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German Pages 279 [289] Year 2006
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zum Tischgebet des Prudentius
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WISSENSCHAFTLICHE KOMMENTARE ZU GRIECHISCHEN UND LATEINISCHEN SCHRIFTSTELLERN
MARIA
BECKER
Kommentar
zum Tlischgebet des Prudentius
(cath. 3)
Universitátsverlag WINTER
Heidelberg
Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek
Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über Attp//dnb.ddb.de abrufbar.
ISBN 3-8253-5002-9 Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung auBerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulássig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfáltigungen, Über-
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und alterungsbestündigem Papier Den Verlag erreichen Sie im [nternet unter: www.winter-verlag-hd.de
Inhaltsverzeichnis
A.
Einleitung I. Forschungsüberblick .................. ν νιν εν ν eene II. Die Hymnen Cathemerinon ................ eee a. Der Titel ............uuiuulleslleleeeeeeeeeeee ean
l 3 3
b. Die διπικίυγ...... «νον νιν νιν νννννν νειν ν κεν ern 4 c. Die Intention ....... «νον ννννννννννν εν εννκννν κεν essen nenne 10 III. Das Tischgebet. Ein frómmigkeitsgeschichtlicher Überblick ....... 12 IV. Das Metrum des Hymnus Ante Cibum ...................s luus. 20 V. Der Aufbau des Hymnus Ante Cibum ...............luuusuuu. 23
B.
TextundÜbersetzung .....« «Ὁ νον ννν νυν εν νγννννννν
C.
Kommentar ....................seeeeesee ehh κεν κεν 47 L Strophe 1-5. Segensbitte ......«Ὁνννν νιν νιν ννννν νειν εν ννννων 47
II. Strophe 6-19. Erster Hauptteil: Lobpreis der Schópfungsgaben
nenn 29
....68
Exkurs: Vegetarismus in der frühen Kirche .................. 105 III. Strophe 20-34. Zweiter Hauptteil: Erzählung der MenschheitsΒοβΟπίοῃίθ.......Ὁνννν νιν νννν ιν ννννννν νιν νιν κεν eres 137 Exkurs: Die Eva-Maria-Parallele ....... «ον νον νιν εν νννννων 210
IV. Strophe 35-41. Schluß ......... 2202 νιν νιν κνν κεν εν κνων 225 Strophe 35-37. Paränetischer Schlußteil ........ὉὉνννννννννεν 225 Strophe 38-41. Dogmatischer SchluBteil D.
Rückblick
E.
Abkürzungs- und Literaturverzeichnis
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273
Vorwort
Bei der vorliegenden Arbeit handelt es sich um die leicht überarbeitete Fassung meiner Habilitationsschrift, die im Sommersemester 2004 vom Fachbereich
Geschichte/Philosophie der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster angenommen wurde. Mein herzlicher Dank gilt besonders meinem Lehrer, Herrn Professor Dr. Christian Gnilka, der mich zu der Beschüftigung mit Prudentius ermuntert hat. Durch seinen Rat und vor allem durch die in seinem Gutachten geäußerte konstruktive Kritik hat er diese Arbeit entscheidend gefördert. Danken möchte ich auch den übrigen Gutachtern für wertvolle Hinweise und Anregungen: Herrn Professor Dr. Rainer Henke (Münster), Herrn Professor Dr. Walther Ludwig (Hamburg) und Herm Professor Dr. Otto Zwierlein (Bonn). Die Deutsche Forschungsgemeinschaft hat die Kommentierung des dritten Tagesliedes des Prudentius durch ein Forschungsstipendium unterstützt. Meiner Familie danke ich für die Geduld und Anteilnahme, mit der sie das Entstehen
des Buches stets begleitet hat. Münster, im Dezember 2005
Maria Becker
A. Einleitung
I. Forschungsüberblick Aurelius Prudentius Clemens (geb. 348) gilt nach Qualität, Umfang und Wirkung seines Werkes als der bedeutendste Dichter der Spütantike!. Aus seinem umfangreichen Corpus ragt die Sammlung der Hymnen Cathemerinon heraus als das Werk, das sich aufgrund seiner Thematik, seiner religiósen Tiefe sowie seiner dichterischen Schönheit bis in die Neuzeit großer Beliebtheit erfreute. Davon zeugen nicht
nur eine reiche Handschriftentradition, die literarische Rezeption in Spätantike und Mittelalter? und die nicht unbedeutende Tatsache, daß aus dem ersten, zweiten und zwólften der rein literarischen Hymnen Strophen ins rómische Brevier eingegangen sind’. Neuere und neueste Übersetzungen zeigen, daB die Tageslieder auch heute noch ein religiós und literarisch interessiertes Publikum ansprechen*. Der anerkannten Qualität des Liber Cathemerinon - der französische Gelehrte JeanLouis Charlet bezeichnet ihn wiederholt als „chef d'ceuvre de la poésie latine chrétienne'5 — wird das Bemühen der Forschung um die philologische und literarkritische ErschlieBung der Tageslieder nicht gerecht. Anfang der sechziger Jahre des vorigen Jahrhunderts hat zwar das Erscheinen mehrerer Monographien die Prudentius-Forschung befruchtet und das Werk des christlichen Dichters auch in den Blick von Nicht-Theologen gerückt, aber von einigen Teilkommentaren abgesehen, haben die fast ausnahmslos als ‘Vorarbeiten’ zu Gesamtdarstellungen deklarierten Arbeiten auf dem Gebiet der Texterklärung keine Folgen gezeitigt. Die 200 Jahre alte Gesamtausgabe des Prudentius von Faustino Arevalo$ liefert
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Vgl. zuletzt Döpp, 522. S.Bergman, 1921, 9/23; Lavarenne, édition, XVIII-XXI, bes. XX, A. 9; Guillén/Rodríguez, 52/61(genauere Angaben s. u. Anm. 10). Zur mittelalterlichen Rezeption s. Manitius, M., Beiträge zur Geschichte frühchristlicher Dichter im Mittelalter, SAWW, Phil. hist. Klasse 117 (1888), XII, 26/37; 121 (1890), VII, 18/23; Lavarenne, étude, bibl. $ XIX. Dabeihandeltes sich um insgesamt sieben Stücke, vgl. Kurfeß, 1044. 1049. 1068; Kayser, J., Beiträge zur Geschichte und Erklärung der ältesten Kirchenhymnen, Paderborn ?1881, 27 1ff.; Guillén/Rodrfguez, 61. Vgl. Prudence. Liber Cathemerinon, trad. par Jean-Louis Charlet. Aix-en-Provence 1988; Hymns of Prudentius: The cathemerinon or The daily round, transl. by David R. Slavitt. Baltimore 1996.
Charlet, création, 5; état, 73. M.Aurelius Prudentius Clemens. Carmina ed. F. Arevalo. Rom 1788, abgedruckt bei Migne, PL 59/60, Paris 1862.
2
A. Einleitung
bis heute den einzigen durchgehenden Kommentar zum Werk des Prudentius. Zu den Tagesliedern gibt es den Spezialkommentar von Michele Pellegrino, der im Anschluß an die Spezialausgabe? desselben Autors erschienen ist. Der ‘traditionelle Charakter’ und die knappe Form dieses zudem schwer zugänglichen Kommentars haben schon Marion M. van Assendelft zu der Überzeugung gebracht, ein weiterer Kommentar zu den Tagesliedern sei nützlich und notwendig?. Seit dem Erscheinen von van Assendelfts Kommentar sind fast dreißig Jahre verstrichen, ohne daß weitere, ihn ergänzende oder ersetzende Kommentare folgten. Ein Leser
des Prudentius ist also weitestgehend auf die Anmerkungen in den neueren Handausgaben und Übersetzungen angewiesen'?. Die beiden zu den Tagesliedern erschienenen Monographien von Willy Evenepoel" und Jean-Louis Charlet!? unterstreichen eher die Notwendigkeit eines wissenschaftlich fundierten sprachlichen und sachlichen Kommentars, als daB sie diesen ersetzen. Ein weiterer Aufschwung der Prudentius-Forschung ist seit Ende der achtziger Jahre des letzten Jahrhunderts festzustellen, zahlreiche Aufsätze und nicht wenige Monographien
belegen das wachsende Interesse am Werk des Prudentius". Die anfangs bemängelte Vernachlássigung des Dichters durch die Philologie steht dazu nicht im Widerspruch. Die neuen Prudentius-Bücher, die zum Teil den hohen Anspruch einer Gesamtdarstellung der prudentianischen Dichtung erheben, offenbaren allesamt
7 * ἢ *
Pellegrino, M., Innologia Cristiana Latina I (zu cath. VII-XIT) und - nach Auskunft von v. Assendelft - II (zu cath. I- VI), Turin 1964/65. Pellegrino, M., Inni della Giornata, Alba 1954. M. v. Assendelft in ihrem Teilkommentar zu cath. I, II, V, VI: ‘Sol ecce surgit igneus’. Groningen 1976, 13. Mir selbst lag Teil II des Kommentars von Pellegrino leider nicht vor. Guillén, J/Rodríguez, I., Obras completas de Aurelio Prudencio. Madrid 1950; Lavarenne, M., Prudence. T. 1-4. Paris 1943-51; Ortega, A /Rodrfguez, I., Madrid 1981; Rivero García,
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L., Prudencio, Obras. 1.2., Madrid 1997; Spezialausgaben: Pellegrino, M., Alba 1954; Bossi, E., Inni della giornata. Bologna 1970. Evenepoel, W., Zakelijke en literaire onderzoekingen betreffende het liber Cathemerinon van Aurelius Prudentius Clemens. Brüssel 1979.
7? Charlet, J. L., La création poétique dans le Cathemerinon de Prudence. Paris 1982. ?
Malamud, M. A., A Poctics of Transformation. Prudentius and Classical Mythology. Ithaca 1989; Palmer, A. M., Prudentius on the Martyrs. Oxford 1989; Kah, M., ‘Die Welt der Römer
mit der Seele suchend ...*. Die Religiosität des Prudentius im Spannungsfeld zwischen pietas christiana und pietas Romana. Bonn 1990; Roberts, M., Poetry and the cult of the martyrs.
Tbe Liber peristephanon of Prudentius. Ann Arbor Michigan 1993; Rivero García, L., La poesia di Prudencio. Huelva 1996; Lühken, M., Christianorum Maro et Flaccus. Zur Vergilund Horazrezeption des Prudentius. Göttingen 2002 (= Hypomnernata. 141). - Besonders die Struktur des polymetrischen Buches hat in jüngster Zeit zu Analysen der metrischen und stilistischen Komposition im ganzen und im einzelnen herausgefordert, vgl. z. B. Maziéres, J. P., L’architecture symbolique des Cathemerinon de Prudence. VL 113 (1989), 18/24; Toobey, P., An Early Group of Poems in Prudentius" liber Cathemerinon. Mnemosyne 44 (1991),
395/403; dens., Concentric Patterning in Some Poems of Prudentius' liber Cathemerinon. Latomus 52 (1993), 138/150.
II. Die Hymnen Cathemerinon
3
das Fehlen einer auf philologischer Erklürung des Textes aufbauenden Interpreta-
tion!*. Das oft formulierte Desiderat einer wissenschaftlichen Kommentierung zu den Werken des Prudentius insgesamt und zu den Tagesliedern im besonderen bleibt daher bestehen". In der vorliegenden Arbeit wird der Hymnus Ante cibum (cath. 3) des Prudentius erstmals durchgüngig kommentiert. Speziell zum Vortischgebet liefern — mit unterschiedlichem Gewinn -- antiquarisches Material, Hinweise auf literarische und dogmatische Parallelen sowie Interpretationen zu Textabschnitten des Gedichts die Aufsätze von Evenepoel (1983), von Charlet (1992) (zum 'Gabenpreis'), von Thraede (1982) und Buchheit (1986) (zur ‘Auferstehung des Leibes’). Das magnum opus Christian Gnilkas, die Aufsatz-Sammlung Prudentiana I-III, München/Leipzig 2000/03, bietet nun zudem textkritische und exegetische Erkenntnisse, die allen zukünftigen Interpreten der Werke des Prudentius den Weg weisen.
II. Die Hymnen Cathemerinon Am Anfang der Werkausgaben des Prudentius steht das polymetrische Buch der
Tageslieder. Es versammelt zwölf lyrische Gedichte in Strophenform von unterschiedlicher Länge und Thematik. Die Titel in den Handschriften lauten!5: I Hymnus ad galli cantum; II Hymnus matutinus;, ΠῚ Hymnus ante cibum; IV Hymnus post cibum; V Hymnus ad incensum lucernae; VI Hymnus ante somnum; VII Hymnus ieiunantium; VIII Hymnus post ieiunium; IX Hymnus omnis horae, X Hymnus circa
exsequias defuncti, XI Hymnus VIII kal. ianuarias, XIl Hymnus Epiphaniae. a. Der Titel Als Titel der Sammlung geben die Handschriften Liber Cathemerinon. Cathemerinon ist dabei als griechischer Genitiv Plural Neutrum zu fassen, also καθημερινῶν (sc. βίβλος) wie Georgicon, Bucolicon (sc. liber)". Da Prudentius sich durch die
*
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Vgl. die Rezensionen zu Kah von: Evenepoel, REAug 37 (1991), 169-71; Shanzer, Gnomon 64 (1992), 676-80; Gnilka, Hist. Zeitschr. 258 (1994), 397-415; Henke, Th Rev 91, 4 (1995), 319-23; zu Malamud von: Charlet, Latomus 50 (1991), 446-7; zu Palmer von: Henke, Gnomon 64 (1992), 231-5. Herzog, R., Die allegorische Dichtkunst des Prudentius. München 1966, 11; Gnilka, Ch., Gnomon 40 (1968), 370; ders., Gnomon 51 (1979), 136; Buchheit, V., Resurrectio carnis bei
Prudentius. VigChr 40 (1986), 277, A. 30; zuletzt Charlet in seinem Forschungsüberblick zum Buch der Tageslieder aus dem Jahre 1988, état présent, 92.
16. Zur Möglichkeit, daß die Überschriften der Gedichte nicht von Prudentius selbst stammen, s. Charlet, création, 53. Die handschriftliche Überlieferung schwankt in einigen Fällen, z. D. bei cath. V, IX, X, XI. 7 — S. auch Gnilka, Rez. zu Charlet, 300.
4
A. Einleitung
Wahl seiner griechischen Werktitel klar in die Tradition der klassischen Dichtung stellt!5, ist die alternative Deutung, die Charlet erwägt, die nicht-klassische Zusam-
mensetzung καθημερινὸν BıBAiov!?, abzulehnen”. Charlets Interpretation des Namens „le livre de chaque jour, à lire tous les jours‘“ betont zu Recht den Charakter des Stundenbuchs. Sein Vergleich mit Ausonius’ Titel Ἐφημερίς unterstreicht aber zugleich die Andersartigkeit der prudentianischen Sammlung. Bei der Sammlung Ephemeris handelt es sich um ein ‘journal’, einen dramatisch gestalteten Ereignisbericht, in dem der Dichter Einzelheiten von seinen Beschüftigungen im Laufe eines Tages zusammenstellt. Die prudentianischen Hymnen sind Lieder, die zu bestimmten Tageszeiten gesungen werden, um das biblische Gebot des immer-
wührenden Betens zu erfüllen (vgl. Ps. 25, 15; 34, 2; Luk. 18, 1; 1 Thess. 5, 17; Eph. 6, 18 u. ö.; vgl. auch Hier. epist. 22, 37, 1 unten S. 14f. zitiert). Das offenbart auch die Definition des Dichters selbst, der im Werksverzeichnis der Praefatio das Buch umschreibt durch die Verse 37f. Hymnis continuet dies (sc. anima) / nec nox
ulla vacet, quin dominum canat. Die Definition bezeichnet die lyrische Gattung und den Zweck der Hymnen, das Lob Gottes, sowie den konstitutiven Bezug zur
Totalitát des Tages: Das Buch umschließt *Tages'- und 'Nachtlieder' (letztere cath. 1, 5, 6). Ein Problem liegt aber darin, daß der Titel Liber Cathemerinon, ‘Buch der Tageslieder', d. h. der tüglich zu singenden Lieder, nicht auf die Gesamtheit der Sammlung paßt, sondern nur auf die erste Hälfte des Werks (cath. 1-6), die ein
Nachtgebet, ein Morgengebet, zwei Tischgebete und zwei Abendgebete umfaßt. Für Thraede ist der Titel deshalb ‚a parte potiori“ gesetzt?!. Diese Deutung trifft sich mit der verkürzenden Umschreibung des Buchs als Stundenbuch im Werks-
katalog der Praefatio und wird durch sie gestützt. Allerdings muß man die Möglichkeit einbeziehen, daß die Sammlung der Hymnen
zur Zeit der Abfassung der
Praefatio noch nicht vollständig vorlag. Für andere ist die Unangemessenheit des Titels entstehungsgeschichtlich bedingt, insofern ein ursprünglicher Zyklus von Tagesliedern durch ‘Festlieder’ (cath. 11 und 12) erweitert wurde zur vorliegenden
Sammlung. b. Die Struktur Mit seinen Hymnenbüchern Cathemerinon und Peristephanon steht Prudentius in
der Tradition der römischen Lyrik. Die Vereinigung von lyrischen Gedichten in verschiedenen Versmaßen zu einem Buch ist bei Catull und Horaz vorgebildet.
Aber auch das Beispiel des ersten christlichen Hymnendichters in lateinischer
! 1% Ὁ ?!
Henriksson 83. 87. Charlet, création, 13. Vgl. auch Gnilka, Rez. zu Charlet, 300. Allgemein zur Form der Buchtitel s. Henriksson, 12; jetzt auch Schröder, passim. Thraede, Auferstehung, 68. So schon Bergman, 1921, 56.
2
Vgl. die These von Rösler, 41f.; s. auch Bergman, 1921, 56/8.
II. Die Hymnen Cathemerinon
5
Sprache, Hilarius von Poitiers, mag auf Prudentius gewirkt haben. Von Hilarius ist ein Hymnenbuch bezeugt?,, das — den erhaltenen Fragmenten nach zu urteilen -
polymetrisch angelegt war^*. Der Aufbau des Liber Cathemerinon tritt bei weitem klarer hervor als bei den meisten antiken Gedichtbüchern?. Im Unterschied zur zweiten Hymnensammlung des Prudentius, dem Buch der ‘Märtyrerkränze’, will etwa Charlet eine durchgängige „Gesamtstruktur“ erkennen“. Bei der Anordnung der Tageslieder haben allerdings mehrere Struktursysteme Anwendung gefunden, die den allgemeinen Prinzipien der Variation und Symmetrie, der Kontinuität und "Diskontnuitit verpflichtet sind. Formale, etwa metrische und traditionsgeschichtliche Kompositionskriterien, und thematische Einteilungen überlagern einander. Unurmstritten sind die Aufteilung in zwei Hälften (cath. 1-6; 7-12) und die weitgehend paarweise Anordnung der Hymnen. Die erste Hälfte bilden Lieder, die dem Tageslauf folgen und tüglich zu bestimmten Zeiten zu singen sind: die Morgenhymnen cath. ] und 2 (zur Zeit des Hahnenschreis und zu Beginn des Tagwerks), die Tischgebete cath. 3 und 4 (vor und nach der Mahlzeit zu beten) und die Abendlieder cath. 5 und 6 (zur Zeit des Lichtanzündens und vor dem Schlafengehen zu singen). Die Reihenfolge dieser eigentlichen Tages- bzw. Stundenlieder richtet sich nach festen Gebetszeiten, aber diese entsprechen nicht den in den apostolischen Konstitutionen festgesetzten Zeiten: Morgengebet, Gebete zur dritten, sechsten, neunten Stunde, Abendgebet, Gebet zum Hahnenschrei?’. Prudentius greift vielmehr offensichtlich die von Ambrosius für die asketische Gemeinschaft der Jungfrauen vorgeschlagenen sechs Gebetszeiten auf?*, vgl. Ambr. virg. 3, 18 (PL 16,
237B) sollemnes orationes cum gratiarum actione sunt deferendae cum e somno surgimus, cum prodimus, cum cibum paramus sumere, cum sumpserimus, et hora incensi, cum denique cubitum pergimus. Auffällig ist vor allem die Praxis der Gebete
? ^
Hier. vir. ill. 100: est eius (sc. Hilarii) ... et liber hymnorum. Die Hymnen des Ambrosius weisen dagegen eine einheitliche metrische Form auf: Jedes Lied besteht aus acht Strophen zu je vier Zeilen in akatalektischen jambischen Dimetern.
Dazu unten zum *Metrum des Hymnus Ante cibum’ S. 20-22. Überliefert sind die ambrosia3
nischen Hymnen in liturgischen Handschriften, daher rührt die Unsicherheit über ihre Verfasserschaft (Wille, 289). Vgl. unten Anm. 38. Zu Catull vgl. die neueren Studien von Beck, J.-W., 'Lesbia' und 'Iuventius': Zwei libelli im Corpus Catullianum. Göttingen 1996 (= Hypomnemata. 111), und Scherf, J., Untersuchungen zur antiken Veröffentlichung der Catullgedichte. Hildesheim 1996 (= Spudasmata. 61). Zu Horaz s. z. B. Santirocco, M.S., The Order of Horace's Odes, Books II and II. Diss. Columbia
2% "
Univ. 1979. Zu vergleichen sind auch die Gedichtbücher der Augusteer, beispielhaft dazu Lindahl, S., Die Anordnung in den Hirtengedichten Vergils. C&M 45 (1994), 161-178. Charlet, Hymnendichtung, 528. Const. apost. 8, 34, 1/7; vgl. auch Hier. epist. 22, 37, 1f (CSEL 54, 201) (unten S. 14f. zitiert). Dazu s. Hier. epist. 107, 9,
3 (CSEL 55, 300); 108, 20, 2 (ebd., 335); 130, 15, 1
(CSEL 56, 195). ?
Bergman, 1921, 62; Charlet, création, 51/3.
6
A. Einleitung
vor und nach Tisch, die nicht mit den Gebeten des Stundenbuchs zur dritten, sechsten oder neunten Stunde gleichgesetzt werden kónnen?. Der Grund für die Diskrepanz mag darin liegen, daß die ausgesprochenen Mahlzeitengebete in erster Linie zum privaten Bereich gehören und daher in den offiziellen Stundenbüchern fehlen kónnen. Thraedes Einwand, cibus bezeichne keine bestimmte Tageszeit, wie etwa cena? ist damit zu begegnen, daß bei einer anzunehmenden Hauptmahl-
zeit am Tage, in der Regel am Spätnachmittag, eine implizite Zeitangabe vorliegt’. Die zweite Hälfte der Hymnensammlung erweist sich in ihrer Zusammenstellung als weniger einheitlich und bereitet daher den Erklärern ungleich mehr Schwierigkeiten. Der Dichter gibt hier die Struktur des Stundenbuchs auf und stellt Lieder vor, die nicht täglich zu singen sind, aber zentrale Stationen des christlichen Jahres und Lebens spiegeln: die Fastenhymnen cath. 7 und 8 (Tage der Fastenzeit oder wöchentliche Fastentage umschlieBend), der Christushymnus cath. IX (mit der Angabe, 'stündlich' bzw. 'zu jeder Gebetsstunde' zu singen), der Grabhymnus cath.
10 (anläßlich von Bestattungen) und die Festlieder cath. 11 und 12 (jährlich zu Weihnachten und zu Epiphanie zu singen). Wie die Morgen- und Abendgebete den ersten Zyklus rahmen, so umschlieBen Festlieder im weiteren Sinn den zweiten Zyklus. Denn das Fasten wird von Prudentius als ‘Fest’, die Fastentage werden als ‘Festtage’ bezeichnet, vgl. cath. 7, 4 festumque nostrum und cath. 8, 14 solvimus
festum. Charlet betont den liturgischen Charakter des Fastens?. Indem er zudem cath. 9 und 10, den Christus- und den Grabhymnus, zu einem Osterhymnenpaar zusammenschließt, erhält er einen die zweite Hälfte konstituierenden liturgischen
Jahreszyklus?. Aber die Auferstehungsthematik, die in den beiden letztgenannten Hymnen hervortritt, in cath. 9 in Christi Auferstehung, in cath. 10 im zentralen
Thema der Auferstehung des Fleisches, rechtfertigt noch nicht die Qualifizierung als Osterhymnen". Gegen die Zweiteilung des Buches in einen Tageslieder- und
einen Festlieder-Zyklus wendet sich daher mit Recht Seng®®. Die Zusammenstellung von Tagesliedern — noch die Fastengebete folgen dem Verlauf eines Tages, indem sie Beginn und Ende eines Fastentages markieren, vgl.
cath. 8, 9 nona hora, d.h. zur Stunde der Mahlzeit, — und eigentlichen Fest-
?
Vgl Bergman, 1921,61; Charlet, création, 51. Daß die Mahlzeitengebete auch in den für die
cinfachen Christen üblichen Gebeten keine Entsprechung finden, sehe ich durch Charlets Hinweis auf Aug. conf. 5, 9 nicht bestätigt. Hier ist vom Brauch, am Morgen und am Abend in der Kirche zu beten, die Rede.
9 *? 3 95
Thraede, Auferstehung, 68. Vgl unten den Kommentar zu Strophe 18. Charlet, création, 54. Vgl. Charlet, création, 54f.
^
Zucath. IX als ósterlichem Gedicht s. auch Mazieres, 22.
?5 *
Seng, 418. Vgl. auch Bergman, 1921, 58. 60f.
II. Die Hymnen Cathemerinon
liedern (cath. 11 und Buches erinnert nicht Stundenlieder (hymn. Hymnen auf Apostel
7
12) oder Preisliedern (cath. 9y" in der zweiten Hälfte des zufällig an die Hymnensammlung des hl. Ambrosius, die 1, 2, 3, 4, Fontaine), Festlieder (hymn. 5, 7, 9, Fontaine) und und Märtyrer (hymn. 6, 8, 10, 11, 12, 13, 14, Fontaine)
vereint. Der Anschluß an die Tradition der vorprudentianischen christlichen Hymnendichtung wird auch in dem alle Gliederungssysteme sprengenden Hymnus
Omnis horae cath. 9 faBbar. Der Christushymnus ist aus der Nachfolge des Hilarius von Poitiers zu verstehen, aus dessen Corpus drei Christushymnen erhalten sind (CSEL 65, 208/16), von denen der dritte dasselbe Metrum und dieselbe Strophen-
länge aufweist wie der prudentianische Hymnus (Dreizeiler aus trochäischen Septenaren)?. Zweifelsohne knüpft Prudentius an die Hymnendichtung des Bischofs von Mailand an, wenn er seine Sammlung durch zwei Gedichtpaare im
ambrosianischen Metrum rahmt. Zwischen den Morgenhymnen cath. 1 und 2 und den Weihnachtsliedern cath. 11 und 12 bestehen auffallende metrische und thema-
tische Übereinstimmungen. Die Rahmengedichte sind nicht nur allesamt in ambrosianischen Strophen, dem jambischen Dimeter, verfaßt, sie korrespondieren auch
in der Darstellung der christlichen Lichtsymbolik^. Die paarweisen Entsprechungen metrischer oder inhaltlicher Art bilden auch
sonst ein Hauptgliederungsprinzip der Sammlung“. Die mannigfachen Überschneidungen zwischen den beiden Buchhälften lassen auf eine — zumindest im Stadium
der Endredaktion - überlegte Komposition des ganzen Buches schließen. Die metrischen Analysen sind seit Bergmans Entdeckung der konzentrischen metrischen Struktur der Sammlung" in z. T. formalistischer Tendenz ausgeweitet worden. Bergman bemerkt die Bezüge von 3 zu 10 (Anapäst als umgekehrter Daktylus), von 4 zu 9 (trochäische Maße), von 5 zu 8 (horazische Versmaße), von 6 zu 7 (Iamben, aber keine ambrosianischen Dimeter). Charlet fügt weitere Entsprechungs-
prinzipien hinzu, wie Gedichtlänge, Strophenlänge und besonders die Bezugnahme auf andere Dichter (Ambrosius, Ausonius, Hilarius, Horaz, Seneca)*. Die neuen
? #
Dazu Smolak, K., Der Hymnus für jede Gebetsstunde (Prudentius, Cathemerinon 9), WS 113 (2000), 215/36. Zur Echtheit der ambrosianischen Hymnen s. Fontaine, Hymnes, 93/102, und dazu Becker,
*
Abzulehnen ist die Deutung des Hymnus omnis horae als „hymnus per vitam", die Seng,
*
418, vornimmt, um in cath. 9 ein Komplement zum Grabhymnus cath. 10 (,Jrymnus post mortem") zu erhalten. Diese Auffassung verfehlt dic Thematik des Hymnus, der ein Preislied auf Christus ist. Ludwig, 318/21; Charlet, création, 56. 58; Seng, 419.
Rezension zu Fontaine, 308.
*
Vgl.die Übersichten bei Charlet, création, 58f.; Thraede, Auferstehung, 68; Ludwig, 361f.;
9
Seng, 423f. Bergman, 1921, 55/67, besonders 56/8.
95 Vgl. Charlet, création, 56/9. Die Vierteilung des Buches unter dem Aspekt der Gedichtlänge sowie das Kriterium der Strophenbildung bei der paarweisen Anordnung der Gedichte hat
8
A. Einleitung
Baugesetze, die Charlet im prudentianischen Hymnenbuch zu entdecken sucht, vermögen aber aufgrund ihres Schematismus nicht zu überzeugen. Nicht nur, daß das Abzählen der Verszahl der angenommenen Gedicht-Triaden zu keinem einheitlichem Ergebnis führt (417, 418, 414, 496 Verse)" und die Verknüpfung der Metra mit bestimmten vorchristlichen und christlichen Autoren mehr als spekulativ
erscheint, die Einteilungen widersprechen sich sogar teilweise, etwa die Gliederung nach Strophierung und die nach Metra, so daB die kunstvolle Einheit der Kompo-
sition, die der Autor beweisen will, durch ihn geradezu aufgehoben wird“. Seng vertritt die These, die Anordnung der Versmaße im Buch Cathemerinon erfolge nach einer metrischen Theorie in der Vorlage eines zeitgenóssischen Handbuchs*, Daß die Auswahl und Reihenfolge der Metren bei Prudentius nicht unbe-
einfluBt scheint von metrischen Lehrbüchern, die man in der Zeit des Dichters benutzte, hat schon Ludwig bemerkt*'. Für ihn stellen die Metren von cath. 3-10 „einen repräsentativen Querschnitt durch den Gesamtbestand der nichthexa-
metrischen klassischen lateinischen Dichtung‘“* dar. Daß Prudentius den Formenbestand der heidnischen Poesie für die christliche Dichtung in Anspruch nimmt, ist unbestritten. Aber die metrische Gestaltung des Hymnenbuches kann nicht von seinem Inhalt losgelóst betrachtet werden. Ein „beabsichtigtes Strukturmuster^ über das von Bergman festgestellte hinaus, wie etwa Ludwig es erkennt, nämlich innerhalb eines Rahmens von ambrosianischen Dimetern den Wechsel von daktylisch/anapästischen (a), iambisch/trochäischen (b) und äolischen (c) Versmafen in der Reihenfolge a c c b b c b a*?, vermag ich dem Dichter daher nicht zuweisen. Fest steht aber, daB die Anordnung der Gedichte nicht nur inhaltlich, sondern auch metrisch determiniert ist. Zum Vergleich sei hier eine Übersicht über die von
Prudentius verwendeten Metra gegeben:
schon Gnilka, Rez. zu Charlet, 303, als überzogen zurückgewiesen. Gnilka, ebd., 302, hält
*
*
auch das Bemühen Charlets, bestimmte dichterische Vorbilder für die Wahl der Metra namhaft zu machen, für vergeblich. Charlet, création, 57.
Ähnlich verwirrend erscheint die Gliederung nach der Verszahl je Strophe, die laut Seng, 423f., die spiegelsymmetrische Einteilung aufgrund des Versmafes überlagert, vgl. bes. die Übersicht bei Seng, 424. Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, daB hier im Grunde willkürlich weitere — diesmal chiastische - Bezüge geschaffen werden, um eine ausgeklügelte formale Struktur des Gedichtbuchs vorzuführen. Bezeichnend für den Formalismus
* ?
solchen Bestrebens ist es, wenn Seng in der „Überlagerung von parallelen und chiastischen Bezügen" den „Grundgedanken (!) der Gesamtkomposition" sieht, vgl. Seng, 425. Seng, 427231. Ludwig, 318/21. 362. Vgl. dagegen Charlet, création, 5Of.
“
Ludwig, 320.
®
SoLudwig, 321.
II. Die Hymnen Cathemerinon
Morgenhymnen I u Tischgebete MI IV Abendhymnen V VI Fastenhymnen VII VIII Christushymnus IX Grabhymnus
X
9
2 ia 2ia 4 da^ phal ascl. min. 2 ia^ 31a sapph. Str. 4 troch^
2 anap^
Weihnachtslieder
XI
2 ia
XII
21a
Das Vortischgebet Ante cibum (cath. 3) hat sein unmittelbares Pendant im Nachtischgebet Post cibum (cath. 4). Beide Gedichte sind durch das Thema ‘Lob und Dank für die geschenkten Speisen’ verbunden (vgl. cath. 4, 1/3; 73/5)”, wobei in cath. 4 der Aspekt des Dankes überwiegt. In cath. 3 geht es um die natürliche, materielle Speise, die der Erhaltung und Krüftigung des menschlichen Kórpers dient. Neben der schópfungstheologischen steht daher die anthropologische Perspektive im Vordergrund. Die Darstellung in cath. 3 zielt darauf, den Wert des Menschen hervorzuheben, dem Gott die übrige Schópfung zum Gebrauch gegeben hat, den er mit Leib und Seele geschaffen und mit Leib und Seele aus dem selbstverschuldeten Todesverhüngnis errettet hat. Cath. 4 bildet insofern ein Komplement zu cath. 3, als hier nach der materiellen Nahrung die spirituelle und die mystische Speise und entsprechend die Stárkung der Seele in den Blick genommen werden (explizit cath. 4, 1/3; 34/36). Grundlegend für den Hymnus ist sein
Bezug zum Sakrament der Eucharistie. Die beiden Tischgebete sind wiederum
durch die Speisethematik eng verbunden mit dem Paar der Fastenhymnen (cath. 7 und 8)?'. Spezielle metrische und inhaltliche Bezüge gibt es auch zwischen dem dritten und dem zehnten Hymnus, dem Grabhymnus. Schon Bergman hat gesehen,
Ὁ
S.dazu auch unten zum 'Tischgebet S. 12-19.
5!
Thraede, Auferstehung, 69, A. 2; Herzog, 43f.; Charlet, création, 58. Vgl. bes. cath. 3, 1/25 u. 8, 69/80, dazu unten S. 48. 57. 60 zu Str. 1/5 .
10
A. Einleitung
daB der katalektische daktylische Tetrameter in cath. 3 dem katalektischen anapästischen Dimeter in cath. 10 entspricht, insofern der Anapäst als umgekehrter
Daktylus gelten kann?. Eine inhaltliche Analogie liegt in der anthropologischen Grundthematik. Insbesondere die Lehre von der Auferstehung des Leibes wird
sowohl im Grabhymnus als auch im Tischgebet entfaltet. c. Die Intention
Gilt Ambrosius als Ahnherr der christlichen Hymnendichtung, so muß Prudentius als der Schöpfer des christlichen Kunstliedes angesehen werden. Die Hymnen Cathemerinon des Prudentius sind im Unterschied zu den ambrosianischen Hymnen, in deren Nachfolge sie stehen?, nicht für den liturgischen Gebrauch bestimmt gewesen. Aber sie wurden gesungen und gebetet^*, ob ursprünglich im Kreis einer
Koinobie, so die These Bergmans*?, oder im Rahmen persönlicher Andacht, muB offen bleiben? . Die Gedichte scheinen zum Zweck der Meditation verfaßt worden
?
Bergman, 1921, 55/67. S. auch Charlet, création, 47/56, für den die beiden seltenen VersmaBe auf Ausonius zurückgehen. In diesem Punkt vorsichtiger Ludwig, 319. Zum hyperkatalektischen daktylischen Trimeter bzw. katalektischen daktylischen Tetrameter wie in cath. 3 vgl. Auson. parent. X, 28 (Green), Auson. epigr. XIII, 89 (Green), außerdem Prud. perist. 3. Es ist aber unwahrscheinlich, daf die kleinen Gedichte des Ausonius die Wahl des Metrums für das groBe Tischgebet des Prudentius bestimmt haben, vgl. Gnilka, Rez. zu Charlet, 302.
5
Zur Zusammenstellung von Liedern, die auf bestimmte Anlässe und Gebetssituationen passen,
*
s. oben S. 5-7. Zur Metrik und Strophierung der Hymnen im Anschluß an Ambrosius s. unten S. 20-22. Diemittelalterlichen Handschriften sind zum Teil mit Neumen versehen, Wille, 291/8. Wille belegt zwar den späteren Gebrauch der prudentianischen Hymnen in der Kirche, nicht aber deren primären liturgischen Zweck. Schon Sandford, 71, wendet sich — m. E. nicht überzeugend — gegen die Auffassung, die Lieder des Prudentius seien aufgrund ihrer Länge, aber auch wegen ihrer sprachlichen, metrischen und gedanklichen Komplexität für den liturgischen Gesang nicht geeignet gewesen. Sie verweist auf den fast 300 Verse umfassenden Psalmus contra Donatistas des hl. Augustinus, der nach dem Zeugnis des Verfassers selbst für den Gesang bestimmt war (retr. 1, 19, 1). Die Hymnen des Prudentius scheiden aber nicht zuletzt aufgrund der Selbstdarstellung des Dichters, der oft am Anfang oder am Ende eines Gedichts
seine persónliche Situation reflektiert, für den Gesang in der Kirche aus. Aufforderungen wie die an einen Knaben, dem Sänger die Leier zu bringen (cath. 9, 1f.), oder die an Knaben
und Mädchen, am Märtyrergrab Blumen darzubringen, unter die der Dichter seine "Gedichtkrünze' streuen will (perist. 3, 206/10), unterstreichen den fiktiven, literarischen Charakter
55 *
der Hymnen (vgl. Lühken, 202f.). Für den liturgischen Gesang sind solche Hinweise auf das poetische Schaffen ganz und gar unpassend (vgl. dagegen Wille, 292). Bergman, 1921, 64/7. Der Zweck der Hymnen ist eng mit der Frage der Adressaten verbunden. Bergman denkt -gerade auch im Hinblick auf die asketischen Forderungen, die Prudentius im vorliegenden Gedicht erhebt — an eine Art monastische Brüderschaft, zu der der Dichter selbst gehórt (Bergman, 64/7). Fontaine, Naissance, 181, äußert sich in demselben Sinn: „Le lyrisme de
Prudence semble d'abord destiné à cette catégorie d’aristocrates lettrés, retirés sur leurs terres
II. Die Hymnen Cathemerinon
11
zu sein”. Die Kennzeichnung als „poetisches Gebetbuch'5? trifft den Charakter des Buches daher richtig. Charlet spricht von „‚meditativer Dichtung" und reiht die
Hymnen ein in die „große lyrische Tradition eines Horaz und Pindar"?. Diese Beurteilung wird dem hohen künstlerischen Anspruch der Tageslieder gerecht, sie läßt aber die theologisch-didaktische Zielsetzung außer acht, die der christlichen Hymnendichtung von Anfang an inhärent ist. Der von Charlet und anderen vorgenommene Vergleich mit der feierlichen Chorlyrik Pindars und mit Horaz' carmen
saeculare übersieht die fundamentalen Unterschiede zwischen christlicher und paganer Hymnodie. Die 'Religiósitüt' ist nicht nur ein Element der christlichen Liedkunst, sondern sie durchdringt die gesamte christliche Poesie. Auch die lyrische Dichtung des Prudentius ist religiös-didaktische Dichtung, und Prudentius ver-
steht sich als religióser Dichter. Ein Zeugnis dafür findet sich im vorliegenden Gedicht selbst, wo die Unterwerfung der Dichtkunst und ihres von der Tradition bereitgestellten Formenspektrums unter einen ganz und gar theozentrischen Zweck, den Lobgesang für Gott, gefordert wird (cath. 3, 26/30). Der lehrhafte Charakter
stellt die Lieder in die Nachfolge der Hymnen des Ambrosius. Wie Ambrosius und vor ihm Hilarius den Hymnengesang in den Glaubenskümpfen ihrer Zeit einsetzten, um religiöse und theologische Wahrheiten im Kirchenvolk zu verbreiten®”, so zielt die Hymnensammlung des Prudentius darauf, einem literarisch gebildeten Publikum theologische und spirituelle Inhalte in hoher poetischer Form zur geistlichen Be-
trachtung zur Verfügung zu stellen!
8
$27
Ein philologisch-exegetischer Kommentar hat dem theologischen Anspruch der prudentianischen Lyrik Rechnung zu tragen. Die rein auf literarische Zusammenhänge ausgerichtete Methodik der modernen Textlinguistik hat sich, so zeigt die neueste Arbeit von Lühken zur Rezeption klassischer Vorbilder durch Prudentius, als unzureichend erwiesen, weil die Verengung auf eine literarisch-künstlerische
*
pour y mener une vie d'ascétisme monastique". Er verweist auf die historisch gesicherten klósterlichen Lebensgemeinschaften, wie sie christliche GroBgrundbesitzer, etwa Paulinus von Nola und seine Frau in Campanien, Sulpicius in Aquitanien, im ausgehenden vierten Jahrhundert gründeten. Zu Paulinus' Lebensstil s. Skeb, 14/20. So Rodriguez-Herrera, 89; Ludwig, 317; Fontaine, Naissance, 156. 180; Lühken, 201. S. Bergman, 1921, 64. Charlet, Hymnendichtung, 527.
Hilarius hatte die ostkirchliche Praxis des Hymnengesangs in der Verbannung kennengelernt. Nach seiner Rückkehr versuchte er, Hymnen mit antiarianischem Inhalt als Volksgesang in seinen gallischen Gemeinden einzuführen, s. Charlet, Hymnendichtung, 524f. Großer Erfolg war allerdings erst dem Kirchengesang beschieden, den Ambrosius in Mailand während seines Kampfes gegen die von der Kaiserin Justina unterstützten Arianer institutionalisierte, vgl. das Zeugnis des Augustinus conf. 9, 6, 14—7, 15. Dazu Fontaine, Hymnes, 16/23. Dagegen wurde in der Nachfolge Thraedes das Werk des Dichters immer wieder auf eine rein literarische Intention reduziert, s. zuletzt Lühken, bes. 23-30.
12
A. Einleitung
Perspektive den Weg zum tieferen Verständnis der prudentianischen Dichtung nicht
eröffnet“. Die Einbettung der 'Antikerezeption' des Prudentius in den großen geistesgeschichtlichen Vorgang der Auseinandersetzung der frühen Kirche mit der paganen Umwelt láBt den Rückgriff auf die Chrésis, die authentische Methode der
Kirchenväter im Umgang mit der antiken Kultur, als sinnvoll erscheinen“. Die Methode, die die Kirchenväter selbst anwandten, ist zugleich das adäquate herme-
neutische Mittel, um zum geistlich-theologischen Gehalt der Texte vorzudringen und um die philologische Methode auf eine historische Grundlage zu stellen.
III. Das Tischgebet. Ein frómmigkeitsgeschichtlicher Überblick Die kunstlyrischen Gedichte des Prudentius cath. 3 und 4 sind nicht nur durch den Anlaß und den situativen Kontext des Mahls eng mit dem alltäglichen Tischgebet verbunden (vgl. bes. cath. 3, 1/25; 171/185; 4, 1/3; 73/5), sie greifen auch - wie der
Vergleich mit den überlieferten jüdisch-christlichen Tischgebets zu überhóhen. Hier soll zunüchst Zeugnisse skizziert werden, um
Texten zeigt — die wesentlichen Bestandteile des auf, um sie poetisch und theologisch-didaktisch die Geschichte des Tischgebets anhand der antiken dann vor dem Hintergrund der überlieferten jüdi-
schen und altchristlichen Formulare die Struktur der prudentianischen Hymnen Ante cibum und Post cibum zu beleuchten. Für die vorchristliche Antike ist die Sitte des Tischgebets in der Form des Gótteranrufs belegt“. Die Griechen beendeten ihr Festmahl mit einem Schluck Wein zu
Ehren des ‘Guten Geistes’ (ἀγαθὸς Δαίμων) 5. Auch wurde das an die Mahlzeit sich anschlieBende Trinkgelage durch drei Libationen gerahmt, Spenden an die
olympischen Götter, die Heroen und an den rettenden Zeus (Ζεὺς σωτήρ)
5. Dazu
wurde in der Regel ein religiöser Lobgesang (Paian) gesungen. Das Gelage schloß
mit einer Spende an Hermes*'. Auch beim römischen Gastmahl wurden die Götter angerufen, wenn auch das Tischgebet wohl kein allgemeiner Brauch war. Durch den Götteranruf wurde die cena eröffnet‘, beim Nachtisch brachte man den Laren
und Penaten, später auch Augustus das Trankopfer dar”. Die Begleitung der Götter-
$2 $3
* $5 % 6 $5 9^
S. auch Gnilka, Prud. III, 89-91. S.Gnilka, Chrésis I und II, passim. Chrésis heißt in bezug auf die Dichtung des Prudentius: Auszugehen ist von einer bewußten Hinwendung des christlichen Autors zur Nutzung der antiken Poesie und damit ihrer vólligen Indienstnahme und Instrumentalisierung zu einem hóheren Zweck, der Darstellung der geoffenbarten, christlichen Wahrheit. Zum Hymnos Kletikos s. unten S. 47f. 60. 69. Vgl.z. B. Philonid. b. Athen. 15, 675B; dazu Lumpe, 618. Zur Dreiheit der Götter vgl. unten S. 63 zu Str. 4. Zum Ganzen vgl. Blümner, Griech. Privatalterthümer, 244/50; Baus, 76f.; Lumpe, 618. Quint. decl. 301 (187, 16f. Ritter). Serv. Aen. 1, 730; Hor. sat. 2, 2, 124; Petron. 60, 8; Dio 51, 19, 7; zum Ganzen vgl. Blümner,
III. Frómmigkeitsgeschichtlicher Überblick
13
anrufe durch Speiseopfer und Libationen, der ‘Ort’ (am Eingang und Ausgang des Gastmahls und des Symposions) sowie die Unregelmäßigkeit der Praxis weisen über
einen ursprünglich apotropüischen Zweck des Tischgebets” hinaus: Das griechischrömische Tischgebet zieite offensichtlich zusammen mit anderen religiösen Zeremonien darauf, die häusliche Mahlzeit in einen kultischen Zusammenhang zu stellen". Im antiken Judentum war das Tischgebet im religiósen Leben fest verankert. Es handelt sich bei den jüdischen Mahlgebeten um eine Form des Lobspruchs für Gott (beraka), des kurzen Dankgebets, das in seiner individuellen und spontanen Ausprägung die jüdische Alltagsfrómmigkeit prägt. Im Griechischen wird beraka
unterschiedslos mit εὐλογία oder εὐχαριστία wiedergegeben". Der fromme Jude preist Gott anläßlich zahlreicher Ereignisse des täglichen Lebens, in denen sich die góttliche Macht und Güte offenbart, und er nimmt in besonderer Weise den Genuß von Speise und Trank zum Anlaß, Gott für seine Gaben Lob und Dank zu sagen (vgl. z. B. Berak. 46a)". Aus dem jüdischen Alltag und Kult haben die frühen
Christen den Brauch, vor und nach dem Essen zu beten, übernommen". Auch im NT wird das Gebet zur Mahlzeit als Lobpreis bzw. Segnung? oder Danksagung bezeichnet, vgl. Róm. 14, 6; 1 Kor. 10, 30; 1 Tim. 4, 3f. Von Jesus selbst (Mark. 6, 41; 8, 6; 14, 22 par) sowie von Paulus (Apg. 27, 35) ist die Praxis überliefert. Das christliche Tischgebet steht von Anfang an in der Tradition der jüdischen Lobsprüche, wie schon die frühesten Zeugnisse zeigen. Aristides apol. 15, 10f. kennt die Sitte der Christen, Gott bei mancherlei Gelegenheit zu danken (εὐ-
xapıoteiv), u.a. bei Speise und Trank. Auch Justin apol. 1, 13, 1f. erwähnt das Tischgebet neben anderen Eulogien als Dankgebet für die Nahrung/*. Clemens von Alexandrien bezeugt den Brauch, vor dem Mahl und beim Symposion den
Schöpfer zu preisen", vgl. paed. 2, 4, 43f. (Stählin 1, 183f.), bes. 2, 4, 44, 1
Röm. Privataltertümer, 397/401; Binder, 805; Lumpe, 618. Vgl. auch Hor. carm. 4, 5, 31ff. (dazu unten S. 60 zu Str. 3).
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7"
Dazu Lumpe, 618. Davon zeugen nicht zuletzt die antiken christlichen Stellungnahmen zu Symposien im allgemeinen, zu Kränzen, Salben, Rauchwerk und Gesängen im besonderen. Diese Dinge wurden von den christlichen Lehrern als Requisiten der Götterverehrung abgelehnt. Vgl. unten den Kommentar zu Str. 5 und 6 zur Sitte der Salbung und Bekränzung sowie zur Sitte des Gesangs beim Mahl, bes. S. 66f. 68f. Vgl. allgemein dazu Stuiber, passim, bes. 900/6.
7
Stuiber, 904. Material bei Strack/Billerbeck, 1, 685/7; 4, 621. 627/34; s. auch 4, 2, 1245 s. v.
” ”
"Lobsprüche'. Dazu v.d. Goltz, 5/13. Im Jüdischen wird das eigentliche Tischgebet erst nach der Mahlzeit gesprochen, der Mahlzeit voran geht der Brot- und Weinsegen. Zum heidenchristlichen Verständnis des εὐλογεῖν, das nicht mehr auf Gott bezogen wird, sondem auf die Speisen, die gesegnet werden, s. Stuiber, 912.
76. Der Text wird unten S. 19 zitiert. Vgl. zudem Eus. h. e. 5, 3, 3; Acta Thom. 29; Hippolyt. "7
trad. ap. 26 (Stuiber, 919). Die Belege teilweise bei Evenepoel, liber Cathemerinon, 35f.; Lumpe, 631.
14
A. Einleitung
(ebd. 184) ὡς δὲ ἁρμόδιον πρὶν ἡμᾶς μεταλαβεῖν τροφῆς τῶν συμπάντων
εὐλογεῖν τὸν ποιητήν, οὕτως καὶ παρὰ πότον καθήκει ψάλλειν αὐτῷ τῶν αὐτοῦ μεταλαμβάνοντας κτισμάτων καὶ γὰρ ὁ ψαλμὸς ἐμμελής ἐστιν εὐλογία καὶ σώφρων. Nach dem Genuß der Speisen erfolgt das Dankgebet, vgl. Clem. Alex.
2, 10, 96, 2 (ebd. 215) ἑσπέρας δὲ ἀναπαύσασθαι καθήκει μετὰ τὴν ἑστίασιν καὶ μετὰ τὴν ἐπὶ ταῖς ἀπολαύσεσιν εὐχαριστίαν. Clemens bezeugt zugleich die Sitte des Gesangs bei Tisch (vgl. ψάλλειν, paed. 2, 4, 44, 1) als eine besondere
Form des Lobpreises. Tertullian berichtet, daB die Christen vor und nach dem Gastmahl beten, auch er
kennt den christlichen Brauch des Gesangs beim Symposion, vgl. apol. 39, 17f. (CCL 1, 152f.) Si honesta causa convivii est, reliquum ordinem disciplinae de causa aestimate. Quod sit de religionis officio, nihil utilitatis, nihil immodestiae admittit. Non "Iur; editur quantum esurientes capiunt; bibitur quantum pudicis utile est .. . Post aquam manualem et lumina, ut quisque de scripturis divinis vel de proprio ingenio potest, provocatur in medium
Deo canere; hinc probatur quomodo biberit. Aeque oratio convivium dirimit". Den Hymnen- und Psalmengesang bei Tisch bezeugt ebenfalls Cyprian, vgl. Cypr. ad Donat. 16 (CSEL 3, 16, 11f.) sonet psalmos convivium sobrium: ut tibi tenax memoria est, vox canora, adgredere hoc munus ex more. Die Christen nehmen also die heidnische Sitte auf, das Gastmahl durch Gótterhymnen, Paiane und Epiklesen, zu begleiten, und führen sie einem neuen Zweck zu: Pagane Götterlieder rufen die Dámonen herbei und sind deshalb zu verwerfen, christlicher Psalmen- und Hymnengesang lädt stattdessen Christus zum Mahl, vgl. Joh. Chrys. in
epist. ad Col. 1, hom. 1, 5 (PG 62, 306) Ἐκεῖ μὲν αὐλοὶ καὶ κιθάραι καὶ σύρριγγες, ἐνταῦθα δὲ οὐδὲν ἀπηχὲς μέλος: ἀλλὰ Ti; ὕμνοι, ψαλμφδίαι. Ἐκεῖ μὲν οἱ δαίμονες ἀνυμνοῦνται, ἐνταῦθα δὲ ὃ πάντων Δεσπότης Θεός ... ὁ Θεός σε ἔθρεψεν ἐκ τῶν ἀγαθῶν αὐτοῦ, καὶ δέον αὐτῷ εὐχαριστεῖν μετὰ τὸ τραφῆναι;
vgl. Joh. Chrys. expos. in Ps. 41 (PG 55, 157.) μάλιστα τότε δεῖ καὶ πρὸ τραπέζης καὶ μετὰ τράπεζαν ἐπιτειχίζειν αὐτῷ τὴν ἀπὸ τῶν ψαλμῶν ἀσφάλειαν καὶ κοινῇ μετὰ γυναικὸς καὶ τῶν παίδων ἀναστάντας ἀπὸ συμποσίου τοὺς ἱεροὺς ἄδειν ὕμνους τῷ Θεῷ ... καὶ εὐχὴ μετὰ τὴν ψαλμῳδίαν προσκείσθω, ἵνα μετὰ τῆς ψυχῆς καὶ τὴν οἰκίαν αὐτὴν ἁγιάζωμεν. Des weiteren findet das Tischgebet Erwühnung in der Liste der festen Gebetszeiten für die frommen Gemeinschaften, vgl. Hier. epist. 22, 37, 1 (CSEL 54, 201) Post haec, quamquam apostolus semper orare nos iubeat et sanctis etiam ipse somnus oratio sit, tamen divisas orandi horas habere debemus, ut, si forte aliquo
^"
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Vgl. auch Tert. orat. 25, 6 (CCL 1, 273) Sed et cibum non prius sumere et lavacrum non prius adire quam interposita oratione fideles decet. Priora enim habenda sunt spiritus refrigeria et pabula quam carnis, quia priora caelestia quam terrena. Zum Gesang bei Tisch und zur Ablehnung bzw. Umorientierung der paganen Sitte durch die Christen siehe auch unten S. 69 zu Str. 6.
II. Frömmigkeitsgeschichtlicher Überblick
15
fuerimus opere detenti, ipsum nos ad officium tempus admoneat: horam tertiam, sextam, nonam, diluculum quoque et€ vesperam nemo, qui nesciat. üec cibus a te
creatori; Ambr. virg. 3, 4, 18f. (PL 16, 237A/C) (oben S. 6 zitier). Formulare altchristlicher Tischgebete sind nur aus dem griechischen Sprachgebiet erhalten. Sie weisen neben genuin christlichen Elementen noch eine wesentlich
jüdische Herkunft auf*!. Die jüdische Gebetsüberlieferung (Brot- und Weinsegen vor, Dankgebet nach der Mahlzeit) wirkt besonders nach in den Tischgebeten der Didache (did. 9f.), die als älteste Texte zu gelten haben, wobei der rituell gehobene
Charakter offenläßt, ob es sich um Gebete für eine archaische Form der Eucharistieoder Agapefeier handelt. Formeln aus der Didache wiederum sowie aus den in den "Apostolischen Konstitutionen' (Const. Apost. 7, 49 Funk) überlieferten Tischgebeten haben Eingang gefunden in die Texte, die Pseudo- Athanasios und Johannes
Chrysostomos den Glüubigen als monastischen Brauch empfehlen. Die christlichen Formulare greifen in erster Linie den jüdischen Segen ‘Der da emührt'*? auf. Sie
preisen Gott als Schöpfer der Welt und als Spender der Nahrung für die Menschen. Vgl. did. 10, 3 (SC 248, 178/80): Σύ, δέσποτα παντοκράτορ,
Ἔκτισας τὰ πάντα ἕνεκεν τοῦ ὀνόματός σου. Τροφήν τε καὶ ποτὸν ἔδωκας τοῖς ἀνθρώποις εἰς ἀπόλαυσιν, ἵνα σοι εὐχαριστήσωσιν. Ἡμῖν δὲ ἐχαρίσω πνευματικὴν τροφὴν καὶ ποτὸν καὶ ζωὴν αἰώνιον διὰ « Ἰησοῦ» τοῦ παιδός σου.
9
Da.die Lieder des Prudentius cath. 3 und 4 hier auszuklarnmern sind, liegen im lateinischen Bereich die ersten Formeln für Tischgebete im Missale von Bobbio (8. Jahrh.) sowie im
"
?
Gelasianum und Gregorianum vor. Die Hymnen Ante und Post cibum des Prudentius, obwohl keine eigentlichen Tischgebete, zeugen allerdings vom alltäglichen Brauch des Gebets zur Mahlzeit. Über das klösterliche Tischgebet vgl. Joh. Cass. inst. coen. 3, 12 (CSEL 17, 1, 45, 6/17). Das jüdische Gebet zum Sabbatmahl bestand aus vier Benediktionen, die man dem Inhalt nach bezeichnet als 1. Segen 'Der da ernährt’ (vgl. Berak. 48 b, 6), als 2. Lobspruch 'für das Land’, als 3. Lobspruch ‘Der Jerusalem baut’ und 4. Segen ‘Der Gute und Wohltätige’ (vgl. TBerak. 7, 1); vgl. Strack/Billerbeck, 1, 628; v. d. Goltz, 9-11.
Vgl. v. d. Goltz, 9. Ebd. die Übersetzung (nach Goldschmidt, I, Tr. Berakhoth, 1899, und Wünsche, A., Der babylon. Talmud in seinen haggadischen Bestandteilen, I, 1886): „Gelobt seist du Ewiger, unser Gott, König der Welt, der da ernährt die ganze Welt mit seiner Güte, in Huld, Gnade und Barmherzigkeit. Er gibt Brod allem Fleisch. Resp.: Denn ewig währet seine Huld. - In seiner großen Güte hat er uns noch nie Mangel leiden lassen. Nie wird uns fehlen Speise von Ewigkeit zu Ewigkeit. Resp.: Um seines großen Namens willen. - Denn er ernühret und verpfleget alles und erweiset Güte allen und bereitet Nahrung allen seinen Geschöpfen, die er ins Leben gerufen. Resp.: Gepriesen seist du Gott, der du alles speisest."
16
A. Einleitung
Spezifisch christlich ist hier der anschlieBende Dank für die geistliche Speise und
den geistlichen Trank sowie für das durch Jesus Christus geschenkte ewige Leben?. Ein weiterer Tischsegen, der den ersten jüdischen Lobspruch christianisiert, ist überliefert in den Apostolischen Konstitutionen (Const. Apost. 7, 49 Funk). Er ist zusammengesetzt aus Ps. 118, 12; Job 31, 18; Apg. 14, 17 und 2 Kor. 9, 8:
'EoAoyntóc el, κύριε ὁ τρέφων με ἐκ νεότητός μον, ὁ διδοὺς τροφὴν πάσῃ σαρκί: πλήρωσον χαρᾶς καὶ εὐφροσύνης τὰς καρδίας ἡμῶν, ἵνα πάντοτε πᾶσαν αὐτάρκειαν ἔχοντες περισσεύωμεν εἰς πᾶν ἔργον ἀγαθὸόν᾽ ἐν Χριστῷ Ἰησοῦ τῷ κυρίῳ ἡμῶν, δι᾽ οὗ σοι δόξα, τιμὴ καὶ κράτος εἰς τοὺς αἰῶνας" ἀμήν. Johannes Chrysostomos zitiert das Gebet vollständig (hom. 55 in Matth. 5 [PG 58, 545]). PsAthanasius virg. 12f. bietet den Text ebenfalls in ähnlichem Wortlaut als eines von zwei Gebeten zum Abendessen, wobei das zweite Gebet wiederum an
die Didache-Formel anklingt**, vgl. (PG 28, 265B/268A):
Koi μετὰ τὴν σύναξιν τῆς ἐνάτης ἔσθιε τὸν ἄρτον σου, εὐχαριστήσασα τῷ θεῷ ἐπὶ τῆς τραπέζης σου οὕτως: Εὐλογητὸς ὃ Θεὺς, ὁ ἐλεῶν καὶ τρέφων ἐκ νεότητος ἡμῶν. "6 διδοὺς τροφὴν πάσῃ σαρκί ᾿ πλήρωσον χαρᾶς καὶ εὐφροσύνης τὰς καρδίας ἡμῶν, ἵνα πάντοτε πᾶσαν αὐτάρκειαν ἔχοντες περισσεύωμεν εἰς πᾶν ἔργον ἀγαθὸν, ἐν Χριστῷ Ἰησοῦ τῷ Κυρίῳ ἡμῶν, μεθ᾽ οὗ σοι πρέπει δόξα, κράτος, τιμὴ αἰῶνας τῶν αἰώνων, ἀμήν. 13. Καὶ ὅταν καθεσθῇς ἐπὶ τῆς τραπέζης, καὶ ἔρχῃ κλᾶσαι τὸν ἄρτον, σφραγίσασα αὐτὸν τρίτον τὸ σημεῖον τοῦ σταυροῦ, οὕτως εὐχαριστοῦσα λέγε- Εὐχαριστοῦμέν
σοι, Πάτερ ἡμῶν, ὑπὲρ τῆς ἁγίας ἀναστάσεώς σου: διὰ γὰρ Ἰησοῦ τοῦ Παιδὸς σου ἐγνώρισας ἡμῖν αὐτὴν: καὶ καθὼς ὁ ἄρτος οὗτος διεσκορπισ-
9
Inähnlicher Weise spiritualisiert schon der Anfang des Didache-Nachtischgebets den dritten jüdischen Tischsegen ‘für Jerusalem’: Aus dem Tempel in Jerusalem, ‘dem heiligen Haus, auf den dein Name herabgerufen wurde', wird der Tempel des Herzens, der spirituelle Tem-
pel des Gläubigen, vgl. did. 10, 2 (SC 248, 178) Εὐχαριστοῦμέν σοι, πάτερ ἅγιε, Υπὲρ τοῦ ἁγίου ὀνόματός cov,
Οὗ κατεσκήνωσας ἐν ταῖς καρδίαις ἡμῶν,
^
Καὶ ὑπὲρ τῆς γνώσεως καὶ πίστεως καὶ ἀθανασίας, "Hs ἐγνώρισας ἡμῖν διὰ Ἰησοῦ τοῦ παιδός cov: Σοὶ ἣ δόξα εἰς τοὺς αἰῶνας. Vgl. auch did. 10, 5 (SC 248, 180): Μνήσθητι, κύριε, τῆς ἐκκλησίας σον τοῦ ῥύσασθαι αὐτὴν ἀπὸ παντὸς πονηροῦ, Καὶ τελειῶσαι αὐτὴν ἐν τῇ ἀγάπῃ σου, Καὶ σύναξον αὐτὴν ἀπὸ τῶν τεσσάρων ἀνέμων, τὴν ἁγιασθεῖσαν, Εἰς τὴν σὴν βασιλείαν, ἣν ἡτοίμασας αὐτῇ᾽ Ὅτι σοῦ ἐστιν f δύναμις καὶ fj δόξα εἰς τοὺς αἰῶνας.
III. Frömmigkeitsgeschichtlicher Überblick
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μένος ὑπῆρχεν ὁ ἐπάνω ταύτης τῆς τραπέζης, καὶ συναχθεὶς ἐγένετο £v: οὕτως ἐπισυναχθήτω σου 1j Ἐκκλησία ἀπὸ τῶν περάτων τῆς γῆς εἰς τὴν βασιλείαν σου, ὅτι σου ἐστὶν ἡ δύναμις καὶ f) δόξα εἰς τοὺς αἰῶνας τῶν
αἰώνων, ἀμήν. Καὶ ταύτην μὲν τὴν εὐχὴν ἐν τῷ κλᾶν τὸν ἄρτον, καὶ θέλειν ἐσθίειν, ὀφείλεις λέγειν - ἐν δὲ τῷ θεῖναι τοῦτον ἐν τῇ τραπέζῃ, καὶ καθεσθῆναι βούλει, τὸ, “Πάτερ ἡμῶν, λέγε ὁλόκληρον - τὴν δὲ προγεγραμμένην εὐχὴν, τὸ, “Εὐλογητὸς ὁ Θεὸς, ἀριστήσαντες καὶ ἐγειρόμενοι ἐκ τῆς
τραπέζης λέγομεν". Die Kunstlieder des Prudentius nehmen die wesentlichen Elemente des jüdischchristlichen Tischgebets auf. Das sind vor allem die Bitte um den Segen für die Speisen (cath. 3, 1-25), der Lobpreis Gottes und seiner Schöpfungsgaben (cath. 3, 26-95), der Dank für die erhaltenen Speisen (cath. 4, 1-3; 73-75). Die Eulogie in
der Form des Enkomions des Schópfers und seiner Gaben ist ein konstitutives Element des Hymnus Ante cibum (vgl. cath. 3, 30; 85; vgl. auch 4, 3). Schon die
Anrufung des Herrn und die Bitte um Segen am Anfang des Gedichts intonieren den Lobpreis der Güte Gottes*6. Ein schöpfungstheologisch begründeter Gabenpreis bildet den ersten Teil des Hymnus (V. 41-80)"’. Die rahmenden Partien dieser lyrischen Ekphrasis entfalten eine Poetik des Lobes, derzufolge christliche Dichtung wesentlich Lobpreis Gottes ist (cath. 3, 26-40; 81-95). Der Lobpreis des hóchsten Geschópfs, des Menschen (V. 96-100), bietet den
Anlaß zur Anamnese der Heilstaten Gottes am Menschen im zweiten Teil des Hymnus (V. 101-170). In der heilsgeschichtlichen Betrachtung liegt ein weiteres Element der jüdischen berakot vor, für die - in der längeren Ausformung - der Blick auf die Vergangenheit konstitutiv ist (vgl. den sog. zweiten jüdischen Segen, Berak.
7, 1. 2)*. Der heilsgeschichtliche Rückblick des prudentianischen Tischgebets
5
Die Reihenfolge der im Traktat an die gottgeweihten Jungfrauen zitierten Gebete bereitet Schwierigkeiten. Die Zusammenstellung legt nahe, daß beide vor dem Abendessen zu beten sind (so die gángige Auffassung, s. v. d. Goltz, 39; Stuiber, 919). Aber der Nachsatz in Kap. 13,
wo eine genaue Festlegung der Reihenfolge mehrerer Formeln, u. a. auch des Vater Unser, erfolgt, erweist m. E. die vermeintliche Anfangseulogie als Nachtischgebet, was dem Gebrauch bei Johannes Chrysostomos entspräche. Die Doppelung der Gebete erklärt sich vielleicht dadurch, daß die bekannte Eulogie-Formel nachträglich vorangestellt wurde, sozusagen als Beispiel für das Gebet zur Mahlzeit schlechthin, ohne Rücksicht auf die Chronologie des Mahls.
% 9? 8
Vgl. den vierten jüdischen Segen ‘der Gute und Wohltätige’, Traktat berakot 7, 1; v. d. Goltz, 10f. Vgl. den ersten jüdischen Tischsegen ‘Der da nährt’ sowie den 'Landsegen'; 2. B. Traktat berakot 7, 1; v. d. Goltz, 9. Vgl. auch did. 10, 3. S. dazu allgemein Stuiber, 902. Der jüdische ‘Landsegen’ erinnert entsprechend an die Gabe des Landes und die Befreiung aus Ägypten, vgl. „Wir danken dir Ewiger, unser Gott, daß du unsern Vätern zum Besitz gegeben hast ein köstliches, schönes und geräumiges Land. Und
18
A. Einleitung
mündet gattungstypisch in Paränese und Bitten, die sich auf die Gegenwart des Betenden beziehen (V. 171-185). Die anschlieBende Erinnerung an das eschatologische Gut, die Gabe der Unsterblichkeit bzw. Auferstehung (V. 186-205), ist ebenfalls im jüdisch-christlichen Tischgebet vorgebildet (vgl. den dritten jüdischen Segen; did. 9, 3; 10, 2. 3)?. Den Dank für die spirituelle Speise und den spirituellen Trank, welche die Christen in der Eucharistie empfangen, wie ihn auch das DidacheGebet formuliert (did. 10, 3 [oben S. 15 zitiert), entfaltet Prudentius im zweiten Mahlzeitenhymnus, dem Nachtischgebet cath. 4, 34-36. Wie im Didache-Gebet,
das nach dem Essen zu beten ist (did. 10, 2)”, erscheint der Gläubige hier als spiritueller Tempel Gottes (cath. 4, 16-30). Die Konzeption des Tischliedes als Lobpreis des Schópfers und seiner Gaben, die Prudentius seinem Hymnus Ante cibum zugrunde legt, bezeugen auch andere frühchristliche Schriftsteller, die den Brauch des Tischgebets empfehlen. Zugleich wird bei einigen Kirchenvütern das Bestreben deutlich, die Sitte des Tischgebets theologisch zu begründen, eine Notwendigkeit, die sich nicht zuletzt daraus ergibt, daB im Christentum anders als im Judentum nicht jedes Mahl grundsätzlich als religiöse Handlung aufgefaßt wird. Unter den frühchristlichen Zeugnissen ist vor allem Clem. Alex. paed. 2, 4, 43f. (Stählin 1, 183f.) zu vergleichen (so bes. paed. 2, 4, 44, 1 [oben S. 13f. zitiert]). Clemens übernimmt nicht einfach die biblische Weisung des Berakotsprechens, er liefert auch eine Begründung dafür, daB Lobgesänge das Essen und Trinken der Gläubigen begleiten sollen (vgl. paed. 2, 4, 43, 1 [Stählin 1, 183]). Für ihn ist der Brauch, beim Symposion den Schöpfer zu preisen, Ausdruck der Gottesliebe (φιλοφροσύνη) und somit Erfüllung des christlichen
Hauptgebotes?!. Vgl. die Übersetzung von paed. 2, 4, 43, 1: „Unsere liebende Gesinnung beim Trinken sei aber dem Gesetz gemäß eine zweifache, denn wenn 'du den Herrn, deinen Gott lieben sollst’ und ‘dann deinen Nächsten’, so muß sich zuerst
deine Liebe zu Gott durch Danksagung und Lobgesang (δι᾽ εὐχαριστίας καὶ ψαλμῳδίας) zeigen, zweitens aber die zum Nächsten durch würdigen Umgang.“ Für den Apologeten Justin garantiert die Danksagung bei Tisch den rechten Gebrauch der zur Nahrung geschaffenen Güter. Die würdige Verehrung des Schópfers liegt für die Christen eben nicht — wie für die Heiden - im Rauchopfer,
daB du Ewiger, unser Gott, uns herausgeführt hast aus dem Lande Ägypten und uns befreit hast aus dem Sklavenhause. Für deinen Bund, den du eingezeichnet hast unserm Fleisch, für
deine Thorah, die du uns gelehret hast und für deine Satzungen, die du uns verkündet, für Leben, das du aus Gnade und Barmherzigkeit uns geschenkt hast. Und für den GenuB Speise, womit du uns speisest und ernührest beständig, an jedem Tage, zu jeder Zeit Stunde.“ (Übersetzung bei v. d. Goltz, 9, nach Goldschmidt, I, Tr. Berakhoth, 1899, *?
Wünsche, A., Der babylon. Talmud in seinen haggadischen Bestandteilen, I, 1886). Vgl auch PsAthanas. virg. 13 (PG 28, 265C) den Dank für die Auferstehung Jesu.
9? ?!
ObenAnm. 83 zitiert. Vgl. Matth. 22, 37. 39; Mark. 12, 30f.; Luk. 10, 27.
das der und und
III. Frómmigkeitsgeschichtlicher Überblick
19
sondern im Verzehr der Gaben für den eigenen Unterhalt und im Unterhalt der Bedürftigen unter dankbarer Besinnung auf den góttlichen Geber, vgl. apol. 1, 13, 1f.
(Marcovich, 50), "ABeoı μὲν οὖν ὡς οὔκ ἐσμεν, τὸν δημιουργὸν τοῦδε τοῦ παντὸς σεβόμενοι, ἀνενδεῆ αἱμάτων καὶ σπονδῶν καὶ θυμιαμάτων, ὡς ἐδιδάχθημεν, λέγοντες. λόγῳ εὐχῆς καὶ εὐχαριστίας ἐφ᾽ οἷς προσφερόμεθα πᾶσιν, ὅση δύναμις, αἰνοῦντες, μόνην ἀξίαν αὐτοῦ τιμὴν carotnv παραλαβόντες, τὸ τὰ ὑπ᾽ ἐκείνου εἰς διατροφὴν γενόμενα οὐ πυρὶ δαπανᾶν, ἀλλ᾽ ἑαυτοῖς καὶ τοῖς δεομένοις προσφέρειν, ἐκείνῳ δὲ εὐχαρίστους ὄντας διὰ λόγου πομπὰς καὶ ὕμνους πέμπειν. Justin bietet preises von der Nahrung auf Erhaltung des Menschen, die reszeiten, sowie für die Bitte
zudem eine Parallele für die Ausweitung des Gabenweitere Wohltaten Gottes, z. B. die Erschaffung und Mannigfaltigkeit der Arten und den Wechsel der Jahum die durch den Glauben geschenkte Unvergäng-
lichkeit, vgl. apol. 1, 13, If. (Marcovich, 50), ὕμνους πέμπειν ὑπέρ TE τοῦ γεγονέναι Kal τῶν εἰς εὐρωστίαν πόρων πάντων, ποιοτήτων μὲν γενῶν καὶ
μεταβολῶν ὡρῶν, καὶ τοῦ πάλιν ἐν ἀφθαρσίᾳ γενέσθαι διὰ πίστιν τὴν ἐν αὐτῷ αἰτήσεις πέμποντες, -- τίς σωφρονῶν οὐκ ὁμολογήσει; Hervorzuheben ist auch die Empfehlung des Basilius an seinen Freund Gregor von Nazianz, die neben der Mahnung zur Mäßigung beim Essen das Gebot des Tischgebets begründet. Basilius der Große hält es für die Pflicht des Asketen, seine Gedanken auch während der Mahlzeit auf Gott auszurichten und empfiehlt daher Gebete vor und nach dem Essen. Die Natur und die Mannigfaltigkeit der Speisen, die wiederum der Vielfalt der individuellen körperlichen Verfassungen angepaßt sind, bieten Anlaß, Gott, den Schöpfer aller Dinge, zu loben. Vgl. Bas. epist. 2, 6 (Courtonne |, 12) μηδὲ τότε τὸν vovv ἀργὸν ἐν τῇ περὶ Θεοῦ ἐννοίᾳ ἔχοντα.
ἀλλ᾽ αὐτὴν τῶν βρωμάτων
τὴν φύσιν καὶ τὴν τοῦ LROÖFZUHEVOL σώματος
κατασκευὴν ἀφορμὴν ποιεῖσθαι δοξολογίας πῶς ποικίλα εἴδη τροφῶν τῇ ἰδιότητι τῶν σωμάτων ἁρμόζοντα παρὰ τοῦ πάντα οἰκονομοῦντος ETLIVEVONTEN.
Εὐχαὶ πρὸ τροφῆς ἀξίους γενέσθαι τῶν τοῦ Θεοῦ παροχῶν, ὧν τε νῦν δίδωσι καὶ ὧν πρὸς τὸ μέλλον ἐταμιεύσατο. Εὐχαὶ μετὰ τροφὴν εὐχαριστίαν τῶν δεδομένων ἔχουσαι καὶ αἴτησιν τῶν ἐπηγγελμένων. Die Forderung des Tischgebets ergibt sich also für Basilius im Grunde aus dem Gebot des immerwáhrenden Betens”, das letztlich seinen Ursprung im Gebot der Gottesliebe hat. Die Überlegungen des Clemens von Alexandrien und des Basilius zielen bei náherer Betrachtung auf dasselbe: Durch das Tischgebet soll die alltägliche Handlung der Mahlzeit in den Dienst des einen Gottes gestellt werden. Diesem Gedanken trágt auch der Dichter Prudentius Rechnung, wenn er die Tischgebete Ante und Post cibum in den Zyklus der Stundenlieder einreiht.
?
Vgl. dazu oben S. 4.
20
A. Einleitung
IV. Das Metrum des Hymnus Ante cibum Das dritte Tageslied des Prudentius besteht aus 205 daktylischen Versen, die auf
4] fünfzeilige Strophen verteilt sind. Sowohl die Wahl des VersmaBes als auch die Art der Strophenbildung haben Auswirkungen auf Sprache und Struktur des Gedichts und sollen daher im folgenden genauer betrachtet werden. Die Bildung von Strophen ist kennzeichnend für die lyrische Dichtung des Prudentius wie für die Lyrik der griechisch-rómischen Antike allgemein. Prudentius
bildet aus stichischen Maßen drei-, vier- und fünfzeilige Strophen”, dabei unterscheidet er sich in der Strenge und Eindeutigkeit der Strophierung deutlich von seinem klassischen Vorbild, dem poeta lyricus Horaz. Denn die Einteilung bei
Prudentius ist im Unterschied zu der für Horaz postulierten Vierzeiligkeit der Strophen ganz unzweifelhaft”. Schon in den beiden spätantiken Codices sind die Strophen durch Ekthesis der jeweils ersten Strophenzeile im Schriftbild sichtbar
gemacht. In der Klarheit der Strophengliederung steht Prudentius in der Tradition der Mailänder Hymnodik. Die Hymnen, die der Bischof Ambrosius i. J. 386 in Mailand einführte, waren zum Gesang der Gemeinde in der Basilika bestimmt, und zwar wahrscheinlich für den Wechselgesang zweier Chóre?. Die Verwendung
stichischer Folgen (iambischer Dimeter) in vierzeiliger Strophenform erwies sich dabei als zweckmäßig für den antiphonischen Volksgesang”. In der Koinzidenz der syntaktischen und der metrischen Struktur (der Vers bietet häufig eine grammatische Einheit, der Doppelvers und die Strophe bilden Sinnabschnitte) liegt neben dem geringen Umfang der Verse (acht Strophen à vier Verse), dem einfachen Rhythmus (Isosyllabismus) und dem háufigen Zusammenfall von Vers- und Wortakzent auch einer der Gründe für den Erfolg der ambrosianischen Hymnodie im
Vergleich zu den klassisch gebauten Liedern des Hilarius von Poitiers”. Prudentius übernimmt die für das christliche Gemeindelied entwickelte Form für sein Kunstlied”, das dadurch von dem klassischen horazischen Kunstlied deutlich geschieden
ist. Wührend Horaz dazu tendiert, Sátze und Satzglieder über die Versgrenzen hinweg weiterzuführen, und auch des ófteren Enjambement über die Strophengrenze
?
Vgl. Bohnenkamp, 347.
?*
Vgl. dagegen den Streit um die Lex Meinekiana, das Gesetz der Vierzeilenstropbe bei Horaz, dazu Bohnenkamp, passim. Als Ergebnis seiner Analyse hält Bohnenkamp, 320, fest, Horaz habe neben vierzeiligen auch zwei- und dreizeilige Strophen gebaut. Vgl. Fontaine, Hymnes, 21; Gnilka, Prud. II, 406, mit A. 172. Zum antiphonischen Gesang im allgemeinen vgl. Gnilka, ebd., 187/91. Das gilt unabhängig davon, ob der Wechsel von Vers zu Vers oder von Strophe zu Strophe erfolgte. Für erstere Möglichkeit plädiert Gnilka, Prud. II, 406, A. 172, gerade mit Blick auf die Nachahmung durch Prudentius. Den Erfolg der Hymnen konstatiert Ambrosius selbst in der Predigt Contra Auxentium (epist. 75a [21a], 34, 422/8), dazu Fontaine, Hymnes, 22. Vgl. Gnilka, Prud. II, 406.
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IV. Metrum des Hymnus
21
hinaus zuläßt oder aus stilistischen Gründen erstrebt?,, bildet die prudentianische Strophe eine Sinnstrophe, d. h. eine syntaktisch und inhaltlich abgeschlossene Einheit. Regelmäßig fallen Vers- und Kolonende, Strophen- und Satzende zusammen'9?, Die aus der liturgischen Funktion abgeleitete Technik der ambrosianischen Hymnodie wird von Prudentius zu einem Kunstprinzip erhoben. Die Strophierung nach dem Sinn ermóglicht — wie in unserem Gedicht deutlich sichtbar — den klaren und ausgewogenen Aufbau der prudentianischen Hymnen, die an Umfang das MaB
der klassischen Oden ebenso wie das der normierten ambrosianischen Lieder weit überschreiten. Kennzeichnend ist das Arrangement von Strophenpaaren und Strophentriaden sowie die Anordnung inhaltlich und formal korrespondierender
Strophengruppen'?!, so daß die Mikrostruktur des einzelnen Gedichts in seinen symmetrischen und paarweisen Bezügen der Makrostruktur des Buches vergleichbar ist!'?. Für die metrische Einzelanalyse sind die Stellen beachtenswert, an denen
der Dichter von der Regel, daß Versende zugleich Kolonende bedeutet, abweicht. Das ist z. B. der Fall in cath. 3, 28/29 und cath. 3, 111/112, wo wiederum die durch Hyperbaton getrennten Wörter durch Endstellung im Vers verbunden sind (dactylico ... strophio, indocile ... ingenium), also eine versübergreifende Klammer eingesetzt wird. In cath. 3, 28f. wirkt zudem der Reim bindend, wie etwa auch in cath. 3,
108/9 (aspera mortifero ... poma veto). Für den Hymnus Ante cibum hat Prudentius das seltene Versmaß des katalektischen daktylischen Tetrameters in syllabam gewählt. Von Horaz wird das Vers-
maß in stichischer Komposition nicht verwendet. Horaz hat den katalektischen daktylischen Tetrameter in bisyllabum (mit zweisilbiger Endung), aber nur in Ver-
bindung mit daktylischen Hexametern (z. B. carm. 1, 7; 28; epod. 12), Die stichische Komposition des daktylischen Tetrameters (catalecticus in syllabam)
findet sich sonst nur bei Septimius Serenus frg. 10 und 11 (386 Bährens) sowie bei
Ausonius in zwei Stücken (parent. 28 und epigr. 89)'*. Prudentius gebraucht den 9? Bohnenkamp, 22f.; 151/71. !9 Vgl. Bohnenkamp, 346/50; s. auch Gnilka, Seide und Rosenöl, 178. Das Prinzip der Sinnstrophe blieb für die lateinische Dichtung überhaupt bis ins Mittelalter maBgebend, Bohnenkamp, 346.
101 S. unten S. 23 die schematische Übersicht über den Aufbau des Hymnus Ante cibum. Toohey, 139, spricht von der Lyrik des Prudentius als „stanzaic poetry", er verkennt aber die Unterschiede zur strophischen Anlage der archaisch-klassischen Dichtung (Sappho, Pindar, Horaz), vgl. dens., 150. Die Hymnen des Prudentius sind dem Umfang und der Strophenbildung nach gerade nicht klassisch zu nennen.
'? Dazu 5. oben Kapitel II. b. 1? Tetrameter mit dreisilbigem letzten Metron finden außer bei Boethius (cons. 1, 3) sonst nur in stichischer Folge Verwendung, z. B. Sen. Oed. 449-465; Her. Oet. 1947/62. 1* Vg]. Charlet, création, 27. Daß Prudentius das Versmaf aus dem Agatha-Hymnus des Damasus entlehnt habe (so E. Faguet, De Aurelio Prudcntii Clementis carminibus lyricis. Paris 1883, 127), weist Charlet, ebd., zurück mit Hinweis auf die Zweifel an der Echtheit des Hymnus
(vgl. Ferrua, A., Epigrammata Damasiana. Rom 1942, 11).
22
A. Einleitung
daktylischen Tetrameter (catalecticus in syllabam) noch für den dritten Märtyrer-
hymnus, den Hymnus auf Eulalia'®. Charakteristisch für Prudentius ist die Bildung reiner Tetrameter. Im Unterschied zu Horaz, der Spondeen anstelle des ersten, zweiten und sogar einmal des dritten Daktylus zuläßt!®, kann bei Prudentius nie an die Stelle der beiden Doppelkürzen eine lange Silbe treten. Dadurch wird erreicht, daB die Silbenzahl pro Vers immer gleich bleibt. Isosyllabismus erstrebt auch die ambrosianische Hymnendichtung, da der so bewirkte einfache Rhythmus die Eingüngigkeit der Lieder fördert. Im dritten Tageslied des Prudentius, das an Lünge die ambrosianischen Hymnen weit übertrifft (205 gegen 32 Verse), wird aus dem Isosyllabismus ein Kunstprinzip, das dem Dichter hóchste technische Finesse abverlangt. Das Streben nach gleicher
Silbenzahl für jeden Vers bedeutet, daß in dem ganzen Gedicht der Spondeus ausgeschlossen ist, was wiederum Konsequenzen für den Sprachgebrauch hat. Der
Dichter benutzt nur Wörter, in denen kein Spondeus vorkommt, und vermeidet zudem Spondeus durch Positionslünge. Dieses metrische Grundprinzip ist auch der Grund für viele hochpoetische Neubildungen bzw. für die Verwendung zahlreicher vier- und fünfsilbiger Wörter, vgl. z. B. lucisator (V. 1), omniparens, verbigena (V. 2), salutiferam (V. 7), plumigeram (VW. 44), fluctivagos (V. 46), vulnifico (V. 49), aristiferae (V. 52), christicolis (V. 56), multimodo (V. 64), pomiferi (V. 76), frondicomis (V. 102), multicolora (V. 104), quadrifluo (V. 105), mortifero (V. 108), mirifica (V. 161), horrificis (V. 181), redivivus (V. 204). In Bildungen dieser Art treffen sich metrische Bequemlichkeit und Stilhóhe. Auch der Schlu& des katalektischen Tetrameters, bei dem auf den dritten Daktylus noch eine — im Grunde immer lange - Silbe folgt, erklärt eine Besonderheit des Sprachgebrauchs in diesem Gedicht. Häufig bilden nämlich choriambische Wörter den VersschluB, z. B. lucisator (V. 1), verbigena (V. 2), virgineo (V. 3), intuitu (V. 6), inradia (V. 8), adpetere (V. 12), inbuerit (V. 14), ambrosius (V. 23), dactylico (V. 28), indigena (V. 32), obsequium (V. 33). Die Vorliebe des Dichters für Deminutiva mag sich daraus ableiten, vgl. z. B. candidulo (V. 157) anstelle von bedeutungsgleichem candido. Zu vigor igneolus (V. 186) s. unten S. 239 zur Stelle.
"5 Vergleichbare gesuchte Metra hat Prudentius im katalektischen anapästischen Dimeter in syllabam (cath. 10) und im katalektischen jambischen Dimeter (cath. 6). !% Crusius, 61; Halpom/Ostwald, 25.
V. Aufbau des Hymnus
V. Der Aufbau des Hymnus Ante cibum A.
Str. 1-5)
SEGENSBITTE (V. 1-25) 1-3) Christus-Annuf (V. 1-15) 4-5) Vergeistlichung des Mahls (V. 16-25)
B.
Str. 6-19)
I. HAuPrTTEIL: LoBPREIS DER SCHÓPFUNGSGABEN (V. 26-95) 6-8) Proómium: Dichtung als Gotteslob (V. 26-40) 9-]1) Lobpreis der Gaben aus (V. 41-55) 9) Luft 10) Wasser 11) Land 12-13) Paränese: Verbot des Fleischessens (V. 56-65) 14-16) Die kostbaren Gaben (V. 66-80) 14) Käse 15) Honig 16) Obst 17-19) Schluß: Dichtung als Gotteslob (V. 81-95)
C.
Str. 20-34)
IL HAUPTTEIL: ERZAHLUNG DER MENSCHHEITSGESCHICHTE (V. 96-170) 20) Erschaffung des Menschen (V. 96-100) 21-27)
Urstand und Fall des Menschen (V. 101-135)
28-29)
21) Das Paradies 22) Gottes Gebot 23) Die Verführung durch die Schlange 24) Auftreten der Scham 25) Bestrafung der Stammeltern 27) Depravation der Nachkommenschaft Der zweite Adam Lobpreis auf den inkarnierten, göttlichen Erlöser (V. 136-145) Die jungfrüuliche Gottesmutter als Schlangentreterin (V. 146-155) Die Entmachtung des Bósen im Bild des Tierfriedens (V. 156-170)
30-31) 32-34)
D.
Str. 35-41)
Scuruss (V. 171-205) 35-37)
Parünetischer SchluBteil: Mahnung zum Maßhalten beim Essen (V. 171-185)
38-41)
Dogmatischer SchluBteil: Die christliche Auferstehungslehre (V. 186-205)
23
24
A. Einleitung
Der Hymnus Ante cibum besteht aus vier Teilen, insofern Einleitung und Schluß zwei in Bau und Thematik deutlich unterschiedene Hauptteile'" umrahmen. Eine Einleitung in fünf Strophen begründet mit der Bitte um den Tischsegen den Gebets-
charakter des Gedichts (Str. 1-5). Es folgt ein durch Proómium und Peroratio als in sich geschlossener Abschnitt gekennzeichnetes Loblied auf die reichen und vielfältigen Gaben, die der Schöpfer den Menschen als Nahrung gewährt (Str. 6-19). Proömium und Schluß dieser Partie korrespondieren in der poetologischen Betrachtung und begründen zugleich den Gegenstand der vorliegenden Darstellung:
Der Zweck christlicher Dichtung ist das Gotteslob, das einen angemessenen Ausdruck in der Form des Gabenpreises findet. Das Preislied als ganzes umfaßt vierzehn Strophen und ist klar gegliedert, so daß ein symmetrischer Bau sichtbar wird. Je zwei Strophentriaden, gebildet aus dem poetologischen Rahmen und dem
eigentlichen Enkomion, umschließen ein paränetisches Mittelstück von zwei Strophen, in denen der Dichter zur Abstinenz von Fleisch auffordert. Innerhalb des Gabenpreises selbst ist je eine Strophe einem bestimmten Bereich des menschlichen Nahrungserwerbs (Str. 9-11) bzw. der Beschreibung einzelner Gaben (Str. 14-16) gewidmet. Der Ringkomposition des ersten Teils'® steht die chronologisch geordnete Darstellung der Heilsgeschichte im zweiten Teil gegenüber. Beginn und Ende des zweiten Hauptteils kennzeichnen Apostrophen an Gott (V. 96) und an Christus (V. 166), wobei der abschließende Gebetsanruf an Christus, der eine ganze Strophe umfaßt, einen besonders starken Einschnitt bedeutet. Der Umfang des nicht unzu-
treffend als „Schöpfungslied‘“'! bezeichneten Teils entspricht mit vierzehn Strophen
'? Pellegrino, Innologia II, 68f., unterscheidet zwei Teile und stellt richtig die Zäsur nach V. 96
fest (nach Auskunft Charlets, création, 28f., dem das Buch vorlag). Charlet, création, 27/9, unterscheidet im dritten Tageslied fünf Teile, wie er überhaupt die Fünfteilung als allgemeines Kompositionsprinzip für die Hymnen Cathemerinon postuliert (s. unten S. 26; vgl. dazu die
Kritik von Gnilka, Rez. zu Charlet, 300f.). Charlets Gliederung verwischt in unserem Hymnus die Einschnitte, die der Dichter selbst — etwa durch Apostrophen - gesetzt hat. In der Hauptsache übersieht er die rahmende Funktion der poetologischen Aussagen im ersten Hauptteil. Die Neuansätze liegen in der Folge für ihn schon bei V. 16 („th&me moral et descripüf") bzw. V. 81 (récit biblique"), vgl. Charlet, création, 28. Auf die Zahl von fünf Teilen kommt
Charlet, indem er die beiden Schlußteile als je eigenständigen Abschnitt wertet. Zur problematischen, weil inflationären Verwendung des Begriffs 'Teil' („partie“) durch Charlet s. Gnilka, Rez. zu Charlet, 300. !* Zum konzentrischen Aufbau einzelner Gedichte des Prudentius s. Toohey, passim. Die Bedeutung der Ringkomposition für das lyrische Werk des Prudentius bzw. für das Buch Carthemerinon betonen Ludwig, 361, und Charlet, création, 59; zur Ringkomposition als Zug des Einzelgedichts s. Charlet, création, 65 (dazu unten S. 26); Evenepoel, liber Cathemerinon, 142f. !'9 Zur gliedernden Funktion der Anreden und Gebetsanrufe in den Tagesliedern s. Gnilka, Rez. zu Charlet, 300; Toohey, 140, A. 12. '? Den Begriff prägt Rodriguez-Herrera, 37.
V. Aufbau des Hymnus
25
dem des Gabenpreises!!!. Bei aller Ausgewogenheit der Proportion vermeidet der Dichter aber jeden Schematismus der Darstellung'"?. Während die Zugehörigkeit des Gabenpreises zur Gattung ‘Tischgebet’ unzweifelhaft ist, so sehen viele Interpreten offensichtlich ein Problem darin, den heilsgeschichtlichen Abschnitt mit der Mahlzeitthematik zu verbinden. Bezeichnend
ist Charlets Rede von der „Episode biblique" bzw. „Episode narratif““'?, die seine These von den für Prudentius typischen Einlagen biblischer Erzählungen spiegelt!'*. Auch Herzog konstatiert den „scheinbar abschweifenden“ Charakter der biblischen
Erzáhlung!5. Bei der Darstellung der Heilsgeschichte handelt es sich aber nicht um eine bloße Einlage oder gar einen Exkurs zur eigentlichen Mahlzeitthematik. Der Dichter schließt seine Ausführungen vielmehr eng an die Gedanken des ersten Teils an. Indem er nämlich, ausgehend von Genesis 2f., über die Heilstaten Gottes am Menschen berichtet, liefert er ein weiteres Argument für die Verpflichtung des Menschen zum Gotteslob. Der logische Anschluß ist in igitur, ‘denn’, greifbar (V. 96). Prudentius lobt den Schöpfer im folgenden dadurch, daß er das höchste Geschöpf, den Menschen, und Gottes Heilshandeln an ihm preist. Die Gedankenbewegung ist aus dem alltäglichen Tischgebet jüdischer und christlicher Provenienz bekannt: Der Lobpreis für die Nahrung, die Gott schenkt, öffnet den Blick für
weitere Wohltaten Gottes am Menschen!"‘. Es ist also nicht der Bibeltext, der sich hier quasi verselbstündigt und „selbst den Gedanken führt", sondern der Dichter legt in die Gestaltung des Genesisberichts eine bestimmte religióse Aussage. Herzog versucht, insbesondere die Sündenfallerzáhlung auf die Speisethematik, die im
ersten Teil des Liedes entfaltet wird, zurückzubeziehen, indem er im „Gebot Gottes, von dem Einen nicht zu essen," den „Angelpunkt der biblischen Partie in unserem Hymnus" sieht!'*, Richtig ist, daß die Paradieserzühlung sowohl die spirituelle als
auch die heilsgeschichtliche Dimension des Essens in den Blick rückt. Die Darstellung der ersten Sünde, die im Übertreten des Essensverbots bestand, bietet die theologische Grundlage für die zweifache Mahnung zum Maßhalten beim Essen,
die Prudentius in der Aufforderung zum Vegetarismus (Str. 12-13) und der allgemeinen Warnung vor der MaBlosigkeit im Essen (Str. 35-37) artikuliert. Der Schluß des Gedichts ist wieder thematisch zweigeteilt. Im ersten Teil führt der Dichter zum eigentlichen Anlaß des Vortischgebets zurück (Str. 35-37). Die Situation der Mahlzeit wird durch die Paränese zum Maßhalten erneut gegenwärtig
!!! Die Strophe 26 halte ich für interpoliert. Dazu unten S. 171-173. "2 Zur Struktur des zweiten Hauptteils s. auch unten die einleitenden Ausführungen S. 137. 185f. '5 Charlet, création, 162. 169. Vgl. auch Fontaine, Naissance, 186f. "4 Dazu Gnilka, Rez. zu Charlet, 303f. S. auch unten S. 26f. !5 !!é 17 '"
Herzog, 45. S. dazu oben zum 'Tischgebet' S. 12-19, bes. S. 19. So Herzog, 45. Herzog, 45.
26
A. Einleitung
gemacht und zugleich wird das Verhalten beim Essen in den gróBeren christlichen Kontext der Sündenabwehr gestellt. Den eigentlichen Schluß bildet eine lehrhafte Darstellung der christlichen Auferstehungslehre (Str. 38-41). Auch hier erfolgt der Übergang zwischen den formal und inhaltlich so verschiedenen Abschnitten nicht
abrupt, sondern wird durch die Verbindung von Sünden- und Todesthematik vorbereitet. Im Rahmen des übergreifenden Themas des dritten Hymnus, des Schópfer-
lobs, liefert der Dichter abschlieBend einen weiteren Beweis für den absoluten Heilswillen Gottes, der sein Geschópf auch im Tod nicht ohne Rettung zurückläßt!'?. Wie die Diskussion um die sogenannten 'narrativen Einlagen' zeigt, ist die Frage der Struktur der Tageslieder eng verbunden mit dem Phänomen der Gattungs-
mischung bei Prudentius. Mit den ‘epischen Erzählungen im lyrischen Gedicht" ?? greift Prudentius nach verbreiteter Auffassung ein Merkmal bestimmter horazischer Oden auf. Die These, die Charlet in extenso und mit Einschránkungen Lühken
u. a. vertreten, lautet: Wie Horaz in der Nachfolge Pindars mythische und historische
Exempla mit illustrierender Funktion in seine Oden eingebaut habe, so lege Prudentius biblische Erzühlungen in seine lyrischen Gedichte ein und entwickle
daraus die Kunst des ,,récit biblique“'?!. Dem Aufbauschema zufolge, das laut Charlet allen Tagesliedern zugrundeliegt, bildet eine biblische Szene den Kern des Hymnus, um den herum sich ringförmig die Elemente ‘geistliche Betrachtung’ und ‘Gebet’ gruppieren'?, Für Charlet begründet das Strukturelement der biblischen Einlagen geradezu die Originalität der prudentianischen Tageslieder im Vergleich zur christlichen Hymnodik des Ambrosius. Lühken sucht das Neue der erzählenden Passagen gegenüber Horaz zu bestimmen. Der Unterschied liegt für sie auBer in der Lünge und der zentralen Plazierung der Erzühlungen vor allem in der allegorischen Auslegung des Bibeltextes. Durch die Einbettung in eine allegorische Interpretation würden die Bibelepisoden „nicht nur formal, sondern auch in inhaltlicher
Hinsicht der zentrale Bestandteil der Hymnen“'?. Gegen beide Forscher ist der Vorwurf der Vereinfachung, ja des Schematismus zu richten, da sie alle biblischen
Berichte mehr oder weniger undifferenziert zusammenfassen'”*. Dabei haben bei genauer Analyse die Bibel-Partien in den einzelnen Gedichten hóchst unterschiedliche Funktionen. Die zentrale Rolle der biblischen Berichte wiederum ist durch-
11% Zum Aufbau des Hymnus vgl. auch die allgemeinen Erörterungen zu einzelnen Abschnitten bzw. Strophengruppen 47f. 68. 86/89. 100. 115f. 127. 137. 185f. 213/216. 225f. 237. "79 Vgl. Lühken, 203/7. 121 Vgl. Fontaine, mélange, 763f.; dens., Naissance, 184; Charlet, création, 78/80; 89/205; Lühken, 203f. '2 Vg]. Charlet, création, 61/72; dens., Hymnendichtung, 527. Zur zentralen Stellung der biblischen Episode s. auch van Assendelft, 28; Fontaine, Naissance, 186; Toohey, 139f.; Lühken, 203f. '2 Lühken, 206. 7^ Zur Kritik an Charlets Gliederungen vgl. Gnilka, Rez. zu Charlet, 300f.; Lühken, 203, A. 47.
V. Aufbau des Hymnus
27
aus sachlich, nämlich religiös begründet. Für die Christen manifestiert sich in der Hl. Schrift der Wille Gottes, aus ihr zieht der christliche Dichter maßgebliche Lehren und verbindliche Beispiele zur Erbauung seiner gläubigen Leser. In cath. 7 wird so mit der Aufzählung biblischer Vorbilder für das Fasten eine regelrechte Exempla-Reihe geboten (cath. 7, 26-195). Die Beispiele aus der Hl. Schrift, die in dem Vorbild, das der Heiland selbst gibt, kulminieren, führen das Fasten auf den
Plan und den Heilswillen Gottes zurück'”. In cath. 3 und 9 haben die biblischen Erzählungen ihre Bedeutung im Rahmen eines Preisliedes. Die Darstellung der gesta Christi insignia (cath. 9, 2), die den Gegenstand des neunten Tagesliedes bildet, ist vergleichbar mit dem preisenden Bericht der mirabilia dei, der Erzählung von Schöpfung und Neuschöpfung des Menschen durch Gott, im vorliegenden Gedicht (cath. 3, 96-170). In beiden Fällen vermitteln die biblischen Szenen -auch ohne allegorischen Überbau - Heilstatsachen bzw. theologische Aussagen
über den Sohn Gottes und über die Geschichte Gottes mit den Menschen. In cath. 3 hat die Erzählung des Paradiesgeschehens (cath. 3, 96-135) daher einen durchaus selbständigen Zweck im Rahmen des Schöpfungsliedes. Wenn im Anschluß eine typologische Auslegung folgt, so bringt sie einen neuen Aspekt der Heilsgeschichte vor, nämlich die Erlösung des gefallenen Menschen und die Überwindung Satans mit Hilfe der Gottesmutter. Den Gegenstand und Kern einer allegorischen Interpretation im Sinne Lühkens bildet bei genauerer Betrachtung eigentlich nur die Erzählung von Daniel in der Löwengrube im vierten Tageslied (cath. 4, 37-42)'%,
Auf kompositorischer Ebene kann beim Hymnus Ante cibum, der mit dem Gabenpreis und dem Schöpfungslied zwei gleichgewichtige Hauptteile aufweist, von
einem biblischen Kern oder gar einer biblischen Episode als „Gravitationszentrum"''?' der Darstellung nicht die Rede sein. Die Erzählung vom Sündenfall bildet hier den ersten Abschnitt des zweiten Hauptteils, der als ganzer narrative und lehrhafte Züge trägt. In diesem Zusammenhang erweist sich auch die einfache Gleichsetzung der Begriffe ‘biblisch’, ‘narrativ’ und ‘episch’ als problematisch!?. Denn gerade im heilsgeschichtlichen Teil des Tischgebets zeigt sich, daB neben erzählenden auch exegetische und lehrhafte Ausführungen zur lyrischen Darstellung biblischer Aussagen gehóren kónnen (vgl. bes. cath. 3, 136-155). Im Christushymnus cath. 9 sind die biblischen Szenen, die die Wundertaten des Sohnes Gottes darstellen,
nicht 'episch', sondern epigrammatisch knapp und mit Konzentration auf das
5 Zum Unterschied zwischen den biblischen, für den Christen realen und verbindlichen Exempla und den rhetorischen Exempla der antiken Redelehre vgl. Gnilka, Rez. zu Charlet, 303f. Zum siebten Tageslied s. Habermehl, passim. "$ Bezeichnenderweise ist in diesem Gedicht auch die von Toohey postulierte Ringkomposition am deutlichsten greifbar, vgl. Toohey, 139/41. '" V. Albrecht, Geschichte der römischen Literatur II, 1080. 73 Vgl. Lühken, 91, A. 185; 203.
28
A. Einleitung
Wesentliche gestaltet und darin den Tituli des Prudentius vergleichbar. Eine epische Tonlage weist andererseits auch der lyrische Gabenpreis auf, der den ersten Teil des Tischgebets konstituiert. Das epische Wortmaterial garantiert hier eine gewisse Stilhöhe des Hymnus, ohne daß die Gattungsgrenze der Lyrik durchbrochen wird. Speziell im vorliegenden Gedicht darf nicht übersehen werden, daß das epische Kolorit im Sprachgebrauch auch auf das Metrum zurückgeführt werden kann. Das daktylische Versmaß bedingt den Rückgriff auf episches Vokabular, ohne daß explizite verbale oder motivische Bezüge zum Epos angenommen werden müssen. Aber auch bei kritischer Durchsicht der von Charlet u. a. gesammelten Stellen gilt'?: Für das Phänomen der Gattungsmischung liefert der Hymnus Ante cibum des Prudentius zahlreiche Beispiele. Prudentius nutzt Bukolisches im lyrischen Gabenpreis, Episches und Lehrhaftes im lyrischen Schópfungslied sowie im Auf-
erstehungslied!?, Dabei darf aber die Gattungskreuzung bei Prudentius nicht auf eine rein literarische Intention und Wirkung reduziert werden'?'. So verfährt etwa Fontaine, wenn er die schópferische Umgestaltung der Gattungen durch Prudentius einordnet in den ProzeB der Verschmelzung von Stil- und Gattungskonventionen, der für die gesamte, auch pagane Literatur der Spätantike charakteristisch ist!??, Prudentius hat aber kein ästhetisches, sondern ein religiós-didaktisches Anliegen. Der christliche Dichter greift das — sei es spezifisch spätantike oder gleichsam universale!? — literarische Mittel der Gattungskreuzung auf und setzt es zu neuen, christlichen Zwecken ein. Elemente des Epos und der Bukolik dienen der preisenden Darstellung der Schópfungsgaben Gottes, Elemente des Lehrgedichts stützen die dogmatische Unterweisung in den Heilstatsachen der christlichen Lehre, Mittel der philosophischen Diatribe dienen zur moralischen Belehrung der Christen.
9» S. etwa Charlet, culture, 447f., dazu unten S. 93 den Kommentar zu Str. 10.
13 "P! 3? 9?
S. unten den Kommentar zu Str. 9/16; 20/34; 38/41. Vgl. Lühken, 206f. Zum ,baroquisme" des Prudentius s. Fontaine, mélange, 758. 775. Zu bedenken ist, daB die narrative Darstellung generell schon als Form des lyrischen Sprechens aufgefaßt werden kann. Grundsätzlich dazu Kayser, Kunstwerk, 339, der eine „epische Haltung innerhalb des Lyrischen“ erkennt und sie als „iyrisches Nennen“ bezeichnet. Ähnliches deutet auch Fontaine mit seinem Hinweis auf die „diversit& des situations lyriques" an (Fontaine,
mélange, 761).
B. Text und Übersetzung
30
B. Text und Übersetzung
B. Text! Hymnus Ante Cibum 1
O crucifer bone, lucisator, omniparens pie, uerbigena,
edite corpore uirgineo, sed prius in genitore potens, 5 X astra, solum, mare quam fierent! 2
10
Huc nitido, precor, intuitu flecte salutiferam faciem fronte serenus et inradia, nominis ut sub honore tui has epulas liceat capere!
15
Te sine dulce nihil, domine, nec iuuat ore quid adpetere, pocula ni prius atque cibos, Christe, tuus fauor inbuerit omnia sanctificante fide.
3
4
Fercula nostra deum sapiant, Christus et influat in pateras,
seria, ludicra, uerba, iocos, 20
᾿ς
denique, quod sumus aut agimus, trina superne regat pietas.
Bergman, CSEL 61, 13-20. Folgende Stellen werden im Kommentar kritisch besprochen: 3, 2 (omniparens); 3, 4 (potens); 3, 18 (verba); 3, 56-75; 3, 96 (sancte); 3, 100; 3, 130 (suspicit); 3, 138 (prius); 3, 142 (quam). An zwei Stellen weiche ich von Bergmans Text ab:
3, 138 setze ich prior statt prius; die Strophe 26 (3, 126-130) ist unecht und wird von mir athetiert.
V. 1-20
Übersetzung Hymnus *Vor dem Essen' O guter Kreuzträger, Lichtbringer, gütiger Allvater, durch das Wort Geborener,
dem Kórper der Jungfrau entsprossen, aber zuvor schon im Vater mächtig,
bevor Sterne, Erde und Meer geschaffen wurden!
Hierher, bitte ich, wende mit strahlendem Blick
dein heilbringendes Antlitz
10
und sende von heiterer Stirn dein Leuchten, damit wir zu Ehren deines Namens dieses Mahl einnehmen dürfen! Denn ohne Dich ist nichts süB, o Herr,
und kein Trank und keine Speise erfreut uns durch ihren Geschmack, wenn nicht zuvor, Christus, deine Gnade sie erfüllt hat, 15
alles nämlich heiligt der Glaube an Dich.
Unsere Speisen sollen nach Gott schmecken, und Christus möge in unsere Schalen fließen,
20
Ernsthaftes und Kurzweiliges, Worte und Späße, kurz, alles was wir sind und tun, möge die Güte des dreieinigen Gottes in der Höhe lenken.
31
B. Text und Übersetzung
32
Hic mihi nulla rosae spolia, nullus aromate fraglat odor, sed liquor influit ambrosius
nectareamque fidem redolet fusus ab usque patris gremio. Sperne, camena, leues hederas,
cingere tempora quis solita es, sertaque mystica dactylico texere docta liga strofio laude dei redimita comas!
35
Quod generosa potest anima, lucis et aetheris indigena, soluere dignius obsequium, quam data munera si recinat artificem modulata suum? Ipse homini quia cuncta dedit,
quae capimus dominante manu, quae polus aut humus aut pelagus aére, gurgite, rure creant, haec mihi subdidit et sibi me.
Callidus inlaqueat uolucres aut pedicis dolus aut maculis, inlita glutine corticeo
uimina plumigeram seriem 45
inpediunt et abire uetant. Ecce per aequora fluctiuagos texta greges sinuosa trahunt,
10
piscis item sequitur calamum 50
raptus acumine uulnifico, credula saucius ora cibo.
V. 21-50
Hier erfüllt kein Duft von Rosenól, kein Duft von Salból den Raum, sondern ambrosischer Wohlgeruch verstrómt den Nektarduft des Glaubens mitten aus dem Schoß des Vaters.
Verschmähe, o Muse, den leichten Efeu, mit dem du deine Schlüfen zu umwinden pflegst, und binde mystische Krünze, die du
zu flechten weißt, mit einem Band aus Daktylen, das Haar umwunden mit dem Lobpreis Gottes! Welchen würdigeren Dienst kann die edle Seele,
die aus dem Licht und dem Áther stammt, einlósen, als daB sie die Gaben, 35
die ihr geschenkt, besingt, und so ihren Schöpfer preist? Denn er war es, der dem Menschen alles gab, was wir mit herrscherlicher Hand ergreifen;
was Himmel, Erde oder Meer in der Luft, im Wasser und auf dem Land hervorbringen, das hat er mir untertan gemacht und sich mich. Schlaue List fängt Vögel mit Schlingen oder Maschen,
Ruten, mit Leim aus Korkrinde bestrichen, halten die gefiederte Reihe gefangen 45
10
und hindern sie, davon zu fliegen.
Siehe, durchs Wasser schleppen bauschige Netze die Schwärme, die sich in den Fluten tummeln,
auch folgt der Fisch der Angelrute, hinweggerissen vom wundenreißenden Haken,
blutend am Maul, das leichtgläubig den Köder geschluckt.
33
B. Text und Übersetzung
34
Fundit opes ager ingenuas dives aristiferae segetis, hic ubi uitea pampineo
11
55
bracchia palmite luxuriant, pacis alumna ubi baca uiret.
12
Haec opulentia christicolis seruit et omnia subpeditat; absit enim procul illa famis, caedibus ut pecudum libeat sanguineas lacerare dapes!
13
Sint fera gentibus indomitis prandia de nece quadrupedum, nos holeris coma, nos siliqua 65
feta legumine multimodo pauerit innocuis epulis. Spumea mulctra gerunt niueos
14
ubere de gemino latices perque coagula densa liquor
in solidum coit et fragili 70
Mella recens mihi Cecropia
15
75
16
lac tenerum premitur calatho.
nectare sudat olente fauus; haec opifex apis aério rore liquat tenuique thymo nexilis inscia conubii. Hinc quoque pomiferi nemoris
munera mitia proueniunt; arbor onus tremefacta suum deciduo grauis imbre pluit puniceosque iacit cumulos.
V. 51-80
Der Acker ergieBt in Fülle seine Früchte, reich an ährentragender Saat,
l
hier, wo auch Weinranken üppig wachsen 55
am schwellenden Weinstock, wo die Olive grünt, der Zögling des Friedens.
Dieser Reichtum dient den Christen
12
und gewährt ihnen alles Notwendige; fern sei nämlich jene Gier, daß es gefällt, nach dem Morden von Vieh blutige Nahrung zu zerreißen! 13
Laßt den wilden Heiden die barbarischen Mahlzeiten, die durch den Tod vierfüßiger Tiere bereitet werden, uns mögen Kohlblätter, uns mit mannigfacher Hülsenfrucht gefüllte Schoten nähren — eine unschuldige Speise.
14
Schäumende Eimer stehen gefüllt mit schneeweißer Milch aus zweifachen Zitzen, durch das Lab gerinnt die Flüssigkeit und wird fest, und die weiche Masse wird dann 70
im zerbrechlichen Korb gepreßt.
75
Cecropischen Honig schwitzt für mich, nach Nektar duftend, die frisch geerntete Wabe aus; den stellt die arbeitsame Biene her aus Himmelstau und zartem Thymian, sie, die den Bund der Ehe nicht kennt.
15
16
Daher kommen auch die süßen Gaben des fruchtbaren Obstgartens; der schwertragende Baum, in seiner Last erschüttert, läßt das Obst herabregnen und häuft so
rotleuchtende Apfelberge auf.
35
B. Text und Übersetzung
36
Quae ueterum tuba quaeue lyra
17
flatibus inclyta uel fidibus diuitis omnipotentis opus,
quaeque fruenda patent homini, 85
18
laudibus aequiperare queat? Te, pater optime, mane nouo, solis et orbita cum media est,
te quoque luce sub occidua, sumere cum monet hora cibum,
nostra, deus, canet harmonia. 19
95
Quod calet halitus interior, corde quod abdita uena tremit, pulsat et incita quod resonam lingua sub ore latens caueam, laus superi patris esto mihi. Nos igitur tua, sancte, manus caespite conposuit madido effigiem meditata suam,
20
utque foret rata materies, 100
ore animam dedit ex proprio.
105
Tunc per amoena uirecta iubet frondicomis habitare locis, uer ubi perpetuum redolet prataque multicolora latex quadrifluo celer amne rigat.
21
*Haec tibi nunc famulentur’, ait;
22
*usibus omnia dedo tuis, sed tamen aspera mortifero stipite carpere poma ueto, 110
qui medio uiret in nemore'.
V. 81-110
Welche Tuba der Alten oder welche Leier,
17
berühmt durch ihr Spiel oder ihre Saiten, kónnte wohl das Werk des reichen Allmüchtigen
und all das, was dem Menschen zum Genuß 85
18
offen daliegt, durch Lobgesünge angemessen preisen? Dich, bester Vater, soll am frühen Morgen,
und wenn der Lauf der Sonne die Mitte erreicht hat, dich auch soll bei Sonnenuntergang, wenn die Stunde ruft, das Mahl einzunehmen,
unser Lied, o Gott, besingen.
Was mein Atem im Innern würrmt, was die Ader, im Herzen verborgen, zittert, was die bewegliche Zunge, im Mund versteckt,
19
95
gegen den Gaumen schlägt, so daß er ertönt, das soll mir Lob des Vaters im Himmel sein. Denn uns hat, Erhabener, Deine Hand
20
geformt aus feuchtem Erdboden,
100
wobei sie Deine Gestalt im Sinn hatte, und damit der Stoff vollkommen sei, hat Gott ihm aus eigenem Mund die Seele eingegeben. Dann läßt er den Menschen in lieblich grünenden Fluren
21
unter schattigem Laubwerk wohnen, wo ewiger Frühling seinen Duft verströmt, 105
und ein dahineilendes NaB bunte Wiesen tränkt aus vierarmigem Strom. ‘Dies alles soll dir nun dienen’, spricht er, ‘zu deinem Nutzen übergebe ich alles,
22
aber ich sage dir, pflücke nicht
die bitteren Apfel von dem todbringenden Baum, 110
der in der Mitte des Gartens wächst.’
37
B. Text und Übersetzung
38
Hic draco perfidus indocile
23
uirginis inlicit ingenium,
ut socium malesuada uirum 115
mandere cogeret ex uetitis ipsa pari peritura modo. Corpora mutua — nosse nefas —
24
post epulas inoperta uident, lubricus error et erubuit; 120
tegmina suta parant foliis, dedecus ut pudor occuleret.
Conscia culpa deum pauitans
25
sede pia procul exigitur;
innuba femina quae fuerat, 125
coniugis excipit imperium foedera tristia iussa pati. [Auctor et ipse doli coluber
26
plectitur inprobus, ut mulier
130
colla trilinguia calce terat; sic coluber muliebre solum suspicit atque uirum mulier.]
His ducibus uitiosa dehinc
27
135
posteritas ruit in facinus, dumque rudes imitatur auos, fasque nefasque simul glomerans inpia crimina morte luit.
V. 111-135
Da verführt die falsche Schlange die Jungfrau in ihrer Arglosigkeit,
23
daB sie ihrerseits mit üblem Rat ihren männlichen Gefährten 115
zwinge, von den verbotenen Früchten zu essen, mit der Folge, daß sie selbst wie er zugrunde gehen sollte. Nachdem die Menschen von der Frucht gegessen haben,
24
erkennen sie, als sie einander ansehen, daß sie nackt sind —
eine frevelhafte Erkenntnis -,
und sie schámten sich des Vergehens, das sie zu Fall gebracht
120
hatte; sie náhen daher Blätter zusammen und verschaffen sich einen Schutz, um mit ihrer Scham die Schande zu bedecken. Sich ihrer Schuld bewußt, fürchten sie Gott,
25
und werden aus dem heiligen Ort vertrieben;
125
die Frau, die unverheiratet gewesen war, wird der Herrschaft des Mannes unterworfen und muß nach Gottes Urteil fortan den harten Ehebund erleiden.
[Auch die Urheberin des Betrugs, die heimtückische
26
Schlange, wird bestraft: die Frau soll ihr den dreizüngigen Hals mit der Ferse zertreten; so sieht die Schlange über sich die FuBsohle der Frau, 130
und die Frau sieht über sich den Mann.]
135
Nach ihrem Vorbild stürzt sich von da an eine verderbte Nachkommenschaft ins Verbrechen, indem sie die noch unerfahrenen Ahnen nachahmt, hüuft sie Recht und Unrecht ohne Unterschied auf und büBt ihre ruchlosen Taten mit dem Tod.
27
39
B. Text und Übersetzung Ecce uenit noua progenies,
28
aethere proditus alter homo, non luteus, uelut ille prior, 140
sed deus ipse gerens hominem corporeisque carens uitiis.
145
Fit caro uiuida sermo patris, numine quam rutilante grauis non thalamo neque iure tori nec genialibus inlecebris intemerata puella parit.
29
Hoc odium uetus illud erat, hoc erat aspidis atque hominis
30
digladiabile discidium, 150
quod modo cernua femineis uipera proteritur pedibus.
Edere namque deum merita omnia uirgo uenena domat,
31
tractibus anguis inexplicitis uirus inerme piger reuomit 155
gramine concolor in uiridi. Quae feritas modo non trepidat
32
160
territa de grege candidulo? inpauidas lupus inter oues tristis obambulat et rabidum sanguinis inmemor os cohibet. Agnus enim uice mirifica
33
ecce leonibus imperitat exagitansque truces aquilas 165
per uaga nubila perque notos sidere lapsa columba fugat.
V. 136-165
Aber siehe, da kommt ein neuer Sproß,
28
aus dem Äther gesandt, ein zweiter Mensch,
nicht aus Lehm geschaffen wie jener frühere, sondern Gott selbst, der den Menschen angenommen hat,
aber frei ist von den Sünden des Leibes. Das Wort des Vaters wird lebendiges Fleisch, das, schwanger durch die Macht der feurig schimmernden
29
Gottheit, nicht durch Hochzeit noch durch Ehebund noch durch eheliche Verführungen, 145
30
die unberührte Jungfrau gebiert. Das war jener alte Haß,
jene tödliche Zwietracht
150
zwischen Schlange und Mensch, daß nun die Schlange mit dem Kopf am Boden liegt und von den Füßen der Frau zertreten wird. Denn sie, die würdig befunden wurde, Gott zu gebären,
31
die Jungfrau, bezwingt alles Gift. Die Schlange, unfähig, sich vorwärts zu rollen, speit kraftlos ihr unschädliches Gift, von 155
gleicher Farbe wie das grüne Gras, in dem sie liegt.
