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German Pages 342 [343] Year 2003
AGNES KORNBACHER-MEYER
Komödientheorie und Komödienschaffen Gotthold Ephraim Lessings
Schriften zur Literaturwissenschaft Im Auftrag der Görres-Gesellschaft herausgegeben von Bemd Engler, Volker Kapp, Helmuth Kiesel, Günter Niggl
Band 21
Komädientheorie und Komädienschaffen Gotthold Ephraim Lessings
Von Agnes Kombacher-Meyer
Duncker & Humblot . Berlin
Die Sprach- und Literaturwissenschaftliche Fakultät der Katholischen Universität Eichstätt hat diese Arbeit im Jahre 2002 als Dissertation angenommen.
Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
Alle Rechte vorbehalten
© 2003 Duncker & Humblot GmbH, Berlin
Fremddatenübernahme: Klaus-Dieter Voigt, Berlin Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0720-6720 ISBN 3-428-10907-4 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 €I
Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Wintersemester 200112002 von der Sprach- und Literaturwissenschaftlichen Fakultät der Katholischen Universität Eichstätt als Inaugural-Dissertation angenommen. Mein besonderer Dank gilt an erster Stelle meinem verehrten akademischen Lehrer, Herrn Professor Dr. Günter Niggl, der die Untersuchung anregte und fördernd betreute. Mein Dank richtet sich auch an Herrn Professor Dr. Ruprecht Wimmer, der bereitwillig das Korreferat übernahm. Anregungen verdanke ich dem kritischen Austausch mit den Teilnehmerinnen und Teilnehmern der Oberseminare der Jahre 1998 bis 2001. Für hilfreiche Hinweise weiß ich mich Herrn Dr. Helmut Berthold von der Lessing-Akademie verpflichtet. Zu danken habe ich nicht zuletzt den Herausgebern der Schriften zur LiteratulWissenschaJt, den Herren Professoren Dr. Bernd Engler, Dr. Volker Kapp, Dr. Helmuth Kiesel und Dr. Günter Niggl, für die Aufnahme der Studie in diese Reihe sowie der Görres-Gesellschaft, insbesondere ihrem Präsidenten, Herrn Professor Dr. Dr. h.c. mult. Paul Mikat, für die Gewährung der großzügigen finanziellen Unterstützung. Gewidmet sei diese Arbeit in Dankbarkeit meinen Eltern, Rosa und Franz Kornbacher. Abenberg, im Juli 2002
Agnes Kornbacher-Meyer
Inhalt Einführung ............................................................
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Lessings Vorgänger: Komödientheorie und Lustspiel der Frühaufklärung in Deutschland ...........................................................
15
Erster Teil Lessings Komödientheorie
I.
Die P1autus-Abhand1ung in den Beyträgen zur Historie und Aufnahme des Theaters (1750): Entwurf einer neuen Komödie ....................... 26
11.
Frühe Briefe und Rezensionen der Jahre 1749 bis 1754 ................ 39
III. Possenspiel - weinerliches Lustspiel - wahre Komödie: Die Auseinandersetzung mit Chassiron und Gellert in den Abhandlungen von dem weinerlichen oder rührenden Lustspiele (1754) .... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 55 IV. Der Briefwechsel Lessing - Nicolai - Mendelssohn in den Jahren 1755 bis 1757: Annäherungen an das Phänomen des Lachens ................ 66 V.
Hamburgische Dramaturgie (1767/68) ...............................
77
1. Lachen contra Verlachen ..................................... . ...
80
2. Was ist lächerlich? ..............................................
85
3. "Die Komödie will durch Lachen bessern": Zur Wirkungsästhetik des Lustspiels ...................................................... 93 4. Die komische Figur: Notwendigkeit eines gemischten Charakters ..... 98 5. Der Schluß des Lustspiels: Erkenntnis statt Besserung oder Bestrafung 105 6. Die Grenzen der Nachahmung - oder: Ist eine Tragikomödie erlaubt? .. 108 VI. Lessings Verteidigung des Harlekin: Plädoyer für ein Lachen ohne erzieherische Funktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 Zwischenbilanz ........................................................ 121
Inhalt
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Zweiter Teil Lessings Komödien I.
Die frühen Lustspiele .............................................. 125 1. Damon, oder die wahre Freundschaft ............................. 125 2. Der junge Gelehrte . ................................... . ......... 142
3. 4. 5. 6.
Die alte Jungfer ................................................ Der Misogyne Der Freygeist .................................................. Die Juden ......................................................
162 175
189 207 7. Zusammenfassung: Entwicklungslinien der frühen Komödien ......... 220
11.
Die Komödienfragmente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223
III.
"Indem ich ein Stück nach meiner Art daraus verfertigt": Bearbeitungen antiker und zeitgenössischer Komödien .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 240 1. Plautinische Vorlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 241 a) Weiber sind Weiber - nach Plautus: Stichus ..................... 241 b) Justin - nach Plautus: Pseudolus .............................. 245 c) Der Schatz - nach Plautus: Trinummus ......................... 247
2. Die aufgebrachte Tugend - nach Bumaby: The Modish Husband ..... 252 3. Die Klausel im Testamente/Die glückliche Erbin - nach Goldoni: L'Erede fortunata . .............................................. 255 4. Die Matrone von Ephesus - nach Petron: Die Witwe von Ephesus .... 260 5. Zusammenfassung ............................................... 267 IV. Minna von Bamhelm, oder das Soldatenglück: Spielformen des Lachens und Weinens ...................................................... 268 Schluß bilanz ........... . .............................................. . 303 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 306
I.
Quellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 306
11.
Sekundärliteratur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 310
Personen- und Werkregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 327 Sachregister ........................................................... 338
Abkürzungen B
BPZ DVjs G
HA
HD HWP
JA
LM
PO
ZfdPh
Gotthold Ephraim Lessing: Werke und Briefe in 12 Bänden. Hrsg. von Wilfried Barner u. a. Frankfurt am Main 1985 ff. (Bibliothek deutscher Klassiker). Berlinische Privilegierte Zeitung Deutsche Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte Gotthold Ephraim Lessing: Werke. In Zusammenarbeit mit Karl Eibl u. a. hrsg. von Herbert G. GÖpfert. München 1970--1979. Johann Wolfgang Goethe: Werke. Hamburger Ausgabe in 14 Bänden. Hrsg. von Erich Trunz. 15., durchgesehene Auflage. München 1993. Gotthold Ephraim Lessing: Hamburgische Dramaturgie Historisches Wörterbuch der Philosophie. Unter Mitwirkung von mehr als 1200 Fachgelehrten in Verbindung mit Günther Bien u. a. hrsg. von Joachim Ritter. Völlig neubearbeitete Ausgabe des ,Wörterbuchs der Philosophischen Begriffe' von Rudolf Eisler. Basel, Stuttgart 1976 ff. Moses Mendelssohn: Gesammelte Schriften. Jubiläumsausgabe. In Gemeinschaft mit F. Bamberger u. a. begonnen von I. Elbogen u. a. fortgesetzt von Alexander Altmann. Faksimile-Neudruck der Ausgabe Berlin 1929. Stuttgart, Bad Cannstatt 1971. Gotthold Ephraim Lessings sämtliche Schriften. Hrsg. von Karl Lachmann. Dritte, auf s neue durchgesehene und vermehrte Auflage besorgt durch Franz Muncker. Stuttgart, Berlin und Leipzig 1886-1924. Gotthold Ephraim Lessing: Werke. Vollständige Ausgabe in 25 Teilen. Hrsg. mit Einleitungen und Anmerkungen sowie einem Gesamtregister von Julius Petersen und Waldemar von Olshausen. Nachdruck der Ausgabe Berlin, Wien 1925-1935. Hildesheim, New York 1970. Zeitschrift für deutsche Philologie
Einführung Die Gattung Komödie, ihre Historie, Typologie und ihr Wesen sind nach Karl Holls wegweisender Untersuchung zur Geschichte des deutschen Lustspiels von 1923 wieder in jüngerer Zeit, beginnend mit den 60er Jahren, Gegenstand zahlreicher Studien geworden. Den Überblicksdarstellungen zu ihrer Entwicklung l tritt eine Vielzahl von Interpretationssammlungen zur Seite,2 typologische Abhandlungen, wie z. B. zur ernsten Komödie oder Tragikomödie,3 stehen neben allgemeinen Bemühungen, das Wesen des Kornischen an sich und das Phänomen des Lachens zu erfassen4 . Trotz dieses großen Interesses der Forschung am lustigen Genre 5 besitzt Heinz KinderI Z. B.: Helmut Prang, Geschichte des Lustspiels. Von der Antike bis zur Gegenwart. Stuttgart 1968 (Kröners Taschenausgabe 378). - Eckehard Catholy, Das deutsche Lustspiel. Vom Mittelalter bis zum Ende der Barockzeit. Stuttgart u. a. 1969 (Sprache und Literatur 49). - Ders., Das deutsche Lustspiel. Von der Aufklärung bis zur Romantik. Stuttgart 1982 (Sprache und Literatur 109). - Bemhard Greiner, Die Komödie. Eine theatralische Sendung. Grundlagen und Interpretationen. Tübingen 1992 (UTB für Wissenschaft, Uni-Taschenbücher 1665). - Horst Steinmetz, Das deutsche Drama von Gottsched bis Lessing. Ein historischer Überblick. Stuttgart 1987. - Ders., Die deutsche Komödie der Aufklärung. 3., durchg. und bearb. Auflage. Stuttgart 1978 (Sammlung Metzler; M 47: Abt. 2, Literaturgeschichte). - Walter Hinck, Das deutsche Lustspiel des 17. und 18. Jahrhunderts und die italienische Komödie. Commedia dell'arte und Theatre italien. Stuttgart 1965 (Germanistische Abhandlungen 8). 2 U. a.: Das deutsche Lustspiel. Hrsg. von Hans Steffen. 2 Bde. Göttingen 1968 (Kleine Vandenhoeck-Reihe 271S). - Fritz Martini, Lustspiele - und das Lustspiel. Stuttgart 1974. - Die deutsche Komödie vom Mittelalter bis zur Gegenwart. Hrsg. von Walter Hinck. Düsseldorf 1977. - Deutsche Komödien vom Barock bis zur Gegenwart. Hrsg. von Winfried Freund. München 1988 (UTB für Wissenschaft, UniTaschenbücher 1498). 3 Karl S. Guthke, Geschichte und Poetik der deutschen Tragikomödie. Göttingen 1961. - Helmut Amtzen, Die ernste Komödie. Das deutsche Lustspiel von Lessing bis Kleist. München 1968. 4 Stellvertretend seien genannt: Wesen und Form des Komischen im Drama. Hrsg. von Reinhold Grimm/Klaus L. Berghahn. Darmstadt 1975 (Wege der Forschung 62). - Das Komische. Hrsg. von Wolfgang Preisendanz/Rainer Warning. München 1976 (Poetik und Hermeneutik 7). - Semiotik, Rhetorik und Soziologie des Lachens. Vergleichende Studien zum Funktionswandel des Lachens vom Mittelalter bis zur Gegenwart. Hrsg. von Lothar Fietz/Joerg O. Fichte/Hans-Werner Ludwig. Tübingen 1996. 5 Vgl. die Versuche einer systematischen Kategorisierung der wissenschaftlichen Diskussion sowie der Verständnisansätze von Komödie: Wolfgang Trautwein, Komödientheorien und Komödie. Ein Ordnungsversuch, in: Jahrbuch der Deutschen Schil-
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Einführung
manns nunmehr vor einem halben Jahrhundert getroffene Aussage, daß die Ergründung des Komischen weit hinter der Beschäftigung mit dem Tragischen zurückstehe,6 noch immer Gültigkeit, und sie gilt nicht zuletzt auch für die Lessing-Forschung. Während traditionell das tragische Schaffen Lessings mit Miß Sara Sampson als erstem bürgerlichen Trauerspiel in Deutschland, den Deutungsproblemen der Emilia Galotti sowie der poetologischen Bestimmung des Mitleids als zentraler wirkungsästhetischer Kategorie der Tragödie und der Aristoteles-Neudefinition in der Hamburgischen Dramaturgie im Zentrum der wissenschaftlichen Diskussion standen und stehen,7 sucht man eine umfassende Darstellung zur Komödie Lessings vergebens. Sie stellt ohne Zweifel noch ein Desiderat der Forschung dar, eine Lücke, welche die vorliegende Arbeit ein Stück weit zu schließen sucht. Neben zahllosen Gattungsgeschichten des komischen Spieles heben zwar auch Monographien zum Dramatiker Lessing dessen Bedeutung für die Entwicklung der Komödie hervor, doch konzentriert sich die Analyse vielfach auf Minna von Bamhelm als Höhe- und Endpunkt der Lustspielhistorie in der Aufklärungszeit,8 ergänzt durch wenige ausgewählte poetologische Zitate aus dem Kommentar zu den Lustspiel-Abhandlungen, dem Briefwechsel über das Trauerspiel sowie der Hamburgischen Dramaturgie, vornehmlich aus dem 28. und 29. Stück. Im Zuge dieses recht knappen Umrisses wurde so der Bestimmung einer wahren, Lachen und Rührung vereinenden Komödie fraglos für Lessings gesamtes Werk Gültigkeit zugesprochen, ohne den Kontext dieser frühen Äußerung eingehender zu beachten oder sie im Zusammenhang mit späteren poetologischen Aussagen zu problematisieren. Vielfach zu undifferenziert hat die Opinio communis auch das Gros der frühen Lustspiele als wenig innovativ und deshalb der zeitgenössischen Typenkomödie verpflichtet klassifiziert. In seiner Bedeutung für die Entwicklung Lessings als lergesellschaft 27, 1983, S. 86-123. - Ulrich Profitlieh, "Geschichte der Komödie." Zu Problemen einer Gattungsgeschichte, in: ZfdPh 116, 1997, S. 172-208. 6 Vgl. Heinz Kindermann, Grundformen des komischen Theaters, in: Wesen und Formen des Komischen. Hrsg. von Reinhold Grimm/Klaus L. Berghahn. Darmstadt 1975 (Wege der Forschung 62), S. 93-126, hier S. 93. 7 Vgl. dazu Karl S. Guthke, Der Stand der Lessing-Forschung. Ein Bericht über die Literatur von 1932 bis 1962, in: DVjs 1964, Sonderheft. - Wolfgang Albrecht, Lessing-Forschung 1979-1983. Ein Literaturbericht auf der Grundlage ausgewählter Buchpublikationen aus der BRD und den USA, in: Weimarer Beiträge 31, 1985, S. 670-679. - Ders., Lessing-Forschung 1984-1988. Ein Literaturbericht auf der Grundlage ausgewählter Publikationen, in: Weimarer Beiträge 36, 1990, S. 11641180. 8 Albrecht (Lessing-Forschung 1984-1988, S. 1172) verweist darauf, daß allerdings in den letzten Jahren das traditionell starke Interesse an Minna von Bamhelm auffällig geringer geworden sei und sich die große Mehrzahl der Untersuchungen Detailfragen zuwende.
Einführung
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Komödiendichter blieb es damit weitgehend unbeachtet. Einzig Der junge Gelehrte als seine erste aufgeführte, satirische Komödie und die Modifikationen der traditionellen Lustspielstruktur in den Juden fanden größere Aufmerksamkeit, letztere verstärkt auch unter sozialhistorischen bzw. sozialkritischen Gesichtspunkten. Eine differenzierte Analyse aller komödientheoretischen Aussagen Lessings wurde hingegen von der Forschung ebensowenig unternommen wie die Interpretation seines gesamten Dramenschaffens unter einem dezidiert poetologischen Blickwinkel. So gilt es, in einem ersten Teil der vorliegenden Arbeit durch die Analyse aller poetologisch relevanten Zeugnisse (in überwiegend chronologischer Ordnung) Entwicklungslinien, wiederkehrende Strukturen, aber auch eventuelle Brüche und Widersprüche in Lessings Verständnis dieser Gattung nachzuzeichnen. Michael Böhler hat zwar zu bedenken gegeben, es sei ungenau, von einer Komödientheorie zu sprechen, da Lessing keine systematische Lehre entwickelt habe;9 indes läßt sich aus einer Vielzahl theoretischer Mosaiksteinchen ein ungleich tiefgreifenderer Entwurf der Komödie ablesen, als ihn die zeitgenössische Poetik vorstellt, der die Bezeichnung "Theorie" durchaus rechtfertigt. Stärker als bisher wird die Studie berücksichtigen, daß unser Autor in diesem Zusammenhang nicht nur Probleme im engen Bereich der Komödienpoetik diskutiert, sondern ebenso das nicht immer eindeutig bestimmbare Phänomen des Lachens und seines auslösenden Moments, des Lächerlichen, wie auch die Frage einer Verbindung von Lachen und Weinen erörtert, beinhalten diese Überlegungen doch Wesentliches für Lessings Gattungsverständnis. Der zweite Teil der Arbeit umfaßt schließlich das Lustspielreuvre Lessings in einer von den frühen Werken über die Fragmente und Bearbeitungen ausländischer Vorlagen bis hin zu seinem berühmtesten Lustspiel reichenden Interpretationsreihe, die einerseits eine literarhistorische Einordnung versucht, um seine Position innerhalb der aufklärerischen Tradition eingehend deutlich zu machen, sich bei der Deutung aber stets auch von komödientheoretischen Fragen leiten lassen wird, insbesondere inwieweit dramatisches Schaffen und theoretische Reflexion Hand in Hand gehen, die frühen Komödien und Fragmente spätere poetologische Ansätze ankündigen oder vorwegnehmen und auch die letzte vollendete Komödie, Minna von Barnhelm, von Lessings theoretischen Erkenntnissen beeinflußt ist. Ziel der Arbeit wird es sein, Konstituenten, Entwicklungsprozesse und Entfaltungsmöglichkeiten der Komödie Les9 Michael Böhler, Lachen oder Verlachen? Das Dilemma zwischen Toleranzidee und traditioneller Lustspielfunktion in der Komädientheorie, in: Lessing und die Toleranz. Beiträge der vierten internationalen Konferenz der Lessing Society in Hamburg vom 27.-29. Juni 1985. Sonderband zum Lessing Yearbook. Hrsg. von Peter Freimark/Franklin KopitzschlHe1ga Slessarev. Detroit, München 1986, S. 245-262, hier S. 262.
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Einführung
sings aufzuzeigen, einer Gattung, die er keineswegs, wie man in Anbetracht der Forschungslage schließen möchte, der Tragödie als traditionell höchster poetischer Form unterordnet. Lessings literarisches Arbeiten war vielmehr ein Leben lang von einer steten Auseinandersetzung mit der komischen Dichtung bestimmt, wenn sich diese auch in einzelnen Lebensabschnitten unterschiedlich intensiv gestaltete. Als jungem Schüler und Studenten öffnet sich ihm die Komödienwelt durch Plautus und Terenz, schon damals war er bestrebt, ein deutscher Moliere zu werden, und noch in späten Briefen und Aufzeichnungen, man denke an die Collectanea, kehren Reflexionen zu diesem Problemfeld wieder. Daß Lessing entgegen der klassizistischen Poetik die komische Kunst durchaus gleichrangig mit der Tragödie sah, belegt schließlich nachdrücklich ein Brief an den Bruder Karl Lessing aus dem Jahre 1768, der die Komödie letztlich sogar als die künstlerisch anspruchsvollere ausweist. IO
10 Texte Lessings werden grundsätzlich zitiert nach: Gotthold Ephraim Lessings sämtliche Schriften. Hrsg. von Karl Lachmann. Dritte, auf's neue durchgesehene und vermehrte Auflage besorgt durch Franz Muncker. Stuttgart, Berlin und Leipzig 1886-1924 (im folgenden zitiert als: LM). - Lessing an Karl Lessing, 9. Juni 1768: LM 17, S. 253.
Lessings Vorgänger: Komödientheorie und Lustspiel der Frühaufklärung in Deutschland "Niemand, sagen die Verfasser der Bibliothek, wird leugnen, daß die deutsche Schaubühne einen grossen Theil ihrer ersten Verbesserung dem Herrn Professor Gottsched 1 zu danken habe." Ich bin dieser Niemand; ich leugne es gerade zu. Es wäre zu wünschen, daß sich Herr Gottsched niemals mit dem Theater vermengt hätte?
Entgegen Lessings berühmtem Ausruf im 17. Literaturbrief, der den personellen Bezugsrahmen der aufklärerischen Dramentradition umreißt, hat sich die Forschung in den vergangenen Jahrzehnten um ein objektiveres Gottsched-Bild bemüht und darauf verwiesen, daß gerade dieser oft belachte und verurteilte Gelehrte 3 "poetologisch und literatur- wie theatergeschichtlich die Weichen für eine lange vorhaltende Entwicklung gestellt,,4 hat und insbesondere der Komödie "die Chance eröffnet[e], sich in Deutschland zu einer eigenen Kunstgattung von Rang zu entwickeln,,5. Selbst wenn der 1727 mit der Neuberschen Schauspieltruppe unternommene Versuch fehlschlug, dem Theaterwesen u. a. durch eine Verpflichtung auf Textvorlagen, Verfeinerung der Sprachtechnik und ein Verbot des allgemein geübten Extemporierens Regelmäßigkeit und Niveau zu verleihen, darf dies nicht darüber hinwegtäuschen, daß Gottscheds Entwürfen, allen voran dem Versuch einer Critischen Dichtkunst (11730) weitreichende Bedeutung zukam, daß sie ihm Epigonen und Kontrahenten bescherten und ihn, obschon nur für kurze Zeit, zum Mittelpunkt einer literarischen Öffentlichkeit werden ließen. 6 Und so bildet Gottsched auch für den jungen Lessing zunächst noch den maßgeblichen Orientierungspunkt, ehe er mehr und mehr als (anachronistischer) Antipode empfunden wurde, dessen starre Dichtungs- und Dramenmodelle Diese und alle folgenden Hervorhebungen im Original gesperrt gesetzt. Lessing, Briefe, die neueste Litteratur betreffend, 17. Brief: LM 8, S. 41. 3 Man denke Z.B. an die von Goethe in Dichtung und Wahrheit im 7. Buch geschilderte Anekdote der Begegnung mit Gottsched (Goethe, HA 9, S. 267 f.). 4 Greiner, Die Komödie, S. 144. 5 Ebd., S. 145. 6 Vgl. zur literarhistorischen Position Gottscheds auch Steinmetz, Das deutsche Drama von Gottsched bis Lessing, S. 31. - Zu Gottscheds Bedeutung für die Dichtung der Aufklärung vgl. Gustav Waniek, Gottsched und die deutsche Litteratur seiner Zeit. Leipzig 1897. 1
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Lessings Vorgänger
durch originelle Fonnen, hier der Komödie, modifiziert und schließlich überwunden werden sollten. Diese bis zu Lessings Erscheinen vorherrschenden Entwicklungsstrukturen des deutschen Lustspiels und ihre wichtigsten Vertreter seien im folgenden in wesentlichen Aspekten skizziert,1 wobei die Ausführungen zu Lessings Theorie und Schaffen in entscheidenden Punkten wiederholt auf seine Vorgänger Bezug nehmen werden. Ganz in der Nachfolge frühaufklärerischer Ansätze, insbesondere Christian Wolffs, begreift Gottsched Literatur und damit auch Theater als Vermittlungsinstanz erzieherischer Botschaften; sein Regelwerk der Critischen Dichtkunst spiegelt dies wider, ist es doch von dem Wirkungsziel der Dichtung, der Aufgabe, moralisch und sozial zu belehren, her konzipiert. In diesem Sinne komme es der Komödie zu, "den Zuschauer [zu] belustigen, aber auch zugleich [zu] erbauen"s. Wie sehr indes Ergötzen und Vergnügen, das Lachen in der Komödie zu einem didaktischen Instrument werden und dem Prodesse der Dichtung untergeordnet sind, zeigen Gottscheds generelle Bemerkungen zur Fabel, die in etwas modifizierter Fonn das Grundgerüst für Drama und Epik bildet: Zu allererst wähle man sich einen lehrreichen moralischen Satz, der in dem ganzen Gedichte zum Grunde liegen soll, nach Beschaffenheit der Absichten, die man sich zu erlangen, vorgenommen. Hierzu ersinne man sich eine ganz allgemeine Begebenheit, worinn eine Handlung vorkömmt, daran dieser erwählte Lehrsatz sehr augenscheinlich in die Sinne fällt. 9
Die Lehre der Komödie richtet sich nun, im Gegensatz zur Tragödie mit ihren schwerwiegenden Unglücksfällen, auf die kleinen Laster, Unbilligkeiten und Ungereimtheiten der Menschen, die als lächerliche Verhaltensweisen auf der Bühne erscheinen, ,,[d]enn das Auslachenswürdige gehört eigentlich in die Comödie, das Abscheuliche und Schreckliche hergegen läuft wider ihre Absicht" 10. Es ist der Nexus von Lächerlichkeit und Lasterhaf7 Im übrigen sei hier auf grundlegende Darstellungen der Aufklärungskomödie verwiesen: Vgl. u.a. Holl, Geschichte des deutschen Lustspiels, S. 117-185. Hinck, Das deutsche Lustspiel des 17. und 18. Jahrhunderts, S. 168-213. - Norbert Müller, Die poetische Gerechtigkeit im deutschen Lustspiel der Aufklärung. [Diss. Mainz] München 1969, S. 19-49. - Steinmetz, Die Komödie der Aufklärung, S. 1962. - Steinmetz, Das deutsche Drama von Gottsched bis Lessing, S. 31-61. - Greiner, Die Komödie, S. 143-168. 8 Johann Christoph Gottsched, Versuch einer Critischen Dichtkunst [... ]. Anderer besonderer Theil. Dritte und vermehrte Auflage. [... ] Leipzig 1742, in: J. Chr. G., Ausgewählte Werke. Hrsg. von Joachim Birke/Brigitte Birke. Bd. VI, 2. Berlin, New York 1973, S. 348. (Im folgenden zitiert als Gottsched, AW VI, 2) 9 Johann Christoph Gottsched, Versuch einer Critischen Dichtkunst [... ]. Erster allgemeiner Theil. Dritte und vermehrte Auflage. [... ] Leipzig 1742, in: J. Chr. G., Ausgewählte Werke. Hrsg. von Joachim Birke/Brigitte Birke. Bd. VI, 1. Berlin, New York 1973, S. 215. (Im folgenden zitiert als Gottsched, AW VI, 1) 10 Gottsched, AW VI, 1, S. 216.
Lessings Vorgänger
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tigkeit, von Gottsched als "allgemeine Thorheiten", als geringfügige Verfehlungen gegen die vernünftige Gesellschaftsordnung begriffen, die zu einem Konstituens des im Umfeld und unter der Ägide des Leipziger Professors entstehenden Sächsischen Lustspieles werden sollten. Die Komödie ist für Gottsched, ganz in der Tradition des Aristoteles, der fraglose Autorität besitzt, die Nachahmung einer lasterhaften und zugleich lächerlichen Handlung. 11 Eine nur dem Vergnügen, dem Delectare dienende Darstellung ist in diesem Sinne undenkbar, und so führt dieses Postulat unter anderem zu einer Ablehnung der Commedia dell' arte und insbesondere der sich einer didaktischen Instrumentalisierung stets entziehenden Harlekinfigur, die schließlich in einem symbolischen Akt von der Bühne verbannt wurde. 12 Ziel der komischen Handlung muß es sein, dem Betrachter die Unvernünftigkeit einzelner Handlungsweisen, da gegen aufklärerische Gesellschaftsnormen verstoßend, vor Augen zu führen, indem sie auf und vor der Bühne "zum Spotte und Gelächter" werden, sie ein strafendes Verlachen von höherer moralischer Warte aus ereilt. Diese negativen Folgen menschlicher Lasterhaftigkeiten können, laut Gottsched, erzieherisch wirksam werden, denn der Nutze und Schade der daraus erwachsen kann, wird sehr lebhaft vorgestellt, und die Zuschauer, die damit vielleicht behaftet sind, werden bewogen, sich derselbigen zu entledigen: indem sie besorgen müssen eben so auslachenswürdig zu erscheinen, als die lasterhaften Personen auf dem Schau=Platze gewesen. Wer nur die allergeringste Ehrliebe bey sich hat, der kan dieses unmöglich erdulden und es ist ihm unerträglich, wenn er andern zum Gelächter werden soll. Darum machen diese Vorstellungen einen sehr tiefen Eindruck in seinem Gemüthe, und sind oft kräftigere Bewegungs=Gründe, vom Bösen abzustehen, als die besten Vernunft=Schlüsse eines Sittenlehrers. 13
Mit dieser Wirkintention ist die Komödie auf die Form der Satire festgelegt, die eine vernünftige Lebensregel e contrario einprägsam vermittelt und sie durch Verlachen des Abnormen bekräftigt. 14 Ein differenzierendes Vgl. Gottsched, AW VI, 2, S. 348. Zu Gottscheds Vorbehalten gegen Commedia deli' arte und Theatre italien vgl. insbesondere Hinck, Das deutsche Lustspiel des 17. und 18. Jahrhunderts, S. 171, 174f.,179f. 13 [Johann Christoph GottschedJ, in: Die vernünftigen Tadlerinnen, 16. Stück, 25. Aprill725. Halle 1725, S. 132-136, hier S. 136. - Vgl. dazu auch: Die Comödie will durch die Vorstellung des Ungereimten belustigen, und durch das dadurch erregte Gelächter die Zuhörer bewegen, solches abgeschmackte Wesen fahren zu lassen. ([Johann Christoph GottschedJ, Zufällige Gedanken über Herrn Adam Daniel Richters, Rect. zu Annaberg Regeln und Anmerkungen über die lustige Schaubühne, in: Beyträge zur Critischen Historie der Deutschen Sprache, Poesie und Beredsamkeit, hrsg. von einigen Liebhabern der deutschen Litteratur. 7. Band, 25. Stück. Leipzig 1741, S. 580, Anm. b.) 14 Vgl. ebenso Greiner, Die Komödie, S. 152. II
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Lessings Vorgänger
Schema wird allerdings unmöglich, da um der erzieherischen Wirkung willen die Tugend, die Vernunft belohnt werden muß, das Laster hingegen verlacht und bestraft wird. 15 Als von dieser didaktischen Korrekturfunktion bestimmt erweist sich nicht zuletzt die Figurenkonzeption der Komödie. So betreten keine individuellen, psychologisch motivierten Charaktere die Bühne, vielmehr werden hier Typen entworfen, die, vielfach nur auf eine bestimmte Rolle hin konzipiert, eine Eigenschaft, ein einziges Laster tragen, das für den Zuschauer unmißverständlich wahrnehmbar sein muß. Diese Figuren stehen überwiegend als personifizierte Laster ohne Biographie, als zeitlose Gestalten ohne innere Entwicklung vor uns. Weil die Komödie nicht auf einzelne Personen zielt, sondern, so die Critische Dichtkunst, allgemeine Torheiten lächerlich machen will, müsse der Dichter die Natur und Art der Menschen zu beobachten wissen, jedem Alter, jedem Stande, jedem Geschlechte, und jedem Volke solche Neigungen und Gemüthsarten geben, als wir von ihnen gewohnt sind. Kömmt ja einmal was außerordentliches vor; z. E. daß etwa ein Alter nicht geizig, ein Junger nicht verschwenderisch, ein Weib nicht weichherzig, ein Mann nicht beherzt ist: so muß der Zuschauer vorbereitet werden, solche ungewöhnliche Charactere für wahrscheinlich zu halten. 16
Als entscheidend für die Beurteilung einer Komödie erweisen sich neben dieser Erfüllung ihrer moraldidaktischen Aufgabe die unbedingte Wahrung der Wahrscheinlichkeit des Erdichteten 17 und nicht zuletzt die Umsetzung 15 Vgl. dazu auch die von Christian Wolff postulierte Erziehungsaufgabe des Dramas: [S]o sind Comödien und Tragödien sehr dienlich zur Besserung des Menschen, wenn die Tugenden und Laster nach ihrer wahren Beschaffenheit vorgestellet werden, absonderlich aber darauf gesehen wird, daß man zeiget, wie die freudigen Begebenheiten aus der Tugend, hingegen die Trauer-Fälle aus den Lastern kommen, indem es doch endlich bey aller Lenckung des Willens darauf ankommet, daß man den Erfolg der Handlungen vorher siehet. (Christian Wolff, Vernünftige Gedancken Von dem Gesellschaftlichen Leben der Menschen Und insonderheit Dem gemeinen Wesen. Zu Beförderung der Glückseligkeit des menschlichen Geschlechtes, Den Liebhabern der Wahrheit mitgetheilet. Frankfurt, Leipzig 5 1740, S. 275 f.; zitiert in: Steinmetz, Das deutsche Drama von Gottsched bis Lessing, S. 32.) Vgl. Gottscheds Auffassung, die ebendieses Muster zeigt: Endlich sollte man billig in einem ieden Schau=Spiele entweder ein Laster, oder eine Tugend vorstellig machen: aber dergestalt, daß man bey jenem, allezeit das darauf folgende Verderben und Unglück als eine Strafe desselben: bey dieser hingegen, die darauf folgende Glücks=Fälle und Wohlfahrt, als ihre Belohnung bemercken könte. (Gottsched, in: Die vernünftigen Tadlerinnen, 16. Stück, 25. April 1723, Halle 1725, S. 137.) 16 Gottsched, AW VI, 2, S. 354. 17 Vom Standpunkt einer psychologischen Figurengestaltung, wie ihn auch Lessing einnimmt, aus betrachtet, erscheint die von Gottsched vertretene Typisierung und Reduktion der dramatis personae als ein Verstoß gegen das Prinzip der Wahr-
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jener von der Antike abgeleiteten und seit dem französischen Klassizismus verbindlichen Regeln, vor allem der Einheitenlehre und der StändeklauseI. Exempla derartig regelmäßig gestalteter Tragödien und Komödien beinhaltet die von Gottsched herausgegebene Dramenanthologie Die deutsche Schaubühne, die mit ihrer großen Anzahl von Übersetzungen fremdsprachiger Werke, insbesondere der nach Meinung Gottscheds in ihrer Dramenkunst unerreichten französischen Dichter, zugleich den deutschen Dramatikern Modell gelungener Komödiengestaltung sein Will.'8 Gerade diese starke Orientierung am klassizistischen Drama Frankreichs sollte Gottsched schließlich auch Lessings harsche Worte im 17. Literaturbrief und, in indirekter Form, wiederholte Male in der Hamburgischen Dramaturgie eintragen. Nichtsdestoweniger übte Gottsched gerade in den Jahren vor der Mitte des 18. Jahrhunderts eine große Faszination aus, welche eine rege Lustspielproduktion junger Schüler wie z. B. Gottlieb Fuchs, Adam Gottfried Uhlrich, Heinrich Borckenstein, Theodor Johann Quistorp, Christlob Mylius, Johann Elias Schlegel und allen voran Luise Adelgunde Gottschedin zeitigte, deren in der bürgerlichen Lebenswelt angesiedelte Komödien großenteils den Gottschedschen Regeln Rechnung tragen. Dieser Werkbestand offenbart allerdings auch die begrenzten Variationsmöglichkeiten des satirischen Lustspiels, sei es in Form von monomischer oder von binomischer Handlungsstruktur, '9 selbst wenn die aus französisch-italienischer Tradition übernommene Intrige die einseitige Bloßstellung des Lasters in seiner Wiederkehr strukturell gleichartiger fehlerhafter Handlungen zu durchbrechen vermag und so die Tugendpartei stärker ins Spiel bringt. Mehr und mehr avanciert dabei ein Dienerpaar zum Initiator eines Ränkespieles,2o das moralisch wertfrei bleibt. Das Publikum, im Bilde über die Täuschungsmanöver, sympathisiert mit den gewitzten Dienern, ergötzt sich an der geschickten Düpierung ihrer Opfer, beklatscht das artistische Spiel und genießt hier ein Vergnügen, das bereits über Gottscheds Maxime der unterhaltenden Belehrung hinausreicht. Gottscheds Literaturreform fand aufgrund ihrer strengen Regelhaftigkeit alsbald entschiedene Gegner, wie z. B. die beiden Schweizer Bodmer und Breitinger, die heftig gegen Gottscheds Nachahmungstheorie, vor allem im Hinblick auf die Frage nach dem Wunderbaren in der Dichtung, opponierten?' Doch selbst im Kreis seiner Anhänger wurden Tendenzen spürbar, scheinlichkeit. Einer Diskrepanz zwischen seinem Komödienpersonal und der Wahrscheinlichkeitsmaxime scheint sich Gottsched allerdings nicht bewußt zu sein. 18 Zur Schaubühne vgl. auch Steinmetz, Die Komödie der Aufklärung, S. 26-28. - Ders., Das deutsche Drama von Gottsched bis Lessing, S. 42-54. 19 Vgl. dazu Steinmetz. Die Komödie der Aufklärung, S. 33-39. 20 Vgl. zu möglichen Spielformen der Intrige: ebda., S. 28 f., 39-45. 2*
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die eine Lockerung des satirischen Komödientyps, ja sogar einen Bruch mit dieser Theorie bedeuten. Eine Distanz zum Regelkanon der Critischen Dichtkunst zeigt nicht nur ein Teil der Lustspiele Johann Elias Schlegels, selbst wenn sie ihrer Grundstruktur nach noch als Typenkomödien zu werten sind, auch seine theoretischen Schriften offenbaren in mancherlei Hinsicht Positionen, die über Schlegels Zeit auf Lessing vorausweisen. 22 Bereits Der geschäfftige Müßiggänger, obschon von Gottsched in den vierten Teil der Schaubühne aufgenommen, läßt einige auffallende Modifikationen des bisher gekannten Schemas erkennen. So ist in diesem Lustspiel eine vernünftige Öffentlichkeit, die die Stimme der Vernunft und der gesellschaftlichen Normen vertritt, kaum mehr existent, da im Grunde alle Figuren negativ überzeichnet sind und deshalb schwerlich Möglichkeiten der Identifikation bieten. Als entscheidend erweist sich vor allem die veränderte Schlußszenerie, die den jungen Müßiggänger eben nicht als einen Einsichtigen, reuig Gebesserten vorstellt. Zwar geht ihm die angestrebte Sekretärsstelle ebenso wie seine Braut verloren, Fortunat bedrückt dies indes in keiner Weise, kann er doch jetzt seinen liebsten Beschäftigungen weiter nachgehen. Das Prinzip Korrektur oder strafender Ausschluß aus der Gesellschaft wird hier von Schlegel negiert, der Protagonist bleibt, wie später bei Lessing, derjenige, der er von Beginn an war. Schlegels Einakter Die stumme Schönheit aus dem Jahre 1747, die schon aufgrund ihrer Versform gegen die Vorgaben der Critischen Dichtkunst verstößt, verrät eine noch deutlichere Distanz zur Gottschedschen Komödiendefinition. Ein ins Spiel gekleideter moralischer Satz ist hier eigentlich nicht mehr auszumachen, zumal das Laster keineswegs wie bisher verwerflich, die Tugend nicht anmaßend oder moralisierend erscheint, ja, die "negative" Figur Charlottes, soweit man davon überhaupt noch sprechen kann, durch Schönheit und äußeren Liebreiz besticht. Steinmetz attestiert diesem kleinen Werk "die Leichtigkeit einer wertfreieren Komik"23, die nicht verlangt, sich reuig zu bessern, sondern die Personen, so 21 Vgl. dazu Angelika Wetterer, Publikumsbezug und Wahrheitsanspruch. Der Widerspruch zwischen rhetorischem Ansatz und philosophischem Anspruch bei Gottsched und den Schweizern. Tübingen 1981 (Studien zur deutschen Literatur 68). - Hans Otto HorchlGeorg-Michael Schu/z, Das Wunderbare und die Poetik der Frühaufklärung. Gottsched und die Schweizer. Darmstadt 1988 (Erträge der Forschung 262). 22 Vgl. Müller, S. 47, 48. - Unklar bleibt, ob und wann Lessing die Schriften Johann Elias Schlegels, vor allem seine dramentheoretisch bedeutendste Abhandlung, die Gedanken zur Aufnahme des dänischen Theaters rezipiert, die zwar schon 1747 geschrieben, jedoch nur einem kleinen Freundeskreis bekannt war und erst im 3. Band der in den Jahren 1761-1770 posthum von Johann Heinrich Schlegel besorgten Werkausgabe veröffentlicht wurde. 23 Steinmetz, Die Komödie der Aufklärung, S. 47.
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wie sie sind bzw. weil sie so sind, ihr Glück finden läßt. Die von Gottsched eingeklagte Lehre hat sich damit in Nichts aufgelöst. 24 Auch Schlegels theoretische Schriften bestätigen seine hohe Eigenständigkeit, die ihn Gottsched zwar keineswegs ablehnen läßt, wohl aber in verschiedenen Fragen in Opposition zu ihm steht. Unübersehbar ist Schlegels Neubewertung des Verhältnisses von Vergnügen und Belehrung. Ordnet Gottsched Fabelfindung, Handlungsführung, Personenkonzeption sowie das Delectare der Vermittlung eines moralischen Lehrsatzes unter, so behauptet sein ehemaliger Schüler nun den "Primat des Vergnügens,,25, welcher aus der Nachahmung der menschlichen Handlungen entsteht. Man giebt sonst zum Endzwecke der Dichtkunst zwey Dinge zugleich an, nämlich Vergnügen und Unterrichten. [... ] Wenn wir aber fragen, welches von beyden der Hauptzweck sey: so mögen die strengsten Sittenlehrer sauer sehen, wie sie wollen, ich muß gestehen, daß das Vergnügen dem Unterrichten vorgehe, und daß ein Dichter, der vergnüget und nicht unterrichtet, als ein Dichter, höher zu schätzen sey, als derjenige, der unterrichtet und nicht vergnüget. 26
Allerdings räumt Schlegel ein, daß nichts den Verstand des Menschen so sehr vergnüge, "als was ihn Iehret"27, zumal dann, wenn die Absicht zu unterrichten, nicht sofort ersichtlich sei. In diesem Sinne üben die wenige Jahre später, 1747, entstandenen Gedanken zur Aufnahme des dänischen Theaters Kritik an jenen Kunstrichtem (und damit indirekt an Gottsched), die nur eine "einzige Sittenlehre" in einem Werk verkörpert sehen wollen?8 Schlegel hält an einer utilitaristischen Wirkungsästhetik durchaus fest, allerdings könne das Drama als Sittenlehre nur dann wirksam werden, wenn sie eine "Kenntniß des Menschen", eine "Kenntniß der Charaktere und Leidenschaften,,29 vennittle. 3o Die damit zu erwartende Veränderung der Figurenzeichnung negiert jedoch keineswegs die Typenhaftigkeit, wie sie Gott24 Vgl. Catholy, Das deutsche Lustspiel, S. 37. - Zu Schlegels Komödien vgl. auch Hans Steifen, Die Form des Lustspiels bei Johann Elias Schlegel. Ein Beitrag zur Lustspielform der deutschen Aufklärung, in: Germanisch-Romanische Monatsschrift 42, 1961, S. 413-431. - Zur Stummen Schönheit vgl. Fritz Martini, Johann Elias Schlegel: Die stumme Schönheit, in: Der Deutschunterricht 15, 1963, H. 6, S.7-32. 25 Hinck, Das deutsche Lustspiel des 17. und 18. Jahrhunderts, S. 187. 26 Johann Elias Schlegel, Abhandlung von der Nachahmung, in: J. E. Sch., Ausgewählte Werke. Hrsg. von Wemer Schubert. Weimar 1963 (Textausgaben zur deutschen Klassik 2), S. 486--527, hier S. 508. 27 Ebd., S. 524. 28 Vgl. Johann Elias Schlegel, Gedanken zur Aufnahme des dänischen Theaters, in: J. E. Sch., Ausgewählte Werke, S. 559-585, hier S. 566. 29 Ebd., S. 567. 30 Hier ergeben sich Berührungspunkte mit Lessing, der ebenso von der Fixierung auf einen moralischen Satz abrückt (vgl. dazu 1. Teil, Kap. II und Kap. V. 3 dieser Arbeit).
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sched vertritt, der Dichter zeige uns mit einem Spieler, einem Eifersüchtigen etc. vielmehr einen menschlichen Charakter in größerer Deutlichkeit, während sie in der Natur mit fremden Umständen vermengt wären und erst abgesondert werden müßten?l Da Schlegel aber bereits um die Bedeutung der emotionalen Beteiligung des Betrachters weiß, gesteht er der Komödie Gestalten zu, für die der Zuschauer leiden und hoffen kann, sei es als Neben- oder auch Hauptfiguren. Was Gottsched für das Lustspiel zurückgewiesen hatte, nämlich die Erregung von Leidenschaften, macht Schlegel zu einem entscheidenden Bestandteil seines Verständnisses von Komödie, die, "so sehr es ihre Absicht und Bestimmung ist, Lachen zu erwecken, doch allezeit mit Erregung einiger Leidenschaften vermischt seyn muß,m. Beispiele, welchen diese Verbindung in einer Gestalt gelinge, seien von den Protagonisten Molieres der Misanthrope und der Geizige. Jener ermögliche die Hochachtung des Publikums, während dieser Mitleiden und Lachen zugleich erwecken könne. 33 Tiefgreifendere und wirksamere Impulse, als sie Schlegels durchaus wegweisende Ideen zu geben vermögen, erhält die deutsche Aufklärungskomödie jedoch von der englischen bzw. französischen Konzeption der sentimental comedy und der comedie larmoyante, die insbesondere von GelIert in Deutschland gegen den Widerstand Gottscheds bühnenfähig gemacht wurde. Als Vorreiter dieser Form tritt schon 1741 Adam Daniel Richter mit seiner Forderung einer der lasterhaften Version gleichwertigen "tugendhaften Comödie" hervor, die den Zuschauer mit einer vorbildlichen Hauptfigur erbauen und belustigen könne. Die Belustigung entspringe dabei nicht mehr aus den Lächerlichkeiten der handelnden Figuren, sondern bestehe in der "innerliche[n], angenehme[n] Bewegung des Gemüths über die empfundenen Vollkommenheiten,,34; die Erbauung erfolge durch eine belohnte Tu31 Vgl. Johann Elias Schlegel, Gedanken zur Aufnahme des dänischen Theaters, in: J. E. Sch., Ausgewählte Werke, S. 567. 32 Ebd., S. 574. 33 Ebd. - Hierin zeichnet sich eine deutliche Verwandtschaft mit Lessing ab, der ebenfalls, allerdings differenzierter, gemischte Charaktere einfordert, für die der lachende Zuschauer noch Achtung bewahren kann (vgl. I. Teil, Kap. V. 4 dieser Arbeit). - Berührungspunkte bestehen u. a. in der von Schlegel und Lessing vertretenen Psychologisierung der Figuren bzw. Motivierung der Handlung, die keine Sprünge aufweisen soll (vgl. Johann Elias Schlegel, Gedanken zur Aufnahme des dänischen Theaters, in: J. E. Sch., Ausgewählte Werke, S. 573); ganz ähnlich wie Lessing sieht auch schon Schlegel kausale Zusammenhänge zwischen der Mentalität einer Nation und ihrer Dichtkunst (vgl. ebd., S. 562). 34 Richters Aufsatz ist veröffentlicht in: [Johann Christoph GottschedJ, Zufällige Gedanken über Herrn Adam Daniel Richters, Rect. zu Annaberg Regeln und Anmerkungen über die lustige Schaubühne, in: Beyträge zur Critischen Historie Der Deutschen Sprache, Poesie und Beredsamkeit. 7. Band, 25. Stück, Leipzig 1741, S. 577-604, hier S. 590.
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gend, die so als Vorbild und Ansporn wirke. Mit Ausnahme dieser Neuerungen, die Gottsched in seinen Anmerkungen zu den Regeln und Anmerkungen der lustigen Schaubühne des Annaberger Rektors entschieden ablehnt, bewegt sich Richter allerdings gänzlich im vorgefundenen Rahmen, seine Abhandlung, die sich schon sprachlich eng an die Definitionen der Critischen Dichtkunst hält, bestätigt nachdrücklich deren Regelkanon. Seinen Durchbruch erlebte das deutsche rührende Lustspiel erst durch die Bemühungen Gellerts,35 selbst wenn in dessen frühen Versuchen der Einfluß der Verlachkomödie noch deutlich spürbar ist; Frau Richardin in der Betschwester (1745), vor allem aber Herr und Frau Orgon, Herr Damon und Herr Simon in Das Loos in der Lotterie (1746) entsprechen vollauf satirischen Typen, erst mit den Ziirtlichen Schwestern (1747) erreicht GelIert schließlich die rührende Komödie in ihrer Reinform, die Satirisches fast gänzlich verleugnet. So sehr indes in den beiden vorangegangenen Komödien das Verlachen noch sein Recht beansprucht, im Vordergrund stehen tugendhafte Haltungen, Selbstlosigkeit und Großmut. Wortreiche Dialoge bekunden diese bewunderungswürdigen Charaktereigenschaften, rührende Tugendprüfungen liefern den Beweis, daß Gellerts weibliche Vorbildfiguren bereit sind, auf das eigene Glück, sei es der Geliebte, ein Lotteriegewinn oder eine Erbschaft, um des Glückes anderer willen zu verzichten. Das von GelIert propagierte rührende Lustspiel stellt damit im Grunde nur eine Spiegelung der satirischen Form ins Positive dar. Erhob diese die Lasterdarstellung zum Kernthema des Spieles, zielt der neue Typus nun fast ausschließlich auf die Vergegenwärtigung der Tugend, des Edelmutes und der Liebe, die GelIert in seiner Verteidigungsschrift Pro comoedia commovente als die vornehmste Quelle der Rührung nennt. 36 An die Stelle der lasterhaften Protagonisten, die uns nicht zuletzt deshalb erfreuen, "weil wir ihnen nicht ähnlich scheinen,m, treten nun Charaktere, "aus welchen eine große und zugleich gesellschaftliche Tugend hervorleuchtet,,38. Der didaktische Impe35 Vgl. zur Entwicklung des rührenden Lustspiels: Richard Daunicht, Die Entstehung des bürgerlichen Trauerspiels in Deutschland. 2., verb. und verm. Auflage. Berlin 1963, S. 53-98. - Horst Steinmetz, Nachwort, in: Christian Fürchtegott GelIert, Die zärtlichen Schwestern. Im Anhang: Chassirons und Gellerts Abhandlungen über das rührende Lustspiel. Hrsg. von H. S. Bibliographisch erg. Ausgabe. Stuttgart 1995 (Universal-Bibliothek Nr. 8973), S. 145-158. 36 Christian Fürchtegott Gellerts Pro comoedia commovente veröffentlichte Lessing in deutscher Übersetzung 1754 im ersten Stück seiner Theatralischen Bibliothek. Zitiert wird nach dieser Übersetzung: Des Hrn. Prof. Gellerts Abhandlung für das rührende Lustspiel: LM 6, S. 32-49, hier S. 36. 37 Ebd., S. 46. 38 Ebd., S. 45. - Hinck (Das deutsche Lustspiel im 17. und 18. Jahrhundert, S. 195) bestätigt Margarete Hofius' Urteil (Untersuchungen zur Komödie der deutschen Aufklärung. Mit besonderer Berücksichtigung Johann Elias Schlegels. Diss. [masch.] Münster 1953, S. 186), daß es Gellerts Verdienst sei, mit diesen Figuren
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tus der Komödie ist somit gewahrt, allerdings nicht mehr als erkennbare moralische Belehrung, Korrektur einer Unzulänglichkeit, sondern als Stimulans für eigenes tugendhaftes Handeln und Empfinden: Die Abschilderungen tadelhafter Personen zeigen uns bloß das Ungereimte, das Verkehrte und Schändliche; die Abschilderungen guter Personen aber zeigen uns das Gerechte, das Schöne und Löbliche. Jene schrecken von den Lastern ab; diese feuern zu der Tugend an, und ermuntern die Zuschauer, ihr zu folgen?9
Mit dieser Intention mutiert die Komödie schließlich zu einem, wie es Hinck nennt, "Medium der Selbstbewunderung,,40, das als positives Spiegelbild bürgerlicher Gesellschaft Freude "über unsere eigne Vortreflichkeit [auslöst], wenn wir gute Gemüthsarten betrachten,,41. Überblickt man diese unterschiedlichen komödientheoretischen Positionen und ihre Umsetzungen, wird evident, daß hier keine originellen und innovativen Konzepte vorgestellt werden, eine Ausnahme bildet in Ansätzen allenfalls Schlegel. Die Bestimmung dieser Gattung vollzieht sich vielmehr im Rückgriff auf klassizistische Regeln entweder durch die Dominanz der Lasterhaftigkeit über das Moment des Verlachens oder baut, ebenso einseitig, auf Rührungseffekte einer Tugenddarstellung. 42 Eine vertiefte Ausmittlerer Kondition die Kluft zwischen den fiktiven Personen und dem Zuschauer aufgehoben zu haben. Doch selbst wenn seelische Befindlichkeiten und Motive des Handelns im rührenden Spiel deutlicher akzentuiert werden, so darf dennoch nicht über die Eindimensionalität auch dieser dramatis personae hinweggesehen werden, die "lediglich unter dem umgekehrten Vorzeichen der lasterhaften Typen aus der satirischen Komödie" (Steinmetz, Die Komödie der Aufklärung, S. 54) stehen. 39 Christian Fürchtegott GelIert, Des Hrn. Prof. Gellerts Abhandlung für das rührende Lustspiel: LM 6, S. 48. 40 Hinck, Das deutsche Lustspiel des 17. und 18. Jahrhunderts, S. 192. 41 Christian Fürchtegott Geliert, Des Hrn. Prof. Gellerts Abhandlung für das rührende Lustspiel: LM 6, S. 46. 42 Dies gilt ebenso für vereinzelt erscheinende Beschäftigungen mit der Komödie, die allesamt ohne größeren Nachhall blieben. Kontrovers wurde in dieser Zeit vor allem diskutiert, inwiefern die neue Form des rührenden Lustspiels unter den traditionellen Gattungsbegriff von Komödie subsumiert werden kann (vgI. dazu Komödientheorie. Texte und Kommentare. Vom Barock bis zur Gegenwart. Hrsg. von Ulrich Profitlich in Zusammenarbeit mit Peter-Andre Alt/Karl-Heinz Hartmannl Michael Schulte. Reinbek bei Hamburg 1998 (rowohlts enzyklopädie), S. 36-38). In der Auseinandersetzung über die Legitimität einer gereimten Komödie treten schließlich die Formalia in ihrer wirkungsästhetischen Bedeutung in den Vordergrund (vgI. dazu [Gottlob Benjamin Straube], Versuch eines Beweises, daß eine gereimte Comoedie nicht gut seyn könne, in: Bey träge zur Critischen Historie Der Deutschen Sprache, Poesie und Beredsamkeit [... ]. 6. Bd., 21. Stück, Leipzig 1739, S. 466-485. - Johann Elias Schlegel, Schreiben an den Herrn N. N. über die Comödie in Versen, in: J. E. Sch., Ausgewählte Werke, S. 408-424. - [Gottlob Benjamin Straube], Andere Vertheidigung der nicht gereimten Comödien wider die Einwürfe des Hrn. SchI., in: Bey träge zur Critischen Historie Der Deutschen Sprache, Poesie und Beredsamkeit [... ]. 7. Bd., 25. Stück, Leipzig 1741, S. 287-309).
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einandersetzung mit Gattungsmomenten der Komödie, dem Wesen des Lächerlichen und des Lachens fehlt indes noch in diesen frühen Jahren; erst Lessing wird in seiner Auseinandersetzung mit den zeitgenössischen Modellen erste Antworten auf diese Fragen suchen.
Erster Teil
Lessings Komödientheorie I. Die Plautus-Abhandlung in den Beyträgen zur Historie und Aufnahme des Theaters (1750): Entwurf einer neuen Komödie In der Vorrede zum dritten Teil seiner 1753-55 erschienenen Schriften bemerkt Lessing rückblickend über jene Anfangsjahre seines Schaffens: Ich muß es, der Gefahr belacht zu werden ungeachtet, gestehen, daß unter allen Werken des Witzes die Komödie dasjenige ist, an welches ich mich am ersten gewagt habe. [... ] Theophrast, Plautus und Terenz waren meine Welt, die ich in dem engen Bezircke einer klostermäßigen Schule, mit aller Bequemlichkeit studirte.'
Während jedoch das Vorbild des griechischen Philosophen Theophrast und des römischen Komödiendichters Terenz in Lessings frühen Schriften weniger auszumachen ist - jener vor allem für die Briefe, antiquarischen Inhalts herangezogen wurde, dieser erst in der Hamburgischen Dramaturgie eine nachdrückliche Würdigung fand -, so zeigen bereits die Erstlingswerke den hohen Stellenwert, den Plautus für Lessings lustspiel praktisches und komödientheoretisches Schaffen besitzt,2 ein Stellenwert, der im übrigen nicht erlischt, sondern selbst dem späten Dramaturgen noch eignet. 3 Maßgeblich beeinflußt zeigen sich zu Beginn seines dramatischen Arbeitens die Fragment gebliebenen Lustspielversuche Weiber sind Weiber, eine Bearbeitung des Plautinischen Stichus von 1749, der auf den Pseudolus zurückgreifende lustin und die 1750 unter dem Titel Der Schatz entstandene Umarbeitung des Trinummus, veröffentlicht im 5. Teil seiner Schriften 1755. 4 Lessings , G. E. Leßings Schrifften. Dritter Theil. Vorrede: LM 5, S. 268. Vgl. dagegen Theodor Danzel/Gottschalk Eduard Guhrauer (Gotthold Ephraim Lessing, sein Leben und seine Werke. 2., bericht. und verm. Auflage. Hrsg. von Wendelin von Maltzahn/Robert Boxberger. Bd. I. Berlin 1880, S. 152), die einen direkten Einfluß des römischen Dichters auf Lessing weitgehend ausschließen. 3 Unter dem Stichwort Plautus vermerken die Collectanea (LM 15, S. 346): Es ist Zeit, daß ich den Plautus einmal wieder lese. Ich fange heute, (den 23. Ju. 1769) mit dem Epidicus an, und hier will ich die mancherley Anmerkungen eintragen, die ich über die Komische Kunst, besonders in so fern er sie selbst gelegentlich berührt, und über die Alterthümer dabey machen werde. 4 Vgl. 2. Teil, Kap. III. 1 dieser Arbeit. 2
I. Die Plautus-Abhandlung
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erstes, gemeinsam mit Christlob Mylius unternommenes ehrgeiziges Projekt, die Beyträge zur Historie und Aufnahme des Theaters aus dem Jahre 1750, enthält schließlich eine umfangreiche Abhandlung zu Plautus. Wenngleich bis heute die Verfasserschaft der anonym erschienenen Beiträge der Theaterzeitung noch nicht vollständig geklärt ist, wurde diese Untersuchung stets ohne Zweifel Lessings Feder zugeschrieben. Ausführlich wenden sich diesen Fragen der Urheberschaft Petersen/OlshausenS und J. G. Robertson 6 zu, im übrigen blieb jedoch der Plautus-Komplex von der Lessing-Forschung weitestgehend unbeachtet. Gattungsgeschichten der Komödie 7 verzichten ebenso auf eine eingehende Untersuchung dieser Schrift wie Monographien zum Werk Lessings 8 . Selbst ausdrücklich dem frühen CEuvre unseres Autors gewidmete Arbeiten lassen die Critik über die Gefangnen des Plautus außer acht9 ; jeglicher Verweis auf diese theoretische Schrift fehlt selbst bei Sierke, der den angehenden Dramatiker Lessing in einem Vergleich des Schatzes mit der plautinischen Vorlage beleuchtet. 10 Lediglich Hinck bemerkt in seiner Lustspielhistorie, daß der "theoretische Standpunkt des frühen Lessing [... ] ansatzweise in der Kritik umrissen"!! werde, eine eingehende Analyse unterbleibt jedoch auch hier. Ebenso geringen Stellenwert weisen Lessing-Editoren dieser Literaturkritik zu. Lachmann/Muncker beschäftigen sich unter Einbezug der Untersuchung Robertsons in erster Linie mit der Verfasserfrage der Beyträge,!2 lediglich einen knappen Forschungsüberblick bietet die LessingAusgabe GÖpferts 13 • Eine deutliche Abkehr des reifen Lessing von den Positionen der Plautus-Kritik konstatieren hingegen Petersen/Olshausen.!4 ÄhnVgl. PO 12, S. 24 f. Vgl. J. G. Robertson, Notes on Lessing's "Beyträge zur Historie und Aufnahme des Theaters", in: Modem Language Review 8, 1913, S. 511-532 und Modern Language Review 9, 1914, S. 213-222. Die Ergebnisse Robertsons über die Autorschaft weiterer Beiträge können an dieser Stelle vernachlässigt werden. Vgl. dazu Stenzel, in: B I, S. 1330-1336. 7 Vgl. z.B. Mary Beare, Die Theorie der Komödie von Gottsched bis Jean Paul. [Diss.] Bonn 1927. - Catholy, Das deutsche Lustspiel. - Hall, Geschichte des deutschen Lustspiels. 8 Vgl. z. B. Erich Schmidt, Lessing. Geschichte seines Lebens und seiner Schriften. 2 Bde. 4., durchges. Auflage. Berlin 1923. 9 Vgl. Hans-Ulrich Lappert, G. E. Lessings Jugendlustspiele und die Komödientheorie der frühen Aufklärung. [Diss.] Zürich 1968. 10 Eugen Sierke, E. G. [sie!] Lessing als angehender Dramatiker, geschildert nach einer Vergleichung des "Schatzes" mit dem "Trinummus" des Plautus. [Diss. Leipzig] Königsberg 1869. 11 Hinck, Das deutsche Lustspiel des 17. und 18. Jahrhunderts, S. 256. 12 LM 4, S. V-XII. 13 Guthke, in: G 3, S. 749-752. 14 PO 12, S. 25. 5
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1. Teil: Lessings Komödientheorie
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lich urteilt auch Stenzel, der neben der Verfasserfrage auf Diskrepanzen des jungen Kritikers zum späteren Dramaturgen hinweist. 15 Insgesamt bewertet die Forschung die frühe Beschäftigung Lessings mit dem römischen Dichter - zu Unrecht - als keine "besondere Leistung", ja sie verwirft sie sogar als "ungemein schwach" 16. Innerhalb der wissenschaftlichen Forschung räumt einzig Volker Riedel Lessings Überlegungen zu seinem antiken Vorbild breiteren Stellenwert ein, indem er zu Recht die große Bedeutung insbesondere Plautus' für Lessings frühen dramatischen Werdegang postuliert. 17 Riedel wertet diese Rezeption des antiken Autors jedoch in erster Linie als Schritt hin zum rührenden Lustspiel, dessen Vorgaben die Bewertung der Captivi ganz folge, nicht aber als ersten Ansatz einer neuen Form von Komödie und eines über die zeitgenössische Tradition hinausreichenden Lustspielverständnisses. 18 Dieses geringe Interesse der Forschung mutet indes erstaunlich an, stellt diese erste umfangreichere Schrift Lessings doch den Auftakt zu einer nunmehr lebenslangen Beschäftigung mit komödientheoretischen Fragen dar und bildet gleichzeitig den theoretischen Abschluß seiner frühen Lustspielproduktion. Nicht zuletzt erscheint der Plautus-Komplex besonders aufschlußreich, da dieser mit der Bearbeitung des Schatzes eine praktische Umsetzung erfährt. 19 Damit nimmt die Plautus-Abhandlung für die frühe Schaffensphase eine Schlüsselposition ein, die ihr im Prozeß Stenze!, in: B 1, S. 1352 f. Kar! Otto Conrady, Zu den deutschen Plautusübertragungen. Ein Überblick von Albrecht von Eyb bis J. M. R. Lenz, in: Euphorion 48, 1954, S. 373-396, hier S. 388. - Ebenso Erich Schmidt, Die Quellen der "Comischen Einfälle und Züge" Lessing's. (Lachmann-Muncker 3, 496--500), in: Sitzungsberichte der Königlich Preussischen Akademie der Wissenschaften zu Berlin. 21. Sitzung der philosophisch-historischen Classe vom 22. April. Berlin 1897, S. 462-497, S. 644-645, hier S. 474. 17 Volker Riedei, Lessing und die römische Literatur. Weimar 1976, S. 31-85. Auch wenn sich An Mi Hyun (Die kleinen Fonnen des frühen Lessing. Eine Untersuchung ihres Strukturzusammenhanges. [Diss.] Tübingen 1991, S. 155) in ihrer Analyse der Kleinfonnen Lessings vornehmlich auf fonnale Aspekte konzentriert, so erkennt sie doch die Critik als sein "erstes Eingreifen in die Diskussion vom Wesen und Ziel der Komödie". 18 Eine neue Stufe der Sächsischen Komödie, die Synthese aus satirischer Verlachkomödie und rührendem Spiel sieht Riedeis Untersuchung, Karl Holl folgend, erst mit Lessings Anmerkungen zu Chassirons und Gellerts Darlegungen über die Comedie larmoyante in der Theatralischen Bibliothek 1754 erreicht. Erste Schritte hin zu diesem rührend-heiteren Spiel seien allerdings schon mit der Übertragung des plautinischen Trinummus erfolgt (Riede I, Lessing und die römische Literatur, S. 46-48). Riede! übersieht hier indes, daß Lessing die Critik über die Gefangnen des Plautus mit der Neubearbeitung des antiken Stückes in engste Verbindung setzt und mit dieser Plautus-Nachbildung jene zentralen komödientheoretischen Aspekte erneut verdeutlichen will, die ihm die Captivi zu einem der "schönsten Lustspiele" werden lassen. Die Gestaltung des Schatzes ist somit von den poetologischen Aussagen der Plautus-Abhandlung nicht zu trennen. 15
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I. Die Plautus-Abhandlung
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der Entwicklung Lessingscher Lustspieldefinition eine nicht unwesentliche Bedeutung zukommen läßt. So werden hier erste Aspekte greifbar, die Lessings Komödienverständnis in Zukunft entscheidend bestimmen, gleichzeitig erscheint retrospektiv eine Analyse des Jugendwerkes unter den hier vertretenen Aspekten legitim. Lessings Untersuchung in den Beyträgen gliedert sich im wesentlichen in drei Teile. Als umfangreichster Teil findet sich im dritten und vierten Stück der Theaterzeitschrift die Critik über die Gefangnen des Plautus; dieser geht eine im ersten Stück erschienene Lebens- und Werkbeschreibung des antiken Autors voran, die zugleich Ausgaben, Übersetzungen und eine Beurteilung der Nachwelt vereint und als Einführung der im zweiten Stück publizierten Übersetzung der Captivi dient. Die große Wertschätzung, welche Lessing für Plautus hegt, wird bereits in der Lebensbeschreibung spürbar, die den römischen Autor gegen den von der Nachwelt erhobenen Vorwurf einer zu derben Komik in Schutz nimmt. Das in diesem Zusammenhang verteidigende Argument, "die Verse und die Scherze [machten] so wenig das Wesen der Lustspiele aus, daß ein Dichter ein vortrefflicher Comicus seyn [könne], ob er gleich harte Verse und einige schlimme Späße,,2o habe, entnimmt Lessing zwar dem Vorwort der französischen Plautus-Übersetzung Anne Lerevre Daciers, es stellt aber sicherlich auch seine eigene Meinung dar. Daß es Lessing bei dieser Skizze nicht um eine bloße philologische Biographie bzw. Werkbeschreibung gehen konnte, sondern ihn zugleich stets komödientheoretische Fragen beschäftigten, offenbart nicht erst dieses Urteil. So verknüpft er den Bericht zur Lebens- und Rezeptionsgeschichte des antiken Schriftstellers wiederholt mit wirkungsästhetischen Betrachtungen zur Komödie, die durchaus ein wesentliches Thema des Plautus-Komplexes bilden. Das Selbstzeugnis des heiligen Hieronymus, er selbst habe nach vergossenen Tränen über begangene Sünden fleißig Plautus studiert, gibt dem jungen Autor schließlich Gelegenheit zu einer grundsätzlichen Rechtfertigung des komischen Spieles, die zugleich eine Rehabilitation des von der Nachwelt zum Teil geschmähten Plautus bildet?l Es erscheint Lessing hier keineswegs als Widerspruch, 19 Dieses Vorgehen hatte Lessing am Ende seiner Kritik angekündigt: [I]ch bin aber auf den Einfall gekommen, sie [die Schönheiten der Lustspiele des Plautus] lieber in einer Nachahmung empfindlich zu machen. Ich will meinen Lesern nicht voraus sagen, von welcher Art diese Nachahmung seyn soll; genug, daß ich sie in einem der nächsten Stücke liefere. (Lessing, Beschluß der Critik über die Gefangnen des Plautus: LM 4, S. 192. (Im folgenden zitiert als: Beschluß)) Diese Veröffentlichung kam indes nicht mehr zustande, die Bey träge zur Historie und Aufnahme des Theaters stellten mit dem vierten Stück ihr Erscheinen ein. 20 Lessing, Abhandlung von dem Leben, und den Werken des Marcus Accius Plautus: LM 4, S. 70 f. (Im folgenden zitiert als: Plautus)
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1. Teil: Lessings Komödientheorie
das Laster zu verlachen und es zu beweinen,22 vielmehr wertet er es als verschiedene Arten der Betrachtung desselben Themas. Jenes entspringe der Vorstellung, Laster spiegelten sich in widersinnigen Vergehen, dieses resultiere aus dem Glauben, Untugenden stünden gegen die Pflicht des Menschen und erregten den Zorn Gottes: 23 Im ersten Falle muß man darüber lachen, in dem andern wird man sich darüber betrüben. Zu jenem giebt ein Lustspiel, zu diesem die heilige Schrift die beste Gelegenheit. 24
Lessing führt mit dieser Erörterung zweifelsohne einen Brief vom 28. April 1749 an seinen Vater fort, der wie die Beyträge die Frage thematisierte, ob "denn ein Christ über die Laster nicht lachen,,25 dürfe. Hatte Lessing im Schreiben die Antwort noch offen gelassen und auf sein auch Theologen willkommenes Lustspiel Der Freygeist verwiesen, schlägt nunmehr die Plautus-Abhandlung in dieser Frage einen durchaus gewagten Bogen von der Bibel, die Gelegenheit gebe, sich über menschliche Fehler zu betrüben, hin zur Laster verlachenden Komödie. Denn wer das Laster verlacht, der verachtet es zugleich, und beweiset, daß er lebendig überzeugt ist, Gott habe es nicht etwan aus einem despotischen Willen zu vermeiden befohlen, sondern daß uns unser eignes Wohl, unsre eigne Ehre es zu fliehen gebiethe26 .
Seine Verfehlungen nur zu beweinen, dünkt Lessing nicht überzeugend, er ist vielmehr der Auffassung, daß "man beydes [verlachen und beweinen] 21 Im Zusammenhang mit der Rezeptionsgeschichte des antiken Komödiendichters fügt Lessing am Ende der Critik der Gefangnen eine für die damalige Zeit höchst modeme und durchaus neuartige Betrachtungsweise literarischer Zeugnisse an, die auf Herder vorausweist. Will man, so Lessing, einen Dichter angemessen beurteilen, müsse dies im Kontext und aus dem Geist seiner Zeit heraus geschehen, denn es sei die größte Ungerechtigkeit, die man gegen einen alten Schriftsteller ausüben kann, wenn man ihn nach den itzigen feinem Sitten beurtheilen will. Man muß sich durchgängig an die Stelle seiner Zeitgenossen setzen, wenn man ihm nicht Fehler andichten will, welche bey ihm keine sind. (Lessing, Critik über die Gefangnen des Plautus: LM 4, S. 171 f. (Im folgenden zitiert als: Critik» Vgl. hierzu auch Jürgen Stenze I, Auseinandersetzung in Lessings frühen Schriften, in: Streitkultur. Strategien des Überzeugens im Werk Lessings und zur Literatur des 18. Jahrhunderts. Referate der Internationalen Lessing-Tagung der Albert-LudwigsUniversität Freiburg und der Lessing Society an der University of Cincinnati, Ohio/ USA, vom 22. bis 24. Mai 1991 in Freiburg im Breisgau. Hrsg. von Wolfram Mauser/Günter Saße. Tübingen 1993, S. 494-500, hier S. 498 f. 22 Lessing, Plautus: LM 4, S. 67. 23 Vgl. ebd. 24 Ebd., S. 68. 25 Lessing an Johann Gottfried Lessing, 28. April 1749: LM 17, S. 16. 26 Lessing, Plautus: LM 4, S. 68.
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zugleich sehr wohl thun könne,,27 und - dies ist zu ergänzen - tun solle. Hier deutet sich erstmalig, wenn auch noch sehr vage, eine Vorstellung jener für Lessing späterhin bezeichnenden Beziehung von Lachen und Weinen an. Gleichwohl darf an dieser Stelle nicht übersehen werden, daß die Plautus-Abhandlung trotz erster eigenständiger Ansätze, die insbesondere in der Critik zum Tragen kommen, noch der Tradition der satirischen Typenkomödie verpflichtet ist, als deren wesentliches Element das Verlachen gilt. 28 Insgesamt haften Lessing noch, wie Schmidt plastisch formuliert, "die Eierschalen des Gottschedianismus,,29 an. Betrachtet man in diesem Zusammenhang die Dramen des Jahres 1749, so muten diese Äußerungen erstaunlich an, geht doch Lessing im Misogyn, deutlich aber mit dem Freygeist und den Juden über die Verlachkomödie Gottscheds hinaus. Eine Erklärungsmöglichkeit für diese Inkonsistenz wäre eine relativ frühe Entstehung dieser Lebensbeschreibung im Winter bzw. Frühjahr 1749 im Umfeld des Briefes an den Vater, also noch vor der Niederschrift der Lustspiele, der dann deutlich später die Critik über die Gefangnen folgt. Nicht zu leugnen ist allerdings, daß Lessing in dieser Zeit der Beyträge offenbar noch keinen ganz festgefügten Standpunkt gefunden hatte. So kritisiert zwar die Vorrede des Periodikums die deutsche Schaubühne, die durch ihre zu starke Orientierung am französischen Vorbild einförmig geworden sei und dabei ein eigenes nationales Kolorit vermissen lasse,3D gleichzeitig werden aber noch die unwidersprechlichen Verdienste Gottscheds um das deutsche Theater betont. 31 Daß der junge Schriftsteller trotzdem beginnt, seine engen Räume zu sprengen, er durchaus kritisch um eigene komödien theoretische Positionen ringt, bringen mit wenigen Worten der Vorbericht des Uebersetzers und die folgenden Kommentare zum Ausdruck. Lessing wendet sich an dieser Stelle nachdrücklich gegen den "itzt einreißenden verkehrten,,32 Lustspielgeschmack, d. h. die Comedie larmoyante, den es zu hemmen gelte. Noch deutlicher wird er in seinen Anmerkungen zum Vorredner an die Zuschauer, wenn er den zeitgenössischen Dichtem rät, Plautus' Hinweis "Hoc Ebd., S. 67. Dem Gottschedschen Regelkanon noch verhaftet zeigt sich auch der oben zitierte Brief an Johann Gottfried Lessing, wenn es heißt: "Ein Comödienschreiber ist ein Mensch, der die Laster auf ihrer lächerlichen Seite schildert" (Lessing an Johann Gottfried Lessing, 28. April 1749: LM 17, S. 16). 29 Schmidt, Lessing, Bd. 1, S. 168. 30 V gl. Lessing, Bey träge zur Historie und Aufnahme des Theaters. Vorrede: LM 4, S. 50, 53. 31 Ebd., S. 54 f. 32 Lessing, Die Gefangnen. Vorbericht des Uebersetzers: LM 4, S. 84. 27 28
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paene lmquum est Comico choragio,/Conari de subito nos agere Tragoediam" zu beherzigen, denn es ist, als wenn sich unsere Zeiten verschworen hätten, das Wesen der Schauspiele umzukehren. Man macht Trauerspiele zum Lachen, und Lustspiele zum Weinen. Den Franzosen könnte man es noch eher erlauben [... ]. Sie haben schon Trauerspiele genug, die zum Weinen, und Lustspiele, die zum Lachen bewegen. Warum die Deutschen aber, die ihnen hierinne noch weichen müssen, da mit Ruhm anzufangen glauben, wo diese mit Schanden aufgehöret haben, das begreifen wir nicht?3
Diese Äußerungen entkräften nicht zuletzt die Annahme, Lessing beschreite in seiner frühen Schaffensphase den Weg von der satirischen Typenkomödie hin zum rührenden Lustspiel. 34 Sein Verdikt dieser neuen Komödienkonzeption hätte nicht strenger ausfallen können. Im dritten Teil seiner Beschäftigung mit Plautus, der Critik über die Gefangnen, sucht Lessing schließlich zu belegen, daß es sich bei den Captivi um "das vortrefflichste Stück [handelt], welches jemals auf den Schauplatz gekommen ist"35. Schon der junge Kritiker bedient sich hier jener für den späteren Hamburger Dramaturgen so charakteristischen induktiven Vorgehensweise, die, ausgehend vom Exempel, grundlegende dramaturgische Probleme diskutiert, ohne aber den tradierten Regelkanon fraglos zugrunde zu legen, sondern durchaus neue Wege des Lustspielverständnisses beschreitet. Aufmerksamkeit hat vielfach die Frage gefunden, ob es sich bei dem in der Plautus-Kritik angeführten Brief, der dem positiven Urteil Lessings widerspricht, tatsächlich um die Reaktion eines Anonymus handelt oder eine fiktive Epistel des Kritikers selbst darstellt. Der seit Karl Lessing vertretenen opinio communis der Forschung, Lessing maskiere sich als strenger Gottschedianer, um seine Position um so überzeugender erscheinen zu lassen?6 hat Robertson nachdrücklich widersprochen. Nicht nur Sprache und Stil, vor allem "a wide knowledge of French literature of the theatre - wider, no doubt, than Lessing as yet had"37, widersprächen einer Autorschaft Lessings. Die ausführliche anonyme Briefkritik nimmt ihren Ausgangspunkt in Lessings Bewertung der Gefangnen als eines der schönsten Lustspiele und führt gegen diese eine offensichtliche Vernachlässigung der Einheiten von 33 Ebd. Der Vorredner an die Zuschauer, S. 87. 34 Laut Riedel (Lessing und die römische Literatur, S. 46, 49 f.) finde das rührende Lustspiel auf theoretischem Gebiet seinen entscheidenden Niederschlag in der Plautus-Rezeption, da Lessing in seiner Bewertung der Captivi ganz den Bahnen des weinerlichen oder rührenden Typs folge. 35 Lessing, Plautus: LM 4, S. 79. 36 Vgl. Schmidt, Lessing, Bd. I, S. 168. - PO 13, S. 24. 37 Robertson, Notes on Lessing's "Beyträge zur Historie und Aufnahme des Theaters", S. 527.
