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German Pages 244 Year 2013
Germanistische Arbeitshefte
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Herausgegeben von Thomas Gloning und Jörg Kilian
Alexander Ziem, Alexander Lasch
Konstruktionsgrammatik Konzepte und Grundlagen gebrauchsbasierter Ansätze
De Gruyter
Wissenschaftlicher Beirat zu diesem Band: Prof. Dr. Hans C. Boas (Austin/Texas, USA) Prof. Dr. Susanne Günthner (Münster) Prof. Dr. Martin Hilpert (Neuchâtel, Schweiz) Prof. Dr. Wolfgang Imo (Duisburg-Essen)
Für Andrea & Friederike
ISBN 978-3-11-027294-9 e-ISBN 978-3-11-029564-1 ISSN 0344-6697 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2013 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston Gesamtherstellung: Hubert & Co. GmbH & Co. KG, Göttingen ∞ Gedruckt auf säurefreiem Papier Printed in Germany www.degruyter.com
VORWORT Worin besteht die Natur einer Sprache? Wie lässt sich der Zusammenhang zwischen Sprachsystem und Sprachgebrauch fassen? Was sind die elementaren Einheiten einer Sprache? Wie verändert sich eine Sprache, wie entsteht sie? Und in welchem Verhältnis stehen Sprache und Kognition? Indem sich die Konstruktionsgrammatik ureigenen Fragen der Sprachwissenschaft widmet, hat sie sich insbesondere in den letzten Jahren rasant zu einer kognitiven Sprachtheorie mit großen Ambitionen entwickelt. Sie setzt sich nicht weniger zum Ziel, als eine allgemeine Theorie der Verarbeitung und Repräsentation von sprachlichem Wissen bereitzustellen, mit der sich die Strukturen einer Sprache in diachroner und synchroner Hinsicht erschöpfend beschreiben lassen (Goldberg 2003: 219; zur Reichweite des Konstruktionsbegriffs vgl. auch Croft & Cruse 2004: 254-256; Stefanowitsch 2011a: 185-188). Nach anfänglichen Bemühungen, sich vom dominanten generativgrammatischen Sprachmodell entschieden abzusetzen, begegnet sie inzwischen etablierten Ansätzen, seien sie funktionaler, formaler oder transformationsgrammatischer Provenienz, auf Augenhöhe. Obwohl die Entwicklung eines konstruktionsgrammatischen Ansatzes durch die Arbeiten von Fillmore (1988), Lakoff (1987), Langacker (1987) ihren Ursprung bereits in den späten 1980er Jahren hat, liegt bislang keine Überblicksdarstellung zur konstruktionsgrammatischen Forschung vor. Dieses Defizit hat uns dazu veranlasst, die vorliegende Monographie zu verfassen. Sie versucht, in knapper Form über Methoden, Anwendungsbereiche und Grundlagen der Konstruktionsgrammatik zu informieren und Impulse für weitere Studien zu geben. Das Buch dient einerseits dazu, diejenigen Studierenden und Forschenden der Sprachwissenschaft, die bislang kaum oder gar nicht mit der Konstruktionsgrammatik vertraut sind, in dieses neue Forschungsparadigma einzuweisen. Bislang fällt die Orientierung schwer, denn es stehen neben einer ungeheuren Vielzahl an Einzeluntersuchungen (die auch in der Bibliographie zu diesem Band dokumentiert ist) nur kurze und zwangsläufig unvollständige Überblicksdarstellungen zur Verfügung (so etwa Croft im Druck, Evans & Green 2006: 641-706). Andererseits bietet das Buch den schon informierten Leserinnen und Lesern die Möglichkeit, zentrale Konzepte, grundlegende Annahmen, methodische Zugänge sowie (durchaus divergente) Ansätze im Gesamtzusammenhang der konstruktionsgrammatischen Theoriebildung zu rezipieren und zu reflektieren. Wir haben insgesamt bewusst darauf verzichtet, allzu detaillierte EinzelphänomenAnalysen der Forschungsliteratur zu rekonstruieren und darzustellen; dies können die entsprechenden Studien selbst ungleich besser leisten. Stattdessen haben wir uns – freilich stets im Rückgriff auf illustrierende Beispiele – bemüht, ‚das große Ganze‘ in den Mittelpunkt der Darstellung zu rücken: theoretische Grundlagen und begriffliche Voraussetzungen, empirische Zugänge sowie konkurrierende Theorieansätze und dominierende Anwendungsbereiche. Zugleich sollen Übungsaufgaben sowie ein Begriffsglossar die selbständige Einarbeitung in die konstruktionsgrammatische Fachliteratur erleichtern.
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Warum Konstruktionsgrammatik? Die Konstruktionsgrammatik unterscheidet sich von anderen Ansätzen in der Grundannahme, dass sich eine Sprache vollständig als ein Netzwerk von konventionalisierten Form-Bedeutungspaaren – also von sprachlichen Zeichen – beschreiben lässt (Goldberg 2003: 219). Lexikalische und grammatische Einheiten unterscheiden sich also lediglich hinsichtlich ihrer Komplexität und ihres Abstraktionsgrades. Ein solches zeichenbasiertes Verständnis von Sprache erhöht die Attraktivität der Konstruktionsgrammatik für viele linguistische Domänen erheblich. Fehlte etwa der linguistischen Gesprächsforschung lange ein sprachtheoretischer Rahmen, in dem sie die konstitutiven Eigenschaften gesprochener Sprache einbetten kann, macht dies etwa die am Sprachgebrauch ausgerichtete Konstruktionsgrammatik möglich (Deppermann 2006, 2011a,b, 2012). Aus demselben Grund kann diese ebenso als Grundlage für angewandte Sprachforschungen, sei es in diachroner oder in synchroner Perspektive, fungieren. Zu den relevanten Bereichen zählen unter anderem: -
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(computergestützte) Repräsentation und Modellierung von Wissen (z.B. Bergen 2007, van Trijp 2011), Mehrsprachigkeits- und Sprachlernforschung, einschließlich didaktischer Aspekte (etwa Gries & Wulff 2005, Haberzettl 2007, Rostila 2012, Waara 2004), öffentlicher und domänenspezifischer Sprachgebrauch (z.B. Günthner 2008a, Hein & Bubenhofer im Druck, Imo 2008, Lasch im Druck b, Ziem & Scholz & Römer im Druck), Wissensvermittlung, -organisation und -repräsentation (etwa Handwerker 2008, Fillmore & Lee-Goldman & Rhomieux 2012, Sag 2012).
Die Anwendung konstruktionsgrammatischer Theoreme hat in diesen Bereichen gerade erst begonnen. Wie erste Studien zeigen, ist das Potential groß, und die bisherigen Ergebnisse sind erfolgversprechend. Das vorliegende Buch ist das Ergebnis eines langen Prozesses. Es entstammt zwar der Feder seiner Autoren, dies darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass unzählige Ideen und Überlegungen auf Aktivitäten zurückgehen, an denen eine Vielzahl von engagierten Linguistinnen und Linguisten teilgenommen haben. Neben Vorträgen, die im Rahmen des Düsseldorfer Sonderforschungsbereiches 991 zur „Struktur von Repräsentationen in Sprache, Kognition und Wissenschaft“ von einschlägigen WissenschaftlerInnen, darunter auch Adele Goldberg, gehalten wurden, haben uns insbesondere auch die fruchtbaren Diskussionen mit TeilnehmerInnen der Workshops und Tagungen inspiriert und motiviert, die in Verbindung mit dem Arbeitskreis „Konstruktionsgrammatik des Deutschen“ stattgefunden haben. Wir möchten auf diesem Weg noch einmal allen herzlich danken für die Mitgestaltung! Der Arbeitskreis umfasst inzwischen fast 100 Mitglieder und wir würden uns freuen, wenn das große Interesse bestehen bleibt, um so mit konstruktionsgrammatischem Rüstzeug weitere spannende Tiefen und Untiefen (des Gebrauchs) der deutschen Sprache zu erkunden. Besonders bedanken möchten wir uns bei den Reihenherausgebern der „Germanistischen Arbeitshefte“ Prof. Dr. Jörg Kilian (Kiel) und Prof. Dr. Thomas Gloning (Gießen) für
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die kritische und stets kooperative Begleitung bei der Entstehung des vorliegenden Bandes. Ein außerordentliches Dankeschön gilt weiter Prof. Dr. Hans C. Boas (Austin, Texas), Prof. Dr. Susanne Günthner (Münster), Prof. Dr. Wolfgang Imo (Duisburg-Essen) und Prof. Dr. Martin Hilpert (Neuchâtel), die zusammen den wissenschaftlichen Beirat zu diesem Band bilden. Ihre von uns sehr geschätzte fachliche Expertise sowie die kritische Lektüre früherer Fassungen der vorliegenden Monographie hat dazu beigetragen, die Qualität des vorliegenden Bandes – auch ‚auf den letzten Metern‘ – zu verbessern. Schließlich möchten wir uns herzlich bedanken bei Anastasia Neumann (Düsseldorf), Bernhard Ost (Düsseldorf), Charlotte Rein (Bonn) und Alexander auf der Straße (Düsseldorf), die wertvolle Anregungen zur Verbesserung gegeben haben sowie bei der Einrichtung und Schlussredaktion behilflich waren. Dessen ungeachtet bleiben freilich allein wir für den Inhalt und die verbleibenden Fehler verantwortlich. Wir wünschen viel Freude bei der Lektüre und freuen uns über jeden kritischen Kommentar von interessierten Leserinnen und Lesern!
Düsseldorf und Kiel im Winter 2012
Alexander Ziem
Alexander Lasch
INHALT EINLEITUNG 1 Konstruktionsgrammatik des Deutschen: Gegenstand und Aufbau des Buches ............... 1
TEIL I: KONSTRUKTIONEN ALS SPRACHWISSENSCHAFTLICHER GEGENSTAND 2 Auf dem Weg zu einem neuen Forschungsparadigma ..................................................... 7 2.1 Grammatik als kognitives und soziales Phänomen .................................................. 7 2.2 Was sind Konstruktionen? ....................................................................................... 9 2.2.1 Konstruktionen als nicht-kompositionelle sprachliche Einheiten ............11 2.2.2 Form- und Bedeutungsaspekte von Konstruktionen ................................13 2.2.3 Konstruktionen als kognitive Gestalten ...................................................16 2.3 Wozu Konstruktionen? ...........................................................................................17 2.3.1 Konstruktionen als einheitliches und allgemeines Format sprachlichen Wissens ...............................................18 2.3.2 Konstruktionen als Bedeutungsträger ......................................................20 2.3.3 Konstruktionen als psychologisch realistisches Format sprachlichen Wissens ..............................................26
TEIL II: KONSTRUKTIONSGRAMMATISCHE ANSÄTZE UND METHODISCHE ZUGÄNGE 3 Zur Entstehung und Entwicklung der Konstruktionsgrammatik ....................................31 4 Konstruktionsgrammatische Theoriebildungen I: kognitive, gebrauchsbasierte und typologische Aspekte ................................................38 4.1 Cognitive Construction Grammar (Lakoff und Goldberg): von „there“-Konstruktionen zu Argumentstruktur-Konstruktionen .......................39 4.2 Cognitive Grammar (Langacker): Grammatik als kognitives Phänomen ..............41 4.3 Radical Construction Grammar (Croft): die typologische Perspektive ..................................................................................44 5 Konstruktionsgrammatische Theoriebildungen II: formal ausgerichtete Ansätze ..........................................................................................48 5.1 Berkeley Construction Grammar (Fillmore und Kay): von Idiomen zur Grammatiktheorie ......................................................................50 5.2 Sign-Based Construction Grammar (Sag, Kay, Michaelis et al.): auf dem Weg zu einem integrativen Ansatz? .........................................................56 5.3 Embodied Construction Grammar (Bergen, Chang et al.): psycholinguistische und komputationelle Erweiterungen ......................................59 5.4 Fluid Construction Grammar (Steels et al.): Roboter in der Interaktion ......................................................................................61
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6 Methoden 6.1 Introspektiv-interpretative Verfahren ..................................................................... 67 6.2 Quantitative korpuslinguistische Methoden ........................................................... 68 6.3 Qualitative korpuslinguistische Methoden ............................................................. 71 6.4 Experimentelle Zugänge ........................................................................................ 73
TEIL III: THEORETISCHE GRUNDLAGEN UND PERSPEKTIVEN 7 Konstruktionsgrammatik als Teil der Kognitiven Linguistik: die fünf K-Prinzipien (dargestellt am Beispiel von idiomatischen Konstruktionen) ......................................... 77 8 Basiskonzepte ................................................................................................................. 90 8.1 Das Lexikon-Grammatik-Kontinuum .................................................................... 90 8.2 Konstruktionsnetzwerke: Vererbungshierarchien, Relationstypen und die Idee eines „Konstruktikons“ ...................................................................... 95 8.3 Das gebrauchsbasierte Modell: Frequenz, Produktivität und Prototypikalität ........................................................................ 102 9 Konstruktionen und Konstruktionsbedeutungen im Sprachgebrauch ........................... 110 9.1 Goldbergs Strukturschema zur Darstellung von Konstruktionen ......................... 112 9.2 Zur internen Struktur der Konstruktion: Differenzierungsmöglichkeiten im Anschluss an Croft?...................................... 116 9.3 Frames und Konstruktionen: die FrameNet-Perspektive...................................... 118 9.4 Analyseperspektiven im Anschluss an von Polenz: Prädikations- und Aussagerahmen als Dimensionen der Konstruktionsbedeutung? ......................... 122 9.5 Vorschlag für ein integriertes Modell .................................................................. 129 9.6 Zwischenfazit: Konstruktionsbedeutungen als Prädikationsrahmen und Aussagerahmentypen .................................................... 140
TEIL IV: ANWENDUNGSBEREICHE 10 Konstruktionsgrammatische Forschungen in der germanistischen Linguistik ............. 143 10.1 Konstruktionsgrammatik in der Syntaxforschung ................................................ 144 10.2 Sprachwandel und Konstruktionsgrammatik ....................................................... 150 10.3 Konstruktionsgrammatische Ansätze in der Phraseologie ................................... 152 10.4 Konstruktionen in der Interaktionalen Linguistik ................................................ 156 10.5 (Erst-)Spracherwerb konstruktionsgrammatisch .................................................. 162 11 Anwendungsbeispiel I: die lexikalisch-spezifische Konstruktion Leonard abgeholt .. 165 11.1 Kontext der Äußerung .......................................................................................... 165 11.2 Syntaktische Perspektive ...................................................................................... 167 11.3 Perspektive der Interaktionalen Linguistik und des Spracherwerbs ..................... 170 11.4 Ergebnisse ............................................................................................................ 171
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12 Anwendungsbeispiel II: das Geräusch-als-Bewegung-Verb rumpeln .......................... 173 12.1 Korpusbasierte Analyse von Konstruktionsbedeutungen: Sichtung der Korpusbelege .................................................................................. 174 12.2 Analyse der Bedeutung und Form der Konstruktion ........................................... 177 12.3 Formseitige Beschreibung und Präzisierung der Konstruktion ............................ 179 12.5 Diskussion problematischer Fälle ........................................................................ 181 12.5 Ergebnisse ............................................................................................................ 184
TEIL V: SCHLUSSBEMERKUNGEN, BEGRIFFSGLOSSAR UND LÖSUNGSHINWEISE 13 Fazit und Ausblick ........................................................................................................ 187 14 Begriffsglossar .............................................................................................................. 193 15 Lösungshinweise zu den Aufgaben .............................................................................. 204
TEIL VI: VERZEICHNISSE 16 Abkürzungs-, Abbildungs- und Verzeichnis tabellarischer Darstellungen ................... 209 16.1 Abkürzungen ........................................................................................................ 209 16.2 Abbildungen ......................................................................................................... 209 16.3 Tabellarische Darstellungen ................................................................................. 210 17 Literatur ........................................................................................................................ 212 17.1 Forschungsliteratur ............................................................................................... 212 17.2 Verweise ins Internet............................................................................................ 232
EINLEITUNG
1 Konstruktionsgrammatik des Deutschen: Gegenstand und Aufbau des Buches Die Konstruktionsgrammatik unterscheidet sich von anderen linguistischen Grammatikmodellen (wie der Transformationsgrammatik, der Valenzgrammatik, der Kategorial- und Montague-Grammatik)1 insbesondere durch das Ziel, ein umfassendes Modell sprachlicher Strukturen zu entwickeln, das nicht nur den Status einer allgemeinen Theorie der Repräsentation, des Erwerbs und Wandels sprachlichen Wissens hat, sondern darüber hinaus den Anspruch erhebt, psychologisch plausibel und kognitiv ‚real‘ zu sein. Anders als in transformationsgrammatischen Ansätzen geht die Konstruktionsgrammatik dabei von einer ‚monostratalen‘ und oberflächenorientierten Grammatik aus; das heißt insbesondere, dass keine sprachlichen Tiefenstrukturen und abstrakten, formal-universalen Einheiten oder (Transformations-)Regeln angesetzt werden zur Erklärung, wie eine Grammatik ‚funktioniert‘. Stattdessen gelten neben lexikalischen Elementen auch grammatische Strukturen als bedeutungstragende Einheiten. Solche so genannten Konstruktionen – konventionalisierte und nicht-kompositionelle Form-Bedeutungspaare verschiedenen Abstraktionsgrades – bilden den zentralen Untersuchungsgegenstand der Konstruktionsgrammatik. Konstruktionen gelten als die zentralen ‚Bausteine‘ eines Grammatikmodells, in dem Syntax und Semantik als Organisationsprinzipien gleichberechtigt nebeneinander stehen. Es wäre jedoch falsch, daraus den Schluss zu ziehen, dass sich der Gegenstandsbereich der Konstruktionsgrammatik auf nicht-kompositionelle sprachliche Einheiten beschränkt; vielmehr richtet sich das konstruktionsgrammatische Erkenntnisinteresse ebenso auf reguläre, voll transparente Ausdrücke einer Sprache (Michaelis 2012). Wo liegen die Wurzeln der Konstruktionsgrammatik? Für ein besseres Verständnis der Leitideen und Ziele der Konstruktionsgrammatik ist es hilfreich, den übergeordneten wissenschaftlichen Kontext zu kennen, in den sich die Konstruktionsgrammatik einordnet. Die Konstruktionsgrammatik versteht sich als Teil eines kognitionslinguistischen Forschungsprogramms, das sich in an der Westküste der Vereinigten Staaten seit Anfang der 1980er Jahre herausgebildet hat. Insbesondere durch die Arbeiten von William Croft, Gilles Fauconnier, Charles Fillmore, George Lakoff, Ronald W. Langacker und Leonhard Talmy ist dieses Programm inzwischen unter dem Label Kognitive Linguistik zu einem einflussreichen sprachwissenschaftlichen Forschungsparadigma –––––––— 1
Zur Einführung seien empfohlen: Philippi & Tewes 2010 zur generativen Transformationsgrammatik, Ágel 2000 und Welke 2011 zur Valenztheorie, Wood 1993 zur Kategorialgrammatik sowie Löbner 1976 zur Montague-Grammatik. Einen guten Überblick über Grammatiktheorien gibt Müller 2010.
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geworden. Einige der Hauptvertreter, zuvorderst Croft, Fillmore und Langacker, haben an der frühen Entwicklung konstruktionsgrammatischer Konzepte maßgeblich mitgewirkt. 2 Mit der Kognitiven Linguistik teilt die Konstruktionsgrammatik drei übergreifende Prämissen (vgl. auch Croft & Cruse 2004: 1): -
Sprache ist keine autonome kognitive Fähigkeit oder Instanz, sondern bleibt vielmehr auf allgemeine kognitive Fähigkeiten angewiesen;
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grammatische Strukturen sind Ergebnisse menschlicher Konzeptualisierungsprozesse;
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sprachliches Wissen ergibt sich aus dem Sprachgebrauch.
Darüber hinaus besteht eine leitende – und empirisch zu überprüfende – Annahme aller Spielarten der Konstruktionsgrammatik darin, dass eine Sprache wesentlich – manche meinen sogar vollständig3 – durch Konstruktionen beschrieben werden kann, die in bestimmter Weise miteinander verbunden sind und so ein strukturiertes grammatisches Inventar, das so genannte „Konstruktikon“ (Jurafsky 1992), einer Sprache bilden. Während sich die Konstruktionsgrammatik spätestens seit Mitte der 1990er Jahre mit Adele Goldbergs Monographie Constructions: A Construction Grammar Approach to Argument Structure als eine ernst zu nehmende Alternative zu generativ-grammatisch orientierten und formalen Grammatiktheorien etabliert hat, wurden einschlägige Arbeiten im deutschsprachigen Raum zunächst nur sehr zögerlich rezipiert. In den letzten fünf Jahren ist jedoch im deutschsprachigen Raum ein zunehmendes Interesse an der Konstruktionsgrammatik erkennbar, das in einer Vielzahl von Publikationen Ausdruck gefunden hat (vgl. Abschnitt 10). Warum Konstruktionsgrammatik? Neben der Konstruktionsgrammatik hat die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts eine Fülle von weiteren grammatiktheoretischen Beschreibungsansätzen hervorgebracht. Die Bandbreite reicht von valenzgrammatischen Modellen über weitere funktionale Ansätze (wie etwa die Systemisch-Funktionale Linguistik nach Halliday) bis zu Unifikationsgrammatiken und der Optimalitätstheorie (vgl. etwa den Überblick in Jungen & Lohnstein 2006: 91150 und Smirnova & Mortelsmans 2010). Die berechtigte Frage lautet also: Warum soll nun diese (unvollständige) Liste um einen weiteren Ansatz ergänzt werden, noch dazu um einen solchen, der in vielen Überblicksdarstellungen wie etwa der erwähnten von Jungen und Lohnstein keinen eigenen Eintrag erhalten hat? Bevor wir in Abschnitt 2.2 eine vorläu–––––––— 2
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Dies gilt mit Einschränkung auch für Lakoff. Seine wirkungsmächtige Monographie Women, Fire, and Dangerous Things: What Categories Reveal about the Mind (Lakoff 1987) wurde zwar vor allem für die linguistische Prototypentheorie sowie für die (später sich als eigenständiger Forschungszweig etablierende) kognitive Semantik zu einem zentralen Referenzwerk; die umfangreiche Untersuchung zu „there“-Konstruktionen ist allerdings eine reiche Inspirationsquelle für die Konstruktionsgrammatik, und einige Ideen, die später zu zentralen Charakteristika konstruktionsgrammatischer Ansätzen werden sollten, finden sich bereits hier ausformuliert. Vgl. Goldberg 2003: 219: „The totality of our knowledge of language is captured by a network of constructions: a ‚construct-i-con‘.“ Mit gleichem Tenor ebenso Goldberg 2006a: 18.
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fige Definition des Begriffs der „Konstruktion“ sowie einen Überblick über einschlägige konstruktionsgrammatische Ansätze in den Abschnitten 3 und 4 anbieten, soll auch auf diese Frage eingegangen werden. Die vorliegende Einführung versucht, dem wachsenden Interesse an einem kognitiven, gebrauchsorientierten Sprachmodell Rechnung zu tragen. Sie macht sich zur Aufgabe, einer breiten Fachöffentlichkeit wie auch fortgeschrittenen Studierenden in knapper Form einen Überblick über wichtige konstruktionsgrammatische Ansätze, Konzepte und Anwendungsbereiche anzubieten. Zusammenfassungen, weiterführende Literaturhinweise zur vertiefenden Lektüre sowie Definitionen und Arbeitsaufgaben sollen zum einen das Verständnis sichern, zum anderen hoffen wir, dass sie dazu anregen, aufgeworfene Frage- und Problemstellungen selbstständig zu vertiefen und produktiv weiterzudenken. Weiterhin ist es ein Anliegen dieser Einführung, bewusst Anschluss an einschlägige Forschungsansätze der germanistischen Linguistik zu suchen, mit dem Ziel, Perspektiven zu möglichen Weiterentwicklungen der Konstruktionsgrammatik aufzuzeigen. So greifen wir etwa zur Beschreibung von Konstruktionsbedeutungen auf Prädikatsklassen, Prädikations- und Aussagerahmen zurück, die Peter von Polenz (2008, Erstauflage: 1985) in seiner wegweisenden Studie zur Satzsemantik entworfen hat (Abschnitt 9). Dieser Rekurs ist als ein erster Versuch zu verstehen, ein bestehendes Desiderat der Konstruktionsgrammatik anzugehen: die Beschreibung und Analyse von Konstruktionsbedeutungen in Ergänzung zu framesemantischen Zugängen (vgl. Ziem 2008: 299f.; mit Blick auf Fillmores Kasusgrammatik und von Polenz’ Konzept des Bezugsrahmens vgl. Busse 2012: 36ff. und 522ff.). Was dieses Buch bietet – und was nicht Primäres Ziel des vorliegenden Bandes ist es, die Grundlagen und Konzepte gebrauchsbasierter Ansätze der Konstruktionsgrammatik vorzustellen und sie in ihrem Entstehungszusammenhang zu diskutieren. Statt in einzelne Ansätze detailliert einzuführen, haben wir uns darum bemüht, dem übergreifenden Anspruch der Konstruktionsgrammatik, mehr als eine Syntaxtheorie sein zu wollen, insofern Rechnung zu tragen, als verschiedene sprachliche Phänomen- und Anwendungsbereiche sowie allgemeine konzeptuelle Grundlagen zur Erforschung derselben zur Sprache kommen sollen. Ohne uns einem bestimmten konstruktionsgrammatischen Ansatz zu verpflichten, wird es demzufolge um verschiedene sprachliche Phänomene gehen, von Argumentstrukturen bis Phraseologismen, von PassivKonstruktionen bis Konstruktionsbedeutungen. Im Zentrum stehen gebrauchsbasierte Ansätze, die auf Formalisierungen verzichten, wozu Goldbergs Cognitive Construction Grammar, Langackers Cognitive Grammar sowie Crofts Radical Construction Grammar zählen. Zwar erläutern wir über diese hinaus auch die Grundlagen so genannter unifikationsbasierter Modelle, wie Fillmores und Kays Berkeley Construction Grammar (Abschnitt 5); eine detaillierte Darstellung derselben ist jedoch in diesem Band aus Platzgründen weder möglich noch inhaltlich angestrebt. Genauso wenig können wir das Verhältnis der Konstruktionsgrammatik zu anderen, teilweise benachbarten, teilweisen konkurrierenden Grammatiktheorien vertiefend behandeln (vgl. aber Lasch & Ziem im Druck: Teil 5). Insofern sich – forschungsgeschichtlich
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gesehen – die Konstruktionsgrammatik in kritischer Auseinandersetzung mit verschiedenen Versionen der generativen Transformationsgrammatik allmählich als ein eigenständiger Ansatz herausgebildet hat, werden aber die jeweils zugrunde liegenden Zeichenmodelle miteinander vergleichen (Abschnitt 8.1). Nur am Rande und unsystematisch thematisiert wird dagegen das Verhältnis zwischen valenztheoretischen und konstruktionsgrammatischen Ansätzen. Hier sei auf die anregenden Überlegungen von Welke (2011: 167-313) sowie das von Herbst und Stefanowitsch (2011) herausgegebene Sonderheft der „Zeitschrift für Anglistik Amerikanistik“ verwiesen. Es ist zu erwarten, dass sich die Verbindung valenztheoretischer Konzepte mit Goldbergs Cognitive Construction Grammar zu einem fruchtbaren Forschungsfeld der nächsten Jahre entwickeln wird. Was bietet dieser Band? Die vorliegende Einführung gliedert sich in fünf Teile und insgesamt dreizehn inhaltliche Kapitel. Hinzu kommt ein Begriffsglossar, das dazu dienen soll, einen schnellen Überblick über einschlägige Fachtermini zu bekommen, sowie Lösungshinweise zu den Aufgaben, die an zentralen Stellen einen vertieften Zugang zum Dargestellten ermöglichen sollen. In Teil I werden Konstruktionen als Gegenstand der sprachwissenschaftlichen Forschung ausgewiesen. Grundsätzlich gehen wir hier auf die konzeptionellen Grundlagen der Konstruktionsgrammatik als ein neues ‚Forschungsparadigma‘ ein. Im Mittelpunkt steht einerseits der Begriff der Konstruktion selbst (Abschnitt 2.2), andererseits werden wichtige Argumente für eine konstruktionsgrammatische Grammatik- und Sprachtheorie zusammengefasst (Abschnitt 2.3). In Teil II stellen wir zunächst in Grundzügen die Entwicklung der Konstruktionsgrammatik zu einem kognitionslinguistischen Ansatz vor, der sich (auch forschungsgeschichtlich) als ein ‚Gegenentwurf‘ zur generativen Transformationsgrammatik begreift (Abschnitt 3). Im Anschluss werden insgesamt sieben, teilweise konkurrierende, teilweise konvergierende konstruktionsgrammatische Theoriebildungen skizziert (Abschnitte 4 und 5). Abschnitt 6 gibt einen Überblick über gängige Methoden und empirische Verfahren, die in konstruktionsgrammatischen Studien Einsatz finden. Im verbleibenden Teil des Buches stehen Aspekte des gebrauchsbasiert-kognitiven Theoriemodells im Vordergrund. Teil III setzt sich mit dessen theoretischen Grundlagen auseinander. Die Konstruktionsgrammatik wird hier als eine ‚Strömung‘ der Kognitiven Linguistik verortet (Abschnitt 7), was anhand von fünf Prinzipien anschaulich gemacht wird. Als Basiskonzepte werden in Abschnitt 8 das Lexikon-Grammatik-Kontinuum, das „Konstruktikon“ – also die systematische Verbindung von Konstruktionen zu einer Netzwerkstruktur – sowie wesentliche Eigenschaften von Konstruktionen, darunter etwa Polysemie, Prototypikalität, (kognitive) Motiviertheit und „entrenchment“, behandelt. Einer notorischen Schwierigkeit widmet sich schließlich Abschnitt 9: der Untersuchung von Konstruktionsbedeutungen. Mit einer an semantischen Rollen orientierten Analyse von Konstruktionsbedeutungen möchten wir einen Vorschlag zur differenzierten semantischen Analyse in einschlägige Forschungsdiskussionen einbringen. In Teil IV stehen Anwendungsbereiche der gebrauchsbasiert und kognitiv ausgerichteten Konstruktionsgrammatik im Mittelpunkt der Darstellung. Darunter fassen wir zum
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einen Forschungsbereiche innerhalb der germanistischen Linguistik, die sich konstruktionsgrammatisch motivierten Fragen öffnen (Abschnitt 10), nämlich die Syntaxforschung, die Forschung zu Sprachwandel und Phraseologie, die Interaktionale Linguistik und die Spracherwerbsforschung. Zum anderen dienen zwei Analysen komplexer Beispiele dazu, das konstruktionsgrammatische Vorgehen exemplarisch zu illustrieren (Abschnitte 11 und 12). Teil IV beschließt diese Einführung. Im Fazit und Ausblick (Abschnitt 13) werden zunächst wichtige Ergebnisse zusammengefasst und mögliche Forschungsperspektiven aufgezeigt. Das anschließende Begriffsglossar (Abschnitt 14) umfasst die wichtigsten konstruktionsgrammatisch relevanten Fachtermini und erklärt diese kurz im jeweils einschlägigen Verwendungszusammenhang. Es soll einen schnellen Zugang zur Konstruktionsgrammatik ermöglichen und Leserinnen und Leser in die Lage versetzen, begriffliche Hürden schnell zu überwinden. In Abschnitt 15 stellen wir schließlich Lösungshinweise zu den Aufgaben bereit. Beiträge aus dem umfangreichen Oxford Handbook of Construction Grammar, das von Thomas Hoffmann und Graeme Trousdale herausgegeben wird, konnten hier nicht vollständig berücksichtigt werden, da das Handbuch zeitgleich mit bzw. nach der Drucklegung dieser Einführung erschien; zahlreiche Beiträge standen uns jedoch als pre-prints zur Verfügung und sind im Literaturverzeichnis ausgewiesen. Ferner lag uns der Band Diachronic Construction Grammar, der von Jóhanna Barðdal u.a. herausgegeben wird, bis zur Drucklegung des Manuskripts nicht vor.
TEIL 1: KONSTRUKTIONEN ALS SPRACHWISSENSCHAFTLICHER GEGENSTAND
2 Auf dem Weg zu einem neuen Forschungsparadigma Die folgenden Abschnitte führen in die Grundlagen, die Entstehung und Entwicklung der Konstruktionsgrammatik ein. Aufgezeigt wird zunächst, welches Verständnis von Grammatik konstruktionsgrammatischen Ansätzen zugrunde liegt (Abschnitt 2.1) und warum es relevant und notwendig ist, Konstruktionen als elementare Bestandteile einer (kognitiven) Grammatik anzusetzen (Abschnitt 2.2). Darüber hinaus wird der Begriff der Konstruktion als ein Terminus technicus eingeführt, der sich von der traditionellen Begriffsverwendung in vielerlei Hinsicht unterscheidet (Abschnitt 2.3). Abhängig vom jeweils vertretenen konstruktionsgrammatischen Ansatz sind aber auch innerhalb des Paradigmas Unterschiede hinsichtlich der Bestimmung des Konstruktionsbegriffes festzustellen; die einschlägigen definitorischen Ergänzungen und Konkretisierungen stehen dann im Mittelpunkt von Abschnitt 4. In gebotener Kürze werden hier die derzeit wichtigsten Strömungen und Ansätze der Konstruktionsgrammatik vorgestellt.
2.1 Grammatik als kognitives und soziales Phänomen Der Gegenstandsbereich der Konstruktionsgrammatik ist die Grammatik einer natürlichen Sprache. Was genau aber ist die Grammatik einer natürlichen Sprache, und was hat eine Theorie der Grammatik zu leisten? Diese Frage ist keineswegs trivial, denn die Strukturen einer Sprache lassen sich in vielerlei Hinsicht beschreiben, erklären, formalisieren und mit Grammatiken anderer natürlicher Sprachen vergleichen. Das Anliegen, die Grammatik einer Sprache umfassend zu beschreiben, ist dabei so alt wie die Beschäftigung mit Sprache selbst. Bereits die Vorsokratiker – und später Platon und Aristoteles – haben Überlegungen zur Sprachstruktur angestellt, wenn auch eher mit sprachtheoretischem als sprachdeskriptivem und -explikativem Interesse (Jungen & Lohnstein 2006). Insbesondere im Zuge der nicht zuletzt sprachwissenschaftlich inspirierten wissenschaftstheoretischen Strömung des Strukturalismus entwickelte sich Anfang des 20. Jahrhunderts allmählich die Idee eines grammatischen Systems, dessen strukturelle Eigenschaften sich synchron mithilfe von allgemeinen Prinzipien oder Regeln erschöpfend explizieren lassen. Inspiriert von dieser Leitvorstellung und der fundamentalen Skepsis an der Erklärungskraft der behavioristischen Psychologie, war es Ende der 1950er Jahre zunächst der amerikanische Linguist Noam Chomsky, der Sprache als ein abstraktes und in Teilen angebore-
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nes Kenntnissystem begriff.4 Diese ‚kognitive Wende‘ war die Geburtsstunde eines Verständnisses von Grammatik als ein spezifisch menschliches Wissenssystem, das SprachbenutzerInnen dazu befähigt, eine Sprache zu erlernen, zu verstehen und angemessen zu gebrauchen. Aus kognitiver Sicht ist unter Grammatik nicht ein Set an Regeln zu verstehen, die SprachbenutzerInnen einer Sprache einzuhalten haben, um eine Sprache ‚richtig‘ zu verwenden. Ebenso wenig ist Grammatik in dieser Perspektive gleichzusetzen mit den – nach Möglichkeit exhaustiv – zu beschreibenden sprachlichen Regeln, die zu einem Zeitpunkt gelten, aber stets dem Wandel unterworfen sind; diese erfassen Nachschlagewerke und deskriptive Grammatiken wie etwa die Duden-Grammatik. Kennzeichnend für ein kognitives Grammatik-Verständnis ist vielmehr ein beschreibender und erklärender Anspruch, wobei letzterer notwendigerweise eine Erläuterung der Bedingungen einschließt, die die kognitive Repräsentation, Verarbeitung sowie den Erwerb und Wandel von grammatischen Strukturen ermöglichen (Chomsky 1981b: 35-36). Dass sich auch die Konstruktionsgrammatik in diesem Sinne als eine kognitive Theorie versteht, darf aber nicht über einen fundamentalen Unterschied zu den verschiedenen Versionen der generativen Grammatik in der Prägung Chomskys hinwegtäuschen: Anders als diese begreift sie Sprache nicht nur als mentales Phänomen, sondern gleichermaßen als „fait social“, als ein primär soziales Faktum im Sinne de Saussures (vgl. etwa Bierbach 2010). Sie tritt also keine „Flucht in den Kopf“ (Feilke 1994: 19) an, sondern fasst sprachliche Strukturen vielmehr als emergente Strukturen, die aus dem Sprachgebrauch und der kommunikativen Praxis entstehen. Anders als in transformationsgrammatischen Ansätzen 5 gelten grammatische Konstruktionen (im technischen Sinne der Konstruktionsgrammatik) nicht als sprachliche ‚Epiphänomene‘ von syntaktischen Regeln; sie bilden vielmehr die zentralen ‚Bausteine‘ einer Grammatik (Lakoff 1987: 467). –––––––— 4
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Welche Eigenschaften einer Sprache in welcher Form genetisch prädeterminiert sind, darüber besteht auch innerhalb der generativ-grammatisch ausgerichteten Community keine Einigkeit (vgl. etwa den Überblick in Christiansen & Chater 2008: 490). Die Annahme einer „Universalgrammatik“ im Sinne Chomskys bleibt davon aber unbeschadet – und darauf kommt es im Folgenden an. Chomsky (1981b: 35) schreibt etwa zu dem generativ-transformationsgrammatischen Konzept, das seiner Monographie Regeln und Repräsentationen zugrunde liegt: „In dieser Diskussion habe ich mich auf die menschliche Sprache und die menschliche Kognition bezogen. Ich denke dabei an gewisse biologische Eigenschaften, die genetisch bestimmt und für die menschliche Spezies charakteristisch sind und die ich für die Zwecke dieser Diskussion als genetisch einheitlich betrachte; eine weitere Idealisierung. Diese Eigenschaften bestimmen die Arten der kognitiven Systeme, darunter die Sprache, die sich im menschlichen Geist entfalten können. Für den Fall der Sprache werde ich den Begriff der ‚Universalgrammatik‘ verwenden, mit dem ich auf diese Eigenschaften der biologischen Ausstattung Bezug nehme.“ Die generative Transformationsgrammatik ist genauso wenig eine homogene ‚Schule‘ oder Theorie wie die Konstruktionsgrammatik. Seit ihrer Entstehung (vgl. Chomsky 1965) hat sie sich erheblich gewandelt. Wenn im Folgenden von der (generativen) Transformationsgrammatik die Rede ist, beziehen wir uns primär auf die so genannte Rektions- und Bindungstheorie (Chomsky 1981a, Fanselow & Felix 1993). Die relevanten Unterschiede zu konstruktionsgrammatischen Ansätzen betreffen jedoch andere Versionen der Transformationsgrammatik wie das „minimalistische Programm“ gleichermaßen.
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Weiterhin besteht ein entscheidendes Charakteristikum der Konstruktionsgrammatik darin, dass ihr – im Gegensatz zu transformationsgrammatischen Ansätzen – ein Sprachkonzept zugrunde liegt, das nicht von einem angeborenen, teilweise genetisch fixierten ‚Sprachcode‘ ausgeht (Lakoff 1991, Taylor 2007). Stattdessen betrachtet sie Sprachfähigkeit als ein Phänomen, das auf allgemeine kognitive und soziale Fähigkeiten als notwendige und hinreichende Bedingungen für die menschliche Sprachkompetenz angewiesen ist. Dazu gehören etwa Kategorisierung, Schematisierung, Figur-Grund-Unterscheidung, Perspektivierung (vgl. den Überblick in Croft & Cruse 2004: 40-73), aber auch sozial-kognitive Fähigkeiten wie geteilte Intentionalität und die Etablierung eines gemeinsamen Aufmerksamkeitsfokus (Tomasello 2003).6 Um einem weit verbreiteten Vorurteil vorzubeugen: KonstruktionsgrammatikerInnen leugnen damit nicht, dass es angeborene menschliche Fähigkeiten gibt und dass diese auch relevant für die menschliche Sprachkompetenz sind bzw. sein können; in Frage gestellt wird lediglich die Annahme eines sprachspezifischen ‚Moduls‘ bzw. abstrakten ‚Kenntnissystems‘ (Schwarz 1996: 58f.), das zur genetischen Ausstattung des Menschen gehört. Diese Grundhaltung hat methodologische Konsequenzen. Zugespitzt formuliert: Die Konstruktionsgrammatik geht gerade nicht von idealen bzw. idealisierten, sondern von realen SprecherInnen und HörerInnen aus, die als soziale Wesen einer (heterogenen) Sprachgemeinschaft angehören und bei der Anwendung ihrer Sprachkenntnisse immer auch durch grammatisch relevante Bedingungen wie ein begrenztes Gedächtnis oder Verschiebungen der Aufmerksamkeit beschränkt sind (vgl. Langacker 1988, auch: Ziem 2008: 66).7 Kurzum, die Konstruktionsgrammatik ist eine empirische Wissenschaft, die menschliche Sprachen auf der Basis von Konstruktionen zu erfassen und zugleich in ihrer jeweiligen Komplexität ernst zu nehmen versucht.
2.2 Was sind Konstruktionen? Der kognitive Linguist George Lakoff vertritt die Ansicht, dass sich das theoretische und empirische Unterfangen der Kognitiven Linguistik durch zwei Maximen – er spricht von „commitments“ (Lakoff 1990) – auszeichnet: die Generalisierungsmaxime und die kognitive Maxime.8 Erstere besagt, dass es der Kognitiven Linguistik im Wesentlichen um die –––––––— 6
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Über „joint attention“ und „shared intentionality“ hinaus betont Tomasello (2010) weiterhin die Fähigkeit, kooperativ zu handeln. Chomskys Prämissen werden also ins Gegenteil verkehrt. Chomsky (1965: 3) schreibt programmatisch: „Linguistic theory is concerned primarily with an ideal speaker/listener, in a completely homogeneous speech-community, who knows his language perfectly and is unaffected by such grammatically irrelevant conditions as memory limitations, distractions, shifts of attention and interest, and errors (random or characteristic) in applying his knowledge of the language in actual performance.“ Mit dem Begriff „Kognitive Linguistik“ beziehen wir uns auf eine Reihe von verwandten kognitionslinguistischen Ansätzen, die wesentliche theoretische und methodologische Annahmen teilen,
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Erarbeitung und datenbasierte Ausweisung genereller kognitiver Prinzipien und Formate geht, die für ganz verschiedene Aspekte der menschlichen Sprache und auch außersprachlicher Kognition (wie visuelle, auditive Perzeption) Geltung beanspruchen; zu nennen wären etwa Kategorisierung, Vordergrund-Hintergrund-Unterscheidung, Fokussierung, Gruppierung usw. (vgl. Croft & Cruse 2004: 46-69). Ergänzend dazu verlangt die kognitive Maxime, dass diese generellen Prinzipien psychologisch plausibel sein müssen, sie also im Einklang mit dem Wissen stehen sollten, das wir insbesondere aus psychologischen Studien über den menschlichen Geist und aus neurowissenschaftlichen Studien über das menschliche Gehirn haben. Mit der Einführung eines Konstruktionsbegriffs, der lexikalische Einheiten ebenso einschließt wie syntaktisch komplexe Größen (wie Satzbaumuster) und zudem auf allen Komplexitätsstufen verschiedene Abstraktionsgrade von Konstruktionen zulässt, trägt die Konstruktionsgrammatik offenkundig dem Generalisierungsprinzip Rechnung. Der Anspruch besteht darin, mithilfe eines einzigen kognitiv-sprachlichen Formats – eben das der Konstruktion – das Inventar einer natürlichsprachlichen Grammatik umfassend zu erschließen. Lakoff schlägt in seiner frühen Studie zu „there“-Konstruktionen eine Definition von „Konstruktion“ vor, die zu den einschlägigsten gehören dürfte: Each construction will be a form-meaning pair (F,M), where F is a set of conditions on syntactic and phonological form and M is a set of conditions on meaning and use. (Lakoff 1987: 467)
Als Konstruktion dürfen hiernach Form-Bedeutungspaare gelten, insofern Form und Bedeutung in einem weiten Sinn verstanden werden, dergestalt, dass erstere nicht nur phonologische, sondern auch syntaktische Aspekte umfasst, und letztere nicht nur semantische Aspekte, sondern auch pragmatische Gebrauchsbedingungen einschließt. Konstruktionen sind demnach weder hinsichtlich ihrer Abstraktheit noch hinsichtlich ihrer Komplexität beschränkt. Über diese zunächst allgemeine linguistische Begriffsbestimmung hinaus hebt Lakoff zwei weitere Charakteristika von Konstruktionen hervor. Zum einen kennzeichnet er Konstruktionen als holistische Einheiten, „das heißt, dass die Bedeutung der ganzen Konstruktion motiviert ist durch die Bedeutungen der Teile, ohne jedoch von diesen gänzlich ableitbar zu sein“.9 Unter den Begriff der Konstruktion fallen folglich nur solche sprachlichen Zeichen (Form-Bedeutungspaare), deren Bedeutung sich kompositionell nicht aus ihren Teilbedeutungen erschließen lässt. Dazu zählen etwa, um nur einige Beispiele zu nennen, Phraseme (sich die Finger nach etwas lecken, sich die Lunge aus dem Hals rennen), Sprichwörter (Morgenstund hat Gold im Mund), aber auch so unterschiedliche Phä–––––––—
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insbesondere die, dass (1) Sprache kein mentales Modul ist, (2) Sprachwissen aus dem Sprachgebrauch entsteht und (3) grammatische Strukturen Ausdruck menschlicher Konzeptualisierungsleistungen sind (vgl. Croft & Cruse 2004: 1; Evans & Green 2006: 475-480). Das große „K“ zeigt die holistische Ausrichtung des Ansatzes an, der nicht von einem angeborenen sprachspezifischen Kenntnissystem ausgeht. Im Original: „We will argue that grammatical constructions in general are holistic, that is, that the meaning of the whole construction is motivated by the meaning of the parts, but is not computable from them.“ (Lakoff 1987: 465)
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nomene wie modale Infinitive (vgl. Stefanowitsch 2009) oder (scheinbar) verstehenssichernde Fragen wie verstehst du? (Deppermann & Elstermann 2008). Zum anderen geht Lakoff (1987: 463) davon aus, dass es sich bei Konstruktionsbedeutungen um kognitive, prototypisch organisierte Kategorien handelt, die sich mithilfe von kognitiven Modellen – insbesondere mit den von ihm entwickelten „idealisierten kognitiven Modellen“ („idealized cognitive models“, Lakoff 1987: 68-76) – explizieren lassen. 2.2.1 Konstruktionen als nicht-kompositionelle sprachliche Einheiten Im Anschluss an Lakoffs grundlegende Bestimmung hat Goldberg (1995), eine Schülerin von Lakoff, eine leicht modifizierte, im Kern aber sehr ähnliche Definition von „Konstruktionen“ vorgelegt, die rezeptionsgeschichtlich als die bislang einflussreichste gelten darf. Weil es sich dabei um eine Definition handelt, die Goldberg elf Jahre später in ihrer zweiten konstruktionsgrammatisch ausgerichteten Monographie Constructions at Work (2006) leicht abwandelt und ergänzt (vgl. Abschnitt 2.2.3, kritisch zusammenfassend auch: Stefanowitsch 2009: 567-570), kennzeichnen wir sie im Folgenden als Definition (1). Definition (1): Goldbergs semantische Definition von „Konstruktion“ According to Construction Grammar, a distinct construction is defined to exist if one or more of its properties are not strictly predictable from knowledge of other constructions existing in the grammar: C is a construction iffdef C is a form-meaning pair such that some aspect of Fi or some aspect of Si is not strictly predictable from C's component parts or from other previously established constructions. (Goldberg 1995: 4)
Definition (1) von „Konstruktion“ liegt ein genuin semantisches Kriterium zugrunde. Die von Lakoff thematisierte kognitive Dimension von Konstruktionen spielt zunächst keine prominente Rolle, wenngleich Goldberg – ähnlich wie Lakoff – betont, dass Konstruktionen als konstitutive Bestandteile des Sprachwissens keinen anderen Status aufweisen als anderes Wissen auch, weshalb auch Konstruktionen „prototypisch strukturiert sind und ein Netzwerk von Assoziationen bilden“ (Goldberg 1995: 5; eigene Übersetzung). Sprachliche Einheiten gelten nach Goldberg dann und nur dann als Konstruktionen, wenn ein Aspekt ihrer Form- oder Inhaltsseite nicht kompositionell ermittelbar oder von bereits etablierten Konstruktionen (etwa durch Analogieschluss) ableitbar ist. Ein solcher Begriff von „Konstruktion“ umfasst sprachliche Einheiten unterschiedlichen Abstraktionsgrades (vgl. Tabelle 1 in Abschnitt 2.3.1). Sie umschließt einerseits Morpheme, so etwa Derivationsmorpheme wie -er (Spieler), -lich (gefährlich), Flexionsmorpheme wie -es (gefährliches), und Simplizia wie Kind, und, schlecht. Diese weisen unvorhersagbare Eigenschaften auf, insofern ihre Form- und Inhaltsseite konventionell miteinander verbunden sind, ohne sich von Form- und Inhaltsseiten anderer Konstruktionen ableiten zu lassen.10 –––––––— 10
Da dies nicht für Phoneme (und deren Merkmale), also für sprachliche Einheiten nichtsymbolischer Art gilt, haben Phoneme nicht den Status von Konstruktionen. Dessen ungeachtet spricht jedoch Taylor (2004) gleichwohl von „syllable constructions“.
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Zugleich bleibt festzuhalten, dass es in der Literatur durchaus umstritten ist, ob (Derivations- und Flexions-)Morphemen der Status von Konstruktionen zukommt.11 Während Goldberg (2006a: 5) über morphologische Konstruktionen wie [VERBSTAMM + -end], [ent- + VERB]) hinaus ausdrücklich auch Morpheme als Konstruktionen klassifiziert, argumentiert Booij: The category ‘morpheme’ should not appear on this list because morphemes are not linguistic signs, i.e. independent pairings of form and meaning. The minimal linguistic sign is the word, and the occurrence of the category ‘morpheme’ in this list is to be seen as an infelicitous remnant of morpheme-based morphology. Instead, bound morphems form part of morphological schemas, and their meaning contribution is only accessible through the meaning of the morphological construction of which they form a part. (Booij 2010: 15)
Unumstritten ist dagegen, dass es sich bei komplexen sprachlichen Ausdrücken dann um Konstruktionen handelt, wenn sich deren Form- und/oder Bedeutungsaspekte nicht von ihren Bestandteilen oder anderen, etablierten Konstruktionen herleiten lassen. Dies trifft offenkundig nicht nur auf bestimmte komplexe Wörter wie das Kompositum Weberknecht zu, da sich die Bedeutung solcher idiomatischer Wörter nicht durch die Bedeutung seiner Glieder und die Art und Weise ihrer Zusammensetzung angeben lässt. Das Kriterium der Unvorhersagbarkeit kann darüber hinaus ebenso Geltung beanspruchen für ganze idiomatische Wendungen wie jemandem auf die Finger schauen, deren Bedeutung sich zwar teilweise, aber eben nicht vollständig aus den Bedeutungen ihrer Teile angeben lässt (vgl. Staffeldt & Ziem 2008, Ziem & Staffeldt 2011). Durch das Kriterium der Unableitbarkeit (Lakoff 1987: 465) bzw. Unvorhersagbarkeit (Goldberg 1995: 4) von Eigenschaften der Form- oder Inhaltsseite wird deutlich, dass der Konstruktionsbegriff nicht einfach mit dem klassischen, de Saussure’schen Zeichenbegriff gleichgesetzt werden kann. Anders als der Konstruktionsbegriff ist dieser anwendbar auf alle bedeutungstragenden Einheiten, von Morphemen über Syntagmen bis hin zu ganzen Sätzen und Texten (vgl. aber Schneider im Druck). Konstruktionen und Zeichen (im de Saussure’schen Sinn) teilen jedoch die wesentliche Eigenschaft, dass ihre Form- und Inhaltsseite eine konventionelle Einheit bilden. Interessanterweise erwähnt Goldberg selbst das Kriterium der Konventionalität bei der Bestimmung von Konstruktionen zunächst nicht; in ihrer späteren, erweiterten Definition spricht sie allerdings explizit von Konstruktionen als konventionalisierten Form-Funktionspaaren (Goldberg 2006a: 3). In einschlägigen Standarddefinitionen und Erläuterungen ist der Aspekt der Konventionalität ebenfalls meist enthalten (vgl. etwa Croft & Cruse 2004: 258-259, Fischer & Stefanowitsch 2007: 6, Evans & Green 2006: 671). Dem ersten Anschein nach handelt es sich dabei um eine Erweiterung von Definition (1). Dem ist aber bei genauerer Betrachtung nicht so. Goldbergs definitorische Setzung, dass sich kein Aspekt der Form- oder Inhaltsseite aus Teilen derselben oder anderen FormInhaltspaaren vorhersagen lassen darf, impliziert nämlich, dass die Beziehung zwischen –––––––— 11
Wir danken Martin Hilpert für diesen Hinweis.
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Form und Inhalt zumindest teilweise arbiträr sein muss und dass beide Seiten mithin allein per Konvention zusammengehalten werden können. 2.2.2 Form- und Bedeutungsaspekte von Konstruktionen Wie bereits angedeutet, gehen Goldberg und Lakoff von einem weiten Begriff von Form und Inhalt aus. Werden der Formseite nicht nur syntaktische, sondern auch morphologische und phonologische Eigenschaften zugeschrieben, umschließt die Bedeutungsseite auch pragmatische Aspekte, d.h. Parameter, die die Verwendungsbedingungen eines Ausdrucks festlegen und fest mit einer sprachlichen Form assoziiert sind. Ein illustratives Beispiel dafür ist die von Kay und Fillmore (1999) untersuchte „what’s-X-doing-Y“-Konstruktion. Kay und Fillmore zeigen, dass diese idiomatische Konstruktion nicht nur idiosynkratische grammatische Eigenschaften aufweist, sondern ihre Bedeutungsseite auch pragmatische Informationen umfasst. So ist Beispiel (1) offenkundig keine Frage, die darauf abzielt, eine Wissenslücke zu schließen; vielmehr bringt sie die Unangemessenheit („incongruity“, Kay & Fillmore 1999) der vorherrschenden Situation zum Ausdruck. 12
(1) What’s the fly doing in my soup?
Dabei handelt es sich um eine pragmatische Information, die als elementarer Teil der konventionellen Konstruktionsbedeutung anzusehen ist. Diese motiviert nicht nur den Gebrauch der Konstruktion; sie legt auch die Bedingungen fest, die für eine situativ angemessene Verwendung erfüllt sein müssen. Noch einen Schritt weiter geht Croft (2001: 18), wenn er neben konventionellen pragmatischen und semantischen Informationen zusätzlich diskursfunktionale Aspekte als potentielle Bestandteile der Inhaltsseite von Konstruktionen nennt. Croft geht auf diese zwar nicht im Detail ein, als Beispiel führt er aber inhaltlich-semantische Fokussierungen an, die etwa mit der Informationsstruktur von Spaltsatz-Konstruktionen einhergehen. (2) Es war der kleine Junge, der die Vase umgeschmissen hat.
So ist es in (2) die komplexe syntaktische Form des Spaltsatzes, die konventionell mit der diskursfunktionalen Hervorhebung des syntaktischen Subjektes des Nebensatzes gepaart ist. Diese Eigenschaft lässt sich aus lexikalischen Bestandteilen der Konstruktion nicht vorhersagen. Trotz der Erweiterung bedeutungsseitig relevanter Einheiten fällt auf, dass auch Croft den traditionellen Geltungsbereich der Syntax nicht überschreitet: die Satzgrenze. Dies ist deswegen erstaunlich, weil nicht-kompositionelle Konstruktionsbedeutungen durchaus auch –––––––— 12
Hier wird bewusst auf eine Übersetzung ins Deutsche verzichtet. Zwar lässt sich das Beispiel Herr Ober, was macht die Fliege in meiner Suppe analog analysieren, aber nicht alle Eigenschaften der im Englischen und Amerikanischen etablierten Konstruktion lassen sich uneingeschränkt auf das deutsche Pendant übertragen. Ferner ist anzumerken, dass Fillmore und Kay nicht hinreichend deutlich machen, wie Illokutionswissen in Konstruktionen repräsentiert wird.
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abstrakterer Natur sein können. So gehört zum verstehensrelevanten sprachlichen Wissen der SprachbenutzerInnen zweifelsohne Textsorten-Wissen. Ein ganzer Text könnte beispielsweise als eine komplexe Konstruktion verstanden werden, deren Formseite (etwa Textstruktur und -aufbau) ein inhaltsseitiges Korrelat in der kommunikativ-pragmatischen Textfunktion bzw. -illokution findet. Zu spekulieren wäre, ob Textsortenwissen nicht auch in Gestalt einer Konstruktion auftreten kann. Östman (2005) hat in diesem Sinne argumentiert, grundsätzlich den Konstruktionsbegriff zu erweitern, um ihn über die Konstruktionsgrammatik hinaus für einen „Konstruktionsdiskurs“ („construction discourse“) zu öffnen. Ähnlich argumentieren aus interaktionslinguistischer Perspektive Günthner (2006b) und Imo (2010b); sie schlagen eine Erweiterung des Konstruktionsbegriffes vor, um systematische Interaktionen zwischen syntaktisch-lexikalischen Mustern und kommunikativen Gattungen Rechnung zu tragen. Konstruktion syntaktische Eigenschaften morphologische Eigenschaften phonologische Eigenschaften
(konventionelle) Form symbolische Verbindung
semantische Eigenschaften pragmatische Eigenschaften diskurs-funktionale Eigenschaften
(konventionelle) Bedeutung
Abbildung 1: Konstruktionen als Form-Bedeutungspaare in Anlehnung an Croft (2001: 18).
Festzuhalten bleibt: Wie Abbildung 1 veranschaulicht, hat eine Konstruktion stets die Gestalt eines komplexen Form-Bedeutungspaares, das form- und inhaltsbezogene Informationseinheiten bündelt und konventionell miteinander verbindet. Die Form- und Bedeutungsseiten bilden mithin eine symbolische Einheit (Croft 2001: 18). Über Goldbergs Definition (1) hinausgehend ist Croft in der Feststellung beizupflichten, dass ebenso die Bedeutung, die mit der Formseite assoziiert ist, den Status einer Konvention haben muss. Wäre dies nicht der Fall, so könnten idiosynkratische, d.h. kontextuell und/oder situativ bedingte Aspekte der Äußerungsbedeutung in eine Konstruktionsbedeutung eingehen. Offenkundig ist dies aber schon deswegen nicht wünschenswert, weil so das Prinzip der NichtKompositionalität ausgehebelt würde; (fast) alle sprachlichen Einheiten wären dann in dem Maße semantisch nicht-kompositionell, wie sich mögliche Aspekte ihrer Äußerungsbedeutung nicht aus den Bedeutungen ihrer Teile und der Art ihrer Zusammensetzung ableiten ließen (vgl. hierzu auch Abschnitt 2.3.1). Goldberg erwähnt zwar weder die symbolische Verbindung von Form und Inhalt noch die Konventionalität der Inhaltsseite, beide Bestimmungen sind in Definition (1) aber gleichwohl implizit enthalten. Im weiteren Verlauf soll
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neben der Eigenschaft der Nicht-Kompositionalität auch Konventionalität als zentrales Charakteristikum von Konstruktionen gelten. 13 Die in Anlehnung an Croft (2001: 18) entstandene Abbildung 1 erinnert stark an den klassischen Zeichenbegriff de Saussures (vgl. hierzu auch Taylor 2002: 38-44). Auch hier wird das sprachliche Zeichen als ein konventioneller Verbund von Form- und Inhaltsseite konzeptualisiert. Vier Unterschiede bleiben jedoch festzuhalten; sie machen deutlich, dass der Begriff der Konstruktion ein eigenständiger grammatiktheoretischer Fundierungsbegriff erster Ordnung ist: Erstens bildet der konstruktionsgrammatische Ausgangspunkt ein weites Verständnis von Form und Inhalt bzw. Ausdruck und Bedeutung, das erheblich über den üblichen Formund Bedeutungsbegriff hinausgeht, da beispielsweise komplexe syntagmatische Eigenschaften von Zeichen ebenfalls der Formseite zugeschlagen werden und auch syntagmatisch komplexe Einheiten als Bedeutungsträger in Frage kommen. Zweitens ist wichtig zu sehen, dass in der Konstruktionsgrammatik der Zeichenbegriff über lexikalische Einheiten und Mehrworteinheiten hinaus auf grammatische Strukturen ausgedehnt wird. Die entscheidende Neuerung besteht aus grammatiktheoretischer Sicht darin, sowohl konkrete grammatische Strukturen, also Strukturen mit instantiierten Elementen wie [[Peter][wuchtet][den Koffer][in den Wagon]], als auch abstrakte grammatische Strukturen wie [[NPNom][VP][NPAkk][PP]] als bedeutungstragende Strukturen zu verstehen. Drittens schließt der Begriff der Konstruktion, anders als de Saussures Zeichenbegriff, nicht aus, dass Aspekte einer Konstruktion oder sogar die Konstruktion als Ganze durch außersprachliche Faktoren motiviert sind. So können sensomotorische Erfahrungen Bedeutungen von Teileinheiten einer Konstruktion motivieren und in die Gesamtbedeutung der Konstruktion eingehen.14 Und wie Goldberg (1995: 70-76) zeigt, gehen auch Bedeutungen komplexer Konstruktionen auf grundlegende Erfahrungen zurück, so etwa die „causedmotion“-Konstruktion15 (Jonathan rumpelt das Glas vom Tisch) auf die Erfahrung, dass eine Person die Bewegung eines Gegenstandes verursachen kann (vgl. hierzu Ungerer & Schmid 2006: 246-248). Schließlich enthält viertens der Konstruktionsbegriff keine Beschränkung hinsichtlich des möglichen Abstraktions- und Komplexitätsgrades von Konstruktionen (Boas 2011). Konstruktionen können syntaktisch einfach und inhaltlich konkret sein, wie etwa im Fall von freien lexikalischen Morphemen (wie Stein, groß), aber auch einen hohen Abstrakti–––––––— 13
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Es ist allerdings darauf hinzuweisen, dass nicht ganz klar ist, ob Croft (2001) und Kay & Fillmore (1999) das Kriterium der Nicht-Kompositionalität so zentral setzen wie Goldberg (1995, 2006a). Aus den gerade dargelegten Gründen vertreten wir im Folgenden die Ansicht, dass dieses Kriterium unverzichtbar ist. Ziem und Staffeldt (2011) zeigen etwa, dass die Bedeutung von Körperteilbezeichnungen wie Finger in Phraseologismen (wie jemandem auf die Finger schauen) durch die Tätigkeit motiviert sind, die üblicherweise mit Fingern ausgeübt werden, und in die Gesamtbedeutung des Phraseologismus eingehen (vgl. hierzu auch Abschnitt 7). Im Folgenden übernehmen wir die amerikanische Bezeichnung dieser Konstruktion, um Missverständnisse zu vermeiden, zeichnen sie aber durch Kursivierung gesondert aus.
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ons- und Komplexitätsgrad erreichen wie die erwähnte „caused-motion“-Konstruktion [[NPNom][VP][NPAkk][PP]]. Solange das definitorische Kriterium der Nicht-Kompositionalität erfüllt ist, können Konstruktionen zudem in syntaktischer Hinsicht – zumindest theoretisch – beliebig komplex sein. Es muss jedoch kritisch angemerkt werden, dass bislang kaum der Versuch unternommen wurde, die Satzgrenze zu überschreiten (vgl. aber Günthner 2006b, Imo 2010b und Östman 2005). 2.2.3 Konstruktionen als kognitive Gestalten Im Zusammenhang mit der potentiellen Schematizität und Motiviertheit von (Aspekten von) Konstruktionen wurde bereits deutlich, dass Konstruktionen auch der Status kognitiver Einheiten zugesprochen wird. Dies ist in der Tat nötig, um der kognitiven Maxime Lakoffs Rechnung zu tragen. Es scheint deshalb nur konsequent, dass Goldberg diesen Aspekt in einer neuen, erweiterten Definition in den Mittelpunkt rückt. Definition (2): Goldbergs kognitive Definition von „Konstruktion“ Any linguistic pattern is recognized as a construction as long as some aspect of its form or function is not strictly predictable from its component parts or from other constructions recognized to exist. In addition, patterns are stored as constructions even if they are fully predictable as long as they occur with sufficient frequency. (Goldberg 2006a: 5)
Über Definition (1) hinaus führt Goldberg hier ein zweites Kriterium zur Bestimmung von Konstruktionen ein: das der kognitiven Verfestigung („entrenchment“). Die bereits von Langacker (1987) ausführlich explizierte Idee ist dabei, dass im Sprachgebrauch häufig kookkurrent vorkommende Wörter sich zu sprachlichen Mustern verfestigen können, die in der Folge mental als Einheit repräsentiert, abgerufen und verarbeitet werden. Mit der Einführung des Kriteriums der kognitiven Verfestigung wird die Konstruktionsgrammatik als ein genuin kognitionslinguistisches Projekt profiliert.16 Wenngleich an der Präzision und Brauchbarkeit der Definitionen Kritik geübt worden ist (vgl. den Überblick in Rostila 2011b) und Definition (2) als eine erhebliche Erweiterung von Definition (1) zu bewerten ist, da sie dem Konzept eines gebrauchsbasierten Beschreibungsansatzes Rechnung zu tragen versucht (vgl. etwa Stefanowitsch 2009: 568f.), bleibt doch festzuhalten, dass sich beide Bestimmungen innerhalb einer nicht-modularen, monostratalen Grammatiktheorie, wie der Konstruktionsgrammatik, komplementär ergänzen. Insofern sich nämlich die Konstruktionsgrammatik konsequent an der sprachlichen Oberfläche orientiert und so die Annahme von Tiefenstrukturen vermeidet, ermöglicht dies eine größere Nähe zur empirisch überprüfbaren kognitiven ‚Realität‘ sprachlichen Wissens, d.h. zum tatsächlichen Wissen, das SprecherInnen einer Sprache erlernen und anwenden. Folgt –––––––— 16
Dies gilt nicht ohne Einschränkung für unifikationsbasierte Ansätze, insbesondere die Berkeley Construction Grammar (BCxG) sowie die Sign-Based Construction Grammar (SCG) (vgl. die Abschnitte 5.1 und 5.2); sie erheben zunächst ‚nur‘ den Anspruch einer beschreibungs- und nicht einer kognitionsadäquaten Theorie.
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man dieser methodologischen Prämisse – also der kognitiven Maxime im Sinne Lakoffs (1990) –, lässt sich Definition (2) nur künstlich von Definition (1) trennen. In dem Maße, wie die Konstruktionsgrammatik ein kognitionswissenschaftliches Erkenntnisinteresse verfolgt und die mentale Grammatik von SprecherInnen zu erforschen versucht, hat sie dem Umstand Rechnung zu tragen, dass etwa eine hohe Gebrauchshäufigkeit von komplexen sprachlichen Strukturen dazu führen kann, dass diese im Gedächtnis als Einheiten bzw. kognitive Gestalten abgespeichert und verfügbar sind, ohne zwangsläufig kompositional sein zu müssen. Soweit die Theorie. In der empirischen Praxis dürfte es gleichwohl sinnvoll sein, am Kriterium der Nicht-Kompositionalität festzuhalten. Dies gilt insbesondere dann, wenn der analytische Zugriff nicht oder nur unzureichend dazu in der Lage ist, verlässliche Aussagen über die kognitive Repräsentation der untersuchten sprachlichen Einheiten zu fällen. Im Fall eines qualitativen oder quantitativen korpuslinguistischen Zugangs dürfte es jedenfalls schwierig, wenn nicht unmöglich sein, auf die vorhandene oder fehlende kognitive Gestalthaftigkeit und mentale Realität von komplexen sprachlichen Einheiten zu schließen (vgl. die Diskussion in Sandra 1998). Nicht-kompositionale sprachliche Phänomene, also Konstruktionen im Sinne von Definition (1), müssen hingegen in jedem Fall als Einheiten gelernt und kognitiv repräsentiert sein; hierzu bedarf es keiner weiteren psycho- oder kognitionswissenschaftlichen Evidenz. Es ist wichtig zu sehen, dass es sich bei Definition (1) und (2) um Minimaldefinitionen handelt. Je nach zugrunde liegendem konstruktionsgrammatischem Ansatz gibt es definitorische Ergänzungen, Modifizierungen oder Konkretisierungen. Im Folgenden werden wir, wenn nicht anders erwähnt, den Begriff „Konstruktion“ im Sinne von Standarddefinition (1) benutzen. Hierbei handelt es sich um den kleinsten gemeinsamen Nenner, den die meisten konstruktionsgrammatischen Ansätze teilen. Eine wichtige Ausnahme bildet die Kognitive Grammatik Langackers, auf die in Abschnitt 4, neben anderen einschlägigen Ansätzen, auch kurz eingegangen wird.
2.3 Wozu Konstruktionen? Der Begriff der Konstruktion ist im sprachwissenschaftlichen Kontext keine moderne Errungenschaft. Sein Gebrauch lässt sich zurückverfolgen bis zum Strukturalismus (Bloomfield 1984, vgl. auch Schönefeld 2006: 6-8) und er ist darüber hinaus bereits in mittelalterlichen Beschäftigungen mit Sprache dokumentiert (Goldberg & Casenhiser 2006: 343). Als Terminus technicus, der zum Fundierungsbegriff einer ganzen Sprachtheorie und mithin zum zentralen Konzept einer Vielzahl von linguistischen Theoriebildungen avanciert ist, ist der Begriff der Konstruktion aber gleichwohl ein vergleichbar junges Gebilde. Wozu also Konstruktionen?
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2.3.1 Konstruktionen als einheitliches und allgemeines Format sprachlichen Wissens Ausgangspunkt der Konstruktionsgrammatik war und ist das Unbehagen, bestimmte grammatische Phänomene einer Sprache als (vermeintliche) Idiosynkrasien zu behandeln und ihnen infolgedessen den Status von peripheren sprachlichen Phänomenen zuzuweisen, die bei der theoriegeleiteten Erklärung zu vernachlässigen sind. Ein Argument für einen konstruktionsbasierten Zugang besteht also darin, nicht mehr zwischen peripheren und Kern-Elementen einer Grammatik unterscheiden zu müssen. Eine Sprachtheorie, die nur Teile einer Grammatik erklären kann und andere Teile als Ausnahmen definieren muss, ist aufgrund ihrer begrenzten Reichweite zwangsläufig weder deskriptiv noch explanativ adäquat. Mithilfe von Konstruktionen, so die Annahme, können hingegen auch (vermeintlich) randständige Elemente einer Sprache, wie Idiome, erfasst werden (vgl. auch das Analysebeispiel in Abschnitt 11). Dabei spielt die syntaktische Komplexität keine Rolle, denn bei Morphemen handelt es sich genauso um konventionalisierte Form-Inhaltspaare wie bei Argumentstrukturen und Idiomen. Konstruktionen fungieren demnach als einheitliches und allgemeines Format sprachlichen Wissens. Der Konstruktionsbegriff umfasst etwa Morpheme (lexikalische Morpheme genauso wie Derivations- und Flexionsmorpheme), komplexe Wörter, feste Mehrwort-Ausdrücke, Sprichwörter, (schematische) Idiome, grammatische Phraseme, Argumentstrukturen, Wortklassen und grammatische Relationen. Hierbei handelt es sich freilich nur um eine schmale Auswahl an Konstruktionen; eine Vielzahl an weiteren Konstruktionen sind in Studien für das Deutsche bereits identifiziert und ausgewiesen worden (vgl. hierzu die Überblickstabellen in Abschnitt 10). Tabelle 1 gibt einen – zwangsläufig unvollständigen – Überblick über Konstruktionen verschiedenen Abstraktionsgrades; sie orientiert sich an einer Auswahl von Konstruktionen, die bislang in der einschlägigen Literatur hinreichend belegt sind (vgl. etwa Goldberg 2006a: 5; Stefanowitsch & Gries 2003: 212). Konstruktionen als einheitliches und allgemeines Strukturformat der Grammatik einer natürlicher Sprache anzunehmen, hat den entscheidenden Vorteil, dass keine zusätzlichen Mechanismen und Regeln bereitgestellt werden müssen, die notwendig sind, um scheinbar periphere Bereiche der Grammatik (wie Idiome) ebenfalls einzubeziehen und erklären zu können. So verwundert es nicht, dass die Beschäftigung mit Idiomen den Ausgangspunkt der konstruktionsgrammatischen Theoriebildung markiert. Croft und Cruse (2004: 225) gehen so weit zu behaupten, dass Konstruktionsgrammatik aus dem Bedürfnis heraus entstanden sei, für idiomatische Ausdrücke einen rechten Platz im Sprachwissen von SprachbenutzerInnen zu finden. Ob dem so ist, sei dahingestellt; jedenfalls bleibt zu konstatieren, dass die konstruktionsgrammatischen „Versuche zur Entwicklung einer allgemeinen Sprach- und Grammatiktheorie ihren Ausgangspunkt bei der Analyse idiomatischer Muster nehmen“ (Feilke 2007: 64).
19 Konstruktionen 17 Derivations-/ Flexionsmorpheme Wörter komplexe Wörter feste Mehrwort-Ausdrücke grammatische Phraseme Sprichwörter Idiome schematische Idiome Vergleichssätze Ditransitiv (mit teilweise offenen Slots) Ditransitiv (mit offenen Slots) Wortarten & grammatische Relationen18
Beispiele -er [groß-er]; -ung [Trau-ung] groß, Knecht Weberknecht Guten Tag! geschweige denn Morgenstund hat Gold im Mund jdm. auf die Finger schauen Was macht x y? [was macht die Fliege in meiner Suppe?] je x-er desto y-er [je mehr desto besser] [[NPNom][gibt][NPDat][NPAkk]] [[NPNom][VP][NPDat][NPAkk]] [NOMEN]; [SUBJEKT]
Tabelle 1: Auswahl an Konstruktionen variierender Komplexität.
Warum Idiome? Idiomatische Ausdrücke stellen deswegen ein notorisches Problem für transformationsgrammatisch, aber auch dependenzgrammatisch orientierte Modelle dar, weil sie sich aufgrund ihrer form- und inhaltsseitig idiosynkratischen bzw. nicht-regelhaften Eigenschaften dem erklärenden Zugriff weitgehend entziehen. Bedeutungen von Idiomen lassen sich nicht durch die Bedeutungen ihrer (lexikalischen) Teile und deren regelbasierter Verknüpfung ermitteln. Gleichzeitig können viele Idiome nicht einfach wie Wörter im Lexikon aufgelistet werden. Fillmore, Kay und O’Connor (1988) machen dies am Beispiel von so genannten schematischen Idiomen (wie let alone bzw. im Deutschen geschweige denn) deutlich, die sich durch Leerstellen auszeichnen, die variabel gefüllt werden können. Am Beispiel von let alone lässt sich dies konkretisieren: Das grammatische Idiom fungiert als eine koordinierende Konjunktion, die zwei prosodisch hervorgehobene Einheiten miteinander verbindet, wobei die „let alone“-Konstruktion ganz reguläre syntaktische Eigenschaften aufweist. Beispiel (3) illustriert dies. (3) John doesn’t like soccer, let alone basketball. [John mag kein Fußball, geschweige denn Basektball.]
–––––––— 17
18
Wie bereits erwähnt, argumentiert Booij (2010: 15), dass (Derivations- und Flexions-)Morpheme keine Konstruktionen seien; nach seinem Verständnis müssen Konstruktionen sprachliche Zeichen sein. Nicht alle Varianten der Konstruktionsgrammatik betrachten Wortarten und grammatische Relationen als Konstruktionen. Grosso modo lässt sich sagen, dass gebrauchsbasiert-kognitive Ansätze (vgl. Abschnitt 4), also die Cognitive Construction Grammar (CCxG) (vgl. Goldberg 2006a: 205ff.), die Cognitive Grammar (CG) (vgl. Langacker 2009a,b) und die Radical Construction Grammar (RCxG) (Croft 2001: 203-240), Wortarten und grammatischen Relationen einen konstruktionalen Charakter zuschreiben; dies ist bei formal orientierten Ansätzen wie der Berkeley Construction Grammar (BCxG) und der Sign-Based Construction Grammar (SCxG) nicht der Fall bzw. bislang nicht thematisiert (vgl. Abschnitt 5).
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In syntaktischer Hinsicht liegt mit (3) ein vollständig regelhafter Ausdruck vor, semantisch gesehen weist die Konstruktion hingegen idiosynkratische Eigenschaften auf, insofern nämlich die miteinander verbundenen sprachlichen Einheiten implizit miteinander verglichen und kontrastiert werden. So wird Basketball auf einer (vorgestellten) Bewertungsskala negativer beurteilt als Fußball. Fillmore, Kay und O’Connor (1988) argumentieren, dass diese Eigenschaft durch die Konstruktion motiviert ist. Sie lässt sich nicht auf der Basis der Kenntnis der Wortbedeutungen und deren regelhafter Kombination vorhersagen. Für nicht-konstruktionsbasierte Grammatiktheorien stellen solche schematischen Idiome eine große Herausforderung dar,19 because schematic idioms either have regularities of their own which ought to be captured as regularities (the extragrammatical schematic idiom), or follow regular syntactic rules and ought to be somehow represented as doing so (the grammatical schematic idioms). Moreover, all idioms are semantically idiosyncratic, which means that they do not follow general rules of semantic interpretation. Instead they have their own rules of semantic interpretation. (Croft 2001: 16)
Die Studie von Fillmore, Kay und O’Connor zur „let alone“-Konstruktion hat eine kaum zu überschätzende Wirkung wahrscheinlich weniger aufgrund der erzielten Erkenntnisse zur Komplexität dieses Idioms entfaltet, als aufgrund des Bemühens, ausgehend von einem vermeintlich randständigen grammatischen Phänomen Grundzüge eines alternativen Grammatikmodells zu formulieren, das sich dafür als genauso erklärungsadäquat erweist wie für Kernbereiche der Grammatik. 2.3.2 Konstruktionen als Bedeutungsträger Mit welcher Berechtigung gelten Konstruktionen als „grundlegende Einheiten der sprachlichen Organisation“ (Stefanowitsch & Gries 2003: 211)? Wie bereits angedeutet, bildet den Ausgangspunkt konstruktionsgrammatischer Forschung in historischer Hinsicht das Bedürfnis, idiomatische Ausdrücke in den Gegenstandsbereich der Grammatiktheorie einzuschließen (vgl. Fillmore & Kay & O’Connor 1988). Die zentrale Idee ist dabei, dass Idiome komplexe sprachliche Zeichen sind, die teilweise lexikalisch spezifiziert sind, teilweise aber auch unbesetzte Leerstellen aufweisen können, die unter bestimmten Beschränkungen flexibel gefüllt werden. Auch eine idiomatische Konstruktion ist – wie ein lexikalisches Zeichen – ein Form-Bedeutungspaar, dessen Formseite konventionell mit einer Bedeutung bzw. mehreren Bedeutungen verbunden ist. Im Fall der zuletzt thematisierten „let alone“Konstruktion betreffen die beiden Leerstellen zwei Einheiten, die das grammatische Idiom –––––––— 19
Chomsky (1991: 417) charakterisiert solche sprachlichen Phänomene infolgedessen als zu vernachlässigende Randphänomene und schreibt ihnen den Status von „taxonomischen Ephiphänomenen“ zu (vgl. auch Evans & Green 2006: 650f.). Dabei wird unterstellt, dass sich syntaktische und semantische Eigenschaften von grammatischen Idiomen (wie let alone bzw. geschweige denn) kompositionell aus den lexikalischen Bestandteilen und der regelhaften Verknüpfung angeben lassen. Genau dies stellen Fillmore, Kay und O’Connor (1988) am Beispiel von let alone in Frage.
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vergleichend gegenüberstellt. Wie wir im letzten Abschnitt gesehen haben, besteht die nicht-kompositionelle Bedeutung darin, im Zuge des Vergleichs die zweite Einheit negativer zu bewerten als die erste. Idiomatische Konstruktionen sind also syntaktisch komplexe Bedeutungsträger. Inwiefern Konstruktionen in diesem Sinne tatsächlich Bedeutung(en) tragen, möchten wir nun an einem anderen Beispiel, das ebenfalls Tabelle 1 entnommen ist, etwas ausführlicher erläutern: an der so genannten Ditransitiv-Konstruktion. In der Literatur wird die Ditransitiv-Konstruktion auch manchmal als Doppel-Objekt-Konstruktion bezeichnet. Wenn wir im Folgenden den Terminus „Ditransitiv-Konstruktion“ verwenden, beschränken wir uns auf Argumentstruktur-Konstruktionen mit drei semantischen Rollen, nämlich einem Agens, einem Patiens und einem Rezipiens. Prototypische Beispiele sind Doppel-ObjektKonstruktionen mit dem Verb geben, so etwa Sie gibt ihm die Zeitung. Das Agens (sie) tritt dabei syntaktisch als eine Nominalphrase im Nominativ auf, das Rezipiens (ihm) als eine Nominalphrase im Dativ und das Patiens (die Zeitung) schließlich als eine Nominalphrase im Akkusativ. In ihrer inzwischen klassischen Studie zu Argumentstruktur-Konstruktionen stellt Goldberg (1995) unter anderem fest, dass ein und dasselbe Verb in eine Vielzahl von syntaktischen Strukturen eingebettet sein kann, deren Bedeutung(en) jeweils mehr oder weniger stark voneinander abweicht bzw. abweichen. Ein Beispiel sind IntransitivKonstruktionen wie (4) und „caused-motion“-Konstruktionen wie (5). (4) Heiko hustet. (5) Heiko hustet die Postkarte vom Tisch.
Husten ist zwar prototypisch ein intransitives Verb, gleichwohl ist es aber möglich, dass es in einer syntaktischen Konstruktion wie (5) vorkommt. In dieser wird husten als ein Vorgang oder möglicherweise sogar als eine Handlung konzeptualisiert, die sich ursächlich für die Bewegung eines Gegenstandes verantwortlich zeigt. Eine solche Bedeutungskomponente findet sich in (4) nicht. Aus diesem Befund leitet sich ein weiteres Argument dafür ab, Konstruktionen als konstitutive Bestandteile einer Grammatik anzunehmen. Ausgehend von Beispielen wie (4) und (5) vertritt Goldberg die These, dass Konstruktionen selbst Bedeutung(en) tragen, die sich nicht aus ihren Bestandteilen ermitteln lässt bzw. lassen. So ist es höchst unplausibel anzunehmen, dass in der Bedeutung des Verbs husten kodiert ist, dass das Husten ursächlich für die Bewegung von Gegenständen wie Postkarten verantwortlich sein kann. Durch die Hypothese, dass die Konstruktion als Ganze irreduzible Bedeutungsaspekte zur Satzbedeutung beisteuert, kann also die Annahme von kontraintuitiven und falschen Verbbedeutungen vermieden werden.20 –––––––— 20
Vgl. aber die Kritik aus konstruktionsgrammatischer Sicht an Goldbergs Interpretation von „caused-motion“-Konstruktionen in Boas 2003 und Kay 2005.
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In der Tat scheinen selbst abstrakte und komplexe Konstruktionen wie die DitransitivKonstruktion [[NPNom][VP][NPDat][NPAkk]] Bedeutung(en) zu tragen. Prototypisch finden wir solche Konstruktionen realisiert in Sätzen wie (6) und (7). (6) Frida gibt ihrem kleinen Bruder einen Becher. (7) Peter gibt Henrike ein Stück Kuchen.
Goldberg argumentiert, dass Ditransitiv-Konstruktionen unabhängig von ihren jeweiligen lexikalischen Bestandteilen (und deren Semantik) Bedeutung(en) tragen. Es ist demnach möglich, aus dem Wissen, das wir über konkrete Bedeutungen von realisierten DitransitivKonstruktionen haben – etwa jmd. gibt jmdm. etwas, jmd. schenkt jmdm. etwas, jmd. zahlt jmdm. etwas usw. – eine gemeinsame abstrakte Bedeutung herauszufiltern, die charakteristisch für Ditransitiv-Konstruktionen insgesamt ist. Diese könnte man folgendermaßen zusammenfassen: Ditransitiv-Konstruktionen beschreiben eine Szene, in der eine Person (Agens) dafür sorgt, dass eine andere Person (Rezipiens) etwas (Patiens bzw. Thema) erhält (vgl. auch Malchukov & Haspelmath & Comrie 2010: 1f.). In (6) und (7) ist jeweils eine solche Szene realisiert. Das Verb geben eignet sich deswegen gut dazu, die Bedeutung der DitransitivKonstruktion zu beschreiben, weil seine lexikalische Bedeutung identisch ist mit der Bedeutung der Ditransitiv-Konstruktion (Goldberg 1995: 35, auch: Welke 2011: 206-208): Die zentrale, prototypische Bedeutung gibt Goldberg (1995: 36f.) an mit „X CAUSES Y TO RECEIVE Z“. Jedoch kann die Bedeutung einer Ditransitiv-Konstruktion systematisch variieren; sie ist Goldberg zufolge polysem (vgl. hierzu Abschnitt 8.2). Neben der etwa in (7) realisierten prototypischen Bedeutung, die eben darin besteht, dass eine Person (Henrike) etwas (ein Stück Kuchen) von einer anderen Person (Peter) erhält, kann die Konstruktion etwa die Bedeutung haben, dass eine Person beabsichtigt, etwas einer anderen Person zu überlassen. Dies ist etwa in (8) der Fall: (8) Henrike backt Peter einen Kuchen.
Die Bedeutung dieser Ditransitiv-Konstruktionen lässt sich nicht restlos auf die prototypische Ausprägung der Konstruktionsbedeutung zurückführen, die in (7) realisiert ist. Es handelt sich vielmehr um eine Benefaktiv-Konstruktion, die ebenfalls durch drei Argumente realisiert wird (Kittilä 2005, Goldberg 2006a: 26ff.). Diese zeichnet sich dadurch aus, dass der Rezipient stärker als in anderen Ditransitiv-Konstruktionen als Benefizient (Nutznießer) konzeptualisiert wird. Entsprechend lässt sich (8) durch (9) paraphrasieren. (9)
a. Henrike backt einen Kuchen für Peter. b. Henrike backt einen Kuchen, der für Peter bestimmt ist.
Eine solche Paraphrase ist für (7) nicht möglich: (10) a. ?? Peter gibt ein Stück Kuchen für Henrike. b. ?? Peter gibt ein Stück Kuchen, das für Henrike bestimmt ist.
