer 2011 verwiesen; vgl. Abulafia 2002 sowie jüngst Scheller/Hoffarth 2018. Vgl. Althoff 2016a. Mireille Schnyder 2010, S. 174.
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Armin Schulz wiederholt dafür argumentiert, dass das, „was kurz als potentielle Alternative eingespielt wurde“, in der Handlung nicht fortgesetzt, also abgewiesen würde: „Pointiert gesagt: Es hätte eben nicht ‚auch anders kommen können‘. Das Geschehen ist durch finale Determination vorherbestimmt“.²⁶⁷ Für eine Neubewertung macht sich das Desiderat einer systematischen Darstellung der intellektuellen Entwicklungen ab dem 12. Jahrhundert bemerkbar. Vor dem herausgearbeiteten Hintergrund von Umwälzungen in Wissenschaft, Philosophie und Theologie zu jener Zeit lassen sich literaturgeschichtliche Bedingungen aber präzisieren. Zunächst sei nochmals das Missverständnis einer Konfrontation von religiöstheologischem und profan-rationalem Weltverständnis ausgeräumt: Gott als Herrscher der Schöpfung wurde wohl zu keiner Zeit grundsätzlich in Frage gestellt, und man muss keine Konzepte von ‚Unglaube‘ bemühen, um einem zunehmend offenen Weltverständnis das Wort zu reden. Trotz aller Herausforderungen, die etwa die Kreuzzüge oder die Rezeption aristotelischen Gedankenguts mit sich brachten, ging es bis ins 13. Jahrhundert hinein um keine starre Konfrontation von christlicher Theologie und antiker, von islamischen Gelehrten transformierter Philosophie. Ein Konflikt formte sich, wie gezeigt, erst ab dem Zeitpunkt, als, basierend zunächst auf Radikalisierung, dann Überwindung aristotelischen Gedankenguts, der philosophischen Befragung von Welt zunehmendes Gewicht eingeräumt wurde, und sich zugleich das christlich-theologische Kontingenzverständnis verschärfte, wenn die wirkliche Welt als Bezugspunkt aufgegeben wurde.²⁶⁸ Von diesen Entwicklungen wurde ab dem 12. Jahrhundert auch der Bereich der Literatur erfasst: Gerade durch ihren lebensweltlichen Charakter, wie von Moos betonte, hätten intellektuelle Entwicklungen in „imaginative Prozesse der Literatur“ rasch prägenden Eingang gefunden.²⁶⁹ Die wechselseitige Verschränkung von Lite-
Schulz 2015, S. 351 f. In diese Richtung verwies bereits Haug 1995, S. 224: „Der Fortuna [ist] in der Form der Aventüre eine feste Position im narrativen Spiel zugewiesen. Der Zufall wird damit zwar als Thema und Problem vorgestellt, er ist aber zugleich streng jener Sinngebung unterworfen, die durch das Strukturmodell des Romans getragen wird: der Zufall ist sinnstiftend eingesetzt und damit, von außen gesehen, immer schon gebannt“. Die These bei Schulz 2010, S. 209, Kontingenz im Mittelalter sei „nur im Kleinen möglich, unterhalb des göttlichen Heilsplans“, wurde von ihm selbst relativiert, wenn er einräumte, dass zumindest in der Literatur des frühen 14. Jahrhunderts „der Zufall schon nicht mehr in der göttlichen Vorsehung aufgehoben ist“ (ebd., S. 225). Kritisch bezüglich eines sinnstiftenden narrativen Konzepts u. a. Münkler 2016, S. 113: „Durch die Komplexität narrativer Strukturen – die Anordnung des Erzählten, die zeitliche Abfolge, die möglichen perspektivischen Differenzen zwischen den Figuren sowie zwischen Erzähler und Figuren – lässt sich Erzählungen und ihren einzelnen Sequenzen häufig kein eindeutiger Sinn zuweisen“. Vgl. weiterführend Kap. 2.2.3. von Moos 1988, S. 265; vgl. ebd.: „Daß der ‚Paradigmawechsel‘ keineswegs innerwissenschaftlich blieb, belegen am besten die vom 11. zum 12. Jahrhundert zunehmenden polemischen Zeugnisse gegen frühscholastische und legistische, als dialectici und causidici beschimpfte ‚Neuerer‘, denen mit durchaus gleichgelagerten Argumenten sophistische Haarspaltereien, cavillationes und anstößige Grenz- und Kompetenzüberschreitungen, ‚kühnes‘ Experimentieren und Räsonnieren außerhalb des abgezirkelten Schulraums […] vorgeworfen wurden“.
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ratur und Gesellschaft, zumal in Umbruchszeiten, wurde in jüngerer Forschung wiederholt herausgestellt. In welchen Weisen diese dynamischen Prozesse volkssprachliche Literatur erfassten und wie auch ein sich wandelndes Sprachdenken Einfluss auf diese Prozesse nahm, sind aber Fragen, zu denen bis heute kein Konsens erzielt wurde; Hans-Werner Goetz fasste die Diskussion pointiert zusammen: „Ein wesentliches Kennzeichen dieses geistigen Aufbruchs war ein ambivalentes Verhältnis zur Tradition“.²⁷⁰ Im Einzelnen hat die Forschung wiederholt auf den Einfluss der Bibelexegese hingewiesen: Ab dem 12. Jahrhundert träten neue Bibelkommentatoren auf, die „mit großer Kreativität und vielfältigen Modifizierungen des überlieferten Deutungsrepertoires und der Kommentarformen die Tradition überschreiten, eigene Akzente setzen und mit Verweis auf ihre Inspiration ihr Recht auf Innovation verteidigen“.²⁷¹ Das implizierte einen verminderten Stellenwert der vormaligen Autoritäten, also vor allem der Schriften der Kirchenväter; Peter Abelard († 1142) etwa leitete den Prolog zu Sic et Non mit der prägnanten Beobachtung ein, viele schriftlich überlieferten Aussagen der Heiligen würden nicht nur voneinander abweichen, sondern seien invicem adversa, sich gegenseitig widersprechend.²⁷² Der darin beispielhaft angedeutete „Neuaufschwung einer individuell verantworteten innovativen Exegese“ habe, so eine These, einerseits Fiktionalität als solche sichtbar werden lassen und befördert,²⁷³ habe andererseits eine regelrechte Ambiguitätskrise, im Sinne eines „scheinbar überbordenden Ambiguitätsüberschusses“ ausgelöst.²⁷⁴ Neben die Bibel und ihre Auslegungen trat aber im 12. Jahrhundert mit der antiken Poetik ein zweites Corpus, das die Ausbildung einer Diskurspluralität, auch im Sinne einer nicht aufgelösten Opposition, weiter beförderte.²⁷⁵ So wie das Studium der Grammatik von schlichten Glossen zu autarken Kompendien voranschritt, so sei man in der Rhetorik abgekommen vom bloßen Einüben spätantiker Überlieferung, habe sich vielmehr der kritischen Erläuterung von Texten gewidmet.²⁷⁶ Es sei vor diesem Hintergrund, wie Goetz 2008, S. 55. Meier 2016, S. 68. Boyer/McKeon 1976, S. 89; vgl. Fichtenau 1998, S. 218: „During the tenth, eleventh, and twelfth centuries the holdings of Western libraries were ‘overwhelmingly patristic in nature’; by the end of this period, however, a sea [sic!] change had taken place, and copies of patristic writings were rarely made anymore.While the age of the auctoritates had not yet run its course, they now nowhere dominated the field“. Deutlich zu spät setzte insofern Sabel 2003, S. 15, diese Einsicht an, wenn sie meinte, erst in der Frühen Neuzeit habe man begonnen, „die Kontingenz des christlichen Mythos selbst zu erahnen“. Vgl. Schaefer 1996. Meier 2016, S. 68; vgl. Bouchard 2003, S. 7: „Much of the strangeness (to us) of this period lies in its willingness, indeed eagerness, to accept two opposite answers at the same time. Social and legal distinctions during the High Middle Ages, and the literature that society created both to reflect and to meditate on those distinctions, can be better understood if modern views of a single ‘correctʼ answer are not imposed on an inherently polysemous vision“. Vgl. Habib 2008, S. 171: „Because of these changes, the curricula of learning no longer gave primacy to the lists of authors, the auctores, who had been regarded for centuries as sources of technical knowledge and worldly wisdom“. Vgl. Copeland/Sluiter 2009, S. 368 – 375.
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Rita Copeland formulierte, zu einer regelrechten „epistemological transformation“ gekommen: It is symptomatic of a new scientific expansion and synthesis, visible also in the encyclopedism of the twelfth century, the growing dossier of Aristotelian philosophy, and the reception of Arabic science. It is cause of a new comprehensiveness in the understanding of rhetoric as the art that brings together logical reasoning, on the one hand, and proficiency in language on the other hand.²⁷⁷
Der in Toledo neben Gerhard von Cremona († 1187) wohl bedeutendste Übersetzer arabischer Texte ins Lateinische, Dominicus Gundisalvi († um 1181), fasste Grammatik, Rhetorik und Poetik insofern unter dem Begriff der humana scientia zusammen, verstand sie also als im weiteren Sinne der Philosophie zugehörig (gegenüber der Theologie, der divina scientia). Das klassische Trivium war mit dieser Ausgliederung der Logik und Eingliederung der Poetik aufgebrochen.²⁷⁸ Die Poetik hatte in Dominicus’ Systematik als praktische Wissenschaft nun ihren festen Platz, erlaube sie doch (zumal durch res ficta, erfundene Geschichten) zeitgleich Unterhaltung und Bildung – ein Gedanke, der wenig später im altisländischen Schriftum in der Phrase fróðleikr og skemmtun fassbar werden sollte. Dass im damit angesprochenen Vermittlungsakt zwischen Dichter und Rezipient Eindeutigkeit nicht mehr den alleinigen Maßstab darstellte, lässt sich bereits an der frühen Feststellung des Anselm von Laon († 1117) ersehen, Schüler Anselms von Canterbury, der bemerkte, es sei proprium […] poetarum, ut non unam sectam solummodo, sed diversorum opiniones suo carmini inserant, ‘Eigenart der Dichter, ihren Werken nicht eine einzige, sondern verschiedene Erklärungsansätze, Denkweisen oder Meinungen zu verleihen’.²⁷⁹ Vor dieser mittlerweile verstärkt, wenn auch weiterhin nur punktuell herausgearbeiteten Entwicklung ist in den letzten Jahren die These verhandelt worden, dass sich mittelalterlichen Erzählungen, ihren Sequenzen und Übergängen häufig kein eindeutiger Sinn zuweisen ließe, dass nicht jedes narrative Ereignis final motiviert sein müsse – ad-hoc-Kausalitäten, die über die jeweilige Begebenheit nicht hinausverweisen (auch im Sinne von ‚blinden Motiven‘), seien für mittelalterliche Literatur vielmehr als Normalfall anzusehen.²⁸⁰ Florian Kragls und Christian Schneiders Vergleich mittelalterlichen Erzählens mit einem „logischen Gummiband von hoher Elastizität“ mag analytisch zunächst wenig ergiebig sein, ist aber eine griffige Metapher, die illustriert, wie in mittelalterlicher Literatur „die Logiken des Erzählens in all
Copeland 2016, S. 223. Vgl. Copeland/Sluiter 2009, S. 461– 463. Zitiert nach Schneider 2013, S. 165. Boccaccio setzte dann zur Mitte des 14. Jahrhunderts in seiner Apologie der heidnischen Dichtung Dichterlektüre bereits mit Bibellektüre gleich: idem velim de obscuritatibus poetarum sentiri, quod de divinis ab Augustinus sentitur, ‘denn ich möchte, dass man von den Dunkelheiten der Dichter ebenso denke wie Augustinus von denen der Bibel’ (nach Meier 2016, S. 75); vgl. weiterführend Zeeman 2006. Vgl. Haferland 2010.
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ihren Aspekten ganz erheblich auch Ermessensentscheidungen sind, wodurch sie alle formallogische Strenge einbüßen“.²⁸¹ Wenn die damit einhergehende Reduktion, wenn nicht gar „Verrätselung“ von Kohärenz in der Forschung mittlerweile auch für mittelalterliche Literatur als spezifische „ästhetisch-narrative Leistung“ diskutiert wird,²⁸² dann steht dahinter also die Überzeugung, dass der Erzähler ab dem 12. Jahrhundert als eine regulative Instanz verstanden werden konnte, die über traditionelle Vorgaben mehr oder weniger frei – elastisch – verfügte und damit den Rezeptionsprozess bewusst zu jener elaborativen Interpretationstätigkeit werden ließ, die Literatur auch in heutiger Perspektive auszeichnet.²⁸³ Dass gerade die Königssagas „by design a multivalent text“ seien, „open to multiple, indeed to antithetical readings“,²⁸⁴ betonte Bruce Lincoln; die Heimskringla impliziere die Möglichkeit von „superficial (mis)readings from readers sympathetic to the Norwegian throne“.²⁸⁵ Bereits 1985 hatte Roberta Frank an die Skalden am norwegischen Hof erinnert (eine Tätigkeit, die auch Snorri Sturluson zugeschrieben werden kann) und gefolgert, diese Skaldendichtung sei nie auf Eindeutigkeit im Ausdruck angelegt gewesen, sondern habe gezielt Ambiguitäten erzeugt, deren Interpretation dem Publikum überlassen worden sei.²⁸⁶ Birgit Sawyers Charakterisierung des Hofskalden als „a dangerous being, a manipulator of the deep structure of language“²⁸⁷ verwies später in die gleiche Richtung, und auch Magnús Fjalldal notierte: „It should be noted that it is actually impossible to assign a clear-cut view on this matter of ‘like’ or ‘dislike’ to Snorri, because throughout Heimskringla there is always a certain degree of ambivalence in his discussion of individual kings“.²⁸⁸ Das wiederum hatte bereits 1992 Sverrir
Kragl/Schneider 2013a, S. 5. Müller/Meister 2009, S. 37. Haug 2000, S. 78, bemerkte pointiert: „Wie kann eine Fiktion, die sich nicht auf einen vorgegebenen Sinn bezieht, sondern literarisch autonom im Erzählakt selbst ein Sinnmuster konstruiert, wie kann eine solche Konstruktion Anspruch auf Wahrheit erheben? Damit faßt man das Grundproblem der abendländischen Literatur seit dem 12. Jahrhundert. Denn der Preis für die autonome Fiktionalität ist der Verlust der Verbindlichkeit. Und man darf wohl sagen, gerade darin gründet die moderne Ästhetik“. Vgl. die Kritik an heutigen Sagaforschern bei Miller 2017, S. 3 und S. 5: „These critics want everything neat, explicable, unambiguous, fully resolved. […] Ironies are not seen, ambiguities explained away or lamented, or not even recognized and, if recognized, edited away“. Lincoln 2014, S. 122. Lincoln 2014, S. 211. Die Bemerkung bei Malm 2016, S. 319, Snorri Sturlusons Erzählstil erweise sich oft als „vague and inconclusive“, mag in ähnlicher Weise zu verstehen sein. Vgl. Frank 1985, S. 181. Sawyer 2015, S. 145; vgl. ebd., S. 146 f.: „Snorri had many predecessors in the art of ambiguity, and it was thanks to his mastery of this that he was able to express his own opinions, at the same time as he could meet several different interests and tastes – and, not least, be entertaining“.Von Snorris „second voice“-Technik und einem Spiel mit dem „Nicht-Verstehen“ sprach wiederholt auch Beck 2016, beschränkte sie aber auf biblische Verweise. Gleiches postulierte Ármann Jakobsson 2004a, S. 50, für den Verfasser der Njáls saga, „a master of ambiguity“. Magnús Fjalldal 2013, S. 456; vgl. ebd., S. 468: „I think that both Heimskringla and the events of Snorri’s own life show that he had a curiously ambivalent love/hate attitude toward the Norwegian
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Tómasson als Eigenart der Heimskringla herausgestellt: „Snorri birtir aðeins dæmi og lætur áheyrendur um að leggja þau út“, ‘Snorri führt bloß Beispiele an und überlässt es den Zuhörern, diese auszulegen’.²⁸⁹ Die Skaldik, mit komplexen Umschreibungen und agrammatischer Wortstellung, stellt ein harmonisch geschlossenes Sinngebäude jedenfalls gezielt in Frage.²⁹⁰ Hier kann an eine aussagekräftige Zeile in den Skáldskaparmál, als Teil der Prosa-Edda aus dem 13. Jahrhundert erinnert werden: þessar greinir má setja svá í skáldskap at gera ofljóst at vant er at skilja ef aðra skal hafa greinina en áðr flykki til horfa in fyrri vísuorð ‘diese Unterscheidungen [d.i. mehrere Bedeutungen eines Wortes] können in der Dichtung so verwendet werden, dass die Bedeutung unklar und schwer verständlich wird, wenn nämlich eine andere Bedeutung gemeint ist, als die vorausgehende Zeile anzudeuten schien’.²⁹¹ An anderer Stelle heißt es dort speziell zur dichterischen Ansprache von Königen: þar koma saman kenningar, ok verðr sá at skilja af stöð, er ræðr skáldskapinn, um hvárn kveðit er konunginn ‘dort fallen mehrere Umschreibungen zusammen, und derjenige, der die Dichtkunst beherrscht, muss verstehen, von welchem König die Rede ist’.²⁹² Snorris Neffe Óláfr Þórðarson († 1259), nach unserer Kenntnis Verfasser des so genannten Dritten Grammatischen Traktats (eine Abhandlung zur altisländischen Sprache), hielt zeitnah fest: er víða sett í skáldskap þat nafn er ýmsar hefir merkingar ok folgit svá málit, ‘es ist in Dichtung oft so, dass ein Name verschiedene Bedeutungen hat und das Gesagte so verhüllt wirdʼ.²⁹³ At kunna skilja þat er hulit er kveðit, ʻdas verstehen zu können, was verhüllt gesprochen istʼ, diese explizite Aufforderung an den Rezipienten zur intellektuellen Arbeit findet sich denn auch in allen Fassungen des mittelalterlichen Nachworts dieser Edda – und dort findet sich direkt im Anschluss auch die Aufforderung: skili hann þessa bók til fróðleiks ok skemmtunar, ʻmöge er dieses Buch zur Bildung und Unterhaltung verstehenʼ.²⁹⁴ Hier mag man schließlich eine Parallele zum Prolog in Erec et Enide (um 1160) ziehen, in dem Chrétien de Troyes († um 1190) den Rezipienten auffordert, das Bemühen um Verständnis (estuide) nicht vorzeitig aufzugeben; Walter Haug hielt fest: „Damit der verborgene Wert eines bislang ver-
crown“. Ähnlich Torfi Tulinius 2014, S. 288, zur Egils saga (deren Verfasser seiner Einschätzung nach ebenfalls Snorri gewesen sei): „Egils saga seems to project the unconscious conflicts of Snorri and his kinsmen onto a distant past, which is also the founding moment of their community“. Sverrir Tómasson 1992, S. 383. Vgl. Mundal 2007a, S. 323 – 330, sowie van Nahl/van Nahl 2019, S. 166 – 185. Quinn 1994, S. 75, attestierte Snorri „enthusiasm for traditional diction“, und beschrieb ihn als „well-versed interpretor of kennings, one who tolerates, and even enjoys, ambiguity“. Ármann Jakobsson 2004a, S. 39, notierte vergleichbar zur Njáls saga: „The author claims one thing but at the same time demonstrates the opposite“ – dies sei angesichts der „general artistry of the saga“ indes keine fehlende Stringenz, sondern „a paradox consciously put in the saga by the author to draw the attention of the reader to an important point he wishes to make“. Faulkes 1998, S. 109. Faulkes 1998, S. 78. Björn M. Ólsen/Krömmelbein 1998, S. 84 f. Faulkes 1998, S. 6.
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achteten Gegenstandes erkannt werden kann, ist eine geistige Anstrengung erforderlich, die nicht selbstverständlich ist“.²⁹⁵ Im 12. Jahrhundert, so lassen sich die vorausgehenden Bemerkungen auf eine Kernthese konzentrieren, bildete sich in Mitteleuropa eine neue Form literarischen Erzählen heraus, die bald nach 1200 auch den Norden erreicht hatte.²⁹⁶ Vor dieser Beobachtung ist mittlerweile in der Forschung weitgehend anerkannt, dass die (ohnehin diskussionsbedürftige, weil bisweilen nur scheinbare) Ambiguitätsskepsis der antiken Rhetorik kein Befund ist, der noch auf das 13. Jahrhundert unbesehen zu übertragen wäre. Selbst wenn die Gegenthese eines ambiguitätsoffenen Mittelalters derzeit wesentlich auf Einzelbeobachtungen beruht, so ist sie doch als alternative Forschungsperspektive längst ernstzunehmen. Unter dieser Perspektive wird nun der Blick auf die Funktionalisierung von Kontingenz und Zufall in mittelalterlichen Erzählungen gelenkt.
2.4.2 Kontingenz und Zufälle in mittelalterlicher Erzählung 2.4.2.1 Der absichtliche Zufall – Terminologische Präzisierung In seiner einflussreichen Monographie zu mittelalterlicher Autorschaft bemerkte Alastair Minnis 1984, „the single most important impulse behind the new conception of authorial role and literary form“ sei die neue Methodik der Scholastik gewesen, die ihr Fundament in Aristoteles gefunden hätte:²⁹⁷ Dem scholastischen Streben nach Erkenntnis über die Ordnung der Welt sei das aristotelische Denken in Ursachenzusammenhängen entgegengekommen. Wurde in den vorausgehenden Kapiteln dieser Studie für den Einfluss aristotelischen Denkens auf mittelalterliche Konzepte von Kontingenz und Zufall argumentiert, so erfordert Minnis’ Feststellung doch die eingehendere Betrachtung. Denn gerade Aristoteles’ poetologischen, aber auch sprachphilosophischen Überlegungen sind als „nicht von selbst […] zwingende Argumentation“ kritisiert worden, als „kaum durchschaubare und daher wenig überzeugende Gedankenfolge“,²⁹⁸ gar als Paradoxon. Jeder Bewertungsversuch sieht sich einer widersprüchlichen Ausgangssituation gegenüber, einer „Fülle von äußert verwirrenden und scheinbar unlösbaren Fragen“.²⁹⁹ Wenn sich die folgende Argumentation an Haug 1985, S. 101. Vgl. bereits Haug 1985, S. 92: „Was immer an Quellen vorausliegen mag, es wird in der Weise über sie verfügt, daß sie in erster Linie als Motivfundus dienen. Diese fiktionale Freiheit ist die Bedingung für den experimentellen Strukturentwurf, über den innerliterarisch der Sinn realisiert und vermittelt wird“. Minnis 1988, S. 76. Horn 1988, S. 115. Hier gilt es nicht zuletzt zu bedenken, dass Aristoteles’ erhaltene Schriften wohl primär als Notizen gedacht waren, nicht als geschlossene und ausgearbeitete Werke. Perler 1988, S. 39 f. In seiner aktuellen Übersetzung der Poetik hielt Schmitt 2008, S. ix, einleitend fest: „Die Aristotelische Poetik wurde in einer geschichtlichen Phase ‚wiederentdeckt‘, die ein ambivalentes, ja gegensätzliches Verhältnis zu Aristoteles und zum Aristotelismus hatte. Das eigentümliche
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dieser strittigen Diskussion orientiert, dann ist damit insofern nicht der Versuch unternommen, Aristoteles eine dominante Position in einer Literaturgeschichte des Mittelalters einzuräumen – zumal sich über die Verbreitung gerade seiner Poetik im 13. Jahrhundert keine sichere Aussage treffen lässt.³⁰⁰ Allerdings ist es wiederholt als Verdienst des Aristoteles hervorgehoben worden, den Status von Erzählung zwischen lebensweltlicher Wirklichkeit und narrativem ‚Als-ob‘ wegweisend erfasst zu haben: Aristoteles entwickle (vermutlich) um 335 v.Chr. auf der Basis seiner Vorstellung von Dichtung als einer bestimmten Form der Nachahmung menschlicher Handlungen eine konsistente, effiziente und von der Tragödie auf andere Gattungen leicht übertragbare Beschreibung dessen, was man in der modernen Literaturwissenschaft mit Begriffen wie ‚Fiktionalität‘, ‚Poetizität‘ und ‚Motivierung‘ belegt. Nirgendwo sonst ist in der Antike der Charakter von Dichtung als einer Aussageform, die auf die Realität Bezug nimmt und zugleich ganz eigenen Gesetzen folgt, so scharf gesehen worden wie in der Poetik des Aristoteles.³⁰¹
Der Blick auf das gleichermaßen berühmte wie umstrittene neunte Kapitel der Poetik mag diese Aussage zunächst spezifizieren; Aristoteles notiert dort, es sei klar, dass nicht dies, die geschichtliche Wirklichkeit (einfach) wiederzugeben, die Aufgabe eines Dichters ist, sondern etwas so (darzustellen), wie es gemäß (innerer) Wahrscheinlichkeit oder Notwendigkeit geschehen würde, d. h. was (als eine Handlung eines bestimmten Charakters) möglich ist.³⁰²
Doch zugleich merkt er an, Emotionen wie Furcht und Mitleid würden beim Rezipienten vor allem dann ausgelöst, wenn sich die Ereignisse wider Erwarten auseinander ergeben. Der Eindruck von etwas Erstaunlichem wird auf diese Weise nämlich stärker sein, als wenn das Geschehen wie von selbst oder durch Zufall eintritt, da offenkundig auch von den zufälligen Ereignissen die am meisten Staunen erregen, die den Anschein haben, gleichsam aus Absicht zu geschehen. So ist z. B. die Mitys-Statue in Argos auf den, der am Tod des Mitys schuld war, gestürzt, während er sie be-
Spannungsfeld, in dem sich die frühe Neuzeit gegenüber Aristoteles bewegte, hat eine mächtige Wirkungsgeschichte, die zum Teil bis heute die Koordinaten auch der Poetik-Interpretation vorgibt“. Vgl. Barthel 2008, S. 7: „Ein direktes Einwirken der aristotelischen Lehre auf die Literatur scheint mangels volkssprachlicher Übersetzungen und unsicherem Verbreitungsgrad der lateinischen Übersetzungen unwahrscheinlich“; allerdings, so formulierte Verena Barthel vage weiter, seien „indirekte Kenntnisse über lateinische Schriften oder über poetische Texte selbst durchaus vorstellbar, ja sogar wahrscheinlich“. Dass die heute bekannten lateinischen Übersetzungen der Poetik des 13. Jahrhunderts „von einem echten Sachverständnis“ zeugen, betonte Schmitt 2008, S. 92; ob sich daraus auf vorausgehende Übersetzungen schließen lässt, bleibt Spekulation. Die Skepsis gegenüber dem Bekanntheitsgrad der Poetik im Mittelalter, so Schmitt, sei historisch betrachtet jedenfalls auch Konsequenz eines „Neuheitsbewusstseins der Humanisten“ (ebd.). Kloss 2003, S. 182. Schmitt 2008, S. 13.
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trachtete, und hat ihn erschlagen. Derartiges macht ja den Eindruck, nicht zufällig zu geschehen.³⁰³
Diese „Kardinalstelle“,³⁰⁴ wie Fritz Peter Knapp sie betitelte, hat vielfältige Interpretationen erfahren, beginnend in der römischen Rhetorik, die, wesentlich fußend auf dem Wahrscheinlichkeitskriterium, die Gattungstypologie fabula – historia – argumentum etablierte, die dann ihrerseits eine fast unüberschaubar vielstimmige Debatte beförderte.³⁰⁵ Im Folgenden seien einige Punkte der Diskussion in angemessener Kürze perspektiviert, im Versuch, für die vorliegende Studie im Streit um Aristoteles’ vermeintlich paradoxen Ausführungen zu vermitteln. Berechtigt scheint dieser punktuelle Rückgriff bereits insofern, als Kontingenz und Zufall in der mediävistischen Erzählforschung bisher, soweit ich sehe, nirgends systematisch aufgearbeitet worden sind, sich also weiterhin die Frage nach dem individuellen Ausgangspunkt jeder Argumentation stellt.³⁰⁶
Schmitt 2008, S. 15. Knapp 1992, S. 47. Pointiert bemerkte Haug 2000, S. 71, die „Geschichte dieser Kontroverse“ bestünde „in einer Folge von wechselnden Kompromissen“. Dabei illustrierte seine eigene Position stückweit die Problematik, wenn Haug die genannte Dreigliederung für das Mittelalter als zentral einstufte und dabei vor allem Isidor hervorhob: „Isidor von Sevilla inbesondere hat ihr Geltung verschafft. […] Am variabelsten war in der Folge das Argumentum“ (ebd.). Anders beurteilte die Situation später Schabacher 2007, S. 44 f., wenn sie in der „christlichen Ära“ eine Abwertung des „Fiktiven wieder zum bloß (platonischen) Trugbild“ konstatierte, wie es sich besonders auffällig zeige „am Verschwinden jener Kategorie, die dem heutigen Verständnis von Literatur am ehesten entspricht: dem argumentum. […] Ein Befund, der gleichermaßen für Isidor von Sevilla Geltung hat und insofern für die im ganzen Mittelalter am weitesten verbreitete Enzyklopädie“. Schabachers Befund scheint allerdings oberflächlich, denn am Ende von Buch 1 seiner Enzyklopädie überliefert Isidor genau jene Dreiteilung (vgl. Brinkmann 1980, S. 163 – 168). Dass die antiken Einteilungsprinzipien allerdings „zu keiner einheitlichen Verbindung der Gattungsbezeichnungen mit den mittelalterlichen Literaturformen“ führten, betonte bereits Grünkorn 19994, S. 42 f.; sie folgerte: „Festzuhalten bleibt, daß die in der rhetorischen Tradition unterschiedenen Gattungsbezeichnungen fabula, historia, argumentum keine Grundlage für eine Fiktionalitätstheorie bieten“ (ebd., S. 48). Für die Sagaliteratur notierte Mundal 2012, S. 174, später ähnlich: „If we compare Old Norse texts, and the division of these texts according to their attitude towards factuality, to classical texts and their division into historia, argumentum and fabula, a difference appears. The Old Norse word ‘saga’ covers the whole spectrum“. So fehlte bezeichnenderweise noch im Handbuch Martínez 2017 jeder Verweis auf Zufallskonzepte und wurde Kontingenz allein im althergebrachten Sinne eines durch Erzählung zu überwindenden Phänomens am Rande notiert. Die fehlende systematische Erforschung von Kontingenz speziell in Erzählungen aus dem Bereich der Chansons de geste kritisierte unlängst Schlechtweg-Jahn 2017, S. 92, wobei seine unverbindliche Formulierung die Herausforderung zugleich illustrierte: „Abenteuernarrative lassen sich somit verstehen als beständiges Spiel mit der Kontingenz, welcher mal mehr, mal weniger Offenheit zugestanden wird, die mehr oder weniger erwartbar (und damit fast schon nicht mehr kontingent), aber auch völlig überraschend sein kann und die Teil einer größeren, nichtkontingenten Ordnung sein oder aber jede Ordnung über den Haufen werfen kann. […] Sinnvoller scheint mir deshalb, Abenteuernarrative als ein Feld von Möglichkeiten im Spiel mit der Kontingenz zu ver-
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Eine überzeugende Erzählung,³⁰⁷ so lassen sich Aristoteles’ Überlegungen zunächst verstehen, ist das Resultat wirkungsvoller Ereignisverknüpfung. Gegenüber dem Historiker, der mitteilen soll, was in einem bestimmten Zeitabschnitt tatsächlich geschehen ist – was das erzählte Geschehen rasch unüberschaubar werden ließe (Poetik 23)³⁰⁸ –, müsse der selbstbewusste Dichter Ereignisse erzählerisch so handhaben, dass das Geschehen den Rezipienten ergreife – „am Wirklichen interessiert das Wirkende“, wie Peter von Moos treffend formulierte.³⁰⁹ Dieser Aspekt der Wirkung ist in späteren Interpretation gegenüber der Betonung des Wirklichseins als Bezugspunkt des aristotelischen Möglichkeitsbegriffs oft unbeachtet geblieben. Dabei nutzt Aristoteles den fatalen Sturz der Königsstatue auf den Königsmörder ja als Beispiel für ein zufälliges Zusammentreffen zweier Ereignisse, das durch die Erzählstruktur zum Nachdenken über Zusammenhänge anregen muss;³¹⁰ Wolfgang Wielands Begriff „AlsOb-Teleologie“ scheint hier treffend.³¹¹ Der Statuensturz auf den Mörder fällt in den Bereich narrativer Signifikanz, in dem Sinne, dass sich „zwei oder mehr hierbei wahrgenommene Ereignisreihen in einem ganz unerwarteten Ergebnis treffen“³¹² – der Tod durch eine umstürzende Statue, zumal die des Mordopfers, ist keine Todesursache, mit der man prinzipiell rechnen muss. Das fügt sich zu Aristoteles’ intrikater Feststellung, es sei „wahrscheinlich, dass manches gegen die Wahrscheinlichkeit geschieht“ (Poetik 25).³¹³ Nun ist in der Forschung wie gesagt allgemein anerkannt, dass Aristoteles’ Gesamtwerk durch wechselnde Perspektiven geprägt ist, seine Schriften in der überlieferten Form nicht durchweg in Einklang zu bringen sind. Gleichwohl bietet sich hier erstens – im Blick auf Kontingenz – der Vergleich mit der Rhetorik an,³¹⁴ in der Aristoteles diese Redekunst, wie James Jasinski zusammenfasste, als Kunst und diskursive Praxis beschreibe, deren zentrale Funktion „the negotiation
stehen, deren konkrete Realisierung noch systematischer Erforschung bedarf“. Vgl. jüngst Lupton/ Meiner 2019, wo mittelalterliche Erzählungen allerdings keine Aufmerksamkeit erfahren. Zur Problematik des ‚guten Erzählens‘ speziell in der Sagaliteratur vgl. Wolf 2002. Vgl. Schmitt 2008, S. 33. von Moos 1988, S. 216; vgl. auch Brunold 2011, S. 231: „Sprachliches Zaumzeug wie weil, darum, vorausgesetzt, folglich und dergleichen ist dem Traktat vorbehalten und hat in der erzählten Geschichte gar nichts verloren. Die inneren Zusammenhänge haben aus den Ereignissen selbst ans Licht zu steigen, mitsamt den unerhörten Zufällen, und den Kausalnexus behält jede Erzählung tunlichst für sich, um ihn untergründig desto kraftvoller wirken zu lassen“. Vgl. Fuhrmann 1992, S. 35: „Das der Tragödie angemessene ‚Wunderbare‘ setzt beim Zuschauer ein Sich-Wundern voraus, und dies wiederum geht aus dem ‚Lernen‘ hervor, aus der Betätigung des Erkenntnisvermögens als der ersten Voraussetzung aller Rezeption von Kunstwerken“. Wieland 1992, S. 259. Haferland 2010, S. 342. Schmitt 2008, S. 39. Knapp 1992, S. 49, bemerkte kritisch, dass bei der seit der Spätantike und bis ins Hochmittelalter erfolgte „teilweisen Übertragung rhetorischer Maximen auf die Dichtkunst zahllose Unstimmigkeiten auftauchen mußten“; damit spricht er solcher Engführung aber nicht den Wert ab.
2.4 Kontingenz und Zufall im Mittelalter – Erzähltheoretische Positionen
135
or management of human contingency“ sei.³¹⁵ Zweitens der Vergleich zu Physik und Metaphysik, in den Worten Peter Vogts „der unerreichte Bezugspunkt jedweder Diskussion des aristotelischen Zufallsbegriffs wie des Zufallsbegriffs überhaupt“.³¹⁶ Im zweiten Buch der Physik, Kapitel 6, notiert Aristoteles: „Wenn im Bereich der Geschehnisse, die im strengen Sinn wegen etwas eintreten und deren Ursache außer ihnen liegt, etwas geschieht, das mit dem Ergebnis nicht in eine Deswegen-Beziehung zu bringen ist, dann nennen wir das ‚zufällig‘“.³¹⁷ Und im fünften Buch seiner Metaphysik definiert er den Zufall weiter als dasjenige, was „sich zwar an etwas findet und mit Wahrheit von ihm ausgesagt werden kann, aber weder notwendig noch in den meisten Fällen sich findet“;³¹⁸ dieser Gedanke ist wiederum auch in der Physik präsent, wo Aristoteles die Beschäftigung mit dem Zufälligen darin motiviert sieht, dass es neben dem regelmäßig Eintreffenden eben Ereignisse gäbe, „die dem zuwider verlaufen“.³¹⁹ Interpretiert man den Statuensturz der Poetik unter diesen Vorgaben, dann scheint dieser Zufall allerdings im Kontrast zu stehen zur poetologischen Forderung, Dichtung solle den Regeln der Wahrscheinlichkeit oder Notwendigkeit folgen. Diese Spannung ist, wie gesagt, oft als Mangel rezipiert worden. Gerald Else urteilte 1957 lakonisch: „Aristotle cannot mean to commend the Mitys story as a good plot for a tragedy“;³²⁰ doch zugleich warnte er vor oberflächlichen Korrekturversuchen, denn obwohl diese Szene auf den heutigen Interpreten suspekt wirke, seien solche Zweifel für eine überzeugende Neuinterpretation „not […] quite sufficient, even when combined“.³²¹ Zwar gehöre, so Else weiter, für Aristoteles die Poetik nicht zur Philosophie und sei auch nicht Wissenschaft – „we are not to ask the poet for ultimate answers“³²² –, sie setze aber in der Erzählwelt doch etwas Unerwartetes und Unkontrollierbares voraus: „the tragic ‘action’ involves not only man’s own causality […] but something that breaks in upon him, ‘happens’ to him from outside“.³²³ Malcom Heath bemerkte später vergleichbar, in der aristotelischen Poetik erscheine zwar „chance in opposition to the kind of causal connection required of a poetic action“, allerdings sei dieses Verhältnis „less straightforward than appears at first sight“.³²⁴
Jasinski 2001, S. 108: „Most of the things about which we make decisions, and into which therefore we inquire, present us with alternative possibilities. For it is about our actions that we deliberate and inquire, and all our actions have a contingent character; hardly any of them are determined by necessity“. Vogt 2011, S. 109. Zekl 1987, S. 81. Seidl 1982, S. 247. Zekl 1987, S. 75. Else 1957, S. 336; ähnlich Fuhrmann 1992, S. 35: Aristoteles nutze die Mitysepisode als „Kontrastmodell für seinen Idealbegriff der tragischen Handlung“. Else 1957, S. 336. Else 1957, S. 306. Anders dann z. B. im 12. Jahrhundert Dominicus Gundisalvi († nach 1190), der die Poetik als humana scientia bezeichnete; vgl. Kap. 2.4.1. Else 1957, S. 306 f. Heath 1991, S. 391.
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2 Kontingenz und Zufall in Geschichte(n) – Theoretisch-methodische Überlegungen
Im Versuch einer punktuellen Klärung sei der Blick noch einmal auf die Metaphysik gelenkt. Aristoteles deutet dort zwei Aspekte des Zufallsbegriffs an: Definiert er den Zufall erstens als das, was weder notwendig noch in den meisten Fällen von etwas ausgesagt werden kann, so betont er zweitens, dass der Zufall eine Relation darstelle, also niemals ein Einzelereignis, sondern das Zusammentreffen (zumindest) zweier Ereignisse. Zwei Beispiele führt er in Buch 5 der Metaphysik an: einen Mann, der beim Graben eines Pflanzloches im Garten einen Schatz findet, und einen Mann, der durch einen Sturm an einen anderen Ort verschlagen wird als geplant. Im ersten Beispiel kollidieren zwei intentionale Handlungen: Einer vergräbt einen Schatz, ein anderer später an gleicher Stelle ein Loch, um eine Pflanze zu setzen – das ursachelose Zusammentreffen zweier unabhängiger Kausalketten.³²⁵ Im zweiten Beispiel hingegen treffen zweckmäßiges Handeln und ein handlungsunabhängiger Umstand zusammen. Die Mitys-Episode scheint in einer Reihe zu stehen mit dem zweiten Beispiel, dem Seefahrer, der durch einen Sturm verschlagen wird – „keine bestimmte, sondern nur eine zufällige Ursache, d. h. eine unbestimmte“ liegt hier vor.³²⁶ Zweckmäßiges Handeln (das Einfinden vor der Statue des Ermordeten zwecks Betrachtung) kollidiert mit einem handlungsunabhängigen Umstand – der intentionslose Sturz der Statue. Es ist also nicht dieser Sturz per se, der „the average man’s way of looking at things“ erschüttert,³²⁷ wie Else formulierte, ebensowenig wie grundsätzlich jeder Sturm interessant wäre – signifikant ist der Umstand, dass die Statue des Königs just in dem Moment stürzte, als der Königsmörder sich an ihrem Sockel eingefunden hatte. Eine solche Konstellation bedingt nun einerseits die Involvierung des Rezipienten, regt zum Nachdenken an; sie kann andererseits, z. B. im Falle eines Sturms, auch zum Movens der weiteren Erzählung werden, indem das Geschehen von Erwartungshaltungen abrupt abweicht, die Entwicklung der Erzählung für neue Möglichkeiten geöffnet, also kontingent gesetzt wird.³²⁸ Darauf wird zurückzukommen sein.
Stoellger 2000, S. 85, verwies in diesem Zusammenhang auf den von Rüdiger Bubner vorgebrachten Einwand, der aristotelische Teleologiegedanke würde das „unvorhersehbare Zusammentreffen unverbundener Kausalketten“ theoretisch ausschließen, verwies andererseits auf Franz Josef Wetz, der dies als eine Bedeutung von Kontingenz ausdrücklich einräumte. Aristoteles kannte jedenfalls mit automaton eine Kategorie für das, was keiner planenden Vernunft entspringen kann, z. B. ein Sturm; tyche bezog sich demgegenüber allein auf den Bereich möglicher Handlungen (vgl. Kap. 2.3.1). Seidl 1982, S. 249. Der Begriff der „Quasi-Bezüglichkeit“ bei Fuhrmann 1992, S. 35, scheint mir als zu starker Kontrastbegriff zu einer „volkstümliche[n] Religiosität“ konzipiert zu sein; eher, wie Fuhrmann selbst sagte, lehnt Aristoteles hier eine „Durchbrechung der Naturgesetze“ ab. Else 1957, S. 332. Die Formulierung bei Richter 2008, S. 13: „[…] obwohl Aristoteles diese Verknüpfung der Begebenheiten ausdrücklich als zufällig ansieht, hebt er sie als besonders wirksam hervor: weil sie zwar durch Zufall, aber doch mit dem Anschein von Zweckmäßigkeit eintritt“, scheint daran vorbeizugehen. Der Zufall steht hier bei Aristoteles nicht in Opposition zu einer publikumswirksamen Erzählung – er ist vielmehr Ursache dieser Wirkung.
2.4 Kontingenz und Zufall im Mittelalter – Erzähltheoretische Positionen
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Den Versuch einer genaueren narratologischen Erfassung dieser verschiedenen Zufallskriterien hat, ohne Bezug zu Aristoteles, vor einigen Jahren Werner Wolf vorgelegt, wenn er den narrativen Zufall durch die englischsprachige Differenzierung in accidents einerseits, coincidences andererseits methodisch zu präzisieren suchte. Während accidents solche Ereignisse seien, die für Figuren und Rezipienten durch unerwartete Plötzlichkeit charakterisiert sind, seien coincidences zu verstehen als das Zusammentreffen zweier Ereignisketten, die in der Erzählwelt vorbereitet worden seien, aber in keiner kausalen Abhängigkeit zueinander stünden; für den Rezipienten, der das vorausgehende Geschehen in seinen Erzählsträngen überblickt, seien sie allerdings durchschaubar bis vorhersehbar.³²⁹ Anders als der Zufall in der realen Welt, in der das begrenzte menschliche Wissen um Wirkungszusammenhänge den limitierenden Faktor jeder Weltdeutung darstellt, kann der Rezipient einer erzählten Welt, so der Erzähler will, durchaus in die Lage versetzt werden, Zusammenhänge zu erkennen und Ereignisse vorauszusehen: Was für die Figuren als Zufall erscheinen muss und soll, wäre für den Rezipienten als Koinzidenz erklärbar. Die mit Vogt vorausgehend formulierte Unterscheidung zwischen Kontingenz als Raum des Möglichen, in Erzählungen vor allem sichtbar in Erzählübergängen, und Zufall als aktualisiertem IstZustand, ist aus narratologischer Perspektive also noch zu verfeinern. Vogt selbst lieferte keine Definition von Koinzidenz, notiert aber, dass „aus einer distanzierten Beobachterperspektive“ die Relation von Handlungen zueinander – er bezog sich auf die aristotelischen Beispiele – „als eine ganz spezifisch zu definierende Koinzidenz, als unintendiertes und ursacheloses Zusammentreffen zweier intentional und ursächlich durchaus bedingter Handlungen“ erscheinen würde.³³⁰ Narratologisch betrachtet ist solche Koinzidenz intendiert und funktionalisiert. Es scheint diese Möglichkeit der Trennung von grundsätzlich unvorhersehbarem Zufall und nur erzählweltlich unerwarteter Koinzidenz – „aus der Teilnehmerperspektive eines Akteurs“,³³¹ wie Vogt formuliert – zu sein, die Aristoteles in Kapitel 9 der Poetik andeutet, wenn er sagt, dass „auch von den zufälligen Ereignissen die am meisten Staunen erregen, die den Anschein haben, gleichsam aus Absicht zu geschehen“³³² – Koinzidenzen also.³³³
Vgl. Wolf 2008, S. 180 f. Vogt 2011, S. 119. Vogt 2011, S. 119. Schmitt 2008, S. 15. Auch Heath 1991, S. 392 f., schien diesen doppelten Aspekt anzudeuten, wenn er festhielt, das Konzept von Unvorhersehbarkeit in Aristoteles’ poetologischen Ausführungen sei nicht gleichzusetzen mit Undurchschaubarkeit. Unverständlich ist hingegen, wie Störmer-Caysa 2007, S. 181, nachdem sie Koinzidenz als „die kontingente punktuelle Einheit der akzidentiellen Raumzeitbedingungen zweier wesentlich voneinander unabhängiger Ereignisfolgen“ definierte, unmittelbar folgern konnte: „Die Koinzidenz ist kein aristotelisches Problem“; vgl. bereits Meier 1988. Vgl. dazu die Feststellung bei Kloss 2003, S. 182, Aristoteles habe Dichtung erstmals erkannt als „Aussageform, die auf die Realität Bezug nimmt und zugleich ganz eigenen Gesetzen folgt“. In ähnlicher Richtung dürfte Aristoteles’ eigene Bemerkung im ersten Buch, Kapitel 9, der Rhetorik zu verstehen sein, man solle „auch die zufälligen Begebenheiten und die aufgrund eines glücklichen Ge-
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2 Kontingenz und Zufall in Geschichte(n) – Theoretisch-methodische Überlegungen
Die Frage ist gleichwohl, ob die Mitys-Episode, wie Aristoteles offenbar meinte, tatsächlich unter diese narrative Koinzidenz fällt; hier könnte man mit Else Kritik an der Wahl des Beispiels üben. In einer moralischen Deutung derselben Episode, wie sie 400 Jahre später Plutarch vorlegen sollte, werden Erwartungshaltungen gar nicht diskutiert: Der Tod des Mörders ist als göttlicher Eingriff motiviert und legitimiert – narrative Signifikanz kommt dieser Episode nicht zu.³³⁴ Doch in der rationalen Zufallssystematik des Aristoteles erscheint der Statuensturz weder als göttliche Gerechtigkeit noch als narrativ vorbereitete Koinzidenz – der Tod der Mörders erscheint als Resultat des Zusammentreffens einer intentionalen Handlung mit einem intentionslosen Ereignis, kurzum: „an example of a curious accident“, wie Else selbst formulierte.³³⁵ Hier tritt aber, und das wurde in bisheriger Forschung, soweit ich sehe, nicht berücksichtigt, ein Moment hinzu, dass die exakte Ansprache erschwert und damit zugleich demonstrativen Wert erhält: Die Kürze der Darstellung bei Aristoteles, in der die im selben Satz erfolgte Nennung von Mord und fatalem Sturz gar keine Zeit zur Reflexion lässt. Anders gesagt: Die von Aristoteles thematisierte Frage nach der Wahrscheinlichkeit der erzählten Ereignisabfolge gelangt in der von ihm vorgelegten maximalen Konzentration des Beispiels narrativ und narratologisch gar nicht zur Gestalt – mag sein, dass die Szene einst im unterrichtenden Vortrag umfangreicher dargelegt und ausgedeutet wurde. Die gängige Prämisse, dass in Erzählungen, wie etwa Matías Martínez formulierte, „irgendwelche Kausalitäten, die im Rahmen der natürlichen Einstellung der Lebenswelt liegen, wirksam sind“,³³⁶ ist damit jedenfalls fruchtbar herausgefordert. Diese Herausforderung für die Produktion und Rezeption von Erzählungen – unabhängig von einer Wertung, denn diese ist hier gar nicht zu entnehmen – in strengster Kürze formuliert zu haben, erscheint mir Aristoteles’ eigentliches Verdienst in dieser Sache. Das folgende Kapitel vertieft diesen Aspekt.
2.4.2.2 Emphatisches Empfindungserlebnis – Wahrscheinlichkeit und Subjektivität Vorausgehend wurde eine Terminologie erörtert, die in der folgenden Lesung der Königssagas die Ansprache solcher strukturellen und erzählweltlichen Phänomene erlaubt, die in früheren Untersuchungen oft marginalisiert wurden. Ein zentraler Punkt wurde bisher aber nur am Rande berührt und es ist bezeichnend, dass die
schicks als auf einer Entscheidung beruhend nehmen“ (Rapp 2002, S. 49), um damit angemessenes Handeln als Konsequenz von Entscheidung zu suggerieren (vgl. Jörke 2010, S. 163 f.). Else 1957, S. 334 f.: „One detail in Plutarch is especially telling from this point of view, namely that the fatal incident took place during a festival. Surely this setting is not accidental. The people of Argos are assembled, in festive yet reverent mood, the murderer of Mitys is among them, and behold the gods choose this solemn moment to show in the sight of all – by public execution, as it were – what the fruits of crime are“. Else 1957, S. 336. Martínez 1996, S. 24.
2.4 Kontingenz und Zufall im Mittelalter – Erzähltheoretische Positionen
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Forschungsdebatte ihn überhaupt gemieden hat: Die angedeutete Frage nach der Wirkung der Erzählung auf den Rezipienten, nach, mit Arbogast Schmitt, der „Zusammengehörigkeit von Erkenntnis und Gefühl“.³³⁷ Am Anfang von Buch 2 seiner Rhetorik definiert Aristoteles Emotionen als die Dinge, durch welche sich (die Menschen), indem sie sich verändern, hinsichtlich ihrer Urteile unterscheiden und welchen Lust oder Schmerz folgt, wie zum Beispiel Zorn, Mitleid, Furcht und was es sonst noch Derartiges gibt sowie die Gegenteile von diesen.³³⁸
Von einer „der Wahrheitsfindung verpflichtenden Beweisführung“ sei hier keine Rede mehr, wie Dirk Jörke festhielt, vielmehr ginge es um die Beeinflussung der Gefühle des Publikums: „Hierzu ist es zum einen notwendig, als integere wie authentische Person zu wirken, zum anderen muss der Rhetor über jene Mittel verfügen, die die ZuhörerInnen in jene Stimmungen versetzen, vor deren Hintergrund sie den erhofften Beschluss fassen“.³³⁹ Ähnlich notierte Christian Schneider zur kontinentalen Literatur des 13. Jahrhunderts, erzähllogische Plausibilität würde nun von der „Psychologie des Publikums“ her gedacht – eine „signifikante Akzentverschiebung“.³⁴⁰ Man wird insofern sowohl Rita Copeland darin zustimmen dürfen, die Rezeption der aristotelischen Rhetorik zu jener Zeit habe „a powerful new articulation of the social conditions behind emotional responses“ bedeutet,³⁴¹ als auch Klaus Ridder in seinem grundsätzlichen Urteil zur Verquickung von Emotionen und Gesellschaft im Medium der Literatur: Literarische Inszenierungen von Gefühlen kann man als deutende Interpretation komplexer emotiver Prozesse (im Medium anspruchsvoller Sprache) verstehen. Literatur ist insofern ebenso ein Medium der jeweils aktuellen Kommunikation über Emotionen in einer Gesellschaft wie ein Speicher der Reflexion über Emotionen in historischer Sicht.³⁴²
Ridder betonte, es sei jene „Wertschätzung einer universellen Vernunft im 12. Jahrhundert“ gewesen, die nicht nur die Untersuchung der äußeren Welt, sondern auch die „Erschließung des inneren Menschen“ motiviert hätte – „emotionale Reflexivität“ sei kein Spezifikum der Moderne, sondern bereits in mittelalterlichen Texten greif-
Schmitt 2008, S. 403. Zur Forschungsgeschichte und aktuellen Einordnung vgl. Till 2016. Rapp 2002, S. 73. Jörke 2010, S. 164. Schneider 2013, S. 182. Copeland 2014, S. 127. Aristoteles präsentiere hier, so Rita Copeland, „a vividly realized social psychology of the emotions, grounded in maxims, poetry, and history to illustrate, nonjudgmentally, how people behave in real-life situations. […] The Rhetoric offered a systematic breakdown of what every preacher already knew from experience: how to appeal emotionally to the given mood and selfimage of an audience“ (ebd., S. 125 f.). Ridder 2003, S. 209.
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bar.³⁴³ Emotionen als selten offen thematisierter, häufig aber latent mitschwingender Aspekt der Erzählwelt wurden auch für altisländische Literatur näher bedacht.³⁴⁴ Damit ist aber nur der thematische Aspekt jener postulierten Zusammengehörigkeit von Erkenntnis und Gefühl angesprochen. Methodisch schwieriger zu fassen ist die Wirkung einer Erzählung auf den Rezipienten. Es kann hier nicht um den Versuch einer grundsätzlichen Klärung dieser Frage gehen, die noch unlängst bezeichnet wurde als „ein Gebiet, das seit Platon und Aristoteles zu den größten Konfliktzonen des Denkens und der Wissenschaft gehört“,³⁴⁵ als „a contested and even fractious problem“.³⁴⁶ Die folgenden Überlegungen verleihen dem in dieser Studie berührten semantischen Feld um ‚Emotion‘ aber den nötigen Rahmen. Das Thema wird dann in der Auswertung aufzugreifen sein. Richten wir den Blick auf eine bekannte Episode: Eine Ereignisabfolge wie die maximal verkürzte Erzählung um König Mitys mag auf emotionaler Ebene spontan Befriedigung ob höherer Gerechtigkeit auslösen.³⁴⁷ Doch die damit für den aristotelischen Idealfall der Tragödie vorausgesetzte Katharsis ist als allgemeingültiges Konzept mittlerweile in Zweifel gezogen: „Many have endeavored to recover Aristotle’s meaning of catharsis, without reaching any generally accepted result“,³⁴⁸ wie Walter Watson zusammenfasste. Jonathan Lears Einschätzung, die Tragödie sei im Sinne von „certain emotional possibilities“ zu verstehen, die zur mentalen Grenzüberschreitung anregen würden, erscheint hier immer noch der fruchtbarste Ansatz: „Even if tragedy does not befall us, it goes to the root of the human condition that it is a possibility we must live with. […] in tragedy our lives are ripped asunder“.³⁴⁹ Die von Aristoteles
Ridder 2003, S. 217 und S. 220. Kritisch fügte er an: „Dass die moderne (kognitive) Emotionsforschung ihren historischen Wurzlen wenig Beachtung schenkt, steht auf dem viel beschworenen anderen Blatt. Das Forschungsfeld ist insofern ein instruktives Beispiel für die Alterität und für die Kontinuität der Auseinandersetzung über den Zusammenhang von Emotion und Reflexion“ (ebd.); zur Debatte vgl. Boquet/Nagy 2002. Vgl. bereits Miller 1992 sowie später Sif Ríkharðsdóttir 2015 und 2017. Die Frage nach dem semantischen Gehalt des Begriffs ‚Emotion‘ ist bisher nicht befriedigend geklärt. Das ist nicht zuletzt, wie Sif Ríkharðsdóttir formulierte, der „cultural contingency of emotion“ geschuldet, dem Umstand also, dass das jeweilige Verständnis des Begriffs sowie des damit verknüpften semantischen Feldes von diversen Faktoren bestimmt ist, die der wissenschaftlichen Ansprache immer nur zum Teil zugänglich sind (Sif Ríkharðsdóttir 2015, S. 162). Daran haben auch dezidiert lexematische Untersuchungen, wie sie etwa Barbara Rosenwein unter dem Schlagwort „emotional vocabularies“ vorgelegt hat (Rosenwein 2016, S. 4), nichts geändert. Skeptisch hinsichtlich einer Klärung Plamper 2012, S. 10: „The idea that more than two and a half millennia of Western theological and philosophical thought about emotion has simply been displaced by one hundred and fifty years of research into the psychology of emotion is deeply problematic“. von Koppenfels/Zumbusch 2016, S. 1. Copeland 2018, S. 264. „The sequence of events completes an emotional cadence in the audience“, wie Velleman 2003, S. 6, meinte. Watson 2012, S. 141; vgl. Kappl 2006, S. 266 – 268. Lear 1992, S. 334.
2.4 Kontingenz und Zufall im Mittelalter – Erzähltheoretische Positionen
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anscheinend angestrebte Einhegung dieses emotionalen Aufruhrs durch die reinigende Wirkung der Tragödie bricht aber dort weg, wo sich der Rezipient keiner eindeutigen narrativen Ereignisfolge mehr gegenübersieht: It is crucial to the pleasure we derive from tragedy, that we never lose sight of the fact that we are an audience, enjoying a work of art. Otherwise the pleasurable katharsis of pity and fear would collapse into the merely painful experience of those emotions.³⁵⁰
Die emotionale Verunsicherung angesichts des erzählten Geschehens intensiviert sich, so lässt sich abstrahieren, wenn in Erzählsequenzen Verknüpfungen fehlen, seien sie kausal, seien sie, wie im Falle der Mitys-Szene, moralisch. Solche Verunsicherung in Struktur und damit Deutung mag zur Reflexion anregen, sei sie poetologischer, sei sie philosophischer Natur; sie wirkt in jedem Fall auf emotionaler Ebene, allerdings nicht mehr notwendig als Befriedigung, sondern auch als Verunsicherung: Die in ihrem Konnex fragil gewordene Erzählung würde ultimativ die „Fragilität des menschlichen Lebens im Sinne von dessen Zufallsanfälligkeit“³⁵¹ markieren. Wenn mangelhafte Kausalverknüpfung einem erzählten Geschehen die emotional beruhigende Notwendigkeit nimmt, dann wird Wahrscheinlichkeit der Maßstab; daran lässt bereits Aristoteles in der Poetik keinen Zweifel, wenn er neben den notwendigen Ablauf eines erzählten Geschehens den wahrscheinlichen Ablauf stellt und zugleich festhält, das am schlechtesten konstruierte Erzählgeschehen sei jenes, „in dem das Nacheinander der Szenen weder wahrscheinlich noch notwendig ist“.³⁵² In diesem Wahrscheinlichkeitskriterium liegt wie gesagt eine Parallele zum alltäglichen Umgang mit Kontingentem und Zufälligem: Erst wenn das Kriterium der Unwahrscheinlichkeit eines Ereignisses in einem gegebenen Zusammenhang erfüllt ist, setzen Wahrnehmung und Verarbeitung ein.³⁵³ Wenn die Wirksamkeit eines erzählten Ereignisses auf den Rezipienten also wesentlich an Wahrscheinlichkeit bzw. Unwahrscheinlichkeit gemessen wird – und wenn Kontingenz gerade dann markiert ist, wenn Erwartungshaltungen nicht erfüllt werden –, dann ist zu fragen, was ‚wahrscheinliches Erzählen‘ eigentlich bedeutet. Bereits Aristoteles formulierte hier ja uneindeutig, wenn er meinte, es sei „wahrscheinlich, dass manches gegen die Wahrscheinlichkeit geschieht“ (Poetik 25).³⁵⁴ Im Blick auf Erzählstrukturen ist es insofern wenig erhellend, wenn die Forderung nach einer Erzählung nach Regeln der Wahrscheinlichkeit schlicht als „poetologisches Allgemeingut“ vorausgesetzt wird.³⁵⁵ Walter Haugs Stili-
Lear 1992, S. 334. Vogt 2011, S. 126. Schmitt 2008, S. 14. Vgl. Brunold 2011, S. 47. Schmitt 2008, S. 39. Schneider 2013, S. 178. Es ist bezeichnend, dass der Wahrscheinlichkeitsbegriff in der aktuellen mediävistischen Forschung meist unkommentiert stehenbleibt; vgl. aber jüngst den Versuch einer Differenzierung bei Haferland 2019, S. 26 f., mit Verweis auf die Rezeptionswirkung mittelalterlicher Erzählungen: „Überall, wo bestimmte Erwartungsmodalitäten berührt werden, wo wir also wollen,
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sierung des aristotelischen Verständnisses von Dichtung (im Sinne von etwas Fiktionalem) zur „Wahrheit des Wahrscheinlichen“, gegenüber dem im Mittelalter dann angeblich „freie[n] Spiel mit dem Unwahrscheinlichen“,³⁵⁶ mag rhetorisch gefällig sein, ist aber ebenfalls fragwürdig. Geht es in literarischen Erzählungen um das Zusammenwirken von Erwartung und Abweichung, dann ist vielmehr das Problem des Bewertungsmaßstabs berührt: Eine übergeordnete Instanz kann als notwendig erweisen, was aus untergeordneter Perspektive kontingent erscheinen mag – jedoch kann auch umgekehrt aus (vermeintlich) untergeordneter Perspektive die Notwendigkeitsbehauptung einer übergeordneten Instanz – ja sogar die des Erzählers selbst – bestritten werden.³⁵⁷
Unter Verweis auf Aristoteles’ Poetik bemerkte Ende der 1990er Jahre Gary Morson, die Bewertung von Erzählungabläufen obliege ohnehin stets dem Rezipienten: „Relative closure may be present at various stopping points, and each of these could be a sort of an ending, or as much as we will ever get. As in life, we take stock and make up a subtotal, but there is never a final total“.³⁵⁸ Gerade die Königssagas wurden wiederholt als Paradebeispiel dieser Verschränkung von Absichtlichkeit und Unabsichtlichkeit bezeichnet: Die (An‐)Ordnung narrativer Ereignisse sei zwar seit Aristoteles für die Literaturkritik von immenser Bedeutung gewesen, so urteilte Ármann Jakobsson; doch klare Vorgaben seien gerade in der altnordischen Literatur schwer zu identifizieren.³⁵⁹ Vielmehr sei diese Literatur geradezu charakteristisch „a mixture of the
wünschen oder hoffen, dass etwas passiert […], bringen entsprechende Einstellungen uns bei der Rezeption von Plots über Unwahrscheinlichkeiten schnell hinweg, weil diese Einstellungen nach ‚ihrer eigenen (Wunsch‐)Wirklichkeit‘ verlangen. Beim Schrecken mit nachfolgendem Mitgefühl ist das anders, da man so etwas ohnehin nicht wünscht […]. Plots, deren Ausgänge man als Rezipient herbeiwünscht, untertunneln immer schon wahrscheinlich zu erwartende Ereignisverläufe durch Zufallsfügungen“. Für historisches Erzählen folgerte er allerdings: „Lücken einer Beweisführung im Fall vergangener Ereignisse werden dabei naturgemäß nicht kenntlich gemacht, sondern je schon ausgefüllt und gekittet. Die rhetorische narratio verisimilis hat die eigene Konsistenz und Geschlossenheit im Auge, ohne in den erreichbaren Beweisstücken liegende Ungereimtheiten zur Geltung kommen zu lassen“ (ebd., S. 30 f.). In den Königssagas, das wird sich zeigen, ist es aber vor allem die Brechung dieser Vorgaben, die in der Rezeption Wirkung entfaltet. Haug 1985, S. 105 f. Waltenberger 2010, S. 232. Welcher Teil eines Werks als zufällig aufgefasst würde und welcher nicht, so hielt auch Boden 2014, S. 1404 f., fest, sei „abhängig von der (konkreten) Rezeption. Die Kategorien Absichtlichkeit und Unabsichtlichkeit bzw. Zufall stehen insofern mit der prinzipiellen Mehrdeutigkeit fiktionaler Texte in Zusammenhang“. Von einem „auktorialen Regisseur“ eingesetzt und funktionalisiert, so bemerkte auch Reichlin 2010a, S. 28, bliebe unklar, „ob und auf welche Weise handlungsweltliche Zufälle Kontingenz darstellen oder thematisieren“. Morson 1998, o.S. Vgl. weiterführend Garber 2011, S. 259 – 283, hier zur Definition S. 271: „Closure is not quite the synonymous with ending; it seems to imply a wrapping up, a completing of the circuit, a satisfaction (or relief) that puts the previous events, or text, or emotional experience, firmly if not always completely, comfortably in the past“. Vgl. Ármann Jakobsson 2014a, S. 77.
2.4 Kontingenz und Zufall im Mittelalter – Erzähltheoretische Positionen
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significant and the insignificant“³⁶⁰ – als Beispiel diente ihm die Morkinskinna. In diese Richtung hatte schon Anfang der 1980er Jahre Carol Clover verwiesen, wenn sie die altisländische Saga genreübergreifend als „acentric bundle of interlocking subplots“ charakterisierte, das ein verzweigtes Erzählgeschehen bedingen würde, „including a considerable portion of matter which is neither strictly necessary nor strictly superfluous but something in between“: Der klassische „proof of necessity“ als erzähllogische Maxime sei in dieser Literatur zunehmend aufgegeben worden zugunsten eines „proof of relevance“, die kausallogische Entwicklung der Erzählung also der Aufgabe des Textes untergeordnet, eine bestimmte Wirkung zu erzielen.³⁶¹ Diese Einschätzung aktualisierte Bruce Lincoln, wenn er zu den Königssagas bemerkte: „At a certain point, however, it becomes apparent that there is no convenient point of closure“.³⁶² Hier ist die Frage der Subjektivität berührt: Wenn Wahrscheinlichkeit abhängig von Ermessensentscheidungen des Rezipienten ist, dann ist auch mittelalterliche Literatur, wie Wernfried Hofmeister formulierte, engagierte Literatur, die „gleichzeitig für ihr Publikum und mit ihm arbeitet“.³⁶³ Als Kritik eines vom subjektiven Leseerlebnis her argumentierenden Zugangs bleibt zunächst stehen, dass der Akt des ersten Rezipierens einer Erzählung bisher in der skandinavistischen Forschung befremdlich
Ármann Jakobsson 2012, S. 14. Clover 1982, S. 54; vgl. bereits Ker 1931. Lincoln 2014, S. 104; vgl. Kap. 1.1.3. Hofmeister 2009, S. 16. Bereits Fuhrmann 1992, S. 33, betonte die Relevanz der Kategorie der Glaubwürdigkeit (schon bei Aristoteles): „Anders als das Wahrscheinliche und jedenfalls das Mögliche deutet diese Kategorie nicht lediglich an, wie sich das poetische Werk zur Realität verhalten soll; sie ist vielmehr primär eine wirkungsästhetische Instanz, genauer: Sie ist das subjektive Korrelat zur objektiven Möglichkeit, während das Wahrscheinliche je nach dem Kontext bald mehr zur einen, bald mehr zu anderen Seite hin tendiert“. Ob man mit Heizmann 1999, S. 60, von einer „erste[n], ‚naive[n]‘ Lektüre“ sprechen will, die angeblich im Mittelalter „den meisten zeitgenössischen Rezipienten die allein mögliche war“, ist eine andere Frage; Heizmanns kritische Bemerkung, der Konstruktionscharakter altisländischer Sagas sei erst für „uns moderne Philologen“ sichtbar, die wir ihn „gegen den (mutmaßlichen) Verfasser-Willen“ herausarbeiten würden, bleibt spekulativ. Man mag in dieser Position eine (indirekte) Reaktion auf Hans Robert Jauß’ Kritik an der Vorstellung einer „selbstgenügsamen Kontemplation des Lesers“ sehen: Mittelalterliche Literatur, so Jauß 1977b, S. 15, sei „von der überwältigenden Mehrheit der Adressaten nur hörend“ rezipiert worden. Der Gleichsetzung von auraler Rezeption mit ‚naiver‘ Rezeption kann man aber entgegenhalten, dass gerade die altnordische Erzählkunst mit der Skaldik eine anspruchsvolle Gattung hochschätzte, deren Rezeption bis ins 14. Jahrhundert hinein weitgehend über das Zuhören erfolgte, in deren Entschlüsselung der Rezipient aber intellektuelle Energie investieren musste. Vgl. grundlegend Iser 1979a [1971], S. 228 f.: „Zwischen Text und Leser spielt sich ungleich mehr als nur die Aufforderung zu einer Ja/Nein-Entscheidung ab. Allerdings ist es schwierig, in diesen Vorgang hineinzublicken […]. Zugleich wird man sagen müssen, daß ein Text überhaupt erst zum Leben erwacht, wenn er gelesen wird. Daraus ergibt sich die Notwendigkeit, die Entfaltung des Textes durch die Lektüre zu betrachten. […] Bedeutungen literarischer Texte werden überhaupt erst im Lesevorgang generiert; sie sind das Produkt einer Interaktion von Text und Leser und keine im Text versteckten Größen, die aufzuspüren allein der Interpretation vorbehalten bleibt“.
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2 Kontingenz und Zufall in Geschichte(n) – Theoretisch-methodische Überlegungen
unbedacht geblieben ist – dies ungeachtet seiner Relevanz für eine adäquate Definition des narrativen Zufalls, wie sie Werner Wolf erprobt hat: Chance in fiction […] applies to occurrences within diegetic (or hypodiegetic) worlds that on a first reading do not appear to be plausibly caused or motivated by anything within these worlds, neither by a supernatural agency nor by natural, secular factors – although it may turn out later on that factors from these fields are in fact responsible for the occurrences in question.³⁶⁴
Die analytische Relevanz der wiederholten Lektüre eines Textes demonstrierte Hans Robert Jauß, einer der ‚Begründer‘ der so genannten Rezeptionsästhetik, u. a. anhand einer Lesung des biblischen Propheten Jona, indem er zwischen einer Erstlesung – „with the intention to discover the text“ – und einer Zweitlesung – „with the intention to step from theological reconstruction to literary application“ – unterschied;³⁶⁵ dass die Bibel besondere Anforderungen an den Rezipienten stelle, deutete Jauß zu Recht an. In ähnliche Richtung, auf ein größeres Textcorpus bezogen, verwies Edward Risden: Any reading subsequent to the first – or the illuminating one that unveils the ‘meaning’ – becomes a new sub-version, unless and until it becomes our new super-version, when a new ideal replaces an archetype, casting us from a new center, decentering or retiring old, overfished readings.³⁶⁶
Die Unmittelbarkeit der ersten Rezeption nivelliert aber den Einwand, Erzählen im Mittelalter sei final motiviert gewesen, also gleichsam vom Ende her zu deuten: Was rückblickend notwendig funktional auf dieses Ende bezogen erscheinen mag, kann in der ersten Rezeption auch in anderer Weise wirken. Die konfigurierende Dimension des Erzählens – durch „Ähnlichkeiten und Wiederholungen werden paradigmatische Beziehungen gestiftet“³⁶⁷ – wäre dann also, wenn überhaupt, erst retrospektiv zu durchschauen, das Erzählen selbst hingegen aus narratologischer Sicht, wie Michael Waltenberger festhielt, „nicht selbst schon ein Ordnungsdiskurs, der dem Kontingenten nur vorläufig im Prozess der Ordnungsrestitution Geltung verleiht“.³⁶⁸ Allein durch die Betrachtung des jeweils erzählten Ereignisses, nicht der im Erzählverlauf offenen Möglichkeiten, erscheint das Geschehen final gerichtet.³⁶⁹ Die synchrone Perspektive, die sich voranschreitend immer wieder Momentaufnahmen narrativ ausgestellter Möglichkeiten und damit auch der möglichen Brechung von Erwar-
Wolf 2008, S. 180. Jauß 1994, S. 3 und S. 12. Risden 2016, S. 39. Reichlin 2010b, S. 251. Waltenberger 2010, S. 232. Bubner 1984, S. 44, zog hier den Vergleich mit Geschichtsschreibung generell: „Der selektive Eingriff des Historikers, der das zunächst Gleichberechtigte in Zentralgeschehen und Randbedingungen zerlegt, legitimiert sich bloß durch das Wissen der Späteren“.
2.4 Kontingenz und Zufall im Mittelalter – Erzähltheoretische Positionen
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tungshaltungen gegenübersieht, erzeugt hingegen, wie selbst ein Kritiker wie Armin Schulz einräumen musste, den „Eindruck einer massiven Kontingenz“.³⁷⁰ Mit der dem Wahrscheinlichkeitskriterium inhärenten Subjektivität rückt für das 12. bis 14. Jahrhundert erneut der mentalitätsgeschichtliche Rahmen in den Fokus: Es sind das Weltwissen dieser Zeit, die teils sukzessiven, teils radikalen und damit emotional besonders wirksamen Wandlungen, vor denen Wahrscheinlichkeitserfahrungen und subjektive Wahrnehmungen zu beurteilen sind. Im Blick auf dieses Wechselspiel argumentierte Schneider für eine poetologische Neuerung um 1200: Dichtung als „verbildlichende Repräsentation“ ziele nun auf die „emotiven Effekte, die solche Bildhaftigkeit beim Rezipienten auslöst“ – diese Betonung der „subjektivpsychologischen Überzeugungskraft“ sei die wichtigste Innovation der poetologischen Diskussion im 13. Jahrhundert.³⁷¹ In Abkehr vom Kriterium der Wahrscheinlichkeit schlug Volker Mertens schließlich vor, Kontingenz in Erzählung überhaupt als Werkzeug zu verstehen, um „die eigenen Gefühle zu erkennen und zu intensivieren – aber nicht, sie zu bewältigen oder zu ordnen“.³⁷² Es ginge, so Mertens weiter, um eine regelrechte „Poetik der Emotionalisierung“,³⁷³ die Kontingenz erfahrbar mache: Sinn sei allein „im Prozess der Rezeption als empathisches Empfindungserlebnis“ zu generieren.³⁷⁴ Aristoteles selbst fasste diesen Gedanken in Buch 2 seiner Rhetorik weiterhin gültig zusammen: Die Furcht treibt zur Überlegung an, und doch überlegt sich keiner die Dinge, die hoffnungslos sind. Daher muss man, wann immer es besser erscheint, dass sie sich fürchten, (die Zuhörer) in einen solchen Zustand versetzen, dass sie glauben, sie seien solche, die etwas erleiden; denn auch andere Bedeutendere haben es schon erlitten; und man muss zeigen, dass Ähnliche es erleiden oder schon erlitten haben und zwar von solchen, von denen man es nicht glaubte, und dies (nicht glaubte) und zu Zeitpunkten, von denen man es nicht glaubte.³⁷⁵
Schulz 2010, S. 224. In Adaption einer Formulierung bei Reichlin 2010b, S. 250, könnte man auch von der „Zeitlichkeit der Beobachterverhältnisse“ sprechen: „Die Unterscheidung in eine erste Rezeption und alle nachfolgenden Rezeptionen, die den Maßstab der erzählweltlichen Wahrscheinlichkeit gleichsam konterkariert, hält aber auch den Blick für die besondere Leistungsfähigkeit von Erzählung offen“. Auch Koch 2010, S. 112, sprach von einem „Horizont von zeitgleichen Möglichkeiten“. Schulz 2010, S. 210, wandte wiederum ein, diese Beobachtung gälte allein für Einzelepisoden, während im Blick auf „das Gesamt der Handlung“ Ordnung immer wieder hergestellt würde; hier meinte er aber wohl den ordnenden Rückblick auf das komplette Erzählgeschehen. Schneider 2013, S. 180 und S. 182. Mertens 2010, S. 198. Mertens 2010, S. 200. Mertens 2010, S. 200. So könnte man bereits Haugs These verstehen, das „UnwahrscheinlichErfundene der Handlung“ würde „den Zuhörer umso nachdrücklicher auf den Sinn“ hinführen (Haug 1985, S. 106). Rapp 2002, S. 84.
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2 Kontingenz und Zufall in Geschichte(n) – Theoretisch-methodische Überlegungen
2.5 Zusammenfassung Im vorausgehenden zweiten Teil dieser Arbeit wurden Kernkonzepte von Kontingenz und Zufall in ihrer historischen Dimension herausgearbeitet. Neben der forschungsgeschichtlichen Einordnung standen gelehrte, lebenspraktische und literarische Diskurse des 12. bis 14. Jahrhunderts zur Debatte, die das Milieu schufen, innerhalb dessen die Königssagas ihre Entstehung und Entwicklung erlebten. Die Berücksichtigung allein des Großteils aller potenziell relevanten Perspektiven in dieser theoretisch-methodischen Betrachtung liegt weit außerhalb der Grenzen einer monographischen Studie. Gleichwohl hat die eingehende Diskussion in diesen Kapiteln mehrere Grundthesen geformt, gefestigt und geschärft, die den Hintergrund der folgenden Neulesung der Königssagas bilden: − Gegen die Vorstellung eines Mittelalters, das durch Jahrhunderte hinweg wesentlich unverändert durch unhinterfragtes Gottesvertrauen geprägt gewesen sei, wird in der Forschung mittlerweile mit zunehmendem Rationalismus bis Skeptizismus ab dem 12. Jahrhundert gerechnet. Gott wurde, dieser These folgend, nicht grundsätzlich in Frage gestellt, wohl aber seine Schöpfung zunehmend als weitreichend durchschaubare Ordnung begriffen, die nach menschlichem Erkenntnisvermögen auf regelhafte Wirkungsweisen hin zu befragen sei. Zugleich wurden dabei die Grenzen menschlicher Erkenntnis offensichtlich, womit der kontingente Status der Welt und die Erfahrung des Zufälligen an Brisanz gewannen. − Kaum überschätzbaren Anteil an dieser Entwicklung hatten die ab jener Zeit in rascher Folge ins Lateinische übertragenen Schriften des Aristoteles, die die menschliche Vernunft als Erkenntnisinstrument ins Zentrum rückten: Systematisch sollte nach den Ursachen für das So-Sein der Dinge gefragt werden. Viele namhafte Gelehrte setzen sich ab dem frühen 12. Jahrhundert in ihren überlieferten Schriften mit dieser Maxime auseinander, die zunehmend über den anfänglichen Bereich der Logik hinauswuchs. Der Bezug zu aristotelischem Gedankengut erfolgte in dieser Studie nirgends exklusiv, vielmehr im Sinne einer notwendigen Beschränkung auf einige Aspekte der über zweitausendjährigen Ideengeschichte von Kontingenz und Zufall, die in der literaturwissenschaftlichen Untersuchung eines begrenzten Textcorpus theoretisch und methodisch fruchtbar gemacht werden können. Dass gerade aristotelische Thesen vielfältige Entwicklungen durchliefen, Missverständnisse und Kritik, aber auch Radikalisierungen provozierten, muss weniger als Einschränkung denn als Multiplikator des mittelalterlichen Kontingenzdiskurses gelten. − Die Hinterfragung der Wirklichkeit forderte ab dem 13. Jahrhundert auch die Theologie heraus und wiederholt wurde die Beschäftigung mit aristotelischen Schriften an kontinentalen Universitäten, vor allem im zentralen Paris, verboten. Zugleich setzten sich die bedeutendsten Theologen ihrer Zeit zunehmend mit der Frage einer kontingenten Welt per se auseinander, dem Problem also, dass die Schöpfung insofern kontingent gedacht werden muss, als Gott sie auch nicht hätte verwirklichen können. Diese kritische Debatte mündete zum Ende des
2.5 Zusammenfassung
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13. Jahrhunderts in der Auseinandersetzung um den freien Willen Gottes: Die Erfahrung, dass sich nicht Alles in der realen Welt aus ersichtlicher Notwendigkeit ereignet, dass der Einsicht in Ursache-Wirkungsprinzipien eine Grenze gesetzt ist, wurde mit der Kontingenz des göttlichen Willens erklärt, womit schließlich auch die verantwortungsvolle Willensentscheidung jedes einzelnen Menschen vormals ungekannte Bedeutung erhielt. War Kontingenz spätestens im 13. Jahrhundert also ein eminentes Problem der Gelehrten geworden, so liegt es nahe, diese Entwicklung mit gesellschaftlichen und politischen Ereignissen jener Zeit in Verbindung zu bringen. Die Kontingenz des sozialen Alltags war latentes Problem des weltlichen Machtkampfes, das sich bei scheiternden Lösungen rasch potenzieren konnte. Die praktische Beherrschung der Unbestimmtheit, im Sinne einer potenziell bedrohlichen Zukunft, forderte menschliche Planung und damit Entscheidung heraus. Dieses Wechselspiel von kontingenter Zukunft und dem Streben nach ihrer Kontrolle, in dem Erwartung und Erfahrung immer wieder auseinanderfallen, darf als anthropologische Konstante gelten. Allerdings dürfte diese Diskrepanz zu bestimmten Zeiten stärker bewusst geworden sein als zu anderen. Für das 12. und 13. Jahrhundert darf man hier vor allem den verlustreichen Kreuzzügen erhebliches Gewicht beimessen: Nicht allein waren sie für die gesamte westliche Welt eine logistische (und damit äußert kostenintensive) Herausforderung. Sie forderten auch eine vormals sicher geglaubte (religiöse) Weltordnung heraus. In dieser gelehrten und praktischen Auseinandersetzung mit Ordnungen und Alternativordnungen von Welt erscheint Literatur als Reflexionsmedium, das es erlaubt, über den Bereich des Geltenden hinauszudenken. Während ältere Forschung mittelalterliche Literatur oft als Schemaerzählungen erfasste, in der solcher Reflexion durch strikte erzähllogische Vorgaben enge Grenzen gesetzt gewesen seien, wird in jüngster Forschung zunehmend anerkannt, dass sich mittelalterliche Literatur durch programmatische Ambiguität auszeichnet, der Rezipient also in der Kommunikation mit der Erzählung zur aktiven Sinnstiftung herausgefordert ist. Kontingenz erscheint dann aus narratologischer Sicht als Strukturmerkmal, das den uneindeutigen Übergang zwischen Erzählzuständen kennzeichnet, bedingt etwa durch ein Überangebot an zunächst gleichberechtigten Deutungen oder durch fehlende Erklärung in Form des Zufalls. Der Erzählakt selbst stiftet also noch keine Ordnung, Erzähllogiken sind auch Ermessensentscheidungen: Der Rezipient ist vor die wiederkehrende Aufgabe gestellt, Erwartungshaltungen und individuelle Interpretationsentscheidungen mit dem verwirklichten erzählten Geschehen zu vergleichen und zu bewerten. Unter Verweis auf die Produktivität von (imaginären) Krisen wurden Schnittmengen zwischen einer zunehmend selbstbewussten Literatur und der vielstimmigen, damit potenziell bedrohlichen historischen Gegenwart des 12. bis frühen 14. Jahrhunderts wahrscheinlich gemacht. Vor der Prämisse, dass literarisches Erzählen vor allem in Krisenzeiten starke, aber durchaus widersprüchliche Wirkung auf den Rezipienten entfalten kann – Literatur also nicht nur reagiert,
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2 Kontingenz und Zufall in Geschichte(n) – Theoretisch-methodische Überlegungen
sondern aktiv an der Konstitution von Gesellschaft teilhat –, wurde narrative Kontingenz schließlich als Mittel der Emotionalisierung gedeutet. Erzählung ist dann nicht einseitig als Zähmung von Kontingenz zu verstehen, sondern kann diese auch verstärkt markieren und über das literarische Medium hinaus etablieren. In der folgenden Lesung der Königssagas geht es insofern um das Erproben von Beobachtungsmöglichkeiten in der Untersuchung einer narrativen Auseinandersetzung mit Kontingenz, Zufällen und Ambiguität. In der Abschlussdiskussion werden diese Perspektiven dann über den literarischen Raum hinaus interpretiert.