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Zeit (dies teilweise in akribischer Aufrechnung) und Handlung ins Feld, daneben aber auch die verderbte Sprache des Plautus mit ihren anstößigen Stellen, schlechten, platten Scherzen und zweideutigen Redensarten. 38 Selbst die Personengestaltung, deren Charaktere zwar "auf das vollkommenste ausgebildet,,39 seien, mildert den negativen Tenor des Anonymus nicht, der eine Bestätigung seines Urteils nicht zuletzt darin zu finden glaubt, daß die Captivi von neueren Dichtem nicht nachgeahmt oder rezipiert worden seien. 4o Eine Fußnote zu dieser Stelle enthält Lessings entscheidende Entgegnung. Eine Nachahmung, so Lessing, existiere in der Tat nicht, allein eben deswegen, weil es von einer so be sondern Einrichtung ist, daß ich glaube, es zeige uns eine ganz neue Art von Lustspielen, an die sich die neuern Dichter auf keine Weise gewagt41 •
Nicht in Plautus' mangelnder Kunstfertigkeit liege also die Ursache, vielmehr hätten nachfolgende Dichtergenerationen den Wert, die Besonderheit dieser antiken Komödie verkannt. Worin dieses Novum der Gefangnen besteht, versucht nun der zweite Teil der Plautus-Rechtfertigung aufzuzeigen, verbunden mit dem Bemühen, das römische Stück von den "schimpflichen Vorwürfen" des anonymen Kritikers zu befreien. In diesem Zusammenhang macht Lessing nochmals deutlich, daß nicht alle plautinischen Stücke derart innovativ einzuschätzen seien, sondern die Captivi ein Werk sui generis im CEuvre des antiken Autors darstellten. Diese Sonderstellung zeige sich u. a. bei der Personengestaltung, die Lessing im Zusammenhang mit dem Vorwurf des zu tadelnden Witzes, der "seichten und nichtsbedeutenden" Scherze aufgreift. Am Exempel der alten Komödie nennt Lessing zunächst das komische Personal eines der klassizistischen Dramentheorie und damit der Ständeklausel verpflichteten Lustspieles: lächerliche Leute niedrigen bzw. allenfalls mittleren Standes, sowie "alle geringre Sorten von Menschen,,42. Fungierte der Chor des antiken Lustspiels noch als moralische Instanz, so sei diese Funktion nach dem Verschwinden des Chores auf tugendhafte Charaktere übergegangen, um so eine Besserung der Zuschauer zu gewährleisten. Indes wie gut und ernsthaft diese auch sein mochten, diesen Figuren wurde von der Komiktheorie "weder ein erhabner Geist noch ein edles Herz,,43 zugebilligt. Nach Lessing lassen sich diese gerade in den Gefangnen finden und bewirken 38 Die zugleich erhobene Kritik an Lessings Übersetzung kann in diesem Zusammenhang vernachlässigt werden. 39 Vgl. Lessing, Critik: LM 4, S. 168. 40 Vgl. ebd., S. 140. 41 Ebd., S. 141. 42 Lessing, Beschluß: LM 4, S. 183. 43 Ebd. 3 Kombacher-Meyer
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1. Teil: Lessings Komödientheorie
durch ihre erhabenen Gesinnungen eine Veredelung dieses Lustspiels, das damit zum Vorbild späterer Komödienschreiber avanciert: "Wie gut wäre es, wenn sie ihm [Plautus] treuer gefolgt wären!,,44 ruft Lessing seinen Lesern hier zu. Diese Forderung eines neuartigen Typus von Helden für die deutsche Aufklärungskomödie, der bisher der Tragödie vorbehalten war,45 formuliert zugleich eine Abkehr von Gottscheds Regelverständnis. Insbesondere in der Zeichnung der dramatis personae erweist sich Plautus als vorbildlich, differenziert er doch die Figuren durch eine ihrem Stand und ihrer Gemütsart adäquate Sprache. In diesem Sinne wertet Lessing im Kontrast zur anonymen Briefkritik die Beobachtung, daß die bemängelten Scherze fast ausschließlich im Dialog der Diener und des Schmarotzers Ergasilus fallen, als genaue Nachahmung, die Lob verdiene, da die Plautinischen Knechte wie rechte Knechte dächten und redeten und nicht wie solche aus der fiktiven Welt des Komödienschreibers. 46 Der Schmarotzer hingegen mache sich durch seine zotenhaften Possen beim Publikum verhaßt und erfülle damit Plautus' Absicht, auf diese Weise derartige Personen bloßzustellen; eine Intention, die mit geistreichen Scherzen, so Lessing, wohl kaum zu erzielen wäre. Nicht allein die rechte Nachahmung müsse also den Dichter bei seinem Arbeiten leiten, sondern stets auch die mit dem Stück verbundene Intention. Diese Ansätze weisen schon auf Gedanken der Hamburgischen Dramaturgie voraus, deren 34. Stück für den Entwurf der Charaktere Übereinstimmung und Absicht fordert. Eine bloße Mimesis nur um der Nachahmung willen verwirft Lessing in diesem Zusammenhang, das wahre Genie dichte und ahme in einer bestimmten Absicht nach, die letztlich Mittel und Gestaltung bestimme. 47 Aus "dieser Ansehung der getroffenen Natur" heraus vermag Lessing die Sprache des antiken Autors in den Captivi sehr wohl zu verteidigen und Plautus erneut als Beispiel hervorzuheben, welches man den meisten neuern Dichtern unendlich vorziehen [muß], die in allen Kleinigkeiten so viel Geistiges anbringen, daß sie das Körperliche ihres Gedichts gar darüber aus der Acht lassen48 . Ebd., S. 192. Diese auffallende Betonung der edlen Charaktere in der Komödie könnte möglicherweise auch durch die Beschäftigung mit Riccobonis Schauspielkunst angestoßen worden sein, die von Lessing übersetzt und im vierten Stück der Beyträge vor dem Beschluß der Critik veröffentlicht wurde. Die darin enthaltene Passage "Das Lustspiel" verweist ausdrücklich darauf, daß auch das Lustspiel oft edle Personen zeige und auf tragische Momente zurückgreifen könne (v gl. Die Schauspielkunst an die Madame *** durch den Herrn Franciscus Riccoboni, den jüngern. Aus dem Französischen übersetzt: B 1, S. 884-934, hier S. 914). 46 Lessing, Beschluß: LM 4, S. 183. 47 Vgl. Lessing, HD, 34. Stück: LM 9, S. 327. 48 Lessing, Beschluß: LM 4, S. 185. 44
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Dieser Hinweis zielt in seiner Bildlichkeit auf ein großes Anliegen Lessings, das ebenso seine Rezensionen immer wieder erkennen lassen. Die Fonn des Dramas muß vom Dichter als etwas ganz Wesentliches beachtet werden. Eine Komödie allein mit geistreichen Pointen zu zieren, genüge nicht, wenn nicht auch der dramatische Konflikt, der Aufbau des Stückes kunstvoll geknüpft werde. Trotz angestrengten Bemühens vennag es Lessing im folgenden nicht, die Vorwürfe des Anonymus im Hinblick auf die "mechanische Einrichtung", d. h. die Einheiten des Stücks gänzlich zu entkräften. Es gelingt ihm lediglich, die Handlung, an deren Ende sich Hegios entführter Sohn im Sklaven Tyndarus wiederfindet, als eine Einheit zu erklären. L'unite de l'interet, die La Motte in seinen Reflexions sur La tragedie als wesentliches Element des Trauerspiels erkennt,49 überträgt Lessing hier auf die Komödie, bliebe doch sonst der Zuschauer über das Schicksal der liebenswürdigsten Figur der Gefangnen verstimmt: Wäre es billig gewesen, daß bey dem Schlusse des Stückes alle spielende Personen Ursache gehabt hätten sich zu freuen, und nur die liebenswürdigste nicht? 50
Dieser Ausgang laufe um so weniger der Einheit der Handlung zuwider, als Plautus diesen Schluß überzeugend motiviert und neben dem Prolog Hegio selbst auf das Schicksal seines verlorengegangenen Sohnes hinweist. 51 Die Verstöße gegen die Einheit der Zeit, die Lessing selbst unter Verweis auf Corneilles Discours des trois unitis52 nicht zu entschuldigen vennag, dünken ihm schließlich für die Beurteilung der Gefangnen wenig ausschlaggebend. Nicht strenge Regelbeachtung ist entscheidend, sondern wie schon in früheren Äußerungen53 und auch in späteren theoretischen Schriften die wirkungsästhetische Dimension eines Werkes: 54 Vgl. ebd., S. 186. Ebd. 51 Vgl. ebd. 52 Das vierte Stück der Beyträge enthält vor dem Beschluß der Critik eine Übersetzung der Dritten Abhandlung des Peter Comeille, von den drey Einheiten, der Handlung, der Zeit und des Orts. 53 Vgl. Lessing an Justina Salome Lessing, 20. Januar 1749: LM 17, S. 8. 54 Nach Stenzel (Auseinandersetzung in Lessings frühen Schriften, S. 498) ist diese Argumentation Folge der schwierigen Situation, daß die Gefangnen die klassizistischen Regeln verneinen, Lessing das Stück aber zugleich schätze und deshalb zu verteidigen suche. Erst diese "Notlage" lasse Lessing die hier vorgetra~enen neuen Lösungen entwerfen. Betrachtet man indes Lessings vorangegangene Außerungen in seinem ersten poetologischen Zeugnis, seinem Brief an die Mutter vom Januar 1749 (Lessing an Justina Salome Lessing, 20. Januar 1749: LM 17, S. 8), so wird deutlich, daß hier bereits wirkungsästhetische Argumente über die bloße Regelhaftigkeit siegen (vgl. auch 1. Teil, Kapitel 11 dieser Arbeit). Lessings Thesen in der Critik über die Gefangnen des Plautus werden damit keineswegs nur aus der Not heraus geboren, sondern sind Grundkonstanten seiner Komödienauffassung. 49
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1. Teil: Lessings Komödientheorie
Ich nenne das schönste Lustspiel nicht dasjenige, welches am wahrscheinlichsten und regelmäßigsten ist, nicht das, welches die sinnreichsten Gedanken, die artigsten Einfälle, die angenehmsten Scherze, die künstlichsten Verwicklungen, und die natürlichsten Auflösungen hat: sondern das schönste Lustspiel nenne ich dasjenige, welches seiner Absicht am nächsten kömmt, zumal wenn es die angeführten Schönheiten größtentheils auch besitzt. Was aber ist die Absicht des Lustspiels? Die Sitten der Zuschauer zu bilden und zu bessern. 55
Lessing vertritt mit dieser didaktischen Intention des Lustspiels zwar den aufklärerischen Erziehungsoptimismus im Sinne Christian Wolffs und Gottscheds, welcher die komische Bühne als pädagogische Institution und moralische Anstalt definierte; zweifelsohne provokant muß allerdings die Ablehnung der Regelhaftigkeit und Wahrscheinlichkeit als komödien theoretischer Wertmaßstab klingen. Doch nicht nur damit kehrt sich Lessings Bekenntnis zu den Gefangnen vom Regelkanon der Critischen Dichtkunst ab. Galt es bisher, durch die Komödie "lächerliche Fehler der Menschen zu verbessern", so zielt Lessing jetzt nicht mehr nur auf die Korrektur einzelner Untugenden, sondern auf eine Dramenkonzeption, die - wie der Epilog betont - "ubi boni meliores fiant", die Guten besser werden läßt. 56 Dieses frühe Verständnis der Komödie läßt Parallelen zu den zentralen Stellen der Hamburg ischen Dramaturgie im 28. und 29. Stück erkennen: ,,[N]on satis est risu diducere rictum Auditoris" stellt Lessing mit einem Horaz-Zitat bei der Besprechung von Regnards Zerstreutem fest, die Aufgabe des komischen Spiels sei es vielmehr, "die Gesunden in ihrer Gesundheit zu befestigen"s7. Dazu ist es nötig, neben dem Laster auch Tugenden darzustellen, allerdings denkt Lessing im Gegensatz zur Hamburgischen Dramaturgie wohl noch nicht an eine Verbindung in einer Person. Von Gottsched lediglich in den Nebenfiguren zugelassen, um "den entgegenstehenden Thoren desto besser zu beschämen"s8, erhält die Tugend nun bei Lessing ein stärkeres Gewicht, denn es genüge nicht, nur einen möglichen unglücklichen Ausgang für die fehlerbehaftete Figur als abschreckendes Mittel anzuwenden. Dies führe lediglich zu einem Ergötzen der sich überlegen fühlenden Zuschauer, bewirke aber keinesfalls eine Stimulation zu besserem Handeln. Dazu braucht es die Darstellung der Tugend, die damit eine neue Funktion innerhalb des Erziehungsprozesses gewinnt, wenngleich Lessing im folgenden auf altbekannte Muster zurückgreift. So soll die Tugend im Gegensatz zum hassenswerten Laster nicht nur liebenswert erscheinen, sondern soll allzeit glücklich enLessing, Beschluß: LM 4, S. 191. Ebd. 57 Lessing, HD, 29. Stück: LM 9, S. 303. 58 [Johann Christoph GottschedJ, Zufällige Gedanken über Herrn Adam Daniel Richters, Reet. zu Annaberg Regeln und Anmerkungen über die lustige Schaubühne, in: Bey träge zur Critischen Historie Der Deutschen Sprache, Poesie und Beredsamkeit. 17. Band, 25. Stück, Leipzig 1741, S. 572-604, hier S. 585, Anmerkung h. 55
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den, während die Untugend unglücklich sein müsse. Auf diese Art und Weise würden Furcht und Hoffnung erzeugt, die nach Lessing insbesondere bei "verderbten Menschen" ihre Wirkung tun. Hierin äußert sich eine weitere verhaltene Kritik am satirischen Typenlustspiel unter Gottscheds Ägide, dessen Aufbau vor allem der Lasterdarstellung Rechnung trägt, der Tugend hingegen kaum Raum läßt. Den Hinweis Lessings, das Laster müsse sich am Ende als unglücklich erweisen, sieht Stenzel in Widerspruch zum 99. Stück der Hamburgischen Dramaturgie, welches eine Einsicht bzw. Bestrafung des "Bösen" nicht mehr als Konstituens des Lustspielausgangs betrachtet. 59 Zweifelsohne ist der junge Kritiker von jener späten Haltung im 99. Stück noch entfernt, eine Mißbilligung der zeitgenössischen Lustspielpraxis und ihres unter wirkungsästhetischem Blickwinkel unbefriedigenden Lustspielendes ist diesen Äußerungen jedoch bereits inhärent. Eine feine Nuancierung findet sich überdies im "Unglück" des Lasters, fordern doch z. B. Richter und Gottsched, daß das Laster beschimpft bzw. zum Spott und Gelächter werde. Obschon Lessing in diesem Zusammenhang noch nicht wie in den Lustspiel-Abhandlungen vom Possenspiel, das nur Lachen machen will, von rührendem Lustspiel und wahrer Komödie spricht, können die Überlegungen des Jahres 1750 in einer Linie mit den Aussagen der Theatralischen Bibliothek gesetzt werden. Hier wie dort befürwortet Lessing eine Tugend und Laster vereinende Komödienform und lehnt - hier expressis verbis, dort noch indirekt - eine auf bloße Satire zielende Konzeption ab. Schon die Plautus-Kritik zielt somit auf eine Rührung und Lachen verbindende Form. In diesen Passagen deutet sich ein Fortschritt gegenüber der Lebensbeschreibung des Plautus an, die noch ausdrücklich von einem Verlachen des Lasters sprach, ein Begriff, den Lessing hier meidet. Insgesamt wirkt die Rezension des antiken Stückes durchdachter und reifer als noch die Biographie des Komödiendichters. Als entscheidend erweist sich, daß die Critik über die Gefangnen die wirkungsästhetische Komponente der Rührung, hervorgerufen durch edle Gesinnungen, als paradigmatisch einführt: Jeder, wer eine empfindliche Seele besitzt, wird mit dem Hegio sagen: Was für großmüthige Seelen! Sie pressen mir Thränen aus. [... ] Wer die Tugend und das göttliche Vergnügen, welches sie über die Seele ergießt, kennet und empfunden hat, würde gewiß niemand anders als Tyndarus seyn wollen [... ] und würde das Unglück das ihm droht, gegen die Freude, die er aus seiner löblich vollbrachten That schöpfet, wenig achten. Noch weit kräftiger aber wirken die Reizungen seiner Tugend, da er zuletzt glücklich wird. 60
In der Plautus-Abhandlung allerdings einen "Beitrag zur Entwicklung der Theorie des rührenden Lustspiels,,61 wie Riedel sehen zu wollen, scheint 59
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Vgl. Stenze I, in: B 1, S. 1397. Lessing, Beschluß: LM 4, S. 191 f.
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1. Teil: Lessings Komödientheorie
fraglich, hier sei auch an Lessings mißbilligendes Urteil zu Beginn der Übersetzung erinnert. Die Gefangnen geben zwar ein Beispiel, wie man das Lustspiel durch erhabene Gesinnungen veredeln könne,62 gleichwohl zeigt Lessing mit seiner Wabl, daß er entschieden an einem lächerlich-komischen Tenor festhält und keineswegs eine Dominanz des Rührenden propagiert. 63 Ein gravierender Unterschied zur Comedie larmoyante besteht trotz der edlen Charaktere und tugendhaften Szenen nicht zuletzt darin, daß, so Lessing, die "gereinigte Moral" des Plautinischen Stückes "nicht durch den allzuzärtlichen Affect der Liebe geschwächt,,64 werde. Der von den Beyträgen etwas abweichende Vorbericht des Übersetzers zur Separatausgabe der Gefangnen 65 weist ebenfalls auf diesen Vorzug hin: "Denn wo sind die Stücke, welche ohne Liebe so zärtlich als lustig sind?,,66 Gerade die Liebe aber stellt die "vornehmste Quelle [... ], aus welcher die Komödie ihre Rührungen herholt,,67, dar und avanciert als tugendhafte Zuneigung zum eigentlichen Thema der neuen rührenden Komödienform, wie sie GelIert propagiert. Im Gegensatz zu dieser deutlich tugendhaften Gestaltung findet Lessing in den Gefangnen des Plautus eine Komödie, welche die Tiefen menschlichen Daseins beinhaltet, menschliches Unglück als Möglichkeit der Komödie nützt und so Ernst und Lachen verbindet, wie dies später die Hamburgische Dramaturgie in artifiziellerer Form nennt. Diese Dimension der Komödiengestaltung wird weder von Plautus im Trinummus noch im rührenden Lustspiel Gellerts erreicht. Erst Minna von Barnhelm weiß nach Lessings frühen Versuchen in den Komödien Der Freygeist und Die Juden, nun aber in höchster Form gestaltet, wieder um das ans Tragische grenzende Geschick des Menschen. Selbst wenn man, wie Stenzei, von einer Kombination von Comedie larmoyante und komischer Satire in der PlautusAbhandlung sprechen will,68 so wird Lessings Ringen um eine eigenständige Komödiendefinition und eine damit einhergehende Modifikation vorgefundener Bedingungen schon in der Critik über die Gefangnen des Plautus deutlich spürbar.
61 Riede!, Lessing und die römische Literatur, S. 49. Riedel erblickt in der Abhandlung sogar eine Radikalisierung des Rührenden und faßt Die Gefangnen als Sonderform des rührenden Lustspiels auf. 62 Vgl. Lessing, Beschluß: LM 4, S. 192. 63 Vgl. Monika Fick, Lessing-Handbuch. Leben, Werk, Wirkung. Stuttgart, Weimar 2000, S. 64. 64 Lessing, Beschluß: LM 4, S. 192. 65 In Stuttgart bei Metzler 1750 erschienen. 66 Lessing, Die Gefangnen. Vorbericht des Uebersetzers [Ausgabe Stuttgart 1750]: LM 4, S. 194. 67 Des Hm. Prof. Gellerts Abhandlung für das rührende Lustspiel: LM 6, S. 36. 68 Vgl. Stenze I, in: B 1, S. 1398.
H. Frühe Briefe und Rezensionen der Jahre 1749 bis 1754
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11. Frühe Briefe und Rezensionen der Jahre 1749 bis 1754 Von der Lessing-Forschung bisher weitestgehend vernachlässigt, lassen auch Lessings Briefe (für die Jahre 1747 bis 1755, dem Beginn des intensiven Briefwechsels mit Moses Mendelssohn und Friedrich Nicolai, eher spärlich erhalten), insbesondere aber die Rezensionen des Literaturkritikers das Fortschreiten seiner Beschäftigung mit der Gattung Komödie erkennen, zeigen sich hier im Keim Positionen, die Lessing später um so ausführlicher aufgreifen und fortführen sollte. Als eines der frühest erhaltenen Schreiben gibt der berühmte Bericht an die Mutter Justine Salome vom 20. Januar 1749 aus Leipzig Aufschluß über die Bedeutung des Lustspiels für den jungen Lessing und stellt gleichzeitig seine erste komödientheoretische Äußerung überhaupt dar: Ich legte die ernsthafften Bücher eine zeitlang auf die Seite, um mich in denjenigen umzusehen die weit angenehmer, und vielleicht eben so nützlich sind. Die Comoedien kamen mir zur erst in die Hand. Es mag unglaublich vorkommen, wem es will, mir haben sie sehr groBe Dienste gethan. Ich lernte daraus eine artige und gezwungne, eine grobe und natürliche Aufführung unterscheiden. Ich lernte wahre und falsche Tugenden daraus kennen, und die Laster eben so sehr wegen ihres lächerlichen als wegen ihrer Schändlichkeit fliehen [... ] Doch bald hätte ich den vornehmsten Nutzen, den die Lustspiele bey mir gehabt haben, vergeBen. Ich lernte mich selbst kennen, und seit der Zeit habe ich gewiß über niemanden mehr gelacht und gespottet als über mich selbst. 69 Bemerkenswert ist, daß Lessings Augenmerk schon zu Beginn seines Schaffens in erster Linie der Wirkungsästhetik gilt, jenem Aspekt, der auch in der Plautus-Kritik hervortritt und der schließlich in der vom klassizistischen Regelwerk gelösten Modifikation als sein wesentlicher Neuansatz zu werten ist. Der traditionell korrigierenden Funktion der Komödie, die, noch dem Gottschedschen Verständnis folgend, aus dem lächerlichen und schändlichen Wesen der Untugenden entspringt, stellt er jedoch einen weit allgemeineren Nutzen voran, nämlich den der Selbsterkenntnis und lachenden Selbstkritik. Diese Hervorhebung einer durch das Bühnengeschehen geförderten grundsätzlichen Menschenkenntnis und Selbstreflexion und nicht in erster Linie der Veränderung eines bestimmten sozialen Habitus reicht deutlich über die Bestimmung der Critischen Dichtkunst hinaus, welche eine Besserung des im Spiel vor Augen geführten Fehlers, ein Verlachen des oder der Lasterhaften anstrebte. Ein feines Abrücken von den maßgeblichen Komödienkriterien dieser Regelpoetik läßt sich auch in Lessings Verständnis einer gelungenen Dramenkonzeption erkennen. Hob Gottsched vor al69
Lessing an Justina Salome Lessing, 20. Januar 1749: LM 17, S. 8.
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1. Teil: Lessings Komödientheorie
lern die Regelmäßigkeit hervor, welche einem Werk ästhetisch-dramaturgische Schönheit verleihe, so beurteilt der Leipziger Student den artigen und natürlichen bzw. gezwungenen oder groben Gesamteindruck einer Aufführung. Dieser ist offenbar nicht ursächlich mit jenem für Gottsched zentralen Aspekt der Erfüllung des klassizistischen Regelkanons verbunden, vermeidet doch Lessing hier wohl bewußt den Begriff der Regelmäßigkeit. Erstmals wird in dieser frühesten poetologisch relevanten Passage indirekt der fortan wiederkehrende Grundgedanke erkennbar, daß literarische Qualität nicht unbedingt durch bloße Regelhaftigkeit begründet werden kann. An Stelle des ausschließlichen Zurateziehens und der Umsetzung mechanischer, äußerlicher Vorgaben tritt bei Lessing nunmehr die Betrachtung des Werkganzen in seiner Gesamtanlage. Wohlkomponierter Handlungsaufbau und Spannungsbogen, eine natürliche, zweifelsohne auch die Personenzeichnung einschließende Gestaltung, welche die komische Szenenfolge eben nicht rigide unter das Gesetz der Regeln zwingt, werden nun zum Gradmesser seines Urteils, das sich auch bei der Critik über die Gefangnen auf diese Kategorien stützt. Die frühen Ansätze einer eigenständigen, vom Regeldogmatismus der Gottsched-Schule sich emanzipierenden Dichtungsauffassung treten expressis verbis in dem nur wenige Monate später veröffentlichten Gedicht [Üjber die Regeln der Wissenschaften zum Vergnügen; besonders der Poesie und Tonkunst70 hervor. Nicht nur in der Musik, auch für ihre "Schwester", die Poesie, prangert Lessing eine "knechtische" Anwendung dichtungs- und musiktheoretischer Dogmen an, da sie "Feur und Geist" sowie die eigene, für Lessing maßgebliche Empfindungsfähigkeit des Künstlers, aber auch des Kritikers ersticken. 71 Wer sich indes diesem gleichsam zum Gott und damit über alle anderen Kriterien hinausgehobenen Regelkanon nicht unterwirft, der gerate in den Augen vieler Zeitgenossen und Befürworter ins literarische Abseits. 72 Als einer dieser Geächteten erweist sich auch der Verfasser, wenn er Regelhaftigkeit nicht unbedingt poetische
70 Lessing, An den Herrn Marpurg, über die Regeln der Wissenschaften zum Vergnügen; besonders der Poesie und Tonkunst: LM 1, S. 248-255. (Im folgenden zitiert als: An den Herrn Marpurg). Dieses Gedicht wurde mit der Unterschrift "G. E. L." erstmals im Critischen Musicus an der Spree, 18. Stück, Berlin, Dienstags, den 1. Julius 1749 publiziert. Lessing reihte es 1753 in den ersten Band seiner Schriften ein. - Zur Rezeption dieses wenig beachteten Textes vgl. Stenzei, in: B 1, S. 985. Beträchtliche Bedeutung für das Dichtungs- und Kritikverständnis Lessings hat diesem Text Karl S. Guthke (Der junge Lessing als Kritiker Gottscheds und Bodmers, in: K. S. G., Literarisches Leben im achtzehnten Jahrhundert in Deutschland und in der Schweiz. Bern, München 1975, S. 24-71, hier S. 36-40) zugewiesen. 71 Vgl. Lessing, An den Herrn Marpurg, V. 181: LM 1, S. 253. 72 Vgl. ebd., V. 202, S. 254.
11. Frühe Briefe und Rezensionen der Jahre 1749 bis 1754
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Schönheit heißt73 und jene der dichterischen Schaffenskraft sogar kontraproduktiventgegengerichtet sieht: Doch meinet man vielleicht, daß sie [die Regeln] dem Meister nützen? Man irrt; das hieß die Welt mit Elephanten stützen. Ein Adler hebet sich von selbst der Sonne ZU;74 [... ] Ein Geist, den die Natur zum Mustergeist beschloß, Ist, was er ist, durch sich; wird ohne Regeln groß. Er geht, so kühn er geht, auch ohne Weiser sicher. Er schöpfet aus sich selbst. Er ist sich Schul und Bücher. 75
Es ist weniger der 19. Literaturbrief, wie Guthke 76 meint, als Passagen der Hamburgischen Dramaturgie, die Lessing mit diesem Postulat einer autonomen, dem eigenen Gefühl verpflichteten Künstlernatur vorwegnimmt, die nicht mehr nachahmt, "weil eines Riesen Schritt/Sich selbst gelassen, nie in Kindertappen tritt" 77, d. h. aus sich selbst neu schöpft und schafft. 78 Hier wie dort scheint Lessing jedoch keiner kategorischen Negation der Regeln das Wort zu geben, sondern einem recht verstandenen und angewandten Gebrauch, der mit dem inneren Fühlen des Künstlers in Einklang steht. Gilt dem Dichter das eigene Gespür in erster Linie als verbindliche Instanz, dann vermag durchaus die "Säul [... ] zur Zier'.79, d.h. die Regel zu einem kunstvollen Schmuck der Dichtung zu werden. Wenn jedoch die überkommenen Gesetze unreflektiert bleiben, sind sie "erschlichne Regeln", die "auf gut Glück, darnach, vom Stock zum Winkel schließen"so lassen. Machen sie allein gar das Wesentliche der Dichtung aus, so kann nur ein "künstliche[s] Geklimper"Sl gelingen. Einem Dichterturn, das sich in einer unverstandenen Orientierung an den Regeln erschöpft - "Allein, er wagte nichts, allein er dächte nie/Dem Führer allzutreu, und folgte wie das Vieh"s2 -, gilt Lessings harte Kritik, die damit, ohne es ausdrücklich zu nennen, zweiV gl. die Parallele zur Critik über die Gefangnen des Plautus. V gl. dagegen die Variante: "Hebt sich ein Adler nicht von selbst der Sonne zu?" (Lessing, An den Herrn Marpurg: B I, V. 3, S. 34) 75 Lessing, An den Herrn Marpurg, V. 159-168: LM I, S. 253. 76 Vgl. Guthke, Der junge Lessing als Kritiker, S. 37. 77 Lessing, An den Herrn Marpurg, V. 176: LM I, S. 253. 78 Vgl. hierzu Lessing, HD, 44.-46. Stück, die sich mit der rechten Anwendung der Regeln beschäftigen und dabei einzig die Einheit der Handlung als unumstößlich gelten lassen wollen, insbesondere aber im 34. und 96. Stück Lessings Aussagen über das Genie, das "die Probe aller Regeln in sich [hat]" und nur die "begreift und behält und befolgt [... ], die ihm seine Empfindung in Worten ausdrücken" (Lessing, HD, 96. Stück: LM 10, S. 190). 79 Lessing, An den Herrn Marpurg, V. 192: LM 1, S. 254. 80 Ebd., V. 107-108, S. 251. 81 Ebd., V. 199, S. 254. 82 Ebd., V. 197-198, S. 254. 73
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1. Teil: Lessings Komödientheorie
felsohne das regelgetreue Literaturverständnis Gottscheds und seiner Schüler geißelt83 : Ach arme Poesie! anstatt Begeisterung, Und Göttern in der Brust, sind Regeln jetzt genung. 84
Zwei konkrete Regelbeispiele, welche die für Lessing in den frühen Jahren so anziehende Gattung der Komödie normieren, weist der junge Kritiker ausdrücklich zurück: Wagt sich ihr netter Geist in Molierens Sphäre; So kömmt kein Monolog, kein freyer Knecht die Quere. 85
Das monologische Sprechen der Figuren, von Gottsched wegen seiner Unwahrscheinlichkeit verpönt, wird ebenso wie die "freie Rede", d. h. eine den Personen adäquate Sprache rehabilitiert, die aus diesem Grunde selbst derb und wider den Anstand sein kann. 86 Gleichzeitig wendet sich Lessing in diesem Kontext energisch - wie bei der Beschäftigung mit Plautus - gegen die Modegattung der Zeit, die Comedie larmoyante, und macht damit deutlich, daß sein Verdikt einer rein seelenlosen Regelbefolgung keineswegs jedwede Akzeptanz neuer Dramenentwürfe bedeutet. Als entscheidend für seine Billigung bzw. Ablehnung erweist sich vielmehr, inwiefern der Kerngedanke, das Wesentliche einer Gattung erfüllt wird. Dieses Wesentliche aber stellt gleichsam ein wahres, unveränderliches Grundgesetz einer Gattung dar, das sich nicht mit jenen äußerlichen Regeln erfassen läßt. Mit dem weinerlichen Tenor des rührenden Typs aber ist dieses Grundgesetz des lustigen Spiels nicht vereinbar und läßt Lessing so Stellung gegen das weinerliche Lustspiel beziehen, da es eben das Entscheidende der Komödie verfehle, nämlich die Wirkintention einer Gattung, "wo man nach Sitt und Recht sich selbst belachen soll,,87. Lessings wenig wohlwollende Haltung gegenüber seinen Kritikerkollegen wird in diesem Zusammenhang erneut evident. Hatte er bereits vorher heftig gegen jene opponiert, die "nichts verstehn, doch prahlen,,88, so gilt sein Angriff jetzt den Befürwortern der Comedie larmoyante, die diese allein loben, weil die Regeln, gemeint sind 83 Verfehlt wäre indes zu glauben, daß Lessing hiermit im schwelenden Literaturstreit der Zeit zwischen den Leipzigern und Schweizern Partei zugunsten Bodmers und Breitingers ergreift, auch deren Dichtungskonzept wird abgeurteilt: "Noch einen Bodmer nur, so werden schöne Grillen/Der jungen Dichter Hirn, statt Geist und Feuer füllen." (Ebd., V. 131-132, S. 252). Zu Lessings Position in diesem Literaturstreit vgl. auch Guthke, Der junge Lessing, S. 38-40. 84 Lessing, An den Herrn Marpurg, V. 129-130: LM 1, S. 252. 85 Ebd., V. 203-204, S. 254. 86 Gerade die lebensgetreue Sprache lobt Lessing auch an den Knechten der Gefangnen des Plautus. 87 Lessing, An den Herrn Marpurg, V. 206: LM 1, S. 254. 88 Ebd., V. 156, S. 253.
11. Frühe Briefe und Rezensionen der Jahre 1749 bis 1754
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u. a. die drei Einheiten, nicht verletzt werden. 89 Diese Stellungnahme gegen die neue französische Form des Lustspiels beinhaltet einen erneuten Hinweis auf Lessings sich entwickelnde eigenständige Gattungsdefinition. Wie schon im Brief an die Mutter nennt er nicht mehr das Verlachen eines Lasters die Hauptaufgabe der Komödie, sondern die lachende Selbstkritik avanciert für Lessing zu ihrem wirkungsästhetischen Wesensmerkmal90 und zeigt damit eine feine Modifikation jenes integrativ-dissoziativen Lachens der satirischen Komödie hin zu einer weniger verächtlichen Erheiterung, wie sie schließlich das 29. Stück der Hamburgischen Dramaturgie vertritt. Wenngleich nur ausschnitthaft und punktuell, können auch die Rezensionen in der Berlinischen Privilegierten Zeitung, für die Lessing vom Februar 1751 bis Dezember desselben Jahres und wiederum von Dezember 1752 bis zum 18. Oktober 1755 zeitweise als Redakteur des Gelehrten Artikels tätig war,91 seine Komödien- und Komikvorstellungen dieser Zeit erhellen. Die Problematik dieser frühen Zeugnisse darf allerdings nicht verkannt werden, ist doch deren Authentizität aufgrund ihres anonymen Erscheinens mit wenigen Ausnahmen nicht verbürgt. 92 Obschon Lessing-Ausgaben diese frühen Besprechungen wenn auch mit unterschiedlicher Wertung aufgenommen haben,93 bleibt man für den Großteil von Lessings Rezensententätigkeit auf Vermutungen angewiesen, weder Stil noch Thematik können Vgl. ebd., V. 207-210, S. 254. Die weiteren Briefe Lessings bis zum Jahr 1755 tragen kaum mehr zum Verständnis der Gattung bei. In traditionellen Bahnen bewegt sich der bereits zitierte Brief vom April 1749, welcher dem Vater den Wunsch gesteht, ein deutscher Moliere werden zu wollen. Als Verteidigung gegenüber dem den Komödien abgeneigten Familienoberhaupt führt er dabei ins Feld: "Ein Comoedienschreiber ist ein Mensch, der die Laster auf ihrer lächerlichen Seite schildert." (Lessing an Johann Gottfried Lessing, 28. April 1749: LM 17, S. 16). Lessings langjährige Auseinandersetzung mit der ausländischen Lustspieltradition belegt ein weiterer Brief vom Dezember 1755, der Moses Mendelssohn von seiner intensiven Beschäftigung mit Goldoni, welcher ihn zu sechs Lustspielbearbeitungen angeregt habe, berichtet. Zur Übernahme ausländischer Anregungen vgl. 2. Teil, Kap. III dieser Arbeit. 91 Zu Lessings Tätigkeit als Journalist vgl. Stenzel, in: B 2, S. 725-726, 736744. - Ebenso Schmidt, Lessing, Bd. 1, S. 178-190. 92 Vgl. zu dieser Problematik grundlegend Kar] S. Guthke, Lessings Rezensionen. Besuch in einem Kartenhaus, in: Jahrbuch des Freien Deutschen Hochstifts 1993, S. 1-59. - Ders., Der junge Lessing, S. 24-71, 364-369. 93 So weisen z. B. LM, PO wie !luch die Lessing-Ausgabe B einen unterschiedlich umfangreichen Textkorpus auf. Selbst innerhalb einzelner Werkausgaben wird nicht immer konsequent geurteilt, so revidieren später erschienene Anmerkungsbände die Authentizität einiger Lessing zugeschriebener Kritiken (vgl. LM 22, S. 131 f.). Den Diskussionsstand referieren PO 22 (S. 371-419) sowie Stenzel (in: B 1, S. 1290-1293; B 2, S. 736-744). - Vgl. zur Zuordnung einzelner Rezensionen auch Ernst Consentius, Lessing und die Vossische Zeitung. Leipzig 1902. - Guthke, Der junge Lessing, S. 48-51. 89
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1. Teil: Lessings Komödientheorie
absolut verläßliche Zuordnungskriterien bilden. 94 Grundsätzlich gilt es zu klären, inwieweit die Rezensionen ein eigenes Urteil des Kritikers fonnulieren oder nur, wie Guthke für mehrere Besprechungen, insbesondere Romanrezensionen nachweisen konnte, Übernahmen aus Vorreden, Ankündigungen oder zentrale Stellen der besprochenen Bücher bieten. 95 Die folgende Analyse ausgewählter früher Äußerungen, die sich auf den von Lachmannl Muncker sowie Petersen/Olshausen überlieferten Bestand stützt, trägt dieser Problematik Rechnung, keine der hier angeführten Rezensionen läßt eine Paraphrasierung anderer Texte erkennen. Eine erste harsche Kritik an der zeitgenössischen Lustspielpraxis, die in thematischem Zusammenhang mit dem oben zitierten Brief an die Mutter steht, zeigt eine Rezension vom März 1751 in der BPZ. 96 Lessing verwirft hierbei die Stücke Die Weiberstipendien und Der Faule und die Vormünder seines Freundes Heinrich August Ossenfelder, da "beyde, ihrem innerlichen Werth nach, gleich nichtswürdig sind", es ihnen an "Plan, Knoten, Auflösung, Charakter, Moral, Satyre, natürliche[n] Unterredungen,,97 mangele. Erneut macht Lessing, wie schon zwei Jahre zuvor im Brief an die Mutter, die Frage des Gesamteindrucks und Dramenaufbaus (Plan, Knoten, Auflösung) zum Maßstab seiner Dramenkritik und reklamiert in diesem Zusammenhang auch eine noch nicht näher bestimmte Personenzeichnung, die in der natürlichen Sprache der Charaktere ihren Ausdruck findet. Daß schon der junge Lessing insbesondere die Dramenkonzeption und Werkanlage kritisch beobachtete, bestätigt auch Christian Felix Weißes Selbstbiographie: Er98 verfertigte aber auch ein großes Stück in fünf Aufzügen, den Leichtgläubigen, das ebenfalls mit Zufriedenheit des gnügsamen Publikums gespielt ward. Lessing kritisirte es ihm, und warf ihm hauptsächlich vor, daß es eine Piere Cl tiroir sey, oder bloße Situationen eines Leichtgläubigen darstelle, aber keine recht gut angelegte Fabel durchführe und eben sowohl noch durch zehn und mehr Handlungen fortgesetzt werden könne. 99
Eine bloße Aneinanderreihung komischer Szenen, die durch eine Konfrontation des Lasterhaften mit seiner vernünftigen Umwelt in immer wieder variierter Fonn den Unverstand und die Lächerlichkeit des/der Protagonisten zeigen und nur lose miteinander verbunden sind, befriedigt Lessing hier wie dort offenbar nicht mehr. Wenn auch das satirische Lustspiel Vgl. Guthke, Lessings Rezensionen, S. 3. Vgl. ebd., S. 19-59. 96 BPZ, 28. Stück, 6.3.1751: LM 4, S. 291. 97 Ebd. 98 Weiße spricht von sich stets in der dritten Person. 99 Christian Felix Weij3ens Selbstbiographie. Hrsg. von dessen Sohne Christian Ernst Weiße und dessen Schwiegersohne Samuel Gottlob Frisch. Mit Zusätzen von dem Leztern. Leipzig 1806, S. 14. 94 95
11. Frühe Briefe und Rezensionen der Jahre 1749 bis 1754
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exemplarisch Verfehlungen gegen die aufgeklärte Ordnung vorstellen will, fordert Lessing dennoch eine "gut angelegte Fabel", für die er Aristoteles' Diktum einer in sich geschlossenen Handlung, die Anfang, Mitte und Ende besitzt, reklamiert. Damit wird - und dies spiegeln auch Lessings frühe Komödien zu einem Gutteil wider - dem Geschehensverlauf eine weitaus stärkere Bedeutung zugemessen als noch bei Gottsched, der die dramatische Entwicklung dem moralischen Satz eindeutig unterordnet. Die Fabel dient somit nicht mehr nur der eindringlichen Vermittlung einer vernünftigen Lebensregel, sondern gewinnt zunehmend an Eigenwert, ohne indes die Wirkungsästhetik zu schmälern, welche Lessing in der Kritik an Ossenfelder mit den Begriffen "Moral" und "Satyre" aufruft. Zwei Jahre später trifft die Besprechung Der teutsche Don Quichotte oder die Begebenheiten des Marggrafen von Bellamonte, komisch und satyrisch beschrieben [. . .JIOO eine Differenzierung des bisher noch sehr allgemein gehaltenen Prodesse komischer Literatur, in der sich ein tiefgreifend neues Verständnis von Komik und Gelächter offenbart. Mit dieser Rezension scheidet Lessing erstmals ein nützliches von einem unfruchtbaren Lachen - unfruchtbar, weil es dieser Erzählung nicht gelinge, mit der Komik zugleich die "ernsthafteste Moral" zu verbinden. lol Auch Gottsched hatte stets als Ausgangspunkt der poetischen Nachahmung "einen lehrreichen moralischen Satz, der in dem ganzen Gedichte zum Grunde liegen SOll"102, dekretiert; als eine Conditio sine qua non mußte dieser jedoch Gottscheds Wirkungsabsicht gemäß "sehr augenscheinlich in die Sinne [fallen]"103. Lessing hingegen lehnt diese offenkundige und "fast handgreifliche,,104 Gestaltung ab. Eine verborgene, nicht auf den ersten Blick kenntliche Moral mittels komischer Effekte zu vermitteln, nennt der 24jährige Kritiker vielmehr das "Kunststück" des Schreibenden. Ganz in diesem Sinne wird auch den Spottreden eines Mitgliedes der deutschen Gesellschaft in Jena [. . .J105 großes Lob ausgesprochen, da sie "die ernsthaftesten sittlichen Betrachtungen in lauter Scherz zu verkleiden,,106 wüßten. Unweigerlich fühlt man sich angesichts dieser Überlegungen an Minnas berühmte Antwort "Kann man denn auch nicht lachend sehr ernsthaft seyn?" erinnert. Eine im weitesten Sinne korrigierende, lehrende Funktion der Komik steht damit für Lessing außer Frage, die aber eine subtile Art der moralischen Betrachtung hinter der Maske des Scherzes verbirgt und damit nicht nur in der Darstellung, 100 101
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BPZ, 106. Stück, 4.9.1753: LM 5, S. 196. Ebd. Gottsched, AW VI, 1, S. 215. Ebd. Ebd. BPZ, 61. Stück, 22.5.1753: LM 5, S. 167. Ebd., S. 168.
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sondern auch inhaltlich von jener bisher geübten plakativen Belehrung der satirischen Komödie zu unterscheiden ist. Lessing strebt hier wohl weniger nach einer ostentativen Erziehung als einer Menschenbildung im weitesten Sinne, die nicht unbedingt auf die Besserung einer bestimmten Untugend zielt, sondern eine allgemeine und damit alle Rezipienten erreichende moralische Wahrheit verkünden möchte. 107 Nicht zuletzt deutet sich in der Rezension des Don Quichotte eine Trennung des von Gottsched geforderten "delectare et prodesse" an, welches eine Darstellung komischer, ungereimter Geschehnisse nur im Hinblick auf eine Erziehung des Rezipienten erlaubte. Lächerliches, das der Leipziger Professor stets als etwas Auslachwürdiges vorgestellt wissen will, um seiner selbst willen, konnte vor dieser Bedingung nicht gerechtfertigt werden. 108 Zwar bemängelt Lessing an dieser Erzählung das Fehlen eben dieser utilitaristischen Wirkungsebene, gleichwohl bleibt die komische Güte dieser Erzählung hiervon unberührt. So kann der Kritiker den "sehr komischen Witz, und eine Einbildungskraft, die an drolligten Bildern ungemein reich ist"109, wohlwollend hervorheben. Hatten bereits frühere Besprechungen in der BPZ die vom Leipziger Kreis vertretene Kausalität von Regelmäßigkeit und poetischer Schönheit aufgehoben, so bricht Lessing hier mit einer weiteren klassizistischen Vorstellung, nämlich daß die komisch-dichterische Qualität zwingend an eine sittenbildende Funktion gebunden sei. Auch wenn Lessing hier das fruchtbare Lachen über das unfruchtbare stellt, erkennt er doch - im Gegensatz zu Gottsched - durchaus die Möglichkeit und die Berechtigung einer nur dem Delectare verpflichteten Komik an, deren komischer Wert unabhängig von 107 Erneut wendet sich Lessing im 12. Stück der Hamburgischen Dramaturgie gegen die plakative Belehrung, wie sie die satirische Typenkomödie vielfach übte: Ich will nicht sagen, daß es ein Fehler ist, wenn der dramatische Dichter seine Fabel so einrichtet, daß sie zur Erläuterung oder Bestätigung irgend einer großen moralischen Wahrheit dienen kann. Aber ich darf sagen, daß diese Einrichtung der Fabel nichts weniger als nothwendig ist; daß es sehr lehrreiche vollkommene Stücke geben kann, die auf keine solche einzelne Maxime [Herv. von der Verfasserin] abzwecken; daß man Unrecht thut, den letzten Sittenspruch, den man zum Schlusse verschiedener Trauerspiele der Alten findet, so anzusehen, als ob das Ganze bloß um seinetwillen da wäre. (Lessing, HD, 12. Stück: LM 9, S. 231.) Zwar bezieht Lessing sich hier ausdrücklich auf die Tragödie; betrachtet man diese Aussagen jedoch im Zusammenhang des 28. und 29. Stückes, die eine bessernde Funktion des Lustspiels außer Frage stellen, diese aber im Gegensatz zu Gottscheds Illustration einer moralischen Wahrheit gänzlich neu definieren, so kann der hier geäußerte Zweifel an einem einzelnen Leitsatz sehr wohl auch für die Komödie gelten. 108 Vgl. hierzu Gottscheds restriktive Ausführungen in der Critischen Dichtkunst zu den "Comödien oder Lustspielen" (Gottsched, AW VI, 2, S. 348), "Satiren oder Strafgedichten" (ebd., S. 170-176) und "den scherzhaften Heldengedichten" (ebd., S. 438, 448-450). 109 BPZ, 106. Stück, 4.9. 1753: LM 5, S. 196.
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einer durch das Bühnengeschehen intendierten Besserung der Rezipienten besteht. Daß dieses unfruchtbare, in seinen Augen aber deshalb nicht notwendig zu verwerfende Gelächter "einem Menschen, der nicht gerne umsonst lachen will", darunter sind wohl auch die Anhänger des Gottschedsehen Regelkanons zu zählen, "nicht selten ekelhaft,,11O werden kann, verhehlt die Besprechung allerdings nicht. Wenngleich also Lessing, dem Erziehungsgedanken seiner Zeit verpflichtet, einer moralisierenden Komik den Vorzug gibt, so lehnt er doch eine "unfruchtbare" Erheiterung nicht grundsätzlich ab. Diese Variante des komischen Spiels, deren Inhalt nicht von einer wirkungsästhetischen Komik bestimmt wird, sondern die auf ein zweckfreies, artifiziell gestaltetes lustiges Bühnengeschehen zielt, rechtfertigt Lessing auch durch die Besprechung der Vernunftmäßigen Beurtheilung zweyer Schreiben die wider das Schreiben an Herrn K**. in Z**. die Leipziger Schaubühne betreffend herausgekommen [.. f 11. Die Rezension setzt den Argumenten einer gegen das englische Drama Der Teufel ist los gerichteten Schrift l12 allgemeine dramentheoretische Überlegungen entgegen, die eine Ebd. BPZ, 87. Stück, 21.7.1753: LM 5, S. 184 f. 112 Die in Leipzig von der Kochschen Schauspieltruppe vorgestellte Inszenierung des englischen Spiels Der Teufel ist los von Charles Coffey hatte eine lebhafte Diskussion dieses Stückes entfacht (vgl. Waniek, S. 627 f.). Die hier von Lessing rezensierten Schriften entstanden, nachdem Gottsched in der Zeitschrift Das Neueste aus der anmuthigen Gelehrsamkeit ein sehr negatives Urteil über das angelsächsische Theater gefällt hatte, das mit Coffeys Stück den besten Beweis seiner Unregelmäßigkeit und sittenlosen Zotenhaftigkeit liefere: Eines der kluegsten heutigen Voelker laeuft haufenweis in Schauspiele, die nicht viel besser sind, als unsre Marlonetten*. Was locket selbiges immermehr in den Schauplatz? Ist es irgend die Regierung eines seiner alten Koenige: so sind es halb wahre, halb erdichtete Begebenheiten, ohne alle Wahrscheinlichkeit auf einander gehaeufet; und mit solchen Grobheiten und Schimpfworten untermenget, die sich unsre Ballenbinder und Sacktraeger nicht so lange sagen wuerden, ohne einander in die Haare zu gerathen: Sind es aber Stuecke von ihrer eigenen Erfindung: so moechte man bisweilen ihren Inhalt und die Einrichtung für Wirkungen einer fieberhaften Phantasie (carl somnia) halten. Da sieht man ein schwuelstiges uebernatuerliches Wesen, mit den poebelhaftesten Possen und Zoten vermenget. Es ist wahr; ihre Komoedien sind lustig; und schaffen viel zu lachen. Aber wie? Indem sie Sachen zeigen davon man in der gesitteten Welt nicht einmal reden darf.[ ... ] * Wer bey uns seit einiger Zeit das englische Stueck, der Teufel ist los, vorstellen gesehen hat, der wird dieses Urtheil nicht fuer zu hart halten. Und doch suchet man uns durch solche Vorstellungen den Geschmack zu verderben. ([Johann Christoph Gottsched] , Lettre sur le Theatre Anglois, avec une Traduction de l' Avare, Comedie de Mr. Shadwell, & de la Femme de Campagne, Comedie de Mr. Wicherley, in: Das Neueste aus der anmuthigen Gelehrsamkeit. Hornungmonat, Leipzig 1753, S. 130 f.) 110 111
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1. Teil: Lessings Komödientheorie
grundsätzliche Aufwertung der sonst wenig geschätzten, da den klassizistischen Regeln widersprechenden englischen Bühne bedeuten. 113 In diesem Kontext wird wiederholt die Gottschedsche Grundforderung verworfen, jedem Lustspiel müsse eine Moral, ein eindeutiger Lehrsatz zugrunde liegen. Auch ein Spiel, das dieser utilitaristischen Funktion zuwiderläuft, könne, wie eben jene englische Komödie, vergnügen. Mit diesem Urteil legitimiert Lessing nunmehr endgültig ein komisches Spiel nur um seiner selbst willen, da es nach Lessing "eine falsche Critik sey, wenn man verlangt, daß jedes komische Stück eine allgemeine Moral enthalten müsse,,1l4. Indes will dieses Votum keineswegs jegliche nur erheiternde Vorstellung tolerieren. Lessing legt seiner Wertung den Maßstab einer überzeugenden komischen Gestaltung des englischen Stückes zu Grunde, das "bei allen seinen Fehlern noch immer von einem großen komischen Genie,,115 zeuge. Worin sich diese Genialität äußert, wird indes nicht näher begründet. Erneut belegt dieser Aufsatz, daß bereits der junge Lessing andere Beurteilungskriterien als Gottsched wählt, indem er statt Regelmäßigkeit, sprachlicher Wohl gestaltetheit und Erziehungsabsicht eine in seinen Augen hiervon unabhängige Komik zum Maßstab erhebt und sich so in zweifacher Weise gegen den Leipziger Gelehrten wendet. Zum einen rechtfertigt Lessing auf diese Weise ein die belehrende Funktion der Komödie negierendes Spiel, das durch die Wanderbühnen zwar weit verbreitet, in der zeitgenössischen Poetik jedoch verpönt war. 116 Zum anderen widerspricht er ebenso der grundsätzlich von Gottsched geforderten Wohlgesittetheit des Theaters, welche ,,[a]lle Wörter [... ], die Unflätereyen bedeuten, alles, was wider den Wohlstand läuft, alles was guten Sitten zuwider ist"I17, vermeiden müsse, und die Gottsched gerade in Der Teufel ist los nicht gewahrt sah. 118 Im Gegensatz Vgl. zu dieser Auseinandersetzung um das von Christian Felix Weiße bearbeitete Spiel: Waniek, S. 618-631. - Jakob Minor, Christian Felix Weiße und seine Beziehungen zur deutschen Literatur des 18. Jahrhunderts. Innsbruck 1880, S. 130--157. In einem Anhang verzeichnet Minor (S. 375-397) die durch das Stück Der Teufel ist los ausgelösten Streitschriften. 113 Damit zeigen nicht erst der 17. Literaturbrief und nachhaltig die Hamburgisehe Dramaturgie diese für Lessing bezeichnende Abkehr von der klassizistischen Tradition des romanischen Nachbarlandes; schon den Anfangsjahren seines Schaffens eignet mit dieser Rezension wie auch der Critik über die Gefangnen des Plautus eine Hinwendung zum angelsächsischen Theater. 114 BPZ, 87. Stück, 21.7.1753: LM 5, S. 185. 115 Ebd. 116 Selbst J. E. Schlegel, der eindeutig dem Vergnügen den Vorzug einräumte, gestand, daß es wohl vor allem das Nützliche sei, welches den Zuschauer unterhalte. 117 Gottsehed, A W VI, 1, S. 288 f. 118 Vgl. BPZ, 87. Stück, 21.7.1753: LM 5, S. 184. - Daß Lessing in dieser Frage schon sehr früh neue Wege beschreitet, belegt eine weitere Rezension aus dem Jahre 1751 (BPZ, 86. Stück, 20.7.1751: LM 4, S. 335 f.). Diese Besprechung der
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zur Plautus-Kritik, die die freie Rede der Bediensteten als notwendiges naturalistisches Element anerkannte, lobt Lessing die anstößigen Stellen des englischen Stückes hier zwar nicht, doch rügt er sie auch nicht. In seinen Augen stellen diese Passagen gerade nicht das Wesentliche dieses zweckfreien komischen Spieles dar, so daß man sie ohne Probleme tilgen, aber ebenso wohl auch tolerieren könne. Entgegen Gottsched fürchtet er dadurch keine negative Wirkung auf die Sitten der Zuschauer. Hatte für Lessing bisher stets die Wirkungsästhetik eines Werkes im Mittelpunkt gestanden, so kann dies zwangsläufig für die Form eines rein unterhaltenden Spieles nicht mehr gelten. Damit wird nun das englische Stück weniger aus einem intentionalen Blickwinkel, den Gottsched stets anlegte und der nicht zuletzt seine harsche Kritik inaugurierte, als unter dem Aspekt der Mimesis betrachtet, wenn Lessing Der Teufel ist los als eine "grotesque Malerei,,119 empfindet, in der er "die Natur aus dem Gesichtspunkte eines holländischen Mahlers nach[geahmt]"120 sieht. Dieser Vergleich von Dichtung und bildender Kunst weist allerdings über die rein thematische Parallelisierung des Theatergeschehens mit Genreszenen bäuerlichen Lebens, wie sie Stenzel erkennt,121 hinaus. Weitaus bedeutsamer als diese Korrespondenzen im Gegenstand der Darstellung ist die mit dem Begriff der "holländischen Malerei" aufgerufene Kunstauffassung, welche die Frage nach der Art der Darstellung eröffnet. Zumeist mit der italienischen Schule kontrastiert, sah die Kunstdiskussion des 18. Jahrhunderts in den Werken der Niederländer das Prinzip eines Realismus in der Kunst, ein gleichsam naturalistisches Moment verkörpert. 122 Ausführlicher beschreibt das 94. Stück der HamburgiEmpfindungen für die Tugend in satyrischen Gedichten von C. N. Naumann erwartet eine moralisch bessernde Wirkung nicht nur von der Darstellung lächerlicher Geschehnisse auf dem Theater, sondern schreibt diese dem satirischem Schrifttum im weitesten Sinne zu, selbst wenn dieses wider die guten Sitten laufe: Es ist zuwenig, wenn man Schriften, welche lächerliche freye Handlungen der Menschen als lächerliche schildern, unter gewissen Umständen erlaubte Schriften nennet. Man muß sie unter die nützlichsten zählen, welche oft mehr als eine mit Fluch und Hölle belästigte Predigt das Reich der Tugend erweitern." (ebd., S. 336) Die von Lessing hier befürworteten "lächerliche[n] freie[n] Handlungen" werden gemeinhin als "unsittliche Darstellungen" interpretiert (vgl. Stenzei, in: B 2, S. 837, Anm. zu 150,9) und bilden in ihrer Hochschätzung ein Novum im Verständnis der Literaturdidaktik des 18. Jahrhunderts, da bisher jeglicher Verstoß gegen die Wohlgesittetheit insbesondere von Gottsched entschieden abgewiesen wurde. Jl9 Die Bedeutung des Begriffs "grotesque" ist in diesen Zusammenhang nicht ganz eindeutig. Aus dem Inhalt des Teufels zu schließen, gebraucht Lessing das Adjektiv wohl in einem, so Wolfgang Kayser (Das Groteske. Seine Gestaltung in Dichtung und Malerei. Hamburg, Oldenbourg 2 1961, S. 28 f.), flacheren Sinn, der "grotesk" weniger als Betonung des Ungewöhnlichen heranzieht, sondern es mit dem Burlesken und Grobkomischen in Verbindung bringt. 120 BPZ, 87. Stück, 2l.7.1753: LM 5, S. 185. 121 Vgl. Stenzei, in: B 2, S. 1106, Anm. zu 521,29. 4 Kombacher-Meyer
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1. Teil: Lessings Komödientheorie
sehen Dramaturgie diese Charakteristika holländischer Malerei. Lessing zitiert hier zwar Hurd, mit dessen Meinung geht er jedoch ohne jeden Zweifel konform: Denn entweder kann der Künstler, wenn er die Natur nachbilden will, sich zu ängstlich befleißigen, alle und jede Besonderheiten seines Gegenstandes anzudeuten, und so die allgemeine Idee der Gattung auszudrücken verfehlen. Oder er kann, wenn er sich diese allgemeine Idee zu ertheilen bemüht, sie aus zu vielen Fällen des wirklichen Lebens, nach seinem weitesten Umfange, zusammen setzen; da er sie vielmehr von dem lautem Begriffe, der sich bloß in der Vorstellung der Seele findet, hernehmen sollte. Dieses letztere ist der allgemeine Tadel, womit die Schule der Niederländischen Mahler zu belegen, als die ihre Vorbilder aus der wirklichen Natur, und nicht, wie die Italienische, von dem geistigen Ideale der Schönheit entlehnet. 123
Diese den Niederländern zugeordnete Nachahmung des wirklichen Lebens in seiner Mannigfaltigkeit und ihre natürliche, d. h. der wahren Natur entsprechende, nicht idealisierende Darstellung sieht Lessing offenbar auch im umstrittenen englischen Schauspiel realisiert, insbesondere wohl in den Figuren des Schusters Jobsen und seiner Frau Lene, die "aus dem Leben gegriffen und von der Gasse weg aufs Theater gebracht,,124 sind, ebenso in der den ersten Akt dominierenden Gelageszene der Dienerschaft. Während Lessing dieses Kunstverständnis mit der Hamburgisehen Dramaturgie problematisiert, wird es in der Rezension noch positiv betrachtet. Lessing hebt also nicht nur rein inhaltliche Korrespondenzen zwischen Kunst und Dichtung hervor, mit dieser Bemerkung werden vor allem auch grundsätzliche Reflexionen zur Mimesis aufgerufen. Ebenfalls auf die Frage nach dem Wie der Nachahmung zielen seine Äußerungen zur Personen gestaltung des Lustspiels, wenn er sich in seiner Kritik der Advoeaten l25 Johann Christi an Krügers in der BPZ vom Februar 122 Vgl. dazu auch Goethes Äußerungen über die holländische Malerei in Dichtung und Wahrheit: "Die Natur in der Kunst zu sehen, ward bei mir zu einer Leidenschaft [... ]; und wie konnte eine solche Neigung besser gehegt werden, als durch eine fortschreitende Betrachtung der trefflichen Werke der Niederländer." (Johann Wolfgang Goethe, Dichtung und Wahrheit, 13. Buch, in: HA 9, S. 564). Vgl. ebenso das Kunstgespräch in Büchners Lenz: "Der Dichter und Bildende ist mir der Liebste, der mir die Natur am wirklichsten gibt, so daß ich über seinem Gebild fühle, alles Übrige stört mich. Die Holländischen Maler sind mir lieber, als die Italienischen, sie sind auch die einzigen faßlichen." (Georg Büchner, Werke und Briefe. Nach der hist.-krit. Ausgabe von Werner R. Lehmann. Kommentiert von Karl Pörnbacher u.a. München, Wien 31984, S. 77). Zum Gegensatz von holländischer und italienischer Malerei und Kunstauffassung siehe auch Goethe, Campagne in Frankreich, in: HA 10, S. 316 f. 123 Lessing, HD, 94. Stück: LM 10, S. 180. 124 Minor, S. 143. 125 BPZ, 25. Stück, 26.2.1754: LM 5, S. 388 f.
II. Frühe Briefe und Rezensionen der Jahre 1749 bis 1754
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1754 gegen eine überzogene, auf eine Charaktereigenschaft reduzierte Figurenzeichnung wendet: Nichts kann unbilliger seyn, als die Verspottung eines ganzen Standes in der Person eines einzigen, in welcher man die Laster aller Mitglieder zusammenhäuft. 126 Entschieden tritt Lessing damit in Opposition zum Gottschedschen Verständnis, das diese überzeichneten, karikierten Typen zur Grundlage der satirischen Komödie werden ließ. 127 Eine derartig einseitige Lastergestaltung der dramatis personae vermag Lessing in keiner Weise als originelle oder gar anspruchsvolle Leistung zu werten, denn [g]emeiniglich beschäftigen sich nur mittelmäßige Köpfe damit, die den Gegenstand ihrer Satyre, so zu reden, von der öffentlichen Straße nehmen müssen, und sonst nichts lächerliches zu entdecken wissen, als was der Pöbel schon ausgepfiffen hat I28 . Lessing scheint in diesem Zusammenhang ebenso gegen eine zu einfache und einfallslose Themenwahl, wie sie häufig die satirische Komödie zeigt, zu polemisieren. Diesem Verdikt liegen wiederum jene Mimesis-Überlegungen zu Grunde, die eine natürlichere Nachahmung als Prinzip erkennen und mit der Hamburgischen Dramaturgie in die viel zitierte Bestimmung eines Lustspielpersonals von unserem Schrot und Korne münden. 129 Neben der 126 Ebd., S. 388. - Eine Umsetzung lassen bereits Lessings Jugendkomödien erkennen, erste Ansätze finden sich schon im Jungen Gelehrten, vor allem aber deutlich im Freygeist. Bei den Nebenfiguren greift der junge Autor allerdings auf die hier kritisierte Gestaltungsmöglichkeit zurück, indem er entschieden typisierte Figuren komödienwirksam einsetzt, ohne sie allerdings zu negativ zu überzeichnen. 127 Adam Daniel Richter kommentierend, hatte Gottsched gerade diese Typisierung als Vorbild gefordert: Der Herr Verfasser, wird uns vergeben, daß wir es doch noch mit dem Aristoteles halten. Wie ein Maler, der ein recht garstiges Fratzengesichte malen will, alle Garstigkeiten von verschiedenen Gesichtern zusammen nimmt; und dadurch noch was häßlichers zuwege bringt, als die Natur beysammen zeiget: also kann auch ein Poet, der z. E. einen Geizhals lächerlich machen will, von verschiedenen Geizhälsen die Fehler sammeln. Thut er nun dieses, so wird er ihn gewiß noch geiziger bilden, als man jemals einen gesehen hat. Allein das schadet nichts: [... ] Denn das alles trägt etwas dazu bey, daß der Fehler desto lächerlicher wird." ([Johann Christoph Gottsched], Zufällige Gedanken über Herrn Adam Daniel Richters [... ] Regeln und Anmerkungen über die lustige Schaubühne, in: Beyträge zur Critischen Historie Der Deutschen Sprache, Poesie und Beredsamkeit. 7. Band, 25. Stück, Leipzig 1741, S. 599, Anm. cc.) 128 BPZ, 25. Stück, 26.2.1754: LM 5, S. 388 f. 129 Aufgrund eben dieser trivialen, übertriebenen und undifferenzierten Darstellung geißelt Lessing wenige Monate später die aus dem Französischen übersetzten Mocquerien (BPZ, 91. Stück, 30.7.1754: LM 5, S. 4200, welche Schilderungen verschiedener lächerlicher oder lasterhafter Gemütsarten beinhalten, denn [d]ie Gegenstände der Schilderungen sind trivial; die Seiten, von welchen sie uns gezeigt werden, sind die häßlichsten und nichtswürdigsten, die Züge sind grob, 4*
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1. Teil: Lessings Komödientheorie
Karikatur der Lustspielprotagonisten und der mangelnden Qualität der zeitgenössischen Spielpraxis, zu deren negativen Beispielen er unter anderem Die Ärzte und Die Geistlichen auf dem Lande zählt, rügt Lessing an Krügers Stück das Fehlen einer grundsätzlichen Einsicht in das Wesen des Lustspiels und des Komischen: Es ist eben so giftig, und eben so unregelmäßig: der Verfasser hat eben so wenig die wahren Schranken der Satyre gekannt, und das Comische eben so wenig von dem Possenhaften zu unterscheiden gewußt. 130
Lessings Verständnis von Posse und rechter Komik bleibt hier noch relativ unbestimmt und kann zunächst nur indirekt aus dem Lustspiel Die Advocaten erschlossen werden. Hier finden sich nun Szenen, die eindeutig dem Possenhaften zuzuordnen sind, allerdings weniger aufgrund ihres derbkomischen Charakters als in ihrer Loslösung und Durchbrechung des eigentlichen Handlungsverlaufes. Insbesondere dem Diener eignet eine Possenhaftigkeit, zu denken ist vor allem an Friedrichs Inszenierung seiner Zukunftsvorstellungen, 13l die ihn wie viele andere Bedienstetenfiguren der Zeit in die Nähe der Commedia delI' arte rücken. Ebenso gehören die wenig motivierten Annäherungsversuche sowohl Friedrichs, des Barons von Altenhausen wie auch des Advokaten Fromme gegenüber sozial Niedriggestellten zu einer eindeutig burlesken Gestaltung, die Lachen um jeden Preis erregen möchte. Grundsätzlich erscheinen in den Advocaten, dies gilt ebenso für Die Geistlichen auf dem Lande und Die Ärzte, die Figuren sogar für eine Typenkomödie derart stark in ihrer Lasterhaftigkeit überzeichnet, daß die hier zu Tage tretende Polemik ein pädagogisches Verlachen und die damit verbundene Wirkintention Gottscheds kaum mehr möglich werden läßt. Die Darstellung einer Ungereimtheit, eines lächerlichen Fehlers ist der einer extremen Lasterhaftigkeit, ja Bösartigkeit gewichen, die Lessing nicht mehr als Satire empfinden kann. Das hierin verneinte Wesen echt satirischen Redens kann ergänzend eine wenn auch deutlich ältere Rezension aus dem Jahre 1751 erhellen, die die antiken Dichter Juvenal und Persius nicht mehr als Satiriker bezeichnet wissen will, weil sie donnern an statt zu spotten. Sie führen Laster auf anstatt Ungereimtheiten. Sie machen mehr verhaßt als beschämt. Ihr Lachen ist voller Galle; ihre Scherze sind Gift. 132
die Farben sind aufgekleckt; kurz alles verräth die Hand eines Stümpers, welcher eher Gurken als Portraits hätte mahlen sollen. (ebd., S. 421.) Auch dieser Verriß fußt auf der sich allmählich formierenden Auffassung von einer realistischeren, nicht unbedingt typisierenden Personenzeichnung. 130 BPZ, 25. Stück, 26.2.1754: LM 5, S. 389. 131 Johann Christian Krüger, Die Advocaten, ein Lustspiel. Hamburg 1753; 3. Handlung, 2. Auftritt, S. 32-34. 132 BPZ, 86. Stück, 20.7.1751: LM 4, S. 336.
H. Frühe Briefe und Rezensionen der Jahre 1749 bis 1754
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Diese "giftige" Zeichnung eines Berufsstandes, wie Lessing sie in den Advocaten wiederfindet, evoziert indes eine der Komödie inadäquate Wirkung. Die verlachende Verspottung in der Typenkomödie, die eine zur Besserung führende Beschämung und Einsicht in die eigene Fehlerhaftigkeit bewirken will, kann hier aufgrund der Karikatur einer Gruppe in Feindseligkeit oder gar Haß umschlagen; dies aber ist mit Lessings Komödienvorstellung, die lachende Selbstkritik und Vermittlung allgemeiner Wahrheiten will, kaum mehr zu vereinbaren. Auffallend ist in diesem Kontext die Verwendung des Begriffs "unregelmäßig". Lessing gebraucht dieses Adjektiv offensichtlich nicht mehr im Sinne von "gegen die drei Einheiten und klassizistischen Gesetze verstoßend", da gerade Die Advocaten nach dem Verständnis Gottscheds ein durchaus regelmäßiges Stück bilden. Die neuartige Bedeutung von "unregelmäßig" meint hier wohl vielmehr "das Wesentliche der Komödie verfehlend". Dieses Wesentliche aber findet der junge Kritiker in einer dem Erziehungsoptimismus der Zeit verpflichteten Wirkungsästhetik, die das Spiel Krügers durch eine allzu scharfe Satire verfehlt, und einer Erheiterung, die sich von einer possenhaften Unterhaltung scheidet. Die Frage der Mimesis tangiert erneut die Rezension des Theatre de Monsieur de Marivaux de I'Academie Fran~oise [. .. ]133 vom Mai 1754, welche die Bedeutung des französischen Autors für die neuere Literatur thematisiert. Dabei tritt Lessing allerdings als Kritiker stark zurück, indem er in erster Linie positive wie negative Stimmen der Zeit ohne eigene Stellungnahme gegenüberstellt: Man lobt an ihm besonders seine Kenntniß des menschlichen Herzens und die Kunst seiner kritischen Schilderungen; [... ] Allein man tadelt auch an eben derselben die allzu grosse Kühnheit, und die übertriebene Begierde, überall seinen Witz schimmern zu lassen. Hiermit verbindet man noch einen andern Tadel, welcher bey strengen Freunden der Tugend weit wichtiger ist. Er soll das Laster, und besonders die Wollust, oft mit so lebhaften und so feinen Farben schildern, daß sie auf den Leser einen ganz andern Eindruck machen, als sich ein tugendhafter Schriftsteller zu machen, vorsetzen darf; seine Beschreibungen sollen verführen, weil sie all zu natürlich sind. 134
Die Behauptung, daß eine natürlich-überzeugende Mimesis negative Folgen haben könne, kommentiert Lessing in dieser Kritik nicht weiter, die ironische Nennung der "strengen Freunde der Tugend", die insbesondere auf Gottsched und seine Anhänger gemünzt ist, läßt indes vermuten, daß er diese Befürchtungen im Hinblick auf eine allzu realistische Darstellung (wie auch schon für den Teufel ist los) nicht hegt. Betrachtet man die relevanten Briefe und Rezensionen der Jahre 1751 bis 1754, so werden hier komödientheoretische Aspekte evident, die bereits in 133 134
BPZ, 62. Stück, 23.5.1754: LM 5, S. 403. Ebd., S. 403 f.
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1. Teil: Lessings Komödientheorie
Ansätzen die Critik über die Gefangnen des Plautus erkennen ließ und die auch in Lessings künftigem Lustspielverständnis wiederkehren. Lessings besondere Aufmerksamkeit gilt bereits in der Plautus-Abhandlung der Wirkungsästhetik, die sich als wesentliche Kategorie über die Regelmäßigkeit eines Werkes hinwegsetzen kann. Auch die Briefe und Rezensionen bestätigen den Vorrang der didaktischen Intention der Komödie, an der Lessing, ganz der Zeit entsprechend, als einem Medium der Erziehung festhält. Dieses Komödienprogramm wird nunmehr aber in feinen Nuancen modifiziert. Ausgehend von einer ernsthaften Moral, die sich unter der Maske komischen Spiels verbergen soll, beginnt sich Lessing von den allzu offensichtlichen und einfach strukturierten Maximen der satirischen Komödie zu entfernen und steht auch hiermit in der Tradition der Gefangnen, die eine eindeutige, auf einen Satz reduzierbare Lehre verweigern. Eng verbunden mit dieser Akzentverschiebung der Komödienfunktion, von einem spöttischen Verlachen hin zu einem moderaten Gelächter über das eigene Selbst, scheint auch deren dramaturgische Umsetzung. Dient die Handlung bei Gottsched in erster Linie dem In-Szene-Setzen einer Sittenregel und ist damit "zweckgebundene gedankliche Konstruktion,,135, erhält die Anlage der Fabel nunmehr weitaus stärkeres Gewicht. Bei Lessing erscheint sie nicht mehr nur aus wirkungspoetischen Überlegungen konzipiert, sondern ebenso unter dramaturgischen Gesichtspunkten, inbesondere einer überzeugenden Konfliktgestaltung und Konfliktlösung, denen bei einer Vielzahl zeitgenössischer Lustspiele zugunsten der exemplarischen Lasterdarstellung wenig Sorgfalt geschenkt worden war. Grundsätzlich ist zu beobachten, daß neben diesen Überlegungen zur Wirkungsästhetik und zum Dramenaufbau mehr und mehr Fragen zur Mimesis treten, die schließlich in der Hamburgischen Dramaturgie breit entfaltet werden. Während Lessing allerdings in späteren Jahren ganz allgemein auf einer Metaebene diskutiert, bleibt er hier noch an konkrete Problemstellungen gebunden. Gleichwohl findet sich schon in diesen frühen Zeugnissen der Versuch einer der Lebenswelt sich nähernden Nachahmung. Als substantiell erweist sich dabei Lessings Absage an die überzogene Typisierung und Polemik des satirischen Spiels unter Gottscheds Ägide, die schließlich jene Neuschöpfung des "gemischten Charakters" hervorbringt. Die vielfach als Umbruch in Lessings Lustspielverständnis gewertete Gegenüberstellung von echter Komödie und in erster Linie nur Lachen hervorrufender Posse markiert schließlich nicht erst die Abhandlung in der Theatralischen Bibliothek vom Herbst 1754, diese Differenzierung liegt bereits einer Kritik vom Beginn desselben Jahres zugrunde. Trotz der Präferenz einer wirkungsästhetischen Komödie legitimieren die frühen Rezensionen im Gegensatz zu Gottsched auch ein zweckfreies, nur unterhaltendes Spiel, das sich jedoch von der zu derben und oberflächlichen I35
Müller, S. 27.
III. Possenspiel - weinerliches Lustspiel - wahre Komödie
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Gestaltung burlesker Komik unterscheiden muß. Nur wenn derartige Werke, wie z. B. Der Teufel ist los, das "komische Genie" des Dichters spüren lassen, kann Lessing diese Variante durchaus wohlwollend billigen. Sein späteres Plädoyer für die Figur des Harlekin, der sich ebenfalls einer eindeutig didaktischen Ausrichtung widersetzt, wie auch seine fragmentarische Schrift Nachspiele mit Hanswurst zeigen Lessings Kontinuität in dieser Frage. Die Analyse der frühen Zeugnisse belegt damit zweifelsfrei, daß Lessings Prozeß einer Lösung von der zeitgenössischen Poetik und die Begründung einer eigenständigen, originellen Lustspieltheorie schon zu Beginn seines Schaffens eingesetzt hat.
III. Possenspiel - weinerliches Lustspiel - wahre Komödie: Die Auseinandersetzung mit Chassiron und Geliert in den Abhandlungen von dem weinerlichen oder rührenden Lustspiele (1754) Bereits der Plautus-Abhandlung eignet eine erste, wenngleich vorsichtige und noch wenig fest umrissene Differenzierung der Gattung Komödie, welche die Gefangnen als das Paradigma eines nicht nur lächerlich-satirischen, sondern Lachen und Rührung verbindenden Lustspiels mit der Absicht postuliert, sowohl Lasterbehaftete zu bessern als auch die Guten zu bestärken. Diese sich auch in den Rezensionen der frühen Jahre andeutende Klassifikation und die damit einhergehende Bewertung des komischen Spiels in erster Linie unter dem für Lessing signifikanten Aspekt der Wirkungsästhetik erweisen sich nunmehr als zentrale Momente der Lessingschen Reflexionen in der Theatralischen Bibliothek des Jahres 1754. Die Prämissen der mit Mylius herausgegebenen Beyträge zur Historie und Aufnahme des Theaters weitgehend beibehaltend, eröffnet Lessing das erste Stück dieses Nachfolgeorgans mit einer Diskussion über die Legitimation des rührenden bzw. weinerlichen Lustspiels und stellt hierbei der 1751 verfaßten lateinischen Antrittsrede Pro comoedia commovente Christian Fürchtegott Gellerts die Schrift eines der prominentesten Gegner der neuen Form, Chassirons Reflexions sur le Comique-larmoyant (1749), in Übersetzung gegenüber. Während man jedoch um die Comedie larmoyante in Frankreich in den 30er Jahren des 18. Jahrhunderts heftig gerungen hatte, war es in Deutschland insbesondere das Verdienst Gellerts, diese rührende Form ein Jahrzehnt später ohne vergleichbare Anfechtungen wie im Nachbarland bühnenfähig zu machen, dies nicht zuletzt durch das Vorbild seiner eigenen rührenden Lustspiele. Die konträren Betrachtungen in der Theatralischen Bibliothek erschienen damit zu einem Zeitpunkt, da sich die rührende Komödie im deutschen Schauspielrepertoire schon fest etabliert hatte. 136 Lessings knapper Kommentar ergreift weniger Partei zugunsten einer Seite, aus sei-
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1. Teil: Lessings Komödientheorie
ner Zusammenfassung erwächst vielmehr ein eigenständiger, seine frühen Konzeptionen fortführender Ansatz, dessen Bedeutung für Lessings Komödienentwicklung von je her betont worden ist. 13 ? Pointiert differenzieren die Lustspiel-Abhandlungen zwischen Possenspiel und rührender Komödie und definieren schließlich ein Tugend und Laster vereinendes Spiel als "wahre Komödie". Ja, ich getraue mir zu behaupten, daß nur dieses allein wahre Komödien sind, welche so wohl Tugenden als Laster, so wohl Anständigkeit als Ungereimtheit schildern 138, denn einzig sie erzielten die von Lessing als entscheidend erachtete Wirkung beim Publikum und realisierten so die damit verbundene Intention der Gattung: [Sie] allein [ist] fähig einen allgemeinen Beyfall zu erlangen, und folglich einen allgemeinen Nutzen zu stiften. 139 Stets hat die Forschung diese Bestimmung einer wahren Komödie als entscheidenden Neuansatz im Komödienverständnis der Zeit gewertet, der auch für Lessings späteres Schaffen fraglos Gültigkeit besitze. So wurde nicht nur Minna von Bamhelm unter diesem Blickwinkel einer wahren Komödie interpretiert,140 auch für die poetologischen Aussagen der Hamburgischen Dramaturgie diente dieser Terminus vielfach als Folie und Maßstab, ohne zu bemerken, daß dieser Begriff der "wahren Komödie" in diesen Besprechungen nicht mehr [.iHt. Unberücksichtigt blieb auch, daß die hier postulierte Kombination von Tugend und Laster, von Rührung und Lachen bereits dem Plautus-Komplex zugrunde liegt, die Lustspiel-Abhandlungen somit in enger Beziehung zum Komödienverständnis des Jahres 1750 stehen. Ebensowenig darf in diesem Zusammenhang übersehen werden, daß Lessings Kommentar durchaus Äußerungen und Argumente sowohl Chassirons als auch Gellerts aufgreift, um diese modifiziert und ungleich pointierter formuliert zur Grundlage einer eigenen komödientheoretischen Bestimmung zu machen. So gilt es im folgenden nicht nur nach jenen innovativen Ele136 Vgl. Eibl, in: G 4, S. 816 f. 137 Vgl. Beare, S. 36-44. - Hinck, Das deutsche Lustspiel des 17. und 18. Jahrhunderts, S. 256 f. - Michael Grimberg, Die Rezeption der französischen Komödie. Ein Korpus von Übersetzervorreden (1694-1802). Bern u.a. 1998 (Gallo-germanica 24), S. XLII-XLVI. - Fick, S. 98. 138 Lessing, Abhandlungen von dem weinerlichen oder rührenden Lustspiele: LM 6, S. 51. (Im folgenden zitiert als: Lustspiel-Abhandlungen). 139 Ebd., S. 52. 140 Vgl. PO 12, S. 26. - Hol!, Geschichte des deutschen Lustspiels, S. 180. Hinck, Das deutsche Lustspiel des 17. und 18. Jahrhunderts, S. 290. - Grimberg, S. XLV, Anm. 2, S. XLIX.