160
Welches wilde Tier zittert jetzt nicht, erschreckt durch die weiße Herde? Zwischen den unerschrockenen Schafen streift grimmig der Wolf umher und hält sein reißendes Maul geschlossen: Das Blut reizt ihn nicht mehr.
32
Denn - siehe da - in einem wunderbaren Tausch herrscht das Lamm über die Löwen, und die Taube,
33
sanft von den Sternen hinabgleitend, jagt die wilden Adler vor sich her, durch flüchtige Wolken und 165
wehende Winde, und treibt sie in die Flucht.
41
B. Text und Übersetzung
42
170
Tu mihi, Christe, columba potens, sanguine pasta cui cedit auis, tu niueus per ouile tuum agnus hiare lupum prohibes subiuga tigridis ora premens.
Da, locuples deus, hoc famulis
35
175
rite precantibus, ut tenui membra cibo recreata leuent neu piger inmodicis dapibus uiscera tenta grauet stomachus.
180
Haustus amarus abesto procul, ne libeat tetigisse manu exitiale quid aut uetitum; gustus et ipse modum teneat, sospitet ut iecur incolume.
36
Sit satis anguibus horrificis, liba quod inpia corporibus
37
a! miseram peperere necem;
sufficiat semel ob facinus 185
plasma dei potuisse mori. Oris opus, uigor igneolus non moritur, quia flante deo
38
conpositus superoque fluens 190
de solio patris artificis uim liquidae rationis habet. Viscera mortua quin etiam post obitum reparare datur eque suis iterum tumulis
39
prisca renascitur effigies 195
puluereo coeunte situ.
V. 166-195
Du bist mir, Christus, die mächtige Taube,
170
vor der der Vogel weicht, der sich von Blut náhrt, Du bist das schneeweiße Lamm, das in seinem Pferch den Wolf hindert, den Rachen aufzureißen, und zugleich legst Du dem Maul des Tigers die Zügel an und zähmst es. Gewähre, reicher Gott, dies Deinen Dienern, die Dich auf rechte Weise bitten, daß sie
35
ihre Glieder durch mäßige Kost erfrischen und stärken, 175
und nicht ein träger Magen durch unmäßige Speisen die Eingeweide dehnt und beschwert.
Fern von uns sei jeder bittere Genuß,
36
möge es uns nicht in den Sinn kommen, Verderbliches oder Verbotenes anzurühren; 180
der Geschmack selbst halte Maß, damit er unser Inneres unversehrt bewahre. Es sei genug für die greulichen Schlangen,
37
daB einst gottlose Speise den Menschen den — ach! -- elenden Tod brachte! Es móge genügen, daB einmal infolge seiner Sünde 185
Gottes Geschópf sterben konnte! Des góttlichen Mundes Werk, die feurige Kraft,
38
stirbt nicht, da sie, durch den Atem Gottes
geschaffen und strómend vom hohen Thron 190
des Vaters, des Schópfers im Himmel, das Wesen der klaren Vernunft besitzt. Ja, es wird sogar gewührt, daB totes Fleisch sich nach dem Hinscheiden wiederbelebt, und aus dem eigenen Grab ersteht die frühere Gestalt,
39
195
wenn der modernde Staub der Verwesung sich wieder zusammenfügt.
43
B. Text und Übersetzung
200
Credo equidem - neque uana fides — corpora uiuere more animae; nam modo corporeum memini de Flegetonte gradu facili ad superos remeasse deum. Spes eadem mea membra manet, quae redolentia funereo
4l
iussa quiescere sarcofago dux parili rediuiuus humo 205
ignea Christus ad astra uocat.
V. 196-205
Ich jedenfalls vertraue darauf — und das ist kein leerer Glaube -,
200
daB der Kórper lebt wie die Seele; denn ich weiß, daß gerade erst Gott in leiblicher Gestalt leichten Schritts vom Phlegeton zu den Oberen zurückgekehrt ist. Dieselbe Hoffnung erwartet meine Glieder,
41
die auf Christi GeheiB übel riechend im Sarg des Grabes ruhen, um dann von ihm, unserem Führer, der aus der gleichen Erde wiedererstand,
205
zu den feurigen Sternen gerufen zu werden.
45
C. Kommentar
I. Strophe 1-5. Segensbitte Der einleitende Teil, der die Strophen 1-5 umfaBt, evoziert in der Form des Gebets die Tischsituation, die den alltäglichen Anlaß für den Hymnus Ante cibum bildet. Er besteht aus einem Gebetshymnus an Christus im Du-Stil (Str. 1-3) und einem Gebet an die Heilige Dreifaltigkeit im Er-Stil (Str. 4-5). Den feierlichen Auftakt konstituiert der im hohen Stil gestaltete Hymnus an Christus, er gibt den Ton vor, in dem das Tischlied als ganzes gehalten ist. Prudentius hat hier die traditionelle
Form des ὕμνος κλητικός aufgenommen und auf einen neuen Zweck ausgerichtet. Nicht das Herbeirufen der Gottheit, die Bitte um ihr Erscheinen bei einem konkreten festlichen Anlaß, sondern die Bitte um gnädigen Segen für die alltäglichen Speisen und das alltägliche Tun der Mahlzeit sind Ziel des Anrufs (Bei Thraede, Hymnus,
940f., fehlt unter den Beispielen für den ‘christianisierten’ ὕμνος κλητικός gerade dieses.). Die allgemeine Definition des epikletischen Hymnus, wonach eine Gottheit angerufen wird, eine spezifische Bitte zu erfüllen, wird auch hier gewahrt. Geht es in den griechisch-rómischen Rufliedern kultischen Ursprungs aber in der Regel um die Epiphanie des Gottes an seinem Kultort oder zu seinem Fest — auch in den literarischen Ausformungen und Anwendungen ist der Epiphanie-Gedanke
greifbar, vgl. z. B. Catull. 61, 1/45; Hor. 1, 30; 4, 5, 1/8 -- so ist im christlichen Verstündnis die ' Ankunft' Christi auf das Offenbarungsgeschehen festgelegt. Ge-
meint ist die Erscheinung des wesentlich unsichtbaren Gottes in der Geschichte, dessen Ankunft sich in der Menschwerdung Christi einmalig ereignet hat (2 Tim. 1,10; 1 Tim. 3, 16; Tit. 3, 4) und dessen Parusie zum zukünftigen Gericht erwartet wird (1 Tim. 6, 14; Tit. 3, 13) (vgl. auch Baumstark, 118f.). Der christlich verwan-
delte Gebetsruf in den Hymnen des Prudentius zielt auf die reale, aber geistige Anwesenheit Christi, der durch seine segnende Macht einem - sei es alltäglichen oder festlichen — Tun des Menschen beistehen soll. Beispielhaft und unserer Bitte vergleichbar ist der Aufruf am Anfang des ersten Fastenhymnus, in dem Christi Beistand zum Fasten erfleht wird in der Weise, daB er seinen segnenden Blick auf dem Fest ruhen lasse, vgl. cath. 7, 1/5 O Nazarene, lux Bethlem, verbum patris, / quem partus alvi virginalis protulit, / adesto castis, Christe, parsimoniis / festumque nostrum rex serenus aspice, / ieiuniorum dum litamus victimam! Den Strophen 1-3 liegt das klassische Aufbauschema des Gebetshymnus zu-
grunde (vgl. jetzt den Überblick bei Fuhrer, 788/97; bes. 789; die Formelsprache des Hymnus erklürt grundlegend Norden, Agnostos Theos, 143/76; zur Unterscheidung von Hymnus und Gebet ist förderlich die Definition von Deichgräber,
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C. Kommentar
Gotteshymnus, 22/3). Die Strophenfolge ist klar gegliedert: Auf die invocatio Christi mit den Epiklesen im typischen Nominal- und Partizipialstil (Strophe 1) folgen die
precatio (vgl. precor, V. 6) in der zweiten Strophe und abschlieBend die Begründung der Bitte mit dem Hinweis auf die Macht Christi (spezielle Aretalogie) in der dritten Strophe. Die inhaltliche Verklammerung aller fünf Strophen ist durch den Segenswunsch für die Mahlzeit gegeben. Eine Fülle von Apostrophen verherrlicht
Christus als den Erlóser und Schópfer, den Spender alles Guten, um ihn vor dem Hintergrund seines Heilswirkens in der Geschichte um den Segen für die aufgetragenen Speisen zu bitten (V. 10 has epulas). Der Preis der Macht Christi unterstreicht die Inständigkeit der Bitte: nur Christus, der Herr, hat die Macht, durch
seine Gnade der Speise ihre wahre, geistige Süße zu verleihen. In der vierten Stro-
phe wird der zuvor nur an Christus adressierte Segenswunsch an die Heilige Dreifaltigkeit insgesamt gerichtet, er bezieht einen weiteren Aspekt der Mahlzeit mit ein — das Gespräch, die Unterhaltung bei Tisch — und mündet in der allgemeinen
Bitte, das ganze Leben unter die Lenkung des dreifaltigen Gottes zu stellen. Die Ausweitung vom Essen auf alles Tun erfolgt nach 1 Kor. 10, 31 (‘Ob ihr also eDt oder trinkt oder etwas anderes tut: tut alles zur Verherrlichung Gottes!’), vgl. auch
Kol. 3, 17. An die Stelle der materiellen Duftbeigaben zum heidnischen Gastmahl soll schlieBlich der himmlische Wohlgeruch des Glaubens treten. Das theologische Konzept, das dem Gebet cath. 3, 1-25 zugrunde liegt, formt der Dichter am Ende des zweiten Fastenhymnus zu einer kleinen 'Segenslehre' aus, vg]. cath. 8, 69/76 Sufficit, quidquid facias, vocato / numinis nutu prius inchoare, / sive tu mensam renuas cibumve / sumere temptes. / Adnuit dexter deus et secundo / prosperat vultu, velut hoc salubre / fidimus nobis fore, quod dicatas / carpimus escas. Das allgemeine Gebot, sich dem Willen Gottes zu unterwerfen, wird nach dem Vorbild von 1 Kor. 10, 31 aufgegliedert und auf die Akte des Fastens und des
Essens angewandt. In der Bitte um den würdigen, heilbringenden GenuB der Speisen führt Prudentius die Momente des Speisens und der Enthaltung von Speise zusammen. Da dem Verzicht auf Speise eine natürliche Grenze gesetzt ist (cath. 8, 59/68), kehrt der Fastenhymnus gleichsam notwendig zurück zur Vorstellung des gesegneten Mahls. Gottes wohlwollender Blick bzw. Wink bewirkt demnach die Heiligung der Speisen, der Segen Gottes und der Glaube der Bittenden an seine heilbringende Wirkung entsprechen einander. Auf kompositioneller Ebene bildet das Segensmotiv den Rahmen für die beiden Paare der Tisch- und Fastengebete (cath. 3 und 4, 7 und 8).
Strophe 1 V. 1-5 O crucifer bone, lucisator, omniparens pie, verbigena, edite corpore virgineo, sed prius in genitore potens, astra, solum, mare quam fierent! Der kunstvoll gestaltete Gebetsanruf, der sich über fünf Verse erstreckt, preist Christus aufgrund seines Wirkens und seiner Herkunft. Die dichte Abfolge der Apostrophen, die emphatische Interjektion ‘0’, das ungewöhnliche, durch poeti-
sche Neuschópfungen geprägte Wortmaterial erzeugen eine besondere Feierlichkeit der Anrede, die dem hohen Stil des Hymnus angemessen ist. Die Häufung der
Anreden hat preisende Funktion, insofern die Epiklesen zugleich Prädikationen Christi bilden. In ihnen finden sich die Grundtatsachen der Christologie versammelt, nicht in 'chronologischer' Anordnung wie etwa im großen prudentianischen Christushymnus cath. 9, 10-18, sondern zusammengestellt nach dem Schema des antiken Gótterlobpreises, das der Dichter souverän handhabt. So läßt er erst, nachdem er schon in den Epiklesen 'vorgreifend' die Heilstaten Christi, sein machtvolles und segensreiches Wirken in der Welt gepriesen hat, die *'Geburtslegende' (V. 3 edite, auch verbigena) und die Angabe des ‘Machtbereichs’ (V. 5) folgen. Die Anordnung der Epiklesen ist äußerst kunstvoll, wobei der Übergang von den nomi-
nalen zu den partizipialen Prüdikationen nach dem Gesetz der wachsenden Glieder erfolgt. In den ersten beiden Versen entspricht dem syntaktischen und rhythmischen Parallelismus der Kola (je Vers ein Glied à 6 Silben und ein Glied à 4 Silben) ein inhaltlicher Chiasmus: Crucifer bone und verbigena gehen auf Erlósung und Menschwerdung Christi, lucisator und omniparens pie preisen den Schöpfer
Christus, so daB die Erlóser-Epiklesen die Schópfer-Epiklesen umrahmen. Die preisenden Attribute bone und pie unterstreichen die Atmosphüre der Güte und Barmherzigkeit, die durch die Evokation der Heilsereignisse erzeugt wird. Die parallel gesetzten und durch die Attribute erweiterten Anreden crucifer und omniparens sind wiederum durch die Eindeutigkeit ihrer Aussage verbunden, während /ucisator und verbigena sich durch eine gewisse Unbestimmtheit und dichterische Offenheit auszeichnen (vgl. auch Evenepoel, liber Cathemerinon, 99, A.
58). Beide Namen sind nicht klar dem Geschehen von Schópfung oder Erlósung zuzuordnen, /ucisator bezeichnet den Schópfer des Lichts, insofern Licht das Heil symbolisiert, deutet es aber auch auf den Heilsbringer, verbigena ist der durch das Wort Gezeugte - in der Zeit, aber auch vor aller Zeit. Die mannigfachen Verschrünkungen und Bezüge wie auch die Klangwiederholungen, Assonanzen und Alliterationen (crucifer -- lucisator, omniparens pie — verbigena) verdeutlichen, daB in Christus die Momente der Schópfung und Erlósung untrennbar verbunden
50
C. Kommentar
sind, daB sie jeweils einen Aspekt des einen universalen Heilsereignisses in Christus darstellen. Die Verse 3-5 beschreiben nach dem Muster der Geburtslegende die Herkunft des Gepriesenen, mütterlicher- und váterlicherseits (zur Form s. Norden, Agnostos Theos, 147f., ebd. auch Beispiele, z. B. Catull. 34, 5/8 O Latonia, Maximi / magna
progenies lovis / quam mater prope Deliam / deposivit olivam; Hor. carm. 1, 10, 1 Mercuri, facunde nepos Atlantis). Die Finleitung der Geburtslegende bildet aber schon die nominale Epiklese verbigena (s. unten s. v.). Prudentius nutzt den Preis der Genealogie, um Christi göttliche und menschliche Herkunft zu besingen und zugleich Tatsachen der Christologie vorzuführen: die Menschwerdung durch das Wort
(V. 2), die Geburt
aus der Jungfrau
(V. 3) und
die Prüexistenz
und
Konsubstantialität mit dem Vater (V. 4/5). Verdeutlicht wiederum durch die chiastische Wortfolge (edite corpore virgineo/ in genitore potens), stehen antithe-
tisch zueinander die Prädikation der Menschwerdung und die Aussage von der Machtfülle Christi vor der Zeit in Wesenseinheit mit Gott, dem Vater. crucifer: Das schöne Wort 'Kreuztrüger', schöpferische Neubildung nach epischem Vorbild (s. Norden, Vergilius, 325, zu caelifer, Verg. Aen. 6, 796, s. auch unten S. 97 zu aristifer, V. 52), weist auf Christi geschichtliche Heilstat par excellence,
den Erlósungstod am Kreuz. Das hinzugefügte Adjektiv bone unterstreicht wie pie in V. 2 den soteriologischen Aspekt der Tat ‘für uns’. Die Epiklese läßt keinen Zweifel an der Bestimmung des Angeredeten: Der Name crucifer kommt allein Christus zu. Die ursprüngliche Funktion, die der Angabe von Namen und Beinamen des angerufenen Gottes im antiken Gebet zukommt, die unzweifelhafte Iden-
tifizierung des für die Bitte zuständigen Gottes aus der Fülle der Götter, wird aufgenommen und auf den Lobpreis der zweiten Person des einen, unverwechselbaren Gottes angewandt. Die Einmaligkeit des Handelns und der góttlichen Person Christi betont eindrucksvoll die Fülle neu geprügter Titel, vgl. neben crucifer auch die weiteren hapax legomena lucisator und verbigena. -- Das Anfangswort des Hymnus Ante cibum O crucifer bone korrespondiert mit dem Ende des Nachtischgebets
cath. 4, 102, wo das Bekenntnis zu der Einheit von Gott Vater und Sohn in der Selbstaufforderung zur Nachfolge Christi mündet: constanterque tuam crucem feremus. Das Kreuzesmotiv bildet also den Rahmen der beiden Tischgebete. Es unterstreicht auf kompositorischer Ebene die Zusammengehörigkeit der beiden Hymnen, auf inhaltlicher Ebene die christozentrische Verknüpfung von Lobpreis Gottes und ethischer Forderung im Kontext von Tischgebet und Essensthematik. Der Name lucisator, ebenfalls eine Neubildung des Prudentius, rühmt Christus als den ‘Erzeuger des Lichts’, den Schöpfer. Sator ist dichterischer Ausdruck für den Allvater Jupiter, vgl. z. B. Verg. Aen. 1, 254; 11, 725. Auch hier führt der christliche Dichter traditionelles, episches Wortmaterial einem neuen Zweck, der
Beschreibung der góttlichen Person Christi, zu. Zur Bedeutung der Schópferrolle Christi bei Prudentius unter Beachtung des dogmengeschichtlichen Hintergrunds
V. 1-5
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s. Fontanier, passim; demgegentüber ohne neue Erkenntnisse Gosserez, 204/6. Die Lehre von der kosmischen Schópfermacht Christi ist orthodoxes Allgemeingut, gegen den Arianismus betont sie bes. Ambrosius, z. B. Ambr. fid. 1, 5, 36; virg. 3, 6, 34. Vgl. auch Fontaine, Hymnes, 152f., zu Ambr. hymn. 1, 1 Aeterne rerum conditor; dazu auch Fauth, 102f., mit Beispielen aus anderen frühchristlichen
Hymnen. Von Prudentius wird Christus als Schöpfer eingeführt z. B. Prud. cath. 9. 11f. ipse fons et clausula / omnium quae sunt, fuerunt, quaeque post futura sunt, cath. 11, 19/28; bes. 27 fundator ipse et artifex, apoth. 894f., ham. 346f.; 350/2
(Die Einheit der Schópfungsakteure Gott Vater und Sohn leitet sich ab aus der Einheit ihrer Natur). Weitere Beispiele s. zu omniparens. Zu Christus als Schöpfer des Lichts vgl. auch cath. 5, 1ff. Inventor rutili, dux bone, luminis; apoth. 1030f. iusserat (sc. Christus), ut lux/ confteret; facta est, ut iusserat; perist. 5, 276 Christum, datorem luminis. Das 'Lichtbringen' ist aber auch Symbol für das Menschwerdung und Erlósung einschlieBende universale Heilshandeln Christi, vgl. z. B.
die dichterische Ausformung der Symbolik Ambr. hymn. 2, 1/8 (Fontaine). omniparens pie: Christus als Schópfer aller Dinge, vgl. Prud. ham. 931 O dee cunctiparens, animae dator, o dee Christe; parens als Schöpfer des Menschen
perist. 13, 56 Christe, parens hominis, quem diligis et vetas perire!; vgl. auch ham. 338; apoth. 302/8; 1023/6; dazu Iren. adv. haer. 4, 31, 2; Mar. Victorin. hymn. 1, 64. Omniparens von Gott Vater gesagt findet sich Prud. c. Symm. 2, 477; vgl. auch perist. 3, 70 omnipatrem deum. Auch der Gebrauch von omniparens ist gesucht,
wenn auch nicht singulär, zu nennen. Klassisch nur in bezug auf die schópferische Erde gesetzt (so Lucr. 2, 706; 5, 259; Verg. Aen. 6, 595), erst Apul. met. 8, 25, 3; 11, 11, 2 in bezug auf Gott, wird das Wort von den Christen zur Bezeichnung des
Schópfergottes in Anspruch genommen. Omniparens von Christus auch Paul. Nol. carm. 22, 85 (CSEL 30, 190) omniparens sapientia Christus/ in sese ipse manens semper novat omnia rerum; carm. 23, 297 (ebd. 205) omniparens rerum fons et
constantia, Christus; Orient. carm. app. 3, 4 omniparens verbum. Weil die Benennung Christi als 'Vater' aller Dinge wohl Anstoß erregt hat, ist es zum Ersatz durch die varia lectio omnipotens bei C, D, A a.c. und P gekommen. Die Handschriften C
und D haben dann wegen der Doppelung in V. 4 manens statt potens. Die Lesart manens zerstört aber die schöne gedankliche Antithese zwischen der Erniedrigung
in der Geburt (edite) und der ewigen Macht des Logos (potens) in der Einheit mit dem Vater. Ebenso wird durch die Lesart omnipotens die kunstvolle Antithese in V. 2 aufgehoben, wo omniparens kontrastierend zu verbigena steht (Evenepoel, 126). pie: hier synonym zu bone in V. 1 ‘milde, gütig, gnädig’, wie z. B. Claud. IV cons. Hon. 276. Pie hat ebenso wie bone die Funktion eines preisenden Beiwortes, ühnlich magna (progenies Iovis), Catull. 34, 6. Es unterstreicht die soteriologische
Bedeutung des kosmischen Wirkens Christi: Omniparens pie meint den großzügigen Spender aller Güter, vgl. cath. 4, 74 largitor deus (sc. Pater) omnium bonorum. Die Interpunktion omniparens, pie, der nach Heinsius viele Herausgeber folgen (Obbarius, 9; Arevalo, 796; Guillén/Rodríguez, 32; Cunningham, 11), ist also
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C. Kommentar
abzulehnen. Neben den bedeutungsschweren Epiklesen crucifer, lucisator, omniparens und verbigena wirkte die Anrede pie allzu schwach und allgemein. verbigena: Die dritte Neuschópfung des Prudentius nach epischem Muster nutzt die hochpoetische Umschreibung des Gótternamens durch die Herkunftsangabe,
um die Gottessohnschaft Christi zu bezeichnen, vgl. Verg. Aen. 7, 773 Phoebigena, d. i. Aesculapius; Ov. met. 4, 12 ignigena gleich Bacchus. Die einzige Parallele des Wortes in der lateinischen Dichtung, das adjektivische verbigenus Ven. Fort. Mart. 3, 158, muß aktiv gedeutet und auf Gott Vater bezogen werden: *worterzeugender Donnerer'. Ebenfalls im aktiven Sinn gebraucht Prudentius selbst ham. 787 die Adjektivbildung Christigena, vgl. (Ruth) Christigenam fecunda domum, Davitica regna, edidit. - Das Nominalkompositum ist in seiner Bedeutung nicht eindeutig zu fassen. Ältere Kommentatoren, zitiert bei Arevalo, 796f., nehmen das erste Glied des Kompositums natürlicherweise als Herkunftsangabe, also ‘verbo genitus', die sie aber zugleich ablehnen, um auf die sprachlich unmögliche Erklärung *verbum genitum' zu verfallen. Ihr Gedankengang ist vor dem biblischen Hintergrund Joh. 1, 1/18 klar: Jesus selbst ist das Wort, das Fleisch geworden ist (bei Prudentius vgl. z. B. cath. 3, 141; 11, 17; 6, 3; 7, 1). Arevalo, 796f., faBt verbigena im Sinne von ‘verbo editus' aus cath. 11, 18 und beruft sich auf die theologische Lehre, wonach auch Gott Vater, insofern seine sapientia mit dem Logos identifiziert wird, verbum genannt werden kann (vgl. auch die Argumentation bei Obbarius
2. St.). Laut Arevalo ist hier von der sogenannten ‘ersten’, der ewigen Zeugung des Sohnes aus dem Vater die Rede (nach Jes. Sir. 24, 3). In diesem Sinn übersetzt
auch Guillén/Rodríguez, 34, „engendrado en la mente del Padre". Arevalo referiert aber auch die differierende Auffassung, derzufolge verbigena auf die ‘zweite Zeugung’ Christi zum Zwecke der Menschwerdung bezogen werden muß. Sie wird von den meisten modernen Übersetzern und Erklürern geteilt. Lavarenne, édition, 12; étude, 355, übersetzt ,,engendré par le verbe" mit instrumenteller Deutung des ersten Teils des Kompositums entsprechend dem Ablativ in cath. 11, 18 verbo editus. Nach Padovese, 21, A. 21, liegt in dem Titel verbigena der Akzent auf der Rolle des Wortes bei der Inkarnation (grundsätzlich widerlegt die im Kontext der Geistchristologie vorgebrachte These Torr6, J.P., Función del Espíritu Santo en la Encarnacíon segün Aurelio Prudencio. Anales Valentinos 9, [1983], 347/60, s. auch unten S. 198f. zu V. 142). Sich selbst widersprechend und m. E. fälschlich bezieht Padovese, 31, A. 128, allerdings die Parallele cath. 11, 17f., vgl. Ex ore quamlibet patris / sis ortus et verbo editus, / tamen paterno in pectore / sofia callebas prius, auf die erste, ewige Zeugung, nicht auf die Menschwerdung. Die Aussagen über die Zeugung und die Präexistenz des Wortes verhalten sich hier aber offensichtlich so zueinander wie in cath. 3, 1ff. die Aussagen verbigena und prius in genitore potens. Verbigena geht dann auf die Inkarnation des Logos, prius in genitore potens auf die ewige Zeugung im SchoB des Vaters. Für diese Deutung lassen sich in erster Linie kompositionelle, aber auch dogmatische Gründe geltend machen. Die Menschwerdung Christi wird zwar in V. 3 durch die Jungfrauengeburt zum Ausdruck ge-
V. 1-5
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bracht, aber doch auf die ‘menschliche Seite’ beschränkt. An anderen Stellen führt der Dichter die Tatsache der Inkarnation des Logos weiter aus, vgl. im vorliegenden Hymnus cath. 3, 141/5; dann cath. 9, 16/21; 11, 13/8; 45/52. Erfordert also die Aussage edite corpore virgineo eine Ergänzung, so ist die Konsubstantialität und die daraus folgende Teilhabe des Sohnes an der Schópfung schon in V. 4f. beschrieben. Die Prüdikation verbigena bildet auch formal ein Pendant zur Angabe der Jungfrauengeburt. Prudentius übernimmt hier in beiden Prädikationen ein typisches Formelement der paganen Gótterhymnen, die rühmende Nennung des Vaterund Mutternamens, und setzt es ein, um das Wesen des Gottmenschen Christus, die Einheit der zwei Naturen, aus seiner Abkunft zu beleuchten. Verbigena und
edite corpore virgineo sind aber auch durch die Art und Weise der Darstellung der Inkarnation eng verbunden. Prudentius sagt nicht ‘von Gott gezeugt', ebensowenig wie ‘von der Jungfrau geboren’, sondern er nennt jeweils das Medium der Zeugung bzw. Geburt, das göttliche Wort und den menschlichen Körper, und läßt so die Doppeinatur Christi hervortreten. Auch innerhalb der absichtsvollen Struktur der ersten beiden Verse stellt das Wort verbigena nur dann, wenn die Generatio bzw. Prolatio zum Zweck der Menschwerdung gemeint ist, ein Gleichgewicht der Anrufe her in der chiastischen Anordnung der Schópfung und Erlósung betreffenden Epiklesen. Die genaue ‘Auflösung’ des Kompositums verbigena ist dabei wohl vom Dichter gar nicht intendiert, denn in seiner schillernden Bedeutung wird die Prüdikation gerade dem Mysterium der Inkarnation und der Unbeschreibbarkeit der Person Jesu Christi in besonderer Weise gerecht.
edite corpore virgineo: Der Vers führt die mit verbigena begonnene Geburtslegende fort (s. o.). Die Junktur corpore virgineo benutzt Prudentius zur Bezeichnung der menschlichen Herkunft Christi auch im parallelen Kontext apoth. 49f. hoc verbum est, quod vibratum patris ore benigno / sumpsit virgineo fragilem de corpore formam. Hier wird die Abkunft aus dem Fleisch noch gesteigert durch die
Betonung der Hinfälligkeit des Körpers (fragilem formam). Die Menschheit Christi wird durch das Ereignis der Jungfrauengeburt erhóht und gefeiert (Parallelen zur Geburt und Menschwerdung Christi s. unten S. 194-196 zu V. 141ff.), ja die Geburt aus der Jungfrau ist zugleich Ausweis seiner Góttlichkeit (apoth. 563ff.) und dient daher dem hóchsten Lobpreis des Angesprochenen. edite: gewühlte Form der genealogischen Angabe, noch „weit gewählter als progenies" (so KieBling/ Heinze, 3, zu Hor. carm. 1, 1, 1 Maecenas atavis edite regibus). Vgl. noch Verg.
Aen. 8, 136 Electram maximus Atlas edidit. Von Christus Hil. syn. 58 Nec dissimilem sui edidit natura naturam; Tert. carn. 23 ex muliere editum filium dei; adv. Val. 27
Christum per virginem, non ex virgine editum. Die Konstruktion mit dem bloBen Ablativ ist bei Dichtern üblich. V. 4f. preisen die Prüexistenz Christi entsprechend dem Bekenntnis von Nicáa 'aus dem Vater geboren vor aller Zeit' (vgl. Joh. 1, 1/5; 1 Kor. 8, 6; Kol. 1, 15/18;
Phil. 2, 6; Eph. 1, 4; Hebr. 1, 2f.). Bei Prudentius vgl. auch cath. 9, 10 Corde natus ex parentis ante mundi exordium / alfa et (2 cognominatus, ipse fons et clausula /
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C. Kommentar
omnium, quae sunt, fuerunt, quaeque post futura sunt, cath. 11, 19f. tamen paterno
in pectore sofia callebas prius / quae prompta caelum condidit, / caelum diemque et cetera; apoth. 664/9: Die Stillung des Seesturms vermochte nur der, der das Wasser geschaffen hat, der einst als Geist des Vaters über den Wassern schwebte;
vgl. auch perist. 5, 473f. O praepotens virtus dei, / virtus creatrix omnium; / quae turgidum quondam mare / gradiente Christo straverat, apoth. 7951. ille coaeternus patris est et semper in ipso, / nec factus sed natus habet quodcumque paternum est; psych. praef. 60 (mox ipse Christus) 1 parente natus alto et ineffabilif (Gnilka, Prud. I, 121f.); perist. 10, 320/40: Einheit von Gott Vater und Sohn bei der Schóp-
fung. Das Partizipialadjektiv potens impliziert darüberhinaus Christi Beteiligung an der Schópfung der Welt, die im letzten Vers der Strophe evoziert wird. Indirekt
wird mittels der Zergliederung des Geschaffenen in Himmel, Erde, Wasser zugleich eine Aufzählung der Herrschaftsbereiche Christi geliefert, die ebenfalls formelhaft ist (vgl. z. B. Catull. 34, 9/12). Die Dreigliederung der Welt wird dann cath. 3, 38f. wieder aufgenommen (s. u. S. 84f.). Vers 5 weist auf die Prüdikation Christi als omniparens zurück und füllt das generalisierende omnia mit Inhalt. Zur Dihärese des All-Begriffs in hymnischen Schópfungsaussagen s. Póhlmann, 58ff. Die Angabe der Machtbereiche Gottes bzw. Christi findet sich in dieser Zusammenstellung, allerdings erweitert durch das Chaos, auch Auson. eph. 3, 14ff. Eine weitergehende Parallele mit Ausonius eph. 3, 10ff., stellen Sister Eagan, 14, und Evenpoel, 126, fest. Vgl. eph. 3, 10/5 (Green) generatus in illo / Tempore, quo tempus nondum fuit: editus ante / quam iubar et rutilus caelum inlustraret Eous: / Quo sine nil actum, per quem facta omnia: cuius / In caelo solium, cui subdita terra sedenti / Et mare et obscurae chaos insuperabile noctis. Gegen Charlet, influence, 10, der eine direkte Nachahmung des Ausonius-Gedichtes nicht gegeben
sieht, da auffallende Übereinstimmungen fehlten und die Thematik für einen christlichen Dichter ‘natürlich’ sei, bleibt allerdings die punktuelle Nähe der Darstellung des Prudentius zu der des Ausonius festzuhalten. Neben der Teilhabe Christi am Schópfungshandeln und der vorzeitlichen Zeugung des Wortes ist auch die Anspielung auf den Sündenfall zu nennen (eph. 3, 31/6). Daher ist es nicht unwahrscheinlich, daB Prudentius die oratio der Ephemeris als Vorlage im weitesten Sinn verwendet hat, zumal seine Kenntnis derselben unbestritten ist. Für die Parallele
cath. 3, 181f. und Auson. eph. 3, 33f. erkennt auch Charlet den Bezug an (influence, 11). Vgl. auch unten S. 64 zu cath. 3, 20 und Auson. vers. pasch. 29 (trina pietate). Schon Manitius vergleicht die beiden Titel Ephemeris und Cathemerinon (Zeitschrift für die österreichischen Gymnasien 1886, 241), und Charlet, influence, 143, spricht mit Überbetonung des polemischen Verhältnisses vom Liber Cathemerinon als einer Art 'Anti-Ephemeris'. fierent: Konjunktiv Imperfekt zur Betonung der Unwirklichkeit und der Unmóglichkeit der Handlung und entsprechend der Zeitenfolge, denn potens ersetzt "qui potens erat'.
V. 6-10
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Strophe 2 V. 6-10 Huc nitido, precor, intuitu flecte salutiferam faciem fronte serenus et inradia, nominis ut sub honore tui
has epulas liceat capere! Auf den Anruf Christi folgt die Bitte, wie das durch Parenthese hervorgehobene precor in V. 6 wirkungsvoll signalisiert. Der Aufbau ist zweigeteilt: Die imperati-
vischen Verse 6/8 erbitten allgemein die segnende Gegenwart Christi in Form des gütigen Blicks, der untergeordnete Finalsatz (V. 9f.) nennt den konkreten Anlaß,
zu dem Christus erscheinen soll. In den ersten Versen bleibt zunächst unbestimmt, worauf Christus seinen Blick richten soll. Das deiktische Auc, das unmittelbar in die gegenwürtige Situation einführt, wird erst im letzten Vers durch ebenfalls deiktisches has epulas an gleicher Versstelle aufgenommen und inhaltlich geklürt. Es sind die zum Mahl bereiteten Gaben, die gesegnet werden sollen. Dadurch entsteht ein Spannungsbogen über die zweigliedrige, die ganze Strophe umfassende Satzperiode hinweg, der die Inständigkeit der vorgetragenen Bitte unterstreicht.
Auch hier tritt die feste Struktur des ὕμνος κλητικός hervor. In Huc flecte faciem et inradia greift Prudentius die formelhaften Rufwörter auf (vgl. griech. δεῦρο, huc ades, veni, respice etc., Appel, 115f.; z. B. Catull. 61, 6/10. 26. 43) und überhóht
sie durch die Lichttheologie. DaB die Epiphanie des Gottes in der Form des wohlmeinenden Blicks und der Segen in der Zuwendung des lichten Antlitzes erfleht wird, beruht auf einer alten, weit verbreiteten Vorstellung. In den Psalmen findet sie ihren Ausdruck in dem Ruf ‘Herr, laß leuchten Dein Angesicht!’ (Ps. 4, 7; 31, 17; 67, 2; 80, 4. 8. 20; 118, 27). Horaz wendet sie an auf Augustus in der Ode 4, 5, die
er als Gebet um die Rückkehr des Princeps stilisiert, vgl. Hor. carm. 4, 5, 5/8 lucem redde tuae, dux bone, patriae. / instar veris enim voltus ubi tuus / adfulsit populo, gratior it dies / et soles melius nitent. Der Glanz des kaiserlichen Antlitzes verbürgt in der horazischen Huldigung Heil und Glück für sein Volk. Die Nutzung des Prudentius weist die Kraft des segnenden Blickes dem einen und wahrhaft gütigen Gott zu. In dreifacher Variation prägt er die Verknüpfung des aufmerksamen Sehens (intuitu, flecte faciem, fronte) und des Lichtes (nitido, serenus, inradia) ein, dessen tieferer, geistlicher Sinn im Attribut salutiferam aufleuchtet. Das durch Alliteration hervorgehobene Beiwort (flecte salutiferam faciem) bettet den Segen Gottes ein in das heilsgeschichtliche Wirken des Erlösers. Es ist nicht nur der heitere Blick einer freundlich gestimmten Gottheit, der hier erbeten wird, welcher jederzeit bei wechselnder innerer Gestimmtheit in einen schadenden Blick umschlagen kann. Das Antlitz Christi ist vielmehr wesenhaft heilbringend, salutifer heißt der Heiland selbst perist. 13, 91. Auch in der heidnischen Vorstellung besteht
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C. Kommentar
eine enge Verbindung zwischen dem Wesen der göttlichen Mächte und der Art und Wirkung ihres Blicks. So erscheint der Blick Apollos oder der Musen generell als positiv. Aber während in der paganen Welt der Blick der Götter grundsätzlich ambivalent ist, also sowohl schaden als auch nützen kann (Rakoczy, 227), gilt im jüdisch-christlichen Denken der auf die Frommen gerichtete Blick Gottes stets als
gut (vgl. z. B. Jer. 24, 6; Ps. 90, 17; vom Segen des Blicks auch Ps. 13, 2. 4; 22, 25; weitere Beispiele Deonna, symbolisme, 148ff.). Der Imperativ inradia (V. 8) erweitert und spezifiziert die Bitte flecte faciem, insofern er die segnende Gegen-
wart Gottes, die sich im gütigen Blick offenbart, als Spenden von Licht und Glanz näherhin bestimmt. In der Aufforderung liegt zugleich eine Steigerung der schon in nitido und serenus faBbaren Lichtmetaphorik, so daB zwei Vorstellungen hier ineinandergreifen. Da zunächst an den Blick und seine Wirkung gedacht ist, liegt die Analogie von Auge und Sonne zugrunde, die in der Antike weit verbreitet ist. Sie beruht auf dem Eindruck, daB Augen wie eine Lichtquelle strahlen (durch die reflektierende Feuchtigkeit, zur physiologischen Grundlage des Vergleichs s. Dihle, 88), was nicht zuletzt auf die psychische Verfassung des Schauenden, Freude, Zorn etc. zurückgeführt wird. So spricht man vom Glanz der Augen (Ov. ars 2, 721), vom Sprühen (Verg. Aen. 12, 102) oder Strahlen (radiare, Claud. cons. Olyb. et Prob. 118; IV cons. Hon. 518; Dihle, ebd.). Daß der Vergleich auch die Gottgleichheit eines Menschen unterstreichen kann, zeigt neben Hor. carm. 4, 5, 5/8 (oben S. 55 zitiert) z. B. auch Suet. Aug. 79 oculos habuit claros ac nitidos, quibus etiam existimari volebat inesse quiddam divini vigoris, gaudebatque, si qui sibi acrius contuenti quasi ad fulgorem solis vultum summitteret. Indem Prudentius den hellstrahlenden Blick hier zum Ausdruck des góttlichen Segens verwendet, gibt er dem Bild vom sonnenhaften Auge aber eine neue, tiefe und im Verständnis der Kirchenväter erst vollständige Bedeutung. Denn die Bitte, das Licht der Gnade zu verbreiten, ergeht an Christus, der nicht nur Spender des Lichts, sondern selbst
das Licht ist (Joh. 1, 4; Ambr. hymn. 2, 1/8 (Fontaine); zur Lichttheologie bei Prudentius s. auch unten S. 80f.; bei Gosserez findet diese Stelle keine Beachtung).
In inradia klingt daher zugleich die Identifikation Christi mit der wahren Sonne der Gerechtigkeit und des Heils an (Dölger, Sol Salutis, passim). Die heilende, 'sündentilgende' Kraft des Blickes Jesu besingt Ambrosius hymn. 1, 25/8 (Fontaine):
Jesu, labantes respice / et nos videndo corrige; / si respicis, lapsus cadunt/ fletuque culpa solvitur. Prudentius selbst überträgt die reinigende, heiligende Wirkung des
leuchtenden Blicks auf die hl. Agnes, vgl. perist. 14, 124/133 O virgo felix, o nova gloria, / caelestis arcis nobilis incola, / intende nostris conluvionibus / vultum gemello cum diademate, / cui posse soli cunctiparens dedit / castum vel ipsum reddere fornicem! / Purgabor oris propitiabilis / fulgore, nostrum si iecur inpleas. / Nil non pudicum est, quod pia visere / dignaris almo vel pede tangere. In einem ebenfalls formelhaften Finalsatz wird die Begründung (Finalursache) für das Gebet gegeben (V. 9f.). Der Segenswunsch wird damit erklärt, daß nur durch ein von Christus gesegnetes Mahl der Name Christi verherrlicht werden
V. 6-10
57
kann. Dabei wird der eigentliche Zweck zwar in der Angabe des begleitenden Umstandes syntaktisch untergeordnet, V. 9 nominis sub honore tui, die Verteilung
auf einen Vers und das Hyperbaton mit betonter Anfangs- und Endstellung von nominis — tui unterstreichen aber die Bedeutung der Aussage. Sowohl in der Form
als auch im Inhalt der Argumentation macht sich der Dichter ein festes Element des Hymnus zu eigen. So wird häufig in philosophischen Hymnen die Bitte um Gotteserkenntnis damit begründet, daß man nur als Erkennender Gott preisen kann,
2. B. Kleanthes, Zeushymnus, 32ff. (SVF I, 537) ἀλλὰ Ζεῦ πάνδωρε ... δὸς δὲ κυρῆσαι γνώμης, ... ὄφρ᾽ ἂν τιμηθέντες ἀμειβώμεσθά σε τιμῇ; Proklos, hymn. 4, 5ff. (an alle Gótter) κλῦτε, σαωτῆρες μεγάλοι, ζαθέων δ᾽ ἀπὸ βίβλων νεύσατ᾽
ἐμοὶ φάος ἁγνὸν ἀποσκεδάσαντες ὀμίχλην, ὄφρα κεν εὖ γνοίην θεὸν ἄμβροτον ἠδὲ καὶ ἄνδρα. Ins Christliche transponiert, námlich auf die Bitte um Sündenvergebung und die rechte Verehrung Gottes übertragen, findet sich die Gebetsformel z. B. Greg. Naz. carm. 1, 1, 30, 36ff. (PG 37, 508A/510A) πάτερ, ἵλεως γενοῦ μοι
... ἵνα δοξάζω τὸ θεῖον ..., ἵνα Χριστὸν εὐλογήσω (s. dazu Ratkowitsch, 164). Der Formel zugrunde liegt das do ut des-Prinzip, das im philosophischen Kontext umgekehrt (da ut demus) und entmaterialisiert bzw. sublimiert wird. Den Gedanken
des Tausches drückt Kleanthes explizit aus (ἀμειβώμεσθά). Der christliche Dichter nutzt den Tauschgedanken, um das reziproke Verhältnis von menschlicher und göttlicher *Eulogie’ zu beschreiben, und hebt ihn dadurch auf eine neue religiöse Ebene. Gottes Segen und der Lobpreis der Menschen entsprechen einander (Das Hebräische kennt für beide Handlungen nur ein Wort, brk, s. Stuiber, 900f.). Im Unterschied zu Gregor von Nazianz, der durch einen hymnischen Lobpreis — mit den entsprechenden Gebärden — Gottes Gnadenerweis vergelten will, soll bei Prudentius das alltägliche Tun, das Mahl selbst, durch den Segen 'geadelt' werden und so zur Verherrlichung Gottes, der alleinigen Quelle allen Segens, dienen. Der Gedanke, daß der Vorgang des Speisens selbst Lobpreis des Menschen gegenüber Gott sein kann, ist wiederum durch biblische Gebote begründet, vgl. 1 Kor. 10, 31 (oben S. 48 zitiert) sowie Kol. 3, 17 ‘Alles, was ihr in Worten und Werken tut, geschehe im Namen Jesu, des Herrn. Durch ihn dankt Gott, dem Vater!' (vgl. auch Pellegrino, Innologia I, 72, zu Prud. cath. 8, 69/76, dazu auch unten S. 60 zu Str. 3).
intuitu: spätlat. Wort, i. q. aspectus, obtutus, contemplatio. Von der Sehkraft der Augen Prud. apoth. 20. Bei den christlichen Autoren oft vom Blick Gottes mit der Konnotation der positiven Wirkkraft, des Wohlwollens, z. B. Hier. hom. Orig. in Luc. 32 de lumine dei ... et intuitu clariores vestri vultus erunt; Ruf. Orig. princ. 3, 1, 9 prospectus et intuitus dei; Ven. Fort. carm. 9, 2, 76 cuius ad intuitum sidera
terra tremunt; Cypr. Gall. exod. 410 serenos domini intuitus; exod. 119 precantur deum intuitus conferre pios plebemque tueri (ThLL VII, 2, 1, 96, 22/34). nitido: im eigentlichen Sinn vom strahlenden Glanz etwa der Sonne, der Gestirne (Verg. georg. 1, 467), des Goldes (Ov. fast. 3, 867), des Elfenbeins (Ov. met. 2, 3), des ölglänzenden Haares (Ov. ars 3, 443). Vom Lichtstrahl häufig auch nitens, vgl.
58
C. Kommentar
Ov. fast. 5, 543; Tib. 1, 3, 93 (Lucifer); Val. Flacc. 5, 413. flecte faciem: Die Junktur bildet eine wirkungsvolle Alliteration, ist aber ungewóhnlich in der Setzung von facies. Bei den augusteischen Dichtern sind andere Wörter für den Blick üblich, vgl. oculos (Ov. met. 8, 696; 10, 57); lumina (Verg. Aen. 4, 369); vultus (Ov. epist. 17, 64); ora (Ov. met. 3, 188); acies (sc. oculorum, Verg. Aen. 6, 788; Ov. met. 7, 584) (ThLL VI, 1, 895, 45/59). fronte serenus: Die Junktur variiert noch einmal die Vorstellung des heiteren, segnenden Blicks durch eine geläufige epische Wendung, vgl. fronte serena, z. B. Stat. Theb. 5, 424; Sil. 2, 414; 3, 298; Martial
7, 12, 1; Auson. Mos. 384; Sedul. carm. pasch. 2, 80; serena fronte Stat. silv. 1, 3, 91f., 2, 6, 65f.; Nemesian. ecl. 1, 56f.; Paul. Nol. carm. 28, 29f. Den Ablativus limitationis hat Lucan. 4, 633 vultuque serenus, die Stelle wurde daher von Bergman ins Verzeichnis der Imitationen aufgenommen. Vgl. auch die Nutzung Prud. cath. 2, 68 Quodcumque nox mundi dehinc / infecit atris nubibus, / tu, rex Eoi sideris, / vultu sereno inlumina. In der Bitte an Christus, das aufstrahlende Licht, den Kónig
der Morgensonne, alles von der Nacht der Sünde Verdunkelte zu erhellen, findet die alte Vorstellung vom leuchtenden Antlitz ihren tiefen Sinn. Der Eindruck der Güte und Heiterkeit ausstrahlenden Miene wird hier vom Dichter als brauchbar und gut erachtet, um das gnadenvolle Wirken des Erlósers zu beschreiben. Als Bild für den Beistandssegen auch Prud. cath. 7, 4; 8, 73f. inradia: gleich radia (Kompositum für Simplex), seltenes, spát belegtes Wort. Intransitiv gebraucht wie
hier auch Ambr. Job. 4, 8, 30 orabat, ut ... lux (dei) inradiaret; Isaac 4, 14 (anima) inradiante sibi verbi splendore ... dicit, Greg. M. moral. 11, 55 irradiante gratia dilectionis (ThLL VII, 2, 1, 384, 34ff.). Häufig vom Strahlen des göttlichen Lichts, transitiv gebraucht z. B. Ambr. in psalm. 118 serm. 12, 13 (Christus) universa
totius orbis inradians; serm. 13, 2 ignis (i. e. deus) inradiat in nobis cor nostrum (ThLL VII, 2, 1, 383, 60/76). In diesem Sinn synonym zu illuminare (wie cath. 2, 68 s. oben s. v. serenus), einem 'klassischen Begriff zur Bezeichnung des Handelns Christi' (Komm. zu Ambr. hymn. 2, 4 Fontaine), vgl. auch Tert. adv. Iud.
14 Christus orbem evangelii sui radiis illuminavit, Cypr. epist. 63, 18; Paul. Nol. epist. 23, 24.
Strophe 3
V. 11-15 Te sine dulce nihil, domine, nec iuvat ore quid adpetere, pocula ni prius atque cibos, Christe, tuus favor inbuerit omnia sanctificante fide. Es schlieBt sich, durch explikatives bzw. kausales Asyndeton markiert, die Begründung für die Bitte an, die sich typischerweise auf die Eigenschaften des Ange-
V. 11-15
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rufenen stützt (Aretalogie). Hier ist es der Preis der Allmacht Christi, der den Segenswunsch rechtfertigt, denn Christus allein hat die δύναμις, dem Gläubigen die Speisen zu versüßen. Prudentius verarbeitet die für die Aretalogie typischen Formelemente: die zweifache Anrede an Christus, den Herrn, in betonter Anfangs- und Endstellung, verbunden mit der charakteristischen Du-Prüdikation, V. 11 Te sine dulce nihil, domine; V. 14 Christe, tuus favor inbuerit, sowie die negative Allmachtsformel fe sine dulce nihil, die durch die positive All-Prädikation im letzten Vers omnia sanctificante fide wieder aufgenommen wird (zur Allmachtsformel s. bes. Ratkowitsch,
157/60; Póhlmann,
passim; Deichgrüber, Hymnische
Elemente,
passim). Die Segensmacht Christi wird in drei Kola gepriesen, wobei allgemeine Aussagen die spezifizierende Prádikation umrahmen, nach dem Schema a (V. 11) b (V. 12/4) a (V. 15). Der Mittelvers benennt klar die Situation der Mahlzeit mit pocula und cibos in betonter Anfangs- bzw. Endstellung. Prudentius nimmt die Prädikation der Allmacht Gottes für den einzigen, den allmächtigen Gott und wahren Heiland in Anspruch: Te sine dulce nihil, domine, und bezieht dabei die göttliche
Heilspotenz auf einen im antiken Hymnus noch nie dagewesenen Bereich, das alltägliche Tun des Essens: nec iuvat ore quid adpetere. Die Aussage ist zunächst
bewußt allgemein gehalten, wozu die Ambivalenz des Wortes dulce im besonderen beiträgt. Legt der unmittelbare Anschluß an epulas capere (V. 10) die eigentliche Bedeutung ‘süß’ im Sinne des sinnlichen Geschmacks nahe, so läßt der sentenzhafte Charakter der Aussage zugleich die übertragene Bedeutung 'schón, beglükkend’ mitklingen, welche durch die Allusion einer Vergilstelle (Aen. 12, 882) bzw.
Zitation aus Claud. in Ruf. 2, 268 verstürkt wird. Bei Vergil ist der Ausruf Juturnas (Aen.
12, 882f.) beim Anblick der Furien, die den Tod des Bruders Turnus als
besiegelt anzeigen, Ausdruck größter Geschwisterliebe und -treue: immortalis ego? aut quicquam mihi dulce meorum / te sine, frater, erit? Den Tod des Turnus vor Augen fürchtet Juturna, an nichts von allem, was ihr teuer ist, in Zukunft noch Freude zu haben, und sehnt, selbst unsterblich, die Gemeinschaft im Tod herbei.
Auf diese Gefühlslage nimmt Claudian Bezug, wenn er in der Invektive ‘In Rufinum II’ den Ausruf imitiert: In der Klage aus dem Munde der Soldaten Ostroms, die kurz vor der Schlacht gegen Alarichs Westgoten aus dem gemeinsamen rómischen Heer unter Stilichos Leitung abberufen werden, te sine dulce nihil (2, 268) manifestiert sich ihre Anhänglichkeit (caritas, amor, fides, 2, 227. 261. 276) an den Feldherrn Stilicho. Prudentius lóst die Sentenz mit ihrem hymnischen Klang aus der Klage um den Verlust eines Menschen und aus der bewuBt hyperbolisch gefaBten Wertschützung seiner Gemeinschaft und macht sie durch christliche Umorientierung und kreative Nutzung für den Kontext des Tischsegens fruchtbar. Den Doppelsinn von dulce auswertend, verwendet er die Formel dazu, das Bekenntnis zum Glauben an die
allumfassende Segensmacht Christi zum Ausdruck zu bringen, die sich im beson-
deren in der Mitteilung der geistlichen Süße an die natürlichen Speisen manifestiert. Der folgende Vers 12 expliziert dulce nihil im letzteren Sinn, wobei iuvat die
60
C. Kommentar
subjektive Komponente verstärkt, die in dulce impliziert ist. Der Konditionalsatz (V. 13f.), der dem sine te in V. 11 entspricht, entfaltet das Wirken Christi, das Voraussetzung für die 'SüBe' der Speisen ist: die Erfüllung von Speise und Trank mit seiner Gnade. Das Wort favor hat sein durch Alliteration auffállig gemachtes Pendant in fide in Vers 15: omnia sanctificante fide. Fides und favor gehóren zu den rómischen Begriffen des politischen Lebens, die ein reziprokes Verhältnis bezeichnen zwischen Gebenden und Nehmenden, Abhüngigen und Hóherstehenden und insofern sowohl aktive als auch passive Bedeutung haben können (Hellegouarc'ἢ, 178f.). Die den Begriffen inhärente Wechselbeziehung macht sich Prudentius zunutze, um die góttliche und die menschliche Seite der Segenssituation zu entfalten. Denn die positive Aussage in V. 15 ‘Alles heiligt der Glaube an Dich’ variiert unter einem neuen Aspekt die negativ formulierte Allmachts-Prädikation der ersten beiden Sätze. Es wird die rechte Haltung der Bittenden in den Blick genommen, der Glaube an die heilsame Wirkung der geweihten Speisen, der mit der Segensspende Christi
korreliert. Die Korrelation von Segen und Glauben stellt der Fastenhymnus Prud. cath. 8, 73/6 explizit her, vgl. velut hoc salubre / fidimus nobis fore, quod dicatas / carpimus escas. Im Gegenzug objektiviert das Wort sanctificante, wie schon zuvor favor inbuerit (vgl. die Glossae veteres bei Arevalo, 797, 'benedicat, sanctificet'), die in dulce und iuvat liegende subjektive Nuance. Dem freudigen GenuB der Speisen entspricht auf objektiver Ebene ihre Heiligung, Weihung. Die Verse 11-15 beschreiben eine Wirkung des góttlichen Segens, die für antikes Verständnis ganz neu ist. Auch zum antiken Gastmahl gehört der Gótteranruf. Durch diesen wurde die cena eróffnet (Quint. decl. 301), beim Nachtisch brachte man den Laren und Penaten, später auch Augustus das Trankopfer dar (s. dazu
oben S. 12). Eine solche Einladung an den Princeps, beim Trinken nach dem Mahl zu erscheinen, findet sich auch in dem Bild des friedlich von der Arbeit heimkehrenden Landmannes Hor. carm. 4, 5, 31ff. formuliert: hinc ad vina redit laetus et
alteris / te mensis adhibet deum. / te multa prece, te prosequitur mero / defuso pateris, et Laribus tuum / miscet numen, uti Graecia Castoris / et magni memor Herculis. Der kultische Hintergrund wird noch in der Huldigung an Augustus faßbar: Die Gottheit soll kommen, um am Opfer teilzunehmen. Die christliche Bitte um
Segen zielt dagegen nicht auf eine Teilnahme Gottes am Mahl, die das Ereignis der Mahlzeit kultisch überhóht, sondern die Speise und das Mahl selbst erhalten
durch die Anwesenheit Christi und den göttlichen Segen eine neue, geistige Qualität. Die Bitte um den Tischsegen ist letztlich eingebettet in den Gedanken, daß die Gnade Christi und der Glaube an ihn dem ganzen Leben eine neue, spirituelle Dimension verleihen. Diesen Zusammenhang Strophe.
verdeutlicht auch die folgende
Te sine - nihil: Die Gebetsformel etwa Pind. N. 7 (über Eileithyia) ἄνευ σέθεν οὐ φάος; Aisch. Ag. 1448f. διαὶ Διὸς παναιτίου πανεργέτα. ti γὰρ βροτοῖς ἄνευ Διὸς τελεῖται; Kleanthes hymn. 15 (SVF I, 537) οὐδέ τι γίγνεται ἔργον ἐπὶ χθονὶ
V. 16-20
61
σοῦ δίχα, δαῖμον; hymn. Orph. 16, 5 ; 16, 9; 68, 8 (auf Hygieia) σοῦ γὰρ ἄτερ πάντ᾽ ἐστὶν ἀνωφελέ᾽ ἀνθρώποισιν; Catull. 61, 61ff. Nil potest sine te Venus ... at potest te volente ... Nulla quit sine te domus ... at potest te volente; Lucr. 1, 22 (von Venus) nec sine te quicquam dias in luminis oras/ exoritur, Verg. georg. 3, 42 (auf Maecenas) te sine nil altum mens incohat, Auson. eph. 3, 13 (Green) quo sine nil actum, per quem facta omnia; parodierend Cic. Cat. 1, 18 nullum ... facinus ... nisi per te, nullum flagitium sine te (Material bei Norden, Agnostos Theos, 157 mit A. 3; 159, A. 3 mit Nachtrag; Ratkowitsch, 158/60). Vgl. auch den Prolog zum Johannes-Evangelium Joh. 1, 3 (Vulg.) Omnia per ipsum facta sunt: et sine ipso factum est nihil, quod factum est. dulce: Zum Konzept der spirituellen 'SüBig-
keit Gottes' in Bibel und altchristlicher Literatur s. Ziegler, Dulcedo dei, passim. domine: Der Vokativ domine ist in der Dichtung selten, weil er für den Hexameter nur mit Elision des Endvokals brauchbar ist, s. Heinsdorff, 248f. AuBer an unserer Stelle findet er sich etwa noch Paul. Nol. carm. 31, 435; Sedul. carm. pasch. 3, 28. 299. favor: Zu favor im Sinne von 'Gunst, Gnade Christi' vgl. Prud. perist.
5, 565 (Bitte an Vincentius) paulisper huc inlabere / Christi favorem deferens, / sensus gravati ut sentiant / levamen indulgentiae. Die Verbindung von favor und imbuere findet sich z. B. Tac. ann. 15, 59 miles favore imbutus; hist. 2, 85, 1 imbutae favore Othonis (sc. legionis). Favor als Gunstbezeugung von Göttern z. B. Sen.
epist. 110, 2; Phaedr. 159; Apul. met. 11,9; Drac. laud. dei 3, 678.
sanctificante:
eine christliche Neuschópfung, vgl. Cypr. epist. 69, 2. 8. 10; Ambr. off. 2, 98; 3, 101; virg. 1, 65; vid. 69; Hier. epist. 120, 12; Aug. epist. 35, 3 u. ö. (Blaise/
Chirat, 736). Strophe 4
V. 16-20 Fercula nostra deum sapiant, Christus et influat in pateras,
seria, ludicra, verba, iocos, denique, quod sumus aut agimus, trina superne regat pietas.
Die Form eines die Gottheit herbeirufenden Hymnus wird auch in der vierten Strophe gewahrt, aber schon der Wechsel von der zweiten in die dritte Person (vgl. sapiant, influat, regat) signalisiert einen Neuansatz. Die Bitte um den Tischsegen wird auf die Heilige Dreifaltigkeit ausgeweitet und vor dem bildlichen Hintergrund des heidnischen Gastmahls entfaltet. Drei Kola verteilen sich im Verhältnis 1 - 1 — 3 auf die Verse der Strophe und spiegeln so in ihrem Umfang kunstvoll wieder, daß die erste Bitte an Gott, die zweite an Christus und die dritte an die
Heilige Dreifaltigkeit gerichtet ist. In den ersten beiden Versen greift der Dichter die Bitte um Segnung von Speise und Trank aus Vers 13/5 wieder auf, steigert sie
62
C. Kommentar
allerdings durch hohen Stil und dichterisch kühne Formulierung, vgl. die Metonymie von fercula (V. 16) und dichterisches pateras (V. 17) gegenüber den schlichten Wörtern pocula und cibos (V. 13). Die gesuchte Wortwahl hat nicht nur schmükkende Funktion, sie suggeriert vielmehr eine besondere Qualität der aufgetragenen Kost, evoziert die beim Gastmahl übliche Fülle und Erlesenheit der Speisen und Getränke (vgl. zu den Materialien und Zutaten der cena Marquardt/Mau, 1, 327/9; Blümner, 399). Vor diesem Hintergrund erhebt sich das Neue der christlichen Bitte:
An die Stelle der geschmacksanreichernden Zugabe pikanter Gewürze soll beim Mahl die *Würze' der Gnade Christi treten (vgl. Rodriguez-Herrera, 35). Der semantische Chiasmus (fercula — deum, Christus — in pateras) verstärkt die Kühnheit, mit der der Segensspender hier für den Segen gesetzt wird: 'Unsere Speisen sollen nach Gott schmecken, und Christus möge in unsere Schalen einfließen’. Herzog, 44, bezieht die Verse auf die ,, Vergeistigung, die das Essen im christlichen Glauben finden kann: die Eucharistie“, eine Sicht, die Gnilka, Rez. zu Herzog, 365f., mit
Hinweis auf die folgenden Verse überzeugend widerlegt. Scherze und Kurzweil kónnen nicht auf eine Stufe mit der Eucharistie gestellt werden (vgl. nach Gnilka auch Evenepoel, Hymnus ante cibum, 126, A. 8). Für die Annahme einer 'sakramentalen Allegorie' bieten die Verse keinen Anhaltspunkt, das Tischgebet cath. 3 nimmt einzig und allein die Segnung der natürlichen Mahlzeit in den Blick. Auch die von Bergman im Index imitationum, 455, und von Guillén/Rodríguez, 34, vorgenommene Parallelisierung der Verse mit dem ambrosianischen Hymnus 'Splendor paternae gloriae' (hymn. 2, 21/4 Fontaine) setzt eine spirituelle Auffassung von Speise und Trank voraus, die Prudentius hier nicht intendiert, vgl. Christusque nobis sit cibus, / potusque noster sit fides, / laeti bibamus sobriam / ebrietatem Spiritus. Ambrosius bittet um die spirituelle Speise Christi, den spirituellen Trank des Glaubens, nämlich an Christus (zur Gleichsetzung von fides und Christus s.
Ambr. off. 1, 142; epist. 20, 5), und die spirituelle, deshalb 'nüchterne' Trunkenheit des Hl. Geistes. Auch hier ist nicht in erster Linie die Eucharistie gemeint (dies gegen Perrin, in: Fontaine, Hymnes, 181. 198 z. St.), aber auch nicht das von Prudentius evozierte natürliche Mahl, sondern es geht um die geistliche Stärkung
für den vom moralisch-spirituellen Kampf bestimmten Tagesablauf des Christen. Die asyndetische Aufzählung
seria,
ludicra,
verba,
iocos (V. 18) führt ein
weiteres konstitutives Element des heidnischen Gastmahls vor Augen, das Tischgespräch bzw. die kurzweilige Unterhaltung, zu der im zweiten Teil des convivium, dem Trinkgelage, auch musikalische
Darbietungen, Auftritte von Tänzerinnen,
Mimen und Würfelspiel gehörten (Blümner, 410ff.). Auch die ‘geistige Würze’ des Mahls, die Tischunterhaltung, soll unter den Schutz der Hl. Dreifaltigkeit ge-
stellt werden (V. 20). Damit ist nicht ausgesagt, daß das Gespräch bei Tisch inhaltlich durch den Gedanken an den dreieinigen Gott geleitet sein muß (so RodriguezHerrera, 35). Die zusammenfassende Fortführung im folgenden Vers denique, quod
sumus aut agimus zeigt, daB das Tischgespräch vielmehr als ein Aspekt des Lebens herausgehoben wird, der wie alles Tun des Christen von Gottes Huld umfangen
V. 16-20
63
wird. Der beabsichtigte Effekt der Aufzählung, ist es, die Fülle nachzuzeichnen und deutlich zu machen, daB sich die Segenswirkung auf alle Bereiche der Mahl-
zeit und des Lebens erstreckt. Die polare Ausdrucksweise seria, ludicra, verba, iocos leitet zur Generalisierung im folgenden Vers über. Die Ausweitung vom Mahl auf das ganze Tun und Sein des Betenden (V. 19) erfolgt nach 1 Kor. 10, 31 und
Kol. 3, 17 (oben S. 48. 57 zitiert). Ein drittes Element der Gastmahlszenerie wird durch die Anwendung auf das
spirituelle Geschehen des Tischsegens christlich umorientiert und überhöht. Auch der Anruf an die Hl. Dreifaltigkeit scheint in diesem Kontext nicht ohne Grund zu erfolgen. Die zu Beginn des Symposions übliche Opferspende ging gewóhnlich an eine Mehrzahl von Góttern (zur rómischen Sitte s. oben S. 12. 60). Im griechischen
Bereich gab es drei Libationen, für die olympischen Götter, die Heroen und Zeus Soter (Xenophan. frg. 1, 15 D./K.), überliefert ist die Dreizahl auch bei Athenaios 15, 692f. (III 532 Kaibel), nämlich das Opfer für den ᾿Αγαθὸς Δαίμων, Zeus Soter und Hygieia (Lumpe, 618; Baus, 76f.). Prudentius hat vielleicht diesen Anruf an
drei Gottheiten vor Augen, dem er die Beistandsbitte an den dreieinigen Gott korrigierend entgegensetzt (s. auch unten s. v. pateras).
Fercula: heißen ursprünglich die Platten, auf denen die Speisen aufgetragen wurden (Schol. Hor. sat. 2, 6, 104; Sen. nat. 3, 18, 2), dann auch die Gänge (Blümner, 198). Hier metonymisch für die Speisen, wie z. B. Hor. sat. 2, 6, 104; Prop. 4, 4, 76; Mart. 3, 50, 5; Ambr. Hel. 13, 47 certant pocula cum ferculis, Prud. apoth. 609
Eous ... regalia fercula ... offert; psych. 317 (Luxuria) iacens ad fercula (ThLL VI, 1, 490, 24/74). pateras: cin Trinkgeschirr, das eigentlich beim Opferbrauch verwendet wird (Blümner, 405). Beide Ausdrücke evozieren die Situation des Gast-
mahls. Pateras im besonderen mag auch die Weinspende assoziieren, die man vor dem eigentlichen Trinkgelage den Laren darbrachte, vgl. Petron. 60, 8 inter haec tres pueri candidas succincti tunicas intraverunt, quorum ... unus pateram vini circumferens 'dii propitii’ clamabat; Hor. carm. 4, 5, 31 te (sc. Augustum) multa prece, te prosequitur mero / defuso pateris, et Laribus tuum / miscet numen. Prudentius gestaltet dann die christliche Umkehrung des Opfergedankens. An die
Stelle der Opferspende für die Gottheit tritt die Bitte, Christus selbst móge in die Trinkschalen fliegen. sería ... iocos: Die Anleihe an die sprichwörtliche Formel ioca seria (Otto, 176f., Nr. 872) bildet den Rahmen des Verses. Die Verbindung der Gegensätze ‘Ernst’
und 'Scherz' zu einem polaren Ausdruck findet sich u. a. Cic. fin. 2, 85 'At quicum ioca seria, ut dicitur, quicum arcana, quicum occulta omnia?' , Sall. Iug. 96, 2; Liv. 1, 4, 9; Tac. ann. 2, 13; Suet. Nero 25; Auson. parent. 7, 11 (Green) ioca seria
mixti. Zur Junktur seria verba vgl. Gell. 1, 26, 7; [Tib.] 3, 6, 52. ludicra: In polarer Ausdrucksweise Min. Fel. 1, 3; Rufin. apol. adv. Hier. 1, 7; vgl. auch Prud. cath. 2, 34 Nunc, nunc severum vivitur, / nunc nemo temptat ludicrum, / inepta nunc omnes sua / vultu colorant serio. Die Junktur ludicra verba findet sich etwa
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C. Kommentar
Milo sobr. 2, 368 seria Loth verba ad generos sunt ludicra visa; Polythecon 7, 258 gaudia semper amat et ludicra verba iuventus. Mit der Konnotation des Unbedeutenden in bezug auf das gewöhnliche, alltägliche Gespräch in Abgrenzung zum Genus des philosophischen Tischgesprüchs Cic. ac. 2, 6; Macr. 1, 6, 3; 7, 3, 24.
verba: Das dritte Glied der Reihe hat schon Bergman, der seria, ludicra, verba, iocos interpungiert, offensichtlich Schwierigkeiten bereitet. Im Bestreben, ein Gleichgewicht in der Aufzählung zu erhalten zwischen den Momenten ‘Ernst’ und ‘Spaß’, erwägt er im Apparat die Konjektur vera, die er wohl auf einer Stufe mit
seria angesiedelt sehen will. Der ausschließende Sinn von vera, 'Wahres' im Gegensatz zum 'Falschen', sprengt aber den polaren Ausdruck und ist deshalb unmöglich. Abzulehnen ist auch mit Gnilka die Emendation acerba (A. Hudson-Williams, The Class. Review 17 [1967], 295), die Rivero Garcfa, 166, A. 32, vermerkt (dazu Gnilka, Humor, 134 mit A. 31). Der Ausweg überzeugt zwar aus paläographischer Sicht, aber nicht aus inhaltlicher. Acerba, ‘Grimmiges, Finsteres’ bildet keinen eigentlichen Gegensatz zu iocos und paßt nicht in die christliche Tischunterhaltung (Gnilka, Humor, 134, A. 31). Der Vorschlag von Guillén/Rodríguez, 34, ludicra verba zusammenzufassen, verdient Erwähnung, ist aber stilistisch unschón, weil bei dieser Deutung ein langes von zwei kurzen Kola gerahmt wird. Gnilka, Humor, 134, A. 31, schließt das überlieferte verba daher mit einiger Berechtigung in Kreuze. Vielleicht kann man aber auch in der Reihung seria, ludrica, verba, iocos die Elemente verba iocos, ‘Worte und SpáBe', als lockere Explikation zu /udrica fassen,
dann käme hier zum inhaltlichen Gegensatz ‘Ernst — Scherz’ der materielle von Wort und Tat. Zu iocus im Sinn von lusus, also mit der Konnotation des Handelns, s. ThLL VII 2, 1, 289. DaB bei dieser Auffassung das Element der Kurzweil gegenüber dem des Ernstes betont hervortritt, paBt zu der Anspielung auf die Tischunterhaltung, die hier beabsichtigt ist, und spiegelt die Verhältnisse des realen Gastmahls. Die Alternative 'ernstes oder kurzweiliges Thema' wird anschaulich vor Augen gestellt Hor. sat. 2, 6, 70/6. trina pietas: bezeichnet nach deum und Christus die Hl. Dreifaltigkeit als ‘dreifache Güte'. Die Junktur auch bei Ausonius Vers. pasch. 29 (Green, 16) hos igitur nobis trina pietate vigentes, / rectores terrae placidos caelique ministros, / Christe, apud aeternum placabilis assere patrem (vgl. Green, 272f.). Ausonius stellt hier
die Beziehungen innerhalb der Kaiserfamilie als irdische Parallele zur Dreifaltigkeit Gottes dar, in deren Beschreibung der eigentliche Oster- bzw. Taufhymnus mündet. Mit trina pietate weist er auf trina fides, die Dreifaltigkeit, in Vers 22 zurück und überhöht dadurch die Loyalität der drei Kaiser — Valentinian, Valens, Gratian — zueinander. Bei Prudentius ist die Liebe und Güte des dreieinigen Gottes zu den Menschen gemeint, die sich im Tischsegen manifestiert. Charlet, influence, 21,
spricht daher von einer ‘Korrektur’ des Ausonius durch Prudentius, aber Junkturen dieser Art finden sich háufig bei Prudentius, vgl. trina machina (cath. 9, 14), trinam indolem (cath. 12, 67), trino martyre (perist. 6, 6), trinum nomen (psych. 849).
V. 21-25
65
Mit regat (V. 20) spielt Prudentius vielleicht auf den rex oder magister bibendi
(griech. συμποσίαρχος) an, den gewählten Vorsitzenden beim Trinkgelage, der über die Einhaltung bestimmter Regeln beim Trinken wachte (Blümner, 401f.; Marquardt/Mau, 1, 331f.; vgl. Hor. carm. 1, 4, 18; 2, 7, 25; Cic. Cato 46). Die Regeln wurden wohl auch vom arbiter bibendi festgesetzt, der „eine Art von Herrschergewalt ausübte und auch sonst den Teilnehmern gewisse Leistungen
vorschreiben durfte" (Blümner, 404; vgl. Cic. Verr. 5, 11, 29; Hor. sat. 2, 6, 69). Die Lenkung Gottes, die Prudentius erbittet, erfolgt im Gegensatz dazu ‘von oben’,
“aus himmlischen Höhen’ (superne) durch die Gnade des allmächtigen Gottes — und sie bezieht sich auf das ganze Leben. Strophe 5
V. 21-25 Hic mihi nulla rosae spolia, nullus aromate fraglat odor, sed liquor influit ambrosius nectareamque fidem redolet fusus ab usque patris gremio. Der Dichter entfaltet im Kontrast zu der materiellen Beigabe der heidnischen
Gelage, der wohlriechenden Essenz des Rosenóls, die geistliche Wohltat der sich über die Speisenden ergießenden Gnade Gottes. Dazu verwendet er das Bild des FlieBens und Duftens des Salbóls. Die Verse 23/5 führen die Darstellung der vorangegangenen Strophe fort, in der Prudentius Elemente des heidnischen Symposions umwandelt, um die spirituelle Dimension des christlichen Mahls, seine Durch-
dringung durch die Gnade Gottes, bildlich vor Augen zu führen. Die Verse 21f.
formulieren aber auch ausdrücklich die Absage des Dichters an die profane Sitte des Parfümierens und Salbens. An die Stelle des Rosenóls und der Aromen tritt dem Gläubigen der Wohlgeruch Gottes. Das ist — so legt die Anlehnung an Joh. 1, 18 in V. 25 nahe - Christus und der durch ihn geschenkte Glaube, der 'ausgegossen ist vom Schoß des Vaters’ (vgl. auch Gnilka, Seide und Rosenöl, 179; zur
Vorstellung des góttlichen Wohlgeruchs vgl. Kótting, passim; Lohmeyer, passim;
Deonna, odeur, passim). Zur Spiritualisierung des Wohlgeruchs im Christentum vgl. auch etwa 2 Kor. 2, 14f. ‘Dank sei Gott, der uns stets im Siegeszug Christi mitführt und durch uns den Duft der Erkenntnis Christi an allen Orten verbreitet. Denn wir sind Christi
Wohlgeruch für Gott unter denen, die gerettet werden, wie unter denen, die verlorengehen'. Den christologischen Aspekt entfaltet auch Clem. Alex. paed. 2, 8, 65, 2f. (Stählin, 1, 196f.), wenn er Christus mit der geistlichen Salbe gleichsetzt, nach der die Frau duften soll, und Christus als denjenigen nennt, der den Glüubigen das
Salböl des Geistes bereitet, vgl. χρὴ δὲ καὶ μάλα τοὺς μὲν ἄνδρας τοὺς παρ᾽
66
C. Kommentar
ἡμῖν μὴ μύρων, ἀλλὰ καλοκαγαθίας ὄζειν, γυνὴ δὲ ἀποπνείτω Χριστοῦ, τοῦ ἀλείμματος τοῦ βασιλικοῦ, μὴ διαπασμάτων καὶ μύρων, ἀεὶ δὲ τῷ σωφροσύνης ἀμβροσίῳ χρίσματι συναλειφέσθω, ἁγίῳ τερπομένη μύρῳ τῷ πνεύματι. τοῦτο σκευάζει Χριστὸς ἀνθρώποις γνωρίμοις, εὐωδίας ἄλειμμα, ἐκ τῶν οὐρανίων συντιθεὶς ἀρωμάτων τὸ μύρον. Ein Vorbild für die Zusammenschau von Christus, dem odor Verbi, und dem Wohlgeruch des Glaubens, dem odor fidei, liefert auch Ambrosius, vgl. etwa Ambr. virginit. 11, 61f. (dazu Gnilka, Seide und Rosenöl, 179). Bei Prudentius ist zu vergleichen apoth. 395 (Christus) blandus in ore sapor, fraglans odor, inriguus fons; ham. 856/8 (von der Seele im Paradies) illic purpureo latus exporrecta cubili / floribus aeternis spirantes libat odores / ambrosiumque bibit roseo de stramine rorem.
Das Salból und der Kranz, den Prudentius in der folgenden Strophe aufgreift, sind sympotische Elemente, die oft zusammen genannt werden (so Hor. carm. 2, 3, 13; 2, 11, 14f.; 3, 29, 3; Petron. 60, 3), wobei Motivation und Hintergrund nicht ganz klar bestimmbar sind. Nach Blümner, 400f., werden zu Beginn des zweiten Teils des Festmahls, der comissatio, an die Teilnehmer Kränze und Salböl für die Haare verteilt. Die Gaben sollen guten Geruch erzeugen und stehen im engen Zusammen-
hang mit der Anrufung der Laren und des Genius des Hausherrn, die ebenfalls den Beginn des Trinkgelages kennzeichnen (vgl. auch Baus, 76f.). Für andere, so Deubner, 96, gehórt der Kranz schon zur vorhergehenden cena. Prudentius widmet beiden Gegenständen, Salbe und Kranz, entsprechend ihrer neuen geistlichen Bedeutung eine eigene Strophe (s. auch Gnilka, Seide und Rosenöl, 178). Im frömmigkeitsgeschichtlichen Rückblick müssen allerdings beide Bräuche zusammengesehen werden. Mit der Absage an die Salbung und Parfümie-
rung steht Prudentius ganz in altkirchlicher Tradition (zum Kranz s. auch unten zu Str. 6). Sowohl die Sitte der Bekränzung als auch das Salben des Körpers lehnten
die frühen Christen ab. Der heidnische Angreifer bei Minucius Felix formuliert den Vorwurf: Non floribus caput nectitis, non corpus odoribus honestatis; reservatis unguenta funeribus, coronas etiam sepulcris denegatis (Min. Fel. Oct. 12, 6 Beaujeu). Clemens von Alexandrien urteilt in seiner Behandlung der Frage, ‘ob man Salben und Kränze verwenden soll’, gleich zu Beginn grundsätzlich (paed.
2, 8, 61, 1 [Stählin, 1, 193]) Στεφάνων δὲ ἡμῖν καὶ μύρων χρῆσις οὐκ ἀναγκαία. ἐξοκέλλει γὰρ εἰς ἡδονὰς καὶ ῥᾳθυμίας, μάλιστα γειτνιώσης τῆς νυκτός. Insbesondere das Salból gilt ihm als Ausdruck eines verweichlichten, üppigen Lebens und ist als Anreiz zu GenuBsucht und sexueller Zügellosigkeit zu verwerfen (paed.
2, 8, 64-69 [Stühlin, 1, 196/9]). Tertullian lung ‘De corona', der Begründung, warum unangemessen und nicht erlaubt sei. Der Kranzes ist seine vielfache Einbindung
widmet eine Spezialschrift, die Abhanddie Bekränzung des Hauptes für Christen wichtigste Grund für die Ablehnung des in den heidnischen Gótzendienst, als
Schmuck der Gótterstatuen oder der Opfernden, als Schmuck des Opfers und als
Spende selbst. Derjenige Christ, der der heidnischen Sitte der Bekränzung folgt, nimmt für die Väter teil am Gótzendienst und damit an der pompa diaboli (vgl.
V. 21-25
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bes. Tert. cor. 7. 13; noch Mart. Brac. correct. rust. 16) (zur christlichen Haltung zum Kranz im allgemeinen und zum sympotischen Kranz im bes. s. Baus, 37/54; 74/82). Auch die ablehnende Haltung zur Bekränzung und Salbung beim Festmahl gründet in der ursprünglich sakralen Bedeutung der convivia, deren religiós-
kultische Einbindung noch in der Opferspende an die Götter faßbar ist (dazu auch oben S. 12f. 60). Das Symposion im besonderen gilt als eine Art Dionysosdienst, daher die beliebten Krünze aus Efeuzweigen (vgl. auch zum Ursprung der Symposien die Nachricht bei Athen. 5, 192b [I 427 Kaibel]). Daß für die Christen die Symposien zum Dienst an den Dümonen gehórten, zeigt ihre Verwerfung in den Apostolischen Konstitutionen, vgl. Const. Apost. 2, 62, 4 (1, 179 Funk) ἀπέχεσθε
οὖν πάσης τῆς tv εἰδώλων πομπῆς, φαντασίας, πανηγύρεως, συμποσίων, HOVOμαχίας, καὶ πάσης θέας δαιμονικῆς. Im Zusammenhang mit den Ausschweifungen beim Symposion verurteilen die Bekrünzung die griechischen Theologen Basilius der Große (Bas. hom. 14 in ebrios. 6 [PG 31, 456f)) und Johannes Chrysostomos (Joh. Chrys. hom. in Col. 1, 6 [PG 62, 307)). Hic mihi: in emphatischer Anfangsstellung, unterstreicht wie nostra (V. 16) die Unmittelbarkeit der Situation. rosae spolia: Die Junktur bezeichnet ein der Rose abgewonnenes Produkt, das Rosenöl. Zur Herstellung und Verbreitung des rhodinum
in der Antike vgl. Marquardt/Mau, 2, 785. Daß rosae spolia nicht die Rosen selbst oder Rosenkrünze sein kónnen (so Thomson, 21; Lavarenne, édition, 13; Guillén/
Rodríguez, 35), legt Gnilka, Seide und Rosenöl, passim, dar. Zu vergleichen sind die Bildungen spolia agrestia = spolia agrorum bei Claud. rapt. Pros. 2, 139 sowie pratorum spolia bei Ennodius opusc. 6 (CSEL 6, 404, 19f.). Gemeint sind dort die Blumen, die gepflückt werden. Entsprechend geht ramorum spolia (Prud. ham.
288) auf die Seide, die nach verbreiteter Vorstellung den Blättern und Zweigen der Bäume abgewonnen wird (zu Prud. ham. 287f. und cath. 3, 21f. s. im einzelnen Gnilka, Seide und Rosenól, 174/9). | odor: meint den Duft des Salbóls, so auch Ov. met. 2, 626 ut tamen ingratos in pectora fudit odores (Verwendung von unguenta am Scheiterhaufen); Prud. cath. 10, 172 frigida saxa / liquido spargemus odore; perist. 3, 151 crinis odorus; perist. 10, 362 odorem balsami. Ebenso aroma: im Singular selten, vgl. Lavarenne, étude, 43, ὃ 71; vgl. Prud. apoth. 758 solus odor sparsi spiramen aromatis efflat; perist. 14, 72 mollisque efybus tinctus aromate;
vgl. auch Mart. Cap. 2, 115; Ven. Fort. 7, 12, 39.
liquor ... ambrosius: das duftende Salböl der Gnade Gottes, liquidus vom Salból auch Prud. cath. 10, 172 (oben s. v. odor zitiert); auch Hor. carm 1, 5, 2 (puer) perfusus liquidis ... odoribus. Liquor vom Öl Lucan. 4, 613; vom Salböl Optat. 7, 4. Die Junktur liquor ambrosius findet sich Stat. Theb. 9, 731 ambrosio
tum spargit membra liquore. Prudentius nutzt sie auch perist. 13, 12 in bezug auf die Beredsamkeit des hl. Cyprian: ut liquor ambrosius cor mitigat, inbuit palatum. ambrosius: Ambrosia bezeichnet nicht nur die Gótterspeise (z. B. Prud. c. Symm.
1, 274/6), sondern auch die Güttersalbe, das Duftól, mittels dessen die Gótter sich
68
C. Kommentar
den Körper jugendlich frisch erhalten sowie Sterbliche unsterblich machen, vgl. Verg. georg. 4, 415 liquidum ambrosiae odorem; Aen. 12, 419; Ov. met. 14, 606; Sil. 12, 245. nectaream: Auch hier nutzt der Dichter besonders die Vorstellung des süßen Duftes, der von der Góttersalbe ausgeht, nectareus also 'süB duftend wie Nektar’. Nektar und Wohlgeruch gehören zusammen: Ov. met. 10, 732 nectare odorato; im übertragenen Sinn Lucr. 2, 848; 6, 971; vgl. auch Prud. cath. 3, 72; 5, 21; perist. 2, 388. Nektar bezeichnet bei Prudentius immer etwas Kostbares,
Wunderbares, s. u. S. 122zu V. 72.
redolet: gleich olet, vi praepositionis evanida
(vgl. auch unten S. 82 zu recinat, V. 34).
ab usque patris gremio: Der Aus-
druck stammt aus dem Prolog des Johannes-Evangeliums (1, 18), und zwar nach
der Itala-Übersetzung: unigenitus filius qui est in gremio patris (Vulg. in sinu);
vgl. auch Mar. Victorin. adv. Arr. 4, 33.
II. Strophe 6-19. Erster Hauptteil: Lobpreis der Schópfungsgaben Strophe 6-8 Der Musenanruf in V. 26 markiert den Beginn eines neuen Abschnitts, der von V. 26 bis 95 reicht und den ersten Hauptteil des Gedichts bildet. Die Strophen 6-8 haben Proómcharakter, insofern sich poetologische Reflexion verbindet mit der Angabe des Themas (V. 34) und der Disposition (V. 39) der folgenden Darstellung. Diese wiederum wird durch eine der Einleitung entsprechende poetologische Betrachtung abgeschlossen (Str. 17-19) und ist daher als eigenstündiger Abschnitt hervorgehoben. Strophe 6 V. 26-30 Sperne, camena, leves hederas, cingere tempora quis solita es, sertaque mystica dactylico texere docta liga strofio laude dei redimita comas!
Der Musenanruf in Str. 6 kennzeichnet zwar einen Neueinsatz, der Dichter vermeidet aber einen abrupten Einschnitt, indem er zwanglos den Anschluf an die durch die Tischsituation geschaffene Bildlichkeit der vorangehenden Strophen gestaltet. Durch das mehrfach variierte Motiv des Kranzes greift Prudentius ein weiteres sympotisches Element auf: Es war üblich, daß die Teilnehmer eines Gastmahls oder Trinkgelages bekrünzt waren. Das Motiv findet sich auch in sympotischer Dichtung, vgl. z. B. Hor. carm. 1, 38; 2, 11, 14f.; 3, 29, 3; sat. 2, 3, 256. Zur religiósen und profanen Begründung des Kranzes bei Symposion und Mahl s.
V. 26-30
69
Baus, 74/8; zur christlichen Ablehnung dieser Sitte ebd., 78/82 (dazu oben S. 66f. zu Str. 5 ausführlich). Prudentius gibt dem Motiv der Bekränzung durch die Anwendung auf den Dichter und seine Dichtung hier eine spezielle Ausprägung, gleichzeitig wahrt er aber auch in der poetologischen Ausrichtung die zuvor evozierte Situation des Gastmahls, insofern er mit Gesang und Dichtung einen weiteren Unterhaltungspunkt 'anführt', der für die Gestaltung antiker Symposien charakteristisch ist: Gesang und in späterer Zeit die Rezitation von Gedichten, gerade auch von neuen Produkten, gehórten zum Brauch des Trinkgelages und der cena; s. Marquardt/Mau, 1, 337f. (Verweis auf Mart. 5, 78, 25; 3, 44; 3, 50; Plin. epist. 1, 15, 2; 3, 5, 11; 9, 17, 3; Persius 1, 30; Juv. 11, 179ff.; 6, 434ff.; Mart. 4, 82, 5ff.; 10, 19, 20f.); Binder, 805; Lumpe, 618f. Musik und Gesang beim Mahl stieBen bei
den Kirchenvätern auf Ablehnung (Quasten, 173/9). Während sie die Instrumentalmusik verbannten, wurde die Sitte des Gesangs christlich umorientiert. An die Stelle der weltlichen Lieder, die zur Sittenlosigkeit beitragen, oder der paganen Gótterlieder, die als Epiklesen fungieren und die Dämonen herbeirufen, sollen bei den christlichen Gastmählern Lobgesänge auf Gott treten. Christlicher Psalmenund Hymnengesang lädt Christus zum Mahl, vgl. Joh. Chrys. in epist. ad Col. 1, hom. 1, 5 (PG 62, 306); expos. in Ps. 41 (PG 55, 157f.) (oben S. 14 zitiert). Den Hymnen- und Psalmengesang bei Tisch bezeugen Tertullian und Cyprian, vgl. Tert.
apol. 39 (CCL 1, 153) ut quisque de scripturis divinis vel de proprio ingenio potest, provocatur in medium deo canere; Cypr. ad Donat. 16 (CSEL 3, 16, 11f., oben S. 14 zitiert). Prudentius selbst wendet sich ham. 316/20 gegen den sinnlichen Gesang beim Gelage, vgl. num propter lyricae modulamina vana puellae / nervorumque sonos et convivale calentis / carmen nequitiae patulas deus addidit aures / perque cavernosos iussit penetrare meatus / vocis iter? Für die ‘Heilung’
der paganen Sitte und die Übertragung ins Poetologische an unserer Stelle ist besonders Clem. Alex. paed. 2, 4, 44, 3/5 zu vergleichen, (Stählin, 1, 184) ἀλλ᾽ oi
μὲν ἐρωτικαὶ μακρὰν ἐρρόντων δαί, ὕμνοι δὲ ἔστων τοῦ θεοῦ αἱ δαί. Zum Hymnos als geistlichem Kranz vgl. Greg. Naz. carm. 2, 1, 1ff. (PG 37, 5211)
Παρθενίην στεφάνοις ἀναδήσομεν ἡμετέροισιν, / Ἐκ καθαρῆς κραδίης καθαροῖς μέλποντες ἐν ὕμνοις. / Τοῦτο γὰρ ἡμετέροιο Biov ξεινήιον ἐσθλόν, / Χρυσοῦ τ᾽ ἠλέκτρου τε φαάντερον, ἠδ᾽ ἐλέφαντος. Ferner Methodios (GCS 27, 471, 4/14) ‘Den Kranz von Blüten flechte ich Christus ... aus vielfachen Gesängen Maße (Muster) der Worte webend, machen (sc. wir) mit dieser geistigen Ehrer-
weisung Gott barmherzig'. Auf gedanklicher Ebene stellt die Aufforderung an die Muse, den üblichen Efeukranz zu verschmähen und stattdessen mystische Krünze zum Lob Gottes zu
flechten, eine weitere Absage an Profanes dar. Wie bei der christlichen Mahlzeit der göttliche Wohlgeruch an die Stelle der heidnischen Duftbeigaben tritt, so soll die spirituelle Dichtung die profane Poesie ersetzen. Die Parallele in der gedanklichen Bewegung spiegelt sich im Strophenaufbau: wie in Str. 5 verteilen sich negative und positive Aussage bzw. Aufforderung auf zwei bzw. drei Verse.
70
C. Kommentar
Mit der Aufforderung, von der alten, traditionellen Art des Dichtens (quis solita es) abzulassen und stattdessen neue Stoffe zu besingen, verarbeitet Prudentius einen poetologischen Topos, die recusatio alexandrinischer Herkunft. Auch bei der recusatio geht es um die Absetzung einer neuen, besseren Dichtung von der alten,
als überholt empfundenen Dichtungsform (zum recusatio-Motiv vgl. Wimmel; Kambylis. Im weiteren Kontext sieht Thraede, Studien, 31f., den Topos 'alii - ego' hier von Prudentius angewandt). Bei den rómischen Dichtern bezieht sich die Entscheidung in der Regel auf eine von zwei Gattungen (Kambylis, 144). Das Schwanken des Dichters zwischen den Gattungen wird dabei háufig in der Nachfolge des Kallimachos (fr. 1, 21/8 Pfeiffer) in das Motiv des warnenden Gottes, vornehmlich
Apolls, gekleidet (vgl. Wimmel, 135/41; Kambylis, 141ff., z. B. Verg. ecl. 6, 3/8; Prop. 3, 3, 13ff.; Hor. carm. 4, 15, 1/4; Stat. silv. 4, 7, 21f.). Hor. carm. 1, 6, 10f.
ersetzt die verbietende Muse den Apoll. Sie warnt vor dem groBen Vorhaben epischer Dichtung und rät zu kleiner, kunstmäßiger Dichtung: inbellisque lyrae Musa potens vetat / laudes egregii Caesaris et tuas / culpa deterere ingeni. Auch Prop. 3, 3, 37/ 52 wirkt die Muse Kalliope warnend, belehrend auf den Dichter ein, von der epischen Dichtung zu lassen und sich dem kleinen Genos der Liebeselegie zuzu-
wenden. Das Motiv der warnenden Muse hat Prudentius cath. 3, 26-30 in doppelter Hinsicht auf den Kopf gestellt. Nicht die Muse warnt und beruft den Dichter, der christliche Dichter befiehlt vielmehr der Muse, die leichte Dichtung, die sie zu inspirieren pflegt, zu verwerfen und stattdessen ‘mystische’ Stoffe zu dichten. Schon durch die Umkehr der Rollen gelingt es Prudentius, den überlegenen Anspruch des christlichen Dichters, der im herrscherlichen Gebrauch der Dichtung zum Ausdruck kommt, vor Augen zu führen. Auch die traditionelle Gattungsunterscheidung macht sich Prudentius für seine Transformation der recusatio zunutze. Der leichte Efeukranz (leves hederas), dem Bacchus heilig, gilt bei den römischen Dichtern als Symbol der ‘leichten’ Muse, der Liebes- und Trankdichtung, vgl. Prop. 3, 1, 19f.; 4, 1, 61f. Ennius hirsuta cingat sua dicta corona: / mi folia ex hedera porrige, Bacche, tua. Auch levis bezeichnet im poetologischen Kontext die leichteren, d. h. kleineren Gattungen im Gegensatz zur epischen und tragischen Dichtung. Hor. carm. 1, 6, 20 zielt leves, Synonym zu tenues (V. 9), als Selbstbezeichnung auf den Dichter des kleinen, lyrischen Kunstwerks: nos convivia, nos proelia virginum / sectis in iuvenes unguibus acrium / cantamus vacui, / sive quid urimur, / non praeter solitum leves.
Programmatisch steht die Musa levis bei Prop. 2, 12, 22 nach der Μοῦσα λεπταλέη des Kallimachos (fr. 1, 24 Pfeiffer) (weitere Beispiele ThLL VII 2, 2, s. v. levis, 1212, 2/39). Prudentius spielt mit leves hederas auf die gattungstypologische Bedeutung ‘kleine, leichte Gedichte’ an, um dann im Gegensatz zu serta mystica und laude dei den neuen, geistlichen Sinn hervortreten zu lassen: Das ist die 'flüchtige, hinfällige’ Dichtung, die nichts zum Ruhm Gottes beiträgt. Schon Remigius hat leves mit vanas glossiert (Gloss. z. St., 798 bei Arevalo; zur Zuweisung der alten Glossen an Remigius von Auxerre statt an Iso von St. Gallen s. Gnilka, Prud.
V. 26-30
71
I, 378, A. 19). Leves hederas ist also Symbol für die pagane Dichtung überhaupt, insofern sie in ihrer Gesamtheit, am Maßstab der spirituellen, auf Gott ausgerichteten Poesie gemessen, unbedeutend und wertlos erscheint. Eine inhaltliche Parallele
mit fast wörtlichen Anklängen an Prudentius' Absage an pagane Stoffe liegt vor in Paul. Nol. carm. 22, 9/19 (an Iovius) (CSEL 30, 186f.): heia age tende chelym, fecundum concute pectus, magna movens; abeat solitis inpensa facultas carminibus, maior rerum tibi nascitur ordo. non modo iudicium Paridis nec bella gigantum falsa canis. fuerit puerili ludus in aevo iste tuus quondam; decuerunt ludicra parvum. nunc animis gravior, quantum provectior annis, aspernare leves maturo corde Camenas, et qualem castis iam congrua moribus aetas atque tui specimen venerabile postulat oris, suscipe materiam, divinos concipe sensus. Die leves Camenae (V. 16), in metonymischer Bedeutung entsprechend den leves hederae bei Prudentius, bezeichnen den Inhalt paganer Dichtung. Der mythologische Stoff (V. 13f.) wird der Kindheitsstufe der schulischen Ausbildung zugerechnet. Als reifer Christ, der sein ganzes Leben auf Christus ausgerichtet hat, soll sich Iovius neue Themen suchen, Christus und die Wundertaten des hóchsten Gottes (vgl. V. 17/9; 29f. miracula summi vera Dei) (zum Zusammenhang von monastischer und literarischer Conversio s. Skeb, 162ff.). DaB die antike Dichtung zu den vana gehört, den eitlen Gegenständen, die nichts zum Heil des Menschen beitragen, klingt bei Prudentius in leves an, von Paulinus wird es carm. 10, 19ff., bes. 33/42, vehement vorgetragen: (CSEL 30, 25f.) vacare vanis, otio aut negotio, / et fabulosis litteris / vetat (sc. maior deus), suis ut pareamus legibus / lucemque cernamus suam, / quam vis sophorum callida arsque rhetorum et /figmenta vatum nubilant, / qui corda falsis atque vanis imbuunt / tantumque linguas instruunt, / nihil ferentes, ut salutem conferant / aut veritate nos tegant (vgl. auch die Ableh-
nung der Bescháftigung mit paganer Literatur im Damasus zugeschriebenen Epigramm 2 [Ferrua] V. 3 non falsas fabulas studio meditaris inani; V. 5 vanis curis; grundlegend auch Aug. epist. 26 [CSEL 34, 83ff]). In der Haltung gegenüber dem Musenkult konstatiert die Forschung allerdings einen Gegensatz zwischen beiden Dichtern (Kohlwes, 37; zuletzt Lühken, 252). Die Ablehnung der Musen und der Anrufung der heidnischen Inspirationsgottheiten durchzieht die literaturtheore-
tischen Aussagen des Paulinus (vgl. carm. 10 an Ausonius, bes. 10, 19/32; 110/5; carm. 15, 30ff.; carm. 22 an lovius, bes. 22, 15ff.). In seiner Antwort auf die Bitte des Ausonius, zur heidnischen Dichtung zurückzukehren, weist Paulinus die Invokation der Musen als Gottheiten dichterischer Inspiration weit von sich. Richtig
72
C. Kommentar
ordnet Skeb, 80f., gegen Kohlwes, 36f., die Passage der zeitgenössischen Polemik gegen den Glauben an heidnische Gottheiten generell zu. Es geht Paulinus also weniger um das literarische Mittel des Musenanrufs, als um den zugrundeliegenden Götterglauben, der die heidnische Dichtung diskreditiert. Vgl. carm.
10, 19/22
(CSEL 30, 25): Quid abdicatas in meam curam, pater, / redire Musas praecipis? / negant Camenis nec patent Apollini / dicata Christo pectora. Absage an und Polemik gegen die Musen und Apoll übernimmt Paulinus in das programmatische Proóm
des vierten Natalicium (carm. 15, 30/3 (CSEL 30, 52]) (Skeb, 136f.; Kohlwes, 137ff.): non ego Castalidas, vatum phantasmata, Musas / nec surdum Aonia Phoebum de rupe ciebo; / carminis incentor Christus mihi, munere Christi / audeo peccator sanctum et caelestia fari. Die Argumentation ist die gleiche. Die Musen existieren nicht als Gótter, sie sind Einbildungen der Dichter, leere Namen. Dagegen weiß sich der christliche Dichter durch die Gnade Gottes mit dichterischer Fähigkeit begabt: Christus selbst ist Inspirator seiner Dichtung. Im Vergleich zur krassen Ablehnung des Musenanrufs durch Paulinus mag die Anrede der Camena bei Prudentius überraschen (vgl. Lühken, 252). Natürlich denkt Prudentius nicht an die Gottheit der Muse, um deren Gunst er gar *buhlt'. Diese
absurde Vorstellung von Kah, 44, A. 213, wird von Lühken, 252f., nicht klar genug zurückgewiesen. Prudentius mißt der Muse ebensowenig wie Paulinus eine göttliche Realität bei. Die Camena steht sinnbildlich für die Dichtkunst, die Dichtung im allgemeinen (richtig schon Arevalo, 789f.: Nam poesim universe alloquitur, ut potius Dei laudes quam alia inepta canat, Rodriguez-Herrera, 35f.; irreführend die individuelle Deutung bei Lühken, 253, „sein Dichtertum"; umständlich und vage Cunningham, Contexts, 61, „the spirit of the Latin poetic tradition"). Personifizierung und Anrede der Camena sind als poetischer Kunstgriff zu verstehen, als Spiel mit dem hohen Anspruch der heidnischen Dichtung, der im Musenkult zum Ausdruck kommt. Die Zuweisung des Efeukranzes, der für die leichten Stoffe des Symposions und der Liebe vergeben wird, an die altehrwürdige Camena — nach antikem Verständnis geradezu ein Paradoxon - entlarvt diesen Anspruch auf Erhabenheit. Prudentius fordert die Dichtkunst auf, von den Gegenstünden, die ihrer nicht würdig sind, zu lassen, und erweist ihr gerade dadurch seine Reverenz, daß
er sie zu Hóherem beruft. Auch hierin liegt eine Umkehrung des recusatio-Motivs. Achtet der hellenistische Dichter bei der Wahl seines Gegenstandes gewóhnlich darauf, daß die Aufgabe die eigenen Kräfte und Fähigkeiten nicht übersteigt, so fordert der christliche Dichter die personifizierte Dichtkunst auf, ihre Ausdrucksmittel für Größeres bereitzustellen. Denn erst durch die Darstellung der geoffenbarten Wahrheit erhält die Poesie einen würdigen Gegenstand, erst durch die Ausrichtung auf den wahren Gott findet sie ihre eigentliche Bestimmung und wahre Würde (Rodriguez-Herrera, 35, hat das, in der Bildlichkeit des Hymnendichters bleibend, treffend erkannt und beschrieben). Zur Berufung auf die Würde des Stoffes, um die neue, christliche Dichtung zu legitimieren, vgl. auch Iuvencus praef. 19f. 27 (dazu auch van der Nat, Iuvencus, 254).
V. 26-30
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In der positiven Aufforderung an die Muse (V. 28/30) nutzt Prudentius ein
weiteres Moment des Inspirationsmotivs, die Vorstellung von der Belehrung des Dichters durch die Gottheit (dazu Falter, 64/6; 81). Die Muse gibt durch Unterwei-
sung und Belehrung Auskunft über Dinge, die gewóhnliche Menschen nicht wissen kónnen (vgl. z. B. Od. 8, 479. 488; Hes. theog. 22; erg. 662; Theokrit 7, 91f.; Kall. A.P. 7, 42, 4; Hor. carm. 1, 1, 29f. [unten S. 73 zitiert]; Prop. 2, 10, 10 nunc aliam
citharam me mea Musa docet). Prudentius nennt die Muse selbst docta, kehrt also das Motiv um. Die Muse selbst bedarf der Belehrung durch Gottes Gnade, um mystische Lieder dichten zu kónnen. Die Unterweisung bezieht sich auf den Inhalt der Gedichte: Die mystica serta zielen auf die übernatürlichen, geistigen Wahrheiten, die dem Menschen nur durch Offenbarung zugänglich werden. Erst die *Einweihung' in die tieferen Glaubenswahrheiten befähigt die Muse zur Abfassung christlicher Dichtung. Auch das Bild von der bekrünzten Muse aus V. 26f. wird hier wieder aufgenommen. Die spirituelle Muse hat den Efeu gegen das Lob Gottes getauscht. Auffällig ist der nicht-bildhafte Ausdruck laus dei, der zusammen mit dem Adjektiv mystica das Neue der christlichen Dichtung charakterisiert. Mittels des Bildes der Bekránzung wird eine Spannung hergestellt zwischen leves hederas und laus dei, die den Ruhmesgedanken evoziert. Der pagane Dichterkranz ist nicht nur ein Zeichen der Weihung, ein Symbol für das Dichtertum, er bedeutet auch
Auszeichnung und Dichterruhm (zur bes. Ausprägung bei den Römern unter dem Einfluß der Triumphfeiern s. Kambylis, 179f.), vgl. z. B. Lucr. 6, 95 te duce ut insigni capiam cum laude coronam; Verg. georg. 3, 21 (mit 3, 12); Hor. carm. 4, 2, 9 (auf Pindar bezogen); Prop. 4, 10, 3f. magnum iter ascendo, sed dat mihi gloria vires: / non iuvat e facili lecta corona iugo; bes. die programmatischen Stücke Hor. carm. 1, 1, 29f. Me doctarum hederae praemia frontium / dis miscent
superis; carm. 3, 30, 14/6 sume superbiam / quaesitam meritis et mihi Delphica / lauro cinge volens, Melpomene, comam. Horaz bittet die Muse, den Ruhm für sein Werk, das er ihrer Begnadung zu verdanken hat, als Gabe anzunehmen und mit dem Lorbeerkranz, der Dichterkrone par excellence, zu belohnen. Das stolze Selbstgefühl, das in der Aufforderung des Horaz an die Muse zum Ausdruck kommt, ist dem Selbstverständnis des christlichen Dichters diametral entgegengesetzt. Der Kranz, den die Muse des Prudentius sich aufsetzen soll, ist nicht Belohnung für
vollbrachte Leistung, sondern der Lobpreis Gottes. Nicht der eigene Ruhm bildet Ziel und Zweck seines Dichtens, sondern die Verherrlichung der Gaben und Taten
Gottes. Die theozentrische Auffassung vom Dichterberuf formuliert Prudentius auch in der Praefatio 36f.: saltem voce deum concelebret (sc. anima), si meritis nequit. / Hymnis continuet dies / nec nox ulla vacet, quin dominum canat. Die Gegenüberstellung von paganer Dichterkrone und der aus dem Lobpreis Gottes bestehenden Krone der christlichen Muse weist also auf einen tieferen Unterschied als den des Inhalts der Dichtung. Es geht um den Zweck und Nutzen der Dichtung, an dem sich die Überlegenheit der christlichen Poesie messen lüBt.
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C. Kommentar
V. 26f. Der Dichterkranz wird seit Hesiod als Zeichen der Weihung zum Dichter von den Musen verliehen; vgl. Hes. theog. 30f. (Kambylis, 174), bei lat. Dichtern z.B. Lucr. 1, 117f. 929; Prop. 3, 1, 20; 4, 1, 61; Verg. georg. 3, 21; Hor. sat. 1, 10, 49; epist. 2, 2, 95; Ov. Pont. 3, 4, 64; trist. 1, 7, 4; Stat. silv. 2, 1, 166. Bei Prudentius
ist die Muse selbst bekrünzt gedacht. Die Vorstellung findet sich auch bei den paganen Dichtern, bes. dann, wenn die Muse in der Rolle des Sängers und Dichters erscheint, z. B. Ov. am. 1, 1, 29f. cingere litorea flaventia tempora myrto, / Musa per undenos emodulanda pedes; met. 5, 338 (von der im Sángerwettstreit auftretenden Calliope); fast. 5, 79 neglectos hedera redimita capillos (von der eine
Deutung des Monatsnamens Mai vortragenden Calliope); Stat. silv. 1, 5, 73; 2, 7, 11. leves hederas steht hier metonymisch für die Gedichte, welche die Muse eingibt (ThLL VI, 2. 3, s. v. hedera, 2599, 1f.: spectantur carmina). Aber der komplexe
Sinn der Kranzmetaphorik wird vereinfacht, wenn man die verschiedenen Krünze hier nur mit den Produkten des Dichtens oder gar nur mit den Gedichtinhalten, wie
Lühken, 253, A. 24, vorschlägt, gleichsetzt. hederas: Der Efeu war dem Bacchus geweiht, z. B. Lygd. 6, 2; Ov. met. 6, 599; fast. 6, 483; trist. 1, 7, 2; Prop. 4, 1, 62. Im rómischen Bereich ist er der gewóhnliche Dichterschmuck, vgl. Hor. carm.
1, 1, 29; Prop. 2, 5, 26; Ov. ars 3, 411f.; Mart. Cap. 1, 10; Ennod. carm. 2, 66, 7 (dazu Numberger, 320, zu Hor. carm. 3, 30, 15f. Delphica laurus). Als Zeichen des Bacchus steht der Efeu aber in besonderer Verbindung zu erotischer und sympotischer Dichtung, vgl. oben S. 70 zu Prop. 4, 1, 62. camena: Gleichsetzung der Muse mit der altrömischen Quellgottheit Camena seit Liv. Andr. frg. 1 Blänsdorf; vgl. Enn. ann. 1, 2 Vahlen; Lucilius 1028 M. = 1068 K.; bei den Augusteern steht die Verwendung des Namens im Zusammenhang mit dem Konzept des Dichters als vates; z. B. Verg. ecl. 3, 59; Hor. carm. 2, 16, 38; 3, 4, 21; sat. 1, 10, 45. Zur volksetymologischen Ableitung von carmen s. Bómer, 52 zu Ov. fast. 1, 462; Walde/ Hofmann, I, 146. Prudentius hat den alten, archaischen Namen für die Muse bewußt gewählt, um die Erhabenheit, die dem Komplex von Musenanruf und Dichter-
weihe anhaftet, zu unterstreichen. Bei Prudentius findet sich die Anrede der Muse nur hier. Metonymischer Gebrauch von camena im Sinne von 'Lied' liegt vor cath. 9, 3 hunc camena nostra solum pangat, hunc laudet lyra; perist. 6, 153 reddamus paribus pares camenas. V gl. auch Hor. carm. 1, 12, 39; evtl. auch 4, 6, 27; 4, 9, 8; Ov. met. 14, 434; Auson. epist. 21, 73f. (Green, 224) Latiis Camenis. quis solita es: Die biographische Deutung, von Rósler, 51, u.a. vorgebracht, die leves hederae
gingen auf frühere, weltliche Dichtungen des Prudentius, ist schon zu Recht zurückgewiesen worden, s. Arevalo, 798; Rodriguez-Herrera, 148, A. 73; Lühken, 252, A. 19. V. 28-30. Die von einigen getadelte Konstruktion der Verse (Lavarenne, édition, 13 „desordre lyrique"; Thraede, Studien, 32, A. 41 „An Kompliziertheit ist die Ausdrucksweise in Cath. 3, 26ff. übrigens kaum zu übertreffen“, Kah, 54, A. 254)
ist in Wahrheit ein Kunststück sprachlich-syntaktischer Gestaltung. Die verschlungene Wortstellung malt gewissermaBen das Flechten, Winden eines Kranzes nach.
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Das Hyperbaton von dactylico ... strofio mit der Verteilung der Glieder auf das jeweilige Versende erzeugt eine Spannung, die wie eine Schlinge die Verse zusammenschlieBt und so die 'Schleife' des Bandes nachahmt. Vgl. auch Evenepoel, liber Cathemerinon, 96, dessen Bewertung der Konstruktion als „expressive Mixtura
verborum" aber m. E. nicht zutreffend ist, insofern diese gesteigerte Form des Hyperbaton nach Lausberg, 358, die sprachliche perspicuitas geführdet, wovon hier nicht die Rede sein kann. Die sachliche Erklürung der Verse bietet allerdings einige Schwierigkeiten, was sich oft in der Verkennung des Satzbaus niederschlägt (richtig gelóst von Gnilka, Prud. II, 470; Evenepoel, Hymnus ante cibum, 127; Thomson, 21; falsch Lavarenne, édition, 13; Arevalo, 799; Witke, Numen litterarum,
116; Kah, 54). Serta mystica ist ἀπὸ κοινοῦ als Objekt zu texere und zu liga gesetzt. Dactylico strophio ist Ablativus instrumentalis und gehört nur zu liga. Der letzte
Vers schließlich bildet ein Kolon, wobei comas Accusativus graecus zum Partizip redimita ist. Die irrigen Bezüge — z. B. comas zu liga bei Lavarenne - erklären
sich v. a. durch die falsche Übersetzung von strofío als 'Kranz', vgl. Lavarenne, édition, 13; Arevalo z. St., 799 Hoc loco strophium intellige coronam cum Nebrissensi: est enim strophium quidquid circumflectitur et cingit, ut corona,
cingulum; daher auch die Gleichsetzung 'dactylicum strophium = laus Dei’ bei Thraede, Studien, 32, A. 41. Strophium meint hier aber in eigentlicher Bedeutung das Band, das den Kranz zusammenhält. Im übertragenen Sinn steht PsVerg. copa 32 strophium für den Kranz: Et gravidum roseo necte caput strophio. In ähnlicher
Weise ist PsPrud. perist. 4, 25 das Stimband gemeint, Prud. psych. 449 die Busenbinde, vgl. Gnilka, Prud. II, 416. serta: Die 'Krünze' meinen Gedichte. Prudentius verwendet den alten Vergleich des Dichtens mit dem Winden eines Kranzes. Das
gelungene poetische Werk ist dann ein Kranz, den der Dichter sich aufs Haupt setzen darf, vgl. Prop. 3, 1, 19 mollia, Pegasides, date vestro serta poetae. Mart. 8,
82, 4. Zum Symbol des Blütenkranzes vgl. Pind. O. 6, 86f., N. 7, 77/9; Hor. carm. 1, 7, 7; 1, 26, 8 necte meo Lamiae coronam. Prudentius selbst nennt perist. 3, 208f. in schöner Anwendung des Bildes serta texta sein Gedicht für die Märtyrerin Eulalia, das er zusammen mit den Blumenspenden der Müdchen und Jungen auf das Grab legen will: Ista comantibus e foliis / munera, virgo puerque, date! / ast ego serta choro in medio / texta feram pede dactylico / vilia, marcida, festa tamen. texere: vom Winden des Kranzes Mart. 13, 51, 1 texta rosis ... corona; Prop. 3, 3, 36 illa
manu texit utraque rosam; Ov. met. 10, 123; vom Dichten Prud. perist. 3, 208f. serta texta. mystica: Zum Gebrauch von μυστικός in bezug auf die verborgenen, der menschlichen Vernunft allein nicht zugänglichen Wahrheiten der christlichen Lehre vgl. z. B. Greg. Nyss. (PG 44, 319; 45, 81). So spricht Prudentius perist. 10, 646 vom 'Geheimnis unserer Erlósung' (de mysticis nostrae salutis) und perist. 13, 20 von den ‘verborgenen Geheimnissen Christi’ (mystica vel profunda
Christi), von der Góttlichkeit Christi vgl. z. B. auch Euseb. Caes. demonstr. ev. 3 (PG 22, 248f.). Die Eucharistie ist eine ‘mystische Speise’, Prud. cath. 5, 108 dapibus mysticis. In abgeschwächter und allgemeiner Form heißt mysticus *heilig',
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C. Kommentar
z.B. Prud. perist. 5, 186 mysticis litteris, ham. 460; ‘geistig, spirituell', psych. 663f. sic expugnata vitiorum gente resultant / mystica dulcimodis virtutum carmina psalmis. Vgl. auch Paul. Nol. carm. 9, 19 mystica cantica; Sedul. carm. pasch. 5, 241 mystica secreta.
dactylico strophio: Das Metrum ist das Band, das den Liedkranz zusammenhält, das Mittel, durch das das lyrische Gedicht als solches konstituiert wird. Es steht hier gleichsam synekdochisch für das ganze Formenspektrum der lateinischen Poesie, das der christliche Dichter für seine Zwecke in Anspruch nimmt. Zugleich verweist Prudentius über die Angabe des genauen VersmaBes auf das Gedicht im daktylischen katalektischen Tetrameter, das ihm als konkrete Aufgabe vorliegt. Die poetologischen Forderungen spiegeln so die persónliche Ausgangssituation des Dichters, der zu einem neuen Lied anhebt, und bilden einen regelrechten Rahmen für das folgende Loblied. - Hinweise auf das Metrum finden sich bei
Prudentius innerhalb poetologischer Partien entweder am Anfang (cath. 3 und 9) oder am Ende (perist. 3 und 6) eines Hymnus sowie im Epilog. Vgl. auch Prud. cath. 9, 1f. Da, puer, plectrum choraeis ut canam fidelibus / dulce carmen et melodum, gesta Christi insignia! (= trochüischer Tetrameter; choraeis i. q. trochaeis,
vgl. Gnilka, Prud. II, 560, gegen Smolak, 222f. Die Wahl des VersmaBes für den Christushymnus begründet Smolak, 215/7, aus der Nutzung der lyrischen Gattung *Epinikion'); perist. 3, 208/10 ast ego serta choro in medio / texta feram pede
dactylico; perist. 6, 160/2 Fors dignabitur et meis medellam / tormentis dare prosperante Christo / dulces hendecasyllabos revolvens; Epilogus 7f. Nos citos iambicos / sacramus et rotatiles trochaeos. — Thraede, Studien, 33, verfehlt den Sinn dieser metrischen Angaben, wenn er sie als bloßen Ausdruck von „Gelehrsamkeit" und als „gleichsam Angabe des Paragraphen im Lehrbuch der Metrik“ abtut. Von vielschichtiger Bedeutung haben sie durchaus eine Funktion im Rahmen der neuen, spirituellen Dichtung. Insofern die metrische und rhythmische Gestaltung wesentliches Formprinzip und spezifisches Merkmal von Dichtung ist, unterstreicht die Erwähnung des Metrums die christliche Umorientierung und Nutzung der Poesie, der polymetrischen, lyrischen Dichtung im besonderen (cath. 3 und 9). Das Metrum steht auch synekdochisch für das vorliegende Gedicht (perist. 6). Ein weiterer Aspekt tritt daher in den Märtyrergedichten perist. 3 und 6 sowie im Epilog hervor. Die genaue Angabe des Metrums trágt zur Identifizierung der Gedichte bei, was wiederum von Bedeutung ist für den Verdienstcharakter, den Prudentius seiner Dichtung zuschreibt. Die technische Ausführung ist es, die die Gedichte des Prudentius unter den zahlreichen Opfergaben für Gott áuBerlich unverkennbar und unterscheidbar macht und zugleich als bescheidene ‘Kleinigkeiten’ kennzeichnet.
So erhofft sich Prudentius perist. 3, 211ff. durch seine Gedichtgabe die Protektion der Schutzpatronin Eulalia für sich und das Volk, wobei er seine Spende den Blumenspenden der Kinder unterordnet (gegen Kah, 54, A. 253). Perist. 6, 157ff.
äußert Prudentius die Hoffnung, sein Gedicht werde den Märtyrer Fructuosus zur Fürsprache am Jüngsten Tag bewegen, so wie er sicher ist, daß die Verehrung des
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Märtyrers die Bewohner von Tarraco vor den ewigen Feuerqualen bewahren wird. Im Epilogus schlieBlich kennzeichnet Prudentius seine Dichtung als Opfer für Gott (epil. 7f.), als bescheidenen Ersatz für gute Werke und Frómmigkeit, der wie diese
einen Platz im Himmel zu sichern vermag (epil. 29f.). In cath. 3, 28/30 darf die Erwähnung des Metrums nicht überbewertet werden. Arevalos Auflösung der Konstruktion *Camena, docta texere serta mystica, liga tempora strophio dactylico', quia carmen hoc est dactylicum (799), verfälscht den Sinn, denn das Neue, Neuar-
tige des prudentianischen Gedichts ist nicht das daktylische Versmaß. Irreführend auch die Deutung der Camena bei Witke, Numen litterarum, 116, als „the figure of the dactylic muse", als Gottheit, die eine bestimmte Art von Dichtung symbolisiere. Völlig abwegig ist der Vorschlag Cunninghams, Contexts, 61, dactylicum strofium auf eine neue Strophenform mit einer Zahl gleichgebauter Verse zu beziehen, die hier von den antiken, aus verschiedenen Versen zusammengesetzten Stro-
phen abgesetzt würden (dagegen schon Lühken, 253, A. 22).
redimita: 'bekrünzt', 'umwunden', muß auf Camena bezogen werden (falsch Kah, 54). Zur Konstruktion mit dem Akk. graecus und dem ADI. instr. vgl. z. B. Ov. fast. 3, 269 frontem redimita coronis, femina; 3, 669 levi mitra canos incincta (v. |. redimita) capillos; Sil. 16, 526 intonsasque comas viridi redimita corona (sc. pubes). laude dei: ‘Lobpreis Gottes’. Laus ist Terminus technicus für Hymnus, Psalm, s. unten S. 137 zu V. 95, Thraede, Hymnus, 919f. Die Verletzung des isokrateischen Gesetzes durch die Junktur laude dei dient hier wohl der Ausdrucksverstärkung (vgl. auch Prud. apoth. 81 unde deus; nach Verg. Aen. 5, 467 cede deo; Tib. 1, 10, 20 aede deus; Ov. ars 3, 244 in aede dea; Gnilka, Prud. I, 371, Anm. 20).