3 Fagrskinna, Heimskringla, Morkinskinna – Eine Alternativlesung 3.1 Vorbemerkung Im vorausgehenden Teil dieser Studie wurde Kontingenz als grundlegend ambivalentes Konzept herausgestellt, das zugleich Unsicherheitsbereich und Handlungsbereich kennzeichnet und in dieser immanenten Widersprüchlichkeit eine Herausforderung auch für die literaturwissenschaftliche Ansprache darstellt. Für die konkrete Interpretation erscheint vor allem die Kombination unterschiedlicher Deutungsansätze vielversprechend.¹ Die folgende komparatistisch angelegte Interpretation der Königssagas ist in diesem Sinne ein Experimentieren mit Beobachtungs- und Ansprachemöglichkeiten von Kontingenz, ohne eine durchweg geschlossene Deutung zu erzwingen. Gefordert ist vielmehr ein Maß an Flexibilität in der Perspektive, im Sinne der Herausforderung an die Texte, die vorausgehend erarbeiteten Teilaspekte in ihrer Mehrdeutigkeit bis Ambivalenz in jeweils angemessener Intensität zu beleuchten. Der vergleichende Ansatz, der nicht allein konzeptionelle Übereinstimmungen und Abweichungen einzelner Königssagas untereinander herausarbeitet, sondern auch verschiedene Fassungen dieser Sagas berücksichtigt, begegnet zugleich der Kritik, in der Mediävistik herrsche die Tendenz vor, „Einzelbeobachtungen, die zum Teil zutreffen können, zu verabsolutieren“.² Nicht zuletzt über die (zugegeben wiederum angreifbare) Betonung der ersten Rezeption wurde vorausgehend ein Interpretationskonzept in Zweifel gezogen, das sich, wie auch Jan-Dirk Müller kritisierte, „die eine schlüssige und deshalb abschließende Deutung der einen schlüssigen Werkgestalt zum Ziel setzt“.³ Bemerkenswert ist gleichwohl rückblickend, wie viele Erzählepisoden in den Königssagas sich unter den Vorzeichen von Kontingenz und Zufall ansprechen lassen und sich zu einer zwar nirgends ganz geschlossenen, aber auch nirgends beliebigen Alternativlesung vorgeblich bekannter Erzählungen zusammenfügen. Damit steht, so das Bestreben, am Ende dieser Lesung ein facettenreiches Bild der behandelten Sagas, das der abschließenden historiographischen, narratologischen und literaturanthropologischen Reflexion als belastbare Grundlage dienen kann. Vgl. die ähnliche Einschätzung bei Reichlin 2010a, S. 35. Lienert 2003, S. 91. In diesem Punkt wurde Sverre Bagge wiederholt kritisiert; vgl. etwa Orning 2014, S. 202, der meinte, Bagges Heimskringla-Studie „tenderer til å bli isolert ved at han ikke sammenlikner Heimskringla med andre kongesagaer skrevet rundt samme tidsrom, som Morkinskinna og Fagrskinna“, ‘bleibt eher isoliert, da er die Heimskringla nicht mit anderen Königssagas aus demselben Zeitraum, z. B. Morkinskinna und Fagrskinna, vergleichtʼ. Müller 2010a [1999], S. 25; vgl. ähnlich Miller 2017, S. 5: „If the saga worked the way that nearly all the critics say it does, if it means what they say it means, either X or minus X, no one but the narrowest of specialists would read it or write about it“, sowie Sawyer 2015, S. 10: „Comparisons between the Kings’ sagas composed between the 1190s and the 1230s are indeed very fruitful, and in this field much more needs to be done“. https://doi.org/10.1515/9783110759280-005
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3 Fagrskinna, Heimskringla, Morkinskinna – Eine Alternativlesung
Ein Wort zur Gliederung. Die Heimskringla (in den folgenden Kapiteln abgekürzt als Hkr) überliefert in heutiger Edition sechzehn Sagas. Die meist deutlich knapper erzählende Fagrskinna (Fsk) überliefert die meisten dieser Geschichten (außer der einleitenden Ynglinga saga), während die Darstellung der Morkinskinna (Msk) verlustbedingt spät einsetzt und früh endet, allerdings weitere Kurzgeschichten (þættir) überliefert, deren Bedeutung innerhalb der Sagas seit Langem Gegenstand der Diskussion ist. In der Interpretation wird der Heimskringla ein Vorrang eingeräumt, in dem Sinne, dass die Interpretation das Augenmerk zunächst auf diese umfangreichste und durch keinen erkennbaren Verlust gestörte Kompilation richtet, um vor diesem Hintergrund Fagrskinna und Morkinskinna zu Wort kommen zu lassen. Den letztgenannten Texten wird aber dort größeres Gewicht eingeräumt, wo sie gegenüber der Heimskringla einer relevanten Episode mehr Raum widmen. Die Binnenstrukturierung dieses umfangreichen, mehrstimmigen bis widersprüchlichen Corpus ist unter verschiedenen Gesichtspunkten denkbar. Wie Birgit Sawyer vor einigen Jahren noch einmal betonte, bilden die Königssagas „no natural units“:⁴ Kaum eine Saga fokussiert einen einzelnen Herrscher, und viele dieser Herrscher treten in mehreren Sagas in Erscheinung. Die Chronologie der Königssagas, wie sie sich in Standardeditionen dokumentiert, bildet insofern keine hinreichende Ordnungskategorie für eine umfangreiche Untersuchung, sondern muss einer thematischen Struktur untergeordnet werden. Diskurs- und mentalitätsgeschichtlich wurde vorausgehend eine solche Struktur geschaffen, die im Folgenden ihre praktische Präzisierung durch den Bezug zu Grundkonstanten des menschlichen Lebens erfährt, zu jenen Möglichkeiten, Hoffnungen und Grenzen, die das menschliche Leben also einerseits vorgibt, die dieses Leben andererseits als solches erst konstitutieren. Treffend formulierte einmal Reinhard Wittram: Der Geschichtsbetrachter begegnet dem Zufall am unmittelbarsten dort, wo die persönlichen Schicksale walten: Geburt und Tod, Krankheit und langes Leben, treffende oder fehlgehende Kugeln, das Blitzen der genialen Begabung oder das Ausbleiben des Blitzes, Sinneswandel oder Verstockung, Kraft und Schwäche.⁵
Es liegt insofern nahe, die großen Abschnitte des menschlichen Lebens – Geburt und Kindheit, die Etablierung im sozialen Umfeld, die eigene Prägung dieses Umfeldes, schließlich Alter und Tod – als thematische Ordnungskategorien auch für die Erzählungen über Leben und Taten der nordischen Herrscher heranzuziehen. Leicht modifiziert stehen dann als Kategorien der folgenden Untersuchung: Geburt und Kindheit (Kap. 3.2), Herrschaftsgewinnung (Kap. 3.3), Höhepunkt der Macht (Kap. 3.4)
Sawyer 2015, S. 12; vgl. Kap. 1.1. Wittram 1958, S. 13. Diesen Fokus auf dem Schicksal des menschlichen Lebens stellte Aaron Gurjewitsch auch für die Sagaliteratur als zentrales Charakteristikum heraus: Sagas schilderten „stets Krisensituationen und beschreiben entscheidende, nicht selten verhängnisvolle Augenblicke eines Menschenlebens“ (Gurjewitsch 1994, S. 59).
3.1 Vorbemerkung
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und Herrschertod (Kap. 3.5), chronologisch entlang der erzählten Herrscherfolge weiter unterteilt. In den Königssagas sind diese Lebensabschnitte gleichwohl nirgends scharf getrennt. Dies liegt in der Eigenart der geschilderten Gesellschaft begründet, die sich um den Krieg als wiederkehrendes Ereignis und politisches Instrument dreht. Das Leben der behandelten Herrscher ist von Geburt an bestimmt durch einen Überlebenskampf gegen Konkurrenten auf allen Ebenen und von allen Seiten. Der Aufstieg eines Herrschers bedingt den Niedergang eines anderen, und nicht selten sehen wir uns keiner zweiseitigen Konfrontation gegenüber, sondern einem Konfrontationsgeflecht. Diese gleichsam ubiquitäre Konfrontation wird vielfach gewaltsam geführt, regelmäßig auch in Worten, die dann genauso oft wieder in Gewalt münden. Stehen damit thematisch zunächst das Handeln und somit die Kompetenzen individueller Figuren im Zentrum, so entfalten sich gerade in dieser kriegerisch-planenden Gesellschaft Kontingenz und Zufall als maßgebliche Konzepte⁶ – Konzepte, deren Anerkennung menschliche Handlungskompetenz und damit die populäre Leitidee einer Geschichte großer Männer herausfordert. Es ist die Summe der Beobachtungen, die dieser Argumentation unter veränderten Vorzeichen Gewicht verleiht. Den herausgegriffenen Einzelfall mag man abtun, die Zusammenschau quer durch die Reihen der Herrscher, quer durch die Königssagas, quer durch Textfassungen hingegen fordert die eingehendere theoretische Diskussion heraus. Diese erfolgt konzentriert in der abschließenden Auswertung (Kap. 4), wird in der folgenden Lesung aber insofern vorbereitet, als immer wieder relevante Forschungspositionen zu einzelnen Sagas aufgegriffen werden und der Bezug auch zu Thesen benachbarter Disziplinen gesucht wird. Generell zeigt sich in dieser erstmaligen Aufarbeitung in augenfälliger Weise, wie gering das bisherige Forschungsinteresse an den Königssagas gewesen ist, wie wenig Aufmerksamkeit der versionsübergreifende Vergleich, die einzelne Saga oder das Detail einer Saga auf sich gezogen haben. In dieser Hinsicht versteht sich die vorgelegte Interpretation auch als Stimulus einer generell verstärkt zu führenden Forschungsdebatte über etablierte Genre- und Disziplingrenzen hinweg.
Daran erinnerte der Kronzeuge Carl von Clausewitz: „Der Krieg ist das Gebiet der Ungewißheit; drei Vierteile derjenigen Dinge, worauf das Handeln im Kriege gebaut wird, liegen im Nebel einer mehr oder weniger großen Ungewißheit. Der Krieg ist das Gebiet des Zufalls. […] Er vermehrt die Ungewißheit aller Umstände und stört den Gang der Ereignisse“ (nach Böhme 2011, S. 404 f.). Bemerkenswert war die These bei Magnús Fjalldal 2015, S. 122, Snorri Sturluson erweise sich in der Heimskringla als „one of the leading military thinkers of his generation“; das scheint mir übertrieben, denn zwar finden sich dort viele Episoden um Kriegslisten, aber dem Gros dieser Szenen zu eigen ist eben die erhebliche Zufallsanfälligkeit, die jede Planung allzu leicht durchkreuzt.
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3 Fagrskinna, Heimskringla, Morkinskinna – Eine Alternativlesung
3.2 Geburt und Kindheit 3.2.1 Kontingente Existenzen – Hákon góði, Guðrøðr ljómi, Eiríkr blóðøx Leben und Taten von Hákon góði Haraldsson sind ab dem späten 13. Jahrhundert in mehreren Manuskripten überliefert, deren genaues Verhältnis unklar ist.⁷ Sverre Bagge attestierte der Hákonar saga góða einen „subordinate part in modern historical scholarship“,⁸ eine Einschätzung, die sich im Desinteresse der Forschung an dieser Saga bestätigt findet.⁹ Geburt und Kindheit Hákons werden in Hkr bereits in der vorausgehenden Haralds saga hárfagra, der Saga von Haraldr hárfagri erzählt. Als Haraldr, der Erzählung folgend, wohl kurz nach 930 stirbt, hinterlässt er eine stattliche Zahl an Söhnen; anders als seinem Vater Hálfdan svarti, der auf dem Höhepunkt seiner Macht bei einem Unfall ums Leben kam,¹⁰ war Haraldr ein hohes Alter beschieden – es stellt sich für ihn die Nachfolgerfrage. Helgi Skúli Kjartansson meinte, Hkr würde „convincing circumstances“ präsentieren für Hákons Ansprüche auf das Erbe von König Haraldr.¹¹ Aber eine solch gradlinige Entwicklung ergibt sich allenfalls in der Rückschau, ist dem Erzählverlauf der Haralds saga hingegen nicht zu eigen. Das Augenmerk wird dort vielmehr auf Guðrøðr ljómi gelenkt, der schon durch seinen Beinamen, der Glänzende, als starker Thronkandidat markiert ist. Zwar wird Guðrøðr von seinem Vater Haraldr zunächst verstoßen, weil seine Mutter sich als Zauberin entpuppte. Doch Guðrøðr wendet sich weitsichtig an des Königs Vertrauten Þjóðólfr, seinen Ziehvater; Haraldr nimmt den Sohn daraufhin wieder auf, das Verhältnis bleibt aber ambig. Von Haraldr weiterhin nicht mit Herrschergewalt ausgestattet, rächt sich Guðrøðr einige Jahre später drastisch, als er einen Jarl seines Vaters mit sechzig Gefolgsleuten verbrennt. Erneut kommt es nicht zum finalen Bruch, vergibt Haraldr seinem Sohn auch diese Tat. Die Zukunft von Guðrøðr am Hof seines Vaters erscheint vielleicht nicht stets so glänzend, wie sein Beiname es vermuten lässt; etabliert wird aber das Muster eines Thronanwärters, der allen Widrigkeiten trotzt, mal mit Besonnenheit, mal mit Gewalt, und der nicht zuletzt durch die Unterstützung des einflussreichen Þjóðólfr alle Hindernisse zu überwinden vermag. Guðrøðr ist damit als starker Gegenspieler seines Halbbruders Eiríkr blóðøx inszeniert. Unter allen potenziellen Thronfolgern ist dieser Eiríkr, so wird in Hkr berichtet, Haraldr der liebste
Vgl. Bagge 2004a, S. 186: „These sources have enough in common to show that they cannot be completely independent of one another, but the exact nature of this interdependence has been the subject of much discussion.“ Bagge 2004a, S. 185. Interesse haben allein jene wenigen Szenen auf sich gezogen, in denen vorgeblich heidnische Bräuche geschildert werden (vgl. Sundqvist 2013). Vgl. Kap. 3.5.2. Helgi Skúli Kjartansson 2006, S. 361.
3.2 Geburt und Kindheit
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(auch wenn er in den Königssagas eigenartig vernachlässigt wird).¹² Eiríkr duldet seine Brüder nicht neben, nur unter sich: Eiríkr blóðøx ætlaði at vera yfirkonungr allra brœðra sinna (Hkr i, 138), ‘Eiríkr wollte oberster König über alle seine Brüder sein’. Kurzerhand lässt er einen von ihnen samt Gefolge verbrennen – eine klare Ansage. Dass es daraufhin nicht zur Auseinandersetzung mit Guðrøðr kommt, in seinen brutalen Taten Eiríkr ebenbürtig und damit bedrohlichster Kontrahent, ist einem Zufall geschuldet: Im Winter nachdem Eiríkr sich gegen seine Brüder gewendet hat, ist Guðrøðr erneut zu Gast bei seinem Ziehvater Þjóðólfr, vermutlich, um nun Rat und Unterstützung gegen Eiríkr zu suchen. Doch den letzten Rat von Þjóðólfr missachtet Guðrøðr: Mit einem vollbemannten Schiff will er gegen dessen Warnung sogleich wieder nordwärts fahren, doch beginnen gerade jetzt starke Stürme. Ließ sich Guðrøðr mehrere Jahre Zeit für die Rache an seinem Vater Haraldr, so scheint er angesichts des Machtstrebens von Eiríkr nicht mehr kalkulierend zu agieren, sondern emotional spontan – eine fatale Reaktion: Kaum auf dem Meer, kafði skipit undir þeim, ok létusk þar allir (Hkr i, 139), ‘sank das Schiff unter ihnen, und alle ertranken’. Dieses lapidar erwähnte Ende von Guðrøðr bricht abrupt mit einer Erzählstruktur, die zuvor mehrfach zeitliche Sprünge aufwies, um dessen Stellung zu etablieren: Die Konzentration symbolträchtiger Ereignisse – Zeugung durch König und Zauberin, Verstoßung und Versöhnung, Mordbrand und Vergebung, Konfrontation mit dem Bruder, Unterstützung des klugen Beraters – lässt Guðrøðr zunehmend als prädestiniert für künftige Taten erscheinen; als viðfrægr vísi (Hkr i, 139), weithin berühmten Herrscher, bezeichnet ihn Þjóðólfr noch in seiner letzten Warnung. Die nüchterne Notiz seines Todes bricht mit diesem Muster. Alle Hindernisse wusste Guðrøðr zu überwinden – doch die seinem scheinbar teleologischen Werdegang inhärente Kontingenz wird im natürlichen Phänomen des Wetters drastisch vor Augen geführt. Und es entbehrt nicht der Ironie, dass Þjóðólfr, dessen Rat Guðrøðr fatalerweise ignoriert, zugleich wohl jener Skalde ist, der das Ynglingatal komponierte: Dieses Gedicht ist insofern nicht allein eine Quelle der Ynglinga saga, mit der Hkr einleitet, sondern der Dichter nimmt als Figur aktiv am erzählten Geschehen teil – und der Tod von Guðrøðr erscheint wie eine Szene aus dem berühmtem Gedicht, in dem ein Herrscher nach dem anderen in geradezu absurder Weise ums Leben kommt.¹³ Nach dem Untergang von Guðrøðr wird Eiríkr von Haraldr zum Alleinherrscher bestimmt. Doch motiviert diese Bestimmung sogleich die Wahl mehrerer Gegenkönige in unterschiedlichen Teilen Norwegens, darunter Hálfdan, ein weiterer Sohn von Haraldr – þetta líkaði Eiríki stórilla (Hkr i, 146), ‘das missfiel Eiríkr sehr’. Ist die Position von Eiríkr einerseits erneut mit einem Unsicherheitsfaktor belastet, etabliert die Erzählung nun andererseits auch um ihn das Muster des Erfolges, wenn Hálfdan wenig später plötzlich stirbt (bráðdauðr). Der Erzählerkommentar, möglicherweise sei Vgl. Sawyer 2015, S. 45: „It is remarkable that Snorri has nothing to say about Eirik’s rule in Norway, only that he left for the British Isles as soon as Håkon had returned and won support from many chieftains“. Vgl. Kap. 3.5.1.
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3 Fagrskinna, Heimskringla, Morkinskinna – Eine Alternativlesung
Hálfdan vergiftet worden, ist ein Versuch der rationalen Erklärung, doch der Zusatz var þat mál manna (Hkr i, 147), ‘das war ein Gerücht’, markiert Skepsis. Zwar fördert dieser plötzliche Tod die Machtposition von Eiríkr. Rückblickend betrachtet aber wird, wie bei Guðrøðr, mit diesem Muster glücklicher Zufälle der Bruch bereits vorbereitet: Gegen die anfängliche Herrschaftskonstellation, überhaupt gegen jede geltend gemachte Wahrscheinlichkeit wird nicht der glänzende Guðrøðr, nicht der kompromisslose älteste Sohn Eiríkr, nicht der gewählte Gegenkönig Hálfdan, sondern der verstoßene Bastard Hákon im Kampf um den Thron erfolgreich sein. Im hohen Alter mit einer wohlgeborenen Magd (konungs ambátt (Hkr i, 143)) soll König Haraldr diesen Hákon gezeugt haben, doch war dieses Zeugnis so unsicher, dass zumindest der Erzähler in Fsk Zweifel formuliert, ob Hákon überhaupt königlicher Abstammung war (Fsk, 72): kallar móðirin, at hann væri sonr Haralds konungs, ‘die Mutter behauptet, er sei ein Sohn von König Haraldr’. Die in diesem als zweifelhaft markierten Herkunftsverhältnis angedeutete „Verwerfung des genealogischen Modells“ verortet Hákon von Beginn an in einem liminalen Zustand – ihm bleibt, um eine weitere Formulierung von Volker Mertens zu borgen, allein die „nachträgliche Zustimmung zur Kontingenz seiner Existenz“.¹⁴ Diese kontingente Existenz wird über den Zeugungsakt hinaus markiert; die verschiedenen Sagafassungen stimmen hier in den Rahmenbedingungen überein: Hákons Mutter brach kurz vor der Geburt zu Haraldr auf, um diesen als Paten zu gewinnen und damit die Existenz von Hákon post festum zu legitimieren. Doch die an diese Sitte (siðr) geknüpfte Erwartungshaltung läuft ins Leere: Hákons Mutter erreichte den König nicht rechtzeitig, sondern gebiert den Sohn nachts uppi á hellunni við bryggjusporð (Hkr i, 143), ‘oben auf einer Steinplatte nahe der Landungsbrücke’. Anders als geplant, wird Haraldr Hákon keinen Namen geben, keine Weihe an ihm vollziehen – und ihn somit auch nicht als potenziellen Thronfolger anerkennen. Der verspätete Aufbruch von Hákons Mutter ist ein Zufall, erzählweltlich unmotiviert. Rückblickend betont er, im Zusammenspiel mit Hákons Zeugung und Geburt an einer Klippe – in einem riskanten Grenzraum, dessen liminaler Status über die Erwähnung der Landungsbrücke als verbindendes Element zweier Räume noch betont wird –, die Kontingenz von dessen Werdegang. Mittelfristig etabliert die Erzählung diese Kontingenz als Faktor, der Hákon kontinuierlich auf einem Grat zwischen Erfolg und Verderben balancieren lässt. Zwar nimmt Haraldr Hákon zunächst in seine Obhut. Aber das Scheitern der Mutter, Hákons Leben förmlich an den König zu binden, tritt bald als erneuter Bruch in Erscheinung: Vom englischen König Aðalsteinn gedemütigt, zögerte Haraldr keinen Moment, das Kleinkind gegen den Rivalen einzusetzen – und damit zugleich, so darf man vermuten, Spekulationen über Zeugung und Ansprüche Hákons zu beseitigen: Der niedrigere Stand von dessen Mutter kommt gerade gelegen, da Haraldr das Kind an den englischen Hof schicken kann mit der Nachricht, Aðalsteinn möge dieses ambáttarbarn (Hkr i, 145), Kind einer Dienstmagd, aufziehen. Aðalsteinn, so berichtet
Mertens 2010, S. 189.
3.2 Geburt und Kindheit
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die Saga, greift im Zorn zum Schwert, um Hákon zu durchbohren, woraufhin der Bote seinen Auftrag beschließt mit den Worten: máttu myrða hann, ef þú vill, en ekki mantu með því eyða ǫllum sonum Haralds konungs (Hkr i, 145), ‘du kannst ihn jetzt ermorden, wenn du willst, aber damit wirst du nicht alle Söhne von König Haraldr aus dem Weg räumen’. Bezeichnenderweise ohne Antwort abzuwarten, kehrt der Bote zu einem hocherfreuten Haraldr zurück. Zwar berichtet die Haralds saga dann knapp von Hákons folgender Taufe, doch dringt davon keine Kunde nach Norwegen: Durch die abrupte Abreise des Boten erscheint Hákons Überleben in der Heimat kontingent – möglich, aber nicht notwendig, nicht einmal sehr wahrscheinlich. Sein weiterer Werdegang ist aber auch für den Rezipienten ungewiss.
3.2.2 Raumzeitliche Kollisionen – Óláfr Tryggvason Erscheint der junge Hákon als Sinnbild einer kontingenten Figur, so finden sich auch in der Óláfs saga Tryggvasonar Erzählmomente, die den frühesten Werdegang von Óláfr als kontingent markieren.Wo Hákon auf der Grenze von Königreich und offenem Meer, Land und Wasser zur Welt kam, da gebiert Ástríðr nach Ermordung ihres Mannes Tryggvi den Sohn Óláfr auf einer Insel: hon lét flytja sik út í vatn eitt ok leyndisk þar í hólma nǫkkurum (Hkr i, 225), ‘sie ließ sich auf einen See hinausbringen und verbarg sich dort auf einigen Inseln’. Auffällig ist die Hervorhebung jahreszeitlicher Bedingungen: Als die Nacht dunkler (nótt myrkði), der Tag kürzer (dag tók at skemma) und das Wetter kühler (veðr [tók] at kólna) wurden, verließ sie die Insel. Der Wandel der äußeren Umstände erfordert eine Entscheidung – ein glücklicher Zufall, denn in diesem Winter sind die Verfolger (die Söhne von Eiríkr blóðøx) durch Auseinandersetzungen anderweitig gebunden. Doch diese kurzfristig evozierte Sicherheit wird rasch verworfen. Wo Inseln und winterliche Jahreszeit einen liminalen Bereich schufen, der Óláfr Schutz bot, da wird die Kontingenz seines Werdegangs markiert, wenn Ástríðr und Óláfr direkt nach dem Aufbruch verraten werden. Es ist ein erneuter Zufall, der Mutter und Sohn rettet: Just in dem Moment, in dem ein Bauer die Verfolger informiert, kommt ein Knecht an dessen Haus vorbei – denn, wie der Erzähler lapidar bemerkt, þat var á leið hans (Hkr i, 228), ‘das lag auf seinem Weg’. Ein Zufall auch insofern, als just beim Herrn dieses Knechts die Verfolgten zuvor Unterschlupf gefunden hatten; der Knecht ist zufällig zur rechten Zeit am rechten Ort – „fortuitously present“,¹⁵ wie Ármann Jakobsson formulierte. Óláfr wird daraufhin in einen liminalen Raum zurückgeführt: fylgi sá þeim fram á skóginn, þar sem var vatn nǫkkut ok hólmr einn í, reyri vaxinn, ‘man brachte sie in den Wald, dorthin, wo ein See mit einer Insel war, von Schilf überwuchert’ – und die Verfolger kapitulieren. Wiederum erweist sich diese Entspannung als bloße Momentaufnahme: Als Ástríðr schließlich mit dem Kind zu ihrem einflussreichen Bruder Sigurðr Eiríksson
Ármann Jakobsson 2004b, S. 9.
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3 Fagrskinna, Heimskringla, Morkinskinna – Eine Alternativlesung
nach Russland fliehen will, treffen sie auf offener See auf Wikinger, die Óláfr verschleppen und in Estland zunächst gegen hafr einn vel góðan, ‘einen sehr guten Ziegenbock’, dann gegen vesl gott eða slagning (Hkr i, 230), ‘einen guten Umhang’ eintauschen – eine kurzweilige Notiz fern jener göttlichen Providenz, wie bisherige Forschung sie im Werdegang von Óláfr wirksam sehen wollte.¹⁶ Sechs Jahre lang weilt Óláfr in dieser Verbannung, bis ihn abermals ein Zufall rettet: Eben jener Sigurðr erscheint in Estland, um für den russischen König Abgaben einzusammeln: skyldi hann heimta þar í landi skatta konungs. Auf dem Marktplatz erkennt der Onkel den Neffen – „accidentally and almost miraculously“,¹⁷ wie Hans Kuhn meinte – und kauft ihn frei.¹⁸ In Fsk fehlt diese Kindheitsgeschichte von Óláfr: Dort wird allein berichtet, dass Óláfr in jungen Jahren mit seiner Mutter in unbekannte Länder (í ókunn lǫnd) fuhr und dann im Osten rasch berühmt wurde (Fsk, 141).
3.2.3 Im dichten Wald – Haraldr Sigurðarson Zu den jungen Jahren von Haraldr harðráði Sigurðarson wird in Hkr wenig berichtet, in Fsk wiederum nichts. In der vorausgehenden Óláfs saga helga wird er als Sohn des umsichtigen Lokalherrschers Sigurðr sýr eingeführt, im Alter von drei Jahren sagt ihm sein älterer Bruder Óláfr voraus, dass er ein rachsüchtiger (hefnisamr) Mann werden würde (Hkr ii, 108). Als Fünfzehnjähriger begleitet Haraldr seinen Bruder, den späteren Heiligen, in der berühmten Schlacht bei Stiklastaðir (Hkr ii, 364), und mit diesem Ereignis setzt auch die Haralds saga Sigurðarsonar ein. Bemerkenswert ist der Anfang dieser Saga in Hkr nicht allein, weil Haraldr eine Verwundung in jener Schlacht überlebt, in der Óláfr sein gewaltsames Ende finden sollte.¹⁹ Interessant ist die kurze Passage zu den jungen Jahren von Haraldr vor allem deshalb, weil – ähnlich Hákon Haraldsson und Óláfr Tryggvason – auch Haraldr temporär aus der Ordnung herausgenommen und in einen liminalen Raum überführt wird: Er wird zu einem
Ármann Jakobsson 2004b, S. 11, meinte in der Kindheitsbeschreibung von Óláfr eine Parallele mit Jesu Bedrohung durch Herodes zu erkennen und interpretierte Óláfr als „imitator[…] of Christ“ (ähnlich bereits Kuhn 1997, S. 396). Doch nicht nur ist dieses Motiv der Verfolgung in der Weltliteratur weit verbreitet; die von Ármann vorgenommene Parallelisierung impliziert auch eine religiös aufgeladene Teleologie, die primär auf der Sagafassung in Ágrip zu beruhen scheint, wo die Kindheitsepisode zu Óláfr eingeleitet wird mit den Worten: en guð, er þetta barn hafði kosit till stórra hluta … (Ág 20), ‘aber Gott, der dieses Kind zu großen Taten erkoren hatte…’ Sawyer 2015, S. 53 f., machte immerhin auf die von Fassung zu Fassung abweichende Personenkonstellation in der Verfolgungsepisode aufmerksam, die den literarisch konstruierten Charakter hervorhebe (vgl. van Nahl 2020a). Kuhn 1997, S. 397. Ohne direkte Abhängigkeit zu postulieren, ist es bemerkenswert, dass die geschilderte Verschleppung durch Seeräuber und das unerwartete Zusammentreffen auf dem Markt mit jenen berühmten Beispielen für zufälliges Geschehen übereinstimmen, die bereits Aristoteles anführte (vgl. Kap. 2.4.2.1). Vgl. Kap. 3.5.5.2.
3.3 Herrschaftsgewinnung
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Bauern gebracht, er bjó í skógi langt frá ǫðrum mǫnnum (Hkr iii, 68), ‘der im Wald fernab anderer Menschen lebte’. Nach seiner Heilung bleibt Haraldr im Wald, bewegt sich, wie betont wird, allein auf Waldwegen (markleið). Und so geschieht es gerade im dichtesten Wald (eyðiskógur), dass Haraldr seinen Platz in der Welt zu reflektieren beginnt und dabei diesen Wald zum kontingenten Raum stilisiert. Erstens erscheint ihm der einstige Schutz nun als Hindernis seiner künftigen Entwicklung: nú lætk skóg af skógi | skreiðask lítils heiðar (Hkr iii, 69), ‘von Wald zu Wald schleppe ich mich zu wenig Ruhm’. Zweitens macht gerade der undurchsichtige Wald Haraldr bewusst, dass der Weg zum Ruhm ihm keineswegs vorherbestimmt, aber auch nicht unmöglich ist: hverr veit, nema ek verða | víða frægr of síðir, ‘wer weiß, ob ich später weithin berühmt werde?’ Tzotcho Boiadjievs Bemerkung zur höfischen Literatur, der Wald sei für gewöhnlich ein Ort, „wo der Wanderer in den Strudel des unendlich vielfältigen und unendlich gefährlichen Spiels der Natur gezogen wird“, weshalb er meist als Grenze inszeniert sei, „die überschritten werden, ein Raum, der durchquert werden muss“,²⁰ fügt sich stimmig zu dieser frühen Episode. Denn die Reflexion treibt Haraldr aus dem Wald und schließlich gar aus Norwegen hinaus ins Ausland, und damit ist der Ausgangspunkt seiner Herrschaftsgeschichte erst gesetzt.²¹
3.3 Herrschaftsgewinnung 3.3.1 Störfaktoren – Der glückliche Hákon Haraldsson Nicht nur überlebt Hákon góði – Sohn (oder auch nicht) von Haraldr hárfagri, als Kleinkind nach England geschickt – den Zorn des englischen Königs Aðalsteinn; ein Bote hatte Hákon abgesetzt mit den Worten, Aðalsteinn möge das Kind töten, wenn es ihm beliebe, und tatsächlich hatte Aðalsteinn das Schwert ergriffen. Doch wie die folgende Hákonar saga góða dann ausführlich darlegt, tötete Aðalsteinn Hákon nicht, erzog ihn vielmehr im christlichen Sinne.²² Christliche Mission ist gleichwohl nur ein
Boiadjiev 2003, S. 87. Die narrative Funktion des Waldes wird in der weiteren Untersuchung für zahlreiche Episoden der Könissagas herausgestellt; vgl. die Auswertung in Kap. 4.2.2. Damit fügt sich Haraldr Sigurðarson u. a. zum mittelalterlichen Bild des Eneas, der vor allem bei Heinrich von Veldeke († um 1190) als Heros erscheint, der „nicht nur über die Last des Schicksals nachdenkt, sondern über Alternativen des Handelns, der der Notwendigkeit seines Weges keineswegs mehr durchgehend gewiss ist, der durchaus auch den Zweifel kennt, seinen Weg zumindest streckenweise als kontingent erfährt“ (Gerok-Reiter 2010, S. 141 f.). Heinrich von Veldeke wird in der Forschung Bedeutung beigemessen, weil er als frühester namentlich bekannter Dichter höfischer Literatur in mittelhochdeutscher Sprache in Erscheinung tritt. Den Versuch, Aðalsteinn kulturpolitisch einzuordnen, unternahm in den 1980er Jahren Simon Keynes, der „the importance of Athelstan’s reign in the continuing process of the revival of religion and learning“ betonte (Keynes 1985, S. 147). Das Aufwachsen von Hákon in diesem Umfeld, wie Hkr es schildert, fügt sich dazu.
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3 Fagrskinna, Heimskringla, Morkinskinna – Eine Alternativlesung
Motiv von Hákon, Anspruch auf den norwegischen Thron geltend zu machen. Vielmehr dürfte dahinter auch der Versuch stehen, mit einer Kindheit und Jugend voller Unsicherheiten abzuschließen.²³ Hákons älterem Bruder Eiríkr spielten Zufälle in die Hände: Der Bastard Hákon wurde einer ungewissen Zukunft im Ausland überlassen; der Gegenkönig Hálfdan starb überraschend; der Halbbruder Guðrøðr war im Sturm verschollen. Dieses Muster der für Eiríkr glücklichen Zufälle wird zunächst fortgesetzt, wenn berichtet wird, weitere Mitregenten hätten zwar Kunde von den herrschsüchtigen Plänen des Bruders Eiríkr erhalten; doch während sie ihre Reaktion noch planen, werden sie von Eiríkr überrumpelt: dieser, so berichtet Hkr, hatte so günstigen Fahrwind (mikit hraðbyri), dass er Tag und Nacht (dag og nótt) segeln konnte und schneller als jede Kunde von seinem Herannahen vor Ort war: ok fór engi njósn fyrir honum (Hkr iii, 149). Fsk fügt eine bemerkenswerte Episode an: Auf dem Weg von England nach Norwegen, im Winter, gerät auch Hákon in so schlechtes Wetter, dass seine Flotte verstreut wird und einige Männer ertrinken: at þeim gørði veðr illt í hafi, ok skilðisk liðit, týndisk sumt (Fsk, 75). Diese Kunde erreicht Eiríkr, der sich ein weiteres Mal vom Zufall begünstigt sieht: lét vera vél orðit, þat at hann skyldi eigi óttask Hákon at konungdómi sínum (Hkr i, 75), ‘das schien Eiríkr gut gelaufen, denn nun musste er Hákon nicht als Bedrohung seines Königtums ansehen’. Nach diesen glücklichen Ereignissen scheint die Herrscherposition von Eiríkr gefestigt. Allein: Hákon schafft es dann doch heil nach Norwegen. Angesichts seiner Erfolge mag es verwundern, dass Eiríkr der Auseinandersetzung ausweicht; seine Flucht nach England erscheint allerdings nur als Zwischenspiel. Dass Eiríkr gegen alle Wahrscheinlichkeit – und das Erzählmuster – nicht mehr als Gegenspieler in Erscheinung treten wird, ist einem für ihn nun nachteiligen Zufall geschuldet.Vom englischen König Aðalsteinn erhält er das Angebot, eine Herrschaft in England zu übernehmen – nichts würde ihn dann hindern, wie sein Bruder Hákon erstarkt nach Norwegen zurückzukehren. Doch der Zufall, der sich oft so günstig für Eiríkr erwies, wird jetzt als unbeständig markiert: Aðalsteinn erkrankt plötzlich und stirbt, und in der Auseinandersetzung mit dessen Nachfolger findet Eiríkr bald den Tod – der erneute Bruch einer aufwendig entwickelten Erwartungshaltung, der die Kontingenz der nordischen Herrschergeschichte als Muster weiter etabliert. Hákon selbst, so wird erzählt, kann mächtige Norweger auf seine Seite ziehen und tritt früh als Gesetzgeber in Erscheinung. Doch dieser Aufstieg ist unbeständig, sodass man fragen mag, ob mit ihm tatsächlich eine neue Ordnung etabliert wird oder ob Ordnung nicht längst generell in Frage gestellt ist. Hákons anfänglicher Erfolgskurs wird jedenfalls in Zweifel gezogen, als er im norwegischen Þrándheimr, eine heidnische Hochburg, auf Widerstand stößt, dem er allein gewaltsam zu begegnen weiß.²⁴ Anders als einst sein Ziehvater Aðalsteinn weiß Hákon seinen Zorn nicht zu bändigen. Vgl. Bagge 1997b, S. 52: „The sagas very rarely deal with people’s childhood and normally only in order to features anticipating their disposition and behaviour as adults“. Vgl. Bagge 1991, S. 106: Es gäbe in diesem Konflikt „no arguments to show that the new religion is better than the old one“.
3.3 Herrschaftsgewinnung
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Dass dieser „sudden anger“ Hákons, wie Sverre Bagge formulierte, nicht zum Blutbad führt, hat in Hkr allerdings nichts mit gesellschaftlichen Regelmechanismen zu tun, wie Bagge sie wirksam sah.²⁵ Allein in Fsk wird berichtet, dass mikið fólk gengu í millum (Fsk, 80), ‘viele Leute vermittelnd hinzugekommen seien’, mit dem Resultat, dass sich Hákon den Ratschlägen beugt, fyrir huggœðir sakar ok ástar við vini sína, ‘aufgrund von Wohlwollen und Zuneigung gegenüber seinen Freunden’. In Hkr wird diese Option explizit verworfen: Hákons Vertrauter Sigurðr hlaðajarl Hákonarson – der klügste Mann in Norwegen, der bereits Haraldr hárfagri zur Seite stand – rät eindringlich, nicht gewaltsam gegen das eigene Volk vorzugehen. Doch Hákon ist für Rat nicht zugänglich: konungr var svá reiðr, at ekki mátti orðum við hann koma (Hkr i, 173), ‘der König war so zornig, dass man gar nicht mit ihm sprechen konnte’. Und so kann hier auch nicht Hákons spätere Toleranz gegenüber heidnischen Bräuchen als Erklärung dienen, die ihm posthum den Beinamen ‚der Gute‘ einbringen sollte. Vielmehr wird lebhaft geschildert, wie Hákon von einheimischen Bauern zur Teilnahme an einem heidnischen Opferfest gezwungen wird: var þá við atgǫngu (Hkr i, 171), ‘da fehlte nicht viel zur handgreiflichen Auseinandersetzung’. Im kommenden Winter scheint sich dieser Streit zu wiederholen, zumal die Leute in Þrándheimr mehrere Priester erschlagen haben; Hákon sieht sich bedroht, sollte er nicht am Opfer teilnehmen: en hétu honum afarkostum ella (Hkr i, 172), ‘andernfalls drohten sie ihm mit Gewalttätigkeiten’. Die Konsequenz ist Hákons Zorn, der sich durch keinen Rat mehr bändigen lässt. Birgit Sawyers Zusammenfassung: „Håkon the Good, however, made peace with people in these districts and gave them law“,²⁶ blieb hier genauso oberflächlich wie Theodore Anderssons Äußerung, Hákons Verhalten sei Ausdruck eines „political way of thinking“.²⁷ In dieser Auseinandersetzung ist von Diplomatie keine Rede. Hákon verfolgt einen gradlinigen Kurs, der ihn an eine Grenze bringt. Es drängt sich der kontrastierende Vergleich zu seiner unsicheren Kindheit auf: Wo er als Kleinkind aus jeder Ordnung herausfiel und seine Existenz wiederholt in Zweifel gezogen und bedroht wurde, da sieht er nun im Konflikt mit alternativen Ordnungen keinen Spielraum. Die ungezügelten Emotionen, die gewaltbereiten Auseinandersetzungen, der Bruch mit dem Berater des Vaters – im Gesamtbild erscheint Hákon weit entfernt von der starken Position, die vor ihm Haraldr und Eiríkr innehatten. Neue Optionen in dieser festgefahrenen Situation kann allein ein weiterer Zufall eröffnen – und der wird in Hkr prompt geschildert: En er sumraði, dró hann lið at sér, ok váru þau orð á, at hann myndi fara með her þann á hendr Þrœndum. Hákon konungr var þá á skip kominn ok hafði lið mikit. Þá kómu honum tíðendi sunnar ór landi, þau at synir Eiríks konungs váru komnir sunnan af Danmǫrk í Víkina. (Hkr i, 173)
Vgl. Bagge 1991, S. 82: „Society had its mechanisms to prevent such clashes from leading to extended and violent conflicts“. Sawyer 2015, S. 46 f. Andersson 2016, S. 83.
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3 Fagrskinna, Heimskringla, Morkinskinna – Eine Alternativlesung
Aber als es Sommer wurde, zog Hákon ein Heer zusammen, und es wurde davon gesprochen, dass er mit diesem gegen Þrándheimr ziehen würde. König Hákon war nun auf die Schiffe gegangen und hatte ein großes Heer. Da erreichte ihn die Nachricht aus dem Süden, dass die Söhne von Eiríkr von Dänemark aus nach Vík gekommen seien.
Die unerwartete Intervention eines dritten Faktors just vor der Schlacht zwingt das Land zur Einigung. Und nur durch die Unterstützung seiner vorherigen Widersacher gelingt es Hákon, die Söhne von Eiríkr zu vertreiben und seine eigene Herrschergeschichte fortzuschreiben. Umso mehr erscheint dieses Zusammentreffen als Zufall, als der Erzähler zuvor betonte, Hákon habe nach dem Tod von Eiríkr von dessen Seite keinerlei Gefahr mehr erwartet: þótti honum lítil ógn af þeim standa (Hkr i, 157); das hatte ja auch Eiríkr gedacht: at hann skyldi eigi óttask Hákon at konungdómi sínum (Fsk, 75), ‘nun wollte er Hákon nicht als Bedrohung seines Königtums ansehen’. Erzählerisch ist diese Wendung sicherlich elegant, wie Bagge am Rande notierte.²⁸ Doch das Bemerkenswerte liegt darin, dass dieser Wende erzählerisch nicht nur nicht vorbereitet ist, sondern dass erneut eine Erwartungshaltung aufgebaut wird (Hákons finaler Kampf gegen die Bewohner von Þrándheimr), die dann nicht eingelöst, sondern durch einen Zufall abermals in entgegengesetzter Richtung aufgelöst wird: Hákons Verbündung mit den Widersachern. Diese erneut herausgestellte Unberechenbarkeit des historischen Geschehens in Norwegen weist gängige Deutungsmuster der Forschung als einseitig aus: „Snorri’s ideal king“,²⁹ wie Sawyer ihn nannte, „one of the heroes among Norwegian kings“,³⁰ wie Bagge formulierte, „kurteisastur allra konunga“, ‘der höfischste aller Könige’,³¹ wie Ármann Jakobsson betonte – dieser Herrscher verdankt, vor allem in der ausführlichen Darstellung in Hkr, sein Herrschertum dem Zusammentreffen unkontrollierbarer Ereignisse, die für sich genommen seine Herrschaftsgewinnung bedrohen, deren Kollision indes eine für ihn positive Wendung des Geschehens bedingt. Dass es sich dabei, wie bei seinen Brüdern Guðrøðr und Eiríkr, allein um einen temporären Zustand handelt, mit dem dann erneut gebrochen wird, deutet sich im ambivalenten Changieren zwischen Konstruktion und Dekonstruktion von Herrschergeschichte(n) aber bereits an – der Zufall ist ein unzuverlässiger Verbündeter.
3.3.2 Óláfr Tryggvason 3.3.2.1 Wind und Wasser – Der zufällige Weg nach Norwegen Die frühen Etappen der Herrschaftsgewinnung von Óláfr Tryggvason haben in der Forschung wenig Interesse auf sich gezogen; Sverre Bagge fasste die erste Hälfte der
Bagge 2004a, S. 190. Sawyer 2015, S. 47. Bagge 2004a, S. 185. Ármann Jakobsson 1997, S. 115.
3.3 Herrschaftsgewinnung
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Saga (rund 50 Kapitel nach moderner Edition) beispielhaft lapidar zusammen mit dem Hinweis, sie behandelte „his early life and accession to the throne“.³² Doch die Kindheits- und Jugendjahre, in denen Óláfr als Spielball mal glücklicher, mal unglücklicher Zufälle erschien, lassen sich unter eine teleologische Herrschergeschichte, wie u. a. Hans Kuhn und Ármann Jakobsson sie gar über eine Parallelisierung von Óláfr mit Jesus erkennen wollten (siehe oben), nicht subsumieren. Und auch in der Erzählung um die folgenden Jahre von Óláfr gewinnt ein abweichendes Deutungsmuster an Gestalt, vor dem Höhepunkt und Fall von Óláfr zu perspektivieren sein werden. Óláfr, den Häschern entkommen, von Piraten verschleppt, erneut gerettet, weilt in Russland. Die Saga schildert zunächst das weitere Geschehen in Norwegen; Protagonisten in Hkr und Fsk sind der dänische König Haraldr blátǫnn, dessen Ziehvater Gull-Haraldr, der norwegische König Haraldr gráfeldr sowie der norwegische Jarl Hákon Sigurðarson. Der Schlagabtausch dieser vier Magnaten nimmt in moderner Edition wenige Kapitel ein; umso bemerkenswerter ist der breite Raum, der Beratungen, Abwägungen und Planungen in dieser konzentrierten Erzählung zugestanden wird: Keine Entscheidung wird gefällt ohne Rücksprache mit Vertrauten, oft mit Hinweis auf gegenläufige Einschätzungen, auf Zweifel und auf Grenzen der Ratgebung; darin gleichen sich beide Fassungen.³³ Dass Haraldr gráfeldr schließlich in einem Hinterhalt den Tod findet, wird hingegen unterschiedlich erklärt. In Hkr warnen die Berater Haraldr, einem Angebot von Gull-Haraldr nachzugeben, es sei ekki trúligt, nicht vertrauenswürdig. Doch durch einen nachteiligen Zufall ist Haraldr zur raschen Entscheidung gezwungen: þá var svá mikill sultr í Nóregi, at konungar fengu varliga fœtt lið sitt, ‘zu dieser Zeit herrschte eine so große Hungersnot in Norwegen, dass die Könige ihr Gefolge kaum versorgen konnten’. Das Bestreben von Haraldr, die Ordnung zu stabilisieren, erweist sich als fatal: Er fällt mit seinem Gefolge in einem Hinterhalt (Hkr i, 236 f.). Anders Fsk: Auch hier wird Haraldr von seinen Ratgebern gewarnt – sumir sǫgðu, at þat myndi vera svik, ‘einige sagten, dass dies ein Hinterhalt wäre’ –, doch die breite Bevölkerung ist andere Meinung, bœndr fýzstu hann mjǫk ok ǫll alþýða til, ‘die Bauern drängten ihn sehr und ebenso die ganze Bevölkerungʼ: en fyrir þá sǫk, at Haraldr var eigi djúphugaðr ok þóttisk hafa engan skaða gǫrt Danakonungi, nema þat er hann rak nauðsyn til, þá ferr Haraldr til Danmarkar (Fsk, 107), ‘und weil Haraldr nicht scharfsinnig war und glaubte, dem Dänenkönig nie mehr Schaden als unbedingt nötig zugefügt zu haben, fuhr er nach Dänemark’. Wo Hkr
Bagge 1991, S. 46. Die Saga berichtet von intensiven Gesprächen zwischen Haraldr blátǫnn, Gull-Haraldr und Jarl Hákon auf der einen Seite, von Beratungen von Haraldr gráfeldr mit seinen Vertrauten auf der anderen Seite; vgl. die folgenden Passagen: með Hákoni ok Gull-Haraldi var kær vinátta. Bar Haraldr fyrir Hákon ráðagørðir sínar (Hkr i, 233), ‘zwischen Hákon und Gull-Haraldr herrschte innige Freundschaft. Haraldr besprach mit Hákon seine Pläne’; talar jarl þetta fyrir Gull-Haraldi, þar til er hann lætr sér þetta vel líka. Síðan tala þeir optliga allir, konungr ok jarl ok Gull-Haraldr (Hkr i, 236), ‘der Jarl redet auf GullHaraldr ein, bis dieser sich die Sache gefallen lässt. Danach sprechen sie noch oft alle darüber, der König und der Jarl und Gull-Haraldr’.
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3 Fagrskinna, Heimskringla, Morkinskinna – Eine Alternativlesung
Haraldr gráfeldr als Pragmatiker charakterisiert, den ein äußerer Umstand zu fatalen Einwillungen zwingt, da erscheint Haraldr in Fsk als das naive Opfer sozialer Kontingenz. Mit dieser Erschütterung des Kräfteverhältnisses in Norwegen ist eine Dynamik in Gang gebracht, der bald auch Gull-Haraldr zum Opfer fällt, seinerseits nun hintergangen von Jarl Hákon. Hákons Verrat bleibt in Fsk unkommentiert, erscheint als Episode im politischen Ränkespiel. In Hkr hingegen wird erneut Bezug zur Hungersnot gesucht und hier erscheint Hákons Handeln dank der anschließend verbesserten Lage der norwegischen Bevölkerung geradezu gerechtfertigt.³⁴ Dass angesichts unglücklicher Zufälle auch Jarl Hákons Voraussicht ihre Grenzen hat, deutet indes bereits die nächste Episode an. Hákons Sohn Eiríkr und Hákons geschätzer Gefolgsmann und Schwager Skopti wollen eines Tages (þat var á einu sumri (Hkr i, 248); svá bar til eitthvert sinni (Fsk, 138)) ihre Schiffe zeitgleich neben das des Jarls legen. Angesichts dieses unerwarteten Zusammenprallens zweier Protagonisten mit identischen Erwartungshaltungen spricht sich Hákon für den Vorrang von Skopti aus, der ihn nämlich über das Geschehen in Norwegen auf dem Laufenden hält – kurze Zeit später wird Skopti vom erzürnten Eiríkr ermordet.³⁵ Mit diesen Kapiteln ist die Ausgangslage in Norwegen skizziert. Der Wert von pragmatischen Entscheidungen wird wiederholt in Frage gestellt; keine der Figuren scheint der Lage Herr zu sein, jede Entscheidung ist allein ein Moment in einer schwer kontrollierbaren Dynamik. In Fsk wird das Eintreten von Óláfr Tryggvason in diese Situation mit wenigen Zeilen abgehandelt: Dieser machte sich einen Namen í Garðaríki ok víða um Austrvegu, í Suðrlǫndum ok í Vestrlǫndum (Fsk, 141), ‘in Garðaríki [d.i. die Kiewer Rus] und weit im Osten, im Süden und im Westen’, und kam schließlich nach Norwegen í þann tíma, er drepinn var Hákon jarl, ‘zu der Zeit, als Jarl Hákon erschlagen wurde’. Wo Fsk den Weg von Óláfr zur Herrschaft in Norwegen in teleologischer Kürze marginalisiert, da entwirft Hkr ein anderes Bild: Dass Óláfr überhaupt wieder in Erscheinung tritt und schließlich auch in Norwegen Erfolg hat, wird hier als Resultat einer Verkettung von Zufällen erklärt. In Russland steht Óláfr zunächst in bestem Einvernehmen mit König und Königin, und fast scheint es, als solle seine Geschichte dort enden. Doch dann entsteht plötzlich das Gerücht – der Erzähler erklärt es als Misstrauen der Einheimischen (innlenzkir menn) gegenüber erfolgreichen Ausländern (útlendir menn) (Hkr i, 251 f.) –, Óláfr stünde der Königin zu nahe und sei allein auf den Ausbau seiner Macht bedacht. Damit wird auch für das Geschehen in Russland jener dynamische Aspekt von Herrschaftskonsolidierung betont, der zeitgleich die norwegischen Magnaten aufsteigen und fallen lässt – mit diesem Blick weit
Vgl. Bagge 1991, S. 157: „In the case of Earl Hákon, Snorri rather seems to admire his cunning than to condemn his treachery“; ähnlich Sawyer 2015, S. 56: „Snorri admiringly decribes his [i. e., Hákon’s] manipulation of King Harald Gormsson [i. e., blátǫnn] into giving him the whole of Norway“. Vom Sieg über Skopti berichtet auch der Anfang des Gedichts Bandadrápa von Eyjólfr dáðaskáld aus dem frühen 11. Jahrhundert; für den Kampf wird im Gedicht selbst aber keine Begründung geliefert. Umso bemerkenswerter erscheint die in Hkr gebotene Erklärung eines zufälligen Zusammentreffens.
3.3 Herrschaftsgewinnung
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über skandinavische Grenzen hinaus wird die Universalität der treibenden Momente von Geschichte betont. Óláfr ist gezwungen, Russland zu verlassen. Seine Fahrt gen Norden liegt also weder in einem visionären Auftrag begründet,³⁶ noch ist sie Ergebnis politischen Kalküls. Óláfr tritt in der norwegischen Herrschergeschichte wieder in Erscheinung, weil er in Russland zu einem unkontrollierbaren Faktor geworden ist. Das Ausgeliefertsein an eine kontingente Welt war prägender Zug der jungen Jahre von Óláfr: Als Kind verfolgt, durch einen Zufall gerettet, von Piraten verschleppt, durch einen Zufall abermals gerettet – dieses Muster findet in den Jahren seiner Herrschaftsgewinnung Bestätigung: Seine Ankunft in norwegischen Gewässern fällt in den hereinbrechenden Herbst, und starke Stürme (veðr hvasst ok storm sjávar) verschlagen Óláfr weiter nach Süden als geplant. Das Motiv des unberechenbaren Sturms auf hoher See findet sich vor allem in Hkr wiederholt.³⁷ Glücklich ist der Sturm für Óláfr insofern, als dieser im Süden unerwartet gute Aufnahme bei der verwitweten Königin Geira findet. Geira warnt Óláfr vor weiteren Stürmen – und noch im selben Jahr heiraten die Beiden. Nach der Flucht aus Russland hat Óláfr eine neue Machtposition gewonnen, die wiederum das Ende der Erzählung bedeuten könnte. Rückblickend soll es diese erneute Verzögerung sein, die ihm den Weg zur Herrschaft in Norwegen ebnet. Wie weit Óláfr noch von dieser Position entfernt ist, markiert die Erzählung, wenn sie nun zurück zu Jarl Hákon schwenkt. Der hat seine Machtposition in Norwegen zwischenzeitlich dadurch gefestigt, dass er das Danewerk gegen Kaiser Ótta (Otto II.) verteidigte; auf der Seite von Ótta hatte zeitweise auch Óláfr gekämpft – So hingegen in der Óláfs saga Tryggvasonar von Oddr Snorrason (ca. 1200), in der die Abreise von Óláfr durch eine Vision bekräftigt wird, in der ihn eine schöne Stimme (rǫdd fǫgur) zur Bekehrung im Ausland aufruft (Ots 162 f.); vgl. ausführlich van Nahl 2020a. Dass es sich dabei um Ereignisse handelte, die im Mittelalter nicht ungewöhnlich waren – und bei jeder Seereise ihren Schrecken behielten –, bezeugen z. B. zeitgenössische Einträge in Diplomatarium Norvegicum. Dort lesen wir etwa, dass im Mai 1389 eine Gruppe Norweger an der Grönländischen Küste anlandete und von den Ortsansässigen hart angegangen wurde hinsichtlich der Frage, huad naudsyn þeim till droogh att þeir komo till Grønlandz, ‘welche Notwendigkeit sie nach Grönland verschlagen hätte’ – die Gefragte antworten, att þeer varo j hafue j storom vanda ok vada ok liiffshaaska fyrer storum sio iaklum ok isom ok fengo storan skada a þeira skipom (Lange/Unger 1847– 48, S. 150), ‘dass sie auf dem Meer in einen schweren Sturm, in Eis und in Lebensgefahr geraten und dabei ihre Schiffe schwer beschädigt worden seien’. Das Motiv des Seesturms reicht in seiner Formulierung bis zu Aristoteles zurück, der den Sturm, der einen Reisenden gegen dessen Intention an einen bestimmten Ort bringt, als Paradebeispiel des Zufalls anführt; vgl. Vogt 2011, S. 113: „Zufälligkeit im Sinne des Akzidentiellen […] liegt offensichtlich immer dann vor, wenn eine Handlung, deren Ursache wie Intention sich durchaus bestimmen lassen, und eine handlungsunabhängige Begebenheit, deren Ursachen sich ebenfalls bestimmen lassen mögen, für die sich aber sinnvoll niemals eine Intention benennen lässt, aufeinander treffen“. Kritisch Eidam 2007, S. 95: „Wenn es aber zugleich stimmen sollte, daß nichts ohne Ursache geschieht, könnte auch nichts zufällig geschehen, wenigstens nicht ganz. Auch wenn der antike Reisende gar nicht nach Aigina oder sonstwohin kommen wollte, so hatte gleichwohl sein ungewollter Aufenthalt, das ‚Akzidens, nach Aigina zu kommen‘, eine Ursache und war insofern, hinsichtlich des Sturmes oder auch in den Augen seiner Verschlepper, alles andere als ein purer Zufall. […] Der ‚Realmodus der Zufälligkeit‘ beginnt auf diese Weise eigentümlich, weil ambivalent zu schillern“.
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erfolglos. Wiederum ist es aber ein Zufall, der den weiteren Weg des Jarls bestimmt: Er kommt zu spät zu einer Gottesprobe vor dem dänischen König Haraldr blátǫnn, erreicht diesen erst nach der unter dem starken Eindruck der geglückten Probe stehenden Taufe: var jarl kominn til eyjarinnar, er konungr hafði skírask látit (Hkr i, 260). Dieser unglückliche Umstand wird in Hkr noch betont, wenn ausdrücklich darauf verwiesen wird, Haraldr habe frühzeitig Nachricht an Hákon ergehen lassen: Haraldr konungr hafði áðr orð send Hákoni jarli (Hkr i, 259 f.). Fsk präsentiert abermals eine andere Konstellation, wenn Haraldr erst nach der Taufe Nachricht gibt: eptir þetta sendi Haraldr konungr orð Hákoni jarli (Fsk, 117). Die Priester und Gelehrten, die Haraldr dem pro forma getauften Hákon zur Mission in Norwegen mitgibt, setzt jener wenig später aus, um den günstigen Wind für eine größere Fahrt zu nutzen: er veðr þat kømr, er honum þótti sem hann myndi í haf bera (Hkr i, 260), ‘als ein Wetter aufkam, das ihm günstig schien, ihn aufs offene Meer hinauszutragen’. Doch Hákons Weg unterliegt dem Zufall: Kaum auf offener See, dreht der Wind und treibt den Jarl zurück nach Dänemark. Abermals zieht Hákon Nutzen aus diesem Umstand, indem er die Gelegenheit zum Heeren nutzt – sein vormaliger Verbündeter Haraldr blátǫnn erklärt ihm den Krieg.³⁸ Die Forschung hat den Weg von Óláfr Tryggvason zum norwegischen Thron wie gesagt zur teleologischen, gar biblisch geprägten Entwicklung stilisiert.³⁹ Doch in der konkreten Erzählung wird die machtpolitische Auseinandersetzung in Skandinavien vielmehr als facettenreiches Spielfeld von Kontingenz inszeniert: Widerstreitende Meinungen, unkontrollierbare Gerüchte, widrige Wetterbedingungen, räumliche und zeitliche Kollisionen, unerklärliche Verzögerungen bestimmen das Geschehen. Umso bemerkenswerter ist diese wiederkehrende Betonung solcher Einflüsse auf die nordische Geschichte (und darüber hinaus), als gerade in Hkr lange Zeit keine Bevorzugung einer bestimmten Seite erkennbar ist: Die gescheiterte Flucht von Óláfr nach Norwegen verschafft diesem nach seinem Aufenthalt in Russland zwar abermals eine einflussreiche Position, doch auch Jarl Hákon, unter dessen Herrschaft Norwegen gedeiht, profitiert von den Unwägbarkeiten seiner Fahrten. Als Verlierer wird mar-
Bemerkenswerterweise nutzt der Erzähler diese Passage, um eine weitere Anekdote um den folgenreichen Einfluss von Zufällen anzufügen: Haraldr habe geplant, nach Island zu fahren, sei es dort doch gesetzlich verankert, dass jedermann auf der Insel eine Spottweise auf den dänischen König dichten solle. Bemerkenswert, weil Resultat eines Zufalls, ist der Anlass für diese Vorschrift: Ein isländisches Schiff hatte an Dänemarks Küste Schiffbruch erlitten und die Ladung war von dänischen Anwohnern beschlagnahmt worden (Hkr i, 270 f.). Diese Islandfahrt des Königs scheitert allerdings bereits in der Planung. Vgl. auch Ármann Jakobsson 1997, S. 131: „Þannig speglar líf konungs líf konunga í Biblíunni og utan hennar. Þegar konungum er ógnað í bernsku minnir það fyrst og fremst á Krist en verður einnig til að tengja saman Sverri, Óláf Tryggvason, Harald harðráða, Alexander mikla, Helga Hundingsbana og fleiri“, ‘so spiegelt das Leben eines Königs das Leben der Könige in und jenseits der Bibel wider. Wenn Könige in ihrer Kindheit bedroht sind, dann erinnert das zuallererst an Christus, aber dient auch dazu, Sverrir, Óláfr Tryggvason, Haraldr harðráði, Alexander den Großen, Helgi Hundingsbani und weitere mehr zu verknüpfen’.
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kanterweise allein Haraldr blátǫnn inszeniert, zu diesem Zeitpunkt der einzige Christ in der Erzählung:⁴⁰ Dessen Mission in Norwegen scheitert, der stärkste Verbündete wird zum Feind, ein nach Island gesandte Späher sieht keine Möglichkeit, die Insel zu vereinnahmen – und wenig später stirbt Haraldr laut Hkr im Kampf gegen seinen eigenen Sohn Sveinn: þar fekk Haraldr konungr sár þau, er hann leiddu til bana (Hkr i, 272). In Fsk ist von diesem Streit nichts zu lesen, Sveinn beerbt dort seinen an Krankheit gestorbenen Vater: Haraldr konungr tók sótt ok andaðisk (Fsk, 122).
3.3.2.2 Jetzt geht es ums Überleben – Der Fall von Jarl Hákon Nach dem Tod des Vaters verbündet sich Sveinn Haraldsson mit den legendären Jómswikingern, um selbst gegen Jarl Hákon ins Feld zu ziehen. Doch die Entscheidung in der Schlacht fällt abermals nicht zugunsten des dänischen Herrschers, sondern zugunsten von Hákons Sohn Eiríkr – aufgrund plötzlich umschlagenden Wetters, wie Hkr berichtet: þá gerði illviðri ok él svá mikit, at haglkornit eitt vá eyri (Hkr i, 283), ‘da brach ein schlimmes Unwetter los und ein solcher Hagelsturm, dass jedes Hagelkorn eine Unze wog’; auch in Fsk wird der plötzliche Hagelsturm erwähnt (Fsk, 133). Zwar sieht sich der Erzähler in Hkr anschließend zu der Bemerkung angehalten, Hákon habe seinen Sohn Erlingr geopfert, um dieses Unwetter heraufzubeschwören und Eiríkr den Sieg zu sichern: Hákon Jarl hafi í þessi orrostu blótit til sigrs sér Erlingi, syni sínum, ok síðan gerðu élit (Hkr i, 286); doch kennzeichnet er diesen nachgeschobenen Erklärungsversuch als sǫgn manna, als Gerücht. Dass der Erzähler Jarl Hákon weiterhin positiv charakterisiert, zeigt sich dann erstens darin, dass er dessen Sohn Eiríkr nach der Schlacht eine nennenswerte Zahl gefangener Gegner begnadigen lässt, zweitens darin, dass wenig später erneut die gute Ernte unter der anhaltenden Regierung des Jarls betont wird. Der Hagelsturm als Wetterphänomen scheint keines besonderen Anlasses zu bedürfen; in einer Reihe mit vorausgehenden Ereignisse gelesen, erscheint er als weiteres Beispiel für das kontingente Moment von Geschichte, das menschliches Handeln immer wieder herausfordert, manches Mal begünstigt, regelmäßig ad absurdum führt.⁴¹ Die in Hkr positive Zeichnung Hákons ist in der Forschung registriert worden; vage blieben Versuche, den Erfolg des Jarls an ein
Auf dem berühmten dänischen Runenstein von Jelling (10. Jh.) präsentiert sich Haraldr selbstbewusst als Herrscher und Missionar von Dänemark und Norwegen – eine Selbsteinschätzung, die in Hkr geradezu ironisch ins Gegenteil verkehrt wird. Die nüchterne Schilderung in Hkr tritt umso deutlicher in Erscheinung, vergleicht man sie mit der entsprechenden Szene in der Jómsvíkingasaga (um 1200): Dort wird ausführlich eine den Kampf unterbrechende Opferszene (mannblót) geschildert, ebenso das darauf folgende schlechte Wetter (mit Verweis auf Wolken (ský), Hagelschauer (él), Blitze (eldingar) und Donnerschläge (reiðarþrumur)). Bemerkenswert ist der Zusatz: nú er menn hǫfðu áðr um daginn farit af klæðunum fyrir hita sǫkum, en nú var veðrit nakkvat ǫðruvís, ok tekr þeim nú at gnolla, ok er þó svá at þeir sækja bardagann frýjulaust (Hák i, 121), ‘da nun die Männer früher am Tag ihre Kleidung wegen der Hitze abgelegt hatten, jetzt aber das Wetter ein wenig anders was, da begannen sie nun zu frieren, aber dennoch stürzten sie sich mustergültig in den Kampf’ – ein Kommentar nicht ohne Ironie.
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Konzept von Glück zu knüpfen, wie etwa Sverre Bagge⁴² und Ármann Jakobsson⁴³ es voraussetzten. Zwar erscheinen die guten wirtschaftlichen Bedingungen unter Hákon auch als glücklicher Zufall. Doch ist Hákon im Gesamtblick eingebunden in ein komplexes Wechselspiel von Zufällen und agierenden Figuren, ein Wechselspiel zwischen passivem Erleiden und aktivem Handeln, das die Ambivalenz von Kontingenz offenlegt. Die Ansprache dieser Konstellation mit Glück, im Sinne einer positiven Qualität, ist einseitig. Glück hat ja auch Óláfr wiederholt, nicht zuletzt, wenn er schließlich laut Hkr just zu dem Zeitpunkt in Norwegen landet, als Hákon sich bei Lokalherrschern unbeliebt gemacht hat; Bagge selbst charakterisierte Óláfr insofern berechtigt in gleicher Weise: „Óláfr Tryggvason is lucky enough to arrive in Norway at the time of the rebellion against Earl Hákon and is acclaimed as liberator“.⁴⁴ Dass die Rede von Glück gerade in der Óláfs saga Tryggvasonar analytisch unbefriedigend bleibt, notierte auch Chandar Lal: Entsprechende Konzepte seien von individuellen Ansichten des Rezipienten abhängig.⁴⁵ Der Topos des teleologisch wirksamen Herrscherglücks ist in Frage gestellt. Ein weiterer Blick aufs Detail: Dass Óláfr nach seiner Flucht aus Russland nicht nach Norwegen kam, als Hákon eine unerschütterliche Position innehatte, lag, wie gesagt, zunächst an widrigem Wind, der ihn Königin Geira in die Arme trieb. Dass Óláfr überhaupt noch nach Norwegen kam und nicht bei Geira blieb, ist laut Hkr dem neuerlichen Zufall geschuldet, dass Geira plötzlich krank wurde und starb: Geira, kona hans, tók sótt þá, er hana leiddi til bana (Hkr i, 263). Der depressive Óláfr verlässt daraufhin die Gegend: Óláfi þótti þat svá mikill skaði, at hann festi ekki ynði á Vinðlandi síðan, ‘das schien Óláfr ein solcher Verlust, dass er keine Freude mehr in Wendland hatte’ – und hier sollte von hamingja im Sinne von Glück die Rede sein? Selbst die danach einsetzende Heerfahrt, die Óláfr über Jahre hinweg von einem Land ins andere verschlägt – Frísland, Saxland, Flæmingjaland, England, Norðumbraland, Skotland, Írland, um einige Stationen zu nennen, – birgt in sich keinen Anlass für die Ausein-
Vgl. Bagge 1991, S. 99: „Earl Hákon Sigurðarson of Lade has strong support in his home region Trøndelag and he has the luck that the harvests are good and there is plenty of fish during his reign“. Vgl. Ármann Jakobsson 1997, S. 147: „Hamingja jarlsins felst í vilja Guðs sem er honum í hag í þessum slag. […] Stundum virðist hamingjan þannig vera sjálfstæður eiginleiki konunga óháð gjöfum Guðs, hinn heiðni Hákon jarl nýtur hamingju sem varla stafar af trú og kristilegri breytni“, ‘die hamingja des Jarls liegt in Gottes Wille, der ihm in diesem Kampf zum Vorteil gereicht. […] Manchmal scheint hamingja insofern eine selbstständige Eigenschaft von Königen zu sein, unabhängig von den Gaben Gottes; der heidnische Jarl Hákon genießt eine hamingja, die kaum von christlichem Glauben und Benehmen herrührt’. Bagge 1991, S. 99. Vgl. Lal 2014, S. 122 f.: „It is evident that the sagas of Óláfr Tryggvason handle the concept of royal luck in a highly mutable way. Pluralistic, indeed, apparently contradictory notions have been found to coexist: the sagas depict luck as both concrete and abstract, both visible and invisible, both given by God and earned by man. Over the course of a tradition in which the texts were written and rewritten iteratively, interpreted, and subsequently reinterpreted, their polyphony thus becomes a defining feature“.
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andersetzung mit Hákon. Ein weiterer Zufall muss dafür herhalten. Eines Tages lässt Óláfr auf den Scilly-Inseln vor der Südwestspitze Englands rasten. Dass er dort plötzlich zum Christentum übertritt, ist in Hkr keiner inneren Umkehr geschuldet;⁴⁶ die Bekehrung ist motiviert durch die Aussicht auf Überwindung jener Kontingenz, die sein bisheriges Dasein prägte: þar í eyjunni var spámaður nǫkkurr, sá er sagði fyrir óorðna hluti, ok þótti mǫrgum mǫnnum þat mjǫk eptir ganga (Hkr i, 266), ‘dort auf der Insel war ein Weissager, der noch ungeschehene Dinge voraussagte, und vielen Männern schien es, dass sich diese dann bewahrheiteten’. Jetzt erst, nachdem Óláfr über mehr als vierzig (!) Sagakapitel und etliche Jahre hinweg Spielball mal glücklicher, mal unglücklicher Zufälle gewesen ist, sind die Weichen für die Auseinandersetzung mit dem bekennenden Heiden Hákon gestellt. Das Verhältnis beider Figuren befindet sich also lange Zeit in einem kontingenten Zustand, in dem Sinne, dass wiederholt mögliche Entwicklungen aufgezeigt und dann, primär durch das Eintreffen zufälliger Ereignisse, wieder verworfen werden; die changierende Erzählstruktur bildet die changierende Geschichte ab. Die Verweigerung der Erzählung, in ihrer Entfaltung eindeutig Position zu beziehen, wird bis zum Schluss aufrechterhalten. Fsk und Hkr weichen aber wiederum signifikant voneinander ab: Während Fsk von Hákons zunehmender Härte gegenüber den eigenen Leuten berichtet und den Tod des Jarls als Konsequenz am Rande erwähnt – þeir hǫfðu gǫrt samnað at Hákoni, ok af því hafði hann látizk (Fsk, 144 f.), ‘diese hatten eine Truppe gegen Hákon aufgestellt, und daher war er gestorben’ –, entwickelt Hkr eine detailreiche Erzählung. Wie wenig dem Erzähler dort weiterhin daran liegt, Partei für Óláfr zu ergreifen, zeigt sich bereits darin, dass er das Zusammentreffen der beiden Herrscher im Moment der Schwäche Hákons ausdrücklich als Unglück bezeichnet: en nú var illa at borit, at hǫfðingi mikill er kominn í landit, en bœndr váru ósáttir við jarlinn (Hkr i, 293), ‘aber nun traf es sich unglücklicherweise so, dass ein mächtiger Herrscher ins Land gekommen ist, aber die Bauern im Unfrieden mit dem Jarl lagen’. Kurz vor dem Zusammentreffen von Óláfr und Hákon wird nochmals eine mögliche Wendung aufgezeigt, wenn berichtet wird, ein Vertrauter des Jarls, Þórir klakka, habe Óláfr den vermeintlich wohlgemeinten Rat gegeben, so schnell wie möglich gegen Hákon ins Feld zu ziehen: Þórir klakka segir konungi, at þat einu var honum ráð at […] fara sem ákafligast á fund jarls ok láta hann óbúinn við verða, ‘Þórir klakka sagt dem König, das einzig Richtige sei, so schnell wie möglich auf den Jarl zu treffen und ihn unvorbereitet zu überfallen’. Dem Rezipienten liegt der Hintergedanke bereits offen: Þórir will Óláfr in einen Hinterhalt locken – ein Plan, der auf Hákons Reputation nach der Schlacht
Anders als etwa in der Óláfs saga Tryggvasonar von Oddr Snorrason, in der Óláfr nach seiner Abreise aus Russland in Griechenland im christlichen Glauben unterrichtet wird, und anders als in der Óláfs saga Tryggvasonar en mesta von ca. 1300, in der Óláfr ebenfalls frühzeitig als gläubiger Christ gezeichnet ist: Nach seiner Abreise vertraut er allein auf Gott: ek ueit sagði hann at sa guð er mattigr er hímnvm ræðr. ok skapat hefir alla luti (Ólafur Halldórsson 1958, S. 75), ‘ich weiß, sagte er, dass dieser Gott, der den Himmel regiert und alle Dinge geschaffen hat, mächtig ist’ – „the episode constitutes a sort of anticipatory revelation“, wie Andersson 2004, S. 147, richtig bemerkte. Für Hkr gilt dies nicht.
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gegen die Jómswikinger fußt: eptir Jómsvíkingaorrostu váru allir menn í Nóregi fullkomnir vinir Hákonar jarls fyrir sigr þann, ‘nach der Schlacht mit den Jómswikingern waren alle Leute in Norwegen die besten Freunde von Jarl Hákon aufgrund dieses Sieges’; das erwähnt auch Fsk: eptir Jómsvíkingaorrostu þóttisk Hákon jarl fullkominn til ríkis (Fsk, 139), ‘nach der Schlacht mit den Jómswikingern schien Jarl Hákons Macht vollkommen’. Ein neuerlicher Sieg nach gleichem Muster würde Hákons Status bestätigen. Doch so wie Hákon einst, als er die Herrschaft in Norwegen übernahm, die Dynamik von Geschichte nicht überblickte, so entscheiden er und Þórir auch nun unter Vorausetzung einer Kontinuität, die gar nicht gegeben ist. Nicht zuletzt vergessen sie, dass der berühmte Sieg – ähnlich dem Gros der vorausgehenden Ereignisse – von einem äußeren Umstand, einem Hagelsturm, entschieden worden war, der im Gesamtkontext kaum als bloße hamingja Hákons gelesen werden kann. Der Zufall arbeitet dieses Mal jedenfalls nicht für diesen: Als Óláfr auf den Jarl trifft, þá var mjǫk annan veg en hann hugði (Hkr i, 293), ‘da verhielt es sich ganz anders, als Þórir gedacht hatte’. Denn Óláfr ferr norðr náttfari ok dagfari, svá sem leiði gaf, ok gerði ekki landsfólkit vart við ferð sína, ‘fuhr Tag und Nacht gen Norden, so, wie günstiger Wind es erlaubte, und die Landesbevölkerung bemerkte seine Fahrt nicht’; das erinnert u. a. an den Überraschungsangriff von Eiríkr blóðøx auf seine Brüder.⁴⁷ Óláfr kann den Jarl tatsächlich überrumpeln, der Plan schlägt ins Gegenteil um. Und das nun ist für den Erzähler illa at borit, ein unglückliches Zusammentreffen, denn just in diesem Moment ist Hákon ohnehin geschwächt. So wie einst Óláfr Tryggvason von seiner Mutter unter Ausnutzung natürlicher Gegebenheiten in Sicherheit gebracht wurde (möglicherweise vor Häschern Hákons, wie einige Sagafassungen geltend machen),⁴⁸ so nutzt Jarl Hákon nun selbst die winterliche Jahreszeit zur Flucht über die zugefrorene Gaula. Von Óláfr fast erreicht, bleibt ihm und dem ihn begleitenden Knecht Karkr schließlich nichts übrig, als sich in einem Schweinestall einzugraben. Die folgende Szene ist oft gedeutet worden, doch wurde der Blick fast vollständig von der vermeintlichen Hauptfigur Hákon absorbiert. Der Hauptakteur aber ist Karkr, von Hákon ermahnt: lífsins skal nú fyrst gæta, ‘jetzt geht es zuallererst ums Überleben’ – in Karkr, dem Diener, wird das kontingente Moment sozialer Bindung ein weiteres Mal personifiziert, in ihm tritt die Ambivalenz von Handeln und Erleiden offenkundig in Erscheinung. Zunächst scheint der von Alpträumen geplagte Karkr der Versuchung, seinen Herrn gegen Belohung zu verraten, zu erliegen, doch dann beteuert er, dies niemals zu wagen; Birgit Sawyers Meinung, Karkr „has been egged on by Olav“⁴⁹ bleibt oberflächlich. Hákon selbst stellt seinem Knecht zudem in Aussicht, Óláfr würde auch ihn hinrichten lassen. Schließlich schläft der Jarl gegen seinen Vorsatz ein und träumt ebenfalls schlecht. Svá mikit varð at því, at jarl skaut undir sik hælunum ok hnakkandum, svá sem hann myndi vilja
Vgl. Kap. 3.3.1. Vgl. Ármann Jakobsson 2004b. Sawyer 2015, S. 56.
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upp rísa (Hkr i, 297), ‘das wurde so arg, dass der Jarl unter sich die Fersen und den Nacken anzog, so als wolle er aufspringen’. Eine unerwartete und heftige Regung des Jarls, die bei Karkr eine Kurzschlusshandlung auslöst: Karkr varð hræddr ok felmsfullr ok greip kníf mikinn af linda sér ok skaut gǫgnum barka jarli ok skar út ór, ‘Karkr erschrak und war voller Angst und er griff nach einem großen Messer am Gürtel und stieß es dem Jarl in die Kehle und durchschnitt diese völlig’. Die nüchtern-psychologische Schilderung einer Handlung vor dem zweifachen Verweis auf die lebensgefährliche Situation – Karkr tötet seinen Herrn gerade nicht aus Kalkül, sondern aus Überlebensinstinkt. Óláfr lässt Karkr, der ihm den Kopf des Jarls bringt, kurzerhand ebenfalls köpfen, darin hatte Hákon Recht. Doch nicht allein diese Tat und die wiederholt geschilderte Brutalität von Óláfr lassen die Begründung und Geltung der neuen Ordnung von Beginn an zweifelhaft erscheinen – und damit erneut auch den Versuch der Forschung, diesen Óláfr gar mit Jesus zu vergleichen. Auch die folgende Szene, in der Óláfr die abgehackten Köpfe öffentlich dort ausstellen lässt, wo sonst þjófar ok illmenn (Hkr i, 298), ‘Diebe und Verbrecher’, hingerichtet wurden, wird vom Erzähler abgelehnt – dieser sieht sich demonstrativ dazu angehalten, að segja satt, ‘die Wahrheit zu sagen’: Der Jarl sei ein äußerst erfolgreicher Mann gewesen, aber zum Schluss eben durch in mesta óhamingju, das größte Unglück – „en ren ulykke“,⁵⁰ ‘ein reines Unglück’, wie Gro Steinsland übersetzte – zu Fall gekommen. Damit ist die Brücke geschlagen zur Aussage, das größte Unglück sei es gewesen, dass Óláfr just zu dem Zeitpunkt in Norwegen eintraf, als der Jarl geschwächt war – eine zufällige Kollision, geschuldet den Um- und Irrwegen von Óláfr.⁵¹
3.3.3 Óláfr Haraldsson 3.3.3.1 Jetzt bin ich gefallen – Der Weg nach Norwegen Óláfr Haraldsson tritt erstmals im Zusammenhang mit Sveinn tjúguskegg Haraldsson nennenswert in Erscheinung. Sveinn konnte sich, davon berichtet die Óláfs saga
Steinsland 1995, S. 50. Bezeichnenderweise erst im Nachhinein bietet er eine andere Erklärung an, wenn er bemerkt, die Zeit des rechten Glaubens (heilǫg trúa) sei nun gekommen gewesen und der Jarl habe damit sein Ende gefunden. Die Forschung hat sich wesentlich auf diese nachgestellte Bemerkung gestützt, um eine theologische Dimension der Heimskringla aufzuzeigen (vgl. z. B. Lönnroth 1986 und Weber 1987, S. 113). Bagge 1991, S. 221, berief sich auch hier auf ein vermeintlich klares Konzept von hamingja: „Snorri’s explanation of the fall of Earl Hákon seems to imply a closer connection between God and the hamingja. The greatest úhamingja [sic!] led to the fall of the great chieftain, says Snorri. And the principal reason for this was that the time had now come for the pagan cult to give way to the true faith and right customs. Hákon seems to have been struck by God’s providence and God thus to have been behind his úhamingja“. Andererseits verwies er vage auf unvorhergesehene Umstände: „In his final characterization Snorri describes Hákon as a great man and a magnificent chieftain, whose fall was not primarily caused by his own shortcomings, but by ill luck and unforeseen circumstances“ (ebd., S. 157).
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Tryggvasonar, gegen Jarl Hákon nicht durchsetzen (ein Hagelsturm brachte die Wendung), aber er war nach dem Tod seines Vaters Haraldr blátǫnn König von Dänemark; laut Hkr starb Haraldr im Kampf gegen den eigenen Sohn, Fsk spricht von Krankheit. In dieser Position führt Sveinn einen Feldzug gegen England, der allerdings so erfolgreich ist, dass der englische König Aðalráðr mit seiner Familie fliehen muss, woraufhin sich Sveinn zum König auch in England erklärt. Der junge Óláfr zählt laut Hkr zu jenen Männern, die an den Angriffen auf England beteiligt sind, und er stellt dabei unter Beweis, dass er auf äußere Umstände geschickt zu reagieren weiß. Diese Kompetenz kommt ihm weiterhin zu Gute: Im Mälarsee etwa sieht er sich im Spätherbst von seinem ewigen Rivalen, dem schwedischen König Óláfr Eiríksson bedrängt, der die Zufahrt zum See mit Ketten und Wächtern gesichert hat. Doch die Geringschätzung der Lage erweist sich als Fehleinschätzung des Schwedenkönigs: Er vermutet, dass Óláfr Haraldsson den Winter über auf dem See verweilen werde, wo dessen kleine Flotte keine Gefahr darstelle: þótti Svíakonungi lítils vert um her Óláfs konungs, því at hann hafði lítit lið (Hkr ii, 8). Doch ein Zufall kommt Óláfr zu Hilfe: Zum herannahenden Winter herrscht starkes Regenwetter (regn mikil), und da, wie der Erzähler ergänzt, in Schweden alle Flüsse in den Mälarsee fließen, vom See aber nur jene versperrte Mündung zum Meer bestünde, würde sich dieser Ablauf bei starkem Regen massiv erweitern. Durch einen Graben verbreitert Óláfr Haraldsson kurzerhand das überflutete Mündungsgebiet, sodass alle Schiffe ins offene Meer entkommen. Der Erfolg dieses Plans ist allerdings nicht allein Jahreszeit und geographischen Eigenarten gedankt: Zum Dritten trägt der auffrischende Wind dazu bei, die Schiffe rasch über die gefluteten Sandbänke voranzutreiben. Das Bestreben des Erzählers, die geglückte Flucht rational zu erklären, findet damit immer noch keinen Abschluss, wenn er den ausbleibenden Angriffsversuch der Schweden durch einen weiteren Zufall begründet: Im aufgewühlten Uferschlamm seien die schwedischen Krieger eingesunken: er vatnit gróf út tveggja vegna, þá fellu bakkarnir, ‘weil das Wasser beide Uferseiten unterspült hatte, sackten die Ufer ab’.Von diesen Details weiß Fsk nichts zu berichten. Zum Abschluss dieser frühen Taten von Óláfr notiert Hkr, das Glück des Königs, hamingja konungs, hätte auch nachfolgend oft den Ausschlag gegeben. Die Bedeutung von hamingja ist allerdings auch hier ambig, denn die erste explizite Nennung ist ausgerechnet mit einer völlig misslungenen Unternehmung verknüpft. Als der Tag zu Ende geht und Óláfr einen Heerzug aufgeben muss, gerät er in einen Wald: en er þeir kómu á skóginn, þá dreif lið at þeim ǫllum megin (Hkr ii, 10), ‘aber als sie in den Wald kamen, da stürmte plötzlich von allen Seiten eine Schar auf sie ein’. Die Angreifer nutzen die Bäume als Deckung, die Truppe von Óláfr hingegen weiß sich nicht zu verteidigen: en áðr konungr kvæmi af skóginum, lét hann marga menn, ‘und bevor der König den Wald wieder verließ, verlor er viele Männer’. Abermals erscheint der Wald als ein kontingenter Raum, in dem etablierte Muster – der vormals geschickte Taktiker Óláfr – ins Gegenteil verkehrt werden können. Sverre Bagges Argument, „the hamingja tends consistently to favor some men, and it tends to accompany wisdom, courage,
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and so forth – the qualities that normally lead to success in the game of politics“,⁵² ist an diesem Beispiel im frühen Werdegang des späteren Heiligen gerade nicht nachvollziehbar. Im Gesamtblick wird vielmehr erneut die Unbeständigkeit des Zufalls betont: Wind, Wetter und Wasser halfen Óláfr, ein Wald aber bedeutet nun Niederlage und Tod. Die Erwähnung einer hamingja von Óláfr in diesem Kontext erscheint geradezu als ironische Brechung. Dennoch etabliert sich Óláfr, Hkr folgend, als Herrscher in Norwegen: „Óláfr is the hero, and his actions are mainly told in the order they must have occurred, according to the logic of the story“,⁵³ wie Bagge zusammenfasste. Diese Erzähllogik beruhe, so Bagge weiter, wesentlich auf zwei Erzählprinzipien: Erstens der Orientierung der Erzählung an der klassischen Tragödie mit Aufstieg und Fall des Heldens – „the dramatic contrast between his successful first ten years and the increasing failure of the last five“⁵⁴ –, zweitens dem detaillierten Nachvollzug der Reisestrecke von Óláfr, die einzelnen Episoden den räumlichen und zeitlichen Rahmen geben würde.⁵⁵ Diese Ordnungsprinzipien finden sich in der Óláfs saga helga regelmäßig bestätigt; sie strukturieren das in heutiger Edition fast 250 Kapitel umfassende Geschehen aber allenfalls auf der Makroebene. Ausgeblendet sind all jene Momente der Erzählung, die Bagge als „structural passages [that] are placed in between“⁵⁶ marginalisierte. Sicherlich kann man diese Momente als „interlacing or stranding“ bezeichnen – doch sie zu retardierenden Unterhaltungsmomente zwecks eines „dramatic effect“ zu degradieren,⁵⁷ wird der Erzählung nicht gerecht. Denn dieses angeblich besonders erfolgreiche erste Jahrzehnt der Herrschaft entfaltet sich vielfach gerade nicht entlang einer finalgerichteten Erzähllogik; das notierte am Rande bereits Hans Schottmann, wenn er in der Óláfs saga helga ein „Gesamtbild aus Bausteinen“ erkannte, innerhalb dessen sich das Geschick des Autors daran zeige, „wie er auf diese Weise Bezüge stiftet, nicht aber in der inneren Folgerichtigkeit einer persönlichen Entwicklung“.⁵⁸ Und auch Alois Wolf merkte an, es läge vielmehr „ein vertieftes Eingehen auf Probleme vor, die mit dem Hauptstrang in Verbindung gebracht werden und von Saga zu Saga in unterschiedlicher Weise ins Bewußtsein treten“; gerade in Hkr sei offensichtlich, dass es um „eine autochtone Verfeinerung in der Entwicklung der isländische Prosa“ ginge.⁵⁹
Bagge 1991, S. 221. Bagge 1991, S. 36. Bagge 1991, S. 42. Vgl. Bagge 1991, S. 39: „By combining the two principles, the contrast between Óláfr’s successful and unsuccessful years and his itinerary, we can thus account for most of Snorri’s chronological arrangement, including some episodes that may at first appear strange“. Es zeugt vom Gewicht der Óláfs saga helga in der Forschung, wenn Bagge hier der Reiseschilderung einige Bedeutung beimaß, in der Óláfs saga Tryggvasonar hingegen ähnliche Fahrten unbeachtet ließ (vgl. Kap. 3.3.2). Bagge 1991, S. 38. Bagge 1991, S. 42. Schottmann 1998, S. 244. Wolf 1996, S. 6.