III. Possen spiel - weinerliches Lustspiel - wahre Komödie
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menten der Abhandlungen zu fragen, sondern hierbei ebenso ihren Bezug zur Plautus-Untersuchung wie zu den Schriften Chassirons und Gellerts aufzuzeigen. Gleichwohl kommt diesen theoretischen Aussagen der Theatralischen Bibliothek in der Entwicklung der Lessingschen Lustspielform eine nicht unwesentliche Bedeutung zu, lassen sie doch in ihrer konzisen Formulierung und dezidierten Gegenüberstellung einen deutlichen Fortschritt des jungen Kritikers spüren. Als entschiedener Verfechter einer klassizistischen Kunstauffassung verwirft der französische Gelehrte Chassiron die neue Form des weinerlichrührenden Lustspiels als der antiken Komödientradition und der von Moliere fortgeführten Lustspielauffassung widersprechend. Stets sei die "persönliche Satyre und das Lächerliche der Sitten,,141 das Konstituens der komischen Gattung gewesen, die einzig auf diese Weise ihrer Bestimmung, das Publikum zu erziehen, nachkomme. Diese korrigierende Funktion verfehle hingegen die Comedie larmoyante durch ihren, wenn auch dem allgemeinen Zeitgeschmack entsprechenden, traurigen, rührenden Tenor, da dieser lediglich eine "unfruchtbare Bewunderung, eine Blendung auf wenige Augenblicke [... ], welche ganz unfähig ist, uns in uns selbst gehen zu lassen,,142, evoziere. Weitaus gravierender als diese Wirkungslosigkeit des weinerlichen Lustspiels erachtet Chassiron jedoch, ganz klassizistisch argumentierend, die dieser Form eigene Vermischung von Tragik und Komik. Indem die Comedie larmoyante aufgrund ihrer Gesinnung bewundernswerte Personen auf der Bühne versammelt und auf diese Weise den Zuschauer zum Mitleiden, der ausschließlich der Tragödie vorbehaltenen Wirkung, bewege, verstoße sie gegen die strengen tradierten Gattungsgrenzen und sei deshalb nicht nur zu tadeln, sondern auch vom Theater zu verbannen. 143 Dennoch läßt Chassiron eine Verbindung von Laster und Tugend, von lachenden und ernsthaften Sentiments gelten, erachtet sie sogar als den Gesetzen und Traditionen des komischen Genres gemäß. Dabei könne es jedoch nicht um eine wahllose Schilderung guter und schlechter Eigenschaften gehen, entscheidend sei vielmehr die "Wahl und die Mischung der Farben, die Stellung und der Ausdruck der Personen"I44. So bestehe zwar der Gegenstand der komischen Kunst im Tadel des Lasters und gleichzeitiger Vorstellung nachahmenswerter Tugenden, dem Poeten obliege es aber, die im Lachen erreichte bessernde Wirkung der Komödie durch eine wohl konzipierte Handlung zu ermöglichen. Diese wird den Gesetzen des Lustspiels entsprechend in erster Linie der angemessenen Darstellung von Laster und Ungereimtheiten Raum gewähren, Moral und Vernunft hingegen durch Ne141
142 143 144
Chassiron, Lustspiel-Abhandlungen: LM 6, S. 10. Ebd., S. 22. Vgl. ebd., S. 27. Ebd., S. 21.
1. Teil: Lessings Komödientheorie
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benpersonen lediglich einstreuen lassen. 145 In diesem Sinne folgt für den französischen Kritiker "unwidersprechlich, daß das Original einer wahren Komödie keine gänzlich tugendhafte Person seyn könne, wie es die Originale der neuen Gattung sind" 146. Auch GelIert hatte auf die Tradition einer Lachen und Rührung, Scherz und Ernst verbindenden Komödie hingewiesen, sie aber nun zur Grundlage seiner Legitimation eines neuen Komödientyps erhoben, der die Grenzen der bekannten Formen des Lustspiels überschreitet. Die Nützlichkeit dieser rührenden Gattung, die Scherz, Spott und Laster fast gänzlich verdrängt und als deren Vertreter GelIert u. a. Destouches, La Chaussee, Fagan oder auch Gresset nennt, verteidigt er in seiner Abhandlung nun nachdrücklich. Er widerspricht dabei vehement der von Chassiron behaupteten Wirkungslosigkeit ausschließlich tugendhafter Figuren, ja, glaubt gerade durch sie der utilitaristischen Forderung an das Lustspiel nachzukommen. Die alte, fröhliche Komödie solle zwar unangetastet bleiben, doch zeige diese nur das Verkehrte und Schändliche, während in der rührenden Form "die Abschilderungen guter Personen [... ] das Gerechte, das Schöne und Löbliche" darstellten und auf diese Weise zur Tugend anfeuerten. 147 Die von GelIert propagierte neue Form verneint damit das bisher geübte Verlachen, das den Lasterhaften beschämen und somit korrigieren will, und setzt an seine Stelle eine Gemütsbewegung, "welche zwar den Schein der Traurigkeit hat, an und für sich selbst aber ungemein süsse ist,,148. Diese Rührung gleicht weitgehend der Bewunderung, die sich allerdings nicht wie in der Tragödie auf ein heroisches Verhalten richtet, sondern durch die Anschauung von Tugenden des Privatlebens, wie der Freundschaft, Beständigkeit, Freigebigkeit und Dankbarkeit, hervorgebracht wird. Ebensowenig zielt das Lustspiel GelIertscher Prägung auf die heftige Empfindung des Mitleids, auch dieses bleibt weiterhin der tragischen Gattung vorbehalten, denn ,,[e]s sind kaum die Anfange dieser Empfindung" 149, die die Komödie nur für kurze Momente nütze, so GelIert, um die Tugendhaftigkeit der Handelnden um so stärker in Szene zu setzen. Die von der Antike bis hin zu Moliere und Destouches geübte Mischung der Affekte rückt Lessing nun als seine Idealform einer Komödie, die er in den Gefangnen und im Trinummus des Plautus vorgebildet findet,150 in den Vgl. ebd. Ebd., S. 22. 147 Geliert, Lustspiel-Abhandlungen: LM 6, S. 48. 148 Ebd., S. 34. 149 Ebd., S. 36. 150 Während Gellert und Lessing in Plautus auch den Vertreter eines lustig-rührenden Spiels sehen, wertet Chassiron den antiken Autor als ausschließlich satirischen Komödiendichter. 145
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III. Possenspiel - weinerliches Lustspiel - wahre Komödie
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Mittelpunkt der Überlegungen. Die Einseitigkeit der lachenden Häme des Possenspiels wird dabei ebenso abgelehnt wie die ausschließlich rührenden und bewundernswürdigen Haltungen der Comedie lannoyante. [D)as Possenspiel will nur zum Lachen bewegen; das weinerliche Lustspiel will nur rühren; die wahre Komödie will beydes. 151
Dieser Tenninus wurde möglicherweise von Chassiron angeregt,152 erscheint aber im Gegensatz zur französischen Vorlage, die als wahre Komödie bzw. das wahre Komische ein den Gattungsgesetzen und Traditionen entsprechendes Spiel bezeichnet, mit neuem Verständnis, nämlich als Tugend und Laster zeigendes, Rührung und Gelächter evozierendes Drama. Das entscheidende Kriterium, welches Lessing diese Lustspielkonzeption zur wahren Komödie, zum Paradigma werden läßt, ist die schon in der Plautus-Untersuchung anklingende und fortan zentrale Wirkintention der Gattung. In der Nachahmung von Tugenden und Lastern, von Anständigkeit und Ungereimtheit spiegle sich das menschliche Leben wider,153 welches das Original eines jeden Dichters sein müsse, und so werde dem Volke nicht allein das, was es vermeiden muß, auch nicht allein das, was es beobachten muß, sondern beydes zugleich in einem Lichte vor[gestellt), in weichem das eine das andre erhebt l54 .
Nach Lessing ergänzen also die Empfindungen Lachen und Rührung einander, steigert eine Demonstration lobens- und tadelnswerter Eigenschaften in einem einzigen Stück den Nutzen des theatralischen Spiels und verstärkt somit den Nachhall der vorgestellten Lehren, indem unterschiedliche Empfindungsmöglichkeiten des Zuschauers berührt werden. 155 Denn was die wahre Komödie bey dem einen nicht durch die Schahm erlangt, das erlangt sie durch die Bewunderung; und wer sich gegen diese verhärtet, dem macht sie jene fühlbar l56 .
Lessing, Lustspiel-Abhandlungen: LM 6, S. 52. Vgl. ebd., S. 22, 26, 28. 153 Auch hier führt Lessing Überlegungen der Beschäftigung mit Plautus fort, nämlich die Frage der Mimesis, die nun erstmals ausdrücklich mit der Wirkungsästhetik verbunden wird. Und noch in der Hamburgischen Dramaturgie kehrt diese Verbindung wieder, wenn Lessing jene Dramenfiguren am wirkungsvollsten erachtet, die uns gleichen. 154 Lessing, Lustspiel-Abhandlungen: LM 6, S. 5I. 155 Eine ähnliche Wirkung beobachtete Lessing auch für die Figurengestaltung der Gefangnen, deren edle Charaktere zur Folge hätten, daß die Komödie veredelt werde (vgl. Lessing, Beschluß: LM 4, S. 192). 156 Lessing, Lustspiel-Abhandlungen: LM 6, S. 52. - Auch in der Critik über die Gefangnen des Plautus findet sich diese Vorstellung einer kontrastierenden Personenzeichnung und damit auch komplementären Wirkungsästhetik. Allerdings argumentiert Lessing hier stark mit dem Ausgang des Stückes, dessen glückliches Ende 151
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1. Teil: Lessings Komödientheorie
Lessing deutet hieraus die bekannte Regel des Kontrasts oder der Abstechung, "vermöge welcher man nicht gerne eine Untugend aufführt, ohne ihr Gegentheil mit anzubringen,,157, und nimmt damit offenbar Bezug auf Chassiron, der die Nebenpersonen in eine sinnreiche Abstechung, in einen "Contraste" zu den lächerlichen Protagonisten gesetzt wissen wollte. 158 Die in der französischen Schrift allerdings so nachdrücklich erwähnte Besetzung der Nebenfiguren mit tugendhaften Gesinnungen und die Verkörperung des Lasters durch die Hauptcharaktere scheint indes für Lessing nicht relevant zu sein, eine spezifische Zuordnung unterbleibt, da die kontrastierenden Figuren aufgrund der Wirkungsintention wohl annähernd gleichrangig nebeneinanderstehen müssen. Es zeigt sich hier allerdings, daß Lessing in seiner theoretischen Formulierung den überkommenen Traditionen verhaftet ist. Ordnet man die genannten Aspekte einander zu, läßt die durch die wahre Komödie hervorgebrachte Empfindung der Scham noch stark an die Wirkung der satirischen Komödie denken, die durch ihr Verlachen auf die Beschämung des Narren und der von diesem Laster betroffenen Zuschauer setzt. Erzeugt wird sie durch die Vorführung des Negativen und zu Vermeidenden. Das Gefühl der Bewunderung hingegen entspricht noch jener von GelIert forcierten Wirkung der Komödie, die durch die Darstellung einer großen Tugend bzw. einer vorbildlichen, emotional gemäßigten und doch außerordentlichen Liebe l59 , d. h. des Nachahmenswerten oder eines positiven Verhaltens Rührung hervorruft. Nicht ersichtlich ist, inwieweit diese von Lessing eingeklagte Rührung auch Gefühle des Mitleidens bzw. Mitfühlens beinhaltet, die von ihm genannte Wirkungsintention läßt allerdings darauf schließen, daß hier die vorbildhafte Bewährung im Zentrum steht und als eine Vorbildfunktion zur Nachahmung anhält. 160 Diese bisher den tugendhaften Haltungen einen Effekt der Hoffnung und Ehrliebe zurechnet, mit dem Unglück des Lasters hingegen Furcht und Scham verbindet. 157 Lessing, Lustspiel-Abhandlungen: LM 6, S. 52. 158 Lessing widerspricht sich jedoch etwas, wenn er in seinem Kommentar bemerkt, diese Regel befürworte die Darstellung des Gegenteils einer vorgeführten Unart, nachdem er in einer Anmerkung zu Chassiron vermerkt hatte: Durch dieses Wort [Abstechung] habe ich das Französische Contraste übersetzen wollen. Wer es besser zu übersetzen weiß, wird mir einen Gefallen thun, wann er es mich lehret. Nur daß er nicht glaubt, es sey durch Gegensatz zu geben. Ich habe Abstechung deswegen gewählt, weil es von den Farben hergenommen, und also eben so wohl ein mahlerisches Kunstwort ist, als das französische. (ebd., S. 12, Anm.) 159 Vgl. Geliert, Lustspiel-Abhandlungen: LM 6, S. 36. 160 Dies gilt auch für Gellerts Aussagen zur rührenden Komödie. Selbst wenn die Liebe, die zur vornehmsten Quelle der Rührung erhoben wird, Hindernisse überwinden muß und in diesem Sinne an das Mitgefühl des Zuschauers appelliert, so weist Geliert darauf hin, daß das Mitleiden nur in sehr zurückgenommener Weise eingesetzt werde; Mittelpunkt des Spieles seien vielmehr die vorbildliche Bewältigung der Beschwerlichkeiten und die bewundernswürdigen Tugenden der Figuren.
III. Possenspiel - weinerliches Lustspiel - wahre Komödie
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nicht beachtete Zuordnung der Begriffe Lachen und Rührung macht schließlich eine fraglose Übertragung des Begriffs der wahren Komödie vor allem auf Lessings spätere Werke nicht unproblematisch. Ebenso bleibt unklar, wie die Kombination der bei den gegensätzlichen Bereiche, des rührenden und des satirischen, im Drama erreicht werden soll. Die Formulierung der Lustspiel-Abhandlungen läßt darauf schließen, daß Lessing zunächst noch an eine bloß kontrastierende Zusammenführung satirischer und rührend-tugendhafter Momente denkt, welche die Figuren als eher reine Verkörperungen von jeweils Tugend oder Untugend noch relativ isoliert nebeneinanderstellt. 161 Darauf weist hin, daß Lessing ausdrücklich von Bewunderung als wirkungsästhetischer Empfindung spricht, die sich auf einen tugendhaften Charakter richtet und mit einem Lachen über bzw. Verlachen dieser Figur nur schwer vereinbar scheint. 162 In Anbetracht der dramatischen Gestaltung, vor allem der Personenzeichnung der Juden und im Freygeist, die bereits gemischte Charaktere kennt, bliebe Lessing mit dieser theoretischen Bestimmung hinter seiner Komödienpraxis zurück. 163 Auch wenn Lessing in diesem Zusammenhang nicht ausdrücklich auf die Typenkomödie verweist, so beinhaltet sein Diktum einer bewegenden Komik dennoch in zweifacher Weise eine Abwendung von diesem Komödienschema. Die unter Gottscheds Ägide vorherrschende Festlegung des Lustspiels auf die Form der Satire wird damit erweitert. Die Darstellung positiver Haltungen und ein Hervorrufen rührender Empfindungen wird neben 161 Lessing weist allerdings auf die Kunstfertigkeit hin, die bei diesem Nebenund Ineinander der unterschiedlichen Gemütsbewegungen vonnöten ist, um krasse Übergänge, wie sie Chassiron am Beispiel des Samson vor Augen führt, sowohl auf der Bühne als auch bei den Empfindungen des Publikums zu vermeiden. So dürfe sich dieser "Übergang der Seele von Freude auf Traurigkeit" nur allmählich vollziehen, der Dichter müsse deshalb "gewisse Staffeln, gewisse Schattirungen beobachten, und unsre Empfindungen niemals einen Sprung thun lassen" (Lessing, Lustspiel-Abhandlungen: LM 6, S. 50). 162 Die Hamburgische Dramaturgie verzeichnet in dieser Frage eine deutliche Akzentverschiebung, wenn Lessing hier nicht mehr von Bewunderung, sondern abgeschwächt von Hochachtung spricht. 163 Wie gravierend sich die Einsichten Lessings im übrigen noch in den frühen Jahren ändern, zeigt schließlich der Briefwechsel über das Trauerspiel. Während in den Lustspiel-Abhandlungen die Bewunderung tugendhafter Handlungen noch Rührung entstehen läßt, revidiert der Briefwechsel diese Auffassung. Rührung versteht Lessing dort als einen besonderen Grad des Mitleids, des Mitfühlens, das gerade die Bewunderung nicht mehr rege machen kann: "In eben dem Verhältnisse, in welchem die Bewunderung auf der einen Seite zunimmt, nimmt das Mitleiden auf der andern ab." (Lessing an Moses Mendelssohn, 18. Dezember 1756: LM 17, S. 81.)Vgl. zur Bestimmung des Mitleids: Lessing an Friedrich Nicolai, im November 1756. - Lessing an Moses Mendelssohn, 28. November 1756. - Lessing an Friedrich Nicolai, 29. November 1756. - Lessing an Moses Mendelssohn, 18. Dezember 1756: LM 17, S. 63-68, 70-88.
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1. Teil: Lessings Kornödientheorie
der verlachenden Korrektur zu einer weiteren Intention des Theatergeschehens. Gleichzeitig muß mit dieser umfassenderen Wirkungsabsicht eine veränderte Personengestaltung einhergehen, da die typisierten Lasterfiguren der Sächsischen Komödie keineswegs geeignet sind, dem Zuschauer Rührung abzugewinnen. Zwar kam auch bei diesen Spielen die Tugend durch die vernünftige Partei ins Spiel, diese stand aber zumeist deutlich im Schatten der lasterhaften Figuren und konnte kein überzeugendes Gegengewicht bilden. Die Position der positiven Gestalten wird nach der Critik über die Gefangnen des Plautus mit Lessings Kommentar in den Lustspiel-Abhandlungen entschieden gestärkt. Es ist die nunmehr ausgewogenere Verbindung von Lachen und Rührung, die der "wahren Komödie" eine breitere Wirkung sichert. Sie allein ist für das Volk schlechthin, im Gegensatz zu den beiden einseitigen Spielvarianten, die jeweils nur eine begrenzte Personengruppe erreichen, nämlich den Pöbel bzw. gezwungene Zärtlinge von Stand,l64 wobei auch sie eine überwiegend direkte Besserung anstrebt. Aus dieser allgemeinen Wirkrichtung ist zu schließen, daß Lessing nicht an eine Zusammenfügung von Posse und weinerlichem Lustspiel in Reinform dachte, sondern deren Erscheinungen im Sinne einer an einen breiten Adressatenkreis gerichteten Komödie mildert. Gerade diese eingeschränkte Effizienz läßt Lessing eine ausschließlich lachende bzw. rührende Komödienform zurückweisen. Wie Chassiron zweifelt er die Nützlichkeit der weinerlichen Variante grundsätzlich an, da seiner Meinung nach jene von GelIert prononcierte Freude über die Vortrefflichkeit des Komödienpersonals keine Veränderung des Habitus bewirke, sondern nur den Stolz und die Einbildung nähre, den tugendhaften Figuren auf der Bühne schon zu gleichen. 165 Während jedoch die französische Schrift nur von einer Wirkungslosigkeit der neuen Form ausgegangen war, attestiert Lessings Kommentar nunmehr dem ausschließlich larmoyanten Spiel im Grunde einen eindeutig negativen Effekt. Die unterrichtende, bessernde Zielsetzung der Gattung wird nicht nur verfehlt, die weinerliche Komödie steht diesem Erziehungsgedanken sogar diametral entgegen, da die angestrebte Bewußtwerdung der eigenen Fehlerhaftigkeit einer nur vorgespiegelten Überzeugung eigener Tugendhaftigkeit weicht. Die Nützlichkeit des Possenspiels wird hingegen nicht vollends in Abrede gestellt, läßt es Lessing doch offen, ob das dort erregte Gelächter ein besserndes oder sinnloses, d. h. wirkungsloses Lachen sei. Grimbergs These, Lessing wende sich an dieser Stelle gegen die Natur eines Lachens, das im Possenspiel zum Selbstzweck degradiert werde,166 greift zu kurz. Nicht die Art des Lachens begründet die Ablehnung des Possenspiels, sondern in erster Linie 164 165 166
Vgl. Lessing. Lustspiel-Abhandlungen: LM 6, S. 52. Vgl. ebd., S. 52 f. Vgl. Grimberg. S. XLIV.
III. Possenspiel - weinerliches Lustspiel - wahre Komödie
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dessen eingeschränkter Publikumsbezug, der nur die niedrigsten Volksschichten erreicht. Welche Stücke der Herausgeber der Theatralischen Bibliothek letztlich unter die Possenspiele rechnet, ist nicht eindeutig. Offenbar faßt der Kommentar diesen Begriff relativ weit und geht hierbei über das bisherige Verständnis von Posse als einer "Spielvorlage für niedere Komik mit vielen Verkleidungen und Verwechslungen, derb in der Aufführung ihrer Motive, in der Figurenzeichnung und Handlung,d67 hinaus, wie schon eine Rezension der Berlinischen Privilegierten Zeitung vom Februar desselben Jahres, welche u. a. die Geistlichen auf dem Lande und die Ärzte in dieses Genre einreihte. Lessing scheint allerdings in den Lustspiel-Abhandlungen seine Vorstellung dieses Typs nochmals zu erweitern, da er hier nicht mehr echt Komisches von Possenhaftem scheidet, sondern jede ausnahmslos lasterhafte Schilderung mit dem Ziel, einzig Lachen hervorzurufen, als Possenspiel klassifiziert. 168 Daß er offenbar aber bereits an eine Differenzierung des Lächerlichen dachte, macht seine knappe Beurteilung Molieres evident, dessen rührende Stellen nur deswegen ihre völlige Wirkung nicht thun können, weil er uns das Lachen allzugewöhnlich macht 169. 167 Greiner, Die Komödie, S. 298. - Die Critische Dichtkunst Gottscheds sieht als Mittel der Posse garstige Fratzen, niedrigstes Zeug, Zoten und wunderliche Posituren, die den Pöbel zum Gelächter reizen und zur Verderbung der Sitten führen. Insbesondere das italienische Theater bevorzuge diese abgeschmackten Narrenpossen und deren Hauptakteure, Harlekin und Scaramutz (vgl. Gottsched, AW VI, 2, S. 357, 584, 343). In diesem Zusammenhang wird erneut deutlich, wie unterschiedlich das Vorgehen beider Gelehrten war. Während Gottsched in erster Linie die eingesetzten Mittel verwirft, orientiert sich Lessing einmal mehr an deren Wirkung und den hier hervorgerufenen Empfindungen. 168 Steinmetz' Ansicht (Nachwort, in: Christian Fürchtegott Geliert, Die zärtlichen Schwestern. Hrsg. von H. S. Stuttgart 1995 (Universal-Bibliothek 8973), S. 158), darunter die satirische Verlachkomädie schlechthin zu zählen, erscheint doch etwas zu weit gegriffen. Allerdings problematisiert Lessing schon im Beschluß der Critik über die Gefangnen des Plautus den Ansatz der meisten komischen Dichter, die allzu sehr auf eine Lasterdarstellung bauen und darüber die tugendhafte Schilderung vernachlässigen. Diese starke Konzentration auf die negative Seite habe jedoch, so Lessing, zur Folge, daß diese Komödien "mehr ergötzen als fruchten" würden (Lessing, Beschluß: LM 4, S. 191). Auch darin liegt natürlich ein kleiner Angriff auf Gottsched verborgen, der ebendiese Struktur bevorzugte. 169 Vgl. Lessing, Lustspiel-Abhandlungen: LM 6, S. 50. - Die von Chassiron vorgenommene Differenzierung des Komischen, das sich den Lastern der Herzen oder den Ungereimtheiten des Verstandes zuwenden kann, rezipiert Lessing nicht ausdrücklich, obwohl die Reflexions in diesem Zusammenhang aufschlußreiche Beobachtungen zu Darstellung und Wirkung aufweisen. So wird die Vorführung von Verfehlungen des Herzens notwendig ernsthaftere Töne anstimmen als die der aus dem Verstand entspringenden Unarten, die eine Kombination von scherzhaften und ernsten Zügen fordere. Die ausschließlich lächerliche Schilderung hingegen erschöpfe sich nur in komischen Handlungselementen. Indes ziele die komische Kunst, nach
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1. Teil: Lessings Komödientheorie
Lessing zeigt in seinem knappen Kommentar zu den Abhandlungen keinen vollständig neuen Ansatz des Komödienverständnisses, sondern greift eine seit der Antike überlieferte und von der zeitgenössischen Spielpraxis geübte Form eines Tugend und Laster vereinenden Lustspieles auf. Durch die implizit postulierte Gleichwertigkeit von lächerlichen Ungereimtheiten und vorbildlichen Haltungen, insbesondere aber die Wirkungsästhetik, die Rührung und lachende Erheiterung als einander notwendig ergänzend betrachtet, reicht die von Lessing vorgestellte Form über die bisherige Bestimmung der Komödie in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts hinaus und kann so zum Paradigma einer wahren Komödie werden. Zugleich zeigt Lessing in seinem Lustspielkommentar eine wesentliche Abkehr von Positionen der zeitgenössischen Dramentheorie. Nicht mehr Regelmäßigkeit und starre Berufung auf die Gesetze der Gattung, die dem Lächerlichen den Primat einräumen, erweisen sich als entscheidend, vielmehr avanciert ausschließlich die Wirkungsintention der Gattung Komödie zum maßgeblichen Kriterium. Hierin findet nicht zuletzt die Plautus-Untersuchung in der Theatralischen Bibliothek ihre Fortsetzung und pointierte Differenzierung, nachdem Lessing auch dort die Wirkungsästhetik nachhaltig betont hatte und in den Gefangnen jene besondere Art von Lustspiel realisiert sah, die ihm nun als wahre Komödie gilt. In der Forschungsliteratur findet sich verschiedentlich die These, Lessing sei den Reflexions sur le Comique-larmoyant ablehnend gegenübergestanden, habe ein positives Urteil zugunsten seines deutschen Kollegen gefällt und dessen theoretischen Aussagen zugestimmt. 170 Diese Aussagen wurden nicht zuletzt durch Lessings Kritik an der "kostbaren Art" der französischen Abhandlung sowie die inhaltliche Mißbilligung der z. T. "armseligen Noten" und vernachlässigbaren Einleitung Chassirons gestützt oder gar hervorgerufen, demgegenüber der Stil Gellerts lobend hervorgehoben wird. 171 Es verwundert allerdings kaum, daß Lessing, der selbst eine pointiert-klare Chassiron, nicht immer auf die Erregung von Lachen, sondern sie kann sich auch damit begnügen, "uns weiter nicht als auf diejenige innere Empfindung, welche die Seele erweitert, zu bringen, ohne uns zu den unmäßigen Bewegungen zu treiben, welche laut ausbrechen", eine Empfindung, die jedoch in Ton und Wirkung dem weinerlichen Lustspiel fremd ist (vgl. ebd., S. 18). 170 Hall (Geschichte des deutschen Lustspiels, S. 180) sieht Lessing in seinen frühen Schriften und Werken den Weg vom satirischen Lustspiel zur Rührkomödie beschreiten und interpretiert die Definition der wahren Komödie in diesem Sinne als Annäherung an Gellerts Standpunkt. Weitgehende Zustimmung zur Theorie des rührenden Lustspiels glaubt auch Hinck (Das Lustspiel des 17. und 18. Jahrhunderts, S. 257) zu erkennen. Wenngleich nach Hinck dieses Votum nicht zugleich mit einer glatten Ablehnung der Betrachtungen Chassirons einhergehe, so impliziert sein Urteil zweifelsohne eine deutlich distanzierte und kritische Haltung gegenüber den Reflexions. 171 Vgl. Chassiron, Lustspiel-Abhandlungen: LM 6, S. 8 f., 31 f.
III. Possenspiel - weinerliches Lustspiel - wahre Komödie
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Sprache führte, den etwas langatmigen Argumentationsgang des französischen Kollegen wenig schätzt, daß ihm vor allem aber wohl dessen strenge Regelhaftigkeit und Gesetzestreue widerstrebte, zumal sich auch inhaltliche Differenzen ausmachen lassen. So konnte Chassirons Urteil, die Plautinisehen Lustspiele seien ausschließlich dem Lächerlich-Satirischem zuzurechnen, nicht eine einzige seiner Fabeln, Ereignisse oder Charaktere rührten den Zuschauer zu Tränen, keineswegs Lessings Placet finden, hatte er doch mit der Plautus-Untersuchung gerade dieses allgemeine Urteil zu revidieren gesucht und in seinen Schlußgedanken die Gefangnen und den Trinummus erneut als Exempel einer durch die Jahrhunderte geübten Komödie angeführt, die Lachen und Rührung, Scherz und Ernst zu verbinden wisse. Ebensowenig dürfte es wohl Lessings Überzeugung entsprochen haben, daß Chassiron zu Ende seiner Betrachtungen eine eindeutig satirische, in erster Linie auf die Verspottung reiner Laster-Typen beschränkte Darstellung befürwortet,l72 obschon er zuvor eine Vereinigung von Tugend und Laster unter bestimmten Bedingungen als möglich vorgestellt hatte. Lessing selbst trifft in seinem Kommentar hinsichtlich der Personengestaltung keinerlei Bestimmungen, seine Komödienpraxis hingegen gibt Aufschluß, daß er sich bereits in seinen frühen Werken von den unter Gottscheds Ägide die Bühnen erobernden reinen Typen zu entfernen beginnt. 173 Tatsächlich läßt Lessings Position eine Hinneigung zu Gellert erkennen,174 verhehlt er doch seine Hochachtung für den eloquenten Kritiker und Komödiendichter GelIert nicht, dessen Entwürfe er wegen ihrer rührenden und satirischen Züge keineswegs mit dem durch La Chaussee vertretenen weinerlichen Lustspiel in eine Klasse setzen möchte. Bei aller Sympathie offenbaren sich aber auch deutliche Unterschiede. Während GelIert die Tugend entschieden ins Zentrum stellt, Negatives nur noch am Rande zuläßt und so schließlich typisch komödische Effekte fast gänzlich tilgt (hier sei an Die Ziirtlichen Schwestern erinnert), denkt Lessing aus wirkungsästhetischen Gründen an eine stärkere Ausgewogenheit beider Seiten. Es bleibt somit kein Zweifel, Vgl. ebd., S. 27 f. Gleichwohl finden sich bei Chassiron Überlegungen, deren Problematik in der Hamburgischen Dramaturgie wiederkehrt und dem jungen Kritiker, wenn sich auch eine direkte Rezeption nur schwer nachweisen läßt, als "Fermenta cognitionis" dienen konnten. So stellt die französische Schrift gleich Lessing im 29. Stück der HD eine tatsächliche Korrektur eines Lasters durch das komische Bühnengeschehen in Frage. Die in diesem Zusammenhang von Chassiron geäußerte Erkenntnis, gewisse Laster tangierten das rechtschaffene Wesen eines Menschen nicht, teilt Lessing, der ebenso die Hochachtung einer Person nicht durch eine seiner zum Lachen animierenden lasterhaften Ungereimtheiten geschmälert sieht (vgl. ebd., S. 24. - Lessing, HD, 29. Stück: LM 9, S. 303). 174 PO 12 (S. 25 f.) sprechen von einer merklichen Beeinflussung des Lesers zugunsten der theoretischen Aussagen Gellerts durch Lessing, der im übrigen eine unparteiische Zwischenstellung zu wahren suche. 172
173
5 Kombacher-Meyer
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1. Teil: Lessings Komödientheorie
daß er den Versuch des Theoretikers Gellert, einen ausdrücklich weinerlichrührenden Dramentyp zu legitimieren, entschieden ablehnt. 175
IV. Der Briefwechsel Lessing - Nicolai - Mendelssohn in den Jahren 1755 bis 1757: Annäherungen an das Phänomen des Lachens Wie später der Bund zwischen Schiller und Goethe hat auch die intensive Freundschaft Lessings mit Friedrich Nicolai und Moses Mendelssohn einen Briefwechsel hervorgebracht, dem literarhistorisch und dramenpoetologisch gewichtige Bedeutung zukommt und der schließlich zu Teilen als sog. Briefwechsel über das Trauerspiel bekannt wurde. Daß dieser Gedankenaustausch jedoch nicht nur um die Bestimmung des Trauerspiels und dessen Wirkungsästhetik kreist, sondern auch aufschlußreiche Beobachtungen zu Lessings Auffassung über die Komödie liefern kann, wurde (mit Ausnahme der bekannten Passage aus dem Brief vom November 1756) kaum erwähnt. 176 Noch ehe aber Lessing sein Verständnis des Mitleidens niederlegte, hatte er bereits im Herbst 1755 eine Erklärung des Lachens ent-
175 Eine vorsichtige Revision dieses Verdiktes über das weinerliche Lustspiel nimmt schließlich die Hamburgische Dramaturgie - möglicherweise angeregt durch die intensive Beschäftigung mit Denis Diderot - mit wohlwollenden Kritiken zu Diderots Hausvater, der Cenie der Frau von Graffigny und La Chaussees Melanide vor, welches zwar kein Meisterstück der Gattung, aber doch ein gern gesehenes sei (vgl. Lessing, HD, 8. Stück: LM 9, S 214). Nicht zuletzt spiegelt Lessings Terminologie seine positivere Bewertung wider. Hatte er in frühen Jahren diese Untergattung der Komödie stets als weinerliche bezeichnet und damit eine negative Konnotation verbunden, so spricht er nunmehr neutral von einer rührenden Konzeption oder gar einer ganz ernsthaften Komödie. Letztere stelle, entgegen Voltaires Urteil, welches lediglich die Rührung in Verbindung mit Lachen zuläßt, keineswegs eine fehlerhafte oder langweilige Form des Lustspiels dar (vgl. Lessing, HD, 2l. Stück: LM 9, S. 272). Vgl. dazu auch Lessings sehr positive Wertung von Diderots Der Hausvater (Lessing, Das Theater des Herrn Diderot. Vorrede des Uebersetzers, zu dieser zweyten Ausgabe [1781]: LM 8, S. 288 f.). Der Wandel in Lessings Anschauung ist nicht zuletzt verbunden mit seiner eigenen veränderten Auffassung vom Lächerlichen (vgl. dazu l. Teil, Kap. V. 2 dieser Arbeit). 176 Vgl. dazu: Jürgen Ricklefs, Lessings Theorie vom Lachen und Weinen, in: Dankesgabe für Albert Leitzmann. Hrsg. von Fritz Braun/Kurt Stegmann von Pritzwald. Jena 1927, S. 7-66. - Am Rande nimmt darauf Bezug Bruce Duncan, The Implied Reader of Lessing's Theory of Comedy, in: Lessing Yearbook 10, 1978, S. 35-45. - Kurze Ausführungen zu Lessings Verständnis von Lachen und Weinen stellt auch Wulf Rüskamp (Dramaturgie ohne Publikum. Lessings Dramentheorie und die zeitgenössische Rezeption von "Minna von Bamhelm" und "Emilia Galotti". Ein Beitrag zur Geschichte des deutschen Theaters und seines Publikums. Köln, Wien 1984 (Kölner Germanistische Studien 18), S. 41-53) seiner Untersuchung voran, allerdings ohne eine Synthese dieser beiden Phänomene zu versuchen.
IV. Der Briefwechsel Lessing - Nicolai - Mendelssohn
67
worfen,177 ja sogar die theoretischen Aussagen über das Weinen ein Stück weit hiervon abgeleitet: So bald Sie also, unter andem, meinen Begrif vom Weinen falsch finden werden, so bald werde ich ihn auch verwerfen, und ihn für weiter nichts halten, als für eine gewaltsame Ausdehnung meines Begrifs vom Lachen. 178
Die Korrespondenz zeugt letztlich davon, daß sich Lessing nicht nur Problemen im engeren Bereich der Gattungspoetik zuwandte, sondern ebenso Antworten auf die grundsätzlichen Fragen nach dem Wesen des Lachens und des Lächerlichen suchte. Noch im September des Jahres 1757 sprach er gegenüber Mendelssohn vom Plan einer "lustige[n], tiefsinnige[n] Abhandlung vom Lächerlichen" 179, die für die Theatralische Bibliothek bestimmt war. Obschon die obengenannte Erklärung dieses genuin menschlichen Phänomens nicht erhalten ist, möglicherweise nicht einmal schriftlich fixiert wurde, und jener Essay ebenfalls nicht zustande kam, gibt eine wenn auch geringe Anzahl von Briefstellen 180 Hinweise auf Lessings und Mendelssohns Verständnis des Lachens, das zweifelsohne einen deutlichen Fortschritt der bisherigen komödientheoretischen Aussagen erkennen läßt. An diesen Passagen wird schließlich evident, daß ein sehr intensiver, vor allem wohl auch mündlicher Austausch zu diesem Problemfeld stattgefunden haben muß, da Mendelssohn noch zwei Jahre nach der brieflichen Erwähnung einer derartigen Lachtheorie recht genau einzelne Thesen zu zitieren vermag. Als Mendelssohn in einem Brief Ende Oktober 1755 aus Berlin erstmals Lessings Beschäftigung mit dem weiten Feld des Lächerlichen und der Erheiterung erwähnt, dürfte diese bereits schon zu einem gewissen ersten Abschluß gefunden haben, denn Mendelssohn stellt hier die Frage: "Wollen Sie noch zweifeln, daß Ihre Erklärungsart, woher das Lachen komme, richtig sey?,,181 und bezieht sich damit auf ein dem Brief eingefügtes Zitat aus 177 Vgl. Moses Mendelssohn an Lessing, Oktober 1755: LM 19, S. 20. - Wie sehr Lessing die Phänomene des Komischen und des Lachens in dieser Zeit beschäftigten, bekennt er gegenüber Mendelssohn: Und da mir jetzt alles um so viel lieber ist, je komischer es ist, so bin ich recht wohl damit zufrieden. [... ] Sie können es mir einmahl zu einer Zeit schreiben, da ich das Komische nicht liebe. Wie gesagt, jetzt liebe ich es sehr. (Lessing an Moses Mendelssohn, 8. Dezember 1755: LM 17, S. 45 f.) 178 Lessing an Moses Mendelssohn, 13. November 1756: LM 17, S. 69. 179 Lessing an Moses Mende1ssohn, 14. September 1757: ebd., S. 120. 180 Es handelt sich im wesentlichen um die Briefe von Moses Mendelssohn an Lessing von Ende Oktober 1755 und vom 26. Dezember 1755, von Lessing an Friedrich Nicolai vom November 1756 und einen weiteren an Moses Mendelssohn vom 13. November 1756, eine kurze Zusammenfassung Nicolais im Brief vom 14. Mai 1757 sowie vier zwischen Lessing und Mendelssohn gewechselte Briefe vom 11. und vom 23. August, vom September und 14. September 1757.
5*
1. Teil: Lessings Komädientheorie
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der Short lntroduction to Moral Philosophy des englischen Philosophen Francis Hutcheson: When by means of these senses, some objects must appear beautiful, graceful, honourable, or venerable, and others mean and shameful, should it happen that in any object, there appeared a mixture of these opposite forms or qualities, there would appear also another sence of the ridiculous - - - Things too of a quite different nature from any human action may occasion laughter by exhibiting at onee some venerable appearance along with some thing mean and despicable. Huteheson short Introd. to moral Philosoph., B.1 eh. 1. §. 14. 182
Nach Mendelssohns Aussage zu schließen, hatte sich Lessing ganz offensichtlich der Frage zugewandt, wie bzw. woraus Lächerliches entstehen könne, und war wohl zu einer ähnlichen Antwort wie Hutcheson gekommen. Lächerliches kann aus einer Vermischung von gegensätzlichen Erscheinungen entstehen, z. B. von Verehrungswürdigem und Nichtigem und so Lachen verursachen, wobei Hutcheson betont, daß diese Mischung in einem Gegenstand vorhanden sein müsse. Die gleichzeitige Verbindung dürfte wohl auch Lessing für dieses Phänomen als wesentlich erkannt haben, seine späteren Äußerungen zu diesem Komplex sprechen jedenfalls stets von dieser Verbindung, sei es in der Hamburgischen Dramaturgie 183 oder im Laokoon, der ausdrücklich bestätigt, daß es sich bei dem Lächerlichen um eine vermischte Empfindung 184 handelt, und dabei eine ähnliche Beschreibung wie der englische Philosoph gebraucht; so werden z. B. "Vorstellungen der Würde, des Anstandes, mit dem Eckelhaften in Contrast gesetzt, [... ] lächerlich,,185. Allgemeiner formuliert lautet diese Erkenntnis im Laokoon: "Zu dem Lächerlichen wird ein Contrast von Vollkommenheiten und Unvollkommenheiten erfordert" 186, der Lessing noch hinzusetzt, daß diese "Opposita [... ] von der Art seyn müssen, daß sie sich in einander Moses Mendelssohn an Lessing, Ende Oktober 1755: LM 19, S. 20. Ebd. - Vgl. Franeis Huteheson, A short Introduction to moral Philosophy (1747), in: Collected Works of Francis Huteheson. Volume IV. Facsimile Editions prepared by Bemhard Fabian. Hildesheim 1969, S. 28. - Der Einfluß des englischen Philosophen auf Lessing ist schwer zu ermessen. Amold Heidsieek (Der Disput zwischen Lessing und Mendelssohn über das Trauerspiel, in: Lessing-Yearbook 11, 1979, S. 7-34) und Jutta Meise (Lessings Anglophilie. Frankfurt am Main u.a. 1997, S. 120, 130--133) gehen allerdings davon aus, daß Lessings Mitleidsethik wesentliche Anregungen durch Francis Hutcheson erhalten habe. Inwieweit sich die Rezeption auch auf die Theorie des Lachens erstreckt, vgl. 1. Teil, Kap. V. 2 dieser Arbeit. 183 Vgl. Lessing, HD, 29. Stück: LM 9, S. 303. 184 Lessing, Laokoon, Cap. XXII: LM 9, S. 139. 185 Ebd., Cap. XXV, S. 148. 186 Ebd., Cap. XXIII, S. 139. 181
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IV. Der Briefwechsel Lessing - Nicolai - Mendelssohn
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verschmelzen lassen"IS7 und keinesfalls zu krass und schneidend sein dürften. lss Mit diesen Erklärungsversuchen eines Zusammentreffens bzw. Vermischens gegensätzlicher Erscheinungen übersteigt Lessing nachhaltig die Vorstellung, welche Gottsched dem in der satirischen Komödie geübten Lächerlichen zugrunde legte. Das Lachen über diese Figuren geht eben nicht aus einer im Gegenstand oder der Person selbst liegenden Mischung hervor, sondern fast ausnahmslos aus einer Konfrontation eines einseitigen Narren mit den vernünftigen Gesetzen einer aufgeklärten Gesellschaft. Die Protagonisten des verlachenden Lustspieles lassen die für eine Mischung nötige Differenzierung der Persönlichkeits struktur ob ihrer Festlegung auf einen einzigen lasterhaften Wesenszug nicht zu. Einzig die häufig anzutreffende irrige Überzeugung des Lasterhaften, sich vernünftig zu verhalten, könnte als Ansatz eines inneren Kontrasts gewertet werden. Dieses in einer Vermischung bestehende bzw. daraus entspringende Lächerliche ist es, auf das Lessings Wirkungsästhetik der Komödie zielt. Analog zur ausführlich diskutierten und nicht unumstrittenen Intention der Tragödie formuliert er im oft zitierten Brief vom November 1756: [D]ie Bestimmung der Tragödie ist diese: sie soll unsre Fähigkeit, Mitleid zu fühlen, erweitern. [... ] Der mitleidigste Mensch ist der beste Mensch, zu allen gesellschaftlichen Tugenden, zu allen Arten der Großmuth der aufgelegteste. [... ] Auf gleiche Weise verfahre ich mit der Komödie. Sie soll uns zur Fertigkeit verhelfen, alle Arten des Lächerlichen leicht wahrzunehmen. Wer diese Fertigkeit besitzt, wird in seinem Betragen alle Arten des Lächerlichen zu vermeiden suchen, und eben dadurch der wohlgezogenste und gesittetste Mensch werden. 189
Mit dieser Funktionsbestimmung verläßt Lessing nunmehr die alten Bahnen des zeitgenössischen Komödienverständnisses, auch wenn die traditionelle Erziehungsaufgabe dieser Gattung außer Frage steht. Doch geht es nicht mehr um einen planen Anschauungsunterricht des lustigen Spieles, das denkbar einfach strukturiert das Unglück des Lasters und das Glück der Ebd. Lessings Ausführungen über das illustrierende Beispiel des Thersites verdeutlicht nochmals, daß er das Lächerliche ausdrücklich aus einem der Figur innewohnenden Widerspruch entstehen sieht. Allerdings bleibt diese exemplarische Gestalt hinter seinen Aussagen über das Lachen im Briefwechsel und der Hamburgischen Dramaturgie zurück, da hier gerade kein gemischter Charakter vorliegt, sondern Thersites nur von seiner eigenen Vortrefflichkeit überzeugt ist, die in Konflikt mit der eigentlichen Häßlichkeit gerät. Er zeigt sich also vom Grundprinzip her eher den Figuren der satirischen Typenkomödie verwandt, wobei allerdings Häßlichkeit nicht als Laster im Sinne Gottscheds gewertet werden kann. Letztlich spiegeln diese kleinen Diskrepanzen die grundsätzliche Schwierigkeit, das Phänomen des Lachens und des Lächerlichen vollauf begrifflich zu fassen. 189 Lessing an Friedrich Nicolai, im November 1756: LM 17, S. 66. 187
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1. Teil: Lessings Komädientheorie
Tugend aufzeigen soll, um so dem Publikum das zu meidende Negative und nachahmenswerte positive Haltungen deutlich vor Augen zu stellen, wie noch z. B. die Lustspiel-Abhandlungen betonten. Lessing fordert nun vom Zuschauer mehr. Das hier genannte "Wahrnehmen" steht in Analogie zum "Fühlen" des Trauerspiels. Es reicht damit über ein bloßes, momentanes Betrachten bzw. Aufnehmen hinaus und meint wohl, wie Mendelssohn formuliert, eine "anschauende Erkenntnis" 190. Es handelt sich somit um einen grundsätzlichen Erkenntnisprozeß, den Lessings Komödie in Gang setzen will, einen Unterricht, der die über das Spiel hinaus fortbestehende Fertigkeit vermitteln soll, nicht nur das soeben Dargestellte lachend zu erkennen, sondern alle denkbaren Erscheinungsformen des Lächerlichen aufzuspüren, vom Vordergründigen der Posse und des satirischen Lustspieles bis hin zu subtilen Ausprägungen, die aus Vermischungen heraus entstehen können. Erst der bewußte Wahrnehmungsprozeß kann nun zu einem veränderten sozialen Habitus führen, der ganz allgemein eine Wohl gezogenheit des Theaterbesuchers nach sich zieht und nicht nur auf die gezeigte Untugend bzw. Lächerlichkeit wirkt. 191 Auch wenn Lessing die didaktische Funktion der Komödie herausstellt, erhält das (ästhetische) Vergnügen, das schon Johann Elias Schlegel nachdrücklich betonte,192 einen großen Stellenwert, ja in Lessings Augen ist der "Nutzen, des Trauerspiels sowohl als des Lustspiels, [... ] von dem Vergnügen unzertrennlich,d93. Die Unterordnung des Delectare unter die Nutzwirkung des komischen Spieles, wie sie Gottsched vertritt, wird damit aufgehoben; diese Wandlung spiegelt auch die Wortwahl. Spricht Lessing, gleich Schlegel, nun allgemein von "Vergnügen", das zunächst keine erzieherische Konnotation in sich trägt, so hatte der Leipziger Professor in der Critischen Dichtkunst stets gefordert, die Komödie und das Lachen müßten uns "erbauen", eine Belustigung ohne Belehrung sei nicht zulässig. In Lessings Verständnis wird dagegen ebendieses Vergnügen zum entscheidenden Moment, ohne das diese Gattung nicht einmal die ihr zukommende Funktion erfüllen könnte: denn die ganze Hälfte des Mitleids und des Lachens ist Vergnügen, und es ist großer Vortheil für den dramatischen Dichter, daß er weder nützlich, noch angenehm, eines ohne das andere seyn kann. 194 190 Moses Mendelssohn, Rhapsodie, oder Zusätze zu den Briefen über die Empfindungen, in: M. M., Gesammelte Schriften. Jubiläumsausgabe. In Gemeinschaft mit F. Bamberger u. a. fortgesetzt von Alexander Altmann. Bd. 1. Stuttgart, Bad Cannstatt 1971, S. 385. (Im folgenden zitiert als JA). 191 Diese hier erstmals geäußerten Thesen finden schließlich im 28. und 29. Stück der Hamburgischen Dramaturgie ihre Vertiefung. 192 Vgl. Johann Elias Schlegel, Abhandlung von der Nachahmung. § 17, in: 1. E. Sch., Ausgewählte Werke, S. 507 f. 193 Lessing an Friedrich Nicolai, im November 1756: LM 17, S. 67.
IV. Der Briefwechsel Lessing - Nicolai - Mendelssohn
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So wie das Lächerliche an sich eine vennischte Empfindung ist, besteht nach Lessing gleichfalls dessen Wirkung, das Lachen, aus zwei Komponenten, nämlich der Lust und der Unlust. Doch was genau wird dem lachenden Zuschauer der Komödie zu Lust und Unlust? Hier können Mendelssohn und die von Lessing aufgezeigte Parallele zum Mitleidsbegriff weiterhelfen. Mitleid, so Mendelssohn bereits in den 1755 veröffentlichten Briefen über die Empfindungen, die Lessing wiederum ausdrücklich in der Hamburgischen Dramaturgie zitiert, setzt sich als vennischtes Sentiment aus Freude und Traurigkeit zusammen, die aus der "Liebe zu einem Gegenstande" aufgrund seiner Vollkommenheiten und aus der Unlust über dessen Unglück entspringen. 195 Auch das Lachen entstehe, so Lessing, "aus einer Vennischung der Lust und Unlust,,196, die zum einen als Lust über die gezeigten würdigen Seiten oder, wie Lessing es im Laokoon nennt, Vollkommenheiten und zum andern als Unlust über das hinzutretende Niedrige bzw. die Unvollkommenheiten oder Ungereimtheiten zu deuten sind. Ausdrücklich spricht schließlich Mendelssohn in der 1761 veröffentlichten Rhapsodie, oder Zusätze zu den Briefen über die Empfindungen davon, daß das Lachen auf diesem Kontrast von Vollkommenheit und Unvollkommenheit gründe, [n]ur daß dieser Kontrast von keiner Wichtigkeit seyn, und uns nicht sehr nahe angehen muß [... ]. Die Thorheiten der Menschen, die wichtige Folgen haben, erregen mitleidige Zähren; die aber ohne Gefahr sind, machen sie blos lächerlich l97 .
Am Beispiel einer Komödienfigur präzisiert, könnte dies heißen: Gefallen an den guten Eigenschaften und Handlungen sowie Mißfallen über ihre negativen Seiten oder die lächerlichen Situationen, in die sie gerät, ohne sie jedoch ernsthaft in Gefahr zu bringen. 198 Inwiefern diese Auffassung der Hamburgischen Dramaturgie bereits dem Briefwechsel Lessings und Mendeissohns zugrunde liegt, ist wohl nicht ganz zu ennessen, gleichwohl darf man sie - wenn auch nicht in einer derart präzisierten Fonn - sicherlich annehmen. Diese Analogiesetzung wird um so mehr gerechtfertigt, als auch Lessing eine derart enge Verwandtschaft der bei den Ausdrucksfonnen von Lachen und Weinen betont, daß man sogar Ebd. Moses Mendelssohn, Über die Empfindungen. Beschluß, in: M. M., JA 1, S. 110. - Lessing nimmt darauf u. a. Bezug: Lessing, HD, 74. Stück: LM 10, S. 100. 196. Lessing an Friedrich Nicolai, im November 1756: LM 17, S. 67. 197 Moses Mendelssohn, Rhapsodie, oder Zusätze zu den Briefen über die Empfindungen, in: M. M., JA 1, S. 403. - Diese Bedingung einer Sorglosigkeit bzw. Folgenlosigkeit des komischen Spieles bestätigt Lessing, unter Verweis auf MendeIssohn: Lessing, Laokoon, Cap. XXIII: LM 9, S. 140. 198 Vgl. auch ebd., Cap. XXII, S. 140. 194
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1. Teil: Lessings Komödientheorie
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das Lachen in Weinen verwandeln kann, wo man auf der einen Seite Lust zur Freude, und auf der andem Unlust zur Traurigkeit, in beständiger Vermischung anwachsen läßt l99 .
Die hier genannten Empfindungen der Freude und Traurigkeit, die Lessing dem Weinen zuordnet, sind damit keine gänzlich anders gearteten Erscheinungen, sondern Steigerungen, höhere Stufen der Lust und Unlust, die auf diese Weise zugleich eine stärkere affektive Beteiligung und emotionale Beziehung des Weinenden zum Dargestellten, z. B. den Tragödienfiguren beinhalten. Deshalb muß, um Weinen zu erregen, die lediglich durch Ungereimtheiten hervorgerufene Unlust zur Traurigkeit über das Unglück oder den Fehler des Helden wachsen, ebenso wie sich gleichzeitig die Lust am Guten und Angenehmen aufgrund von gezeigten Vollkommenheiten in Freude und Liebe steigern muß?OO Hier wird nicht zuletzt deutlich, wie sehr sich die von Lessing diskutierte Art des Lachens und des Lächerlichen von jenem Verlachen der satirischen Typenkomödie unterscheidet. Jenes paart sich aus Wohlwollen und Mißmut über eine Person, Situation oder ein Ereignis, wobei bei Lessing die Lust auf eine positive Wahrnehmung gerichtet sein muß, könnte sie doch sonst beim Weinen nicht zur Freude über die Vollkommenheiten eines Gegenstandes anwachsen - dieses hingegen kann kaum positive Empfindungen reklamieren, sondern ist einzig verurteilender Spott und Verlachen des Lasterhaften. Freude könnte der Zuschauer allenfalls durch die Gewißheit verspüren, diesen lasterhaften Fehler nicht zu tragen, die Lust läge damit aber nicht in dem lächerlichen Gegenstand selbst begründet. Wie eng nach seiner Theorie diese beiden Gefühlsäußerungen miteinander verwandt sind, wiederholt Lessing nur wenige Tage später, am 13. November 1756, gegenüber Mendelssohn: Und was braucht es bey dem Lachen in der Seele mehr, wenn es zum Weinen werden soll, als daß die Lust und Unlust, aus deren Vermischung das Lachen entsteht, beyde zum höchsten Grade anwachsen, und eben so vermischt bleiben. Z.E. der Kopf eines Kindes in einer großen Staatsperücke ist ein lächerlicher Lessing an Friedrich Nicolai, im November 1756: LM 17, S. 67. Vgl. ebd. - Ein Blick auf die noch von Descartes vertretene Erklärung macht die innerhalb eines Jahrhunderts vollzogene Akzentverschiebung bei der Bestimmung dieses Phänomens deutlich. So bestimmt Descartes in den Passions de l'Arne von 1649 das Lachen als eine Art Freude, die mit Haß gemischt ist, was daher kommt, daß man einen kleinen Fehler an einer Person bemerkt und denkt, daß sie das verdient. Man empfindet Haß für dieses Übel, und man empfindet Freude, es in dem zu sehen, der es verdient. (Rene Descartes, Die Leidenschaften der Seele. Hrsg. und übersetzt von Klaus Hammacher. Hamburg 1984 (Philosophische Bibliothek 345), Art. 178, S. 277.) Vgl. dazu auch Franz lahn, Das Problem des Komischen in seiner geschichtlichen Entwicklung. Potsdam 1904, S. 13. 199
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IV. Der Briefwechsel Lessing - Nicolai - Mendelssohn
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Gegenstand; und der große Staatsmann, der kindisch geworden ist, ein beweinenswürdiger?OI Die menschlichen Ausdrucksformen des Lachens und Weinens nehmen somit für Lessing denselben Ausgangspunkt und bestehen aus ebendenselben Komponenten. Ob es zu einem Lachen oder zu einem Weinen kommt, entscheidet lediglich der qualitative Grad, die Intensität der wechselseitigen Empfindungen und meines Erachtens, auch wenn Lessing im Briefwechsel stets nur von der notwendigen Vermischung der beiden Komponenten spricht, deren unterschiedliche Gewichtung?02 Der Staatsmann, an dessen Größe und Leistung wir uns freudig bzw. ehrfurchtsvoll erinnern, weckt unser Mitleid, unsere Tränen, wenn er seine Fähigkeiten im Alter verloren hat und nun wieder einem Kinde gleicht. Während bei dieser Betrachtung die Traurigkeit über seinen jetzigen Zustand die Freude über vergangene Taten überlagert und so Weinen hervorrufen kann, gilt dem spielenden Kind dieses starke Bedauern nicht. Hier fallt die emotionale Betroffenheit geringer aus, vor allem aber überwiegt nun die Lust an der Situation, die so den Zuschauer lachen machen kann. Die Spannung zwischen der Lust über die Naivität des Kindes und der Unlust über die Unangemessenheit des Kopfschmucks ist geringer als die Spannung zwischen den Empfindungen der Freude und Traurigkeit über das "verlorne Gut" im Falle des kindisch gewordenen Staatsmannes. Nicht zuletzt wird in diesem Beispiel noch einmal Lessings Vorstellung vom Lächerlichen als einer Vermischung von im weitesten Sinne Hohem und Niedrigem in einem Gegenstand anschaulich. Der Kopf eines Kindes, das noch einen naiven, vom Leben ungezeichneten Ausdruck trägt, in Verbindung mit einer für ein würdiges Amt oder vornehmen Anlaß stehenden Staatsperücke wird in seiner Zusammenschau lächerlich.
201 Lessing an Moses Mendelssohn, 13. November 1756: LM 17, S. 70. - Wie sehr sich Lessing mit dieser Differenzierung von Gottsched unterscheidet, inbesondere aber wie bedeutungsträchtig seine Erkenntnis der Verwandtschaft von Lachen und Weinen auch für die Beurteilung menschlicher Ereignisse wird, zeigen die Erläuterungen zum Stichwort "das Lächerliche" in Gottscheds Handlexicon. Dieses wählt zur Erklärung des Phänomens dasselbe Beispiel wie Lessing, doch erhält es eine gänzlich andere Beurteilung: "So würde die stoische Gravität an einem Kinde ebenso lächerlich seyn, als das kindische Wesen an einer obrigkeitlichen Person." (Handlexicon oder Kurzgefaßtes Wörterbuch der schönen Wissenschaften und freyen Künste [... ]. Hrsg. von Johann Christoph Gottsched. Nachdruck der Ausgabe Leipzig 1760. Hildesheim, New York 1970, Sp. 988 f.). Gottsched verharrt in der äußeren Bildlichkeit, während Lessing die menschliche Dimension seiner Beurteilung zugrunde legt. 202 Auf die Maßgabe, daß Komik und Lachen nur in einer "Sphäre der Sorglosigkeit" (Ouo Rammel, Komik und Lustspieltheorie, in: DVjs 21, 1943, S. 252-286, hier S. 253) ohne echte Bedrohung für das belachte Objekt möglich ist, geht Lessing an dieser Stelle ebenfalls nicht ein.
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1. Teil: Lessings Komödientheorie
Sehr ausführlich betont dieser Brief, daß wohl jede Art des Weinens ursächlich mit einem verlorenen Lachen verbunden ist, d. h. ebenso wie Mitleid nur gefühlt werden kann, wenn zuvor Freude empfunden wurde, so ist auch bei den Tränen der Freude unbedingt die Trauer im Modus der Defizienz anwesend: [A]lle Betrubniß, welche von Thränen begleitet wird, ist eine Betrubniß über ein verlohrnes Gut; [... ] Nun findet sich bey dem verlohrnen Gute nicht allein die Idee des Verlusts, sondern auch die Idee des Guts, und beyde, diese angenehme mit jener unangenehmen, sind unzertrennlich verknüpft. Wie, wenn diese Verknüpfung überall Statt hätte, wo das Weinen vorkommt? Bey den Thränen des Mitleids ist es offenbar. Bey den Thränen der Freude trift es auch ein: denn man weint nur da vor Freude, wenn man vorhero elend gewesen, und sich nun auf einmahl beglückt sieht; niemahls aber, wenn man vorher nicht elend gewesen,z°3
Als substantiell erweist sich an dieser Briefstelle, daß Lessing im folgenden zwischen physischen und psychischen Vorgängen differenziert, welche aber beide diesen engen Zusammenhang zeigen. Nicht nur beim Lachen in der Seele, die Hamburgische Dramaturgie spricht später einmal vom Lachen des Verstandes, kann sich die Erheiterung in ihr Gegenteil verkehren, auch die physischen Erscheinungsweisen glichen einander, da man die Erheiterung so steigern könne, daß man schließlich vor Lachen weine: [D]as körperliche Weinen ist also gleichsam der höchste Grad des körperlichen Lachens. 204 203 Lessing an Moses Mendelssohn, 13. November 1756: LM 17, S. 69. - Auffallend ist, daß Mendelssohn bereits im Beschluß der Briefe über die Empfindungen von 1755 eine ähnliche Beobachtung zu den Freudentränen macht, die Lessing hier (bewußt oder unbewußt) fortführt: Wenn zu dem Begriffe eines gegenwärtigen Glückes die wehmüthige Erinnerung jenes Elendes darinn wir vorher gelebt, hinzukömmt; so vergiessen wir Freudenthränen; Thränen, die der Gipfel aller Freuden sind. (V gl. Moses Mendelssohn, Philosophische Schriften, in: M. M., JA 1, S. 110.) 204 Lessing an Moses Mendelssohn, 13. November 1756: LM 17, S. 70. - Daß Lessing das Phänomen des Lachens offenbar sein Leben lang beschäftigt hat, spiegelt die Notizsammlung Collectanea wider, die er wohl im Sommer 1768 nach dem Verlust seiner vorangegangenen Aufzeichnungen beginnt. Unter dem Stichwort "Lachen" sind hier verschiedene Gedankenstützen und Buchhinweise vermerkt, die sich im weitesten Sinne mit den Erscheinungsformen der menschlichen Erheiterung beschäftigen. Lessing verweist hier erneut auf die Verwandtschaft von Lachen und Weinen: Die Thränen der Freude und des Sardonischen Lachens zeigen genugsam, wie nahe beides, Weinen und Lachen, mit einander verwandt sind. Vom Sardonischen Lachen s. verschiednes gesammelt in des Novarini Adagiis T. I. p. 49. (Lessing, Collectanea: LM 15, S. 285.) Gemeint sind hier die Adagia formulaeque proverbiales des Luigi Novarini, der im Kap. 164 "Sardonicis herbis saturatum eße" "de ijs, qui periculis lretantur, in morte rident" berichtet und unter Nennung von Querverweisen auf die unterschiedlichen mythischen und geschichtlichen Entstehungsmöglichkeiten dieses sardonischen La-
IV. Der Briefwechsel Lessing - Nicolai - Mendelssohn
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Um die Frage nach der Entstehung des mechanischen bzw. körperlichen Lachens kreisen schließlich erneut vier Briefe vom Spätsommer des Jahres 1757. Sie werden sich zu erinnern wissen, wie Sie einst die Erklärung des Lächerlichen von demjenigen, was bey dem mechanischen Lachen vorgeht, haben abstrahiren wollen. Wir lachen, wenn uns ein andrer kitzelt, sagten Sie, weil wir nicht wissen, ob er nicht die Schranken des Angenehmen überschreiten werde 205 ,
schreibt Mendelssohn an Lessing und verweist ihn auf einige seiner Meinung nach erhellende Stellen aus Spinozas Opera posthuma, die von dem Entstehen und der Wirkung der "titillatio" handeln?06 Lessing und Mendeissohn bezeichnen, den Vorstellungen ihrer Zeit von einer Trennung des Menschen in Körper und Geist bzw. Seele entsprechend, mit dem Begriff des mechanischen Gelächters ein durch körperliche Vorgänge ausgelöstes Lachen, das im Gegensatz zu jener Erheiterung steht, die ausschließlich auf einer erkennenden Urteilsleistung des Verstandes bzw. der Seele basiert. Gleichwohl tritt, wie dieser Bericht Mendelssohns zeigt, auch zur körperlichen Erscheinungsform ein gewisser Grad der Reflexion hinzu. In Lessings Antwortschreiben findet sich nun erneut die bereits mehrmals erwähnte Vermischung, die auch bei dem mechanischen Lachen nötig ist. Gelächter, so Lessing, entstehe dann, wenn ein Theil des Körpers so afficiret wird, daß weder Schmerz noch das Gegentheil vom Schmerze daraus erfolgt; sondern eine Vermischung von beyden. 207
Während hier die Ausgewogenheit zwischen den Empfindungen und erneut deren Vermischung betont wird, bevorzugt Mendelssohn jedoch Lessings ersten Erklärungsversuch. Er verweist dabei auf Spinozas Lehrsätze, daß dieser Erscheinung bereits die Ahnung einer negativen Erfahrung innewohne, da jener auch einen Exzeß der titillatio kenne, der in Schmerz umschlagen könne. Deshalb, so folgert Mendelssohn, muß auch ein Grad der titillatio möglich seyn, der zwar noch angenehm ist, dabey aber zu besorgen steht, man möchte die Gränzen überschreiten, und eine unangenehme Empfindung zuwege bringen. In diesem Zustande entsteht das mechanische Lachen, und alsdenn nennen wir es im Deutschen Kitzeln. 2os chens zu sprechen kommt (Luigi Novarini, Adagia formulaeque proverbiales: ex sanctorum patrum ecclesiasticorum scriptorum monumentis accurate promtae [... ]. Bd. I. Verona 1651, S. 49 [Staats- und Stadtbibliothek Augsburg, 2 Th Pr 174-1]). Jörg Schönert (in: G 5, S. 1037) nennt als Quelle irrtümlicherweise Novarinis Adagia ex sanctorum patrum ecclesiasticorumque scriptorum monumentis prompta von 1637. 205 Moses Mendelssohn an Lessing, 11. August 1757: LM 19, S. 105. 206 Vgl. ebd., S. 105 f. 207 Lessing an Moses Mende\ssohn, 23. August 1757: LM 17, S. 118. 208 Moses Mendelssohn an Lessing, September 1757: LM 19, S. 110. - Die Richtigkeit dieser Auffassung Lessings und Mendelssohns bestätigt in neuerer Zeit: Hel-
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1. Teil: Lessings Komödientheorie
Lessings Brief vom 14. September 1757 bringt sein Eingeständnis, der Freund habe in bezug auf die eben diskutierte Aussage des Spinoza recht, und er fügt an, daß er an weiteren Fundstellen, die "einige Verwandtschaft" mit seiner Erklärung des Lachens zeigten, interessiert sei?09 Bemerkenswert ist daran nun, daß diese Stelle nicht zuletzt ein Stück weit Aufschluß über die Frage gibt, ob Lachen auch aus einem verwandelten Weinen hervorgehen kann. Für Mendelssohn und auch Lessing ist offenbar das Wissen um eine mögliche negative Wendung ein wesentliches Moment der Entstehung. So wie das Weinen die vorangegangene Freude umfaßt, scheint dem Lachen, sowohl mechanischem als auch seelischem, ein möglicher, nicht einmal unbedingt bewußt gedachter Umschlag ins Weinen, in den Ernst innezuwohnen. Wir dürfen allerdings annehmen, daß dieser feine Erkenntnis- und Empfindungsprozeß nicht für alle Formen des Lächerlichen gleich stark ausgeprägt ist, da Lessing immer wieder auf die unterschiedlichen Arten des Komischen hinweist. Aus einem Brief Mendelssohns vom 26. Dezember 1755 zu folgern, wurden bei dem Versuch, das Lächerliche näher zu ergründen, auch mögliche Kategorien dieses Phänomens diskutiert. So gibt eine Bemerkung Lord Shaftesburys dem in Berlin weilenden Freund Anlaß, sich "einen rechten Begrif vom Burlesken [zu] machen,.2l0, das vom wahren Lächerlichen zu unterscheiden sei: Ich glaube also, es [das Burleske] bestehet in der Gegeneinanderhaltung eines sehr wichtigen Gegenstandes mit einem kleinen und verächtlichen Gegenstande, wenn diese Gegenstände an sich selbst nur eine sehr geringe Beziehung auf einander haben. [... ] Man kann also überhaupt sagen: Wenn das Ungereimte in der Sache selbst, oder in der Anwendung derselben auf einen besondem Fall liegt, so ist der Einfall komisch; muß aber erst eine sehr geringe Aehnlichkeit zu Hülfe genommen werden, so ist er burlesk. 211 muth Plessner, Lachen und Weinen. Eine Untersuchung nach den Grenzen menschlichen Verhaltens. Amheim 1941, S. 82. 209 Die Collectanea (Lessing, Collectanea: LM 15, S. 284) enthalten einen weiteren Hinweis auf die Entstehungsmöglichkeiten eines durch körperliche Reize ausgelösten Gelächters, den Lessing in der Historiae Danicae des Saxo Grammaticus findet. Das dort berichtete Ereignis, der sterbende Agner habe durch einen Schwertstoß eine derart heftige Erschütterung des Zwerchfells erlitten, daß er habe lachen müssen, wird von der zoologischen Schrift De partibus animalium des Aristoteles bestätigt, die in Kapitel 10 die organischen Vorgänge und die Funktion des Zwerchfells beim Lachen beschreibt (vgl. Aristoteles, Über die Teile der Tiere. 3. Buch, Kap. 10, 673 a-674 a). Die Frage der somatischen Abläufe beschäftigt Lessing anscheinend eingehender, da er vermerkt: "Dieses ganze Kapitel [bei Aristoteles], wo mehr von dem Lachen vorkömmt, verdient näher von mir erwogen zu werden" (Lessing, Collectanea: LM 15, S. 285). 210 Moses Mendelssohn an Lessing, 26. Dezember 1755: LM 19, S. 29. 211 Ebd., S. 29 f. - Mendelssohn wiederholt im Anschluß zustimmend Shaftesbury, der das wahre Lächerliche einen "tüchtigen Probierstein der Wahrheit" heißt.
V. Hamburgische Dramaturgie
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Burleskes wird damit keineswegs mehr als bloße Zotenhaftigkeit verstanden, im Gegenteil, Nicolai betont im § 12 seiner Zusammenfassung des brieflichen Disputes über Trauerspiel und Komödie, daß diesem "keine sittliche Absurdität zum Grunde,,212 liege. Komisch wirkt eine Sache auf den Betrachter durch ihren inneren Widerspruch, während das Burleske im Grunde Bereiche ohne Bezug miteinander verbindet und hier aufgrund der von Mendelssohn herangezogenen Beispiele sprachlicher Gestaltung eher als eine produktionsästhetische Ausdrucks- und Darstellungsform erscheint. Über Lessings Antwort auf Mendelssohns Erklärungen zum Jahresende 1755 ist nichts bekannt, ein möglicher direkter Austausch ist ebenso denkbar wie der Verlust verschiedener Briefe aus dieser Zeit. Gewiß setzt jedoch diese Aufforderung zum gelehrten Disput Überlegungen der LustspielAbhandlungen fort, da Lessing auch hier schon unterschiedliche Erscheinungsformen des Lächerlichen im Possenspiel, der wahren Komödie sowie qualitative Grade des Lachens nennt, man denke an Molieres allzu gewöhnliche Erheiterung. Auch in seinen späteren Schriften, der Hamburgisehen Dramaturgie oder der Vorrede zur zweiten Auflage des Theaters des Herrn Diderot, unterscheidet Lessing mit wenigen Bemerkungen ein wahres Lächerliches, das jenes diskutierte Lachen erzeugen kann, von niedrigeren Formen der Erheiterung.
v.
Hamburgische Dramaturgie (1767/68)
Der süße Traum, ein Nationaltheater hier in Hamburg zu gründen, ist schon wieder verschwunden: und so viel ich diesen Ort nun habe kennen lernen, dürfte er auch wohl gerade der seyn, wo ein solcher Traum am spätesten in Erfüllung gehen wird. 2l3
Es ist eine ernüchterte Bilanz, die Lessing im letzten Blatt der Hamburgisehen Dramaturgie - "fast ein Jahr später niedergeschrieben, [... ] als ihr Datum besagt,,214 - zu Papier bringt. Doch auch wenn es für ihn aus diesem süßen Traum ein unsanftes Erwachen gab, so hat der "gutherzig[e] Einfall, den Deutschen ein Nationaltheater zu verschaffen,.2l5, ein Werk Ricklefs (S. 12) geht in seinen Überlegungen zu diesem Brief von der Voraussetzung aus, daß sich Mendelssohn bereits 1755 in seinem Dritten Gespräch zu dieser Stelle Shaftesburys äußere. Diese Passagen kamen jedoch erst in der verbesserten Auflage von 1771 hinzu, die, wie die Vorrede notiert, eine völlige Umarbeitung der dritten Unterhaltung beinhaltete (vgl. Moses Mendelssohn, Philosophische Schriften. [Erster Theil. Verbesserte Auflage Berlin 1771.], in: M. M., JA I, S. 357-359). Die in die Überarbeitung miteingegangenen Varianten wurden möglicherweise durch diese Diskussion mit Lessing angeregt. 212 Friedrich Nicolai an Lessing, 14. Mai 1757 - 1. Beilage: LM 19, S. 85. 213 Lessing, HD, 101.-104. Stück: LM 10, S. 218. 214 Ebd.
1. Teil: Lessings Komödientheorie
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hervorgebracht, das noch Friedrich Schiller als "sehr geistreiche und belebte Unterhaltung,,216 hoch schätzte und dessen Bedeutung als poetologische Schrift auch heute noch außer Frage steht. Am 22. April 1767 öffnete als Fortführung eines gescheiterten Versuchs des Prinzipals Konrad Ackermann, ein festes Repertoir-Theater zu errichten, das Hamburger Nationaltheater seine Pforten, dem Lessing, zunächst als Haus-Theaterdichter umworben, in der Funktion eines festangestellten Kritikers zur Seite stand. Beginnend mit dem 1. Mai 1767 sollten nun Besprechungen der gespielten Stücke der neuen Bühne zweimal pro Woche erscheinen und so ein "kritisches Register" bilden, das "jeden Schritt begleiten [will], den die Kunst, sowohl des Dichters, als des Schauspielers, hier thun wird,,217. Daß sich diese weitgesteckte Zielsetzung nicht realisieren lassen sollte, mußte Lessing bald spürbar enttäuscht erkennen. Schon drei Monate nach Eröffnung wurde mit dem 25. Stück die unmittelbare Kritik an den Schauspielern und damit eine Prämisse des gesamten Blattes aufgegeben. Querelen innerhalb der Truppe und vor allem die Empfindlichkeit der Künstler, die eben nicht gerne frei und laut über sich urteilen hören,218 veranlaßten ihn zu diesem Schritt. Die Kritik sah sich nunmehr stärker auf die Erörterung allgemeiner dramaturgischer und poetologischer Fragen zurückverwiesen. 219 Allerdings stand es Lessing fern, nun eine ähnlich strukturierende und normierende Regeldogmatik wie Gottsched mit seiner Critischen Dichtkunst zu schaffen, bemerkt er doch einmal spöttisch, daß die Deutschen an systematischen Darstellungen sicherlich keinen Mangel litten?20 So ist es gerade kein konsequent gegliedertes System von historischen Ableitungen, Regeln und Normen, von Definitionen und Deduktionen, Empfehlungen und Verboten, die Lessing seinen Lesern bietet. Die einEbd., S. 213. Schiller an Goethe, 4. Juni 1799, in: Schillers Werke. Nationalausgabe. Begründet von Julius Petersen. Hrsg. von Liselotte BlumenthallBenno von Wiese. Bd. 30. Briefwechsel. Schillers Briefe 1798-1800. Weimar 1961, S. 53. 217 Lessing, HD, Ankündigung: LM 9, S. 183. 218 Vgl. Lessing, HD, 25. Stück: LM 9, S. 288. - Ebenso Lessing an Christian Felix Weiße, August 1767: LM 17, S. 235. 219 Als ein Hemmschuh der ursprünglichen Konzeption dieses Rezensionsorgans, ja der Idee des Nationaltheaters entpuppte sich nicht zuletzt das Publikum der Hansestadt. Lessing selbst hatte große Hoffnungen auf das Auditorium gesetzt und ihm nicht geringe Kompetenzen zugestanden (vgl. Lessing, HD, Ankündigung: LM 9, S. 182). Gerade von dessen mangelnder Unterstützung bei der Konstituierung einer eigenständigen deutschen Schauspielkunst zeigte sich der Dramaturg am Ende tief enttäuscht (Lessing, HD, 101.-104. Stück: LM 10, S. 213). - Vgl. zu dieser Unternehmung und den Gründen ihres Scheitems Monika Fick, S. 279-282. 220 Vgl. Ruprecht Wimmer, Von Gottsched zu Lessing, in: Das 18. Jahrhundert. Aufklärung. Hrsg. von Paul Geyer. Regensburg 1995 (Eichstätter Kolloquium 3), S. 43-61, hier S. 52. 215
216
V. Hamburgische Dramaturgie
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zeinen Aufführungen geben ihm vielmehr Anlaß, grundlegende dramaturgische Aspekte zu diskutieren, tradierte Theoreme und deren Auslegung zu erörtern, aber auch kritisch zu hinterfragen.2 21 "Was ist die Tragödie und was sollte sie seyn?,,222 Obschon die Beschäftigung mit dem Trauerspiel zweifelsohne breiten Raum einnimmt, so wird diese von den Zeitgenossen als Summa der Hamburgischen Dramaturgie betrachtete Frage dem Werk nicht gerecht. Entgegen dem auch in der Lessing-Forschung tradierten Vorurteil, daß die Komödie nur am Rande berührt werde,223 versammeln die 104 Stücke eine Fülle von Beobachtungen, Anmerkungen und Thesen zu dieser Gattung, welche Lessings bisherige Erkenntnisse vielfach fortsetzen und weiterentwickeln. Seine wiederholte Kritik an zeitgenössischen Komödien macht nur zu deutlich, daß ihn das Lustspiel in seinen bestehenden Formen und Möglichkeiten wenig befriedigte. So müssen sich die Gottschedin, Marivaux und immer wieder Voltaire, selbst Johann Elias Schlegel oder Moliere harsche Worte gefallen lassen.2 24 Ein grundsätzlicher Vorwurf richtet sich gegen die übermäßige Betonung der Regelmäßigkeit, wie er sie im klassizistischen Theater französischer Prägung zu erkennen glaubt. Die dichterische Güte eines Dramas kann, dies hatten schon die Rezensionen unmißverständlich dargelegt, die nur äußerliche Beachtung der Gesetze gerade nicht bestimmen. Eine ausführliche, sehr kritische Auseinandersetzung mit der Lehre von den drei Einheiten erfolgt 221 Vgl. zu Lessings Arbeitsweise: Horst Steinmetz, Der Kritiker Lessing. Zu Form und Methode der "Hamburgischen Dramaturgie", in: Neophilologus 52, 1968, S. 30-48. - Klaus L. Berghahn, Der kritisierte Kritiker. Zu Lesererwartung, historischen Bedingungen und Form von Lessings Hamburgischer Dramaturgie, in: Humanität und Dialog. Lessing und Mendelssohn in neuer Sicht. Beiträge zum Internationalen Lessing-Mendelssohn-Symposium anläß!ich des 250. Geburtstages von Lessing und Mendelssohn, veranstaltet im November 1979 in Los Angeles, Kalifornien. Beiheft zum Lessing Yearbook. Hrsg. von Ehrhard Bahr/Edward P. Harris/Laurence G. Lyon. Detroit, München 1982, S. 155-164. 222 Deutsche Bibliothek der schönen Wissenschaften. Hrsg. von Herrn Klotz. Halle 1769, 9. Stück; zitiert in: Lessing im Urtheile seiner Zeitgenossen. Gesammelt und hrsg. von Julius W. Braun. Bd. 1. Nachdruck der Ausgabe Berlin 1884. Hildesheim 1969, S. 295. 223 Vgl. ebd. - Ebenso J. G. Robertson, Lessing's Dramatic Theory. Being an Indroduction to and Commentary on his "Hamburgische Dramaturgie". New York 1965, S. 389: "On the subject of Comedy Lessing, like Aristotle, has little to say, and that !ittle is of small importance." - Selbst das Lessing-Handbuch von Monika Fick (S. 279-295) erörtert im Kapitel "Hamburgische Dramaturgie" lediglich die Tragödienkonzeption. - Die für die Komödie relevanten Stellen der Hamburgischen Dramaturgie untersucht eingehender: Günter Zobel, Lessings "Hamburgische Dramaturgie". Über Wesen und Form des Lustspiels, in: Waseda Daigakü , Tokyo , Seikeigakü - bü. Kyöyö-shogaku-kenkyfi 70, 1982, S. 223-250. 224 Vgl. u.a. Lessing, HD, 26. Stück: LM 9, S. 290. - 52. Stück: LM 9, S. 403 f. - 53. Stück: LM 10, S. 5. - 73. Stück: LM 10, S. 93 f. - 83. Stück: LM 10, S. 138.