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Die Paraphrasen veranschaulichen, dass Ditransitiv-Konstruktionen ähnlich wie lexikalische Einheiten nicht nur Bedeutungen tragen, sondern auch systematisch mehrdeutig sein können. In den beiden Beispielen (7) und (8) zeigt die Ditransitiv-Konstruktion zwar an, dass es sich jeweils um einen Transfer einer Entität (ein Stück Kuchen, ein Kuchen), die sprachlich als eine Nominalphrase im Akkusativ kodiert ist, zu einem Rezipienten bzw. einer Rezipientin handelt, der bzw. die sprachlich in Gestalt einer Nominalphrase im Dativ realisiert ist (Henrike, Peter). In (7) findet der Transfer jedoch tatsächlich statt, während er in (8) nur intendiert ist. Festzuhalten bleibt zunächst: Für die konstruktionsgrammatische Perspektive auf syntaktische Kategorien und Strukturen ist es bezeichnend, dass komplexe syntaktische Konstruktionen wie Argumentstruktur-Konstruktionen den Status von symbolischen Zeichen haben. Ihre Formseite ist konventionell mit einer bzw. mehreren – möglicherweise abstrakten – Bedeutung bzw. Bedeutungen verknüpft. Hierin liegt ein entscheidender Unterschied zum ebenfalls funktional-grammatischen Beschreibungsansatz der Valenzgrammatik. Dieser geht (wie alle projektionistischen Ansätze) davon aus, dass Form und Bedeutung von grundlegenden Satztypen wie Transitiv-, Intransitiv- und Ditransitivsätzen durch semantische und/oder syntaktische Informationen bestimmt werden, die das Hauptverb des Satzes bereitstellt. In den Beispielen (9) und (10) wäre dies jeweils die syntaktische und semantische Valenz (bzw. der Subkategorisierungsrahmen) von backen und geben. Die Argumentstruktur als Ganze hat dabei nicht den Status einer eigenen grammatisch relevanten Kategorie. Determiniert wird sie vielmehr allein durch das Verb. Dieses gibt das relevante syntaktische Strukturmuster vor. Ausgehend von valenz- und konstruktionsgrammatischen Fragestellungen lassen sich weitere Gründe dafür benennen, über Wörter hinaus auch grammatische Konstruktionen als bedeutungstragende Einheiten einer Sprache auszuweisen. Wie soeben festgestellt, scheinen sich auf den ersten Blick valenz- und konstruktionsgrammatische Annahmen unvereinbar gegenüberzustehen. Die Valenzgrammatik geht davon aus, dass das Verb die Struktur eines Satzes organisiert. Im Fall von geben – wie in Beispiel (7) – handelt es sich etwa um ein dreiwertiges Verb, das in syntaktischer Hinsicht drei Argumente fordert, nämlich eines im Nominativ (Peter), eines im Dativ (Henrike) und eines im Akkusativ (ein Stück Kuchen). Satzbaupläne werden dementsprechend ausgehend vom Verb erfasst. Man spricht deshalb auch von einem „projektionistischen“ Ansatz (etwa Welke 2011: 205). Dagegen besteht die konstruktionsgrammatische Perspektive darin, statt des Verbes die Konstruktion als Ganze ins Zentrum zu rücken. Unabhängig von der Frage, ob es sich bei geben und backen um dreiwertige Verben handelt, können auf diese Weise sowohl (7) als auch (8) als Realisierungen einer Ditransitiv-Konstruktion angesehen werden, denn in beiden Fällen sind jeweils drei Argumente realisiert. Doch lassen sich nicht die valenzgrammatische Perspektive „von unten“ auf Satzbaupläne und die konstruktionsgrammatische Perspektive „von oben“ miteinander verknüpfen? Die Annahme, dass grammatische Konstruktionen Bedeutung(en) tragen, impliziert zunächst nur, dass diese Konstruktionen einen semantischen Beitrag zur Konstruktionsbedeutung dazusteuern, der sich nicht allein auf der Basis der Bedeutungen seiner lexikalischen
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Bestandteile ermitteln lässt. Dies ist etwa in den folgenden Beispielen der Fall: (11) Der Vater baut seiner Tochter ein Haus. (12) Linnea malt ihrem Bruder ein Bild. (13) Leonard kauft Jonathan ein Spielzeugauto.
Die Verben bauen, malen und kaufen fordern typischerweise kein Argument im Dativ. Trotzdem handelt es sich aber bei den Beispielen um regelhaft gebildete, akzeptable Sätze des Deutschen. Wir verstehen (11), (12) und (13) analog zu Beispiel (8) so, dass eine Person (der Vater, Linnea, Leonard) beabsichtigt, für eine andere Person (seiner Tochter, ihrem Bruder, Jonathan) etwas (ein Haus, ein Bild, ein Spielzeugauto) zu tun (bauen, malen, kaufen). Wovon aber leiten wir diese abstrakte Konstruktionsbedeutung ab? Genauer: Wie ist es möglich, dass die Verben bauen, malen und kaufen mit einem Argument im Dativ auftreten? Welche Auswirkungen hat die Realisierung dieses Arguments für die Bedeutung des Satzes? Der Valenztheoretiker Klaus Welke erklärt die in den Beispielen (11), (12) und (13) exemplarisch illustrierte Erweiterung der Verbvalenz um ein Argument im Dativ „konstruktionsbasiert“ (Welke 2011: 199), und zwar im Rückgriff auf die DitransitivKonstruktion, in die die Verben bauen, malen und kaufen eintreten. Es ist diese Konstruktion, die jeweils das Argument im Dativ lizenziert. Bei den Argumenten im Dativ handelt es sich um so genannte freie Argumente, also um Argumente, die in der „Grundvalenz“ (Welke 2011: 178ff.) des Verbes nicht angelegt sind. Mit Blick auf solche freien Argumente hält Welke programmatisch fest: Unsere Erklärung wird konstruktionsbezogen sein. Das heißt, wir erklären freie Argumente durch Analogien zu etablierten Konstruktionen. Valenztheoretisch heißt das, wir erklären sie als nicht zur Grundvalenz gehörig, nicht in den Valenzeintrag aufgenommen, nicht projiziert. (Welke 2011: 201)
Mit anderen Worten: In den Beispielsätzen (11), (12) und (13) werden Welke zufolge die (hinsichtlich ihrer Grundvalenz zweiwertigen) Verben analog zur prototypischen Ditransitiv-Konstruktion verwendet. Die Analogie erlaubt es einerseits, in syntaktischer Hinsicht eine Nominalphrase im Dativ einzuführen. In semantischer Hinsicht führt sie andererseits dazu, die semantische Rolle eines Rezipiens zu etablieren. Am Beispiel von freien Argumenten lässt sich exemplarisch veranschaulichen, inwiefern grammatische Konstruktionen bedeutungstragende Einheiten sind. Zwei Gründe geben Anlass dazu, freie Argumente mithilfe von Konstruktionen zu beschreiben: Zum einen ist es weder sinnvoll noch nötig, über die Grundvalenz von Verben hinaus eine Vielzahl weiterer Lexikoneinträge anzunehmen – so etwa für die zweiwertigen Verben bauen, malen und kaufen dreiwertige Varianten, die Sätze wie (11), (12) und (13) lizenzieren. Freie Argumente zeichnen sich gerade dadurch aus, dass sie nicht fest in der Verbvalenz angelegt, trotzdem aber im Sprachsystem zugelassen sind; mithilfe von Konstruktionen kann ihr reguläres Vorkommen in einer Sprache erklärt werden.
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Zum anderen ist es im Rückgriff auf grammatische Konstruktionen möglich, die Bedeutungserweiterungen zu erfassen, die zu beobachten sind, wenn ein Verb in eine Konstruktion eintritt, deren Argumentstruktur von der Grundvalenz des Verbes abweicht. So stimmt in (11), (12) und (13) die jeweils zweiwertige Grundvalenz der Verben nicht mit der Argumentstruktur der jeweiligen Ditransitiv-Konstruktion überein. Erst durch die DitransitivKonstruktion kommt die grundlegende Bedeutung eines Transfers zustande, dass nämlich eine Person durch ihr Tun dafür sorgt, dass eine andere Person etwas erhält; diese Bedeutung ist in der Grundvalenz der Verben nicht angelegt. Ebenso ergibt sich allein aus der Argumentstruktur-Konstruktion die spezifische Bedeutung, dass der angesprochene Transfer beabsichtigt ist und dass das Argument im Dativ die semantische Rolle eines Benefizienten kodiert.21 Wenn Konstruktionen, wie in diesem Abschnitt diskutiert, tatsächlich bedeutungstragende Einheiten sind, welche Arten von Bedeutungen können sie dann verfügbar machen? In den zuletzt besprochenen Beispielen betreffen die Konstruktionsbedeutungen semantische Rollen, die durch Argumentstruktur-Konstruktionen beigesteuert werden. So macht die Ditransitiv-Konstruktion prototypisch drei semantische Rollen verfügbar, nämlich ein Agens, ein Patiens bzw. ein Thema und ein Rezipiens: im Fall von einer DitransitivKonstruktion mit geben also eine gebende Person, etwas, das gegeben wird, und eine Person, die etwas erhält. Wie Kay und Michaelis (im Druck) und zuvor schon Fillmore und Kay (z.B. 1999) hervorgehoben haben, können Konstruktionen darüber hinaus aber noch eine Reihe weiterer Bedeutungsaspekte verfügbar machen; dazu gehören mindestens folgende (vgl. Kay & Michaelis im Druck: Abschnitt 3): -
lexikalische Ausdrucksbedeutungen (im Sinne von lexikalischen Frames mit kontextabstrakten Standardwerten, vgl. Ziem 2008: 335ff., im Druck a,b),
-
konventionelle Implikaturen und Präsuppositionen,
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Goldberg (1995: 38) diskutiert neben der prototypischen Bedeutung einer DitransitivKonstruktion („ein Agens sorgt dafür, dass ein Rezipiens ein Patiens erhält“) fünf weitere Konstruktionsbedeutungen. Für die hier besprochenen Beispiele (11), (12) und (13) – aber auch für (8) – ist die Bedeutungsvariante „ein Agens beabsichtigt, dafür zu sorgen, dass ein Rezipiens ein Patiens erhält“, relevant. Welke (2011: 206ff.) geht hingegen auf die Polysemie von Konstruktionsbedeutungen und die nötigen Differenzierungen zwischen Konstruktionsbedeutungen nicht näher ein. Er postuliert infolgedessen, dass in Beispielen wie (11), (12), (13) und (8) das jeweilige Verb analog zur prototypischen Ditransitiv-Konstruktion mit geben verwendet wird. Für die erwähnten Beispiele wäre Welke zufolge entsprechend die Konstruktionsbedeutung „ein Agens sorgt dafür, dass ein Rezipiens ein Patiens erhält“ anzugeben. Zutreffender ist aber tatsächlich die Bedeutungsvariante „ein Agens beabsichtigt, dafür zu sorgen, dass ein Rezipiens ein Patiens erhält“. – Ob Welke, anders als Goldberg, davon ausgeht, dass Argumentstruktur-Konstruktionen nicht polysem sind, muss an der Stelle offen bleiben. Zur expliziten Kritik an und Infragestellung von Goldbergs Annahme der Polysemie von Argumentstruktur-Konstruktionen vgl. Boas 2008, Iwata 2008, Kay 2005 und Nemoto 2005.
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-
illokutionäre Kräfte (wie in der „whats’s-X-doing-Y“-Konstruktion, vgl. Abschnitt 5.1),
-
metasprachliche Informationen (wie in der Negierung Es ist nicht gut, es ist großartig!, vgl. Kay 2004: Abschnitt 4).
Der Umstand, dass Konstruktionen Träger von ganz unterschiedlichen konventionalisierten semantischen und pragmatischen Informationen sein können, stützt insgesamt die konstruktionsgrammatische Arbeitshypothese, Konstruktionen als allgemeines Format für sprachliches Wissen anzunehmen (vgl. Abschnitt 2.3.1). 2.3.3 Konstruktionen als psychologisch realistisches Format sprachlichen Wissens Noch einmal: Wozu Konstruktionen? Eine dritte und durch die vorangegangenen Überlegungen naheliegende Antwort lautet, dass Konstruktionen dabei helfen, Bedeutungsaspekte zu erklären, die sich nicht allein im Rekurs auf Verbbedeutungen und Bedeutungen anderer Elemente des Satzes, in dem das Verb vorkommt, erschließen lassen. Eine Grammatiktheorie, die auf Konstruktionen als elementare Bestandteile sprachlichen Wissens verzichtet, müsste zur Erklärung solcher Phänomene annehmen, dass viele Verben (und Wörter anderer Wortarten) hochgradig polysem sind und alle potentiell realisierbaren Verbbedeutungen im mentalen Lexikon abgespeichert sind. Dies ist aber psychologisch unplausibel. Auf dieses letzte Argument, das die kognitive ‚Ökonomie‘ von Lexikoneinträgen im mentalen Lexikon betrifft, möchten wir nun abschließend eingehen. Ein und dasselbe Verb kann Bestandteil von einer Vielzahl von Konstruktionen sein und deswegen mit jeder Konstruktion einen anderen Bedeutungsaspekt profilieren. Goldberg und Casenhiser (2006) machen dies am Beispiel schneiden (engl. cut) deutlich. Auf das Deutsche übertragen lassen sich ähnliche Beispiele finden. (14) a. Er schnitt das Brot. b. Sie schnitt die Gurke in den Salat. c. Der Schneider schnitt ihr Stoff. d. Er schnitt die Schachtel in Stücke. e. Sie schnitt ihm eine Grimasse.
Um die spezifischen Bedeutungsaspekte zu erfassen, die in den Beispielen zum Tragen kommen, wäre es nötig, eine Vielzahl von Verb-Bedeutungen anzusetzen, die jeweils einen eigenen Eintrag im mentalen Lexikon bekommen müssten. Zu den möglichen VerbBedeutungen zählt etwa, dass Schneiden wie in (14b) eine Tätigkeit ist, die ursächlich für die Bewegung eines Objektes (hier: die Gurke) verantwortlich ist; eine andere wäre, dass Schneiden wie in (14c) eine Tätigkeit ist, die für eine andere Person den Zustand eines Objektes ändert, und eine weitere könnte wie in (14d) darin bestehen, dass Schneiden eine Tätigkeit ist, die zu einem bestimmten Ergebnis führt, insofern der Zustand des Objektes, auf das sich die Tätigkeit richtet, verändert wird (in Stücke). Schließlich müsste geklärt werden, ob – und wenn, in welcher Weise – die Verbbedeutung einen Beitrag zur Bedeu-
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tung von phraseologischen Konstruktionen wie (14e) leistet, in die das Verb eingebettet ist.22 In allen Fällen stellt sich die Frage: Woher stammen die jeweils relevanten konventionellen Bedeutungsaspekte, die mit der Tätigkeit des Schneidens verbunden sind? Und wie lassen sie sich erklären? Es gibt prinzipiell drei Möglichkeiten. Die naheliegende scheint zu sein, dass diese Bedeutungsaspekte nicht das Verb, sondern ein anderes Satzelement einbringt. Doch dies kann schnell ausgeschlossen werden, denn die einzigen Kandidaten, die dafür in Frage kämen, vermögen diesen semantischen Beitrag nicht zu leisten. So motiviert die Präpositionalphrase in den Salat wohl kaum die Interpretation eines Ursache-WirkungZusammenhangs, der in (14b) zu der Lesart führt, dass jemand mit einer Tätigkeit eine Bewegung bzw. Zustandsveränderung herbeiführt. Ebenso wenig kann in (14c) die Bedeutung der Präpositionalphrase in Stücke dafür verantwortlich sein, dass dieser Zustand als eine Eigenschaft der Schachtel interpretiert wird, die aus der Tätigkeit des Schneidens hervorgeht. Alternativ könnten die Bedeutungsaspekte in der lexikalischen Bedeutung des Verbes schneiden selbst angelegt sein. Dies hätte aber zur Folge, dass eine Vielzahl von VerbBedeutungen im mentalen Lexikon angenommen werden müsste. Jedes Verb etwa, das potentiell in einer Resultativ-Konstruktion vorkommen kann (vgl. Boas 2003), müsste einen eigenen Lexikoneintrag für diese resultative Bedeutungskomponente bekommen. Beispiele wären etwa die Folgenden: (15) a. Sie wischte die Fenster sauber. b. Er malte die Wände weiß. c. Er kauft den Laden leer.
Aber inwiefern ist es plausibel, für jedes Verb, das potentiell resultativ benutzt werden kann, eine eigene Verbbedeutung anzusetzen? Und wie lässt sich die Annahme von kontraintuitiven Verbbedeutungen verhindern? So wäre – wie im Fall von (16) – aufgrund von ungewöhnlichen, aber möglichen Verwendungszusammenhängen eine Verbbedeutung von niesen anzusetzen, die das Niesen als Ursache für eine Bewegung spezifziert (vgl. Goldberg 1995: 152). (16) Jörg nieste das Taschentuch vom Tisch.
Eine solche Annahme ist offensichtlich schon deshalb nicht sinnvoll, weil sie zu lexikalisch-semantischen Überspezifizierungen führt. Ferner müsste für jede mögliche Verbbedeutung ein eigener Lexikoneintrag angesetzt werden. Die Folge wäre eine Polysemie–––––––— 22
Es ist durchaus sinnvoll anzunehmen, dass Bedeutungen von Idiomen zumindest teilweise durch die Bedeutung(en) ihrer Bestandteile motiviert sind (vgl. Ziem & Staffeldt 2011, auch: Abschnitt 7). Dies zeigt sich hier etwa an der instantiierten Ditransitiv-Konstruktion. Diese motiviert die Interpretation, dass die Grimasse einen Adressaten hat, der sie – im metaphorischen Sinn – ‚erhält‘.
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Inflation und die Organisation sprachlichen Wissens wäre in der Folge sehr unökonomisch bzw. ineffizient (vgl. dazu Stefanowitsch 2011a, b). Die Alternative besteht schließlich in einer dritten Option. Goldberg (1995: 224) plädiert dafür, dass Bedeutungsaspekte wie der Ursache-Wirkungs-Zusammenhang in (16) nicht in den Verbbedeutungen angelegt sind, sondern von der Konstruktion stammen. Verallgemeinernd könnte man dann sagen: [T]he semantics of […] the full expressions are different whenever a verb occurs in a different construction. But these differences need not to be attributed to different verb senses; they are more parsimoniously attributed to the constructions themselves. (Goldberg 1995: 13)
Wenn es somit – wie beispielsweise im Fall von (16) – die Konstruktion ist, die jeweils die charakteristische Resultativ-Lesart der Sätze motiviert, ist es nicht nötig, für jedes Verb eine entsprechende Verbbedeutung anzunehmen. Es reicht vielmehr aus, im mentalen Lexikon eine Resultativ-Konstruktion anzusetzen, die in allen Fällen den entsprechenden Bedeutungsaspekt beisteuert. Für „caused-motion“-Konstruktionen wie (16) argumentiert Boas (2003) ferner, dass es sich hierbei um nicht-konventionalisierte Konstruktionen handele, die durch Analogiebildung lizenziert werden. Halten wir fest: Statt also für jedes Beispiel eine eigene Verbbedeutung zu postulieren, geht die Konstruktionsgrammatik davon aus, dass etwa die variierende Interpretation von schneiden in den Beispielen (14) von der je spezifischen Argumentstruktur-Konstruktion abhängt, in die das Verb eingebettet ist. In den Worten von Goldberg und Casenhiser: [I]t is the argument structure construction that provides the direct link between surface form and general aspects of the interpretation. Accordingly, while most linguists agree that constructions are required for unusual patterns, constructionists invoke constructions for the basic, regular patterns of language as well. (Goldberg & Casenhiser 2006: 348)
Polysemie – hier die systematische Mehrdeutigkeit des Verbes schneiden – ist folglich nicht so sehr und nicht ausschließlich ein Problem der lexikalischen Semantik (vgl. Abschnitt 8.1); auch syntaktische Konstruktionen wie Argumentstruktur-Konstruktionen, in die das Verb eintritt, tragen zur Bedeutung des Verbes und ggf. seiner Argumente bei. Zusammenfassung: Die Konstruktionsgrammatik versteht sich als eine allgemeine Sprach- und Grammatiktheorie, die sich zur Aufgabe macht, die Repräsentation von sprachlichem Wissen umfassend zu beschreiben. Den Ausgangspunkt bildet die Annahme, dass Konstruktionen das Format sind, in dem Sprachwissen abgespeichert ist. Konstruktionen versteht Goldberg (2006a) als gelernte Form-Bedeutungspaare, also sprachliche Zeichen unterschiedlichen Abstraktionsgrades. Dass sie gelernt werden müssen, impliziert, dass sie nichtkompositioneller Natur sind und/oder so häufig im Sprachgebrauch auftreten, dass sie eine eigene kognitive Einheit bilden. Der Formseite einer Konstruktion werden syntaktische, morphologische und phonologische Eigenschaften zugerechnet, der Bedeutungsseite semantische, pragmatische und diskurs-funktionale Eigenschaften. Weiterführende Literatur: Bislang liegt keine umfassende Einführung in die zeichentheoretischen Grundlagen der
29 Konstruktionsgrammatik vor, allerdings geben Smirnova und Mortelmans (2010: 131172) einen knappen Überblick über zentrale Theoreme der Konstruktionsgrammatik, wobei der Schwerpunkt hier auf Goldbergs Ansatz liegt. Etwas umfassender fällt die Darstellung von Müller (2010: 229-250) aus. Da hier formale Aspekte, insbesondere mit Blick auf den Ansatz von Kay und Fillmore (etwa 1999) (Berkeley Construction Grammar) dominieren, bietet es sich an, Müllers Zusammenfassung ergänzend zu Smirnova & Mortelsmans 2010 zu konsultieren. Einen kompakten Überblick bieten Fischer und Stefanowitsch (2007). Daneben sind zum Einstieg folgende Aufsätze bzw. Sektionen aus Monographien zu empfehlen: Boas im Druck a: Abschnitt 2; Croft & Cruse 2004: 257264; Goldberg 1995: 1-21, 2006a: 1-18; Lasch & Ziem 2011; Stefanowitsch 2011a,b; Ziem 2009.
TEIL II: KONSTRUKTIONSGRAMMATISCHE ANSÄTZE UND METHODISCHE ZUGÄNGE
3 Zur Entstehung und Entwicklung der Konstruktionsgrammatik Im Folgenden stehen konstruktionsgrammatische Theoriebildungen sowie einschlägige methodisch-empirische Verfahren im Mittelpunkt der Darstellung. Nach einer kurzen Skizze der Entstehung und Entwicklung der Konstruktionsgrammatik in diesem Abschnitt möchten wir zunächst konstruktionsgrammatische Theoriebildungen vorstellen, die bewusst auf Formalisierungen verzichten und sich zum Ziel setzen, Sprache-im-Gebrauch aus kognitiver oder typologischer Perspektive zu beschreiben (Abschnitt 4). Formal orientierte Ansätze stehen im Anschluss in Abschnitt 5 im Vordergrund. Dieser Überblick soll deutlich machen, dass es nicht die Konstruktionsgrammatik gibt; vielmehr existiert eine Reihe von mehr oder weniger verwandten Ansätzen, die sich teilweise nur in Nuancen, teilweise aber auch substantiell unterscheiden. Auch wenn im vorliegenden Band der inhaltliche Fokus auf gebrauchsbasiert-kognitiven Theoriebildungen liegt, möchten wir ebenso formal orientierte, unifikationsbasierte Ansätze zu Wort kommen lassen, um einen vollständigen Überblick über aktuelle Diskussionen anzubieten (und so individuelle Vertiefungen zu ermöglichen). Weiterhin ist wichtig zu sehen, dass sich gebrauchsbasierte und eher formal ausgerichtete Ansätze zunehmend annähern (vgl. etwa Sag & Boas & Kay 2012, Bergen & Chang im Druck) und es durchaus möglich ist, dass es in Zukunft vermehrt ‚Mischformen‘ geben wird. Auch vor diesem Hintergrund erscheint es uns angeraten, in alle aktuell diskutierte Theorien kurz einzuführen. Die Konstruktionsgrammatik kann inzwischen auf eine Forschungsgeschichte von über 25 Jahren zurückblicken. Wenngleich die Verwendung des Konstruktions-Begriffes über die Blütezeit des Strukturalismus hinaus bis in die Antike zurückreicht, hat sich „Konstruktion“ als Terminus technicus erst allmählich im Zuge einer wachsenden Kritik an transformationsgrammatischen Ansätzen herausgebildet. Bevor wir auf diese Auseinandersetzung eingehen, lohnt sich ein kurzer Blick auf einige begriffsgeschichtliche Stationen. Diese geben Aufschluss darüber, inwiefern Konstruktionen ein systematischer Platz in einem modernen Grammatikmodell zusteht. Goldberg und Casenhiser (2006: 343f.) machen darauf aufmerksam, dass bereits der römische Redner Cicereo den Begriff der Konstruktion verwendet hat, um damit eine bestimmte Gruppierung von Wörtern zu bezeichnen. Auch Priscian, ein spätantiker lateinischer Grammatiker, der im 5. Jahrhundert lebte, sowie – sieben Jahrhunderte später – die Modistae, eine Gruppe von GrammatikerInnen, die Sprache als Reflektion von Wirklichkeit begriffen, haben ausführlich über sprachliche Konstruktionen reflektiert. Nach Priscians und im Verständnis der Modistae sind Konstruktionen Mehrworteinheiten, die wohlgeformt sind – da grammatisch aufeinander abgestimmt – und zugleich Bedeutung tragen. Zwar gibt
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es auch im 13. und 14. Jahrhundert keinen verbindlichen Konsens darüber, nach welchen Kriterien sprachliche Einheiten als Konstruktionen zu klassifizieren sind, but in general, the term construction refers to classes of actual expressions, that is to grammatical patterns. This use of construction has a long tradition within descriptive grammars, being used to characterize, for example, relative clauses, passives, topicalization, and so on. On this view, a construction is any systematic phrasal pattern of form and function. (Goldberg & Casenhiser 2006: 343; Hervorhebung im Original).
Diese Definition von Konstruktionen als formseitig komplexe Muster mit (mindestens) einer Bedeutung oder Funktion dürfte theorieunabhängig Bestand haben – und auch deswegen kaum Anlass zu Kontroversen geben. Tatsächlich finden sich in den meisten, wenn nicht allen, Grammatikmodellen ähnliche Verwendungsweisen des Konstruktions-Begriffs. Ein Verständnis von Konstruktionen als bedeutungstragenden Mehrworteinheiten muss sprachtheoretisch deswegen als uninteressant gewertet werden, weil eine solche Bestimmung allein nicht ausreicht, um Konstruktionen einen theoretischen Stellenwert mit Implikationen für die Beschreibung grammatischer Phänomene einer Sprache einzuräumen. Dass der Begriff der Konstruktion in konkurrierenden Sprachtheorien infolgedessen oftmals als eine Residualkategorie fungiert, lässt sich an seiner Rolle verdeutlichen, die er bei zwei wichtigen Vorläufern und theoretisch-methodischen Antipoden der Konstruktionsgrammatik spielt und gespielt hat: dem linguistischen Strukturalismus und der generativen Transformationsgrammatik. In Bloomfields strukturalistischer Sprachtheorie fungieren Konstruktionen erstmalig als zentrale Einheiten zur strukturellen Beschreibung einer Sprache. Dies lässt sich daran erkennen, dass Bloomfield Konstruktionen im engen Zusammenhang mit dem strukturalistischen Kernbegriff der Konstituente thematisiert.23 So zeichne sich eine Konstruktion durch grammatische Merkmale aus, mit denen Konstituenten zu einer formal komplexeren Einheit kombiniert werden; auf der Wortebene können so etwa qua Derivation die Einheiten schön und -heit zur Konstruktion Schönheit verbunden werden und auf der syntaktischen Ebene lassen sich etwa Einheiten wie Schönheit und anstecken zu Schönheit steckt an kombinieren (vgl. Bloomfield 1984: 169). Insofern Bloomfield also Konstruktionen als komplexe Konstituenten definiert (und damit vom Konzept der Modistae kaum abweicht), bleibt die begriffliche Bestimmung wesentlich auf die Definition und Ermittlung von Konstituenten angewiesen. Die über syntaktische Tests wie Substitution, Verschiebung, Koordination oder Streichung durchgeführte Konstituentenanalyse erweist sich aber bekanntlich nicht immer als zuverlässig (zusammenfassend: Lyons 1995: 232ff.). Entsprechend problematisch ist auch der Konstruktions-Begriff, ganz abgesehen davon, dass er lediglich als Beschreibungskategorie zweiter Ordnung Einsatz findet. Die bereits von Bloomfield (etwa 1984: 184) betonte Eigenschaft von Konstruktionen, eine bedeutungsseitige bzw. funktionale Einheit von sprachlichen Elementen zu bilden, –––––––— 23
Schönefeld (2006: 6) weist darauf hin, dass darüber hinaus auch die Strukturalisten Zellig Harris und Rulon Wells Mitte der 1950er Jahre den Konstruktions-Begriff in ähnlicher Weise benutzt haben. Es scheint sich also um keine zufällige begriffliche Vereinnahmung zu handeln.
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greifen indes alle Varianten der Konstruktionsgrammatik auf. Wie wir später sehen werden, taucht darüber hinaus in Langackers konstruktionsgrammatischem Ansatz der Cognitive Grammar ein sehr ähnlicher Konstruktions-Begriff auf (vgl. Abschnitt 4.2). Langacker (1987) verzichtet auf das Kriterium der Nicht-Kompositionalität, und nach seinem Verständnis fallen einfache sprachliche Einheiten ausdrücklich nicht unter den Begriff der Konstruktion. Dies darf gleichwohl nicht darüber hinwegtäuschen, dass Bloomfields Begriff der Konstruktion – wie sein Ansatz insgesamt – von behavioristischen Vorgaben und Annahmen geprägt ist, die freilich die Konstruktionsgrammatik nicht teilt. Lassen sich zwischen dem strukturalistischen und konstruktionsgrammatischen Begriff der Konstruktion noch gewisse Gemeinsamkeiten feststellen, so gilt dies nicht mehr für den Konstruktions-Begriff der generativen Transformationsgrammatik. Insgesamt wird in dieser ein kognitivistisches Sprachmodell vertreten, das dem der Konstruktionsgrammatik in zentralen Punkten diametral entgegensteht. In einem Wort: Die Transformationsgrammatik ist der große Antipode der Konstruktionsgrammatik (und der Kognitiven Linguistik, vgl. Taylor 2007: 572-574), wenngleich einzelne, aber wenige (!) LinguistInnen wie Ray Jackendoff (etwa 1996) versuchen, eine Brücke zu schlagen. Der wesentliche Unterschied zwischen der Konstruktionsgrammatik und der Transformationsgrammatik besteht darin, dass der Konstruktionsgrammatik ein monostratales und nicht-modulares Sprachmodell zugrunde liegt und dass sprachliche Organisationsprinzipien nicht als sprachspezifisch und angeboren gelten, sondern vielmehr von allgemeinen kognitiven Fähigkeiten abgeleitet sind (vgl. zusammenfassend Ziem 2009: 175-179). In den verschiedenen Ansätzen und Versionen der generativen Transformationsgrammatik werden dagegen natürlichsprachige Sätze als Oberflächenstrukturen interpretiert, die über abstrakte Regeln und Prinzipien aus universalen sprachlichen Tiefenstrukturen systematisch erzeugt werden. Das analytische Interesse gilt allein der tiefenstrukturellen Ebene als Teil der Kompetenz. Dies führt zu einem komponentialistischen Modell, nach dem Syntax, Semantik und Phonologie eigenständige Subsysteme bilden, die zusammen die Grammatik einer Sprache determinieren; der Zeichenbegriff de Saussures, der in modifizierter Form auch der Konstruktionsgrammatik zugrunde liegt (vgl. Abschnitt 2.2), wird also zugunsten einer modularen Sprach- und Zeichenkonzeption aufgegeben. Gleichsam quer zum grammatischen Modul liegt das Lexikon, in das alle sprachlichen Phänomene, so auch Phraseologismen, ‚abgeschoben‘ werden, die sich form- und/oder bedeutungsseitig nicht kompositionell durch die Regeln des grammatischen Kenntnissystems errechnen lassen. Entscheidend ist nun, dass das Konzept der Konstruktion, das im strukturalistischen Ansatz Bloomfields zumindest noch als Kategorie zweiter Ordnung relevant war, in der generativen Transformationsgrammatik gänzlich desavouiert wird und fortan weder in theoretischer noch in analytischer Hinsicht eine Rolle spielt, denn, wie Schönefeld (2006: 11-12) hervorhebt, any specific expression which does not follow from the very general rules of the grammatical component (the parameterized principles of Universal Grammar) – and is hence not predictable – is relegated to the lexicon or to the periphery of a language’s grammar, i.e. that part of a language’s grammar that is not part of UG. In contrast to this, a language’s (core) grammar (i.e. the
34 “innate” grammar) is taken to be entirely compositional, so that complex structures can be described as being composed of their formal constituents, and the same procedure or principle is also assumed for their semantic interpretation.
Vor diesem Hintergrund verwundert es kaum, dass idiomatische Ausdrücke aufgrund ihrer formalen und/oder bedeutungsseitig irregulären, idiosynkratischen Eigenschaften das komponentielle Modell vor ernsthafte Probleme stellt. Denn: Sie treten – nicht nur im Deutschen – in ganz unterschiedlicher Gestalt und mit hoher Frequenz auf (Dobrovol’skij 2011), weshalb sie keineswegs ein zu vernachlässigendes sprachliches Randphänomen darstellen. Dessen ungeachtet können sie per definitionem nicht zur „Kerngrammatik“ im Sinne Chomskys (1980b: 3) gehören. Vor diesem Hintergrund ist es kein Zufall, dass die ersten konstruktionsgrammatischen Studien wesentlich durch die Einsicht motiviert sind, idiomatische Ausdrücke trotz ihres von der Kerngrammatik abweichenden Verhaltens und Auftretens grammatiktheoretisch zu berücksichtigen. Systematisch geschieht dies erstmalig durch die bahnbrechende Studie von Fillmore, Kay und O’Connor (1988) zur „let alone“Konstruktion. Croft (2007: 467) hält hierzu fest: Constructions are like lexical items in the componential model: they link together idiosyncratic or arbitrary phonological, syntactic, and semantic information. The difference between lexical items and constructions is that lexical items are substantive and atomic (that is, minimal syntactic units), while constructions can be at least partially schematic and complex (consisting of more than one syntactic element).
Der noch wesentlichere Unterschied besteht darin, dass Fillmore, Kay und O’Connor Konstruktionen zum zentralen linguistischen Gegenstand erklären. Wie in Abschnitt 2.2.2 (vgl. dort Abbildung 1) illustriert, mündet dies in ein Grammatikmodell, das sich fundamental von der komponentialistischen Konzeption unterscheidet. Sprache wird nunmehr als ein intrinsisch symbolisches, also irreduzibel zeichenhaftes System begriffen. Dazu dient der Konstruktions-Begriff, der zur grammatiktheoretischen Fundamentalkategorie erster Ordnung erklärt wird. Das Novum besteht darin, Konstruktionen selbst als die grundlegenden Einheiten einer Sprache anzusetzen; alle anderen Kategorien von grammatiktheoretischer Relevanz sind ihnen untergeordnet, d.h. nur im Rekurs auf sie erklärbar. In Abschnitt 8.1 gehen wir ausführlicher auf das komponentialistische Modell modularer Sprachtheorien ein. Halten wir an dieser Stelle zunächst resümierend fest: Obschon der linguistische Fachbegriff der Konstruktion keineswegs eine Erfindung der modernen Sprachwissenschaft ist, zeichnen sich frühe konstruktionsgrammatische Studien dadurch aus, dass sie einen konkretisierten Konstruktions-Begriff zum Dreh- und Angelpunkt grammatiktheoretischer Überlegungen machen. Da dies in Abgrenzung von der generativen Transformationsgrammatik geschieht, überrascht es kaum, dass ungefähr zeitgleich bahnbrechende Studien von ehemals generativ-grammatisch orientierten LinguistInnen erschienen sind, die für die Entwicklung der Konstruktionsgrammatik von grundlegender Bedeutung werden sollten: Neben der erwähnten Studie von Fillmore, Kay und O’Connor (1988), die wichtige Argumente gegen ein rein regelbasiertes Grammatikmodell liefert, insbesondere Lakoffs Monographie zu sprachlichen Kategorien, die eine detaillierte Untersuchung zu
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„there“-Konstruktionen enthält (Lakoff 1987: 462-585), sowie Langackers konstruktionsbasiertes Programm einer Kognitiven Grammatik (Langacker 1987). Als die Arbeiten von Langacker, Lakoff sowie Fillmore, Kay und O’Connor veröffentlicht wurden, hatten jedoch bereits erste erfolgreiche Emanzipationsversuche stattgefunden. So müssen aus heutiger Perspektive Lakoffs und Ross’ (1976) kritische Überlegungen zu Tiefenstrukturen, Langackers (1982) Entwurf einer Space Grammar, die als Vorläufer der Cognitive Grammar (CG) zu werten ist, und auch Fillmores (1975) Kritik an der Komponentialsemantik als frühe Versuche angesehen werden, eine Spielart der kognitiven Linguistik zu entwickeln, die sich maßgeblich von der damals stark dominierenden Sprachtheorie Chomskys (etwa 1965) unterscheidet (vgl. auch den Überblick in Taylor 2007). Die Phase der Abgrenzung und allmählichen Entwicklung eines neuen kognitiven Forschungsparadigmas fand ihren vorzeitigen Abschluss in der Gründung der Internationalen Gesellschaft für Kognitive Linguistik (International Cognitive Linguistics Association, kurz: ICLA).24 Die ICLA wurde im Frühjahr 1989 in Duisburg konstituiert, wo der anglistische Sprachwissenschaftler René Dirven eine internationale Tagung organisierte, an der viele kognitive LinguistInnen der ersten Stunde teilnahmen. Der Stellenwert der Duisburger Konferenz kann rückblickend kaum hoch genug eingeschätzt werden, insofern hier ebenfalls die inzwischen renommierte Zeitschrift Cognitive Linguistics sowie die bekannte Buchreihe Cognitive Linguistics Research (kurz: CLR) ins Leben gerufen wurden; beide werden seither bei Mouton de Gruyter publiziert. Die ICLA tagt seit 1989 im Zwei-JahresRhythmus, und seit 2001 findet zudem alle zwei Jahre eine große internationale konstruktionsgrammatische Tagung (International Conference on Construction Grammar, kurz: ICCG) an wechselnden Orten statt. Die erste Tagung wurde 2001 in Berkeley abgehalten. Mit der bei Benjamins erscheinenden Buchreihe Constructional Approaches to Language sowie den Zeitschriften Constructions und Constructions and Frames verfügt auch die Konstruktionsgrammatik über inzwischen etablierte Publikationsplattformen. Bereits Ende der 1980er Jahre zeichnete sich eine Aufteilung der konstruktionsgrammatisch ausgerichteten Forschung in eine stärker kognitiv-gebrauchsbasierte, nicht auf Formalisierungen abzielende Strömung einerseits und eine formal ausgerichtete, unifikationsbasierte Strömung andererseits ab. Während sich die einen den Arbeiten von Lakoff (1987), Langacker (1987) und Goldberg (1995) verpflichtet fühlten, orientierten sich die anderen an Fillmore (1988) und Fillmore, Kay und O’Connor (1988). Diese Zweiteilung hat bis heute Bestand, und aufgrund der Ausdifferenzierung beider Strömungen zeichnet sich derzeit kein einheitliches Modell ab. So hat Croft (2001) einerseits ausgehend vom gebrauchsbasierten Modell Goldbergs, Lakoffs und Langackers mit typologischem Erkenntnisinteresse eine Radical Construction Grammar entwickelt, während die maßgeblich von Fillmore und Kay initiierte Berkeley Construction Grammar zunehmend in die so genannte Sign-Based Construction Grammar überzugehen scheint. In gewisser Weise quer zu dieser Entwicklung liegt die Entstehung der Embodied Construction Grammar und der Fluid Construction –––––––— 24
Aktuelle Informationen der Gesellschaft unter , Stand: 19.12.2012.
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Grammar deswegen, weil beide zwar ebenfalls eine unifikationsbasierte Formalisierung von Konstruktionen anstreben, zugleich aber der kognitiven und mithin dynamischen Realität von Konstruktionen Rechnung zu tragen versuchen. Wir werden diese im Folgenden als komputationelle Ansätze bezeichnen und aufgrund ihrer notationellen Anlehnung an Formalismen der Kopfgesteuerten Phrasenstrukturgrammatik im Zusammenhang mit der Berkeley Construction Grammar und der Sign-Based Construction Grammar behandeln. Halten wir fest: Die Konstruktionsgrammatik ist keine homogene Theorie oder gar Schule. Sie umfasst vielmehr eine Vielzahl miteinander verwandter Ansätze, die zwar wesentliche Annahmen teilen, gleichwohl aber teilweise verschiedene Zielsetzungen verfolgen und dabei mitunter von unterschiedlichen theoretischen und methodologischen Voraussetzungen ausgehen. Sag, Boas und Kay (2012: Abschnitt 1.1) fassen zusammen: These research communities are only loosely related, however, and at present very little exists in the way of a generally agreed upon theory of constructions. What unites the researchers who meet at CxG conferences appears to be: (1) their love of interesting and complex data and (2) their dislike of most work in the UG [= Universal Grammar, AZ/AL] camp, whose theories they regard as distorting the basic nature of individual languages to fit a pre-conceived mold.
Über die grundsätzliche Skepsis an Prämissen einer universalgrammatischen Sprachtheorie hinaus lassen sich jedoch gleichwohl drei Prinzipien benennen, die allen konstruktionsgrammatischen Ansätzen gleichermaßen zugrunde liegen: -
Grammatische Konstruktionen als Zeichen: Erstens gelten (syntaktisch komplexe) Konstruktionen als sprachliche Zeichen, also als Form-Bedeutungspaare. Folglich besteht zwischen dem Lexikon und der Grammatik einer Sprache ein Kontinuum. Aufgrund der symbolischen Natur von grammatischen Strukturen müssen auch diese – auf die gleiche Weise wie lexikalische Einheiten – gelernt werden. Alle konstruktionsgrammatischen Ansätze lehnen die Annahme angeborenen sprachspezifischen Wissens ab.
-
Konstruktionen als einheitliches Repräsentationsformat: Zweitens wird angenommen, dass sprachliche Zeichen und grammatische Strukturen einheitlich repräsentiert sind, nämlich im Format von Konstruktionen. Mithilfe von Konstruktionen lässt sich die Struktur einer Sprache erfassen, ohne von einer modular aufgebauten Grammatik mit je spezifischen Regelsystemen auszugehen.
-
Grammatik als strukturiertes Inventar von Konstruktionen. Drittens wird Grammatik als ein taxonomisch organisiertes System von Konstruktionen verstanden. Konstruktionen unterhalten (Vererbungs-)Beziehungen untereinander und bilden so ein komplexes System, das „Konstruktikon“, in dem Sprachwissen repräsentiert ist. Gleichzeitig wird die Annahme von Tiefenstrukturen und Ableitungsregeln zwischen diesen Strukturen abgelehnt.
Wie bereits von Sag, Boas und Kay insinuiert, unterscheiden sich konstruktionsgrammatische Ansätze trotz dieser Gemeinsamkeiten nicht nur im Detail. Sie weisen vielmehr konzeptionelle Unterschiede auf, wobei die grundlegende Divergenz zwei Aspekte betrifft:
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-
Orientierung am Sprachgebrauch und an der kognitiven ‚Realität‘ von Konstruktionen: Einige Ansätze setzen sich ausdrücklich zum Ziel, alle Facetten des sprachlichen Wissens zu erfassen, die sich für das Verstehen und den angemessenen Gebrauch von Sprachzeichen als relevant erweisen. Dabei wird Wert darauf gelegt, eine psychologisch realistische Sprachtheorie aufzustellen, die – gemäß der kognitiven Maxime Lakoffs (vgl. Abschnitt 2.2 und 4.1) – mit einschlägigen Ergebnissen der Psychologie und der Kognitionswissenschaften kompatibel ist. Dies trifft zu auf (a) das Goldberg & LakoffModell, manchmal auch Cognitive Construction Grammar genannt (vgl. Boas im Druck a), (b) Langackers Cognitive Grammar sowie (c) Crofts Radical Construction Grammar. Obwohl die Embodied Construction Grammar sowie die Fluid Construction Grammar zuvorderst komputationelle Ansätze sind, ist es auch ihr erklärtes Ziel, den komplexen situativen und kognitiven Bedingungen des natürlichen Sprachgebrauchs möglichst umfassend Rechnung zu tragen.25
-
Formalisierbarkeit von Konstruktionen. Andere Ansätze verzichten dagegen entweder auf den Einbezug kognitiver Aspekte oder messen diesen keinen hohen Stellenwert bei. Stattdessen wird versucht, mittels Formalisierungen Konstruktionen möglichst präzise zu erfassen. In anwendungsorientierten Modellen (etwa im Bereich der Robotik oder des „natural language processing“) wird es so möglich, konstruktionsgrammatische Beschreibungen in Computern und Robotern zu implementieren und ihre praktische Nutzbarkeit zu testen. Zu den formal ausgerichteten Ansätzen gehören (a) die Berkeley Construction Grammar, die maßgeblich mit den Namen Fillmore und Kay verbunden ist, (b) die Sign-Based Construction Grammar, die aktuell unter anderem von Sag, Kay, Michaelis und Fillmore vertreten wird, (c) die Fluid Construction Grammar, im Rahmen dessen Steels intelligente, interagierende Roboter entwickelt, sowie (d) die Embodied Construction Grammar von Bergen und Chang.
Im Folgenden gehen wir zunächst auf konstruktionsgrammatische Ansätze ein, die auf Formalisierungen bewusst verzichten (Abschnitt 4), bevor formal orientierte Theoriebildungen dargestellt werden, in denen unifikationsbasierte Beschreibungen von Konstruktionen eine zentrale Rolle spielen (Kapitel 5).
–––––––— 25
Um Missverständnisse zu vermeiden, werden im Folgenden die im Amerikanischen bzw. Englischen gängigen Bezeichnungen für die Ansätze nicht ins Deutsche übersetzt. Für keinen der hier vorgestellten Theoriebildungen hat sich im Deutschen bislang eine feste Bezeichnung durchgesetzt.
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4 Konstruktionsgrammatische Theoriebildungen I: kognitive, gebrauchsbasierte und typologische Aspekte Die Geburtsstunde der Kognitiven Linguistik markiert zugleich das Anfangsstadium der Konstruktionsgrammatik. Beide eint die Skepsis an einem Sprachmodell, dessen Basis eine (teilweise angeborene) ‚Universalgrammatik‘ bildet, sowie das Bedürfnis, eine alternative kognitive Sprachtheorie zu entwickeln, die sich nicht auf einen wohldefinierten (grammatischen) Kernbereich beschränkt und Abweichungen von diesem als Ausnahmen definiert. Der Mehrzahl an neueren konstruktionsgrammatischen Studien liegt entsprechend ein kognitiver Konstruktions-Begriff zugrunde, der sich am Sprachgebrauch orientiert. Dies gilt auch für die vorliegende Einführung. Am Sprachgebrauch orientierte konstruktionsgrammatische Ansätze teilen mit formal ausgerichteten Theoriebildungen die Annahme eines graduellen Übergangs zwischen Lexikon und Grammatik (vgl. insbesondere Abschnitt 8.1). Grammatischen Strukturen kommt demnach kein eigenständiger Status zu, da auch sie Bedeutung(en) tragen und einen zeichenhaften Charakter aufweisen. Anders als die Berkeley Construction Grammar und die Sign-Based Construction Grammar begreifen jene gebrauchsbasierten Ansätze, die auf Formalisierungen verzichten, Konstruktionen als (sozio-)kognitive Einheiten. Sie zeichnen sich dadurch aus, dass sie der Auftretensfrequenz von sprachlichen Einheiten bei der Herausbildung von Konstruktionen einen zentralen Stellenwert beimessen (vgl. Croft 2007: 499f., zum so genannten „entrenchment“ Abschnitt 8.3).26 Die Etablierung, der Wandel und das Vergehen von Konstruktionen werden entsprechend als Ergebnisse des Sprachgebrauchs verstanden. Sprachgebrauch und Sprachsystem stehen folglich in einem dialektischen Verhältnis: Zwar bestimmt das Sprachsystem – also die innerhalb einer Sprachgemeinschaft zu einem bestimmten Zeitpunkt etablierten Konstruktionen (das „Konstruktikon“) – bis zu einem gewissen Grad den Sprachgebrauch; umgekehrt beeinflusst aber auch der Sprachgebrauch insofern das Sprachsystem, als sich etwa durch Frequenzeffekte neue sprachliche Kategorien herausbilden und im Sprachsystem (vorübergehend) etablieren können (vgl. Abschnitt 10.2). Mit einer solchen Ausrichtung auf Konstruktionen als kognitiv verfestigte und gelernte Form-Bedeutungspaare geht die Notwendigkeit einher, der Organisation und Interaktion von Konstruktionen im sprachlichen Wissen von SprachbenutzerInnen Rechnung zu tragen sowie zwischen möglichen Erscheinungsformen von Konstruktionen, insbesondere zwischen variierenden Komplexitäts- und Abstraktionsgraden, zu differenzieren. Wie syntaktisch komplex kann eine Mehrworteinheit sein, um noch als Konstruktion zu zählen? Und sind über lexikalisch voll spezifizierte Einheiten wie ab und zu, den Nagel auf den Kopf treffen auch Mehrworteinheiten mit offenen Slots oder lexikalisch unspezifizierte Muster, wie etwa Argumentstrukturen, als Konstruktionen zu berücksichtigen? In welcher Bezie–––––––— 26
Zwar orientiert sich durchaus auch die Berkeley Construction Grammar am Sprachgebrauch (vgl. etwa Kay & Fillmore 1999); Type- und Token-„Entrenchment“, also die Verfestigung von sprachlichen Instanzen und Schemata (vgl. Abschnitt 8.3), spielt hier jedoch keine Rolle.
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hung stehen Konstruktionen zueinander? Solche Fragen rücken in den Blick, wenn Konstruktionen als elementare Bestandteile einer Sprache verstanden werden (vgl. Abschnitte 7 und 8). Dies geschieht, wie wir im Folgenden zeigen möchten, in verschiedenen konstruktionsgrammatischen Theoriebildungen in durchaus unterschiedlicher Weise. Um die verschiedenen Ansätze im Folgenden besser miteinander vergleichen zu können, sollen drei übergreifende Fragen als Orientierungspunkte dienen: (a) Von welchen sprach- und zeichentheoretischen Voraussetzungen wird ausgegangen? Teilweise unterscheiden sich konstruktionsgrammatische Ansätze hinsichtlich des jeweils zugrunde liegenden Konstruktions-Begriffs; teilweise variieren sie auch mit Blick auf den Status, den sie syntaktischen Elementen in einer Konstruktion zuschreiben, oder mit Blick auf Relationen, die zwischen Konstruktionen postuliert werden. (b) Was ist der Hauptgegenstandsbereich und mit welchem Erkenntnisinteresse wird dieser untersucht? Jeder Ansatz legt seinen empirischen Schwerpunkt – schon aus kapazitären Gründen – auf die Untersuchung bestimmter sprachlicher Phänomene. Die Wahl hängt dabei meist eng mit den jeweils verfolgten Erkenntnisinteressen zusammen. (c) Welche Methoden kommen zum Einsatz? Ein drittes Tertium comparationis betrifft methodische und methodologische Aspekte. Es gibt eine große Variationsbreite hinsichtlich der Art und Weise, wie der ausgewählte Gegenstandsbereich erforscht wird und wie die eingesetzten Methoden begründet werden.
4.1 Cognitive Construction Grammar (Lakoff und Goldberg): von „there“-Konstruktionen zu Argumentstruktur-Konstruktionen Die Cognitive Construction Grammar – im Folgenden CCxG – hat ihren Ursprung in der Studie Lakoffs zu „there“-Konstruktionen (Lakoff 1987: 462-585). Lakoff (1987: 467) legt seiner Studie ein Verständnis von „Konstruktion“ als Form-Bedeutungspaar zugrunde, das Goldberg (1995) aufgreift und für die Analyse von Argumentstruktur-Konstruktionen fruchtbar macht. Da wir in den vorangegangenen Abschnitten bereits Grundzüge der CCxG thematisiert haben (vgl. insbesondere Abschnitt 2.2), beschränken wir uns hier auf eine knappe Zusammenfassung der wesentlichen Aspekte. Weitere zentrale Charakteristika wie Vererbungsbeziehungen zwischen Konstruktionen, kognitive Verfestigung, Polysemie und Prototypikalität von Konstruktionen werden in Abschnitt 8 detailliert diskutiert. (a) Sprach- und zeichentheoretische Voraussetzungen. Lakoff und Goldberg legen großen Wert darauf, dass ihre linguistischen Analysen nicht nur beschreibungsadäquat sind, also das untersuchte Phänomen im vollen Umfang erfassen, sondern dass sie darüber hinaus auch als psychologisch realistisch gelten dürfen. Lakoff und Goldberg versuchen also der kognitiven Maxime (vgl. Abschnitt 2.2) Rechnung zu tragen. Zu den kognitiven Aspekten, die in den Analysen Berücksichtigung finden, zählen erstens die Lernbarkeit von Konstruktionen (Lakoff 1987: 514; Goldberg 2006a: 69-126, 2006b; Goldberg & Casenhiser 2008),
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zweitens die prototypische Struktur von Konstruktionen als sprachliche Kategorien (Lakoff 1987, Goldberg 2006a: 179) sowie drittens die kognitiven Motivationen, die bei der Herausbildung und Etablierung von grammatischen Konstruktionen wirksam werden (Lakoff 1987: 537-540; Goldberg 2006a: 217-219). Konsequenterweise definiert Goldberg (2006a: 5) Konstruktionen entsprechend als gelernte Form-Bedeutungspaare, die hinsichtlich ihre Komplexität und Schematizität erheblich variieren können; das Kriterium der Nicht-Kompositionalität spielt dabei keine zentrale Rolle mehr. Es wird zugunsten des Kriteriums der kognitiven Verfestigung („entrenchment“) aufgegeben. Indikatoren für den Verfestigungsgrad sind die Produktivität, Auftretensfrequenz und kognitive Motiviertheit von Konstruktionen (vgl. Abschnitt 6.2 und 8.3). Lakoff und Goldberg diskutieren eine Vielzahl von Relationstypen („links“), einschließlich taxonomischer Relationen zwischen Konstruktionen. Im Detail differenziert Goldberg (1995: 74ff.) zwischen Polysemie-Relationen, Teil-Ganzes-Relationen, Instanz-Relationen sowie Relationen der metaphorischen Erweiterung. (b) Gegenstandsbereich und Erkenntnisinteresse. Lakoffs Analyse von „there“-Konstruktionen ist eine Art Appendix zu seiner groß angelegten kognitiv-semantischen Studie zur Natur sprachlicher Kategorien (Lakoff 1987). Die Untersuchung von „there“-Konstruktionen dient als Fallbeispiel zur Veranschaulichung des Nutzens und der Notwendigkeit, prototypische Strukturen und radiale Kategorien als grundsätzliche Eigenschaften sprachlicher Phänomene anzunehmen. Goldbergs Arbeit unterscheidet sich von Lakoffs und auch den zeitlich vorangehenden Studien von Fillmore und Kay insofern grundlegend, als nicht mehr sprachliche Phänomene ins Visier genommen werden, die nach gängigem Grammatikverständnis als Randphänomene gelten. Statt sich etwa auf Einzelphänomene wie „there“-Konstruktionen (Lakoff 1987), die „let alone“-Konstruktion (Fillmore & Kay & O’Connor 1988) oder schematische Idiome (Kay & Fillmore 1999) zu konzentrieren, widmet sich Goldberg einem Kerngegenstand der ‚traditionellen‘ Syntaxtheorie: Argumentstrukturen. Ihr ganzes Werk lässt sich als ein facettenreicher und differenzierter Versuch interpretieren, die These zu untermauern, dass Argumentstrukturen selbst Bedeutung(en) tragen, und zwar unabhängig von den einzelnen Wörtern eines Satzes (und deren Bedeutungen) (Goldberg 1995: 1). Steht in den frühen Arbeiten der Nachweis im Vordergrund, dass Argumentstrukturen bedeutungsseitig nur im Rückgriff auf Konstruktionen adäquat erfasst werden können, so ist für neuere Studien der Versuch kennzeichnend, den Konstruktions-Begriff in sprachvergleichend angelegten Analysen zu validieren und empirische Evidenz für die Lernbarkeit von Konstruktionen zu erbringen (vgl. zusammenfassend Goldberg 2006b). (c) Methoden. Goldberg geht, ebenso wie Lakoff (1987) in seinen frühen Studien, introspektiv vor, entwickelt aber zur Analyse von Einzelbelegen eine strikte Methodologie, die sich folgendermaßen zusammenfassen lässt: Ausgehend von einer losen Belegsammlung wird zuerst der Nachweis erbracht, dass eine Argumentstruktur bestimmte semantische oder syntaktische Eigenschaften aufweist, die sich nicht kompositionell ermitteln lassen. Der zweite Schritt besteht darin, sowohl die Bedeutung(en) der jeweiligen Argumentstruktur als
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auch den syntaktischen Frame zu bestimmen, der die Bedeutung(en) verfügbar macht. Schließlich gilt es, die Korrelationen zwischen den Argumentrollen der Konstruktionen und den Teilnehmerrollen des Verbs sowie die (semantischen) Vererbungsbeziehungen zu verwandten Konstruktionen auszuweisen. In neueren Studien, deren Ergebnisse in Goldberg 2006a dokumentiert sind, greift Goldberg zunehmend auf experimentelle und neurowissenschaftliche Methoden zurück (Boyd & Goldberg 2011, Allen & Pereira & Botvinick & Goldberg im Druck). Im Zentrum aktueller Studien stehen die empirisch-experimentelle Erforschung des Erwerbs und der mentalen Repräsentationen von Konstruktionen (vgl. die Ausführungen in den Abschnitten 6.4 und 7).
4.2 Cognitive Grammar (Langacker): Grammatik als kognitives Phänomen Der zweite genuin kognitive Ansatz ist Langackers Cognitive Grammar (kurz: CG). Langacker hat seine Theorie unabhängig von anderen Konstruktionsgrammatiken entwickelt. Seine frühen Arbeiten, insbesondere Langacker (1982) und (1987), gehören zu den bahnbrechenden Pionierarbeiten, die hinsichtlich ihrer entfalteten Wirkung kaum zu überschätzen sind. Die sprach- und kognitionstheoretischen Grundlagen sowie die empirischen Anwendungsmöglichkeiten werden in einer auf zwei Bände angelegten Studie ausführlich dargelegt und begründet (Langacker 1987, 1991). Eine Zusammenfassung und Aktualisierung ist inzwischen in einem – durchaus anspruchsvollen – Studienbuch erschienen (Langacker 2008), das anders als seine Vorgänger erstmalig den Begriff der Konstruktion ausführlich reflektiert.27 Die CG teilt mit Goldbergs CCxG wesentliche Prämissen (Langacker 2005). Auch sie ist eine kognitiv-semantisch motivierte Theorie syntaktischer Strukturen und Funktionen, für die charakteristisch ist, dass Form- und Bedeutungsaspekte von Konstruktionen einheitlich repräsentiert werden. Zwar identifiziert Goldberg (2006a: 221) einige wenige Unterschiede zu ihrem eigenen Ansatz, doch diese scheinen größtenteils einer genaueren Prüfung nicht standzuhalten (vgl. Langacker 2009a), so etwa Goldbergs Kritik, dass die CG, anders als das Goldberg & Lakoff-Modell, von einem reduktionistischen Verständnis grammatischer Kategorien und Strukturen ausgehe und dass es hier das Verb sei, das das semantische Profil eines Satzes festlege. Dass beide Punkte nicht zutreffen, legt Langacker (2009a) ausführlich dar. Es ist an dieser Stelle aus Platzgründen nicht möglich, Langackers Vorschlag zur Analyse von Konstruktionen im Detail darzustellen (vgl. hierzu Langacker 2009b); der Verweis –––––––— 27
Vgl. Langacker 2008: Kapitel 6 („Constructions: General characterization“) und Kapitel 7 („Constructions: Descriptive factors“). Trotz der ausführlichen Thematisierung des KonstruktionsBegriffs fehlt hier ein Vergleich mit der – konzeptionell nah verwandten – CCxG Goldbergs; vgl. hierzu aber Langacker 2005 und 2009b: 249-257.
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auf einige grundlegende Aspekte sollte aber ausreichen, um wichtige Unterschiede hinreichend zu verdeutlichen. (a) Sprach- und zeichentheoretische Voraussetzungen. Die CG unterscheidet sich von allen anderen Ansätzen in einer grundlegenden Hinsicht: Konstruktionen werden verstanden als morphologisch oder syntaktisch komplexe symbolische Einheiten einer Sprache (Langacker 2005, 2009b: 231). Demnach gelten zwar flektierte Nomen – wie Tische, Hunde – als Konstruktionen, nicht aber Morpheme wie das Lexem Tisch oder das Flexionsmorphem -e. Konstruktionen genießen in der CG vielmehr den Status von symbolischen Einheiten („symbolic units“), sie entsprechen also sprachlichen Zeichen (im Sinne de Saussures), wobei deren Formseite neben phonologischen auch morphologische sowie syntaktische Informationen umfasst und deren Inhaltsseite sich nicht auf Semantik beschränkt, sondern ebenso pragmatische Informationen umschließt. 28 Bei der Definition von Konstruktionen verzichtet Langacker weiterhin auf das Kriterium der Nicht-Kompositionalität; da es sich bei Konstruktionen allerdings um feste Einheiten („units“) einer Sprache handeln muss, kann vorausgesetzt werden, dass diese insofern kognitiv verfestigt („entrenched“) sind, als die konventionelle Verbindung von Form- und Inhaltsseite in einer Sprachgemeinschaft vorausgesetzt werden kann. Konstruktionen bzw. symbolische Einheiten existieren nicht isoliert, sondern unterhalten vielfältige Beziehungen mit form- und/oder inhaltsseitig ähnlichen Konstruktionen. In der Summe bilden sie „a structured inventory of conventional linguistic units“ (Langacker 1987: 222), das eine Sprache erschöpfend beschreibt. Auch nach der CG bestehen zwischen einer Konstruktion und ihren Teilen Vererbungsrelationen („inheritance links“), terminologisch beschreibt Langacker diese aber als Beziehungen („correspondences“) zwischen der Einzelteil-Struktur („component structure“) einer Konstruktion und der zusammengesetzten Struktur („composite structure“), die aus der Verbindung der Einzelteile hervorgeht. Statt nun, wie Goldberg, zwischen verschiedenen Relationstypen zu unterscheiden, geht Langacker von so genannten Konstruktionsschemata aus, die bei der Zusammensetzung der Einzelteile zu einer komplexen Konstruktion wirksam sind. In C[onstrution] G[rammar], grammatical patterns take the form of constructional schemas, i.e. schematized symbolic assemblies representing the abstracted commonality of instantiating expressions. Apart from their level of specificity, constructional schemas are precisely analogous to these expressions, consisting of component and composite structures linked by correspondences and categorizations. (Langacker 2009b: 236)
Für ein einfaches Beispiel wie die Präpositionalphrase auf dem Tisch heißt das Folgendes: Die Einzelteile bzw. Sub-Konstruktionen bilden auf und dem Tisch. Sie verbinden sich zu der zusammengesetzten Struktur auf dem Tisch, indem der schematische Bezugspunkt der Präposition mit dem semantischen Profil des Nomens in Relation gesetzt wird (Langacker 2009b: 232). Die Präposition legt dabei das semantische Profil der zusammengesetzten Struktur fest: Relevant gesetzt ist der Bereich oberhalb des Tisches. Das bei der Aktualisie–––––––— 28
Vgl. Abbildung 1 in Abschnitt 2.2; zusammenfassend: Ziem 2008: 180-192.
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rung der Konstruktion wirksam werdende Konstruktionsschema kommt analog bei anderen Präpositionalphrasen zum Einsatz. Ähnlich wie die CCxG geht auch die CG von einem schwachen Prinzip der Kompositionalität aus (vgl. Langacker 1987: 452-466, Taylor 2002: 96-116). Demzufolge liefern Teile von Konstruktionen zwar einen Beitrag zur Entstehung der Konstruktion, in die sie eingebettet sind. Sie können diese aber in formaler und/oder semantischer Hinsicht nicht gänzlich erklären. Die notorisch schwierige Frage lautet nun: Welchen semantischen Beitrag leistet etwa das Verb in einer Argumentstruktur-Konstruktion? Langackers (2009b: 251) Position lässt sich diesbezüglich folgendermaßen zusammenfassen: „It is only when a certain usage is entrenched and conventionalized that a construction-specific meaning is said to emerge.“ Langacker wendet sich damit gegen Goldbergs Position, Verben eine minimale Polysemie zuzuschreiben mit der Begründung, semantische Spezifikationen seien durch die jeweilige Argumentstruktur-Konstruktion bedingt, in die das Verb eingebettet ist. Langackers gebrauchstheoretisches Gegenargument lautet, dass das frequente Vorkommen eines Verbes in einer bestimmten Argumentstruktur zu einer kognitiven Verfestigung führen könne, die sich auch auf die Semantik des Verbs auswirkt. In der Folge plädiert er dafür, Polysemie von Verben in einem höheren Maße zuzulassen, als es Goldberg tut. 29 Langacker hat im Laufe der letzten drei Jahrzehnte ein eigenes – und etwas eigenwilliges – Notationssystem entwickelt, mit dem er die durchgeführten Analysen bildlich veranschaulicht. Dieses unterscheidet sich grundlegend von den Darstellungsweisen Goldbergs (vgl. ausführlich Abschnitt 9). In der Sache liegen beide aber nicht weit auseinander. Übergreifend bleibt festzuhalten, dass hinsichtlich der zugrunde liegenden theoretischen Prämissen breiter Konsens besteht – sieht man einmal davon ab, dass Langacker nur formseitig komplexe sprachliche Einheiten als Konstruktionen betrachtet. (b) Gegenstandsbereich und Erkenntnisinteresse. Die CG gibt nicht nur vor, eine Grammatiktheorie zu sein, sie löst den damit verbundenen Anspruch auch insofern ein, als eine große Bandbreite sprachlicher Phänomene tatsächlich behandelt wird. Dazu gehören, um nur einige Beispiele zu nennen, Valenz, Skopus und Quantifizierung, Definitheit, Prädikation, Nominalisierung, semantische Funktionen, Possessivkonstruktionen, Derivation und Flexion, Kasus, Tempus, Wortarten, syntaktische Relationen und Kategorien, Argumentstruktur, Ergativität, Metaphern und Metonymien – und vieles mehr (vgl. etwa Langacker 1991, 2008). Langacker hat damit den Nachweis erbracht, den Goldberg und Lakoff bislang schuldig geblieben sind, dass nämlich der vertretene konzeptionelle Rahmen dazu taugt, die Grammatik – und nicht nur einen kleinen Teilbereich davon – deskriptiv adäquat erfassen und erklären zu können. Inzwischen hat sich die CG insbesondere für die Spracherwerbsforschung als ein brauchbares Paradigma zur Erklärung sprachlicher Kategorienbildung und –––––––— 29
Die Kollostruktionsanalyse von Stefanowitsch & Gries (z.B. 2003) hat in diesem Zusammenhang zu empirisch validierten und belastbaren Ergebnissen geführt. Es ist als ein Mangel zu bewerten, dass Langacker keine Ergebnisse korpusanalytischer Studien heranzieht und berücksichtigt, die seine Thesen stützen – oder auch relativieren würden.
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kindlicher Generalisierungs- und Abstraktionsleistungen erwiesen (vgl. zusammenfassend Behrens 2011b). (c) Methoden. Langackers methodisches Vorgehen entspricht dem Zeitgeist der 1970er und 1980er Jahre, in denen seine wichtigsten Arbeiten entstanden sind: Einerseits ist Introspektion die dominierende Methode (vgl. Abschnitt 6.1). Andererseits werden sprachliche Daten minutiös unter den konzeptionellen Vorgaben seines Ansatzes analysiert. Gemäß den gesetzten gebrauchstheoretischen Prämissen berücksichtigt er dabei aber nicht nur einschlägige sprachwissenschaftliche Forschungsergebnisse, sondern auch Resultate angrenzender Disziplinen, insbesondere der Psychologie, Kognitions- und Neurowissenschaften. Die Einbindung und Berücksichtigung relevanter empirischer Befunde der Nachbardisziplinen hat in der Zielvorgabe Ausdruck gefunden, konvergierende Evidenz („converging evidence“) anzustreben. Das heißt, dass die eigenen erzielten Analyseergebnisse immer auch daraufhin zu prüfen sind, ob sie mit relevanten Resultaten anderer Studien (die mit anderen Methoden und auf der Basis anderer Daten erzielt wurden) vereinbar sind (vgl. auch Schönefeld 2011).
4.3 Radical Construction Grammar (Croft): die typologische Perspektive Die Radical Construction Grammar (RCxG) wurde von William Croft in einer gleichnamigen Monographie entwickelt, die 2001 erschienen ist. Diese Variante der Konstruktionsgrammatik soll im Folgenden etwas ausführlicher dargestellt werden, da sie für die vorliegende Einführung an mehreren Stellen von zentraler Relevanz ist (vgl. Abschnitt 9). Die RCxG folgt in weiten Teilen den Vorgaben der CG Langackers und sie versteht sich wie diese und die CCxG Goldbergs explizit als gebrauchsbasiert („usage-based“). Radikal ist dieser Ansatz, insofern er auf der Basis von systematischen sprachvergleichenden Studien syntaktische Relationen wie Subjekt und Objekt und ebenso Wortart-Kategorien wie Verb und Nomen generell auf den Prüfstand stellt und deren linguistische Brauchbarkeit prinzipiell in Zweifel zieht. Croft kommt zu dem ‚radikalen‘ Ergebnis, dass es zum einen keine syntaktischen Relationen gebe und dass zum anderen Wortarten nicht als abstrakte Kategorien („Nomen“, „Verben“ etc.), sondern vielmehr allein als integrale Bestandteile von Konstruktionen existieren. Es müsste mithin stets spezifiziert werden, ob es sich um ein Nomen, ein Verb usw. in einer Intransitiv-, Transitiv- oder einer anderen Konstruktion handelt. Inzwischen liegt eine Reihe von Studien vor, die im Rahmen des Croft‘schen Forschungsdesigns durchgeführt wurden (vgl. hierzu Croft im Druck). Kern des Ansatzes Crofts ist eine Kritik an dem gängigen methodischen Vorgehen syntaktischer Theorien. Seine Kritik basiert auf empirischen Befunden typologischer, also sprachvergleichender Forschungen, und sie läuft auf eine Position hinaus, die weitgehend die Existenz sprachlicher Universalien negiert und stattdessen von sprach- und konstruktionsspezifischen (syntaktischen) Eigenschaften ausgeht.
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(a) Sprach- und zeichentheoretische Voraussetzungen. Ähnlich wie Langacker legt Croft seinem Ansatz ein Verständnis von Konstruktionen zugrunde, das an den Zeichenbegriff de Saussures angelehnt ist. Demnach handelt es sich bei einer Konstruktion um ein FormBedeutungspaar dergestalt, dass eine semantische Struktur mit einer syntaktischen Struktur konventionell verbunden ist. Konstruktionen sind also sprachliche Zeichen variierenden Abstraktionsgrades und entsprechen symbolischen Einheiten im Sinne Langackers. Eine syntaktische Universalie läge folglich vor, wenn sich die Korrespondenz zwischen komplexer syntaktischer und semantischer Struktur sprachübergreifend als generalisierbar erweist. Croft bestreitet, dass es in diesem Sinne Universalien gibt. Vielmehr lässt sich nach seiner Überzeugung eine Vielzahl an Abweichungen, Inkongruenzen und Diskrepanzen feststellen. Crofts generelle Kritik an formalen und generativen Syntaxtheorien richtet sich zunächst gegen die Annahme eines so genannten ‚Bausteine‘-Modells („building block“Modell) der Grammatik, nach der eine Grammatik aus kleinsten, diskreten Einheiten wie Morphemen besteht, die für sich genommen einer grammatischen Kategorie zugehören und sich zu komplexen Einheiten kombinieren lassen (Croft im Druck). Croft argumentiert, dass derartige feste und vordefinierte ‚Bausteine‘ nicht existieren. Sie ließen sich empirisch nicht identifizieren und seien vielmehr nur in Abhängigkeit von der Konstruktion, deren Teil sie bilden, zu bestimmen. Somit bilden komplexe Einheiten wie Konstruktionen die grundlegenden ‚Bausteine‘ einer Sprache, die nicht ohne Verlust auf kleinere Elemente reduziert werden können. Konstruktionen versteht Croft so folgerichtig als kognitive Gestalten im Sinne der Gestalttheorie; die Bedeutung einer Konstruktion ist mehr als die Summe der Bedeutungen ihrer Teile und der Art ihrer Kombination. Beispielsweise lässt sich die Bedeutung des Verbes schneiden – vgl. (14) in Abschnitt 2.3.3 – nur unter Einbezug der Argumentstruktur des Verbs vollständig angeben. Ähnliches gilt hinsichtlich der Formseite: Statt etwa von konstruktionsunabhängigen Wortarten und syntaktischen Relationen auszugehen, bestimmt Croft diese stets in Relation zur Konstruktion, in der die jeweilige sprachliche Einheit vorkommt. So handelt es sich in der Transitiv-Konstruktion Sie schneidet Stoff bei schneiden etwa um ein „transitives Verb“ und bei Stoff um ein „transitives Objekt“, während Stoff in Relation zur Realisierung der Konstruktion Der Stoff knittert „intransitives Subjekt“ wäre. Insofern bei der Analyse stets die Relevanz komplexer syntaktischer Einbettungsstrukturen berücksichtigt wird, ohne von primitiven, konstruktionsunabhängigen sprachlichen Einheiten – wie eben Verb, Nomen oder Subjekt, Objekt usw. – auszugehen,30 nennt Croft seine RCxG auch einen nicht-reduktionistischen Beschreibungsansatz. Kognitiv ist er ferner deswegen, weil er sich auf der Basis authentischer Sprachdaten zur Aufgabe macht, das –––––––— 30
Dies ist eine Annahme, die für formale, formal-logische und generative Ansätze grundsätzlich kennzeichnend ist. Diese postulieren die Existenz kleinster Spracheinheiten (Morpheme, semantische Primitiva, Merkmale, logische Konstanten etc.), die sich vermittelt über abstrakte Regeln zu komplexen Einheiten kombinieren lassen. Das zugrunde liegende Modell heißt deswegen auch – mit implizitem Bezug auf Steven Pinkers gleichnamigen Ansatz – das „Wörter-und-RegelnModell“ (vgl. etwa Evans & Green 2006: 642).
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grammatische Wissen zu modellieren, über das SprachbenutzerInnen tatsächlich verfügen. Dies geschieht unter Einbezug von Gebrauchsfrequenzen, und zwar dergestalt, dass in einem Netzwerk an Konstruktionen etwa abstrakte, schematische Konstruktionen nur unter der Bedingung angesetzt werden, dass eine entsprechend hohe Token-Frequenz – also Beispiele, die Instanzen (wie jmdm. etwas schenken, jmdm. etwas geben, jmdm. etwas vortäuschen) dieser Konstruktion (hier: Ditransitiv-Konstruktionen) bilden – vorliegt (vgl. Croft im Druck; Croft & Cruse 2004: 291-327, auch Abschnitt 8.3). (b) Gegenstandsbereich und Erkenntnisinteresse. Die RCxG ist ein Modell zur Repräsentation von morphosyntaktischen Eigenschaften, das typologisch-syntaktischer Variabilität Rechnung zu tragen versucht. Sie unterscheidet sich von anderen, gängigen SyntaxTheorien dadurch, dass sie systematisch aus empirisch-sprachvergleichenden Studien erwachsen ist. Sie macht sich zum Ziel, der zu beobachtenden syntaktischen Variabilität – etwa hinsichtlich Argument-Realisierungen – in der Analyse Rechnung zu tragen. Die RCxG verzichtet dabei ganz bewusst auf ein reiches (formales) Symbolsystem zur Darstellung syntaktischer Strukturen. Croft stipuliert nur eine einzige universale strukturelle Relation: die Teil-Ganzes-Beziehung zwischen einer Konstruktion und den grammatischen Rollen, die in der jeweiligen Konstruktion auszumachen sind. Zur adäquaten Erfassung und Darstellung syntaktischer Variabilität sieht es Croft als eine Notwendigkeit an, alternative Repräsentationsformate für syntaktische Relationen und Konstruktionen zu entwickeln. Erforderliche Innovationen betreffen seiner Auffassung nach insbesondere: a continuous or semi-continuous conceptual space for representing category structure; recasting the form-meaning mapping as a frequency distribution of forms across that conceptual space; abandoning abstract syntactic relations; and a syntactic space whose dimensions are defined by a model of the verbalization of experience (Croft im Druck: Abschnitt 1).
Das zentrale analytische Interesse der RCxG richtet sich mithin auf drei analytische Dimensionen, die im Konstruktions-Begriff selbst angelegt sind: erstens auf den inhaltsseitigen „conceptual space“, zweitens den formseitigen „syntactic space“ sowie drittens auf FormBedeutungs-Korrelationen. Das übergreifende Ziel besteht darin, eine vollständig konstruktionsbasierte Beschreibung der Grammatik einer Sprache bereitzustellen. Entsprechend gilt es, grammatische Kategorien konsequent in Abhängigkeit von jenen Konstruktionen zu definieren, in denen sie vorkommen: sections on parts of speech should be replaced by sections on constructions expressing propositional acts (referring expressions, predication constructions, modifying/attributive constructions), sections on grammatical relations such as Direct Object should be replaced by sections on argument structure constructions (including voice constructions), sections on different types of modifiers (such as Adjectives, Numerals, etc.) should be replaced by sections on attributive constructions, and so on. (Croft im Druck: Abschnitt 4)
Statt auf der Basis von einzelnen empirischen Befunden auf allgemeine grammatische Kategorien oder Relationen zu schließen, soll eine distributionelle Analyse dazu beitragen, das
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Auftreten sprachlicher Einheiten durch die jeweilige Konstruktion zu bestimmen. Auch Croft macht also Gebrauch von der strukturalistischen Methode der distributionellen Analyse, wenngleich die jeweils erzielten Ergebnisse anders genutzt und interpretiert werden als in anderen Ansätzen. (c) Methoden. Die Methode der Distributionsanalyse geht auf den amerikanischen Strukturalismus zurück. Sie versucht, mithilfe von grammatischen Tests, der Anwendung grammatischer Kriterien, der Bestimmung von grammatischem ‚Verhalten‘ usw. die Existenz grammatischer Kategorien und Relationen zu plausibilisieren. Statt von festen syntaktischen Relationen, wie Subjekt, direktes Objekt, und festen Wortart-Kategorien auszugehen, steht die Untersuchung von sprachlichen Einheiten als Bestandteilen von syntaktischen Strukturen (Konstruktionen) im Zentrum.31 Wenn nun Croft in seinen sprachvergleichenden syntaktischen Untersuchungen auf die distributionelle Methode zurückgreift, kommt es ihm darauf an, die erzielten empirischen Befunde ernst zu nehmen. Vermeintlich marginale Beispiele werden nicht ausgegrenzt, sondern gleichermaßen in die Analyse einbezogen. Die RCxG erhebt so den Anspruch, eine alternative Syntaxtheorie zu sein, die sich von konkurrierenden Grammatikmodellen durch einen gewissen methodologischen Rigorismus unterscheidet. Durch Crofts Methodenkritik wird deutlich, dass die RCxG auch ein methodologisches Erkenntnisinteresse verfolgt. Indem sie implizite Voraussetzungen ‚traditionellen syntaktischen Argumentierens‘ hinterfragt und Einzelphänomenen gleichermaßen Rechnung zu tragen versucht, stellt sie ein beschreibungsadäquateres Syntax-Modell dar, das dem Postulat sprachlicher Universalien zunächst skeptisch gegenübersteht.
–––––––— 31
Boas (2010c) argumentiert hingegen, dass sich gleichwohl Konstruktionen sprachvergleichend analysieren lassen, häufig sogar im Rückgriff auf dieselben Kategorien. In dieser Hinsicht wäre Crofts Ansatz entsprechend als zu ‚radikal‘ zu bewerten.
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5 Konstruktionsgrammatische Theoriebildungen II: formal ausgerichtete Ansätze Zu den formal ausgerichteten und unifikationsbasierten Konstruktionsgrammatiken zählen die Berkeley Construction Grammar und die Sign-Based Construction Grammar. Der Fluid Construction Grammar und der Embodied Construction Grammar liegt zwar kein rigider Anspruch auf Formalisierung zugrunde; gleichwohl greifen beide auf formale Darstellungsformen zurück, und zwar nicht allein zum Zwecke der Illustration (wie im Fall der Cognitive Construction Grammar, der Cognitive Grammar und der Radical Construction Grammar), sondern mit dem Ziel, Konstruktionen in Computersystemen zu implementieren. Während die Fluid Construction Grammar und die Embodied Construction Grammar also stärker an der technischen Modellierung von Prozessen der Sprachverarbeitung interessiert sind, rücken in der Berkeley Construction Grammar und der Sign-Based Construction Grammar grammatiktheoretische Aspekte in den Vordergrund. Bei allen Ansätzen handelt es sich um formalisierte Varianten der Konstruktionsgrammatik, die aufgrund ihrer notationellen Ähnlichkeit zur Kopfgesteuerten Phrasenstruktur-Grammatik („Head-driven Phrase Structure Grammar“, kurz: HPSG, vgl. Pollard & Sag 1994) als ‚Schwestertheorien‘ (Müller 2010: 249) gelten dürfen. Was heißt unifikationsbasiert? Eine Unifikationsgrammatik ist eine Grammatiktheorie, in der die Vereinigung („unification“) von sprachlichen Merkmalen im Mittelpunkt steht, wobei Merkmale als Attribut-Wert-Paare definiert werden, die zur Beschreibung des jeweiligen Gegenstandsbereiches (etwa Satzstrukturen) dienen; so ist im Fall des Verbs trinken das Attribut SYN („Syntax“) etwa mit einem Wert der Kategorie „Verb“ bestimmt. Konstruktionen werden in merkmalsbasierten Systemen entsprechend in Attribut-WertMatrizen repräsentiert. Jedem Attribut ist höchstens ein Wert zugewiesen, so etwa dem Attribut „Numerus“ der Wert „Singular“ oder „Plural“, und jede sprachliche Einheit ist durch eine Menge von Attribut-Wert-Paaren charakterisiert, deren Werte atomare Symbole (wie „pl“ für Plural) oder wiederum Attribut-Wert-Paare sein können. Weiter lassen sich zwei Attribut-Wert-Matrizen kombinieren, um einen bestimmten sprachlichen Ausdruck zu lizenzieren, d.h. ihn im Sprachsystem als einen grammatisch möglichen Ausdruck zuzulassen. Im Wesentlichen motivieren zwei Gründe den Einsatz von Unifikationsmechanismen: Zum einen erleichtern unifikationsbasierte Formalisierungen von grammatischen Eigenschaften einer Sprache technische Implementierungen (in Computern, Robotern); zum anderen dienen sie dazu, Strukturen und Eigenschaften des avisierten Gegenstandsbereiches präziser, expliziter und detaillierter herauszuarbeiten. Letzteres strebt insbesondere die Berkeley Construction Grammar sowie die Sign-Based Construction Grammar an. Sie gehen davon aus, dass sich Konstruktionen formalisieren lassen, und orientieren sich dabei – wie die beiden komputationellen Ansätze auch – an Notationsformen der Kopfgesteuerten Phrasenstruktur-Grammatik, die zu den neueren, einflussreichen Unifikationsgrammatiken zählt. Kognitive Aspekte wie Verfestigungsgrade, Motivationen und Produktivität von Konstruktionen spielen bei der formalen Modellierung keine oder eine nur sehr untergeord-
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nete Rolle. Zumindest die Berkeley Construction Grammar bleibt dabei der generativgrammatischen Tradition treu, eine scharfe Linie zwischen Grammatik und dem Gebrauch grammatischer Kategorien zu ziehen. Unifikationsbasierte Ansätze unterscheiden sich von gebrauchsbasierten weiterhin dadurch, dass grammatische Aspekte in verschiedenen Konstruktionen nicht redundant spezifiziert werden. Sprachliche Einheiten und Eigenschaften, die sich aus anderen Generalisierungen ableiten lassen, gelten folglich nicht als Bestandteile des Sprachwissens. Das gilt auch – wenngleich im geringeren Maße – für die so genannte Fluid Construction Grammar und die Embodied Construction Grammar. Da diese jedoch Formalisierungen zum Zwecke der Implementierung vornehmen und dabei versuchen, interaktive Aspekte – insbesondere Interaktionen mit KommunikationspartnerInnen und Orientierung in Raum und Zeit – zu berücksichtigen, wird kognitiven Lernprozessen und Körpererfahrungen durchaus ein zentraler Stellenwert beigemessen. Vertreter nicht-formaler, stärker am Sprachgebrauch orientierter Varianten der Konstruktionsgrammatik haben unifikationsbasierte Formalisierungen von Konstruktionen aus verschiedenen Gründen kritisiert. Der Haupteinwand ist bedeutungstheoretischer Natur. Ein gewichtiger Nachteil bestehe darin, dass sich lexikalische Bedeutungen mithilfe von Formalisierungen nur sehr unzureichend erfassen lassen und unzählige verstehensrelevante Aspekte unseres Weltwissens zwangsläufig unberücksichtigt bleiben (vgl. dazu auch Ziem 2008: 192-211). Da es insofern unmöglich ist, lexikalische Bedeutungen erschöpfend in ein Set von semantischen Merkmalen zu zerlegen, bezieht die Berkeley Construction Grammar Frames ein, die jedoch, anders als syntaktische Strukturen, nicht gleichermaßen formalisiert werden können (Ziem im Druck a). Wie Goldberg kritisch anmerkt, führt dies zu einer Dominanz der Formseite von Konstruktionen: In practice, Unification Construction Grammar uses constants (e.g. A, B, C) that are intended to represent rich frame semantic meaning, which allows one to avoid decomposing meaning into a fixed set of features. Arguably, however, the formalism serves to overemphasize syntactic elements insofar as it is primarily these features that recur, and it is the recurrent features that are most relevant to the unification mechanism. (Goldberg 2006a: 216)
Im Kontext der vorliegenden Einführung versuchen wir, diesem Bedenken Rechnung zu tragen. Kritisch anzumerken ist, dass es in Goldbergs Ansatz selbst ein auffälliges Desiderat bleibt, „rich frame semantic meaning“ in die Analyse einzubauen. Goldbergs semantische Bestimmungen von Konstruktionen sind schmal, und sie bleiben stark reduktionistisch (vgl. Abschnitt 9), zumindest dann, wenn das Ziel darin besteht, mittels Frames das Wissen, das zum Verstehen eines sprachlichen Ausdrucks nötig ist, möglichst exhaustiv zu erfassen (im Sinne von Fillmore 1985b, vgl. auch Ziem 2008: 150-172). Im zusätzlichen Rückgriff auf einschlägige Arbeiten zur Valenz und zu semantischen Rollen möchten wir im Folgenden aber Goldbergs Vorschlag aufgreifen, die Konstruktionsgrammatik als eine auch semantisch motivierte Theorie grammatischer Strukturen und Funktionen zu verstehen. Da insbesondere die frühen Arbeiten der Berkeleyer Linguisten Fillmore und Kay zur konstruktionsgrammatischen Grundlagenliteratur der ersten Stunde gehören und sie inzwi-
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schen immer stärker in die Sign-Based Construction Grammar einmündet (die ihrerseits zunehmend an Einfluss gewinnt), möchten wir auf diese zunächst etwas ausführlicher eingehen, bevor die Sign-Based Construction Grammar selbst sowie die Fluid Construction Grammar und Embodied Construction Grammar in Grundzügen dargestellt werden sollen.