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Die Darstellung in der Saga zieht ihre pragmatische Eigenart aus dem regelmäßigen Ausstellen verschiedener Erzähloptionen, anhand derer die Entwicklung von Óláfr immer deutlicher in einen Zufallsbereich verschoben wird. Ein Blick auf das Detail. Sveinn hat England erobert und sich zum König ernannt, Óláfr ist auf kontinentaler Heerfahrt gewesen. Zufällig kehrt Óláfr just in dem Moment nach England zurück, als Sveinn überraschend verstirbt: þetta sama haust, er Óláfr konungr kom til Englands, urðu tíðendi þar, at Sveinn konungr Haraldsson varð bráðdauðr um nótt í rekkju sinni (Hkr ii, 12), ‘im selben Herbst, in dem König Óláfr nach England kam, wurde die Nachricht verbreitet, König Sveinn Haraldsson sei des Nachts plötzlich in seinem Bett verstorben’; den Tod Sveinns verzeichnet auch Fsk (166), ohne Erklärung. Der Erzähler fügt als sǫgn enskra manna, ‘Aussage der Engländer’ an, der Heilige Eaðmundr habe den Tod Sveinns bedingt, doch er misst dieser Bemerkung offensichtlich keine Bedeutung zu. Aus der Darstellung geht auch kein Kausalzusammenhang zwischen Sveinns Tod und der Ankunft von Óláfr hervor: Es ist ein Zufall, der sich für Óláfr als glücklich erweist. Als erfahrener Truppenführer in England bekannt, ist er ein attraktiver Verbündeter des heimkehrenden englischen Königs Aðalráðr. Doch die Kontingenz des Werdegangs von Óláfr wird aufgezeigt, wenn der Zufall erneut zuschlägt und dessen Position wieder in Zweifel zieht: Auch Aðalráðr stirbt unerwartet. Knútr, Sohn von Sveinn, strebt nun nach der Herrschaft in England, mit besten Erfolgsaussichten, kann er doch auf Unterstützung seines norwegischen Schwagers Jarl Eírikr, Jarl Hákons Sohn, bauen: Eiríkr war frægr mjǫk af hernaði sínum, er hann hafði borit sigr ór tveimr orrostum, þeim er snarpastar hǫfðu verit á Norðrlǫndum (Hkr ii, 30), ‘hochberühmt für seine Kriegszüge, von denen er zwei erfolgreich geschlagen hatte, die zu den gewaltigsten in Skandinavien zählten’; darunter die legendäre Schlacht gegen die Jómswikinger, von denen die Óláfs saga Tryggvasonar berichtet.⁶⁰ Dieser mächtige Krieger verbündet sich mit seinem Schwager Knútr, setzt seine Siegesserie fort, plant auf dem Höhepunkt seines Erfolgs gar eine Pilgerreise nach Rom (Rumferð) – da stirbt auch er in England unerwartet an einem Blutsturz (Hkr ii, 32; Fsk, 167): þá andaðisk hann af blóðláti þar á Englandi. Die zeitweilig gesteigerte Bedrohung durch Knútr ist für Óláfr wieder gemindert, und der Tod von Eiríkr erscheint ihm als glücklicher Zufall auch in anderer Hinsicht: Dessen plötzliches Dahinscheiden hat in Norwegen ein Machtvakuum entstehen lassen, das Óláfr nutzen will. Doch seine Fahrt, wie so viele Fahrten in Hkr, fällt in den Herbst: Auf offener See gerät Óláfr in einen schweren Seesturm (fengu ofviðri mikit í hafi); ein solcher kostete zuvor u. a. den glänzenden Guðrøðr Leben und Herrschaft.⁶¹ Dass nicht auch die Geschichte von Óláfr an dieser Stelle ihr Ende findet, ist in der Erzählung ambig motiviert: Während zitierte Skaldenstrophen das Überleben des Königs den Fähigkeiten der erfahrenen Mannschaft zuschreiben (Hkr ii, 35 f.),⁶² ver Vgl. Kap. 3.3.2.2. Vgl. Kap. 3.2.1. Næði straumr, ef stœði, | strangr kaupskipum angra, | innan borðs á unnum, | erringar lið verra, ‘die starke Strömung hätte die Handelsschiffe vom Kurs bringen können, hätte sich eine weniger zähe
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weist der Prosatext auf des Königs hamingja. ⁶³ Fsk stellt beide Momente direkt nebeneinander: fengu veðr illt í hafi ok svá stóran sjó, at næsta gekk við bana, en fyrir sakar liðs kostar, er innan borðs var, ok hamingju konungsins, þá hlýddi (Fsk, 170), ‘sie gerieten auf dem Meer in schlimmes Wetter und stürmische See, sodass sie fast umkamen, aber aufgrund der erlesenen Mannschaft, die an Bord war, und wegen des Glücks des Königs ging es gut aus’. Signifikant wird an dieser Stelle neben der Konstatierung zufälliger Ereignisse – die Todesfälle, das Wetter –, sowie der Betonung vorausschauender Planung – die Mannschaft war handverlesen –, mit dem erneut formelhaften Verweis auf das Glück des Königs ein drittes Moment in der Erzähllogik aufgerufen. Damit stehen Zufall, Planung und Glück abermals in einem ambigen Verhältnis zueinander. Die Erzählung um das weitere Geschick von Óláfr in Norwegen hält dieses Changieren zwischen Erklärungsoptionen aufrecht und trägt zur Verunsicherung des Geschehens weiter bei. Kurz vor dem Landgang in Norwegen – „a strange story“, wie Jon Gunnar Jørgensen vage bemerkte⁶⁴ – deutet Óláfr den Ausgang der Reise bereits als gutes Vorzeichen (góða vitneskju) und erklärt seine Ankunft zu einem glücklichen Tag (tímadag). Der Erzähler bemerkt, dass Óláfr konungr kom útan at miðjun Nóregi (Hkr ii, 36), ‘König Óláfr von Westen her die Mitte Norwegens erreichte’, eine Formulierung, die wohl bedeutet, dass der Anlandungspunkt Wetter und Strömungen geschuldet war; bemerkenswert aber ist der Name dieser Stelle: Sæla, Glück. Doch die mit Glückstag und Glücksstelle evozierte Erwartungshaltung wird gerade nicht erfüllt: Sobald Óláfr seinen Fuß auf den Boden des angestrebten Königreichs setzt, bleibt er im Uferschlamm (leira nokkur) stecken – und stürzt. Man mag hier an die vorausgehende Episode erinnern, in der die Schweden gegen Óláfr im aufgeweichten Uferschlamm scheiterten; Óláfr gerät nun in dieselbe Situation. Gegen die vorschnelle Glorifizierung der Ankunft erscheint der folgende Kommentar von Óláfr in Hkr und Fsk nüchtern: fell ek nú, ‘jetzt bin ich gefallen’. Ein Begleiter bemüht sich, dem unerwarteten Missgeschick etwas Positives abzugewinnen: eigi felltu, konungr, nú festir þú fœtr í landi, ‘du fielst nicht, König, sondern setzt deine Füße fest auf das Land’. Die Reaktion: konungr hló við, der König lachte – ein ambiges Signal zwischen Zuversicht, Trotz und Orientierungslosigkeit, das in den Köngissagas wiederholt funktionalisiert
Mannschaft an Bord befunden’; in der nächsten Strophe wird dann vom Schiff gesagt: opt varð fars, im Sinne von ‘vielfach auf der Fahrt erprobt’. Damit widerspricht diese Episode markant der allgemein vorausgesetzten Tradition des Prosimetrums in der altisländischen Literatur, in der Skaldenzitate dazu herangezogen werden, „die verbindliche Version des Berichts festzulegen“ (von See 2011, S. 68) – womit eine Übereinstimmung von Prosa und Vers gemeint ist, nicht, wie hier, ein offenkundiges Missverhältnis. Einen eklatanten Widerspruch erkannte bereits von See 1981c [1961], S. 304 f., im Vergleich des Haraldskvæði mit der relevanten Prosaschilderung in der Haralds saga hárfagra: „Es scheint mir, dass dieser Bericht den Angaben des Liedes selbst, also der zeitgenössischen Quelle, in allen wesentlichen Punkten widerspricht“; vgl. weiterführend von See 1981b [1971]). Allgemein von „gaps and contradictions in the evidence“ sprach später Whaley 2007, S. 480, für die Skaldenzitate in den Königssagas. Jørgensen 2016, S. 357.
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wird.⁶⁵ Bemerkenswert ist auch seine Replik: vera má svá, ef guð vill, ‘das mag sein, wenn Gott so will’ – Óláfr sieht sein Geschick der eigenen Kompetenz bereits entgleiten, unterstellt sich einer höheren Macht. Erneut wird im ambigen Status zwischen Zufall, Planung und Providenz das kontingente Moment seiner Lebensgeschichte hervorgehoben.
3.3.3.2 Glückliche Todesfälle – Der konkurrenzlose Óláfr Theodore Andersson meinte, in der Óláfs saga helga seien „the vagaries of fortune“ keine „adequate historical explanation“⁶⁶ – eine geschichtswissenschaftlich populäre Ansicht, die bei aller Vorsicht in der Formulierung an den bisherigen Beobachtungen vorbeigeht. Tatsächlich erweist sich die narrativ anhand zahlreicher Zufälle und Ambiguitäten markierte Kontingenz der historischen Entwicklungen in Norwegen als fundamental auch für den weiteren Erzählverlauf – und wird sogar explizit thematisiert. Kurz nach seiner Ankunft in Norwegen trifft Óláfr auf Jarl Hákon – Sohn des an einem Blutsturz verstorbenen Eiríkr, also Enkel des berühmten Jarl Hákon –, der zufälligerweise im selben Moment (á þeiri sǫmu stundu (Hkr ii, 36 f.)) zufälligerweise in den selben Sund einläuft wie Óláfr. Andersson machte in vager Formulierung eine Kombination aus Glück und Kompetenz für die folgende Eroberung von Hákons Schiff durch Óláfr geltend („good luck of devising a stratagem“⁶⁷), doch Hkr führt die zufällige Ankunft von Óláfr zeitgleich mit zwei Handelsschiffen als Grund für Hákons Unaufmerksamkeit an. Dass Hákon schlicht Pech gehabt habe, merkt Óláfr selbst an: farnir eruð þér nú at hamingju, ‘das Glück hat dich nun verlassen’. Doch diese Bemerkung weiß der Jarl in einem Rückblick zu kontern, der über bloße Figurenrede weit hinausweist: ekki er þetta óhamingja, er oss hefir hent. Hefir þat lengi verit, at ýmsir hafa sigraðir verit. Svá hefir ok farit með yðrum ok várum frændum, at ýmsir hafa betr haft (Hkr ii, 38), ‘es ist kein Unglück, das uns getroffen hat. Es ist seit jeher so gewesen, dass mal der eine, mal der andere besiegt worden ist. So ist es auch mit deinen und unseren Verwandten gewesen, dass bald der eine, bald der andere einen Vorteil gehabt hat’. Dieser Verweis des Jarls auf den kontingenten Status vergangener und künftiger Auseinandersetzungen erscheint nicht zuletzt als Reminiszenz an die vorausgehende Landungsszene, in der die Verklärung der überstandenen Seereise zum guten Omen unmittelbar gebrochen wurde, wenn Óláfr auf vermeintlich festem Boden stürzte. Eine Einsicht, die Óláfr selbst bereits erreicht hat, denn Hákons nüchterne Zusammenfassung scheint ihm derart zu imponieren, dass er ihn wieder freilässt,
Hennig 2012, S. 425, deutete das Gelächter von Óláfr an dieser Stelle als Amüsement über diese Aussage seines Gefolgsmanns, „die sich später bewahrheitet“; diese Deutung greift im Erzählkontext zu kurz. Vgl. zum Motiv des Lachens im Mittelalter weiterführend Classen 2010. Andersson 2016, S. 88. Andersson 2016, S. 89.
3.3 Herrschaftsgewinnung
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unter der Auflage, das Land zu verlassen.⁶⁸ Sverre Bagge fasste das weitere Geschehen folgend zusammen: The crucial event in this context is Óláfr’s meeting with the petty kings of Opplandene, to whom he presents his claims. First, Óláfr addresses a forceful speech to his mother and stepfather, pointing to his right to the kingdom, his will to fight for it, and the people’s wish to be delievered from foreign rulers. Sigurðr [i. e., Óláfr’s stepfather] then agrees to support him and presents his case at a meeting of the Oppland kings. The decisive arguments in Óláfr’s favor, as brought forward by King Hringr, are first, the ties of kinship that exist between him and them, and second, Óláfr’s luck and impressive personality, which makes it likely that he will win in any case.⁶⁹
Mit dieser Zusammenfassung suggerierte Bagge eine fragwürdige Stringenz der Ereignisse. Zunächst: Fsk notiert zwar den Besuch beim Stiefvater Sigurðr, beschränkt sich aber auf die eigenartige Bemerkung, Óláfr habe dort gute Bewirtung erfahren (Fsk, 172). Bemerkenswert in Hkr ist hingegen, dass Óláfr Sigurðr aufsucht, um ihn um Rat zu fragen: ek veit, at þú ert maðr vitr ok kannt góða forsjá til þess, hvernug reisa skal frá upphafi þessa ætlan (Hkr ii, 44), ‘ich weiß, dass Du ein weiser Mann bist und etwas davon verstehst, wie man diesen Plan von Beginn an entwickeln soll’. Doch so energisch Óláfr seinen Plan darlegt, von der Euphorie, die ihn vor der Küste Norwegens am vermeintlichen Glückstag prägte, ist nur noch wenig zu spüren. Sigurðr erkennt die Pläne seine Stiefsohns als visionär an, erwidert aber kritisch: er þessi ætlan meirr af kappi en forsjá […], í engum heitum vil ek bindask, fyrr en ek veit ætlan eða tiltekju annarra konunga á Upplǫndum (Hkr ii, 45), ‘dieser Plan zeugt mehr von Wagemut denn Voraussicht […], ich will mich in keiner Weise festlegen, bevor ich nicht den Plan und die Gesinnung der anderen Uppland-Könige kenne’.⁷⁰ Diese Zustimmung ist völlig unsicher. Ausführlich legt der einflussreiche Hrœrekr das Auf und Ab der Gesinnung früherer Könige dar – ein Umstand, der wiederholt die Unzufriedenheit des Volkes und die Absetzung von Königen bedingt hätte (Hkr ii, 47 f.); die Szene erinnert an das vorausgehende Zusammentreffen von Óláfr und Hákon Eiríksson. Folgen wir Bagges prinzipieller Feststellung, in „Snorri’s society […] the past serves as a justification,
Óláfr selbst wird zu späterem Zeitpunkt eine ähnliche Reflexion zur Undurchschaubarkeit und damit Unzuverlässigkeit des mal glücklichen, mal unglücklichen Zufalls anstellen, wenn er die Taufe seinen Sohns ohne sein Beisein kommentiert mit den Worten: Gæfumaðr ertu mikill, Sigvatr. Er þat eigi undarligt, at gæfa flygi vizku. Hitt er kynligt, sem stundum kann verða, at sú gæfa fylgir óvizkum mǫnnum, at óvitrlig ráð snúask til hamingju (Hkr ii, 210 f.), ‘du bist ein Mann von großem Glück, Sigvatr. Es ist nicht verwunderlich, dass Glück der Klugheit folgt. Seltsam aber ist es, dass, wie es bisweilen passieren kann, ein solches Glück auch unverständigen Männern zur Seite steht, und dass auch törichte Beschlüsse zum Glück ausschlagen’. Bagge 1991, S. 91 f. Diese Bedenken hatte Sigurðr bereits vor der Ankunft von Óláfr geäußert: svá lízk mér, ef þetta skal vera, at þeir, er sik veðsetja í þetta mál, munu hvártki sjá fyrir fé sínu né fjǫrvi. Þessi maðr, Óláfr konungr, brýzk í móti miklu ofrefli (Hkr ii, 42), ‘mir scheint, wenn es so sein soll, dass diejenigen, die sich in diese Sache einbringen, weder auf ihren Besitz noch ihr Leben Rücksicht nehmen. Dieser Mann, König Óláfr, kämpft gegen eine große Übermacht’.
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either in the legal or quasi-legal sense“, aber auch als „norm for behavior“,⁷¹ dann erscheint diese unsteten Herrschergeschichte für Hrœrekr als Legitimation nun unterlassener Unterstützung. Und so schließt dieser mit der Bemerkung, er sähe keinen Anlass, mit Óláfr einen neuerlichen Versuch zu wagen. Bagges Bemerkung, diese Rede sei „less an example of history as material for generalization than of the fact that men usually act out of experience“,⁷² deutete richtig an, dass Ordnung auf Erfahrungswissen fußt. Dieser Einsicht inhärent ist aber das Wissen um die Grenzen von Erfahrungswissen, wenn es um künftiges Geschehen geht. Insofern ist hier auch Andersson darin zu folgen, diese Reflexion ließe sich auf die vorausgehende Óláfs saga Tryggvasonar übertragen;⁷³ man wird diesen Bezug auch auf andere Sagas erweitern dürfen. Falsch hingegen scheint mir Bagges Interpretation, das Königsglück und die beeindruckende Persönlichkeit von Óláfr hätten Hringr, den Bruder von Hrœrekr, dann doch von Óláfr als künftigem Oberherrscher Norwegens überzeugt.⁷⁴ Im Gegenteil betont auch Hringr den unbestimmten Ausgang einer solchen Unternehmung: auðna hans ok hamingja myni ráða, hvárt hann skal ríki fá eða eigi. […] Nú hefir hann í engan stað meira kost en einn hverr várr, en því minna, at vér hǫfum nǫkkur lǫnd ok ríki til forráða, en hann hefir alls engi (Hkr ii, 48), ‘sein Geschick und Glück werden entscheiden, ob er die Herrschaft erhalten soll oder nicht. […] Derzeit steht er nicht besser da als irgendjemand von uns, eher schlechter, denn wir haben Länder und Reiche zu beherrschen, er aber hat nichts’. Nach den Reden von Hákon und Hrœrekr werden Status und Zukunft von Óláfr damit zum dritten Mal als kontingent markiert, werden seine Pläne und Ansprüche in Zweifel gezogen angesichts eines historischen Wechselspiels, in dem mal der Eine, mal der Andere Erfolg gehabt hätte, ohne dass, und darin liegt der Kerngedanke, daraus ein Erfahrungswissen zu schöpfen wäre, das diese Unstetigkeit überwinden würde. Hier mit Bagge von einer „political history“ zu reden, „showing how Óláfr, through a combination of luck and skill, wins a sufficient number of victories“, geht an diesem Gedanken vorbei.⁷⁵ Es ist, gegen die populäre These einer glücklichen Verquickung von Glück und Herrschaftsqualitäten,⁷⁶ gerade nicht das Vertrauen in eine hamingja von Óláfr, das den Ausschlag gibt, sondern es ist schließlich dessen pragmatisches Versprechen, die Uppland-Könige würden von seiner Herrschaft in vielfältiger Weise profitieren. Eine rationale Kosten-Nutzen-Rechnung, durch die das Königsglück als historisches Movens geradezu demontiert wird.
Bagge 1991, S. 204 f. Bagge 1991, S. 206. Andersson 2016, S. 89 f. Bagge 1991, S. 92. Bagge 1997a, S. 424. Vgl. Ármann Jakobsson 1997, S. 148: „Tengsl konungsgæfu við hylli Guðs sjást í að gæfa Ólafs helga er meiri en annarra konunga“, ‘die Verknüpfung von Königsglück mit der Gunst Gottes zeigt sich daran, dass das Glück von Óláfr größer ist als das anderer Könige’. In der bisher nachvollzogenen Erzählung zeigt sich dies nicht.
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Óláfr gelingt es nachfolgend, weite Teile Norwegens gewaltsam in Besitz zu nehmen, und nach öffentlichen Beratungen mit dem Volk (leituðu þá ráðs við alt fólkit) und internen Abwägungen (þeir kærðu þetta um hríð milli sín) unterwerfen sich schließlich auch die mächtigen Bauern in Þrándheimr, gegen die schon Hákon góði einst einen schweren Stand hatte.⁷⁷ Doch abermals ist dies eine Momentaufnahme – die Kehrseite des Erfolgs ist, dass nun Sveinn Hákonarson, Sohn von Jarl Hákon und Halbbruder von Eiríkr, auf Óláfr aufmerksam wird. In Fsk wird von einem nächtlichen Überfalls Sveinns berichtet, dem Óláfr mit geringen Verlusten entkommen kann: en Óláfr konungr komsk á skip sín ok røri út ór ánni ok létu fá menn (Fsk, 173), ‘aber König Óláfr erreichte seine Schiffe und ruderte auf den Fluss hinaus und hatte geringe Verluste’. Hkr berichtet abweichend: Sveinn segelt in den frühen Morgenstunden mit seinem Langschiff den Fjord entlang ins Landesinnere; dort, so bemerkt der Erzähler, sei das Ufer derart bewaldet (þykkr skógr), dass Laub und Äste bis über das Schiff hinabhängen: þá hjoggu þeir stór tré ok settu allt á útborða í sjá ofan, svá at ekki sá skipit fyrir laufinu, ok var eigi alljóst orðit, þá er konungr røri inn um þá. Logn var veðrs (Hkr ii, 53), ‘da schlugen sie große Bäume und stellten sie an der Außenseite des Schiffes zum Wasser hin auf, so dass man das Schiff wegen des dichten Laubes nicht sehen konnte. Es war noch nicht voller Tag, als König Óláfr an ihnen vorbeisegelte. Das Wetter war ruhig’. Mit dem listigen Sveinn aus berühmter Familie wird ein gewichtiger Gegner präsentiert, der zudem vom legendären Krieger Einarr þambarskelfir Eindriðason, dem Bogenschüttler, beraten wird: vér skulum fara ráðum með, halda til njósn, hvat Óláfr konungr ætlask fyrir, ‘fassen wir behutsam unseren Entschluss und versichern wir uns erst durch Späher, was König Óláfr vorhat’. Dass es Jarl Sveinn dann trotz aller Planung nicht gelingt, Óláfr unschädlich zu machen, erklärt Hkr durch einen Zufall: Einige Männer von Óláfr seien gerade in jener Gegend, in der der Jarl seine Truppe zusammenzog, beim Hüten der Pferde gewesen und hätten den König über den bevorstehenden Angriff informiert (Hkr ii, 57); das erinnert an die zufällige Aufdeckung des Verrats in Óláfr Tryggvasons frühester Kindheit.⁷⁸ Erst im darauffolgenden Frühjahr stoßen beide Heere zusammen. Hans Schottmann betonte, allein in Hkr werde geschildert, wie Óláfr die Helme seiner Gefolgsleute mit einem weißen Kreuz kennzeichne, der Schlacht also eine religiöse Dimension verleihe.⁷⁹ Schottmanns Interpretation, dieses Zeichen suggeriere „die – anachronistische – Assoziation an einen Kreuzzug und ersetzt die massive religiöse Entgegensetzung von Sveinn und Olaf in der Legendarischen Saga“,⁸⁰ mag etwas Richtiges haben. Ergiebiger scheint mir sein Hinweis, der Rezipient werde „auf solch schwebende Weise durch eine bloße Konstatierung an die religiösen Aspekte von Olafs Herrschaft erinnert“, ohne dass der Erzähler „auf die Deutung verpflichtet
Vgl. Kap. 3.3.1. Vgl. Kap. 3.2.2. Schottmann 1998, S. 233. Schottmann 1998, S. 233 f.
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werden“ könne;⁸¹ dazu fügt sich, dass der Angriff auf einen Sonntag fällt. Wie stark gegenüber jeder heilsgeschichtlichen Deutung das kontingente Geschehen betont wird, macht die folgende Bemerkung des Erzählers deutlich: ok var þat langa hríð, er ekki mátti yfir sjá, hvernug hníga myndi (Hkr ii, 61), ‘lange konnte man nicht übersehen, welchen Ausgang die Schlacht nehmen würde’. Der Jarl zieht sich zwar schließlich zurück. Bemerkenswerterweise werden aber nicht Kreuzeszeichen, Gebete oder Gottes Wille als Erklärung angeführt, sondern die bessere Ausrüstung der Männer von Óláfr: hverr maðr hafði hringabrynju. Urðu þeir ekki sárir (Hkr ii, 62), ‘jeder Mann hatte eine Ringbrünne. Sie erlitten keine Verletzungen’. Diese pragmatische Eigenart wird gegenüber Fsk umso deutlicher: Zwar wird auch dort eine lange Schlacht genannt, doch wird im selben Satz am göttlich präfigurierten Sieg von Óláfr kein Zweifel gelassen: þessi orrosta varð lǫng ok sleizk með því, sem guðs forsjá var, at Óláfr konungr hafði sigr (Fsk, 174), ‘dieser Kampf zog sich lange und ging damit zu Ende, wie es Gottes Wille war, dass König Óláfr siegreich war’. Der Jarl, temporär geschlagen, folgt dem Rat seiner Anführer und reist zu seinem Schwager, dem Schwedenkönig Óláfr Eiríksson. Fsk schließt dort mit der knappen Bemerkung, Sveinn habe noch einen Feldzug in Russland unternommen und sei dann gestorben. In Hkr ist die Situation komplexer: Sveinn sucht Rat beim Schwedenkönig, wie er weiter verfahren soll: ok leitaði þá ráða af Svíakonungi, hvat hann skal upp taka (Hkr ii, 71). Nach langer Beratung (er þeir sátu yfir þessari ráðagørð) kommen sie schließlich zu dem Entschluss, im Winter auf dem Landweg erneut gegen den Norwegerkönig zu ziehen; der Jarl baut auf die Unterstützung der widerspenstigen Bewohner in Þrándheimr. Erneut tritt Sveinn als Stratege in Erscheinung und wie Knútr in England sich die Unterstützung von Sveinns Halbbruder, dem mächtigen Jarl Eiríkr (der dann aber plötzlich verstarb), sicherte, so sichert sich Sveinn nun die Hilfe des schwedischen Königs Óláfr, der als Gegenspieler seines Namensvetters Óláfr Haraldsson bereits etabliert ist.⁸² Doch gegen alle Planung entscheidet auch dieses Mal der Zufall: Bevor er Óláfr Haraldsson gefährlich werden kann, wird auch Jarl Sveinn plötzlich krank und stirbt (fekk hann sótt þá, er hann leiddi til bana (Hkr ii, 71)) – ein weiterer überraschender Todesfall in den Reihen der stärksten Widersacher von Óláfr. So unerwartet ist dieses neuerliche Ereignis, dass der Erzähler den Zweifel der Leute in Þrándheimr betont: Erst nachdem ein Begleiter des Jarls dessen Tod persönlich bestätigt hat, hält man dessen Ableben für gesichert: var þá sannspurt andlát Sveins jarls. Für Óláfr Haraldsson eine Klärung der Situation, denn erst nachdem der zeitweilig kontingent gesetzte Tod Sveinns zur Tatsache erklärt ist, unterwerfen sich ihm auch die Bewohner von Þrándheimr in einer pragmatischen Entscheidung: en er Þrœndir spurðu til sanns, at Sveinn jarl var andaðr ok hans var ekki ván til Nóregs, þá snørisk ǫll alþýða til hlýðni við Óláf konung (Hkr ii, 72), ‘aber als die Leute in Þrándheimr die Bestätigung erhalten
Schottmann 1998, S. 234. Vgl. Kap. 3.3.3.1.
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hatten, dass Jarl Sveinn verstorben und damit in Norwegen nicht mehr zu erwarten wäre, da unterwarf sich das ganze Volk König Óláfr’. Damit ist rund ein Viertel der Óláfs saga helga in Hkr abgeschlossen. Sichtbar wird ein Erzählmuster um Óláfr, das dessen Erfolg in Norwegen primär als Resultat diverser überraschender, aber stets ausdrücklich natürlicher Todesfällen unter seinen mächtigsten Gegnern darstellt: Sveinn Haraldsson, Eiríkr Hákonarson, Sveinn Hákonarson, sie alle sterben an Krankheit, genau in jenen Momenten, in denen sie Óláfr hätten gefährlich werden können. Bagges Urteil, Óláfr verdanke seinen raschen Sieg „impressive military successes, diplomatic ability, and a charismatic personality“⁸³ fügt sich zu dieser konkreten Erzählung kaum, und das gilt auch für seine Ansicht, der finale Sieg in Norwegen sei primär der Reisetätigkeit von Óláfr zu verdanken: Earl Sveinn goes to Sweden to prepare another attack with Swedish help. In the meantime Óláfr is able to travel around the country and be acclaimed king. […] Though Óláfr is luckily saved from a renewed attack by Sveinn’s death the following year, these events clearly show the political consequences of victory.⁸⁴
Erneut rief Bagge hier ein Bild des großen Mannes auf, das sich zu vielen Details der Saga nicht bruchlos fügt. Aber auch Schottmanns Rede von der „Besiegung Sveins“⁸⁵ durch Óláfr sowie Ármann Jakobssons Formulierung: „hann heggur Noreg úr hendi Sveins jarls“,⁸⁶ ‘Óláfr schlägt Jarl Sveinn Norwegen aus den Händen’, sind irreführend. Dass Sveinns Krankheitstod zentrale Bedingung für die Ernennung von Óláfr zum Alleinherrscher ist, betonte Mitte der 1950er Jahre hingegen Gudmund Sandvik: „Dermed hadde Olav vunne landet og då Svein jarl døydde kort tid etterpå, vart trønderane lydige mit kong Olav“,⁸⁷ ‘damit hatte Óláfr das Land erobert und weil Jarl Sveinn kurze Zeit später starb, unterwarfen sich die Leute in Þrándheimr König Óláfr’. Auch Schottmann bemerkte vage, der Tod Sveinns sichere „glücklich den Erfolg“ des norwegischen Königs.⁸⁸ So gesehen hatte Birgit Sawyer Recht, wenn sie übergreifend festhielt: „In Heimskringla’s version, neither Olav’s way to power or [sic!] his rule could be called a story of success“.⁸⁹ Konsequent wird die Endschlacht von Óláfr gegen die Bewohner von Þrándheimr dann erst rund fünfzig Kapitel später erzählt. Sicherlich, wie Bagge festhielt, zeigt sich in diesem Angriff nun eine „awareness of the political consequences of the conver-
Bagge 1991, S. 92. Bagge 1991, S. 92. Schottmann 1998, S. 237. Ármann Jakobsson 1997, S. 107. Sandvik 1955, S. 66. Schottmann 1998, S. 543. Sawyer 2015, S. 61. So musste denn auch Ármann Jakobsson 1997, S. 143 – 146, in seiner Argumentation für eine Dei Gratia im Falle von Óláfr helgi auf Ágrip und Fagrskinna ausweichen.
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sion“;⁹⁰ die Leute in Þrándheimr werden generell als störrische Heiden dargestellt. Der Sieg von Óláfr wird in Hkr aber erneut nicht herausragenden Fähigkeiten oder Gottes Eingriff zugeschrieben, sondern einem Zufall. Über heidnische Feste der Leute vor Ort informiert, erhält Óláfr zunächst den Bescheid: þat […] er yðr er sagt frá orðtǫkum várum Þrœndanna, þá er vér drekkum, þá kunna allir vitrir menn at varask slíkar rœður, en eigi kann ek at synja fyrir heimska menn ok ǫlóða, hvat þeir mæla (Hkr ii, 178), ‘was euch da erzählt worden ist über die Gespräche von uns Leuten in Þrándheimr, wenn wir trinken, dazu nur soviel, dass sich alle klugen Männer vor solchem Gerede hüten, aber für das, was törichte und betrunkene Männer schwatzen, kann ich nicht einstehenʼ.⁹¹ Der König, der um die schädliche Wirkung von Geschwätz weiß – man denke an den unglücklichen Tod seines Gesandten Guðleikr⁹² –, ist beschwichtigt, doch wandelt sich seine Gesinnung, als ihm nach erneuter Meldung wiederum versichert wird, es handle sich um bloßes Gerede. Der erzürnte König zieht Erkundigungen ein und führt schließlich ein Heer gegen die Heiden in Þrándheimr. Sein Sieg wird folgend eingeleitet: var góðr byrr, ok tǫlðu snekkjurnar ekki lengi fyrir vindi, en þessa varði engan mann, at konungr myndi svá skjótt koma inn þannug (Hkr ii, 180), ‘der Wind war günstig, und die Schiffe brauchten vor diesem Winde nicht lange, und niemand dachte, dass der König so schnell dorthin kommen würde’. Das erinnert an den Sieg von Óláfr Tryggvason über Jarl Hákon, begünstigt durch unerwartet gutes Wetter, das den König schneller reisen lässt als jede Kunde. Kräftige Winde beschleunigten einst die Flucht von Óláfr Haraldsson aus dem Mälarsee, doch ein Sturm hätte einst auch fast verhindert, dass er überhaupt nach Norwegen kam – dieses Mal ist das Wetter wieder ein glücklicher Zufall für ihn, zumal es ihn mitten in der Nacht (um nóttina) ans Ziel bringt: Óláfr schlägt die überrumpelten Gegner vernichtend.
3.3.3.3 Zwei Seiten – Óláfr Haraldsson gegen Óláfr Eiríksson Bevor Jarl Sveinn Hákonarson überraschend an Krankheit verstarb, hatte er Kontakt zum schwedischen König Óláfr Eiríksson aufgenommen, um gegen Óláfr Haraldsson Unterstützung zu gewinnen. Durch die Porträtierung beider Regenten als rechtschaffene und rechtskundige Christen begegnen sie sich auf Augenhöhe, es geht um die Verhandlung weltlicher Macht.⁹³ Sowohl Fsk als auch Hkr rekurrieren auf die Auseinandersetzung, doch in Fsk sind dieser ósætt mikil (Fsk, 178), dem großen Unfrieden, nur wenige Absätze gewidmet, in denen, ähnlich wie in der Hákonar saga
Bagge 1991, S. 107 Hier sei an die berühmte Rede von König Sverrir gegen die Trunkenheit erinnert, wie die Sverris saga (ca. 1190) sie überliefert; sie prangert u. a. einen Verfall der Sitten und den Abfall von Gott an (vgl. Bagge 1996, S. 71– 74). Vgl. Kap. 3.3.3.3. Diese ausgeglichene Ausgangslage notierte auch Schottmann 1994, S. 541: „Einerseits erscheint [der schwedische Óláfr] von Anfang an als der aufbrausende Hochmütige, andererseits wird sehr deutlich, daß der Unfriede von [dem norwegischen Óláfr] ausgeht“.
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góða,⁹⁴ von Vermittlungsversuchen einflussreicher Männer die Rede ist. Hkr ist ausführlicher: Nachdem er drei Jahre König in Norwegen gewesen ist, nimmt Óláfr Haraldsson Kontakt zum Händler Guðleikr auf, der ihm kostbare Waren besorgen soll; auf dem Rückweg wird Guðleikr allerdings an der schwedischen Ostküste überfallen und ausgeraubt.⁹⁵ Geht es den Mächtigen darum, den geregelten Marktverkehr zwischen den Ländern (kaupfriðr milli landa) zu sichern, so erscheint dieser Überfall auf einen norwegischen Gesandten auf schwedischem Boden als Störung. Durch zwei Unsicherheitsfaktoren wird er erklärt: Erstens durch die unkontrollierbare Geschwätzigkeit einiger Gefolgsleute des Händlers: var þá sem opt kann verða, at eigi váru allir haldinorðir (Hkr ii, 84), ‘da passierte, was oft vorkommen kann, nämlich dass nicht alle verschwiegen warenʼ; in der Folge erhalten die Gotländer Kunde von der lukrativen Fahrt des Händlers. Dass sie diesem dann sein gesamtes Gut abnehmen und ihn ermorden können, beruht aber zweitens auf einem Zufall: um haustit, er Guðleikr fór austan, þá fekk hann andviðri, ok lágu þeir mjǫk lengi við Eyland, ‘im Herbst, als Guðleikr aus dem Osten heimkehrte, bekam er widrige Winde und sie mussten eine lange Zeit vor Öland liegen’. Diese Verzögerung der Heimfahrt durch schlechte Wetterverhältnisse vor der Ostküste Schwedens öffnet das für den Überfall nötige Zeitfenster am rechten Ort. Beide Faktoren liegen außerhalb der Kontrolle von König Óláfr Haraldsson. Angesichts der Einsicht, dass ihm die Situation zu entgleiten droht, setzt Óláfr nun auf den Cousin des Schwedenkönigs, Jarl Rǫgnvaldr Úlfsson: þeir konungr ok jarl lǫgðu stefnu með sér […], rœddu þar marga hluti ok mjǫk um viðskipti þeira Nóregskonungs og Svíakonungs (Hkr ii, 85), ‘es kam so, dass König und Jarl ein Treffen vereinbarten […] und sie besprachen viele Dinge und viel über die Auseinandersetzung zwischen dem Norwegerkönig und dem Schwedenkönig’. Der Plan ist, Óláfr Haraldsson durch Heirat mit einer Tochter von Óláfr Eiríksson dem Kontrahenten formal anzunäheren. Dies unter zunehmendem Druck durch die norwegischen Bauern, denen vom Erzähler ausdrücklich Beratungskompetenz zugestanden wird: bœndr í Víkinni rœddu sín í milli, at sá einn væri til, at konungar gerði sætt ok frið milli sín (Hkr ii, 86), ‘die Bauern in Vík besprachen sich untereinander und erklärten, dass es nur Eines gäbe, nämlich dass die Könige zu Vergleichen und zum Frieden miteinander finden würden’. Der Marschall des norwegischen Königs, Bjǫrn, frægr maðr (Hkr ii, 88), ‘ein kluger Mann’, erteilt den Rat, einen Boten zum Schwedenkönig zu senden, und kurzentschlossen betraut der König Bjǫrn selbst mit dieser Aufgabe: nýtr þú, ef vel er ráðit, en ef mannháski gerisk af, þá veldr þú of miklu sjálfr um (Hkr ii, 87), ‘du wirst Erfolg haben, wenn es ein guter Rat war, aber wenn daraus Gefahr erwächst, dann hast vor allem du selbst dazu beigetragen’. So wie Óláfr die Unsicherheit seiner Stellung im skandinavischen Machtgefüge (an‐)erkennt, so betont er bezeichnend pragmatisch die Unwägbarkeit weiterer Handlungen. Auch Bjǫrn ruft in seiner folgenden Besprechung
Vgl. Kap. 3.3.1. Zur historischen Bedeutung Gotlands als Zentrum des Seehandels vgl. Borgolte 2002, S. 240 f.
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mit dem Jarl diese Unsicherheit ins Gedächtnis, wenn er betont, die Pläne des Königs seien oft äußerst risikoreich (allhræddir); dennoch: ǫll ráð hans hafa enn til hamingju snúizk hér til, ok vættu vér, at svá skyli enn fara (Hkr ii, 89), ‘alle seine Ratschläge haben sich bisher zum Glücklichen gewendet, und wir erwarten, dass es so weitergeht’. Vor der mehrfach herausgestellten Unzuverlässigkeit der hamingja fängt diese Bemerkung die zuvor herausgestellte Kontingenz aber allenfalls zum Teil auf. Und die Unentschiedenheit des Unternehmens wird schließlich in dritter Instanz durch Hjalti Skeggjason, den isländischen Begleiter von Bjǫrn, betont, wenn dieser dazu auffordert, Erfolg und Scheitern als gleichberechtigte Optionen zu akzeptieren: Ein Mann im Dienst des Königs verðr hváru tveggja vel at kunna (Hkr ii, 87), ‘muss mit beiden Möglichkeiten zurechtkommen’. Zugleich will Hjalti am schwedischen Hof erfahren, hvárt þetta mál mun svá óvænt sem nú er látit eða eru þar nǫkkur ǫnnur efni í (Hkr ii, 91), ‘ob diese Sache tatsächlich so hoffnungslos ist, wie sie scheint, oder ob es noch andere Möglichkeiten gibtʼ. Bemerkenswerterweise ruft der skeptische Hjalti, wie Bjǫrn zuvor, das Glück des Königs auf: mikit má konungs gæfa (Hkr ii, 87), ‘viel vermag des Königs Glück’. Im Erzählkontext erscheint dieser Hinweis als formelhafter Einschub eines Konzepts, das dem Wissen um die spätere Heiligkeit von Óláfr geschuldet ist, das dem Erzähler aber als Begründung des Geschehens nicht ausreicht.⁹⁶ Konsequent wird irgendeine hamingja denn auch nicht weiter thematisiert. Am Hof des Schwedenkönigs widmet die Erzählung vielmehr pragmatischen Beratungen Raum, u. a. zwischen Hjalti und der Königstochter Ingigerðr, die Hjalti mit Óláfr Haraldsson vermählen will.⁹⁷ An den Schwedenkönig selbst wendet sich Hjalti wiederholt mit dem Verweis auf die Kontingenz von Wetter und Meer: ek em hér kominn á þinn fund ok hefi ek farit langa leið ok torsótta. En síðan er ek kom yfir hafit […] (Hkr ii, 95), ‘ich bin hierher zum Treffen mit dir gekommen und habe einen langen und beschwerlichen Weg hinter mir. Aber da ich nun über das Meer gekommen bin […]’; allmikill harmr er þat, er vér eigum svá langt hingat at sœkja ok svá meinfœrt, fyrst hafsmegin mikit, en þá ekki friðsamt at fara um Nóreg (Hkr ii, 96), ‘es ist ein großer Nachteil, dass wir einen so langen und beschwerlichen Weg hierher haben, erstens wegen des schweren Seegangs, und dann, weil man nicht friedlich durch Norwegen reisen kann’. Scheinbar geschickt verknüpft der Isländer natürlich und sozial bedingte Unsicherheit in einem Gesamtblick. Doch der schwedische König reagiert ungehalten – ekki skaltu mæla slíkt, Hjalti (Hkr ii, 97),
Auch Sawyer 2015, S. 62, deutet den wiederholt knappen Verweis auf ein Königsglück als Strukturmerkmal der Saga, das allein „Olav’s sanctity“ geschuldet sei, die einen „balancing act“ zwischen profaner Köngissaga und Heiligensaga erforderlich gemacht habe. Schottmann 1998, S. 238, notierte, Snorris „entscheidender künstlerischer Griff“ sei es gewesen, „das kirchlich-religiöse und das eigene weltliche Deutungsmuster in der Darstellung auszugleichen“. Hjalti bespricht diesen Plan mehrfach mit den engsten Vertrauten des Königs: þau rœddu þetta sín í milli mjǫk optliga, ‘sie [d.i. Hjalti und Ingigerðr] besprachen dies sehr oft miteinander’; rœddu þau Hjalti opt ǫll saman um þetta mál, ‘Hjalti und sie [d.i. die Skalden des Königs] besprachen diese Sache oft untereinander’.
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‘so sollst du nicht reden, Hjalti’ – und verbietet, das Thema noch einmal anzusprechen. Der zuvor umtriebige Hjalti scheint damit plötzlich in eine ratlose Lage gebracht, seine Pläne sind „völlig festgefahren,“⁹⁸ wie Hans Schottmann bemerkte; geplant war offenbar gewesen, eine Allianz mit dem norwegischen Óláfr durch Verweis auf latent bedrohliche Unwägbarkeiten attraktiv zu machen – aber dieser Plan scheitert. Es zeugt von durchdachter Erzählstruktur,⁹⁹ wenn an dieser Stelle die Erzählung assoziativ nach Norwegen schwenkt, wo die sich anbahnende Auseinandersetzung zwischen Óláfr Haraldsson und den norwegischen Kleinkönigen ein ebensolches Klima der Unsicherheit schafft. Auch die Lokalherrscher müssen nach intensiver Diskussion anerkennen, dass jeder Plan zwei Seiten hat: ok varð engi órskurðr ráðinn, tǫlðu á hváru tveggja sýna annmarka (Hkr ii, 102). Zugleich wird erneut betont, dass auch diejengen, die keinen akuten Anlass zu Veränderungen sähen, nicht lange von Veränderungen verschont bleiben könnten: þó at oss sé nú þetta vandræði næst, þá mun skammt til, at þér munuð fyrir slíku eiga at sitja, ok er fyrir því betra, at vér ráðum um allir saman, hvert ráð upp skal taka, ‘obwohl wir derzeit am stärksten betroffen sind, wird es doch bald soweit sein, dass ihr in der selben Situation seid, und daher ist es besser, dass wir alle zusammen besprechen, welchen Beschluss wir fassen sollen’. Diese Einsicht in die Kontingenz des Geschehens blockiert eine rationale Entscheidung, auch in Norwegen ist die Situation in ihrer Unwägbarkeit festgefahren. Aaron Gurjewitsch meinte, „the good fortune of Óláfr Haraldsson“ sei in dieser Szene bereits als „so great and so long“ dargestellt, dass es das Zögern der Kleinkönige erklären würden.¹⁰⁰ Doch davon ist in der Erzählung überhaupt keine Rede, vielmehr betont der einflussreiche Hrœrekr neben allen Unwägbarkeiten künftiger Entwicklung auch die soziale Kontingenz gemeinsamer Planung: optast sigrask þeim verr, er fleiri eru jafnríkir, heldr en hinum, er einn er oddviti fyrir liðinu, ‘oft ist es denen weniger zum Sieg hilfreich, unter denen viele gleichmächtig sind, als vielmehr jenem, der allein einer Truppe vorsteht’. So ist es bezeichnend, dass es schließlich eine emotionale Rede (eggja) ist, der man allgemein zustimmen kann: Óláfr soll bei nächster Gelegenheit in einen Hinterhalt gelockt werden. Vil ek, sagt Hrœrekr, ef þetta ráð skal staðfesta með oss, at vér sém ásamt dag og nótt, þar til er þetta ráð verðr framgengt (Hkr ii, 103), ‘ich will, sollte dieser Plan unter uns angenommen werden, dass wir Tag und Nacht zusammenbleiben, bis er umgesetzt worden ist’. Tatsächlich werden dann alle Pläne zunichte gemacht eben durch den Umstand, dass im Kreis der Verschwörer doch ein
Schottmann 1994, S. 545. Vgl. Schottmann 1994, S. 542: „Die Verflechtung mit Olafs Vorgehen gegen die Oberlandkönige sowie dozierende Reden halten die weiterreichenden Perspektiven im Bewußtsein“. Schottmanns Beobachtung einer „Aufspaltung der meisten Motive und Themen in Dubletten“ (ebd., S. 551), erfasste auch den „Aufstand der Oberlandkönige“ und den „generelle[n] Aufstand“ gegen Óláfr; Schottmanns Deutung, es handle sich um ein „Mittel, auch innerhalb kleinerer Erzählpartien Handlung zu entfalten und zugleich Teile zusammenzubinden“ (ebd.), blieb allerdings vage. Gurjewitsch 1971, S. 106.
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Freund von Óláfr Haraldsson sitzt: en þó var, sem mælt er, at hverr á vin með óvinum (Hkr ii, 104), ‘es kam so, wie die Redensart besagt, dass jeder unter Feinden einen Freund hat’; eine formelhafte Erklärung, der Freund unter Feinden scheint ein Zufallstreffer zu sein, illustriert aber die Warnungen vor der Unwägbarkeit sozialer Interaktion. Hier kehrt die Erzählung in einem Erzählerkommentar – nú er þar til máls at taka, ‘jetzt muss dort weitererzählt werden’ – an den schwedischen Hof zurück, wo der ratlose Hjalti nun Unterstützung von Jarl Rǫgnvaldr erhält. Doch diese neuerliche Aussicht auf Klärung der unsicheren Situation wird unmittelbar wieder in Zweifel gezogen, wenn der gesetzeskundige Þorgnýr dem Jarl die Kompetenz zum Ratgeben abspricht: undarligt skiptið þér til, girnizk at taka tígnarnafn, en kunnið yðr engi forráð eða fyrirhyggju, þegar er þér komið í nǫkkurn vanda (Hkr ii, 113 f.), ‘ihr habt eine sonderliche Art, ihr strebt nach einem Ehrentiteln, aber habt keinen Rat und keine Voraussicht, wenn ihr irgendwelche Schwierigkeiten erfahrt’. Þorgnýr führt sich nun seinerseits als Berater von Rǫgnvaldr ein – von Bjǫrn an gerechnet bereits die vierte (!) Beraterstufe – und erinnert den schwedischen König an die unstete Herrschaft früherer Könige, und daran, dass das unzufriedene Volk bereits fünf vorausgehende Könige umgebracht hätte – eine weitere Reminiszenz an die Auseinandersetzung zwischen Óláfr Haraldsson und den Kleinkönigen. Mit diesem Blick auf die Kontingenz der schwedischen Königsgeschichte konfrontiert, stimmt der Schwedenkönig zu, seine Tochter Ingigerðr Óláfr zur Frau zu geben. Als Óláfr Haraldsson davon erfährt, und hier schlägt die Erzählung den Bogen zum Anfang, bedankt dieser sich befremdlicherweise bei Bjǫrn und sagte, at Bjǫrn hafði gæfu til borit at koma fram ørendinu í ófriði þessum (Hkr ii, 117), ‘dass Bjǫrn Glück dazu beigesteuert habe, dass diese Angelegenheit trotz aller Feindlichkeit zum Abschluss gekommen seiʼ. Der Erzähler kommentiert dies mit den Worten sem var, im Sinne von ‘das ist wahr’ – eine formale Floskel, wie Schottmann meinte,¹⁰¹ vielleicht aber mehr noch Ironie: Gegen die Ansammlung vermeintlich kompetenter und glücklicher Berater und gegen alle Abmachungen, die zu einem richtungsweisenden Abschluss führen sollen, findet die geplante Heirat nämlich nicht statt – die gesamte Episode bezeugt die Zufallsanfälligkeit jeglicher Planung. Und noch eine Episode wird unmittelbar angefügt, um das Geschehen als unsicher zu markieren. Óláfr Haraldsson hat den besiegten Hrœrekr blenden lassen und hält ihn selbstgerecht an seinem Hof – ein Unsicherheitsfaktor, der die Entscheidungskompetenz des Königs in Frage stellt. Denn zunächst besticht Hrœrekr den Wächter Sveinn, Óláfr bei der Abendandacht zu ermorden – doch zufälligerweise taucht Óláfr gerade an diesem Tag früher auf als erwartet: þá bar hann skjótara at en Svein varði (Hkr ii, 119). Daraufhin lässt Hrœrekr starken Wein bringen, um die an-
Vgl. Schottmann 1994, S. 544: „Das bleibt aber rein formal, denn Bjǫrn selbst erreicht ja nichts. […] Doch auch Rǫgnvaldr kann von sich aus nichts erreichen und muß das Problem an Þorgnýr weitergeben“.
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deren Wächter zu betäuben; wer nicht trinkt, wird erschlagen, Hrœrekr entkommt. Doch auch dieser Plan geht nicht auf, denn zwei Umstände wirken für Hrœrekr unglücklich zusammen: Der viele Wein und der Umstand, dass die Wächer ausgerechnet auf dem Weg zur Latrine erschlagen wurden – diesen Grundmomenten des Plans ist dessen Scheitern bereits eingeschrieben. Denn in der Nacht erwacht der Hofskalde Sigvatr, der nach dem vielen Wein zur Latrine muss – und rutscht im Blut aus. Noch in derselben Nacht ist Hrœrekr wieder gefangen gesetzt. Nach einem erneuten Mordanschlag von Hrœrekr – er verfehlt Óláfr mit dem Dolch, schlicht weil er blind ist –, ermahnen Vertraute den König, es sei in mesta gæfuraun, ‘die gröbste Herausforderung des Glücks’, Hrœrekr weiter vor Ort zu behalten. Óláfr hat erstmals Zweifel an seiner Entscheidung, en þó fæ ek nú varliga sét, hvárt Hrœrekr mun fá mik nauðgaðan til eða eigi, at ek láta drepa hann (Hkr ii, 125), ‘aber ich kann es derzeit nicht erkennen, ob Hrœrekr mich dazu zwingen wird, ihn töten zu lassen oder nicht’. Doch will er die Entwicklung nicht weiter dem Zufall überlassen: Er schickt Hrœrekr in die Verbannung nach Island, und bevor dieser erneut tätig werden kann, erkrankt er und stirbt – ein glücklicher Zufall für Óláfr, ist damit doch ein weiterer listiger Gegner aus dem Spiel. Die Geschichte, man erkennt die Struktur, schwenkt abermals zurück zur Brautwerbung: nú er þar til máls at taka, er áðr var frá horfit (Hkr ii, 129), ‘nun müssen wir dort mit der Geschichte wieder einsetzen, wo wir vorher abschweiften’. Óláfr Haraldsson hatte sich zufrieden mit der Klärung der Situation gezeigt. Doch zeigt sich dann eben, dass alle vorausgehenden Pläne, Verhandlungen und Ankündigungen keine Geltung haben: Aus einer Laune heraus entscheidet sich der Schwedenkönig, seine Tochter Ingigerðr dem Rivalen doch nicht zur Frau zu geben – brugðit var ǫllu sáttmáli við Nóregskonung (Hkr ii, 132), ‘alle Vereinbarungen mit dem Norwegerkönig waren gebrochenʼ, wie der Erzähler nüchtern kommentiert. Schottmann bemerkte: Für den Historiker muß das eine unsinnige Motivation sein. Literarisch verstanden ist das eine Darstellungsform, in der das Allgemeine – politische Prozesse, Fragen der Lebensführung – in rein persönliche Beziehungen verdichtet und schematisiert wird. Psychologisches und Emotionales bleibt an das einzelne Ereignis gebunden, der Leser kann dessen innere Voraussetzungen bestenfalls interpolieren, indem er die verschiedenen Handlungsteile zusammensieht.¹⁰²
Mit anderen Worten: Es ist die Kontingenz der sozialen Welt, die emotionale Unberechenbarkeit des Einzelnen, die das Geschehen bestimmt¹⁰³ – die Auseinandersetzung zwischen den beiden Figuren namens Óláfr ist ein stilisiertes Paradebeispiel dieser Einsicht.
Schottmann 1994, S. 546. Vgl. die Diskussion in Kap. 2.3.3.
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3.3.3.4 Subtile Botschaften – Emundr von Skara Es ist dieses Wechselspiel von menschlicher Planung und sozialer Kontingenz, das in einer umfangreichen Episode weiter entwickelt wird. Hans Schottmann notierte richtig, die geplatzte Heirat sei eine derartige Provokation, „daß jetzt ein von Norwegen ausgehender Krieg eigentlich unvermeidbar wäre“¹⁰⁴ – doch gegen diese Option tritt abermals eine dritte Figur, ein Vermittler in Erscheinung: Ein Mann namens Emundr, manna vitrastr og orðsnjallastr, ‘der weiseste und wortgewandteste der Männer’, aber auch undirhyggjumaður og meðallagi trúr (Hkr ii, 148), ‘ein hinterhältiger, nur bedingt zuverlässiger Mann’ – eine ambige Persönlichkeit, deren Funktion in den Verhandlungen als uneindeutig markiert ist. Beauftragt wird Emundr von den Gotländern, die zwischen dem schwedischen und norwegischen Herrscher stehen, und so wartet Emundr deren Beurteilung der Lage (þá áttu Gautar þing sín í milli) zunächst ab. Bevor er den schwedischen König erreicht, berät er sich zudem mit anderen klugen Männern: hann átti þar tal við ina vitrustu menn um þetta vandamæli, ‘er hatte eine Unterredung mit den weisesten Männern über dieses Problem’. Das Resultat dieser Beratungen ist bezeichnenderweise der Rückgriff auf Erzählungen, die Emundr vor dem Schwedenkönig zu entwickeln beginnt. Zunächst die Geschichte vom Pelzjäger Atti, der sich nach einer erfolgreichen Jagd durch ein Eichhörnchen derart aus der Ruhe bringen lässt, dass er alle Pelze verliert. Dann die Geschichte vom kriegerischen Gauti, der mit fünf Kriegsschiffen fünf dänische Handelsschiffe angegriffen habe: Ohne Verluste hätten sie vier Schiffe gekapert, aber das fünfte sei auf offene See entkommen, wo die Verfolgung aufgeben werden musste; ein Sturm habe schließlich zu Gautis verlustreichem Schiffbruch geführt. Schließlich entwickelt Emundr, unter Verweis auf eine vertrackte Gesetzeslage, eine dritte Erzählung, in der er von zwei sich streitenden Männern spricht, deren Vergleich ungerecht zugunsten des Mächtigeren ausgefallen sei; der gesetzeskundige Schwedenkönig spricht spontan Recht zugunsten des Geschädigten. Die Königsberater aber erkennen, dass hinter diesen Erzählungen eine Botschaft stehen muss, und fordern den König auf, nach einer subtilen Nachricht zu suchen: þér munuð þat hugsat hafa, ef þat kom til annars en hann mælti (Hkr ii, 152), ‘du wirst dich gefragt haben, ob die Erzählungen von Emundr nicht doch auf etwas anderes zielten als das, was er sagte’. Es ist nicht überanstrengt, diese Aufforderung auf die Rezipienten der Königssagas auszuweiten. Natürlich lassen sich, wie die Berater es tun, die Episoden um Atti und Gauti so verstehen, dass Gier zu Verlust führen kann. Tatsächlich aber erfasst diese moralische Deutung, die allein die Akteure fokussiert, nur einen Teil des Aussagegehalts: Signifikant ist, welch großes Gewicht Emundr auf die Räume des Scheiterns legt (Hkr ii, 149 f.). Der berühmte Jäger Atti (hann kǫllum vér mestan veiðimann) ist erfahren im Gebirge (á fjalli), das Eichhörnchen aber trifft er auf dem Rückweg im Wald: þar sem þrøngstr var skógrinn, ‘dort, wo der Wald am dichtesten war’, dort versagt seine Expertise, dort entsteht ein Raum, dessen Undurchschaubarkeit die
Schottmann 1994, S. 547.
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Grenzen menschlichen Vermögens vor Augen führen. Intensiviert wird diese Erfahrung des Kontrollverlustes durch den Umstand, dass es Nacht wird (myrkva tók) und das Wetter in dichten Schneesturm umschlägt (veður var drífanda). Terrain und Wetter bringen auch Gauti zu Fall: Zwar ist er im Küstengewässer siegreich agil (þeir Gauti unnu skjótt fjǫgur kaupskipin ok létu enga menn, ‘Gauti und seine Leute besiegten rasch vier Handelsschiffe und verloren dabei keinen einzigen Mann’), doch auf offener See ist er plötzlich starkem Wind ausgesetzt (þá tók veðrið að vaxa) – als dieser Wind zum Sturm ausartet (þá gerði storm veðurs), ist Gauti verloren. Wie der Wald, so erscheint das Meer ein weiteres Mal als Raum des Unberechenbaren, in dem die gerühmte Kompetenz der Figuren in einem kontingenten Zustand aufgehoben wird. Wo der Schwedenkönig emotional entschied, als er den Heiratspakt brach, da reagiert er nun pragmatisch: Nachdem er eine Nacht geschlafen hat, ruft er seine Weisen zusammen, um die Botschaft richtig zu deuten (lét hann kalla til sín spekinga sína); ausdrücklich wird nochmals seine Gesetzestreue betont: konungi líkaði illa, ef dómum var hallat frá réttu (Hkr ii, 152), ‘dem König missfiel es, wenn Urteile sich vom Recht entfernten’. Die Weisen¹⁰⁵ raten dem König, sofort zum Volk zu sprechen – die Zeit, so betonen sie, sei zu kurz gewesen (stund hefir skǫmm verið), als dass der wachsende Unmut sich hätte organisieren können. Der König folgt diesem Rat, doch zum Zeitpunkt der Zusammenkunft blicken die Bauern bereits auf mehrtägige Beratung zurück (bœndr áttu þing dag og nótt); und auch Emundr wird erneut um Rat gefragt – spyrr þá Freyviðr Emund: hverja ætlan hafið þér um þat (Hkr ii, 155), ‘da fragt Freyviðr [d.i. einer der Königsberater] Emundr: welche Meinung hast du dazu?’. Evident wird in dieser konzentrierten Abfolge von Besprechungen der Wille, den zunehmend die Ordnung gefährdenden Streit zu schlichten und einen tragfähigen Konsens zu erzielen. Die Protagonisten bestimmen Vermittler, sie beraten sich und sie nehmen sich Zeit für Entschlüsse – sie sind sich der Gefahr eines allzu spontanen Handelns bewusst. Diese Einsicht wird nicht zuletzt illustriert durch die vorausgehende ad hoc-Rechtssprechung des Schwedenkönigs angesichts der dritten Erzählung: Der von Emundr fingierte Rechtsstreit zwischen ungleichen Parteien war eine Parabel auf die Auseinandersetzung zwischen Schweden und Norwegen, wie der Schwedenkönig im Nachhinein erkennt – und sein Urteil richtete sich gegen sich selbst. Der souveräne Rückgriff auf bestehendes Regelwerk allein, so die Botschaft, garantiert kein erfolgreiches Verhandeln. Bemerkenswert ist dann der erneute Bruch der evozierten Erwartung: Denn auch die Einschätzung der Königsberater, noch sei Zeit zum Handeln, erweist sich als eklatante Fehleinschätzung; tatsächlich hat sich zwischenzeitlich der Unmut der Schweden derart verschärft, dass an ein Festhalten am ursprünglichen Plan nicht zu denken ist. Die explizite Aufforderung des Königs, die drei Weisen möchten sich der
Es wäre einer eigenen Untersuchung wert, die herausgestellte Behinderung der engsten Berater – der erste ist blind, der zweite stammelt, der dritte ist taub – in einen kulturgeschichtlichen Kontext einzuordnen.
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Durchführung ihres Plans selbst annehmen (vil ek […] at þér brœðr farið þessa ferð, því at ek trúi yðr bezt af mínum mǫnnum (Hkr ii, 154), ‘ich will, dass ihr Brüder diese Fahrt macht, denn ich halte euch für die besten unter meinen Leuten’), hat nicht den gewünschten Erfolg. Und obwohl diese Weisen für ihre verständige Rede gerühmt werden (þótti vel mælt), so formuliert Emundr doch ausgerechnet in dem Moment Zweifel, in dem sie zu den Verhandlungsführern bestimmt werden: þá grunaði hann, hvárt þetta ráð myndi framgengt verða (Hkr ii, 155 f.), ‘da zweifelte er, ob dieser Entschluss Erfolg haben würde’. Der geregelte Zugriff auf die Situation und das planende Abwägen von Optionen haben sich nicht bewährt, ihre Geltung ist vom faktischen Geschehen bereits überholt – und damit ist auch der künftige Erfolg solcher Planung, expliziert durch Emundr, in Zweifel gezogen. Man einigt sich pragmatisch auf ein Drittes: Einer der Söhne von Óláfr Eiríksson wird zum neuen König ernannt. Die lange Episode schließt mit der Anekdote, es habe einen Grenzbesitz gegeben, dessen Zugehörigkeit ungewiss gewesen sei; dass es sich dabei um eine Insel handelt, deren Name Hísing etwas Abgeschnittenes, Abgetrenntes suggeriert,¹⁰⁶ fügt sich zu früheren Beobachtungen. Angesichts dieses liminalen Raums beschließen die Könige, das Würfelglück entscheiden zu lassen. Und nachdem sie anfangs gleichziehen, zerbricht schließlich ein Würfel von Óláfr Haraldsson, sodass er die höhere Augenzahl erzielt. Dass der spätere Heilige die Oberhand behält, mag gängige Erwartungshaltungen bedienen, die der Erzähler in diesem Fall nicht ignorieren konnte. Faktisch aber impliziert Würfeln per se ein Moment der Ungewissheit, wird die Entscheidung aus der Sphäre menschlicher Einflussnahme herausgenommen.¹⁰⁷
3.3.4 Vier Todesfälle und ein König – Magnús Óláfsson Nach dem Tod von Óláfr Haraldsson übernahm Knútr inn ríki die Herrschaft in Norwegen;¹⁰⁸ er regierte zugleich England und Dänemark. Der uneheliche Sohn von Óláfr, Magnús, steigt aber rasch zum neuen norwegischen König auf, gefördert duch die Eloquenz seiner Stiefmutter Ástríðr. Solche Redekunst fehlte Magnús’ Widersacher Sveinn Knútsson, Sohn von Knútr; dessen Versuch, ein Heer gegen Magnús aufzustellen, scheitert an mangelhaft überzeugender Rede: átti konungr þá þing ok tal við bœndr ok bar upp ørendi sín […]. Mælti konungr heldr skammt. Bœndr gerðu lítinn róm at máli hans (Hkr iii, 10), ‘da hielt der König eine Versammlung ab und sprach zu den Bauern und legte seinen Plan dar […]. Der König sprach recht kurz. Die Bauern zollten seiner Rede geringen Beifall’. Zwar werden Sveinn nachfolgend einige dänische Ma-
Vgl. Wahlberg 2016, S. 129: „den avskurna eller kluvna (ön)“. Das folgende Kapitel bemerkt zwar, Óláfr Haraldsson sei nun Alleinherrscher (einvaldskonungr), doch wird man Schottmann 1994, S. 550, darin zustimmen müssen, dass durch die „aufeinander zu beziehenden parallelen Ereignisse“ ein „vielfach schattiertes Bild von Interessen“ entsteht, in dem Óláfr „nur noch formal der die Entwicklung bestimmende Mittelpunkt“ ist. Vgl. Kap. 3.5.5.2.
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gnaten, die lange und geschickt sprechen (langar tǫlur ok snjallar), als kompetente Vertraute zur Seite gestellt. Doch wieder treten die Bauern als autarke Größe der Erzählung in Erscheinung: Sie geben ihrerseits Erklärungen gegen die dargelegten Ansichten ab: en bǫndr svǫruðu ok tǫluðu í mót, ‘aber die Bauern antworteten und widersprachen’. Sveinn, der solche Schwierigkeiten nicht vorausgesehen hat, segelt zornig nach Dänemark, wo er zum Mitregenten seines Bruders Hǫrða-Knútr wird. Magnús’ Position scheint damit einerseits gefestigt. Andererseits sieht er sich nun in der Zange zwischen dem mächtigen Knútr im Westen und dessen vereinten Söhnen Sveinn und Hǫrða-Knútr im Süden. Eine Übermacht, gegen die Magnús seine Herrschaft nur durch zwei Zufälle behaupten kann (Hkr iii, 11; Msk ii, 26): Noch im selben Jahr, in dem Sveinn nach Dänemark gegangen ist, stirbt dieser überraschend (þann sama vetr andaðisk Sveinn) – und zeitgleich stirbt auch Sveinns Vater Knútr in England (þat sama haust andaðisk Knútr inn ríki). Magnús plant daraufhin die finale Schlacht gegen Hǫrða-Knútr. Erneut ist es dem Einschreiten von umsichtigen Beratern verdankt, dass es nicht zu diesem Kampf kommt, denn, wie die Saga betont, beide Herrscher waren aufgrund ihrer Jugend kaum fähig, sinnvolle Entscheidungen zu treffen (váru báðir bernskir ok ungir). Die Berater handeln einen Frieden aus, der beinhaltet, dass derjenige, der länger lebt, die geeinte Herrschaft übernehmen soll. Magnús’ Abhängigkeit erstens von Beratern (unter die anfangs auch seine Mutter fällt), zweitens von Zufällen ist ein Leitmotiv seiner Herrschaftsgeschichte – und die Erklärung für sein letzliches Scheitern als Herrscher. Unfähig, die angebotene Hilfe und die glücklichen Begleitumstände in weitsichtiger Herrschaft zu konzentrieren, weiß er seine Stellung nicht anders zu behaupten als durch harte Strafen gegen seine Landsleute – die ihm ein gewaltsames Ende prophezeien: man hann eigi þat, at vér hǫfum jafnan eigi þolat vanrétti? Mun hann hafa farar fǫður síns eða annarra hǫfðingja þeira, er vér hǫfum af lífi tekit (Hkr iii, 26), ‘erinnert er sich nicht daran, dass wir Unterdrückung nie geduldet haben? Es wird ihm so ergehen wie seinem Vater oder anderen Herrschern, denen wir das Leben genommen haben’. Das erinnert sowohl an Hákon góði, der einst nur durch einen Zufall daran gehindert wurde, gegen seine eigenen Leute in den Krieg zu ziehen, als auch an Óláfr Haraldssons Bemühungen, in Norwegen Unterstützung zu finden, die zunächst an den wechselvollen Erfahrungen mit früheren Königen zu scheitern drohten; und auch die Macht des legendären Jarl Hákon wurde geschwächt, nachdem er sich den Unmut seiner Landsleute zugezogen hatte – laut Fsk wurde er von diesen sogar erschlagen.¹⁰⁹ Magnús bleiben solche Zusammenhänge verschlossen, damit auch die Einsicht, dass äußere Umstände ihn ebenso stürzen können, wie sie zuvor seine Herrscherposition begünstigten. Die Erzählung verharrt durch diese konzentrierte Abfolge von Bedrohungen in einem kontingenten Zustand: Der gewaltsame Sturz von Magnús ist keine abgewiesene Alternative an einem bestimmten Punkt der Erzählung, sondern bedrohlicher Dauerzustand. Magnús wird darüber wiederum durch seine Berater informiert: ok
Vgl. Kap. 3.3.1, Kap. 3.3.3.2 und Kap. 3.3.2.2.
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samðisk þat með þeim at hluta til einn mann at segja konungi þenna kurr. En svá var til stillt, at Sigvatr skáld hlaut (Hkr iii, 26).¹¹⁰ Dem eloquenten Sigvatr gelingt es, den König friedlich zu stimmen: kom þá svá, at konungr átti tal við ina vitrustu menn, ok sǫmuðu þeir þá lǫg sín, ‘es kam dazu, dass der König sich mit den klügsten Männern besprach, und diese passten dann ihre Gesetze an’. Magnús, der anschließend gar die Gesetzessammlung Grágás verfassen lässt,¹¹¹ erhält nun auf einmal den Beinamen inn góði, der Gute, wiederum ähnlich wie vor ihm Hákon Haraldsson, trotz anfänglicher Gewaltbereitschaft gegen das eigene Volk. Magnús’ Berater, dem Muster folgend, treten nach diesem ordnenden Eingriff wieder in den Hintergrund, um die Bühne erneut dem Zufall zu überlassen – der sich ein weiteres Mal als glücklich für Magnús erweist: Wenig später stirbt in England auch der Sohn und Nachfolger von Knútr, Haraldr, und wenig später dann Hǫrða-Knútr, der neben seiner Herrschaft in Dänemark kurzzeitig auch England regierte. Für den Verfasser von Msk zuviel des Zufalls: Wo Hkr auch Hǫrða-Knútr an plötzlicher Krankheit (sóttdauðr) dahinscheiden lässt, da entwirft Msk ein anderes Bild – Hǫrða-Knútr stirbt an einem vergifteten Trank, der eigentlich für Magnús bestimmt gewesen ist: síðan fær hon Hǫrða-Knútí hornit, ok drakk hann af ok mælti við er hann kastaði niðr horninu: ‚Eigi skyldi…‘ Eigi gat hann lengra mælt ok œpði síðan til bana. Ok sýndisk nú þessi svik Álfífu við Magnús konung, því at hon hafði honum ætlat þenna daudadrykk. (Msk i, 46) Und dann überreicht sie [d.i. Álfífa, Ehefrau von Knútr] Hǫrða-Knútr das Horn und er trank daraus und während er das Horn zu Boden warf, begann er zu sprechen: ‚Man sollte nicht…‘ Mehr konnte er nicht mehr sagen und schrie bis zum Tode. Und nun kam der Verrat von Álfífa an König Magnús zu Tage, denn sie hatte ihm den tödlichen Trank bestimmt.
Eine dramatische Szene, die auf dem unabsehbaren Umstand beruht, dass Magnús, trotz seines hohen Ranges, ablehnt, zuerst aus dem Horn zu trinken. In jedem Fall sind diese Todesfälle für Magnús glückliche Zufälle, nicht zuletzt, da sie nun den Vertrag greifen lassen: Magnús wird auch in Dänemark offiziell zum König ernannt. Bezeichnend ist nach diesem langen Wechselspiel von Zufällen, Beratungen und Plänen, dass der Erzähler von Hkr in der zweiten Hälfte der Erzählung allein noch eine Auflistung von Magnús’ Schlachten liefert. Hauptgegner ist mit Sveinn Úlfsson ausgerechnet der Mann, dem Magnús das größte Vertrauen entgegenbrachte und den er selbst zum Herrscher in Dänemark aufbaute; Sveinn ist bald so beliebt, dass er sich selbst zum König ausrufen lässt. Magnús’ nachfolgende Kämpfe gegen Sveinn sind schematisch gezeichnet (gegliedert durch den Einschub von Skaldenstrophen) und Dass die Aufgabe, den König zu informieren, ausgerechnet dem redegewandten Sigvat zufällt, wollte Felix Niedner seinerzeit als Zufall deuten, wenn er übersetzte: „Sie kamen überein, einen Mann auszulosen, der den König von diesem Murren des Volkes unterrichten sollte. Und zufällig traf das Los Sigvat“ (Niedner 1923, S. 37). Das scheint mir eine Fehlübersetzung: Vielmehr ist diese Passage doch so zu verstehen, dass man sich einigte, einen Vermittler zu bestimmen, und es danach so einrichtete, dass Sigvatr gewählt wurde. Zur Einordnung vgl. van Nahl/van Nahl 2019, S. 197– 199.
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werden vom Erzähler abgekürzt, wenn es etwa heißt: þat er skjótast at segja af orrostu þessi, at Magnús konungr hafði sigr, en Sveinn flýði (Hkr iii, 57), ‘von dieser Schlacht ist in aller Kürze zu sagen, dass König Magnús den Sieg davontrug und Sveinn floh’. Sveinn entkommt ein ums andere Mal, verbündet sich mit dem schwedischen König und zeitweilig mit Haraldr harðráði Sigurðarson.¹¹² Kurzfristig dünkt sich Magnús dennoch auf dem Höhepunkt einer glücklichen Herrschaft. Seine Entscheidung, Sveinn zum Vertrauten zu machen, erwies sich zwar als falsch; doch sobald Sveinn zeitweilig vertrieben ist, trifft Magnús selbstbewusst eine Entscheidung: Er will nun König Játvarðr von England, der nach dem Tod von Hǫrða-Knútr die Herrschaft übernahm, zur Übergabe des englischen Throns zwingen: mun þá sá ráða lǫndum, er sigrs verðr auðit (Hkr iii, 65), ‘dann mag derjenige die Länder beherrschen, dem der Sieg beschieden ist’. Magnús baut offenkundig auf die glücklichen Zufälle, die ihm zuvor zur Herrschaft in Norwegen verhalfen – und die er nicht als Gottes Fügung, sondern als gutes Geschick ansieht. Das klingt anders, als zuvor ein Traum vom Heiligen Óláfr suggerierte: Dem angedeuteten übernatürlichen Beistand zum Trotz gelang es Magnús tatsächlich nur in langwierigen Schlachten, Sveinn temporär zu vertreiben. Diese ambige Situation skizziert auch Fsk, wenn der Heilige zwar für einen formelhaft-ruhmreichen Sieg (þessi orrosta hefir ágæstust verit á Norðrlǫndum (Fsk 223), ‘dieser Sieg ist der berühmteste im Norden gewesen’) gegen Sveinn verantwortlich gemacht wird, nur zwei Sätze später Sveinn aber bereits wieder angreift und allein aufgrund seines kleineren Heeres unterliegt: þá kom Sveinn Úlfssonr með her sinn í Danmǫrk […]. Var sú skǫmm orrosta, því at Sveinn hafði minna lið, ‘dann kam Sveinn Úlfsson mit seinem Heer nach Dänemark […]. Der Kampf war kurz, weil Sveinn weniger Leute hatte’. Und dann greift Sveinn gleich noch einmal an, erneuter Auftakt einer langen Schlacht, nach der er schließlich zum schwedischen König flieht – Magnús ist es nicht gegeben, Sveinn endgültig zu überwinden, und daran ändert der formelhafte Beistand des Heiligen nichts. Diese Einsicht scheint Magnús zu fehlen, wenn er nach mühevoller Vertreibung Sveinns sogleich an einen Angriff auf Játvarðr denkt – der Magnús’ Plan allerdings ins Wanken bringt, als er auf die Drohung pragmatisch reagiert: mun hann kost eiga at eignask England ok taka mik áðr af lífdǫgum (Hkr iii, 66), ‘Magnús wird Gelegenheit erhalten, sich England anzueignen, aber vorher muss er mir das Leben nehmen’. Msk (i, 79) und Fsk (238) erklären daraufhin das Ausbleiben von Magnús’ Angriff, indem sie diesen und Játvarðr beide zu Schützlingen Gottes erheben: þá skilði Magnús konungr hversu mikill Guðs vin hann er […] ok kvað þat sannligast at hans ríki væri œrit mikit, ef Guð vildi unna honum at njóta. […] hann myndi því týna þar á mot er miklu var meira vert, er ván var til almáttigs Guðs, ef hann dræpi þvílíkan ok Guðs vin sem Játvarðr konungr var.
Vgl. Kap. 3.4.1.
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Da verstand König Magnús, welch großer Schützling Gottes er war […] und er sagte, dass sein Reich tatsächlich schon groß genug sei, wenn Gott ihm erlaube, es zu regieren. […] Er würde etwas verlieren, was viel mehr wert sei, nämlich das Vertrauen in den allmächtigen Gott, falls er einen so großen Anhänger Gottes wie König Játvarðr erschlagen würde.
In Hkr fehlt diese moralische Erklärung, dort will Magnús sich künftig auf die Herrschaft in Norwegen und Dänemark konzentrieren, des Reiches, er guð hefir mik eignask látit (Hkr iii, 67), ‘das Gott mich hat einnehmen lassen’ – das formelhafte Schlusswort einer ambigen Geschichte der Herrschaftsgewinnung.
3.3.5 Begrenzte Cleverness – Haraldr Sigurðarsonar Haraldr Sigurðarson, dessen Geschichte sich mit den späten Jahren von Magnús Óláfsson überschneidet, überlebte die Schlacht bei Stiklastaðir, in der sein Halbbruder Óláfr, der spätere Heilige, fiel. Im dichten Wald vor Nachstellungen verborgen, stellte Haraldr schließlich sein weiteres Leben in diesem liminalen Raum – ein natürlicher Raum der Kontingenz, in dem alles möglich, nichts notwendig oder auch nur wahrscheinlich erscheint – in Frage.¹¹³ Dass er danach zunächst ins Ausland geht, nimmt ihn erzähltechnisch einerseits, wie vor ihm u. a. Hákon Haraldsson und Óláfr Tryggvason, aus dem norwegischen Geschehen heraus. Andererseits erntet Haraldr auf diesen Auslandsfahrten jenen Ruhm, der ihm im Wald noch als ferne Möglichkeit erschien: hverr veit, nema ek verða | víða frægr of síðir, ‘wer weiß, ob ich später weithin berühmt werde?’. Die Erzählstruktur ist in der Forschung weitgehend unbeachtet geblieben. Sverre Bagge fasste die nach moderner Edition ersten siebzehn Kapitel der Saga in Hkr, also Kindheit, Jugend und Auslandsfahrten, lapidar als „Haraldr’s early life as a mercenary in the services of the Greek emporer“ zusammen,¹¹⁴ während Birgit Sawyer oberflächlich resümierte: „In the East he is always victorious, and what he cannot win with weapons he wins with different clever stratagems“.¹¹⁵ Mangelndem Interesse am Detail zum Trotz haben Forscher diese Abenteuerfahrten bemüht, um Haraldr zum Prototyp des „exceptionally intelligent man“ zu stilisieren, der in schwierigen Situationen stets eine Lösung fände.¹¹⁶ Gewiss, in Hkr scheinen die ersten Kapitel der Saga ein Muster hinsichtlich des strategischen Denkens von Haraldr zu etablieren: Sei es mit Hilfe vorbeifliegender Vögel, die Feuer in eine feindliche Festung tragen, oder eines in der Nähe fließenden Flusses, der es Haraldr erlaubt, eine Festungsmauer zu unterhöhlen – der spätere König versteht es, äußere Gegebenheiten Vgl. Kap. 3.2.3. Bagge 1991, S. 47. Sawyer 2015, S. 81 f. Bagge 1991, S. 154; ähnlich Bagge 1997b, S. 54: „The final characterization justly emphasizes his great intelligence. Another quality, however, is not mentioned in the characterization but is very important in the narrative: his self-control. He keeps his head cool even in the most desparate situations, and he is singularly able to deceive people.“
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zu seinen Gunsten zu nutzen. Er besitzt jene Geistesgegenwart, von der Carl von Clauswitz einmal sagte, sie spiele „in einem Gebiete des Unerwarteten, wie der Krieg ist, eine große Rolle […]; denn sie ist ja nichts als eine gesteigerte Besiegung des Unerwarteten“.¹¹⁷ Doch diese Charakterisierung wird frühzeitig dort ambiguisiert, wo es nicht einfach gilt, eine klassische Kriegslist anzuwenden, sondern wo Haraldr zur sozialen Interaktion gezwungen ist – in diesen Momenten wird jede Cleverness regelmäßig ad absurdum geführt.¹¹⁸ Das Unerwartete erweist sich als das Zufällige, das vom Menschen nicht kontrolliert, sondern auf das allenfalls reagiert werden kann. Und dafür liefern bereits die frühen Auslandsjahre von Haraldr bezeichnende Beispiele. Bald gerät Haraldr nämlich zunehmend mit anderen Mächtigen aneinander, darunter mit Gyrgir, dem Befehlshaber der griechischen Armee. Nachdem sie viele Schlachten Seite an Seite geschlagen haben, so wird erzählt, geschieht es, dass die Männer von Haraldr einen Zeltplatz vor den Griechen erreichen; in allen Saga-Fassungen bleibt diese frühe Ankunft unerklärt: þat var eitt hvert sinn, ‘eines Tages geschah es’.¹¹⁹ Umso mehr wird dieser Umstand betont, als Haraldr explizit darauf hinweist, auch die Griechen hätten die Ersten vor Ort sein können: ef þér komið fyrri til náttbóls, þá takið þér yðr náttstað, þá munu vér þar tjalda í ǫðrum stað (Hkr iii, 72), ‘wenn ihr zuerst zum Nachtlager kommt, dann wählt ihr euren Lagerplatz und wir werden an anderer Stelle lagern’. In Msk (i, 91) und Fsk (228 f.) wird diese Problematik des Zufälligen sofort auf eine Hierarchiefrage konzentriert: Weder Skandinavier noch Griechen wollen einen tiefer gelegenen Lagerplatz einnehmen als die andere Partei. Sicherlich spielt dieser Gedanke auch in Hkr hinein, doch wird dort der kontingente Status der Situation hervorgehoben, wenn es heißt: þar er svá háttat, at land er blautt, ok þegar er regn koma þar, þá er illt at búa þar, er lágt liggr, ‘es ist in dieser Gegend Griechenlands eine Eigenart, dass das Land feucht ist, und wenn es regnet, dann ist es unangenehm, in den Niederungen zu lagern’. Vor dieser Bemerkung des Erzählers erscheint der Konflikt in anderem Licht: Weder vermag Haraldr seine vermeintliche Cleverness angesichts der zufälligen Konstellation auszuspielen, noch erscheint der Streit als bloßes Kräftemessen zweier Anführer. Der durch unkontrollierbare zeitliche und räumliche Umstände geschaffene kontingente Raum ist noch insofern betont, als der unerwünschte
Zitiert nach Böhme 2011, S. 404. Auf den ambigen Charakter von Haraldr verwies bereits Bjarni Aðalbjarnarson 1951, S. xxxviii, mit Hinweis auf die diversen Kurzgeschichten in Msk: „Þættir Morkinskinnu leiða í ljós allólíka eiginleika í fari Haralds, svo að mönnum verður varla ætlað að trúa, að hann hafi í rauninni verið svo blandinn“, ‘die Kurzgeschichten der Morkinskinna bringen derart unterschiedliche Eigenschaften von Haraldr ans Licht, dass man kaum von den Leuten erwarten kann zu glauben, dass er tatsächlich so schillernd gewesen sei’; dem stimmten Ármann Jakobsson/Þórður I. Guðjónsson 2011, S. lxi, später ausdrücklich zu: „Haraldur harðráði er margbrotnasta persóna Morkinskinnu. Hann er jafnvel ótrúlega margbrotinn“, ‘Haraldr der Harte ist die komplexeste Figur der Morkinskinna. Er ist sogar unglaublich komplex’. Eine Formulierung, die auch im mittelhochdeutschen Roman zufällige Begebenheiten einleitet, etwa in der Form eins tages oder des selben tages quam ez sô (vgl. Gerok-Reiter 2010, S. 145).