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1. Teil: Lessings Komödientheorie
in den Stücken 44 bis 46, in denen Lessing nur noch die Einheit der Handlung als verpflichtende Vorgabe anerkennt. Zu viele Dichtergenerationen, namentlich die französischen Dramatiker hätten nur die Worte dieser Regeln erfüllt, nicht aber ihren eigentlichen Gehalt erkannt. 225 "Ein anderes [ist], sie wirklich beobachten,,226, so Lessing und meint damit, nach den inneren, unveränderlichen Grundsätzen einer Gattung zu arbeiten. Weitgehend losgelöst von der Komödiendefinition des im übrigen von ihm hochgeschätzten Aristoteles sucht Lessing diesen Weg wohl auch für die komische Gattung zu gehen und entwirft hier eine gegenüber den zeitgenössischen Traditionslinien deutlich modifizierte Komödienform. 1. Lachen contra Verlachen
Wie schon im Briefwechsel mit Mendelssohn und Nicolai ist es wiederum das Phänomen des Lachens, das Lessing in der Hamburgischen Dramaturgie reflektiert und dessen eingehende Erörterung im 28. und 29. Stück ein neues Verständnis der Komödie in nuce postuliert. In nur einem Satz vermag Lessing dieses so andere Konzept zu umreißen: "Die Komödie will durch Lachen bessern; aber nicht eben durch Verlachen.,,227 Zwei Arten dieser Ausdrucksform werden damit diametral gegenübergestellt. Lachen steht gegen Verlachen, was jedoch ebenso heißen will: Lessing contra Gottsched, neue Komödie 228 contra satirische Typenkomödie. Lessings Bemühungen um eine originelle Form des komischen Spieles, das sich bereits in jungen Jahren mit der Bestimmung der Gefangnen als Modell einer neuen Lustspielstruktur von der zeitgenössischen Komödie schied, findet an dieser Stelle ihre klarste theoretische Formulierung. Statt des Verlachens lasterhafter Figuren, wie es unter Gottscheds Ägide auf den Bühnen der Zeit erschallte, um auf diese Weise den von der vernünftigen Norm abweichenden Toren, aber auch den damit behafteten Zuschauer zur Räson zu bringen, fordert der Dramaturg nunmehr erstmals expressis verbis für das lustige Spiel eine gewandelte Art der Erheiterung. Während das Vgl. ebd., 44.-46. Stück: LM 9, S. 369-380. Ebd., 46. Stück: LM 9, S. 377. 227 Ebd., 29. Stück: LM 9, S. 303. 228 Bewußt wird auf den Begriff der "wahren Komödie", wie ihn die LustspielAbhandlungen einführten, verzichtet, da dieser in der Hamburgischen Dramaturgie nur an einer einzigen Stelle, im 74. Stück (LM 10, S. 94) wiederkehrt, allerdings nicht im Sinne einer poetologischen Bestimmung. Lessing spricht hier von sog. wahren Komödien, die sich im gemeinen, d. h. wirklichen Leben abspielen, bezeichnet damit also komödiantische Situationen, die tatsächlich geschehen sind. Zur Problematik einer Übertragung der Begriffe Lachen und Rührung vgl. auch 1. Teil, Kap. III und Kap. V. 3 dieser Arbeit. 225
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V. Hamburgische Dramaturgie
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Verlachen, der Spott den fehlerhaften Protagonisten vor den Normen einer Gruppe oder Gesellschaft gleichsam abstraft und sich moralisch über ihn erhebt, sucht Lessing gerade dieses dem Verlachen innewohnende Moment der überlegenen Verachtung zu tilgen, denn in seinen Augen liegen "lachen und verlachen [... ] sehr weit auseinander,,229. Signifikant für das in der satirischen Typenkomödie geübte Gelächter ist seine von Böhler näher bestimmte integrativ-dissoziative Wirkung 230 - stabilisierend und integrativ in Bezug auf vorgefertigte Meinungen, Wertvorstellungen des Publikums als homogener Gruppe; dissoziativ, ausgrenzend gegenüber der komischen Figur auf der Bühne, die zum Objekt des Verlachens wird. Die hierauf gründende Spielkonzeption baut immer wieder auf die Überlegenheit des vernünftigen Zuschauers angesichts der Schwäche des Anderen, der damit als unwert und nichtig erscheint. 231 Subjekt und Objekt dieser Art des Lachens, das die Forschung als Komik der Herabsetzung bezeichnet,232 werden auf unterschiedlichen moralischen Ebenen angesiedelt, von der Warte einer höheren Vernunft aus kann der Zuschauer auf den fehlerhaften Toren herabblicken, ihn auslachen. Eben diese Distanzierung des Lachenden vom Belachten impliziert für Gottsched, daß man die "tragischen [Affekte], nemlich die Furcht, das Schrecken und Mitleiden zu vermeiden habe,,233. Träte dem Verlachen der komischen Figur das Mitgefühl des Zuschauers zur Seite, so wäre die Scheidung beider Ebenen nicht mehr gewährleistet, besäße das Lachen nur noch eingeschränkte Berechtigung und würde seiner von Gottsched zugewiesenen Aufgabe zuwiderlaufen. Aus dieser Tradition einer Komik der Herabsetzung und ihrer vor allem von Hobbes inaugurierten und teilweise auch noch in der Modeme geläufigen Auffassung des Lachens als Ausdruck eines unreflektierten Stolzes, von SelbstgeflHligkeit und Selbstüberlegenheit234 tritt Lessing nun nachdrücklich heraus: Lessing, HD, 28. Stück: LM 9, S. 302. Vgl. Böhter, S. 251. 231 Vgl. ebd., S. 247. 232 Vgl. Hans Robert Jauß, Über den Grund des Vergnügens am komischen Helden, in: Das Komische. Hrsg. von Wolfgang Preisendanz/Rainer Waming. München 1976, S. 103-132, hier S. 104-106. - Verschiedene Vertreter dieser Theorie nennt Greiner, Die Komödie, S. 97-105. - Böhter (S. 247) verwendet dagegen den Begriff der Degradations- oder Aggressionstheorie. 233 Gottsched, A W IV, 2, S. 354. 234 Vgl. Thomas Hobbes, Human Nature, in: The English Works of Thomas Hobbes. Vol. 4. Ed. by Williarn Molesworth. London 1840, S. 46: [The] passion of laughter is nothing else but sudden gtory arising from some sudden conception of some eminency in ourselves, by comparison with the infirmity of others, or with our own formerly: for men laugh at the follies of themselves past, when they come suddenly to remembrance, except they bring with them any present dishonour. 229
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6 Kombacher-Meyer
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1. Teil: Lessings Komödientheorie
Wir können über einen Menschen lachen, bey Gelegenheit seiner lachen, ohne ihn im geringsten zu verlachen. So unstreitig, so bekannt dieser Unterschied ist, so sind doch alle Chicanen, welche noch neuerlich Rousseau gegen den Nutzen der Komödie gemacht hat, nur daher entstanden, weil er ihn nicht gehörig in Erwägung gezogen. Moliere, sagt er z. E., macht uns über den Misanthropen zu lachen, und doch ist der Misanthrop der ehrliche Mann des Stücks; Moliere beweiset sich also als einen Feind der Tugend, indem er den Tugendhaften verächtlich macht. Nicht doch; der Misanthrop wird nicht verächtlich, er bleibt, wer er ist, und das Lachen, welches aus den Situationen entspringt, in die ihn der Dichter setzt, benimmt ihm von unserer Hochachtung nicht das geringste. Der Zerstreute gleichfalls; wir lachen über ihn, aber verachten wir ihn darum? Wir schätzen seine übrige guten Eigenschaften, wie wir sie schätzen sollen; ja ohne sie würden wir nicht einmal über seine Zerstreuung lachen können. 235
Das Objekt des Gelächters ist hier nicht mehr der Auslachenswürdige, wie ihn noch Gottsched sah. Lessings Lachen will den Protagonisten auf der Bühne eben nicht mehr einem hämischem Spott aussetzen, der ihn abqualifiziert oder ihm, wie es das 28. Stück nennt, seine Verachtung und Überlegenheit zeigt. Lessing fordert vielmehr ein Lachen, das dem dargestellten Menschen seine Würde beläßt, und vollzieht damit einen, wie Böhler es nennt, "grundlegende[n] soziale[n] Funktionswandel des Lachens,,236. Zwar erscheinen auch diese Figuren noch immer unvollkommen und werden deshalb als komisch empfunden, doch braucht sie der Zuschauer darob nicht mehr zu verachten. Indem nun die bis dato üblichen Typen von gemischten Charakteren verdrängt werden, deren Gestaltung par excellence Lessing schon in frühen Jahren mit der Figur des Freigeistes Adrast gelingt, kann das Publikum sie "ob ihrer übrige[n] guten Eigenschaften schätzen,,237. Im Gegensatz zu den starren Lasterdarstellungen vermögen diese Gestalten Sympathie und Hochachtung zu gewinnen, die selbst eine lachende Erheiterung nicht mehr schmälern kann. Das Verlachen ist nun zu einem im Grunde philanthropischen Lachen geworden, das die kleinen Unzulänglichkeiten des Menschen als Menschlich-Allzumenschliches erkennt, sich über diese sicherlich hier und da erheitert, ohne ihren Träger jedoch dadurch gänzlich zu degradieren. In diesem Sinne ist die Lustspie1gestalt, die bisher auf ein Laster reduziert war, nicht mehr grundsätzlich komisch, sie wird es Auf dieser Basis gründen u. a. die modemen Ansätze Henri Bergsons (Das Lachen. Ein Essay über die Bedeutung des Komischen. Aus dem Französischen von Roswitha Plancherel-Walter, Nachwort von Karsten WiUe. Darmstadt 1988, S. 123 f.), der Lachen als das Verlachen einer Gruppe deutet, das ein Korrektiv und dazu da [ist], jemanden zu demütigen. [... ] Durch ihr Gelächter rächt sich die Gesellschaft für die Freiheiten, die man sich ihr gegenüber herausgenommen hat. Das Lachen würde seinen Zweck verfehlen, wenn es von Sympathie und Güte gekennzeichnet wäre. 235 Lessing, HD, 28. Stück: LM 9, S. 302 f. 236 Böhler, S. 252. 237 Ebd.
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nur noch in bestimmten Situationen, in die der Dichter sie setzt. Die Lächerlichkeit ist somit kein im Spiel sich pennanent äußernder Wesenszug mehr. Ein der besonderen Situation entspringendes "Mitlachen" oder ,,(Be)Lachen" des im übrigen durchaus positiven Protagonisten verdrängt nun das fühllose, verurteilende "Auslachen" der Typenkomödie wie auch die starke satirische Gestaltung. 238 Die bereits im Briefwechsel mit Mendelssohn und Nicolai erkannte Eigenschaft des Lachens als einer vennischten Empfindung liegt auch diesem in der Hamburgischen Dramaturgie vertretenen Verständnis zugrunde. Nur wenn sich die beiden Komponenten der Lust und Unlust in einem Ausgleich befinden, ist die von Lessing angestrebte Art der Erheiterung möglich. Lust und Freude am gezeigten Gegenstand sind zwingend notwendig, um die Unlust z. B. über eine mißliche Situation, ein menschliches Fehlverhalten nicht zu einer Verachtung des lächerlich erscheinenden Menschen werden zu lassen wie in der satirischen Typenkomödie, die dieses Korrektiv der Sympathie und Hochschätzung für den Fehlerhaften ausdrücklich verneint. Diese für die Komödie so weitreichende Scheidung von "Lachen" und "Verlachen" erkennt indes Lessing nicht als erster; bereits Alexander Pope hatte diese gravierende Differenzierung in einem an Henry Cromwell gerichteten Brief vom Jahre 1710 eingeführt: 239 I know some Philosophers define Laughter, A recommending our selves to our own favour, by comparisson with the weakness of another: but I am sure I very rarely laugh with that view. [... ] There is a difference too betwixt laughing about a thing and laughing at a thing. 24o
Eben diese Unterscheidung trifft auch Francis Hutcheson in den Reflections upon Laughter (1725): It is pretty strange, that the Authors whom we mentioned above [u. a. Hobbes], have never distinguish'd between the words Laughter and Ridicule: this last is 238 Eine erste Kritik an der Art des Gelächters der satirischen Typenkomödie äußert Lessing bereits im Jungen Gelehrten, wenn Valer von der Grausamkeit dieses Verlachens spricht (vgl. dazu 2. Teil, Kap. I. 2 dieser Arbeit). 239 Vgl. A. Hügli, Artikel "Das Lächerliche", in: Historisches Wörterbuch der Philosophie. Hrsg. von Joachim Ritter/Karlfried Gründer. Völlig neubearb. Ausgabe des ,Wörterbuchs der Philosophischen Begriffe' von Rudolf Eisler. Bd. 5. Basel, Stuttgart 1980, Sp. 1-8, hier Sp. 4. - Zur Entwicklung der unterschiedlichen Auffassungen und Bewertungen des Lachens vgl. ebd., Sp. 1-8. - Wolfgang Preisendanz, Artikel: "Komische (das), Lachen (das)", in: HWP, Bd. 4. Basel, Stuttgart 1980, Sp. 889-893. - Ebenso Robertson (Lessing's Dramatic Theory, S. 390), der knapp auf mögliche Vorläufer Lessings in dieser Frage verweist, ohne jedoch auf Pope zu rekurrieren. 240 Pope to Cromwell, 30. December 1710, in: The Correspondence of Alexander Pope. Vol. I: 1704-1718. Ed. by George Sherbum. Oxford 1956, S. 111.
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but one particular Species of the former, when wie are laughing at the Follies of others; an in this Species there may be some pretence to alledge that some imagined Superiority may occasion it; but then there are innumerable Instances of Laughter, where no Person ist ridiculed. 241
Sowohl Pope und Hutcheson als auch Lessing betonen ausdrücklich, daß das "Belachen" oder das treffendere "Laughing at" einer lächerlichen Situation die Wertschätzung und den vorher entgegengebrachten Respekt für den Betroffenen, sei es für den Misanthropen, einen Mann mit guten Eigenschaften oder den Minister, welchem das Hemd zur Hose heraushänge,242 nicht schmälere?43 Eine an sich positive Person wird durch ein Mißgeschick, eine Lächerlichkeit also noch lange nicht verächtlich: "the whole Audience may laugh heartily, without the least abatement of their good Opinion,,244, so Hutcheson. Dies ist ohne Zweifel identisch mit Lessings Aussage, daß wir eines Menschen lachen können, ohne ihm von unserer Hochachtung das geringste zu nehmen. 245 Lessings Dramentheorie hat vielfache Anregungen und Einflüsse der europäischen Geisteswissenschaft und Theaterlandschaft erfahren. Für seine Vorstellungen von der Komödie gilt dies nicht minder als für die Mitleidsbestimmung. Diese Bezüge sind indes nicht immer eindeutig bestimmbar, da Lessing zwar vorgefundene Ansätze aufnimmt, doch nur, um sie nach eigenen Vorstellungen zu adaptieren?46 Selbst wenn die Rezeption der oben genannten Gedanken im letzten nicht zu ermessen ist,247 so wird doch deut241 Francis Hutcheson, Reflections upon Laughter and Remarks upon ,The Fable of the Bees', in: Collected Works of Francis Hutcheson. Facsimile Editions prepared by Bemhard Fabian. Vol. VII. Opera Minora. Hildesheim 1971, S. 101-131, hier S. 108. 242 Vgl. Pope to Cromwell, 30. December 1710, in: The Correspondence of Alexander Pope. Vol. I, S. 111. - Ähnlich Hutcheson, Reflections upon Laughter [... ], in: Collected Works of Francis Hutcheson. Vol. VII, S. 116 f. 243 Selbst wenn diese Art des Lachens noch einen kleinen Rest des bisherigen Spottes oder Überhebung des Zuschauers beinhaltet, so ist dies nur eine vorübergehende Erscheinung, deren Dauer nur im lächerlichen Moment selbst bestimmt ist, während bei Gottsched der lasterhafte Protagonist stets lächerlich-verachtungswürdig blieb. Bei Pope, Hutcheson und Lessing aber hält die Wertschätzung dem Lachen die Waage, verliert der Belachte nichts an Respekt. 244 Hutcheson, Reflections upon Laughter [... ], in: Collected Works of Francis Hutcheson. Vol. VII, S. 116 f. 245 Ebenso hatte J. E. Schlegel in den Gedanken zur Aufnahme des dänischen Theaters (In: J. E. Sch., Ausgewählte Werke, S. 574) angemerkt, daß es Komödienfiguren, wie eben z. B. den Misanthropen gebe, deren Fehler die Hochachtung des Zuschauers nicht ausschlössen. 246 Vgl. auch Ernst Cassirer, Die Philosophie der Aufklärung. Unveränderter Nachdruck der 2. Auflage. Tübingen 3 1973, S. 477 f. 247 Nachdem sich Lessing im zurückliegenden Jahrzehnt intensiv mit dem englischen Dichter beschäftigte, vermutlich auch die Rezension der Lettre choisies de
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lieh, daß Lessing mit diesem Problemfeld eine aktuelle Frage aufgreift und einen eigenen Beitrag zu dieser zeitgenössischen gesamteuropäischen Diskussion beisteuert, die auch in Deutschland eingehender geführt wurde. 248 Es bleibt jedenfalls Lessings Verdienst, jenes neue Verständnis des Lachens in Deutschland nicht nur theoretisch formuliert, sondern auch in seinen Komödien gestaltet zu haben.
2. Was ist lächerlich? Mit der menschenfreundlicheren Bestimmung der Erheiterung im komischen Spiel geht folgerichtig eine wiederum gegenüber Gottsched und seiner Schule deutlich veränderte Auffassung dessen einher, was lächerlich ist oder wird. Das bisherige Feld des Komischen erhält durch Lessings FragePope sur differens sujets de Morale et de Litterature (vgl. BPZ, 80. Stück, 5.7.1753: LM 5, S. 179 f.) aus seiner Feder stammt, dürfte Lessing die seit 1726 in zahlreichen Ausgaben vorliegende Korrespondenz Popes wohl nicht unbekannt gewesen sein. In seinen übrigen Thesen geht Lessing jedoch über Pope hinaus. Lessings Übersetzung von Hutchesons System of Moral Philosophy ins Deutsche, die anonym 1756 erschien, läßt darauf schließen, daß er sich auch mit dem englischen Philosophen eingehender beschäftigte und möglicherweise dessen Reflections upon Laughter studierte. Diese wurden zunächst 1725 unter dem Pseudonym Philomeides im Dublin Weekly Journal gedruckt, ehe sie als Separatdruck erneut 1750 und 1758 in Glasgow erschienen. Einen ausdrücklichen Hinweis auf die Bedeutung Hutchesons für einen veränderten und aus der negativen Tradition Hobbes' sich lösenden Erklärungsversuch des Lachens könnte Lessing in der Vorrede des englischen Herausgebers zum System of Moral Philosophy. Franz Hutchesons der Rechte Doctors und der Weltweisheit Professors zu Glasgow Sittenlehre der Vernunft, aus dem Englischen übersetzt. (Leipzig 1756, S. 8) gefunden haben: Um diese Zeit verfertigte er [Hutcheson] einige philosophische Abhandlungen, worinnen er auf eine andere, und der menschlichen Natur anständigere Art, als Herr Hobbs, die Ursachen des Lachens aufsuchte. Neben der veränderten Auffassung vom Lachen gehen beide Autoren auch darin konform, daß der Mensch mit "a sense of Ridiculous" bzw. der Fähigkeit, Lächerliches wahrzunehmen, begabt ist. Die Bestimmung jedoch dessen, was lächerlich erscheint, wird von Lessing sehr viel weiter gefaßt, er sieht es nicht mehr nur wie Hutcheson in kontrastierenden Vorstellungen von "Dignity and Meanness", sondern in jeglichem Kontrast von Mangel und Realität. Auch die Wirkungsästhetik des Lachens ist bei Lessing stärker betont. Hutcheson spricht von einem eher allgemeinen Vergnügen, das Sorge und Unzufriedenheit heile, und verbleibt mit dieser Funktionsbestimmung des Lachens in der für die englische Komödientheorie typischen medizinischen Terminologie (vgl. Günther Blaicher, Die Erhaltung des Lebens. Studien zum Rhythmus der englischen Komödie von William Shakespeare bis Edward Bond. Regensburg 1983 (Eichstätter Beiträge, 5: Abt. Sprache und Literatur), S. 19). Auch Lessing gebraucht ein medizinisches Vokabular, wenn er die Komödie und das Lachen als Medizin erachtet, allerdings in einem Hutcheson übersteigernden Sinne, nämlich ausdrücklich im Dienste einer sozialeren, sich vervollkommnenden Gesellschaft. 248 Vgl. Bohnen, in: B 6, S. 991, Anm. zu 322,34 f. - Vgl. dazu auch lahn, S. 17-19.
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stellung, warum "in der Komödie nur über moralische Fehler, nur über verbesserliche Untugenden,,249 gelacht werden dürfe, eine bis dato unbekannte Erweiterung, denn in den Augen Lessings ist nun ,,[j]ede Ungereimtheit, jeder Kontrast von Mangel und Realität [... ] lächerlich,,250. Erstaunlicherweise wurde diese Passage in der Forschung bisher nur am Rande eingehender betrachtet oder kommentiert. 251 Auch hier beruht das Lächerliche, wie schon im vorangegangenen Kapitel im Hinblick auf den Briefwechsel und vor allem den Laokoon erörtert, in erster Linie auf etwas Ungereimtem, auf einem Mißverhältnis, das in einem Gegenstand begründet ist, welches nun aber nur mehr in bestimmten Situationen offenkundig wird, wie Lessing betont. Diesem Ansatz liegt hier die sog. Inkongruenz- oder Kontrasttheorie zugrunde, welche im 18. Jahrhundert vor allem in der englischen Philosophie, und wiederum besonders durch Francis Hutcheson, vertreten wurde, die das Lachen als wahrgenommene und lachend beantwortete Incongruity erklärte?52 Dieses Mißverhältnis kann indes ganz unterschiedlich definiert werden. 253 Hatte es Lessing noch im Laokoon als Lessing, HD, 28. Stück: LM 9, S. 302. Ebd. 251 Weder LM, PO noch G kommentieren diese Aussage, Bohnens Kommentar (B 6, S. 991, Anm. zu 322,30 f.) deutet diese Stelle hingegen zu einseitig (siehe Anm. 259 dieses Kapitels). - Interpretationshinweise geben hierzu: Materialien zu G. E. Lessings Hamburgischer Dramaturgie. Ausführlicher Kommentar, nebst Einleitung, Anhang und Register. Zusammengestellt von Wilhelm Cosack. Nachdruck der Ausgabe Paderborn 1876. Hildesheim, New York 1981, S. 188. - Ebenso Ulrich Gaier, Das Lachen des Aufklärers. Über Lessings "Minna von Barnhelm", in: Der Deutschunterricht 43, 1991, H. 6, S. 42-56, hier S. 45 f. 252 Vgl. Preisendanz, Das Komische, Sp. 890. - Vertreter dieser Kontrasttheorie sind in Deutschland u. a. Christian Wolff, Alexander Gottlieb Baumgarten. 253 Hutcheson erklärt sie als "Contrast, or Opposition of Ideas of Dignity and Meanness" (Hutcheson, Reflections upon Laughter [... ], in: Collected Works of Francis Hutcheson. Vol. VII, S. 116). James Beattie, der in vielerlei Hinsicht Hutchesons Erkenntnisse aufgreift und exemplifiziert, verallgemeinert diese Bestimmung zu "an opposition of suitableness and unsuitableness, or of relation and the want of relation, united, or supposed to be uni ted, in the same assemblage." (fames Beattie, An Essay on Laughter and Ludicrous Composition, in: J. B., Essays. New York, Hildesheim 1975, S. 603; zitiert in: Lothar Fietz, "Versuche" einer Theorie des Lachens im 18. Jahrhundert. Addison, Hutcheson, Beattie, in: Semiotik, Rhetorik und Soziologie des Lachens. Vergleichende Studien zum Funktionswandel des Lachens vom Mittelalter bis zur Gegenwart. Hrsg. von Lothar Fietz/Joerg O. Fichte/Hans-Werner Ludwig. Tübingen 1996, S. 239-251, hier S. 250). - Auch Gottsched berührt in der Critischen Dichtkunst die Frage nach dem Wesen des Lächerlichen: Von der Lustigkeit im Ausdrucke möchte mancher fragen, wie man dazu gelangen könne? Ich antworte, das Lächerliche der Comödien muß mehr aus den Sachen, als Worten entstehen. Die seltsame Aufführung närrischer Leute, macht sie auslachenswürdig. Man sehe einen Bramarbas und Stiefelius, einen deutschen Franzosen und politischen Kannengießer in unsrer Schaubühne an: so wird man 249
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Kontrast von Vollkommenheit und Unvollkommenheit gefaßt, so verallgemeinert er es im 28. Stück, indem nun jeder Kontrast, also jeder in einem Aufeinandertreffen bemerkbare Gegensatz von Mangel und Realität Anlaß zu Erheiterung geben kann. Der Terminus des "Mangels" läßt sich ohne größere Deutungsprobleme als ein Zustand der Unvollständigkeit und Unvollkommenheit lesen, dem offenbar die Vorstellung einer kontrastierenden "Realität" entgegengesetzt ist. Realität kann somit in diesem Zusammenhang keine tatsächlich faßbare, reale Wirklichkeit oder Erscheinung meinen, darf damit gerade nicht wie seit Kant als Gegenbegriff zu Idealität gedacht werden. Realität beschreibt an dieser Stelle vielmehr als ein erkenntnistheoretischer Begriff eines vorkantischen Traditionsstranges, der von Duns Scotus über Descartes bis hin zu Leibniz reicht, in seiner ursprünglichen Bedeutung "exakt das Wesen (essentia) oder besser die Wesenhaftigkeit (essentialitas) jeder "res" als solcher,,254 und zielt auf den "Was gehalt", die "Washeit" einer Sache, d. h. nähert sich damit der Vorstellung von Idealität. Nachdem Lessing in vielerlei Hinsicht auf der philosophischen Gedankenwelt und der Ästhetik von Leibniz fußt,255 erscheint es legitim, zur ErheIlung des hier zugrundeliegenden Gedankenganges dessen Vorstellungen heranzuziehen. Nach Leibniz handelt es sich "um die Realität des Möglisich des Lachens nicht enthalten können; obgleich kein Wort an sich lächerlich ist. (Gottsched, AW VI, 2, S. 356 f.) Wenngleich Gottsched zu Unrecht eine aus Gebärden, Bewegungen und Sprache entstehende Komik diskreditiert, so erfaßt er dennoch einen wesentlichen Aspekt, nämlich daß etwas zum Lachen animiert, was dem Außenstehenden ungereimt erscheint und aus einem Widerspruch entsteht, wie dies in den Augen Gottscheds eben bei einem deutschen Franzosen oder einem politisierenden Schwätzer der Fall ist, die allerdings in der satirischen Typenkomödie als rein negative Lastertypen mit den Normen der vernünftigen Gesellschaft in Konflikt geraten. 254 J.-F. Courtine, Artikel "Realitas", in: HWP, Bd. 8. Basel, Stuttgart 1992, Sp. 178-185, hier Sp. 178. - Ebenso Grosses vollständiges Universal-Lexicon aller Wissenschaften und Künste, welche bishero durch menschlichen Verstand und Witz erfunden und verbessert worden [. .. ]. 30. Band. Leipzig, Halle, verlegts Johann Heinrich Zedler 1741, Sp. 1224: Realität, Realitas, ein scholastisches Wort, welches die Scotisten zu erst gebraucht, und ihm eine solche Bedeutung bey gelegt, daß es etwas von dem völligen Wesen einer Sache überhaupt anzeige. [... ] Zuweilen gilt es auch so viel als die Essentz, und ist fast ein gleichgültiges Wort mit dem Wort Entität. 255 Vgl. Gotthold Ephraim LessinglMoses MendelssohnlFriedrich Nicolai, Briefwechsel über das Trauerspiel. Hrsg. und kommentiert von Jochen Schulte-Sasse. München 1972, S. 164. - Alberto Martino, Geschichte der dramatischen Theorien in Deutschland im 18. Jahrhundert. I. Die Dramaturgie der Aufklärung (1730-1780). Tübingen 1972, S. 98-100. - Heidsieck, S. 24, 32, Anm. 45. - "Lessing hat das Lachen an die Stelle des Verlachens gesetzt". Gespräch mit Dr. Helmut Berthold und Prof Dr. Jürgen Stenzei, Lessing-Akademie Wolfenbüttel, in: Ibykus 18, 1999, H. 68, S. 21-22, hier S. 22.
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chen im göttlichen Verstand, d.h. um die dem Möglichen eigene Konsistenz, seinen Gehalt, seine Bestimmtheit,,256. Entscheidend ist, daß bei Leibniz der Begriff der Realität mit der Definition der Vollkommenheit verbunden ist: "ego definire malim, perfectionem esse gradum seu quantitatem realitatis seu essentiae. ,,257 Schon Mendelssohn weist darauf hin, daß Leibniz Vollkommenheit und Realität vielfach gleichsetzt: Leibnitz nennt die Realität, die einem Dinge zukömmt, wenn man sie abgesondert von ihrer Einschränkung betrachtet, die Vollkommenheit: mit der Einschränkung aber zusammengenommen, nennt er sie Grad. 258
Übertragen auf Lessing erweist sich damit die Formulierung von Mangel und Realität als weitgreifendere Bestimmung der Laokoon-Defintion, der Kontrast bezieht sich nicht mehr nur auf geschaute Vollkommenheiten und Unvollkommenheiten, sondern auch auf eine vom Zuschauer nur gedachte Realität und Vollkommenheit, die möglich ist. In dieser Bedeutung erscheint Lessings Aussage damit durchaus revolutionär und über die bekannten Kontrasttheorien hinausreichend, kann doch alles, was nicht der eigentlichen Bestimmung, dem wesensmäßigen Ansichsein einer res, einer einzelnen Sache und damit auch dem Menschen sowie seiner ihm innewohnenden, von Gott zugedachten Washeit entspricht, im Kontrast mit eben dieser möglichen Wesenheit, d. h. Vollkommenheit lächerlich genannt werden?59 256 Courtine, Sp. 182. - Vgl. auch Albert Heinekamp, Zu den Begriffen rea1itas, perfectio und bonum metaphysicum bei Leibniz, in: Akten des internationalen Leibniz-Kongresses Hannover, 14-19. November 1966. Bd. 1. Metaphysik - Monadenlehre. Wiesbaden 1968 (Studia Leibnitiana Supplementa 1), S. 207-222. - Gaier (S. 45, Anm. 10) verweist auf den Zusammenhang mit Christian Wolffs Tenninologie der "Verwirklichung eines Möglichen". 257 Leibniz an Amold Eckhard, April oder Mai 1677, in: Die philosophischen Schriften von Gottfried Wilhelm Leibniz. Hrsg. von C. J. Gerhardt. Bd. I. Hildesheim 1960, S. 266; zitiert in: Heinekamp, S. 209, 213. - Belegstellen, in denen Leibniz Realität durch Vollkommenheit bzw. Essentia definiert, siehe Heinekamp, insbesondere S. 214. 258 Moses Mendelssohn, Über die Empfindungen, in: M. M., JA 1, S. 325. - Vgl. auch Heinekamp, besonders S. 214, 220. 259 Bohnens (B 6, S. 991, Anm. zu 322,30 f.) Erläuterung dieser Stelle greift meines Erachtens etwas zu kurz, wenn er die Ungereimtheit als "Mißverhältnis zwischen dem Selbstverständnis einer Person und deren - von ihr unerkannten - Fehler" bestimmt. Insbesondere die Annahme eines Fehlers orientiert sich zu stark an der satirischen Lustspielstruktur und der von ihr angenommenen Untugend des Protagonisten. - Auch die These Müllers (S. 57), das Lächerliche entspringe einem Kontrast zwischen Schein und Sein, erfaßt die Dimension der Aussage Lessings nicht ganz. - Böhler (S. 259) verengt die Aussage angesichts der Komödien Lessings auf einen "Kontrast zwischen einer stereotypisierenden Vorstellung über eine menschliche Figur und ihrer komplexen individuellen Mannigfaltigkeit und Unerschöpflichkeit als Realität".
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Diese Definition Lessings scheint wiederum Mendelssohns philosophischen Erkenntnissen eng verbunden, ordnen doch dessen Briefe Über die Empfindungen die von Lessing genannten Zustände der Realität und des Mangels ausdrücklich den bei den ursächlichen Komponenten des Lachens, der Lust und Unlust, zu: Lust und Unlust z. B. sind sich entgegen gesetzt, nicht in so weit sie Empfindungen sind, denn in dieser Betrachtung kommen sie vielmehr überein; sondern weil jene eine Empfindung der Realität, diese aber eine Empfindung des Mangels ist. 26o
Die Rhapsodie, oder Zusätze zu den Briefen über die Empfindungen bestätigt nochmals die oben genannte Zuordnung, denn laut Mendelssohn empfinden wir über die Einrichtung und Beschaffenheit der Sache Lust oder Unlust, nachdem wir Realitäten oder Mängel an derselben wahrnehmen 261 .
Bei Lessing fügten sich diese Überlegungen hingegen in eins. Die erkennende Anschauung sowohl der Realitäten als auch der Mängel einer Sache bzw. des menschlichen Individuums muß zwangsläufig gleichzeitig sowohl Lust als auch Unlust und damit Lachen hervorrufen. Bereits im Briefwechsel über das Trauerspiel kommt er allerdings zu der erkenntnistheoretischen Einsicht, daß wir uns bey jeder heftigen Begierde oder Verabscheuung, eines gräßern Grads unsrer Realität bewußt sind, und daß dieses Bewußtseyn nicht anders als angenehm seyn kann 262 •
Der Mensch ist sich seiner eigentlichen Bestimmung, nämlich besser als sein augenblickliches Handeln oder Denken zu sein, durchaus bewußt, und schon allein diese Erkenntnis erzeugt in ihm, allen negativen Wesensäußerungen zum Trotz, Lust über die ihm innewohnenden Möglichkeiten menschlicher Vollkommenheit. 263 Mit den Aussagen der Hamburgischen Dramaturgie verbunden bedeutet dies: Jedes Bemerken einer Inkongruenz, d. h. menschlicher und somit lächerlicher Unzulänglichkeit birgt in sich gleichzeitig das Wissen um ein besseres Menschsein, das wiederum Lust und damit Lachen inauguriert. Es ist indes nicht genug, nur Unzulänglichkeiten darzustellen und dem Rezipienten die Herstellung des Kontrasts mit der Realität zu überlassen, da Moses Mendelssohn, Über die Empfindungen, in: M. M., JA I, S. 323. Ders.: Rhapsodie, oder Zusätze zu den Briefen über die Empfindungen, in: M. M., JA 1, S. 385. 262 Lessing an Moses Mendelssohn, 2. Februar 1757: LM 17, S. 90. 263 Vgl. ebenso Moses Mendelssohn, Rhapsodie, oder Zusätze zu den Briefen über die Empfindungen, in: M. M., JA 1, S. 385 f. 260 261
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die Lust, die mit der stärkem Bestimmung unsrer Kraft verbunden ist, von der Unlust, die wir über die Gegenstände haben, worauf die Bestimmung unsrer Kraft geht, so unendlich kann überwogen werden, daß wir uns ihrer gar nicht mehr bewußt sind?64
Die Hinzufügung tatsächlicher Vollkommenheiten ist also für die Komödie aus wirkungsästhetischen Gründen unabdingbar, denn eine ausschließlich negative Figur würde kein Lachen mehr hervorrufen, sondern nur Abscheu und Ekel provozieren. Und schließlich erleichtert uns die positive Zeichnung einer Lustspielfigur den rational herzustellenden Bezug zur möglichen Vollkommenheit, deutet auf einen höheren Grad der Realität voraus. Arntzen bemerkt sehr richtig, daß nun aber nicht mehr das Vorurteil eines Gattungsbegriffs zu sagen vermag, was diesen Kontrast ausmacht, sondern sich dieser erst in der Entfaltung des Dramas kristallisiert?65 Mögliche Erscheinungsweisen bietet uns noch einmal Mendelssohn, die indes die Dimension der Lessingschen Kontrastvorstellung von Mangel und Realität nicht erreichen: Man nennet einen solchen Kontrast [lächerlichen Kontrast] eine Ungereimtheit, und sagt daher, ein jedes Lächerliche setze eine Ungereimtheit zum voraus. Ein jeder Mangel der Uebereinstimmung zwischen Mittel und Absicht, Ursache und Wirkung, zwischen dem Charakter eines Menschen, und seinem Betragen, zwischen den Gedanken, und der Art, wie sie ausgedruckt werden [... ] ist lächerlich. 266
Als entscheidend resultiert für dieses so andere Verständnis des Lächerlichen bei Lessing die auch im 28. Stück ausdrücklich betonte Aufhebung der moralischen Festlegung des Komischen, das nun nicht mehr wie noch bei Gottsched unabdingbar mit dem Lasterhaften verbunden sein muß. Da es an keinen näher bestimmten moralischen Werte kanon mehr gebunden ist, sondern als eine menschliche Grundbefindlichkeit verstanden wird, die jedem in gewissen Situationen anhaftet, kann dieses Lächerliche im Grunde auch in jeder menschlichen Verhaltensweise begegnen. So ist selbst eine krankhafte Zerstreuung als Gegenstand einer Komödie denkbar. Nunmehr kann dieses Lächerliche unter allen Bemäntelungen der Leidenschaft und der Mode, [... ] in allen Vermischungen mit noch schlimmem oder mit guten Eigenschaften, sogar in den Runzeln des feyerlichen Emstes 267 264 Lessing an Moses Mendelssohn, 2. Februar 1757: LM 17, S. 90. - Nach Martino (S. 98), Schulte-Sasse (S. 164) und Heidsieck (S. 24) hat diese Unterscheidung Lessings zwischen subjektbezogener und objektbezogener Komponente vermutlich nachhaltig auf Mendelssohns Theorie der vermischten Empfindungen gewirkt. 265 Vgl. Amtzen, S. 25. 266 Moses Mendelssohn, Rhapsodie, oder Zusätze zu den Briefen über die Empfindungen, in: M. M., JA 1, S. 403. 267 Lessing, HD, 29. Stück: LM 9, S. 303.
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verborgen liegen. Es ist nicht mehr nur eine dem Negativen anhaftende typische Eigenheit, sondern kann als Ingredienz aller menschlichen Verhaltensweisen und Wesenszüge und damit selbst in positiven, ehrwürdigen, ernsthaften Haltungen auftreten?68 Es stellt, wie Böhler bemerkt, beinahe schon eine Conditio humana dar. 269 Von diesem Wandel der Erheiterung und des Verständnisses des Lächerlichen an sich wird schließlich auch das lachende Subjekt berührt. Des ausschließenden Verlachens verlustig, muß sich das Publikum ob dieser Definition von der Vorstellung lösen, die eine, rechte Norm vertretende Gruppe zu sein, an deren Vernunft und Werten sich der Protagonist messen lassen muß. Angesichts der weit gefaßten Bestimmung des Lächerlichen ist es wenig überraschend, daß sich dieses nun in unterschiedlichen Spiel formen und Graden der Gestaltung äußern kann. So differenziert Lessing wiederholte Male, indes ohne diese Verschiedenheiten eingehender zu bestimmen, zwischen möglichen Arten des Komischen, deren Erscheinungweisen einerseits vom Niedrigkomischen bis zu einem hohen Komischen andererseits reichen. Relativ deutlich läßt sich in der Hamburgischen Dramaturgie das Wesen des Niedrigkomischen fassen, das Lessing vielfach in den zeitgenössischen trivialen Lustspielen, aber auch in seinem eigenen Werk, so z. B. im Schatz erkennt. Als komödiantische Mittel werden diesem "allergemeinsten Fache" typische Kunstgriffe und Mechanismen zugeordnet, die allzu offensichtlich und jedem Zuschauer, dem gebildeten wie dem ungebildeten, leicht bemerkbar sind. Dies gilt insbesondere für "halbschierige" (unreife) Einfälle, Unbesonnenheiten, Wortspiele,27o Sprichwörter und gewöhnliche Späßchen,271 ebenso für Situationen, die auf ein Inkognito, auf Verkennungen und Mißverständnissen gründen,272 wie sie sicherlich dem damit von Lessing abqualifizierten Gros der zeitgenössischen Lustspielproduktion eigen sind. In Kontinuität zu seinen vorangegangenen theoretischen Überlegungen ist es erneut die hervorgebrachte Wirkung, die Lessings Urteil über diese Form der Komik bestimmt. Ohne Zweifel vergnügt sich der Zuschauer dabei, so gut er kann, doch bleibt es bei einer sehr vordergründigen, oberflächlichen Erheiterung, denn letztlich wird nur der Bauch erschüttert 273 oder, wie Lessing an anderer Stelle formuliert, der Mund in Falten 268 Hiermit vollzieht Lessing nachdrücklich die Loslösung von der Aristotelischen Definition, die das Lächerliche an das Häßliche, das sinnlich wahrnehmbar Schlechte band (Aristoteles, Poetik. Griechisch/Deutsch. Übersetzt und herausgegeben von Manfred Fuhrmann. Bibliographisch ergänzte Auflage. Stuttgart 1994 (Universal-Bibliothek Nr. 7828), 1449 b). 269 Vgl. Böhler, S. 253. 270 Vgl. Lessing, HD, 9. Stück: LM 9, S. 221. 271 Vgl. ebd., 96. Stück: LM 10, S. 189. 272 Vgl. ebd., 83. Stück: LM 10, S. 138. 273 Vgl. ebd., 96. Stück: LM 10, S. 189.
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I. Teil: Lessings Komödientheorie
gesetzt 274 . Seine extremste Ausprägung erhält diese Art der Konzeption im Possenspiel, als dessen alleinige Intention es schon der Kommentar zum rührenden Lustspiele ansah, nur Lachen erregen zu wollen. 275 Daß Lessing mit der Komödie indes mehr verbindet, hatte er ebenfalls in den LustspielAbhandlungen deutlich gemacht. Nichtsdestoweniger ist mit dieser eher kritischen Beurteilung keine grundsätzliche Zurückweisung des bloßen Lachens verbunden, wie dies noch bei Gottsched der Fall war. Lessing war zu sehr versierter Komödiendichter, um nicht zu wissen, daß auch jene bloße Belustigung im komischen Spiel ihr Recht beansprucht, und so hat er selbst in der Minna von Bamhelm diese niedere Form der Komik vielfach wirkungsvoll eingesetzt. Das im 28. Stück bei der Besprechung des Zerstreuten aus den Satiren des Horaz gewählte Zitat darf man sicherlich auch als Lessings eigene Meinung werten: - non satis est risu diducere rictum Auditoris - - - et est quaedam tarnen hic quoque virtus?76
Gewiß ist es schon eine Kunst, (durch die niedere Form der Komik) Gelächter zu erwecken, gleichwohl muß nach Lessing in einem seine Intention verwirklichenden Lustspiel der Bereich des höheren und feineren Komischen hinzutreten. Das Wesen dieses Lächerlichen präzisiert Lessing zwar nicht näher, doch dürften hier sicherlich die Aussagen des 29. Stückes, daß es sich in allen menschlichen Haltungen, selbst den guten Eigenschaften verbergen könne, gelten. Im Gegensatz zur niederen Form wird das wahre Lächerliche allerdings nicht unbedingt dem ersten Blick deutlich offenbar, ebensowenig wie es das ist, "was am lautesten lachen macht,,277. Die BeVgl. ebd., 9. Stück: LM 9, S. 22l. Eine zunächst widersprüchlich anmutende Bemerkung enthält das 56. Stück (LM 10, S. 17 f.), das reflektiert, ob eine Ohrfeige auf der Bühne gezeigt werden dürfe: Wenn ich eine Ohrfeige aus einer Gattung des Dramas verbannt wissen möchte, so wäre es aus der Komödie. Denn was für Folgen kann sie da haben? Traurige? die sind über ihrer Sphäre. Lächerliche? die sind unter ihr und gehören dem Possenspiele. Das von Lessing hier genannte Lächerliche einer Ohrfeige meint wohl jenes allzu Offensichtliche und das bloß Possenhafte. 276 Lessing, HO, 28. Stück: LM 9, S. 30l. 277 Das Theater des Herm Diderot. Aus dem Französischen übersetzt von Gotthold Ephraim Lessing. [... ] Vorrede des Uebersetzers, zu dieser zweyten Ausgabe [1781]: LM 8, S. 288. - Wie schwierig es ist, dieses wahre Lächerliche genauer zu fassen, zeigt auch die Bestimmung von Scott-Prelorentzos, dieses Lächerliche "has to do [... ] with the serious content of a play and is separate from the comic, which deterrnines manner and atmosphere" (Alison Scott-Prelorentzos, Diderot, Lessing and "Das wahre Lächerliche", in: Momentum dramaticum. Festschrift for Eckehard Catholy. Ed. by. Linda DietricklDavid G. lohn. Waterloo 1990, S. 135-148, hier S. 143). 274 275
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schaffenheit der hohen Komik macht vielmehr den Verstand lachen 278 und gleicht damit wohl eher einer inneren, nachsichtig lächelnden Erheiterung über die menschlichen Unzulänglichkeiten, weil sie mit dem Wissen um einen besseren Menschen verbunden sind. Sie ist es wohl auch, die den Zuschauer, wie Lessing in seinem ersten Bericht an die Mutter herausstellt, über sich selbst lachen läßt. Indem sich das Spiel und dessen Intention nicht mehr auf eine konkrete Verfehlung richtet, sondern stets die Entfernung des Menschen zu seiner eigentlich gedachten und möglichen Seinsweise, das Allzumenschliche thematisiert wird, kann der Zuschauer durch die Übertragung der gezeigten Verstöße gegen das Menschsein auf sich selbst über die auch ihn ereilenden Mängel und Situationen lachen und so zu einer nachsichtigen Haltung gegenüber sich und seinen Mitmenschen finden. 279
3. "Die Komödie will durch Lachen bessern": Zur Wirkungsästhetik des Lustspiels Die Wandlung der Heiterkeitsbekundung von "Verlachen" im Sinne Gottscheds zu einem sympathisierenden "Lachen mit" oder "Belachen" sowie die weitgesteckte Definition des Lächerlichen bringt selbstverständlich eine veränderte Zielsetzung der Komödie mit sich und wirft die Frage nach der Funktion des neuen Lachens auf. Bisher lag die Intention eines Lustspiels in der direkten moralischen Perfektionierung der Zuschauer. Die Komödie will nicht grobe Laster, sondern lächerliche Fehler der Menschen verbessern, heißt es noch bei Gottsched. Indem die komische Figur dem Spott und Gelächter ausgesetzt wird, hebt sich der Zuschauer durch sein Verlachen vom dargestellten Laster ab, er kann dessen negative Folgen erkennen und so kraft dieses Erkenntnisprozesses außerhalb des Theaters eben diesen lächerlichen Fehler ablegen oder vermeiden. Unter umgekehrten Vorzeichen zielt Gellert mit seinem das Lachen fast ausschließenden rührenden Lustspiel auf eine moralische Verbesserung, indem er nun die Lasterdarstellung durch die Demonstration besonderer Tugendhaftigkeit ersetzt. Lessing seinerseits rückt von dieser in den früheren theoretischen Schriften stets behaupteten utilitären Prämisse des Lustspiels keineswegs ab, mehr noch, er weist allen Gattungen der Poesie ausdrücklich den Auftrag einer Besserung ZU. 280 Eine nähere Bestimmung dieser Wirkungsintention des Lustspiels erfolgt im 29. Stück der Hamburgischen Dramaturgie: Vgl. Lessing, HD, 96. Stück: LM 10, S. 189. Zur Fortentwicklung der Theorie des Komischen in der Aufklärung vgl. lahn, S. 24-26. - OUo Rommel, Die wissenschaftlichen Bemühungen um die Analyse des Komischen, in: DVjs 21, 1943, S. 160-195. 278
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Die Komödie will durch Lachen bessern; aber nicht eben durch Verlachen; nicht gerade diejenigen Unarten, über die sie zu lachen macht, noch weniger bloß und allein die, an welchen sich diese lächerliche Unarten finden?Sl
In Anlehnung an die Aussagen des Briefwechsels soll der Komödienbesucher nicht mit normativen Verhaltensregeln, die ihn von einzelnen Fehlern kurieren, konfrontiert werden, denn Lessing geht es im Gegensatz zu Gottsched und der satirischen Typenkomödie nicht mehr um die Darstellung eines moralischen Satzes. Nach den Rezensionen betont nochmals das 35. Stück, daß das Drama auf "eine einzige, bestimmte, aus seiner Fabel fließende Lehre, keinen Anspruch,,282 erhebe. In diesem Sinne will die Komödie nicht unbedingt das auf der Bühne Vorgeführte bessern. Lessings neues Verständnis des Lächerlichen und des Lachens läßt eine derart eindeutige Laster-Komikstruktur wie bisher und damit eine ebenso zielgerichtete Korrekturfunktion der Komödie nicht mehr zu. Es sind nicht mehr Einzelfälle, an die sich der erzieherische Impetus des Lustspiels richtet, jeder Zuschauer wird zum Adressaten einer neuen Wirkungsästhetik, die dem Publikum durch das Lustspielgeschehen im Theater Unterricht erteilt, lächerliche Situationen selbständig zu erkennen und zu bemerken: Ihr [der Komödie] wahrer allgemeiner Nutzen liegt in dem Lachen selbst; in der Uebung unserer Fähigkeit das Lächerliche zu bemerken?83
Diese Aussage darf nicht dahingehend mißverstanden werden, als gehe es allein darum, das Publikum zum Lachen zu bringen. Lessings Aussagen über das Possenspiel und die niederen Formen der Komik machen hinreichend deutlich, daß er Lachen nicht als wirkungslose Erschütterung des Bauches denkt, sondern für ihn die Komödie in erster Linie auf das Wahrnehmen lächerlicher Ungereimtheiten zielt. 284 Gleichwohl drückt diese Formulierung ein Stück weit die in der Aufklärung problematisierte Ambivalenz des Phänomens Lachen aus, das einerseits einen intellektuellen Verstehens- bzw. Reflexionsprozeß darstellt, gleichzeitig aber ebenso eine (körperliche) unhemmbare Lust und Vergnügen auslöst,285 die schon im Akt des Lachens eine angenehme Wirkung auf den Lachenden hat. 286 BeV gl. Lessing, HD, 77. Stück: LM 10, S. 114. Ebd., 29. Stück: LM 9, S. 303. 282 Ebd., 35. Stück: LM 9, S. 331. - Ebenso 12. Stück: LM 9, S. 231. 283 Ebd., 29. Stück: LM 9, S. 303. 284 Rüskamps These, der Lacherfolg stehe für die Güte eines Lustspieles, ist somit in dieser Form nicht haltbar. Ebenso fraglich ist seine Aussage, das primäre und allgemeine Ziel sei das Lachen des Zuschauers, hingegen die Erkenntnis nur sekundäres und individuelles. Hier entsteht wiederum der falsche Eindruck, als habe Lessing das Bemerken des Lächerlichen dem bloßen Lachen untergeordnet und als weniger wichtig erachtet (vgl. Rüskamp, S. 43 f., 45 f.). 285 Vgl. R. W. Martens, Das Komische und seine Stellung zu den ästhetischen Gegenständen, in: Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft XV, 280 28\
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zeichnend ist allerdings, daß Lessing (nicht nur an dieser Stelle) die wirkungsästhetische Seite als eine geistige Erkenntnisleistung betont und auf diese Weise die unreflektiert und unkontrolliert erfolgende Erheiterung, z. B. des Possenspiels, in den Hintergrund drängt. Für diese Wahrnehmung lächerlicher Erscheinungen besitzt der Mensch laut Hamburgischer Dramaturgie und Briefwechsel von Beginn an eine innere Veranlagung, ihm eignet nicht nur die Fähigkeit mitzufühlen, sondern ebenso die Fähigkeit, Lächerliches zu erkennen. Indem Lessing keine direkte Korrektur einzelner Fehler bzw. einzelner Theaterbesucher, sondern eine Sensibilisierung der Fähigkeit anstrebt, Lächerliches, d. h. dem wahren Menschsein nicht Anstehendes, in allen nur denkbaren Formen und Ausprägungen wahrzunehmen, erreicht er eine über das satirische Spiel hinausgehende allgemeine Selbsterkenntnis- und Besserungsfunktion,287 die schon der Briefwechsel über das Trauerspiel formuliert hatte. Diese Wirkungsabsicht wird wohl trotz ihrer allgemeinen Zielrichtung individuell unterschiedlich realisiert werden, da es sich beim kritischen Bemerken dessen, was letztlich an einer Figur lächerlich wird, ohne Zweifel um einen durchaus subjektiven, da von den Erkenntniskräften des einzelnen bestimmten und deshalb je verschiedenen Akt handelt. 288 Dennoch wird damit ein Anspruch erhoben, dem sich keiner der Zuschauer entziehen kann; ein Anspruch, der, allgemeiner gefaßt, Lessing als wesentlich für das Menschsein gilt, nämlich die Ausbildung eines kritischen Urteilsvermögens. Diese notwendige Übung, Ungereimtes im menschlichen Handeln auf der Bühne erkennen zu lernen, meint indes immer zugleich, nicht bei diesem konkreten Falle zu verharren, sondern wie in der Übung des Mitleidens zu einem Erkennen des Lächerlichen jederzeit und unter allen Gestalten fortzuschreiten. Ziel des Dichters muß deshalb sein, uns zu unterrichten, was wir zu thun oder zu lassen haben; [... ] uns mit den eigentlichen Merkmahlen des Guten und Bösen, des Anständigen und Lächerlichen bekannt zu machen 289 •
1970, S. 495 f.; zitiert in: Greiner, Die Komödie, S. 95. - Ebenso Rammel, Die wissenschaftlichen Bemühungen um die Analyse des Komischen, S. 160. 286 Ansätze bei Kant und Hegel, dieses Problem zu lösen, nennt Renate Jurzik, Der Stoff des Lachens. Studien über Komik. Frankfurt am Main, New York 1985, S. 16-20. 287 Vgl. Bohnen, in: B 6, S. 991, Anm. zu 323,22 f. 288 Vgl. Rüskamp, S. 45. 289 Lessing, HD, 34. Stück: LM 9, S. 327. - Daß Lessing die Loslösung von althergebrachten Vorstellungen nicht immer überzeugend gelingt, zeigt seine Auffassung, daß das Anständige als das Gute, das Lächerliche als das Negative erkennbar sein müsse, selbst dann, wenn dem Anständigen durchaus Unglück widerfahre oder Lächerliches im Glück möglich sei (vgl. ebd.). Die Problematik, eine eindeutige Be-
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Hier zeigen sich Reminiszenzen zu Thesen der Lustspiel-Abhandlungen, welche als Aufgabe der Komödie ähnlich definierten, zu Beachtendes und zu Meidendes auf der Bühne zu zeigen. Die Hamburgische Dramaturgie löst hingegen die stark kontrastierende Darstellung nicht zuletzt dadurch auf, daß sie durch den Wegfall der Konzentration auf einen bestimmten Fehler und vor allem durch eine veränderte Personengestaltung die Funktion des Lustspiels differenziert. Aus dem einzelnen Fall, wie er noch bei Gottsched behandelt wurde, sollen nun allgemeine Charakteristika des Lächerlichen abgeleitet werden; der Erkenntnisprozeß geht vom Besonderen, Einzelnen zum Allgemeinen. Die bis dato propagierte Vorstellung der unmittelbar korrigierenden Funktion des Lustspiels wird ganz im Sinne dieser neuen Intention sogar ausdrücklich in Frage gestellt, wenn Lessing einräumt, daß Menschen durch das Lachen über einen Fehler im wirklichen Leben gar nicht kuriert werden könnten, daß weder der Geizige des Moliere, noch der Spieler des Regnard einen knauserigen bzw. spiel süchtigen Zuschauer geheilt hätten. Die lebenspraktische Wirkung der Komödie wählt vielmehr die "Gesunden" zu ihrer Zielgruppe: Ihr ist genug, wenn sie keine verzweifelte Krankheiten heilen kann, die Gesunden in ihrer Gesundheit zu befestigen. Auch dem Freygebigen ist der Geitzige lehrreich; auch dem, der gar nicht spielt, ist der Spieler unterrichtend; die Thorheiten, die sie nicht haben, haben andere, mit welchen sie leben müssen; es ist ersprießlich, diejenigen zu kennen, mit welchen man in Collision kommen kann?90
Der Gewinn des Theaterbesuchers liegt jetzt in den Beobachtungen, die während des Spieles gesammelt werden, sie bilden gleichsam einen Erfahrungsschatz im Umgang mit den Mitmenschen, die wie die differenzierten Charaktere auf der Bühne eben nicht grundSätzlich lächerlich erscheinen, sondern nur in bestimmten Situationen ihre lächerliche Unzulänglichkeit offenbaren. Die Bedeutung, Erfahrungen im Umgang mit unterschiedlichen Menschen sammeln zu können, wie dies die Komödie ermöglicht, ist als poetologischer Diskurs auch in der Minna von Bamhelm unmißverständlich formuliert. Franziskas Vorwürfen, auf das Spiel des Spitzbuben Riccaut hereingefallen zu sein, entgegnet Minna, ganz der Hamburgischen Dramaturgie entsprechend: wertung einer Figur vorzunehmen, die Positives und Negatives vereint, wird nicht thematisiert. 290 Lessing, HD, 29. Stück: LM 9, S. 303 f. - Beare verweist auf einen möglichen Zusammenhang mit dem von Lessing rezipierten französischen Dramatiker Jean-Baptiste Dubos, der die Aufgabe der Komödie ähnlich bestimmt: Wenn die Komödie nicht alle Fehler bessert, deren sie spottet, so lehrt sie wenigstens, wie man mit denen umgehen müsse, welche diesen Fehlern unterworfen sind. (Jean-Baptiste Dubos, Retexions critique sur la poesie, la peinture et la musique. Paris 1719, I, 7, S. 58; zitiert in: Beare, S. 44.)
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Mädchen, du verstehst dich so trefflich auf die guten Menschen: aber, wenn willst du die schlechten ertragen lernen? - Und sie sind doch auch Menschen. Und öfters bey weitem so schlechte Menschen nicht, als sie scheinen. - Man muß ihre gute Seite nur aufsuchen. 291
Auf diesen Anschauungsunterricht des Theaters kann außerhalb der Bühne zurückgegriffen werden und so ein besseres Miteinander garantieren. Mit der Abkehr vom rigiden Funktionalismus der· Gottschedschen Überlegungen vollzieht sich die entscheidende Wandlung der Intention der Gattung Komödie, die damit nicht mehr im Gewand der Satire erscheint. Sie stellt kein moralisch-soziales Korrektiv 292 mehr dar, das eine direkte Heilung gewährleistet, sie übernimmt vielmehr die Funktion eines vorbeugenden Mittels, eines Schutzes, denn ,,[e ]in Preservatif ist auch eine schätzbare Arzeney,,293. In zweifacher Hinsicht kann diese theatralische Prophylaxe wirksam werden. Anstatt normative Moralität zu vertreten, will die Komödie bei Lessing durch den Anschauungsunterricht auf der Bühne eine allgemeine Menschen- und Lebenskenntnis vermitteln, die zugleich das Wissen um die eigene Unvollkommenheit einschließt, und so zu einem toleranten Umgang der Menschen miteinander führen. Darüber hinaus kann durch seine Mahnung, "sich wider alle Eindrücke des [gezeigten] Beyspiels zu verwahren,,294, ebenso eine Infektion mit dem Virus Lächerlichkeit vermieden werden. Die Wahrnehmung allein ist also nicht ausreichend, als entscheidend für die Wirkungsmöglichkeiten der Komödie erweist sich, daß der Zuschauer gemäß dieser Erkenntnis handelt, die Empfindung des Lächerlichen verallgemeinert und als Konsequenz in ein seiner eigentlichen menschlichen Bestimmung entsprechendes Verhalten umsetzt.
In diesen zentralen Passagen des 29. Stückes zeigt sich schließlich der entscheidende Fortschritt, den Lessing in seinem Verständnis der Komödie seit den LustspieL-AbhandLungen vollzogen hat. Waren damals noch Rührung und Lachen zusammen das Wirkungsziel, so erwähnt die Hamburgische Dramaturgie die Rührung nicht mehr ausdrücklich als Aufgabe der Komödie. Wohl schon in der Korrespondenz mit Nicolai und Mendelssohn dürfte in Lessing die Erkenntnis gereift sein, daß mit diesem Schema, in welchem das (Ver-)Lachen dem Negativen, die Rührung in erster Linie als Bewunderung aber den Tugendhaften galt, das wahre Komische nicht zu fassen ist. So wie Lächerliches nicht mehr nur einer lasterhaften Seite zugeordnet werden darf, sondern auch guten Eigenschaften, ja dem tiefen Ernst beigefügt sein kann, so wenig läßt sich eine rührende Empfindung strikt abgrenzen. Sie ist vielmehr indirekt schon im Lachen selbst aufgehoben. 291 292
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Lessing, Minna von Barnhelm, IV,3: LM 2, S. 233. Vgl. Hinck, Das deutsche Lustspiel des 17. und 18. Jahrhunderts, S. 258. Lessing, HD, 29. Stück: LM 9, S. 304. Ebd.
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1. Teil: Lessings Komödientheorie
Die Komponente der Lust, die für eine Entstehung des Gelächters so wichtig ist, nämlich die von der lächerlichen Situation unberührte Hochachtung für die betroffene Lustspielgestalt, trägt diese als positive Haltung bereits ein Stück weit in sich, auch wenn es die jeweilige Situation bestimmt, inwieweit sie als Rührung Ausdruck findet. Grundsätzlich geht Lessing im Gegensatz zu den Lustspiel-Abhandlungen nicht mehr von der Bewunderung eines Vorbildhaften aus, er spricht vielmehr von Hochachtung, die auch einem Fehlerhaften entgegengebracht werden kann. In ähnlicher Form wie Lessing gute und negative Eigenschaften in einer Person zusammenfügt, verbinden sich damit auch die bisher getrennten Wirkungskomponenten im neuen Lachen der Hamburgischen Dramaturgie. Vor allem aber überwindet Lessing hiermit die Ebene der "wahren Komödie" von 1754, die auf eine unmittelbare Besserung der Zuschauer mittels einer im Lachen sich äußernden Scham bzw. mittels Rührung und einer damit verbundenen Bewunderung zielte. Selbstverständlich können Rührung und Lachen bzw. Verlachen noch immer durch das lustige Spiel auf der Bühne entstehen, diese Wirkungen sind jedoch aufgehoben in einer grundSätzlicheren Ästhetik, die sich von der Besserung des Einzelfalles löst und zu einer allgemein wirkenden Welt- und Menschenkenntnis führen will. 4. Die komische Figur: Notwendigkeit eines gemischten Charakters Der Kernsatz ,,[d]ie Komödie will durch Lachen bessern; aber nicht eben durch Verlachen" postuliert nicht nur eine für die deutsche Bühne bisher ungeübte Art der Erheiterung und bedingt eine veränderte Wirkungsästhetik und gewandelte Auffassung vom Wesen des Lächerlichen, er inauguriert zwangsläufig auch eine Neubestimmung der Komödiencharaktere. Die von Gottsched noch streng beachtete Ständeklausel bleibt wie so viele andere Regeln in der Hamburgischen Dramaturgie gänzlich außer acht, für die dramatis personae, ob tragisch oder komisch, ist die soziale Zuordnung nicht mehr wesentlich, nur als Menschen sind sie interessant und als Menschen stehen sie vor uns auf der Bühne. 295 Ganz in diesem Sinne befaßt sich das Theaterorgan vielerorts mit der Frage nach der wesensmäßigen Bestimmtheit der Charaktere und ihrer Bedeutung für den Handlungsverlauf. Lessing nimmt für diese allgemein formulierten Refle295 Ausdrücklich verneint Lessing in der Hamburgischen Dramaturgie den Stand als sinnstiftendes Kriterium: [U]nd wenn wir mit Königen Mitleiden haben, so haben wir es mit ihnen als mit Menschen, und nicht als mit Königen. Macht ihr Stand schon öfters ihre Unfälle wichtiger, so macht er sie darum nicht interessanter. (Lessing, HO, 14. Stück: LM 9, S. 239.)
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xionen zwar in weitaus höherem Maße Trauerspiele zum Anlaß, die Auseinandersetzung mit Diderot und Hurd macht allerdings entschieden deutlich, daß jene von Gottsched betonten gattungsspezifischen Unterschiede der Charaktere wie auch eine inhaltliche Trennung der Gattungen296 für Lessing hinfällig geworden sind. Um so mehr müssen letztlich für das Personal des Lustspieles die von Lessing erhobenen Ansprüche gelten, da hier die Charaktere das Hauptwerk, die Situationen aber nur die Mittel sind, jene sich äußern zu lassen, und ins Spiel zu setzen. [... ] Umgekehrt ist es in der Tragödie, wo die Charaktere weniger wesentlich sind, und Schrecken und Mitleid vornehmlich aus den Situationen entspringt. 297
Ausgangspunkt der umfangreichen Kontroverse mit Diderot298 war die These des französischen Kritikers, daß die komische Gattung über Arten verfüge, die tragische hingegen Individua vorstelle?99 Der Held einer Tragödie ist der und der Mensch: es ist Regulus, oder Brutus, oder Cato, und sonst kein anderer. Die vornehmste Person einer Komödie hingegen muß eine große Anzahl von Menschen vorstellen?OO
Trotz Diderots Bemühen um eine neue französische Theaterkunst ist diese Vorstellung der klassizistischen Dramentheorie verhaftet, die die Ausprägung von Typen im Lustspiel legitimiert bzw. gefördert hat. Die Festsetzung, hier Individualität, die Mitgefühl hervorruft, dort dem (Ver-)Lachen preisgegebene Repräsentanten eines Lasters, wird bei Lessing unter Berufung auf Aristoteles und auf Richard Hurds 1757 veröffentlichte Abhandlung Über die verschiednen Gebiete des Dramas hinfällig: Wenn ich die Lehre des Aristoteles richtig erklärt zu haben, glauben darf: so darf ich auch glauben, durch meine Erklärung bewiesen zu haben, daß die Sache selbst unmöglich anders seyn kann, als sie Aristoteles lehret. Die Charaktere der Tragödie müssen eben so allgemein seyn, als die Charaktere der Komödie. Der Unterschied, den Diderot behauptet, ist falsch. 301
Substantiell ist in diesem Zusammenhang, daß Lessing für das Lustspiel nicht die Einmaligkeit tragischer Figuren einklagt, sondern auch den Tragödiencharakteren die Beispielhaftigkeit ihrer komischen Kollegen zuspricht. Vgl. Lessing, HD, 7. Stück: LM 9, S. 210. Ebd., 51. Stück: LM 9, S. 402 f. 298 Vgl. zu Lessings Auseinandersetzung mit Diderot sowie dessen Rezeption in Deutschland: Roland Mortier, Diderot in Deutschland 1750-1850. Stuttgart 1972, bes. S. 63-71. - Günfer Saße, Das Besondere und das Allgemeine. Lessings Auseinandersetzung mit Diderot über Wahrheit und Wirkung des Dramas, in: Gesellige Vernunft. Zur Kultur der literarischen Aufklärung. Festschrift für Wolfram Mauser zum 65. Geburtstag. Hrsg. von Ortrud Gutjahr/Wilhelm Kühlmann/Wolf Wucherpfennig. Würzburg 1993, S. 263-276. 299 Vgl. Lessing, HD, 87. und 88. Stück: LM 10, S. 153. 300 Ebd. 301 Ebd., 91. Stück: LM 10, S. 171. 296 297
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So zeigt der Dichter, der stets mit seinen gewählten Charakteren eine bestimmte Absicht verbinden muß, nicht eine historische Figur um deren Einzelschicksal willen, sondern um uns mit solchen Begegnissen zu unterhalten, die Männern von ihrem Charakter überhaupt begegnen können und müssen 302 •
Alle Figuren, gleich welcher dramatischen Gattung, sind damit "Erweiterungen des einzeln Charakters, [... ] Erhebungen des Persönlichen zum Allgemeinen,,303. Aus diesem Grunde scheint es mir durchaus legitim, grundsätzliche Aussagen zu den Charakteren im Umfeld der Tragödie auch auf die Komödie zu beziehen. Zwei Bedeutungen des Wortes "allgemein" stellt Lessing im folgenden gegeneinander, zum einen die u. a. der Typenkomödie zugrundeliegende Konzeption eines Charakters, "in welchen man das was man an mehrern oder allen Individuis bemerkt hat, zusammen nimmt,,304. Dadurch entstünden überladene, moralische Charaktere, wie sie vor allem der französischen Dramatik eigen sind, die Lessing nur als "hagere Gerippe von Lastern und Tugenden,,305, die "personifizierte Idee eines Charakters,,306, nicht aber als charakterisierte Personen empfinden kann und aus diesem Grunde ablehnt. 307 Das rechte Verständnis meint demgegenüber einen mittleren Charakter, in welchem man von dem, was an mehrern oder allen Individuis bemerkt worden, einen gewissen Durchschnitt, eine mittlere Proportion angenommen; es heißt mit einem Worte, ein gewöhnlicher Charakter, nicht zwar in so fern der Charakter selbst, sondern nur in so fern der Grad, das Maaß desselben gewöhnlich ist. 308
Anstelle eines übersteigerten und auf einen Wesenszug reduzierten Typus wird in Lessings Theorie der mittlere oder gemischte Charakter zum Paradigma erhoben, für den Hurd und mit ihm auch Lessing eine dem Leben Ebd. Ebd., S. 168. - Vgl. Saße (Das Besondere und das Allgemeine, S. 271), der diese Erweiterungen des einzelnen Charakters nur für die fiktiven Figuren des Dramas gelten lassen will, nicht aber für historische Personen. 304 Lessing, HD, 95. Stück: LM 10, S. 187. - Diese Bestimmung des Lustspielcharakters nimmt ausdrücklich Gottsched vor (v gl. [Johann Christoph Gottschedl, Zufällige Gedanken über Herrn Adam Daniel Richters, Reet. zu Annaberg Regeln und Anmerkungen über die lustige Schaubühne, in: Bey träge zur Critischen Historie Der Deutschen Sprache, Poesie und Beredsamkeit. 7. Band, 25. Stück. Leipzig 1741, S. 599, Anm. ce.). 305 Lessing, HD, 83. Stück: LM 10, S. 137. 306 Ebd., 95. Stück: LM 10, S. 187. 307 Lessing stimmt in diesem Punkt mit Hurds negativer Einschätzung überein, die er ausführlich zitiert und deren sinnreiche Bemerkungen er lobt (vgl. Lessing, HD, 92. Stück: LM 10, S. 173-175). 308 Lessing, HD, 95. Stück: LM 10, S. 187. 302 303
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entsprechende Erscheinung fordert. Diese Orientierung des Charakters an der empirischen Erfahrung und nicht an den möglichen Wirkungen in Abstract0 309 stellt somit eine wesentliche Einschränkung der Allgemeinheit dar. 310 Dem überladenen Charakter mangele hingegen aufgrund seiner "einfachen unvermischten Leidenschaft" jene Lebensnähe, die bei den gemischten Gestalten durch Lichter und Schatten, wie der englische Theoretiker bildlich formuliert, erwirkt werde. Diese Lichter und Schatten sind die Vermischung verschiedener Leidenschaften, welche mit der vornehmsten oder herrschenden Leidenschaft zusammen den menschlichen Charakter ausmachen; und diese Vermischung muß sich in jedem dramatischen Gemählde von Sitten finden, weil es zugestanden ist, daß das Drama vornehmlich das wirkliche Leben abbilden soll. 311
Lessing unternimmt die schwierige Konzeption eines Charakters, der trotz seiner bestimmten Persönlichkeit, die ihn uns als möglichen, wahren Menschen denken läßt, Raum für die Identifikationsmöglichkeit des Publikums bietet. Er ist individuell und muß zugleich doch allgemein sein, um der Absicht seines Schöpfers, mit ihm zu unterrichten, nachzukommen. Es geht also nicht nur darum, einen neuen persönlichen Charakter auf die Bühne zu stellen, sondern auch Bedeutsames mit ihm zu verbinden. 312 Die Theorie läßt im wesentlichen die Lösung der scheinbaren Aporie - allgemein und doch individuell - offen, die Lessing hier in den Aussagen Hurds und Aristoteles erkennt,313 seine Komödien zeigen aber, wie eine Umsetzung aussehen kann. Auf die Hamburgische Dramaturgie vorausdeutend, hatte nach dem Briefwechsel über das Trauerspiel erneut der 63. Literaturbrief aus dem Jahre 1759, wenn auch nicht in der Begrifflichkeit, so doch sinngemäß diesen gemischten Charakter theoretisch legitimiert. Ausgehend von Wielands Lady Johanna Gray klagt Lessing dort für die dramatis personae dieses 309 Vgl. Richard Hurd, Über die verschiedenen Gebiete des Dramas (1749); zitiert in: Lessing, HD, 92. Stück: LM 10, S. 175. 310 Vgl. Beare, S. 41. 311 Hurd; zitiert in: Lessing, HD, 92. Stück: LM 10, S. 175. - Bereits im 22. Stück (LM 9, S. 273) formuliert Lessing seine Kritik an der Eindimensionalität der Typenkomödie, die immer nur eine Seite offenbare. - Ähnlich Lessing, HD, 52. Stück: LM 9, S. 404. 312 Ein später Rückblick hierzu findet sich in der Vorrede zur zweiten Auflage der Diderot-Übersetzung: Wir hingegen hatten es längst satt, nichts als einen alten Laffen im kurzen Mantel, und einen jungen Geck in bebänderten Hosen, unter ein Halbduzend alltäglichen Personen, auf der Bühne herumtoben zu sehen; wir sehnten uns längst nach etwas bessern, ohne zu wissen, wo dieses Bessere herkommen sollte. (Lessing, Das Theater des Herrn Diderot. Vorrede des Uebersetzers, zu dieser zweyten Ausgabe [1781]: LM 8, S. 288.) 313 Lessing, HD, 95. Stück: LM 10, S. 187.
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Stückes nicht nur einen Mangel an Wahrscheinlichkeit ein, er verbindet diese Forderung mit dem in seinem Dramenverständnis grundsätzlichen Bezugspunkt, der wirkungsästhetischen Dimension, die nicht nach dem ethischen, sondern dem poetischen Wert einer Figur fragt. Allein idealistische Vollkommenheiten, wie sie Wie land schaffe, vermögen die Intention der Gattungen nicht zu realisieren, entscheidend ist es, das wahre Wesen der Menschen auf die Bühne zu stellen. Unter Berufung auf die antiken Gewährsmänner Plutarch und Euripides ist eine tugendhafte bzw. verderbte Einseitigkeit des Menschen unwahrscheinlich, denn Gutes und Schlechtes sind [gerade] nicht von einander getrennt, sondern es findet eine gewisse Vermischung statt. 314
Gründet das Schaffen des Dramatikers auf dieser Prämisse, wird er die Charaktere aus guten und schlechten Zügen mischen, so wie sie die Wirklichkeit des täglichen Lebens formt. 315 Diese Konzeption der gemischten Persönlichkeit liegt auch Lessings philanthropischer Neubestimmung des Lachens zugrunde, wenn das 28. Stück die guten Eigenschaften einer Figur als wesentlich für die Erheiterung bestimmt. Die Vorstellung der Lustspiel-Abhandlungen, Tugenden und Laster in eher kontrastierender Weise darzustellen, ist hier nunmehr in einer Person zusammengebunden und erweist sich als zwingend notwendig, da ohne gewinnende Züge das Lächerliche des Charakters in einer bestimmten Situation sogar abstoßend sein würde. 316 Der gemischte Charakter, der die bis dato vorherrschende Verbindung von Lasterhaftem und Lächerlichem endgültig auflöst, bildet gleichsam die Conditio si ne qua non der neuen Komödie und eines veränderten Lachens, das aus Lust und Unlust besteht. In diesem Sinne ist die auf die Bühne gebrachte Gestalt ob einer offensichtlichen Untugend nicht mehr von Beginn an lächerlich, nur in bestimmten Situationen, in denen der Zuschauer ihr dennoch seine Sympathie bewahren kann, tritt das Komische mancher Eigenschaften oder Verhaltensweisen ans Licht. 317 Denkt man diese Personenkonzeption konsequent zu Ende, bedeuLessing, 63. Literaturbrief: G 5, S. 863, Anm. zu 206,31 ff. Vgl. Lessing, Briefe, die neueste Litteratur betreffend, 63. Brief: LM 8, S. 167. 316 Vgl. auch Lessing, HD, 52. Stück: LM 9, S. 404. 317 Anregungen mag Lessing sicherlich auch bei dem großen Vorbild seiner Jugendjahre, Moliere, gefunden haben, der seiner Figurenkonzeption ähnliche Überlegungen zugrunde legt. Vgl. Dorante in der Critique de l'Ecole des femmes: ,,[ ... ] il n'est pas incompatible qu'une personne soit ridicule en de certaines choses et honnete homme en d'autres." (Moliere, (Evres completes. Textes etablis, presentes et annotes par Georges Couton. Bd. 1. Paris 1971, S. 666.) Ähnlich äußert sich Moliere im Lettre ecrit sur la comedie du Misanthrope über die Gestalt des Alceste: ,,[ ... ] ce qui est admirable, c'est que, bien qu'il paraisse en quelque falion ridicule, il dit des choses fort justes."(ebd., Bd. 2, S. 139.) Diese aufschlußreichen Hinweise entstammen dem Aufsatz von Dieter Janik, "Minna von Bamhelm", oder die deut314 315
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tet dies aber auch: Wenn sich diese Figur aufgrund ihrer guten Eigenschaften Hochachtung erwerben kann, vermag sie wohl ebenso ein Gefühl des Mitleids und der Rührung zu evozieren, wenn es, wie z. B. in Minna von Barnhelm, die Situation bedingt. Vor diesem Hintergrund überrascht es kaum, daß Diderots Konzept einer bürgerlichen Comedie serieuse, die sich der Darstellung von Ständen verpflichtet,318 auf Widerspruch stößt. Indem die Pflichten und Umstände der Conditions vor Augen geführt würden, entstehe, so Diderot, ein identifikatorisches Moment, dem sich der Zuschauer nicht mehr entziehen könne, im Gegensatz zur Charakterdarstellung, die schon durch geringe Übertreibung den persönlichen Bezug störe. 319 Doch selbst wenn es gelänge, Individualität und repräsentativen Stand derart harmonisch zu vereinen, daß das Handlungsmovens nicht allein aus den charakterlichen Eigenheiten der Bühnenfigur entspringen und so der Stand nicht nur etwas Zufälliges würde, erhielte diese Forderung nicht das Plazet Lessings, da dann die von Diderot auf die Bühne gebrachten Figuren "vollkommenen Charakteren" glichen. Die Personen seiner Stände würden nie etwas anders thun, als was sie nach Pflicht und Gewissen thun müßten; sie würden handeln, völlig wie es im Buche steht. 32o
Eine derartige Komödienfigur ist jedoch in Lessings Augen poetologisch zum Scheitern verurteilt, sie ist unvereinbar mit seinem Komödienverständnis und seiner Wirkungsästhetik?21 Lessing führt hier im Grunde dieselben Argumente ins Feld wie schon in der Wieland-Rezension der Literaturbriefe. In beiden Fällen handelt es sich um Charaktere, die "moralisch gut", jedoch "poetisch böse" sind, d. h. der Wirkungsästhetik der Gattungen nicht entsprechen. 322 Wohl sind es Repräsentanten, die er auf der Bühne sehen sche Art zu lachen, in: Die großen Komödien Europas. Hrsg. von Franz Norbert Mennemeier. Tübingen, Basel 2000 (Mainzer Forschungen zu Drama und Theater 22), S. 153-166, hier S. 157, 158. 318 Vgl. hierzu vor allem im Theater des Herrn Diderot (Aus dem Französischen übersetzt von Gotthold Ephraim Lessing. Anmerkungen und Nachwort von KlausDetlef Müller. Stuttgart 1986. (Universal-Bibliothek 8283 [6]), S. 81-179) die Unterredungen über den Natürlichen Sohn unter dem Titel Dorval und Ich, die Lessing anonym erstmals 1760 übersetzte. 319 Vgl. Lessing, HD, 86. Stück: LM 10, S. 148. 320 Ebd., 86. Stück: LM 10, S. 150. 321 Ebenso Saße, Das Besondere und das Allgemeine, S. 268. 322 Elmar Buck (Lessing und Diderot - die Konditionen des Theaters, in: Schauspielkunst im 18. Jahrhundert: Grundlagen, Praxis, Autoren. Hrsg. von Wolfgang F. Bender. Stuttgart 1992, S. 205-219, hier S. 209) verweist im übrigen zu Recht darauf, daß Lessing in diesem Ständetheater das alte Typenprinzip, den Rentmeister oder den Richter zu zeigen, wiedererkennen und es deshalb ablehnen mußte. Nicht zuletzt konnte meines Erachtens der deutsche Kritiker, selbst wenn er es nicht expressis verbis formuliert, kaum der Gattungseinteilung seines französischen Kolle-
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1. Teil: Lessings Komödientheorie
will, doch nicht eines Standes oder nur einer Eigenschaft, eines Lasters. Lessings Gestalten wollen Spiegelbild des Menschen an sich sein. Daraus folgt nun, daß die fiktive Person auf der Bühne nicht nur gemischten, mittleren Charakters sein müsse, sie sei vielmehr "mit uns von gleichem Schrot und Korne,,323. Auch wenn der Dramaturg diese Aussage im Umfeld einer Tragödienrezension trifft, kann sie trotzdem auch für die Komödie ihre Gültigkeit behaupten. Gerade die Wirkungsabsicht des komischen Spieles, einen Erfahrungsschatz im Umgang mit den Mitmenschen zu bilden, bedingt eine dem Leben entsprechende Darstellung. 324 Aus diesem Grunde suchen nicht nur seine Komödien den moralischen Typ durch einen persönlichen Charakter zu ersetzen, auch in der Theorie wird das Bemühen um eine Psychologisierung der dramatis personae evident. Gleichsam programmatisch formuliert zu Beginn der Hamburgischen Dramaturgie das 2. Stück die Forderung nach innerer Kausalität zur Sicherung der Wahrscheinlichkeit: Die BewegungsgTÜnde zu jedem Entschlusse, zu jeder Aenderung der geringsten Gedanken und Meynungen, müssen, nach Maaßgebung des einmal angenommenen Charakters, genau gegen einander abgewogen seyn, und jene müssen nie mehr hervorbringen, als sie nach der strengsten Wahrheit hervor bringen können?25 Die Ursachen und Gründe für das Handeln aller Dramenfiguren muß so überzeugend klar sein, daß "ein jeder von ihrer Beschaffenheit in den nehmlichen Umständen" ebenso gehandelt hätte,326 ja, Lessing geht soweit zu fordern, die Zuschauer, wir selbst, würden uns in gleicher Situation wie die fiktive Person auf der Bühne verhalten haben. 327 WeIch immense Bedeutung Lessing der charakterlichen Konzipierung zuweist, wird nicht zugen zustimmen, gehören doch in seiner Komödienvorstellung die bei Diderot getrennten Felder einer lustigen, Laster und Lächerliches darstellenden Komödie und eines ernsthaften Lustspiels, das Tugend und Pflichten zum Gegenstand erhebt, bereits seit den Lustspiel-Abhandlungen zusammen. 323 Lessing, HD, 75. Stück: LM 10, S. 104. 324 Die Maxime der Wahrscheinlichkeit ist nicht nur Maßstab für die EinzeIgestalt, sondern auch die Figurenkonfiguration schlechthin. So stimmt Lessing nun mit Diderot überein, daß der kornische Dichter kontrastierte Charaktere, d. h. die gegensätzliche Verkörperung einer dargestellten Wesensheit besser vermeiden solle, da dieser Kontrast im gemeinen Leben weitaus seltener zu finden sei als bloße charakterliche Verschiedenheiten (vgl. Lessing, HD, 86. Stück: LM 10, S. 151 f.). 325 Lessing, HD, 2. Stück: LM 9, S. 188 f. - Vgl. ähnlich ebd., 34. Stück: LM 9, S.325-327. 326 Vgl. ebd., 89. Stück: LM 10, S. 162. - Bereits die Critik über die Gefangnen des Plautus erhob, wenn auch noch nicht derart weitreichend, den Anspruch auf eine realistische, ihrem Stand entsprechende Zeichnung der auf die Bühne gestellten Figuren. 327 Vgl. Lessing, HD, 32. Stück: LM 9, S. 316 f.