Strophe 7 V. 31-35 Quod generosa potest anima, lucis et aetheris indigena, solvere dignius obsequium, quam data munera si recinat artificem modulata suum? Aus der góttlichen Herkunft der Seele leitet der Dichter die Pflicht ab, den Schópfer
und seine Gaben zu besingen. Der Charakter der Strophe ist argumentativ. Sie liefert in Form einer rhetorischen Frage die anthropologische Begründung für die geforderte Ausrichtung des Dichtens auf das Gotteslob: Den Schópfer zu loben gilt als adiiquater Dienst der sich ihres Geschópfseins bewuBten Seele. Thraede,
Studien, 32, spricht den Versen ihre poetologische Relevanz ab, weil für ihn „die anima ... artificem modulata suum sich nur auf das gerade entstehende Gedicht beziehen kann". Daß das vorliegende Tischgebet im besonderen dem Lobpreis der Heilstaten Gottes gewidmet ist, steht außer Frage. Der situative Kontext der Mahlzeit
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C. Kommentar
bzw. der Gabenbereitung vor dem Essen bietet einen AnlaB zum Lobpreis der Güte Gottes, so daß die Thematik, wie auch bei den Morgen- und Abendgebeten des Liber Cathemerinon zu beobachten, aufs engste verbunden ist mit dem alltäglichen Vorgang, den das Gedicht poetisch gestaltet. Aber die Verknüpfung der Aussage mit dem Vorhergehenden sowie das generalisierende anima lassen es zu, die Verse
auch auf die Aufgabe von Dichtung im allgemeinen zu beziehen, wie es ja überhaupt nicht überraschen kann, daß im Proóm Grundsätzliches zur Sprache kommt. Daß Prudentius Poesie wesentlich als Lobpreis Gottes definiert, also theologisch konstituiert, macht schon die Präfatio deutlich (V. 35ff.), wo das voce deum concelebrare erscheint als eine Form des christlichen Lebens, das immer Leben
zur Ehre Gottes ist. Die Einbettung der Poesie ins Existentiell-Spirituelle ist auch hier zu beobachten. Prudentius stellt sein Dichten dar als genuin menschliche Antwort auf die Wohltaten Gottes, als angemessene Form der Dankabstattung des sich seiner reichen Ausstattung bewuBten Menschen. In der Mittelstrophe des Proóms überlagern sich demnach die kompositionelle, die poetologische und die theologisch-anthropologische Ebene: Das Lob Gottes ist Thema des folgenden Liedab-
schnitts, es ist Aufgabe der christlichen Dichtung an sich und es ist dem Schöpfer geschuldeter Dienst des mit der Seele begabten, geschaffenen Menschen. Die syntaktische Bewegung der Strophe ist zweigeteilt. Die weite Sperrung von quod und obsequium erzeugt eine Spannung über drei Verse hin, die im Vergleichssatz (V. 34/5) aufgelöst wird, welcher zugleich das Thema des vorliegenden Liedabschnitts angibt, den Gabenpreis (data munera recinat, V. 34). Der
Gabenpreis wird als ein Mittel eingeführt, den Schópfer zu preisen. Das thematische Wort munera, im engeren Kontext des Tischgebets als 'Speisen' verstanden, rahmt die Darstellung der menschlichen Nahrung in V. 41-80, vgl. cath. 3, 77 munera mitia, und verbindet zugleich die beiden Tischgebete:
Dem
Lob der Gaben
im
Vortischgebet entspricht der Dank für die erhaltenen Gaben im Nachtischgebet, vgl. cath. 4, 72 Sic nos muneribus tuis refecti, / largitor deus omnium bonorum, / grates reddimus et sacramus hymnos. Unter kompositionellem Gesichtspunkt leiten die Stichworte 'Schópfer' und 'Schópfungsgaben' auch über zur nachfolgenden
Strophe, in der der Schópfungsauftrag Gottes an den Menschen (Gen. 1, 28f.) thematisiert wird. Zugleich schlägt Vers 35 den Bogen zurück zum Schlußvers der vorhergehenden Strophe mit der Forderung des Gotteslobs: artificem modulata suum variiert laude dei redimita comas. Mit der Konzeption des Tischliedes als Gabenpreis steht Prudentius ganz in der altkirchlichen Tradition. Der Lobpreis des Schópfers und seiner Gaben erscheint als konstitutiv für das christliche Tischgebet, s. besonders Clem. Alex. paed. 2, 4, 44, 1 und Bas. epist. 2, 6 (oben S. 13f.
19 zitiert). anima: Als Subjekt des Lobens ist die Seele gedacht. Ebenso praef. 35f. peccatrix anima stultitiam exuat; / saltern voce deum concelebret, und cath. 9, 82/4 Solve vocem, mens sonora, solve linguam mobilem, / dic tropaeum passionis, dic
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triumfalem crucem, / pange vexillum, notatis quod refulget frontibus! Weder hier noch praef. 35 ist anima mit dem 'poetischen ingenium' gleichzusetzen (gegen Thraede, Studien, 32). Die Seele ist natürlich in ihrer Gottesebenbildlichkeit Trägerin der geistigen Aktivitäten des Menschen (vgl. apoth. 802/6; c. Symm. 2, 384/92). Literarisches Vorbild sind vielleicht die Psalmen, in denen am Anfang
und am Ende an die eigene Seele die Aufforderung zum Gotteslob ergeht, vgl. Ps. 146, 1 lauda, anima mea, Dominum; Ps. 103, 1 benedic, anima mea, Domino. generosa: Zugrunde liegt die Auffassung vom 'natürlichen Adel' der Seele. Der natürliche, allen gemeinsame Adel wird für die Christen durch die Abstammung von Gott konstituiert, und er umfaBt sowohl die Seele als auch den Kórper (s. Henke, Studien, 155/63 zu Prud. perist. 10, 123/8 mit den patristischen Belegen). Generosa (Neutr. Pl.) heiBt daher die von Gott geschaffene Seele als der immaterielle, unsterbliche Teil des Menschen Prud. cath. 10, 21/4: ut, dum generosa caducis
/ ceu carcere clausa ligantur, / pars illa potentior extet, / quae germen ab aethere traxit. Aber auch die sterblichen Überreste des Menschen werden als generosa fragmina bezeichnet (cath. 10, 128), weil sie einst die Wohnung der von Gott stammenden Seele waren (10, 129f.). Der Gedanke des natürlichen Seelenadels bei Prudentius noch cath. 7, 19 scintilla mentis ... nobilis; 10, 130; c. Symm 1, 19 sed studuit quo pars hominis generosior intus / viveret (s. Henke, Studien, 161/3). Das Attribut, das die góttliche Abstammung qualifiziert, gebührt in hóherer Weise
dem Sohn Gottes, der die ganze Kraft der väterlichen Autorität besitzt, apoth. 257f. nisi omnem / vim maiestatis patriae generosus haberet.
lucis et aetheris indigena: Die Apposition zu anima prüzisiert das Attribut generosa. Die Abstammung der Seele von Gott wird poetisch gefaßt als ‘Herkunft aus Äther und Licht’. Prudentius spielt hier auf pagane Vorstellungen von der Her-
kunft und Beschaffenheit der Seele an, um sie mit neuem Sinn zu füllen und durch den christlichen Symbolgehalt die wahre Natur der menschlichen Seele aufleuchten zu lassen. Entfaltet wird die Seelenlehre im weiteren Verlauf des Liedes, vgl. cath. 3, 96/100; 186/90. indigena: meint eigentlich den 'Eingeborenen, Inlünder', vgl. z.B. Verg. Aen. 12, 823 ne (sc. iubeas) vetus indigenas nomen mutare Latinos; Prud. perist. 11, 206 indigena et Picens plebs et Etrusca venit, mit Genitiv zur Angabe der Heimat Prud. psych. 753f. barbaries, sanctae quae circumsaepserat urbis/ indigenas. Hier im Sinne von 'abstammend aus' gebraucht, mit der Konnotation ‘zugehörig zu’ wie Claud. rapt. Pros. 1, 163 (Aetna) vomit indigenas nimbos. ðeris: Aether ist das Wort für die oberste Luftschicht, den obersten Teil des
Himmels, dem in der Antike vielfach Góttlichkeit zugesprochen wird (Arist. Meteora 1, 1, 339b 20; Cic. nat. deor. 1, 39f.; 2, 25; vgl. auch Hom. Il. 16, 365; Hes. theog. 697; Arist. de anima 1, 1, 404b 14; de caelo 1, 3, 270b 10). In stofflicher
Hinsicht wird der Áther ker, Platoniker), in der Licht bzw. Feuer ist für nitionen bei Serv. auct.
als Himmelslicht, als lichtartige Materie begriffen (OrphiStoa ist er die hóchste Feuerschicht. Die Verbindung mit die Auffassung vom Äther konstitutiv, vgl. auch die DefiAen. 1, 394 aether altior est aére, vicinus caelo, ἀπὸ τοῦ
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αἴθειν; und bei Isid. orig. 13, 5, 1 aether locus est, in quo sidera sunt, et significat eum ignem, qui a toto mundo in altum separatus est. Vgl. ThLL I, 1149, 53/7, dazu Parmenides, VS
18 B 8. 11; Anaxagoras bei Arist. Meteora 1, 1, 339b 24. Aether
heiBt aber nicht nur die materia caeli, sondern auch der Stoff der Seele. Aristoteles scheint den Äther als fünftes Element, als ‘Quintessenz’, aufgefaBt zu haben, aus dem die Seele besteht (Cic. Tusc. 1, 22). Herakleides Pontikus erklürt die Seele für
lichtartig und ihren Stoff für ätherisch (DDG 213, Wehrli, fr. 98 a. b. d. 99. 100), ebenso lassen die Peripatetiker Kritolaos und Diodoros die Seele vom Äther abstammen (DDG 303b 6f.). Die Neuplatoniker entwickeln die Auffassung vom corpus spiritale, von der ätherischen Umhüllung für die Seele. In der Dichtung
bezeichnet aether vor allem die oberste, alles umschlieBende Luftschicht, die Himmelsregion als Ort (synonym zu caelum, aér), ThLL 1, 1150, 21ff. Vgl. auch Prud. perist. 3, 169; c. Symm. 2, praef. 11. Im besonderen ist damit der Wohnsitz
der Götter gemeint, z. B. Verg. Aen. 4, 574 deus aethere missus ab alto; 7, 288;
Ov. fast. 2, 131; met. 1, 151 u. ö. Äther im letzteren Sinn nutzt Prudentius zur Bezeichnung des himmlischen Sitzes Gottes (ham. 7) und bes. Christi: cath. 3, 137 aethere proditus alter homo, dazu s. unten S. 188; cath. 5, 100 (sc. dape) quam dat
sidereo Christus ab aethere; perist. 9, 85 luctantis miseratus ab aethere Christus; perist. 14, 80 aethere celsior (vom Aufschwung der Märtyrerseele zu Christus); vom Heiligen Geist tit. 119 spiritus aethere missus (zur himmlischen Herkunft und Bestimmung Jesu vgl. Joh. 8, 21/3; 20, 17; zur Himmelfahrt Apg. 1, 9/11; Mk.
16, 19; Luk. 24, 51; 1 Petr. 3, 22; Apk. 1, 7). Äther nennt Prudentius aber auch die angestammte Heimat der menschlichen Seele, zugleich Herkunftsort und zukünftige Heimstatt. Die Abstammung von dort begründet die überragende, herrscherliche Stellung der Seele gegenüber dem Kórper, so ham. 527f. quippe animus longe praestantior, utpote summo / aethere demissus; cath. 10, 23f. (oben S. 79 zu generosa zitiert). Vgl. auch ham. 819/22 sic animas caeli de fontibus unicoloras / infundit natura solo ... et aethera paucae conscendunt reduces. Auch cath. 3, 32 bezeichnet aetheris, abhüngig von indigena, die himmlische Region, in der der Sitz Gottes lokalisiert wird. Zur Vorstellung vom Äther als Heimat der Seele vgl. PsPlat.
Axiochos 366a ἣ ψυχὴ συναλγοῦσα τὸν οὐράνιον ποθεῖ xai σύμφυλον αἰθέρα, καὶ διψᾷ, τῆς ἐκεῖσε διαίτης καὶ χορείας ὀριγνωμένη. Zum himmlischen Ursprung der Seele s. auch Plat. Tim. 41d; Cic. Cato 77; Tusc. 1, 66; Plot. VI 9, 9;
vgl. auch Pohlenz, Stoa, 229. 382.
lucis: Der Genitiv lucis ist in einer Art Zeugma zu indigena gesetzt. Lux erscheint in antiker philosophischer Vorstellung geradezu als Synonym zu aether, der wesentlich als lichtvoll bzw. licht- und feuerartig gedacht ist (vgl. auch Cic. nat. deor. 2, 41. 54; Sen. nat. 6, 16, 2; Verg. Aen. 6, 640f. (vom Sitz der Seligen) largior hic campos aether et lumine vestit / purpureo. Die Peripatetiker fassen die Substanz der Seele selbst als ätherisches Licht (s. o. S. 79f. zu aetheris), die Stoiker als
feuriges Pneuma. Dem christlichen Dichter geht es hier aber ganz im Gegensatz zur peripatetischen und stoischen Seelenlehre gerade nicht darum, die materielle
V. 31-35
81
Substanz der Seele zu bezeichnen. Die Abstammung aus der lichten Oberregion des Himmels versinnbildlicht vielmehr das immaterielle, geistige Wesen der Seele,
das sich für Prudentius aus ihrer göttlichen Herkunft und Gottesebenbildlichkeit begründet. Die Seele stammt von Gott, weil sie aus dem Hauch Gottes geschaffen wurde (Gen. 2, 7), sie ist rein geistig und darin ihrem Schöpfer wesensverwandt,
vgl. die Darstellungen Prud. cath. 3, 96/100; 186/90 (dazu unten S. 144f. 237242); apoth. 788/806. Zur Abwehr der Theorien von einer kórperlichen Beschaffen-
heit der Seele (u. a. gegen Cic. Tusc. 1, 41) vgl. Aug. gen. ad litt. 7, 12; 7, 21. Zur *"Licht-Natur' der Seele bei Prudentius s. auch Gosserez, 53/5, der allerdings den in der Lehre von der geschópflichen Natur des Menschen liegenden wesentlichen Unterschied zwischen platonisch-stoischer und christlicher Anthropologie nicht genug heraushebt. Wie aether den Sitz Gottes symbolisiert, so ist /ux Symbol Gottes selbst. Daß Gott Licht ist, und zwar das wahre, übernatürliche Licht, ist biblischer
Gedanke und im frühen Christentum geläufige Anschauung (Jes. 10, 17; 60, 1. 19f.; Joh. 1, 4/9; 8, 12; 1 Joh. 2, 8; Apk. 21, 23; zur christlichen Lichttheologie vgl.
auch Ambr. spir. 1, 140/50 [CSEL 79, 75/9]; hymn. 1, 29; 2, 1/8; 7, 1/4 [Fontaine]; Dólger, Lumen Christi; Sol Salutis; zur Lichtsymbolik bei Prudentius, bes. in den Tagesliedern zum Morgen und zum Abend cath. 1, 2, 5 und 6 s. van Assendelft,
33f.; die Gleichsetzung von spirituellem Licht und Gott z. B. auch Prud. apoth. 278ff., von Feuer und Gott cath. 10, 1 Deus, ignee fons animarum; 10, 29f.; perist. 2, 393/6 Sic ignis aeternus deus, / nam Christus ignis verus est; / is ipse conplet lumine / iustos et urit noxios; 10, 439f., dazu Gnilka, Prud. II, 107. V. 33. Aus der Begnadung des Menschen durch die Seele leitet Prudentius die
Pflicht ab, dem Herrn und Schópfer durch Lobpreis zu dienen. Zu dignius ist als Bezugspunkt etwa zu ergänzen pro origine sua; zu verstehen ist also ‘welchen
ihrer hohen Abstammung angemesseneren Dienst vermag die Seele zu leisten’. solvere: Solvere (sc. officium), Terminus technicus aus dem kaufmännischen Bereich (eine Schuld, Lohn abzahlen, ablósen), wird übertragen gebraucht vom Austausch von Gefälligkeiten, Diensten des sozialen Lebens. In der Junktur obsequium
solvere verbindet sich der Gedanke der Dankabstattung, der Erwiderung der Wohltaten Gottes mit dem des Dienstes und Gehorsams
gegenüber dem Herrn.
obsequium: steht für die rechte Gottesverehrung, den rechten Gottesdienst, durch den die Seele der góttlichen Gnade teilhaftig wird, vgl. Prud. apoth. 886 divinum summumque bonum de fonte perenni / nunc bibit obsequio, nunc culpa aut crimine solvit; tit. 82 (vom Gehorsam Salomons gegenüber der güttlichen Weisheit) Aedificat templum Sapientia per Salomonis / obsequium. Vgl. auch das von Prudentius
häufiger gebrauchte Deminutiv obsequella: Cath. 8, 19 wird das Fasten als levis obsequella im Vergleich zur groBen Güte Christi dargestellt; cath. 7, 51 (von der Aufgabe des Vorläufers Jesu, Johannes’ des Tüufers); perist. 6, 78 'Liebesdienst' (syn. officium). Die kultische Bedeutung schwingt auch mit PsPrud. epil. 31f., wo
die christliche Dichtung als geistliches Opfer aufgefaBt wird: Attamen vel infimam / deo obsequellam praestitisse prodest (zur Echtheitsfrage Gnilka, Prud. III, 82f.).
82
C. Kommentar
Die angebliche ‘Parallele’ Prop. 1, 8, 39f., auf die Kah, 57, A. 263, verweist, offenbart nur den tiefen Unterschied im Selbstverständnis christlicher und paganer Dichter, vgl. hanc (sc. Cynthiam) ego non auro, non Indis flectere conchis, / sed potui blandi carminis obsequio. In der Terminologie der erotischen Dichtung meint obsequium die Willfährigkeit gegenüber der Geliebten (vgl. auch Tib. 1, 4, 40). Properz sieht in seiner Dichtung ein Mittel zum Zweck, einen Liebesdienst, der ihm die Gunst der Geliebten bewahrt. Prudentius nennt seine Dichtung obsequium,
insofern sie eine Form der Gottesverehrung ist und Ausdruck des rechten Verhältnisses zu Gott. munera: als Gottesgaben auch Prud. cath. 5, 25f., dort bezogen auf die Lampen,
Fackeln und Kerzen, d. h. die künstlichen Leuchtmittel, die Gott den Menschen geschenkt hat, vgl. Splendent ergo tuis muneribus, pater, / flammis nobilibus scilicet atria. Vgl. auch c. Symm. 2, 799f. nunc adsunt homini data munera legibus hisdem,
/ quis concessa semel (von der Schópfung insgesamt, die den Menschen unterschiedslos zum Unterhalt gegeben ist); cath. 10, 134f. non inmemor ille requiret/ sua munera fictor et auctor (vom menschlichen Leib); perist. 10, 785. 789 cuius ortus munere es (vom menschlichen Leben). recinat / modulata: Die poetischen
Ausdrücke des Singens und Preisens erzeugen einen feierlichen Klang.
recinere
gebraucht Hor. carm. 1, 12, 3 transitiv vom Echo, das den Lobpreis eines Mannes,
Heroen oder Gottes widerhallen läßt, vgl. cuius recinet iocosa / nomen imago. Prudentius nutzt hier vielleicht nicht nur den gehobenen Ton des Wortes (vgl. auch
Hor. carm. 3, 28, 11), sondern auch das zugrundeliegende Bild. Wie ein Echo den Klang wiedergibt, so soll sein Gedicht die góttlichen Gaben widerhallen lassen. Der Gabenpreis erscheint als natürliche Antwort auf die Wohltaten Gottes. Die
Vorsilbe re- ist dennoch nur verstärkend gesetzt (dazu Schönwitz, G., De re praepositionis usu et notione. Marburg 1912), also Kompositum statt Simplex wie im Spätlatein häufig, s. Löfstedt, Kommentar, 92; dens., Studien, 51f. modulari: eigentlich ‘taktmäßiges Ordnen der Sprache’, vgl. Cic. orat. 3, 185 vocem; vom
Gesang Hor. epist. 2, 2, 143 verba ... fidibus modulanda Latinis; Verg. ecl. 5, 14 carmina, Damas. epigr. 3, 2 divinos apices (i. e. scripturas sacras) sacro modularis in ore; Paul. Nol. carm. 9, 19 mystica ad hostilem modulantes cantica ludum. Hier ist Objekt der Inhalt, der besungen wird, vgl. Paul. Nol. carm. 18, 4 laetitiamque meam modulari carmine voto; carm. de resurr. 8 aetherias modulabor luminis oras;
ein beseeltes Objekt auch Paul. Nol. carm. 17, 114 praecinet ... lingua Nicetae
modulata Christum (ThLL VIII, 1246f.).
artificem: Artifex, Übersetzung Cice-
ros für den transzendenten, kosmischen Demiurgen des platonischen Timaios (Cic. Tim. 6), wird von Stoikern verwendet, um die göttliche Schópferkraft des Logos
bzw. der Allnatur zu bezeichnen, vgl. Sen. dial. 1, 5, 5 u. ó.; vgl. auch Cic. nat. deor. 2, 58 (ThLL II, 700, 80 / 701, 7). Die frühen christlichen Schriftsteller bean-
spruchen den Titel für den christlichen Schópfergott, den ewigen Schópfer und Lenker der Welt, 2. B. Tert. nat. 2, 4. 5; anim. 10. 34; Lact. inst. 1, 6, 16; 2, 5, 17 u. ö. Hier. epist. 124, 9; Aug. civ. 11, 22f.; 12, 4. 26 u. ó. Vgl. dagegen die Kritik
V. 36-40
83
des Ambrosius, der artifex als Bezeichnung für den christlichen Gott ablehnt, hex. 1, 1. 8. 22; 2, 21 (CSEL 32, 1, 3. 19. 58); dazu Henke, Sechstagewerk, 260f.; 365/ 71. Prudentius verwendet artifex häufig, vgl. cath. 3, 189 von Gott Vater im Zusammenhang mit der Erschaffung der menschlichen Seele (dazu unten S. 240); ham. 266. 351 (Synonym conditor, 353); c. Symm. 2, 212/4 interea, dum mixta viget substantia in unum, / sit memor auctoris proprii, veneretur et oret / artificem submissa suum; von Christus in der Rolle des kosmischen Demiurgen und Regen-
ten, wie Claud. carm. min. 32, 11, Prud. cath. 11, 27 Sed ordinatis saeculis / rerumque digesto statu / fundator ipse et artifex / permansit in patris sinu. — Cath. 3, 36 wird nicht der Geber der Gaben, sondern der Schópfer der menschlichen Seele in den Blick genommen. (Das ist nicht notwendig Christus, so die Glosse bei
Arevalo, 799; vgl. cath. 3, 189 de solio patris artificis). Das Possessivpronomen suum, der Deutlichkeit halber gesetzt (KSt 1, 59Sff.) und durch Hyperbaton hervorgehoben, betont den Bezug zur Seele. Die Aussage weist zurück auf den Anfang der Strophe, auf die Angabe der hohen, góttlichen Herkunft der Seele, die der
Dichter hier erweitert und gleichsam ins rechte Licht rückt. Denn der Lobpreis des Schópfers bedingt das Geschópfsein der Seele. Prudentius macht implizit deutlich, daß die Seele etwas Geschaffenes ist und nicht Teil der göttlichen Natur, vgl.
die ausführliche Darlegung im Lehrgedicht apoth. 782ff.; dazu Aug. gen. c. Manich. 2, 10f.; de duab. anim. 16; conf. 7, 1/4; retr. 1, 15, 1. Wenn die Seele auch von Gott stammt, so darf sie doch nicht mit Gott gleichgesetzt werden. Strophe 8 V. 36-40 Ipse homini quia cuncta dedit, quae capimus dominante manu, quae polus aut humus aut pelagus are, gurgite, rure creant, haec mihi subdidit et sibi me. Die Strophe liefert eine zweite, biblische Begründung (quia) für die Verpflichtung
des Menschen zum Schópferlob. Nicht nur die góttliche Herkunft des Menschen, auch seine herausragende Stellung in der Schópfung motiviert zu Gabenpreis und Gotteslob. Die Verse gestalten den biblischen Schópfungsauftrag an den Menschen (Gen. 1, 26. 28f.; Ps. 8, 7/10): Gott hat alle Schópfung dem Menschen zum Gebrauch übergeben und den Menschen als Herrscher eingesetzt über sein Werk. Vgl. auch die inhaltliche Parallele Prud. ham. 190/4 viderat (sc. diabolus) argillam simulacrum et structile flatu / concaluisse dei, dominum quoque conditioni / inpositum, natura soli pelagique polique / ut famulans homini locupletem fundere partum / nosset et effusum terreno addicere regi. Zur Überlegenheit des Geschópfs der menschlichen Seele über die übrigen Geschöpfe vgl. apoth. 768f.
84
C. Kommentar
Ipse: in der Funktion des betonten Personalpronomens als Ersatz von is im anaphorischen Gebrauch, weist auf artifex im vorhergehenden Vers zurück. Mit adversativer Bedeutung ‘eben dieser und kein anderer’ (KSt 1, 628f.; Nägelsbach, 390ff.). An betonter Stelle am Versanfang unterstreicht die unmittelbare Aufeinanderfolge von ipse homini den Heilswillen Gottes, seine fürsorgliche Güte, die sich in der Gabe der Welt an den Menschen manifestiert. Ebenfalls betont steht cuncta nach der bedeutungsschwachen Konjunktion quia. quia: gleich nam (LHSz 2, 586),
so übersetzen auch alle Herausgeber.
dedit: wie ipse und quia in bewußter An-
lehnung an den Stil der Bibelsprache (vgl. Gen 1, 29). V. 37. Der Relativsatz bezieht sich syntaktisch auf cuncta (Alliteration von k)
inhaltlich entfaltet er die herrscherliche Rolle des Menschen innerhalb der Schópfung. In der Junktur dominante manu wird Gen. 1, 28 ausgewertet: (VL) replete (inplete/replemini) terram (faciem terrae) et dominamini eius (in eam/ ei) et habete potestatem piscium mari ... (vgl. auch Ps. 8, 7), wobei das Bild der
zupackenden Hand eindringlich den herrscherlichen Zugriff des Menschen auf die Gaben der Schöpfung vor Augen führt. Mit der Verbindung capimus — manu nimmt Prudentius zudem einen juristischen Fachterminus in Dienst, den des mancipium, der fórmlichen Eigentumserwerbung durch Ergreifen mit der Hand, s. Heumann/ Seckel, 329, s. v. mancipare. dominante kennzeichnet eigentlich den Besitzer der Hand als 'Herrscher', Beispiele für die háufige Enallage des Adjektivs bei manu s. ThLL VIII, 350, 18/78, z. B. Ov. fast. 3, 864 ferit attonita pectora nuda manu; am. 1, 11, 14 blanda cera notata manu; Ov. ars 1, 148 favente manu; Prop.
3, 24, 30 irata manu. V. 38f. Der zweite, über zwei Verse geführte Relativsatz expliziert den allgemeinen Ausdruck cuncta. Der Relativsatz (in haec wiederaufgenommen) ist aber, syntaktisch gesehen, Objekt des folgenden Hauptsatzes (V. 40), vgl. die schwere
Interpunktion nach manu bei Thomson, 20, und die Übersetzung von Guillén/ Rodríguez, 35; S. Eagan, 16. Die Verse beziehen sich auf Gen. 1, 28f. (VL): et habete potestatem piscium maris (principamini/dominamini) (super pisces/piscibus) et volatilium caeli (volatilia/volatilibus) et omnium pecorum terrae (iumentorum / bestias) et repentium omnium (omnium reptilium/omnibus serpentibus) quae (qui) repunt super terram et dixit deus ecce dedi vobis omne pabulum (faenum/semen/ herbam) sativum (seminale) seminans semen quod est super omnem terram et omne lignum quod habet in se fructum seminis sativi erit vobis in escam. Prudentius konzentriert die Beschreibung auf die drei Weltbereiche, die auch den Lebensraum des Menschen konstituieren. Auf die syndetische Aufzählung polus aut humus aut pelagus (V. 38) folgt die asyndetische Reihe aere, gurgite, rure (V. 39), die im Ablativus loci die Bereiche der belebten Welt wiederholt. Die pleonastische Ausdrucksweise in Verbindung mit der zweifachen Wortreihung und dem Aufzählungscharakter der unverbunden aufeinanderfolgenden Relativsátze unterstreicht zugleich
das Allumfassende des Schópfungsauftrags und die GróBe und Fülle der Gabe Gottes an den Menschen. Wenn ein Unterschied zwischen den beiden Synonymen-
V. 36-40
85
reihen festzustellen ist, so der der Verengung (s. dagegen ThLL VI, 2. 3, 2363, S3f., s. v. gurges: pro ‘elemento’). Vers 38 nimmt die Dreiteilung der Schöpfung aus Vers 5 wieder auf. Aer, gurges, rus in Vers 39 bezeichnen näherhin die Lebens-
räume der Tiere und Pflanzen, die dem Menschen zur Nahrung dienen: die vogelreiche Luft, das fischreiche Wasser, das bestellte Land. Bezeichnenderweise ist es diese Reihe, die durch Angabe der Bereiche die Disposition für die in V. 41/55 sich anschlieBende Darstellung der menschlichen Nahrung bzw. Nahrungsgewinnung liefert. Als besonderer, Spannung erzeugender Kunstgriff muB dabei gewertet werden, daß die Nennung der eigentlich zur Nahrung dienenden Tiere und Pflanzen mittels der Periphrase ausgespart wird. Für mare, caelum, terra des Bibeltextes setzt der Dichter poetische Ausdrücke. polus: eigentlich die 'Himmelsachse', synekdochisch ‘Himmel’, z. B. Verg. Aen. 3, 585; 5, 721; Hor. epod. 17, 77; carm. 1, 28, 4; Ov. fast. 4, 834. humus: Erde, Erdboden, lokal gefaBt, Synonym tellus; z. B. Verg. ecl. 9, 41; georg. 1, 220; Ov. met. 5, 390; fast. 1, 666. — pelagus: Lucr. 4, 432; Verg. Aen. 3, 204; 5, 8; Hor. carm. 1, 3, 11; Val. Flacc. 3, 608 u. ö. Wie polus auch an der Parallelstelle ham.
192ff. (s. o. S. 83f.). | aére: ist die untere Luftschicht, die uns umgebende Luft; zur lokalen Bedeutung vgl. Varro ling. 5, 75 in aere, in aqua, in terra. Der aér wird von Vögeln und anderen Dingen oder Wesen 'durchflogen' (ThLL I, 1048, 60ff.), z.B. Cic. Arat. 47; Ov. met. 4, 124. 616; 15, 99 tunc et aves tutae movere per aera pennas. gurgite: eigentlich ‘Strudel, reiBende Strömung’; synekdochisch und mit abgeschwüchter Bedeutung 'Meer', z. B. Lucr. 4, 397; Verg. georg. 4, 524; Aen. 5, 33. 209; Sil. 15, 166; bes. das tiefe, von Fischen bewohnte Meer Eustath. Bas. hex. 7, 1 genus ... natantium sive quod summis fluctibus superfertur sive quod in altis gurgitibus diversatur, Verg. georg. 395 pascit sub gurgite phocas; Prud. cath. 5, 59 gens ... tandem purpurei gurgitis hospita; vgl. bes. Prud. perist. 10, 326 (Lobpreis der Schópfermacht Gottes durch Aufzählung der Bestandteile der geschaffenen Natur) caelum solumque, vim marini gurgitis. rure: Land im Gegensatz zur Stadt, Feld; konnotiert die Bestellung des Landes, z. B. Cic. Tusc.
5, 102; Hor. epod. 2, 3 paterna rura bobus exercet suis; Verg. georg. 2, 412f. laudato ingentia rura, / exiguum colito. V. 40. Die Wiederaufnahme des Relativsatzes durch das Demonstrativpronomen ermóglicht die chiastische Wortstellung der pronominalen Objekte am Anfang und am Ende des Verses: haec mihi -- sibi me. Der Dichter fügt hier die Verse 7 und 10 des 8. Psalms, die die Würde des Menschen und die Herrlichkeit des Schópfers
preisen, zu einer prägnanten Antithese zusammen. Vgl. Ps. 8, 7 ‘Du hast ihn (sc. den Menschen) eingesetzt über das Werk deiner Hánde, hast ihm alles zu FüBen gelegt’; Ps. 8, 10 ‘Herr, unser Herrscher, wie gewaltig ist dein Name auf der ganzen Erde!’ Der Mensch ist über die Welt als Herrscher gesetzt, und Gott ist Herrscher über den Menschen. Mit dem abschließenden Hinweis auf die Unterordnung des Menschen unter Gott macht Prudentius nochmals deutlich, daB der Mensch bei aller Auszeichnung als Haupt der Schöpfung selbst Geschöpf ist (vgl. o. S. 83 zu
86
C. Kommentar
V. 35). Der Gedanke, in bezug auf die Seele formuliert, findet sich apoth. 814f. ergo animam factam magno et factore minorem / maioremque aliis atque omnibus
imperitantem. Auffallend ist der Wechsel in der Bezeichnung für ‘Mensch’, nach homini (V. 36) und capimus (V. 37) steht nun die erste Person Singular mihi, me. Die immer persónlichere Form der Aussage entspricht dem Proómcharakter der Strophen 6-8, sie ist Ausdruck der individuellen Motivation des Dichters zu dem
nun folgenden Lobpreis der Schópfungsgaben.
Strophe 9-16 Die Strophen konstituieren den ersten Hauptteil des Gedichts, den Lobpreis der Schópfungsgaben. Das Thema gibt Prudentius selbst in den Rahmenpartien an, V. 34 data munera ... recinat (vgl. auch V. 77 munera mitia) und V. 83ff. divitis omnipotentis opus, / quaeque fruenda patent homini, / laudibus aequiperare queat. Charlet, der diesen Abschnitt (V. 41-80) einer genaueren Analyse unterzogen hat, urteilt abschließend: „A partir du théme de la nourriture, le poéte imagine un monde idéalisé; et sur le plan de la création littéraire, c'est Virgile qui lui permet de constituer ce monde“ (Charlet, culture, 454). Weiter präzisiert er, den realistischen
Elementen der Darstellung Rechnung tragend: „Bref, le monde imaginé ici est géorgique et non bucolique. Prudence a recréé un univers géorgique et l'a inséré dans le récit de la Genése" (ebd.). Schon Salvatore, Studi, 106, spricht in bezug
auf unsere Verse von der Topik der „Arcadia cristiana". Aber zielt der christliche Dichter mit diesem Meisterstück lyrischer Ekphrasis wirklich darauf, eine fiktive, idealisierte *Welt', ein christliches Arkadien zu gestalten? Diese Deutung Charlets
und Salvatores verkennt den wahren Zusammenhang. Die dichterische Version des Schöpfungsauftrags nach Gen. 1, 28/30 (V. 36-40) fungiert nicht nur rein äußerlich als *Rahmen', sondern bildet vielmehr Grundlage und Ausgangspunkt für den Dichter, die verschiedenen Nahrungsmittel zu besingen, die der Schópfer für den Menschen vorgesehen hat. Der Lobpreis der Gaben liefert zugleich einen Katalog erlaubter Speisen, von der Darstellung einer Mensch und Raum umfassenden ‘Welt’ oder Landschaft kann daher nicht die Rede sein. Bietet für die Zusammenstellung der Nahrungsmittel Ovid met. 15 die Folie, dessen Vegetarismus-Forderung Prudentius souverän handhabt und im christlichen Sinn korrigiert (Str. 12. 13), so
macht sich der Dichter für die Gestaltung des Makarismos das Verfahren zunutze, das Vergil in den Georgica anwendet, um die Bauernwelt im Licht der goldenen Zeit erscheinen zu lassen (zu Vergil s. Kettemann, bes. 69/98; zu Prudentius neuerdings Lühken, 235). Prudentius nutzt wie Vergil Elemente der Darstellungen des goldenen Zeitalters und setzt sie dazu ein, den göttlichen Schöpfungsbefehl in seiner immerwührenden Gültigkeit zu entfalten. Vor allem das Hauptmotiv der aetas aurea-Darstellung, das Automaton, der Gedanke von der Selbsttätigkeit der Natur, durchzieht den gesamten Gabenpreis. In ihm manifestiert sich die dienende
Funktion, die die Schópfung dem Menschen gegenüber hat (vgl. grundlegend Str. 8;
V. 41-55
87
V. 56f. 71. 76. 84). Die Natur spendet ihren Segen freiwillig (V. 48/50; Str. 14. 15) und in Fülle (bes. V. 44. 46f. 51f. 54. 56. 63f.; Str. 16). Die Gaben liegen offen zum GenuB da, vgl. den thematischen 'Rückblick' V. 84 quaeque fruenda patent homini. Gerade das Merkmal, das Fisch- und Vogelfang in den Augen Platons diskreditiert, nämlich daB sie keine Mühe erfordern (leg. 823a-824a), nähert auch diese
Jagdformen dem Motiv der Selbsttätigkeit der prudentianischen Darstellungszweck brauchbar die Automatik der goldenen Zeit — und darin vergilische — auf die Anwendung fast aller zur
Natur an und macht sie für den (Str. 9. 10). Prudentius übertrügt übersteigt seine Gestaltung die Nahrungsgewinnung erfundenen
Kulturtechniken. Den Eindruck, sogar Vogel- und Fischfang, Getreideanbau, Käse-
herstellung und Honigbereitung geschähen ohne Anstrengung des Menschen, erreicht der Dichter, indem er in seiner Darstellung vom menschlichen Zutun ganz absieht und Pflanzen, Tiere und benutzte Geräte gleichsam zu ‘Akteuren’ der jeweiligen Vorgänge macht. Die Erträge der Jagd, der Agrikultur, der Bienenzucht erweisen sich somit als ganz und gar von der Güte Gottes geschenkte Gaben. Indem Prudentius in den natürlichen Gegebenheiten Züge des Paradiesisch-Wunderbaren
herausstellt, gelingt es ihm, in der Wirklichkeit der alltäglichen Nahrungsbeschaffung die göttliche Gnade aufleuchten zu lassen (Str. 14. 15. 16). Strophe 9-11
Die Strophen 9, 10 und 11 sind durch ein strukturelles Band miteinander verknüpft. Sie veranschaulichen jeweils die Nahrungsbeschaffung des Menschen aus einem der drei Bereiche, in die Gott die Welt unterteilt hat (s. V. 38f.): Vogelfang (aére, Str. 9), Fischfang (gurgite, Str. 10), Ackerbau (rure, Str. 11) (vgl. Gen. 1, 26. 28.
30). Diesem äußeren Kompositionsprinzip steht im Inneren eine Zweiteilung gegenüber, insofern die ersten beiden Strophen motivisch eine Einheit bilden. Sie sind verbunden durch das Fangmotiv, von dem sich das Bild der fruchtbaren Erde in Strophe 11 fast antithetisch abhebt. Vogel- und Fischfang werden in der antiken Literatur häufig zusammengestellt, auch in gleichnishafter, exemplarischer Funktion z. B. Ov. epist. 19, 13; rem. 207ff.; Octavia 410ff.; Tib. 2, 6, 23f.; Mart. 3, 58, 26f. Das gemeinsame Kennzeichen, das die beiden Fangarten von der Jagd auf Landtiere unterscheidet, ist die ausschlieBliche Anwendung von List. Platon, der eine
Systematik der verschiedenen Formen der Jagd aufstellt (leg. 823a-824a), lehnt daher Fischen und Vogelfang ab, da sie weder Anstrengung noch Tapferkeit erforderten. Prudentius gibt Fisch- und Vogelfang vor dem Hintergrund der Darstellung des Schópfungsauftrags eine neue Bedeutung, die der Beurteilung Platons diametral entgegengesetzt ist. Callidus enthält als Anfangswort das Leitmotiv für die ersten beiden Strophen:
Aufgrund seiner überlegenen Geisteskraft gelingt es dem Menschen, die Lüfte und Wasser bevölkernden Tiere zu überwältigen. Indem Prudentius hier nicht den Menschen selbst, sondern den callidus dolus zum Agens macht und damit die
praktische Anwendung seiner Geistesgabe in den Mittelpunkt rückt, expliziert er
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C. Kommentar
den von Gott gewollten herrscherlichen Zugriff des Menschen auf die Schópfung (Gen. 1, 26. 28). In der calliditas des Menschen liegt seine Machtstellung in der Welt begründet. Callidus dolus weist so zurück auf dominante manu in Vers 37 und füllt es mit Inhalt. Daf die Jagd traditionell als Manifestation der menschlichen Klugheit und Erfindungsgabe gilt, zeigt das berühmte erste Stasimon in Sophokles Antigone (Ant. 332-75). Der ‘alles bedenkende', kluge Mann wird dort besungen,
der alle Bereiche der Natur seinem Willen unterwirft und insbesondere die Lebewesen in der Luft, im Meer und zu Lande 'durch Künste' bezwingt. Mit der Beto-
nung des dolus-Motivs bei Fisch- und Vogelfang macht sich Prudentius also eine antike Deutung der Jagd zunutze. Die Superiorität der menschlichen Intelligenz, die sich in der Listanwendung manifestiert, dient ihm dazu, die Stellung des Menschen in der Welt überhaupt zu veranschaulichen. Die anthropologische Relevanz der Jagd durch Fallenstellen thematisiert auch Oppian, der kaiserzeitliche Verfasser
des fünf Bücher umfassenden Lehrgedichts 'Halieutika', ‘Über den Fischfang’. Wie ein Leitfaden durchzieht Oppians jagdtechnische Ausführungen der Gedanke von der Auseinandersetzung zwischen menschlicher und tierischer List bzw. Dummheit (Effe, 144ff.). Fischfang ist wesentlich Listanwendung (vgl. den Anruf an Hermes, den ‘Erfinder der Listen’ zu Beginn des dritten Buches). Im ‘Kampf’ zwischen Fischer und Fisch erweist sich die überlegene List des Menschen, der Kóder, als siegreich (hal. 3, 169ff.). Die Überlegenheit des Fischers symbolisiert schlieBlich die generelle Vorrangstellung des Menschen vor den Tieren (Proóm zu Buch 5, dazu Effe, 148). Dieser stoisch fundierte Anthropozentrismus (Effe, 143) ist aber von dem christlichen Anthropozentrismus, den Prudentius dichterisch ent-
faltet, deutlich unterschieden. Für Prudentius sind sowohl die Fähigkeit des Menschen, Jagdtechniken zu ersinnen, als auch die Eigenschaft des Tieres, sich
leicht fangen zu lassen, von Gott in der Schópfung angelegt worden. Diesen Gedanken spiegelt in der Darstellung des Prudentius das Zurücktreten des Menschen als handelnden Subjekts. Grammatische Subjekte sind der personifizierte Listenreichtum (V. 41f.) und — ebenfalls in betonter Anfangsstellung des Verses — zwei Instrumente bzw. Fallen, die zur Durchführung der List dienen (vimina, V. 44, und texta, V. 47), sowie schlieBlich das gejagte Tier selbst, der Fisch (piscis, V. 48). Trotz der anthropomorphen Züge, mit denen Prudentius den Fisch auszeichnet, kann der christliche Dichter dem Tier keine menschenähnliche Vernunft zuerkennen (s. auch Henke, Sechstagewerk, 73 zu Basilius). Anders als bei Oppian, der das Verhalten der Fische gerade parallel, spiegelbildlich zum menschlichen Bereich schildert — so gibt es kluge und dumme Meerestiere (hal. 2, 54; 196ff.; 285ff.; 320ff.) —, setzt Prudentius keinen Wettkampf zwischen menschlicher und tierischer
List, kein Wechselspiel der Macht zwischen den Kreaturen in Szene. Das Verhalten des Fisches, so muB wohl Vers 48 gedeutet werden, entspringt vielmehr einem instinktiven Automatismus. Die habituelle Eigenschaft der credulitas versinnbildlicht das spontane Verhalten des Fisches und läßt den zugrundeliegenden Plan des Schópfers aufleuchten (Das instinktive, spontane Verhalten der Tiere führt auch
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Basilius im Hexaemeron allenthalben auf den Plan des christlichen Schópferpottes zurück; s. Henke, Sechstagewerk, 49. 67f. u. ö.).
Unter den christlichen Schriftstellern entfaltet auch Basilius in der ersten seiner beiden als Fortsetzung der Hexaemeron-Homilien gedachten Predigten De creatione
hominis die Verstandeskraft als diejenige Schópfungsgabe, die den Menschen befáhigt, über die Tiere des Meeres, der Erde und der Luft zu herrschen (vgl. Bas. creat. 1, 9f. ( SC 160, 265B/D; 268A/D]; zur Diskussion der Echtheit der Schrift s. Smets/van Esbroeck [= SC 160], 13/26). Die Erfindung der Jagdtechniken im be-
sonderen ist Ausfluß der ἐπίνοια ἀνθρωπίνη (2650), dank seines λογισμός (265C/ D; 268B) fertigt der Mensch Angel, Netze, Leimruten und Káfige für Fisch- und
Vogelfang (265C/D; 268B/C) sowie für die Raubtierhaltung und erweist sich so
trotz seiner Schwachheit als den wildesten Tieren überlegen, vgl. 265D Ὅτι τῇ τοῦ λογισμοῦ περιουσίᾳ δύναμιν τοῦ ἄρχειν λαβών, ὡς κακοὺς δραπέτας πρὸς ἀκρίβειαν ἄγει τοὺς ἀπειθεστάτους: τοὺς μὴ δυναμένους δι᾽ ἡμερότητος προσαχθῆναι, τούτους διὰ τῆς ἀνάγκης δουλοῦται. Οὕτως πανταχοῦ ἣ τοῦ ἄρχειν δύναμις παρὰ τοῦ κτίσαντος ἐγγινομένη τῷ ἀνθρώπῳ ὑπάρχει. Strophe 9 V. 41-45 Callidus inlaqueat volucres aut pedicis dolus aut maculis, inlita glutine corticeo vimina plumigeram seriem inpediunt et abire vetant. In zwei Bildern führt der Dichter die drei spezifischen Methoden des Vogelfangs vor: das Fangen per Schlinge und Netz und das Fangen durch Vogelleim (zu den
technischen Einzelheiten s. Blümner, 526/9). Die erstgenannte Technik wird auch bei Wild und Ähnlichem angewandt, vgl. die Zusammenstellung Verg. georg. 1, 139f. tum laqueis captare feras et fallere visco / inventum et magnos canibus circumdare saltus; und die Aufzählung Ov. met. 15, 473f. retia cum pedicis laqueosque artesque dolosas / tollite, nec volucrem viscata fallite virga. Die Verse
Ovids sind dabei nicht nur sachlich für die prudentianische Gestaltung von Bedeutung. Wir haben hier ein Beispiel für die absichtsvolle Nutzung ovidischen Sprachund Gedankengutes. Die von Ovid in Form eines Verbotes gegebene Skizzierung der Vogelstellerei liefert die Stichworte, die Prudentius in seiner lyrischen Darstellung verarbeitet. Das pythagoreische Verbot des Vogelfangs übernimmt der christliche Dichter nicht (zum geistesgeschichtlichen Hintergrund s. unten zu Str. 12f.). Vergilnutzung, epische Wortbildungen (plumigeram, s. u. S. 97 zu aristifer V. 52; corticeo) sowie die raffinierende Periphrase dienen der Stilerhóhung, die für den
ganzen Abschnitt des Gabenpreises kennzeichnend ist. In der lyrischen Gestaltung
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des Vogelfangs konzentriert der Dichter sich auf das Moment des Verstrickens bzw. Festklebens der Vögel, auf das Verhindern ihrer Flucht. Stilmittel machen dieses Motiv sinnfällig. In den Versen 41f. erzeugt die Wortwahl eine Kumulierung von k- und l-Lauten, in den Versen 43f. häufen sich 1-Laute und Nasale (inlita
glutine, vimina, plumigeram). Den Vers 45 füllen Verben des Hinderns, die mittels Synonymenhäufung das unlósbare Festkleben und Gefangensein der Vögel einprägen. Auf dieses Moment des Vogelfangs zielt auch der Vergleich bei Ovid met. 11, 73ff., denn das Festhaften am Boden ist tertium comparationis zwischen dem gefangenen Vogel und den mit *Verwurzelung' bestraften Mänaden. Auch Prud. ham. 815/23 malt die verheerende Folge des Gefangenseins auf dem Boden: Die Vögel, die gleichnishaft für die menschlichen Seelen stehen, verlieren ihre natürliche
Bewegungsfreiheit und Flugfähigkeit und werden damit des Merkmals beraubt, das sie wesenhaft von anderen Lebewesen unterscheidet. Die positive Seite des Motivs stellt Ovid met. 15, 99 vor Augen als besonderes Kennzeichen des goldenen Zeitalters, das den Vogelfang und die Jagd nicht kennt: tunc et aves tutae movere per aéra pennas. DaB das ovidische Ideal in gewisser Weise eine Folie darstellt, vor der sich die vóllig andere Bewertung des Vogelfangs durch Prudentius abhebt, wird durch die weitreichende Ovidnutzung in den folgenden Strophen nahegelegt (vgl. Buchheit, Resurrectio, 272; s. o. S. 89 zu Ov. met. 15, 473f. und unten S. 100-
115 zum Vegetarismus). Schon das Verb inlaqueat deutet auf ein Jagdinstrument hin, das in erster Linie
zum Erdrosseln von Vögeln gebraucht wird, die Schlinge, laquei, gr. βρόχοι (vgl. Servius zu georg. 1, 139 'laqueis feras captare’ id est illaqueare feras incurvatis arboribus; dazu Blümner, 528; Orth , 571; Bómer zu met. 11, 73). Ovid erwähnt
die Schlinge met. 15, 473 neben pedica und retia. Illaqueare findet sich im eigentlichen Sinn selten, vgl. noch Amm. 20, 11, 15; Cassiod. in psalm. 139, 6; dazu
ThLL VII, 1, 337/8.
pedicis ... maculis: Explizit nennt Prudentius zwei spezielle
Instrumente: die pedica (ποδάγρα), den *Lauffünger', eine mit einer Schlinge versehene Falle, in der sich die Tiere mit dem Fuß verfingen, daher nur für größere
Vögel geeignet (Aymard, 340; in klassischer Dichtung nur Verg. georg. 1, 307 tum gruibus pedicas et retia ponere cervis; vgl auch Servius z. St. pedicas laqueos, quibus pedes innectuntur, und Ov. met. 15, 473 [oben S. 89 zitiert]; sonst Nemes. auc. 1, 3, wo allerdings auch die Bedeutung 'Halsschlinge' naheliegt, ThLL X, 1, fasc. 7, 973f.), und das Netz, maculae, eigentlich die Maschen des Netzes (z. B.
Cic. Verr. 2, 5, 27 reticulum ... tenuissimo lino minutis maculis, ThLL VIII, 27, 80— 28, 8), metonymisch für retia auch Manil. 5, 663 incautos ... traheret macularum nomine thynnos; Auson. epist. 19, 29 (Peiper, 246) cervos circumdas maculis. — Für pedica mit Mahoney, 133, mógliche Benutzung Vergils anzunehmen, ist unnótig. Es liegt näher, daß Prudentius hier auf Ovid zurückgreift. Vgl. auch den übertragenen Gebrauch ham. 138, wo der Seelenfang des Teufels mit der Fallenstellerei verglichen wird (die Echtheit des Abschnitts wird von Gnilka, Prud. I, 678, wohl
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zu recht bezweifelt): ipse manu laqueos per lubrica fila reflexos / in nodum revocat facilique ligamine tortas/ innectit pedicas nervosque in vincula tendit (ham. 136/ 8); ebenfalls im übertragenen Sinn steht pedica Hier. in Nah. 3, 1; Vulg. Job 18, 10; Jer. 5, 26; Ruf. Basil. hom. 2, 2. callidus ... dolus: Unter Verwendung einer kunstvollen Metonymie setzt Prudentius als Subjekt der Aussage nicht den Vogelsteller, sondern das Abstraktum callidus dolus, d. i. die für den Vögel fangenden Menschen signifikante Eigenschaft. Gesuchte Wortstellung (callidus in betonter
Anfangsstellung, dolus nach der Trithemimeres in V. 42) und Hyperbaton über zwei Verse hinweg heben die Junktur hervor. Die Anwendung von List und Trug ist kennzeichnend für die meisten Jagdtechniken. Auch die Dichter stellen den Zusammenhang von Jagd, List und Tüuschung heraus, vgl. Verg. ecl. 5, 60f. nec lupus insidias pecori, nec retia cervis / ulla dolum meditantur, Hor. epod. 2, 33f. aut amite levi rara tendit retia / turdis edacibus dolos (metonymisch für 'Fallen'); Ov. hal. 26; Auson. Mos. 250f. (s. unten S. 95 zu V. 50 cibo) (ThLL V, 1, 1858, 82/ 1859, 2). Vgl. auch bes. die Qualifizierung der Jagdinstrumente als artes dolosas
Ov. met. 15, 473f. und Bómer z. St. Das Attribut callidus verstärkt die notio doli (ThLL II, 169, 171; zu callidus als Ausdruck listiger Täuschung s. auch Bómer zu Ov. met. 4, 93). Die Junktur findet sich schon Plaut. Bacch. 643f. callidum senem callidis dolis compuli et perpuli; vgl. ferner Heges. 4, 4, 11 doli callidus, fallendi artifex; Sen. Oed. 668 tenemus callidi socios doli. An unserer Stelle ist die Junktur durchaus positiv konnotiert und von Prudentius äußerst absichtsvoll eingesetzt. — Es ist möglich, daß Prudentius für die positive Deutung der schlauen Listanwendung gerade in bezug auf die Vogelstellerei noch eine andere, ovidische Junktur vor Augen hatte. Ovid führt met. 11, 73 den callidus auceps an, der die Schlingen zum
Vogelfang erfolgreich versteckt hat: utque suum laqueis, quos callidus abdidit auceps, / crus ubi commisit volucris sensitque teneri. Prudentius nutzt die Bezeichnung an anderer Stelle: ham. 804ff. vergleicht er die Tauben, die ursprünglich alle frei umherfliegen und dann teilweise dem Vogelsteller in die Falle gehen, und die menschlichen Seelen, die, von Natur aus alle gleich, teils sich verführen lassen und ‘am Boden haften bleiben’. Auch hier werden die zwei Methoden des
Vogelfangs genannt: haud secus, ac si olim per sudum lactea forte / lapsa columbarum nubis descendat in arvum / ruris frugiferi, laqueos ubi callidus auceps / praetendit lentoque inlevit vimina visco / sparsit et insidias siliquis vel farre doloso ... (ham. 804/8). Das konstitutive Element der Jagdlist, den Kóder, der hier breit ausgeführt wird (vgl. auch 809 fallentia grana), spart Prudentius in der Skizzierung des Vogelfangs cath. 3, 41/5 aus. Es wird für die folgende Schilderung des Fischfangs aufbewahrt. inlita glutine corticeo: enthält offensichtlich eine Vergilreminiszenz, vgl. Verg. georg. 4, 160 (pars [sc. apium]) ... lentum de cortice gluten / prima favis ponunt fundamina (dazu Schwen, 85; Mahoney, 133; Charlet, culture, 447; Lühken, 312).
Bei Vergil ist der klebrige Pflanzensaft, das Harz, gemeint, das die Bienen zum Wachs der Waben verarbeiten (vgl. auch georg. 4, 40 und Serv. z. St., zur Sache
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Varro rust. 3, 16, 23). Von Prudentius wird gluten auf den Vogelleim übertragen. In dieser Bedeutung auch Gramm. suppl. 267, 16 gluten res tenacissima est unde aves capiuntur, s. ThLL VI, 2. 3, 2111, 40f.; bei Prudentius auch ham. 811 molle vel inplicitas gluten circumligat alas; allgemein von klebrigem Stoff c. Symm. 1, 437; apoth. 1025. corticeo: sonst noch Varro rust. 1, 40, 1; Auson. Mos. 246 corticeis signis; Not. Tir. 98, 92. vimina: für die Leimruten hat Prudentius auch ham. 807 (s. o. 5.91 s. v. callidus); vgl. auch Petron. 109, 7 (volucres) viscatis illigatae vimini-
bus; Varro rust. 3, 7, 7. Ovid setzt met. 15, 474 ebenfalls mit Alliteration viscata virga; zur Sache vgl. auch Verg. georg. 1, 139 (s. oben S. 89); Ov. ars 1, 391; Sil. 7, 674; Apul. met. 11, 8; dazu Blümner, 526/8. Die Periphrase plumigeram seriem variiert volucres (V. 41) durch eine Art Gattungsbezeichnung. Die bildhafte Vorstellung unterstreicht, daB das ganze Vogelvolk dem Menschen unterworfen ist. Strophe 10
V. 46-50 Ecce per aequora fluctivagos texta greges sinuosa trahunt, piscis item sequitur calamum raptus acumine vulnifico, credula saucius ora cibo. In den Versen 46-50 werden, wiederum auf zwei Szenen à zwei bzw. drei Verse verteilt, die beiden hüufigsten Fangmethoden zur See skizziert: der Fischfang per
Netz (V. 46f.) und per Angelrute (V. 48/50). Vgl. auch Ov. met. 3, 586f. linoque solebat et hamis / decipere et calamo salientes ducere pisces; 13, 922f. nam modo
ducebam ducentia retia pisces, / nunc in mole sedens moderabar harundine linum; ars 1, 763f.; Auson. Mos. 243ff. (Green, 123) hic medio procul amne trahens umentia lina / nodosis decepta plagis examina verrit; / ast hic, tranquillo qua labitur agmine flumen, / ducit corticeis fluitantia retia signis; / ille autem scopulis subiectas pronus in undas / inclinat lentae conexa cacumina virgae, / inductos escis iaciens letalibus hamos; zur Sache Blümner, 529/33. Oppian hal. 3, 72/91 nennt vier Methoden des Fischfangs: Angelrute, Netz, Reuse, Dreizack. Die Negativfolie zur Darstellung bildet auch hier das Fangverbot des Pythagoras bei Ovid, vgl. met. 15, 476 nec celate cibis uncos fallacibus hamos (s. oben S. 89 zum Vogelfang und unten S. 100115 zum Vegetarismus). Der typisch epische Einsatz mit ecce (V. 46) gibt den Ton dieser Szene vor (vgl.
Charlet, culture, 447; ThLL V, 2, 29f.). Ecce markiert hier die Wendung zu etwas Neuem
(so häufig bei Ovid laut Bómer zu fast.
1, 543) und dient zugleich der
Verlebendigung der Darstellung. In dramatisierender Funktion verwendet Sedulius
die unvermittelte Überleitung durch ecce, so carm. pasch. 3, 26; 86/9; 143 u. ö,, dazu Mazzega, 86f. Die Nutzung des hohen Stils spiegelt sich auch in der Periphrase
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fluctivagos greges: lautmalendes fluctivagus ist eine Neubildung des Statius, z. B. Theb. 1,271 fluctivaga unda; 9, 305. 360; silv. 2, 1, 95; 3, 1, 84 fluctivagos nautas; von Fischen auch Sedul. op. pasch. 4, 11, und, Prudentius imitierend, Sedul. carm. pasch. 5, 395 fluctivagam traxerunt retia praedam (Charlet, culture, 447). gregem: erscheint in bezug auf Fische bzw. im Wasser lebende Tiere als gesucht, fast metaphorisch (ThLL VI, 2. 3, 2332, 45/57, z. B. Varro rust. 3, 3, 10 in eas [piscinas]
pelagios greges piscium revocavit); zur Periphrase vg]. Manil. 5, 659 hoc (sc. Cetus) trahit in pelagi caedes ... natos squamigeri gregis; Auson. Mos. 83; Stat. Ach.
1,56 Tyrrheni ... greges (i. e. delphini) ... rotantur. Der Ausdruck soll — wie plumigeram seriem in V. 44 — den Eindruck der Fülle mit dem der gesammelten Ordnung verbinden. texta sinuosa: Auch die Vorstellung vom Netz, das sich aufbauscht, wenn es gegen die Strómung gezogen wird, verdeutlicht die groBe Menge an Fischen, die eingeholt wird. Sinus, ein weiterer t.t. der Jägersprache, bezeichnet
die bauchige Vertiefung (gr. κόλπος) des Jagdnetzes (so z. B. Gratian 29).
textum:
allgemein das Gewundene, Geflochtene, ist wie texere bei Prudentius beliebt, s. ham.
328 (vom Leinengewebe); psych. 127; perist. 1, 89 (textilis candor metonymisch vom SchweiBtuch); vgl. auch cath. 7, 152 saetas textiles; nur hier ist es vom Fang-
netz gebraucht. Zum ganzen Ausdruck vgl. Opp. hal. 3, 84, wo die Schleppnetze
δολορραφέων λίνα κόλπων heißen.
trahunt: Terminus technicus für das Ziehen,
Schleifen des Schleppnetzes, Verg. georg. 1, 142 pelagoque alius trahit umida lina (d. i. retia); Ov. ars 1, 764 hos cava contento retia fune trahunt (im übertragenen
Sinn); Mart. 3, 58, 27 (von der Rute); Auson. Mos. 243 hic medio procul amne
trahens / umentia lina; vgl. auch Theokr. 1, 40 μέγα δίκτυον ἐς βόλον ἕλκει. Prudentius bezieht den Schleppvorgang vom Fischer, der das Netz zieht, auf das Netz, das die Fische zieht (so auch Sedul. carm. pasch. 5, 395 [s. o. S. 93]). Das ist mehr als eine stilistische Finesse, wie Charlet, culture, 447, mit der Wertung transfert baroque" nahelegt. Die Personifikation der Instrumente bzw. Hilfsmittel
der Nahrungsbeschaffung durchzieht die gesamte Darstellung der Schópfungsgaben (vgl. auch V. 44 vimina; V. 66 mulctra; V. 72 favus). Sie dient dazu, den Vorgang
der Nahrungsgewinnung auf die Geräte, insofern sie Ausfluß der menschlichen Intelligenz sind, zurückzuführen. Durchaus nicht im Widerspruch dazu läßt sie zugleich das Wirken des Menschen vor der Güte des die Nahrung schenkenden Gottes zurücktreten. V. 48-50. In einem auf drei Verse verteilten Trikolon schlieBt sich die Darstellung einer weiteren Fangmethode an, des Fischfangs per Angelrute. Der Dichter gestaltet eine kleine Szene mit dem Fisch als Akteur, indem er Elemente des epischen Stils ins Lyrische transponiert. Im Unterschied zu den vorhergehenden Fangschilderungen ist das gejagte Tier hier selbst Subjekt der Handlung. Dem entspricht eine gewisse Vermenschlichung des Fisches, die in den Einzelzügen der Darstellung greifbar wird. Piscis ist kollektiver Singular, wie Ov. met. 1, 296; 8, 857; 15, 101; fast. 6, 173 (s. Bómer zur ersten Stelle; KSt I, 67f.). Der Singular ist aber insofern schillernd, als er auch den Eindruck einer individuellen Handlung verstärkt.
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Calamus (gr. κάλαμος) wird in diesem technischen Sinn vor allem von Dichtern gebraucht (vgl. Prop. 4, 2, 37 pisces calamo praedabor, Ov. met. 3, 587 et calamo salientes ducere pisces; hal. 36 elato calamo; 85 (aspera loca) lentos deposcunt calamos; Mart. 4, 30, 9 praedam calamo tremente ducit, Avian. fab. 20, 12; dazu ThLL III, 123, 71/7). Daß mit sequitur das Hängen an der Angel gemeint ist, ergibt sich aus dem folgenden Vers. Das Verb suggeriert zunächst einen Akt, der auf Freiwilligkeit beruht. Wührend im überraschenden Kontrast dazu raptus
acumine vulnifico den Gewaltakt des Fangens beschreibt, bringt das dritte Kolon die Begründung für das Sich Fangenlassen von seiten des Fisches: Es ist seine Leichtgläubigkeit, die ihn auf die List des Kóders hereinfallen läßt. Acumen in der speziellen Bedeutung 'Angelhaken' hat auch Juvencus 3, 393 haeserit ... curvo ... acumine piscis (ThLL I, 459, 22f.). Die Erweiterung durch das Attribut vulnificus
evoziert hier zugleich den Gebrauch für ‘Speer-, Lanzenspitze' (vgl. Enn. ann. 390 ferri stridet acumen; Ov. met. 3, 84; Prud. perist. 9, 51; ThLL I, 8/20). Das epische Kompositum ist seit Vergil Aen. 8, 446 beliebtes Epitheton für die eherne Waffe (z. B. Ov. met. 2, 504 vulnifico fuerat fixurus pectora telo; Stat. Theb. 4, 87; Sen. Phaedr. 346; s. Charlet, culture, 448). Das angedeutete Bild des verwundeten
Kriegers wird im nächsten Vers noch weiter ausgemalt. Die Junktur saucius ora stammt aus Verg. Aen. 12, 651f., wie Schwen, 78, zuerst bemerkt hat. Von Vergil
wird sie auf einen rutulischen Krieger angewandt, der von einem trojanischen Pfeil
getroffen ist adversa sagitta / saucius ora.
credula ... ora cibo: Das Hyperbaton
hebt die Motivierung für das Verhalten des Fisches hervor. Zur Konstruktion von
credulus mit Dativ vgl. auch Verg. ecl. 9, 34 sed non ego credulus illis; Hor. carm. l, 11, 8 carpe diem quam minimum credula postero; Prop. 1, 3, 28 vano credulus auspicio; Paul. Nol. carm. 24, 28 (ThLL IV, 1151). Die credulitas auf ein Tier
übertragen hat zuvor Horaz, allerdings im positiven Sinn der Zutraulichkeit, epod. 16, 33 credula nec ravos timeant armenta
leones; spüter noch Calp. ecl. 6, 36
sequiturque vocantem credulus cervus. Die credulitas als Eigenschaft des Fisches nennt auch Ovid, und zwar erscheint sie als notwendige Voraussetzung für den Fischfang mit Angel und verstecktem Kóder. Ov. met. 8, 855/8 lautet der Wunsch für einen vermeintlichen Fischer: ‘o qui pendentia parvo / aéra cibo celas, moderator harundinis,' inquit / ... ‘sic sit tibi piscis in unda / credulus et nullos nisi fixus sentiat hamos' . Ov. met. 13, 933f. steht der Zufall, der beim Netzfang eine Rolle spielt, neben der Leichtgläubigkeit des Fisches, die den Erfolg beim Angeln garantiert: insuper exposui, quos aut in retia casus / aut sua credulitas in aduncos egerat hamos. SchlieBlich wird der Zustand der goldenen Zeit, in der die Fische keinen Fang zu fürchten hatten, Ov. met. 15, 101 umschrieben mit: nec sua
credulitas piscem suspenderat hamo. Der Bezug von credula auf ora (Akkusativus Graecus zu saucius, wie pectus Verg. Aen. 12, 5) rückt hier das Maul des Fisches in den Blick und verstärkt damit den instinktiven Charakter der verhängnisvollen
Eigenschaft der credulitas.
— Cibus als ‘Köder’ findet sich seit Plaut. Asin. 216.
Zur List des verborgenen Kóders vgl. bes. Ov. met. 3, 586f. hamis decipere; 8, 855f.
V. 51-55
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(oben S. 94 zu credula); 15, 476; rem. 210; fast. 6, 240; Pont. 2, 7, 9f.; Tib. 2, 6,
23f. haec captat arundine pisces, / cum tenues hamos abdidit ante cibus; Auson. Mos. 249 (Green, 123) inductos escis iaciens letalibus hamos. Insofern die credulitas des Fisches das notwendige Korrelat zur Listanwendung des Fischers ist, weist sie auf callidus dolus am Anfang der vorangehenden Strophe zurück. Als entgegengesetzte Eigenschaften stehen sich die personifizierten Credulitas und Dolus z. B. Plin. nat. 35, 138 gegenüber: Aristophontis tabula in qua sunt Priamus, Helena,
Credulitas, Ulixes, Deiphobus, Dolus. Das Wort dolus zur Charakterisierung der Fangmethode mit Angel und Köder fällt explizit Auson. Mos. 250/2 (Green, 123) quos ignara doli postquam vaga turba natantum / rictibus invasit patulaeque per intirna fauces / sera occultati senserunt vulnera ferri. Vgl. auch cibis fallacibus Ov. met. 15, 476 und fallaci ab hamo Ov. Pont. 2, 7, 9. Dummheit des Fisches und schlaue List des Fischers bedingen sich gegenseitig. Strophe 11
V. 51-55 Fundit opes ager ingenuas dives aristiferae segetis,
hic ubi vitea pampineo bracchia palmite luxuriant, pacis alumna ubi baca viret. Prudentius preist die Gaben, die das Land spendet, Getreide, Wein, Oliven. Der
erste Vers enthált die Hauptaussage der Strophe und führt zugleich ein neues Motiv ein, das der selbsttätigen Natur: Das Feld gibt von selbst reichliche Ernte. Mit der Anfangsstellung von fundit spielt Prudentius absichtsvoll auf einen bekannten Vergilvers an. Im ‘Lob des Landlebens’ (georg. 2, 458/540) preist Vergil die Spontaneität, mit der die Erde Nahrung in Fülle gedeihen läßt: fundit humo facilem
victum iustissima tellus (georg. 2, 460). Das ist das Automaton-Motiv, das wesentlich zur Vorstellung vom paradiesischen, goldenen Zeitalter gehört (zum Material
s. Gatz, 229, Register B I la. b, z. B. Hes. op. 118; Lucr. 2, 1157f1.; 5, 937f.; Germ. Arat. 117; Verg. ecl. 4, 18. 29; georg. 1, 127f. ipsaque tellus / omnia liberius nullo poscente ferebat; Hor. epod. 16, 43 reddit ubi cererem tellus inarata quotannis; Ov. met. 1, 101; Porph. abstin. 4, 2; Lact. inst. 7, 24, 7f.; mit Betonung des Überflusses z. B. Hes. op. 172f. 232; Arat. phaen. 113; Verg. ecl. 4, 39 omnis feret
omnia tellus, Hor. carm. 3, 24, 12f. inmetata quibus iugera liberas / fruges et Cererem ferunt; Hier. adv. Jov. 2, 13). Vergil transponiert das Kennzeichen des paradiesischen Zustandes, die Selbsttätigkeit der fruchtbaren Erde, in die Gegenwart des italischen Bauernlebens und verleiht dieser dadurch einen idealen Glanz (vgl.
auch Kettemann, 79ff.). Indem er zugleich die Welt der Bauern in die Nähe einer mythischen Vorzeit rückt (mittels der 'saturnischen Perspektive’ georg. 2, 473f.;
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532ff.), deren Spuren allein im schlichten Landleben noch zu finden sind (georg. 2, 467ff.), eröffnet er dem Makarismos auch eine historische Dimension (Kette-
mann, 69). Die Verklärung der bäuerlichen Arbeit beruht auf dem Gedanken, daß die unerschópfliche Spendekraft der Natur auch nach der Saturnischen Zeit nie
ganz aufgehórt hat. Prudentius nutzt das vergilische, auf die Erhóhung der Realitit zielende Verfahren. Die Bezeichnung ager für die Erde und die Auswahl der genannten Früchte machen deutlich, daß es ebensowenig wie bei Vergil (vgl. georg. 2, 513/22) um eine paradiesische, voragrarische Form der Nahrungsentstehung geht. Prudentius beschreibt allerdings mit der Spontaneität der Erde einen wahr-
haft zeitlosen und in der Natur stets erfahrbaren Vorgang. Für den christlichen Dichter geht die Fruchtbarkeit der Erde auf den Befehl des Schópfers zurück, der die gesamte Natur dem Menschen unterworfen hat. Vgl. dazu Prud. c. Symm. 2, 799/806, bes. 799f. nunc adsunt homini data munera legibus hisdem, / quis concessa semel: fons liquitur, amnis inundat; 823/30: Gott hat die Gewährung der Lebensgrundlagen an alle Menschen auch nach dem Sündenfall nicht zurückgenommen. Daß der Schópfungsbefehl eine zeitlose, immerwährende Gültigkeit hat, erhellt auch aus einem Abschnitt des ambrosianischen Exameron. Ambrosius schildert zunüchst das Automaton als Bestandteil der paradiesischen Situation (hex.
3, 10, 45) und führt dann fort (Ambr. hex. 3, 10, 46 (CSEL 32, 1, 89, 23/7): denique hodieque fecunditas terrae veterem affluentiam spontaneae usu fertilitatis operatur. quam multa sunt enim quae adhuc sponte generantur. sed etiam in his ipsis quae manu quaeruntur magna ex parte manent nobis divina beneficia, ut frumenta ipsa quiescentibus inferantur (dazu vgl. Henke, Sechstagewerk, 221; zur gleichbleibenden Schópfungsordnung vgl. auch Bas. hex. 9, 2; dazu Henke, Sechstagewerk, 51. 299/303). Nicht nur gilt die Freiwilligkeit und Selbsttätigkeit des Hervorbringens für alle Zeit, auch die durch menschliche Tätigkeit gewonnenen Erträge müssen nach Ambrosius' Darstellung zum großen Teil auf die göttliche Wohltätigkeit zurückgeführt werden. Gerade diesen Aspekt entfaltet auch Prudentius, wenn er den unverbrüchlichen Segensreichtum der Schópfung preist. Fundit ist thematisches Anfangswort, es assoziiert die Vorstellung des reichen Ertrags; s. ThLL VI, 1, 1567, 53ff., mit dem expliziten Zusatz der Fülle z. B. Varro
ling. 5, 37 fundus ... quod fundit quotquot annis multa; Cic. nat. deor. 2, 156 quae cum maxima largitate fundit terra; Pallad. 12, 4, 1 fundendi ubertate olivae; vgl.
auch Cic. Tusc. 5, 37 ut aut flores aut fruges fundat aut bacas; bei Prudentius ham. 193 locupletem fundere partum (sc. natura soli) auch im Zusammenhang mit dem Schópfungsauftrag; cath. 5, 114/6 (Blumenfülle), dazu auch Gnilka, Prud. I, 330, A. 86. Auch die Junktur opes ingenuas muß vor diesem Hintergrund gedeutet werden. In der Bedeutung 'die eigenen Früchte' verstürkt sie das Automaton-Motiv. Die Einordnung, die der ThLL VII, 1, 1548, 6/10, unter der notatio der Freigebigkeit, Fülle vornimmt, liegt auf dieser Linie. Im Sinne von largus ist ingenuus wohl auch Boeth. cons. 3, carm. 1, 1 qui serere ingenuum volet agrum zu verstehen.
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Charlet, culture, 449 (,,dons naturels'*), Arevalo, 800 (Sed ingenuum est nativum, proprium, non arte paratum), Lavarenne, édition, 14, etablieren einen Gegensatz zwischen den natürlichen Gaben der Erde und den mit List gewonnenen des Meeres und der Luft. In der bei Lavarenne formulierten Schärfe „les richesses que n'altere
nulle fraude" kommt allerdings eine negative Bewertung des callidus dolus zum Ausdruck, die der Unterordnung der Listanwendung unter den góttlichen Schópfungsauftrag nicht gerecht wird.
Zu opes von der Nahrung im Sinn von
‘Schätze, Reichtümer' der Mutter Erde s. auch Ov. met. 15, 91 scilicet in tantis opibus, quas optima matrum / terra parit, ebenso Ov. met. 11, 209f. opesque 7 abstulit agricolis et fluctibus obruit agros (Bömer z. St.). dives aristiferae segetis: Die Apposition zu ager greift das Moment der Fruchtbarkeit des Landes wieder auf. Nach den allgemeinen opes (V. 51) wird jetzt der Reichtum an Getreide gepriesen. Áristifer ist eine Neubildung des Prudentius von der bekannten Art der periphrastischen Adjektive auf -fer und -ger nach griechischem Vorbild, vgl. Norden, Vergilius, 325, zu Aen. 6, 796 (caelifer); Bómer zu fast. 1, 125 (mit einer Liste der ovidischen Neuerungen). Die Wortkomposition mit ihrem archaisch-epischen Klang
kennzeichnet die hohe Tonlage des poetischen Stils. Neben dem Neologismus aristifer dient auch die Periphrase aristiferae segetis der enkomiastischen Stilaufhóhung.
V. 53-55. In zwei Relativsätzen wird das Wachstum in der Natur noch weiter spezifiziert und veranschaulicht, und zwar am Beispiel von Wein und Olive. Die Konstruktion hic ubi / ubi erinnert an Hor. epod. 16, 43 (Evenepoel, Hymnus ante
cibum, 128; ders., Ovide, 174, A. 37). Horaz schildert epod. 16, 41ff. das paradiesische Leben auf den Inseln der Seligen, wo, unberührt vom Pflug, das Land jährlich Getreide gibt: arva beata / petamus, arva divites et insulas, / reddit ubi cererem tellus inarata quotannis / et inputata floret usque vinea, / germinat et numquam fallentis termes olivae / suamque pulla ficus ornat arborem. Der Relativsatz mit ubi ist hier zum enkomiastischen Stil gehórige Formel, vergleichbar dem Relativstil der hymnischen Prádikation. Er leitet die Aufzählung der Vorzüge des gepriesenen Ortes ein. Von Horaz selbst wurde die Formel aus dem locus classicus der Paradiesbeschreibung epod. 16 übernommen in den Lobpreis Tarents (carm. 2, 6, 14/20 [ille terrarum angulus] ubi non Hymetto / mella decedunt viridique certat / baca Venafro, / ver ubi longum tepidasque praebet/ Juppiter brumas). Prudentius nutzt die Konstruktion für seine laus agri. Denn bezieht sich ubi bei Horaz auf die Gefilde der Seligen, die arva beata bzw. divites insulae (zu arva vgl. auch Verg. Aen. 6, 477. 744), so bei Prudentius auf den fruchtbaren Acker (ager), wobei die
prosaische, eigentliche Bedeutung von arva ‘Ackerland, Saatfeld’ (ThLL II, 731,
54/733, 37) den Ansatzpunkt für die Übertragung geboten haben kónnte. Mittels des Kunstgriffs der Allusion hebt Prudentius den gewóhnlichen Acker in den Rang der *gesegneten Inseln’ — auch dives im vorhergehenden Vers scheint absichtsvoll
gewählt, vgl. divites insulas bei Horaz epod. 16, 42 - und erreicht so eine unvergleichliche Erhóhung der Natur des Ackers. Von Horaz übernimmt Prudentius
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C. Kommentar
offensichtlich auch die Reihenfolge der gepriesenen Früchte, vgl. Hor. epod. 16, 43 cererem, V. 44 vinea, V. 45 olivae mit Prud. cath. 3, 52 aristiferae, V. 53 vitea
(jeweils raffinierte Angabe im Adjektiv), V. 55 baca. Aber wührend Horaz gerade das Wunderbare des Automaton betont goldenen Zeitalter, dessen Überbleibsel Reben, die Oliven- und Obstbäume von anbau, Baumzucht (vgl. V. 43 inarata,
— auf den Inseln der Seligen geben wie im sie sind (vgl. epod. 16, 63f.), das Land, die selbst ihren Ertrag, ohne Agrikultur, WeinV. 44 inputata, V. 46 suam arborem, vgl.
auch 46ff.) -, ist bei Prudentius das Tätigwerden des Menschen nicht ausgeschlossen. Nicht die paradiesische Natur, sondern das Überquellen und Ausstrómen der gewóhnlichen Natur will der christliche Dichter vergegenwürtigen. Dazu bedient er sich einer sprachlich und klanglich reichen Gestaltung.
hic ubi vitea pampineo / bracchia palmite luxuriant: Die sich über zwei Verse erstreckende Beschreibung des Weinstocks malt durch abundante Ausdrucks-
weise das rankende, üppige Wachstum der Weinreben, das im abschlieBenden Verb luxuriant seinen semantisch adäquaten Ausdruck findet. Zu luxuriare vom wuchernden Pflanzenwachstum bes. bei Fachschriftstellern und in der Spätantike s. ThLL VII, 2, 2, 1926, 84ff., z. B. Ambr. in psalm. 118 serm. 13, 26, 2 luxuriat in foliis, vanescit in fructu; bei Prudentius noch c. Symm. 2, 1027 praefertile germen luxuriat, speziell vom Weinstock z. B. Colum. 4, 11, 2 nec pati vitem supervacuis
frondibus luxuriantem silvescere. In der positiven Bedeutung der Fruchtbarkeit auch Mar. Victor. aleth. 3, 69 nova praegravido iam palmite vinea diti / luxuriat
fructu. Der Ablativus instrumentalis pampineo palmite gibt dabei das neu entstehende Gewächs an (dazu ThLL VII, 2, 2, 1926, 56ff.). Das Adjektiv pampineus gehört zu den aus metrischen Gründen vorgenommenen Neubildungen Vergils, Beispiele der Adjektive auf -eus bei Norden, Vergilius, 218, zu Verg. Aen. 6, 281 (vipereus). Pampineus noch Verg. ecl. 7, 58; georg. 2, 5 (dazu vgl. Serv. pampineo pro 'pampinoso' ut ‘'nemus frondeum' pro frondosum); Aen. 6, 804; 7, 396. Vgl. auch corticeo cath. 3, 43. Cul. 74f. hat das Wort in enger Verbindung mit palmite, vgl. viridi cum palmite lucens / Tmolia pampineo subter coma velat amictu. Nach Mahoney, 133, ist daher Imitatio möglich. Ein ebenso gewählter Ausdruck ist vitea bracchia (Charlet, culture, 449). Viteus, ursprünglich in technischem Zusammenhang gebraucht (Varro rust. 1, 31, 4), findet sich in der spütantiken Dichtung häufiger, z. B. Auson. Mos. 25; Prud. ham. 227 vitea rura; Paul. Nol. carm. 19, 412ff. (bracchia vitea im Vergleich einer Lampe mit einem Rebstock). Sowohl technischen als auch poetischen Gebrauch kennzeichnet auch die ursprünglich anthropomorphe Metapher bracchia für die Zweige des Weinstocks (vgl. Catull 64, 105; Verg. georg. 2, 296; 368; Aen. 6, 282 [dazu Norden, Vergilius, 218]; vom Weinstock speziell Cato agr. 95; Colum. 3, 10, 11; 4, 17, 5; Sen. Oed. 158; s. ThLL II, 2160, 4/44; vgl. auch unten S. 114 zu holeris coma, V. 63). baca: bezieht sich auf die Olive wie Hor. carm. 2, 6, 16, wo im Preis der fruchtbaren Landschaft um Tarent auch das für die Olive charakteristische Grün zur Sprache
kommt, V. 15f. viridique certat / baca Venafro. Daher bei Prudentius: viret. Zum
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Anklang an die Beschreibung des tarentinischen locus amoenus s. Salvatore, Studi, 102f.; Lühken, 234f. Zu baca für die Olive s. auch Ov. met. 8, 295. 664; Verg.
georg. 2, 86 u. à. (ThLL II, 1657, 55/75). Auch das Merkmal der immergrünen Blätter des Ölbaums wird oft hervorgehoben, so Ov. met. 8, 295 bacaque cum ramis semper frondentis olivae; Verg. Aen. 5, 494 viridi Mnestheus evinctus olivae; weitere Stellen s. bei Pease, Ölbaum, 1998f. Die metaphorische Apposition pacis alumna wird durch Anfangsstellung und Inversion des Relativpronomens hervor-
gehoben. Der Ausdruck stammt von Cicero, vgl. Phil. 7, 8 ego ... pacis, ut ita dicam, alumnus. Das Vorbild liefert aber hier wohl Ovid (fast. 1, 704), der als segensreiche Auswirkung der neuen Ordnung unter dem Friedensfürsten (Augustus oder Germanicus, s. Bómer z. St.) das Wiederaufleben der Landwirtschaft einfordert, wofür er sentenzhaft die Begründung liefert: Pax Cererem nutrit, Pacis
alumna Ceres. Zur engen Verbindung von Ceres und Pax s. auch Call. hymn. 6,
137. Martial 9, 99, 4 wendet die Bezeichnung auf die personifizierte Quies an: gloria, quem genuit Pacis alumna Quies. Prudentius überträgt den metaphorischen Ausdruck pacis alumna von der Ceres auf die Olive, wobei er sich wiederum die Symbolkraft des Ölbaums als Zeichen des Friedens zunutze macht (allgemein dazu Pease, Ölbaum, 2020f.). Den Olivenbaum als Segensgabe des Friedens preist auch Vergil — mit ähnlicher Personifikation des Friedens wie Ovid. Seine Darstellung
der Spontaneität des Ölbaums, der keiner Wartung bedarf und von selbst eine Last von Früchten trügt (georg. 2, 420/5), gipfelt in der Aufforderung: hoc pinguem et
placitam Paci nutritor olivam (georg. 2, 425). Der Unterschied zur prudentianischen Verwendung der Metapher vom ‘Liebling des Friedens’ tritt deutlich hervor. Ovid und Vergil fassen Pax in antiker Tradition als Gottheit (so schon Hes. theog. 902; op. 228). Die Personifizierung des Friedens geht einher mit seiner Vergöttlichung. Die Vorstellung vom Frieden als *Nührer des Ackerbaus’ steigert Tibull 1, 10, 45ff. noch, wenn er die Göttin Pax als Stifterin von Agrikultur und Weinanbau feiert
und ihr so die Rolle des πρῶτος εὑρετῆς zuschreibt. Die heidnische Personifikation des Friedens kann Prudentius nicht übernehmen. Für den Christen ist der Frieden, der den Ölbaum gedeihen läßt, selbst auf den Segen des einen Gottes und Gebers alles Guten zurückzuführen. Der Frieden ist nur äußere Bedingung des Landbaus, des geförderten Wachstums der Pflanzen. Dem christlichen Dichter dient die Erwähnung des Friedens dazu, in seinem 'Hymnus' auf den fruchtbaren Acker ein weiteres Element des goldenen Zeitalters anklingen zu lassen. So wird die Gabe, die der Acker spendet, der Olivenbaum, mit einem besonderen Glanz umgeben, der zugleich Ausdruck eines umfassenden Wohlergehens ist. Das Bild des Friedens evoziert eine Atmosphäre der Ruhe und Sicherheit, Gewaltlosigkeit und Ordnung, die eine glückliche Existenz wesenhaft konstituiert (zum Motiv der absentia belli im Zusammenhang mit der aetas aurea- Vorstellung s. Gatz, 229, Reg. B I 4b; z. B. Hes. op. 229; Ov. fast. 1, 247ff.; met. 1, 89ff.; Tib. 1, 3, 35ff.; 1, 10 (s. o. S. 99);
Verg. georg. 2, 459. 536ff.). Ebenso wie die gedanklichen Assoziationen tragen die klanglichen Verbindungen zu diesem Stimmungsbild bei (zur “Musikalität’ der
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Verse s. auch Evenepoel, Hymnus ante cibum, 128; Charlet, culture, 449). In den Versen 53/5, die auch syntaktisch eine Einheit bilden, herrschen die vollen, tiefen a- und u-Laute vor. Durchgehende p-Alliteration und Assonanzen über zwei oder sogar drei Silben (bra-, pa-, ba-, luxuriant - alumn[a] ubi) erzeugen den Eindruck von sich ausdehnender Harmonie. Ein weicher Klang schlieBlich (vitea — viret)
rahmt die Beschreibung und verleiht ihr bei aller Evokation der überquellenden Fülle eine gewisse Abgeschlossenheit. Strophe 12-13 Im Anschluß an das Lob der vielfältigen und reichen Nahrung, die der Schöpfer in Luft, Wasser und Land zur Verfügung stellt, zieht der Dichter eine Folgerung für das Ernährungsverhalten der Christen. An den deskripti v-enkomiastischen Abschnitt (Str. 9/11) fügt sich eine Paränese zu Fleischverzicht und vegetarischer Kost an (Str. 12/13), die wiederum fast nahtlos in eine Beschreibung weiterer vegetarischer Speisen übergeht (Str. 14/16). Strophe 12
V. 56-60 Haec opulentia christicolis servit et omnia subpeditat; absit enim procul illa famis, caedibus ut pecudum libeat sanguineas lacerare dapes! Die SchluBfolgerung, die Prudentius aus der Darstellung der Schópfungsgaben zieht: ‘Dieser Reichtum dient den Christen und gewährt ihnen alles Notwendige’, weist zurück auf die Explikation des Schópfungsauftrags in Str. 8 (V. 36/40). Neu ist der Aspekt der Fülle, der sich jetzt aus der Beschreibung der Gaben ergibt. Der zweite Teil des Satzes nutzt noch einmal das Automaton-Motiv und zwar im lukrezischen Wortlaut (Den Bezug zu Lukrez gesehen hat Buchheit, Resurrectio, 271. 283, A. 107). Omnia suppeditat porro natura heiBt es Lucr. 3, 23 in der Be-
schreibung des heiteren góttlichen Lebens, das im Gegensatz zum furchterfüllten menschlichen Leben steht (Lucr. 3, 18ff.) und den Anhüngern der Lehre Epikurs
zuteil wird. Wieder tritt in der absichtsvollen Übernahme ein Unterschied zwischen heidnischer und christlicher Sicht der spendefreudigen Natur zutage. Daf die Natur hilfreich das zum Leben Notwendige gewährt, ist für Lukrez eine Idealvorstellung, für Prudentius ist es Kennzeichen der natürlichen, von Gott gegebenen Ordnung. In Form einer Begründung (enim) schließt Prudentius die Absage an den Genuß von Fleisch an: ‘Fern sei nämlich jener Hunger, daß es gefällt, durch Morden von Vieh blutige Mahlzeiten zu zerfleischen'. Aus dem Vorhergehenden zu ergänzen ist zuvor etwa die Forderung: 'Und diese Nahrung sei Euch genug!' Der iussive
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Konjunktiv absit (V. 58), rhetorisch betont am Versanfang, markiert den Übergang zur Paränese; vgl. noch sint (V. 61), paverit (V. 65). Parünetische Abschnitte sind bezeichnend für die didaktische Lyrik des Prudentius, vgl. z. B. zu cath. 1, 73/ 100 Gnilka, Natursymbolik, 431 = Prud. II, 120. Mit der Forderung der Fleischabstinenz spielt Prudentius auf das klassische Gebot zur Enthaltung von Fleischnahrung an, das Ovid in der Rede des Pythagoras (met. 15, 75/95 bzw. 164; 453/ 478) als ersten und letzten Punkt des Lehrvortrags (Bömer, 277) entfaltet. Die wörtlichen Anklänge sind schon vielfach bemerkt worden (Hanley, 185/91; Evenepoel, Ovide,
173f.; Buchheit, Resurrectio, 271/3; Charlet, culture, 450; s.
auch Lühken, 238); vgl. met. 15, 75f. Parcite, mortales, dapibus temerare nefandis / corpora! sunt fruges ... ; met. 15, 81f. prodiga divitias alimentaque mitia tellus7 suggerit atque epulas sine caede et sanguine praebet; met. 15, 86f. tigres ... leones ... cumque lupis ursi dapibus cum sanguine gaudent; met. 15, 105 corporeasque dapes avidam demersit in alvum; met. 15, 106f. primoque e caede ferarum 7 incaluisse potest maculatum sanguine ferrum; vgl. auch met. 15, 138 fames homini vetitorum tanta ciborum est?; met. 15, 98 (aetas aurea) fortunata fuit nec polluit ora cruore; met. 15, 173/5 ergo, ne pietas sit victa cupidine ventris, / parcite, vaticinor, cognatas caede nefanda / exturbare animas, nec sanguine sanguis alatur (s. Material zum pythagoreischen Vegetarismus bei Haußleiter, Vegetarismus, 97/157, ein kurzer Überblick über die antiken Zeugnisse auch bei Gatz, 166). Die offensichtliche Bezugnahme auf Ovids Vegetarismus-Kapitel erstreckt sich im
übrigen über den gesamten Gabenpreis (zu Fisch- und Vogelfang s. oben S. 89. 92, zu V. 66/80 s. unten S. 116-126). Buchheit, Resurrectio, 271, spricht daher von einem „regelrechten Nest von Allusionen an Ovid". Ob Prudentius aber dadurch
der pythagoreischen Lehre seinen „Respekt erweisen will“ (Buchheit, ebd., 272), ist sehr zu bezweifeln, dazu unten S. 102. 109-113. — Auch bei Ovid nimmt die Darstellung des Gedankens 'die Erde hat Nahrung für alle' einen breiten Raum ein (met. 15, 76/82, bes. 81f. [oben S. 101 zitiert]; 91f. scilicet in tantis opibus, quas optima matrum / terra parit). Er fungiert hier als eine Begründung für den Vegetarismus. Ovid argumentiert mit der Fülle der vegetabilen Nahrung, um sein Anliegen, die Forderung nach Fleischenthaltung, zu stützen. (Dieses Argument allgemeinen Charakters findet sich häufiger, z. B. Plut. de esu carnium 1, 2, s. Haußleiter, Ve-
getarismus, 220ff.; zum Gedanken vom Überfluß an pflanzlicher Nahrung auf der Erde vgl. auch Plut. Gryllos 8; de sanit. tuend. 18; Haußleiter, Vegetarismus, 214).
Prudentius kehrt den logischen Zusammenhang seiner Vorlage um: Aus dem Lobpreis der reichen Gaben des Schópfers leitet er das Gebot der Fleischenthaltung ab, die Aufforderung zur Fleischabstinenz der preisenden Aussage unterordnend. Schon die Umkehr des Verhältnisses von deskriptiver und normativer Aussage zeigt, daB der Vegetarismus-Forderung bei Prudentius ein ganz anderer Wert zukommt als bei Ovid. Die Partie (V. 41ff.) handelt eben nicht primär vom Vegetarismus (so Buchheit, Resurrectio, 271f., nicht ganz treffend).
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Die inhaltlichen Unterschiede zwischen dem ovidischen und dem prudentianischen Gebot zur Fleischabstinenz stellt besonders Buchheit (Resurrectio, 27 1ff.) heraus. Wührend Prudentius einerseits die rigorose Absage an den Fleischverzehr von Ovid übernimmt, vertritt er andererseits eine Art ‘gemäßigten Vegetarismus',
was die Ausdehnung des Verbots betrifft. Aufgefordert wird zum Verzicht auf das Fleisch vierfüBiger Tiere (V. 62 quadrupedum; V. 59 pecudurn), Fisch und Geflügel sind erlaubt, wie aus den Strophen 9 und 10 hervorgeht. Bei Ovid sind auch Vógel und Fische in das Abstinenzgebot eingeschlossen, vgl. met. 15, 473/6, indirekt 15, 99/101 (Ob eine vóllige oder nur eine bedingte Abstinenz von Tierfleisch von Pythagoras selbst und den Pythagoreern geübt wurde, darüber sind die Nachrichten widersprüchlich, vgl. HauBleiter, Vegetarismus, 97/127; Bómer zu Ov. met. 15, 75; Riedweg, 54f. 93ff.; zur Fischabstinenz der Pythagoreer vgl. Engemann, 984f.). Prudentius setzt sich durch deutliche Anklünge an diese Partien bei seiner Darstellung von Vogel- und Fischfang bewuBt in Gegensatz zu Pythagoras bei Ovid (Buch-
heit, Resurrectio, 272). Dieser äußere Unterschied hängt aufs engste mit der wesentlich anderen Begründung des Vegetarismus zusammen. Die pythagoreische Lebensform gründet in der Überzeugung von der Metempsychose. Der Glaube an die Seelenwanderung und die daraus resultierende Verwandtschaft aller Lebewesen ist unver-
einbar mit dem Töten und Verzehren beseelter Existenzen (HauBleiter, Vegetarismus, 127/44; Gatz, 166f.; Bómer, 299f. [zu met. 15, 158]). Ovids Pythagoras verleiht
diesem Gedanken rhetorisch effektvoll Ausdruck (vgl. met. 15, 88/95; 453/69; Metempsychose 153/64; mit Betonung des Frevels 88. 106. 127. 173/5; 469; Gleichsetzung mit Kannibalismus, Brudermord 93 [Polyphem]. 460. 462 [Thyest]). Das prudentianische Verbot hat nichts zu tun mit der pythagoreischen Lehre von der
ἀποχὴ τῶν ἐμψύχων. Denn die Lehre einer auf Metempsychose beruhenden Unsterblichkeit der Seele ist dem christlichen Auferstehungsglauben diametral entgegengesetzt. Buchheit, Resurrectio, 27 1ff., hat richtig erkannt, daß die Darstellung der Auferstehung des Fleisches am Ende dieses Tagesliedes (cath. 3, 186/205) auf die Aufforderung zur vegetarischen Lebensweise zurückbezogen werden muß.
Prudentius liefert hier sozusagen ein theologisch fundiertes Korrektiv zur Seelenwanderungslehre, die der antike Leser mit dem Vegetarismusgebot notwendig assoziiert (Die Ablehnung der pythagoreischen 'Metensomatose' bzw. Metempsychose explizit bei Clem. Alex. strom. 7, 32, 8 [3, 24, 25ff. Stählin]; Orig. c. Cels. 3, 75; 4, 17; 5, 29; 5, 49 [unten S. 106 zitiert]; 8, 29f.; Tert. apol. 48, 1; Lact. inst. 3, 19, 19; Hier. adv. Jov. 2, 6 [unten S. 107 zitiert]). Die Abstinenz, zu der Prudentius ermahnt, ist aber auch nicht biblisch begründet (vgl. neben Gen. 1, 28 vor allem
Gen. 9, 2ff.; Ps. 8, 5ff.; Mt. 15, 11. 17; 1 Kor. 8, 8; s. Ermoni, 208/10). Zur Haltung der frühen Kirche zum Vegetarismus s. den Exkurs unten S. 105-109. Die móg-
lichen Motive, aus denen heraus Prudentius die Fleischabstinenz, und zwar in dieser Einschränkung, fordert, sollen erst im Anschluß an die Analyse der ganzen Gedichtpassage (V. 56/65) nachgezeichnet werden, soweit sie sich überhaupt aus dem Kontext herauskristallisieren lassen (s. unten S. 111-113; dazu S. 104). Von
V. 56-60
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Ovid nutzt Prudentius vor allem die Form der Verurteilung des Fleischgenusses. Dabei macht er sich über die rhetorischen Mittel hinaus die — von der religiósen Motivation gereinigte — moralische Position Ovids zu eigen. Vergleiche dazu die
Einzelheiten. Haec opulentia faBt das Vorhergehende zusammen. Opulentia greift opes (V. 51) auf, aber gemeint sind nicht nur die opes agri (so ThLL VI, 1, 835, 76 ‘de opibus ruris"), sondern auch die 'Fischherden' und Vogelschwürme, die in den Strophen 9 und 10 als Reichtümer der Luft und des Wassers gepriesen werden. Christicola ist vor Prudentius nicht belegt. Das Kunstwort paßt in den daktylischen Rhythmus und ersetzt das wegen der kretischen Silbenfolge nicht geeignete Christianus (Gnilka, Prud. I, 262f.). Der Neologismus an exponierter Stelle impliziert den
Gegensatz Heiden-Christen, der V. 61ff. ausgeführt wird, und intoniert — gewissermaßen als indirekte Anrede — die folgende protreptische Rede. — servit: Den Gedanken der dienenden Rolle der Natur mit dem des Reichtums ihrer Erzeugnisse verbindet áhnlich Prud. ham. 191ff.: dominum quoque conditioni / inpositum, natura soli pelagique polique / ut famulans homini locupletem fundere partum / nosset et effusum terreno addicere regi. Dort geht es dem Dichter darum, die herausragende Stellung des Menschen in der Schópfung zu zeigen, die den Neid des Teufels heraufbeschwört. S. auch zu famulentur, V. 106, unten S. 152f. Deiktisches illa kündigt den explikativen ut-Satz an (Lavarenne, étude, 185,
$ 486).
Utim Anschluß an ein Substantiv auch Prud. cath. 6, 21ff. lex haec data
est ... ut; apoth. 1058 illa dei virtus memorabilis est, ut / occisus redeat superis (Lavarenne, étude, 283, $ 777). famis: meint den Hunger, Appetit im eigentlichen Sinn (vgl. auch Prud. cath. 4, 50 fameque blanda): er soll nicht so groB bzw. so geartet sein, daB Tiere geschlachtet werden müssen, um ihn zu stillen. Vor dem Hintergrund der Feststellung, daß die Natur ohnedies ausreichend Nahrung zur Verfügung stellt, schwingt aber die Bedeutung ‘Gier nach mehr, Habgier' mit (Bei-
spiele für den übertragenen Sinn s. ThLL VI, 1, 233, 6ff., berühmt ist Verg. Aen. 3, 57 auri sacra fames; vgl. auch Prud. psych. 479 spoliatque suos famis inpia natos). Diese negative Konnotation hat fames auch Ov. met. 15, 138 in der rhetorischen Frage: fames homini vetitorum tanta ciborum est? Im weiteren Rahmen ist zu vergleichen der Kontrast zwischen der Zufriedenheit mit der einfachen, natürlichen Lebensweise, die Kennzeichen der goldenen Zeit ist, und der Habgier, die die Perversion der spüteren Zeitalter begründet (z. B. Ov. met. 1, 101/6; 137/41; Verg. georg.
2, SOOff.). caedibus pecudum: vgl. Ov. met. 15, 82 epulas sine caede et sanguine; 15, 106f. e caede ferarum; 15, 174 caede nefanda; 140f. boum ... caesorum membra. Mahoney, 134, verweist auf mógliche Nachahmung von Verg. georg. 2, 537, wo
das Schlachten von Stieren als Zeichen des degenerierten Geschlechts der nachsaturnischen Zeit gilt: ante etiam sceptrum Dictaei regis et ante / impia quam caesis gens est epulata iuvencis, / aureus hanc vitam in terris Saturnus agebat. Hier eine direkte Nachahmung zu sehen, scheint aber den durchaus vorhandenen
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gedanklichen Zusammenhang zu überdehnen. Caedibus findet sich ebenfalls im negativen Kontext der verruchten Speise, des Kannibalismus
Hor. ars 391ff.
silvestris homines sacer interpresque deorum / caedibus et victu foedo deterruit
Orpheus, / dictus ob hoc lenire tigres rabidosque leones (vgl. Buchheit, Resurrectio, 283, A. 108, der die Assoziation durch den cath. 3, 61f. aufgenommenen Aspekt
der Gesittung bestätigt sieht). sanguineas lacerare dapes: ein starker, hyperbolischer Ausdruck für den einfachen Fleischverzehr, in dem sich Prudentius die protreptische Darstellung Ovids zunutze macht. Dapes nimmt Bezug auf die bekannten Anfangsverse der Pythagoras-Rede: Parcite, mortales, dapibus temerare nefandis / corpora! (met. 15, 75f.). Das Wort hat einen feierlich-epischen Ton, vgl. Serv. Aen. 3, 224 dapes deorum, epulae hominum; zur Einschätzung Non. p. 461 dapes non tantum opiparos apparatus aut religiosos, sicut plerumque, significare, sed et vitabiles et infandos cibos auctore Vergilio possumus doceri, s. z. B. Verg. Aen. 3, 618 dapibusque cruentis Cyclopis, dazu auch unten S. 105. Vgl. bei Prudentius noch cath. 3, 174 inmodicis dapibus; 4, 58; 5, 108. Die Junktur sanguineas dapes variiert epulas sine caede et sanguine (Ov. met. 15, 82) sowie — ebenfalls mit adnominaler Setzung des präpositionalen Begriffs — dapibus cum sanguine (Ov. met. 15, 87). Ersteres ist bei Ovid die negative Umschreibung für vegetabile Kost (neben alimenta mitia, 15, 81). Von dapibus cum sanguine nähren sich nach dem Urteil Ovids nur die wilden Tiere, vgl. Ov. met. 15, 85/7 at quibus
ingenium est inmansuetumque ferumque, / Armeniae tigres iracundique leones / cumque lupis ursi dapibus cum sanguine gaudent. Der Mensch, der Fleisch iBt, muß also den wilden Tieren gleichgestellt werden. Obwohl in erster Linie die Vorstellung rohen Fleisches geweckt werden soll, geht es Ovid bei der Betonung des Blutes auch darum, die ursprüngliche Lebendigkeit der geschlachteten und verzehrten Tiere hervorzuheben (daher im Anschluß der Gedanke von der Verwandtschaft der Lebewesen und der Hinweis auf frevelhaften Mord, met. 15, 88/90; vgl.
auch den Ausdruck corporeasque dapes, 15, 105). Zu sanguis als Symbol für Fleischnahrung s. auch Sen. epist. 108, 18 über den Philosophen Sextius nach Sotion: Hic homini satis alimentorum citra sanguinem esse credebat et crudelitatis consuetudinem fieri ubi in voluptatem esset adducta laceratio. Für die Darstellung des Prudentius mag die Version des Schópfungsauftrags in Gen. 9, 2/7 eine ent-
scheidende Rolle spielen. Überhaupt nimmt sich die Partie cath. 3, 41/60 als dichterische Umsetzung bzw. Umdeutung der Genesis-Verse aus, vgl. Gen. 9, 2/4: ‘Furcht und Schrecken vor euch soll sich auf alle Tiere der Erde legen, auf alle Vögel des Himmels, auf alles, was sich auf der Erde regt, und auf alle Fische des
Meeres; euch sind sie übergeben. / Alles Lebendige, das sich regt, soll euch zur Nahrung dienen. Alles übergebe ich euch wie die grünen Pflanzen. / Nur Fleisch, in dem noch Blut ist, dürft ihr nicht essen'. Prudentius setzt dann in Ausweitung von Gen. 9, 3f. jegliches Fleisch von Landtieren mit blutigem Fleisch gleich. Dazu bedient er sich der ovidischen Ausdrücke. Die Parallele, die Ovid zum tierischen
FreBverhalten zieht, übernimmt und fokussiert Prudentius in dem starken Verb
Exkurs: Vegetarismus in der frühen Kirche
105
lacerare, 'zerreißen, zerfleischen', das ursprünglich auf das wilde Reißen der Beute durch Raubtiere geht (z. B. Cic. carm. frg. 19, 7 B. aquila anguem lanians rostroque cruentans ... laceratum adfligit in unda; Amm. 18, 7, 5 leones; aber auch vom ZerreiBen des menschlichen Körpers, so Enn. trag. 58 lacerato corpore Hectoris; unter Verwendung der Zähne u. a. Phaedr. 1, 12, 11; 2, 3, 1; Sen. clem. 1, 25, 1 (ThLL VII, 2, 2, 824, 43ff.]). Zu laceratio metaphorisch für 'FleischgenuB' ist zu vergleichen Sen. epist. 108, 18 (oben S. 104 zitiert). Das Bild des 'Fressers', der
mit den Zähnen blutige Fleischfetzen kaut, begegnet allerdings auch bei Ovid. Es bildet den emphatischen Hóhepunkt seiner Suasoria über den Vegetarismus (met. 15, 92f.): nil te nisi tristia mandere saevo / vulnera dente iuvat ritusque referre Cyclopum?, wobei mandere dem „barbarischen dilaniare“ entspricht (Bömer z. St.; vgl. auch Ov. met. 15, 98). Das Verb laniare verwendet Prudentius c. Symm. 1, 453 zur Beschreibung der Omophagie, der blutigen Kultmahlzeiten des barbarischen Heidentums, vgl. c. Symm. 1, 449/54 sint haec barbaricis gentilia numina pagis, / quos penes omne sacrum est, quidquid formido tremendum / suaserit, horrificos quos prodigialia cogunt / credere monstra deos, quos sanguinolentus edendi / mos iuvat, ut pinguis luco lanietur in alto / victima visceribus multa inter vina vorandis. Überhaupt scheint er auch hier den sanguinolentus edendi mos zu assoziieren, s. unten S. 109f. 112f. zu gentibus indomitis, V. 61. Die Junktur sanguineas
dapes ist an sich schon geeignet, die grausigen Mahlzeiten der mythischen Menschenfresser zu evozieren. In der Variante cruentae dapes ist sie sozusagen stehen-
der Ausdruck der Polyphem-Darstellungen, vgl. Verg. Aen. 3, 618 dapibusque cruentis Cyclopis; Ov. met. 14, 211f.; PsAuson. perioch. Odyss. 9 (Green, 689 = Peiper, 396). Die Wendung sanguineas dapes findet sich Tib. 1, 5, 49. Der verschmähte Liebhaber verflucht die Kupplerin zu extremer Armut, so daB sich ihre eigene Zauberkraft gegen sie wendet und sie vor Hunger gezwungen ist, das rohe Opferfleisch selbst zu essen (Murgatroyd, 177): sanguineas edat illa dapes atque ore cruento/ tristia cum multo pocula felle bibat. Das Grausige dieses Fluchs wird durch die Gleichstellung der Hexe mit Vampiren und aasfressenden Wölfen noch vertieft (1, 5, 52. 54). Prudentius macht sich das Abscheu Erregende des Ausdrucks zunutze, um seine Ablehnung des Fleischessens kraftvoll zur Geltung zu
bringen. Den Vergleich mit dem Kannibalismus eines Polyphem oder Thyest, den Ovid zieht, oder mit dem Vampirismus, den Tibull andeutet, kann Prudentius aber nicht übernehmen, weil das zugrundeliegende pythagoreische Menschenbild aus christlicher Sicht nicht akzeptabel ist (s. oben S. 102).
Exkurs: Vegetarismus in der frühen Kirche Obwohl die christliche Lehre den Fleischverzehr nicht verbietet, neigen die Väter
der frühen Kirche dazu, die Enthaltung vom Fleischgenuß anzuraten, wofür verschiedene, nicht dogmatische, sondern moralisch-hygienische Gründe geltend ge-
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C. Kommentar
macht werden. Für die Haltung des Prudentius in dieser Frage kónnen Zeugnisse anderer frühchristlicher Schriftsteller aufschlußreich sein, aber auch Prudentius selbst läßt in seinem Gedicht, das über die Essensproblematik zu anthropologischen und heilsgeschichtlichen Aussagen führt, einen begründenden Zusammenhang offenbar werden (dazu unten S. 111-113). Clemens von Alexandrien (paed. 2, 1, 11, 1 [Stühlin 1, 161]) rät unter Berufung auf Paulus (Róm. 14, 21) und die Pythagoreer zur Fleischabstinenz und zwar sowohl
aus ethischen Gründen - FleischgenuB sei ein tierisches Verhalten (θηρίων γὰρ μᾶλλον τοῦτό ye) - als auch aus psychologischen, weil die Ausdünstung aus diesen Speisen die Seele verdunkle. Auch strom. 7, 32f. (Stáhlin 3, 24ff.) verurteilt der
Alexandriner den Verzehr vernunftloser Wesen als etwas, das zur Schüdigung der menschlichen Psyche führt. Solche *hygienischen Nebenmotive' spielen auch in der pythagoreischen Lehre eine Rolle (vgl. Jambl. 13. 106; Diog. Laert. 8, 13), wo die Gesundheit des Körpers und die Schärfe und Reinheit der Seele ebenfalls als Ziele der vegetarischen Lebensweise angesehen werden (dazu HauBleiter, Vegetarismus, 140ff.). In seinem Katalog einfacher Speisen (paed. 2, 1, 15, 1/3 [Stählin 1, 164f.]), der inhaltlich mit dem des Prudentius weitgehend übereinstimmt,
läßt der Alexandriner allerdings Fleisch- und Fischgerichte zu — unter Berufung auf Jesu Beispiel nach Luk. 24, 41/43 (s. dazu unten S. 115f. den einleitenden Kommentar zu Str. 14/6). Origenes unterscheidet klar: die Fleischabstinenz ist — theologisch gesehen — kein Verdienst (Mt. 15, 11. 17; 1 Kor. 8, 8), sie läßt sich aber innerhalb des Ideals der christlichen Askese durch das Ziel der Enthaltsamkeit moralisch begründen
(c. Cels. 5, 49 [SC 147, 140ff]; 8, 29f. [SC 147, 237]). Im christlich-asketischen Motiv für den Fleischverzicht liegt auch der Unterschied zur Fleischabstinenz der Pythagoreer. Die Anhánger des Pythagoras folgen dem Mythos von der Metensomatose der Seele. Die christlichen Asketen kasteien und knechten ihren Leib
und tóten in sich die fleischlichen Begierden, vgl. c. Cels. 5, 49 (SC 147, 140/2, 15/26) Διόπερ τὸ ὅσον ἐφ᾽ ἡμῖν oi and Πυθαγόρου ἐμψύχων ἀπεχόμενοι χαιρόντων. Ὅρα δὲ καὶ τὴν διαφορὰν τοῦ αἰτίου τῆς τῶν ἐμψύχων ἀποχῆς τῶν ἀπὸ τοῦ Πυθαγόρου καὶ τῶν ἐν ἡμῖν ἀσκητῶν. Ἐκεῖνοι μὲν γὰρ διὰ τὸν περὶ ψυχῆς μετενσωματουμένης μῦθον ἐμψύχων ἀπέχονται ... Ἡμεῖς δὲ κἂν τὸ τοιοῦτο πράττωμεν, ποιοῦμεν αὐτό, ἐπεὶ ὑπωπιάζομεν ‘TO σῶμα᾽ καὶ δουλαγωγοῦμεν καὶ βουλόμεθα νεκροῦν 'τὰ μέλη τὰ ἐπὶ τῆς γῆς, πορνείαν, ἀκαθαρσίαν, ἀσέλγειαν, πάθος, ἐπιθυμίαν κακήν᾽- καὶ πάντα γε πράττομεν, ἵνα ‘as πράξεις τοῦ σώματος᾽ θανατώσωμεν (1 Kor. 9, 17; Kol. 3, 5; Róm. 8, 13). Zur christlichen Absage an die pythagoreische Lehre von der Metempsychose
s. oben S. 101f. zu Str. 12. Tertullian bringt in dieser Frage als erster den schópfungstheologischen Aspekt vor. Ieiun. 15, 1 (CCL 2, 1273, 12/7) sieht er in der andauernden Abstinenz von bestimmten Speisen die Werke Gottes geringgeschätzt und zerstört: Reprobat etiam (sc. Paulus) illos qui iubeant cibis abstinere, sed de providentia spiritus sancti,
Exkurs: Vegetarismus in der frühen Kirche
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praedamnans iam haereticos perpetuam abstinentiam praecepturos ad destruenda et despicienda opera creatoris, quales inveniam apud Marcionem, apud Tatianum, apud lovem, hodiernum de Pythagora haereticum, non apud paracletum (vgl. auch Tert. cult. fem. 2, 9, 7). Dieser Gedanke wird von Hieronymus breit ausgeführt
(adv. Jov. 2, 6 [PL 23, 303 A/304 B]). Die rigorose Ablehnung des Fleischgenusses
verbietet sich für ihn aus dem Schópfungsauftrag. Denn alle Lebewesen sind zum Nutzen des Menschen geschaffen (nach Gen. 9, 2ff.; Ps. 8, 5ff.), und der Nutzen einiger Tiere liegt geradezu ausschlieBlich in der Lieferung von Fleischnahrung: Tandem pervenimus ad cibos, et tertiae quaestionis nobis opponitur difficultas: ! fG 7 nt, Et quomodo homo, rationale animal, quasi quidam habitator et possessor mundi, Deo subiacet, et suum veneratur Auctorem, ita cuncta animantia, aut in cibos hominum, aut in vestitum,
aut ad scindendam terram, aut ad subvectionem frugum, aut ipsius hominis esse
creata ... Esto, inquit, bos ad arandum, ad sedendum equus, canis ad servandum
.. Quis usus porcorum. absque esu carnium? quid capreae, cervuli, damulae, apri, lepores, et huiusmodi venatio?... comeduntur. Si non haec omnia frustra a Deo creata sunt (vgl. auch den anthropozentrischen Standpunkt der alten Stoa Porph. 3, 20; Cic. nat. deor. 2, 37. 160; fin. 5, 38; leg. 1, 25; Plut. quaest. conviv. 5, 10, 3; Clem. Alex. strom. 2, 20, 105f. [Stählin 2, 170]; 7, 6 [Stählin 3, 25]; Haußleiter, Vegetarismus, 247f.). Das Verbot, Fleisch zu essen, verstößt für Hieronymus gegen das Gebot, den Schópfer zu verehren, der alles zum Nutzen der Menschen geschaffen hat. Andererseits kann der Verzicht auf Fleisch Kennzeichen einer wahrhaft christlichen Lebensweise sein, insofern aus Sorge um das spirituelle Wohl üuBere Bedürfnisse hintangestellt werden (ein Gebot auf der Ebene der 'evangelischen Räte’ nach Mt. 19, 21). Vgl. adv. Jov. 2, 6 (PL 23, 305 A): et antequam ad Scripturas veniam, doceamque ex eis Deo grata ieiunia, et acceptabilem continentiam, argumentis philosophorum argumenta componam: et probabo, non Empedoclis et Pythagorae nos dogma sectari, qui propter μετεμψύχωσιν omne quod movetur et vivit edendum non putant, et eiusdem criminis reos arbitrantur qui abietem quercumque succiderint, cuius parricidae sunt et venefici: venerari sed
σαν! Ebd. (307 B/C) Ne grave onusis nolenti videretur inponere, in propria audientis voluntate dimisit dicens: Si vis perfectus esse. e Quamobrem et ego tibi dicam: SL vis perfectus esse, Donum est sagingre animam. quam corpus. Si autemn parvulus es et cocorum iura te delectant, nemo eripit faucibus tui (sic) esculentas dapes. In gewisser Weise Vorbild für den 'christlichen' Speise-Katalog des Prudentius sind die Ernührungsempfehlungen des Bischofs von Mailand (dazu auch unten S. 111). Ambrosius rät zu einer rein vegetabilen Kost aus ethisch-diütetischen Gründen (hex. 3, 7, 28 [CSEL 32, 1, 77, 8/78, 2)). Fleischliche Nahrung wird von
ihm als Schlemmerei (luxuries) verurteilt. Wichtig im Hinblick auf die Darstellung des Prudentius ist, daB Ambrosius seine Forderung des Vegetarismus ebenfalls aus
108
C. Kommentar
einer schópfungstheologischen Betrachtung entwickelt: Einer der Gründe dafür, warum Gott früher dem Vieh das Futter schuf als dem Menschen die Nahrung (Gen. 1, 11), liegt in der Belehrung (exemplum, magisterium) über die Vorzüglichkeit der vegetarischen Ernährung auch für den Menschen; die pflanzliche Nahrung erscheint als natürliche, ursprünglich von Gott gegebene Speise; vgl. et forte miretur ? . deinde quia simplicem victum et naturalem cibum reliquis cibis debuit anteferre. hic enim sobrietatis est cibus, reliqui deliciarum atque luxuriae, hic communis omnibus animalibus cibus, illee paucorum. exemplum itaque Frugalitatis. magisterium
salubris, ille utilis cibus, qui q ui morbos repellat, qui resecet cruditates, nullo hominum partus labore, sed divino effusus munere, sine satione fruges, fructus sine semine, tam dulcis et gratus, ut etiam repletis voluptati atque usui sit. denique ad primas datus mensas ad secundas remansit (zum Abschnitt, auch im Vergleich zur basileischen Vorlage, s. Henke, Sechstagewerk, 379ff.). Das generelle Verbot, Fleisch zu essen, muß von den Fastenpraktiken, die zu bestimmten Zeiten gelten, unterschieden werden (dazu Arbesmann, Fasten, 447/93; ders., Fastenspeisen, 493/500). So kann
die Mahnung des Ambrosius auch im Kontext der Speisevorschriften für die vorósterliche Fastenzeit gesehen werden (Henke, Sechstagewerk, 382). Von einer áhnlichen Ausdehnung des Fleischverbotes wie bei Prudentius berichtet die Kirchengeschichte des Sokrates in bezug auf die vorósterliche Fastenzeit. Es gibt den Brauch, sich nicht aller Lebewesen zu enthalten, sondern Fisch, teilweise auch Geflügel zuzulassen, vgl. Socrat. hist. eccl. 5, 22 (PL 67, 633ff.)