5.1 Berkeley Construction Grammar (Fillmore und Kay): von Idiomen zur Grammatiktheorie Obwohl eine Reihe von weiteren Beiträgen vorliegt, sind es insbesondere die Studien zur „what’s-X-doing-Y“-Konstruktion und zur „let alone“-Konstruktion, die eine breite Rezeption erfahren haben und mit der Berkeley Construction Grammar – im Folgenden kurz: BCxG – assoziiert werden. Ein Grund, warum sich diese konstruktionsgrammatische Variante als ein äußerst einflussreicher Ansatz etabliert hat, besteht sicherlich in der bahnbrechenden Idee, das gängige grammatiktheoretische Vorgehen umzudrehen: Als Ausgangspunkt der Theoriebildung fungieren gerade nicht die kleinsten Einheiten einer Sprache (Morpheme, Wörter), sondern komplexe Größen wie Idiome, also ‚idiosynkratische‘ Phänomene, denen meist in Grammatikmodellen kaum oder gar keine Aufmerksamkeit geschenkt wird. Feste Wortverbindungen rutschen so durch das analytische Raster vieler Ansätze und bleiben folglich unerklärt. Weder das grammatische Verhalten noch die Bedeutung(en) idiomatischer Ausdrücke lassen sich aber allein im Rekurs auf die sprachlichen Einheiten, aus denen sie bestehen, angemessen erfassen und erklären. Die BCxG setzt gerade an solchen sprachlichen Phänomenen an, um ein Modell zu entwickeln, das beschreibungsadäquater ist und keine scharfe Grenze zwischen grammatischen Kern- und Randphänomenen zieht. Damit unterscheidet sie sich radikal von der generativen Transformationsgrammatik (vgl. etwa Chomsky 1981a: 8). Der Umstand, dass sich Fillmore selbst bis Ende der 1960er Jahre als generativer Semantiker versteht, nun aber über seine framesemantischen Emanzipationsversuche hinaus (vgl. etwa Fillmore 1975) auch mit grammatischer Perspektive einen Gegenentwurf ausarbeitet, hat zweifelsohne das allgemeine Interesse an der BCxG gefördert (vgl. Ziem im Druck a). Dies darf aber auch nicht darüber hinwegtäuschen, dass die BCxG gleichwohl auf „broadly generative“ (Evans & Green 2006: 661) Annahmen beruht und sich anders als gebrauchsbasierte konstruktionsgrammatische Varianten auf Formalisierungen von Konstruktionen nicht verzichtet (vgl. Kay 2002). (a) Sprach- und zeichentheoretische Voraussetzungen. Die BCxG teilt mit anderen konstruktionsgrammatischen Ansätzen die Annahme, dass ein Grammatikmodell nicht nur lexikalische Einheiten, sondern auch Konstruktionen als grundlegende Elemente zulassen sollte. Konstruktionen werden definiert als konventionalisierte Form-Bedeutungspaare, die bis zu einem gewissen Grad ‚nicht analysierbar‘ („unanalyzable“) sind (Fillmore 1988, Kay & Fillmore 1999), also nicht vorhersagbare semantische oder syntaktische Eigenschaften aufweisen. Diese Definition entspricht weitgehend Goldbergs frühem Verständnis von Konstruktionen (vgl. Definition 1 in Abschnitt 2.2.1), nicht jedoch Goldbergs (2006a: 5)
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definitorischer Erweiterung, nach der neben nicht-kompositionellen ebenso kompositionelle Einheiten als Konstruktionen gelten, insofern diese genügend häufig vorkommen und infolgedessen als Muster abgespeichert sind (vgl. Definition 2 in Abschnitt 2.2.3). In Übereinstimmung mit gebrauchsbasierten Ansätzen betonen Fillmore und Kay, dass sprachliches Wissen in einem einheitlichen Repräsentationsformat, nämlich Konstruktionen, organisiert ist. Syntaktisches, semantisches, phonologisches und pragmatisches Wissen gelten also anders als etwa in universalgrammatischen Grammatiken (etwa Bierwisch 1983) nicht als (teil-)autonome sprachliche Subsysteme; sie treten vielmehr stets als Teilaspekte von Konstruktionen auf. Dies haben Fillmore, Kay und O’Connor (1988) zunächst in einer Studie zur „let alone“-Konstruktion dargelegt, und Kays und Fillmores (1999) detaillierte Untersuchung der „what’s-X-doing-Y“-Konstruktion folgt einer ähnlichen Argumentationslinie. Gleichwohl darf dies nicht darüber hinwegtäuschen, dass Kay und Fillmore in zweierlei Hinsicht kaum von der (generativen) Mainstream-Linguistik abweichen. Zum einen hat die an der Kopfgesteuerten Phrasenstruktur-Grammatik orientierte Formalisierung nicht allein darstellungstechnische Gründe; postuliert wird darüber hinaus auch die Existenz primitiver semantischer Elemente. Und zum anderen leugnen Kay und Fillmore – anders als etwa Goldberg, Langacker und Croft – weder die Existenz und den Nutzen von (generativen) Regeln, noch übernehmen sie jenen fundamentalen Zweifel an der Trennbarkeit von semantischem und pragmatischem Wissen, der für gebrauchsbasierte Ansätze so charakteristisch ist. Warum handelt es sich bei der BCxG dennoch um eine Spielart der Konstruktionsgrammatik? Die Zwitterstellung des Ansatzes wird deutlich, wenn man sich klarmacht, dass das propagierte Grammatikmodell sowohl nicht-derivationeller als auch monostrataler Natur ist. Monostratal ist die BCxG deswegen, weil sie von nur einer Ebene der syntaktischen Repräsentation ausgeht statt von (Oberflächen-)Strukturen, die durch Transformationen mit (Tiefen-)Strukturen verbunden sind; die BCxG verzichtet generell auf Transformationen. Und die Eigenschaft, nicht-derivationell zu sein, zeigt sich in der Präferenz, statt Regeln zu postulieren, mit denen sich Wörter und Sätze zu Phrasenstrukturen zusammensetzen, Konstruktionen anzunehmen, die mögliche syntaktische Strukturen lizenzieren. So erlaubt etwa die Subjekt-Prädikat-Konstruktion die Verbindung einer Nominalphrase mit einer Verbalphrase zu einer komplexen Einheit. Anders als in verschiedenen Varianten der generativen Transformationsgrammatik gibt es in der BCxG keine leeren Elemente, und lexikalische Einheiten sind im Modell voll integriert. Letzteres ist in generativen Ansätzen nicht der Fall, insofern davon ausgegangen wird, dass Bedeutungen von lexikalischen Ausdrücken einerseits im mentalen Wörterbuch abgespeichert sind und Wörter dann andererseits mittels abstrakter, generativer Regeln zu komplexen Einheiten wie Phrasen und Sätzen kombiniert werden (vgl. Abschnitt 8.1). Deshalb spricht man hier auch von einem „Wörterund-Regeln-Modell“. (b) Gegenstandsbereich und Erkenntnisinteresse. Die BCxG entstand aus einer Reihe von Untersuchungen zu Idiomen. Dass sich das Interesse zunächst auf idiomatische Ausdrücke richtete, ist dabei deswegen kein Zufall, weil feste Wortverbindungen – wie im Deutschen etwa ins Gras beißen, jmdm. auf die Finger klopfen, jmdm. ins Wort fallen, geschweige
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denn usw. –oft grammatische Irregularitäten und Idiosynkrasien aufweisen. Ihre Bedeutungen lassen sich oft nicht ohne weiteres kompositionell, also aus den (lexikalischen) Bedeutungen ihrer Bestandteile und deren Verknüpfung, erschließen. Gleichwohl ist es nicht gerechtfertigt, idiomatische Ausdrücke als zu vernachlässigende Randbereiche einer Sprache abzuklassifizieren, und zwar schon deshalb nicht, weil das Deutsche und Englische (und andere Sprachen ebenso) eine ungeheure Vielzahl an mehr oder weniger festen Wortverbindungen bereitstellen. Bei dem vermeintlichen Randbereich scheint es sich also um einen sprachlichen Kernbereich zu handeln. Fillmore, Kay und deren MitarbeiterInnen nehmen diesen Befund zum Anlass, die Erklärung von Struktur und Bedeutung idiomatisch geprägter Ausdrücke gewissermaßen zum Testfall für ein beschreibungsadäquates Grammatikmodell werden zu lassen. Eine Grammatiktheorie sollte auch komplexe, nichtkompositionelle Einheiten einer Sprache erfassen können. Diese sollten, so der Anspruch der BCxG, in einem einheitlichen Format – eben Konstruktionen – repräsentiert sein. Ausgehend von einer detaillierten Analyse der „let alone“-Konstruktion entwerfen Fillmore, Kay und O’Connor (1988) zunächst eine Typologie idiomatischer Ausdrücke. Die Studie dient zudem als empirische Grundlage zur Entwicklung ihres konstruktionsgrammatischen Ansatzes. So treffen Fillmore, Kay und O’Connor, um Idiome zu klassifizieren, vier Unterscheidungen: Sie differenzieren zwischen erstens dekodierenden („decoding“) und kodierenden („encoding“) Idiomen, zweitens grammatischen und außergrammatischen Idiomen, drittens substantivischen und formalen Idiomen sowie zwischen viertens Idiomen, denen eine pragmatische Funktion zugeschrieben werden kann, und jenen, bei denen dies nicht der Fall ist. In Anlehnung an Fillmore, Kay und O’Connor (1988) fasst Tabelle 2 die Typen idiomatischer Konstruktionen zusammen und gibt zur Illustration jeweils ein Beispiel aus dem amerikanischen Englisch mit jeweiliger bedeutungsseitiger Besonderheit (vgl. auch Evans & Green 2006: 645). Idiom-Typ dekodierend kodierend
Beispiel kick the bucket wide awake
grammatisch außergrammatisch substantivisch formal mit pragmat. Funktion ohne pragmat. Funktion
spill the beans all of a sudden spill the beans let alone How do you do? by and large
bedeutungsseitige Besonderheit nicht-kompositionell und konventionalisiert kompositionell, aber konventionalisierte feste Wortverbindung grammatisch regulär grammatisch irregulär lexikalisch unspezifiziert lexikalisch spezifiziert pragmatisch spezifiziert pragmatisch unspezifiziert
Tabelle 2: Heuristische Klassifikation von idiomatischen Konstruktionen nach Fillmore & Kay & O’Connor 1988.
Wichtiger als die heuristische Klassifikation idiomatischer Konstruktionen ist aus konstruktionsgrammatischer Sicht aber eine übergreifende Hypothese, der Fillmore, Kay und ihre Kollegen in zahlreichen Untersuchungen nachgehen: dass nämlich pragmatische Informationen in einer beträchtlichen Variationsbreite direkt mit der Formseite grammatischer Kon-
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struktionen verbunden sind, und zwar derart, dass die Formseite nicht durch die Kombination kleinerer sprachlicher Einheiten und allgemeiner sprachlicher Prinzipien erzeugt werden kann. Mit anderen Worten: Diese Konstruktionen erweisen sich als nichtkompositionell, sie lassen sich also zur Erklärung der jeweiligen Konstruktionsbedeutung nicht auf kleinere Einheiten reduzieren. Zu pragmatischen Aspekten von (idiomatisch geprägten) Konstruktionsbedeutungen zählen unter anderem nicht-skalare kontextuelle Operatoren, wie sie beispielsweise bei der „let alone“- oder „at-least“-Konstruktion zu beobachten sind, aber auch metasprachliche Bezugnahmen und Illokutionen, letztere wurde etwa in der „what’s-X-doing-Y“-Konstruktion herausgearbeitet (vgl. den Überblick in Kay 2004). An den durchgeführten Untersuchungen wird deutlich, dass das Erkenntnisinteresse der BCxG nicht allein darin besteht, pragmatische Aspekte idiomatischer Konstruktionen stärker in Untersuchungen einzubeziehen. Mithilfe von Formalisierungen ist es ebenso ein wichtiges Anliegen, möglichst präzise, formale Beschreibungen von Konstruktionen vorzulegen, die die Bedingungen ihres angemessenen Gebrauchs erfassen. Auch in methodischer Hinsicht ist dieser Rückgriff auf etablierte Formalismen ein wesentliches Kennzeichen der BCxG. (c) Methoden. Studien, die im Rahmen der BCxG entstanden sind, orientieren sich methodisch am Vorgehen etablierter formaler grammatiktheoretischer Ansätze wie der Kopfgesteuerten Phrasenstruktur-Grammatik und der Generalisierten Phrasen-Struktur-Grammatik (Gazdar & Klein & Pullum & Sag 1985). So werden Konstruktionen auf der Ebene des Satzes (und nicht des Textes und Diskurses) untersucht, ohne dabei zwangsläufig auf authentische Sprachdaten zurückzugreifen. Entsprechend spielen mögliche und tatsächliche Kontexte und Kotexte, in denen die untersuchten Konstruktionen vorkommen bzw. vorkommen können, keine Rolle. Implizit gilt offenbar die Voraussetzung, dass ko(n)textuelle Einbettungsstrukturen keine Auswirkungen auf die jeweils analysierten Form- und Bedeutungsaspekte von Konstruktionen haben. Diese Annahme ziehen kognitiv-gebrauchsbasierte Ansätze radikal in Zweifel (vgl. Abschnitt 4), und wenn sie aus demselben Grund auf Formalisierungen verzichten, bestreiten sie generell den Nutzen formaler Analysen, die über rein illustrative auch explanative Zwecke erfüllen. Welcher Art sind die formalen Darstellungen? Die BCxG greift auf ein unifkationsbasiertes Notationssystem zurück, das der Kopfgesteuerten Phrasenstruktur-Grammatik (HPSG) entlehnt ist, dennoch aber von diesem in mehrerlei Hinsicht abweicht (Müller 2010: 238ff.). Wie in der HPSG werden Eigenschaften von sprachlichen Objekten durch Merkmal-Wert-Paare dargestellt. Der Wert „[cat v]“ steht etwa für die syntaktische Kategorie „Verb“, und der Wert „[gf ¬ subj]“ steht dafür, dass die grammatische Funktion nicht der eines Subjektes entspricht (vgl. Kay & Fillmore 1999). Werte fungieren als Elemente einer Konstruktion, und es wird angenommen, dass sie atomarer, also unzerlegbarer Natur sind. Anders als etwa in der Radical Construction Grammar (RCxG) handelt es sich also um ein reduktionistisches Grammatikmodell. Der Wert eines Merkmals kann selbst eine Menge an Merkmalen mit jeweils eigenen Werten sein. Merkmalsstrukturen sind entsprechend ein Set an Merkmalen mit jeweils eigenen Werten. Ein einfaches Beispiel für eine Merkmalsstruktur ist eine Verbphrase-
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Konstruktion. Zur Veranschaulichung soll Abbildung 2 dienen. Sie stellt die formale Notation einer Verbphrasenstruktur dar. [cat v] [role head] [lex +] [role filler] [loc +] [gf ¬ subj]
+
Abbildung 2: Merkmalsstruktur der Verbphrase-Konstruktion in der ‚Klammer‘-Notation, vgl. Kay und Fillmore (1999: 8).
Grammatische Eigenschaften, seien sie formaler oder funktionaler Natur, werden einheitlich repräsentiert. In Abbildung 2 zeigt „cat v“ an, dass der Kopf der VerbphraseKonstruktion der syntaktischen Kategorie Verb zugehört; „role head“ und „lex +“ geben Auskunft darüber, dass die erste Konstituente der Verbphrase-Konstruktion zum einen als Kopf der Phrase fungiert und dass sie zum anderen lexikalischer Natur sein muss. Schließlich konkretisieren „role filler“, „loc +“ und „gf ¬ suj“ jene Eigenschaften, die das Komplement des Verbes auszeichnen. So dient in der Verbphrase-Konstruktion das Komplement als Filler, während das Element „loc +“ darauf hinweist, dass das Komplement nicht aus der Verbphrase-Konstruktion herausgelöst werden kann, und „gf ¬ suj“ gibt zu erkennen, dass das Komplement nicht die grammatische Funktion eines Subjekts übernimmt. Die BCxG postuliert insgesamt drei unterschiedliche Sets an Merkmalen: „role“, „val“ und „rel“. Wie an Abbildung 2 erläutert, repräsentiert erstens das Merkmal „role“ die Rolle eines syntaktischen Elements in einer Konstruktion (etwa Bestimmungswort bzw. Adjunkt oder Kopf einer Phrase). Damit ist die Beziehung gemeint, die ein Teil einer Konstruktion zu einem anderen Teil derselben Konstruktion unterhält. Kay und Fillmore (1999) verstehen diese als eine Prädikat-Argument-Beziehung. Im Fall der Verbphrase Peter rennt fungiert Peter etwa als Argument und rennt als Prädikat. Die Relation zwischen beiden ist semantischer und syntaktischer Art. Ersteres ist der Fall, insofern das Prädikat einen intrinsisch relationalen Charakter hat und mithin auf ein anderes Konzept verweist („thematische Rolle“); eine syntaktische Beziehung besteht, insofern das Prädikat ein Argument fordert, das eine bestimmte grammatische Funktion, hier eine Subjekt-Funktion, erfüllt. Zweitens weist das Merkmal „val“ auf kombinatorische Eigenschaften des Prädikats zu möglichen Argumenten hin. Dies entspricht grob – ohne dass darauf explizit hingewiesen wird – dem traditionellen Valenz-Konzept. Die BCxG geht davon aus, dass syntaktische mit semantischen Argumenten korrespondieren. Im Beispiel Peter rennt entspricht das Argument Peter dem Argument A in der Merkmalsstruktur „sem“ des Verbs rennt. Schließlich zeigt die Merkmalsstruktur „rel“ die Relation an, die das Prädikat zu einem Argument etabliert. Angesprochen ist damit die grammatische Funktion, die ein Argument erfüllt, sowie die semantische Rolle, die es innehat in Bezug zum jeweiligen Prädikat.
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Dementsprechend ist bei der Bestimmung von „rel“ zu differenzieren zwischen einem syntaktischen Merkmal einerseits, nämlich „gf“, also der grammatischen Funktion, und einem semantischen Merkmal andererseits, nämlich Theta, also der thematischen Rolle. Die BCxG versteht die Grammatik als ein Inventar an syntaktischen Strukturen, die in der Tradition der Generalisierten Phrasen-Struktur-Grammatik als Baum-Diagramme dargestellt werden, wobei die Knoten die Gestalt komplexer Merkmalsstrukturen haben. Alternativ zu Baum-Diagrammen und ‚Klammer‘-Notationen (wie in Abbildung 2 illustriert), stellen Fillmore und Kay Merkmalsstrukturen auch graphisch in ‚Boxen‘ dar. Abbildung 3 verwendet eine solche ‚Boxen‘-Notationsform für die Verbphrase-Konstruktion.
cat v role head lex +
role filler loc +
+
gf ¬ sub
Abbildung 3: Merkmalsstruktur der Verbphrase-Konstruktion nach der ‚Boxen‘-Notation im Anschluss an Kay und Fillmore (1999).
Inhaltlich sind Abbildungen 2 und 3 äquivalent; sie unterscheiden sich lediglich in der Notationsform. Wie in Abbildung 3 exemplarisch veranschaulicht, können die in Boxen dargestellten Merkmalsstrukturen wiederum in anderen Boxen – den übergreifenden Strukturen – eingelassen sein. Konstruktionen können mit lexikalischen Elementen über den Mechanismus der Unifikation kombiniert werden, und zwar dann, wenn es zu keinem Konflikt zwischen den jeweiligen Merkmalsstrukturen kommt. Unifikation setzt die BCxG dabei auf verschiedenen Ebenen an. Nach Fried und Östman (2004: 71) betrifft diese erstens grammatische Kongruenz, zweitens grammatische Abhängigkeitsverhältnisse (etwa phrasale Köpfe, die andere Elemente regieren), drittens semantische Verknüpfungen (Abgleich von Frame- und Valenz-Elementen), viertens semantische Integration (semantische Unifikation von strukturellem Mutter- und Tochterelement) und fünftens ValenzErweiterungen (Inkorporation von Adjunkten). Wichtig zu sehen ist, dass die BCxG zwar die kognitiv-linguistische These unterschreibt, dass eine Sprache ein intrinsisch symbolisches – und mithin kein modular aufgebautes – System ist, also aus einer strukturierten Menge an Form-Bedeutungspaaren besteht,32 die das Sprachwissen bildet; sie ist aber kein gebrauchsbasiertes Grammatikmodell, das sprachliches Wissen als ein emergentes Produkt des Sprachgebrauchs begreift und –––––––— 32
Croft und Cruse (2004: 271) weisen allerdings auf den kritischen Punkt hin, dass im BCxGModell – entgegen der eigenen Prämissen – gleichwohl Konstruktionen vorkommen, die keineswegs symbolischer Natur, also Form-Bedeutungspaare sind.
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dabei beansprucht, kognitive Strukturen zu erfassen oder zu modellieren. Entsprechend zeigt sich die BCxG nicht offen für kognitionslinguistische, psychologische Fragestellungen, denen experimentell nachgegangen wird. Das Gleiche gilt für die Sign-Based Construction Grammar, dem zweiten unifikationsbasierten konstruktionsgrammatischen Ansatz, wenngleich dieser die psycholinguistische Plausibilität der erzielten Analyseergebnisse als Gütekriterium durchaus ernst nimmt, wie wir im Folgenden sehen werden.
5.2 Sign-Based Construction Grammar (Sag, Kay, Michaelis et al.): auf dem Weg zu einem integrativen Ansatz? Die Sign-Based Construction Grammar (kurz: SBCxG) geht entstehungsgeschichtlich auf die BCxG zurück. In den 1990er Jahren wurde sie maßgeblich von Fillmore, Kathol und Kay mitinitiiert. Damals wie heute dürfen Sag und Kay als Hauptvertreter gelten. An der aktuellen Fortentwicklung der SBCxG sind maßgeblich LinguistInnen mit Interesse an Formalismen der Kopfgesteuerten Phrasenstrukturgrammatik beteiligt, neben Fillmore und Kay auch Gert Webelhuth und Laura Michaelis, wobei Letztere in ihren eigenen Arbeiten von Formalisierungen absieht (vgl. zusammenfassend Boas & Sag 2012). Die theoretischmethodische Nähe zwischen der SBCxG und der BCxG erklärt sich nicht zuletzt durch die örtlich-institutionelle Nachbarschaft: Spätestens seit Mitte der 1980er Jahre besteht ein reger Austausch zwischen Fillmore und Kay (beide UC Berkeley), Sag (Stanford) und anderen LinguistInnen, einschließlich Michaelis (bis 1993 UC Berkeley). Neuere Forschungen und Publikationen legen die Vermutung nahe, dass die BCxG in Zukunft weniger als eigenständiger Ansatz denn als SBCxG-Variante ausdifferenziert wird. Dafür spricht auch der Umstand, dass Fillmore und Kay Valenz neuerdings nicht mehr mittels Mengen beschreiben (wie etwa noch in Kay & Fillmore 1999), sondern stattdessen Formalismen der Kopfgesteuerten Phrasenstrukturgrammatik verwenden (vgl. beispielsweise Kay 2005). (a) Sprach- und zeichentheoretische Voraussetzungen. Die SBCxG teilt mit der BCxG die grundsätzlichen sprachtheoretischen Annahmen, dass erstens Sprache aus einer Menge von Zeichen und Beschränkungen hinsichtlich der Form-Bedeutungszuweisung besteht, dass zweitens sprachliche Einheiten als Attribut-Wert-Matrizen zu modellieren sind, wobei Werte durchaus komplex und rekursiv sein können, dass drittens Grammatik mit einer Menge an Beschränkungen („constraints“) gleichzusetzen ist, die die Bildung von Sprachzeichen reguliert, und dass es schließlich viertens hierarchisch organisierte Konstruktionen sind, die solche Beschränkungen sprachlich realisieren (vgl. auch Sag & Boas & Kay 2012: Abschnitt 1.2). Es handelt sich somit nicht um einen derivationalen Ansatz (wie die Transformationsgrammatik), sondern um ein beschränkungsbasiertes („constraint-based“) Grammatikmodell. Konstruktionen sind in der SBCxG sprachliche Zeichen im Sinne de Saussures, also konventionalisierte Form- Bedeutungspaare unterschiedlichen Abstraktionsgrades. Jedes Zeichen gilt dabei als ein Knoten in einer syntaktischen Baumstruktur, und jedes Zeichen lässt sich mithilfe von syntaktischen und semantischen Merkmalen so formalisieren, dass
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dieses präzise als Merkmalsstruktur erfasst werden kann. Merkmalsstrukturen spezifizieren Werte der folgenden vier Attribute (vgl. hierzu Michaelis 2009, zusammenfassend auch: Michaelis 2012, im Druck): -
SYN: Unterscheidung von Zeichen auf der Basis der Werte CAT, also syntaktische Kategorie, und VAL, also Valenz (im Sinne von kombinatorischen Eigenschaften von Zeichen);
-
SEM: Angabe von Bedeutungen durch die Merkmale INDEX und FRAMES, die in Gestalt von Prädikationen angegeben werden, mit denen ein Sprachzeichen semantisch spezifiziert wird;33
-
FORM: Spezifizierung von morphologischen Eigenschaften eines sprachlichen Ausdrucks;
-
CONTEXT: Konkretisierung von Kontext-Merkmalen, die beim Zeichengebrauch und verstehen zu berücksichtigen sind.
Sag (2012) – und mit ihm andere VertreterInnen der SBCxG – geht weiterhin davon aus, dass eine Grammatik so genannte Listeme („listemes“) einschließt. Sie erlauben, idiomatisierte Mehrworteinheiten wie immer zu, nach und nach als eigene Zeichen in einer Grammatik zu lizenzieren. Ein zweiter wichtiger Baustein der Grammatik bilden „Konstruktionen lexikalischer Klassen“ („lexical-class constructions“); sie entsprechen Konstruktionen, die für eine bestimmte Wortart spezifisch sind. Schließlich sind es kombinierte Konstruktionen („combinatoric constructions“), die es ermöglichen, aus Konstruktionen komplexere Konstruktionen wie etwa Subjekt-Prädikat-Konstruktionen zu bilden. Die SBCxG modelliert die Grammatik einer Sprache infolgedessen als ein dreiteiliges Gebilde (vgl. Sag & Boas & Kay 2012: Abschnitt 1.3); dieses umfasst (1) a grammar signature that delineates the general space of linguistic objects and specifies the high-level properties of each class, (2) a lexicon – an inventory of listemes, each of which describes a particular class of lexemes, words or phrases that provide a basis (or ‘kernel’) for the language in question, and (3) a constructicon – a set of constructions specifing the characteristic properties of particular lexical classes and the particular patterns (or ‘modes of combination’) used to build complex expressions. An expression (a sign) is well-formed only if it is licensed by some listeme or built by some construction.
Wie in gebrauchsbasierten, kognitiven Ansätzen wird in der SBCxG nicht zwischen grammatischen Kern- und Randphänomenen bzw. Idiosynkrasien unterschieden. Ausgangsprämisse ist vielmehr, dass zum einen zwischen Graden an Produktivität zu differenzieren ist und zum anderen zwischen idiomatischen und nicht-idiomatischen Ausdrücken ein Kontinuum besteht. Anders als in transformationsgrammatischen Ansätzen wird weiterhin ange–––––––— 33
Wenn – wie intendiert – auch SEM in Gestalt von getypten Merkmalen spezifiziert werden, kommt die Frage auf, welcher Status diesen zukommt. Eine gewisse Nähe zu Mehr-EbenenSemantiken scheint hier vorzuliegen (vgl. die Kritik in Ziem 2008: 67-103, 119-142), und der hier verwendete Frame-Begriff erweist sich infolgedessen weit von dem Fillmore’schen Verständnis von Frames als Verstehens- und Prädikationsrahmen entfernt (vgl. etwa Fillmore 1985, zusammenfassend Ziem im Druck b).
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nommen, dass das Lexikon taxonomisch strukturiert ist, und zwar dergestalt, dass sprachliche Zeichen – formalisiert als Merkmalsstrukturen – über Vererbungsbeziehungen miteinander hierarchisch verbunden sind. So erbt etwa das flektierte Verb spricht zugleich von den Kategorien „Verb“ und „Transitiv-Verb“ Merkmale, wobei die Vererbung multipel sein kann und stets hierarchisch verläuft, hier von der Kategorie „Verb“ zur Kategorie „Transitiv-Verb“ zum finiten Verb spricht.34 (b) Gegenstandsbereich und Erkenntnisinteresse. Trotz ihrer fast 25-jährigen Entwicklungsgeschichte haben Konstruktionsgrammatiken bislang dominierende Syntax-Theorien erstaunlich wenig beeinflusst. Ein Grund dafür ist wohl in dem Umstand zu sehen, dass konstruktionsgrammatische Ansätze verschiedener Couleur bisher kein voll ausgearbeitetes formales System der Satz-Repräsentation vorgelegt haben; sie erweisen sich so für formale Syntax-Theorie (im weitesten Sinne) als nicht anschlussfähig. Diesem Defizit versucht die SBCxG Rechnung zu tragen. Ihrem Selbstverständnis zufolge ist die SBCxG aber nicht eine Syntax-Theorie neben anderen. Vielmehr besteht ihr vielleicht charakteristischstes Kennzeichen in dem Anliegen, wichtige Einsichten verschiedener Ansätze (insbesondere der Universalgrammatik, Konstruktionsgrammatik, Sprachtypologie und formalen Grammatik) miteinander zu verbinden, die sich in der Vergangenheit auseinander entwickelt, gleichwohl aber jeweils wichtige Erkenntnisse zutage gefördert haben. Ziel ist es, so zu einer umfassenderen Grammatiktheorie zu gelangen. Entsprechend tritt die SBCxG mit dem Anspruch auf, einen allgemeinformalen sprachtheoretischen Rahmen – und zwar vor allem, aber nicht nur für konstruktionsgrammatische Ansätze – bereitzustellen (Sag 2012, Sag & Boas & Kay 2012). Neben diesem methodologischen Anspruch richtet sich das linguistische Erkenntnisinteresse der SBCxG insbesondere auf die Interaktion von Konstruktionen. Das Ziel ist, ein grammatisches Modell zu entwickeln, das ausschließlich die in einer Sprache tatsächlich möglichen Konstruktionen lizenziert, das also nur Konstruktionen zulässt, die als grammatisch akzeptabel gelten. Mit kritischem Blick auf transformationsgrammatische Ansätze versucht die SBCxG weiterhin, die Grenzen (lexikalischer, konstruktionsbezogener) Unterspezifikationen aufzuzeigen. Obwohl es sich bei diesen Fragenkomplexen um Problemkonstellationen mit theoretisch weit reichender Relevanz handelt, bilden dabei stets konkrete sprachliche Phänomene wie Konditionale, Ellipsen, dass-Sätze, Genitiv-Nominalphrasen den Gegenstandsbereich (vgl. Michaelis im Druck). (c) Methoden. Wie der Berkeleyer Ansatz greift auch die SBCxG auf den formalen Apparat der Kopfgesteuerten Phrasenstruktur-Grammatik, nämlich auf getypte Merkmalsstrukturen, zurück und weicht dabei von diesem nur hinsichtlich der Strukturierung bzw. Organisation von Merkmalen in Merkmalsstrukturen ab. Das methodische Vorgehen ähnelt ansonsten stark dem Vorgehen der BCxG, wie wir sie im vorangehenden Abschnitt beschrieben haben. Hervorzuheben ist aber, dass die SBCxG trotz ihrer formalen Ausrichtung keineswegs –––––––— 34
Zur beispielhaften Veranschaulichung von so genannten multiplen Vererbungshierarchien („multiple inheritance hierarchies“) vgl. etwa Michaelis im Druck, Sag 2012.
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in Opposition zu kognitiven Ansätzen gehen möchte. Im Gegenteil: Sie räumt der psychologischen Plausiblität ihrer Analyseergebnisse einen hohen Stellenwert ein. Sag, Boas und Kay (2012: Abschnitt 1.3) gehen sogar so weit zu konzedieren, dass Sprachgebrauch, Spracherwerb und Sprachwandel – also wichtige Dimensionen eines sprachgebrauchsbasierten Modells („usage-based model“) – kritische Bewertungsmaßstäbe für den Nutzen und die Brauchbarkeit der durchgeführten formalen Analysen seien.
5.3 Embodied Construction Grammar (Bergen, Chang et al.): psycholinguistische und komputationelle Erweiterungen Die Embodied Construction Grammar (kurz: ECxG) ist, wie auch die Fluid Construction Grammar, eine Variante der Konstruktionsgrammatik, die im Bereich der Künstlichen Intelligenz-Forschung angesiedelt und an der Implementierung von Konstruktionswissen in Robotern und Computern interessiert ist, wobei ein besonderes Augenmerk auf der Interaktion von konstruktionsbasiertem Sprachverstehen, körperlichen Erfahrungen und mentalen Prozessen gelegt wird. Hinsichtlich der Formalisierung und entsprechenden Notationen von Konstruktionen handelt es sich um Varianten der Kopfgesteuerten Phrasenstrukturgrammatik. Statt im Folgenden auf die formale Darstellung von Konstruktionen näher einzugehen (vgl. hierzu Müller 2010: 245-249), möchten wir Grundzüge der ECxG und Fluid Construction Grammar vorstellen. Die entwickelten Konzepte können im Rahmen des vorliegenden Bandes aus Platzgründen nicht weiterführend behandelt werden. Die Relevanz beider Ansätze für aktuelle konstruktionsgrammatische Theoriebildungen und Weiterentwicklungen ist aber schon deshalb nicht zu unterschätzen, weil beide wichtige, auch interdisziplinäre Anwendungsbereiche der Konstruktionsgrammatik sichtbar machen. Gleichwohl bleibt kritisch anzumerken, dass die Embodied Construction Grammar zwar zumeist – wie auch hier – als ein eigenständiger konstruktionsgrammatischer Ansatz bzw. eine wichtige Strömung innerhalb der Konstruktionsgrammatik ausgewiesen wird (vgl. etwa Fischer & Stefanowitsch 2007: 4), bislang aber nur einige wenige Untersuchungen im Rahmen der ECxG vorliegen. Mit anderen Worten: Der Ansatz erschöpft sich in einer groß angelegten Programmatik und einer sehr überschaubaren Anzahl an Untersuchungen. Ob – und wenn ja, in welchem Umfang – die ausgegebene Programmatik umgesetzt wird, wird sich in der Zukunft erweisen. (a) Sprach- und zeichentheoretische Voraussetzungen. Das Konzept der ECxG geht auf einen Beitrag von Bergen und Chang (2005) zurück, in dem die AutorInnen einen Formalismus für linguistische Analysen vorstellen, der sich als Teilkomponente eines simulationsbasierten Sprachverstehensmodell („simulation-based model of language understanding“) eignet. Die ECxG fühlt sich theoretisch sowohl gebrauchsbasierten Ansätzen, insbesondere Goldbergs und Lakoffs Cognitive Construction Grammar und Langackers Cognitive Grammar, also auch Fillmores und Kays Variante verpflichtet. Im Anschluss an Goldberg (1995) werden Konstruktionen als Form-Bedeutungspaare variierenden Abstraktionsgrades definiert; Morpheme haben folglich ebenso konstruktionalen Charakter. Bergen
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und Chang (2005) betonen, dass konzeptuelle Repräsentationen, also auch Konstruktionen, im perzeptuellen und senso-motorischen System verankert sind. Insofern nach Bergen und Chang (2005, im Druck) die mentale Simulation von sprachlich-kognitiven Prozessen durch dieses System mit bestimmt wird, unterscheiden sie zwischen zwei Prozessen im Sprachverstehensprozess: The analysis process determines which constructions the utterance instantiates. The main product of analysis is the semantic specification (or semspec), which specifies the conceptual schemas evoked by the constructions involved and how they are related. The simulation process takes the semspec as input and exploits representations underlying action and perception to simulate (or enact) the specified events, actions, objects, relations, and states. The inferences resulting from simulation shape subsequent processing and provide the basis for the language user’s response. (Bergen & Chang: 2005, 148; Hervorhebung im Original)
Der erste Prozess – die ‚Analyse‘ – betrifft also die Aktualisierung von Konstruktionen durch die (Elemente einer) Äußerung – mit anderen Worten: den strukturierten Zugriff auf das Inventar an Konstruktionen, über SprachbenutzerInnen verfügen. Dem Prozess der „Simulation“ dienen diese aktualisierten Konstruktionen als Ausgangspunkt, um Repräsentationen, die Handlungen und Wahrnehmungen zugrunde liegen, so zu bestimmen, dass Ereignisse, Handlungen, Objekte usw. mental simuliert werden können. Dabei handelt es sich um einen dynamisch-inferentiellen Prozess, der auf so unterschiedliche Ressourcen wie Hintergrundwissen und kommunikativen Kontext zugreift (vgl. Bergen & Chang im Druck: Abschnitt 4.2). Einen zentralen Stellenwert nehmen dabei Bildschemata („image schemata“, „embodied schemas“) ein, worunter Lakoff und Johnson (etwa Lakoff 1987: 284, Lakoff & Johnson 1980) rekurrent auftretende Muster sensomotorischer (Körper-)Erfahrungen verstehen. Typische Schemata sind etwa BEHÄLTER, TEIL-GANZES, URSACHE-WIRKUNG (vgl. hierzu auch Ziem im Druck c). Konstruktionen sind der ECxG zufolge in Bildschemata verankert, und sprachliche Bedeutungen entstehen im Prozess der mentalen Simulation. (b) Gegenstandsbereich und Erkenntnisinteresse. Wie schon durch ihren Namen angedeutet, unterscheidet sich die ECxG von allen anderen Ansätzen durch ihre Ausrichtung auf die Leitfrage, wie Konstruktionen einer Sprache mithilfe von sensomotorisch-körperlich verankerten Schemata („embodied schemata“) systematisch entstehen und beim Sprachverstehen aktualisiert werden. Für Fälle wie das in Abschnitt 2.3.2 eingeführte Beispiel (14c) Der Schneider schnitt ihr Stoff argumentieren Bergen und Chang (2005), dass drei Schemata am Verstehensprozess konstitutiv beteiligt sind, nämlich KRAFT-ANWENDUNG („FORCE APPLICATION“), URSACHE-WIRKUNG („CAUSE-EFFECT“) und BEKOMMEN („RECEIVE“). Jedes Schema macht schematisiertes Wissen über Ereignisse und Rollen verfügbar. So entsteht bei der Rezeption von (14c) eine mentale Simulation, derzufolge der Schneider die Ursache einer Handlung ist, deren Wirkung darin besteht, dass durch die Anwendung einer (motorisch kontrollierten) Kraft eine weibliche Person (ihr) zur Rezipientin des Stoffes wird. Der Simulationsprozess gibt dabei Anlass zu zahlreichen Inferenzen, hier etwa zu den Annahmen, dass die Rezipientin anfänglich keinen Stoff hat, dass der Stoff in die Hand der Rezi-
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pientin gereicht wird, dass der Schneider dafür sorgt, dass die Rezipientin den Stoff bekommt usw. Wie Inferenzen aufkommen und durch Körperschemata motiviert sind, gehört zum zentralen Gegenstandsbereich der ECxG. Anders als in den bislang vorgestellten Theoriebildungen liegt der analytische Fokus folglich nicht auf der Beschreibung und Erfassung von Sprachwissen, also auf Konstruktionen und deren Interaktion; vielmehr interessiert sich die ECxG für den On-line-Verarbeitungsprozess von Konstruktionen. Das Ziel besteht darin zu modellieren, wie Konstruktionswissen Sprachverstehen konzeptuell ermöglicht, und die Leitthese lautet in diesem Zusammenhang, dass das Verstehen einer sprachlichen Äußerung nur gelingt, wenn zum einen der intendierte kommunikative Sinn des Sprechers bzw. der Sprecherin bestimmt wird und zum anderen so viele verstehensrelevante Informationen auf der Basis aktivierter Schemata inferiert werden, dass eine angemessene (non-/para-)verbale Reaktion des Rezipienten möglich ist. Ein Alleinstellungsmerkmal der ECxG ist somit darin zu sehen, dass sie den Fokus auf den aktualen Gebrauch und das Verstehen von Konstruktionen legt und dabei kognitive und neuronale Mechanismen wie auch Aspekte der komputationellen Implementierung berücksichtigt. (c) Methoden. Die von der ECxG avisierte Theorie des Sprachgebrauchs und -verstehens begreift sich als empirisch motiviert, und sie zielt auf anwendungsorientierte Implementierungen in Computersystemen. Die ECxG übernimmt traditionelle Methoden wie Überprüfung der psychologischen und psycholinguistischen Plausibilität der Ergebnisse, Dekomposition von Zeichenträgern in Merkmalsstrukturen etc., begreift darüber hinaus aber jede Konstruktion zunächst nur als eine Hypothese, die über die Beobachtung und Analyse von Verhalten in natürlichen und experimentellen Settings zu validieren (oder zu falsifizieren) ist.35 Um Modellierungen in ECxG einer kritischen Prüfung zu unterziehen, wird auf formale Notationen, die der Kopfgesteuerten Phrasenstrukturgrammatik verwandt sind, zurückgegriffen. Erfolgreiche Implementierungen gelten als – vorläufige – Bestätigung der Plausibilität der erzielten Untersuchungsergebnisse.
5.4 Fluid Construction Grammar (Steels et al.): Roboter in der Interaktion Die Entwicklung der Fluid Construction Grammar (kurz: FCxG) ist eng mit den Arbeiten von Luc Steels verknüpft. Steels ist zugleich Direktor des Labors für Künstliche Intelligenz an der Vrije Universiteit in Brüssel und Leiter des Sony Computer Sciences Laboratory in Paris. Auf der Basis von konstruktionsgrammatischen Grundannahmen verbindet die FCxG computerlinguistische Methoden mit Robotik und schließt daran anwendungsorientierte linguistische Fragestellungen an. Das entwickelte FCxG-Programm ist frei im Internet verfügbar.36 Es soll KonstruktionsgrammatikerInnen unterschiedlicher Provenienz dazu –––––––— 35
36
Zur Anwendung experimenteller Methoden im Rahmen der ECxG vgl. die Ausführungen in Abschnitt 6. Vgl. FCxG-Programm, , Stand: 19.12.2012.
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dienen, beobachtete grammatische Phänomene zu überprüfen und sie auf Implikationen für Prozesse des Spracherwerbs sowie der Sprachverarbeitung und -produktion zu testen. (a) Sprach- und zeichentheoretische Voraussetzungen. Was ist ‚fließend‘ („fluid“) an der FCxG? Ausgangspunkt der FCxG ist eine Grundannahme von gebrauchsbasiert-kognitiven Konstruktionsgrammatiken: dass sich nämlich natürliche Sprachen bzw. deren Form- und Bedeutungsstrukturen permanent wandeln, ohne dadurch den kommunikativen Erfolg von SprachbenutzerInnen in Mitleidenschaft zu ziehen. Wie gelingt es vor diesem Hintergrund, sich trotz ‚Erschwernissen‘ im alltäglichen Diskurs – wie etwa Ungrammatikalität, Auslassungen, semantischer Vagheit, Störungen – erfolgreich zu verständigen? Die FCxG geht davon aus, dass die Berücksichtigung des Faktums, dass ‚alles im Fluss ist‘, kein nachgeordnetes, sekundäres Phänomen von Sprachen ist (vgl. dazu auch Langacker 1988); dies war noch der Ausgangspunkt von Chomsky (1965: §1), wenn er den „idealen Sprecher“ und den „idealen Hörer“ zum Gegenstand seines generativen Grammatikmodells erklärt. Vielmehr gehören Faktoren wie Konventionalität, wechselnde Verfestigungsgrade von Sprachstrukturen, Hintergrundwissen, das kommunikative Setting konstitutiv zur (Modellierung von) Sprache dazu (vgl. Steels & van Trijp 2011: 301-304). Es kommt deshalb der FCxG darauf an, die menschliche Kreativität theoretisch zu durchdringen und zu verstehen, wie neue Konzepte – einschließlich interaktionaler Muster sowie semantischer und grammatischer Kategorien – entstehen, sich innerhalb einer Sprachgemeinschaft verbreiten und zu einer verbindlichen, aber gleichwohl variablen Konvention werden (Steels 2003). Die FCxG vermeidet die Verwendung von vordefinierten und der Verarbeitung vorangehenden (logischen) Kategorien zur Beschreibung eines Zustandes in der Welt, da diese in der ‚realen Welt‘ aufgrund wechselnder Umstände und Störungen keinen Bestand haben. Dies betrifft auch grammatische Kategorien, weshalb der gewählte Zugang dem der Radical Construction Grammar Crofts ähnelt. Zugrunde gelegt wird eine inferentielle, prozedurale Konzeption von Semantik und Grammatik, nach der sprachliche Strukturen stets Resultate von Verarbeitungsprozessen sind. Wie die ECxG modelliert ebenso die FCxG Konstruktionen als Merkmals-, also Attribut-Wertstrukturen. Im Anschluss an die Definition von Konstruktionen als konventionalisierte Form-Bedeutungspaare variierender Komplexität wird eine Merkmalsstruktur sowohl für die Bedeutungsseite, dem so genannten ‚linken Pol‘ („left pole“), als auch für die Formseite, dem so genannten ‚rechten Pol‘ („right pole“), angesetzt (Steels & de Beule 2006: 76). Formseitige, also syntaktische Strukturen verfügen über drei Merkmale: „synsubunits“, „syn-cat“ (syntaktische Kategorie) und „form“ (die Form, die mit einer sprachlichen Einheiten verbunden ist). Bedeutungsseitige, also semantische Strukturen setzen sich aus vier Merkmalen zusammen: „sem-subunits“, „sem-cat“ (semantische Kategorie), „meaning“ (als Teil der Äußerungsbedeutung der sprachlichen Einheit) und „context“ (als ein Set an Variablen, die bedeutungsrelevant, aber mit Variablen von Bedeutungen anderer sprachlicher Einheiten verbunden sind). Regeln haben den Status von Mustern („templates“), die typische Beschränkungen zwischen Form-Bedeutungsbeziehungen erfassen. Durch Merkmalsstrukturen legen sie semantischen und syntaktischen Strukturen Beschränkungen („constraints“) auf. Jede Regel setzt
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sich aus einem untergeordneten Set an Regeln zusammen, die die Reihenfolge der Regelanwendung bestimmen. Wichtig ist, dass jeder Regel eine Art Punktwert („score“) zugewiesen ist, der den kommunikativen Erfolg widerspiegelt, mit dem ein Roboter (oder andere HandlungsträgerInnen) eine Konstruktion verwendet hat. So wird es möglich, mithilfe von Präferenzregeln auch Frequenzeffekte im Sinne des gebrauchsbasierten Sprachmodells zu berücksichtigen (vgl. Abschnitt 6.2 und 8.3). (b) Gegenstandsbereich und Erkenntnisinteresse. Die FCxG macht sich zum Ziel, die Flexibilität und Vagheit von (gesprochener) Sprache, also jenes charakteristische Kennzeichen von Sprache, ‚fließend‘ zu sein, theoretisch zu modellieren, in Robotern zu implementieren und experimentell weiterzuentwickeln. In den Worten von Steels & de Beule (2006: 78): our main target is to make scientific models of the processes that underly the origins of language, in other words of the creative process by which language users adapt or invent new forms to express new meanings that unavoidably arise in an open world and negotiate tacitly the conventions that they adopt as a group.
Zu diesem Zweck verbinden Steels und seine MitarbeiterInnen ein ‚intelligentes‘ Grammatikdesign mit flexiblen Verarbeitungsprinzipien (Steels & van Trijp 2011: 301). So ist die FCxG im Kern ein neuartiger unifikationsbasierter, formal-grammatischer Apparat, der aus der Warte der künstlichen Sprachverarbeitung anspruchsvolle sprachliche Phänomene wie phrasale Konstruktionen, Argumentstrukturen, semantische Ambiguität, Kasus etc. modellieren und implementieren kann. (c) Methoden. Bei der FCxG handelt es sich um einen komputationellen Ansatz, dessen formaler Apparat es in Anlehnung an die unifikationsbasierte Kopfgesteuerte Phrasenstrukturgrammatik erlauben soll, das Inventar an lexikalischen und grammatischen Konstruktionen zu formalisieren (vgl. etwa Steels & de Beule 2006: 73, van Trijp 2011 am Beispiel vom Kasus im Deutschen). Formalisierungen dienen dazu, Experimente mit intelligenten Maschinen – also Robotern – zum Erwerb sowie zur Evolution natürlicher Sprachen durchzuführen. Entsprechend basieren die Arbeiten der FCxG im Wesentlichen auf einer doppelten methodischen Grundlage: Zum einen greift die FCxG zur Formalisierung von Konstruktionen auf den notationellen Apparat der Kopfgesteuerten Phrasenstruktur-Grammatik zurück, den sie allerdings gemäß ihrer theoretischen Basisannahmen modifiziert. So liegt der FCxG ein beschränkungs- und unifikationsbasiertes Grammatikmodell zugrunde, das Regeln als bi-direktional begreift; Regeln finden sowohl für die Sprachverarbeitung als auch für die Sprachproduktion Einsatz. Steels und seine MitarbeiterInnen haben diesen Vorgaben folgend die Programmiersprache IRL (Incremental Recruitment Language) entwickelt, in der entsprechende Mechanismen implementiert sind (Steels & Bleys 2005). Zum anderen spielen Experimente mit Robotern, die mit der entwickelten Software ausgestattet sind, eine kaum zu überschätzende Rolle für die (Weiter-)Entwicklung der FCxG. Bei diesen Experimenten geht es darum, die implementierten Programme auf ihre Robustheit hin zu überprüfen. Um natürliche Kommunikationssituationen annäherungsweise zu simulieren, kommen in den durchgeführten „multi-agent simulations“ stets mehrere, mitei-
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nander interagierende Roboter zum Einsatz. Konventionalisierungsprozesse sowie der Erwerb und der dynamisch-interaktionale Wandel von Konstruktionen sollen so innerhalb einer ‚Sprachgemeinschaft‘ untersucht werden. Zugleich stehen die mit einem visuellen System ausgestatteten Roboter vor der Aufgabe, sich in der natürlichen Umgebung zu orientieren und sich miteinander zu koordinieren. Dies wird selbst vielfach zum Gegenstand der sprachlichen Interaktion. Die Roboter sind weiterhin mit Skripten derart programmiert, dass sie miteinander Sprachspiele spielen. Auf diese Weise wird einerseits sichergestellt, dass sie überhaupt miteinander interagieren, und andererseits lässt sich so untersuchen, wie ein gemeinsamer Aufmerksamkeitsfokus („joint attention“) aufgebaut und kommunikative Ziele verfolgt werden (vgl. zusammenfassend Steels & de Beule 2006: 74). Trotz der beeindruckenden Forschungsergebnisse ist aber zu betonen, dass noch ein weiter Weg zurückzulegen ist, bis Roboter eigenständig sprechen lernen können. Zusammenfassung: Zu unterscheiden sind insgesamt sieben konstruktionsgrammatische Theoriebildungen. Bislang liegt zwar kein vergleichender Überblick über alle Ansätze vor; in dem 2013 erscheinenden und von Hoffmann und Trousdale herausgegebenen Oxford Handbook of Construction Grammar finden sich aber erstmalig Beiträge, die jeweils überblickshaft einzelne Theoriebildungen vorstellen. Am meisten diskutiert sind derzeit nicht-formale, kognitiv-gebrauchsorientierte Ansätze, wozu die CCxG, aktuell vertreten durch Goldberg, Langackers CG und Crofts RCxG, gehören. Anders als diese zeichnen sich formal ausgerichtete, unifikationsbasierte Ansätze durch den Versuch aus, Konstruktionen möglichst präzise formal zu beschreiben. Tabelle 3 (im Anschluss an diese Zusammenfassung) gibt einen Überblick über Gemeinsamkeiten und Unterschiede der Ansätze. Einen umfassenden Überblick über die SBCxG gibt Sag 2012. Weiterführende Literatur: Einen guten, wenngleich unvollständigen Überblick über verschiedene Theoriebildungen geben Croft und Cruse (2004: 225-290) sowie Evans und Green (2006: 641-706). Als Einstieg in die Cognitive Construction Grammar empfiehlt sich Boas im Druck a, Goldberg 2006a (3-18, 213-226) sowie Smirnova & Mortelsmans 2010 (Kapitel 5), zur Einführung in die Radical Construction Grammar Croft im Druck und in die Cognitive Grammar Langacker 2008 sowie Broccias im Druck. Den besten Einblick in die Berkeley Construction Grammar bieten immer noch die klassischen Studien von Fillmore, Kay und O’Connor (1988) zur „what’s-X-doing-Y“-Konstruktion sowie Kays und Fillmores (1999) Analyse der „let alone“-Konstruktion. Bergen und Chang (im Druck) führen in die Embodied Construction Grammar ein und geben einen knappen Überblick über jüngere Entwicklungen. Eine knappe, aber auch zur Einführung geeignete Darstellung der Fluid Construction Grammar ist Steels & de Beule 2006, während der von Steels (2011) herausgegebene Sammelband einen detaillierteren Einblick in die aktuelle Forschung gibt. Der Sammelband Lasch & Ziem im Druck enthält ebenfalls Beiträge zu verschiedenen Theoriebildungen, und Ziem 2009 führt allgemein in die Grundlagen der Konstruktionsgrammatik ein.
65 Übergreifende Gemeinsamkeiten und Unterschiede Gemeinsamkeiten - Konstruktionen als einheitliches Format sprachlichen Wissens - Sprache als nicht-derivationelles und nicht-modulares System Unterschiede (a) Nicht formal orientierte Ansätze: Cognitive Construction Grammar (CCxG), Cognitive Grammar (CG), Radical Construction Grammar (RCxG) - Grammatische Strukturen als Ergebnisse des Sprachgebrauchs - graphische Darstellung zum Zweck der Illustration - Betonung von psychologischer Plausibilität - (kognitive) Motiviertheit von Konstruktionen - Verbindung von Konstruktionen über (partielle) Vererbungsbeziehungen (b) Formal orientierte Ansätze I: Berkeley Construction Grammar (BCxG), Sign-Based Construction Grammar (SBxG) - unifikations- und beschränkungsbasiert - Formalisierung von Konstruktionen im Rückgriff auf Formalismen der HPSG - Interesse an Implementierung in Computersystemen (c) Formal orientierte Ansätze II: Embodied Construction Grammar (ECxG), Fluid Construction Grammar (FCxG) - interdisziplinäre Anwendungsorientierung (Computerwissenschaft, Küntliche Intelligenz, Robotik) - Rückgriff auf Formalismen der HPSG - Orientierung am Sprachgebrauch (ECxG, FCxG) und an kognitiver ‚Realität‘ (FCxG) Zentrale Charakteristika einzelner Ansätze Cognitive Construction Grammar (CCxG) - Konstruktionen als nicht-kompositionelle und/oder kognitiv verfestigte FormBedeutungspaare - Annahme von Vererbungsbeziehungen (vgl. Abschnitt 8.2) - Polysemie, Prototypikalität von Konstruktionen (vgl. Abschnitt 8.3) Cognitive Grammar (CG) - Konstruktionen als komplexe symbolische Einheiten - Annahme von Konstruktionsschemata - Relevanz von Schematisierungsprozessen - Vererbungsrelationen als Korrespondenzen zwischen Einzelteil- und zusammengesetzter Struktur Radical Construction Grammar (RCxG) - konzeptionelle Orientierung an der Cognitive Grammar - typologische Ausrichtung - Annahme rein sprachspezifischer Kategorien statt sprachlicher Universalien - Korrelierung von Konstruktionen durch Teil-Ganzes-Beziehungen Berkeley Construction Grammar (BCxG) - Konstruktionen als Form-Bedeutungspaare mit nicht-vorhersagbaren Eigenschaften - HPSG-orientierte Formalisierung - maximale Generalisierung bei Vererbungsprozessen, keine Redundanzen - Fokus auf idiomatischen Konstruktionen
66 Zentrale Charakteristika einzelner Ansätze (Fortsetzung) Sign-Based Construction Grammar (SBxG) - HPSG-konforme formale Modellierung - Anspruch eines theorieübergreifenden Formalisierungsmodells - Konstruktionen als konventionelle Form-Bedeutungspaare mit syntaktischen und semantischen Merkmalsstrukturen - Unterscheidung von Graden an Produktivität - Lexikon als taxonomisch organisiertes Inventar sprachlicher Zeichen Embodied Construction Grammar (ECxG) - HPSG-orientierte Formalisierung - Fokus auf Online-Verarbeitungsprozess - Relevanz von mentalen Simulationen und deren Verankerung in körperlichen Erfahrungen - psychologische Plausibilität als Kriterium Fluid Construction Grammar (FCxG) - HPSG-orientierte Formalisierung - komputationeller, aber gebrauchsbasierter Ansatz - Fokus auf sprachlicher Kreativität und sprachlicher Dynamik - Implementierung in Robotern Tabelle 3: Konstruktionsgrammatische Ansätze im Vergleich.
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6 Methoden In den letzten Abschnitten haben wir gesehen, dass jeder konstruktionsgrammatische Ansatz bestimmte Methoden zur Identifizierung und Analyse von Konstruktionen bevorzugt. So ist es für unifikationsbasierte Theoriebildungen kennzeichnend, dass sie auf Notationsformen der Kopfgesteuerten Phrasenstrukturgrammatik zurückgreifen, um die interne Struktur von Konstruktionen formal möglichst genau erfassen zu können. Bei den gebrauchsbasierten Ansätzen dominieren dagegen ganz andere Verfahren: von introspektivinterpretativen Analysen, wie teilweise etwa in Langacker 1987 und Goldberg 1995, über experimentelle Untersuchungen, wie in Goldberg 2006b, bis hin zu typologischdistributionellen Verfahren, wie in Croft 2001. Nun ist es wichtig zu sehen, dass diese jeweils gewählten methodischen Zugänge nur einen Ausschnitt des Methodenrepertoires abdecken, das tatsächlich bei konstruktionsgrammatischen Analysen Einsatz findet. Wir möchten deshalb an dieser Stelle in knapper Form einen weiterführenden Überblick darüber geben, welche Untersuchungsinstrumente in neueren konstruktionsgrammatischen Studien zur Anwendung kommen. Dies geschieht auch vor dem Hintergrund, dass inzwischen jenseits von (in der Regel schriftsprachlich orientierter) Syntax- und Phraseologieforschung neue Gegenstandsbereiche wie Sprachwandel (Hilpert 2011), gesprochene Sprache (Deppermann 2011b) sowie text- und diskursbezogene Phänomene (etwa Hoffmann & Bergs im Druck, Hein & Bubenhofer im Druck, Lasch im Druck b) in den analytischen Fokus der Konstruktionsgrammatik geraten sind. Diese lassen sich mit etablierten Methoden, wie wir sie in Abschnitt 3 vorgestellt haben, nicht immer angemessen analysieren; vielmehr sind neue Instrumente und Verfahren notwendig. Neben den bereits erwähnten introspektiv-interpretativen Analyseverfahren sind in der letzten Dekade verstärkt drei methodische Zugänge zur Beschreibung und empirischen Erfassung von Konstruktionen gewählt und teilweise erheblich weiterentwickelt worden: -
quantitativ korpuslinguistische Zugänge,
-
qualitativ korpuslinguistische Zugänge und
-
experimentelle Zugänge.
Anhand einschlägiger Beispiele möchten wir diese im Folgenden kurz vorstellen. Auf die Beschreibung introspektiver Verfahren gehen wir dabei bewusst nur sehr kurz ein (vgl. hierzu auch den Abschnitt 4.1).
6.1 Introspektiv-interpretative Verfahren Introspektion, also die „Selbstbeobachtung“, d.h. intuitive Beurteilung von meist isolierten, kontextfreien sprachlichen Ausdrücken, ist das dominante Analyseverfahren der modernen Sprachwissenschaft. Dazu gehört etwa die Überprüfung der Plausibilität und grammatischen Richtigkeit sprachlicher Äußerungen auf der Grundlage von muttersprachlicher
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Kompetenz. Solche (Grammatikalitäts-)Urteile bilden nicht nur die Grundlage für die meisten Studien transformationsgrammatischer Provenienz; vielmehr sind auch frühe konstruktionsgrammatische Untersuchungen – wie Lakoff 1987, Goldberg 1991, Kemmer & Verhagen 1994, Dancygier & Sweetser 1997 – in methodischer Hinsicht introspektive Analysen. Das Analyseverfahren der Introspektion fußt auf der Annahme, dass die menschliche Intuition über die (Un-)Grammatikalität oder semantische Sinnhaftigkeit bzw. Sinnlosigkeit komplexer sprachlicher Ausdrücke einen zuverlässigen Zugriff auf das menschliche Sprachwissen erlaubt. Als problematisch muss diese Voraussetzung in dreierlei Hinsicht eingeschätzt werden: Erstens handelt es sich bei intuitiven Beurteilungen stets um subjektive und mithin stark fehleranfällige Einschätzungen; zweitens beruhen die Urteile auf dem individuellen und sozialen (Hintergrund-)Wissen des Beurteilenden, so dass die Rolle sozialer, biographischer und kultureller Faktoren keine hinreichende Berücksichtigung finden können; drittens eignet sich das Verfahren der Introspektion für viele Untersuchungsfragen (etwa zu sprachlichen Bedeutungen) nicht, weil es keinen oder einen nur sehr unzulänglichen Zugriff auf das im Langzeitgedächtnis abgespeicherte Wissen erlaubt. Entsprechend zieht Sinclair (1991: 4) generell in Zweifel, dass Intuition Aspekte des tatsächlichen Sprachgebrauchs akkurat wiedergibt: [T]he contrast exposed between the impressions of language detail noted by people, and the evidence compiled objectively from texts is huge and systematic. It leads one to suppose that human intuition about language is highly specific, and not at all a good guide to what actually happens when the same people actually use the language.
Gleichwohl ist aus dieser Beobachtung nicht der Schluss zu ziehen, dass allein korpuslinguistische und experimentelle Untersuchungsmethoden in der empirischen Forschung Einsatz finden sollten. Wie Sinclair (1991: 39) selbst bemerkt, bleibt Intuition vielmehr ein nötiges Hilfsmittel zur Bewertung von empirischer Evidenz;37 Intuition sollte aber nicht die leitende Methode sein, um empirische Evidenz analytisch zu erzielen. Kurzum: Als verlässliche empirische Methode taugt Introspektion kaum. Die erzielten Ergebnisse sind aufgrund des Rückgriffs auf nicht-objektivierbare Intuitionen weder reliabel noch falsifizierbar. Dennoch hat erst Ende der 1990er Jahre die methodologische Auseinandersetzung zwischen Croft und Sandra (vgl. Croft 1998, Sandra 1998) zur Erweiterung des konstruktionsgrammatischen Methodenspektrums auf experimentelle Untersuchungen (etwa Tomasello & Brooks 1998) und quantitative Korpusanalysen (etwa Gries 1999) geführt.
6.2 Quantitative korpuslinguistische Methoden Zweifelsohne dominieren derzeit quantitative korpuslinguistische Verfahren die Analyse von Konstruktionen. Die quantitative Korpuslinguistik beschäftigt sich mit der Analyse von –––––––— 37
Wir danken Hans Boas für diesen Hinweis.
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sprachlichen Phänomenen auf der Basis von bedingten Häufigkeiten in einem großen Textkorpus. Zur Untersuchung grammatischer Phänomene bietet ihr der Begriff der Konstruktion (etwa nach Goldberg 1995) eine wohl definierte und gut identifizierbare Einheit, die sich für empirische Studien zudem vergleichbar leicht operationalisieren lässt. Mit quantitativkorpuslinguistischen Methoden lassen sich robuste, d.h. statistisch reliable Analyseergebnisse erzielen. Voraussetzung ist dafür Stefanowitsch (2007a: 154-155) zufolge allerdings, dass erstens ein hinreichend großes, ausbalanciertes elektronisches Textkorpus vorliegt, das für die eingesetzten Verfahren entsprechend aufbereitet wird und für den Phänomenbereich repräsentativ ist, dass zweitens das zu analysierende Phänomen im Korpus im vollen Umfang ausgewertet wird, dass drittens relevante Daten möglichst objektiv kodiert werden, im Fall von manueller Annotation etwa durch die Annotation derselben Daten von mehreren Annotatoren, und dass schließlich viertens die quantifizierten Daten auf statistische Signifikanz hin getestet werden, was den Vergleich mit ihrer Auftretenshäufigkeit unter anderen Bedingungen bzw. in einem Referenzkorpus einschließt. Ausgangspunkt der quantitativ verfahrenden Konstruktionsgrammatik bildet die Beobachtung, dass es in einer Sprache eine Vielzahl an Mustern gibt, die über strukturelle Regularitäten zwischen Wörtern hinaus auch einen inhaltlichen Zusammenhang der Wörter reflektieren. Darauf hat bereits Sinclair mit dem später so genannten „idiomatischen Prinzip“ hingewiesen; dies besagt: a language user has available to him or her a large number of semi-preconstructed phrases that constitute single choices, even though they might appear to be analyzable into segment (Sinclair 1991: 110).
Wie Kollokationsanalysen deutlich gemacht haben, gilt das idiomatische Prinzip – anders als man zunächst annehmen könnte – keineswegs nur für Idiome im engeren Sinn, sondern beispielsweise auch für Kollokationen (eingefleischter Junggeselle), Routineformeln (Guten Tag) und grammatische Phraseme (geschweige denn) (vgl. Dobrovol’skij 2011: 111f.). Die Kollokationsforschung hat so schon früh den engen Zusammenhang von Lexikon und Grammatik zu ihrem Untersuchungsgebiet gemacht. Aufgrund dieses gemeinsamen Erkenntnisinteresses mit der Konstruktionsgrammatik verwundert es kaum, dass die gebrauchsbasiert orientierte Konstruktionsgrammatik begann, zunehmend auf quantitative Verfahren der Korpusanalyse zurückzugreifen. Zu diesen gehören insbesondere (a) Frequenz- und Kookkurrenzanalysen, (b) Studien zu bedingten Wahrscheinlichkeiten, (c) Untersuchungen zur Assoziationsstärke, worunter auch die einflussreiche Kollostruktionsanalyse von Gries und Stefanowitsch (etwa 2004) zählt sowie (d) Multifaktorenanalysen. Die folgende Zusammenfassung orientiert sich an der Darstellung von Gries (im Druck), die sehr zu empfehlen ist, um einen ersten Überblick über etablierte quantitative Analysemethoden zu bekommen. (a) Frequenz- und Kookkurrenzanalysen Die Kookkurrenzanalyse untersucht die Häufigkeit des gemeinsamen Auftretens von bestimmten Wörtern. Dabei geht sie davon aus, dass häufige Kookurrenz sprachlicher Einhei-
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ten auf einen gegenseitigen semantischen Bezug hinweist. In Frequenzanalysen ist dagegen nicht das gemeinsame Vorkommen von Ausdrücken entscheidend, sondern allein die Frequenz, mit der ein bestimmter Ausdruck in einem Korpus – ggf. in Relation zu seiner Auftretenshäufigkeit in einem Referenzkorpus – vorkommt. Dabei kann es sich um einen lexikalischen Ausdruck oder um eine Mehrworteinheit, so genannte n-Gramme, handeln (vgl. Gries & Newman & Shaoul 2011, Hein & Bubenhofer im Druck, Lasch im Druck a,b, Ziem & Scholz & Römer im Druck). Frequenzanalysen können etwa Aufschluss über die Relevanz einer Konstruktion (im Vergleich zu anderen) geben, sie können aber auch dazu genutzt werden, Gegenbeispiele für beobachtete Phänomene, so etwa für Beschränkungen, die Produktivität von Konstruktionen und Lizenzierung von Sub-Konstruktionen etc., zu finden.38 (b) Bedingte Wahrscheinlichkeiten Mit bedingten Wahrscheinlichkeiten lässt sich statistisch der Einfluss einer Größe auf eine andere errechnen. Dieses quantitative Verfahren findet etwa in der konstruktionsgrammatischen (Zweit-)Spracherwerbsforschung Einsatz. So gehen Goldberg, Casenhiser und Sethuraman (2004) beispielsweise der Frage nach, inwiefern sich mithilfe von Konstruktionen Satzbedeutungen vorhersagen lassen. Auf der Basis von „caused-motion“-Konstruktionen in einem Sprachlernerkorpus berechnen sie die Wahrscheinlichkeit („cue validity“), mit der das syntaktische Muster [V-Obj-Loc] die konstruktionale Bedeutung der verursachten Bewegung angibt. (c) Assoziationsstärke Die vielleicht am weitesten verbreitete und einflussreichste quantitative Methode betrifft die Assoziationsstärke zwischen Spracheinheiten. So genannte Kollostruktionsanalysen richten sich im Kern auf die Frage, wie stark bestimmte Wörter und bestimmte Leerstellen einer Konstruktion sich gegenseitig anziehen (Stefanowitsch & Gries 2003). Im Rückgriff auf John R. Firths Begriff der Kollokation und basierend auf Goldbergs theoretischem Verständnis von Konstruktionen (vgl. Abschnitt 2.2) wird die Beziehung zwischen lexikalischen Einheiten einerseits und grammatischen Strukturen andererseits mithilfe von komplexen Kookkurrenzanalysen untersucht (Stefanowitsch & Gries 2009). Zur Kollostruktionsanalyse gehören drei verschiedene Methoden, die sich auf je unterschiedliche konstruktionsgrammatisch relevante Fragenkomplexe richten: i. Kollexem-Analyse: Mit ihr ist es möglich zu berechnen, wie stark ein bestimmter (komplexer) sprachlicher Ausdruck einer Leerstelle mit einer Konstruktion assoziiert ist (vgl. Stefanowitsch & Gries 2003), so etwa das Verb schenken mit der DitransitivKonstruktion in Abgrenzung zu anderen Konstruktionen. –––––––— 38
So macht sich etwa Goldberg (1999) die Auftretensfrequenz von bestimmten Verben im L1Korpus CHILDES zunutze, um den Erwerb von Argumentstruktur-Konstruktionen zu untersuchen.
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ii. Distinktive Kollexem-Analyse: Sie dient zur Berechnung der Assoziationsstärke zwischen einem bestimmten (komplexen) sprachlichen Ausdruck und zwei oder mehreren funktional ähnlichen Konstruktionen (Gries & Stefanowitsch 2004), beispielsweise zwischen dem Verb schenken und der Ditransitiv-Konstruktion in Abgrenzung zu Präpositionalkonstruktionen mit einer Nominalphrase im Dativ. iii. Kovariierende Kollexem-Analyse: Diese hat zum Ziel, für einen bestimmten (komplexen) sprachlichen Ausdruck als Instanz einer Leerstelle einer Konstruktion zu bestimmen, wie stark dieser Ausdruck mit jenem Ausdruck assoziert ist, der als Instanz eines anderen Slots derselben Konstruktion fungiert (Stefanowitsch & Gries 2005). Für die Ditransitiv-Konstruktion [[NPNom][VP][NPDat][NPAkk]] hieße das etwa, dass errechnet werden kann, wie stark in dieser das Verb schenken (als Instanz der Leerstelle V) mit ein Geschenk, also einer Nominalphrase im Akkusativ, verbunden ist. (d) Multifaktorenanalyse Die Multifaktorenanalyse versucht schließlich, mithilfe der gleichzeitigen Anwendung von verschiedenen statistischen Verfahren auf ein und denselben Phänomenbereich dem Umstand Rechnung zu tragen, dass die Komplexität und Vielschichtigkeit von Korpusdaten es nötig machen, das Bedingungsverhältnis von mehreren Einflussfaktoren zu testen. Nur so können reliable Ergebnisse erzielt werden. Dabei muss es sich nicht um den Einsatz von mehreren quantitativ-korpusanalytischen Instrumenten handeln; vielfach werden zusätzlich auch experimentelle Untersuchungen durchgeführt, um die erzielten Analyseergebnisse zu untermauern (bzw. zu modifizieren oder zu falsifizieren). Ob und wenn in welchem Umfang eine Multifaktorenanalyse sinnvollerweise durchzuführen ist, bleibt aber eine offene und letztlich auch mit Blick auf Arbeitsökonomie zu beantwortende Frage, denn, wie Gries (im Druck: Abschnitt 3.4) bemerkt: nearly every phenomenon studied corpus-linguistically can, and probably should, be studied multifactorially, so the range of possibilities that could be surveyed is extremely large.
Innerhalb der Konstruktionsgrammatik ist die Anzahl bislang durchgeführter multifaktorieller Analysen (noch) überschaubar. Einschlägige Beispiele sind Wulffs (2009) Studie zur Idiomatizität, Gries’ (2003) Untersuchung zur Identifizierung von prototypischen Konstruktionen und Hoffmanns (2010) Studie zur Platzierung von Präpositionen.
6.3 Qualitative korpuslinguistische Methoden Neben quantitativen Methoden der Korpuslinguistik erlauben auch qualitative Untersuchungen von Korpusdaten, semantische, pragmatische und formale Eigenschaften von Konstruktionen im Detail zu analysieren. Abhängig von dem zu untersuchenden sprachlichen Phänomenbereich und der jeweils zugrunde liegenden Forschungsfrage kann es nötig sein, statt eines quantifizierenden Zugriffs einer qualitativen Untersuchung Vorrang einzuräumen. An zwei prominenten Beispielen, nämlich (a) korpusbasierten Analysen gespro-
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chener Sprache und (b) manuellen Annotationen von Korpusdaten (am Beispiel von FrameNet), möchten wir dies in gebotener Kürze illustrieren. (a) Sequentielle Analysen gesprochensprachlicher Daten Im Fall von transkribierten gesprochensprachlichen Daten erweist sich die Anwendung quantitativ-korpuslinguistischer Methoden – wenn überhaupt – nur als begrenzt sinnvoll und möglich. Konstitutive Eigenschaften der gesprochenen Sprache, darunter zuvorderst Interaktivität, Pragmatizität und Zeitlichkeit (Deppermann 2011b: 210-213), machen vielmehr sequentiell-interpretative Analyseverfahren nötig, weil Transkripte selten in einer so großen Menge vorliegen, dass ein quantitativer Zugriff gerechtfertigt wäre. Die verwendeten Transkriptionszeichen verhindern zudem, Häufigkeiten von Ausdrücken verlässlich zu ermitteln. Qualitative Analysen erweisen sich folglich als unersetzlich, um die gesprochene Sprache als onto- und phylogenetisch primären Modus der Realisierung, Verwendung und Etablierung von Konstruktionen hinreichend zu berücksichtigen (vgl. Abschnitte 10.4 und 10.5). Gesprächsanalytischen Untersuchungen mit konstruktionsgrammatischem Erkenntnisinteresse liegt in der Regel ein dreischrittiges Vorgehen zugrunde. Ausgehend von einem beobachteten sprachlichen Phänomen, etwa Pseudocleft-Konstruktionen (vgl. Günthner 2006a,b, Hopper & Thomson 2007) oder Appositionen (Imo im Druck a), dessen konstruktionaler Status jeweils zur Disposition steht, gilt es in einem ersten Schritt, hinreichend viele Korpusbelege zu finden, die möglichst die ganze Bandbreite an Realisierungsmöglichkeiten der Konstruktion abdecken. Auf dieser Datenbasis wird zweitens im Rückgriff auf etablierte gesprächsanalytische Kategorien eine detaillierte sequentielle Analyse funktionaler und formaler Eigenschaften der Einzelbelege durchgeführt. Dies geschieht unter der Vorgabe, eine möglichst exhaustive Bestimmung tatsächlich festzustellender Varianten zu erzielen. Der dritte Schritt besteht schließlich darin, die analysierten Einzelbelege auf formale und funktionale Gemeinsamkeiten hin zu überprüfen, sie daraufhin in Gruppen zusammenzufassen und als im Sprachgebrauch realisierte (Sub-)Konstruktionen auszuweisen. Ein solches qualitatives Verfahren führt zu einer sehr feinkörnigen und umfassenden Bestimmung von Konstruktionen, die in vergleichbarer Weise mit quantitativen Methoden nicht möglich gewesen wäre. (b) Manuelle Annotationen von Sprachdaten Der maschinell-quantitative Zugriff auf ein geparstes Textkorpus wird oft ergänzt durch manuelle Annotationen. Denn: Nicht alle analytisch relevanten Kategorien lassen sich maschinell erfolgreich ermitteln. Insbesondere semantische Kategorien erweisen sich als notorisch schwierig. Dies gilt beispielsweise für die Bestimmung von semantischen Rollen in Argumentstruktur-Konstruktionen. In dem von Charles Fillmore initiierten, groß angelegten FrameNet-Projekt39 werden deswegen semantische Rollen – so genannte Frameelemente – –––––––— 39
Vgl. FrameNet-Projekt, , Stand: 19.12.2012. Zum Zusammenhang von Konstruktionen und Frames vgl. Boas 2011, im Druck b; Ziem im Druck a.
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englischer Verben manuell systematisch annotiert (Ruppenhofer et al. 2010; zusammenfassend: Busse 2012: 165f., Ziem im Druck a). Ermittelt werden auf diese Weise Valenzmuster, die für konstruktionsgrammatische Studien nutzbar gemacht werden können (vgl. etwa Boas im Druck b, Croft 2009). So ruft beispielsweise das Verb rächen den RevengeFrame auf,40 und dieser stellt als Kern-Elemente einerseits folgende semantische Rollen (in FrameNet „Frameelemente“ genannt) bereit: AVENGER, INJURED_PARTY, INJURY, OFFENDER sowie PUNISHMENT. Andererseits macht er eine Reihe an weiteren semantischen Rollen verfügbar, die nicht zu den Kern-Elementen gezählt werden, so etwa INSTRUMENT, DURATION, PLACE, TIME, MANNER und RESULT. Die in der FrameNet-Datenbank angeführten annotierten Beispielsätze, in denen diese semantischen Rollen realisiert sind, geben Aufschluss über die Fülle an syntaktischen Mustern, in denen das Verb rächen auftreten kann und tatsächlich auftritt. Auch hier gilt: Eine ähnlich feinkörnige empirische Analyse ist nur mithilfe qualitativ-korpusbasierter Methoden möglich, hier etwa der manuellen Annotation von semantischen Rollen (vgl. hierzu auch Abschnitt 9.3).
6.4 Experimentelle Zugänge Experimentelle Methoden finden bislang vor allem in der konstruktionsgrammatischen Spracherwerbsforschung Anwendung (vgl. allerdings Ausnahmen wie Wulff 2009, Goldwater & Markmann 2009). Insbesondere die Forschergruppe um den Ko-Direktor des Leipziger Max-Planck-Instituts für Evolutionäre Anthropologie Michael Tomasello hat eine große Vielzahl teilweise sehr kreativer Experimente entwickelt, um den Erwerb von Konstruktionen im Detail zu untersuchen (vgl. die ausführliche Überblicksdarstellung in Tomasello 2003: 144-181). In Anlehnung an Goldberg (1995), Croft (2001) und Langacker (1987) verfolgt auch diese Forschergruppe einen gebrauchsbasierten Ansatz. Der Einsatz experimenteller Methoden ist nötig, da der Spracherwerb aufs Engste mit der Herausbildung (sozio-)kognitiver Fähigkeiten von Kindern zusammenhängt, die allein korpusbasiert nicht oder nur sehr unzureichend untersucht werden kann. Zu diesen Fähigkeiten gehören das Erkennen von Intentionen („intention-reading“) und kulturelles Lernen, Schematisierung und Analogiebildung, Beschränkung von Generalisierungen und distributionelle Analyse (vgl. Tomasello 2006b: 9-15). Zur Veranschaulichung möglicher experimenteller Untersuchungssettings möchten wir im Folgenden einige wichtige Methoden exemplarisch herausgreifen. Gries (im Druck: Abschnitt 4) bietet einen knappen und illustrativen Überblick, auf den wir im Folgenden zur Orientierung zurückgreifen. Über die hier erwähnten methodischen Zugänge hinaus kommen prinzipiell alle in der Psycholinguistik gängigen Verfahren in Betracht. –––––––— 40
Dieser ist verfügbar über die FrameNet-Datenbank, die neben allen annotierten Frames auch Beispiele für durchgeführte Annotationen sowie ein hilfreiches Werkzeug („FrameGrapher“) zur bildlichen Veranschaulichung von Beziehungen, die ein Frame zu anderen Frames unterhält, bereitstellt (vgl. , Stand: 19.12.2012).
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(a) Angeleitete Lernprozesse Ein gängiges experimentelles Verfahren besteht darin, mithilfe von angeleiteten Lernprozessen den Erwerb von Konstruktionen zu simulieren. In einer der ersten konstruktionsgrammatischen Studien, die nicht auf introspektiv-interpretativer Vorgehensweise beruhte, versuchen Tomasello und Brooks, Evidenz für die These zu finden, „that young children learn their first sentence-level constructions on a verb-specific basis“ (Tomasello & Brooks 1998: 391). Zur Überprüfung solcher so genannter „verb-island constructions“ (vgl. Tomasello 2006c: 113-126) wurden Kindern neue Verben beigebracht, wobei die einen transitiver, die anderen hingegen intransitiver Natur waren. Der Befund, dass die Kinder bei der anschließenden Verwendung der gelernten Verben tatsächlich entsprechende Konstruktionen produzieren, bestätigt die Eingangshypothese. Ein vergleichbares Forschungsdesign liegt zahlreichen anderen Erwerbsstudien zu grammatischen Konstruktionen zugrunde. (b) Ad-hoc-Erwerb von Objektbezeichnungen Die für den Spracherwerb zentrale Rolle der kognitiven Fähigkeit, Intentionen zu erkennen, plausibilisieren Tomasello und Barton (1994) durch ein Experiment, in dem ad hoc neue Objektbezeichnungen gelernt werden. Indem der Versuchsleiter im Anschluss an seine Aufforderung, nach einem dem Kind unbekannten Gegenstand – etwa einem toma – zu suchen, nur bei der Konfrontation mit einem Gegenstand ein freudiges Gesicht macht, war es dem Kind in der Folge möglich, das Objekt entsprechend zu benennen. Kinder schließen offensichtlich von der wahrgenommenen Freude des Versuchsleiters, dass das toma gefunden worden ist, auf den entsprechenden Gegenstand. (c) Ersetzungs- und Vervollständigungstests Ein weiteres experimentelles Setting stellen Lückentests dar. Mit ihnen lassen sich bei SprachbenutzerInnen tatsächlich vorhandenes Kollokationswissen sowie die kognitive Realität von Konstruktionen überprüfen. Mit Blick auf ersteres verwendet beispielsweise Dąbrowska (2009) einen Vervollständigungstest, der eine Versuchsgruppe mit Sätzen aus Wörterbuchdefinitionen zu Verben des Wortfeldes laufen konfrontiert. In den Definitionen werden Verben dieses Wortfeldes weggelassen und die Versuchsgruppe hat die Aufgabe, die fehlenden Verben zu ergänzen. Dies gelingt ihr mit gutem Erfolg, wobei das Kollokationswissen als entscheidende Determinante nachgewiesen werden kann. Brandt (2011) verwendet dagegen Lückentests zur Untersuchung, auf welchem Abstraktionsgrad Kinder mit Komplementsatz-Konstruktionen arbeiten. Um zu testen, inwiefern diese Konstruktion mit einer abstrakten Subjektkategorie repräsentiert wird, kommt ein Ersetzungstest zum Einsatz. Das Subjekt des Hauptsatzes soll in neuen Sprachäußerungen durch andere Items ersetzt werden. Dazu sind vierjährige Kindern weniger gut in der Lage als fünfjährige. Brandt zeigt, dass sich abstrakte – hier in einem Slot lexikalisch unspezifizierte – Konstruktionen allmählich aus lexikalisch voll spezifizierten Konstruktionen entwickeln.
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(d) Priming-Experimente und Lese-Studien Mit dem aus der Psychologie stammenden Begriff des Primings bezeichnet man die Beeinflussung der Verarbeitung eines Reizes durch einen vorgängigen Reiz, der bereits bestimmte Gedächtnisinhalte aktiviert hat. Hare und Goldberg (1999) führen psycholinguistische Experimente durch, um semantische Priming-Effekte mit Blick auf ArgumentstrukturKonstruktionen zu bestimmen. Versuchspersonen stehen etwa vor der Aufgabe, Bilder mit ditransitiven Szenarien (wie jmdm. etwas schenken, geben, ausleihen etc.) zu beschreiben, nachdem sie mit einem primenden Satz konfrontiert worden sind. Priming-Experimente finden auch in Zweitspracherwerbs-Studien Einsatz, etwa um ArgumentstrukturKonstruktionen von MuttersprachlerInnen und L1-Lernern zu vergleichen (Gries & Wulff 2005). Obwohl in der Psycholinguistik neben Priming-Experimenten auch Lese-Studien – oft in Kombination mit Blickbewegungsanalysen – vielfältig praktiziert werden, liegen bislang nur wenige Untersuchungen mit genuin konstruktionsgrammatischem Erkenntnisinteresse vor; eine von ihnen ist Gries & Hampe & Schönefeld 2010. (e) Simulationsorientierte Experimente Im Anschluss an das Konzept der Embodied Construction Grammar (ECxG) (vgl. Abschnitt 5.3) haben Bergen et al. in den letzten Jahren verschiedene experimentelle Methoden genutzt, miteinander verbunden und teilweise neu entwickelt, mit denen der mentalsimulative Charakter konstruktionsbasierten Sprachverstehens erforscht werden soll. Ausgangspunkt bildet die zentrale These der ECxG, dass die Erfassung sprachlicher Bedeutungen die Aktivierung perzeptueller, motorischer, sozialer und affektiver Wissensbestände konstitutiv einschließt: Through exposure to language in context, language users learn to pair chunks of language like kick, Mary, or John with perceptual, motor, social, and affective experiences. In subsequent instances of language use, when the original perceptual, motor, social, and affective stimuli are not contextually present, the experience of them is re-created through the activation of neural structures responsible for experiencing them in the first place. (Bergen 2007: 277f.)
Ausgehend von dem behaupteten engen Zusammenhang zwischen Sprachverstehen, mental-perzeptueller und motorischer Simulation testen Bergen und Wheeler (2010) in einerseits psycholinguistisch, andererseits neurowissenschaftlich angelegten Experimenten so genannte „action-sentence compatibility effects“. Untersucht wird dabei, ob Bewegungsrichtungen, die in Sätzen wie Er hämmert den Nagel in den Boden kodiert sind, kompatibel sind mit Handbewegungen der Versuchspersonen, die nötig sind, um über Tastendruck Rückmeldung zu geben; je nach Kompatibilität werden Reaktionszeiten entweder beschleunigt oder gehemmt (vgl. den Überblick in Bergen 2007). Übergreifend bleibt festzuhalten: So jung der Einsatz sowohl experimenteller als auch quantitativ-korpuslinguistischer Verfahren zur Erforschung der mentalen Realität von Konstruktionen ist, so sehr zeichnet sich in den letzten Jahren ab, wie wichtig – und letztlich unersetzlich – die einschlägigen Methoden für die gebrauchsbasiert-kognitive Strömung der Konstruktionsgrammatik tatsächlich sind. Sie machen sie zu einer im Kern empirischen
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Wissenschaft, die den methodologischen Anschluss an gängige Forschungsparadigmenwichtiger Nachbardisziplinen sucht, allen voran der Neurowissenschaften, der (kognitiven) Psychologie, aber auch der empirischen Sozialwissenschaften. Zugleich darf dies nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Einsatz quantifizierender und experimenteller Verfahren schon deswegen kein methodisches Allheilmittel ist, weil sich nicht alle sprachlichen Phänomenbereiche mit ihnen in gleicher Tiefe und mit der gleichen Präzision durchdringen lassen. So bedürfen Untersuchungen, die der Eigendimensionalität der gesprochenen Sprache gerecht werden wollen, etwa ein ganz anderes Methodenrepertoire. Dass dieses gleichermaßen einen Platz unter dem sprachtheoretischen Dach der (gebrauchsbasierten) Konstruktionsgrammatik findet, muss als ein gewichtiger Vorteil dieses Ansatzes gewertet werden. Zusammenfassung: Dadurch, dass inzwischen eine Vielzahl an ForscherInnen mit unterschiedlichen Erkenntnisinteressen im Rahmen verschiedener konstruktionsgrammatischer Ansätze empirische Studien durchführen, findet eine große Bandbreite an Methoden Einsatz. Während ungefähr bis zur Jahrtausendwende introspektiv-interpretative Verfahren dominiert haben, hat es in der letzten Dekade einen enormen Anstieg an experimentellen und korpuslinguistischen Studien gegeben. Experimentelle Untersuchungen orientieren sich meist an gängigen Experimentsettings der Psycho- und Neurolinguistik. Insbesondere zur quantitativen Korpusanalyse sind dagegen neue Methoden wie die Kollostruktionsanalyse entwickelt worden, mit denen sich etwa der Status, die Produktivität und Vernetzung von Konstruktionen genauer bestimmen lassen. Weiterführende Literatur: Eine kompakte Zusammenfassung methodischer Verfahren in der Konstruktionsgrammatik gibt Gries im Druck. Spannend zu lesen ist die Kontroverse zwischen Croft (1998) und Sandra (1998) über den Zusammenhang von empirischen Daten und mentalen Repräsentationen. Für einen vertiefenden Einblick in die Kollostruktionsanalyse bietet sich Stefanowitsch & Gries 2003 an.