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letzt an seiner entschiedenen Aussage deutlich, nicht einmal die strengste Regelmäßigkeit könne den geringsten Fehler in den Charakteren ausgleichen. 328 Die Identifikation mit den dramatis personae falle dem Zuschauer nun um so leichter, wenn der Schriftsteller einheimische Sitten und Charaktere wählt, da diese keiner einführenden Erklärung bedürfen. 329 Höchstes Ziel der Darstellung ist jedoch das rein Menschliche, wie Lessing es im Hausvater Diderots verwirklicht sieht, der eben keiner bestimmten Nationalität mehr Ausdruck gebe, sondern etwas, das ein jeder Zuschauer verstehen und fühlen könne. 33o Trotz zahlreicher Differenzen betont Lessing in diesem zweiten Vorwort zum Theater des Herrn Diderot die große Bedeutung des französischen Dichters für sein eigenes Schaffen, das ohne diesen eine ganz andere Richtung genommen hätte. Sicherlich kokettiert Lessing an dieser Stelle etwas, nichtsdestoweniger fand er aber gewiß im französischen Kollegen eine Bestätigung seiner eigenen Ansätze und Versuche, eine neue Komödienform zu schaffen. Wenn er Diderots Vorstellung einer von Ständen dominierten comedie serieuse ablehnen mußte, so schwebt ihm doch ein Lustspiel vor, das den Menschen in seinen Schwachheiten auf die Bühne bringt und das aus diesem Grunde auch ernsthaften Charakters sein kann. Der Hausvater, den Lessing entschieden dem Natürlichen Sohn vorzieht, erscheint ihm als Möglichkeit einer gelungenen, besseren Komödie, die eben nicht wie das rührende Lustspiel Gellerts eine herausragende Tugendhaftigkeit in rührseliger Form preist. In Minna von Barnhelm, aber auch schon in Lessings frühen Werken Der Freygeist und Die Juden bewahrt sich das Geschehen um menschliche Unzulänglichkeiten einen ernsthaften Grundtenor und droht sogar im Unglück zu enden. Allerdings gelingt es Lessing weit mehr als dem französischen Dichter, seinen Werken jene lustspielhafte Leichtigkeit zu bewahren, die noch Lachen zuläßt.
5. Der Schluß des Lustspiels: Erkenntnis statt Besserung oder Bestrafung Lessings Vorstellungen hinsichtlich der Personengestaltung, der Wirkungsästhetik der Komödie sowie der Funktion des neuen Lachens lassen bereits ahnen, daß ebenso die bis dato vielfach gebräuchliche Schlußkonzeption satirischer Lustspiele, die einen von seinen unvernünftigen, a-sozialen Verfehlungen Befreiten wieder in die vernünftige Gesellschaft aufnimmt bzw. die im Laster Verharrenden mit Isolation und Ausschluß aus der Sozietät straft, kaum mehr Lessings Billigung finden konnte. Vgl. ebd., 46. Stück: LM 9, S. 379. Vgl. ebd., 96.-97. Stück: LM 10, S. 192. 330 Vgl. Lessing, Das Theater des Herrn Diderot. Vorrede des Uebersetzers, zu dieser zweyten Ausgabe [1781]: LM 8, S. 288. 328
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1. Teil: Lessings Komödientheorie
Ich weis überhaupt nicht, woher so viele komische Dichter die Regel genommen haben, daß der Böse nothwendig am Ende des Stücks entweder bestraft werden, oder sich bessern müsse. In der Tragödie möchte diese Regel noch eher gelten; [... ] Aber in der Komödie, denke ich, hilft sie nicht allein nichts, sondern sie verdirbt vielmehr vieles. Wenigstens macht sie immer den Ausgang schielend, und kalt, und einförmig. Wenn die verschiednen Charaktere, welche ich in eine Handlung verbinde, nur diese Handlung zu Ende bringen, warum sollen sie nicht bleiben, wie sie waren?331
Der "auf erzwungene Weise moralisch befriedigend[e] Komödienschluß,,332 wird damit von Lessing entschieden abgelehnt. Er ist nicht zuletzt aus dem Grunde hinfällig geworden, da die Komödie Lessings ein grundsätzliches Bemerken von Lächerlichem, eine umfassendere Welt- und Menschenkenntnis zum Ziel hat, nicht aber die Besserung eines einzelnen Lasters erreichen will. Die Bestrafung, Beschämung bzw. das Verlachen der Hauptperson als eine die Lehrhaftigkeit gewährleistende Konsequenz entfällt. Vor allem aber ist diese vielfach unmotivierte und letztlich unwahrscheinliche Wandlung des Protagonisten am Ende mit Lessings strengen Vorstellungen zur Personenkonzeption nicht vereinbar, widerspräche sie doch seiner Absage an eine radikale charakterliche Veränderung von "schwarz auf weiß,,333. Neben der veränderten Wirkungsästhetik ist für den Komödienschluß nicht zuletzt der Zusammenhang von Charakter und Handlung bedeutsam. Denn auch wenn sich die komischen und tragischen Charaktere, wie oben gezeigt, in ihrer Allgemeinheit nicht unterscheiden, so ist doch ihre Funktion für den Geschehensverlauf in der jeweiligen Gattung unterschiedlich gewichtet. Während also im Trauerspiel die Umstände den Fortgang entscheiden beeinflussen, wird dieser in der Komödie weitaus stärker durch die Eigentümlichkeiten der Personen selbst bestimmt, nachdem sie ihren Handlungsimpuls durch eine bestimmte Situation erhielten. Damit gesteht Lessing eindeutig den Charakteren für die Lustspielhandlung tragende Funktion zu, die somit auch die letzten Szenen dominieren sollen, ohne jedoch geändert oder beschämt zu werden und ihrer eigentlichen Anlage entgegen zu handeln. Besteht diese Handlung allerdings nur aus einer "bloßen Collision der Charaktere,,334, so vermag sie kaum gegen das Ende hin Spannung zu erzeugen. Der Schluß wäre mit dem Beginn des fünften Aktes allzu leicht absehbar und kann eigentlich nur noch in einer "Nachgebung und Veränderung des einen Theiles dieser Charaktere, geendet werden,,335.
331 332 333 334 335
Lessing, HD, 99. Stück: LM 10, S. 200 f. Hinck, Das deutsche Lustspiel des 17. und 18. Jahrhunderts, S. 261. Lessing, HD, 34. Stück: LM 9, S. 325. Ebd., 99. Stück: LM 10, S. 201. Ebd.
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Wenn hingegen jene Collision, die Handlung mag sich ihrem Ende nähern, so viel als sie will, dennoch gleich stark fortdauert: so begreift man leicht, daß das Ende eben so lebhaft und unterhaltend seyn kann, als die Mitte nur immer war?36
Will man dies erreichen, muß, nach Lessing, die Handlung der Komödie in mehr bestehen als in einem Aufeinandertreffen zweier gegensätzlicher Personen. So zeigt sich in der Anlage des Schlusses in besonderem Maße noch einmal die Kunstfertigkeit des Dichters und die Güte seiner Handlungsführung. Ist diese nur kunst- und planvoll genug geknüpft, dann kann das Spiel der Charaktere unabhängig von der sich nähernden Lösung der Handlung fortgehen, die Figuren können deshalb auch bleiben, wie sie sind. Nachdem Lessing für den Zuschauer lediglich das allgemeine Erkennen von Lächerlichem einfordert, nicht aber die Korrektur einzelner Untugenden, erscheint es ihm nicht mehr nötig, an seinen Dramenfiguren ein Exempel zu statuieren, um die Folgen ebendieses Verhaltens deutlich zu machen; eine Bestrafung bzw. Korrektur wäre ohnehin hinfällig, da Lessings Figuren kein grundsätzlich lächerlicher und damit korrigierbarer Wesenszug anhaftet, sondern diese nur in ganz bestimmten Situationen komisch wirken. Mit der Aufgabe der Typenhaftigkeit geht zugleich die Exemplarität seines Verhaltensmusters wie auch der Bestrafung verloren. Als gelungene Schlußszenerie zitiert Lessing im 99. Stück den schon seit seiner Jugendzeit verehrten Dichter Terenz und dessen Komödie Die Brüder, die auch am Ende durch ungeahnte Wendungen ihr Publikum zu fesseln weiß: Die Intrigue ist längst zu Ende, aber das fortwährende Spiel der Charaktere läßt es uns kaum bemerken, daß sie zu Ende ist. Keiner verändert sich; sondern jeder schleift nur dem andern eben so viel ab, als nöthig ist, ihn gegen den Nachtheil des Excesses zu verwahren?37
Dieses an den Brüdern beobachtete Komödienende im Sinne eines Abschleifens ist allerdings keineswegs als das von Lessing verbindlich propagierte Paradigma eines Lustspielschlusses zu werten,338 vielmehr muß es nur als ein mögliches Beispiel für einen gelungenen Ausgang im Sinne Lessings gesehen werden, ein Ausgang, der sich - genau betrachtet - im übrigen doch etwas der zurückgewiesenen Schlußkonzeption nähert, denn selbst im Abschleifen der negativen Extreme wird ein gewisses Maß an Besserung offenbar. Auffallend ist indes, wie sehr Lessing am Beispiel der antiken Komödie die Erkenntnisleistung der Brüder Demea und Micio betont. Beiden wird durch ihr Gegenüber ihre eigene Übertreibung bewußt. So 336 Ebd. 337 Ebd. 338 Nahezu absolut setzt diese Konzeption Albert M. Reh, Die Rettung der Menschlichkeit. Lessings Dramen in literaturpsychologischer Sicht. Bern, München 1981, S. 275. - Ebenso Catholy, Das deutsche Lustspiel, S. 75 f.
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1. Teil: Lessings Komödientheorie
vollziehen in diesem Falle wie die Zuschauer vor der Bühne auch die Spielfiguren einen Akt der Selbsterkenntnis und der Selbstreflexion, wenn ihnen das Lächerliche ihres eigenen Verhaltens bewußt wird. Selbst wenn man diese Lösung des komischen Konfliktes nicht verabsolutieren will, so darf man doch getrost die Einsicht in die eigenen Unzulänglichkeiten bei der zuweilen lächerlichen Figur auf der Bühne als Lessings Beispiel eines gelungenen Schlusses ansehen, zumal er ja diese Erkenntnisleistung als Wirkungsintention der Komödie schlechthin postuliert.
6. Die Grenzen der Nachahmung - oder: Ist eine Tragikomödie erlaubt? Nach Lessings Überzeugung, die nicht zuletzt die eben erörterte Konzeption der Charaktere bedingt, soll das theatralische Spiel dem "Spiel des menschlichen Lebens,,339 gleichen. Die Beurteilung der als Tragikomödien bzw. Mischspiele bezeichneten Dramen macht allerdings evident, daß diese Maxime der dichterischen Nachahmung ihre Grenzen hat; Grenzen, die in diesem Zusammenhang zentrale Fragen der Lessingschen Komödientheorie und seines Schaffens berühren, nämlich die wiederkehrende Problematik einer Verbindung von Lachen und Weinen, von Tragik, Ernst und Komik. Um so mehr von Belang ist diese Diskussion des Nachahmungsprinzips, als die Forschung immer wieder versucht, Lessings originelle Form der Komödie, der, wie die Hamburgische Dramaturgie andeutet und vor allem Minna von Barnhelm zeigt, eine gewisse Ernsthaftigkeit eignet, adäquat zu benennen, sie als wahre Komödie,34o Mischspiel,341 Tragikomödie342 oder ernste Komödie 343 zu beschreiben. Ausgangspunkt seiner Erörterung der durchaus aktuellen Frage nach dem Mimesisprinzip bildet für Lessing das Mischspiel des barocken Dichters Lope de Vega, der die im spanischen Drama stattfindende "Vermengung des Gemeinen und Erhabnen, des Possirlichen und Ernsthaften, des Lustigen und Traurigen" rechtfertigt, da die Natur selbst diese aufweise?44 Gestützt wird diese Beobachtung zunächst durch Wieland, der im Agathon 339 Lessing, HD, 21. Stück: LM 9, S. 271. - Ebenso Lessing, Lustspiel-Abhandlungen: LM 6, S. 51. 340 Vgl. Grimberg, S. XLIX. 341 Vgl. Beare, S. 36. 342 Vgl. Guthke, Geschichte und Poetik der deutschen Tragikomödie, S. 27-31. 343 Vgl. Reh, Die Rettung der Menschlichkeit, S. 242. - Vgl. Arntzen (Die ernste Komödie), der diese Bezeichnung zu einem Gattungsbegriff erhebt. 344 Lessing, HD, 69. Stück: LM 10, S. 77 f. - Als weitere Begründung dieser Vermischung führt Lope de Vega den Geschmack des Publikums an, das "nun einmal keine andere Stücke sehen [wolle], als die halb ernsthaft und halb lustig [sind]" (ebd.).
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dem Vorwurf, Shakespeare habe Komisches und Tragisches durcheinandergeworfen, entgegensetzt, daß dessen Stücke gerade so "natürliche Abbildungen des menschlichen Lebens,,345 würden. Lessings zu Beginn vorsichtige Zustimmung, diese Durchdringung scheine in der Natur tatsächlich vorzuliegen, wird im folgenden nun wesentlich ergänzt. So rechtfertigten die durchaus richtigen und überzeugenden Feststellungen Lope de Vegas als auch Wielands zwar ein Tragik und Komik verbindendes Spiel, denn "nichts [könne] ein Fehler seyn, was eine Nachbildung der Natur ist,,346. Gleichzeitig beinhaltet die auf die Empirie gegründete Erkenntnis in Lessings Augen ebensogut die Widerlegung dieser dramatischen Mischform, denn stützte man sich gänzlich auf die naturalistische Nachahmungstheorie, würde die hierdurch stattgegebene Verbindung des feyerlichen Ernstes mit der possenhaften Lustigkeit [... ] eben so gut jedes dramatische Ungeheuer, das weder Plan, noch Verbindung, noch Menschenverstand hat 347 ,
legitimieren. Mehr noch, bildete man Natur nur so ab, wie man sie vorfände, dann hörte in Lessings Augen die Kunst auf, (höhere) Kunst zu sein, sie wäre letztlich nicht anders als jene, welche die bunten Adern des Marmors in Gips festhält. Lessing widerspricht damit keineswegs der Beobachtung, daß in der Schöpfung alles mit allem verbunden ist und sie vielfältigste einander ergänzende oder widersprechende Erscheinungen zeigt, er stimmt ihr sogar nachdrücklich zu. Eine minutiöse Imitation dieser unendlichen Fülle bedingt dies allerdings keinesfalls, denn um endliche Geister an dem Genusse desselben Antheil nehmen zu lassen, mußten diese das Vermögen erhalten, ihr Schranken zu geben, die sie nicht hat; das Vermögen abzusondern, und ihre Aufmerksamkeit nach Gutdünken lenken zu können. 348
Im Gegensatz zur naturalistischen Abbildung, die lediglich einen wahllosen Zusammenfluß bloß äußerer Ursachen zustande bringen kann, sucht Lessing ein Darstellen der menschlich nicht begreifbaren Vielfalt der Schöpfung durch dichterische Absonderung und Konzentration zu leisten, um sie so rational wie emotional faßbar zu machen. Der Charakter der Kunst, und damit auch des Dramas, besteht also darin, kontingente Elemente der nachzuahmenden unendlichen Natur zu einem Ganzen zu arrangieren, so daß ein Kausalzusammenhang entsteht, jedoch nicht nur auf der Ebene des Dargestellten als "Ketten von Ursachen und Wirkungen,,349, sondern auch 345 346 347 348
Lessing, HD, 69. Stück: LM 10, S. 78. Ebd. Ebd., 70. Stück: LM 10, S. 80 f. Ebd., S. 82.
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I. Teil: Lessings Komödientheorie
zwischen den divergenten Empfindungsweisen des Rezipienten. Es ist einmal mehr der für Lessing so zentrale Aspekt der Wirkungsästhetik, welcher sich nun auch in Fragen der Mimesis als entscheidende Instanz erweist. Nur wenn der Dichter neben der Nachahmung der "Natur der Erscheinungen" sein Augenmerk auf die andere Hälfte der Natur, nämlich "unsere Empfindungen und Seelenkräfte" lenkt, kann die Kunst ihre Bestimmung erfüllen, uns in dem Reiche des Schönen [der] Absonderung zu überheben, uns die Fixirung unserer Aufmerksamkeit zu erleichtern. Alles, was wir in der Natur von einem Gegenstande, oder einer Verbindung verschiedener Gegenstände, es sey der Zeit oder dem Raume nach, in unsern Gedanken absondern, oder absondern zu können wünschen, sondert sie wirklich ab, und gewährt uns diesen Gegenstand, oder diese Verbindung verschiedener Gegenstände, so lauter und bündig, als es nur immer die Empfindung, die sie erregen sollen, verstattet. 350
Diese Vernachlässigung der Gefühlswelt der Zuschauer aufgrund der fehlenden Absonderung ist es, die Lessing letztlich die gotischen bzw. barocken Tragikomödien vor allem italienischer und spanischer Herkunft verwerfen läßt. Entgegen dieser Maxime stehen darin vielfach "wichtige und rührende Begebenheiten" und andere von "nichtigem Belange" nebeneinander, wie im Beispiel des vorher rezensierten Graf von Essex von Coello. Aufgabe des Dichters ist es indes, hier hilfreich konzentrierend einzugreifen, denn gerade in diesem absichtsvollen Dichten und Nachahmen scheidet sich letztlich das Genie vom kleinen Künstler, der ohne Plan und Absicht, nur um des Abbildens willen das Vorgefundene der Natur reproduziert. 351 Der künstlerischen Abstraktion ist der wahre Poet hingegen nur enthoben, wenn eben dieselbe Begebenheit in ihrem Fortgange alle Schattirungen des Interesse annimt, und eine nicht bloß auf die andere folgt, sondern so nothwendig aus der andern entspringt; wenn der Ernst das Lachen, die Traurigkeit die Freude, oder umgekehrt, so unmittelbar erzeugt, daß uns die Abstraction des einen oder des andern unmöglich fällt: nur alsdenn verlangen wir sie auch in der Kunst nicht. 352
Eine Verbindung ernster und lustiger Elemente ist also durchaus möglich, wenn auch nur unter den eben genannten strengen Voraussetzungen eines Ineinanders bzw. Auseinanderhervorgehens?53 Diese gelten auf der produkEbd., 30. Stück: LM 9, S. 308. Ebd., 70. Stück: LM 10, S. 82 f. 351 Vgl. ebd., 34. Stück: LM 9, S. 327. 352 Ebd., 70. Stück: LM 10, S. 83. 353 Der Einfluß Shakespeares, der von Hurd immer wieder zitiert wird, ist in diesem Zusammenhang nicht zu ermessen, da Lessing zwar wiederholt die Größe der Shakespeareschen Tragödien herausstellt, seine Komödien aber nicht erwähnt. Gerade die Lustspiele des englischen Dichters stellen allerdings mit Viel Lärm um Nichts und Der Kaufmann von Venedig etc. Musterbeispiele für eine Verbindung 349 350
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tionsästhetischen Ebene des Darzustellenden ebenso wie auch für die rezeptions- und wirkungsästhetische Dimension. Die unnatürliche Kombination, d. h. ein bloßes Nacheinander von pöbelhaften Possen und feierlichem Ernst kann Lessing indes nur als dramatische Mißgeburt354 werten. In dieser Forderung nach einem Kausalzusammenhang allerdings die Billigung eines Tragikomischen als eigener Gattung sehen zu wollen, scheint überaus fraglich,355 zumal Lessing den von Plautus gebrauchten Begriff "Tragico-comoedia" lediglich als scherzhafte Titulatur auffaßt, die nicht als Gattungsbezeichnung verwendet wurde. Im übrigen erkennen schon die Beschäftigung mit Plautus und die Lustspiel-Abhandlungen eine Lustspielform, in welcher Lachen und Rührung, Scherz und Vorbildliches abwechseln, als eine durch die antike Tradition und den Verstand gerechtfertigte Spiel form an, ohne diese ausdrücklich mit einer besonderen Gattungsbezeichnung zu benennen. 356 Um so weniger kann meines Erachtens aus dem 70. Stück ein eigenständiges tragisch-komisches Genre 357 erschlossen werden, als Lessing eine Gattung weniger durch Stoff und Inhalt, denn hauptsächlich von ihrer Wirkungsintention bestimmt sieht, d. h. für die Komödie Wahrnehmung von Lächerlichem und für die Tragödie die tragischen Affekte von Mitleid und Furcht. Die genannten Empfindungsweisen Lachen und Weinen betrachtet Lessing offenbar nicht als streng getrennte und jeweils nur einer Dramenart vorbehaltene Wirkungen, die in einer Zusamvon Lachen und Weinen, ein Neben- und Ineinander von Komik und Tragik dar (vgl. dazu: Hildegard Mahler, Das Tragische in der Komödie. Diss. [masch.] München 1949, S. 59-61). 354 Lessing, HD, 55. Stück: LM 10, S. 15. - Schon die Rezensionen lehnten eine Verbindung von niedrigstem Possenspiel mit erhabenster Tragödie ab (vgl. BPZ, 87. Stück, 21.7.1753: LM 5, S. 185). 355 Vgl. ebenso Zobel, S. 228. - Hinck, Das deutsche Lustspiel des 17. und 18. Jahrhunderts, S. 260. 356 Wie in vielen Bereichen zeigt die HD einen Fortschritt gegenüber den frühen Schriften. Hatte Lessing hier noch empfohlen, Änderungen in den Empfindungen dürften sich nicht sprunghaft, sondern nur allmählich vollziehen (Lessing, LustspielAbhandlungen: LM 6, S. 50), so fordert er nun eine kausale Verbindung dieser Empfindungsweisen. 357 Guthke (Geschichte und Poetik der deutschen Tragikomödie, S. 27-32) erkennt hierin eine Theorie der Tragikomödie, die von Lessing als eigene Gattung eingesetzt wurde und sich durch die Verbindung tragischer und kornischer Inhalte begründet. - Die von der Forschungsliteratur teilweise vertretene These, Lessing bezeichne eine Tragikomödie als die Vorstellung einer wichtigen Handlung unter vornehmen Personen, die einen vergnügten Ausgang hat (vgl. Robertson, Lessing's Dramatic Theory, S. 393. - Ebenso Gero von Wilpert, Sachwörterbuch der Literatur. 7., verb. und erw. Auflage. Stuttgart 1989 (Kröners Taschenausgabe 231), S. 959), weist Guthke hier zu Recht als Fehlrezeption zurück. Lessing verwendet diese Formulierung tatsächlich nur geschichtlich-beschreibend (vgl. Guthke, Geschichte und Poetik der deutschen Tragikomödie, S. 28 0.
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1. Teil: Lessings Komödientheorie
menfügung eine neue Gattung ergeben würden, vielmehr sieht er sie in engster Verwandtschaft. Lachen kann sich so nicht nur in Weinen und Ernst verwandeln und vice versa, die Korrespondenz mit Mendelssohn und Nicolai macht deutlich, daß Gelächter und Weinen aus denselben Komponenten zusammengesetzt sind und nur die unterschiedliche Intensität entweder das eine oder andere entstehen läßt. Lessings Theorie des Lachens und die Neubestimmung des Lächerlichen beinhalten aufgrund dieses Verständnisses die Möglichkeit der Wendung bzw. des Ausgangs eines Lustspiels ins Ernste oder gar Tragische, ebenso wie im Trauerspiel immer auch Lachen verborgen liegen kann, wobei dennoch die spezifische Wirkungsästhetik einer Gattung eindeutig gewahrt bleibt. Auffallend ist in diesem Zusammenhang nicht zuletzt, daß Lessing im 70. Stück die Begrifflichkeit tragi-komisch vermeidet, sondern sehr allgemein von Ernst und Lachen spricht und auf diese Weise andeutet, daß dieser Nexus nicht auf ein bestimmtes Genre begrenzt ist, sondern Bestandteil von Komödie und Tragödie sein kann, ohne ihren primär durch die Wirkungsästhetik bestimmten Charakter zu verändern. 358 So bleibt eine Komödie aufgrund ihrer Anlage und der Behandlung des Themas trotz ernsthafter Töne immer eine Komödie. Wie selbstverständlich Lessing diese Gestaltungsmöglichkeit ist, belegt das Beispiel des 29. Stücks. Der Ernst des Rezipienten wandelt sich dann in Lachen, wenn in ebendem dargestellten "feyerlichen Ernst" Lächerliches zu Tage tritt. Die Bestätigung oder besser gesagt Vorwegnahme dieser Erkenntnis vollzieht sich am überzeugendsten in Minna von Bamhelm, die gleichsam programmatisch dieses Ineinander der unterschiedlichen Empfindungen demonstriert, wenn dieselbe Begebenheit auf der Bühne beide Gefühlsweisen erzeugt. Tellheim ist ob seiner Verabschiedung verzweifelt, während das Fräulein die Situation und insbesondere den unglücklichen Ernst ihres Verlobten noch lachend beurteilen kann. Und auch der Zuschauer kann mit dem Offizier trauern, Mitleid haben und doch gleichzeitig mit Minna lachen. Lessing weiß um diese Verbindung von Lachen und Weinen und legt sie vielfach seinen Lustspielen zugrunde. Die Notwendigkeit, eine eigene Begrifflichkeit für die dem Leben nachempfundene Konstellation zu finden, sieht er offensichtlich nicht, vielmehr scheint ihm diese Verwandtschaft gleichsam ein dramatisches Grundprinzip zu konstituieren, das nicht auf eine bestimmte Gattung beschränkt bleibt. Wie selbstverständlich Lessing beide Empfindungsweisen gerade für die Komödie in Anspruch nimmt, zeigt sein frühes Diktum in den Lustspiel-Abhandlungen, die wahre Komödie erwecke Rührung und Lachen aufgrund vorbildlich-ernster und lächerli358 Mit anderen Argumenten warnt auch Hinck (Das deutsche Lustspiel des 17. und 18. Jahrhunderts, S. 260) davor, diese TextsteIle als Beleg einer Theorie des Tragikomischen anzusehen.
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cher Verhaltensweisen, selbst wenn diese zunächst noch ein eher einseitiges Tugend-Laster-Schema voraussetzen. So sehr seine späteren Schriften über dieses Erkenntnisstadium hinausreichen, die Elemente und Aufgaben der Komödie ungleich differenzierter und diffiziler betrachten, an dem Prinzip einer nicht zuletzt wirkungsästhetisch bestimmten Verbindung von Lachen und Weinen bzw. Ernst hält Lessing fest. 359 Auch wenn diese vielfach nur indirekt in der neuen Vorstellung der Erheiterung, der Charakterdarstellung etc. aufgehoben ist, so belegen doch seine Werke nachdrücklich, daß ernste oder tragische Elemente notwendige Ingredienzen einer hohen Komödie sind. Gerade an diesem Punkt wird evident, daß Lessing zwar in der Hamburgischen Dramaturgie wesentliche Aspekte eines originellen Lustspielverständnisses reflektiert, aber dennoch einzelne Problemfelder im letzten etwas unbestimmt bleiben. Lessing streut für die komische Gattung ungleich mehr "fermenta cognitionis" aus als bei der Bestimmung der Tragödie. Um hier Antworten zu finden, braucht es wiederholt den Bezug vor allem zu Minna von Barnhelm, aber auch zu den früheren Komödien, welche die Ansätze der Hamburger Zeit schon teilweise vorwegnehmen. Daß indes gerade das hohe Komische schwer faßbar ist, bestätigt ausdrücklich ein an seinen Bruder gerichteter Brief Lessings. Dem Bericht über die Arbeit an der Hamburgischen Dramaturgie fügt Lessing mit Blick auf die dichterische Tätigkeit Karls an: Du arbeitest außerdem selbst an einer Tragödie? Recht gut. Mich dünkt auch immer, daß man in dem dramatischen Fache eher mit einer Tragödie als mit einer Komödie den Versuch machen sollte. Es ist leichter, zum Mitleiden zu bewegen, als lachen zu machen. Man lernt eher, was Glück und Unglück, als was sittlich und unsittlich, anständig und lächerlich ist. 360
Daß die Komödie im Grunde als die künstlerisch anspruchsvollere Gattung anzusehen ist, empfindet Lessing in dieser Zeit eindringlich. So findet sich 359 Aus diesem Grunde hätte Lessing vermutlich auch alle jene späteren Versuche für fragwürdig erachtet, seine Komödie und Komödienvorstellungen begrifflich eindeutiger zu fassen. Die Klassifikation "ernste Komödie" (vgl. u. a. Amtzen, S. 2545 - Reh, Die Rettung der Menschlichkeit, v. a. S. 238-260) in Anlehnung an Denis Diderot ist dabei aufgrund wesentlicher Differenzen zur französischen Comedie serieuse ebenso fraglich wie die von Lessing selbst kritisch reflektierten Titel eines Mischspiels oder Tragikomödie. Selbst die Bezeichnung als "wahre Komödie" (vgl. u.a. Hinck, Das deutsche Lustspiel im 17. und 18. Jahrhundert, S. 290. - Grimberg, S. LU) scheint problematisch, da Lessing diese Begrifflichkeit in späteren Jahren nicht mehr verwendet und über jene in den Lustspiel-Abhandlungen bestimmte Wirkintention von Rührung und Lachen wesentlich hinausgeht. 360 Lessing an Karl Lessing, 9. Juni 1768: LM 17, S. 254. - Über die Schwierigkeit, ein Lustspiel zu schaffen, äußert Lessing erneut zu seinem Bruder: "Um die Zuschauer so lachen zu machen, daß sie nicht zugleich über uns lachen, muß man auf seiner Studierstube lange sehr ernsthaft gewesen seyn." (Lessing an Karl Lessing, 6. Juli 1769: LM 17, S. 294.)
8 Kornbacher-Meyer
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1. Teil: Lessings Komödientheorie
unter den Paralipamena zur Hamburgischen Dramaturgie eine Übersetzung der Critique de I' Ecale des F emmes von Moliere, die in einem Gespräch zwischen Urania und Dorante eben diese Einschätzung vornimmt. 361 Ergänzend verweist ein Zitat aus den Essais sur divers sujets de litterature et de marale par M. l'AbM Trublet auf die kritischere Haltung der Rezipienten eines Lustspiels: Man nimt es mit den Komödien weit genauer, als mit den Tragödien. Man kann einen verständigen Mann weit leichter rühren, weit leichter so gar weinen machen, als belustigen, und zum lachen bringen. 362
So wie es einfacher ist, eine Tragödie zu entwerfen und das Mitleid der Zuschauer rege zu machen, fällt es Lessing anscheinend auch leichter, die Theorie dieser Dramenart zu erläutern. Das Komische hingegen entzieht sich trotz aller Bemühungen im letzten einer ganz eindeutigen theoretischen Bestimmung.
VI. Lessings Verteidigung des Harlekin: Plädoyer für ein Lachen ohne erzieherische Funktion Es ist ohne Zweifel ein wirkungs ästhetisch korrigierendes Spiel, das Lessing von Beginn seiner theoretischen Schriften an bevorzugt. In diesem Sinne hatten die Lustspiel-Abhandlungen das Possenspiel nicht aufgrund des Dargestellten kritisch beurteilt, sondern in erster Linie aufgrund der eingeschränkten Effizienz des hier geweckten Lachens. Im Briefwechsel mit Nicolai und Mendelssohn, insbesondere aber in der Hamburgischen Dramaturgie erwähnt Lessing die Form des sog. Niedrigkomischen, das er wiederum aufgrund der fehlenden Stimulanz einer Erkenntnisleistung seiner neuen Konzeption eines hohen komischen Spieles, welches auch den Verstand lachen machen will, unterordnet. Gleichwohl ist damit im Gegensatz zu Gottsched keine entscheidende Ablehnung dieser Gestaltungselemente verbunden. Schon die frühen Rezensionen erkennen ein zweckfreies, nur dem Delectare verpflichtetes Spiel an, für das sich allerdings die Distanzierung von einer allzu derben und unkünstlerischen Anlage als entscheidend erweist. Wenn jedoch derartige Werke - Lessing nennt als Beispiel Die verwandelten Weiber, ader Der Teufel ist los363 - das komische Genie des Dichters spüren ließen, kann er diese Varianten durchaus billigen. Daß sich Lessing der Notwendigkeit niedrigkomischer Strukturen innerhalb eines Lustspieles sehr wohl bewußt war, belegen nachdrücklich seine eigenen 361
Lessing, Hamburgische Dramaturgie. Entwürfe zu Besprechungen: LM 15,
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Ebd., S. 40. Vgl. BPZ, 87. Stück, 21.7.1753: LM 5, S. 184 f.
S.39. 363
VI. Lessings Verteidigung des Harlekin
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Werke. Beginnend mit den lugendstücken bis hin zum Höhepunkt seines Schaffens, Minna von Barnhelm, setzt Lessing wiederholt auf die Wirkung vordergründiger komischer Effekte, greift er auf Prinzipien der Commedia dell'arte und des Theatre italien zurück, wie z. B. die in den Dienern modifizierten komischen Figuren französisch-italienischer Tradition. An all seinen Stücken wird evident, daß sich subtile komödiantische Gestaltungskunst und urwüchsige Unterhaltung nicht ausschließen müssen, ja beide Formen nebeneinander stehen und sich ergänzen können. Lessings eigenständigen Ansatz und seine Kontinuität in dieser Frage, die ihn einmal mehr in entschiedene Opposition zu Gottscheds propagierter Komödie stellt, bestätigt sein Plädoyer für die verpönte Figur des Harlekin, jener Gestalt, die sich schlechthin einer eindeutig didaktischen Ausrichtung widersetzt. Gerade das gegen alle Regeln der Sächsischen Komödie - Wahrschein1ichkeit' Anstand und vor allem das Moralprinzip - verstoßende Gebaren des Harlekin mußte Gottsched ein Dom im Auge sein. Scharf kritisiert er denn auch in der Critischen Dichtkunst die abgeschmackten Narrenpossen der Italiener und deren Träger Harlekin und Scaramutz: [D]iese ahmen nicht die Handlungen des gemeinen Lebens nach; sondern machen lauter ungereimte Streiche, die einem nicht so arg träumen könnten. [... ] Sie binden sich an keine Einheit der Zeit und des Orts, ja oft ist nicht einmal eine rechte Haupthandlung in ihren Fabeln. Sie machen Parodien auf die ernsthaftesten Stücke, mitten zwischen ihren andern Scenen?64
Ein weiterer zentraler Vorwurf der Critischen Dichtkunst gründet darin, daß das von ihnen vertretene Lächerliche, welches überdies entgegen der Gottschedschen Forderung aus Gestik, Mimik und Sprache fließt, nur ungereimt sei, ohne zugleich lasterhaft zu sein. 365 Gerade in der Verbindung von Lächerlichem und Fehlerhaftem besteht jedoch das Wesentliche der von Gottsched initiierten Komödie, nur sie vermag die moral-didaktische Erziehung des Publikums mittels Spott und Gelächter zu gewährleisten. Aus Harlekinaden könne hingegen keine Besserungslehre fließen, sie entziehen sich einer wenn nicht satirischen, so doch moralischen, auf ein Laster zielenden Wirkungsintention. Folgerichtig wird diese Figur von Gottsched gemeinsam mit der Neuberin durch einen symbolischen Akt in Leipzig 1737 von der Bühne verbannt. Dieses Vorgehen hatte bereits der 17. der Briefe, die neueste Literatur betreffend aus dem Jahre 1759 als "größte Harlequinade [... ], die jemals gespielt worden,,366, angeprangert. Zwar bestätigt Lessing in diesem ZuGottsched, AW VI, 2, S. 343. Weitere Argumente gegen den Harlekin bzw. die italienische Komödie vgl. ebd., S. 356-359. 364
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1. Teil: Lessings Komödientheorie
sammenhang den überaus schlechten Zustand des Dramas in diesen frühen Jahren,367 dennoch macht er nicht wie Gottsched den Harlekin für diese Mißstände verantwortlich. Die Hamburgische Dramaturgie versucht schließlich die Rehabilitation der umstrittenen Gestalt. 368 Wohl wissend, daß durch die Ächtung des Harlekin die damit verknüpften Merkmale komischen Spieles nicht zu unterdrücken waren,369 sondern in verschiedenen anderen Gestalten weiterlebten 370 bzw. in den Übersetzungen lediglich unter anderem Namen auftraten, fordert Lessing nun dessen Wiederzulassung auf den deutschen Bühnen: Lessing, Briefe, die neueste Litteratur betreffend, 17. Brief: LM 8, S. 42. Vgl. ebd. 368 lngo Breuer ("Wi(e)der die walschen Possen?" Zur Rezeption von Luigi Riccobonis theatertheoretischen Schriften bei Gottsched und Lessing, in: Deutsche Aufklärung und Italien. Hrsg. von Italo MicheIe Battafarano. Bem u. a. 1992, S. 74-84) weist auf die Bedeutung Luigi Riccobonis in diesem Prozeß hin, der mit seinen auch von Lessing ausführlich rezipierten Schriften eine Rehabilitierung des italienischen Theaters versuchte. 369 Selbst wenn, wie Horst Steinmetz (Der Harlekin. Seine Rolle in der deutschen Komödientheorie und -dichtung des 18. Jahrhunderts, in: Neophilologus 50, 1966, S. 95-106, hier S. 97) mutmaßt, in der Zeit von 1737 bis 1790 keine Komödie überliefert ist, in welcher der Harlekin auftritt, so hat Gottscheds Theaterreform den Spaßmacher insbesondere aus dem Repertoire der Wanderbühnen nicht vertreiben können. Aus den erhaltenen Theaterzetteln geht hervor, daß noch in der Mitte des 18. Jahrhunderts neben regelmäßigen Trauer- und Lustspielen die Burlesken dominierten und in einer Vielzahl von Haupt- und Staatsaktionen die Figur des Hanswursts bzw. Harlekins auf der Bühne erschien (vgl. Helmut G. Asper, Hanswurst. Studien zum Lustigmacher auf der Berufsschauspielerbühne in Deutschland im 17. und 18. Jahrhundert. Emsdetten 1980, S. 66--73. - Hinck, Das deutsche Lustspiel des 17. und 18. Jahrhunderts, S. 78). Johann Friedrich Schütze (Hamburgische Theater-Geschichte. Hamburg 1794, S. 391; zitiert in: Amold E. Maurer, Goldoni. Seine Komödien und ihre Verbreitung im deutschen Sprachraum des 18. Jahrhunderts. Bonn 1982 (Mitteilungen zur Theatergeschichte der Goethezeit 3), S. 34) betont in seiner Theater-Geschichte ausdrücklich, welche Anziehungskraft diese Gestalt noch um 1770 besessen habe: Mitunter zur Freude des geschmackvolleren Theiles im Publikum wurden ein Hausvater, ein Sampson, eine Liebhaberschule gegeben, aber die Harlekinischen Höllenfahrten zogen stärker. In den auf die Tragödien folgenden Nachspielen stellte der Spaßmacher ohnehin eine nicht wegzudenkende Figur dar. Selbst für eine Aufführung der Miß Sara Sampson 1757 in Leipzig durch die Schönemannsche Truppe ist der Beschluß durch das pantomimische Ballett Die von Arlekin betrogene Pantalon und Pierrot verbürgt (vgl. Dieter Wuttke, Harlekins Verwandlungen, in: Commedia dell'arte. Harlekin auf den Bühnen Europas. Beiträge von Rudolf Rieks/Wolfgang Theile/Dieter Wuttke. Bamberg 1981, S. 49-71, hier S. 62). Liselotte Schotz (Einleitung, in: Die Neuberin. Materialien zur Theatergeschichte des 18. Jahrhunderts. Hrsg. vom Ministerium für Kultur. HeidenauISa. 1956, S. 22) weist allerdings darauf hin, daß der Harlekin nach Gottsched und der Neuberin eine dramatisch festgelegte Funktion innerhalb des Spiels erhalten und damit seine bisherige destruktive Tendenz verloren habe. 366
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VI. Lessings Verteidigung des Harlekin
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"Die Neuberinn ist todt, Gottsched ist auch todt: ich dächte, wir zögen ihm das Jäckchen wieder an. ,,371 Das Umfeld, in dem sich diese Aussage findet, deutet darauf hin, daß es weniger darum geht, neue Komödien mit Harlekin hervorzurufen, als die bisher mit anderem Namen verbrämte komische Figur wieder mit ihrer richtigen Anrede zu titulieren. Um der Gestalt erneut zu Ansehen zu verhelfen,372 sucht der Dramaturg gleichzeitig in diesem 18. Stück von Seiten der Literaturkritik erhobene weitverbreitete Vorwürfe zu entkräften. Dem vermutlich gewichtigsten Einwand, der Harlekin verstoße gegen die Wahrscheinlichkeit, indem ein und dieselbe Person alle Tage in einem anderen Stück auftrete, hält Lessing entgegen: Man muß ihn als kein Individuum, sondern als eine ganze Gattung betrachten; es ist nicht Harlekin, der heute im Timon, morgen im Falken, übermorgen in den falschen Vertraulichkeiten, wie ein wahrer Hans in allen Gassen, vorkömmt; sondern es sind Harlekine; [... ] nur weil ihr Charakter einerley Hauptzüge hat, hat man ihnen einerley Namen gelassen. 373
Lessing nimmt damit für den Harlekin in Anspruch, was für die anderen feststehenden Rollen dieses Traditionsstranges als selbstverständlich galt. Auch Pantalone, Dottore, Capitano, Colombina, die Innamorati 374 etc. tauchen in unterschiedlichen Komödien als wohlbekannte Typen mit gleicher Charakteranlage und Funktion, selbst unter gleichem Namen immer wieder auf, ohne jedoch stets als eine identische Figur begriffen zu werden. 375 Wie diese könne, so die Hamburgische Dramaturgie, der geläufige Typus des Spaßmachers unterschiedliche Akzente erhalten und damit als stets neue Person auf der Bühne erscheinen. Dennoch erkennt Lessing hierin auch die 370 Lessing selbst gestaltete in der Alten Jungfer mit dem Backwarenverkäufer eine Variante dieses Spaßmachers unter dem Namen Peter. 371 Lessing, HD, 18. Stück: LM 9, S. 257. 372 Vor Lessings Stellungnahme in der Hamburgischen Dramaturgie hatten sich schon Johann Christian Krüger in der Vorrede zum ersten Band seiner Übersetzung von Lustspielen des Marivaux 1747 (Johann Christian Krüger, Sammlung einiger Lustspiele aus dem Französischen des Herrn von Marivaux übersetzt. Vorrede, in: J. Chr. K., Werke. Kritische Gesamtausgabe. Hrsg. von David G. John. Tübingen 1986, S. 521-523) und ausführlich Justus Möser mit seiner Schrift Harlequin oder Vertheidigung des Groteske-Komischen (1761) (Justus Möser, Harlekin. Texte und Materialien mit einem Nachwort hrsg. von Henning Boetius. Berlin, Zürich 1968 (Ars poetica 4), S. 9-37) zu Verteidigern dieser Figur aufgeworfen, wobei allerdings beide an eine gereinigte Harlekinfigur denken. 373 Lessing, HD, 18. Stück: LM 9, S. 257. 374 Vgl. zu den Typen der Commedia dell'arte: Wolfram Krömer, Die italienische Commedia dell'arte. Darmstadt 1976, S. 3~0. - Karl Riha, Commedia dell'arte. Mit den Figuren Maurice Sands. Frankfurt am Main 3 1980, S. 27-44. 375 Vgl. dagegen Hinck (Das deutsche Lustspiel des 17. und 18. Jahrhunderts, S. 261), der den Harlekin von diesen Masken ausdrücklich unterscheidet.
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1. Teil: Lessings Komödientheorie
historische und dramaturgische Sonderstellung des Spaßmachers, der im Kontrast zu seinen Kollegen des italienischen Theaters zugleich Repräsentant einer eigenen Gattung sei, sowohl in der Vielfältigkeit der Person als auch der Harlekinade als Dramenart. 376 Betrachtet man die unterschiedlichen Ausprägungen, die Harlekin bei Delisie, Piron, Marivaux oder auch Goldoni annimmt, so bringt sie tatsächlich, wie das 18. Stück behauptet, "tausend Varietäten" hervor. 377
In seiner fragmentarisch erhaltenen Abhandlung Nachspiele mit Hanswurst378 , nach Lachmann/Muncker zwischen 1771 und 1773 anzusetzen, beschäftigt sich Lessing ausdrücklich mit der deutschen Form des Spaßmachers,379 der weniger in Komödien als vor allem in den Haupt- und Staatsaktionen unabkömmlich scheint. Möglicherweise steht dieser weitere Rehabilitationsversuch in Zusammenhang mit den in der Hamburgischen 376 Vgl. dazu auch: Reinhart Meyer, Hanswurst und Harlekin oder: Der Narr als Gattungsschöpfer. Versuch einer Analyse des komischen Spiels in den Staatsaktionen des Musik- und Sprechtheaters im 17. und 18. Jahrhundert, in: Theatre, nation et societe en Allemagne au XVIII e siede. Hrsg. von Roland Krebs/Jean-Marie Valentin. Nancy 1990, S. 13-39. 377 Ob hierunter auch Erscheinungen wie Hans Supp, Jean Potage etc. subsumiert werden, ist an dieser Stelle allerdings nicht zu ermessen. - Vgl. zu der von Lessing konstatierten Wandlungsfähigkeit der Figur: Herbert Hohenemser, Pulcinella, Harlekin, Hanswurst. Ein Versuch über den zeitbeständigen Typus des Narren auf der Bühne. [Diss. München] Emsdetten 1940, S. 18--40. - Jürgen von Stackelberg, Die Metamorphose des Harlekin. Zur Geschichte einer Bühnenfigur. München 1996. 378 Steinmetz' These, Lessing habe sich nie zum Anwalt des Hanswursts gemacht, wird mit diesem Fragment eindeutig entkräftet (Steinmetz, Der Harlekin,
S.96).
379 Die Verwandtschaft der zahlreichen komischen Figuren wurde von der Forschung noch nicht endgültig bestimmt. So ist sich die wissenschaftliche Diskussion auch noch uneinig, wie die Beziehung von Harlekin und Hanswurst zu werten ist. Meyer (S. 22 f.) glaubt deutliche Unterschiede im Hinblick auf ihre Stellung innerhalb der verschiedenen Dramengattungen zu erkennen; Hanswurst sei im Gegensatz zu Harlekin, der innerhalb eines Ensembles stehe, grundsätzlich ein Einzelgänger. Ähnlich Heinz Kindermann (Theatergeschichte Europas. Bd. III. 2., verb. und erg. Auflage. Salzburg 1967, S. 556), der im Hanswurst gegenüber der Commedia dell'arte und den englischen Wanderbühnen etwas Neues entdeckt. - Demgegenüber betonen Hinck (Das deutsche Lustspiel des 17. und 18. Jahrhunderts, S. 80, 85) und insbesondere Asper (S. 72) die Ähnlichkeit und teilweise Austauschbarkeit bei der lustigen Figuren, die nicht immer scharf zu trennen seien. Gestützt wird diese Annahme nicht zuletzt durch die zeitgenössische Übersetzungspraxis, die offenbar Harlekin bzw. Arlequin durch Hanswurst ersetzen konnte. - Ebenso Wilhelm Kasch, Deutsches Theater-Lexikon. Biographisches und Bibliographisches Handbuch. Bd. 1. Klagenfurt, Wien 1953, S. 695. - Ulrich ProfitlichlFrank Stucke (Komische Person, in: Reallexikon der deutschen Literaturwissenschaft. Neubearbeitung des Reallexikons der deutschen Literaturgeschichte. Bd. 11. Berlin, New York 2000, S. 294-296, hier S. 295) behaupten entschieden die wechselseitige Beeinflussung und Verschmelzung der komischen Figuren, die auch für Hanswurst und Harlekin bestehe.
VI. Lessings Verteidigung des Harlekin
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Dramaturgie geforderten heimischen Sitten und dem nationalen Kolorit für das Drama, wie es Lessing ja schon Minna von Bamhelm zu geben wußte.
Ein erstes Kapitel des Bruchstückes erörtert Charakter und Herkunft dieser Figur aus dem Grunde, daß man nicht allein deutlich siehet, was der Hannswurst damals gewesen, sondern auch was er noch seyn muß, wenn er als ein ursprünglich deutscher Charakter auf unserer Bühne wieder erscheinen sol1.380
Noch weitreichender als für den Harlekin zielen die Nachspiele mit Hanswurst auf die Wiederbelebung, einen erneuten Auftritt dieser Person auf der Bühne in ihrer authentischen Form. Lessing sucht im folgenden die Erfindung des Hanswursts durch den Schauspieler Joseph Anton Stranitzky mit wesentlich älteren Belegen als literarische Legende zu falsifizieren,381 indem er eine Urform bereits bei Luther zu finden glaubt, der den Titel "Hanswurst" als gebräuchlichen Begriff, "wider die groben Tolpel, so klug seyn wollen, doch ungereimbt und ungeschickt zur Sache reden und thun,,382, erklärt. Sein plumpes, ja dummes Benehmen sieht Lessing durch das Zeugnis einer weiteren, ungenannten Stelle in der charakteristischen Leibesfülle des Hanswursts gespiegelt. Er ist ein Fresser, dem man dies auch ansehe, ganz im Gegensatz zu Harlekin, der sich trotz Völlerei seine geistige und körperliche Geschmeidigkeit bewahrt. Die vor Stranitzky literarisch fixierte Figur versteht Lessing im Grunde als den ungelenken Bruder des Harlekin, dem jedoch dessen Gabe, das Geschick der Handlung witzig zu lenken, fehlt. 383 Neuere Forschungen widersprechen indes dieser Genealogie Lessings, da der im 16. Jahrhundert als Schimpfwort gebräuchliche Begriff, auf den Luther Bezug nimmt, "nichts mit dem Lustigmacher auf dem Theater der Berufskomödianten gemein habe,,384. So mangele dem als negative Person und Spottnamen belegten Hanswurst - trotz oberfläch-
Lessing, Nachspiele mit Hanswurst: LM 16, S. 323. Asper (S. 6-34) hat in jüngerer Zeit die bis heute von der Forschung vertretene Annahme erschüttert, erst mit dem Wiener Schauspieler und Prinzipal habe Hanswurst das Theater betreten, indem er den Nachweis einer früheren Existenz des Hanswursts auf Deutschlands Bühnen erbringen konnte. Nach Asper ist diese lustige Figur schon bei englischen Komödianten des 17. Jahrhunderts zu finden, die, auf deutschem Boden spielend, mit Hanswurst einen üblichen Spottnamen auf ihre eigene komische Figur des Pickelhering übertrugen. Gleichwohl darf die Wirkung Stranitzkys vor allem im österreichisch-süddeutschen Raum nicht unterschätzt werden, dem es gelang, im Gewand eines Salzburgischen Bauern einen "teutschen Arlekin" auf dem Theater zu etablieren (vgl. Kindennann, Bd. I1I, S. 553-562). 382 Lessing, Nachspiele mit Hanswurst: LM 16, S. 323. 383 Lessing ignoriert hier offensichtlich die dummen Vertreter des Harlekin, wie sie z.B. Goldonis L'EredeJortunata mit einem eher tölpeligen Arlequino zeigt. 384 Asper, S. 3 f. - Ebenso Kosch, S. 695. 380 381
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1. Teil: Lessings Komädientheorie
licher Ähnlichkeiten - gerade jene komische Komponente,385 die ihn auf der Bühne als Spaßmacher und lustige Figur zum Liebling des Publikums werden ließ. Neuartig und wegweisend ist das Fragment Nachspiele mit Hanswurst jedoch dahingehend, daß Lessing offensichtlich diese Figur wirkungspoetisch zu legitimieren suchte. Ein erster Ansatz war bereits, Martin Luther als Autorität für die Existenz des Hanswursts heranzuziehen, zumal der Reformator diese Begrifflichkeit auch in der Predigt einsetzte. Nunmehr will Lessing den "Nutzen solcher Nachspiele" mit dem sich einer lehrhaften Funktion verweigernden Spaßmacher ausdrücklich nachweisen, seine Argumente sind indes aufgrund der fragmentarischen Überlieferung (leider) nicht erhalten bzw. zu Papier gebracht worden. Möglicherweise beabsichtigte er sogar, eigene Versuche in der Gattung der Harlekinade bzw. des Hanswurst-Spiels zu unternehmen, jedenfalls notiert § 3 hierfür "Worte, Einfälle, Stoff, Entwürfe". Bezeichnend für das Komikverständnis Lessings ist, daß die versammelten knappen Ideen eindeutig dem Niedrigkomischen zuzurechnen sind, eine Reinigung oder Stilisierung dieses Traditionsstranges sollte offenbar nicht vorgenommen werden. Lessings Faszination von diesem eigentümlichen Phänomen der komischen Figur belegen nicht zuletzt seine 1758 im 4. Stück der Theatralischen Bibliothek veröffentlichten Entwüife ungedruckter Lustspiele des italiänischen Theaters 386 , sie bestätigen zugleich seine Behauptung in der Hamburgischen Dramaturgie, er sei schon immer ein Lobredner Harlekins gewesen. 387 Kaum eines der damit erstmals publizierten Stücke Riccobonis, Coypels, Delisles, Saint-Foix' und Gandinis verzichtet auf den traditionell als Diener fungierenden Harlekin, in einigen Skizzen avanciert er sogar zu ihrer Titel- und damit Hauptfigur. Nicht nur die Veröffentlichung dieser vom Spaßmacher dominierten Entwürfe, vor allem Lessings Aufforderung, darin ein Magazin für die komischen Dichter seiner Zeit sehen zu wollen, "aus welchem sie sich sicherer und zugleich unschuldiger versorgen können,,388, stellt das Bedeutsame, ja fast Aufsehenerregende dieser Publikation dar. Eine Figur und damit verbunden auch eine Lustspielgestaltung, die Gottsched entschieden zurückwies, wurden von seinem schärfsten Kritiker in der Theatralischen Bibliothek nun im Grunde als vorbildhaft ausgezeichnet. Dieses Votum ist um so höher einzustufen, als ein Großteil der hier paraphrasierten Entwürfe typische Strukturen der Commedia dell'arte bzw. 385
386
Vgl. Asper, S. 1-4. Lessing, Entwürfe ungedruckter Lustspiele des italiänischen Theaters: LM 6,
S.294-391. 387 Vgl. Lessing, HD, 18. Stück: LM 9, S. 258. - Ebenso Hinck, Das deutsche Lustspiel des 17. und 18. Jahrhunderts, S. 262. 388 Lessing, Entwürfe ungedruckter Lustspiele des italiänischen Theaters: LM 6, S.295.
Zwischenbilanz
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des Theatre italien aufweisen: die Liebe eines jungen Paares sieht sich vor Hindernisse zumeist in Gestalt des bzw. der beiden Alten sowie des Capitano gestellt. Die Rollenanlage der stehenden Figuren erscheint damit nichts weniger als innovativ, Intrigen, Verwechslungen, scherzhafte Einfälle etc. sind vielfach der Form des Niedrigkomischen verpflichtet. Gleichwohl stehen Harlekin und das von ihm geprägte Theatre italien für eine sehr alte und vortreffliche Komödientradition, die, Lessing zufolge, auf der von ihm so geschätzten römischen Lustspielkunst Plautinischer Prägung gründet. 389 Das durch den Harlekin vertretene moralisch indifferente, artifiziell gestaltete Spiel bildet damit neben der didaktisch ausgerichteten Komödie einen zweiten, kaum beachteten Strang in Lessings Lustspielschaffen, der indes der wirkungsästhetischen Bestimmung nicht widerspricht, sondern sie ergänzen kann. Lessings Verteidigung zielt denn auch gewiß nicht auf eine Wiederbelebung des alten improvisierenden bzw. extemporierenden Stegreiftheaters, wohl aber ist ihm dieses Spiel italienischer Tradition, vor allem die ungebundene Gestalt des Spaßmachers Quelle und Garant einer besonderen komischen Konzeption, szenischer Effekte und eines wirkungsvollen Sprachwitzes,39o Züge, die er in den Komödien seiner Zeitgenossen vielfach vermißt hat. Seine dramenkritische Position ist damit weniger Resultat einer persönlichen Opposition zu Gottsched, den er in dieser Frage polemisch angreift, als vielmehr Ausdruck seiner eigenen Freude und Virtuosität bei der Gestaltung komischer Szenen und Dialoge, die den Zuschauer lachend unterhalten. Indem Lessing Hanswurst und Harlekin mit all ihren Varianten rehabilitiert, plädiert er gleichzeitig für eine gewisse Autonomie der komischen Kunst und für ein Lachen ohne moralisch erzieherischen Impetus.
Zwischenbilanz Überblicken wir noch einmal kurz Lessings theoretische Beschäftigung mit der Komödie und dem Phänomen des Lachens, so wird deutlich, daß Lessings literaturkritische und theoretische Schriften Schritt für Schritt nach einer originellen Komödienform suchen, wobei schon seine frühesten Zeugnisse ein Ungenügen an den vorgefundenen Möglichkeiten aussprechen. 389 Folgerichtig knüpft er in der Hamburgischen Dramaturgie (18. Stück: LM 9, S. 257) eine Verbindung zwischen der Harlekin-Figur und dem Parasiten bzw. Satyr der Antike. 390 Diese Auffassung bestätigt ebenso eine frühe Ideensammlung Lessings. Die Comischen Einfälle und Züge notieren aus Gherardis Textkorpus witzig-pointierte Dialogfetzen, als deren Sprecher Schmidt (Die Quellen der "Comischen Einfälle und Züge" Lessing's, S. 1-5) vielfach im Original Arlequin, Pierrot, Scaramutz etc. nachweisen konnte.
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1. Teil: Lessings Komädientheorie
Eine erste vorsichtige, aber doch eigenständige Entwicklung bestimmt die Beschäftigung mit Plautus, die im Rückgriff auf antike Traditionslinien eine veränderte Wirkungsästhetik formuliert. Edle Gesinnungen und dadurch erzeugte Rührung sind aus Lessings Komödienbild nicht mehr ausgeschlossen, ohne jedoch dem rein rührenden Lustspiel das Wort zu reden. Die Verbindung von Lachen und Rührung als angestrebte lustspielhafte Wirkung setzt sich im Kommentar zu Gellerts und Chassirons Abhandlungen mit dem Entwurf einer "wahren Komödie" konsequent fort, die indes noch eine zu einseitige Verbindung von satirischem Spiel und rührendem Lustspiel beinhaltet, vor allem aber auf eine Kontrastierung und damit Trennung von Tugend und Laster baut, indem sie Bewunderung und Scham als Mittel einer unmittelbaren Besserung erwecken will. Wenngleich sich hier erste Ansätze zeigen, das Lachen zu differenzieren, erfolgt der entscheidende Einschnitt im Verständnis des Lachens und mithin der Komödie im Briefwechsel mit Nicolai und Mendelssohn. Nunmehr werden Lachen und Weinen als verwandte Phänomene erkannt, die sich einzig in der Intensität ihrer vermischten Empfindungen unterscheiden. Steigern sich die Komponenten des Lachens, nämlich Lust und Unlust, zu Freude und Trauer, so verwandelt sich die Erheiterung in Weinen. Diese Erklärung der menschlichen Erheiterung als einer vermischten Empfindung aus Lust und Unlust, die sich nun auf positive wie negative Erscheinungen ein und derselben Sache bezieht, bildet die Grundlage des menschenfreundlichen Lachens im Lustspiel, wie es die Hamburgische Dramaturgie fordert. Lessings Bestimmung dessen, was lächerlich zu werden vermag, erreicht schließlich eine bisher nicht gekannte Ausdehnung komischen Kontrasts, für den die Realität des Menschen bzw. einer Sache, seine mögliche Vollkommenheit Vergleichspunkt ist. Indem jedoch die Ziel richtung nicht mehr auf dargestellte Fehler und deren Träger begrenzt ist, sondern der Rezipient Lächerlichkeit in jeder nur denkbaren Ausprägung als eine menschliche Grundbefindlichkeit erkennen und auch annehmen lernen soll, gelingt es Lessing, die mit der Wahrnehmung der Ungereimtheit verbundene herabsetzende Wirkung des Lachens zu hemmen. Erheitert sich der Zuschauer, so soll er immer zugleich auch über sich selbst lachen. Erst dieser grundsätzliche soziale Funktionswandel führt zu einer vollständigen Überwindung bzw. Ablösung der satirischen Typenkomödie. Nunmehr kann sich das Wesen des von Lessing eingesetzten Lachens dem Humor nähern, der den Unzulänglichkeiten des Menschenlebens mit heiterer Gelassenheit und humaner Nachsicht begegnet. Um das Verlachen zu einem wohlwollenden Belachen werden zu lassen, braucht es indes weitere entscheidende Veränderungen der bekannten Komödienstrukturen. Lessings gemischte Charaktere verneinen den einseitigen, nur lasterhaften Typ, indem sie als Menschen auf der Bühne stehen, die nun dem Zuschauer, uns selbst gleichen. Und so gestaltet sich auch ihre
Zwischenbilanz
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Lächerlichkeit gänzlich anders als bisher. Ihnen eignet nicht mehr wie den Figuren der satirischen Komödie ein stehendes, in immer wieder neuen Situationen sich beweisendes Laster, ihr lächerlicher Wesenszug tritt nur in bestimmten Momenten in Erscheinung und kann selbst in guten Eigenschaften zum Vorschein kommen. Die oberflächliche Lustigkeit wird damit zu einer höheren Komik sublimiert, die um Lächerliches in allen Bereichen menschlichen Lebens weiß und aus diesem Grunde ungleich schwerer zu gestalten, zu erkennen und zu beschreiben ist als jene Verbindung des Lasterhaften und Lächerlichen der Typenlustspiele. Je subtiler das Lächerliche im menschlichen Handeln oder Sein gestaltet wird, desto schwieriger fällt es dem Rezipienten, diese Situationen lachend zu beantworten. Verbirgt sich Ungereimtes gar in einer ernsten oder berechtigt scheinenden Grundhaltung, rührt uns die Lage des achtenswerten Protagonisten oder muß selbst die Vernunft auf ihre Vernünftigkeit hin befragt werden, wie in Minna von Barnhelm, dann erscheint ein befreites Lachen, wie es z. B. das Possenspiel aufweist, fast unmöglich. Hier nähern sich die Komponenten der Lust und Unlust zu sehr den Bestandteilen des Weinens, nämlich Freude und Traurigkeit, als daß eine ungetrübte Heiterkeit entstehen könnte. Wie unmerklich sich diese Konfliktsituationen vertiefen können, erörtert allerdings nicht mehr die Theorie, seine Komödien zeigen dies exemplarisch. Lessings poetologische und literaturkritische Schriften allein vermögen und damit rühren sie an ein heute noch bestehendes Grundproblem der wissenschaftlichen Beschäftigung mit dem menschlichen Lachen - das Phänomen in seiner VieWiltigkeit und Komplexität ungleich weniger erschöpfend zu analysieren als das Tragische. Auch wenn sie wesentliche Aspekte dieser Äußerungsform beschreiben können, so läßt doch erst der Einbezug der Komödien das gesamte Verständnis Lessings evident werden, das durchaus divergierende Positionen der Komiktheorie(n) zu vereinen, zumindest aber nicht in Widerspruch zu sehen scheint. Vor allem die in der Aufklärung problematisierte Ambivalenz des Lachens als einer Geistes- und Körperbewegung sucht Lessing zu harmonisieren. Einerseits wird Lachen von Lessing ganz im Sinne eines aufgeklärten Erziehungsoptimismus als ein intellektueller Prozeß beschrieben. Lächerliches muß als ein Kontrastphänomen wahrgenommen, muß erkannt werden. Erst die Vernunft ermöglicht dieses, man könnte sagen, erkennende Lachen, das ihm als höchste Form gilt; ja, der Verstand ist es, der idealerweise lacht und der sich doch gänzlich seine Urteilsfähigkeit bewahrt. Dieses Lachen setzt die Ratio nicht außer Kraft, es stellt keine Bedrohung der Vernunft dar, vielmehr äußert sich gerade darin die menschliche Vernunfttätigkeit. Daß diese Erkenntnisleistung nicht zwangsläufig mit einer Herabsetzung des erheiternden Objektes verbunden sein muß, wurde bereits an anderer Stelle ausführlicher erörtert. Auch wenn Lessing diese Art des Lachens im Sinne eines rationalen Erkenntnisprozesses bevorzugt, weiß er doch ande-
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1. Teil: Lessings Komödientheorie
rerseits um die unhemmbare Lust, das reine Vergnügen des Lachens, wie es im Possenspiel, zum Teil mit der niederen Komik oder auch in den Harlekinaden erfahrbar wird. Nun ist es nicht mehr der Verstand, der lacht, hier wird nur der Bauch erschüttert, hier vermag es als bloß vergnügtes Lachen tatsächlich Denkvorgänge und moralische Urteile aufzuheben. Wie Lessing diese Theorie in seinen Komödien umsetzt, seine Werke die poetologischen Erkenntnisse bestätigen und teilweise, wie im Falle der frühen Lustspiele, schon vorwegnehmen und schließlich Minna von Barnhelm unterschiedliche Möglichkeiten des Lachens und Weinens auf die Bühne bringt, wird nun im folgenden zu untersuchen sein.
Zweiter Teil
Lessings Komödien I. Die frühen Lustspiele Lessings theoretische Beschäftigung mit der Komödie ist eng verwoben mit seinem dramatischen Schaffensprozeß. Keineswegs jedoch dürfen seine Komödien als bloße praktische Umsetzungen poetologischer Überlegungen verstanden werden; Lessings Lustspiele zeigen durchaus originelle, vielfach die theoretischen Ansätze übersteigende oder gar verneinende Gestaltungsmöglichkeiten des Komischen. Interpretiert werden zunächst die sechs zu Ende geführten Komödien der Frühzeit in der Reihenfolge ihrer Entstehung. Dabei werden jeweils zuerst die Abhängigkeit des Stückes von Vorlagen, Fragen der Entstehungszeit und gegebenenfalls Unterschiede von Fassungen behandelt. Im Mittelpunkt der Analyse stehen sodann die Zeichnung der Titelhelden und der anderen Figuren sowie das Verhältnis der dramatis personae untereinander. Es folgen Beobachtungen zur Struktur des Stückes, besonders zur Intrigenhandlung und zu den Schlußszenen. In diesem Zusammenhang werden u. a. die Charaktere der Figuren und die Art der Handlungsführung aufeinander bezogen und zuletzt auch ihre Wirkung auf das Publikum untersucht. Ein Leitmotiv aller Interpretationen wird schließlich die Frage sein, inwiefern in Lessings frühen Lustspielen dramatische Gestaltung und poetologische Reflexion Hand in Hand gehen oder die frühen Werke schon auf zeitlich spätere theoretische Ansätze vorausweisen. 1. Damon, oder die wahre Freundschaft
Vom Autor selbst wie auch von der Forschungsdiskussion vernachlässigt, blieb Lessings frühe Komödie Damon, oder die wahre Freundschaft! weitgehend unbeachtet? Nach dem Erstdruck im Jahre 1747 in den Ennunte1 Stenzel (in: B I, S. 1008) bezeichnet es als Lessings frühestes verfaßtes Drama. K. G. Lessing (Gotthold Ephraim Lessings Leben, nebst seinem noch übrigen lit-
terarischen Nachlasse. 3 Teile. Faksimile der Ausgabe Berlin 1795. Ann Arbor, London 1979, S. 329) vermerkt in seiner Lebensbeschreibung des Bruders lediglich, daß dieses "zu allererst und noch eher gedruckt, als der junge Gelehrte" erschienen sei.
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2. Teil: Lessings Komödien
rungen zum Vergnügen des Gemüts 3 wurde der Einakter zusammen mit dem Stück Die alte Jungfer erst wieder 1770 durch eine nicht autorisierte Veröffentlichung in Christian Heinrich Schmids Anthologie der Deutschen zugänglich. 4 Über diesen Raubdruck zeigte sich Lessing sehr verärgert, sowohl aus editorischen Gründen 5 als auch aufgrund mangelnder literarischer 2 Eigenständige Untersuchungen zu diesem Stück fehlen fast gänzlich, einzig Robert Eric Rentschler ("Damon, oder die wahre Freundschaft". Lessing's First Polemic, in: Modem Language Quarterly 40, 1979, S. 155-174) und Herbert H. J. Peisei (Damon und Leander. Eine kleine Studie zur weiteren Förderung der Einfühlung in die Geistes- und Gemütswelt Lessings, in: The German Quarterly 34, 1961, S. 385-408) widmen sich ausführlicher diesem Stück. Peisel (S. 385) sieht hier philosophische Ansätze späteren Lessingschen Gedankengutes vorweggenommen: "Es läßt sich vermuten, daß dem Schöpfer dieser Dichtung, war sie auch schon lange vor der Entstehung der Dramaturgie geschrieben, an weit mehr gelegen war, als der Titel derselben dem Leser verkündet." - Ähnlich urteilt auch Rentschler ("Damon, oder die wahre Freundschaft", S. 165), wenn er Damon nicht ganz stichhaltig das erste Gesinnungsdrama Lessings nennt, das zugleich als eine gegen Gellerts Vorstellungsweit gerichtete "satire of the Saxon Freundschaftskultus" zu interpretieren sei. - Nur am Rande wird Die wahre Freundschaft von Hinck (Das deutsche Lustspiel des 17. und 18. Jahrhunderts, S. 269) als ein "dilettantischer Versuch" erwähnt; Schwächen attestiert auch Steinmetz' (Die Komödie der Aufklärung, S. 64 f.) kaum freundlichere Wertung. - Im Zusammenhang mit der Frage nach der Gestaltung der Freundschaft im Lustspiel stellt Mi-Hyun An (S. 119-126) die im Damon noch vorliegenden zeitüblichen Schemata heraus, von denen sich Lessing mit seinen nachfolgenden Werken Der Freygeist und Die Juden löse. - Die Figur der einzigen Bediensteten dieses Stückes, Lisette, untersucht Alison Scott-Prelorentzos (The Servant in German Enlightenment Comedy. Alberta 1982, S. 68-70) in ihrer Monographie. Ebenfalls die Funktion der Lisettenfigur, die in allen Jugendlustspielen vertreten ist, bestimmt Robert Eric Rentschler (Lisette, the Laugher, in: Lessing Yearbook 10, 1978, S. 46-64) eingehender und kristallisiert drei unterschiedliche Stadien ihres Einsatzes heraus: als "abrasive laugher" im Damon und im Jungen Gelehrten, als "upstaged laugher" für Die alte Jungfer und den Misogyn und schließlich als "superfluous laugher" in den Juden und im Freygeist heraus. - Der sprachlichen Gestaltung des Einakters wendet sich Michael M. Metzger (Lessing and the Language of Comedy. Den Haag, Paris 1966 (Studies in German Literature 3), S. 57-65) zu. - Die erstaunliche Leistung dieser frühen dramatischen Arbeit erkennt als einer der wenigen Herbert Rosendorfer (Lessings Komödien vor "Minna von Bamhelm", in: Lessing heute. Beiträge zur Wirkungsgeschichte. Hrsg. von Edward Dvoretzky. Stuttgart 2 1984 (Stuttgarter Arbeiten zur Germanistik), S. 246-279, hier S. 253), wenngleich er im folgenden bei seiner Klassifikation des Dramenpersonals als einer typisierten oder einer dem Charakter sich nähernden Figur irrt. 3 Ermunterungen zum Vergnügen des Gemüths. Hrsg. von Christlob Mylius. 7. Stück. Bd. 1. Hamburg 1747, S. 515-551. 4 Ebenfalls nicht autorisiert war eine weitere Veröffentlichung wenige Jahre später: Gotthold Ephraim Lessings zwei Lustspiele. 1. Damon. 2. Die alte Jungfer. Frankfurt, Leipzig bei Johann Georg Fischer 1775. 5 Vgl. dazu Lessing an Christian Friedrich Voß, 5. Januar 1770: LM 17, S. 312: "aber doch möchte ich nun auch gern endlich einmal den übrigen Rest meiner Schriften wieder in das Publicum bringen; ich laufe sonst Gefahr, daß man mir es
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Qualität, wie er - ohne allerdings diese Werke ausdrücklich zu nennen noch in der Vorrede zum dritten Teil seiner Schriften (1753-55) andeutete: "Ich schliesse davon alle diejenigen [Stücke] aus, welche hier und da unglücklicher Weise schon das Licht gesehen haben. ,,6 Dennoch war dieser Einakter den Zeitgenossen nicht unbekannt, denn entgegen der tradierten Auffassung, Damon, oder die wahre Freundschaft sei nicht für die Bühne geschrieben und niemals aufgeführt worden,7 belegen die auf uns gekommenen Theaterzettel der renommierten Schauspielergesellschaft Johann Friedrich Schönemanns eine Inszenierung dieses Stückes in Rostock für den 8. März 1753 als komisches Nachspiel. Ein fester Bestandteil des Repertoires dieses Ensembles war es ebenso während des Hamburger Aufenthaltes von 1753, drei weitere Aufführungen sowie erneut zwei sind wiederum in der Hansestadt für die Jahre 1754 und 1756 nachweisbar. 8 Ungeachtet Lessings eigenem Urteil läßt dieses Frühwerk des Dichters eine keineswegs so ungeschickte Konzeption und Anlage erkennen, wie sich zunächst auch aufgrund des mangelnden wissenschaftlichen Interesses vermuten ließe. Die Opinio communis der Forschung, Damon, oder die wahre Freundschaft lediglich als eine "ungelenke Schülerarbeit" und einen "dilettantischen Versuch,,9 zu bewerten, verkennt jedoch die durchdachte mit mehrem so macht, wie es der Schurke von Anthologisten mit der alten Jungfer und der Freundschaft gemacht hat." 6 G. E. Leßings Schrifften. Dritter Theil. Vorrede: LM 5, S. 271. 7 Vgl. Metzger, S. 57. 8 V gl. Hans Devrient, Johann Friedrich Schönemann und seine Schauspielergesellschaft. Ein Beitrag zur Theatergeschichte des 18. Jahrhunderts. Nachdruck der Ausgabe Hamburg und Leipzig 1895. Nendeln 1978, S. 206, 256, 355 f. - Vgl. auch Ursula Schuh, Lessing auf der Bühne. Chronik der Theateraufführungen 1748-1789. Bremen, Wolfenbüttel (Repertorien zur Erforschung der frühen Neuzeit 2), S. 173. - Nach Devrient (S. 219, 356) wurde Damon, oder die wahre Freundschaft auch in der Sitzung vom 7. Juli 1753 der neu ins Leben gerufenen Akademie der Schönernannischen Gesellschaft im Rahmen der Komödien und Nachspiele erörtert. 9 Hinck, Das deutsche Lustspiel des 17. und 18. Jahrhunderts, S. 269. - Dem Urteil Schmidts (Lessing, Bd. 1, S. 130), der Damon, oder die wahre Freundschaft eine schwächliche Primanerarbeit ohne Welt- und Theaterkenntnis nennt, schließt sich auch Metzger (S. 58) an. Dieser Vorwurf eines "Lehrlingsstückes" findet sich im übrigen schon in einer Rezension Christian Heinrich Schmids (vgl. B 1, S. 1263) aus dem Jahre 1770, die jedoch insgesamt dem Damon nicht gerecht wird. Ebenso negativ urteilte Lessings Bruder: Es [Darnon] ist wirklich das Unausgearbeitetste und Kahleste, was er [Lessing] für das Theater geschrieben. Käme jetzt ein solches Stück zum Vorschein, wir würden schwerlich einen Verfasser der Minna von Barnhelm daraus prophezeihen. Außer dem fließenden und verständlichen Dialog und ein paar guten, den Personen aber nichts weniger als passenden Einfallen, wüßte ich nichts daran zu rühmen; und gleichwohl wäre aus dem Stoffe viel zu machen. [... ] Hier konnten ihm alle Beispiele, alle Dichter von allen Nationen nichts helfen; noch weniger sein
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und durchaus innovative Anlage dieses Stückes, das zwar ohne Zweifel in der Ausführung noch Schwächen zeigt, aber nicht zuletzt in verschiedenen Punkten den späteren dramatischen Künstler verspricht. Darin ausschließlich, wie Hinck, eine "komische Paraphrase über den lehrreichen Satz, daß man nicht von der Freundschaft reden, sondern sie durch die Tat beweisen solle"lO, zu sehen, wird dem Charakter dieses Werkes nicht gerecht, zeigt sich doch hier wie vielfach in Lessings frühen Lustspielen zwar eine Übernahme tradierter Elemente und Schemata unterschiedlicher Komödienformen, die aber im Damon modifiziert und in Frage gestellt werden. 1 1 Erstaunlich mutet wohl zunächst an, daß gerade eines der frühesten Werke Lessings stark dem rührenden Lustspiel zuneigt. Hier wird kein lasterhafter Protagonist (mit Ausnahme der Nebenfigur Orontes, die vollauf dem satirischen Typ entspricht) dem Spott und Gelächter preisgegeben, sondern in Damon begegnet offenbar eine jener sympathisch-edlen Figuren, welche die Rührkomödien der Zeit bevölkern. Ein Blick auf die weiteren Werke dieser frühen Phase zeigt allerdings rasch, daß Lessing in diesen Jahren 1747-1749 offenbar mit allen bekannten Gattungen und Formen der Komödie experimentierte, sich neben satirischen Stücken zum rührenden Spiel tendierende Versuche ebenso wie der Posse nahestehende Beispiele finden. 12 Damon, oder die wahre Freundschaft ist damit als eine Erprobung von vorgefundenen Traditionen, als Lessings Übung und Spiel mit den zeitgenössischen Modellen zu sehen, die zugleich erste Modifikationen spüren lassen. Bereits der Titel, der mit "Darnon, oder die wahre Freundschaft" nicht, wie vielfach üblich, das behandelte Laster oder eine satirisch vorgeführte Personengruppe nennt, indiziert, daß es in diesem Stück wohl kaum um das Verlachen eines Fehlers gehen kann. Neben Minna von Barnhelm ist dies vielmehr die einzige Komödie Lessings, die den Namen ihres Protagonisten schon im Werktitel nennt. Damit steht wie später in seinem berühmtesten Lustspiel, mit dem Damon durchaus kleine Berührungspunkte zeigt, kein Typ, sondern ein Individuum im Mittelpunkt des Geschehens, für dessen positives Ende wie in der Minna der Zuschauer/Leser fürchten muß. fleiß und sein Witz. Was weiß ein achtzehnjähriger Jüngling von den mannigfachen Falten der Liebe und Freundschaft? Es konnte nichts Kluges werden, oder es mußte etwas ganz anders werden. (Gotthold Ephraim Lessings Leben, S. 330 f.) 10 Hinck, Das deutsche Lustspiel des 17. und 18. Jahrhunderts, S. 269. Jl Vgl. Mi-Hyun An, S. 96. - Steinmetz (Die Komödie der Aufklärung, S. 65 f.) sieht hingegen die frühen Komödien mit Ausnahme der Juden und des Freygeistes als typische Beispiele der zeitgenössischen Praxis, die sich allenfalls in ihrer sprachlichen Gestaltung abheben. 12 Neben diesen komischen Stücken und Fragmenten sind ebenso tragische Bearbeitungen, der Versuch eines Schäferspieles sowie einer Possenoper überliefert.