Ἔσται δὲ ἑυρεῖν οὐ μόνον περὶ τὸν ἀριθμὸν τῶν ἡμερῶν διαφωνοῦντας, ἀλλὰ καὶ τὴν ἀποχὴν τῶν ἐδεσμάτων οὐχ ὁμοίαν ποιουμένους. Οἱ μὲν γάρ, πάντη ἐμψύχων ἀπέχονται. οἱ δὲ, τῶν ἐμψύχων ἰχθῦς μόνους μεταλαμβάνουσι. Τινὲς δὲ σὺν τοῖς ἰχθύσι, καὶ τῶν πτηνῶν ἀπογεύονται, ἐξ ὕδατος καὶ αὐτὰ κατὰ τὸν Μωυσέα γεγενῆσθαι λέγοντες (vgl. Engemann, 1024). Die Forderung des Prudentius nach genereller Abstinenz von vierfüBigen Tieren (cath. 3, 62) scheint singulár zu sein. Ein indirektes Zeugnis für die in christlichen
Kreisen dieser Zeit übliche Unterscheidung zwischen Fleisch von Vógeln und von "VierfüBiern' liefert allerdings Hier. epist. 79, 7 (CSEL 55, 95, 21/96, 2). In seinen Mahnungen an eine junge Witwe, nicht dem Tafelluxus zu frónen, stellt Hieronymus klar, daß nicht die Zahl der Füße beim FleischgenuB entscheide, sondern der Geschmack, auch auf erlesene Vógel sei daher zu verzichten: procul sint a conviviis tuis Phasides aves, crassae turtures, attagen lonicus et omnes aves, quibus amplissima patrimonia avolant, nec ideo te carnibus vesci non putes, si suum, leporum atque cervorum et quadrupedum animantium esculentias reprobes. non enim haec pedum numero, sed suavitate gustus iudicantur. Dagegen ist Clemens Alexandrinus zu vergleichen, der offenbar keinen Unterschied nach der Herkunft des Fleisches macht, wenn er auf das Vorbild des Herrn verweist, der Fisch aß, um
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die einfache Fleischnahrung zu rechtfertigen (paed. 2, 1, 15, 1f., dazu auch unten
S. 115). Die strenge asketische Ausrichtung des prudentianischen Abstinenzgebots und seine Beschrünkung auf die Landtiere spiegelt sich dann aber in den Speiseregeln der Koinobien der ersten Jahrhunderte (s. den Überblick Andrews/Klauser, 233/71). In den regulae monachorum wird generell das Fleisch vierfüBiger Tiere von Geflügel und Fisch unterschieden, und ersteres unterliegt praktisch einem Verbot. So verbietet Benedikt von Nursia das Fleisch vierfüBiger Tiere — mit einer Einschränkung, es wird nur ‘ganz schwachen Kranken’ zugestanden (reg. 39). Fische und Geflügel sind — so ist ex silentio zu schlieBen — erlaubt, obwohl sie nicht zur normalen Alltagskost gehórt haben werden. Caesarius von Arles verfügt in der Frauenregel, daB Fleisch nicht gegessen werden darf. Auch hier gilt die Ausnahme ‘nur in schwerer Krankheit’ (vgl. reg. virg. 71 Morin). Fructuosus von Braga kommt mit seiner Speiseregel der Empfehlung des Prudentius am nächsten (vgl. reg. monach. [PL 87, 1099/1110], darin Kap. 5). Die Alltagskost soll aus olera und legumina bestehen, an Festtagen sind Fische gestattet, und nur für Kranke ist Geflügel erlaubt. Das Fleisch vierfüBiger Tiere ist demnach strikt verboten. Vor diesem Hintergrund erscheint die Gestaltung des Speisekatalogs bei Prudentius wie eine Vorwegnahme klósterlicher asketischer Praxis. Strophe 13
V. 61-65 Sint fera gentibus indomitis prandia de nece quadrupedum, nos holeris coma, nos siliqua feta legumine multimodo paverit innocuis epulis. Der Dichter setzt die Paränese fort, die durch ein neues, antithetisches Moment verstärkt wird. Der Aufbau der Strophe ist geprägt von der Gegenüberstellung der Christen (nos, V. 63, vgl. christicolis, V. 56) und der barbarischen Völker, d. h. der Nichtchristen (gentibus indomitis, V. 61), und ihrer jeweiligen Ernährungsgewohnheiten. Dabei nutzt Prudentius wieder einen Zug der ovidischen Darstellung, indem er den Ov. met. 15, 83ff. angedeuteten Gegensatz von Mensch und Tier in einen Gegensatz von Barbaren und Nichtbarbaren, von unzivilisierten und zivilisierten Völkern umwandelt. Das Stichwort, das Prudentius aufnimmt, ist ferus, vgl. Ov. met. 15, 83 carne ferae sedant ieiunia und bes. die Charakterisierung der Raubtiere met. 15, 85 at quibus ingenium est inmansuetumque ferumque. Prudentius übertrágt die für Tiere wesenhafte Wildheit direkt auf die Mahlzeiten und das Wesen der fleischessenden Menschen: Sint fera gentibus indomitis / prandia de nece quadrupedum. Damit spielt er wohl auf die barbarischen Kultmahlzeiten an, deren
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C. Kommentar
tierische Rohheit und Unvernunft ihm Ausweis der heidnischen Frómmigkeit überhaupt sind, vgl. c. Symm. 1, 449/60 (teilweise oben S. 105 zitiert), V. 458/60 (at te [sc. Romam]) indignum ac miserum est in religione tenenda / hoc sapere, inmanes populide more ferino / quod sapiunt nullaque rudes ratione sequuntur (dazu Gnilka, Prud. II, 594/6). Der Fleischverzehr wird so in die Nähe der grausigen Sitte der Omophagie gerückt, die Heiden, die Fleisch essen, werden auf eine Stufe mit den Barbaren gestellt. Indem aber Prudentius die Nichtchristen in Abgrenzung von
den Christen als gentes indomitae bzw. ferae qualifiziert, eignet er sich zugleich einen weiteren Aspekt an, unter dem Ovid den Vegetarismus behandelt. Ovid siedelt den Vegetarismus in der goldenen Zeit an, macht ihn zum Signum einer idealen Phase der Vergangenheit, die erst mit dem Aufkommen blutiger Opfer und Speisen degenerierte (met. 15, 96/137) (zur Verknüpfung von Abstinenzmotiv und goldener Zeit s. Gatz, 165/71). Diese kulturgeschichtliche Perspektive nutzend, aber ohne eine historische Entwicklung zu explizieren, deutet Prudentius an, daß mit dem Christentum ein zivilisatorischer und moralischer Fortschritt verbunden ist, der im besonderen durch die vegetarische Lebensweise markiert wird. Mit ferus verwendet Prudentius geradezu einen Terminus der Kulturentstehungslehre (Beispiele s. unten S. 113 zu fera, vgl. auch Buchheit, Gesittung I, 183, A. 5), wobei er einen Vorgang
der Aszendenz, nicht der Deszendenz wie bei Ovid zugrunde legt. Der als Antithese
formulierte Anspruch auf Überwindung der inhumanen, rohen Existenzweise steht im Dienste des Abstinenzpostulats, das Prudentius durch den kunstvollen Aufbau der Strophe nachdrücklich unterstreicht. Die Stellung des Jussivs am Strophenbeginn verleiht der Aufforderung eine deutliche Schärfe. Die Häufung der Synonyma (fera / indomitis) im ersten Vers, erzielt durch weites Hyperbaton des Ausdrucks fera prandia, steigert den abwehrenden, tadelnden Ton der ersten beiden Verse. Den Gegensatz von negativer und positiver Mahnung betonen in Vers 63 adversatives Asyndeton und Anapher von nos. Die Zweiteilung der Strophe in Abwehr (V. 61f.) und positive Aufforderung (V. 63/5) wird durch die chiastische Komposition der Antithese überlagert. Nach dem Schema abba folgen abstrakte Kennzeichnung bzw. Wertung a) und konkrete Benennung der Speisen b) aufeinander, vgl. fera prandia (V. 61) a) und innocuis epulis (V. 65) a), spezifiziert durch Fleisch (V. 62) einerseits b) und Kohl und Hülsenfrüchte (V. 63f.) andererseits b). Die strukturelle Parallele, die Lühken, 239, im Anschluß an Hanley, 48, und Evenepoel, liber Cathemerinon, 60, zwischen dieser Strophe und Hor. carm. 1, 31, 9/16 zieht (Abgrenzung von der entgegengesetzten Lebensform, Anapher des Personalpronomens), ist nicht ganz überzeugend, zumal die Annahme eines konzessiven Konjunktivs in sint (V. 61) — wie bei Horaz premant, exsiccet (V. 9. 11) — die scharfe Ablehnung bei Prudentius verwischen würde. Die einfache, vegetabile Kost qualifiziert Prudentius als epulae innocuae (V. 65) und setzt sie damit in Gegensatz zu den fera prandia der Nichtchristen. In der Bezeichnung epulis innocuis verarbeitet Prudentius wieder Ovid, nämlich met.
15, 120f., wo der Pflugochse, Gegenbild zum Tiere tótenden und essenden Men-
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schen, beurteilt wird als animal sine fraude dolisque, /innocuum, simplex, natum tolerare labores. Ovid entwickelt sein Vegetarismusgebot vor dem Hintergrund eines ursprünglich herrschenden Rechts- und Friedenszustandes zwischen Mensch und Tier (met. 15, 102f. cuncta sine insidiis nullamque timentia fraudem /plenaque pacis erant). Die Forderung der Gerechtigkeit gegenüber den Tieren erhebt z. B. auch Plutarch (bei Porph. abst. 3, 18, dazu Haußleiter, Vegetarismus, 212/28), sie ist allerdings aufs engste verbunden mit dem tierpsychologischen Nachweis der Intelligenz der Tiere. Die hier jeweils zugrundeliegende Überzeugung von der Gleichheit von Mensch und Tier kann der christliche Dichter nicht teilen (vgl. Gen. 9, 3/6, wo aus dem Rechtsverhältnis von Gott und Mensch die Tiere eindeutig
ausgeschlossen sind). /nnocentia (innocuis epulis) ist aber ein Schlüsselbegriff auch für die Begründung des Prudentius. Prudentius brandmarkt die Tötung von vierfüßigen Tieren als Mord (nece, eine ähnliche Beurteilung, aber vor dem Hintergrund der Metempsychose bei Plutarch, de esu carnium 1, 2; Gryllos 8) und tadelt
den Verzehr ihres Fleisches als barbaries, als Verstoß gegen die zivilisierte, sittlich gerechte Ordnung. /nnocuis (epulis) ist aber nicht nur Antonym zu fera (prandia),
im engeren Kontext, bezogen auf die einfache, aus Kohl und Hülsenfrüchten bestehende Kost, schimmert die Bedeutung *frugal, mäßig’ durch, so daB rückweisend
auch ein Gegensatz zu famis (V. 58) etabliert wird. Der Gedanke der 'unschuldigen Speise’ impliziert die Mäßigung und Enthaltsamkeit des Christen, der sich mit den natürlichen Gaben des Schópfers begnügt, um die notwendigen Nahrungs-
bedürfnisse zu stillen. DaB innocens, innocuus im asketischen Kontext in diesem individualethischen Sinn gebraucht werden, belegen die Beispiele aus Hieronymus und Cyprian (s. u. s. v. innocuis epulis). Auffallend ist auch die Übereinstimmung der einfachen Kost mit den 'Speiseplünen' für die Koinobien bzw. die Jungfrauengemeinschaften, die Hieronymus entwirft, vgl. z. B. Hier. epist. 22, 35 vivitur pane,
leguminibus et olere, quae sale et oleo condiuntur, epist. 127, 4 moderata ieiunia, carnium abstinentia, vini odor magis quam gustus propter stomachum et frequentes infirmitates. Daß Prudentius sich im Einklang mit dem asketischen Lebensideal seiner Zeit befindet, zeigt auch die Parallele Ambr. hex. 3, 7, 28 (oben S. 108 zitiert), wo die frugale, vegetarische Ernährungsweise angepriesen wird mit dem Hinweis auf Gottes Schópfungsplan, der Kráuter, Gemüse,
Obst sozusagen als
Hauptmahlzeit vorsieht und damit eine Belehrung zur Enthaltsamkeit gibt (dazu Henke, Sechstagewerk, 381). Was Ambrosius explizit darlegt, die Ablehnung des Fleischgenusses als luxuria und die Ermahnung zur Genügsamkeit der vegetarischen Lebensweise (vgl. ebd. hic enim sobrietatis est cibus; exemplum frugalitatis, magisterium parsimoniae), schwingt auch bei Prudentius mit, wenn er gerade die einfachsten Vegetabilien der Fleischnahrung exemplarisch gegenüberstellt, zumal ja auch Käse, Fisch, Honig zu seinem Katalog der erlaubten Nahrungsmittel gehören. Ein ethisch-asketisches Anliegen liegt in erster Linie dem Fleischverbot bei Prudentius zugrunde (vgl. auch cath. 3, 171ff., dazu unten S. 226-237). Aber diese Motivation allein erklärt weder die Schärfe, mit der das Verbot vorgebracht wird,
112
C. Kommentar
noch die Einschränkung auf die quadrupedes. Beides ist - soweit man die Belege überblicken kann — ohne Vorbild. Neben der strikten Auslegung von Gen. 9, 3 (s. o. S. 104) scheint die Parallele zum tierhaften, barbarischen Verhalten und des-
sen theologische Deutung eine Rolle zu spielen. Ham. 219ff. stellt der Dichter das blutige ReiBen der Raubtiere als einen Aspekt der Depravation der Schópfung vor Augen, die in der Folge des Sündenfalls auftritt, vgl. tunc etiam innocuo vitulorum sanguine pasci, / iamque iugo edomitos rictu laniare iuvencos / occiso pastore truces didicere leones. In der Tierfrieden-Allegorie cath. 3, 156ff. erscheint die
Blutgier der Raubtiere als Bild des Bösen schlechthin. Die Anklänge an die Partie, die das Fleischverbot enthält, sind offensichtlich, vgl. feritas (3, 156); sanguinis inmemor (3, 160); sanguine pasta avis (3, 167), auch rabidum os (3, 159f.). Im
Reißen und Fressen rohen Fleisches gibt Prudentius ein kraftvolles Bild für das Wirken des Bósen, der Fleischverzehr, der schon hier auf eine Stufe gestellt wird
mit der Omophagie, wird damit implizit zum Inbegriff der Sündhaftigkeit beim Essen. Einen indirekten Beleg für diese Deutung liefert die Imitation der Stelle cath. 3, 58/63 durch den Dichter Avitus. Avitus schildert zu Beginn des vierten Buches die Verderbtheit des Menschengeschlechts vor der Sintflut. Zeichen der Sündhaftigkeit der Menschen ist der Verzehr von Blut und Fleisch und allgemein ein Leben, das dem der Tiere gleicht, vgl. Avit. carm. 4, 23/7 Sanguine potus erat, caesorum viscera passim / indomitis laceras praebebant faucibus escas. / Insuper et quadrupes, propria qui morte necatus / saevior aut certe quem vincens bestia cepit, / pastus erat, quem nulla fides, lex nulla vetabat. Die Schärfe der Invektive gegen den Fleischgenuß findet Avitus schon bei Prudentius vorgebildet, ebenso ist im Kontext des ganzen Tagesliedes die sittlich-religióse Dimension der ‘Vertierung’ durch Essen angelegt, Avitus verwendet den Vorwurf nur in einem neuen Zusammenhang (gegen Arweiler, 337).
Die Abscheu vor dem Blut, das beim Schlachten und Zubereiten der Fleischnahrung flieBt, setzt in ganz anderer Weise auch Ambrosius in seiner Fasten-
Protreptik ein, vgl. Ambr. Hel. 8, 25 sileat aliquando domus ... a sono immolatorum animalium, vacet fumo et semustulatorum nidore. non coquinam, sed carnificinam putes, proelium geri, non prandium curari: ita sanguine omnia natant. Zu vergleichen ist auch der Topos von der Vertierung des Menschen, die durch Maßlosigkeit
beim Essen verursacht wird, z. B. Sen. epist. 60, 4; Clem. Alex. 2, 1, 7, 4. 11, 4 (GCS 12, 158. 162); Joh. Chrys. in Mt. hom. 57, 4; in Act. hom. 27, 2 (PG 58, 564; 60, 207); Greg. Naz. carm. 2, 2, 8, 114/22 (PG 37, 1584f.); Philox. hom. 10, 353.
359. 361 (SC 44, 321. 326f.) (Arbesmann, GefráBigkeit, 384). Die Tatsache, daß Prudentius die Abstinenzforderung
nicht auch auf Fische
und Vögel erstreckt, ist biblisch begründet. Sie ergibt sich hier aus der Verankerung des Nahrungskatalogs im Schópfungsplan, wonach der Mensch von den Gaben, die Luft, Wasser und Land spenden, Gebrauch machen soll (cath. 3, 36/40; vgl. auch den schópfungstheologischen Ansatz bei Tertullian, Hieronymus, dazu oben S. 106108). Die Früchte des Landes - hier kommt das asketische Moment zum Tragen -
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ersetzen dabei in der Konzeption des Prudentius die Tiere des Landes. Denn die Ausführung des Schópfungsbefehls findet für Prudentius seine Grenze in der Stillung der Bedürfnisse des Menschen (vgl. Haec opulentia ... omnia subpeditat, V. 56f.), und Fleischgenuß erscheint als ein über die Sättigung hinausgehender unmäßiger Gebrauch der Schöpfung (dieses allgemeine Argument z. B. auch Plut. stoic. repug. 21; Porph. abst. 3, 18/20; HauBleiter, Vegetarismus, 215). Zudem bietet das Neue Testament viele Beispiele dafür, daB Jesus die in seiner Umwelt
beliebte Fischnahrung angenommen und empfohlen hat, vgl. z. B. Mt. 7, 10; 13, 47/50; 15, 34/36; 17, 27; Joh. 6, 4. 11; bes. Joh. 21: Der auferstandene Jesus erscheint den Aposteln beim Fischen und gebietet ihnen, die Netze auszuwerfen; Luk. 24, 41/3: Jesus selbst iBt nach seiner Auferstehung gebratenen Fisch (auf diese Stelle weist Clem. Alex. paed. 2, 1, 15, 1f., dazu oben S. 108). fera: ferus im eigentlichen Sinn von ungezähmten Tieren (Varro rust. 2, 1, 5), bes. von Raubtieren (z. B. Cic. nat. deor. 2, 99; Hor. epod. 7, 12 leonibus; Ov. met. 7, 373 leonem u. ö., s. ThLL VI, 1, 602/603); übertragen auf den Menschen zur Qualifizierung der Barbaren, z. B. Cic. inv. 1, 103; Sest. 67; Caes. Gall. 1, 31, 5; Liv. 10,
2, 4; im kulturgeschichtlichen Zusammenhang auch von der Ernührungs- und Lebensweise: Cic. inv. 1, 2 fuit ... tempus cum in agris homines passim bestiarum modo vagabantur et sibi victu fero vitam propagabant; Vitr. 2, 1, 1/6; Tib. 2, 1, 43; Hor. carm. 1, 10, 2; Macr. sat. 1, 7, 21 ferum et rudem ante fruges cognitas victum (ThLL VI, 1, 606, 23ff.); in bezug auf die Mahlzeit mit der Nebenbedeutung der
rohen, tierischen Grausamkeit Sen. Thy. 150 dapibus feris. Die Junktur fera prandia ist ohne Vorbild, aber vgl. Mart. 4, 49, 3f. prandia saevi Tereos. Prandium, ursprüngl.
das späte Frühstück (griech. ἄριστον), heißt hier die Mahlzeit im allgemeinen; in bezug auf das Fressen der zu epulae wie hier, aber findet sich prandium auch / sensim labitur in lacum
Tiere Plaut. truc. 646; Apul. met. 9, 15, 2. Als Synonym mehr mit Gewicht auf der Speise, die gegessen wird, Prud. cath. 4, 64/6 Tum raptus simul ipse prandiumque leonum / et, quas tunc epulas gerebat, offert (nach der
Version Dan. 14, 33f.) (ThLL X, 2, Fasc. 8, 1125, 42).
indomitis: Indomitus,
Synonym zu ferus, ebenfalls im eigentlichen Sinn auf Tiere bezogen (z. B. Catull. 64, 173 tauro, Sil. 3, 289 leonibus, so auch Prud. cath. 4, 47 indomiti leones), wird hüufig zur Bezeichnung barbarischer, unkultivierter Nationen gebraucht, z. B. Ov. Pont. 2, 1, 3 Getis; Liv. 33, 12, 10 gentes feras et indomitas; Prud. c. Symm. 1, 79 (ThLL VII, 1, 1224, 37/67). prandia de nece quadrupedum: spezifiziert die
rohe, 'tierhafte' Mahlzeit als Fleisch von geschlachtetem Vieh.
nece: eigentlich
*Morden, Tóten' von Menschen, vgl. aber auch Phaedr. 2, 8, 2 ut (cervus) venatorum
effugeret instantem necem, ebenso φόνος Plut. de esu carnium 1, 2 u. ö. Von einer "Vermenschlichung' der Tiere kann nicht die Rede sein (so Charlet, culture, 450), das Wort bringt aber in bezug auf die Tat und die Speise indirekt eine ethische
Wertung zum Ausdruck.
quadrupedum: Die Bezeichnung ' VierfüBler' im Unter-
schied zu Vögeln und Fischen von Prudentius mit Bedacht gewählt. Zum Gegen-
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C. Kommentar
satz Vögel — Landtiere vgl. Mart. 13, 92: Inter aves turdus, si quid me iudice certum est, / inter quadripedes mattea prima lepus. V gl. auch Cic. dom. 48; Liv. 23, 30, 3; Varr. rust. 1, 20, 1; Hier. epist. 79, 7 (s. o. S. 108). Die Speise der Christen soll bestehen aus Kohl, genauer den Blüttern von Kohl, holeris coma (V. 63) (zum metaphorischen Gebrauch von coma in bezug auf Pflanzen s. ThLL III, 1752, 75/ 1754, 37, z. B. Verg. georg. 2, 368; Aen. 2, 629; Ov. am. 3, 10, 12; Ambr. in psalm. 118, 4, 21; Claud. carm. min. 31, 40; vgl. auch Prud.
cath. 8, 46 herbarum coma), sowie aus Hülsenfrüchten, siliqua feta legumine multimodo (V. 63f.). Der poetische Ausdruck geht wohl auf die Umformung einer vergilischen Wendung zurück (so schon die Glosse bei Arevalo z. St., 800, und
Schwen, 85), vgl. Verg. georg. 1, 74 laetum siliqua quassante legumen.
holeris:
ein Alltagswort (bei Horaz etwa nur in den Episteln und Satiren, s. ThLL VI, 2. 3, 2861ff.) für die typische Speise der einfachen, armen Bevólkerung (soziologisch gesehen), der Asketen (religiós gesehen), vgl. Hor. sat. 1, 1, 74 (sc. nummo) panis ematur, holus, vini sextarius, Hier. epist. 43, 3, 1 cibarius panis et holus
nostris manibus inrigatum, lac, deliciae rusticanae.
feta: heiBt hier im übertrage-
nen Sinn 'voll, gefüllt', zur Konstruktion mit Abl. instr. s. ThLL VI, 1, 640, 65/74, 2. B. Verg. Aen. 1, 51; Ov. met. 14, 103; vgl. aber auch den bildlichen Gebrauch in bezug auf die Mutter Erde Cic. nat. deor. 2, 156 terra ... feta frugibus et vario leguminum genere. Der Vorstellung entspricht bei Vergil das in quassante siliqua sowie in laetum anklingende Moment der Fruchtbarkeit. Prudentius widmet der Bohne einen ganzen Vers. Durch die im Kontext relativ ausladende Umschreibung sowie die Wortwahl im einzelnen (feta, multimodo) zeigt er, daB der Schópfer auch die einfache Hülsenfrucht mit Vielfalt und Fülle ausgestattet hat. Fast unmerklich geht der Dichter von der Parünese wieder in den preisenden Ton über. paverit: seltener iussiver Konjunktiv Perfekt, der dem Konjunktiv Prüsens entspricht (der
Unterschied lag wohl ursprünglich in der Aktionsart, LHSz 2, 336). innocuis: läßt die moralische Dimension der Antithese deutlich hervortreten, im Unterschied zum ethisch neutralen Sinn etwa von Prud. ham. 233 innocuas cicutas “unschädlicher Schierling'. epulis innocuis: (Abl. instr. oder modi) gemeint sind Speisen, durch deren Genuß der Essende keine Schuld, nämlich durch die Tötung von Tieren, auf sich lädt. Die Junktur findet sich auch PsAlex. c. Dind. coll. p. 171, 17, ThLL VII, 1, 1709, 53. Innocens victus heiBt die ohne Tótung gewonnene vegetarische Nahrung der Lebewesen Lact. epit. 67, 5 (CSEL 19, 759) nullum animal vivet ex sanguine. omnibus enim deus copiosum atque innocentem victum ministrabit, Aug. in evang. Joh. 6, 4 corvi de morte pascuntur, hoc columba non habet; de frugibus terrae vivit, innocens eius victus est. Die innocentia gilt bei
Laktanz als Teilaspekt der Gerechtigkeit, in der Grundbedeutung ‘nulli noceat’ 2. B. Lact. inst. 5, 5, 4; ferner inst. 5, 6, 12; 6, 6, 19f.; epit. 55, 3f. u. ö. Vgl. entsprechend die Qualifizierung des lupus inter pecudes bei Laktanz als innoxius (epit. 67, 5). Bei Hier. epist. 43, 3, 1 dagegen ist die Wertung der frugalen, ländlichen Nahrung (Brot, Kohlgemüse, Milch) als 'unschuldige Speise’ im Kontext der
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asketischen Forderungen zu sehen, vgl. quasi quendam portum secreta ruris intremus. ibi cibarius panis et holus nostris manibus inrigatum, lac, deliciae rusticanae, viles quidem, sed innocentes cibos praebeant (CSEL 54, 1, 320, 12/4). Vgl. auch Cypr. epist. 2, 2 contentus frugalioribus et innocentibus cibis. Zum Zusammenhang von Unmäßigkeit und Sünde, d. h. also Schaden, den die Seele des Prassers selbst nimmt, s. auch Prud. cath. 3, 171/85. Die innocentia wird auch
sonst als Eigenschaft der Christen im Gegensatz zu den Heiden herausgestellt:
Cypr. ad Donat. 15; Tert. apol. 40, 10. 13; 45, 1; Min. Fel. Oct. 31, 8 (dazu Buchheit, Gesittung II, 188, Anm. 58). Strophe 14-16 Wiederum in drei Bildern, die das Pendant zu den Vogelfang, Fischfang und Ackersegen gestaltenden Tableaus des ersten Teils bilden, führt Prudentius die Ekphrasis der Gaben fort (V. 66-80). Er erreicht so eine ausgewogene Komposition des gesamten Abschnitts, die den preisenden Charakter der Darstellung nachhaltig unterstreicht. In jeweils einer Strophe schildert der Dichter Käsegewinnung, Honigbereitung und Obsternte, wobei er wieder auf die Aufzählung der vegetarischen Nahrungsmittel bei Ovid met. 15, 76/80 zurückgreift, vgl. met. 15, 76ff. sunt fruges, sunt deducentia ramos / pondere poma suo tumidaeque in vitibus uvae; / sunt herbae dulces, sunt, quae mitescere flamma / mollirique queant, nec vobis lacteus umor / eripitur nec mella thymi redolentia flore; / prodiga divitias alimentaque mitia tellus / suggerit atque epulas sine caede et sanguine praebet. Den von
Prudentius besungenen Speisen entsprechen in der Liste bei Ovid — nach den herbae, die bei Prudentius durch holus und legumen vertreten sind (cath. 3, 63f.), nach uvae und fruges (cath. 3, 51ff.) — lacteus umor (met. 15, 79), mella (met. 15, 80)
und poma (met. 15, 77). Die Auswahl Käse, Honig, Äpfel ist weniger an die Reihenfolge bei Ovid gebunden - so wundert sich Charlet, culture, 450, zu Unrecht darüber, daß die Äpfel vom ersten auf den letzten Platz gerutscht seien --, als daß sie dem eigenen Gestaltungswillen des christlichen Dichters entspringt. Prudentius wühlt
für die Einzeldarstellung die Vegetabilien aus, bei denen Ovid den Aspekt der Fülle hervorhebt, vgl. met. 15, 76f. sunt deducentia ramos pondere poma suo; met. 15, 79f. nec vobis lacteus umor eripitur nec mella thymi redolentia flore (vgl. Bómer, 280 z. St.: „ungewöhnliche Litotes statt etwa 'abunde vobis est’“). Das
Moment des Überflusses kóstlicher Gaben nimmt der christliche Dichter auf und steigert es, um im Anschluf an den geforderten Verzicht auf Fleisch und den vermeintlich kargen Ersatz durch Gemüse nun den wunderbaren Reichtum vegetabiler Nahrung vor Augen zu führen. Prudentius bietet damit die lyrische Gestaltung eines Gedankens, der etwa auch dem Katalog einfacher Speisen bei Clemens Alexandrinus zugrunde liegt (vgl. paed. 2, 1, 15, 1/3 [Stühlin 1, 164f.]): Auch für
die einfache und mäßige Lebensweise hat der Schöpfer mit einer Mannigfaltigkeit
der Speisen vorgesorgt (μὴ γὰρ οὐκ ἔνεστι xai ἐν εὐτελείᾳ σώφρονι πολυειδία ἐδεσμάτων ὑγιεινή;). Bei Clemens gehören dazu Zwiebeln, Oliven, Gemüse,
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C. Kommentar
Milch, Káse und Früchte (paed. 2, 1, 15, 1), auch Fleisch (dazu oben S. 108), Nachtischgerichte und Honig (paed. 2, 1, 15, 3). Die in den Strophen 14/16 gepriesenen Speisen sind zugleich die unschuldigen Nahrungsmittel par excellence, denn für die Gewinnung von Käse, Honig, Obst muß nicht nur kein Tier getötet, sondern auch keine Pflanze abgeerntet und vernichtet werden. Die Schilderung dieser drei Speisen exemplifiziert also in besonderer Weise die innocuae epulae (V. 65), die hier das Stichwort geben. Die Zusammenstellung von Milch und Honig ist schon bei Ovid durch die Topik der Paradies-Darstellung motiviert (Bómer, 280, vgl.
z. B. auch Hor. epod. 16, 47/50). Als typische einfache Nahrung vor der Gabe der Getreidefrucht durch Ceres nennt Ovid fast. 4, 545f. die Trias: mox epulas ponunt, liquefacta coagula lacte / pomaque et in ceris aurea mella suis. Strophe 14
V. 66-70 Spumea mulctra gerunt niveos ubere de gemino latices perque coagula densa liquor in solidum coit et fragili lac tenerum premitur calatho.
Prudentius beschreibt den Vorgang der Käsezubereitung in drei Bildern, welche die einzelnen Schritte der Verkäsung genau vor Augen führen. Zur Sache vgl. die antiken Zeugnisse Varro 2, 11, 3f.; Colum. 7, 8; Pallad. 6, 9; Geop. 18, 19; s. Kroll,
1489/96. Die schon zu beobachtende Verbindung von technischem Vokabular und poetischen Ausdrücken macht den bukolischen Reiz dieses Stückes aus. In Verg. georg. 3, 400/3 sieht Mahoney, 132, eine mógliche Vorlage für Prudentius' Beschreibung, vgl. quod surgente die mulsere horisque diurnis, / nocte premunt; quod iam tenebris et sole cadente, / sub lucem: exportant calathis (adit oppida pastor), / aut parco sale contingunt hiemique reponunt. Zu beachten ist aber, daB calathus hier ein Gefäß zum Transport des weichen Käses meint ('Korbflasche', dazu Richter, Georgica, 310, z. St.; Servius z. St.: vasis aeris, in quibus lac vel recens caseus in urbe distrahitur, vgl. auch Colum. 7, 8, 3; 10, 397), nicht das Gerät zur Herstellung (anders Mynors, 240f., der für beide Funktionen den gleichen Korb verwendet sieht). — Der Vergleich mit diesem bukolischen locus classicus offenbart das Neue der prudentianischen Schilderung der Käsegewinnung. Im Unterschied zu Vergil treten bei Prudentius die Bauern als Wirkende nicht in Erscheinung. Subjekte sind die Geräte (mulctra) und das Nahrungserzeugnis selbst (liquor, lac). Ohne von
den realen Verhältnissen abzuweichen, gelingt es Prudentius so, in die Schilderung der Küseherstellung Züge des Selbsttátigen, ja sogar des Wunderbaren zu legen. Der Eindruck des Wunderbaren wird erweckt durch die ans Paradoxe grenzende Verbindung von Gegensützen, zum einen zwischen Ausgangsstoff und Endpro-
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dukt (liquor — solidum), zum anderen zwischen Vorgang (premitur) und Gerät (fragili calatho) bzw. Produkt (lac tenerum). Aus der flüssigen Milch entsteht auf wunderbar geheimnisvolle Weise fester Käse. Und das zarte Binsengeflecht hält wider die Erwartung dem Druck der Belastung stand. Prudentius nutzt hier eine Verfahrensweise, die die bukolische Dichtung generell kennzeichnet und die Vergil auch in den Georgica allenthalben verwendet, nämlich im natürlichen, alltäglichen Geschehen des Landlebens das Wunderbare zu entdecken und hervorzuheben (dazu
Kettemann, 84ff.). Es geht Prudentius aber nicht um eine ‘Verklärung der Natur’ (v. Albrecht, Geschichte der römischen Literatur I, 526 zu Vergil). Er stellt die Betonung des Wunderbaren bei der Nahrungsgewinnung in den Dienst des Lobpreises des Schöpfers und seiner Gaben.
V. 66f. Frische, noch schäumende Milch steht in Melkkübeln bereit. Zur Verwendung frischer Milch s. auch Tib. 2, 3, 15 miscere novo coagula lacte; Varro rust.
2, 11, 4 Mulgent vere ad caseum faciundum mane, aliis temporibus meridianis horis. Mulctrum: hier im Neutrum wie Hor. epod. 16, 49; Calp. ecl. 4, 25; 5, 33; Val. Flacc. 6, 145; Nemes. ecl. 2, 36, ist der spezielle Melkeimer, in dem wohl
auch das Gerinnen der Milch erfolgte. Mulctra (fem.) hat Verg. georg. 3, 309f., eine Stelle, die Prudentius hier offensichtlich imitiert: quam magis exhausto spumaverit ubere mulctra, / laeta magis pressis manabunt flumina mammis (Mahoney,
132; Charlet, culture, 452). Nachahmung auch bei Calp. ecl. 5, 33 tumidis spument tibi mulctra papillis. Vergil preist den reichen Milchertrag der Ziegen, der sich einstellt, wenn man ihre Euter leer melkt. Die Vorstellung des Überflusses, die bei Vergil durch das Schäumen der Milch im Eimer evoziert wird, macht sich Prudentius für seine Schilderung zunutze. Lautmalerische Nasal- und Vokalverbindungen (spumea mulctra mit Enallage, niveos latices) prägen das Geräusch des Schäumens als vorherrschenden sinnfälligen Eindruck neben dem visuellen der weißen Farbe.
niveos latices: durch Hyperbaton und Setzung am jeweiligen Versende betont, raffiniert gewöhnliches niveum lac (Verg. ecl. 2, 20; Ov. met. 13, 829, fast. 4, 151; vgl. auch Verg. georg. 3, 177 nivea mulctraria, s. Charlet, culture, 452). Zum
Farbwort niveus s. Blümner, Farbenbezeichnungen, 38. Latex, rein poetisches, hohes Wort, von der Milch sonst nur noch Vers. metr. Fortun. gramm. VI, 289, 27 (ThLL
VII, 2, 2, 1004). Vgl. auch Gosserez, 210f., zur Strophe. Sein Verweis auf die in niveos greifbare Lichtsymbolik ist nicht nachzuvollziehen, wie überhaupt die Deutung des Stücks an der Oberfläche bleibt.
Der Hinweis ubere de gemino verliert seine rein technische Bedeutung und betont, wie das Attribut niveos, die Frische und Reinheit der Milch. Der Ausdruck ubere de gemino wird von Thraede, Studien, 15, A. 34, zu Unrecht als obskur verdächtigt („von Ziegen [?] gesagt, schwierig“). Es spricht aber nichts dagegen, daB Prudentius wie sein Vorbild Vergil an Ziegen dachte (s. auch Lavarenne, édition,
14, A. 2; Charlet, culture, 452). Uber bezeichnet dann nicht das Euter, sondern die Zitze (vgl. Plin. nat. 11, 233). Zur Beliebtheit der Ziegenmilch in der griechisch-
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rómischen Antike s. Herzog-Hauser, 1572; Richter, Ziege, 412f.; vgl. auch ebd. das Zeugnis Galens, die Ziegenmilch werde ‘bei uns’ am meisten verwendet (Galen VI1765 K.). Ziegenkäse galt als der beste (Varro 2, 11, 3; Plin. nat. 11, 238; Diocl. Caryst. bei Oribas. 1, 274; Richter, Ziege, 413). V. 68f. beschreiben den eigentlichen Vorgang der Verkäsung, das Gerinnen der Milch. Die Abundanz an technischen Ausdrücken für das Geschehen (coagula — densa - in solidum — coit) betont die Bedeutung dieses Moments. Prudentius nennt das Mittel, das zur Gerinnung verwendet wird, mit dem Fachterminus: coagulum, d. i. das Lab aus dem Magen der Wiederkäuer, so auch Tib. 2, 3, 14b et miscere
novo docuisse coagula lacte; Ov. met. 13, 830 partem (sc. lactis) liquefacta coagula durant, fast. 4, 545 liquefacta coagula lacte; Calp. ecl. 3, 69; und die Fachschriftsteller, z. B. Varro rust. 2, 11, 4; Colum. 7, 8, 2; Plin. nat. 1, 11, 96 (ThLL III 1380, 20/34; Kroll, 1491). densa: Attribut zu coagula, bezeichnet eigentlich das Ergebnis des Gerinnens,
‘dicht’, ‘fest’, hier ist es in einer Art Metonymie ('Be-
wirktes für Bewirkendes’) für den Vorgang gesetzt: 'verdichtendes = gerinnenmachendes Lab’ (vgl. Lavarenne, étude, 487, $ 1429 „qui rend dense"; Guillén/
Rodríguez, 1950, „por la accion conglutinadora del coägulo“; schon Arevalo, 801, hinc densa vocat coagula ex effectu). Vgl. auch den Gebrauch des Verbs densare für das Festwerden der Milch zu Sauermilch und Butter Plin. nat. 11, 239, zu Käse
Plin. nat. 28, 123 densato lacte in casei speciem, von der Wirkung des Labs speziell Cael. Aur. acut. 1, 15, 152 coagula densant atque extenuant lactis naturam. liquor: variiert lac auch bei Colum. 7, 8, 3 cum concrevit liquor, in fiscellas aut in calathos vel formas transferendus est. — coire: ist Terminus technicus für das Gerinnen (Synonyme coagulari, concrescere, s. ThLL III, 1418, 68/74); Varro rust. 2, 11,4
«In» lactis duos congios addunt coagulum magnitudine oleae, ut coeat, vgl. auch Cels. 2, 12, 1 u. ö.; Plin. nat. 11, 237 u. ó.
V. 69f. Der dritte Schritt der Küseherstellung besteht im Pressen der geronnenen Milch (Kroll, 1492). Die durch Gerinnen entstandene weiche Quarkmasse wird in
einen porösen Behälter gegeben, im allgemeinen in einen aus feinen Binsen geflochtenen Korb, um die Flüssigkeit auslaufen zu lassen. Das Entfernen der Molke wird durch Pressen unterstützt. Der Terminus ‘Käse’, caseus, fällt bei Prudentius auch hier nicht, sondern wird durch lac tenerum umschrieben. Wohl in Verkennung des
poetischen Stilmittels und wegen falscher Auslegung des satzverbindenden -que bzw. er im Sinne einer Aufzählung spricht Arevalo, 801,
fälschlich von drei Sorten
Milch, die unterschieden werden: Trinkmilch, gepreBte Milch, d. i. Quark, durch Lab gewonnene Milch, d. i. Käse. Prudentius schildert aber die drei Phasen der Verkäsung. Mittels durchgehenden Enjambements und syndetischer Aneinanderreihung der Sátze wird sowohl die rasche, auf das Ergebnis hindrüngende Abfolge der einzelnen Schritte als auch die Einheit des ganzen Prozesses sinnfällig zum
Ausdruck gebracht.
calathus: griech. Wort (κάλαθος) für fiscina, homer. τάλαρος
Od. 9, 247. Calp. ecl. 2, 77 calathos nutanti lacte coactos; Nemes. ecl. 2, 33f. nec iunco molli nec vimine lento perfeci calathos cogendi lactis in usus; andere Be-
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zeichnung fiscella Tib. 2, 3, 15f. tunc fiscella levi detexta est vimine iunci / raraque
per nexus est via facta sero. Zur Sache vgl. auch Ov. fast. 4, 770 dentque viam liquido vimina rara sero; met. 12, 436f. Zu Verg. georg. 3, 400/3 s. oben S. 116. premitur: Verg. ecl. 1, 34f. pinguis et ingratae premeretur caseus urbi, / non umquam gravis aére domum mihi dextra redibat; georg. 3, 400/3 (s. oben S. 116).
Strophe 15 V. 71-75 Mella recens mihi Cecropia nectare sudat olente favus; haec opifex apis aério rore liquat tenuique thymo nexilis inscia conubii. Die folgende Strophe ist allein dem Honig vorbehalten. Meila in Anfangsposition gibt das Thema an für die inhaltlich und syntaktisch zweigeteilte Beschreibung: die Honigernte aus den Waben (V. 71f.) und die Entstehung des Honigs durch die Arbeit der Bienen (V.73/5). In kunstvoller Variation zu der am chronologischen
Ablauf orientierten Darstellung der Käsezubereitung wird die Honiggewinnung gewissermaßen ὕστερον πρότερον geschildert. Eine Vergil-Reminiszenz sieht Mahoney, 134, mit Recht in der Junktur mella sudat (vgl. auch Charlet, culture, 452). Vergil beschreibt ecl. 4, 30, wie im goldenen Zeitalter wunderbarer Honig sich von selbst aus den Báumen ergieBen wird: quercus sudabunt roscida mella. Das Träufeln des Honigs aus den Bäumen bezeichnet den
größten Überfluß des Landes und ist daher Symbol der goldenen, paradiesischen Zeit schlechthin, so auch Eur. Bacch. 710f.; Verg. georg. 1, 131 mellaque decussit foliis (sc. Jupiter) (dazu Serv. auct.); Ov. met. 1, 112 flavaque de viridi stillabant ilice mella; Tib. 1, 3, 45 ipsae mella dabant quercus. Prudentius wahrt die Atmosphäre des Paradiesisch-Wunderbaren, die der Ausdruck mella sudare evoziert,
indem er sudat absichtsvoll umrahmt durch die Junktur nectare olente, die selbst mit dem Überirdisch-Góttlichen assoziiert ist. Vielleicht spielt Prudentius dabei auch auf die Vorstellung an, die Plinius nat. 11, 30f. wiedergibt, daß Honig nichts
anderes sei als ein Überbleibsel vom wahren Himmelstrank Nektar, nur durch Luft, Blätter und die sammelnden Bienen etwas verändert. Plinius nennt den Honig daher caeli sudor, ' Ausscheidung des Himmels’ (dazu unten S. 120 zu V. 73f.). Prudentius
aber — und darin liegt die kreative Nutzung an dieser Stelle — bezieht sudare gerade nicht wie seine Vorlagen auf den wunderbaren Vorgang des HonigflieBens aus der Luft oder aus den Büumen, sondern auf das 'Ausschwitzen' des Honigs aus den Waben in der Imkerei (auch Charlet, culture, 452, weist auf die Transposition hin).
Bei diesem alltäglichen Vorgang der Honigbereitung werden die Waben vom Imker in Körben aufgehängt, solange sie noch warm sind (vgl. recens, V. 71), so daB der
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C. Kommentar
Honig in ein darunter bereitgestelltes Gefäß tropfen kann (vgl. Colum. 9, 15, 10/3; Schuster, Mel, 371f.). Darauf, daß man den Vorgang des Auslaufens noch durch Pressen förderte, zielen Verg. georg. 4, 140f. et spumantia cogere pressis / mella favis und Hor. epod. 2, 15 aut pressa puris mella condit amphoris. Prudentius hat
zunüchst durch die geschickte Anordnung der Satzglieder, durch die er Elemente des Köstlichen und Wunderbaren häuft, eine bestimmte paradiesische Assoziation
geweckt. Das prosaische favus am Satzende offenbart dann den realen Sinnbezug und gibt den Blick frei auf das alltägliche Geschehen, das durch die kunstvolle Darstellung ins Wunderbare erhóht wird. Verleiht Prudentius der gewöhnlichen Honigernte den Glanz des ÜberirdischHóheren, so betont er bei der Entstehung des Honigs, die gerade in der Antike als außergewöhnliches Phänomen erklärt wurde, den natürlichen Aspekt des Geschehens, die Bienenarbeit. Das Attribut opifex, in effektvoller Paronomasie zu apis gesetzt, gibt den Tenor an. Prudentius' Darstellung zielt speziell auf die Honigbereitung durch die Bienen, die opifex apis meint in erster Linie die mellifica apis. Dabei überträgt der Dichter, wieder die Sphären des Künstlich- Technischen und des Natürlichen vertauschend, einen Terminus technicus der Imkerei auf die Tátigkeit der Bienen. Liquare bezeichnet nümlich bei Fachschriftstellern das Durchseihen des Honigs in einem Korb oder Sack, das Flüssigmachen zum Zwecke der
Klärung (vgl. Colum. 9, 15, 13 liquatum mel in subiectum alveum defluxit; auch
Ov. fast. 4, 152 expressis mella liquata favis), also den Vorgang, den Prudentius im Vers zuvor mit sudat beschreibt. Bei Prudentius bezieht sich liquat auf den physiologischen ProzeB der Honigbereitung im Honigmagen der Biene. Haec (sc. mella)
ist also effiziertes Objekt (ThLL VII, 2, 2, s. v. liquo, 1489, 53/9). Die antike Vorstellung davon breitet Plinius nat. 11, 31 aus (unten S. 120 zitiert). In den Materialien, welche die Biene zur Erzeugung des Honigs verwendet, kombiniert Prudentius zwei in der Antike konkurrierende Anschauungen (Olck, 438f.). Da ist zunächst der 'Lufttau' (aério rore, V. 73f.), durch Alliteration mit apis und durch Klangühnlichkeit sowie Enjambement von Adjektiv und Substantiv hervorgehoben. Ihm
liegt die Überzeugung zugrunde, daß der Honig als Tau vom Himmel falle und sich auf den Blättern und Blüten niederschlage. In diesem Sinne preist Vergil im
Proóm des vierten Buches der Georgica den Ertrag der Bienen als a@rii mellis caelestia dona (georg. 4, 1), eine Wendung, die Prudentius hier offensichtlich nutzt (s. Charlet, culture, 452). Dazu sammeln die Bienen nach Prudentius' Skizzierung den Blütennektar (Schuster, Mel, 365f.; Olck, 439), für den der Dichter metonymisch die Honigpflanze par excellence setzt, den Thymian (tenuique thymo, V. 74). Auch die Kostbarkeit der Thymianpflanze wird wie die des Taus durch Alliteration und Endstellung im Vers betont. Diese beiden Bestandteile bei der Honigentstehung involviert sieht auch Plin. nat. 11, 31: (sc. liquor) e fronde ac pabulis potus, et in utriculos congestus apium — ore enim eum vomunt, ad hoc suco florum corruptus et alvi vitiis maceratus, totiensque mutatus, magnam tamen caelestis naturae voluptatem adfert (vielleicht auch Colum. 9, 14, 10 cum irroratis floribus thymi et
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cunilae thymbraeque apes mella conficiunt [s. ThLL VII, 2, 2, s. v. liquo, 1489, 58f.]). Aber während Plinius beschreibt, wie der ros caelestis, der göttliche Rest aus der goldenen Zeit, durch Beifügung des Blütensafts im Bienenmagen
verunreinigt wird, hebt Prudentius Himmelstau und Blütennektar durch die sprachliche Gestaltung in denselben Rang. Gerade in der Zusammenstellung der beiden stofflich so unterschiedlichen Komponenten läßt er auch hier wieder das geheimnisvolle Wirken der Natur hervortreten: aus luftig-duftigem Tau und plastisch-zartem Thymiangewächs zaubert die Biene den Honig hervor.
Die Apposition nexilis inscia conubii (V. 75) schließt die Beschreibung der Honigbereitung mit einer scheinbar davon losgelósten Charakterisierung des Bienenlebens ab. Prudentius spielt auf die antike Theorie an, derzufolge sich die
Bienen ohne Begattung fortpflanzen (Olck, 434; vgl. auch Arevalo und Dressel z. St., zur Unklarheit, die über die Sexualität und Fortpflanzung der Bienen
herrschte, s. bes. Arist. hist. anim. 5, 21 [533 a 1] und Plin. nat. 11, 16, 16). Daß im besonderen Verg. georg. 4, 197/9 die Vorlage für den Vers bildet, haben schon Schwen, 57, und Mahoney, 134, gesehen (s. auch Charlet, culture, 453), vgl. Illum
adeo placuisse apibus mirabere morem, / quod neque concubitu indulgent, nec corpora segnes / in Venerem solvunt aut fetus nixibus edunt. Unter philologischem Aspekt ist die Nutzung bemerkenswert, weil Prudentius bei der Bildung der „kühnen und zunächst kaum durchsichtigen‘ (Meyer, 402) Junktur nexilis conubii aller Wahrscheinlichkeit nach auf eine falsche, aber alte Lesart nexibus (statt nixibus) im Vergiltext zurückgreift. Wie Meyer, 402f., treffend darlegt, wurde das Substantiv nexibus von Prudentius wohl im ganz konkreten Sinn ' Verschlingung, Umarmung’ (Mynors zu Verg. georg. 4, 197/9 noch drastischer ‘copulation’) aufgefaßt (wie z. B. Sen. Phoen. 60; Stat. Theb. 11, 624; Apul. met. 6, 23). Das Attribut nexilis,
das Prudentius daraus formt, wahrt also im gewissen Sinn die realistische Bedeutung, die mit conubium als Ersatz für vergilisches concubitus aufgegeben wird.
Denn conubium ist weiter gefaßt als sein Synonym concubitus (‘Beischlaf, Begattung’) (s. ThLL IV, 815, 39ff., i. q. matrimonium, coniugium, concubitus) und damit die dezentere Wahl. Prudentius benennt also in einer doppelgliedrigen bildlichen Umschreibung das, was bei Vergil durch concubitu „ganz eindeutig und sachlich“ ausgedrückt wird (Meyer, 402). Die geschlechtslose Vermehrung bei den Bienen wird von den Christen häufig als Zeichen der Reinheit und Jungfrüulichkeit gewertet, vgl. Ambr. virg. 1, 8, 40/7 (Cazzaniga, 22/5); virginit. 17, 107 (Cazzaniga,
49, 16/21); hex. 5, 66f. (CSEL 32, 189). So wohl auch Prud. cath. 3, 75 (Koep/
Gossen/Schneider, 280), aber hier nur den Topos von der Biene als Sinnbild der pudicitia zu sehen, wird der kompositorischen Technik des Prudentius nicht gerecht. Worin besteht aber der tiefere Sinn der Vergilnutzung? Bei Vergil dient der Hinweis auf das Fehlen der sexuellen Fortpflanzung dazu, die Einzigartigkeit der Bienen in der Ordnung der Natur zu betonen (vgl. mirabere). Diese Intention durchzieht das ganze Bienenbuch (vgl. Richter, Georgica, 329; Kettemann, 87ff.) und kulmi-
niert in der auf unsere Stelle unmittelbar folgenden Beschreibung des góttlichen
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C. Kommentar
Wesens und Ursprungs der Bienen (georg. 4, 219/27). Einen Zusammenhang zwischen dem Absprechen der Geschlechtlichkeit und damit der Leidenschaft per se und der Zuweisung der Vernunftbegabtheit durch Vergil stellt mit Recht Richter, Georgica, 357, her. Auch Prudentius wühlt den exzeptionellen Zug im Wesen der
Bienen aus, um das Wunderbare der göttlichen Vorsehung zu veranschaulichen. Ihm liegt aber gerade nicht daran, die herausragende Natur und Stellung der Bienen selbst vor Augen zu führen. Die Theorie vom góttlichen Ursprung der Bienen und dem hóchsten Grad der Vernunftteilhabe, welche die Bienen sogar über die Menschen erhebt (Dahlmann,
556), steht ja geradezu im diametralen Gegensatz zur
christlichen Anthropologie. Prudentius suggeriert vielmehr, daß nach góttlichem Plan sogar solche Ausnahmegeschópfe wie die Bienen durch ihr Tun im Dienst
des Menschen stehen. Die Bienenarbeit erscheint als hóchste Stufe des Automaton und bildet so gleichsam den Hóhepunkt des Gabenpreises.
mihi: durchbricht hier als Ausdruck der persónlichen Beteiligung (dat. commodi “für mich’) den objektiven Tenor der Darstellung. Darin manifestiert sich der dem Gabenpreis zugrundeliegende Gedanke, daß die gesamte Schöpfung dem Menschen dient. Mihi weist also zurück auf V. 40 haec mihi subdidit und V. 56f. Haec opulentia
christicolis servit et omnia subpeditat und hebt so den Honig in besonderer Weise hervor unter den Nahrungsmitteln, die Gott den Menschen zugedacht hat (vgl. auch den Rückbezug V. 76 hinc quoque). Mella ... Cecropia: 'poetischer Plural’, dazu P. Maas, Studien zum poetischen Plural bei den Rómern. Arch. f. lat. Lexikographie u. Grammatik 12 (1902), 481/550; E. Löfstedt, Syntactica. Studien und Beitrüge zur historischen Syntax des Lateins. 2. Lund
1933, 27ff.; Heinsdorff,
189, A. 290, zu Juvencus. Schmückende Beiwórter unterstreichen die Kostbarkeit des Honigs: Cecropia, durch Sperrung betont (zum Plural mella als Ersatz für den metrisch unbequemen Sing. s. ThLL III, 605, 64ff.), ist hiufiges Epitheton ornans für den Honig. Der attische Honig, benannt nach dem sagenhaften Kónig Cecrops von Athen, galt im Altertum als der beste (vgl. Schuster, Mel, 367), vor allem der vom Hymettos (Cic. fin. 2, 112; Hor. carm. 3, 6, 14f.; Mart. 7, 88, 8 u. ö.). Die Junktur auch Mart. 13, 24, 1 Cecropio saturata Cydonea melle; 13, 105, 2 Cecropios favos. Vergil hat das Epitheton georg. 4, 270 Cecropiumque thymum; auf die Bienen übertragen: georg. 4, 177 Cecropias apes. — nectare olente: ist Ablabtivus modi, ‘nach Nektar duftend; wobei der Duft von Nektar sich verbreitet’
(Lavarenne, étude, 151, $ 361 'ablatif absolu"). Das ist, insofern nectar synonym zu mel steht (wie z. B. auch Verg. Aen 1, 432f. cum liquentia mella / stipant et dulci distendunt nectare cellas), ein pleonastischer Ausdruck, der den außergewöhnlichen Wert des Honigs herausstreicht. Die Gleichsetzung von Honig und Göttertrank findet sich auch im heidnischen Kult, wo Milch und Honig als Speise der Himmlischen gelten (Schuster, Mel, 380; vgl. auch Usener, H., Milch und Honig. Rhein. Mus. 57 [1902], 177/95). Nektar und Wohlgeruch gehóren bei Prudentius schon V. 24 zusammen, dort allerdings im übertragenen Sinn (s. oben S. 68, vgl.
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auch cath. 5, 21f. nectar de liquido vertice fervidum / guttatim lacrimis stillat olentibus). Den Duft des Honigs betonen auch Vergil georg. 4, 169 redolentque thymo fraglantia mella, die Beschreibung der verschiedenen Aufgaben des Bienenvolks abschlieBend, und, ihn imitierend, Ovid met. 15, 80 mella thymi redolentia flore (vgl. auch Lucr. 4, 679 mellis apes quamvis longe ducuntur odore; Mart. 5, 37, 10; Plin. nat. 20, 172; 21, 85; Colum.
9, 4, 4). Prudentius verarbeitet die
Wendungen schópferisch, indem er die Eigenschaft des Duftes von der Erwühnung des Thymians lóst und diese Bienenpflanze schlechthin für die Darstellung der eigentlichen Honigbereitung nutzt (V. 74). sudat: Sudare als Synonym zu stillare
hat Vergil auch ecl. 8, 54; georg. 2, 118f.; vom Honig noch Drac. laud. dei 1, 202
nectaris aetherii sudant ex arbore mella. Zum Überfluß an Honig als Merkmal des neuen saeculum aureum auch Verg. ecl. 3, 89; Claud. cons. Olyb. et Prob. 250; cons. Stilich. 1, 85; Hor. epod. 16, 47 mella cava manant ex ilice. In christlicher Auslegung Kennzeichen des Himmels und des ewigen Lebens (z. B. Tert. adv. Marc. 3, 16; Ambr. Cain et Ab. 1, 5, 19; carm. de resurr. 233) verkündet das Honig-
fließen Prud. cath. 11, 73 den Anbruch des Heils durch die Geburt Christi: Zam mella de scopulis fluunt, / iam stillat ilex arido / sudans amomum stipite, / iam sunt myricis balsama (ThLL VIII, 606, 15-32; Sallinger/Böcher, 446f.; Gatz, Reg. 229, BI2) recens favus: heißt hier ‘die neue, frisch geerntete Wabe’ (richtig Lavarenne, édition, 14); anders Verg. georg. 4, 56f. von der durch Bienenarbeit neu geformten Wabe: hinc arte recentis / excudunt ceras et mella tenacia fingunt.
opifex: Silvestres apes opifices magis heiBt es Varro rust. 3, 16, 19 vom FleiB der Bienen im allgemeinen. Und Macr. sat. 5, 11, 4 faßt die vergilische Beschreibung der Arbeitsteilung der Bienen (Aen. 1, 430ff.) in diesem Epitheton zusammen: descriptas apes a Vergilio opifices. a&rio rore: Zur Vorstellung, Honig sei eine Art himmlischer Tau vgl. auch Arist. hist. anim. 5, 22 (553 b 31); Ael. n. a. 15, 7
(Olck, 438); Plin. nat. 11, 30; Colum. 9, 14, 20; vgl. auch Verg. georg. 1, 131 mellaque decussit foliis (sc. Jupiter); ecl. 4, 30 roscida mella (dazu oben S. 119) und Servius zu georg. 4, 1 nam mel ex rore colligitur, qui utique defluit ex aére. tenuique thymo: Zum Rang des Thymianhonigs s. Schuster, Mel, 366, und oben S. 123 die Beispiele zu V. 72; dazu Varro rust. 3, 16, 19 aptissimum ad mellificium thymum. Die bitteren Thymianblüten gelten als der klassische Honiglieferant (in
der lat. Literatur mehr als dreißigmal erwähnt, s. Waszink, 24; Gnilka, Chrésis I, 107). nexilis: Zum Wort vgl. M. Leumann, Die lateinischen Adjektiva auf -/is. Straßburg 1917 (= Untersuchungen zur indogermanischen Sprach- und Kulturwissenschaft. 7), 54.
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C. Kommentar
Strophe 16
V. 76-80 Hinc quoque pomiferi nemoris munera mitia proveniunt; arbor onus tremefacta suum deciduo gravis imbre pluit puniceosque iacit cumulos. Die dritte und letzte Strophe des Triptychons führt den Obstsegen vor, den die Erde auf Gottes ewiges Geheiß hervorbringt. Der Aufbau ist wieder zweiteilig:
Die Verse 76f. nennen und preisen die Frucht, die Verse 78/80 veranschaulichen
den strómenden ÜberfluB des unter der Last der reifen Früchte wankenden Obstbaumes. Im Bild des obstregnenden Baumes wird am Ende des Gabenpreises die Selbsttätigkeit und Fülle des Hervorbringens noch einmal eindrucksvoll lebendig. Ein geradezu überquellender Pleonasmus vergegenwärtigt in fünffacher Kumulation die reiche Last des Obstertrages: onus — deciduo — gravis — imbre pluit — cumulos. Die expressive Metapher des Früchteregens (imbre pluit) verstürkt den Eindruck der überstrómenden Fülle, wobei die kunstvolle chiastische Wortstellung die ein-
zelnen Ausdrücke für Last und Fülle eindringlich hervortreten läßt. Die Vorstellung der rotleuchtenden Äpfelberge bildet einen motivisch gelungenen Abschluß für den groBen Hymnus auf die natürlichen, durch die Gnade des Schópfergottes geschenkten Gaben. Hinc quoque ... proveniunt: weist nach allgemeiner Auffassung auf ager in V. 51 zurück (vgl. Schol. ad 1. [Arevalo, 802] a rure; Übs. v. Sister Eagan, 18 „From the earth, too, come the mellow windfalls"; Thomson, 25 „From the earth too come
the ripe gifts of the orchard“). Der Rückbezug über fünf Strophen hinweg ist aber m. E. nicht móglich. Sinnvoll scheint es dagegen, hinc quoque als Herkunftsangabe im übertragenen Sinn aufzufassen und es als weiteren Verweis auf den Schöpfungsbefehl auf einer Ebene mit mihi (V. 71) anzusiedeln: ‘Daher, d. ἢ. von der Güte des die Nahrung schenkenden Gottes, stammen auch die süßen Gaben des fruchtbaren
Obstgartens'. Auf den freiwilligen Dienst der Schópfung, die auf Gottes Befehl dem Menschen Nahrung spendet in Fülle, sind auch die Ertrüge des Obstanbaus zurückzuführen. — Die Schwierigkeit der Anbindung an den weit entfernten V. 51 (ager) hat dazu geführt, daB in der Handschrift M die schónen, tragenden und vóllig unverdáchtigen Verse 56-75, also fast der ganze Gabenpreis, ausgelassen
sind, um so den direkten Anschluß von Strophe 16 an Strophe 11 zu erhalten. Dabei dürfte dem Redaktor von M auch die Aufzählung Ov. met. 15, 76ff. vor Augen gestanden haben, wo Feldfrüchte, Äpfel und Trauben in einer Reihe genannt werden als Gaben der freigebigen Erde: sunt fruges, sunt deducentia ramos / pondere poma suo tumidaeque in vitibus uvae. DaB Prudentius die Reihenfolge bei Ovid
V. 76-80
125
nicht übernommen, sondern die poma ans Ende des Gabenkatalogs gesetzt hat, scheint noch bei Charlet AnstoB zu erregen (culture, 450. 453). Seine Erklürung, Prudentius folge vielleicht der Darstellung Verg. georg. 4, 142f., wo die Obstbäume im Anschluß an den Honig erwähnt werden, ist abzulehnen. Es ist wohl eher
die Absicht des Dichters, eine Art Klimax des Automaton zu erzielen, die die Reihenfolge der Gaben hier motiviert hat. — quoque: hat anknüpfende Funktion wie háufig bei Prudentius, z. B. cath. 5, 153; psych. 545f. (Gnilka, Prud. I, 539). Hier lehnt es sich an das Adverb hinc an, obwohl es den ganzen Satz anschlieBt wie
cath. 5, 97 tunc quoque; vg]. auch cath. 3, 88 te quoque (dazu Gnilka, Prud. I, 539, A. 24).
Dem
hohen Stil des Preisens entspricht die raffinierte, durch Laut-
wiederholung klangvolle Periphrase pomiferi nemoris. Pomifer hat — wie plumiger (V. 44) und aristifer (V. 52) — episch hohen Klang, bei Horaz dient das Adjektiv zur Umschreibung (carm. 3, 23, 8 pomifero anno) bzw. Kennzeichnung des Herbstes
(carm. 4, 7, 11 simul/pomifer autumnus fruges effuderit) mit seinem Obstreichtum. Zu arbor gesetzt, hat das Wort bei Späteren eher technische Bedeutung (vgl. z. B. Plin. nat. 12, 15; 16, 1; Mela 2, 1). Pomifera nemora auch Sol. 56, 18; vgl. auch
Calp. ecl. 2, 64 pomiferi horti primitias. Der Bezug auf das für “Obstgarten, kultivierte Baumpflanzung' seltene nemus hebt den Ausdruck (nemus in diesem Sinn klassisch nur Verg. georg. 2, 401; Val. Flacc. 1, 755; sonst Plin. nat. 12, 13; 31, 6) und deutet zudem auf die Fülle des Obstertrages zahlreicher Báume. Alliterationen heben auch hier die bedeutungstragenden Wörter hervor: munera mitia; pomiferi ... proveniunt.
Die Verse 76f. weisen auch noch in anderer Hinsicht zurück, denn die Junktur munera mitia greift data munera aus V. 34 auf und ordnet so abschließend die gesamte Darstellung dem Lobpreis der Schópfungsgaben unter. Mitia: kennzeichnet die Reife und Süße der besungenen Äpfel, denn diese Frucht steckt hinter der kunstvollen, hochpoetischen Periphrase munera pomiferi nemoris (vgl. V. 80 puniceos cumulos). Prudentius nutzt hier die klassische Verbindung mitia poma, die sich z. B. Verg. ecl. 1, 80 findet (s. Bergman, Index imitationum; Evenepoel, Hymnus ante cibum, 129; Mahoney, 132 (*wahrscheinliche Imitation"), wo die
süßen Äpfel zusammen mit Kastanien und Käse die einfache Abendmahlzeit konstituieren, zu der der Hirte Tityrus den von seiner Scholle vertriebenen Meliboeus einlüdt, vgl. ecl. 1, 80f. sunt nobis mitia poma, / castaneae molles et pressi copia
lactis. Sinnbild der rustikalen Nahrung sind die mitia poma auch im verklärenden Kontext Hor. epod. 2, 17 vel cum decorum mitibus pomis caput / Autumnus agris extulit. Zu mitis i. q. maturus s. Serv. ad Verg. ecl. 1, 80; die Junktur z. B. auch carm. de mens. 1, 9; 2, 34; Cels. 2, 29, 1; Sen. Thy. 164; Mart. 10, 48, 18; Alc. Avit.
carm. 2, 7; carm. de resurr. 285: mitia poma als Beispiel für die Gaben (munera, V. 283), die der christliche Schópfergott durch die verschiedenen Jahreszeiten schenkt.
Das Wort munus fällt auch bei Ovid in bezug auf das, was die Erde an
Früchten gibt: met. 15, 122 nec frugum munere dignus (vom undankbaren Fleischesser). Die alliterierende Junktur mitia munera verwendet Juvencus 2, 229, um
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C. Kommentar
das ewige Leben zu bezeichnen. Heinsdorff, 190, nimmt eine direkte Wirkung des Verses mitia sed populis veniant ut munera vitae auf Prudentius cath. 3, 77 an. deciduo imbre: Umschreibung des Obstregens, also Ablativ des Stoffes zu pluit. Das seltene deciduus erklärt der Scholiast mit desursum cadente (Arevalo, 802), vor Prudentius ist es außer Laber. mim. 131 folia decidua nur bei Plinius belegt (folia: nat. 13, 141; 16, 92 u. à.; sidera: 2, 28 u. ö.). Auch hier wirkt der Einsatz eines technischen Wortes dichterisch raffinierend. | imber in bezug auf feste Gegenstünde ist bildlicher Gebrauch (s. ThLL VII, 1, 423, 46ff.; z. B. Stein-
regen: Prud. perist. 2, 371; tit. 177; Lanzenregen: Prud. psych. 173; rosarum: Claud. carm. min. 25, 118; Feuerregen: Paul. Nol. carm. 28, 92); vom Früchteregen wohl nur bei Prudentius. Zu vergleichen ist aber Vergil georg. 4, 81 nec de concussa tantum pluit ilice glandis. Das Herabregnen der Eicheln dient hier zur Beschreibung der ausschwärmenden Bienenvölker. Die Imitation bei Columella erweitert
den Vergleich um den Regen rundlicher Äpfel, vgl. Colum. 10, 364ff. non aliter quam decussa pluit arbore nimbus / vel teretis mali, vel tectae cortice glandis, / volvitur in terram distorto corpore campe (beide Stellen bei Evenepoel, Ovide, 175, A. 43). Vgl. auch Sen. Phaedr. 518 excussa silvis poma compescunt famem. —
Vor dem Hintergrund dieser Darstellungen treten die Modifikationen bei Prudentius deutlich hervor: Indem Prudentius statt concussa bzw. decussa oder excussa (sc. ilice, arbore, silvis) tremefacta setzt, läßt er es an einem klaren Hinweis auf 'AuBeneinwirkung' durch den Menschen fehlen, denn 'Erzitternmachen' kann den Baum auch ein WindstoB. Der Eindruck der Selbsttätigkeit des Baumes, der von sich aus die reifen Früchte herabregnet, wird auch durch den seltenen persónlichen Ge-
brauch von pluit geweckt. Lavarenne, étude, 113, $ 248; Charlet, culture, 453, sehen pluit hier sogar transitiv gebraucht, wie Prud. apoth. 316 'a domino dominus flammam pluit in Sodomitas’; perist. 10, 1032 imber tabidum rorem pluit. Onus suum gehórt aber nur als Akkusativ der Beziehung zu tremefacta. Vgl. oben zu deciduo imbre. Zu puniceos cumulos gibt der Scholiast ad l. die sachlich richtige Erklürung: rubicunda poma. Durch die Umschreibung betont der Dichter sowohl die Kostbarkeit als auch den Reichtum der Apfelernte. — puniceos: Farbwort (s. Blümner, Farbenbezeichnungen, 199/201), das aber wohl den Namen des Granat-
apfels anklingen läßt, vgl. Ov. met. 10, 735ff.; Mart. 1, 43, 6. Zum Rot von Äpfeln s. Blümner, ebd., 167, z. B. Hor. sat. 2, 8, 31; Ov. met. 3, 483.
Zum Granatapfelbaum
vgl. V. Hehn, Kulturpflanzen und Hausthiere. Berlin 51902, 237/44; F. Muthmann, Der Granatapfel. Symbol des Lebens in der Alten Welt. Mainz 1982. cumulos: hyperbolisch gebraucht, von Früchten nur hier und Lucil. 201 (uvarum) (vgl. aber Claud. carm. min. 25, 4 florum cumulo), sonst z. B. von Sandhaufen (Verg. georg. 1, 105; Prop. 3, 16, 29 u. ö.), vom riesigen Wogenschwall (Verg. Aen. 1, 105; Ov. met. 15, 508; Ambr. hex. 3, 5, 21 u. ó.).
V. 81-85
127
Strophe 17-19 Die Strophen 17, 18 und 19 (V. 81/95) bilden das Pendant zu den Strophen 6, 7 und 8 (V. 26/40), insofern sie die dort gegebene Bestimmung der christlichen Dichtung als Gotteslob aufgreifen und vertiefen. Poetologische Aussagen rahmen also den Lobpreis der Schópfungsgaben, der den ersten Hauptteil des Tischgebetes konstituiert. Der enge Bezug zum Gabenpreis tritt in den Versen 83f. hervor, wo der Gegenstand des Dichtens bezeichnet wird durch divitis omnipotentis opus, quaeque fruenda patent homini, und er läßt keinen Zweifel an der kompositionellen Funktion des Abschnitts. Dagegen ordnet Rodriguez-Herrera, 37, die Strophen als 'Sonderproóm des Schópfungsliedes' dem zweiten Teil des Gedichts (V. 96ff.) zu, ebenso Evenepoel, Hymnus ante cibum, 129, der von „transition to part 2 of our
hymn (str. 17-33)" spricht. Die inhaltliche Begründung, die letzterer liefert, beruht aber auf einem falschen Textverständnis (s. u. S. 133f. zu quod in Strophe 19).
Strophe 17 V. 81-85 Quae veterum tuba quaeve lyra flatibus inclyta vel fidibus divitis omnipotentis opus, quaeque fruenda patent homini, laudibus aequiperare queat? Die poetologische Reflexion bildet zugleich Krönung und Abschluß des Gabenpreises. Angesichts der Fülle der Schópfungsgaben, die von der Macht und Barmherzigkeit Gottes zeugen, konstatiert Prudentius die Unmóglichkeit, das Werk des
Schópfers durch das Mittel der Dichtung, und sei es durch die hóchsten Formen der antiken Poesie, angemessen zu rühmen. Mit der rhetorischen Frage im hohen Stil des pindarisierenden Horaz nutzt Prudentius ein Element des antiken Herrscherpreises. Das ist die Feststellung, daB der zu rühmende Stoff, die Taten des Fürsten, zu groB sind, um im Lobpreis bewültigt zu werden. V gl. Hor. carm. 4, 14, 1/5: Quae cura patrum quaeve Quiritium / plenis honorum muneribus tuas, / Auguste, virtutes in aevum / per titulos memoresque fastus / aeternet, o qua sol habitabilis / inlustrat oras, maxime principum. Die
Übernahme des quae — quaeve aus Hor. carm. 4, 14, 1 durch Prudentius haben schon Evenepoel, liber Cathemerinon, 59, und Charlet, création, 161, A. 16, vermerkt, s. zuletzt Lühken, 189 (Die tastende Frage zu Beginn von Hor. carm. 1, 12
wie Pind. O. 2; 1. 7 bietet allenfalls eine formale Parallele [gegen Evenepoel, Hymnus ante cibum, 129)). Allerdings ist die Funktion der rhetorischen Frage bei beiden Dichter nicht so „Ähnlich“, wie Lühken, ebd., behauptet. Horaz fragt, wie irgendeine offizielle Ehrung in Stein die Taten des Herrschers genügend verewigen kónnte, und meint damit: keine. Die negative Aussage schließt aber gerade nicht aus, daß
128
C. Kommentar
seine Dichtung diese Leistung zu erbringen vermag (der Gedanke explizit carm. 4, 8, 13/20 und carm. 4, 9). Dem Anspruch des Horaz, allein oder jedenfalls besser als eherne oder steinerne Inschriften dem Ruhm eines Helden Unsterblichkeit zu verleihen, ist die Aussage des Prudentius vóllig entgegengesetzt. Für den christlichen Dichter reicht auch die hóchste Form der Poesie nicht aus, den Gegenstand der Schópfung angemessen zu preisen. Die poetologische Aussage der Strophe ist oft nicht verstanden worden und hat daher zu irrigen, ja teilweise abstrusen Deutungen geführt. So kommt für Kah,
S8f., in der rhetorischen Frage die Überlegenheit des christlichen Dichters zum Ausdruck, der seine eigene, gerade im vorausgegangenen Preislied unter Beweis gestellte dichterische Fähigkeit abgrenzt von der Dichtung der ‘Alten’, d. h. der heidnischen Rómer, die dem hohen Gegenstand des Schópfungspreises nicht gerecht wurden. Sowohl die historische Sichtweise — haben die Römer je versucht,
die Schöpfung des einen Gottes zu besingen? — als auch die Deutung des Unsagbarkeitstopos als 'Überbietungstopos' nach dem Vorbild Thraedes ist zurückzuweisen. Prudentius stellt nicht die Leistung seiner neuen christlichen Dichtung der antiken heidnischen gegenüber. Das widersprüche auch dem Sinn des hier genutzten Unsagbarkeitstopos (s. Henke, Studien, 60). Die Erwähnung von lyrischer
und epischer Dichtung fälschlich als Alternative interpretierend, deutet Charlet,
création, 159ff., die Aussage primär auf das Versagen der antiken gattungsorientierten Dichtung. Reiche im Prinzip keine Dichtung aus, dem Gotteslob und dem Reichtum der Gottesgaben gerecht zu werden, so nähere sich Prudentius im
Gabenpreis dem Ziel durch die Buntheit und Verschiedenheit der von ihm eingesetzten poetischen Formen. In der poetologischen Reflexion der Strophen 17/19
sieht Charlet daher eine Rechtfertigung des Dichters für die Vielfalt der von ihm angewandten poetischen Mittel (Polymetrie, Gattungsmischung) (Charlet, création, 159f.; zustimmend Lühken, 254, A. 30). Für diese Deutung gibt es aber im Text keinen Anhaltspunkt. In seinem Bestreben, den Gedichtzyklus Cathemerinon als buntes Flickwerk aus verschiedenen Gattungen zu erweisen, legt Charlet vielmehr mehrfach einen falschen Wortsinn zugrunde. So wird harmonia (V. 90) von ihm
fülschlich auf den Zusammenklang verschiedener Tonlagen und Metren (!) gedeutet (Charlet, création, 161). Zu quod s. u. Str. 19. Richtig urteilt Rodriguez-Herrera,
38f., wenn er die in den Versen liegende hohe Wertschätzung der antiken Poesie durch Prudentius hervorhebt (im Anschluß daran auch Lühken, 253f.). Die meisterliche Leistung der Alten bildet aber nur die Folie, vor der die allgemeine Unzulánglichkeit menschlicher Beredsamkeit um so deutlicher zutage tritt. Auch die vollendetsten Formen der Dichtung, die die pagane Tradition bereitgestellt hat, müßten vor der Aufgabe, Gottes Schöpfung angemessen zu besingen, versagen. Prudentius nutzt hier die 'Unfáhigkeitsbezeugungen', den sogenannten 'Unsagbarkeitstopos' (Curtius, 168ff.) der antiken Rhetorik (Henke, Studien, 60f.) und bezieht
ihn auf den im christlichen Verstándnis wahrhaft über alles menschliche Lob erhabenen Gegenstand, Gottes mächtiges und reiches Werk. Vgl. auch die rhetorischen
V. 81-85
129
Demutsbezeugungen cath. 5, 81/4 Quae tandem poterit lingua retexere / laudes, Christe, tuas, qui domitam Pharon / ... cogis ...? und perist. 2, 33/6 Qua voce, quantis laudibus / celebrabo mortis ordinem, / quo passionem carmine / digne
retexens concinam? (in bezug auf das Martyrium des Laurentius) (dazu Henke, Studien, 53ff.; bes. 60f.). Biblisches Vorbild ist Psalm 106, 2: “Wer kann die großen Taten des Herrn erzählen, all seinen Ruhm verkünden?” Die Nutzung einer klangvollen ennianischen Junktur unterstreicht abschlieBend den hohen, enkomiastischen Ton der Verse. Vgl. Enn. epigr. 4 (Vahlen, 216) (Cic. Tusc. 5, 49): Nemo est qui factis aequiperare queat lautet der zweite Vers eines Epigramms, welches das Lob des P. Scipio Africanus enthált. Der Anklang an Ennius mußte für den, der das ganze Epigramm vor Augen hatte (seine Bekanntheit bezeugen auch Sen. epist. 108, 34 und Lact. inst. 1, 18, 11), wie eine Verstär-
kung der christlichen Demutsbezeugung wirken, vgl. den Wortlaut: A sole exoriente supra Maeotis paludes / Nerno est qui factis aequiperare queat. / Si fas endo plagas caelestum ascendere cuiquam est, / Mi soli caeli maxima porta patet. Für den
christlichen Dichter kann der Mensch nicht einmal durch Worte Gottes GróBe erreichen, geschweige denn, daB er sich selbst zum Himmel erheben kónnte! 81f. Tuba und lyra symbolisieren die epische und die lyrische Dichtung und stehen daher für die hohe Poesie in ihrer Gesamtheit. Die Gegenüberstellung der Musikinstrumente wird im folgenden Vers durch die Angabe der jeweils spezifisch technischen Mittel der Klangerzeugung weitergeführt. Diese ‘doppelte’ Metonymie unterstreicht die Größe der Wirksamkeit und des Ansehens der antiken Dichtung. Dabei betonen die gleiche Silbenzahl (tuba / lyra, flatibus / fidibus), die Alliteration von f sowie die rahmende Stellung von flatibus und fidibus, daB Lyrik und Epik bei aller varietas der Gattungen den gleichen Rang einnehmen. Die tuba mit ihrem düsteren, starken Klang assoziiert den Gegenstand epischen Dichtens, Kriege und Schlachtengetümmel, Mart. 8, 3, 22; Claud. Olyb. et Prob. cons. 198; Sidon. Apoll. 2, 185; vgl. auch Prud. cath. 5, 50; apoth. 148; ham. 917. Die lyra, neben der Flóte in alter Zeit das Begleitinstrument des Liedes, ist seit Pindar Sinnbild des lyrischen Gesangs, vgl. Pind. O. 1, 26f.; 3, 8; 1. 5, 7; Hor. carm. 1, 6, 10; 12, 1; 3, 3, 69; epist. 2, 2, 86; Ov. am. 2, 18, 26; Stat. silv. 5, 1, 13; Claud. in Ruf. praef. 1, 16; vgl. auch Prud. ham. 316; cath. 9, 3; dazu Rodriguez-Herrera, 38; Henke, Studien, 60, A. 95. inclytus: preisendes Beiwort auch Prud. c. Symm. 1, 492 vexilla; cath. 9, 105
gloriam passionis; zur Konstruktion mit dem Ablativus causae vgl. Prud. cath. 7, 35 inclytum ieiuniis (Heliam). Lavarenne, édition, 15, bezieht die Ablative flatibus ... Vel fidibus fálschlich auf das Verb des Satzes. So entsteht der irreführende Ein-
druck, daß nur die Mittel der antiken Dichtung nicht ausreichten, Gottes Werke angemessen zu loben, eine neue christliche Dichtung aber dazu in der Lage sei. flatibus: Flatus vom Blasen eines Musikinstruments 2. B. Hor. ars 205 (tibia); Manil. 5, 331 (tibia, im Gegensatz zu manu vom Saitenspiel); Auson. 336, 23 (Peiper, 201) certare camenis, / Ore, manu, flatu: buxo, fide, voce canentes; Prud.
130
C. Kommentar
apoth. 843 distinctum quem musica tibia flatum concipit. Mit fidibus sind hier im seltenen, eigentlichen Sinn die Darmsaiten der Leier gemeint (Synonym chordae), sonst noch Sil. 11, 452; Claud. VI cons. Hon. 123.
V. 83f. Wiederum über zwei Verse erstreckt sich die Angabe des Objekts des Dichtens bzw. Lobens, Gottes Schópfungswerk und seine Gaben an den Menschen, wobei V. 83 den schópfungstheologisch-theozentrischen Aspekt herausstellt, V. 84 mit deutlichem Rückbezug auf V. 36/40 die anthropologisch-heilsgeschichtliche Seite der Schópfung, den Schópfungsauftrag an den Menschen. Que in V. 84 hat
daher explikative Bedeutung. Dieser Stoff, die Schöpfung Gottes, ist so groß und erhaben, daB ihn die antike Dichtung in ihrer hóchsten Form nicht angemessen im
Preis zu bewältigen vermag. Omnipotens: vom christlichen Schópfergott auch Iren. 1, 16, 3; 3, 3, 3; Tert. adv. Prax. 1; Ambr. Jac. 2, 1, 52 omnipotentis dei munera; Aug. civ. 22, 11; Prud. apoth. 726; ham. 307, psych. 660; perist. 13, 55
(von Christus als Schöpfer) u. ö. Der substantivische Gebrauch ist selten, s. ThLL
IX, 2, 607, 53/73.
Divitis: bezieht sich eigentlich auf den Reichtum und die Fülle
der Schópfungsgaben, hier ist es Attribut zu Gott, dem Geber alles Guten. Vgl.
auch cath. 3, 56 Haec opulentia und die Anrede locuples deus cath. 3, 171, dazu unten S. 229. patent: ‘was zum Genuß offen daliegt'. Das Wort bezeichnet sozusagen im Rückblick auf den Gabenpreis einen Grundzug der Darstellung, die Leichtigkeit des Nahrungserwerbs (dazu oben S. 87). aequiperare: Zu Ennius epigr. 4 s. oben S. 129. Vergil überträgt das Wort auf den Wettstreit in der Sängerkunst, vgl. ecl. 5, 48 nec calamis solum aequiperas, sed voce magistrum. Aug. serm. 214, 3 nutzt es, um die Unmóglichkeit zu bezeichnen, die Heilstatsachen
rhetorisch angemessen wiederzugeben: quis verbis explicet, quis aequiparet laudibus, quantum nobis bonum contulerit passio salvatoris?
Strophe 18 V. 86-90 Te, pater optime, mane novo, solis et orbita cum media est, te quoque luce sub occidua, sumere cum monet hora cibum, nostra, deus, canet harmonia.
Die Erkenntnis der Unzulünglichkeit menschlicher Rhetorik und Dichtung entbindet den Dichter nicht von der Pflicht, täglich Gott zu loben. Am Morgen, am Mittag und am Abend soll Gottes Lob erschallen. Prudentius denkt hier wohl an die drei Gebetszeiten der alten Kirche (vgl. Rösler, 84/6 „die drei apostolischen Stunden Terz, Sext, Non“), die nach den Gebetszeiten des nachexilischen Judentums eingerichtet sind, vgl. Dan. 6, 11; Ps. 55, 17f. ‘Ich aber, zu Gott will ich rufen, der Herr wird mir helfen. Am Abend, am Morgen, am Mittag seufze ich und stóhne; er hört
V. 86-90
131
mein Klagen.' Prudentius setzt allerdings die drei Tageszeiten in einer Art zerdehnender Periphrase für die Gesamtheit des Tages, der so in seiner ganzen Fülle hervortritt (vgl. auch Gnilka, Prud. II, 321, A. 11). Wird im Psalm der Abend entsprechend seiner Bedeutung für den bürgerlichen Tag zuerst genannt (vgl. Gunkel z.St.), so setzt Prudentius den Abend an den Schluß und widmet ihm, der wichtigsten Zeit für den Hymnus Ante cibum, zwei Verse (V. 88f.), wührend Morgen und Mittag
nur einen Vers füllen. Die Situation des Beters, der sich selbst auffordert, zu den üblichen Zeiten zu Jahwe zu rufen, ist ebenfalls in die Gestaltung der Strophe aufgenommen. Die Verse sind als Gebet stilisiert mit den charakteristischen Merkmalen des Hymnus: Anapher von te, Invokation bzw. zweifache Apostrophe (pater optime, deus), imperativisches Prüdikat (canet). Trotz ihres allgemeinen Charakters muB die Aufforderung zum Gotteslob auch und vor allem poetologisch verstanden werden. Im AnschluB an die Erklárung des
Unvermögens traditioneller Dichtung (V. 81/5) entfaltet der Gebetsanruf den spirituell-existentiellen Anspruch, der an den christlichen Dichter gestellt wird. Prudentius soll den ganzen Tag, all seine Zeit dem Lobpreis des Schópfers weihen.
Rodriguez-Herrera, 39, urteilt daher treffend: „Die ganze Strophe ist eine reiche [...] und feierliche Umschreibung der Pr. 37f., wo er ununterbrochen Gott zu verherrlichen verspricht: Hymnis continuet dies nec nox ulla vacet, quin dominum
canat." Daß zwischen der allgemein menschlichen Unfähigkeit, über Gott und seine Werke angemessen zu reden, und der Pflicht des Christen, die góttlichen Geheimnisse zu verkünden, kein Widerspruch besteht, haben auch andere Kirchen-
schriftsteller explizit zum Ausdruck gebracht (vgl. dazu Gnilka, Prud. II, 466, mit Verweis auf Aug. in Joh. tract. 1, 1 [CCL 36, 1] und Basil. epist. 7 [Courtonne, 22]).
V. 87 bietet eine Umschreibung für den Mittag, V. 88 für den Abend. Durch die Einfachheit und Klarheit des dichterischen Ausdrucks unterstreicht Prudentius das Alltägliche des Preisens. Nichtsdestoweniger kunstvoll sind die Anordnung der Tageszeiten nach dem Prinzip der wachsenden Glieder, die Variation des Ausdrucks sowie die betonte Endstellung der entscheidenden Zeitangaben (mane novo, media est, occidua). Der iterative cum-Satz erweitert die Angabe der Abendzeit. Am Abend bzw. späten Nachmittag wurde nach römischer Sitte die Hauptmahlzeit eingenommen. Dieser Brauch wurde auch von den frühen Christen befolgt, s. z. B.
Tert. ieiun. 10; PsAthan. virgin. 12/4; Bas. reg. fus. 37, 3f.; S. Silviae peregrinatio 28, 3. Viele Asketen des vierten Jahrhunderts legten auf den Abend die eine tügliche
Mahlzeit, vgl. Hier. epist. 22, 35 (CSEL 54, 197ff.); Cassian. conl. 2, 25f. (CSEL 13, 63); Paul. Nol. epist. 15, 4; 23, 8 (CSEL 29, 113; 166). Augustinus bezeugt dies als allgemein üblichen Brauch (mor. eccl. 33, 70). Prudentius läßt das Fasten um die neunte Stunde enden, vgl. cath. 8, 9 Nona summissum rotat hora solem; perist. 6, 54f. 'ieiunamus’, ait, *trecuso potum: / nondum nona diem resignat hora’. Einen asketischen Hintergrund, d. h. den Gedanken an eine einmalige Kost, neh-
men Rodriguez-Herrera, 37, Evenepoel, Hymnus ante cibum, 129, und Sister Eagan, 18, A. 26, mit Recht auch für Prudentius an. Daß in den Versen 86/9 weniger von
132
C. Kommentar
den Essenszeiten und damit den Anlässen zum Tischgebet als von den jüdischchristlichen Gebetszeiten ausgegangen werden solite, hat schon Arevalo, 802, festgestellt. S. auch Rósler, 84/6; S. Eagan, 18, A. 26. Zum christlichen Brauch des Psalmen- und Hymnengesangs bei Tisch s. oben zu Str. 6.
V. 86 weist vergilisches Gepräge auf. Die emotional gefärbte Anrede an Aeneas, den fürsorglichen Führer der Teucrer, te, pater optime Teucrum (Verg. Aen. 1, 555),
formt Prudentius zur feierlichen Apostrophe im Hymnenstil, die an den wahrhaft gütigen Vater im Himmel gerichtet ist. Optime — wie bone (V. 1) - ist stehende Prädikation im Gebet, pater optime vielleicht mit bewuBtem Anklang an das Gebet des Herrn. Die Junktur mane novo geht auf Verg. georg. 3, 325 zurück (Index Bergman): vgl. 324/6 Luciferi primo cum sidere frigida rura / carpamus, dum mane novum, dum gramina canent, / et ros in tenera pecori gratissimus herba (erstes Erscheinen des Wortes mane als Substantiv, LHSz 2, 90a; vgl. auch Colum. 7, 3, 23; Nemes. cyn. 324; Sidon. carm. 23, 448). Zur Junktur im Ablativ vgl. noch
Paul. Nol. carm. 21, 731; 33, 82; Sidon. carm. 12, 15; epist. 5, 17, 10; Prud. cath. 2, 15 (übertragen vom Tag des Jüngsten Gerichts). Die Junktur stammt aus der lyrischen Beschreibung der vier Tageszeiten, nach denen sich der Tagesablauf des Hirten auf der Sommerweide gliedert (georg. 3, 322/38): am frühen Morgen das Führen der Herde auf die Weide, zur vierten Stunde das Trünken, in der Mittagshitze das Ruhen im Schatten, am Abend wieder das Füttern und Tränken. Man mag also an eine absichtsvolle Reminiszenz denken. Anders als Vergil schwelgt Prudentius aber nicht in der Schilderung der Besonderheiten jeder einzelnen Tageszeit. Die Aufzählung der Tageszeiten dient ihm vielmehr dazu, den Tag in seiner Gesamtheit vor Augen zu führen. Auch liegt in V. 89 sumere cum monet hora cibum ein Ge-
danke, der über die bloBe Zeitangabe hinausgeht. Im natürlichen Vorgang der Abendstunde sieht der christliche Dichter eine von Gott eingerichtete Mahnung an den Menschen, den Körper durch Nahrungsaufnahme zu erfrischen und zu stärken.
orbita: poet. Wort für den Lauf der Sterne, der Sonne, vgl. Lucan. 9, 691; Plin. nat. 2, 172; Val. Fl. 6, 442; Sil. 16, 295 u.ö. occidua: dichterisch und spät für occidens, vom untergehenden Tag auch Ov. met. 14, 416 Phoebus; fast. 5, 558 oriens occiduusque dies, Calp. ecl. 5, 35 horae; Sedul. carm. pasch. 5, 192 u. à. canet: imperativischer Gebrauch des Futur (KSt 1, 144; LHSz 2, 310f.). Die Lesart
garantiert den parallelen Bau zur folgenden Strophe mit dem Imperativ esto in der Schlußzeile, s. dazu unten S. 134. Die Konjektur von Weitzius u. a. canit statt überliefertes canet ist daher zurückzuweisen. Der Vokativ deus findet sich bei Prudentius auch cath. 3, 171; 10, 1. 17; apoth. 41. harmonia: metonymisch ‘Gesang, Melodie’, vgl. Lavarenne, étude, 450, $ 1303; 481, 8 1407 'abstractum pro concreto'; ThLL VI, 2. 3, 2537, 57, i. q. cantus; vgl. auch PsAug. serm. 208, 5 harmonia puerperae (i. Mariae) concrepet, 208, 6 huic harmoniae moribus respondeamus. Es schwingt aber auch in Vorbereitung auf das Folgende ein übertragener, tieferer Sinn von harmonia mit: 'harmonischer Zusammenklang von Körper
V. 91-95
133
und Seele'. Vgl. ThLL VI, 2. 3, 2537, 1/22, z. B. Cic. Tusc. 1, 19 animum esse ipsius corporis intentionem quandam, velut in cantu et fidibus, quae harmonia dicitur, Lucr. 3, 100 sensum animi ... habitum quendam vitalem corporis esse, / harmoniam Grai quam dicunt; Aug. civ. 22, 24; serm. 243, 4, 4; bes. civ. 22, 30 (DK. 631, 1f.) omnes quippe illi ... harmoniae corporalis numeri, s. dazu Gnilka, Verkanntes quod, 385 = Prud. II, 320, A. 10; 578. Vgl. auch bes. Joh. Chrys. expos.
in Ps. 41, 2 (PG 57, 158) ἐὰν θέλῃς, σὺ σαυτὸν ἐργάσῃ κιθάραν - im Zusammenhang mit Gesang und Gebet bei Tisch. Dem durch Sperrung hervorgehobenen Possessivum nostra kommt dabei ein besonderes Gewicht zu. Alle physischen und psychischen Regungen des Menschen sollen zum Gotteslob zusammenfinden. Strophe 19 V. 91-95 Quod calet halitus interior, corde quod abdita vena tremit, pulsat et incita quod resonam lingua sub ore latens caveam, laus superi patris esto mihi. Die Syntax der Strophe und damit der echte Sinn der Verse sind oft mißverstanden worden (dazu Gnilka, Verkanntes quod, passim = Prud. II, 318/21). Das anaphorische, in kunstvoll gesteigerter Inversion gesetzte quod (V. 91. 92. 93) wird fälschlich als kausale Konjunktion (Thomson, 25; Kah, 60) oder als faktisches quod (Lavarenne, étude, 295, ὃ 819; ders., édition,
15) gedeutet:
“Weil bzw. dafür, daß ich
atme, mein Herz schlägt, ich spreche, sei Gott Lob!’ Das dreifache quod ist aber Relativpronomen und leitet jeweils einen der drei substantivischen Relativsátze ein, die das Subjekt zum Prädikat laus esto mihi bilden (richtig gestellt von Gnilka, Verkanntes quod, passim). Innerhalb der Relativsátze vertritt quod jeweils die Funktion eines inneren Akkusativs zu den Verben calit, tremit, pulsat, zu übersetzen ist ‚also: “Die Wärme, die mein Atem wärmt, das Pochen, das meine Ader pocht, das
Schlagen, das meine Zunge schlägt’. Das ist eine kühne, aber auch für Prudentius keineswegs ungewóhnliche Konstruktion. Der Akkusativ des Inhalts quod findet sich z. B. auch psych. 762f. quod sapimus, coniungat amor, quod vivimus, uno / conspiret studio (weitere Beispiele Gnilka, Prud. II, 318/21; 579). Den Sinn der
Verse cath. 3, 91/5 erhellt die inhaltliche und syntaktische Parallele apoth. 386/92: quidquid in aére cavo reboans tuba curva remugit, / quidquid ab arcano vomit ingens spiritus haustu, / quidquid casta chelys, quidquid testudo resultat, / organa
disparibus calamis quod consona miscent, / aemula pastorum quod reddunt vocibus antra, / Christum concelebrat, Christum sonat, omnia Christum / muta etiam fidibus
134
C. Kommentar
sanctis animata loquuntur. Anaphorisches quidquid bzw. quod ist hier eindeutig als verallgemeinerndes Relativpronomen identifiziert. Wie die Relativsütze apoth. 386ff. angeben, was den Lobpreis Christi konstituiert, nämlich die Klänge, die die verschiedenen Instrumente und Stimmen erzeugen, so auch cath. 3, 91/5: es sind die physischen Lebensäußerungen, die inneren 'Klünge' des Körpers, die das Lob des Herrn bilden, die Würme des Atems, das Pochen des Herzens, das Schlagen
der Zunge. Diese Deutung erweist die Strophe als Seitenstück der vorhergehenden Strophe. Dort widmet der Dichter unter Nennung der drei Haupttageszeiten seine ganze Zeit dem Gotteslob, hier weiht er in offensichtlicher Klimax des Inhalts die primären physischen Regungen, welche die Existenz des Menschen schlechthin
symbolisieren, dem Lobpreis Gottes (richtig der Kommentar von RodriguezHerrera, 39). Der Zusammenhang spiegelt sich im parallelen Bau der Strophen. Auf drei Angaben, die die Totalität der Zeit bzw. der Person umschreiben, folgt jeweils ein imperativischer Schlußvers, der zum Gotteslob aufruft (vgl. auch Gnilka, Verkanntes quod, 384 = Prud. II, 320f.). Anklänge an das christliche Hauptgebot sind mehr spürbar als in Formulierungen deutlich faßbar. In dichterisch und gedanklich kühner Form ordnet Prudentius die Aufgabe der Dichtung, das Gotteslob, der Forderung der Gottesliebe unter (vgl.
Dtn. 6, 5; Mt. 22, 37; Mk. 12, 30; Luk. 10, 27 ‘Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben mit ganzem Herzen und ganzer Seele, mit all deiner Kraft und all deinen Gedanken’). Zu vergleichen ist Ambr. hymn. 4, 13/6 Fontaine. Im Anschluß an das Hauptgebot der Gottesliebe fordert Ambrosius die spirituelle Dimension des liturgischen Gesangs ein, d. i. die Unabdingbarkeit des inneren Gesangs für die Psalmodie. Der Kirchenvater ruft auf, Herz und Stimme, Gefühl und Verstand in Übereinstimmung zu bringen: Te cordis ima concinant, / te vox canora concrepet, / te diligat castus amor, / te mens adoret sobria. Prudentius geht es nicht um die Verinnerlichung des Gesangs bzw. der Dichtung. Bei ihm liegt der Akzent auf der Hingabe des ganzen Menschen an den Lobpreis Gottes, wobei er den für das Dichterleben wesentlichen Aspekt der Sprache hervorhebt (vgl. dazu auch Gnilka, Prud. II, 527f., der in unserer Stelle ein Zeugnis dafür sieht, daB christliche Dichter aus tiefster religiöser Überzeugung und in dem Bewußtsein, so ihren Glauben zu leben, dichten). Eine auch in poetologischer Hinsicht relevante Parallele für den univer-
salen Anspruch Gottes an den Dichter bietet Paul. Nol. 10, 63/6 (CSEL 30, 27): totusque nostra iure domini vindicat / et corda et ora et tempora; / se cogitari intellegi credi legi, / se vult timeri et diligi. Christus fordert als ganzer den Menschen ganz. Im christologischen Kontext bedeutet das, daß die einzig angemessene Antwort des Menschen auf seine Begnadung durch Christus die conversio von Leben und Redegabe ist, die Neuorientierung aller menschlichen Fähigkeiten auf Christus
hin (dazu Skeb, 110ff.). V. 91. calet: von der Wärme des lebendigen menschlichen Körpers gebraucht, vgl. Hier. tract. in psalm. I, p. 305, 19 frigescere ... mortuorum est, calere viventium;
V. 91-95
135
dazu Cic. nat. deor. 2, 23 refrigerato autem et extincto calore, occidimus ipsi et extinguimur. Daher beschreibt Verg. Aen. 3, 308 den Eintritt des Todes mit: calor ossa reliquit; vgl. auch Ov. met. 13, 605; epist. 14, 37; Prud. perist. 7, 86 Orantem simul halitus / et vox deserit et calor. Schón tritt calor als Prinzip des vegetativen
Lebens hervor in der Beschreibung der resurrectio carnis Prud. cath. 10, 37ff.: bei der zukünftigen Auferstehung erfüllt neue Lebenswürme den Leib, und Blut belebt den Kórper, vgl. Venient cito saecula, cum iam / socius calor ossa revisat / animataque sanguine vivo / habitacula pristina gestet. halitus: Hauch, Lebensatem, Synonym zu spiritus (gr. πνεῦμα). V gl. Prud. cath. 9, 48 (von der Auferwekkung des Lazarus) faetidum iecur reductus rursus intrat halitus; perist. 14, 59 tunc iuveni halitum / vitae innovatum visibus integris; vom letzten Atemzug des Ster-
benden Verg. Aen. 4, 684 extremus si quis super halitus errat; Sen. Tro. 379 profugo spiritus halitu ... cessit in aéra; Prud. cath. 12, 124; perist. 7, 86 s. o. zu calet. Vgl. auch die Beschreibung des menschlichen Atems apoth. 837ff. Das Wunderbare schon des menschlichen Atems - im Vergleich zu dem des Schópferpottes - zeigt sich in seinen verschiedenen Forrnen, u. a. im warmen Hauch, 839f. nunc flatum tepidum calor exhalatus anhelat / rorantes nebulas udis de faucibus efflans. V. 92. Nach der Würme des Atems folgt ein weiterer Lebensvorgang: das Pochen des Herzens, genauer der Herzschlagader. In der Aufeinanderfolge der Verben calet, tremit, pulsat kommt dabei eine Steigerung der Lebensintensität zum Ausdruck.
Als Quelle für die Details der physiologischen Beschreibung sowie für die Zusammenstellung von Atem und Puls macht Rodriguez-Herrera, 40, Cic. nat. deor. 2, 138 aus, wo die Funktion des Herzens für Atemvorgang und Blutkreislauf dargestellt wird. Nicht nur die wärmende Kraft des Atems wird dort erläutert, auch der Ort des halitus interior klärt sich als die Lunge: /lla potius explicetur incredibilis fabrica naturae; nam quae spiritu in pulmones anima ducitur, ea calescit primum ipso ab spiritu, deinde contagione pulmonum, ex eaque pars redditur respirando, pars concipitur cordis parte quadam quam ventriculum cordis appellant, cui similis alter adiunctus est, in quem sanguis a iecore per venam illam cavam influit. Eoque modo ex iis partibus et sanguis per venas in omne corpus diffunditur et spiritus per arterias; utraeque autem crebrae multaeque toto corpore intextae vim quandam incredibilem artificiosi operis divinique testantur (Pease, De natura, 909). Die Lunge als Sitz der Lebensfunktion beschreibt aber auch Lact. opif. 11, 3f. (CSEL 27, 38f.) sed cum homo constet ex corpore atque anima, illud quod supra dixi receptaculum soli corpori praestat alimentum, animae vero aliam sedem dedit. fecit enim genus quoddam visceris molle atque rarum, quod pulmonem vocamus, eumque non in utris modum finxit, ne effunderetur semel spiritus aut inflaret semel. ideoque plenum
quidem viscus effecit, sed inflabile atque aéris capax, ut paulatim spiritum reciperet, dum vitalis ventus per illam spargitur raritatem, et eundem rursus paulatim redderet, dum se ex illo explicat: ipsa enim vicissitudo et spirandi respirandique tractus vitam sustentat in corpore.
136
C. Kommentar
V. 93f. Umschreibung des Sprechens durch den Zungenschlag, entsprechend der Bedeutung dieser Lebensäußerung für den Dichter auf zwei Verse verteilt. Auffallend ist die Anfangs- und Endstellung der thematischen Wörter: pulsat — lingua
— resonam — caveam. . incita: adjektivisch, i. 4. citus, von heftiger körperlicher Bewegung (ThLL VII, 1, 933f., 69ff.). caveam: im übertragenen Sinn ‘hohler Raum, Hóhle', hier: die obere Mundwólbung, der Gaumen, an den beim Sprechen die Zunge anschlägt (vgl. Schol. adl.. resonam: proleptisch ‘daß der Gaumen ertónt'. Zur Konstruktion von pulsat mit dem doppelten Akkusativ des inneren (quod) und des äußeren Objekts (caveam) s. Gnilka, Prud. II, 321 (mit Verweis auf KSt 1, 279f.); 579. Die Funktion der Sprachwerkzeuge erklärt auf stoischer Grund-
lage Cic. nat. deor. 2, 149: Deinde in ore sita lingua est finita dentibus; ea vocem inmoderate profusam fingit et terminat «at»que sonos vocis distinctos et pressos efficit, cum et dentes et alias partes pellit oris; itaque plectri similem linguam nostri solent dicere, chordarum dentes, nares cornibus iis quae ad nervos resonant in cantibus (Pease, De natura, 936/8; dazu Pohlenz, Stoa, 2, 99f.). Im Anschluß an Cicero auch Lact. opif. 10, 17; Arnob. nat. 3, 18; Aug. in psalm. 120, 11; Hier. epist. 108, 24; weitere Stellen bei Pease, De natura, 937f.; Kohlwes, 147. Den Vergleich zwischen dem Stübchen, das zum Anschlagen der Saiten der Leier dient, und dem Instrument der Zunge, die durch Anschlagen der Zähne oder des Gaumens die sprachlichen Laute hervorbringt, führt Prudentius perist. 10, 931ff. aus: Qui fecit, ut vis vocis expressa intimo / pulmone et oris torta sub testudine / nunc ex palato det repercussos sonos, / nunc temperetur dentium de pectine / sitque his agendis lingua plectrum mobile. Die Metapher plectrum palati für die Zunge auch perist. 10, 6. Hier ist der Vergleich mit dem plectrum allenfalls angedeutet, resonam caveam mag die Wölbung der Lyra als Resonanzkörper assoziieren. Prudentius nutzt aber stehende Elemente der Beschreibungen des Zungenschlags: a) die Beweglichkeit der Zunge (incita), vgl. Lact. opif. 10, 13 motibus suis; 10, 17 celeri mobilitate; Arnob. nat. 3, 18 quorum inflictu et mobilitate, Aug. in psalm. 120, 11 in ore moventur (linguae), so auch Prud. praef. 45 lingua mobilis, b) das Anschlagen des Gaumens, der als Schallkórper fungiert (pulsat ... caveam), vgl. Cic. nat. deor. 2, 149 et alias partes pellit oris; Lact. opif. 10, 17 haec itaque palati concavo tamquam testudine tegitur, Aug. in psalm. 120, 11 et percutiendo palatum et dentes, distinguunt sonos quibus loquimur (sc. linguae); Prud. perist. 10, 933 (s. o. S. 136), c) das Verborgensein der Zunge im Mund (lingua sub ore latens), vgl. Cic. nat. deor. 2, 149 in ore sita; Lact. opif. 10, 13 lingua intus inclusa. Das Verstecktsein des Lebensvorgangs betont Prudentius auch in bezug auf Atmung und Puls, in schóner Variation: halitus interior, abdita vena, lingua latens. Die Unsichtbarkeit der elementaren Lebensäußerungen mag das Wunderbare, Geheimnisvolle des Lebens andeuten (so Rodriguez-Herrera, 39f.) und so vorausweisen auf die groBe Gabe Gottes, die Schópfung des Menschen, die im folgenden besungen wird (V. 96ff.) (vgl. auch den Doppelsinn von nostra harmonia in V. 90). Die Forderung, daß die im Körper verborgenen Organe das Lob Gottes anstimmen
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sollen, steht aber auch und vor allem im diametralen Gegensatz zur antiken Vorstellung des Dichterruhms. Nicht das äußere Anerkennung und Ruhm heischende Mittel der Dichtkunst (vgl. V. 82 inclyta), sondern die innersten, nach außen fast unmerklichen Regungen der Person konstituieren das hóchste Lob des Schópfers.
V. 95. mihi: wie nostra in V. 90 den persónlichen, individuellen Aspekt unterstreichend, kennzeichnet den hymnischen Charakter der Strophe. laus: 'Hymnus auf Gott, Loblied' richtig Rodriguez-Herrera, 38. Vgl. die Definiton Isid. orig. 1, 39, 17 hymni autem ex graeco in latinum 'laudes' interpretantur. So schon V. 85 laudibus, vgl. auch cath. 4, 3 laudem lingua deo patri rependat; 5, 82 Quae tandem poterit lingua retexere / laudes, Christe, tuas; 9, 23 quidquid est virtutis usquam, psallat in laudem dei. Zum christlichen Sprachgebrauch s. ThLL VII 2, 2, s. v. laus,
1064, 12/32. Die Synonymie von hymnus und laus bringt Augustinus wiederholt zum Ausdruck: in psalm. 53, 3; 54, 2; 60, 1; 64, 18 (CCL 39, 649. 656. 765. 837). Zum Ganzen vgl. Thraede, Hymnus, 915/46. Mit der Aufforderung zum Lob des Hóchsten wird das Stichwort der laus dei aus V. 30 wieder aufgenommen. Die laus
dei als Aufgabe des Dichters bildet die Verklammerung zwischen den beiden poetologischen Partien (Str. 6-8 und 17-19) und schlieBt ringartig die Komposition. Falsch erklürt Lavarenne, étude, 276, den Ausdruck laus superi patris aufgrund des ebenfalls falsch verstandenen quod mit „un motif de louer Dieu".
III. Strophe 20-34. Zweiter Hauptteil: Erzáhlung der Menschheitsgeschichte Strophe 20-27 Im zweiten Teil des Tischliedes besingt Prudentius das hóchste Geschópf, den Men-
schen. Nach dem deskriptiv-enkomiastischen Abschnitt folgt nun ein didaktischnarrativer, in dessen Zentrum die Paradieserzühlung (Str. 20-27) steht. Um den Sündenfallbericht (V. 101-135) gruppieren sich die groBen anthropologischheilsgeschichtlichen Ereignisse, Erschaffung des Menschen (V. 96-100) und Erlósung des gefallenen Menschen durch die Menschwerdung Christi (V. 136-170). Strophe 20
V. 96-100 Nos igitur tua, sancte, manus caespite conposuit madido effigiem meditata suam, utque foret rata materies, ore animam dedit ex proprio. Die Strophe schildert nach dem altl. Schópfungsbericht (Gen. 2, 7, kombiniert mit Gen. 1, 26f.) die Erschaffung des Menschen in zwei Akten. Gott formt den mensch-
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C. Kommentar
lichen Kórper aus einem feuchten Erdklumpen und begabt ihn mit Leben, indem er ihm seinen góttlichen Atem einhaucht. Vgl. Gen. 2, 7 VL (Version L) et tunc finxit (plasmavit, formavit, figuravit, figulavit, fecit) deus hominem (Adam) (ad imaginem [similitudinis] suae, ad imaginem et similitudinem suam ...) de limo terrae (accipiens) (e luto accipiens, pulvere [limum, pulverem] de [a] terra sumens) et insufflavit (in/suf/ad/flavit, sibilavit, [in/a]spiravit) in (eius) faciem eius (eum) spiritum ([in]spiramen[tum],
inspirationem, flatum, animam) vitae et factus est
homo (Adam) in animam viventem (vivam). Die zwei Schritte des Schópfungsvorgangs, die von Prudentius auf die Erschaffung der zwei Teile des Menschen angewandt werden (zum anthropologischen Dualismus s. u. S. 140f.), spiegeln sich in der Syntax der Strophe. Je ein Hauptsatz ist der Erschaffung von Leib und Seele gewidmet, die beiden Hauptsätze rahmen, außen angeordnet, Partizipialkonstruktion
und Nebensatz, so daß das schöpferische Handeln Gottes akzentuiert wird. Der Gebetsstil (feierliche Anrede Gottes, Pronomina) im ersten Teil (V. 96/8) erzeugt
auch hier einen hymnischen Charakter. Gepriesen wird Gott für sein Geschöpf, das er selbst mit Leib und Seele nach seinem Ebenbild geschaffen hat. Zwei Grundaussagen christlicher Anthropologie treten in der stilistisch hohen Gestaltung hervor. Die lyrische Transposition von Gen. 2, 7 zielt darauf, die Erschaffung des Menschen als Zeichen der Güte Gottes und seines Heilshandelns am Menschen vor Augen zu führen. Schon die Zusammenstellung von nos und tua im ersten Vers unterstreicht die heilsgeschichtlich-soteriologische Perspektive, in die
der Genesisvers gestellt wird. Metonymisch gesetztes manus für Gott versinnbildlicht die schöpferische Macht Gottes (so häufig etwa bei Laktanz, s. Loi, 73f.; 213f.; vgl. auch Aug. civ. 12, 24; Prud. apoth. 857ff. [unten S. 144 s. v. effigies zitiert)).
Die Synekdoche dient aber vor allem dazu, die gnädige Zuwendung Gottes zu seinem Geschöpf zum Ausdruck zu bringen, die darin manifest wird, daß sich der Schöpfer herabläßt, den Menschen selbst mit eigener Hand zu formen. Die Kondeszendenz Gottes wird durch die hohe Anrede sancte, 'Erhabener', noch verstärkt. Der große Gott - so zeigen die Verse 97f. — hält es seiner nicht für unwürdig, ein *handwerkliches' Tun aufzunehmen und eigenhändig den Menschenleib aus feuchtem Lehm zu bilden. Indem Gott den Leib nach seinem Ebenbild formt (V. 98),
gibt er zudem in seiner Güte die góttliche Schónheit und Vollkommenheit an den Menschen weiter. Sein Wille, den Menschen zu beseelen (V. 99), wird gesteigert dadurch, daß Gott die Seele aus seinem eigenen Mund stammen läßt (V. 100). Der
erste und der letzte Vers der Strophe korrespondieren in der konkreten Angabe des Kórperteils, mit dem Gott wirkt: tua manus und ore ex proprio unterstreichen, daß Gott ganz persónlich bei der Erschaffung des Menschen engagiert ist (vgl. auch effigiem suam), und führen zugleich plastisch vor Augen, daB der Mensch wahrhaft nach Gottes Ebenbild gestaltet ist. In der Parallelisierung liegt nicht zuletzt ein gewichtiger, innerer Grund für die Echtheit des V. 100 (dazu unten S. 145).
In anthropologischer Hinsicht liefert die Darstellung der Kondeszendenz Gottes einen Beweis für die Würde des Geschópfs Mensch im Vergleich zur übrigen
V. 96-100
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Schöpfung. Der Gedanke, daß das direkte Eingreifen Gottes in die Erschaffung des Menschen seinen Vorrang vor den übrigen Geschópfen begründet, findet sich auch sonst in der Väterliteratur, vgl. z. B. Clem. Alex. paed. 1,3, 7, 1 (Stählin, 1, 94);
Tert. adv. Marc. 2, 4, 4 (CCL 1, 478f.); resurr. 5, 6f. (CCL 2, 927); Hil. tract. in psalm. 118, 10, 4 (CSEL 22, 441); Basil. hom. in verba faciamus 2, 2 (SC 160, 228/30). Augustinus wendet sich explizit dagegen, wenn er ausführt, der Vorrang des Menschen rühre nicht von der Art der Erschaffung her, sondern vom Vorrecht, nach Gottes Bild geschaffen zu sein (gen. ad litt. 6, 12 [CSEL 28, 1, 185]) (dazu Fontanier, 118f.). Prudentius verbindet beide Anschauungen und gibt dem Argument eine besondere Ausprügung, indem er aus Gottes schópferischem Handeln auch und vor allem den hohen Wert des menschlichen Körpers ableitet. In dieser Zielsetzung ist zu vergleichen Tert. resurr. 6, 1/3 (CCL 2, 927f.): Das Fleisch ist kostbar, weil es von Gott selbst gebildet wurde und nach seinem Bild, d. h. hier nach dem Wort, das Fleisch geworden ist, vgl. Persequar itaque propositum, si tamen tantum possim carni vindicare, quantum contulit ille qui eam fecit, iam tunc gloriantem, quod illa pusillitas, limus, in manus dei, quaecumque sunt, pervenit, satis beatus etsi solummodo contactus. Quid enim, si nullo amplius opere statim figmentum de contactu dei constitisset? Adeo magna res agebatur quod ista materia extruebatur. Itaque totiens honoratur, quotiens manus dei patitur, dum tangitur, dum decerpitur, dum deducitur, dum effingitur. Recogita totum illi deum occupatum ac deditum, manu sensu opere consilio sapientia providentia et ipsa inprimis adfectione, quae liniamenta dictabat. Quodcumque enim limus exprimebatur, Christus cogitabatur, homo futurus, quod et limus, et sermo caro, quod et terra tunc (vgl. auch zum ‘natürlichen Adel’ des menschlichen Körpers Henke, Studien, 158f.). Breit ausgeführt hat der Dichter das, was er cath. 3, 96ff. durch die kunstvolle Gestaltung andeutet, im Lehrgedicht apoth. 1019/40. Hier wird die Würde des Menschen auch durch die Menschwerdung Christi begründet. In einem Vergleich des Handelns Christi bei der Inkarnation und bei der Erschaffung des Menschen
schlieBt Prudentius, daB Christus sich ebensowenig scheut, den menschlichen Leib anzunehmen, wie er es einst nicht für unwürdig hielt, ihn mit eigenen Händen zu formen, vgl. apoth. 1022/30 indignumne putat luteum consciscere corpus, / qui non indignum quondam sibi credidit ipsum / pertrectare lutum, cum vas conponeret arvo / nondum viscereo, sed inertis glutine limi / inpressoque putres sub pollice duceret artus? / tantus amor terrae, tanta est dilectio nostri: dignatur praepinguis
humi conprendere mollem / divinis glaebam digitis nec sordida censet / haerentis massae contagia. Prudentius stellt hier auch den Unterschied zur übrigen Schópfung heraus. Nur beim Menschen begnügt Gott sich nicht mit dem Schópfungsbefehl,
sondern legt selbst Hand an, betätigt sich als Demiurg, apoth. 1030/8 iusserat, ut lux / confieret; edita formas, / deitatis figmine domini manibus
facta est, ut iusserat. omnia iussu / imperitante novas traxerunt solus homo emeruit domini formabile dextra / os capere et fabro nasci. / quorsum igitur limo tanta indulgentia nostro / contigit, ut tractatus honora / arte sacer fieret tactu iam nobilis ipso? / decrerat
140
C. Kommentar
quoniam Christum deus incorrupto / admiscere solo, sanctis quod fingere vellet /
dignum habuit digitis et carum condere pignus. Eingebettet in den Schópfung und Erlósung umfassenden Plan Gottes wird die Bildung des Menschen auch Prud. apoth. 776/8 ipse gerit, quod struxit, opus nec ferre pudescit / factor, quod peperit. corpus loquor atque animae vim; / finxerat hoc digitis, animam sufflaverat ore. 7 totum hominem deus adsumit, quia totus ab ipso est, / et totum redimit, quem sumpserat. Zur Auszeichnung des Menschen als des einzigen nicht durch das Wort, sondern durch die Formung aus Lehm geschaffenen Wesens vgl. auch Alc. Avit. carm. 1, 302f. 'O summum factoris opus, quos sola creavit / Nostra manus, nasci cum cetera voce iuberem' (dazu Arweiler, 30). Gott formt den Menschen nicht nur mit eigener Hand, sondern auch nach seiner
eigenen Gestalt. Die Vorlage ist Gen. 1, 26f. (VL) et dixit deus faciamus hominem ad (secundum, iuxta) imaginem (nostram) et (secundum, iuxta, ad) similitudinem nostram ... et fecit (finxit, figuravit, plasmavit, formavit, creavit) deus hominem ad imaginem dei (ad imaginem et similitudinem) (suam) (Zur Deutung der GenesisStelle s. Westermann, 197/220). In der traditionellen Exegese von den Kirchenvütern bis heute wird die Aussage anthropologisch gedeutet, der Akzent wird gelegt auf die Gottesebenbildlichkeit als wesentlichen Zug des Menschen (Westermann,
203ff.). Die meisten Väter erkennen - einen anthropologischen Dualismus vorausgesetzt — die Ebenbildlichkeit allein der Seele zu und sprechen sie dem Leib ab, vgl. z. B. Clem. Alex. strom. 2, 102, 6; 6, 114, 4; protr. 98, 4; Bas. hom. 1 eig tó ποιήσωμεν (PG 44, 264C - SC 160, 182); Greg. Nyss. hom. opif. 44, 149, 3; Lact. inst. 2, 10/12; 7, 4/6; Ambr. hex. 6, 8, 44/6. Der Leib ist mitgedacht bei Tert. res.