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Regen an diesem Tag ja gar kein Faktum, sondern bloße Möglichkeit ist. Und es ist für den weiteren Erzählverlauf bezeichnend, dass keiner der Feldherren diese irritierende Erfahrung anders zu beantworten weiß als durch die Androhung von Gewalt. Dass es nicht zum Kampf kommt, wird zunächst nach bekanntem Muster durch die Intervention kluger Männer erklärt: Die Besten und Weisesten (inir beztu menn ok inir vitrustu) werden herbeigerufen, um den drohenden Kampf zu verhindern. Doch wo etwa die Magnúss saga góða dieses Ratgeben als ausgleichenden Faktor funktionalisierte, da wird diese Erwartungshaltung nun gerade nicht erfüllt: In der festgefahrenen Situation neue Handlungsoptionen zu öffnen, liegt außerhalb menschlicher Einflussnahme, eine Lösung durch rationales Abwägen scheitert – ähnlich etwa der Hákonar saga góða. Und so ist es der Zufall, der in allen Fassungen entscheiden soll: Die Weisen lassen Lose werfen. Und erst in dem Moment, in dem Haraldr sein Los fest in Händen hält, greift seine Gerissenheit wieder, wenn er Gyrgir betrügt. Gegenüber Óláfr Haraldsson, dessen Würfel im rechten Moment zerbrach,¹²⁰ fußt der Erfolg von Haraldr auf aktivem Handeln – aber dieses clevere Handeln greift allein punktuell und wird immer wieder an eine Grenze gebracht. Anders Msk: Gleichsam als Versuch, die Kontingenz im Aufstieg von Haraldr zum Herrscher zu dekonstruieren, erscheint frühzeitig der formelhafte Verweis auf das Königsglück: giptan myndi ráða (Msk i, 97), ‘möge das Glück walten’, mit diesen Worten entzieht Haraldr den Ausgang jenes Planes, eine starke Festung durch den vorbeifließenden Fluss zu unterhöhlen, der menschlichen Einflussnahme. Neben solchem Glück untermauert Msk die Charakterisierung von Haraldr als cleverem Anführer, wenn es um die Eroberung der letzten und am stärksten befestigten Burg geht. In einer langen Ansprache (über eine Seite in moderner Edition) informiert Haraldr über seinen Plan: þá skuldu þér segja mik sjúkan […] ok segja þá andlát mitt (Msk i, 103), ‘dann sollt ihr sagen, dass ich krank sei […] und dann meinen Tod verkünden’. Bei der folgenden Scheinbestattung wird den Männer Zutritt zur Festung gewehrt: Kaum haben sie diese betreten, starten sie einen vernichtenden Angriff gegen die überraschten Feinde, und Haraldr, laut Msk gar nicht im Sarg, sondern als Sargträger (hafði borit kistuna) vor Ort, kämpft in erster Reihe. Diese Erzählung, wiederum ein Topos der Kriegsführung,¹²¹ präsentiert auch Fsk (232). Shami Ghosh meinte, die entsprechende Episode in Hkr sei nun eine deutliche Straffung gegenüber Msk,¹²² doch diese Deutung widmet dem Detail zu wenig Aufmerksamkeit. Denn weder verschreibt sich Haraldr in Hkr einem diffusen Glück, noch findet sich dort irgendein Wort zu seinen Plänen, die finale Festung durch eine Kriegslist zu erobern. Vielmehr wird erzählt, dass Haraldr nach erfolgloser Belagerung schwer erkrankte und man schließlich im Heerlager erzählte, er sei gestorben: er þeir hǫfðu litla hríð Vgl. Kap. 3.3.3.4. Vgl. White 2005, S. 99 f. Finlay 2015, S. 86, sah diese Episode als Paradebeispiel für jene „garbled and exaggerated incidents with some historical basis“, die die Haralds saga Sigurðarsonar angeblich prägten. Vgl. Ghosh 2011, S. 160.
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dvalzk, þá fekk Haraldr sjúkleik […]. Þar kom, at svá þrøngði sótt Haraldi, at andlát hans var sagt (Hkr iii, 80). Wie wenig dieser Umstand irgendeine List widerspiegelt, zeigt sich darin, dass der Erzähler zweimal betont, die Krieger seien durch den schlechten Zustand ihres Anführers psychischem Stress ausgesetzt gewesen (hugsjúkr, dapr) – eine denkbar schlechte Ausgangslage. Gleichwohl, und hierin stimmt Hkr mit den anderen Fassungen überein, wagen die Männer von Haraldr bei der folgenden Bestattung einen Angriff gegen die Festungsbesatzung. Doch Haraldr übernimmt darin keine Rolle, findet keine Erwähnung – und das Kapitel schließt, ohne die Situation aufzulösen. Selbst wenn man diesen temporär kontingenten Status von Haraldr – Hákon Haraldssons frühen Jahren in England ähnlich – ausklammert, erscheint sein Sieg über die stärkste Festung nicht wie in Msk und Fsk als finale Bestätigung seiner Gerissenheit – eine „exercise of cunning“, wie Marlene Ciklamini formulierte¹²³ –, sondern als retrospektiv glückliches Resultat des zunächst unglücklichen (weil die Kampfmoral der Truppe schwächenden) Zufalls, dass Haraldr bei der Belagerung schwer erkrankte. Die Kompetenz von Haraldr wird nachfolgend weiter in Zweifel gezogen. Als er sich nach Jahren im Ausland entscheidet, in Norwegen Herrschaftsansprüche geltend zu machen, sieht er sich plötzlich außer Stande, diese Entscheidung umzusetzen: In Byzanz wird er aufgrund von Gerüchten von der griechischen Königin Zóe festgesetzt; solche Gerüchte trieben einst Óláfr Tryggvason aus Russland.¹²⁴ In allen Fassungen kommt nun der Halbbruder von Haraldr, Óláfr helgi, ins Spiel, der hier wie in der Magnúss saga góða einem deus ex machina gleicht. In Hkr wird er nun in der Weise funktionalisiert, dass er Haraldr in einer Vision wissen lässt, er würde ihm helfen (at hann myndi hjálpa honum (Hkr iii, 85)). Die zugesagte Hilfe erscheint in Gestalt einer unbekannten Frau von hohem Stand (ein rík kona), die Haraldr mit Hilfe einiger Dienerinnen aus dem Verlies befreit. Trotz detaillierter Schilderung der Aktion scheint den Verfasser diese Episode nicht recht überzeugt zu haben; er fügt erklärend an, diese plötzlich auftauchende Frau sei früher einmal durch Óláfr geheilt worden, daher diesem (und Haraldr) zu Dank verpflichtet gewesen. Stärker ins Zentrum wird Óláfr in Msk gerückt: Hier wird Haraldr zusammen mit zwei Gefolgsleuten und einer monströsen Schlange eingesperrt. Angesichts der tödlichen Gefahr gibt Haraldr den bestimmten Rat: heita á Óláf konung, bróður minn, at hann leysi oss (Msk i, 110), ‘lasst uns König Óláfr anrufen, meinen Bruder, dass er uns befreie’. Die drei Männer attackieren daraufhin die übermächtige Schlange, en með hamingju ok trausti Óláfs konungs, ‘und mit dem Glück und dem Vertrauen in König Óláfr’ gelingt es den Männern, das Tier zu töten. In der folgenden Nacht taucht dann eine rettende Frau an der Mauer auf und betont: því kom ek hingat […] at Óláfr konungr vill leysa yðr (Msk i, 111), ‘ich kam hierher, weil König Óláfr euch befreien will’. Daraufhin danken die Männer Gott und
Ciklamini 1978, S. 136. Vgl. Kap. 3.3.2.1.
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Óláfr für ihre Rettung, und zwischen Haraldr und der Frau entspinnt sich ein Dialog über Inhalte und Bedeutung der visionären Erscheinung.¹²⁵ Haraldr „several of the deadly sins (superbia, avaritia, luxuria, invidia, and ira)“¹²⁶ zu unterstellen, wie Birgit Sawyer für Hkr argumentierte, mag diesen allzu negativ zeichnen. Aber auch Theodore Anderssons gegenläufige Bemerkung, der Sagaverfasser von Hkr sei darauf bedacht, jede negative Kennzeichnung von Haraldr fernzuhalten,¹²⁷ ist einseitig. Gerade in Hkr ist Haraldr im Blick auf seine frühen Jahre in stärkerem Maße als in anderen Fassungen als ambige Figur gekennzeichnet. Zwar hat er, wie Sawyer festhielt, „great ambitions and obviously long-term plans“, doch beschränken sich diese Auszeichnungen letztlich darauf, das zu erobern, „what he regarded as ‘his own ancestral possessionsʼ“.¹²⁸ Und selbst diese Kompetenz wird angezweifelt, wenn Haraldr sich durch wachsenden Widerwillen gegen Beratung auszeichnet: Haraldr konungr var ríklundaðr, ok óx þat, sem hann festisk í landinu, ok kom svá, at flestum mǫnnum dugði illa at mæla móti honum eða draga fram annat mál en þat, er hann vildi vera láta (Hkr iii, 123), ‘König Haraldr war ein herrsüchtiger Mann und dieser Charakterzug nahm zu, als er sich im Land etablierte, und schließlich kam es so, dass es den meisten Leuten schlecht erging, wenn sie mit ihm nicht übereinstimmten oder andere Dinge befürworteten als diejenigen, die er befürwortet sehen wollte’. Die damit einhergehende Reduzierung von Handlungsoptionen lässt den Werdegang von Haraldr in Hkr ambivalent erscheinen, deutet einerseits eine Engführung der künftigen Entwicklung an, bricht andererseits mit dem Muster eines Herrschers, der in jeder Situation aus eigenem Antrieb eine Lösung findet.
3.3.6 Zufällig König – Magnús berfœttr Óláfsson Haraldr Sigurðarsons Enkel Magnús berfœttr Óláfsson wurde zum König ernannt, nachdem sein Vater, Óláfr kyrri Haraldsson, der Stille, an einer Krankheit gestorben war. Nach dem Tod von Haraldr durch einen Pfeilschuss¹²⁹ war zunächst dessen Sohn, ebenfalls Magnús mit Namen, Herrscher über Norwegen gewesen, doch kurz nachdem der Frieden mit Dänemark erneuert worden war, starb auch dieser unerwartet an einer Hautkrankheit (reformasótt). Zu Magnús’ Bruder, jenem Óláfr kyrri, weiß Hkr wenig mehr zu berichten, als dass unter seiner Regierung Friede herrschte. Sverre Bagge war
Der Kommentar bei Sawyer 2015, S. 83, Haraldr sei ein „Womanizer“, dürfte eine allzu weite Auslegung dieser Passage sein. An Königin Zóe bindet Haraldr nichts, deren Tochter Maria entführt er des Nachts gewaltsam (tóku hana í brot með valdi), um sie als Werkzeug der Machtdemonstration zu gebrauchen, und jene vornehme Frau, die seine Rettung aus dem Verlies bewerkstelligt, bleibt schemenhaft. Sawyer 2015, S. 81. Vgl. Andersson 2012, S. 127 f. Sawyer 2015, S. 82. Vgl. Kap. 3.5.6.
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der Ansicht, „the peaceful Óláfr kyrri“ habe in einem Missverhältnis zu seinem „warlike father and son, Haraldr harðráði and Magnús berfoetr“ gestanden, doch der Charakterisierung von Óláfr als „a rather dull and insignificant person“¹³⁰ hielt Birgit Sawyer entgegen, andere Quellen würden Óláfr als Initiator wichtiger Entwicklungen in Norwegen präsentieren:¹³¹ So verweist Msk auf ár mikit í Nóregi ok margfǫld gœzka (Msk ii, 10), ‘große Ernte und viel Redlichkeit’ in den Regierungsjahren von Óláfr, wird dieser dort mit dem legendären Haraldr hárfagri verglichen und als weitsichtiger Innen- und Außenpolitiker sowie Kulturmäzen präsentiert. Das Desinteresse an einer Würdigung der Taten von Óláfr kyrri in Hkr erklärte Sawyer abweichend damit, diese Fassung sei wesentlich „a criticism of ‘bad’ kings, who therefore get most space“.¹³² Auch Theodore Andersson und Kari Gade betonten: „The uneventfulness of Óláfr kyrri’s career is by no means held against him, while Magnús berfœttr seems choleric and rash and beyond the control of his advisers“.¹³³ Krass erscheint gegenüber Óláfr kyrri in der Tat der Kontrast zu seinem Sohn Magnús, dessen Ernennung zum König von Beginn an zu Konflikten führt, da ein weiterer Enkel von Haraldr Sigurðarson, Hákon Magnússon, ebenfalls zum Herrscher ausgerufen wird. Dass sich Magnús als König zu behaupten weiß, verdankt er schließlich einem Zufall, doch zunächst ist seine Stellung unsicher: Der großzügige Hákon ist bei den Bauern viel beliebter und bezieht selbstbewusst den alten Herrschersitz in Þrándheimr. Magnús setzt daraufhin mit einer Armada an Kriegsschiffen ein gewalttätiges Zeichen. Hákon hält mit einem stattlichen Heer (allsherjalið) dagegen, entschließt sich aber, die Stadt zu verlassen, wodurch die Erzählung eine Wendung nehmen kann; die Bewohner von Þrándheimr machten zuvor deutlich, dass sie Hákon stets zur Seite stehen würde: allir menn hétu honum vingan með góðum vilja ok fylgð, ef þyrfti, ok fylgði honum lýðr allr (Hkr iii, 212; Msk ii, 18), ‘alle Männer versicherten ihm gutwillig ihre Freundschaft und ihren Beistand, sofern nötig, und das ganze Volk folgte ihm’. Gegen diesen Hákon hätte Magnús einen schweren Stand gehabt – wäre es nicht so gekommen, dass Hákon kurz nachdem er Þrándheimr verlassen hat, bei einem Ritt durch die Berge auf ein Schneehuhn trifft, das ihn spontan zur Verfolgung reizt: reið hann um dag eptir rjúpu nǫkkurri, er fló undan honum, ‘er ritt den ganzen Tag lang einem Schneehuhn hinterher, das vor ihm flog’. Hákon, dem beliebten Herrscher, wird diese eigenartige Verfolgung zum Verhängnis: þá varð hann sjúkr ok fekk banasótt ok andaðisk þar á fjallinu, ‘da erkrankte er und wurde todkrank und starb noch im Gebirge’. Die unerwartete Szene erinnert an die Erzählung um den Pelzjäger Atti, der seine üppige Beute verlor, weil er unter widrigen Bedingungen auf ein Eichhörnchen traf ¹³⁴ – diese Geschichte auf ihre subtile Botschaft hin zu prüfen, wurde explizit als Aufgabe gestellt, und man wird auch Hákons
Bagge 1991, S. 156. Sawyer 2015, S. 85. Sawyer 2015, S. 86. Andersson/Gade 2000, S. 65. Vgl. Kap. 3.3.3.4.
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Tod bei der Verfolgung eines Schneehuhns als geradezu abstrusen Zufall mit weitreichenden historischen Konsequenzen deuten müssen. Magnús’ mächtiger Konkurrent ist beseitigt, doch in positivem Licht erscheint er selbst weiterhin nicht: Sein nächster Gegner ist nun Hákons Ziehvater Þórir, gamall maðr ok þungfœrr (Hkr iii, 213), ‘ein alter und gehbehinderter Mann’, der sich mit einem Dänen namens Sveinn¹³⁵ gegen Magnús verbündet. Dass Magnús Þórir schließlich gefangensetzen und umbringen lassen kann, erklärt Hkr mit dem wiederholten Hinweis, Þórir sei so altersschwach gewesen, dass er kaum noch laufen konnte (hrumr at fótum; reikaði hann á fótum) – ein glücklicher Zufall für Magnús, aber keine rühmliche Tat. In Msk wird ein ganz anderes Bild gezeichnet: Hier tritt Þórir als tatkräftiger Anführer in Erscheinung, der Magnús erheblichen Schaden zufügt, bevor er schließlich eine fatale Fehleinschätzung begeht: Nach der Flucht zu Wasser gehen er und seine Männer an Land ok hugðusk fengit hafa meginland (Msk ii, 24), ‘und dachten, das Festland erreicht zu haben’ – tatsächlich sind sie auf einer Schäre gelandet (en þat var þó eyland), auf der sie Magnús nicht mehr entkommen können. Ill eru ill ráð (Hkr iii, 216; Msk ii, 27; Fsk 305), ‘Böses bringt böser Rat’, sind die letzten Worte von Þórir, bevor Magnús ihn hängen lässt. Eine pessimistische Maxime, die im konkreten Erzählzusammenhang nicht verortet ist, vielmehr ein weiteres Mal als generelle Einsicht in den Lauf der Dinge erscheint, der erfahrungsgemäß zum Schlechten tendiert. Ambig ist aber auch Magnús’ Reaktion auf die Vollstreckung des selbstgefällten Urteils, wenn der Erzähler betont, der König sei sehr zornig (svá reiðr) gewesen, weil keiner um Gnade für Þórir hatte bitten wollen; Bagge hielt richtig fest: „It appears, however, that he had wanted them to do so. Þórir’s fate was thus more the result of unfortunate circumstances than political calculation“.¹³⁶
3.3.7 Diesen Rat will ich nicht – Magnús Óláfssons Söhne und Enkel Als König Magnús Óláfsson nach einer Verkettung unglücklicher Umstände in einem Hinterhalt gestorben war,¹³⁷ übernahmen seine Söhne Sigurðr, Óláfr und Eysteinn die Herrschaft. Doch so wie die Herrschaftsjahre ihres Vaters von Unsicherheit geprägt waren, so wird auch ihr Machtanspruch in Frage gestellt. Dies bemerkenswerterweise durch Männer, die ausgerechnet zur Zeit der Herrschaftsübernahme aus Jerusalem heimkehren und von denen gesagt wird, dass sie einst das Land unter Magnús verließen: Skopti und seine Söhne hatten sich mit dem König zerstritten und waren daraufhin gut gerüstet ins Mittelmeer und nach Rom aufgebrochen – doch alle seien auf dieser Fahrt gestorben, so seinerzeit der Erzähler.¹³⁸ Dieser für Magnús damals Vgl. Bagge 1991, S. 130: „[…] a man of Danish noble descent, whose genealogy Snorri does not attempt to trace“. Bagge 1991, S. 167. Vgl. Kap. 3.5.7. Vgl. Kap. 3.4.4.
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glückliche Zufall, der erklärte, warum er von Skopti nicht mehr bedrängt wurde, wird nun in Zweifel gezogen, wenn es heißt, dass Gefolgsleute von Skopti nicht nur doch bis ins Heilige Land gekommen seien, sondern nun sogar mit reichen Gütern und neuen Erfahrungen heimkehren. Die Erzählung erweist sich als unzuverlässig, die Herrschaft von Magnús’ Söhnen steht von Beginn an unter kontingentem Vorzeichen. In Reaktion darauf beschließt Sigurðr, eine ähnliche Fahrt zu wagen; nach dreijähriger Reise mit ausführlich geschilderten Kämpfen und Besuchen rund um Jersualem und Byzanz kehrt er als Sigurðr Jórsalafari, der Jerusalemreisende, in voller Pracht nach Skandinavien zurück. Dort hat derweil sein Bruder Eysteinn das Reich durch Klugheit (með viti), ausdrücklich aber ohne Gewalt (eigi með áhlaupum), vergrößert (Hkr iii, 256). Diese generelle Auszeichnung der Söhne von Magnús wird aber in einer kurzen Episode sofort wieder in Zweifel gezogen: Sigurðr bringt eine Kreuzesreliquie mit, die er an der äußersten Ostgrenze des Landes aufstellt, damit sie das ganze Land schützen möge (alls lands gæzlu). Der Erzähler markiert diese Machtdemonstration in seltener Schärfe als ambig: þat varð inu mesta óráði at setja þann helgan dóm svá mjǫk undir vald heiðinna manna, sem síðan reyndisk (Hkr iii, 258), ‘es war sehr unklug, diese heilige Reliquie derart in den Einflussbereich der heidnischen Männer zu bringen, wie sich später zeigte’. Während die Kreuzesreliquie innerhalb der Erzählwelt noch als positives Zeichen fungiert, wird sie für den Rezipienten durch diesen Erzählerkommentar bereits zum Zeichen der Unsicherheit, sie betont eine noch offene Wendung in einem geographischen Grenzraum – die zielgerichtete Handlung von Sigurðr, die den unsicheren Status der eigenen Herrschaft zum Positiven wenden sollte, erscheint kontingent. In Msk und Fsk fehlt diese Episode, doch findet sich in Msk eine andere bemerkenswerte Episode, in der Eysteinn einen Traum seines Bruders deutet: Es scheint ihm, dass Sigurðr jener der drei Brüder sein würde, der am längsten leben und regieren würde; zugleich merkt er an, dass dieses lange Leben eine Zeit der schweren traumatischen Krankheit werden könne: en vera kann at þú mœtir nǫkkuru þungu áfelli (Msk ii, 108). Wie die Kreuzesreliquie in Hkr, so wird auch hier das Leben des Jerusalemfahrers ambiguisiert, gegen dessen Streben mit einer Tendenz zum Negative. Unterschiedlich wird in den verschiedenen Fassungen der folgende Bruch zwischen Sigurðr und Eysteinn motiviert. Msk (ii, 114– 131) entwickelt einen langwierigen Rechtsstreit, der das Verhältnis der Brüder abkühlen lässt: sá atburðr gerðisk at þeir brœðr váru á einni veizlu, Eysteinn konungr ok Sigurðr konungr, at Sigurðr konungr var fálátr, ok fengu menn lítt orð af honum (Msk ii, 131), ‘dieses Ereignis führte dazu, dass, als die Brüder König Eysteinn und König Sigurðr bei einem Mahl zusammensaßen, Sigurðr schweigsam war und die Männer wenige Worte aus ihm herausbrachten’. Eysteinn wird gebeten, den Bruder anzusprechen, woraus rasch ein emotionaler Männervergleich erwächst. Gegenüber dieser gradlinigen Entwicklung erscheint die Erzählung in Hkr in anderem Licht, ist es ein banaler Zufall, der den Frieden beendet: Eines Winterabends (einn vetr […] um kveldit), so wird erzählt, sei das Bier nicht gut gewesen (þá var mungát ekki gott), die Männer daher mürrisch – der gezielt anberaumte Männervergleich zwischen Sigurðr und Eysteinn erscheint als willkommene
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Unterhaltung des unzufriedenen Gefolges: mun þá enn á reitask gaman manna (Hkr iii, 259), ‘dann wird sich Vergnügen bei den Männern einstellen’. Der Vergleich führt indes zum Streit, die gemeinsame Herrschaft ist nicht mehr sicher, die Entwicklung des weiteren Geschehens offen. Erneut scheint der Erzähler der markierten Kontingenz des Geschehens kurzfristig entgegenzuarbeiten, wenn er bemerkt, der Friede zwischen den Brüdern habe dennoch gehalten, solange sie lebten (en helzk þó friðr milli þeira, meðan þeir lifðu) – dieser nachgeschobene Hinweis fehlt in Msk. Allerdings ist diese Entspannung nur von kurzer Dauer, den faktisch befällt Eysteinn in beiden Fassungen kurz darauf eine tödliche Krankheit (bráðasótt). Während diesem Tod in Msk angesichts der längst entzweiten Brüder keine narrative Bedeutung mehr zukommt, invertiert er in Hkr die kurz zuvor noch einmal überwundene Unsicherheit umso deutlicher. Wohl halten beiden Fassungen fest, dass Sigurðr damit Alleinherrscher über Norwegen war, solange er lebte. Msk (ii, 141) verweist auf den prosperierenden Reichtum von Sigurðr (engi var ríkari í Nóregi) und auf das Errichten einer stattlichen Festung, in der er ein Kreuz aufstellen lässt (von dem zuvor nur in Hkr die Rede war), doch hängt die Voraussage eines traumatischen Lebens drohend über dem König. In Hkr wird die Stellung von Sigurðr noch deutlicher in Zweifel gezogen. Zwar scheint er die Position, die er mit dem Aufstellen der Kreuzesreliquie manifestieren wollte, durch ein Bündnis mit Dänemark noch stärken zu können: Der dänische König Níkolás Sveinsson, Stiefvater von Sigurðr, bittet den ehemaligen Kreuzfahrer, den Kampf gegen die schwedischen Heiden zu unterstützen: var þann tíma víða í Svíaveldi mart fólk heiðit ok mart illa kristit (Hkr iii, 263), ‘zu jener Zeit waren im Schwedenreich viele Leute heidnisch und viele schlechte Christen’. Selbstbewusst zieht Sigurðr die norwegische Flotte zusammen. Doch wo die Reliquie vom Erzähler als ambig gekennzeichnet wurde, da schlägt auch diese Machtdemonstration ins Gegenteil um: Die Musterung der übergroßen Armada nimmt viel Zeit in Anspruch und derweil – fyrr miklu, ‘viel früher’ – ist der dänische König am verabredeten Ort eingetroffen und wartet nun lange (beið þar lengi) auf Sigurðr; seine Leute werden mürrisch und vermuteten, die Norweger würden gar nicht mehr kommen: síðan rufu þeir leiðangrinn (Hkr iii, 263), ‘daraufhin brachen sie die Heerfahrt ab’. Just als die Dänen den Treffpunkt verlassen haben, taucht Sigurðr mit seinem riesigen Heer auf und ist nun seinerseits über die ihm unerklärliche Abwesenheit der Dänen verärgert. Während dem Rezipienten die unglückliche Koinzidenz durch die wechselnde Perspektive klar vor Augen steht, bleibt den Figuren dieser Zusammenhang verschlossen: Sigurðr wirft dem Dänenkönig Wortbruch (lausyrði) vor – und bei der folgenden Beratung wird beschlossen, im dänischen Reich zu heeren. Obwohl Sigurðr dabei reiche Beute macht, mutet der Kommentar des Erzählers ironisch an: þenna einn leiðangr røri Sigurðr konungr, meðan hann var konungr (Hkr iii, 264), ‘König Sigurðr unternahm diesen einzigen Heerzug, während er Herrscher war’. Hkr schließt mit der Bemerkung, Sigurðr sei anschließend fast drei Jahrzehnte lang König gewesen, doch der Zusatz: var hans ǫld góð landsfolki, var þá ár ok friðr (Hkr iii, 277), ‘seine Regierung war gut für das Volk, es herrschten gute Ernte und Friede’, erscheint gegenüber den detaillierter
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geschilderten frühen Regierungsjahren formelhaft. Dieser disparate Eindruck ist umso stärker, als der Erzähler anfügt, Sigurðr habe an zunehmender Geisteskrankheit gelitten, die sich u. a. in maßlosem Gelächter manifestiert habe: þá sló á hann hlátri svá miklum, at þar flygði staðleysi, ok kom þat síðan mjǫk optliga at honum (Hkr iii, 262), ‘da brach er in solches Gelächer aus, dass er wie von Sinnen war, und das kam später sehr oft über ihn’. Ármann Jakobsson deutete die Hervorhebung dieser Geisteskrankheit auch in Msk zu Recht als Zeichen der „volatility of fortune“: „Following the splendour of King Sigurðr’s grand European tour comes the terror of his mental decline“.¹³⁹ Die Ursache für den geistigen Verfall von Sigurðr dürfte ausgerechnet in jener Unternehmung liegen, die ihn einst berühmt machte: in seiner Fahrt ins Heilige Land kurz nach dem Ende des Ersten Kreuzzugs, eine Fahrt, bei der er gar im Jordan badete,¹⁴⁰ deren potenzielle Kriegsgreuel den jugendlichen Sigurðr aber auch nachhaltig geschädigt haben mögen.¹⁴¹ Ein ironisch-tragisches Beispiel für die in den Königssagas betonte Unbeständigkeit von (Herrscher‐)Geschichte. Nach Sigurðr übernimmt der Sohn Magnús die Herrschaft, doch dessen selbstverliebte Art treibt zahlreiche Männer rasch in die Arme des Konkurrenten Haraldr gilli, ein plötzlich in Erscheinung tretender Halbbruder von Sigurðr. Zwar kann sich Magnús anfangs noch mithilfe eines größeren Heeres durchsetzen, doch erkennt er, dass es sich nur um einen Aufschub handelt. Sigurðr Sigurðarson, der alte Berater von Magnús’ Vater, tritt hinzu und rät zu Friedensverhandlungen mit Haraldr: þykki mér líkligt með orðafulltingi góðra manna, at Haraldr konungr þekkisk þetta boð ok verði þá sætt milli yðar (Hkr iii, 284), ‘ich halte es für wahrscheinlich, dass König Haraldr dieses Angebot durch die Unterstützung guter Leute annimmt und dann Frieden zwischen euch herrschen wird’. Doch Magnús steht in Hkr in einer Reihe mit Vorfahren wie Haraldr Sigurðarson,¹⁴² die nur die eigenen Ideen gefördert sehen wollen: ek vil ok eigi þenna kost […], gefið þar annat ráð, ‘diese Option will ich nicht, gebt einen anderen Rat’. Sigurðr erinnert Magnús daran, dass er schon einmal einen Rat ausgeschlagen hätte (nämlich den Rat, starke Truppen vor Ort zu behalten), und dass nun allein noch schlimmer Rat (annat ráð, ok er þat illt) möglich sei: Magnús solle alle erschlagen lassen, die ihm nicht beistehen wollen, und mit dem harten Kern wider Harald ziehen. Doch Magnús weist auch diesen Rat zurück: vil ek enn heyra fleiri ráð þín, ‘ich will weitere Ratschläge von dir hören’. Sigurðr fällt nun aus seiner Beraterrolle, wenn er Magnús trocken entgegenhält, er sei des Ratgebens müde, da Magnús weder Frieden noch Krieg wolle: vandask mér nú ráðagørðirnar, er þú vill eigi sættask ok eigi berjask (Hkr iii, 285). Er empfiehlt noch einen geordneten Rückzug, doch auch
Ármann Jakobsson 2014b, S. 29. Náði laugask í hreinu vatni Jórðánar, ‘es gelang ihm, sich im reinen Wasser des Jordans zu waschen’, so zitiert Hkr den Skalden Einarr Skúlason (Hkr iii, 249 f.); der darin angedeutete Gedanke der auch innerlichen Reinigung, die dem König ein besonderes Heil zuteil werden lasse würde, findet sich dann in der weiteren Erzählung in Hkr gerade nicht bestätigt. Vgl. Kap. 2.3.2. Vgl. Kap. 3.3.5.
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dem stimmt Magnús nicht zu, wenn er antwortet: ráð mér betra ráð, ‘gib mir einen besseren Rat’. Sigurðr wendet sich zum Gehen mit den Worten, Sigurðr solle vor Ort sitzen bleiben, bis das gewaltige Heer von Haraldr gilli ihn zermalme. Fsk (323 f.) erzählt dieselbe Episode, in Msk ist an dieser Stelle eine überlieferungsbedingte Lücke. Der kontingente Status von Magnúsʼ Herrschaft wird dann deutlich vor Augen geführt, als sich seine Versuche, die eigene Position zumindest äußerlich durch die Blockierung des Hafens mit Ketten zu sichern, sofort als kontroproduktiv erweisen: Als Haraldr wenig später angreift, versuchen Magnús und seine Leute plötzlich doch, auf Schiffen den Rückzug anzutreten, werden nun aber von den eigenen Ketten zurückgehalten: Magnús konungr gekk út á skip sitt, en þeim var engi kostr brot at fara, þar er járnrekendr gættu fyrir útan (Hkr iii, 286), ‘König Magnús ging auf sein Schiff, aber es gab keine Möglichkeit loszufahren, weil die Eisenketten darum lagen’. Ratlos und in seinem Aktionismus gescheitert, wird Magnús gefangen genommen, geblendet und verstümmelt – eine drastische Konsequenz seiner fehlenden Kompetenz, auf die unsichere Situation vorausschauend zu reagieren. Doch wie so oft wird die Dynamik des Geschehens betont, wenn sich der vermeintliche Sieger Haraldr unmittelbar derselben Situation ausgesetzt sieht, in die er mit seinem Auftauchen zuvor Magnús brachte: Ein weiterer plötzlich erscheinender Mann namens Sigurðr slembir behauptet nun, ebenfalls Nachkomme von Magnús Óláfsson zu sein. Haraldr bespricht sich mit seinen Beratern und man einigt sich, Sigurðr zu ermorden. Doch ein Zufall vereitelt den Plan: Die Mannschaft, die Sigurðr in die Gefangenschaft führen soll, ist völlig betrunken: váru þeir kátir ok drukknir (Hkr iii, 299). Sigurðr entkommt und ruft nun selbst eine Beratung mit seinen Anhängern ein, darunter vermeintliche Gefolgsleute von Haraldr, die Sigurðr die Lage des Nachtgemachs des Königs verraten. Ironischerweise hatte König Haraldr selbst diese fatale Auskunft gegeben, als ein vorgeblicher Gefolgsmann ihn fragte, ob er die Nacht bei seiner Ehefrau oder seiner Gebliebten verbringen würde: þá svaraði konungr hlæjandi ok var mjǫk óvitandi (Hkr iii, 300), ‘da antwortete der König lachend und war äußerst unwissend’. Der Triumph von Haraldr über Magnús ist in einem kontingenten Zustand längst wieder aufgehoben. Und Sigurðr kommt ein weiterer Zufall zur Hilfe, denn auch Haraldr ist in der Nacht betrunken und bemerkt den Angriff zu spät. Mehr noch: Wo der Erzähler Haraldr in früheren Auseinandersetzungen in positivem Licht darstellte, da ambiguisiert er dessen Charakter nun spöttisch, wenn er bemerkt, Haraldr habe bei diesem Angriff zunächst geglaubt, seine Geliebte würde ihn hart angehen: sárt býr þú nú við mik, Þóra, ‘jetzt verfährst du hart mit mir, Þóra’ – Sigurðr erschlägt ihn. Doch, die Dynamik fortsetzend, auch der vermeintliche Erfolg von Sigurðr, der der Verkettung mehrerer Zufälle verdankt war, erweist sich als flüchtige Momentaufnahme. Unmittelbar nach seiner Tat wird Sigurðr vom Volk (das hier abermals bedrohlich in Erscheinung tritt) mit zwei Alternativdeutungen seiner Tat konfrontiert, zwischen denen er keine Wahl treffen kann: Entweder sei Sigurðr tatsächlich der Bruder von Haraldr (also von königlichem Blut) gewesen, dann habe er schändlichen Brudermord begangen; oder aber er sei nicht dessen Bruder, dann aber
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habe er keinen Herrschaftsanspruch – Sigurðr muss fliehen. Dieselbe Episode findet sich in Msk (ii, 177 f.), in Fsk (328) wird der Kommentar im Bett ausgelassen. Sverre Bagges griffig formulierte Meinung, „that conflicts take place within a certain social order and in a rather static society. […] The game is a zero sum game within relatively fixed limits and the fight is not a breach against the social order; it is part of it“,¹⁴³ ist hier insofern stimmig, als man tatsächlich von einem Nullsummenspiel sprechen kann – jeder Erfolg ist flüchtig. Bagges Ansicht, darin sei eine statische Gesellschaft abgebildet, fügt sich aber gerade nicht zu den vorausgehenden Beobachtungen – konstanter Faktor ist die Unbeständigkeit des Geschehens und damit von sozialer Ordnung generell: Konflikte, die politische und gesellschaftliche Konventionen berühren, werden in der Erzählung einerseits durch Zufälle provoziert, andererseits durch Zufälle entschieden. Der Wert konventioneller Verhaltensmuster wird in Zweifel gezogen. Dies in Hkr oft, in Msk gelegentlich mit ironischem Unterton, etwa wenn es schlechtes Bier ist, das zur Entzweiung der Brüder Eysteinn und Sigurðr Magnússon führt, wenn es zuviel Bier ist (sátu þeir lengi og drukku (Msk ii, 148), ‘sie saßen lange und trankenʼ), dass Magnús und Haraldr gilli in einem Männervergleich zu Konkurrenten werden lässt, oder wenn Sigurðr slembir seinem Gegner Haraldr nicht nur entkommen, sondern diesen sogar erschlagen kann, weil sowohl der liebestolle König als auch dessen Gefolgsleute betrunken waren. Der berühmte Jerusalemfahrer Sigurðr Magnússon errichtete eine Kreuzesreliquie gegen Angriffe aus dem Osten, ein Symbol der religiös präfigurierten Ordnung und Sicherheit – doch sein einziger Feldzug als König war dann nicht der geplante Kreuzzug gegen schwedische Heiden, sondern das Plündern der Ländereien seines Stiefvaters, nachdem sich die verbündeten Heere verpasst hatten. Das Ende von Magnús Sigurðarson in Verstümmelung ist ebenso unrühmlich, denn es ist Magnús’ Unfähigkeit, Rat anzunehmen, die ihn in den Untergang führt – und bemerkenswerterweise wird ihm seine einzige getroffene Sicherheitsvorkehrung selbst zum Verhängnis. Sicherlich finden all diese Konflikte, um die Argumentation aufzugreifen, unter Angehörigen einer bestimmten sozialen Schicht statt, aber ein Nullsummenspiel, wie Bagge meinte, wird eine so erzählte Geschichte der norwegischen Könige nicht deshalb, weil diese Gesellschaft statisch ist, sondern weil das Geschehen so dynamisch erzählt wird, dass Entwicklungen ein ums andere Mal kontingent, Ereignisse als Zufälle erscheinen. Ein solches Geschehen kann mittelfristig keine geltende Ordnung und ordnende Geltung beanspruchen.
3.3.8 Ambiger Sieg – Ingi Haraldsson Die bisweilen recht unüberschaubare Erzählung um Ingi Haraldsson, seine Brüder, Berater und Gegner wurde von Birgit Sawyer zum „most complicated“ Teil in Hkr
Bagge 1991, S. 86 f.
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erklärt, „no doubt reflecting the troubled time it describes“.¹⁴⁴ Der Eindruck einer Abfolge chaotischer Ereignisse wird dadurch verstärkt, dass sich das Geschehen nach heutiger Einteilung über mehrere Sagas erstreckt. Nachdem die Erschlagung von Haraldr gilli nicht den gewünschten Erfolg, sondern im Gegenteil Sigurðr slembir in eine unauflösbare Situation brachte, flieht dieser nach Norden. Dort kann er sich allerdings nicht gegen die zu Königen ernannten Söhne von Haraldr durchsetzen: Die Nachricht von dessen Tod war durch ein Schnellboot (hleypiskip) rascher eingetroffen, als Sigurðr erwartet hatte (Hkr iii, 303). Der Versuch, Rückendeckung aus Þrándheimr zu erhalten, misslingt ebenfalls, sodass Sigurðr schließlich auf das Gefolge des einst von Haraldr verstümmelten Magnús Sigurðarson zurückgreifen muss. Im folgenden Jahr kommt es zum Krieg zwischen den Heeren von Ingi Haraldsson und Magnús, eine Auseinandersetzung, die sich durch diverse Schlachten zieht. Magnúsʼ Position scheint sich zu bessern, als sein Verbündeter Sigurðr hinzustößt. Ingi hingegen bittet seinen Bruder, ebenfalls Sigurðr mit Namen, um Hilfe, doch der trifft die Entscheidung zum Beistand erst nach Fürsprache des erfahrenen Beraters Óttarr birtingr, des Strahlenden; von diesem aber wird anschließend berichtet, er sei ums Leben gekommen, weil er das Geräusch eines herabfahrenden Schwertes für einen spielerisch geworfenen Schneeball hielt (Hkr iii, 322) – kein rühmlicher Tod für den Kriegsberater, dessen Kompetenz in diesem absurden Ereignis in Zweifel gezogen wird. Die Brüder Ingi und Sigurðr tragen in der finalen Schlacht gegen Magnús dennoch den Sieg davon; Magnús, blind und lahm, wird vom Gefolgsmann Hreiðarr durch einen Sprung auf ein benachbartes Schiff gerettet: þá var Hreiðarr skotinn spjóti milli herðanna ok þar í gǫgnum, en svá segja menn, at þar fengi Magnús konungr bana af því sama spjóti (Hkr iii, 316), ‘da traf ein Speer Hreiðarr zwischen die Schultern und durchbohrte ihn, und man sagt, dass König Magnús dabei durch denselben Speer seinen Tod fand’– der Retter bedeutet zugleich den Untergang. Magnús’ Verbündeter Sigurðr slembir springt über Bord, schwimmt aber unter dem Schutz seines Schildes ans Ufer – skildir ok spjót ok menn dauðir ok klæði flutu víða hjá skipunum (Hkr iii, 318), ‘Schilde und Speere und Leichen und Kleidung trieben überall zwischen den Schiffen’. Doch so wie Sigurðr seinen Sieg gegen Haraldr gilli nur durch Verrat bewerkstelligen konnte, so wird auch er nun von den eigenen Leuten verraten. Er wird gemartert und erschlagen, wobei der Erzähler nüchtern anführt, Sigurðr sei in einigen Sawyer 2015, S. 96. Sawyer sah hier die zu jener Zeit sich wohl intensivierenden bürgerkriegsähnlichen Zustände in Skandinavien wirksam: „We do not get a clear picture of the Scandinavian context of these wars; they are presented as internal struggles for power. They were not only that, however; the pretenders for the Norwegian thrones all had allies in Sweden and/or Denmark, where there were ‘civil wars’“ (ebd., S. 143).Vgl. Orning 2014, S. 211: „Etter min mening er det vanskelig å finne langvarige, interne faktorer som kan forklare hvorfor stridighetene tiltok i omfang og bitterhet etter 1160. I stedet vil jeg foreslå en alternativ strategi med fokus på mer umiddelbare og eksterne årsaker til denne endringen“, ‘meiner Ansicht nach ist es schwierig, langwierige, interne Faktoren zu finden, die erklären würden, warum die Auseinandersetzungen nach 1160 an Umfang und Verbitterung zunahmen. Stattdessen möchte ich eine alternative Deutung vorschlagen, mit dem Fokus auf eher unmittelbaren und externen Ursachen für diese Veränderung’.
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Dingen halt ein Unglücksmensch gewesen (ógæfumaðr var hann um suma hluti) – die vorausgehende Erschlagung von Haraldr, die Sigurðr gegen alle Planung in eine unlösbare Situation brachte, ist Sinnbild dieser Einschätzung. Zwar steht Ingi nun als Sieger da – doch die Nachhaltigkeit auch seines Siegs ist längst als kontingent markiert, denn Ingi war bereits als Kleinkind in einem Tragegestell zu seiner ersten Schlacht gegen Magnús mitgenommen worden: er þat mál manna, at þá hafi Ingi fengit vanheilendi þat, er hann hafði allan aldr síðan, ok knýtti hryggin, en annarr fótrinn var skemmri en annarr ok svá afllítill, at hann var illa gengr (Hkr iii, 305), ‘man sagt, dass Ingi dort das Gebrechen bekam, an denen er sein ganzes Leben litt, denn sein Rücken wurde gekrümmt, sein einer Fuß war kürzer als der andere und so schwach, dass er nur schlecht gehen konnte’. Ingi besiegte später den verkrüppelten Magnús, der ebenfalls getragen werden musste, doch ist und bleibt er selbst ein Krüppel – die Tendenz weist Richtung Untergang.
3.4 Höhepunkt der Macht 3.4.1 Strategisch ineffektiv – Hákon Haraldsson Der Aufstieg von Hákon góði Haraldsson zum Herrscher Norwegens war einem Zufall verdankt:¹⁴⁵ Hákon hatte den Rat, keinen Krieg gegen die eigenen Landsleute zu führen, im Zorn verworfen, doch die bewaffnete Auseinandersetzung mit Þrándheimr fand dann wider Erwarten nicht statt, weil just vor der Schlacht die Söhne des einst vertriebenen Eiríkr nach Norwegen zurückkehrten – gegen jede Wahrscheinlichkeit, wie Hákon selbst bemerkte (þótti honum lítil ógn af þeim standa). Der unerwartete Angriff veranlasste die zuvor verfeindeten Parteien in Norwegen, sich gegen den neuen Feind zu vereinen. Sverre Bagges Ansicht, Hákon sei „the incarnation of both the two contrasting royal ideals expressed in Heimskringla, the warrior hero and the peaceful, popular king“,¹⁴⁶ findet sich bis zu diesem Zeitpunkt der Erzählung allenfalls in Form zufälliger Gegebenheiten bestätigt, die Hákon zuspielen. Eine Einsicht, die auch Hákon zu haben scheint, wenn er nun erstmals beginnt, weitsichtiger zu planen und Ratschläge ernstzunehmen: hann setti Gulaþingslǫg með ráði Þorleifs spaka, ok hann setti Frostaþingslǫg með ráði Sigurðar jarls ok annarra Þrœnda, þeira er vitrastir váru (Hkr i, 163), ‘er etablierte die Gulaþingslǫg unter Beratung des weisen Þorleifr, und die Frostaþingslǫg mit Rat von Jarl Sigurðr und anderen Leuten aus Þrándheimr, die die klügsten waren’. Weiter ordnet Hákon an, Signalfeuer entlang der Küste zu errichten, durch die im Angriffsfall rasch kommuniziert werden könne. Schien Hákon seine unsichere Kindheit anfänglich durch alternativlose Härte kompensieren zu wollen, so erprobt er nun aufgrund neuer Erfahrungen die Eta-
Vgl. Kap. 3.3.1. Bagge 2004a, S. 205.
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blierung vorausschauender Regeln – und für diese Ordnungsbestrebungen wird er, historisch betrachtet, berühmt. Bemerkenswerterweise widmet Hkr den relevanten zwanzig Jahren der Regierung Hákons aber keinerlei Beachtung. Gerade Hákons Christianisierungspolitik ist in der Erzählung angesichts solcher Sprünge, wie Bagge richtig notierte, „not quite convincing“;¹⁴⁷ umso deutlicher wird, dass es um etwas anderes geht: Der zeitliche Sprung ermöglicht, die von Hákon etablierte Ordnung vor jenem Hintergrund zu testen, der einst diese Ordnungsbemühungen erst anstieß.¹⁴⁸ Zwanzig Jahre nach ihrer einstigen Flucht tauchen die Söhne von Eiríkr erneut in Norwegen auf, und so, wie sie seinerzeit überraschend einfielen, wird auch dieses Mal betont, dass sie zu ihrem Angriff überaus günstigen Wind gehabt hätten (hraðbyr mikit (Hkr i, 176)), der ihnen erlaubte, Tag und Nacht zu segeln. Der anfängliche Erfolg dieses Angriffs wird aber, in erneuter Verkehrung, auch durch die Ordnungsversuche von Hákon ermöglicht, eine Verkehrung, die u. a. an die fatale Hafenbefestigung durch Magnús Sigurðarson erinnert.¹⁴⁹ In seinem Bemühen, die Ordnung in Norwegen aufrechtzuerhalten, hatte Hákon strenge Strafen (viðrlǫg mikil) für diejenigen verhängt, die übereilt die Signalfeuer entzünden würden. Diese Ankündigung wird zwar insofern entschärft, als hinzugefügt wird, die Strafe würde nur greifen, wenn der Schuldige bekannt würde. Vielleicht sind es die Söhne von Eiríkr, die die Wächter auf dem Meer entdecken, vielleicht nicht; vielleicht wäre eine Meldung ein Fehler, vielleicht nicht; vielleicht würde Hákon erfahren, wer möglicherweise einen Fehler gemacht hat, vielleicht nicht – die Kontingenz der Situation lähmt die Wächter: Sie tun nichts. Fsk entfaltet diese Begründung nicht, sondern erwähnt schlicht einen Angriff, dessen Hákon spät gewahr wird: ok var Hákon eigi fyrr varr við […] (Fsk, 81). In Hkr erweist sich Hákons Planung nun im Ernstfall, nach zwanzig Jahren, als fruchtlos, seine Ordnung wird irritiert und kontingent gesetzt.Weder kann hier insofern die Rede sein von Hákons „heroics deeds in defence of his country and people“,¹⁵⁰ wie Bagge meinte, noch pauschal davon, Hákons Beliebtheit beruhe auf seinen „achievements as a lawgiver and organizer of military defense“,¹⁵¹ wie Daphne Davidson zusammenfasste, noch wird man Theodore Andersson darin folgen wollen, dass Hákon durch „stratagem and valor“ glänze.¹⁵² Vielmehr erinnert das Scheitern seiner Ord-
Bagge 1991, S. 45. Diesen Zeitsprung vollzieht auch das Ágrip – en þá er hann hafði fimmtán vetr haldit Nóregi með vinsælð ok með friði […] (Ág, 9), ‘aber als er Norwegen 15 Jahre lang in Beliebtheit und Frieden regiert hatte […]’ –, doch fehlen dort die vorausgehenden Ordnungsbemühungen von Hákon, wird schlicht vermerkt, der König habe viele Schlachten gewonnen. Bagge 2004a, S. 191, betonte, Hkr enthielte „no information about Håkon’s war […] that cannot be explained as an elaboration of Ágrip’s account“ – damit ist allerdings zu Art und Zweck solcher „elaboration“ nichts gesagt, vielmehr stand für Bagge erneut die Frage nach „trustworthy information“ (ebd.) im Vordergrund. Vgl. Kap. 3.3.7. Bagge 2004, S. 206. Davidson 1993, S. 257. Andersson 2016, S. 84.
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nung daran, dass Hákon die Etablierung seiner Herrschaft seinerzeit einem Zufall verdankte. Der König ist insofern bereit, neuen Rat zu akzeptieren: þá lét hann kalla til sín þá menn, er þar váru vitrastir, ok leitaði ráðs við þá (Hkr i, 177), ‘da rief er die weisesten Männer zusammen und fragte sie um Rat’. In Fsk findet solche Beratung keine Erwähnung, im Gegenteil erscheint Hákon der offene Kampf von Beginn an als einzige Möglichkeit (var engi kostr annars af Eiríkssonum en berjask) und er zögert nicht (Hákon konungr lét sik ok eigi dvelja), zu den Waffen zu rufen (Fsk, 81). Schließlich gelingt es ihm zwar in beiden Fassungen, die Angreifer ein weiteres Mal zu vertreiben: Sein Heer ist größer. Doch ist es in Hkr abermals ein Zufall, der Hákon vom Anführer der Erzfeinde, genannt gamli, der Alte, befreit. Hatten gutes Wetter und kräftiger Wind die Söhne von Eiríkr bei ihrem Überraschungsangriff unterstützt, so stechen solche äußeren Bedingungen nun in der Erzählung als kontingent hervor, wenn sie ausgerechnet im Moment der Flucht nachteilig für die Invasoren in Erscheinung treten (Hkr i, 181): Als die Fliehenden die Schiffe erreichen, herrscht Ebbe, mehrere Schiffe sind auf Grund gelaufen (sum skipin váru þá uppi fjǫruð), andere hatten bereits weit ins Wasser hinaus geschoben werden müssen (hǫfðu þeir út hrundit skipunum). Der Alte ist gezwungen, ins Meer hinauszulaufen – und kommt um. Fsk erwähnt die Zusammenhänge nicht, präzisiert aber, der älteste der Söhne sei auf der Flucht ertrunken: tók undan á kaf og drukknaði (Fsk, 82).
3.4.2 Óláfr Haraldsson 3.4.2.1 Schattenseiten der Entscheidungen – Die Orkadenjarle Óláfr Haraldssons Position in Norwegen ist gefestigt, seit er mit seinem langjährigen Widersacher, dem Schwedenkönig Óláfr Eiríksson, Frieden aushandeln konnte; nach einem Würfelspiel schieden die Könige in Eintracht.¹⁵³ Óláfr Haraldsson ist nun bestrebt, seinen Einfluss auszudehnen. Damit rücken nach Westen hin Island und die Färöer in sein Gesichtsfeld, gen Osten das russische Gebiet. Wie im ersten Teil der Saga, der den Aufstieg von Óláfr zum Alleinherrscher Norwegens in mehreren verwobenen Erzählsträngen entfaltete, so ist auch dieser mittlere Teil von zahlreichen Episoden geprägt, deren Bedeutung erst in der Zusammenschau ersichtlich wird. Eines Sommers (þat var eitt sumar), so berichtet Hkr, heert der Orkadenjarl Einarr Sigurðarson in Irland, muss aber große Verluste einstecken: Einarr jarl fekk þár ósigr mikinn ok mannlát (Hkr ii, 163). Diese Niederlage legt er dem Norweger Eyvindr úrarhorn, Auerochshorn, zur Last, der dem Irenkönig beigestanden hatte. Eyvindr, sich dieser Feindschaft bewusst, verlässt im folgenden Sommer Irland, um ins sichere Norwegen zurückzukehren, zu einer Jahreszeit, die eine sichere Überfahrt erwarten lässt. Doch diese Erwartungshaltung erweist sich als falsch: en er veðr var hvasst ok
Vgl. Kap. 3.3.3.4.
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straumar ófœrir, snýr Eyvindr þá til Ásmundarvágs ok lá þar nǫkkura hríð veðrfastr, ‘aber weil das Wetter stürmisch war und die Strömungen unpassierbar, wendete sich Eyvindr nach Ásmundarvág auf den Orkaden und lag dort eine Weile, vom Wetter zurückgehalten’ – ein unglücklicher Zufall, denn als Jarl Einarr von diesem wetterbedingtem Aufenthalt seines Erzfeindes erfährt, zieht er gegen diesen ins Feld und erschlägt ihn. Sverre Bagge hielt zwar richtig fest, dass die Orkaden von Norwegen eigentlich zu weit entfernt lägen, als dass dortige Ereignisse von historischer Bedeutung gewesen wären.¹⁵⁴ Doch für die Erzählung gilt diese Beurteilung nicht, hier spielt das geschilderte Ereignis eine zentrale Rolle: Als Óláfr vom Tod seines Landsmannes Eyvindr erfährt, hält er es für einen argen Verlust (mannskaði mikill), der seine Gesinnung in künftigen Auseinandersetzungen maßgeblich bestimmen wird. Óláfr sucht Rat im Umkreis von Jarl Einarr: hafði hann Þorkel mjǫk við mál sín. Þótti honum, sem var, at Þorkell var vitr maðr, skǫrungr mikill (Hkr ii, 164), ‘der König zog Þorkell [d.i. den Ziehvater von Þorfinnr, dem Bruder von Einarr] in vielen Fragen heran. Es schien ihm, was auch stimmte, dass Þorkell ein weiser und sehr tatkräftiger Mann war’. Daraufhin lädt Óláfr auch Jarl Þorfinnr ein, der zum Bruder, dem Orkadenjarl Einarr, in einem schlechten Verhältnis steht. Über diese Verbindung seines Bruders mit Óláfr erzürnt nun Einarr derart, dass er die vom dritten Bruder Brúsi vereinbarten Friedensverhandlungen mit Þorfinnr durch Verrat zu hintergehen gedenkt. Þorkell, mit dem Einarr sich nur scheinbar versöhnt hatte, erhält allerdings rechtzeitig Nachricht vom geplanten Verrat (ok hyggjum vér at svik myni vera (Hkr ii, 165)) und erschlägt Einarr. So stringent diese Ereignisabfolge erscheint, so enthält die Erzählung doch lose Fäden, die das Geschehen uneindeutig werden lassen. Nachdem Þorkell vom geplanten Verrat erfahren hat, verzögert er den gemeinsamen Aufbruch wiederholt mit den Worten, at hann átti mart annask (Hkr ii, 166), ‘dass er viel zu tun habe’. Schließlich erschlägt er Einarr mit den Worten: nú em ek búinn, ‘jetzt bin ich fertig’. Zur Halle, in der dieser Mord stattfindet, wird gesagt, es führten dorthin zwei Türen, von denen eine verschlossen war, und es hätten dort mehrere Herdfeuer gebrannt. Þorkell tritt für die Tat zwischen Feuer und die Stelle, an der Einarr sitzt (milli eldsins ok þess, er jarl sat). Eine szenenhafte Abfolge, die ein Vorgehen suggeriert, dessen Planung offenbar jene Zeit beanspruchte, bis Þorkell búinn, fertig war. Befremdlicherweise aber wird unmittelbar nach dem Mord diese offensichtlich präzise Planung von einem Gefolgsmann scharf kritisiert: hér sá ek alla versta fangaráðs, er þér dragið eigi jarl af eldinum, ‘hier sah ich den denkbar schlechtesten Entschluss, da ihr den Jarl nicht vom Feuer wegzieht’ – woraufhin Þorkell das vorgeworfene Versäumnis nachholt. Der Zusammenhang der Details bleibt unklar, der erfolgreich ausgeführte Plan von Þorkell (vitr maðr und skǫrungr mikill) wird nicht nur in der Figurenrede angezweifelt, sondern verliert sich in einer zersplitterten Erzählstruktur, die zur Stringenz des Mordes in Widerspruch steht. Diese Ambiguität wird verschärft, wenn der Erzähler sogleich mehrere Erklärungen anführt, die das ausbleibende Ein-
Bagge 1991, S. 53.
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greifen der Männer von Einarr vor Ort begründen sollen (Hkr ii, 166): Sie seien erstens überrumpelt gewesen (bráðum bar at), zweitens viele von ihnen unbewaffnet (váru menn ok flestir vápnlausir inni), drittens zu Teilen ohnehin schon mit Þorkell befreundet (margir áðr Þorkels góðir). Viertens schließlich fügt der Erzähler formelhaft an, sei es Schicksal gewesen: bar þat til með auðnu þeiri, er Þorkatli var auðit lengra lífs, ‘das trug auch zu ihrem Schicksal bei, dass Þorkell ein längeres Leben bestimmt war’.¹⁵⁵ Die in diesem Sammelsurium an Szenen und Erklärungen markierte Perspektivenlosigkeit des Totschlags zeigt sich auch im folgenden Geschehen, wenn Þorfinnr, Ziehsohn von Þorkell, nach dem Tod von Einarr nun dem dritten Bruder, dem friedfertigen Brúsi, entgegentritt, der von Einarr dessen Anteil an den Orkaden geerbt hatte: Þorfinnr will diese vertragliche Einigung nicht anerkennen. Brúsi wendet sich ratsuchend an Óláfr, doch auch der erweist sich als unzuverlässiger Bündnispartner, wenn er Brúsi vor die (scheinbare) Wahl stellt, die umstrittenen Gebiete von ihm künftig als Lehen zu erhalten oder aber durch Gewalt zu verlieren. Brúsi will keine spontane Antwort geben, sondern berät sich mit seinen Leuten – was ihm die kontingente Situation, in der er sich befindet, vor Augen führt: þó at jarli þœtti á hvárutveggja annmarkar, þá tók hann þann kost at leggja allt á vald konungs, bæði sik og ríki sitt (Hkr ii, 168), ‘obwohl der Jarl sah, daß jede Entscheidung ihre Schattenseite hatte, entschloß er sich doch, alles in des Königs Hand zu geben, sich und sein Reich’. Þorfinnr weiß von dieser Vereinbarung nichts, ist aber über die Reise seines Bruders zu Óláfr informiert: gerir Þorfinnr jarl þat ráð, at hann bjósk sem skyndiligast ok fór austr til Nóregs, ok ætlaði, at sem minnstr skyldi verða misfari þeira Brúsa ok ekki skyldi hans ørindi til loka komask, áðr en Þorfinnr hitti konung (Hkr ii, 168), ‘Jarl Þorfinnr beschloss, sich so schnell wie möglich reisefertig zu machen und nach Norwegen zu fahren, und er war darauf bedacht, dass zwischen seiner Ankunft und der von Brúsi möglichst wenig Zeit verstriche, und dass dieser sein Anliegen nicht durchsetzen könne, bevor Þorfinnr selbst den König getroffen hätte’. Indes: þat var annan veg en jarl hafði ætlat, ‘es kam anders, als der Jarl geplant hatte’ – als er eintrifft, sind die Verhandlungen zwischen Óláfr und Brúsi bereits abgeschlossen. Als Þorfinnr sieht, dass sein Plan nicht aufgegangen ist, erbittet auch er sich Bedenkzeit: bað hann gefa sér frest at hugsa þetta mál. Er will auf die Orkaden zurückzukehren, því að heima var ráðuneyti hans, en hann var bernskumaðr fyrir aldrs sakar (Hkr ii, 169), ‘weil sein Berater daheim sei, er aber an Jahren noch fast ein Kind’. Die Erzählung endet in Hkr mit dem Alterstod der Brüder, ohne dass der umfangreich entwickelte Konflikt befriedigend gelöst wäre. In Fsk und Msk findet sich die Episode nicht.
Schottmann 1994, S. 542, notierte im Blick auf die Óláfs saga helga zusammenfassend, Snorri sei „geradezu penetrant auf Mehrfachmotivierungen jedes einzelnen Erzählschritts aus“ – diese Episode ist ein gutes Beispiel dafür.
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3.4.2.2 Kontingente Nachfolger – Der Streit mit Island und den Färöern Nachdem König Óláfr aus dem Streit der Orkadenjarle als erfolgreicher Dritter hervorgegangen ist, wendet sich die Erzählung seinem Verhältnis zu Island zu – ein Verhältnis, das der Erzähler von Beginn an ambiguisiert. Zwar habe sich der König stets freundlich gegenüber den Inseln im Atlantik gezeigt: gǫrt sér marga vini bæði á Íslandi ok Grœnlandi og svá í Færeyjum, ‘er hat sich viele Freunde auf Island und Grönland und auch auf den Färöern gemacht’; doch der Erzähler fügt an: en í þessu vináttumarki, er konungr gerði til Íslands, bjoggu enn fleiri hlutir, þeir er síðan urðu berir (Hkr ii, 214), ‘aber hinter diesen Freundschaftsbeweisen, die der König den Isländern erwies, verbargen sich noch andere Absichten, die erst später offenkundig wurden’ – dieses Erzählprinzip der unklaren Vorausdeutung erinnert u. a. an die Episode um das Aufstellen der Kreuzesreliquie durch Sigurðr Jórsalafari.¹⁵⁶ Konkret fordert der König von den Isländern die Insel Grímsey vor der Nordküste und verspricht dafür reiche Gaben – Magnús Fjalldals Rede von „carrot-and-stick strategy“ hat etwas für sich.¹⁵⁷ Die Isländer schreiten zur Beratung, doch es kommt zum Patt, als der Weiseste die Abtretung der Insel befürwortet, dessen Bruder hingegen abrät. Bezeichenderweise liegt diese Ablehnung aber nicht, wie der Erzählerkommentar suggerierte, im Zweifel an den Absichten von Óláfr begründet – es ist nicht Óláfr, sondern es ist die Ungewissheit, wer nach ihm König werden würde, die das Zögern bedingt: en þótt konungr sjá sé góðr maðr, sem ek trúi vel, at sé, þá mun þat fara heðan frá sem hingat til, þá er konungaskipti verðr, at þeir eru ójafnir (Hkr ii, 216), ‘obwohl dieser König ein guter Mann sein mag, was ich wohl glaube, so kann es beim nächsten Königswechsel doch so kommen, dass sich diese Könige unterscheiden’.¹⁵⁸ Der Verweis auf diese kontingente Zukunft – der, ähnlich wie in früheren Auseinandersetzung,¹⁵⁹ auf Erfahrungswissen beruht – erweist sich als wirkungsmächtige Verunsicherung: þá var ǫll alþýða snúin með einu samþykki, at þetta skyldi eigi fásk, ‘da war sich das ganze Volk plötzlich einig darin, dass dies nicht geschehen dürfe’. In der Betonung des abrupten Gesinnungswandels sämtlicher Isländer wird deutlich, dass es sich um eine emotionale Reaktion vor dem Hintergrund früherer Erfahrungen handelt.¹⁶⁰
Vgl. Kap. 3.3.7. Magnús Fjalldal 2013, S. 458. Magnús Fjalldal 2013, S. 459 f., deutete diese Bemerkung als antiroyale Propaganda von Snorri: „Nowhere in all of Heimskringla is there a starker warning to an Icelandic audience to stay clear of the Norwegian royal dynasty […]. Snorri’s account shows a potential blueprint of how new advances might be made, as events that led to Iceland’s coming under the Norwegian crown in 1262, shortly after Snorri’s death, were to prove“. Vgl. Kap. 3.3.3.2 und 3.3.4. Ein Umstand, den Ármann Jakobsson 1997, S. 286, missachtete, wenn er diese Passage heranzog, um in Hkr das politische Verhältnis von Island und Norwegen zum Kernthema zu erklären: „[Fram kemur] í Heimskringlu að best sé að sá sem mestu ræður sé útlendur konungur en ekki innlendur ofsamaður þó að konungur heiti“, ‘in der Heimskringla wird deutlich, dass es am besten sei, dass derjenige, der am meisten zu bestimmen hat, ein ausländischer König sei und kein inländischer Gewaltmensch, auch wenn er König heißen mag‘.
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Scheitert Óláfr in Island an der Kontingenz seiner Nachfolger, so ist seine Übernahme der Färöer kaum erfolgreicher. Zwar sehen die dortigen Bewohner ein, dass sie dem norwegischen König nicht die Stirn bieten können. Doch als der siegesgewisse Óláfr ein Schiff ausrüsten lässt, um Abgaben auf den Färöern einzuziehen, wird die Gradlinigkeit der Entwicklung bereits wieder in Frage gestellt: Die Vorbereitung zu dieser Fahrt dauert viel zu lange (þeir urðu ekki snemmbúnir), ein unerklärter zeitlicher Umstand, der in den Königssagas regelmäßig drastische Konsequenzen hat. So auch hier, wenn der Erzähler nüchtern bemerkt: er frá ferð þeira þat at segja, at þeir koma eigi aptr (Hkr ii, 219), ‘von ihrer Fahrt ist zu sagen, dass sie nicht wiederkehrten’. Die unmotivierte Verzögerung der Vorbereitungen lässt vermuten, dass der Aufbruch in die schlechte Jahreszeit fiel und das Schiff sank. Das unsichere Moment wird verstärkt, wenn berichtet wird, Óláfr habe daraufhin ein zweites Schiff (skip annat) zur Fahrt ausrüsten lassen – en síðan spurðisk ekki til þeira heldr en til inna fyrri, ‘aber von diesen Leuten hörte man danach ebensowenig wie von den früheren’. Die Erzählung unterbricht an dieser Stelle, um zu berichten, dass Knútr inn ríki nun Anspruch auf Norwegen erhebt, woraufhin Óláfr sich mit dem Schwedenkönig Ǫnundr verbündet; seine Alleinherrschaft in Norwegen wird zeitgleich zu seinen Misserfolgen im Westen in Zweifel gezogen. Der Fokus schwenkt dann wieder zu den Färöern: Dort entscheidet man sich schließlich für eine Fahrt Richtung Norwegen, ein Mann namens Þórálfr Sigmundarson soll bei günstigem Wetter aufbrechen – doch wieder geschieht lange nichts. Erst als einmal besonders schönes Wetter herrscht und einer der Männer spöttisch daran erinnert, dass man in früheren Zeiten bei schönem Wetter stets zu großen Taten aufgebrochen sei, setzen sich Þórálfr und seine Begleiter in Bewegung. Die Evozierung großer Taten erweist sich indes als falsche Erwartungshaltung: Kurz nach der Ankunft in Norwegen wird Þórálfr erschlagen aufgefunden. Óláfr Haraldsson, zufällig in der Gegend, vermutet, dass die Begleiter von Þórálfr, die faröischen Brüder Sigurðr und Þórðr, den Mord verübt haben, um Þórálfr daran zu hindern, von den Zuständen auf den Färöern zu berichten. Sigurðr wirft dem König daraufhin vor, auf die Worte äußerst unkluger Männer (er miklu eru óvitrari en hann ok verri (Hkr ii, 238)) gehört zu haben, worauf Óláfr einräumt, dass die Meinungen völlig uneindeutig seien: um þenna mann mun stórum skipat. Angesichts dieser unsicheren Situation drängt Sigurðr zur raschen Heimkehr, man solle die früh hereinbrechende Nacht und den guten Wind nutzen. Die Färöergeschichte schließt abrupt mit einer neuerlichen Auseinandersetzung, bei der ein Gesandter von Óláfr hinterrücks erschlagen wird. Dass die latente Auseinandersetzung sich weder zum Guten noch zum Schlechten weiterentwickelt, sondern schlicht abbricht, liegt aber an einem Zufall – andernorts bricht Krieg aus: en þess varð ekki auðit fyrir þeim ófriði, er þá hafði gǫrzk í Nóregi ok enn mun verða frá sagt (Hkr ii, 267), ‘aber daraus wurde nichts aufgrund jenes Unfriedens, der dann in Norwegen entstand und von dem noch zu erzählen sein wird’. Óláfr wendet sich wieder den Isländern zu und setzt sie durch Geiselnahme unter Druck; einer der in Norwegen festgehaltenen Isländer, Steinn Skaptason, gerät mehrfach mit Óláfr aneinander, erschlägt einen von dessen Gefolgsleuten und flieht
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(Hkr ii, 243 – 249). Das Gelingen seiner Flucht ist einem glücklichen Zufall gedankt: Er findet Unterschlupf bei einer Bekannten, die er einst zu jener Zeit traf, als sie hochschwanger war, und der er damals rechtzeitig zu einem Priester für die Taufe verhelfen konnte. Steinn segelt schließlich nach England, an den Hof von Knútr. Die Erzählung richtet sich danach auf einen anderen Isländer, Þóroddr Snorrason, der ebenfalls in Norwegen festgehalten wird. Zur Flucht mit seinen Landsleuten treibt ihn eine zufällige Kunde: Ein betrunkener Bauer plaudert aus, dass man den Isländern Böses wolle. Diese fliehen, werden aber zunächst festgesetzt und ins Verließ gesperrt. Ihre Situation scheint sich verschlechtert zu haben – doch zufälligerweise geschah all dies zur Julzeit, einer Zeit der Trinkgelage (var jólaveizla mikil ok samburðarǫl). Bald sind die Wächter wieder einmal völlig betrunken und vergessen nicht nur, das Verließ abzusperren, sondern auch, die sich anschließende Kammer zu verriegeln – für die Isländer eine Verkettung glücklicher Zufälle. Sie legen Feuer und verschwinden in der Dunkelheit des Winters. Scheitert Óláfr Haraldsson in Hkr sowohl mit seinen Plänen in Island – seine kontingente Nachfolge lässt die Isländer zweifeln, die in Norwegen festgehaltenen Isländer können durch zufällige Umstände entkommen – als auch auf den Färöern – zwei Schiffe verschwinden spurlos, die färöische Delegation in Norwegen kann wieder entkommen –, so präsentiert Fsk in aller Kürze ein völlig anderes Bild: Óláfr konungr […] tók skatta um Orkneyjar ok Hjaltland ok Færeyjar (Fsk, 181), ‘König Óláfr machte die Orkaden, Hjaltland und die Färöer abgabenpflichtig’; Island findet keine Erwähnung.
3.4.2.3 Kalkül und Zufall – Die Fahrt von Þórir nach Russland Neben Island und den Färöern bekundet Óláfr Interesse an Russland. Eine Handelsfahrt nach Nordrussland, von den Brüdern Karli und Gunnsteinn durchgeführt, soll Kontakte erneuern. Platziert zwischen den konfliktgeladenen Verhandlungen von Óláfr und Knútr inn ríki einerseits, Óláfr und dem schwedischen König Ǫnundr andererseits, erscheinen die geschilderten Ereignisse als erstes Moment der Feindschaft zwischen Óláfr und dem mächtigen Þórir, „introducing the central theme of the second half of the saga: Óláfr’s fall“, wie Sverre Bagge richtig bemerkte¹⁶¹ – Þórir wird später unter jenen Männern sein, die Óláfr in der Schlacht bei Stiklastaðir erschlagen. Doch darf bei dieser retrospektiven Lesart erstens nicht aus den Augen geraten, dass die Episode ihrerseits durch Rückverweise auf frühere Ereignisse charakterisiert ist: So hatte Óláfr bereits zuvor über den russischen Händler Guðleikr versucht, seinen Handel mit Russland zu intensivieren; der Umstand, dass dessen Mannschaft zu geschwätzig war und ein Sturm ihn zum Verweilen an der schwedischen Ostküste zwang, führte seinerzeit zur Ermordung des Händlers.¹⁶² Der Ausgang der erneuten Bemühungen von Óláfr ist vor dieser Erfahrung (und den erfolglosen Episoden um
Bagge 1991, S. 40. Vgl. Kap. 3.3.3.3.
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Island und die Färöer) von Beginn an als unsicher markiert. Zweitens aber reicht die Fahrt von Karli und Gunnsteinn in ihren minutiös geschilderten Einzelheiten weit über jedes Maß hinaus, das erzählerisch notwendig gewesen wäre, um eine Feindschaft zwischen Óláfr und Þórir zu motivieren: Trotz aller Verweise handelt sich um eine weitgehend abgeschlossene Erzählung, die dem Verfasser so wichtig war, dass er ihr breiten Raum an zentraler Stelle widmete. Kurz zur Vorgeschichte: Þórir hatte seinen Neffen Ásbjǫrn, der Gefolgsmann bei König Óláfr werden wollte, zu einem Mord angestachelt. Ásbjǫrn verlor bei dieser Unternehmung das Leben, woraufhin Þórir sich genötigt sah, Rache an dessen Mörder zu nehmen. Die Gelegenheit dazu ergab sich durch einen Zufall: Die Mörder von Ásbjǫrn, Ásmundr und Karli, die mit ihrer Tat wiederum Rache für eine frühere Tat von Ásbjǫrn genommen hatten, erzählten König Óláfr von ihrem vorausgehenden Plan: en orðtǫk þau, er þeir Ásmundr ok Karli hǫfðu mælzk við, áðr víg Ásbjarnar varð, þá fór þat ekki leynt, því at þeir sjálfir sǫgðu konungi frá því (Hkr ii, 215), ‘aber die Worte, die zwischen Ásmundr und Karli gewechselt wurden vor dem Totschlag Ásbjǫrns, die blieben nicht lange verborgen, weil sie nämlich selbst dem König davon berichteten’. Wie Óláfr einst des geplanten Aufstands der Kleinkönige in Norwegen gewahr wurde, weil hverr á vin með óvinum, ‘weil jeder unter Feinden einen Freund hat’,¹⁶³ und so wie u. a. des Königs Händler Guðleikr wegen Geschwätzigkeit das Leben verlor, so erfährt nun Þórir von der Ermordnung seines Neffen: en þar var, sem mælt er, at hverr á vin með óvinum. Váru þeir þar sumir, er slíkt hugfestu, ok þaðan af kom þat til Þóris, ‘und da geschah, was das Sprichwort besagt, dass jeder unter Feinden einen Freund hat. Es waren dort mehrere Männer, die sich diese Worte merkten, und von diesen wurden sie Þórir zugetragen’. Óláfr verdankte seinen Sieg über die Kleinkönige der Unkontrollierbarkeit des Wortes. Am Anfang seines Niedergangs, mit der Erzählung um Þórir eingeleitet, steht ein ähnliches Ereignis.¹⁶⁴ Daher nur scheinbar spontan – „perfectly normal for a magnate“¹⁶⁵ – bietet Þórir seine Unterstützung bei der zweiten Russlandexpedition von Óláfr an. Seine Macht wird bereits am Tag der Abfahrt visualisiert, wenn er mit einem übergroßen Schiff zu den Brüdern Karli und Gunnsteinn stößt. Die auf Konfrontation angelegte Erzählung entspannt sich, wenn die Ausgeglichenheit der Schiffe auf offener See betont wird: þá er byrlétt var, gekk meira skipit þeira Karla, sigldu þeir þá undan, en þá er hvassara var, sóttu þeir Þórir þá eptir (Hkr ii, 229), ‘war eine leichte Brise, hatte das Schiff Karlis und seiner Begleiter einen Vorsprung, und sie fuhren voraus, blies aber stärkerer Wind, dann überholte sie Þórir mit seinen Leuten’. Beide Schiffe sind der Kontingenz des Meeres in gleicher Weise ausgeliefert: fóru þeir um sumarit optast þannug sem skipin gengu til, ‘sie segelten den Sommer hindurch meist so, wie ihre Schiffe vorwärts ka Vgl. Kap. 3.3.3.3. Etwas missverständlich formulierte insofern Bjarni Aðalbjarnarson 1945, S. lxiv, wenn er diese Vorgeschichte zusammenfasste als „atburðir, sem virðast í fyrstu lítils verðir“, ‘Ereignisse, die auf den ersten Blick wenig wert zu sein scheinen’. Bagge 1991, S. 151.
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men’. Þórir hat keine Gelegenheit, sein mächtiges Langschiff (langskipsbúzu mikla) und seine gewaltige Männerschar (váru á skipinu nær átta tigum manna) ausspielen. In Russland bleibt dieses Gleichgewicht zunächst erhalten, doch als sie wieder die offene See angesteuern, wird die Ordnung plötzlich brüchig: Zwar bleibt der Friede zwischen den Brüdern und Þórir bestehen, doch wird der Friede mit der Landesbevölkerung für beendet erklärt. Bemerkenswerterweise wird die Erzählung an dieser Stelle abrupt vom offenen Meer in einen dichten Wald verlagert, denn dort seien, nach Sitte der Einheimischen, allerlei Kostbarkeiten eines verstorbenen Herrschers versteckt.¹⁶⁶ Erschien das Meer ein weiteres Mal als Raum der natürlichen Kontingenz, in dem unberechenbare Konditionen zugunsten mal der einen, mal der anderen Seite ausschlagen, so ist der Wald, wie zuvor, ein analoger Raum des Orientierungsverlustes. Diese Irritation wird noch betont, wenn der Wald nicht allein als überaus groß beschrieben wird (mǫrk mikil), sondern auch dadurch, dass der geplante Raub in die dunklen Abendstunden (at kveldi dags) fällt (Hkr ii, 230). Die Episode erinnert an die Erzählungen von Emundr, der dem Schwedenkönig Óláfr anhand von Meer und Wald die Kontingenz des künftigen Geschehens verdeutlichte:¹⁶⁷ Der erfahrene Atti verirrte sich bei einem Schneesturm im nächtlichen Wald und büßte seine Jagdbeute ein, der kundige Gauti erlitt auf offener See verlustreichen Schiffbruch, weil ein Sturm aufkam. Bezeichnenderweise liegt der nächste Handlungsort dann auf einer Lichtung (rjóðr) – eine Ähnlichkeit zur mittelhochdeutschen Literatur, wo bedeutende Handlungen der Protagonisten, wie Mireille Schneyder festhielt, „nie im Dickicht des Waldes“ stattfinden, braucht die „Konstituierung eines Raums“ doch die „Möglichkeit der Beobachtung, braucht die beschreibbare Sichtbarkeit, die Gliederung in der Zeit und in verschiedene Raumstufen“.¹⁶⁸ Auch Þórir ist sich des drohenden Orientierungsverlusts wohl bewusst: svá var mælt, at engi skyldi renna frá ǫðrum, engi skyldi ok eptir vera (Hkr ii, 229), ‘es wurde festgelegt, dass niemand sich von den anderen entfernen dürfe, und niemand zurückbleiben dürfe’. Damit nicht genug, gibt Þórir im Wald den Befehl: hleypið af trjánum berki, svá at hvert tré sé frá ǫðru (Hkr ii, 230), ‘streift die Borke von den Bäumen, sodass man jeden Baum vom nächsten aus sehen kann’. Der erfolgreiche Raub ist dann hingegen keiner Planung, sondern einem Zufall verdankt. Zwar ist das umzäunte Depot nachts bewacht, doch þá er þeir Þórir kómu til skíðgarðsins, váru vǫkumenn heim gengnir, en þeir, er þar næst skyldu vaka, váru eigi komnir á vǫrðinn, ‘als Þórir und die anderen an den Zaun kamen, waren die Wächter gerade heimgegangen, aber die, die danach übernehmen sollten, waren noch nicht
Die Gelegenheit, den erfolgreichen Handel durch einen Raubzug abzuschließen, muss für die Brüder Karli und Gunnsteinn als glücklicher Zufall erscheinen, von Þórir aber scheint die Ausraubung des Depots insofern geplant gewesen sein, als er offensichtlich Erkundigungen über erstens die Bestattungssitten der Einheimischen, zweitens die Lage eines Depots eingezogen hatte; Bagge 2016, S. 9, merkte an: „The description of the site is so precise that one can easily draw a map of it, and it almost seems as though Snorri had visited the place himself, which he is very unlikely to have done“. Vgl. Kap. 3.3.3.4. Mireille Schnyder 2010, S. 175.
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zur Wache erschienen’. Doch das Zeitfenster ist klein, zudem herrscht Dunkelheit, und so wird beim Zusammenraffen der Beute viel Erde in die Säcke geschaufelt (fylgði þar mold mikil). Dieser eigentlich nachteilige Umstand – die Säcke sind unnötig schwer – erweist sich auf der Flucht vor den Wächter einerseits als unerwartet glücklich: Der schwerste Sack, der hinter den anderen hergezogen wird, enthält besonders viel Erde, und diese streut Þórir über die Spuren, die damit im dunklen Wald unsichtbar werden. Diese gelungene Aktion bedingt andererseits, dass Þórir erst nach den Brüdern an den Strand gelangt: Diese sind bereits in See gestochen. Nun rächt sich das große Schiff von Þórir, das sich als óauðráðnara, als unpraktischer als das kleine Schiff der Brüder erweist – große Schiffe sind in Hkr fast durchweg ambige Momente der Erzählung.¹⁶⁹ Doch das Meer ist unkontrollierbar, erscheint, in der Formulierung von Michael Makropulos, ein weiteres Mal als „Inbegriff eines Wirklichkeitsbereichs, der letztlich jeden Ordnungsversuch vereitelt“.¹⁷⁰ Eines Abends gelangen die Schiffe vor eine Inselgruppe, die bei Flut aufgrund einer starken Strömung unpassierbar ist. Endlich schließt Þórir auf und bedroht nun die Brüder, um einen besonders kostbaren Halsschmuck zu erpressen. Er scheitert allerdings und verlässt wütend das Schiff – die gewaltsame Konfrontation, die von Beginn an latent war, scheint unausweichlich. Doch ein Zufall rettet die Brüder erneut: Þórir verlässt das Schiff genau zu dem Zeitpunkt, als die Ebbe einsetzt und die Strömung passierbar wird. Kaum hat Þórir das Schiff der Brüder verlassen, fahren diese los, während die Mannschaft von Þórir auf dessen Rückkehr warten muss. Im nächsten Hafen will Þórir die Angelegenheit in einer Besprechung unter vier Augen klären: ek vil mæla við þik einmæli (Hkr ii, 233). Doch kaum ist Karli herangetreten, durchbohrt Þórir ihn mit jenem Speer, mit dem Karlis Freund Ásmundr einst Ásbjǫrn tötete – die Rache ist erfolgt. Gunnstein und seine Männer ergreifen die Leiche und stechen abermals sofort in See – Þórir ist erneut überrumpelt: Er muss zunächst seine Zelte abbrechen lassen (reka þeir tjǫld) und will dann die Verfolgung aufnehmen – als ein neuerlicher Zufall Gunnsteinn noch einen Vorsprung gewährt: er þeir drógu seglit, þá gekk sundr stagit. Fór seglit ofan þverskipa. Varð þeim Þóri þat dvǫl mikil, áðr þeir kvæmi upp ǫðru sinni seglinu, ‘aber als sie die Segel hissen wollten, da zerriss das Ziehtau. Das Segel fiel quer über das Schiff. Für Þórir bedeutete das einen langen Aufenthalt, bis sie ihr anderes Segel gehisst hatten’. Zwar bemüht er sich, Gunnsteinn noch einzuholen, aber wieder wird ihm sein gewaltiges Schiff zum Verhängnis: Gunnsteinns kleines Schiff kann die Schären vor der norwegischen Küste passieren, während Þórir zurückbleiben muss. Im Gesamtblick auf diese umfangreiche Episode zieht sich das gewaltige Schiff von Þórir als kontingenter Faktor durch die Erzählung. Bezeichnend ist auch, dass sich dessen Zorn nach Gunnsteinns erfolgreicher Flucht auf das zurückgelassene Schiff der Brüder richtet, dem er von Beginn an überlegen schien, das er abschließend aber außer sich vor Wut nur noch in Stücke hacken kann: [þeir] fluttu skipit ú á
Vgl. u. a. Kap. 3.5.5.1. Makropoulos 2011, S. 243.
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fjǫrðinn, hjǫggu á raufar ok søkkðu niðr (Hkr ii, 234), ‘sie zogen das Schiff auf den Fjord hinaus, hackten Löchern hinein und versenkten es’.¹⁷¹ Damit ist aber auch die Situation der Brüder wiederholt als kontingent gekennzeichnet: Von Beginn an wird die Sympathie des Rezipienten auf sie gelenkt – Þórir hält sich nicht an Absprachen, tritt bedrohlich, schließlich offen aggressiv in Erscheinung, während die Brüder explizit als ihm freundlich gesonnen bezeichnet werden – und wiederholt gelingt es ihnen durch glückliche Zufälle, der Auseinandersetzung zu entgehen. Der abrupte Tod eines der Brüder, bezeichnenderweise im Rahmen einer zur Ordnung anberaumten Beratung, erscheint vor diesem etablierten Muster umso krasser. Die plötzliche Ermordung Karlis führt die Handlungsohnmacht der Protagonisten vor Augen, die Tatsache, dass „die Verantwortung für das, was sich ereignen wird, nicht bei der handelnden Figur liegt“,¹⁷² wie Susanne Reichlin als ein Grundprinzip von Kontingenz betonte – die bedeutungsträchtige Auseinandersetzung zwischen den Gefolgsleuten von Óláfr und seinem späteren Mörder ist ein Wechselspiel der Zufälle. In Anlehnung an Walter Haug könnte man auch sagen, dass hier „Kalkül und Zufall chaotisch aufeinandertreffen, wobei der negative Zufall letztlich die Oberhand behalten muß. Die Kontingenz kann ihre Tendenz zum Tod mit ganzer Härte zur Geltung bringen“.¹⁷³ Die Episode fehlt im Übrigen in Fsk, in Msk ist auch zu Óláfr helgi (vermutlich verlustbedingt) nichts überliefert.
3.4.3 Wind und Gegenwind – Haraldr Sigurðarson und Magnús Óláfsson Sein Vermögen erwarb Haraldr Sigurðarson auf Auslandsfahrten. Sein Ruf als cleverer Anführer, der äußere Umstände zu seinem Vorteil zu nutzen weiß, wurde in den ersten Kapiteln der Haralds saga Sigurðarsonar aufgebaut, doch es zeigte sich, dass die einzelnen Sagafassungen hier unterschiedlich werten: Msk und Fsk bauen Haraldr systematisch zum gleichermaßen unnachgiebigen wie listigen Heerführer auf, dem auch ein gewisses Glück (gipta) nicht fehlt. Hkr verschiebt den Fokus von der Person Haraldr auf die Rahmenbedingungen von dessen Auseinandersetzungen und Erfolgen. Mit der Rettung aus dem Verlies schließlich wurde über den (in Hkr schwach motivierten) Eingriff des Heiligen Óláfr eine Erklärung angeführt, die einerseits der persönlichen Tatkraft von Haraldr eine Grenze aufzeigt, die ihn andererseits für seine Herrscherrolle weiter aufbaut.¹⁷⁴ Die wiederholten Herausforderungen, denen in unterschiedlicher Weise begegnet wird – mal durch Cleverness, mal durch glückliche Zufälle, mal durch den Eingriff höherer Mächte –, etablieren in der Gesamtschau eine ambige Erzählung, in der Problemlösungen kontingent gesetzt sind: Die Geltung des Die Ansicht bei Sawyer 2015, S. 109, Þórir sei „favorably portrayed“ aufgrund seines „ready wit“, fügt sich zu dieser zentralen Episode überhaupt nicht. Reichlich 2010a, S. 41. Haug 1998, S. 166. Vgl. Kap. 3.3.5.