TEIL III: THEORETISCHE GRUNDLAGEN UND PERSPEKTIVEN
7 Konstruktionsgrammatik als Teil der Kognitiven Linguistik: die fünf K-Prinzipien (dargestellt am Beispiel von idiomatischen Konstruktionen) In Abschnitt 2 wurde in Anlehnung an Goldberg (1995) „Konstruktion“ als ein gelerntes, nicht-kompositionelles und konventionalisiertes Form-Bedeutungspaar bestimmt. Aus dieser Minimaldefinition und der leitenden Annahme, dass Konstruktionen die grundlegenden ‚Bausteine‘ einer Sprache bilden (Boas im Druck a; Diessel 2004: 13), leitet sich ein auf den Sprachgebrauch ausgerichtetes Forschungsprogramm ab, das sich im Wesentlichen auf fünf Prinzipien stützt, die kennzeichnend für die Kognitive Linguistik insgesamt sind. Zusammengefasst unter den fünf K-Prinzipien, nämlich (a) Konventionalität, (b) Kognitivität, (c) Konstruktivität, (d) Konzeptualität und (e) Kontextualität, möchten wir diese nun der Reihe nach vorstellen (vgl. auch Ziem im Druck d). Eine entsprechend erweiterte definitorische Bestimmung von „Konstruktionen“ lautet entsprechend: Definition (3): erweiterte Definition von „Konstruktion“ Konstruktionen sind (a) nicht-kompositionelle und konventionalisierte Form-Bedeutungspaare, die (b) kognitiv einen gestalthaften Charakter haben, gleichwohl aber (c) konstruierte Einheiten und als solche (d) konzeptueller Natur sind, insofern sie sich (e) kontextgebunden im Sprachgebrauch herausbilden und verändern.
Bei Definition (3) handelt es sich um eine erweiterte Bestimmung von Konstruktionen, die das konstruktionsgrammatische Forschungsprogramm als ein genuin kognitionslinguistisches Unterfangen auszeichnet, das sich konsequent am Sprachgebrauch orientiert (Langacker 2000; zusammenfassend auch Ziem 2009). Für die in Abschnitt 5 vorgestellten formal ausgerichteten Ansätze beansprucht Definition (3) nur eingeschränkt Geltung. Insbesondere die Fillmore & Kay-Variante, also die Berkeley Construction Grammar (BCxG), sowie die Sign-Based Construction Grammar (SBCxG) verstehen sich nicht als kognitivgebrauchsbasierte Ansätze, obwohl ihren Untersuchungen bisweilen authentische Sprachdaten zugrunde liegen (vgl. Abschnitte 4 und 5). Definition (3) richtet sich stattdessen auf den aktuellen konstruktionsgrammatischen ‚Mainstream‘, der sich insbesondere an den Arbeiten von Goldberg und Langacker orientiert. Auf Abweichungen wird im Folgenden explizit hingewiesen. Zur Illustration der fünf K-Prinzipien greifen wir im Folgenden auf so genannte Somatismen zurück.41 Dabei handelt es sich um eine Familie von idiomatischen Konstruktionen, –––––––— 41
Die nachfolgende Darstellung stützt sich maßgeblich auf die Ergebnisse einschlägiger Studien, die in Staffeldt & Ziem 2008 und Ziem & Staffeldt 2011 dokumentiert sind. Zwar folgen die dort durchgeführten Untersuchungen keinen konstruktionsgrammatischen Vorgaben; sie thematisieren
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die – wie andere idiomatische Ausdrücke auch – relativ feste polylexikalische sprachliche Einheiten bilden. Somatismen unterscheiden sich von anderen Idiomen dadurch, dass sie mindestens eine Körperteilbezeichnung als nominale Konstituente aufweisen. Beispiele (17) bis (23) vermitteln einen Eindruck von der großen Vielfalt von Somatismen im Deutschen. (17) sich die Finger nach etwas lecken (18) sich die Lunge aus dem Hals rennen (19) sich um Kopf und Kragen reden (20) jmdm. ans Herz gewachsen sein (21) etwas hat Hand und Fuß (22) etwas selbst in die Hand nehmen (23) sich eine blutige Nase holen
Somatismen sind in der deutschen Gegenwartssprache in einer kaum überblickbaren Vielzahl vorhanden. Sie bilden die umfangreichste und zugleich eine der ältesten Subgruppen von Phraseologismen im Deutschen (Földes & Kühnert 1990: 31). Aufgrund ihrer idiomatischen Bedeutung(en) kommt Somatismen – wie Phrasemen insgesamt – der Status von Konstruktionen zu (vgl. den Überblick in Dobrovol’skij 2011). Generell gilt eine Mehrworteinheit dann als idiomatisch, wenn sich ihre Bedeutung nicht aus der Summe der Bedeutung ihrer lexikalischen Bestandteile sowie deren Verknüpfung ermitteln lässt (Burger & Buhofer & Sialm 1982: 1). Welche Rolle spielen die fünf K-Prinzipien bei der Bestimmung und Identifizierung von Konstruktionen? Inwiefern können sie dazu beitragen, prototypische Charakteristika von Konstruktionen auszuweisen? Antworten auf diese Fragen möchten wir uns nähern durch eine exemplarische Analyse von Somatismen mit der Körperteilbezeichnung Finger. Allein im Deutschen sind über 80 verschiedene Phraseologismen mit Finger gebräuchlich. Darunter etwa folgende: (24) jmdm. auf die Finger schauen (25) von etwas die Finger lassen (26) die Finger auf die Wunde/den wunden Punkt legen (27) sich die Finger verbrennen
–––––––— aber dennoch zahlreiche Analyseaspekte, die sich für konstruktionsgrammatische Fragestellungen als relevant erweisen. Im Folgenden werden wir auf diese Aspekte hinweisen, können aber auf sie aus Platzgründen nicht im Detail eingehen.
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Die Reihenfolge der Nennung entspricht der ermittelten Gebrauchshäufigkeit; (24) ist der gebräuchlichste Somatismus mit der Körperteilbezeichnung Finger im Deutschen.42 Auf diesen werden wir im Folgenden zurückkommen, um die fünf K-Prinzipien an Beispielenzu erläutern. (a) Das Prinzip der Konventionalität und Nicht-Kompositionalität Das erste Prinzip der Konventionalität und Nicht-Kompositionalität haben wir bereits kennengelernt (vgl. Abschnitt 2.2.1) und es soll hier noch einmal unter einer anderen Perspektive beleuchtet werden. Es lässt sich folgendermaßen zusammenfassen: Als elementare Bestandteile einer Grammatik gelten jene und nur jene Elemente und Strukturen, die den Status von konventionellen und nicht-kompositionellen Spracheinheiten, eben Konstruktionen, haben, die man lernen muss, um eine Sprache verstehen und angemessen verwenden zu können. Die Eigenschaften der Konventionalität und Nicht-Kompositionalität hängen eng miteinander zusammen und sie lassen sich tatsächlich kaum voneinander trennen: Weil es sich etwa bei (24), also dem Ausdruck jmdm. auf die Finger schauen, um einen idiomatischen, semantisch nicht voll transparenten Ausdruck handelt, muss er von SprachbenutzerInnen als ein konventionelles Form-Bedeutungspaar gelernt werden. Entsprechend bestimmen Nunberg, Sag und Wasow (1994) Konventionalität als notwendiges definitorisches Merkmal von Idiomen: their meaning or use can’t be predicted, or at least entirely predicted, on the basis of a knowledge of the independent conventions that determine the use of their constituents when they appear in isolation from one another. (Nunberg & Sag & Wasow 1994: 492)
Die konventionelle lexikalische Bedeutung der Teilelemente determiniert also nicht allein die konventionelle Bedeutung eines Idioms. Diese Bestimmung ist nicht nur für Idiome (als Teilmenge der Konstruktionen), sondern für Konstruktionen generell konstitutiv. Daneben teilen Idiome mit nicht-idiomatischen Konstruktionen die Eigenschaft, einen sprachlichkognitiven Status aufzuweisen, der dem eines Lexems ähnelt. Auch dieses Charakteristikum findet sich in der Definition von Idiomen wieder – so etwa in der inzwischen klassischen Bestimmung von Burger, Buhofer und Sialm: Phraseologisch ist eine Verbindung von zwei oder mehr Wörtern dann, wenn (1) die Wörter eine durch die syntaktischen und semantischen Regularitäten der Verknüpfung nicht voll erklärbare Einheit bilden, und wenn (2) die Wortverbindung in der Sprachgemeinschaft, ähnlich wie ein Lexem gebräuchlich ist. (Burger & Buhofer & Sialm 1982: 1)
Für die Beispiele (17) bis (27) heißt das Folgendes: Zum einen handelt es sich in syntaktischer Hinsicht zwar um vollständig regelhafte Ausdrücke; die Bedeutungen der Somatismen lassen sich jedoch keineswegs im Rückgriff auf die Bedeutungen der jeweiligen lexikalischen Konstituenten vollständig angeben. Im Fall von (24), also jmdm. auf die Finger –––––––— 42
Dies ist das Ergebnis einer repräsentativen Korpusstudie (Staffeldt & Ziem 2008: 478f.). Untersuchungsgrundlage bildeten 1.000 Okkurrenzen von Finger im IDS-Archiv der geschriebenen Sprache (COSMAS II).
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schauen, sind die Bedeutungen dieses idiomatischen Ausdrucks also insofern ‚idiosynkratisch‘, als sie sich nicht auf die Bedeutung reduzieren lassen, dass eine Person die Finger einer anderen Person ansieht. Das zeigt sich etwa an folgendem Beleg: (28) Dass die Initiative «EU-Beitrittverhandlungen vors Volk» nur eine starke Minderheit erhalten hat, ist bedauerlich. Viele Stimmende waren nach den vielen Diskussionen vermutlich kaum imstande, abzuschätzen, wie wichtig die Initiative eigentlich gewesen wäre. Trotzdem soll es für den Bundesrat eine Signalwirkung sein, dass ihm vom wachsamen Volk a u f d i e F i n g e r g e s c h a u t wird. Das Volk hat zum Glück immer noch das letzte Wort und wird mit Bestimmtheit nicht zulassen, dass unsere Freiheit, Unabhängigkeit und die Volksrechte durch einen EU-Beitritt verscherbelt werden. (IDS, COSMAS II)
Der Bedeutungsüberschuss, dass nämlich in (28) das Volk den Bundesrat im Auge behält und ihn gleichsam kontrolliert, lässt sich nicht aus den Bedeutungen der lexikalischen Bestandteile des Ausdrucks ableiten. Zum anderen weist die idiomatische Konstruktion jmdm. auf die Finger schauen Eigenschaften eines Lexems auf. Wie bereits bemerkt, muss sie zunächst – wie lexikalische Einheiten einer Sprache auch – separat gelernt werden. Die Form- und Bedeutungsseite des Idioms bilden in der Folge eine konventionell miteinander verbundene Einheit: ein sprachliches Zeichen. Weiterhin teilt die Konstruktion mit vielen lexikalischen Einheiten die Eigenschaft, polysem, also systematisch mehrdeutig zu sein. Ähnlich wie etwa das Lexem Hochschule, das je nach Gebrauchszusammenhang eine Institution (die Hochschule benötigt mehr Geld), ein Gebäude (die Hochschule ist abgebrannt), den akademischen Unterricht (die Hochschule beginnt erst Mitte April) usw. bezeichnen kann, erweist sich auch die Konstruktion jmdm. auf die Finger schauen als systematisch mehrdeutig. Das Bedeutungsspektrum reicht von‚ jmdm. im Auge behalten‘ über ‚jmdn. bei etwas zusehen‘ und ‚einen Einblick in etwas bekommen‘ bis hin zu ‚sich von jmdm. etwas abgucken‘ (Ziem & Staffeldt 2011: 204-208).43 Im Unterschied zu Lexemen ist die idiomatische Konstruktion aber schematischer Natur. Sie weist genauso wie Argumentstruktur-Konstruktionen (vgl. Abschnitt 2.3) Leerstellen auf, die variabel gefüllt werden können, jedoch gewissen Restriktionen unterliegen. Die Eigenschaft der Konventionalität und Nicht-Kompositionalität des Somatismus jmdm. auf die Finger schauen macht nicht nur deutlich, warum Idiome generell als Konstruktionen zu klassifizieren sind; sie lässt sich auch auf den Konstruktions-Begriff allgemein übertragen. Durch diese Eigenschaft erhält der Konstruktionsbegriff ein Minimum an analytischer Schärfe. Das Kriterium der Konventionalität ist deshalb wichtig, weil ohne –––––––— 43
Vgl. die ausführlich dokumentierten Belege in Staffeldt & Ziem 2008: 481f. – hier verkürzt und zusammengefasst wiedergegeben (und deshalb nicht als Belege ausgezeichnet): ad (a): ‚dem Bundesrat wird vom wachsamen Volk auf die Finger geschaut‘; ad (b): ‚von dem begehrtesten Tisch im Restaurant kann man dem Koch buchstäblich auf die Finger schauen‘; ad (c): ‚Klaus Harpprecht schaut in seinem Frankreich-Reiseführer den Franzosen auf die Finger‘; ad (d): ‚die Mädchen haben zur Vorbereitung den beiden Stars Olivia Newton John und John Travolta genau auf die Finger geschaut‘.
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seine Gültigkeit auch Ad-hoc-Bedeutungen als Konstruktionen gelten müssten und Ausdrucksbedeutungen nicht mehr von Äußerungsbedeutungen getrennt werden könnten. In konkreten Äußerungskontexten haben sprachliche Ausdrücke aber in der Regel eine ‚reichere‘ Bedeutung, die sich aus der kontextuellen und situativen Einbettung ergibt und sich nicht kompositionell aus ihren Teilen ermitteln lässt. Ebenso wichtig ist das Kriterium der Nicht-Kompositionalität, weil es den Gegenstandsbereich der Konstruktionsgrammatik zunächst auf einen Bereich von sprachlichen Elementen (d.h. lexikalischen und grammatischen Einheiten) einschränkt, die man erwerben muss, um eine Sprache erfolgreich verwenden und verstehen zu können. Unter den Begriff der Konstruktion fallen dabei – wie wir bereits in Abschnitt 2.2.1 gesehen haben – alle sprachlichen Einheiten, deren Form- oder Bedeutungsseite sich nicht aus konventionellen Form- oder Bedeutungsaspekten der Teilausdrücke vorhersagen lassen. Dies gilt für idiomatische Ausdrücke wie (17) bis (27) genauso wie für prinzipiell alle grammatisch irregulären Sprachstrukturen. Da diese in einer analytischen Sprache wie dem Deutschen in großem Umfang vorkommen, gibt es offensichtlich sprachlich-kognitive Mechanismen, die es den Mitgliedern einer Sprachgemeinschaft ermöglichen, auch solche ‚idiosynkratischen‘ Strukturen zu lernen und zu verarbeiten. In der Konstruktionsgrammatik werden auch diese konstruktionsbasiert erfasst und beschrieben. Insofern sich ihre Form- oder Bedeutungsseite nicht aus konventionellen Form- oder Bedeutungsaspekten der Teilausdrücke ableiten lässt, unterscheiden sie sich nicht von anderen Konstruktionen.44 (b) Das Prinzip der Kognitivität Das Prinzip der Kognitivität steht zugleich im engen Zusammenhang und partiellen Widerstreit mit der Eigenschaft der Nicht-Kompositionalität von Konstruktionen. Der enge Zusammenhang besteht darin, dass alle nicht-kompositionellen Einheiten einer Sprache von SprachbenutzerInnen gelernt werden müssen, und erst dann, wenn es sich um kognitive Einheiten – also um Bestandteile der mentalen Grammatik von SprachbenutzerInnen – handelt, können sie bei der Sprachrezeption und -produktion wirksam werden. Gleichzeitig stehen aber die Konzepte der Kognitivität und Nicht-Kompositionalität im Widerstreit miteinander, wie sich bereits im Zusammenhang mit der Diskussion der erweiterten Konstruktionsdefinition Goldbergs (Definition 2) in Abschnitt 2.2.3 angedeutet hat. Es ist nämlich nicht zwangsläufig so, dass ein Grammatikmodell, das auch kompositionell ermittelba–––––––— 44
Wie Stefanowitsch (2011a: 201f.) darlegt, ergibt sich aus diesem einheitlichen Fokus auf Sprachwissen ein „ökonomisches“ Argument für die Annahme einer konstruktionsbasierten Grammatikkonzeption: Wenn nämlich eine Grammatiktheorie erklären können muss, wie nicht vollständig ‚regelhafte‘ Strukturen erworben und kognitiv verarbeitet werden, ist es ökonomischer, mit einem Erklärungsansatz sowohl nicht vollständig kompositionelle bzw. nicht vollständig ‚regelhafte‘ Strukturen als auch ‚regelhafte‘ Strukturen einer Sprache zu erklären: „Es wird angenommen, dass eine Grammatik mit zwei Systemen (oder eine Grammatik, die um ein nicht-grammatisches System zur Verarbeitung von Konstruktionen ergänzt werden muss), weniger ökonomisch ist als eine Grammatik, die aus einem einzigen (nicht notwendigerweise sprachspezifischen) System besteht.“ (Stefanowitsch 2011a: 201)
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re Einheiten enthält, psychologisch unplausibel ist. So gibt es inzwischen starke experimentelle Evidenz dafür, dass auch komplexe Ausdrücke, deren Bedeutungen sich vollständig aus den Bedeutungen ihrer Teile angeben lässt, als gestalthafte Einheiten von SprachbenutzerInnen gelernt und im Langzeitgedächtnis abgespeichert werden können, insofern diese in einer Sprache hinreichend frequent auftreten (Ellis & Frey & Jalkanen 2009). Dies ist beispielsweise bei festen Kollokationen (wie eingefleischter Junggeselle, herbe Niederlage) oder Routineformeln (wie Guten Tag!, Schlaf gut!) der Fall (vgl. Dobrovol’skij 2011: 111-112). Nimmt man Lakoffs kognitive Maxime ernst (vgl. Abschnitt 2.2), so ist es sinnvoll, auch diese Einheiten als Teil der mentalen Grammatik anzusehen und ihnen neben nichtkompositionellen Konstruktionen eine eigenständige kognitive Existenz zuzugestehen. Idiomatische Konstruktionen, wie die angesprochenen Finger-Somatismen, bilden schon deshalb gestalthaft-kognitive Einheiten, weil sie aufgrund ihrer Eigenschaft der NichtKompositionalität als komplexe Einheit gelernt und im Sprachwissen als solche repräsentiert sein müssen. Phraseologismen wie jmdm. auf die Finger schauen müssen weder formnoch inhaltsseitig erst erschlossen werden; sie sind vielmehr als Gestalten kognitiv präsent. In kognitiver Hinsicht ähneln sie mithin Bildern, weshalb Lakoff (1980: 192) in einer frühen Studie auch von „imageable idioms“ spricht. Er fügt hinzu, dass Aspekte des durch das Idiom aufgerufenen Bildes nicht arbiträr, sondern vielmehr durch Metaphern und Weltwissen motiviert seien (Lakoff 1980: 194). Das Idiom jmdm. auf die Finger schauen evoziert beispielsweise ein konkretes Bild, dessen Gehalt aus alltäglichen Erfahrungszusammenhängen bekannt ist. Auf die systematische Motiviertheit der Bedeutungen von Somatismen kommen wir im Zusammenhang mit dem Prinzip der Konzeptualität noch zurück. Dem Prinzip der Kognitivität folgen nicht alle konstruktionsgrammatischen Ansätze gleichermaßen. Wenn Konstruktionen als nicht-kompositionelle Form-Bedeutungspaare im minimalistischen Sinne von Definition (1) aufgefasst werden, spielt das Prinzip der Kognitivität offenkundig keine zentrale Rolle. Dies ist in der BCxG (vgl. Abschnitt 5.1) sowie der SBxG (vgl. Abschnitt 5.2) der Fall. Beide Varianten lehnen sich konzeptionell an die Kopfgesteuerte Phrasenstruktur-Grammatik (HPSG) an und erheben keinen Anspruch auf die kognitive ‚Realität‘ und psychologische Plausibilität ihrer Analyseergebnisse. Gleichwohl scheinen diese Ansätze Lakoffs kognitiver Maxime bis zu einem gewissen Grad implizit Rechnung zu tragen, wenngleich diese nicht den Status einer forschungsleitenden Voraussetzung hat. Es ist zumindest nicht erkennbar, dass diese Ansätze auf eine modulare Konzeption von Sprache zusteuern, und es scheint ohne weiteres möglich zu sein, die von Kay und Fillmore herausgearbeiteten Konstruktionen als kognitive Einheiten mit unscharfen Rändern zu begreifen. So haben Fillmore und seine MitarbeiterInnen in jüngster Zeit wiederholt auf den engen Zusammenhang von Frames (wie sie für FrameNet einschlägig sind) und Konstruktionen hingewiesen (etwa Fillmore & Lee-Goldman & Rhomieux 2012; auch: Ziem im Druck a). Dass Frames kognitive Einheiten und als solche Ergebnisse und Objekte von Kategorisierungsprozessen sind, dürfte seit Fillmore (1985a) außer Frage stehen (vgl. hierzu auch Busse 2008). Denn schon bei der Bildung sprachlicher Zeichen sind kognitive Kategorisierungsleistungen konstitutiv beteiligt, und Bedeutungen von Konstruktionen
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kommt phänomenal der Status von Einheiten zu, die im Gedächtnis von SprachbenutzerInnen in ähnlicher Form abgespeichert und abrufbar sind (Ziem 2009). So gesehen erweist sich Kognitivität als eine notwendige (aber freilich nicht hinreichende) Bedingung für sprachliche Konventionalität; sie macht es möglich, dass Mitglieder einer Sprachgemeinschaft vermittelt über sprachliche Zeichen abwesende Entitäten adressieren und thematisieren können. (c) Das Prinzip der Konstruktivität Wie wir am Beispiel von idiomatischen Ausdrücken gesehen haben, sind Konstruktionen in kognitiver Hinsicht gestalthafte Einheiten und in semantischer Hinsicht zeichnen sie sich dadurch aus, dass sie nicht-kompositioneller Natur sind. Dieser Umstand darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass es sich bei Konstruktionen gleichwohl um konstruierte Größen handelt. Das Prinzip der Konstruktivität ist nach dem hier zugrunde liegenden Verständnis immer dann erfüllt, wenn die avisierte sprachliche Einheit nicht atomarer Natur ist. Eine Konstruktion ist folglich immer komplexe Einheit von Vielheit. 45 Inwieweit ist ein Somatismus wie (24) – also jmdm. auf die Finger schauen – Einheit von Vielheit? Statt ein starkes Prinzip der Kompositionalität anzunehmen, das darin besteht, die Bedeutung eines Satz (und anderer komplexer sprachlicher Einheiten) allein aus der Bedeutung ihrer Bestandteile zu ermitteln, gilt das Prinzip der „schwachen“ Kompositionalität (Taylor 2002: 96-116): Obwohl etwa der Somatismus (24) idiomatisch, d.h. semantisch nicht voll transparent ist, lassen sich Aspekte seiner Bedeutung durchaus kompositionell erschließen. So sind etwa Bedeutungen des Somatismus durch die konventionelle Bedeutung seiner Körperteilbezeichnung Finger insofern motiviert, als Finger metonymisch für die konzeptuelle Domäne TÄTIGKEIT steht (vgl. Staffeldt & Ziem 2008: 485f.). Dies wird auch an der Belegstelle (28) deutlich; zur Erinnerung hier in gekürzter Form: Trotzdem soll es für den Bundesrat eine Signalwirkung sein, dass ihm vom wachsamen Volk auf die Finger geschaut wird. Das wachsame Volk beobachtet bzw. kontrolliert Tätigkeiten des Bundesrates. Auf diese verweist der Ausdruck Finger metonymisch. Wie sich im Zusammenhang mit dem Prinzip der Konzeptualität zeigen wird, handelt es sich dabei um eine konzeptuelle Metonymie der Gestalt FINGER IST TÄTIGKEIT, denn der Bezug zwischen Finger und der konzeptuellen Domäne TÄTIGKEIT ist systematischer Natur. Er lässt sich in einer Vielzahl von Somatismen mit der Körperteilbezeichnung Finger nachweisen (Staffeldt & Ziem 2008, Ziem & Staffeldt 2011). Festzuhalten bleibt: Somatismen wie (24) bis (27) erweisen sich bei genauerer Betrachtung als teilkompositionell. Zumindest motivieren deren nominale Körperteilbezeichnungen Aspekte der phraseologischen Bedeutung. Sie tragen also jeweils zur Bedeutung der Phra–––––––— 45
Ob sich Konstruktionen ihrerseits aus (semantischen) Primitiva zusammensetzen (können), ist umstritten. Insofern formal orientierte Ansätze wie die BCxG und die SBCxG Konstruktionen als Merkmalsstrukturen analysieren und Merkmale dabei als atomare Einheiten gelten (deren theoretischer Status allerdings nicht immer klar ist), zeichnet sich hier die Tendenz ab, die Existenz sprachlicher Primitiva anzunehmen.
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seologismen bei. Wenn wir diesen Befund über idiomatische Ausdrücke hinaus verallgemeinern, bleibt mit Kay und Michaelis zusammenfassend zu konstatieren: Construction-based grammars are nevertheless compositional in a quite usual sense: if you know the meanings of the words and you know all the rules that combine words and phrases into larger formal units, while simultaneously combining the meanings of the smaller units into the meanings of the larger ones, then you know the forms and meanings of all the larger units, including all the sentences. Constructional approaches tend to pay special attention to the fact that there are many such rules, and especially to the rules that assign meanings to complex structures. (Kay & Michaelis im Druck: Abschnitt 1)
Wie wir in Abschnitt 8.1 sehen werden, gehen alle konstruktionsgrammatischen Ansätze von einem Kontinuum zwischen Lexikon und Grammatik aus, das es erlaubt, alle sprachlichen Phänomene gleichermaßen in die Analyse einzubeziehen, einschließlich solcher, die in anderen Grammatikmodellen den Status randständiger und zu vernachlässigender Phänomene haben. Dazu gehören nicht zuletzt Phraseologismen oder Konstruktionen mit mittlerer kommunikativer Reichweite in Spracherwerbsprozessen (vgl. Abschnitt 11). Auf den Aspekt der Konstruktivität sind wir auch schon im Zusammenhang mit der Definition des Konstruktions-Begriffes in Abschnitt 2.2.1 und 2.2.3 eingegangen. Folgt man der dort eingeführten Unterscheidung zwischen einer semantisch und einer kognitiv orientierten Begriffsbestimmung, bietet sich analog dazu eine Differenzierung zwischen semantischer und kognitiver Konstruktivität an. Erstere betrifft den Aspekt der NichtKompositionalität von Konstruktionen. Insofern Aspekte der Form- oder Inhaltsseite von Konstruktionen nicht durch die Teile, aus denen sie sich jeweils zusammensetzen, vorhergesagt werden können,46 müssen sie als inhärent komplexe Einheiten von Form und Inhalt individuell gelernt werden. Mit Langackers Worten: Putting together novel expressions is something that speakers do, not grammars. It is a problemsolving activity that demands a constructive effort and occurs when linguistic convention is put to use in specific circumstances. (Langacker 1987: 65)
Dass es sich dabei um einen konstruktiven Prozess handelt (der auch scheitern kann), ist nicht nur am Beispiel von Idiomen offenkundig. Auch im Fall von ArgumentstrukturKonstruktionen hat etwa die lexikalische Bedeutung des Verbs oftmals einen entscheidenden Einfluss auf die Bedeutung der ganzen Konstruktion, deren Teil sie bildet (vgl. etwa Welke 2009a,b). Im Fall der semantischen Definition von „Konstruktion“, also Definition (1) in Abschnitt 2.2.1, bezieht sich die Konstruktivität demnach einerseits auf die konventionalisierte und mithin arbiträre Verbindung von Form- und Inhaltsseite. Diese Verbindung muss von SprachbenutzerInnen erst hergestellt werden. So werden etwa die Somatismen (24) bis (27) –––––––— 46
Diese Einschränkung von Konstruktionen auf nicht-kompositionelle Form-Bedeutungspaare teilen, wie schon oben bemerkt, nicht alle Ansätze. Die wichtigste Ausnahme ist Langackers CG. Für den hier zugrunde liegenden Konstruktions-Begriff spielt das Kriterium der Kompositionalität keine Rolle (vgl. Langacker 2005).
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(aufgrund ihrer idiomatischen Natur) einzeln als Form-Bedeutungspaare erworben. Andererseits besteht die Notwendigkeit, trotz der potentiellen inneren Komplexität von Konstruktionen diese als Einheiten zu fassen. Die gestalthafte Wahrnehmung einer Konstruktion ist also auch ein konstruktiver Akt. Dabei unterscheiden sich idiomatische Wendungen und andere syntaktisch komplexe Konstruktionen wie die Ditransitiv- oder ResultativKonstruktion von lexikalischen Konstruktionen nur graduell, nämlich hinsichtlich ihres Komplexitätsgrades, denn im Fall lexikalischer Einheiten sowie von nicht-kompositionellen Mehrworteinheiten liegt ein geringerer Komplexitätsgrad des Form-Bedeutungspaars vor. Kognitive Konstruktivität nimmt dagegen Bezug auf den in Definition (2) thematisierten Umstand (vgl. Abschnitt 2.2.3), dass Konstruktionen Ergebnisse rekurrenter Kategorisierungen sind, die kognitive Routinisierungen zur Folge haben. 47 Es gilt: Je höher die Auftretensfrequenz (eines einfachen oder syntaktisch komplexen Ausdrucks) und mithin der Bekanntheitsgrad dieses Ausdrucks, desto geringer der kognitive Aufwand bei der Verarbeitung. Zieht man in Betracht, dass Konstruktionen im Spracherwerb zunächst individuell („item-based“) gelernt werden (vgl. etwa Tomasello 2003), wird deutlich, dass sie sich allmählich im Zuge eines schemageleiteten, konstruktiven Prozesses herausbilden. An diesem item-gestützten Lernvorgang sind vier kognitive Prozesse und Fähigkeiten maßgeblich beteiligt sind, nämlich erstens Intentionszuschreibung, zweitens Schematisierung bzw. Analogisierung, drittens Einschränkung von Generalisierung sowie viertens Distributionsbestimmungen, die SprachlernerInnen ermöglichen, funktional ähnliche Sprachelemente in einer Kategorie (z.B. einer Wortart) zusammenzufassen (Brandt 2011, Brandt & Verhagen & Lieven & Tomasello 2011, Stumper 2011, Tomasello 2006a,b, 2008; auch Abschnitt 11). (d) Das Prinzip der Konzeptualität Aus der Eigenschaft der kognitiven Konstruktivität von Konstruktionen ergibt sich, dass Konstruktionen einen intrinsisch konzeptuellen Charakter haben. Beide Eigenschaften sind aber nicht deckungsgleich. Anders als das Prinzip der Konstruktivität gibt das der Konzeptualität weniger Auskunft über den Prozess der Herausbildung von Konstruktionen als über den (ontologischen) Status von Konstruktionen. Das Prinzip der Konzeptualität besagt, dass es keinen Bereich des sprachlichen Wissens gibt, der nicht-konzeptueller Art ist. Weder Sprache noch Kognition werden in Module unterteilt, die nach eigenen Regeln funktionieren und als strukturell autonom gelten. Anders als transformationsgrammatische Ansätze, die von der Existenz eigenständiger sprachlicher Module – insbesondere Syntax, Phonologie, Semantik – ausgehen,48 nehmen alle Spielarten der Konstruktionsgrammatik an, dass die Formseite von sprachlichen Zeichen nicht unabhängig von der Inhaltsseite beschrieben werden kann; beide Seiten gelten vielmehr als –––––––— 47
48
So halten etwa Peleg, Giora und Fein (2004: 175) auf der Basis ihrer empirischen Studien zusammenfassend fest: „The relative salience of the coded meaning is a function of its prototypicality, or amount of experiential familiarity induced by exposure (frequency).“ Vgl. hierzu die berühmt gewordene Formel von Bierwisch (1983: 33f.): „(ins (phon, syn, sem)) ct, m) ias, ks)“. Eine detaillierte Beschreibung und kritische Auseinandersetzung mit diesem komponentialistischen Sprachmodell findet sich in Abschnitt 8.1.
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untrennbar miteinander verbunden. Langacker (1987: 54f.) spricht in diesem Zusammenhang vom „content requirement“, demzufolge kein Formaspekt (sei dieser morphologischer, syntaktischer oder irgendeiner anderen Art) ohne assoziierten Inhaltsaspekt postuliert werden dürfe.49 Dieses semantische Kriterium hebt die gängige Trennung zwischen Sprachund Weltwissen auf, da jeder (auch vermeintlich idiosynkratische) Wissensaspekt potentiell mit einer sprachlichen Form konventionell assoziiert sein kann. Inwiefern handelt es sich bei Somatismen – die eine Subklasse von idiomatischen Konstruktionen bilden – nun um konzeptuelle Einheiten? Zunächst dürfte es außer Frage stehen, dass es wenig sinnvoll ist, Weltwissen im Zuge der linguistischen Analyse auszuklammern. Denn: Korpuslinguistische Untersuchungen der Bedeutungen von Somatismen mit der Körperteilbezeichnung Finger kommen zu dem Ergebnis, dass insbesondere drei lexikalisch-semantische Aspekte des Lexems Finger systematisch in Bedeutungen der entsprechenden Somatismen eingehen (Staffeldt & Ziem 2008: 472, Ziem & Staffeldt 2011: 208211): erstens perzeptuell-materiale Eigenschaften (wie Wissen um die Größe, Länge, Bestandteile von Fingern), zweitens motorisch-funktionale Eigenschaften (wie Wissen um Handlungen, in denen Finger eine Rolle spielen) sowie drittens propriozeptische Eigenschaften (wie Wissen um Aspekte der Selbstwahrnehmung und -kontrolle von Fingern). Um dies an dem Beispiel jmdm. auf die Finger schauen und der zuletzt diskutierten Belegstelle (28) exemplarisch zu verdeutlichen: Wenn das Volk dem Bundesrat auf die Finger schaut, betrifft die damit angesprochene Kontrolle Handlungen, die der Bundesrat vollzieht. Dabei handelt es sich freilich nicht um Handlungen, die allein mit Fingern ausgeübt werden könnten, sondern vielmehr um abstrakte (meist sprachliche) Handlungen. Finger steht hier metonymisch für diese, da Quell- und Zielbereich, also FINGER und TÄTIGKEIT, keine disparaten, sondern vielmehr eng miteinander zusammenhängende Wissensbereiche bilden. Tatsächlich kann Finger allein auf die Domäne TÄTIGKEIT Bezug nehmen; zumindest ist bislang keine metonymische Verschiebung in einen anderen Zielbereich attestiert (Staffeldt & Ziem 2008: 486). Wir haben es somit mit einer konzeptuellen Metapher des Typs FINGER IST TÄTIGKEIT zu tun (im Sinne von Lakoff & Johnson 1980); sie motiviert systematisch die Bedeutungsbeziehung zwischen den beiden Wissensdomänen. 50 Am Beispiel von idiomatischen Konstruktionen – hier Somatismen mit der Körperteilbezeichnung Finger – lässt sich also exemplarisch veranschaulichen, inwiefern Konstruktionen durch konventionelles Wissen und/oder durch konzeptuelle Metaphern und Metonymien motiviert sind. Die idiomatische Konstruktion ist konzeptueller Natur. Der grundsätzliche Zweifel am Prinzip der (kognitiv-sprachlichen) Modularität gründet in einschlägigen empirischen Befunden (vgl. etwa den Überblick in Hilpert 2008b). Ein –––––––— 49
50
Vgl. auch die Definition von Langacker (2008: 25): „[T]he linguistic knowledge we ascribe to speakers should be limited to elements of form and meaning found in actually occurring expressions, or which derive from such elements via the basic psychological phenomena [...] association, automatization, schematization, and categorization.“ In dem diskutierten Belegbeispiel ist weiterhin eine metaphorische Verschiebung festzustellen, da die mit Finger bezeichnete Tätigkeit keine körperliche, sondern in den meisten Fällen eine geistig-abstrakte Tätigkeit ist.
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grundlagentheoretischer Einwand betrifft ebenfalls die linguistische Analyse der Bedeutungsseite von Konstruktionen: In Zweifel gezogen wird das strukturalistische Konzept atomarer semantischer Merkmale, das etwa auch Mehr-Ebenen-Semantikmodellen zugrunde liegt. Geht sowohl die Zwei- als auch die Drei-Ebenen-Semantik von einer ‚rein sprachlichen‘, also nicht-konzeptuellen Bedeutungsebene aus (Bierwisch 1983, Schwarz 2000: 37ff.; vgl. den kritischen Überblick in Ziem 2008: 66-103), postuliert die Konstruktionsgrammatik dagegen, dass auch sprachliche Strukturen Resultate menschlicher Kategorisierungs- und Konzeptualisierungsleistungen sind und dass infolgedessen zwischen Grammatik und Lexikon keineswegs ein kategorialer Unterschied bestehe (vgl. Abschnitt 8.1). Motiviert ist diese Position unter anderem durch den bereits erwähnten Befund, dass es sich weder theoretisch hinreichend begründen lässt, eine scharfe Grenze zwischen Sprach- und Weltwissen zu ziehen, noch eingehende Datenanalysen eine solche Disjunktion nahelegen (Ziem 2008: 119-142). Am Prinzip der Konzeptualität lässt sich ein wesentliches Charakteristikum der Konstruktionsgrammatik veranschaulichen: Es handelt sich um einen monostratalen sprachtheoretischen Ansatz, das heißt, die Beschreibung und Erklärung grammatischer Phänomene findet auf einer Darstellungsebene statt. Anders als es für die Transformationsgrammatik kennzeichnend ist (vgl. Müller 2011; Philippi & Tewes 2010: 82ff., 157ff.), werden (syntaktische und semantische) Tiefenstrukturen, unsichtbare Spuren und leere Kategorien vermieden. Mit Ausnahme der BCxG sowie der SBCxG herrscht somit eine konsequente Orientierung an der sprachlichen Oberfläche vor. Es gilt Goldbergs (2003: 219) Maßgabe: What you see is what you get! (e) Das Prinzip der Kontextualität Der Begriff des Kontextes ist zwar ein schillernder und meist nicht klar definierter linguistischer Begriff (vgl. etwa Meibauer 2012); am zuletzt diskutierten Beispiel von idiomatischen Konstruktionen dürfte aber deutlich geworden sein, dass der Kontext in Gestalt von Hintergrundwissen in verschiedener Form Eingang in Konstruktionsbedeutungen findet. Um den Somatismus jmdm. auf die Finger schauen angemessen verstehen und verwenden zu können, ist es etwa nötig, auf Wissen über körperliche Tätigkeiten sowie Ziele und Zwecke dieser Tätigkeiten zurückzugreifen. Weiterhin steht hinsichtlich der historischen Genese des Somatismus zu vermuten, dass seine abstrakte Bedeutung – nämlich ‚jmdm. zu beobachten mit dem Ziel, etwas zu lernen, etwas zu kontrollieren, sich zu informieren oder sich zu unterhalten‘ (Staffeldt & Ziem 2008: 493) – das Ergebnis eines Abstraktionsprozesses ist, dessen Ausgangspunkt die tatsächliche Beobachtung von Fingerbewegungen bei einer bestimmten Tätigkeit (wie Klavier spielen, Kochen etc.) gebildet hat. Langacker betont in diesem Sinne, dass konventionelle Bedeutungen sprachlicher Zeichen generell als Abstraktionen von kontextuellen Bedeutungen zu verstehen seien: From the encyclopedic nature of contextual meaning that of conventional meaning follows fairly directly. The latter is simply contextual meaning that is schematized to some degree and established as conventional through repeated occurrence. (Langacker 1987: 158)
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Wenn Konstruktionen im Sprachgebrauch entstehen, lassen sie sich nur unter Einbezug ihrer je spezifischen Verwendungszusammenhänge angemessen beschreiben und erschließen. Was Langacker an einer anderen Stelle für sprachliche Einheiten im Allgemeinen postuliert, gilt auch für Konstruktionen im Besonderen: All linguistic units are context-dependent. They occur in particular settings, from which they derive much of their import, and are recognized by speakers as distinct entities only through a process of abstraction. (Langacker 1987: 401)
Zum Kontext gehören neben den sprachlichen Strukturen, in die Ausdrücke eingebettet sind, ebenso außersprachliche, situative Zusammenhänge, in denen die Ausdrücke tatsächlich gebraucht werden. Konkrete Gebrauchsbedingungen können in Konstruktionsbedeutungen ihren Niederschlag finden (vgl. etwa Kay & Fillmore 1999). Zum Verständnis der Dreiworteinheit es war einmal gehört beispielsweise Genre-Wissen, und zur angemessenen Wahl einer Grußformel wie hi, hallo oder guten Tag Wissen über das angemessene Register. Weiterhin lassen sich Konstruktionen erst unter Einbezug des Kontextes identifizieren und analytisch näher bestimmen. Bei korpuslinguistischen Kollokations- und Distributionsanalysen handelt es sich beispielsweise im Kern um Studien zum Kotext (vgl. Abschnitt 6.2). Es gilt: Rekurrente kontextuelle Einbettungsstrukturen eines sprachlichen Ausdrucks ko-determinieren sowohl die Ausdrucksgestalt als auch das Bedeutungspotential von Konstruktionen. Zur Einbettungsstruktur zählen insbesondere kookkurrente Ausdrücke und nicht-kompositionale Mehrworteinheiten, deren Elemente einen erkennbaren Eigenbeitrag zur Gesamtbedeutung leisten (vgl. hierzu den Beitrag der Kollostruktionosanalyse, Stefanowitsch & Gries 2003, zusammenfassend: Abschnitt 6.2). Die konstruktionsgrammatisch orientierte Interaktionale Linguistik hat darauf aufmerksam gemacht, dass auch Aspekte der außersprachlichen Verwendungssituation sowie nonund para-verbale Aspekte einzubeziehen sind, um die Herausbildung von Konstruktionen adäquat zu beschreiben (vgl. Abschnitt 10.4 ). Und auch in Spracherwerbsstudien gilt Kognition stets als soziale Kognition; als kleinste sprachliche Einheit gilt eine kommunikative Äußerung, die sich nicht ohne Verlust von jenem kontextuellen Setting trennen lässt, in dem sie vorkommt (Tomasello 2006a, b, c; vgl. dazu die Analyse in Abschnitt 11). Zu diesem Setting gehört unverzichtbar die Interaktion mit kopräsenten KommunikationspartnerInnen. Ohne intersubjektiv geteilte Intentionalität („shared intentionality“) sowie einem gemeinsamen Aufmerksamkeitsfokus („joint attention“) der KommunikationspartnerInnen lässt sich der Erwerb von Konstruktionen nicht erklären. Bei der Identifikation und Beschreibung von Konstruktionen ist also ein weiter Kontextbegriff einzubeziehen, der über den Kotext hinaus auch pragmatische Aspekte der Kommunikationssituation umfasst, die zur Herausbildung von Konstruktionen in einer Sprachgemeinschaft beitragen. Jedoch bleibt festzuhalten: Trotz des Umstands, dass die Orientierung am Sprachgebrauch die Konstruktionsgrammatik zu einer kontextualistischen Sprachtheorie (im Sinne von Ziem 2010) werden lässt, wird der Kontext-Begriff nur selten reflektiert und problematisiert (vgl. aber Langacker 1997, Bergs & Diewald 2009). Der
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Begriff des Kontextes bleibt so zwangsläufig vage und unscharf. Zudem werden relevante Kontext-Dimensionen in konstruktionsgrammatischen Studien meist nur sehr selektiv berücksichtigt. Es besteht so die Gefahr, dass „Kontext“ eher zu einer Residualkategorie als zu einem Fundierungsbegriff mit theoretisch-methodischen Implikationen wird. Zusammenfassung: Die Konstruktionsgrammatik ist nicht nur entstehungs- und entwicklungsgeschichtlich aufs Engste mit der Kognitiven Linguistik verknüpft; beide teilen auch wesentliche Grundannahmen, die in den fünf K-Prinzipien Konventionalität, Kognitivität, Konzeptualität, Konstruktivität und Kontextualität zusammengefasst sind. Diese liegen der erweiterten Definition von Konstruktionen zugrunde, nach der über die Bestimmung von Konstruktionen als nicht-kompositionellen und/oder frequent auftretenden konventionellen Zeichen hinaus (Goldberg 2006a: 5) der kognitiv-gestalthafte sowie konzeptuelle Charakter hervorgehoben wird. Bei der sprachgeschichtlichen Entstehung und dem individuellen Erwerb von Konstruktionen handelt es sich zudem um einen konstruktiven Prozess, der sich nicht losgelöst vom (Sprachhandlungs-)Kontext beschreiben lässt. Weiterführende Literatur: Einen vertiefenden Einblick in die kognitiven Grundlagen der Konstruktionsgrammatik bietet Langacker (1987: 54ff.). Die Darstellung basiert zwar auf der CG, seine Ausführungen können aber für gebrauchsbasiert-kognitive Ansätze insgesamt Geltung beanspruchen. Darüber hinaus legen folgende Schriften je unterschiedliche Schwerpunkte auf die fünf angesprochenen K-Prinzipien: Deppermann 2011a,b, 2012; Evans & Green 2006: 165163; Kay & Michaelis im Druck; Lasch im Druck b, Müller im Druck; Ziem 2008: 119142; Ziem 2010.
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8 Basiskonzepte Nachdem wir im letzten Abschnitt den engen Bezug der Konstruktionsgrammatik zur Kognitiven Linguistik thematisiert haben, sollen im Folgenden konstruktionsgrammatische Basiskonzepte im Vordergrund stehen. Zunächst gehen wir auf eine wesentliche Konsequenz ein, die der Konstruktions-Begriff selbst nach sich zieht: das Aufgeben der – etwa für transformationsgrammatisch orientierte Ansätze charakteristischen – Hypothese, dass das Lexikon und die Grammatik unterschiedliche Ordnungssysteme einer Sprache bilden (Abschnitt 8.1). Im Anschluss daran konzentrieren sich die beiden folgenden Abschnitte (8.2 und 8.3) auf Eigenschaften von Konstruktionen selbst. Dies geschieht auf der Basis von kognitiv-gebrauchsbasierten Ansätzen, die auf Formalisierungen verzichten und unter anderem (mit je eigener Prägung) von Boas, Croft, Goldberg, Langacker und Tomasello und anderen vertreten werden (vgl. Abschnitt 4 und 8.3).
8.1 Das Lexikon-Grammatik-Kontinuum Eine grundlegende Prämisse der Konstruktionsgrammatik – und zwar sowohl der gebrauchsbasierten als auch der unifikationsbasierten Strömung – lautet, dass zwischen dem Lexikon und der Grammatik einer Sprache ein Kontinuum besteht (Boas 2010b, Broccias 2012). Konstruktionen als basale Einheiten dieses Kontinuums teilen mithin eine wesentliche Eigenschaft: Sie liegen alle im Grenzbereich zwischen Lexikon und Grammatik. Mehr noch: der Verzicht auf die traditionelle klare Grenzziehung zwischen Lexikon und Grammatik ist eine der wichtigsten Grundannahmen der KxG. (Dobrovol’skij 2011: 113)
Die Annahme eines Kontinuums zwischen Grammatik und Lexikon ist keineswegs eine neue Erkenntnis Goldbergs (etwa 1995: 153) und sie beansprucht ebenso wenig ausschließlich für gebrauchsbasiert-kognitive Ansätze Geltung (vgl. etwa auch Langacker 1995: 153). Vielmehr hat bereits Fillmore auf die Unmöglichkeit hingewiesen, zwischen syntaktischen, phraseologischen und lexikalischen Strukturen scharf zu unterscheiden: A constructionist view of the boundary between syntax and the lexicon is that such a boundary is hard to find. [….] Not only do constructionists see as a continuum the properties of syntactic, phraseological, and lexical structures, but they also are convinced that phraseological patterns make up the vast majority of structures that enter into everyday discourse. (Fillmore 1989: 34)
Die Annahme eines Kontinuums zwischen Lexikon und Grammatik hat weitreichende Folgen: Beide – Lexikon und Grammatik – gehorchen denselben Formationsmechanismen, beide haben denselben (ontologischen) Status und beide bilden eine untrennbare Einheit. Grammatische wie lexikalische Einheiten werden als sprachliche Zeichen behandelt, also als konventionalisierte Form-Bedeutungspaare unterschiedlichen Abstraktionsgrades.
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Was spricht dafür, zwischen lexikalischen und syntaktischen Strukturen nicht grundsätzlich zu unterscheiden? Broccias (2012) hebt vier Aspekte hervor:51 -
Lexikalische Einheiten lassen sich mit Blick auf ihren semantischen Gehalt oftmals nur schwer von jenen Konstruktionen trennen, in denen sie realisiert werden, so etwa im Fall von Verben, deren Bedeutung in Abhängigkeit von der Konstruktion, in der sie realisiert werden, beträchtlich variieren kann (vgl. Abschnitt 2.3.3).
-
Konstruktionen unterscheiden sich hinsichtlich ihrer Produktivität, und sie lizenzieren oder blockieren oftmals lexikalische Einheiten (im Englischen etwa have a drink, have a walk, nicht aber ??have a work etc.) (vgl. Abschnitt 8.2); lexikalische und syntaktische Strukturen stehen also offensichtlich in einem engen Interaktionszusammenhang.
-
Lexikalische und syntaktische Konstruktionen teilen wesentliche Eigenschaften. So können beide polysem, metaphorisch und/oder mit anderen Konstruktionen systematisch (etwa über Hyperonym-/Hyponymrelationen) verbunden sein (vgl. Abschnitt 8.3).52
-
Sowohl bei lexikalischen Einheiten als auch bei syntaktischen Konstruktionen handelt es sich um sprachliche Zeichen, insofern mit einer sprachlichen Form ein begrifflicher Gehalt konventionell verbunden ist (vgl. Abschnitt 2.2).
Diese Beobachtungen legen nahe, dass Lexikon und Grammatik in einem engeren und möglicherweise kaum entwirrbaren Verhältnis zueinander stehen, als dies gemeinhin angenommen wird. Das Postulat eines Kontinuums zwischen Lexikon und Grammatik richtet sich direkt gegen komponentialistische Sprachtheorien bzw. so genannte Mehr-Ebenen-Modelle, die auf eine Universalgrammatik abzielen (vgl. Ziem 2008: 66-103). So werden in der Transformationsgrammatik natürlichsprachige Sätze als Oberflächenstrukturen interpretiert, die über abstrakte Regeln und Prinzipien aus universalen, sprachlichen Tiefenstrukturen systematisch erzeugt werden. Das analytische Interesse gilt allein der tiefenstrukturellen Ebene als Teil der Kompetenz (Philippi & Tewes: Kap. 2.7). Dem Ebenen-Modell liegt insofern ein komponentielles, modulares Verständnis von Sprache zugrunde, als die Grammatik einer Sprache vollständig determiniert ist durch erstens eine phonologische Komponente bestehend aus generativen Regeln und atomaren, d.h. nicht zerlegbaren Elementen, die zusammen die phonologische Struktur eines Satzes festlegen, zweitens eine syntaktische Komponente, die sich aus generativen Regeln und atomaren Elementen zur Bestimmung –––––––— 51
52
Exemplifiziert am Beispiel von Argumentstruktur-Konstruktionen mit Kommunikationsverben finden sich weitere Argumente in Boas 2010b. Vergleiche aber die kritische Einschätzung von Croft (2003: 55) zur Polysemie von Konstruktionen (wir danken Martin Hilpert für den Hinweis!). Der Frage, inwiefern ArgumentstrukturKonstruktionen polysem sind, geht die Frage voraus, inwiefern diese Polysemie – möglicherweise – das Resultat der systematischen Mehrdeutigkeit eines lexikalischen Elementes der Konstruktion ist.
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der syntaktischen Struktur zusammensetzt, sowie drittens eine semantische Komponente, deren Regeln und atomare Elemente die Bedeutungsstruktur eines komplexen sprachlichen Ausdrucks determinieren. Komplexe Strukturen entstehen jeweils durch regelgeleitete Kombinationen der atomaren Elemente. Damit handelt es sich um ein typisches Beispiel für ein reduktionistisches Sprachmodell (im Sinne von Croft 2001: 53-57). Die Zerlegung von grammatischen Strukturen in drei Komponenten findet bei Bierwisch (1983: 33f.) in der bekannten Formel (29) Ausdruck. (29) (((ins (phon, syn, sem)) ct, m) ias, ks)
Dieser Formel zufolge lässt sich die strikt kompositionell aufgebaute Struktur und Bedeutung einer sprachlichen Äußerung durch ein lineares Determinationsverhältnis errechnen. Die grammatische Struktur eines komplexen sprachlichen Ausdrucks wird hiernach durch die phonologische Struktur phon, die syntaktische Struktur syn sowie die semantische Struktur sem festgelegt. Die Ausdrucksbedeutung differenziert sich weiterhin innerhalb eines Kontextes ct zur Bedeutung m aus, die in einer konkreten Äußerungssituation ias eine kommunikative Funktion ks hat.53 Das in drei Komponenten gegliederte GrammatikModell – in (29) also der innere Kern phon, syn, sem – ist in Abbildung 4 illustriert (vgl. hierzu auch Croft & Cruse 2004: 227). Zur Verknüpfung von und Abstimmung zwischen Informationen der einzelnen Komponenten dienen Verlinkungsregeln. Sie bilden beispielsweise die semantische Struktur (etwa semantische Rollen) auf die syntaktische Struktur (wie die Position von Argumenten) eines Satzes ab.
Lexikon
phonologische Struktur Verlinkungregeln syntaktische Struktur Verlinkungregeln semantische Struktur
Abbildung 4: Komponentielle Organisation von grammatischem Wissen in der generativen Transformationsgrammatik in Anlehnung an Croft (2007: 465).
Es ist wichtig zu sehen, dass das Lexikon gleichsam quer zu den drei grammatischen Komponenten phon, syn und sem angelegt ist. Das Lexikon stellt die syntaktisch zu kombinierenden sprachlichen Einheiten bereit und verbindet zugleich Informationen der drei Komponenten miteinander. Jede Lexikoneinheit ist in der Folge hinsichtlich seiner inhärenten phonologischen, syntaktischen und semantischen Eigenschaften spezifiziert. Weiterhin stellt das Lexikon pragmatische Informationen, etwa über das Register, stilistische Besonderheiten etc. bereit. Weil sich aus den durch abstrakte Regeln geleiteten grammatischen –––––––— 53
Vgl. hierzu die kritische Auseinandersetzung in Ziem 2008: 67-102. Dort finden sich auch weitere Ausführungen zu Eigenschaften und Struktur der sem-Komponente.
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Komponenten phon, syn und sem keine ‚idiosynkratischen‘ Eigenschaften von komplexen sprachlichen Strukturen ableiten lassen, werden diese ins Lexikon verbannt. Sie lassen sich durch den formalen Regelapparat nicht ermitteln und müssen infolgedessen – wie alle Elemente des Lexikons – einzeln gelernt werden. Dies gilt für Konstruktionen (im technischen Sinne der Konstruktionsgrammatik) generell, denn sie zeichnen sich dadurch aus, dass sich mindestens eine Eigenschaft ihrer Form- oder Inhaltsseite nicht durch die anderen formund inhaltsseitigen Elemente und deren Kombination vorhersagen lassen (vgl. die Minimaldefinition [1] in Abschnitt 2.2.1). An dieser Stelle setzt die Kritik der Konstruktionsgrammatik an: Wenn Konstruktionen kein systematischer Platz in der Grammatik eingeräumt wird und somit alle nichtregelhaften und nicht vollständig kompositionellen Spracheinheiten sowieso individuell gelernt werden müssen, wird dann nicht ein Großteil dessen, was natürliche Sprachen ausmacht, systematisch ausgeklammert und problematischerweise für grammatisch irrelevant erklärt? Fest steht: Konstruktionen haben in der generativen Transformationsgrammatik zwangsläufig einen nur epiphänomenalen Charakter, da ihr die Annahme zugrunde liegt, dass die Grammatik einer Sprache gänzlich durch die (mittels Verlinkungsregeln interagierenden) Subsysteme der Phonologie, Syntax und Semantik bestimmt ist. Konstruktionen müssen sich also entweder vollständig aus den grundlegenden Komponenten sowie der Inbezugsetzung ihrer Informationen mittels Verlinkungsregeln ableiten lassen oder, falls dies nicht möglich ist, als Elemente des Lexikons angesetzt werden. Da Konstruktionen per definitionem nicht-kompositionelle Eigenschaften aufweisen, entfällt die erste Option, und alle Konstruktionen müssen im generativen Modell wie lexikalische Einheiten behandelt werden: als Einheiten des Lexikons, die von SprachbenutzerInnen einzeln zu lernen sind. Handelt es sich dann aber noch um ein sprachökonomisch sinnvolles Modell? Und ist es nicht als ein erheblicher theoretischer Mangel zu bewerten, dass die Vielzahl an Konstruktionen, die einer natürlichen Sprache inhärent sind, in der generativen Grammatiktheorie per Definition unerklärbar bleibt? Die Konstruktionsgrammatik macht – wie bereits in Teil I ausgeführt – die Ausnahmen zur Regel; die Eigenschaft von Lexikoneinheiten, konventionelle Form-Bedeutungspaare zu sein, wird auf grammatische Eigenschaften übertragen. Die Trennung von Lexikon und Grammatik wird aufgegeben. Die These, dass zwischen dem Lexikon und der Grammatik einer Sprache kein kategorialer Unterschied besteht, leitet sich dabei aus dem zeichenhaften Verständnis von (syntaktischen) Konstruktionen ab. Obwohl etwa ArgumentstrukturKonstruktionen (wie Ditransitiv- oder Resultativ-Konstruktionen) syntaktisch komplexe und semantisch abstrakte Einheiten sind, teilen sie mit einfachen symbolischen Zeichen wie Morphemen und Wörtern die grundlegende Eigenschaft, dass ihre Formseite konventionell mit einer bestimmten Bedeutung verknüpft ist. Anders ausgedrückt: Grammatische Strukturen tragen Bedeutung und sie müssen genauso wie die Wörter einer Sprache von SprachbenutzerInnen gelernt und im mentalen Lexikon abgespeichert werden. Der Unterschied besteht allein im Komplexitätsgrad der Ausdrucksseite sowie im Abstraktionsgrad der Inhaltsseite. Prinzipiell gilt: Je syntaktisch komplexer die Ausdruckssei-
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te, desto semantisch abstrakter die Inhaltsseite. 54 An einem Pol des Kontinuums befinden sich freie lexikalische Morpheme (wie Tisch, Hund, Atem); sie sind ausdrucksseitig minimal komplex und inhaltsseitig maximal konkret. An dem anderen Pol befinden sich etwa Argumentstruktur-Konstruktionen (wie Ditransitiv-Konstruktionen); sie sind ausdrucksseitig mehrgliedrig und inhaltsseitig abstrakt. Zwischen diesen Extremen besteht ein Kontinuum. Diese Position zieht eine weitreichende Konsequenz nach sich: Anders als in modularen Sprachtheorien ist es nicht möglich, zwischen Sprachwissen und Weltwissen scharf zu unterscheiden. Wie in der von Bierwisch eingeführten Formel – vgl. (29) – deutlich wird, spielen der Kontext ct sowie Parameter der konkreten Äußerungssituation ias eine nur nachgeordnete Rolle; beide tangieren die Funktionsweise des grammatischen Systems in keinster Weise. Werden nun aber morphologische und syntaktische Strukturen selbst als bedeutungstragende Einheiten verstanden, unterliegen sie derselben Dynamik wie lexikalische Einheiten auch. Um dies zu vermeiden, hat die generative Semantik, zuvorderst Bierwisch selbst, versucht, lexikalische Ausdrucksbedeutungen als Teil des Sprachwissens zu fassen, und zwar dergestalt, dass eine logische Form postuliert wird, die den semantischen Kern von lexikalischen Bedeutungen – bestehend aus atomaren Komponenten – ausmachen (vgl. Ziem 2008: 66-103). Doch eine solche Trennung von Sprach- und Weltwissen ist nur unter der unhaltbaren These plausibel, dass Bedeutungsbestimmungen in Absehung von referentiellem Wissen möglich sind. Wie sollen sich sprachliche Bedeutungen aber herausbilden, wenn nicht durch Bezugnahmen auf (z.T. nur vorgestellte) Einheiten unserer Lebens- und Erfahrungswelt? Alle Versuche, Sprach- und Weltwissen kategorial voneinander zu trennen erweisen sich als hochgradig problematisch (für einen Überblick vgl. Ziem 2008: 119142).55 Festzuhalten bleibt allerdings auch, dass das Postulat des graduellen Übergangs zwischen Lexikon und Grammatik keine neue Erkenntnis der Konstruktionsgrammatik ist. Bereits Bühler (1982: 75) hat in seiner funktionalen Sprachtheorie das „Dogma vom Lexikon und von der Syntax“ scharf kritisiert und festgestellt, dass es in beide Richtungen Übergänge gebe. Dies hat ihm zufolge seinen Grund in der prinzipiellen Untrennbarkeit von Wort und Satz: Der Satz kann ebensowenig vor dem Wort, wie das Wort vor dem Satz gewesen sein, weil beides korrelative Momente an ein und demselben (vielleicht fortgeschrittenen) Zustand der menschlichen Sprache sind. (Bühler 1982: 74)
Daran anschließend wirft Feilke (1994: 306) die Möglichkeit auf, Grammatik und Lexikon nicht als zwei Systeme der Sprache, sondern als „Aspekte der Organisation von Bedeutung“ –––––––— 54
55
Ausnahmen bestätigten die Regel. So gelten beispielsweise Wortarten auch als Konstruktionen; syntaktisch sind Wortart-Kategorien freilich nicht komplex, semantisch jedoch in vielerlei Hinsicht schon (vgl. aus Spracherwerbsperspektive Behrens 2005). Zur Unterscheidung und Verhältnisbestimmung von Sprach- und Weltwissen vgl. auch Boas 2003: Abschnitt 6.
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zu verstehen. Dies entspricht exakt dem Geist zeitgenössischer konstruktionsgrammatischer Forschung.
8.2 Konstruktionsnetzwerke: Vererbungshierarchien, Relationstypen und die Idee eines „Konstruktikons“ Dem gebrauchsbasierten Modell liegt die Annahme zugrunde, dass Konstruktionen als konventionalisierte Form-Bedeutungspaare zugleich Einheiten der Performanz und der Kompetenz sind; sie entstehen und wandeln sich einerseits unter den Bedingungen des individuellen Sprachgebrauchs und sie bilden andererseits das Sprachwissen, über das SprachbenutzerInnen verfügen müssen, um eine Sprache – einschließlich ihrer grammatischen Irregularitäten bzw. Idiosynkrasien, Beschränkungen und Besonderheiten – verstehen und verwenden zu können. Bereits Goldberg (1995: 5) betont, dass Konstruktionen kein ontologischer Sonderstatus zukommt: „knowledge of language is knowledge“. Wie im letzten Abschnitt festgestellt, besteht hierin ein fundamentaler Unterschied zur generativen Transformationsgrammatik, derzufolge grammatisches Wissen als ein autonomer Regelapparat, losgelöst von anderen Kenntnissystemen, gilt. Wie ist es aber möglich, ein so komplexes Kenntnissystem wie sprachliches Wissen zu erwerben? Welche (kognitiven) Strukturen weist es auf und in welcher Weise interagieren Konstruktionen miteinander? Kurzum: Wie ist Sprachwissen organisiert, wenn nicht als modulares Regelsystem? Zur Beantwortung dieser Fragen greifen sowohl gebrauchsbasierte als auch unifikationsbasierte Ansätze der Konstruktionsgrammatik auf Konzepte der (semantischen) Netzwerktheorie (etwa Quillian 1968) zurück. Grammatische Strukturen werden modelliert als ein taxonomisches Netzwerk von miteinander verbundenen Konstruktionen: als ein so genanntes „Konstruktikon“. Der Ausdruck „Konstruktikon“ ist eine morphologische Kontamination aus „Konstruktion“ und „Lexikon“, die die Untrennbarkeit und Verwobenheit beider Größen deutlich macht. Der Begriff des „Konstruktikons“ taucht als linguistischer Terminus mutmaßlich zuerst bei Jurafsky (1992) auf. Goldberg (1995: 5) wendet sich allerdings explizit gegen die von Jurafsky referierte Position, dass ein Konstruktikon – wie etwa in der Studie von DiSciullo und Williams (1987) – einem Lexikon ähnele, das aus einem unstrukturierten Set an jeweils voneinander unabhängigen Einheiten bestehe. Genau das Gegenteil sei vielmehr der Fall: Das Konstruktikon hat Goldberg zufolge die Gestalt eines hochgradig strukturierten, feinmaschigen Netzwerkes von miteinander verbundenen sprachlichen Informationseinheiten, und zwar sowohl hinsichtlich ihrer Form- als auch ihrer Bedeutungsseite. Als Einheiten des Sprachgebrauchs weisen Konstruktionen erstens prototypische Strukturen auf und können, wie Wortbedeutungen, polysem sein. Zweitens bilden sich Konstruktionen (als Elemente bzw. ‚Knoten‘ im Konstruktikon) allmählich heraus; dies geschieht in Abhängigkeit von der Frequenz ihres Auftretens, ihrer Produktivität und der jeweils wirksamen kognitiven Motivation. Und drittens lässt sich die Strukturiertheit – und Erlernbarkeit – eines Konstruktikons an den Vererbungshierarchien und Relationen ablesen, die
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zwischen Konstruktionen vorherrschen. Im Folgenden möchten wir zunächst auf Vererbungshierachien und Relationstypen eingehen. Die (frequenzbasierte) Herausbildung von Konstruktionen im Sprachgebrauch sowie dem Verständnis von Konstruktionen als sprachliche Kategorien mit prototypischen Strukturen beleuchten wir im nächsten Abschnitt 8.3. Die Einheiten eines Konstruktikons sind – wie lexikalische Einheiten im mentalen Lexikon – einzeln abgespeichert und systematisch miteinander korreliert. Das mentale Lexikon unterscheidet sich vom Konstruktikon zunächst nur darin, dass seine Elemente Wörter und keine syntaktisch komplexen Einheiten sind. Aus der im letzten Abschnitt (8.1) erläuterten Prämisse, dass zwischen Lexikon und Grammatik ein gradueller Übergang besteht, folgt, dass lexikalische und grammatische Einheiten wesentliche Eigenschaften miteinander teilen, zuvorderst die, dass beide sprachliche Zeichen sind. Wie weit lässt sich nun die Analogie zwischen lexikalischen und grammatischen Strukturen treiben? Nach welchen Prinzipien sind grammatische Elemente untereinander organisiert? Diese Fragen entscheiden sich nicht allein in der empirischen Praxis, und sie lassen sich ebenso wenig unabhängig von theoretischen Vorannahmen beantworten. Im Konstruktikon sind die Konstruktionen einer Sprache miteinander über Vererbungshierarchien und Relationen zu einem taxonomischen System vernetzt. Herrscht über diese Annahme allgemeiner Konsens, so gibt es eine tiefgreifende Kontroverse über die Frage, wie Konstruktionen miteinander verbunden und zu einem Netzwerk organisiert sind und in welcher Weise der Vererbungsprozess zu modellieren ist. Grundsätzlich stehen sich zwei Positionen gegenüber. Es dürfte kaum verwundern, dass der Graben zwischen formal-komputationellen Ansätzen, insbesondere der BCxG und der SBCxG, einerseits, und nicht formal orientierten Theoriebildungen andererseits verläuft. Zu letzteren gehören die CCxG Goldbergs, die CG Langackers sowie die RCxG Crofts (vgl. Abschnitt 4). In Anlehnung an den unifikationsbasierten Ansatz der HPSG geht die BCxG von festen Vererbungsbeziehungen zwischen Konstruktionen aus. Sprachliche Informationen sind ihr zufolge nicht-redundant im taxonomischen Netzwerk abgespeichert, vielmehr werden Informationen vollständig vererbt, so dass sie nur auf der höchsten und schematischsten Ebene im vollen Umfang repräsentiert sind. Eine Tochter-Konstruktion erbt entweder alle Merkmalsstrukturen ihres Elternteils, oder sie erbt gar keine. Bei der BCxG handelt es sich somit um ein klassisches „complete inheritance model“ (vgl. Goldberg 1995: 73f., Kay & Fillmore 1999: 7f.), in dem jede Konstruktion als eine Attribut-Werte-Matrix dargestellt wird, wobei jedes Attribut nur durch maximal einen Wert spezifiziert ist (vgl. Abschnitt 5.1). Unifikationsbasierte Modellierungen des Konstruktikons erheben nicht den Anspruch, ein psychologisch realistisches Modell des Sprachwissens zu sein, und da sie sich nicht am tatsächlichen Sprachgebrauch orientieren, werden Faktoren wie Frequenzeffekte, kognitive Motivationen (wie Figur-Grund, konzeptuelle Metaphern und Metonymien) sowie auf Prototypen basierende Kategorisierungsleistungen von SprachbenutzerInnen nicht in die Analyse einbezogen. Anders in gebrauchsbasiert-kognitiven Ansätzen. Zeschel (2009: 187) fasst den zentralen Unterschied zusammen:
97 The main difference between the two approaches therefore resides in the balance that they strike between aspects of representation and computation: the predictability criterion is typically employed in the context of so-called ‘complete inheritance’ models that seek to formulate maximally parsimonious grammars (at the expense of processing load), whereas the entrenchment criterion is central to so-called ‘full entry’ models that privilege processing economy (through direct retrieval) over storage demands.
In gebrauchsbasierten Ansätzen besteht das Ziel darin, mithilfe von Vererbungshierarchien ein kognitives Modell für die Repräsentation und Verarbeitung von Sprachwissen aufzustellen, ohne sich dabei von der Metapher des menschlichen Gehirns als Computer leiten zu lassen. So gilt es etwa, dem kognitiven „entrenchment“-Prinzip Rechnung zu tragen, demzufolge die Auftretensfrequenz einer sprachlichen Einheit bzw. die gemeinsame Auftretensfrequenz („Kookkurrenz“) mehrerer sprachlicher Einheiten Auswirkungen auf die kognitive Verfestigung dieser Einheit(en) im Sprachwissen hat (vgl. hierzu den nächsten Abschnitt 8.3). Dies gilt für die Formseite von Konstruktionen genauso wie für die Inhaltsseite. Jede frequenzbasierte Verfestigung einer sprachlichen Einheit führt zur Herausbildung eines Knotens im taxonomischen Netzwerk von Konstruktionen. Dieses bildet das strukturierte Wissen über die Konventionen einer Sprache, über das Mitglieder einer Sprachgemeinschaft verfügen (Langacker 1987: 63-76). Wie sieht ein solches Netzwerk im Detail aus? Zur Veranschaulichung einer formseitigen Vererbungshierachie dient in Anlehnung an Croft (2001: 26) Abbildung 5. Bedeutungsseitige Aspekte und Vererbungsbeziehungen sind hier nicht erfasst (vgl. hierzu am Beispiel von Resultativ-Konstruktionen exemplarisch Boas 2011). [SATZ] [[NPNOM] [TR. VERB] [NPAKK.]]
[[NPNOM] [INTR. VERB]]
[[NPNOM ][weinen]]
[NPNOM][lachen] ]
[[NPNOM][drücken] [die Daumen]]
[[NPNOM] [drücken][NPAKK.]]
[[NPNOM][drücken] [den Preis]]
[[NPNOM] [mag][NPAKK]]
[[NPNOM][drücken] [die Schulbank]]
Abbildung 5: (Ausschnitt aus einem) Netzwerk formseitig verbundener Konstruktionen.
Jede dieser Einheiten bildet deswegen einen eigenen Knoten im Konstruktikon, weil sie die Formseite einer Konstruktion beschreibt, deren Eigenschaften sich nicht vollständig (aus ihren Bestandteilen oder der Kenntnis anderer Konstruktionen) vorhersagen lassen, und/oder die Konstruktion in einer Sprachgemeinschaft so frequent auftritt, dass sie eine
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gestalthafte, verfestigte kognitive Größe im Sprachwissen bildet (vgl. Definition [2] in Abschnitt 2.2.3). Neben der Distinktivität der Knoten veranschaulicht Abbildung 5 zugleich die Vererbungshierarchie, die zwischen den Konstruktionen besteht: Der jeweils höhere Knoten vererbt Eigenschaften – hier hinsichtlich der Formseite – auf den bzw. die jeweils niedrigeren Knoten, wobei der Grad an Abstraktheit und Schematizität der Knoten von oben nach unten abnimmt. Handelt es sich beispielsweise bei [[NPNOM][drücken][NPAKK]] um jene Intransitiv-Konstruktion, in die das Verb drücken eintritt, so ist im Fall von [[NPNOM][drücken][den Preis]] auch der Slot für die Nominalphrase im Akkusativ lexikalisch gefüllt. Diese Einheit bildet deswegen einen eigenen Knoten im Netzwerk, weil sie idionsynkratische semantische Eigenschaften aufweist, die sich nicht durch die Vererbung von Information der lexikalischen Konstruktionen [drücken] und [Preis] auf die TransitivKonstruktion [[NPNOM][TR. VERB][NPAKK]] erklären lassen. [[NPNOM][drücken][den Preis]] hat eine eigene, idiomatische Bedeutung. Knoten bilden im gebrauchsbasierten Modell zwar distinkte Einheiten im Sprachwissen der SprachbenutzerInnen; gleichzeitig handelt es sich aber um dynamische Einheiten, die Goldberg (2006b: 54-63), Langacker (2006a,b) und Croft (2001: 27, 52f.) als Ergebnisse von sprachlichen Kategorisierungsprozessen begreifen. Eine Kategorie (hier: Konstruktion) wird gebildet, wenn sich auf der Basis von verschiedenen strukturell ähnlichen Token eine abstraktere Einheit (Type) ableiten lässt, die wesentliche Gemeinsamkeiten der Token bei gleichzeitiger Abstraktion von Unterschieden abbildet. So ließen sich etwa Äußerungen wie Peter drückt Ida, Ich drücke den Knopf, Paul drückt die Daumen formseitig zur abstrakteren Kategorie [[NPNOM][drücken][NPAKK]] generalisieren. In Absehung von möglichen lexikalischen Spezifizierungen der Argumente-Slots repräsentiert diese die Argumentstruktur von drücken. Ist ein sprachliches Token einmal als Instanz einer Konstruktion kategorisiert (beispielsweise [[NPNOM][geben][NPDAT][Zunder]] und [[NPNOM][geben][NPDAT][NPAKK.]] als Instanzen der Ditransitiv-Konstruktion), ist diese Konstruktion durch Beziehungen zu anderen Konstruktionen motiviert. Aus sprachgebrauchsbasierter Perspektive ist das Konstruktikon im Sinne des „entrenchment“-Prinzips (vgl. hierzu den Abschnitt 8.3) das Ergebnis von sprachlichen Kategorisierungsleistungen. Dies gilt nicht für die formseitige, sondern auch für die inhaltsseitige Organisation von Konstruktionen. Vererbungsbeziehungen bestehen auch hier. Handelt es sich bei formseitigen Vererbungsrelationen stets um Teil-Ganzes-Beziehungen,56 lassen sich inhaltsseitig dagegen eine Vielzahl an weiteren Relationstypen unterscheiden.57 Goldberg (1995: 74-97) differenziert insgesamt zwischen vier Vererbungsmechanismen: –––––––— 56
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So ist die idiomatische Konstruktion [[NPNOM][geben][NPDAT][Zunder]] Teil der Argumentstruktur-Konstruktion von geben, nämlich [[NPNOM][geben][NPDAT][NPAKK]], die wiederum als Teil der Ditransitiv-Konstruktion fungiert. Diese Einschätzung bzw. Annahme teilen allerdings nicht alle kognitiv-gebrauchsbasierten konstruktionsgrammatischen Ansätze. Croft (2001) geht etwa explizit davon aus, dass auch inhaltsseitig allein Teil-Ganzes-Beziehungen zwischen Konstruktionen bestehen.
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(a) Polysemie-Beziehungen („polysemy links“), (b) Teil-Ganzes-Beziehungen („subpart links“), (c) Beispiel-von-Beziehungen („instance links“) und (d) Beziehungen der metaphorischen Erweiterung („metaphorical extension links“). Diese inhaltsseitigen Relationstypen strukturieren ebenfalls das Sprachwissen, wobei gilt, dass eine Konstruktion A genau dann und nur dann eine Konstruktion B motiviert, wenn B Eigenschaften von A erbt (Goldberg 1995: 72). Im Folgenden möchten wir die vier Vererbungshierarchien kurz erläutern. a) Polysemie-Beziehungen Am Beispiel von Ditranstiv-Konstruktionen, also Argumentstruktur-Konstruktionen mit prototypischerweise einem direkten und einem indirekten Objekt, illustriert Goldberg, inwiefern Konstruktionen – vergleichbar mit lexikalischen Einheiten – systematisch mehrdeutig sein können. Tabelle 4 fasst einige Beispiele zusammen. Beispiele für Ditransitiv-Konstruktionen Linnea gibt Henrike ein Stück Kuchen. Linnea verspricht Henrike ein Abendessen. Henrike erlaubt Peter eine Bootsfahrt. Henrike verwehrt Peter einen Kuchen. Jonathan baut Henrike ein Baumhaus.
Bedeutung der Konstruktion X VERURSACHT, DASS Y Z ERHÄLT GELINGENSBEDINGUNG IMPLIZIERT ‚X VERURSACHT, DASS Y Z ERHÄLT‘ X ERMÖGLICHT Y, Z ZU ERHALTEN X VERURSACHT, DASS Y Z NICHT NICHT ERHÄLT X BEABSICHTIGT ZU VERURSACHEN, DASS Y Z ERHÄLT
Tabelle 4: Polysemie von Ditransitiv-Konstruktionen.
Die Ditransitiv-Konstruktion hat zwar eine prototypische Bedeutung, in Tabelle 4 exemplifiziert durch das erste Beispiel; abhängig von ihren lexikalischen Instanzen erweist sie sich aber als polysem, insofern der Transfer von Z zu Person Y etwa einmal intendiert, ein anderes Mal erlaubt und in einem dritten Fall verboten ist. Goldberg versteht diese systematische Bedeutungsvarianz ausdrücklich als Polysemie der ganzen Ditransitiv-Konstruktion.58 Demzufolge handelt sich also nicht um Bedeutungsvarianten, die allein auf lexikalische Bedeutungen der jeweils in der Konstruktion instantiierten Verben (geben, versprechen, erlauben etc.) zurückgehen. Goldberg verzichtet mit Bedacht auf dieses (für projektionistische bzw. lexikalistische Ansätze typische) Vorgehen, das zur Folge hat, dass für jede syntaktische Konstruktion, in die ein Verb eintritt, mindestens eine zusätzliche Verbbedeutung angesetzt werden müsste (vgl. Abschnitt 2.2.3). Gleichwohl kommt an dieser Stelle die Frage auf, ob nicht der Wechselbezug von syntaktischen Konstruktionen und deren lexikalischen Instanzen („fillers“) stärker Rechnung zu –––––––— 58
In der einschlägigen Literatur ist dies allerdings keineswegs Konsens, vgl. etwa Boas 2008, Iwata 2008, Kay 2005 und Nemoto 2005. Die Autoren liefern Gegenevidenz zu Goldbergs Annahme, dass Ditransititiv-Konstruktionen polysem seien.
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tragen ist. Goldberg geht diesem nicht systematisch nach, wohl auch deswegen nicht, weil sie postuliert, dass es gar keine autonomen lexikalischen Verbbedeutungen in Absehung von den Argumentstruktur-Konstruktionen des Verbes gebe. Wie die Analyse von Kollostruktionen gezeigt hat (vgl. Abschnitt 6.2), sollte aber unbedingt der Grad an wechselseitiger Abhängigkeit zwischen syntaktischen Konstruktionen und deren lexikalischen Instanzen in die Analyse einbezogen werden. Diese Kritik trifft in vergleichbarer Form ebenso auf die anderen im Folgenden zu thematisierenden Relationstypen zu. b) Teil-Ganzes-Beziehungen Ähnlich wie bei formseitigen Vererbungsbeziehungen zwischen Konstruktionen liegt auch inhaltsseitig dann eine Teil-Ganzes-Beziehung vor, wenn eine Konstruktion A als Teil von Konstruktion B fungiert, zugleich aber unabhängig existiert. Die ist etwa bei Resultativund Intransitiv-Konstruktionen der Fall. (30) Klaus malt den Tisch blau. (31) Klaus malt.
Die Intransitiv-Konstruktion Klaus malt ist Teil der komplexeren Resultativ-Konstruktion Klaus malt den Tisch blau und vererbt infolgedessen auf diese ihre wesentlichen Eigenschaften. Teil-Ganzes Beziehungen bestehen Goldberg zufolge zwischen zahlreichen Konstruktionen. Goldberg (1995: 78) führt zur Veranschaulichung etwa die Verbindung zwischen der Intransitiv-Konstruktion und der „caused-motion“-Konstruktion an. Erstere vererbt ihre syntaktischen und semantischen Spezifikationen auf letztere. Im folgenden Beispiel zeichnet sich die „caused-motion“-Konstruktion (33) entsprechend durch alle syntaktischen und semantischen Spezifikationen aus, die auch für die Intransitiv-Konstruktion (32) charakteristisch sind. (32) Paul niest. (33) Paul niest das Taschentuch vom Tisch.
Dadurch, dass (32) und (33) in einer Teil-Ganzes-Beziehung zueinander stehen, vererbt die Intransitiv-Konstruktion ihre form- und bedeutungsseitigen Eigenschaften auf die „causedmotion“-Konstruktion. Eine alternative Erklärung der Entstehung und Lizenzierung von (Instanzen von) Konstruktionen legt Boas (2003, 2011) vor (vgl. auch Kay 2005). Er argumentiert, dass Argumentstrukturmuster durch lexikalische Einträge qua Analogie lizenziert werden. Demzufolge bedarf es keiner Teil-Ganzes-Beziehung; dieser Relationstyp kann nach Boas getrost gestrichen werden. c) Beispiel-von-Beziehungen Den dritten Relationstyp illustriert Goldberg (1995: 79) exemplarisch an lexikalisch teilspezifizierten Idiomen wie (34).
101 (34) Georg treibt Klaus in den Wahnsinn. (35) Klaus trinkt sich dumm. (36) * Paul treibt Klaus traurig/wütend. (37) Paul treibt Klaus an den Rand der Verzweiflung/in die Enge/zur Weißglut.
Bei dem lexikalisch teilspezifizierten Idiom [[NPNOM][treiben][NPAKK][in den Wahnsinn]], illustriert in (34), handelt es sich zugleich um eine Resultativ-Konstruktion. ResultativKonstruktionen treten freilich vielfach in nicht-idiomatischer Form auf; (35) ist dafür ein prototypisches Beispiel. Wir können entsprechend festhalten, dass zwischen der teilspezifizierten Konstruktion [[NPNOM][treiben][NPAKK][in den Wahnsinn]] einerseits und der Resultativ-Konstruktion andererseits eine Beispiel-von-Beziehung besteht. Das Verb treiben lizenziert nur bestimmte Elemente im Resultat-Slot. Dies kann eine Präpositionalphrase mit Wahnsinn als nominalem Kern sein; dann liegt eine idiomatische Konstruktion vor. Adjektivische Attribute zur Bezeichnung eines Gemütszustandes – wie etwa traurig oder wütend in (36) – kommen als lexikalische Füller dagegen nicht in Frage. Während also zwischen der idiomatischen Konstruktion [[NPNOM][treiben][NPAKK][in den Wahnsinn]] und der Resultativ-Konstruktion eine Beispiel-von-Beziehung vorherrscht, stehen (36) und die Resultativ-Konstruktion in keinem solchen Verhältnis, denn erstere wird durch die idiomatische Konstruktion, exemplifiziert durch (34), nicht lizenziert. Dass die Konstruktion [[NPNOM][treiben][NPAKK][PP]] als idiomatische Konstruktion mit Resultativ-Lesart gleichwohl (wenn auch im geringen Maße) produktiv zu sein scheint, deutet (37) an. Diese Beispiele stehen jeweils ebenfalls in einer Beispiel-von-Beziehung zur ResultativKonstruktion. d) Beziehungen der metaphorischen Erweiterung Schließlich kann es sich bei der Inhaltsseite einer Konstruktion um eine metaphorische Erweiterung der Inhaltsseite einer anderen Konstruktion handeln. So ist es Goldberg zufolge etwa möglich, die Bedeutung einer Resultativ-Konstruktion metaphorisch zu einer „caused-motion“-Konstruktion zu erweitern. (38) Er wirft sie aufs Bett. (39) Er küsst sie in Ekstase.
Im Fall der Resultativ-Konstruktion (39) kodiert beispielsweise die Präpositionalphrase in Ekstase das durch die Tätigkeit erreichte ZIEL. Ganz analog geschieht dies in der „causedmotion“-Konstruktion (38), insofern auch in dieser die Präpositionalphrase aufs Bett den in der Konstruktion angelegten Slot ZIEL näher bestimmt. Der Unterschied besteht darin, dass die Präpositionalphrase hier das konkrete ZIEL der Tätigkeit kodiert. In der ResultativKonstruktion Er küsst sie in Ekstase findet dagegen eine metaphorische Verschiebung statt: Die Bewegung hin zum Ziel der Ekstase ist eine metaphorische Beschreibung für die Änderung des inneren Zustandes (von der Nicht-Ekstase zur Ekstase).
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Solchen Beziehungen der metaphorischen Erweiterung widmet sich Goldberg (1995: 81-97) in zwei Studien ausführlich. Sowohl am Beispiel des dargestellten Zusammenhangs zwischen der „caused-motion“- und der Resultativ-Konstruktion als auch an zwei alternativen Realisierungen von Ditransitiv-Konstruktionen macht sie deutlich, inwiefern die Bedeutung einer dominierenden, d.h. in der Taxonomie hierarchiehöheren Konstruktion auf die Bedeutung einer dominierten Konstruktion kraft metaphorischer Projektion übertragen werden kann. Insbesondere an dem von Goldberg postulierten metaphorischen Zusammenhang zwischen der „caused-motion“-und der Resultativ-Konstruktion ist jedoch Kritik geübt worden. So legt Boas (2003, 2011) in zahlreichen Beispielanalysen überzeugend dar, dass „causedmotion“-Konstruktionen in vielen Fällen keineswegs durch metaphorische Erweiterungen von Resultativ-Konstruktionen erklärt werden können. Kay (2005) argumentiert ferner, dass die Annahme von zwei separaten Konstruktionen unökonomisch und nicht nötig sei, da beide kaum unabhängig voneinander betrachtet und analysiert werden könnten.59 Es bleibt festzuhalten, dass Goldberg zufolge insgesamt vier Relationstypen das Konstruktikon inhaltsseitig strukturieren. Ob es sich dabei allerdings um eine adäquate oder gar exhaustive Beschreibung von Vererbungsbeziehungen handelt, bleibt fraglich; zumindest ist an Goldbergs Vorschlag vielfach Kritik geübt worden. In jüngster Zeit haben Boas (etwa 2011) sowie Fillmore und seine MitarbeiterInnen (etwa Fillmore & Lee-Goldman & Rhomieux 2012) im Rückgriff auf Annotationen im Rahmen von FrameNet versucht, Beziehungen zwischen Konstruktionen zu erfassen und zu modellieren (vgl. Abschnitt 9.3). In Anlehnung an FrameNet-basierten Untersuchungen der syntaktischen Valenz von Verben und die attestierten Frame-zu-Frame-Beziehungen unterscheiden sie zwischen weitaus mehr Relationstypen. Entsprechende Bestimmungen scheinen also zuvorderst eine Frage der empirischen Praxis zu sein. Bislang ist die Anzahl an einschlägigen Studien jedenfalls überschaubar gering. Zur Erhellung der ‚Architektur‘ des Konstruktikons ist eine Vielzahl an weiteren Korpusuntersuchungen nötig.60 Um dabei auch die kognitive ‚Realität‘ und Wirksamkeit der Relationstypen zu überprüfen, wird auch der Einsatz von experimentellen Methoden (vgl. Abschnitt 6.4) nötig sein.
8.3 Das gebrauchsbasierte Modell: Frequenz, Produktivität und Prototypikalität In Abschnitt 8.1 hat sich gezeigt, dass ein zeichenbasiertes Verständnis von Lexikon und Grammatik die Annahme eines graduellen Übergangs zwischen beiden zur Folge hat. Lexikalische Einheiten und syntaktische Konstruktionen haben denselben Status. Letztere teilen –––––––— 59 60
Wir danken Hans Boas für den Hinweis. Staffeldt (2011a) versucht etwa in seiner Studie zur phraseologischen Konstruktionsfamilie [X Prä Hand Verb] (hier in der Notation von Staffeldt), auf der Basis von systematischen Belegauswertungen semantische Vererbungsbeziehungen zu identifizieren, die zwischen (polysemen) Somatismen mit Hand als nominalem Kern bestehen. Der hier unterbreitete methodische Vorschlag für qualitative Korpusanalysen wäre es wert, weiterverfolgt zu werden.