9, 6; Greg. Naz. or. 14, 6; Clem. Alex. paed. 3, 64, 2f.; 66, 2; Lact. ira 18, 131. (Merki, 467/71). Prudentius bezieht in seiner Darstellung die Ebenbildlichkeit mit Gott absichtsvoll auf die kórperliche Gestalt des Menschen. Darin ist er allerdings
auch nicht ohne Vorbild: ebenso mit primärem Bezug auf den Körper Lact. epit. 22, 2 tum hominem de limo ad imaginem similitudinis suae figuratum inspiravit ad vitam; ira 13, 13 (CSEL 27, 102) deus cum formaret hominem veluti simulacrum
suum, quod erat divini opificii summum, inspiravit ei sapientiam soli (s. Loi, 135/7). Die Ebenbildlichkeit des menschlichen Kórpers mit Gott deuten sozusagen im teleologischen Sinn Irenäus und Tertullian, wenn sie das Bild des kommenden
Gottmenschen, des inkarnierten Wortes zugrunde legen, vgl. Iren. adv. haer. 4, 33, 4 (SC 100, 2, 812); Tert. resurr. 6, 3ff. (CCL 2, 928) Quodcumque enim limus exprimebatur, Christus cogitabatur, homo futurus, quod et limus, et sermo caro, quod et terra tunc. Sic enim praefatio patris ad filium: Faciamus hominem ad imaginem et similitudinem nostram. Et fecit hominem deus, id utique quod finxit, ad imaginem dei fecit illum, scilicet Christi. Et sermo enim deus, qui in effigie dei constitutus non rapinam existimavit pariari deo. Ita limus ille iam tunc imaginem induens Christi futuri in carne non tantum dei opus erat sed et pignus. Dazu vgl. auch Prud. apoth. 310f. Als Anspielung auf die Inkarnation deutet Torro, 60f., zu Unrecht auch unsere Stelle. Aber hier an die Gestalt Christi zu denken, besteht
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141
kein Anlaß. Die Betonung der Ebenbildlichkeit des Körpers fügt sich vielmehr in die Linie der prudentianischen Darstellung ein, die keineswegs beiden Teilen des Menschen das gleiche Gewicht zukommen läßt. Es ist die Erschaffung des menschlichen Leibes, die Prudentius hier in den Vordergrund rückt. Dichterisch kühn legt er gleich im ersten Satz die Identifikation des Leibes mit dem ganzen Menschen
nahe: Nos ... conposuit. Die Erschaffung der Seele wird dann im Hinblick auf den Leib funktional begründet: Gott gibt die Seele, um den bloß stofflichen Körper zur Vollsubstanz zu machen (utque foret rata materies). Die Akzentuierung der
Darstellung läßt sich vor dogmengeschichtlichem Hintergrund erklären, insofern der Nachhall einer antignostischen Argumentation vorliegen mag. Um der Tendenz, den Körper ab- und die Seele aufzuwerten, korrigierend zu begegnen, unterstreicht Prudentius die Kostbarkeit des menschlichen Leibes, der ebenso wie die Seele Werk Gottes und von ihm in den Heilsplan für den Menschen einbezogen ist (vgl. auch unten S. 242-248 zur Lehre von der Auferstehung des Leibes). Im Rahmen
der poetischen Gesamtkonzeption erscheint es sinnvoll, daB der Wert des menschlichen Körpers in einem Gedicht, das die tägliche Nahrungsaufnahme theologisch-
heilsgeschichtlich überhóht, besonders legitimiert wird. Die Gottesebenbildlichkeit der Seele wird natürlich nicht ausgeschlossen, der Dichter thematisiert und be-
gründet sie explizit apoth. 782ff., bes. 802/6. Die Mittelstellung des Verses 98, den jeweils die zwei, die Bildung von Leib und Seele besingenden Verse rahmen, deutet
auch hier an, daB der Mensch als ganzer, mit Leib und Seele, nach Gottes Vorbild geschaffen ist, vgl. auch apoth. 797/9 sic ipse locutus / factor, utroque hominem meditans de figmine iunctim / aedificare sui similem. Zur Gestaltung des Gedankens von der Ebenbildlichkeit nimmt Prudentius cath. 3, 98 eine ovidische Schilderung in Anspruch (s. auch Buchheit, Resurrectio, 283, A. 118). Ov. met. 1, 82ff. beschreibt in auffälliger Übereinstimmung mit dem atl. Schópfungsbericht
(so Bómer, 45 z. St.), wie Prometheus
den Menschen
aus
feuchtem Erdboden formte nach dem Vorbild der Götter, met. 1, 82/6 quam (sc. tellurem) satus lapeto mixtam pluvialibus undis / finxit in effigiem moderantum cuncta deorum, / pronaque cum spectent animalia cetera terram, / os homini sublime dedit caelumque videre / iussit et erectos ad sidera tollere vultus. Effigies bezeichnet hier das Vorbild, gr. τύπος, lat. forma, figura, des schöpferischen Vorgangs und zwar zunächst ganz konkret auf die körperliche Ausstattung hin (zur Formulierung in effigiem vgl. die bibelsprachlichen Parallelen bei Bómer, 45). Vorbild bei Ovid ist die körperliche Gestalt der Götter, insofern sie die Herrschaftsstellung des Menschen über die übrigen Lebewesen verbürgt: es ist daher der aufrechte Gang, auf dem Ovid hier die Ähnlichkeit der Menschen mit den allmächtigen Göttern beruhen läßt (met. 1, 84/6). Aber auch schon der für die Bildung des Menschen verwendete Stoff soll das Góttliche im Menschen erklüren (vgl. divino semine bzw. ab alto aethere semina caeli, met. 1, 78/81). Prudentius spielt bewuBt auf die ovidische Darstellung an, um den hohen Status des Menschen gerade auch in bezug auf seine Leiblichkeit einzuschürfen. Die herausragende Stellung des
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C. Kommentar
Menschen beruht für den christlichen Dichter aber nicht auf einer materialistisch gedachten göttlichen Herkunft oder auf äußeren similitudines, sondern zuerst und grundlegend auf der Erschaffung durch den Schópfergott, der in direkter Interven-
tion und analog zu seiner vollkommenen, geistigen ‘Gestalt’ die Gestalt des Menschen im Stofflichen bildet und mit Geist begabt. In diesem Zusammenhang
erscheint auch die Anrede Gottes in dieser Strophe als korrigierender Bezug zu Ovid. Sanctius his animal mentisque capacius altae / deerat adhuc et quod dominari in cetera posset: / natus homo est ... hebt Ovid met. 1, 76/8 an, um die Erschaffung des Menschen und seine Vorrangstellung vor den übrigen Lebewesen zu besingen. Indem Prudentius die hohe Bezeichnung sanctus (die auch bei Ovid sonst vorwiegend auf den Bereich des Göttlichen bezogen ist, Bómer, 42) vom Menschen auf Gott überträgt, bringt er zum Ausdruck, daß die feierliche Anrede allein dem ein-
zigen, wahren Gott zukommt, und unterstreicht so implizit den für die christliche Anthropologie konstitutiven Abstand zwischen Gott und seinem Geschöpf.
igitur: hat hier die Bedeutung ‘denn’, Beispiele s. ThLL VII, 1, 264f.
Der Vokativ
sancte steht zwischen gesperrtem tua manus weitaus wirkungsvoller als die Variante
sancta der Handschrift U. Sancte als Anrede Gottes bei Prudentius auch cath. 2, 69. caespite conposuit madido: hohe, poetische Umschreibung für die Bildung des Menschen aus feuchtem Lehm, Schlamm (vgl. Gen. 2, 4b/6). Caespes steht bei Fachschriftstellern für die Erdscholle (z. B. Colum. 2, 4, 6; vgl. ThLL III, 112, 1/7), so auch cath. 10, 123 mit erweiterter Bedeutung 'sepulcrum' , Gnilka, Prud. II, 100 = Natursymbolik, 417, A. 17. Hier speziell an einen festen Erdklumpen zu denken (so ThLL III, 112, 7/9), ist unnótig. Caespes 'Erdboden' mit dem Neben-
begriff der Feuchtigkeit auch Prud. psych. 880 quod (sc. sceptrum) stirpe reciso / quamvis nullus alat terreni caespitis umor, / fronde tamen viret. Madidus: ist ein
poetisches Wort, s. ThLL VIII, 36, 36f. Vom feuchten Erdboden zudem bei Fachschriftstellern, z. B. Plin. nat. 17, 37 (humus); 18, 168 (solo); Colum. 11,3, 43. Auch andernorts betont Prudentius die Feuchtigkeit des Lehmbodens, aus dem Gott den
Menschen formte, vgl. apoth. 764f.: metonymisch gebrauchtes venam madidam und praef. ham. 52f. terram caduci corporis, venam putrem, / umore denso conglobatam et pulvere (dazu Gnilka, Prud. I, 327f.). Für die Junktur caespite madido bildet laut Buchheit, Resurrectio, 283, A. 118, Ov. am. 2, 16, 9f. die Vorlage: perque resurgentes rivis labentibus herbas / gramineus madidam caespes obumbrat humum. Die Feuchtigkeit spendende Kraft des Grases gehört hier zum locus amoenus von Sulmo. conposuit: zu componere in der Bedeutung ‘bilden’, 'erschaffen' s. ThLL III, 2123, 43ff. Von der Bildung des Leibes wie hier Prud. apoth. 857/9 creavit / nempe manus domini corpus mortale lutumque / conposuit digitis, von der Seele apoth. 821 animam ... conpositam factamque; cath. 3, 188 (dazu unten S. 242). Über die auffälli ge Alliteration von k (caespite conposuit) hinaus ist
das Verb componere zur Beschreibung der Tátigkeit des Demiurgen passend gewählt. Es findet sich als Terminus technicus für die Tätigkeit des Töpfers (figulus)
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143
z. B. Tib. 1, 1, 33; vgl. auch die Definition bei Greg. M. in evang. 23, 1 fingere namque componere dicimus; unde et compositores luti figulos vocamus (ThLL III, 2122, 12/39); von der Bildung des Menschen, synonym zu creare, formare, s.
z. B. auch PsApul. Ascl. 9; Cypr. Gall. gen. 29; Iuv. 6, 12f. vivebant homines, qui rupe et robore nati / compositive luto nullos habuere parentes. — Die Vorstellung von der Schaffung des Menschen aus dem Schlamm gehórt zum alten antiken, auch orientalischen Sagengut (Lümmli, II, 25, A. 76), vgl. z. B. Aesch. frg. 718 Mette; Plat. Prot. 320d; s. Bómer zu Ov. met. 1, 82; vom Menschenbildner Prometheus Ov. met. 1, 82f. (dazu oben S. 141), so auch z. B. Herakleides v. Pontos
frg. 66ab Wehrli; Call. frg. 493. Durch die Übernahme dieses Motivs des Formens aus dem Schlamm weicht schon die Vetus Latina zu Gen. 2, 7 (s. o.) vom hebräi-
schen und griechischen Urtext des Schópfungsberichts ab, wonach der Mensch in einem wunderbaren Vorgang aus Erdstaub geschaffen ist, vgl. LXX ἄνθρωπον
χοῦν ἀπὸ τῆς γῆς (Westermann, 280). Vgl. auch Charlet, bible, 19, der aus der Version des Prudentius keine Rückschlüsse auf eine Vulgata-Nutzung zuláBt. Meditari: steht hier im Sinne von “im Sinn haben, zielen auf’, vgl. Prud. cath. 10, 124 (sc. semina) veteres meditantur aristas (dazu Gnilka, Prud. I, 100, A. 18; 548 mit Hinweis auf Min. Felix 34, 11). In Abwandlung unserer Stelle vielleicht Alc. Avit. carm. 1, 80f. («:MGH AA 6, 2, 1) Sic pater omnipotens victurum protenus
arvum / Tractat et in lento meditatur viscera caeno. Mit der Konnotation des Nachahmens (vgl. ThLL VIII, 580, 6/20 i. q. imitari) bei Prudentius auch perist. 3, 25 (sc. Eulalia) moribus et nimium teneris / canitiem meditata senum; psych. 435 (sc. locus et Petulantia bellum) ludebant resono meditantes vulnera sistro.
Den Plan und Willen des Schópfers zur Erschaffung des Menschen bezeichnet das Verb apoth. 797/9 (oben S. 141 zitiert). effigiem ... suam: Die Metonymie wird fortgeführt, daher ist grammatisch-
logisch zu übersetzen ‘wobei sie (sc. deine Hand) ihre eigene Gestalt im Sinn
gehabt hat'. Ich schlieBe mich aber im Text den meisten Übersetzern an, die hier als Objekt das Gemeinte setzen, also tuam effigiem, vgl. Lavarenne, édition, 15;
Guíllen/Rodríguez, 18. Mit effigies ist die Gestalt Gottes gemeint, nach deren Vorbild der Mensch geschaffen wird. Effigies bedeutet hier also ‘forma, habitus, figura', so auch ThLL V, 2, 183 zu Ov. met. 1, 83, wo das Wort aber schillert (dazu oben S. 141f.); vgl.
sonst Sen. epist. 103, 2 hominum effigies habent, animos ferarum; Plin. nat. 2, 14 effigiem dei formamque; Auson. 244, 6 (Peiper, 81) duro circumdata saxo / Amisi
humani corporis effigiem (de Niobe). Die Anwendung auf den christlichen Gott ist autorisiert durch Phil. 2, 6 VL qui in effigie dei constitutus, non rapinam existimavit (ἐν μορφῇ, Vulg. in forma). Effigies von der körperlichen Gestalt des Menschen hat Prudentius cath. 3, 194 prisca renascitur effigies (bei der Auferstehung, dazu unten S. 246. 247) sowie apoth. 958; vgl. bes. apoth. 865f. ut (sc. dominus) per corpoream speciem plasmasse feratur / corporis effigiem. DaB der unendliche, geistige Gott ebenfalls körperlich gedacht ist, erklärt Prudentius an dieser Stelle
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C. Kommentar
als Analogie, die den Menschen den Schópfungsvorgang verstündlich machen soll,
apoth. 857ff. collige de simili, sitne haec factura; creavit / nempe manus domini corpus mortale lutumque / conposuit digitis. numquid manus articulatim / est digesta dei? ... ista figura manus nostrae est, quam non habet in se / incircumscriptus dominus, sed tradita forma est, / humanis quae nota animis daret intellectum (vgl.
dazu Gnilka, Prud. I, 590). So schon Orig. c. Cels. 6, 62; davon ein Nachhall bei Greg. v. Elvira, Tract. Orig. 1, 28f. (CCL 69, 11) (Torro, 54, A. 2). Vgl. auch Aug. civ. 12, 24 (Dombart/Kalb I, 550) Neque enim haec carnali consuetudine cogitanda sunt, ut videre solemus opifices ex materia quacumque terrena corporalibus membris, quod artis industria potuerint, fabricantes. Manus Dei potentia Dei est, qui etiam visibilia invisibiliter operatur. Einen gewissen Vorbehalt angesichts der anthropomorphen Gottesvorstellung signalisiert etwa Tert. resurr. 6, 1 (CCL 2, 927, oben S. 139 zitiert), wenn er der Rede von den ‘Händen Gottes’ die Bemer-
kung hinzufügt 'quaecumque sunt’. V gl. auch Lact. ira 18, 13. Von der besonderen ‘Gestalt’ Gottes, seiner Schönheit und Vollkommenheit im Geistigen, handelt die pseudoclementinische Homilie
17, 7; vgl. auch Lact. opif. 2, 1. Lact. ira 7, 4f.;
inst. 5, 8, 4 betonen die Ähnlichkeit der körperlichen Gestalt des Menschen mit der figura dei (dazu Loi, 137f.).
V. 99f. Die Erschaffung der Seele wird der Bildung des Kórpers gegenübergestellt und funktional auf sie bezogen. Den Lebensatem, den Gott nach Gen. 2, 7 dem Menschen einhaucht, setzt Prudentius mit der anima gleich. Sie ist es, die der stofflichen Gestalt volle ‘Gültigkeit’ verleiht und damit ihr Sein und Leben erst begründet. Die Aussage über die Erschaffung und die Natur der Seele faßt der Dichter im Lehrgedicht genauer, vgl. apoth. 901/4 ipsa quidem sincera fuit, dum conditur olim, / quae conlata rudem fecit vivescere limum, / utpote de liquido naturae semine primos / accipiens habitus superoque expressa sereno. V gl. auch apoth. 818f. 828 und cath. 3, 186/190 (dazu unten S. 237-242). Die góttliche Herkunft und die rein geistige Natur der Seele bringen auch die Verse cath. 3, 99f. zum Ausdruck, wobei die Immaterialitát der Seele aber nur indirekt angezeigt wird durch den Gegensatz
zur Stofflichkeit der kórperlichen Substanz und durch die Wirkung der Seele auf den Stoff. Anders als im Lehrgedicht steht im lyrischen Schópfungsgedicht eben nicht die Natur des Menschen im Vordergrund, sondern Gottes persónliches Handeln
am Menschen. Indem der Dichter Gottes schópferisches Tun besingt, preist er zugleich den Menschen als gróBte Schópfungsgabe. Die anthropologische Hauptaussage der Verse ist daher die, daB der Mensch mit Leib und Seele Gottes Werk ist, ein Faktum, das Prudentius in einem anderen Zusammenhang durch dieselbe Bildlichkeit wie hier hervorhebt, vgl. apoth. 776/8 ipse gerit, quod struxit, opus nec ferre pudescit/ factor, quod peperit. corpus loquor atque animae vim; / finxerat hoc digitis, animam sufflaverat ore. / totum hominem deus adsumit, quia totus ab
ipso est, / et totum redimit, quem sumpserat (dazu auch oben S. 140f.).
materies:
im christlichen Sprachgebrauch vom Stoff der Weltschöpfung, z. B. Iren. adv. haer.
2, 10, 4; Lact. inst. 1, 5, 9; Ambr. hex. 1, 2, 5; Prud. apoth. 724; insbes. wie hier
V. 96-100
145
vom Stoff, aus dem der menschliche Körper geformt ist, z. B. Tert. bapt. 3; cam. 8 Legimus plane: ‘primus homo de limo, secundus homo de caelo'. Non tamen ad materiae differentiam spectat; anim. 21, 3; resurr. 4, 2; Aug. civ. 13,3 (s. ThLL VIII, 455f., 43ff.). Auch vom Leib Christi, Gaudent. serm. 19, 31 suscepti hominis
materiam; Sedul. op. pasch. 4, 18; Prud. apoth. 167 nunc nova materies solidata intercute flatu, / materies sed nostra tamen de virgine tracta (Gnilka, Prud. I, 551).
rata: griech. κύριος 'vollgültig, rechtskräftig’. Prudentius nutzt einen Ausdruck aus der Rechtssprache - ratus bezeichnet die Bekrüftigung eines Rechtsgeschäftes (vgl. Heumann/Seckel, 491f. s. v. ratus) —, um die Beseelung und Belebung der Materie zu beschreiben. Zugrunde liegt vielleicht das Bild der 'Besiegelung' des geschaffenen Leibes, der erst durch die Verbindung mit der Seele zur lebendigen
*Vollsubstanz' wird. Vgl. auch den biblischen Lobpreis auf den Menschen als 'vollendet gestaltetes Siegel', (Vulg.) signaculum similitudinis (Ez. 28, 12). Zu Vers 100 ore animam dedit ex proprio bieten einige HSS (C, D, UNEMOSU)
eine interpolierte Doppelfassung: V. 100a flavit et indidit ore animam. V gl. dazu Gnilka, Prud. I, 242/4. Der Codex C weist den echten neben dem unechten Vers auf,
Codex D zeigt eine Lücke nach V. 100a, die auf Wegfall der richtigen Lesart hindeutet (Die Angaben zur Bezeugung der Verse 100 und 100a in den HSS C und D
sind bei Gnilka irrtümlich vertauscht; richtig Bergman im Apparat. Hinweis Gnilka nach Kontrolle der HSS). Den Ersatzvers nehmen Obbarius, Arevalo, Cunningham, Thomson in den Text auf. Bergman rechnet mit einer Interlinearglosse, ebenso Cunningham, der allerdings V. 100 als Glosse zu V. 100a faßt. Die Dublette im Sinn der irrigen “Urvariantenlehre’ erklären Pelosi, 152/4, und Salvatore, Studi, 122/30. Von Fälschung sprechen richtig Lazzati, 225f., und Thraede, Auferstehung, 72, A. 9. Mögliche Gründe für die Fälschung führt Gnilka, Prud. I, 243. 670, an. Der Ersatzvers soll offensichtlich dazu dienen, einen vermeintlichen dogmatischen Anstof im Text zu beseitigen. Um eine irrtümliche Deutung des Verses im Sinne des Pantheismus, Emanatismus abzuwehren, formuliert der Interpolator neu - in enger Anlehnung an den Bibeltext, vgl. die oben zitierte Version der Vetus Latina von Gen. 2, 7 et insufflavit (in/suf/ad/flavit, sibilavit, [in/a]spiravit) in (eius) faciem eius (eum) spiritum ([in]spiramen[tum],
inspirationem, flatum, animam)
vitae,
und an die sonstige Ausdrucksweise des Dichters, vgl. cath. 3, 186ff. Oris opus ... quia flante deo 7 conpositus (von der Seele); cath. 11, 50f. (dies) quo te creator arduus / spiravit et limo indidit (von der Menschwerdung Christi). DaB die Betonung des 'Kürperteils' Gottes, ex ore proprio, cath. 3, 100 einen kompositorischen
Grund hat, ist oben S. 138 gezeigt. Ein mógliches dogmatisches MiBverstündnis in dieser Sache stellt der Dichter an anderer Stelle selbst richtig, vgl. apoth. 820ff. sed fortasse animam, domini quia fluxit ab ore, / conpositam factamque neges, velut ipsa dei pars, / quod dictu scelus est. Gnilka gibt noch die Möglichkeit eines weiteren, die Syntax betreffenden Motivs des Fülschers zu bedenken: Die Änderung soll vielleicht den Subjektwechsel von manus (V. 96) zu deus im zweiten Satz erleichtern, weil durch flavit das neue Subjekt schneller registriert wird.
146
C. Kommentar
Strophe 21 V. 101-105 Tunc per amoena virecta iubet frondicomis habitare locis, ver ubi perpetuum redolet prataque multicolora latex quadrifluo celer amne rigat. Im AnschluB an den feierlich preisenden Bericht von der Erschaffung des Menschen gibt Prudentius in den folgenden Versen (101-135) eine poetische Version der Paradiesgeschichte (nach Gen. 2, 8ff.). Zur Würdigung der lyrischen Darstellung
ist ein Vergleich mit späteren epischen Gestaltungen der Sündenfallerzählung aufschluBreich, vgl. Cypr. Gall. gen. 1, 26/133; Mar. Victor. aleth. 1, 387/547; Drac. laud. dei 1, 417/562; Alcimus Ecdicius Avitus, De spiritalis historiae gestis, Buch 2 (De originali peccato); Buch 3 (De sententia dei). Zumal die Werke des letztge-
nannten Dichters weisen zahlreiche Anklünge und wörtliche Übernahmen aus Prudentius auf. Der Einsatz mit tunc in V. 101 signalisiert die Fortführung der schon in Str. 20 beginnenden Erzählung: Gott gewährt dem Menschen als Wohnsitz einen Ort der
reinen Freude und Annehmlichkeit. Den Auftakt bildet daher eine ἔκφρασις τόπου, die Schilderung des Gartens Eden auf der Grundlage von Gen. 2, 8/15. Vgl. bes. Gen. 2, 8 VL et tunc plantavit (dominus) deus paradisum (hortum voluptatis / deliciarum) in Eden ad (contra, secundum) orientem et posuit ibi (constituit illic)
hominem quem finxerat (finxit, plasmavit, formavit); Gen. 2, 10 VL flumen (fons, fluvius) autem prodibat (procedit, exiit, egrediebatur) ex (de) Eden et (quod, qui) inrigabat ([in]rigat, adluit, abluit) paradisum quod inde dividitur (et postea divis-
um est) in quattuor partes/principia (initia, flumina). Prudentius entfaltet Einzelzüge der biblischen Vorlage mit Hilfe der traditionellen Motivik des locis amoenus (allgemein dazu Reynen, passim; Schönbeck, passim; Curtius, 189/209). Zum zweiten Mal in seinem Gedicht verarbeitet der Dichter die mit der aetas aurea-Topik verwandte, idealtypische Landschaftsbeschreibung. Im Unterschied zur Betonung der quasi-paradiesischen Fruchtbarkeit der Natur im vorangehenden Gabenpreis, besonders des ebenfalls als ἔκφρασις τόπου angelegten Lobpreises des von Kulturpflanzen strotzenden Ackerlandes (V. 51/5), liegt der Akzent
hier auf der Schónheit der paradiesischen
Garten-
landschaft (vgl. auch Evenepoel, Hymnus ante cibum, 130). Fontaine, paradis, 99, sieht die beiden Darstellungen funktional aufeinander bezogen. Im Rahmen der ‘Architektur des Hymnus' soll die Evokation eines ‘alexandrinischen Paradieses' im zweiten Teil den Kontrapunkt zur ‘irdisch-materiellen’ Paradiesszenerie im ersten Teil bilden und im Sinne einer ‘größeren Transparenz’ des spirituellen Gehalts wirken. Im Fahrwasser der Mystifikationstheorie verkennt Fontaine aber die eigent-
V. 101-105
147
liche dichterische Absicht. Mit der Akzentuierung der ásthetischen Seite des Paradieses orientiert sich Prudentius an den Vorgaben der Bibelstelle (dagegen Fontaine, paradis, 99). Auch der Erzähler von Gen. 2, 9f. ruft, wenn er den Garten Eden
schildert, Vorstellungen des Glücks und Heils wach, vgl. die ästhetische Wertung Gen 2, 10 omne lignum formosum ad aspectum et bonum ad escam; dazu die VL-
Übersetzungen für παράδεισος hortus voluptatis bzw. deliciarum, die geradezu als Synonyme zum Begriff locus amoenus gelten kónnen (vgl. dazu die Definitionen Serv. Aen. 5, 734 ‘amoena’ sunt loca solius voluptatis plena, quasi ‘amunia’, id est sine fructu und Serv. Aen. 6, 638). Die Hauptzüge des prudentianischen locus amoenus sind im Grunde biblisch autorisiert: die Qualifizierung als Baumgarten (Gen. 2, 9), der ewige Frühling (Gen. 2, 25; 3,7) (dazu unten S. 149f.), die Bewüsserung durch vier Stróme (Gen. 2, 10), wobei aus letzteren die Charakteristika der Blumenwiese und des Wohlgeruchs unschwer abzuleiten sind. Der Dichter schmückt nur die Angaben des biblischen Berichts aus und führt sie zu einem geschlossenen Idyll zusammen, um das herrliche Geschenk Gottes an den Menschen, einen Wohnsitz in der glücklichsten Naturlandschaft, eindrucksvoll vor
Augen zu führen. Den Angelpunkt der dichterischen Auxesis, den Kristallisationspunkt, in dem die folgende Ekphrasis sich bricht, bildet die Vergilnutzung im ersten Vers der Strophe. Mit amoena virecta (V. 101) übernimmt Prudentius eine
unverwechselbar vergilische Junktur, geprägt zur Bezeichnung des Elysiums, des Wohnsitzes der Seligen (Aen. 6, 638), in Nachahmung des ennianischen amoena salicta (ann. 39 Vahlen) an gleicher Versstelle (vgl. Norden, Vergilius, 297). Vergil beschreibt die Ankunft des Aeneas und der Sibylle beim Sitz der Seligen: devenere locos laetos et amoena virecta / fortunatorum nemorum sedesque beatas (Aen. 6, 638f.); vgl. per amoena salicta/ et ripas ... locosque novos (Enn. ann. 39 Vahlen). Indem Prudentius die Bezeichnung amoena virecta für das irdische Paradies der
Schópfungszeit in Anspruch nimmt, zeigt er, daB der biblische Gott den Ort der Seligkeit, den die heidnischen Mythen den Frommen als Belohnung für die eschatologische Zukunft in Aussicht stellen, schon den ersten Menschen bei ihrer Entstehung gegeben hat. Die absichtsvolle Evokation des Elysiums vergilischer Prägung zielt also darauf, die göttliche Wohltat des Paradieses zu erhöhen und darin die UnermeBlichkeit der Gnade Gottes vor Augen zu führen. Die in der Schónheit des Gartens sich manifestierende Güte Gottes bildet dann im folgenden
einen wirkungsvollen Kontrast zum Ungehorsam des Menschen, der dieser Gabe verlustig geht. Voraussetzung für die Anleihe bei dem paganen Dichter ist, daß das Elysium von Vergil — wie das heidnische Paradies generell — primär lokal gedacht wird (Gatz, 178) und daher für die Benennung des Gartens Eden genommen
werden
kann, ohne daß dadurch im geringsten eine ‘Einheit von irdischem und eschatologischem Paradies angedeutet’ wird, wie Fontaine, paradis, 100, A. 13, und nach
ihm Kah, 338, und Lühken, 156, behaupten (zur wórtlichen Auffassung des Berichts vom Garten Eden in der kirchlichen Tradition des Westens s. H. Beikircher,
148
C. Kommentar
Spezereien aus dem Paradies [zu Prud., cath. 5, 120, und Alc. Avit., carm. 1, 292f.]. WS. N.F 20 [1986], 261/6). Auch Vergil schildert den elysischen Hain mit den für
den locus amoenus typischen Zügen (V. 658 Duft; V. 659 Schatten; V. 674 bewässerte Wiesen), zu vergleichen ist nung durch grüne Uferwiesen in der Rede des Musaios domus; lucis habitamus opacis, / riparumque toros
flieBendes Wasser; V. 673 vor allem die KennzeichAen. 6, 673/5: nulli certa et prata recentia rivis /
incolimus. Wenn auch im einzelnen wórtliche Anklänge fehlen, so scheint doch die Anknüpfung an diese typische Darstellung des Elysiums gewollt (anders Lühken, 156). Die den Eindruck des Glücks verstärkende Synonymenhäufung bei Vergil, der das Elysium gleich vierfach benennt, macht sich Prudentius jedenfalls zu eigen, indem er den Ausdruck locos laetos aus Aen. 6, 638 (den Vergil wiederum von Ennius entlehnt, vgl. dort locosque novos) umgestaltet zu frondicomis locis (V. 102). Die Ortsangabe im Ablativus loci variiert die Angabe per amoena virecta und spezifiziert zugleich die Annehmlichkeit des Ortes durch den kühlen Schatten, den die Bäume gewähren. Insofern die dichte Belaubung der Bäume im mediterranen Klima naturgemäß eines der Hauptmerkmale der Ideallandschaft bildet, bleibt auch
bei Prudentius die Synonymität des Ausdruck, wenn auch auf einer konkreten Ebene, gewahrt. Im Zusammenhang mit der Vertreibung aus dem Gottesgarten greift der Dichter noch ein weiteres Element aus der vergilischen Congeries der Paradiesbezeichnungen auf. Mit sede pia in V. 122 spielt er auf sedes beatas an (Aen. 6, 639), den Terminus par excellence für den jenseitigen Ort der Frommen (vgl. Gatz, 174ff.; dazu unten S. 166f.), und steigert so durch die Evokation des heilen, vollkommenen Lebensraums den schrecklichen Verlust, den die ersten Menschen als Strafe
für ihre Sünde erleiden müssen. V. 101f. amoena: oft von der Schónheit eines Ortes, einer Landschaft (ThLL I, 1962, 54/1963, 54). Vom
Elysium im besonderen noch Verg. Aen. 5, 734; Plin.
13, 703; Stat. silv. 2, 6, 100; Tert. nat. 3, 1, 19; vom Paradies Lact. inst. 2, 12, 15. virecta: ist eine Neubildung Vergils, s. auch Dirae 27 optima silvarum, formosis densa virectis, sonst noch Apul. met. 4, 2. Die vergilische Junktur amoena virecta
verwendet
Prudentius auch ham.
795 zur Ausgestaltung
des Zwei-Wege-
Gleichnisses, wobei die Beschreibung des linken, leichten Weges hier die Merkmale des klassischen locus amoenus trágt (Baumgarten, Schatten und Fruchtfülle):
(cum) at laevum nemus umbriferum per amoena virecta / ditibus ornaret pomis. Spätere christliche Dichter nutzen die Wendung zur Bezeichnung des eschatologischen Paradieses (s. das Material bei Courcelle, enfers, 33f.), vgl. z. B. Ennod. carm. 2, 44, 1; Ven. Fort. Vita Mart.
1, 89; Drac. laud. 3, 752; carm. de
resurr. 191 (Waszink, 81); carm. epigr. 858, 5; Ps. Damas. epigr. 86 b3. Vgl. auch Paul. Nol. epist. 32, 12 (vom Gürtchen vor der Basilika); Sedul. carm. pasch. 1, 53 (vom Zustand nach der Taufe). frondicomis: klassisch gebildetes, aber sehr
seltenes Wort, laut ThLL VI, 1, 1346, 48/54 einziger Beleg für einen mit Laub bedeckten 'Ort'. Zur Bildung auf -comus vgl. Norden, Vergilius, 176f., zu Verg.
V. 101-105
149
Aen. 141. Zugrunde liegt die Metapher von den ‘Haaren’ der Bäume. Zum Schatten, den Bäume spenden, als Bestandteil des locus amoenus s. Schónbeck, 16. 76. 81f. 158f. u. ó.; Kettemann, 45. Den konstitutiven Zusammenhang von Schatten und Annehmlichkeit des Ortes beleuchtet die Definition von amoenus bei Isid. diff. 1, 42
at contra opacum condensum est et umbrosum, sicut et amoenum. amoena autem dicta eo quod amentur, vgl. auch Serv. Aen. 7, 30 amoeno. umbroso. silvis circumdato; Porph. Hor. carm. 1,21 locus ... opacitate et Paeneo flumine amoenus. V. 103. Der Vers verbindet den Aspekt des ewigen Frühlings, d. h. des milden, ausgeglichenen, keinerlei Extremen unterworfenen Klimas, mit dem des Duftes,
den die immerblühenden Blumen und Sträucher verstrómen.
— ubi: in V. 53 an
gleicher Versstelle (s. oben S. 97f.). Der formelhafte Relativsatz gehört dort zum Lobpreis des Ackers, der als Inbegriff einer sommerlichen, fruchtprangenden Ideallandschaft geschildert wird. Hier leitet ubi die Beschreibung einzelner Vorzüge des Paradiesgartens ein. Mit fast wórtlichem Anklang an Hor. carm. 2, 6, 17 ver
ubi longum tepidasque praebet / Juppiter brumas.
— redolet: Immerwührender
Wohlgeruch zeichnet auch das Elysium bei Vergil aus (Aen. 6, 658 inter odoratum lauris nemus) und findet sich auch sonst als Charakteristikum z. B. der Inseln der
Seligen (Lukian, v. h. 25, dazu Gatz, 210). ver perpetuum: Prudentius schreibt den Hauptzug antiker Paradiesvorstellungen, das milde Klima, auch dem Garten
Eden zu. Dieser Zug wird zwar im Genesisbericht nicht eigens erwähnt, läßt sich aber aus der BlóBe der ersten Menschen erschließen (Gen. 2, 25; 3, 7) (vgl. Gatz, 209). Das Eukrasie-Motiv, mit dem des ewigen Frühlings nicht automatisch gleichzusetzen (vgl. z. B. Hor. epod. 16, 53/6. 61f.; Bómer zu Ov. met. 1, 107), aber sehr oft identisch (Gatz, 187; Reynen, 416), gehórt zur Beschreibung idealer, utopischer Landschaften seit Homer (s. die Stellen bei Gatz, Reg. 229, B 13), z. B. Hom. Od. 4, 563ff.; Pind. O. 2, 62ff.; Lukian 2, 5; Prop. 4, 7, 59ff. Der Topos des ewigen Frühlings in der lateinischen Dichtung z. B. Verg. georg. 2, 149 hic ver adsiduum atque alienis mensibus aestas: / bis gravidae pecudes, bis pomis utilis arbos (laudes Italiae); Hor. carm. 2, 6, 17 ver ubi longum tepidasque praebet / Juppiter brumas (Lob Tarents); Ov. met. 1, 107f. Ver erat aeternum, placidique tepentibus auris / mulcebant Zephyri natos sine semine flores (Umwelt der aetas aurea) (zur Einfüh-
rung des Motivs in Beschreibungen der goldenen Zeit durch Ovid s. Reynen, 416f.; Gatz, 187; Bómer zu met. 1, 107). Die Junktur, die Prudentius im Wortlaut hat, stammt aus einer weniger zentralen 'Paradiesdarstellung' Ovids, aus der Ekphrasis
des sizilischen Hains der Proserpina (met. 5, 391), vgl. met. 5, 388ff. silva coronat aquas cingens latus omne suisque / frondibus ut velo Phoebeos submovet ictus. / frigora dant rami, Tyrios humus umida flores: / perpetuum ver est. Auch hier ist das Frühlingsmotiv verbunden mit der Kühlung spendenden Bewaldung und der Blumenpracht. Die Junktur auch metaphorisch für den Blumenschmuck auf dem Grab Juv. 7, 208 di maiorum umbris tenuem et sine pondere terram / spirantisque crocos et in urna perpetuum ver, und Auson. epigr. 13, 8, 3 (Green, 67) perpetuum mihi ver agit illacrimabilis urna / et commutavi saecula, non obii. Das Motiv des
150
C. Kommentar
ewigen Frühlings lebt in späteren christlichen Paradiesdarstellungen fort, vg]. Mar. Victor. aleth. 1, 227f.; Drac. laud. dei 1, 184ff.; als Hinweis auf die temperatio caeli bei Commodian. instr. 2, 3, 12; Alc. Avit. carm. 1, 218ff.; Sidon. Apoll. 2, 410
(Gatz, 229 Reg.). V. 104f. Die Verse transponieren Gen. 2, 10 ins Lyrische: (VL Version L) flumen (fons, fluvius) autem prodibat (procedit, exiit, egrediebatur) ex (de) Eden et (quod, qui) inrigabat ([in]rigat, adluit, abluit) paradisum quod inde dividitur (et postea
divisum est) in quattuor partes/principia (initia, flumina). prata multicolora: Umschreibung für die Blumenwiese, die ebenfalls einen stehenden Zug des locus amoenus bildet. In ihr tritt der frühlingshafte Charakter der Landschaft erneut zutage (s. Schónbeck, 39). Blumenfülle und grüne Wiesen zeichnen im besonderen den jenseitigen Glücksort, das Elysium oder die Inseln der Seligen aus (z. B. Pind. O. 2, 70/74; Verg. Aen. 6, 658. 674 [oben S. 148 zitiert]). Die blühenden Wiesen erkláren den Duft (redolet V. 103). Wohlgeruch und Farbenpracht zusammen assoziieren eine Atmosphäre umfassenden sinnfälligen Glücks, die durch die Erwühnung der Wasserfülle um eine weitere Sinnesebene erweitert wird. Celer (V. 105) evoziert das Geräusch des rasch fließenden Stroms (zur Sensualität des locus amoenus Schönbeck, 15f.). multicolora: unklassisches, äußerst gesuchtes
Wort, sonst eher im technischen Sinn von schillernden Mineralien (Plin. nat. 37, 167) und gefärbten Stoffen (Apul. met. 11, 3, 5) (Fontaine, paradis, 100); Apul. mund. 16 vom Regenbogen. Prudentius hat es noch perist. 11, 124 (von der bunten Farbe des Wandgemäldes). In Bezug auf die Blumenpracht s. noch Sidon. epist.
9, 13, 2 violis multicoloribus. Hüufiger finden sich Beschreibungen mit den Bestandteilen des seltenen Kompositums, sie mógen für den ungewóhnlichen Gebrauch den Ansatz geboten haben. Siehe z. B. die Umschreibung des Frühlings Verg. georg. 4, 306 ante novis rubeant quam prata coloribus, ante / garrula quam tignis nidum suspendat hirundo. Die Stelle hält Mahoney, 134, für die mögliche Vorlage, s. aber auch Lucr. 5, 785 florida fuiserunt viridanti prata colore (vom
Weltfrühling). Die im Frühling entstehende Farbenfülle preist Ovid fast. 5, 213f. saepe ego digestos volui numerare colores, / nec potui; numero copia maior erat (dazu Schönbeck, 42). latex celer: Reichlich flieBendes Quellwasser darf im Bild der paradiesischen Landschaft nicht fehlen (Schónbeck, 19ff.). Prudentius gestaltet die biblische Vorgabe von den vier Paradiesflüssen ganz im Stil des locus amoenus. Er bedient sich dabei unaufdringlicher, aber wirkungsvoller sprachlicher Mittel. Hyperbata (latex — celer, quadrifluo — amne) deuten eine mäandrische Windung der FluBlüufe an, wodurch zugleich eine weitumgreifende Bewässerung suggeriert wird. Lautmalende k- und l-Laute verstärken den Eindruck des lebhaften, reichen FlieBens. celer: Fließendes Wasser assoziiert Lebendigkeit und Bewegung. Celer ist geradezu stehendes Epitheton von Flüssen, s. ThLL III, 751, 31/8; z. B. Tib. 1, 7, 11 Rhodanusque celer, Ov. am. 2, 13, 9 Nilus; Auson. Mos.
1. Hier in
bezug auf latex, poetisch und metonymisch für die ‘Quelle’, mit Vertauschung der Adjektive, also eigentlich celer amnis, quadrifluus latex. amne: bezeichnet ge-
V. 106-110
151
nerell flieBendes Wasser, hier fast synekdochisch von der Bewegung des Wassers, ‘Strömung’, ‘Flut’ (ThLL I, 1947, 78/1948, 10). Zur Junktur celer amnis s. Tac. ann. 2, 11; Avien. orb. terr. 1176. Im Vergleich zu flumen, fluvius ist amnis ein poetisches Wort (ThLL I, 1943, 5f.). Interessant ist die etymologische Ableitung von amoenus, die Isid. orig. 13, 21, 3 liefert: amnis fluvius est nemore ac frondibus redimitus et ex ipsa amoenitate amnis vocatur. quadrifluo: ein Neologismus, gebildet nach den Komposita mit -fluus (circumfluus, z. B. Ov. met. 15, 739; refluus, Claud. carm. min. 30, 80; interfluus, Sol. 53, 3). Das metrisch bequeme, choriambische Wort gibt der biblischen Angabe (Gen. 2, 10 flumen ... quod inde dividitur in quattuor principia) einen feierlichen Klang (Fontaine, paradis, 101). Bei der Zahlenangabe geht es nicht nur um historische Genauigkeit. Die Zahl un-
terstreicht wie der Pleonasmus latex, amne die Fülle an Wasser, die den Garten Eden zum blühenden Paradies macht. rigat: nach der biblischen Vorlage, kennzeichnet die lebensspendende Funktion des Wassers. Die Bewüsserung durch die
vier Stróme bringt die prata multicolora erst hervor. Zu vergleichen ist Verg. georg. 2, 485 rura mihi et rigui placeant in vallibus amnes, ohne daB man mit Mahoney, 134, von Imitation ausgehen muß. S. z. B. auch georg. 4, 32 inriguumque bibant violaria fontem; Tib. 2, 1, 44; Ov. am. 2, 16, 2. Fontaine, paradis, 101, überfrachtet die Schilderung der Verse 104f. mit einem Symbolgehalt, dessen Sinn er selbst nicht näher zu erklären vermag, vgl. „Transparence et rapidité du latex celer, repris
en un pléonasme expressif [...), expriment ici l'attention personelle de Prudence au théme symbolique, et si riche de résonances chrétiennes, de l'eau vive". Im
AnschluB daran auch Lühken, 157, A. 140. Strophe 22
V. 106-110 'Haec tibi nunc famulentur ', ait;
'usibus omnia dedo tuis, sed tamen aspera mortifero stipite carpere poma veto, qui medio viret in nemore". Ausführlich, ja geradezu pleonastisch, gestaltet Prudentius die Verse Gen. 2, 16f.:
Gott verbindet die Übergabe des Paradiesgartens an den Menschen mit dem Verbot, vom Baum in der Mitte des Gartens zu essen. Die direkte, unmittelbare Anrede Gottes an den Menschen übernimmt der Dichter aus dem Genesisbericht, vgl. Gen. 2, 16f. VL et praecepit (locutus est, dixit) dominus deus Adae (ad Adam) dicens ex (de, ab) omni ligno (fructu ligni) quod est in paradiso edes ad escam (escas comedes) de ligno autem (a arbore, ex fructu autem ligni) scientiae (dignoscentiae, sciendi, cognoscendi) boni et mali (quod est in medio paradisi) non edetis ab eo (ne comeda([ti]s, comedes, tetigeritis ex illo) (ab eo non manducabitis) (nec tangetis
152
C. Kommentar
illud ne moriamini) qua die enim (in quacumque die autem etc.) ederitis ab illo (comederi[ti]s, manducaveritis etc.) morte moriemini (morieris). Die wörtliche
Rede in Genesis 2 und 3 veranschaulicht den táglichen Umgang Jahwes mit den ersten Menschen (s. Westermann, 304) und spiegelt so das urzeitliche Gottesverhältnis. Der persönliche Verkehr zwischen Göttern und Menschen gehört zum Bild der antiken Idealzeit (s. das Material zur Theoxenie Gatz, 230, Reg. II, 2.
3. 4). Auch bei Prudentius vermag im Anschluß an das Lob des locus paradisi die Darstellung der Gottesgemeinschaft dazu beitragen, die Vorstellung vom vollkommenen Urzustand abzurunden. Indirekt wird noch ein weiteres Attribut des Paradies-Topos nachgereicht, wenn nümlich die Fruchtbarkeit des Obstgartens (vgl.
Gen. 2, 9), die in Strophe 21 ausgespart wurde, hier vorausgesetzt wird. Primär verfolgt der Dichter aber mit seiner Gestaltung ein anderes Ziel. Wie die Paradiesbeschreibung nicht Selbstzweck ist, sondern sich einreiht in die Darstellung der Wohltaten Gottes am Menschen, so betont Prudentius auch hier den für sein
Schópfungslied relevanten heilsgeschichtlichen Aspekt. Die Übergabe des Gartens ebenso wie das Kondeszendenz liche Anrede an Ausdrucksweise
Verbot der todbringenden Frucht stehen ganz im Zeichen der und Fürsorge des Schópfergottes. Das unterstreichen die persónden Menschen sowie der Bau der Verse und die pleonastische nachdrücklich.
V. 106f. Die Freigabe aller anderen Bäume des Gartens (Gen. 2, 16) formt Prudentius
zur Übergabe des Paradieses und seines Überflusses an den Menschen. Die Gabe entspringt dem Willen Gottes, den Menschen mit allem Notwendigen zu versorgen. Diese Motivation wird durch die Doppelung der Aussage hervorgehoben. Die Junktur usibus tuis (V. 107), der Hyperbaton sowie Anfangs- und Endstellung Gewicht verleihen, variiert den Ausdruck tibi famulentur (V. 106). Haec bezieht sich auf den Paradiesgarten, der im folgenden auch als Obstgarten qualifiziert wird. Evenepoel, Hymnus ante cibum, 130, irrt daher, wenn er in V. 106f. die biblische Grundlage zu Strophe 8 vorfindet. Der dort besungene Auftrag an den Menschen, sich die übrige Schópfung untertan zu machen, ist schon aufgrund seiner universalen Geltung von der Übergabe des begrenzten paradiesischen Lebensraums zu unterscheiden (anders Dracontius laud. dei 1, 408/15, der aber Gott den Schópfungsauftrag nach der Vertreibung aus dem Paradies erneuern läßt, vgl. 1, 570ff.).
Prudentius schafft allerdings bewuBt einen Anklang an die Verse 36/40 (vgl. omnia mit cuncta [V. 36], dedo mit dedit [V. 36]) und stellt so die ursprünglich von Gott eingerichtete, dann aber verlorengegangene Form der Nahrungsgewährung im Paradies und die für alle Zeit gültige Unterwerfung der Erde zu Diensten des Menschen auf eine Linie, die der Fürsorge Gottes für sein Geschópf. Einen groBartigen Ausdruck findet der góttliche Plan in der Personifikation der dienenden Gartennatur. famulentur: famulari wird eigentlich von Personen gebraucht (s. ThLL VI, 1, 262, 15ff.), übertragen von der dem Nutzen dienenden Natur, z. B. Plin. nat. 2, 157 (terra) cruciatur ... multo plus ut deliciis quam ut alimentis famuletur nostris,
V. 106-110
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Lact. inst. 2, 5, 6 opera dei commodis atque usibus hominis perpetua necessitate famulari; Hier. in Eph. 5, 20 nobis serviunt pluviae, terra parturit, elementa famulantur (ThLL VI, 1, 263, 71/81). Das Bild von der Unterordnung der dienenden Schópfung unter ihren Herrn, den Menschen, entwirft Prudentius auch ham. 191ff. dominum quoque conditioni / inpositum, natura soli pelagique polique/ ut famulans homini locupletem fundere partum / nosset et effusum terreno addicere regi. Die vielleicht absichtsvolle Aufnahme von famulentur in famulis, bezogen auf den Menschen (cath. 3, 171), zeichnet auf semantischer Ebene einen Zusammenhang in der Schópfungsordnung nach, der V. 40 explizit formuliert wird (s. oben
S. 85f.) und die Stellung des Menschen in der Welt beleuchtet: So wie die übrige Schópfung dem Menschen dient, dient der Mensch Gott. dedo: mit kurzer letzter Silbe. Zur Messung des auslautenden -o bei spätantiken Dichtern seit Juvencus s. Zwierlein, 31/3; Mazzega, 81; bei Prudentius s. Gnilka, Prud. I, 107. 656.
V. 108-110. Mit der vollen Wucht der düsteren Todesdrohung hebt der zweite Teil der Rede an. Das Verbot, vom Baum in der Mitte des Gartens zu essen, trágt daher auch den Charakter einer Warnung: Es soll den Menschen vor dem Tod bewahren, der als Folge des Essens zu erwarten ist, und ist somit wieder als Ausdruck der góttlichen Güte und Fürsorge zu verstehen. Durch tamen verstürktes sed steigert die Eindringlichkeit der Warnung, wührend die Aufeinanderfolge aspera — mortifero die unheilvolle Stimmung des Todes heraufbeschwört. Mortifero als sinntragendes Wort wird durch Endstellung im Vers hervorgehoben. Erst der folgende Vers nennt die Handlung, vor der gewarnt wird: carpere poma. Prudentius wählt
einen dichterischen Ausdruck für das ‘biblische’ Essen; vgl. Verg. ecl. 9, 50; georg. 4, 134; Priap. 23, 1; 58, 3; Ov. ars 3, 576; Petron. 82; Porph. Hor. carm. 1, 11, 8;
Nemes. ecl. 3, 39; Optat. 7, 1; Cypr. Gall. lev. 179 (ThLL III, 492, 7/12); zu vergleichen ist auch die Wendung alimenta mitia carpere (Ov. met. 15, 478), die auf die vegetarische Nahrung geht. aspera poma: spielt mit dem Doppelsinn von asper. Vordergründig liegt die eigentliche Bedeutung asper gustu, ‘bitter, herb dem Geschmack nach’, nahe (i. q. amarus, von Speisen z. B. Verg. georg. 4, 277 asper in ore sapor, Sen. epist. 63, 5 poma ... suaviter aspera; Sol. 46, 4 malum ... sapore asperum et amaritudinis merae [ThLL II, 810, 16/26]). Die Nebeneinanderstellung von aspera und mortifero gibt dem Adjektiv allerdings die Konnotation von 'grausam, unheilvoll'. Asper in diesem übertragenen Sinn z. B. als Attribut von bellum (Ov. epist. 8, 26), pugna (Verg. Aen.
11, 635), vom Todesschicksal (Verg. Aen.
6, 882 fata aspera ; Ov. Pont. 3, 6, 14); bei Prudentius als Epitheton des Todes perist. 5, 541;
10, 173; dazu cath.
10, 88: aspera mundi. In der Junktur aspera
poma kann man vielleicht eine bewußte Umformung der mitia poma (‘reife Äpfel’ nach Servius) aus Vergils Eklogen sehen (ecl. 1, 80), eine Verbindung, die Prudentius schon in V. 77 nutzt: munera mitia heiBt es in bezug auf die Apfel, d. i. das Symbol der reichen vegetarischen Kost, welche die Schópfung zu bieten hat. Prudentius bildet also den Gegenbegriff zur erlaubten Speise par excellence (munera mitia), um die verbotene Speise schlechthin zu bezeichnen (aspera poma). Die dietetisch-
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C. Kommentar
asketische Ebene des Gabenkatalogs wird hier mit der biblisch-heilsgeschichtlichen der Paradieserzáhlung verklammert durch das Motiv des Speiseverbots. Neu ist die Sanktion des Todes, die bei Nichtbeachtung des Verbots folgt. Das Motiv der todbringenden Speise wird dann V. 178. 182f. noch einmal im paränetischen Kontext aufgenommen (dazu unten S. 231. 233f.). stipite: bezeichnet per synecdochen den Baum; vgl. auch Ov. fast. 3, 37; Claud. cons. Prob. et Olyb. 179. Der bloße Ablativus separativus ist geláufige Konstruktion bei carpere, z. B. Ov. am. 2, 19,
31 arbore frondes.
mortifero: gesuchtes, episches Wort (ThLL VIII, 1517f.), in
bezug auf stipite suggeriert es zunächst die Vorstellung einer giftigen Frucht (vgl. Manil. 4, 110 herbas; Sen. Oed. 555 taxus). Wie bei aspera poma überlagert auch hier der uneigentliche Sinn den eigentlichen, wobei die Ambivalenz des Ausdrucks die Bedeutung des Zusammenhangs von Essen und Tod in einer eigentümlichen Schwebe hält. Der christliche Leser weiß und erfährt auch im späteren Verlauf des
Gedichts, daB der hier gemeinte Tod eben nicht die unmittelbare physische Reaktion auf das Essen der Apfel ist, sondern der Verlust der Unsterblichkeit als Strafe für
den Ungehorsam gegenüber Gott. qui medio viret in nemore: Der Relativsatz liefert die genaue Kennzeichnung des verbotenen Baumes, seinen 'Namen'. Die Bezeichnung ‘Baum in der Mitte des Gartens’ findet sich Gen. 2, 9 und 3, 3. Gen. 2, 16f. spricht vom ‘Baum der Erkenntnis von Gut und Böse’ (nach Westermann, 303, eine sekundäre Hinzufügung), die Prudentius nicht aufgreift. Wenn Prudentius die topographische Angabe übernimmt, so deshalb, weil darin die Sorge Gottes um den Menschen manifest wird. Denn nur, wenn der verbotene Baum genau be-
stimmt wird, kann die Warnung greifen und der Mensch den nótigen Abstand halten. Die dichterische Umsetzung der Bezeichnung lignum quod est in medio paradiso bleibt gerade um des biblischen Anklangs willen zurückhaltend. Medio nemore wird durch Hyperbaton und Stellung (vor der Trithemimeres und vor dem Versende)
herausgehoben.
Nemus ist dichterisch regelrechter Ausdruck für den Wald, inso-
fern wirkliche Bäume gemeint sind (zum Unterschied zwischen silva, d. i. jede Art von Gestrüpp, und nemus s. Richter, Georgica, 187, zu Verg. georg. 2, 21). Sacrum
nemus heiBt das Paradies Alc. Avit. carm. 2, 12.
viret: anstelle von est. Das
frische Grün spiegelt die Schónheit des Paradiesgartens und deutet zugleich den Reiz des verbotenen Baumes an. Die Zusammenstellung von nemus und virere findet sich auch Verg. ecl. 7, 59 nemus omne virebit und georg. 2, 20f. his genus omne / silvarum fruticumque viret nemorumque sacrorum. Auch ein gewollter Anklang an die Bezeichnung des Elysiums bei Verg. Aen. 6, 639 fortunatorum nemorum ist nicht auszuschließen (s. o. zu V. 101f. und u. zu V. 122).
V. 111-115
155
Strophe 23 V. 111-115 Hic draco perfidus indocile virginis inlicit ingenium,
ut socium malesuada virum mandere cogeret ex vetitis
ipsa pari peritura modo. Die Verse 111-115 bieten eine gestraffte Version des Sündenfallgeschehens, das Gen. 3, 1/6 berichtet wird. Im Vergleich zur Genesis-Erzählung läßt Prudentius
sowohl die Dialog-Szenerie als auch die darin gegebene Motivation für den Frevel weg, die Verlockung durch den reizenden Anblick der Frucht und das Streben nach Klugheit und Erkenntnis. Die Gen. 2, 18/25 erzühlte Erschaffung der Frau wird vorausgesetzt. Der Dichter konzentriert seine Darstellung ganz auf den Vorgang der Versuchung, den er als Verführungskette gestaltet. Die Schlange verführt die Frau dazu, ihrerseits den Mann zu verführen, vom verbotenen Baum zu essen. Syntaktisch spiegelt sich die Verkettung zweier Verführungsakte in dem mit einem Subjektwechsel verbundenen Finalsatzgefüge, das sich über die ganze Strophe erstreckt. Dieser Kunstgriff läßt die Rolle des Versuchers hervortreten. Es ist der Teufel, der die Frau verführt und damit zum Verursacher des Sündenfalls der Men-
schen wird. Explizit bringt das der interpolierte Vers 126 zum Ausdruck, wo es von der Schlange heißt Auctor et ipse doli coluber. Vgl. auch die breiten Ausfüh-
rungen des Dichters im Lehrgedicht “Über den Ursprung der Sünde’ (ham. 126ff.): Der Teufel ist Urheber der Sünde, z. B. ham. 126 patrem scelerum; ham. 155. 159 inventor vitii. 203f. hinc natale caput vitiorum, principe ab illo / fluxit origo mali, aber nicht allein, denn der Mensch bietet ihm ein Betätigungsfeld, so ham. 553ff., vgl. 557/9 ille quidem fornes nostrorum et causa malorum est, / sed tantum turbare potest aut fallere, quantum / nos volumus. In ähnlicher Weise wie cath. 3, 111ff. rückt den Verursacher der Ursünde in den Vordergrund die bildhafte Darstellung
des Sündenfalls tit. 1ff., bes. Vers 4 draco victor (dazu Charlet, bible, 25f.). Vgl. Prud. tit. 1/4: Eva columba fuit tunc candida, nigra deinde / facta per anguinum malesuada fraude venenum / tinxit et innocuum maculis sordentibus Adam; / dat
nudis ficulna draco mox tegmina victor. Allerdings ist der Blick hier auf die Veränderung gerichtet, die Adam und Eva infolge des Schlangengifts der Sünde erfahren: Ihre physische Verfürbung dient als Spiegel der geistigen Befleckung (dazu Gnilka, Prudentiana, 84/6 = Prud. II, 198/200; zu dieser wichtigen Parallele s.
auch unten S. 156. 163). Der Aufbau der Strophe ist dreigeteilt: Verführung der Frau durch die Schlange (V. 111f.), Verführung des Mannes durch die Frau (V. 113f.), zukünftige Folge des Sündenfalls (V. 115). Im ersten Teil verdichtet Prudentius die Verführungsszene aus Gen. 3, 1/6 (vgl. auch Gen. 3, 13) zu einer einzigen Aussage, die in kunstvoller
156
C. Kommentar
Manier den Verführer und die Verführte mit ihren signifikanten Eigenschaften gegenüberstellt: draco perfidus indocile / virginis ... ingenium. Perfidus kennzeichnet den Bósen schlechthin, der mit List und Tücke Verderben bringt. Das Tun des Teufels entspricht daher seinem Wesen: illicit (für biblisches seduxit oder decepit [Gen. 3, 13 VL; 2 Kor. 11, 3]) deutet das Bild des teuflischen Fallenstellers an (vgl. ham. 136/48), der durch trügerische Rede die Menschen zum Kosten der verderbenbringenden Frucht zu verleiten sucht. Zum Teufel als Meister der Verführungskunst s. Kallis, 705f. (s. van der Nat, Geister). Mit der Hinterhältigkeit der Schlange kontrastiert die Arglosigkeit der verführten Frau. /ndocile ingenium, durch Hyperbaton und Setzung ans jeweilige Versende betont, bezeichnet die Sinnesart
der Frau, ihre Unerfahrenheit und Unschuld, die sie zum Opfer der Verführung werden láBt. Zur Deutung der Eva-Gestalt bietet Prudentius selbst wieder im ersten der Bildepigramme eine Parallele (tit. 1/4 oben S. 155 zitiert). Mit Hilfe des Bildes der Verfärbung der Haut von Weiß zu Schwarz kontrastiert er hier den paradiesischen Zustand der Integrität und Unschuld, der die ersten Menschen auszeichnet, mit der spirituellen Befleckung infolge der Sünde. Eva - der Name fällt bei Prudentius nur hier — wird mit einer weißen Taube gleichgesetzt, dem Symbol für Einfalt und Unschuld
schlechthin, Adam
heißt innocuus, bevor Eva die Befleckung an ihn
weitergibt. Vgl. z. B. auch Justin. dial. Tryph. 100, 4, der in Analogie zur Jungfrau
und Gottesmutter Maria die Unverdorbenheit Evas vor dem Sündenfall hervorhebt: Παρθένος yàp οὖσα Εὔα καὶ ἄφθορος, τὸν λόγον τὸν ἀπὸ toU ὄφεως συλλαβοῦσα, παρακοὴν καὶ θάνατον ἔτεκε. Vgl. bes. Ambr. parad. 13, 63 (unten S. 162 zu Str. 24 zitiert). Die Arglosigkeit und Unschuld der Stammeltern unter-
streicht auch Drac. laud. dei 1, 465/7 (Moussy/Camus, 175) quaerit opem sceleri (sc. livor edax serpentis), per quam fallatur honestas / simplicitasque cadat vel credula corda reatum / incurrant non fraude sua, sed clade perenni (vgl. auch laud. dei 1, 437/40. 478; Alc. Avit. carm. 2, 98f.). Auf Unschuld und Reinheit deutet auch die Bezeichnung virgo für Eva. Darin liegt vielleicht eine Anspielung
auf das Fehlen von Sinnlichkeit und sexueller Begierde im Paradies. Die altchristliche Tradition sieht gerade in der Konkupiszenz die wichtigste Folge des Sündenfalls (z. B. Aug. pecc. mer. 1, 16, 21; civ. 14, 17; c. Iulian. op. imperf. 4, 79; Wilpert, 73ff.). Die Jungfräulichkeit Evas läßt sich biblisch aus dem Fluch Gen. 3, 16 ableiten (vgl. auch das Referat der Verfluchung der Frau cath. 3, 123ff., s. u. S. 167f. 169f.), die Analogie, die Paulus 2 Kor. 11, 2f. zieht zwischen Eva und der jungfráulich reinen Gemeinde, die sich verführen läßt, setzt ebenfalls die urzuständliche Unschuld Evas voraus. Auch unter kompositorischem Aspekt scheint das Wort virgo für Eva nicht ohne tiefere Absicht gewählt. Es bereitet die EvaMaria-Parallele vor, die einen Angelpunkt der prudentianischen Exegese im folgenden bildet (cath. 3, 146ff.).
Unmittelbare Folge der Verführung durch die Schlange ist, daß die Frau selbst zur Verführerin des Mannes wird (V. 113). Der eigentliche Frevel, das Essen von der verbotenen Frucht, erscheint somit als das Ergebnis und Ziel eines doppelten
V. 111-115
157
Verführungsaktes (V. 114). Um die Veründerung der Frau zum Bósen, ihre Wandlung zur Verderberin des Mannes zu bezeichnen, entleiht Prudentius aus der Dichtersprache das ausdrucksstarke Adjektiv malesuada. Das Kernwort wird durch das
gesperrte Objekt umrahmt und durch zweifache Alliteration (-suada / socium, male/ mandere) zusützlich hervorgehoben. An der Parallelstelle tit. 1/4 bezieht Prudentius den Ausdruck auf die trügerische Schlange selbst — mit Enallage Adiectivi malesuada fraude (V. 2). In cath. 3, 113 macht das Attribut, auf Eva übertragen, den Erfolg der Verführungskunst der Schlange deutlich. Denn durch den Bösen übel beraten, wird die Frau selbst zur schlechten Ratgeberin für ihren Gefährten. Indem sie das Verhalten des Versuchers nachahmt, wird sie zur Handlangerin des Diabolus. Die Parallelität der beiden Versuchungsvorgänge unterstreicht Prudentius tit. 1/4 durch das Bild des Verfürbens, vgl. nigra deinde / facta — tinxit et innocuum maculis sordentibus Adam, sowie den Bau der Verse, speziell die parallele Anfangsstellung der Verben in V. 2f. (s. dazu auch Gnilka, Prudentiana, 86 = Prud. II, 200).
Vgl. auch die Anklage Evas bei Joh. Chrys. in Gen. hom. 2, 16 (PG 53, 130) τίνος ἕνεκεν καὶ τὸν ἄνδρα κοινωνὸν λαμβάνεις τοῦ χαλεποῦ τούτου πταίσματος,
καὶ ᾧ βοηθὸς εἶναι ἐτάχθης, τούτου ἐπίβουλος γίνῃ; Prudentius betont durchaus im Einklang mit Gen. 3 die aktivere Rolle der Frau beim Sündenfall. Eine frauenfeindliche, polemische Tendenz hat schon in apokryphen jüdischen Schriften (z. B. áthHen., Jub., Apk Mos., vgl. aber auch Sir. 25, 24 und bes. 2 Kor. 11, 3; 1 Tim. 2, 13f.) zu einer Auslegung von Gen. 3, 6 im Sinne von 'Evas Sündenfall' geführt, wobei Adams Beteiligung nicht erwähnt oder sogar verneint wird (1 Tim. 2, 14). In der frühchristlichen Deutung erscheint die Frau als ‘Inbegriff der Verführung’,
vgl. z. B. Tert. cult. fem. 1, 1, 2 diaboli ianua; Ambr. exp. Luc. 2, 28 peccatum a mulieribus coepit (Thraede, Frau, 256f.). Prudentius' Intention liegt aber nicht in einer wie auch immer motivierten Abwertung und Geringschätzung der Frau. Der Dichter hebt hier Eva als Gegenüber des Teufels heraus, um die heilsgeschichtliche Stellung vorzubereiten, die er der ersten Frau später in der typologischen Exegese von Gen. 3, 15 zuweist (s. u. zu cath. 3, 146/55). Auch im Bericht der Verdammnis cath. 3, 121/5 referiert Prudentius entsprechend nur die Strafankündigung Gottes für die Frau und die Schlange und läßt Adams Verfluchung (Gen. 3, 17/9) aus. Der Tod als Straffolge der Sünde impliziert, daB im paradiesischen Urzustand die Menschen die Gabe der Unsterblichkeit besaBen. Zum Verlust der Unsterblichkeit durch den Sündenfall vgl. z. B. Ambr. parad. 14, 70 (CSEL 32, 1, 328) de quibus, inquit (sc. Deus), bonis, de qua beatitudine, de qua gratia in quam miseriam recidisti? dereliquisti vitam aeternam et adtumulatus es morti, consepultus errori, die Erórterung Aug. civ. 13 passim, dazu civ. 14, 15 (Dombart/Kalb II, 35) mortuus spiritu volens et corpore moriturus invitus, desertor aeternae vitae etiam aeterna, nisi gratia liberaret, morte damnatus. Eindrucksvoll die Klage des Sedulius über das nun einbrechende Unheil des kurzen Lebensloses (carm. 2, 9/17 [CSEL 10, 44f.) Pro dolor! aeterni fuerant duo. crescere posquam (sic) / Coepit origo, perit clademque a semine sumpsit. / Quid numerosa dies, quid tempore proderat illo / Cernere
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C. Kommentar
nongentos ultra feliciter annos / Progeniemque senum decimam spectare nepotum / lamque suum nescire genus: cum victa supremis / Cursibus extremae sors inreparabilis horae, / Sera licet, ventura foret longumque per aevum / Vita brevis nihil esse diu cum fine doleret? V gl. auch Mar. Victor. aleth. 1, 387/91. Wird in Strophe 23 das Sterben der Stammeltern selbst angesagt, so besingt Prudentius in Strophe 27 das durch Adam verursachte allgemeine Todesverhüngnis (dazu unten S. 178). Der Gedanke, daß das Sterben aller auf die erste Sünde zurückgeführt werden muß, ist
sowohl in biblischer, als auch in jüdischer und christlicher Tradition fest verankert, 5. neben Sir. 25, 24; Weish. 2, 23f. bes. Róm. 5, 15; 8, 10; 1 Kor. 15, 21f. Im auBerkanon. jüd. Schrifttum s. slavHen. 30, 17; Vit Adae 18, 26; Apk Mos. 14; 4 Esr. 3, 7; syrApk Bar. 17, 3; 23, 4; 54, 15; 56, 6. Bei den Vütern z. B. Ambr. parad. 14, 70;
Aug. civ. 13, 3; 14, 15 (oben S. 157 zitiert); Joh. Chrys. in Gen. hom. 3, 16 (PG
53, 134) Ἐκεῖνο τὸ ξύλον θάνατον ἐπεισήγαγε: μετὰ yàp τὴν παράβασιν ὃ θάνατος ἐπεισῆλθεν; Procop v. Gaza, Comm. in Gen. 3, 7 (PG 87, 189/91). Hic: zeitlich gebraucht wie tunc in V. 101, so auch Verg. georg. 3, 280; Aen. 3, 369; Hor. epod. 5, 47 (weitere Bsp. ThLL VI, 2. 3, 2770, 24ff.).
draco: urspr. ‘große
Schlange’ mit der Nebenbedeutung des Monströsen, in späterer Zeit Synonym zu serpens, so auch Prud. ham. 416. Von der Schlange im Paradies auch tit. 4. Die
Schlange ist in jüdischer und altchristlicher Deutung Sinnbild für die Satansfigur; s. 2. B. Apk. 12, 7; Tert. adv. Marc. 4 , 24; Aug. gen. ad litt. 7, 10 u. ó. (ThLL V, 1, 2062, 68ff.). Bei Prudentius neben tit. 4 auch perist. 1, 36; 14, 113. Als Synonyme finden sich in cath. 3 [coluber] (V. 126. 129), aspis (V. 147), vipera (V. 150), anguis (V. 153. 181). perfidus: in bezug auf den Satan auch Ven. Fort. Mart. 2, 179f. (MGH AA 4, 320) letiferi suffusus felle veneni / perfidus horribilis trux lubricus invidus anguis. Bei Prudentius ist es u. a. Attribut für Cain (ham.
1), der typolo-
gisch auf den Teufel weist (ham. praef. 19), und für die Gótzendiener, die Beute des Satans geworden sind (cath. 11, 37). Die Junktur draco perfidus für Satan übernimmt Sedulius carm. 2, 1/34 in seine Schilderung des Sündenfalls, die auch
sonst in der heilsgeschichtlichen Deutung (Todverfallenheit der Menschheit infolge
der Adamssünde, Eva-Maria-Typologie) auffallende Parallelen zur prudentianischen Exegese aufweist (zur Bezeichnung virgo für Eva s. unten S. 212f.), mit rhetorisch effektvoller Congeminatio, vgl. 2, 6/8 Noxia tu coniux magis an draco perfidus ille? / Perfidus ille draco, sed tu quoque noxia coniux.
ingenium: im Sinne von animus, mores auch Prud. ham. 189 ingenium iniquum; ham. 740 muliebre ingenium. Die Junktur indocile ingenium hat einen Vorlüufer bei Sen. Thy. 199f. novi ego ingenium viri / indocile: flecti non potest — frangi potest. Prud. c. Symm. 2, 328 findet sich ingenium mit docile verbunden: mox (sc.
genus humanum) tenerum docili ingenio iamque artibus aptum / noscendis varia rerum novitate politum est. Gemeint ist der 'gelehrige Verstand’ des 'Knabenalters' der Menschheit. indocile: als Synonym zu indoctus, imperitus, imprudens gebraucht (ThLL VI, 1217, 17/46); vgl. auch Prud. c. Symm. 1, 647 indocilis fandi.
V. 111-115
159
Hier nähert sich das Wort dem ethischen Sinn von *unbefangen, arglos, unschuldig’
an, vgl. auch die Übersetzungen von Sister Eagan, 20, „the woman, unconscious of guile“, und Thomson, 27, „the simple heart of the maid". In diesem Sinn bei Prudentius auch ham. 426 vom Menschengeschlecht, das dem Angriff des Teufels und seiner Verbündeten ausgesetzt ist, vgl. ham. 425/7 invalidas mentes, quae simplicitate / indociles bellique rudes sub foedere falso / tristis amicitiae primum socia agmina credunt (*unwissend in ihrer Naivität’). Ähnlich, aber negativ konnotiert Prud. c. Symm. 1, 146 Tantum posse omnes illo sub tempore reges / indocilis fatui ducebat ineptia vulgi (von der Leichtgläubigkeit und Dummheit früherer Völker, die ihre Könige zu Göttern avancieren ließen). Andere fassen indocile an unserer Stelle im eigentlichen Sinn als *unbelehrbar', wie Sen. Thy. 200 (s. o. S. 158), so Lavarenne, édition, 16, „l’esprit désobéissant de la Femme“; Guillén/Rodríguez, 41, „el corazón desobediente de la mujer‘‘, Charlet, trad., 14,
l'esprit rebelle de la vierge". Der Sündenfall des Menschen wird in der altchristlichen Exegese in der Regel auf den Ungehorsam gegenüber Gott zurückge-
führt und damit der Willensfreiheit des Menschen zugeordnet, vgl. z. B. Ambr. parad. 7, 35 (CSEL 32, 1, 292) nisi fallor, quia mortis causa inoboedientia fuit, et ideo homo ipse sibi mortis est causa. Zum Ungehorsam Evas im Kontrast zum
Gehorsam Marias s. unten S. 210-213 den Überblick zur Eva-Maria-Parallele. Die Betonung des Ungehorsams der Frau liefe cath. 3, 111 allerdings der dichterischen Gestaltung zuwider, die darauf abzielt, die Rolle des Verführers herauszuheben.
Das einfache, arglose Wesen der Frau bildet dagegen nicht nur den Kontrast, sondern geradezu die Voraussetzung für das tückische Wirken der Schlange.
Zu socium vgl. Gen. 3, 12 (Vulg.) dixitque Adam mulier quam dedisti sociam mihi dedit mihi de ligno et comedi. Die Bezeichnung socius für den Mann unter-
streicht die Übereinstimmung des Handelns zwischen den Stammeltern, wobei der Mann als socius zurücktritt und Eva als Hauptperson hervorgehoben wird, s. dazu Wegner, 18. 28. Vgl. auch den Gedanken Prud. ham. 741 traxerat Evva virum dirae ad consortia culpae, / haec peccans sibi sola perit. Im Unterschied zu Loths
Frau reißt Eva Adam mit ins Verderben. Motiviert durch den Treuebruch der Geführtin ist die Empórung Adams bei Alc. Avit. carm. 3, 98/100: Heu male perdendo mulier coniuncta marito! / Quam sociam misero prima sub lege dedisti, / Haec me consiliis vicit devicta sinistris. malesuada: poetisches Adjektiv mit vergilischem Kolorit, vgl. Verg. Aen. 6, 276, wo die malesuada Fames, der ‘Hunger, der zu
bösen Taten rät’, zu den dämonischen Personifikationen gehört, die am Eingang
des Hades lauern. Das Adjektiv bei Vergil stammt wohl aus archaischer Poesie, aber aus einem Dichter hohen Stils (Norden, Vergilius, 214), nicht aus Plautus
(Most. 213 Illa hanc corrumpit mulierem malesuada). Von Rufin/Origenes in Rom.
3,3 wird das Epitheton für den wahren übelratenden Dämon, die teuflische Schlange, gebraucht, vgl. malesuadi fraude serpentis; vgl. auch Aug. c. Iulian. op. imperf. l, 71 malesuada venena serpentis; civ. 14, 11 (Dombart/Kalb II, 29) malesuada
versutia (sc. diaboli) in hominis sensum serpere affectans; Pomer. 2, 19, 1. Von
160
C. Kommentar
Prudentius wird es auf die personifizierte Luxuries übertragen (psych. 404), von Paul. Nol. epist. 8, 3 auf die Roma. Zu Prud. tit. 2 s. oben S. 157. Vgl. auch Alc. Avit. carm.
2, 136 malesuada fraude;
2, 254 malesuadi
verba susurri. Eine
‘Übersetzung’ des theologischen Sinns liefert Leo M. serm. 30, 6 malesuadus peccati auctor. - Welchen theologischen Ausdruckswert Prudentius dem Adjektiv hier verleiht, wird vor dem Hintergrund der Verse ham. 710/19 deutlich, vgl. ...
magis utile dum sibi credit (sc. Adam), / quod prohibente deo persuasit callidus anguis. / persuasit certe hortatu, non inpulit acri/ imperio - hoc mulier rea criminis exprobanti / respondit domino suadellis se male fabris / inlectam suasisse viro —
vir et ipse libenter/ consensit. licuitne hortantem spernere recti / libertate animi? licuit; namque et deus ante / suaserat, ut meliora volens sequeretur, at ille / spernens
consilium saevo plus credidit hosti. Die Stammeltern wurden nicht zur Sünde gezwungen, sondern überredet, sündigten also freiwillig. mandere: eigentlich 'kauen', für biblisches manducare bzw. comedere (Gen.
3, 6. 12. 17), seltenere Variante für manducare laut Diom. gramm. I 372, 24 cum dentibus quid consumimus, quod in consuetudine *manduco' dicunt. Im Sinne von
“essen, verzehren’ auch Prud. tit. 186. Vgl. auch Sedul. carm. 2, 23/5 (im Kontext des Sündenfalls) veniale misertus / Instauraret opus pomisque vetaret acerbis, / Quae mandere patres, natorum horrescere dentes. ex vetitis: sc. pomis (vgl. V. 109), ‘von den verbotenen Früchten’, ähnlich in der Umschreibung des Sünden-
falls ham. 659: vetiti quod amore peremptos (sc. homines). der Askese verbotenen Speisen cath. 3, 178 — ebenfalls in Sündenfall: exitiale quid aut vetitum (dazu unten S. 231). Die entspricht dem griechischen Genitivus partitivus nach Verben
Von den im Kontext Anspielung auf den Konstruktion mit ex des Kostens, Essens
(im weiteren Sinn KSt II, 1, 425f., ὃ 84, A. 2). V. 115 beschreibt die Folge des Ungehorsams gegenüber Gottes Gebot, das durch ex vetitis am Ende der vorangehenden Zeile nochmals eingeschárft wird. Infolge ihres Frevels sind die Stammeltern dem Tode verfallen: peritura (Gen. 2, 16f.;
3, 19). Das Partizip Futur ist Ausdruck dafür, daB der Straftod nicht unmittelbar eintritt, sondern auf den Verlust der Unsterblichkeit zielt. Perire statt des einfachen mori ist zudem absichtvoll gesetzt, insofern es über den physischen Tod hinaus auf den Straftod der ewigen Verdammnis deutet, den der Sünder nach dem Jüngsten Gericht stirbt (mors secunda, Apk. 20, 6/14, dazu unten S. 233-237 zu Str. 37). ipsa pari ... modo: eine raffinierte Umschreibung für 'beide'. Die Konstruktion bringt prägnant zum Ausdruck, daß Mann und Frau essen und beide die Folgen für den Verstoß tragen, ohne den Hauptakteur des Frevels, die Frau, aus dem Blick zu
nehmen. pari: in der Bedeutung dem Identitätspronomen idem angenähert, wie auch Prud. cath. 7, 214 unam paremque sortis humanae vicem; psych. 2221. nati nam luce sub una / et domus et domini paribus adolevimus annis, c. Symm.
1, 221
Urbis Venerisque pari se culmine tollunt / templa, dazu Gnilka, Prud. I, 192 mit A. 21. - Die durch Zusammenstellung von pari / peritura bewirkte p-Alliteration gibt, verstärkt durch Paronomasie, die Härte der Strafe wieder.
V. 116-120
161
Strophe 24
V. 116-120 Corpora mutua — nosse nefas — post epulas inoperta vident, lubricus error et erubuit; tegmina suta parant foliis, dedecus ut pudor occuleret. Nach der fast beiläufigen Angabe der wesentlichen Straffolge für die erste Sünde, des Todesverhüngnisses, schildert Prudentius nun in der unmittelbaren Reaktion
der Stammeltern selbst auf ihre Tat die durch das Vergehen bewirkte psychische Veränderung. Biblische Grundlage ist Gen. 3, 7 VL et aperti sunt oculi eorum et. tunc scierunt (cognoverunt) quod (quia) nudi erant (essent) et (con)suerunt sibi folia fici (ficus, ficulnea) et fecerunt sibi tegimenta (tegmina, vestimenta, sub, praecinctoria, campestria, perizomata). Infolge des Essens werden den Menschen die Augen geóffnet, sie erkennen ihre Nacktheit und bedecken sie mit Blattwerk,
indem sie sich Schurze machen. Mit der Darstellung der Scham (V. 118 erubuit, V. 120 pudor) beschreibt Prudentius die Folge des Sündenfalls für die Natur des Menschen. Die Verbindung von Scham und Nacktheit ist in Gen. 2, 25 explizit vorgegeben. Dort kennzeichnet das fehlende Bewußtsein der eigenen Nacktheit, d. h. das Fehlen von Scham, den paradiesischen Urzustand im Verhältnis von Mann und Frau. Vor diesem Hintergrund dient das Auftreten des Phänomens der Scham dazu, die tiefe Veränderung, die das Sündigwerden im Menschen bewirkt, eindringlich vor Augen zu führen. Im ersten Teil der Strophe (V. 116/8) bedient sich Prudentius dazu zahlreicher stilistischer Mittel. Die Parenthese in Vers 116 — nosse nefas — steigert die Spannung auf das unerhórte Folgende und hebt zugleich das in ihr ausgesprochene Urteil eindringlich hervor. Der Einschub bezeichnet die Erkenntnis der Nacktheit als Frevel, so daß nicht nur die Übertretung des Verbots, sondern auch die Folge des Essens, das neu gewonnene Bewußtsein der Nacktheit, als der von Gott gegebenen,
heiligen Ordnung zuwiderlaufend erscheint. Der Vorgang des Essens wird in künstlerisch raffinierter Weise nur als Absicht (V. 114 mandere cogeret ex vetitis) und als geschehenes Geschehen (V. 117 post epulas) in den Blick genommen. Der Dichter konzentriert seine Darstellung auf Ursache (Strophe 23) und Folge der Tat. Als retardierendes Moment stützt die Zeitangabe post epulas die HyperbatonStruktur des Satzes. Der Kern der Aussage, das Prüdikat zum Objekt corpora mutua, folgt erst im zweiten Vers, in Emphasestellung am Ende des Satzes: inoperta vident. Die weite Sperrung unterstreicht die unerhórte Wandlung, die das Essen der verbotenen Frucht am Menschen bewirkt — sie sehen, was sie vorher nicht sahen. Erubuit (V. 118) bezeichnet den physischen Vorgang des Errótens, in dem sich
der Affekt der Scham nach auBen manifestiert. Kühn ist die Zusammenstellung
162
C. Kommentar
mit dem abstrakten Wort error, das metonymisch steht für die Menschen, die sün-
digten, Adam und Eva. Die Metonymie unterstreicht den ursüchlichen Zusammenhang von Sündenfall und Auftreten der Scham. Satzbau und Klangfiguren machen
die verstörende Wirkung der Sünde sinnfällig. Schon Subjekt- und Tempuswechsel (erubuit gegen vident / parant) markieren den tiefen Einschnitt im Erleben des Menschen, einen Eindruck, den die schwere Inversion von et und die dadurch erzeugte stakkatohafte Silbenfolge noch verstürken. Die psychische Verfassung des Sünders ist wie die spirituelle, die sie spiegelt, nachhaltig gestört. Den Zusammenhang von Sünde und Scham legt Johannes Chrysostomos in seiner Homilie zum ersten Buch Genesis dar (PG 53, 133). Der Baum der Erkenntnis wurde demnach ex eventu benannt, denn durch den Ungehorsam in bezug auf ihn
haben die Menschen erst die Erfahrung von Gut und Bóse gemacht. Erkenntnis der Sünde und Scham treten auf in unmittelbarer Folge der Übertretung des göttli-
chen Gebotes: ἀλλ᾽ ἐπειδὴ περὶ αὐτὸ γέγονεν f) παράβασις τῆς ἐντολῆς, καὶ ἐξ ἐκείνου λοιπὸν τῆς ἁμαρτίας ἐπεισῆλθεν ἡ γνῶσις, xoi f| αἰσχύνη. Genauer erláutert Prokop von Gaza die psychologische Wirkung der ersten Sünde (PG 87, 190ff.). Da die Nacktheit allein nicht ausreiche, das Phünomen der Scham bei den
Stammeltern zu erklären — auch Kinder schämen sich nicht nackt —, muß die Befleckung durch die Sünde als Grundvoraussetzung der Scham angenommen werden:
οὕτως oi περὶ τὸν ᾿Αδὰμ ἡμαρτηκότες οὐδὲν αἰσχύνης ἐδέοντο, ἣν ἔλαβον ἁμαρτόντες, ὡς βοηθὸν εἰς ἐκκοπὴν ἁμαρτίας προοίμιον δὲ τῆς αἰσχύνης, τὸ
ἐπὶ τοῖς παιδογόνοις μορίοις ἐρυθριᾷν (PG 87, 192A; s. dazu auch unten S. 163 zu Vers 120). DaB sich in der Scham über die Nacktheit der Verlust der ursprünglich integren, unverdorbenen Natur des Menschen manifestiert, führt Ambrosius explizit aus (parad. 13, 63 [CSEL 32, 1, 322f.]): et ante quidem nudi erant, sed non sine virtutum integimentis. nudi erant propter morum simplicitatem et quod amictum fraudis natura nesciret; nunc autem multis simulationum involucris mens humana velatur. ergo posteaquam spoliatos se illa sinceritate et simplicitate viderunt integrae incorruptaeque naturae, quaerere mundana et manu facta coeperunt, quibus nuda suae mentis operirent. Augustinus sieht in der Deterioration der Natur Adams eine unmittelbare Folge des Sündenfalls, vgl. civ. 13, 23 (Dombart/Kalb I,
588, 26f.) Eo quippe die mutata in deterius vitiataque natura; nupt. et concup. 2, 34, 58 Hoc autem peccatum, quod ipsum hominem in paradiso mutavit in peius (Bonner, 81f.). Den anthropologisch-heilsgeschichtlichen Aspekt entfaltet Sedulius, wenn er in der Verschlechterung der menschlichen Natur die Folge der ersten Sünde, in ihrer Wiederherstellung das Werk der Erlósungstat Christi sieht (carm. 2, 32/4): Ut quoniam natura prior vitiata iacebit/ Sub dicione necis, Christo nascente renasci / Possit homo et veteris maculam deponere carnis.
Aus der Scham entspringt die Schutzhandlung. Der AnschluB an V. 118 erfolgt durch kausatives Asyndeton: ‘Daher fertigten sich die Menschen Kleidung aus Blattwerk, um ihre Schande zu bedecken'. Vers 120 expliziert die psychologische Begründung. Nicht die äußere Nacktheit, sondern der innere Makel, die Schande
V. 116-120
163
der Sünde, soll bedeckt werden. Wie in V. 118 überlagern sich hier die psychische und die spirituelle Ebene des Geschehens. Dedecus, durch emphatische Anfangsstellung betont, bezeichnet die EntblóBung der seelischen Schwäche, das Offenbar-
werden der Sünde. Die Haltung der Scham (pudor) bildet das Korrelat zur Schande, insofern sie auf den Schutz des Sünders vor Enthüllung zielt. Was gemeint ist, verdeutlicht die Parallelstelle aus den prudentianischen Bildepigrammen tit. 1/4
(dazu oben S. 155f. zu Str. 23, und Gnilka, Prudentiana, 84/6 = Prud. II, 198/200). Die Befleckung der Seele infolge der Sünde veranschaulicht dort das Bild der Verfürbung des Kórpers infolge von Gift. Dem abstrakten Wort dedecus entspricht tit. 3 der konkrete Ausdruck maculis sordentibus, der den physischen Vorgang des Bedeckens unmittelbar verstándlich macht. Anders als tit. 4, wo der Teufel den
Menschen - gegen Gen. 3, 7 - die Bedeckung an die Hand gibt und damit auch im Schamverhalten triumphierend hervortritt, sind hier die Stammeltern selbst die Handelnden. Die Parallele verdeutlicht aber, daB für Prudentius die Scham der ersten Sünder und das aus der Scham resultierende Verhalten in erster Linie manifester Ausdruck der Schwüchung, ja Verderbnis der menschlichen Natur infolge des Sündenfalls sind.
Durchaus positiv wertet dagegen die Scham Adams z. B. der Kirchenvater Ambrosius in seinen Ausführungen zu Gen. 3, 8 (parad. 14, 68ff. [CSEL 32, 1, 325/8]). In der Scham, die sich manifestiert in der Flucht vor dem Anruf Gottes,
sieht er ein Heilmittel für den Sünder: deinde habent remedium qui se absconderunt. nam qui absconditur erubescit, qui erubescit convertitur, sicut scriptum est: confundantur et convertantur omnes valde velociter (nach Ps. 6, 11) (Ambr. parad.
14, 70 [ebd., 327, Z. 14/6]). Die Scham Adams (pudor) erscheint als geradezu positives Komplement zur Sünde (error), die mit Eva begann: fortasse moveat cur ante increpatur Adam, cum mulier ante gustaverit? sed a praevaricatione sexus infirmior coeperit, a verecundia et excusatione fortior, ut femina erroris causa fuit, vir pudoris (ebd., 328, Z. 15/9). Die sündenabwehrende Funktion der Scham betont auch besonders Prokop von Gaza in seinem Genesiskommentar (PG 87, 192, oben S. 162 zitiert), vor allem im Kontext der. sexuellen Begierde. Zu ihrer Ab-
wehr ist den Menschen von Gott in der Scham eine Hilfe gegeben. Corpora mutua: attributives mutua für adverbielles mutuo (ThLL VIII, 1738, 18/28), per Enallagen wie Sen. contr. 11, 3 porrigite mutuas in gratiam manus;
Stat. Theb. 2, 173; 6, 862; Anth. 180, 4; Homer. 336; Prudentius imitierend Alc. Avit. carm. 2, 20f. mutua cernere membra / Non pudet. Die im Vergleich zur Genesis-Stelle auffallende Betonung der Gegenseitigkeit zeigt, daB es sich beim Schamempfinden um ein soziales Phänomen handelt: Mann und Frau genieren sich voreinander.
nefas: starker Ausdruck für ‘Sünde’, vgl. Prud. cath. 1, 57f.
(von der Leugnung Petri vor dem Hahnenschrei) Flevit negator denique / ex ore prolapsum nefas. S. auch unten S. 185 zu V. 134. nosse nefas: Zur affektischen Wirkung der Parenthese s. v. Albrecht, Parenthese, 21/23; 97/9 u. ö. post epulas:
164
C. Kommentar
zu brachylogischen Ausdrücken dieser Art bei Prudentius s. Gnilka, Prud. I, 376,
A. 12; 678. inoperta: seltenes, erst spát belegtes Kompositum, gleich non opertus, nur noch Hier. epist. 64, 13; Paul. Nol. epist. 24, 1 und als Nachahmung unserer Stelle Alc. Avit. carm. 3, 79 quia nuda forent inopertis corpora membris. Das ungewóhnliche Wort für schlichtes nudus (VL) unterstreicht das Neue, Fremde des Gefühls der Nacktheit. error: bei Prudentius eines der Würter für Sünde, vgl. cath. 2, 96 (caecitas, quae nosmet) errore traxit devio; cath. 6, 118 (nos) quos creber inplet error; 7,73 sacrato in flumine/ veterum piatas lavit errorum notas; 12, 162 at nos subactos iugiter / erroris imperio gravi; ham. 251 vita hominum, cui, quidquid agit, vaesania et error / suppeditant, psych. 396 si paenitet, haud nocet error; perist. 2, 231 errorque mancum claudicat. So auch Ambr. parad. 14, 70 consepultus errori (von Adam); epist. 63, 8 (CSEL 82, 10, 146) vinculum erroris superioris (von der Ursünde); in Luc. 2, 28 ut Maria, quae nescit errorem; myst. 6, 32 (Sünde
Adams); Noe 20, 72 (s. Blaise/Chirat, 314; ThLL V, 2, 817f.).
lubricus error:
singuläre Bezeichnung für den Sündenfall. lubricus: verwendet Prudentius häufig, um den Hang zum Sündigen zu bezeichnen, cath. 1, 62 linguae locutus lubrico est (von Petrus nach dem Hahnenschrei); cath. 2, 102f. ne lingua mendax, ne manus / oculive peccent lubrici, perist. 14, 45 lumine lubrico (“mit unzüchtigem Blick’).
Hier auf die Sünde selbst bezogen, unter Nutzung des eigentlichen Sinns: lubricus error, ‘der Irrtum, durch den man fällt’. Für die Ableitung lubricus von labi, s. Isid. orig. 10, 158; 14, 8, 36; Serv. Aen. 2, 474. erubuit: vgl. Gen. 2, 25 (Vulg.) non erubescebant, (VL) non confundebantur/ nec pudebat illos. Die Verwendung von erubuit ist für Charlet, bible, 21, kein Beleg für die Annahme einer VulgataNutzung an dieser Stelle. Erubescere findet sich in parallelem Kontext auch bei Ambr. parad. 14, 70 und Aug. gen. c. Manich. 2, 23; gen. ad litt. 11, 32, die beide nachweislich die Vetus Latina verwendet haben. Erubescere ist hiufiges Synonym zu confundere (beide Wórter nebeneinander bei Ambr. parad. 14, 70) und hat zudem
den Klang des hóheren, klassischen Stils. tegmina: in prägnanter Bedeutung “Kleidung, um die bloßen Körper zu bedekken’, wie an der Parallelstelle tit. 4 dat nudis ficulna draco mox tegmina victor (dazu Gnilka, Prud. II, 199f.). In diesem Sinn korrespondiert tegmina mit chiastisch gesetztem occuleret in V. 120. suta: vgl. Gen. 3, 7 VL (com/ad)suerunt, hier in raffender Umschreibung als PPP, wodurch das Ergebnis unterstrichen wird. foliis: Gen. 3, 7 VL folia fici (ficus/ ficulnea). Das Weglassen der genauen Angabe fici bewirkt auch hier die Reduzierung auf das Wesentliche. occuleret: schillert zwischen dem kórperlichen und dem geistigen Sinn. Als Synonym zu tegere, operire greift es die in inoperta und tegmina implizierte konkrete Bedeutung 'bedecken, bekleiden' auf. Zugleich spielt mit Bezug auf dedecus die Bedeutung ‘eine Schuld,
Verfehlung verbergen' hinein (Bsp. ThLL IX, 2, 361f., z. B. Stat. silv. 3, 3, 46 culpam; Quint. inst. 12, 8, 10 vitia; Claud. Don. Aen. 2, 60 fraudem; vgl. auch Hil. in Matth. 21, 9 [SC 258, 34] Et quidem iam in exordio Genesis ... pudorem suum
V. 121-125
165
Adam atque Eva huius arboris foliis texerunt, cum se ipsos ad adventum domini vocantis occulerunt). — Zur Verhüllungsfunktion der Scham s. auch Prud. cath. 8, 29. Hier geht es allerdings nicht um den Schutz vor Schande, sondern um die Abwehr von übermäßiger Zurschaustellung des Fastens (nach Mt. 6, 16/8), vgl. cath. 8, 29/32: Rectius laeto tegimus pudore, / quidquid ad cultum patris exhibemus;
/ cernit occultum deus et latentem / munere donat. Das komplementäre Verhältnis von äußerem Schamverhalten und innerer Lauterkeit zeigt Prud. perist. 10, 356 in der Gegenüberstellung frontis pudorem, cordis innocentiam. Strophe 25
V. 121-125 Conscia culpa deum pavitans sede pia procul exigitur;
innuba femina quae fuerat, coniugis excipit imperium foedera tristia iussa pati. Die Strophe 25 gibt die Bestrafung der am Sündenfall beteiligten Menschen durch Gott (nach Gen. 3, 8/24). Wührend in der Genesis die Reihung der Strafsprüche
dem Gang des Sündengeschehens folgt (Strafe für Schlange, Frau, Mann und allgemeine Bestrafung, vgl. Westermann, 347; explizit bei Ambr. parad. 15, 73 [CSEL 32, 1, 331, 12f] secundum erroris ordinem damnationis quoque ordo servatus est), gestaltet Prudentius die Urteilsszene entsprechen seiner Darstellungsabsicht um. Den Strafspruch für den Mann (Gen. 3, 17/9) nimmt er nicht auf, die Bestrafung der Frau (Gen. 3, 16) führt er breit aus (V. 123/5). Die über die Schlange verhüngte Strafe (Gen. 3, 14f.) wird erst spüter im Rahmen einer Exegese der Bibelstelle geliefert (V. 146/55). S. auch unten zu Str. 26. Die Verse 121f. drängen die Flucht der Menschen vor Gott (Gen. 3, 8ff.) und
die Vertreibung der Menschen aus dem Paradies (Gen. 3, 23f.) in einen Vorgang zusammen. Die beiden in der Genesis nicht unmittelbar aufeinanderfolgenden Ereignisse werden so in einen Kausalnexus gestellt, der der Kernaussage des biblischen
'Strafkapitels' durchaus entspricht. Denn die Vertreibung des Menschen aus dem Paradies ist die eigentliche und ursprüngliche (unter quellenkritischem Aspekt, s. Westermann, 367) und zugleich die folgenreichste und umfassendste Strafe für die
Übertretung des Gebotes Gottes. In ihr ist die Existenz des ganzen Menschen, sowohl des Mannes als auch der Frau, betroffen. Sedulius stellt die Vertreibung aus dem Paradies daher gleich an den Anfang seines Sündenfallgedichts, des Proóms des zweiten Buches (carm. 2, 1f., dazu unten S. 167). In V. 121 rafft der Dichter
den Bericht vom Verstecken der Menschen vor Gott, von ihrer Entdeckung und Vernehmung (Gen. 3, 8ff.), indem er das Geschehen im Motiv für das Verhalten der Stammeltern fokussiert. Es ist das SchuldbewuBtsein des Sünders vor Gott, das
166
C. Kommentar
sich in der Gottesfurcht manifestiert. Zum Gefühl der Schande als Folge des Sündenfalls (Str. 25) kommt hier die Erkenntnis der Schuld, zur Scham voreinander die Furcht vor Gott. Mit seiner Auslegung steht Prudentius ganz im Einklang mit der patristischen Exegese. Als einen Ausdruck des schlechten Gewissens interpretiert
schon Josephus ant. Jud. 1, 47 das Sichverbergen Adams und Evas nach dem Sündenfall. Johannes Chrysostomos in Gen. hom. 3, 17 (PG 53, 135f.) sieht im Ruf
Gottes nach Adam die Gottesgabe des Gewissens erstmals aktiviert. Das Sichverbergen des ersten Sünders vor Gott bezeugt die Regung des schlechten Gewis-
sens: Διά τοι τοῦτο καὶ ὁ πρωτόπλαστος νῦν αἴσθησιν λαβὼν τοιαύτην, καὶ τὴν παρουσίαν τοῦ Δεσπότου ἐννοήσας, εὐθέως κρύπτεται. Τίνος ἕνεκεν, εἰπέ μοι; Ἐπειδὴ ἑώρα σφοδρὸν αὐτῷ τὸν κατήγορον ἐφεστῶτα, τὸ συνειδὸς λέγω. Von Ambrosius wird das Verhalten Adams als das eines ertappten und ángstlichen Sünders ausgelegt (vgl. parad. 14, 68/70), bes. parad. 14, 70 (CSEL 32, 1, 328, Z. 11/5) ubi est illa tua bene sibi conscia confidentia? timor iste culpam fatetur, latebra praevaricationem. ubi ergo es? hoc est non in quo loco quaero, sed in quo statu. quo te perduxerint peccata tua, ut fugias deum tuum, quem ante quaerebas. Die Furcht vor Gott ist hier wie bei Prudentius symptomatisch für den Zustand des schlechten Gewissens. Alliterierendes bene sibi conscia confidentia kann geradezu
als positives Pendant zur prudentianischen Junktur conscia culpa verstanden werden. Die Verbindung von SchuldbewuBtsein und Furcht ist auch konstitutiv für pagane Beschreibungen der Gewissensqualen (s. die Beispiele unten S. 168 zu conscia culpa, dazu etwa Cic. Verr. 5, 74 an te, id quod fieri solet, conscientia timidum suspiciosumque faciebat?). Gemeint ist neben der Furcht vor Strafe die Furcht vor der Ablehnung durch andere (Scham) (Chadwick, 1026f.) sowie die
Furcht vor Selbstverurteilung (Bild des “inneren Anklägers’ z. B. Lucr. 3, 1011/23, bes. 1018f. at mens sibi conscia factis / praemetuens adhibet stimulos torretque flagellis; Chadwick, 1038). In der christlichen Gewissensauffassung zeigt sich das SchuldbewuBtsein notwendig in der Gottesfurcht, insofern Gott allein die richtende Instanz ist, vor der Übertretung und Schuld sich als solche erweisen (zum theonomen
Gewissenskonzept vgl. z. B. Zeno 2, 3, 5 [CCL 22, 154] qui enim suam conscientiam non timet, is est, qui deum non timet; zu Ambr. off. s. Becker, Kardinaltugenden, Reg.). Vgl. auch Aug. serm. 45, 9: Schande ist von Schuld zu unterscheiden, die
Furcht vor den Menschen vor der vor Gott. Starke, der düsteren Handlung angemessene Alliterationen auf k und p unterstreichen das tragische, leidvolle Geschick, das sich für den Menschen mit dem Verlust des paradiesischen Wohnsitzes verbindet. Mit der Junktur sede pia (V. 122) nutzt Prudentius einen der vergilischen Ausdrücke für das Elysium: sedesque beatas (Verg. Aen, 6, 639; s. auch oben S. 147f. zu V. 101f.). Indem er das Paradies als ‘Ort der Frommen' bezeichnet, suggeriert er, daß sich der sündige Mensch selbst durch sein Vergehen auBerhalb des heiligen Bereichs gestellt hat. Dies soll auch die
Metonymie conscia culpa zum Ausdruck bringen. Nicht Gott vertreibt Adam und Eva aus dem Paradies, sondern der Mensch, der gesündigt hat, ist selbst verant-
V. 121-125
167
wortlich für seine Verbannung. In áhnlicher Deutung setzt Prudentius tit. 4 den Teufel als denjenigen ein, der den Menschen in ihrer Nacktheit Kleidung gibt, und führt so die Folge des Sündenfalls unmittelbar auf den Anstifter zurück. Durch denselben Kunstgriff läßt auch Sedulius carm. 2, 1f. den Teufel als eigentlichen Verursacher des Sündenfalls und seiner Folgen hervortreten. Die Vertreibung aus
dem Paradies erfolgt in seiner Darstellung nicht durch den Herrn, sondern durch die Schlange, die Verführerin und Urheberin der Sünde: Sedul. carm. 2, 1f. Expulerat primogenitum saevissimus anguis / Florigera de sede virum. Die Verse 123/5 gestalten das Strafurteil über die Frau nach Gen. 3, 16. Die Strafe Evas besteht dem biblischen Bericht zufolge in der Ehe und ihren Implikationen, der Unterordnung unter den Mann (Gen. 3, 16b) und den Schmerzen bei Schwangerschaft und Geburt (Gen. 3, 16a). Der Dichter fokussiert seine Darstellung in der Antithese von Vorher und Nachher: Dem paradiesischen Stand der Ehelosigkeit stellt er die als Strafe verhüngte Verfassung der Ehe gegenüber, wobei die entsprechenden Begriffe jeweils hervorgehoben am Versanfang stehen, innuba (123), coniugis (124), foedera (125). Syntaktisch sind die Aussagen eng verklammert. Ein attributiver Relativsatz und ein Partizip, in denen die alte, prülapsarische
und die neue, postlapsarische Existenzweise ausgesprochen werden, rahmen die Kernaussage des Satzes, derzufolge die Frau sich von nun an der Herrschaft des Mannes zu beugen hat. Die Ehe begründet ein neues Gewaltverhältnis zwischen Mann und Frau: der Mann ist nicht mehr Gefährte (socius, V. 113), sondern Herr. Prudentius gestaltet diesen Punkt nicht ohne Grund aus. In der Ehe, die Gott als Strafe über die Frau verhängt, vollzieht sich nach seiner Sicht eine Umkehrung der Herrschaft, die die Frau bei der Verführung über den Mann ausgeübt hat (vgl. mandere cogeret, V. 114). Die Strafe bildet daher — nach Art einer talio analogica (s. auch unten S. 173. 174f. zu Str. 26) — das Vergehen mit vertauschten Rollen ab.
Diesen Zusammenhang von Vergehen und Strafe Evas formuliert explizit Prokop von Gaza in seinem Kommentar zu Gen. 3, 16 (PG 87, 209): Demnach ist die
Gleichstellung von Mann und Frau das ursprünglich vom Schöpfer Gewollte. Der Betrug Evas führt zum Verlust ihrer Stellung, er macht sie zur Sklavin. Weil sie
über den Mann eine schlechte Herrschaft ausgeübt hat, ist sie fortan zum Dienen
bestimmt: ἣ γὰρ ἐξ ἀρχῆς πλάσις τὴν ἰσοτιμίαν ἐδέξατο- 'Ποιήσωμεν τὸν ἄνθρωπον᾽ καὶ πάλιν, “Ποιήσωμεν αὐτῷ βοηθὸν ᾿ ἀλλ᾽ οὐ προστακτικῶς, Γενεθήτω yov: ἡ δὲ ἀπάτη τῆς Εὔας παρέλυσε τὴν τιμὴν, καὶ δούλην ταύτην εἰργάσατο- ὁ γὰρ ᾿Αδὰμ οὐκ ἠπατήθη κατὰ τὸν θεῖον ᾿Απόστολον, ἀλλ᾽ ἣ γυνὴ
κακῶς ἄρξασα τοῦ ἀνδρὸς, αἰτία γέγονεν αὐτῷ τῆς παραβάσεως: ὡς οὖν οὐκ ἄρξασα καλῶς, εἰς τὸ δουλεύειν αὐτὴ περιτρέπεται. Vgl. auch die Gestaltung des Strafspruchs durch den spüteren Dichter Marius Claudius Victorius, aleth. 1, 499/503 (CSEL 16, 1, 382) (Anrede an Eva) at tu ... misero iam mente nocendi / insidiata viro dominataque crimine tanto es, / praebebis famulare iugum subiectaque duri / arbitrium sensura viri patiere labores / casibus assiduis.
168
C. Kommentar
Die Unterordnung der Frau unter den Mann beschreibt Prudentius mit Anklang an die altrómische manus-Ehe, die allerdings schon zu Ciceros Zeiten ungewöhnlich war und in der Kaiserzeit nicht mehr bestand (Podella, 840). Das archaische manus-
Verhältnis impliziert die uneingeschränkte rechtliche Gewalt des Mannes über die
Frau. Die Vorstellung, daß die Frau der Herrschaft des Mannes vollkommen unterworfen ist, wird von Prudentius aber noch gesteigert durch die Verwendung staatsrechtlicher Termini. Diese auf dichterischer Auxesis beruhende Ausdrucksweise verkennt Fontaine, femme, 67, wenn er hier fälschlich die ‘Behandlung, die dem Besiegten vom Sieger aufgezwungen wird’ (ebd.) ‘in den Farben römischen Vokabulars' (ebd., A. 1) dargestellt sieht. AufschluBreich ist auch die Nachahmung der
starken, fast hyperbolischen Ausdrucksweise bei Alc. Avit. carm. 3, 140/2 Imperium patiere tori dominumque timebis, / Quem socium dederam: parebis subdita iussis / Et curvata caput libitus adsuesce viriles. Die Aufhebung der ursprünglichen Gleichheit von Mann und Frau und untertünigster Gehorsam gegenüber dem Mann und Herrn kennzeichnen das Schicksal der gestraften Frau. Zum gemessen an der Realität rückschrittigen, am konservativen römischen Recht orientierten Ehekonzept der frühen Kirche s. Thraede, Frau, 239/54, bes. 240. 246. Am Anfang steht allerdings die paulinische bzw. spätjüdische Eheauffassung, s. 1 Kor. 11, 3 (der Mann
das Haupt der Frau) und die Haustafeln Eph. 5, 21/33; Kol. 3, 18; 1 Petr. 3, 1/7; 1 Tim. 2, 9/15. Conscia culpa: Das ist eine neue, originelle Zusammenstellung des Prudentius.
Culpa findet sich als Genitivus obiectivus häufig mit conscius verbunden, ThLL IV, 1305, 11/7; z. B. Cic. off. 3, 73 cum ... sibi ... nullius essent conscii culpae;
Stat. Ach. 1, 562 apertae conscia culpae cuncta pavet; Plin. epist. 5, 8, 2 nullius sibi conscius culpae posteritatis memoriam non reformidat. Vgl. auch ThLL IV, 373,
17/27, s. v. conscius, in malam partem, z. B. Ov. met. 2, 593 conscia culpae; Liv. 3, 67, 1 noxae; Sen. contr. exc. 8, 4 criminis; Prud. cath. 2, 10 fraudisque pectus conscium. Vgl. im besonderen den Bezug von conscius auf die physischen Symptome des schlechten Gewissens und der Scham, z. B. Catull. 65, 24 hinc manat tristi conscius ore rubor, Sen. Herc. f. 692 pudorque serus conscius vultus tegit; Stat. Theb. 1, 403 fraterni sanguinis ... conscius horror. So auch Prud. cath. 4, 23 horror conscius (sc. flagrat) aestuante culpa; psych. 703 nam pallor in ore7
conscius audacis facti dat signa reatus. deum pavitans: Biblischer Hintergrund ist Gen. 3, 10, die Antwort Adams auf Gottes Anruf, et timui et abscondi me. Pavitans ist gesuchtes, dichterisches und zugleich metrisch bequemes Wort für timens (z. B. Verg. Aen. 2, 107 (Sinon) prosequitur pavitans et ficto pectore fatur; Aen. 6, 498 vix adeo agnovit (sc. Aeneas) pavitantem (Deiphobum), ThLL X, 1, 819f.). Der transitive Gebrauch findet sich klassisch nur bei Lucr. 2, 58 quae pueri in tenebris pavitant finguntque futura, später z. B. Prosp. carm. de ingrat. 129 (ecclesia) degeneres pavitans inimico ex semine foetus; Ven. Fort. carm. app. 1, 110 quod nauta timet, non pavitasset amans. Das ausdrucksstarke Verbum mit der Konno-
V. 121-125
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tation der physischen Komponente der Furcht (notatio tremoris) bildet einen lebhaften Kontrast zum Abstraktum culpa, auf das es sich bezieht, und unterstreicht so die der Metonymie inhärente Vermenschlichung der Sünde. sede pia: Das Adjektiv pia steht für den Genitiv piorum, vgl. sedes beatas (Verg. Aen. 6, 639). Der Ausdruck assoziiert den paradiesischen Urzustand, der durch Sündelosigkeit und Nähe zu Gott gekennzeichnet ist. Vgl. Prud. psych. 911, wo sedes piata der reine Seelentempel heiBt, der mit Hilfe der Gnade Christi errichtet wird: donec
praesidio Christus deus adsit et omnes / virtutum gemmas conponat sede piata / atque, ubi peccatum regnaverat, aurea templi / atria constituens texat spectamine morum / ornamenta animae. Die epische Neubildung des Sedulius florigera de
sede (carm. 2, 2) geht dagegen auf die anschauliche Schónheit des Gartens, wobei die Blumenpracht Symbol des Lebens ohne Leid und Tod ist (vgl. auch Ven. Fort. 3, 91). Alc. Avit. carm. 2, 77 variiert die prudentianische Junktur zu in sede quieta.
procul: als Prüposition mit bloBem Ablativus separativus dichterisch seit Enn. scaen. 260; sat. 50 gebräuchlich, in der Prosa bei Livius, Tacitus, Curtius üblich (LHSz, 271; Krebs/Schmalz, 352ff.). Die Konstruktion mit procul statt a, ab, de
mit Ablativ verstürkt hier die Vorstellung des endgültigen Abgeschnittenseins, Getrenntseins, die durch die Alliteration (pia procul) und das Nebeneinander von procul exigitur noch gesteigert wird. innuba: durch starke Inversion des Relativpronomens an den betonten Anfang des Verses gerückt. /nnuba, poetische und metrisch bequeme Variante zu innupta, Synonym zu virgo (Varro Men. 44; Ov. met. 10, 567 [Atalanta]; 14, 142 [Sibylla]; Lucan 9, 665; Stat. Theb. 4, 463), wird von Prudentius háufig gebraucht, so apoth. 571 (von Maria); c. Symm. 2, 1073 (von der Vestalin); perist. 14, 120 (von der hl. Agnes). Die Wahl der negativen
Form ‘ehelos’ statt 'jungfrüulich' unterstreicht den Gegensatz zum veränderten Status nach dem Sündenfall. quae fuerat: Prudentius rekonstruiert ein Vorher, das dem Nachher vorausging: Aus der Verdammung zur Ehe leitet er für das Para-
dies den Zustand der Ehelosigkeit ab. Das ist gángige Lehrmeinung der Kirchenvüter, allerdings legen die meisten Theologen anders als Prudentius die rein sexuelle bzw. asketische Sicht zugrunde. Daß im Paradies noch kein Beischlaf vollzogen wurde, erschließen die griechischen Kirchenväter vor allem aus Gen. 4, 1 (vgl. Joh. Chrys., In gen. hom. 18, 4). Die Jungfräulichkeit, die Christus für den Himmel vorausgesagt hat (Mt. 22, 25/39), besaB schon im Paradies den Vorrang vor der Ehe (ebd.). Vgl. auch Alc. Avit. carm. 2, 25/30. Ebenso Prokop von Gaza, In
gen. 81, 4 (PG 87, 233): γάμος μὲν οὖν οὐκ Gv ὑπῆρξεν ἐν παραδείσῳ πρὸ τῆς ἁμαρτίας -- ebenfalls mit dem Schluß von der Auferstehung auf das Paradies: ei γὰρ ὅθεν ἐκπεπτώκαμεν f) ἀνάκλασις. Die Jungfräulichkeit Evas im besonderen behauptet Prokop im Zusammenhang mit der typologischen Deutung Evas auf Maria (PG 87, 211): εἰκὼν yàp αὕτη (sc. Maria) τῆς Εὔας £royxave: παρθένος
γὰρ ἑκατέρα: καὶ Εὔα γὰρ παρθένος οὖσα ἥμαρτεν : ἀλλ᾽ ἣ μὲν ἔσχε τὴν λύπην ἐξ ὄφεως, καὶ ταῖς ἐφεξῆς ἁπάσαις καὶ αὐταῖς ἡμαρτηκυίαις τῆς λύπης μετέδωκεν" f| δὲ τὴν χαρὰν ἐκ Θεοῦ καὶ τὴν ἀρὰν τοῦ γένους διέλυσε, καὶ
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C. Kommentar
τόκος ἀπαθὴς τὸν Ev στεναγμῷ καὶ λύπαις κατέπαυσεν. Auch nach Gregor von Nyssa gab es im Paradies keine geschlechtliche Liebe (virg. 12, 2. 4). Er entwickelt darüberhinaus ein theologisches Konzept der Jungfräulichkeit, wonach der prälapsarische Mensch Anteil an der Jungfräulichkeit Gottes hatte, als dessen Ebenbild er geschaffen ist. Es gab daher ebensowenig Leidenschaften wie Leid und Tod im Paradies, die Ehe ist wie der Tod Folge des Sündenfalls (s. Schöllgen, 570f.). Iren. adv. haer. 3, 22, 4 begründet die Tatsache, daB Eva Jungfrau war, obwohl sie
einen Ehemann hatte, mit der jugendlichen Unerfahrenheit der gerade zuvor Geschaffenen (SC 211, 441): ὅτι μικρῷ πρόσθεν γενόμενοι οὐκ ἔννοιαν εἶχον τῆς τεκνογονίας. Die Ehe als Konsequenz des Sündenfalls stellt auch Hieronymus vor (epist. 22, 19 [CSEL 54, 169]) Eva in paradiso virgo fuit; post pellicias tunicas, initium nuptiarum ... virginitatem esse naturae, nuptias post delictum. Dagegen wurde für Augustinus die Ehe schon im Paradies begründet, und zwar zum Zwecke der Fortpflanzung (pecc. orig. 35, 40; civ. 14, 22. 24; retr. 1, 9 [10], 2; 1, 18 [19], 5).
Die sexuelle Vereinigung muB allerdings als Ergebnis einer Willensentscheidung verstanden werden, ohne Begleitung von Leidenschaft. Gen. ad litt. 9, 5 bietet er die Begründung, daB sich nur mit dem Ziel der geschlechtlichen Vereinigung die Schaffung einer weiblichen Hilfe erklüren lasse, weil die spirituelle Gemeinschaft eher durch einen männlichen Gefährten garantiert worden wäre. V. 124f.: coniugis excipit imperium: Nach Gen. 3, 16b VL et conversio tua ad virum tuum et ipse tui dominabitur. Zur Untertünigkeit der Frau vgl. z. B. Joh.
Chrys. in Gen. hom. 17, 9 (PG 53, 145); Ambr. in Eph. 5, 33 (PL 17, 399) (mulier) persona inferior est conditionis causa, non naturae. Weitere Stellen s. Thraede, Frau, 239ff. Vgl. auch die Argumentation für das Ideal der Jungfrüulichkeit bei Cyprian hab. virg. 22: Die virgo ist befreit vom maritus als dominus. Vgl. auch PsCypr. pudic. 7. imperium: von der potestas mariti auch Liv. 34, 7, 15 quo plus
potestis (sc. mariti), eo moderatius imperio uti debetis; Paul. Fest. p. 63 nuptiali iure imperio viri subicitur nubens (ThLL VII, 1, 576). foedera tristia iussa pati: Der Vers spielt an auf den ersten Teil von Gen. 3, 16 VLet mulieri dixit multiplicans
(replens) multiplicabo (amplificabo/replebo) tristitias tuas (dolores/maerores tuos) et gemitus tuos (suspiria tua/gemitum tuum) et in (cum) tristitia (tristiis/doloribus/ dolore/gemitw/maeroribus) paries (generabis/parturies/paris) filios. Tristia greift offensichtlich vristitias auf, das im Plural im konkreten Sinn für die Geburts-
schmerzen steht. Durch die Junktur foedera tristia meidet Prudentius nicht nur in dichterischer Zurückhaltung die realistische Härte, die in der Nennung der Gebärschmerzen liegt, die Formulierung ist auch bewußt abstrakt gehalten, um das rechtliche Unterordnungs- bzw. Machtverhültnis nochmals durchscheinen zu
lassen.
foedera: eigentlich politischer Terminus, in der rómischen Dichtersprache
auf die Ehe und das erotische Verhältnis überhaupt übertragen, vgl. Verg. Aen. 4, 339 nec coniugis umquam / praetendi taedas aut haec in foedera veni; Ov. met. 7,403 thalami foedere; Tib. 1, 5, 7 furtivi foedera lecti; Val. Fl. 8, 222 fidem thalami
foedusque iugale (ThLL VI, 1, 1004f.).