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jeweiligen Zustandes, damit von getroffenen Entscheidungen, ist unsicher – eine Eigenart der Erzählung, die für deren weiteren Verlauf charakteristisch ist. Als Haraldr von seinen Auslandsfahrten schließlich heimkehrt, um in Norwegen Herrschaftsansprüche geltend zu machen, ist dort bereits Magnús góði Óláfsson, Sohn von Óláfr Haraldsson und Neffe von Haraldr, als Herrscher etabliert: Die abrupten Todesfälle mehrerer Konkurrenten erwiesen sich für Magnús als Kette glücklicher Zufälle, die Herrschaft fiel ihm zu, ohne dass er durch besondere Befähigungen in Erscheinung getreten wäre.¹⁷⁵ Magnús’ Auseinandersetzung mit Haraldr ist ein zentrales Thema der Haralds saga Sigurðarsonar. Und der erste echte Konflikt, dessen Eintritt eigentlich explizit vorgebeugt worden war, wird bezeichnenderweise in gleicher Form motiviert wie der einstige Zusammenstoß mit Gyrgir: Eines Tages geschieht es (þat bar at eitt sinn (Hkr iii, 103)), dass Haraldr den königlichen Ankerplatz früher als Magnús erreicht und dort vom wenig später eintreffenden Magnús zum Weichen aufgefordert wird. Es hatte zwischen den Königen nun eben eine Absprache gegeben, die Magnús die besten Hafenbedingungen zusicherte, und so ist dieser Zusammenstoß in der Forschung als Missverständnis gewertet worden.¹⁷⁶ Doch diese Erklärung verkennt die narrative Bedeutung der Szene. Erstens hinsichtlich der fehlenden Begründung des Zusammentreffens (ähnlich wie zuvor beim Zusammenstoß mit Gyrgir): Der Erzähler bemerkt, dass Haraldr eines Morgens als erster zum Aufbruch bereit war und losfuhr (var Haraldr fyrri búinn, ok sigldi hann þegar); seine frühe Ankunft ist mögliche, aber nicht notwendige Konsequenz dieses frühen Aufbruchs. Zweitens hat der damit umso stärker als zufällig markierte Zusammenstoß beträchtliche Auswirkungen auf das weitere Geschehen. Denn Haraldr und Magnús gelingt es zwar, den Frieden zu erhalten: Haraldr weicht zurück. Doch diese Entspannung wird in Hkr unmittelbar angezweifelt durch ein unkontrollierbares Ereignis: við slíkar greinir gerðisk brátt umrœða óvitra manna til þess, at konungum varð sundrþykki at (Hkr iii, 104), ‘unverständige Männer begannen bald über solche Ereignisse zu schwätzen, bis die Könige schließlich entzweit waren’.¹⁷⁷ Das Motiv der fatalen Rede unkluger Männer findet sich in Hkr auch in anderen Episoden. Der Zusammenprall der Könige findet sich zwar auch in Msk und Fsk, doch die bedeutsame Schlussszene ist dort anders: Ein Bruch zwischen Haraldr und Magnús wird zunächst nicht erwähnt.¹⁷⁸ Im Gegenteil
Vgl. Kap. 3.3.4. Vgl. Orning 2013a, S. 50 f. Unklar ist, worauf Andersson 2012, S. 127 f., abzielte, wenn er den Hinweis des Erzählers, nicht sämtliche Gründe für die Entzweiung nennen zu wollen, folgend erklärte: „It is as if the author does not want to hear of the dissension between the kings; he certainly does not want to use Magnús to cast a shadow on Haraldr“. Msk und Fsk zeigen aber, wie eine solche Absicht erzählerisch einfach hätte umgesetzt werden können; dass Hkr davon abweicht, gar das Gegenteil erzählt, spricht gegen Anderssons These, der Sagaverfasser habe die Uneinigkeit der Könige unterdrücken wollen. Die weitere Entwicklung in Hkr wäre ohne diese gespaltene Ausgangssituation gar nicht möglich. Dazu fügt sich dann die Deutung der Szene in Msk bei Andersson 2012, S. 125: „From the outset the focus in Morkinskinna is on Magnús’s moral rather than his political stature. His clash with Haraldr over the royal mooring is calculated to demonstrate hereditary firmness of character“.
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3 Fagrskinna, Heimskringla, Morkinskinna – Eine Alternativlesung
führt Msk aus, dass beide Herrscher heldu nú landinu um vetrinn, ok var friðr ok mikil gœzka í landinu (Msk i, 130), ‘das Land den Winter hindurch regierten, und die Stimmung im ganze Land von Frieden und großer Zufriedenheit geprägt war’. Fsk bemerkt kürzer, aber im gleichen Ton: réðu þeir landinu um vetrinn báðir saman (Fsk, 248), ‘sie herrschten den Winter über im Land gemeinsam’. An dieser Stelle gehen die Fassungen zunächst weiter auseinander, wenn in Msk nun kurze Episoden zu den beiden Königen aneinandergereiht werden, aus denen sich dann doch eine wachsende Feindschaft erklärt. Eine klare Bevorzugung eines Königs lässt sich aus diesen kurzen Geschichten aber nicht herauslesen. Haraldr wird zwar einerseits, auch von Magnús, für Klugheit und guten Rat gelobt (Msk, 167), andererseits von diesem für seine Ungeduld getadelt (Msk, 165 f.); das Zusammentreffen mit dem geistig schlichten Isländer Hreiðarr schließlich (im so genannten Hreiðars þáttr heimska) endet in der Verhöhnung von Haraldr, wenn der König Hreiðarr zunächst überschwänglich für seine Handwerkskunst lobt, dann aber erkennen muss, dass er sich geirrt hat, dass Hreiðarr ihn verspottet (Msk, 178). Doch auch Magnúsʼ Darstellung als beliebter und besonnener Herrscher bereitet den Bruch vor, verdeutlicht wiederum im Zusammentreffen mit Hreiðarr: Magnús prophezeiht dem simplen Isländer eine Lebenswende zum Besseren – und behält Recht; doch für sich selbst sieht er bereits das Lebensende heraufziehen (Msk, 181) und wenig später verstirbt er an Krankheit, ähnlich wie in Fsk. Anders nun wiederum in Hkr: Dort hat Magnús einen Traum, in dem der Heilige Óláfr, sein Vater, ihn mit der Frage konfrontiert, ob er der größte aller Herrscher werden wolle, allerdings um den Preis eines Verbrechens, oder ob er lieber sterben wolle. Im Kontext der vorausgehenden Auseinandersetzung darf man in dem Verbrechen die Ermordung von Haraldr vermuten. Doch Magnús verdankt seine Herrschaft wenig mehr als einer Reihe glücklicher Zufälle und während er sich in Msk zumindest am Sterbebett in ausführlichem Gespräch als weitsichtiger Regent erweist, da ist er in der knappen Darstellung von Hkr weiterhin unfähig, irgendeine Entscheidung zu treffen, selbst zu handeln. „Most importantly, the throne must be sought and earned. In claiming the throne boldly and taking up the struggle against a much more powerful enemy“,¹⁷⁹ wie Ármann Jakobsson grundsätzlich festhielt, doch in Hkr fehlt Magnús genau diese Kompetenz, wenn er sich an den Heiligen wendet: ek vil, at þú kjósir fyrir mína hǫnd (Hkr iii, 105), ‘ich will, dass du für mich entscheidest’. Lisa Collinson merkte richtig an: „From a human point of view it is perfectly understandable that Magnus is too frightened of death to make an immediate heroic choice to follow his father“.¹⁸⁰ Doch die mit dem Auftritt des Heiligen evozierte Erwartungshaltung einer Wende der norwegischen Geschichte mit Magnúsʼ Tod wird dann wiederum enttäuscht – selbst der norwegische Nationalheilige ist der Kontingenz, die jeder Entscheidung inhärent ist, nicht gewachsen: Magnúsʼ plötzlicher Tod lässt ein
Ármann Jakobsson 2004a, S. 13. Collinson 2005, S. 38.
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Machtvakuum entstehen, das zu umso heftigeren Auseinandersetzungen führt, die schließlich fragen lassen, ob der Tod des gewalttätigen und selbstverliebten Haraldr nicht mehr zum Wohl Norwegens beigetragen hätte als der Tod seines entscheidungsschwachen, aber milden Neffen. Haraldr selbst ist weiterhin allen Fähigkeiten zum Trotz Spielball des Zufalls – und ein Zufall wird ihn schließlich das Leben kosten. Doch zunächst gerät er mit dem dänischen König Sveinn Úlfsson aneinander (Hkr iii, 115 – 118; Msk i, 194– 204; Fsk, 250 – 261). Der Grund dafür ist Magnús’ einzige nennenswerte Entscheidung (auf dem Totenbett): Magnús konungr gaf Sveini Danaveldi eptir sinn dag, ‘König Magnús gab Sveinn die Herrschergewalt in Dänemark nach seinem Tod’. Damit will Haraldr sich nicht abfinden: Er plant einen Angriff auf Sveinn zur See, denn Sveinns Truppen scheinen an Land überlegen. Doch schwerer Seegang (veðr) und dichter Nebel (mjǫrkva sælægja) vereiteln seinen Plan. Im Gegenteil ergreift Sveinn die Gelegenheit, sich Haraldr unbemerkt zu näheren. Doch auch Sveinns Plan wird durch einen Zufall vereitelt: Bis er sich Haraldr genähert hat, ist es Morgen geworden, und die aufgehende Sonne lässt die goldenen Beschläge von Sveinns Schiff hell erstrahlen, als der Nebel sich lichtet; das Motiv des verräterischen Blitzens von Gold findet sich auch in der Hákonar saga góða.¹⁸¹ Haraldr sieht Sveinn rechtzeitig und scheint gerettet – doch nun wird von seinen Schiffen plötzlich gesagt, dass diese nicht nur von früherer Beute tief ins Wasser gedrückt würden, sondern überhaupt leck seien: Norðmanna skip váru bæði sollin ok sett mjǫk. Haraldr ist gezwungen, alle Kostbarkeiten über Bord zu werfen, sogar alle Kriegsgefangenen. Deren Rettung setzt Sveinn zur Priorität, Haraldr kann knapp entkommen. Keine Ruhmestat und keine Tat nennenswerter Cleverness von Haraldr, sondern ein illustres Beispiel für den Einfluss äußerer Umstände auf menschliche Handlung; auch Gauti verlor in der Erzählung von Emundr sämtliche Beute, als er seine Schiffe auf das offene Meer lenkte.¹⁸² Die folgende überschwängliche Rühmung der Kampfkraft und Klugheit von Haraldr kann vor diesem völlig misslungenen Unternehmen nur ironisch verstanden werden – Haraldr konungr var maðr ríkr ok stjórnsamr innan lands, spekingr mikill at viti, svá at þat er alþýðu mál, at engi hǫfðingi hafi sá verit á Norðrlǫndum, er jafndjúpvitr hafi verit sem Haraldr eða ráðsnjallr (Hkr iii, 118; Msk i, 204), ‘König Haraldr war ein mächtiger und regierungstüchtiger Mann im Land, ein Mann von großem Verstand, sodass es allgemeine Ansicht ist, dass es keinen Herrscher in Skandinavien gegeben habe, der derart tiefdenkend oder scharfsinnig gewesen sei wie Haraldr’. Der ausführliche Kommentar des Erzählers, er habe mangelhaftes Wissen (ófrœði) von vielen Ereignissen und wolle keine unsicheren Erzählungen (vitnislausar sǫgur) aufnehmen, um dann nicht wieder einiges entfernen zu müssen (ór at taka), ist sicherlich ein bemerkenswertes Zeugnis mittelalterlicher Quellenkritik.¹⁸³ Dass dieser Kommentar ausgerechnet nach der
Vgl. Kap. 3.5.3. Vgl. Kap. 3.3.3.4. Vgl. Kap. 3.1 sowie Sverrir Tómasson 1988, S. 155 – 163.
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verlustreichen Flucht von Haraldr eingefügt ist, lässt die vorausgehende Episode aber umso stärker als unrühmliches Faktum dastehen. Sveinn hingegen rettet nicht nur die Leute, die Haraldr über Bord warf, sondern gewährt auch seinen Gefangenen Gnade. Weniger dürfte es hier also um eine zu unterdrückende Überzahl großer Taten von Haraldr gehen; es geht darum, dass der Erzähler – seinem formelhaften Lob zum Trotz – allerlei Unrühmliches über diesen Haraldr erzählen könnte, worauf er aber verzichtet, in diesem Fall selbst in Msk, wo die Saga um Haraldr ja um einige þættir erweitert ist, die Haraldr in durchaus ambigem Licht zeichnen.¹⁸⁴ Haraldr plant einen neuerlichen Angriff auf Sveinn, dieses Mal mit einer größeren Armada. Doch wo er vor Sveinn zunächst weichen musste, weil seine Flotte zu klein war, da versagt Haraldr dieses Mal aufgrund der Größe der Schiffe – ähnlich wie zuvor etwa Þórir:¹⁸⁵ Im starken Gegenwind (andviðri stórt) lassen sich die wuchtigen Schiffe nicht vor der dänischen Küste verankern. Sveinns herannahendes Schiff verriet sich seinerzeit durch glänzende Ornamente in der aufgehenden Sonne. Nun kommt der Zufall Sveinn entgegen: Er sichtet frühzeitig die manövrierunfähige Flotte vor der Küste. Dass er in der späteren Schlacht dennoch unterliegt – beide Heere werden als schier unbesiegbar (óvigr ¹⁸⁶) bezeichnet –, ist wiederum einem zufälligen Umstand geschuldet, der alle Planung vereitelt: Ausführlich legt der Erzähler in Hkr Sveinns Schlachtordnung dar – nur um diese dann ad absurdum zu führen mit der Bemerkung: en fyrir því at svá mikill var herrinn, þá var þat allr fjǫlði skipanna, er laust fór, ok lagði þá svá hverr sitt skip sem skap hafð til, en þat var allmisjafnt (Hkr iii, 148), ‘aber weil das Heer so riesig war, waren es sehr viele Schiffe, die frei fuhren [d.i. nicht im vorher dargelegten Verbund], und jeder verfuhr dann so mit seinem Schiff, wie es ihm in den Sinn kam, und das war sehr verschieden’; dieser Zusatz fehlt in Msk und Fsk. Sveinn muss im Chaos fliehen, wird aber nur irrtümlich für tot erklärt: eigi fannsk lík konungs, en þó þóttusk þeir vita, at hann var fallinn (Hkr iii, 154), ‘man fand die Leiche von König Sveinn nicht, aber dennoch glaubten sie zu wissen, dass er gefallen war’. Die Lösung des Konflikts liegt schließlich weder bei Haraldr noch bei Sveinn, sondern wird nach geläufigem Muster durch die Intervention kluger Männer bewerkstelligt: síðan áttu hlut í inir beztu menn ok þeir, er vitrastir váru. Gekk þá saman sætt konunga með þeim hætti, at Haraldr skyldi hafa Nóreg, en Sveinn Danmǫrk (Hkr iii, 161), ‘danach nahmen sich die besten und weisesten Männer der Sache an. Die Könige schlossen Vgl. Kap. Zu dieser Lesung fügt sich in Hkr auch eine kurze Episode, die dann doch erzählt wird und sich ausgerechnet um einen Mann dreht, der, wie Haraldr selbst zugibt, sízt brygði við váveifliga hluti (Hkr iii, 119), ‘von plötzlichen Ereignissen am wenigsten aus der Ruhe gebracht wurde’: Halldórr Snorrason, ein früherer Kampfgenosse. Haraldr versteht sich schlecht mit ihm (þat kom illa þá við konung), sodass Halldór schließlich nach Island auswandert; in Msk und Fsk fehlt die Episode an dieser Stelle. Aller oberflächlichen Beteuerung zum Trotz kommt Haraldr in beiden Episoden schlecht weg: Er kann sich nur durch einen Zufall vor Sveinn retten und verliert dabei Beute und (zumindest aus Rezipientensicht) Ansehen; und dann fühlt er sich unwohl ausgerechnet in Gegenwart eines Mannes, der sich von Zufällen nicht aus der Ruhe bringen lässt. Vgl. Kap. 3.4.2.3. Dieses Adjektiv ist insofern ironisch uneindeutig, als óvigr auch ‘kampfuntauglich’ heißen kann.
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Frieden unter der Bedingung, dass Haraldr Norwegen, Sveinn Dänemark haben sollte’. Die Auseinandersetzung der beiden Könige, in der Zufälle über einen beträchtlichen Zeitraum hinweg mal der einen, mal der anderen Seite zuspielten, erweist sich in diesem Rückblick als ultimativ sinnloses Moment der skandinavischen Herrschaftsgeschichte: Das kontingente Geschehen gipfelt in jener Möglichkeit, die Haraldr einst nicht wahrhaben wollte, als es hieß: telr þat jafnvel sína erfð sem Nóregsveldi (Hkr iii, 106), ‘er erklärt Dänemark in gleicher Weise zu seinem Erbe wie Norwegen’. Es ist aber der totgesagte Sveinn, der die Herrschaft in Dänemark behält – womit nach über 40 Sagakapiteln (nach Zählung in Hkr) von allen möglichen Resultaten ausgerechnet die Ausgangssituation manifestiert wird.
3.4.4 Zweifelhaft ambig – Magnús berfœttr Óláfsson Ein Zufall festigte die Position von Magnús Óláfsson als Alleinherrscher in Norwegen: Sein einflussreicher Konkurrent Hákon Magnússon starb bei der Verfolgung eines Schneehuhns im Gebirge. Hákons Ziehvater Þórir war laut Hkr ein alter Mann, der Magnús wenig entgegenzusetzen hatte, während Msk eine längere Verfolgung schilderte. Der Tod von Þórir am Galgen festigte Magnús’ Position als Alleinherrscher, doch war dieser Tod insofern als kontingentes Ende markiert, als ein einziges Wort der Gefolgsleute von Þórir das Urteil vermutlich entkräftigt hätte – und Magnús selbst war zornig, dass niemand etwas sagte. Und auch wenn er nachfolgend zunächst als tatkräftiger Herrscher bezeichnet wird – hann friðaði vel fyrir landi sínu (Hkr iii, 218), ‘er befriedete sein Land erfolgreich’ – so ist er doch eine ambige Figur.¹⁸⁷ Symbolisch erscheint insofern der meisterliche Pfeilschuss von Magnús gegen den Jarl von Wales (dessen einzige verwundbare Stelle der Sehschlitz im Helm war): Der Erzähler zieht die Exorbitanz von Magnús’ Zielgenauigkeit sowohl in Hkr als auch in Msk unmittelbar in Zweifel, wenn er anfügt, zeitgleich habe einer von Magnús’ Männern einen Pfeil abgeschossen – der eine Pfeil prallt wirkungslos vom Helm des Jarls ab, der andere aber trifft diesen genau ins Auge; der Treffer wird formal dem ranghöheren Schützen, dem König zuerkannt: ok er þat konunginum kennt (Hkr iii, 222). Msk rückt den Zweifel an dieser Leistung noch stärker ins Zentrum: fyr þá sǫk hafa menn nǫkkut deilzk at hvárri konungr skaut (Msk ii, 46), ‘aus diesem Grund gingen die Meinungen der Männer darüber auseinander, welcher [= ob der] König geschossen hatte’. Dieser Zweifel ist umso bemerkenswerter, als in beiden Fassungen eine Skaldenstrophe als Beleg für Magnús’ Leistung angeführt wird – in den Königssagas eine frequent gebrauchte Quelle, die mit der Prosaerzählung aber wiederholt nicht in Einklang steht; der Erzähler zieht die Geltung der Strophe in Frage und markiert die überragende Leistung als kontingentes Ereignis: Vielleicht hat Magnús getroffen, vielleicht nicht.
Vgl. Kap. 3.3.6.
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Sverre Bagge war der Ansicht, Magnús’ Feldzüge seien überhaupt „rather pointless lists of raids and sackings“;¹⁸⁸ ähnlich werteten Rosemary Power: „The Icelandic sources, particularly Snorri Sturluson, provide a tale of pillage, depredation and vainglorious loss“,¹⁸⁹ sowie Birgit Sawyer: „He [i. e., Magnús] is known as having wasted Norwegian men and resources in useless wars“.¹⁹⁰ Doch solche Urteile verkennen erneut die narrative Funktion dieser Episoden. Denn gerade Magnús’ Feldzug gegen den schwedischen König Ingi Steinkelsson – „a ‘normal’ conflict between two countries“,¹⁹¹ wie Bagge meinte – ist in Hkr ambig bewertet: Magnús’ Heerzug zieht sich länger als geplant und gerät zum Winter hin ins Stocken, woraufhin der König den Plan ersinnt, auf einer Insel eine provisorische Festung zu errichten, gesichert durch einen Graben, um dort das kommende Jahr strategisch günstig abzuwarten (Hkr iii, 226). Doch dieser Plan erweist sich als kurzsichtig: Wenig später friert der See zu, die schwedischen Truppen können die Insel mühelos erreichen, den Graben mit herangetragenem Material füllen und die Festung niederreißen – gedemütigt werden Magnús’ Leute ohne Waffen und Mäntel aus dem Land vertrieben. In Fsk findet sich allein die knappe Bemerkung, der schwedische König Ingi habe óvígjan her, ‘ein unbesiegbares Heer’ gehabt, dem sich Magnús’ Leute nur ergeben konnten: engi váru efni annars (Fsk, 310). Ganz anders ist die Erzählung in Msk: Dort greift vielmehr Magnús Ingi und dessen Leute des Nachts an (stillti svá til at hann kom at þeim Inga konungi um nótt), und der Erzähler bemerkt, der Angriff habe die Schweden derart überrascht (kom heldr á óvart Svíum), dass im Gegenteil Ingi, nicht Magnús, unter schweren Verlusten habe fliehen müssen (Msk ii, 52– 54). Die unrühmliche Niederlage von Magnús in Hkr wird hingegen noch untermauert, wenn berichtet wird, im nächsten Frühjahr habe dieser einen neuerlichen Angriff gegen die Schweden gewagt – und wieder sei er geschlagen worden. Allein ein Zufall rettet ihm das Leben: Seine Flucht erfolgt über eine weithin einsehbaren Ebene, in der nur gelegentlich Buschwerk vorhanden ist, das die Sicht einschränkt: þar var svá háttat, at vellir sléttir váru víða, ok sásk þeir þá ávallt Gautar ok Norðmenn, þá váru enn kleifar ok skógarkjǫrr, ok fal þá sýn (Hkr iii, 227 f.). Magnús trägt an jenem Tag ein rotes Wams, an dem sich die Schweden orientieren, tauscht aber hinter einem Busch die Kleidung mit seinem Gefolgsmann Ǫgmundr. Das eigentlich nachteilige, weil überschaubare Terrain und die eigentlich nachteilige, weil weithin sichtbare Kleidung erweisen sich im Zusammenspiel als glücklicher Zufall für Magnús. Dankbar zeigt er sich nicht, bald gerät er mit Ǫgmundr und dessen Sohn Skopti aneinander: Weder Skoptis gerühmte Klugheit (at hann var svá viti borinn) noch die Beschwichtigungsversuche durch Ǫgmundr bewirken etwas; letzterer verlässt den König mit den Worten: koma mundu, konungr, þessu áleiðis, at gera oss rangt, fyrir sakir ríkis þíns. Mun þat hér sannask, sem mælt er, at flestir launa illu eða engu, er lífit er gefit
Bagge 1991, S. 95. Power 2005, S. 9. Sawyer 2015, S. 107. Bagge 1991, S. 103.
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(Hkr iii, 231), ‘du wirst es einrichten, König, uns Unrecht zu tun, dank deiner Macht. Es bewahrheit sich hier, was gesagt wird, dass die meisten, denen man das Leben rettet, dies schlecht oder gar nicht lohnen’. Ein hartes Urteil, das das Bild von Magnús weiter ins Negative kippen lässt. Die Konfliktsituation wird durch einen Zufall entschieden: Skopti richtet fünf gute Langschiffe für eine Auslandsfahrt her (ǫll vel búin) und nimmt seine eigenen Söhne mit; eine prestigeträchtige Fahrt, wie der Erzähler betont, doch die Männer brechen unerwartet spät im Jahr auf (urðu þeir heldr síðbúnir) – ein schlechtes Vorzeichen, das sich gleichwohl nicht bewahrheitet, denn der kluge Skopti verbringt den Winter zunächst in Flandern. Erst im kommenden Frühjahr segeln sie weiter nach Frankreich und im Sommer schließlich fahren sie in die Straße nach Gibraltar ein – der Erzähler nennt das Gerücht, Skopti sei der erste Norweger gewesen, der dies getan habe. Im Herbst kommen sie schließlich nach Rom. Doch so prächtig diese Fahrt gezeichnet ist, so sehr sie Skopti zu einem künftigen Protagonisten aufzubauen scheint: allir ǫnduðusk þeir feðgar í þeiri ferð (Hkr iii, 232), ‘alle starben sie auf dieser Fahrt, Vater und Söhne’. Ein abruptes Ende – das zu späterem Zeitpunkt allerdings unerwartet wieder in Zweifel gezogen wird, wenn Skopti nämlich doch von seiner glorreichen Auslandsfahrt heimkehrt und mit Magnús’ Söhnen aneinandergerät.¹⁹²
3.4.5 Chaos I – Ingi Haraldsson und Hákon herðibreiðr Ingi Haraldsson und seine Brüder Sigurðr und Eysteinn teilten sich die Herrschaft in Norwegen friedlich, meðan it forna ráðuneyti þeira lifði (Hkr iii, 330), ‘solange ihre alten Ratgeber lebten’.¹⁹³ Als die drei Könige älter wurden und die Ratgeber gestorben waren, entwickelten sie sich sehr unterschiedlich. Ingi, aufgrund seiner Behinderung auf Hilfe angewiesen – die Teilnahme an einer Schlacht in jüngstem Alter machte ihn zu einem Krüppel, wie auch sein Gegner Magnús Sigurðarson es war –, nimmt bereitwillig Rat in Anspruch, während Sigurðr und Eysteinn selbstverliebt sind. So gewinnt Ingi Kardinal Níkolás für sich (kallaði hann son sinn (Hkr iii, 332; Msk ii, 230), ‘Níkolás nannte ihn seinen Sohn’), während letzterer (der spätere Papst Hadrian) mit den beiden Brüdern rasch in Streit gerät. Auch untereinander geraten Sigurðr und Eysteinn aneinander, weil Sigurðr einen Gefolgsmann Eysteinns erschlagen hat. Bemerkenswerterweise ist es dieser Totschlag – für die Königssagas kein ungewöhnliches Ereignis –, der die beiden Brüder zu weitreichenden Plänen veranlasst: Die Tat treibt sie an den Verhandlungstisch und im langen Gespräch (þeir sátu lengi tveir á máli) kommen sie zu dem völlig unerwarteten Beschluss, dass ihr Bruder Ingi nicht die nötige Gesundheit habe, um König zu sein (lézk þykkja hann eigi hafa heilsu til at vera konungr (Hkr iii, 338)); Fsk (335) und Msk (ii, 231) erzählen hier ähnlich. Der in der
Vgl. Kap. 3.3.7. Vgl. Kap. 3.3.8.
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Erzählung unbegründete Totschlag erweist sich als unberechenbares Moment im Verhältnis der drei Brüder. Konzentriert sichtbar wird die Unsicherheit des Geschehens aber nicht nur in der unerwarteten Schlussfolgerung von Sigurðr und Eysteinn, sondern auch darin, dass Ingi unerwartet schnell von der Unterredung erfährt und diese mit Unterstützung seines einflussreichen Gefolgsmanns Grégóríús Dagsson publik macht. Die in einem entfernten Totschlag begründete Allianz auch dieser beiden Männer schafft erneut eine ambige Position für die weitere Auseinandersetzung: Wo Ingi als besonnen beschrieben wird, da ist Grégóríús ein Krieger, der wiederum mit Erlingr skakki Ormsson, Ingis Schwager und gepriesener Jerusalemfahrer, in anhaltendem Zwist steht – eine in jeder Hinsicht unsichere Konstellation. Während Sigurðr wenig später im Kampf fällt, erwartet Grégóríús von Ingis Bruder Eysteinn zunächst keine Gefahr, ist dieser doch im winterlichen Oslo eingeschlossen. Diese Einschätzung und der weitere Verlauf erinnert u. a. an eine Episode in den frühen Jahren von Óláfr Haraldsson, ebenso wie an die Fehlplanung von Magnús Óláfsson in Schweden, wie Hkr sie schildert.¹⁹⁴ Auch Eysteinn nutzt die Witterungsbedingungen, indem er seine vermeintlich bewegungsunfähigen Schiffe über das Eis ins freie Wasser ziehen lässt; die Szene fehlt in Fsk. Ingi versucht zu vermitteln, en þau ein fóru orð í milli, er ekki váru til sættu (Hkr iii, 343; Msk ii, 237), ‘aber die Worte, die zwischen ihnen gewechselt wurden, sahen nicht nach Frieden aus’. Eysteinn selbst versucht, seine Leute anzustacheln, doch fehlt ihm, ähnlich wie einst Sveinn Knútsson,¹⁹⁵ die Eloquenz seines Bruders: engi varð rómr at máli hans (Hkr iii, 344; Fsk, 339), ‘seine Rede wurde nicht von Beifall begleitet’. Mehr noch schlägt diese Rede ins Gegenteil um: um nóttina eptir røru þeir í brot mǫrgum skipum á laun til lags við Inga konung (Hkr iii, 344; Msk ii, 238), ‘in der folgenden Nacht ruderten die Männer von Eysteinn heimlich mit zahlreichen Schiffen davon, um sich König Ingi anzuschließen’. Damit scheitert aber auch das Vorhaben von Eysteinn, im Kampf sein massives Drachenschiff zum Einsatz zu bringen: Zwar liegen seine Schiffe wieder frei, doch nun fehlen ihm die Leute für die Bemannung gerade des größten Schiffes – vermeintlich eindrucksvolle Größe wurde u. a. bereits den Schiffen von Þórir und Haraldr Sigurðarson zum Verhängnis.¹⁹⁶ Eine fatale Entwicklung auch für Eysteinn: Er wird erschlagen. Trotz des in Norwegen zu dieser Zeit historisch betrachtet um sich greifenden Bürgerkriegs¹⁹⁷ scheint Ingis Herrscherposition mit dem Tod seiner Brüder gefestigt. Msk endet mit dieser Episode (es fehlt ein Teil der Handschrift), in Fsk erstreckt sich eine Lakune bis über den Tod von Grégóríús hinaus. In Hkr, noch genannt auch in Fsk, tritt mit Hákon herðibreiðr, Breitschulter, einem Sohn von Sigurðr, abermals ein neuer Gegner ins Geschehen ein. Nach dem Tod von Eysteinn wird Hákon zum Anführer ernannt, doch da er jung ist, stehen ihm Ratgeber zur Seite; ähnlich seinem
Vgl. Kap. 3.3.3.1 und Kap. 3.4.4. Vgl. Kap. 3.3.4. Vgl. Kap. 3.4.2.3 und Kap. 3.4.3. Vgl. Orning 2014.
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Vater, ist Hákon auch als Redner begabt. Grégóríús sieht sich von Hákon bedroht, doch scheint sich die Situation zu seinen Gunsten zu wenden, als er vernimmt, dass König Ingi naht. Grégóríús eilt dem Verbündeten entgegen, trifft allerdings auf dem Weg unerwartet auf dessen Verwandten Símun skalpr, woraufhin er das Treffen mit dem König auf einmal als unnötig erachtet: Grégóríús varð þeim fenginn mjǫk (Hkr iii, 348). Doch diese suggerierte Sicherheit erweist sich als trügerisch, das zufällige Zusammentreffen stellt vielmehr die Kontingenz des Geschehens heraus: Bei seiner unerwartet frühen Rückkehr gerät Grégóríús ausgerechnet in eine Versammlung von Hákon. Grégóríús hält der Bedrohung stand, weiß er doch um das angekündigte Herannahen von König Ingi – allein: Ingi kommt nicht, Grégóríús ist auf sich allein gestellt. Wiederum nimmt das Geschehen eine unerwartete Wendung, als Grégóríús sein Heil nicht in der Flucht, sondern im Angriff auf den überlegenen Hákon sucht – und Hákon flieht. Erst zum Ende des Kampfes hin, unerklärt spät, taucht Ingi auf. Dieses Wechselspiel der Zufälle gegen alle Planung prägt die weitere Erzählung. Grégóríús und Ingi treffen im folgenden Frühjahr erneut auf Hákon. Seinem ungestümen Charakter entsprechend rät Grégóríús zum sofortigen Angriff auf die Schiffe von Hákon, eine Gelegenheit zur Rache: hér mundi vel bera til um hefnd (Hkr iii, 351). Ingi stimmt diesem Rat zu: Der kampfstarke Heerführer imponiert dem gebrechlichen König. Doch sieht sich Ingi trotz seiner Königswürde nicht fähig, eine Entscheidung zu fällen, ohne andere ranghohe Gefolgsleute anzuhören. Ingis Hoffnung mag gewesen sein, Grégóríús’ Plan in einer raschen Abstimmung zu bestätigen – ein im Mittelalter gewöhnliches Prozedere, wie Gerd Althoff betonte, denn „dass jemand noch gegen mehrere gleichlautende Voten der Ranghöchsten argumentierte, war wohl kaum vorstellbar“.¹⁹⁸ Doch Ingis zweiter Berater Erlingr stimmt mit Grégóríús faktisch in überhaupt nichts überein: þessi ætlan, er nú er sett, er þvert frá mínu skapi (Hkr iii, 352), ‘der Plan, der hier vorgetragen wurde, ist meiner Auffassung schnurstracks zuwider’. Zwar habe man sich Hákon auf dem Wasserwege mühelos genähert – ein Vorgebirge (nes nǫkkut) erwies sich als glücklicher Zufall, verbarg es doch Ingis Flotte –, nun aber müsse man mit ungünstigen Strömungen (ástraum) vor Ort rechnen, deren Durchschiffung viele Männer schutz- und nutzlos ans Ruder fesseln würde. Grégóríús wirft ihm vor, at hann vildi þau ráð ónýta, er Grégóríús lagði til, ‘dass er Grégóríús’ Plan zunichte machen wolle’, ohne aber bessere Einsicht (at hann kynni þetta gørr at sjá) in diesen Dingen zu haben als andere – „der eifersüchtige Kampf“ ist oberstes Prinzip dieser Zusammenkunft.¹⁹⁹ Zwischen diesen Alternativen stehend, entscheidet sich der König pragmatisch für ein Drittes: Erlingr soll den Angriff führen, allerdings, wie von Grégóríús gefordert, noch am selben Tag – Althoffs Betonung, „welch agonaler Vorgang die Herstellung von Konsens“ in mittelalterlicher Königsherrschaft war, lässt sich stimmig applizieren.²⁰⁰ Ek má ekki at fœrask, ef missi þeira manna (Hkr iii, 358), Althoff 2016b, S. 7 f. Althoff 2016b, S. 321. Die königliche Entscheidung, so Althoff 2016b, S. 275 f., hatte zu gewährleisten, „dass Rang und Ehre aller so weit wie möglich gewahrt wurden, das hieß, sie musste Gegensätze ausgleichen, Konflikte
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‘ich kann nichts anfangen, wenn ich diese Männer verliere’, wird Ingi wenig später über das gewünschte Zusammenwirken von Erlingr und Grégóríús bemerken – das mehrfache Einberufen von Beratungen fungiert als Moment der Sicherung etablierter Ordnungen. Und so ist es bezeichnend, dass Ingi nach der Kritik von Erlingr an Grégóríús’ Plan auf ihr Verwandschaftsverhältnis rekurriert, wenn er Erlingr unter der Anrede mágr, Schwager, mit seiner Entscheidung konfrontiert – ein emotionaler Appell. Birgit Sawyers Behauptung, Ingi sei „physically and psychologically weak“,²⁰¹ kann angesichts dieser besonnenen bis trickreichen Vermittlung des Königs nicht überzeugen. Vielmehr wird Ingis Vermittlungsversuch von unerwarteter Seite unterlaufen: Erlingr übernimmt zwar wie befohlen das Kommando, schafft aber sogleich eine neue agonale Situation, indem er die Flotte nach der Größe der Schiffe teilt. Er selbst übernimmt die kleinen Schiffe, Grégóríús die großen, mit dem Befehl, Hákon zu attackieren, sobald die kleinen Schiffe den ersten Angriff gestartet hätten. Hans-Jacob Orning attestierte Erlingr eine „uncompromising attitude to his opponents“²⁰² (von der es bemerkenswerte Ausnahmen gibt), doch dass dieser nur oberflächlich „the cold, calculating politican and strategist“ ist, der „politically wise behaviour in an almost Machiavellian manner“ demonstriere, wie sowohl Sverre Bagge als auch Orning meinten,²⁰³ wird in der abschließenden Bemerkung von Erlingr deutlich: ok veit eigi, áðr en reynt er, hvárt þeir leggja því betr at en ek sem þeir eru óðari (Hkr iii, 353), ‘man weiß nicht, bevor es erprobt wurde, ob andere Befehlshaber dann tatsächlich umso besser als ich angreifen, je rasender sie sind’ – vor dem Hintergrund der Truppenteilung ist das eine emotionale Kampfansage an den formal Verbündeten. Bezeichnend ist, dass es dann gar nicht die Taktik von Erlingr ist, die Ingis Armada in eine bessere Position bringt, sondern ein Missverständnis. Hákon deutet das Manöver der nun entdeckten Schiffe von Ingi als Flucht der vermeintlichen kleinen Flotte; deren Umfang kann er aufgrund der Landzunge, die räumliche Grenze seines Wissens und seiner Planung, nicht erkennen. Diese geradezu metaphorische Bedeutung der Landzunge wird auch darin ersichtlich, dass sie sich nicht bruchlos ins narrative Geschehen fügt: Zuvor wurde nämlich berichtet, die Schiffe König Ingis seien den Fluss aufwärts Hákon entgegen gerudert, bis eine Flotte die andere sah: var þá róit ǫllum skipunum upp eptri ánni, til þess er hvárir sá aðra (Hkr iii, 351). Mit dem Auftauchen der Landzunge wird eine abweichende Konstellation verwirklicht, ist die Flottenstärke auf einmal unklar – ein Unsicherheitsfaktor, der sich für Hákon als unglücklicher Zufall herausstellt. Zwar hatte auch er Kriegsrat abgehalten (áðr hǫfðu þeir verit á tali ok ráðit ráðum sínum (Hkr iii, 353)), doch die vermeintlich fliehende und vermeintlich kleine Flotte Ingis vor Augen, werden abweichende Stimmen – gátu
moderieren und beilegen. Durch nichts konnte sie selbst schneller Krisen erzeugen, als durch einseitige Bevorzugung einzelner Parteien oder Personen. Konsensuale Herrschaft war daher auch so etwas wie ein Ritt auf dem Tiger“. Sawyer 2015, S. 107. Orning 2013a, S. 73. Bagge 1991, S. 93; Orning 2013a, S. 74.
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sumir, at þeir Ingi konungr mundi at leggja, ‘einige meinten, König Ingi und seine Leute würden angreifen’ – plötzlich ignoriert, wird die Unentschiedenheit der Situation in einer ad hoc-Entscheidung überwunden. Hákon befiehlt den Angriff. Erst jenseits der Landzunge wird ihm plötzlich seine Fehlentscheidung bewusst – und der erzählweltliche Zufall will, dass diese Einsicht gerade noch rechtzeitig kommt, um die eigenen Schiffe aus der Strömung zurückzuordern. Das Treffen der Flotten ausgerechnet an einer Stelle, an der diese Strömungen die Schiffe zum Verweilen in einer unübersichtlichen Position zwingen, ist ein Zufall, der Hákon zunächst zu benachteiligen scheint. Doch die Kontingenz des Geschehens, die Unstetigkeit des Zufalls, wird ein weiteres Mal betont, wenn in Reaktion auf Hákons Fehlentscheidung nun Erlingr seinen eigenen Rat vergisst: ek kalla þetta vera ófœru, at berjask við þá at svá búnu, þótt vér hafim lið mikit (Hkr iii, 352), ‘ich halte es für verwegen, sich derzeit mit Hákon so gerüstet zu schlagen, auch wenn wir ein großes Heer haben’ – diese anfängliche Vorsicht ist vergessen, kaum dass Hákon hinter der Landzunge in Erscheinung tritt. Bezeichnend ist in diesem Zusammenhang auch der analoge Verweis auf die gerechte Sache sowohl bei Hákon als auch bei Erlingr: guð veit, at vér mælum réttara […] ok þat mun guð vilja, at vér steypim honum (Hkr iii, 354), ‘Gott weiß, dass das Recht auf unserer Seite ist, und es wird Gottes Wille sein, dass wir Ingi zu Boden werfen’ – dieser Rede auf Seiten Hákons hält Erlingr (unwissentlich) zeitgleich entgegen: ek sé þat, er allir megu vita, hversu mikil nauðsyn á er at støkkva óaldarflokki þessum (Hkr iii, 356), ‘auch ich sehe, was alle wissen, die große Notwendigkeit, diese Bande an Frevlern niederzuwerfen’. Neben die horizontale Perspektive unbeherrschter Emotionen und Fehleinschätzungen tritt damit plötzlich eine vertikale Perspektive, die Lenkung von oben.²⁰⁴ Aber dieser beidseitig evozierte göttliche Beistand erweist sich als unzuverlässiges Moment: Nirgends wird nachfolgend der Eingriff irgendeiner übernatürlichen Macht erzählerisch funktionalisiert.Vielmehr betont der plötzliche Rekurs auf eine moralische Begründung, die aber folgenlos bleibt, die äußeren Umstände umso stärker als eigentlich relevantes Moment. Das weitere Geschehen fügt sich zu dieser Lesung: Die Schlacht entwickelt sich ganz anders als von irgendjemandem geplant. Erwies sich Hákons Verlassen seiner starken Ausgangsposition als Fehler, so war auch die Aufteilung der Schiffe durch Erlingr falsch: Durch seine Unfähigkeit, das agonale Verhältnis zu Grégóríús temporär zurückzustellen, unterminiert Erlingr nicht allein Ingis Bemühung, einen Konsens zu schaffen, sondern er handelt auch gegen seine gerühmte „strategic ability“: Der von
Vgl. dazu ähnlich die unterschiedliche Motivation des Krieges in Vergils Aeneis und in Heinrich von Veldekes Eneasroman; zu letzterem notierte Gerok-Reiter 2010, S. 144: „Der Krieg beginnt hier also nicht durch Lenkung von oben, durch Steuerung in der Vertikalen, sondern gleichsam in horizontaler Perspektive: aufgrund unterschiedlicher Rechtsvorstellungen, vor allem aber aufgrund unterschiedlicher Entscheidungen auf der Basis ungezügelter Emotionen. […] hier [wird] ein Handlungsraum als Entscheidungsraum vorgestellt, wie zuvor erweist sich dieser Entscheidungsraum gerade durch die Unwägbarkeiten emotionaler Entscheidungsfindung als kontingent“. In Hkr werden beide Momente nebeneinandergestellt, wodurch die Situation umso uneindeutiger und unkontrollierbarer erscheint.
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Bagge herausgestellte strategische Gesichtspunkt der Entscheidung von Erlingr – „to attack downstream, to avoid using men to row, thus exploiting their numerical superiority“²⁰⁵ – wird ad absurdum geführt durch den Umstand, dass Grégóríús’ besonders großes Schiff in der widrigen Strömung nicht zu kontrollieren ist, zuviel Tiefgang hat, auf Grund läuft und umkippt: en skip Grégóríí sveif upp á grunninn ok hallaði mjǫk (Hkr iii, 357). Das stolze Kriegsschiff nutzlos auf Sandbänken vor Augen, erzürnt erstmals Ingi: þetta var it ósnjallasta ráð, er vér skyldum hér eptir liggja, ‘das war ein sehr unkluger Rat, dass wir hier zurückbleiben sollten’. Hatte Ingi geplant, die Stärken seiner Berater wirkungsvoll zu vereinen, hatte Grégóríús geplant, Hákons kleinere Flotte zu überrennen, und hatte Erlingr geplant, mit einem Angriff durch zwei Abteilungen einen raschen Sieg zu erringen, so ist die Situation allen entglitten. Kein Gott greift lenkend ein. Doch auch des Königs Versuch, doch noch in den Kampf einzugreifen – vér hǫfum þat skip, er mest er ok bezt skipat í ǫllum herinum, ‘wir haben das größte und bestausgerüstete Schiff im ganzen Heer’ –, scheitert bereits im Vorfeld: Wo fast alle großen Schiffe in Hkr an der eigenen Größe versagen, da findet das riesige Königsschiff von Ingi zwischen den anderen Schiffen gar nicht erst Platz zum Angriff: fekk konungr eigi rúm til atlǫgunnar, svá lágu skipin þrǫngt fyrir (Hkr iii, 358). Zwar unterliegt schließlich Hákons viel kleineres Heer, aber Hákon selbst kann im Chaos entkommen. So ist es im Gesamtblick zwar richtig, wenn Theodore Andersson bemerkte, Hákons Versuch, seine Position in Norwegen kriegerisch zu festigen „amounts to nothing more than a sequence of defeats“.²⁰⁶ Doch die Ursache für diese Niederlagen liegt nicht in irgendeiner Kompetenz seiner Gegenspieler Ingi, Grégóríús und Erlingr, sondern wesentlich in zufälligen Gegebenheiten.
3.5 Herrschertod Für den Nachruhm eines Staatsmannes ist kein Zufall wichtiger als der seines Todes. Ein anderer Tod – ein anderer Mensch.²⁰⁷
3.5.1 Die allergrausamste Komödie – Zur Ynglinga saga Die in rascher Abfolge erzählte Geschichte der Könige der mythischen Ynglinga-Dynastie hat in der Forschung insofern Aufmerksamkeit erfahren, als in dieser Ynglinga saga (in Hkr) das vermutlich ältere Skaldengedicht Ynglingatal überliefert ist.²⁰⁸ Die geschilderten Todesarten der frühen Herrscher sind als ironisch-skurrile Unterhaltsungszenen gedeutet worden. Das lässt sich nicht leugnen. Das Dahinscheiden von
Bagge 1991, S. 93; vgl. Bagge 1986, S. 185. Andersson 2016, S. 47. Demandt 1986, S. 116. Die maßgebliche Studie ist immer noch Krag 1991.
3.5 Herrschertod
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Königen der nordischen Vorgeschichte muss aber in einer Reihe mit späteren Todesfällen gelesen werden: Bei aller erzählerischen Kürze formen diese frühen Tode ein Muster, das sich auch durch die Jahrhunderte historisch mehr oder weniger dokumentierter Herrscher zieht. Und dass gerade der Ahnherr aller nordischen Könige, der einst aus Asien eingewanderte Óðinn, an Altersschwäche (sóttdauðr) im Bett stirbt, baut einen starken Kontrast nicht nur zu seinem göttlichen Analogon, dem Asengott Óðinn, auf, der in den Ragnarǫk kämpfend sein gewaltsames Ende findet.²⁰⁹ Der Alterstod des Menschen Óðinn steht auch im Kontrast zum Gros der nachfolgenden Herrscher,²¹⁰ die ihr Leben durch unglückliche Konstellationen verlieren – Birgit Sawyer attestierte diesen Nachfolgern geradezu „shameful fates“.²¹¹ Ergiebiger deutete Svanhildur Óskarsdóttir das eigenartige Ableben zahlreicher Herrscher im Ynglingatal, wenn sie betonte: „Kvæðið fjallar um dauða og vandann að deyja með sæmd og undirstrikar að það er ekki í valdi manna að velja sér dauðdaga“,²¹² ‘das Gedicht erzählt vom Tod und der Schwierigkeit, ehrenvoll zu sterben, und betont damit, dass es nicht in der Macht der Menschen steht, sich den Todestag zu wählen’. Das irritierende Moment bereits dieser frühen Todesfälle liegt nämlich in ihrer Abruptheit: Der Tod von Herrschern in der Ynglinga saga ist nicht das Resultat irgendeiner Form von „legitimierter und/oder gesellschaftlich akzeptierter Gewaltanwendung“,²¹³ wie Matthias Bauer für (scheinbar) überraschende Herrschertode in der mittelhochdeutschen Prosakaiserchronik notierte – der Herrschertod in den Königssagas erscheint oft als bloßer Zufall. Einige Beispiele aus der Ynglinga saga mögen genügen. Man denke an Fjǫlnir, Sohn von Freyr sowie Zeitgenosse und Verbündeter des mythischen Königs Fróði. Letzterer veranstaltet eines Tages zu Ehren von Fjǫlnir ein Gelage in seinem prächtigen Haus, in dem ein großes Holzfass voller Met eingelassen ist, zugänglich über eine Öffnung im oberen Stock. Übermäßiger Alkoholkonsum wird in den Königssagas frequent als zufällige Begebenheit funktionalisiert, die erhebliche Auswirkung auf das Geschehen hat. Jiří Starýs Versuch, „die historische Wahrheit des Berichts mit Hinweis auf die angeblich bekannte Trinksucht der Nordleute [zu] retten“, behauptete einen „paradoxen Kontrast zu Snorris wissenschaftlicher Vorgehensweise“.²¹⁴ Doch Starýs Kontrastierung einer „trockene[n], historisch-sachliche[n] Beschreibung im positi-
Vgl. van Nahl 2013b, S. 127– 138. Haraldr hárfagri (vgl. Kap. 3.2.1) bildet die bekannte Ausnahme; sein natürlicher Tod im hohen Alter rückt ihn an den menschlichen Óðinn heran. Damit stehen die Königssagas im Gesamtblick aber konträr zu den Isländersagas, für die Gottschling 1986, S. 266, seinerzeit festhielt, „die Verbindung von Krankheit und Alter“ sei eine strukturelle Stereotype ohne eigentliche Bedeutung, während Todesfälle durch Unglück auf Schiffsunglücke beschränkt blieben (vgl. ebd., S. 269). Sawyer 2015, S. 29; sie betonte zwar weiter: „By beginning his history with their inglorious reputation, Snorri strikes the tone for the rest of his narratives about the kings“ (ebd., S. 30), doch stand für sie dabei der Aspekt des politischen „ridicule“ im Vordergrund. Svanhildur Óskarsdóttir 1994, S. 768. Matthias Bauer 2011, S. 262. Starý 2013, S. 119.
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vistischen Sinne“ und „Unglaubwürdigkeiten“ arbeitete mit Kategorien, die für die Interpretation der Königssagas längst als ungenügend herausgestellt wurden.²¹⁵ Auch der Fjǫlnir-Episode werden sie nicht gerecht. Fjǫlnir bezieht nach einem Trinkgelage das Zimmer neben dem Fass und verlässt in der Nacht, einem natürlichen Drang folgend, seine Kammer, svefnœrr ok dauðadrukkinn (Hkr i, 26), ‘schlaftrunken und völlig berauscht’ – auf dem Rückweg zum Schlafzimmer nimmt er die falsche Tür, stürzt in das Fass und ertrinkt. In solch gedrängter Darstellung suggeriert dieser Tod einen kausallogischen Zusammenhang der verschiedenen Faktoren; doch keiner davon – das Fass, der Alkoholkonsum, die zwei Türen – und auch nicht deren Kombination birgt in sich die Notwendigkeit, zum Tod des Königs zu führen. Vielmehr erscheint dieses eigenartige Haus als kontingenter Raum, die Türen als Möglichkeiten – ein Eindruck der Unsicherheit, der durch Rauschzustand und nächtliche Stunde verstärkt wird. Die Aktualisierung der fatalen Option ist umso mehr als Zufall dargestellt, als Fjǫlnir nicht die erste Tür wählt, die zu seinem Gemach geführt hätte, sondern er diese Option verwirft: þá gekk hann fram eptir svǫlunum ok til annarra loptdura ok þar inn, ‘dann ging er die Empore entlang und zur zweiten Zimmertür und dort hinein’. Ein Zufall tötet auch König Dagr, der laut Erzählung so klug war, dass er die Sprache der Vögel beherrschte, ein Motiv, das aus der germanischen Heldendichtung bekannt ist. Richard North nannte diese Episode „die allergrausamste Komödie“ und wollte in ihr einen spöttischen Abgesang auf ältere Motivik sehen;²¹⁶ Edith Marold argumentierte für einen „volkssagenartigen Charakter“.²¹⁷ Beide Thesen erfassen relevante Aspekte, blenden aber das Kernmoment, den Tod des Königs, eigenartig aus. Einmal geschah es (þat var eitt sinn (Hkr i, 35)), dass des Königs Sperling (vielleicht auch eine Person dieses Namens), der ihm vielfältige Kunde brachte, von einem Bauern erschlagen wird. Dagr gerät so in Zorn, dass er die gesamte Gegend mit Krieg heimsucht – erfolgreich: fólkit flýði víðs vegar undan (Hkr i, 36), ‘das Volk floh weit und breit vor ihm’. Nach einem siegreichen Tag – hafði [hann] drepit mart fólk ok mart handtekit, ‘er hatte viele Leute erschlagen und viele gefangen genommen’ – kehrt der König zu seinen Schiffen zurück. Bei der Überquerung eines Flusses stürzt plötzlich ein Knecht aus dem nahen Wald (ór skógi), schleudert seine Heugabel in die Schar (í lið þeira) und trifft ausgerechnet den König tödlich am Kopf: fell hann þegar af hestinum ok fekk bana, ‘er fiel sofort vom Pferd und war tot’. Das plötzliche Ableben hochrangiger Protagonisten aufgrund eines betont ungezielten Geschosses ist in den Königssagas ein verbreitetes Motiv.²¹⁸ Der siegreiche Moment des Herrschers wird radikal ins Negative verkehrt, ein Angehöriger der untersten sozialen Schicht bewirkt sein Ende, und auch die Nähe des potenziell bedrohlichen, weil undurchschaubaren
Stary 2013, S. 119; vgl. Kap. 1.3.3. North 2013, S. 180. Marold 2013, S. 221. Vgl. u. a. Kap. 3.5.3, Kap. 3.5.6 und Kap. 3.5.8.
3.5 Herrschertod
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Waldes betont einmal mehr die jeder (scheinbar) erfolgreichen Herrschergeschichte innewohnende Kontingenz angesichts unbeherrschbarer Begleitumstände. Bemerkenswert ist auch der folgende Tod von König Agni, Sohn von Dagr, ríkr maðr og ágætr, hermaðr mikill, atgørvimaðr mikill um alla hluti (Hkr i, 37), ‘ein mächtiger und berühmter Mann, ein großer Krieger, ein sehr tüchtiger Mann in allen Dingenʼ. Eines Sommertages (þat var eitt sumar), nach einer erfolgreichen Schlacht, die den König allfrægr, allerorts berühmt machte, feiert Agni ein großes Fest nahe eines Waldes (var þar skógr); sein eigenes Zelt hat er unter einem hohen Baum aufgeschlagen, zum Schutz gegen die Sonne: landtjaldit stóð við skóginn ok hátt tré yfir tjaldinu, þat er skýla skyldi við sólarhita (Hkr i, 38). Betrunken legt sich der König zur Ruhe, um den Hals das Zeichen seiner Macht, den Goldreif seines Vorfahren Vísburr – doch während er schläft, befestigt seine Ehefrau Skjálf, deren Vater der König zuvor im Kampf erschlug, ein Seil an ebendiesem Goldreif, wirft es über die Äste des Baumes, unter dem der König ruht, und zieht ihren Ehemann empor: ok var þat bani hans, ‘und das war sein Todʼ. So mächtig und weithin berühmt, kampfkräftig und fähig Agni auch war, die Konstellation der natürlichen Faktoren Sonnenschein und Wald sowie der sozialen Komponente (Heirat und Fest nach dem Kampf) erweist sich auch für ihn als fataler Zufall. Und ähnlich zufällige Umstände sollen es sein, die zahlreichen seiner Nachfolger den Tod bringen.
3.5.2 Fatale Kausallogik – Hálfdan svarti Beförderte ein Fehltritt den mythischen König Fjǫlnir ins Jenseits, so ist es ein Fehltritt, der zum Ende auch des ersten historisch mehr oder weniger belegten Herrschers führt, zum Tod von Hálfdan svarti, dem Schwarzen, Vater des berühmten Haraldr hárfagri, Schönhaar.²¹⁹ Das skizzierte Muster hat sich als Beurteilungsgrundlage auch späterer Todesfälle etabliert. Hálfdan ist ein erfolgreicher Herrscher, hat, wie Hkr berichtet, andere Magnaten besiegt, darunter König Sigtryggr Eysteinnsson, den Siegessicheren; dessen Tod war allerdings keine Heldentat, sondern ein Zufallstreffer: Auf dem Rückzug wurde Sigtryggr von einem ziellosen Pfeil tödlich unter dem Arm getroffen; eine Verletzung, wie sie auch in anderen Königssagas für den Tod von Herrschern verantwortlich ist. Hálfdan ist aber vor allem vizkumaðr mikill ok sannenda ok jafnaðar ok setti lǫg ok gætti sjálfr ok þrýsti ǫllum til at gæta (Hkr i, 91), ‘ein sehr kluger Mann, wahrheitsliebend und rechtschaffen; er gab Gesetze und hielt sie selber ein, und zwang alle anderen, sie einzuhalten’; Sverre Bagge sah die Gesetzgebung von Hálfdan
Dieser Tod im Alter von vierzig Jahren wird in der Forschung auf das Jahr 860 datiert; Hálfdan erscheint damit als „the true ancestor of later Norwegian kings“ (Sawyer 2015, S. 41). Wolf 1996, S. 11, setzte den Beginn der nordischen Geschichte im eigentliche Sinn mit dessen Sohn Haraldr an: „Für die Werke, die der Königsgeschichte gewidmet sind, bedeutet das Auftreten Harald Schönhaars den großen Wendepunkt in der norwegischen Vergangenheit; die unbestimmte Vorzeit ist damit vorbei, Geschichte kann beginnen“.
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in Grundzügen bis ins 13. Jahrhundert wirksam,²²⁰ Birgit Sawyer erkannte in seiner Charakterisierung gar die vier Kardinaltugenden.²²¹ Vor den Bemühungen von Hálfdan, seine erfolgreiche Herrschaft durch strikte Regeln zu manifestieren, erscheint sein plötzlicher Tod umso irritierender. Die Signifikanz der Szene in Hkr zeigt sich im Blick über diese Fassung hinaus. Fast lapidar erscheint die Bemerkung im Ágrip, Hálfdan sei bei einer Viehtränke (nautabrunnr) ertrunken; diese kurze Bemerkung findet sich auch in Fsk. Die Historia Norwegiae führt näher aus, der See, an den der König kommt, sei zugefroren gewesen und die fatale Überquerung des Nachts geschehen:²²² Unerwartet (improvidus) sei der König in einen Riss im Eis gestürzt, wo üblicherweise das Vieh getränkt wurde; warum er ausgerechnet im Dunkel das Eis betritt, bleibt unkommentiert. Ein solcher Tod muss aber vor allem deshalb „freakish and horrible“ erscheinen, wie Bruce Lincoln formulierte, weil er sich im Winter ereignete, zu einer Zeit, zu der „a Norwegian could still expect safe travel across deeply frozen lakes“;²²³ andere Königssagas berichten von der erfolgreichen strategischen Nutzung von Eisflächen.²²⁴ Vor diesem Vergleich wird deutlich, in welchem Maße Hkr um eine kausallogische Erklärung bemüht ist – die Hálfdan selbst aber unzugänglich ist und sich auch dem Rezipienten erst mit dessen Tod in ihrer ganzen Bedeutung erschließt.²²⁵ Das Geschehen in Hkr ist bezeichnenderweise ins Frühjahr verlegt, und zu dieser Zeit führt der Heimweg von einer Zusammenkunft Hálfdan ausgerechnet so (bar svá til leið hans), dass der König einen Fjord überschreiten muss. Für den Einbruch ins Eis wird eine bemerkenswerte Erklärung geboten: Auf der Eisfläche sei den Winter hindurch eine Viehtränke gewesen, und dort, wo der Dung auf das Eis fiel, erwärmte und schwächte die Sonne es im Frühjahr: en er mykrin hafði fallit á ísinn, þá hafði þar grafit um í sólbráðinu (Hkr 9) – „accidents will happen“, wie Lincoln lapidar zusammenfasste.²²⁶ Bemerkenswert ist
Vgl. Bagge 1991, S. 132. Vgl. Sawyer 2015, S. 41. Qui dum noctu per cuiusdam stagni glaciem, quod Rond nominatur, iter ageret, cum curribus et equitatu magno a cena rediens, in quandam scissuram, ubi pastores gregem suum adaquare solebant, improuide aduectus sub glacie deperiit, ‘while he was pursuing a journey by night across a frozen lake called Rand, returning from a feast with a large company of sleighs and horsemen, he unsuspectingly encountered a fissure where the shepherds used to water their flocks, and perished there beneath the iceʼ (zitiert nach Ekrem et al. 2003, S. 80 f.) Lincoln 2014, S. 72 Vgl. z. B. Kap. 3.4.4 und Kap. 3.5.8. Vage blieb die Bemerkung bei Kolbrún Haraldsdóttir 1998, S. 103, Snorri habe „zwei oder drei Sätze“ hinzugefügt, „um die Erzählung besser in Szene zu setzen und sie logischer zu machen“. Lincoln 2014, S. 74. In der Parallelisierung dieser Episode mit Schöpfungsmythen der nordischen Mythologie – das Zusammenspiel von Hitze und Eis bei der Schaffung der Welt, das Zerteilen des getöteten Urriesen (ähnlich der geborgenen Leiche von Hálfdan) – warf Lincoln die Frage auf, ob dieser Tod „the triumph of evil“ repräsentieren würde (ebd., S. 77). Seine Ansprache von Hálfdan als Schlussglied einer mythischen Welt steht aber nicht bruchlos zur nüchternen Sagaschilderung. Die Schaffung der Welt ist in der nordischen Mythologie zudem von verschiedenen Erklärungsansätzen
3.5 Herrschertod
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zwar, dass der Tod von Hálfdan vorausgehend angedeutet wird, wenn ein Zauberer dem jungen Haraldr hárfagri voraussagt, dass sein Vater bald sterben werde. Das abrupte Ende des Königs und seiner Leute ist dann aber so minutiös aufgeschlüsselt, dass es gerade nicht als übernatürlicher Eingriff erscheint. Vielmehr wird im unglücklichen Zusammenspiel von Sonne, Rindern und Eis herausgestellt, dass die Rahmenbedingungen dieses Todes jeder übernatürlichen Einflussnahme entbehren, sondern schlicht ein unglücklicher Zufall sind. Hier ist noch einmal der Blick auf Fsk zu lenken: Am Ende einer Fassung (A) finden sich wenige Kapitel angehängt, die frühere Ereignisse aufgreifen, darunter den Tod von Hálfdan. Der Zusatz ist überschrieben mit den Wort um einn ógæfuatburð (Fsk, 365), ‘von einem unglücklichen Ereignis’, und bemerkt, wie Hkr, dass es bereits Frühjahr gewesen sei, als Hálfdan seine Überquerung gewagt hätte: þat var um várit þann tíma, er ísa tekr at leysa á vǫtnum, ‘es war im Frühjahr, zu jener Zeit, wenn das Eis auf dem Wasser beginnt aufzubrechen’. Der König, auf dem Rückweg von einer Feierlichkeit, bricht mit seinem Pferd ins Eis; sein Tod aber wird befördert ausgerechnet durch die Rettungsversuche seiner Gefolgschaft: þegar þeir sá þat, þá vildu allir bjarga konungi, ok þryptisk þangat mikill fjǫlði drukkinna manna. Ísinn brotnaði því meirr ok víðari, ok varð konunginum eigi meiri hjálp at drukknum mǫnnum en svá, at konungr týndisk þar (Fsk, 366), ‘als sie dies sahen, da wollten alle den König retten, und es scharrte sich dort eine große Gruppe betrunkener Männer. Das Eis brach umso mehr und weiter ein, und dem König waren die betrunkenen Männer keine größere Hilfe, als dass er dort verschwand’ – ein zynischer Kommentar. Vor dem etablierten Hintergrund sozialer und politischer Ordnungsmuster – der Gesetzgeber Hálfdan war auf dem Rückweg von einem sozialen Ereignis –, die eine bestimmte Erwartungshaltung evozieren, hebt sich dieser Tod als radikaler Ausdruck eines kontingenten Geschehens ab. Dass laut Hkr die frühe Geschichte der norwegischen Könige durch etwas derart Banales, doch zugleich Unvermeidliches wie einen Kuhfladen entschieden geprägt wird, hat nicht trotz, sondern wegen dieser nüchternen Erklärung etwas Verstörendes. Den Blick für kommende Ereignisse schärft aber auch die Darstellung in Fsk, denn in den Königssagas spielt Trunkenheit eine erhebliche Rolle in unglücklichen Zusammenstößen – bereits die mythischen Herrscher Fjǫlnir und Agni sterben ja im Alkoholrausch, und noch Magnús Erlingsson, der letzte König, den Hkr und Fsk behandeln, wird (laut der Sverris saga) die Trunkenheit seiner Männer zum Verhängnis.²²⁷ Zugleich erscheint solche Trunkenheit im Falle von Hálfdan als Resultat der vorausgehenden Zusammenkunft, deren ordnungsstiftende Geltung damit zweifach in Zweifel gezogen ist. Bagges historisch wertendes Urteil, der Tod von Hálfdan sei „of subordinate importance“,²²⁸ geht insofern an der Kernaussage der Erzählung völlig vorbei: Der zufällige Tod des ersten historisch greifbaren Königs geprägt und gerade in den entscheidenden Phasen kein Produkt zufälliger Konstellationen (vgl. van Nahl 2013b, S. 113 – 119 und S. 125 – 134). Vgl. Kap. 3.5.9. Bagge 1991, S. 43.
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auf dem Höhepunkt seiner weitsichtigen Machtausübung lässt die folgende Herrschaftsgeschichte in noch stärkerem Maße kontingent erscheinen als die unglücklichen Tode seiner mythischen Vorfahren.
3.5.3 Im Schneesturm der Geschosse – Das Ende von Hákon Haraldsson Die Hákonar saga góða, wie Hkr sie überliefert, ist von Zeitsprüngen geprägt. Kaum hatte sich Hákon, Sohn von Haraldr hárfagri, als Herrscher in Norwegen etabliert und sein Reich geordnet – die Söhne seines verbannten Halbbruders Eiríkr kamen zufällig zur rechten Zeit, um das Land in gemeinsamer Verteidigung zu einen –, machte die Erzählung einen Sprung von zwanzig Jahren, um Hákons Ordnung scheitern zu lassen.²²⁹ Zwar konnte Hákon seine Erzfeinde dank klugen Rats noch einmal zurückschlagen, und deren Anführer verlor bei der missglückten Flucht das Leben. Unmittelbar danach aber macht die Saga einen weiteren Sprung über mehrere Jahre, um wiederum ein ähnliches Ereignis zu schildern. Eines Tages – Hákon sitzt beim Frühstück – geschah es (þá varð þat til tíðenda), dass die Wächter an der Küste eine heranrückende Flotte wahrnehmen: þá mælti hverr við annan, […] en þat þótti engum dælt at segja konungi hersǫgu, því at hann hafði þar mikit við lagt hverjum, er þat gerði (Hkr i, 183), ‘da besprachen sie sich, aber niemandem schien es sicher, dem König von der Flotte zu berichten, denn er hatte alle mit Strafe bedroht, die dies fälschlicherweise täten’. Erneut wird Hákons Verteidigungsordnung aus sich selbst heraus ad absurdum geführt – das kontingente Moment seiner Landessicherung wurde bereits geschildert. Die fehlende Korrektur beruht offensichtlich darauf, dass Hákon die Beziehung zwischen Ursache – seinen zu strengen Befehlen – und Wirkung – das Zögern der verunsicherten Wachen – zu keiner Zeit erkennt; an dieser Stelle verweist nun auch Fsk (83 f.) erstmals auf Hákons strenge Planung. Dem Bestreben, dem bedrohlichen Ernstfall rigid vorzubeugen, entspringt das Gegenteil, Hákons Strategie scheitert wiederholt an ihrer eigenen Kontingenz. Gleichwohl, und auch hier wurde ein Interpretationsmuster etabliert, werden diese kontingenten Momente durch glückliche Zufälle immer wieder zugunsten von Hákon entschieden. In dieser Aporie ist aber das Scheitern des Königs angelegt: Der Zufall kann keine dauerhafte Ordnung garantieren. Erneut fragt Hákon seine Vertrauten bei diesem dritten Angriff um Rat (mælti þá til manna sinna, hvert ráð taka skyldi) und beschließt abermals den Gegenangriff, ist er damit doch bereits zweimal erfolgreich gewesen. Doch Hkr markiert zunehmend den kontingenten Status des Geschehens, wenn in der aufgehenden Sonne Hákons goldener Helm zu glänzen beginnt und das feindliche Feuer auf sich zieht: lýsti ok af hjálminum, er sólin skein á (Hkr i, 189). Reflektierendes Gold im Vgl. Kap. 3.3.1; vgl. auch Andersson 2016, S. 84: „The Norwegians are not entirely comfortable with him, nor he with them. This mismatch tells us something about the author’s appreciation of historical ambiguities; the leader can be right but the moment wrong“; als „twilight figure“ wurde Hákon auch bei Bagge 2004a, S. 207, bezeichnet.
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Sonnenaufgang rettete einst Haraldr Sigurðarson vor dem herannahenden Sveinn Úlfsson.²³⁰ Im Falle Hákons wurde die Strophe von dessen Skalden Eyvindr skáldaspillir Finnson: lék við ljóðmǫgu, | skyldi land verja | gramr enn glaðværi, | stóð und gullhjálmi, ‘er unterhielt sein Gefolge, er sollte das Land verteidigen, noch in guter Stimmung stand der König unter dem Goldhelm’, von Reinhard Hennig als Anspielung auf Heldenlieder interpretiert: Sie zeichne das Bild eines „äußerst tapferen König, der seinen Tod nicht fürchtet“.²³¹ Mehr noch aber dürfte die Wendung enn glaðværi, ‘noch in Hochstimmung’, ironisch zu verstehen sein, deutet das Adverb enn bereits das Ende von Hákon voraus. Fsk (88) zitiert die Strophe ebenfalls, erwähnt dann aber nur, dass Hákon seinen Helm in Position bringt (setr upp hjálm sinn). Erscheint der goldene Helm in Hkr als ambiges Zeichen – er repräsentiert den stolzen König, deutet aber zugleich dessen Ende an –, so wird der kontingente Status des Geschehens zunächst noch einmal (leicht spöttisch) gebändigt, wenn ein Gefolgsmann Hákons kurzerhand einen alten Hut über den glänzenden Helm stülpt.²³² Damit scheint sich das Geschehen nach bekanntem Muster erneut glücklich für Hákon zu entwickeln, und erfolgreich schlägt er die Angreifer ein drittes Mal zurück. Þá flaug ǫr ein, er fleinn er kallaðr, ok kom í hǫnd Hákoni konungi upp í músina fyrir neðan ǫxl (Hkr i, 190), ‘da flog ein Pfeil, fleinn genannt, heran und traf König Hákons Arm im Bizeps unter der Achsel’. Ein zufälliger Treffer, in den Königssagas immer wieder funktionalisiert, von dem sich Hákon nicht erholen wird. Als Zufallstreffer wird er in Hkr noch betont, wenn der Erzähler anmerkt, dass viele Leute meinten (er þat margra manna sǫgn), ein Knecht namens Kispingr sei der Mörder, während andere Leute sagen würden, niemand wisse, wer geschossen habe (sumir segja, at engi viti, hverr skaut). Bemerkenswerterweise plädiert der Erzähler für letztere Meinung und erhält das Zufallsmoment aufrecht, wenn er ergänzt: má þat ok vera, því at ǫrvar ok spjót ok alls konar skotvápn flugu svá þykkt sem drífa (Hkr i, 191), ‘das kann auch stimmen, denn Pfeile und Speere und alle Arten von Geschossen flogen so dicht wie in einem Schneesturm’ – die Metapher des unkontrollierbaren Sturms, der in den Königssagas oft eine entscheidene Rolle spielt, lässt den tödlichen Treffer umso stärker als Zufall erscheinen. Dass ausgerechnet die Achsel als beim Tragen einer Rüstung schlecht geschützte Körperstelle getroffen wird, verweist in gleiche Richtung – zumal der Erzähler zuvor berichtete, Hákon habe seine Rüstung ohnehin abgeworfen (konungr steypði af sér brynjunni); der übermotiviert zufällige Pfeiltreffer gleicht damit umso mehr jener Szene, in der später Haraldr Sigurðarson den Tod finden soll.²³³ Die be-
Vgl. Kap. 3.3.5. Hennig 2012, S. 418. Dieses Detail übersah Sawyer 2015, S. 47, wenn sie den Tod von Hákon mit dessen Helm in Verbindung brachte: „King Håkon was easily recognized – more easily than other men“. Vgl. Kap. 3.5.6. Das Motiv der fehlenden Ausrüstung in Kombination mit einem allzu sicher geglaubten Sieg findet sich auch in der mitteldeutschen Überlieferung: Im liet von troye bemerkt der Erzähler ironisch, der Trojaner Troilus habe „nur die Aufwärtsbewegung des Glücksrades“ (Herberichs
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merkenswerte Episode um Hákons Tod fehlt in Fsk, dort wird allein berichtet, Hákon sei im Kampf verwundet worden: hann hafði fengit sár (Fsk, 93).²³⁴
3.5.4 Das könnte einmal deinen Tod bedeuten – Óláfr Tryggvason Von Kindesbeinen an Spielball von Zufällen, verfolgt Óláfr Tryggvason nach dem Tod von Jarl Hákon einen umso strikteren Kurs in Norwegen, schwankend zwischen Brutalität und Gottesgläubigkeit, darin u. a. Hákon Haraldsson in seinen frühen Herrschaftsjahren vergleichbar.²³⁵ Die weitere Erzählung um ihn ist zunächst von wundersamen Zeichen geprägt: Mal versagt seinen Widersachern im entscheidenen Moment die Stimme, mal schlägt ein Zauber gegen Óláfr ins Gegenteil um; Zauberstürme werden durch einen Bischof gebannt, Stürme hindern andererseits Heiden daran, dem König zu entkommen. Die Grenze zwischen Zufall und Wundererzählung sind hier fließend – umso stärker fällt auf, wie wenig die Erzählung um die frühen Jahre von Óláfr mit solchen Ereignissen operierte. Bemerkenswert gegenüber der ausführlichen Darstellung von dessen Auslandsaufenthalten und der langen Irrfahrt – die Erzählung schwenkte zudem immer wieder zu Jarl Hákon – ist auch, dass der Erzähler nun Episoden rafft: er þat at segja skjótast (Hkr i, 325); er þat skjótast […] at segja (Hkr i, 342). Der Eindruck entsteht, die Episoden um die wundersamen Erfolge von Óláfr seien der Vollständigkeit halber aufgenommen, ohne in den Erzählverlauf eigentlich integriert zu sein. „If Óláfr’s reign climaxes in failure, we would like some assessment of the reason, but this is the kind of analysis of which saga authors are quite sparing. […] The author provides no adequate indications that would allow us to address these issues“²³⁶ – Theodore Anderssons Einschätzung stellte das Scheitern von Óláfr als erzähllogisch unmotiviertes Faktum dar, zumal, so könnte man ergänzen, im Zusammenhang mit genannten Wunderepisoden. Doch ist dies eine Lesart, die den Weg zum norwegischen Thron gleichsam als Notwendigkeit versteht, vor der das spätere Scheitern unerklärlich scheint. Folgt man der vorausgehend entwickelten Interpretation, dann erscheint dieses Scheitern indes nicht als unkommentiertes Faktum, sondern als
2010, S. 165) fokussiert und sei dementsprechend unvorsichtig ane hute, ‘ohne Helm’, zum Kampf gegen Achill erschienen: eine militärische vnwisheit. Bemerkenswert sind die Varianten der lateinischen Königsgeschichten: Während Theodoricus Monachus dem tödlichen Pfeil eine magische Komponente verleiht, ähnlich Ágrip (með gørningum, ‘mit Zauberei’), spricht die Historia Norwegiae – Bagge 2004a, S. 197, folgend „the most hostile source“ hinsichtlich Hákon – von einem Speer, von einem Kind geschleudert. Bagge versuchte, diese Variante christologisch zu deuten: „In this way, he [i. e., Hákon] is punished by a child for having renounced the child Christ. […] In this perspective, divine intervention becomes a better explanation of Håkon’s death than Gunnhild’s magic“ (ebd., S. 188). Die rationale Perspektive in Hkr wird deutlich. Vgl. Kap. 3.3.1 und Kap. 3.4.1. Andersson 2016, S. 88
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Resultat des kontingenten Werdegangs von Óláfr.²³⁷ War dessen erneuter Aufbruch nach seiner Flucht aus Russland durch den plötzlichen Tod seiner Frau Geira ausgelöst worden,²³⁸ so soll ein ähnlich unkontrollierbares Ereignis schließlich seinen Untergang herbeiführen. Die Frau des dänischen Königs Sveinn tjúguskegg Haraldsson, Gunnhildr (wie Geira eine Tochter des legendären Wendenkönigs Búrizláfr), wird plötzlich krank und stirbt: en í þenna tíma, sem nú var áðr frá sagt, var þá þat til tíðenda, at Gunnhildr dróttning tók sótt ok andaðisk (Hkr i, 341), ‘aber zu dieser Zeit, von der vorher erzählt wurde, geschah es, dass Königin Gunnhildr krank wurde und starb’. Für Sveinn wird daraufhin die Heirat mit der späteren Mutter des schwedischen Königs Óláfr Eiríksson, Sigríðr Tostadóttir, arrangiert – ähnlich wie Geira war auch Sigríðr Witwe. In Fsk (147) wird vom Tod der Gunnhildr nichts berichtet, Sigríðr findet am Rande Erwähnung. In der Forschung herrscht Uneinigkeit, ob Sigríðr eine reale Person oder eine fiktive Figur des 13. Jahrhunderts war – für die Erzählung hat diese Frage keine Bedeutung: Zusammen mit ihrer Schwester Geira fungiert Sigríðr als Strukturmerkmal der Saga. Denn wo ein widriger Sturm und die Heirat mit Geira die verfrühte Ankunft von Óláfr in Norwegen verhinderten – ein glücklicher Zufall –, da erweist sich der krankheitsbedingte Tod von sowohl Gunnhildr (Ehefrau von Sveinn) als auch Eiríkr Bjarnarson (Ehemann von Sigríðr) für Óláfr nun als nachteiliger Zufall: Die Heirat von Sveinn und Sigríðr stärkt die Position des Dänenkönigs beträchtlich. Die Situation wird noch verschärft, da Óláfr Sigríðr einst eine ruppige Abfuhr erteilt hatte, worauf diese bemerkte: þetta mætti verða vel þinn bani (Hkr i, 310), ‘das könnte durchaus einmal dein Tod werdenʼ – eine Drohung, die ein starkes Gegengewicht zu den wundersamen Erfolgen von Óláfr bildet und dessen Werdegang abermals verunsichert: Vielleicht erweist sich diese konjunktivische Drohung als real, vielleicht nicht.²³⁹ Dass Gunnhildr im richtigen Moment starb – eben gerade í þenna tíma, sem nú var áðr frá sagt, ‘in jener Zeit, von der zuvor berichtet wurde’ –, ist der ausschlaggebende Zufall: Sveinn konungr tjúguskegg átti þá Sigríði ina stórráði, sem fyrr er ritit. Sigríðr var inn mesti óvinr Óláfs konungs Tryggvasonar […]. Hon eggjaði mjǫk Svein konung til at halda orrostu við Óláf konung (Hkr i, 349), ‘Sveinn tjúguskegg hatte dann Sigríðr die Herrschsüchtige zur Frau, wie vorher geschrieben wurde. Sigríðr war die größte Feindin von König Óláfr Tryggvason […]. Sie stachelte König Sveinn heftig dazu an, König Óláfr anzugreifen’. Bezeichnenderweise fällt Sigríðr damit aus der Erzählung heraus. Ähnlich wie Andersson, der diesen strukturellen und inhaltlichen Zusammenhang missachtete, setzte auch Sverre Bagge einseitig eine teleologische Entwicklung voraus, wenn er die Vermählung von Sigríðr und Sveinn gar als Resultat langer Planung darstellte: „Sigríðr sees to it that her prophecy is fullfilled“²⁴⁰ – die
Vgl. van Nahl 2020a. Vgl. Kap. 3.3.2.2. Hier sei an die prägnante Formulierung bei Herberichs 2010, S. 164, vom „Konjunktiv als grammatische[…] Erscheinungsform der Kontingenz“ erinnert. Bagge 1991, S. 101.
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konkrete Erzählung präsentiert über eine Reihe zufälliger Todesfälle einen anderen Zusammenhang. Der folgende Kampf zwischen Óláfr und Sveinn wird ausführlich geschildert. Auch Óláfr war von einer Frau – bemerkenswerterweise der Schwester von Sveinn, die gegen ihren Willen verheiratet worden war – angestachelt worden. Seine Truppe hält sich lange, doch als der Bogen seines besten Schützen, des berühmten Einarr þambarskelfir Eindriðason, durch einen unglücklichen Treffer zerbricht und die Schwerter seiner Kämpfer stumpf geworden sind, scheint die Niederlage unvermeidlich. Noch einmal macht die Erzählung indes eine Wendung, als Óláfr aus irgendeiner Truhe plötzlich mǫrg sverð hvǫss (Hkr i, 363), ‘viele scharfe Schwerter holte’ – das bedrohliche Defizit in der Bewaffnung scheint ausgeglichen. Doch im selben Moment sehen die Männer, dass Blut aus dem Gewand des Königs tropft: engi veit, hvar hann var sárr, ‘niemand weiß, wo er verwundet war’ – damit aber auch nicht, wie schwer die Verwundung ist. Die in diesem Zusammenfall von möglicher Rettung und möglichem Verderben auffällig markierte Kontingenz nicht allein des Geschehens, sondern auch der Figur Óláfr wird auf die Spitze getrieben, als der König schließlich über Bord springt: Óláfr konungr brá yfir sik skildinum ok steypðisk í kaf (Hkr i, 366), ‘König Óláfr hielt seinen Schild über sich und stürzte sich ins Meer’. Der Verbleib des sinkenden Königs ist für den Erzähler Anlass zur Spekulation, dessen Tod keine Tatsache – er schließt entsprechend nüchtern: hvernug sem þat hefir verit, þá kom Óláfr aldri síðan til ríkis í Nóregi (Hkr i, 368), ‘wie das nun auch gewesen sein mag, so kam Óláfr jedenfalls nie wieder an die Macht in Norwegen’. Und wie im Falle von Hákon Haraldsson, der die Herrschaft schließlich an seine Erzfeinde übergab, so werden mit den Jarlen Eiríkr und Sveinn ausgerechnet zwei Söhne des ehemaligen Erzfeindes Jarl Hákon zu den zeitweiligen Nachfolgern von Óláfr – und trotz ihrer Taufe létu þeir gera hvern sem vildi um kristnihaldit, en forn lǫg heldu þeir vel ok alla landssiðu (Hkr i, 372), ‘ließen sie es Jeden mit den christlichen Geboten halten, wie er wollte, aber sie hielten sich gut an die alten Gesetze und alle Landesgebräucheʼ. Das kontingente Ende des Bekehrerkönigs Óláfr, dessen Leben, Tod und Nachleben von Zufällen geprägt waren.²⁴¹
3.5.5 Óláfr Haraldsson 3.5.5.1 Uneinigkeit und Uneindeutigkeit – Der ratlose Óláfr Óláfr Haraldsson verbündete sich mit dem Schwedenkönig Ǫnundr gegen Dänemark. Daraufhin rüstet sich nun Knútr inn ríki, formal König auch von Dänemark, zur Fahrt von England, während Jarl Úlfr, von Knútr zur Landesverteidigung in Dänemark ein Die Problematik erörterte im Ansatz bereits Baetke 1952, S. 59 (der allerdings primär danach strebte, deutlicher zwischen ‚Dichtung‘ und ‚Wahrheit‘ zu unterscheiden): „Die Niederlage Olafs, sein plötzliches Verschwinden während der Seeschlacht regten die Phantasie an; man suchte nach den Gründen für das überraschende und unverständliche Ende des Königs“.