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Gleichwohl will Lessing mit diesem Charakter noch ganz der Wirkungsästhetik der Zeit entsprechend einen moralischen Satz illustrieren, der entgegen Lessings späteren Ausführungen in den Rezensionen hier noch sehr augenscheinlich von Damon formuliert wird, nämlich "daß es etwas schwerer sey, die Pflichten der Freundschaft auszuüben, als von ihr entzücket zu reden,,13. Das entscheidend Neue, das Damon zu einer beachtenswerten Station in Lessings Lustspielentwicklung macht, liegt nun zum einen in der Personenzeichnung Damons begründet, zum andern in Lessings Versuch, hier Elemente der rührenden und satirischen Komödie zum Teil in neuer Funktion zu vereinen. Bereits die Exposition, der erste Auftritt, macht im Gespräch von Witwe und Kammerzofe deutlich, daß sich in diesem Einakter rührende und satirische Wesenszüge vermengen, Satire und Rührstück aufeinandertreffen oder sich zum Teil gar im Widerstreit befinden. Während die namenlose Herrin mit dem Lob der Freundschaft den empfindsamen Ton anschlägt, vertritt Lisette, die als stehende Figur im Personenverzeichnis nicht näher bezeichnet werden muß, in Sprache und Gebaren eindeutig das Prinzip der Typenkomödie, das ihre Vorstellungswelt völlig prägt: Damon ist also des Leanders Nebenbuhler, und Leander des Damons. Und gleichwohl sind Leander und Damon die besten Freunde? Das wäre eine neue Mode. Wider die streite ich mit Händen und Füssen. Was? Nebenbuhler, die sich nicht unter einander zanken, verleumden, schimpfen, betrügen, herausfordern, schlagen, das wären mir artige Creaturen. Nein. [... ] Unter Nebenbuhlern muß Feindschaft seyn, oder sie sind keine Nebenbuhler. 14 So kann sie dem Freundschaftskult ihrer Herrin: Kann ich nicht beyder Liebste werden, so kann ich doch wohl beyder Freundinn seyn. Ja, gewiß, die Freundschaft kömmt mir itzt viel reizender vor, als die Liebe. Ich muß dieses dem Exempel meiner zärtlichen Liebhaber zuschreiben. 15 nur Kopfschütteln und ihr Unverständnis entgegensetzen, daß "die Liebe nicht stärker seyn sollte, als die Freundschaft". Mit diesem Zweifel formuliert sie gleichsam einen zweiten, vom Schema der Typenkomödie bestimmten Satz, der im folgenden ihr Handeln bestimmt, ein Satz, der schließlich von Damon als einem der rührenden Gattung zuneigenden Protagonisten ad absurdum geführt werden wird. Ganz im Stil der satirischen Komödie übernimmt sie es nun als die Dienerfigur, ihre Behauptung mit Hilfe des Vorschlages zu verifizieren, den finanziell Erfolgreichsten zu erhören. Diese Intrige zielt meines Erachtens nicht, wie gemeinhin angenommen, darauf, den wahren Charakter beider Werber zu ergründen,16 Lisette geht es lediglich darum, durch dieses Manöver Damon und Leander zu ei13
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Lessing, Damon, letzter Auftritt: LM 3, S. 200. Ebd., 1. Auftritt, S. 179. Ebd., S. 180.
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nem in ihren Augen typgerechten Verhalten eines Nebenbuhlers zu zwingen. Von einer Erprobung der Gesinnung oder gar einem Argwohn gegenüber Leander fällt aus dem Munde der Zofe hier kein Wort. Nicht zuletzt setzt sie damit auch die von ihrer Herrin erwähnte Konfliktmöglichkeit, nämlich ihre beiden Bewerber durch ihre "Gunstbezeigungen [... ] ein wenig uneinig" zu machen, in die Tat um. Bereits in der ersten Szene erfüllt Lisette damit vollauf den Part des gewitzten und schlagfertigen Kammermädchens der satirischen Komödie, das seine Scherze auch durchaus auf Kosten der Herrschaft macht und diese anscheinend nach ihrem Gutdünken zu lenken weiß. Inwiefern sich indes die Witwe wirklich ihre "eigenen Schwärmereyen" durch die Zofe entlocken läßt, ist durchaus fraglich, nachdem diese konjunktivisch formuliert und am Ende mit einem "was wäre es nun mehr?" relativiert werden. Die Form dieser Aussage und eben jene fragende Skepsis aus dem Munde der Witwe lassen durchaus, vergleichbar dem Jungen Gelehrten, an eine vorsichtige Kritik und Zweifel gegenüber dem typisierenden und intriganten Vorgehen der Typenkomödie denken. Zunächst scheint jedoch gerade dieses Handlungsschema der Verlach-Komödie zu gelingen, die Herrin akzeptiert den vorgeschlagenen Winkelzug: "Ich lasse mir es gefallen. Nur - - _,,17. Daß die Witwe indes den Rat Lisettens in einem anderen Sinne anwendet, die Intrige nicht als Auslöser für ein typisches Nebenbuhlerverhalten nützt, sondern diese zu einer verborgenen Tugendprobe werden läßt, offenbart erst der überraschende Schluß, wenn die Witwe den sich als wahren Freund bewährenden Damon wählt. Einzig die Partikel "nur" mit den folgenden Gedankenstrichen deutet am Ende des ersten Auftritts auf einen von Lisettens Absicht unterschiedenen Einsatz der Intrige hin, der dieser ebenso wie dem Publikum vorerst noch verborgen bleibt. Die tragende Rolle im Ränkespiel nimmt zwar im Damon wie üblich eine Dienerfigur ein, doch neben Lisette kommt nunmehr im letzten Auftritt der Witwe die entscheidende Bedeutung zu, den Knoten dieses Planes auf unerwartete Weise zu lösen. Wenngleich in diesem frühen Stück die Herrin noch nicht wie später Minna die Fäden des Spieles zieht, zeichnet sich doch eine erste Akzentverschiebung innerhalb des tradierten Intrigenschemas ab, das hier zudem in eine überwiegend rührende Gestaltung eingegliedert wird. 18 16 Vgl. Scott-Prelorentzos, The Servant in German Enlightenment Comedy, S. 69.Rentschler, Lisette, the Laugher, S. 48 f. - Ders., "Damon, oder die wahre Freundschaft", S. 166 f. 17 Lessing, Damon, 1. Auftritt: LM 3, S. 182. 18 Steinmetz (Die Komödie der Aufklärung, S. 55) konstatiert schon für die Zärtlichen Schwestern, daß das satirische Intrigenschema neuen Zwecken diene und Teil einer umfassenden Tugendprüfung werde; allerdings hat Gellert den Grundaufbau
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Im folgenden übernimmt es Lisette, die Verwicklung zu initiieren, indem sie sowohl Damon als auch Leander mit der angeblichen Entscheidung ihrer Herrin konfrontiert, den Erfolgreichsten zu heiraten. Während jedoch Damon ganz der redliche Freund bleibt, Lisettens spöttische Reden zurückweist, löst die Nachricht bei seinem Mitbewerber eine weniger tugendsame Reaktion aus. Leander entpuppt sich im 4. Auftritt als ein schwacher und falscher Freund, der bereit ist, seinen Gefährten um des eigenen Vorteils, d. h. um der Hand der Witwe willen zu hintergehen. Allzu rasch wechselt er die Gesinnung und billigt Lisettens Rat, Damon zu einem für ihn vorteilhaften Tausch der Kapitalien zu bewegen: "Euer Rath ist gut. Und auch der Vorwand scheinet mir scheinbar genug zu seyn.'d9 Zweifel an der Richtigkeit seines Vorgehens kommen dieser Figur nicht mehr in den Sinn; so bedrückt Leander nicht die geplante Unredlichkeit gegenüber dem Freunde, sondern sorgt sich einzig um das Gelingen seines Planes. 2o Wenngleich Leander hier den Vorgaben einer typisierten Komödienfigur entspricht, so sind doch erste, zarte Versuche einer Motivierung dieser Handlungsweise spürbar. Leander betritt nicht sogleich als falscher Freund und Lastertyp die Bühne, der von Beginn an von der Dienerschaft durchschaut, von der Herrschaft hingegen verteidigt wird. Die Freundschaft Leanders und Damons wird vielmehr zunächst überzeugend aus dem Munde der Witwe versichert. Ihr mangelt es zwar an Individualität, dies zeigt nicht zuletzt auch ihre Namenlosigkeit an, trotzdem stellt sie keineswegs eine leicht zu täuschende oder naive Person dar, die den Schwächen ihrer Mitmenschen gegenüber blind wäre. So wußte sie ihre übrigen Freier sehr wohl zu beurteilen, wenn sie diese "theils eitle verliebte Hasen, theils eigennützige niederträchtige Seelen,,21 heißt und "allen den Abschied gegeben [hat], die nicht selbst so klug waren, ihn zu nehmen". Einzig die beiden Freunde unterschieden sich mit ihrem Verhalten, indem sie einander nicht auszustechen suchten und einer "dem andern das Wort [redete], Damon dem Leander, und Leander dem Damon. Beyde [aber ... ] von ihren eigenen Angelegenheiten [schwiegen],m. An der Aufrichtigkeit ihrer Freundschaft scheint in der ersten Szene noch kein Zweifel zu sein. 23 Weder die umworbene Witwe oder Damon noch, wie sonst üblich, das Kamder Intrige der satirischen Komödie, die einen Fehler zum Schein ernst nimmt, um so den Fehlerhaften zu heilen, im Gegensatz zu Lessings Damon nicht verändert. 19 Lessing, Damon, 4. Auftritt: LM 3, S. 188. 20 Vgl. ebd. 21 Ebd., 1. Auftritt, S. 180. 22 Ebd., S. 179. 23 Für eine wirkliche Freundschaft spricht auch Lisettens Bemerkung an späterer Stelle, daß beide schon früher darüber nachdachten, ihr Vermögen zu tauschen (vgl. ebd., 4. Auftritt, S. 187). 9*
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mennädchen erkennen hier bereits Leanders Schwäche. Scott-Prelorentzos These, Lisette durchschaue ganz in der Manier der tradierten Zofe den falschen Freund von Beginn an,24 läßt sich am Text nicht recht belegen. Zwar äußert sie sich im Gespräch mit Damon negativ über Leander: Wenn Sie nur deswegen etwa hergekommen sind angenehme Lügen und entzükkende Gedanken von Ihrem Freunde zu hören; verziehen Sie, verziehen Sie, ich will es so gut machen, als er,z5
Diese Bemerkung resultiert aber wohl weniger aus Lisettens Weitsicht und Menschenkenntnis; vielmehr dient sie dazu, in Damon Mißtrauen gegen den Freund zu säen, um so ein nach ihrer Meinung rechtes, d. h. von Neid und Streit geprägtes Verhalten zweier Konkurrenten zu erreichen. Ein ähnliches Mittel, nur dieses Mal ins Positive gekehrt, wendet Lisette übrigens auch gegenüber Leander an, den sie durch ein übertriebenes Lob des Freundes zu negativen Äußerungen verleiten will. Ihre Bemerkung, mit der sie am Ende dieses Gespräches den Erfolg ihres Schachzuges und Leanders eilige Verwandlung kommentiert - "Nun, das hätte ich mir nicht vennuthet.,,26 zeigt deutlich, daß auch sie bisher ahnungslos war, es ihr nicht um die Entlarvung eines Lasterhaften zu tun war. 27 Die Schwäche Leanders tritt somit nicht von Beginn an offen zu Tage, Lessing sucht diese vielmehr in Ansätzen zu motivieren und geht damit über die Gründe für die Verfehlungen von Leanders lasterhaften zeitgenössischen Kollegen hinaus. Eine Gestaltungsvorlage könnte Lessing möglicherweise in Gellerts Ziirtlichen Schwestern vorgefunden haben. 28 Auch dort entlarvt sich der zunächst ehrenhaft scheinende Herr Siegmund, der wie Leander nicht durch einen von vorneherein sprechenden Namen gekennzeichnet ist, erst im Laufe der Handlung als unaufrichtiger Geliebter. Die Motivierung dieses Umschwungs erweist sich allerdings im Gegensatz zu Damon, oder die wahre Freundschaft als weniger überzeugend. Geben für Siegmund rein finanzielle Überlegungen den Ausschlag, so weiß Lessing den Sinnes wandel seiner Figur menschlich plausibler zu inszenieren. Ohnehin schon unglücklich über den Verlust seines Schiffes und seines Vennögens, droht Leander nun aus diesem Grunde auch der Verlust der Geliebten. Erst als sich die Gewichte bei Vgl. Scott-Prelorentzos, The Servant in German Enlightenment Comedy, S. 69. Lessing, Damon, 2. Auftritt: LM 3, S. 182. 26 Ebd., 4. Auftritt, S. 189. - Auch die Bemerkung: "Huh! ist das der standhafte Freund? So leicht läßt er sich bereden?" (ebd., S. 187) zeigt Lisettens Überraschung ob dieser Wendung. 27 Gegen eine von Spiel beginn an feststehende Einsicht Lisettens in Leanders üble Absichten spricht ebenfalls, daß sie ganz entgegen tradierten Modellen dieses Wissen nicht ihrer Herrin kundtut und diese von ihrer Gutgläubigkeit zu überzeugen sucht. 28 Vgl. auch Stenzel (in: B 1, S. 1009), für den der entlarvte Leander der Figur des schäbigen Siegmund entspricht. 24
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der Werbung um die schöne Witwe zu seinen Ungunsten verschieben, demaskiert er sich, schnell genug allerdings, als treuloser Gefährte und bestätigt auf diese Weise Lisettens Typenmaxime, daß Liebe stärker als Freundschaft sein muß. Obwohl sich also erste, vorsichtige Ansätze einer Erklärung des Geschehens finden, eine gewisse Psychologisierung der Figur wie in anderen Frühwerken Lessings spürbar wird, tritt uns Leander nach seinem Wandel als reine Typenfigur entgegen, die von nun an nur noch die negative Seite ihres Wesens präsentiert. Diese Lasterhaftigkeit wird jedoch kaum karikiert und dem Verlachen preisgegeben, einzig die sprachlich-stilistische Rechtfertigung seiner betrügerischen Vorgehensweise, die er sogar noch als für Damon nützliche Tat deuten kann, trägt erkennbare Züge einer satirischen Gestaltung: Ich weis es gewiß, mein Freund würde, wenn ich mein Vermögen verlöhre, nicht großmüthig genug seyn können, die Pflichten, die er mir alsdenn, vermöge unsers Bundes, schuldig wäre, auszuüben. Ich will ihn derohalben von dem gewissen Schimpfe, von der Nachwelt ein ungetreuer Freund genennet zu werden, befreyen. Meiner Seits aber will ich ihm zeigen, daß meine Reden vollkommen mit meinen Thaten übereinstimmen. Er soll die Hälfte meines Vermögens haben. 29
Leander gleicht damit nicht mehr jenen Toren der satirischen Typenkomödie oder auch den erheiternden Protagonisten eines rührenden Spieles, wie z. B. der Betschwester, die durch den Spott der Nebenfiguren zur Einsicht ihrer Fehler geführt werden müssen. In diesem Sinne wird Leanders Untugend nicht als lächerliches Vergehen in verschiedenen komischen Situationen behandelt, sondern lediglich durch den Widerspruch zwischen seiner unehrenhaften Absicht und seiner sprachlichen Treuebekundung30 demonstriert. Daß indes diese gefühlvolle Wesensbestimmung der Freundschaft, die an die wortreichen Tugendbekundungen der Stücke Gellerts denken läßt, aus dem Munde eines offensichtlich schwachen Partners stammt und vom tugendhaften Pendant als nicht realisierbares Ideal betrachtet wird, kann durchaus als Skepsis gegenüber dem zeitgenössischen schwärmerischen Freundschaftskult,31 ebenso aber gegenüber den Inhalten der Rührkomödie interpretiert werden, selbst wenn am Ende die großmütige Verzeihung den Einfluß der Comedie larmoyante voll zu bestätigen scheint.
Lessing, Damon, 4. Auftritt: LM 3, S. 188. Nach Metzger (S. 62) läßt Leanders und Damons vielfach abstrakte Sprache echte Gefühlsregungen vermissen, "many words are used as part of a ritual friendship". Gleichwohl sieht er, vor allem im Dialog des 5. Auftrittes ein kunstvolles Spiel Lessings, "with wich Leander's insincere use of the current rhetoric of friendship is nicley satirized" (S. 63). 31 Vgl. Stenzel, in: B 1, S. 1009. 29
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Bereits die Auftritte 2 und 4 hatten die unterschiedliche Geisteshaltung der beiden angeblichen Freunde sichtbar gemacht. Während Leander sich durch Lisette nicht nur zu dem kleinen Vorwurf: Damon, ja Damon - - - - 0 hätte er mein Herz - - - - Aber, aber - - ich weis, das wahre Zärtliche in der Freundschaft hat er nie recht empfinden wollen 32
sondern zu einem Betrug am Freund verleiten läßt, legt Damon der Geliebten selbst den überbrachten Entschluß als eine niederträchtige Handlungsweise zur Last. An mögliche Konsequenzen für seine eigene Werbung denkt er zunächst nicht, sondern sinnt seinerseits auf eine List, den Plan der Witwe zu vereiteln. Das Motiv einer gegenläufigen zweiten Intrigenhandlung wird hierin greifbar. Auch wenn Damon nicht so beredt die Tugenden der Freundschaft zu schildern vermag, ja sogar von seiner eigenen Treue nicht recht überzeugt ist, bewährt er sich im folgenden als der eigentlich wahre Freund. Gleichwohl unterscheidet er sich nachhaltig von den rührenden Charakteren Gellerts, die in ihrer absoluten Tugendhaftigkeit ebenso stereotyp wie ihre lasterhaften Kollegen der satirischen Komödie wirken. Damon ist zwar, wie die übrigen dramatis personae der zeitgenössischen Lustspiele, noch zeit- und geschichtslos. Wir erfahren über seine Biographie nichts, gleichwohl kündigt sich mit ihm bereits der "vermischte Charakter" an. So hegt der Monolog im 6. Auftritt nicht nur ersten Argwohn am eloquenten Freund - "Ob auch wohl Leander so denkt, als er redet?,,33 - und steht, wenn auch nur kurz, in der Versuchung, dessen Beteuerungen auf die Probe zu stellen, Damon reflektiert auch über sich selbst und wird sich seiner Schwächen bewußt: Gesetzt ich würde von ihm beleidigt - - - ich würde so von ihm beleidigt - - als er von mir sich wünschte, beleidiget zu werden - - - - würde ich wohl - - - nein - - ich mag mir nicht schmeicheln - - - ich würde - - ich würde viel zu schwach seyn, es ihm zu vergeben [... ] Gesetzt, Leander würde durch sie [die Witwe] glücklich - - - werde ich sein Freund bleiben können? - - - Ich zittere - - ja - ich fühle meine Schwäche - - - ich würde auf ihn zürnen - - - ich würde neidisch werden - - - ach - - ich schäme mich recht vor mir selbst _ _ _34
Diese bisher in der Forschung nicht beachteten Zweifel und das Eingestehen der eigenen Schwäche erweisen sich für eine Klassifizierung dieser Figur als ungemein bedeutsam und heben sie aus dem Lustspielpersonal der Zeit heraus. Im Gegensatz zu Leander, der in keiner Weise über sein Verhalten nachsinnt bzw. dieses sogar mit seinen Phrasen über die Freundschaft in Einklang sieht, ist bei Damon ein deutliches inneres Ringen um 32 33 34
Lessing, Damon, 4. Auftritt: LM 3, S. 187. Ebd., 6. Auftritt, S. 193. Ebd.
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Selbsterkenntnis spürbar. Dies spiegelt nicht zuletzt die Form des Monologes wider, die mit Ellipsen, Anakoluthen, Aposiopesen und zahlreichen Gedankenstrichen diesen so modemen Reflexionsprozeß, aber auch die Erregung Damons umsetzt und sich dabei fast dem "stream of consciousness" nähert?5 Schon im Gespräch mit Leander hatte Damon diese Seite seines Wesens offenbart, wenn er die Möglichkeit eines Versagens seiner Freundschaft und Nachsicht andeutete?6 Damon steht damit nicht einseitig nur für die tugendhafte Welt wie die Protagonisten der Gellertschen Lustspiele. In ihm sind ebenso negative Züge und menschliche Unzulänglichkeiten angelegt, die jedoch nur sprachlich in diesem Gedankengang in Erscheinung treten und es Lessing ermöglichen, die Klippe eines in der Hamburgischen Dramaturgie schließlich zurückgewiesenen vollkommenen Charakters37 zu umgehen. Ohne Zweifel ist Damon damit eine der am weitesten entwickelten Persönlichkeiten in Lessings Frühwerk, die jenem in der Hamburgischen Dramaturgie propagierten gemischten Charakter, der nicht mehr typisiert nur einen Wesenszug besitzt, sondern der Lichter und Schatten vereint, sehr nahe kommt. Selbst Lessings Bestimmung im 29. Stück, daß auch in guten Eigenschaften Lächerliches verborgen sein kann, scheint sich in Damon erstmals vage anzudeuten. Seine fast bis zum letzten Auftritt immer wieder verteidigte hohe Meinung von dem treulosen Freund kann dem Rezipienten wohl durchaus ein nachsichtiges Schmunzeln entlocken, das sich jedoch vom Verlachen unter Gottscheds Ägide unterscheidet. In seinem (fast krampfhaften) Glauben an die Treue des Freundes wird Damon wie später Tellheim zu einem gewissen Grade in ein lächerliches Licht gerückt. Ganz im Sinne einer gemischten Figur kann Damon auch nicht einfach einer bestimmten Denk- oder Verhaltensweise zugeordnet werden, verfängt bei ihm die gegenüber den Typenfiguren zumeist wirkungsvolle Intrige nicht - auch dies ist eine Erfahrung, die gerade Lisette als Repräsentantin des Typenschemas schon zu Beginn des Lustspiels machen muß: Nun, der [Damon] hat einen Floh hinter dem Ohre. Aber was hilft mirs? Ich kann itzo aus ihm eben so wenig klug werden, als ZUVOr. 38
Ihr Versuch, Damon zu einem dem Freund nachteiligen Verhalten zu bewegen, schlägt somit fehl, ja droht sich sogar gegen die Witwe selbst zu richten. Diese erste Prüfung seiner Gesinnung wird im 7. Auftritt wiederholt in Gestalt des Vetters Dronte, der Damon vom Untergang seines Schif35 Metzger (S. 64) wertet diese Art der Selbstgespräche, die er "reflective monologues" nennt, als die wichtigste sprachliche Besonderheit des Damon. Ihre Bedeutung für die Figurencharakterisierung wird in diesem Zusammenhang allerdings von Metzger nicht thematisiert. 36 Vgl. Lessing, Damon, 5. Auftritt: LM 3, S. 190. 37 Vgl. Lessing, HD, 86. Stück: LM 10, S. 150. 38 Lessing, Damon, 3. Auftritt: LM 3, S. 185.
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fes in Kenntnis setzt. In derselben Situation wie Leander muß sich nun auch Damon angesichts des Verlustes seines Vermögens und der damit aussichtslos scheinenden Werbung um die liebenswürdige Witwe bewähren. Im Gegensatz zum ungetreuen Pendant weist er jedoch eine Lösung seiner Misere durch unehrliches Verhalten, das ihm Oronte in Form eines vorteilhaften "Banqueroutes" vorschlägt, entschieden von sich und verurteilt nicht zuletzt ebenjenes Vorgehen des Vetters als niederträchtig und unehrenhaft?9 Der folgende Monolog relativiert allerdings diese in der Auseinandersetzung mit Oronte evozierte ausschließlich tugendsame Charakterisierung Damons und läßt ihn wieder als vermischten Charakter kenntlich werden. Erneut wird der Protagonist von Selbstzweifeln und einem durch den Vetter gesäten Mißtrauen gegenüber Leander geplagt, das hier aber noch wie bereits im 6. Auftritt unterdrückt werden kann. 4o Damon zeigt sich damit nicht bereit, das gängige komödiantische Mittel, den mutmaßlichen Betrüger seinerseits wieder zu hintergehen, anzuwenden. Den erweckten Argwohn weiß allerdings Lisette, die sich in gewohnter Manier über die Blindheit des Protagonisten herzlos lustig macht, noch zu verstärken, obgleich Damon weiterhin bemüht ist, an der Redlichkeit des Vertrauten festzuhalten. Das der Damon-Handlung inhärente Unheil, die Furcht des Rezipienten vor einem unglücklichen Ausgang für die liebenswerteste Figur des Stückes verhindert jedoch hier, daß auch das Publikum, der Leser über die Fehleinschätzung Leanders mit Lisette amüsiert und empfindungslos lacht. Hier wird bereits Lessings spätere Bestimmung des Lachens als einer vermischten Empfindung, bestehend aus Lust und Unlust,41 die der Wesensart des Mitleids verwandt ist, greifbar. Freude und Lust empfindet der Zuschauer in diesem Sinne über die guten Eigenschaften der Lustspielfigur Damon, die so seine Hochachtung gewinnt. Unlust entspringt jedoch aus dem Mißgeschick, das ihm widerfährt, und seinem eigenen Verhalten, das ihn in einem anderen als jenem von Gottsched propagierten lächerlichen Licht erscheinen läßt. Ein verlachendes Gelächter trifft den Protagonisten hier keineswegs mehr. Vollends zur Gewißheit für Damon wird die Untreue des Freundes schließlich im letzten Auftritt, nachdem dieser in Gegenwart Damons den Erfolg seiner Ostindien-Untemehmung herausstreicht und aus diesem Grunde auf eine erfolgreiche Werbung hofft und damit die mit Damon getroffene AbVgl. ebd., 7. Auftritt, S. 195. Diesen inneren Kampf des Eingeständnisses, hintergangen worden zu sein, kennen zwar auch die Hauptfiguren des rührenden Lustspiels, allerdings durchleben sie keinen Konflikt um ihre eigene Tugendhaftigkeit (vgl. z. B. Lottchen in den Zärtlichen Schwestern, Auftritt 14-17: Christian Fürchtegott Gellert, Werke. Hrsg. von Gottfried Honnefelder. Bd. 1. Frankfurt am Main 1979, S. 434-440). 41 Vgl. Lessing an Friedrich Nicolai, im November 1756: LM 17, S. 67. 39
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machung, "Schaden und Gewinnst" zu teilen, verleugnet. Erst jetzt gibt die umworbene Witwe der Intrige ihre überraschende Wendung und enthüllt den für sie von Beginn an feststehenden Sinn einer Tugendprobe. Nicht Leander oder. gar Oronte als die finanziell Potentesten erweisen sich als die Glücklichsten dieses Manövers, sondern Damon, weil er seine "große Seele auf so eine ausnehmende Art zu zeigen,,42 vermochte und darüber hinaus das wahre Wesen seines angeblichen Freundes erfahren konnte. Das für den liebenswürdigen Protagonisten drohende negative Ende wird somit wie in Minna von Bamhelm gerade noch abgewendet und zu einem versöhnenden Abschluß geführt. In ihrer rührenden Gestaltung zeigt diese Schluß szenerie jedoch deutliche Schwächen, da fast alle Figuren in das Typenschema zurückfallen. Leander verwandelt sich ebenso rasch, wie er zu Beginn ein treuloser Freund wurde, wieder in einen treuen Vertrauten, der nun plötzlich sein Unrecht einsieht und ob seines Vergehens vor Scham sterben möchte. Wie in der satirischen Komödie stehen damit am Ende Einsicht und Besserung des Lasterhaften als Voraussetzung für den Verbleib in der Sozietät. 43 Auch Damon verkörpert in dieser letzten Szene nur noch den rein empfindsamen Typ, der ganz im Sinne der gewünschten Korrektur Leander sogleich verzeiht. Mit dieser Versöhnung bewährt sich der Protagonist ein letztes Mal. Seine vormals artikulierten Befürchtungen, einer Vergebung nicht fähig zu sein, werden hier entkräftet. Wenn auch dramatisch nicht recht überzeugend, ist diese Probe aufs Exempel dennoch notwendig, um Damon glaubwürdig von der Schwere wahrer Freundschaft sprechen lassen zu können und als wirkliche, die Freundschaft lebende Gegenfigur zu Leander zu präsentieren. 44 Lessing Lessing, Damon, letzter Auftritt: LM 3, S. 199. Dieser für die Typenkomödie konstitutive Schluß, der für die Rückkehr in die Gesellschaft eine Einsicht der eigenen Fehlerhaftigkeit voraussetzt, wird hier von Lessing expressis verbis formuliert: Leander. Damon - - Ich habe Sie beleidigt. Leben Sie wohl! Damon. Leander, liebster Leander! wohin? Verziehn Sie. Leander. Lassen Sie mich, ich bitte Sie. Ich muß Ihr Angesicht fliehen, ich sterbe vor Scham. Es ist unmöglich, Sie können mir nicht verzeihen. (ebd., letzter Auftritt, S. 200.) 44 Als nicht recht stringent erweist sich Rentschlers ("Damon, oder die wahre Freundschaft", S. 168-170) Wertung dieser Schlußszenerie. Zum einen deutet er sie im Kontrast zu Gellerts Ziirtlichen Schwestern, die am Ende gegenüber dem treulosen Siegmund eben keine Verzeihung und Nachsicht üben, als "the young writer's suspicion of intransingent and complacent virtue", welche er eben im rührenden Lustspiel verkörpert sieht. Rentschlers humanitärer Botschaft des Schlusses widerspricht jedoch seine gleichzeitige Deutung des Damon als satirischer Figur, dessen Treue zu einem offensichtlichen Schurken "grotesque proportions" annehme und nicht zuletzt auf diese Weise Die wahre Freundschaft zu einer Karikatur und Polemik gegen die rührende Komödie werden lasse. 42
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versucht zwar die vorbehaltlose Versöhnung durch eine weitere Lebensmaxime zu rechtfertigen: Bleiben Sie da, mein Freund. Sie haben sich übereilet. Und diese Uebereilung hat der Mensch, und nicht der Freund, begangen. [... ] Ich weis, wie schwer es ist, einen Freund zu finden. Und will man ihn schon des ersten Fehlers wegen verlassen, so wird man Zeit Lebens suchen, und keinen erhalten. 45
Doch vermag auch dies den krassen Umschwung kaum zu mildem. Eine ähnlich rasche Revision ihrer Meinung vollzieht die Witwe im letzten Auftritt. Ihrem harten Urteil: "Gehen Sie. Genießen Sie Ihrer Reichthümer, die just an keinen unwürdigem hätten kommen können"46, läßt sie wie Damon sogleich versöhnliche Worte folgen. Trotz der durch sie initiierten überraschenden Pointe der Intrige ist diese Gestalt als die schwächste Figur des Einakters zu werten, die entsprechend ihrer Namenlosigkeit kaum individuelle Züge entwickeln kann und den Erfordernissen der Handlung untergeordnet ist. In ihrer emotionalen Unentschlossenheit, welchem der bei den Werber sie den Vorzug geben soll, wirkt sie im ersten Auftritt wenig überzeugend, aber auch ihre harte Stellungnahme gegen Leander in der letzten Szene, die den Anschein erweckt, als habe sie ihn von Beginn an durchschaut, überrascht etwas. Am Ende gleicht auch sie in ihrer Großmut den Figuren des empfindsamen Lustspiels. Das Abgleiten ins allzu Rührende verhindert allerdings im letzten Auftritt zunächst noch Oronte als eine satirische Lustspielfigur in Reinform. Schon in der siebten Szene erweist er sich als geldgieriger, auf den finanziellen Vorteil bedachter Typ, der folgerichtig auch sein Umfeld nur unter diesem einzigen Aspekt beurteilt. Neben den mehr oder weniger durch die rührende Komödie inspirierten Personen stellt er die einzige Gestalt dar, die Gottscheds Postulat einer lächerlichen und zugleich lasterhaften Darstellung einer personifizierten negativen Eigenschaft vollauf realisiert. Insbesondere seine Sprache macht mit ihren automatisierten Repetitionen die Typenhaftigkeit dieser Gestalt deutlich. Orontes im wahrsten Sinne des Wortes verkehrte moralische Beurteilung von Vorgängen ist dazu geneigt, im Gegensatz zu Leanders Fehlverhalten moralisch überlegenes Gelächter hervorzurufen: Das nennt Er niederträchtig, versteh Er mich, Vetter, wenn man banqueroute macht? [... ] Habe ich nicht mein ganzes Vermögen dem Banqueroute zu danken. [... ] Was? Was? Versteh Er mich. Das sollen meine Erben thun? [... ] Fünfmal habe ich müssen schwören. Fünfmal hätte ich also umsonst geschworen? Versteh Er mich. Höre Er, Vetter, weil ich sehe, daß Er so wider Recht und Pflicht handeln würde, versteh Er mich, so will ich Ihn fein aus meinem Testamente lassen. 47
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Lessing, Damon, letzter Auftritt: LM 3, S. 200. Ebd. Ebd., 7. Auftritt, S. 195 f.
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Kennzeichnend für die Personengestaltung der Typenkomödie ist zweifelsohne auch Orontes Unverständnis der Situation, die in einer stetig wiederholten Werbung gipfelt. Er allein wird als gänzlich satirische Figur nicht nur hier ob seiner lächerlichen Lasterhaftigkeit ausgelacht, eine Besserung gelingt indes nicht. Der überwiegend rührende Grundtenor des Stückes mag Lessing wohl mit dazu bewogen haben, Damon, oder die wahre Freundschaft schließlich von seiner ersten Werkausgabe auszuschließen, nicht zuletzt, da er der Comedie larmoyante erwiesenermaßen schon seit 1750 eher kritisch gegenüberstand. Der Versuch, in diesem Einakter mit der Kombination rührender und satirischer Elemente eine eigene Form zu finden, konnte offenbar neben Lessings späteren Lustspielen, die zum Teil wiederum diesen frühen Ansatz fortführen, nicht recht bestehen. Gleichwohl kann man Damon, oder die wahre Freundschaft durchaus als ersten Versuch jener 1754 schließlich definierten "wahren Komödie" bezeichnen, die sowohl Tugend als auch Laster zeigt und Lachen und Rührung im Sinne von Scham und Bewunderung hervorzurufen vermag. Die beiden Sentiments stehen indes noch großenteils (zu) isoliert nebeneinander,48 als daß sie, wie Lessing wünscht, auseinander hervorgehen; einzig in der Figur des Damon ist eine wenn auch nur vage Verbindung auszumachen. Diese zu starken Sprünge und Brüche der polaren Empfindungen haben wohl sein negatives Urteil über dieses Frühwerk bestärkt. Wenig gelungen muß dem geübteren Dramendichter die Personengestaltung des Damon mit ihren freilich dramatisch notwendigen Wandlungen eines zuverlässigen Freundes zu einem heuchlerischen erscheinen, der innerhalb einer raschen Szene wieder zum bereuenden Gefährten werden kann; gleiches gilt für die wenig konturierte Figur der Witwe. Derartige Verhaltensmuster sind zwar für die zeitgenössischen Lustspielfiguren nicht ungewöhnlich, sie sind sogar für das Handlungsschema der Typenkomödie unentbehrlich, doch lehnt Lessing nicht erst mit der Hamburgischen Dramaturgie einen radikalen Wandel der Charaktere ab. 49 Bereits die auf Damon, oder die wahre Freundschaft folgenden Komödien vermeiden eine eklatante Umkehrung ihrer dramatis personae, auch wenn sie noch vielfach von Typen bevölkert werden. Einzig in diesem Frühwerk finden sich derartige Brüche in der Persönlichkeit der Figuren, wie sie in einer vollkommenen und plötzlichen Gesinnungsänderung zum Ausdruck kommen. Lessings übrige Protagonisten bleiben trotz Intrigenhandlung wie sie sind, bzw. gestehen lediglich eine Ausnahme ihres Vorurteils ein, d. h. werden im Grunde nicht wirklich geändert.
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Vgl. auch Metzger, S. 65. Vgl. Lessing, HD, 34. Stück: LM 9, S. 325.
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Auch wenn sich in der konkreten Ausführung nicht zuletzt auf Grund der begrenzenden einaktigen Anlage Schwächen zeigen, so ist dieses Lustspiel aus dem Jahre 1747 dennoch den nachfolgenden Werken Lessings in stilistischer und konzeptioneller Hinsicht nicht wesensfremd. Ohne Zweifel schlägt die zum Teil gelungene Dialogführung, man denke insbesondere an die Schlagfertigkeit der Zofe und die erheiternde Sprache Orontes, den Bogen zum späteren Dramaturgen. 5o Wie in späteren Werken ist auch schon im Damon die direkte Komik überwiegend auf der Dienerebene angesiedelt. Allein Lisette und die Nebenfigur des Vetters, der hier die Rolle eines Boten zukommt, sind als die lustigen Personen der Verlach-Komödie kenntlich und tragen in ihrer charakterlichen wie sprachlichen Anlage Merkmale eindeutig satirischer Gestaltung. Die Haupthandlung hingegen ist wie bei den Juden, beim Freygeist, in der Minna von Barnhelm und dem großen Vorbild der frühen Jahre, Plautus' Gefangnen, weitgehend frei von jener Erheiterung, wie sie die Lustspiele Gottschedscher Prägung aufweisen. Der Rezipient vermag vielmehr mit der Figur des Damon zu fühlen und fürchtet für sein Vermögen und Glück. In seinem Grundgedanken einer Verschmelzung rührender und traditionell komödiantischer Elemente steht Damon, oder die wahre Freundschaft damit diesen Werken Lessings, die die zeitgenössischen Vorgaben überwinden, näher als den eindeutig satirischen Beispielen des Jungen Gelehrten, der Alten Jungfer oder des Misogyn. Für eine Anfängerarbeit erstaunlich mutet ebenso die klare und fast symmetrische Struktur dieses Stückes an:
50 Dies wird von den sonst kritischen Stimmen stets als das einzig Bedeutsame dieses frühen Stückes gewertet (vgl. Metzger, S. 58-65. - Steinmetz, Die Komödie der Aufklärung, S. 65. - K. G. Lessing, Gotthold Ephraim Lessings Leben, S. 329). Metzger (S. 63) und Elmar Buck (Die Dramaturgie des Dramatikers Gotthold Ephraim Lessing. Diss. Innsbruck 1970, S. 84) heben insbesondere die Bedeutung des reflektierenden Monologes hervor, der sich ebenso in den Juden, bei Sara und Mellefont, Philotas, Odoardo und Nathan finde. Die von Buck behauptete Profilierung der Dramenfiguren durch die Sprache, wie sie u. a. durch die Wiederholungen Justs in der Minna von Bamhelm und des Patriarchen im Nathan entsteht, dient allerdings kaum einer Individualisierung, vielmehr werden sie von Lessing als traditionelle komödiantische Mechanismen eingesetzt, die Komik erzeugen und gleichzeitig die Sprecher als typisiertes Personal ausweisen.
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I. Auftritt: Exposition: Lisettens Plan 2. Auftritt: Damon/Lisette: Scheitern von Lisettens List 3. Auftritt: Monolog Lisettens 4. Auftritt: Leander/Lisette: nicht bestandene Tugendprobe 5. Auftritt: Leander/Damon: Bestimmung der Freundschaft 6. Auftritt: Monolog Damons: Selbstzweifel 7. Auftritt: Damon/Oronte: bestandene Tugendprobe 8. Auftritt: Monolog Damons 9. Auftritt: Damon/Lisette: Verlachen durch Lisette letzter Auftritt: Schluß: überraschende Lösung
Um die zentrale 5. und 6. Szene, den Dialog der beiden Freunde und Damons Monolog, die eindeutig Aufschluß über die Charaktere der beiden geben, gruppieren sich zwei Blöcke zu je drei Szenen, die wiederum eine symmetrische Anordnung und Bezüge untereinander aufweisen. Als korrespondierende Szenen erscheinen die den Mittelteil einrahmenden Auftritte 4 und 7, die unter gleichen Voraussetzungen, nämlich mit Wissen um den Verlust des Vermögens als Bewährungsproben der Freundschaft gewertet werden müssen. Lisette wird mit ihrer Nachricht ebenso zum Prüfstein für Leander wie Orontes Hiobsbotschaft für Damon. Eng miteinander verquickt sind ebenso der 3. und 8. Auftritt, die zum einen eine wenn auch knappe Beschreibung Damons aus dem Munde der Kammerzofe und eine Selbstcharakteristik des Protagonisten darstellen. Der im 2. Auftritt stattfindende Dialog Damons mit Lisette wiederholt sich in der 9. Szene, auch hier versucht Damon seinen Freund zu verteidigen. Exposition und Schluß werden nicht zuletzt durch die Figur der Witwe verbunden, die nunmehr im letzten Auftritt die zu Beginn initiierte Intrige löst. Wie in den späteren Lustspielen Der junge Gelehrte und Minna von Bamhelm schafft zwar der Plan der Zofe bzw. Herrin Verwirrungen, vermag jedoch keine Lösung oder Klärung zu erreichen, sondern es bedarf des unerwarteten Eingriffs einer Lustspielfigur, um die Situation zu einem glücklichen Ende zu führen. In seiner Grundkonzeption stellt somit Damon, oder die wahre Freundschaft keineswegs jenen dilettantischen Versuch dar, als den ihn die Forschung bisher gerne bewertet. Lessings Versuch, satirische und empfind-
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same, d. h. Gelächter und Rührung erregende Elemente hierin zusammenzufügen, wie auch seine Bestrebung, den lasterhaften Protagonisten nicht nur als reine negative Folie zu zeigen, sondern dessen Verhalten trotz der typisierenden Anlage menschlich plausibel zu machen, versprechen eine spätere kunstvolle Gestaltung. Insbesondere aber macht die Konzeption einer den vermischten Charakter vorwegnehmenden Figur dieses Frühwerk zu einem durchaus bedeutsamen Beginn von Lessings Lustspielentwicklung. 51
2. Der junge Gelehrte Noch in Meißen an der Fürstenschule St. Afra, die Lessing von 1741 bis 1746 besuchte, hatte er sich mit der Komödie und dem altbekannten Motiv des lächerlichen Gelehrten befaßt: Schon in Jahren, da ich nur die Menschen aus Büchern kannte [... ] beschäftigten mich die Nachbildungen von Thoren, an deren Daseyn mir nichts gelegen war. Theophrast, Plautus und Terenz waren meine Welt, die ich in dem engen Bezircke einer kiostermäßigen Schule, mit aller Bequemlichkeit studirte [... ]. Von diesen ersten Versuchen schreibt sich, zum Theil, der junge Gelehrte 52 her, den ich, als ich nach Leipzig kam, ernstlicher auszuarbeiten, mir die Mühe gab. 53 51 Rentschler ("Damon, oder die wahre Freundschaft", S. 172 f.) und Buck (S. 8486) verweisen zu Recht darauf, daß mit dem Damon das in Lessings dramatischem Schaffen wiederkehrende Thema der Freundschaft seine erste Gestaltung erfahren hat. 52 Vgl. zu möglichen Vorläufern und Anregungen PO 21, S. 83-88. - Hinck, Das deutsche Lustspiel des 17. und 18. Jahrhunderts, S. 273 f. - Stenzei, in: BI, S. 1055 f. - Wolfgang Martens (Von Thomasius bis Lichtenberg. Zur Gelehrtensatire der Aufklärung, in: Lessing Yearbook 10, 1978, S. 7-34, hier S. 31, Anm. 19) weist darauf hin, daß die vielfach behauptete Abhängigkeit von Holbergs Erasmus Montanus nicht unbedingt zwingend ist, da auch die deutsche Literaturgeschichte nicht zuletzt in der Aufklärungszeit zahlreiche Gelehrtensatiren kennt. Als unmittelbares Vorbild für Lessing wird von Charles E. Borden (The Original Model for Lessing's "Der junge Gelehrte", in: University of California Publications in Modem Philology 36, 1952, Nr. 3, S. 113-128) wenig stichhaltig der 1743 entstandene Geschäfftige Müßiggänger Johann Elias Schlegels erachtet. Zwar versäumen es der junge Damis und Fortunat aufgrund ihres Wesenszuges, meist Nebensächlichkeiten großes Gewicht beizumessen, "becoming useful members of society" und zeigen auch kleine Entsprechungen im Detail; die von Borden als entscheidend erachtete Übereinstimmung der Liebesfabel findet sich indes als traditionelle Nebenhandlung in zahlreichen anderen Lustspielen der Zeit und entspringt keineswegs der Schlegelschen Komödie. Keinerlei Verwandtschaft zum Müßiggänger läßt hingegen die konkrete Konzeption der "Lasterereignisse" des Jungen Gelehrten erkennen, auch unterscheidet sich Lessings frühes Werk durch eine völlig anders geartete Personenzeichnung. Die aufschlußreiche Parallelität des Schlusses, der beide Protagonisten als Fehlerhafte beläßt, wird von Borden hingegen nicht erörtert. Unbestreitbar hat Lessing, wie bei vielen anderen seiner Werke, aus der Lustspieltradition der Zeit geschöpft, Damis jedoch nur wie Borden (S. 117) als "a variant of Schlegel's ,geschäfftigem Müßiggänger'" sehen zu wollen, wird dem Werk nicht gerecht. - Vor der Folie der komödientheoretischen Äußerungen Northop Fryes betrachtet schließ-
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Insbesondere der direkte Anschauungsunterricht durch das ansässige Theater, "welches in sehr blühenden Umständen war" - gemeint ist hier wohl in erster Linie die SchauspieItruppe der Caroline Neuber - und die hilfreichen Anregungen durch seinen Universitätslehrer, Prof. Abraham Gotthelf Kästner, ließen ihn nach eigenem Bekunden eine Überarbeitung des Schülerversuchs vornehmen. 54 Diese frühesten Textschichten können jedoch aufgrund der Überlieferungslage des Werkes, die erst 1754 mit dem Erstdruck im vierten Band von Lessings Schriften einsetzt,55 nicht rekonstruiert werden, auch textimmanent sind keine Anzeichen, Brüche oder stilistischen Merkmale erkennbar, die über die Genese dieses Frühwerkes Aufschluß zu geben vermöchten. Wenngleich Lessing in der Vorrede zum dritten Teil seiner Schriften, mit der Gunst des Publikums kokettierend, davon spricht, daß ihm Der junge Gelehrte zwar "nicht ganz [... ] verunglückt,,56, ihm damit aber noch kein Meisterstück gelungen sei, so widerlegt ihn der große Erfolg, mit dem dieser Erstling des gerade 19jährigen vom populären Theater der Neuberin im lieh Wolfgang Döring (G. E. Lessings Lustspiel Der junge Gelehrte: Eine typologische Betrachtung auf dem Hintergrund der Komödientheorie Northrop Fryes, in: New German Review 4, 1988, S. 27-40) den Jungen Gelehrten, kann aber damit nichts wesentlich Neues beitragen. 53 G. E. Leßings Schrifften. Dritter Theil. Vorrede: LM 5, S. 268. 54 Vgl. ebd. - Weitere Verbesserungen im Rahmen der Drucklegung von 1754 mutmaßt Marion Gräfin Hoensbroech, Die List der Kritik. Lessings kritische Schriften und Dramen. München 1976, S. 93. - Ebenso Rolf Christian Zimmermann, Die Devise der wahren Gelehrsamkeit. Zur satirischen Absicht von Lessings Komödie Der junge Gelehrte, in: DVjs 66, 1992, S. 283-299, hier S. 284. 55 Erstdruck: Der junge Gelehrte. Ein Lustspiel in drei Aufzügen. Auf dem Neuberischen Schauplatze in Leipzig, im Jenner 1748. zum erstenmal aufgeführt, in: G. E. Leßings Schrifften. Vierter Teil. Berlin 1754, S. 1-224. - Leicht verändert wurde Der junge Gelehrte in die bei Voß verlegte Sammlung: Lustspiele von Gotthold Ephraim Lessing. Erster Teil. Berlin 1767 aufgenommen. Für deren zweite Auflage hat vermutlich Karl Lessing, jedoch nicht ohne die Billigung seines Bruders, einige unwesentliche Korrekturen vorgenommen (vgl. LM I, S. 279-372. - LM 22, S. 27). Ein weiterer Druck erfolgte unter dem Titel Der junge Gelehrte in der Einbildung, ein Lustspiel in drey Aufzügen, des berühmten Herrn Leßing. Auf der kaiserl. Kön. Privilegierten Deutschen Schaubühne zu Wien aufgeführet, Im Jahre 1764 (vgl. LM 22, S. 401). Dieser ist wohl mit dem Erstdruck in Lessings Schriften identisch (vgl. Gero von Wilpert/Adolf Gühring, Erstausgaben deutscher Dichtung. Eine Bibliographie zur deutschen Literatur 1600-1990. 2., vollständ. überarb. Auflage. Stuttgart 1992, S. 983, Nr. 41). - Vgl. zur Überlieferungslage auch Wolfgang Milde (Gesamtverzeichnis der Lessing-Handschriften. Hrsg. von W. M. Bd. 1. Heidelberg 1982 (Bibliothek der Aufklärung 2», der keinen auf uns gekommenen Autographen des Jungen Gelehrten ermitteln konnte. - Textgrundlage bildet der Textkorpus von LM; Varianten früherer Drucke werden, sofern relevant, in die Interpretation einbezogen. 56 G. E. Leßings Schrifften. Dritter Theil. Vorrede: LM 5, S. 270.
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Januar 1748 aufgeführt wurde. Von der Wirkung des Jungen Gelehrten, der von den zeitgenössischen Kritikern wohlwollend aufgenommen wurde,57 zeugt nicht zuletzt, daß neben der Minna von Barnhelm gerade dieses frühe Lustspiel in der Forschungsliteratur lebendig geblieben ist. Ganz der Erwartung einer durch den Titel angekündigten Gelehrtensatire entsprechend, steht hier die Figur des jungen Damis im Mittelpunkt, ein nicht nur überheblicher, sondern auch törichter Wissenschaftler, der sich in maßloser Selbstüberschätzung als einen Philologen, einen Geschichtskundigen, einen Weltweisen, einen Redner und einen Dichter,58 kurz als das Maß aller Gelehrsamkeit empfindet. Seine verfehlte Auffassung von Bildung sowie sein falscher Umgang mit Wissen wird nunmehr gemäß dem tradierten Schema der satirischen Komödie in einer Vielzahl von Szenen demonstriert und zugleich von Publikum und Nebenfiguren auf der Bühne verspottet, ohne daß der junge Gelehrte dessen gewahr würde bzw. ein Prozeß der Selbsterkenntnis und Besserung einträte. Insbesondere durch seine sophistischen Überlegungen und komischen, da aneinander vorbeigeführten Gespräche mit Vater Chrysander als auch dem Diener Anton wird die irrige Vorstellung eines sich in bloßer Faktenansammlung erschöpfenden Gelehrtenturns evident, dessen Antrieb keineswegs echter Wissensdurst ist, sondern einzig die persönliche Eitelkeit und der Geltungsanspruch des jungen Damis. Fast schon stereotyp betont er den für sein Alter ungewöhnlichen Erkenntnisstand, seine Ruhmsucht darob verbirgt er jedoch hinter heuchlerischen, vom Publikum leicht zu durchschauenden Scheinargumenten, so z. B. seinem angeblichen Interesse an Lisettens ungekünstelter Art, mit der sie seine Lobeserhebungen wiedergebe. 59 Exemplarisch kann ein Dialog zwischen Damis und Lisette diese Selbstüberschätzung vorführen, die ihn jegliche Kritik bzw. Selbstreflexion zurückweisen läßt. Auf das hybride Eigenlob des jungen Herrn reagiert die Zofe stets mit einem ironischen, von Damis indes keineswegs als Hohn empfundenen: "Und Sie sind erst zwanzig Jahr alt!,,60 Erst eine geringfügige Änderung des Wortlautes - "Sie sind noch nicht klug, und sind schon zwanzig Jahr alt!,,61 - läßt ihn den wahren Sinn ihrer vorangegangenen Bemerkungen er57 Erstaunlich mutet hingegen an, daß dieses Werk auch nach der Veröffentlichung und trotz seiner positiven Aufnahme (vgl. dazu Lessing im Urtheile seiner Zeitgenossen. Bd. 1, S. 1, 3, 41, 182) im Gegensatz zum Freygeist oder den Juden zunächst nicht allzu häufig auf der Bühne gespielt wurde, ehe es unterschiedliche Theatergesellschaften offenbar erst in den 70er Jahren des 18. Jahrhunderts, u. a. für Gymnasialaufführungen wiederentdeckten (vgl. Schulz, S. 182). 58 Vgl. Lessing, Der junge Gelehrte, III,3: LM 1, S. 342. 59 Vgl. ebd., 1,4, S. 292. 60 Ebd., III,3, S. 341 f. 61 Ebd., S. 342.
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kennen. Nicht nur in dieser Szene haftet dem Möchtegern-Gelehrten eine grundsätzliche Unfähigkeit an, Aussagen in ihrer wahren Bedeutung und in ihrem wahren Sinn zu erfassen, auch in seinen Unterredungen mit Chrysander neigt er dazu, Äußerungen allzu wörtlich zu nehmen oder gar nur ein Wort seines Dialogpartners herauszugreifen. Als weitaus gravierender erweist sich jedoch die innere Leere des von ihm erworbenen Wissens, das sich letztlich als tote Buchgelehrsamkeit, als Anhäufung einzelner Noten und Anmerkungen ohne innere Stringenz präsentiert. Akribisch sucht er darzulegen, "daß sich Kleopatra die Schlangen an den Arm, und nicht an die Brust, gesetzt hat,,62, er disputiert darüber, daß Xantippe keine böse Frau gewesen sei und allein die Beobachtung, der Ausspruch "ausculta et perpende" stamme aus dem Homer, erscheint ihm schon ruhmreich, denn in Damis' Augen machen "ein halb hundert solche Anmerkungen [... ] einen Philologen,,63. Ein vernünftiger Umgang mit und eine sinnvolle Anwendung von Erlerntem ist bei dieser Gelehrtenfigur nicht erkennbar. Seinen Vater plagt er so mit den eigentlichen Gesprächsgegenstand nicht im mindesten berührenden wissenschaftlichen Ausführungen, die eben nicht, wie Damis glaubt, seine Belesenheit unter Beweis stellen, sondern nur sein Versagen bezeugen, selbst bei alltäglichen Unterredungen Wesentliches zu erfassen, Wichtiges von Unwichtigem zu scheiden. Echtes, lebendiges, auf die eigene Erfahrung gegründetes Wissen ist bei Damis zu einer Ansammlung gehaltloser Worthülsen, zum bloßen Rekurs auf überlieferte Autoritäten verkommen. Verstand hat in seinen Augen einzig der, welcher die Gelehrten gehörig zu schätzen wisse,64 und Gelehrsamkeit selbst macht sich in erster Linie durch einen unermüdlichen Fleiß bemerkbar. 65 Beispielhaft zeigen die mit gesundem Menschenverstand begabten Diener die mangelnde Reflexionsfähigkeit des jungen Gelehrten und die Absurdität seiner Behauptungen. Nachdem Anton in 11,4 die naturrechtliche Argumentation, er, Damis dürfe seinen Vater nicht als Elternteil, wohl aber als Aggressor schlagen, schlau und gewitzt auch für das Verhältnis Diener-Herr in Anspruch nimmt, kann sich der Gelehrte dieser Folgerichtigkeit nur durch ein juristisches Ausweichmanöver entziehen, das aber seine vorangegangenen Behauptungen ins Leere laufen läßt. 66 Ähnlich findig führt Anton Damis' Vortrag über Sprachbeherrschung ad absurdum und zeigt sich seinem lächerlichen Herrn damit schon in der ersten Szene überlegen. Gar als elender Stümper, den auch der Zuschauer schadenfroh verspottet, entpuppt sich Damis schließlich mit einem Verriß seines eigenen unsinnigen, von Anton 62
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Ebd., lIlA, S. 343. Ebd., 1,2, S. 289. Vgl. ebd., H,12, S. 330. Vgl. ebd., 1Il,7, S. 349 f. Vgl. ebd., HA, S. 319.
IO Kombacher-Meyer
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vorgetragenen Gedichts. Und sogleich kann das Publikum erneut die Narrheit des jungen Studiosus fröhlich verlachen, wenn er das eben kritisierte, nun als seine Arbeit erkennend, als ein philosophisches Lehrgedicht preist. 67 Die Bearbeitung eines Aufgabenthemas der Berliner Akademie deklassiert sein wissenschaftliches Arbeiten endgültig als verfehlt, seine Studien für die Forschung unnütz. Von dem Sieg seiner Untersuchung über die Monaden selbst unzweifelhaft überzeugt, liefert Damis das nachhaltigste Exempel seiner falschen Gelehrsamkeit, da er etwas ganz anders gethan zu haben [scheint], als die Akademie verlangt hat. Sie wollte nicht untersucht wissen, was das Wort Monas grammatikalisch bedeute? wer es zuerst gebraucht habe? was es bei dem Xenokrates anzeige? ob die Monaden des Pythagoras die Atomi des Moschus gewesen? etc. Was ist ihr an diesen kritischen Kleinigkeiten gelegen, und besonders alsdann, wann die Hauptsache dabey aus den Augen gesetzt wird?68
Geschickt hat es Lessing nun verstanden, diese Lasterhandlung, die im Warten auf die Nachricht über die Preisvergabe ihre zeitliche Eingrenzung erhält, mit der für die Komödie typischen Liebesgeschichte zu verbinden; denn vollends lächerlich werdend, entdeckt Damis die Hohlheit seines Gelehrten turns nicht zuletzt, als er die von Chrysander geplante Heirat mit Juliane nur in Erwägung zieht, um die "Zahl der unglücklich scheinenden Gelehrten, die sich mit bösen Weibern vermählt haben, [zu] vermehren,,69 und so seinen "Ruhm unsterblich zu machen,,7o. Trotz aller Versuche seiner Umgebung bleibt der Akademiker uneinsichtig seinem Fehler verhaftet, sowohl die ironischen Bemerkungen der Dienerfiguren wie auch Valers oder Chrysanders Bemühungen scheitern an der Hybris des jungen Damis. Bemerkenswert innovativ erscheint im Hinblick auf diese Erziehungsversuche des Lasterhaften, daß die in den zeitgenössischen Lustspielen vielfach breit angelegten moralisierenden Passagen aus dem Jungen Gelehrten fast gänzlich verschwunden sind, einzig Valer sucht eine Besserung mittels der üblichen ernst-vernünftigen Argumentation zu erreichen. Die Stelle des traditionellen Belehrungskommentars übernehmen vielmehr in einem bisher noch nicht bekannten Umfang Ironie, Spott und sich steigernde, pointiert-witzige Wortwechsel, mit welchen insbesondere Anton und Lisette dem törichten Protagonisten seine Verfehlungen, wenn auch vergeblich, vor Augen halten. Nicht einmal die Bloßstellung seiner Gelehrtheit und Ruhmsucht durch den schonungslosen Brief des Berliner Freundes vermag schließlich Damis zu einem Sinneswandel zu bewegen. Empört weist er jegliche Schuld von sich: 67 68 69 70
Vgl. ebd., 1II,15, S. 362-364. Ebd., S. 366. Ebd., 11,11, S. 329. Ebd., 1II,4, S. 345.
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o ihr dummen Deutschen! ja freylich, solche Werke, als die meinigen sind, gehö-
rig zu schätzen, dazu werden andre Genies erfordert! Ihr werdet ewig in eurer barbarischen Finsterniß bleiben, und ein Spott eurer witzigen Nachbarn seyn! Ich aber will mich an euch rächen [... ] Ich will mein undankbares Vaterland verlassen. Vater, Anverwandte und Freunde, alle, alle verdienen es nicht, daß ich sie länger kenne, weil sie Deutsche sind; weil sie aus dem Volke sind, das ihre größten Geister mit Gewalt von sich ausstößt. Ich weiß gewiß, Frankreich und Engeland werden meine Verdienste erkennen _71
Mit dieser Fonn eines Briefes hat Lessing nun den traditionellen Belehrungskommentar in ein völlig neuartiges Gewand gekleidet. Als eine von außerhalb kommende Lehre erklingt hier lauter und vernichtender, als es die Bühnenfiguren vennöchten, die Stimme einer vernünftigen Öffentlichkeit, die gleichsam als ein deus ex machina die Lasterhandlung zu einem Ende führt. Durzaks These, Damis stoße am Ende durch die schroffe Konfrontation mit der Realität zu Selbsterkenntnis vor, die ihm jedoch den Boden unter den Füßen wegziehe,72 ist in Anbetracht dieses Schlusses nicht haltbar. Damis vollzieht gerade keinen Erkenntnisprozeß, wie die Auftritte m,15 und folgende bezeugen, sondern kehrt seiner Heimat in hochmütiger und uneinsichtiger Manier den Rücken. Eine von Anton fonnulierte Lehre, welche die häufig am Ende satirischer Komödien wiederholte moralische Quintessenz eindringlich aufzeigen will, weist er, seinen Diener ein letztes Mal beschimpfend, zurück. Die das Stück schließende Geste des Scheingelehrten, der Mißbrauch eines Buches als Wurfgeschoß, kann so mit Blick auf die vorangegangenen Szenen nicht als Indiz für eine veränderte Geisteshaltung, als "bildlich akzentuierte Konsequenz seines Abschiedes von der Wissenschaft,,?3 gewertet werden, sondern steht erneut für Damis' hochmütige Eitelkeit, welche die Wissenschaft aus Egozentrik und Ruhmsucht instrumentalisiert. Mit Damis' starrer Haltung liefert Lessing den ersten seiner Komödien-Toren, die am Ende keine Besserung erkennen lassen und deshalb aus der vernünftigen Gesellschaft ausgeschlossen werden. In diesem beharrenden Verhalten des Protagonisten deutet sich schon in frühester Zeit Lessings späterhin fonnulierte Abneigung gegen einen allzu krassen Wechsel der Gesinnungen von schwarz auf weiß an, wie ihn noch wenig überzeugend Damon, oder die wahre Freundschaft vorstellte.
Ebd., III,15, S. 367. - Vgl. auch III,17, S. 369. Vgl. Man/red Durzak, Von der Typenkomödie zum ernsten Lustspiel. Zur Interpretation des Jungen Gelehrten, in: M. D., Poesie und Ratio. Vier Lessing Studien. Bad Homburg 1970 (Schriften zur Literatur 14), S. 9-43, hier S. 34. - Ähnlich Peter Pütz (Die Leistung der Form. Lessings Dramen. Frankfurt am Main 1986, S. 70), der diesen "aggressiven Ausbruch fast wie eine Art Befreiung von dem toten Stoff, den er zu Papier gebracht hat" empfindet. 73 Durzak, S. 31. 71
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2. Teil: Lessings Komödien
Die vielfältigen Marotten des jungen Gelehrten Damis haben die Forschung wiederholt vor Probleme gestellt. So herrscht Uneinigkeit vor allem in der Frage, inwiefern dieses Frühwerk noch als satirisches Typenlustspiel Gottschedscher Prägung klassifiziert werden kann oder bereits als Lessings erster Versuch einer Charakterkomödie zu werten ist. Anders gefragt: Erscheint der Gelehrte Damis noch als ein Typ, gelingt es, ihn als Repräsentanten eines im weitesten Sinne verbreiteten Lasters zu begreifen, oder ist an ihm schon eine Vereinzelung als komischer Kauz wahrnehmbar, der im Grund keine allgemeingültige Lehre, kein generelles Exempel mehr geben kann? Die Opinio communis der Forschung betonte stets stärker die Besonderheit des jungen Damis und seine Neigung hin zu einer Charakterfigur, die ihn von den anderen Lastertypen der zeitgenössischen Lustspiele scheide. Bereits Schmidt betrachtet den jungen Gelehrten als ein Charakterbild, weniger als einen repräsentativen Typ.74 Auch Hinck weist, die Modellverhaftetheit des Damis zwar nicht übergehend, auf die mit dieser Figur dennoch erreichte Differenzierung der komischen Archetypen hin. 75 Während ebenso Lappert,76 Arntzen,77 Steinmetz,78 Rosendorfer79 und Durzak80 den verfehlten Gelehrten mit unterschiedlicher Akzentuierung eher als individualisierten Einzelnen denn als allgemeinen Lasterprotagonisten bewerten, wurde diesen Interpretationsansätzen in jüngerer Zeit durch Stenzel und Zimmermann widersprochen. Beide erkennen in dieser Figur Züge des "uralt überlieferten Typ[s]" eines falsch verstandenen Gelehrtenturns, das in Damis durchaus noch als ein gesellschaftliches Fehlverhalten und verbreitete Torheit seine Gestaltung finde. 81 Ohne Zweifel ist es Lessings schon in jungen Jahren großartiger Gestaltungskraft zu danken, daß die Zeichnung der Titelfigur eine ganz eigene Handschrift trägt und diese so in Kontrast zu ihren überwiegend eindimensionalen und vielfach platten Lasterkollegen setzt. Gleichwohl muß meines Erachtens diese Nuancierung der Personengestaltung nicht zwangsläufig der tradierten Demonstration eines allgemeinen Vergehens widersprechen. Auch von der Forschung uneingeschränkt anerkannte Lastertypen zeigen in ihrer je divergierenden Anlage von einander abweichende, in gewisser Weise inVgl. Schmidt. Lessing, Bd. 1, S. 139. Vgl. Hinck. Das deutsche Lustspiel des 17. und 18. Jahrhunderts, S. 273. 76 Vgl. Lappert. S. 12-15. 77 Vgl. Amtzen. S. 23. 78 Vgl. Horst Steinmetz. G. E. Lessing, in: Deutsche Dichter des 18. Jahrhunderts. Ihr Leben und Werk. Hrsg. von Benno von Wiese. Berlin 1977, S. 210-248, hier S. 232. 79 Vgl. Rosendorfer, S. 257. 80 Vgl. Durzak. S. 32. 81 Vgl. Stenze!, in: B 1, S. 1055. - Ausführlich Rolf Christian Zimmermann. S.289-299. 74
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dividuelle Erscheinungsformen, man denke hier z. B. an die unterschiedliche Vorstellung falsch verstandener Frömmigkeit in der Pietisterey im Fischbeinrocke und in Gellerts Betschwester. Jede der bei den Frauen besitzt trotz ihrer stellvertretenden Funktion ein ihr eigenes Profil. Als maßgeblich für die Bewertung des gelehrten Herrn Damis erweist sich das von seiten der Forschung kaum beachtete Anknüpfen Lessings an die Gattung der Gelehrtensatire, wie Martens überzeugend erhärtet. 82 Deutlieh greift das im Jungen Gelehrten angewandte Verhaltensmuster auf den traditionellen Kanon dieser Ständeverspottung zurück: Weltfremdheit und Isolation, Lust an abseitigen Problemen, Eitelkeit und Ruhmsucht, bloßes Vielwissen, Abwertung der deutschen Sprache, akademischer Hochmut und gleichzeitige Autoritätsgläubigkeit83 eignen bereits miteinander verquickt dem satirisch gegeißelten Gelehrten zu Beginn der Aufklärungszeit, in dessen typisierter Gestalt das Gebaren einer Personengruppe und nicht individuelle Narrheiten angegriffen werden. 84 In diesem Sinne muß auch Damis trotz der Komplexität seiner Lasterzüge weniger als vereinzelte Charakterflgur gesehen werden, sondern will als typischer und typisierter Repräsentant der Aufklärungszeit eine allgemeine verfehlte Einstellung bloßstellen, die sich in einer Vielzahl von Allüren auf der Bühne ausdrückt. Lessings Vorrede zum dritten Teil seiner Schriften belegt diese Sichtweise nachdrücklich: Ein junger Gelehrte, war die einzige Art von Narren, die mir auch damals schon unmöglich unbekannt seyn konnte. Unter diesem Ungeziefer aufgewachsen, war es ein Wunder, daß ich meine ersten satyrischen Waffen wider dasselbe wandte?85
Ganz offensichtlich greift Lessing für die Zeichnung des selbstgefälligen Damis auch auf eigene Erfahrungen seiner Schul- und Studienzeit zurück, die ihn die Figur dieses Gelehrten keineswegs als Einzelfall, sondern als Verkörperung eines tatsächlich verbreiteten, närrischen Habitus entwerfen lassen. Nachdrücklich bestätigt der jugendliche Dichter hiermit die exemplarische Typenhaftigkeit seiner Mittelpunktsgestalt, gegen die sich noch ganz im Sinne der Intention Gottscheds die verlachenden satirischen Angriffe richten. 86 Das Stück selbst stützt diese Klassifikation expressis ver82 Vgl. Martens, besonders S. 18-29. - Vgl. auch Wilfried Bamer, Lessing zwischen Bürgerlichkeit und Gelehrtheit, in: Bürger und Bürgerlichkeit im Zeitalter der Aufklärung. Hrsg. von Rudolf Vierhaus. Heidelberg 1981 (Wolfenbütteler Studien zur Aufklärung 7), S. 165-204, hier S. 172. 83 Die vielfach anzutreffende Zitatensucht wurde im Jungen Gelehrten in erster Linie auf Vater Chrysander übertragen. Das Motiv der äußerlichen Ungepflegtheit wird hingegen nicht ausdrücklich eingesetzt. 84 Vgl. Martens, S. 19-27. 85 G. E. Leßings Schrifften. Dritter Theil. Vorrede: LM 5, S. 270.
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bis, denn nach Valers Aussage ist dieser verblendete Gelehrte nicht der einzige seiner Art, wenngleich es ihrer auch nur wenige gebe. 87 Zu Recht wurde, zuletzt von Zimmermann, darauf verwiesen, daß Lessing mit der Figur des Damis nicht nur einen falsch verstandenen Wissenschaftsbegriff anprangere, sondern gleichzeitig die menschlich verfehlte Haltung dieses jungen Akademikers darzustellen suche,88 die allerdings ebenfalls zum Gemeingut der Gelehrtensatire zählt. Sein grobes Gebaren gegenüber Anton, der undankbare Spott über den eigenen Vater und sein herzloses Verhalten gegen Juliane und Valer zeigen Damis' mangelnde Herzensbildung nur zu deutlich. Eine Entwicklung seiner Persönlichkeit hin zu einem vernünftigen Gelehrten, der sich, wie es neben Leibniz, Thomasius oder Wolff auch satirische Texte forderten,89 in den Dienst der Mitmenschen und des Gemeinwohles stellt, konnte und kann seine falsch betriebene Gelehrsamkeit nicht bewirken. Entgegen dem aufklärerischen Weltbild betrachtet Damis Wissenschaft als egoistischen Selbstzweck, der auf sich selbst beschränkt im losgelösten Raum einer "Republik der Gelehrten" betrieben werden soll. Valers Bereitschaft, in der Gesellschaft zu wirken, findet in diesem Sinne bei ihm nur abnmige Verachtung. "Was geht uns Gelehrten, Sachsen, was Deutschland, was Europa an?,,90 fragt er hochmütig und impliziert damit zugleich auch: was gehen mich meine Mitmenschen an? Ein echtes Interesse an der ihn umgebenden Welt läßt Damis an keiner Stelle spüren. Ex negativo bringt Lessing somit in dieser Figur die aufklärerischen Forderungen an den Gelehrten, den vernünftigen Menschen schlechthin auf die Bühne. Ja es scheint, als finde sich in Christian Thomasius' Kurtzem Entwurf! der politischen Klugheit/sich selbst und andem in allen Menschlichen Gesellschafften wohlzurathen [. .. ] von 1710 eine theoretische Abhandlung zur Lessingschen Hauptfabe1. 91 Wie im Jungen Ge86 Nach Hinrich C. Seeba (Die Liebe zur Sache. Öffentliches und privates Interesse in Lessings Dramen. Tübingen 1973 (Untersuchungen zur deutschen Literaturgeschichte 9), S. 42) ist Der junge Gelehrte mehr als eine konventionelle Typenkomödie oder Gelehrtensatire, vielmehr sei dieses Stück schon als Vorstudie zu Tellheim in der ernsten Komödie zu werten, da auch Damis sich zunächst von seiner Liebe zur Sache habe täuschen lassen, ja diesem sogar tragische Züge anhaften würden. 87 Vgl. Lessing, Der junge Gelehrte, III,7: LM 1, S. 351. 88 Vgl. Ralf Christian Zimmermann, S. 289-291, 299. - Ebenso Lappert, S. 13 f. 89 Vgl. Martens, S. 21. 90 Lessing, Der junge Gelehrte, 11,4: LM 1, S. 318. 91 Christian Thomasius, Kurtzer Entwurff der Politischen Klugheit/sich selbst und andern in allen Menschlichen Gesellschafften wohlzurathen/und zu einer gescheiden Conduite zu gelangen [... ]. Faksimiledruck der Ausgabe Franckfurt, Leipzig 1710. Frankfurt am Main 1971, S. 89-93: §. 38. Wenn also einer gar nichts/ein anderer den Himmel und die Natur der unsichtbaren Kräffte/ein anderer die Eigenschafft der sichtbaren Cörper/ein anderer
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lehrten wird hier weniger der Polyhistorismus als solcher verworfen, Lessing und Thomasius stellen vielmehr den verfehlten Umgang mit Studien dar, die nur in sich kreisen, nicht aber der Gesellschaft nützen und deshalb zu keinem aufgeklärten Menschsein führen. 92 Diese Intention wird durch die kontrastierende Haltung Valers bestärkt, denn er verkörpert jenen von der Aufklärung propagierten Idealtypus des Gelehrten, der für und in der Sozietät wirkt und im Umgang mit der Welt "täglich zu mehrerm Verstande zu kommen,,93 sucht. Auch späterhin reflektiert Lessing diese Problematik echter Gelehrsamkeit94 und gestaltet schließlich mit der Figur des Nathan die Grösse und Nachdruck der Cörper oder der Geister/ein anderer Vorstellungen menschlicher Dinge/die niemahls in der Welt zu finden/ein anderer Wort und Sylben sehr subtil (d. i. unnützlich) untersuchet/so befleißiget sich ein kluger Mensch derjenigen Wissen schafft/welche/wo nicht allein/doch fürnemlich dem menschlichen Geschlecht nutzbar ist, nemlich er studiret im Buche der menschlichen Natur. §. 39. Hierinnen übet er sich so viel fleissiger/je mehr er/durch die tägliche Erfahrung überzeuget wird/daß alle diejenigen/so andern Studiren mehr obliegen/als man in täglichen Geschäfften daraus Nutzen schaffen kan/und dannenhero die Untersuchung der menschlichen Natur bey seite setzen/von der Klugheit am weitesten entfernet seyn/und weder sich selbst noch andern rathen können. [... ] Denn wie solten solche Leute jemanden rathen können/da sie an diese Lehre niemahls mit Ernst gedacht/sondern ihre Seele sich gantz in einen Triangel/oder in die quadraturam circuli, oder/in X. +a - - b, oder in eine qualitatem occultam, oder particulas striatas-, oder in dem Schatten nicht des Ciceronis selbst/[ ... ] sondern der biossen Worte Ciceronis auff eine wundersame Art verwandelt und damit verwechselt hat. §. 40. Doch verachtet ein kluger Mann solche Studia nicht/sondern gebraucht sich derselben/so fern das menschliche Leben/ihrer bedarff/ja er hält diejenigen/ so diese Studia nach dem täglich vorkommenden Gebrauch 1ehrenlin ihren Würden und gebührenden Respect. [... ] §. 45. Ja wo es möglich und thunlich ist/beharret er nicht lange beym Academischen Müßiggange/sondern wenn er auff Universitäten die Grund-Regeln kluger Verrichtungen/die weder subtile noch lange Speculationes brauchen/gefasset hat/ erlernet er den Uberrest der Klugheit bey den vorkommenden Geschäfften/und erkennet/daß unser gantzes Leben ein immerwährendes Studiren sey. Vgl. in diesem Zusammenhang auch Thomasius' Äußerungen über wahre Gelehrsamkeit: §. 15. Lebendig heißt sie [die Klugheit]/wenn sie sich auf eigene Erfahrung und Empfindung gründet. Todt aber ist sie/wenn es ihr an Erfahrung mangelt/und sie ihre Regeln nur auf fremde Zeugnisse und guten Glauben bauet. (ebd., S. 27 f.) 92 Vgl. dagegen Conrad Wiedemann (Polyhistors Glück und Ende. Von Daniel Morhof zum jungen Lessing, in: Festschrift Gottfried Weber. Zu seinem 70. Geburtstag überreicht von Frankfurter Kollegen und Schülern. Hrsg. von Heinz atto Burger/Klaus von See. Bad Homburg, Berlin, Zürich 1967 (Frankfurter Beiträge zur Germanistik 1), S. 215-235, hier S. 217), der den Jungen Gelehrten nur als einen kulturkritischen Akt, als Vertreibung des Polyhistors von der Zeitbühne interpretiert. 93 Lessing, Der junge Gelehrte, III,8: LM 1, S. 350.