V. 126-130
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Strophe 26 V. 126-130 [Auctor et ipse doli coluber plectitur inprobus, ut mulier colla trilinguia calce terat; sic coluber muliebre solum suspicit atque virum mulier.] Die Strophe 26 bringt den Strafspruch Gottes für die Schlange. Von der zwei Verse umfassenden Sentenz in Gen. 3, 14f. gibt sie allerdings nur die Ankündigung wieder, daB die Frau der Schlange den Kopf zertreten werde (Gen. 3, 15b) (s. dagegen die ausführliche Nachdichtung von Gen. 3, 14f. bei Alc. Avit. carm. 3, 116/36). Zum Vergleich: Gen. 3, 15 VL et ponam inimicitiam inter te et (inter) mulierem et inter semen tuum et (inter) semen eius (illius/mulieris) ipse (ipsa/illa) tuum calcabit (tibi [ob]servabit) caput et tu observabis (servabis/calcabis) calcaneum eius (illius). Nicht nur die Feindschaft, die dauerhaft zwischen Frau und Schlange eingesetzt wird, wird nicht erwähnt, auch die Wechselseitigkeit des Hasses wird weggelassen, wonach Mensch und Schlange sich immer wieder gegenseitig zu töten versuchen (vgl. aber unten S. 202-205 zu cath. 3, 146/50). Die Beschränkung hat hier eine klare Funktion. Sie ermöglicht die Konstruktion einer 'Strafkette', wie sie schon
in Genesis angelegt ist (Gen. 3, 14/9, vgl. Barth, 86). Die Strafkette bildet den Verführungsreigen beim Sündenfall spiegelbildlich ab: Die Frau muß sich dem Mann unterwerfen und die Schlange der Frau, wie die Schlange die Frau und die
Frau den Mann ins Verderben gestürzt hat. Darauf zielt die Synopse am Schluß der Strophe (V. 129/30). Der syntaktische Chiasmus (Subjekt — Objekt / Objekt - Subjekt) bei gleichzeitigem inhaltlichen Parallelismus (muliebre solum / mulier) soll
hier die Vorstellung einer Verkettung der Strafen verstürken. Die Verse 126/30 dienen also offensichtlich einem doppelten Zweck, einem erzählerischen, nämlich die Bestrafung der Schlange vorzuführen, und einem exegetischen, die Strafe für
die Schlange und die Strafe für die Frau zu parallelisieren. Aber diese Funktion der Strophe wirft im Kompositionsganzen erhebliche Probleme auf. Stil und Inhalt der Passage konfrontieren den Interpreten zudem mit zahireichen Schwierigkeiten und Brüchen. Die folgende Echtheitskritik soll daher zeigen, daB die Verse als unechter Zusatz angesehen und getilgt werden müssen (zum seltenen Phänomen
der Interpolation in lyrischen Texten s. Kirstein, 29; vgl. dens., 25, auch zu den internen Kriterien als Grundlage der Textkritik). Rätselhaft ist die Bedeutung der Wörter mulier (ter) und vir(um) in dieser
Strophe. Die Fortführung in Strophe 27 legt nahe, daB mit mulier und vir die Individuen Adam und Eva gemeint sind, his ducibus (V. 131) weist auf die Stammeltern und ihr historisches Vergehen zurück (Mit vir und mulier bezeichnet Prudentius Adam und Eva etwa auch in der Exegese der Verführungsszene ham. 712/6). Als
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C. Kommentar
problematisch erweist sich aber, daB dann Eva hier als Schlangentreterin eingeführt würde, wührend der Dichter diese Aufgabe in der folgenden typologischen Exegese (V. 146/55) klar Maria zuspricht, ohne daß er die beiden Aussagen mit-
einander in Bezug setzt. FaBt man mulier und vir allgemein, paBt diese Deutung zwar auf das Geschlechterverhältnis (*Die [= jede] Frau sieht über sich den Mann’),
in bezug auf den Sieg der Frau über die Schlange bleibt eine Generalisierung aber vage und rätselhaft (‘Die Schlange wird bestraft, indem eine [= jede?] Frau ihr künftig den Kopf zertreten soll’). Weder der Kontext noch die spätere Anwendung der Stelle auf Maria lassen eine kollektive Erweiterung des Begriffs mulier hier zu, wie sie etwa andere poetische Versionen der Genesis vollziehen, vgl. Avit. carm. 3, 132/6: (Anrede an die Schlange) 'Praecipue infelix mulier cum prole futura / Sic inimicitias odio currente reponat, / Semina seminibus mandent ut vota nocendi. / [nsistens semper pavidae sectabere calcem: / Conterat illa caput victoremque ultima vincat . V gl. auch die etwas ältere metrischen Bearbeitung der Genesis-Erzühlung durch Marius Claudius Victorius aleth. 1, 493/6 (CSEL 16, 1, 382): (angeredet ist wieder die Schlange) atque huius, prima gaudes quam fraude subactam, / inferior pedibus degens et pectore pronus / extremis tantum sic insidiabere plantis, / ut capiti trepidans etiam vestigia figat. In kompositorischer Hinsicht würde der allgemeine Sinn bedeuten, daß man his ducibus (V. 131) über die Strophe 26 hinweg auf die Strophe 25 und das aus dem Paradies vertriebene
Paar zurückbeziehen müßte — bei der Setzung von virum mulier am Strophenende von 26 ein höchst gewaltsamer Akt! Daß der Einschub von Str. 26 den ursprünglichen Sinnzusammenhang zerreiBt, zeigen auch die alten Glossen, die his ducibus
zwar inhaltlich falsch, aber in konsequenter Auslegung des vorliegenden Textes auf Eva und die Schlange (!) beziehen (Mittelalterliche Kommentare liefern oft
ein Indiz für Interpolamente, dazu Gnilka, Prud. I, 225. 378). Überhaupt hat die Strophe 26 den Charakter eines Einschiebsels, ipse doli (V. 126) sowie in dem abschlieBenden der den Fluch über die Frau und den Fluch über eigentliche Sündenfallerzählung, die als Teil der
faBbar am einleitenden Auctor et Kommentar des Autors (V. 129f.), die Schlange analog setzt. Daß die Menschheitsgeschichte konzipiert
ist, hier unterbrochen wird, hat Herzog erkannt, wenn er von der „biblisch scheinbar
zufállig mitberichtete(n) Episode" spricht (Herzog, 46). Die Zusammenschau in V. 129f. wird dadurch erreicht, daB für beide Strafvorgünge ein- und dasselbe Verb verwendet wird. Suspicit ist dabei in dem einen Fall ganz wörtlich zu fassen (vgl. auch Prud. comm. vet. z. St. suspicit = sursum aspicit): ‘die Schlange schaut über sich die Fußsohle der Frau (sc. die sie zertreten wird)’, in dem anderen Fall setzt es eine übertragene Bedeutung voraus: Suspicit bezeichnet das ‘Aufsehen’ der Frau zum Mann, die Unterordnung der Frau unter den Mann. Der Ausdruck sic ... suscipit stellt also in gekünstelter Weise zwei im Grunde inkommensurable Vorgänge gleich mit der Folge, daß die Strafe für die Frau unverhältnismäßig gesteigert, die Strafe für die Schlange abgeschwächt wird (vgl. dagegen calce terat!). In der Diktion fallen auch die für Prudentius unüblichen
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173
Wortwiederholungen von coluber (bis) und mulier/muliebre (ter) auf (vgl. dagegen
die erlesene Variation in Str. 30f.: aspidis [V. 147], vipera [V. 150], anguis [V. 153] sowie femineis ΓΝ. 149] und virgo (V. 152]). Mulier steht zudem zweimal am Versende. Man hat den Eindruck, daß den Fälscher vor allem der Gleichklang von
coluber und mulier reizte. Beide Wörter finden sich in cath. 3 nur hier, dreimal ans Versende gesetzt, dienen sie dazu, einen — allerdings klappernden — Reim zu
erzeugen. Die Suche nach einem Motiv für den Interpolator füllt nicht schwer. Ein Bearbeiter hat die Strophe 26 eingeschaltet, weil ihm nach der Strafe für Adam und Eva hier der Straffluch für die Schlange fehlte. Diesen liefert der echte Prudentius erst später, und zwar im Zusammenhang mit der Darstellung der Geburt des Erlósers aus der Jungfrau Maria. Die Folge des Einschubs ist ein kompositorischer Mangel, insofern die Vorwegnahme des Straffluchs über die Schlange zu einer schwer er-
träglichen Doppelung der Darstellung des Sieges der Schlangentreterin führt. Dies hat im Grunde Herzog gesehen und durch die - m. E. nicht stimmige —- Differenzierung von 'Paraphrase' (Str. 26) und 'Exegese' (Str. 30-31) des Bibeltextes zu lósen versucht (Herzog, 45f.). Durch die Vorschaltung eines vagen Referats von
Gen. 3, 15 wird aber der spüteren, theologisch wesentlichen Deutung dieser Stelle als Protoevangelium (Str. 30f.) ihre Wirkung genommen, der Lobpreis der Schlangentreterin Maria verliert an Kraft. Neben dem Motiv der Komplettierung mag den Einfälscher das Bestreben nach Explikation geleitet haben (vgl. dazu allgemein Gnilka, Prud. I, 752; Reg. s. v. 'Motiv der Interpolation’). Er formuliert in V. 129f. in rhetorisch zugespitzter Form einen Gedanken aus, der ein Grundmotiv der Genesis, aber auch der prudentianischen Darstellung bildet. Der echte Prudentius wendet ebenfalls das Prinzip der talio analogica an, insofern er die Bestrafung der Versucher jeweils in der Umkehrung ihrer bei der Verführung ausgeübten Macht sieht (zum Prinzip der talionsähnlichen Bestrafung s. unten S. 174f., im allgemeinen s. dazu Hirzel, 428ff.; Gnilka, Studien, 51ff.; dens., Prud. II, 29; 159f.). Prudentius stellt aber das neue Machtgefüge, das sich durch Gottes Strafurteil ergibt, die Unterwerfung des vormals Stärkeren durch den Schwächeren, auf ungleich subtilere und bildhaftere Weise heraus (siehe oben zu Str. 25 und unten zu Str. 30f. und 32f.), als es dem auf billige rhetorische und klangliche Effekte zielenden Interpolator von Strophe 26 gelingt. Daß der Interpolator seinen Prudentius kennt und aus ihm schöpft, zeigen auch die folgenden Interpretationen und Einzelerklärungen. Nicht nur die Strafe nach dem Prinzip der Talion, auch die Ausdrücke trilinguia (vgl. Prud. ham. 587f.), colla für den Schlangenhals (Prud. cath. 9, 90), solum (Prud. perist. 14, 116) und calce terat (Prud. perist. 14, 112f.; tit. 137) finden sich z. T. im vergleichbaren Kontext auch beim echten Prudentius (dazu unten S. 175-178). Das Urteil über die Schlange gestaltet Pseudo-Prudentius mit Hilfe epischer Formulierungen und Motive. Schon zur Einführung der Schlange entleiht er eine vergilische Wendung (s. Schwen, 90; Mahoney, 132). Mit et ipse doli fabricator bezeichnet Vergil Aen. 2, 264 Epeos als
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C. Kommentar
den Erbauer und Erfinder des hölzernen Pferdes, und zwar gegen die Tradition, die Odysseus und Athene die Urheberschaft zuschreibt, dem Epeos nur die Ausführung (Austin, 126). Der, von dem die List ihren Ausgang nahm, steht bei Vergil wirkungsvoll am Ende der Reihe der griechischen Helden, die dem hölzernen Pferd entsteigen. Die Betonung der Urheberschaft durch betontes et ipse, verbunden mit der Endstellung in der ‘Aufzählung’ übernimmt Pseudo-Prudentius von Vergil. Statt fabricator setzt er das eindeutigere Synonym auctor. Die Apposition führt noch einmal das Vergehen der Schlange vor Augen. Sie ist Anstifterin des Trugs, der zum Sündenfall führt, und damit Urheberin der Sünde. Auctor doli, verstärkt durch inprobus, spielt aber auch auf das Wesen des Teufels an, des 'Vaters der
Lüge’ und ‘Meisters der Arglist' (s. oben S. 155f. kunst zuerst im Paradies anwendet. Vor diesem die Grausamkeit als auch die Art der Bestrafung Schlange den dreizüngigen Kopf zertreten. Colla
zu V. 111), der seine VerführungsHintergrund erklürt sich sowohl der Schlange: Die Frau wird der trilinguia spezifiert das schlichte
caput in Gen. 3, 15. Zum Bild der zornigen, sich zum letzten Angriff aufbáumenden
Schlange gehórt in den antiken Schlangendarstellungen das durchaus realistische Merkmal des sich bláhenden, zischenden Halses. In den Schlangengleichnissen Vergils, in denen die Vorstellung der tödlich getroffenen Schlange evoziert wird, ist der gereckte Hals des Tieres stehendes Motiv (vgl. Aen. 2, 381; 5, 277; georg. 3, 421f.; vgl. auch Sil. 2, 547; Stat. Theb. 11, 314). Steht schon colla nicht zufällig, so erfüllt die Nutzung des horazischen Attributs für den Hóllenhund Cerberus einen besonderen Zweck. Vgl. Hor. carm. 2, 19, 31f. et recedentis (sc. Bacchi) trilingui / ore pedes tetigitque crura (van Koten, 33; Charlet, création, 163, A. 22; Lühken, 185f.). Die Dreizüngigkeit des Cerberus ist hier nicht bloBes Epitheton ornans, die Zungen haben vielmehr eine Funktion im Lobpreis des Bacchus, insofern das sanfte Lecken des Ungeheuers als höchster Ausdruck der zähmenden, segnenden Kraft des Bacchus erscheinen kann. Selbst der Hóllenhund Cerberus wird von Bacchus so besünftigt, daB er ihm beim Scheiden FüBe und Beine leckt (s. auch KieBling/ Heinze, 311). Gerade die Funktionalität der horazischen Wendung hat der Interpolator sich zu eigen gemacht (dies gegen Lühken, 185, die die Übernahme des horazischen trilingui als bloß formale, lexikalische Reminiszenz wertet). Denn ihm kommt es nicht nur auf die Monstrosität des dreikópfigen Cerberus an, um die Bosheit Satans zu versinnbildlichen (vgl. Lühken, 186). Mit trilingui ore nutzt er vielmehr einen Ausdruck, der die *Doppelzüngigkeit' der Schlange wiedergibt und den Quell der Lügenrede und Hinterlist plastisch vor Augen stellt. Indem er aber unrealistisch gerade den dreizüngigen Rachen dem Tritt der Frau aussetzt, läßt er die Strafe genau auf den schuldigen Körperteil treffen. Pseudo-Prudentius gestaltet also die Ahndung der Schlange nach dem Prinzip der Wiedervergeltung, wobei er eine spezielle Form der Beziehung von Verbrechen und Strafe zugrunde legt, námlich die Talion des sündigen Kórperteils (zum Vergeltungsprinzip als durchgehendem Gestaltungselement der Kampfdarstellungen der Psychomachie s. Gnilka, Studien, 51/81; Beispiele für die Wiedervergeltung, die sich auf das sündige Glied
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richtet, ebd. 67ff.: psych. 589/95 [Erdrosselung der Avaritia]; psych. 715/8 [Durchbohrung der Zunge der gotteslästerlichen Häresie]; vgl. auch perist. 5, 95ff.; 191f.; 10, 891ff.; apoth. 979f.). Bei der Bestrafung der Schlange greift das Prinzip der Talion daher gleich in zweifacher Form. Zur Talion des sündigen Glieds kommt der Abbild-Charakter der Strafe, insofern die Überwindung der Schlange durch die Frau die Verführung der Frau durch die Schlange spiegelt. In áhnlicher Weise
deutet Avitus in seinem Gedicht ‘De sententia' eine Umkehrung der Verhältnisse an, wenn er sagt, daB durch das Zertreten des Schlangenkopfes die Frau letztlich einen Sieg über den Versucher erringt, der sie zuvor besiegt hat, vgl. Alc. Avit. carm. 3, 136 Conterat illa caput victoremque ultima vincat. Zuvor beklagt Adam seine Verführung als Sieg der gleichfalls Besiegten über ihn, vgl. 3, 100 Haec me consiliis vicit devicta sinistris.
Auctor doli: Die Junktur findet sich auch Tac. ann. 13, 23; háufig sind Verbindungen wie auctorem sceleris (Cic. Catil. 1, 27); criminum (Cic. Cael. 31); facinorum (Cic. dom. 101). Vgl. das Bild des Teufels als listenreichen Seelenfängers Prud. ham. 136ff.; bes. 144/6 qui mundum curvis anfractibus et silvosis / horrentem scopulis versuto circuit astu, / fraude alios tectisque dolis innectere adortus. Die Listanwendung des Teufels beim Sündenfall thematisiert auch cath. 9, 91f. Quid tibi, profane serpens, profuit rebus novis / plasma primum perculisse versipelli
astutia? Vgl. auch Ambr. parad. 12, 56; Aug. gen. ad litt. 11, 42 (Charlet, création, 163).
coluber: Für die Paradiesesschlange bei Prudentius nur cath. 3, 126. 129.
In der Bedeutung 'Schlange' auch Prud. c. Symm. 1, praef. 38; ham. 423; psych. 789; als Synonym zu diabolus perist. 6, 23 vocat cruentus / ad poenam coluber dei
ministros. Prudentius hat die in der spütantiken Zeit üblichere maskuline Form, die seit Vergil (z. B. georg. 2, 320; 3, 418; Aen. 2, 471; 6, 419) im Gebrauch ist. Den Gleichklang von colla colubris setzt Vergil Aen. 6, 419 bei der Beschreibung des Hóllenhundes ein, den Pseudo-Prudentius in colla trilinguia ebenfalls assoziiert, vgl. cui (sc. Cerbero) vates horrere videns iam colla colubris; dann Lucan 6, 664
villosa ... colla colubris Cerberus excutiens.
inprobus: In bezug auf eine Schlange
noch Verg. georg. 3, 431 improbus ingluviem ranisque loquacibus explet, dort allerdings im Sinn von ‘gierig, räuberisch’, vgl. Serv. ad loc. insatiabilis; ThLL VII, 1, 691, 83. S. auch Mart. 5, 65, 14. Zum Ausdruck der Heimtücke der Schlange verwendet Vergil georg. 3, 425 das Adjektiv malus. Geführlichkeit kennzeichnet ebenso wie die Dreizüngigkeit auch die natürliche Schlange. V gl. dazu georg. 3, 439 linguis
micat ore trisulcis.
colla: von der Schlange auch Prud. cath. 9, 90, ebenfalls mit
Bezug auf Gen. 3, 15. Beim Anblick des heiligen Opferleibs Christi am Kreuz bricht sich die Schlange den Hals: saucius dolore multo, colla fractus sibila. trilinguia: Auf Hor. carm. 3, 11, 20, wo trilingui ore ebenfalls Cerberus charakterisiert, statt auf carm. 2, 19, 31f. verweisen die Ausgaben von Lavarenne, édition, 16f., A. 2; Guillén/Rodríguez, 41, A. zu V. 128; S. Eagan, 20, A. 35. Die in Frage kommende
Strophe wurde aber schon mehrfach und zu Recht in ihrer Echtheit bezweifelt
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C. Kommentar
(KieBling/Heinze, 310, nach Naeke u. a., so auch Klingner, anders Shackleton Bailey). Gerade die kühne Wendung ore trilingui ist dort nicht motiviert (KieBling/ Heinze, 311). Zur traditionellen Darstellung des Cerberus als dreikópfig und somit
auch mit drei Mündern, drei Zungen und dreifachem Bellen versehen s. Norden, Vergilius, 243, zu Verg. Aen. 6, 417/25 (latratu trifauci). Trilinguis sonst noch Val. Fl. 7, 184 (vom Gesang der Hekate); im Sinne von dreisprachig z. B. Apul. met. 11, 5, 2. Prudentius nutzt den Ausdruck für die Schlangendarstellung, vgl. ham. 587. caput inserit ille trilingue / coniugis in fauces (vom Schlangen-Koitus). Die Vorstellung von der dreigespaltenen Zunge der Schlange hat Prudentius noch ham. 201f.: simplex lingua prius varia micat arte loquendi / et discissa dolis resonat sermone trisulco, An der Veränderung des Schlangentieres (Windungen des vormals
glatten Kórpers, Spaltung der Zunge) macht der Dichter hier die Wandlung des Engels zu Satan sichtbar. Zur morphologischen Gegebenheit der Dreizüngigkeit der Schlange s. o. S. 175 zu inprobus. Zum übertragenen Sinn der Doppelzüngigkeit des Versuchers im Paradies vgl. auch Aug. c. Petil. 2, 14, 31 numquid vere carnaliter filii sunt viperarum ac non magis mente serpentes et trilingui malitia tactuque mortifero et spiritu veneni flagellantes? Auf Ambr. parad. 12, 55 als mógliche Vorlage für Prudentius' Anwendung des Adjektivs auf die Schlange weist schon Charlet, création, 163, A. 22, hin; vgl. (CSEL 32, 1, 313) et ideo bilinguis serpens habetur atque letalis, eo quod diaboli minister aliud lingua loquitur aliud corde meditatur.
mulier: nimmt das 'Weib' der ersten Vershälfte von Gen. 3, 15 auf. Mulier ist das in Vetus Latina und Vulgata übliche Wort für Frau, femina dagegen ist das Dichterwort (dazu Heinsdorff, 232f.). Das feminine Subjekt zeigt, daB der Interpolator wie Prudentius (in Str. 30f.) dem Vetus Latina-Text mit der Lesart
ipsa in Gen. 3, 15b folgt (s. bes. Charlet, bible, 23; Drewniak, 91). AuBer in cath. 3, 146-155 wendet Prudentius auch an anderer Stelle den Genesis- Vers auf eine Frau an, nämlich auf die Märtyrerin Agnes in perist. 14, 112ff. /psa liest allerdings auch die lateinische Vulgata-Fassung, dazu Barth, 133 mit Anm. 294. - Das Aufkommen der Variante ipsa/illa statt ipse in der zweiten Hälfte des vierten Jahrhunderts scheint aus sprachlicher Sicht als Rückbezug auf mulier erklürlich, sogar konsequent (so schon Philon leg. all. 3 in Auseinandersetzung mit dem Septuaginta-
Wortlaut αὐτός). Die feminine Form ist zuerst belegt bei Ambrosius (z. B. fug. saec. 7, 43). Ipsa statt ipse lesen u.a. auch Optat von Mileve (Drewniak, SOf.);
Augustinus (z. B. gen. ad litt. 11, 1; in psalm. 48, 1, 6; Drewniak, 64f.); der Verfasser der ‘Epistula ad amicum aegrotum de viro perfecto', 5/7; Alc. Avit. carm. 3, 136; Hier. in Is. 16, 58, 12. Schon Drewniak, 91f., stellt klar, daß das Auftauchen der Lesart ipsa mit der sehr viel späteren, im eigentlichen Sinn erst mittelalterlichen mariologischen Auslegung von Gen. 3, 15 als Protoevangelium (d. h. Maria als Schlangentreterin) nicht zusammenhängt (s. auch Charlet, bible, 23). Denn ipsa findet sich gerade bei Autoren, die Gen. 3, 15 nicht als messianisch-marianische
Verheißung nehmen. Ipsa/illa wird dann auf Eva (Hier. in Is. 16, 58, 12; in Ezech. 14, 47, 1) oder in moralischer Auslegung auf die Frau generell (Ambr. fug. 43,
V. 126-130
177
197, 12) oder auf die Kirche bezogen (Aug. in psalm. 35, 18). Ist die marianische Exegese nicht von Belang für die Lesart ipsa/illa, so mag umgekehrt die feminine Textvariante Prudentius zu der mariologischen Anwendung der Genesis-Stelle angeregt haben, die in der Spätantike singulär ist (vgl. cath. 3, 146-55; dazu unten S. 202-213). Zum Überblick über die möglichen Erklärungen der Schlangentreterin Eva (durch Maria, ihre Nachfahrin bzw. ihren Antitypos, durch die Menschen, deren Stammmutter sie ist, und deren moralisches Bemühen, durch Christus, den Menschensohn und ihren Nachkommen) s. Drewniak, passim, vgl. auch unten zu
cath. 146ff. calce terat: Pseudo-Prudentius nutzt den hohen Stil einer vergilischen Periphrase (Schwen, 76; Charlet, création, 163). Calce terere ‘dicht hinterherlaufen, im Lauf einholen' findet sich Verg. Aen. 5, 324 ecce volat calcemque terit iam calce Diores; in diesem Sinn schon Plaut. Merc. 952 sequor. clementer quaeso, calces (sc. meas)
deteris. Als hohen Ausdruck für einfaches 'laufen, auftreten' hat Prudentius die Wendung tit. 137 fluctusque liquentes / calce terens (von Jesus, der auf dem Wasser wandelt). Servius konstatiert zu Aen. 5, 324: calcem dicimus, unde terram calcamus; ergo non proprie dixit 'calcem calce terit': planta enim calcem non potuit terere; unde a parte totum accipiendum, id est calce pedem terebat. Diese Deutung von calx ‘Ferse’ im Sinne von planta 'FuBsohle' setzt auch cath. 3, 128
voraus, vgl. V. 129f. solum suspicit. Calce terat umschreibt hier das Verb calcare aus Gen. 3, 15 VL, terat ist also Simplex pro Composito (wie z. B. auch Prud. psych. 249), proterere steht entsprechend beim echten Prudentius cath. 3, 150 und bei der Anwendung derselben Genesis-Stelle auf die Märtyrerin Agnes im Hymnus perist. 14, 112. Die Parallele bietet gleich eine dreifache Variation des biblischen Wortes calcare, vgl. perist. 14, 112/8 Haec calcat Agnes ac pede proterit / stans et draconis calce premens caput, / terrena mundi qui ferus omnia / spargit venenis mergit et inferis, / nunc virginali perdomitus solo / cristas cerebri deprimit ignei / nec victus audet tollere verticem. Aufschlußreich ist auch die Erklärung des Hieronymus zu conteret im Vulgata-Text (quaest. hebr. in Gen. 3, 15). Die Wendung calce terat erlaubt also keinen eindeutigen Rückschlu& auf den Gebrauch der Vulgata- Version an dieser Stelle (so Charlet, bible, 20f. gegen Schuster, 71/5).
V. 129f. Der erste Teilsatz ist in Anlehnung an Gen. 3, 15b VL formuliert, vgl. et tu observabis (servabis/calcabis) calcaneum eius (Vulg. et tu insidiaberis calcaneo eius). Gemeint ist in Genesis der institutionalisierte Angriff der Schlange auf die Frau, der die Feindschaft zu einer wechselseitigen werden läßt. Der Interpolator spielt mit dem Wortlaut, ja stellt den Sinn des Verses auf den Kopf,
wenn er ihn zu einer weiteren Variation des Strafspruchs für die Schlange gestaltet. Die Strafe lautet, aus der Sicht des Tieres dargestellt: 'So sieht die Schlange über sich die FuBsohle der Frau’. solum: Synonym zu planta pedis, solea. V gl. Arevalo z. St. pro pede, seu ima pedis parte frequens est. Vgl. Plaut. Bacch. 332;
Lucr. 1, 927 loca nullius ante trita solo; dazu Prud. perist. 7, 65 dextrae subsidio tuae / subiecisse salum solo (von Petrus, der mit Christi Hilfe auf dem Wasser
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C. Kommentar
wandelt); perist. 14, 116 (s. o. S. 177 zu calce terat). suspicit: haben die Ausgaben von Bergman, Guillén/Rodríguez, Lavarenne. Arevalo entscheidet sich mit C O für suscipit, ebenso neuerdings Charlet, bible, 21. Mit suspicit nimmt der Dichter die VL-Version observabis auf, wobei er aber nicht den Sinn *beobachten, auflauern' (Synonym insidiaberis, vgl. Cic. orat. 210 Non enim id agit ut insidietur et observet, sed iam favet) zugrunde legt, sondern die Bedeutung ‘aufschauen, (ängstlich) beobachten'. Vgl. die Glosse z. St. timer, timeat. Die Variante suscipit, die auch auf observabis zurückzuführen ist, betont stärker den Aspekt der Unterord-
nung der Schlange unter die Frau (vgl. Charlet, bible, 21), ist aber mit dem Objekt muliebre solum nur schwer zu verbinden. Strophe 27
V. 131-135 His ducibus vitiosa dehinc posteritas ruit in facinus, dumque rudes imitatur avos, fasque nefasque simul glomerans inpia crimina morte luit.
Nach der Katastrophe für die Stammeltern als Individuen (Eintritt des Todesverhüngnisses, Verlust der urstündlichen Gnade, Auftreten von Scham und SchuldbewuBtsein, Vertreibung aus dem Paradies) beschreibt Prudentius die Folgen des Sündenfalls für die ganze Menschheit: Der Einbruch der Sünde in die Welt zieht die moralische Depravation und das Sterben aller nach sich. In der vorliegenden Strophe entfaltet Prudentius ein Stück paulinischer Theologie (vgl. auch zu Str. 28), nämlich die Hamartologie in Röm. 3, 9/20 bzw. 5, 12/21. Paulus entwirft ein mythisches Bild der Herrschaft der Sünde und des Todes, die sich infolge der Ver-
fehlung Adams über die gesamte Menschheit und Schópfung erstreckt. Die Universalität der Sündhaftigkeit ist aber auch allgemeine jüdisch-christliche Auffassung und wird durch AT und NT bezeugt, vgl. z.B. 1 Kg. 8, 46; Ps. 14, 3; Jer. 25, 4f.; 4 Esr. 7, 46f.; 68ff.; 8, 35; Mt. 6, 12; Luk. 11, 4. 13; Joh. 8, 7. Die allgemeine Verfallenheit an Sünde und Tod erklürt auch Prudentius im Kontext der Idee von der adamitischen Menschheit, aber nicht in der Weise, wie
etwa der Kirchenvater Ambrosius die allem Handeln vorgüngige iniquitas unmittelbar aus dem Geschlechtszusammenhang zwischen Adam und allen Menschen ableitet (Zur ambrosianischen Vorstellung von der ‘corporate personality", die besagt, daB in Adam schon das ganze Geschlecht gegenwärtig ist und an seiner Sünde teilhat, s. Fenger, 85, mit Literatur). Prudentius greift auf ein historisch-pädagogisches Modell zurück, indem er nämlich den Grund für die Verderbtheit in die Nachahmung der ersten Sünder durch ihre Nachkommen legt. Nachdem die Stammeltern das göttliche Gesetz einmal übertreten haben, folgen die nachkom-
V. 131-135
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menden Generationen ihrem Vorbild nach. Es ist das römische Prinzip der imitatio exemplorum maiorum, das Prudentius hier ins Negative gewendet vollzogen sieht. Das zugrundeliegende Bild wird in his ducibus und imitatur greifbar: Die Proto-
plasten ziehen als Archegeten der Sünde ihren
Nachkommen voran. Der Gedanke,
daB die Vermittlung des Bósen durch Nachahmung erfolgt, steht bei Prudentius nicht vereinzelt da. Eine ühnliche Vorstellung entwickelt der Dichter in der Hamartigenie (V. 247ff.), um die Depravation der Natur nach dem Sündenfall zu erklüren. Vgl. nec mirum, si membra orbis concussa rotantur, / si vitiis agitata suis mundana laborat / machina, si terras luis incentiva fatigat: / exemplum dat vita hominum, quo cetera peccent, / vita hominum, cui, quidquid agit, vaesania et error
/ suppeditant, ut bella fremant, ut fluxa voluptas/ diffluat. Wie cath. 3, 131/5 die Menschheit die gefallenen Stammeltern nachahmt, so folgt hier die gesamte Schópfung dem gefallenen Menschen nach. Vgl. auch schon zuvor ham. 206ff., bes. 213/5: sic homini subiecta domus, ditissimus orbis / scilicet in facilem domino peccante ruinam / lapsus erile malum iam tunc vitiabilis hausit. Das Böse überträgt sich vom Hausherrn der Schöpfung auf das Haus, die Schöpfung selbst, den ganzen Kosmos mit all seinen Schätzen (vgl. dann ham. 216/43 die Schilderung der Verderbnis der Natur im einzelnen durch Schädlinge, Raubtiere, Unwetter,
Überschwemmungen etc.). Der hier geschilderten „analogischen Wirkung" (Gnilka, Prud. II, 429f.) bei der kosmischen Ausbreitung des Bösen entspricht auf der historisch-moralischen Ebene der Handlungen die Tradierung der Ursünde durch
Nachahmung, wie Prudentius sie cath. 3, 131ff. darlegt. Wegen der Betonung der Nachahmung meinte schon Arevalo, 805 z. St., den
Verdacht der pelagianischen Irrlehre von Prudentius abwehren zu müssen — unter Hinweis auf die ‘orthodoxe’, d. h. mit der späteren augustinischen Erbsündelehre
zu vereinbarenden Darstellung im Lehrgedicht apoth. 911ff. (s. unten S. 184 s. v. vitiosa). In der Tat vertreten die Pelagianer die Auffassung, die 'Erbsünde' sei nur Nachahmung des schlechten Beispiels Adams (vgl. Aug. epist. 157, 21; pecc. mer.
1, 9, 9f.; Pel. exp. Róm. 5, 12 [Souter]). Man darf aber den Aspekt der Übertragung des Bósen durch Nachahmung an unserer Stelle nicht isoliert sehen, weder
auf Prudentius' Gesamtwerk bezogen, noch im Hinblick auf den Kontext dieser Stelle. In der Lehre des Pelagius ist der Nachahmungsgedanke untrennbar verbun-
den mit dem Glauben daran, daB der Mensch auch nach dem Sündenfall die volle Fühigkeit zum Guten bewahrt hat. Dagegen wendet sich vor allem Augustinus mit seiner Lehre von der *Erbsünde', von dem konstitutiven Schuldzustand, den alle Menschen von Adam her angenommen haben und der den Verlust der Freiheit zum Guten bedeutet (Hoping, 746). Von einer optimistischen Sicht des sittlichen Kónnens, wie sie die Pelagianer vertreten, kann aber bei Prudentius keine Rede
sein, da er in jedem Vers der Strophe die moralische Verdorbenheit der Menschen einschärft: vitiosa (V. 131), ruit in facinus (V. 132), fasque nefasque simul glomerans
(V. 134), inpia crimina (V. 135). Insbesondere das Unvermögen, Gut und Böse zu unterscheiden (V. 134), durch das Prudentius die moralische Entartung umschreibt,
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C. Kommentar
steht dem pelagianischen Glauben an die sittliche Erkenntniskraft des einzelnen entgegen (vgl. Pel. exp. Kol. 3, 10). Die Darstellung des Prudentius widerspricht auch nicht der Lehre von der naturhaften, durch ‘samenhafte Identität’ übertragenen Ursprungssünde, die Augustinus erstmals formell ausbildet (Bonner, 82f.; Hoping,
745). Auch Augustinus erkennt an, daß es bei der Entstehung der Sünde eine Nachahmung Adams gibt, zwar nicht bei der Ursünde, die von Anbeginn vererbt wird, aber bei den willentlichen, individuellen Sünden (vgl. pecc. mer. 1, 9, 10). Diese
Unterscheidung greift in gewisser Weise auch bei Prudentius, insofern er nicht so
sehr das Verhängnisvolle, Schicksalhafte des Sündigens betont, sondern bei aller Verlorenheit der Menschen die Aktivität und Verantwortung der posteritas für ihre eigenen Untaten hervortreten läßt (s. zu V. 135). Die theologische Aussage, die das Modell der imitatio avorum impliziert, entfaltet der Dichter durch die schópferische, kontrastierende Verarbeitung klassischer Vorbilder. Für die Darstellung der christlichen Lehre von der universalen Schuld-
und Todverfallenheit infolge des Sündenfalls greift Prudentius Reflexionen der augusteischen Dichter auf, die das Bürgerkriegselend der nüheren Vergangenheit und Gegenwart auf eine Erbschuld der Rómer zurückführen. Die Anspielungen springen sofort ins Auge. Die Zusammenstellung ruit in facinus nimmt offensichtlich Bezug auf den Beginn der siebten Epode des Horaz, in der die Katastrophe der Bürgerkriege heraufbeschworen wird, epod. 7, 1 Quo, quo scelesti ruitis? Vgl. aber auch Hor. epod. 16, 1f. Altera iam teritur bellis civilibus aetas, / suis et ipsa Roma viribus ruit; carm. 1, 3, 26 (audax omnia perpeti) gens humana ruit per
vetitum nefas (Anklang notiert von Salvatore, Studi, 100; Evenepoel, Hymnus ante
cibum, 130f.; Lühken, 251, A. 12). Horaz klagt den brudermórderischen Frevelsinn der Bürgerkriege an und fragt nach der Ursache dafür. Die Antwort liegt in einer Schuld aus mythischer Zeit (epod. 7, 14), das ist der Brudermord des Romulus an Remus, der dem Römervolk zum Verhängnis wurde (V. 17/20). Vergleichbar mit der Situation, die Prudentius schildert, ist nicht nur die Verblendung der Sünder, sondern auch die Übertragung einer Schuld von Generation zu Generation. In diesem
Sinn wirkt auch die zweite Horaz-Nutzung in dieser Strophe. Mit vitiosa posteritas greift Prudentius den Schlußvers der sechsten Rómerode auf: progeniem vitiosiorem
(Hor. carm. 3, 6, 48). Anfang und Ende dieser Ode führen eine bedrückende Gegenwart auf die Sünden der Väter zurück (zu Hor. carm. 3, 6, 1 s. u. S. 182). In
V. 45/48 zeichnet Horaz das Schicksal einer von Stufe zu Stufe herabsinkenden Generationenfolge: damnosa quid non inminuit dies? / aetas parentum peior avis tulit / nos nequiores, mox daturos / progeniem vitiosiorem (Die Klage, daB jede Generation schlimmer sei als die vorhergehende, findet sich schon bei Hom. Od.
2, 276f.; Arat. phaen. 123f.; Verg. georg. 1, 199f.). Den wuchtigen Ausdruck für den moralischen Niedergang, der hier den SchluBakkord bildet, ‘ein noch verderbteres Geschlecht’, nutzt Prudentius zur Bezeichnung der gefallenen Menschheit. Auch den die Entartung steigernden Zeitfaktor nimmt er auf. Während die Stammeltern noch unerfahren im Bösen (rudes) sind, treibt es die Nachkommenschaft
V. 131-135
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schlimmer als diese: Sie häuft Recht und Unrecht zugleich (zur Nutzung des in der antiken Kultur allgegenwärtigen Dekadenzgedankens vgl. auch Prud. ham. 203ff., wo der Dichter die fortschreitende Entartung der Schópfung und der Sitten beschreibt, sowie c. Symm. 1, 59f. 84f. 145ff. 197/9. 245ff. [Ausbreitung des Poly-
theismus nach dem Prinzip der Depravation], dazu Gnilka, Prud. II, 248). In anderer Hinsicht ist dagegen der Unterschied zwischen horazischer und christlicher Auf-
fassung von Erbschuld evident. Scheint Horaz den pessimistischen Gedanken von der schicksalhaften * Vererbung' von Schuld im Vergleich zu Prudentius eindringlicher zu gestalten, so ergibt der Kontext der gesamten Ode ein anderes Bild. Die Aussicht auf den scheinbar unaufhaltsamen Niedergang hat Appellcharakter: Sie soll die Zuhörer provozieren, das Gesetz des moralischen Verfalls zu überwinden
(Syndikus, II, 96f.; Numberger, 243). Zu Beginn des Gedichts zeigt Horaz schon, daB das rómische Volk in der rechten pietas die Móglichkeit hat, die Wendung zum Besseren aus eigener Kraft herbeizuführen. Diese optimistische Perspektive,
die den Geist der Ode im Ganzen prägt (Syndikus, II, 96f.), ist aber der christlichen Lehre von Erbschuld und Sünde, Gnade und Erlósung vóllig entgegengesetzt.
Vers 134 gibt in einem kraftvollen poetischen Ausdruck eine allgemeine Bestimmung des sündigen Verhaltens. Die Verdorbenheit des Menschengeschlechts manifestiert sich in der Unfühigkeit, Recht und Unrecht zu unterscheiden: fasque nefasque simul glomerans. Mit der ‘Vermischung von Recht und Unrecht’ nimmt Prudentius eine verbreitete dichterische Umschreibung der allgemeinen Sittenlosigkeit auf. Zahlreiche Anklänge werden notiert: Ov. met. 6, 585f. fasque nefasque / confusura ruit (Hanley, 49); Catull. 64, 405 omnia fanda nefanda malo permixta furore (Evenepoel, 130f.); Hor. carm. 1, 18, 10f. cum fas atque nefas exiguo fine libidinum / discernunt avidi; Verg. georg. 1, 501 (s. im folgenden; Salvatore, Studi, 100f.; Evenepoel, Hymnus ante cibum, 130f.; Charlet, création, 163, A. 26; Lühken, 251, A. 12). Von absichtsvoller Reminiszenz kann man in bezug auf Verg. georg. 1, 501ff. sprechen. Wie in den Horazpartien, die die Verse 131f. heraufbeschwören, wird auch im Epilog des ersten Buches der Georgica die Beschreibung der gegenwärtigen Bürgerkriegsnot mit dem Eindruck eines schuldhaften Verhängnisses
verknüpft, vgl. V. 501/6 satis iam pridem sanguine nostro / Laomedonteae luimus periuria Troiae; / iam pridem nobis caeli te regia, Caesar, / invidet atque hominum queritur curare triumphos, / quippe ubi fas versum atque nefas: tot bella per orbem, / tam multae scelerum facies, non ullus aratro / dignus honos. Die allgerneine
Klage 'Hier ist ja Recht und Unrecht verkehrt' leitet die Aufzühlung des Bürgerkriegselends ein: die weltweite Verbreitung von Kriegen, Verbrechen und in der Folge die Zerrüttung der Landwirtschaft. Der Verlust der sittlichen Einsicht
mündet in der universalen Auflósung jeglichen Sittengesetzes: saevit toto Mars impius orbe (V. 511). Vergleichbar ist auch Catulls Schilderung der verdorbenen Gegenwart im Epilog zum 64. Gedicht, wo die radikale und universale Sittenlosigkeit gleich einleitend festgestellt wird: 397ff. Sed postquam tellus scelere est imbuta nefando, / iustitiamque omnes cupida de mente fugarunt. In der Vermengung von
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C. Kommentar
Recht und Unrecht faßt Catull die einzelnen Beispiele für Sittenverderbnis zusammen, die er zuvor vor Augen führt (V. 399/404), vgl. V. 405f. omnia fanda nefanda malo permixta furore/ iustificam nobis mentem avertere deorum. Prudentius mußte in doppelter Hinsicht in dem bildhaften Ausdruck eine adäquate Wiedergabe des Theologoumenons von der allgemeinen Sündhaftigkeit sehen. Die Umschreibung evoziert nicht nur antike loci classici eines schicksalhaften Sittenverfalls, die den Kontext bei Prudentius verdeutlichen, sie dient auch dazu, die biblische, genauer
paulinische Aussage der universalen Schuld in hohe Sprache umzusetzen. Vers 134 gibt Róm. 3, 9ff. (Ps. 14, 1/3), vgl. bes. 3, 9/11 (Vulg.) Causati enim sumus Iudaeos, et Graecos omnes sub peccato esse, sicut scriptum est: Quia non est iustus quisquam: non est intelligens, non est requirens Deum. Das Fehlen von Einsicht
und Gerechtigkeit, das mit einem gestörten Gottesverhältnis verbunden ist, kommt auch in der dichterischen Umschreibung zum Ausdruck, insofern in der Unterscheidung von Gut und Bóse das Wesen der sittlichen Klugheit liegt und mit fasque
nefasque simul glomerans auch die Übertretung góttlicher Gebote gemeint ist. Auch dafür finden sich Vorbilder in den genannten Darstellungen der Bürgerkriege. Bei Catull z. B. erweist sich die allgemeine Entsittlichung auch als mangelnde Gottesfurcht (64, 386 spreta pietate), und bei Vergil heißt der Bruderkrieg impius Mars (georg. 1, 511). Die heilsgeschichtliche Dimension des Verlustes der sittlichen
Unterscheidungskraft, die bei Prudentius hier anklingt, führt Laktanz im fünften Buch der 'Institutiones divinae' aus (inst. 5, 5, 13f.). Das Wissen um Gut und Böse kennzeichnet bei Laktanz den guten Urzustand des Menschen in der paradiesischen Zeit und geht ebenso wie die richtige Art und Weise der Gottesverehrung nach dem Sündenfall verloren (zum Unterschied zur traditionellen Deutung von Gen. 2, 9. 17; 3, wonach der Gewinn der scientia boni ac mali gerade zur Gottferne führt, s. Buchheit, Gerechtigkeit, 245/51). Folge des Verlustes der sittlichen Einsicht
ist wiederum die Auflósung der sozialen Gemeinschaft und ihrer Grundfeste, der Gerechtigkeit (vgl. inst. 5, 8, 6/10, bes. 5, 8, 10 nunc autem mali sunt ignoratione recti ac boni, dazu Becker, Klugheit, 160). Die Menschen büßen ihre ruchlosen Taten mit dem Tod (V. 135). Der Gedanke vom Tod als Strafe entfaltet Aussagen wie Róm. 5, 12b ‘und auf diese Weise gelangte der Tod zu allen Menschen, weil alle sündigten'; 5, 21; 6, 21f.; 7, 5. 13; 1 Kor. 15, 22; Jak. 1, 15; vgl. bes. auch das Bild vom ‘Sold der Sünde’ Róm. 6, 23 τὰ
ὀψώνια τῆς ἁμαρτίας. Im Sühnegedanken tritt der Unterschied zwischen der rómischen Vorstellung von der Erbschuld der Bürgerkriegsgeneration und der christlichen 'Erbsündelehre' noch einmal deutlich zutage. Vgl. die wörtlichen Anklünge (nach Salvatore, Studi, 97ff.; Lühken, 251, A. 12) zu Hor. carm. 3, 6, 1f. Delicta
maiorum inmeritus lues, / Romane, donec templa refeceris; Verg. georg. 1, 5011. satis iam pridem sanguine nostro / Laomedonteae luimus periuria Troiae. Ob die Sünden der vormals in die Bürgerkriegsgreuel verstrickten Vorfahren (Horaz) gemeint sind oder der Meineid der Troer (Vergil), der auf dem rómischen Volk lastet, zugrunde liegt der Gedanke, daB die Kinder - selbst schuldlos (inmeritus!) — für
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die Sünden der Väter büBen müssen. Prudentius kann diesen Konnex von Schuld und Strafe so nicht übernehmen. Für ihn ist die Nachkommenschaft gerade nicht schuldlos. Die Menschen werden in der Nachfolge ihrer Stammeltern selbst schuldig
und büBen ihre eigenen Vergehen mit dem Tod. Im Kontext der 'Erbsündelehre' betont Prudentius hier also nicht so sehr den Verhüngnischarakter der Schuld wie die Verantwortlichkeit des einzelnen für seine Sündentaten. Die persónliche Schuld der Menschen hält neben Róm. 3, 11f. auch Róm. 3, 23 fest: “Alle haben gesündigt und die Herrlichkeit Gottes verloren' (vgl. auch Róm. 1, 20 und die moderne theolo-
gische Auslegung von Röm. 5, 12f. ἐφ᾽ ᾧ πάντες ἥμαρτον, wonach der Grund des Sterbens aller in den individuellen Tatsünden, nicht in der Sünde Adams gesehen wird, dazu Hoping, 966f.). Die Umwandlung des Sühnegedankens liegt daher auf einer Linie mit dem Rekurs auf das Prinzip der imitatio, das für Prudentius die
Übertragung der Erbschuld auf die Menschheit begründet. ‘Nachahmung der
Vorfahren' bedeutet ja hier die aktive, persónliche Übernahme der einmal in die Welt gekommenen Sünde durch die Spüteren. Die Vermutung liegt nahe, daß Prudentius gerade im Kontrast zur mehrfach alludierten, quasi mythisch-archaischen Vorstellung von Erbschuld bei den Augusteern die in der christlichen Erbsündelehre eingeschlossene persónliche Verantwortung der Sünder hervorheben will. Die Verantwortlichkeit des einzelnen für seine Sündentaten setzt der Dichter an anderer Stelle explizit gegen die Schicksalsgläubigkeit der Heiden, vgl. c. Symm. 2, 471/6 nemo nocens, si fata regunt, quod vivitur ac fit, / immo nocens, quicumque volens, quod non licet, audet, / alterutrum quia velle suum est nec fata reatum / inponunt homini, sed fit reus ipse suopte / arbitrio placitumque nefas et facta rependit / inpia suppliciis merito, non sorte peremptus. Die Untaten des einzelnen
(facta impia!) sowie die dafür verhängte Bestrafung sind nicht schicksalhaftem Verhüngnis zuzuschreiben, sondern dem freien Willen des Menschen, der das Böse wählt.
His ducibus: von den Stammeltern Adam und Eva, gegen Gloss. vet.: colubro et muliere, und Arevalo, 805 z. St. adde glossae Adamum. Das zeigt die Wiederaufnahme durch avos in V. 133. Dux vom Lehrer der moralisch schlechten Tat z. B. Plaut. Pseud. 447 Hic (sc. Pseudolus) mihi corrumpit filium ... Hic dux, hic illist paedagogus; Cic. Verr. 2, 1, 105 an (Verres) ... sine duce ullo, sine indice pervenerit ad hanc improbitatem, nescio; Petr. Chrys. serm. 2, 5 homines criminosos ... vitiorum duces (ibid. criminum magistros); serm. 26, 2 (vom Teufel, dem Urheber der Sünde) qui erat minister veniae, factus est dux poenarum. Die Konstruktion im nominalen Ablativ ist geläufig, z. B. Varro Men. 483; Cic. Arat. frg. 7; Lucr. 6, 95; Verg. Aen. 1, 696; 6, 59. dehinc: zeitlich absolut den Zeitraum von der Vergangenheit zur Gegenwart bezeichnend ‘fortan, von da an', zweisilbig wie sonst bei Prudentius, z. B. cath. 2, 65; ham. praef. 23; c. Symm. 2, 211; perist. 13, 87.
vitiosa: Vgl. Prud. ham. 113 (scelerum deus) qui, quodcumque malum vitioso fervet in orbe, / sevit (von der Welt als Prinzip des Bösen im Referat der manichäischen
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C. Kommentar
Lehre); ham. 510f. luctamen cum sanguine nobis / et carne et venis ferventibus et
vitioso / felle (vom Körper als Organ der Sündhaftigkeit). Vitiabilis orbis heißt die
Welt nach dem Sündenfall ham. 215 (vgl. die Übersetzung von Lavarenne, édition, 50, "désormais susceptible de vices'*). Zugrunde liegt dort die Vorstellung von der
Depravation der Schópfung durch Angleichung an das Bóse, wobei Prudentius der Verletzung des göttlichen Gesetzes durch den Herrn der Schöpfung eine kosmische Wirkung zuschreibt (s. o. S. 179). Das Adjektiv ist hier entweder im proleptischen Sinn gebraucht, insofern vitiosa die Wirkung der facinora, inpia crimina (V. 132.
135) vorwegnimmt (vgl. etwa die Übersetzungen von Thomson, 27, und S. Eagan, 21), oder eher erklürend, kausal gesetzt mit der Andeutung einer quasi natürlichen, schuldhaften Konstitution des Menschen, einer von Adam her angeborenen Ver-
derbnis der menschlichen Natur im augustinischen Sinn (so Torro, 117, für den man hier klar unterscheiden muß zwischen der ‘Erbsünde’ im eigentlichen Sinn
und der Imitatio der Sünde als ihrer logischen Folge). Den Gedanken einer keimhaften Infizierung des Menschengeschlechts durch die Adamssünde reflektiert Prudentius im Lehrgedicht Apotheosis, vgl. apoth. 909/914 haec prima est natura animae. sic condita simplex / decidit in vitium per sordida foedera carnis, / exim
tincta malo peccamine principis Adae / infecit genus omne hominum, quod pullulat inde, / et tenet ingenitas animarum infantia in ortu / primi hominis maculas, nec quisquam nascitur insons. Die Darstellung enthält Elemente der von Augustinus entwickelten und bis heute gültigen Erbsündelehre: Die Natur der Seele wird durch die Sünde Adams zum Schlechten verändert und wird quasi durch Fortpflanzung an die mit Adam im Stammeszusammenhang stehende Menschheit weitergegeben (Bonner, 82). Augustinus zieht den Vergleich mit einer erblichen Infektionskrank-
heit, c. Iulian. op. imperf. 2, 177 (CSEL 85, 296f.) Si quis intemperantia sibi podagram faciat eamque transmittat in filios ... fecerunt (sc. vitium) ergo non actione hominum, sed ratione iam seminum. Ähnlich beschreibt Prudentius die Deterioration der menschlichen Natur durch den physischen Vorgang der Beflekkung, der nach Art einer Infektion auf die Kinder übertragen wird. Daher haftet schon Kleinkindern der Makel der Ursünde an, jeder zieht sich schon mit der Geburt Adams Schuld zu. Das Phänomen der 'Erbsünde' beschreibt Prudentius auch apoth.
915/31; bes. 921/6, bei der Abwehr des Traduzianismus im Zusammenhang mit der Entstehung der Seele und ihrer Wiedergeburt durch die Taufe: vitandus tamen error erit, ne traduce carnis / transfundi in subolem credatur fons animarum / sanguinis exemplo ... quae quamvis infusa novum penetret nova semper / figmentum, vetus illa tamen de crimine avorum/ dicitur, inluto quoniam concreta veterno est. / inde secunda redit generatio et inde lavatur / naturae inluvies, iterumque renascimur intus / perfusi, ut veterem splendens anima exuat Adam.
ruit in facinus: ruere in / per mit Zielangabe im bildlichen Gebrauch bei Prudentius auch cath. 11, 93 Quid prona per scelus ruis?/ agnosce, si quidquam tibi / mentis resedit integrae, / ducem tuorum principum! (von den Juden, die Gott in Christus nicht erkennen); perist. 10, 515 carnis voluptas omne per nefas ruit. Der Ausdruck
V. 136-170
185
evoziert ein 'blindlings Dahinstürzen', ein elementares Getriebensein wider die Vernunft. Ein vernunftwidriges Tun bezeichnet quo ruis/ ruitis? häufiger bei Vergil (Aen. 2, 520; 10, 811; 12, 313). Vgl. auch Plat. Kleit. 407b “Wohin stürzt ihr Menschen, ohne bei eurem Tun eure Pflicht zu kennen?' (KieBling/Heinze zu Hor.
epod. 7, 1). dum: koinzident (LHSz 2, 2, 1, 742f.).
avos: im weiteren Sinn von proavi,
atavi, “Vorfahren, Ahnen’, wie Verg. Aen. 6, 840 ultus avos Troiae; Prud. cath. 12, 197; apoth. 545 u. ö. Von den Stammeltern auch apoth. 922 (s. o. S. 184 zu vitiosa). rudes: Nicht treffend die Angabe der Glossae veteres: novos, ebenso Arevalo, 805: Saepe Prudentius rudem pro novo et recenti accepit, mit Verweis auf Stat. silv. 3, 3 rudes populos atque aurea regna colebas. Rudes avi sind die
noch rohen, d. h. unerfahrenen Ahnen, vgl. indocile in V. 111. Rudis in diesem Sinn auch Prud. ham. 425f. (s. oben S. 158f. zu indocile); Tert. apol. 10, 10 (CCL 1, 107) Taceo quod ita rudes tunc homines agebant, ut cuiuslibet novi viri adspectu quasi divino commoverentur. Eine Vorlage bildet vielleicht Cypr. unit. eccl. 1 (CSEL 3, 1, 210) sic ab initio statim mundi fefellit (sc. inimicus) et verbis mendacibus blandiens rudem animam incauta credulitate decepit. glomerans: 'zusammenballen'. Die Metapher bezeichnet anschaulich die Vermischung von Gut und Bóse. Nicht im moralischen, sondern im kosmologischen Sinn auch ham. 8, wo Prudentius im Kontext der antimanichäischen Diskussion konzediert, daß die verderbte Schópfung notwendig Gutes und Schlechtes aufweist, vgl. bina boni atque mali glomerat discrimina sordens / hic mundus, domino sed caelum obtemperat uni. — nefas: Vergehen, Sünde, vgl. Prud. c. Symm. 2, 475; perist. 10, 515. fas: substantivisch sonst bei Prudentius noch apoth. 908 transgressa dei positum fas inproba calcat (sc. anima) und ham. 709 transit (sc. Adam) propositum fas (jeweils vom góttlichen
Gebot, das beim Sündenfall übertreten wird); perist. 10, 401. 894 (vom heidnischen Kult). Die Zusammenstellung fas nefas bei Prudentius nur hier. inpia crimina: gleich peccata, das sind die Taten des Sünders, der den Bund mit Gott gebrochen hat, vgl. Prud. c. Symm. 2, 475f. facta inpia. Prud. cath. 1, 35 pectus sepultum crimine; perist.
1, 48 veritas crimen putatur, Ambr.
epist. extra coll. 1 (41), 7
diaboli opes crimina sunt. Die Junktur auch bei Claud. carm. min. 32, 4. Vgl. auch die Terminologie für die persónlichen Sünden bei Ambrosius (peccata, crimina, lapsus, errores, delicta), Dassmann, 274. — morte luit: eine vergilische Junktur,
Aen. 11, 444. 849; vgl. auch Ov. Ibis 621f.; fast. 4, 322; Sen. Phaedr. 879 (Schwen, 88; Hanley, 252; Charlet, création, 163). Luere crimina z. B. Sil 13, 867; Stat. Theb. 1, 266; 10, 587; Arnob. nat. 7, 9. Mit der Konnotation der Sühne Sil. 11, 84
ut ... piaret tristia dicta ... et lueret verba impia leto. Strophe 28-34 Die Strophen 28-34 thematisieren die radikale Wende in der Menschheitsgeschichte,
die durch die Fleischwerdung des göttlichen Logos markiert ist. Der ‘exegetische Abschnitt' ist dreigeteilt. Auf die Darstellung und christologische Auslegung des
186
C. Kommentar
Heilsgeschehens in Str. 28 und 29 folgt eine mariologische Deutung in der Form der typologischen Schriftexegese (Str. 30 und 31), die wiederum in eine allegorische Darstellung der ekklesiologischen Dimension des góttlichen Heilshandelns mündet
(Str. 32-34). An dieser Stelle sind einige kompositionelle Erwägungen nötig. Charlet, création, 162/4, sieht im zweiten Hauptteil des Gedichts die Struktur eines Diptychons ge-
wahrt. Der erste ‘Flügel’ (V. 96-135) sei dem Ursprung der Menschheit nach dem Buch Genesis gewidmet, der zweite ‘Flügel’ (V. 136-70) dem Thema der Erlösung. Diese am biblisch-theologischen Inhalt orientierte Unterteilung des Abschnitts wird aber weder durch den Erzählduktus noch durch den Gedankengang gestützt. Der Dichter zieht keine scharfe Trennlinie zwischen der Darstellung des Sündenfalls und seiner Folgen und dem Lobpreis auf Christus, den inkarnierten göttlichen Erlóser. Mit Ecce venit in V. 136 wird vielmehr innerhalb der Erzählung der Menschheits- und Heilsgeschichte ein neues Ereignis signalisiert. In Prudentius" lyrischer Erzählung folgen Schöpfung, Sündenfall und Erlösung, letztere bezeichnet durch die Menschwerdung Christi, als Momente der einen Heilsgeschichte aufeinander. Dafür, daß der Dichter die Erschaffung des Menschen und die Inkarnation Christi in der Schlüsseistrophe 28 explizit zueinander in Beziehung setzt, gibt es
eine biblische Vorlage in der paulinischen Entfaltung der Soteriologie im Rómerbrief (zur Adam-Christus-Spekulation s. u. S. 188f.). Bedingt durch die Gestaltung
biblischer Theologie ist auch die Tatsache, daß das Gedicht ab V. 136ff. lehrhaftere, exegetische Züge trügt, wobei die paulinische Antithese den Dichter zu einer eigenen, weiterführenden Typologie (Eva-Maria-Parallele) angeregt hat. Auch wenn der Dichter sich von der Nachgestaltung biblischer Erzählung allmählich löst und die Darstellung abschließend in eine fast ‘freie’ Allegorie übergehen läßt, so bleibt doch die historisch-heilsgeschichtliche Perspektive gewahrt. Die Heilsgeschichte von der Erschaffung des Menschen bis zur neuen Gnadenzeit in der Kirche Christi bildet das Thema des zweiten Hauptteils des Gedichts.
Strophe 28 V. 136-140 Ecce venit nova progenies, aethere proditus alter homo, non luteus, velut ille prior, sed deus ipse gerens hominem corporeisque carens vitiis. Die vorliegenden Verse besingen das heilsgeschichtliche Ereignis schlechthin, die Sendung des Sohnes Gottes in die Welt, durch das eine alle Menschen betreffende Zeitenwende inauguriert wird. Auf die 'messianische' Aussage in Str. 28 folgt dann in Str. 29 die Darstellung der Inkarnation Christi durch die wunderbare Geburt aus
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der Jungfrau Maria. Auf kompositorischer Ebene setzt also der Dichter zunächst die fortlaufende Erzáhlung der Heilsgeschichte fort, vgl. die emphatische Anfangsstellung der Verben Ecce venit und Fit caro vivida. Einleitendes Ecce lenkt dabei die Aufmerksamkeit ganz unvermittelt auf das die Welt und Menschheit erneuernde Geschehen, das erlósende Kommen Christi. Schon die Verse 136/40 verbinden aber in raffinierter Weise die Fortführung der heilsgeschichtlichen Erzählung mit der typologischen Auslegung, die Adam und Christus in Parallele setzt. Die Erzählung gleitet unmerklich in die Exegese über, die dann ab V. 146 vorherrschend ist. Zur Bezeichnung des menschgewordenen Gottessohnes entleiht Prudentius eine Junktur aus der vierten Ekloge Vergils, die ihm wie keine andere geeignet erscheinen mußte, die Ankunft des christlichen Erlösers zu preisen. Die Verse 136f. Ecce venit nova progenies, / aethere proditus alter homo, nehmen Verg. ecl. 4, 7 auf: iam nova progenies caelo demittitur alto (in fast allen Ausgaben und Kommentaren vermerkt, s. Lühken, 165, A. 173). Ein so deutlicher Anklang fordert geradezu auf, sich Kontext und Atmosphäre des vergilischen Gedichts zu vergegenwärtigen. Vergil verkündet in der Form einer prophetischen Verheißung, was er schon in der Gegenwart erfüllt sieht: Die Geburt eines Kindes leitet eine unerhörte Zeitenwende ein,
die durch die Wiederkehr des goldenen Zeitalters gekennzeichnet ist. Die Verse ecl. 4, 4/10 heben mit rhetorischer Wucht den Anbruch der neuen Zeit, das Eintreten von Verheißungen und Visionen im gegenwärtigen Augenblick der Menschheitsgeschichte hervor. In diesen Kontext gehört auch das Erscheinen der nova progenies, die Vorstellung eines neuen, vom Himmel gesandten Geschlechts, das dazu bestimmt ist, das Volk der erneuerten Saturnia regna zu bilden. Bemerkenswert ist
nun die originelle Verwendung des hohen Wortes progenies an dieser Stelle (zur Unsicherheit über die Bedeutung s. Becker, Vergil-Erklärung, 456/9). Progenies im Sinne von gens, generatio zur Bezeichnung der Angehörigen einer Epoche ist vor Vergil nicht belegt. Im kollektiven Sinn bezeichnet es üblicherweise die Nachkommenschaft eines bestimmten Erzeugers (so Aen. 6, 790 omnis Iuli progenies). Mit progenies setzt Vergil also ein feierliches Wort, das sonst bei ihm nur auf einzelne Abkómmlinge kóniglicher, ja góttlicher Herkunft bezogen ist (vgl. Aen. 1, 250; 7, 257; 10, 329), um die hohe, ‘himmlische’ Qualität der gens aurea (ecl. 4, 9) entsprechend zum Ausdruck zu bringen. Zugleich scheint der Dichter aber durch die Wortwahl den Sinn absichtsvoll offen zu halten für eine individuelle Auslegung, die das Erscheinen der nova progenies mit der Geburt des puer, die in Vers 8 besungen
wird, in Beziehung setzt (zur Übersetzung
*SproB' s. Becker,
Vergil-Erklärung, 457f.). Die Zeitenwende, die durch die Geburt des Knaben symbolisiert wird, ebenso wie der Beginn der Segenszeit, den die Vorstellung der goldenen Zeit evoziert, klingen in nova progenies an. Mit der Übernahme des Vergilverses nutzt Prudentius nicht nur die glückverheiBende Grundstimmung der vierten Ekloge, indem er die Prophezeiung, daB die Menschheitsgeschichte eine entscheidende Wende zum Guten macht, auf das schon verwirklichte und wahrhaft epochale Ereignis der Heilsgeschichte, die Mensch-
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C. Kommentar
werdung Gottes, anwendet. Auch die besondere, die Ambiguität wahrende Verwendung des Ausdrucks nova progenies macht sich der christliche Dichter zu eigen
(zur Singularität der Übernahme des Doppelsinns in der christlichen Vergilrezeption s. Becker, Vergil-Erklürung, 459/63). Im Zusammenhang der heilsgeschichtlichen Erzählung erfüllt die Junktur bei Prudentius eine doppelte Funktion, so daB ihr Sinn eigentümlich in der Schwebe bleibt (zu den Schwankungen in den modernen Textübersetzungen s. Becker, Vergil-Erklürung, 460 mit A. 18, und unten S. 190 s. v. progenies). Vor dem Hintergrund der Schilderung der gefallenen Menschheit (V. 131/5) weist nova progenies in V. 136 zunächst auf ein neues Geschlecht von Menschen, eine neue aetas, die an die Stelle der alten, todgeweihten Adamskinder tritt. Bezugspunkt ist prima vista die posteritas in V. 132. Ausgedrückt wird die radikale Erneuerung der sündigen Menschheit und Welt. Die Fortführung in V. 137ff. zeigt dann den eigentlichen Bezug von nova progenies, nämlich den auf Christus, den 'zweiten Adam' und menschgewordenen Sohn Gottes. Der folgende Vers offenbart daher zugleich den Zweck der Vergil-Nutzung: Die vergilische Junktur dient Prudentius dazu, das paulinische Konzept vom 'neuen Menschen'
feierlich zu umschreiben. Die Apposition aethere proditus alter homo gibt 1 Kor. 15, 47b wieder: (Vulg.) Primus homo de terra, terrenus: secundus homo de caelo, caelestis, wobei aethere proditus zugleich Verg. ecl. 4, 7 caelo demittitur alto aufgreift. Die himmlische Herkunft bildet sozusagen die Schnittstelle beider Vorstellungen und steht daher absichtsvoll vermittelnd zwischen der vergilischen Wendung nova progenies und dem paulinischen Ausdruck alter homo. Der hohe Ausdruck aethere proditus wird dann antonymisch erklärt durch non luteus in V. 138, ebenfalls in Anlehnung an 1 Kor.
15, 47, wodurch im Gegensatz zur Kreatürlichkeit
des ersten Menschen die Göttlichkeit des neuen Menschen herausgehoben wird. Hier ist ein Schillern der Bedeutung nun vollends ausgeschlossen. Der Prädikation Christi liegt zugrunde das paulinische Modell des eschatologischen Urmenschen, des zweiten Menschen oder letzten Adam, d. i. bei Paulus der auferstandene Jesus,
an dessen neuer himmlischer Leiblichkeit die Menschheit nach der Auferstehung teilhaben wird (vgl. 1 Kor. 15, 20ff. 45. 47; Róm. 5, 12/21). Prudentius deutet den
caelestis homo allerdings — im Einklang mit der altchristlichen Auslegung - im Hinblick auf Menschwerdung und Erlósung: Christus ist der zweite Adam, der
einen neuen Gnadenzustand der Menschheit begründet, aber — so muB man hinzusetzen — nicht im Sinne eines Stammvaters, von dem alle physisch abstammen, sondern als *Erstgeborener von vielen Brüdern' (Róm. 8, 29) (zur christologischen
Exegese vgl. u. a. Orig. in Joh. 19, 19f. [GCS 10, 321]; Cyrill, Quod Christus Unus 771
[SC 97, 490]; Greg. v. Nyss. adv. Apoll. [PG 45, 1145]; Tert. resurr. 49, 2f.
[CCL 2, 990]; carn. 22, 6 [CCL 2, 913]). Aus der Anwendung von nova progenies auf Christus, den Gottmenschen und Erlöser, erhellt so für den christlichen Dichter erst der volle Sinn des ‘dunklen’ Vergilverses. Im ambivalenten Gebrauch bei Vergil, der die nova progenies für den generellen wie für den individuellen Sinn offenhält, findet er die universal-soteriologische Bedeutung Christi, des zweiten Adam, prüg-
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nant zum Ausdruck gebracht. Eine weitere schöpferische Verarbeitung des Vergilverses und seines Kontextes liegt im Weihnachtshymnus cath. 11, 57/60 vor. Auch hier nimmt Prudentius die Grundsituation der vierten Ekloge auf zum Lobpreis der christlichen Zeitenwende, die wahrhaftig durch die Geburt eines Kindes inauguriert wird. Kühn setzt Prudentius die neue Zeit mit Jesus selbst gleich, der
als das neue saeculum aus dem Bauch der jungfráulichen Mutter heraustritt. Vgl. O quanta rerum gaudia / alvus pudica continet, / ex qua novellum saeculum / procedit et lux aurea! Novellum saeculum im Sinne des neuen Zeitalters, Geschlechts entspricht nova progenies in cath. 3, 136. Der Anbruch der neuen Zeit betrifft hier aber nicht nur die Menschheit, sondern die ganze Welt, nicht die heilsgeschichtliche, sondern die kosmologische Dimension der Erneuerung wird daher im Bild des Schópfungsfrühlings beschrieben, vgl. cath. 11, 61/4 Vagitus ille exordium/ vernantis orbis prodidit; / nam tunc renatus sordidum / mundus veternum depulit. Im Stil der hymnischen Prüdikation schlieBen sich weitere Aussagen über den neuen SproB des Menschengeschlechts an. Eine Reihe von Appositionen expliziert so das Wesen des zweiten Menschen im Unterschied zum ersten, wobei durch antithetische und negative Formulierungen die gänzlich andere Qualität des ‘zweiten Adam’ akzentuiert wird. Die Spannung, die aufgebaut wird durch Betonung der Andersartigkeit, Neuheit des zweiten Menschen (nova progenies, alter homo, non luteus), löst sich dann in V. 139 auf in der Enthüllung des Geheimnisses der Inkarnation: Der neue Sproß ist Gott selbst, der Mensch geworden ist. Die Vereinigung beider Naturen in Christus wird durch Wortstellung und Rhythmus kunstvoll hervorgehoben. Der Lobpreis der Sündelosigkeit in V. 140, durch Alliteration von k und Binnenassonanz gehoben, ist zugleich Ausweis der Einzigartigkeit und Góttlichkeit des neuen Menschen. Que steht hier explizierend: Christus hat die Menschennatur angenommen, aber nicht ihre Befleckung durch die Sünde (vgl. Hebr. 4, 15). Die Prädikation des Gottmenschen enthält wieder nicht nur eine christologische, sondern auch eine soteriologische Aussage. Denn nur ein Mensch, der frei von Sünde ist, vermag die Sünd- und Todverfallenheit des Menschengeschlechts zu durchbrechen, die gefallene Menschheit (vitiosa posteritas, V. 131f.) zu erneuern. Die Sündelosigkeit Christi im Gegensatz zur allgemeinen Schuldverfalienheit der Menschheit betont z. B. Ambr. in psalm. 37, 5 (CSEL 64, 6, 139f.): Gott nahm die volle Menschheit an, aber das Fleisch der Sünde nur der äußeren Gestalt nach (Röm. 8, 3f.), vgl.
non utique in similitudine carnis venit qui veram carnem suscepit, sed in similitudine carnis peccati, id est carnis peccatricis; facta enim erat fraude et veneno infusa serpentis caro nostra caro peccati. postquam est obnoxia facta peccato, facta erat caro mortis, quia erat morti debita. huius carnis iam reae, iam praeiudicatae similitudinem Christus in sua carne suscepit, quia, etsi naturalem substantiam huius susceperat carnis, non tamen contagia ulla susceperat nec in iniquitatibus conceptus et natus est in delictis, qui non ex sanguinibus neque ex voluntate carnis
190
C. Kommentar
neque ex voluntate viri, sed de spiritu sancto natus ac virgine est. V gl. auch Ambr. Cain 1, 3, 10 (CSEL 32, 1, 345) solus enim fuit qui non est captus saeculi huius
vanitate et carnali tumore, utpote qui se humiliavit factus oboediens usque ad mortem, longe uniuscuiusque nostrum dissimilis, qui nos frustra extollimus mente carnis inflati. unde et nemo sine peccato nec unius diei infans, ille autem peccatum non fecit.
progenies: Die Übersetzungen schwanken zwischen 'SproB' und ‘Geschlecht'. *Geschlecht' übersetzen Lavarenne, édition,
17; Benko, 674; Charlet, trad., 14.
*SproB' übersetzen Thomson, 27; Guillén/Rodrfguez, 43; S. Eagan, 21; Rivero García, 172. Grammatisch richtig ist Letzteres, vgl. auch Courcelle, exégéses, 298; Lühken, 165; ThLL X, 2, fasc. XI, 1761, 16: de Christo filio Dei patris. So auch Prud. ham. 636 aspernata (sc. anima peccatoris) dei fusam per virginis artus / progeniem. Progenies im Sinne von Nachkommenschaft PsPrud. ham. 574 (Gnilka, Prud. I, 91/101); Prud. ham. 599. Zur Deutungsunsicherheit in bezug auf Verg. ecl. 4,7, die sich ebenfalls in den Übersetzungen (*Geschlecht' versus ‘Sproß’) spiegelt, s. Becker, Vergil-Erklárung, 457f. — Progenies, sonst Bezeichnung für SpróBlinge hoher, kóniglicher Herkunft, vgl. z. B. die feierliche Anrede des Maecenas Hor. carm. 3, 29, 1 Tyrrhena regum progenies, ist klassisch in der kollektiven Bedeutung ‘Geschlecht’ nur belegt im genealogischen Sinne der 'Nachkommenschaft', vgl. Hor. carm. 3, 6, 48 aetas parentum peior avis tulit / nos nequiores, mox daturos / progeniem vitiosiorem (Schol. filios), weiteres Material s. ThLL X, 2, fasc. XI, 1758, 34ff. Progenies im Sinne der Generation einer Epoche, quasi als MaBeinheit der Zeit, ist erst im biblisch-christlichen Gebrauch zu finden, so VL Gen. 15, 16, vgl. auch Aug. civ. 22, 22 omnem mortalium progeniem; weitere Beispiele ThLL X, 2, fasc. XI, 1760, 5ff. Eine Ausnahme bildet, als Nachahmung von Verg. ecl. 4, 7, Claud. rapt. Pros. 2, 286 illic (sc. apud inferos) pretiosior aetas, / aurea progenies habitat. Einen Überblick über die christlichen Verwendungen des Vergilverses und insbes. der Junktur nova progenies (ekklesiologisch, christologisch) bietet Becker, Vergil-Erklárung, 460f. Bei Prudentius sind noch zu vergleichen die Bezeichnungen nova caro und nova materies, die im christologischen Kontext die Menschheit Christi bezeichnen, vgl. apoth. 167/70 nunc nova materies solidata intercute flatu, / materies sed nostra tamen de virgine tracta, / exuit antiquae corrupta exordia vitae / inmortale bonum proprio spiramine sumens; psych. 71/4 post partum virginis, ex quo / corporis humani naturam pristina origo / deseruit carnemque novam vis ardua sevit / atque innupta deum concepit femina Christum. V. 138 nimmt den ersten Teil von 1 Kor. 15, 47 auf, vgl. (Vulg.) Primus homo
de terra, terrenus: secundus homo de caelo, caelestis. DaB der Mensch von der Erde stammt, geht auf Gen. 2, 7 und 3, 19 zurück. Vgl. aber auch die Selbstbescheidung des Weisen in Weish. 7, 1 (Vulg.) sum quidem et ego mortalis homo similibus omnibus et ex genere terreno illius qui prior finctus est et in ventre matris
figuratus sum caro. Luteus zielt auf die Geschópflichkeit des ersten Menschen,
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der von der Hand Gottes aus Lehm geschaffen wurde (s. auch oben S. 137-145 zu Str. 20). Bezeichnend ist der unmittelbare Anschluß an horno, das in etymologischer Beziehung zu humus steht, wie Adam zu hebr. adamah 'Ackerboden'. Steht
luteus (sc. homo) für den geschaffenen Menschen, so weist non luteus als negiertes Antonym zu aethere proditus in V. 137 auf die nicht-kreatürliche, himmlische Beschaffenheit des neuen Menschen. luteus: Synonym terrenus, gr. πηλινός, vom Kórper des geschaffenen Menschen seit Itala, z. B. Iob 4, 19 inhabitantium domos luteas; Ambr. bon. mort. 3, 12 cuius habitatio in luteis domibus et ipsa vita in luto; Hier. inter. Iob 13, 12 nonne erit gaudium vestrum in cinere, corpus autem luteum ?; Aug. serm. 69, 1 homines mortales, fragiles, infirmi, lutea vasa portantes (ThLL
VII, 2, 2, 1894, 71ff.). Bei Prudentius vgl. bes. die Wiedergabe des Schöpfungsberichts cath. 3, 96 caespite conposuit madido; apoth. 858 creavit / nempe manus domini corpus mortale lutumque / conposuit digitis; ham. 117 condidit ipse hominem, lutulenta et membra coegit, dazu perist. 3, 92 membra coacta luto. Apoth. 1022 verstärkt die Qualifizierung daher die im Mysterium der Inkarnation sich offenbarende Barmherzigkeit Gottes: indignumne putat luteum consciscere corpus, / qui non indignum quondam sibi credidit ipsum / pertrectare lutum. Luteus dient
sonst bei Prudentius auch zur Kennzeichnung der Schwäche und Hinfälligkeit des Menschenleibs, der Krankheit, Sünde und Tod ausgesetzt ist, vgl. z. B. cath. 8, 59f. frangit et cratem luteam laboris / grandior usus (leitet ein die Absage an eine
exzessive Kasteiung des Kórpers durch Fasten) (Synonym cath. 8, 61 limum fragilem); cath. 10, 26 Si terrea forte voluntas / luteum sapit et grave captat (bildlich für die irdischen, fleischlichen Begierden). Den Aspekt der Fleischlichkeit sieht Padovese, 98, auch cath. 3, 138 impliziert. Aber seine Interpretation, wonach
bei Prudentius die Menschwerdung Christi auf die Überwindung des Gegensatzes von Fleisch und Geist ziele (Padovese, 98. 105), muB abgelehnt werden. Auch der
Gedanke, daB eine ursprünglich vollkommene Menschheit in Christus wiederhergestellt werde, ist in theologischer Hinsicht problematisch und wird durch den Text nicht gerechtfertigt. prior: Prius haben die meisten HSS und die Herausgeber Obbarius, Bergman, Lavarenne, Cunningham. Arevalo entscheidet sich (mit Vat. Urb. 666) für prior. Ihm folgen Dressel (mit Hinweis auf 1 Kor. 15, 47 Primus homo de terra, terrenus) und von den neueren Editoren Guillén/ Rodríguez. Prior, von Bergman nicht als varia lectio, sondern als Konjektur von Dressel gekenn-
zeichnet, hat den Vorteil der grammatischen UnanstóBigkeit und ist deshalb vorzuziehen. Der Nominativ unterstreicht zudem die Parallele zu 1 Kor. 15, 47 bzw. erklürt sich aus ihr. Dressel (Apparat z. St.) sieht daher auch prius aus primus
entstanden. Die Antithese alter — ille prior ist auch sonst belegt, vgl. etwa Max. Taurin. serm 50a hoc ergo agit Dominus sicut Adam secundus, ut quod prior homo manducando perdiderat, hoc alter ieiunando recipiat; ac legem in paradyso
abstinentiae datam in deserto custodit, Cypr. epist. 71, 3, 2 si autem alii revelatum sedenti fuerit, ille prior tacear, Aug. civ. 21, 4 (Dombart/Kalb II, 494) ut ille prior (sc. anulus) lapidi, sic alter anulus priori anulo cohaerebat. Beim überlieferten
192
C. Kommentar
Adverb prius würe eine Substantivierung durch ille nach griechischem Vorbild oder spätlateinischem Usus anzunehmen (LHSz 480f.). Zu bedenken ist, daB die Vertauschung von prior und prius durch Abschreiber auch sonst vorkommt (vgl. Ter. Eun. 6; Ov. am. 1, 8, 79; dazu ThLL X, 2, fasc. IX, 1322, s. v. prior). Im Fall des Ersetzens von prior durch prius, das bei Prudentius auch durch den Einfluß der vorangehenden Adjektive luteus und proditus befördert sein kann, muB ein Kopistenfehler allerdings schon sehr früh in der Überlieferung angesetzt werden. Ein Schwanken zwischen den Lesarten prius und prior weist auch die Überlieferung von Weish. 7, 1 auf (ThLL X, 2, fasc. IX, s. v. prior 1324; s. v. prius 1341): (sc. Adam) qui prior / prius finctus est. Trotz des Bezugs auf Adam sind die Stellen aber nicht kommensurabel. Weish. 7, 1 heißt Adam ‘der erste aus Erde gebildete Mensch’, der 'Urmensch', gr. πρωτόπλαστος, mit Blick auf alle späteren 'Staubgeborenen’. Prius / prior entspricht also primum / primus. llle prior bei Prudentius bezeichnet Adam, den früheren, ersten Menschen im Vergleich zu Christus, dem neuen, zweiten Menschen. Prius / prior nähert sich der Bedeutung ‘alt, vormalig' an (vgl. die Beispiele ThLL X, 2, fasc. IX, s. v. prior, 1323f., wo allerdings VL
Sap. 7, 1 fälschlich eingeordnet ist). gerens hominem: Weder die Erklärung des Ausdrucks gerere hominem durch Lavarenne, étude, 465, 8 1358, „tenir l'emploi de quelqu'un", daher hier „Dieu lui-méme assumant le róle de l'homme" (ders., édition, 17), mit Verweis auf Justin 32, 3, 1 nec heredem regni, sed regem gerebat; Plin. pan. 4, 4, 2 (so auch Blaise/ Chirat, 375, zu Tert. an. 34), noch die Einordnung, die der Verfasser des ThLLArtikels s. v., VI, 2. 3, 1935, 65, vornimmt unter der Bedeutung 'speciem, figuram
gerere' (wie z. B. Verg. Aen. 1, 315 virginis os habitumque gerens et virginis arma Spartanae, von der verwandelten Venus) kónnen zufriedenstellen. Beide Lósungen laufen Gefahr, mit ihrer Betonung der Äußerlichkeit des Menschseins die For-
mulierung des Prudentius in den Verdacht des gnostischen Doketismus zu bringen. Es liegt hier nahe, an das Bild des Bekleidens zu denken, also hominem bzw. corpus hominis velut vestem, habitum induere, portare, ferre, das auch die Übersetzung von Thomson, 27, zugrunde legt, vgl. „but God Himself putting on man without the body's faults". Die biblische Grundlage ist Phil. 2, 7, wo das Anlegen der Menschengestalt durch Christus gepriesen wird: (Vulg.) formam servi accipiens, in similitudinem hominum factus, et habitu inventus ut homo. Zur Gewandmetapher als Ausdruck der Inkarnation vgl. Kehl, 979/85. Gerere hominem bezeichnet also,
bildlich gesprochen, das Ergebnis des 'Bekleidens mit der menschlichen Natur', den Zustand des "Tragens des Menschengewandes', des Bildhaften entkleidet, steht
gerere hominem formelhaft in resultativer Bedeutung für assumere hominem. In
diesem Sinn gehürt der Ausdruck zu den festen Formeln, die Prudentius benutzt, um die Inkarnation zu beschreiben. Vgl. apoth. 776f. (mit Betonung der Annahme des ganzen Menschen): ipse gerit, quod struxit, opus nec ferre pudescit / factor,
quod peperit. corpus loquor atque animae vim; apoth. 1081 (Verheißung der Auferstehungshoffnung an 'mea membra") nam vos gerit ille / et secum revocat. Häufig
V. 136-140
193
ist die Verwendung des Intensivums gestare, apoth. 775 ut verus summusque deus mortalia gestet, apoth. 933 innocui gestator corporis unus; perist. 10, 606 Congressa mors est membra gestanti deo. Hinzu kommt Vers 8 aus dem unechten Hymnus De trinitate (Gnilka, Prud. I, 461/88) adsumptum gestare hominem, reparare peremptum. Weitere Synonyme sind ferre (s. o. S. 193 apoth. 776), portare, (ad)sumere, induere (sc. corpus humanum), Beispiele dazu bei Padovese, 104ff. Vgl. cath. 8, 5f. ipse cum portans onus inpeditum / corporis duros tuleris labores; apoth. 779 totum hominem deus adsumit, quia totus ab ipso est, / et totum redimit, quem sumpserat; perist. 10, 602/4 mortale corpus sumpsit inmortalitas, / ut, dum caducum portat aeternus deus, / transire nostrum posset ad caelestia; cath. 9, 16f. Corporis formam caduci, membra morti obnoxia / induit, ne gens periret primoplasti ex germine; cath. 11, 45 mortale corpus induit, und die interpolierten Verse apoth. 934f. naturam poenae expositam ... induit Hisus (Gnilka, Prud. I, 602ff.). Zur Synonymität der Wörter caro, corpus, homo s. Kehl, 983/5; Braun, 298/313. Auch die Verwendung der christologischen Formel bei anderen Kirchenvütern muB im Sinne der Bekleidungsmetapher gedeutet werden, so Aug. civ. 9, 21 (Dombart/ Kalb I, 396) (von Christus, der versucht wird) ut hominem, quem gerebat, ad nostrae imitationis temperaret exemplum; Firm. err. 14, 2 ut de faucibus eius (sc. diaboli)
quem gerebat hominem liberaret ( Christus). Tertullian hat gerere / gestare carnem / hominem nach dem Modell von σαρκοφορεῖν, z. B. cam. 5, 1; 18, 7; carn. 14, 1 hominem gestare; Marc. 4, 22, 15 speciem hominis gestare (Braun, 310). V. 140. Zum Zusammenhang von Sündelosigkeit Jesu und Erlósung s. auch Prud. apoth. 93277 his crucibus Christus nos liberat incorruptae / matris et innocui gestator corporis unus, / fraude carens, omni culparum aspergine liber (V. 9334/6
sind interpoliert, vgl. Gnilka, Prud. I, 602ff.); apoth. 990ff. inperfectus enim limus mortalis erat tunc, / vir solus perfectus adest atque integer Hisus, / cui nihil ex septem septenis defuit, ex quo / perficeret mortale genus virtute perenni. Für
Padovese, 101f., liegt im Freisein von Sünde die 'Heiligkeit der Menschheit Christi" begründet. Es ist aber auch, ontologisch gesehen, die góttliche Natur des Schópfers
im Gegensatz zum Geschöpf, die sich in der Sündelosigkeit manifestiert, z. B. apoth. 894f. solus labe caret peccati conditor orbis, / agenitus genitusque deus, pater et patre natus; und apoth. 946f. suspice quapropter solum inculpabile numen, / naturam patris et Christi. — corporeis vitiis: Corporeis bezeichnet hier wie
biblisches σάρξ, caro das Vergängliche, Sündige des Menschen (vgl. auch oben im Text S. 189f. die Zitate aus Ambrosius). Es ist also die sündhafte Befleckung der ganzen menschlichen Natur gemeint, die Seele eingeschlossen. Etwas anderes ist der Gedanke, daß die Sündhaftigkeit der Menschennatur letztlich durch die Verbindung der Seele mit dem Kórper weitergegeben wird, vgl. Prud. apoth. 814ff. ergo animam factam ... corruptela putris nascentem turbida carnis / concipit ac membris tabentibus interfusam / participat de faece sua, fit mixta deinde / peccandi natura luto cum simplice flatu; 888ff., bes. 909f. sic condita simplex (sc. anima) / decidit in vitium per sordida foedera carnis; 927ff.
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C. Kommentar
Strophe 29
V. 141-145 Fit caro vivida sermo patris, numine quam rutilante gravis non thalamo neque iure tori nec genialibus inlecebris
intemerata puella parit. Nach der hymnischen Vorstellung des ‘neuen Menschen’ in Strophe 28 besingt Prudentius nun den Vorgang der Inkarnation des góttlichen Logos. Die Aussagen beider Strophen sind aufs engste miteinander verklammert, insofern die Menschwerdung Christi, die sich auf einzigartige Weise durch die Geburt aus dem HI. Geist und der Jungfrau vollzieht, das heilsgeschichtliche Ereignis der Neuschópfung des Menschen begründet. Der Glaubenssatz von der jungfrüulichen Geburt Christi besagt ja, daB Gott inmitten der Menschheitsgeschichte die natürliche Fortpflanzungskette der Geschlechter unterbricht und einen neuen Schópfungsanfang macht. Die heilsókonomische Notwendigkeit, daß der Begründer einer neuen Generation auf eine neue Art geboren werden mußte, expliziert Tert. cam. 17, 2f. (CCL 2, 904):
Ante omnia autem commentanda erit ratio, quae praefuit, ut dei filius de virgine nasceretur. Nove nasci debebat novae nativitatis dedicator, de qua signum daturus dominus ab Esaia praedicabatur. Quod istud signum? Ecce virgo concipiet in utero et pariet filium. Concepit igitur virgo et peperit 'Emmanuel', quod est 'Nobiscum deus'. Haec est nativitas nova, dum homo nascitur in deo, ex quo in homine natus est deus, carne antiqui seminis suscepta sine semine antiquo, ut illam novo semine, id est spiritali reformaret exclusis antiquitatis sordibus expiatam. Ambrosius betont den engen Zusammenhang zwischen der einmaligen Sündelosigkeit Christi und der novitas naturae seiner leiblichen Geburt. Nur eine die natürliche Ordnung sprengende Geburt ist frei von der allgemeinen Weltverfallenheit, vgl. Ambr. Cain 1, 3, 10 (CSEL 32, 1, 345) ita enim nascimur, ut ante infirmus infantiae sensus in nobis sit, postea pueritiae corporis tantummodo curam sciens, nullum cultum, nullam habens observantiam divinorum. unde et evidenti naturae novitate ortum lesum Christum ex virgine ut probaret propheta ait: ecce virgo etc. (Jes. 7, 14ff.); in psalm. 37, 5 (CSEL 64, 6, 139f., oben S. 189f. zitiert). Das Neue, Unerhörte der Jungfrauengeburt und ihre soteriologische Bedeutung besingt Prudentius selbst psych. 70/7, vgl. numquid et intactae post partum virginis ullum / fas tibi iam superest? post partum virginis, ex quo / corporis humani naturam pristina origo 7 deseruit carnemque novam vis ardua sevit / atque innupta deum concepit femina Christum. / [...] / inde omnis iam diva caro est, quae concipit illum / naturamque dei consortis foedere sumit (V. 75 ist zu athetieren, s. Gnilka, Prud. I, 486). Betont Prudentius in Str. 28 durch Prüdikationen seiner Herkunft die Einzigartigkeit des neuen Menschen, so unterstreicht hier das Wunderbare, Einmalige seiner
V. 141-145
195
Empfängnis und Geburt die Gottheit des fleischgewordenen Logos. Die parallele Struktur der beiden Strophen unterstreicht die parallele Bewegung der christologischen Aussagen. Auf den Hauptsatz im ersten Vers, der das Ereignis der Sendung bzw. der Menschwerdung Christi verkündet, folgen jeweils Explikationen in Form von Appositionen bzw. Relativsatz, für die ein hymnisch-plerophorer Stil kennzeichnend ist. Signalwirkung haben vor allem die emphatische Anfangsstellung des Prädikats, Ecce venit (V. 136), Fit (V. 141), sowie die stilistisch kunstvoll parallel
gestalteten Schlußverse. Die Verse 141/5 sind eine hochpoetische Umsetzung von Joh. 1, 13f. Vers 141 zugrunde liegt Joh. 1, 14a, der prügnanteste Ausdruck für die Menschwerdung des
Logos im NT, (Vulg.) Et verbum caro factum est, et habitavit in nobis. Prudentius erweitert die johanneische Aussage durch Attribute und verdichtet sie zugleich. Die Anfangsstellung des Prüdikats betont das Geschehen, das Wirken Gottes, wobei die prüsentische Verbform ein dynamisches Element hinzufügt. Caro vivida besagt, in prägnanter Auswertung von Joh. 14 et habitavit in nobis, daß das Wort wahrhaft Mensch geworden ist, daB Gott das Menschsein angenommen hat mit
allen Implikationen des irdischen, der Vergünglichkeit ausgesetzten Lebens. Im Gegenzug unterstreicht sermo patris für bloBes verbum das Hervorgehen des Wortes
aus dem Vater. Der Bezeichnung liegt die bildhafte Vorstellung zugrunde, daB das Wort aus dem Mund des Vaters ‘geboren, herausgeworfen' wird. Angedeutet wird so das Faktum der Prolatio, der Sendung des Sohnes durch den Vater zum Zwecke der Menschwerdung und Erlósung im Unterschied zur ewigen Zeugung des Wortes im Herzen des Vaters (weitere Beispiele s. u. S. 197). Prudentius fügt also zu Joh. l, 14 eine weitere christologische Glaubenstatsache hinzu, indem er in der Fleisch-
werdung des Logos den Willen des Vaters aufleuchten láBt. Den trinitarischen Aspekt, den der Dichter in sermo patris andeutet, komplettiert im folgenden Vers der Hinweis auf das Wirken des Hl. Geistes (numine rutilante).
Auch die Darstellung der Jungfrauengeburt (V. 142ff.) geht auf die johanneische Vorlage zurück, wobei Prudentius Joh. 1, 13 (Vulg.) qui non ex sanguinibus, neque ex voluntate carnis, neque ex voluntate viri, sed ex Deo nati sunt, auf Christus
anwendet. Darin, wie in der Auswertung von Joh. 1, 13f. überhaupt, hat Prudentius ein dichterisches preist in seinem lichkeit Christi. pflanzung außer
Vorbild, das ihm als Vorlage gedient haben mag. Der hl. Ambrosius Weihnachtshymnus die Jungfrauengeburt als Ausweis der GöttDie wunderbare, die natürlichen, biologischen Gesetze der FortKraft setzende Geburt aus der Jungfrau erscheint als die ‘Gott
angemessene Geburt’, vgl. hymn. 5 Fontaine (6 Walpole), V. 5/12: Veni, redemptor gentium, / ostende partum virginis, / miretur omne saeculum, / talis decet partus Deo. / Non ex virili semine, / sed mystico spiramine / verbum Dei factum est caro / fructusque ventris floruit. Ambrosius, der den chronologischen Ablauf der Empfängnis zugrunde legt, nennt in V. 9/12 zuerst die — negative und positive — Zeugungsursache (non — sed und Abl. causae) nach Joh. 1, 13. Joh. 1, 14 dient ihm zur Umschreibung des Vorgangs der Empfängnis selbst, explikatives -que stellt
196
C. Kommentar
die Inkarnation auf eine Ebene mit der Bildung der 'Leibesfrucht' . Prudentius kehrt
den gedanklichen und syntaktischen Aufbau um. Er setzt das Ereignis der Menschwerdung an den Anfang, das dann durch die Darstellung der Jungfrauengeburt, gegliedert in Empfängnis (gravis), mit Angabe der positiven und negativen Ursache, und Geburt (parit), über vier Verse entfaltet und veranschaulicht wird. Der Subjektwechsel im Relativsatz stellt dabei einen kompositorischen Kunstgriff dar, insofern er den Blick auf die jungfräuliche Mutter lenkt, deren Rolle in der Heilsgeschichte der Dichter im folgenden besingt. Durch den Verweis von Subjekt und Prädikat in den Schlu&vers wird zudem eine nachdrückliche Spannung erzeugt, die Maria und ihr Tun hervorhebt. Die Verben fit und parit bilden so gleichsam die Eckpunkte der Strophe: Die Tat Gottes und die 'Tat' der Jungfrau, in der das göttliche
Handeln manifest wird, stehen nebeneinander, um das Werk der Inkarnation zu beschreiben. In áhnlicher Weise láBt der Dichter im Christushymnus cath. 9, 16/21 unmittelbar auf den Bericht der Menschwerdung Christi und ihres Ziels, der Erlósung, den Preis der Menschwerdung in der Jungfrauengeburt folgen: Corporis formam caduci, membra morti obnoxia / induit, ne gens periret primoplasti ex germine, / merserat quem lex profundo noxialis tartaro. / O beatus ortus ille, virgo cum puerpera / edidit nostram salutem feta sancto spiritu / et puer redemptor orbis os sacratum protulit! Auch im Weihnachtshymnus cath. 11, 41ff. nennt Prudentius den Zweck
der Inkarnation, um dann auf das Weihnachtsgeschehen überzuleiten, wobei er in
hóchst lyrischer Weise die Menschwerdung (gestaltet nach dem Vorbild der Erschaffung des ersten Menschen) preist als Zeugung, Wachsen der Leibesfrucht und Geburt aus der Jungfrau, vgl. V. 49ff. Hic ille natalis dies, / quo te creator arduus/ spiravit et limo indidit / sermone carnem glutinans. / Sentisne, virgo nobilis, / matura per fastidia / pudoris intactum decus / honore partus crescere? Zum Wunder der Jungfrauengeburt als Beweis für die Göttlichkeit Christi vgl. auch apoth. 563/74, bes. 570/574: inconperta ortus novitas iubet, ut deus esse / credatur Christus sic conditus: innuba virgo / nubit spiritui vitium nec sentit amoris, / pubertas signata manet, gravis intus et extra / incolumis, florens de fertilitate pudica. V. 141. Joh. 1, 14 wird von Prudentius auch in anderen Darstellungen des Inkarna-
tionsmysteriums poetisch ausgewertet, vgl. psych. 78f. verbum quippe caro factum non destitit esse / quod fuerat, verbum, dum carnis glutinat usum. Nach dem wörtlichen Zitat (V. 78) folgt die dichterische Überhóhung (V. 79). Das Bild vom ‘Verleimen' der beiden Naturen
in Christus auch cath.
11, 52 (sc. creator arduus)
sermone carnem glutinans. Die Verse apoth. 109 at non, qui verbi pater est, caro factus habetur, apoth. 524f. (sc. templum = Leib Christi) sed verbo factum domini, non voce sonora, / sed verbo, quod semper erat: verbum caro factum est hat nun Gnilka als interpoliert erwiesen, vgl. Prud. I, 508/10; 567f. Die wortgetreue Übernahme des Bibeltextes, die hier aus dem Bestreben des Interpolators, dogmatische Mif verstündnisse zu vermeiden, zu erklären ist, erweist sich im ambrosianischen
V. 141-145
197
Hymnus 5, 11 als poetisches Stilmittel (vgl. Fontaine z. St., 283, „prosaisme“ im Wechsel mit gesuchter, *manierierter' Ausdrucksweise, um den Vorgang der Inkarnation selbst hervorzuheben). Als weitere poetische Verarbeitung ist zu nennen Hil. hymn.
2, 11 (CSEL 65, 212) Fefellit saevam
verbum factum
te caro (sc.
Mortem). Bei Sedul. carm. pasch. 2, 43f. ist die Echtheit wieder zweifelhaft, vgl. Gnilka, Prud. I, 567, A. 9.
caro: Im Zusammenhang mit der Inkarnation auch
Prud. apoth. 97; 158; 176; 995; 1021. Gottes’ (Joh.
— sermo patris: Christus ist das “Wort
1, 1/3, das präexistente Wort, durch das alles geschaffen ist; Apk.
19, 13). Hier wohl mit Blick auf die Prolatio (Generatio, Processio) der zweiten Person zum Zwecke der Menschwerdung, die der eigentlichen Inkarnation vor-
ausgeht: In dem Maße, wie der Logos geäußert wird, erhält er seine Existenz, wird er gezeugt (vgl. z. B. Tert. adv. Marc. 2, 27, 3 sermonem eius (sc. dei patris) quem ex semetipso proferendo filium fecit; apol. 21, 11 ex deo prolatum ... et prolatione generatum; Braun, 289/97). Bei Prudentius noch im trinitarischen Anruf cath. 6, 3 Ades, pater supreme, / quem nemo vidit umquam, / patrisque sermo Christe / et spiritus benigne! Apoth. 155 steht sermo patris als Ausdruck der ständigen Zuwendung Gottes zu den Menschen, auch vor der Inkarnation des Logos: semper in auxilium sermo patris omnipotentis / descendit servando homini. Das Bild von der ‘Geburt’ des Wortes aus dem Mund des Vaters entfaltet Prudentius cath. 11, 17 Ex
ore quamlibet patris / sis ortus et verbo editus; apoth. 49f. hoc verbum est, quod vibratum patris ore benigno / sumpsit virgineo fragilem de corpore formam. Die Prolatio bzw. Missio als Voraussetzung der Inkarnation formuliert er auch apoth. 114/6 verbum conspicuum misit missumque recepit, / cum voluit, verbo praestrinxit viscera purae / virginis et verbo struxit puerilia membra. S. dazu auch die interpolatorische Verwendung des Bildes apoth. praef. 1, 3 und apoth. 80, Gnilka,
Prud. 1, 503ff.; 475/9. V. 142-145. Biblische Grundlage der Darstellung der Jungfrauengeburt ist neben Joh. 1, 13 der Dialog der Verkündigungsszene aus dem Lukas-Evangelium, vgl. Luk. 1, 31 (Vulg.) et concipies in utero, et paries filium, von Prudentius aufgenommen in der Unterscheidung von Empfüngnis (gravis, V. 142) und Geburt (parit, V. 145), sowie Luk. 1, 34f. (Vulg.) Dixit autem Maria ad Angelum: Quomodo fiet istud, quoniam virum non cognosco? Et respondens Angelus dixit ei: Spiritus sanctus superveniet in te, et virtus Altissimi obumbrabit te. Die Antithese von der 'Zeugung durch den Geist’ und der 'Zeugung durch den Mann’, die Prudentius — wie Ambro-
sius hymn. 5, 9/12 - entfaltet, ist hier vorgegeben. Die Dreigliedrigkeit der negativen Zeugungsursache ist wiederum nach Joh. 1, 13 gestaltet, vgl. qui non ex sanguinibus neque ex voluntate carnis neque ex voluntate viri, sed ex Deo nati sunt. Die Anwendung des Verses auf Christus findet sich z. B. auch Ambr. in psalm. 37, 5 qui non ex sanguinibus neque ex voluntate carnis neque ex voluntate viri, sed de spiritu sancto natus ac virgine est, dazu fid. 1, 12, 77 sine semine viri partus
(Fontaine, Hymnes, 282 zu Ambr. hymn. 5, 9). Bezeichnend ist, daB schon eine sekundäre, singularische Lesart, bezeugt vor allem durch Irenäus und Tertullian,
198
C. Kommentar
Joh. 1, 13 auf die Jungfrauengeburt Jesu bezieht (dazu Schnackenburg, z. St., Herders Theol. Komm. IV, 1, 3 1972). Beide Bibelstellen bilden auch die Basis für die
breite Darstellung der Jungfrauengeburt im Lehrgedicht apoth. 563/607, vgl. bes. die Parallele apoth. 564/67 sequimur, nullo quod semine terrae / germinat,
inmundum quod non de labe virili / sumit principium; tener illum seminat ignis, / non caro nec sanguis patrius nec foeda voluptas. Dem hohen Stil des Hymnus entsprechend ersetzt Prudentius cath. 3, 143f. die dreifache Umschreibung für die sexuelle Begierde durch einen dreifachen Ausdruck für die eheliche Vereinigung. Poetische Umschreibungen, Metonymien wahren die Dezenz des Ausdrucks, ohne die Sache, die causa für die biologische Zeugung und Befruchtung, anzutasten. Dem Mysterium der jungfräulichen Empfängnis hat der Dichter durch hochpoetische Wortwahl Glanz verliehen. Dabei spiegelt die ungenaue, vage Angabe der Gottheit und ihrer Wirkung in numine rutilante gravis das Geheimnisvolle des Vorgangs ebenso wider wie die pleonastische Verneinung der natürlichen Zeugung, die das Novum der Inkarnation nachhaltig einprägt. numine rutilante: Die Junktur, durch invertiertes quam gesperrt und in betonte Anfangsstellung gerückt, beschreibt das Wirken des Hl. Geistes, den Machterweis Gottes bei der conceptio Mariens. Numine rutilante ist Abl. causae zu gravis, aber nicht in der Weise wie z. B. Verg. Aen. 1, 274 die Person des schwüngernden Mars
im Ablativ gegeben wird: regina sacerdos Marte gravis (7 Ilia). Numine rutilante bezeichnet die causa efficiens der Inkarnation, nicht den Erzeuger des Kindes. Ist Prudentius sonst durchaus frei in der bildhaften Parallelisierung von der übernatürlichen Zeugung durch den Hl. Geist und der natürlichen Befruchtung durch den Samen des Mannes - vgl. cath. 9, 20 (virgo) feta sancto spiritu; apoth. 566 tener
illum seminat ignis; psych. 73 carnemque novam vis ardua sevit —, so läßt er hier den Vorgang bewuBt im Unbestimmten, wie er auch bei der Darstellung der natür-
lichen Realität der biologischen Zeugung im folgenden Zurückhaltung wahrt. Zu numen s. sonst apoth. 117 (ipse = deus pater) virtute et numine praesens; cath. 5,
106 pietas numinis unici; 5, 163 numine triplici.
rutilante: Rutilis bezogen auf
die Feuersglut z. B. Verg. Aen. 8, 430; georg. 1, 454; vom Licht Avien. Arat. 871; 873; 1522; Juvenc. 2, 168; 4, 727; Prud. cath. 5, 1 Inventor rutili, dux bone, luminis (vom künstlichen Licht). Der Hl. Geist ist nach traditioneller Anschauung Feuer
(Apk. 2, 3. 4 Feuerzungen beim Pfingstereignis), vgl. auch bes. Ambr. De spiritu sancto 1, 140/50 (hier bes. 144 nach Is. 10, 17); in psalm. 35, 10. Man braucht also nicht wie Padovese, 123, A. 40, auf die stoische Konzeption der Gottheit als Feuer
zu verweisen. Zur Anwendung der Lichttheologie bei Prudentius s. auch oben S. 80f. zu V. 32. Feuer, tener ignis, heiBt der Hl. Geist als Agens der Inkarnation auch
Prud. apoth. 566. Hier wie dort wühlt der Dichter die Bezeichnung des Feuers für die Gottheit mit Bedacht, sie dient dazu, das Immaterielle und daher UnfaBbare
der göttlichen Zeugung im Fleisch zum Ausdruck zu bringen. An anderen Stellen ist in eben diesem Sinn die Rede vom ‘Hauch’ Gottes, der bei der Menschwerdung wirksam ist, vgl. apoth. 167 intercute flatu; apoth. 569 sincero adflatu; dazu cath.
V. 141-145
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11, 501. (dies) quo te (= Christum) creator arduus 7 spiravit et limo indidit, hier, wie die Anlehnung der Formulierung an den Schópfungsakt des ersten Menschen nahelegt, vom Schópfergott gesagt. Vgl. auch Ambr. hymn. 5, 10 mystico spiramine. Nach dem Vorbild von Luk. 1, 34f. 'Der Heilige Geist wird über dich kommen,
und die Kraft des Hóchsten wird dich überschatten' heiBt der Hl. Geist, insofern er bei der Inkarnation wirkt, auch vis ardua (psych. 73), virtus divina (apoth. 568). Spiritus sanctus (ebenfalls durch Luk. 1, 34 legitimiert) fällt cath. 9, 20; tit. 99; spiritus apoth. 164. 435/7. 571f. Daneben führt Prudentius an einigen Stellen das "Wort' selbst als Wirkursache der Inkarnation vor, vgl. apoth. 115f. cum voluit, verbo praestrinxit viscera purae / virginis et verbo struxit puerilia membra, vgl. auch die Prädikationen Christi cath. 3, 2 verbigena, cath. 11, 18 verbo editus; dazu die von Gnilka, Prud. I, 567/9, inkriminierten Verse apoth. 523/5. — Den angeblichen Widerspruch zwischen der Inkarnation durch das Wort und Ausdrücken, die den
Geist als Akteur der Menschwerdung Christi angeben, versucht Padovese, 127ff., durch die These aufzuheben, nicht die dritte Person der Hl. Dreifaltigkeit, sondern der *Geist Christi' sei gemeint, wenn das góttliche Wirken bei der Geburt Jesu beschrieben wird. Seine Deutung im Sinne der 'Geistchristologie' des 2. / 3. Jahr-
hunderts gipfelt in der Schlußfolgerung, Agens der Inkarnation sei der prüexistente Sohn (Padovese, 131). Seiner These entsprechend müBte also auch an unserer Stelle
numine rutilante auf Christus bezogen werden. Die biblische VerheiBung aus Luk. 1, 34f., die hier wie auch bei der breiten Darstellung der Geburt Christi apoth. 563ff. zugrunde liegt, wurde von den Apologeten seit Justin auf die zweite Person gedeutet, πνεῦμα ἅγιον mit dem Logos, dem göttlichen Wort, gleichgesetzt (Braun, 281ff., bes. 284/9). Prudentius scheint aber gerade durch das Epitheton rutilante auf den Hl. Geist hinzuweisen, der wesentlich als Feuer gedacht ist. Anzunehmen ist also eher der Einfluß der Trinitätstheologie des Ambrosius (s. o. S. 198f.). Auch
sonst gelingt Padovese der Nachweis der pneumatischen Christologie bei Prudentius nur durch das fragwürdige Verfahren, Bezeichnungen für den Geist (virtus divina) und für Christus (virtus dei) gleichzusetzen. Es ist m. E. die Freiheit des Dichters,
der im wechselnden Kontext die Rolle der einen oder anderen Person Gottes bei der Inkarnation betont, die hier zu Mißverständnissen geführt hat. So erweist sich im übrigen gerade bei Padoveses zentralem Beleg für die geistchristologische Deutung apoth. 114/6 Gott Vater selbst als der eigentliche Akteur der Menschwerdung des Wortes (dazu auch Gnilka, Prud. I, 509f.). Vgl. auch die grundsätzliche Kritik an Padoveses Annahme einer konservativen, antiquierten theologischen Haltung des Dichters bei Charlet, état présent, 86. quam: Das textkritische Problem quam — quem muB m. E. zugunsten von quam (sc. carnem) entschieden werden. Die Lesart quam haben die meisten Handschriften (auBer MSU), von den alten Herausgebern Heinsius, auch Bergman, Cunningham,
dazu alle neueren Editoren mit Ausnahme von Guillén/Rodríguez, 42. Quem (sc. sermonem) ist aus dogmatischen Gründen schwerlich möglich. Die Jungfrau gebiert den Leib Christi, nicht das mit dem Vater gleichewige Wort. V gl. zur Unterscheidung
200
C. Kommentar
von Processio bzw. Descensio und Conceptio bzw. Partus Ambr. incarn. 52 (CSEL 79, 250) et verbum quidem ex paterna processisse substantia, carnem autem ex virgine esse confessi sunt (sc. patres nostri), dann auch incarn. 61 (CSEL 79, 256) Virtus venit in virginem, sicut et angelus ad eam dixit quia virtus altissimi obumbrabit te. Sed natum est corpus ex virgine et ideo caelestis quidem descensio, sed humana conceptio est. Anders ist die Stelle Prud. psych. 73f. zu bewerten, wo Prudentius gerade durch die kühne dichterische Umkehrung der Fakten auf das Paradoxon der Inkarnation zielt: carnemgue novam vis ardua deum concepit femina Christum.
sevit / atque innupta
gravis: dichterisch hohes Wort für gravida, vgl. Verg. ecl. 1, 49 non insueta gravis temptabunt pabula fetas; von Góttinnen: Aen. 1, 274 (oben S. 198 zitiert);
Ov. fast. 2, 615; 3, 23; 5, 257; bezeichnet die Empfängnis vom Ergebnis her, nach der messianischen Verheißung Luk. 1, 31 ecce concipies in utero. — thalamo: metonymisch
für 'Ehebett, Ehe', ebenso wie tori, vgl. auch Prud. apoth. 568
intactam thalami ... puellam; ham. 780f. atquin thalamis et lege iugali / exutae Hebraeisque toris sacrisque vacantes; c. Symm. 1, 161 iugalis corruptela tori (Ehebruch).
Ius tori geht auf den Stand der Ehe und auf das Recht des Ehegatten,
bei Prudentius auch perist. 13, 24 quo geniale tori ius solveret; perist. 14, 10f. Aiunt iugali vix habilem toro / primis in annis forte puellulam. genialibus
inlecebris: wie foeda voluptas (apoth. 567) vielleicht noch am ehesten als Umformung von ex voluntate carnis (Joh. 1, 13) zu verstehen. — genialis: in klassischer Zeit seltenes, dichterisch gesuchtes Synonym zu coniugalis, nuptialis (ThLL VI, 2. 3, 1806), vgl. z. B. das feierliche pulvinar geniale zur Bezeichnung des Brautbettes Catull. 64, 47; oder den Anruf Sen. Med. 1 Di coniugales tuque genialis tori, Lucina, custos. Bei Prudentius c. Symm. 2, 616 distantes regione plagae ... conveniunt ... per genialia fulcra externi ad ius conubii; perist. 3, 105 genialis
honor, perist. 13, 24 geniale tori ius.
inlecebris: von Prudentius häufig verwen-
detes Synonym zu deliciae, voluptates, in der Regel negativ konnotiert, vgl. z. B. Prud. ham. 314 ut bibat inlecebras meretricis male conciliata voluptas; ham. 593 his pater inlecebris consumitur (sc. serpentis); c. Symm. 2, 749 Tarenti. Hier steht das gesuchte choriambische Wort am Versende (s. oben S. 20-22 die einleitenden Ausführungen zum Metrum). V. 145 gibt in pointierter Form das Paradoxon der Jungfrauengeburt. Wie der Dichter in V. 140 abschlieBend das Faktum der Sündelosigkeit Christi durch kunstvolle Anordnung der Klangbezüge hervorhebt, so prägt er hier die Geburt aus der Jungfrau mittels Alliterationen und Homoioteleuta nachhaltig ein. Die Parallelität der argumentativen Struktur, die Betonung der Gottheit Christi, wird durch die Parallelität des Rhythmus und der Klangmittel unterstrichen. Die Verse enthalten je drei Wórter, auf ein getragenes fünfsilbiges Wort am Anfang folgen zwei zweibzw. dreisilbige Wörter. Je zwei Wörter sind durch Alliteration oder Endreim verknüpft: V. 140) k-, k-, -is, -is; V. 145) -a, -a, p-, p- (s. auch Evenpoel, 131).
Mit
intemerata nutzt Prudentius ein vergilisches Wort (wohl eine Neubildung Vergils,
V. 141-145
201
Norden, Vergilius, 332). Das Adjektiv von archaisch-feierlichem Klang (vgl. Norden, ebd.) kennzeichnet die Jungfrüulichkeit der Camilla, Verg. Aen.
11, 582/4
sola contenta Diana (sc. Camilla) / aeternum telorum et virginitatis amorem / intemerata colit. Die Unversehrtheit der Amazone ist bedingt durch die Liebe zu
Waffen und Jagd und damit Ausdruck ihrer gewählten Lebensform. Die Wahl ihres jungfräulichen Daseins erklärt sich aus der Nachfolge der Diana. Indem Prudentius das Wort auf die Gottesmutter übertrágt, gibt er der Unberührtheit einen ganz neuen, theologischen Sinn: Es ist die wunderbare, gnadenhafte castitas und virginitas, die durch Gottes Heilshandeln trotz Empfängnis und Geburt bei Maria bewahrt bleibt.
Intemerata geht — daran läßt der Kontext keinen Zweifel — auf die Tatsache, daß Maria den Sohn Gottes jungfräulich empfangen und geboren hat. Synonyme, von Prudentius in eben diesem Sinn gebraucht, sind: apoth. 568 intactam thalami ... puellam; psych. 70 intactae post partum virginis; dazu cath. 11, 55 pudoris intactum decus; apoth. 932 Christus ... incorruptae matris; apoth. 574 gravis intus et extra incolumis; auch apoth. 571 innuba virgo; psych. 74 innupta deum concepit femina
Christum; PsPrud. apoth. 575 maris inscia mater (Gnilka, Prud. I, 569/72). Intemerata bezeichnet allgemein die jungfräuliche Unberührtheit Prud. c. Symm. 2, 1078 membra intemerata (von den Vestalinnen). Von Maria dann auch Paul. Nol. carm. 25, 166; Cento de incarn. 13 (CSEL 16, 616); Sedul. carm. pasch. 2, 45.
- Intemerata in cath. 3, 145 wird von einigen aber auch auf die Freiheit vom Makel der Sündhaftigkeit bezogen. Die Stelle gilt daher als frühes Zeugnis für den Glauben der alten Kirche an die unbefleckte Empfängnis Mariens (s. S. Eagan, 21, A. 41; Guillén/Rodríguez, 42). Der Hinweis der letzteren auf Prud. apoth. 936, wo
intemeratus die Sündelosigkeit Christi bezeichnet, legt aber den Verdacht nahe, daB man dabei einfach den Sinn, den das Wort im Lehrgedicht hat, auf seine Verwendung im Hymnus übertragen hat. Ist das Verfahren an sich schon abzulehnen,
so ist die Parallele apoth. 936 zudem nur wenig brauchbar, da die Verse 934/6 offensichtlich eingefülscht sind (neuerdings nachgewiesen von Gnilka, Prud. I, 602ff.). Es liegt wohl textgeschichtlich gerade ein umgekehrter Vorgang vor, daB
nämlich ein Bearbeiter der Apotheosis intemeratus nach intemerata aus dem echten Prudentius gebildet hat.
202
C. Kommentar
Strophe 30 V. 146-150 Hoc odium vetus illud erat, hoc erat aspidis atque hominis digladiabile discidium, quod modo cernua femineis vipera proteritur pedibus. Die Strophen 30 und 31 bilden wieder eine Einheit. Sie feiern Jungfrauengeburt und Menschwerdung Gottes in ihrer Bedeutung für das Erlósungswerk Christi. In Strophe 30 gibt der Dichter die allegorische Deutung von Gen. 3, 15: Die GroBtat der Schlangentreterin Maria bricht die Macht der teuflischen Schlange. In Strophe 31 entfaltet er die Aussage und überhöht sie, im Bild bleibend, durch ein traditio-
nelles Motiv aus dem Komplex der goldenen Zeitaltervorstellung, das Ende der Schlangengefahr als Zeichen des paradiesischen Zustandes. Die Exegese von Gen. 3, 15 im Sinne des Protoevangeliums schlieBt sich eng an die vorausgehende Darstellung an. Mit ihrer Hilfe entfaltet der Dichter den soteriologischen Aspekt der
Menschwerdung Christi, das ist, geistig-allegorisch gefaßt, die Überwindung Satans und der Macht des Bósen. Prudentius lenkt den Blick allerdings nicht auf Christus, sondern auf Maria. In der jungfräulichen Mutter Jesu erfüllt sich die Prophezeiung von Gen. 3, 15, Maria ist die Frau, die die Schlange zertritt, dadurch, daß sie den Erlöser gebiert (vgl. V. 151f.). Zum Vergleich zunächst noch einmal der Wortlaut von Gen. 3, 15 (VL) et ponam inimicitiam inter te et (inter) mulierem et inter semen tuum et (inter) semen eius ipse (ipsa, illa) tuum calcabit (tibi observabit) caput et tu observabis (servabis, calcabis) calcaneum eius (illius) (s. auch oben
S. 171-178 zu V. 126ff.). Schon bei Justin (dial. Tryph. 100, 4) und Irenáus (adv. haer. 3, 23, 7; 4, 40, 3; 5, 21, 1) findet sich die Deutung von Gen. 3, 15 als messianisch-marianische Weissagung, daher der Name ‘Protoevangelium’ für diese Stelle (seit dem 17. Jh., s. Michl, 832). Das Weib ist dann Maria oder die Stammutter
Eva, der 'Weibessame' Christus, die Schlange der Teufel (zur patristischen Tradition s. Drewniak, passim; Michl, 832/4). Prudentius' Verarbeitung der typologischen
Exegese ist insofern singulär, ja fast gewagt zu nennen, als er offenbar als erster und einziger in der frühchristlichen Zeit die Stelle ganz auf Maria anwendet und die Gottesmutter als Schlangentreterin deutet (Drewniak, 7 1ff.; 87). Er liefert also eine mariologische Exegese, während in den häufigeren christologischen Exegesen nur die Frau, die laut Gen. 3, 15a in Feindschaft lebt mit der Schlange, mit Maria identifiziert wird, der aber, der die Schlange zertritt, mit Christus, dem SproB der Frau, gleichgesetzt wird (Drewniak, passim). Eine Ausnahme bilden vielleicht einige Stücke von Ephräm dem Syrer, deren Echtheit allerdings bezweifelt wird (vgl. Oratio ad Ss. Dei Matrem 3; Hymnus I und II de nativitate Christi in carne,
Drewniak, 39/44). Die prudentianische Deutung findet auch keine Nachahmer in
V. 146-150
203
der ausgehenden Spütantike, sie wird erst von Fulbert von Chartres im 11. Jahrhundert wieder aufgenommen (Sermo de nativitate 4 [PL 141, 320f]), dann von
Rupert v. Deutz (PL 167, 304f) und vom hl. Bernhard (PL 183, 63). Daß dogmatische Vorbehalte von der Identifikation der Schlangentreterin mit Maria abhalten konnten, zeigt die Argumentation des Verfassers der "Epistula ad amicum aegrotum de viro perfecto', hier Kap. 5/7 (PL 30, 83ff., bes. 88), der als Zeitgenosse des Prudentius zu gelten hat (dazu die Ausführungen bei Drewniak, 57/64). Der Autor deutet Gen. 3, 15 ganz im Sinne des Protoevangeliums, ‘die Frau’ ist für ihn die Mutter des Herrn, der 'Samen der Frau' ist Christus, so daB er sowohl die jungfrüuliche Empfängnis als auch die Heilstat der Erlösung prophezeit findet. Die aus der Lesart ipsa konsequenterweise folgende Zuweisung des Triumphes an die Schlangentreterin Maria (ipsa tuum calcabit caput/) bereitet aber dem Verfasser des Briefes
offensichtlich Schwierigkeiten. Nachdem er den Sieg als ‘für einen Menschen zu groB' bezeichnet hat, korrigiert er den wórtlichen Schriftsinn, indem er Christus allein als den geweissagten Schlangentreter darstellt (Drewniak, 61/3), vgl. Kap. 7 (PL 30, 85C/D) Dicebamus semen mulieris Dominum sanctum, quia secundum carnem patrem hominem non haberet: eumque iam infestum esse serpenti, quem
in utero virginis Dei Spriritus, non materialis generasset humor. Denique quod sequitur maiorem ab homine virginis promittit effectum, dicendo: Ipsa tuum calcabit caput (Gen. 3, 15, sec. LXX): quis ambigit, quod praeter Dominum nostrum caput serpentis nemo calcavit? Ipse enim solus super dracones et scorpiones ambulavit: ipse captivam duxit captivitatem. Nam quod subditur: Et tu eius observabis calcaneum, ad quem alium credimus pertinere? Prudentius gibt im Hymnus Ante cibum einer vermeintlichen AnstóBigkeit erst gar keinen Raum, indem er die Tat Marias klar in der jungfräulichen Gottesmutterschaft gründen läßt, also ihre mittelbare Teilnahme am Erlósungswerk hervorhebt. Weil von der Jungfrau Maria der kommt, der das Böse bezwingt, kann es von ihr selbst heißen, daß sie die Schlange zertritt. DaB die vorliegende marianische Deutung des sogenannten Protoevangeliums aber mehr auf dichterischer Originalität als auf der Wiedergabe kirchlicher Lehrmeinung beruht, wird indirekt gestützt durch die Verarbeitung der Genesisstelle im Agnes-Hymnus des Prudentius, wo der Tod der Märtyrerin als Sieg der Schlangentreterin über den Satan gefeiert wird (perist. 14, 112/8, dazu auch oben S. 176f. zu V. 126ff.). Agnes wiederholt durch ihren Triumph den Sieg, den Christus schon ein für allemal errungen hat. Auch die christologische Deutung auf
Christus als den Schlangentreter vertritt der Dichter. Sie liegt Prud. cath. 9, 90 zugrunde, wo es in freier Umgestaltung des Genesisverses unter Nutzung einer vergilischen Junktur heißt: saucius dolore muito colla fractus sibila. Beim Anblick des heiligen Opferleibes Christi am Kreuz bricht sich die Schlange den Hals (dazu auch unten S. 209 zu Str. 31).