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gesetzt, nach Beratung und mithilfe gefälschter Königssiegel Hǫrða-Knútr, Sohn von Knútr, zum König ausrufen lässt. Diese aufwendige Planung bewährt sich indes nicht. Hǫrða-Knútr erweist sich sogleich als schlechter Herrscher, ein Umstand, der vom Vater nüchtern kommentiert wird: hefir þat svá tekizk, […] sem ván var at, er hann var barn ok óviti, er hann vildi konungr heita ok vanda nǫkkurn bar til handa honum, at land þetta allt myndi herskildi farit ok leggjask undir útlenda hǫfðingja, ef eigi kvæmi várr styrkr til (Hkr ii, 276), ‘es ist gekommen, wie bereits vorauszusehen war, als er noch ein Kind und unwissend war, als er sich König nennen lassen wollte und er irgendein Problem hatte, dass nämlich jetzt das ganze Land in Kriegszustand und unter die Gewalt ausländischer Herrscher geriete, wenn nicht unsere Macht dazwischenträte’. Herrschaft ist an Klugheit und Erfahrung geknüpft, nicht an Titel, so die Einsicht. Óláfr und Ǫnundr stimmt insofern die Ankunft des erfahrenen Knútr bedenklicher; wiederholt betont der Erzähler die gewaltige Größe von dessen Heer und Flotte: drósk þar brátt saman herr mikill ok fjǫlði skipa (Hkr ii, 271), ‘rasch zog er ein gewaltiges Heer und eine Vielzahl an Schiffen zusammen’; hafði hann óf liðs ok skip furðuliga stór. Hann sjálfr hafði dreka þann, er svá var mikill, at sextøgr var at rúmatali (Hkr ii, 273), ‘seine Anzahl an Truppen und Schiff war schrecklich groß. Er selbst hatte ein Drachenschiff, das so gewaltig war, dass es sechzig Ruderplätze hatte’. Óláfr und Ǫnundr halten Kriegsrat (bera þeir ráð saman), der in dem Plan mündet, die Gegend mit Hilfe von Dämmen und Gräben zu fluten, um einen künstlichen Hafen zu schaffen: Zufällig befinden sie sich in der Nähe eines Sees mit einem kräftigen Flussarm zur Küste hin, der sich aufstauen lässt. Knútr und seine unbezwingbare Armee (óflýjandi her) erreichen diesen künstlichen Hafen, Knútr lässt des Nachts die dort liegenden Schiffe der Norweger und Schweden ausspähen. Dass Óláfr und Ǫnundr nicht einfach von Knútr überrannt werden – diese Option ist in ihrem Plan eigenartig unbedacht –, liegt in einem weiteren für sie glücklichen Zufall begründet. Wie in anderen Episoden erweist sich die Größe von Flotte und Schiffen als unzuverlässiges Machtmoment: Die immense Armada von Knútr þurfti rúm mikit á sænum til at sigla. Var langt í milli ins fyrsta skips ok ins síðasta (Hkr ii, 279), ‘benötigte viel Platz auf dem Meer zum Segeln. Der Abstand zwischen dem ersten Schiff und dem letzten war groß’. Auch der schwache Wind war ungünstig für Knutr: veðr var lítit. Gehindert durch die Ausmaße seiner Flotte, dringt Knútr spät in den Hafen ein: Die Schiffe seiner Gegner sind bereits fort. Mehr noch: Óláfr lässt die künstlichen Dämme nun wieder brechen und das hereinströmende Wasser setzt der feindlichen Flotte schwer zu. Das gewaltige Drachenschiff von Knútr kann der Verwüstung zwar entkommen; es lässt sich aufgrund seiner Größe aber nun im Ernstfall nicht richtig steuern: Dreka inn mikla, er sjálfr konungr var á, rak út fyrir straumi. Varð honum ekki auðsnúit með árum, ‘der große Drache, auf dem der König selbst war, trieb ab aufgrund der Strömung. Man konnte ihn mit Rudern nicht bändigen’. Mehr noch treibt die Strömung das Drachenschiff ausgerechnet auf Óláfr und Ǫnundr zu, deren zuvor unwahrscheinlicher Sieg plötzlich zum Greifen nahe ist. Doch erneut wird die Schiffsgröße als Unsicherheitsfaktor in der Erzählung funktionalisiert: In der weiteren Auseinandersetzung erweist sich das Schiff von Knútr als so massiv gepanzert, dass
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Óláfr und Ǫnundr ihre überlegene Schnelligkeit gegen das manövrierunfähige Schiff nicht nutzen können. Die Situation endet im Patt: þá varð ekki af atróðrinum (Hkr ii, 280), ‘aus dem Angriff zu See wurde nichts’, wie der Erzähler nüchtern kommentiert. Die gesamte Episode fehlt in Fsk, dort wird oberflächlich von Auseinandersetzungen zwischen Óláfr und Ǫnundr auf der einen, Knútr auf der anderen Seite gesprochen. Und so weicht die Entwicklung der Erzählung in Hkr und Fsk auch im Folgenden deutlich voneinander ab. In Fsk ergreift Óláfr, sobald er vom erneuten Herannahen seines Feindes erfährt, die Flucht: Er erinnert sich daran, wie das Vertrauen in große Schiffe und eine kleine verwegene Truppe (þá er hann treystisk svá skipum stórum ok liði frœknu) bereits Óláfr Tryggvason ins Verderben geführt hatte. Þá tók Óláfr konungr vitrligt ráð, gekk af skipum sínum […] (Fsk, 188), ‘da fasste König Óláfr einen klugen Entschluss und verließ sein Schiff’, um auf dem Landweg zu fliehen. Soweit die Erzählung in Fsk. Gegen einen derart entschlusskräftigen Óláfr, der aus Fehlern seiner Vorgänger klug geworden ist, erscheint der Óláfr in Hkr in anderem Licht. An Flucht denkt er nicht, nach Beratungen baut er vielmehr darauf, dass sich das gewaltige Heer von Knútr bald wieder zerstreuen werde: ok veit þá eigi, hverjum sigrs er auðit (Hkr ii, 283), ‘und man weiß nicht, wer dann den Sieg davonträgt’.²⁴² Óláfr scheint recht zu behalten, das Heer verkleinert sich tatsächlich und der Rat, weiterhin vor Ort auf Gelegenheit zum Angriff zu warten, findet Beifall: lauk Óláfr konungr svá máli sínu, at allir menn gerðu góðan róm at, ok var þat ráðs tekit , ‘als König Óláfr seine Rede beendete, gaben ihm alle Männer kräftig Beifall, und sein Beschluss wurde angenommen’. Doch wieder kommt es anders als geplant – die breite Zustimmung endet abrupt, als der Winter sich ankündigt: Óláfr habe, so plötzlich der Vorwurf, die äußeren Bedingungen in seiner Planung vernachlässigt, wüssten die Norweger doch gar nicht, hver íslǫg kunnu hér at verða, ok frýss haf allt optliga á vetrum (Hkr ii, 286), ‘wieviel Eis es hier geben könne, das Meer fröre im Winter häufig komplett zu’. Ǫnundr zieht mit seinen Leuten heimwärts, Óláfr bleibt allein zurück – nun ratlos: þat kom lítt ásamt með mǫnnum. Kallaði þat annarr óráð, er ǫðrum þótti vænligt, ok válkuðu þeir mjǫk lengi ráðin fyrir sér (Hkr ii, 287), ‘die Männer konnten sich kaum einigen. Der eine nannte das, was dem anderen ratsam schien, einen falschen Rat, und die Beratschlagung ging sehr lange hin und her’. Hatte Óláfr richtig auf die Dezimierung des gegnerischen Heeres gebaut, so traf ihn der Zufall unglücklich, als auch seine Verbündeten sich aufgrund äußerer Umstände plötzlich zum Abbruch der Unternehmung entschieden. Die erfolglose Beratschlagung von Óláfr und seinen Männern ist zugleich Konsequenz und Sinnbild der kontingenten Entwicklung. Óláfr beschließt endlich, hier nun mit Fsk übereinstimmend, über den Landweg nach Norwegen zurückzukehren. Der Rat einiger Gefolgsleute, dies auf dem Seeweg zu versuchen, erscheint ihm zu riskant: en konungr var maðr svá vitr, at hann sá, at slíkt var ófœra (Hkr ii, 288), ‘aber der König war ein so kluger Mann, dass er erkannte, dass
Niedner 1922, S. 286 f., übersetzte hier im Gegenteil (falsch): „und dann ist es nicht mehr die Frage, wem der Sieg zufällt“.
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dies nicht durchführbar war’. Doch dieser vermeintlichen Klugheit zum Trotz lässt sich Óláfr dann gleich vom ersten Mann täuschen, der seine Entscheidung kommentiert: Hárekr Eyvindarson erklärt sich für zu alt, um einen langen Fußweg zu bestehen. Óláfr erlaubt ihm, auf einem Schiff nach Norwegen zu fahren. Eines Abends, bei günstigem Wind, verhüllt Hárekr ein Schiff mit grauem Stoff – und fährt mitten durch die Armada von Knútr. Dessen Wächter sind sich uneinig, hvat skipa þat myndi vera (Hkr ii, 290; Fsk, 189), ‘was das für ein Schiff sein könnte’. Sie halten es für ein harmloses Handelsschiff, doch sobald Hárekr in den Sund eingedrungen ist, lässt er plötzlich den Mast aufrichten und die Segel hissen. Die Wächter glauben daraufhin, Óláfr selbst wage den Angriff – ein riskanter Moment für Hárekr, der in Fsk als glückliche Aktion stehenbleibt. In Hkr ist die Situation anders, und Knútr hält seine Männer aus gutem Grund zurück: þat hafa menn fyrir satt, at Knútr konungr hafi vitat um ferð Háreks, ‘man geht davon aus, dass König Knútr von der Fahrt von Hárekr wusste’, wie der Erzähler kommentiert – die beiden Männer sind Freunde (vinátta þeira Knúts konungs og Háreks). Die vermeintliche Einsicht von Óláfr in die Lage der Dinge, seine kurz zuvor noch gerühmte Klugheit (var maðr svá vitr) erweist sich als falsch, seine Kompetenz und damit sein Status sind in Hkr einmal mehr als unsicher markiert. So ist es nur konsequent, dass sich die Situation für Óláfr rasch zuspitzt und dabei weniger Planung, als vielmehr weitere Zufälle maßgeblichen Einfluss üben. Einerseits überlebt Óláfr einen folgenden Mordanschlag deshalb, weil der Attentäter im Dunkeln aus Versehen einen Gefolgsmann ersticht; andererseits kommen die von Óláfr ausgesandten Boten, die die Versorgung sicherstellen sollen, im Herbst nur langsam voran. Knútr hingegen überrennt Norwegen geradezu, um nachfolgend nach Dänemark zurückzukehren. Das stark dezimierte Heer von Óláfr aber bekommt erst im frühen Winter (ǫndurðan vetr) geeigneten Fahrwind und kommt wiederum nur langsam voran. Eines Morgens allerdings weht auf einmal ein sehr günstiger Wind (allgóðr byrr ok heldr hvass) und der düstere Nebel (mjǫrkvaflaug) verspricht den Vorteil der Tarnung (Hkr ii, 312). Doch Fahrwind und Nebel zum Trotz wird die Flotte von Óláfr frühzeitig entdeckt; das erinnert abermals an die Auseinandersetzung zwischen Haraldr Sigurðarson und Sveinn Úlfsson.²⁴³ Erlingr Skjálgsson, Verbündeter von Knútr, rüstet seine Schiffe, um Óláfr festzusetzen – doch da treibt der Wind Óláfr plötzlich doch viel schneller als erwartet an ihm vorbei. Scheint Óláfr wieder auf erfolgreichem Kurs, so kommt erneut alles anders: Die Schiffe von Erlingr sind leichter als jene von Óláfr und holen schnell auf; mehr noch, so bemerkt der Erzähler nun, seien die Schiffe von Óláfr sehr leck gewesen (mjǫk ok sollin), weil sie nicht rechtzeitig ausgebessert worden waren – ein unglücklicher Zufall, der wiederum an die Auseinandersetzung von Haraldr und Sveinn erinnert. Doch erneut kommt es zur Wende, ein enger Sund rettet Óláfr, er lauert Erlingr auf und tötet dessen Mannschaft. Erlingr selbst bietet er Frieden an, um in ihm einen Verbündeten gegen Knútr zu gewinnen.
Vgl. Kap. 3.3.5.
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Erlingr stimmt zu, nimmt als Zeichen seiner Unterwürfigkeit den Helm ab – da springt ein Mann vor ok hjó með øxi í hǫfuð Erlingi (Hkr ii, 317), ‘und schlug mit einer Axt in den Kopf von Erlingr’. Der Plan von Óláfr, mit der Unterstützung des mächtigen Erlingr Norwegen zurückzuerobern, ist gescheitert: nú hjóttu Nóreg ór hendi mér, ‘jetzt schlugst Du mir Norwegen aus den Händen’. Der Totschläger hält pragmatisch entgegen: ek þóttumk nú Nóreg í hǫnd þér hǫggva, ‘ich dachte, ich würde dir Norwegen in die Hände schlagen’. Diese Ambiguität des Axthiebs vereindeutigt sich bald zu Ungunsten von Óláfr (der ja wenig später selbst u. a. einem Axthieb erliegen sollte).
3.5.5.2 Das Glück versuchen? – Das kontingente Leben von Óláfr Der letzte Teil der Saga um Óláfr Haraldsson ist von Vorausdeutungen einerseits auf den Tod des Königs, andererseits auf dessen spätere Heiligkeit geprägt.²⁴⁴ Wie sehr ein göttlicher Leitfaden Óláfr bis zu diesem Zeitpunkt in seinem Leben gefehlt hat, betont der Erzähler, wenn er festhält, Óláfr habe zwar schon früher regelmäßig gebetet, en síðan er hann fann, at ríki hans þvarr, en mótstǫðumenn efldusk, þá lagði hann allan hug á þat at gera guðs þjónostu (Hkr ii, 328), ‘aber als er sah, dass sein Reich sich auflöste, seine Gegner aber erstarkten, widmete er sich völlig dem Dienst an Gott’. Der bedingungslose religiöse Glaube erscheint als letzte Reaktion auf die Einsicht in die Kontingenz der Geschichte, gegenüber der der König sich nicht mehr zu behaupten weiß; was Sturm auf See und Sturz an Land bei der ersten Reise gen Norwegen andeuteten, bewahrheitet sich. Vor diesem finalen Scheitern ist aber auch erklärbar, warum der Erzähler Óláfr nun mit mehr Wohlwollen begegnet, frühere Anschuldigungen aufgreift und als falsch verurteilt: Óláfr ist bereits nicht mehr aktiver Teil des Spiels. Ganz anders die Gegenseite: Knútr und seine verstreuten Gefolgsleute sehen sich weiterhin dem Wechselspiel von Planung und Zufall ausgesetzt. Ein Mann namens Kálfr Árnason tritt nun in Erscheinung; er hatte einst Frieden mit Óláfr geschlossen und diesem später geraten, gegen den norwegischen Jarl Hákon Eiríksson vorzugehen: því ráði flygðu margir aðrir, en sumir lǫttu (Hkr ii, 321), ‘diesem Rat schloßen sich viele an, aber einige rieten ab’. Wenig später tritt Kálfr indes gegen seinen eigenen Rat ausgerechnet in Hákons Gefolge ein, um im nächsten Schritt gar auf Knútr zuzugehen, der ihm kurzerhand mitteilt, Hákon sei ohnehin zu gutmütig (hann er sá heilhugi) für den Kampf gegen Óláfr, Kálfr hingegen der geeignete Mann. Eine Entscheidung, die weitreichende Folgen haben sollte, denn Hákon wird über diese Amtsenthebung nicht informiert, sondern reist gutgelaunt nach England, Kerngebiet von Knútr, um seine Hochzeit zu planen. Die dortigen Hochzeitsvorbereitungen ziehen sich indes länger als erwartet (varð heldur síðbúinn), sodass der Jarl erst spät im Jahr wieder in See stechen kann – ein unglücklicher Zufall für ihn, ein glücklicher für Kálfr: Kuhn 1997, S. 394, betonte zu Recht, diese religiöse Dimension sei in Hkr weiterhin auf ein Minimum reduziert, wenn er zur Óláfs saga helga festhielt: „It is not part of a Christian salvation story; Olaf’s conversion to Christianity is no turning point, and his death at the Battle of Stiklestad not a martyr’s death“.
3.5 Herrschertod
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En frá ferð hans er þat at segja, at skip þat týndisk ok kom engi maðr af. En þat er sumra manna sǫgn, at skipit hafi sét verit norðr fyrir Katanesi at aptni dags í stormi miklum, ok stóð veðrit út á Þéttlandsfjǫrð. Segja þeir svá, er slíku vilja fylgja, at skipit myni hafa rekit í svelginn. En hitt vitu menn með sannendum, at Hákon jarl týndisk í hafi ok ekki kom til landa, þat er á skipi því var. (Hkr ii, 335) Aber von seiner [d.i. Hákons] Fahrt ist zu erzählen, dass das Schiff verschwand und kein Mann zurückkehrte. Einige Männer sagen, das Schiff sei eines Abends nördlich von Caithness in einem großen Sturm gesehen worden, und der Wind habe Richtung Pentland Firth geweht. Die diesem Bericht glauben, meinen, das Schiff müsse in einen Strudel hineingetrieben worden sein. Aber das wusste man mit Sicherheit, dass Jarl Hákon im Meer verschwunden war und nichts von Bord des Schiffes wieder an Land kam.²⁴⁵
Die Konstellation des noch unbekannten Plans von Knútr und Kálfr sowie des plötzlichen Verschwindens von Hákon (von dem auch Fsk kurz berichtet) hat weitreichende Konsequenzen. Bjǫrn, hochrangiger Gefolgsmann von Knútr, einst aber Anhänger von Óláfr,²⁴⁶ reist zu Letzterem nach Russland, um ihm mitzuteilen, die Herrschaft in Norwegen sei unerwartet vakant. Wieder weichen Fsk und Hkr voneinander ab. Ähnlich wie zuvor, zögert Óláfr in Fsk nicht, sofort nach Norwegen zurückzukehren, nachdem er die Nachricht erhalten hat (wohl im frühen Herbst): Óláfr konungr skipaðisk við orðsending þeira ok gørði ferð sína eptir jól […], en hann sjálfr ok lið hans fór austan at ísum um vetrinn allt til hafs, en þá er vára tók, fór hann yfir hafit ok svá til Svíþjóðar til Ǫnundar konungs (Fsk, 199), ‘König Óláfr beantwortete ihre Nachricht und begann seine Fahrt nach Weihnachten […], er selbst und sein Gefolge zogen im Winter von Osten über das Eis zum Meer, aber als das Frühjahr kam, fuhr er über das Meer und dann nach Schweden zu König Ǫnundr’. Ganz anders in Hkr: Scheint der unerwartete Verrat von Kálfr durch den ebenso unerwarteten Verrat von Bjǫrn ausgeglichen, die Stellung von Óláfr gegenüber Knútr zumindest nicht weiter geschwächt, so ist Óláfr doch zu tief von seinen früheren Erfahrungen erschüttert, um einen Entschluss zu fassen: hafði hann stórar áhyggjur ok hugsaði, hvert ráð hann skyldi upp taka (Hkr ii, 339), ‘er hatte große Bedenken und grübelte, welchen Entschluss er fassen sollte’. Seine Männer raten ihm zur Fahrt nach Norwegen. Doch die Kontingenz seines Werdegangs wird nun erzählerisch in ihrer ganzen Wirkung entfaltet: En er hann hafði þar á huginn, þá minntisk hann þess, at ina fyrstu tíu vetr konungdóms hans váru honum allir hlutir hagfelldir ok farsælligir, en síðan váru honum ǫll ráð sín þunghrœrð ok torsótt, en gagnstaðligar allar hamingjuraunirnir. Nú efaði hann um fyrir þá sǫk, hvárt þat myndi vera vitrligt ráð at treysta svá mjók hamingjuna […]. Válkaði hann þat í hugnum ok vissi eigi, hvat hann skyldi upp taka, því at honum sýndusk mein auðsýn á því, sem hann talði fyrir sér. (Hkr ii, 339 f.)
Bagge 2011, S. 86, verwies auf den Versuch in der Historia de antiquitate regum Norwagiensium des Theodoricus Monachus, die Art und Weise des Untergangs genauer zu definieren; der Gedanke sei der gewesen, den gleichsam weltumspannenden Eingriff Gottes zu illustrieren: „forces of disaster bursting forth from some distant place, forces which are then shown to play a part in God’s plan“. In Hkr findet sich dazu nichts. Vgl. Kap. 3.3.3.3.
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3 Fagrskinna, Heimskringla, Morkinskinna – Eine Alternativlesung
Aber wenn er grübelte, dann erinnerte er sich daran, dass in den ersten zehn Wintern seiner Königsherrschaft alle Dinge günstig und vorteilhaft für ihn gelaufen waren, aber dass seine Beschlüsse danach nur noch schwierig umsetzen waren, und alle Erprobungen des Glücks ins Gegenteil umschlugen. Aus diesem Grund zweifelte er nun, ob es klug sei, dem Glück so sehr zu vertrauen […]. Er erwog dies oft im Geiste und wusste nicht, was er tun sollte, denn für das, was er sich dachte, sah er schlechte Aussichten.
Erneut wendet sich Óláfr Gott zu; eines Nachts erscheint ihm Óláfr Tryggvason und wirft ihm seine düstere Grübelei vor: Das Königtum sei gottgegeben, Óláfr Haraldsson solle es zurückfordern, anstatt im Ausland zu verweilen – dabei hatte Óláfr Tryggvason, Hkr folgend, einst selbst u. a. Russland nur deshalb wieder verlassen, weil Gerüchte gegen ihn gestreut wurden.²⁴⁷ Nun wird auch Óláfr Haraldsson noch einmal aktiv: Im Frühjahr, nach der Eisschmelze und bei gutem Wind, bricht er auf. In Norwegen ist die Situation undurchsichtig geworden. Kálfr ist der starke Mann vor Ort, aber gegen seine Zusage denkt Knútr bereits daran, seinen Sohn Sveinn aus Dänemark auch über Norwegen einzusetzen; Kálfr, durch Verrat in seine Position gekommen, wird selbst verraten. Einarr þambarskelfir Eindriðason, der bereits unter Óláfr Tryggvason gedient hatte, ist von Knútr ebenfalls mit einem Herrschaftsangebot gelockt worden, doch als er von Sveinn erfährt, rüstete er sich verärgert zur Heimfahrt nach Norwegen und beschließt, den Kampf gegen Óláfr nicht weiter zu fördern: Ekki myndi undir at hrapa ferðinni meirr en svá sem hófligast væri, […] ok kom svá til Nóregs, at áðr váru fram komin þau tíðendi, er þar gerðusk mest á því (Hkr ii, 346), ‘er würde nichts dabei gewinnen, seine Fahrt mehr zu beschleunigen als unbedingt nötig, […] und so kam er erst nach Norwegen, als die Ereignisse, die zu dieser Zeit geschahen, bereits vorbei waren’. Óláfr selbst ist hin- und hergerissen zwischen Gottvertrauen und strategischem Denken: vil ek þess biðja, at sá hlutr komi upp, er guð sér, at mér gegnir bezt (Hkr ii, 365), ‘ich bitte darum, dass das geschehe, was Gott mir am ehesten zugedacht hat’ – diese Hingabe steht auf der einen Seite. Doch zugleich geht Óláfr pragmatisch vor, wenn er einen Angriffsplan entwickelt, der auf das Überraschungsmoment setzt: eigum vér sigrs ván af skjótum atburðum, ‘ein schneller Angriff lässt uns auf den Sieg hoffen’. Umso stärker wird dieser Kontrast, die Unentschiedenheit zwischen Providenz und menschlicher Planung betont, wenn Óláfr kurz darauf einschläft – die Erscheinung von Óláfr Tryggvason im Halbschlaf hatte ihm einmal die Entscheidung abgenommen (ähnlich wie er selbst später seinem Sohn Magnús diese Entscheidung abnehmen sollte).²⁴⁸ Doch die evozierte Erwartung läuft ins Leere, die Geltung solcher Eingebungen wird von Finnr Árnason, Vertrauter des Königs (und Bruder von Kálfr, der Óláfr zeitgleich verrät), in scharfen Zweifel gezogen: ekki mundi þik þat dreyma, at eigi myndi skyldra at vaka ok búask við hernum, er at oss ferr (Hkr ii, 368), ‘so kannst du gar nicht träumen, dass es nicht wichtiger wäre, zu wachen und sich auf das Heer vorzubereiten, das gegen uns zieht’. Óláfr schildert
Vgl. Kap. 3.3.2.1. Vgl. Kap. 3.4.3.
3.5 Herrschertod
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seinen Traum vom Aufstieg in den Himmel, doch nicht nur teilt Finnr den Enthusiasmus von Óláfr nicht: Ekki þykki mér draumr sjá svá góðr sem þér mun þykkja, ʻdieser Traum erscheint mir keinesfalls so gut, wie er Dir erscheinen magʼ; mehr noch bemerkte er, es könne sich ohnehin um svefnórar, nichtige Traumfantasien, gehandelt haben. Die Rede mehrerer Bischöfe auf beiden Seiten, für und wider Óláfr, wird wiederum von Kálfr abgeschnitten, wenn er einwirft, die Auseinandersetzung dürfe nicht auf hégómamál (Hkr ii, 373), auf leeres Geschwätz hinauslaufen. Der spätere Status von Óláfr als Heiliger forderte vom Verfasser eine gewisse Würdigung; doch es zeigt sich, dass der Erzähler in Hkr wiederholt Möglichkeiten findet, dieses religiöse Moment zu reduzieren, seine Relevanz zu veruneindeutigen.²⁴⁹ Die Heere werden aufgestellt, die Schlacht nimmt ihren Anfang, angestachelt u. a. durch Þórir Þórisson, dessen zu großes Schiff ihn damals gegen die Gesandten von Óláfr das zornige Nachsehen haben ließ.²⁵⁰ Und noch einmal kommt Óláfr ein ähnlicher Zufall zu Gute: Das Bauernheer von Knútr ist viel größer als das von Óláfr und diese erneut herausgestellte Größe – engi maðr var sá þar, er í Nóregi hefði sét jafnmikinn her saman koma (Hkr ii, 370), ‘es gab niemanden, der in Norwegen je ein derart großes Heer hatte zusammenkommen sehen’ – bedingt, dass die einzelnen Abteilungen einander nicht kennen. Der wohlklingende Schlachtruf von Knútr erweist sich als fatale Fehlentscheidung: fram, fram, Kristsmenn, krossmenn, konungsmenn (Hkr ii, 378), ‘vorwärts, vorwärts, Christen, Kreuzesmänner, Königsmannen’. Aufgrund der Übergröße des Heeres greift dieser Ruf nur langsam und unvollständig auf die einzelnen Heerteile über – und wird missverstanden als Warnung vor dem Angriff der konungsmenn von Óláfr: bǫrðusk þeir þá sjálfir, ok fell mart, áðr þeir kannaðisk við, ‘sie bekämpften sich gegenseitig, und viele Männer fielen, bevor sie merkten, wie es sich eigentlich verhielt’. Ein glücklicher Zufall für Óláfr. Doch ist es wiederum ein Zufall, der ihm dann zum Nachteil gereicht. Die Schlacht beginnt bei strahlendem Sonnenschein, doch plötzlich verdunkelt sich die Sonne – eine Sonnenfinsternis, die der zitierte Skalde als himmlisches Zeichen gedeutet wissen will.²⁵¹ Unter praktischen Gesichtspunkten erweist sich die Abnahme des Lichts hingegen als unglücklicher Zufall: Der Bannerträger von Óláfr, Dagr Hringsson, der mit seiner Abteilung gerade zur rechten Zeit erscheint, um dem kühn kämpfenden Óláfr (barðisk þá alldjarfliga) beizustehen, kann sich aufgrund der schlechten Lichtverhältnisse kein Bild von der Lage machen: en fyrir því at myrkr var mikit, þá varð ekki skjótt um atgǫnguna, því at þeir vissu eigi víst, hvat fyrir var (Hkr ii, 383), ‘aber weil es sehr dunkel war, erfolgte ihr Angriff nicht sehr schnell, denn sie wussten nicht sicher, was sich vor ihnen abspielte’. Der Erzähler betont dieses Chaos weiter, wenn er anfügt: váru þessir atburðir margir jafnsnimma eða sumir litlu fyrr eða síðar, ‘viele dieser Ereignisse geschahen gleich Hier sei an den ambigen Status der hamingja von Óláfr erinnert (vgl. Kap. 3.3.3.1). Vgl. Kap. 3.4.2.3. Die Szene erinnert zunächst an eine vorausgehende Szene, in der Óláfr die aufgehende Sonne mit dem Christengott identifiziert (Hkr ii, 189); sollte man die Sonnenfinsternis im Kontrast als schlechtes Omen deuten?
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3 Fagrskinna, Heimskringla, Morkinskinna – Eine Alternativlesung
zeitig oder einige auch etwas früher oder später’. Dieses chaotische Gemetzel unter Feinden und Verbündeten als göttliche Fügung anzusprechen, wäre selbst im Rahmen der Königssagas fast schon zynisch. Óláfr stirbt seinen berühmten Tod in dieser Schlacht von Stiklastaðir, und mit ihm fast seine ganze Truppe. Der Kampf ist beendet, die Heere verlaufen sich rasch, ein Umstand, den der Erzähler pragmatisch damit erklärt, dass die Männer nun Heimweh hatten. Dieser ganze Teil der Erzählung fehlt in Fsk: Nach der Rückkehr von Óláfr nach Skandinavien findet eine Schlacht statt, doch außer einer kurzen Aufzählung, wer auf wessen Seite gekämpft habe, schweigt Fsk: þar var orrosta hǫrð ok mikil; þar fell Óláfr enn helgi konungr og margt lið hans (Fsk, 200), ‘dort gab es eine heftige und große Schlacht; dort fiel der heilige König Óláfr und viel seines Gefolges’.
3.5.6 Orientierungslos – Haraldr Sigurðarson Der kaum minder berühmte Tod von Haraldr Sigurðarson, mit dem in populären Darstellungen die Wikingerzeit ein abruptes Ende findet, weist zahlreiche Ähnlichkeiten mit vorausgehenden Herrschertoden auf. Die in Hkr herausgestellten zufälligen Einflüsse auf das Geschick auch von Haraldr wurden genannt: Terrain, Wind und Wetter erschienen wiederholt als äußere Faktoren, die Haraldr herausforderten und manches Mal seine Planung zu Fall brachten. Gleichwohl konnte er sich mittelfristig behaupten, mal durch Cleverness, mal durch glückliche Zufälle. Bemerkenswerterweise wird dieses Bild des glücklich-cleveren Herrschers – darin seinem Halbbruder Óláfr Haraldsson vergleichbar²⁵² – zunehmend in Zweifel gezogen, wird Haraldr in Hkr nicht mehr allein als aufbrausend, sondern als wankelmütig bis orientierungslos gezeichnet. Explizit herausgestellt wird diese Schwäche durch den zeitweiligen Gefolgsmann Finnr Árnason (der schon Óláfr Haraldsson für dessen Passivität kritisierte): þú gerir hvatvetna illt, en síðan ertu svá hræddur, at þú veizt eigi, hvar þú hefir þik (Hkr iii, 127), ‘du begehst alle möglichen üblen Taten, aber danach bist du dann so ängstlich, dass du nicht weißt, was du weiter tun sollst’. Finnr wird sich wenig später gegen Haraldr wenden und ihm noch einmal seine schlechten Entscheidungen vorwerfen: mart verða Norðmenn illt að gera ok þat verst allt, er þú býðr (Hkr iii, 154), ‘viel Böses müssen die Norweger begehen, und das Schlimmste ist das, was du befiehlst’. In Msk (i, 251) hingegen wird Finnr direkt als Gegenspieler von Haraldr eingeführt, sein Vorwurf wiegt damit schwächer als in Hkr, wo erst die gewaltbereite Orientierungslosigkeit des Königs Finnr zum Feind werden lässt. Bemerkenswerterweise ist in Hkr die Reaktion von Haraldr auf den ersten Vorwurf Gelächter (hlæja), ein verbreitetes Motiv im 13. Jahrhundert, das in den Königssagas wiederholt auftaucht.²⁵³ Reinhard Hennigs Verortung dieses Lachens zwischen Spott und „unbedenkliche[r]
Vgl. vor allem Kap. 3.5.5.2. Vgl. Kap. 3.3.3.1.
3.5 Herrschertod
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Fröhlichkeit“ als „wünschenswerter Charakterzug des Königs“²⁵⁴ verkennt die Dimension der Kritik. Dass deren Funktion „über die unterhaltsamer Einschübe im Gesamttext nicht hinausgehen“ dürfte, wie Hennig meinte,²⁵⁵ fügt sich nicht zum Erzählkontext: Die zweifache Kritik von Finnr an der Unfähigkeit des Königs, guten Rat nachhaltig walten zu lassen, berührt dessen grundlegende Schwäche und deutet das Ende bereits an. Stimmiger scheint es, in Anlehnung an Jacques Le Goffs Urteil zum lachenden Skarpheðinn in der Njáls saga, auch das Lachen von Haraldr als „incomprehension of the misfortune awaiting him“ zu verstehen.²⁵⁶ Die Szene erinnert zudem an Haraldr gilli, der in unwissendem Lachen (hlæjandi ok óvitandi) sein eigenes Todesurteil besiegelte.²⁵⁷ Und sie fügt sich auch zur Strophe des Skalden Eyvindr auf Hákon góði: Der Dichter präsentiert einen vergnügten König, der sich seines baldigen Endes nicht bewusst ist; Fsk (88) nutzte hier identisch hlæja. ²⁵⁸ Auch vor Haraldr liegt kein glorreicher Sieg. Seine Unfähigkeit, einen Plan zum Guten zu verfolgen, wird seinen Tod in der berühmten Schlacht von Stamford Bridge bedingen. Bereits die Konstellation vor dieser Schlacht ist eine Verkettung diverser Zufälle. Der englische König Eaðvarðr Aðalráðsson starb überraschend an Krankheit (sóttdauðr) und hinterließ ein Machtvakuum, in das mehrere Personen vordringen wollten (Hkr iii, 170). Der erfolgreichste unter ihnen ist Haraldr Guðinason, der zum König ausgerufen wird. Im Jahr zuvor war er von einem lebensgefährlichen Sturm (stormr mannhættr) an die Küste der Normandie verschlagen worden, wo er in Kontakt mit dem lokalen Herrscher Viljálmr kam und um die Hand von dessen Tochter anhielt – doch schließlich die Abmachung nicht einhielt. Ein Grund mehr für Viljámr, nach dem Tod seines Verwandten Eaðvarðr selbst Anspruch auf England zu erheben. Haraldr Guðinason, in Erwartung eines Angriffs aus der Normandie, konzentriert sein Heer auf die Südspitze Englands.²⁵⁹ Doch zwischenzeitlich trifft Haraldr Sigurðarson
Hennig 2012, S. 432. Hennig 2012, S. 432. le Goff 2007, S. 163; vgl. den Kommentar bei Bießenecker 2010, S. 196 f., zur Darstellung des Jüngsten Gerichts im Tympanon des Fürstenportals des Bamberger Doms von etwa 1235: „The damned are laughing. […] They seem confused, perhaps not understanding what lies ahead of them“. Vgl. Kap. 3.3.7; vgl. Haug 2003 [1998], S. 74: „Von der Souveränität des heiteren Geschehen-Lassens ist es nur ein kleiner Schritt zur Melancholie, zur Dauerbetrübnis darüber, daß man im Zwiespalt des Widersprüchlichen unfähig geworden ist zu handeln“, sowie das pointierte Fazit bei Grubmüller 2006, S. 201, zum mittelalterlichen Märe: „Wenn in diesen Geschichten […] gelacht wird, dann nicht mehr über Dummheit oder Gier, Klugheit oder auch Rachsucht, sondern dann wird gelacht über eine demaskierte Welt, in der die ordnenden Werte außer Kraft gesetzt sind. Hier macht sich ein sarkastisches Lachen breit, das sich zur Desillusionierung bekennt“. Vgl. Kap. 3.5.2. Der Grund für das verzögerte Eintreffen von Viljálmr war laut Überlieferung ungünstiger Wind, der ihn zunächst am Auslaufen hinderte; vgl. Simek 2018, S. 166: „In der Praxis machten die Ereignisse alle Planungen sowohl der Normannen als auch der Engländer obsolet, denn der Angriff des norwegischen Königs Haralds [sic!] des Harten […] mit einer Flotte von 300 Schiffe von Norwegen her Mitte September und die widrigen Winde im Ärmelkanal, die die Normannen für Wochen im Hafen festhielt, brachten alle Zeitpläne ins Wanken“.
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aus Norwegen im Nordosten Englands ein. Aufgrund der Abwesenheit von Haraldr Guðinason hat er zunächst einigen Erfolg, scheint er zur alten Cleverness zurückzufinden, etwa wenn er in einer großen Schlacht ein tiefes und weites Moor (fen djúpt ok breitt) in seine Taktik einbezieht und damit die englischen Jarle vernichtend schlägt (Hkr iii, 180). Da taucht recht unerwartet doch Haraldr Guðinason auf. Das Erste, was dieser sieht, ist Haraldr Sigurðarson, dessen Pferd strauchelt. Ein Zufall, den der Norweger selbst als glückliches Zeichen verstanden wissen will (fararheill), der Engländer aber als unglückliches: farinn sé at hamingju (Hkr iii, 186), ‘das Glück ist verschwunden’ – ein ambiges Zeichen. Haraldr Sigurðarson beriet sich zuvor mit seinen Heerführern – tǫkum nú gott ráð ok vitligt (Hkr iii, 185), ‘treffen wir nun guten und weisen Rat’ – und legte detailliert eine Strategie gegen die englischen Soldaten vor. Doch gerade weil sich diese Aufstellung zunächst als erfolgreich erweist, werden die Männer von Haraldr übermütig: en er Norðmenn sá þat, at þeim þótti blautliga at riðit, þá sóttu þeir at þeim ok vildu reka flótta (Hkr iii, 189), ‘aber als die Norweger sahen, dass die berittenen Angriffe nur mäßig waren, da stürmten sie auf die Angreifer los und wollten sie in die Flucht schlagen’. Ähnlich war es aber den Engländern ergangen, gegen die der Norweger Haraldr zuvor erfolgreich gekämpft hatte: enskir menn sóttu þar fram eptir þeim ok hugði, at Norðmenn mundu flýja vilja (Hkr iii, 180), ‘die englischen Soldaten stürmten auf die Norweger los, weil sie glaubten, diese wollten fliehen’ – das taten diese dann allerdings nicht, der Rückzug erwies sich als Finte. Es zeugt von der Kontingenz der Königsgeschichte auch in England, wenn Haraldr Sigurðarson und seine Männer nun ihrer früheren Taktik selbst erliegen. Denn sobald die Norweger ihre erfolgreiche Stellung aufgelöst haben, sind sie verwundbar. Haraldr selbst verfällt in Raserei und stürmt vor – und ein Pfeil trifft ihn in den Mund (Hkr iii, 190). Wie die Achsel beim tödlichen Pfeilschuss auf Hákon góði,²⁶⁰ so erscheint der Mund als schutzlose Stelle des gerüsteten Kriegers. Haraldr hatte eine legendäre Brünne namens Emma, svá sterk, at aldri hafði vápn á fest (Hkr iii, 188; Msk i, 316), ‘so stark, dass nie eine Waffe sie überwunden hatte’, und bis über das Knie hinabreichend. Hákon hatte einst seine Rüstung (siegessicher?) abgeworfen und war dennoch ausgerechnet in die Achsel getroffen worden; auch Haraldr trägt just an diesem Tag dann doch nicht seine überlegene Brünne – ein Zufall: Wie Hkr berichtet, scheint am Tag der Schlacht die Sonne besonders stark (auch im Falle von Hákon eine Gefahr), sodass die Männer beschließen, die Rüstungen zurückzulassen: var veðr forkunnliga gott ok heitt skin. Menn lǫgðu eptir brynjur sínar (Hkr iii, 184; Msk i, 311). Ein Fehler, auf den Haraldr aufmerksam gemacht worden ist: Auf die für den König ungewöhnliche Frage nach gott ráð ok vitrligt, ‘gutem und klugem Rat’, bemerkt ein hochrangiger Berater: þat er it fyrsta at snúa aptr sem hvatast til skipa eptir liði váru ok vápnum, ‘zuallererst müssen wir so schnell wie möglich zu den Schiffen zurück, zu unseren Leuten und Waffen’. Doch nun zeigt sich jene Schwäche von Haraldr, die in Hkr das Bild des vermeintlich cleveren Anführers frühzeitig ambiguisierte: annat ráð
Vgl. Kap. 3.5.3.
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vil ek hafa, ‘ich will einen anderen Rat’ – die gleichlautende Forderung führte u. a. zur Gefangennahme und Verstümmelung von Magnús Sigurðarson.²⁶¹ Die tödliche Verwundung von Haraldr ist insofern wiederum mehrfach motiviert: Der sonnige Tag bedingt das Ablegen der Rüstung, der verworfene Rat das Fehlen von Männern und Ausrüstung, und dann trifft der Pfeil eine ohnehin ungeschützte Stelle – abermals ein narrativ übermotivierter vernichtender Zufall.²⁶² Bemerkenswert ist trotz zahlreicher Übereinstimmungen die abweichende Schlussszene in Msk (i, 319): Hier verfällt Haraldr nicht in fatalen Siegesrausch gegenüber den vermeintlich fliehenden Engländer, hier wird vielmehr berichtet, die Übermacht der Englänger habe die Stellung von Haraldr stark unter Druck gesetzt und der König sei schließlich dem besonders bedrängten Bannerträger zu Hilfe und dabei durch einen Speerstich in den Hals ums Leben gekommen. Im Ergebnis identisch, erscheinen die letzten Momente von Haraldr hier doch selbstlos-heldenhafter als in Hkr, wo begrenzte Cleverness und fatale Beratungsresistenz des Königs bis zum Schluss betont werden. Doch auch der siegreiche Gegner Haraldr Guðinason ist dieser kontingenten Geschichte unterworfen: Wenig später taucht Viljámr dann bekanntermaßen doch an der Südspitze Englands auf und das geschwächte Heer des Engländers hat ihm nun nichts entgegenzusetzen – Wilhelm von Malmesburys Gesta Regum Anglorum folgend starb Haraldr Guðinason durch einen Pfeilschuss ins Auge.
3.5.7 Unklug war ich – Magnús berfœttr Óláfsson Magnús berfœttr Óláfsson ist in Hkr als ambige Gestalt gezeichnet: Unfälle schafften ihm unliebsame Konkurrenz vom Hals (Hákon Magnússon starb bei der Jagd, Skopti Ǫgmundarson erlitt Schiffbruch), er ist erfolgreich, doch seine Fähigkeiten werden wiederholt in Zweifel gezogen; die Vertreibung von Magnús’ gedemütigten Männern aus Schweden – dessen taktische Überlegungen erwiesen sich als falsch – erscheint als krasses Beispiel.²⁶³ Ein Zufall soll den König schließlich das Leben kosten, und es
Vgl. Kap. 3.3.7. Insofern handelt es sich hier nicht einfach um einen kontingenten Situationsfaktor, wie ihn Haferland 2018, S. 157 f., etwa für Lancelots Ablegen des Helms in der Mittagshitze geltend machte: „Da es Mittag ist und die Sonne hoch am Himmel steht, ist es selbst im Wald heiß. Deshalb sieht Lancelot sich veranlasst, seinen Helm abzubinden. Dass er ihn abbindet, zeigt, wie heiß es ist. Mehr aber folgt daraus nicht […]. Die knappe Charakterisierung der Situation hat eine rein indizielle Funktion, keine eigentlich narrative“. Unklar blieb die Ansprache dieser Szene in Msk bei Ármann Jakobsson/Þórður I. Guðjónsson 2011, S. liii f.: „hún er tafin með alls kyns fyrirboðum sem skapa dramatíska spennu og eftirvæntingu“, ‘sie ist voll mit allen möglichen Vorzeichen, die dramatische Spannung und Erwartung erwecken’. Dabei sei solche Zerlegung des Geschehens in Einzelmomente allerdings „ekki aðeins til skrauts, heldur er beiting þess höfuðatriði í list Morkinskinnu“, ‘nicht allein Schmuck, sondern solcher Einsatz ein zentrales Merkmal der (Erzähl‐)Kunst der Morkinskinna’; diese Formulierung blieb allerdings vage. Vgl. Kap. 3.4.4.
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ist bezeichnend, dass die Erzählung ihn zunächst noch einmal demonstrativ als kriegerischen Herrscher darstellt: Mit dem stattlichsten Heer (it fríðasta lið (Hkr iii, 233)) zieht Magnús an der britischen Küste entlang nach Irland. Doch wo sich gewaltige Flotten und Armeen in den Königssagas fast immer als kontraproduktiv erweisen, da zeigt sich auch die Schattenseite dieses riesigen Heeres in Form eines logistischen Problems: Für die Rückreise nach Norwegen muss Schlachtvieh organisiert werden, eine Aufgabe, bei der der Irenkönig Unterstützung zugesagt hatte. Doch die von Magnús ausgesandten Männer kehren nicht zur vereinbarten Zeit zurück (kvað á dag, at koma skyldi (Hkr iii, 234)), sodass Magnús gegen seinen anfänglichen Plan selbst an Land gehen muss. Die Suche nach seinen Leuten führt ihn und sein Gefolge in eine schwer passierbare Moorlandschaft, bis sie in der Ferne eine Dampfwolke sehen (diese Passage fehlt in Fsk und Msk). Es ist windstill und sonnig (vindlaust ok sólskin), die Dampfwolke stammt offenbar von schwitzenden Tieren. Doch wird diese Beobachtung sogleich als ambig gekennzeichnet, wenn die Männer uneinig darüber sind, ob sie nun die Gefolgsleute und das Vieh oder aber ein berittenes irisches Heer vor sich haben. Das weitere Geschehen ist als kontingent markiert, und ein Gefolgsmann des Königs, Eyvindr, fordert Magnús auf, in dieser uneindeutigen Situation rasch einen Beschluss für die eigenen Leute zu fassen (ráð nǫkkut fyrir liði). Magnús stellt seine Männer zum Kampf auf – doch dann sind es tatsächlich seine eigenen Männer und das Vieh, die herankommen: helt hann ǫll sín orð við Magnús konung, ‘er [d.i. der Irenkönig] hielt alle seine Versprechen gegenüber König Magnús’. Die Verzögerung, die Magnúsʼ Plan störte, wird nun rückblickend durch die sumpfige Landschaft erklärt, in der die schweren Tiere nur langsam vorankamen. Die Situation scheint geklärt – doch dann nimmt das Geschehen jene radikale Wendung, die nur scheinbar abgewiesen wurde: Aus den Büschen im Moor brechen plötzlich irische Krieger hervor.²⁶⁴ Wieder fordert Eyvindr Magnús auf, einen raschen Entschluss zu fassen (tókum nú skjótt gott ráð (Hkr iii, 236)); doch dieses Mal ordnet Magnús nicht den Kampf, sondern den Rückzug an, um rasch auf festen Boden zu kommen. Offenbar die richtige Entscheidung, denn die Iren fallen scharenweise (fellu þeir allþykkt). Doch das Moor erweist sich als unsicheren Terrain, erscheint als weiterer natürlicher Raum der Kontingenz, und Magnús’ Streben nach festem Boden illustriert die unsichere Situation umso deutlicher. Plötzlich stehen die Männer unerwartet vor einem schwer passierbaren Abschnitt (torfœra mikil). Magnús befiehlt seinen besten Bogenschützen, zuerst hinüberzugehen, um Rückendeckung zu geben. Doch nun mag sich bewahrheiten, was der alte Þórir seinem Richter Magnús einst
Den Anlass für diesen Angriff vermutete Power 1994, S. 216, in einem Missverständnis: „His [i. e., Magnús’s] ally, the powerful Munster King Muirchertach Ua Briain, had agreed to provide him with provisions for the journey. […] Magnús was on the coast of Uliad, the inhabitants of which were in alliance with Muirchertach and therefore also with Magnús. […] they were attacked by men of the Ulaid, who presumably mistook the party for marauding Hebrideans engaged in cattle-raiding“. Das bleibt Spekulation.
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mitteilen wollte: ill eru ill ráð, ‘Böses kommt von bösem Rat’²⁶⁵ – der altersschwache Þórir wurde von seinen eigenen Leuten nicht vor Magnús’ Galgen bewahrt, und so wird dieser nun von seinen Leuten ebenso im Stich gelassen – ein Umstand, den er mit den Worten kommentiert: óvitr var ek, ‘schlecht beraten war ich’. Eine Lanze durchbohrt ihm die Beine, sodass er, wie seinerzeit der gehbehinderte Þorir, nicht mehr fliehen kann und fällt. Die Erzählung in Msk und Fsk verläuft anders. Zwar wird das Moor erwähnt (Msk ii, 67; Fsk, 313), es hat aber keine Funktion. Die Speerwunde erweist sich nach Aussage von Magnús als unwesentlich (kvað sik ekki mundu til saka). Dessen Verderben, so deuten es Msk und Fsk an, wird vielmehr durch seine Ausrüstung befördert, die ihn leicht identifizierbar macht (Magnús konungr var auðkenndr): Ein goldener Helm (hafði hjálm gylldan á hǫfði), wie er schon im Falle von Hákon Haraldsson als ambiges Zeichen erschien,²⁶⁶ und ein rotes Wams (silkihjúp rauðan), wie er es einst auf der Flucht mit Ǫgmundr tauschte – damals zeigte Magnús sich undankbar, eine weitere Auseinandersetzung wurde nur durch den Schiffbruch von dessen Sohn Skopti unterbunden.²⁶⁷ Jetzt erweist sich das rote Wams als ambiges Zeichen, steht es genauso für den Tod wie einst für Rettung. Diese Ausstaffierung findet zwar auch in Hkr Erwähnung, allerdings nicht im Zusammenhang mit dem Kampf und ohne Hinweis auf die herausstechende Gestalt des Königs. In Msk und Fsk tötet schließlich ein Axthieb den strahlend bunten Magnús im Nahkampf. Wo Hkr den König letztlich als Opfer ungünstigen Terrains darstellt (das Moor verzögerte erst die Rückkehr seiner Männer, dann die Flucht) und seine letzten Worte zu schlechtem Rat uneindeutig bleiben, da rekurrieren Msk und Fsk auf Magnús’ ambigen Charakter: Zwar kämpft der gut bewaffnete König tapfer und geschickt (var þat allra manna mál at eigi hefði sét vígligra mann með jafn mǫrgum vápnum (Fsk, 68)),²⁶⁸ aber die subtilen Rückverweise der Erzählung deuten an, dass er nun gleichsam von früheren Taten eingeholt wird, diese sich in verkehrter Form gegen ihn richten und damit bis zum Schluss den unsteten Werdegang auch von Magnús betonen.
3.5.8 Fehlentscheidungen – Ingi Haraldsson und Grégóríús Dagsson Die Schlacht zwischen Hákon herðibreiðr Sigurðsson auf der einen Seite, König Ingi Haraldsson und dessen Beratern Grégóríús Dagsson und Erlingr Ormsson auf der anderen Seite, war nach Darstellung in Hkr alles andere als rühmlich: Fehlentscheidungen auf beiden Seiten sowie unkontrollierbare äußere Umstände ließen den Kampf in Chaos ausarten. Hákon unterlag aufgrund seiner kleineren Flotte, konnte Vgl. Kap. 3.3.6. Vgl. Kap. 3.5.3. Vgl. Kap. 3.4.4. Vgl. Andersson 2016, S. 62: „He leaves behind the record of a redoubtable, if not always victorious, warrior, but quite unlike his father Óláfr kyrri he reigns neither long nor peaceably“.
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3 Fagrskinna, Heimskringla, Morkinskinna – Eine Alternativlesung
aber im Tumult entkommen. Die Ausgangslage scheint wiederhergestellt, ähnlich wie u. a. in der Auseinandersetzung von Haraldr Sigurðarson und Sveinn Úlfssón.²⁶⁹ Damit aber erscheint das weitere Geschehen umso stärker als kontingent: Alle Planung erwies sich als unzureichend, eine nachhaltige Veränderung wurde nirgends bewirkt, diverse Entwicklungen sind denkbar. Ein Zustand der Unsicherheit, der für beide Seiten als schwer erträglich dargestellt wird. Volltrunken beginnen die Männer von Hákon, sich gegenseitig zu erschlagen, und auch die Gefolgsleute von Grégóríús und Erlingr geraten in tödlichen Streit: þar fellu fjórtán menn, ok hǫfðu níu þegar bana, en fimm ǫnduðusk síðar ór sárum, en mart varð sárt (Hkr iii, 362), ‘da fielen vierzehn Mann, neun davon sofort, aber fünf starben später an ihren Wunden, und viele weitere wurden verletzt’. Die Beschwichtigungsversuche durch Ingi scheitern an der emotionalen Erregung seiner Untergebenen, seine Herrschaftsposition wird weiter geschwächt; Grégóríús verweist explizit auf die unsichere Zukunft des Königs, wenn er diesen auffordert, von den Streitereien fernzubleiben: því at eigi kann vita, hverr sá er, er eigi sparir óhapp við sik, ‘denn niemand kann wissen, ob nicht jemand da ist, der ein Unglück anrichten kann’. Ingi gehorcht, kommt aber wenig später zurück: síðan kom Ingi konungr í annat sinn ok sætti þá, ‘danach kam König Ingi zum zweiten Mal, um zu vermitteln’. Und ein Zufall kommt ihm zu Hilfe: Wie einst Hákon Haraldsson durch die einfallenden Söhne von Eiríkr davon abgehalten wurde, gegen die eigenen Leute zu kämpfen,²⁷⁰ so wird die Situation durch die plötzliche Intervention einer weiteren Partei zunächst entschärft: þá spurðu þeir, at Hákon var í Víkinni, ‘da erfuhren sie, dass Hákon in Vík sei’. Grégóríús startet sofort einen Angriff auf das vermeintliche Lager von Hákon, doch seine Vermutung, dass dieser sich im größeren von zwei Gebäuden vor Ort aufhält, erweist sich als falsch: þeir Hákon váru á inum minna bœnum (Hkr iii, 362 f.), ‘Hákon und seine Leute waren im kleineren Gehöft’ – und entgehen dem Angriff. Nicht die letzte Fehleinschätzung von Grégóríús: Als er sich erneut gegen Hákon wendet, þá sýndisk þeim lið þeira Hákonar miklu minna en sitt lið (Hkr iii, 363 f.), ‘da erschien ihnen das Heer von Hákon viel kleiner als sein eigenes’; man erinnert sich an Hákons frühere Fehleinschätzung des Kräfteverhältnisses bei der Schlacht zu Wasser – nun erliegt Grégóríús einem ähnlichen Urteil. Einziges Hindernis zwischen den Armeen ist ein zugefrorener Fluss. Dieser ist nicht nur aus einer natürlichen Ursache heraus ein Unsicherheitsfaktor (flóð gekk undir ísinn útan, ‘die Flut unter dem Eis kam vom Meer her’), sondern Hákons Männer haben Löcher ins Eis gehackt, die Grégóríús aufgrund darübergehäuften Schnees nicht sieht; doch kommt ihm das Eis verdächtig vor: mælti hann, lézk illr sýnask íssinn, kvað þeim þat ráð at fara til brúar, er litlu ofar var á ánni, ‘er sagte, das Eis erschiene ihm schlecht, und er gab den Rat, zu der Brücke zu gehen, die ein kleines Stück flussaufwärts über den Fluss führte’. Doch Grégóríús’ Begleiter (bemerkenswerterweise wenig mehr als ein bóndalið, ein Bauerntrupp) sind
Vgl. Kap. 3.4.1. Vgl. Kap. 3.3.1.
3.5 Herrschertod
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solche Töne von ihrem Anführer nicht gewohnt: létu ís fullgóðan, kvazk horfinalda þykkja, ‘ihnen schien das Eis sehr gut, und sie meinten, Grégóríús sei wohl vom Glück verlassen’. Derart provoziert, gibt dieser seine Bedenken sofort wieder auf und betritt das Eis. Rasch merken die Gefolgsleute allerdings, dass das Eis tatsächlich viel zu schwach ist, und weichen zurück. Grégóríús bricht ein, aber – anders als einst Hálfdan svarti²⁷¹ – nicht so tief, dass er sich in Gefahr befände; weiterhin ist er in der Lage, Befehle zu erteilen: hann bað menn varask við, ‘er forderte die Männer auf, vorsichtig zu sein’. Da trifft ein heranfliegender Pfeil aus Hákons Truppe Grégóríús in die Kehle: ok er þar nú lokit ævi hans (Hkr iii, 364), ‘und damit ist seine Lebensgeschichte nun vorbei’ – ein geradezu ironisches Ende: Gegen seinen ungestümen Charakter hatte Grégóríús Vorsicht walten lassen, zugleich nicht als glücklos dastehen wollen; auch Haraldr Sigurðarson war gefallen, weil er seiner wohlbedachten Schlachtordnung doch nicht folgte.²⁷² Und dann stirbt Grégóríús nach allen Schlachten ausgerechnet an einem unkommentierten Pfeilschuss – vor dem er einst selbst gewarnt hatte: eigi veit, hvar óskytja ǫr geigar, ‘niemand weiß, wohin ein ungezielter Schuss sich verirren kann’. Den Tod seines obersten Beraters und Heerführers kommentiert Ingi nüchtern: þeir réðu þar þá, er verr kunnu (Hkr iii, 355), ‘da rieten nun die, die es schlechter verstanden’. Und man rät Ingi erneut, von der Schlacht fernzubleiben, doch der will von Ratschlägen nun nichts mehr hören. In der Nacht kommen Hákons Männer von der Seeseite her ausgerechnet über das Eis – im folgenden Kampf fällt Ingi. In Msk und Fsk ist die Episode nicht überliefert.
3.5.9 Chaos II – Magnús Erlingsson Ist es ein Zufall, dass die letzte Königssaga in Hkr geradezu als Gipfel einer chaotischen Abfolge zahlreicher Todesfälle erscheint? Nach dem Tod von Grégóríús und Ingi liegt es an Erlingr Ormsson, einen Nachfolger festzulegen; die Wahl fällt auf den eigenen Sohn, Magnús, dem Erlingr zur Seite stehen soll als maðr vitr, harðráðr ok reyndr mjǫk í orrostum ok landráðamaðr góðr (Hkr iii, 374), ‘als kluger Mann, energisch und sehr erfahren im Kampf sowie ein guter Landesverwalter’. Erlingr sieht sich damit in eine schwierige Lage (vandi) gebracht, wüsste man doch nicht, ob sich diese Konstellation zum Guten oder Schlechten wenden würde. Dieser herausgestellten Unsicherheit des Vater-Sohn-Gespanns versucht Erlingr entgegenzuwirken, indem er Hákon weiterhin selbst verfolgt und bestrebt ist, seinem Ruf als erfahrener Heerführer gerecht zu werden. So lässt er, um Hákon zur Aufgabe seiner Verschanzung zu bewegen, ein brennendes Schiff vor die Stadt fahren, an Tauen befestigt, um die Stadt selbst nicht in Brand zu setzen. Die Drohung hat indes ihre Kehrseite: veðrit stóð upp í býinn […]. Reyk lagði svá þykkt í býinn, at ekki sá af bryggjunum, þar sem fylking kon-
Vgl. Kap. 3.5.2. Vgl. Kap. 3.5.6.
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ungs stóð (Hkr iii, 376), ‘der Wind wehte Richtung Stadt […]. Dichter Rauch legte sich über die Stadt, sodass man von der Landungsbrücke aus, wo das Gefolge von König Hákon stand, nichts sehen konnte’. Soll der Rauch Hákon eigentlich einschüchtern und in der Verteidigung hindern, so erlaubt er diesem und dessen Männer doch zugleich die Flucht. Erlingr greift nach dieser missglückten Demonstration seines strategischen Geschicks auf einen Überraschungsangriff zurück; alle die Stadt Bergen passierenden Handelsschiffe hält er für einige Tage zurück, um Hákon keinerlei Kunde von seinem geplanten Angriff zukommen zu lassen. Doch ein Zufall macht zunächst auch diesen Plan zunichte: Ein kleines Fischerboot rudert unbehelligt an der riesigen Flotte vorbei – Hákon wird informiert. Doch dieser kann die Information, den eigentlich glücklichen Zufall nicht umsetzen, denn die (eigenartigerweise) unerwartete Meldung sorgt für Chaos unter seinen Leuten, die gerade beim Mittagessen waren: var þat í þann tíma dagas, er mjǫk var matbúit. Til skipanna stefndi allt fólk. Hljóp hverr þar út á skip, sem honum var næst, ok urðu skipin ójafnskipuð (Hkr iii, 381), ‘es war zu der Tageszeit, als das Essen fast fertig war. Alle Leute stürzten zu den Schiffen, und jeder sprang auf das Schiff, das ihm am nächsten war, und so waren die Schiffe ungleich besetzt’.²⁷³ Und so bricht im folgenden Kampf Unordnung unter den willkürlich verteilten Männern von Hákon aus. Hákon selbst springt auf ein benachbartes Schiff, um im Chaos noch einmal unbemerkt zu entkommen. Allein, in diesem Chaos kommt nun auch sein Geschick (und Glück) an seine Grenzen: Er springt auf das falsche Schiff, den Männern von Erlingr genau in die Arme: þóttisk hann vita, at hann var með óvinum þar kominn (Hkr iii, 382), ‘da ging ihm auf, dass er unter Feinde gekommen war.’ Erlingr begnadigt Hákon in großer Geste, ähnlich wie es einst Óláfr Haraldsson tat.²⁷⁴ Doch so wie damals ein Gefolgsmann von Óláfr den Begnadigten unerwartet erschlug, da ist auch die Begnadigung von Hákon nicht von Dauer. Im vermeintlich beherrschten Erlingr kochen erneut die Emotionen hoch, wieder facht er den Kampf gegen den Gegner an: í þessum þys var Hákon konungr særðr banasári, ‘in diesem Tumult wurde König Hákon tödlich verwundet’. Nach diesem chaotischen Geschehen wird die Position von Erlingr zunehmend in jenen Zweifel gezogen, den er selbst formulierte, als er zum Berater seines Sohns ernannt wurde. Der dänische König Valdamarr fühlt sich von Erlingr betrogen, weil dieser sich gegen seine klügsten Berater (er vitrastir váru) nicht dahingehend durchsetzen konnte, Valdamarr eine Herrschaft in Vik zukommen zu lassen (Hkr iii, 400). Der Dänenkönig stachelt daraufhin die Bewohner von Þrándheimr gegen Erlingr auf, der die Kunde davon allerdings als leeres Gerede und Geschwätz (upplostning og hégómi) abtut, wiederum ähnlich wie zuvor Óláfr Haraldsson. Ungünstiger Wind hindert Erlingr jedoch daran, wie geplant weiter nach Süden zu segeln: lét búa snekkju, tvítøgsessu, ok skútu, fimmtánsessu, ok enn vistabyrðing. En er skipin váru búin,
Der Verweis auf den Angriff zur Essenszeit erinnert an die Hákonar saga góða, in der Hákon beim Frühstück von jenem Angriff erfährt, bei dem er fallen sollte (vgl. Kap. 3.5.2). Vgl. Kap. 3.5.5.1.
3.5 Herrschertod
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þá lǫgðusk á sunnanveðr hvǫss (Hkr iii, 401), ‘er ließ einen Zwanzigruderer und einen Fünfzehnruderer rüsten, und außerdem ein Versorgungsschiff. Aber als die Schiffe bereit waren, da erhob sich ein scharfer Südwind’. Die Männer ermüden beim Rudern gegen den ungünstigen Wind, sodass Erlingr schließlich Segel setzen und die Schiffe wieder nach Norden treiben lässt – ausgerechnet nach Þrándheimr. Mehr noch: Der dort weilende Valdamarr hatte zwar kein Verlangen nach einem persönlichen Zusammenstoß mit Erlingr, doch seine geplante Abfahrt verzögerte sich durch unkontrollierte Plünderungen seiner Leute – so stößt er schließlich doch mit Erlingr zusammen. Die Situation wird zwar pragmatisch gelöst, indem Valdamarr Erlingr zu seinem Jarl macht. Doch mehr und mehr wird die Position von Erlingr als unsicher, sein Werdegang als kontingent herausgestellt. Mehrfach retten ihn nur glückliche Zufälle: Einem Anschlag durch einen Mann namens Óláfr Guðbrandsson im Schlafgemach entgeht er allein durch seinen ungewöhnlich frühen Aufbruch an diesem Tag. Einen folgenden Angriff überlebt er, weil dieser an einem Hofzaun stattfindet, der die Parteien trennt: hlífði garðrinn þeim (Hkr iii, 409); zudem ist es so dunkel (myrkt), sodass die Angreifer ihn kaum erkennen können: þat var kallat, at þeir Óláfr hefði ina mestu óhamingju borit til fundarins, svá sem þeir Erlingr váru fram seldir, ef þeir Óláfr hefði meirum ráðum fram farit, ‘man sagte, Óláfr und seine Leute hätten bei diesem Zusammentreffen viel Pech gehabt, denn Erlingr und seine Leute wären verloren gewesen, wenn Óláfr und seine Leute planvoller vorgegangen wären’. Und so nannte man Óláfr (aufgrund seines zweifach missglückten Mordanschlags auf einen Herrscher!) bezeichnend ógæfa, ‘den Glücklosen’ – und wenig später erkrankt dieser gefährliche Gegner und stirbt.²⁷⁵ Auch Magnús, Sohn von Erlingr, hilft ein Zufall, seine Position zunächst zu festigen. Der legendäre Räuberhaufen der Birkibeinar um den selbsternannten König Eysteinn rückt gegen den mächtigen Níkolás in Nidaros vor; dieser verkennt die Gefahr, reagiert erst, als Eysteinn bereits vor der Stadt steht – und Níkolás’ Strategie, die Stadtbewohner sich selbst zu überlassen und nur das Obergeschoss seines Herrschersitzes zu verteidigen, erweist sich als it ósnjallasta ráð (Hkr iii, 414), ‘die törichste Maßnahme’, die ihn und sein Gefolge das Leben kostet. Nach diesem unerwartet leichten Sieg beschließt Eysteinn, auch gegen Magnús zu ziehen, der mit kleiner Truppe in einer Stadt weilt. Ein Zufall rettet Magnús: snjár var mikill ok veðr furðu kallt (Hkr iii, 415), ‘es lag viel Schnee und das Wetter war überaus kalt’; davon berichtet auch Fsk: veðrit var furðu kalt ok svá mikill snjór, at allt var kafhleypt, þegar er af vegum fór (Fsk, 362), ‘es war überaus kalt und viel Schnee lag, sodass man tief darin einsank, sobald man den Weg verließ’. Magnús’ Männer trampeln den Schnee um die Stadt herum fest, als die Truppe von Eysteinn ihrer gewahr wird und beim Anblick von Magnús’ kleinem Gefolge beschließt, sofort anzugreifen – ähnlich dem missglücktem Versuch von Hákon herðibreiðr gegen Grégóríús, aber auch ähnlich Grégóríús’ eigenen
Zu Konnotationen von ógæfa vgl. Kanerva 2012.
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Männern, die ihren Anführer ins Verderben schickten.²⁷⁶ Auch im Falle von Eysteinn erweist sich die Konstellation als fatal: er þeir sóttu fram veginn, þá máttu fáir senn fram fara, en þeir, er út hljópu af veginum, fengu snjá svá mikinn, at þeir fengu varla fram komizk, ok brázsk þá fylking þeira (Hkr iii, 417), ‘aber als sie dem Weg folgten, da kamen nur wenige nebeneinander vorwärts, aber diejenigen, die vom Weg abwichen, gerieten in so tiefen Schnee, dass sie kaum noch vorankamen, und so löste sich die ganze Ordnung auf’ – noch bevor die Männer von Magnús überhaupt eingreifen müssen.²⁷⁷ In Fsk ist die Situation ähnlich, allerdings wird dort der Nachteil der Birkibeinar erst erwähnt, als sie auf der festgetrampelten Schneefläche vor der Stadt mit Magnús’ Männern zusammenstoßen: tóksk þar orrostan ok var Birkibeinum óhœgt við at komask, ok fór liðit mjǫk sundringum, er þeir hǫfðu ekki rúm á gaddinum (Fsk 129), ‘dann begann der Kampf und es war schwierig für die Birkibeinar anzugreifen und die Truppe zerstreute sich völlig, weil sie keinen Platz auf dem festgetrampelten Schnee hatten’. Zwar wurden die Birkibeinar als große Krieger bezeichnet, wie der Erzähler anmerkt, indes gab es unter ihnen nur wenige gute Ratgeber (fátt þeira manna, er ráðagørðarmenn væri (Hkr iii, 43)). Kampfkraft versagt vor Taktik, aber beider Resultat ist kontingent. Ein Resultat, dass hier umso mehr irritieren muss, als den Birkibeinar herausragende Fähigkeiten gerade in Schnee und schlechtem Winterwetter nachgesagt wurden. In der Hákonar saga Hákonarson (um 1265) wird erzählt, wie die Birkibeinar König Hákon als Kleinkind vor Verfolgern retteten, im Winter, unter denkbar schlechten Witterungsbedingungen: í þessu ferð fengu þeir mikit vás af illveðrum ok frostum ok snjóvum. Þeir voru stundum úti um nætr á skógum ok óbyggðum (Hák i, 175), ‘auf dieser Fahrt erlitten sie viele Strapazen durch schlechtes Wetter und Frost und Schnee. Sie waren manchmal nachts draußen in Wäldern und Einödenʼ. In Hkr wird diese Kompetenz explizit in Zweifel gezogen, wenn den Birkibeinar der Winter nun zum Verhängnis wird. Stimmig verweist das Ende gerade in Hkr insofern über die Erzählung hinaus: Magnús habe nach seinem Sieg in noch größerem Ansehen gelebt als sein Vater Erlingr vor ihm. Doch dies, historisch betrachtet, wiederum allein für wenige Jahre, bevor er von König Sverrir überwunden wurde²⁷⁸ – der bezeichnenderweise, so berichtet die separat überlieferte Sverris saga (um 1190), seinen raschen Aufstieg damit begann, dass er die überlebenden Birkibeinar unter sich vereinte und Erlingr und
Vgl. Kap. 3.5.8. Bagge 1991, S. 93, führte diesen Kampf zwischen Magnús und den Birkibeinar als Beleg für Magnús’ strategische Überlegenheit an: „Erlingr’s son Magnús defeats the numerically superior Birchlegs because the latter are hampered by the deep snow, whereas Magnús’s men have packed down the snow to be able to move“. Das ist richtig, gleichwohl legt die Erzählung das Gewicht nicht auf die Überlegenheit von Magnús’ Leuten, sondern auf die im tiefen Schnee verlorenen Birkibeinar – also auf die Unordnung, bedingt durch äußere Umstände. Pure Ironie, wie Sawyer 2015, S. 104, meinte: „Snorri’s contemporaries cannot have missed the irony in this last sentence. […] King Magnús was defeated by Sverre, a much greater warrior, three years after the battle at Ré […]. Erling’s rule was not successful; one rebellion followed another“.
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Magnús besiegen konnte, als deren Männer (weit überlegen in Zahl und Ausrüstung) völlig betrunken waren: lið Magnús konungs lá mart uppi í bœnum ok hafði verit dauðadrukkit um kveldit, því at konungr hafði veitt þeim um daginn (Sv 58), ‘das Gefolge von König Magnús lagerte oben in der Stadt und war sturzbetrunken, da der König sie tagsüber kräftig bewirtet hatte’.²⁷⁹ Erlingr fällt in der Schlacht, sein vermeintlich noch prächtigerer Sohn Magnús muss fliehen und wird sich gegen Sverrir nicht mehr durchsetzen können. Eine unendliche Geschichte?
Das strategisches Geschick von Sverrir hat umfangreich Sverre Bagge herausgearbeitet; er unterdrückte allerdings den Umstand, dass die finale Niederlage von Erlingr eben wesentlich der Trunkenheit von dessen Truppen geschuldet war, wenn er allein anmerkte: „The enemy is unprepared“ (Bagge 1996, S. 29).
4 Die Entlastung vom Absoluten – Unbestimmtheit als Kompetenz Die geschehene Geschichte ist ebenso wundersam wie die nicht geschehene.¹
4.1 Vorbemerkung Erstens aus wissenschafts- und mentalitätsgeschichtlicher Perspektive, zweitens auf Grundlage einer vergleichenden Lesung der mittelalterlichen Kompilationen Fagrskinna, Heimskringla und Morkinskinna wurde in dieser Studie dafür argumentiert, dem etablierten geschichtswissenschaftlichen Zugang eine literaturanthropologische Interpretation der Königssagas zur Seite zu stellen. Eine Alternativlesung, die diese Sagas als literarische Konstrukte in ihrer vollen Bedeutung zu erfassen suchte: Als Zeugnis nicht allein einer politisch motivierten und unter entsprechenden Vorgaben realisierten Historiographie; vielmehr als Zeugnis auch einer narrativen Kompetenz, die diesen groß angelegten Erzählungen Wirkungs- und Bedeutungszusammenhänge einschreibt, welche den Königssagas einen eigentümlichen Status zwischen historischem Report und fiktionalem ‚Als ob‘ verleihen. Erstmals in der skandinavistischen Mediävistik wurden dabei Konzepte von Kontingenz und Zufall systematisch fruchtbar gemacht. Die fundamentale Ambivalenz von Kontingenz sowie die Anschlussfähigkeit der Konzepte Zufall, Koinzidenz und Ambiguität wurden diskutiert und im Laufe der Lesung vielfach illustriert, Thesen regelmäßig präzisiert, gelegentlich korrigiert. Der Kritik, es handle sich bei Kontingenz um ein kurzlebiges Modethema, wurde erstens die anhaltende Relevanz der Auseinandersetzung mit Unbestimmtheitsphänomenen quer durch die menschliche Geschichte, vor allem aber in Geschichtstheorie und Geschichtsphilolosophie des 20. Jahrhunderts entgegengehalten. Die in den letzten Jahren erstarkende Diskussion dieser komplexen Konzepte auch in der Mediävistik hat aber zweitens Prämissen der Erzählforschung zu mittelalterlicher Literatur produktiv herausgefordert. Die umfassende Auseinandersetzung auf breiter Textbasis steht noch am Anfang und die vorausgehende partielle Aufarbeitung der Debatten in Nachbardisziplinen hat vor Augen geführt, dass von einem Konsens oft nicht zu sprechen ist. Dass mit dieser Debatte allerdings auch in der Altskandinavistik kein völlig neues Feld betreten wurde, vielmehr die langwierige Diskussion von Schicksal und Glück in altisländischer Literatur aus neuer Perspektive und zugleich systematischer als bisher angegangen wurde, kommt als Einwand gegen vermeintliche Kurzlebigkeit hinzu.²
Demandt 1986, S. 139. Dass vermutlich weiterhin von einem ertragreichen Nebeneinander der Perspektiven zu sprechen sein wird, deutete bereits Aristoteles in seiner Physik an: „Auf welche Weise sich nun Schicksalfügung https://doi.org/10.1515/9783110759280-006
4.2 Kontingenz und Historiographie
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Obwohl sich nicht alle betrachteten Königssagas in gleicher Weise über dieses Konzeptcluster ertragreich untersuchen ließen und bisweilen ein Spektrum an Interpretationsmöglichkeiten aufgetan wurde, so haben sich im Gesamtblick doch Muster herauskristallisiert, die auf intendiertes Vorgehen seitens der Sagaverfasser schließen lassen – bemerkenswerterweise, ohne dass die drei untersuchten Fassungen grundsätzliche Unterschiede aufweisen würden, darauf wird noch zurückzukommen sein. Es wurden, um die Brücke zur einleitenden Metapher des isländischen Schneesturms zu schlagen,³ neue Wegmarken auf einem bisher nur teilweise überblickten Feld der mediävistischen Forschung gesetzt. Diesen Orientierungspunkten, die in ihrer Verbindung ein nicht einstimmiges, aber auch nirgends beliebiges Bild haben entstehen lassen, gilt in diesem abschließenden Kapitel das Augenmerk. War die vorausgehende Lesung nach den Lebensabschnitten der Figuren in den Königssagas gegliedert, so ist nun die übergreifende Auswertung von Kontingenz und abhängigen Konzepten aus historiographischer, narratologischer und anthropologischer Perspektive angestrebt (ohne dass scharf zu trennen wäre). Können diese Ergebnisse zunächst allein für die behandelten Texte Aussagekraft einfordern, so ist die Hoffnung doch, dass diese Koordinaten künftiger Diskussion einen Weg zu noch unerforschten Aspekten altisländischer Literatur und Mentalitäten weisen können.
4.2 Kontingenz und Historiographie There is something either supplemental or defective about chance; there is either not enough or too much cause.⁴
4.2.1 Menschliches Handeln und soziale Kontingenz Seit dem 19. Jahrhundert sind die Königssagas zur „self-evident historiography“⁵ verklärt worden, haben Fragen nach Handschriftenverhältnissen und historischer Zuverlässigkeit im Zentrum des Forschungsinteresse gestanden. Dieser Trend hält an. Doch ist mittlerweile anerkannt, dass erstens die Quellenfrage aufgrund kontingenter Überlieferung nie sicher zu klären sein wird, dass zweitens die überkommenen Ordnungskategorien ‚Fakt‘ und ‚Fiktion‘ keine hinreichende theoretisch-methodische Begründung erlauben. Einerseits ist Fiktionalität skalierbar, wie Jan-Dirk Müller prägnant festhielt,⁶ und es hat sich gezeigt, dass der damit aufgeworfenen Frage nach und Zufall unter diesen Ursachen finden, ob Schicksal und Zufall dasselbe sind oder verschieden voneinander und überhaupt, was denn Schicksalsfügung und Zufall ist: das ist zu untersuchen“ (Zekl 1987, S. 69 und S. 71). Vgl. Kap. 1.3.3. Lyons 2012, S. 4. O’Connor 2017, S. 89. Müller 2010b [2004], S. 95.
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4 Die Entlastung vom Absoluten – Unbestimmtheit als Kompetenz
dem Maßstab ein subjektives Moment zu eigen ist. Andererseits hat zwar die dominante Ansprache der Königssagas als Historiographie frühzeitig Augenmerk auf deren rationale Aspekte gelenkt – allerdings ohne diese Eigenart systematisch auf ihre Bedeutung hin zu befragen. Bei aller Betonung eines (wie auch immer gearteten) Rationalismus und Pragmatismus der Darstellung verharrt auch dieses Urteil auf der Makroebene, sind konkrete Szenen und Episoden der Erzählungen, die diesen Gesamteindruck erst eigentlich generieren, bisher oft als „structural passages“⁷ marginalisiert worden, ohne nach ihrem Stellenwert in der Diskussion zu fragen.⁸ Die vorliegende Studie unternahm demgegenüber den Versuch einer literaturanthropologischen Neubewertung der narrativen Darstellung mittelalterlicher nordischer Geschichte. Nicht galt der Blick, wie in früherer Forschung, einer einzelnen Königssaga oder einer einzelnen Kompilation, die dann bevorzugt einer isländischen oder norwegischen Perspektive zugeordnet und unter dieser gesellschaftspolitischen Vorgabe gedeutet worden wäre. Die Grundlage der vorgelegten Neulesung bildete das umfassende Corpus altisländischer Königssagas, das in den drei großen mittelalterlichen Kompendien Heimskringla, Morkinskinna und Fagrskinna überliefert ist und dessen Entstehung, Bearbeitung und Überlieferung diskursgeschichtlich nicht allein das gesamte 13. Jahrhundert umspannen, sondern bereits auf das 12. Jahrhundert zurückverweisen und zumindest noch ins 14. Jahrhundert hineinwirken. Die vor diesem Horizont angestrebte Neulesung bedingte keinen generellen Widerspruch zu bisheriger Forschung, wohl aber in wichtigen Aspekten eine Korrektur, Spezifikation und Erweiterung. So ist etwa Sverre Bagges geradezu klassisches Urteil zur Heimskringla: „The lesson to be learned from it is not that God will reward the just and punish the wicked, but that it is necessary to act with great foresight and prudence if one is to have success in this world“,⁹ im Gesamtblick weiterhin richtig. Doch seine beispielhafte Folgerung, die Heimskringla sei ein regelrechtes Lehrbuch für den erfolgreichen Politiker – „if Snorri has an explicit purpose behind his work, it is most probably to teach future politicians this kind of prudence“¹⁰ –, wurde nun als einseitig herausgestellt: Viel zu oft scheitern Klugheit, Voraussicht und Planung der Figuren an unkontrollierbaren Gegebenheiten. Zuzustimmen ist insofern zunächst Theodore Andersson, wenn er der Heimskringla Einsicht in „the vagaries of history“ zugestand.¹¹ Doch seine Interpretationsprämisse einer „preoccupation with national consciousness“ und „national self-assertion“ der Heimskringla operierte noch 2016 mit dem
Bagge 1991, S. 38. Solche Vernachlässigung des Details monierte auch Kragl 2013, S. 123, wenn er zur „Art, wie in der heutigen Mediävistik mit altem Erzählen hantiert wird“, kritisch bemerkte: „Man interessiert sich vor allem für gleichsam grobe motivationale Verknüpfungen und abstrakte Handlungsmuster – beides Phänomene narrativer Progression –, sodass jene Passagen, die die Handlung eben nicht vorantreiben, schon methodisch ausgeblendet sind“. Bagge 1991, S. 230. Bagge 1991, S. 230. Andersson 2016, S. 157.
4.2 Kontingenz und Historiographie
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vagen Konstrukt nordischer Nationalräume, womit Wechselfälle der nordischen Geschichte auf nationalpolitische Konflikte reduziert blieben.¹² Über diese dominante These führte auch Birgit Sawyers zeitnaher Versuch einer Neulesung nicht hinaus, wenn sie folgerte: „My own interpretation of Heimskringla is that in the first half of the work, Snorri describes the struggle against royal power, and in the second half of it the struggle for it“.¹³ Und auch Ármann Jakobsson, der immerhin auf die Bedeutung vermeintlicher Digressionen und Nebensächlichkeiten in der Morkinskinna hinwies,¹⁴ kam über das etablierte Deutungsmuster von aktiven Ordnungsbestrebungen einer nationalen Elite nicht hinaus: „The nature of royal power, the relationship between kings and subjects and their duties towards the king, the ethos of courtly society, the place of Icelanders in the Norwegian court and the value of poetry and storytelling“¹⁵ – dies seien die Interessensschwerpunkte der Morkinskinna. Nordische Historiographie und damit die Königssagas wären, von diesen Positionen abstrahierend, die Biographie großer norwegischer Männer, die in einer wesentlich binär strukturierten Gesellschaft (nach dem Muster Freund/Feind, mächtig/schwach, glücklich/unglücklich) dem isländischen Freistaat in eben solchem ‚Entweder-Oder‘ mal freundlich, mal feindlich gesonnen gewesen wären. Die wichtigste Neuerung des in der vorliegenden Studie erprobten Zugangs war demgegenüber die radikal geänderte theoretische Grundlage: Wo bisherige Interpretationen der Königssagas meistens mit der diffusen Prämisse einer herausragenden Handlungskompetenz der Protagonisten (auch als Resultat eines nicht minder diffusen Glücks) operierten, da galt das Interesse nun den Rahmenbedingungen und damit Grenzen menschlichen Handelns. Die traditionell von Schlagworten wie ‚Rationalität‘ und ‚Pragmatismus‘ bestimmte Perspektive auf die Königssagas wurde damit einerseits beibehalten; andererseits wurde der Bedeutungsumfang solcher Rationalität – mit Ernst Wolfgang Orth verstanden als „Möglichkeit der Diskussion dessen, was sich sinnhaft zeigt, auch in dem Gespräch darüber, ob oder wie Ordnung sei oder nicht sei“¹⁶ – im gesamteuropäischen Kontext mittelalterlicher Mentalitäten neu verhandelt und dies mit Blick auf sowohl gelehrte als auch lebenspraktische Vorgaben und Bedürfnisse. Es wurde herausgestellt, in welchem Maße ab dem 12. Jahrhundert – befördert durch erschütternde Ereignisse wie den Zweiten Kreuzzug um 1150 – und dann zunehmend mit dem wachsenden corpus aristotelicum ab dem frühen 13. Jahrhundert der Druck auf die westliche Gelehrtenwelt wuchs, irritierende bis verstörende Beobachtungen, Erfahrungen und Spekulationen mit christlich-theologischen Vorgaben in Einklang zu bringen. Vor dieser Beobachtung einer von Widersprüchen irritierten Verschmelzung theologisch-philosophischer, politischer und alltagsrelevanter Posi-
Andersson 2016, S. 161. Sawyer 2015, S. 144. Vgl. Ármann Jakobsson 2014a, S. 344: „They treat issues that are central to the saga as a whole, and are so intertwined with the core of the work that it would be difficult to separate them“. Ármann Jakobsson 2014a, S. 344. Orth 1986, S. 9
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tionen wurde dafür argumentiert, die gelehrte Auseinandersetzung – die im Umfeld der entstehenden Universitäten auf fruchtbaren Boden fiel – als Reaktion auf eine generell wachsende „mood of contingency“¹⁷ in der westlichen Welt zu verstehen. Es ist dieser vielstimmige Diskurshorizont innerhalb dessen ab etwa 1200 die altisländischen Königssagas ihre Entwicklung erlebten. Der Versuch früherer Forschung, diese Sagas auf wenige lineare Erzählstränge zu reduzieren, musste angesichts der facettenreichen und dynamischen Ausgangslage unbefriedigend bleiben. Die Marginalisierung all jener Erzählmomente, die sich einer simplen Einordnung sperren, wird den Königssagas, wie sie in der vorliegenden Studie gelesen wurden, nicht gerecht. Die Frage nach den Möglichkeiten und Grenzen des Menschen, (seine) Geschichte zu machen, wird in diesen Sagas viel zu komplex verhandelt, als dass nationalpolitische Ideologie oder die Prämisse der ‚großen Männer‘ eine hinreichende Erklärung für historische Entwicklung bieten könnten. Zahlreiche Verweise auf öffentliche und private Besprechungen im Vorfeld von geplanten Aktionen oder in Reaktion auf unerwartete Ereignisse, vor allem aber die oft gegensätzliche Bewertung des Geschehens in Figuren- und Erzählerrede führen vor Augen, dass in den Königssagas ein variableres Bild von menschlicher Kompetenz etabliert wird. Umso mehr, als diese herausgestellte Kompetenz vom faktischen Geschehen nicht nur herausgefordert, sondern oft genug ad absurdum geführt wird. Das so gezeichnete Bild ist auch nicht an geopolitische Räume geknüpft, sondern findet Bestätigung von Island im Norden bis Griechenland im Süden, von England und der Normandie im Westen bis nach Russland und Vorderasien im Osten. Das Changieren zwischen widerstreitende Meinungen, zwischen Aktion und Reaktion, zwischen Erwartung und Erfahrung, zwischen Wissen um die Vergangenheit und künftige Ungewissheit suggeriert in der Erzählung eine fundamentale Unsicherheit von Entscheidungsprozessen. Man erinnere sich etwa an die langwierigen Verhandlungen zwischen Óláfr Haraldsson und den Uppland-Königen:¹⁸ Das Gesuch von Óláfr um Unterstützung wurde in zahlreichen Repliken der Lokalherrscher als unsicheres Unternehmen markiert, mit signifikanter Übertragung früherer Erfahrungen – das Scheitern zahlreicher Vorgänger – auf mögliche künftige Entwicklungen. Gleiches galt für die Versuche von Óláfr, Island unter seine Kontrolle zu bringen:¹⁹ Die isländische Bevölkerung verweigerte ihm laut Saga das Herrschaftsgesuch über die Insel Grímsey – nicht weil man Óláfr selbst nicht traute, sondern weil die Erfahrung gezeigt hatte, dass sich die Verhältnisse unter potenziellen Nachfolgern zum Schlechten wenden könnten. Der politische Werdegang des späteren Nationalheiligen Norwegens wurde zwischen Vergangenheit und Zukunft gleichsam in den Konjunktiv gesetzt. Handlungsraum wird in den Königssagas also als Entscheidungsraum dargestellt, in dem das Verschmelzen von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft zu einer kon-
Vgl. Utz 2007, S. 126; vgl. van Nahl 2016b. Vgl. Kap. 3.3.3.2. Vgl. Kap. 3.4.2.2.