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nach Goldberg mit ersteren die Eigenschaft, polysem und metaphorisch sein zu können, und auch andere Beziehungen, die zwischen Konstruktionen ausgemacht wurden, sind aus der lexikalischen Semantik bekannt, so etwa Teil-Ganzes- bzw. Ganzes-Teil-Beziehungen, die als semantische Relationen entweder unter den Begriff der Metonymie subsumiert oder im Sinne der antiken Rhetorik als Synekdoche gefasst werden. Das Beziehungsgeflecht, das durch die form- und inhaltsseitige Vernetzung von Konstruktionen entsteht und unser Sprachwissen strukturiert, ist das (vorhin in Abschnitt 8.2 kennengelernte) Konstruktikon, dessen Knoten konventionalisierte Form-Bedeutungspaare – also Konstruktionen – bilden. Ergänzend zu diesen Aspekten möchten wir abschließend weitere wichtige Eigenschaften von Konstruktionen thematisieren. Dazu zählt zum einen die Bestimmung von Konstruktionen als sprachliche Kategorien mit prototypischen Strukturen und zum anderen das so genannte Frequenz- oder „entrenchment“-Prinzip. Auch bei diesen Eigenschaften handelt es sich um konstruktionsgrammatische Basiskonzepte. Das Frequenz-Prinzip besagt, dass die Häufigkeit des Auftretens einer sprachlichen Einheit innerhalb einer Sprachgemeinschaft mit dem Grad an kognitiver Verfestigung der Einheit im Sprachwissen der Mitglieder derselben Sprachgemeinschaft korreliert. Geht man entsprechend davon aus, dass „frequency matters“ (Behrens 2009b: 400), dann kommt man nicht umhin, den tatsächlichen Sprachgebrauch zum Gegenstand empirisch-linguistischer Untersuchungen zu machen. Das Konzept des sprachgebrauchsbasierten Modells („usagebased model“) geht auf Langackers (1987) Entwurf einer Cognitive Grammar zurück (vgl. auch Langacker 2000). Es basiert auf dem Vorschlag, dass „an assembly is accepted as part of ‘the grammar’ to the extent that it is psychologically entrenched and conventional in the speech community“ (Langacker 2005: 140). Die Ausrichtung am Sprachgebrauch hat zu Goldbergs (2006a: 5) erweiterter Definition von Konstruktionen als kognitiven Mustern geführt, die durchaus kompositionell sein können, vorausgesetzt, sie kommen so häufig im Sprachgebrauch vor, dass sie sich zu einer kognitiven Gestalt verfestigt haben (vgl. Abschnitt 2.2.3). Ganz ähnlich bemerkt Bybee (2006: 713), dass (Mehrwort-)Einheiten, die SprachbenutzerInnen als geläufig und bekannt bewerten, ein Indiz dafür seien, dass diese auch dann im Gedächtnis abgespeichert sind, wenn deren Form und Bedeutung vollständig vorhersagbar sind. Wie verfestigen sich sprachliche Konstrukte zu Konstruktionen? Das „entrenchment“Prinzip ist deshalb für kognitive Ansätze der Konstruktionsgrammatik so wichtig, weil es eine psychologische (und neurowissenschaftliche) Erklärung der Entstehung und des Wandels von Konstruktionen anbietet (vgl. auch Ziem 2008: 348-356). Prinzipiell sind frequenzbedingte Verfestigungen von sprachlichen Einheiten in zwei Varianten möglich: als Type- oder als Token-„Entrenchment“. Der erste Fall liegt vor, wenn viele verschiedene Token auftreten, die als Instanzen ein und desselben Types fungieren. So führt beispielsweise frequentes Auftreten von transitiven Verben wie essen, lesen, sehen usw. in entsprechenden Argumentstruktur-Konstruktionen dazu, dass sich ein abstraktes Schema für Transitiv-Konstruktionen herausbildet, das statt eines gefüllten Verb-Slots – wie in Abbildung 6 in der unteren Zeile – einen offenen Verb-Slot enthält. In Abbildung 6 ist dies die schematische Konstruktionen [[NPNOM][TRANS. VERB][NPAKK]].
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[[NPNOM][TRANS. VERB][ NPAKK]]
[[NPNOM][essen][NPAKK]]
[[NPNOM][lesen][NPAKK.]]
[[NPNOM][sehen][NPAKK]]
…
Abbildung 6: Type-„Entrenchment“ am Beispiel von Intransitiv-Konstruktionen.
Die schematische Konstruktion bildet sich aufgrund einer hohen Frequenz unterschiedlicher Token heraus, die sich strukturell so ähneln, dass sie alle Instanzen eines abstrakteren Schemas, hier der Transitiv-Konstruktion, bilden. Diese abstrahiert von unterschiedlichen Spezifizierungen des Verb-Slots bei gleichzeitigem Fokus auf (strukturellen) Gemeinsamkeiten. Type-„Entrenchment“ ist folglich immer dann am Werk, wenn sich aus Sprachtoken abstraktere Einheiten herausbilden. Type-„Entrenchment“ sorgt sozusagen für den Ausbau des Konstruktikons in vertikaler Hinsicht. Im anderen Fall, dem Token-„Entrenchment“, bildet sich nicht eine neue, abstraktere Kategorie heraus, sondern ein Token konsolidiert sich vielmehr selbst zu einer festen (kognitiven) Einheit. Dies geschieht immer dann, wenn das gleiche Token so frequent im Sprachgebrauch vorkommt, dass es selbst einen kategorial-konstruktionalen Status erhält. Token-„Entrenchment“ liegt grundsätzlich bei lexikalisch voll- und teilspezifizierten Konstruktionen wie Idiomen vor. Diese weisen nämlich form- und/oder bedeutungsseitige Idiosynkrasien auf, die sich nicht kompositionell oder mittels Informationsvererbung erklären lassen. Ein Beispiel illustriert Abbildung 7.
[[NPNOM][drücken][NPDAT][die Daumen]]
[[NPNOM][drücken] [NPDAT][die Daumen]]
[[NPNOM][drücken] [NPDAT][die Daumen]]
[[NPNOM][drücken] [NPDAT][die Daumen]]
[[NPNOM][drücken] [NPDAT][die Daumen]]
…
Abbildung 7: Token-„Entrenchment“ am Beispiel der lexikalisch teilspezifizierten idiomatischen Konstruktion [[NPNOM][drücken][NPDAT][die Daumen.]].
Die idiomatische Konstruktion [[NPNOM][drücken][NPDAT][die Daumen.]] weist zwar formseitig keine unvorhersagbaren Eigenschaften auf, insofern sie wesentliche Charakteristika der Ditransitiv-Konstruktion erbt. Für ihre Bedeutungsseite gilt dies freilich nicht. Die idiomatische Konstruktion muss deswegen als eigene Einheit abgespeichert werden, und dazu ist eine hohe Auftretensfrequenz erforderlich. An dem Beispiel fällt aber noch etwas auf: Token-„Entrenchment“ kann ohne Dazutun von Type-„Entrenchment“ nicht funktionieren, da das Token [[NPNOM][drücken][NPDAT][die Daumen.]], dessen frequentes Auftreten zur Herausbildung der idiomatischen Konstruktion
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führt, seinerseits das kognitive Produkt eines Abstraktionsprozesses ist: Es bildet sich heraus, indem Äußerungen wie Oma drückt mir die Daumen, Ich drücke dir die Daumen, Die Fußballfans drücken ihrer Mannschaft die Daumen usw. auf die schematische Einheit [[NPNOM][drücken][NPDAT][die Daumen.]] reduziert werden. Type- und Token-„Entrenchment“ sind wichtige Determinanten, um die Produktivität einer Konstruktion zu erfassen. Produktiv ist eine Konstruktion dann, wenn sich mit ihr viele neue Ausdrücke bilden lassen, wenn also die Slots einer Konstruktion mit einer Vielzahl lexikalischer Einheiten besetzt werden können. Dies ist etwa bei der TransitivKonstruktion [[NPNOM][VP][NPAKK]] der Fall, da eine schier unendliche Menge an Nomen und Verben in diese Konstruktion eintreten können. Umgekehrt ist eine Konstruktion dann unproduktiv, wenn die Besetzung ihrer Slots stark restringiert ist oder sie – wie im Fall von Morphemen (-heit), Wörtern (Kind) und Sprichwörtern (Morgenstund hat Gold im Mund) – gar keinen offenen Slot bereitstellt.61 Produktivität und Abstraktheit hängen insofern miteinander zusammen, als Konstruktionen nur unter der Voraussetzung produktiv sein können, dass sie mindestens einen offenen Slot aufweisen und sich somit durch ein Mindestmaß an Abstraktheit auszeichnen. Jedoch ist steigende Abstraktheit kein verlässliches Kriterium für die steigende Produktivität einer Konstruktion, weil abstrakte Konstruktionen nicht zwangsläufig produktiver sind als konkrete. So ist das Schema [[NPNOM][VP][PP]] für eine Resultativ-Konstruktion wie Er küsst sie in Ekstase beispielsweise bei weitem nicht so produktiv wie das weniger abstrakte Schema [[ADJ][-heit]] zur Bildung deadjektivischer Nomina wie Schönheit, Klugheit, Faulheit. Die in Abbildung 8 an Beispielen veranschaulichte skalare Differenzierung nach Produktivitätsgraden weicht deshalb von der graduellen Unterscheidung zwischen Konstruktionen verschiedenen Abstraktionsgrades teilweise erheblich ab (vgl. hierzu Tabelle 1 in Abschnitt 2.3.1).
- Wörter, z.B. Kind, sie - Sprichwörter, z.B. Morgenstund hat Gold im Mund) - …
0
gering
- lexikalisch teilspezifizierte Idiome wie [[NPNOM][drücken] [NPDAT][die Daumen]] - Phraseoschablonen wie [[Det] [NPNom][von][NPDat]], z.B. eine Seele von Mensch - Resultativ-Konstruktionen - …
mittel
- (Di-)Transitiv-Konstruktionen - Wortstamm + Flexions- / Derivationsmorphem, z.B. [[ADJ][-heit]] - Vergleichssätze (je x-er desto y-er) - …
hoch
Abbildung 8: Unterscheidung zwischen (einer Auswahl von) Konstruktionen nach Graden ihrer Produktivitität.
–––––––— 61
Wie bereits in Abschnitt 2.2.1 erwähnt, herrscht jedoch keineswegs Konsens darüber, ob Morpheme tatsächlich Konstruktionen (im technischen Sinn) sind; bei ihnen handelt es sich nicht um sprachlich ungebunden vorkommende Sprachzeichen (Booij 2010: 15), zumindest was einen Großteil der grammatischen Morpheme betrifft.
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Zur Bestimmung der Produktivität von Konstruktionen hat sich Type-Frequenz als wichtiges Hilfsmittel erwiesen, denn Type-„Entrenchment“ korreliert direkt mit der Produktivität einer Konstruktion: Je mehr neue lexikalische Einheiten in einer Konstruktion auftreten können, desto stärker ist die Konstruktion im Sprachwissen der SprachbenutzerInnen verfestigt. In diesem Sinne ist beispielsweise die so genannte „way“-Konstruktion (Goldberg 1995: 199-218), veranschaulicht in den Beispielen (40) bis (43), hoch produktiv. Im Vergleich zur Resultativ-Konstruktion erweist sie sich – zumindest im Amerikanischen – als erheblich produktiver; in sie kann eine große Anzahl verschiedener Verben eintreten. (40) Frank dug his way out of the prison. (41) Frank found his way to New York. (42) Sam joked his way into the meeting. (43) Joe bought his way into the exclusive country club.62
Anders als in der „way“-Konstruktionen liegen in der Resultativ-Konstruktion große Beschränkungen hinsichtlich der Typen von Verben vor, die in diese Konstruktion eintreten können.63 Gleichwohl bleibt festzuhalten, dass eine hohe Type-Frequenz kein hinreichendes Kriterium ist, um eine Konstruktion als produktiv auszuweisen. Genauso wichtig ist das Auftreten von so genannten „Hapax legomena“.64 Unter einem „Hapax legomenon“ versteht man ein Wort, das in einem Text oder Korpus nur einmal belegt ist, jedoch gleichwohl als zentrales Charakteristikum jenes Wortschatzes gilt, das für den entsprechenden Text bzw. das Korpus kennzeichnend ist. Es sind durchaus Konstruktionen mit einer hohen TypeFrequenz (und einer entsprechend starken kognitiven Verfestigung) belegt, die jedoch kaum als Hapax legomena auftreten und infolgedessen auch nicht produktiv sind. Dies ist im Englischen etwa bei lexikalischen Konstruktionen mit dem Derivationsmorphem -ment der Fall (Hilpert 2010). Neben der Type-Frequenz trägt durchaus auch die Token-Frequenz zur Bestimmung der Produktivität von Konstruktionen bei. Wie wir gesehen haben, bestimmt sie nämlich den Grad an kognitiver Verfestigung von einzelnen Konstruktionen. Auch Kollokationen wie eingefleischter Junggeselle oder Routineformeln wie Guten Tag können so zu konstruktionalen Einheiten werden, vorausgesetzt, sie treten ausreichend häufig im Sprachgebrauch auf.65 Über Type- und Token-Frequenz hinaus kodeterminiert ebenso „statistical preempti–––––––— 62 63
64 65
Die Beispiele stammen von Goldberg (1995: 199-209). Ob allerdings – wie Goldberg (1995) annimmt – die Resultativ-Konstruktion tatsächlich den Status einer eigenständigen Konstruktion hat, ist in der Literatur durchaus umstritten. Boas (2005) argumentiert etwa, dass es sich hierbei eher um ein Epiphänomen als um eine eigenständige Einheit im Sprachsystem handele. Diesen Hinweis verdanken wir Martin Hilpert. Diese Annahme teilen freilich unifkationsbasierte Ansätze nicht. Kay (im Druck) unterscheidet etwa eigens zwischen „true constructions“ und „non-productive, nonconstructional pattern[s] of
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on“ die Produktivität von Konstruktionen (etwa Brooks & Tomasello 1999, Goldberg 1995: 29-30, Boyd & Goldberg 2011). Der – kaum ins Deutsche übersetzbare – Begriff „statistical preemption“ bezieht sich auf den (blockierenden) Einfluss, den die wiederholte Wahrnehmung eines Wortes in einem konkurrierenden syntaktischen Muster ausübt. Boyd und Goldberg (2011: 72-75) argumentieren, dass SprachlernerInnen dann lernen, dass ein syntaktisch komplexer Ausdruck ungrammatisch ist, wenn ein alternativer Ausdruck mit derselben Funktion wiederholt beobachtet wird. Zur empirischen Überprüfung dient ihnen ein experimentelles Untersuchungssetting. Um Type- und Token-„Entrenchment“ als Determinanten von Produktivität empirisch zu bestimmen, ist die so genannte Kollostruktionsanalyse ein geeignetes methodisches Verfahren (vgl. Abschnitt 6.2). Aufgrund des Frequenz-Prinzips haben Netzwerke in gebrauchsbasierten Theorien – anders als in unifikationsbasierten Ansätzen – zwangsläufig einen dynamischen Charakter. Die Knoten des Netzwerkes, also die formierten sprachlichen Kategorien bzw. Konstruktionen, sind hier nämlich Ergebnisse von individuellen Kategorisierungsleistungen der SprachbenutzerInnen. Da die kategoriale Zugehörigkeit eines wahrgenommenen sprachlichen Phänomens auf dem Urteil der SprachbenutzerInnen basiert, ist Kategorienzugehörigkeit stets ein Gradphänomen und keine objektive Gegebenheit. In Langackers Worten: A lexeme does define a field of potential for meaning and use that for all intents and purposes is continuous. The network model is inappropriate if pushed too far. In particular, it is wrong to “reify” the senses in a network by viewing them as well delimited islands representing the only linguistic meanings a lexeme can assume. Such atomization of the field of meaning- or use-potential is artificial and leads to pseudoproblems, e.g., the problem of ascertaining which discrete sense a given use instantiates. (Langacker 2006b: 145)
Kategorienzugehörigkeit als Gradphänomen zu betrachten, bewahrt davor, syntaktische Konstruktionen zu festen distinktiven Einheiten im Sprachsystem zu verdinglichen. Stattdessen weisen sie Prototypenstrukturen auf (Langacker 1987: 371f.). Dies gilt auch für Bedeutungen von Konstruktionen. So lässt sich beispielsweise von den im Abschnitt 8.2 in Tabelle 4 zusammengefassten Bedeutungsvarianten der DitransitivKonstruktion eine als prototypisch ausweisen: ‚X VERURSACHT, DASS Y Z ERHÄLT‘. Wie in (44) und (45) illustriert, fungiert die Nominalphrase im Nominativ in diesen beiden Beispielen als als semantisches Agens, während – gemäß der Klassifikation von semantischen Rollen nach von Polenz (2008: 167-174, vgl. ausführlich Abschnitt 9) – einerseits die Nominalphrase im Dativ (ihr, ihm) als Benefaktiv bzw. Experiencer und andererseits die Nominalphrase im Akkusativ (die Blumen, den Weg) die Funktion eines affizierten Objekts erfüllt (vgl. die Übersicht über semantische Rollen in Abschnitt 9). (44) Klara gibt ihr die Blumen. (45) Carl zeigt ihm den Weg.
–––––––— coining“, wobei letztere den erwähnten Kollokationen und Routineformeln ähneln. Sie sind Kay zufolge zwar musterhaft, haben aber nicht den Status von Konstruktionen, da die Akzeptabilität von Ausdrücken, die dieses Muster bedienen, nicht vorhergesagt werden könne.
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Welchen Beitrag leistet die Bedeutung der Ditransitiv-Konstruktion beim Verstehen von (44) und (45)? In (44) veranlasst Klara, dass eine weibliche Person die Blumen erhält, wobei es Klara selbst ist, die den Transfer leistet. In (45) veranlasst Carl, dass eine männliche Person die Wegbeschreibung erhält, wobei auch hier Carl selbst als Agens fungiert. Von diesen Realisierungen der prototypischen Konstruktionsbedeutung weichen andere systematisch ab. Vergleiche etwa folgende Varianten: (46) Die Medizin verschafft ihm Linderung. (47) Der Regen bringt Allergikern Erleichterung.
Für (46) und (47) ist es unzureichend, die Funktion der jeweiligen Nominalphrasen im Nominativ (die Medizin, der Regen) auf die semantische Rolle des Agens zu reduzieren (vgl. zur Agentivitätsdebatte Abschnitt 9). Denn: „Medizin“ handelt genauso wenig wie „Regen“; hier wird vielmehr ein Vorgang konzeptualisiert. Auch die Nominalphrasen im Dativ (ihm, Allergikern) können nicht einfach mit Nutznießern oder wahrnehmenden Personen gleichgesetzt werden, also Personen, die etwas – möglicherweise im abstrakten Sinne wie in Beispiel (45) – erhalten. Ähnliches gilt schließlich für die Nominalphrasen im Akkusativ (Linderung, Erleichterung). In (46) und (47) können diese nicht ohne Einschränkung als affizierte Objekte beschrieben werden. Insgesamt gilt vielmehr Folgendes: Zum einen fungieren die Satzsubjekte jeweils als Ursachen eines Vorganges. Von Polenz sieht hierfür die semantische Rolle „Causativ (CAUS)“ vor, ganz ähnlich wie Goldberg (1995: 145), die schlicht von „cause“ (‚Ursache für‘) spricht. Entsprechend erweist sich die Nominalphrase im Dativ zwar auch als Patiens bzw. genauer als Benefaktiv, insofern die Betroffenen des Vorgangs relevant gesetzt werden. Andererseits wäre es auch möglich, sie als affizierte Objekte einzustufen, die durch den Vorgang betroffen sind. Bei den Nominalphrasen im Akkusativ handelt es sich schließlich um effizierte Objekte: Sie werden durch den Vorgang erst hervorgebracht (vgl. Abschnitt 9). Das Abweichen von der prototypischen Bedeutung der Konstruktion erklärt Goldberg (1995: 143-146) durch metaphorische Erweiterung: Es sei die konzeptuelle Metapher URSÄCHLICHES EREIGNIS ALS TRANSFER, die diese Bedeutung der Ditransitiv-Konstruktion motiviert. „This metaphor involves understanding causing an effect in an entity as transferring this effect, construed as an object, to that entity“ (Goldberg 1995: 144). Für (46) heißt das etwa, dass Medizin als Wirkung auf eine männliche Person verstanden wird, dergestalt, dass diese Wirkung auf die Person übertragen wird und Linderung zur Folge hat. Neben dieser metaphorischen Verschiebung lassen sich weitere Metaphern beobachten, die verwandte Bedeutungen der Ditransitiv-Konstruktion lizenzieren. So erwähnt Goldberg neben anderen die konzeptuelle Metapher des KANALS („CONDUIT“), derzufolge Kommunikation als Übertragung von einem Sender zu einem Empfänger verstanden wird. Sie lizenziert Sätze wie (48) und (49). (48) Sie gab ihm einen Wink. (49) Sie warf ihm einen Blick zu.
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Handlungen, wie Winken und Anblicken, die intentional auf eine Person gerichtet sind, werden hier zu Entitäten verdinglicht, die von einer Person zu einer anderen übertragen werden; weder der Wink noch der Blick wird freilich – wie in (44) – einer Person dinglich übertragen. Beide werden vielmehr zu physischen Objekten reifiziert. Es handelt sich folglich um ontologische Metaphern im Sinne von Lakoff und Johnson (1980). Auch diese Bedeutungsvariante der Ditransitiv-Konstruktion ist also durch metaphorische Verschiebungen der prototypischen Bedeutung entstanden. In welcher Weise Bedeutungen von Konstruktionen, wie gerade angedeutet, funktional motiviert sind und auch idiosynkratischen grammatischen Phänomenen zugrunde liegen, zeigt Goldberg an zahlreichen Beispielen, so etwa an Subjekt-Auxiliar-InversionKonstruktionen (des Typs Did she go?, Neither do they vote) (Goldberg 2006a: 166-182). Zusammenfassung: Syntaktische Konstruktionen teilen mit lexikalischen Einheiten wesentliche Eigenschaften. In beiden Fällen handelt es sich um sprachlich-symbolische Zeichen, die polysem sein können und eine prototypische Struktur aufweisen. Ausgehend von der Annahme, dass zwischen Lexikon und Grammatik ein Kontinuum besteht, gehen alle konstruktionsgrammatischen Ansätze davon aus, dass Konstruktionen als Bausteine des Sprachwissens miteinander in systematischer Beziehung stehen: Sie bilden ein so genanntes Konstruktikon. Sprachwissen ist also kein amorphes, unstrukturiert-monolithisches Gebilde, sondern vielmehr eine auf verschiedenen Abstraktionsgraden feinmaschig vernetzte taxonomische Struktur von Konstruktionen, wobei Goldberg zwischen vier Typen von Relationen unterscheidet, nämlich Polysemie-, Beispiel-von-, Teil-Ganzes-Beziehungen sowie Beziehungen der metaphorischen Erweiterung. Anders als unifikationsbasierte Ansätze, denen zufolge sich Informationen zwischen Konstruktionen nur vollständig vererben lassen, betonen die am Sprachgebrauch orientierten Ansätze Goldbergs, Langackers und Crofts, dass die Vernetzung von Konstruktionen ein Resultat des Sprachgebrauchs ist und insofern als (sozial, körperlich etc.) motiviert gelten darf. So tragen auch die Auftretensfrequenz und Produktivität von Konstruktionen zur Strukturbildung wesentlich bei. Weiterführende Literatur: Einen guten Überblick über die dargestellten Basiskonzepte der Konstruktionsgrammatik gibt Boas im Druck a. Etwas ausführlicher und selektiver fällt die Zusammenfassung von Croft & Cruse (2004: 291-326) aus. Zur Vertiefung der Relationstypen zwischen Konstruktionen empfiehlt sich Goldberg 1995 (S. 67-100). Goldberg geht hier auch auf Motivationen zwischen Konstruktionen ein.
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9 Konstruktionen und Konstruktionsbedeutungen im Sprachgebrauch Im Folgenden möchten wir uns der Untersuchung von Konstruktionsbedeutungen zuwenden. Wie lassen sich Bedeutungen von grammatischen Konstruktionen möglichst präzise beschreiben? Welchen Beitrag können die verschiedenen konstruktionsgrammatischen Ansätze dabei leisten? Inwiefern ist der syntaktischen Komplexität von Konstruktionen dabei Rechnung zu tragen? Der Konstruktionsbegriff ist nicht auf einer bestimmten Ebene der Organisation sprachlicher Zeichen angesiedelt (vgl. Abschnitt 2.3.1 mit Tabelle 1); er ist vielmehr für kleinere sprachliche Einheiten wie Wörter (beispielsweise geöffnet als Partizip II von öffnen) ebenso in Anschlag zu bringen wie für komplexere Einheiten der Art (50) und (51). (50) Ich öffne den Brief. (51) Der Brief wird geöffnet.
Konstruktionen variierender Komplexität – von lexikalischen Konstruktionen zu Transitivund Passiv-Konstruktionen – gilt es, sowohl form- als auch bedeutungsseitig genau zu analysieren. Einzuschließen ist dabei auch der Umstand, dass Konstruktionen vielfach miteinander vernetzt sind, Verwandtschaftsbeziehungen (qua Vererbung) bestehen, und Konstruktionen ein entsprechend strukturiertes Konstruktionsnetzwerk bilden. Wie in Abschnitt 8.2 festgestellt, ist jedoch die Diskussion um ein solches „Konstruktikon“ noch nicht abgeschlossen. Wir werden uns deshalb hier auf eine Reihe von gängigen Konstruktionen konzentrieren, die auch in den exemplarischen Analysen in den Abschnitten 11 und 12 teilweise wieder aufgegriffen werden. Ziel ist es, ein Modell zur semantischen Analyse von Konstruktionen anzubieten, welches praktikabel erscheint, um die Brücke zwischen theoretischem Anspruch der Konstruktionsgrammatik und der praktischen Analyse von Konstruktionen zu schlagen. Der Fokus wird in dieser ersten Annäherung noch nicht auf die speziellen sprachlichen Phänomene gelegt, in denen die Konstruktionsgrammatik im Vergleich zu anderen Grammatikmodellen alternative Analysen vorzuschlagen imstande ist. Vielmehr werden zunächst einfache Beispiele herangezogen. Ein erster Blick in die konstruktionsgrammatische Forschungsliteratur, die für das Deutsche noch nicht sonderlich umfangreich ist (vgl. Abschnitt 10), eröffnet eine Reihe von Fragen, die im Folgenden im Mittelpunkt stehen sollen. Zumeist sind die Herausforderungen, denen sich der konstruktionsgrammatisch interessierte Forscher gegenübergestellt sieht, ganz praktischer Natur. Sie resultieren aus den postulierten Prinzipien (vgl. Abschnitt 7) und Basiskonzepten (vgl. Abschnitt 8) der Konstruktionsgrammatik und zielen zuerst meist auf den Konstruktionsbegriff und seine Reichweite, die Frage nach der Bestimmung der Formseite von Konstruktionen, die korpuslinguistisch gesteuerte Analyse von Konstruktionen (vgl. zu methodischen Fragen auch Abschnitt 6) und vor allem die Analyse der Bedeutungsdimension von Konstruktionen. Bisher gibt es kein etabliertes Modell zur Bestimmung von Form- und Inhaltsseite von Konstruktionen innerhalb der Konstruktionsgrammatiken. Auch wenn ein einheitliches
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Modell angesichts aktueller Diskussionen nicht zu erwarten und möglicherweise auch nicht wünschenswert ist (vgl. Stefanowitsch 2011a,b), so erscheint es doch vor dem Hintergrund der praktischen Arbeit an Sprachgebrauchsphänomenen hilfreich, ein solches Modell für den gebrauchsbasiert-kognitiven Ansatz zu entwickeln (vgl. dazu Lasch im Druck a). Unser Vorschlag orientiert sich konzeptionell zunächst an Goldbergs Ansatz (1995, 2006a) und greift Crofts (2001) Ideen zur graphischen Darstellung der internen Struktur von Konstruktionen auf (Abschnitt 9.1 und 9.2). Der Schwerpunkt wird allerdings nicht auf der zusammenfassenden Darstellung der einschlägigen konstruktionsgrammatischen Forschung liegen; vielmehr möchten wir vor allem einen weiterführenden Vorschlag zur Analyse von Konstruktionsbedeutungen vorstellen. Dies geschieht zum einen im Rückgriff auf die framesemantische Forschung, die im Rahmen von FrameNet das Ziel verfolgt, syntaktische und semantische Einbindungsbedingungen (Valenz, thematische Rollen) sprachlicher Einheiten in Frames umfassend zu analysieren.66 Anders als von Fillmore (1968) in der Theorie der Tiefenkasus entwickelt, setzt FrameNet auf ein offenes Set an Frameelementen (semantischen Rollen) (Fillmore & Baker 2010), die induktiv aus Sprachdaten ermittelt werden. Das macht FrameNet und die bisher ermittelten Frames für gebrauchsbasierte konstruktionsgrammatische Studien besonders interessant, wie wir in Abschnitt 9.3 zeigen werden. Zum anderen werden wir Konzepte einbeziehen, die Peter von Polenz in seiner Satzsemantik (von Polenz 2008) eingeführt hat (vgl. Lasch im Druck a). Wir möchten damit eine mögliche Perspektive zur analytischen Bestimmung von Konstruktionsbedeutungen aufzeigen. Das Ziel besteht darin, über die in der Konstruktionsgrammatik etablierten Begriffe hinaus die von Polenz’schen Konzepte der Prädikatsklasse, der semantischen Rolle und des Prädikationsrahmens für die Bestimmung der Bedeutungsseite von Konstruktionen einzubeziehen (Abschnitt 9.4).67 Mit der mittlerweile in der dritten Auflage erschienenen und nicht überarbeiteten Monographie von 1985 gehört von Polenz mit seinem deutlichen Bezug zur kognitiven Linguistik etwas überspitzt formuliert zu den ersten Vertretern in der germanistischen Linguistik, die die Argumentstruktur des Verbs in semantischer Hinsicht ins Zentrum der eigenen Studien gerückt haben. Mit den Konzepten des Prädikatsrahmens und der Prädikatsklasse stellt von Polenz (ohne dies freilich eigens intendiert zu haben) Hilfsmittel zur Analyse von Konstruktionsbedeutungen bereit. Die bei von Polenz vorsichtig vorgetragene und weiterführende Idee einer „Inhaltsgrammatik“ (von Polenz 2008: 180) wurde jedoch, im Gegensatz zum Konzept
–––––––— 66
67
Vgl. FrameNet-Projekt, , Stand: 19.12.2012. – Frames werden von sprachlichen Ausdrücken aufgerufen. Sie haben den Status von Prädikationsrahmen, deren Leerstellen grosso modo semantischen Rollen entsprechen (Ziem 2008: 299f.). Auch Goldberg (1995: 61-65, 2010) argumentiert, dass Frames Konstruktionsbedeutungen strukturieren; sie zeigt jedoch an keiner Stelle auf, wie Frames systematisch zur empirischen Analyse von Konstruktionsbedeutungen genutzt werden können. Vgl. von Polenz 2008: 155ff. zur aktuellen Relevanz der Konzepte auch Busse 2012: 522ff.
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semantischer Rollen,68 bisher in der Rezeption kaum aufgegriffen. Wir möchten hierfür einen ersten Vorschlag unterbreiten, den wir ausführlich in Bezug setzen zu den hier diskutierten Ansätzen (vgl. Abschnitt 9.5).
9.1 Goldbergs Strukturschema zur Darstellung von Konstruktionen Die ersten konstruktionsgrammatisch motivierten Studien – Fillmore (1988) – sind im Zeichen der Auseinandersetzung mit der generativen Grammatik entstanden. Vor diesem Hintergrund verwundert es nicht, dass eine erste Typologie von Konstruktionen stark an syntaktischen Strukturen orientiert ist:69 -
Subjekt-Prädikat-Konstruktion
-
Komplement-Konstruktion
-
„Determinant/Head“-Konstruktion
-
Modifikations-Konstruktion
Diese führt Wildgen in seiner Kognitiven Grammatik (2008) auf Fillmore (1988) zurück, ohne allerdings auf den aktuellen Stand in der konstruktionsgrammatischen Diskussion einzugehen (zur Zusammenfassung zentraler Analysegegenstände vgl. Abschnitt 2). Das erwähnte relativ überschaubare Set von Konstruktion wurde alsbald zur Grundlage von Hierarchien, die zunehmend auch die Bedeutungsseite von Konstruktionen in den Vordergrund rückten. So beschreibt Goldberg in Constructions (1995) und in Constructions at Work (2006a) neben Transitiv- und Ditransitiv-Konstruktionen auch ResultativKonstruktionen (vgl. bspw. Goldberg 1995: 141ff. und 180ff., 2006a: 7ff.; auch Boas 2003 und Müller 2007), analysiert Konstruktionshierarchien sowie Vererbungs- und Verlinkungsregeln (bspw. „subject-pred“- Æ „transitive“- Æ „caused-motion“-Konstruktionen, vgl. Goldberg 1995: 108ff.). Die Satzbaupläne konstruktionsgrammatischer Ausrichtung, etwa die Konstruktionen nach Fillmore (1987), werden bei Goldberg und dann auch bei Croft (2001) nach und nach in eine Hierarchie eingeordnet, die von der Bedeutungsseite her motiviert ist. Goldberg (1995) verwendet ein einfaches Modell zur graphischen Illustration der Struktur einer Konstruktion (vgl. Abbildung 9). Dargestellt wird in Abbildung 9 exemplarisch die Struktur der Ditransitiv-Konstruktion, in die das Verb mail eingebettet ist. –––––––— 68
69
Das von Polenz’sche Konzept der semantischen Rollen wird in der germanistischen Linguistik seit vielen Jahren rezipiert (vgl. zuletzt Busse 2012: 522ff., Primus 2012), in neueren kognitivsemantischen Studien wieder aufgegriffen und weiterentwickelt (vgl. auch Ziem & Scholz & Römer im Druck: Abschnitt 4.2) und für gebrauchsbasierte konstruktionsgrammatische Studien fruchtbar gemacht (vgl. Lasch im Druck a). Diese Konstruktionen wählt Wildgen (2008) in seiner Kognitiven Grammatik aus, um die Konstruktionsgrammatik nach Fillmore zu beschreiben. Allerdings geht Wildgen in seiner Einführung nicht auf Crofts Konzept der Radical Construction Grammar ein.
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Abbildung 9: Das Verb mail in der Ditransitiv-Konstruktion (nach Goldberg 1995: 53).
Goldbergs Notation der Ditransitiv-Konstruktion ist folgendermaßen zu lesen: Die lexikalisch nicht spezifizierte Ditransitiv-Konstruktion hat die Form [V Subj OBJ OBJ2]; sie stellt also die syntaktischen Leerstellen Subjekt, indirektes Objekt und direktes Objekt bereit. Die (abstrakte) Bedeutung der Konstruktion lässt sich durch CAUSE-RECEIVE mit drei Argumentleerstellen, nämlich „agent“, „receiver“ und „patient“ angeben. Form und Bedeutung sind konventionell miteinander verbunden. In diese Ditransitiv-Konstruktion wird das Verb mail eingebettet. Die Konstruktion legt dabei die Art und Weise fest, wie das Verb in die Konstruktion integriert wird. Im vorliegenden Fall handelt es sich um eine Relation („R“) des Typs „Instanz“ („instance“). Das bedeutet, dass die angenommene Konstruktionsbedeutung mit der des Verbes korrespondiert. Weiterhin bestimmt die Konstruktion, welche syntaktischen Rollen – hier: „Subj“ und „OBJ2“ – obligatorisch mit den semantischen Rollen (Argumentrollen) – hier „agent“ und „patient“ – fusioniert werden. Die Rolle des Empfängers („receiver“) – und mithin die Realisierung eines Objektes auf der formalen Seite – kann hier durch die Ditransitiv-Konstruktion gesteuert werden – obligatorisch ist dies jedoch nicht. Sollte also die Konstruktion eine profilierte Argumentrolle bereitstellen, die nicht als obligatorisch in der Valenz des Verbes angelegt ist, so wird dies durch eine gestrichelte Linie zum Ausdruck gebracht: Der Empfänger („receiver“), in der Valenz des Verbs mail von Goldberg als nicht obligatorische Partizipantenrolle (nicht „lexically profiled“, vgl. Goldberg 1995: 53) eingestuft, wird durch die Konstruktion beigesteuert. Die senkrecht verlaufenden durchgezogenen Linien und Pfeile zeigen an, welche Rollen im Fall der Ditransitiv-Konstruktion mit mail fusioniert werden.70 Augenscheinlich wird an diesem Modell das zentrale Anliegen der Konstruktionsgrammatik, eine Konstruktion als Form-Bedeutungspaar zu verstehen und vor allem den Zusammenhang zwischen Konstruktionsbedeutung und Verbbedeutung inklusive ihrer Rollenpläne zu veranschaulichen. Goldberg geht von einem semantischen Zusammenhang aus, –––––––— 70
Vgl. zum Konstruktionsbegriff Goldbergs Abschnitt 2.2, zur Fusionierung weiter Goldberg 1995: 50-56 und Evans & Green 2006: 671-680.
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der sich von einer Handlung („cause-receive“) her aufspannt und unterschiedliche Akteure integriert – sie stellt gewissermaßen das Fillmore’sche Set an Konstruktionen auf den Kopf, indem sie nicht mehr von der formseitigen Struktur, sondern von der Bedeutung her argumentiert. Deutlich wird zudem, dass Goldbergs Ansatz stark beeinflusst ist von der Valenztheorie; er orientiert sich nämlich daran, mit welchen Ergänzungen ein Verb gemeinsam auftritt.71 Der Fokus liegt anders als bei der Valenztheorie aber nicht allein auf der Verbbedeutung; vielmehr wird postuliert, dass die Argumentstruktur selbst eine bedeutungstragende sprachliche Einheit ist. Nicht sichtbar an diesem Modell ist, dass der beschriebenen semantischen Struktur einer Handlung bereits Annahmen über SprecherInnen und SprecherInnenperspektiven zugrunde liegen, denn sonst könnten semantische Rollen („agent“, „receiver“, „patient“) nicht zugewiesen werden. Diese Grundannahmen, die am Ausgangspunkt der Analyse von Konstruktionsbedeutungen stehen, werden allerdings bei Goldberg nicht im Detail beschrieben. Der skizzierte, wenn auch unterkomplex dargestellte Handlungszusammenhang und seine Bedeutung wird nun in eine syntaktische Struktur überführt, in der ein bestimmtes Verb den Handlungszusammenhang und seine Bedeutung aktualisiert. (52) Joe sent Chicago a letter. (Goldberg 1995: 55) In (52) ist es das englische Verb send (‚senden‘), welches hinsichtlich seiner Verbbedeutung als eine Instanz („r[elation]: instance“) der Konstruktionsbedeutung analysiert wird. In Goldbergs Beispiel ist Chicago ‚Empfänger‘ eines Briefes, wobei mit Chicago metonymisch auf einen oder mehrere Bewohner der Stadt oder auch auf eine Institution der Stadt, für die Chicago (totum pro parte) steht, referiert, so dass die semantische Ausdifferenzierung der Rolle des „receivers“ erschwert wird, zumal das Verb diese Rolle nicht bereitstellt und keine Fusionierung erfolgen kann.
Abbildung 10: Das Verb send in der Ditransitiv-Konstruktion (nach Goldberg 1995: 55).
–––––––— 71
Die Valenztheorie würde allerdings sagen: die ein Verb fordert, vgl. etwa Welke 2011.
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Die Argumentation von Goldberg geht bei diesem Beispiel dahin, dass im Beispielsatz durch die Konstruktion bedingt die Lesart des ‚belebten Empfängers‘ bevorzugt werden kann. Goldberg fasst dies folgendermaßen zusammen: The difference in semantics [Chicago als Ort bzw. als belebter Empfänger] is attributed to an effect of the ditransitive construction, since the construction imposes the constraint that the “send.goal” role must be a recipient, and therefore animate. (Goldberg 1995: 55)
Dieser ‚Effekt‘ der Lesarterzwingung wird von Goldberg in Anlehnung an andere Arbeiten im Zusammenhang mit der „caused-motion“-Konstruktion als „coercion“ bezeichnet: „[C]oercion is only possible when a construction requires a particular interpretation that is not idenpendently coded by particular lexical items.“ (Goldberg 1995: 159)72 Allerdings ist dieser Effekt gerade in Bezug auf das hier diskutierte Beispiel nicht so stark wie etwa bei den Geräusch-als-Bewegung-Verben, denen wir uns später (Abschnitte 9.5 und 12) widmen werden. Drei Probleme ergeben sich dennoch in Bezug auf das Beispiel (52) und dessen graphische Veranschaulichung in Abbildung 10: Mit Blick auf die Valenz des Verbs senden (bzw. englisch to send) ist erstens festzustellen, dass die von Goldberg postulierte Partizipantenrolle „send.goal“ durchaus auch als Komplement (neben drei weiteren) geführt werden kann; unklar bleibt in Goldbergs Darstellung jedenfalls, inwiefern die Partizipantenrolle tatsächlich mit der semantischen Rolle „receiver“ korreliert (vorausgesetzt, Chicago wird metonymisch als eine Institution o.ä. der Stadt Chicago interpretiert) oder aber „Ziel“ selbst als eine semantische Rolle anzusetzen ist.73 Zweitens könnte man vor diesem Hintergrund mutmaßen, dass eine Beschränkung auf eine bestimmte Art (und Anzahl) von Argumentrollen auf Konstruktionsebene für diese Frage nach der Zuweisung von semantischen Rollen verantwortlich sein könnte. So wäre zu erwägen, das Set an semantischen Rollen zu erweitern und damit Vernetzungen zwischen Konstruktionen anzuzeigen, in denen z.B. eben eher „goal“ oder aber eher „receiver“ als Argumentrolle profiliert wird; wir werden auf diese Diskussion zurückkommen. Drittens ist kritisch anzumerken, dass Goldberg zumindest im Rahmen der graphischen Veranschaulichung der Konstruktion (vgl. Abbildung 10) nicht zwischen Wortarten, also kategorialen Größen, und syntaktischen Funktionen, also relationalen Einheiten, unterscheidet. So stehen Kennzeichnungen der Wortart Verb („V“) gleichrangig neben Bezeichnungen der syntaktischen Relationen Subjekt und OBjekt („Subj“, „Obj“). Den semantischen Rollen des Handlungszusammenhangs entsprechen auf der syntaktischen Ebene der sprachlichen Realisierungen bei Goldberg jedenfalls syntaktische Rollen, die im Beispiel als Verb, Subjekt und zwei Objekte bestimmt werden. Dieser Zusammenhang wird von Goldberg als „Konstruktion“ bezeichnet (vgl. Abschnitt 1.1.2). Nicht nur an der Beschreibung der Bedeutungsdimension der Konstruktion ist Kritik zu üben; auch die –––––––— 72 73
Vgl. zu diesem Phänomen weiter Michaelis 2003. Vgl. dazu den Eintrag „senden I 1 (lesartspezifische Angaben)“ bei E-VALBU (, Stand: 19.12.2012).
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Analyse der Formseite der Konstruktion hält bei genauerem Hinsehen einer sachorientierten Einschätzung nicht Stand. Mit der Angabe von syntaktischen Funktionen fließen nämlich semantische Merkmale in die Beschreibung der Formebene der Konstruktion ein. Dies ist aber gar nicht notwendig: Eine Angabe der formalen Eigenschaften – wie Wortart oder Art der Phrase im jeweiligen Kasus – reicht vollkommen aus, um eine eindeutige Beschreibung vorzunehmen, semantische Differenzierungen sind dagegen in der Bedeutungsdimension notwendig. Greift man dabei auf ein ausreichend komplexes Set an semantischen Rollen zurück, können grammatische Phänomene hinreichend differenziert beschrieben werden, da sich etwa Abfolgeprinzipien und Gefälle (Teil-/Ganzes-Relation, Einfachheit, Agentivität etc. vgl. Primus 2012: 52ff.) in der Angabe von z.B. Prädikationsrahmen (vgl. unten Abschnitt 9.4) abbilden lassen. Von diesen Kritikpunkten abgesehen ist ein weiteres zentrales Moment im Goldberg’schen Modell einer Konstruktion hervorzuheben: die Beziehung zwischen semantischer Struktur und syntaktischer Realisierung. Sie kommt etwa in den Blick, wenn die Verben mail oder send als integraler Bestandteil einer Konstruktion betrachtet werden. So lässt sich die Interaktion zwischen Verb- und Konstruktionsbedeutung fokussieren. Goldberg qualifiziert in den vorliegenden Fällen die einschlägige Relation als „instance“, das heißt, dass die Verbbedeutung die Konstruktionsbedeutung ‚expliziere‘. Insgesamt unterscheidet Goldberg (1995: 59-66) zwischen sechs Typen von Relationen: „instance“, „means“, „manner“, „causes“, „result“, „intended result“. Diese können letztlich auf vier Relationstypen reduziert werden,74 da „means“, „manner“ und „causes“ auf eine modale Relation zwischen Verbbedeutung und Konstruktionsbedeutung hinweisen (vgl. unten Abschnitt 9.5).
9.2 Zur internen Struktur der Konstruktion: Differenzierungsmöglichkeiten im Anschluss an Croft? Im Folgenden prüfen wir unsere Überlegungen an einem etwas komplexeren Modell, welches die Interaktionen zwischen syntaktischen Konstruktionen genauer in den Blick nimmt. Dieses verwendet William Croft in seiner Radical Construction Grammar (2001). Die interne Struktur einer Konstruktion illustriert Croft (2001) mithilfe einer Graphik, welche im Folgenden dazu genutzt werden soll, die Struktur von Konstruktionen noch einmal auf eine andere Weise zu beschreiben und den Zusammenhang von Form und Bedeutung detailliert zu analysieren (vgl. Abbildung 11). –––––––— 74
Goldberg erläutert auf der Basis von Croft (1991) nur die Relation „causes“ im Detail. Am Beispiel Das Boot segelt in die Höhle (im Original: „The boat sailed into the cave“) erläutert sie diese Relation in dem Sinne, dass sie impliziere, dass „motion can only be conflated if the activity of sailing causes the motion“ (Goldberg 1995: 61). Da es ihr nicht um eine Ausdifferenzierung der Relationstypen, sondern um Beispiele für die Verletzung dieser speziellen Relation geht (vgl. ebd. 62ff.), greifen wir hier nicht systematisch auf die von Goldberg genannten Relationstypen zurück.
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Abbildung 11: Interne Struktur einer Konstruktion nach Croft (2001: 176).
Im Wesentlichen bildet auch Croft die für Goldbergs Modell zentralen Annahmen der Konstruktionsgrammatik ab, jedoch wählt er eine Darstellung, welche semantische und syntaktische Strukturen gleichermaßen differenziert berücksichtigt. Die Konstruktionsbedeutung selbst wird repräsentiert durch die „symbolische Beziehung“, in der Form- und Inhaltsseite einer Konstruktion zueinander stehen. Diese wird realisiert durch die „symbolischen Beziehungen“, die von syntaktischer Ebene aus beschrieben die Elemente (syntaktische Funktionen) mit den Komponenten von semantischer Ebene (semantische Rollen) aus betrachtet konstituieren. Nicht nur diese stehen dabei in einem Zuordnungsverhältnis (charakterisiert durch die in beide Richtungen weisenden Pfeile), sondern auch die semantischen Komponenten untereinander, die Croft als „semantische Beziehungen“ ausgehend von valenztheoretischen Annahmen analysiert. In einem wesentlichen Punkt unterscheidet sich die Radical Construction Grammar von einigen anderen Ansätzen: Sie nimmt ausdrücklich nicht an, dass die syntaktischen Funktionen als Relation zweier unterschiedlicher Rollen auf syntaktischer Seite aufzufassen sind: Radical Construction Grammar differs from other construction grammars and from componential syntactic theories, however, in that it dispenses with syntactic relations, that is, relations between the syntactic elements of a construction. (Croft 2001: 175)
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Dies wird in der Darstellung von Croft mittels des gestrichelten Pfeils ausgedrückt und entspricht auch der hier vertretenen Auffassung, dass Goldberg nicht genau zwischen formalen und funktionalen Beschreibungen differenziert und syntaktische Funktionen in der formalen Beschreibungen von sprachlichen Einheiten auszeichnet. Die fehlende Klammerbildung auf syntaktischer Ebene ist daher bei Croft (vgl. oben Abbildung 11) kein Versäumnis, sondern Ausdruck dafür, dass hier die Überzeugung vertreten wird, dass nur von der Bedeutungsseite von Konstruktionen her eine Analyse von sprachlichen Strukturen anzustreben ist. In Crofts Modell finden konsequenterweise syntaktische Relationen keinen Eingang. Das Croft’sche Schema erlaubt es – und darin liegt hier seine Relevanz –, sowohl die an der Argumentstruktur des Verbs orientierten Analysemöglichkeiten, die Goldberg auf der semantischen Ebene offeriert, als auch Fillmores eher auf die Formseite von Konstruktionen ausgerichtete Analyse (vgl. etwa Subjekt-Prädikat-, Komplement-, Determinant-Headund Modifikations-Konstruktion) in einem Beschreibungsmodell anschaulich zu machen. In Abschnitt 9.5 wird an einem Beispiel die Reichweite dieser Annahmen Crofts unter Berücksichtigung der Unterscheidung von Konstruktionen nach Fillmore (1987) diskutiert.
9.3.
Frames und Konstruktionen: die FrameNet-Perspektive
Untersuchungen von Konstruktionsbedeutungen sind in der Forschung bislang ein auffälliges Forschungsdesiderat. Die folgenden Abschnitte machen sich vor diesem Hintergrund zur Aufgabe, konkrete und in der konstruktionsgrammatischen Fachliteratur noch nicht (ausführlich) diskutierte Möglichkeiten zur Beschreibung der Bedeutungsseite von Konstruktionen an exemplarischen Beispielen vorzustellen. Anders als die vorangehenden Kapitel geht es dabei mithin weniger darum, den aktuellen Forschungsstand zu referieren und kritisch zu reflektieren, als um den Versuch, Konstruktionsbedeutungen möglichst differenziert zu erfassen. Die Frame-Semantik bietet dafür ein induktiv gewonnenes Set an Analysemöglichkeiten an, das wir zuerst kurz vorstellen, bevor wir es in Bezug setzen zu einem eher deduktiven Modell, nämlich der Satzsemantik Peter von Polenz’. Wir hoffen zeigen zu können, dass beide Erweiterungen gewinnbringende Ansätze darstellen, um die Bedeutungsseite von Konstruktionen und semantisch motivierte Konstruktionsnetzwerke differenziert zu erfassen. FrameNet verfolgt das Ziel, die syntaktische und semantische Valenz von Wörtern und festen Mehrworteinheiten umfänglich zu erfassen. Dabei sieht FrameNet mit gutem Grund davon ab, ein festes Set an Frameelementen (semantischen Rollen) zu definieren (Fillmore & Baker 2010). Dies war noch in Fillmores (1968) Theorie so genannter ‚Tiefenkasus‘ („deep case frames“) der Fall. Das angestrebte Vorhaben, lediglich sechs Tiefenkasus anzusetzen, sieht Fillmore (2006: 616) rückblickend als gescheitert an – Goldbergs Modell der internen Struktur einer Konstruktion (vgl. Abschnitt 9.1) basiert jedoch noch darauf. Dieser Einsicht Fillmores trägt das korpuslinguistische FrameNet-Projekt Rechnung, das Fillmore Ende der 1990er Jahre am International Computer Science Institute in Berkeley initiiert hat.
119
An einigen Stellen haben wir bereits auf das Potential des framesemantischen Ansatzes verwiesen (vgl. Abschnitte 4.1, 5, 6.3, 7 und 8.2). Nun möchten wir illustrieren, welche Möglichkeiten der Erweiterungen der Goldberg’schen Strukturdarstellung sich ergeben, wenn man auf ein offenes Set an Frameelementen (semantischen Rollen) für die Analyse von Konstruktionen in formaler wie semantischer Hinsicht zurückgreift. Für die Diskussion ziehen wir noch einmal kurz das bereits in Abschnitt 9.1 thematisierte Beispiel (53) heran: (53) Joe sent Chicago a letter. Mit Goldberg haben wir zunächst angenommen, dass die semantische Ausdifferenzierung der Rolle des „receivers“ aufgrund der Metonymie von Chicago nicht ohne weiteres möglich ist – auch wenn ein ‚belebter Empfänger‘ laut Goldberg nicht als Rolle durch das Verb send bereitgestellt wird (und folglich mit den Argumentrollen der Konstruktion hier keine Fusionierung erfolgen kann), ist es doch möglich anzugeben, in welchen syntaktischen und semantischen Bezügen es in konkreten Sprachdaten erscheint, um ein komplexes Modell von formalen und semantischen Vernetzungsoptionen aufzuzeigen. Nichts anderes wird mit dem Frame Sending möglich, wobei wir uns hier auf die Frameelemente (FEs) des Kerns („Core“) beschränken wollen:75 A SENDER plans the Path (along with Source and GOAL) of a THEME and places it in circumstances such that it travels along this Path under the power of some entity other than the SENDER. This frame also has a RECIPIENT distinct from the GOAL, as both can be present: “I SENT the manuscript to England to Bill”.76
Die Differenzierung zwischen GOAL und RECIPIENT fließt bei Goldberg auf der Ebene des in die Konstruktion eingebetteten Verbs send ein (und zwar als lexikalisch nicht profilierte Rolle), doch kann man sich fragen, wie die Rolle auf dieser Ebene aktualisiert wird, wenn sie als Argumentrolle auf der Ebene der Konstruktion aufgrund eines beschränkten Sets an ‚Tiefenkasus‘ nicht hinreichend differenziert werden kann (Abbildung 12):
–––––––— 75
76
An dieser Stelle steht vor allem die Beschreibung der Frameelemente (FEs) im Vordergrund. Phrasentypen (PTs) und grammatische Funktionen (GFs) werden der Einfachheit halber hier ausgeblendet, sie sind aber notwendig, um die grammatische Realisierung sprachlicher Aussagen zu erfassen (vgl. Fillmore & Johnson & Petruck 2003: 238). So wird der Frame Sending in FrameNet beschrieben, vgl. Frame Index, online verfügbar: , Stand: 19.12.2012. – Hervorhebungen nicht im Original; Kern-Frameelemente sind durch Kapitälchen, Frameelemente, die nicht dem Kern angehören, dagegen durch Kursivierung kenntlich gemacht.
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Abbildung 12: Einbettung des Verbes send in die Ditransitiv-Konstruktion (nach Goldberg 1995: 55).
Selbst wenn man – wie Goldberg – also davon ausgeht, dass die nicht obligatorische Partizipantenrolle („send.goal“) des Verbs send durch die profilierte Argumentrolle „receiver“ den „profiled status“ durch die Konstruktion erbt, stellt sich die Frage, ob man auf der Konstruktionsebene nicht besser zwischen GOAL und RECEIVER unterscheiden sollte und damit zwischen verschiedenen Subtypen von Konstruktionen in einem Konstruktionsnetzwerk. Unserer Überzeugung nach ist es gewinnbringend, auf dieser Ebene auf eine offene Klasse an Kern-Frameelemente zurückzugreifen, die auf der Basis entsprechend annotierter Beispielsätze identifiziert werden. Abbildung 13 zeigt und expliziert den Frame Sending, wie er von FrameNet bereitgestellt wird. Die Möglichkeit, auf ein größeres Set an induktiv ermittelten Frameelementen zuzugreifen, um Konstruktionsbedeutungen zu spezifizieren, schließt aber zugleich die Gefahr ein, dass so auf ein Konzept zurückgegriffen wird, das zwischen syntaktischen, semantischpragmatischen sowie medialen Aspekten von (nicht nur sprachlichen) Zeichen und deren Gebrauch nicht hinreichend differenziert, da es ganzheitlich den Raum ‚menschlicher Erfahrung‘ im Blick hat. Der Gewinn einer solchen erweiterten Forschungsperspektive bestünde andererseits möglicherweise darin, den stark an semantischer und insbesondere syntaktischer Valenz ausgerichteten Frame-Begriff, der dem FrameNet-Projekt zugrunde liegt, näher an das eher kognitiv orientierte Frame-Konzept heranzuführen, das Fillmore seit Mitte der 1970er Jahre entwickelt hat (Fillmore 1975, auch: Fillmore 1982 und 1985b). Unter „Frames“ versteht Fillmore hier schematische Wissensstrukturen, die in der ‚menschlichen Erfahrung‘ verankert sind:77 –––––––— 77
Zu den verschiedenen Frame-Begriffen, die (a) Fillmores Kasusrahmen-Theorie (Fillmore 1968), (b) Fillmores Konzept einer „understanding semantics“ (etwa Fillmore 1985b) und (c) FrameNet (Ruppenhofer et al. 2010) zugrunde liegen vgl. den Überblick in Ziem im Druck a. Zu einer Annäherung des valenzorientierten und kognitiv ausgerichteten Frame-Konzepts könnte möglicherweise auch ein intensiver Austausch zwischen den framesemantischen Ansätzen Fillmores und anderen Arbeiten führen, die sich ebenfalls um die Weiterentwicklung der Fillmore’schen Konzepte bemühen (so etwa Busse 2012, Ziem 2008). Eine umfängliche Erörterung der theoretischen
121 The frame is this. There are certain schemata for frameworks of concepts or terms which link together as a system, which impose structure or coherence on some aspects of human experience, and which may contain elements which are simultaneously parts of other such frameworks. (Fillmore 1975: 123)
Abbildung 13: Definition des Frames Sending (einschließlich seiner Kern-Frameelemente) in FrameNet.
Als eine weitere Möglichkeit, das valenzorientierte Frame-Konzept in FrameNet zu erweiten, könnte sich die Satzsemantik von Peter von Polenz erweisen, die explizit an Fillmore (1968) anschließt und in letzter Konsequenz eine „Inhaltsgrammatik“ (von Polenz 2008: 180) fordert, die von Polenz allerdings mit seinen Mitteln 1985 nur skizzieren kann. Von Polenz’ Satzsemantik richtet sich vor allem an Verben aus, die Prädikatsklassen zugeordnet werden; diese nutzt von Polenz wiederum für die Bestimmung von Prädikationsrahmen, die durch Aussagerahmen spezifiziert werden. Diese Sichtweise auf eine „Inhaltsgrammatik“ ist (und war) weder für valenztheoretische Arbeiten noch für andere Grammatikmodelle anschlussfähig, auch wenn von Polenz – wie Fillmore (1968) und FrameNet – auf die Argumentstruktur des Verbs setzt. Allerdings weist das von Polenz’sche Konzept eine große –––––––— wie auch methodisch-praktischen Relevanz des kognitiven Frame-Konzepts für die Analyse von Konstruktionsbedeutungen steht allerdings noch aus.
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Nähe zur konstruktionsgrammatischen Idee auf, auch syntaktisch komplexe Konstruktionen über die Bedeutungsseite dieser Einheiten zu beschreiben. Deshalb lassen sich die satzsemantischen Konzepte in die Konstruktionsgrammatik integrieren, ohne diese zu einer „Inhaltsgrammatik“ umwidmen zu müssen.
9.4. Analyseperspektiven im Anschluss an von Polenz: Prädikations- und Aussagerahmen als Dimensionen der Konstruktionsbedeutung? Im Folgenden erläutern wir die von Polenz’schen Konzepte (a) der Prädikatsklasse, (b) der semantischen Rolle und des Prädikatsrahmens sowie (c) des Aussagerahmens. Das Ziel besteht darin, eine mögliche konstruktionssemantische Analyseperspektive aufzuzeigen. Dies geschieht vor dem Hintergrund der Annahme, dass die von Polenz’schen satzsemantischen Konzepte dazu beitragen können, Konstruktionsbedeutungen analytisch detaillierter zu erfassen. Ob und inwiefern die Konzepte, die von Polenz bereits vor den ersten konstruktionsgrammatischen Studien entwickelt hat, tatsächlich die konstruktionsgrammatische Theoriebildung bereichern werden, wird die Zukunft erweisen. (a) Prädikatsklassen Prädikatsklassen, semantische Rollen und Prädikationsrahmen fassen ein Set von Analysewerkzeugen zusammen, die Sprachbeschreibung aus einer anderen als der schulgrammatischen Perspektive möglich machen. Anders als in ‚traditionellen‘ Grammatiken, in denen formale und syntaktische Merkmale besonders berücksichtigt werden, ist es der Satzsemantik ein Anliegen, eine „Inhaltsgrammatik“ bereitzustellen. Konstruktionsgrammatisch motivierte Studien können an die in der Satzsemantik entworfene alternative Beschreibung des Zusammenhangs von Form und Bedeutung sprachlicher Einheiten von der Bedeutungsseite her anknüpfen, um diese dann weiterzuentwickeln und für eine verständliche und differenzierte Beschreibung von Konstruktionen zu nutzen. Ausgangspunkt bilden dabei die so genannten Prädikatsklassen. Peter von Polenz unterscheidet – in einer „sicher noch nicht vollständige[n] Liste“ (von Polenz 2008: 159) – folgende Prädikatsklassen: -
Aktionsprädikate: HANDLUNG
-
Prozessprädikate: VORGANG
-
Statusprädikate: ZUSTAND
-
Qualitätsprädikate: EIGENSCHAFT
-
Genusprädikate: GATTUNG
Wichtig ist dabei zu beachten, dass diese Liste nicht als abgeschlossen gelten darf und dass die einzelnen Klassen noch weiter nach Subklassen differenziert werden können (z.B. HANDLUNG > AUFFORDERUNG, TÄTIGKEIT, MASSNAHMEN [...]). Ein Verb kann je nach kontextueller Einbindung – und das ist für die konstruktionsgrammatischen Studien elementar – nicht fest einer semantischen Prädikatsklasse zugewiesen werden. Beispiels-
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weise ist das Verb hören in Beispiel (54) als Handlungsprädikat zu klassifizieren (nämlich als Subtyp AUFFORDERUNG); zugleich kann es aber unter Umständen als VORGANG (also physisches VERHALTEN) interpretiert werden, nämlich als eine „Aussage über ein Geschehen, das – im Unterschied zu Handlungsprädikaten – nicht aus der Absicht eines Handelnden entspringt“ (von Polenz 2008: 161). (54) Hören Sie her!
Handlungs- und Vorgangsprädikate lassen sich weiter noch nach den so genannten Aktionsarten (durativ/imperfektiv, ingressiv/inchoativ, egressiv/resultativ, iterativ usw.) unterscheiden.78 Zustandsprädikate und Eigenschaftsprädikate nehmen generell Bezug auf die Eigenschaften von Lebewesen, Dingen oder Abstrakta. Während erstere allerdings die Veränderlichkeit von Zuständen anzeigen, weisen letztere auf unveränderliche Eigenschaften von Lebewesen, Dingen oder Abstrakta hin: Es ist ein Unterschied, ob (55) oder (56) vorliegt, auch wenn die Grenze zwischen Zustandsveränderung und Eigenschaft immer neu auszuloten ist. (55) Leonard wird blond. (ZUSTAND) (56) Leonard ist blond. (EIGENSCHAFT)
Als Zustands- und Eigenschaftsprädikate sind also die so genannten Kopulaverben (sein, bleiben, werden sowie weiter wirken, scheinen, erscheinen usw.) einzustufen. Ob eine Erweiterung auf die adjektivischen Prädikatsausdrücke (im Beispiel blond) sinnvoll ist, muss aus konstruktionsgrammatischer Perspektive fraglich bleiben. 79 Dieselbe Frage stellt sich ebenfalls bei den Gattungsprädikaten, die ein Objekt klassifizieren und nach von Polenz (2008: 164) „ausschließlich durch prädikative Substantive ausgedrückt“ werden – das heißt aber wiederum: mit fast ausschließlich jener Gruppe von Verben, die bereits die Eigenschafts- und Zustandsprädikate bilden. Vergleiche etwa Beispiel (57). (57) Er wird/ist Lehrer.
(57) ist nach von Polenz ein Gattungsprädikat, obwohl eine Einstufung als Zustands- bzw. Eigenschaftsprädikat ebenfalls möglich wäre. Hier wird die strikte Trennung zwischen Zustands- und Eigenschaftsprädikaten auf der einen und solchen Gattungsprädikaten auf der anderen Seite nicht übernommen, die zwar eine bestimmte Eigenschaft oder einen Zustand in Bezug auf eine Klassifikation aber damit dennoch eine Eigenschaft oder einen –––––––— 78
79
In dieser Einführung gehen wir aus Platzgründen nicht detailliert auf die Subklassen ein (vgl. von Polenz 2008: 160-167), werden aber in den Beispielanalysen (vgl. Abschnitt 11 und 12) darauf verweisen. Von Polenz (2008: 163) schließt auch diese ein, indem er Zustands- und Eigenschaftsprädikate zusammen mit adjektivischen Prädikatsausdrücken beschreibt: „Ein großer Teil der Eigenschaftsprädikate wird durch adjektivische Prädikatsausdrücke bezeichnet: ‚sind gleichberechtigt‘ [...].“
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Zustand festlegen. Stattdessen gehen wir vielmehr von vier Prädikatsklassen (und angegliederten Subklassen, die der systematischen Ausarbeitung bedürfen) aus: -
Aktionsprädikate: HANDLUNG
-
Prozessprädikate: VORGANG
-
Statusprädikate: ZUSTAND
-
Qualitätsprädikate: EIGENSCHAFT
(b) Semantische Rollen und Prädikationsrahmen In seiner Darstellung der Oberflächen- und Tiefenstruktur deutscher Sätze greift von Polenz auf Fillmores (1968) Konzept so genannter Kasusrollen bzw. Tiefenkasus zurück (vgl. Abschnitt 9.3). Damit nimmt er Bezug auf die elementare Unterscheidung von Oberflächen- und Tiefenkasus, die Fillmore – einer der wichtigsten KonstruktionsgrammatikerInnen der ersten Generation – zum Ausgangspunkt seiner Kasusgrammatik macht. Grundsätzlich sind auf der formalen Seite Oberflächenkasus zu bestimmen, die allerdings nicht eins zu eins mit bestimmten semantischen Rollen (bzw. Tiefenkasus) korrelieren. Im Weiteren sprechen wir von grammatischen Kasus (und syntaktischen Funktionen) auf der formalen Ebene und semantischen Rollen auf der inhaltlichen Ebene, um problematische oder gar falsche Bezugnahmen zu vermeiden. In (58) sind die syntaktische Funktion des Subjekts und die semantische Rolle des Agens aufeinander bezogen. (58) Henrike pflückt eine Blume.
Dass man das Subjekt an seinem grammatischen Kasus (Nominativ), also seinem Oberflächenkasus, erkennen mag, hilft in diesem (!) Beispiel bei der Bestimmung dieser syntaktischen Funktion. Bezieht man in die Bestimmung von Konstruktionen eine differenzierte Beschreibung von Prädikatsklassen auf der einen Seite und semantischen Rollen auf der anderen Seite in die Analyse ein, kann man auf die Bestimmung syntaktischer Funktionen verzichten, da sie nur eine Möglichkeit darstellen, einen Zusammenhang zwischen Form und Bedeutung herzustellen, auf den hier jedoch gerade nicht abgehoben werden soll. Aus diesem Grund sind alle sprachlichen Phänomene in den folgenden Analysen auf der Formseite nur hinsichtlich der grammatischen Oberflächenkasus bestimmt. Insgesamt unterscheidet von Polenz 19 semantische Rollen, weist aber darauf hin, dass es „von den Anwendungszwecken abhängig“ sei, auf welche Rollen man zurückgreife. „Wieviele Rollen-Typen man [davon abgesehen überhaupt] ansetzen kann/soll/darf, [wird von dieser praktischen Frage unabhängig] immer umstritten bleiben“ (von Polenz 2008: 169). Für unsere Zwecke möchten wir die folgenden semantischen Rollen herausgreifen (vgl. weiter ausführlich von Polenz 2008: 167-174):80 –––––––— 80
Semantische Rollen, die der von Polenz’schen Liste neu hinzugefügt oder verändert wurden, sind durch ein Asterisk gekennzeichnet (vgl. dazu auch Lasch im Druck a). – Grundsätzlich bleibt mit
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-
-
AGENS (AG) – Handelnder81 - COMITATIV (COM) – Begleiter des Handelnden - SUBSTITUTIV (SUB) – Stellvertreter des Handelnden PATIENS (PAT) – Person ist Betroffener einer Handlung - CONTRAAGENS CAG – PartnerInnen einer Handlung als (verbaler) Interaktion - EXPERIENCER (EXP) – „Person, die einen psychischen VORGANG oder ZUSTAND an sich ERFÄHRT“ (von Polenz 2008: 170) - BENEFAKTIV (BEN) – Nutznießer oder Geschädigter einer Handlung AFFIZIERTES OBJEKT (AOB) – von einer Handlung oder einem Vorgang betroffene Person oder Sache; Nähe zu PAT, CAG, BEN und EXP EFFIZIERTES OBJEKT (EOB) – durch eine Handlung oder einen Vorgang entstehende Person oder Sache SPEZIFIZIERTES OBJEKT (SOB)* – durch eine Eigenschaftszuweisung (z.B. mittels eines QUAL) spezifizierte Person oder Sache82 CAUSATIV (CAU) – Sachverhalt, der ursächlich für einen anderen Sachverhalt ist INSTRUMENT (IN) – Werkzeug, Mittel, Methode, Verfahren einer Handlung PARTITIV (PAR) – Teil von etwas QUALITATIV (QUAL)* – Eigenschaft von etwas83 POSSESSIV (POSS) – etwas in Besitz oder zur Verfügung Stehendes
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Primus 2012 (Vorwort) festzustellen, dass „[s]emantische Rollen [...] in den Grammatiken des Deutschen selten systematisch behandelt [werden]. Es existiert bislang auch kein Einführungswerk in diese Thematik.“ Letzteres hat Primus nun vorgelegt, ersteres ist leider aber immer noch zu konstatieren. Zur Beurteilung des Agentivitätsstatus empfiehlt sich, mit Lakoff (1977) und Dowty (1991) einen mehrdimensionalen Agensbegriff zu vertreten. Dowty unterscheidet vier Dimensionen von Agentivität: Volitionalität (Intentionalität), Verursachung, „Sentience“ (Erfahrungen und mentale Zustände) sowie Bewegung. Diese Differenzierung ist essentiell für die kontextabhängige Beurteilung semantischer Rollen (vgl. dazu Abschnitt 9.5 und 12, auch Lasch im Druck a). Von Polenz postuliert, dass semantische Rollen wie „AG, PAT, BEN [...] nur bei HANDLUNGSPrädikaten vor[kommen]“ (von Polenz 2008: 173), da er noch von der so genannten „Konverse“ ausgeht. Phänomene wie das Dativpassiv hat er nicht im Blick. Stattdessen regt er an, darüber nachzudenken, „ob es für die 1. Bezugsstellen (grammatische Subjekte) von VORGANGS-, ZUSTANDS-, EIGENSCHAFTS- und GATTUNGS-PRÄDIKATEN spezielle Rollen gibt oder ob man hier nur pauschal eine Rolle NULL oder NEUTRALES SUBJEKT ansetzen muss“ (von Polenz 2008: 172). So attraktiv diese Überlegung auch sein mag, so unbefriedigend ist sie im Blick auf Konstruktionen, wie wir sie ausführlich in Abschnitt 9.5 diskutieren: Hier wird gezeigt, dass die „1. Bezugsstellen“ in den genannten Prädikatsklassen durch AG, AOB, EOB und BEN besetzt werden können. Wir übernehmen also explizit die Festlegung von semantischen Rollen auf eine Prädikatsklasse nicht. Allerdings soll die von Polenz’sche Idee insofern aufgegriffen werden, als eine semantische Rolle des Spezifizierten Objektes (SOB) eingeführt wird, die z.B. in KopulaKonstruktionen aufgerufen wird: Diese Person oder Sache wird z.B. durch eine Eigenschaftszuweisung hinsichtlich einer Eigenschaft (QUAL, siehe die folgende Anmerkung) spezifiziert (vgl. auch Lasch im Druck a). Das Äquivalent zum SOB ist das Frameelement THEME in FrameNet. Eine direkte Übersetzung sollte man jedoch meiden, um nicht das in der textlinguistischen Forschung etablierte Thema-Rhema-Modell und damit eine der Beschreibungsmöglichkeiten transphrastischer Kohärenz in größeren sprachlichen Einheiten aufzurufen. Ziem & Scholz & Römer im Druck schlagen beispielsweise vor, QUALITATIVE zu bezeichnen (er ist groß, das hat Struktur usw.).
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-
ADDITIV (ADD) – etwas Hinzugefügtes, welches im Resultat PAR oder POS ist PRIVATIV (PRI) – etwas Entferntes, welches im Resultat nicht mehr PAR oder POS ist LOCATIV (LOC) – Ort oder Raum84 - ORIGATIV (OR) – Ausgangspunkt einer Handlung oder eines Vorgangs - DIREKTIONAL (DIR)* – Charakterisierung einer zeitlich oder räumlich zurückgelegten (Weg-)Strecke zwischen OR und DES - DESTINATION (DES)* – örtliches oder räumliches Ziel einer Handlung oder eines Vorgangs TEMPORATIV (TE) – Zeitpunkt oder Zeitraum einer Handlung oder eines Vorgangs85
Faktisch handelt es sich – wie auch die Einführung von Primus (2012) wieder zeigt – bei semantischen Rollen also nicht um ein festes Set von wie auch immer gearteten universalsprachlichen Bedeutungsklassen, sondern um ein Klassifikationssystem, welches hilft, die den Prädikatsklassen zugeordneten Verben sowie andere Wortarten und Phrasen mit den ihnen zugewiesenen semantischen Rollen in eine semantische Beziehung zu setzen und dabei die aus der Valenztheorie bekannte Argumentstruktur des Verbs hinzuziehen, ohne zugleich das Abhängigkeitsmodell der Valenztheorie vorauszusetzen. Von Polenz (2008: 174ff.) nennt diese Beziehungen „Prädikationsrahmen“ und grenzt diese, hier am Beispiel der Verben des ‚Gebens‘ beschrieben, als „HANDLUNG (AG, CAG, ADD)“ und als einen entsprechenden Subtyp „HANDLUNGv (AGn, CAGd,ADDa)“86 von der lediglich syntaktisch motivierten Darstellung der Satzbaupläne ab (von Polenz 2008: 175). Prädikationsrahmen erlauben, die Bedeutungsseite einer Konstruktion differenziert zu beschreiben und sie zum Ausgangspunkt einer von der Semantik her motivierten Sprachanalyse zu machen; dies ist – wie in diesem Abschnitt mehrfach betont – ein zentrales Anliegen der Konstruktionsgrammatik. Das Prädikationsrahmen-Konzept ist zwar motiviert durch Fillmores (1968) Entwurf einer Kasusgrammatik und seinen Versuch, Oberflächenkasus auf eine begrenzte Anzahl an ‚Tiefenkasus‘ („deep cases“) zurückzuführen; anders als Fillmore widersteht von Polenz jedoch der Versuchung, ein begrenztes und universalsprachlich gültiges Set an semantischen Rollen anzustreben (vgl. dazu auch Fillmores rückblickend-kritische Einschätzung in Fillmore 2006: 616). Im Anschluss an die vorangegangenen Erläuterungen lässt sich „Prädikationsrahmen“ folgendermaßen definieren: –––––––— 84
85 86
Primus (2012: 63) schlägt hier etwa eine weitere Binnendifferenzierung vor: POSITION, URSPRUNG, WEG, DIREKTIONAL (als Richtung) und ZIEL. Diese ist mit der hier gewählten Differenzierung kompatibel. Vgl. dazu auch Zifonun u.a. 1997: 1331 und Primus 2012: 76. Neben den Prädikatsklassen und den semantischen Rollen verwendet Polenz ein zusätzliches Klassifikationssystem, um Wortarten (V = Verb), Phrasen (PR = Präpositionale Ergänzung) und grammatische Kasus von Ergänzungen (N = Nominativ, G = Genitiv, D = Dativ, A = Akkusativ) zu markieren. Um komplexere Handlungen, die weitere Handlungen einschließen, beschreiben zu können, nummeriert Polenz die semantischen Rollen (AG1, AG2 usw.), um sie den unterschiedlichen Teilhandlungen, Vorgängen, Eigenschafts- und Zustandszuweisungen zuordnen zu können (vgl. von Polenz 2008: 179ff.). – Wir werden hier einer etwas davon abweichenden Notation folgen, vgl. Definition (4).
127 Definition (4): „Prädikationsrahmen“ als allgemeine Bedeutungsdimension der Konstruktion Der „Prädikationsrahmen“ setzt semantische Rollen, die keine systematisch geschlossene Klasse bilden, und die Prädikatsklassen HANDLUNG, VORGANG, EIGENSCHAFT und ZUSTAND einschließlich ihrer Subtypen in eine spezifische Relation. Er gibt eine allgemeine Bedeutungsdimension der Konstruktion an. Der „Prädikationsrahmen“ wird beschrieben in der Form PRÄDIKATSKLASSEv (Sem. Rolle1, Sem. Rolle2, Sem. Rollen). Der „Prädikationsrahmen“ kann mittels Hinzuziehung formaler Eigenschaften weiter nach Subtypen maximal differenziert werden in der Form PRÄDIKATSKLASSEv (Sem. Rolle1[Phrase][Kasus], Sem. Rolle2[Phrase][Kasus], Sem. Rollen[Phrase][Kasus]).
(c) Aussagerahmen Neben Prädikationsrahmen führt von Polenz (2008: 174f.) unter der Hand das Konzept eines so genannten Aussagerahmens ein, das er allerdings nicht systematisch beschreibt. Aussagerahmen sind auch für die Analyse von Konstruktionen und ihrer Bedeutungsseite unbedingt hinzuzuziehen, da nur so eine differenzierte Beschreibung von sprachlichen Phänomenen vorgenommen werden kann. Ohne Aussagerahmen würden nämlich alle Konstruktionen, in denen neben einem Handlungsverb ein Agens und ein Patiens als Argumente auftreten, einem Prädikationsrahmen zugewiesen. (59) Er kneift ihn. (60) Er verrät ihn.
Der Prädikationsrahmen für (59) und (60) ist anzugeben als HANDLUNGv (AGNPNom, PATNPAkk). Dass dabei kneifen eine physische Handlung und verraten eine Sprachhandlung ist, die ein Agens (AG) zuungunsten eines Patiens (PAT) vollzieht, wird im Prädikationsrahmen nicht abgebildet. Beide Verben, die in die Konstruktion eintreten, stehen hier exemplarisch für eine ganze Reihe von Verben, die eine ähnliche Konstruktionsbedeutung wie kneifen oder verraten aktualisieren: schlagen, quälen, foltern, verpfeifen, beschimpfen, verfluchen usw. Von Polenz hat deshalb zum einen vorgeschlagen, die Prädikatsklassen weiter zu unterteilen (HANDLUNG > TÄTIGKEIT usw. vgl. von Polenz 2008: 168f.), geht aber in seinem Entwurf nicht detailliert auf diese Ausdifferenzierung ein. Zum anderen spricht er von Aussagerahmen, denen sich die in bestimmten Satzbauplänen realisierten Prädikationsrahmen zuordnen lassen (von Polenz 2008: 174):
128 In einer traditionellen Grammatik [...], die primär die syntaktischen Ausdrucksformen beschreibt, ist dieser Aussagerahmen-Typ [sc. Verben des ‚Gebens‘] unter dem Satzbauplan „Subjekt+Prädikat+Dativobjekt+Akkusativobjekt“ verzeichnet, geht dort aber unter in einer noch größeren Zahl von Fällen, die zwar syntaktisch genauso konstruiert sind, aber zu einem anderen semantischen Aussagerahmen gehören.
Der „semantische […] Aussagerahmen“ stellt demzufolge insofern eine Möglichkeit zur Präzisierung der Bedeutungsdimension dar, als eine Gruppe von Verben, die einen Prädikationsrahmen und eine Dimension der Konstruktionsbedeutung auf vergleichbare Weise aktualisieren, zu einem „semantischen Aussagerahmen“ gruppiert werden, der die Konstruktionsbedeutung weiter spezifiziert. So könnten in unserem Beispiel Aussagerahmentypen ‚Anwendung physischer Gewalt‘ und ‚Anwendung verbaler Gewalt‘ unterschieden werden, die die zweite Dimension der Konstruktionsbedeutung darstellen. Einen Hinweis auf die Gebrauchszusammenhänge von Konstruktionen und damit auf die pragmatische Bedeutungsdimension geben Aussagerahmen, indem sie die Prädikationsrahmen semantisch spezifizieren. Um semantisch motivierte Konstruktionsnetzwerke aufzubauen, ist das Konzept des Aussagerahmens unerlässlich. „Aussagerahmen“ lässt sich folgendermaßen definieren: Definition (5): „Aussagerahmen“ als Spezifizierung der Konstruktionsbedeutung Der „Aussagerahmen“ spezifiziert sowohl Prädikatsklassen und Prädikationsrahmen als auch die Bedeutungsdimension einer Konstruktion. Durch den „Aussagerahmen“ werden zum einen wesentliche semantische Merkmale der in die Konstruktion eingebetteten Verben und zum anderen kontextuelle Bedingungen des Gebrauchs einer Konstruktion berücksichtigt.
Die bereits 1985 charmant vorgetragene Einladung zur Aufarbeitung eines Desiderats, das den Ausbau von Aussagerahmen zu einer „Inhaltsgrammatik“ betrifft, bleibt bis heute jedenfalls unbeantwortet (von Polenz 2008: 180):87 Wer Lust hat, kann sich der sehr reizvollen, aber sehr zeitraubenden und problematischen Aufgabe unterziehen, die (sicher weit über 100) restlichen Typen von Aussagerahmen zusammenzustellen, die es in der deutschen Sprache gibt (oder besser: in unserer heutigen Kommunikationskultur). In einer umfassenden Inhaltsgrammatik der deutschen Sprache wird man dies [...] tun müssen.
Eine Konstruktionsgrammatik des Deutschen kann auf die Arbeit von Polenz’ zur Satzsemantik zurückgreifen, zumindest dann, wenn es um eine nähere inhaltsseitige Bestimmung von Konstruktionen geht. –––––––— 87
In diesen Zusammenhang ist auch die Einleitung von Werner Holly zur dritten Auflage zu sehen: „Es gibt Bücher mit einer stillen Karriere“ (Holly 2008: 1), heißt es da, und „[z]weifellos ist in den letzten zwanzig Jahres vieles Neue hinzugekommen; man wird aber auch feststellen, dass vieles Angefangene nicht fortgesetzt worden ist und deshalb vorerst gültig bleibt.“ (Holly 2008: 4).
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9.5 Vorschlag für ein integriertes Modell Um zu illustrieren, wie sich die satzsemantischen Konzepte in eine Konstruktionsgrammatik integrieren lassen, greifen wir anhand konkreter Beispiele auf die Darstellungen der internen Struktur von Konstruktionen durch Goldberg (vgl. Abschnitt 9.1), Croft (vgl. Abschnitt 9.2) sowie die Frame-Semantik (Abschnitt 9.3) zurück und setzen diese in Bezug zu den Überlegungen, die wir im Abschnitt 9.4 angestellt haben. Kritisch haben wir zum einen mit Croft angemerkt, dass Goldberg in der Analyse der Formseite einer Konstruktion auf syntaktische Funktionen rekurriert. Weiter legt Goldberg Annahmen über SprecherInnen und SprecherInnenperspektiven, die zur Identifizierung semantischer Rollen nötig sind, nicht hinreichend offen. Drittens haben wir die unterschiedlichen Relationen in den Blick genommen, die Goldberg zwischen Konstruktionsbedeutung und Verbbedeutung annimmt. An diesen zentralen Punkt setzen wir nun wieder an, um eine Perspektive für weiterführende Analysen von Konstruktionsbedeutungen unter Einbeziehung satzsemantischer Konzepte zu skizzieren. Um die nach Goldberg modifizierte Darstellung der internen Struktur einer Konstruktion einzuführen, wenden wir uns zunächst der Beziehung zwischen Konstruktions- und Verbbedeutung zu. Zur Illustration dienen insbesondere so genannte Geräusch-alsBewegung-Verben88 mit direktionaler Erweiterung, die in Konstruktionen der Bewegung eintreten. Dies etwa in (61) der Fall: (61) Leonard geht/schnauft/schlurft nach Hause.
Statt wie Goldberg (1995: 59-66) die Relationen „means“, „manner“ und „causes“ (vgl. Abschnitt 9.1) aufzunehmen, setzen wir eine modale Relation zwischen Verbbedeutung und Konstruktionsbedeutung an. Mit dem Relationstyp modal können dabei nicht nur die Art und Weise, sondern gleichzeitig epistemische Differenzierungen mitgemeint sein. Unter Hinzuziehung der Prädikations- und Aussagerahmen, die wir soeben vorgestellt haben, kann man in der Analyse des gegebenen Beispiels nun zum einen differenzierter bestimmen, wie die Verbbedeutung mit dem semantischen Aussagerahmen und damit auch mit dem Prädikationsrahmen korrespondiert, und inwiefern jene Rollen, die die Konstruktionsbedeutung zur Verfügung stellt, mit denen der Verbbedeutung fusionieren. Wir unterscheiden mit Blick auf Prädikatsklassen (hier: HANDLUNG), Prädikationsrahmen (hier: HANDLUNGv [AG,DES]) und Aussagerahmen (GEHEN) nun insgesamt vier Relationstypen (vgl. Tabelle 5), die, wie auch die Prädikatsklassen und semantischen Rollen, nicht den –––––––— 88
Wir greifen hier den Terminus auf, wie er bei Engelberg 2009 und Goschler 2011 verwendet wird. Der Begriff könnte zwar den falschen Eindruck erwecken, hier ginge es weniger um konstruktionsbedingte als um verbsemantische Kategorisierungen; jedoch erscheint es uns unangemessen, hier einen bereits eingeführten Begriff durch einen neuen Terminus zu ersetzen. – Das Phänomen beschrieben für das Englische zuerst Levin & Rappaport Hovav 1989, 1995. Für den Hinweis danken wir Hans C. Boas.
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Anspruch auf Vollständigkeit haben und nicht mit den so genannten Aktionsarten verwechselt werden dürfen. Leonard geht nach Hause. Æ HANDLUNGv(=) (AG,DIR)89 Die Verbbedeutung interagiert direkt mit der Konstruktionsbedeutung, die durch Prädikations- und Aussagerahmen ausgedrückt wird (v[=]). Leonard kriecht hinauf aber auch Leonard schlurft hinauf. Æ HANDLUNGv(≈modal) (AG,DIR) Die Verbbedeutung interagiert mit der Konstruktionsbedeutung indirekt derart, dass die Art und Weise, etwa einer Handlung, oder eine SprecherInneneinstellung in den Vordergrund rückt (v[≈modal]). Leonard kommt nach Hause. Æ HANDLUNGv(≈resultativ) (AG,DIR) Die Verbbedeutung interagiert mit der Konstruktionsbedeutung indirekt derart, dass das Resultat, etwa einer Handlung oder eines Vorgangs, in den Vordergrund rückt (v[≈resultativ]). Leonard bricht nach Hause auf. Æ HANDLUNGv(≈intendiertes Resultat) (AG,DIR) Die Verbbedeutung interagiert mit der Konstruktionsbedeutung indirekt derart, dass das intendierte Resultat, etwa einer Handlung oder eines Vorgangs, in den Vordergrund rückt (v[≈intendiertes Resultat]). Tabelle 5: Relationstypen zwischen Konstruktionsbedeutung und Bedeutung des Verbs im angenommenen Aussagerahmen GEHEN.