Prudentius wertet den Fluchvers Gen. 3, 15 in der Weise aus, daB er den ersten Teil des Verses zum Ausdruck der Prophezeiung (V. 146/8), den zweiten Teil zum Ausdruck der Erfüllung (V. 1491.) benutzt: ‘Das war die Feindschaft aus alter Zeit,
204
C. Kommentar
die tódliche Zwietracht zwischen Schlange und Mensch, daB jetzt eine Frau der
Schlange den Kopf zertritt.' Die formelhafte Wendung hoc odium vetus illud erat ... Quod hat also neben der deiktischen Emphase erklärende Funktion, dient der
Durchführung der Exegese. Die zeitlichen Angaben vetus und modo markieren die Ebenen von Weissagung und Erfüllung. Die Bedeutung von vetus schillert dann zwischen ‘von alters her bestehend, lange während’ und, illud verstärkend, ‘seit
alter Zeit bekannt, benannt’. Die Annahme eines logischen Verhältnisses zwischen Hauptsatz und quod-Satz, wie es etwa die Übersetzungen von Lavarenne, édition, 17, und S. Eagan, 21, suggerieren (etwa 'darauf beruht, darin gründet der alte Haß’), würde dagegen bedeuten, daB aus dem verheiBenen Sieg der Frau über die Schlange die Feindschaft zwischen Schlange und Mensch im Sinne einer Finalursache abzuleiten ist — ein theologisch fragwürdiges Konstrukt. Die Schwierigkeit des Verstündnisses rührt daher, daB Prudentius hier gleich zweifach mit Aussparungen arbeitet. So erwartet man im quod-Satz eigentlich eine Auflósung der Allegorie, während Prudentius im Wortlaut der Bibelstelle bleibt und deren Inhalt — das ist die zweite Ellipse - wiederum auf Referat und Auslegung verteilt. Den figürlichen Sinn der Tat der Schlangentreterin führt der Dichter vor, wenn er
zu Beginn der folgenden Strophe die Gleichsetzung mit der Jungfrauengeburt vollzieht: V. 151f. Edere namque deum merita / omnia virgo venena domat. Das *Erfüllungs-Ereignis' selbst bildet sozusagen den Rahmen der typologischen Auslegung (vgl. auch V. 145 intemerata puella parit). Allerdings — und das mag eine weitere Quelle des Mißverständnisses sein — überlagern sich auch schon in Strophe
30 allegorische Deutung und Wiedergabe des Bibeltextes. Geistiger und wörtlicher Sinn verschmelzen in der Explikation von odium (inimicitia im VL-Text) durch aspidis atque hominis / digladiabile discidium. Die Verteilung der Junktur auf zwei Verse, das schwere sechssilbige hapax legomenon digladiabile, die Alliteration auf *di' und die Háufung der grellen, die Gefahr malenden i-Laute unterstreichen
den tieferen Sinn des Ausdrucks. Gemeint ist der sittliche Kampf auf Leben und Tod, der zwischen Teufel und Mensch ausgefochten wird, und der mit Hilfe der Frau, d. h. der Mutter des Erlósers, zugunsten des Menschengeschlechts entschieden wird (so die Übersetzung von S. Eagan, 21, greifbar auch bei Thomson, 29, in der Übersetzung „age-long hate“ für odium vetus). Noch klarer tritt die spirituelle Bedeutung von Feindschaft und Sieg über das Bóse dann in V. 151f. hervor: omnia virgo venena domat.
Hoc ... illud erat ... quod: Zur Konstruktion bei Prudentius vgl. Lavarenne, étude, 185f., $ 470. Die Grundform lautet hic ille est. Sie hebt ein fernes Ereignis hervor
und nimmt es quo; cath. 12, transmigratio so auch perist. redemptio est.
für die Gegenwart in den Blick, vgl. cath. 11, 49 Hic ille natalis dies 41 Hic ille rex est gentium; ham. 448 haec illa est Babylon, haec nostrae gentis (wie hier mit Wiederaufnahme des ersten Pronomens); 10, 586f. Haec illa crux est omnium nostrum salus ... hominis haec Die Konstruktion mit faktischem quod bzw. Kausalsatz und Schwer-
V. 151-155
205
punkt auf der Explikaton auch Prud. c. Symm. 2, 1102ff. (von den Vestalinnen) hoc illud meritum est quod ... quod (V. 1104), ... quia (V. 1105), ... quia (V. 1107), ... quoniam (V. 1109). cernua: seltenes poetisches, eigentlich vergilisches Wort, vgl. Lucil. 703; Verg. Aen. 10, 894; Sil. 10, 255. Der Gebrauch im Sinne von pronus
scheint von Prudentius inauguriert, vgl. ThLL III, 875, 79ff., Remigius (Gloss. vet. bei Arevalo, 806) mit falscher etymologischer Ableitung: cernua gleich curva, quasi cernens terram, vielleicht auch Serv. Aen. 10, 894. Vgl. auch Prud. cath. 7, 43 flendo ... inrigatum pulverem / humi madentis ore pressit cernuo; perist. 14, 85 Sic fata Christum vertice cernuo / supplex adorat, vgl. auch Sedul. carm. pasch. 3, 201 mulier ... incurva ... solam dispectans cernua terram. Cernua wird von Charlet, création, 164, A. 33, gedeutet auf den ersten Fluch über die Schlange,
der Gen. 3, 14 ausgesprochen wird: 'Auf dem Bauch sollst du kriechen und Staub fressen alle Tage deines Lebens’. Das Attribut unterstreicht aber auch die Entmachtung der Schlange. Sie ist nun mit dem Kopf, ihrem gefährlichsten Teil, zum Boden gebeugt, nicht mehr hochauffahrend zum Biß (vgl. Hor. epod 16, 52, dazu unten S. 206f.). vipera: für die Schlange, nach draco (V. 111), aspis (V. 147), zeugt nicht nur vom Bemühen um kunstmäßige Variation des Ausdrucks, sondern ermóglicht auch die wirkungsvolle p-Alliteration: vipera proteritur pedibus. femineis ... pedibus: jeweils durch Endstellung im Vers hervorgehoben. Im Unterschied zur Genesisversion von V. 128, wo mulier das Subjekt bildet wie ipsa im VL-Text, wird hier die ‘Frau’ durch das Attribut zum Ablativus instrumentalis pedibus angegeben (femineis entspricht dem Genitivus possessivus). Die instrumentale Form hat der Dichter nicht ohne tieferen Grund gewählt. Bei allem Lobpreis der Schlangentreterin macht er deutlich, daß Maria nur Instrument des Handelns Gottes ist, daB es die Macht des Hóchsten ist, die durch die Frau den Sieg errungen hat. Vgl. die in eben diesem Sinn gebrauchte passive Konstruktion in V. 151: edere namque deum merita.
Strophe 31 V. 151-155 Edere namque deum merita omnia virgo venena domat,
tractibus anguis inexplicitis virus inerme piger revomit gramine concolor in viridi. Prudentius gibt die Erláuterung der Schriftallegorese in einem neuen Bild. Dadurch, daB die Jungfrau Maria die Mutter Gottes wird, bündigt sie alles Gift der Schlange. Die Darstellung ist zweigeteilt. Die Vorstellung von der *Bezühmung des Gifts’ durch die jungfräuliche Gottesmutter (V. 151f.) korrespondiert mit der Schilderung der geschlagenen und vergeblich Gift speienden Schlange (V. 153/5). Daß
206
C. Kommentar
Prudentius sich hier ein klassisches Motiv der prophetischen, jüdisch-sibyllinischen Literatur sowie der antiken aetas aurea-Darstellungen zu eigen macht, legt nicht nur das Verweilen des Dichters beim Bild der bezwungenen, wehrlos gemachten Schlange nahe, sondern auch die Fortführung des Gedankens durch die Verarbeitung und schópferische Umgestaltung der Tierfrieden-Topik im folgenden (V. 156/65). Gemeint ist das Aussterben der Schlangen, das sozusagen als Untermotiv des Tierfriedens vom Anbruch einer neuen Zeit kündet (Gatz, 172f.). In der paradiesischen Idylle einer neuen Zeit, eines neuen Ortes haben schädliche Tiere und Pflanzen keinen Platz. Vgl. Verg. ecl. 4, 24 occidet et serpens, et fallax herba veneni / occidet, Hor. epod. 16, 52 nec vespertinus circumgemit ursus ovile / nec intumescit
alta viperis humus. Besonders die Vergilstelle wurde in der Literatur zum Vergleich herangezogen, vgl. Mahoney, 132f.; Salvatore, Studi, 88f.; Charlet, création,
165; Kah, 355; Lühken, 166. Durch, wenn auch nur schwache, wórtliche Anklänge bei Prudentius präsent sind aber auch zwei idealisierende Darstellungen realer
Landschaften, die ebenfalls den Zug det absentia serpentium aufweisen, vgl. Verg. georg. 2, 153f. (laudes Italiae) nec rapit immensos orbis per humum neque tanto / squameus in spiram tractu se colligit anguis (notiert von Charlet, création, 165, A. 135) und Hor. carm. 1, 17, 8f. (vom Sabinergut) nec viridis metuunt colubras/ nec Martialis haediliae lupos (zur Nutzung im einzelnen s. unten S. 207f.). Schon bei den 'Vorlüufern' Vergils Jes. 11, 8 und Sib. orac. 3, 794f. (Geffcken) geht es
aber nicht um das wunderbare Verschwinden der Schlangen, sondern darum, daB die Schlangen jegliche Geführlichkeit verlieren, vgl. das Bild des mit den Nattern
spielenden Kindes Jes. 11, 8 LXX xai παιδίον νήπιον ἐπὶ τρώγλην ἀσπίδων καὶ ἐπὶ κοίτην ἐκγόνων ἀσπίδων τὴν χεῖρα ἐπιβαλεῖ, Orac. Sib. 3, 794 σὺν βρέφεσίν τε δράκοντες ἅμ᾽ ἀσπίσι κοιμήσονται κοὐκ ἀδικήσουσιν. So auch bei Lact. inst. 7, 24, 8 infans cum serpentibus ludet, und -- in der Erwähnung des Gifts wieder náher an Prudentius — Lact. epit. 67, 5 serpens virus non habebit (s. auch oben
S. 114 zum Abstinenzpostulat und unten S. 214 zum Tierfrieden). Das scheint auch der Grundzug der Schlangendarstellung des Prudentius zu sein, bes. in V. 154 virus inerme piger revomit. Aber Prudentius gibt dem Motiv eine ganz neue Wendung,
indem er es auf die Überwältigung der teuflischen Schlange, also des Bösen schlechthin, überträgt. Im Unterschied zu den loci classici bei Vergil und Horaz geht die Schlange nicht unter, sie verschwindet nicht, aber sie ist auch nicht auf wunderbare Weise zahm, ja handzahm geworden wie in der jüdisch-eschatologischen Tierfriedenvision, sondern dadurch, daß das Gift der Schlange unschädlich gemacht wird, verliert sie ihre verderbenbringende Macht. In der Zentrierung auf das Gift tritt der neue, spirituelle Sinn des Tierfriedenmotivs hervor. Von einfacher „Rezeption der vierten Ekloge", so Lühken, 166, mit Blick auf ecl. 4, 24f. fallax herba veneni occidet, kann also keine Rede sein. Schon in der ungewóhnlichen Zusammenstellung venena domat deutet sich an, daB die Schlange ihre Angriffslust nicht aufgegeben hat. Sie veründert nicht ihre Natur. Geschildert wird dann
der Machtverlust des Teufels als Gipfel der Frustration. Die Schlange versucht,
V. 151-155
207
sich zu entfalten und hochzufahren, vergeblich, sie speit Gift — vgl. dagegen die Darstellung bei Lact. epit. 67, 5 serpens virus non habebit! —, aber es vermag niemandem zu schaden. Im Gift als Symbol der verderblichen Macht des Teufels fokussiert der Dichter die spirituelle Bedeutung des Geschehens. Vgl. auch tit. 1/4, wo der spirituelle Vorgang der Verführung Adams und Evas zur Sünde dargestellt wird durch den physischen Vorgang der Einschwürzung durch Gift (dazu oben S. 155f. 163). Durch das Schlangengift läßt Prudentius auch den hl. Cyprian perist. 13, 571. die Sündhaftigkeit, die ihm anhaftet, umschreiben: /lle ego, vipereis quem tu bonus oblitum venenis, / criminibus variis tinctum miseratus abluisti.
Dem Machterweis der Schlangentreterin (V. 152 omnia virgo venena domat) steht also die Macht- und Gefahrlosigkeit der immer noch bósartigen Schlange gegenüber (V. 154 virus inerme piger revomit). Damit bettet Prudentius die Tat ein in eine neue, heilsgeschichtliche Dynamik: Die Überwältigung der Schlange durch die Jungfrau erweist sich als die in Gen. 3, 15 verheißene Umkehr des Herrschafts-
verhältnisses, das beim Sündenfall zutage getreten ist (zum 'Machtwechsel' infolge der Strafurteile Gottes s. auch oben zu Str. 25 und 26). Zeigt sich Satan bei der Verführung der Frau als der Müchtige, so ist es nun die Frau, die Macht ausübt und den Teufel unterwirft. Die Verse 153/5 beschreiben in dreifacher Variation die Machtlosigkeit der Schlange. Evoziert wird eine Angriffsbewegung der Schlange, die ins Leere läuft, um vor der Folie der einstigen Gefährlichkeit den neuen Zustand der Ohnmacht um so deutlicher zu vergegenwärtigen. Seltene Komposita (inexplicitis, concolor, revomit) heben den Ton der Darstellung. Die auffallende Häufung epischer, besonders vergilischer Wortbildungen ist bezeichnend für die Stilhóhe des Hymnus. Daß Prudentius den Ton epischer Kampfschilderungen aufnimmt, um den Kampf zwischen Frau und Schlange zu untermalen (so Charlet, création, 165), trifft also nicht zu. Aber er macht sich zwei wesentliche Momente
der literarischen Schlangendarstellungen zunutze: tractibus inexplicitis: Daß im Zusammenringeln und spiralfórmigen Vorwärtsschlüngeln der Schlange schon ein Hinweis auf ‘Gefahr im Verzug’ gesehen wurde, zeigt neben georg. 3, 425ff. besonders die oben S. 206 zitierte Stelle georg. 2, 153, die Prudentius hier offensichtlich in Dienst nimmt, vgl. auch Ov. met. 3, 41f. ille (sc. caeruleus serpens) volubilibus squamosos nexibus orbes / torquet et inmensos saltu sinuatur in arcus. Das Fehlen der sich windenden Schlange steht in der idea-
len Landschaft auf einer Ebene mit der Abwesenheit reiBender Tiger und grimmiger Lówen (Verg. georg. 2, 151f. at rabidae tigres absunt et saeva leonum semina). Vgl. auch die Negationsreihe Hor. epod. 16, 51ff., wo das Auffahren der Schlange vom Boden parallel gesetzt ist zum Belauern der Schafe durch den Bären. Die heilsgeschichtliche Dimension des von Prudentius geschilderten Unvermógens der Schlange, sich zu rollen, wird vor dem Hintergrund von ham. 180/202 deutlich, ohne daB diese Darstellung hier vorausgesetzt wird. Prudentius veranschaulicht dort die durch invidia bewirkte Wandlung Luzifers in den Bósen an der sichtbaren Veründerung, die die Gestalt der Schlange infolge der Depravation erführt: Die
208
C. Kommentar
ehemals einfache Zunge spaltet sich, der zuvor gerade Leib ringelt und windet sich. Die morphologische Veründerung ist Spiegel der neuen Verschlagenheit und Tücke des Tieres, vgl. bes. ham. 197/200 bestia sorde carens, cui tunc sapientia longi / corporis enodem servabat recta iuventam, / conplicat ecce novos sinuoso pectore nexus / involvens nitidam spiris torquentibus alvum. Entsprechend zeigt sich an unserer Stelle in der Tatsache, daß die Schlange sich nicht mehr krümmt
und auseinanderrollt, daB die Wirksamkeit des Bósen ein für allemal aufgehoben ist. gramine concolor in viridi: Die Feststellung, daB Schlangen die Farbe der sie umgebenden Natur haben, machen auch antike Fachschriftsteller, vgl. Plin. nat. 8, 85 quod ad serpentes attinet, vulgatum est colorem eius plerasque terrae habere, in qua occultentur; Paus. 9, 21, 6 (Gossen/Steier, 496). Zum Problem der
‘grünen Schlangen’ aber äußert sich Maurach, Enchiridion, 188, zu Hor. carm. 1, 17, 8 (oben S. 206 zitiert): „doch ‘grüne’ Schlangen hat es in Italien nie gegeben“. Maurach erklärt das Beiwort wie Nisbet/Hubbard aus der literarischen Tradition,
allerdings nicht als Wiedergabe von griech. γλαυκός (Nisb./Hubb. 220, weitere poetische Beispiele Stat. Theb. 1, 711; 2, 279; 5, 549f.; Claud. in Ruf. 1, 290 virens hydra), sondern als raffiniertes Stilmittel, das den Schlangen ‘in griechischer Art’ die Farbe ihres Aufenthaltsortes gibt (mit Hinweis auf Theocr. 7, 59, Maurach, Enchiridion, 188). Prudentius nimmt demnach die horazische Metonymie in einer
neuen poetischen Wendung auf. Die poetische Form der Farbangabe hat aber nicht nur schmückenden Wert — weder bei Horaz noch bei Prudentius. Der Vergleich mit
Lucan. 9, 715f. concolor exustis atque indiscretus harenis / hammodytes, zeigt, daß die Gleichfarbigkeit der Schlange mit ihrem Aufenthaltsort auf die Tarnfunktion
bezogen werden muß. In der wie auch immer gegebenen farblichen Unauffälligkeit der (blauschwarzen, grüngelben?) Schlange, die im hohen Gras lauert und den Vorübergehenden heimtückisch angreift, liegt wiederum für den Menschen die Gefahr, vgl. die Warnung Verg. ecl. 3, 92f. Qui legitis flores et humi nascentia fraga, / frigidus, o pueri (fugite hinc!), latet anguis in herba. Deutet also Horaz im Epitheton viridis offensichtlich die Gefährlichkeit der Schlangen an - vgl. auch seine parallele Kennzeichnung der Wölfe als Martialis lupos (Hor. carm. 1, 17, 9) -, um den paradiesischen Frieden ohne Schlangengefahr um so eindringlicher her-
vortreten zu lassen, ist die Farbangabe im Kontext bei Prudentius ganz neu motiviert. Prudentius greift zwar das Moment der Tarnung auf. Die grüne Tarnfarbe ist nun
aber ein Zeichen für die Harmlosigkeit der unschüdlich gemachten Schlange, die sich im Gras verbirgt, weil sie zum Angriff nicht mehr fühig ist. Die Umschreibung
der Farbangabe variiert also durch einen weiteren bildhaften Aspekt die in tractibus inexplicitis und virus inerme zum Ausdruck kommende Entmachtung des Bósen. Dieselbe Bildlichkeit wie cath. 3, 146ff. (Schlangentritt der Jungfrau, Bezwingung des Bósen mit seinem verderbenbringenden Gift) vereint Prudentius auch im Preis des Sieges der Jungfrau und Märtyrerin Agnes, vgl. perist. 14, 112/8 Haec calcat Agnes ac pede proterit / stans et draconis calce premens caput, / terrena
V. 151-155
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mundi qui ferus omnia / spargit venenis mergit et inferis, / nunc virginali perdomitus solo / cristas cerebri deprimit ignei / nec victus audet tollere verticem. Den Zusammenhang von Kreuzestod Christi und Erlösung der Menschen entfaltet Prudentius im Christushymnus aus der Perspektive der Schlange, vgl. cath. 9,
88/90 Vidit anguis inmolatam corporis sacri hostiam, / vidit et fellis perusti mox venenum perdidit / saucius dolore multo, colla fractus sibila. Die Parallele zu cath. 3 ist offensichtlich: Die Schlange verliert ihre Waffe, das Gift, als sie mit gebrochenem Hals daliegt. Der Schlangentritt wird hier christologisch gefaßt und als geradezu wunderbare Selbstvernichtung des Bósen angesichts des Opferleibs Christi umgedeutet. Der AbriB zeigt, daB der mariologische Gehalt der Strophe vom heilsgeschichtlichen Skopos der Darstellung nicht zu trennen ist. Die bildhafte Entfaltung der allegorischen Deutung von Gen. 3, 15 dient dazu, an der Gottesmutter die ekklesiologische Dimension des Erlósungswerks Christi vor Augen zu führen. Durch ihren Anteil an der Menschwerdung Gottes bricht Maria die Macht der Schlange und vereitelt damit ein für allemal die zukünftigen Bemühungen Satans, die Menschen ins Verderben zu stürzen. Edere ... deum merita: Die Jungfrauengeburt (vgl. auch zu V. 145 [quam carnem] intemerata puella parit) bietet Anlaß zu Spekulationen über den altchristlichen
Glauben an die *Unbefleckte Empfängnis Mariens' (Arevalo, 807 At verus est sensus, inerme virus dici, quod attinet ad B. Virginem, quae viperam cernuam pedibus proterit, et omnia venena domat, scilicet a peccato originali immunis; Guillén/Rodríguez, 42, A. zu V. 145). Neben intemerata bildet die Deutung von
merita den Hauptansatzpunkt. Vgl. Remigius bei Arevalo, 806, merita gleich digna,
s. auch die Übersetzungen von S. Eagan, 21, „She who deserved to be Mother of God", Charlet, trad., 14, „la Vierge qui a mérité d'enfanter Dieu". Die Konstruktion
betont aber nicht die Verdienstlichkeit Marias, sondern das Gnadenwirken Gottes an ihr: Aus der Gnade wird ihr zuteil, Gott zu gebären. Richtig ThLL VIII, s. v. mereo, 806, 79, eingeordnet unter der notatio favore donari, accipere; fast licet, contingit. Edere mit dem Komplement deum unterstreicht das Paradoxon der Inkarnation. venena domat: Kühne Formulierung, eventuell nach Sil. 8, 499 (Lühken, 167; vorher Charlet, création, 165 u. a.), dort von einer Magierin, die sich mit
schädlichen Pflanzen auskennt und Giftschlangen beherrscht, venena also metonymisch für viperas venenatas. Bei Prudentius geht domare tatsächlich auf das Gift (vgl. dagegen die dichterisch konventionellere Version Prud. perist. 14, 114/6 terrena mundi qui ferus omnia / spargit venenis mergit et inferis, / nunc virginali
perdomitus solo). Omnia venena evoziert das Übel, das vom Anstifter der Sünde ausgeht. tractibus inexplicitis: Ablativus modi, übersetze: ‘ohne daß sie ihre Rollbewegungen entfalten kann’ (richtig Guillén/Rodríguez, 43, „sin poder desarrollar sus espirales"). tractus: vom Rollen der Schlange auch Verg. georg. 2, 153 nec rapit immensos orbis per humum neque tanto / squameus in spiram fractu se colligit
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C. Kommentar
anguis (Charlet, création, 165). Zu inexplicitis vgl. die Erklärung ThLL VII, 1, 1329, 48: i. vix volubilibus; inepte Schol. innumerabilibus (vielleicht nach immensos bei Vergil?). Der Sinn ist negativ: Von der Frau bezwungen, vermag die Schlange sich nicht mehr auseinanderzurollen (explicare, so Ov. met. 15, 720; Lucan. 6, 488), um zum Angriff hochzufahren. virus inerme: ThLL VII, 1, 1307, 40f. s. v. inerme:
i. innoxium. Es liegt eine Art Ennallage vor: Das unschädliche Gift macht die Schlange wehrlos. /nermis in bezug auf die Schlange selbst setzt, Prudentius nachahmend, Alc. Avit. carm. 2, 310. Zu virus als Terminus des Bósen s. Thome, 453/5. piger: ‘träge, verdrossen' und daher ungefährlich, von der Schlange Ov. am. 2, 13, 13; Stat. Theb. 5, 600 (vgl. Charlet, création, 165, A. 38).
revomit: seltenes Kompositum anstelle des Simplex (dazu oben S. 82 zu recinere, V. 34), klassisch nur Verg. Aen. 5, 182; Ov. met. 13, 731. Im Zusammenhang mit dem Ausspeien von Gift Ambr. hex. 4, 4, 15 (CSEL 32, 1, 123, 7) percussorem quoque cuius nativitatem scorpius sua parte conplexus sit ... malitiae venena revomentem. Häufiger ist das Synonym evomere, vgl. die allerdings me-
trisch unmögliche varia lectio im Apparat von Bergman evomit (C, O), dazu Ambr. hex. 5, 7, 19 vipera venenum; Eustath. Bas. hex. 7, 6 vipera pestiferum virus; im übertragenen Sinn: Cic. Lael. 87; Cypr. unit. eccl. 10; Ambr. parad. 12, 55. concolor: schöne vergilische Wortbildung (Aen. 8, 82 candida ... cum fetu concolor albo [sc. sus]; Ov. met. 6, 406; Sil. 3, 682 u. ó. Im übertragenen Sinn bei Prudentius c. Symm. 2, 872 quamvis non concolor error.
Exkurs: Die Eva-Maria-Parallele
Prudentius ist der erste Schriftsteller im lateinischen Bereich, der die mariologische Auslegung von Gen. 3, 15 mit der Parallele Eva-Maria verknüpft (vgl. Drewniak, 71/5; 87). Das Verhültnis von Eva und Maria, das Prudentius gestaltet, ist dabei komplexer als bisher in der Forschung dargestellt (Herzog, 45f.; Lühken, 166). Bei genauerer Analyse überlagern sich nämlich zwei verschiedene typologische Deutungsstránge. Im Rahmen der heilsgeschichtlichen Darstellung als ganzer (V. 96/170) wird Eva als gegensätzlicher Typos zu Maria eingeführt, analog und zugleich kontrastierend zu Evas Rolle beim Sündenfallgeschehen betont der Dichter die Mitwirkung Marias beim Erlósungswerk Christi. Innerhalb der Allegorese von Gen. 3, 15 (V. 146ff.) erscheint Eva in gewisser Weise als Typos der Gottesmutter. Beide Linien stehen aber nicht gegen- oder nebeneinander, sondern werden von Prudentius in einem neuen theologischen Entwurf zusammengeführt. In bezug auf den ersten Deutungskomplex steht Prudentius in einer reichen altkirchlichen Tradition. Schon von den Apologeten der ersten Jahrhunderte wird die Antithese Eva-Maria analog zur biblisch begründeten Antithese Adam-Christus und oft unmittelbar im Anschluß an diese entwickelt (so Iren. adv. haer. 5, 19, 1; Tert. cam. 17, 4f.). Die in der Heilsókonomie verankerte Anknüpfung von Maria
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Exkurs: Die Eva-Maria-Parallele
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an Eva gründet für die altchristlichen Exegeten in erster Linie im Geschlecht bzw. in der Jungfräulichkeit, die nach allgemeiner Auffassung auch für Eva im supralapsarischen Gnadenzustand des Paradieses konstitutiv war (dazu oben S. 156. 169f.). Explizit formuliert den Begründungszusammenhang Prokop in Gen. (PG
87, 212B): εἰκὼν γὰρ αὕτη (sc. Maria) τῆς Εὔας ἐτύγχανε: παρθένος γὰρ ἑκατέρα. Die heilsókonomische Relevanz der Jungfräulichkeit wird schon bei Just. dial. Tryph. 100, 4f. (Marcovich) betont, dem ersten Beleg für die Eva-Maria-Parallele
überhaupt, vgl. καὶ διὰ τῆς παρθένου ἄνθρωπον γεγονέναι, ἵνα [xoi] δι᾽ ἧς ὁδοῦ N ἀπὸ τοῦ ὄφεως καρακοὴ τὴν ἀρχὴν ἔλαβε, διὰ ταύτης τῆς ὁδοῦ καὶ κατάλυσιν
λάβῃ. Παρθένος γὰρ οὖσα Εὔα καὶ ἄφθορος, τὸν λόγον τὸν ἀπὸ τοῦ ὄφεως συλλαβοῦσα, παρακοὴν καὶ θάνατον ἔτεκε: πίστιν δὲ καὶ χαρὰν λαβοῦσα
Μαρία ἣ παρθένος, εὐαγγελιζομένου αὐτῇ Γαβριὴλ ἀγγέλου. (“Wir wissen, daß Christus durch die Jungfrau Mensch geworden ist, damit auf dem gleichen Weg, auf dem die von der Schlange ausgehende Sünde ihren Anfang nahm, auch die Sünde aufgehoben werde. Denn Eva, eine unverdorbene Jungfrau, gebar, als sie das Wort der Schlange angenommen hatte, Sünde und Tod, die Jungfrau Maria dagegen war voll Glaube und Freude, als ihr der Engel Gabriel die frohe Botschaft brachte’).
Im Sinne eines geschichtstheologischen Beweises für die Menschwerdung Christi durch die Jungfrauengeburt verwendet die Eva-Maria-Typologie auch Tertullian. Das an Maria ablesbare Heilshandeln Gottes knüpft antithetisch und zugleich überbietend (aemula operatione, Tert. cam. 17, 4) an das das Schópfungswerk zerstórende Wirken des Teufels an; wie der Unglaube der Jungfrau Eva das Unheil brachte, so der Glaube der Jungfrau Maria das Heil, vgl. Tert. carn. 17, 5 (CCL 2, 905) In virginem enim adhuc Evam inrepserat «diaboli» verbum aedificatorium mortis; in virginem aeque introducendum erat dei verbum structorium vitae, ut quod per eiusmodi sexum abierat in perditionem per eundem sexum redigeretur in salutem. Crediderat Eva serpenti: credidit Maria Gabrieli. Quod illa credendo deliquit, ista credendo correxit. Die antithetischen Bezüge von Maria zu Eva finden sich erwartungsgemäß im Rahmen des Konzepts der Rekapitulation bei Irenäus von Lyon besonders breit entfaltet. Gemäß der Schöpfung und Erlösung umfassenden Heilsordnung mußte der Gehorsam der Jungfrau Maria den Ungehorsam der Jungfrau Eva 'umkehrend aufnehmen’. Wie bei Justin und Tertullian werden die Versuchung durch den ‘Engel’ Luzifer (Gen. 3) und die Verkündigung der frohen Botschaft durch den Engel Gabriel (Luk. 1, 26/38) gegenübergestellt (Iren. adv. haer. 3, 22, 4; 5, 19, 1). Die Umkehr (recirculatio) der Tat Evas und ihrer Folgen für das Menschengeschlecht durch die “ΤΑΙ Marias faßt Irenäus in anschaulichen Bildern: das des Bindens und Lósens (Iren. adv.
haer. 3, 22, 4 [SC 211, 440, 71/442, 77; 442, 88ff.] (in der lat. Übers.) Sic autem et Evae inobaudientiae nodus solutionem accepit per obaudientiam Mariae. Quod enim adligavit virgo Eva per incredulitatem, hoc Virgo Maria solvit per fidem),
das der Anwaltschaft und das des Ausgleichens der Waagschale (Iren. adv. haer. 5, 19, 1 [SC 153, 248f.] et sicut illa seducta est ut «non» obaudiret Deo, sic et
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C. Kommentar
haec suasa est obaudire Deo, uti virginis Evae virgo Maria fieret advocata; et quemadmodum adstrictum est morti genus humanum per virginem, solutum est per virginem, aequa lance disposita virginali inobaudientia per virginalem obaudientiam).
Die Parallelisierung Evas und Marias aufgrund der Jungfräulichkeit nimmt auch der groBe Mariologe Epiphanius von Salamis vor. Durch die Jungfrau Eva kamen Ungehorsam und Sünde in die Welt, durch die Jungfrau Maria der Gehorsam (adv.
haer. IH, 78, 18f. [Holl, 468/70]). Eine ‘Typologie’ unter umgekehrten Vorzeichen entwickelt Prokop, wenn er Maria als εἴκων τῆς Εὔας bezeichnet. Maria in der Rolle Evas, πρόσωπον ἔχουσα Εὔας, macht dem Fluch über Eva und ihr Geschlecht ein Ende (PG 87, 212 BC). Auch bei Prudentius hebt die Qualifizierung als Jungfrau (V. 112 Eva; V. 152 Maria) die Parallelisierung von Stammutter und Gottesmutter in den Blick. Auch bei Prudentius ist die heilsgeschichtliche Perspektive, die das Geschehen an Maria mit dem Sündenfall in Beziehung setzt, in der Adam-Christus-Antithese grundgelegt (Strophe 28). Doch seine originelle Exegese verleiht der Antithetik eine ganz neue, dynamische Perspektive. Die Antithese Eva-Maria wird eingebettet in eine heilsgeschichtliche Konzeption, die das Heilswerk Christi als Umkehrung
der beim Sündenfall zutage getretenen Herrschaftsverhältnisse darstellt. Wie beim Sündenfall die Schlange die von kommen unter ihre Herrschaft gewordenen Gottessohn gebiert, des Teufels über die Menschen
ihr verführte Frau und in der Folge deren Nachzwang, so bezwingt die Frau, die den menschdie Macht der Schlange und hebt die Herrschaft ein für allemal auf. Biblische Grundlage dieser
Darstellung ist nicht wie in der Tradition die Verkündigung Mariens (Luk. 1, 26ff.),
die Parallele nicht der Gehorsam Marias gegenüber dem Ungehorsam Evas. Es ist vielmehr die Kombination der Eva-Maria-Antithese mit der singulären mariologischen Allegorese von Gen. 3, 15, die diesen kühnen heilsgeschichtlichen Entwurf ermöglicht. Prudentius’ mariologische Auslegung findet im Fluch Gottes über die
Schlange nicht nur den steten Kampf zwischen dem Verführer und der Frau bzw. ihren Nachkommen geweissagt, sie führt die Frau selbst als diejenige vor, die der Schlange den Kopf zertritt und damit die Macht des Teufels und die Herrschaft der Sünde bricht. Dabei nimmt Prudentius von vorneherein den Standpunkt der Erfüllung der Prophetie ein: Die geweissagte Schlangentreterin ist nicht Eva, sondern Maria, die Gottesmutter und ‘neue Eva’ (s. auch oben zu Str. 26). Die marianische Exegese ist allerdings durch die Deutung des Schlangentritts auf die Jungfrauengeburt christologisch begründet. Wie eine Jungfrau sich zum Werkzeug des Teufels machen läßt, so ist es wieder eine Jungfrau, die den Erlöser gebiert und das Werk des Teufels dadurch zunichte macht. Sedulius formuliert das, was Prudentius hier
skizziert, später kunstvoll zugespitzt (Sedul. carm. 2, 30f.): Sic Evae de stirpe sacra veniente Maria / Virginis antiquae facinus nova virgo piaret. Der Chiasmus virginis antiquae — nova virgo malt den Gegensatz von alt und neu, der Binnenparallelismus facinus — piaret unterstreicht die Taten der Sünde und Sühne. Auch bei Sedulius
V. 156-170
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beruht die eigentliche Sühnetat Marias in der Geburt Christi, sie ist es, die die Erneuerung der Menschheit begründet, V. 32/4 Ut quoniam natura prior vitiata iacebat / Sub dicione necis, Christo nascente renasci / Possit homo et veteris maculam deponere carnis. Vor dem Hintergrund der Tradition verliert die Deutung Lühkens an Stringenz, derzufolge ein AnstoB für die Entfaltung der Parallele Eva-Maria im Sinne des Protoevangeliums in Vergils vierter Ekloge liegt (Lühken, 166). Lühken assoziiert die Rückkehr der Jungfrau, die Verg. ecl. 4, 6 den Beginn einer neuen goldenen Zeit ankündigt, mit der Eva-Maria-Typologie des Prudentius. Es ist natürlich verlockend, bei der gehäuften Nutzung von Motiven der vierten Ekloge im vorliegenden Gedichtabschnitt (nova progenies, V. 136; Schlangensterben, V. 151ff.; Tierfrieden,
V. 156ff.) bei der virgo in V. 152 an ein weiteres prophetisches Element aus diesem Kontext zu denken. Für eine Verarbeitung von Vergils Prophezeiung iam redit et virgo (ecl. 4, 6) in der christlichen Eva-Maria-Parallele findet sich aber kein Anhaltspunkt im Text, — es sei denn, man sähe im weiteren Sinne in der heils-
geschichtlichen Umkehrung der Tat Evas durch Maria die schópferische Umformung des Wiederkehr-Motivs. Der Gedanke der ‘Wiederkehr’ der Jungfrau, der eine Wiederkehr der Segenszeit impliziert, bereitete aber auch aus dogmatischen Gründen Schwierigkeiten. Denn im Verständnis der Kirchenväter ist die durch die Erlösung bewirkte Erneuerung der Menschheit nie bloße Wiederherstellung des alten Zustandes, sondern der Beginn einer neuen, gesteigerten Heilszeit. Das vergilische Motiv von der Rückkehr der Jungfrau in der neuen Zeit verbindet aber explizit und zweifelsfrei mit der Eva-Maria- Typologie der exegetische Kommentar des Quodvultdeus 'De promissionibus' 3, 4 (CCL 60, 159). Zu ecl. 4, 6f. heiBt es dort: ‘Redit’ dixit, quia virgo adhuc Eva mortem intulit mundo, rediens virgo Maria protulit salvatorem. Die gleiche Erklürung bietet Philargyrius, in buc. 4, 6/7 (ed. Hagen, 3, 2, Leipzig 1902, 77, 2): Virgo id est iustitia vel Maria. Reditid est post Evam (vgl. Courcelle, exégeéses, 300). Vgl. auch die Scholia Bernensia in buc. 4, 6 (Hagen, 777): Virgo ... vel secundum nos Maria. Strophe 32-34 Im Anschluß an die Evokation der Heilstat Gottes rühmt Prudentius den Frieden, der durch den Sieg der Frau über die Schlange auf Erden gestiftet ist. Dazu nutzt und verwandelt er, sozusagen im Bild bleibend, das Motiv des Tierfriedens, das zu
den Elementen der antiken Idealzeit- bzw. Paradiesbeschreibungen ebenso gehört wie zu den eschatologischen Heilsbildern des AT (besonders Jes. 11, 6/8). Die Versöhnung von Mensch und Natur, von ehemals feindlich gesinnten Tieren als Aus-
druck einer kosmischen Harmonie kennzeichnet fast alle Vorstellungen einer vollkommenen Glückszeit (Material bei Gatz, 171/4; Beispiele aus dem rómischen
Bereich Buchheit, Tierfriede I, passim; im einzelnen s. u. S. 216-222). Der Tierfrieden im engeren Sinn, der Friede der Tiere untereinander, beruht auf der Abwesenheit wilder Tiere (wie Schlangen, Löwen, Wölfe) (Jes. 35, 9) oder der
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C. Kommentar
Wiederherstellung ihrer ursprünglichen Unschuld (Lact. epit. 67) (Zu den Ausformungen des Motivs s. Buchheit, Tierfriede I, 154, A. 1, dessen Liste man sicher noch erweitern kann. Möglich ist auch der Friede zwischen Mensch und Tier, der
im Vegetarismuskapitel Ov. met. 15 anvisiert wird, d. h. der Mensch stellt den Tieren nicht nach, s. o. zu den Strophen 12f.). Auf der Basis von Jes. 11, 6 wird das Bild auch von christlichen Schriftstellern verwendet. Laktanz entfaltet es in seinen Ausführungen über die eschatologische Segenszeit des Milleniums (inst. 7, 24, 8 [CSEL 19, 660]) non bestiae per hoc tempus sanguine alentur, non aves praeda, sed quieta et placida erunt omnia. leones et vituli ad praesepe simul stabunt, lupus ovem non rapiet, canis non venabitur, accipitres et aquilae non nocebunt, infans cum serpentibus ludet. Neben Jes. 11, 6ff. ist Orac. Sib. III verarbeitet, s. Buchheit, Tierfriede II, 22ff. Wegen der offensichtlichen Nähe zu Prudentius! Ausformung des Motivs sei zudem Lact. epit. 67, 5 (CSEL 19, 759) angeführt: bestiae deposita feritate mansuescent, lupus inter pecudes errabit innoxius, vitulus cum leone pascetur, columba cum accipitre congregabitur, serpens virus non habebit, nullum animal vivet ex sanguine. omnibus enim deus copiosum atque innocentem victum ministrabit (zum Vegetarismus und seiner Begründung s. o. S. 100-115, bes. 114).
Häufiger als die messianisch-endzeitliche Auslegung der Jesaia-Stelle, die in jüdischer Tradition wurzelt, ist jedoch die allegorische Deutung des Tierfriedens auf die in der Gegenwart der Kirche schon verwirklichte und durch Christi Geburt und
Heilswirken gestiftete Friedenszeit (einen detaillierten Überblick bietet Buchheit, Tierfriede II). Exponent einer ekklesiologische und ethische Aspekte verbindenden Ausdeutung ist Hieronymus, vgl. in Is. 11, 6 (CCL 73, 150/3) (s. Buchheit, ebd., 29ff.): (CCL 73, 151f.) Ceterum iuxta vivificantem spiritum facilis intellegentia est. Lupus enim Paulus, qui primum persequebatur et lacerabat Ecclesiam, de quo
dictum est: Beniamin lupus rapax, habitavit cum agno, vel Anania a quo baptizatus est, vel Petro apostolo, cui dictum est: Pasce agnos meos ... Et hoc notandum, quod non agnus et haedus habitent, et accubent cum lupo et pardo, sed lupus et pardus agni et haedi imitentur innocentiam. Leo quoque prius ferocissimus, et Ovis et vitulus pariter morabuntur. Quod cotidie cernimus in Ecclesia, divites et pauperes, potentes et humiles, reges et privatos pariter commorari. Auf eine Gesittung durch den Glauben wird der Tierfrieden Clem. Alex. strom. 6, 50, 2/6 gedeutet; vgl. auch Paul. Nol. carm. 17, 253/60 (V. 265/8 sind interpoliert, s. Kirstein, 99 u. ö.): Die Annahme des Glaubens und der Lehre Christi bewirkt die moralische Láuterung und Zivilisierung der Heiden und nicht zuletzt Einheit und Gleichheit der Kirche. So etwa auch Euseb. in Is. 11, 6 (GCS 43, 83/5). Prudentius reiht sich ein in die Tradition der allegorischen Deutung, auch er siedelt die Realisierung des 'Tierfriedens' in der Gegenwart der Kirche an (dagegen Herzog, 46), aber er formt das Motiv selbst in einer Weise um, daB es Ausdruck einer gänzlich neuen, spirituellen Realität wird. Der Friedenszustand, den Prudentius schildert, beruht nicht auf dem harmonischen Zusammenleben von zahmen und
wilden Tieren, sondern auf der paradoxen Herrschaft der friedfertigen und sanft-
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mütigen Schafe, Lämmer, Tauben über die bösen und räuberischen Wölfe, Löwen, Adler. Geschildert wird nicht die Versöhnung unter den Tieren, sondern die Umkehrung der in der Tierwelt herrschenden Machtverhältnisse. Der Tierfrieden dient
so zur allegorischen Darstellung der durch Christi Sieg über den Satan ein für allemal begründeten Herrschaft des Guten über das Böse. Das Gute erweist sich nun als furchteinflößend, herrschend (imperitat), mächtig (potens). Das Böse aber wird unterworfen, gebändigt, vertrieben, nicht zur Sanftmut und Unschuld verwandelt. Der Vergleich mit der Nutzung bei Laktanz epit. 67 zeigt den Unterschied zum eigentlichen Tierfriedenmotiv. Bei Laktanz legen die Raubtiere ihre Wildheit ab und werden zahm (deposita feritate, mansuescent), der Wolf irrt harmlos (innoxius) in der Viehherde umher (vgl. auch die Verwandlung des ehemaligen Christenfeindes Saulus zu Paulus bei Hieronymus, s. o. S. 214). Der Wolf bei Prudentius bleibt wild (feritas), grimmig (tristis), reißend (rabidum), die Adler ráuberisch (truces).
Daß der christliche Dichter das überkommene Motiv souverän handhabt und im Sinne seiner eigenen dichterischen Intentionen verändert, hat Buchheit, Tier-
friede II, 26f., erkannt, aber für seine Erklürung der Passage nicht ausgewertet. Vom Jesaja-Text, der immer wieder als Vorlage angeführt wird (fälschlich auch Herzog, 46), trennt sich Prudentius ebenso, wie er sich von der Darstellung Verg. ecl. 4, 22 nec magnos metuent armenta leones abhebt. DaB auf beide Texte angespielt wird, steht auBer Zweifel, aber Prudentius gibt keine messianisch-paradiesische Vision, sondern schildert mittels der Allegorie des Tierfriedens die reale, schon gegenwürtige Friedensherrschaft Christi auf Erden. Für die irdischen Verhültnisse ist aber wesentlich, daß mit der Feindschaft des Teufels zu rechnen ist. Irreführend
ist daher die Deutung des prudentianischen Bildes auf das wiedergewonnene Paradies (so schon Herzog, 46, „das Paradies [ist] gleichsam zu vollem Gebrauch, wie er in V. 41-80 geschildert worden war, wieder hergestellt"; Buchheit, Tierfriede II, 26f.; zuletzt Lühken, 219. 232). Auch Buchheit, Tierfriede II, 26f., begibt sich ins Dickicht allegorischer Deutungen, wobei er den allegorischen nicht klar vom realen, natürlichen Sinn trennt. Einerseits legt seine Rede von der ‘weißen Herde der Getauften' die figürliche Bedeutung genau fest, andererseits sieht er in der Schilderung Prud. ham. 219/29 ein Pendant zu unserer Stelle: „Die mit der Sünde des ersten Menschen verwilderte Natur (ham. 219/29) der Tiere verliert nun ihre Wirkung" (ebd., A. 47). In der Hamartigenie ist aber anders als hier die reale Depravation der Schöpfung, der Tiere und Pflanzen, gemeint (dazu auch oben S. 179).
Buchheits Auslegung des grex candidulus auf die Getauften (so auch andere, s. u. S. 217f.) impliziert zudem eine Verengung der ekklesiologischen Dimension, die
Prudentius m. E. mit seiner Darstellung nicht intendiert hat. Überhaupt problematisch sind Allegoresen von der Art, daB die einzelnen Tiere gleichgesetzt werden mit dem Teufel (lupus, Arevalo, 808; leo, Remigius, ebd.), mit den Mächten der Lüfte (Adler, Vat. A bei Arevalo), mit dem Hüretiker (Wolf, Herzog, 46, A. 8), mit
Christus (Arevalo, 808). Diese festen 'Auflósungen' werden der allgemeinen
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C. Kommentar
Bildhaftigkeit der Strophen nicht gerecht. Weniger eng gefaBt, aber noch nicht
allgemein bzw. abstrakt genug symbolisieren die Raubtiere für Charlet, création, 168, „les ennemis des chrétiens", das sind falsche Propheten, Verräter, gottlose
Verfolger und der Feind par excellence, der Teufel. Strophe 32
V. 156-160 Quae feritas modo non trepidat territa de grege candidulo? inpavidas lupus inter oves tristis obambulat et rabidum Sanguinis inmemor os cohibet.
Der Subjektwechsel in Strophe 31 (virgo - anguis), der das ohnmächtige Verhalten der Schlange in den Blick rückt, bereitet schon die folgende Beschreibung vor. Durch die Allegorie der Tierwelt, in der sich die natürliche Herrschaftsordnung umkehrt, zeigt der Dichter die überwältigende Macht des Guten über das Böse, die den
Anbruch der Friedensherrschaft Christi auf Erden kennzeichnet. Zu Beginn steht in der Form der rhetorischen Frage die allgemein gehaltene Aussage: Welches Raubtier fürchtet sich nun nicht vor der wei&en Herde? (V. 156f.). Auf das generelle Paradox folgt dann die Beschreibung typischer gegensätzlicher Paarkonstellationen: Wolf - Schafe, Lamm - Löwen, Taube — Adler (V. 158/65). Das Unerhörte eines 'Tierfriedens’, der auf der Umwälzung der natürlichen Verhältnisse beruht, wird schon in den ersten Versen rhetorisch effektvoll zum Ausdruck gebracht. Territa ist nach trepidat pleonastisch, wobei Alliteration und Assonanz (vgl. auch feritas und grege) die Wirkung verstárken. Das Partizip nennt den Grund, warum die wilden Tiere zittern (Kausalprägnanz), und kehrt im Blick auf das ängstliche Verhalten der Raubtiere das machtvolle, furchterregende Agieren der zahmen Tiere hervor. Im folgenden Bild verarbeitet Prudentius ein klassisches Motiv des Tierfriedens: die Vorstellung vom Wolf, der durch den Schafstall streicht, ohne Schaden anzurichten. Deutlich sind die sprachlichen Anklänge an Darstellungen bei Horaz und Vergil (s. z. B. Charlet, création,
166), vor deren Hintergrund aber gerade die
Umwandlung durch den christlichen Dichter hervorsticht. V. 158 intoniert schon das Wunderbare der Situation. Die Schafe verlieren ihre natürliche Ängstlichkeit
vor dem Wolf in ihrer Mitte. Prudentius nutzt hier einschlieBlich der abbildenden Wortstellung Hor. carm. 3, 18, 13 inter audacis lupus errat agnos (Notationen bei Lühken, 232, A. 57). Horaz evoziert das Bild der friedlichen Gemeinschaft von Wölfen und Lämmern, um den Festtag des Faunus im Glanz des goldenen Zeitalters erstrahlen zu lassen. Den Zug des Wunderbaren übernimmt Prudentius, das ist die Furchtlosigkeit der Lámmer (als Element des Tierfriedens z. B. auch Verg. ecl. 4, 22 nec magnos metuent armenta leones; Hor. carm. 1, 17, 8f. nec viridis metuunt
V. 156-160
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colubras / nec Martialis haediliae lupos; als Adynaton epod. 16, 33 credula nec ravos timeant armenta leones), aber nicht das den eigentlichen Tierfrieden konstituierende Moment der Harmlosigkeit der Raubtiere. Das zeigt im folgenden Vers die Beschreibung des Wolfes als grimmig (tristis) und reiBend (rabidum os). Der Wolf verliert seine Wildheit nicht, er ist vielmehr verängstigt und wagt daher nicht mehr, an die blutige Mahlzeit zu denken und sein Maul zu óffnen. Die Schafe ihrerseits fühlen sich sicher, nicht weil der Wolf sanft und unschuldig geworden ist, sondern weil sie sich müchtiger und stürker als er wissen. Die Umkehr der Herrschaftsverhältnisse wird dann deutlich ausgesprochen in Strophe 33. Unterstreicht V. 159 im ganzen das weiterhin bedrohliche Wesen des Wolfes (tristis, obambulat, rabidum), so zeigt sich insbesondere im Kontrast zur Verwendung von obambulare bei Vergil die Unversóhnlichkeit des Raubtieres, vgl. Verg. georg. 3, 537 non lupus insidias explorat ovilia circum / nec gregibus nocturnus obambulat: acrior illum /
cura domat. Vergil stellt fest, daß infolge der norischen Viehseuche die Wölfe nicht mehr rauben. Der Verwandlung des Wolfes, die hier Zeichen einer pervertierten Natur ist, setzt Prudentius das unverändert bösartige Wesen des Wolfes
entgegen, das aber - wie die Fortführung zeigt — ebenso wie das Giftspritzen der Schlange (Strophe 31) seine Wirkung nicht mehr entfalten kann. modo: ‘jetzt’, das ist nach der Geburt des Erlósers, mit der die neue Zeit beginnt,
vgl. besonders auch Prud. cath. 11, 61ff.; Ambr. hymn. 3, 13f. Fontaine (hier allerdings von der feritas: steht étude, 480, $ carm. 3, 244;
Kreuzigungsstunde: Hinc iam beata tempora / Christi coepere gratia). metonymisch (abstractum pro concreto) für fera, bestia (Lavarenne, 1406), wie z. B. Plin. nat. 8, 66; Claud. Don. Aen. 9, 566; Alc. Avit. Drac. Romul. 8, 579 (ThLL VI, 1, 519, 58/70). In erster Linie ist an
den Wolf gedacht (V. 157). de grege candidulo: Die Kollektivperiphrase meint entsprechend die Herde der sanften Schafe, wobei die Farbe *weiB' Unschuld und Reinheit konnotiert. Vgl. den Gebrauch von candidus bei Prudentius: ham. 956f. sit flore perenni / candida virginitas animum castrata recisum; psych. 821 toga candida pacis; tit. 1 Eva columba fuit tunc candida, nigra deinde; perist. 3, 161ff. Emicat inde columba repens/ martyris os nive candidior/ visa relinquere et astra sequi; / spiritus hic erat Eulaliae / lacteolus, celer, innocuus; vgl. auch ham. 156; cath. 4, 16; 5, 124; perist. 5, 373; 14, 93 u. ö. Die allegorische Deutung, die einige Ausgaben und Kommentare geben, grege candidulo, abgeleitet von der weiBen Kleidung der neu Getauften, stehe für die Christen, die Gläubigen der Kirche (vgl. Arevalo, 807; S. Eagan, 23, A. 42; Buchheit, Tierfriede II, 26; ThLL III, 239, 36
s. v. candidulus), paBt m. E. nicht zum allgemeinen Symbolcharakter des hier entwickelten Bildes vom Tierfrieden. Es geht um den Sieg des Guten, Friedfertigen (grex candidulus) über das Böse, Räuberische (richtig Evenepoel, Hymnus ante cibum, 131). Zur symbolischen Bedeutung weißer Kleidung, die bei der Deutung der weißen Herde auf die Gläubigen eine Rolle gespielt haben mag, s. ThLL ΠΙ, 243, 46ff. Der kollektive Ausdruck grex im Gegensatz zum Singular feritas spiegelt
218
C. Kommentar
die Realität der Raubjagd und erklärt sich auch durch das folgende Bild des Wolfes unter den Schafen. Das Attribut candidulus paBt sowohl zum Lamm
(vgl. z. B.
Tib. 2, 5, 38 niveae candidus agnus ovis) als auch zur Taube (Varr. rust. 3, 7, 10;
Stat. Theb. 12, 20 candida turba columbarum).
trepidat: vgl. Ov. met. 1, 5OSf.
sic agna lupum, sic cerva leonem, / sic aquilam penna fugiunt trepidante columbae. inpavidas: vgl. Sen. Herc. O. 1056f. iuxtaque inpavidum pecus / sedit Marmaricus leo (Tierfrieden als Wirkung des Gesangs des Orpheus, Lühken, 233) und vor
allem Ov. met. 15, 100 et lepus inpavidus mediis erravit in arvis. Auch hier kennzeichnet im Kontext des Fehlens der Jagd und des Friedens im Verhältnis von Mensch und Tier die Abwesenheit der sonst als angeborener Instinkt geltenden Ängstlichkeit des Hasen das goldene Zeitalter. Der *Ersatz' von agnos (Hor. carm. 3, 18, 13) durch oves bei Prudentius wird von Lühken, 233, inhaltlich überfrachtet. Inter oves gibt einen metrisch bequemen Choriambus, da Proklise der Präposition
vorliegt. Die Deutung von oves auf die Gláubigen, die Christus als der gute Hirte 'vor dem Bósen schützt, ist hier abzulehnen (zur einengenden Allegorese s. auch oben S. 215f. und unten S. 224f. zu ovile, V. 168). Die Vorstellung vom guten Hirten nach Joh. 10, 1/22 ist hier ebensowenig faBbar wie in Strophe 34 (Lühken, 220). lupus: der natürliche Feind des Kleinviehs, Hor. epod. 15, 7 dum pecori
lupus et nautis infestus Orion ... fore hunc amorem mutuum; Prud. ham. 222f. nec non et querulis balatibus inritatus / plenas nocte lupus studuit perrumpere caulas. S. auch die Fabelliteratur, z. B. Phaedr. 1, 1. Der Wolf gehört zur biblischen Symbolik für das Bóse oder den Teufel, Jes. 11, 6; 65, 25; Ez. 22, 27; Mt. 7, 15; 10, 16; Apg. 20, 29 und besonders Joh. 10, 12 (zum EinfluB auf den Physiologus und mittelalterliche Bestiarien s. Braunfels, 536/9). Vgl. das Material bei Thome,
442/A. tristis: ist absichtsvoll gewählt, es evoziert Verg. ecl. 3, 80 Triste lupus stabulis und damit die Bedrohung, die der Wolf für das Vieh darstellt. obambulat: nimmt Bezug auf Verg. georg. 3, 537 (s. o. S. 217), wo es als Synonym zu insidias
explorat klar eine ráuberische Absicht impliziert.
— rabidum os: nicht seltene
vergilische Junktur, vgl. Aen. 6, 80. 102; 7, 451; Sen. Oed. 561f. 626; Stat. Theb. 10, 823; Mart. 6, 64, 27; Hil. trin. 5, 38 u. ó. (Charlet, création,
166, A. 44).
sanguinis inmemor: erinnert vielleicht an Hor. carm. 1, 15, 30 cervus uti vallis in altera / visum parte lupum graminis inmemor ... fugies. Der ángstliche Hirsch vergiBt schon beim Anblick des noch weit entfernten Wolfes zu äsen und flieht. Vom Fressen auch Verg. ecl. 8, 2 (iuvenca) immemor herbarum; georg. 3, 498 immemor herbae (equus). Auch bei Prudentius ist die Motivation für den Wolf, von seiner blutigen Mahlzeit abzulassen, die Furcht. os cohibet: vgl. das Synonym ora premens, V. 170, ‘das Maul geschlossen halten’. Ora cohibere sonst nur
Sen. Tro. 517 (ThLL III, 1546, 72), hier allerdings mit Bezug auf das unterdrückte Klagegeschrei. - Als Ausdruck des prudentianischen “Tierfriedens’ erscheint also in V. 160 das Fehlen blutigen ReiBens, des Fressens der schwachen durch die star-
ken Tiere (vgl. zum Vegetarismusgebot oben S. 100-115). Vgl. auch Jes. 11, 7: ‘Der Löwe friBt Stroh wie das Rind.’
V. 161-165
219
Strophe 33
V. 161-165 Agnus enim vice mirifica ecce leonibus imperitat exagitansque truces aquilas per vaga nubila perque notos sidere lapsa columba fugat. Die Strophe beschreibt weitere Beute-Raubtierverhältnisse, die auf den Kopf ge-
stellt werden, Lamm — Löwe, Taube — Adler. Ein Perspektivenwechsel in der Darstellung verstärkt gegenüber Strophe 32 den Charakter des mirum paradoxon. Wird
V. 156/60 der Blick auf das Verhalten des Raubtieres gerichtet, seine Ängstlichkeit und gebändigte Wildheit, so tritt hier das sanfte Tier in seiner neuen, aktiven
Rolle hervor: Es herrscht, schreckt auf, vertreibt. Auch in der Zahl der Akteure spiegelt sich die wunderbare Umkehrung der Machtverhültnisse. Steht in Str. 32 ein Wolf einer Herde von Schafen gegenüber, so genügt nun ein Lamm, eine Mehrzahl von Lówen zu beherrschen, eine Taube, eine Schar von Adlern zu verjagen. Der prudentianische Tierfrieden stellt sich hier vollends dar als Phänomen der ‘verkehrten Welt’. Das aber ist die neue spirituelle Wirklichkeit der Friedenszeit Christi. Wenn Prudentius beschreibt, daß der Wolf sich vor der Schafherde ängstigt, das Lamm den Lówen befiehlt und die Taube die Adler vertreibt, beschreibt er Paradoxa aus der Tierwelt, die insbesondere in der rhetorischen Technik des Adynatons Verwendung finden, eines in sprichwórtlicher Rede beliebten Mittels, die Kategorie ‘niemals’ zu umschreiben: ‘Eher wird das Unmögliche möglich, als daB ...' (so Herzog, 46; Evenepoel, Hymnus ante cibum, 132; Lühken, 220. 233, mit unberechtigter Kritik an van Koten, 68/70). Der Unterschied solcher Adynata zum Motiv
des Tierfriedens liegt neben der technischen Funktion im Inhalt (vgl. das Material in den Spezialstudien von Canter; Dutoit). Es geht nicht um die Versóhnung einer von Natur aus bestehenden Feindschaft, sondern um eine ganz neue, *unnatürliche" Bestimmung des Paarverhältnisses zwischen Tieren. Zwei Variationen finden sich: Die Paarung artfremder, feindlicher Tiere (z. B. Verg. ecl. 8, 26/8; Hor. epod.
16, 30ff.: Hirsch und Tigerweibchen, Taube und Falke, Rind und Löwe; Hor. carm. l, 33, 7/9 sed prius Apulis / iungentur capreae lupis, / quam turpi Pholoe peccet adultero, vgl. schon Aristoph. Pax 1076, Dutoit, 20) und die Umkehr der Rollen in einer noch immer feindlichen Beziehung, vg]. z. B. Verg. ecl. 8, 52f. nunc et ovis ultro fugiat lupus, aurea durae / mala ferant quercus, narcisso floreat alnus ...
(Theocr. Id. 1, 135 xai τὰς κύνας ὥλαφος ἕλκοι); Lucr. 3, 748/53 (Widerlegung der Lehre der Metempsychose durch die Paradoxa, die daraus folgten) quod si immortalis foret (sc. anima) et mutare soleret / corpora, permixtis animantes moribus essent, / effugeret canis Hyrcano de semine saepe / cornigeri incursum
220
C. Kommentar
cervi tremeretque per auras / a£ris accipiter fugiens veniente columba, / desiperent homines, saperent fera saecla ferarum; Dirae 4/8 ante lupos rapient haedi, vituli ante leones, / delphini fugient pisces, aquilae ante columbas ... / quam ... In
dieser Form des Paradoxons, der Umkehr der Rollen von Beute- und Raubtieren, findet Prudentius ein adäquates Mittel, der neuen Realität der Herrschaft Christi Ausdruck zu verleihen (vgl. V. 161 vice mirifica). Aber — und das ist der wesentliche Unterschied -- bei Prudentius sind die Adynata keine gedankliche Spielerei mehr. Denn durch das Erscheinen Christi ist das Unmógliche móglich geworden: Das Lamm hat wahrhaft Macht über den Wolf. Van Koten, 69f., trifft also das Richtige, wenn er hier den Unterschied zwischen antikem Adynaton und christlichem Wunder hervorhebt (dies gegen Lühken, 233), wenn auch seine Deutung auf Hor. carm. 3, 18, 13 nicht paBt (dazu oben S. 216f. zu V. 158). In der Ansicht Charlets, gerade die Anwendung der Technik des Adynatons ‘zwinge’ den christlichen Dichter dazu, das traditionelle Tierfriedenmotiv umzuformen (création, 166f.), offenbart sich dagegen, welche Auswüchse eine allzu formalistische Interpretation haben kann. Die besondere Form der Darstellung des Tierfriedens bei Prudentius beruht nicht auf der 'Einwirkung' des Motivs, das er nutzt. Prudentius verwendet ja nicht einmal das rhetorische Mittel des Adynatons, er nimmt vielmehr die Aussage bestimmter Adynata auf und macht sie seiner Intention dienstbar. Von daher erklärt sich auch die prudentianische Umformung der traditionellen Adynata im Sinne
einer Steigerung. Vergil und Lukrez beschreiben die Furcht und Flucht der Raubtiere vor den sanftmütigen Tieren. Indem Prudentius den Angriff der ursprünglichen Beutetiere, den Lukrez immerhin andeutet (vgl. 3, 751 incursum cervi; 3, 752 veniente columba), aufnimmt und zur Haupthandlung macht, wandelt er die passive Flucht in einen aktiven Vorgang des Beherrschens, Jagens, Vertreibens um. Der Triumph des Guten über das Bóse tritt so eindrucksvoll hervor. V. 161f. Lamm und Lówe bilden kein klassisches Gegensatzpaar wie Lamm und
Wolf in Strophe 32, vgl. aber Val. Fl. 3, 706 aspera nunc pavidos contra ruit agna leones?; Stat. Theb. 8, 572 sic leo Caspius ... haud procul a stabulis captat custode remoto / segne pecus teneraque famem consumit in agna; Mart. 9, 71, 6 (leonis et arietis) concordem satiat ... rudis agna famem. Der Löwe taucht Jes. 11, 6 auf (‘Kalb und Löwe weiden zusammen’) und 11, 7 (‘der Löwe friBt Stroh wie das Rind’). Im feindlichen Verhältnis auch z. B. Ov. met. 1, SOSf. (s. unten S. 221f. zu V. 163ff.); im Adynaton Dirae 4/8 (oben S. 220 zitiert). Der ‘König der Tiere’ (im Fabeluniversum, z. B. Babr. 95) ist von Prudentius treffend gewählt, um den Tausch der Machtpositionen zu illustrieren. Zur üblichen Herrscherstellung des Lówen s. Plin. nat. 8, 48 animalis ... ceteris ... imperitantis (sc. leonis); 8, 136. Auch die Setzung von agnus (nach oves, V. 158) als Antagonist des Lówen, dem in der neuen Zeit die Rolle des Herrschers zufällt, ist wohl durchdacht. Sie soll die biblisch
begründete Gleichsetzung mit Christus ermöglichen.
— agnus: In patristischen
Schriften auch Sinnbild der Reinheit, Unschuld, Geduld
und Sanftmut, s. bes.
V. 161-165 Clem. Alex. paed.
221
1, 5, 14 (Stählin 1, 98, 6/9); Orig. in Num.
hom. 24, 1 (GCS
30, 225, 18/23); Tert. resurr. 20, 5 (CCL 2, 945, 18/22); Aug. in Joh. tract. 14 (CCL 36, 36, 19/21). Zum biblischen Gotteslamm, dem Symbol Christi, s. unten S. 225 zu Str. 34. enim: Der logische Zusammenhang zum Vorhergehenden besteht
darin, daB die ungewöhnliche Ängstlichkeit und unnatürliche Zurückhaltung des Raubtieres begründet sind durch das mächtige Auftreten der schwachen Tiere, das nun beschneben wird. vice mirifica: Vgl. Lucr. 3, 752 (o. S. 219f. zitiert) permixtis moribus. Die Umkehr der Machtverteilung unter den Tieren sprengt die gewohnte Naturordnung. Sie veranschaulicht ein wunderbares Ereignis, das nur auf die Ein-
wirkung der göttlichen Allmacht zurückgehen kann. mirificus: wie mirus (θαυμάσιος, παράδοξος) Terminus technicus zur Bezeichnung der Wunder, der undenkbaren Phänomene, die zur Umschreibung des Begriffs ‘niemals, unmöglich’ dienen, vgl. Hor. epod. 16, 31 mirus amor, für die seltsamen, monströsen Paarbildungen. Von Prudentius wird das Wort auf ein reales Ereignis bezogen, dessen übermenschlich-göttlicher Ursprung vor dem traditionellen Hintergrund umso klarer hervorsticht. ecce: Der Ausruf dient der Verlebendigung der Darstellung und
leitet so zum Gebetsanruf in V. 166ff. über.
leonibus: Als Element des Tier-
friedens bzw. der paradoxen Paarverbindungen Hor. epod. 16, 33; Verg. ecl. 4, 22; Dirae 4; zum biblischen Feindbild vgl. Ps. 7, 3; 10, 9; 22, 22; Jes. 5, 29; Ez. 22, 25; 1 Petr. 5, 8 (‘Seid nüchtern und wachsam! Euer Widersacher, der Teufel, geht wie ein brüllender Löwe umher und sucht, wen er verschlingen kann.").
V. 163-165. Das zweite Bild kehrt eine weitere Beute-Raubtier-Konstellation um, die natürliche Feindschaft zwischen Taube und Adler. Die Flucht der Tauben vor dem Raubvogel ist in der rómischen, bes. in der erotischen Dichtung ein stehen-
des Motiv. Die Flucht vor dem Adler z. B. Ov. met. 1, 505f. Sic agna lupum, sic cerva leonem, / sic aquilam penna fugiunt trepidante columbae, / hostes quaeque suos; ars 1, 117f. ut fugiunt aquilas, timidissima turba, columbae / utque fugit visos agna novella lupos; sprichwörtlich Verg. ecl. 9, 13 quantum / Chaonias dicunt aquila veniente columbas; die Flucht vor dem Falken Phaedr.
1, 31, 3 columbae
saepe cum fugissent milvum; vgl. auch Hor. epod. 16, 32; die Feindschaft mit dem
Habicht Verg. Aen. 11, 722; Hor. carm. 1, 37, 17f.; Ov. ars 2, 363; met. 5, 605 ut fugere accipitrem penna trepidante columbae; Sen. dial. 4, 16, 1 spricht klar die Rollenverteilung aus: adiuvat ... accipitrem impetus, columbam fuga; vgl. auch Hor. carm. 4, 4, 32 neque inbellem feroces / progenerant aquilae columbam. Die Umkehrung der Vorstellung findet sich in der Form des Adynatons Lucr. 3, 752 (s. oben S. 219f.) (potius) tremeret ... accipiter fugiens veniente columba; Dirae 5 (s. oben S. 220) fugient ... aquilae ante columbas. Zu den typischen Elementen des Tierfriedens gehört das Paar Taube — Raubvogel nicht (Lühken, 220), aber Laktanz nimmt es in seinen Katalog auf, vgl. epit. 67, 5 columba cum accipitre congregabitur. Prudentius wählt hier den Prototyp des sanftmütigen, unschuldigen Vogels, um ihn dem Kónig der Raubvógel gegenüberzustellen. Nach dem statischen Bild vom Lamm auf dem Kónigsthron, das die Verse 161f. evozieren, führt
222
C. Kommentar
er nun in kunstvoller Variation das energische Wirken der Taube vor Augen. Pleonastisch gesetzte Verben der Bewegung bzw. des Jagens, Vertreibens (exagitans, lapsa, fugat) unterstreichen die kraftvolle Dynamik des Angriffs ebenso wie die
Angabe des langen Weges, der auf der Verfolgungsjagd durchmessen wird. Im Gegensatz von truces aquilas exagitans und sidere lapsa spiegelt sich das christliche ‘Paradoxon’: Das sanfte Wesen erweist sich als stark, das Böse zu vertreiben. exagitans: Synonym zu fugare, depellere, auch Tert. scorp. 8 David exagitatur, Helias fugatur. Sonst Terminus technicus der Jagd, z. B. Ov. ars 3, 662 et lepus hic
aliis exagitatus erit.
aquilas: Als Symbol für Macht und Stärke ist der Adler in
der Bibel eher positiv konnotiert (vgl. Jes. 40, 31), ebenso in patristischen Schriften (Schneider/Stemplinger,
91/4; der Adler als Symbol
Christi Werhahn-Stauch,
70/6; Sühling, 180). Als Raubvogel ist er Symbol des Teufels Hab. 1, 8 (vgl. auch Greg. M. moral. in Job 31, 47 [PL 76, 624]; Hrab. Maur. univ. 8, 6 [PL 11, 243]) und Symbol bósartiger Menschen, die nach fremdem Besitz trachten, Barn. 10, 4; Clem. Alex. strom. 5, 8, 48. Bei Prudentius sind sowohl der Aspekt der Macht als auch der der Raubiust konnotiert.
per vaga nubila: Nach Charlet, création, 165,
A. 51; influence, 22, liegt Nutzung von Ausonius, eph. 3, 39 (Green), vor. Ausonius
beschreibt den Weg der Seele zum Himmel: pande viam, quae me post vincula corporis aegri / in sublime ferat, puri qua lactea caeli / semita ventosae superat vaga nubila lunae (eph. 3, 37/9). Die Taube ist zwar ‘Seelenvogel’ (vgl. Prud. per. 3, 161ff.), doch liegt die Analogie zum Seelenflug hier fern. lapsa: Labi entspricht devolare, ThLL VII, 2, 2, 781, 69ff. Konstruktion mit Abl. separativus (sidere) und mit per, vgl. Ov. met. 14, 821; Sil. 17, 52 a sede deum purumque per aethera lapsae ... volucres. | columba: Zur Taube als Sinnbild für Einfachheit,
Unschuld, Sanftmut s. Tert. bapt. 8 animal simplicitatis et innocentiae; Vulg. Mt. 10, 16 simplices sicut columbae; danach Tert. adv. Marc. 3, 24; Ambr. virginit. 12, 70 u. ó. (ThLL III, 17, 132, 31/43). Zur sprichwörtlichen timiditas der Tauben,
die dem Paradoxon zugrunde liegt Varr. rust. 3, 7, 4; Ov. ars 2, 363 accipitri timidas credis, furiose, columbas; Val. Fl. 8, 32 pavidae de more columbae. Strophe 34
V. 166-170 Tu mihi, Christe, columba potens, sanguine pasta cui cedit avis, tu niveus per ovile tuum agnus hiare lupum prohibes subiuga tigridis ora premens. Der hymnische Gebetsanruf an Christus bildet den AbschluB der heilsgeschicht-
lichen Darstellung und leitet sowohl formal als auch inhaltlich — mit der Rückkehr zur Essensthematik — zur folgenden Paränese über (V. 171-85). Indem der Dichter
V. 166-170
223
betont, daB durch den Triumph Christi der blutigen Fre8gier der wilden Tiere Einhalt geboten wird, läßt er die ethisch-theologischen Implikationen des MaBhaltens anklingen, die er in Strophe 35-37 entfaltet. Die Christus-Prädikationen nehmen aber zunächst die Bildlichkeit der Tierparadoxa aus dem Vorhergehenden auf. Christus ist die mächtige Taube, das jegliche Wildheit ziihmende Lamm. Dabei sind die biblisch verankerten Gleichsetzungen durch die Bilder des herrschenden Lamms (Apk. 7, 9) und der überwültigend agierenden Taube in Strophe 33 geschickt vorbereitet. Die triumphierende Güte, die durch Lamm und Taube symbolisiert wird, manifestiert sich für den Glüubigen (mihi) in Christus, dem geopferten und siegreich auferstandenen Herrn, der für alle Zeiten die Macht des Bósen ge-
brochen hat. In der Anrufung Christi eröffnet sich zugleich eine neue Ebene des Handelns Gottes, nach dem Wirken Christi in der Kirche wird seine Rolle in der individuellen Glaubensgeschichte in den Blick genommen: Der Glaube an Christus erscheint als Waffe im geistlichen Kampf des einzelnen gegen das Bóse. Die christologische Deutung des Tierfriedens in Verknüpfung mit der Lammsymbolik findet sich auch Ambr. paen. 1, 67 (Buchheit, Tierfriede II, 25); Aug. serm. 64, A 1 quid enim timerent ire inter lupos, cum quibus erat agnus, qui vicit lupum?; serm. 279, 2 Ab agno pro ovibus mortuo fit ovis secura de lupo. Aber Prudentius betont im Unterschied dazu gerade nicht die Rolle des Lamms, das zugleich guter Hirte ist und Beschützer der Schafe (vgl. Apk. 7, 17) (dies gegen Lühken, 220), sondern er variiert das Bild zum Machterweis des unschuldigen Gotteslamms über das Bóse. In der Bildlichkeit tritt dabei ein neuer Aspekt in den Vordergrund. Nicht mehr die Vorstellung des Rollentausches der Tiere ist beherrschend — denn der Wolf hindert das Lamm üblicherweise nicht am Fressen und der Tiger legt ihm keine Zügel an
-, vielmehr bündelt Prudentius Bilder für das Machtwirken Christi in einem konkreten Punkt: dem gefräßigen Reißen der Raubtiere wird Einhalt geboten (sanguine pasta cedit avis, hiare prohibes, ora premens, vgl. auch schon in V. 160 sanguinis inmemor os prohibet). In der FreBgier der Raubtiere manifestiert sich für den Dichter umgekehrt das Wirken des Bósen, wobei diese Gier wiederum insbesondere auf
das Verzehren blutiger Nahrung, auf das Fressen von Fleisch gerichtet ist. Der theologische Hintergrund zur im folgenden vorgetragenen Bitte um den Beistand Gottes bei Askese und MaBhalten im Essen kónnte nicht eindrücklicher gestaltet sein.
Ein kraftvolles Bild des Zähmens bildet den Abschluß der Christus-Prädikationen (V. 170 subiuga tigridis ora premens). Die Macht Christi zeigt sich auch darin, daß er ein besonders wildes Raubtier, den Tiger, unterjocht und durch Anlegen des
Zaums in seiner Freßgier bezwingt. Das ist die Nutzung eines bekannten, von Horaz gestalteten Mythologems. Bacchus, der Kulturbringer, zähmt die wilden Tiger und spannt sie vor seinen Wagen, vgl. Hor. carm. 3, 3, 13/5 hac (arte) te merentem,
Bacche pater, tuae / vexere tigres indocili iugum / collo trahentes (Breidt, 46; van Koten, 31; 62/5; Lühken 220/2). Aber Prudentius geht es nicht um das * Anspannen der Tiger' oder um die Fahrt auf dem Tigerwagen, wie Lühken, 221f., ausführt. Die Vorstellung des triumphierenden Christus auf dem Tigerwagen, der gleichsam
224
C. Kommentar
als zweiter Bacchus die Erlösung bringt (zur Verbreitung dieses Bildes s. das archäologische Material bei Lühken, 221, Anm. 11), steht hier nur im Hintergrund. Wichtiger ist das Moment der Zähmung, und zwar in dem konkreten Sinn, daß dem Tiger das Maul verschlossen und er so am Packen seiner Beute gehindert wird. Eine Parallele zu Bacchus wird Prudentius schon deshalb nicht vertieft haben, weil Christi Wirken nicht auf die zivilisatorische Leistung der Kulturstiftung reduziert werden kann. Vergleichbar und nutzbar erscheint ihm aber der göttliche Machterweis durch die Beherrschung wilder Tiere.
columba: Zur Taube als Christussymbol vgl. Charlet, création, 167, A. 52; Sühling, 52/67; Lühken 220, A. 6. In den ersten Jahrhunderten merhrfach erwühnt, auch
danach noch in Verbindung mit dem Lammsymbol zu finden, z. B. Cyrill. Alex. de adorat. 15 (PG 68, 969); PsDamas. epigr. 67, 4; Max. T. serm. 49, 3; 64, 2 (CCL
23, 194; 270); Ennod. carm. 1, 9, 27 (CSEL 6, 534). Im Physiologus cap. 35 wird Christus als feuerrote Taube bezeichnet. potens: Columba potens führt als eine Art Oxymoron die Paradoxa aus Str. 33 fort. Potens als Prüdikation Gottes auch Prud. psych. 621; als Prädikation Christi c. Symm. 2 praef. 61; als Attribut des Teufels ham. 390 praedo potens. sanguine pasta ... avis: Als Antonomasie zu fassen (species pro individuo), d. i. der Adler wie in V. 163, oder eher als Umschreibung für den Raubvogel allgemein, in jedem Fall natürlich im übertragenen
Sinn vom Teufel und vom Bósen schlechthin.
sanguine pasta: Nutzung einer in
Poesie und Prosa nicht seltenen Junktur, vgl. Ov. met. 8, 170; am. 3, 8, 10; Sen.
ben. 7, 19, 8; dial. 6, 22, 5; Petron. 121 V. 110; Sil. 15, 577f.; Claud. cons. Stil. 14; VI cons. Hon. 116 (Charlet, création, 168, A. 53). cui: einsilbige Kürze, eine Synizese ohne Vorbild, vgl. Arevalo, Prolegomena, 732. Zur Messung von cui und cuique bei Prudentius s. Gnilka, Prud. II, 268.
cedit avis: eine weitere Variation
des Blickwinkels nach imperitat, fugat. per ovile tuum: Der um den Schafstall streichende Wolf: Verg. georg. 3, 537 non lupus insidias explorat ovilia circum (schon in obambulat genutzt, s. o.); vgl. auch Hor. epod. 16, 51 nec vespertinus circumgemit ursus ovile. Zu ovile als Angriffspunkt von Wólfen vgl. Verg. Aen. 9, 59; Ov. trist. 1, 6, 10; 4, 1, 79; Stat. Theb.
10, 46; in sprichwórtlicher Umkeh-
rung Ov. ars 2, 364 credis ovile lupo; 3, 8 tradis ovile lupae. Vom Stall des Herrn háufiger, z. B. Ambr. epist. extra coll. 15 (42), 1 ne isti (lupi) ... dominicum ovile dispergant (ThLL IX, 2, 1190, 26ff.). Auch bei Prudentius ist m. E. in erster Linie die Ortsangabe gemeint (vgl. die Übersetzung von S. Eagan, 22 'sheltering fold"). Die allegorische Deutung, die der Verfasser des ThLL-Artikels bietet, ‘de congregatione fidelium' (1190, 74f.), setzt wieder die Gleichung Lamm - guter
Hirte voraus, die aber im Zusammenhang allenfalls konnotiert ist, und zwar als gedankliche Fortführung von mihi (V. 166) (dagegen Lühken, 220). Wenn die Vorstellung hineinspielt, dann vielleicht weniger als Assoziation des Gleichnisses vom guten Hirten (Joh. 10, 1/21; so Lühken, ebd.), sondern als Umformung von Ez. 34, 11/31, besonders 34, 25 'Ich schlieBe mit ihnen (den Schafen) einen Friedens-
V. 171-185
225
bund: Ich rotte die wilden Tiere im Land aus'; 34, 28 'Sie (die Schafe) werden
nicht länger die Beute der Völker sein, von den wilden Tieren werden sie nicht gefressen. Sie werden in Sicherheit wohnen, und niemand wird sie erschrecken.’ agnus: Das Lamm als Symbol für Christus ist biblisch, Joh. 1, 29. 36; 1 Kor. 5, 7; Hebr. 9, 14; 1 Petr. 1, 19; Apk. 5, 6. 8. 12 u. ö. (Sinnbild für den siegreichen, ver-
herrlichten Christus). Vgl. auch Paul. Nol. epist. 32, 10; Sedul. carm. pasch. 1, 84. 120; 2, 72; 5, 140; Ennod. carm. 1, 9, 25. Das Lamm als Symbol der ersten Ankunft Christi Iren. adv. haer. 4, 33, 1; Aug. civ. 20, 24 u. ö. (ThLL I, 1364f.; Art. Lamm: LCI 3 [1971], 7/14). niveus agnus: Die Junktur bei Calp. ecl. 5, 37 geht auf die für den Verzehr gedachten jungen Lämmer. Im christlichen Gebrauch für
Christus singulär, bei Auson. dom. 3, 18 in bezug auf die Neugetauften: (Peiper, 20) Dans agnos niveos Ausonius, die Charlet, Gebrauchs vorschlägt, nicht so ungewöhnlich, gebildet haben könnte.
splendescere purificatos. Die Rückführung der Junktur auf création, 168, A. 54; influence, 23, trotz unterschiedlichen überzeugt nicht. Die Vorstellung des weißen Lamms ist daß der Dichter die Junktur nicht unabhängig von Ausonius Eher sind Anregungen ikonographischer Vorbilder denkbar,
wie Charlet ebenfalls nahelegt (création, 168, A. 54). Das Attribut niveus betont
hier Unschuld und Reinheit des Lamms im Gegensatz zur bösartigen Raubgier der Feinde (s. auch oben S. 217f. zu candidulo, V. 157). — hiare: kraftvolles, fast prägnant gesetztes Verb, ‘das Maul aufsperren', ‘schnappen’, vgl. z. B. Stat. Theb. 4, 365 lupi ora; Sil. 2, 684 (leo) mandit hianti ore fremens imbelle pecus; vom Tier selbst Verg. Aen. 10, 726 (leo) hians immane; Stat. Theb. 2, 679 leo ... hians; vom gierigen Verlangen im übertragenen Sinn s. die Beispiele ThLL VI, 2. 3, 2813, 24ff. subiuga tigridis: Das Motiv vom Tigerjoch neben Hor. carm. 3, 3, 13/5 (s. oben
S. 223) auch Verg. ecl. 5, 29; vom Tigerwagen Verg. Aen. 6, 804f.; Ov. ars 1, 549f.; Sil. 15, 79/81. Das unvereinbare, weil feindliche Paar tigris — agnus sonst Hor. ars 13. ora premens: ‘... und hält das Maul verschlossen’. Die Parallele für die
Junktur Verg. Aen. 6, 80 os rabidum ... fingitque premendo, die Pellegrino, Edition, 65/67; Innologia II, 98, anführt, passt nicht. Zu ergänzen ist bei Vergil habenas. Vom freiwilligen Schließen des Mundes (‘verstummen’) Verg. Aen. 6, 155; vgl. noch Sil. 7, 719 lupus fetum ... ore tenet presso — nach vollendetem Raub.
IV. Strophe 35-41. Schlu& Strophe 35-37. Paränetischer SchluBteil
Die Strophen 35-37 bilden den ersten, den parünetischen SchluBteil des Gedichts. In ihm gestaltet Prudentius die Forderung des Maßhaltens beim Essen. Die Mahnung zur Wachsamkeit steht nicht im Widerspruch zum Lobpreis der Friedensherrschaft Christi, sondern schlieBt sich notwendig an. Der Wechsel von der historischen zur individualethischen Perspektive, der schon durch den Anruf Christi vorbereitet wird, spiegelt einen theologischen Zusammenhang, der bei Prudentius oft
226
C. Kommentar
vorausgesetzt werden muß (zum Ineinandergreifen beider Ebenen, der historischen und der psychischen, in der Dichtung des Prudentius s. Gnilka, Studien, 27ff.; dens., Prud. II, 126 zu cath. 1): Ist die Herrschaft des Bösen über die Menschheit
durch Christi Sieg über die Schlange ein für allemal gebrochen, so stellt der Versucher für das Leben des einzelnen Christen weiterhin eine Gefahr dar. Das Motiv des Schadens, den ein falscher GenuB von Speise dem Menschen zufügen kann, durchzieht daher die der Paränese zugrundeliegende Argumentation, die wiederum in formaler und inhaltlicher Hinsicht nach dem Prinzip der Steigerung aufgebaut ist. Unmäßiges Essen verursacht a) auf physiologisch-hygienischer Ebene Trägheit und körperliche Schwäche (Str. 35), b) auf moralisch-spiritueller Ebene
durch die Übertretung des góttlichen Gebotes Schaden für die Seele (Str. 36), c) auf heilsgeschichtlicher Ebene den ewigen Straftod für den einzelnen und den Sieg der Dümonen im Kampf des Guten gegen das Bóse für die Christenheit (Str. 37). Strophe 35
V. 171-175 Da, locuples deus, hoc famulis rite precantibus, ut tenui membra cibo recreata levent neu piger inmodicis dapibus viscera tenta gravet stomachus. Die Verse 171f. setzen zunächst im Anschluß an die hymnische Invokation Christi (Str. 34) das Gebet fort, um dann fast unmerklich in die Paränese überzugleiten. Der Gebetsimperativ in emphatischer Anfangsstellung, gefolgt vom Anruf des Schópfergottes, kennzeichnet den Neueinsatz: Da, locuples deus. Die Fortführung durch die Umschreibung für nobis ‘die fromm betenden Gläubigen’, evoziert die Gebetssituation, von der der Hymnus seinen Ausgang nimmt, und führt ebenso wie die Bitte um Beistand an den Anfang des Gedichts zurück, vgl. V. 6ff. Huc nitido, precor, intuitu. Der Segenswunsch bildet aber nur den Ausgangspunkt für das eigentliche Anliegen des Dichters, die exhortatio ad frugalitatem. Denn die Bitte um den góttlichen Beistand beim MaBhalten formuliert zugleich das Gebot der Mäßigung. Das Stichwort liefert tenui cibo (V. 172f.), antithetisch variiert durch den hohen Ausdruck inmodicis dapibus (V. 174). Zum eigentlichen Gegenstand der Bitte macht Prudentius das Motiv für die leichte Emährung, das ist der Vorteil für die Gesundheit. Denn mäßige Kost bewirkt die lebensnotwendige Erfrischung
und Rekreation der körperlichen Kräfte, unmäßiges Essen erzeugt Beschwerden, die den Körper belasten und schwächen. Die Mahnung zu mäßigem Speisen samt ihrer hygienischen Begründung ist aus der antiken Diatribenlehre bekannt (Oltramare, Index 303 s. v. frugalité hygienique, bes. Nr. 50/6; zu Horaz, ebd., 141. 146; Seneca, 270f. 280; z. B. Cic.
V. 171-175
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Cato 11, 36; 13, 44; Tusc. 5, 35; off. 1, 106; Hor. sat. 2, 7, 102ff.; Muson. 95, 4/7; 105, 4/7; 104, 3/9 Hense; Plut. de esu carnium 1, 5, 995C; Sen. epist. 95, 15/29; s. auch das Material bei HauBleiter, Vegetarismus, 141. 258f. 263/5. 361). Vgl. aber auch Sir. 31, 19/21; 37, 27/31. Ein ‘Muster’, auf das fast wörtliche Anklänge bei Prudentius weisen, bietet Hor. sat. 2, 2, 70ff., vgl. 70/81: accipe nunc, victus tenuis quae quantaque secum / adferat. in primis valeas bene; nam variae res / ut noceant homini credas, memor illius escae, / quae simplex olim tibi sederit. at simul assis / miscueris elixa, simul conchylia turdis, / dulcia se in bilern vertent stomachoque tumultum / lenta feret pitvita. vides, ut pallidus omnis / cena desurgat dubia? quin corpus onustum / hesternis vitiis animum quoque praegravat una / atque adfigit humo divinae particulam aurae. / alter ubi dicto citius curata sopori / membra dedit, vegetus praescripta ad munia surgit. Horaz läßt den Bauern Ofellus die
einfache Emährung um der guten Gesundheit willen preisen. Eine einfache Speise (tenuis victus, simplex esca) ruft keine Verdauungsstórungen hervor und belastet
weder Kórper noch Seele. Prudentius greift das Moment der Beschwernis des Kórpers heraus (vgl. Hor. sat. 2, 2, 77 corpus onustum) und entfaltet es antithetisch im Dienst der Paränese. Ursache (Mahlzeit) und Wirkung (physische Konstitution)
treten dabei als einander entsprechend hervor: Leichte Kost bedeutet Erholung und Frische (recreata levent), unmäßige Kost Belastung (gravet), Anspannung (trenta) und Trügheit (piger). Der parallele Bau der Verse unterstreicht sowohl den Gegensatz von Leichtigkeit und Schwere als auch die Korrelation von Speise und
kórperlichem Wohlbefinden (vgl. auch Evenepoel, Hymnus ante cibum, 132). Das starke Hyperbaton über fünf Wörter von piger und stomachus malt die Trägheit des überladenen Magens und setzt abschlieBend und parünetisch wirkungsvoll den
Akzent auf das physische Unwohlsein. Lühken, 238, zieht eine Parallele von dieser Horazstelle zu Prud. cath. 4, 28/32, wo es um die Beschwernis der Seele durch
üppiges Essen geht. Diese ist aber hier noch nicht gemeint. Falsch daher die Übersetzung von S. Eagan, 22, ,,Let no immoderate banquets induce / Dullness and
sloth in the body and soul". Welche Speisen mit tenuis cibus gemeint sind, bestimmt Prudentius nicht genauer, anders als Horaz, der die schlichte Kost (simplex esca) vom Vielerlei an Zubereitungsarten und Delikatessen (variae res) abgrenzt (Gebratenes, Gesottenes, Austern und Drosseln, sat. 2, 2, 72/4; vgl. auch sat. 2, 7, 105/9; Plut. esu carn.
1,5, 995C; Oltramare, 170). Prudentius geht es allgemein um maßvolles Essen (vgl. inmodicis dapibus, V. 174; modum teneat, V. 179), vor dem Hintergrund des
Katalogs der dem Christen erlaubten und zu empfehlenden Speisen, den Prudentius im ersten Teil des Gedichts gibt, liegt allerdings auch hier die Einschrünkung auf vegetarische Nahrung nahe. Im übrigen ist auch beim tenuis victus des Horaz an einfache Vegetabilien bzw. Cerealien zu denken, vgl. Hor. sat. 1, 6, 111/5: Mehl,
Gemüse, d. i. Salat, Erbsen, Fladen; epist. 1, 5, 1/3: Grünkost). Bei aller Ahnlichkeit der Argumentation ist der geistige Hintergrund der Askese bei Prudentius ganz
verschieden von dem der philosophischen Diatribe. Bei Horaz steht die Empfehlung
228
C. Kommentar
zu leichter Ernáhrung ganz im Zeichen des Ideals der Autarkie. Die Autarkie des Individuums manifestiert sich dabei ganz konkret in der Unabhüngigkeit vom Essen als einem Adiaphoron (vgl. Hor. sat. 2, 2, 112/4; 126f.; dazu Maurach, Horaz, 105; zum stoischen Hintergrund auch Oltramare, 50, ‘Man muB den Hunger so einfach wie möglich befriedigen’, z. B. Varro fr. 572). Indem Prudentius die Forderung nach Mäßigung in die Bitte um Gottes Beistand einbettet, setzt er sich deutlich vom horazischen Ideal der Selbstüberwindung ab. Der Anruf des reichen Schópfers (locuples deus, V. 171) evoziert zudem gleich zu Beginn der Paränese die Fülle
der Schópfungsgaben, die schon cath. 3, 56/65 die Folie bildeten für den Aufruf zur Abstinenz, dort zwar zur Enthaltung von einer bestimmten Speise, des Fleisches vierfüßiger Tiere, aber schon in der Auswahl der frugalen Nahrung, die Prudentius stattdessen empfiehlt, zeigt sich die allgemein-asketische Ausrichtung des Abstinenzgebots, die nun in den Vordergrund tritt. Unterstützt im Gabenpreis der Hinweis auf die Fülle der vegetabilen Nahrung die Paránese zur Fleischenthaltung, so läßt Prudentius hier vor dem Reichtum der Speisen, die Gott gewührt, den freiwilligen
Verzicht auf Nahrung, die bewußte Einschränkung beim Essen aus dietetischen und hygienischen Gründen umso notwendiger und dringender erscheinen. Nur im maßvollen Essen, so deutet er an, liegt der richtige, Gott wohlgefällige Gebrauch der Nahrung (zum Motiv des maßvollen Gebrauchs der Schöpfung im allgemeinen s. Prud. ham. 330ff.). Der schöpfungstheologische Hintergrund ist aber weiter gefaBt als bei der ersten Behandlung der Askese. Denn Ziel des Essens ist es, den Kórper gesund zu erhalten, den der Dichter als eine besondere Schópfungsgabe, als das herausragende Werk aus Gottes eigener Hand besungen hat (vgl. V. 96ff.; V. 185 plasma dei). Den Gedanken, daB der Zweck der Nahrung in der Erhaltung der Gesundheit und Kraft des Körpers liegt, übernimmt aus der antiken Philosophie auch Clemens von Alexandrien und entfaltet ihn in seiner Ethik der Ernährung (paed. 2, 1, 1/18), vgl. z. B. paed. 2, 1, 2, 1 (Stählin 1, 154) τὸ δὲ ἐκ δυεῖν, τὸ ζῆν
τοῦτο, ὑγείας τε καὶ ἰσχύος σύγκειται, οἷς μάλιστα κατάλληλον τῆς τροφῆς τὸ εὔκολον, εἴς τε τὰς ἀναδόσεις καὶ τοῦ σώματος τὴν κουφότητα χρησιμεῦον, ἐξ ὧν αὔξησίς τε καὶ ὑγεία καὶ ἰσχὺς δικαία; paed. 2, 1, 5, If. (Stählin 1, 156f.) οὐ γάρ που μεμαθήκασι τὸν θεὸν παρασκευάσαι τῷ δημιουργήματι, τῷ ἀνθρώπῳ λέγω, σῖτα καὶ ποτὰ τοῦ σῴζεσθαι χάριν, οὐχὶ δὲ τοῦ ἥδεσθαι: ἐπεὶ μηδὲ ὠφελεῖσθαι πέφυκεν τὰ σώματα ἐκ τῆς πολυτελείας τῶν βρωμάτων : πᾶν γὰρ τοὐναντίον οἱ ταῖς εὐτελεστάταις χρώμενοι τροφαῖς ἰσχυρότεροί εἰσι καὶ ὑγεινότεροι καὶ γενναιότεροι, ὡς οἰκέται δεσποτῶν καὶ γεωργοὶ κτητόρων. Ambr. hex. 3, 7, 28 (CSEL 32, 1, 771.) leitet die Belehrung zur einfachen, d. ἢ. vege-
tarischen zunächst V. 56ff.), vgl. quia
Lebensweise aus dem Schópferwillen ab, der sich darin zeigt, daB Gott die pflanzliche Nahrung geschaffen hat (dazu auch oben S. 96. 107f. zu und ordnet dem theologischen Motiv zur Mäßigung das hygienische unter, simplicem victum et naturalem cibum reliquis cibis debuit anteferre. Hic
enim sobrietatis est cibus, reliqui deliciarum atque luxuriae ... Ille salubris, ille utilis cibus, qui morbos repellat, qui resecet cruditates. V gl. auch Hier. epist. 22, 17
V. 171-175
229
moderatus cibus et numquam venter repletus ... sint tibi cotidiana ieiunia et refectio satietatem fugiens. Häufig verwendet den Topos von den schädlichen Wirkungen der Vóllerei auf die physische Gesundheit Johannes Chrysostomos, z. B. in Gen.
hom. 10, 2 (PG 53, 84); in Mt. hom. 44, 5; 57, 4f. (PG 57, 470/2; 58, 563/6); in Joh. hom. 22, 3; 45, 1 (PG 59, 137f. 251); in Act. hom. 16, 4 ; 27, 3 (PG 60, 133f. 208/10) u. ö.; s. Arbesmann, Gefräßigkeit, 383f. Speziell zum hygienischen Motiv
für die einfache Emährungsweise s. auch Arbesmann, Fasten, 489f.; Musurillo, 17/9. locuples deus: vom reichen Schüpfergott, wie cath. 3, 83 divitis omnipotentis opus. Als Attribut Gottes ist locuples ungewóhnlich, vgl. ThLL VII, 2, 2, 1570, 26. Prudentius, der das Wort sonst von der Schópfung und den Erzeugnissen der spendefreudigen Natur gebraucht (ham. 193 /sc. natura] locupletem fundere partum; ham. 332 locuples mundi species), überträgt es hier auf den Spender der Gaben selbst. famulis: sc. dei, domini, Christi, von den Gläubigen, den Christen (vgl. ThLL VI, l, 268, 4/32; 269, 23/30). Die Bezeichnung ‘Diener Gottes’ ist biblisch (It. Gen. 2A, 44; Ex. 4, 10; Mk. 5, 17) und bei den Kirchenschriftstellern üblich (z. B. Tert. scorp. 11 Christus famulos suos instruxit). Bei Prudentius noch cath. 8, 7; 10, 18. 166; psych. 551. 643; perist. 3, 27; 6, 119; 11, 61 (von den Märtyrem); tit. 34 (von den Israeliten) (dazu Gnilka, Prud. II, 561). Als Selbstbezeichnung des Bittenden verstürkt famulis hier die demütige Gebetshaltung, ebenso wie das geradezu pleonastisch gesetzte rite precantibus. So ist Prud. c. Symm. 2, 818 qui rite dei praecepta sequuntur Umschreibung für die frommen Diener Gottes. rite: auch Prud. cath. 10, 71 dapibus iam rite paratis, in Verbindung mit dem gehorsamen Tun der Diener im eigentlichen Sinn. Perist. 5, 561f. Si rite sollemnem diem / veneramur ore et pectore; 6, 150 vestrum psallite rite Fructuosum, zielt die Qualifizierung rite neben der inneren, frommen Haltung auch auf die äußeren, quasi liturgischen Formen des Märtyrerfestes, ähnlich auch cath. 7, 17 ieiuna rite membra non coerceas, wo das gehörige Fasten bezeichnet wird, das bei Prudentius mit einem Festcharakter versehen ist (vgl. cath. 7, 4£.; 8, 14). — tenui ... cibo: tenuis wie modicus, auBer Hor. sat. 2, 2, 53. 70 (oben S. 227 zitiert) auch Cic. Lael. 86 und Auson. eph. 3, 66 (Green) sim tenui victu atque habitu. Bei Prudentius vgl. noch c. Symm. 2, 1058 et rarae tenuesque epulae et mens sobria semper (von der modestia und frugalitas der christlichen Jungfrauen). Vgl. auch die Umschreibung bei Sen. epist. 95, 15 facili cibo nec per artem voluptatemque corrupto. membra ... levent: ‘die Glieder aufrichten, erquicken, stärken’, levare ist also synonym zu recreare, sanare gebraucht, s.
ThLL VII, 2, 2, 1229, 76ff., bes. 1230, 22/46. Levent
bildet mit recreata einen Pleonasmus, die Zusammenstellung recreata levent wiederum erzeugt zu tenta gravet einen wirkungsvollen Kontrast. piger: in Verbindung mit stomachus sozusagen ein medizinischer Terminus technicus, vgl. Mart. 3, 47, 9 pigroque ventri non inutiles betas. | inmodicis dapibus: wie Ov. Pont.
1, 10, 29 inmodico Lyaeo; als Abl. instr. ἀπὸ κοινοῦ zu piger, tenta, gravet gesetzt. gravet: medizinischer Terminus technicus für durch Speise verursachte Verdauungs-
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C. Kommentar
beschwerden, s. Chiron 737 merum gravat ... corpus; Anthium 1 stomachum; Oribas. syn. 4, 5 digestionem (ThLL VI, 2. 3, 2312, 34/6). Vgl. auch die passive Konstruktion Liv. 1, 7, 5 Herculem cibo vinoque gravatum; 25, 24, 6 vino somnoque gravari; Apul. met. 1, 26 cibo gravatus; PsAur. Vict. epit. 44, 4 Jovianus cruditate
stomachi, tectorio novi operis gravatus interiit, Macr. Sat. 7, 5, 14 fartus cibo stomacho vel ventre gravatur, von der Beschwernis der Seele durch Übersättigung Hor. sat. 2, 2, 78f. (oben S. 227 zitiert, von Prudentius genutzt cath. 4, 28/32);
Cypr. epist. 11, 6 largioribus epulis mens gravata. viscera: 'Eingeweide', richtig Thomson, 29, „the inner parts‘; Guillén/Rodríguez, 45, „las entranas"; Lavarenne, édition, 18, , leurs entrailles". Beschrieben wird in V. 175 der physiologische Vorgang der Verdauungsstórung — bezeichnend der Subjektwechsel von levent (sc. famuli) zu stomachus —, wobei die beteiligten Organe durch Anfangs- und End-
stellung hervorgehoben werden. Der Magen, aufgrund der Überladung mit Speise trüge, beschwert seinerseits die übrigen Eingeweide, die ebenfalls überfüllt sind. Vgl. auch die Beschreibung der Völlerei und ihrer Folgen Prud. ham. 320/4 numquid madido sapor inditus ori / vivit ob hanc causam, medicata ut fercula pigram / ingluviem vegetamque gulam ganeonis inescent, / per varios gustus instructa ut prandia ducat/ in noctem lassetque gravem sua crapula ventrem? viscera tenta: vgl. Ambr. Hel. 4, 5 (CSEL 32, 2, 415) nulla illis (sc. angelis) cura mensarum, nullus conviviorum usus, nullae repositae epulae, nullus vini potus aut sicerae, nulia distentio corporis, nulla ventris offensio. Vielleicht liegt eine Anspielung vor auf den in der Popularphilosophie gebrauchten Topos von der begrenzten Auf-
nahmefühigkeit des menschlichen Magens, die einem Unmaß an Speise natürlicherweise entgegensteht, z. B. Sen. contr. 10, 4, 2; Sen. ad Helv. 10, 6; vgl. prov. 3, 6; epist. 47, 2; 60, 2f.; 114, 26; christlich genutzt von Joh. Chrys. in Act. hom. 27, 2 (PG 60, 207) (s. Arbesmann, GefrüBigkeit, 384).
Strophe 36 V. 176-180 Haustus amarus abesto procul, ne libeat tetigisse manu exitiale quid aut vetitum; gustus et ipse modum teneat, sospitet ut iecur incolume. Auf die Bitte an Christus, das MaBhalten bei Tisch zu gewühren, folgen in Strophe 36 drei weitere Wünsche. Nichts Schädliches, Tódliches, nichts Verbotenes soll
angerührt werden. Der Geschmack der Speisen selbst soll einfach sein. Zum Verbot bestimmter Speisen tritt damit abschlieBend die Warnung vor der voluptas saporis. Iussive Konjunktive und [Imperative prägen den Ton der energischen Mahnung (abesto, ne libeat, teneat).
V. 176-180
231
Die Abstinenzforderung ist hier inhaltlich nicht gefüllt, die zu meidende Speise nur allgemein als schádlich oder verboten (haustus amarus, exitiale quid aut vetitum) charakterisiert. Der Rückgriff auf das Fleischverbot (cath. 3, 58ff.) liegt zwar nahe (vgl. Guillén/Rodríguez, 44, A. 176; indirekt auch Lühken, 238), zumal das Verdikt des Fleischessens durch die bildhafte Darstellung des Bósen als blutiges ReiBen wilder Tiere im Abschnitt zuvor nachhaltig evoziert wird, dem Dichter geht es aber nicht um eine Wiederholung des Abstinenzgebots aus V. 56ff. Nachdem innerhalb des Katalogs erlaubter Speisen im ersten Teil des Gedichts die Abstinenzforderung objektiv bestimmt, die verbotene Speise konkret benannt wird, hat Prudentius hier die subjektive Seite, die Tugend des MaBhaltens im Blick. Gemieden werden sollen schádliche und verbotene Nahrungsmittel, damit ist aber nicht nur der Verzicht auf bestimmte Speisen gemeint. Unheilvolle, verderbliche Wirkung zeigt auch jedes ÜbermaB an Speise. Daran schlieBt sich die Warnung vor der Feinschmeckerei sinnvoll an: gustus et ipse modum teneat (V. 179) — et ipse ist zugleich anschlieBend und steigernd zu verstehen. Vgl. dazu auch Lact. inst. 6, 22,
1/5; Prud. ham. 320/4 (oben S. 230 zu viscera, V. 175, zitiert). Im Vergleich zur Strophe 35 steigert Prudentius die Warnung vor den nachteiligen Auswirkungen der Vóllerei und Feinschmeckerei durch das Moment des Schádlichen, Verderblichen. Dem Schaden, der durch Unmäßigkeit droht, stellt er abschlieBend — und zugleich antithetisch zum Ende der vorhergehenden Strophe — die heilsame Wirkung des MaBhaltens gegenüber, V. 180 sospitet ut iecur incolume. Das Heilsein, Unversehrtsein (sospitet, incolume) im Gegensatz zum Verderben (exitiale) — das zunächst ganz wörtlich gemeint ist — bildet ein starkes Pendant
zum Gegensatz Erfrischung - Trügheit, den Prudentius im ersten Schritt der Paränese schildert. Im Moment des Heils bzw. Verderbens läßt der Dichter aber auch die spirituellen Folgen der Zügellosigkeit bzw. MüBigung im Essen durchscheinen. Denn - so deutet er an - in der Übertretung des göttlichen Verbots der Schlemmerei liegt eine Gefahr auch für das Seelenheil des Christen. Durch den Wortlaut spielt Prudentius zudem auf das biblische Essensverbot schlechthin an, auf die verbotene
Frucht im Paradies, vgl. vetitum mit veto (V. 109), ex vetitis (V. 114); exitiale mit mortifero (V. 108), peritura (V. 115); amarus mit aspera (V. 108). Die theologischen Implikationen der Parallele zum Sündenfall entfaltet Prudentius in der folgenden
Strophe, schon hier führt er kompositorisch geschickt die Forderung der Enthaltsamkeit mit dem heilsgeschichtlich bedeutsamsten 'Fastengebot' zusammen. Die Allusion auf Gottes Gebot im Garten Eden und die verderbenbringenden Folgen seiner Übertretung unterstreicht die Sündhaftigkeit der Maßlosigkeit beim Essen und Trinken und betont zugleich die tiefere, moralisch-spirituelle Bedeutung der Mäßigung. haustus: starkes Wort, das den Akt der Nahrungsaufnahme schlechthin bezeichnet, insofern Pendant zu tetigisse manu in V. 177, vgl. z. B. Plin. nat. 31, 40 quae sint haustu frigidissimae, non perinde et tactu esse. Haurire/haustus finden sich bei
232
C. Kommentar
Prudentius sonst auch vom Verschlingen fester Nahrung, vgl. cath. 4, 45; 7, 115; ham. 590f.; psych. 426; haustus als nomen actionis z. B. psych. 431 (s. zu amarus). amarus: Das Attribut wird ThLL VI, 2. 3, 1821, 5 z. St. konkret geschmacklich gefaßt und durch vinum vetus exemplifiziert (vgl. Catull. 27, 2 [vetuli Falerni] calices amariores). Aber der Sinn schillert wohl zwischen der eigentlichen (‘bitter’) und der übertragenen Bedeutung (vgl. Lavarenne, édition, 18, „toute boisson funeste"), vgl. auch oben S. 153f. zu aspera, V. 108. Dem Gebrauch zugrunde
liegt die Alltagserfahrung, daß ursprünglich süße Speise sich durch unmäßigen Genuß in bittere verwandelt (zum sprichwörtlichen Gebrauch s. Otto s. v. mel; vgl. auch Apul. met. 2, 10, 2; Prov. 27, 7). Den Gedanken verwendet auch Horaz
in seiner ‘Predigt’ über die Einfachheit, die Prudentius schon im Vorhergehenden nutzt (vgl. Hor. sat. 2, 2, 70ff.). Horaz nennt als paradoxe Folge der Mischung von raffinierten Speisen (z. B. Luft- und Seetiere) und Zubereitungsarten, daB das
Kóstliche sich in bittere Galle verwandelt: dulcia se in bilem vertent (Hor. sat. 2, 2, 75). Mit dem Ausdruck haustus amarus umschreibt Prudentius demnach die üppige, unmäßige Nahrungsaufnahme, und zwar unter dem Aspekt ihrer schädlichen Folgen für Geschmack und Gesundheit in körperlicher und seelisch-moralischer Hinsicht. - Die Wandlung der süßen Speise zur bitteren Galle formt Prudentius psych. 425ff. zu einem Aspekt der Talion (dazu Gnilka, Studien, 63/5): Das Sterben der Luxuria bildet ihre GefrüBigkeit ab, wobei das Trinken des eigenen Blutes und der bittere Geschmack des Todes ein Entgelt für die süßen Genüsse des Lebens sind, vgl. psych. 427/31 'ebibe iam proprium post pocula multa cruorem', / virgo (sc. Sobrietas) ait increpitans, 'sint haec tibi fercula tandem / tristia praeteriti nimiis pro dulcibus aevi, / lascivas vitae inlecebras gustatus amarae / mortis et horrificos sapor ultimus asperet haustus" Den umgekehrten Vorgang beschreibt Prudentius tit. 49/52: Moses wandelt das bittere Wasser der Quelle von Mara in süßes, vgl. V. 52 in dulcem vertentur amara saporem. — Zur Nutzung der HorazStelle durch Ambrosius hex. 6, 5f. s. Henke, Sechstagewerk, 415ff. Schon Ambrosius überträgt die Erfahrung der Bitternis von der Verdauungsstórung auf den Geschmack (nach Prov. 27, 7) und wertet sie als Zeichen des durch Unmäßigkeit hervorgerufenen Verderbens, hier allerdings metaphorisch von der allegorischen Schriftauslegung, vgl. maritima terrenis, terrena maritimis farciuntur. hoc est reprehendere providentiam creatoris, qui nobis ad victum omnia condonavit, quod non illa miscuerit. sed haec dulcia primo videntur et postea fiunt amara. quo enim copiosior fuerit luxuries, eo perniciosior intemperantia est (CSEL 32, 1, 206f.). exitiale: ein seltenes, bes. im Epos gebräuchliches Wort, vgl. Lucr. 2, 569 motus
exitiales im Gegensatz zu genitales auctificique motus; 6, 566 exitiale aliquod tempus clademque manere (sc. naturam magni mundi), Verg. Aen. 2, 31 donum exitiale Minervae (ThLL V, 2, 1526); vgl. auch Alc. Avit. carm. 2, 241 pomum exitiale. Die aussagekräftigen Adjektive exitiale und vetitum sind im Vers wirkungsvoll auf die Anfangs- und Endposition verteilt, wobei das stärkere Wort an erster Stelle steht. — gustus: steht hier für sapor, ‘Geschmack’, vgl. z. B. Juv. 11, 14
V. 181-185
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interea gustus elementa per omnia quaerunt; Colum. 3, 2, 5 (vinetum) in quo gustus nobilis pretiosusque fluit, Prud. ham. 323 per varios gustus instructa ... prandia (dazu Gnilka, Prud. II, 150). iecur: eigentlich ‘die Leber’, bei Prudentius oft für die Gesamtheit der inneren Organe, Eingeweide gebraucht, so Prud. perist. 4, 137 partem iecoris revulsam ungulis; 5, 116 iecur retectum palpitet, 11, 58; cath. 9, 48 faetidum iecur reductus rursus intrat halitus. lecur weist also auf viscera in V. 175 zurück (so auch Lavarenne, édition, 18; Thomson, 31; ThLL VII, 1, 979, 80f. s. v.
incolumis). Hier ist iecur der 'Sitz der Sinnlichkeit, der Affekte', so S. Eagan, 23;
Guillén/Rodríguez, 45; ThLL VII, 1, 246, 8 s. v. iecur. Dieser metaphorische Gebrauch ist hüufig bei Prudentius, s. ThLL a. O. S. allgemein dazu Hagen, 38/62. lecur im Sinne von ‘Herz, Seele’ z. B. Prud. perist. 14, 131. Strophe 37
V. 181-185 Sit satis anguibus horrificis, liba quod inpia corporibus a! miseram peperere necem; sufficiat semel ob facinus plasma dei potuisse mori.
In der Form der lebhaften commiseratio führt Prudentius den Aspekt der Sündhaftigkeit unmäßigen Essens vor Augen (vgl. liba inpia, facinus) und steigert ihn durch die Parallelisierung mit dem heilsgeschichtlichen Ereignis des Sündenfalls und seinen verderblichen Folgen. In einem zweifachen Aufruf wird vor der Wiederholung der Adamssünde und ihren Konsequenzen gewarnt. Die erste Sünde, die im Kosten der verbotenen Frucht bestand, hatte für die Menschheit den physischen Tod zur Folge (V. 182f. corporibus peperere necem), das Übertreten des Gebotes der MáBigung zieht in der Endzeit den ewigen Tod des Sünders nach sich. Mit der Betonung der Zahl (semel) spielt Prudentius dabei auf die mors secunda der Apokalypse an (Apk. 20, 6. 14), das ist der Straftod des Sünders nach dem Jüngsten Gericht (vgl. z. B. Aug. civ. 13, 8 [Dombart/Kalb I, 565]; Ambr. exc. Sat. 2, 37 mors poenalis; off. 1, 146, zum Gedanken des dreifachen Todes bei Ambrosius s. Becker, Kardinaltugenden, 77. 132 u. ó.).
Für die eindringliche Warnung vor der Doppelung der Todesgefahr macht sich der Dichter einen vergilischen Vers zunutze. 'Sed periisse semel satis est' lautet ein Klageruf, der die Wiederholung des tragischen Geschicks der Trojaner abwehren soll — allerdings formuliert ihn Turnus als fiktiven Einwand gegen sich selbst (Verg. Aen. 9, 140; zum vergilischen Gedanken, daB die Geschichte sich in wesentlichen
Ereignissen wiederholt, vgl. auch Aen. 9, 599; georg. 1, 489/92). Eventuelles Vorbild der prudentianischen Verwendung ist Ausonius, der in seiner Oratio eph. 3, 33f. ebenfalls den Zusammenhang von historischem Sündenfall und alltäglicher Sünde
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C. Kommentar
paränetisch nutzt. Im Anschluß an die Bitte um Gottes Beistand in Versuchungen soll die Klage über das Verderben, das die erste Sünde und der Sieg des Versuchers über Adam und Eva gebracht haben, zur Wachsamkeit mahnen, auf daß die Nach-
kommen in der Gegenwart den Fallstricken der todbringenden Schlange ausweichen mógen, vgl. Auson. eph. 3, 31/6 (Green) da, pater, invictam contra omnia crimina mentem / vipereumque nefas nocituri averte veneni. / sit satis, antiquam serpens quod perdidit Evam / deceptumque adiunxit Adam; nos sera nepotum / semina,
veridicis aetas praedicta prophetis, / vitemus laqueos, quos letifer implicat anguis. Das vergilische periisse semel satis est wird dabei von Ausonius auf eine spirituellmoralische Ebene übertragen. Bei aller Ähnlichkeit der gedanklichen und syntaktischen Bewegung, die Charlet, influence, 24, zwischen dieser Stelle und der Verarbeitung durch Prudentius konstatiert, tritt doch bei Prudentius eine theologi-
sche Verdichtung des Gedankens zutage, die sich nicht nur auf die Einbettung der Sünde in die Speisethematik beschränkt. Im Unterschied zu Ausonius fokussiert Prudentius den Vergleich von Einst und Jetzt im Moment des Verderbens (miseram
necem, mori) (vgl. auch bei Ausonius perdidit; letifer [die varia lectio prodidit verwirft zu Recht Green, 254]) und dissoziiert zugleich den Begriff des Todes im
Sinne einer Steigerung. Der zweite Tod bedeutet bei ihm nicht eine bloBe Wiederholung des ersten Todes, der nur den Körper betrifft (corporibus!), sondern er besagt das Ende des ganzen Menschen, auch der Seele, im ewigen Straffeuer (Apk. 2, 11; 20, 6. 14; 21, 8; vgl. Prud. cath. 6, 89/92; apoth. 927/31; ham. 834ff.; c. Symm.