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einen seine Weisheit auf lange Lebenserfahrung gründenden Menschen, zu dessen Erkenntnis die tote Buchgelehrsamkeit des jugendlichen Damis in scharfem Gegensatz steht. 95 Gleichwohl muß der Titel "Der junge Gelehrte" nicht zwingend als Oxymoron, wie Lappert konstatiert,96 verstanden werden, denn Damis verfügt ja durchaus über Wissen, wendet es aber nicht im aufklärerischen Sinne an. Gerade mit der Figur Valers, der als Liebhaber wohl noch der jüngeren Generation zuzurechnen sein dürfte, zeigt Lessing, daß sich Jugend und Gelehrtenturn nicht zwangsläufig ausschließen müssen. Zweifelsohne hängen jedoch insbesondere junge, unerfahrene Menschen dem im Jungen Gelehrten vorgeführten falschen Bildungsbegriff an; dies bestätigt nicht zuletzt Lessings Selbstcharakteristik vom Beginn seiner Studienjahre in Leipzig, die auch ihn zu einem Gutteil als einen "gelehrten Herrn Damis" beschreibt: Ich komme jung von Schulen, in der gewißen Uberzeugung, daß mein ganzes Glück in den Büchern bestehe. [... ] Stets bey den Büchern, nur mit mir selbst beschäfftigt, dachte ich eben so selten an die übrigen Menschen, als vielleicht an Gott. Dieses Geständnis kömmt mir etwas sauer an, und mein einziger Trost dabey ist, daß mich nichts schlimmers als der Fleiß so närrisch machte. Doch es dauerte nicht lange, so gingen mir die Augen auf: [... ] Ich lernte einsehen, die Bücher würden mich wohl gelehrt, aber nimmermehr zu einen [sic!] Menschen machen. Ich wagte mich von meiner Stube unter meines gleichen. Guter Gott! was vor eine Ungleichheit wurde ich zwischen mir und andern gewahr. Eine bäuersche Schichternheit, ein verwilderter und ungebauter Körper, eine gäntzliche Unwißenheit in Sitten und Umgange, verhaßte Minen, aus welchen jederman seine Verachtung zu lesen glaubte, das waren die guten Eigenschafften, die mir, bey meiner eignen Beurtheilung übrig blieben. 97 Eigene Erfahrungen, der Rekurs auf die theoretischen Grundlagen der Aufklärung sowie der Rückgriff auf tradierte Motive der Gelehrtensatire sind somit in der Figur des Damis zusammengeflossen, die, obschon einen Typ, ein verbreitetes Laster repräsentierend, dennoch in ihrer virtuosen Gestal94 Lessings späte Notiz zu dieser Begrifflichkeit deckt sich wiederum mit Thomasius' Aussagen: "Der aus Büchern erworbne Reichthum fremder Erfahrung heißt Gelehrsamkeit. Eigne Erfahrung ist Weißheit. Das kleinste Kapital von dieser, ist mehr werth, als Millionen von jener." (Lessing, Selbstbetrachtungen und Einfalle: LM 16, S. 535.) 95 Vgl. hierzu das Gespräch zwischen Recha und Sittah in Lessings Nathan (V,6: LM 3, S. 160 f.): Recha. [... ] Mein Vater liebt Die kalte Buchgelehrsamkeit, die sich Mit todten Zeichen ins Gehirn nur drückt, Zu wenig. 96 Vgl. Lappert, S. 12. - Pütz (S. 68) sieht bereits mit der durch den Titel evozierten Erwartungshaltung das für die frühen Lustspiele konstatierte Prinzip der Umkehrung gegeben. 97 Lessing an Justina Salome Lessing, 20. Januar 1749: LM 17, S. 7.
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tung in gewisser Weise über die lächerlich-törichten Protagonisten der zeitgenössischen Lustspiele hinausreicht. Eine Entwicklung des Jahrhunderts wird in dieser Figur an den Pranger gestellt und so zu einer spezifischen Zeitkritik am Gelehrtenturn. Wie der im Mittelpunkt stehende gelehrte Herr Damis entsprechen auch die übrigen Figuren weitgehend dem Konstellations- und Typenschema satirischer Komödienkonzeption. Definiert sich Damis einzig über seine falsch verstandene Gelehrsamkeit, so steht ihm in der Person des Kaufmanns Chrysander ein weiteres personifiziertes Laster zur Seite, dessen Handeln und Sein ganz im Sinne seines sprechenden Namens eines Geldmannes ausschließlich von materiellen Überlegungen geleitet werden. 98 Die Einführung dieses zweiten lächerlich-unvernünftigen Übels repräsentiert im Jungen Gelehrten nicht wie noch in der binomischen Bauweise einen moralischen Mißstand der Gesellschaft, dessen Opfer der törichte Protagonist Damis wird. Mit dem Kaufmann steht vielmehr eine individuelle Verfehlung vor Augen, deren Konzeption strukturell bedingt ist, da Chrysanders Laster letztlich den Handlungsanstoß für die Liebesverwirrung dieser Komödie gibt. Damis selbst scheint ob seiner Passivität als Initiator der Heiratshindernisse nicht geeignet. Bleiben die Reaktionen seines Sohnes unberechenbar99 und lassen so Lisettens Bemühungen, Juliane in ein wenig schmeichelhaftes Licht zu tiikken, gerade nicht die intendierte Wirkung erzielen, ist der Vater in seiner Geldgier völlig durchschaubar und wird dadurch zu einer Marionette im Spiel des Dienerpaares: "Gott sey Dank! daß Sie wieder zum Kaufmanne werden! Vorhin hätte ich bald nicht gewußt, was ich aus Ihnen machen sollte"IOO, ruft Anton aus. In diesem Sinne gebiert die Aussicht auf ein durch Juliane zu erringendes Vermögen die schon im zweiten Auftritt eingeführte Idee einer Verbindung seines Sohnes mit dem Mündel. Folgerichtig läßt ihn die gefälschte Nachricht über die Aussichtslosigkeit des angestrebten Prozesses von der hartnäckig vorangetriebenen Hochzeit Abstand nehmen und ebenso zwangsläufig bewirkt das Eingeständnis der Intrige erneut einen vom Zuschauer schon erwarteten Sinnes wandel Chrysanders. Geschickt argumentierend bricht er nun sein Valer gegebenes Versprechen und sucht wiederum Damis zur Ehe mit Juliane zu bewegen. Neben dieser allzu materiellen Orientierung haftet dem alten Kaufmann noch ein weiterer lä98 Zur Verwandtschaft dieser Figur mit der Commedia dell'arte vgl. Catholy, Das deutsche Lustspiel, S. 58. 99 In dieser Unberechenbarkeit offenbart sich Damis aber zugleich auch als typisierte Gestalt, bemerkt doch Anton treffend, daß es unmöglich sei, die Gemütsart eines jungen Gelehrten zu ergründen, da "er alle Augenblicke eine andre" habe (Lessing, Der junge Gelehrte, 1,6: LM 1, S. 297). lOO Ebd., 1,6, S. 304.
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cherlieher Zug an, der im Grunde als ein zweites Laster bezeichnet werden muß. Seine sprachkomische Manie, alltägliche Aussagen mit lateinischen Zitaten und einem stereotyp wiederholten "wie wir Lateiner sagen/reden" zu schmücken, tritt insbesondere in den Gesprächen mit seinem Sohn, aber auch gegenüber Anton zu Tage und läßt als ein übertriebener Versuch, gelehrt zu scheinen, das Publikum wohl herzlich lachen. IOI Gleichzeitig hält der junge Lessing hier dem Zuschauer einen Spiegel vor, indem er überzogene Ausprägungen eines Bildungsbürgertums, das sich auf sein Wissen allzu viel zugute hält, in der Figur des Kaufmanns satirisch geißelt. Trotz dieser törichten Bemühungen, mittels seines zweifelsohne vorhandenen Zitatenschatzes die eigene Gelehrsamkeit unter Beweis zu stellen, erkennt Chrysander doch in seltenen Momenten die Unvernunft seines Sohnes und vermag diesem sogar mit einer durchaus vernünftigen Verhaltensregel zu raten: Immer über den verdammten Büchern! Mein Sohn, zu viel ist zu viel. Das Vergnügen ist so nöthig, als die Arbeit. [... ] Ich habe in meiner Jugend auch studirt; [... ] Aber daß ich beständig über den Büchern gelegen hätte, das ist nicht wahr. Ich gieng spazieren; ich spielte; ich besuchte Gesellschaften; ich machte Bekanntschaft mit Frauenzimmern. Was der Vater in der Jugend gethan hat, kann der Sohn auch thun; soll der Sohn auch thun. 102 Chrysander wirkt zwar aufgrund seiner Sprachkomik als lächerlicher alter Mann, sein Vorschlag hingegen ist so unrecht nicht. Auch Lessing hat im berühmten Brief an seine Mutter von der Wichtigkeit und Notwendigkeit gesellschaftlichen Umgangs gesprochen, um zu einem wahren Menschen zu werden. Obgleich selbst eine Lasterfigur, darf sich der Kaufmann damit ebenfalls zu den übrigen dramatis personae zählen, die mit unterschiedlichen Mitteln bemüht sind, Damis seine falsche Definition von Gelehrsamkeit einsichtig zu machen. Da hier jedoch zwei, wenn auch im Grade der Lächerlichkeit unterschiedene törichte Gelehrte aufeinandertreffen,103 müssen die Bemühungen des Alten letztlich vergeblich bleiben, die Unterhaltungen der beiden tragen aber entschieden zur Erheiterung des Publikums bei. Die auf diese Weise erzielte komische Intensivierung scheint indes nicht das einzige Argument für Chrysanders doppelte Lasterhaftigkeit zu sein. Bliebe dieser nur auf die Verkörperung der Geldgier beschränkt, so würde er in den Auseinandersetzungen mit seinem Sohn, die eben nicht um materielle Aspekte kreisen, weniger lächerlich und zu sehr als Vertreter der 101 Eine ähnliche Form der lächerlichen Charakterisierung wählte Lessing schon für die Figur Orontes in Damon, oder die wahre Freundschaft. Auch hier wird die Geldgier mit stereotyp wiederkehrenden Phrasen gepaart, wenngleich Chrysander in seiner doppelten Lasterhaftigkeit über diesen Toren hinausreicht. 102 Lessing, Der junge Gelehrte, 1,2: LM 1, S. 285 f. 103 Damis selbst heißt seinen Vater ob dieser Manie einen Narren (vgl. ebd., 11,4,
S. 318).
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Tugendpartei, ja fast als gemischter Charakter erscheinen. Da Chrysanders Verfehlung jedoch die Ursache für die Liebeshindernisse darstellt, sah Lessing wohl die Notwendigkeit, diese Figur zwangsläufig mit einer weiteren lasterhaften Seite ins Spiel zu bringen, um ihre negative Einheit zu wahren. Nicht zuletzt kommt der zweiten Torheit des Vaters werkimmanent eine psychologisierende Funktion zu. In einer derart veräußerlichten Bildungsatmosphäre aufgewachsen, macht sie die Auswüchse des schein-gelehrten Gebarens des jungen Damis ansatzweise plausibel. Während die Titelfigur ganz im Sinne der zeitgenössischen Wirkungsästhetik zur Vernunft gebracht werden soll, darf Chrysander bleiben, wie er ist. Mit keinem seiner Laster wird er zur Zielscheibe der vernünftig-argumentativen oder ironischen Bekehrungsversuche seiner Umgebung. Um die beiden Toren gruppieren sich nun ebenfalls paarweise die übrigen, dem Komödienrepertoire der Zeit entstammenden Personen: Das Bedienstetengespann Anton und Lisette in der Rolle des teilweise etwas schwerfälligen Dieners und der schlauen Kammerzofe, sowie das fast obligatorische Liebespaar, nämlich Juliane, ein an die edelmütige Gestaltung des rührenden Lustspiels erinnerndes "zärtliches Frauenzimmer", und ihr zunächst aussichtslos werbender Liebhaber Valer. 104 Die dramatisch schwächste Figur stellt zweifelsohne Juliane dar. 105 Kaum an Eigenleben gewinnend, entspricht sie dem traditionellen Muster der gehorsamen Tochter, die sich wie schon Luischen in der Pietisterey den Wünschen eines Elternteiles passiv fügt und schließlich nicht bereit ist, ihr Glück auf einen Betrug zu gründen. Der durch die Liebe zu Valer einerseits und andererseits in der Dankbarkeit gegenüber dem Ziehvater Chrysander angelegte innere Konflikt kommt nicht zum Tragen, lediglich in zwei kleinen Bemerkungen deutet Juliane einen seelischen Zwiespalt an. So äußert sie gegenüber Lisette: Seine Wohlthaten vollkommen zu machen, trägt er mir die Hand seines Sohnes, und mit ihr sein ganzes Vermögen an. Aber wie unglücklich bin ich dabey! Dankbarkeit und Liebe, Liebe gegen den Valer, und Dankbarkeit __ 106 und wenig später zu ihrem Geliebten: Wann Sie wüßten, wie viel es ihr [sie selbst], gegen die Rathschläge der Liebe taub zu seyn, koste; wann Sie wüßten, Valer _ _107
104 Die Personenkonstellation bzw. Anlage dieser Figuren im Jungen Gelehrten hat in der Forschungsdiskussion, die sich weitgehend auf den Protagonisten Damis konzentrierte, meist nur wenig Aufmerksamkeit gefunden. 105 Vgl. zur Julianen-Figur Lapper!, S. 16. - Durzak, S. 36 f. 106 Lessing, Der junge Gelehrte, 1,8: LM 1, S. 305. 107 Ebd., 11,1, S. 307.
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Ein echtes Ringen um einen Ausweg aus dieser eigentlich verzweifelten Situation ist jedoch nicht erkennbar, dem Typ entsprechend beabsichtigt Juliane schicksalsfolgsam, sich dem Wunsch des Vormundes zu beugen.!08 Ihr Plan, durch Lisettens schlechtes Leumundszeugnis Damis von der Eheschließung abzubringen, ist nur ein schwacher Emanzipationsansatz und relativiert ihre duldende Haltung kaum. Innovativ innerhalb des tradierten Handlungsmusters der satirischen Komödie ist allerdings die nunmehr stärker tugendhafte Ausrichtung dieser Figur, die sie auch sprachlich den weiblichen Gestalten in Gellerts rührenden Lustspielen nahe rückt. Wie jene zeigt Juliane eine überaus edle Gesinnung, die nicht ihr eigenes Glück, sondern die Verpflichtung und das Wohlergehen ihrer Mitmenschen, in diesem Falle Chrysanders als Handlungsmovens wählt: Ich bin ihm zu viel schuldig; er hat durch seine Wohlthaten das größte Recht über mich erhalten. Es koste mir was es wolle; ich muß die Heyrath eingehen, weil es Chrysander verlangt. Oder soll ich etwa die Dankbarkeit der Liebe aufopfern? Sie sind selbst tugendhaft, Valer, und Ihr Umgang hat mich edler denken gelehrt. Mich Ihrer werth zu zeigen, muß ich meine Pflicht, auch mit dem Verluste meines Glückes, erfüllen. 109
Diesen großen Verzicht kann sie jedoch entgegen ihren vorbildlichen Schwestern nicht mehr als einen Akt deuten, aus dem ihr selbst wiederum Glück und Befriedigung zuteil wird. Bei all ihrer starren Tugendhaftigkeit, die Juliane zwingt, Chrysander schließlich die Wahrheit über die vermeintliche Nachricht des Advokaten zu entdecken, wird sie wenigstens in diesem einen Moment ein Stück weit menschlich-plausibler gezeichnet als dies noch bei den GelIertsehen Gestalten der Fall war. Gleichwohl erscheint hier ein Moment der Rührung, vergleichbar jenem der rührenden Komödie, das durch Julianens edelmütige Haltung hervorgerufen wird. Valer verkörpert demgegenüber die dramentheoretisch aufschlußreichste Figur dieses frühen Werkes, wenngleich sich auch er noch stark im Rahmen des bekannten jugendlichen Liebhabers bewegt. Vergeblich um die Hand der Tochter werbend, kann er, wie seine unglücklichen Kollegen vor ihm, die Situation nicht aus eigener Kraft lösen, sondern bedarf als eine eher passive Figur der Hilfe insbesondere der Kammerzofe. So muß auch im 108 Zur passiven Haltung der liebenden Tochterfiguren in den Lustspielen des 18. Jahrhunderts vgl. Müller, S. 119-121. 109 Lessing, Der junge Gelehrte, lI,l: LM I, S. 306. - Vgl. hier auch die für das rührende Lustspiel typische Handlungsweise und Diktion, wie z. B. Gellert in der Betschwester (In: Christian Fürchtegott Gellert, Werke. Bd. 1. Hrsg. von Gottfried Honnefelder. Frankfurt am Main 1979, S. 496) formuliert: LORCHEN Beruhigen Sie sich, wenn ich Ihnen [Simon] gestehe, daß es mir so sauer ankommt, dieses zu sagen, als es Ihnen sein kann, es anzuhören. Genug, ich opfere die Liebe der Freundschaft auf, mein Herz mag dawider sagen, was es will.
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Jungen Gelehrten Lisette dem leidenden Valer auf die Sprünge helfen, der trotz der ausgeheckten Intrigen zweifelnd und zögerlich bleibt, indes nicht wie Juliane moralischer Bedenken wegen, sondern aufgrund genereller Zweifel am Gelingen des Planes. Gleichwohl vertraut er dessen Ausführung der schlauen Lisette an und stellt ihr eine recht ansehnliche Belohnung in Aussicht. In der Rolle des Liebhabers geht Valer somit noch weitgehend mit anderen erfolglosen Bewerbern satirischer Lustspiele konform, darüber hinaus werden in seiner Beurteilung von Liebe und Reichtum Impulse der Rührkomödie evident, wenn Julianes Tugend, nicht die Höhe der Mitgift sie als Braut erstrebenswert macht. 110 Strukturell neuartig erscheint, daß die bisher eher blasse und in die Nebenhandlung verbannte Liebhabergestalt von Lessing nun nachdrücklich als Gegenfigur des lasterhaften Protagonisten konzipiert wird und zusammen mit den insgeheim das Haus regierenden Dienern 111 ausdrücklich die kontrastive Welt des gesunden Menschenverstandes und der Vernunft repräsentiert. Zu einem Kontrastbild und damit zur Verkörperung rechten aufgeklärten Gelehrtenturns macht ihn nicht zuletzt ein Urteil aus Damis' Munde: Valer? [... ] Die Zeiten sind vorbey, da ich ihn hochschätzte. Er hat seit einigen Jahren die Bücher bey Seite gelegt; er hat sich das Vorurtheil in den Kopf setzen lassen, daß man sich vollends durch den Umgang, und durch die Kenntniß der Welt, geschickt machen müsse, dem Staate nützliche Dienste zu leisten. Was kann ich mehr thun, als ihn betauern? Doch ja, endlich werde ich mich auch seiner schämen müssen. Ich werde mich schämen müssen, daß ich ihn ehemals meiner Freundschaft werth geschätzt habe. 112
Indem gerade der lächerlich-törichte Protagonist den Wert und die Lebenseinstellung seines ehemaligen Freundes mißbilligt, widerfährt dieser Haltung in den Ohren des vernünftigen Publikums ihre Legitimation. In dieser Funktion gelingt es Valer auch, die Typenhaftigkeit einer satirischen Komödienfigur zu durchbrechen. Nicht weil er wie die Gellertschen Tugendfiguren intuitiv um das Wesen wahrer Gelehrsamkeit weiß, durchschaut und verurteilt Valer den veräußerlichten Bildungsbegriff des Damis, sondern weil er sein eigenes früheres Verhalten darin wiedererkennt: Und Sie wollen sich auch bey mir verstellen? Ich weiß die Zeit noch sehr wohl, da ich in eben dem wunderbaren Wahne stand, es ließe gelehrt, so zerstreut, als möglich, und auf nichts, als auf sein Buch aufmerksam zu thun. 113
lIO Vgl. ebenso Simon in der Betschwester, Anton im Loos in der Lotterie, sowie Simon in den Ziirtlichen Schwestern. Diesen Charakterzug betonte ebenfalls J. E. Schlegel bei Jungwitz in der Stummen Schönheit. III Vgl. Hinck, Das deutsche Lustspiel des 17. und 18. Jahrhunderts, S. 274. ll2 Lessing, Der junge Gelehrte, II,12: LM 1, S. 331. 113 Ebd., III,7, S. 349.
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Als einzige Figur dieser Komödie läßt Valer damit eine Entwicklung erkennen, die ihn, auch wenn sie bereits vor Handlungsbeginn vollzogen war, aus der Geschichtslosigkeit der übrigen Figuren heraushebt. Doch nicht nur am Verhalten Damis' äußert Valer Kritik, auch konstitutive Elemente der Typenkomödie greift der junge Lessing, welcher zweifelsohne durch diese Figur spricht, indirekt anY4 So wird das von Gottsched als Conditio sine qua non betrachtete Verlachen, welches ohne Zweifel auch für den Jungen Gelehrten das satirische Gerüst bildet, erstmals vorsichtig in Zweifel gezogen, wenn Valer auf Julianens Frage: "Und wir lachen ihm [Damis] nicht nach?", erwidert: Nein, Juliane; eine bessere Freude mag uns jetzt erfüllen; und beynahe gehört eine Art von Grausamkeit dazu, sich über einen so kläglichen Thoren lustig zu machen. I 15
Das pejorierende Lachen über die Lasterfigur ist an dieser Stelle bei den Figuren auf der Bühne erstmals einer fast mitleidigen Regung für diese Gestalt gewichen. Dieser von den Dramengestalten im Stück selbst geführte poetologische Diskurs über das Wesen der Komödie setzt sich an anderer Stelle fort. Während Lisette die Position der Typenkomödie vertritt, daß alle Advokaten von einerlei Gesinnung, d.h. bestechlich seien, verwirft Valer diese Gottsched verpflichtete Schematisierung als ein "zu allgemein[es] [Urteil, da] nicht alle Personen von einerley Stande [... ] auf einerley Art gesinnet,,1l6 seien. ll7 Ohne Zweifel begegnet in Valer eine frühe, die Figur des Damon in der Wahren Freundschaft übersteigende Verkörperung jenes von Lessing späterhin beschriebenen gemischten Charakters. Nicht nur ihre Biographie und ihre einer menschlichen Typisierung widersprechenden Aussagen konstituieren die Individualität dieser Figur, an ihr werden auch die vom Hamburger Dramaturgen notwendig erachteten Lichter und Schatten evident. Von Juliane als edel und tugendhaft charakterisiert, billigt Valer im Gegensatz zu seiner Geliebten eine im Grunde doch unredliche List zunächst ohne moralische Bedenken, nicht um Chrysander zur Vernunft zu bringen, sondern allein um sein Glück zu retten. Auch in den Ziirtlichen Schwestern beteiligt sich der Liebhaber an einer Intrigenhandlung, die sich im Gegensatz zum Jungen Gelehrten gegen die Angebetete mit dem Ziel richtet, sie von ihrer starrköpfigen Freiheitsliebe zu kurieren. Dieses Vorgehen muß in Gellerts Stück eindeutig als Strukturelement der satirischen Komödie gel114
IIS
Vgl. auch Böhler, S. 259 f. Lessing, Der junge Gelehrte, III,9: LM I, S. 351.
Ebd., 11,2, S. 310. Aus dem Munde des törichten Gelehrten verliert auch Damis' typisierendes Frauenbild an Glaubhaftigkeit und wird so von Lessing letztlich als nicht überzeugend entlarvt (vgl. ebd., 1,2, S. 289). 116 117
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ten, während das Ränkespiel bei Lessing seines didaktischen Impetus beraubt wird. Da "dieser Betrug [doch ... ] zu arg"ll7a wäre, wird zwar im Handlungsverlauf die frühere Einwilligung etwas halbherzig zurückgezogen, gleichwohl ist Valer nach Lisettens Entdeckung, ihr fingierter Brief habe Chrysanders Sinneswandel bewirkt, allzu gerne bereit, den Kaufmann in seinem falschen Glauben zu lassen, und sucht auch, seine Braut an der Aufdeckung dieser Intrige zu hindern. Valer kann damit keineswegs mehr als ein rein tugendhafter Charakter im Sinne Gellerts bezeichnet werden, wohl aber als ein Liebender, dessen Verhalten uns zwar moralisch nicht ganz einwandfrei, sicherlich aber menschlich plausibel erscheint. Demgegenüber treten in Lisette und Anton zwei weitere charakteristische Vertreter ihres Standes auf die Bühne. Ist es Lisette, die als schlaues Kammermädchen sowohl mit Damis als auch mit Chrysander und Anton ihr Ränkespiel treibt, steht ihr in Anton bald ein etwas einfältiger Diener, der die Republik der Gelehrten auf der Landkarte sucht, bald ein durchaus geistreicher Witzbold, der seinen Herrn durchschaut und auf s Korn nimmt, zur Seite. 118 Traditionell ergreift die Zofe von Beginn an hilfreich Partei für die Liebenden, wenngleich sie aus ihrer Unterstützung nicht ganz uneigennützig noch Kapital zu schlagen weiß; Anton dagegen läßt sich ausschließlich von den materiellen Versprechungen Chrysanders verleiten, die Heirat zwischen Juliane und Damis zu bewerkstelligen, ehe eine noch lukrativere Belohnung von seiten Valers und die greifbare Verbindung mit Lisette ihn zu Beginn des dritten Aufzuges die Seiten wechseln lassen. Mit dieser weitgehend aus pragmatischen Überlegungen resultierenden Liaison der Bediensteten, die parallel zur eher zärtlich-rührenden Liebesbeziehung der Herrschaft verläuft, greift Lessing schließlich auf ein weiteres bekanntes Komödienelement zurück. Festzuhalten bleibt, daß somit fast alle Figuren dieses Lustspiels auf wenige Züge reduzierte Typen darstellen. Selbst Damis, der mit seinem verfehlten Bildungsbegriff als Kind der Aufklärung und als Kritik an dieser Erscheinungsweise anzusehen ist, bleibt dennoch eine Figur ohne eigene Biographie. Es sind mit Ausnahme Valers überwiegend zeit- und geschichtslose Personen, ohne Individualität und innere Entwicklung, die gemäß der gängigen Komödienproduktion der Gottsched-Ära lediglich typische Repräsentanten eines Standes oder einer allgemeinen Torheit darstellen. Obschon Der junge Gelehrte durch seine Personenkonstellation und Ebd., 1I,15, S. 335. Rentschler (Lisette, the Laugher, S. 48) bezeichnet Lisette gar als "abrasive laugher" und "a veritable ,Herrin im Hause'. [... ] She (and Anton whom she strings along like an appendage) stands at the fulcrum of the comedy's satire, operating as a comic daimon, mediating between the often ineffective world of virtue she serves and the foible-tainted realm of vice she combats". 117a 118
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-zeichnung, den satirisch-verlachenden Umgang mit dem Laster, durch den Rückgriff auf traditionelle Lustspielelemente und ebenso seine Schluß gestaltung, die aufgrund der gescheiterten Korrektur die freiwillige Isolation des Toren nach sich zieht, als satirische Typenkomödie kenntlich wird, so zeigen sich neben den oben genannten poetologischen Ansätzen, welche die bisher gültige Form aufbrechen, kunstvolle Modifikationen innerhalb dieser tradierten Struktur. Spielgestaltend ist neben der Einführung einer zweiten, nicht binomisch begründeten Lasterfigur insbesondere die Multiplikation der inszenierten Intrigen. Zwar richten sich diese fast ausschließlich von Anton und Lisette getragenen Manöver gegen beide Lasterfiguren, intendieren jedoch keine Besserung oder Korrektur Chrysanders und Damis', vielmehr entspringen sie allein der Nebenhandlung und zielen ebenso ausschließlich nur auf eine Lösung der Heiratsverwicklungen. Ein erstes Ränkespiel eröffnet Chrysander, indem er den Diener seines Sohnes besticht, "durch Wahrheiten oder durch Lügen, durch Ernst oder Schraubereyen" 119 Damis' Zustimmung zu der vorteilhaften Heirat mit dem Mündel zu erlangen. Die unabhängig davon durch Juliane ersonnene Intrige läuft dem Plan ihres Zieh vaters nun diametral entgegen, soll doch Lisette mittels eines schlechten Leumundszeugnisses für ihre Herrin eine Weigerung des ungeliebten Kandidaten provozieren. Diese gegenläufigen Intrigenstränge kulminieren nun auch sprachlich in Szene 11, 11. Dem von Lisette erdichteten Lasterkatalog setzt Anton stets nur ein "Und ich sage: Lügen!" entgegen, während Damis seinerseits diese Eigenschaften mit einem ebenso stereotyp wiederholten "Kleinigkeit!" abtut. Der Versuch Lisettens, Juliane so abschreckend wie möglich zu schildern, endet schließlich in der unerwarteten Wendung, daß Damis sie eben ihrer Untugenden wegen zur Frau begehrt. Die Intrige scheitert damit an der Unberechenbarkeit des törichten Gelehrten und kehrt sich wie später bei Minna gegen ihre Urheberin. Von Erfolg gekrönt ist dagegen die wiederum von Lisette und später auch von Anton getragene Briefintrige, nachdem Chrysander in seiner Geldgier völlig berechenbar ganz im Sinne seiner Lasterhaftigkeit handelt und die vormals willkommene Schwiegertochter nunmehr ablehnt. Letztlich scheitert jedoch dieses Unterfangen an Julianens Tugendverständnis und Aufrichtigkeit. Der mit der Brieffälschung zunächst gekoppelte Versuch, den Advokaten zu bestechen, tritt als ein totes Motiv nicht weiter in Erscheinung. Die Kontinuität einer Aktion ist damit im Jungen Gelehrten sich steigernden Intrigenhandlungen gewichen, die ihrerseits eine Intensivierung des Spannungsverlaufes inaugurieren. Keines der komischen Ränkespiele vermag aber diese Komödie zu lösen. Nicht infolge einer gelungenen, den fehlerhaften Chrysander korrigierenden List wird das liebende Paar vereinigt, vielmehr ergibt sich die Lösung des (Liebes-)Konflikts aus den Charakteren selbst. Erst 119
Lessing, Der junge Gelehrte, 1,6: LM 1, S. 302 f.
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Julianens und Valers freiwilliger Verzicht auf das zu erwartende Vennögen zugunsten des Vonnundes erwirkt, ja erkauft dessen Einwilligung in die Heirat. Lessing scheint hier seine zwanzig Jahre später in der Hamburgisehen Dramaturgie fonnulierten Überzeugungen, nicht eine Intrige solle das Spiel endigen, sondern die Charaktere selbst, wobei der törichte Protagonist am Ende nicht notwendig bestraft oder gebessert werden müsse 120, erstmals in Ansätzen anzukündigen. Juliane und Valer führen selbst ihr Happy-End herbei, Chrysander hingegen legt sein Laster nicht ab, ja er sieht sich durch die Aussicht auf den Nachlaß sogar noch im Vorteil. Der törichte Damis wird zwar durch den beißenden Spott seiner Umwelt und insbesondere die schonungslose Offenheit des Briefes aus Berlin düpiert und in gewisser Weise gestraft, er entzieht sich aber unbelehrbar den Konsequenzen, indem er sich ins Ausland flüchtet und dort auf kommenden Gelehrtenruhm hofft. Diese dramatisch geschickten Modifikationen der satirischen Komödienstruktur fanden bisher in der wissenschaftlichen Diskussion nur wenig oder keinerlei Beachtung. 121 Einzig die sprachlich-stilistische Gestaltung des Jungen Gelehrten läßt ihn nach dem Urteil der Forschung über die Lustspielproduktion der Zeit hinausreichen. Pointierte Repliken, die in raschem Wechsel fallen, ersetzen hier die vielfach langatmigen Gespräche der zeitgenössischen Komödien. 122 Ein virtuoser Sprachwitz vor allem auf seiten der Diener sowie eine bei Chrysander und Damis zu findende Sprachkomik, die auffällig stark mit Repetitionen, Ellipsen, Ironisierung, einem Wörtlichnehmen von übertragen Gemeintem oder Herausgreifen einzelner Begriffe arbeitet, charakterisiert dieses Frühwerk. Hinck urteilt, daß Lessing mit diesem Stück überhaupt den überzeugendsten Beweis seiner komischen 120 Lessing, HD, 99. Stück: LM 10, S. 200. - Vgl. dazu 1. Teil, Kapitel V. 5 dieser Arbeit. 121 Laut Steinmetz (Die Komödie der Aufklärung, S. 63) übernimmt Lessing für diese Komödie "ohne Einschränkung und ohne Veränderung den gebräuchlichen Apparat des Personals und der Motive". - Vgl. auch Wiedemann (S. 215), der als einzigen interessanten Zug den biographischen Hintergrund des Verfassers bezeichnet. 122 Vgl. Steinmetz, Die Komödie der Aufklärung, S. 63. - Pütz, S. 79 f. - Durzak, S. 42 f. - Ähnlich Marion Hoensbroech (S. 96-101), die in Lessings Dialogführung inhaltlich die Grundproblematik des Jungen Gelehrten, nämlich ein Aufeinanderprallen von natürlicher und verfremdet gelehrter Sprache, kunstvoll gestaltet sieht. Stilistisch erkennt Hoensbroech in dieser Form des Gesprächs das von Böckmann schon in den dreißiger Jahren gewürdigte Formprinzip des Witzes, das sich für Lessings Lustspiele als bestimmend erweise (vgl. Paul Böckmann, Das Formprinzip des Witzes in der Frühzeit der deutschen Aufklärung, in: Jahrbuch des Freien Deutschen Hochstifts 1932/33, S. 52-130, hier S. 104-122). - Ausführlich analysiert Metzger (S. 29-57, hier S. 55, 54) die eingesetzten sprachlichen Mittel, die zwar in allen frühen Komödien präsent seien, "but never again are they used with the same self-confident virtuosity, with the same joy in excess which make that first triumph. [... ] It is a language showing great promise of things to come." 11 Kombacher-Meyer
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Gestaltungskunst und Dialogführung gebe. 123 Und schon zu Lessings Lebzeiten hatte Schmid auf die wegweisende Sprachgestaltung des Jungen Gelehrten hingewiesen: "Ihm [Lessing] haben wir die ächte komische Sprache zu danken. Natürlich und dennoch gewählt, familiär und dennoch witzig, körnigt und dennoch geschmeidig, hat sein Dialog alle die vornehmsten Eigenschaften des dramatischen Stils.'d24 Ausgeprägter als in vielen zeitgenössischen Komödien sind ebenso die gestisch-mimischen Aktionen, 125 wenn auch noch nicht derart spiel prägend wie für die Alte Jungfer. Scheint also dieses erste aufgeführte Lustspiel Lessings auf den ersten Blick hin noch ganz den Vorgaben der Gottschedschen Regelpoetik verpflichtet - ganz im Sinne der Critischen Dichtkunst befolgt es die Einheit von Zeit, Ort, Handlung wie auch die Vorgaben für korrekte Szenenwechsel -, so zeigt die eingehendere Betrachtung des Jungen Gelehrten vorsichtige Variationen in dieser vertrauten Lustspielkonzeption. Neben dem überraschend witzigen Sprachduktus werden neue Aspekte der Intrigenanlage, der Personen- und Schlußgestaltung sowie eine erste, kritische, von der dominanten Verlachstruktur allerdings relativierte Reflexion der zeitgenössischen Komödie erkennbar. Der schon im Damon unternommene Versuch, Elemente des sächsischen und rührenden Spiels zu vereinen, gelingt Lessing hier, man denke an die Figur vor allem Julianens, aber auch Valers, mit weniger krassen Übergängen und Brüchen. Von einer Überwindung der aufklärerischen Typenkomödie kann beim Jungen Gelehrten freilich noch nicht die Rede sein, zu starkes Gewicht erhält der verlachende Traditionsstrang; gleichwohl kündigt sich mit diesen Ansätzen, die in den kommenden Jahren entscheidende Sprengkraft erlangen sollten, jene künftige Entwicklung schon an.
3. Die alte Jungfer Wie Damon, oder die wahre Freundschaft hat auch Die alte Jungfer, nicht zuletzt aufgrund des Ausschlusses aus Lessings erster Werkausgabe, nur wenig Beachtung gefunden,126 obgleich dieses frühe Werk durchaus Aufschluß über das Komödienverständnis des noch jungen Dichters zu Vgl. Hinck, Das deutsche Lustspiel des 17. und 18. Jahrhunderts, S. 273. Christian Heinrich Schmid, Chronologie des deutschen Theaters. [0.0.] 1775, S. 128. 125 Vgl. Antons und Lisettens Parodien auf Damis in 11,4 und m,14, Antons Einlage in m,l und das bühnenwirksame Durchsuchen der Taschen in m,15. 126 Eine Einzelstudie zur Alten Jungfer ist nicht bekannt. Alison Scott-Prelorentzos (The Servant in German Enlightenment Comedy, S. 68 f.) sowie Rentschler (Lisette, the Laugher, S. 49-51) streifen dieses Frühwerk nur kurz im Hinblick auf die Figur des Kammermädchens. Die sprachliche Gestaltung untersucht Metzger (S. 66-75). Die Verbindung zur Tradition der Commedia delI' arte und des Theatre 123
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geben vermag. Als nicht ganz eindeutig erwies sich bisher die genaue Entstehungszeit dieser Komödie. Das Titelblatt des bei Voß in Berlin anonym erschienenen Erstdruckes nennt lediglich 1749 als Erscheinungsjahr, der in Schmids Anthologie der Deutschen zusammen mit Damon, oder die wahre Freundschaft veröffentlichte unautorisierte Nachdruck trägt die Angabe "Verfertiget im Jahre 1748,,127. Da Christlob Mylius Die alte Jungfer am 5. Mai 1749 in der Berlinischen Privilegierten Zeitung rezensierte, wurde daraus gefolgert, daß das Stück kurz vor dieser Kritik, nämlich zur Ostermesse, erschienen, vielleicht aber schon 1748 oder gar noch früher entstanden sei. 128 Ein kleiner, bisher nicht beachteter Hinweis im Text dieser Komödie selbst legt hingegen eine Datierung auf das Jahr 1748 nahe. In der ersten Szene gibt Herr Oronte im Streit mit seiner Ehefrau über die Anzahl der gemeinsamen Ehejahre eine präzise Zeitangabe, die das Stück nicht wie vielfach zeitgenössische Komödien keiner näher bestimmten Epoche zuordnet, sondern es mit der gespielten Zeit in Lessings unmittelbare Gegenwart, in das Jahr 1748, setzt: Hr. Or. Dein Glück, daß du wiederruffst! Von 1724 bis 1748 sollen nicht mehr als 24 Jahr seyn! bist du närrisch?129
Es ist durchaus überzeugend, in diesem aktuellen Bezug auch das Jahr der Entstehung, zumindest aber des Beginns der Arbeit an der Alten Jungfer zu sehen. Selbst wenn die Genese des Lessingschen Frühwerkes sowie die genaue Situierung dieses Lustspiels im Gesamtreuvre noch nicht eindeutig geklärt ist, so wird, entgegen der von Stenzel vertretenen Meinung, eine Erkenntnis über die Relevanz der Alten Jungfer sei entschieden von der Werkchronologie abhängig,130 die Bedeutung dieses Lustspiels für Lessings dramatische Entwicklung hinreichend aus seiner Struktur ersichtlich. Die alte Jungfer stellt wie die vorangegangenen Stücke Damon, oder die wahre Freundschaft und Der junge Gelehrte einen weiteren Versuch in Lessings Ringen um eine individuelle Komödienform dar, das in diesen ersten Jahren des literarischen Schaffens weniger als ein kontinuierliches Fortschreiten denn als ein Aufgreifen, Experimentieren und Modifizieren vorgefundener Möglichkeiten im weiten Feld der europäischen Lustspieltradition zu werten ist. Mit diesem Entwurf einer rein possenhaften Szenerie kehrt Lessing, wie schon Schmidt nachdrücklich betont, zu den von Gottsched verworfenen italien betont nachdrücklich Hinck (Das deutsche Lustspiel des 17. und 18. Jahrhunderts, S. 266-269). 127 Vgl. B 1, S. 1045. 128 Vgl. Stenzel, in: B 1, S. 1091. 129 Lessing, Die alte Jungfer, 1,1: LM 3, S. 204. 130 Vgl. Stenzel, in: B 1, S. 1091. 11*
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Wurzeln der europäischen Komödientradition, zu Commedia dell'arte bzw. Theatre italien, zurück l3l und entfernt sich so entschieden von der zeitgenössischen Lustspielpoetik, ja stellt sich in deutlichste Opposition zu Gottscheds Regelwerk. Die den Klassizisten unabdingbare Forderung nach der Bestrafung des Lasters und einer damit verbundenen Belehrung und Erbauung sowohl der Bühnenfiguren als auch der Zuschauer ist hier einer weitgehend auf bloße Erheiterung ausgerichteten satirischen Darstellung gewichen. Diese Farce, wie Lessing später in den Collectanea "eine Komödie, die bloß Lachen erregen Will,,132, nennt, belegt nun schon am Beginn seines theatralischen Schaffens nachdrücklich seine Autonomie gegenüber der herrschenden Theorie und Praxis. Jene auch in den frühen Rezensionen und poetologischen Zeugnissen spürbare Eigengesetzlichkeit des jungen Kritikers findet mit dieser Dramengestaltung ihren deutlichen Ausdruck. Nicht zuletzt stellt Die alte Jungfer Lessings frühestes Eintreten für die Berechtigung einer moralisch wertfreien, d. h. einer didaktisch nicht instrumentalisierten Komik und die Möglichkeit eines lustigen Spiels um seiner selbst willen dar, dessen Wirkung weniger auf einem fein geknüpften Handlungsverlauf und Spannungsbogen als auf dem komischen Eigengewicht der einzelnen Szenen beruht. Ach! Grillen, dazu wird man nimmermehr zu alt! und wie alt sind Sie denn? Wie lange ist es, daß ich Sie noch habe auf dem Arme herum tragen sehn? Wenn es 50, ein, zwey - - je nu - - etliche funfzig Jahr ___ 133
Bereits Orontes erste Worte und die Replik der Jungfer, die ganz in der Tradition der satirischen Komödie mit dem sprechenden Namen "Ohldin" (engl. old = alt) gekennzeichnet ist, legen die Beurteilung der Hauptperson fest: Eine Jungfer, die nicht per se wegen ihres Alters lächerlich wird, sondern erst durch ihre ungemäßen Heiratspläne Spott und Gelächter ihrer Umgebung und des Publikums provoziert. Das Gespräch mit Clitander, dem Freund ihres jüngeren Verwandten, formuliert nochmals expressis verbis diese offensichtliche Wahrheit, welche die alte Jungfer jedoch als eine typi131 Schmidt (Lessing, Bd. 1, S. 131 f.) und ihm folgend Hinck (Das deutsche Lustspiel des 17. und 18. Jahrhunderts, S. 266) erkennen Regnards und Dufresnys Komödie Les Chinois als Vorbild für die Intrigenhandlung der Alten Jungfer, das Erbschaftsmotiv könnte durch den ebenfalls in Gherardis Sammlung enthaltenen Le Ugataire universel von Regnard entstanden sein. Welche Kenntnis Lessing in seinen frühen Jahren tatsächlich von der europäischen Theaterproduktion besaß, ist nicht definitiv klar. Ähnlich vage ist aufgrund der unzureichenden Quellenlage zum zeitgenössischen Theaterrepertoire sowie Lessings eigenem Stillschweigen, inwiefern er beim Entwurf dieser Posse auf volkstümlich-unregelmäßige Spiele deutscher Schauspieltruppen oder gar in Leipzig vorgefundene Inszenierungen zurückgreift bzw. an eine mit Shakespeare vertretene englische Lustspieltradition anknüpft. 132 Lessing, Collectanea: LM 15, S. 218. 133 Lessing, Die alte Jungfer, 1,1: LM 3, S. 201.
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sche, d. h. blinde, sich ihrer Torheit nicht bewußte Figur entschieden zurückweist: Jf. Ohld. Ich weis nicht, worüber die Stadt lachen sollte. Ist denn eine Heyrath so was lächerliches? die gottlose böse Stadt! Clit. Sie thun der Stadt unrecht. Sie lacht nicht darüber, daß Sie heyrathen, sondern, daß Sie nicht schon vor 30 Jahren geheyrathet haben. 134
Ihre Vermählungswut wird in den ersten Szenen bereits hinreichend kenntlich und um so mehr verlacht, als weder positive Tugenden, Vernunft, Anstand, ja nicht einmal ein eventueller Besitz des Zukünftigen, wie bisher in den Lustspielen üblich, den Ausschlag für die Wahl der Ohldin geben, vielmehr lautet ihre Devise nach mehr als einem Dutzend erfolgloser Versuche: Ein wie auch immer gearteter Mann um jeden Preis! Gesteigert wird der Heiratswunsch der Jungfer zwar noch durch die Tatsache, daß es sich bei dem Bewerber, dem Capitaine von Schlag, um einen Adeligen handelt, doch bildet auch dies letztlich nicht den eigentlichen Anstoß für das JaWort. Lessing greift hier das gängige Motiv einer Heirat über dem eigenen Stand auf, im Vergleich zu anderen Lustspielbearbeitungen birgt es jedoch keinen Konfliktstoff und erscheint für die Entwicklung des Stückes nicht weiter relevant. An dieser Stelle dient der schmeichelhafte Hinweis auf die adelige Abkunft weniger einer Charakterisierung der alternden Braut, als er vielmehr einen ganz allgemeinen, satirischen Nadelstich des jungen Autors gegen die vielfachen Aufstiegsbestrebungen des Bürgertums in dieser Zeit darstellt. Selbst eine im Kriege erlittene Versehrtheit des Capitaines und die im Laufe der Handlung ans Licht kommende enorme Verschuldung können die nur zum Schein zögerliche Jungfer nicht abhalten, in die Heirat einzuwilligen. Diese ganz augenscheinlich aufgrund von Mannstollheit und finanziellen Interessen gestiftete Ehe nun fortan aus dem Munde der Ohldin als ein dem Himmel zuzuschreibendes Ereignis zu sehen,135 verstärkt nicht zuletzt die lächerliche Erscheinung der heiratslustigen Protagonistin. Gottscheds Forderung nach einem zugleich komischen und lasterhaften Helden, der einzig unter einem Wesenszug auf der Bühne erscheint, ist mit der alten Jungfer ohne Zweifel vollauf erfüllt. In diesem Sinne wird lediglich das hohe Alter und der Reichtum der Ohldin genannt, weitere Eigenschaften sind, da für die Charakterisierung und den Handlungsgang unwesentlich, nicht existent. Während die Heiratsabsicht der Jungfer als törichtes Fehlverhalten bereits in der ersten Szene deutlich vorgeführt ist, wird nun im weiteren Verlauf des Dreiakters die Düpierung der Lasterhaften durch ein rein unterhaltendes Spiel überlagert und in den Hintergrund gedrängt. Entgegen der tradierten 134
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Ebd., 11,3, S. 214. Vgl. ebd., 1,2, S. 205. - 1,3, S. 206. - 11,3, S. 214.
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Lustspielpraxis wird damit die Torheit der Protagonistin nicht wie z. B. im Jungen Gelehrten oder im Misogyn in unterschiedlichen Situationen wiederholte Male ausführlich vor Augen gestellt, einzig die Szenen I, I, 1,3 und 11,3 demonstrieren den Fehler ausführlicher. Doch selbst in diesen Auftritten, die der Vorstellung der Jungfer Ohldin dienen, treten sprach-, bewegungs- und situationskomische Elemente hinzu, die nicht eigentlich den Handlungsverlauf vorantreiben, sondern fast ausschließlich der Unterhaltung und Belustigung des Publikums verpflichtet sind. Ergänzt werden diese Momente nicht zuletzt durch zum Teil anzüglich-zweideutige Bemerkungen. Dieses Drängen der Auftritte nach Verselbständigung und komischer Eigenständigkeit läßt bereits der Beginn der Alten Jungfer ahnen, der keine Exposition im eigentlichen Sinne liefert, sondern dem rein belustigenden und im Spannungs bogen funktionslosen Diskurs des Ehepaares Oronte breiten Raum gewährt. Der für Lessing charakteristische Sprachwitz und seine Kunst der komischen Dialogführung, die durch raschen, pointierten Wechsel der Rede bestimmt wird, erreichen damit nunmehr gemeinsam mit dem Jungen Gelehrten einen ersten Höhepunkt in seinem Schaffen und zugleich auch innerhalb der Komödienproduktion der Zeit. Gottscheds Bestreben, das Lächerliche aus der "seltsame[n] Aufführung närrischer Leute", nicht aber aus den "Worten und Gebärden,,136 hervorgehen zu lassen, wird auf diese Weise entschieden negiert. Gleiches gilt für den Auftritt 1,5, das Gespräch zwischen Lelio, der Zofe und dem Gebackenesherumträger Peter mit Lisettes wiederholten Versuchen, aus Peters Korb zu naschen, wie auch die Verwechslung des Schneiders mit dem Poeten in 11,5. Höhepunkt der Situationskomik und zugleich des Stückes selbst liegt schließlich im Verkleidungsspiel Peters, das die Szenen III,6 bis III,9 umfaßt, noch erweitert durch die dramatisch unmotivierte, aber höchst wirksame Begegnung des als von Schlag maskierten Peters mit einem Gläubiger des echten Capitaines. Aufgrund der deutlich possenhaften Gestaltung rückt nunmehr in der Alten Jungfer die von Gottsched als unverzichtbar geforderte Belehrung des Lasterhaften und Erbauung des Publikums fast gänzlich in den Hintergrund. Die Demonstration eines moralischen Satzes, einer Fabula docet an der Gestalt der lächerlichen Alten unterbleibt. Zwar werden die Heiratsabsichten der Ohldin zu Recht von fast allen Personen auf der Bühne als unpassend und deshalb lächerlich empfunden, und so spotten sie gemeinsam über die uneinsichtige Narrheit der Hauptfigur, indes ist trotz dieser Erkenntnis aus ihrem Kreise zu keiner Zeit eine der Vernunft und aufgeklärten Ordnung verpflichtete Stimme vernehmbar, die eine Korrektur um der Jungfer willen unternähme. Eine vernünftige Öffentlichkeit mit dezidiert bürgerlichen Tugenden, die sich dem Zuschauer zur Identifikation anböte, ist in dieser 136
Gottsched, AW VI, 2, S. 356.
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Farce nicht existent. Alle auf der Bühne Erscheinenden erweisen sich vielmehr selbst als mehr oder weniger lasterhafte Figuren, deren Handeln nicht im Interesse eines wiederherzustellenden rechten sozialen Zustandes erfolgt, sondern ausschließlich im eigenen Vorteil begründet liegt. Von dem selbstlosen Habitus und jener wortreichen Tugendhaftigkeit insbesondere im rührenden Lustspiel oder auch in Lessings Erstling ist hier nichts mehr zu spüren. Wiewohl Herr Oronte die Jungfer ob ihres Alters verspottet und sich zweifellos über deren Verrnählungsabsicht lustig macht, betreibt er doch die Verbindung der Ohldin mit dem Capitaine von Schlag nachdrücklich. Allein der finanzielle Gewinn, den diese Kuppelei verspricht,137 veranlaßt Oronte zu einem Vorgehen wider besseres Wissen, das keineswegs das sehr wohl als unpassend erkannte Fehlverhalten zu korrigieren sucht, sondern dies noch fördert. Möchte der Zuschauer nun zunächst an eine mit Oronte angelegte binomische Struktur der Alten Jungfer, d. h. eine Doppelung des Lasters denken, das späterhin zur Rechenschaft gezogen wird, so sieht er sich hier getäuscht. Oronte wird wie die übrigen Figuren, die Vorteil aus dem törichten Verhalten der Protagonistin ziehen, nicht bestraft; im Gegenteil, die in diesem Stück vorwaltende moralische Skrupellosigkeit wird mit dem Ausgang der Alten Jungfer sanktioniert. 138 Oronte, der Capitaine von Schlag, Lelio, Lisette, selbst Peter schlagen am Ende ihren unterschiedlichen, zumeist materiellen Vorteil aus der Eheschließung der Jungfer. Wie ihr Ehemann bezieht auch Frau Oronte nur aufgrund eigener Interessen Position. Nicht rationale Überlegung oder die Sorge um die Jungfer veranlaßt sie, im Verlauf der ersten Szene der Ohldin von der Heirat abzuraten, nur der Streit mit Herrn Oronte ruft diese plötzliche und durchaus komisch wirkende Gesinnungsänderung hervor. Auf Lelios Vorwurf, die ihm zugesagte Hilfe zur Verhinderung der Liaison nicht geleistet zu haben, wiederholt Frau Oronte ausdrücklich als Motivation für ihr sprunghaftes Verhalten: "Ach vorhin war ich mit meinem Manne zerfallen.,,139 Gemeinsam mit ihrem Gatten scheint sie zunächst das zeitgenössische Ideal eines zärtlich-empfindsamen Ehepaares vorzustellen. 14o Die Erwartungshaltung musterhaften ehelichen Zusammenlebens wird jedoch rasch durch die nichtigen Streitigkeiten der bei den ad absurdum geführt, und dies bildet neben dem primären situationskomischen Effekt einen satirischen Angriff auf das empfindsame Eheideal der Zeitgenossen. Unbestreitbar durchzieht dieses Thema der Liebe und Ehe den frühen Versuch Lessings gleich einem roten Faden, allerdings ausschließlich in negativer Art und Weise verkörpert 137
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Vgl. Lessing, Die alte Jungfer, 1,1: LM 3, S. 205. Vgl. Hinck, Das deutsche Lustspiel des 17. und 18. Jahrhunderts, S. 269. Lessing, Die alte Jungfer, III,lO: LM 3, S. 233. Vgl. ebd., 1,1, S. 204.
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durch das zänkische Paar Oronte, den rein auf Vermögen gegründeten Heiratsentschluß von Schlags, die völlige Indifferenz der Jungfer gegenüber dem Charakter ihres zukünftigen Mannes und schließlich auch durch die desillusionierten Bemerkungen Kräusels über den Ehestand. Ohne jedwede positive Folie steht die Posse damit in schärfstem Gegensatz zu den zärtlichen Familienvorstellungen der Empfindsamkeit und Aufklärung. War Orontes Vorantreiben der Heiratsabsichten auf seinen persönlichen Vorteil gegründet, so basieren auch Lelios Einwände gegen die Vermählung seiner Muhme gänzlich auf eigennützigen Überlegungen. Die Konkurrenz eines Gatten fürchtend, könnte ihn diese Eheschließung möglicherweise um das reiche Erbe der alternden Verwandten und damit um sein momentan finanziell gesichertes Leben bringen: Aber was, Henker, werden meine Creditores darzu sagen? die mir mit 12 Procent so christlich ausgeholfen, in Hoffnung, daß ich einst ihr Universalerbe werden würde.[ ... ] Um die, die es schon sind, ist mir nicht sehr leid. Sondern um die, die es etwan noch werden sollten. Auf was werde ich die vertrösten können?141
Eine Lösung der ihm drohenden Misere verspricht eine von der Zofe Lisette ersonnene Verkleidungsintrige, die den Süßwarenverkäufer Peter einen recht abschreckenden Bräutigam von Schlag markieren läßt. Ganz entgegen dem tradierten Intrigenschema dient damit in der Alten Jungfer dieses Spiel im Spiel nicht der Erziehung und Korrektur der törichten Hauptperson, die Maskerade leistet ausschließlich den Eigeninteressen Lisettens und Lelios Vorschub. Doch auch nach dem Scheitern der Kostümierung, die durch das Erscheinen des echten Werbers aufgedeckt wird, erreicht der junge Lebemann, der dem leichtfertig-skrupellosen Jüngling der antiken Komödie verwandt ist,142 noch sein Ziel. Um sich ja die Quelle seiner finanziellen Sorglosigkeit zu erhalten, ist Lelio zunächst sogar bereit, selbst die Ohldin zur Frau zu nehmen, die ganz typgerecht den wahren Grund des Antrages nicht erkennt, sondern diesen durchaus ernst nimmt. 143 Nachdem Lelio jedoch mit dem Capitaine zu einem vorteilhaften Ausgleich gekommen ist, kann er schließlich bereitwillig der Hochzeit der beiden zustimmen: V. Schlag. Warum wollen Sie mich nicht an ihrem Vermögen Antheil nehmen lassen? [... ] Und ich versichere Sie, Sie sollens von mir besser genießen als von ihr. Ja, ich verspreche Ihnen so gar, an das, was übrig bleibt, wenn sie stirbt, keinen Anspruch zu machen. 144
Auf diese Weise regelt sich alles zu Lelios und letztlich auch Lisettens Zufriedenheit, wenngleich wir annehmen können, daß der vermeintliche 141 142 143 144
Ebd., 1,4, S. 208. Vgl. Hinck, Das deutsche Lustspiel des 17. und 18. Jahrhunderts, S. 267. Vgl. Lessing, Die alte Jungfer, m,lO: LM 3, S. 233. Ebd.
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Partner wohl alles daran setzen wird, vom Gelde der Ohldin bis zu ihrem Tode nichts übrig zu lassen, und damit Lelio nur schwerlich in den Genuß eines reichen Erbes kommen dürfte. Wie der junge Verwandte demaskiert sich von Schlag vollends in diesen letzten Szenen als gewissenloser und heuchlerischer Werber und bestätigt so Peters figural explizite Charakterisierung des Capitaines als eines Mannes, dessen Trachten allein dem Vermögen der Jungfer und keineswegs ihrer Zuneigung gilt. 145 Diese wird wohl in Zukunft vielmehr die Kammerzofe beanspruchen können, denn von Schlags Feststellung "Und für mich bleibt also Lisette,,146 darf dem Publikum getrost als eine Vorausdeutung auf künftiges Geschehen im Hause der Ohldin gelten, zumal auch Herr Oronte dies mit den letzten Worten der Posse als ein "böses Omen,,147 verheißt. Es ist somit offensichtlich, daß der Capitaine die alte Jungfer zu einer nicht nur finanziell betrogenen Ehefrau machen wird. Gleich den übrigen handlungstragenden Personen spricht auch die Zofe Lisette keineswegs wie bisher als Repräsentantin einer vernünftigen Tugendpartei. Zwar durchschaut sie ganz in der Manier der Bedienstetenfiguren die tieferen Zusammenhänge der Dinge und stellt ihrer Herrin die Wahrheit in scharfen Worten vor Augen;148 indes scheint es Lisette keineswegs darum zu gehen, die Jungfer aufgrund einer aufklärerischen Verpflichtung an dieser Heirat zu hindern. Wenn sie auch im Gegensatz zu Herrn Oronte, Lelio und von Schlag an keiner Stelle eine direkte finanzielle Motivation äußert, so dürfte in ihrem engen Verhältnis zu Lelio - ob es sich gar um eine amouröse Beziehung handelt, ist nicht eindeutig - die wesentliche Ursache und damit doch ein Gutteil Eigennutz für ihre ablehnende Haltung zu suchen sein. Nicht umsonst kann sie Lelios Versprechen, "nun soll[e] es erst recht bunt über Ecke gehn,,149, zum Stillhalten, d. h. einer Akzeptanz der für die Jungfer verhängnisvollen Eheschließung bewegen. Auch hier dominieren also persönliche Interessen, die Lisette damit zu einer Dienerin zweier Herren, der Jungfer und Lelios, werden lassen. Die seit den 40er Jahren des 18. Jahrhunderts erkennbare Tendenz der weiblichen Dienerfiguren, sich ihrer Herrschaft witzig-überlegen zu erweisen, findet mit dieser Konstellation eine nicht zuletzt auch im sprachlichen Ausdruck extreme Ausgestaltung. Weder in den vorangegangenen Lustspielen der Aufklärung noch in Lessings Komödien, mit Ausnahme des Jungen Gelehrten, führt die Kammerzofe jemals wieder eine derart frech-ironische, offene Sprache gegenüber ihrem Brotgeber, intrigiert und verrät sie derart skrupellos ihre 145 146 147 148 149
Vgl. ebd., 1,5, S. 209. Ebd., III,II, S. 234. Ebd. Vgl. ebd., 1,3, S. 207. Ebd., III,lO, S. 233.
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Herrschaft. ISO In Einklang mit der Lustspieltradition steht wiederum Lisettens tragender Anteil an der Inszenierung des Intrigenspieles. Sie ist es, die die Maskierung ersinnt und dem Süßwarenverkäufer Peter die notwendigen Anweisungen und Einflüsterungen erteilt. Gleichwohl bleibt sie trotz dieser Federführung nur eine komische Figur im Kreise der anderen dramatis personae, die ebenfalls mit situationskomischen Effekten wirksam, teilweise sogar attraktiver in Szene gesetzt werden. In einem Großteil der Auftritte präsent, ist sie damit keineswegs alleinige Vertreterin der Komik. Charakteristisch für Die alte Jungfer ist vielmehr, daß gerade auch die Nebenfiguren zugunsten der possenhaften Erheiterung breiten Raum beanspruchen, man denke hier insbesondere an die typisch komödienhafte Verwechslungsszene von Schneider und Poet, die Abfassung des unsinnigen Hochzeitscarmens durch Kräusel oder an die erheiternde Verwirrung des Gläubigers Rehfuß, der selbstredend im verkleideten Peter seinen rechten Schuldner nicht entdecken kann. Sie alle sind Figuren, die über die Torheit der Protagonistin spotten und die wiederum selbst in ihrer Zeichnung dem Publikum Anlaß zu rein vergnügtem Gelächter geben. Rentschler bezeichnet aus diesem Grunde die Funktion Lisettens in der Alten Jungfer als die eines "upstaged laugher". Seine These, daß die Rolle der Kammerzofe, vergleiche man sie mit ihrer jeweiligen Dominanz im Jungen Gelehrten oder der Wahren Freundschaft, in diesem Stück verkümmert sei,151 erscheint allerdings zu einseitig. Selbst wenn Lisette es nicht gelingt, die Ohldin nach ihren Vorstellungen zu lenken, vermag sie dies bei Peter und auch Lelio, dem sie sich schon sprachlich ebenbürtig zeigt, sehr wohl; ja am Ende erscheint es dem Zuschauer nicht unwahrscheinlich, daß sie selbst den Capitaine von Schlag noch becircen und umgarnen wird. Waren die Figuren bisher in erster Linie von finanziellen Gesichtspunkten geleitet, so hebt sich Lelios Freund Clitander hiervon ab. Zwar ist sein Hauptanliegen, vor allem wegen des Weines zur Hochzeit geladen zu werden, in gewisser Weise ein materielles Interesse, doch gilt ihm die Jungfer in erster Linie als Objekt seiner "beissenden und feinen Satiren,,15Ia. Nur zu deutlich führt Clitander der Ohldin die Wahrheit vor Augen und scheint damit zunächst noch am ehesten den Vertreter einer vernünftigen Tugendpartei zu repräsentieren. Als Träger positiver Werte machen ihn allerdings seine übergroße Spottlust, die keineswegs als Mittel der Erziehung, sondern nur um des Spottes willen eingesetzt wird, und seine offensichtliche NeiISO Schmidt (Lessing, Bd. 1, S. 131) bezeichnet sie gar als "schamlose Zofe". Ähnlich urteilt auch Hinck (Das deutsche Lustspiel des 17. und 18. Jahrhunderts, S. 267), der an Lisette vor allem die freche Verkommenheit der Franceschina aus der Commedia delI' arte ausmacht. 151 Vgl. Rentschler, Lisette, the Laugher, S. 50 f. 151. Lessing, Die alte Jungfer, 11,2: LM 3, S. 214.
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gung zur leichten Muse und Vergnügen inakzeptabel, zumal als offenkundig wird, daß es Clitander mit der Wahrheit wohl nicht allzu genau nimmt. Auch seine Freundschaft zu Lelio erweist sich als keine besonders tiefe Bindung. Die Erbschaftssorgen des anderen berühren ihn im Grunde nicht, und so ist denn sein Rat letztlich wenig dienlich. Mit dieser nur wenige Zeilen umfassenden Nebenhandlung gelingt es Lessing abermals, das hehre Freundschaftsideal der Zeit zu desavouieren. Eine der bühnenwirksamsten Figuren des Stückes tritt zweifelsohne mit dem Süßwarenverkäufer Peter auf. Schon sein erstes Erscheinen in 1,5 entbehrt nicht der Bewegungs- und Sprachkomik. Durchaus redselig paart sich seine grundsätzliche Schwerfälligkeit wie beim Diener Anton im Jungen Gelehrten mit hier und da aufblitzendem Witz. In Peter lebt damit die Tradition des Harlekin weiter, nämlich die Figur des französischen Pierrot, der weniger geistreich und tonangebend als sein gewandter italienischer Kollege ist. 152 Leicht beeinflußbar wechselt er rasch seine eigene Meinung über die Heiratsabsichten der Jungfer Ohldin, wird jedoch dabei ebenfalls von pragmatischen Überlegungen bestimmt. Zunächst die Verbindung befürwortend, ist er gewissenlos allzu gerne bereit, Lelio und Lisette einen Dienst zu erweisen, sofern er Vorteile verheißt. Allerdings kann Peter getrost den einen wie den anderen Ausgang akzeptieren, er wird stets seinen Vorteil daraus zu ziehen wissen. Eine Eheschließung würde ihm durch einen neuen Kunden ebenso ein Geschäft bringen wie Lelios nicht näher bestimmte Belohnung, die er für eine Verhinderung der Liaison kassiert. Bei all seiner Begriffsstutzigkeit entpuppt sich Peter nun sogar als geschickter Beobachter, der genau erkannt hat, daß der Versuch, dem Capitaine von 152 Vgl. Günter Wicke, Die Struktur des deutschen Lustspiels der Aufklärung. Versuch einer Typologie. Bonn 3 1985 (Abhandlungen zur Kunst-, Musik- und Literaturwissenschaft 26), S. 90. - Scott-Prelorentzos, The Servant in Gerrnan Enlightenment Comedy, S. 69. - Hans Friederici (Das deutsche bürgerliche Lustspiel der Frühaufklärung 1736-1750. Unter besonderer Berücksichtigung seiner Anschauungen von der Gesellschaft. Halle 1957, S. 17) spricht allgemein von der lustigen Figur, die mit dem Süßwarenverkäufer die Bühne betrete. - Vgl. hierzu auch Hinck, Das deutsche Lustspiel des 17. und 18. Jahrhunderts, S. 267. - Schmidt (Lessing, Bd. 1, S. 131) bemerkt, daß Peter "als "Gebackensherumträger" hier [sogar] vollen Anspruch auf das weiße Pierrotjäckchen" besitzt. Daß Lessing mit der Namengebung dieser lustigen Figur eine Variante des Harlekin wachruft, bestätigt seine späte Äußerung über die Gattung des Harlekin: Die Neuberinn selbst spielte eine Menge Stücke, in welchen Harlekin die Hauptperson war. Aber Harlekin hieß bey ihr Hännschen, und war ganz weiß, an statt scheckigt, gekleidet. [... ] Auch die falschen Vertraulichkeiten [Marivaux: Les fausses confidences] haben einen Harlekin, der in der deutschen Uebersetzung zu einem Peter geworden. (Lessing, HO, 18. Stück: LM 9, S. 257.) Die Entwicklung der Harlekin-Figur unter dem Einfluß des Theatre italien vom zunächst eher tölpischen Zanni hin zum Allerweltskerl und Spielmacher behandelt Hinck, Das deutsche Lustspiel des 17. und 18. Jahrhunderts, S. 17, 46 f., 49-51.
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Schlag die Auserwählte recht wenig anziehend zu schildern, scheitern muß. Das wahre, vom Materiellen bestimmte Wesen des Freiers hat er damit völlig erfaßt und kann dieses nun in extremer Form in der Verkleidungsintrige ausspielen. Peter erscheint in diesem Sinne als polternder und prahlerischer Capitano der Commedia dell'arte,153 der indes aus der Rolle zu fallen droht, als er einem säumigen Kunden, dem Poeten Kräusel, im Hause der Ohldin begegnet. Mit seiner gespielten derben Unhöflichkeit, die selbst der Jungfer klarmacht, daß der angebliche Freier weniger um ihre Hand als ihr Vermögen wirbt, scheint die Maskerade sogar ein Gelingen zu versprechen. Wenngleich die Ohldin Lelio und Lisette daran hindert, Peter-Capitaine allzu energisch zurechtzuweisen, so verrät ihr mehrmaliges Ansetzen zu einer Erwiderung, die meist über ein "aber" nicht hinausgelangt, doch ihr Erstaunen und Erschrecken über den seltsamen und wenig ansehnlichen Bewerber. Ihrer Entscheidung wird sie jedoch durch das Erscheinen des echten Capitaines von Schlag enthoben, der so die List zunichte macht. Der obligatorischen Heirat als Lustspielende steht nun nichts mehr entgegen. Allerdings erweckt sie nicht wie gemeinhin üblich die Befriedigung des Zuschauers über eine dadurch wiederhergestellte vernünftige Gesellschaftsordnung, im Gegenteil, die Düpierung der Ohldin erreicht, nicht zuletzt in der Ankündigung einer Liebelei zwischen Zofe und Hausherr, ihren Höhepunkt. Wenngleich diese Posse das Moralprinzip Gottscheds damit negiert, so setzt Lessing dennoch in gewisser Weise das tradierte Mittel einer Bestrafung in allerdings modifizierter Form ein. Nachdem die Jungfer das Törichte ihrer Heiratspläne nicht einzusehen vermag, steht auch am Ende dieses Stückes die im Sinne der satirischen Komödie gerechte Ahndung des unvernünftigen Verhaltens; diese vollzieht sich jedoch nicht als Ausschluß aus der hier nicht existenten aufgeklärten Gesellschaft wie im Jungen Gelehrten, sondern ist gleichsam personifiziert in dem nur aus materiellen Erwägungen handelnden Gatten von Schlag. Die sich hier möglicherweise andeutende Lehre wird jedoch durch die Straflosigkeit, mit der das Umfeld der Jungfer die Bühne verläßt, wieder zurückgenommen. An dem sich in der Schlußszenerie nochmals manifestierenden entschieden possenhaften Charakter vermag auch das dem Stück vorangestellte Motto "Non tu nunc hominum mores vides? Dum dos sit, nullum vitium vitio vortitur" kaum etwas zu mildem, sondern täuscht lediglich den vagen Schein einer Gesellschaftskritik, einer Fabula docet vor. Daß es Lessing eben nicht in erster Linie darum ging, die verfehlte Haltung der Ohldin kenntlich zu machen, zeigt auch die betont auf vordergründige Unterhaltung konzentrierte Gestaltung des Stückes, welche vor allem die den gesamten dritten Aufzug füllende Intrige prägt. Fast jede Szene ist von Situations-, Bewegungs- und Sprachkomik erfüllt, Schlag auf Schlag 153
Vgl. Hinck, Das deutsche Lustspiel des 17. und 18. Jahrhunderts, S. 268.
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reihen sich hier mimisch-gestische Höhepunkte neben sprachlichen Pointen aneinander, beginnend mit Peters Verkleidung, der Begegnung mit Kräusel, die ihn sein Kostüm vergessen macht, bis hin zu seinem überzeugenden Spiel vor der alten Jungfer. Ein Muster an Situationskomik stellt in diesem Zusammenhang die Unterredung Rehfuß mit Peter-Capitaine dar, der ängstlich bemüht ist, sein verständnisloses Gegenüber von seinen angeblichen Schulden zu überzeugen. Die Frage der Motivierung für das Eintreffen des Gläubigers erscheint hier nicht relevant, lediglich die Wirkung der komischen Konfrontation zählt. Ebenfalls einzig der Unterhaltung verpflichtet ist Kräusels Deklamation seines völlig sinnlosen Gedichts, das die Unfähigkeit des Poeten nicht nur durch den absurden Inhalt, sondern auch den gänzlichen Mangel an Metrik und Reimordnung offenbart. Ihre Kulmination findet die possenhafte Gestaltung schließlich in Szene III,9, in der sich Peter zu erkennen geben muß und seine Maskierung ablegt. Zu diesem Zweck setzt Lessing das Mittel der Repetition kunstvoll ein. Peter, vom Capitaine zur Verantwortung gezogen, gebraucht seinerseits mit dem Dichter abrechnend (fast) die selben Worte und Sätze wie von Schlag, ehe sie, einer den anderen drohend und jagend, die turbulente Szene beenden: v. Schlag. (zu Petern.) Halt, Galgenschwengel! Peter (zu Kräuseln.) Halt, Galgenschwengel! v. Schlag. Was soll das heissen? Meinen Namen so zu mißbrauchen? Wem hat diese Betrügerey hier gelten sollen? Peter (zu Kräuseln.) Was soll das heissen? Meine Gedult so zu mißbrauchen? Wenn wirst du mein Gebackens einmal bezahlen? v. Schlag. (zu Petern.) Antworte, Hund! Peter (zu Kräuseln.) Antworte, Hund!154
Die sprachliche Wiederholung setzt Lessing im folgenden Auftritt in vereinfachter Form auf eine Figur beschränkt nochmals ein, wenn er die Ohldin nachdrücklich Lisettens Kündigung fordern läßt. Einzig dem Eingreifen des neuen Ehemannes hat die Zofe schließlich ihren Verbleib im Dienst zu danken. Daß sie nun für einen Augenblick tatsächlich in der Gefahr schwebt, als durchschaute Intrigantin von der Herrin bestraft zu werden, stellt ein Novum innerhalb der Komödientradition dar, waren doch bisher die Dienerfiguren trotz ihres listenreichen Agierens unbehelligt geblieben. In der Alten Jungfer vermag dieses Moment der letzten Spannung nun zu zeigen, daß der Capitaine seine Braut jetzt schon nach seinem Belieben zu beeinflussen weiß und sich diese vermutlich auch in der Zukunft seinen Wünschen beugen muß. An Bedeutung für Lessings Lustspielentwicklung gewinnt Die alte Jungfer nun in zweierlei Hinsicht. Zum einen offenbart sie schon zu Beginn seines dichterischen Werdeganges die originelle Handhabung eines komi154
Lessing, Die alte Jungfer, III,9: LM 3, S. 232.
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schen Stoffes, die sich als frei von aktuellen literarischen Normen erweist. Selbst wenn Lessing später niemals wieder - dies lassen auch die auf uns gekommenen Fragmente erkennen - eine derart dezidiert possenhafte Gestaltung liefert, so plädiert er mit diesem Stück, wie eingangs dargelegt, erstmals theaterpraktisch gegen eine durch allzu vordergründige Erziehungsabsichten determinierte Komödienform und für eine Autonomie der komischen Kunst. 155 Zugleich zeigt Lessing mit dieser Posse seine ersten Versuche, ein Lachen auf die Bühne zu bringen, das sich von jenem degradierenden Verlachen unter Gottscheds Ägide unterscheidet. Um jedoch bis zu einem gewissen Grade diese vorbehaltlose Erheiterung hervorzubringen, muß er sich noch einer Verlach-Figur, nämlich der Jungfer Ohldin bedienen. Lachen und Verlachen bedingen in diesem Frühwerk somit einander. Allerdings können die Bühnenfiguren in der Alten Jungfer die vom späteren Dramaturgen postulierte Hochachtung des Publikums kaum beanspruchen. Weder der alten Jungfer selbst, noch Lelio, Lisette, den Orontes, Kräusel oder gar dem Capitaine von Schlag gilt aufgrund ihres egoistischen und betrügerischen Gebarens das sympathisierende Interesse des Zuschauers. 156 Noch am ehesten begleitet Clitander und Peter, die beiden Figuren, die sich kaum am Vermögen der Ohldin bereichern, ob ihrer sprachlich wie spielerisch geschickten Vorführung ein lachendes Wohlwollen. Die zweite tiefgreifende Wirkung des Werkes liegt - wie schon beim Jungen Gelehrten - in den Mitteln kunstvoller komischer Gestaltung begründet, nicht zuletzt zeigt sich hier auch Lessings Gewandtheit in lustig pointierter Dialogführung. Diese in Die alte Jungfer eingesetzten Formen der Situations-, Bewegungs- und Sprachkomik, darunter als zentrales Element die Verkleidung und Verstellung, lassen sich auch in den folgenden Lustspielen, vom Misogyn bis zur Minna, wiederfinden. Und auch in Zukunft wird Lessing seine zunehmend subtilere Komik mit vordergründigen und possenhaften Elementen verbinden. Zusammenfassend gewinnt Die Alte Jungfer sicherlich durch Lessings Versuch an Bedeutung, eine eigene, die gängigen Modelle modifizierende Lustspielform zu finden, die hier einem Aufbegehren gegen die zeitgenössische Lustspieldogmatik gleichkommt und seine Freude an einem rein dem Delectare zugewandten Spiel zeigt, das mit einer Vielzahl komödiantischer Mittel aus unterschiedlichen Bereichen schon in jungen Jahren Lessings große Virtuosität als Lustspieldichter, sein Gespür für komische Situationen unter Beweis stellt. Bleibt die Frage, warum Lessing diesen Versuch von seinen gesammelten Schriften ausgenommen hat. Ausschlaggebend dürften hier wohl weniger als noch bei Damon, oder die wahre Freundschaft Mängel im Aufbau, in 155 Stenzel (in: B 1, S. 1091) bezeichnet Die alte Jungfer zu Recht als ein "Experiment mit der reinen Komik". 156 Vgl. ebenso Hinck, Das deutsche Lustspiel des 17. und 18. Jahrhunderts, S. 268.
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der komischen Gestaltung und der Figurencharakterisierung gewesen sein, als der späterhin nicht mehr zu rechtfertigende Triumph der Amoralität in der Alten Jungfer. 157 Die gnadenlose Düpierung der Ohldin und die damit einhergehende Belohnung der übrigen, ebenfalls lasterhaften Personen in dieser Farce konnte wohl Lessing in einer Zeit, in der er als Aufgabe der Komödie die Schilderung sowohl von "Tugenden" als auch von "Laster[n)", sowohl von "Anständigkeit" als auch von "Ungereimtheit,,157a sah, nicht mehr gutheißen. Der Alten Jungfer, die selbst den Tod komisch behandelt, 158 fehlt hingegen jeglicher ernsthafte Tenor und gehört damit katexochen jener in den Lustspiel-Abhandlungen kritisch behandelten Gattung des Possenspiels an, dessen charakteristische Eigenschaft darinne besteht, daß es nichts als Laster und Ungereimtheiten, mit keinen andern als solchen Zügen schildert, welche zum Lachen bewegen, es mag dieses Lachen nun ein nützliches oder ein sinnloses Lachen seyn l59 .
Indem Lessing Die alte Jungfer nicht wieder veröffentlicht, bezieht er keineswegs grundsätzlich gegen dieses Genre Stellung. Sein Plädoyer für die Figur des Harlekin zeigt nachdrücklich, daß er sehr wohl eine nicht ausdrücklich der Erziehung verpflichtete Komik zugesteht. In Zukunft wird er jedoch der bessernden Funktion einer das Verlachen überwindenden Erheiterung breiteren Raum gewähren und auf dem Feld der im Gegensatz zu Gottsched modifizierten utilitaristisch bestimmten Komödie seine (teilweise noch satirischen) Versuche unternehmen, die schließlich ihre Vollendung in der Minna von Bamhelm finden sollten.
4. Der Misogyne Zu den von der Forschung bislang wenig beachteten Jugendlustspielen Lessings zählt auch Der Misogyne,160 der trotz allen Verhaftetseins in den Vgl. ebd., S. 269. Lessing, Abhandlungen von dem weinerlichen oder rührenden Lustspiele: LM 6, S. 51. 158 Hr. Kräus. [... ] Das böse Weib! Sie liegt zwar zu Hause auf den Tod krank, aber sie liegt schon über acht Tage, und will sich noch nicht entschließen, zu sterben. (Lessing, Die alte Jungfer, 11,6: LM 3, S. 221.) 159 Lessing, Abhandlungen von dem weinerlichen oder rührenden Lustspiele: LM 6, S. 51. 160 Lediglich das Jahr der Entstehung nennen Karl S. Guthke (Gotthold Ephraim Lessing. 3., erweit. und überarb. Auflage. Stuttgart 1979 (Sammlung Metzler 65), S. 23) und Wolfgang Albrecht (Gotthold Ephraim Lessing. Stuttgart, Weimar 1997 (Sammlung Metzler 297), S. 4). - Die den Jugendlustspielen gewidmete Untersuchung Lapperts würdigt es gar nicht. - Mit unterschiedlicher Gewichtung erörtern dieses Stück: Schmidt, Lessing, Bd. 1, S. 132-143. - Wicke, S. 86--88. - Hinck, Das deutsche Lustspiel des 17. und 18. Jahrhunderts, S. 270 f. - Steinmetz, Die Komö157
157.