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tingenten Geschichte ein Spektrum an potenziellen Alternativentwicklungen entfaltet. Das Interesse dieser Sagas an der Kompentenz ihrer Protagonisten ist dann wie gesagt nicht mehr über den Hinweis auf ‚große Männer‘ erklärt; Peter Vogt monierte zu Recht, solche Argumentation habe zu einem „Stellungskrieg zwischen Indeterminismus und Determinismus“ geführt, ohne konstruktiv zur Debatte beizutragen.²⁰ Bereits Sverre Bagge, der grundlegend diese kritisierte Position vertrat, bemerkte richtig, hochrangigen Personen würde in den Königssagas zwar viel Erzählraum gewidmet, im Gesamtblick sei allerdings „the importance of the people […] equally striking“.²¹ Gegen Hans Jacob Ornings unnötig pessimistisches Urteil, die Königssagas würden ein idealisiertes Bild entwerfen, hinter dem die Masse realhistorischer Akteure völlig verschwände,²² wurde in der vorausgehenden Lesung eine beachtliche Zahl an Episoden herausgestellt, in denen eine breite Bevölkerung als Diskussionspartner funktionalisiert und elitäre Planung angesichts sozialer Kontingenz bis zur Aufgabe irritiert wird.²³ Man könnte erinnern an den vergeblichen Versuch von Sveinn Knútsson, ein Heer gegen seinen Widersacher Magnús góði aufzustellen: Das fehlende Interesse der anwesenden Bauern zwingt Sveinn gegen jegliche Planung gar zur Flucht außer Landes.²⁴ Ebenso scheitern der schwedische König Óláfr Eiríksson und seine klügsten Berater mit dem Versuch einer Aufrechterhaltung der Ordnung gegen Óláfr Haraldsson daran, dass sie nicht, wie erwartet, auf ein manipulierbares Bauernheer treffen, sondern auf eine wohlorganisierte Menschenansammlung, die auf mehrtätige Beratung zurückblickt.²⁵ Wesentlich angestachelt wird die im Hintergrund stehende Auseinandersetzung zwischen Óláfr Eiríksson und Óláfr Haraldsson zudem durch die Unzufriedenheit der schwedischen Bevölkerung, die sich einerseits vom schwedischen König bedroht fühlt, die andererseits den Einfluss des norwegischen Königs als gering erachtet. Aus dieser prekären Situation heraus wird ein Volksvermittler bestimmt – doch mit Emundr ausgerechnet eine Person gewählt, die der Erzähler von Beginn an als ambig markiert, die das kontingente Grundmoment der Kommunikation zwischen Volk und Herrscher also nicht aufhebt, sondern betont und verschärft. Dieses Interesse der Königssagas an der unkontrollierbaren Stimme des Volkes und der allenfalls partiell berechenbaren Meinung von Beratern steht nicht bruchlos zu Gerd Althoffs Fazit, bei Unstimmigkeiten sei im Mittelalter oft nach Gewohnheit entschieden worden, womit der „Willkür der Herrscher ein breiterer Spielraum gege Vogt 2011, S. 378; vgl. auch Gerber 2017, S. 57: „Die große Geschichte ist demnach etwas, das über die sprichwörtlich kleinen Leute wie eine Art von Naturgewalt hereinbricht, ohne dass sie mit ihrem Handeln irgendetwas steuern oder beeinflussen könnten. […] Aber diese Unausweichlichkeit einer schicksalshaften Geschichte betrifft nicht nur die sprichwörtlich kleinen Leute, […] nein, es sind auch die so genannten historischen Persönlichkeiten, die nicht minder ausgeliefert sind und sich in ihrer Eitelkeit nur einbilden, dass sie irgendetwas bewirken oder steuern könnten“. Bagge 1991, S. 138. Vgl. Orning 2008, S. 35. Vgl. zur Diskussion Kap. 2.3.2. Vgl. Kap. 3.3.4. Vgl. Kap. 3.3.3.4.
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ben war, welche Fragen sie den Beratern vorlegten und in welchen Fällen sie ohne allgemeine Beratung aktiv wurden“.²⁶ Ein kluger Herrscher, so Althoff, berief formelle Versammlungen erst ein, „wenn er über vertrauliche Kanäle sichergestellt hatte, dass die Ratgeber in seinem Sinne agieren würden“.²⁷ Ratgeber spielen in den Königssagas eine zentrale Rolle, doch in augenfällig anderer Weise, als Althoff sie an kontinentaler Historiographie abgelesen hat. Sie vertreten in diesen Sagas divergierende Meinungen, mal rational, mal emotional, und der Herrscher stellt formal die letzte Entscheidungsinstanz dar. Doch nicht nur kann das Urteil der Klügsten dann am schlichten Faktum eines widersprechenden Bauernheers scheitern. Selbst die ultimative Entscheidungskompetenz des Königs wird in Zweifel gezogen, und dies oft von seinen eigenen Beratern und Vertrauten, die damit in zweifacher Weise als Sinnbild sozialer Kontingenz erscheinen: Als vermeintliche Mediatoren zwischen Herrscher und Volk sind sie oft weder in der Lage, herrschaftliche Ordnung nach unten umzusetzen, noch sind sie fähig oder willig, das unsichere Moment der breiten Masse gegenüber ihrem Herrscher zu entschärfen; und schließlich stehen sie untereinander in Konkurrenz. Man denke an den einflussreichen Finnr Árnason, der zunächst seinem König Óláfr Haraldsson unnützes Träumen und Untätigkeit angesichts äußerer Bedrohung, später dann seinem Herrn Haraldr Sigurðarson Ratlosigkeit und Planung zum Schlechten vorwirft;²⁸ oder an die langgezogene Auseinandersetzung zwischen König Magnús Sigurðarson und dessen Berater Sigurðr Sigurðarson – eine Debatte, nach der Magnús gefangen genommen und verstümmelt wurde, weil er jeden Rat zurückwies;²⁹ oder an den vergeblichen Versuch von König Ingi Haraldsson, den Streit zwischen seinen hochrangigen Beratern Grégóríús Dagsson und Erlingr Ormsson durch pragmatische Vermittlung zu schlichten³⁰ – der König scheitert an der Etablierung eines tragfähigen Konsens, allein der unerwartete Angriff des Erzfeindes verhinderte fatalen Streit unter Verbündeten, ähnlich wie einst im Falle von Hákon góði. Nicht einmal königliche Gesetzgebung hat Bestand: Eben jener Hákon wurde zwar für seine Bestrebungen bekannt, Norwegen durch ein umfassendes Regelwerk abzusichern, doch seiner Saga zufolge scheiterten in kriegerischen Auseinandersetzungen viele dieser Maßnahmen nicht nur, sondern wird dieses Scheitern als eine den Ordnungsbestrebungen inhärente Konsequenz erklärt.³¹ Diese Unsicherheit von Bestrebungen, die der Etablierung von Ordnung dienen sollen, ist für die Königssagas in bisheriger Forschung am Rande notiert worden, doch lag der Schwerpunkt dabei auf dem aktiven Handeln von Individuen. So sprach etwa Bagge von „deliberations following an accidental clash, in which long-term interests
Althoff 2016b, S. 309. Althoff 2016b, S. 323. Vgl. Kap. 3.5.5.2 und Kap. 3.5.6. Vgl. Kap. 3.3.7. Vgl. Kap. 3.4.5. Vgl. Kap. 3.4.1.
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determine whether or not it will result in a full-scale conflict“,³² oder erkannte Orning eine „uncertainty as to whether a conflict would result in violence or not“ als Eigenart der Königssagas.³³ Der darin offensichtliche dynamische Aspekt wurde aber in der Forschung über eine Anbindung an die etablierte Diskussion von Freundschafts- und Verwandtsverhältnissen wieder auf binäre Schemata reduziert: Im Zentrum dieser weiterhin einflussreichen Forschungsposition steht die These einer mittelalterlichen skandinavischen Elite, deren Handeln von simplen on-off-Beziehungen und einem klaren Richtig-Falsch-Verständnis geprägt gewesen sei.³⁴ Diese Einschätzung steht zu den Resultaten der vorausgehenden Lesung in klarem Widerspruch: Die Königssagas, vor allem die detailreiche Heimskringla, legen vielfältiges Zeugnis ab von einer grundlegenden Einsicht in die Kontingenz sozialer Kommunikation. Mit Harald Haferland lässt sich hier stimmig von einer doppelten Kontingenz sprechen, wie Niklas Luhmann sie als Begriff prägte, in dem Sinne, dass der individuelle Mensch von sich selbst nicht sagen kann, „welche Eigenschaft auf welche Belastung hin zutage tritt“, er sich also selbst kontingent ist, daher aber erst recht nicht absehen kann, „wie die Begegnung mit einem Anderen verläuft und ausgeht“.³⁵ In den Königssagas tritt uns eine dynamische Gesellschaft entgegen, deren vertikale und horizontale Achsen gleichsam oszillieren. Die Rationalität dieser Sagas ist damit nicht in Zweifel gezogen. Nur bedeutet Rationalität in diesen Erzählungen eben nicht eine Reduktion des Geschehens auf ein schematisches ‚Entweder-Oder‘, das sich vor einer vorgegebenen Lösung gleichsam notwendig entfalten würde, sondern die Diskussion historischen Geschehens im Wechselspiel von Sinn und Nicht-Sinn. Die Rationalität der Königssagas liegt in ihrer narrativ ausgestellten Akzeptanz von Momenten in der historischen Entwicklung, die weder notwendig noch unmöglich sind – Geschichte ist einer linearen Entfaltung enthoben.
4.2.2 Menschliches Handeln und natürliche Kontingenz In allen drei untersuchten Sammlungen ist das Bestreben markant, historische Ereignisse in einem größeren Zusammenhang zu verorten. Doch Sverre Bagges beispielhaftem Fazit, das Hauptinteresse läge dabei auf „aspects of life which can be controlled by human effort and intelligence“,³⁶ muss widersprochen werden: Es sind gerade solche Ereignisse, deren Eintritt außerhalb der menschlichen Kontrolle liegt, mit denen die Figuren fortlaufend konfrontiert werden. Unter dem Eindruck solch irritierender Erfahrungen sind Entscheidungen gefordert, deren Konsequenzen (auch
Bagge 1991, S. 81 Orning 2013a, S. 51 Vgl. Kap. 1.1.3. Haferland 2010, S. 345; zu Erwartungsenttäuschungen in mittelalterlicher Kommunikation vgl. weiterführend die Beiträge in von Moos 2001. Bagge 1991, S. 231.
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für den Rezipienten) meist unabsehbar sind – und die entsprechend narrativ funktionalisiert werden.³⁷ Diese Notwendigkeitsbewältigung – die stete Notwendigkeit, Entscheidungen zu treffen – ist besonders dort als prekär markiert, wo es nicht allein um soziale Kommunikation geht, sondern wo Handlungskompetenz gegenüber natürlichen Bedingungen in Frage gestellt ist, nicht zuletzt angesichts diverser natürlicher, oft genug aber abrupter bis absurder Todesfälle. Der Herausforderung, solche Unkontrollierbarkeit theoretisch und narrativ zu erfassen, sahen sich die Verfasser und Bearbeiter der Königssagas gegenüber. Damit ist die Frage nach der Art der Geschichtsschreibung in diesen Sagas umso dringlicher gestellt. Es ist ja keinesfalls selbsterklärend, dass eine Gestalt wie der spätere Heilige Óláfr Haraldsson den Aufstieg zum norwegischen Alleinherrscher schlicht der Tatsache zu verdanken habe, dass alle Konkurrenten der Reihe nach an Krankheit oder bei Unfällen starben.³⁸ Zugleich formen vergleichbare Erzählungen, etwa zu dessen Verwandten Magnús góði³⁹ oder Magnús berfœttr,⁴⁰ ein Muster, das die Unwahrscheinlichkeit des einzelnen Ereignisses aufzufangen scheint. Dahinter steht das Bestreben, historisches Geschehen zu strukturieren. Aber gerade die von u. a. Bagge proklamierte Bedeutung von „human effort and intelligence“ (siehe oben) wird in dieser Struktur nicht greifbar. Dass es vielmehr Unkontrollierbarkeit ist, die saga- und damit im Blick auf nordische Herrscher generationsübergreifend einen Grundnenner bildet, etabliert eine Form der Historiographie, die sich dem Gedanken einer providenziell-teleologischen Entfaltung von Geschichte nur schwerlich fügt. Hier könnte man auch an Óláfr Tryggvason erinnern: Wo in der Sagafassung des Mönches Oddr Snorrason Óláfr frühzeitig durch Visionen zur christlichen Erziehung angehalten wird, um danach sogleich eine erfolgreiche Missionsreise gen Skandinavien anzutreten,⁴¹ da treiben in der Heimskringla Zufälle den späteren Bekehrerkönig jahrzehntelang von einem Land ins nächste – man denke an seine Entführung durch Piraten, an seine Verleumdung in Russland, den Krankheitstod seiner königlichen Gemahlin im Wendland und seine ziellose Reise quer durch Europa. Dass sein schließlicher Übertritt zum Christentum in der Heimskringla dann durch die Hoffnung auf Kenntnis künftigen Geschehens motiviert ist, fügt sich in diese Darstellung.⁴² Die Eigenart der Königssagas, ein teleologisches Geschichtsverständnis immer wieder zu irritieren, zeigt sich wie gesagt besonders auffällig in der Darstellung der zahllosen Todesfälle. Es bedürfte eines weit gefassten Verständnisses von göttlicher Fügung, wollte man diese Fülle an Todesfällen von gleichermaßen heidnischen wie christlichen Herrschern im Sinne eines heilsgeschichtlichen Plans deuten. Der seinerzeit gegen das Gros der Forschung von Klaus von See vorgebrachten Meinung, die
Vgl. Kap. 4.3. Vgl. Kap. 3.3.3.2. Vgl. Kap. 3.3.4. Vgl. Kap. 3.3.6. Vgl. FN 36, S. 163, und FN 46, S. 167. Vgl. Kap. 3.3.2.2.
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Heimskringla zeichne sich aus durch den „strikte[n] Verzicht auf theologisch orientierte Geschichtskonzeptionen und eine möglichst weitgehende Zurückdrängung spezifisch christlicher Motivationen“,⁴³ ist in diesem Sinne nachdrücklich zuzustimmen. Dabei zeigte sich unter den drei betrachteten Sammlungen ein im Detail bisweilen abweichender Umgang mit historischen Unwahrscheinlichkeiten.Wo der Sohn von Óláfr helgi, Magnús, in der Heimskringla die Entscheidungskompetenz abgesprochen bekommt, wenn sein verstorbener Vater im Traum für ihn entscheiden muss (nämlich, dass Magnús für das Wohl seines Landes und Seelenheils dahinscheiden soll), da verzeichnen Fagrskinna und Morkinskinna am Rande einen Krankheitstod von Magnús. Während Magnús’ fehlende Entscheidungskompetenz in der Heimskringla aber insofern begreifbar ist, als auch er den Thron allein durch den plötzlichen Krankheitstod sämtlicher Konkurrenten besteigen konnte, da war diese Häufung an natürlichen Todesfällen für den Verfasser der Morkinskinna offensichtlich nicht glaubhaft: Dieser entwickelt fast schon kontrastiv zur nüchternen Notiz in der Heimskringla eine theatral-dramatische Szene, in der der Rivale Hǫrða-Knútr vergiftet wird – erzählweltlich gesehen freilich durch den unerwarteten Umstand, dass Magnús es ablehnt, zuerst aus dem tödlichen Becher zu trinken.⁴⁴ So dramatisch der Tod von Hǫrða-Knútr anmuten mag, so kann gleichwohl selten von einer regelrechten Inszenierung dieses Sterbens gesprochen werden, wie Bettina Albert sie als zentral für die mittelalterliche Lebenswelt herausstellen wollte.⁴⁵ Allenfalls der Tod des christlichen Hákon góði mag in solcher Weise gedeutet werden, wenn er auf dem Totenbett seine Bestattung explizit den anwesenden Heiden anvertraut – aber damit und mit der freiwilligen Übertragung der Herrschergewalt an seine Erzfeinde, die Söhne von Eiríkr blóðøx, zieht er sein jahrzehntelanges Ordnungsbestreben ultimativ in Zweifel: Mögen ihm die Söhne von Eiríkr nun auch als beste Nachfolger erscheinen, so stand am Anfang seiner Ordnungsbemühungen und durch die Jahrzehnte hindurch doch das Bestreben im Vordergrund, gerade diese Leute aus Norwegen dauerhaft fernzuhalten. Hákons Geschichte und Einfluss auf diese Geschichte werden in diesem radikalen Umkippen des vorausgehenden Geschehens ein letztes Mal als kontingent markiert.⁴⁶ Auffällig ist die Verknüpfung zahlreicher Todesfälle mit Naturräumen und Naturgewalten, die das zufällige Moment des Todes jenseits aller gesellschaftlichen Normen betonen. In der minutiösen Schilderung eines natürlichen Umfeldes zeigt sich sicherlich das ab dem 12. Jahrhundert in Mitteleuropa zunehmend greifbare Bestreben, Weltordnung in Wirkungs- und damit Bedeutungszusammenhängen zu begreifen:⁴⁷ Mit Bagge ist das im Vergleich zu kontinentaler Historiographie auffallende Interesse der Königssagas an „physical surroundings“ zu betonen, hinter dem
von See 1999b, S. 354. Vgl. Kap. 3.5.5.1. „Das Sterben selbst gleicht einer Theateraufführung, die sich nach einem festen Drehbuch richtet. Der Sterbende übernimmt dabei die Rolle des Regisseurs“ (Albert 2014, S. 33). Vgl. Kap. 3.5.3. Vgl. Kap. 2.2.
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das Bestreben stünde, „to show precisely how things happened“;⁴⁸ dass das Interesse bisheriger Forschung an dieser physischen Umwelt über deren Registrierung allerdings nicht hinausgegangen ist, wurde kritisiert. Gerade die in diesen Erzählungen herausgestellte Einsicht in den prägenden Einfluss des Wetters auf menschliche Aktivität bedarf zunächst kaum der Erklärung: Das im Nordatlantik knapp unterhalb des Polarkreises liegende Island mit seiner unwirtlichen Landschaft und seinem von widerstreitenden Wetterphänomenen geprägten Klima,⁴⁹ nur per Schiff über den offenen Ozean zu erreichen, erforderte die pragmatische Akzeptanz solcher Bedingungen im täglichen Leben;⁵⁰ harsche klimatische Bedingungen prägen auch Teile Festlandskandinaviens. Dass in den Königssagas ein ähnliches Bild von anderen Ländern gezeichnet wird, beruht, so darf angenommen werden, sowohl auf Erfahrungen von Reisenden, als auch auf der Übertragung lokal bekannter Wetterbedingungen auf ein geographisches Weltbild, das im 13. Jahrhundert in vielen Dingen diffus bleiben musste. Obwohl solche realhistorische Verankerung auch Gewöhnung impliziert, ist es auffällig, mit welcher Häufigkeit Wetterphänomenen in den Königssagas eine Bedeutung eingeschrieben wird, die weit über das regionale Ereignis hinausweist: Hier geht es nicht darum, nach Art einer Chronik einen vollständigen Lokalbericht abzuliefern oder, wie in den altnordischen Annalen, extreme Wetterereignisse listenartig festzuhalten. Hier geht es darum, Wirkungs- und Bedeutungszusammenhänge quer durch die nordische Geschichte aufzuzeigen.⁵¹ Die Wahl von Wetterphänomen für diese Darstellung ist insofern bezeichnend, als gerade das Wetter (zumal für den mittelalterlichen Menschen) ultimativ unkontrollierbar erscheinen muss. Das narrativ etablierte Muster des alles bestimmenden Wetters illustriert vor allem eines: historische Regellosigkeit. Entwicklungen des Wetters sind kontingent, räumlich und zeitlich zufällig, Konsequenzen unabsehbar. Weder gewährt, den Königssagas folgend, jeder Sommer eine sichere Überfahrt über das Meer, noch jeder Winter ein sicheres Überqueren von Eisflächen; doch es muss auch nicht jeder Herbst fatale Stürme mit sich bringen. Der Tod von Hálfdan svarti durch Einbruch ins Eis erschien mittelalterlichen Rezipienten offenbar so unglaubwürdig, dass die Erzählung durch immer weitere erklärende Details angereichert wurde – dabei aber in ihrer Kernaussage auch zunehmend banaler, geradezu absurd wurde (siehe unten).⁵² Wechselnde Winde und Gezeiten schaffen auf der Russlandfahrt im Auftrag von Óláfr Haraldsson den Aus Bagge 2016, S. 9. Auf die für Nordeuropa bemerkenswert schwankenden Durchschnittstemperaturen im mittelalterlichen Island verwies Ogilvie 1993, S. 95: „From 1180 to 1210, sources suggest a period of cold climate, and from 1212 to 1232 a milder one. Over the next few decades, there are sporadic references to severe seasons“. Vgl. van Nahl 2020b. In vager Formulierung notierten Ogilvie/Gísli Pálsson 2003, S. 269, für die Isländersagas: „While some narratives of weather events may be mere literary devices – for setting scenes, tensions, and emotional states, for making a good story – they must also reflect the ways in which medieval Icelanders thought and talked about the environment and their place within it“. Vgl. Kap. 3.5.2.
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gleich zwischen den Schiffen von Karli und Gunnsteinn einerseits, Þórir andererseits – die abschließende Ermordung von Gunnstein ist vor diesem umfangreich entfalteten Wechselspiel umso irritierender.⁵³ Sonnenschein verleitet Haraldr Sigurðarson und seine Männer zum fatalen Entschluss, die Rüstungen in der entscheidenen Schlacht zurückzulassen⁵⁴ – doch die aufgehende Sonne rettete ihm zuvor das Leben.⁵⁵ Wetterphänomenen wird in den Königssagas insofern allein jenes Maß an Regelmäßigkeit eingeschrieben, vor dem unerwartete Ereignisse umso krasser wirken: Erwartungshaltungen werden geweckt, um irritiert zu werden. In dieser Eigenart unterscheiden sich die Königssagas auch von den Isländersagas, für die Paul Langeslag herausgearbeitet hat, in welch großem Maße gerade der Winter eine Zeit des bedrohlichen Übernatürlichen sei: Für altenglische und altnordische Literatur postulierte er eine „binary taxonomy“, einen die Erzählung prägenden Jahreslauf, der wesentlich aus positiv konnotiertem Sommer und negativ gekennzeichnetem Winter bestünde.⁵⁶ Doch für die Königssagas, in denen Langeslag in vager Formulierung „widespread references to winter battles“ registrierte,⁵⁷ lässt sich ein solches Schema nicht etablieren. Noch deutlicher tritt diese Eigenart der Königssagas vor Augen, sucht man den Vergleich zu zeitgenössischer kontinentaler Literatur. Als Beispiel sei zunächst der für die Königssagas vielleicht wichtigste Raum, das Meer genannt. Die von Mathias Herweg am Artusroman formulierte Einsicht, beim offenen Meer handle es sich um einen bevorzugten Raum der natürlichen Kontingenz – „nirgendwo sonst erfährt der Mensch die conditio humana so ohnmächtig und existenziell als Glücksspiel mit offenem Ausgang wie als Reisender auf hoher See“⁵⁸ –, lässt sich auf diese Sagas leicht übertragen: Das Meer steht für Unberechenbarkeit, Orientierungslosigkeit, fehlende Ordnung. Es erscheint, in Anlehnung an Michael Makropoulos, als „Inbegriff für die Sphäre der für den Menschen unverfügbaren Willkür der Gewalten“.⁵⁹ Damit ist das Meer in mittelalterlicher Literatur oft zugleich jener Raum, in dem göttliche Eingriffe besonders unmittelbar erfahrbar werden. Man denke an Gottfrieds von Straßburg zeitgleich mit den Königssagas entstandenen Tristan: Das Schiff, auf dem Tristan als Kind von norwegischen Kaufleuten entführt wird, ist auf See ein Spielball des Sturms, doch ist dieses gefahrvolle Ereignis explizit in heilsgeschichtliche Koordinaten eingefasst, wird das stürmische Meer zur Strategie Gottes erklärt.⁶⁰ Vergleichbar argu Vgl. Kap. 3.4.2.3. Vgl. Kap. 3.5.6. Vgl. Kap. 3.4.3. Langeslag 2015, S. 208. Langeslag 2015, S. 151. Herweg 2010, S. 50. Makropoulos 2011, S. 246; vgl. Schulz-Gobert 2003, S. 247, zum „Reizklima des Seesturms“: „In der mittelhochdeutschen Epik dürfte es sich dabei um das wohl populärste Modell literarisch-konzipierter Witterung handeln, das allerdings ein schlicht vergessenes Motiv geblieben ist“. Vgl. Mireille Schnyder 2010, S. 177 f.: „Ein Entkommen ist nur möglich, indem die Gefährung als Strafe Gottes erkannt wird und damit die Kontingenz (der Zufall) durch eine religiöse Rahmung negiert
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mentierte Haki Antonsson für die Assoziation von Wasser in der altisländischen Literatur mit einerseits Verdammnis, andererseits Erlösung (wobei seine knappe Textauswahl arbiträr erscheint): Der Tod im Wasser bedeute „the sin of suicide. […] drowning can denote God’s judgement of a particular person. […] such an unexpected death precluded an adequate preparation for the afterlife“; andererseits seien Meere, Seen und Flüsse „infused with the essence of redemption, since after all they originated in the well of salvation in the Earthly Paradise“.⁶¹ Bemerkenswert sind schließlich auch die regelmäßigen Personifikationen von Meer und Schiff in der Skaldendichtung, die das Geschehen auf See gleichsam aus dem natürlichen Raum in einen mythologischen entrücken; Margaret Clunies Ross sprach pointiert vom „struggle between the stormy sea itself, imagined as a troll or ravenous sea goddess, and its prey, the ship represented as an animal, whether a horse, ox, stag, or a beast“.⁶² Für die betrachteten Königssagas haben diese Einschätzungen augenfällig wenig Relevanz; die frequent genannten Stürme, Flauten und Gezeiten auf dem Meer, die mal mehr, mal weniger zugefrorenen Fjorde, die überschwemmten Seen und unbeherrschbaren Strömungen der Flüsse – das Geschick der Figuren im Naturraum Wasser hat keine mythologische oder religiöse Dimension. Dies nicht einmal in den wenigen Fällen, in denen Gott explizit genannt wird: Die umfängliche Planung vor dem Seegefecht zwischen Hákon herðibreiðr Sigurðsson und Ingi Haraldsson sowie dessen Gefolgsleute wird trotz beidseitigen Aufrufens der gerechten Sache in Gottes Namen ad absurdum geführt, sobald sich die Flotten in die unbeherrschbare Strömung begeben.⁶³ Der religiöse Glaube der betroffenen Akteure spielt keine Rolle, aber auch sonstige Sympathielenkung erweist sich als trügerisch. Der glänzende Guðrøðr ljómi, dem die Haralds saga hárfagra Aufmerksamkeit widmet, tritt früh als Machtmensch in Erscheinung, hat beste Aussichten als Thronfolger seines berühmten Vaters Haraldr hárfagri – da stirbt er in einem Sturm auf See, ein Ereignis, dem der Erzähler einen kurzen Satz widmet.⁶⁴ Man denke weiter an den berühmtesten heidnischen Herrscher Norwegens, Jarl Hákon Sigurðarson, von dem die Óláfs saga Tryggvasonar umfassend erzählt: Nach seiner formalen Taufe wird er von einem Sturm zurück nach Dänemark getrieben, wo er zuvor getauft wurde, jetzt aber reiche Beute durch Plünderung macht – der dänische König Haraldr blátǫnn, bis dato Verbündeter von Hákon und erster christlicher Herrscher Skandinaviens, versagt in allen Versuchen, der un-
und zum Teil einer sinnvoll sich fügenden Geschichte wird“; vgl. auch Herweg 2010, S. 51: „Zugleich aber offenbaren sich nirgends sonst [als auf dem Meer] so klar die Grundströme und Triebfedern der Geschichte […]: In der Erfahrung maximaler Distanz, Alterität und Ausgeliefertheit an das blinde Glück liegt paradoxerweise die Chance, der historischen Existenz der Menschheit tiefer auf den Grund zu gehen als irgendwo sonst und das Undurchschaubare als Walten eines höheren Plans zu durchschauen“. Zur Rolle von Planung und Zufall im Tristan vgl. Hausmann 2019, S. 220 f. Haki Antonsson 2018, S. 158 f. Clunies Ross 1998, S. 166. Vgl. Kap. 3.4.5. Vgl. Kap. 3.2.1.
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erwarteten Situation Herr zu werden.⁶⁵ Oder man denke an den treuen Gefolgsmann Skopti Ǫgmundarson, der vor dem unberechtigten Zorn seines Königs Magnús berfœttr fliehen muss: Bis ins Mittelmeer gelangt er, durchfährt, wie der Erzähler anfügt, als erster Skandinavier die Meerenge von Gibraltar und ist kurz vor seinem Pilgerziel Rom – da erleidet er mit seiner ganzen Familie in einem Sturm fatalen Schiffbruch.⁶⁶ Und nicht einmal im Falle des späteren Heiligen Óláfr Haraldsson akzeptiert der Erzähler in der Heimskringla und der Fagrskinna die in einer Skaldenstrophe genannte hamingja des Königs als alleinige Begründung von dessen Rettung in einem Seesturm; vielmehr wird diese hamingja in ihrer Bedeutung relativiert, wenn im Prosatext auf die handverlesene Mannschaft und das robuste Schiff verwiesen wird, die wesentlichen Anteil am sicheren Ausgang der Fahrt gehabt hätten.⁶⁷ Gerade die bemerkenswerte Rationalität der Schilderung von Seestürmen in den Königssagas wird im grenzüberschreitenden Vergleich auch noch in anderer Hinsicht deutlich: Die in deutschsprachigen Erzählungen des Mittelalters verbreitete Funktion von Stürmen, die Figuren in Gegenden zu verschlagen, „über deren Lokalisierung kaum etwas bekannt ist und die durch eine wunderbare, die Maßstäbe des Bekannten sprengende Umwelt und Bevölkerung gekennzeichnet ist“,⁶⁸ findet sich in den Königssagas überhaupt nicht. Es sind die scheinbare Grenzenlosigkeit und das Fehlen jeglicher Versicherung, die Kontingenz im räumlichen Nichts gleichsam manifestieren, die einen offenen Möglichkeitenhorizont versinnbildlichen, in dem die Geltung von Notwendigkeit und Wahrscheinlichkeit aufgehoben und selbst eine religiöse Ordnung nicht mehr gewährleistet ist. Auch für das feste Land wird eine natürliche Kontingenz markiert, gegenüber der sich die Figuren oft nur unzureichend behaupten können. Hier kommt vor allem dem dichten Wald Bedeutung zu: Wo das Meer dem menschlichen Auge keinen Halt bietet, wo alle Wege offenzustehen scheinen, zugleich das Element des Wassers ungreifbar bleibt, da sind Blick und Bewegung im Wald maximal eingeschränkt, da ist das Finden überhaupt irgendeines Weges bereits Herausforderung. Sicherlich kann diese Undurchdringlichkeit temporär genutzt werden: Die Mutter von Óláfr Tryggvason verbirgt den verfolgten Sohn auf einer überwucherten Insel mitten im Wald, er ist zweifach einem normalen Raum entrückt.⁶⁹ Und Þórir, der spätere Widersacher von Óláfr Haraldsson, lässt vor der Plünderung des im Wald verborgenen Depots den Weg
Vgl. Kap. 3.3.2.1. Vgl. Kap. 3.3.4. Vgl. Kap. 3.3.3.1. Schmid/Hanauska 2018, S. 419; vgl. ebd., S. 422: „Stürmen stehen die Protagonisten meist machtlos gegenüber, und sie müssen akzeptieren, dass ihnen die Handlungsmöglichkeiten genommen sind. Dies hat in vielen Fällen zur Folge, dass sie durch Stürme in unbekannte Regionen verschlagen werden. […] Die Meeresstürme […] eröffnen somit den Zugang zu Orten, die auf anderem Weg kaum zu erreichen wären“. Das freilich ist für Island und die norwegische Küstenlandschaft naturgemäß zu verzeichnen, mag insofern gerade deshalb narrativ keine eigentliche Aufmerksamkeit erfahren. Vgl. Kap. 3.2.2.
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durch Abschälen der Rinde an Bäumen markieren; im dunklen Wald können er und seine Leute so nach der Tat entkommen – die Entscheidung, nach erfolgreichem Handel vor Ort noch einmal zur Plünderung zurückzukehren, war aber auf dem offenen Meer getroffen worden.⁷⁰ Selbst zur weitreichenden Reflexion kann der Wald anregen: Haraldr Sigurðarson, der nach seiner Verwundung in der Schlacht von Stiklastaðir fernab aller Menschen im Wald verborgen wird, beginnt ausgerechnet im dichtesten Unterholz, seine kontingente Zukunft zu überdenken.⁷¹ Andererseits wird die diffuse hamingja von Óláfr Haraldsson ironischerweise in jener Episode erneut aufgerufen, in der Óláfr nach Betreten eines Waldes überfallen und ein Großteil seines Gefolges erschlagen wird.⁷² Die Nähe zum Wald bedeutete bereits für die mythischen Könige Dagr (den eine aus dem Wald geschleuderte Heugabel traf) und dessen Sohn Agni (der an dem Baum, unter dem er Schutz suchte, aufgeknüpft wird) den Tod.⁷³ Und der im kargen Gebirge erfolgreiche Pelzjäger Atti verliert seine Beute, kaum dass er in den dichten Wald eingedrungen ist – bei schlechtem Wetter und zunehmender Dunkelheit findet er seinen Weg nicht länger.⁷⁴ Deutlich wird erneut die Differenz zur kontinentalen Literatur: Zwar belegt gerade die höfische Literatur – sowie ab dem 13. Jahrhundert deren altnordische Übertragungen als so genannte Rittersagas – den dichten Wald sowie darin liegende Lichtungen als narrativ relevantes Charakteristikum. Doch wo dieser Wald für die Artusliteratur als „landscape of conversion and miracle“⁷⁵ identifiziert worden ist, da fehlt diese moralisch-religiöse Konnotation in den Königssagas. Natürlich fungiert der dichte Wald in einigen Fällen, wie den jungen Jahren von Haraldr Sigurðarson, als Schutzraum, und beginnt dieser dort, über seine Zukunft zu grübeln – aber es handelt sich hier doch nicht im eigentliche Sinne um „Räume der Fremdheitserfahrung, in denen der Held mit dem kategorialen ‚Anderen‘ der eigenen Kultur konfrontiert wird“, wie Armin Schulz etwa für die Jugend der Parzivalfigur bei Wolfram von Eschenbach notierte.⁷⁶ Natürliche Kontingenz findet sich weiteren Naturräumen eingeschrieben, in denen die Figuren handeln. Das Moor, in dem Magnús berfœttr sein Ende findet, muss jedem Rezipienten als unsicheres Terrain gelten – eine Unsicherheit, die in der Erzählung durch den unklaren Verbleib der Verbündeten von Magnús noch verstärkt wurde.⁷⁷ Dass Eisflächen, eine charakteristische Erscheinung im hohen Norden, selbst in der kalten Jahreszeit nicht sicher zu betreten sind, bedurfte hingegen offensichtlich einer Erklärung seitens der Verfasser: Dem Rezipienten werden Zusammenhänge eröffnet, die den Figuren verschlossen bleiben, sei es das durch Sonne und Kuhdung
Vgl. Kap. 3.4.2.3 Vgl. Kap. 3.2.3. Vgl. Kap. 3.3.3.1. Vgl. Kap. 3.5.1. Vgl. Kap. 3.3.3.4. Saunders 1993, S. ix. Schulz 2015, S. 310. Vgl. Kap. 3.5.7.
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geschwächte Eis im Fall von Hálfdan svarti oder das durch eine Meeresströmung geschwächte und gezielt beschädigte Eis im Falle von Grégóríús.⁷⁸ Der Tod von Hálfdan durch einen Kuhfladen ist aber auch Beispiel für die bis zur Banalität gesteigerte Irritation von Erklärungsmustern in bestimmten Naturräumen; weitere lassen sich ins Gedächtnis rufen: So verliert der Pelzjäger Atti seine Waren, weil er nach erfolgreicher Jagd im winterlichen Wald auf ein Eichhörnchen trifft; und der beliebte Hákon Magnússon, Enkel von Haraldr Sigurðarson, stirbt bei der Verfolgung eines Schneehuhns im Gebirge.⁷⁹ Augenfällig sind diese Ereignisse an Naturräume außerhalb der sozialen Ordnung geknüpft, doch ein Kausalzusammenhang wird nicht aufgetan. Bezeichnend ist zugleich, dass mit Vieh, Eichhörnchen und Schneehuhn alltägliche Tiere des Nordens aufgerufen, dass Fjord, Wald und Gebirge wiederum gerade nicht als „Aufenthaltsorte andersweltlicher Wesen“ inszeniert werden;⁸⁰ eine Ausnahme findet sich allein in den frühen Kapiteln der mythischen Ynglinga saga (Hkr i, 27): Der Sohn des im Met ertrunkenen Fjǫlnir, Sveigðir, ein weitbereister Mann, glaubt eines Abends in volltrunkenem Zustand (mjǫk drukknir) einen Zwerg an einem Stein zu sehen – bei der Verfolgung verschwindet er spurlos (angeblich im Stein). In dieser Szene zwischen trunkener Halluzination und Legende erschöpft sich das Repertoire an übernatürlichen Begegnungen weitestgehend; banal erscheint bereits dieses undatiert frühe Ereignis. In ihrer Verankerung in der realen Welt liegt die Bedeutung des Gros’ dieser Szenen: In der Verortung verstörender Ereignisse in einem detailliert erfahrbaren Alltagsraum erhält das ‚Auch-anders-sein-Können‘ seine Verankerung und damit seine Glaubwürdigkeit in der real erfahrbaren Welt.⁸¹ Umso bedeutsamer ist dann, dass das in diesen natürlichen Gegebenheiten erkennbare Erklärungsbestreben immer wieder gezielt an Grenzen gebracht wird, wenn die Begründung von Ereignissen allein über zufällige Konstellationen erfolgt, die sich einer kausallogischen Erklärung entziehen – womit solche Begründung als rationale Kategorie in eigenartige Bedrängnis gerät. Den Einzelfall mag man verschieden deuten, die Häufigkeit solcher Erklärungslücken im Kontrast zur pragmatischen Schilderung des Geschehens ist aber augenfällig. In diesen natürlichen Räumen der Kontingenz, in denen nichts notwendig passiert, aber innerhalb der Grenzen des Realen auch nichts unmöglich
Vgl. Kap. 3.5.2 und Kap. 3.5.8. Vgl. Kap. 3.3.6. Winst 2018, S. 185; vgl. ebd.: „Eine ganz zentrale Funktion von Bergen und Gebirgen [in deutschsprachigen Erzählungen des Mittelalters] ist ihre Verbindung mit den Andersweltlichen: Zwerge und Riesen, Drachen und wilde Frauen gelten vielen Texten als genuine Bewohner von Bergen“; vgl. auch Boiadjiev 2003, S. 87: „Der Wald ist der Ort, wo alles möglich wird, wo es völlig normal ist,Wesen zu begegnen, die von der Vernunft und der Logik abgelehnt werden, wo der Wanderer in den Strudel des unendlich vielfältigen und unendlich gefährlichen Spiels der Natur gezogen wird“. Haferland 2010, S. 355, sprach vergleichbar von einer motivisch gestalteten Kontingenz, bei der die „Erfahrungswirklichkeit in einer Detailfülle imitiert [wird], dass Kontingenz als Realeffekt durchgeht“.
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erscheint, kann eine vermeintliche Banalität in den Untergang führen. Als Regel hat vor allem Regellosigkeit Bestand.
4.2.3 Zum Geschichtsverständnis der Königssagas Aus der Summe der Beispiele, und nur einige wurden erneut aufgerufen, lässt sich für eine charakteristische Form der Historiographie in den Königssagas argumentieren. Die Frage nach dem Geschichtsverständnis dieser Sagas gewinnt an Gewicht, bedenkt man, dass das an ihnen entworfene Bild oft als Schablone nordischer Geschichtsschreibung im Mittelalter per se gilt.⁸² Hier sei noch einmal der Blick auf etablierte Forschungspositionen gerichtet. Sverre Bagge folgerte seinerzeit zum „purpose of history“ in der Heimskringla: „The actors appear as rational politicians according to Snorri’s standards. And his concept of historical causation clearly emphasizes the importance of choosing the most prudent course of action“;⁸³ darin, so Bagge, läge der Pragmatismus der Heimskringla. Zur Jahrtausendwende betonten dann Theodore Andersson und Kari Ellen Gade „the political-biographical outlook in Fagrskinna and Heimskringla“,⁸⁴ und noch 2011 meinte Shami Ghosh zustimmend, die Königssagas müssten als politische Geschichtsschreibung verstanden werden, der abweichende Lesarten, so produktiv sie sein könnten, von heutiger Forschung regelrecht aufgezwungen würden: „We must acknowledge, though, that in moving away from political history, our concerns are completely different from those of the saga authors“.⁸⁵ Auch Birgit Sawyer kam 2015 nicht über diese These hinaus: „Not only critizising representatives of central power, he [i. e., Snorri] openly praises local chieftains and important magnates, both Icelandic and Norwegian“.⁸⁶ Dazu fügte sich wiederum die zeitnahe Ausdeutung durch Magnús Fjalldal, der die Heimskringla zwar als warnenden Appell verstand, „to stay clear of Norwegian royal tyrants“, dies aber vor der Prämisse, Snorri Sturluson habe eine „curiously ambivalent love/hate attitude toward the Norwegian crown“ gehabt⁸⁷ – auch seine Deutung bewegte sich vor dem etabliertem Hintergrund der politischen Historiographie. Für die Morkinskinna betonte vergleichbar Ármann Jakobsson, das verbindende Merkmal aller behandelter Könige sei „self control, which defines the nature of a king’s power“;⁸⁸ Defizite einzelner Herrscher seien nicht verschwiegen, doch im Gesamtblick sei das Konzept ‚Monarchie‘
Vgl. z. B. den Rückgriff bei Hiltmann 2008, S. 400, der die Heimskringla im europäischen Kontext schlicht als „eine geschichtliche Darstellung des norwegischen Königtums“ bezeichnete, oder die Bezeichnung der Heimskringla als „‚Nationalgeschichte‘ Norwegens“ bei Goetz 2008, S. 119. Bagge 1991, S. 208. Andersson/Gade 2000, S. 64. Ghosh 2011, S. 100. Sawyer 2015, S. 147. Magnús Fjalldal 2013, S. 468. Ármann Jakobsson 2014a, S. 243.
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nicht in Frage gestellt: „The Morkinskinna author explores the idea of royal power in a positive but discriminating way“.⁸⁹ Kritisch merkte Ármann zwar an, die Morkinskinna bliebe trotz historiographischer Ausrichtung „a patchwork quilt. […] The text lacks organic unity and has no obvious singular narrative thread. On the other hand, no material can be regarded as extraneous“;⁹⁰ damit deutete er die Relevanz einer Auseinandersetzung mit den konkreten Texten jenseits der Prämisse mittelalterlicher Historiographie an. Doch wendete er seine blumige These, der Autor der Morkinskinna sei „an adventurer who loves narrative for its own sake“,⁹¹ nicht konsequent auf die Erzählung an. Deutlich wurde nun gegenüber diesen Einschätzungen, dass sich auch im versionsübergreifenden Vergleich von Heimskringla, Fagrskinna und Morkinskinna das Konzept einer von politischen Entscheidungen geprägten historischen Entwicklung in solcher Selbstverständlichkeit nicht etablieren lässt. Keinesfalls ist damit die Relevanz menschlicher Handlungskompetenz, zumal der Herrschenden, grundsätzlich negiert. Aber in diesen Sagas erscheinen menschliche Akteure oft passiv angesichts unkontrollierbarer äußerer Einflüsse: Eine Seereise fällt in den Herbst, der Herbst ist die Zeit von Stürmen, ein Herbststurm führt zum Schiffbruch. Sicherlich wird darin ein Kausalzusammenhang greifbar, aber doch kein eigentliches Kausalkonzept, in das erfolgreiches politisches Handeln einzuordnen wäre. Solche Kausalketten bleiben auch für den Rezipienten unvollständig, denn es wird keine Erklärung geboten, warum es zu einem räumlichen und zeitlichen Zusammenfall von solchen Umständen überhaupt kommt. Die mit Werner Wolf benannte Koinzidenz, die dem Rezipienten bereits im Vorfeld narrative Wirkungszusammenhänge auftun würde, woraus lehrreiche Rückschlüsse zu ziehen wären, ist kein Konzept, das für die Königssagas nennenswerte Geltung beanspruchen könnte.⁹² Damit ist schließlich die Frage gestellt, wie weit das Erklärungspotenzial des populären Begriffs ‚Historiographie‘ in der altskandinavistischen Debatte überhaupt reichen kann. Noch 2011 erkannte Marianne Kalinke in den Königssagas „the Icelanders’ instinct for and interest in history“,⁹³ zeitgleich zu Ghosh, der die Sagas generell als „expression of the Icelanders’ sense of history“ verstanden wissen wollte;⁹⁴ und noch 2014 Alois Wolf erklärte die Königssagas zum Paradebeispiel für einen im Norden angeblich besonders stark wirksamen „historisierende[n] Impuls“.⁹⁵ Wenn man die Königssagas weiterhin in solcher Weise ansprechen will – und es spricht ja, daran wurde bei aller Kritik kein Zweifel gelassen, weiterhin einiges für das übergeordnete Konzept ‚Historiographie‘ –, dann muss man gleichwohl anerkennen, dass
Ármann Jakobsson 2014a, S. 250. Ármann Jakobsson 2014a, S. 108. Ármann Jakobsson 2014a, S. 346 f. Vgl. Kap. 2.4.2.1 und Kap. 4.3. Kalinke 2011, S. 8. Ghosh 2011, S. 199. Wolf 2014, S. 51.
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dieser Begriff in künftiger Auseinandersetzung mit literarischen Quellen ein komplexeres und facettenreicheres Bild der nordischen Geschichte des Mittelalters entstehen lassen wird. Der seit dem 19. Jahrhundert als Charakteristikum der Königssagas herausgestellte Rationalismus der Darstellung ist über den Nachvollzug von Kontingenz und Zufall in dieser Geschichtsschreibung auf ein neues Fundament gesetzt: Es dominiert ein Geschichtsverständnis, das sich im Nordeuropa des 13. und 14. Jahrhunderts beeinflusst zeigt von philosophischen Diskursen und politischen Ereignissen, die zeitnah die Geschichte des Kontinents in neue Bahnen lenkten. Beeinflusst ist die narrative Ausformung aber zugleich von den Experimenten der kontinentalen Literatur, in der ab dem 12. Jahrhundert, angestoßen wohl durch politische und kulturelle Veränderungen, neue Spielräume im Umgang mit Fakt und Fiktion eröffnet wurden. Und schließlich bot der charakteristische Naturraum Nordeuropas besondere Möglichkeiten und zugleich Herausforderungen der narrativen Aneignung in Betrachtung historischer Wirkungszusammenhänge. Klar ist: Die bequeme Rede von selbstevidenter (politischer) Geschichtsschreibung, mit allen daran geknüpften Prämissen, ist für die betrachteten Königssagas künftig zu meiden.
4.3 Kontingenz und Narratologie 4.3.1 De-Konstruktion In dieser Studie wurde dafür argumentiert, Kontingenz und Zufall als wichtige Momente mittelalterlicher nordischer Geschichtsschreibung anzuerkennen. Deutlich wurde, dass frühere Versuche der mediävistischen Forschung, Unbestimmtheitsphänomene aus der Interpretation fernzuhalten, einseitig blieben: Weder deren generelle Missachtung, noch eine Abwertung zum Füllmaterial, noch die vermeintliche Aufhebung in simplen Schemata konnten in der konkreten Lesung befriedigen. Die abschließende Diskussion war bisher wesentlich thematisch, bewertete die Inhalte der narrativen Darstellung unter Voraussetzung eines sagaübergreifenden Konzeptclusters. Der technische Aspekt dieser Darstellung, der Erzählakt, steht für die Abschlussdiskussion hingegen noch offen. Hier ist zunächst festzuhalten, dass Kontingenz als elementares Moment dieses Erzählaktes weiterhin definitorisch kaum greifbar ist. Jede Erzählung muss sich einerseits in irgendeine Richtung entfalten, muss irgendeiner inneren Struktur und damit Logik folgen (und in diesem Sinne teleologisch sein), soll sie rezeptionsfähig sein und zu einem Kommunikationsakt werden. Andererseits wäre eine Erzählung auch dann kein eigentlicher Kommunikationsakt, würde sie ausschließlich erzähllogischer Notwendigkeit folgen; erinnert sei an Hermann Lübbes prägnanten Einwurf: „Warum sollte man denn erzählen, was einer getan hat, wenn man weiß, was er wollte und konnte?“⁹⁶ Werner Wolfs Mo-
Lübbe 1978, S. 237.
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mentaufnahme im Jahre 2008, „chance in the various forms in which it occurs in narratives and with its manifold functions is a challenge to narratology“, ist insofern weiterhin gültig.⁹⁷ Den damit benannten Herausforderungen stellte sich die vorausgehende Studie unter der Prämisse, dass zwar die Formulierung eines narratologischen Prinzips zur Bedeutung des Zufalls (im weiteren Sinne) in und jenseits von Erzählwelten nach wie vor aussteht, dass damit aber, Wolf zustimmend, umso deutlicher die Aufgabe gestellt sei, „some ʻbuilding blocksʼ to a theory of implied worldviews in narration“ beizutragen.⁹⁸ Der mit diesen Vormerkungen berührte anthropologische Aspekt von Kontingenz in Erzählungen wird im anschließenden Kapitel betrachtet, hier geht es zunächst um Möglichkeiten und Grenzen einer narratologisch perspektivierten Kontingenz. Jeder Rezeptionsvorgang unterliegt kontingenten Bedingungen. Natürlich wird die Rezeption von Literatur irritiert, wenn Lücken im Erzählzusammenhang vorliegen, die auf Verlusten beruhen, wie sie für mittelalterliche Überlieferung generell anzunehmen sind. Doch wo eine Erzählung mit großer Wahrscheinlichkeit in einer weitgehend vollständigen Fassung oder auch mehreren Fassungen vorliegt, jedenfalls nicht mit beliebig vielen Überlieferungsverlusten zu rechnen ist, da ist es Aufgabe der Erzählforschung, „Leerstellen und Löchern“,⁹⁹ „Blankostellen“¹⁰⁰ in Struktur und Logik der Erzählung besonderes Augenmerk zu widmen. Die in der mediävistischen Forschung lange Zeit latent wirksame These, solche Leerstellen seien als Mangel einer vermeintlich noch nicht voll entwickelten Erzählkunst abzutun, wird mittlerweile in berechtigten Zweifel gezogen.¹⁰¹ Leerstellen und vermeintliche Löcher in Erzählungen werden nun verstärkt als intendiertes Moment des Erzählaktes, als gezielte Aktantenleerstelle interpretiert: Sie können die bedeutsame Aussage der Erzählung hinterfragen oder durchkreuzen, tragen aber in der Wiederholung solcher Verweigerung zugleich dazu bei, eine Erzählstruktur, Ordnung also, zu etablieren. Rainer Warning hat diesen Aspekt einmal recht treffend im Sinne einer „negativen Hermeneutik“ erfasst, d. h. als permanent suggerierte und permanent dementierte Möglichkeit sinnhafter Besetzung. Sinnleere wird vorgetrieben [sic!] bis zu einem Punkt, da sie als nicht mehr aushaltbar scheint und umschlägt in Ordnungsunterstellung, die indes ihrerseits schnell diskreditiert wird und in [sic!] Leere zurückfällt.¹⁰²
Wolf 2008, S. 205. Wolf 2008, S. 205. So die Formulierung bei Heinzle 2009; vgl. grundlegend Iser 1970. So die Formulierung bei Gerok-Reiter 2010, S. 137. Verwiesen sei bereits auf Grünkorn 1994, S. 26: „Durch ‚Leerstellen‘ und ‚Unbestimmtheiten‘ des Textes – um es mit den Begriffen der Rezeptionsforschung auszudrücken – wird der Leser angeregt, durch seine eigenen kreativen Synthesen und Vervollständigungsleistungen den Sinngehalt des Textes mitzukonstituieren“; vgl. die Beiträge in Kragl/Schneider 2013b. Warning 2001, S. 208.
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Bisher, soweit ich überblicke, unkommentiert, für die methodische Ansprache aber diskussionsfähig erscheint mir hier Annette Gerok-Reiters Begriff einer ‚de-konstruktiven Kontingenz‘, die zu verorten sei zwischen destruktiver Kontingenz, die sinnvolles Erzählens überhaupt in Frage stelle, und konstruktiver Kontingenz, die der Finalität des Geschehens zuspiele: Solche de-konstruktive Kontingenz wirke zwar, mit GerokReiter, „deutlich destabilisierend und irritierend im kulturellen wie narrativen System, bleibt jedoch insgesamt […] konstruktiv“.¹⁰³ Eine so verstandene De-Konstruktion ist also ambivalent: Sie zersetzt Struktur, doch in dieser Zersetzung gewinnt Struktur zugleich an Gestalt. Gary Morson skizzierte ein solches Konzept bereits Ende der 1990er Jahre, wenn er in Anlehnung an Aristoteles’ Poetik bemerkte: As in the case of the statue of Mitys, we see chance itself fulfilling design; here rule-breaking conforms to the rule. Indeed, this ‘Mitys principleʼ, as it might be called, may be definitive of poetics. Contingency, chance, or the violation of a pattern poses a problem that turns out to be its own solution.¹⁰⁴
Morson folgerte, es könne bei der Bewertung von Erzählungen nicht um den Gegensatz „closure or anti-closure“ gehen, vielmehr um die dynamische Struktur des „relative closure“, die an diversen Stellen der Erzählung mögliche Enden aufzeigen würde – deren Bewertung dem Rezipienten überlassen sei: „Relative closure may be present at various stopping points, and each of these could be a sort of an ending, or as much as we will ever get. As in life, we take stock and make up a subtotal, but there is never a final total“.¹⁰⁵ Das erinnert an Bruce Lincolns späteres Fazit zur Haralds saga hárfagra: „At a certain point, however, it becomes apparent that there is no convenient point of closure. […] It seems that narratives meant to stabilize state institutions and secure the political order are themselves profoundly unstable“.¹⁰⁶ In der Altskandinavistik ist diese an einer einzelnen Königssaga diskutierte Einsicht – die die These mittelalterlicher Schemaliteratur, aber auch das Konzept linearer Geschichtsschreibung in Frage stellt – bisher, soweit ich sehe, unkommentiert geblieben. Die vorausgehende Lesung offerierte hier erstmals ein Spektrum an Diskussionspunkten. Deutlich wurde, dass Dynamisierung und Destablisierung von Erzähllogiken in den Königssagas unterschiedlich in Erscheinung treten können. Ein Überangebot an Semantiken, Erklärungen und Andeutungen, bisweilen vom Erzähler explizit in ihrer ambigen Fülle betont, veruneindeutigt einen Erzählübergang, fordert Figuren und Rezipienten zur Entscheidung unter Alternativen heraus, deren Geltung oft erst retrospektiv ersichtlich ist. Ein Beispiel ist der Tod von Hákon góði Haraldsson, wenn der Erzähler zunächst widerstreitende Gerüchte zum genauen Geschehen referiert, dann aber – illustriert durch die Metapher eines Schneesturms – pragmatisch die
Gerok-Reiter 2010, S. 132. Morson 1998, o.S.; vgl. Kap. 2.4.2. Morson 1998, o.S. Lincoln 2014, S. 104.
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Meinung bevorzugt, die genaue Todesart müsse schlicht ungeklärt bleiben.¹⁰⁷ Die suggerierte Erwartung einer Klärung des historisch bedeutsamen Ereignisses wird nicht eingelöst, das entfaltete Überangebot an Deutungsmöglichkeiten bleibt explizit unaufgelöst. Im Falle von Óláfr Tryggvason ist nicht einmal dessen Tod in der Seeschlacht eine Tatsache, denn die Bemerkung des Erzählers, der König sei vollgerüstet im Meer versunken, wird wenig später ergänzt mit dem Kommentar: var þat þegar rœða marga manna, at Óláfr konungr myndi steypt hafa af sér brynjunni í kafi og kafa út undan langskipunum […]. Ok eru þar margar frásagnir um ferðir Óláfs konungs gǫrvar síðan af sumum mǫnnum (Hkr i, 367 f.), ‘es war sofort die Rede vieler Leute, dass Óláfr seine Brünne beim Tauchen abgestreift hätte und unter den Langschiffen hindurchgetaucht wäre […]. Und es gibt viele Erzählungen um Fahrten von König Óláfr, die später von einigen Männern kreiert wurdenʼ. Das Ende von Óláfr ist kontingent gesetzt, der Verfasser wusste offensichtlich um Erzählungen, die dem Abschluss seiner eigenen Erzählung zuwiderliefen; darunter eine zitierte Strophe des berühmten Skalden Hallfrøðr Óttarson (10. Jh.), genannt vandræðaskáld, Problemskalde, in der bereits dieser zugibt, unter den Erzählungen zum Tod oder Überleben von Óláfr nicht auswählen zu können, alls sannliga segja, […] hvárt tveggja mér seggir, ‘weil Männer mir beides als die Wahrheit berichtet habenʼ. Der Skalde deutet dann zwar nachfolgend den Tod von Óláfr als die wahrscheinlichere Option, wenn er Erzählungen um dessen Überleben mit den Worten kommentiert: menn geta máli sǫnnu, | mjǫk es verr an svá, ferri, ‘Leute spekulieren, das ist viel schlimmer, über die wahre Geschichte hinausʼ. Doch dem stimmt nun der Erzähler in der Heimskringla nicht unbesehen zu, wenn er den Skalden mit den Worten kommentiert: en hvernug sem þat hefir verit, þá kom Óláfr konungr Tryggvason aldri síðan til ríkis í Nóregi, ‘aber wie das nun auch gewesen sein mag, so kam Óláfr jedenfalls nie wieder an die Macht in Norwegenʼ. Nicht allein wird also erzählweltlich Zweifel am Tod von Óláfr geltend gemacht: Der Sagaverfasser scheint einen Widerspruch mit sich selbst nicht auflösen zu können, wenn er einerseits spätere Erzählungen um das Überleben Óláfr nicht näher kommentieren will, andererseits auch die Entscheidungskompetenz des zeitgenössischen Hofskalden von Óláfr anzweifelt, sobald dieser sich, wiederum eigenartig widersprüchlich, gegen ein Überleben des Königs ausspricht. Das Überangebot an Quellen und möglichen Quellen erstickt gleichsam den Versuch der Ordnung und Klärung. Ein solches Überangebot findet sich auch in der Óláfs saga helga angedeutet, wenn der Erzähler seine Aufzählung an Begebenheiten in der finalen Schlacht fast schon resignierend mit den Worten kommentiert: váru þessir atburðir margir jafnsnimma eða sumir litlu fyrr eða síðar (Hkr ii, 383), ‘viele dieser Ereignisse geschahen gleichzeitig oder einige auch etwas früher oder später’. Ein bemerkenswertes Eingeständnis fehlenden Überblicks, bedenkt man, dass Óláfr in dieser Schlacht den Tod finden und damit zugleich bald seine Heiligkeit zugeschrieben bekommen sollte – das Bestreben, dieses zentrale Ereignis in genaue historische Konstellationen einzuord-
Vgl. Kap. 3.5.3.
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nen, scheitert an deren schierer Fülle. Ein weiteres Beispiel für solche Ambiguisierung durch einen nur scheinbar klärenden Erzählerkommentar ist die Kreuzesreliquie von Sigurðr Jórsalafari, von diesem ausdrücklich zum Schutz Norwegens an der Reichsgrenze aufgestellt.¹⁰⁸ Unmittelbar nachfolgend zieht der Erzähler diesen ordnenden Akt in Zweifel, wirft er Sigurðr mangelnde Klugheit vor (þat varð inu mesta óráði (Hkr iii, 258)), sagt negative Konsequenzen voraus – eine Ankündigung, auf die er dann allerdings nicht mehr explizit zurückkommt, wenn die Reliquie keine Erwähnung mehr findet: Die Erzählung scheint in ihrer ordnenden Dimension irritiert. Sicherlich könnte man nun mit jener These unvollkommener Erzählkunst argumentieren, der Verfasser habe schlicht den Überblick über seine Darstellung verloren. Ergiebiger ist aber die These einer gezielten Irritation, denn mit der ambigen Reliquie manifestiert sich für die weitere Erzählung der Ausgangspunkt einer Entwicklung des Geschehens hin zum Negativen: Der einzige Feldzug von König Sigurðr ist dann nämlich nicht der präfigurierte Kreuzzug gegen skandinavische Heiden, sondern das Plündern der Ländereien des eigenen Stiefvaters aufgrund eines Missverständnisses. Der uneindeutige Erzählerkommentar markiert insofern einerseits frühzeitig einen Bruch in der Erzählung um den ruhmreich aus dem Heiligen Land zurückkehrenden Sigurðr. Die Unbestimmtheit der nirgends mehr explizit aufgegriffenen Vorausdeutung zeigt andererseits, und das ist narratologisch interessant, nicht nur erzählweltliche Unsicherheit auf, sondern markiert auch die Erzählung selbst als unzuverlässig: Das ambige Thema der Erzählwelt fällt mit der ambigen Konfiguration der Erzählung gleichsam in einem kontingenten Höhepunkt zusammen. Erst das grausame Ende von Sigurðr – seine Pläne scheitern und er verfällt dem Wahnsinn – wirkt abschließend wieder stabilisierend: Im Untergang des Königs ist die zuvor in Zweifel gezogene Ordnung wiederhergestellt, der Tod hebt die vorausgehende Kontingenz der Erzählung in einem finalen Ereignis (das sich zugleich zum Muster anderer Herrschertode fügt) kurzzeitig auf. Analytisch schwerer zu fassen sind Aktantenleerstellen, die erst gegen Erzählkontext und Erzählstruktur als solche überhaupt sichtbar werden: Unkommentierte Ereignisse, deren Eintritt aus erzählweltlicher Logik herausfällt, die mit ihrem Eintritt aber selbst Einfluss nehmen (können) auf die Entwicklung der Erzählung. Vorausgehend wurden sie im Kontext der Erzählwelt der Königssagas als Zufälle interpretatorisch fruchtbar gemacht: Für Figuren und Rezipienten sind sie oft unerklärlich, ohne deshalb per se unwahrscheinlich oder gar unnatürlich zu sein, sind sie teils durch Erfahrungswissen begreifbar, das in der vorausgehenden Erzählung oder in der Realwelt zu gewinnen ist. Auffällig war die wiederkehrende Verknüpfung solcher Zufälle mit Naturräumen und Wetterphänomenen, denen die Figuren weitgehend ohnmächtig gegenüberstehen,¹⁰⁹ aber auch die in der frequenten und formelhaften Erwähnung von Beratschlagungen herausgestellte Unwägbarkeit sozialer Interaktion,
Vgl. Kap. 3.3.7. Vgl. Kap. 4.2.2.
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in der vor allem die Unberechenbarkeit von Emotionen gleichsam als Leerstelle des gemeinsamen Wissens der Figuren funktionalisiert wird.¹¹⁰ Damit ist über die erzählweltliche Relevanz solcher Aktantenleerstellen hinaus abermals die Struktur der Erzählung berührt. Denn natürlich etabliert eine (teils fast wörtliche) Wiederholung bestimmter Phrasen etwa zu Beratungen oder Wetter erzählweltlich zufällige Konstellationen als „structural passages“,¹¹¹ wie Sverre Bagge formulierte, aber ihre Funktion ist doch nicht die bloße Gliederung vermeintlich vorrangiger Erzählabschnitte: Das in solcher Wiederholung etablierte Muster, die suggerierte Regelhaftigkeit der Erzählung und damit des historischen Geschehens, stehen in einem Spannungsverhältnis zu den tatsächlich erzählten Ereignissen, in denen Natur und Wetter, Kommunikation und Emotionen gegen ihre Formelhaftigkeit gerade nicht regelhaft und damit kontrollierbar erscheinen, in denen Erfahrung täuscht und Erwartungen enttäuscht werden.¹¹² Leerstellen im Sinne unkommentierter natürlicher und sozialer Ereignisse treten in den Königssagas insofern eigenartig ambivalent in Erscheinung, suggerieren im Gesamtblick einerseits eine Ordnung der Erzählung, ziehen jeweils für sich gelesen solche Ordnung aber in Zweifel und beginnen sich damit ab einem gewissen Punkt der suggerierten Struktur zu entziehen, treten in diesem Sinne dekonstruktiv in Erscheinung. Auf struktureller Ebene kann aber auch der für die Königssagas charakteristische Wechsel in der zeitlichen und räumlichen Perspektive als Ausdruck einer gezielt kontingent gesetzten Erzählung gedeutet werden. Erinnert sei nochmals an die Óláfs saga Tryggvasonar, in der Óláfr bis zu seiner späten Rückkehr nach Norwegen wiederholt und über viele Kapitel hinweg aus der Erzählung herausfällt, stattdessen die Etablierung des heidnischen Jarls Hákon Sigurðarson in Skandinavien im Fokus steht. Dessen schließliche Niederlage wurde in der Heimskringla und der Fagrskinna erst mit dem finalen Eintreffen von Óláfr überhaupt angedeutet (in Fagrskinna dann allerdings gleich in der Weise, dass der Tod von Hákon verzeichnet wird), während die Erzählung stets unterbrochen wurde, wenn ein möglicher Endpunkt des Werdegangs von Óláfr erreicht wurde: Sei es in Russland, sei es im Wendland, sei es bei seiner Unterstützung des deutschen Kaisers Ótta, sei es auf seiner jahrelangen Irrfahrt quer durch Europa – immer wieder bricht die Erzählung ab, kehrt zu Geschehnissen in Norwegen zurück, an denen Óláfr überhaupt keinen Anteil hat; jeder Abbruch könnte für sich ein „relative closure“ im Sinne Morsons bedeuten. Die geographische Marginalisierung von
Vgl. Kap. 4.2.1. Bagge 1991, S. 38. Diese spannungsvolle Diskrepanz betonte Hausmann 2010, S. 83, als bedeutsames Konzept vor allem in den Arbeiten von Johannes Duns Scotus zum Ende des 13. Jahrhunderts: „Kontingent verursacht ist das, was in einem Fall entstanden ist, in einem zweiten, gleichartigen Fall aber nicht entstanden ist; vielmehr ist nun das Gegenteil eingetreten“. Bei Duns Scotus, dieser Einschätzung folgend, träte der problematische Zusammenhang zwischen menschlicher Ordnung und menschlicher Erfahrung besonders deutlich in Erscheinung und gewinne zugleich im Blick auf Narration die Frage nach „Wiederholungsstrukturen“ an Gewicht (ebd., S. 84).
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Óláfr, wie sie gerade in der Heimskringla charakteristisch für die erste Hälfte der Saga ist, wird damit auch in der Struktur der Erzählung markiert.¹¹³ Suggeriert wird eine kontingente Herrschergeschichte, deren Geltung als solche erst rückblickend konstruiert werden kann, wenn die möglichen Endpunkte des Werdegangs von Óláfr zu bloß temporären Stationen einer dann zielgerichtet erscheinenden narrativen Entfaltung werden. Dessen Ankunft und Erfolg in Norwegen erscheinen aber als spätes Resultat einer Verkettung zahlreicher Zufälle – und damit keinesfalls als wahrscheinlicher Ausgang; Susanne Flecken-Büttners griffige Formulierung zum Tristan: „der Komplexität des Zufalls entspricht die Unwahrscheinlichkeit des eintretenden Ereignisses“,¹¹⁴ lässt sich hier stimmig adaptieren. Doch auch in der zweiten Sagahälfte, der Erzählung um die letzten fünf Jahre von Óláfr, springt die Erzählung bezeichnend stakkatoartig zwischen Figuren und Handlungsschauplätzen hin und her (besonders sichtbar in moderner Ausgabe, wenn viele Kapitel nur wenige Zeilen umfassen). Natürlich ist das ein erzählerischer Kunstgriff, der Spannung erzeugt. Vor dem Hintergrund der ersten Sagahälfte – in der diese sprunghafte Erzählstruktur den Werdegang von Óláfr kontingent erscheinen ließ – muss die zum Ende hin zunehmende Zersplitterung der Erzählung in immer abruptere Momentaufnahmen aber umso deutlicher den Eindruck eines allgegenwärtigen Endes erwecken: Die Erzählung selbst erscheint, um diese Formulierung Peter Vogts zu borgen, als Ausdruck der „Fragilität des menschlichen Lebens“.¹¹⁵ Und dass Óláfr schließlich einfach aus der Erzählung herausfällt und der Erzähler mit dem Aufzählen verschiedener Gerüchte schließt, ohne unter ihnen zu entscheiden – dieses abrupte Verschwinden erscheint gleichsam als Höhepunkt und Implosion einer auch strukturellen Kontingenz. Solche Splitterung einer linearen Entwicklung der Erzählung in mögliche Alternativentwicklungen ist wiederum auch für die sich anschließende Óláfs saga helga charakteristisch: Ein zentrales Thema dieser Saga, die Auseinandersetzung zwischen Norwegen und Schweden, wird durch den frequenten Sprung der Erzählung zwischen den beiden Königen – im Altisländischen beide Óláfr mit Namen – als Changieren zwischen gleichberechtigten Optionen vor Augen geführt. Diese Spaltung fand einen symbolischen ersten Abschluss in der Auseinandersetzung der beiden Könige um Hísing, die ‘gespaltene Insel’.¹¹⁶ Ähnlich wie im Falle von Óláfr Tryggvason zieht die Erzählstruktur die angestrebte Alleinherrschaft von Óláfr Haraldsson in Zweifel – und in dieser fehlenden Eindeutigkeit ist dessen finales Dilemma in der Heimskringla vorbereitet: die Unfähigkeit von Óláfr, angesichts der fehlenden Gradlinigkeit seines Werdegangs eine tragfähige Entscheidung zu treffen; in der Fagrskinna ist davon keine Rede, im Gegenteil erscheint Óláfr dort als entschlussfreudiger Herrscher.¹¹⁷ Erinnern könnte man schließlich auch an die von Birgit Sawyer nicht zu Unrecht als „most
Vgl. Kap. 3.3.2. Flecker-Büttner 2011, S. 141. Vogt 2011, S. 126. Vgl. Kap. 3.3.3.4. Vgl. Kap. 3.5.5.2.
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complicated“ Teil der Heimskringla bezeichnete Erzählung um Ingi Haraldsson, die sich nach heutiger Einteilung über mehrere Sagas erstreckt:¹¹⁸ Die breit entfaltete Auseinandersetzung zwischen Ingi und Hákon herðibreiðr thematisiert wiederholt das Scheitern aller Planung und Ordnung, und die fehlende Bevorzugung einer Partei durch den Erzähler, damit die Unentschiedenheit des Geschehens, wird durch den vielfachen Sprung der Perspektive wiederum auch in der Erzählstruktur greifbar.¹¹⁹ Diese generierten Unbestimmtheiten sind nicht gleichbedeutend mit destruktiver Beliebigkeit, in der Ordnung generell verabschiedet würde. Das wiederholte Aufzeigen möglicher Alternativentwicklungen durch Über- oder Unterbestimmung ihrer Bedeutung und Geltung kann aber auch nicht einfach im Sinne abgewiesener Alternativen verstanden werden, bei denen das erzählte Geschehen von Beginn an finalgerichtet, teleologisch determiniert erscheint, wie etwa Armin Schulz für mittelalterliche Literatur postulierte.¹²⁰ Nicht allein auf thematischer Ebene wird ein Deutungsspektrum eröffnet, dass oft durch Mehrdeutigkeit und Unvereinbarkeit, damit Unbestimmtheit geprägt ist, sondern Thema, Struktur und sogar zitierte Quellen fallen in den Königssagas wiederholt nicht zu einer sinnstiftenden Einheit zusammen, sondern präsentieren Ordnung generell als kontingent. Das begrenzte Erklärungspotenzial der prominenten These ‚großer Männer‘ in den Königssagas wurde bereits kritisiert. Die vorangehend herausgestellte Kontingenz beraubt diese Männer aber systematisch ihrer Mittelpunktsstellung in einem narrativen Geschichtsentwurf. Diese Spaltung bis Zersplitterung eines vermeintlich singulären Erzählstrangs in ein Interferenzmuster an synchronen Möglichkeiten kann nicht als Zeichen unzureichender Erzählkunst verstanden werden: Die Verunsicherung des Rezipienten durch die Erzählstruktur hat System. Gerok-Reiters Terminus der de-konstruktiven Kontingenz ist in diesem Sinne für die Königssagas adaptierbar und erscheint mir fruchtbarer als etwa Ralf Schlechtweg-Jahns metaphorischer Vorschlag, von einem „Feld von Möglichkeiten im Spiel mit der Kontingenz“ zu sprechen.¹²¹ Im Bruch einer auch strukturell und schließlich quellenkritisch suggerierten Ordnung tritt deren Wert, aber auch stete Deutungsbedürftigkeit erst eigentlich in Erscheinung.
Sawyer 2015, 96; vgl. vor allem Kap. 3.4.5 und Kap. 3.5.9. An dieser Erzählstruktur vorbei ging die Meinung von Kolbrún Haraldsdóttir 1998, S. 102, beim letzten Drittel der Heimskringla handle es sich um „eine lange und vielleicht langweilige Aufzählung“. Vgl. Schulz 2015, S. 351 f., sowie weiterführend Kap. 2.4.1. Schlechtweg-Jahn 2017, S. 92.
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4.3.2 Wahrscheinliches (e/E)rzählen – Versuch eines Nachtrags Die Königssagas demonstrieren meisterlich die De-Konstruktion einer teleologischen Erzählung in eine Matrix möglicher Geschichten.¹²² Wo aber liegt der Maßstab solch narrativ-strukturell ausgestellter Möglichkeiten? Man könnte sich hier zunächst Walter Haugs griffiger These anschließen, dass es sich bei „der kreativen Phantasie, bei der Möglichkeit, im Geiste Neues zu schaffen und fiktive Sinnentwürfe durchzuspielen“ um eine anthropologische Universale handle,¹²³ keine noch so lückenhafte Erzählung vom Rezipienten nicht prinzipiell in der einen oder anderen Weise sinnvoll gedeutet werden könnte. Daran ist natürlich etwas Richtiges, aber auch etwas Beliebiges. Die Frage nach dem Sinn von Erzählungen ist wesentlich eine Frage nach Wahrscheinlichkeiten. Es kann dem Verfasser (und dem vorausgesetzten Rezipienten) ja nicht gleichgültig sein, welcher Sinn sich aus einem erzählten Geschehen gewinnen lässt. In jeder Rezeption sind subjektive und intersubjektive, also nicht beliebige Bezugspunkte von Sinn vorauszusetzen – und damit stellt sich eben die Frage nach der Wahrscheinlichkeit einer bestimmten Deutung. Dass mit dem Gemeinplatz eines ‚wahrscheinlichen Erzählens‘ angesichts dieser Subjektivität zunächst wenig gewonnen ist, wurde festgehalten:¹²⁴ Bereits der Kronzeuge Aristoteles, um dieses Beispiel noch einmal zu bringen, bemerkte in seiner Poetik meisterlich uneindeutig, es sei „wahrscheinlich, dass manches gegen die Wahrscheinlichkeit geschieht“ (25).¹²⁵ Kontingentes Erzählen im Sinne einer aus Rezipientensicht nicht-notwendigen und nicht-unmöglichen narrativen Ereignisverknüpfung erscheint angesichts eines subjektiven Leseerlebnisses umso weniger greifbar; Werner Wolf deutete gar „the capitulation of narratology in this area“ an.¹²⁶ Im Versuch, diese Herausforderung produktiv anzugehen, wurde vorausgehend Gewicht gelegt auf die Unmittelbarkeit der ersten Rezeption, die zugleich den Einwand, Erzählen im Mittelalter sei grundsätzlich finales Erzählen, nivellierte. Was rückblickend auf das Ende der Erzählung bezogen erscheint, kann beim ersten Lesen auch anders erscheinen, zumal das Ende des Textes nicht mit dem (sinnvollen) Abschluss einer Erzählung zusammenfallen muss; hier sei an Morsons Konzept des „relative closure“ erinnert.¹²⁷ Die konfigurierende Dimension des Erzählens eröffnet sich primär im ordnenden Bewusstsein der Retrospektive. Die synchrone Perspektive hingegen erzeugt, mit den Worten von Schulz,
Zur Formulierung vgl. Mireille Schnyder 2010, S. 176, sowie die Formulierung bei Waltenberger 2010, S. 232, von einer „‚Verschachtelung‘ von Modalitätszuschreibungen, die deren Hierarchie abbilden, aber auch verunklaren oder kippen kann“. Haug 2008b [2006], S. 35. Vgl. Kap. 2.4.2.2. Schmitt 2008, S. 39. Wolf 2008, S. 167. Vgl. Kap. 4.3.1.
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den „Eindruck einer massiven Kontingenz“,¹²⁸ einer Erzählung also, in der an diversen Stellen ein Ende zu erwarten ist. Den Beurteilungsmaßstab des mittelalterlichen Rezipienten werden wir nie kennen. In der Erforschung der Königssagas wird, von dieser grundsätzlichen methodischen Grenze unbeeindruckt, oft stillschweigend ein generelles Wissen um die Geschicke früherer Herrscher in der Rezeption vorausgesetzt: Ein Rezipient des 13. oder 14. Jahrhunderts habe natürlich gewusst, dass Óláfr Tryggvason siegreich nach Norwegen zurückgekehrt sei, dass Óláfr Haraldsson seinen schwedischen Gegenspieler überwunden habe – diverse Beispiele aus der vorausgehenden Lesung ließen sich anfügen. Nicht nur wäre hier, in Anlehnung an Schulz, „alles Erzählen im Wesentlichen ein ‚Noch nicht‘“,¹²⁹ sondern vor allem die Rezeption wäre ein solches ‚Noch nicht‘ vor einem postulierten Allgemeinwissen. Das ist eine Prämisse, die in der Altskandinavistik ihrerseits vor der Prämisse einer mündlichen Erzählkultur des mittelalterlichen Nordens geprägt worden ist, wie sie für die Isländersagas, aber auch die Königssagas durch Forschergenerationen diskutiert wurde, allerdings weiterhin schemenhaft ist. Die Voraussetzung eines solchen Wissens um das norwegische Geschehen in zurückliegenden Jahrhunderten bzw. um Erzählungen über dieses Geschehen bleibt jedenfalls genauso Hypothese wie die abweichende Einschätzung, dieses Hintergrundwissen sei wesentlich erst in Folge schriftlich fixierter Sagas etabliert worden. Einem starren ‚Entweder-Oder‘ dieser Hypothesen ist hier nicht das Wort geredet, wohl aber die Prämisse in Zweifel gezogen, dass die Königssagas in der Rezeption stets gleichsam unbewusst in teleologischem Sinne aufgelöst worden seien, unabhängig von Inhalt und Struktur des konkret erzählten Geschehens. In diesen Herrschergeschichten steht neben dem Unterhaltungswert der Anspruch der historischen Sinnstiftung, wie das Vorwort zur Heimskringla zeitgenössisch bezeugt, wo es zu den versammelten fornar frásagnir, alten Erzählungen, in bemerkenswerter Quellenkritik heißt: þótt vér vitim eigi sannendi á því, þá vitum vér dœmi til, at gamlir frœðimenn hafi slíkt fyrir satt haft (Hkr i, 4), ʻauch wenn wir den Wahrheitsgehalt nicht kennen, so kennen wir doch Beispiele dafür, dass alte Gelehrte dies für wahr hieltenʼ. Wenig später erfolgt der Zusatz: þat er háttr skálda at lofa þann mest, er þá eru þeir fyrir, en engi myndi þat þora at segja sjálfum honum þau verk hans, er allir þeir, er heyrði, vissi, at hégómi væri og skrǫk, ok svá sjálfr hann, ʻes ist Eigenart der Dichter, denjenigen am meisten zu preisen, vor dem sie sich befinden, aber niemand würde es wagen, diesem von seine Taten so zu berichten, dass alle, die zuhörten, wüssten, dass es Unwahrheit und Erdichtung sei, auch er [d.i. der Herrscher] selbstʼ. Deutlich wird hier die kritische Rezeptionssituation vor Augen gestellt, die gegenseitige Verpflichtung von Produzent und Rezipient, das Gesagte vor geteilten Prämissen zu deuten. Wenn solches Sinnvollmachen nur im Austausch möglich ist, dieser Kommunikationsakt aber regelmäßig an zentralen Stellen der Erzählung durch ein
Schulz 2010, S. 224. Schulz 2010, S. 210.
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Über- oder Unterangebot an Deutungen gestört ist (nicht zuletzt dort, wo Skaldenstrophen zitiert werden), dann liegt in diesem gestörten Sinn eben auch ein Sinn; mit Martin Dillmann sei daran erinnert, dass „Sinn-, Orientierungs- und Totalitätsverlust“ ja gerade keine „‚Abfallprodukte‘ von Sinn und Orientierung“ sind, sondern „mindestens ebenso komplexe semantische Konstruktionen“.¹³⁰ Sinnverlust ist eine Konsequenz intendierter De-Konstruktion.¹³¹ Sieht man von der diffusen Prämisse eines spezifischen Hintergrundwissens des Rezipienten einmal ab – die im obigen Zitat aus der Heimskringla aufgerufene Situation bezieht sich auf die Rezeption durch Augen- und Ohrenzeugen –, dann bleibt Wahrscheinlichkeit vor einem allgemeinen Erfahrungshintergrund als Rezeptionsmaßstab stehen. Anders gesagt: Wo der Skalde dem König einst dessen eigene Taten besang und die Zuhörerschaft diesen Taten teils selbst beigewohnt hatte, da ist der spätere Erzähler bereits selbst ein Rezipient, der auf die subjektive Abwägung älterer Erzählungen angewiesen ist; dass eine solche Abwägung oft keinen Abschluss finden kann, führte nicht zuletzt das Beispiel um den Tod von Óláfr Tryggvason vor Augen: Der Verfasser und sein Erzähler drohen an ihrer eigenen Quellenkritik zu scheitern, übrig bleibt allein der Abbruch der Erzählung im Eingeständnis des Nicht-Wissens. Das wiederholte Anzweifeln allgemeiner Wahrscheinlichkeiten in der Erzählwelt, in Kombination mit dem Aufbrechen von Strukturen und Bezweifeln von Quellen kann aber auch als eine besondere Leistung im Erzählen gelten, die die Rezeption steuert. Was in den Königssagas erzählt wird, ist ja nicht unglaubwürdig, im Gegenteil wird der Bereich des Rationalen in den seltensten Fällen verlassen, oft genug sogar betont; die zahlreichen Ereignisse, die das Geschehen zum Guten und Schlechten wenden, sind im Erzählzusammenhang oft aber unwahrscheinlich, erscheinen als Zufälle – und fordern damit zur Sinnbildung besonders heraus.¹³² Volker Mertens definierte solchen Sinn in Erzählungen einmal als „empathisches Empfindungserlebnis“,¹³³ eine Deutung, die bereits bei Aristoteles greifbar wird, wenn dieser eine erfolgreiche Argumentation von der gezielten Stimulation von Emotionen beim Rezipienten abhängig machte. Emotionale Verunsicherung intensiviert sich, wenn nicht nur Erzählinhalte, sondern die Erzählstruktur ihre ordnende Dimension
Dillmann 2011, S. 9. Vgl. jüngst Fuhrmann/Selmayr 2021b, S. 12, die betonten, dass mittelalterliche Erzählungen „weder ausschließlich noch dominant als Versuche einer narrativ-literarischen Bewältigung des turbulenten (außertextuellen) Lebens“ gelten könnten, dass vielmehr „die Exposition dieser Turbulenzen in Form von labilen, in Frage gestellten oder gestörten Ordnungen“ im Zentrum stünde, „um deren Leistungsfähigkeit, Konstitutions- und/oder Geltungsbedingungen auszuloten“. Die jüngst bei Haferland 2019, S. 30 f., geäußerte These zu historischem Erzählen im Mittelalter: „Lücken einer Beweisführung im Fall vergangener Ereignisse werden dabei naturgemäß nicht kenntlich gemacht, sondern je schon ausgefüllt und gekittet. Die rhetorische narratio verisimilis hat die eigene Konsistenz und Geschlossenheit im Auge“, findet sich in den betrachteten Königssagas also oft gerade nicht bestätigt, diese Sagas erscheinen vielmehr als intendierter Bruch mit dieser (vorgeblichen) Konvention. Mertens 2010, S. 200; vgl. Kap. 2.4.2.2.
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für die Interpretation (temporär) einbüßen. In Anlehnung an Rainer Warning könnte man von einer „ständigen Alternanz von Entropie, Ordnungsvermutung und Rückfall in Entropie“ sprechen: „Die einzige Struktur, die sich [sic!] durchhält, ist eben diese Alternanz selbst, also die ästhetische Struktur des offenen Paradigmas, die Ordnungsvermutung zugleich hervortreibt und austreibt“.¹³⁴ Die Königssagas, an der Schnittstelle von historiographisch verpflichtetem, zugleich literarisch anspruchsvollem Erzählen, erscheinen als frühes, zugleich bemerkenswert entwickeltes Beispiel solch de-konstruktiver Erzählkunst im mittelalterlichen Norden. Dem ‚Sinn‘ solcher Erzählkunst im außerliterarischen Kontext spürt nun das abschließende Kapitel nach.
4.4 Kontingenz und Anthropologie 4.4.1 Notwendigkeit und Hoffnung Die Königssagas wurden einleitend als Humangeschichte bezeichnet. Diese Formulierung bereitete spätestens Anfang der 1990er Jahre Oskar Bandle vor, wenn er bemerkte, in der Heimskringla träten politische Momente zurück gegenüber einem „alles dominierenden menschlichen Interesse“ – gerade aufgrund der Auseinandersetzung mit dem Menschen an sich habe die Heimskringla „bei allen Fiktionalisierungsverfahren […] auch auf spätere Zeiten noch so sehr den Eindruck historischer Glaubwürdigkeit gemacht“.¹³⁵ Solche Glaubwürdigkeit wurde als zentrales Charakteristikum einer in der Rezeption wirksamen Erzählung herausgestellt, doch deutlich wurde auch, dass von einem Gegensatz zwischen Fiktionalisierung und Historisierung, wie Bandle ihn noch voraussetzte, nicht zu sprechen ist. Bestand hat seine These, der Mensch an sich sei zentrales Moment der Königssagas, doch sind bisherige Versuche, diese menschliche Dimension näher zu bestimmen, meist auf verstreute Randbemerkungen beschränkt geblieben. Wenn es aber das Interesse nicht zuerst an Politik oder Gesellschaft, sondern am Menschen selbst ist, das außerliterarische Wirkung entfaltet, dann kristallisiert sich die Frage nach Umfang, Art und Bedeutung dieses Menschlichen in den Königssagas als eine Kernfrage heraus. Erzählung ist, mit Odo Marquard, die Entlastung des Menschen vom „Absoluten“.¹³⁶ Entlastung, soll sie nicht kurzweilige Zerstreuung bleiben, erfordert die Auseinandersetzung mit dem für jeden Menschen eigentlich Belastenden: dem Tod. Die uneinsehbare Notwendigkeit des Todes hat die Menschheitsgeschichte in unabsehbarem Maße geprägt, bis auf den heutigen Tag erscheint (außerhalb der rationalen Grenzen der Biologie) nichts rätselhafter und bedrohlicher als der Tod. Nicht umsonst erklärte bereits vor 2500 Jahren der griechische Dichter Aischylos, Prometheus’
Warning 2001, S. 208. Bandle 1993, S. 46 f. Marquard 1998.