2, 184ff.) und ist damit in seiner Wirkung ungleich verheerender als der erste Tod. In der Verarbeitung des vergilischen Verses durch Prudentius zeigt sich so zugleich das Wesen schópferischer Chrésis. Der spanische Dichter übernimmt die
historische Perspektive, die dem vergilischen 'Periisse semel satis est’ zugrunde liegt, und korrigiert sie im Sinne der christlichen Lehre. Der Sündenfall hat den
Tod ein für allemal in die Welt gebracht, die Wiederholung des historischen Strafereignisses im zukünftigen Geschehen des Jüngsten Gerichts übertrifft dieses notwendig an Umfang und Dauer. Der Evokation des ewigen Straftodes entsprechend bedient sich Prudentius in
dieser Strophe auch einer gesteigerten affektischen bzw. pathetischen Darstellungsweise. Wiederholung der exclamatio, Doppelung der Formel ‘sit satis’ in 'sufficiat', affektische Interjektion a/, die Kennzeichnung des Todes als 'jámmerlich', all diese Mittel stehen im Dienst der rhetorischen conquestio bzw. commiseratio, die der Formel auch bei Vergil (Heinze, 433; Dingel, 88) und Ausonius zugrunde liegt. Prudentius geht es im Rahmen der Paränese aber nicht um die Erweckung von Mitleid,
sondern
vor allem darum,
auf der Basis des Selbstmitleids
(misero
miserante se ipsum) Furcht und Schrecken zu erregen. Die Furcht vor dem drohenden und das an sich schon bejammernswerte physische Ende noch übertreffen-
den Verderben soll die Aufforderung zur Mäßigung in Essen und Trinken aufs eindringlichste stützen.
V. 181-185
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Das Entsetzen wird von Prudentius auch dadurch hervorgerufen, daß er dámonische Mächte (anguibus horrificis) am Werk zeigt, die den Menschen zu verderben suchen. Wie Sündenfall und Todesverhüngnis auf das Wirken der Schlange, des obersten der Dämonen (vgl. Mark. 3, 22; Lk. 11, 5; van der Nat, Geister, 726),
zurückgehen, so stehen auch hinter der Versuchung durch Schlemmerei die Kräfte des Bósen, die Dümonen (vgl. z. B. Tert. apol. 22, 4; van der Nat, Geister, 734/6). Die Rede von den Dämonen (anguibus im Plural) hebt das Sündigen durch unmäBiges Essen schon in V. 181/3 in gewisser Weise aus der Einmaligkeit des historischen Sündenfallgeschehens heraus. Denn das Wirken Satans durch Dümonen bleibt eben als alltügliche Gefahr für das individuelle Menschenleben bestehen (Stellen s. van der Nat, Geister, 758). Der Christ hat aber — und darauf beruht die christliche Paränese zu MaBhalten und Nahrungsaskese -- dank Christi Heilshandeln die Möglichkeit, der steten Versuchung durch das Bóse zu widerstehen. Prudentius hat hier
Motive der traditionellen, auch genuin christlichen Fastenprotreptik miteinander verwoben und zu einer einheitlichen Paränese geformt. Das dämonische Motiv,
demzufolge die Meidung von Speisen der Abwehr bóser Dümonen dient, die nach altem Volksglauben vornehmlich bei der Nahrungsaufnahme in den Kórper eindringen, wird von Prudentius auf eine neue, spirituelle Ebene gehoben, insofern
die Dämonen als Anstifter zur Sünde der Vóllerei erscheinen, Abstinenz und MáBigung entsprechend als geistige Waffen hervortreten, um die bósen Geister abzuwehren und zu besiegen. Zur Betonung der apotropäischen, ja exorzistischen Kraft des Fastens im Christentum s. Arbesmann, Fasten, 487; Lumpe, 633f.; van der Nat, Geister, 757f.; speziell zu den griechischen Vätern s. Musurillo, 19/23. Ein
erster Ansatz zur Dämonisierung des Lasters der Völlerei findet sich schon Clem. Alex. paed. 2, 1, 15, 4 (Stählin 1, 165), wo vom ‘Dämon des Bauches’ (κοιλιο-
δαίμων) die Rede ist, der durch die Erregung maBloser EBgier vom Menschen Besitz ergreift. Beispielhaft für das Mónchtum sei genannt Joh. Climacus scal. 14
(PG 88, 868 C) Γίνωσκε, ὅτι περ πολλάκις ὁ δαίμων τῷ στομάχῳ καθέζεται, καὶ μὴ κορέννυσθαι τὸν ἄνθρωπον παρασκευάζει, κἂν πᾶσαν τὴν Αἴγυπτον φάγῃ καὶ τὸν Νεῖλον ποταμὸν rin. Nicht wenige Väter stützen ihre Mahnung zur Nahrungsaskese durch die Lehre, daß die erste Sünde des Stammvaters eine Sünde der Völlerei war (zum sog. 'Adam-Motiv' s. Musurillo, 17). Vor diesem Hinter-
grund erscheinen Abstinenz und Mäßigung als Sühnemittel für die Ursünde bzw. als ‘Gegengift’ für die Sündhaftigkeit des Menschen schlechthin. Vgl. Greg. Naz.
orat. 45, 28 (PG 36, 661 B/C) ἐκπεπτώκαμεν, ἐπειδὴ παρέβημεν, ἐνηστεύσαμεν, ἐπειδὴ μὴ ἐνηστεύσαμεν, τοῦ ξύλου τῆς γνώσεως ὑποκρατηθέντες. ᾿Αρχαία
γὰρ ἦν ἡ ἐντολὴ, καὶ ἡμῖν ὁμόχρονος ψυχῆς τις οὖσα παιδαγωγία, καὶ τρυφῆς σωφρόνισμα; Tert. ieiun. 3, 2f. (CCL 2, 1259.) Acceperat Adam a deo legem non gustandi de arbore agnitionis boni et mali, moriturus si gustasset ... Manducavit denique et periit, salvus alioquin, si uni arbusculae ieiunare maluisset ... Ostendens tamen, unde sit occisus Adam, mihi reliquerat intellegenda remedia offensae, qui offensam demonstrarat. Ultro cibum, quibus modis quibusque temporibus
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C. Kommentar
potuissem, pro veneno deputarem et antidotum famem sumerem, per quam purgarem mortis a primordio causam in me quoque cum ipso genere transductam, certus hoc deum velle cuius contrarium noluit satisque confidens placituram illi continentiae curam, a quo damnatam comperissem incontinentiae culpam; Ambr. Hel. 4, 7 (CSEL 22, 2, 416/7) primum illic (sc. in paradiso dominus) legem constituit de ieiunio; sciebat enim quod per escam culpa haberet intrare ... lex a domino deo, praevaricatio legis a diabolo: culpa per cibum, latebra post cibum: cognitio infirmitatis in cibo, virtus firmitatis in ieiunio ... serpens gulam suadet, dominus ieiunare decernit. denique ipse ait: ieiunate et orate, ne intretis in temptationem (Mt. 26, 41). itaque gula de paradiso regnantem expulit, abstinentia ad paradisum
revocavit errantem; Hier. epist. 130, 10 (CSEL 56, 189) Eva per cibum eiecta est de paradiso. Helias quadraginta dierum exercitatus ieiunio igneo curru rapitur
ad caelum. Sit satis: bekannte Formel in Gebeten und Bitten, vgl. Ciris 455 sit satis hoc; Prop. 1, 17, 10 sat tibi sit poenae nox et iniqua vada; Stat. Theb. 4, 831 sufficiat (Green, 254; Charlet, influence, 24). anguibus: von den Dämonen, den bösen Geistern (richtig Lavarenne,
édition,
18, A. 2), insofern sie zum
Gefolge der
Paradiesesschlange gehören. Das scheint ein singulärer Gebrauch zu sein, auch bei Prudentius nur hier, aber anguis vom obersten Dämon, dem Teufel, findet sich öfter, so cath. 3, 153; 9, 88; 10, 164; ham. 711. Vgl. etwa auch Sedul. carm. pasch. 4, 94 ferox et nigrae mortis amator ille nocens anguis; op. pasch. 4, 8 vetus anguis ille tartareus, vitae perditor, mortis inventor. horrificis: Epitheton zu serpentibus etwa Sil. 9, 443; sonst auch von Unterweltsmonstern, Ungeheuern, z. B. den Harpyien (Verg. Aen. 3, 225), vom Tod (Verg. Aen. 12, 851), s. ThLL VI, 2. 3, 2996. — Die HáBlichkeit des Bósen ist dazu angetan, Furcht und Entsetzen zu erregen.
Indem Prudentius neben die Greuel der Dámonen noch den Jammer des Todes
treten läßt, zielt er darauf, die Hauptwirkungen pathetischer Darstellung auszulösen, Mitleid und Schauer (dazu Mazzega, 41u. ö.; Gnilka, Prud. II, 244f.). liba: poetisch für Speise (cibus) allgemein (ThLL VII 2, 2, 1354, 9/11), vgl. auch Prud. cath. 4, 69, wo liba synonym zu epulas (V. 66) gebraucht ist. liba inpia ist eine
Anspielung auf den Genuß der verbotenen Frucht im Paradies. hafter Gebrauch, s. oben S. 236 zu sit satis.
sufficiat: formel-
plasma dei: bezeichnet den Menschen, insofern er Geschópf, Gebilde Gottes
ist (vgl. die Übersetzung von Guillén/Rodríguez, 45 „la obra de las manos de Dios'"), so auch Prud. cath. 7, 184 emancipator servientis plasmatis (Jesus); apoth. 308 cum dominus faceret domini sub imagine plasma; ham. 274 (vom Angesicht) (dazu Gnilka, Prud. II, 149); Cypr. epist. 2, 2; Iren. adv. haer. 1, 22, 1. Das prügnant gesetzte griechische Wort unterstreicht den Frevel, der in der UnmüBigkeit des Essens liegt: Sich dem Essen hinzugeben bedeutet, die Zerstórung von Gottes Werk und damit den Sieg der Dämonen zuzulassen. Biblische Grundlage ist Róm. 14, 20
un ἕνεκεν βρώματος κατάλυνε τὸ ἔργον τοῦ θεοῦ. Auf die Mahnung des Paulus
V. 186-190
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baut Clemens von Alexandrien seine Forderung, Fleisch nur in Maßen zu sich zu nehmen (vgl. paed. 2, 1, 11, 1).
Strophe 38-41. Dogmatischer Schlußteil Die paränetischen Strophen bilden noch nicht den Abschluß des Gedichts, sie münden in eine Darstellung der christlichen Auferstehungslehre, in ein poetisches Lehrstück eschatologischer Anthropologie, das zugleich als Ausdruck der persónlichen Auferstehungshoffnung des Dichters gestaltet ist. Der Abschnitt weist eine klare Struktur auf: Der Dichter behauptet die Unsterblichkeit der Seele (Str. 38),
die Auferstehung des Leibes (Str. 39) und nennt das Unterpfand für den Glauben an die leibliche Auferstehung, Christi Auferstehung von den Toten (Str. 40. 41).
Strophe 38 V. 186-190 Oris opus, vigor igneolus non moritur, quia flante deo
conpositus superoque fluens de solio patris artificis vim liquidae rationis habet.
Am Schlu£ des vorhergehenden Abschnitts steht die Klage über den Tod, den der Sündenfall in die Welt gebracht hat (Str. 37). Die Klage bezieht sich auf den physischen Tod des Menschen, denn Prudentius betont cath. 3, 182f. corporibus ... peperere necem und evoziert damit die unausgesprochene Frage nach dem postmortalen Schicksal der Seele. Die Antwort liefert die vorliegende Strophe. Die Definition des Todes als Trennung von Leib und Seele vorausgesetzt (vgl. Athenagoras resurr. 16; Iren. adv. haer. 5, 7; Aug. civ. 13,3 u. ö.), wird das Fortleben
der Seele nach dem Tod konstatiert und im absichtsvollen Kontrast zum Schrecken des Todesverhüngnisses (V. 183 necem, V. 185 mori) formuliert: (anima) non moritur (V. 187). Der negativen Formulierung entspricht, daB nicht die Art und Weise oder der Ort des Fortlebens der Seele hier in den Blick genommen werden, sondern allein der Grund für die Unsterblichkeit entfaltet wird. Der syntaktische Aufbau in Haupt- und Kausalsatz sowie die quantitative Verteilung von Behauptung und Begründung auf die Verse spiegeln diese Absicht ebenso wie die kunstvolle Organisation der Strophe. Die Begründung für die Unsterblichkeit liegt in der rein geistigen Natur der Seele. Dieses immaterielle Wesen der Seele in immer neuen bildhaften und syntaktischen Variationen einzuprägen ist Ziel der Darstellung. Zur Unsterblichkeit der Seele vgl. noch Prud. ham. 829ff., wo sie den Grund für die ewige Dauer der Feuerqualen in der Hólle gibt, vgl. norat enim (sc. pater) flatu ex proprio vegetamen inesse / corporibus nostris animamque ex ore perenni / formatam non posse mori ... vermibus et flammis et discruciatibus aevum /
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C. Kommentar
inmortale dedit, senio ne poena periret, / hon pereunte anima: carpunt tormenta foventque / materiem sine fine datam, mors deserit ipsa / aeternos gemitus et flentes vivere cogit (Materies, von der Seele, entspricht hier dem 'Zündstoff" für das Feuer. Die Qualen finden selbst an der unkórperlichen Seele etwas, was sie
sich vornehmen können). Vgl. auch c. Symm.
2, 184/6 ‘non occidet', inquit, 7
‘interior qui spirat homo, luet ille perenne/ supplicium; perist. 10, 471/5 animae
salutem, sola quae non occidit, / sed iuge durans dispares casus subit: / aut luce fulget aut tenebris mergitur. perist. 10, 346ff. Aedem sibi ipse mente in hominis condidit / ... solvi incapacem posse nec distructilem. Schon die Umschreibung der Seele durch oris opus, vigor igneolus in V. 186 weist auf die besondere Qualität dieses Teils des Menschen und nimmt die folgende,
durch quia eingeleitete Begründung vorweg. Die Seele stirbt nicht, denn sie ist durch den Hauch Gottes geschaffen, ist daher eine 'feurige' , unkórperliche Substanz.
Die asyndetisch und chiastisch verknüpften Periphrasen kombinieren biblisch und philosophisch geprägte Vorstellungen, wobei die doppelte Bildlichkeit im folgenden fortgeführt wird. Die Partizipien im Nebensatz greifen die Bezeichnungen der Seele in der Weise auf, daB flante deo / conpositus zu oris opus, superoque fluens / de solio patris artificis zu vigor igneolus gehórt (s. dazu auch Thraede, Auferstehung, 71). Oris opus - eine für den Leser des Gedichts nach der Darstellung der
Erschaffung des Menschen in V. 96ff. keineswegs ‘rätselhafte’ Junktur (so Thraede, ebd., 72, A. 8) - geht auf Gen. 2, 7 zurück (s. oben S. 137f. zu Str. 20), vgl. cath.
3, 100 ore animam dedit ex proprio, wo die Mitteilung des Atems an Adam als Gabe der Seele aus dem Mund Gottes beschrieben wird. Oris opus weist also auf die Abstammung vom immateriellen Atem des Schöpfers und damit implizit auf die Unkörperlichkeit der Seele. Die Umschreibung betont aber vor allem die Kreatürlichkeit der Seele: Die Seele ist geschaffen (conpositus, V. 188), ein Werk des Schöpfergottes (opus). Ähnlich ist Prud. c. Symm. 2, 215 die Rede vom halantis animae figmentum; vgl. auch bes. apoth. 863/78, wo die Bezeichnung der Seele als flatus dei erklärt wird durch den Rückgriff auf den Erfahrungsschatz des Menschen, um den Akt der Erschaffung der geistigen Seele durch einen analogen körperlichen Vorgang zu erklären. Die Seele ist opus, factura oris (867f. 870f.), wie der Körper factura manus (V. 870) (weiteres Material dazu bei Torro, 43/51). Daß die Provenienz aus dem göttlichen Mund (vgl. auch fluens) nicht im Sinne des Emanatismus falsch verstanden werden darf, stellt der Dichter explizit apoth.
8202 klar: sed fortasse animam, domini quia fluxit ab ore, / conpositam factamque neges, velut ipsa dei pars, / quod dictu scelus est. Die zweite Periphrase vigor igneolus kennzeichnet die Seele als wesentlich unkórperlich. Prudentius nimmt eine vergilische Junktur in Anspruch, die im Rahmen der eschatologischen Seelenlehre des sechsten Buches der Aeneis das Wesen der anima mundi, der stoischen Weltseele, expliziert, vgl. Verg. Aen. 6, 730 igneus est ollis (sc. cunctis animantibus) vigor et caelestis origo / seminibus. Vigor igneus
steht hier für das πῦρ évepyntixóv, das πνεῦμα νοερὸν καὶ πυρῶδες des
V. 186-190
239
Poseidonius (fr. 101 E. K.) und bezeichnet näherhin die materielle Substanz der schópferischen Lebenskraft (spiritus, mens), die nach stoischer Vorstellung die Welt durchwaltet und belebt und an der auch die menschlichen Einzelseelen teilhaben. Das ist der feurige Äther, das reine Element des Feuers (Verg. Aen. 6, 747; vgl. Norden, Vergilius, 311; Austin, 223). Prudentius nimmt den vergilischen Ausdruck von der feurigen Lebenskraft, der gerade auf die materielle Beschaffenheit der Weltseele und der Seelen zielt, um die immaterielle Seele des Menschen zu
beschreiben, und gibt so der poetischen Junktur ihren eigentlichen Sinn zurück, indem er sie auf die nach christlichem Verständnis wahre Lebensquelle überträgt. Nicht das materielle Feuer des Äthers, sondern das geistige Feuer Gottes leuchtet
in der Seele des Menschen auf. Die antistoische Richtung dieser Vergilnutzung, die Thraede, Auferstehung, 73, hervorhebt, ist richtig, aber sekundär. Der eigentliche
Zweck, die Kennzeichnung der Immaterialität der Seele, bleibt bei Thraede seltsam vage und nebulös formuliert. Es geht nicht nur um eine Anreicherung der biblischen Vorgabe (Thraede, ebd., 72) durch die Momente Kraft und Feuer. In der Unkörperlichkeit liegt für den Dichter die Begründung für die behauptete Unsterblichkeit
der Seele, sie wird darum in immer neuen Aspekten und Varianten vorgeführt: als göttlicher Hauch, als von göttlicher, himmlischer Herkunft, als feuriges und klares Wesen. Auch wenn Thraede die Differenz zur vergilischen Verwendung in der “Individualisierung’ sieht (vigor igneolus also nicht Lebenskraft des Alls, sondern Bewußtsein des Einzelnen, so auch schon Rodriguez, Anthropologia, 93), ist die Deutung unbefriedigend, weil der eigentliche Unterschied eben nicht genannt wird: spirituelle versus materialistische Auffassung der Seele. Auch dient die Ersetzung von igneus durch das neugeformte Deminutiv igneolus nicht der Individualisierung des Konzepts vom Seelenfeuer (Thraede, Auferstehung, 72). Wenn nicht überhaupt in erster Linie das Metrum für die Wahl von igneolus bestimmend ist — das Deminutivum liefert die nötigen Doppelkürzen für den Choriambus am Versschluß (s. oben S. 22) -, so läßt sich eher an einen anderen Grund denken. Vor dem Hinter-
grund der christlichen Lichttheologie scheint Prudentius die singuläre Verkleinerungsform zu setzen, um den Abstand zwischen Gott, dem Feuer (cath. 10, 1), und der Menschenseele, dem ‘Feuerchen’, zwischen dem immateriellen Schöpfer und seinem immateriellen Geschöpf deutlich zu machen: Die Seele ist Gott wesensverwandt, aber nicht wesensgleich (so auch Buchheit, Resurrectio, 274; Lühken, 145; dogmatisch klar formuliert Prud. apoth. 782ff., besonders 820ff.). Sie ist eben nur eine relativ feurige Lebenskraft.
Mit Blick auf die Vergilnutzung enthält vigor igneolus auch eine Allusion auf die himmlische Herkunft der Seele. Vergil expliziert die Natur des igneus vigor durch die caelestis origo. Vom Himmel stammen die ‘Feuerkeime’, die bei der Zeugung der Einzeldinge beteiligt sind (vgl. Norden, Vergilius, 311, mit Hinweis auf die stoische Quelle, Poseidonius aus Zenon bei Sext. Emp. 9, 100f.). Prudentius
entfaltet die himmlische, góttliche Herkunft der Seele in den Versen 187/9 durch die dem eigentlichen Begründungssatz vorgeschalteten, zum Kausalsatz wiederum
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C. Kommentar
im kausalen Verhältnis stehenden Partizipien. Das biblische Konzept der Seele als flatus dei wird dabei durch das Bild der vom Himmel fließenden 'feurigen Kraft’ der Seele poetisch überhóht. Auch hier greift die christliche Umformung im Sinne einer Korrektur der stoischen Lehre. Himmlischer Ursprung der immateriellen Seele ist nicht die kosmische Macht der Allnatur, das welterhaltende Pneuma der Stoi-
ker, sondern der persónliche Schópfergott (deus, pater artifex), der Herrscher auf dem Himmelsthron (supero de solio). Der kunstvolle Bau hebt die wesentlichen Momente
heraus (zur Syntax der Verse auch Thraede, ebd., 71). Die Nennung
Gottes, des Schópfers der Seele, rahmt in den áuBeren Versen (187. 189) die im Innern zusammengestellten Verbalaussagen, die sich in fast paradoxer Weise komplementieren: conpositus superoque fluens. Der Vers vereint die beiden Komponenten, die nach christlicher Lehre das Wesen der menschlichen Seele kennzeichnen: die Kreatürlichkeit (conpositus) und die (von der góttlichen Herkunft herrührende) Immaterialitát (fluens de supero). Die durch Chiasmus und Hyperbaton erzeugte syntaktische Spannung mündet in V. 189 in der Evokation des Vaters auf dem himmlischen Thron. Der Himmel erscheint als vornehme Heimat der menschlichen Seele (vgl. cath. 3, 31 generosa anima) - ein Bild, das wiederum die Folie bildet für die
im letzten Vers klar formulierte Geistnatur der Seele. Die durch die Bildlichkeit überlagerte argumentative Struktur der Strophe tritt in V. 190 deutlich hervor: Weil die Seele aus Gott stammt, verfügt sie über das Wesen des reinen Geistes, und
diese Geistnatur ist Garant ihrer Unsterblichkeit. Die Geistigkeit der Seele wird durch die beinahe pleonastische Ausdrucksweise eingeschärft. Liquidus allein kennzeichnet schon die Unkórperlichkeit. Hier ist es steigernd zu ratio gesetzt, wobei ratio (Synonym zu mens, animus) auf die spirituelle Verfassung zielt und mitnichten
den λόγος oder νοῦς der stoischen Allnatur meint (so Thraede, Auferstehung, 74, der vis rationis mit δύναμις λόγου übersetzt). Der fälschlichen Identifikation von Seele und Vernunft hat Prudentius selbst entgegengewirkt, wenn er zuvor das Bild des Vaters im Himmel heraufbeschwórt. Der prosaische Ausdruck vim rationis habet mit seinem gewollt technischen Anklang unterstreicht den Beweischarakter der Aussage. Durch metaphorisches /iquidae ist allerdings der AnschluB an das Bild von der strómenden Energie des Feuers auch hier gewahrt. Thraede kommt bei seiner Deutung der Verse 186/190 abschlieBend zu dem Urteil, Prudentius verlasse das „Niveau philosophischer Seelenlehre‘“ nicht (Auferstehung, 73). Das Ergebnis des vorliegenden Kommentars stimmt mit dieser Kritik nicht überein. Die Überzeugung von der Unvergünglichkeit der Seele ist zwar nicht biblisch, aber sie ist auch nicht einfach „spiritualisierend überhóhte pagane Seelenlehre", wie Thraede (ebd., 75) behauptet. Die Vorstellung von der Seele, die hier poetisch entfaltet wird, unterscheidet sich in wesentlichen Aspek-
ten von der philosophischen, zumal stoischen Seelenlehre, die Prudentius selbst als Folie evoziert. Die Seele ist immateriell, nicht kórperlich gedacht. Sie ist Kreatur
Gottes, nicht Teil Gottes oder Ausfluß der Allseele. Und — das ist das Entscheidende - die Seele ist deshalb unkórperlich und unsterblich, weil Gott sie so geschaffen
V. 186-190
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hat. Sowohl die Unkórperlichkeit als auch die Unsterblichkeit sind nur insofern als natürlicher Wesenszug der menschlichen Seele anzusehen, als sie Gabe des Schópfergottes und in der Schópfung verankert sind. Denn Unsterblichkeit kommt nach biblischer Lehre wesenhaft nur Gott allein zu, vgl. 1 Tim. 6, 16: qui solus
habet immortalitatem. Wird in Strophe 38 implizit angezeigt, daß die Unsterblichkeit der Seele nur insofern als ‘natürlich’ gelten kann, als sie aus der Gottesgabe
der Geistnatur abgeleitet ist, so macht der Anschluß der nächsten Strophe in V. 191 vollends klar, daß das Fortleben nach dem Tod nicht der Seele per se zukommt, sondern reines Gnadengeschenk Gottes ist (dazu auch unten zu Str. 39; nicht differenzierend und daher irreführend Daley, 157). Vgl. auch die Väteraussagen, z. B. Justin. dial. 5, 1; Aug. epist. 166 (CSEL 44, 548) anima hominis inmortalis est secundum quendam modum suum; non enim omni modo sicut deus, de quo dictum est, qui solus habeat inmortalitatem. Unmittelbar aus dem Geschöpfsein leitet Iren. adv. haer. 2, 34, 2 die Unvergänglichkeit der Seele ab: (BKV 1, 203) „Wie er (Gott) ihnen (den Seelen) in diesen Dingen die Existenz verlieh, so verleiht er ihnen auch hernach die Fortdauer“ (dazu auch Greshake/Kremer, 282f.).
Oris opus: Die Umschreibung geht auf die Erschaffung der Seele durch Gott (Gen. 2, 7), sie betont in besonderer Weise das Geschöpfsein der Seele und ist daher
mehr als eine „Spielart der Rede vom flatus dei‘ (so Thraede, Auferstehung, 72), vgl. Prud. cath. 3, 100 ore animam dedit (sc. deus) ex proprio (dazu oben S. 144f.); apoth. 787f. ipsam (sc. animam) quoque crede creatam. / formata est namque ore dei, quae non erat ante; apoth. 820 sed fortasse animam, domini quia fluxit ab ore, / conpositam factamque neges; apoth. 866/9 sic est plasmata vicissim / flatu
incorporeo res flabilis, oris et esse / fertur opus, tenuis per quod constructa refulsit / forma animae atque rudi factam se munere sensit; ham. 830f. animamque ex ore perenni / formatam. — vigor igneolus: Die feurige Natur der Seele erklärt sich
daraus, daß sie vom Feuer, das Gott selber ist, stammt, vgl. Prud. cath. 3, 31f. lucis et aetheris indigena (dazu oben S. 79-81); cath. 10, 11 halitus fervens; cath. 10, 29 at si generis memor ignis; apoth. 907 deque volutabris pretiosum polluit ignem (sc. anima); ham. 543ff. nec segnis natura animae est aut tarda cavendi / vulneris, ignitum quoniam deus indidit olli / ingenium purum, sapiens, subtile, serenum, / mobile, sollicitum, velox, agitabile, acutum; ham. 907/9 nil intercurrens obtutibus inpedit ignem / pervigilis animae, quamvis denseta graventur/ nubila et opposito nigrescat vellere caelum. Die Verbindung von 'Feuer' und 'klarer Flüssigkeit' zur Kennzeichnung der Immaterialität der Seele findet sich 2. B. auch perist. 10, 438/40 liquidis videndis aptus est animae liquor, / natura fervens sola ferventissimae
/ divinitatis vim coruscantem capit. flante deo: Prud. apoth. 866/9 (oben zitiert s. V. oris opus); apoth. 830/33 illa (sc. anima) quidem flatus domini est, sed spiritus et vis / non est plena dei tanto moderamine missa, / quanto flans voluit flandi servare tenorem; ham. 190/4 viderat (sc. diabolus) argillam simulacrum et structile flatu/ concaluisse dei; ham. 829f. norat enim (sc. pater) flatu ex proprio vegetamen
242
C. Kommentar
inesse / corporibus nostris; psych. 905f. contra ille (sc. animus) sereno / editus
adflatu; vgl. auch cath. 10, 11 halitus fervens; c. Symm. 2, 215 halantis animae (= Gen. epexegeticus) figmentum. Dazu auch Tert. an. 3, 4; adv. Marc. 1, 24; Aug. gen. ad litt. 7, 1. 12; civ. 13, 24 animam deo flante creatam. conpositus: Componere
von der Erschaffung des Menschen, und zwar des Kórpers Prud. cath. 3, 97 (dazu oben S. 142); apoth. 859; 1024; von den Geschópfen im allgemeinen c. Symm. 2, 241; von der Seele noch apoth. 820/2 (oben S. 241 zitiert). In der Sache zu vergleichen ist Prud. c. Symm. 2, 215 halantis animae figmentum. Vgl. auch apoth. 901 dum conditur (sc. anima) olim (unten S. 242 zitiert). fluens: Vgl. Prud. apoth. 820f. Sed fortasse animam, domini quia fluxit ab ore, / conpositum factamque neges; ham. 845f. ac primum facili referuntur ad astra volatu, / unde fluens anima
structum vegetaverat Adam. V gl. auch das Bild von der Quelle Gottes cath. 10, 130 (Animae) cui nobilis ex patre fons est. Das Verb paBt zur Umschreibung vigor igneolus und bereitet liquidae rationis vor. Bei Lukrez steht es beim kórperlich
gedachten Äther, Feuer, vgl. Lucr. 5, 506; 6, 994. — supero ... de solio patris artificis: Die biblische Vorstellung vom Thron Gottes im Himmel z. B. Ps. 11, 4; 18, 10ff.; Jes. 6, 1; Ez. 1f.; 43, 2ff. Prudentius hat sie noch cath. 4, 6; perist. 3, 17;
7,55; 10, 639; it. 98u. 6.
liquidae: Bei Vergil und Ovid im übertragenen Sinn
Prädikat der Luft, des Himmels, des (körperlichen!) Äther, vgl. Verg. ecl. 6, 33; georg. 1, 404; Aen. 6, 202; 7, 65; Ov. met. 1, 23 υ. ὃ. Das Adjektiv verwendet
Prudentius häufig, um die Unkörperlichkeit der Seele zu bezeichnen, vgl. apoth. 901ff. ipsa (sc. anima) quidem sincera fuit, dum conditur olim, / quae conlata rudem fecit vivescere limum, / utpote de liquido naturae semine primos/ accipiens habitus superoque expressa sereno; c. Symm. 2, 187f. (Gott spricht) nec mihi difficile est liquidam circumdare flammis / naturam, quamvis perflabilis illa feratur / more noti: capiam tamen et tormenta adhibebo / ipse incorporeus ac spirituum sator unus. Dem Ausdruck liquidam naturam entspricht hier vim liquidae rationis. Strophe 39
V. 191-195 Viscera mortua quin etiam post obitum reparare datur eque suis iterum tumulis prisca renascitur effigies pulvereo coeunte situ.
Die Verse gestalten die Lehre von der leiblichen Auferstehung. Der Anschluß an die Aussage über die Seele erfolgt durch eine bekräftigende und steigernde Formel: Nicht nur die Unsterblichkeit der Seele, ja sogar die Auferstehung des Fleisches wird den Menschen geschenkt. Der Bezugspunkt der Steigerung ist auf der Ebene der prudentianischen Argumentation zu suchen (anders Lühken, s. u. S. 243). Führt
V. 191-195
243
der Dichter die Unvergünglichkeit der Seele als ein evidentes, kognitiv erfaßbares, weil aus der Schópfungsgabe der Immaterialitiit ableitbares Faktum vor, so muB die Auferstehung des Leibes als ein den menschlichen Verstand übersteigendes Ereignis, als wahrhaftiges Paradoxon gesehen werden. Schon im ersten Satz (V. 191f.) unterstreichen die Wortwahl (viscera, synekdochisch gesetzt für corpora als Ausdruck drastischer Leiblichkeit) und die pleonastische Verstärkung des Todes (mortua, post obitum) das Unerhörte des eschatologischen Geschehens: Das tote Fleisch wird wieder heil gemacht. Der gedankliche Zusammenhang scheint folgender zu sein: Die menschliche Seele ist — wie man aus ihrem Wesen begreifen kann — mit der Gabe der Unsterblichkeit bedacht. Darüber hinaus wird aber sogar der Leib nach dem Tod wieder zum Leben erweckt. Fortleben der Seele und Auferweckung des Fleisches nach dem Tod gehen auf Gottes Gnade zurück. In der Auferstehung der Toten übertrifft aber das Heilshandeln Gottes das menschliche Begriffsvermógen. Vgl. Prud. ham. 656/61, wo die leibliche Auferstehung als herausragende Gabe Gottes, als besonderer Beweis seiner Güte und Liebe zu den Menschen angeführt wird: quis ferat haec iniecta deo convicia, qui se / divinis meminit praecellere nobilitatum / muneribus? multa ut taceam, vel sola benignum / res probat esse deum, vetiti quod amore peremptos / excitat e tumulis homines regnique per aevum / participes iubet esse sui. Nach Lühken, 148, verwendet Prudentius hier — wie an der Paralleistelle c. Symm. 2, 184ff. (unten S. 244 zitiert) — eine „typisch apologetische" Argumentationsfigur: „Die Unsterblichkeit der Seele kann vorausgesetzt werden - an sie glauben auch die Heiden -, doch die Hoffnung der Christen geht noch weiter, denn sie schließt die Erlösung des Leibes ein.‘ Die Einleitung durch quin etiam (cath. 3, 191) bzw. quin (c. Symm. 2, 191) signalisiere „die Überbietung der philosophischen Lehre durch die christliche“ (ebd., A. 107). Das Muster von ‘Anknüpfung und Überbietung’, dessen sich die Apologeten der frühen Kirche zur Darstellung der Auferstehungslehre bedienen (z. B. Justin. apol. 1, 18; Tert. test. an. 4, dazu Greshake/K remer, 187), mag dem christlichen Dichter vor Augen gestanden haben,
liegt aber bei Prudentius formal nicht vor. Es sei denn die Anspielung auf die Anchisesrede in vigor igneolus genügte als Hinweis auf pagane Unsterblichkeits-
vorstellungen (Lühken, 145). Bezugspunkt der durch quin etiam signalisierten
Überbietung ist nicht der Glaube der Heiden und die philosophische Unsterblichkeitslehre, die der Dichter in Str. 38 ja gerade nicht übernimmt, sondern die
biblisch begründete, christliche Seelenlehre. Prudentius lóst den Überbietungsgedanken aus dem apologetischen Kontext und übertrágt ihn vom Erwartungshorizont der Heiden auf das menschliche Vorstellungsvermógen allgemein. In der prudentianischen Darstellung gerät die Auferstehung des Leibes auch nicht zu einer bloBen 'Zusatzhoffnung' über die Unsterblichkeitshoffnung hinaus (Greshake/ Kremer, 187, zu den frühen Apologeten allgemein). Beide Tatsachen, Unsterblichkeit der Seele und Auferstehung des Fleisches, sind durch Gottes Gnadenhandeln
vereint. In der Annahme der Wahrheit durch die Glüubigen kommt allerdings dem
244
C. Kommentar
Fortleben der Seele die größere Evidenz zu, die resurrectio carnis ist das unerhörte Novum, das unfaßbare Geheimnis. Auch an der Parallelstelle Prud. c. Symm. 2, 184ff. werden Unsterblichkeit der Seele und Auferstehung des Leibes nicht vor heidnisch-philosophischem Hintergrund erklürt, sondern aus der Lohn- und Strafgerechtigkeit heraus, die beim eschatologischen Gericht angewendet wird, vgl. ‘non occidet', inquit (sc. deus), / ‘interior qui spirat homo, luet ille perenne / supplicium, quod subiectos male rexerit artus, / nec mihi difficile est liquidam circumdare flammis / naturam, quamvis perflabilis illa feratur / more noti: capiam tamen et tormenta adhibebo / ipse incorporeus ac spirituum sator unus. / quin et corporibus parilis consortia poenae / decernam, possum quoniam renovare favillas / antiquam in faciem, nec disperanda potestas: / qui potui formare novum, reparabo peremptum'. Sowohl das Weiterleben der Seele als auch die Auferweckung des
Fleisches gründen in der Vorsehung und in der Allmacht des góttlichen Richters. Gott gibt ewiges Leben, um dem Menschen ewige Strafe oder ewige Belohnung gewähren zu können (vgl. 2, 207/11). Quin et markiert hier die Steigerung des machtvollen Handelns Gottes in der resurrectio carnis. Aufgrund der Wesensver-
wandtschaft von Seele und Gott wird die Bestrafung der immateriellen Seele durch den immateriellen Gott móglich (V. 187/190). Im Schicksal des Fleisches aber
zeigt sich die größere Macht Gottes: in der leiblichen Auferweckung, die Vorbedingung des Gerichts ist. Der zweite Teil der Strophe (V. 193/5) entfaltet und präzisiert (que hat explikative Funktion) die dogmatische Aussage durch eine anschauliche Beschreibung des Auferstehungsvorgangs (Vorbild im weiteren Sinn ist Ez. 37). Die Leiber erstehen aus ihren Grübern und erhalten ihre alte Gestalt zurück. Die Schilderung gipfelt in einem drastisch-kühnen Bild der Erneuerung des toten Körpers (V. 195): Der
Verwesungszustand wird vollstündig aufgehoben, und die Gebeine, die zu moderndem Staub zerfallen sind, kommen wieder zu der alten Form zusammen. Ziel der plastischen Darstellung ist es, einzuprügen, daB der Leib in seiner ganzen, ursprünglichen Gestalt wiederhergestellt wird (vgl. reparare, iterum, prisca, renascitur, coeunte). Der Auferstehungsleib und der irdische Leib sind ein- und derselbe (vgl.
dazu Buchheit, Resurrectio, 261). Gegen die theologischen Vorbehalte, die Thraede zu diesen Versen vorbringt (Auferstehung, 75f.), hat sich überzeugend Buchheit gewandt (Resurrectio, passim, bes. 264ff.). Thraedes Vorwurf lautet, Prudentius beziehe die Restitutio ad integrum nur auf einen Teil des Menschen, habe mit seiner Konzentration der Auferstehung auf den Leib nur eine Teil-Wiederherstellung im Blick und verleugne daher die biblische Vorstellung von der Auferstehung des ganzen Menschen. Die Betonung der absoluten Identität des Auferstehungsleibes mit dem irdischen Leib bei Prudentius (die wohl bei Thraede Anstoß erregt), ist
allerdings — wie Buchheit zeigt — vor einem dogmengeschichtlichen Hintergrund zu sehen, námlich der antignostischen bzw. antiorigenistischen Auseinandersetzung
des dritten und vierten Jabrhunderts. Gegen die spiritualistische Umdeutung der Auferstehung des Fleisches durch die Gnosis, die die leibliche Auferstehung über-
V. 191-195
245
haupt in Zweifel zieht, und durch Origenes betonen Irenáus und Tertullian (gegen die Gnosis) und Methodius und Hieronymus (gegen Origenes) die fleischliche Dimension der Auferstehung (vgl. die Zeugnisse bei Buchheit, Resurrectio, 264/7). Sie legen den Nachdruck auf die Erlósung auch des Fleisches sowie der ganzen Schöpfung und pointieren daher die vollständige Wiederherstellung der körperlichen Gestalt, zeitlich vor der Verwandlung und Gleichgestaltung des Leibes mit dem Auferstehungsleib Christi (nach Phil. 3, 21). (Aligemein dazu Daley, s. Index; Spezialliteratur z. B. Crouzel, H., Les critiques adressées par Méthode et ses contemporains à la doctrine origénienne du corps ressuscité. Gregorianum 53 (1972), 179ff.; Duval, Y.-M., Tertullien contre Origene sur la résurrection de la
chair dans le Contra Iohannem Hieros. 23-26 de saint Jéróme. RevÉtAug. 17 (1971), 227/278; Siniscalco, P., Ricerche sul ‘de resurrectione' di Tertulliano. Rom 1966; Daniélou, J., La résurrection des corps chez Grégoire de Nysse. VigChr. 7 (1953), 154/70; Marrou, H. J./Bonnadiere, A. M., Le dogme de la résurrection des corps selon S. Augustin. RevÉtAug. 12 (1966), 111/36). Vgl. dazu Tert. resurr. 58/62 mit der zusammenfassenden Folgerung resurr. 63 (CCL 2, 1011) Resurget igitur caro, et quidem omnis, et quidem ipsa, et quidem integra; Aug. civ. 22, 20. Rufin. symb. 39/45 bildet „eine Art Summe der Lehre von der leiblichen Auferstehung“ (Buchheit, Resurrectio, 278), vgl. bes. 40f. Augustinus begründet die Pflicht zur Bestattung
eines Christen damit, daß dem toten Körper die vollständige Wiederherstellung verheißen ist, vgl. Aug. cur. mort. 4 (CSEL 41, 627) quanto minus debent de corporibus insepultis insultare christianis, quibus et ipsius carnis membrorumque omnium reformatio non solum ex terra, verum etiam ex aliorum elementorum secretissimo sinu, quo dilapsa cadavera recesserunt, in temporis puncto reddenda
et redintegranda promittitur. Der antignostischen, antiorigenistischen Tradition folgt Prudentius in seiner Darstellung der leiblichen Auferstehung, die an anderen Textstellen noch detaillierter ausgeführt und auf die Lehre von der Rückgabe der ganzen
ursprünglichen Leibesform zugespitzt wird, z. B. cath. 9, 100/2; cath. 10, 37/44; 120/4; 136ff.; apoth. 1065/70; c. Symm. 2, 184ff. (vgl. auch die Zusammenstel-
lung bei Buchheit, Resurrectio, 261/3). Besonders apoth. 1063/8; 71/9 betont der Dichter explizit und unwiderruflich Totalität, Identität und Unversehrtheit des Auferstehungsleibes und deutet doch zugleich die Verwandlung des irdischen Leibes an (Buchheit, Resurrectio, 263; die Verse 1069f. sind interpoliert [Gnilka, Prud. I, 645/7]), vgl. veniam, quibus ille revenit, / calcata de morte viis - quod credimus, hoc est — 7 et totus veniam; nec enim minor aut alius, quam / nunc sum, restituar: vultus, vigor et color idem, / qui modo vivit, erit, nec me vel dente vel ungue / fraudatum revomet patefacti fossa sepulcri. / quod casus rapuit, quod morbus, quod dolor hausit, / quod truncavit edax senium populante veterno, / omne revertenti reparata in membra redibit. / debet enim mors victa fidem, ne fraude sepulcri / reddat curtum aliquid, quamvis iam curta vorarit / corpora; debilitas tamen et violentia morbi / virtus mortis erat; reddet, quod particulatim / sorbuerat quocumque modo, ne mortuus omnis / non redeat, si quid pleno de corpore desit.
246
C. Kommentar
Das Spezifische der Darstellung im dritten Tageslied ist, daB der Dichter die leibliche Auferstehung in einen bestimmten, schópfungstheologischen Kontext stellt. Wie die Bezeichnung der Seele als oris opus (V. 186) auf den paradiesischen
Schópfungsakt und die daraus resultierende Geschópflichkeit der Seele zurückweist, so assoziiert der Ausdruck effigies (V. 194) die Erschaffung der menschlichen Gestalt nach Gottes Ebenbild, wie sie im Hymnus zuvor besungen wird: vgl. cath. 3, 96/8 Nos igitur tua, sancte, manus / caespite conposuit madido / effigiem meditata suam. Die Beschreibung der Auferstehung aus dem modernden Staub (V. 195)
scheint fast spiegelbildlich die Darstellung der Erschaffung des Menschen aus dem Lehm (V. 97) aufzunehmen, vgl. pulvereo coeunte situ — caespite conposuit madido. Die Setzung von pulvereo situ läßt die Auferstehung des Fleisches letztlich als zum Schópfungsvorgang analoges Ereignis hervortreten. Biblisches Vorbild dieser und ähnlicher Darstellungen, bei Prudentius bes. cath. 9, 100/2, ist Ez. 37, 1/14,
die Vision einer Wiederbelebung der Totengebeine durch den Geist Jahwes. Auch hier wird die Totenerweckung in enger Anlehnung an die Erschaffung des Menschen in Gen 2, 7 dargestellt. Prisca effigies konnotiert also, daB bei der Auferstehung der schóne und unversehrte Kórper, den Gott geschaffen hat, wiederhergestellt wird. Damit deutet der Dichter zugleich eine Begründung an für den in der Auferstehung sichtbar werdenden Heilswillen Gottes: Leib wie Seele des Menschen sind Gottes Geschópfe und werden deshalb von ihm gerettet und heil gemacht werden. Einen ühnlichen Zusammenhang legt Prudentius cath. 10, 133/6 dar. Der Dichter apostrophiert die Erde und fordert, den toten Kórper wie ein Depositum zu bewahren. Denn Gott vergißt sein Geschópf nicht und wird den Leib dereinst von der
Erde, die ihn birgt, zurückverlangen. Klar betont Prudentius hier die Ebenbildlichkeit des Menschen mit Gott: Tu depositum tege corpus, / non inmemor ille requiret / sua munera fictor et auctor / propriique enigmata vultus. Im Loblied cath. 3, wo
das Seele und Leib umfassende Heilshandeln Gottes im Vordergrund steht, muß diese Kostbarkeit des Ebenbildes Gottes ebenfalls mitgedacht werden.
Viscera: Thraedes Auskunft, Auferstehung, 76, „Schon 'viscera' für ‘corpus’ scheint singulär“, ist nicht zuzustimmen, vgl. z. B. Prud. cath. 10, 31 vehit hospita viscera
secum (sc. anima) / pariterque reportat ad astra; psych. 904f. viscera limo / effigiata premunt animum. reparare: gehört wie renascitur zu den Ausdrücken, die die völlige Wiederherstellung des Leibes besagen. Gemeint ist aber nicht nur die Rückkehr zur Ursprungsform, sondern auch eine Verwandlung, die erst recht Unversehrtheit bedingt, die Veredelung des Auferstehungsleibes durch den Herrn nach Phil. 3, 20f. (Vulg.) Salvatorem expectamus Dominum nostrum Jesum Christum, qui reformabit corpus humilitatis nostrae, configuratum corpori claritatis suae. Vgl. dazu Aug. civ. 22, 21; Prud. cath. 10, 93ff.: Der wiederhergestellte Leib ist nicht mehr seinem alten Gesetz der Vergünglichkeit und Verweslichkeit unterworfen (zum Ganzen Buchheit, Resurrectio, 262). Das muB bei der reichen Begrifflichkeit der resurrectio carnis mitgedacht werden, vgl. cath. 10, 20 quo perdita membra
V. 191-195 resurgant, cath.
10, 120 mors haec reparatio vitae est, cath.
247 10, 149f. Sed dum
resolubile corpus / revocas, deus, atque reformas; c. Symm 2, 192ff. possum quoniam renovare favillas / antiquam in faciem ... qui potui formare novum, reparabo peremptum; apoth. 1043ff.; bes. 1071ff. (oben S. 245 zitiert); 1066 restituar, 1073 omne revertenti reparata in membra redibit. Zur restitutio ad integrum vgl. auch Tert. apol. 48, 1ff. Reparare auch Tert. resurr. 57, 2 Si enim caro de dissolutione reparabitur, Min. Fel. 34, 9 (Beaujeu, 59) sicut de nihilo nasci licuit, ita de nihilo licere reparari?; Ambr. exc. fratr. 2, 59. 68. 85; hex. 5, 23, 79; Paul.
carm. 31, 243f. (CSEL 30, 316) sed quaerunt quonam reparetur mortuus omnis / corpore quove modo fiat homo ex cinere; carm. 31, 259/62 (ebd.) quod si terra potest corruptum reddere semen, / quod tamen aeterni lege facit domini, / difficile omnipotentis opus fore creditur, ut nos / ex nihilo factos ex aliquo reparet?; Ruf. expos. symb. 40f.; Aug. serm. 127, 14; civ. 22, 20 (D/K. II, 601) Reddetur ergo caro illa homini, in quo esse caro humana primitus coepit ... Quamvis etsi omnibus perisset modis nec ulla eius materies in ullis naturae latebris remansisset, unde vellet, eam repararet Omnipotens; PsAug. serm. 236, 5; Drac. laud. dei 3, 689ff. (weitere Beispiele Buchheit, Resurrectio, 269f.). — eque suis iterum tumulis:
Prud. cath. 9, 99 (Tunc patres sanctique multi) carnis indumenta sumunt eque bustis prodeunt. prisca effigies: Vgl. Prud. c. Symm. 2, 192f. possum (sc. deus) ... renovare favillas / antiquam in faciem; cath. 10, 39f. animataque sanguine vivo / habitacula pristina gestet (sc. calor); 10, 139f. reddas (sc. terra) patefacta necesse est, / qualem tibi trado figuram; c. Symm. 2, 207f. (unten S. 247 zitiert). Vgl. z. B. auch Paul. Nol. carm 31, 201ff. (Buchheit, Resurrectio, 280, A. 64). Im Zusammenhang mit dem Schópfungsvorgang steht effigies für die kórperliche Gestalt auch Prud. apoth. 865f. ut per corpoream speciem plasmasse feratur/ corporis effigiem. Das Verb effigiare bezeichnet vielfach die schöpferische Tätigkeit des göttlichen Demiurgen, der den Menschen (cath. 10, 4), den menschlichen Leib (ham. 118; psych. 905), die menschliche Seele (apoth. 807) nach seinem Bild gestaltet. pulvereo coeunte situ: Zum Ausdruck Prud. perist. 10, 1117 fuligo fuscat, pulvis obducit situ (sc. chartulas), Cypr. Gall. Lev. 276 saxa arae ... cohaerent coeunte situ; vgl. auch cath. 1, 43 tenebrarum situs, *Moder der Dunkelheit’. Ausführlichere
Darstellungen der Wiederbelebung des verwesten Kórpers s. Prud. cath. 9, 100/2 Cerneres coire membra de favillis aridis, / frigidum venis resumptis pulverem tepescere, / ossa, nervos et medullas glutino cutis tegi; cath. 10, 41/4 Quae pigra cadavera pridem / tumulis putrefacta iacebant, / volucres rapientur in auras / animas comitata priores, c. Symm. 2, 207f. idque ipsum quandoque homini facturus (sc. deus), inani / surgat ut ex cinere structuraque pristina constet. Die Verwesung
als Überführung in einen Zustand von Staub und Asche beschreibt cath. 10, 141/8. Vgl. auch Drac. laud. dei 3, 689ff. arida qui reparas antiquis mortibus ossa; Rufin. expos. symb. 40f.; Ambr. exc. fratr. 2, 69; Venant. Fort. carm 9, 2, 66 surgat et ex proprio pulvere rursus homo. Biblische Grundlage der Beschreibungen ist Ez. 37,
die Metapher von der Auferweckung der 'ausgetrockneten Gebeine' Israels (Ez.
248
C. Kommentar
37, 2. 4. 11), bes. 7f.: ‘Da sprach ich als Prophet, wie mir befohlen war; und noch
während ich redete, hörte ich auf einmal ein Geräusch: Die Gebeine rückten zusammen, Bein an Bein. Und als ich hinsah, waren plötzlich Sehnen auf ihnen, und
Fleisch umgab sie, und Haut überzog sie. Aber es war noch kein Geist in ihnen.’ renascitur: Im Sinne der resurrectio carnis bei Prudentius nur hier (Buchheit, Resurrectio, 270). Sonst aber z. B. Min. Fel. 11, 2; Lact. Phoen. 63; Ambr. exc.
fratr. 2, 56. 64. 69; Drac. laud. dei 1, 683f. Strophe 40
V. 196-200 Credo equidem — neque vana fides — corpora vivere more animae; nam modo corporeum memini de Flegetonte gradu facili ad superos remeasse deum. Prudentius formuliert ein persónliches Bekenntnis zum Auferstehungsglauben (V. 196f.) und nennt den Grund für seinen Glauben: Gott selbst ist leibhaftig von den Toten auferstanden (V. 198/200). Auf dogmatischer Ebene liefert die Strophe die Summe der vorangegangenen Ausführungen und ergänzt sie durch weitere Glaubenstatsachen. Die über die bloße Rückgabe hinausgehende Verwandlung und Verklärung des Auferstehungsleibes in Konfiguration mit dem auferstandenen Christi, die neutestamentliche Texte lehren (1 Kor. 15, 35/58; Phil. 3, 21) und die
Thraede in Str. 39 vermißt (Auferstehung, 75f.), findet sich hier vielleicht ange-
deutet, wenn es heißt corpora vivere more animae. Faßt man more in seiner vollen Bedeutung ‘nach Art von’, ‘in der Beschaffenheit von’, kann das paulinische corpus spiritale mitgedacht sein. Der Leib lebt, und zwar in derselben neuen, spirituellen Qualität, die die Seele auszeichnet (s. auch Buchheit, Resurrectio, 264). Zudem nennt das Credo die christologische Grundlage des christlichen Auferstehungsglaubens: die leibhaftige Rückkehr Christi aus dem Tartarus (vgl. Apg. 2, 24. 31; dazu die Bekenntnisformeln wie Róm.
4, 24; 8, 11; 10,9;
1 Kor. 6, 14; 2 Kor.
4, 14; dazu Prud. cath. 1, 65/8). Christi Auferstehung ist Garant für die leibliche
Auferstehung der Toten (Joh. 11, 25f.; Apg. 26, 23; Róm. 6, 1/4; 1 Kor. 15, 20/2; 1 Thess. 4, 14; Kol. 1, 18; Apk. 1, 5; 1 Clem 24; Greg. Nyss. or. catech. 25, 2; bei
Prudentius auch cath. 10, 157ff.; apoth. 1046ff.; 1062f.; 1080/2; perist. 10, 601ff., bes. 636/40). Ein besonderes Gewicht erhält die Darstellung dadurch, daß der Dichter in auf-
fálliger Weise klassische Vorlagen aufnimmt und umorientiert, so daß die christliche Lehre in Kontrast gesetzt wird zu eschatologischen Vorstellungen der paganen Antike. Die Übernahme eines ganzen Verses aus Vergil, Verg. Aen. 4, 12 in Vers 196, wirkt eingangs wie ein Signal, das zum Vergleich mit heidnischer Auffassung ge-
V. 196-200
249
radezu herausfordert und den Blick schärft für weitere Anspielungen und subtile Kontrastierung, nicht nur mit der Katabasis Aeneae Vergils (V. 199f.) (Lühken, 149; Thraede, Auferstehung, 77), sondern auch mit Ovid (V. 197f.). Denn schon im
nächsten Vers klingt ganz fein, aber durchaus hörbar, die pythagoreische Seelenlehre an, wie sie Ovid met. 15, 153/64 in popularphilosophischer Brechung vorstellt. Pythagoras erklärt dort die Furcht der Menschen vor dem Tod und dem Grauen der Unterwelt für sinnlos (Bómer z. St., 299/302). Denn der Leib geht unter und
leidet nicht mehr. Und die Seele stirbt nicht, sondern lebt in wechselnden Gestalten weiter ein Wanderleben, vgl. Ov. met. 15, 158f. morte carent animae semperque priore relicta / sede novis domibus vivunt habitantque receptae. Als Beleg für diese Lehre dient Pythagoras die Erinnerung an die eigene frühere Existenz als Krieger Euphorbus im trojanischen Krieg, V. 160/4 ipse ego (nam memini) Troiani tempore belli / Panthoides Euphorbus eram, cui pectore quondam/ haesit in adverso gravis hasta minoris Atridae. / cognovi clipeum, laevae gestamina nostrae, / nuper Abanteis templo lunonis in Argis (Diese Geschichte einer speziellen ἐνσωμάτωσις auch bei Heracl. Pont. frg. 89 Wehrli; Kall. frg. 191, 5ff. Pfeiffer; vgl. auch Hor. carm. 1, 28, 9ff.; Hyg. fab. 112, 3; Tert. an. 31, 4 [CCL 2, 828f.]). Der vom ovidischen Pythagoras verkündeten Lehre vom Vergehen des Kórpers und von der Unsterblichkeit der Seele (als deren frühester Vertreter Pythagoras gilt, Cic. Tusc. 1, 38; Plut. mor. 899c) setzt Prudentius den christlichen Glauben entgegen: Der Kórper lebt wie die Seele. Die Aussage corpora vivere more animae nimmt ovidisches morte carent animae auf. Die Anspielung erfolgt mittels Paronomasie (morte / more) und Rhythmus (betonte Stellung von animae am Versende bzw. vor der Zäsur) und wird vor allem durch den thematischen Kontrastbezug gestützt. Auch
die schópferische Nutzung des folgenden memini (met. 15, 160) unterstreicht die absichtsvolle Kontrastierung zur Seelenwanderungslehre. Pythagoras verweist auf die Geschichte seiner eigenen Seele, um die Realität des Vorgangs der Seelenwanderung zu untermauern. Das Spiel mit dem historischen Beleg in Form der Erinnerung (memini wird in met. 15, 163 objektiviert durch das Erkennen des früheren
Schildes), von Ovid nicht ohne Augenzwinkern durchgeführt, greift Prudentius
auf und verleiht ihm tiefere Bedeutung. Die mittelbare, nicht persónliche Erinnerung verbürgt die Wirklichkeit des historischen Geschehens. Aus der Unterwelt — die es für den Christen realiter gibt (vgl. dagegen Ov. met. 15, 153/5) - ist Gott selbst in leiblicher Gestalt zurückgekehrt. Die Zeitangabe modo in V. 198 (zu remeasse zu ziehen, nicht zu memini [s. u. S. 252]) - ihr entspricht bei Ovid Troiani tempore belli (met. 15, 160) — rückt das Auferstehungsgeschehen in die jüngste Vergangenheit und betont die Authentizität der Erinnerung. Dadurch aber, daß Prudentius
den góttlichen Machterweis im Sieg über den Tod an die Stelle des ovidischen Belegs durch das fragwürdige, individuelle Schicksal einer Seele rückt, bringt er die Überlegenheit des christlichen Auferstehungsglaubens klar zum Ausdruck.
Doch noch einmal zurück zum ersten Vers der Strophe. Dessen Signalfunktion, die Lühken (nach anderen, 149) richtig konstatiert, beschränkt sich nicht auf den
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C. Kommentar
Vergilbezug. Der Vers credo equidem — neque vana fides — evoziert nicht nur Vergil, sondern auch Paulus, der 1 Kor. 15, 14. 16f. in ähnlichem Wortlaut den Glauben an die Auferstehung der Toten an die Auferstehung Christi bindet und somit die Auferstehung des Herrn zum Urgrund des Glaubens und des Heils erklärt, vgl. 1 Kor. 15, 14 (Vulg.) Si autem Christus non resurrexit, inanis est ergo praedicatio nostra, inanis est et fides vestra; ebd. 15, 16f. Nam si mortui non resurgunt, neque Christus resurrexit. Quod si Christus non resurrexit, vana est fides vestra, adhuc enim estis in peccatis vestris. Die Beteuerung der Dido (Verg. Aen. 4, 12) credo equidem, nec vana fides, genus esse deorum muBte Prudentius geeignet erscheinen, in einem persónlichen Credo die paulinische Aussage ins Positive zu wenden und so schon im ersten Vers der Strophe die nachfolgende Begründung für den Auferstehungsglauben anklingen zu lassen. Auch formal bereitet der Einschub neque vana fides den folgenden Kausalsatz vor und unterstreicht durch Spannungssteigerung das Gewicht des Glaubensunterpfands. Die Bekrüftigung des
Glaubens in bezug auf die Auferstehung ist also biblisch, vgl. z. B. auch 1 Thess. 4, 14 Si enim credimus quod Jesus mortuus est, et resurrexit: ita et Deus eos, qui dormierunt per Jesum, adducet cum eo. Bei Prudentius auch apoth. 1063/5: veniam,
quibus ille revenit / calcata de morte viis — quod credimus, hoc est — / et totus veniam; apoth. 1080f. pellite corde metum, mea membra, et credite vosmet / cum
Christo reditura deo; perist. 10, 636/40 Hinc nos et ipsum non perire credimus / corpus, sepulcro quod vorandum traditur, / quia Christus in se mortuum corpus cruci / secum excitatum vexit ad solium patris / viamque cunctis ad resurgendum dedit. Die Form des Glaubensbekenntnisses ist zudem theologisch begründet, denn die Auferstehungshoffnung ist ein zentraler Punkt des christlichen Glaubens, vgl. etwa Tert. resurr. 1, 1 (CCL 2, 921) Fiducia Christianorum resurrectio mortuorum. Illam credentes sumus. Die Anwendung von Verg. Aen. 4, 12 auf den Auferstehungsglauben findet sich auch ‘Versus ad gratiam domini" 54 (CSEL 16, 612). Die im Vergleich zur Ovid-Nutzung auffälligere Chrésis ist die von Verg. Aen. 6, 125/9. Die Katabasis des Aeneas benutzt Prudentius in V. 198/200 als Kontrastfolie, um die Botschaft von Tod und Auferstehung Jesu zu verdeutlichen (Verweise notiert von Lühken, 149, A. 109). Die Darstellung des Prudentius assoziiert durch wörtliche Anklänge die Warnung der Sibylle vor dem Abstieg in die Unterwelt, vgl. 'sate sanguine divum, / Tros Anchisiade, facilis descensus Averno: / noctes atque dies patet atri ianua Ditis; / sed revocare gradum superasque evadere ad auras, / hoc opus, hic labor est’. Der Abstieg in das Totenreich - so die Sibylle - sei leicht, die Rückkehr aber mühsam und schwer. Nur wenigen, und zwar Söhnen
von Göttern, sei von Jupiter der Aufstieg gewährt worden (V. 129/31). In der Junktur facili gradu nimmt Prudentius die Behauptung der Sibylle auf und korrigiert sie zugleich. Das Ereignis der Auferstehung Jesu hat den Christen gezeigt, daB diese Regel für den Sohn des wahren Gottes nicht gilt: Für ihn ist nicht nur der Abstieg zu den Toten, sondern auch der Wiederaufstieg leicht gewesen.
V. 196-200
251
Christus hat die Macht des Todes gebrochen, die Pforten der Unterwelt auch in umgekehrter Richtung geóffnet, wie Prudentius im Christushymnus ausführt, ebenfalls mit Bezug auf Vergil (dazu Lühken, 150), vgl. cath. 9, 70/5 Quin et ipsum, ne
salutis inferi expertes forent, / tartarum benignus intrat, fracta cedit ianua, / vectibus cadit revulsis cardo dissolubilis. / Illa prompta ad inruentes, ad revertentes tenax / obice extrorsum reculso porta reddit mortuos, / lege versa et limen atrum iam recalcandum patet. V gl. auch cath. 1, 69f.: Die Rückkehr Christi aus der Unterwelt
zur Zeit des Hahnenschreis hebt diese Stunde: Tunc mortis oppressus vigor, / tunc lex subacta est tartari. An unserer Stelle unterstreicht die oxymoronartige, durch weites Hyperbaton zu größter Spannung gesteigerte Verbindung corporeum — deum die theologische Bedeutung der Katabasis Jesu, die vor dem Hintergrund der Antithese zu Vergil in besonderer Schürfe hervortritt. Christus ist nicht bloB ein auf die Protektion des hóchsten Gottes bauender Góttersohn à la Hercules und Theseus
und Aeneas, die für sich allein als Lebende die Überwindung der Gesetze des Tartarus erlangten. Gott selbst ist es, der die Gestalt des Menschen angenommen hat, um diesen Leib in den Tod hinab und wieder hinauf zu führen und so den Menschen endgültig mit Leib und Seele vor dem Untergang zu retten. Die christologische Relevanz des Auferstehungsglaubens steht in der paradoxen Junktur corporeum
deum deutlich vor Augen. Corporeus deus deutet auf das Geheimnis der Menschwerdung Christi (vgl. cath. 9, 93 recepto forma mortalis deo und oben S. 195 zu cath. 3, 141) und das Heilswerk Gottes, das in der Auferstehung der Toten zur Voll-
endung geführt wird (s. auch Prud. apoth. 1080/2; cath. 11, 45/8 mortale corpus induit, / ut excitato corpore / mortis catenam frangeret / hominemque portaret patri). Daß diese nicht mit der bloßen Rückkehr unter die ‘Lebenden’ (so Thraede, Auferstehung, 77) erreicht ist, gibt Buchheit bei der Deutung von Vers 200 zu bedenken. Ad superos besagt für Buchheit nicht nur — wie Aen. 6, 128 superasque ad auras — den Aufstieg zur Erde, sondern auch und vor allem zum Himmel (Buchheit, Resurrectio, 284f., A. 137 mit dem nicht ganz überzeugenden Hinweis auf die Parallele Paul. Nol. carm. 31, 395/400 (CSEL 30, 321], wo allein die Himmelfahrt beschrieben wird, vgl. nos exempla patrum simul et praeconia vatum, / nos liber historiae firmet apostolicae, / in qua corporeum remeare sidera ad Christum / cernimus et gremio nubis in astrg vehi / et talem e caelis reducem sperare
iubemur, / caelos ad qualem vidimus ire patri; so auch Evenepoel, liber Cathemerinon, 73; Torro, 90; Lühken 149, A. 109). Jesu Erhóhung (Phil. 2, 9/11; ] Tim. 3, 16; Hebr. 1, 3) wird schon früh mit der Auferstehung kombiniert, vgl.
Róm. 1, 4; 8, 34; 10, 9; Eph. 1, 20; 1 Petr. 3, 21f. Die Verknüpfung von Auferstehung und Himmelfahrt ist dann selbstverstándlich in der Frühpatristik (Colpe u. a., 449). Zur Betonung der Leiblichkeit des auffahrenden Herrn vgl. auch etwa Tert.
carn. 24, 3; resurr. 51 (CCL 2, 916; 993/5), vgl. auch Orig. in Joh. comm. 6, 56 (der Leib als vehiculum des ankommenden Königs der Herrlichkeit). An unserer Stelle aber spricht der Sprachgebrauch des Dichters gegen die Deutung auf die Himmelfahrt. Ad superos bzw. superis steht sonst bei Prudentius ohne zwingenden Bezug
252
C. Kommentar
zum Himmel für die ‘Oberwelt der Lebenden’ (s. die Beispiele unten s. v., bes.
Prud. cath. 5, 127f.). Wenn die Himmelfahrt in ad superos mitgedacht werden muß, dann liegt ein singulärer Gebrauch der Junktur vor. Die Frage, wer genau mit den *Himmlischen' im Plural gemeint ist — vielleicht Gott und die Engelwelt -, wirft zudem ein Problem auf. Streng genommen dürfte nämlich die Assoziation mit der heidnischen Gótterwelt den Ausdruck für die christliche Nutzung ungeeignet erscheinen lassen. Die Himmelfahrt findet sich deutlich erst in der folgenden Strophe beschrieben, vgl. V. 205 ignea Christus ad astra vocat (sc. mea membra). Angedeutet wird hier auch die Verwandlung und Verklürung des Leibes nach der Auferstehung, die Neugestaltung des Menschen nach dem Bild des neuen himmlischen, pneumatischen Menschen im Sinne von 1 Kor. 15, 35ff.; Phil. 3, 21.
modo: Guillén/Rodríguez, 47, haben modo mit memini zusammengestellt und innerhalb des Werkes auf cath.
1, 65/8 zurückbezogen.
Mit Bezug auf memini auch
Thomson, 31, „For now I bethink me“. Thraede, Auferstehung, 76, dagegen nimmt modo zu remeasse: ,,Denn gerade leibhaftig ist Gott, ich erinnere mich ... aus der Todeswelt wieder heraufgekommen“. de Flegetonte: Verg. Aen. 6, 265; 551 u. ö.; Stat. Theb. 4, 523; Hil. hymn. 2, 20 (Lühken, 149, A. 110). Bei Prudentius sonst nur noch adjektivisch, vgl. ham. 827 Flegetonteo sub gurgite; c. Symm. 1, 381 Flegetontia victima. Die äußerst gesuchte metonymische Bezeichnung der Unterwelt durch den Phlegeton, den Feuerstrom, variiert kunstvoll die Namen für die Unterwelt an den einschlügigen Stellen bei Ovid (met. 15, 154 Styga) und Vergil (Aen. 6, 126 Averno) und verstürkt so den Kontrastbezug. ad superos: Ad superos noch Prud. cath. 5, 127f. (von der Osternacht) illa nocte, sacer qua rediit deus / stagnis ad superos ex Acherunticis. Superi mit der Bedeutung 'die Erde, die Lebenden' auch Prud. apoth. 747ff. (Frage an den einst auferweckten Lazarus) quae tam vicina Charybdis / regna tenebrarum tenui distantia fine / coniungit superis; c. Symm. 1, 362; unbestimmt wie hier apoth. 1058f. illa dei virtus memorabilis est, ut/ occisus redeat superis surgatque sepultus. Sonst nur noch von den heidnischen Góttern, vgl. c. Symm. 1, 309 Est qui conspicuis superos quaesivit in astris. Vgl. Arator act. 1, 171f. (CSEL 72, 21), der die Vergilstelle auf die Auferweckung der Toten anwendet, die Christus, der Sieger über den Tod, bewirkt: Cum defleta etiam perfunctaque corpora luci / Redderet et superas iterum concederet auras (Courcelle, enfers, 14f.).
remeasse: Lühken,
149, A. 111, verweist auf Verg. Aen. 6, 425, wo die Styx als inremeabilis unda bezeichnet wird. Möglich ist aber auch die Nutzung von Sen. Herc. f. 547/9 Qua spe praecipites actus ad inferos, / audax ire vias inremeabiles, / vidisti Siculae regna Proserpinae? Die Schwierigkeit des Weges zurück aus dem Tartarus steht für die Unwiderruflichkeit des Todesschicksals, vgl. 558f. 566/8 Evincas utinam iura ferae Stygis / Parcarumque colos non revocabiles ... fatum rumpe manu, tristibus inferis / prospectus pateat lucis et invius / limes det faciles ad superos
vias. Vgl. dazu Prud. apoth. 1049f. e tumulo cum iam remeabilis adstat, / cerno
V. 201-205
253
deum (hier im aktiven Sinn, aber mit offensichtlich korrigierendem Bezug gesetzt). Remeare auch Paul. Nol. carm. 31, 397 (oben S. 251 zitiert). Strophe 41 V. 201-205 Spes eadem mea membra manet, quae redolentia funereo iussa quiescere sarcofago dux parili redivivus humo ignea Christus ad astra vocat. Die Auferstehungshoffnung, die sich mit der Rückkehr Jesu aus dem Totenreich für den Dichter ganz persónlich verbindet, drückt die letzte Strophe aus. Eben diese Rückkehr aus dem Tartarus erhofft sich auch Prudentius nach dem Tod für seinen Leib (V. 201). Die Alliteration des weichen m-Lauts unterstreicht die freudige Zuversicht sowie die zärtliche Anteilnahme am Schicksal des Körpers. Das Stilmittel findet sich, durch Apostrophe und lebhafte Exhortatio zu großem Pathos gesteigert, auch in der Peroratio der Apotheosis, vgl. apoth. 1080/2 pellite corde metum, mea membra, et credite vosmet / cum Christo reditura deo; nam vos gerit ille / et secum revocat. Der sich anschlieBende, syntaktisch weit ausholende Relativsatz (V. 202/5) skizziert das zukünftige Geschehen von Tod und Auferstehung des Leibes. Die V. 202f., syntaktisch untergeordnet mit Objekt und partizipialer Erweiterung, sind dem Interimszustand des Todes bis zur Auferstehung gewidmet, V. 204f. schildern die Auferweckung der toten Glieder durch Christus. Schon der Zustand des Todes wird im Sinne des góttlichen Heilsplans positiv gezeichnet. Der Kórper verwest zwar, er wird aber nicht auf Dauer zerstórt. Die verwesenden Gebeine liegen im Sarg, wo sie auf GeheiB des Herrn ruhen bis zu
seiner Wiederkunft. Membra redolentia bildet dabei einen starken Kontrast zur verheiBenen Himmelfahrt ignea ad astra (V. 205). Die euphemistische Bezeichnung des Todes durch quiescere variiert die Metapher des Schlafens, die von vorn-
herein dem Tod seine Endgültigkeit nimmt (vgl. z. B. cath. 10, 53/69, wo die christliche Grabpflege durch die Vorstellung der im Grab Schlafenden und dereinst Lebenden motiviert wird). Als Stifter und Garant der Grabesruhe erscheint Christus selbst, den Prudentius so nicht erst bei der Auferweckung am Jüngsten Tag, sondern schon im Tod als am Leib gütig Handelnden hervortreten láBt. Im Grabhymnus bringt der Gedanke vom depositum des toten Leibs, das der Erde nur auf bestimmte Zeit anvertraut wird, das fürsorgliche Handeln des Schópfers noch eindringlicher zum Ausdruck. Gott selbst fordert die 'Mutter' Erde auf, die kostbaren Überreste des Menschen in ihrem weichen Schoß zu bergen, vgl. cath. 10, 125/8. 133/6: Nunc suscipe, terra, fovendum, / gremioque hunc concipe molli! / hominis tibi membra sequestro, / generosa et fragmina credo ... Tu depositum tege corpus,
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C. Kommentar
/ non inmemor ille requiret / sua munera fictor et auctor (V gl. auch die syr. Baruch
Apokalypse 50, 1/51, 3; 4 Esr. 7, 32/6; dazu Greshake/Kremer, 67). Auch die Auferweckung des (V. 204f.). Christus ist dabei in Agens der eigenen Auferstehung: zunüchst die Auferstehung Jesu, stehung aller analog zu sehen ist.
Leibes beschreibt Prudentius als Werk Christi doppelter Hinsicht für den Dichter Garant und Grundlage des eschatologischen Geschehens ist als Heilstat Gottes, zu der die zukünftige AuferIn Vers 204 unterstreicht Prudentius die Vorweg-
nahme der eigenen Auferweckung in Jesu Auferstehung durch chiastisch gesetzte Hyperbata: dux — redivivus, parili - humo (vgl. auch schon spes eadem, V. 201). Vor allem aber wirkt Christus als Totenerwecker bei der zweiten Parusie am Ende der Tage, wenn er die Leiber zu sich in den Himmel ruft (V. 205). Biblische Basis der prudentianischen Gestaltung ist offenbar die apokalyptische Darstellung in ] Thess. 4, 14ff., bes. 4, 14, vgl. Si enim credimus quod lesus mortuus est, et re-
surrexit: ita et Deus eos, qui dormierunt per lesum, adducet cum eo, kombiniert mit 1 Kor. 15, 20/3 Nunc autem Christus resurrexit a mortuis primitiae dormientium ... Unusquisque autem in suo ordine, primitiae Christus: deinde ii, qui sunt Christi, qui in adventu eius crediderunt. Zu Christus, der 'Erstlingsgabe der Entschlafenen', ‘dem Erstgeborenen der Toten’, s. auch Kol. 1, 18; Röm. 8, 29. Schließlich steht wohl Joh. 14, 3 im Hintergrund, vgl. “Wenn ich gegangen bin und einen Platz für euch vorbereitet habe, komme ich wieder und werde euch zu mir holen, damit auch ihr dort seid, wo ich bin'. Prudentius führt cath. 3, 204f. beide Vorstellungen,
die christologisch-heilsgeschichtliche und die apokalyptische, zusammen und bündelt sie in der Bezeichnung dux redivivus für Christus. Christus ist der Reihenfolge nach der erste der Auferstandenen, der vorangegangen ist und den Weg weist.
Und er ist der Herr, der die Toten auferweckt und heimholt. Das in 1 Thess. 4, 14 mit ἄξει bezeichnete Handeln Gottes wird in der christozentrischen Darstellung des Dichters auf Christus übertragen. Prudentius greift zugleich das Bild des ‘Zuges’
aus 1 Thess. 4, 16f. auf, aber anders als im Thessalonicher-Brief wird Christus nicht ‘eingeholt’ (zur Exegese dieser Stelle in der alten Kirche und ihrer dichterischen Ausformung bei Prudentius perist. 4, 1/76 s. Gnilka, Prud. II, 364ff.), sondern er geht als Führer voran. Zugleich evoziert der Titel dux den Gedanken der Wegbereitung, durch den Prudentius auch an anderen Stellen die Vorrangsund Heilsbedeutung der Auferstehung Christi darstellt. Vgl. cath. 10, 17/20 Hanc tu, deus optime, mortem / famulis abolere paratus / iter inviolabile monstras, / quo perdita membra resurgant, apoth. 1063f. (oben S. 250 zitiert); apoth. 1084 exsurgens quo Christus provocat, ite!; cath. 10, 157ff. Sequimur tua dicta, redemptor, / quibus atra e morte triumfans / tua per vestigia mandas / socium crucis ire latronem. / Patet ecce fidelibus ampli / vía lucida iam paradisi; perist. 10, 636/40 (oben S. 250 zitiert); cath. 9, 97ff. Tunc patres sanctique multi, conditorem praevium / iam revertentem secuti tertio demum die / carnis indumenta sumunt eque bustis prodeunt (Auferstehung der Patriarchen und Heiligen mit Christus am dritten Tag, nach Mt. 27, 53).
V. 201-205
255
Die Auferweckung der Toten am Ende der Zeiten bedeutet auch die individuelle
Erhóhung der leiblichen Glieder und ihre Überführung in den Stand der Himmlischen. Die Toten werden in die ‘Herrlichkeit Gottes’ (Röm. 5, 2), ins ‘Reich Gottes’ (1 Kor. 15, 50), in die ‘Heimat beim Herrn' (2 Kor. 5, 8) geleitet. Die Junktur ignea ad astra (V. 205), hohe, poetische Umschreibung für ‘Himmel’, assoziiert
also in erster Linie den himmlischen Ort, den Jesus 'den Seinen bereitet hat' (Joh. 14, 2) und zu dem er sie bei seiner Wiederkehr heraufholt. Zugleich wird aber die Vorstellung einer ganz neuen, verklürten Existenzweise der auferweckten Leiber
angedeutet. Schon das Eingehen in den Himmel, in die Nähe Gottes und die Gemeinschaft mit Christus, setzt eine Verwandlung des Menschen voraus. Der Dan. 12, 3 durchgeführte Vergleich der auferstandenen Gerechten mit dem Glanz der Sterne mag hier im Hintergrund stehen, vgl. ‘Die Verständigen werden strahlen, wie der Himmel
strahlt; die Münner, die viele zum rechten Tun geführt haben,
werden immer und ewig wie die Sterne leuchten'. Auch der Rückbezug von ignea astra auf vigor igneolus in V. 186, den Evenepoel, Hymnus ante cibum, 133, konstatiert, scheint gewollt zu sein, insofern die himmlische Abstammung (der Seele)
und der himmlische Zielort (des Leibes) assoziiert werden. Die nach der Auferste-
hung stattfindende Vereinigung von Kórper und Seele, von der Prudentius in seiner Darstellung ebenso absieht wie vom Gerichts- bzw. Vergeltungsgedanken, mag hier anklingen, wenn der Bestimmungsort des Leibes mit annähernd demselben Attribut bezeichnet wird, das auch die Beschaffenheit der Seele kennzeichnet. Der
gemeinsame Aufschwung in den Himmel von Seele und ebenfalls spirituell gedachtem Leib wird cath. 10, 41/4 beschrieben, vgl. Quae pigra cadavera pridem / tumulis putrefacta iacebant, / volucres rapientur in auras / animas comitata priores. Vielleicht deutet die Setzung des Adjektivs ignea im Vergleich zu igneolus sogar ganz subtil die restituto in melius, die Verwandlung und Erhóhung des ganzen Menschen, an. Prudentius legt dann in gewisser Weise anthropologisch aus, was Orig. in Lev. hom. 1, 4 (GCS Orig. 6, 280) im christologischen Sinn sagt: Christus
ersteht vom Tode und führt in den Himmel auf, quo iter eius natura ignis ostendit. Offensichtlicher scheint die Parallele von V. 205 zu V. 200 gestaltet (s. o. S. 251f.): ad superos remeasse deum — ignea Christus ad astra vocat. Die leibliche Auferstehung Christi garantiert die himmlische Verklärung des Menschen. Theologisch ausgefeilt findet sich der Gedanke bei Leo Magnus serm. 73, 4 (CCL 138A, 452/4, dazu Colpe, 453). spes eadem: spes eiusdem reditus; das ist die typisch christliche Auferstehungshoffnung, vgl. 1 Thess. 4, 13; Róm. 5, 1/11. Der begründende Gedanke, der auch in dieser Strophe zugrundeliegt, ‘Weil Jesus gestorben und auferstanden ist, werden auch wir auferstehen', tritt besonders in der paulinischen Theologie zutage, vgl. 2 Kor. 4, 14; 1 Kor. 6, 14; 15, 1/22; Róm. 6, 4/11; 8, 11; 1 Thess. 5, 10. membra redolentia: Nicht daB der Leichnam einbalsamiert ist, also duftet (so Thomson, 31; Lavarenne, édition,
19; Charlet, trad., 15), ist gemeint, sondern daB er übel
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C. Kommentar
riecht (Guillén/Rodríguez, 47, übersetzt ,,putrefactos'*). Die biblische Vorlage ist
Joh. 11, 39 κύριε, ἤδη ὄζει. Vgl. Prud. apoth. 757/60 solvite iam laetae redolentia vincla, sorores! / solus odor sparsi spiramen aromatis efflat, / nec de corporeo nidorem sordida tabo / aura refert. V gl. auch Prud. cath. 9, 48 (in bezug auf Lazarus) faetidum iecur reductus rursus intrat halitus; cath. 10, 41f. (oben S. 255 zitiert); tit. 152 (monumentum) unde putrescentis redierunt membra sepulti. funereo sarcofago: seltenes poetisches Adjektiv pro funebri, z. B. Verg. Aen. 4, 507. dux
redivivus: Christus führt die Menschen durch den Tod zur Auferstehung und zum Heil, vgl. auch den verwandten Titel dux salutis Prud. cath. 9, 94 Ad brevem se mortis usum dux salutis dedidit; cath. 12, 79; im Kontext der Auferstehungshoffnung
auch die Anrede optime ductor cath. 10, 165. Hier liegt wohl das neutestamenliche Bekenntnis zu Christus als ἀρχηγός τῆς ζωῆς zugrunde, vgl. Apg. 3, 15; 5,31; Hebr. 2, 10; 12, 2. redivivus: eine seltene Bildung, im vorchristlichen Gebrauch nur Sen. exc. 3, 4 (Bornecque,
1, 352) Redivivum me senem meretrix vocat (‘aus
dem Grabe erstanden’); vgl. dann Cypr. eleem. 6 redivivum corpus animatur, Sedul. op. pasch. 4, 21 rediviva animatione; Drac. laud. dei 1, 650. 657 redivivo lumine; Ennod. epist. 1, 14; Prud. c. Symm. 2, 199f. (sc. semina) et more sepulcri / obruta de tumulis redivivo germine surgunt; ham. 663 (im aktiven Sinne) redivivam ferre medellam (das Heilmittel, das die Auferstehung bewirkt). iussa quiescere: Prud. c. Symm. 2, 198f. tunc sicca (sc. semina) et mortua sulcis / aut foveis mandata latent. quiescere: Prud. cath. 10, 33f. Nam quod requiescere corpus / vacuum sine mente videmus. Biblische Vorlage des Bildes vom Todesschlaf z. B. 1 Thess. 4, 14; 1 Kor. 15, 20 (oben S. 254 zitiert). Vgl. auch die Umschreibung der Toten cath. 10, 60 quae nunc gelidus sopor urget. Wie der Leib ruht entsprechend die Seele, cath. 10, 151f. quanam regione iubebis / animam requiescere puram? ignea ad astra: Verg. Aen. 4, 352; Lucan. 1, 75f.; Val. Flac. 3, 210f. Prudentius gibt der vergilischen Junktur, die eigentlich den bestirnten Nachthimmel meint, einen neuen, spirituellen Sinn, wobei er auch hier wieder philosophische, bes. stoische Gedanken von der Göttlichkeit der Gestirne und ihrer Abstammung vom Äther im christlichen Sinn korrigierend handhabt. Vgl. z. B. Cic. nat. deor. 2, 39f., wo die feurige Natur der Sterne als Ausweis ihrer Göttlichkeit gilt (weitere Stellen bei Pease, De natura, z. St). Prudentius zielt mit ignea astra auf die strahlende Qualität des neuen, durch
die Wiederkehr des Herrn vermittelten Wohnsitzes in der Herrlichkeit Gottes. Zur Umschreibung der himmlischen Heimstatt mit astra siehe auch Prud. cath. 10, 29ff. at si generis memor ignis (sc. anima) / contagia pigra recuset, / vehit hospita viscera secum / pariterque reportat ad astra; ham. 845 (hier allerdings der Seelen) ac primum (sc. animae) facili referuntur ad astra volatu, / unde fluens anima
structum vegetaverat Adam; perist. 3, 163.
D. Rückblick Zum Schluß soll noch einmal ein Blick auf die Gesamtstruktur von cath. 3 geworfen werden, und zwar mit Konzentration auf den theologischen Gehalt und die gedanklichen Zusammenhänge, die der Dichter unter Nutzung des Motiv-, Gedankenund Formenschatzes antiker Poesie künstlerisch gestaltet. Das dritte Tageslied des Prudentius bietet im Gewand des Tischgebets ein kunstvolles Preislied auf den christlichen Schópfergott. Die Eingangsverse weisen das Lied als Hymnus auf Christus aus und evozieren den Gegenstand des Preisens: Es ist das universale, Schópfung und Erlósung umfassende Heilshandeln Christi. Der Hymnus Ante cibum knüpft im Anlaß, aber auch in der Anlage und in der Gedankenbewegung an das gewöhnliche Tischgebet an. Die alltägliche Situation, die Prudentius im dritten Tageslied poetisch gestaltet und die vor allem in den Eingangs- und Schlußstrophen faBbar wird, ist die Situation unmittelbar vor Beginn der Mahlzeit, in der die Christen Gott für die bereiteten Speisen Lob und Dank sagen und den Segen für das Mahl erbeten. Der Lobpreis des Schópfers und seiner Gaben, der für das alltägliche Tischgebet konstitutiv ist, bildet auch das zentrale Thema des Hymnus Ante cibum. Das Gotteslob verbindet die verschiedenen Teile des Hymnus zu einem einheitlichen Ganzen, im Gotteslob treffen und überlagern sich die christlich-existentielle Perspektive, die kompositionelle und die poetologische Dimension sowie die theologisch-anthropologische Ebene. Der Vorgang
des Speisens selbst soll, so macht das Eingangsgebet deutlich, der Verherrlichung Gottes dienen, ja das ganze Leben, Denken und Handeln des Menschen soll Lobpreis Gottes sein (Str. 1-5. 18-19). Das Schópferlob in der Form des Gabenpreises bildet den ersten Teil des vorliegenden Hymnus (Str. 9-16), das Gotteslob ist für Prudentius aber auch Zweck der christlichen Dichtung überhaupt (Str. 6. 17). Gott zu loben ist zudem die Aufgabe des Menschen, insofern er sich seiner gnadenhaften Ausstattung und seiner göttlichen Herkunft bewußt ist (Str. 7-8). Das Schópferlob rückt somit das hóchste Geschópf in den Blick, den Menschen, der als creatura laudatrix (Aug. serm. 29, 1) einzig zum Lobpreis Gottes berufen ist und der selbst die hóchste Schópfungsgabe darstellt. Rühmt der Dichter im ersten Teil des Hymnus die natürlichen Gaben, die Gott dem Menschen zu seinem Genuß und Erhalt geschenkt hat, so stehen im zweiten Teil der Mensch selbst und seine Geschichte im Mittelpunkt (Str. 20-34). Da der sich auf die Kreatur erstreckende Lobpreis letztlich auf
den Schöpfer selbst zielt, ist die anthropologisch-heilsgeschichtliche Ausweitung der Darstellung theologisch begründet. Auch im heilsgeschichtlichen Abschnitt bleibt das Gotteslob der übergeordnete Gesichtspunkt, die Erzählung vom Paradies, vom Sündenfall und von der Erlösung, die den Beginn einer neuen Heilszeit kenn-
258
D. Rückblick
zeichnet, steht ganz im Zeichen der Kondeszendenz und Fürsorge Gottes für sein Geschópf. Prudentius nimmt aber die Wohltaten Gottes am Menschen zum AnlaB, Grundaussagen christlicher Anthropologie zu entfalten. Schon im Gabenpreis leitet
Prudentius die Würde des Menschen aus dem Schöpfungsauftrag der Genesis (Gen. 1, 26. 28) ab, der dem Menschen die Herrschaft über die übrige Schöpfung zuweist. Indem der Dichter einen Katalog von Nahrungsmitteln liefert, die nach göttlichem Plan dem Menschen zugedacht sind, expliziert er zugleich den in der Nahrungsgewinnung sich manifestierenden herrscherlichen Zugriff des Menschen auf die Schópfung. Die Darstellung des hohen Status des Menschen korreliert hier mit der Gesamtvorstellung einer dem Menschen und seinem Nutzen dienenden Natur. Im zweiten Teil des Tischgebets, dem von Gen. 2. 3 ausgehenden 'Schópfungslied',
wird dann die kreatürliche Natur des Menschen selbst, seine Herkunft von Gott gepriesen. Zwei Tatsachen stellt Prudentius heraus: Der hohe Wert des Menschen
beruht zum einen darauf, daß er mit Leib und Seele nach dem Ebenbild Gottes geschaffen ist, zum anderen darauf, daß Gott bei seiner Erschaffung selbst ‘Hand angelegt' hat. Die Akzentuierung des schópferischen Handelns Gottes lüBt gerade den menschlichen Kórper als durch solche Behandlung 'geadelt' hervortreten (Str. 20). Im Gesamtkontext von cath. 3 erscheint es sinnvoll, daB der Wert des menschlichen Leibes in einem Gedicht, das die tägliche Nahrungsaufnahme theo-
logisch-heilsgeschichtlich überhóht, besonders hervorgehoben wird. Die Betonung der Kostbarkeit des menschlichen Kórpers findet ein Pendant in der Darstellung der Auferstehung am Schluß des Gedichts (Str. 38-41). Der Dichter stellt hier die Lehre von der Unsterblichkeit der Seele und von der Auferstehung des Leibes am
Jüngsten Tag in einen schópfungstheologischen Kontext. Indem er die Kreatürlichkeit der Seele heraushebt und die absolute Identitüt des irdischen und des Auferstehungsleibes betont, macht er deutlich: Wie der Mensch mit Leib und Seele Gottes Werk ist, so wird er auch mit Leib und Seele für das ewige Leben gerettet werden.
Was für den Zusammenhang von Schópfungsgeschehen und leiblicher Auferstehung in cath. 3 gilt, die Verklammerung von schópfungstheologischer und anthropologisch-heilsgeschichtlicher Perspektive, trifft auch auf den groBen Abschnitt der Erzählung der Menschheitsgeschichte zu. Das 'Schópfungslied' kulminiert im Hymnus auf den himmlischen Sproß, den neuen Menschen, in dem Gott einen neuen Schópfungsanfang macht (Str. 28-29). Die Geburt Christi erscheint als Grund-
datum einer neuen Heilsordnung, insofern durch die Verbindung von Gottheit und Menschheit in Christus die gefallene Menschheit erneuert, ihre Sünd- und Todverfallenheit durchbrochen wird. Mit Hilfe der paulinischen Adam-Christus-Antitypik unterstreicht Prudentius die Parallelitit von Erlósungs- und Schópfungswerk, so
daB die Erlósung als Fortsetzung und Erneuerung des einmal begonnenen Heilshandelns Gottes am Menschen sichtbar wird. Auch die antithetische Anknüpfung an den Sündenfall in der Eva-Maria-Typologie dient dazu, die universale Geltung des Heilswirkens Christi hervortreten zu lassen.
D. Rückblick
259
Neben dem Gotteslob findet im Tischgebet erwartungsgemäß die Speisethematik Erwühnung. Dabei sind die Bereiche des Essens und des Verzichts auf Speise, d. h. der Abstinenz und des Fastens, bei Prudentius eng verwoben. Liegt die vom Schópfer angelegte Begründung für die Nahrungsaufnahme im Erhalt des Menschen, konkret in der Bewahrung und Stärkung seiner physischen Konstitution, so istes dem Heil des Menschen zugleich geschuldet, das Verlangen nach Nahrung in Schranken zu halten (Str. 35-37). Prudentius formuliert den Aufruf zu einfacher Lebensweise gleich zweifach. Vor dem Hintergrund des Segensreichtums der Natur fordert er von den Christen einen gemäßigten Vegetarismus, nämlich den Verzicht auf das Fleisch vierfüßiger Tiere (Str. 12-13). Die Darstellung des Sündenfalls und der Erlösung des Menschen eröffnet die ethisch-heilsgeschichtliche Perspektive
der Askese. Die Forderung nach Mäßigung im Essen wird nun eingebettet in den Kampf gegen die Sünde und das Böse, den der einzelne Christ noch zu kämpfen hat (Str. 35-37). Die Paränese zum Maßhalten hat in der frühchristlichen Lehre von der Auferstehung des Fleisches, die Prudentius entfaltet, eine weitere theologische Grundlage. Denn wenn die Identität des Leibes in der Auferstehung behauptet wird, ergibt sich das Gebot, den irdischen Körper vor Verunstaltung durch
Völlerei zu bewahren, beinahe zwangsläufig. Das zunächst als ‘Anhang’ erscheinende Lehrstück über die Auferstehung des Leibes erscheint also im Gedichtganzen gleich mehrfach motiviert: Es führt das Abstinenzgebot und das Gebot zum Maßhalten beim Essen auf das christliche Menschenbild und die damit verbundene
Auferstehungshoffnung zurück. Damit liefert es eine christliche Korrektur zu der im Zuge der Darstellung des prudentianischen ‘Vegetarismus’ evozierten pythago-
reischen Seelenwanderungslehre. Im Rahmen des Schöpferlobs lenkt es den Blick auf eine weitere Wohltat Gottes, die eschatologische Gabe des ewigen Lebens. Schließlich führt es mit antipaganer und antihäretischer (antignostischer) StoBrichtung vor Augen, daB das Heilshandeln Gottes den ganzen Menschen, auch
seinen Leib, betrifft. Die Analyse erweist das prudentianische Tischgebet als ein gedanklich klar gegliedertes und zugleich hochpoetisches Gebilde. Der Hymnus cath. 3 bietet ebensowenig wie die übrigen Tageslieder ein trockenes Gerüst dogmatischer Aussagen. Die Leistung des Prudentius besteht gerade darin, die geistigen Zusammenhänge durch das Medium der Poesie bildhaft anschaulich zu vermitteln und dem Glüubigen in anspruchsvoller Form zu vergegenwürtigen. Prudentius nutzt in cath. 3 die bildlichen und sprachlichen Ausdrucksmóglichkeiten der antiken Poesie, um die Gegebenheiten der Welt und der Geschichte im Licht des Glaubens zu beleuchten. Ein Motiv, das in verschiedenen Ausprügungen das ganze Tischgebet durchzieht, ist die aetas aurea- Vorstellung. Die souveräne Handhabung dieses Motivkomplexes steht beispielhaft für den Umgang des Prudentius mit der antiken Tradition. Mehrfach nutzt Prudentius das Motiv des goldenen Zeitalters. Da ist zunüchst der groBe Gabenkatalog. Der Hauptzug, den Prudentius hier herausarbeitet, die Selbsttätigkeit
der Natur, die von sich aus und in Fülle Nahrung an den Menschen verschenkt, gilt
260
D. Rückblick
in der Antike als Zeichen einer idealen, in mythischer Vergangenheit realisierten oder für die eschatologische Zukunft erhofften Heilszeit. Prudentius übernimmt die Automatik des Hervorbringens, um die durchaus reale und für alle Zeit gültige Rolle zum Ausdruck zu bringen, die Gott der Schöpfung als 'Dienerin' des Menschen zugedacht hat. Züge des goldenen Zeitalters trágt auch die Beschreibung
des Gartens Eden. Der Glanz des ‘ewigen Frühlings’ dient hier dazu, die Gabe des Paradieses, des vollkommenen Lebensraumes, den Gott den Menschen ursprünglich zur Verfügung gestellt hat, zu erhóhen. Das Motiv des Tierfriedens schlieBlich,
stehendes Element der antiken Idealzeitbeschreibungen, beansprucht der Dichter, um die reale, in der Gegenwart der Kirche verwirklichte Friedensherrschaft Christi
zu beschreiben. Die Allegorie der Tierwelt, in der sich die natürlichen Machtverhältnisse umkehren und Tauben, Lämmer und Schafe Adler, Löwen und Wölfe
jagen, veranschaulicht die durch Christi Sieg über den Teufel gestiftete Herrschaft des Guten über das Böse in der Welt. Die Verarbeitungen des aetas aurea-Motivs stehen in gewisser Weise auf einer Linie und ordnen sich ein in den Gesamtplan von cath. 3. Die idealtypischen Vorstellungen der Antike von einer goldenen Heilszeit findet der gläubige Christ in seiner Gegenwart und Geschichte vor, nämlich in
der von Gott eingerichteten Realität der Schöpfungsordnung. In ihr manifestiert sich die unermeBliche Güte und Fürsorge des Schópfergottes für sein Geschópf.
E. Abkürzungs- und Literaturverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
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Antike und Christentum
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Augustinus-Lexikon
ANRW
Aufstieg und Niedergang der römischen Welt
BKV
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DACL
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Der Neue Pauly
GCS
Die griechischen christlichen Schriftsteller der ersten drei Jahrhunderte
HdAW
Handbuch der Altertumswissenschaft
LACL
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LCI
Lexikon der christlichen Ikonographie
LThK
Lexikon für Theologie und Kirche
MGH. AA
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Patrologiae cursus completus. Series Graeca
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Reallexikon für Antike und Christentum
RE
Pauly - Wissowa, Realencyclopüdie der classischen Altertumswissenschaft
ThLL
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Tbeologische Realenzyclopüdie
VL
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Register
A Abstinenz 24. 206. 228. 231. 235. 259 vom Fleisch vierfüßiger Tiere 100/115. 259 5. Askese, Fasten, MaBhalten, Vegetarismus Abstractum pro concreto 132. 217 Acker 35. 97/100. 115. 146. 149. 191 Ackerbau 87.99 Adam Erschaffung 138. 151. 238. 242. 256 Sündenfall 155/160. 207 Scham und Schuld 161/170. 171. 173. 175 Erbsünde infolge der Adamssünde 178/185 Der 'zweite Adam' 23. 188f. 191f. Tod als Folge der Adamssünde 233/235 Adam-Motiv 235 Adam-Christus-Typologie 186/192. 210. 212. 258 Adler 41. 215f. 219/222. 224. 260 s. Tierfrieden, Tier-Paradoxa Adressaten 10f.* Adynaton 217. 219/221 aetas aurea 86.99. 100f. 146f. 149. 190. 206. 259. 260 s. Automaton, Frühling ewiger, Goldene Zeit, Rückkehr der Jungfrau, Schlangensterben, Tierfrieden
affektische Darstellung 234. 236 Agnes 56. 169. 176f. 203. 208 s. Schlangentreterin
Agnes-Hymnus 176f. 203 Alcimus Avitus 112. 146. 175 Allegorese 205. 210. 212. 215. 218 Allegorie 62. 112. 186. 204. 215f. 260 s. Typologie Alliteration 49. 55. 58. 60. 84. 92. 100. 120. 125. 129. 142. 157. 160. 166. 169. 189. 200. 204f. 216. 253
Ambrosius 5. 7f. 10f. 20. 26. 51. 56. 62. 66. 83. 96. 107£. 111f. 134. 162. 163. 166. 176. 178. 185. 193/197. 199. 232f.
ambrosianische Hymnen
5^. 7f. 10f. 20/
22. 26 51. 197
Anthropologie Tbema von cath. 3 9f. 130. 137f. 144. 258
Erschaffung des Menschen 140/142. 144 Begründung für das Gotteslob 77f. 88 Begründung für die Jagd 106 Unterscheidung von stoischer und christlicherA. 88. 122. 141f.
eschatologische A. 237/256 s. Auferstehung, Depravation, Mensch, Scham, Seele, Unsterblichkeit Anthropozentrismus, stoischer, christlicher 88. 107. 139. 141f.
Apfel
35.37. 115. 124/126. 153f.
artifex 32. 42. 51. 771. 82/84. 91. 237f. 240. 242 Askese (Nahrungsaskese) 106/109. 111. 160. 223. 225/231. 259 s. Abstinenz, Fasten, MaBhalten, Vegetarismus
Äther 33.41. 79f. 239. 242. 256 Auferstehung Christi 6. 189. 113. 248/252. 254/256 des Fleisches 3. 6. 10. 18. 23. 26. 28. 102. 135. 141. 143. 169. 188. 192. 237. 242/ 256. 258f. s. Unsterblichkeit der Seele Augustinus | 10**. 131. 137. 139. 162. 170. 176. 245 Lehre von der Erbsünde 179f. 184 Ausonius 4.7. 10%. 21. 54. 64. 71. 222. 225. 233f. Automaton 86. 95f. 98. 100. 122. 125. 260 s. aetas aurea, Frühling ewiger, Goldene Zeit, Selbsttätigkeit der Natur Auxesis 89.95f.97f. 115/117. 119f. 147. 168
274
Register
B Bacchus 52. 70.74. 174. 223. 224 s. Efeukranz, Tigerwagen Barbaren 105. 109f. 113 Basilius 19. 67. 88f. Beispiel 27. 106. 179 Bibeltext des Prudentius 143. 164. 176f. 178 s. Vetus Latina, Vulgata Bienen 35.91. 119/123 Blick, segnender 31. 47. 55/58 Blut (Symbol für Fleischnahrung)
35.41.43.
100. 103/105. 110. 112. 216/218. 222f. 231 s. Omophagie
Bukolik, christlich genutzt
28
ς cath. 4 9. 12. 17. 18. 27. 50. 51. 78. 103. 113. 137. 168. 217. 227. 230. 232. 236. 242 cena 6. 12. 60. 62. 66. 69. 227 s. Gastmahl, Symposion
choriambische Wörter 22. 151. 200. 218. 239 Chrésis 12. 234. 250 Christus-Prüdikation 49/54. 59. 188f. 199. 223f. 13f. 18. 19. 66. Clemens von Alexandrien 106. 108. 115f. 228. 237 conquestio 234 corporate personality 178
Efeukranz 33. 67. 68/75 Ehe 35. 39. 41. 167/170. 200 Ehelosigkeit 167. 169f. Einlagen, biblische 25. 26/28 Ekphrasis 86. 115. 146/149 Elysium 147/150. 154. 166 Erbsünde 178/185 Erlöser 23. 48 f. 55. 58. 173. 186/189. 202/ 204. 212. 217 s. Menschwerdung Christi Erlösung 27. 49/51. 53. 75. 137. 140. 162. 181. 193. 224. 243. 245. 257/259 Zweiter Adam 186/190 Ziel der Menschwerdung 195f. Protoevangelium 202/204. 209. 210/213 Ern&hrung, christliche Empfehlungen 100. 107/109. 111/113. 226/229 s. MaBhalten, Vegetarismus Essensverbot, biblisches 25. 151/154. 231 Eucharistie 9. 15. 18. 62. 75 Eulogie 13/19. 57 Eva 155/160. 161/165. 167/170. 171/173. 176f. 178f. 183. 202. 207. 210/213. 217. 234. 236 s. Paradies, Protoevangelium, Scham, Schlangentreterin, Sündenfall, Verführung Eva-Maria-Typologie 156. 158f. 186. 210/ 213. 258 exclamatio
D Dümonen 14. 67. 69. 159. 226. 235/237 Daniel in der Löwengrube 27 Depravation der Menschheit 23. 162f. 178/185 der Natur 112. 179. 184. 215 s. Erbsünde Diatribe, christlich genutzt 28. 226/230 Dimeter 10. 22'%, ambrosianischer 7f. 20 E Ebenbildlichkeit der Seele 79/81. 140f. 258 des Körpers 140/142. 246. 258 Echtheitskritik (zu Strophe 26) 171/173 Eden 146/151. 231. 260 s. Paradies
234
F Fangmotiv 87 s. Fischfang, Vogelfang Fasten 6.27. 47. 48. 81. 108. 112. 131. 165. 191. 229. 231. 235. 259 s. Abstinenz, Askese, MaBhalten, Vegetarismus Fastenhymnen 6.9.27. 47f. 60 Feuer 79. 81. Wesen und Herkunft der Seele 237242 Hl.Geist 198f.
s. Äther, Lichtsymbolik, Seele Fische
33.85. 88. 93/95. 102/104. 106. 108f.
111/113
Fischfang 87/95. 101f. 115 s. Jagd, List, Vogelfang
Register Fleisch
Abstinenz von F. 23f. 100/115. 223. 228. 231. 237 Fleischwerdung des Logos 4]. 52f. 139. 185. 189. 191. 195. 198 Auferstehung des F. 43. 242/248 s. Abstinenz, Askese, Auferstehung, MaB-
halten, Menschwerdung Christi, Vegetarismus Frieden 99f. 111. 208. 213/215. 216. 218. 219. 224f. 260 s. Goldene Zeit, Tierfrieden Frühling, ewiger 37. 147. 149 f. 260 8, aetas aurea, Goldene Zeit
G Gabenpreis 3.17. 19. 24.25.27. 28. 78. 86. 89. 101. 122. 124. 127f. 130. 146. 257. 258 5. Lobpreis der Schópfungsgaben Gastmahl 12/14. 48. 60/69 s. cena, Symposion Gattungsmischung 26/28. 128 Geburtslegende (hymnisches Element) 53 GefrüBigkeit 232 s. Völlerei Geistchristologie 198f. Gesang 129.218 beim Mahl 13. 14. 18. 69. 132f. der ambrosianischen Hymnen 20f. s. Hymnengesang, Lobpreis Gesundheit (Motiv für die Askese)
82f. 228.
275
H Hand Gottes 37. 138/140. 143. 191. 228. 258 mancipium 33.84 s. Herrschaft, Kondeszendenz,
Mensch
(Erschaffung) hapax legomenon 52. 204 Heilsgeschichte 24f. 27. 186. 257/260 Zeitenwende in Christus 186/189 Rolle der Gottesmutter 196. 202/205. 207.
209. 210/213 Herrschaft
Christi
54. 215f. 220. 225. 260
der Sünde und des Todes des Teufels 212. 226
178
des Guten über das Bóse
214/222
des Mannes über die Frau
39. 167f.
des Menschen über die Schöpfung 83/ 86. 87/89. 122. 124. 130. 152. 258 Umkehr des Herschaftsverhältnisses 167f. 173. 207. 212. 215/217. 219/222 s. Mensch, Schlangentreterin, Schöpfungs-
auftrag, Talion, Tierfrieden 49f.
134
106. 226/
230. 232 Goldene Zeit 86f. 90. 94. 95f. 97f. 99. 103. 110f. 119. 121 146. 149f. 187. 202. 213. 216. 218. 259f. 5. aetas aurea, Automaton, Frieden, Frühling ewiger, Rückkehr der Jungfrau, Schlangensterben, Tierfrieden Gottesmutter 23. 27. 156. 201. 202/205. 209. 210. 212 8. Jungfrau, Jungfrauengeburt, Schlangentreterin Grabhymnus 6. 7°”. 9f. 253
Hilarius von Poitiers
5. 7. 11. 20
Himmel 33. 54. 85. 104. 119/121. 123. 129 Wohnsitz Gottes 37,43, 132. 187. 239f. 240. 242. 2511. Heimat der Seele 79/81. 239f. eschatologisches Ziel 77. 169. 222. 254/ 256 Himmelfahrt 80. 251/253 Honig 23.35. 111. 115f. 119/123. 125 Honigbereitung 87. 115. 119/123 Horaz 4. 7. 11. 20/22. 26. 55. 73. 94. 97. 110. 114. 125. 127f. 174. 180/182. 206. 208. 216. 223. 226/228. 232 Hülsenfrüchte 35. 110f. 114 Hymnengesang 11. 14. 20f. 69. 132 s. Gesang, Lobpreis Hymnos Kletikos, christlich genutzt 47f. 49/ 65 Hyperbaton 21. 57. 75. 83. 91. 94. 110. 117. 152. 154. 156. 161. 227. 240. 251
276
Register
Inkarnation s. Fleischwerdung des Logos, Menschwerdung Christi Interpolation 193. 196. 197. 201. 214. 245 von V. 100a 145 von Strophe 26 171/173 Isosyllabismus 20. 22 J Jagd 87/95.201.218 s. Fischfang, List, Vogelfang Johannes Chrysostomus
14/17. 67. 162. 166.
229 Jungfrüulichkeit s. Ehelosigkeit, Urzustand paradiesischer Jungfrau Maria 31. 41. 173. 187. 194/196. 199. 202f. 205. 207f. 211/213 Eva 39.156. 170. 211/213 Camilla 201 Jungfrauengeburt 50. 52f. 194/201. 202/205. 209. 211f.
Jungfrauengemeinschaften K Käse
5. 1755. 111. 229
111. 115/119. 125
Käseherstellung
87. 115. 116/119
Katabasis 249/251 Klugheit 87/89.91.155. 182
s. Jagd, List Kohl 35. 110f. 114 Kondeszendenz Gottes 138. 152. 258 Konsubstantialität 50. 53f. Kranz 33 beim Mahl 1371, 66/69 Dichterkranz 69/76 s. Efeukranz Kunstlied 10. 17. 20
L Laktanz 114. 138. 182. 214f. 221 Lamm 41.43. 215. 218/221. 222/225. 260 s. Tierfrieden, Tier-Paradoxa
Leber, Sitz der Affekte 233 Lichtsymbolik 7. 79/81. 117. 198
s. Äther, Feuer, Seele List
33. 87. 88. 91. 94f. 97. 156. 174f.
s. Fischfang, Jagd, Klugheit, Vogelfang Lobpreis 13f. 16/19. 23. 25. 53. 57. 97f. 127. 145f. 149. 174. 257 Gottes 33. 50. 73. 77f. 83. 117. 131. 134 Christi 49/54. 134. 186/190. 225 der Schópfungsgaben 23. 68. 78. 86f. 100f. 117. 125. 127 der Heilstaten Gottes 77. 81 der Schlangentreterin 173. 202/205 Dienst des Menschen an Gott 81/83 s. Ekphrasis, Eulogie, Gabenpreis, Poetologisches, Schópfer locus amoenus
99. 142. 146/151
Löwe 41.207. 213/221. 260 s. Tierfrieden, Tier-Paradoxa M Makarismos
86. 96
s. Auxesis Maria s. Geburtslegende, Gottesmutter, Jungfrau, Jungfrauengeburt, Schlangentreterin Maßhalten (im Essen) 23. 25. 225/229. 230f. 235. 259 theologische Motive 223. 228f. 231. 233/ 235. 259 s. Abstinenz, Askese, Fasten, Vegetarismus Mensch
Ebenbild Gottes 138/144. 246f. 258 Erschaffung 51. 78. 83. 136. 137/145. 146. 186. 191. 238. 242. 246. 258 herrscherliche Stellung in der Welt 82. 83/86. 87/89. 96. 103. 107. 112. 139. 141f. 152f. 258 s. Anthropologie, Anthropozentrismus, Auferstehung, Erbsünde, Herrschaft, Seele, Schópfungsauftrag Menschwerdung Christi 47. 49/53. 137. 139. 145. 185/193. 194/201. 202. 209. 211. 251 s. Erlösung, Fleischwerdung des Logos Metrum 76f. 200. 239 von cath. 3 10%. 20/22 Struktur des Liber Cathemerinon 7/10 Metempsychose 102. 104f. 106. 111. 219. 249. 259 Milch
35. 114. 115. 116/119. 122
mirabilia dei
27
Register Morgenhymnen
5.7.9
277
N
Phlegeton 45. 248. 252 Poetologisches 17.24. 68/73. 76/78. 127/131. 133f. 136f. 257 Prokop von Gaza 162f. 167. 169. 211f. Protoevangelium 173. 176f. 202f. 213
Nachahmung
Pythagoras
Muse 33, 56. 69/74. 77 Musenanruf 68.71/74
dichterische N. 168. 190
54. 103. 117. 147. 164.
Prinzip der Übertragung der Erbsünde 39. 178/180. 183 Nachkommenschaft der ersten Menschen 23. 39. 177. 178/180. 183. 187. 190. 212. 234 Nektar 33. 35. 68. 119/122 Neologismus 22.49. 50. 52. 97. 103. 151 Neubildung Vergils 98. 148. 200 Neubildung des Statius 93 christliche Neubildung 61. 169 LU Obst
23. 35. 98. 111. 115f. 124/126. 152
s. Äpfel Obstregen 35. 124. 126 Olive 35. 67. 95. 97/99. 115 s. Frieden Omophagie 105. 109f. 112 Ovid Vegetarismus 86. 89/95. 99. 101/105. 110. 115f. 123/125 Erschaffung des Menschen
141f.
ewiger Frühling 149f. Seclenwanderung 102. 249f. 252
Pythagoreismus 89. 101f. 105f. 249. 259 5. Fischfang, Metempsychose, Ovid, Vegetarisrnus, Vogelfang R Rechtssprache 84. 145 recusatio 70/72 Remigius von Auxerre, Verfasser der Glossen 70. 205. 209. 215 Ringkomposition 24. 26. 137 Rosenöl 33. 65/67 Rückkehr der Jungfrau 213 S Salböl Scham
13". 33. 65/68 39. 161/165. 166. 168. 178
Scherz (Element christlicher Tischunterhal-
tung) 62/64 Schlaf (Bild des Todes) Schlange
Vertreibung aus dem P.
148. 152. 165/
167. 172. 178
s. Eden, Ekphrasis,
locus amoenus,
Sündenfall, Urzustand Paradiesflüsse 146f. 150f. Paradiesisches 87. 119. 213. 215 s. Auxesis, Goldene Zeit, Wunderbares Parenthese 55. 161. 163
Paulinus von Nola
11%, 71f.
253
Verursacher des Sündenfalls
23. 39. 41.
155/160. 167 Bestrafung 165. 171/178. 202/210. 210/ 213. 216f. 226 Versucher der Menschen 234/236 Dämonen
P Paradies 66. 116. 156. 158. 166. 169f. 174/ 176. 211. 231. 236. 257. 260 Darstellung 97. 116. 146/151. 152/154. 213. 215 Thema von cath. 3 23. 25. 27. 137. 146
92. 101f. 104/107. 249
43
s. Dämonen, Protoevangelium, Schlangentreterin, Sündenfall, Teufel, Verführung
Schlangen, grüne
208
Schlangendarstellungen, christlich genutzt
174. 176. 203. 207. Schlangensterben 206f. 213 s. Goldene Zeit, Tierfrieden Schlangentreterin 39. 171/173. 176f. Eva 172. 176f. Maria 23. 41. 172f. 176. 202/205. 207. 208f. Agnes 177.208f. Christus als Schlangentreter 203. 209 Schöpfer 13. 15. 17/19. 24. 26. 33. 43. 771. 81/83. 85f. 89. 96. 100f. 107. 111. 114f.
278
Register
117. 124f. 127. 131. 135. 137f. 142f. 152. 167. 193. 199. 226. 228f. 238/241. 253. 257. 259 Christus 48/51. 130 s. artifex, Eulogie, Gabenpreis, Kondeszendenz, Lobpreis Gottes Schöpfungsauftrag an den Menschen 78. 83/ 86. 87/89. 97. 100. 103f. 107. 112f. 122. 130. 152f. 258 s. Herrschaft Schópfungsbefehl 86.96. 112. 124. 139 Seele 9. 33. 45. 66. 77/84. 86. 90f. 102. 106. 115. 133f. 138. 140/142. 144f. 163. 169. 184. 193. 222. 226. 227. 230. 231. 233. 234. 237/242. 243f. 246. 247/249. 251. 255f. 258 göttliche Herkunft 77. 79/81. 83. 141. 144. 237/242. 246. 255f. s. Ebenbildlichkeit, Mensch, Unsterblichkeit Selbsttätigkeit der Natur 86f. 95. 124f. 259 s. Automaton Sterne 31.41.45. 132. 255f. Strophenform 3. 7. 8. 20f. 77 Sühne 182f. 185. 212f. 235 Sünde 25. 26.41.43. 57f. 115. 148. 155/160. 161/165. 166/169. 174. 178. 179/185. 189. 191. 193. 207. 209. 211f. 215. 233/235. 237. 258. 259 s. Depravation, Erbsünde, Sündelosigkeit Jesu, Sündenfall Sündelosigkeit der Stammeltern im Paradies 156. 169f. Jesu 189. 193f. 200f. s. Erlósung, Unschuld, Urzustand Sündenfall 23. 25. 54. 96. 112. 137. 146. 186. 207. 210/212. 231. 233/235. 237. 257. 259 Darstellung 155/160 Auftreten der Scham 161/165 Bestrafung 165/170. 171/178 Depravation der Menschheit 178/180. 182. 184f. Stundenlieder 4/7. 19 Symposion 13. 14. 18. 63. 65/69. 72 s. cena, Gastmahl
T Talion 167. 173/175. 207. 232 Taube 41. 43. 91. 156. 215f. 218. 219. 221/ 224. 260 s. Tierfrieden, Tier-Paradoxa Tetrameter daktylischer 10. 21f. 76 trochäischer 76 Teufel 90. 103. 155/159. 163. 167. 174f. 183. 202/204. 206f. 211f. 215f. 218. 221f. 224. 236. 260 s. Schlange, Sündenfall Tier-Paradoxa 216. 219/222. 224 Tierfrieden 23. 112. 206. 213/225. 260 5. aetas aurea, Goldene Zeit, Schlangensterben Tigerwagen 223/225 Tischgebet 4. 5. 9. 10. 12/19. 25. 27. 28. 50. 60. 62. 77f. 127. 131f. 257. 259 Tischsegen 15f. 24. 47f. 55/67. 226 Tischunterhaltung
48. 62/64
Titel der Sammlung Cathemerinon 31. Tod 26. 35. 59. 135. 153f. 157£. 160. 169. 170. 178. 180. 182f. 189. 191. 203. 204. 211. 232. 233/237. 241. 243. 249/253. 255. 256 'zweiter Tod’ 160. 233f. s. Sündenfall Todesverhüngnis
9. 158. 160f. 178. 180. 182f.
189. 191. 211. 235. 237. 252. 258 s. Depravation Totenerweckung 246. 253f. s. Auferstehung des Fleisches
Typologie s. Adam-Christus- Typologie s. Eva-Maria-Typologie U
Ungehorsam der ersten Menschen
147. 154.
159f. 162. 211f. Unmäßigkeit 43. 115. 230/232. 236 s. Völlerei
Unsagbarkeitstopos
128f.
Unschuld der ersten Menschen 157. 158f. Unsterblichkeit als Urzustand im Paradies 157f. 160
Register der Seele 18. 102. 237. 239/244. 246. 249. 255f. 258 Urzustand, paradiesischer 152. 156. 157f. 160. 161. 167. 169f. 182. 211 s. Ehelosigkeit, Paradies, Sündelosigkeit, Unschuld, Unsterblichkeit
V Vegetarismus 25. 86. 90. 92. 100/115. 214. 218. 227f. 231. 259 s. Abstinenz, Askese, Fasten, MaBhalten,
Ovid, Pythagoreismus Verführung 23. 39. 155/157. 167. 171. 173/ 175. 207 s. Herrschaft, Sündenfall Vergil 50. 59. 86f. 89/91. 94/96. 98f. 114. 116f. 119/123. 126. 130. 132. 147/149. 153. 159. 166. 173/175. 177. 181f. 185. 187/190. 200f. 203. 205/207. 210. 213. 216/218. 219f. 22Af. 233f. 238f. 242. 248 252. 256 Verwesung 43. 244/247. 253. 255f. Vetus Latina 143. 145. 164. 176f. 178
279
Vögel 33. 85. 87/89. 90/92. 102/104. 108. 112f. Raubvogel 43. 221f. 224 Völlerei 229/232. 235f. 259 s. Unmäßigkeit Vogelfang 33. 87/89. 90/92. 101f. 115 s. Fischfang, Jagd, List Vulgata 143. 164. 176. 177
Ww Wechselgesang 20 Wein 12. 15. 35. 63. 95. 97/99 Wohlgeruch 33. 65/68. 122 göttlicher 48. 65/68. 69 paradiesischer 147. 149f. Wolf 41.43. 213/221. 222/225. 260 s. Tierfrieden, Tier-Paradoxa Wunder 27.71. 196. 220f. Wunderbares 68. 87. 98. 116f. 119/122. 135f. 194f. 216 s. Auxesis, Goldene Zeit, Paradiesisches