Die Relationstypen sind für die Beschreibung der Konstruktionsbedeutung zwingend notwendig, um anzuzeigen, inwiefern die Rollen, die durch die Konstruktion vorgegeben werden, mit denen, die das Verb vorgibt, fusionieren, oder, an welcher Stelle die Konstruktion eine Rollenbelegung erzwingt (vgl. Goldberg 1995: 65). Neben der Bestimmung der Relationstypen fließen deshalb nun auch die Überlegungen zu Prädikatsklassen, semantischen Rollen, Prädikationsrahmen und Aussagerahmen mit in die modifizierte Darstellung der Struktur von Konstruktionen ein. Wir möchten diese erweiterte Darstellung nun am Beispiel (62) diskutieren. (62) Lewin pflückt einen Apfel.
Pflücken ist in (62) ein Handlungsprädikat. Es tritt gemeinsam mit einem AG (Lewin, NPNOM) und einem AOB (einen Apfel, NPAKK) auf. Der Prädikationsrahmen ist zunächst anzugeben als HANDLUNGv (AGNPNOM,AOBNPAKK) und dem Aussagerahmen NEHMEN zuzuordnen. Die Bestimmung des direkten Objektes einen Apfel als affiziertes Objekt (AOB) ist dabei stark kontextabhängig, ebenso wäre eine Einstufung als Additiv (ADD) möglich. Auch hinsichtlich der Bestimmung der Relation zwischen der Bedeutung des Verbs und der komplexen Argumentstruktur sind zwei – kontextuell abhängige – Lesarten möglich: So –––––––— 89
Je nach Kontextinterpretation wäre es auch denkbar, statt von einem Direktional (DIR) vom Ziel der Bewegung (DES) zu sprechen. Da allerdings das Direktional hier mit der Präposition nach gebildet wird und die Präpositionalphrase als semantische Einheit zu verstehen ist, geben wir als semantische Rolle ein (telisches) Direktional an.
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können im Fall von pflücken sowohl die Art und Weise (≈modal) als auch das Resultat des ‚Nehmens‘ (≈resultativ) von Relevanz sein. Wenn wir Goldbergs Strukturschema mit den bisher explizierten Veränderungen und Präzisierungen übernehmen und entsprechend reformulieren, ergibt sich folgende graphische Veranschaulichung der Konstruktion:
Abbildung 14: Das Verb pflücken in der Transitiv-Konstruktion im Aussagerahmen NEHMEN.
Da der Kontext in der Analyse noch nicht berücksichtigt wurde, ergeben sich für Verben des ‚Nehmens‘ zwei mögliche Varianten: zum einen HANDLUNGv(≈modal) (AGNPNOM, AOBNPAKK) oder zum anderen HANDLUNGv(≈resultativ) (AGNPNOM,AOBNPAKK). Beide sind in Abbildung 14 am Beispiel des Verbs pflücken illustriert. Nicht einbezogen sind in Abbildung 14 die Aktionsarten, nach denen die Prädikatsklassen der HANDLUNG und des VORGANGS klassifiziert werden können und die noch weitere Differenzierungsmöglichkeiten zuließen.90 Für die graphische Darstellung der Struktur der Konstruktion wird wie in der Angabe der Prädikationsrahmen und Aussagerahmen auf das Set semantischer Rollen zurückgegriffen, wie es oben entwickelt wurde (vgl. Abschnitt 9.4). Auf der Formseite wird auf eine rein formale Beschreibung sprachlicher Einheiten gesetzt. Auf die Auszeichnung von syntaktischen Funktionen, die Goldberg verwendet und die (sprachtypologisch motiviert) bei Croft zumindest Verständnisschwierigkeiten hervorrufen, wird verzichtet. Doch wie verhält sich die Croft’sche Auffassung von der internen Struktur einer Konstruktion generell zu diesem integrierten Modell nach Goldberg und von Polenz? Dieser Frage wollen wir nachgehen am Beispiel von Geräusch-als-Bewegung-Verben mit direktionaler Erweiterung (z.B. schlurfen); diese sind bereits im Zusammenhang mit Goldberg’schen Relationstypen erwähnt (vgl. Abschnitt 9.1) und hier in Bezug auf die unterschiedlichen Relationstypen (vgl. Tabelle 5) kurz diskutiert worden. Zur Illustration soll ein –––––––— 90
Würde man aus den Aktionsarten z.B. einen Subtyp der Handlungen des ‚Nehmens‘ herausarbeiten, der mit egressiven Handlungsprädikaten gebildet wird, was durchaus zulässig und im Sinne der Konstruktionsgrammatik wäre, so stünde das Verb pflücken hinsichtlich seiner Bedeutung in direkter (=) und modaler (≈modal) Relation zur Bedeutung dieser Konstruktionen auf einer Mesoebene des dargestellten Beispiels zwischen einer abstrakteren HANDLUNG ‚NEHMEN‘ auf der Makroebene und der konkreten Realisierung der Konstruktion mit dem Verb pflücken auf der Mikroebene.
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leicht abgewandeltes Beispiel aus dem bekannten Kinderlied Der Schaffner hebt den Stab dienen, in welchem verschiedene Geräusch-als-Bewegung-Verben mit direktionaler Erweiterung in eine Konstruktion eingebettet werden. Relevant ist für unseren Zusammenhang die vorletzte Zeile (die ersten beiden Verse der dritten Strophe). Der Schaffner hebt den Stab, | nun fährt der D-Zug ab. |: Jetzt fasst Euch an, jetzt fasst Euch an, wir fahren mit der Eisenbahn, mit der Eisenbahn. :| Nun schnauf’, Maschine schnauf’, | es geht den Berg hinauf. |: Jetzt fasst Euch an, jetzt fasst Euch an, wir fahren mit der Eisenbahn, mit der Eisenbahn. :| Der Kohlenwagen schwer, | der rumpelt hinterher. |: Jetzt fasst Euch an, jetzt fasst Euch an, wir fahren mit der Eisenbahn, mit der Eisenbahn. :|
Zur Erläuterung: Die Länge des Liedes hängt davon ab, wie viele Kinder das Lied im ‚Kettenspiel‘ singen; die weiteren Überlegungen beziehen sich auf die dritte Strophe, wobei die einschlägige Zeile zur Vereinfachung leicht abgewandelt werden soll: (63) Der Kohlenwagen rumpelt hinterher.
In Analogie zu den bisherigen Bestimmungen nehmen wir mit Blick auf den Beispielsatz an, dass dieser zu einem Aussagerahmentyp BEWEGEN gehört und rumpeln hier deswegen nicht als Geräusch-, sondern als Geräusch-als-Bewegung-Verb mit atelischem Direktional einzustufen ist. Weiterhin gehen wir davon aus, dass diese Lesart (im Sinne von Goldbergs [1995: 159f.] Konzept der „coercion“) erzwungen wird.91 Wie weiter oben im Zusammenhang mit den Relationstypen zwischen Verb- und Konstruktionsbedeutung kurz erwähnt, muss dafür wenigstens eine thematische Rolle (Partizipantenrolle) des Verbs rumpeln mit einer Argumentrolle der Konstruktion fusionieren, damit dieses Verb überhaupt in die Konstruktion eingebettet werden kann. Die durch das Verb nicht obligatorisch eingebrachten Rollen werden durch weitere ‚profilierte‘ Argumentrollen der Konstruktion („profiled argument roles“) bereitgestellt. In unserem Beispiel erfolgt die Fusionierung über die Rolle des Spezifizierten Objektes (SOB). Das Verb rumpeln fordert die Partizipantenrolle eines SOB, welches (nicht-intentional) ein Geräusch macht. Der semantische Beitrag der Konstruktion besteht darin, das SOB als eine Entität auszuweisen, die sich bewegt, und daher – wie in (50) – auch ein Geräusch verursachen kann. Die Einbettung des Verbs rumpeln (und ähnlicher Verben) ist also nur möglich, weil aus dem beobachteten (nichtintentional hervorgebrachten) Geräusch auf eine Bewegung geschlossen wird, ohne dass dabei aber zwingend eine Ursache für die Bewegung (CAUSATIV) mitgemeint sein muss. Umgekehrt gilt, dass andere Verben, die diese spezifische Bedeutung nicht tragen (und dementsprechend auch über keine diesbezüglich profilierte Partizipantenrolle verfügen) –––––––— 91
Vgl. Goschler 2011: 39: „Eine notwendige (und hinreichende) Bedingung für die Lesarterzwingung ist, dass das durch das Verb ausgedrückte Geräusch in einem kausalen Zusammenhang zu der Bewegung steht. Diese Befunde weisen darauf hin, dass es sich um eine Konstruktion im Sinne der Konstruktionsgrammatik handelt.“
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nicht als Geräusch-als-Bewegung-Verb in die Konstruktion eingebettet werden können. Diese Bedeutung wird durch die Konstruktion abgedeckt, die die zweite profilierte Argumentrolle – das Direktional – beisteuert und damit die Lesart bestimmt (vgl. Goldberg 1995: 65). Welche Rolle die Kontextinterpretation einnimmt, wird deutlich, wenn man nicht nur den einfachen satzwertigen Ausdruck berücksichtigt: Obwohl in der jeweiligen Strophe des Lieds der Eindruck entstehen mag, dass der Kohlenwagen als Agens (AG) zu bewerten ist, was der kindlichen Assoziation entgegenkäme, so wird im größeren Zusammenhang des Liedes deutlich, dass der Kohlenwagen Partitiv (PAR) nämlich der Eisenbahn (Refrain) oder affiziertes Objekt (AOB) nämlich der Bewegung durch die Maschine (zweite Strophe) ist, die Partitiv (PAR) einer Lokomotive (PAR) eines D-Zugs ist usw. Dass der D-Zug – als Synonym für Eisenbahn im Refrain – dabei als Personifikation interpretiert wird, wird unter anderem durch die Aufführungssituation des ‚Kettenliedes‘ begünstigt.92 Allerdings ist diese Einschätzung nicht unstrittig. Plädiert man wie Lakoff (1977), Dowty (1991) und im Anschluss daran Tremoulet & Feldmann (2000) und Opfer (2002) sowie zuletzt mit Bezug auf das unpersönliche Passiv Primus (2011) für einen mehrdimensionalen Agensbegriff, dann muss man zumindest über ein Kriterium für Agentivität diskutieren. Mit Dowty (1991) sind die Dimensionen Volitionalität (Intentionalität), Verursachung, Sentience (mentale Erfahrung und Zustände) und Bewegung zu unterscheiden. In dem hier besprochenen Beispiel (und dem Komplexbeispiel in Abschnitt 12) ist das Kriterium der Bewegung als ein möglicher Hinweis auf Agentivität zu bewerten. Dieses steht selbst in der Agentivitätshierarchie an letzter Stelle. Weiter ist Primus (2011: 303) dabei recht zu geben, dieses Kriterium bei der Bewertung von Agentivität strikt anzuwenden: „Um ein agentivisches Merkmal handelt es sich nur, wenn die Bewegung aufgrund einer eigenen Energiequelle selbstinduziert ist.“ Da diese Frage für unser Beispiel, wie oben argumentiert, nicht ohne weiteres beantwortet werden kann, und die (aufgrund einer eigenen Energiequelle selbstinduzierte) Bewegung ohnehin das schwächstes Kriterium für Agentivität ist, entscheiden wir uns – vorerst – dafür, den Kohlewagen als SOB aufzufassen. Gestützt wird dies durch framesemantische Analysen des Motion_noise-Frames; wir kommen darauf gleich noch einmal zurück. Geben wir nun den Prädikationsrahmen an als Aussagerahmentyp der Verben des ‚Bewegens‘ mit VORGANGv(≈modal) (SOBNPNOM, DIRADV), dann beziehen wir uns in der Darstellung der Konstruktion genau auf diese konkrete Realisierung, allerdings noch ohne dabei die Aktionsarten zu berücksichtigen. Diese Charakterisierung ist wie gesehen stark von der Kontextinterpretation der Sprecherin bzw. des Sprechers abhängig, und es ist vor dem Hintergrund bestimmter Fragestellungen (z.B. bei der Analyse von Spracherwerbspro–––––––— 92
Exemplarisch: „Ein Kind ist der Schaffner. Alle anderen Kinder spielen den Zug [sc. in dem sie aber zugleich als singende Kinder mitfahren] und umgehen verschiedene Hindernisse. Dabei fassen sie sich an den Schultern. Ansonsten wird stöhnend, ganz leise u.s.w. [sic!] gesungen, wie es der Text vorgibt.“ (Private Website „Gesammelte Gedichte und Lieder aus alter und neuer Zeit“, ; Stand: 19.12.2012).
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zessen) durchaus ein Gewinn konstruktionsgrammatischer Studien, Offenheit in der Beschreibung von Konstruktionen zuzulassen: Beschreibt ein dreijähriger Junge den Kohlenwagen als Agens, dann ist sein Gebrauch des Prädikats rumpeln analog etwa zu anderen Aussagerahmen wie denen mit den Verben des ‚Gehens‘ oder ‚Fahrens‘ oder ‚Bewegens‘ zu analysieren als HANDLUNGv(≈modal) (AGNPNOM, DIRADV). Dies ist allerdings keineswegs ‚defizitär‘, sondern eine seinem Kenntnisstand angemessene Analyse (vgl. dazu Abschnitt 10. 5 und 11). Es wäre dann Aufgabe der Spracherwerbsforschung zu zeigen, wie mit der Neuinterpretation von semantischen Rollen auch Neuzuordnungen in Bezug auf Prädikatsklassen und Prädikationsrahmen erfolgen und sich mithilfe konstruktionsgrammatischer Theoreme Sprachentwicklungsprozesse abbilden lassen. Im Kern ginge es dabei also um das Lernen, Anwenden und Anpassen von Konstruktionsbedeutungen. Für den Lerner gilt es zu erkennen, dass es sich – je nachdem, welche semantische Rolle (AG oder SOB) und welcher Prädikationsrahmen (HANDLUNG oder VORGANG) angenommen wird – um zwei distinkte Konstruktionen handeln könnte, die kontextsensitiv ermittelt, beschrieben und verwendet werden müssen. Wir werden auf diese Frage noch einmal im Rahmen einer Beispielanalyse in Abschnitt 12 zurückkommen. Hier gilt es zunächst, eine Möglichkeit zur Darstellung zu entwickeln, die die möglichen Lesarten angemessen zu erfassen erlaubt. In dem an Goldberg angelehnten Schema lässt sich der Satz der Kohlenwagen rumpelt hinterher als Aussagerahmentyp der Verben des ‚Bewegens‘ mit VORGANGv(≈modal) (SOBNPNOM, DIRADV) so rekonstruieren, dass er die entsprechende Konstruktion realisiert (vgl. Abbildung 15).93
Abbildung 15: Das Verb rumpeln als Geräusch-als-Bewegung-Verb im Aussagerahmen BEWEGEN.
–––––––— 93
Es ist hier besonderes Kennzeichen der konstruktionsgrammatischen Perspektive auf Sprache, ‚traditionelle‘ Annahmen auf den Prüfstand zu stellen. Das Argument, dass das zu hinterherrumpeln gebildete Partizip Präteritum hinterhergerumpelt ja deutlich anzeigen würde, dass es sich um eine Zusammensetzung handele, ließe sich nicht allein durch eine alternative Schreibung hinterher gerumpelt relativieren, sondern auch durch Beschreibung der Konstruktionen mit Geräuschals-Bewegung-Verben, deren Analyse eine enge Verbindung zwischen Verb und Direktional aufzeigt und nur durch diese Verbindung eine Bewegungslesart des Verbs ermöglicht und schlussendlich erzwingt (vgl. dazu auch ausführlicher Goschler 2011).
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Wie weiter oben im Zusammenhang mit den Relationstypen zwischen Verb- und Konstruktionsbedeutung kurz angesprochen, muss wenigstens eine thematische Rolle (Partizipantenrolle) des Verbs rumpeln mit einer Argumentrolle der Konstruktion fusionieren. In unserem Beispiel erfolgt diese Fusionierung über die Rolle des Spezifizierten Objektes (SOB). Das Verb rumpeln der Prädikatsklasse VORGANG fordert ein SOB, welches ein Geräusch verursacht, während die Konstruktion eine profilierte Argumentrolle mit einem SOB besetzt, das sich bewegt (und dabei ein Geräusch macht). Im Rückgriff auf das Strukturschema Goldbergs illustriert Abbildung 15 diesen Zusammenhang. Weiterhin lassen sich die Konstruktionen von Fillmore (1987) sowie das Schema zur internen Struktur der Konstruktion von Croft (2001) hinzuziehen, um die semantische und syntaktische Struktur detaillierter abzubilden. Fillmore unterscheidet Subjekt-Prädikat-, Komplement-, Determinant-Headund Modifikations-Konstruktionen. Diese formalisiert er in Form einer Attribut-WerteMatrix, wie sie in den Unifikationsgrammatiken Anwendung findet (vgl. auch Abschnitt 5). Statt aber eine solche Formalisierung der Konstruktion durchzuführen, wollen wir versuchen, die Fillmore’schen Konstruktionen und die Argumentationsstrukturen in das Modell Crofts zu integrieren. Dies dient dazu, die Gemeinsamkeiten sowie die Kompatibilität der Ansätze einerseits und wichtige Unterschiede andererseits aufzuzeigen.
Abbildung 16: Das Verb rumpeln als Geräusch-als-Bewegung-Verb im Aussagerahmen BEWEGEN im Modell der internen Struktur nach Croft (2001).
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Wie in Abbildung 16 deutlich erkennbar ist, fällt vor allem die Beschreibung der Formseite von Konstruktionen bei Croft wesentlich differenzierter aus als in der Darstellung Goldbergs (1995). Es gelänge mit Croft sogar, die Fillmore’schen Konstruktionen zu integrieren (Determinant-Head-Konstruktion, Komplement-Konstruktion und Subjekt-PrädikatKonstruktion; in der Graphik im Hintergrund grau angezeigt), wenn Croft nicht explizit die syntaktischen Relationen (nämlich Subjekt und Prädikat, ebenfalls grau angezeigt) aus seinem Modell herausnähme – deshalb sind diese in der obigen Darstellung nur schwach im Hintergrund angedeutet. Betrachten wir einige Aspekte noch einmal im Detail. Der Kohlenwagen lässt sich formal als NP (DET+N) im Nominativ beschreiben. Die „syntaktische Rolle“, die diese NP im Nominativ übernimmt, wird zugewiesen sowohl durch die Konstruktionsbedeutung als auch durch die in der symbolischen Beziehung zugeordnete semantische Rolle des Spezifizierten Objektes (SOB). Die Zusammenhänge zwischen Elementen auf der syntaktischen Ebene erklärt Croft als Strukturen, die sich aus kollokationellen Abhängigkeiten der Komponenten ergeben und durch die Konstruktionsbedeutung vorgegeben werden. Nichtsdestotrotz kann Croft in seinen Analysen nicht auf die eingeführten Begriffe Subjekt, Prädikat und Objekt verzichten – in zahlreichen Übersichten und Beispielen greift er, der Anschaulichkeit und Einfachheit halber, auf die Konzepte zurück, um deutlich zu machen, dass er syntaktische Rollen als konstruktionsspezifisch (und sprachspezifisch) auffasst. Er erklärt dazu: The data presented so far in this chapter [Clausal syntactic Roles („Grammatical Relations“), Croft 2001: 132-171] has focused on well-known cross-linguistic and cross-constructional variation in the mapping of participant roles into syntactic roles. The Radical Construction Grammar analysis recognizes this variation by analyzing syntactic roles as construction-specific (and language-specific). (Croft 2001:161)
Dass syntaktische Rollen (Subjekt, Prädikat, Objekt) als Universalia nicht passgenau auf semantische Rollen wie Agens (AG), Patiens (PAT) oder affiziertes Objekt (AOB) abgebildet werden können, hat im Hinblick auf valenztheoretische Untersuchungen keinen nennenswerten Informationsgehalt. Bemerkenswert ist allerdings der Versuch von Croft, „syntaktische Rollen“ als konstruktionsspezifisch zu postulieren und sie nicht mehr als relationale Begriffe auf der Ebene der Syntax zu analysieren. Kurz: Croft spricht vom Subjekt, würde aber die Subjekt-Prädikat-Relation Fillmores nicht auf der Ebene der Syntax analysieren, sondern über semantische Kollokationen. Das leuchtet ein, nur muss man sich dann die Frage stellen, weshalb der Begriff der „syntaktischen Rolle“ überhaupt noch mit dem „Subjekt“-Begriff in Beziehung gebracht wird, wenn dieser faktisch entweder mittels semantischer Kriterien oder lediglich durch formale Aspekte (NP im Nominativ, Stellung im Satz etc.), die sprachspezifisch sind, genauer bestimmt wird. Die Beschreibung der semantischen Struktur bildet die Informationen ab, die bereits in der Darstellung nach Goldberg und von Polenz aufgenommen sind. Was Croft hier versucht, ist die Abbildung eher von der Formseite her zu motivieren, um den Preis, dass er – ähnlich wie Goldberg – in Schwierigkeiten gerät in Bezug auf die Analyse der „syntaktischen Rollen“.
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Ferner zeigt sich an Crofts Modell nun deutlich, dass abgesehen von diesem systematischen Problem bereits relativ einfache satzwertige Ausdrücke nur mit erheblichem Aufwand dargestellt werden können, wenn man sowohl die Form- als auch die Bedeutungsseite von Konstruktionen gleichermaßen differenziert beschreibt. Nicht berücksichtigt sind dabei weiter Kontextbedingungen, Wissensvoraussetzungen der SprecherInnen usw. Diese kämen noch hinzu. Neben Goldbergs und Crofts Vorschläge lässt sich die framesemantische Perspektive einbeziehen. Dabei kommt die Frage auf, inwieweit über die identifizierten Argumentrollen hinaus Frameelemente heranzuziehen sind, um die Bedeutungsdimension einer Konstruktion zu erfassen (vgl. dazu auch Croft 2009a). Am konkreten Beispiel (63) möchten wir uns einer Antwort nähern. (63) Der Kohlenwagen rumpelt hinterher.
In FrameNet wird das Verb im Kontext von (63) dem Frame Motion-noise zugeordnet; mit anderen Worten: In diesem Kontext ruft das Verb rumpeln den Frame Motion-noise auf. This frame pertains to noise verbs used to charakterize motion. Motion_noise verbs take largely the same SOURCE, PATH and GOAL expressions [als Kern-Frameelemente (frame elements) neben AREA] as other types of Motion verbs.94
Das atelische Direktional (hinterher), wie es weiter oben bestimmt worden ist, lässt sich ausgehend von Beispielsatz (63) framesemantisch als eine Realisierung des Frameelements PATH charakterisieren. Eine einschlägige Korpusanalyse (vgl. dazu ausführlich Abschnitt 12) wird erweisen, dass auch die weiteren Frameelemente AREA, GOAL und SOURCE im Sprachgebrauch zahlreich belegt sind. Einen für die hier vorgeschlagene Interpretation wichtigen Impuls liefert jedoch ein weiteres Frameelement, das für Verben, die den Motion-noise-Frame aufrufen, charakteristisch ist: das THEME.95 Dessen „semantic type“, „a mechanism used to capture semantic facts about individual frames, FEs (frame elements), and LUs (lexical unit) that don’t fit into the developing hierarchy of frames in FrameNet“ (Fillmore & Petruck 2003: 360), wird als „physical_object“ angegeben: „The –––––––— 94
95
So wird der Frame Motion-noise in FrameNet beschrieben, vgl. Frame Index, online verfügbar: , Stand: 19.12.2012. – Hervorhebungen durch Kapitälchen nicht im Original, dies gilt auch für die folgenden Belege. Im Abschnitt 9 wurden an unterschiedlichen Stellen argumentiert, dass die Partizipantenrolle des Verbs rumpeln (SOB) in eine Konstruktion der Bewegung eingebettet ist und mit der Argumentrolle der Konstruktion fusioniert. Die zweite Argumentrolle – das Direktional – wird durch die Konstruktion bestimmt, wodurch sich die Bewegungslesart des Verbs erst ergibt. In FrameNet wird eine alternative Analyse vorgeschlagen. Hier geht man davon aus, dass der Frame Motionnoise seine Eigenschaften vom Frame Motion ererbt und je zwei Frameelemente aufgerufen werden, das THEME und ein weiteres Kernframeelement (AREA, PATH, SOURCE oder GOAL). Vorausgesetzt wird dabei (implizit), dass das Verb rumpeln um eine Partizipantenrolle bereits erweitert ist (und damit in diesem Frame eingebettet sein kann).
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THEME is the entity that changes location“; über den Status seiner Agentivität muss nichts ausgesagt werden, wie Beispiel (64) illustriert:96 (64) Pat CRUNSHED over the snow.
Integriert man die Ergebnisse der Frame-Semantik in die bisher vorgestellten Darstellungen der internen Struktur von Konstruktionen, fügt sich der Motion-noise-Frame in etwa wie in Abbildung 17 ein. Wie zu sehen, sind jene Kern-Frameelemente THEME und PATH hervorgehoben, die zu dem Verb, das den Motion-noise-Frame aufruft, hinzutreten. Die ‚Offenheit‘ des Frames soll in der Abbildung signalisieren, dass längst nicht alle der in FrameNet beschriebenen Frameelemente in der Darstellung berücksichtigt werden konnten.
Abbildung 17: Das Verb rumpeln als Geräusch-als-Bewegung-Verb im Modell der internen Struktur nach Croft (2001) unter Einbeziehung des Frames Motion-noise.
Dass man mittels framebasierter Analysen zu ähnlichen Ergebnissen wie mittels Hinzuziehung der satzsemantischen Überlegungen von Polenz’ kommt, ist insofern für die Darstellung hier wichtig, als die methodischen Unterschiede zwischen beiden Ansätzen unterschiedlicher kaum sein könnten. Während von Polenz semantische Rollen, Prädikatsklas–––––––— 96
Vgl. die Beschreibung des Motion-noise-Frame im Frame Index. Online verfügbar: , Stand: 19.12.2012.
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sen, Prädikationsrahmen und Aussagerahmentypen im Wesentlichen introspektiv und deduktiv entwickelt – und damit dem hier vertretenen Anliegen gebrauchsbasierter konstruktionsgrammatischer Ansätze eigentlich entgegensteht –, sind die in der Frame-Semantik ermittelten Kategorien aus der quantitativen und qualitativen Analyse von Sprachdaten induktiv abgeleitet und systematisiert worden (vgl. Fillmore & Johnson & Petruck 2003: 246f.; vgl. oben dazu Abschnitt 6.3). Dies könnte nun Anlass zur Generalkritik an von Polenz bieten, allerdings ist das von ihm entworfene Konzept von Prädikationsrahmen und Aussagerahmen innerhalb der Frame-Semantik bisher nicht in ähnlicher Form induktiv auf breiter Datenbasis ausgearbeitet worden. Prädikationsklassen und Aussagerahmentypen, zu denen Frames aber in auffälliger Nähe stehen wie der Motion-noise-Frame, bieten die Möglichkeit, semantisch motivierte Konstruktionsnetzwerke aufzubauen – diese Konstrukte wären dann durch empirische Untersuchungen zu bestätigen oder zu verwerfen. Um am konkreten Beispiel zu bleiben: Während Prädikationsrahmen und Aussagerahmentypen die Möglichkeit anbieten, Klassen von Verben mit übergeordneten gemeinsamen Bedeutungsmerkmalen und so Konstruktionsnetzwerke zu bilden, wird in FrameNet durch so genannte Frame-zu-Frame-Relationen („frame-to-frame-relations“) auf andere Frames verwiesen, die ihrerseits im Wesentlichen über die Verbbedeutung motiviert sind.97 Auch kontextuelle Faktoren werden in die Analyse einbezogen (vgl. Fillmore & Baker 2010: 329ff.). Es ist aber durchaus möglich, dass die hier vorgeschlagene Erweiterung der gebrauchsbasierten konstruktionsgrammatischen Beschreibungsmodelle um satzsemantische Konzepte bald eine framesemantische Ergänzung erfährt.98 Die knappe Skizzierung der für den Frame Motion-noise relevanten Frameelemente – wir sind hier nur auf die Kernelemente, die für die Bedeutung des Frames essentiell sind, eingegangen – macht deutlich, in welcher Weise beide Ansätze voneinander profitieren können. Und hierin liegt auch die Stärke der unterschiedlichen theoretischmethodischen Ansätze: Die deduktiv gewonnenen Kategorien der Satzsemantik lassen sich mittels der induktiv erarbeiteten Kategorien der Frame-Semantik prüfen und umgekehrt. Bis dahin werden je nach Forschungsfrage unterschiedlich gelagerte Interessen zur Wahl des einen oder anderen Beschreibungsmodells führen. Festzuhalten bleibt aber, dass beide Forschungsperspektiven – die des FrameNets und die satzsemantische im Anschluss an von Polenz – vollkommen miteinander kompatibel sind. Da der vorliegende Band den Schwerpunkt auf eine konsequente Umsetzung einer „Inhaltsgrammatik“ unter konstruktionsgrammatischen Vorzeichen legt, werden wir im Folgenden auf die formalen Differenzierungen, die Croft neben den bereits hier eingeführten Beschreibungsmöglichkeiten der Formseite von Konstruktionen anbietet, nicht zurückgreifen und auf die framesemantischen Ergebnisse illustrativ verweisen. Hier soll es ausreichen, –––––––— 97
98
Vgl. im FrameIndex die Frame-zu-Frame Relation: „as other types of Motion verbs“, „inherits from Motion (see also: Make-noise).“ Das Thema steht auf der Agenda konstruktionsgrammatischer Studien: Vgl. exemplarisch Boas 2008 (und öfter), weiter Croft 2009a und Fried im Druck.
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die Darstellung zu verwenden, die auf der Basis von Polenz‘ und Goldbergs entwickelt worden ist (vgl. oben Abbildung 15), um den konstruktionalen Status von sprachlichen Einheiten aufzuzeigen. Auf die problematische Unterscheidung zwischen formalen Aspekten sprachlicher Einheiten (Nominalphrase, Verbphrase) und eingeführten funktionalen Kategorien (Subjekt, Objekt) werden wir hier und fortan aus Gründen der Praktikabilität verzichten.
9.6 Zwischenfazit: Konstruktionsbedeutungen als Prädikationsrahmen und Aussagerahmentypen In der konstruktionsgrammatischen Theoriebildung stehen sich stärker am Sprachgebrauch orientierte, kognitive Ansätze einerseits und formal ausgerichtete, unifikationsbasierte Ansätze andererseits gegenüber (vgl. Teil II). Wenngleich es in der praktischen Arbeit nicht zwangsläufig nötig ist, sich für die eine Variante (etwa im Anschluss an Lakoff, Langacker, Goldberg oder Croft, vgl. Abschnitt 4) oder für die andere Variante (etwa im Anschluss an Fillmore, Kay, Michaelis, Sag, vgl. Abschnitt 5) zu entscheiden,99 bleibt doch festzuhalten, dass die meisten konstruktionsgrammatischen Studien einem Ansatz methodologisch verpflichtet sind. Dies wirkt sich schon deshalb auf die jeweils avisierten Untersuchungen aus, weil sich die Theoriebildungen in mancherlei Hinsicht grundsätzlich voneinander unterscheiden (wie etwa an der Diskussion des Subjekt-Begriffs zu sehen war). Die Entscheidung für einen Ansatz (und gegen andere) hat also auch Konsequenzen für die konstruktionsgrammatische Erfassung und Beschreibung komplexer sprachlicher Ausdrücke. Gleichwohl lassen sich durchaus, wie sich gezeigt hat, wesentliche Erkenntnisse verschiedener konstruktionsgrammatischer Theoriebildungen miteinander verbinden und in ein komplexes Modell integrieren (vgl. Abbildung 17). Dazu ist aber ein relativ hoher Erklärungsaufwand nötig, der die theoretischen Grundannahmen berücksichtigt und einbezieht. Im verbleibenden Teil des Buches werden wir hinsichtlich der Illustration von Konstruktionen der Einfachheit halber ein weniger komplexes Modell verwenden, das nicht alle – wäre das jemals möglich? – form- und inhaltsseitig relevanten Aspekte von Konstruktionen erfasst (vgl. oben Abbildung 15). Die Hervorhebung der Bedeutungsseite von Konstruktionen und die Beschränkung auf formale Bestimmungen der Formseite scheint uns deswegen notwendig, weil wir der Auffassung sind, dass die Integration von „syntaktischen Rollen“, wie auch immer man sie genauer spezifiziert, bisher nicht gelungen ist. Wir werden fortan die Auffassung vertreten, dass zur Beschreibung der Natur einer Konstruktion „syntaktische Rollen“, also syntaktische Funktionen wie Subjekt, Prädikat, Objekt, nicht notwendig sind. Es bleibt festzuhalten: Im Anschluss an die in diesem Kapitel erzielten Ergebnisse werden wir im Folgenden Konstruktionsbedeutungen durch Prädikationsrahmen und Aussage–––––––— 99
Gerade in jünger Zeit gibt es zunehmend ‚Mischformen‘, also Studien, die etwa gebrauchsbasiert arbeiten, trotzdem aber nicht auf Formalisierungen verzichten (vgl. Boas & Sag 2012).
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rahmen darstellen, beschreiben und analysieren. Diese wurden auf der Basis von Polenz‘ erarbeitet und mittels der graphischen Veranschaulichung der Struktur einer Konstruktion durch Goldberg konkretisiert. Nur zu illustrativen Zwecken und um die Komplexität der hier besprochenen Themen anzudeuten, haben wir die interne Struktur der Konstruktion nach Croft (2001) unter Einbeziehung einer Auswahl der Fillmore’schen Konstruktionen (im Sinne von Fillmore 1988) vorgestellt. So konnte auf die problematische Integration syntaktischer Funktionen, die auch Goldberg vornahm, aufmerksam gemacht werden. Deutlich ist dabei geworden, dass Crofts Radical Construction Grammar, die sich an Langackers gebrauchsbasierten Arbeiten orientiert, die Integration von Erkenntnissen verschiedener konstruktionsgrammatischer Ansätze ermöglicht. Gleichwohl ist zu konstatieren, dass sich die Ansätze hinsichtlich des Zugriffes auf den Untersuchungsgegenstand so stark voneinander unterscheiden, dass eine vollständige Integration letztlich nicht möglich ist. Denn auf der einen Seite handelt es sich um Ansätze, die zunächst formale Aspekte von Konstruktionen fokussieren; dies ist etwa bei der Berkeley Construction Grammar oder der ebenfalls an der Kopfgesteuerten Phrasenstrukturgrammatik (HPSG) orientierten SignBased Construction Grammar (Michaelis 2009 und im Druck, Sag 2012) der Fall. Auf der anderen Seite kommt Croft zu differenzierteren Ergebnissen als etwa Goldberg (1995, 2006a) und Lakoff (1987), kann aber den Rückgriff auf „syntaktische Rollen“ in letzter Konsequenz nicht schlüssig erklären. Mit dem hier vorgestellten Modell, welches sich stärker auf die Bedeutungsseite als die formseitige Beschreibung von Konstruktionen konzentriert, ist es auch möglich, Konstruktionen unterschiedlichen Abstraktionsgrades zu analysieren und Konstruktionsnetzwerke und -hierarchien abzubilden. Dafür bedarf es in Zukunft der Ausdifferenzierung von „semantischen Rollen“. Es wäre nötig, sie nicht mehr nur auf satzwertige Ausdrücke anzuwenden und sie vor allem (im Sinne von Abschnitt 9.4) mit engem Bezug zu framesemantischen Konzepten zu entwickeln. So eröffnete sich etwa eine Möglichkeit, Konstruktionen wie das Partizip Präteritum gerumpelt zu analysieren. Dessen morphologische Form scheint zwar einfach zu bestimmen zu sein, seine Bedeutungsseite wurde bisher aber in „crude groupings“ (Croft 2001: 161), also von Bestimmungen unterschiedlichen Zuschnitts umrissen. Zusammenfassung: Goldbergs Analyse von Konstruktionen sowie auch die graphische Darstellung der Struktur von Konstruktionen weist sowohl Lücken auf hinsichtlich der Komplexität der Beschreibung der Bedeutungsdimension von Konstruktionen als auch Ungenauigkeiten in Bezug auf die angemessene Beschreibung einer Konstruktion. Der Grund dafür ist, dass Goldberg zwischen syntaktischer Form und syntaktischer Funktion nicht hinreichend unterscheidet. Allerdings ist die Struktur der graphischen Darstellung bestens geeignet, um die wesentlichen Prämissen der Konstruktionsgrammatik beispielhaft zu veranschaulichen. Crofts Modell der internen Struktur einer Konstruktion ist dagegen wesentlich differenzierter als die Darstellung Goldbergs, und zwar sowohl in Bezug auf die Erfassung von Konstruktionsbedeutungen sowie der Bedeutung(en) der einzelnen Elemente, die in die Konstruktion eingebettet sein können, als auch im Hinblick auf die Beschreibung der Formseite von Konstruktionen. Die explizite Beschränkung auf eine formale statt einer
142 funktionalen Analyse machen deutlich, dass für das Modell der internen Struktur einer Konstruktion die Übernahme syntaktischer Funktionen nicht zwingend notwendig ist. Obwohl alle Konstruktionsgrammatiken sprachliche Phänomene unter Einbezug der Bedeutungsseite der Konstruktion analysieren, bleibt die Beschreibung der Bedeutungsdimensionen von Konstruktionen meist unterkomplex. Im Rückgriff auf Prädikatsklassen und semantische Rollen als Teile von Prädikationsrahmen, die ihrerseits mittels Aussagerahmen spezifiziert werden, sowie unter Hinzuziehung framesemantischer Analyseergebnisse lassen sich Konstruktionsbedeutungen detaillierter beschreiben. Weiterführende Literatur: Boas 2008; Busse 2012; Croft 2009a; Fillmore & Baker 2010; Fillmore & Lee-Goldman & Rhomieux 2012; Fried im Druck; Lasch im Druck a; von Polenz 2008; Primus 2012, Ziem 2008, im Druck a. Aufgabe 1: Erstellen Sie anhand der Beispielsätze einen Prädikationsrahmen für die Verben schenken und bekommen. Geben Sie den jeweiligen Aussagerahmen an. Jonathan schenkt Henrike einen Ball. Henrike schenkt Lewin einen Ball, den sie von Jonathan bekam. Aufgabe 2: Stellen Sie anhand der Prädikatsklassen, der Prädikationsrahmen, Aussagerahmen sowie der von Polenz’schen semantischen Rollen folgende Beispielsätze dar. Benutzen Sie zur Veranschaulichung das Strukturschema Goldbergs sowie das integrierte Modell der internen Struktur einer Konstruktion nach Goldberg und von Polenz (vgl. Abbildung 15). Henrike kauft einen Apfel. Der Ball rollt die Treppe herab. Aufgabe 3: Informieren Sie sich in FrameNet über den Frame Commerce-Buy und vergleichen Sie Ihre Analyse von Henrike kauft einen Apfel mit dem in FrameNet aufgeführten Beispiel Abby bought a car from Robbin for $5,000 (, Stand: 19.12.2012). Inwieweit könnte die satzsemantisch erweiterte Darstellung der internen Struktur einer Konstruktion von framesemantischen Analyseergebnissen profitieren?
TEIL IV: ANWENDUNGSBEREICHE
10 Konstruktionsgrammatische Forschungen in der germanistischen Linguistik Der letzte Teil dieser Einführung ist unterschiedlichen Anwendungsbereichen gewidmet, die verschiedene Aspekte aus den jeweiligen Abschnitten dieser Einführung in die Konstruktionsgrammatik aufnehmen. Diese spannt über die forschungsgeschichtliche Einordnung und Theoriebildung der Konstruktionsgrammatik, ihre theoretischen Grundlagen und methodischen Zugänge einen weiten Bogen. Aus diesem Grund wird hier unter „Anwendungsbereich“ zweierlei verstanden: Zum einen werden die Forschungsrichtungen (vgl. Abschnitt 10) eingehender diskutiert, in denen konstruktionsgrammatische Studien im Bereich der germanistischen Linguistik mit dem Fokus auf die Gegenstandssprache Deutsch Einsichten in den Sprachgebrauch auf verschiedenen Ebenen des Sprachsystems bereichern. In diesem Abschnitt werden die hier systematisch entwickelten Positionen aufgegriffen und in den Zusammenhang konkreter Forschungsarbeit gestellt. Es werden syntaktische und morphologische Phänomene im Mittelpunkt stehen, bevor im Weiteren der Sprachwandel, die Phraseologie, die Interaktionale Linguistik und der Spracherwerb genauer betrachtet werden. Dieser Reihung liegt keine Gewichtung zugrunde, sondern sie hat ihre Gründe in der gewählten Darstellungsperspektive, da beispielsweise einzelne Aspekte, die im Bereich der Syntax anzusprechen sind, in der Darstellung der Forschungen zum Spracherwerb wieder aufgegriffen werden oder Fragen der Interaktionalen Linguistik berühren. Teil IV liegt folgendes Konzept zugrunde: Zunächst erläutern wir, welchen Gewinn der jeweilige Forschungsbereich aus der Konstruktionsgrammatik zu ziehen in der Lage ist. Dafür ist es notwendig, den gegenwärtigen Forschungsstand in jedem der Bereiche kurz zu diskutieren. Dies kann nur ausschnitthaft geschehen, wobei in den jeweiligen Abschnitten gebrauchsbasierte Studien zur Gegenstandssprache Deutsch im Mittelpunkt stehen. Wir verzichten darauf, noch einmal auf die Entwicklung der Konstruktionsgrammatik einzugehen, und ebenso wenig sollen die zugrunde liegenden theoretisch-methodischen Voraussetzungen erneut thematisiert werden. Aus jedem Anwendungsbereich werden stattdessen konkrete Beispiele aus der Forschungsarbeit im Vordergrund stehen, und zusätzlich dienen Übungsaufgaben dazu, ausgewählte Forschungsfragen zu vertiefen sowie verschiedene Forschungsbereiche zueinander in Beziehung zu setzen. Abgeschlossen wird die Vorstellung jedes Forschungsbereichs durch eine Übersicht über konstruktionsgrammatische Studien mit besonderer Berücksichtigung des gewählten Fokus auf Konstruktionen der Gegenstandssprache Deutsch. In den Abschnitten 11 und 12 werden zwei komplexe Beispiele aus den Bereichen des Spracherwerbs und der Syntaxforschung im Mittelpunkt stehen. Ausgewählt wurden die jeweiligen Beispiele auch, um zwei Perspektiven zu illustrieren: Konstruktionsgrammati-
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sche Studien widmen sich einerseits (scheinbar) linguistisch peripheren Phänomenen der Grammatik, so etwa die frühe wegweisende Studie Lakoffs (1987) zu „there“Konstruktionen oder die Untersuchung von Fillmore, Kay und O’Connor (1988) zur „let alone“-Konstruktion – in dieser Tradition steht die Untersuchung des Beispiels Leonard abgeholt (vgl. Abschnitt 11). Andererseits rücken nach und nach ‚kerngrammatische‘ und semantisch voll transparente Konstruktionen ins Zentrum des Interesses (vgl. hierzu etwa Michaelis 2012). Der Sprachgebrauch wird systematisch analysiert, und es wird mithin gezeigt, welchen Beitrag konstruktionsgrammatisch motivierte Analysen für ein komplexes Sprachmodell leisten können, indem sie andere funktional ausgerichtete Studien konzeptionell ergänzen. In Abschnitt 12 wird dies am Beispiel einer kleinen Korpusanalyse zu den Geräusch-als-Bewegung-Verben illustriert. Ziel ist es unter anderem, in beiden exemplarischen Beispielanalysen Konstruktionsbedeutungen als Prädikationsrahmen und Aussagerahmentypen (vgl. Abschnitt 9) zu analysieren und die Belastbarkeit der theoretisch-methodischen Überlegungen dieses Buches zu prüfen. Dabei wird zugleich die Relevanz unterschiedlicher methodischer Zugänge (qualitative Beschreibung gesprochener Sprache und quantitative Beschreibung geschriebener Sprache) für konstruktionsgrammatische Studien sichtbar.
10.1 Konstruktionsgrammatik in der Syntaxforschung Das Deutsche tendiert, wie alle westeuropäischen Sprachen germanischen Ursprungs, zum analytischen Sprachbau. Das heißt, dass ein Großteil der grammatischen Informationen, die vormals durch morphologische Merkmale wie Flexionsendungen ausgedrückt worden sind, durch komplexere Syntagmen realisiert wird. Die grammatischen Informationen sind also nicht mehr nur allein auf der Ebene der Morphologie, sondern auch auf der Ebene der Syntax zu erfassen. Prozesse dieser Art lassen sich sprachhistorisch betrachten und als Grammatikalisierungsprozesse beschreiben. Der gegenwärtige Sprachgebrauch lässt sich aus diesen Prozessen erklären. Zu berücksichtigen ist dabei stets, dass sprachliche Entwicklungsprozesse durchaus heterogener Natur sind und die Struktur einer lebendigen Sprache daher nicht als typologisch geschlossen beschrieben werden kann – es sei denn, man vereinfacht den Gegenstand über die Beschreibung mittels eines reduktionistischen Modells. Goldberg (1995) zeigt an einem Set von Konstruktionen, dass die Regelzentrierung generativer Ansätze dazu führt, dass (Valenz-)Wörterbücher und Lexika in nicht überschaubare Dimensionen auswachsen. Webelhuth bringt dies aus konstruktionsgrammatischer Perspektive wie folgt auf den Punkt: Die empirischen Daten treiben die rein lexikalische Theorie vor sich her und erweisen sie als unmotiviert und unüberzeugend. Im Gegensatz dazu kann die konstruktionale Theorie mit ‚intelligenten‘ Werkzeugen wie Typen, Untertypen und Vererbung Generalisierungen über deutsche Relativsätze auf allen Ebenen elegant und effizient erfassen. Der Vorschlag Chomskys, Konstruktionen aus der Grammatik zu verbannen, erweist sich konzeptuell und empirisch als wissenschaftliche Fehlentscheidung. (Webelhuth 2011: 149)
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Am Beispiel der deutschen Relativsätze stellt Webelhuth erhellend dar, dass ein „Paradigmenwechsel rückwärts“ – in Bezug auf den in der Sprachwissenschaft etablierten Konstruktionsbegriff – nicht bedeute, dass damit keine Antworten auf aktuelle den Sprachgebrauch betreffenden Fragen möglich seien. Ganz im Gegenteil: Seiner Einschätzung nach kann die Konstruktionsgrammatik – und hier spricht er sowohl nicht-formale, gebrauchsbasierte als auch unifikationsbasiert-komputationelle Ansätze an (vgl. Abschnitt 4 und 5) – syntaktische Phänomene verständlich erklärend in ihren pragmatischen Kontexten beschreiben, ohne wie „unausgewogene[r] Lexikalismus“ „die Anzahl unsichtbarer lexikalischer Kategorien und abstrakter Ableitungsmechanismen prinzipienlos zu erweitern.“ (Webelhuth 2011: 176; vgl. weiter Boas 2003, Boas 2011 und Boas im Druck a und Stefanowitsch 2011a,b) Jenseits der Schelte an Aspekten der Chomsky’schen Universalgrammatik möchten wir im Folgenden einen Blick auf erste Ergebnisse werfen, die die konstruktionsgrammatisch orientierte Syntaxforschung bislang vorgelegt hat. Im Anschluss an Goldberg (1995) beschäftigt sich diese etwa mit so genannten Resultativ-Konstruktionen wie (65).100 (65) Er schnitt die Schachtel in Stücke. (vgl. Abschnitt 2.3.3, Bsp. 13 d)
Beispiele dieser Art sind für alle funktionalen Grammatiken (vgl. DUDEN 4 2006: 801803) und damit besonders auch für die Konstruktionsgrammatik interessant, da hier über eine Präpositionalphrase (in Stücke) durch die Konstruktion eine resultative Lesart erzwungen wird, die nicht in der Verbbedeutung – schneiden ist als egressives Verb zu charakterisieren101 - angelegt, daher nicht vorhersagbar, zugleich aber hochfrequent im Sprachgebrauch ist. Zwei weitere Aspekte werden am Beispiel der Resultativ-Konstruktion noch deutlich, auf die anhand zweier Beispiele kurz eingegangen werden soll. (66) a. Sie spielten ihn [an die Wand]. b. Sie spielten ihn [an].
(66a) ist ein Beispiel für resultative Lokaladverbien „[i]n festen Wendungen“ (DUDEN 4 2006: 803; DUDEN 4 2009: 791), die die resultative Lesart als von der Konstruktion profilierte Argumentrollen erzwingen. „Feste Wendungen“, also idiomatische Ausdrücken und Phraseologismen, sind Gegenstand von Sprachwandel und Phraseologie, zu denen eine Reihe von konstruktionsgrammatischen Studien vorliegt, die jedoch gesondert zu behandeln ist (vgl. Abschnitte 10.2 und 10.3). Anders ist Beispiel (66b) zu analysieren. Überlegungen zu den so genannten Partikelverben des Deutschen (vgl. Knobloch 2009, Felfe 2012) stehen in direktem Zusammenhang mit den Resultativ-Konstruktionen (vgl. Eisenberg 2006 I: 264) und sind als Gegenstand für syntaktisch motivierte konstruktionsgrammatische Studien aus verschiedenen Gründen besonders interessant. Partikelverben inkorporieren morphologisch, wie hier das Verb an–––––––— 100
101
Vgl. bspw. Boas 2003; Broccias im Druck; Chang 2008; Goldberg & Jackendoff 2004; Müller 2007. Vgl. zum Problem der Aktionsarten im Zusammenhang mit einer Analyse der Konstruktionsbedeutung Abschnitt 9.4.
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spielen, eine Präposition, was zur Folge hat, dass das Basisverb spielen modifiziert wird. Funktionale Grammatiken beschreiben dieses Phänomen so: Die Partikel hat dieselbe Bedeutung wie die Präposition, nur bleibt die Ortsangabe [im Nachbereich von an] implizit. [...] Im Übergang zum Partikelverb findet keine Argumentvererbung, sondern lediglich die Ersetzung eines expliziten durch ein implizites Argument statt. (Eisenberg 2006 I: 265)
Was Eisenberg hier nicht expliziert, ist, dass sich auch die Bedeutung des so genannten Basisverbs spielen in der Konstruktion mit einer präpositionalen Partikel signifikant verändert bzw. vereindeutigt: einspielen, anspielen, ausspielen, aufspielen usw. Diese Veränderung ist nicht vorhersagbar. Darüber hinaus sind Partikelverben als Konstruktionen, als die sie hier angesehen werden sollen, höchst produktiv und hochfrequent (Felfe 2012): „[P]räpositionale[…] Verbpartikeln sind für den Ausbau des Verbwortschatzes besonders wichtig“ (DUDEN 4 2009: 698). Dabei ist die Einschätzung ihres konstruktionalen Status umstritten – sind sie eher als syntaktische oder morphologische Konstruktionen zu behandeln? Müller (etwa 2002, 2007) schlägt in verschiedenen Beiträgen aus Sicht der Kopfgesteuerten Phrasenstrukturgrammatik vor, dass „Partikelverben wie Verbalkomplexe und Resultativ-Konstruktionen in der Syntax analysiert werden müssen“ (Müller 2007: 184). Partikelverben seien durch Lexikonregeln zu lizenzieren, wie auch Boas (2003) vorgeschlagen habe. Das wird auch in der Ablehnung phrasaler Konstruktionen (vgl. Booij 2002) deutlich, weil man dann „spezielle ‚Konstruktionen‘ für Partikelverben mit extrahierter bzw. umgestellter Partikel“ bräuchte (Müller 2007: 199). Aus unserer Sicht und der oben entwickelten Möglichkeit, Konstruktionsbedeutungen im Rückgriff auf semantische Rollen zu analysieren (vgl. Abschnitt 9), kommen wir zu einem anderen Schluss. So spricht unseres Erachtens einiges dafür, dass eine solche Zurückweisung aus der Perspektive des Satzbaues nicht genügend darauf achtet, in welchen Kontexten Partikelverben Einsatz finden und wie daraus ihr besonderes Verhalten – wie Aufspaltung, Voran- wie Nachstellung der Partikel – beschrieben werden kann. Das von Müller (2007: 183) angeführte Beispiel (67) scheint jedenfalls sowohl (schriftlinguistisch) orthographisch falsch wie grammatisch nicht akzeptabel und damit kaum geeignet zu sein, um schlussendlich zu zeigen, dass „die Argumente für eine morphologische Analyse entkräftet wurden“ (Müller 2007: 184). (67) Ich weiß, dass die Sonne auf im Osten und unter im Westen geht.
Knobloch (2009) kommt aus Sicht sprachgebrauchsbasierter Ansätze zu einem einfachen Schluss, der die Differenzen zwischen etablierten Grammatikbeschreibungsmodellen, unifikationsbasiert-konstruktionsgrammatischen Ansätzen und einem gebrauchsbasierten Modell deutlich aufzeigt. Seiner Meinung nach erlaubt es die Axiomatik der KG, den alten Streit über den strukturellen ‚Ort‘ der Partikelverben (in der Syntax, in der Wortbildung, in der Morphologie oder im Lexikon) ad acta zu legen. Die KG gesteht allen Konstruktionen quasi-lexikalischen Status zu und erklärt die Opposition von syntaktischen und morphologischen Formaten für weithin irrelevant. (Knobloch 2009: 545)
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Letztlich arbeitet Müller, der sich ähnlich wie die Berkeley Construction Grammar und die Sign-Based Construction Grammar der Kopfgesteuerten Phrasenstrukturgrammatik verpflichtet fühlt, nicht sprachgebrauchsbasiert. Und wenn Knobloch (2009) Beispiele des Sprachgebrauchs analysiert, greift auch er nicht auf Erkenntnisse aus korpuslinguistischen Studien zurück (vgl. Abschnitt 4 und 6.2). Dies wäre aber hinsichtlich der aufgeworfenen Fragen nach dem konstruktionalen Status von Partikelverben notwendig, wie Felfe (2012) zeigt.102 Auch die besondere Betonung von Partikelverben in der gesprochenen Sprache („Anders als die verbalen Präfixe werden Verbpartikeln im Wort stets betont“ [DUDEN 4 2009: 697]) könnte Hinweise auf diesen besonderen Status liefern, mit dem sich die Interaktionale Linguistik beschäftigt (vgl. Abschnitt 10.4).103 Welchen Komplexitätsgrad diese Fragen annehmen können, zeigen erste Forschungsergebnisse zu Geräusch-als-Bewegung-Verben, etwa durch Goschler (2011). Von Geräuschals-Bewegung-Verben könnte ein signifikanter Teil – dank (atelischem) adverbialem bzw. substantivischem Erstglied (vgl. dazu DUDEN 4 2009: 699ff.) – auch als Partikelverben aufzufassen und zu beschreiben sein, ganz im Gegensatz etwa zu Geräuschverben, die mit (telischem) präpositionalem Lokaladverbial auftreten: (68) a. Er rauschte davon. b. Er rauschte zum Bahnhof.
Dies zu zeigen ist allerdings nicht Goschlers Anliegen. Sie postuliert vielmehr eine „allgemeinere intransitive Bewegungskonstruktion [...], die den Geräuschverben die Bewegungslesart aufzwingt“ (Goschler 2011: 40), und geht dabei von der semantischen Rolle des Direktionals (vgl. Abschnitt 9.4) aus, ohne die Frage nach dem syntaktischen und oder morphologischen Konstruktionsstatus z.B. von davonrauschen überhaupt stellen zu müssen. In Abschnitt 12 greifen wir dieses Beispiel auf, um in einer exemplarischen Korpusstudie das Potential des Modells für die Analyse von Konstruktionsbedeutungen aufzuzeigen. –––––––— 102
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Die Monographie kann hier leider nicht detailliert berücksichtigt werden, da sie erst in der Schlussredaktionsphase dieser Einführung vorlag. Ein ähnlich gelagertes Phänomen sind die so genannten Funktionsverben (von Polenz 1963) und spezieller die Funktionsverbgefüge im Deutschen (vgl. etwa Eisenberg 2006 II: 309-317; DUDEN 4 2006: 424-435; DUDEN 4 2009: 418-429), mit denen sich funktionale Grammatiken auseinandersetzen: „Sollte sich ‚Funktionsverb‘ (FV) als grammatische Kategorie erweisen, wäre sie als Wortkategorie neben den Vollverben, Kopulaverben und Modalverben anzusiedeln“. (Eisenberg 2006 II: 309). Diese kategoriale Unschärfe an den Rändern des grammatischen Systems ist Indiz für die Produktivität der Sprache und vor allem ihrer BenutzerInnen – „Abgrenzungsprobleme“ sind der Normalfall deskriptiver Grammatiken lebendiger Sprachen. Als eine Variante funktionaler Grammatiken würde die Konstruktionsgrammatik allerdings vorsichtig mit der Festlegung einer neuen Wortkategorie (vgl. Abschnitt 2.3.1, Tabelle 1) im Hinblick auf die Ausdifferenzierung seines Lexikoneintrages (vgl. Abschnitt 7 und 8.1) umgehen und, da sie davon ausgeht, dass Konstruktionen als einheitliches und allgemeines Strukturformat der Grammatik aufzufassen sind, eine semantische Klassifizierung von Konstruktionen der ‚Funktionsverbgefüge‘ prüfen – wie bspw. Zeschel (2008) Funktionsverbgefüge als Idiomverbände beschreibt. Wir kommen auf diesen Beitrag im Abschnitt 10.3 zu sprechen.
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Eine weitere wichtige Entwicklung im Bereich der Syntaxforschung, die durch die soeben kurz skizzierten Forschungen angerissen wurde, betrifft die Öffnung der Valenzgrammatik für konstruktionsgrammatische Fragestellungen – und umgekehrt der Konstruktionsgrammatik für valenztheoretische Fragestellungen. Zweierlei ist daran aus konstruktionsgrammatischer Perspektive bemerkenswert. Zum einen ist für das Deutsche die Betonung der Verbvalenz im Gegensatz zum Englischen möglicherweise von entscheidender Bedeutung: Jacobs (2009) argumentiert, dass sich Verbvalenz im Deutschen besser in Form verbspezifischer Eigenschaften (analog zur Verbmorphologie) beschreiben lässt als in Form phrasaler Konstruktionen (vgl. auch Müller [2007]), und in der Tat spricht einiges dafür, dass Verben im Deutschen insgesamt spezifischere Kookkurrenzforderungen stellen als etwa im Englischen [...]. Es wäre also möglich, dass sich Argumentstrukturphänomene im Deutschen eher aus einer Kombination von lexikalisch spezifizierter Valenz und allgemeinen syntaktischen Regeln ergeben (siehe dagegen aber Goschler [2011]), während sie sich im Englischen aus einer Kombination von Verbsemantik und phrasalen Argumentstrukturkonstruktionen ergeben. (Stefanowitsch 2011b: 21)
Zum anderen können über Annahmen der Konstruktionsgrammatik Konzepte wie „Valenzpotenz“ und „Valenzrealisierung“ (Ágel 2000), die aus der Überzeugung erwachsen sind, dass eine synchrone Grammatiktheorie nicht adäquat ist, um Sprachgebrauch aus Sprachwandel zu erklären, elegant in ein valenztheoretisches Modell integriert werden. Das sei an einem prominenten Beispiel erläutert: den Passivformen des Deutschen. Für die Bestimmung der Verbvalenz wird in der Regel die Aktivform präsupponiert: Das Verb kaufen in Er kauft ein Fahrrad wird als zweiwertiges Verb eingestuft. Bei einem Wechsel ins Passiv allerdings – und dies ist eine direkte Folge der Annahme der Ableitung der Passiv- aus der Aktivform – muss von einer Änderung des Valenzverhaltens des Verbs ausgegangen werden, da der Agens (AG) nicht mehr obligatorisch kodiert werden muss: Das Fahrrad wurde (von ihm) gekauft. Für diesen Fall hatte Ágel von „Valenzpotenz“ und „Valenzrealisierung“ gesprochen. Doch ist das überhaupt notwendig? Viel spricht dafür, dass eine eigenständige Gruppe von Konstruktionen gelernt und gebraucht wird, in denen die Sprachproduktionsperspektive nicht dem üblichen Agentivitätsgefälle folgt (vgl. weiter unten Abschnitt 11 und Lasch im Druck a). Ágel hat weiter gefordert, Phänomene der Valenzdynamik und des Valenzwandels unbedingt stärker in der Forschung zu berücksichtigen (vgl. exemplarisch Ágel 2000: 269). Welke (2009 a,b) geht nun einen Schritt weiter. Im Anschluss an Jacobs (2008, 2009) und Müller (2002, 2007) arbeitet er zunächst die Schnittpunkte von Valenzgrammatik und Konstruktionsgrammatik heraus,104 um in einer Einführung in die Valenzgrammatik (Welke 2011) zu zeigen, dass sich „Valenztheorie und Konstruktionsgrammatik [...] nicht aus[schließen], sondern [einander ergänzen]“, denn „Valenzänderung ‚ist‘ über weite Strecken Konstruktionsvererbung“ (Welke 2011: 198). Um dies anhand der Konzepte „Valenzerweiterung“ und „Valenzänderung“ zu illustrieren, gewährt er der Zusammenführung –––––––— 104
Vgl. weiter Coene & Willems 2006 a,b; Herbst & Stefanowitsch 2011; Järventausta 2006; Nikula 2007; Feilke 2007; Kolehmainen 2008..
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valenztheoretischer und konstruktionsgrammatischer Überlegungen ein Drittel der gesamten Monographie. Er gelangt zu dem Schluss, dass sich eine aktuelle Valenzgrammatik von der Annahme der Projektion von syntaktischen Strukturen durch die Worteigenschaften zugunsten der Untersuchung konstruktionaler Einheiten verabschieden sollte.105 Diese Einsicht hat auch für andere Forschungsbereiche ganz erhebliche Konsequenzen (vgl. Abschnitt 10.5). Tabelle 6 gibt einen Überblick über konstruktionsgrammatische Studien, die bislang zu syntaktischen Phänomenen des Deutschen vorliegen.106 Überblicksdarstellungen Argumentstrukturkonstruktionen Resultativ-Konstruktionen Ditransitiv-Konstruktion Tempora Modus Passiv Geräusch- als-Bewegung-Verben Kognitionsverben Funktionsverbgefüge Partikelverben Valenz Präpositionalgruppen Wortbildung Konzessive Konstruktionen
Boas 2008, 2010, im Druck; Coene & Willems 2006a,b; Jacobs 2008; Stefanowitsch 2011b; Welke 2009b Engelberg et al. 2011; Imo 2007a; Rostila 2009 Boas 2003, 2011, im Druck; Chang 2008; Müller 2002, 2007 Haspelmath 2004 Hilpert 2008; Petrova 2008 Knobloch 2005; Lingnau & Schaller 2009; Petrova 2008; Stefanowitsch 2009 Abbot-Smith & Behrens 2006; Primus 2011; Lasch im Druck a Engelberg 2009; Goschler 2011 Osswald im Druck Zeschel 2008 Müller 2002, 2007; Felfe 2012 Nikula 2007; Jacobs 2009; Welke 2009a,b; Imo im Druck b de Knop im Druck; Lasch im Druck b; Rostila im Druck. Michel im Druck Rezat 2009
Tabelle 6: Konstruktionsgrammatische Studien zu morphosyntaktischen Phänomenen des Deutschen im Überblick.
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Auch wenn die Studie hier im Detail nicht eingehender besprochen werden kann, sei ausdrücklich darauf hingewiesen, dass Welke (2011: 206ff.) Fusionen von Rollen im Kontext von „Valenzerweiterungen“ thematisiert; vgl. hierzu auch Jacobs 2009 sowie Abschnitt 2.3.3 und den Eintrag Fusion (von Rollen) im Begriffsglossar. In dieser und den folgenden tabellarischen Darstellungen geben wir nach bestem Wissen und Gewissen einen Überblick über die aktuelle Forschungsliteratur in den jeweiligen Anwendungsbereichen zur Gegenstandssprache Deutsch. Wir haben uns bemüht, alle einschlägigen Studien zu erfassen, können und möchten aber dennoch keinen Anspruch auf Vollständigkeit erheben.
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10.2 Sprachwandel und Konstruktionsgrammatik Den Hinweis auf eine – auch in dieser Monographie – bislang sträflich vernachlässigte Dimension gibt Diewald (1997) im Untertitel ihrer Einführung in die Grammatikalisierung (die ebenfalls als „Germanistisches Arbeitsheft“ publiziert wurde): „eine Einführung in Sein und Werden grammatischer Formen“. Wie im vorangegangenen Abschnitt aus syntaktischer Perspektive zu sehen war, ist allein eine synchrone Betrachtung sprachlicher Phänomene nicht als adäquat einzuschätzen, wenn man konstruktionsgrammatische Prämissen zugrunde legt und damit auch Fragen nach Entwicklung, Etablierung, Stabilisierung und Destabilisierung von Konstruktionen im Sprachgebrauch stellt: 107 Das Verhältnis zwischen Lexikon und Grammatik (vgl. Abschnitt 8.1 und 10.1) sowie zentrale Eigenschaften von Konstruktionen (wie Prototypikalität, Polysemie, Produktivität, Motiviertheit, Verfestigung und Vernetzung zu Konstruktionsnetzwerken, vgl. Abschnitt 8.3) sind ohne diachrone Perspektivierung nicht präzise erfassbar. Auch ohne direkten Bezug zu konstruktionsgrammatischen Studien greift Diewald (1997) auf kognitionslinguistische Einsichten zurück, wenn sie in der Einleitung auf die „emergent grammar“ von Hopper (1988, 1991) verweist:108 [Hopper] betont, daß die Grammatik des synchronen Zustands einer Sprache letztlich kein deutlich abgegrenztes, homogenes und stabiles Regelsystem ist, wie wir im allgemeinen anzunehmen gewohnt sind, seit de Saussure den Begriff der langue prägte. Stattdessen beschreibt er die Grammatik als eine Ansammlung von „sedimentierten“ wiederkehrenden Teilen, deren mehr oder weniger regelhafte Strukturen nie stabil oder vollständig sind, sondern permanent im Sprachgebrauch verändert werden (1988: 118). Diese „entstehenden Strukturen“ (emergent constructions 1991: 27) sind daher nicht eindeutig und definitiv von lexikalischen und phraseologischen Erscheinungen zu trennen (1991: 19). (Diewald 1997: 5)
Hoppers „emergent grammar“ berücksichtigt nicht nur Sprachentwicklungen in synchronen Analysen; vielmehr charakterisiert sie den gegenwärtigen Sprachgebrauch als Resultat des Sprachwandels. Diewald, deren Arbeiten auf Erkenntnissen von Hoppers und Diewald aufbauen, bringt diese in die Grammatikalisierungs- und Sprachwandelforschung innerhalb der germanistischen Linguistik ein. In der Valenzgrammatik, die im letzten Abschnitt kurz thematisiert wurden, vertritt Ágel (2000: 274) das „Diktum“ (Welke 2011: 314): „Die Valenzrealisierung von gestern ist die Valenzpotenz von heute“. Wie wir gesehen haben, schließt sich Welke dem vorbehaltlos an und integriert konstruktionsgrammatische Ansätze in eine Valenzgrammatik aktuellen Zuschnitts. –––––––— 107
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Da sich der vorliegende Band auf das Deutsche als Gegenstandssprache konzentriert, kann an dieser Stelle auf die Arbeiten von Mirjam Fried zum Sprachwandel des Tschechischen nur verwiesen werden (vgl. etwa Fried 2005). Wie stark die einzelnen Forschungsbereiche in konstruktionsgrammatischen Studien ineinandergreifen wird nicht nur hier zwischen Syntax und Grammatikalisierung deutlich, sondern auch darin, dass Hopper (Hopper & Thompson 2007, Hopper 2011) sein Konzept einer „emergent grammar“ auf Aspekte der Temporalität in der gesprochenen Sprache angewendet hat (vgl. dazu Abschnitt 10.4).
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Die Arbeiten von Diewald stehen im Mittelpunkt jüngerer Arbeiten zur Grammatikalisierungsforschung aus konstruktionsgrammatischer Perspektive. Den Grundstein dazu legt Diewald (2007) in einer Studie, die Möglichkeiten dafür ausleuchtet, die konstruktionsgrammatischen Ansätze für ihre Studien zur Grammatikalisierung bieten. Sie kommt zu der Einsicht, dass sich [d]urch die in der Konstruktionsgrammatik mögliche flexible Granularität der Analyse [...] hier formale Lösungsoptionen [bieten], die nicht zu unbegründbaren Kategorisierungsentscheidungen zwingen, sondern die es erlauben, mit der formalen Analyse den tatsächlichen Kenntnisstand abzubilden. (Diewald 2007: 87)
Eine ähnliche Auffassung wurde bereits im Zusammenhang mit Arbeiten von Webelhuth und Welke vertreten (vgl. Abschnitt 10.1). Setzt sich Diewald (1997) in ihren frühen Arbeiten vor allem mit dem verbalen Paradigma, Aspekten der Metapher/Metonymie und nichtflektierbaren Wortarten auseinander, schlägt sie in neueren konstruktionsgrammatisch ausgerichteten Studien (z.B. Diewald 2007, 2009) die Brücke zur Idiomatik und Phraseologie – und damit gewissermaßen auch zum ‚Werden und Vergehen‘ von Konstruktionen. Gleichzeitig konzentriert sich Traugott (2008) im Zusammenhang mit der Emergenz von Konstruktionen am Begriff der „Neuheit“. Ihre Arbeiten (Traugott 2003; Hopper & Traugott 2003; Brinton & Traugott 2005; Traugott 2008; Traugott & Trousdale 2010) sowie Studien von Trousdale (2008), Hilpert (2008a,b, 2010; 2011; Hilpert & Gries 2009; Gries & Hilpert 2008, 2010) und Bergs (2005) machen deutlich, dass die Grammatikalisierungsforschung wesentlich von konstruktionsgrammatischen Studien profitiert. Jedoch bleibt zu konstatieren: Während insbesondere Arbeiten zur Entwicklung des Englischen vorgelegt werden (vgl. dazu vor allem die einschlägigen Bände von Bergs & Diewald 2008, 2009), kommt die Forschung zum Deutschen nur mühsam voran. Für das Englische zeichnen Gries und Hilpert (Hilpert & Gries 2009, Gries & Hilpert 2008, 2010) in mehreren Studien Sprachwandel und Grammatikalisierung auf der Basis der Ergebnisse einer quantitativen Korpusanalyse nach. Methodisch lösen sie damit die Prämisse der Konstruktionsgrammatik ein, Sprache im Gebrauch zu erfassen und die Emergenz von Konstruktionen in der diachronen Sprachentwicklung zu beschreiben. Hilperts Studie (2008) zur Entwicklung von Konstruktionen des Futurs im Deutschen bleibt aber neben den Arbeiten von Diewald oder Smirnova (2011) singulär, denn es ist für quantitative Korpusanalysen immer noch eine „dringliche Aufgabe [...], repräsentative Korpora des Deutschen vom Althochdeutschen bis zur Gegenwart zu erstellen“ (Lasch & Ziem 2011: 5).109 Theoretisch wird aktuell das Verhältnis von Grammatikalisierung und Konstruktionswandel diskutiert (vgl. dazu Hilpert 2011 und Smirnova 2011). Hilpert vertritt hier anders –––––––— 109
Die Initiative von Thomas Gloning auf der Jahrestagung der Gesellschaft für germanistische Sprachgeschichte 2012 in Siegen ist aus diesem Grunde unbedingt zu begrüßen. Er entwarf hier Nutzungsszenarien für Korpora älterer Sprachstufen des Deutschen (Abstract unter ; Stand: 19.12.2012).
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als Diewald (2008, 2009) die Auffassung, dass Konstruktionswandel und Grammatikalisierung keinesfalls synonym zu gebrauchen seien, denn Konstruktionswandel erfasst selektiv ein konventionalisiertes Form-Bedeutungs-Paar einer Sprache und verändert es in seiner Form, seiner Bedeutung, seiner Frequenz, seiner Verteilung in der Sprechergemeinschaft oder in einer beliebigen Kombination dieser Aspekte. (Hilpert 2011: 69)
Phänomene wie Bedeutungs- oder Wortstellungswandel sind, ganz abgesehen von schwierigen Differenzierungsprozessen innerhalb der Derivationsmorphologie, nicht über den Begriff der Grammatikalisierung, sondern den des Konstruktionswandels zu fassen (Hilpert 2011: 65), der auch Frequenzeffekte berücksichtigt. Tabelle 7 fasst konstruktionsgrammatische Studien zusammen, die bislang zu Phänomenen des Sprachwandels im Deutschen erschienen sind. Überblicksdarstellungen Idiomatische Konstruktionen Verbzweitstellung Analytisches Futur Analytische Vergangenheitstempora Komplementkonstruktionen Passiv ‚am‘-Progressiv Modalpartikel
Diewald 2007; Diewald 2009; Hilpert 2011 Diewald 2008 Freywald 2010 Hilpert 2008 Froschauer im Druck, Rödel im Druck Smirnova 2011 Lasch im Druck a Rödel im Druck Diewald 2008
Tabelle 7: Konstruktionsgrammatische Studien zu Phänomenen des Sprachwandels des Deutschen im Überblick.110
10.3 Konstruktionsgrammatische Ansätze in der Phraseologie Die konstruktionsgrammatischen Arbeiten im Rahmen der Phraseologieforschung sind noch sehr jung. Dies verwundert zunächst, denn Idiomatizität bildet den Ausgangspunkt und gleichsam die Triebfeder früher konstruktionsgrammatischer Studien, insbesondere im Rahmen der Berkeley Construction Grammar (vgl. Abschnitt 5). Phraseologismen sind Paradebeispiele für Konstruktionen (vgl. Abschnitt 7): Sie zeichnen sich gerade dadurch aus, dass ihre form- und/oder inhaltsseitigen Eigenschaften nicht vorhersagbar sind. Dies entspricht dem Verständnis von Konstruktionen als nicht-kompositionellen FormBedeutungspaaren (vgl. Definition 1 in Abschnitt 2.2.1). Erst im Anschluss an die erweiterte Bestimmung von Konstruktionen durch Goldberg (2006a: 5) (vgl. Abschnitt 2.2.3) haben konstruktionsgrammatische Konzepte in der Phraseologieforschung eine breitere Rezeption erfahren (Dobrovol’skij 2011, Staffeldt 2011a,b). –––––––— 110
Im Erscheinen ist der Band Diachronic Construction Grammar, herausgegeben von Jóhanna Barðdal u.a. bei John Benjamins (Amsterdam), der uns bis zur Drucklegung des Manuskripts leider nicht vorlag.
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Ein Grund dürfte darin bestehen, dass nunmehr die Konstruktionsgrammatik die Möglichkeit eröffnet, zwischen Graden an Idiomatizität zu differenzieren und mithin ein für phraseologische Analysezwecke hilfreiches Instrument bereitstellt. Konstruktionen gelten nun als Ergebnisse von kognitiven Verfestigungsprozessen. Sie haben den Status von sich im Sprachgebrauch (und Sprachwandel) stabilisierenden sprachlichen Mustern, die als konventionalisiert angesehen werden können. Ergebnisse aus korpuslinguistischen Studien vor allem mittels Kollokations- und Distributionsanalysen (vgl. Gries & Stefanowitsch 2004) legen nahe, unterschiedliche Grade von Verfestigungen sprachlicher Muster explizit in konstruktionsgrammatische Studien einzubeziehen. Entsprechend betrachtet man frequentes Auftreten von sprachlichen Einheiten nicht nur als Indikator für ihre Musterhaftigkeit, sondern auch für einen hohen Grad an kognitiver Verfestigung („entrenchment“). Diesen Einheiten kann so auch dann ein konstruktionaler Status zugewiesen werden, wenn deren Bedeutungen sich vollständig aus ihren Teilen erschließen lassen (vgl. Ellis & Frey & Jalkanen 2009). Phraseologismen und idiomatische Ausdrücke dienen nun nicht mehr allein dazu, konstruktionsgrammatische Theoriebildung zu motivieren (vgl. Staffeldt 2011b: 129); sie werden vielmehr selbst zum Gegenstand konstruktionsgrammatischer Studien. Innerhalb der germanistischen Linguistik sind es besonders die Arbeiten von Feilke (2004, 2007), die Möglichkeiten und Grenzen einer pragmatisch orientierten konstruktionsgrammatischen Spielart der Phraseologie thematisieren (vgl. mit Rückgriff auf Taylor 2003 auch Finkbeiner 2008, ferner: Dobrovol’skij 2011 sowie Staffeldt & Ziem 2008, Staffeldt 2010, Staffeldt 2011a,b, Ziem & Staffeldt 2011). Finkbeiner teilt mit Taylor die Einsicht, dass „constructional idioms“, also konstruktionale Idiome, produktiv seien: „their slots can be filled by different items“ (Taylor 2003: 224, vgl. Finkbeiner 2008: 392). Auch wenn sie auf Goldberg (2006a) am Rande rekurriert (Finkbeiner 2008: 392, Anmerkung 2), greift sie nicht auf Goldbergs Präzisierungen des Konstruktionsbegriffs zurück, sondern geht Hinweisen auf den konstruktionalen Status von hochfrequenten Idiomen nach, denen sich auch Gries und Stefanowitsch (2004) mithilfe von Kollokationsanalysen gewidmet haben. Besonders eindrücklich sind Finkbeiners Beispiele für bestimmte Klassen von idiomatischen Sätzen: (69) a. Das kannst du dir an den Hut stecken. b. Das kannst du dir in die Haare schmieren. c. Das kannst du den Hasen geben. d. Das kannst du in die Tonne treten. e. Das kannst du in den Harz kicken. (vgl. Finkbeiner 2008: 397)
Diese lassen sich einem „Konstruktionsmuster“ (einer Konstruktion) zuordnen, das Finkbeiner notiert als [Das kannst du + INFP], wobei INFP für Infinitivphrase steht. Mit den in Abschnitt 9 skizzierten Konzepten des Prädikationsrahmens und Aussagerahmentyps wäre eine Zerlegung des Konstruktionsmusters möglich, da das, was hier als INFP gekennzeichnet ist, selbst konstruktionalen Status aufzuweisen scheint und in eine Konstruktion der Modalisierung eingebettet ist. Zweifelsohne ist nicht nur diese INFP ein offener Slot des
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konstruktionalen Idioms, sondern auch jener Slot, der hier durch das Verb können besetzt wird. Dies illustrieren die Beispiele in (70): (70) a. Das darfst du dir (gern/gleich) an den Hut stecken. b. Das magst du dir (gern/gleich) an den Hut stecken. c. Das wirst du dir (*gern/gleich) an den Hut stecken. d. *Das sollst du dir (gern/gleich) an den Hut stecken. e. *Das musst du dir (gern/gleich) an den Hut stecken.
Während dürfen und mögen als Modalverben ohne Restriktionen in die Konstruktion eingebettet werden können, trifft das auf werden nur dann zu, wenn adverbial die futurische Lesart explizit ausgeschlossen wird. Sollen und müssen hingegen können offensichtlich in das konstruktionale Idiom nicht eingebettet werden. Um diese vorläufige Beobachtung zu überprüfen, müsste eine quantitative Untersuchung sich dieser Konstruktion annehmen. Auch wenn Finkbeiner dies nicht leistet, 111 hat ihr Beitrag den Weg für weitere phraseologische Studien geebnet; mithilfe der durchgeführten Tests zeigt sie, dass „idiomatische Konstruktionsmuster sowohl in Bezug auf den Interpretations- als auch den Produktionsaspekt als produktiv bezeichnet werden können“ (Finkbeiner 2008: 423) und damit ein wesentliches Merkmal der Konstruktionen erfüllen, die idiomatischen Wendungen und Phraseologismen implizit abgesprochen wurden. Allerdings wäre über Finkbeiners Analyse hinaus auch anzugeben, ob tatsächlich INFP in verschiedener Form generell in die Konstruktion eintreten kann, oder aber Varianten der Konstruktion nicht lizenziert werden. Beispiele wie (56) stellen die postulierte Idiomatizität auf die Probe: (71) a. Das darfst/kannst/musst/sollst du dir an die Wand hängen. b. Das darfst/kannst/musst/sollst du dir unter das Bett legen.
Dobrovol’skij (2011) legt einen grundlagentheoretischen Beitrag vor, der sich auch mit den durch Finkbeiner aufgeworfenen Problemen auseinandersetzt, indem er an verschiedenen Beispielen illustriert, dass der konstruktionelle Status verfestigter sprachlicher Einheiten graduell zu fassen ist und somit der Grad der Stabilität von Konstruktionen zu berücksichtigen sei. Besonders herauszuheben sind dabei die so genannten Phraseoschablonen (Fleischer 1997:130-134), die Dobrovol’skij als Phrasem-Konstruktionen (PhK) fasst (vgl. Dobrovol’skij 2011: 111-114). Deren Kennzeichen ist es, dass sie als Ganzes eine lexikalische Bedeutung haben, wobei bestimmte Positionen in ihrer syntaktischen Struktur lexikalisch besetzt sind, während andere Slots darstellen, die gefüllt werden müssen, indem ihre Besetzung lexikalisch frei ist und nur bestimmten semantischen Restriktionen unterliegt. (Dobrovol’skij 2011: 114)
Ähnliches haben wir bereits in den Beispielen (54) und (55) im Hinblick auf Modalverben festgestellt. Als Beispiele nennt Dobrovol’skij (2011: 114, wir folgen seiner Notation): –––––––— 111
Finkbeiner weist aber explizit auf die Notwendigkeit von Frequenzanalysen hin, vgl. Finkbeiner 2008: 408 mit Anmerkung 32.
155 [es/das IST zum Ninf]: es ist zum Verrücktwerden [was PP nicht alles V]: was du nicht alles gelesen hast [DET N1 von (DETDAT) N2]: diese Kalkhöhle von (einer) Wohnung112
Auf der Basis einer korpusbasierten Studie zur vor-sich-hin-Konstruktion plädiert Dobrovols’skij (2011: 121-127) dafür, dass „vor allem Phraseme, die in ihrer Struktur sowohl konstante lexikalische Elemente als auch offene Slots aufweisen, wobei die Sättigung dieser Slots meistens einigen schwer vorhersagbaren Konstruktionen unterliegt“, der „konstruktionsgrammatisch orientierte[n] Analyseinstrumentarien und Herangehensweisen bedürfen“ und als Phrasem-Konstruktionen (PhK) zu beschreiben sind. Ganz ähnlich argumentiert Staffeldt (2010; 2011a, b) in seinen Beiträgen. Er setzt sich in qualitativen und quantitativen Analysen zum einen mit dem Verhältnis verschiedener Verfestigungsgrade von idiomatischen Wendungen und Phraseologismen auseinander. Dabei berührt er immer wieder die Fragen nach dem Verhältnis von Lexikon und Grammatik (vgl. Abschnitt 8.1): Phraseologismen sind aus der Perspektive einer regelbasierten Syntax formseitig immer etwas weniger und bedeutungsseitig immer etwas mehr als vergleichbare syntaktische Einheiten. (Staffeldt 2011b: 131)
Mit Verweis auf Arbeiten in der Interaktionalen Linguistik plädiert er für die Annahme eines Konstruktikons (vgl. Abschnitt 8.2). Das hat für die Phraseologie erhebliche Konsequenzen, auf die Staffeldt im Rekurs auf Feilke mit folgender Frage anspielt: „Führt die Ausdehnung eines erweiterten Begriffs von Phraseologizität auf den Bereich der Syntax zu einem panphraseologischen Sprachkonzept?“ (Feilke 2007: 64 bei Staffeldt 2011b: 133). Möglicherweise hat eine solche pragmatische Öffnung auch Nachteile, aber Staffeldt kann an den Phraseologismen mit der Konstituente [in ... Hand] zeigen, dass es „viele sprachliche Einheiten gibt, deren Vorkommen unter konstruktionsgrammatischer Perspektive gut (wenn nicht besser als anders) beschrieben werden kann“ (Staffeldt 2011b: 132). Im Ergebnis seiner Analyse der Phraseologismen arbeitet er zwei Formen von Phraseologismen mit der Konstituente [in ... Hand] heraus (Staffeldt 2011b: 144; wir folgen seiner Notation): Phraseologismus 1: der Spezialistenphraseologismus Zitierform: X ist bei Y in guten/besten (richtigen) Händen [SUBJEKT + ist/sind + bei +NP + in + ADJEKTIVbewertend {gut/richtig} + Händen] Modifikationsmöglichkeit durch andere als relationale oder bewertende Adjektive, die sich auf die Art des Umgangs von Y mit Z beziehen Phraseologismus 2: der Besitzphraseologismus Zitierform: X ist in jmds. [sic!] Händen [SUBJEKT + ist/sind + in +ADJEKTIV{bewertend} + Hand/Händen] Variante: X ist in festen Händen, und [SUBJEKT + Verbstativ{liegen, sein, bleiben ...} + in {der Hand/den Händen} + {PPvon/NPGenitiv}]
–––––––— 112
Akronym „PP“ steht bei Dobrovol’skij für Personalpronomina.
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Sein entscheidendes Argument für konstruktionale Effekte ist, dass – obwohl die Phraseologismen miteinander verwandt sind – hier keine Varianten desselben Phraseologismus vorliegen, da sich, arbeitet man sprachgebrauchsbasiert, starke syntaktische und semantische Restriktionen beobachten lassen: „Wenn die artikellose NP in guten/besten Händen vorliegt, so ist das Auftreten einer von-PP offenbar gesperrt“ (Staffeldt 2011b: 145). Diese – und andere – Restriktionen können allerdings keinen Hinweis darauf liefern, weshalb die bei-PP nur in den „Spezialistenphraseologismus“ eingebettet wird. Staffeldt schließt weiter Implikaturen, Präsuppositionen und indirekte Sprechakte als Ursache für diese Beschränkungen aus und kommt zum Schluss: „Die Spezialistenbedeutung ist in der Hand der Konstruktion“ (Staffeldt 2011b 144), sprich: Die Konstruktionsbedeutung erzwingt jeweils eine bestimmte Lesart und auch die Besetzung eines offenen Slots im Phraseologismus. Bislang liegt eine Reihe von konstruktionsgrammatischen Untersuchungen zu Phraseologismen des Deutschen vor; Tabelle 8 gibt einen Überblick. Überblicksdarstellungen Regel und Muster Deiktische Konstruktionen Somatismen/Körperkonzepte Idiome (allgemein) Funktionsverbgefüge
Dobrovol’skij 2011; Dobrovol’skij & Šarandin 2010, Feilke 2007; Gries 2008 Zeschel 2011 Dobrovol’skij 2010 Staffeldt 2010, 2011a,b; Staffeldt & Ziem 2008, Ziem & Staffeldt 2011 Birkner 2008b; Dobrovol’skij 2011; Stathi 2011; Zeschel 2008; Diedrichsen im Druck; Richter & Sailer im Druck Rostila 2011a
Tabelle 8: Konstruktionsgrammatische Studien zu phraseologischen Phänomenen des Deutschen im Überblick. Aufgabe 4: Informieren Sie sich in aktuellen (!) funktionalen Grammatiken zum Gegenwartsdeutschen (z.B. DUDEN4 2009) über die sprachlichen Phänomene der Modalisierung und Modalität. Diskutieren Sie die Beispielsätze in (69), (70) und (71) mit Blick auf die Frage, auf welchen Ebenen der Sprachbeschreibung von Modalität gesprochen wird und wie man aus konstruktionsgrammatischer Perspektive z. B. Konstruktionen mit Modalverben wie in (69) bis (71) beschreiben könnte.
10.4 Konstruktionen in der Interaktionalen Linguistik Auch die Gesprochene-Sprache-Forschung hat sich in zahlreichen Studien mit idiomatischen Wendungen und Phraseologismen auseinandergesetzt. Die Motivation, konstruktionsgrammatische Forschungen einzubeziehen, liegt aber woanders. Die Interaktionale Linguistik ist, anders als im angloamerikanischen Raum (mit Ausnahme von Fried & Östman 2005), in der germanistischen Linguistik sogar wesentlich an der Rezeption und Weiter-
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entwicklung konstruktionsgrammatischer Ansätze beteiligt. 113 Die Entwicklung einer pragmatisch fundierten Konstruktionsgrammatik der gesprochenen Sprache bietet dieser nämlich die Option, sich von ‚Defizitmodellen‘ zu lösen, die die ‚Grammatik des gesprochenen Deutsch‘ immer in Relation zu einer (regelbasierten) Grammatik der (schriftsprachlichen) Standardsprache setzen (Lasch & Ziem 2011: 6) und die Eigenheiten und Eigengesetzlichkeiten gesprochener Sprache adäquat und systematisch zu beschreiben (vgl. Deppermann 2011a,b,c). Auch Auer & Pfänder (2011: 8) bemerken: In spoken language, syntactic structures often do not conform to sentences in the sense of schoolbook grammar. They may be highly elliptical and often lack all the ingredients of a ‘proper sentence’ and often consist of only one word. In this context, the term ‘construction’ offers a convenient way of avoiding the problematic and presupposing notion of a sentence.