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wichtigstes Geschenk an den Menschen sei nicht das Feuer gewesen, sondern das Nicht-Wissen um den eigenen Todestag.¹³⁷ Denn wenn, und daran knüpfte dann u. a. Aristoteles an, der Mensch sein Lebenspensum überblicke, ihm sein ganzes Leben als notwendiger Weg auf den gesetzten und gewussten Endpunkt hin erschiene, dann würde er niemals überhaupt irgendetwas tun. Erst die Möglichkeit der Hoffnung, dass der Tod erst in ferner Zukunft, zu einem unbestimmten Zeitpunkt eintreten möge, ist die Triebfeder der menschlichen Existenz über ein dahinvegetierendes Dasein hinaus. Das menschliche Leben wird in dieser Hoffnung zugleich zur Herausforderung: Wenn keine Notwendigkeit das Leben bestimmt, wenn dem Menschen Möglichkeiten angetragen sind, unter denen gerade aufgrund seiner Endlichkeit Entscheidungen gefordert sind, dann impliziert Entlastung vom Absoluten die Aufgabe, das eben (noch) nicht Absolute, die prinzipielle Unbestimmtheit der eigenen Zukunft zu verarbeiten – und damit richtet sich der Blick auch auf den vergangenen Umgang mit einer einstigen Zukunft, werden in der retrospektiven Bewertung Anhaltspunkte für das eigene zukunftsgerichtete Handeln gesucht. Der Tod selbst ist nicht kontingent.¹³⁸ Der Weg, die menschliche Existenz, das Leben jedes Einzelnen bis zum Tod hingegen sind unhintergehbar kontingent. Gegen die lange Zeit unhinterfragt populäre Prämisse der Forschung, für den mittelalterlichen Menschen sei solche Kontingenz im Glauben an göttliche Vorsehung gänzlich aufgehoben, sind mittlerweile vermehrt Gegenstimmen laut geworden; erinnert sei an Walter Haugs prägnante Formulierung: Das, was in der Welt an Sinnlos-Zufälligem geschah, [war] mit dem Hinweis auf die Unerforschlichkeit des göttlichen Willens schwerlich überzeugend abzudecken. Es stand zwar eine Formel zur Verfügung, die es erlaubte, das Sinnwidrige, das Unglück der Guten und den Erfolg der ‚Bösen‘ zu erklären. […] Doch so unentwegt immer wieder mit dieser pädagogischen Formel operiert worden ist, sie muß jedem auch nur einigermaßen sensiblen weltgeschichtlichen Betrachter augrund der offenkundigen Unverhältnismäßigkeit von Mittel und Zweck unerträglich erscheinen.¹³⁹
Kontingenz und die mentalitätsgeschichtliche Auseinandersetzung mit ihr haben insofern nicht einfach ein „zeitdiagnostisches Potenzial“,¹⁴⁰ wie Markus Holzinger im Blick auf eine so genannte Gegenwartsgesellschaft meinte. Kontingenz ist die Grundbedingung menschlichen Lebens, ihre Erfahrung ist die „Vorbedingung menschlicher Autonomie“,¹⁴¹ wie Volker Mertens einmal treffend formulierte. Ohne solche Erfahrungen, die quer zu Hoffnungen, Erwartungen und Absichten gemacht
Vgl. Kap. 2.3.1. Vgl. Koch 2010, S. 110: „Die Unausweichlichkeit des menschlichen Sterbens schließt den Tod aus dem Bereich des Kontingenten aus, der nach der klassischen Definition dasjenige umfasst, was weder notwendig noch unmöglich ist“. Haug 1998, S. 153; vgl. Kap. 2.2.1. Holzinger 2007, S. 13. Mertens 2010, S. 204.
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werden, ist das Leben nicht denkbar – und insofern, in den Worten Jörn Rüsens, „auch nicht ohne die dauernden Bemühungen des Menschen, sie zu überwinden, mit ihnen fertig zu werden“.¹⁴² Sind diese „Zufälligkeiten des Lebens“ dann aber generell zu verstehen als „Wegmarken zum Tod“, wie Haug meinte?¹⁴³ Das Thema ‚Tod‘ ist auch in der Mediävistik wiederholt verhandelt worden.¹⁴⁴ Sicherlich dürfte der Tod als Faktum im Mittelalter allgegenwärtiger gewesen sein als heute: „Grund für dieses Eingebundensein des Todes in die Gesellschaft ist sicherlich auch die stärker empfundene Unausweichlichkeit desselben – er ist allzeit präsent und wirft seinen Schatten auf jeden Lebensbereich“.¹⁴⁵ Gefolgert wurde in der Forschung, dass am „Umgang mit dem Tod als ‚das Andere des Lebens‘ […] Modelle gesellschaftlicher Selbstbeschreibung“ zu beobachten seien, die „ein grundsätzliches Interesse der gesamten Geistesund Kulturwissenschaften“ herausfordern würden¹⁴⁶ – daran ist natürlich wiederum etwas Richtiges. Doch bedürfen solche Generalisierungen der individuellen Präzisierung. Denn das Augenmerk der betrachteten Königssagas gilt nirgends einer philosophischen Reflexion über den Tod. Es geht dort auch nicht um die narrative Etablierung eines theologisch-moralischen Gebäudes: Ist für die höfische Literatur der Tod wiederholt als „Durchgangsstadium von der Immanenz in die Transzendenz“ gedeutet worden,¹⁴⁷ ein Übergang hin zu einem „umfassende[n] höfische[n] Heil“,¹⁴⁸ so greift dieses Erklärungsmuster in den Königssagas nicht. Zwar erlaubt das Ereignis ‚Herrschertod‘ die Verkettung von Episoden unter der Prämisse, dass innerhalb eines
Rüsen 2001, S. 150. Haug 2003 [1998], S. 84. Vgl. die Zusammenfassung in Knaeble et al. 2011, wo die Herausgeberinnen kritisch festhalten: „Freilich ist eine umfassende Darstellung der Forschungsergebnisse zum Thema Tod und Sterben im Mittelalter allein schon aufgrund seiner disziplinären Weitläufigkeit kaum zu leisten. Dementsprechend kann neben einer allgemeinen – und dabei naturgemäß durchaus unzureichenden – Einführung in die Fragestellungen literaturwissenschaftlicher, historischer, kunst- und religionswissenschaftlicher, theologischer, philosophischer und soziologischer Fachdisziplinen innerhalb der Darlegung des Forschungsstandes lediglich exemplarisch verfahren werden“ (ebd., S. 10). In der Altskandinavistik hat das Thema jenseits der volkskundlich-religionswissenschaftlichen Perspektive nur geringes Interesse geweckt (vgl. jüngst Kanerva 2017). Ob man insofern mit Edward Risden eine „legendary Northern obsession with death“ (Risden 2016, S. 87) als Forschungsthema konstatieren will, sei dahingestellt. Albert 2014, 32. Knaeble et al. 2011, S. 9. Vgl. den Versuch einer transdisziplinären Aufarbeitung bei Solomon et al. 2015 sowie die philosophischen Betrachtungen bei Bradley et al. 2013. Matthias Bauer 2011, S. 262; vgl. Wagner 2011, S. 309: „Der Umgang mit dem Tod zumindest im europäischen Mittelalter kann sich […] auf die kollektive Gewissheit einer christlichen Transzendenz berufen, die das Leben als Immanenz und damit lediglich andere, vorläufige Seite einer fundamentalen, allumfassenden Unterscheidung begreift“; vgl. auch Mireille Schnyder 2010, S. 181: „Die Bewältigung der Kontingenzverfallenheit als einer Selbstverlorenheit und Todesangst gelingt allein durch die Rahmung durch ein erlösendes, da deutendes Narrativ. Erkannt als Ort der Buße […], wird das wilde Meer zum Raum des Heils, erkannt als Ort der Strafe Gottes […], wird es zum Handlungsraum der Providenz“. Wagner 2011, S. 329.
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„Textes mit zeitlicher Ordnung beziehungsweise Abfolge bei gleichzeitiger räumlicher Konstante“ Macht notwendigerweise von einem Herrscher auf einen anderen übergehen muss¹⁴⁹ – das ist ein Grundstein der Königssagas. Über dieses Strukturmerkmal ist aber noch keine narrative Bewältigung des Todes erfolgt. Und die wiederkehrenden Räume, in denen das erzählte Geschehen verortet ist, sind für die Figuren weniger Orte der Erfahrung eigener Macht oder göttlicher Eingriffe, als vielmehr oftmals Ohnmachtsorte, die sich durch ihre Unbeständigkeit auch in der Rezeption der ordnenden Ansprache widersetzen. Die Todesart ist für die Herrscherfiguren der Königssagas zudem kaum in der Weise wählbar, dass diese sich „für oder wider ein Leben nach christlichen Werten“ entscheiden könnten, wie Matthias Bauer für die Prosakaiserchronik aus dem späten 13. Jahrhundert konstatierte:¹⁵⁰ Führen in den Königssagas in vielen Fällen plötzliche Krankheit oder Unfälle zum Tod, so eröffnet sich darin, anders als in mittelhochdeutscher Literatur, gerade kein „Weg zu geistiger Läuterung und Reinigung im Sinne eines guten Todes, fallweise einer von Reue erfüllten letzten Stunde“;¹⁵¹ von solchen letzten Momenten in geistlicher Kontemplation ist in die Königssagas kaum je die Rede. Überhaupt kann hier, wie angemerkt, nicht von einer Inszenierung des Sterbens gesprochen werden, wie Bettina Albert sie für die mittelalterliche Lebenswelt generell betonte.¹⁵² Bauers Beoachtung, der Tod sei „immer implizit positiv oder negativ konnotiert“, um damit dem „Anspruch eines didaktischen Grundtenors“ zu entsprechen,¹⁵³ findet sich in den betrachteten Königssagas insofern nicht bestätigt.¹⁵⁴ Ergiebiger scheint zunächst doch Haugs metaphorische Formulierung: „Man spielt letztlich immer gegen den Tod“,¹⁵⁵ in der die fundamentale Ambivalenz von Kontingenz illustriert ist. Kontingenz bedeutet dann einerseits eine unhintergehbare Zufallsanfälligkeit des menschlichen Lebens; prägnant formulierte Werner Wolf, der Eintritt des Unerwarteten, das sich einer Erklärung sperrt, gehöre zu den „most outstanding and memorable moments of human experience“.¹⁵⁶ Dieses Unerwartete und Unerklärliche, der Zufall, muss vom Menschen in einem Sinngebäude eingeordnet werden, soll es sich nicht zum Absoluten steigern, zur Hoffnungslosigkeit aller Versuche, gegenüber dem fatalen Zufall ein selbstbestimmtes Leben zu führen; bereits Aristoteles bemerkte in Buch 2 der Rhetorik prägnant: „Die Furcht treibt zur Überle-
Matthias Bauer 2011, S. 264 f. Matthias Bauer 2011, S. 265. Matthias Bauer 2011, S. 262. Vgl. Albert 2014, S. 33. Matthias Bauer 2011, S. 265. Ausnahmen finden sich z. B. in der Óláfs saga Tryggvasonar des Mönches Oddr Snorrason, auf deren heilsgeschichtlichen Grundtenor verwiesen wurde (vgl. Kap. 3.3.2). Vgl. dazu jüngst Haki Antonsson 2018, S. 69 – 76, der allerdings seinerseits auf die Auseinandersetzung mit der Schilderung von Óláfr Tryggvason in Heimskringla und Fagrskinna verzichtete. Haug 2003 [1998], S. 79. Wolf 2008, S. 172 f.
4.4 Kontingenz und Anthropologie
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gung an, und doch überlegt sich keiner die Dinge, die hoffnungslos sind“.¹⁵⁷ Damit ist andererseits die zweite Dimension dieser Unbestimmtheit aufgetan: Der Zufall als Chance. Unbestimmtheit ist Potenzialität, die Hoffnung auf das Verwirklichen menschlicher Wünsche macht, im Sinne einer steten Chancenoffenheit; in der pointierten Formulierung von Andreas von Arnauldt: „Der Zufall kann verkrustete gesellschaftliche Strukturen aufbrechen und lässt jedem Mitglied der Gesellschaft die Hoffnung auf einen ‚Platz an der Sonne‘“.¹⁵⁸ Es ist diese, das menschliche Leben bestimmende Ambivalenz einer kontingenten Geschichte, die in der vorliegenden Studie als Kern der Königssagas herausgearbeitet wurde: In dieser Ambivalenz der Unbestimmtheit liegt das dominierende menschliche Interesse dieser Sagas.
4.4.2 Unbestimmtheitskompetenz Es stellt sich abschließend die Frage, welchen Vorschlag des Umgangs mit dieser ambivalenten Unbestimmtheit die Königssagas im Gesamtblick anbieten. Dass dem Menschen angesichts eines ab dem 12. Jahrhundert zunehmend diversifizierten, damit aber auch potenziell als bedrohlich empfundenen Weltgeschehens neben neuen Möglichkeiten auch neue Grenzen aufgezeigt wurden und solche Grenzen literarisch verhandelt wurden, verwundert nicht. In dem vorausgehend in relevanten Teilen entfalteten Diskurskomplex, der nirgends auf einzelne Nenner zu reduzieren wäre, sondern nur als facettenreiches Bild gezeichnet werden konnte, liegt mentalitätsgeschichtlich betrachtet die Brisanz von Kontingenz begründet. Neue Möglichkeiten und neue Grenzen führten in der Verarbeitung auf jenen fiktionalen Erfahrungsweg der Erzählung, der aus einer gefühlten Verunsicherung produktiv herausführen sollte. Dem Menschen ist Entscheidungsgewalt auf diesem Weg insofern nicht abgesprochen: Die Herausstellung einer historisch wirksamen Kontingenz konnte jene Herausforderung verdeutlichen, an der Kompetenz überhaupt zu messen war. In diesem intellektuellen und emotionalen Milieu, dafür wurde in dieser Studie argumentiert, ist eine wesentliche Inspirationsquelle der Königssagas zu vermuten. Dass bisherige Forschung das möglichst kluge Handeln der dargestellten Herrschenden zur Maxime erklärte, hat insofern seine Berechtigung. Damit ist indes, damals wie heute, bereits eine bestimmte Interpretationsperspektive unter mehreren möglichen gewählt; Knut Görich bemerkte einmal prägnant zu Kaiser Friedrich I., dem berühmten Barbarossa, dessen Stilisierung in der Forschung „zum Helden einer Fortschritts- und Modernisierungsgeschichte“ unterstelle „seinen Handlungen eine Zweckrationalität, die an Zielen ausgerichtet war, die er nicht kannte und auch nicht kennen konnte, sondern die wir Historiker als ‚notorische retrospektive Besserwisser‘ ihm erst zuweisen“.¹⁵⁹
Rapp 2002, S. 84. von Arnauld 2003, S. 184. Görich 2009, S. 181.
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Das kann auch für die Interpretation der Königssagas Geltung beanspruchen; die Maxime des klugen Handelns ist angesichts der konkreten Erzählungen zunächst wenig aussagekräftig: Um welche Kompetenz(en) geht es in einer kontingenten Geschichte? Hier ist noch einmal der vergleichende Blick auf die drei betrachteten Kompilationen interessant. Im Detail zeigten sich wiederholt Abweichungen in Inhalt und Aufbau von Erzählungen, in wenigen Fällen auch ein klarer Widerspruch. Während etwa die Fagrskinna den Tod des berühmte Jarls Hákon Sigurðarson in einer Randnotiz als Konsequenz seiner harten Regentschaft erwähnt, da entfaltet sich in der Heimskringla eine umfangreiche Erzählung, in der der denkbar unrühmliche Tod Hákons im Schweinestall als Resultat unglücklicher Konstellationen betont wird.¹⁶⁰ Haraldr blátǫnn, zuerst Verbündeter, dann Rivale Hákons, stirbt laut Fagrskinna an Krankheit, in der Heimskringla aber im Kampf gegen den eigenen Sohn.¹⁶¹ Óláfr Haraldsson scheitert in der Heimskringla mit seinen Versuchen, Island und die Färöer abgabepflichtig zu machen, aufgrund seiner kontingenten Nachfolge und zufälliger Umstände; in der Fagrskinna hingegen wird in einem einzelnen Satz erklärt, Óláfr sei in diesem Bestreben erfolgreich gewesen.¹⁶² In seinen letzten Momenten ist Óláfr laut Heimskringla zögerlich und ratlos angesichts früherer Misserfolge, während er in der Fagrskinna stets entschlussfreudig dargestellt wird.¹⁶³ Haraldr Sigurðarson wiederum wird laut Heimskringla von einer Frau aus dem Verlies gerettet, die sein Halbbruder Óláfr helgi einst heilte; in der Morkinskinna hingegen sieht sich der eingesperrte Haraldr einer monströsen Riesenschlange gegenüber, die er und seine Gefolgsleute allein durch Anrufen des Heiligen überwinden können, bevor sie schließlich ebenfalls von einer Frau befreit werden, mit der Haraldr dann allerdings noch ein Gespräch über seine Vision von Óláfr führt.¹⁶⁴ An anderer Stelle wird in der Heimskringla berichtet, bei einer langwierigen Belagerung sei Haraldr schwer erkrankt und schließlich seien seine Männer durch das Gerücht seines Todes demoralisiert worden; in der Morkinskinna hingegen wird ausführlich der Plan von Haraldr dargelegt, seinen Tod bloß zu inszenieren, um als vermeintliche Leiche in die feindliche Festung zu gelangen.¹⁶⁵ Wo laut Heimskringla fast sämtliche Konkurrenten von Magnús Óláfsson in rascher Abfolge an natürlicher Krankheit sterben, da entwirft die Morkinskinna eine dramatische Vergiftungsszene.¹⁶⁶ Und während die strategische Planung von Magnús berfœttr gegen Ingi Haraldsson in der Heimskringla an jahreszeitlichen Bedingungen scheitert
Vgl. Kap. 3.3.2.2. Vgl. Kap. 3.3.2.1. Vgl. Kap. 3.4.2.2. Vgl. Kap. 3.5.5.2. Vgl. Kap. 3.3.5. Vgl. Kap. 3.3.5. Vgl. Kap. 3.3.4.
4.4 Kontingenz und Anthropologie
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und Magnús und seine Männer gedemütigt fliehen müssen, da wird in der Morkinskinna im Gegenteil von einem erfolgreichen Angriff von Magnús auf Ingi berichtet.¹⁶⁷ Auch wenn die bisherige Forschung diesem Detail kaum Aufmerksamkeit geschenkt hat, ist das Verhältnis der verschiedenen Fassungen zueinander doch wie gesagt seit Langem ein Streitpunkt, allzu offensichtlich ist ja schon der sehr unterschiedliche Umfang der jeweiligen Erzählungen, wobei die Fagrskinna fast immer die kürzeste Fassung überliefert, die Heimskringla meist die bei Weitem umfangreichste (was eine eingehendere Darstellung auch von Wirkungszusammenhängen erlaubt), bisweilen aber die Morkinskinna noch über die Heimskringla hinausgeht, zumal mit Blick auf die þættir. Diese Abweichungen sind teils quellenkritisch erklärt worden, zumal die Morkinskinna nur unvollständig vorliegt, teils unter Verweis auf unterschiedliche (politische) Motivationen der Verfasser. Obwohl in der umfangreichen Heimskringla die Anzahl erzählerisch entfalteter Zufälle größer ist als in den anderen Kompilationen und man dem Verfasser ein gesteigertes Interesse am Thema zusprechen könnte, ist doch kein grundsätzlicher Unterschied zu erkennen, wenn der Blick auf Kontingenz und Zufall gerichtet wird: In allen drei Kompilationen wird, gemessen am jeweiligen Textumfang, Unbestimmtheitsphänomenen beträchtliche Relevanz in der historiographischen Darstellung zugestanden. Dieses gemeinsame Interesse mag man mit spekulativen gemeinsamen Quellen oder gegenseitigen Entlehnungen erklären oder aber mit Verweis auf ein räumlich und zeitlich ähnliches Entstehungsmilieu. Letzterer Gedanke ist es, der über nationalpolitische Deutungen und die Editionsphilologie hinausführt: Fagrskinna, Morkinskinna und Heimskringla sind bei allen Abweichungen im Detail Ausdruck eines gemeinsamen Erzählpotenzials, das im 13. und 14. Jahrhundert darauf gerichtet scheint, einen durchaus nicht immer wahrscheinlichen Verlauf der nordischen Geschichte soweit möglich glaubwürdig und sinnvoll zu machen. Umschlossen aber ist dieses Sinngebäude in allen drei Fassungen von der mehr oder weniger akzentuierten Einsicht in die Grenzen menschlicher Sinngebung. Politik erscheint als nur ein Spielfeld in dieser Geschichte, auf dem sich natürliche und soziale Kontingenz in immer neuen Konstellationen manifestieren. Damit offerieren die Königssagas versionsübergreifend zunächst keine eigentliche Handlungsvorschrift, wie man sie von einem angeblich regelrechten Handbuch für angehende Herrscher, gerade im Fall der Heimskringla, erwarten sollte.¹⁶⁸ Das breite Spektrum an Charaktereigenschaften und Kompetenzen der individuellen Herrscher und ihres Umfelds, zumal ersichtlich bei versionsabhängigen Unterschieden in der Figurenzeichnung, macht vielmehr vor allem eines deutlich: Dass der weitsichtig planende Gesetzgeber in seinen Ambitionen genauso scheitern kann wie der ungestüme Kriegsfürst, dass der Heide ebenso politisch erfolgreich sein kann, wie es dem Christen an Erfolg mangelt, dass äußere Umstände einen Knecht ebenso zum
Vgl. Kap. 3.4.4. Vgl. nochmals die Formulierung bei Bagge 1991, S. 230: „If Snorri has an explicit purpose behind his work, it is most probably to teach future politicians this kind of prudence“.
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maßgeblichen Akteur der nordischen Geschichte werden lassen können, wie sie den formalen Herrscher ohnmächtig erscheinen lassen. Zahlreiche Beispiele wurden herausgearbeitet und sie alle vermitteln zunächst eine Botschaft: Politik, Krieg und Religion erscheinen seit den mythischen Tagen von König Fjǫlnir – der bei einer herrschaftlichen Zusammenkunft nach nächtlichem Toilettenbesuch volltrunken die falsche Tür wählte, in ein Metfass stürzte und ertrank – als Spielfeld sozialer und natürlicher Kontingenz. Anders als zeitgleich im höfischen Roman, in dem der Held durch die Aventüre, also das Überwinden aller Zufälligkeit, letztlich „zu sich selbst kommen kann“,¹⁶⁹ wird in den Königssagas kein idealisiert geordneter Raum gezeichnet, der zugleich Ausgangs- und Endpunkt einer Reise durch eine bloß temporäre, weil von diesem Raum bereits gebändigte Unordnung wäre. Es geht auch nicht, wie Burkhardt Krause für die Aventüre herausstellte, um eine Probe auf die „je individuell zu prüfende Glückswürdigkeit eines Helden“, die ein „nur formales, gleichsam künstliches, ein literarisches Strukturelement“ sei und die „Uneinschätzbarkeit des Ausgangs einer Handlung lediglich scheinhaft inszeniert“.¹⁷⁰ Die teils vergleichbare hamingja ist in den Königssagas ein ambiger Begriff, eine unzuverlässige Begleiterin, deren Aufruf wiederholt uneindeutige, gar widersprüchliche Rezeptionssignale sendet (siehe unten). Es begegnet in diesen Sagas eine allseitige Unbestimmtheit, gegenüber welcher der Knecht wie der König, der Heide wie der Christ allein zur Einsicht einer universalen Regellosigkeit – damit aber Chancenoffenheit – gelangen kann. Katrin Toens und Ulrich Willems sprachen vor einigen Jahren von einer Stilisierung von Kontingenz „zum bedrohlichen Anderen einer ‚heroischen‘ Politik, in der Vertrauen und Legitimität aus der Fiktion der Eindeutigkeit und Alternativenlosigkeit resultieren“.¹⁷¹ Ähnlich bemerkte Matthias Wefer, Kontingenz als „der unvermeidbare Schatten des Politischen“ sei eine „stete Quelle menschlicher Furcht und erzeugt daher den Ruf nach politischen Heroen, die das unbestimmte Chaos weltlichen Seins in Ordnung bringen sollen“.¹⁷² Einen politischen Heros in diesem Sinne wollen die Königssagas offenkundig nicht etablieren, Eindeutigkeit und Alternativlosigkeit bleiben Fiktion im Sinne einer Utopie, einer auf Erzählebene und oft genug auch in der Erzählstruktur nicht realisierten Ordnung.¹⁷³ Beratung und Planung sind erzählerisch frequent in Szene gesetzt, schaffen aber in den meisten Fällen gerade keine Eindeutigkeit, sondern führen Alternativen vor Augen, an deren kontingentem Status Ent Haug 1995b, S. 13; Haug sprach dabei auch für die Rezeption von einem „Bewußtseinsprozeß“ (ebd., S. 14). Worstbrock 1995, S. 36, stimmte Haug grundsätzlich zu, sah den erzählerischen Prozess des behandelten Tristan damit aber nur zum Teil erfasst: „Haug freilich knüpfte seine Betrachtung ohne Not an das vermeintliche Leitwort aventiure. Es bezeichnet nur einen kleineren Teil der Zufälle und keineswegs die bedeutenderen, im übrigen stets nur den partikulären Zufall, niemals das komplexe Gespinst, auf das alles anzukommen scheint“. Für Worstbrock, so verstehe ich es, reichte die Rolle des Zufalls in höfischer Literatur also noch weiter. Krause 2008, S. 33. Toens/Willems 2012, S. 12. Wefer 2004, S. 7. Vgl. van Nahl 2018b.
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scheidungen immer wieder scheitern oder zu scheitern drohen. Jene in der Forschung oft aufgerufene hamingja wird als Wegweiserin in politischen Dingen explizit angezweifelt: nú efaði hann um fyrir þá sǫk, hvárt þat myndi vera vitrligt ráð at treysta svá mjók hamingjuna (Hkr ii, 339), ‘aus diesem Grund zweifelte er nun, ob es klug sei, dem Glück so sehr zu vertrauen’ – Óláfr Haraldsson sieht sich in der Heimskringla zum Ende seines Lebens hin unfähig, eine Entscheidung zu treffen: er hann hafði þar á huginn, þá minntisk hann þess, at ina fyrstu tíu vetr konungdóms hans váru honum allir hlutir hagfelldir ok farsælligir, en síðan váru honum ǫll ráð sín þunghrœrð ok torsótt, en gagnstaðligar allar hamingjuraunirnir, ‘wenn er grübelte, dann erinnerte er sich daran, dass in den ersten zehn Wintern seiner Königsherrschaft alle Dinge günstig und vorteilhaft für ihn gelaufen waren, aber dass seine Beschlüsse danach nur noch schwierig umzusetzen waren und alle Erprobungen des Glücks ins Gegenteil umschlugen’.¹⁷⁴ Ein politischer Heros ist der spätere Nationalheilige Norwegens nicht, Eindeutigkeit bleibt auch in seiner Herrschaftszeit Utopie, die eigene Zukunft erscheint Óláfr geradezu dystopisch – eine deutliche Botschaft, mit der sich an Walter Haugs Überlegungen zum höfischen Roman anknüpfen ließe, wenn dieser die Zufallsanfälligkeit des Helden als Gratwanderung für den Rezipienten ansah: „Von der Ordnung als bloßer Utopie aus ist es aber auch nicht weit dahin, daß man an der Möglichkeit einer Ordnung überhaupt zu zweifeln beginnt, ja sie verwirft, und dann führt die Aventüre in den Untergang“.¹⁷⁵ Richard Heinzmann sprach, wie erwähnt, für das späte 13. und frühe 14. Jahrhundert gar vom „Zerrbild eines Willkürgottes“,¹⁷⁶ mit dem Ordnung ins Chaos verabschiedet würde. Ordnungsversuche scheitern in den zeitgleich entstandenen Königssagas wiederholt an einer kontingenten Umwelt, sei sie natürlich, sei sie sozial; diejenigen Herrschaftszeiträume, die historisch betrachtet offenbar weitgehend ungestört verliefen, werden erzählerisch marginalisiert, gar übersprungen, so etwa die zwanzig ruhigen Regierungsjahre von Hákon góði oder die ein Vierteljahrhundert umspannende Herrschaft von Óláfr kyrri. Es ist hier insofern nicht Königsherrschaft per se, die Kontingenz als Ordnungsmacht entgegengestellt werden könnte oder sollte. Über diese Einsicht erklärt sich auch, warum der bisherige Fokus der Forschung auf probzw. antiroyalen Interpretationen die Königssagas in ihrer Bedeutungsvielfalt nur unzureichend erfasst hat: Im Kern zeigen diese Erzählungen oft gar kein gesteigertes Interesse an solchem Königtum, es tritt zurück hinter dem größeren Entwurf, der vorausgehend als Humangeschichte bezeichnet wurde. Das in den Königssagas erzählte Geschehen zeigt, in Anlehnung an Haugs Formulierung, die Tendenz, in den Untergang zu führen (siehe unten).Verortet man ihre Entstehung in den offensichtlich als krisenhaft empfundenen Jahrzehnten der Sturlungaöld, ihre handschriftliche Überlieferung (und frühe Rezeption) in den Jahrzehnten nach Verlust der politischen
Vgl. Kap. 3.5.5.2. Haug 1995, S. 22. Heinzmann 2008, S. 247.
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Selbstständigkeit Islands um 1260, und denkt man im europäischen Kontext an den zum 14. Jahrhundert hin bedrohlich problematisch werdenden Status von historischer Kontingenz, dann kann eine solche Tendenz in der Erzählung nicht verwundern. Es kristallisiert sich vor diesen abschließenden Überlegungen aber heraus, dass auf die Kernfrage nach dem menschlichen Umgang mit Kontingenz in den Königssagas keine isolierte Antwort gefunden werden kann – kein „konsistente[r] Sinnentwurf“, wie ihn Jan-Dirk Müller Ende der 1990er Jahre auch für das zeitnah zu den Königssagas entstandene Nibelungenlied endgültig verabschieden wollte: Das Bedauern darüber, daß sich dem ‚Nibelungenlied‘ keine leitende Idee abgewinnen ließ, verstummte in dem Maße, in dem die Tragfähigkeit von dergleichen Ideen auch bei anderen Kunstwerken ins Gerede geriet […]. Ein Epos wie das ‚Nibelungenlied‘ hat solchen Versuchen von Anfang an gespottet […]. Nun bedeutet der Nachweis des Scheiterns sogenannter Gesamtinterpretationen noch nicht, daß überhaupt alle hermeneutischen Bemühungen um das Epos scheitern müssen.¹⁷⁷
Ging es Müller seinerzeit darum, „Heterogenes, Bruchstückhaftes, Dissonantes, selbst Widersprüchliches zusammenzuspannen“, so war sein Fazit, das Nibelungenlied präsentiere im Gesamtblick „nicht eine Lösung, sondern die Auflösung“,¹⁷⁸ nur konsequent. Für diese Auflösung, so Müller, seien nicht „irgendwelche düsteren Mächte“ zu bemühen, „an denen menschliches Wollen und Planen zuschanden würden“, vielmehr sei erzählanalytisch schlicht die „Gegenläufigkeit von Planen und Geschehen“ zu konstatieren: „Es entsteht ein Sog, der sich jeder Kontrolle entzieht und, unbeeinträchtigt von allen Ablenkungsversuchen, alles verschlingt“.¹⁷⁹ Aus solcher Dekonstruktion – „ohne Ergebnis, Appell, Botschaft“¹⁸⁰ – folgerte Müller schließlich eine regelrechte „De-Humanisierung“.¹⁸¹ Abgesehen von der altnordischen Heldendichtung wurde auch einigen Isländersagas in psychologischer Deutung (mit allen methodischen Problemen) eine solche Tendenz zum Untergang attestiert; so schloss Torfi Tulinius seine Lesung der Njáls saga – laut Alois Wolf jene Saga, die „die Erwartungen, die wir an ein großes Epos zu stellen pflegen“,¹⁸² in hohem Maße erfülle – mit den Worten: „The death drive is unstoppable, and its destructive forces always prevail at the end“.¹⁸³ Das ist ein Befund, der auch für die Königssagas zunächst Geltung beanspruchen kann; gerade die Heimskringla verliert sich in ihrer zersplitterten Ausführlichkeit zum Ende hin geradezu im Chaos, endet mit dem vagen Verweis auf eine großartige Zukunft von Magnús Erlingsson: hann mundi þá vera því meiri hermaðr en jarl sem hann var yngri (Hkr iii, 417), ‘er sollte dann ein noch größerer
Müller 1998, S. 435. Müller 1998, S. 435. Müller 1998, S. 448. Müller 1998, S. 455. Müller 1998, S. 447– 450. Wolf 2014, S. 64. Torfi Tulinius 2015, S. 113; vgl. jüngst ähnlich Torfi Tulinius 2021.
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Krieger werden als der Jarl [d.i. Erlingr, Vater von Magnús] in seinen jungen Jahren’ – der letzte Satz der Heimskringla. Doch nicht nur war im Entstehungszeitraum der Königssagas diese große Zukunft historisch betrachtet bereits drastisch widerlegt: Sverrir Sigurðarson beendete die Herrschaft von Magnús sehr bald nach dem Tod von dessen Vater (der damit hinter seinem Sohn keinesfalls zurückstand); hier stellt sich erneut die Frage nach dem Hintergrundwissen der Rezipienten jenseits der literarischen Ausarbeitung. Auch angesichts der vorausgehenden Erzählung um das Scheitern der vielen Vorgänger von Magnús kann dieser lapidare Schlusskommentar kaum als optimistischer Ausblick verstanden werden. Ähnlich unbefriedigend bleibt in dieser Hinsicht das Ende der Fagrskinna, das mit einem vagen Verweis auf politische Unruhen nach der Schlacht zwischen Magnús und den Birkibeinar schließt;¹⁸⁴ der finale Kommentar des Erzählers lautet: nú hverf ek þar í frá (Fsk 364), ‘nun breche ich ab’ – weil der Sieg von Magnús abermals nur ein temporärer Schlusspunkt war, die nächste Auseinandersetzung dessen Herrschaft bereits wieder in Frage gestellt hätte? War die gesamte Erzählung wiederholt durch mögliche Schlusspunkte geprägt, vorausgehend mit Gary Morson als „relative closure“ bezeichnet,¹⁸⁵ so gerät dieses Konzept am Textende von Heimskringla und Fagrskinna (die Morkinskinna ist unvollständig überliefert) in eigenartige Bedrängnis: Einerseits fügen sich die in den letzten Abschnitten erzählten Ereignisse nahtlos in vorausgehendes Geschehen, erscheinen sie als weiteres Beispiel des etablierten Musters; andererseits wird danach kein weiteres Ereignis mehr erzählt, sodass dieses closure nun eben absolut gesetzt ist. Wenn wir mit Marjorie Garber closure definieren als „a wrapping up, a completing of the circuit, a satisfaction (or relief) that puts the previous events, or text, or emotional experience, firmly if not always completely, comfortably in the past“,¹⁸⁶ dann bleibt nur zu konstatieren: Dieses Ende der Königssagas schließt keinen Kreis, fasst nichts zusammen, lässt den Rezipienten nicht befriedigt oder entlastet zurück. Der schlichte Abbruch der großen Erzählung in beiden Fassungen erscheint vielmehr als Resignation vor der steten Bewahrheitung der einzig gültigen Regel in diesen Sagas, nämlich, dass die nordische Herrschaftsgeschichte ultimativ unkontrollierbar war, ist und sein wird – bis zum dystopischen Untergang, in dem erst ihre Kontingenz singulär aufgehoben wäre. Und doch bleiben die Königssagas als intendierter Erzählakt bestehen, als Erzählprojekte, die man in Umfang und Anspruch schwerlich als bloßen Abgesang auf Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft fassen möchte, allein als „Bruch mit einer zeitgenössischen sozialen Erfahrung wie Bruch mit der Tradition“,¹⁸⁷ um noch einmal an Müller anzuknüpfen. Wo letzterer die Dekonstruktion der nibelungischen Welt konstatierte, da wurde für die Königssagas vorausgehend eine de-konstruktive Erzählweise zur Debatte gestellt. Es ginge dann, als Gegenpol zu einer unaufhaltsam in
Vgl. Kap. 3.5.9. Vgl. Kap. 4.3.1. Garber 2011, S. 271. Müller 1998, S. 454.
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den Untergang drängenden Kontingenz, aber auch nicht einfach um eine „Kontingenzeinhegung“, wie Uwe Walter sie zur Maxime geschichtswissenschaftlicher Deutung erklärte.¹⁸⁸ Es geht vielmehr, in Anlehnung an die einleitende Formulierung von Peter Sloterdijk, um eine „Ausmessung der Asymmetrien, die in ‚nach vorne offenen‘ Prozessen auftreten“,¹⁸⁹ auch und besonders in Bewusstseinsprozessen, wie sie sich in und durch Literatur entfalten. Mit solcher Ausmessung ist in der Rezeption der Königssagas eine Entscheidungskompetenz gefordert; und die Bewusstmachung der Möglichkeit zur Entscheidung ist deren wesentliches didaktisches Moment. Entscheidungsfreiheit stand im späten 13. Jahrhundert im Zentrum auch der kontinentalen Kontingenzdebatte und das damit einhergehende neue Verständnis des menschlichen Willens eröffnete nicht nur Chancen, sondern forderte umso stärker Verantwortung in Entscheidungen. Der Rezipient der Königssagas ist angesichts der ihm vorgehaltenen De-Konstruktion von Geschichte vergleichbar angehalten, neue Koordinaten in einer Welt des ‚Als ob‘ zu setzen, aktiv zu entscheiden und damit schließlich für sich selbst konstruktiv zur Entlastung vom Gefühl der Unbestimmtheit im wirklichen Leben beizutragen. Solche Entlastung erfordert als Ausgangspunkt also die Erzählung, deren Sinnvollmachung der wiederholten Entscheidung bedarf – und erfordert damit an erster Stelle den geistigen Urheber einer solchen Erzählung, der den Rezipienten zum Dialog herausfordert. Die These könnte dann lauten: Der Heros, der der Unbestimmtheit von Sinn und Sein entgegentritt, zeigt sich zuallererst im Willen zum Erzählen. Eine These, die bereits in Aischylos’ berühmter Prometheus-Dichtung und deren Rezeption geformt wird, wenn der Dichter in seinem Werk die Furcht vor dem Todestag reflektiert, der Legende folgend diese Reflexion aber wesentlich Reaktion auf seine Furcht vor dem eigenen Tod war – dass Aischylos schließlich starb, weil er seine geweissagte Todesart unter allen Umständen vermeiden wollte, das ist aussagekräftiges Rezeptionszeugnis.¹⁹⁰ Horaz dichtete später unter der Prämisse exegi monumentum aere perennius […] non omnis moriar multaque pars mei (Buch 3, 30), ‘errichtet habʼ ich ein Denkmal, dauerhafter als Erz […], nicht völlig werde ich sterbenʼ.¹⁹¹ In Snorri Sturlusons Preislied Háttatal (Strophe 96) von etwa 1220 finden wir den ähnlichen Gedanken: þat mun æ lifa | nema ǫld farisk | bragninga lof, | eða bili heimar,¹⁹² ʻewig wird überdauern, bis zum Ende der Zeit und Ende der Welt, der Lobpreis edler Männerʼ – und damit auch das Gedenken an jene, die diesen Lobpreis äußerten, an die Dichter selbst. Und für das 14. Jahrhundert ist in der Forschung u. a. Giovanni Boccaccios Decameron ähnlich verstanden worden: Das Erzählen im Erzählen und über das Erzählen sei therapeutische Entlastung vom Schrecken der Pest für Figuren, für
Walter 2017, S. 101. Sloterdijk 2014, S. 90 f.; vgl. Kap. 1.2.2. Angeblich starb Aischylos, dem der Tod durch ein (zusammen‐)stürzendes Haus prophezeit worden war, auf offenem Feld, wo der Panzer einer herabstürzenden Schildkröte ihn erschlug. Fink 2002, S. 212 f. Faulkes 2007, S. 38.
4.4 Kontingenz und Anthropologie
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Rezipienten, für Boccaccio selbst.¹⁹³ In solcher Perspektive rückt also der Erzählende, der Literaturschaffende in den Fokus, der auf dem Weg des Erzählens jenen Rezeptions- und Bewusstseinsprozess eröffnet – und das auch sich selbst gegenüber, wenn er sich in diesem willentlichen Akt des Erzählens als Entscheidungsträger, als Handelnder gegen die Unbestimmheit, gegen die Ohnmacht beweist. Kontingenz wird in Erzählung also in der Weise domestiziert, dass der Verfasser (auch als Erzähler) und der Rezipient sich dieser Kontingenz bewusst werden und diese Kontingenz sich im Bewusstwerden vom dekonstruktiven Gefühl der Unbestimmtheit hin zum konstruktiv verhandelbaren Konzept wandelt; in Anlehnung an Annette Gerok-Reiter: „Mit der markierten Einschreibung des Zufalls hat der Erzähler sich mehr als zuvor als Herr seiner Geschichte erwiesen.“¹⁹⁴ Die darin angelegte (dann auch politische) Botschaft könnte lauten: Wer Willen und Kompetenz zum Erzählen bewies, der war angesichts der eingangs diskutierten narrativen Dimension von Gesellschaft auch im wirklichen Leben in gesteigertem Maße zu einer ordnenden Leistung befähigt.¹⁹⁵ Eine Botschaft würde aber auch lauten, und darauf scheint nicht zuletzt das offene Ende von Heimskringla und Fagrskinna zu verweisen: Solche Domestizierung der Unbestimmtheit ist als Prozess nicht abschließbar,¹⁹⁶ der Weg ist nicht final deteminiert (außer, dystopisch, durch den Untergang), die Auseinandersetzung changiert zwischen den Extrempolen Handlungsmacht und Handlungsohnmacht, zwischen denen immer wieder konkrete Konstellationen verwirklicht werden, ohne dass eine Symmetrie zu erkennen wäre, die letzte Kontrolle erlauben würde. Hier könnte man noch einmal an Rainer Warnings Formel der „ständigen Alternanz von Entropie, Ordnungsvermutung und Rückfall in Entropie“ anknüpfen,¹⁹⁷ doch treffend formulierte zuvor bereits Alexander Demandt:
Vgl. Olson 1982, S. 205 – 231; vgl. jüngst Marafioti 2018. Gerok-Reiter 2010, S. 152. Vgl. von Moos 1988, S. 254: „Die Methode, aus Fiktionen aller Art, inbesondere aus fiktiven Konfliktsituationen denken und reden zu lernen, gehörte längst vor ihrer hochmittelalterlichen Blüte und Expansion (auch längst vor der Aristotelesrezeption der logica nova) zu den Grundpfeilern des mittelalterlichen Bildungswesens“. Auch hier ließe sich an Haugs Überlegung zur Rezeption des höfischen Romans anschließen: „Er verlangt, daß man den fiktionalen Weg durch die Welt der Aventüren als Erfahrungsweg nachvollzieht, damit man am Ende begreift, daß eine Ordnung nur dadurch lebendig sein kann, daß man sie immer wieder aus dem Chaos heraus neu schafft“ (Haug 1995, S. 14). Vager formulierte Ármann Jakobsson 2007, S. 129, zur Morkinskinna, deren Interesse am Geschichtenerzählen drücke aus, „dass die Kunst das gesamte menschliche Leben umfasst“. Vgl. Dunkel 1989, S. 250: „Die Erfahrung von Kontingenz [ist] nicht die Erfahrung von Sinnlosigkeit schlechthin, welche im menschlichen Handeln bewältigt werden muß.Vielmehr hält der Begriff der Kontingenz die Differenz der Vorläufigkeit der Bedeutung und des Sinnes von Ereignissen hinsichtlich ihrer Definitivität in einem durch menschliches Handeln nicht abschließbaren Ganzen der Wirklichkeit offen“. Warning 2001, S. 208.
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4 Die Entlastung vom Absoluten – Unbestimmtheit als Kompetenz
Wir konstruieren Geschichtsabläufe aufgrund von Gesetzmäßigkeiten, die wir der historischen Erfahrung zu entnehmen meinen, obschon uns diese doch immer wieder mit plötzlichen Wendungen überrascht. Dadurch wird der gleichmäßige Fortgang unterbrochen… Was zu erwarten wäre, wenn… können wir nicht genauer bestimmen als: was zu erwarten war, nachdem… Der Zufall, dessen Einfluß wir durch Alternativkonstruktionen einzugrenzen suchten, stellt sich selbst der Konstruktion von Alternativen in den Weg.¹⁹⁸
In und jenseits der Erzählung ist angesichts dieser fundamentalen Ambivalenz stets aufs Neue der Wille zu Entscheidung und damit Handlung gefordert. Das ist eine komplementäre These, die in den Königssagas auf Erzählebene anklingt, wenn Wille und Fähigkeit, die Unbestimmtheit der Zukunft auch in Sprache herauszufordern, wiederholt und in unterschiedlicher Weise thematisiert werden. Auf Óláfr Haraldsson, der im Zwiegespräch mit sich selbst von der Unbestimmtheit seines Werdegangs geradezu erdrückt wird, wurde verwiesen. Der labile Friede zwischen den Ko-Regenten Haraldr Sigurðarson und Magnús Óláfsson hat laut Heimskringla nicht deshalb keine Zukunft, weil die Könige per se unfähig wären, sondern weil latente Auseinandersetzungen durch das Gerede unverständiger Männer (umrœða óvitra manna) sprachlich manifestiert werden, bis keine Alternative außer dem radikalen Bruch mehr offensteht.¹⁹⁹ Hákon góði lässt sich vor der Schlacht, in der er sein Ende finden wird, eine Strophe dichten, auf die er positiv reagiert: hraustliga er þetta mælt ok nær skaplyndi mínu, ‘das ist tapfer gesprochen und ganz in meinem Sinne’.²⁰⁰ Haraldr wiederum, dem ebenfalls ein abrupter Tod auf dem Schlachtfeld bevorsteht,²⁰¹ dichtet gar selbst – bemerkenswerterweise über das Fehlen seiner (Aus‐)Rüstung –, verwirft seine erste Strophe aber sogleich als unangemessen: þetta er illa kveðit, ok mun verða at gera aðra vísu betri, ‘das war schlecht gedichtet, ich werde eine bessere Strophe machen müssen’. In dieser neuen Strophe wird der zuvor beklagte Mangel an Schutzausrüstung nun ebenfalls zur Heldenhaftigkeit gewendet. Es wurde als zweifacher Zufall herausgestellt, dass Haraldr dann von einem Pfeil in den Mund bzw. Hals getroffen wurde – seine Brünne hatte er aufgrund der warmen Sonne ohnehin zurückgelassen. Dieser übermotiviert tödliche Treffer regt zur Deutung an, erinnert er doch (ohne dass direkten Abhängigkeiten behauptet wären) an den berühmten Tod von Hektor im Kampf gegen Achilles, wie er im 22. Gesang der Ilias geschildert wird: Dem [d.i. Hektor] aber umschlossen sonst überall seine Haut die ehernen Waffen, […] Dort nur zeigte sie sich, wo das Schlüsselbein den Hals von den Schultern trennt, An der Kehle, wo die schnellste Vernichtung des Lebens ist. Da traf den gegen ihn Anstürmenden mit der Lanze der göttliche Achilleus, Und gerade hindurch fuhr durch den weichen Hals die Spitze.
Demandt 1986, S. 111. Vgl. Kap. 3.4.3. Vgl. Kap. 3.5.3. Vgl. Kap. 3.5.6.
4.4 Kontingenz und Anthropologie
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Und nicht schnitt die Luftröhre ab die Eschenlanze, die erzbeschwerte, Daß er noch etwas zu ihm sagen könnte, erwidernd mit Worten.²⁰²
Der Speer, der Hektor fatal am Hals traf, verletzte nicht die Luftröhre, der Verwundete konnte zum finalen Dialog antreten. Haraldr, der sich noch kurz vor der Schlacht auf seine Sprachkunst berief, der das Fehlen seiner Rüstung in der narrativen Reflexion auszugleichen bestrebt war, ihm bleibt diese Möglichkeit verwehrt; gleichsam metaphorisch ist mit dem Verlust der Sprache seine letzte Verteidigungslinie gefallen, sind die vielgerühmten Fähigkeiten des so genannten letzten Wikingers, des Kriegers und Dichters abrupt und dauerhaft erloschen. Man wird diese Szenen (unter anderen) nicht überbewerten wollen; ihre direkte Verbindung mit dem Tod einiger der bekanntesten Herrscher des mittelalterlichen Nordens ist gleichwohl bemerkenswert. Das Verhältnis von Sprache und Kontingenz bleibt auch hier asymmetrisch, Sprache kann Kontingenz domestizieren, sie erfassen und umfassen, aber nicht überwinden. Wie groß also konnte das Vertrauen in jene Gestalten sein, die willig (und fähig) waren, der Unbestimmtheit in einem de-konstruktiven Akt der Sprache entgegenzutreten? Ob es nun der Isländer Snorri Sturluson war, der in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts als geistiger Urheber hinter der Heimskringla stand, wird nie abschließend zu klären sein;²⁰³ über mögliche Verfasser von Fagrskinna und Morkinskinna ist sich die Forschung noch weniger einig. Das Gros der relevanten Handschriften datiert zudem kaum vor das späte 13. Jahrhundert. Wiederholt ist Snorri in der einen oder anderen Form aber als Meister eines „cultural capital in the form of artistic/literary/poetic skill“ bezeichnet worden;²⁰⁴ Hans Schottmann verstand Snorri in der Forschungsansprache als „Zeugen eines allgemeinen Erzählpotentials“²⁰⁵ und gab damit eine pragmatische Richtung vor. Literarische Fähigkeiten im Sinne auch politischer Kompetenz sind für Island und Norwegen im 13. und 14. Jahrhundert jedenfalls unumstritten. Es mag gleichwohl ein Zufall sein, dass der norwegische König Hákon Hákonarson, an dessen Hof Snorri zeitweilig in höchstem Ansehen stand, dem Isländer das Vertrauen kurz nach vermutlicher Fertigstellung einer Fassung der Heimskringla entzog; in einem Brief von 1233/34 übertrug der König den ursprünglich Snorri anvertrauten Auftrag, Island unter norwegische Herrschaft zu bringen, anderen hochrangigen Isländern.²⁰⁶ Birgit Sawyer vermutete dahinter latente politische Unstimmigkeiten, die in der Heimskringla schließlich verbindlich gemacht worden seien: „It is thus plausible that […] King Håkon Håkonarson recognized Snorri’s criticism against both him and his predecessors when he decided to eliminate this influential
Schadewaldt 1975, S. 374. Vgl. kritisch Louis-Jensen 1997. Wanner 2008, S. 51. Schottmann 1994, S. 540. Vgl. Strauch 2013, S. 279 f.
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4 Die Entlastung vom Absoluten – Unbestimmtheit als Kompetenz
critic of the royal regime“.²⁰⁷ Es ist in jedem Fall auffällig, dass das Interesse der Königssagas versionsübergreifend auf Problemfällen der nordischen Geschichte liegt – und dies trotz oder wegen der wiederholten Bemerkung gerade in der Heimskringla, keine unbezeugten Geschichten verbindlich machen zu wollen; eine Bemerkung, die ambige Aussagekraft hat hinsichtlich der damit suggerierten Unzahl an historischen Beispielen.²⁰⁸ Will man einen Zusammenhang zwischen Abschluss der Heimskringla – das unseres Wissens letzte literarische Werk, das eine systematische Gesamtdarstellung der nordischen Herrscher anstrebte – und der Erschlagung Snorris sehen, dann böte sich eine spekulative Erklärung: Die Zeichnung der norwegischen Königsgeschichte nicht als Erfolgsgeschichte kompetenter Herrscher, sondern als Wechselspiel mal glücklicher, mal unglücklicher Zufälle in einer weitgehend unkontrollierbaren sozialen und natürlichen Umwelt – eine solche Herrschaftsgeschichte konnte in der Sturlungaöld mit ihren innen- und außenpolitischen Auseinandersetzungen, aber auch in den ersten Jahrzehnten unter norwegischer Herrschaft kaum als bloße Unterhaltung abgetan werden.²⁰⁹ Schließlich galt Hákon, laut der ihm gewidmeten Hákonar saga Hákonarson (um 1265) als Kind selbst verfolgt und lange in seinen Ansprüchen angezweifelt, als Herrscher, dessen Legitimationsverständnis, aber auch politisches Selbstvertrauen von einem persönlichen Gottvertrauen geprägt war – aber von göttlicher Vollmacht und Weisung ist gerade in der Heimskringla überaus selten die Rede und wenn, dann erweist sich solche Lenkung von oben als unzuverlässiges Moment. Hákon, Initiator eines regelrechten Bildungsprogramms in Norwegen, darunter die Übersetzung kontinentaler Literatur ins Altnordische, darf als Mann gelten, dem eine Auseinandersetzung mit den Königssagas zuzutrauen gewesen wäre: Er war zur Mitte des 13. Jahrhunderts im Norden fraglos eine zentrale Gestalt in jener „Sekten- oder Club-Phantasie“,²¹⁰ die sich auch aus literarischer Kompetenz speiste. Snorri, wollen Sawyer 2015, S. 141. Sie fußte ihre These allerdings auf der Prämisse, das Kernthema der Heimskringla sei die Kontrastierung guter und schlechter Könige anhand christlicher Tugenden und Laster (vgl. Sawyer 2015, S. 144). Bereits Kreutzer 1994, S. 455, hielt prägnant, wenn auch vage fest: „Ein Schlüssel dazu, wie es zu diesem tragischen, wenn auch vielleicht vorhersehbaren Ende kommen konnte, liegt in Snorris historischen und literarischen Äußerungen“. Unseres Wissens entschied sich Snorri in den 1230er Jahren explizit für die Seite des norwegischen Magnaten Skúli Bárðarson († 1240), Onkel des amtierenden Königs Hákon Hákonarson; 1240 wurde Skúli auf Geheiß des Königs eliminiert, wodurch Snorris Stellung massiv geschwächt wurde. Zu Skúli heißt es in Strophe 9 der Hákonarkviða (ca. 1265): þat er skröklaust, | at Skúli var | frægðarmaðr | í frömu lífi, | þótt hvarbrigð | á hann sneri | aldar gipt | auðnu hvéli, ʻes ist keine Lüge, dass Skúli ein berühmter Mann war in seinem bemerkenswerten Leben, obwohl das wankelmütige Glück der Menschen das Schicksal auf ihn wälzteʼ (zitiert nach Gade 2009, S. 706). Guðrún Nordal 2017, S. 127 f., folgte Kari Ellen Gades Übersetzung der bemerkenswerten Formulierung hvarbrigð gipt alda sneri auðnu á hann mit „the fickle luck of mankind turned the wheel of fortune on him“, und folgerte: „Skúli appears, in Sturla’s verse, as a puppet caught in a greater design of things“. Auch die Hákonar saga Hákonarson spricht von einem ógiftuár, einem Unglücksjahr von Skúli (Hák ii, 116). Sloterdijk 2014, S. 10.
4.5 Zusammenfassung
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wir an ihm als illustres Beispiel festhalten, wäre es gewesen, dessen Wille zum Erzählen ein Fundament solcher Fantasie schuf, ähnlich, wie es zeitnah andere, uns unbekannte Literaturschaffende taten, sei es Utopie oder Dystopie; aber war er damit wirklich „sein eigener Herr“?²¹¹ In diesem ‚Als ob‘-Spiel tat Snorri nicht einfach an irgendeinem Punkt einen falschen Zug. Sondern er vergaß über all sein Wollen und Können selbst die Botschaft seiner Erzählung – und wurde Teil von ihr: Die Erschlagung des wohlhabenden, einflussreichen und kompetenten Machtmenschen und Dichters Snorri, befremdlich unerwartet und ungeschützt im Keller seines Gehöfts, sie könnte mühelos eine Episode der Heimskringla sein, der Umschlag von DeKonstruktion in Dekonstruktion hin zum Untergang. Spielen wir in einer kontingenten Welt doch nur gegen den Tod?
4.5 Zusammenfassung Die im abschließenden Teil dieser Studie vorgelegten Thesen verstanden sich als Symbiose der literaturanthropologischen und theoretisch-methodischen Auseinandersetzung in der ersten Hälfte dieser Arbeit mit den Strukturen, Details und auch Widersprüchen der Königssagas, wie die Neulesung sie wahrscheinlich gemacht hat. Wiederum musste in dieser Schlussbetrachtung eine Auswahl an relevanten Aspekten erfolgen, womit andere potenziell interessante Momente an den Rand rückten. Eine konzise Zusammenfassung der Ergebnisse dieser gleichermaßen detaillierten wie weitgreifenden Betrachtung stellt insofern noch einmal eine Herausforderung dar; manches Detail, mancher Zusammenhang, manche Schlussfolgerung wäre fraglos fruchtbar zu ergänzen. Es steht zu hoffen, dass künftige Forschung die vorliegende Arbeit über deren explizite Kernergebnisse hinaus ergiebig zu kontextualisieren weiß. Meines Erachtens wesentliche Erkenntnisse dieser Studie lassen sich in aller Kürze folgend erfassen: − Ab dem 12. Jahrhundert wurden dem menschlichem Erkenntnisvermögen neue Freiräume eröffnet, damit aber auch Herausforderungen angetragen. Angesichts einer zunehmend als manipulierbar verstandenen Weltordnung wurden Entscheidungsfindung und Handlungskompetenz zu einer ambivalenten Maxime auch des politischen Alltags: Dem gesteigerten Streben nach Kontrolle der sozialen und natürlichen Umwelt stand in der Folge die verstärkte Wahrnehmung unkontrollierbarer Umstände entgegen, die gar eine generelle Auflösung von Ordnung suggerieren konnten. Die in der geschichtswissenschaftlichen Forschung lange Zeit populäre These der ‚großen Männer‘ ist damit in Zweifel gezogen: Dem retrospektiven Versuch einer Ausrichtung von deren Handeln an später faktisch realisierten Zielen steht der grundsätzliche Einwand entgegen, dass diese Männer diese Entwicklungen oft gar nicht kennen konnten. Rückbli-
So das Schlusswort in Gerok-Reiter 2010, S. 153.
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ckend vermeintlich gradliniges Handeln musste in synchroner Perspektive vielmehr oft als Changieren zwischen Alternativen erscheinen, Entscheidungen waren beeinflusst durch zeitgenössische Umstände jenseits menschlicher Kontrolle. Die im 12. Jahrhundert einsetzende, sich im 13. Jahrhundert verschärfende und um 1300 dann durch die neue Bedeutung des menschlichen Willens wegweisend vorangeschrittene Kontingenzdebatte umspannt einen hinlänglich weiten Zeitraum, um einen Diskurstransfer in den Norden Europas anzunehmen. Vor diesem Hintergrund sind die Königssagas zunächst ein Versuch der Sinnvollmachung historischen Geschehens im Rückblick. Dies bei näherer Betrachtung jedoch nicht im Sinne eines Reports, der die teleologische Entfaltung einer vorgegebenen Ordnung zur Prämisse setzen würde. Vielmehr ist die Darstellung in Thema und Struktur der Erzählung geprägt durch die eindrucksvolle Herausstellung jener historischen Unbestimmtheit, die die kontinentale Welt in Theorie und Praxis zeitgleich umtrieb. Im Vergleich der drei betrachteten Kompilationen zeigte sich, dass hier von einem generellen Interpretationspotenzial gesprochen werden muss, dass die literarische Auseinandersetzung mit Unbestimmtheitsphänomenen also nicht an einzelne historische (Verfasser‐)Gestalten zu knüpfen ist. Diese Herausstellung von Unbestimmtheit ist nicht gleichbedeutend mit einer prinzipiellen Dekonstruktion von Geschichten und Geschichte hin zu Chaos und Untergang.Vielmehr handelt es sich um eine narrative De-Konstruktion, durch die Kontingenz zwar einerseits als irritierender Faktor im historischen System betont wird, durch die dieses System aber andererseits als potenziell beeinflussbare Struktur an Gestalt gewinnt. Solche De-Konstruktion nimmt dem erzählten Geschehen also zu einem nennenswerten Grad die Notwendigkeit und Finalität, stellt damit sinnvolles Erzählen aber gerade nicht grundsätzlich in Frage, sondern zeigt vielmehr einen Spielraum für Interpretationen und schließlich Handlungen auf. Die Königssagas sind insofern kein Abgesang auf nordische Herrschergeschichte oder gar menschliche Geschichte überhaupt, sondern sie zeigen bei aller Unbestimmtheit doch Möglichkeiten auf, die eine kontingente Zukunft bietet. Unbestimmtheit ist Potenzialität, der Zufall wird zur Chance. Diese Ambivalenz von Geschichte als Macht- und Ohnmachtsraum bildet den Kern der Königssagas als Humangeschichte. Gerade das bewusst offene Ende von Fagrskinna und Heimskringla (möglicherweise ursprünglich auch Morkinskinna) deutet an, dass in diesem Changieren kein Endpunkt gesetzt werden kann, dass sich die Unbestimmtheit von Geschichte und Geschichten fortsetzt. Während die Königssagas angesicht der Einsicht in eine kontingente Geschichte keine eigentliche Handlungsvorschrift für kluges Handeln bieten und keinen politischen Heros inszenieren, bleiben sie als gezielter Erzählakt bestehen, als eine willentliche Entscheidung, die narrative Kompetenz über den literarischen Raum hinaus etablieren konnte. Auch hier besteht keine Notwendigkeit eine bestimmte Gestalt herauszugreifen, doch will man den oft aufgerufenen Snorri Sturluson als Personifikation jenes allgemeinen Erzählpotenzials im 13. Jahrhundert verstehen, dann zeigt sich an seiner Gestalt – auch wenn man sie als (For-
4.5 Zusammenfassung
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schungs‐)Narrativ fassen möchte – beispielhaft die Grenze menschlichen Vermögens: Der Tod des Machtmenschen Snorri erscheint wie eine Episode aus seiner eigenen Erzählung, sein Tod ist die personifizierte Bestätigung der historischen Unbestimmtheit, die in den Königssagas, wohl in Erzählung und Leben überhaupt nie eigentlich domestiziert werden konnte und sollte.
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Index Achard von Sankt Victor 68 Aðalráðr (Æthelred) 170, 172 Aðalsteinn (Æthelstan) 154, 157 f. Adelard von Bath 92, 349 Agni Dagsson 231, 233, 272 Aischylos 107, 287, 298 Albert der Große 58, 69, 95 – 97, 349 Alfons X. (der Weise) 68 Alpharabius 106 Anders Sunesøn 71 Anselm von Canterbury 91, 128 Anselm von Havelberg 91 Anselm von Laon 128 Aristoteles 37, 43 – 46, 48, 59, 62 f., 68, 74, 77, 81, 83, 87 – 90, 92 – 98, 100, 103, 106 f., 114 – 116, 118, 131 – 143, 145 f., 156, 163, 258, 278, 284, 286, 288, 290, 299, 349 Ásbjǫrn Selsbani Sigurðarson 213, 215 Ásmundr Grankelsson 213, 215 Ástríðr Eiríksdóttir 155 Ástríðr Óláfsdóttir 188 Atti inn dœlski 186, 197, 214, 272 f. Averroes 45, 87, 93 Avicenna 93 f. Bernhard von Clairvaux 110 Bjǫrn digri 181 f., 184, 243 Boethius, Anicius Manlius Severinus Boethius von Dacien 73 f. Brandr Jónsson 115 Brúsi Sigurðarson 208 f. Chrétien de Troyes
88 – 92
28 f., 70, 130
Dagr Dyggvason 230 f., 272 Dagr Hringsson 245 Dominicus Gundisalvi 128, 135 Eaðmundr (Edmund von Ostanglien) 172 Eaðvarðr Aðalráðsson (Eduard der Bekenner) 247 Einarr þambarskelfir Eindriðason 177, 238, 244 Einarr Sigurðarson 207 – 209 Einarr Skúlason 201 Eiríkr Bjarnarson 237 https://doi.org/10.1515/9783110759280-008
Eiríkr Hákonarson 162, 165, 172, 174, 177 – 179, 238 Eiríkr blóðøx Haraldsson 105, 152 – 155, 158 – 160, 168, 205 – 207, 234, 252, 267 Emundr von Skara 105, 186 – 188, 214, 219, 263 Erlingr Hákonarson 165 Erlingr skakki Ormsson 224 – 228, 251 – 257, 264, 297 Erlingr Skjálgsson 241 f. Eyjólfr dáðaskáld 162 Eysteinn Eysteinsson 255 f. Eysteinn Magnússon 198 – 200, 203, 223 f., Eyvindr skáldaspillir Finnson 235, 247 Eyvindr úrarhorn 207 f. Eyvindr ǫlbogi 250 Finnr Árnason 244 – 247, 264 Fjǫlnir Yngifreysson 229 – 231, 233, 273, 294 Freyviðr daufi 187 Fróði Friðleifsson 229 Gamli Eiríksson 207 Gauti Tófasson 186 f., 214, 219 Geira Búrizláfsdóttir 163, 166, 237 Gerhard von Cremona 87, 128 Godfrey von Sankt Viktor 68 Grégóríús Dagsson 224 – 228, 251 – 253, 256, 264, 273 Guðleikr gerzki 180 f., 212 f. Guðrøðr ljómi Haraldsson 152 – 154, 158, 160, 172, 270 Gunnhildr Búrizláfsdóttir 237 Gunnsteinn 212 – 215, 269 Gyrgir (Georgios Maniakes) 193 f., 217 Hákon Eiríksson 35, 112, 174 – 176, 242 f. Hákon Hákonarsson 23, 30, 72 f., 256, 301 f., 352 Hákon góði Haraldsson 105, 152 – 160, 177, 189 f., 192, 195, 205 – 207, 234 – 236, 238, 247 f., 251 f., 254, 264, 267 f., 278, 295, 300 Hákon Magnússon 197 f., 221, 249, 273 Hákon herðibreiðr Sigurðarson 223 – 228, 251 – 254, 256, 270, 283
346
Index
Hákon hlaðajarl Sigurðarson 161 – 170, 172, 176, 180, 235, 237, 270, 281, 292 Hálfdan svarti Guðrøðarson 30, 152, 231 – 233, 253, 268, 273 Hálfdan Haraldsson 153 f., 158 Hallfrøðr vandræðaskáld Óttarson 279 Haraldr gráfeldr Eiríksson 104, 161 f. Haraldr blátǫnn Gormsson 161, 164 f., 170, 270, 292 Haraldr Guðinason 247 – 249 Haraldr hárfagri Hálfdanarson 25, 32, 152 – 155, 157, 159, 197, 229, 231, 233 f., 270 (Gull‐)Haraldr Knútsson 161 f., 190 Haraldr gilli Magnússon 201 – 205, 247 Haraldr harðráði Sigurðarson 156 f., 191 – 197, 201, 217 – 221, 224, 235, 241, 247 – 249, 252 f., 264, 269, 272 f., 292, 300 f. Hárekr Eyvindarson 241 Heinrich von Veldeke 157, 227 Hermannus Alemannus 45 Hjalti Skeggjason 182 – 184 Hreiðarr Grjótgarðsson 204 Hreiðarr inn heimski Þorgrímasson 218 Hringr Dagsson 175 f. Hrœrekr Dagsson 175 f., 183 – 185 Hugo von Sankt Viktor 91 Hǫrða-Knútr Knútsson 189 – 191, 239, 267 Ingi Haraldsson 203 – 205, 223 – 228, 251 – 253, 264, 270, 283, 292 f. Ingi Steinkelsson 222 Ingigerðr Óláfsdóttir 182, 184 f. Játvarðr Aðalráðsson 191 f. Johannes Duns Scotus 83, 100 f., 281, 349 Johannes von Salisbury 92, 94, 348 Jón Ǫgmundarson 68 Kálfr Árnason 242 – 245 Karkr 168 f. Karli 212 – 216, 269 Knútr inn ríki Sveinsson 104, 172, 178, 188 – 190, 211 f., 238 – 245 Magnús Erlingsson 233, 253, 255 – 257, 296 f. Magnús berfœttr Óláfsson 196 – 199, 221 – 223, 249 – 251, 266, 271 f., 292 f. Magnús góði Óláfsson 55, 104, 188 – 192, 216 – 219, 244, 263, 266 f., 292, 300
Magnús Sigurðarson Michael Scotus 87
201 – 206, 223, 249, 264
Níkolás karðínáli 223 Níkolás Sigurðarson 255 Níkolás Sveinsson 200 Nikulás Bergsson 71 Oddr Snorrason 163, 167, 266, 290 Óðinn 229 Óláfr Eiríksson 104 f., 169, 178, 180 f., 188, 207, 214, 237, 263, 282 Óláfr ógæfa Guðbrandsson 255 Óláfr helgi Haraldsson 54, 104, 156, 169 – 185, 188 f., 191 f., 194 – 196, 207 – 213, 216 – 218, 224, 238 – 246, 254, 262 – 264, 266 – 268, 271 f., 279, 282, 285, 292, 295, 300 Óláfr kyrri Haraldsson 196 f., 251, 295 Óláfr Magnússon 198 Óláfr Tryggvason 155 f., 160 – 164, 166 – 169, 177, 180, 195, 236 – 238, 240, 244, 266, 271, 279, 281 f., 285 f., 290 Óláfr Þórðarson 130 Ótta keisari (Otto II.) 163, 281 Óttarr birtingr 204 Otto von Freising 91 Peter Abelard 91, 110, 127, 349 Pétr von Hamar 68 Petrus von Dacien 73 Quintus Horatius Flaccus (Horaz)
54, 63, 298
Robert Grosseteste 95 Robert von Torigni 111 Rǫgnvaldr Úlfsson 181, 184 Saxo Grammaticus 58, 71 Siger von Brabant 73 f., 99 Sigríðr Tostadóttir 237 Sigtryggr Eysteinnsson 231 Sigurðr Eiríksson 155 f. Sigurður sýr Hálfdanarson 156, 175 Sigurðr hlaðajarl Hákonarson 159, 205 Sigurður Haraldsson 204 Sigurður Jórsalafari Magnússon 113 198 – 201, 203 f., 210, 223 f., 280 Sigurður slembir Magnússon 202 – 205 Sigurðr Sigurðarson 201 f., 264 Sigurðr Þorláksson 211
Index
Sigvatr skáld Þórðarson 175, 185, 190 Símun skalpr Hallkelsson 225 Skjálf Frostadóttir 231 Skopti Skagason (Tíðenda-Skopti) 162 Skopti Ǫgmundarson 198 f., 222 f., 249, 251, 271 Skúli Bárðarson 23, 302 Snorri Sturluson 12 – 18, 21 – 23, 33, 49, 51 – 53, 58 f., 61, 63 f., 66 f., 70 – 72, 75, 109, 114, 129 f., 151, 153, 160, 162, 169, 171, 175, 182, 198, 209 f., 214, 222, 229, 232, 256, 260 f., 274, 293, 298, 301 – 305, 352 Steinn Skaptason 211 f. Sveinn (Verwandter von Hrœrekr Dagsson) 184 Sveinn Hákonarson 177 – 180 Sveinn tjúguskegg Haraldsson 165, 169 f., 172, 237 f. Sveinn Knútsson 104, 188 f., 224, 244, 263 Sveinn Úlfsson 190 f., 219 – 221, 235, 241, 252 Sverrir Sigurðsson 26, 180, 256 f., 297 Sæmundr inn fróði Sigfússon 11, 61, 65, 68 Theodoricus Monachus 236, 243 Thomas von Aquin 58, 69, 73 f., 83, 89, 93, 95 – 100, 349 Thukydides 105, 107, 118 Tryggvi Óláfsson 155
Úlfr Þorgilsson
347
238
Valdamarr Knútsson 254 f. Viljálmr bastarðr Róðbjartsson (Wilhelm der Eroberer) 247 Wilhelm von Auvergne 95 – 97 Wilhelm von Conches 65, 91 f., 349 Wilhelm von Malmesbury 249 Wilhelm von Moerbeke 45, 96 Wilhelm von Ockham 83 Wolfram von Eschenbach 272 Þjóðólfr ór Hvini 152 f. Þórálfr Sigmundarson 211 Þorðr Þorláksson 211 Þorfinnr Sigurðarson 208 f. Þorgnýr Þorgnýsson 184 Þorkell Ámundason 208 f. Þorlákr Þórhallsson 68 Þórir klakka 167 f. Þórir Þórðarson 198, 221, 251 Þórir hundr Þórisson 212 – 216, 220, 224, 245, 269, 271 Þóroddr Snorrason 212 Ǫgmundr Skoptason 222, 251 Ǫnundr Óláfsson 211 f., 238 – 240, 243 Øystein Erlendson 70 f.
English Summary The first half of the thirteenth century in Iceland is construed by scholars as a time of sociopolitical crisis. This assumption is essentially built on the interpretation of Old Norse saga literature: prevailing themes in the Sagas of Icelanders, such as feud in the early history of Iceland, have been shown to even reflect conditions of later times, whereas the so-called Contemporary Sagas appear outright to be a depiction of unsettling events close to their time of composition in the late thirteenth century. The nature of this crisis has been subject to debate, however, as we are dealing with artistic reflections upon mental realities, rather than any bygone reality itself. The Icelandic crisis of the thirteenth century might thus be called an imaginary crisis, an unsettled state of mind, fed by desires and fears – the experience of a break in continuity in ways of life, stimulating the narrative construction of meaning. From this point of view, ambiguities in Old Norse sagas, in the sense both of unconscious and intended ambiguousness of narrative components, are a token of time-conditioned instability. Seemingly self-explaining concepts of crisis are turned into ambivalent constructs between reality and imagination. It is against this assumption from the field of literary anthropology that the present study focuses on the three grand compilations of Old Norse Kings’ sagas: Fagrskinna, Heimskringla, and Morkinskinna, all probably compiled in the first decades after 1200, but extant today only in manuscripts from the late thirteenth century onwards. Old Norse saga literature in general presumably started to develop at this time. The Kingsʼ sagas, however, are of special interest regarding the narrative handling of the feeling of being in a state of crisis: they depict historical development throughout the centuries, from a mythical era to the time of their writing, embrace an immense geographical space even beyond (modern) European borders, and they explicitly deal with human power struggles throughout history. Nevertheless, previous scholarship tended to interpret the Kings’ sagas primarily as historical sources, in the sense of the more or less accurate depiction of past events, whereas their literary qualities were often dismissed in the light of the allegedly more dramatic and sophisticated Sagas of Icelanders. Instead, this scholarship highlighted rational aspects of the Kingsʼ sagas, yet without scrutinizing systematically the basis, significance, and consequences of this specific trait. In contrast to this traditional position, the most important novelty of the present study is the shift of the theoretical foundation: whereas earlier interpretations of the Kings’ sagas have mostly argued for the outstanding competence of the saga characters (even linked to vague concepts of luck), the interest now lies in the framework conditions and thus the bounds of human action. For the first time in medieval Scandinavian Studies, the focus is on concepts of contingency (in the sense of a realm of non-necessitated possibilities), and chance (in the sense of actual occurrences within this contingent realm); the significance and compatibility of coincidence, ambiguity and ambivalence are part of this discussion. Significantly, at large, the three compihttps://doi.org/10.1515/9783110759280-009
English Summary
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lations demonstrate a similar interest in the matter, thus establishing contingency as a general approach to historical development beyond individual medieval authors. Focusing on relevant histories of mentality, including histories of modern research, both scholarly and everyday attitudes of the twelfth, thirteenth, and early fourteenth centuries form the background of this theory. Recent scholarship has started to challenge the traditional view of the Middle Ages being a monolithic time period characterized by the indisputable trust in divine providence. A growing number of scholars are now highlighting the increasing significance of rationalism and scepticism as of the twelfth century, and, as indicated above, the Kings’ sagas could feature prominently in such a discussion. To be sure, following this assumption, God was never called into question categorically. His creation, however, the world we are living and acting in, was more and more perceived as a largely transparent order of regular principles, which were intelligible to human cognitive capacity. At the same time, however, the boundaries of human cognition (and thus human control) became all the more obvious, throwing the contingent state of world order to the human mind into sharp relief. Interdisciplinary scholarship has shown how sweeping events and developments such as the crusades, the rediscovery of Aristotelian writings, the division of philosophy and theology, as well as the establishment of a new type of fictional literature had a powerful impact on this development. Following Aristotle, reason ought to be at the core of human understanding: people were prompted to ask for the causes behind the suchness of the world, and scepsis was more and more acknowledged as an auspicious way to gain deeper insight into formerly hidden principles of reality. Theologians at the time were increasingly challenged by this maxim, and as a result, in 1210, the teaching of Aristotelian writings was largely banned at the university of Paris, arguably the most important center of learning at the time, and a major destination for travellers even from Scandinavia. This dispute had started among eminent scholars in the twelfth century already, with Peter Abelard († 1142), Adelard of Bath († 1152), William of Conches († after 1154), and John of Salisbury († 1180) being famous names among others. The thirteenth century, however, witnessed the radicalization of this controversy, with outstanding scholars like Thomas Aquinas († 1274) and Albert the Great († 1280) grappling with the ever-growing severity of concepts of contingency. Whereas Aristotle himself had never called into question the existence of a single possible world, the development and eventually overcoming of his ideas as of the thirteenth century soon led to a more radical understanding: thinking contingency through to the end, the result was the distressing insight that the existence of the world had initially been nothing but a possibility for God. Not only historical events, following this new conviction, but creation itself became contingent. At the end of the thirteenth century, this heated debate culminated in the growing importance of free will, with John Duns Scotus († 1308) being a pioneer on the matter. Following him, the common experience that not everything happens out of obvious necessity, and that human reason thus can only be valid within strict boundaries led to the idea
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English Summary
of God’s will ultimately being contingent, too. Creation started to be perceived as the result of divine volition, and as a consequence, humans too were increasingly challenged to understand their actions within the world as responsible decisions of free will. As of the thirteenth century, contingency had become a severe challenge to scholars. However, this increase in significance can hardly be understood as the result of scholarly preoccupation only. Rather, we ought to take into account societal and political challenges at the time, too. Without a doubt, the conflict between a contingent future and attempts at keeping it under control has always been part of human life. The obvious discrepancy between human planning and actual happenings, however, arguably troubled people at different times to a different extent. Zooming in on the twelfth and thirteenth centuries, the crusades must be considered particularly important. Not only were they a formerly unknown task in terms of logistics, involving massive monetary losses as well as a high loss of human life; they also challenged a seemingly indisputable religious world order, and even made the Western world more aware of an unexpectedly powerful monotheism next to Christianity. The growing involvement of medieval Europe with the other, the unfamiliar and even threatening, also illustrated how social order is largely manmade. History was no longer reduced to a salvation-historical interpretation, which would explain world history as the result of unalterable divine principles; not least the disastrous Second Crusade around 1150 had caused this belief to totter. Rather, order in general was increasingly seen as being contingent, and history, to a large extent, was beginning to be turned into a contingent realm of possibilities, within which the significance of random events was highlighted. Contingency thus was increasingly understood as a problem even in the struggle for secular power, not least as it was not a new insight that failing to keep uncertainty under control could quickly entail its proliferation. In the light of the historical context outlined above, decision making and discretionary competence became ambivalent maxims in everyday politics. The increasing desire for controlling the social and, through scientific progress, even the natural world went hand in hand with the growing awareness of circumstances beyond human planning: be it unpredictable emotions in communication, the menacing fickleness of public opinion, the volatile weather, or natural disasters – the aspiration towards domination of social and natural surroundings could be thwarted in an instance. This assumption even casts doubt on the traditional approach of modern scholars to read medieval narrative sources on rulers in the sense of biographies of great men making history: the scholarly attempt at aligning their actions with subsequent developments can be misleading, as these men often could not possibly know the outcome of their doings. Thus seemingly straight-line correlations are turned into a retrospective construct. From a synchronic perspective, such action often rather appears as oscillating between different alternatives, whereas choices that turned out decisive in retrospect are often contingent on contemporary conditions beyond human control.
English Summary
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It is within this multifaceted context of unsettling events and developments that literature started to appear as a medium that allows one to reflect upon and think beyond the status quo. Earlier scholarship often understood medieval literature as being schematic, with strict patterns regulating and delimiting any narrative reflection, similar to the beforementioned attempt at explaining historical development as a straight line of progress. Recent scholarship, however, is increasingly acknowledging that medieval literature can be deliberately ambiguous, in the sense of the recipient being demanded to enter into a dialogue with the narrative (and thus even the milieu of its author) in order to make sense of it. From a narratological point of view, contingency then appears as a structural feature, signifying the ambiguous transition between different states in the narrative. This ambiguity can be produced by, for example, a surplus of equally legitimate explanations or a lack of explanation due to the application of chance on the story world. Narration thus does not bring about order by default, rather narrative logic is also a question of individual decisions on part of the recipients: it is their task to compare their expectations and thus individual interpretations with the actual development of the narrative, and to evaluate conformity and divergences. This new type of literature was no longer bound to traditional schemes, but allowed for and even asked for intersubjective solutions for the narrative exploration of alternative worlds, challenging predefined order. Scholarship has tied this development to sociopolitical, cultural, and scientific changes, which demanded finding new ways of dealing with historical uncertainty. As mentioned above, as of the twelfth century, the reintroduction of Aristotelian writings, as well as the crusades undoubtedly had a severe impact on this development in general terms. Focusing on literary development in particular, medieval France appears to have been an important place at the time when literary narratives gained in latitude in the outlined sense. More precisely, scholarship has pointed out the expansion of monarchy at the cost of the aristocracy around 1200: facing the loss of privileges and power, fictional literature became a way of the former elite to reflect upon and prevail against a menacing present. However, whereas the narrative exploration of a world ‘as ifʼ could serve as a sort of relief from reality, at the same time, again, it could also contribute to the increased awareness of the uncertainty of human life and history. Literature, in this sense, was not only a reaction to societal, political, scientific, and religious challenges, but could even have an impact on these spheres. Contingency thus became an ambivalent concept in between human power and powerlessness, and could even serve as a tool to appeal to different emotions in between anxiety and hope. From this point of view, narration is not simply an attempt at taming contingency, rather it can further amplify the awareness and thus significance of contingency beyond the literary medium. The impact of these continental developments on the Old Norse Kingsʼ sagas has rarely featured prominently in previous scholarship, but is now given attention from the point of view both of literary studies and the history of research. The long-standing debate surrounding contingency, beginning in the twelfth century, intensifying in
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English Summary
the thirteenth century, and culminating in the pioneering introduction of free will around 1300, embraces a time period long enough to presuppose the significance of relevant discourse even in the medieval North. Still, this study, to some extent, remains a venturesome experiment in addressing contingency, chance, and ambiguity in the Old Norse Kingsʼ sagas from different angles. Following the close reading of the three compilations of Kings’ sagas, they illustrate how contingency plays an important role both in society and the natural world: contingency appears as a narrative potential which strives for making sense of an often-improbable course of Nordic history. This meaningful narrative construct, however, is embraced by the obvious insight into the limitations of human interpretation. Thus, these sagas do not promote the idea of history unfolding itself as a simple chain of events governed by sheer necessity. Rather, they emphasize indeterminations of history on both the thematic and structural level of narration, and even cited sources (Skaldic poetry) are often not merged into a meaningful narrative unity but highlight contradictions, and display order as being contingent in general. Still, the Kings’ sagas are intended as narrative ventures, not as farewells to Nordic rulership or even human history. Thus, their emphasis on historical contingency does not entail deconstruction toward chaos and doom, but rather ought to be understood in the sense of a narrative de-construction: whereas contingency is highlighted as a disturbing factor in any historical construct, on the one hand, it exposes this construct as such, as a (at least partially) manmade and thus potentially manipulable structure. De-construction, in this sense, deprives the narrative of its logical necessity and straightforwardness, but does not question the meaningfulness of narration in general. Rather, it establishes a narrative space of possible actions. After all, uncertainty is potentiality that raises hope regarding the realization of human dreams – chance is turned into opportunities. From this point of view, the Kings’ sagas are intended to reveal the possibilities a contingent future can hold ready. In the face of this narrative de-construction of history, the recipient is urged to find new coordinates in a world of ‘as if’, coordinates that eventually contribute constructively to the relief from the burden of uncertainty even in real life. Following this interpretation, the Kings’ sagas do not provide a general guideline for prudent political behavior, and Heimskringla is certainly not intended as a handbook for kings, as some scholars have suggested. Rather, as a side note, it is interesting to muse about the apparent coincidence that the famous Norwegian king Hákon Hákonarson († 1263) withdrew his former confidence into the presumed creator of Heimskringla, the Icelandic chieftain Snorri Sturluson († 1241), shortly after the assumed completion of this compilation – some years later, Snorri was slain by the king’s henchmen, making him appear as a typical character in one of his own sagas, ultimately confirming the volatility of history. In any case, the (political) message of the Kings’ sagas could be: whoever was willing and competent to be a narrator was particularly qualified to establish order even in real life, the more so given the literariness and thus narrative dimension of society in medieval Iceland. However, another message would be: this domestication of uncertainty is a process that
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cannot be brought to a conclusion, and the path is not finally determined except by dystopic doom. This ambivalence of power and powerlessness that defines human life until death is argued to be the significant core of the Kings’ sagas. The open end of Fagrskinna and Heimskringla in particular (the text of Morkinskinna is defective) seems to suggest all the more that there is no convenient point of closure, but that the volatility of history will persist. As a whole, the present study introduces a new approach to medieval Icelandic mentalities from the point of view of cultural history, narratology, and literary anthropology. It is to be hoped that it will encourage similar research both on other saga genres and medieval literature in general.