Die aktuelle Diskussion hat nicht nur das Ziel, problematische Zuweisungen zu vermeiden, sondern vor allem, eine Grammatik oder „Theorie der verbalen Interaktion“ (Deppermann 2011b) auf der Basis einer gebrauchsbasierten Konstruktionsgrammatik hervorzubringen, um von der Beobachtung von Einzelphänomenen zu theoretisch begründeten Generalisierungen zu gelangen. Im Augenblick werden unterschiedliche konstruktionsgrammatische Ansätze zur Analyse gesprochener Sprache verwendet. Der von Auer und Pfänder (2011) herausgegebene Band ist in verschiedener Hinsicht exemplarisch für die derzeitige Entwicklung innerhalb der Interaktionalen Linguistik. In diesem Band wird der Versuch unternommen, Hoppers Konzept der „emergent grammar“, das bereits im Zusammenhang mit Sprachwandel und Grammatikalisierung erwähnt wurde, auf die Phänomenbereiche der gesprochenen Sprache anzuwenden. Hopper (1988) postuliert – als Korrektiv zu generativen Ansätzen – ein sprachgebrauchsbasiertes Grammatikmodell: Rather, emergent grammar focuses on the collective sum of actual speakers’ experiences which is seen as the basis for the creation of new utterances without determining their structure. (Auer & Pfänder 2011: 4)
An dieser Stelle ist noch nicht von „gesprochener Sprache“ die Rede, sondern allgemein von Sprachgebrauch. Hoppers Ansatz ist genereller, wie auch Auer und Pfänder darlegen: He uses the terms “emergent” and “emerging” to distinguish the synchronic from the diachronic approach to emergence in language: The two follow a very different kind of temporality. Emerging grammar focuses on the resultative states and investigates how they are reached in time, while emergent grammar focuses on the processuality of an ongoing, temporally structured, neverfinished process of ‘languaging’. (Auer & Pfänder 2011: 5)
–––––––— 113
Die Erforschung der gesprochenen Sprache hat sich innerhalb der germanistischen Linguistik nicht nur stark an gebrauchsorientierten Ansätzen und Konzepten orientiert; sie hat diese vielmehr maßgeblich mitentwickelt, ausgestaltet und geprägt. Mit Blick auf die Gegenstandssprache Deutsch stellt sie entsprechend den größten Forschungsbereich der Konstruktionsgrammatik dar.
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Diese Auffassung lässt sich ohne Schwierigkeiten mit den Positionen in Einklang bringen, die im Bereich der Grammatikalisierungsforschung in Bezug auf den Sprachwandel vertreten wurden (vgl. Abschnitt 10.2). Den Bogen zu einer Neufassung der Hopper’schen Begriffe schlagen Auer und Pfänder (2011: 8) über den Gestalt-Begriff, der – bei aller Vorsicht – in linguistischen Arbeiten zur Plausibilisierung von Hypothesen vor allem in Bezug auf die Projizierung von Konstruktionen in der Realisierung eines Gesprächsaktes herangezogen werden kann (vgl. dazu Imo 2011c) und sich möglicherweise auch dazu als dienlich erweist, sprachliche Kategorisierungen von SprecherInnen besser zu fassen (vgl. Auer & Pfänder 2011: 8): [C]onstructions can be seen as emergent gestalts, i.e. units whose non completion or completion is herable on the basis of projections operating at any level of their unfolding in time, but which, at the moment they are completed, have all the qualities of an oversummative structure. Temporality and projection are essential components of emergent grammar.
Auer und Pfänder beziehen die Hopperʼsche Differenzierung nun mithilfe des GestaltBegriffs sowie der Aspekte der Temporalität und Projektion auf eine konkrete Äußerungssituation. Sie unterscheiden zwischen emergenten Konstruktionen einerseits, die sich in der (historischen) Genese hinsichtlich ihrer Struktur und ihrer Bedeutung ganz wesentlich dem Online-Charakter der Sprachproduktion und den dafür zentralen Aspekten der Temporalität und Projektion (einer ‚guten‘ Gestalt) verdanken, und „emerging constructions“ andererseits, die im aktuellen Gespräch hervorgebracht werden und Ausgangspunkt für Sprachwandelphänomene auf der Basis emergenter Konstruktionen sein können, aber nicht müssen.114 Damit ist faktisch die Hopperʼsche Begrifflichkeit nicht nur in einen neuen Kontext gestellt, sondern es liegt auch ein interessanter Vorschlag vor, terminologisch zwischen Konstruktion als Muster und Konstruktion als Realisierung zu unterscheiden, was sich auch auf andere Forschungsbereiche übertragen ließe. An Beschreibungen der gesprochenen Sprache unter Berücksichtigung ihrer Spezifika wird, auch unter den Prämissen der Konstruktionsgrammatik, freilich schon lang gearbeitet. Systematische und theoretische Überlegungen, wie die eben vorgestellten, rahmen diese Arbeiten und zeigen Eigenheiten und Eigengesetzlichkeiten in einer „Theorie der verbalen Interaktion“ auf. Auers (2002) Überlegungen zur On line-Syntax (vgl. auch Auer 2007a,b, 2008) liegen auch seinem Beitrag zum Sammelband Konstruktionen in der Interaktion (herausgegeben von Günthner und Imo) zugrunde, in dem er am Beispiel von soKonstruktionen Konstruktionsgrammatik und Gesprächsanalyse programmatisch zusammenführt (vgl. Auer 2006a). In demselben Band ist auch Deppermann vertreten, der sich bereits zuvor für mögliche Synergien zwischen Kognitionswissenschaften und Gesprächsforschung (vgl. Deppermann 2002) interessiert hat. An einer anderen Stelle stellt Deppermann (2006) sein Verständnis der Konstruktionsgrammatik als „Grammatik für die Interak–––––––— 114
Mit dieser Überlegung wenden sich Auer und Pfänder gegen Kritik am Ansatz Hoppers (z.B. durch Oesterreicher 2001), dass eine Emerging Grammar immer einer invertierten Teleologie folgen müsse, die den gegenwärtigen Zustand („emerging grammar“) aus dem Ausschluss von Varianten im Sprachwandel („emergent grammar“) erklären müsse.
159
tion“, die er zuletzt in einem instruktiven Beitrag zu den Gemeinsamkeiten und Unterschieden konstruktionsgrammatischer und interaktionstheoretischer Ansätze aktualisierte (Deppermann 2011b). Die meisten der BeiträgerInnen zum Band Konstruktionen in der Interaktion haben in den letzten Jahren intensiv und systematisch an konstruktionsgrammatischen Fragestellungen gearbeitet und sorgen so mit dafür, dass die Interaktionale Linguistik heute zum einen ein zentraler Forschungsbereich der Konstruktionsgrammatik ist und dabei zum anderen eng verzahnt mit anderen Forschungsbereichen an Phänomenen der gesprochenen Sprache arbeitet (vgl. Abschnitte 10.3 und 10.5).115 Es ist jedoch hervorzuheben, dass sich die Interaktionale Linguistik in vielfacher Hinsicht von den bisher betrachteten Forschungsbereichen unterscheidet. Das beginnt damit, dass hier – auch aus Ermangelung anderer technischer Möglichkeiten – meist qualitativ datenbasiert gearbeitet wird. Anders als Arbeiten zur Syntax, Morphologie, zum Sprachwandel und teilweise zur Phraseologie ist die Interaktionale Linguistik gezwungen, ihr Material mühevoll zu erschließen und bereits während der Transkription gesprochener Sprache, ja schon bei der Korpuserstellung, darauf zu achten, dass man für die Konstruktionsgrammatik relevante Aspekte bei der Transkription unbedingt mit berücksichtigt. Das Problem, dass im Material möglicherweise erst sichtbar wird, was man faktisch ohnehin sucht, bleibt zwar eine methodologische Herausforderung in der aktuellen Forschung; Reflektionen über das angewandte qualitative Analyseverfahren können aber Rechenschaft über die gewählten methodischen Zugänge und den jeweils avisierten Phänomenbereich ablegen (vgl. dazu Abschnitt 6.3). Strukturell steht die Interaktionale Linguistik vor ähnlichen ‚Datenproblemen‘ wie die Forschung zum Sprachwandel bzw. zur Grammatikalisierung (vgl. Abschnitt 10.2). Fehlen dort große historische Korpora für maschinelle Sprachanalysen, müssen in der Interaktionalen Linguistik auch aktuelle Daten für qualitative Untersuchungen erst genau geprüft werden; maschinelle Analysen sind derzeit nur begrenzt möglich. In empirischen Arbeiten stehen im Moment vor allem die Phänomene im Mittelpunkt des Interesses, die man mit Auer und Pfänder (2011: 14) als „ermerging constructions“ bezeichnen könnte, also jene Konstruktionen, die erst während des Sprechens auf der Basis von „emergent constructions“ entstehen (und sich möglicherweise etablieren und zu Sprachwandel führen) und auch kollaborativ produziert werden können. Zur Veranschaulichung möglicher Konsequenzen aus den angestellten Überlegungen können so genannte ‚Gartenpfad‘-Sätze wie (72) dienen. Gartenpfad-Sätze sind Sätze, deren erster Teil zunächst eine bestimmte Interpretation nahelegt, die jedoch bei fortschreitender Lektüre des Satzes revidiert und korrigiert werden muss. Imo (2011c) setzt sich mit –––––––— 115
Vgl. Auer 2005, 2006a,b, 2007a,b, 2008; Deppermann 2006, 2007, 2009, 2011a,b,c, 2012; Deppermann & Elstermann 2008; Fischer 2006, 2007, 2008; Hopper 2008, 2011, 2011, Birkner 2008a,b; Günthner & Bücker 2009; Günthner 2006a,b, 2008a,b,c, 2009a,b, 2010, 2011; Behrens 2009a,b, 2011a,b; Knobloch 2009; Imo 2006, 2007a,b,c, 2008, 2009, 2010, 2011a,b,c und im Druck.
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der Frage auseinander, ob Gartenpfad-Sätze in der täglichen Konversation vorkommen. Ihr wesentliches Merkmal ist die nicht beabsichtigte Ambiguität so etwa in (72): (72) Der Fahrer trat auf die Bremse, weil sie ihn gestochen hatte.
Die Ambiguität rührt aus der Polysemie von Bremse (technisches Hilfsmittel/Insekt) und führt zu einem erzwungenen Lesartenwechsel („coercion“) (Imo 2011c: 128). Obwohl Imo an verschiedenen Beispielen illustriert, dass die Ambiguität solcher Äußerungen leicht auflösbar ist (und bisweilen für komische Zwecke eingesetzt wird), so ist dennoch zu konstatieren, dass ‚Gartenpfad‘-Sätze in den von ihm untersuchten Korpora kaum auftreten. Er zieht daraus folgende Schlüsse: Missverständnisse werden im Deutschen (im Gegensatz zum Englischen durch morphologische und syntaktische Markierungen reduziert (vgl. Auer 2007a, Imo 2011c: 149). Zum anderen sind die kontextuellen Zwänge in natürlichen Gesprächen so dominant, dass Ambiguitäten in den meisten Fällen ausgeschlossen werden können. Gelingt dies nicht, so ist bemerkenswert, dass Interaktanten offenbar mit Ambiguitäten leben können und nicht gezwungen sind, diese kommunikativ aufzuarbeiten (vgl. Imo 2011c: 149). Auch wenn Imo faktisch ein Fallbeispiel beinahe ohne Beispiele diskutiert, so lassen sich aus seinen Überlegungen Einsichten ableiten, die für die obigen Ausführungen von Bedeutung sind. An ‚Gartenpfad‘-Sätzen wird deutlich, dass der Aspekt der Temporalität von entscheidender Bedeutung in der Online-Sprachproduktion ist – erst durch den sukzessiven Aufbau einer ‚emergent construction‘ und der Projektion einer Gestalt kann eine Erwartung geweckt werden, die durch einen erzwungenen Lesartenwechsel durch die Ausnutzung einer Ambiguität gebrochen wird. In einer solchen „emerging construction“, die erst nach der Realisierung ihr ganzes Bedeutungspotential offenbart, kann man den prozessualen Charakter von gesprochener natürlicher Sprache (vgl. Imo 2011c: 153) beinahe mit Händen greifen. Aber eben nur beinahe: „Comedy and linguistic experiments seem to be the ‘natural’ locus of such structures“ (Imo 2011c: 149). Diese Untersuchungen Imos sind also (auch) als Versuch der Umsetzung des Anspruchs zu deuten, eine interaktionale Grammatik zu etablieren, indem die ansonsten eher grammatiktheorieferne Interaktionale Linguistik auf ein grammatiktheoretisches Fundament gestellt wird. Anders lassen sich Arbeiten bewerten, die mittels konstruktionsgrammatisch motivierter Fragen Phänomene in den Blick nehmen, die bei qualitativen Analysen gesprochener Sprache bisher eher nicht berücksichtigt worden sind. Günthner widmet sich beispielsweise seit Jahren „Projektor-Konstruktionen“ (vgl. etwa Günthner 2008a,b,c, 2009, 2011), also solchen sprachlichen Konstruktionen, die eine „Projektionsspanne“ öffnen (2008a: 163): (73) die sache is; er will mir nich MAL den nSchein anerKENnen;
Die Projektor-Konstruktion [[die Sache/das Ding ist][X]] ermöglicht es den SprecherInnen, eine komplexe Erweiterung vorzubereiten: Der „Matrixsatz“, den Günthner mit Auer als „abhängigen Hauptsatz“ (Günthner 2008a: 163) beschreibt, wird in eine Argumentstelle der Projektor-Konstruktion eingebettet, die der Komplementsatz die Sache/das Ding ist aufspannt. Den Matrixsatz damit als „Projektorphrase“ aufzufassen, „widerspricht in zentralen
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Aspekten (außer dem der Desemantisierung und der Fixierung) den klassischen Grammatikalisierungskategorien [...], die sich allerdings primär an morphosyntaktischen Entwicklungen orientieren.“ (Günthner 2008a: 169). Tabelle 9 gibt einen Überblick über konstruktionsgrammatische Studien zum gesprochenen Deutsch. Überblicksdarstellungen
Sprecherwechsel Diskurspartikeln so-Konstruktion Inkremente Relativsatzkonstruktionen Phraseologismen/Idiome Humor Quotativ-Konstruktion Konstruktionen mit ‚verstehen‘ Pfad und Bewegung Projektor-Konstruktion Adverbien Modalpartikeln Diskursmarker Erkenntnisprozessmarker Interjektionen Pseudocleft-Konstruktionen „von XP her“ Gartenpfad-Sätze Gattungen/Genres Verberststellung
Auer 2002,2005, 2006a, 2007a,b, 2008; Auer & Pfänder 2011; Betz 2008; Deppermann 2002, 2006, 2007, 2011a,b, 2012; Fischer 2006, 2007; Fried & Östman 2005; Günthner 2005, 2006, 2010; Günthner & Imo 2006; Günthner & Bücker 2009; Günthner & Hopper 2010, Imo 2007a,b,c, 2011a,b; Selting 2004; Uhmann 2006 Selting 2005 Alm 2007; Fischer 2006 Auer 2006a Auer 2006b; Imo 2011b Birkner 2008a Birkner 2008b Brône 2008, 2010 Bücker 2009; Imo 2007 Deppermann & Elstermann 2008; Deppermann 2011c; Imo 2007 Goschler & Stefanowitsch 2010 Günthner 2008a,b,c, 2009, 2011 Imo 2010a Alm 2007; Imo 2008 Imo 2012 Imo 2009 Reber & Couper-Kuhlen 2010; Imo 2009 Günthner 2006a Bücker im Druck Imo 2011b,c Günthner 2006b; Imo 2010b Auer & Lindström 2011
Tabelle 9: Konstruktionsgrammatische Studien zu Aspekten der gesprochenen Sprache mit Fokus auf die Gegenstandssprache Deutsch im Überblick. Aufgabe 5: Recherchieren Sie im Anschluss an Günthner (2008a: 167) Beispiele für die ProjektorKonstruktion [[die Sache/das Ding/der Punkt ist][X]] in unterschiedlichen Onlinequellen, wie etwa Foren, Newsgroups, Chats oder Blogs. Bestimmen Sie die Einheiten der „Projektorphrase“ in syntaktischer Hinsicht. Welche Arten von Aussagen werden als „abhängige Matrixsätze“ in die Projektor-Konstruktion eingebettet? Diskutieren Sie die Auswirkung der Befunde auf den syntaktischen Stellenwert der Projektor-Konstruktion und vergleichen Sie verschiedene Realisierungen von Projektor-Konstruktionen miteinander.
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10.5 (Erst-)Spracherwerb konstruktionsgrammatisch In den vorangegangenen Abschnitten haben wir uns am Beispiel des Deutschen mit genuin syntaktischen Phänomenen, dem Sprachwandel, der Phraseologieforschung sowie der Interaktionalen Linguistik auseinandergesetzt. Darüber hinaus sind konstruktionsgrammatische Theoreme auch für die Spracherwerbsforschung relevant. Trotz großer Überschneidungen verwundert es, dass die Interaktionale Linguistik und die Spracherwerbsforschung bislang kaum gemeinsame Forschungsergebnisse vorgelegt haben. Es sind insbesondere die kognitionslinguistischen Arbeiten von Tomasello (etwa 1998, 2000 a,b und vor allem 2003, 2006 a,b,c und 2009), die kognitiv-gebrauchsbasierte konstruktionsgrammatische Ansätze (vgl. Abschnitt 4) in der germanistischen Linguistik bekannt gemacht haben, sowie die Überlegungen von Behrens (2000, 2005, 2006, 2009a,b, 2011a,b), die die Spracherwerbsforschung zu einem zentralen Betätigungsfeld für die Konstruktionsgrammatik aufgebaut haben. Zahlreiche Einsichten, die konstruktionsgrammatische Studien zur Gegenstandssprache Deutsch heute zur Grundlage ihrer theoretischen und methodischen Ausrichtung machen, beruhen auf den Ergebnissen, die die erwähnten Untersuchungen zur Gegenstandssprache Deutsch vorgelegt haben: Zwischen der konstruktionsgrammatisch orientierten Spracherwerbsforschung und der Kognitiven Linguistik besteht eine enge Verbindung, und wie schon in Abschnitt 7 angesprochen, teilen sie wesentliche Prinzipien. Von grundsätzlicher Relevanz ist der Befund, dass Konstruktionen schemageleitet und item-gestützt („item-based“) gelernt werden müssen und funktional kategorisiert werden (Tomasello 2003, 2006a,b,c, 2007 und 2008; Brandt 2011; Stumper 2011). Voraussetzung ist dafür soziales Lernen: Kommunikatives Handeln lässt sich nicht von kontextuellen Bedingungen ablösen, zu denen Umgebungs- und Situationsvariablen ebenso zu zählen sind wie (kopräsente) PartnerInnen der Interaktion. Nur in konkreten Kommunikationssituationen stellt sich die für den Erwerb von Konstruktionen notwendige intersubjektiv geteilte Intentionalität („shared intentionality“) ein. Notwendig ist dafür ein gemeinsamer Aufmerksamkeitsfokus („joint attention“) der InteraktionspartnerInnen (Tomasello 2006a,b). Die Abstraktionseinheit für das Kind ist dabei die Äußerung in ihrer situativen Gebundenheit und ihrer Diskursfunktion, mithin die Konstruktion. [...] Der Kontrast zum Valenzbegriff bzw. dem der Argumentstruktur in seiner formaleren Definition liegt darin, dass die lexikalischen Eigenschaften der Wörter die Syntax nicht projizieren, sondern dass sowohl die Eigenschaften der Lemmas als auch die der Morphosyntax aus ihrem Vorkommen in konkreten Sätzen abgeleitet werden. (Behrens 2011b: 376)
In Abgrenzung zur projizierenden Valenztheorie wird der Unterschied zwischen Konstruktions- und Valenzgrammatik deutlich (vgl. Abschnitt 10.1). Die Spracherwerbsforschung hebt sich nicht nur dadurch von den anderen hier besprochenen Forschungsbereichen ab, dass sie schon sehr früh auf konstruktionsgrammatische Arbeiten Bezug genommen hat; sie steht auch mit Blick auf die verwendeten Daten weniger der Syntax-, Phraseologie- und Grammatikalisierungsforschung nahe als der Interaktionalen Linguistik. So zeigt die Spracherwerbsforschung anhand von gesprochensprachlichem
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Material, das z.T. auch experimentell gewonnen wird, seit Jahren erfolgreich, dass einzelne Entwicklungsstufen im (Erst-)Spracherwerb nicht mittels ‚Defizitmodellen‘ zu beschreiben sind (vgl. Behrens 2009a,b und 2011a,b). Auch wenn bereits früh in der Spracherwerbsforschung auf die „Eigenregeln“ kindlicher Sprache verwiesen wurde (Stern & Stern 1928 [Nachdruck 1987] mit Behrens 2011a), so ist es [e]in Kernproblem [...], dass wir es mit einem sich entwickelnden System zu tun haben, das oberflächlich der Erwachsenensprache mehr oder weniger ähnlich ist: Eine Möglichkeit der Beschreibung von Kindersprache ist also die, sie als Abweichung zum Erwachsenensystem zu beschreiben. (Behrens 2011a: 165)
Die gebrauchsbasierte Konstruktionsgrammatik offeriert dagegen eine andere Option, denn Ausgangspunkt bildet die Annahme, dass sich Sprachstrukturen aus dem Gebrauch heraus entwickeln und mit diesem stetig verändern und nie ein geschlossenes System etablieren. Wie bei der Interaktionalen Linguistik liegt in der Adaption dieser Auffassung die starke Motivation dafür, die Spracherwerbsforschung an ein gebrauchsbasiert-konstruktionsgrammatisch arbeitendes und an ein an kognitiven Prozessen interessiertes Sprachmodell auszurichten. Konzeptionell sieht sich dieses der Cognitive Grammar Langackers (1987, 1991, 2000, 2006a,b, 2007) verpflichtet. Die Ausgangsprämissen der Cognitive Grammar (vgl. Abschnitt 4.1 und 4.2) werden zu den Prämissen der konstruktionsgrammatischen Spracherwerbsforschung. 116 Das Haupterkenntnisinteresse richtet sich dabei auf die Bestimmung der Eigengesetzlichkeiten des sich verändernden Systems einer ‚Kindersprache‘ sowie auf die Beschreibung der Emergenz sprachlicher Kategorien (vgl. dazu Behrens 2011a: 172-174). Wie sich der Erwerb einfacher bis hin zu komplexen Konstruktionen gestaltet, hat Diessel (2007, im Druck) am Erwerb des Englischen illustriert. Seine Ergebnisse lassen sich auf das Deutsche – zumindest partiell – übertragen und seien deshalb hier kurz vorgestellt. Zu den „frühen Konstruktionen“ zählt er Einwortsätze und Holophrasen wie (74) bis (76). (74) Mommy. (75) Lookit. (76) Allgone.
Setzt man den hier entwickelten erweiterten Konstruktionsbegriff an (vgl. Definition 3 in Abschnitt 7), dann sind diese Äußerungen als Konstruktionen anzusehen. Sie sind konventionalisierte Form-Bedeutungspaare, die kognitiv einen gestalthaften Charakter haben und sich kontextgebunden im Sprachgebrauch herausbilden und verändern. In der Generativen Grammatik [hingegen] sind sprachliche Symbole auf den Bereich des Lexikons beschränkt, d.h. Wörter [wie die der Beispiele] und idiomatische Wendungen werden als
–––––––— 116
Dazu gehören etwa: (a) Sprachliche Einheiten sind symbolischer Natur; (b) sprachliche Strukturen entstehen im Sprachgebrauch; (c) Äußerungen bilden die Basiseinheiten einer Sprache; (d) Sprachstrukturen sind aus konkreten sprachlichen Äußerungen abzuleiten.
164 konventionalisierte Form-Funktionseinheiten gesehen, wohingegen der Form von Phrasen (und Sätzen) keine konventionalisierte Bedeutung zugewiesen wird. (Diessel 2007: 40)
In einem weiteren Entwicklungsschritt werden diese Konstruktionen aufgebrochen und differenziert zu zweigliedrigen Äußerungen wie etwa (77) und (78). (77) That’s Daddy. (78) Mama get(-)it.
In der Spracherwerbsforschung werden diese Äußerungen als Realisierungen von lexikalisch-spezifischen Konstruktionen aufgefasst, die einen festen Bestandteil haben (that’s und get[-]it), während der andere Bestandteil in einen Slot tritt, der von der Konstruktion geöffnet wird. Das Modell der Konstruktionsgrammatik ist bestens geeignet, diese frühen Konstruktionen adäquat zu beschreiben. Kritik daran, dass so allerdings keine komplexen Konstruktionen beschrieben werden könnten, weist Diessel (2007: 41ff.) zurück. Ähnlich Behrens. Sie zeigt (2011a,b) verschiedene Erwerbsstufen am LEO-Korpus auf. Auch illustriert sie zusammen mit Abbot-Smith bereits 2006, wie ‚Stützkonstruktionen‘ den Erwerb von Konstruktionen begünstigen und erleichtern können. Am LEO-Korpus weisen sie anhand der Type-Frequenz nach, dass das sein-Passiv früher erlernt wird als das werden-Passiv. Damit bestätigen sie zwar zunächst nur den allgemeinen Forschungsstand zum Erwerb von Passivstrukturen, illustrieren allerdings vor dem Hintergrund dieser Ergebnisse, wie man eine Hypothese der Forschung, nämlich die, dass das sein-Perfekt den Erwerb des sein-Passivs stützt, in einer konstruktionsgrammatischen Analyse einer Antwort zuführen kann. Das gelingt dadurch, dass man nicht mehr vom sein-Perfekt spricht, sondern allgemein von sein-Kopula-Konstruktionen der Formen „ist + NP/ist + adjective/ist + locative“ (Abbot-Smith & Behrens 2006: 1015; wir folgen hier ihrer Notation), die in den Äußerungen der Mutter und des Kindes Leo signifikant häufiger auftreten als werden-KopulaKonstruktionen. Diese Überlegungen greifen wir im ersten Anwendungsbeispiel (Abschnitt 11) noch einmal auf. Tabelle 10 gibt einen Überblick über konstruktionsgrammatische Studien zum (Erst-)Spracherwerb des Deutschen. Überblicksdarstellungen Umgang mit Erwerbsdaten Input-Output Komplexe Konstruktionen Einzelne Wortarten
Tomasello 2006a,b,c; Behrens 2009a,b und 2011a,b Behrens 2000 Behrens 2006 Abbot-Smith & Lieven & Tomasello 2008; Abbot-Smith & Behrens 2006; Diessel 2007, im Druck; Brandt 2011a,b; Stumper 2011; Akhtar & Tomasello 1997; Brandt & Lieven & Tomasello 2010; Behrens 2005
Tabelle 10: Konstruktionsgrammatische Studien zu Aspekten des (Erst-)Spracherwerbs mit dem Fokus auf die Gegenstandssprache Deutsch.
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11 Anwendungsbeispiel I: die lexikalisch-spezifische Konstruktion Leonard abgeholt Im Abschnitt 10 wurden zentrale Forschungsfelder in den Blick genommen, die von konstruktionsgrammatischen Annahmen profitieren. Dies gilt besonders für die (Erst-)Spracherwerbsforschung. Tomasellos Anliegen ist es, Spracherwerb als ein gewissens soziales Phänomen zu beschreiben (vgl. Abschnitt 10.5). Eine solche Situation und die genaue Beschreibung des Kontextes einer sprachlichen Äußerung werden wir nun zum Ausgangspunkt machen, um die konstruktionsgrammatische Herangehensweise und ihre verschiedenen Facetten im Bereich der Spracherwerbsforschung an einem Beispiel zu illustrieren. Wie bereits im letzten Abschnitt angedeutet wurde das Beispiel auch ausgewählt, um eine für die konstruktionsgrammatische Entwicklung typische Form der Herangehensweise an sprachliche Phänomene zu illustrieren: An grammatisch (vermeintlich) randständigen Beispielen lassen sich Anliegen und Interesse von gebrauchsbasierten Ansätzen exemplarisch illustrieren. Damit gehen für diesen konkreten Fall auch Entscheidungen für einen speziellen methodischen Zuschnitt einher: Für die Spracherwerbsforschung und die Analyse der gesprochenen Sprache wird auf qualitative korpuslinguistische Methoden zurückgegriffen. Interaktivität, Pragmatizität und Zeitlichlichkeit (Deppermann 2011b) sind für die gesprochene Sprache konstitutiv und in einer Analyse zu berücksichtigen. Anders als im Fall von quantitativ-korpuslinguistischen Untersuchungen zur Schriftsprache ist damit ein erheblicher Aufwand verbunden (vgl. Abschnitt 6.3). Daher gehen die meisten Studien von beobachteten Phänomenen aus, auf deren Basis Hypothesen entwickelt werden, die es in einem zweiten Schritt an einem Korpus gesprochensprachlicher Texte zu prüfen gilt. Für die Beschreibung der lexikalisch-spezifischen Konstruktion Leonard abgeholt wird in diesem Kapitel nur der erste Schritt, nicht aber eine korpusanalytische Untersuchung durchgeführt. Im zweiten Anwendungsbeispiel (Kapitel 12) bildet dagegen eine quantitativkorpuslinguistische Analyse den Ausgangspunkt der Untersuchung. In beiden Anwendungsbeispielen zeigen wir die Relevanz der K-Prinzipien (Abschnitt 7) und der Basiskonzepte (Abschnitt 8) an den betreffenden Stellen im Verlauf der Argumentation auf (insofern dies möglich und sinnvoll ist).
11.1 Kontext der Äußerung Die nachfolgende Analyse hat die Zweiwort-Äußerung (79) zum Gegenstand. Das Beispiel betrifft Bereiche der morphosyntaktischen Forschung, ist zugleich aber auch für GesprächslinguistInnen und besonders Spracherwerbsforscher interessant. (79) Leonard abgeholt!
Auch wenn systematische konstruktionsgrammatische Arbeiten zum Umgang mit Formen des Passivs im Deutschen bislang fehlen (vgl. Abbot-Smith & Behrens 2006; Ackerman & Webelhuth 1998; Boas 2011, im Druck; Lasch im Druck a; zum unpersönlichen Passiv vgl.
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Primus 2011, mit Zurückweisung gebrauchsbasierter Ansätze), ist die Auseinandersetzung mit Beispielen dieser Art zur Illustration konstruktionsgrammatischer Analysen durchaus angeraten. Wir stützen uns dabei unter anderem auf die Ergebnisse von Abbot-Smith und Behrens (2006) (vgl. Abschnitt 10.5), die wir auf dieses konkrete Beispiel übertragen. Zeuge der in (79) vorliegenden gesprochensprachlichen Äußerung kann man im Kindergarten werden, wenn das Kind Leonard abgeholt wird.117 Mit einem gemeinsamen Aufmerksamkeitsfokus („joint attention“) auf das Leonard abholende Elternteil rufen die kopräsenten Kinder im Chor: Leonard abgeholt! Hat (79) den Status einer Konstruktion, wovon wir zunächst hypothetisch ausgehen, dann müssen die Kinder diese Konstruktion als konventionalisiertes Form-Bedeutungspaar erlernt haben und anwenden können. Einig kann man sich darüber sein, dass diese sprachliche Äußerung etwas bedeutet und eine bestimmte kommunikative Funktion erfüllt; sie dient offensichtlich dazu, ein zuvor identifiziertes Elternteil mit einem Kind in Verbindung zu bringen. Die intersubjektiv geteilte Intentionalität und die damit verbundenen (auch nonverbalen) Handlungen sind wesentlich an der Etablierung und Stabilisierung des Aufmerksamkeitszentrums beteiligt, was diese wiederum im Gebrauch funktional rückbindet und als symbolische Einheiten ausweist. Sprachliche Äußerungen sind dabei als Einheit erkennbar, realisiert und durch den stabilen Gebrauch derart eingeschliffen („entrenched“), dass etwa die Zuordnung des Elternteils zu einem anderen Kind, welches derselben Kindergartengruppe angehört, unterdrückt wird: Selbst wenn Leonard zusammen mit seiner Schwester Henrike abgeholt wird, wird dies durch die Äußerung Leonard abgeholt! kommunikativ begleitet. Allerdings bedeutet dies nicht, dass die Konstruktion nicht produktiv ist, nur sind die Kontextbedingungen für die freie Besetzung des Slots sehr speziell, was auch mit dem Stand des Spracherwerbs zu erklären ist: Unter der Bedingung, dass nur Henrike, nicht aber Leonard sich in der Gruppe befindet, wird die Zuordnung aufgebrochen und mit den Worten Henrike abgeholt! neu hergestellt. Das ist insofern bedeutsam, als diese Varianten Rückschlüsse auf die Abstraktionsprozesse erlauben, die nach und nach Sprachstrukturen durch Vernetzung und Differenzierung von gelernten Konstruktionen hervorbringen. Man beobachtet gleichsam Kinder bei der Anwendung von erlerntem konzeptuell-sprachlichen Wissens, denn offenbar ist das Muster konventionalisiert, nicht-kompositionell, und es bildet eine kognitive Einheit, die in einen sehr genau bestimmbaren kommunikativen Kontext produktiv eingesetzt wird. Doch hat diese Produktivität auch ihre Grenzen. Die Konstruktion lizenziert nur unterschiedliche Eigennamen der Kinder der Gruppe als NP, andere Referenzobjekte (Mama, Papa, Tee, Auto etc.) nicht. Das kann in dieser ersten Annäherung als ein erster Hinweis auf das in der Konstruktionsgrammatik postulierte Kontinuum von Lexikon und Grammatik (vgl. Abschnitt 8.1) gewertet werden, denn nur über die in der Konstruktion realisierte NP, das deverbale Adjektiv abgeholt oder Kontextfaktoren kann eine solche Restriktion nicht erklärt werden. –––––––— 117
Bei (79) handelt es sich um einen Eigenbeleg (A.L.) aus der Kindertagesstätte „Meißner Spatzen“.
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Wie lässt sich nun die Konstruktion beschreiben, die hier realisiert wird? Denkbar sind verschiedene Optionen; hier beschränken wir uns auf eine Auswahl. Ausgangspunkt bildet dabei die Prämisse, dass die kommunikative Äußerung kontextuell eingebettet ist und diese Einbettungsstrukturen für den Erwerb und die (erfolgreiche) Verwendung der Konstruktionen Konsequenzen zeitigt.
11.2 Syntaktische Perspektive Wählen wir zuerst die syntaktische Perspektive und betrachten das gegebene Beispiel unter Berücksichtigung des Kontextes als einen satzwertigen Ausdruck. Rein formal folgt einem Bezugsnominal ein nachgestelltes deverbales adjektivisches und nicht flektiertes Attribut, was „offenbar seine markierte Form ist“ (Eisenberg 2006 II: 237). Dürscheid zeigt, 118 dass diese Formen teils idiomatisiert sind, immer jedoch isoliert stehen. Das Bezugsnominal in Leonard abgeholt! teilt aber nicht die semantischen Eigenschaften, die Dürscheid für diese (idiomatisierten) Fälle wie bspw. Karpfen blau ausweist. Ähnlich gelagert ist dies in Fällen wie AUSFAHRT waschen, die bereits Schmitz (2000) analysiert hat.119 Zum anderen ist es so, dass man intuitiv die Realisierung nicht als attributive Konstruktion, sondern als passivische Form reanalysiert. Dann wären, im Vergleich mit der ‚Erwachsenensprache‘, zwei Möglichkeiten wahrscheinlich: Leonard [ist] abgeholt! bzw. Leonard [wird] abgeholt! Das eine würde dem so genannten Zustandspassiv bzw. der Kopula sein mit Prädikativ entsprechen,120 den zweiten Fall könnte man als Vorgangspassiv bezeichnen. Je nachdem, wie viele so genannte Passivauxiliare man akzeptiert, lässt sich die Reihe der denkbaren Alternativen erweitern (scheinen, erscheinen, wirken, gehören usw.). Auf jeden Fall wird im sprachlichen Ausdruck die Position des finiten Verbs in der Konstruktion nicht besetzt, auch fehlt eine Agensangabe, die zumindest in der Lesart mit werden möglich wäre. Da es Kinder im Alter von drei bis sieben Jahren sind, die ebendiesen Satz äußern, ist selbst bei den Ältesten eine Agensangabe allerdings kaum zu erwarten. Genauso wenig lässt sich grundsätzlich die Frage beantworten, ob sich die Kinder im Zweifel für sein oder werden entscheiden würden. Wie Abbot-Smith und Behrens (2006) zeigen, erwerben Kinder das sein-Passiv über vorher gelernte Perfekt- bzw. Kopulastrukturen mit sein; das Vorgangspassiv, wie bereits Wegener (1998) deutlich gemacht hat, wird erst wesentlich später erworben, da ‚Stützkonstruktionen‘ wie beim Zustandspassiv fehlen (Abbot & Behrens 2006, vgl. auch Behrens 2011b: 177) und eher störende Interferenzen mit anderen Konstruktionen (einfaches Futur mit werden) den Erwerb erschweren. Wegener (1998) argumentiert, dass –––––––— 118 119 120
Vgl. Dürscheid 2002; darauf nimmt auch Eisenberg Bezug. Wir danken Wolfgang Imo für den Hinweis. „Es ist daher auch nicht klar, ob die ersten Verwendungen mit einem Partizip [im Erstspracherwerb] tatsächlich als Passiv- oder nicht eher als Prädikativkonstruktionen zu analysieren sind“ (Wegener 1998: 163). Zum Passiverwerb vgl. Wegener 1998, besonders 157-163. Auch wenn der Fokus auf „Deutsch als Zweitsprache“ liegt, so reflektiert Wegener auch den Passiverwerb in der Erstsprache.
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Kinder im vierten Lebensjahr beginnen, Konstruktionen mit werden in VorgangspassivStrukturen zu verwenden; die Ergebnisse von Abbot-Smith & Behrens (2006) belegen dies. Ob dem Gebrauch der Konstruktion eine Konzeptualisierung mit sein oder werden zugrunde liegt, ist schlussendlich nicht entscheidbar, aus konstruktionsgrammatischer Perspektive aber möglicherweise auch die falsche Frage, weil Kinder sie nicht realisieren und deshalb auch nicht darauf geschlossen werden kann. Die beteiligten Kinder verwenden die Äußerung kommunikativ erfolgreich, und auch die Erwachsenen verstehen die Äußerung und gebrauchen sie teilweise selbst. Geht man von dieser Beobachtung aus, ist die Besonderheit der Konstruktion, dass nicht über das Verb die Partizipantenrollen in einer Argumentstruktur (die dann damit möglicherweise abgeglichen werden muss) besetzt werden, sondern in der Konstruktion der „Zustandszuweisung“ bzw. der „Zustandsänderung“ nur mit den relevanten und von der Konstruktion und ihrer Argumentstruktur geforderten Partizipanten aktualisiert werden.121 Dabei sichert die Auslassung des Verbs – hier sein oder werden – auch bei den jüngsten Kindern das Verständnis, denn diese werden die Konstruktion als zweigliedrige lernen und anwenden (vgl. Abschnitt 10.5). Was ist aus konstruktionsgrammatischer Perspektive nun mit Blick auf die Syntax an diesem Beispiel interessant? Interessant ist nicht, dass man darüber mutmaßen kann, welche Verben in diese Konstruktion eintreten könnten, sondern dass die Anordnung der Partizipanten analog den Anforderungen der Argumentstruktur offenbart, dass sich in der kommunikativen Praxis ein kognitives Muster verfestigt und stabilisiert hat und damit auf ein Verständnis über die Bedeutung dieser Konstruktion geschlossen werden darf. Dass man im dritten Lebensjahr Effekte durch Imitation nicht ausschließen kann, ist dabei kein Gegenargument, sondern unterstützt die Interpretation. Denn: Konventionalität ist Ergebnis des Sprachgebrauchs innerhalb einer Sprachgemeinschaft und zugleich Indiz für die kognitive Verfestigung einer sprachlichen Einheit (vgl. Abschnitt 7). Wie lässt sich eine Äußerung wie (79) im Detail beschreiben? ValenzgrammatikerInnen müssten von einem nicht gefüllten Verbslot sprechen, die Ergänzung – hier ein deverbales Adjektiv – würde die Verwendung eines Kopulaverbs wahrscheinlich machen. Mithilfe der von Polenz’schen Prädikationsrahmen, Prädikatsklassen, semantischen Rollen sowie der Relationstypen Goldbergs lässt sich die Äußerung Leonard abgeholt zunächst einmal wie folgt fassen:
–––––––— 121
Vgl. Lasch im Druck a. Die Differenzierung wurde entwickelt für die Studie zu nonagentiven Konstruktionen des Deutschen. Statt wie dort von „Askription“ (aus dem lat. a-scrībo > ‚bei-, zuschreiben, schreibend beifügen, hinzusetzen’ abgeleitet) für „Zustandszuweisung“ und „Transformation“ (aus spätlat. transformatio zu lat. transformare [‚Umwandlung, Umformung, Umgestaltung, Übertragung’]) für „Zustandsänderung“ zu sprechen, führen wir die noch zu diskutierenden Termini in dieser Einführung nicht ein. Sie werden als Subtypen des Prädikationsrahmens ZUSTAND begriffen.
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ZUSTANDv(nicht spezifiziert)(SOBNPNOM bzw. AOBNPNOM, QUAL)122 Dass von Polenz in seiner satzsemantischen Darstellung des Passivs von der PassivKonverse ausgeht und dementsprechend das so genannte Vorgangspassiv als eine „Konverse“ der Prädikatsklasse HANDLUNG in VORGANG beschreibt, rührt daher, dass er argumentstrukturlogisch das Verb, anders als in der Konstruktionsgrammatik, in den Mittelpunkt seiner Überlegungen rückt (vgl. dazu auch die Diskussion zur Valenzgrammatik in Abschnitt 10.1). Blickt man aber auf die Gesamtheit der Konstruktion, ist es auch mit dem Verb werden möglich, die Prädikatsklasse ZUSTAND aufzurufen, wenn man die Relationstypen hinzuzieht, die wir nach Goldberg differenziert haben (vgl. Abschnitt 9.2). An diesem Beispiel wird deutlich, was die Konstruktionsgrammatik – trotz aller Gemeinsamkeiten – von anderen funktionalen Grammatik doch unterscheidet: Verben der ‚Zustandszuweisung‘ (Subtyp der Prädikatsklasse ZUSTAND) mit sein: ZUSTANDSZUWEISUNGv(=)(SOBNPNOM,QUAL) Verben der ‚Transformation‘ (Subtyp der Prädikatsklasse ZUSTAND) mit werden: ZUSTANDSÄNDERUNGv(=)(AOBNPNOM,QUAL) Es stellt sich die Frage, wie mit dem deverbalen Adjektiv abgeholt konstruktionsgrammatisch umzugehen ist. Von Polenz hat vorgeschlagen, solche deverbalen Adjektive als Teil des Prädikatsausdrucks (genauer „Prädikatsausdruck durch Adjektive“) aufzufassen. Solche Adjektive sind seiner Meinung nach keine „Artergänzungen“ oder „Gleichsetzungsglieder“ (von Polenz 2008: 107), sondern sie „stellen (in Verbindung mit Nominalverben wie sein, werden, bleiben, scheinen) Prädikatsausdrücke dar“. Das deverbale Adjektiv abgeholt ist Teil des Prädikatsausdrucks, der näher spezifiziert wird durch das hinzutretende Verb (sein, werden), die Konstruktionsbedeutung aber nicht verändert oder für den Relationstyp von Konstruktionsbedeutung und Verbbedeutung unerheblich ist. Allerdings bietet es sich an, auch das deverbale Adjektiv mit einer semantischen Rolle zu qualifizieren und so den Prädikatsausdruck, wie von Polenz ihn nennt, aufzubrechen und zu spezifizieren (vgl. Abschnitt 9).123
–––––––— 122
123
Uns ist hier durchaus bewusst, dass in diesem Beispiel das Element Leonard auch in symbolischer Beziehung mit der semantischen Rolle Patiens (PAT) charakterisiert werden könnte; um allerdings die Lesart der ‚Konverse‘ zu vermeiden, sehen wir von dieser Rolle hier ab. Auch wenn Ackerman & Webelhuth 1998 mit The Theory of Predicates bereits früh konstruktionsgrammatische Fragen stellen und auch eine Analyse zum Passiv im Deutschen (219-267) vorlegen, so bleibt diese (leider) etablierten Beschreibungsmodellen verhaftet: Die Darstellung beruht auf dem Konzept der „Konverse“, beschreibt die Kopulaverben sein und werden als Auxiliare und beschränkt sich auf Formen mit sein, werden und bekommen; vgl. dazu weiter Lasch im Druck a.
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11.3 Perspektive der Interaktionalen Linguistik und des Spracherwerbs Aus Sicht des Spracherwerbs und auch der Interaktionalen Linguistik muss man diese Lesart nicht teilen, da Situationsvariablen, in denen diese Äußerung auftritt, noch weitere Schlüsse zulassen. Um diese in die Interpretation einbeziehen zu können, ist es notwendig, die prosodische Realisierung des Eigenbelegs genauer anzusehen:124 (80) nn-LE-Op-nArd (--) nn-pp-HOLT
Der Intonationsverlauf der zwei durch Pause verbundenen Einheiten ist je stark fallend, wobei beide Einheiten mit hoher Stimmlage einsetzen. An der Transkription des Eigenbelegs kann man erkennen, dass es sich möglicherweise um zwei Konstruktionen handelt, die pragmatisch je für sich satzwertigen Status haben. Ist der erste Teil möglicherweise als ein Einwortsatz und als Apostrophe (und damit an einen anderen Adressaten als zunächst angenommen gerichtet) zu verstehen, repräsentiert der zweite Teil der Äußerung einen Einwortsatz, der für die gesprochene Sprache und ihre Grammatik sowie für ein frühes Spracherwerbsdatum nicht untypisch ist – beides sind „emergent constructions“, aus denen diskursiv eine „emerging construction“ im Sinne von Auer und Pfänder (2011: 14) hervorgeht, die nun selbst, wenn auch mit geringer kommunikativer Reichweite, „emergent“ ist (vgl. dazu Abschnitt 10.4). Deutliches Indiz ist neben der Intonation die Sprechpause zwischen erstem und zweitem Teil, der intonatorische Gleichlauf offenbart sprachspielerische (da rhythmische und wiederholende) Züge. Für die Analyse bliebe dann die Aufgabe, die Äußerung Abgeholt! adäquat zu beschreiben. Diesbezüglich steht die Forschung vor einigen Herausforderungen. Zum einen hinsichtlich der Agentivität: Zifonun (1992: 264) und Langacker (1982) haben herausgearbeitet, dass Kinder nicht der „Topic-first“-Strategie, sondern der „Agent-first“-Strategie folgen. Auch in der Spracherwerbsforschung besteht schon früh darüber Einigkeit, dass Kinder beobachtetes Geschehen agenslastig konzeptualisieren (vgl. die Aufarbeitung der Forschungsliteratur von Wegener 1998). Leonard wird vor diesen Überlegungen wahrscheinlich eher als Agens konzeptualisiert, was für die Lesart der Apostrophe spricht, da er hier direkt angesprochen würde. Generell bilden – auch ältere – Kinder z.T. noch „selbst irreversible ‚Passivsätze‘ mit Agens-Subjekt wie Der Vater wird vom Teppich geklopft“ (Wegener 1998: 162). Zum zweiten wird das Partizip als deverbales Adjektiv zunächst für Kopula-Konstruktionen mit sein und Perfektbildungen verwendet, wie wir sie bereits beschrieben haben (vgl. oben die Konstruktion der Zustandszuweisung mit sein). Das macht in der Summe die Interpretation der vorliegenden Konstruktionsrealisierung nicht einfacher, denn möglicherweise sind hier zwei Konstruktionen ineinander geschaltet, die sowohl die Apostrophe umsetzen wie auch die Konstruktion der Zustandszuweisung –––––––— 124
Transkriptionskonventionen nach GAT2, Selting u.a. 2009. Wir möchten darauf hinweisen, dass die Transkription eine Genauigkeit suggeriert, die allein auf der Grundlage eines Hörbeleges kaum einzuholen ist. Die (tägliche) Wiederholung der Äußerung in einem kontextuell nahezu identischen Kontext hat aber eine Überprüfung der prosodischen Transkription möglich gemacht.
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bzw. der Zustandsänderung. Mittels konstruktionsgrammatischer Überlegungen gelingt es aber, mögliche Optionen in Bezug auf die Abstraktion von Konstruktionen, die sprachlichen Äußerungen wie Leonard abgeholt! zugrunde liegen, offenzuhalten und als gleichberechtigte Alternativen für den Spracherwerb in Untersuchungen einzubeziehen, ohne dabei von einer ‚noch defizitären Passivmorphologie‘ im Spracherwerb ausgehen zu müssen.
11.4 Ergebnisse Beispiele dieser Art illustrieren, dass besonders die Spracherwerbsforschung von konstruktionsgrammatischen Annahmen profitieren kann. Die konstruktionsgrammatische Spracherwerbsforschung geht nicht davon aus, dass es wie auch immer geartete Ordnungssysteme für Sprachwissen gäbe, die entweder bereits vorliegen (im Sinne einer Universalgrammatik) oder durch die Berichtigung systematischer Fehler etabliert werden könnten. Stattdessen wird angenommen, dass Sprache (und damit Sprachwissen) aus dem Sprachgebrauch emergiert. Sprache ist so gesehen ein soziales Phänomen, das als kommunikativ relevantes Symbolsystem im Gebrauch eingeübt wird. Das gilt ebenso für das Wissen, welches dieses Sprachwissen organisiert. Abhängig vom Sprachgebrauch emergieren auch die Strukturen der Sprachwissensordnung aus dem Gebrauch der Sprache selbst. Der Erwerb der Konstruktionen der Zustandszuweisung und Zustandsänderung lässt sich als Prozess beschreiben. Die Äußerung Leonard abgeholt! stellt dabei nur eine Stufe in diesem Prozess dar, die kontextuell bedingt nicht als repräsentativ für individuellen Spracherwerbsstand eines Kindes der Gruppe herangezogen werden darf, da die Äußerung – wie beschrieben – in ein Kommunikationsritual eingebettet ist, an dem Kinder zwischen 2.0 und 7.2 teilnehmen.125 Überträgt man die Erkenntnisse aus der Spracherwerbsforschung zum Erwerb nonagentiver Konstruktionen (Abschnitt 11.3), dann ist anzunehmen, dass die Äußerung Leonard abgeholt! von den Kleinsten item-basiert und schemageleitet zunächst als Einwortsatz (Leonard!) bzw. als zweigliedrige Äußerung gelernt und verwendet wird: So ist, mit den Worten Diessels (2007: 41), in dem „konstanten Element“ – in unserem Beispiel: abgeholt – ein „fester Bestandteil der Konstruktion“ zu sehen, das heißt, [Kinder] analysieren diese Äußerungen als lexikalisch-spezifische Konstruktionen, in denen sich ein phonetisch spezifiziertes Bedeutungselement mit einer Lücke oder Leerstelle verbindet, die durch bestimmte Elemente gefüllt werden kann. (Diessel 2007: 41)
Diesen gehen im Spracherwerb Einwortsätze voraus (Leonard! bzw. Abgeholt!), die in dem beschriebenen Kommunikationsritual ebenfalls funktional angemessen sind. Solche zweigliedrigen Äußerungen folgen dem Muster [[NENOM][abgeholt]] (vgl. dazu Diessel 2007, im Druck) und werden in einem dritten Schritt in eine Konstruktion der Zustandszuweisung des Musters [[NENOM][ist][abgeholt]] (mit der ‚Stützkonstruktion‘ des Perfekts mit sein; –––––––— 125
Wie in der Spracherwerbsforschung üblich, steht „2.0“ für „zwei Jahre und null Monate“, „7.2“ entsprechend für „sieben Jahre und zwei Monate“.
172
Abbot-Smith & Behrens 2006; Behrens 2011a) ausgebaut, was dann möglicherweise bereits eine frühe Differenzierung nach semantische Rollen (SOB Æ [NENOM]) mit einschließt. Liegt also mit Leonard abgeholt eine lexikalisch-spezifische Konstruktion vor, dann ist an diesem Beispiel zu beobachten, wie im Verlauf der ersten Jahre im Spracherwerb systematisch ein Konstruktionsnetzwerk ausgebaut wird (vgl. Abschnitt 8.2): Das so genannte Zustandspassiv mit sein wird gestützt durch das sein-Perfekt und als Vorstufe des so genannten werden-Passivs und aller anderen Passivformen mit scheinen, erscheinen, bekommen, erhalten, gehören, wirken usw. In dem hier untersuchten Kontext werden diese Differenzierungen aber nicht in den Realisierungen der Konstruktion berücksichtigt, denn die Äußerung ist in ein Kommunikationsritual eingebettet, welches alle anwesenden Kinder unterschiedlicher Altersstufen ‚mitspielen‘ – unabhängig von ihrem Spracherwerbsstand. Nichtsdestotrotz lassen sich zwei unterschiedliche Formen der Verfestigung von Konstrukten zu Konstruktionen beobachten. Zum einen erlernen Kinder die lexikalisch-spezifische Konstruktion [[NENOM][abgeholt]] als Abstraktion mittels Type-„Entrenchment“ über unterschiedliche Realisierungen Leonard/Henrike/Jonathan/Linnea abgeholt; zum anderen wird in einem späteren Stadium des Spracherwerbs nach dem Erwerb des Perfekts mit sein die Konstruktion [[NENOM][ist][abgeholt]] und noch später [[NENOM][wird][abgeholt]] durch Token„Entrenchment“ verfestigt (vgl. dazu Abschnitt 8.3).
Zusammenfassung: Ausgehend von der Beobachtung eines sprachlichen Phänomens öffnen sich – je nach eingenommener Perspektive – unterschiedliche Analyseoptionen und Integrationsmöglichkeiten in ein konstruktionsgrammatisches Erklärungsmodell. Am Beispiel der lexikalisch-spezifischen Konstruktion [[NENOM][abgeholt]] wurden hier diese Optionen illustriert und die beobachtete Äußerung Leonard abgeholt über Annahmen und Ansätze der Spracherwerbsforschung und der Forschung zur gesprochenen Sprache adäquat analysiert, so dass schließlich auch unterschiedliche Formen von „entrenchment“ plausibel gemacht werden konnten. Zu beachten ist, dass einzelne Annahmen – wie z.B. die hier vertretene Darstellung der Konstruktionen der Eigenschaftszuweisung und damit der Struktur des Passivs im Deutschen – die gegenwärtige Forschungsmeinung nur zum Teil abbilden. Sie sind aus dem hier präsentierten Material und ersten quantitativen Studien induktiv abgeleitet und bedürfen noch der eingehenden Diskussion. Weiterführende Literatur: Abbot-Smith & Behrens 2006; Ackerman & Webelhuth 1998; Behrens 2011a,b; Boas 2011; Diessel 2007, im Druck; Lasch im Druck a; Primus 2011; Wegener 1998.
173
12 Anwendungsbeispiel II: das Geräusch-als-Bewegung-Verb rumpeln Wir haben uns in der vorliegenden Einführung dafür entschieden, gebrauchsbasierte Ansätze der Konstruktionsgrammatik (vgl. Abschnitt 4) in den Mittelpunkt der Darstellung zu rücken. Deren Aufgabe ist es, sprachliche Einheiten in der Performanz zu beobachten, hinsichtlich ihrer gemeinsamen Strukturmerkmale zunächst zu vergleichen, zusammenzustellen, zu inventarisieren und zu klassifizieren, um schließlich die zugrunde liegende Konstruktion zu rekonstruieren, die durch die beobachteten prozessierten sprachlichen Einheiten lediglich repräsentiert wird. (Lasch & Ziem 2011: 1)
Mittels quantitativer korpuslinguistischer Verfahren lassen sich in Frequenz-, Kollokationsund Kookurrenzanalysen sprachliche Muster aufdecken, die statistisch signifikant die Spezifik von Konstruktionen aufdecken: Größere sprachliche Einheiten erscheinen so in einem gänzlich anderen Licht, als wenn man diese introspektiv beschriebe. Lexikalischspezifische Konstruktionen sind im Sprachgebrauch sehr weit verbreitet und unterhalb der Grenze dessen, was man als Phraseologismen beschrieben hat, lange nicht sichtbar gewesen: Will man das Kontinuum zwischen Lexikon und Grammatik erarbeiten, führt beinahe kein Weg vorbei am Zugriff auf große digitale Sprach-Korpora. Dabei kann man mit quantitativen Verfahren korpusbasiert („corpus-based“) oder korpusgetrieben („corpus-driven“) vorgehen (im Sinne der in den Abschnitten 6.2 und 6.3 beschriebenen Verfahren) und mithin quantitative oder qualitative Analysen durchführen. Je nach Fragestellungen können sich auch experimentelle Zugriffe auf Sprache als methodische Grundlage eignen (vgl. Abschnitt 6.4). Abhängig vom Gegenstandsbereich können so auch überraschende Fragen auf ganz unterschiedlichen Ebenen – etwa morphosyntaktischer, semantischer oder sprachkritischer Natur – in den Blick rücken. Um einige mögliche herauszugreifen: Ist werden in temporaler oder modaler Lesart als ‚Hilfsverb‘ einzustufen? Wie viele Tempora hat das Deutsche?126 Ist aufgestellt Partizip Präteritum von aufstellen oder ein deverbales Adjektiv? Ist weil mit Verbzweitstellung ‚falsch‘ gebraucht? Sollte hinterherrumpeln als ‚Partikelverb‘ analysiert werden (vgl. Abschnitt 9) oder als Verb mit Direktional? Viele dieser Fragen werden in funktionalen Grammatiken auf vielfältige Weise diskutiert, die Konstruktionsgrammatik setzt an diesem Punkt an und bietet eine alternative, aber anschließbare Phänomenbeschreibung -analye an. Im Folgenden soll exemplarisch gezeigt werden, wie man methodisch von der Beobachtung des sprachlichen Materials über die Analyse zu der Rekonstruktion einer Konstruktion gelangen kann. Dabei wird nicht ein methodisch-analytischer Leitfaden erläutert; dieser umfasst Hypothesenbildung, Korpusrecherche, semantische und syntaktische Analyse, Rekonstruktion der Konstruktion, Hypothesenüberprüfung. Vielmehr werden an einem –––––––— 126
Vgl. hierzu exemplarisch die Studien zu den Tempora von Eisenberg 2006 und 2011, Thieroff 1992 und 2011, Lohnstein & Bredel 2011 sowie Welke 2005, um nur einige Arbeiten der reichhaltigen Forschung zu erwähnen.
174
konkreten Beispiel die Möglichkeiten und Grenzen einer auf korpuslinguistischer Basis gebrauchsbasiert arbeitenden Konstruktionsgrammatik illustriert.
12.1 Korpusbasierte Analyse von Konstruktionsbedeutungen: Sichtung der Korpusbelege Zur beispielhaften Veranschaulichung der Verwendung von rumpeln als Geräusch-alsBewegung-Verb dient das schon eingeführte Beispiel (63) (vgl. Abschnitt 9.5). (81) Der Kohlenwagen rumpelt hinterher.
Bei der Analyse stützen wir uns auf die bisher entwickelten theoretischen und methodischen Überlegungen (vgl. Abschnitte 4, 6-9) und greifen auf das sogenannte Kern-Korpus des Digitalen Wörterbuch der Deutschen Sprache des 20. Jahrhunderts (DWDS) zurück, wobei sich alternativ auch andere digitale Korpora anböten.127 In der Auseinandersetzung mit dem Beispiel (81) haben wir in Abschnitt 9 bereits eine Hypothese formuliert: Hinterher rumpeln wollen wir nicht als ‚Partikelverb‘ mit trennbarer adverbialer Verbpartikel hinterherrumpeln auffassen, sondern als ein Geräusch-alsBewegung-Verb rumpeln mit einem atelischen Direktional (wie bspw. hinterher). Bemühen wir die Suchanfrage beim DWDS im Kern-Korpus (, Stand: 19.12.2012), so finden wir in den über 100 Millionen Wortformen des Referenzkorpus nicht einen einzigen Beleg für das Verb rumpeln in Verbindung mit dem Direktional hinterher, dafür aber 25 von insgesamt 56 auswertbaren Belegen für das Verb rumpeln,128 die die Bewegungslesart des Verbs rumpeln stützen, da es zusammen mit einem Direktional auftritt:129 (K1) (K2) (K3)
Der Aufzug rumpelt nach oben. Susanne Mayer, Die Frau hinter dem Schleier, in: DIE ZEIT 05.03.1998, S. 71, S. 413 Dann rumpelt man über Kopfsteinpflaster hinein in eine Idylle voller Kraniche [...]. Stephanie Dressler, Wir sind die Gemeinde, in: DIE ZEIT 05.09.1997, S. 22, S. 75 Erinnerungsfetzen rumpeln unstrukturiert durch mein Gehirn. Merian, Svende, Der Tod des Märchenprinzen, Hamburg: Buntbuch-Verl. 1980, S. 240
–––––––— 127
128
129
Allerdings ist die Lage gerade in Bezug auf korpusgestützte Untersuchungen des Deutschen noch verbesserungswürdig: Zum jetzigen Zeitpunkt können gebrauchsbasierte Untersuchungen nicht weit hinter das 20. Jahrhundert zurück- und über die geschriebene Sprache hinausgreifen, einheitliche und (statistisch) hinreichend umfangreiche diachron ausgerichtete Korpora stehen leider ebenso wenig zur Verfügung wie Korpora der gesprochenen Sprache, die vor allem wegen ihres Umfangs im Moment eher qualitative Zugriffe (und Aussagen) erlauben. Aufgrund des Schutzes des Urheberrechts waren zum Zeitpunkt des Zugriffs (19.12.2012) nur 56 von 126 Belegen auswertbar. Die Quellenangaben sind direkt zitiert aus den Angaben beim DWDS und wurden weder korrigiert noch an die Formatvorlagen des Heftes hier angepasst. Die durchgängige Zählung der Beispiele im Band wird hier zugunsten der geschlossenen Betrachtung der Korpusbelege ausgesetzt, die außerdem über eine separate Zählung (K1-Kn) abgehoben werden.
175 (K4)
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Die Klappe hebt sich zaghaft, abwartend, Gesicht unter Helm, junges verschmiertes, fällt zurück, Oberkörper Hals Gesicht fällt nach hinten, liegt über Panzer, bleibt liegen, rumpelt weiter, ist weg. Knef, Hildegard, Der geschenkte Gaul, Wien: Molden 1970, S. 91 Zu schnell fährt er, die Reifen quietschen, die Windschutzscheibe klappert, den Dackel sieht er zu spät, Vorderrad, Hinterrad springen hoch, rumpeln über ihn hinweg. Knef, Hildegard, Der geschenkte Gaul, Wien: Molden 1970, S. 239 Über die Äcker rumpeln die Fuhrwerke, mit Knollen beladen [...]. Neutsch, Erik, Spur der Steine, Halle (Saale): Mitteldeutscher Verl. 1964, S. 663 Von irgendwo rumpelten Panzer heran und erschütterten den Boden [...]. Apitz, Bruno, Nackt unter Wölfen, Halle (Saale): Mitteldeutscher Verl. 1958, S. 258 Ein Lastauto rumpelte darüber hin, an den niedrigen roten Treppengiebelhäusern entlang [...]. Andersch, Alfred, Sansibar oder der letzte Grund, Olten: Walter 1957, S. 33 Ein Lastwagen mit roten Fahnen rumpelte vorüber. Koeppen, Wolfgang, Der Tod in Rom, Stuttgart: Scherz & Govert 1954, S. 510 Auf der Dollendorfer Straße rumpelt ein Lastzug vorüber. Horster, Hans-Ulrich [d.i. Eduard Rhein], Ein Herz spielt falsch, Berlin: Verlag des Druckhauses Tempelhof 1950, S. 491 Der Bischof bestimmte dann auch ein kleines Gefolge, und so wie sie gekommen waren, ritten sie noch in der Nacht wieder über das Eis des Mains von Aschaffenburg hinweg: voraus die zwei Fackelträger, dann der Bischof wie ein Flüchtender und ihm zur Seite Meister Mathis, hinter ihnen der Mönch, und hintendrein rumpelte jener Karren des Grauens. Weismantel, Leo, Die höllische Trinität, München: Alber 1943, S. 314 Franz kam treppauf gerumpelt mit seinen Äpfelkörben. Seghers, Anna, Das siebte Kreuz, Mexico: El libro libre 1942, S. 255 Bauernwagen auf Bauernwagen rumpelt zur Genossenschaftswaage und zum Güterbahnhof [...]. Lange, Joachim, Der Kohlenzug, in: Das Reich 23.02.1941, S. 7, S. 481 [...] alles, was nicht niet- und nagelfest stand, polterte und rumpelte nach unten. Fischer, Rudolf, "U 101" wird achterlastig, in: Völkischer Beobachter (Berliner Ausgabe) 04.03.1933, S. 7, S. 2 Sein Zimmer ist das Gegenstück zu dem von Doktor Otternschlag, auch in seiner Wand kollert das Wasser, der Lift rumpelt auf und ab, es ist beinahe ein Dienerschaftszimmer, das er bewohnt. Baum, Vicky, Menschen im Hotel, Berlin: Ullstein 1929, S. 92 Die Musik rumpelte etwas ganz Schnelles herunter, etwas, das mit dem 115-KilometerAuto und mit dem Flugzeug-Propeller verwandt war. Baum, Vicky, Menschen im Hotel, Berlin: Ullstein 1929, S. 237 Der Lift rumpelt herauf und hinunter [...]. Baum, Vicky, Menschen im Hotel, Berlin: Ullstein 1929, S. 299 [...] und von da rumpelt ein Omnibus bis zum Marktplatz. Panter, Peter [d.i. Kurt Tucholsky], Ein Pyrenäenbuch, Berlin: Verl. Die Schmiede 1927, S. 4971 Der Wagen rumpelte gegen das Sankt Peterkirchlein weiter und am Siechkobel vorüber [...]. Kolbenheyer, Erwin Guido, Das dritte Reich des Paracelsus, Langen [1925], S. 656
176 (K20) Der Zug rumpelt durch die Nacht, an kleinen Stationen mit unlesbaren Namen hält er [...]. Tucholsky, Kurt, In der Geburtsstadt Fragonards, in: Vossische Zeitung 27.11.1924, o.S., S. 3339 (K21) [...] und ihre Schwiegermutter rumpelte davon. Stehr, Hermann, Der Heiligenhof, Berlin: S. Fischer 1918, S. 222 (K22) Aber das Wasser in dem Brunnen unter dem Dächlein rumpelte gelassen fort [...]. Stehr, Hermann, Der Heiligenhof, Berlin: S. Fischer 1918, S. 282 (K23) Nach dem Glockenschlag 1/ 29 vom Dreifaltigkeitsturm wartete der Omnibus noch 5 Minuten, dann rumpelte er erbarmungslos davon. Bismarck, Hedwig von, Erinnerungen aus dem Leben einer 95jährigen, Halle: Richard Mühlmann (Max Grosse), 1913 [1910], S. 7613 (K24) Schwerfällig, von den langen Ochsenreihen gezogen, rumpelten die großen Wagen dahin. Frenssen, Gustav, Peter Moors Fahrt nach Südwest, Berlin: Grote 1906, S. 43 (K25) Statt vom Landungsplatze auf harten Bretterwagen in‘s Dorf zu rumpeln, fährt man gelinde per Eisenbahn. Brief von Wilhelm Busch an Marie Hesse vom 13.11.1904, S. 5619
Angesichts der Belege fallen zwei Entscheidungen für das weitere Vorgehen aus praktischen Gründen schnell. Erstens tritt das Verb rumpeln insgesamt wenig frequent auf, eine quantitative Analyse erscheint bei insgesamt 56 auswertbaren Belegen auf über 100 Millionen Wortformen kaum sinnvoll. Selbst unter der rein rechnerisch möglichen Einbeziehung der übrigen und damit dann insgesamt 126 Belege für das Verb rumpeln ist eine qualitative Analyse der statistischen Auswertung vorzuziehen – diese Entscheidung für eine qualitative Analyse kann sich unter Einbeziehung anderer Geräusch-als-Bewegung-Verben jedoch wieder anders darstellen (in den Belegen erscheinen im Kontext z.B. noch poltern [K14], klappern [K5] und quietschen [K5], synonym wird nur poltern gebraucht).130 Grundlage der Analyse bleiben so die 25 Belege für das Verb rumpeln mit Direktional.131 Zweitens spricht gegen die Annahme eines Partikelverbs mit trennbarer adverbialer Verbpartikel, dass rumpeln sowohl mit adverbialen Direktionalen als auch mit direktionalen Präpositionalphrasen auftritt und somit der Zusammenhang zwischen Verb und Direktional eher über eine Konstruktion als über ein Wortbildungsmittel (Partikelverb) beschrieben werden sollte, welches die Hälfte der im Korpus ermittelten Belege (nämlich die mit direktionaler PP) ausschlösse. Weiter unterstützt die Verwendung des Partizips Präteritums gerumpelt und die Getrenntschreibung des Direktionals herauf in kam treppauf gerumpelt (K12) unsere Lesart. Dass das Direktional selbst eine komplexe Konstruktion mit kommen –––––––— 130 131
Vgl. dazu weiter Engelberg 2009. Wegen der geringen Beleganzahl ist die Ermittlung statistischer Signifikanz problematisch; so viel kann aber vorsichtig festgehalten werden: Der Chi-Quadrat-Test (Χ²-Test) mit den Referenzkorpora (z.B. dem DDR-Korpus) gibt einen Wert für X² zurück von 1,759463043. Bei einem Freiheitsgrad df=1, dem kritischen Wert 3,84 und bei einem Signifikanzniveau von P=0,05 ist mit großer Sicherheit (95%) davon auszugehen, dass die Verteilung nicht signifikant, also zufällig ist. – Die Beleganzahl ist auf die Wortformen der Korpora (KERN-Korpus: 100.600.993; DDRKorpus: 9.000.000) gesehen so gering, dass eine zufällige Verteilung der Belege im Korpus statistisch nicht ermittelt werden kann.
177
bildet, muss an dieser Stelle ausgeblendet werden; eine vollständige Analyse hätte aber auch diese zu berücksichtigen.
12.2 Analyse von Bedeutung und Form der Konstruktion Im Abschnitt 9.5 wurde (81) Der Kohlenwagen rumpelt hinterher bereits ausführlich diskutiert. Unter Berücksichtigung des Kontextes und der Frage, ob der Kohlenwagen als AG oder SOB einzustufen ist, hat sich dort gezeigt, dass der Aussagerahmen der Verben des ‚Bewegens’ mit dem Prädikationsrahmen VORGANG v(≈modal)(SOBNPNOM,DIRADV) aktualisiert wird. Die Struktur der Konstruktion lässt sich wie in Abbildung 18 veranschaulichen:
Abbildung 18: Das Verb rumpeln als Geräusch-als-Bewegung-Verb im Aussagerahmen BEWEGEN, hier veranschaulicht am Beispielsatz Der Kohlenwagen rumpelt hinterher.
Ein Blick in die Belege zeigt, dass das Beispiel (K24) genau dem von uns beschriebenen Prädikationsrahmen und Aussagerahmen sowie der formalen Realisierung entspricht. Hier beizuordnen wären wohl eindeutig auch die Belege (K4), (K8), (K9), (K11), (K15), (K17) und (K23): Diese acht der 25 Belege weisen als Direktional nur ein Adverb auf, wie das bereits ausführlich analysierte Beispiel. Diskussionswürdig ist in Bezug auf das adverbiale Direktional der Beleg (K15): [D]er Lift rumpelt auf und ab. Bei auf und ab handelt es sich um zwei lokale Präpositionen, die durch Konjunktion miteinander verbunden sind. Als konstruktionale Einheit verstanden, nehmen sie hier jedoch die Funktion eines adverbialen Direktionals an, denn sie bedeuten eine Hin- und Her-Bewegung in vertikaler Richtung. In gleicher Weise ist Beleg (K17) zu interpretieren: Der Lift rumpelte herauf und hinunter. In einer zweiten Gruppe von sechs Belegen sind in die Konstruktion keine atelischen direktionalen Adverbien, sondern Präpositionalphrasen eingebettet. Diese können zum Teil erstaunliche Grade an Komplexität aufweisen. Was auf den ersten Blick auf der formalen Ebene sehr ähnlich und sich auch semantisch nicht wesentlich zu unterscheiden scheint, ist als formaler Subtyp der Konstruktion, wie in Abbildung 18 dargestellt, zu erfassen. Als Beispiele seien hier der erste Beleg und der Beleg (K14) zitiert: Der Aufzug rumpelt nach oben bzw. alles [...] polterte und rumpelte nach unten. Bis auf das durch die einfache Rich-
178
tungspräposition nach und das lokale Adverb oben bzw. unten gebildete Direktional – welches als Einheit mit den adverbialen Direktionalen hinauf oder aufwärts bzw. hinab oder abwärts zu vergleichen ist – entspricht die Realisierung der adverbialen Direktionale den Belegen (K15) und (K17). Ebenfalls ausschließlich mit Präpositionalphrase wird die Richtungsangabe in den Belegen (K6), (K13), (K18) und (K25) ausgedrückt. Das Spektrum der Komplexität der Realisierung der Richtungsangaben reicht von einfachen Präpositionalphrasen wie über die Äcker, wie in (K6), bis hin zu Kombinationen von Präpositionalphrasen mit jeweils kombinierten und mit Artikeln verschmolzenen Präpositionen wie in und von da rumpelt ein Omnibus bis zum Marktplatz, vgl. hierzu Beleg (K18), die eine Richtungsangabe implizieren, indem sie Pfad bzw. Anfangs- und Endpunkt einer Bewegung vorgeben. In einem ähnlichen Zusammenhang haben wir in Abschnitt 9 auf den Frame Motion-noise sowie die hier bestimmten Frameelemente hingewiesen. Die in der Konstruktion realisierten Ortsangaben entsprechen den Kern-Frameelementen PATH (Weg), GOAL (Ziel) und SOURCE (Quelle). Bei einzelnen Beispielen dürfte eine Zuordnung nicht eindeutig möglich sein: über die Äcker (K6) kann sowohl einen PATH wie auch ein Gebiet (AREA), durch das die Bewegung vollzogen wird, realisieren. Eine dritte Gruppe bilden schließlich fünf Belege, in denen sowohl ein direktionales Adverbial als auch eine lokale Präpositionalphrase gebraucht werden. In diesen Belegen dienen die Präpositionalphrasen entweder der Angabe des (teilweise nicht konkret bestimmten) Startpunktes (OR) einer Bewegung, wie in (K7), des Zielpunkts (DES), wie in (K2) und (K19), oder einer Wegmarke, wie in (K10) und (K19). Es handelt sich also bei diesen Phrasen nicht mehr im strengen Sinne um Direktionale (DIR), sondern um weitere Lokative (LOC), die ergänzend zum Direktional hinzutreten können. Auch wenn in unseren Belegen nur die Kombination aus Adverb und Präpositionalphrase erscheint, ist eine Kombination von direktionaler (über Kopfsteinpflaster) und lokaler Präpositionalphrase (in eine Idylle [...]) wie in (K2) unter Auslassung des Adverbs nicht nur denkbar, sondern auch zu erwarten. Ein anderes Phänomen stellen Charakterisierungen des Weges in den Belegen dar, die meist einen Grund für das rumpelnde Geräusch angeben, das mit der Bewegung über diese Wege einhergeht; dies ist in (K2) und (K5) der Fall.132 Hier sind, da das Geräusch-alsBewegung-Verb rumpeln sowohl mit direktionalem Adverb als auch mit einer Richtungspräpositionalphrase in die Konstruktion eingebettet sein kann, zwei Lesarten möglich. Erstens wird ein Ausschnitt des Weges durch eine Präpositionalphrase noch einmal in den Fokus gerückt und das direktionale Adverb spezifiziert: Man rumpelt (nicht einfach) hinein, sondern Grund des ‚Rumpelns‘ ist, dass der Weg über Kopfsteinpflaster führt. In der zweiten, alternativen Lesart wird in der Präpositionalphrase sowohl die Richtungsangabe als auch der Grund für das ‚Rumpeln‘ ausgedrückt: Man rumpelt [...] über Kopfsteinpflaster. –––––––— 132
Je nach Interpretation des Kontextes ist auch Beleg (K10) hier einzuordnen und nicht als Adverb mit Lokativ (Wegmarke) auf der Dollendorfer Straße zu bewerten.
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Der gesamte Vorgang wird dann adverbial modifiziert, auch wenn in Beleg (K2) die Wortstellung möglicherweise dagegen sprechen könnte. Die Belege lassen sich analog zum Beispiel Der Kohlenwagen rumpelt hinterher analysieren. Ihnen ist gemeinsam, dass die NP im Nominativ nicht mit belebten Elementen besetzt ist. Die Entscheidung, ob in diesen Fällen ein AG oder ein SOB kodiert ist, wird im Hinblick auf den kausalen Bezug der Verbsemantik zur Konstruktionsbedeutung und bei näherer Betrachtung des Kontextes zugunsten des SOB ausfallen: Entscheidend ist für diese Beurteilung, dass das Element, welches dahin rumpelt, zwar das Geräusch des Rumpelns verursacht, aber nicht als Handlungsträger in den Blick kommt, sondern als durch einen Vorgang Bewegtes konzeptualisiert wird.133 Augenscheinlich wird dies in Beleg (K24): [V]on langen Ochsenreihen gezogen, rumpelten die großen Wagen dahin. In einigen Fällen ist diese Lesart nicht unbedingt plausibel. So hat bspw. die Frage, ob man beim Lastwagen in (K9) oder einem Lastzug, einer größeren Anzahl von dahin rumpelnden Lastwagen in Beleg (K10), eindeutig die semantische Rolle von Agens oder Spezifiziertem Objekt zuweisen kann, ganz erhebliche Konsequenzen. Dies könnte – an dieser Stelle der Analyse – ein Hinweis darauf sein, dass in die NP im Nominativ ein Agens eingebettet sein kann, was dann aber zur Folge hätte, dass man für diese Konstruktionen einen anderen Prädikationsrahmen (HANDLUNG) postulieren müsste.
12.3 Formseitige Beschreibung und Präzisierung der Konstruktion Die wegen des Agens-Status strittigen Fälle wollen wir zunächst zurückstellen und stattdessen den Prädikationsrahmen für die drei beschriebenen Gruppen skizzieren. Der Prädikationsrahmen wäre nun anzugeben als ein Aussagerahmentyp der Verben des ‚Bewegens‘ mit VORGANGv(≈modal) (SOBNPNOM,DIR), der hinsichtlich der Realisierung des Direktionals noch eine Unterteilung in unterschiedliche formale Subtypen erlaubt, nämlich DIRADV,DIRPPAKK,DIRPPDAT, wobei nur das durch Präpositionalphrase realisierte Direktional im Akkusativ als Spezifizierung des Pfades wie das adverbiale Direktional atelisch sind. Die Präpositionalphrasen telischer Art drücken eine Bewegung von einem Start- (OR) oder zu einem Zielpunkt (DES) aus. Typischerweise sind sie mit Präpositionen gebildet, die eine Ortsangabe im Dativ fordern. Daneben können die Realisierungen unterschiedliche Grade an Komplexität aufweisen und noch weitere Lokative (LOC) in Form von Präpositionalphrasen ergänzend binden, die je nach Kontextinterpretation als Spezifizierung des Direktionals (DIR) oder als freie Lokative zu bewerten sind. Grundlegend unterscheiden sich also die Subtypen nicht nur auf der formalen Seite, sondern auch auf der semantischen: Insofern Konstruktionsbedeutung und direktionales Adverbial bzw. eine direktionale Präpositionalphrase im Akkusativ miteinander interagieren, wird auf eine atelische Bewegung abgehoben. Im Fall von Präpositionalphrasen im Dativ werden dagegen telische Bewegungen im Prädikationsrahmen realisiert. Wenn das Verb rumpeln in die Konstruktion eingebettet ist, –––––––— 133
Vgl. zur Agentivitätsdebatte Abschnitt 9.
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stellt sich das Schema für die Konstruktion und ihre formalen Subtypen entsprechend wie in Abbildung 19 dar.
Abbildung 19: Geräusch-als-Bewegung-Verben (inkl. der Subtypen) im Prädikationsrahmen VORGANG und im Aussagerahmen BEWEGEN.
In Beleg (K14) werden poltern und rumpeln durch Konjunktion verbunden und könnten je für sich die Konstruktion aktualisieren. Ausgehend von diesem Befund wäre in einem zweiten Schritt also die Hypothese zu prüfen, ob auch andere Geräusch-als-Bewegung-Verben in diese Konstruktion und deren Subtypen eintreten können. In den Slot, der jetzt durch [VP] markiert ist, sind dann Verben in die Konstruktion eingebettet, deren Verbsemantik die Konstruktionsbedeutung in einer modalen Relation aktualisiert: poltern, knattern, summen usw. Eine Detailanalyse können wir zwar an dieser Stelle nicht durchführen, wir möchten aber mit diesen Beispielen mögliche Anschlussfragen aufzeigen, die auch auf die Frage nach der Hierarchisierung von Konstruktionen hinweisen. Abschließend sei noch einmal auf die Sonderfälle hingewiesen, in denen eine einfache Richtungspräposition mit einem Lokaladverbial verbunden wird: (K1)
Der Aufzug rumpelt nach oben. Susanne Mayer, Die Frau hinter dem Schleier, in: DIE ZEIT 05.03.1998, S. 71, S. 413 (K14) [...] alles, was nicht niet- und nagelfest stand, polterte und rumpelte nach unten. Fischer, Rudolf, "U 101" wird achterlastig, in: Völkischer Beobachter (Berliner Ausgabe) 04.03.1933, S. 7, S. 2
Hier ist so argumentiert worden, dass diese Fälle analog zu den direktionalen atelischen Adverbialen zu interpretieren sind. Das ist aber nur die halbe Wahrheit. Formseitig stünden sie neben den Beispielen, die eine telische Lesart erzwingen, da gewissermaßen ein Zielpunkt (DES) in der Präpositionalphrase realisiert ist. Interessanterweise widerspricht das aber der Einschätzung der Bedeutung der Präpositionalphrase, die mit den direktionalen Adverbialen korrespondiert. In diesen Fällen erzwingt nämlich die Konstruktion eine Lesart.
181
12.4 Diskussion problematischer Fälle Dem gebrauchsbasierten Ansatz verpflichtet ist bisher eine Reihe von Korpusbelegen eingehender untersucht worden. Allerdings betrifft dies bisher nur 19 der ermittelten 25 Belege. Die bisher nicht besprochenen Belege sind: (K3) (K12) (K16)
(K20)
(K21) (K22)
Erinnerungsfetzen rumpeln unstrukturiert durch mein Gehirn. Merian, Svende, Der Tod des Märchenprinzen, Hamburg: Buntbuch-Verl. 1980, S. 240 Franz kam treppauf gerumpelt mit seinen Äpfelkörben. Seghers, Anna, Das siebte Kreuz, Mexico: El libro libre 1942, S. 255 Die Musik rumpelte etwas ganz Schnelles herunter, etwas, das mit dem 115-KilometerAuto und mit dem Flugzeug-Propeller verwandt war. Baum, Vicky, Menschen im Hotel, Berlin: Ullstein 1929, S. 237 Der Zug rumpelt durch die Nacht, an kleinen Stationen mit unlesbaren Namen hält er [...]. Tucholsky, Kurt, In der Geburtsstadt Fragonards, in: Vossische Zeitung 27.11.1924, o.S., S. 3339 [...] und ihre Schwiegermutter rumpelte davon. Stehr, Hermann, Der Heiligenhof, Berlin: S. Fischer 1918, S. 222 Aber das Wasser in dem Brunnen unter dem Dächlein rumpelte gelassen fort [...]. Stehr, Hermann, Der Heiligenhof, Berlin: S. Fischer 1918, S. 282
In Studien, die keinen gebrauchsbasierten Ansatz verfolgen, ist es wahrscheinlich, dass solche Fälle übersehen werden – auch deshalb ist Konstruktionsgrammatik für empirische Untersuchungen ohne Rückgriff auf Korpora nur sehr unzureichend umsetzbar. Der Einbezug aller einschlägigen Belege führt aber zwangsläufig zu Herausforderungen. Aus praktischen Gründen kann es bisweilen sinnvoll sein, anhand von Vorannahmen diese Reihe an Belegen aus der Untersuchung (zunächst) auszuschließen. Aber streng genommen kommt dies aus Sicht der Konstruktionsgrammatik nicht in Frage, da der Anspruch erhoben wird, sich genau mit Fällen wie diesen auseinanderzusetzen und Erklärungen anzubieten. Deswegen ist die Konstruktionsgrammatik aus unserer Sicht bspw. bestens geeignet für die Analyse linguistischer Zweifelsfälle. Die Belege (K3), (K20) und (K22) fallen zwar aus der Gruppenbildung heraus, stellen aber für die Analyse keine große Herausforderung dar. Im Wesentlichen stellt sich bei diesen drei Belegen zunächst die Frage, ob sich das Direktional auf eine Bewegung im Raum oder in der Zeit bezieht. Diese Trennung ist allerdings eine analytische, denn in den meisten Fällen entspricht einer (beobachtbaren) Bewegung durch den Raum auch eine Bewegung in der Zeit wie in (K20) und (K22). Der Beleg (K3) jedoch nutzt für die Charakterisierung eines nicht beobachtbaren und nicht hörbaren inneren Vorganges (von dem wir noch nicht einmal wissen, wie er sich überhaupt gestaltet oder ob es sich überhaupt um einen Vorgang handelt) die Konstruktion mit dem Geräusch-als-Bewegung-Verb rumpeln im übertragenen Sinne und wird von SprachbenutzerInnen nicht missverstanden: Das SOB ist kein Ding oder keine Sache, sondern ein Abstraktum. Es bewegt sich nicht, schon gar nicht (wahrnehmbar) geräuschvoll, und demzufolge legt es auch keinen wie auch immer gearteten Weg durch Raum und/oder Zeit zurück.
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Problematischer hingegen ist Beleg (K16). Bisher wurde die Ursache für das Geräusch des ‚Rumpelns‘, nämlich eine Bewegung und ihr Verursacher, nicht in den Blick genommen. Nun allerdings ist es die Musik, die etwas ganz Schnelles herunter rumpelt. Auch wenn nicht expliziert ist, was unter Musik zu verstehen ist (Komposition, Musiker etc.), wird man nicht umhinkommen, dass herunter rumpeln hier nicht mehr als Vorgangs-, sondern als Handlungsprädikat einzustufen ist. Musik ist (in Gestalt einer Personifikation) Agens (AG), während das, was bisher in den Konstruktionen als NP im Nominativ als spezifiziertes Objekt (SOB) kodiert war, hier als affiziertes Objekt (AOB) bzw. effiziertes Objekt (EOB) als NP im Akkusativ zu analysieren ist. Das ist für sich genommen zwar in dem hier gegebenen Kontext auffällig, sagt allerdings nur aus, dass rumpeln als Handlungsprädikat zwar absolut singulär zusammen mit einem Direktional verwendet wird, aber durchaus als Handlungsprädikat mit Agens (AG) auftreten kann. Darauf werden wir noch einmal zurückkommen. In den Belegen (K12) und (K21) stellen sich noch andere Fragen. Eindeutig ist Franz in (K12) Agens (AG); er kam und ist insofern Handlungsträger. Treppauf ist als Adverbial einzustufen. Doch wie haben wir gerumpelt einzuschätzen? Die traditionelle Grammatik schlägt vor, es als Teil eines Verbalkomplexes mit kommen als Partizip Präteritum eines intransitiven Verbs der Fortbewegung mit telischer Aktionsart zu klassifizieren (vgl. DUDEN 2005: 434). Was jedoch spricht dagegen, es als adverbial gebrauchtes deverbales Adjektiv zu betrachten? Da man aus konstruktionsgrammatischer Perspektive Vorsicht walten lässt in Bezug auf die Einstufung von Verben als ‚Hilfsverben‘, wäre letzterer Lesart hier wohl der Vorzug zu geben. Allerdings ist auch dieser Beleg, wie Beispiel (K16), nicht dem ausgearbeiteten Prädikationsrahmen zuzuordnen, sondern wäre im Zusammenhang von Studien zum Verb kommen zu untersuchen. Das letzte Beispiel schließlich verhält sich ambig und lässt mehrere Lesarten zu. Die Schwiegermutter (K21) kann hier sowohl als Agens (AG) als auch als spezifiziertes Objekt (SOB) konzeptualisiert werden, ähnliches galt für den Beleg (K9) und den Lastwagen. Dabei spielt es zunächst keine Rolle, dass „Schwiegermutter“, im Gegensatz zu allen anderen Belegen, die Merkmale [+belebt] und [+menschlich] trägt. Wird sie als SOB aufgefasst, lässt sich dieses Beispiel analog zu den schon ausgearbeiteten Belegen interpretieren: Es wäre in den Prädikationsrahmen VORGANGv(≈modal) (SOBNPNOM,DIRADV) zu stellen, wobei über die Qualität des durch die Bewegung verursachten Geräuschs nur gemutmaßt werden kann. Ist sie dagegen als Agens (AG) aufzufassen, ist davon rumpeln als Handlungsprädikat zu bewerten, und es stellt sich die Frage, ob in diesem Fall dann nicht besser, wie in (K16), von einer anderen Konstruktion ausgegangen werden müsste. Dies träfe dann auch auf den Beleg (K9) zu, wollte man den Lastwagen als AG einstufen. Anders als die Schwiegermutter, auf die alle Dimensionen eines mehrdimensionalen Agensbegriffs wie Volitionalität, Verursachung, Sentience und Bewegung (Dowty 1991) angewendet werden können, ist Lastwagen in Beleg (K9) z. B. nicht zweifelsfrei als SOB bzw. als AG zu bestimmen. Kontextabhängig wäre hier über das Kriterium der Bewegung für Agentivität auch eine Einstufung als Agens möglich. Diese Varianten möchten wir nun abschließend besprechen.
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Mit der Charakterisierung der NP im Nominativ als AG wäre zwangsläufig der Prädikationsrahmen HANDLUNGv(≈modal) (AGNPNOM,DIRADV) anzusetzen. Gemäß unserer Bestimmungen hätten wir in diesem Fall von einer zweiten Konstruktion auszugehen, da aus den Prädikationsrahmen die Konstruktionsbedeutung abgeleitet werden (vgl. Abschnitt 9). Abbildung 20 veranschaulicht diese beiden Varianten mithilfe des Goldberg’schen Strukturschemas graphisch.
Abbildung 20: Geräusch-als-Bewegung-Verben (inkl. der Subtypen) im Prädikationsrahmen HANDLUNG im Aussagerahmen BEWEGEN.
Auch wenn die Konstruktionen, die den Prädikationsrahmen VORGANG und HANDLUNG zuzuordnen sind, auf der Oberfläche identisch realisiert sein können (ihre Schwiegermutter rumpelte davon), so ist es dennoch möglich, dass in einem Fall ein VORGANG und im anderen Fall eine HANDLUNG konzeptualisiert werden. Unabhängig davon sind beide Konstruktionen einem Aussagerahmentyp zuzuordnen, nämlich dem der Verben des ‚Bewegens‘. Sie bilden dann ein (zunächst) kleines Netz von Konstruktionen, das in eine taxonomische Struktur von zu Konstruktionen verfestigten („entrenched“) sprachlichen Einheiten eingebettet ist. Die Differenzierung zwischen zwei unterschiedlichen Prädikationsrahmen könnte in den hier besprochenen Beispielen aber auch kontraproduktiv sein, denn in allen Belegen fallen SOB (das ‚Bewegte‘) und AG (das ‚Bewegende‘) in einem Element zusammen. Erinnert sei abschließend auch noch einmal daran, dass im Frame Motion-noise das Frameelement THEME dem Kern zugeordnet wird – dieses wird als Entität aufgefasst, die den Ort ändert (vgl. Abschnitt 3); die Diskussion über deren Agentivitätsstatus wird dort explizit nicht geführt. Abschließend kann diese Frage auch hier nicht behandelt werden, da in weiteren Korpusstudien noch zu prüfen wäre, ob die erzielten Analyseergebnisse sich auch bei anderen Realisierungen der Konstruktionen bestätigen.
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12.5 Ergebnisse Die Analyse des Geräusch-als-Bewegung-Verbs rumpeln, welches mit Direktional in den Aussagerahmen der Verben des ‚Bewegens‘ und streng genommen in zwei unterschiedliche Prädikationsrahmen des Typs VORGANG und HANDLUNG eingebettet werden kann, hat verdeutlicht, dass konstruktionsgrammatische Studien auch auf Kontextwissen abheben müssen, um linguistische Analysen zu plausibilisieren. In unseren Fällen sind wir zunächst von der Annahme ausgegangen, dass die zusammen mit rumpeln realisierten NP im Nominativ als spezifizierte Objekte (SOB) in einen Prädikationsrahmen VORGANG v(≈modal) (SOBNPNOM,DIRADV) eingebettet sind. Die meisten Beispiele, die wir sprachgebrauchsbasiert analysiert haben, konnten diesem Prädikationsrahmen zugeordnet werden. Daneben traten jedoch Fälle auf, auf die diese Bestimmung nicht, oder zumindest nicht sicher, zutrifft: In Beleg (K21), und ihre Schwiegermutter rumpelte davon, drängten sich zwei ambige Lesarten geradezu auf, die sowohl den Prädikationsrahmen des Typs VORGANG wie den Prädikationsrahmen des Typs HANDLUNG aufrufen, je nachdem, ob man Schwiegermutter als SOB oder als AG charakterisiert. Voraussetzung dafür ist die Annahme eines mehrdimensionalen Agensbegriffs (Lakoff 1977 und Dowty 1991). Ein Ziel der durchgeführten Beispielanalyse war es, exemplarisch deutlich zu machen, wie man Konstruktionen mithilfe der von Polenz’schen Prädikationsrahmen aus dem Material heraus erarbeiten kann. Wir sind nun und sind nun an der Stelle angelangt, an der mithilfe von quantitativen Korpusanalysen weitere Geräusch-als-Bewegung-Verben in ihren Kontexten untersucht werden müssten, um zu prüfen, ob diese statistisch verifizierbar eher dem Prädikationsrahmen VORGANG oder dem Prädikationsrahmen HANDLUNG zuzuordnen sind oder ob von einer solchen Differenzierung abgesehen werden sollte, da AG und SOB in einem Element zusammenfallen. In Abhängigkeit vom erzielten Ergebnis wäre dann der Aussagerahmen der Verben des ‚Bewegens‘ darzustellen, der ein Netzwerk von Konstruktionen umfasst, zu dem auch diese beiden Konstruktionen gehören. Diese stehen in einer taxonimisch-hierarchischen Struktur, denn die Subtypen des Prädikationsrahmens, in die Verben mit modaler Relation zur Konstruktionsbedeutung wie rumpeln eingebettet sind, erben ihre Eigenschaften von den Prädikationsrahmen, in die jene Verben eingebettet sind, die mit der Konstruktionsbedeutung direkt interagieren, so etwa: Er fährt davon. Es wäre die Aufgabe weiterführender Korpusstudien, bedeutungsseitige Vererbungsbeziehungen ggf. mit der Hilfe der von Polenz’schen Konzepte des Aussage- und Prädikationsrahmens zu beleuchten. Aussagen über den jeweiligen Verfestigungsgrad („entrenchment“) von Konstruktionen wären ebenso wünschenswert. Dafür wären quantitative Studien unerlässlich.
Zusammenfassung: Bisher sind die Beziehungen zwischen Konstruktionen nur unzureichend untersucht. Das zeigt sich besonders deutlich dann, wenn Sprache im Gebrauch genauer unter die Lupe genommen wird: So kann eine Analyse zu dem Ergebnis kommen, dass nicht alle Phänomene hinreichend präzise zu bestimmen sind, wenn man Form- und Inhaltsseite gleicher-
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TEIL V: SCHLUSSBEMERKUNGEN, BEGRIFFSGLOSSAR UND LÖSUNGSHINWEISE
13 Fazit und Ausblick Dieses Arbeitsheft ist die erste zusammenfassende Einführung in die (gebrauchsbasierte) Konstruktionsgrammatik für die germanistische Linguistik. Anliegen war es, Fragen und Interessen der Konstruktionsgrammatik der Fachöffentlichkeit vorzustellen und dabei die Entwicklung der theoretischen Grundlagen der Konstruktionsgrammatik(en) (Teil II) ebenso zu berücksichtigen wie deren theoretische Grundannahmen und Basiskonzepte (Teil III). Um den Einstieg in eine Sprachtheorie zu erleichtern, die nichts Geringeres von sich behauptet, als Sprache holistisch aus dem Sprachgebrauch heraus beschreiben und analysieren zu wollen, ist diesen Aspekten eine umfangreiche Einleitung vorgeschaltet, die sich mit dem Konstruktionsbegriff ausführlich auseinandersetzt (Teil I). Zur Veranschaulichung aktueller Forschungsansätze und möglicher konstruktionsgrammatisch motivierter Forschungsfragen diente der Anwendungsteil (Teil IV), der einen eigenen Schwerpunkt dieser Einführung bildet. Hier wird zum einen der aktuelle Forschungsstand innerhalb der germanistischen Linguistik referiert und reflektiert. Zum anderen wird in zwei Beispielanalysen der konstruktionsgrammatische Ansatz plausibilisiert und in der Praxis vorgeführt. Zu guter Letzt möchten wir in diesem abschließenden Teil der Einführung zentrale Aspekte zusammenfassen sowie einen Ausblick auf mögliche Entwicklungsperspektiven der Konstruktionsgrammatik anbieten. Daneben soll das Begriffsglossar (Abschnitt 14) einen schnellen definitorischen Zugang zu den wichtigsten konstruktionsgrammatischen Fachbegriffen ermöglichen. Zu guter Letzt dienen Lösungshinweise (Abschnitt 15) dazu, Hilfestellungen bei der Bearbeitung der Aufgaben zu geben. Eine Zielsetzung dieser Einführung in die Konstruktionsgrammatik bestand darin, unifikationsbasierte und gebrauchsbasierte Ansätze der Konstruktionsgrammatik, die für die hiesige Forschungslandschaft eine zentrale Rolle spielen, einem breiten Publikum an interessierten Kolleginnen und Kollegen einerseits sowie Studierenden andererseits vorzustellen (vgl. Abschnitte 4-8) und für Untersuchungen im Bereich der germanistischen Linguistik zur Gegenstandssprache Deutsch zu empfehlen (vgl. Abschnitte 9-12). Wir haben uns dabei vor allem darauf konzentriert, die spezifische Genese verschiedener konstruktionsgrammatischer Ansätze zu rekonstruieren (vgl. Abschnitt 3) und deren Grundannahmen miteinander so in Beziehung zu setzen, dass es gelingt, eine plausible und belastbare Bestimmung dessen, was eine gebrauchsbasierte Konstruktionsgrammatik ist und sein will, vorzulegen (vgl. Abschnitte 1, 4 und 6-9). Gewissermaßen ist dieser Band damit Forschungsgeschichte (Abschnitte 4 und 5), Forschungsreferat (Abschnitte 4,5 und 10), Einführung (Abschnitte 2, 4, 6-9) und Programm (Abschnitte 4, 7-9) zugleich. Wir verbinden damit die Hoffnung, dass die Einführung in Konzepte und Grundlagen der (gebrauchsbasierten) Konstruktionsgrammatik zu eigenen Fragestellungen anregt (Abschnitte 11 und
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12). Über die Präsentation und Aufbereitung von reinem ‚Handbuchwissen‘ hinaus war so eines unserer weiteren Ziele, im Anschluss an aktuelle Forschungsdiskussionen neue Angebote zur Analyse von sprachlichem Wissen zu unterbreiten (Abschnitte 7 und 9). In diesem wichtigen Punkt unterscheidet sich der vorliegende Band von anderen Einführungen in ein Fachgebiet. Für eine adäquate inhaltsseitige Beschreibung einer Konstruktion, die wie gesehen auch eine konsistente formseitige Analyse möglich macht, haben wir unter anderem auf die Konzepte „Aussagerahmen“, „Prädikationsrahmen“, „Prädikatsklasse“ und „semantische Rolle“ der Satzsemantik Peter von Polenz’ zurückgegriffen (Abschnitt 9). Diese ermöglichen es, Konstruktionen semantisch differenzierter zu beschreiben, als es bislang in einschlägigen Studien der Fall war. Auch wenn wir so den Konstruktionsbegriff noch einmal präzisiert und das Goldberg’sche Strukturschema einer Konstruktion dahingehend korrigiert haben, dass von Polenz’ Forderung nach einer „Inhaltsgrammatik“ bis zu einem gewissen Grad Rechnung getragen wurde, muss das nicht heißen, dass diese als Konsequenz der mittlerweile langjährigen Auseinandersetzung mit konstruktionsgrammatischen Fragestellungen gewählte Darstellungsperspektive in den nächsten Jahren innerhalb der germanistischen Linguistik Bestand hat. So wie dieser Vorschlag über den Charakter einer Einführung hinausreicht, so gilt das auch für die Verortung der Konstruktionsgrammatik in der Kognitiven Linguistik (Abschnitt 7). Die fünf K-Prinzipien Konstruktivität, Konventionalität, Konzeptualität, Kontextualität und Kognitivität, die zur Grundlage der Argumentation für diese Einführung geworden sind, können aus verschiedenen Diskussionstraditionen abgeleitet werden, begegnen sich aber in dieser Einführung zum ersten Mal und werden aus einem in dieser Form bisher nicht publizierten Forschungsüberblick über gebrauchsbasierte (und unifikationsorientierte) Ansätze hergeleitet. Sowohl der Vorschlag zur semantischen Analyse von Konstruktionen als auch die fünf K-Prinzipien finden Niederschlag in der Definition von Konstruktionen sowie in der Präzisierung dessen, was die Bedeutungsseite von Konstruktionen ausmacht: „Konstruktionen“ sind (a) nicht-kompositionelle und konventionalisierte Form-Bedeutungspaare, die (b) kognitiv einen gestalthaften Charakter haben, gleichwohl aber (c) konstruierte Einheiten und als solche (d) konzeptueller Natur sind, insofern sie sich (e) kontextgebunden im Sprachgebrauch herausbilden und verändern. (vgl. Abschnitt 7: Definition 3) „Prädikationsrahmen“ setzen semantische Rollen, die keine systematisch geschlossene Klasse bilden, und die Prädikatsklassen HANDLUNG, VORGANG, EIGENSCHAFT und ZUSTAND einschließlich ihrer Subtypen in eine spezifische Relation. „Prädikationsrahmen“ geben eine allgemeine Bedeutungsdimension der Konstruktion an. Der „Prädikationsrahmen“ wird beschrieben in der Form PRÄDIKATSKLASSEv (Sem. Rolle1, Sem. Rolle2, Sem. Rollen). Der „Prädikationsrahmen“ kann mittels Hinzuziehung formaler Eigenschaften weiter nach Subtypen differenziert werden in der Form PRÄDIKATSKLASSEv (Sem. Rolle1[Phrase][Kasus], Sem. Rolle2[Phrase][Kasus], Sem. Rollen[Phrase][Kasus]). (vgl. Abschnitt 9.4: Definition 4)
Mit der Konzentration auf gebrauchsbasierte Theoriebildungen wollen wir jedoch nicht implizit behaupten, dass unifikationsbasierte Ansätze (Abschnitt 5) keinen wichtigen Bei-
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trag zur Weiterentwicklung der Konstruktionsgrammatik(en) oder gar für die Beschreibung sprachlicher Strukturen leisten. Das wäre auch bei der gegenwärtigen Forschungslage wenig konstruktiv und produktiv, denn die theoretischen Diskussionen und damit verbunden die Verifizierungs- sowie Falsifizierungsversuche von Grundannahmen, Korrekturen von methodischen Zugriffsmöglichkeiten und Berichtigungen von Ergebnissen werden in den nächsten Jahren eher die Regel als die Ausnahme sein. Die wurde schon in dem vorliegenden Band an verschiedenen Stellen deutlich, so etwa wenn über Goldbergs (2006a: 5) erweiterten Konstruktionsbegriff gesprochen wurde, auf den auch wir hier zurückgegriffen haben. Zu erwarten ist, dass mit dem Erscheinen des von Thomas Hoffmann und Graeme Trousdale herausgegebenen Oxford Handbook of Construction Grammar die Diskussion weiter vertieft und ausdifferenziert wird. Die inhaltliche Ausrichtung des vorliegenden Bandes ist also ganz wesentlich der Charakteristik der konstruktionsgrammatischen Ansätze geschuldet: Es handelt sich bei der Konstruktionsgrammatik um ein äußerst heterogenes Forschungsfeld, in welchem eine Vielzahl unterschiedlicher Ansätze mit unterschiedlichen Motivationslagen um den Konstruktionsbegriff ringen, seine Fundierung in einer Sprachtheorie diskutieren und vor allem seine methodische Anwendbarkeit in der Analyse von Sprachmaterial kritisch prüfen. Da es in all diesen Fragen keine übergreifende Schulbildung gibt, die für ‚allgemeingültige‘ Grundannahmen und Methoden einstehen könnte, war es unser Anliegen, einen Vorschlag zu unterbreiten, der aus der konkreten Forschungsarbeit und dem Dialog zwischen verschiedenen Forschungsbereichen resultiert und gebrauchsbasierte konstruktionsgrammatische Ansätze anschlussfähiger zu machen sucht für etablierte linguistische Beschreibungsmodelle und Forschungsbereiche: Syntax und Morphologie, Lexikologie und Phraseologie, Dialektologie und Forschungen zur gesprochenen Sprache sowie zum Spracherwerb und Sprachwandel und nicht zuletzt zur Text- und Diskurslinguistik sind eingeladen, mit dem hier gemachten Vorschlag eine alternative Perspektive auf Aspekte sprachlichen Wissens einzunehmen, die die Ergebnisse anderer Beschreibungsmodelle ergänzen, aber nicht ersetzen wollen. Wir hoffen, dass es uns mit diesem Zuschnitt gelungen ist, ein Forschungsfeld, welches im Bereich der germanistischen Linguistik und auf die Gegenwartssprache Deutsch bezogen noch in den Kinderschuhen steckt, so vorzustellen, dass interessierte Kolleginnen und Kollegen sowie Studierende zu diesem Band greifen können, um sowohl einen ersten Eindruck von (den Grundlagen und Konzepten) der Konstruktionsgrammatik als auch erste Hinweise für die forschungspraktische Umsetzung eigener Fragestellungen zu bekommen. Da dieser Band, wie bereits erwähnt, Forschungsgeschichte, Forschungsreferat, Einführung und Programm zugleich ist, bleiben am Schluss auch offene Fragen, die in der Kürze nicht zufriedenstellend bearbeitet werden konnten und auch in der einschlägigen Forschungsliteratur nicht bzw. nur marginal behandelt werden. Zu nennen sind hierbei vor allem Verzahnungen zu anderen Grammatikmodellen, die in dem vorliegenden Band zwar benannt, aber nicht detailliert dargestellt wurden. Das Verhältnis von gebrauchsbasierten konstruktionsgrammatischen Ansätzen zur generativen Transformationsgrammatik, zu formalisierenden Ansätze (wie der Kopfgesteuerten Phrasenstrukturgrammatik) oder zur
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Valenzgrammatik wird in den aktuellen Debatten immer neu justiert, und es wird Aufgabe der nächsten Jahre sein, Brücken zwischen unterschiedlichen Positionen mit ihren je eigenen Perspektiven auf Sprache zu schlagen. Erste Dialoge zwischen Konstruktionsgrammatik und Valenztheorie deuten hier auf interessante Fragen – und damit auf neue Optionen für die Beschreibung sprachlichen Wissens (etwa Jacobs 2008, 2009; Welke 2009a,b, 2011; Herbst & Stefanowitsch 2011; Imo im Druck b). Doch nicht nur zwischen verschiedenen Grammatiktheorien sind Anschlüsse zu suchen, sondern auch zu anderen Gegenstandsbereichen wie denen der Text- oder Diskurslinguistik. Für die Konstruktionsgrammatik eröffnet sich dadurch die Gelegenheit, ihre Deutungen und Lesarten für die Analyse von FormBedeutungspaaren über die Satzgrenzen hinaus in einen breiteren kommunikativen Kontext zu rücken. Insbesondere in der letzten Dekade hat sich die Konstruktionsgrammatik rasant weiterentwickelt, und es ist zu erwarten, dass dies zumindest in naher Zukunft auch so bleibt. Sowohl bei der Radical Construction Grammar als auch bei der Fluid Construction Grammar und Embodied Construction Grammar handelt es sich um junge Theoriebildungen, die bislang erst ein Bruchteil ihres Forschungsprogramms eingelöst haben. In welchem Umfang das Programm tatsächlich umgesetzt wird (bzw. werden kann) und ob sich die Ansätze als eigenständige Forschungsprogramme behaupten können werden, wird die Zukunft erweisen. Ähnliches gilt für die Sign Based Construction Grammar. Sie zeigt in jüngster Zeit wichtige Perspektiven und Möglichkeiten auf, die Kluft zwischen formal orientierten Ansätzen und stärker kognitiven Theoriebildungen zu schließen (Boas & Sag 2012), wobei sie ausdrücklich Anschlussstellen zu benachbarten Grammatiktheorien, einschließlich universalgrammatischer Ansätze, nicht ignorieren möchte (Sag & Boas & Kay 2012: Abschnitt 1). Das insgesamt angestrebte integrative Beschreibungsmodell ist bislang freilich mehr Programm als Realität. Der Anschluss der Sign Based Construction Grammar und der Cognitive Construction Grammar an die Frame-Semantik (in der FrameNet zugrunde liegenden Version) darf als die bislang elaborierteste Schnittstelle zwischen verschiedenen Ansätzen gelten (vgl. Boas 2011, im Druck b; Croft 2011; Fillmore & Lee-Goldman & Rhomieux 2012), dies nicht zuletzt deshalb, weil Frames schon in den frühen Studien der Berkeley Construction Grammar eine erkennbare, wenn auch nicht immer explizierte Rolle gespielt haben (Fillmore 1988, Fillmore & Kay & O’Connor 1988; zusammenfassend: Ziem im Druck a). Eine interessante Forschungsperspektive zeichnet sich hier deshalb ab, weil die Integration von Frames eine differenzierte Beschreibung und Erfassung von Konstruktionsbedeutungen verspricht. Dazu wäre es allerdings nötig, neben dem stark an syntaktischer Valenz orientierten Frame-Begriff (vgl. Ruppenhofer et al. 2010: 5) ebenso jenes Frame-Konzept einzubeziehen, das stärker auf die Erfassung von verstehensrelevantem (Hintergrund-)Wissen ausgerichtet ist (Fillmore 1982, 1985b, Ziem 2008). Dieses genuin bedeutungstheoretische Konzept spielt bislang eine nur sehr marginale Rolle bei der Beschreibung von Konstruktionsbedeutungen, obwohl die Relevanz schon früh betont (etwa Goldberg 1995: 25f.), jedoch in der Forschungspraxis bislang nur äußerst rudimentär berücksichtigt worden ist.
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Schließlich zeichnen sich weitere Forschungsperspektiven im Zusammenhang mit dem Versuch ab, grammatische Kategorien und Strukturen aus dem Sprachgebrauch abzuleiten und zu bestimmen (im Sinne des gebrauchsbasierten Modells nach Langacker 2000). So haben sich die Cognitive Construction Grammar und die Cognitive Grammar in den letzten Jahren erstaunlicherweise nur sehr zögerlich der Aufgabe gewidmet, soziale und pragmatische Dimensionen von Konstruktionen in der Theoriebildung und der empirischen Analyse zu berücksichtigen.134 Dies zeigt sich etwa an der fehlenden Reflexion über den Konventionsbegriff, der immerhin der Definition von Konstruktionen als konventionellen FormBedeutungspaaren zugrunde liegt und eine intrinsisch soziale Dimension von Konstruktionen profiliert. Insofern sich Konventionen nämlich stets innerhalb von Sprachgemeinschaften herausbilden, haben sie den Status von sozial geteiltem Wissen. Konstruktionen sind also neben kognitiven Verfestigungen („entrenchment“) im Wissen von SprachbenutzerInnen immer auch sozialer Natur. Dessen ungeachtet liegt der Forschungsschwerpunkt bislang eher auf der Untersuchung von individueller denn sozialer Kognition.135 So bleibt mit Croft (selbst-)kritisch anzumerken: [The foundations] are too solipsistic, that is, too much ‘inside the head’. In order to be successful, cognitive linguistics must go ‘outside the head’ and incorporate a social-interactional perspective on the nature of language. (Croft 2009b: 395)
Kurzum: Es ist der Konstruktionsgrammatik – und der Kognitiven Linguistik insgesamt – noch nicht hinreichend gelungen, soziale Parameter in ihr Modell zu integrieren. Zwar hat Tomasello (etwa 2003, 2007) in Spracherwerbsstudien wiederholt auf die Unverzichtbarkeit von intersubjektiv geteilter Intentionalität („shared intentionality“) und einem gemeinsamen Aufmerksamkeitsfokus („joint attention“) in der Kommunikation hingewiesen; in konstruktionsgrammatischen Studien hat diese dezidiert soziale Perspektivierung auf Konstruktionen jedoch bislang keinen erkennbaren Niederschlag gefunden. Zugespitzt formuliert: Kritisieren KonstruktionsgrammatikerInnen das universalgrammatische Sprachmodell als kognitiv und psychologisch nicht realistisch (Evans & Green 2006: 40ff.), könnte aus kommunikationstheoretischer und soziolinguistischer Sicht der Vorwurf an die Konstruktionsgrammatik herangetragen werden, ihr Modell sei hinsichtlich sozialer und kultureller Aspekte wenn nicht blind, dann zumindest desinteressiert. Für nicht formal ausgerichtete Ansätze bleibt also die Integration von gebrauchsbasierten Prinzipien in eine umfassende Theorie der syntaktischen Repräsentation ein auffälliges Forschungsdesiderat. Dies betrifft durchaus auch das „entrenchment“-Konzept, also gleichsam das ‚Herzstück‘ gebrauchsbasierter Ansätze. Auch dieses bedarf weiterer Ausdifferen–––––––— 134
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Eine Ausnahme bildet hier freilich die Thematisierung von Konstruktionen aus der Perspektive der Interaktionalen Linguistik (vgl. Abschnitt 10.4). Vgl. aber aus soziolinguistischer Sicht Hollmann im Druck. Hollmann gibt einen Überblick über kognitiv-soziolinguistische Studien zu (grammatischen) Konstruktionen. Bezeichnend ist aber, dass ein Großteil seiner Ausführungen nicht auf konstruktionsgrammatische Studien im engeren Sinne gerichtet ist; schwerpunktmäßig referiert er vielmehr soziolinguistisch informierte Untersuchungen der Kognitiven Linguistik.
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zierungen. Wie Croft zusammenfassend feststellt, sind etwa folgende zentrale Fragen noch nicht bzw. nur sehr unzulänglich beantwortet: How many tokens is enough to entrench a linguistic unit? How many types are enough to give rise to some degree of productivity? What is the role of timing of exposure in facilitating entrenchment? How similar do tokens/types have to be to facilitate entrenchment of a grammatical schema? How does one measure grammatical and semantic similarity in order to compare its effect to that of token/type frequency? (Croft 2007: 504)
An Arbeit und spannenden Forschungsfragen mangelt es also nicht. Also, packen wir es an!
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14 Begriffsglossar In folgendem Begriffsglossar sind die wichtigsten konstruktionsgrammatischen Termini kurz im Kontext ihres Entstehungs- und Thematisierungszusammenhangs erläutert. Auch die Begriffe „Aussagerahmen“, „Prädikationsklasse“ und „Prädikationsrahmen“ haben wir aufgenommen, obwohl es sich dabei nicht um Fachbegriffe der Konstruktionsgrammatik handelt; sie stammen vielmehr aus der von Polenz’schen Satzsemantik (2008, Erstauflage 1985), sind aber zur Beschreibung von Konstruktionsbedeutungen in der vorliegenden Einführung von zentraler Bedeutung. Das Glossar soll einerseits dazu dienen, begriffliche Hürden (die zwangsläufig bei der Beschäftigung mit neuen Theorien aufkommen) zu überwinden, um so einen besseren Einstieg in die entsprechende Fachliteratur zu ermöglichen. Andererseits kann das Glossar auch dazu genutzt werden, einen schnellen Überblick über zentrale Theoreme und Fragestellungen der Konstruktionsgrammatik zu gewinnen. Wir haben uns bemüht, möglichst alle einschlägigen Termini aufzunehmen, haben es aber zugleich vermieden, Begriffe einzuführen, die im vorliegenden Buch keine oder eine nur eine sehr marginale Rolle spielen. Da alle Termini im vorliegenden Band thematisiert und diskutiert werden, können sie in ihren jeweils übergeordneten Erklärungszusammenhängen an entsprechenden Stellen vertieft betrachtet werden. Analogie ist ein (Lern-)Mechanismus der strukturellen Übertragung ausgewählter Form- und Bedeutungsaspekte von einer Konstruktion auf eine andere Konstruktion auf der gleichen Hierarchieebene oder über mehrere Ebenen hinweg (Æ Vererbungshierarchie). Analogien können Vererbungsprozesse zwischen Konstruktionen betreffen; dann tragen sie zur Etablierung von Knoten im Netzwerke von Konstruktionen bei (Æ Konstruktikon). Analogisierungen sind aber ebenso zwischen Æ Konstrukten und Æ Konstruktionen möglich. Der Valenztheoretiker Welke benutzt das Konzept der Analogie auch zur konstruktionsbasierten Erklärung der Erweiterung von Verbvalenz (Welke 2011: 206-213). Argument bezeichnet eine formal und inhaltlich spezifizierte Leerstelle einer Argumentstruktur-Konstruktion. So spezifiziert in der Ditransitiv- bzw. Doppelobjekt-Konstruktion Henrike schenkt Jonathan einen Ball, in die das Verb schenken eingetreten ist, (a) das Argument Henrike die Argumentstelle NPNom bzw. die semantische Rolle Agens, (b) das Argument Jonathan die Argumentstelle NPDat bzw. die semantische Rolle Benefaktiv sowie (c) das Argument einen Ball die Argumentstelle NPAkk bzw. die semantische Rolle affiziertes Objekt (Æ Rolle, semantische). Argumentstruktur bezeichnet jenes Æ Schema an semantischen und syntaktischen Rollen, das mit einem Verb assoziiert ist und die Bedeutung des Verbes mitbestimmt. Argumentstruktur-Konstruktionen (wie etwa die Ditransitiv-, Resultativ- und „caused-motion“-Konstruktion) bilden den zentralen Gegenstandsbereich der Studien von Goldberg (z.B. 1995, 2006), werden aber etwa auch in der Cognitive Grammar, Radical Construction Grammar und der Fluid Construction Grammar behandelt. ArgumentstrukturKonstruktionen sind (trotz ihrer syntaktischen Komplexität) konventionalisierte FormBedeutungspaare, denn sie tragen unabhängig von dem Verb, das in sie eintritt, (abstrakte) Bedeutung(en).
194 Aussagerahmen ist ein Konzept, das in Anlehnung an die von Polenz’sche Satzsemantik zur formalen Beschreibung der Struktur von Konstruktionen genutzt werden kann, jedoch bislang in der Konstruktionsgrammatik kaum Beachtung gefunden hat. Ein Aussagerahmen spezifiziert sowohl die Æ Prädikatsklassen als auch die Æ Prädikationsrahmen und damit die Bedeutungsdimension einer Konstruktion. Durch den Aussagerahmen werden zum einen wesentliche semantische Merkmale der in die Konstruktion eingebetteten Verben und zum anderen ko(n)textuelle Bedingungen des Gebrauchs einer Konstruktion berücksichtigt. Bedeutung bildet zusammen mit der Æ Funktion die Inhaltsseite von Konstruktionen. Konstruktionen werden (im Sinne de Saussures) entsprechend als Form-Bedeutungspaare definiert. Æ Form und Æ Bedeutung sind konventionell miteinander verbunden (Æ Konvention). Unter der Bedeutungsseite von Konstruktionen werden nach Croft (2001) semantische, pragmatische sowie diskursfunktionale Aspekte subsumiert (vgl. Æ Frame). „Coercion“ ist die Erzwingung einer Lesart eines Verbs (oder einer anderen sprachlichen Einheit) durch eine Konstruktion. „Coercion“ findet etwa statt, wenn Verben in Konstruktionen eingebettet sind, deren Bedeutung(en) nicht mit der Bedeutung bzw. den Bedeutungen der Konstruktion übereinstimmt. In diesem Fall können nicht alle Argumentrollen der Konstruktion mit den Partizipantenrollen des Verbs fusionieren (Æ Fusion [von Rollen]). Die lexikalisch nicht profilierten Rollen des Verbs werden hinsichtlich ihrer Eigenschaften durch die profilierten Argumentrollen festgelegt – und damit auch hinsichtlich ihrer Lesart (vgl. etwa Goldberg 1995: 159f. und Michaelis 2003). „Embodiment“ ist ein Konzept der Æ Kognitiven Linguistik, mit dem die enge Beziehung zwischen sprachlichen Strukturen sowie Einheiten einerseits und körperlichen Erfahrungen andererseits akzentuiert wird. Goldberg (1995) vertritt die These, dass Æ Argumentstruktur-Konstruktionen durch grundlegende Typen menschlicher Erfahrung motiviert sind, so etwa die „caused-motion“-Konstruktion durch die rekurrente Erfahrung, mittels körperlicher Aktivität etwas zu bewegen (einen Stuhl zu verrücken, eine Kugel anzustoßen usw.). Die Embodied Construction Grammar geht von einem untrennbaren Zusammenhang von konstruktionsbasiertem Sprachverstehen und mental-simulativen Prozessen aus, die in körperlichen Erfahrungen verankert sind. Emergenz bezeichnet das neue und ggf. erstmalige Auftreten von Eigenschaften einer sprachlichen Einheit. Da auch Æ Konstruktionen dem Sprachwandel unterworfen sind, sind auch hier Emergenzphänomene zu beobachten, etwa hinsichtlich der Etablierung von neuen Form- und/oder Bedeutungsaspekten (Æ „entrenchment“). Auer und Pfänder (2011) unterscheiden neuerdings zwischen „emergierenden Konstruktionen“ („emerging constructions“) und „emergenten Konstruktionen“ („emergent constructions“). „Entrenchment“ bezeichnet die kognitiv-sprachliche Verfestigung bzw. Etablierung einer sprachlichen Einheit im Æ Konstruktikon. Die Æ Frequenz des Auftretens einer sprachlichen Einheit korreliert dabei mit dem Grad ihrer (kognitiven) Verfestigung im Sprachwissen. Unterschieden wird zwischen so genanntem Type- und Token-„Entrenchment“. Ersteres bezeichnet die Verfestigung einer schematischen Einheit (etwa einer Subjekt-Prädikat-Konstruktion) aus weniger abstrakten Einheiten (wie der Transitiv- und Intransitiv-Konstruktion). Token-„Entrenchment“ liegt dagegen vor, wenn das rekurrente Vorkommen einer bestimmten sprachlichen Einheit (etwa einer lexikalisch voll spezifizierten Konstruktion
195 wie Morgenstund hat Gold im Mund oder lexikalischen Einheiten wie Gold und Mund) zur Verfestigung ebendieser Einheiten führt. „Entrenchment“ gilt im gebrauchsbasierten Ansatz als hinreichendes Kriterium zur Bestimmung von sprachlichen Einheiten als Konstruktionen. Form und Bedeutung bilden zwei Seiten einer Konstruktion. Beide sind konventionell miteinander verbunden. Der Formseite werden neben syntaktischen und morphologischen auch phonologische Eigenschaften zugewiesen. Frame ist ein Konzept der Kognitiven Semantik zur Erfassung und Beschreibung sprachlicher Æ Bedeutung(en) (vgl. etwa Fillmore 1982, 1985b; übergreifend: Busse 2012, Ziem 2008). In Goldbergs Cognitive Construction Grammar – und teilweise auch in der Berkeley Construction Grammar – dienen Frames zur Analyse von Konstruktionsbedeutungen, wenngleich bislang weder in empirischen Analysen noch in theoretischer Hinsicht eine vollständige Integration des Frame-Konzepts in die Konstruktionsgrammatik stattgefunden hat (vgl. aber Boas 2003, Iwata 2008, Kay & Fillmore 1999, Sag 2012). FrameNet ist ein Mitte der 1990er Jahre von Charles Fillmore initiiertes korpuslinguistisches Forschungsprojekt, das am International Computer Science Institut in Berkeley, Kalifornien, USA, angesiedelt ist (vgl. ). Ziel ist es, auf der Basis von systematischen Annotationen die semantische und syntaktische Valenz von lexikalischen Einheiten in ihrem ganzen Bedeutungsspektrum zu beschreiben. Die annotierten semantischen Rollen werden zunehmend zur Erfassung, Beschreibung und Analyse von (Argumentstruktur-)Konstruktionen genutzt. Frequenz gilt in korpuslinguistisch und kognitiv orientierten konstruktionsgrammatischen Studien als wichtiger Indikator für den Grad an (kognitiver) Verfestigung von Elementen in Konstruktionen oder von Konstruktionen insgesamt (Æ „entrenchment“). Das Frequenz-Prinzip besagt, dass die Häufigkeit des Auftretens einer sprachlichen Einheit innerhalb einer Sprachgemeinschaft mit dem Grad an kognitiver Verfestigung der Einheit im Sprachwissen der Mitglieder dieser Sprachgemeinschaft korreliert. Funktion ist eine pragmatisch-kommunikative Eigenschaft, die Konstruktionen im Æ Sprachgebrauch aufweisen können. Das Konzept der Funktion wird insbesondere in konstruktionsgrammatischen Ansätzen mit interaktional-linguistischer Ausrichtung genutzt, um Konstruktionen im Diskurs inhaltsseitig zu beschreiben. Fusion (von Rollen) beschreibt die Korrespondenz zwischen Argumentrollen einer Konstruktion und den thematischen Rollen (Partizipantenrollen) eines Verbs, die in seiner Æ Valenz angelegt sind (vgl. etwa. Goldberg 1995: 50-52 und Evans & Green 2006: 671-680). Damit ein Verb in eine Konstruktion eingebettet werden kann, müssen wenigstens eine Argumentrolle und eine Partizipantenrolle fusionieren. Der Satz Er gibt ihr den Bauplan ist als Realisierung einer Ditransitiv-Konstruktion (mit der Bedeutung CAUSE-RECEIVE nach Goldberg) aufzufassen, in die das Verb geben eingebettet ist. Das Verb geben fordert eine NPNOM (er) als Agens (AG), eine NPAKK (den Bauplan) als affiziertes Objekt (AOB) und eine NPDAT (ihr) als Benefaktiv (BEN). Es korrespondiert hinsichtlich aller Rollen mit den Argumentrollen der Konstruktion, die folglich fusionieren können. Anders verhält es sich, wenn das Verb bauen in die Ditransitiv-Konstruktion eingebettet wird, so etwa im Satz Er baut ihr das Haus. In seiner Valenz ist ein Benefaktiv (BEN) nicht obligatorisch. Hier wird diese Rolle durch die profilierte Ar-
196 gumentrolle (BEN) der Konstruktion lizenziert, alle anderen Rollen fusionieren. In dem in Abschnitt 9.5 entwickelten Modell zur Darstellung der internen Struktur einer Konstruktion im Anschluss an Goldberg und unter Berücksichtigung der Satzsemantik nach von Polenz kann dieser Zusammenhang wie in den Abbildungen 21 und 22 dargestellt werden.
Abbildung 21: Die Einbettung des Verbs geben in die Ditransitiv-Konstruktion im Aussagerahmen GEBEN.
Abbildung 22: Die Einbettung des Verbs bauen in die Ditransitiv-Konstruktion im Aussagerahmen GEBEN. Gebrauchsbasiertheit gilt als ein wichtiges Charakteristikum, das kognitiv ausgerichtete konstruktionsgrammatische Ansätze (wie die Cognitive Construction Grammar, die Cognitive Grammar und die Radical Construction Grammar) von anderen unterscheidet. Das Prinzip der Gebrauchsbasiertheit besagt, dass das individuelle Æ Sprachwissen von SprachbenutzerInnen das Ergebnis von Abstraktions- und Schematisierungsprozessen tatsächlicher Äußerungen ist. Idiomatizität bezeichnet die Nicht-Kompositionalität komplexer sprachlicher Ausdrücke. Idiomatisch sind Ausdrücke demnach dann, wenn sich ihre Bedeutungen nicht aus der Bedeutung ihrer Bestandteile herleiten lassen. Idiomatische Ausdrücke bilden traditionell den Gegenstandsbereich der Phraseologie. In vielen Sprachtheorien gelten sie – trotz ihres frequenten Auftretens – als idiosynkratische und zu vernachlässigende Phänomene jenseits der ‚Kerngrammatik‘. Sie in eine umfassende Sprach- und
197 Grammatiktheorie einzubeziehen war eines der wichtigsten Anliegen früher konstruktionsgrammatischer Theoriebildungen, insbesondere der Berkeley Construction Grammar. Instanzen sind (sprachliche) Elemente, die Leerstellen von Æ Schemata füllen. So stellt beispielsweise eine Intransitiv-Konstruktion, in die das Verb schlafen eintritt, eine Leerstelle bereit, die im Fall von Peter schläft durch Peter gefüllt wird (Æ Argument). Der Akt der Einsetzung wird als Instantiierung bezeichnet, wobei jede Instantiierung den Charakter einer Kategorisierung hat. Instanz versteht Goldberg – neben Æ Polysemie, Æ Teil-Ganzes und Æ Metapher – als einen Relationstyp, der bedeutungsseitige Beziehungen zwischen (Argumentstruktur-)Konstruktionen motivieren kann. So bildet etwa der Satz Sie macht ihn verrückt eine Instanz der Resultativ-Konstruktion. Introspektion bezeichnet die sprachliche „Selbstbeobachtung“ als ein methodisches Verfahren, das für ‚traditionelle‘, d.h. nicht-datenbasierte linguistische Untersuchungen gängig ist. Auch konstruktionsgrammatische Studien greifen bis Ende der 1990er Jahre auf diese Methode zurück. Introspektion basiert auf der menschlichen Intuition und der angenommenen Sprachkompetenz, die beide als Maßstab zur Beurteilung der Angemessenheit, Richtigkeit oder Falschheit bzw. Grammatikalität sprachlicher Äußerungen dienen. Die durch Introspektion erzielten Ergebnisse können sich entsprechend als enttäuschungsanfällig und intersubjektiv kaum überprüfbar erweisen. Intuition spielt aber bei der Beurteilung von erzielter empirischer Evidenz gleichwohl eine wichtige Rolle. „Joint attention“ ist ein von Michael Tomasello (zusammenfassend: 2003) geprägter Begriff, der den gemeinsamen kommunikativen Fokus („common ground“) von Gesprächsteilnehmern beschreibt. „Joint attention“ ist wichtig für die Entwicklung der Fähigkeit von Kindern, kommunikative Intentionen zu erkennen („intention reading“); sie ist mithin eine zentrale Voraussetzung für den Erwerb von Konstruktionen. Kategorisierung gilt – neben Abstraktion, Schematisierung, Figur-Grundunterscheidung und anderen mehr – als eine grundlegende kognitive Operation, die es etwa ermöglicht, eine Æ Instanz einer Leerstelle in einem Æ Schema zuzuweisen. Im gebrauchsbasierten Modell gelten Konstruktionen als Ergebnisse ähnlicher, rekurrenter Kategorisierungsprozesse (Æ „entrenchment“). Kognitive Linguistik ist eine Familie von sprachwissenschaftlichen Theoriebildungen, denen auch die Konstruktionsgrammatik zuzurechnen ist. Maßgebliche VertreterInnen sind neben anderen Bill Croft, Adele Goldberg, Gilles Fauconnier, Charles Fillmore, George Lakoff, Ronald Langacker und Leonard Talmy. Die Kognitive Linguistik hat sich zunächst in den 1980er Jahren als Gegenbewegung zur generativen Transformationsgrammatik herausgebildet. Anders als diese geht sie davon aus, dass Sprache nicht als eine autonome kognitive Fähigkeit (bestehend aus angeborenen Modulen) zu verstehen ist, sondern Grammatik vielmehr das Ergebnis von Abstraktionsprozessen im Sprachgebrauch bildet. Kollokation ist ein korpuslinguistischer Terminus, der auf den Linguisten John R. Firth zurückgeht und sich auf die gegenseitige Bindung von sprachlichen Einheiten bezieht. Gehäuftes gemeinsames („kookkurrentes“) Auftreten von zwei Spracheinheiten gilt dabei als Hinweis auf den inhaltlichen Zusammenhang dieser Einheiten. Die Assoziationsstärke zwischen sprachlichen Einheiten dient zudem in quantitativ verfahrenden konstruktionsgrammatischen Studien dazu, Konstruktionen zu identifizieren sowie ihre strukturellen Eigenschaften zu bestimmen (Æ Kollostruktionsanalyse).
198 Kollostruktionsanalyse macht sich zum Ziel, auf der Basis von quantitativen Korpusuntersuchungen zu bestimmen, wie stark bestimmte sprachliche Æ Instanzen und bestimmte Leerstellen einer Konstruktion sich gegenseitig anziehen und bedingen. Zu diesem Zwecke haben Gries und Stefanowitsch drei methodische Verfahren entwickelt: die so genannte Kollexem-, distinktive Kollexem- und kovariierende KollexemAnalyse. Bei Kollostruktion handelt es sich um eine morphologische Verschmelzung von Æ Kollokation und Æ Konstruktion; diese verdeutlicht die enge Verbindung beider Konzepte. Kompositionalität wird in vielen konstruktionsgrammatischen Ansätzen als Eigenschaft von sprachlichen Einheiten angesetzt, die nicht den Status von Konstruktionen haben. Kompositionell ist eine sprachliche Einheit (d.h. deren Form- und/oder Bedeutungsseite) dann, wenn sich ihre Eigenschaften vollständig aus den Teilen sowie der Art ihrer Zusammensetzung ableiten lassen. Weist eine sprachliche Einheit dagegen unvorhersagbare Eigenschaften auf, handelt es sich per definitionem um eine Æ Konstruktion. In gebrauchsbasierten Ansätzen der Konstruktionsgrammatik wird zudem Æ „entrenchment“ als eine alternative hinreichende Bedingung für Konstruktionen angesetzt. Konstrukt ist eine sprachliche Einheit, die (noch) nicht den Status einer Konstruktion hat, weil sie entweder keine unvorhersagbaren formalen bzw. inhaltsseitigen Eigenschaften aufweist (Æ Kompositionalität) oder weil sie keine gestalthaft-kognitive Einheit im Æ Sprachwissen bildet (Æ „entrenchment“). Konstruktikon ist ein taxonomisch strukturiertes, feinkörniges Netzwerk von miteinander verbundenen Konstruktionen, das insgesamt das Æ Sprachwissen repräsentiert. Bei dem Ausdruck Konstruktikon handelt es sich um eine morphologische Verschmelzung von Konstruktion und Lexikon. In unifikationsbasierten Ansätzen hat das Konstruktikon die Gestalt von Attribut-Wert-Matrizen. Die Knoten eines Konstruktikons – Attribut-Wert Paare – vererben dabei ihre Informationen vollständig auf hierarchieniedrigere Knoten („complete inheritance model“), so dass das Konstruktikon keine Redundanzen aufweist. Anders in gebrauchsbasiert-kognitiven Ansätzen: Sie gehen davon aus, dass Informationen auch partiell von einer Konstruktion auf eine andere hierarchieniedrigere übertragen werden können („partial inheritance“), und sie erlauben ebenso, dass eine Konstruktion Informationen von mehreren hierarchiehöheren Konstruktionen gleichzeitig erbt („multiple inheritance“). Es wird angenommen, dass Konstruktionen (und deren jeweiligen Form- und Inhaltsseite) mittels Kategorisierungsbeziehungen verbunden sind (Æ Kategorisierung) und das entstehende Netzwerk an Konstruktionen prototypisch organisiert ist (Æ Prototypikalität). Konstruktion ist ein Terminus technicus der Konstruktionsgrammatik, mit dem konventionalisierte FormBedeutungspaare unterschiedlichen Abstraktionsgrades bezeichnet werden. Während in kognitiven, gebrauchsbasierten Ansätzen entweder die Eigenschaft der Nicht-Kompositionalität (Æ Kompositionalität) oder der kognitiven Verfestigung (Æ „entrenchment“) als konstitutives Merkmal von Konstruktionen gelten, akzeptiert etwa die Berkeley Construction Grammar allein das Kriterium der Nicht-Kompositionalität. Eine Besonderheit der Cognitive Grammar Langackers besteht darin, ausschließlich syntaktisch komplexe Einheiten als Konstruktionen zu bezeichnen; Morpheme haben hier folglich nicht den Status von Konstruktionen. Am Sprachgebrauch orientierte Ansätze gehen davon aus, dass weiterhin die Eigenschaften der Æ Konstruktivität, Æ Kontextualität, Æ Kognitivität und Æ Konzeptualität für Konstruktionen kennzeichnend sind.
199 Konstruktivität ist eine Eigenschaft von Æ Konstruktionen in gebrauchsbasierten Ansätzen. Sie hebt hervor, dass sich Konstruktionen emergent aus dem Æ Sprachgebrauch ergeben und mithin weder primitiv-atomarer Natur sind noch zum angeborenen ‚Wissen‘ gehören. Kontextualität bezeichnet in gebrauchsbasiert-kognitiven Ansätzen den Umstand, dass Konstruktionen in konkreten Sprachgebrauchszusammenhängen entstehen und sich (form- und inhaltsseitig) verfestigen und wandeln. Zugrunde gelegt wird ein weiter Kontextbegriff, der neben der kotextuellen Einbettungsstruktur sprachlicher Zeichen etwa auch situative und kognitive Aspekte wie Hintergrundwissen einschließt. Kontinuum (zwischen Grammatik und Lexikon) ist ein Basiskonzept aller konstruktionsgrammatischen Theoriebildungen, das den graduellen Übergang zwischen lexikalischen Einheiten und grammatischen Strukturen akzentuiert. Beide haben denselben (ontologischen) Status und können nicht voneinander getrennt werden. Die Annahme eines Kontinuums zwischen Grammatik und Lexikon liegt in dem Verständnis von Æ Konstruktionen als elementaren Bestandteilen einer Sprache selbst begründet. Sie richtet sich direkt gegen formallinguistische und generative Ansätze, denen zufolge das Lexikon strikt vom grammatischen System separiert ist. Konventionalität ist – ähnlich dem Zeichenbegriff de Saussures – eine Eigenschaft von Konstruktionen bzw. der Verbindung der Form- und Inhaltsseite von Æ Konstruktionen. Obwohl die Assoziation von Form- und Inhaltsaspekten auch in der Konstruktionsgrammatik als arbiträr gilt, wird die Annahme vertreten, dass Konstruktionen inhaltsseitig sehr wohl motiviert sein können (Æ Motivation). Die Eigenschaft der Konventionalität macht deutlich, dass Konstruktionen im Kern soziale Einheiten sind, die sich innerhalb einer Sprachgemeinschaft herausbilden und dort verbindlich werden. Konzeptualität bezieht sich auf die Eigenschaft von Æ Konstruktionen, Teil des allgemeinen Wissens von SprachbenutzerInnen und mithin konzeptueller Natur zu sein. Sprachgebrauchsbasierte Ansätze betonen, dass Konstruktionen im konkreten Æ Sprachgebrauch entstehen und dem Sprachwandel unterworfen sind. Korpus ist eine systematisch zusammengestellte Menge von (in der Regel elektronischen) Texten der mündlichen oder schriftlichen Kommunikation. Ein Korpus wird unter bestimmten Gesichtspunkten bzw. Kriterien (etwa der Repräsentativität für eine Varietät, eine Textsorte, eine Sprachgemeinschaft etc.) gebildet, um diese qualitativ oder quantitativ auszuwerten. Zur qualitativen Sprachuntersuchung werden Texte meist manuell annotiert, in FrameNet etwa hinsichtlich Æ semantischer Rollen. Maschinelle Sprachanalysen, etwa Æ n-Gramm-, Æ Kollokations- oder Æ Kollostruktionsanalysen, finden vielfach Einsatz, um Konstruktionen zu identifizieren und strukturell zu beschreiben. Metapher bezeichnet eine sprachliche Einheit, deren konventionelle Bedeutung im Sprachgebrauch in eine nicht-benachbarte Bedeutungssphäre übertragen wird. Metaphorische Erweiterungen können nach Goldberg auch bedeutungsseitige Beziehungen zwischen Konstruktionen motivieren. Beispielsweise handelt es sich bei der Resultativ-Konstruktion Er küsst sie in Ekstase um eine metaphorische Erweiterung einer „caused-motion“-Konstruktion (des Typs Er wirft sie aufs Bett), insofern das erreichte Ziel in Ekstase den Status einer ontologischen Metapher hat: ein Gefühlszustand wird als ein erreichbarer, physischer Ort kodiert.
200 Metonymie Æ Teil-Ganzes Motivation fungiert als zentrales Konzept nicht-formaler, kognitiver Ansätze der Konstruktionsgrammatik zur Erklärung der Entstehung und des Wandels von Konstruktionen im Sprachgebrauch sowie der Interaktion von Konstruktionen im Æ Konstruktikon. Zu unterscheiden sind mindestens drei verschiedene Quellen der Motivation: (a) Motivation durch rekurrente körperliche Erfahrungen (Æ „embodiment“), (b) Motivation durch Relationen, die eine Konstruktion mit anderen Konstruktionen unterhält (Æ Teil-Ganzes, Æ Metapher, Æ Instanz, Æ Polysemie) und (c) Motivation durch verstehensrelevantes Hintergrundwissen. Die Annahme von kognitiv-gebrauchsbasierten Ansätzen, dass Beziehungen zwischen Konstruktionen systematisch motiviert sind, macht deutlich, dass Konstruktionen zwar strukturell als sprachliche Zeichen (im Sinne von konventionalisierten Form-Bedeutungspaaren) zu verstehen sind, dennoch aber nicht vollständig mit dem Zeichen-Begriff de Saussures gleichgesetzt werden können. Muster Æ Schema n-Gramm ist eine in einem Korpus gehäuft vorkommende Mehrworteinheit mit n-vielen Gliedern (z.B. Bigramm = zweigliedrige Mehrworteinheit wie verspäteter Zug; Trigramm = dreigliedrige Mehrworteinheit wie etwas verspäteter Zug). Mehrworteinheiten sind für die quantitative Korpusanalyse von Relevanz, um beispielsweise sprachliche Muster oder Konstruktionen in umfangreichen Korpora (Æ Korpus) zu identifizieren. Netzwerk (von Konstruktionen) Æ Konstruktikon Notation ist die formale Beschreibung von Konstruktionen nach vorgegebenen Kriterien. So werden in unifikationsbasierten Ansätzen Konstruktionen als Attribut-Wert-Paare modelliert. In gebrauchsbasierten Ansätzen dienen dagegen graphische Darstellungen von Konstruktionen allein illustrativen Zwecken und erheben nicht den Anspruch auf Vollständigkeit oder gar der Abbildung kognitiver ‚Realität‘. Polysemie bezeichnet in der lexikalischen Semantik die Eigenschaft von Wörtern, systematisch mehrdeutig zu sein; so kann beispielsweise mit Schule eine Institution (ich hasse Schule), ein Gebäude (die Schule brennt) oder ein (Unterrichts-)Vorgang (die Schule ist aus) gemeint sein. Die gebrauchsbasierte Konstruktionsgrammatik geht davon aus, dass in diesem Sinne auch (syntaktische) Konstruktionen wie die Ditransitiv-Konstruktion (Goldberg 1995: 38) systematisch mehrdeutig sind bzw. sein können (Æ Prototypikalität). Goldberg postuliert deshalb Polysemie als einen Relationstyp, der die Beziehung zwischen Konstruktionen bedeutungsseitig motivieren kann; andere Relationstypen sind Æ Metapher, Æ Teil-Ganzes und Æ Instanz. Prädikationsrahmen ist ein Konzept der von Polenz’sche Satzsemantik, das zur allgemeinen Beschreibung von Konstruktionsbedeutungen genutzt werden kann, jedoch bislang in der Konstruktionsgrammatik nur am Rande Einsatz gefunden hat. Prädikationsrahmen setzen Æ semantische Rollen, die keine systematisch geschlossene Klasse bilden, einerseits und die Æ Prädikatsklassen HANDLUNG, VORGANG, EIGENSCHAFT und ZUSTAND sowie deren Subtypen andererseits in eine spezifische Relation. Der
201 Prädikationsrahmen wird beschrieben in der Form Æ PRÄDIKATSKLASSEv (Sem. Rolle1, Sem. Rolle2, Sem. Rollen). Der Prädikationsrahmen kann mittels Hinzuziehung formaler Eigenschaften weiter nach Subtypen differenziert werden in der Form Æ PRÄDIKATSKLASSEv (Sem. Rolle1[Phrase][Kasus], Sem. Rolle2[Phrase][Kasus], Sem. Rollen[Phrase][Kasus]). Prädikatsklassen ist – wie Æ Aussagerahmen und Æ Prädikationsrahmen – ein zentraler Begriff der von Polenz’schen Satzsemantik. Zu unterscheiden sind die Prädikatsklassen HANDLUNG, VORGANG, EIGENSCHAFT und ZUSTAND, denen ein jedes Verb je nach Verwendungskontext und aufgerufener Bedeutung zugeordnet werden kann. Ein prototypisches Beispiel für ein Aktionsprädikat ist gehen (HANDLUNG), für ein Prozessprädikat fallen (VORGANG), für ein Statusprädikat (ZUSTAND) oder Qualitätsprädikate sein (EIGENSCHAFT). Mittels Prädikatsklassen wird der Æ Prädikationsrahmen aufgespannt. Dem Konzept der Prädikatsklasse wurde in konstruktionsgrammatischen Studien bislang nur wenig Beachtung geschenkt. Produktivität bezeichnet eine mögliche Eigenschaft von Konstruktionen, die mindestens eine Leerstelle aufweisen. Produktiv sind solche schematischen, d.h. lexikalisch nicht voll spezifizierten Konstruktionen dann, wenn im tatsächlichen Sprachgebrauch viele verschiedene sprachliche Einheiten diese Leerstelle (bzw. diese Leerstellen) besetzen können. Lizenziert dagegen die Konstruktion nur wenige Æ Instanzen, gilt sie als nicht-produktiv; dies ist etwa bei der Resultativ-Konstruktion der Fall, in die treiben eintritt, insofern nur bestimmte Elemente zur Beschreibung des erzielten Resultats zugelassen werden: Er treibt mich in den Wahnsinn/zur Weißglut/*in die Dummheit/*dumm/*irre. Prototypikalität wird in den am Sprachgebrauch orientierten Ansätzen der Konstruktionsgrammatik als eine Eigenschaft von (Form- und Bedeutungsseiten von) Konstruktionen sowie der Organisation von Konstruktionen im Æ Konstruktikon postuliert. Goldberg (1995) zeigt, dass auch ArgumentstrukturKonstruktionen mehrdeutig sind (Æ Polysemie), die verschiedenen Bedeutungen aber systematisch miteinander in Verbindung stehen. Den Ausgangspunkt bildet dabei eine zentrale prototypische Bedeutung, die durch Familienähnlichkeit eng mit den anderen Bedeutungen verbunden ist. Rolle, semantische ist ein syntaktisch-semantisches Konzept, das von Polenz (in Anlehnung an Studien von René Dirven und Günter Radden) aus der Kasustheorie Fillmores (1968) entwickelt. Auch Goldberg (etwa 1995) greift zur Beschreibung von Konstruktionsbedeutungen auf das Konzept zurück. Semantische Rollen stehen für satzsemantische Eigenschaften, die bestimmte Argumentstellen aufweisen können: Wie die Sätze (1) Lewin schenkt ein Buch und (2) Lewin bekommt ein Buch geschenkt illustrieren, kann Lewin etwa wie in (1) Agens (AG) und damit Handelnder sein, aber auch etwa als Benefaktiv (BEN) einer Handlung konzeptualisiert werden wie (2), und zwar durchaus ohne die syntaktische Funktion (hier: Subjekt) zu ändern. Die Zuweisung der semantischen Rollen wird durch die Konstruktion gesteuert. Daher sind diese auch mit der Konstruktionsbedeutung angegeben, die sich mittels Æ Prädikationsrahmen erfassen lässt. Schema bezeichnet eine kognitive Struktur bzw. ein kognitives Muster, die bzw. das aus strukturell ähnlichen sprachlichen Äußerungen hervorgegangen ist. Im Schema ist von Unterschieden zwischen diesen ähnlichen Äußerungen abstrahiert, so dass es aus mindestens einer Leerstelle besteht, die variabel durch Æ Instanzen gefüllt werden kann. Jede lexikalisch nicht voll spezifizierte Konstruktion (wie schematische Idiome, Argumentstruktur-Konstruktionen, Vergleichssätze usw.) bildet folglich ein
202 Schema. Dieses kann hinsichtlich seiner Æ Produktivität variieren. Nach Tomasello ist die kindliche Fähigkeit, Muster bzw. Schemata zu bilden, Voraussetzung für den Erwerb von Konstruktionen. Sprachgebrauch fungiert oftmals als Gegenbegriff zu Sprachsystem, insofern durch den Begriff des Sprachgebrauchs Aspekte der tatsächlichen Verwendung von Sprachzeichen (wie Hintergrundwissen, Ko- und Kontext) in den Fokus rücken. Während die Sign-Based Construction Grammar nicht den Sprachgebrauch („language in use“) untersucht und wie die Berkeley Construction Grammar oft erfundene Beispiele benutzt, fühlen sich kognitiv orientierte Ansätze dem so genannten gebrauchsbasierten Modell („usage-based model“) verpflichtet (Æ Gebrauchsbasiertheit). Sie machen sich zur Aufgabe, sprachgebrauchsabhängige Phänomene wie Æ Prototypikalität, Æ Motivation, Æ Kategorisierung, Æ Polysemie, Æ „entrenchment“ in die Analyse und theoretische Beschreibung von Konstruktionen einzubeziehen. Auch die formal ausgerichtete Fluid Construction Grammar sowie – wenn auch weniger konsequent – die Embodied Construction Grammar verstehen sich als sprachgebrauchsorientierte Ansätze. Sprachwissen umfasst jene kognitiven Strukturen und Einheiten, die sowohl Sprachverstehen als auch den kommunikativen Gebrauch von Sprache ermöglichen. In gebrauchsbasierten Ansätzen ist Sprachwissen von anderen Formen des Wissens („Weltwissen“, „Erfahrungswissen“, „sozialem Wissen“ etc.) nicht zu trennen. Dem Anspruch nach lässt sich Sprachwissen vollständig durch Konstruktionen unterschiedlichen Abstraktionsgrades erfassen, wobei angenommen wird, dass Konstruktionen in einem feinmaschigen Netzwerk sowohl form- als auch inhaltsseitig miteinander verbunden und organisiert sind. Dieses Æ Konstruktikon bildet das Sprachwissen von einzelnen Sprachteilnehmern oder von einer ganzen Sprachgemeinschaft. Struktur Æ Schema Szene führt Goldberg als Terminus ein, um zum einen im Anschluss an Fillmores Frames-and-ScenesSemantik zu betonen, dass sprachliche Bedeutungen konzeptuell ähnlich vielschichtig und detailreich sind wie sinnlich wahrgenommene szenische Zusammenhänge (Æ Frame). Zum anderen vertritt sie mit der „Scene Encoding Hypothesis“ (Goldberg 1995: 39) den Standpunkt, dass ArgumentstrukturKonstruktionen grundlegenden Ereignistypen der menschlichen Erfahrung entsprechen (Æ „embodiment“). Demnach kodieren Konstruktionen auch rekurrente sensomotorische Erfahrungszusammenhänge, die unter den Begriff der Szene gefasst werden. Teil-Ganzes versteht Goldberg als einen Typ von Relation, der zwischen (Argumentstruktur-)Konstruktionen bedeutungsseitig bestehen kann. Darüber hinaus nimmt sie die drei Relationstypen Æ Metapher, Æ Instanz und Æ Polysemie an. Eine Teil-Ganzes-Beziehung liegt beispielsweise zwischen der Intransitiv- und Transitiv-Konstruktion vor, insofern erstere ihre Eigenschaften vollständig auf letztere vererbt (Æ Vererbung). Croft (2001) geht davon aus, dass Konstruktionen generell durch TeilGanzes-Beziehungen miteinander verbunden sind. Token-„Entrenchment“ Æ „entrenchment“ Type-„Entrenchment“ Æ „entrenchment“
203 Unifikation betrifft die Vereinigung von sprachlichen Merkmalen, wobei Merkmale als (rekursive) Attribut-WertPaare verstanden werden. Als unifikationsbasierte Ansätze verstehen sich alle konstruktionsgrammatischen Theoriebildungen, die an Formalisierungen von Konstruktionen interessiert sind. Dies ist insbesondere bei der Berkeley Construction Grammar und der Sign-Based Construction Grammar, aber auch bei der Fluid Construction Grammar sowie der Embodied Construction Grammar der Fall. Diese unifikationsbasierten Ansätze greifen auf Formalismen der Kopfgesteuerten PhrasenstrukturGrammatik zurück. Obwohl es sich in diesem Sinne bei Goldbergs Ansatz nicht um eine unifikationsbasierte Theorie handelt, lässt sich eine konzeptionelle Nähe zumindest dann nicht abstreiten, wenn Goldberg (1995: 50ff.) „Fusionierungen“ von Verben mit Konstruktionen thematisiert. Im Gegensatz zu unifikationsbasierten Ansätzen verzichtet Goldberg jedoch vollständig auf Formalisierungen. Valenz bezeichnet in der Valenzgrammatik die so genannte „Wertigkeit“ eines Verbs als strukturelles Organisationszentrum des Satzes. Konstruktionsgrammatische Ansätze gehen hingegen davon aus, dass Argumente nicht nur durch die Valenz, die das Verb mitbringt, gewählt werden, sondern auch über die Konstruktion, in die ein Verb eintritt. So kann der Satz Er hustet das Taschentuch vom Tisch als ein Beispiel für eine „caused-motion“-Konstruktion angesehen werden, da das Verb husten in einer spezifischen Lesart ein Agens (AG) fordern kann als NP NOM. Diese Rolle fusioniert mit der Argumentrolle der Konstruktion (Æ Fusion [von Rollen]), während sowohl die NPAKK (das Taschentuch) als affiziertes Objekt (AOB) als auch die PP DAT (vom Tisch) als Locativ (LOC; hier im Beispiel als Origativ [OR]) durch die Konstruktion lizenziert werden. Vererbung ist die Übertragung ausgewählter Form- und Bedeutungsaspekte von einer Konstruktion auf eine andere. Nach Goldberg kann eine Konstruktion gleichzeitig Informationseinheiten von mehreren Konstruktionen auf übergeordneter Ebene erben (multiple Vererbung/„multiple inheritance“). So erbt nach Goldberg (1995) die Resultativ-Konstruktion unter anderem semantische Eigenschaften der „caused-motion“-Konstruktion sowie der Subjekt-Prädikat-Konstruktion (Æ Vererbungshierarchie) (vgl. dagegen aber etwa Boas 2003, Kay 2005). In unifikationsbasierten Ansätzen ist nur eine vollständige Vererbung aller Informationen von einer Konstruktion auf eine andere erlaubt (Æ Konstruktikon). Vererbungshierarchie ist ein taxonomisches Netzwerk von Konstruktionen (Æ Konstruktikon), deren Knoten Konstruktionen bilden, wobei in vertikaler Hinsicht Informationen von hierarchiehöheren Konstruktionen auf hierarchieniedrigere weitergeben werden. Eine Vererbungshierarchie bildet Vererbungsprozesse zwischen Konstruktionen über mehrere (Abstraktions-)Ebenen hinweg modellhaft ab (Æ Vererbung). Verfestigung, kognitive Æ „entrenchment“
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15 Lösungshinweise zu den Aufgaben Aufgabe 1: Erstellen Sie anhand der Beispielsätze einen Prädikationsrahmen für die Verben schenken und bekommen. Geben Sie den jeweiligen Aussagerahmen an. Jonathan schenkt Henrike einen Ball. Henrike schenkt Lewin einen Ball, den sie von Jonathan bekam. Beispiel 1 und 2 scheinen auf den ersten Blick Realisierungen des Prädikationsrahmens GEBEN(v)(AGNPNOM,BENNPDAT,ADDNPAKK) zu sein, auf den zweiten Blick jedoch wird deutlich, dass sich das Agentivitätsgefälle des Nebensatzes in Beispiel 2 deutlich von den anderen Belegen unterscheidet: Hier wäre der Prädikationsrahmen anzugeben als BEKOMMEN(v)(BENNPNOM,ADDAKK,PPDAT). Die Präpositionalphrase im Dativ ist dabei keinesfalls semantisch festgelegt. Ebenfalls in diese Konstruktion eingebettet werden können die Verben kriegen, erhalten. Statt schenken können in den Prädikationsrahmen GEBEN(v)(AGNPNOM,BENNPDAT,ADDNPAKK) die Verben geben und überreichen eintreten, aber auch schicken, senden, zuwerfen. Zwar interagieren die letztgenannten Verben nicht direkt, aber indirekt mit der im Prädikationsrahmen angezeigten Bedeutung: Schicken und senden stehen dann in einer modalen Relation zur Konstruktionsbedeutung, zuwerfen je nach Kontext in resultativer Relation bzw. im Hinblick auf ein intendiertes Resultat.
Aufgabe 2: Stellen Sie anhand der Prädikatsklassen, der Prädikationsrahmen, Aussagerahmen sowie der von Polenz’schen semantischen Rollen folgende Beispielsätze dar. Benutzen Sie zur Veranschaulichung das Strukturschema Goldbergs sowie das integrierte Modell der internen Struktur einer Konstruktion nach Goldberg und von Polenz. Henrike kauft einen Apfel. Der Ball rollt die Treppe hinab. Beispiel 1 ist das einfachere der beiden – hier agiert ein AG (NP im Nominativ: Henrike), in dem es etwas, ein AOB bzw. ein ADD (NP im Akkusativ: einen Apfel) durch den Austausch eines äquivalenten Gegenstands (hier Geld und damit käuflich) ERWIRBT. Die Bezeichnung des Prädikationsrahmens als ERWERBEN ist dabei eine vorläufige, da ohne ein vollständiges Netz an möglichen Konstruktionen auch eine sichere Zuordnung zum jetzigen Zeitpunkt nicht möglich ist. Nehmen wir diesen Prädikationsrahmen an, dann steht das Verb kaufen in direkter Relation zur Konstruktionsbedeutung.
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Abbildung 23: Das Verb kaufen in der Transitiv-Konstruktion im postulierten Aussagerahmen ERWERBEN.
Diese würde als Subtyp der Konstruktion des NEHMENS zu verstehen sein, die wir in Abschnitt 9.5 am Beispiel Lewin pfückt einen Apfel ausführlich beschrieben haben. Ohne den Rückgriff auf ein komplexes Netz aller Konstruktionen wäre auch alternativ denkbar, das Beispiel vorläufig als Subtyp der Verben des NEHMENS zu deklarieren und eine modale Relation zwischen kaufen und der Konstruktionsbedeutung anzunehmen:
Abbildung 24: Das Verb kaufen in der Transitiv-Konstruktion im postulierten Aussagerahmen NEHMEN.
Zu beobachten ist an diesem Beispiel, dass aus den Relationstypen, die indirekt mit der Konstruktionsbedeutung (dem Prädikationsrahmen) interagieren, neue Subtypen entstehen, die in einer Hierarchie von Konstruktionen auf einer tieferen Ebene stehen.
Aufgabe 3: Informieren Sie sich in FrameNet über den Frame Commerce-buy und vergleichen Sie Ihre Analyse von Henrike kauft einen Apfel mit dem in FrameNet aufgeführten Beispiel Abby bought a car from Robbin for $5,000 (, Stand: 19.12.2012). Inwieweit könnte die satzsemantische erweiterte Darstellung der internen Struktur einer Konstruktion von framesemantischen Analyseergebnissen profitieren?
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Wenn Sie den Prädikationsrahmen ERWERBEN (vgl. Lösung Aufgabe 2) mit dem Frame Commerce-buy vergleichen, werden Sie feststellen, dass wir in Aufgabe 2 die KernFrameelemente buyer als Agens (AG) und goods als affiziertes Objekt (AOB) charakterisiert haben, die mit den Rollen, die das Verb kaufen fordert, fusioniert sind. Die Ergebnisse der Analyse in Aufgabe 2 sind mit der Analyse in FrameNet kompatibel; in beiden wird eine semantisch spezifizierte Transitiv-Konstruktion vorgeschlagen. Allerdings reicht die Analyse auf FrameNet über die Angabe der Kern-Frameelemente hinaus, da noch weitere Frameelemente angegeben werden, wie z.B. money und seller, die auch im Beispielsatz realisiert sind. Das birgt für die Analyse von Konstruktionen Chancen und Risiken gleichermaßen. Auf der einen Seite werden alle Frameelemente, die im Sprachgebrauch im Frame Commerce-buy realisiert werden, in die Beschreibung aufgenommen. Damit werden der weitere Kontext und mögliche Kollokationen von Konstruktionen aufgedeckt und der konstruktionsgrammatischen Analyse zugeführt. Auf der anderen Seite ist die Datenmenge so reichhaltig, dass eine Binnendifferenzierung sinnvoll erscheint, um einzelne Konstruktionen herauszuarbeiten. Die eher auf valenzgrammatischen Annahmen beruhenden gebrauchsbasiert-kognitiven Ansätze der Konstruktionsgrammatik bieten diese Möglichkeit der Strukturierung, indem sie (zunächst) auf die über einen ‚Kern‘ hinausgehenden Elemente nicht zurückgreifen. Allerdings ist keine der beiden Perspektiven vollständig, vielmehr können sie sich gegenseitig ergänzen im Hinblick auf ein zu etablierendes Netzwerk von Konstruktionen.
Aufgabe 4: Informieren Sie sich in aktuellen (!) funktionalen Grammatiken zum Gegenwartsdeutschen (z.B. DUDEN4 2009) über die sprachlichen Phänomene der Modalisierung und Modalität. Diskutieren Sie die Beispielsätze in (69), (70) und (71) mit Blick auf die Frage, auf welchen Ebenen der Sprachbeschreibung von Modalität gesprochen wird und wie man aus konstruktionsgrammatischer Perspektive z.B. Konstruktionen mit Modalverben wie in (69) bis (71) beschreiben könnte. Die Einführung nimmt komplexe Konstruktionen, die wiederum in andere Konstruktionen eingebettet sind, kaum in den Blick. Das ist auch gegenwärtig leider in der Forschung so. Es spricht viel dafür, Modalität, die über Modalverben realisiert wird, als eigenständige Konstruktion zu begreifen, in die andere Konstruktionen eingebettet werden.
Aufgabe 5: Recherchieren Sie im Anschluss an Günthner (2008a: 167) Beispiele für die ProjektorKonstruktion [[die Sache/das Ding/der Punkt ist][X]] in unterschiedlichen Onlinequellen, wie etwa Foren, Newsgroups, Chats oder Blogs. Bestimmen Sie die Einheiten der „Projek-
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torphrase“ in syntaktischer Hinsicht. Welche Arten von Aussagen werden als „abhängige Matrixsätze“ in die Projektor-Konstruktion eingebettet? Diskutieren Sie die Auswirkung der Befunde auf den syntaktischen Stellenwert der Projektor-Konstruktion und vergleichen Sie verschiedene Realisierungen von Projektor-Konstruktionen miteinander. In der Beantwortung der Frage sind Sie nach einer Wahl von Belegen aus unterschiedlichen Onlinequellen frei – versuchen Sie die Projektorphrasen, die in die Projektorkonstruktion eingebettet sind, zu systematisieren und hinsichtlich ihrer syntaktischen Merkmale zu beschreiben. Der zweite Schritt ist eine vorläufig semantische Beschreibung der abhängigen Matrixsätze. Sehen Sie sich dazu die Verben genauer an, die in Projektorphrasen erscheinen. Sind diese eher der Prädikaktsklasse HANDLUNG oder VORGANG zuzuordnen? Wenn beides nicht der Fall ist, weisen sie einen ZUSTAND oder eine EIGENSCHAFT zu? Welche Handlungen oder Vorgänge werden von wem vollzogen? Welche Vorgänge ereignen sich? Schnell werden Sie feststellen, dass es vor allem Handlungs- und Vorgangsverben sind, die in die Projektorphrase eingebettet sind. Auch wird schon bei der Sammlung des Belegmaterials deutlich werden, dass es andere Projektorphrasen gibt, die wesentlich bekannter sind – z.B. Inquitformeln DU (.) ich sage dir, (-) eines morgens usw.
Aufgabe 6: Melden Sie sich als Nutzer beim Digitalen Wörterbuch der deutschen Sprache des 20. Jahrhunderts an (http://www.dwds.de/, Stand: 19.12.2012) und führen Sie im KERNKorpus des DWDS eine kleine Korpusanalyse durch mit dem Verb poltern im Hinblick auf seinen Gebrauch als Geräusch-als-Bewegung-Verb. Verwenden Sie dazu folgenden Suchstring: „poltern #2 $p=ADV“. Informieren Sie sich in der bereitgestellten Hilfe (http://retro.dwds.de/HilfeSuche/index, Stand: 19.12.2012), welche sprachlichen Einheiten Sie genau mit diesem String erfassen (und welche sprachlichen Einheiten demzufolge nicht in Ihrer Belegsammlung erscheinen werden). Diskutieren Sie anschließend die Belege in Anlehnung an die Interpretation der Ergebnisse in diesem Abschnitt. Die technischen Hinweise für die Suchanfrage ermöglichen Ihnen, eine (erste?) eigene Korpusanalyse in Angriff zu nehmen. Wie der kurze Abschnitt gezeigt hat, verhält sich poltern als Geräusch-als-Bewegung-Verb in der beschriebenen Konstruktion analog zu rumpeln, nur wird es einerseits mit anderer Frequenz und andererseits mi anderen Direktionalen im Korpus nachgewiesen.
TEIL VI: VERZEICHNISSE
16 Abkürzungs-, Abbildungs- und Verzeichnis tabellarischer Darstellungen 16.1 Abkürzungen BCxG ............ Berkeley Construction Grammar CCxG ............ Cognitive Construction Grammar CG ................ Cognitive Grammar CLR .............. Cognitive Linguistic Research DWDS........... Digitales Wörterbuch der deutschen Sprache des 20. Jahrhunderts (siehe Verweise ins Internet, Abschnitt 17.2) ECxG ............ Embodied Construction Grammar E-VALBU ..... Elektronisches Valenzwörterbuch (siehe Verweise ins Internet, Abschnitt 17.2) FCxG ............ Fluid Construction Grammar HPSG ........... Head-driven Phrase Structure Grammar ICCG ............ International Conference on Construction Grammar ICLA ............. International Cognitive Linguistics Association (siehe Verweise ins Internet, Abschnitt 17.2) RCxG ............ Radical Construction Grammar SBCxG .......... Sign-Based Construction Grammar
16.2 Abbildungen 1 2 3 4 5 6 7 8
Konstruktionen als Form-Bedeutungspaare in Anlehnung an Croft (2001: 18) ..........14 Merkmalsstruktur der Verbphrase-Konstruktion in der ‚Klammer‘-Notation, vgl. Kay und Fillmore (1999: 8) ..................................................................................54 Merkmalsstruktur der Verbphrase-Konstruktion nach der ‚Boxen‘-Notation im Anschluss an Kay und Fillmore (1999) ..................................................................55 Komponentielle Organisation von grammatischem Wissen in der generativen Transformationsgrammatik in Anlehnung an Croft (2007: 465) ................................. 92 (Ausschnitt aus einem) Netzwerk formseitig verbundener Konstruktionen ................97 Type-„Entrenchment“ am Beispiel von Intransitiv-Konstruktionen ..........................104 Token-„Entrenchment“ am Beispiel der lexikalisch teilspezifizierten idiomatischen Konstruktion [[NPNOM][drücken][NPDAT][die Daumen]] ...................104 Unterscheidung zwischen (einer Auswahl von) Konstruktionen nach Graden ihrer Produktivitiät ........................................................................................105
210
9 10 11 12 13 14 15 16 17 18
19 20 21 22 23 24
Das Verb mail in der Ditransitiv-Konstruktion (nach Goldberg 1995: 53) ............... 113 Das Verb send in der Ditransitiv-Konstruktion (nach Goldberg 1995: 55) ............... 114 Interne Struktur einer Konstruktion nach Croft (2001: 176) ..................................... 117 Einbettung des Verbes send in die Ditransitiv-Konstruktion (nach Goldberg 1995: 55) .......................................................................................... 120 Definition des Frames Sending (einschließlich seiner Kern-Frameelemente) in FrameNet ............................................................................................................... 121 Das Verb pflücken in der Transitiv-Konstruktion im Aussagerahmen NEHMEN .... 131 Das Verb rumpeln als Geräusch-als-Bewegung-Verb im Aussagerahmen BEWEGEN ................................................................................................................ 134 Das Verb rumpeln als Geräusch-als-Bewegung-Verb im Aussagerahmen BEWEGEN im Modell der internen Struktur nach Croft (2001)............................... 135 Das Verb rumpeln als Geräusch-als-Bewegung-Verb im Modell der internen Struktur nach Croft (2001) unter Einbeziehung des Frames Motion-noise ......... 138 Das Verb rumpeln als Geräusch-als-Bewegung-Verb im Aussagerahmen BEWEGEN, hier veranschaulicht am Beispielsatz Der Kohlenwagen rumpelt hinterher ......................................................................... 177 Geräusch-als-Bewegung-Verben (inkl. der Subtypen) im Prädikationsrahmen VORGANG und im Aussagerahmen BEWEGEN .................................................... 180 Geräusch-als-Bewegung-Verben (inkl. der Subtypen) im Prädikationsrahmen HANDLUNG im Aussagerahmen BEWEGEN ......................................................... 183 Die Einbettung des Verbs geben in die Ditransitiv-Konstruktion im Aussagerahmen GEBEN ...................................................................................... 196 Die Einbettung des Verbs bauen in die Ditransitiv-Konstruktion im Aussagerahmen GEBEN ........................................................................................... 196 Das Verb kaufen in der Transitiv-Konstruktion im postulierten Aussagerahmen ERWERBEN ................................................................................... 205 Das Verb kaufen in der Transitiv-Konstruktion im postulierten Aussagerahmen NEHMEN ........................................................................................ 205
16.2 Tabellarische Darstellungen 1 2 3 4 5 6
Auswahl an Konstruktionen variierender Komplexität................................................ 19 Heuristische Klassifikation von idiomatischen Konstruktionen nach Fillmore & Kay & O’Connor 1988.............................................................................. 52 Konstruktionsgrammatische Ansätze im Vergleich .................................................. 65f. Polysemie von Ditransitiv-Konstruktionen.................................................................. 99 Relationstypen zwischen Konstruktionsbedeutung und Bedeutung des Verbs im angenommenen Aussagerahmen GEHEN.................................................. 130 Konstruktionsgrammatische Studien zu morphosyntaktischen Phänomenen des Deutschen im Überblick ................................................................ 149
211
7 8 9 10
Konstruktionsgrammatische Studien zu Phänomenen des Sprachwandels des Deutschen im Überblick ............................................................. 152 Konstruktionsgrammatische Studien zu phraseologischen Phänomenen des Deutschen im Überblick ................................................................ 156 Konstruktionsgrammatische Studien zu Aspekten der gesprochenen Sprache mit Fokus auf die Gegenstandssprache Deutsch im Überblick .................................. 161 Konstruktionsgrammatische Studien zu Aspekten des (Erst-) Spracherwerbs mit dem Fokus auf die Gegenstandssprache Deutsch ....................... 164
212
17 Literatur 17.1 Forschungsliteratur Abbot-Smith, Kirsten, Elena Lieven & Michael Tomasello. 2008. Graded Representations in the Acquisition of German and English Transitive Constructions. In: Cognitive Development 23 (1), S. 48-66. Abbot-Smith, Kirsten & Heike Behrens. 2006. How Known Constructions Influence the Acquisition of Other Constructions: The German Passive and Future Constructions. In: Cognitive Science 30, S. 995-1026. Ackerman, Farrell & Gert Webelhuth. 1998. A Theory of Predicates (CSLI lecture notes 76). Stanford: CSLI Publications. Ágel, Vilmos. 2000. Valenztheorie. Tübingen: Narr. Akhtar, Nameera & Michael Tomasello. 1997. Young Children’s Productivity with Word Order and Verb Morphology. In: Developmental Psychology 33, S. 952-965. Allen, Kachina & Francisco Pereira & Matthew Botvinick & Adele E. Goldberg. Im Druck. Neural detection of argument structure constructions. In: Brain and Language. Alm, Maria. 2007. „Also darüber lässt sich ja streiten!“ Die Analyse von „also“ in der Diskussion zu Diskurs- und Modalpartikeln. Almqvist & Wiksell International: Stockholm. Auer, Peter & Jan Lindström. 2011. Verb-first conditionals in German and Swedish: convergence in writing, divergence in speaking. In: Peter Auer & Stefan Pfänder (Hg.). Constructions: Emerging and Emergent (linguae & litterae 6). Berlin, Boston: de Gruyter, S. 218-262. Auer, Peter & Stefan Pfänder. 2011. Constructions: emergent or emerging? In: Dies. (Hg.). Constructions: Emerging and Emergent (linguae & litterae 6). Berlin, Boston: de Gruyter, S. 1-21. Auer, Peter. 2002. On line-Syntax – Oder: was es bedeuten könnte, die Zeitlichkeit der mündlichen Sprache ernst zu nehmen. In: Sprache und Literatur 85, S. 43-56. Auer, Peter. 2005. Projection in Interaction and Projection in Grammar. In: Text 25 (1), S. 7-36. Auer, Peter. 2006a. Construction Grammar Meets Conversation: Einige Überlegungen am Beispiel von ‚so‘-Konstruktionen. In: Susanne Günthner & Wolfgang Imo (Hg.). Konstruktionen in der Interaktion. Berlin u.a.: de Gruyter, S. 291-314. Auer, Peter. 2006b. Increments and More. Anmerkungen zur augenblicklichen Diskussion über die Erweiterbarkeit von Turnkonstruktionseinheiten. In: Arnulf Deppermann, Reinhard Fiehler & Thomas Spranz-Fogasy (Hg.). Grammatik und Interaktion. Untersuchungen zum Zusammenhang von grammatischen Strukturen und Gesprächsprozessen. Radolfzell: Verlag für Gesprächsforschung, S. 279-294. // Abrufbar unter: , Stand: 19.12.2012. Auer, Peter. 2007a. Why are Increments such Elusive Objects? In: Pragmatics 17 (4), S. 647-658. Auer, Peter. 2007b. Syntax als Prozess. In: Heiko Hausendorf (Hg.). Gespräch als Prozess. Linguistische Aspekte der Zeitlichkeit verbaler Interaktion. Tübingen: Narr, S. 95-124. Auer, Peter. 2008. On-line Syntax: Thoughts on the Temporality of Spoken Language. In: Language Sciences 31, S. 1-13. Barðdal, Jóhanna u.a. (Hg.). Im Druck. Diachronic Construction Grammar. Amsterdam, Philadelphia: John Benjamins. Behrens, Heike. 2000. Anleitung zur Kodierung und Disambiguierung von Erwerbsdaten des Deutschen. Unveröffentlichtes Manuskript. Leipzig: Max-Planck-Institut für Evolutionäre Anthropologie. Behrens, Heike. 2005. Wortartenerwerb durch Induktion. In: Clemens Knobloch & Bernhard Schaeder (Hg.). Wortarten und Grammatikalisierung: Perspektiven in System und Erwerb. Berlin u.a.: de Gruyter, S. 177-198.
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