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Strukturen der Sächsischen Typentradition durchaus komödienpoetologisch aufschlußreiche Ansätze erkennen läßt. Über die Anregung zu diesem Stück gibt eine Bemerkung in den Collectanea Aufschluß: Ich habe dieses Stück gemacht, als ich die Fragmente des Menanders studirete und fand daß er diesen Charakter in einem Stücke behandelt habe, welches Phrynichus ir/v XaAAWT1]V TWV KWf.ufJOtwv TWV eavTov nennt. 161
Gleichwohl ist der spärliche Rest des antiken Misogynes 162 nur schwerlich geeignet, mehr als den ersten Anstoß zu einer eigenen Bearbeitung dieses Themas zu geben, Lessings Version unterscheidet sich schließlich auch deutlich von der Überlieferung des griechischen Dichterkollegen. Während der Protagonist der attischen Komödie "ein noch verheyratheter Mann gewesen zu seyn [scheinet], den alles ärgert was seine Frau thut,,163, ist der mit sprechendem Namen bezeichnete Wumshäter Lessings ein dreifacher Witwer, dessen Misogynie sich nun gegen das Glück, d. h. eine Eheschließung seiner beiden Kinder Laura und Valer richtet. l64 Vor Probleme sieht man sich insbesondere bei der Einordnung in Lessings Frühwerk gestellt. Die im sechsten Teil von Leßings Schrifften 1755 erfolgte Erstveröffentlichung trägt lediglich die ungenaue Angabe "Verfertiget im Jahre 1748"165, eine präzise Positionierung erscheint damit auf den ersten Blick nicht möglich, lediglich strukturelle Indizien erlauben eine eingehendere Bestimmung. 166 Der zunächst noch aus 17 Auftritten bestehende Einakter (Fassung A) mit dem Titel Der Misogyne von 1748 wird später zu einem Lustspiel in drei Akten mit nunmehr insgesamt 25 Szenen (Fassung B)167 umgearbeitet und in Lessings Lustspielsammlung aus dem Jahre 1767 aufgenommen. Unklar bleibt indes, ob diese Umarbeitung erst im Zuge der erneuten Drucklegung oder schon wesentlich früher erfolgte. Ein wenndie der Aufklärung, S. 65. - Hoensbroech, S. 101-106. - Etwas intensiver wird die Anlage dieses Werkes von Müller (S. 182-189) behandelt; eine Analyse des Sprachduktus legt Metzger (S. 75-86) vor. Im Hinblick auf die unterschiedliche Funktion der Lisetten-Figur bezieht Rentschler (Lisette, the Laugher, S. 51-54) dieses Stück mit ein. 161 Lessing, Collectanea: LM 15, S. 318 f. 162 Menander, MI~OrYNH~ - The Misogynist (325 K), in: Menander. The Principal Fragments. With an English Translation by Francis G. Allinson. London, Cambridge, Massachusetts 51964, S. 404-407. 163 Lessing, Collectanea: LM 15, S. 319. 164 Vgl. zu möglichen weiteren Anregungen: PO 21, S. 89 f. - Stenzei, in: B 1, S.1099. 165 LM 22, S. 368. 166 Stenzel (in: B 1, S. 1098) begründet seine These, Die alte Jungfer gehe dem Misogynen voraus, zwar nicht näher, ihr ist aber aufgrund der veränderten Personenbehandlung in diesem Stück, welche bereits auf den Freygeist vorausweist, durchaus zuzustimmen. 167 Der Titel lautet hier Der Misogyn.
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gleich vages Indiz für eine mögliche neuerliche Arbeit am Misogyne beinhaltet ein Brief Lessings vom Januar 1763 an Friedrich Nicolai, in dem er um die dringende Übersendung mehrerer Bücher, darunter "Menandri Fragmenta" bittet, die er "höchst nöthig" habe. 168 An Moses Mendelssohn gewandt, fügt Lessing hier entschuldigend an: und ob Sie [Mendelssohn] schon in dem Briefe an Haymann vermuthen, daß ich ganz und gar nicht mehr lese, so sollen Sie doch ehestens das Gegentheil sehen, und erfahren, daß ich auch schreibe. 169
Ein direkter Beleg für einen Zusammenhang der Menander-Lektüre mit der Überarbeitung seines Jugendwerkes findet sich freilich nicht, einzig Lessings Umformulierung der Antwort Valers in Fassung A: "Man muß alsdenn das Frauenzimmer zu den notwendigen Übeln rechnen.,,170 in der dreiaktigen Fassung B zu: "Ist eine Frau ein unstreitiges Uebel, so ist sie auch ein nothwendiges Uebel.,,17l zeigt eine sprachliche Anlehnung an ein Fragment Menanders: Die Wahrheit ist: ein Übel ist die Ehe doch ein notwendiges Übel ganz gewiß. 172
Grundlage der folgenden Analyse wird die frühe einaktige Fassung A bilden, die insbesondere den späteren zweiten Akt bildenden Ergänzungen der Liebesverwirrungen Lauras sowie die vor allem sprachlich-witzige Pointierung dieses Stückes in der B-Fassung werden jeweils miteinbezogen. In der Grundstruktur unverändert setzt Lessing sowohl im Einakter als auch in der ausführlichen Version auf das bewährte Muster der satirischen Typenkomödie. Wumshäter gebärdet sich, seinem Namen alle Ehre machend, schon in der ersten Szene als lächerlicher Tor, wenn er die Bedienung durch Lisette allein deshalb ablehnt, da sie ein "Weibsstück" sei. Sein übertriebener Frauenhaß, der in Fassung B in der Absurdität gipfelt, daß er nach dem Auszug seiner Tochter nicht einmal mehr eine weibliche Fliege in seinem Hause dulden Will,173 stempelt ihn zu einer komischen Figur; Wumshäter kann, da er gegen jegliche Vernunft handelt und die Welt nur in (s)einem falschen Licht sieht, auch als lasterhafte Gestalt gewertet werden. 174 Seine Torheit kann der Zuschauer noch ganz im Sinne Gottscheds Vgl. Lessing an Friedrich Nicolai, 17. Januar 1763: LM 17, S. 194. Ebd. 170 Nachdem LM den Misogyne von 1748 nicht vollständig abdruckt, wird im folgenden der als Fassung A bezeichnete Text nach der Lessing-Ausgabe B zitiert: Lessing, Der Misogyne (A), 2. Auftritt: B I, S. 309 f. 171 Lessing, Der Misogyn (B), 1,2: LM 2, S. 7. 172 Menander, 651 K, in: Menander, The Principal Fragments, S. 514 f. 173 Vgl. Lessing, Der Misogyn (B), II,3: LM 2, S. 24. 174 Vgl. dagegen Müller (S. 183), der ihn als komischen, nicht aber lasterhaften Typ verstehen will. Müllers These läßt indes die aufklärerische Definition von La168
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von höherer, vernünftiger Warte aus verlachen und sich schadenfroh auf die Seite der Kammerzofe oder auch Solbrists stellen, wenn diese ihren Herrn und Mandanten schlagfertig düpieren bzw. schlau überlisten. Eine allzu deutliche Antipathie oder Verachtung, wie sie wohl mancher zeitgenössischen Lustspielfigur, wie z. B. in den Ärzten oder Advocaten, entgegengeschlagen haben dürfte, erspart Lessing diesem Alten allerdings. Seine das Liebesglück der Kinder herbeiführende Einwilligung in die Heirat, obwohl sie am Ende noch immer gegen seine Überzeugung steht, und nicht zuletzt seine wenn auch nur kurz angedeutete Ehegeschichte mildem das spottende Urteil der Zuschauer. So wurde Wumshäter von seiner ersten, sehr schönen Frau betrogen, die zweite, etwas ältere, dafür jedoch wohlhabende entpuppte sich als eigensinnig und zänkisch und durch die letzte seiner Ehefrauen kam offenbar der im Handlungsverlauf relevante Prozeß zustande, der nun den Verlust von 6000 Talern bedeuten kann. Seine wiederholten Mißgriffe bei der Wahl der Gattinnen lassen somit die Abneigung des Witwers gegen Frauen sicherlich verständlicher werden, gleichwohl macht sich Wumshäter gerade dann lächerlich, wenn er diese einzelnen Erfahrungen verabsolutiert, nunmehr das gesamte weibliche Geschlecht verabscheut und dabei den Blick für die menschlichen Qualitäten einzelner verliert. 175 Die in weiteren Frühwerken ebenfalls zu konstatierende Psychologisierung der Figuren läßt ihn zwar im Gegensatz zu anderen Lasterkollegen ungleich lebendiger und weniger typisiert erscheinen,176 einer Deutung als Repräsentant einer allgemeinen Torheit widerspricht diese Differenzierung der Figur indes keineswegs. Trotz seiner Lebensgeschichte, die uns Wumshäter menschlich näher bringt, bleibt er doch eine überzeitliche Gestalt, die zum einen das zeitlose Laster der Frauenfeindschaft exemplarisch vor Augen stellt und zum andern die verwerfliche Haltung einer unzutreffenden Pauschalisierung und einer vorurteilsvollen Meinungsbildung repräsentiert, die später ebenfalls das Grundgerüst für Die Juden und den Freygeist darstellen. Den Misogyn analog zur Jungfer Ohldin als zweckfrei und ohne moralische Wertung wie Wicke l77 zu interpretieren, erscheint nicht überzeugend. ster außer acht, die darunter nicht unbedingt nur einen moralischen Fehler, sondern, wie Wolff sehr weit faßt, "eine Fertigkeit dem Gesetze der Natur zu wieder [sic!] zu handeln" versteht (Christian Wolff, Gesammelte Werke. Hrsg. und bearb. von J. Ecole u.a. I. Abteilung. Bd. 4. Vernünfftige Gedancken von der Menschen Thun und Lassen, zu Beförderung ihrer Glückseeligkeit, den Liebhabern der Wahrheit mitgetheilet. Die vierdte Auflage, hin und wieder vermehret. Nachdruck der Ausgabe Franckfurt, Leipzig 1733. Hildesheim, New York 1976, § 64, S. 42). 175 Wie später in den Juden zeigt Lessing seiner Hauptfigur nun die Tugend, wo er sie gerade nicht erwartet. 176 Müller (S. 183) spricht aus diesem Grunde nicht ganz stringent von einem zwar komischen Typ, der aber einen ganz individuellen Fehler vorstelle und sich somit einer Verallgemeinerung entziehe. 177 Vgl. Wicke, S. 86.
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Ohne jene plakative Tugend-Laster-Demonstration vieler satirischer Komödien und den strengen Moralismus Gottscheds wahrt Lessing gleichwohl einen erzieherischen Impetus, der allerdings mit weitaus subtilerer und allgemeinerer Zielrichtung in dieser Handlungsführung verborgen liegt. Der moralische Lehrsatz, der über die Fehlerhaftigkeit eines Lasters dozierte, wie ihn noch die Critische Dichtkunst forderte, wird hier von Lessing vermieden, vielmehr kann man beim Misogynen durchaus schon davon sprechen, daß er "uns zur Fertigkeit verhelfen [kann], alle Arten des Lächerlichen leicht wahrzunehmen,,178, und auf diese Weise auf spätere theoretische Ansätze in der Korrespondenz mit Nicolai und Mendelssohn und auch auf die Hamburgische Dramaturgie vorausweist. Den Mittelpunkt dieser Komödie bildet nämlich nicht wie so häufig der sich in unterschiedlichen Situationen immer wieder aufs neue vollziehende Beweis einer unvernünftigen Haltung, sondern insbesondere in der A-Fassung die Überlistung der Misogynie durch zwei voneinander gelöste Intrigenspiele, welche die liebenden Paare vereinigen sollen. Wie schon im Jungen Gelehrten und in der Alten Jungfer liegt das dramatische Gewicht damit auf einem listenvollen Spiel, das aktionsreich die Handlung zu einem Ende führen will, dessen Verlauf aber gleichzeitig auch die ganze Fehlerhaftigkeit und Blindheit des Titelträgers offenbart. Demonstration der Torheit und Intrigenhandlung läßt Lessing nicht mehr wie noch im Jungen Gelehrten nacheinander folgen, sondern führt sie hier parallel und verknüpft sie. Eine erste List gelingt in bei den Fassungen dem Advokaten Solbrist, der mit Leander, dem Prozeßgegner Wumshäters und zugleich Bewerber um die Hand Lauras, heimlich im Bunde, seinem Klienten eine Niederlegung des juristischen Verfahrens unterbreitet, wenn Leander die Tochter zur Frau erhalte. Nicht erkennend, daß der verhaßte Gegner damit sein Wunschziel endlich erreicht, schenkt Wumshäter der listigen Argumentation des Advokaten Glauben, er räche sich auf diese Weise an Leander: Sie müssen überzeugt sein, daß man kein feindseliger Verfahren erdenken kann, als einem eine Frau an den Hals zu schaffen. Ich lebe übrigens der guten Hoffnung, daß Ihre Jungfer Tochter die rechte Quintessenz von Ihren gehabten drei Xantippen sein werde. 179
Ganz von seinem törichten Haß auf das weibliche Geschlecht und den Ressentiments gegenüber Leander dominiert, handelt Wumshäter gleich eiLessing an Friedrich Nicolai, im November 1756: LM 17, S. 66. Lessing, Der Misogyne (A), 7. Auftritt: B 1, S. 323. - Als retardierendes Moment erscheint, daß sich Laura, zum angeblichen Schwager ihres Bruders hingezogen, nun der vormals ersehnten Verbindung widersetzt. Ausführlicher wird dieses Hemmnis in Fassung B unter anderem durch die Einfügung der Szenen 1,6 - 11,3 (Lessing, Der Misogyn (B): LM 2, S. 16-24) dargestellt. 178
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2. Teil: Lessings Komödien
ner Marionette im gewünschten Sinne und stimmt dieser Verbindung schadenfroh zu. Wie die Finte des Advokaten, macht sich auch die zweite Intrigenhandlung die unvernünftige Misogynie Wumshäters zunutze. Nachdem der alte Frauenfeind in der Überzeugung, das Beste für seinen Sohn zu tun, dessen Verheiratung kategorisch ablehnt, beginnen die bei den Liebenden Valer und Hilaria mit ihrer schon vor Spielbeginn ersonnenen Maskerade, die Wumshäter eine Einwilligung abringen soll. Mit einer typisch komödiantischen Situation, "die den Zuschauer schon an sich selbst belustigen muß,,180, nämlich als Mann verkleidet sucht Hilaria, "seine Gewogenheit [... ] zu erwerben" und ihn wenigstens dahin [zu] bringen, daß er [sie] für die einzige ihres Geschlechts hält, die von seinem Hasse ausgenommen zu werden verdiene l81 .
Zum Schein teilt der vermeintliche Bruder die Überzeugung des künftigen Schwiegervaters, um jedoch gleichzeitig mit unterschiedlichen Argumenten die Heirat voranzutreiben. So zeichnet die als Lelio Verkleidete von sich selbst das Bild einer nach Wumshäters Verständnis einsichtigen Frau, weil sie "notwendig von ihrer eigenen Abscheulichkeit überzeugt,,182 ist. Der paradoxe Überredungsversuch, Wumshäter die Notwendigkeit einer Heirat des Sohnes einsichtig zu machen, damit die Weiberfeinde nicht ausstürben, findet indes nicht die Zustimmung des Frauenfeindes, der es noch lieber sähe, wenn sein Sohn "andre darauf bedacht sein ließe,,183. Obschon Hilaria in der Maske Lelios das Vertrauen des Alten als ein ihm Gleichgesinnter gewinnt, scheint doch der Plan nicht recht voranzukommen. So muß den beiden Liebenden der Zufall zu Hilfe kommen, als Wumshäter Valer dabei ertappt, wie er seinem angeblichen Schwager die Hand küßt. Sogleich ergreift Hilaria die sich bietende Chance, eine Lösung ihres Intrigenspieles herbeizuführen, indem sie auf die übergroße Ähnlichkeit des Geschwisterpaares verweist und alsbald Wumshäter in ihrer wahren Gestalt gegenübertritt. In dieser Begegnung, die den eigentlichen Höhepunkt des Stückes bildet, zeigt sich nun nochmals die ganze Verblendung und Voreingenom180 Berlinische Privilegierte Zeitung, Berlin 14. Mai 1767; zitiert in: Lessing im Urtheile seiner Zeitgenossen, Bd. 1, S. 180. 181 Lessing, Der Misogyne (A), 4. Auftritt: B 1, S. 315. - Barbara Becker-Cantarino (Lessing, Der Misogyne, Sexualität und Maskerade in Lessings frühen Lustspielen, in: Monatshefte 92, 2000, S. 123-138) sieht in dieser Maskerade Hilarias ein Spiel mit sexuellen Erfahrungen in der Tradition der querelle des femmes, das Lessings Stück zu einer "ernsthaften Auseinandersetzung mit Fragen nach dem Sein und Sinn des Menschen als geschlechtliches Wesen, als Mann und Frau" (ebd., S. 137) werden lasse. 182 Lessing, Der Misogyne (A), 3. Auftritt: B 1, S. 310. - Der Misogyn (B), 1,3: LM 2, S. 8. 183 Lessing, Der Misogyne (A), 3. Auftritt: B 1, S. 311. - Der Misogyn (B), 1,3: LM 2, S. 9.
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menheit des Alten, der eben nicht, wie von Hilaria erhofft, in ihr den liebgewonnenen Lelio wiedererkennt. Zwar empfängt er die Braut seines Sohnes höflich, doch sein Urteil über sie fällt wenig schmeichelhaft aus. Im Gegensatz zur Fassung A, in der Wumshäters Begrüßung, es sei ihm angenehm, Hilaria kennenzulernen, nur eine Höflichkeitsfloskel darstellt, hat Lessing diese Szene in B sprachkomisch aufgeladen. Hier muß sich der Vater ganz offensichtlich zwingen, die alte frauenfeindliche Haltung aufrechtzuerhalten, zeigt er sich doch in einer ersten, spontanen Reaktion zunächst angetan von diesem Besuch: "Es ist mir ange - sehr unange - nicht ganz unangenehm, Madmoisell, Sie kennen zu lernen." 184 In beiden Fassungen hagelt es im folgenden jedoch Kritik an der gerühmten Hilaria. Während Wumshäter an Lelio den Wuchs als schön lobt, den Teint frisch und natürlich, seine Augen feurig schwarz, Nase und Mund wohlgefonnt empfindet, scheint ihm die venneintliche Schwester seines sympathischen Gesinnungsgenossen von kleinerer, ja fast mißgestalteter Statur, die nicht im geringsten an die Vollkommenheit Lelios erinnert. Ganz konsequent folgert Wumshäter nun auch, daß es desto wahrscheinlicher bleibt, daß in einem Körper, der von den [sie!] Körper des Bruders so gar sehr unterschieden ist, auch eine ganz verschiedene Seele wohnen werde 185.
Der Zuschauer, von Beginn an im Bilde über die Verkleidung Hilarias, verlacht natürlich an dieser Stelle die im wahrsten Sinne falsche Sicht des komischen Protagonisten, dessen fixe Idee sogar die Wahrnehmung der eigenen Augen trübt. Selbst als Hilaria im letzten Auftritt in halb männlicher und halb weiblicher Kleidung erscheint, durchschaut er die Situation nicht sofort und will Lisettens Kritik nicht gelten lassen. In Fassung B hat Lessing diese komische Uneinsichtigkeit Wumshäters noch deutlicher expliziert, wenn er den alten Frauenfeind im ersten Augenblick sogar an eine Verkleidung Lelios glauben läßt. Erst der Blick aus nächster Nähe offenbart ihm die erschütternde Wahrheit, daß es "wirklich ein Weibsbild,,186 ist. Die Hoffnung Valers, wenigstens Hilaria könne vor Wumshäters Augen Gnade finden, erfüllt sich somit am Ende nicht. Zwar stimmt der Vater nunmehr der Heirat der bei den zu, indes nicht, weil er seine ablehnende Haltung dem weiblichen Geschlecht gegenüber durch die erfolgreiche Intrige geändert hätte, sondern weil er ahnt, daß der Sohn von seinen verliebten Plänen keinen Abstand nehmen wird. Die Vaterliebe siegt über die Unvernunft, dennoch hofft der Misogyn unverdrossen weiter, daß sein Sohn durch Schaden, d. h. eben diese Heirat und Ehe schließlich klug, also noch zu einem Frauenfeind werde. Eine Korrektur des lächerlichen Lasters wird somit am 184 185 186
Lessing, Der Misogyn (B), 1II,4: LM 2, S. 39. Lessing, Der Misogyne (A), 13. Auftritt: B 1, S. 333. Der Misogyn (B), 1II,9: LM 2, S. 47.
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Ende dieser Komödie nicht erreicht, Wumshäter bleibt wie der junge Gelehrte Damis bei seiner törichten Auffassung, selbst eine Ausnahme, wie späterhin in den Juden, mag der Protagonist nicht eingestehen. Im Gegensatz zu Fassung A, in der Wumshäter seiner Schwiegertochter (wenig überzeugend) kurzangebunden verzeiht, akzentuiert Variante B seine starre Haltung deutlicher. All seine Vorurteile sieht er durch sie erneut bestätigt und so tituliert er sie gar als "das listigste, das verschlagenste, das gefährlichste [Weibsbild] vielleicht von allen, die in der Welt sind" 187. Eher halbherzig und gezwungenermaßen vergibt er ihr, von seiner Liebe schließt er sie jedoch ausdrücklich aus. Valer. [... ] Vergeben Sie uns, weil Sie uns lieben. Wumsh. Nun ja doch, weil ich dich liebe. Lelio. Und mich bald lieben werden, wie ich gewiß hoffe. Wumsh. Sie hoffen zu viel. Daß ich Sie nicht hasse, das wird alles seyn, was ich thun kann. ISS
Die übrigen Figuren bestehen auch nicht auf dieser Revision seiner irrigen Einstellung bzw. einem Ausschluß Wumshäters aus der vernünftigen Sozietät und unterscheiden sich damit nachdrücklich von der Gottschedschen Lustspielgesellschaft, die den Lasterhaften gebessert oder verspottet wissen will. Als gravierende Abkehr von dieser zeitgenössischen Tradition erweist sich, daß gerade auch die Intrigenspiele eben keine Korrektur anvisiert hatten, sondern sich nur die Einwilligung in die Heiratspläne der Kinder zum Ziel setzten, ein Ziel, das ohne Besserung erreicht wurde. Wumshäter darf also bleiben, wie er ist. An der Unvernünftigkeit seines Frauenhasses bleibt dennoch kein Zweifel, obgleich im Gegensatz zu zahlreichen zeitgenössischen Lustspielen eine allzu ostentative Belehrung des Protagonisten, sei es durch vernünftige Argumentation, sei es mittels bissigen Spottes und Ironie unterbleibt. Der Misogyne dient damit nicht im Sinne Gottscheds ausschließlich der Vermittlung eines augenfälligen Lehrsatzes, der Vermeidung eben der dargestellten Torheit. Wumshäter steht als komischlasterhafte Figur vielmehr im Zentrum eines vor allem witzig-geistreichen Spieles, das, ohne der utilitaristischen Wirkungsästhetik entgegenzustehen, dem Delectare breiteren Raum gewährt und wohl auch aus diesem Grunde den allzu bekannten Komödienschluß vermeidet. Wie Der junge Gelehrte zeigt Der Misogyne, daß Lessing eine mit der Hamburgischen Dramaturgie ausdrücklich verworfene Schwarz-Weiß-Lösung, nämlich Bestrafung oder Besserung, schon in jungen Jahren wenig komödiengeeignet erschien. Substantiell ist in diesem Zusammenhang, daß selbst die von Wumshäter mit seinem Sohn ausgetragenen Diskussionen nie ins Typisierende gleiten, der rational argumentierende Valer seinem Vater seine Verfehlung zu kei187 188
Ebd. Ebd.
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ner Zeit anklagend vor Augen führt. Stets sind diese Kontroversen von einer Hochachtung des Vernünftigen gegenüber der lächerlichen Hauptfigur geprägt, und auch die übrigen Vertreter der Tugendpartei treten Wumshäter mit ungewöhnlichem Respekt gegenüber. Im Gegensatz zu zahlreichen Lustspielen der Zeit, die in Abwesenheit des närrischen Toren dessen Laster ausgiebig verlachen und verspotten, wird vom alternden Frauenfeind kaum an einer Stelle verächtlich gesprochen. Dies resultiert vor allem daraus, daß im Misogyne die Rolle der Diener, die traditionell ihrer Herrschaft wenig respektvoll begegnen, stark zurückgenommen ist, die männliche, häufig sich recht grob gebärdende Dienerfigur fällt sogar gänzlich aus. Wenn auch Leander gegenüber Hilaria die Torheit seines Vaters ausdrücklich erwähnt, so bleibt dies doch eine objektive Feststellung, die der Liebe, die Valer nach eigenem Bekunden seinem Vater entgegenbringt, nicht widerspricht. Selbst als dieser im letzten Auftritt seine Lächerlichkeit nochmals bestätigt, wird er von seiner Umgebung nicht mit Spott und Hohn bedacht, Valer und Hilaria bitten ihn vielmehr kniefällig für ihre List um Verzeihung. Selbst die ewig bloßstellende Kammerzofe der frühen Lustspiele wirkt mit ihren Schlußworten, die Wumshäter in Fassung A zum Lachen auffordern, ungewohnt versöhnend. Dieser Umgang mit der komisch-lasterhaften Figur, der den spottenden Ton fast gänzlich verdrängt, den Fehlerhaften dagegen ernst nimmt und ihm mit Achtung begegnet, stellt in dieser Form durchaus ein Novum in der deutschen Komödientradition dar. 189 Wumshäter unterscheidet sich damit in seiner Lasterkonzeption kaum von zeitgenössischen Vorgaben, die Behandlung seiner Torheit durch die Gesellschaft auf der Bühne ist hingegen eine gänzlich neue. An die Stelle der lachenden Verachtung ist nunmehr eine nachsichtige Wertschätzung des Protagonisten getreten, die ihm zunächst allerdings nur von den Personen auf der Bühne entgegengebracht wird. 190 Das Auditorium kann sich ohne Zweifel über diese Figur und ihre falsche Wahrnehmung noch verlachend erheben. Die ernsthafte Haltung der glücklich Verbundenen, die den väterlichen Segen aufgrund der doch die Oberhand gewinnenden Vaterliebe erhalten, bewirkt schließlich aber auch beim Publikum einen Gesinnungswandel. Wumshäter wird eben nicht mehr wie der junge Gelehrte Damis am Ende des Stückes ausgegrenzt und verspottet, der Zuschauer urteilt vielmehr in dieser letzten Szene milder und nachsichtiger über den lasterhaften Protagonisten. 189 Als erster Ansatz in diesem neuen Umgang mit dem Laster kann allerdings Johann Elias Schlegels Stumme Schönheit gelten, die ebenfalls die Unvernunft nicht verächtlich behandelt, sondern Charlotte eben aufgrund ihres Fehlers ihr Glück finden läßt. 190 Hier wird von den Figuren umgesetzt, was Valer im Jungen Gelehrten erstmals verwirklichte, nämlich den Toren nicht mehr zu verlachen, da hierzu eine Art von Grausamkeit gehöre.
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Als ein weiterer früher Repräsentant jenes echt Lessingschen gemischten Charakters, dem der Zuschauer Sympathie entgegenbringt, kann der Misogyn somit sicherlich noch nicht verstanden werden, von jener lachenden Hochachtung, mit der man dem Freigeist von Beginn an begegnet, ist er noch weit entfernt. Gleichwohl stellt er bereits einen wichtigen Schritt zu jenem von Lessing im 28. Stück der Hamburgischen Dramaturgie propagierten neuen Umgang mit den Lustspielfiguren dar, denn die Ehrerbietung der vernünftigen Gesellschaft auf der Bühne ist Voraussetzung, daß sich zu dieser der Respekt des Zuschauers gesellen kann. Selbst wenn sich Lessing hier über weite Teile des Dramas den Konstituenten typisch satirischer Gestaltung verpflichtet, macht gerade die Schlußszenerie mit ihrem Stimmungsumschlag evident, daß der junge Autor auch bei diesem späterhin so zentralen Aspekt einer Neubewertung des Komödienlachens und der Personenführung schon früh erste Modifikationen unternommen hat. Diese die Spielstruktur prägende Verbindung altbekannter und zukunftsweisender Muster zeigt ebenso die Figurengestaltung des Misogynen, die in Hilaria ihre bemerkenswerteste Persönlichkeit findet. Entgegen den überwiegend passiv-duldsamen Liebenden der vorangegangenen Dramen nimmt sie nun selbst, ebenso energisch wie gewitzt, ihr Schicksal in die Hand und wird zur Initiatorin und Trägerin der erfolgreichen Intrige. Sie erfüllt dabei jene Funktion im Spielgeschehen, die bisher vielfach der Kammerzofe zukam, ohne sich jedoch deren pointiert-spöttischen Ton anzueignen. 191 Hilaria ist eben weder an der Düpierung des alternden Frauenfeindes noch an einer durch Bloßstellung erreichten Besserung gelegen, stets wahrt sie bei ihrem Täuschungsmanöver die Achtung vor dem zukünftigen Schwiegervater. Damit unterscheidet sich dieses Spiel im Spiel nachhaltig von jener Maskerade der Alten Jungfer, welche die Narretei der Protagonistin um des eigenen Vorteils willen schonungslos aufdeckte, aber auch von dem Jungen Gelehrten, der eine Korrekturfunktion insbesondere im mitleidslosen Spott des Dienerpaares wahrte. Zu Recht wird Hilaria als die wohl anmutigste und vollendetste Frauengestalt der frühen Lustspiele Lessings bezeichnet. 192 Sie ist es auch, die den Bogen zu seiner berühmtesten Komödie spannt, denn ohne Zweifel kann Hilaria als Vorläuferin, ja Schwester Minna von Barnhelms gelten. 193 Beide Mädchen machen sich zur Trägerin eines geistreichen Intrigenspieles, das seine Berechtigung im Kampf um ihre Liebe 191 Nicht zuzustimmen ist der Feststellung von Ursula Seidel (Die dramaturgische Technik in Lessings Jugendkomödien. Diss. [masch.] Jena 1949, S. 105), die Hilaria eine "Anlage zu moralisierender Sentimentalität" bescheinigt, die den weiblichen Figuren der Frühwerke im allgemeinen eigne. 192 Vgl. Müller, S. 189. 193 Vgl. auch Gunter Reiss ("Der Misogyn", in: Kindlers Neues Literatur Lexikon. Hrsg. von Walter Jens. Bd. 10. München 1990, S. 324), der Hilaria als "Vorstufe zu Minna" erachtet.
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findet, beide sprechen die Sprache des Witzes und des Herzens. Und wie Minna, die am Ende bangen muß, ihr Spiel zu weit geführt zu haben, zeigt auch Hilaria jenen Spaß und fast Übermut an ihrer List, den Valer ihr zu Recht, möchte man meinen, anlastet: Noch eins, liebste Hilaria. Gegen meine Schwester treiben Sie gleichfalls die Maskerade viel zu weit. 194 [ •.• ] Wenn ich nur sähe, daß Sie an das Ausspielen dächten. So aber denken Sie nur an das Fortspielen. Sie verwickeln den Knoten immer mehr und mehr, und endlich werden Sie ihn so verwickelt haben, daß er gar nicht wieder aufzuwickeln ist. 195
In diesem Zusammenhang flicht Lessing eine explizite dramaturg ische Kritik an seinen Dichterkollegen des unterhaltenden Faches ein, die den Knoten der Handlung derart verwirren, daß sie ihn, um eine Lösung zu finden, einfach zerreißen müssen, d. h. daß das Ende nicht aus dem Spiel der Charaktere bzw. dem wahrscheinlichen Fortgang der Handlung resultiert. So sehr Lessing in seinen Jugendlustspielen die Intrigenhandlungen als eigentlich spie1gestaltende Elemente einsetzt, die Klarheit und Logik der Handlungsfügung muß, dies wiederholen auch seine frühen Rezensionen, gewahrt bleiben. Erst in der Minna von Bamhelm setzt er, jedoch als einen bewußten Höhepunkt des Komödienverlaufes, eine Verwicklung der Geschehnisse ein, die einerseits durch Tellheims Verkennung der Situation, zum andern durch Minnas Übermut entsteht und die schließlich nur durch das Erscheinen des Grafen von Bruchsal gelöst werden kann. Entgegen den hier angeprangerten "schlechten Komödienschreibern" hat Lessing damit aber in kunst- und absichtsvoller Weise die Fäden der Handlung geknüpft. Im Schatten seiner das Stück dominierenden Geliebten steht Valer, der, vom Vater an seiner Heirat gehindert, in beiden Fassungen des Misogynen auf den ersten Blick an die Tochterfiguren der Zeit erinnert, welche ihrerseits Heiratshindernisse überwinden müssen. Auch wenn Valer wie diese das Intrigenspiel seiner Verlobten durchaus kritisch betrachtet, zeigt er doch im Gegensatz zu den sonst eher passiven Frauenfiguren, die bereit sind, sich dem Willen des Elternteils zu unterwerfen, Ansätze, aus dieser duldsamen Rolle auszubrechen. Die Maskerade Hilarias ist für ihn nur mehr der letzte Versuch, Wumshäter eine Einwilligung abzuringen; scheitert sie, so Valer,
194 Lessing, Der Misogyne (A), 4. Auftritt: B 1, S. 314. - Der Misogyn (B), 1,4: LM 2, S. 12. 195 Lessing, Der Misogyne (A), 4. Auftritt: BI, S. 316. - Der Misogyn (B), 1,4: LM 2, S. 13.
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haben wir doch alles getan, was in unsern Kräften steht, und ich werde es endlich über mein Gewissen bringen können, einem wunderlichen Vater die Stirne zu bieten 196.
Ebenfalls im Schatten Hilarias steht die Kammerzofe Lisette, deren traditionell exponierte Stellung in beiden Fassungen des Misogynen vor allem dadurch deutlich eingeschränkt wird, daß Lessing ihre führende Rolle im Intrigenspiel der verkleideten Braut übereignet. Rentschler wertet sie aus diesem Grunde als "upstaged laugher"197. Allerdings darf nicht übersehen werden, daß sich Lisette noch einen Gutteil ihrer typischen Eigenschaften als schlaue Kammerzofe bewahrt hat. Mit wohlbekannter Respektlosigkeit lacht sie über den närrischen Hausherren und zeigt sich Wumshäter schon in der ersten Szene trotz sozialer Unterordnung spottend überlegen. Ähnlich keck begegnet sie dem Advokaten Solbrist, dessen wahres Interesse, in Liebesangelegenheiten vermittelnd einzugreifen, sie rasch erkennt und dies dem überraschten Juristen ungeschminkt entgegenhält: Als wenn Ehe stiften, und Uneinigkeit stiften nicht einerlei wäre! Und so viel ich gehört habe, so können Sie Eheleute eben so wohl wieder von einander, als zusammen bringen. Sie sind ein schlauer Fuchs. Hätten Sie mit Ehescheidungsproces sen wohl so viel verdienen können, wenn Sie nicht durch Ihr Kuppeln den Grund dazu gelegt hätten?198
Nicht zuletzt ist es wiederum Lisette, die, obschon in die Verkleidungsintrige Hilarias nicht eingeweiht, diese nach der ersten Begegnung mit der angereisten angeblichen Schwester im Gegensatz zu Wumshäter oder Laura erahnt 199 und insofern ihre überlieferte Sonderstellung innerhalb des komischen Spiels bewahrt, als sie zwar nicht die Fäden in der Hand hält, wohl aber weitsichtiger als die übrigen Figuren die Ereignisse durchschaut. Selbst über ihre alte Geschicklichkeit, das männliche Dienerpersonal nach ihrem Belieben zu lenken, verfügt sie in diesem Stück, beklagt doch der Misogyn in B ausdrücklich diese Dominanz der Kammerzofe: und wenn ich ja einmal einen guten Menschen zur Aufwartung habe, so vergeht kein Monat, daß ihn nicht das verdammte Mädel, die Lisette, in ihren Stricken hat?OO
Gemeinsam mit dem unverändert beharrenden Hausherrn hat sie in beiden Varianten schließlich das letzte Wort, indem sie dessen Prophezeiung: 196 Lessing, Der Misogyne (A), 4. Auftritt: B 1, S. 316. - Der Misogyn (B), 1,4: LM 2, S. 14. 197 Vgl. Rentschler, Lisette, the Laugher, S. 51. 198 Lessing, Der Misogyne (A), 8. Auftritt: B 1, S. 325. - Der Misogyn (B), 11,6: LM 2, S. 33. 199 Vgl. Lessing, Der Misogyne (A), 14. Auftritt: B 1, S. 334. - Der Misogyn (B), III,6: LM 2, S. 42. 200 Lessing, Der Misogyn (B), 11,3: LM 2, S. 24.
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"Über Jahr und Tag hoff ich, sollt ihr anders exclamieren!,,201 ins Positive wendet, das Bild einer kinderreichen Zukunft entwirft: Freilich anders; besonders wenn mehr Stimmen dazu kommen - - Lachen Sie doch, mein Herr, diese Komödie schließt sich wie ein Hochzeitcarmen!202
Mit dieser letzten, an den Frauenfeind gerichteten Aufforderung zu lachen, d. h. über sich selbst zu lachen, wird abschließend noch einmal die Intention (nicht nur) dieses frühen Werkes ausdrücklich geäußert. Nicht mehr die demonstrative Belehrung Gottscheds über eine Untugend, die sich am Ende in einer Besserung oder Bestrafung erfüllt und so die Rezipienten erzieht, sondern neben der durchaus gewahrten Korrekturfunktion strebt Lessing zugleich einen anderen, allgemeineren Lernprozeß an, nämlich über sich selbst und seine eigenen Schwächen lachen zu lernen, so wie er dies selbst in Leipzig erfuhr und im vielfach zitierten Brief an seine Mutter beschreibt?03 Dieses Ersuchen Lisettens, das auch im Jungen Gelehrten an den unglücklichen Valer ergeht,204 richtet sich als lebenspraktische Hilfe in letzter Konsequenz natürlich an das Theaterpublikum. Auffallend ist, daß Lisettens Aufruf in Fassung B in erweiterter Form durch eine Regieanweisung Lessings ad spectatores ergeht: "Lachen Sie doch, meine Herren,,205 und dabei in erster Linie wohl jene Komödienbesucher aufruft, die sich durch das Spiel Hilarias in eben ihrer Meinung über die Listenhaftigkeit der Frauen bestätigt sahen. Die Intrige der Liebenden muß indes wertneutral betrachtet werden, denn erst die Unvernunft Wumshäters setzt sie gemeinsam mit Valer ins Recht, ihr Spiel mit dem Frauenverächter zu treiben. Ein komödiantischer Typ ohne didaktischen Impetus für das Publikum begegnet im Advokaten Solbrist, der nach Hinck dem Dottore der Commedia delI' arte nahesteht. 206 Gerade dieser Figur hat Lessing jedoch eine durchaus originelle Gestaltung gegeben. Zwar ist auch Solbrist in einem 201 Lessing, Der Misogyne (A), 17. Auftritt: B I, S. 339. - Der Misogyn (B), III,9: LM 2, S. 48. 202 Lessing, Der Misogyne (A), 17. Auftritt: B I, S. 339. 203 Dieses von Lessing hier propagierte Lachen über sich selbst darf allerdings nicht mit jenem von Hochachtung geprägten Lachen verwechselt werden, das dem gemischten Charakter gilt. In diesem Sinne geht Rentschler (Lisette, the Laugher, S. 54) in seiner These fehl, Lisette "heraids a new laughter of reason both powerful and sympathetic, a "Mitlachen" that presages the advent of "Mitleid" in Lessing's plays". Als Vorboten dieses neuen, sympathetischen Lachens, welches das Publikum gegenüber dem fehlerhaften Protagonisten übt, sind vielmehr Hilaria und Valer mit ihrem respektvollen Benehmen zu werten. 204 Vgl. Lessing, Der junge Gelehrte, II,2: LM I, S. 309. 205 Lessing, Der Misogyn (B), 1II,9: LM 2, S. 48. 206 Vgl. Hinck, Das deutsche Lustspiel des 17. und 18. Jahrhunderts, S. 271.
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gewissen Grade lasterhaft (man denke an sein eigennütziges Interesse bei der Heiratsvermittlung), doch tritt diese Geschäftstüchtigkeit nicht eigentlich negativ in Erscheinung. Das Publikum sympathisiert vielmehr mit dem findigen Juristen, dem es gelingt, Wumshäter zu überlisten. Seine Lächerlichkeit, die insbesondere aus seiner rhetorischen Manier hervorgeht, scheint allerdings mehr gespielt als ein tatsächlicher Wesenszug des Advokaten zu sein?07 Das ciceronianische Meisterstück, bei dem er durch Wumshäters Einwürfe aus dem Konzept kommt, dient ganz im Sinne der antiken Rhetoriktradition lediglich der Überzeugung des alten Frauenfeindes, ist also bewußt eingesetzte und gestaltete Rede; Solbrists gewöhnlicher Sprachduktus ist dies, wie die Unterhaltung mit Lisette zeigt, sicherlich nicht. 208 Daß es sich um ein Spiel des Advokaten handelt, zeigt sinnfällig schon das Umbinden der großen Halskrause. 209 Fassung B hat die Sprachkomik dieses nach den Regeln der Kunst gebauten Vortrages durch Wumshäters Unverständnis geschickt verstärkt210 und so zu einem für das Publikum vergnüglichen Schlagabtausch werden lassen. Diese pointiertere Sprachgestaltung ist es, die in erster Linie den wesentlichen Fortschritt vom frühen Einakter hin zur Fassung B bedeutet. So ist die Überarbeitung des Frauenfeindes ungleich witziger und lebendiger gestaltet, zeichnet sich durch einen rascheren Wechsel von Rede und Antwort aus. Insbesondere zwei zentrale Stellen dieses Stückes, Wumshäters Unterredung mit Solbrist sowie der letzte Auftritt, wurden in der dreiaktigen Variante bühnenwirksamer gestaltet. Nicht zuletzt bildet auch die in B vor allem in den zweiten Aufzug eingebaute Ausgestaltung der Beziehung Lauras und Lelios eine weitere echt komödiantische Liebesverwicklung. In deren Verlauf zeigt sich neben Hilarias Freude an ihrer Maskerade auch Lessings Gespür und Leidenschaft für echt lustspielhafte Elemente. Laura stellt, vom vermeintlichen Schwager betört, ihre Liebe zu Leander in Frage. Erst die vorgegebene Indiskretion Lelios läßt Laura eine Rückkehr zu ihrem alten Verehrer vollziehen. In einem gewissen Grade agiert die im übrigen recht resolute und sich gegen den Vater durchaus behauptende Tochter des Hauses hier wie eine Marionette, ohne dabei jedoch eine komische Figur zu werden. Am Ende des Stückes kann sie schließlich das geistreiche, nur Valer und Lelio/Hilaria voll verständliche Fazit ziehen: "Leander, ich verspreche Ihnen, daß Sie nie einen gefährlichem Nebenbuhler haben sollen, als Lelio war.,,211 VgI. dagegen ebd. Zur Sprache Solbrists vgI. auch Metzger, S. 84 f. 209 VgI. Lessing, Der Misogyne (A), 7. Auftritt: B 1, S. 322. - Der Misogyn (B), II,5: LM 2, S. 28. 210 Vgl. z. B. die im Gegensatz zu A eingebaute geschwinde Wiederholung seiner Rede, um den Faden wiederzufinden, oder Wumshäters insistierende Fragen, weIche der bösen Weiber der Weltgeschichte die geplante Aufzählung Solbrists beinhaltet habe etc. (Lessing, Der Misogyn (B), 11,5: LM 2, S. 28-30). 207
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Aufs Ganze gesehen birgt die Spätfassung des Misogynen jedoch keine tiefgreifenden und komödienpoetologisch relevanten Veränderungen. Schon der Einakter vom Jahre 1748 zeigt an zentralen Stellen jene für das Lustspielverständnis des jungen Lessing aufschlußreichen Modifikationen der aufklärerischen Schemata. Als entscheidenden Schritt hin zu den Standpunkten der Hamburgischen Dramaturgie kann in erster Linie die veränderte, durch Hochachtung geprägte Haltung der vernünftigen Umwelt gegenüber dem lächerlichen Protagonisten gewertet werden. Von dieser Achtung der dramatis personae ist es zur Sympathie des Publikums für einen gemischten Charakter nicht mehr weit, zumal Lessing im Gegensatz zu den vorangegangenen Lustspielen eine beißende Düpierung des Toren am Ende vermeidet. Ohne Zweifel stellt dieses wenig beachtete Lustspiel ein entscheidendes Bindeglied zwischen den noch stärker satirisch geprägten bzw. possenhaft gehaltenen Stücken Der junge Gelehrte und Die alte Jungfer einerseits und den sich in Struktur und Personenzeichnung deutlich von Gottschedschen Regeln lösenden Komödien Der Freygeist und Die Juden dar. Mit der neuartigen Dominanz einer weiblichen Figur, die die spielbestimmende Position der Kammerzofe zurückdrängt, bildet Der Misogyne zugleich eine nicht uninteressante Vorübung der Minna von Bamhelm. 5. Der Freygeist
Nachdem bereits die vorangegangenen Lustspiele212 wenn auch noch nicht in der Gesamtstruktur, so doch in einzelnen Aspekten Modifikationen Lessing, Der Misogyn (B), III,9: LM 2, S. 48. Kontrovers wird in der Forschung die Datierung des Freygeistes diskutiert. Lessings Zusatz zum Erstdruck "Verfertiget im Jahre 1749", sowie sein Brief vom 28. April 1749, der dem Vater eine Komödie "auf die Freygeister und die Verächter ihres Standes" verspricht, haben dazu geführt, daß auch der erhaltene Entwurf zum Freygeist, der bereits jene poetologisch innovativen Aspekte des gemischten Charakters Adrasts aufweist, in das Jahr 1749 datiert wurde (vgl. Hillen, in: G 2, S. 651. - LM 3, S. IX). Nach Milde (S. 243) ist der Entwurf Teil eines aus sechs ineinander gelegten Doppelblättem und einem weiteren Blatt bestehenden Faszikels, das neben diesem Plan (BI. 2r_5 r ) Skizzen zur Beyderseitigen Überredung (BI. 6r , 7r ) sowie zum Guten Mann (BI. 8r_lO r ) enthält. Das Schäferspiel kann nach LM in die Leipziger Zeit eingeordnet werden (vgl. LM 3, S. IX), Der gute Mann wurde zunächst in das Jahr 1753 gesetzt (LM 3, S. 10), ehe lose! Caro (Lessing und die Engländer, in: Euphorion 6, 1899, S. 465-490, hier S. 473) dieses Fragment mit "sehr beachtenswerte[n), wenn auch nicht unbedingt zwingende[n) Gründe[n)", so Muncker (LM 22, S. 40), näher an das geplante Lustspiel Der Leichtgläubige, d. h. in das Jahr 1748 rückt. Stenze I (in: B 1, S. 1047, 1130 f.) setzt den Freygeist-Entwurf ebenfalls aufgrund des Befundes der Breslauer Handschrift wesentlich früher als bisher an, nämlich deutlich vor dem April-Brief Lessings und datiert ihn noch in das Jahr 1748. Nachdem die Handschrift, laut Stenzei, in ihrer Anordnung die zeitliche Entstehung der Skizzen widerspiegele, müsse man den Entwurf zum Freygeist 211
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der tradierten Komödienforrnen zeitigten, gelingt dem jungen Lessing mit dem Freygeist eine deutliche Überwindung der zeitgenössischen Tradition?13 Mit Adrast betritt zum ersten Male ein völlig andersartiger Typ eines Freigeistes die deutsche komische Bühne, der nicht mehr jener in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts herrschenden Vorstellung eines liederlichen, wegen seiner Schändlichkeit zu meidenden Menschen entspricht214 und in dieser innovativen Personengestaltung eine neuartige, sowohl die satirische wie auch die rührende Komödienkonzeption durchbrechende Struktur inauguriert. Als eine Fortentwicklung des Misogynen weist dieses erste fünfaktige Werk mit seiner veränderten Konfliktgestaltung schon deutlich auf die Charakterzeichnung der Minna von Bamhelm wie auch Lessings komödienpoetologische Ansätze voraus. Die Veränderung des Komödienschemas steht möglicherweise in Zusammenhang mit der für diese Zeit verbürgten Lektüre des griechischen Dichters Menander, der in seinen Komödien und Fragmenten ein Spiel mit vertrauten antiken Rollenmustem inszeniert und so den Weg vom komischen Typus hin zum Charakter beschreitet;215 vor allem aber wird hier wohl das große Vorbild der frühen
provozierend früh annehmen, da sonst die beiden anderen Fragmente zu weit vom LeichtgLäubigen und Misogynen entfernt seien, in deren Umfeld sie jedoch wegen ihrer englischen Bezüge und französischen Dramaturgie gehörten. Gegen die Annahme, daß es sich bei der Faszikel-Anordnung tatsächlich um die originale Reihung handelt, spricht allerdings zweierlei. Zum einen finden sich auf Blatt Ir Federproben des Fragments Vor diesen, das nachweislich erst 1756 entstanden ist. Zum andern ist bei der ganz offensichtlich erst später vorgenommenen Numerierung der Entwurf zur Beyderseitigen Überredung teilweise nicht korrekt eingefügt worden. Auf Blatt 6 r befindet sich die zweite Szene, das Blatt 7r trägt hingegen den ersten Auftritt dieses Entwurfs (Vgl. Biblioteka Uniwersytecka Wrodaw: IV F 88d Nr. 12). Somit erscheint StenzeLs Annahme, den Entwurf des Freygeistes schon im Jahre 1748 anzusetzen, nicht mehr unbedingt zwingend. 213 Lediglich als ein langatmiges und schlecht gezimmertes Tendenzstück, das mit berechnender Rücksicht auf den Vater geschrieben worden sei, betrachtet es Schmidt (Lessin~, Bd. I, S. 139 0. - Auf dieses frühe Urteil verweisend, sieht auch Cesare Cases (Uber Lessings "Freygeist", in: Festschrift zum achtzigsten Geburtstag von Georg Lukacs. Hrsg. von Frank Benseier. Neuwied, Berlin 1965, S. 374 bis 391, hier S. 374, 377) im Freygeist ein Beispiel des unreifen Frühwerkes, das "kaum etwas wesentlich Neues" beinhalte, ja sogar künstlerisch versage. - Als ein Spiel mit geistreichen Möglichkeiten, das sich durch Schärfe und Leichtigkeit des Ausdrucks gegenüber den zeitgenössischen Werken auszeichne, erachtet es hingegen Margarete Hofius (S. 122). - Innovative Elemente erkennen im Freygeist klar MüLLer (S. 198-202,210--217) sowie Reh (Die Rettung der Menschlichkeit, S. 123). Einen Forschungsüberblick bietet Monika Fick, S. 69 f. 214 Vgl. ELse Liepe, Der Freigeist in der deutschen Literatur des 18. Jahrhunderts. [Diss.] Kiel 1930, S. 14--27. 215 Vgl. dazu Bemhard Zimmennann, Die griechische Komödie. Düsseldorf, Zürich 1998, S. 239-248.
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Jahre, Moliere, dem Lessing nacheiferte, mit seiner individuelleren Figurengestaltung wirksam. Wie bei den Juden, die noch ein ungleich artifizielleres Spiel mit den Zuschauern führen, enttäuscht Der Freygeist die Erwartung des Publikums bzw. des Lesers, durch die wohlbekannte Satire auf den im Titel genannten Repräsentanten eines Lasters, in diesem Falle die gemeinhin verachteten Freigeister, unterhalten und in seiner moralischen Wertung bestätigt zu werden. Zwar prallen im exponierenden ersten Auftritt in Adrast und Theophan, einem Freigeist und einem Theologen, zwei weltanschaulich konträre und damit durchaus eine satirische Behandlung versprechende Haltungen aufeinander, indes deutet sich bereits hier eine veränderte Gestaltung an. Jene plane Konzeption der Lustspiele Gottschedscher Observanz, wie sie katexochen Die Pietisterey im Fischbeinrocke zeigt, läßt Lessing schon zu Beginn hinter sich, da gerade nicht die Inhalte der Freigeisterei Anlaß zu einem lächerlichen Disput geben. Hatten das Lustspiel der Gottschedin, Die Betschwester Gellerts oder Die Geistlichen auf dem Lande von Krüger eine ganz offensichtlich verfehlte religiöse Auffassung bzw. Gebaren auf die Bühne gebracht, so ist der von Lessing gewählte Konflikt weitaus anspruchsvoller gezeichnet, wird doch kaum eine dezidiert freigeistige Überzeugung zum besten gegeben. Die oberflächliche Demonstration einer lächerlichen Haltung wird in dieser Eingangsszene nunmehr durch eine eher philosophische Diskussion ersetzt, in deren Verlauf zwar die Zweifelhaftigkeit der Argumente Adrasts ersichtlich wird, diese aber nicht zwangsläufig Verlachen evozieren. Allein dies läßt ahnen, daß es im weiteren Verlauf wohl kaum darum gehen wird, den Vertreter der Freigeisterei von seinem Laster zu bekehren. Zum eigentlichen Ausgangspunkt der Handlung macht Lessing vielmehr die Werbung Theophans um Adrasts Freundschaft. Zwar erwähnt Theophan im Gespräch mit dem Vetter Araspe durchaus die Absicht, Adrasts "Vorurtheil von den Gliedern meines Ordens durch mich zu Schanden zu machen,,216, gleichwohl ist das primäre Ziel des jungen Geistlichen, im widerspenstigen Freigeist einen Freund zu gewinnen und weniger ihn in echter Lustspielmanier grundsätzlich von seiner Fehlhaltung des Freidenkerturns zu befreien. Adrast weist indes die Bemühungen Theophans strikt zurück, allerdings nicht aufgrund ihrer entgegengesetzten Weltbilder; es sind also kaum religionswissenschaftliche Streitigkeiten, die hemmend zwischen den künftigen Schwägern stehen. Adrast und Theophan erscheinen vielmehr zunächst als Beispiele einer unterschiedlichen Gewichtung des Verhältnisses von Herz und Verstand. 217 Sie repräsentieren dabei weniLessing, Der Freygeist, m,l: LM 2, S. 82. Vgl. Gerhard Fricke, Bemerkungen zu Lessings "Freigeist" und "Miss Sara Sampson", in: Festschrift Josef Quint anläßlich seines 65. Geburtstages überreicht. Hrsg. von Hugo Moser/Rudolf SchützeichellKarl Stackmann. Bonn 1964, S. 83 bis 216
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ger den Geistlichen und den Freigeist, vielmehr wählt Lessing hier sehr allgemein als Anlaß des Disputes eine gegensätzliche Art zu denken. Während Adrast die Ratio als Urteilsinstanz zuungunsten seiner Empfindungen behauptet, spricht Theophan, gleichwohl rational argumentierend, die Sprache des Herzens, appelliert er an das Gefühl seines Gegenübers, was dieser jedoch entschieden zurückweist. 218 Seine Verstandes leistung, nicht die Vorzüge seines Herzens will Adrast gewürdigt sehen. Obschon er aber auf dem Primat seines Geistes besteht, handelt der Freigeist im folgenden gerade wider diesen und zeigt sich im wahrsten Sinne unvernünftig, wenn er Theophan hartnäckig verkennt, dessen Worte und Handlungen als Schmeichelei und gar als Heuchelei bezeichnet. Virtuos hat es Lessing auf diese Art verstanden, zwar nicht die Inhalte der Freigeisterei per se direkt anzuprangern, wohl aber durch die unvernünftige Denkungsart des Freigeistes diese letztlich doch zu einem gewissen Grade als verfehlte Haltung bloßzustellen. Nichtsdestoweniger legt Adrast seinem Urteil die eigene Erfahrung, die er, der aufklärerischen Maxime folgend, "von tausend Beyspielen abgesondert,,219 hat, zugrunde und stellt es damit auf eine durchaus rationale Basis. Wie schon im Misogyn sind es negative Erlebnisse, die den Protagonisten in seiner starren Haltung, dort gegenüber dem weiblichen Geschlecht, hier gegen den Stand der Theologen bestätigt haben. Aus Adrasts Munde erfahren wir andeutungsweise von der Unbill, die ihm durch Priester seiner eigenen Familie zugefügt wurde,22o und von Ungerechtigkeiten, die sein Diener Johann später näher erläutert?21 Wie schon bei Wumshäter macht die persönliche Empirie Adrasts Vorbehalte menschlich plausibel, gleichwohl werden sie dort lächerlich, wo sie, ohne weitere Prüfung verallgemeinert, zum generellen Vorurteil avancieren, das den einzelnen Menschen nicht mehr wahrnehmen und gelten lassen will: "Welcher von euch Schwarzröcken wäre auch kein Heuchler? - _,,222, so lautet die rhetorische Frage des Freigeistes. Adrast formuliert zwar damit zugleich die Maxime einer Prüfung Theophans, d. h. einer möglichen Falsifikation seines Urteils aufgrund neuer Erkenntnisse: 120, hier S. 86-91. - Ebenso Paul Böckmann, Formgeschichte der deutschen Dichtung. Bd. 1. Hamburg 1949, S. 530 f. - Erneut Monika Fick, S. 72 f. - Martin Kramer (in: Wilfried Bamer u a., Lessing. Epoche - Werk - Wirkung. 5., neubearb. Auflage. München 1987 (Arbeitsbücher zur Literaturgeschichte), S. 130-132) sieht eine zentrale Problematik des Freygeistes im Aufeinandertreffen von abstraktem und empirischem Rationalismus. 218 V gl. Lessing, Der Freygeist, 1,1: LM 2, S. 52. 219 Ebd. 220 Vgl. ebd., 1,2, S. 56. 221 Vgl. ebd., III,4, S. 85. 222 Ebd., 1,2, S. 56.
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Ich will nichts damit sagen, als daß ich noch zu wenig Grund habe, die Allgemeinheit meines Urtheils von den Gliedern Ihres Standes, um Ihret Willen einzuschränken. Ich habe mich nach den Ausnahmen zu lange vergebens umgesehen, als daß ich hoffen könnte, die erste an Ihnen zu finden. Ich müßte Sie länger, ich müßte Sie unter verschiedenen Umständen gekannt haben, wenn __223
Im folgenden zeigt er indes eine gänzliche Unfähigkeit, sein Vorurteil eben in den von ihm geforderten Umständen durch eine objektive Betrachtung zu überprüfen. Anstatt Theophans Freundschaftswerben als Ausdruck einer echten Wertschätzung zu verstehen, will es Adrast konsequent als typisches Gebaren eines heuchlerischen Theologen verkennen. Zahlreich sind die Stellen, in welchen der Freigeist dem jungen Geistlichen offen seine Verachtung ausspricht. Obwohl Adrast also auf diese empirisch-rationalistische Analyse zurückgreift und so zu einem negativen verbindlichen Urteil gelangt, widersetzt er sich ebendieser Ratio, wenn er Theophans Bemühungen nicht erkennt. Seine einmal gefaßte Ablehnung wird zum Vorurteil und regiert nunmehr sein Denken. 224 Im Motiv der fälligen Wechsel tritt Adrasts festgelegte Haltung nur zu deutlich zutage. Theophan übergibt Adrast die erbetenen Schuldscheine, welche sein Vetter Araspe nun einzufordern gedachte. Doch selbst in dieser großzügigen Geste erblickt der Mißtrauische, wie zuvor in der Ankunft Araspes, einen kunstvoll geknüpften Fallstrick, der ihn die angebotenen Wechsel brüsk zurückweisen läßt. Dennoch scheint der Freigeist hier ein erstes Mal verunsichert zu sein, da ihm ein derartiges Verhalten noch nicht widerfahren ist: Was für ein Mann! Ich habe tausend aus seinem Stande gefunden, die unter der Larve der Heiligkeit betrogen; aber noch keinen, der es, wie dieser, unter der Larve der Großmuth, gethan hätte. - - Entweder er sucht mich zu beschämen, oder zu gewinnen. Keines von bei den soll ihm gelingen?25
Letztlich erweist sich sein Vorurteil, sein Stolz stärker als der Tugendbeweis des Theophan. Und so betitelt er schließlich den verhaßten Geistlichen 223 Ebd., 1,1, S. 54. 224 Hiermit gerät Kramers These (in: Bamer u. a., S. 130--132), Lessings Kritik gelte dem rationalistischen Denkverfahren, ins Wanken, handelt doch Adrast eben nicht dem Verstand, der Rationalität entsprechend, die ihm bei objektiver Betrachtung die Aufrichtigkeit Theophans zeigen müßten, vielmehr wird er ganz offensichtlich von der negativen Empfindung bestimmt. Gleiches gilt für Margarete Hofius (S. 125), die als Kernanliegen des Freygeistes wertet, Adrasts Herz der Vorherrschaft der Ratio zu entziehen und es der Empfindung fähig zu machen. Lessing zeigt bei dieser Gestalt gerade eine gegenteilige Haltung. Obschon auf den Primat des Verstandes pochend, verliert Adrast seine rationale Objektivität und verfallt, ohne es selbst zu erkennen, seinen negativen Empfindungen und einem ungerechtfertigten Vorurteil. Erst am Ende werden seine Antipathien durch das Glück seiner Liebe mit Juliane gelöst. 225 Lessing, Der Freygeist, III,7: LM 2, S. 90. 13 Kombaeher-Meyer
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in Gegenwart des Wechslers mit scharfen Worten als Feind, als gefährlichen Heuchler, spricht von unbeschreiblichen Ränken sowie der allerfeinsten Art, schaden zu können,226 die den Wechsler am Ende veranlassen, das Theophan gegebene Wort zu brechen und dem schimpfenden Adrast die entscheidende Bürgschaft des vermeintlichen Gegners zu offenbaren. Indes, selbst auf dieses Leumundszeugnis hin versucht Adrast, seine alte vorgefaßte Meinung über Theophan als Vertreter des geistlichen Standes, die zwar deutlich ins Wanken gerät, aufrechtzuerhalten: Ich weiß nicht, was ich denken soll. Er dringt seine Wohlthaten mit einer Art auf - - Aber verwünscht sind seine Wohlthaten, und seine Art! Und wenn auch keine Schlange unter diesen Blumen läge, so würde ich ihn doch nicht anders als hassen können?27
Bliebe Der Freygeist auf die bisher erörterte Struktur beschränkt, so wäre dieses Stück kaum mehr als Der Misogyn unter veränderter Gestalt: Ein mit Vorurteilen Behafteter dogmatisiert diese durch die mannigfaltige eigene Erfahrung gleichsam zu einer Wahrheit, die nun ein starres (Trug-)Bild der Wirklichkeit zur Folge hat. Adrast gliche damit Wumshäter, er wäre einer jener lächerlichen Figuren, deren Fehler zwar durch seine Biographie durchaus verständlich, nichtsdestoweniger aber Anlaß zum Verlachen geben würde. Als substantiell für die Entwicklung von Lessings Frühwerk muß jedoch gewertet werden, daß mit der Figur des Adrast eine deutliche Fortentwicklung des Frauenfeindes erfolgt. Während Wumshäter erst in der Schlußszenerie die Gunst des Publikums zumindest bis zu einem gewissen Grade gewinnen kann, im übrigen Verlauf des Stückes ohne Zweifel vom Publikum verlacht wird, ist Lessing hier bestrebt, den in der übrigen zeitgenössischen Literatur meist übelbeleumdeten Freigeist von Beginn an in einem wärmeren Licht erscheinen zu lassen. Theophan ruft zwar im ersten Gespräch ebenjene weitverbreitete negative Meinung auf: Nennen Sie es, wie Sie wollen: Freydenker, starker Geist, Deist; ja, wenn Sie ehrwürdige Benennungen mißbrauchen wollen, nennen Sie es Philosoph: es ist ein Ungeheuer, es ist die Schande der Menschheit. 228 ,
um aber gleichzeitig Adrasts gutes Herz herauszustellen, das sich als unabhängig von jeglicher konfessionellen Bindung erweist. 229 Seine freigeistige Haltung erscheint, dem Wort des jungen Geistlichen zu glauben, der hier gewissermaßen die moralische Instanz einnimmt, mehr eine korrigierbare Verfehlung der Jugend denn Ausdruck eines grundsätzlich verfehlten MenVgl. ebd., V,I, S. 109 f. Ebd., V,2, S. 111. 228 Ebd., 1,1, S. 52 f. 229 Diese Überzeugung hat Lessing in den Juden und schließlich als zentrales Thema des Nathan kontinuierlich weitergeführt. 226 227
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schenturns zu sein. 23o Nachdrücklich zu seinem Verteidiger schwingt sich Theophan schließlich gegenüber Vetter Araspe auf, welcher in III,l der überkommenen Vorstellung das Wort gibt: Adrast, dieser Mann, der sich, auf eine eben so abgeschmackte als ruchlose Art, von andem Menschen zu unterscheiden sucht, verdient, daß man ihn auch wieder von andem Menschen unterscheide. [... ] Einem spöttischen Freygeiste, welcher uns lieber das Edelste, was wir besitzen, rauben, und uns alle Hoffnung eines künftigen glückseligem Lebens zu nichte machen möchte, vergilt man noch lange nicht Gleiches mit Gleichem, wenn man ihm das gegenwärtige Leben ein wenig sauer macht. 231
Aus diesem Grund glaubt Araspe in der Einforderung der Wechsel eine Möglichkeit gefunden zu haben, den Freigeist möglicherweise zu bekehren, durch mißliche Umstände einen Reflexionsprozeß und damit eine Charakteränderung zu erwirken. Theophan hält dieser äußerlichen Charakterisierung des Vetters nun eine verständnisvollere, unparteiische Beschreibung entgegen: "Adrast, wie ich fest überzeugt bin, ist von derjenigen Art Freygeister, die wohl etwas Besseres zu seyn verdienten. ,,232 Er erkennt die guten Seiten dieses Menschen an, urteilt nicht nach einem bloßen Begriff und erhofft somit eine Umkehr Adrasts, die jedoch keine Voraussetzung der Freundschaft der beiden darstellt. Auch wenn diese positiven Eigenschaften des jungen Adrast nicht eigens erwähnt werden, rehabilitiert Theophan ihn hiermit und nicht zuletzt auch dadurch, daß er dem Freigeist seine Freundschaft anträgt. Mit dieser Charakterisierung geht diese Lustspielfigur weit über die zeitgenössischen Typen hinaus, ebenso treten die bisherigen Gestalten der frühen Lessingschen Lustspiele dahinter zurück. Die vielfach schon konstatierte Annäherung einzelner Personen an den von Lessing postulierten gemischten Charakter hat in Adrast seine vollgültige Ausprägung erlangt, denn mit dem Freigeist betritt kein Typ mehr die Bühne. Er kann als die erste umfassende Charakterfigur des jungen Autors gesehen werden, die negative wie positive Eigenschaften vereint und so dem menschlichen Leben näher kommt als die schematischen Gestalten der Lustspiele Gottschedscher Observanz und auch viele Figuren in Lessings bisherigen Komödien. Es bleibt die Frage, worin nun diese behaupteten positiven Werte liegen, die uns Adrast als vermischten Charakter erscheinen lassen und Lessing veranlaßten, im Entwuif des Freigeistes der Figur hinzuzusetzen: "Adrast. ohne Religion, aber voller tugendhafter Gesinnungen. ,,233 In diesem Zusam230 231 232
233 13*
Vgl. Lessing, Der Freygeist, III, I: LM 2, S. 81. Vgl. ebd., S. 80. Ebd., S. 81. Lessing, Der Freygeist - Entwurf: LM 3, S. 262.
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menhang vennögen nun die Dienerszenen weiteren Aufschluß zu geben. Mit ihnen erzielt Lessing nicht nur jene komische Wirkung, die der Haupthandlung, der Auseinandersetzung Adrasts und Theophans, über weite Strecken mangelt, dramatisch und wirkungsästhetisch ist entscheidend, daß die Dienstboten Johann und Martin mit den Figuren ihrer Herrschaft kontrastieren. Sie sind, wie die Kammerzofe Lisette treffend bemerkt, die wahren Bilder ihrer Herren, von der häßlichen Seite! Aus Freygeisterey ist jener ein Spitzbube; und aus Frömmigkeit dieser ein Dummkopf. 234
Auch Johann hat sich der neuen Weitsicht seines Brotgebers Adrast verschrieben, doch wie gänzlich anders ist sein durchaus schon ans Kriminelle grenzendes Verhalten. Angesichts der Hiobsbotschaft von der Ankunft des Gläubigers Araspe wäre der Diener ohne Skrupel bereit, die Flucht zu ergreifen, um sich dieser Zwangslage zu entziehen - ein im übrigen nicht unpopuläres Mittel, drohenden Forderungen zu entgehen. Nachdem jedoch Adrast diesen Vorschlag zurückweist und bereit ist, als letztmögliche Alternative sich ausklagen zu lassen, ruft dies Johanns völliges Unverständnis hervor. Dessen weiteren Rat: "Schwören Sie den Bettel ab"235, d. h. die Echtheit der Unterschrift unter dem Wechsel zu leugnen, findet nun wiederum bei Adrast nur bittere Verachtung. Während also der freigeistige Diener, sogar wenn er sich im Stande sähe zu bezahlen, auf jeden Fall die Rechtsgültigkeit des Schuldscheines anzweifeln würde, ist der freigeistige Herr selbst in dieser existenziellen Notsituation, die das Scheitern seiner geplanten Heirat bedeuten kann, nicht bereit, derart unehrenhaft und lügnerisch zu handeln. Ein gegebenes Wort muß auch dem Atheisten heilig sein. Die Negativfolie des Dieners kontrastiert mit der Aufrichtigkeit Adrasts, der sich hier denn auch schämt, mit dem Liederlichen auf eine Stufe gestellt zu werden, denn mit echter Freigeisterei hat das Gebaren des Dieners nichts mehr zu tun. Die Weigerung Adrasts, aus Theophans Händen die Wechsel zurückzunehmen, kann, selbst wenn sie in erster Linie den Vorurteilen des Freigeists entspringt, durchaus als Ausdruck seines Ehrverständnisses gewertet werden, das sich sträubt, gleichsam Almosen anzunehmen, und "anständigere Mittel" zu deren Einlösung suchen will. Johann läßt hingegen auch hier jeglichen Stolz vennissen, macht sich frech der Schuldscheine habhaft, ohne die üble Manier seines Benehmens zu erkennen. Und wiederum wünscht sich Adrast streng von jener Vorgehensweise seines Dieners zu unterscheiden: Ich muß mich schämen, Theophan; ich glaube aber nicht, daß Sie so gar weit gehen und mich mit meinem Bedienten vermengen werden. - - Nehmen Sie es zurück, was man Ihnen rauben wollte. _ _236 234
235 236
Lessing, Der Freygeist, II,4: LM 2, S. 73. Ebd., 1,5, S. 63. Ebd., III,6, S. 89.
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Angesichts dieser Szenen kann nun auch der Zuschauer Theophans Votum beipflichten: "Sie haben den Ruhm eines ehrlichen Mannes. ,,237 Adrast verfügt damit über eine sittliche Grundhaltung, die sich als unabhängig von seiner religiösen Einstellung erweist. Sie erwirkt dem Freigeist ein Wohlwollen, das ihm nicht nur die meisten Bühnenfiguren entgegenbringen, sondern nun ebenso vom Publikum geteilt werden kann. Die Ansätze im Misogyn, einen neuen menschlicheren Umgang mit dem fehlerhaften Protagonisten zu begründen, sind hier von Lessing konsequent weitergeführt worden. Zum ersten Male in der deutschen Lustspieltradition der Aufklärung darf der auf die Bühne gebrachte Charakter nicht mehr mit seinem Fehler gleichgesetzt werden, stellt er nicht mehr den typisierten Repräsentanten einer lasterhaften Unvernunft dar. 238 Diese Differenzierung insbesondere der Titelfigur negiert zum einen überkommene Typisierungen, ohne aber gleichzeitig in eine gegenteilige einseitig positive Personengestaltung zu verfallen. Der Freidenker avanciert so zu einem mittleren Charakter, aber auch der junge Geistliche, der sich von den Negativgestalten (z. B. in der Pietisterey oder den Geistlichen auf dem Lande) in einen zugegeben eher tugendhaften Vertreter wandelt, ist keineswegs, wie es vielleicht zunächst scheinen möchte, ein "vollkommener Charakter".239 Bereits die neue Dimension der Charaktergestaltung im Freygeist wäre hinreichend, dieses Jugendwerk als einen entscheidenden Markstein im Lustspielverständnis und der Komödienentwicklung unseres Autors zu sehen. Lessing geht indes noch einen Schritt weiter. Zwar vermag Adrast aufgrund seiner Ehrenhaftigkeit die Sympathie des Zuschauers zu erwecken, doch läuft er gleichzeitig stets Gefahr, diese wieder zu verlieren, denn das ungerechte und ungerechtfertigte Urteil über den freundlichen Theophan, das er kaum bereit ist zu revidieren, wirft trotz allem ein wenig schmeichelhaftes Licht auf ihn. Nur allzu leicht könnte die Stimmung deutlich für die positive Identifikationsfigur ausschlagen. Lessing enthebt Adrast dieser Problematik durch einen zweiten Handlungsstrang, nämlich die für Komödien fast unverzichtbare Liebesverwirrung. Adrast und Theophan sind mit den bei den Töchtern des Lisidor verlobt. Theophan soll als Geistlicher die ebenso fromme Juliane zur Frau erhalten, ihre Schwester Henriette ist aufgrund ihres munteren und witzigen Wesens die passende Gattin für den freiEbd. Vgl. Fricke, S. 85. - Ebenso Müller, S. 213. 239 Die These Cases' (S. 376), daß diese Vertiefung und Nuancierung auf Kosten der Einheit der Charaktere gehe, ist meines Erachtens nicht berechtigt, denn gerade durch diese Individualisierung und Vertiefung gelingt Lessing eine bisher nicht gekannte Dichte und Einheit der Protagonisten. 237 238
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geistigen Adrast. Doch schon Auftritt 1,2 offenbart dem Zuschauer, daß diese scheinbar so geeignete Paar-Konstellation nicht aufgeht, Adrast liebt nämlich nicht das ihm zugedachte Mädchen, sondern die seinem Naturell gänzlich entgegengesetzte Juliane, die Braut Theophans, des von ihm verachteten Geistlichen. Mit dem Monolog Adrasts wird nun noch in der Exposition deutlich, daß die Abneigung gegen den künftigen Schwager wohl zum einen von Adrasts absolut gesetzten negativen Erfahrungen mit Vertretern dieses Standes herrührt, zum andern aber ganz entschieden auch durch seine Eifersucht und verzweifelte Liebe gespeist wird. Seine lauten Reflexionen nach der ersten Begegnung der Konkurrenten führen beide Gründe unmittelbar aufeinanderfolgend an: Hassen will ich dich, Theophan, und alle deines Ordens! Muß ich denn auch hier in die Verwandschaft [sie!] der Geistlichkeit gerathen? - - Er, dieser Schleicher, dieser blöde Verleugner seines Verstandes, soll mein Schwager werden? - - Und mein Schwager durch Julianen? - Durch Julianen? - Welch grausames Geschick verfolgt mich doch überall! Ein alter Freund meines verstorbenen Vaters trägt mir eine von seinen Töchtern an. Ich eile herbey, und muß zu spät kommen, und muß die, welche auf den ersten Anblick mein ganzes Herz hatte, die, mit der ich allein glücklich leben konnte, schon versprochen finden. Ach Juliane!240
Wie eng beide Empfindungen, Vorurteil und aussichtslose Liebe, miteinander verquickt sind, macht ein weiterer Monolog evident. Nach der Unterredung mit dem Wechsler gerät Adrasts Überzeugung von der vermeintlichen Hinterhältigkeit Theophans deutlich ins Wanken. Sein Verstand neigt dazu, dessen Gutherzigkeit anzuerkennen, doch letztlich siegt auch hier die Abneigung gegenüber Theophan, die nicht mehr durch seine Erfahrungen begründet wird. Seine verzweifelte, eifersüchtige Liebe, d. h. sein bisher so geschmähtes Herz gibt den Ausschlag, wird zur Urteilsinstanz: Hassen werde ich ihn, und wenn er mir das Leben rettete. Er hat mir das geraubt, was kostbarer ist, als das Leben: das Herz meiner Juliane?41
Diese menschliche Regung verhilft uns zu einer neuen Sichtweise Adrasts. Ohne die Liebesproblematik müßte das empirisch begründete Vorurteil Adrasts trotz seiner ausgleichenden angenehmen Züge als durchaus lächerliche Unvernunft oder Starrsinn empfunden werden, die Verlachen erregen kann. Als Ausdruck einer aussichtslos scheinenden Zuneigung wird es Verständnis, möglicherweise gar Mitleid und Mitgefühl hervorbringen, keineswegs jedoch ein Gelächter im Sinne Gottscheds. Die Nebenhandlung mit dem Motiv der Liebe über Kreuz ist somit nichts weniger als lose angehängt oder ungeschickt verbunden, wie teilweise von der Forschung konstatiert wurde,242 sondern ein für das Verständnis des Freigeistes unerläßliches Moment. Erst durch seine unglückliche Neigung erscheint sein zunächst 240 Lessing, Der Freygeist, 1,2: LM 2, S. 56. 241 Ebd., V,2, S. 111.
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eher lächerlicher Starrsinn als eine menschlich verständliche und menschlich anrührende Verhärtung seines Herzens. Der Rückgriff auf eine nach Fricke unoriginelle Konstellation 243 wird unter Lessings Feder nun Mittel einer komödienpoetologisch wegweisenden Überwindung bisheriger Lustspielstrukturen. 244 Untersuchen wir diese Liebeshandlung eingehender. Signifikant ist, daß, wie schon im Misogyn, dem Protagonisten mit Wohlwollen begegnet wird, seine Freigeisterei beurteilt Lisidor keineswegs negativ oder gar als ein Heiratshindernis. Im Gegenteil, der Vater findet Gefallen an den Diskussionen der beiden Schwiegersöhne und entwickelt daraus eine ganz eigene, wenn auch unzureichende Philosophie. Nachdem Adrasts Selbstgespräche seine Liebe zu Juliane gestanden haben, preist er nun auch in Anwesenheit Lisidors deren Vorzüge, ihre Anmut, Tugend und Bescheidenheit in höchsten Tönen und bestätigt noch einmal seine Neigung?45 Diese Szene 1,3 findet ihre Parallele in 11,1, wenn die Töchter Lisidors mit ihrer Zofe Lisette in einem harmlosen Zank über ihre Verlobten jeweils die Vorzüge des der Schwester zugedachten Mannes hervorkehren und sich dabei entrüsten, wie diese den Ehemann in spe derart verkennen könne. So schwärmt Juliane geradehin von Adrast, der, wäre er so fromm wie Theophan, ein Engel unter den Menschen sein würde. Als eine Tugendinstanz stützt sie damit die positive Sicht auf den jungen Freigeist, indem sie dessen Redlichkeit und Ehre betont. Der Zuschauer, den Figuren auf der Bühne an Wissen überlegen, ahnt an dieser Stelle erstmals, daß die zu Beginn verzweifelt scheinende Liebe Adrasts wohl keineswegs so aussichtslos sein dürfte, da auch Juliane offensichtlich mehr als nur verwandtschaftliche Gefühle hegt. Im Gegenzug erkennt Henriette ihrerseits die Vorzüge des künftigen Schwagers Theophan auffallend an und tut gleichzeitig ihren Unwillen über Adrasts Wesen kund. 242 Vgl. Cases, S. 384. - Ebenso Fricke (S. 85 f.), der wenig überzeugend versucht, die Liebe Adrasts zur schon vergebenen Juliane als ein blind bleibendes Motiv zu erklären, das erst im fünften Akt und nicht schon von Beginn an als ein Hauptmotiv der Antipathie des Freigeistes erscheine. 243 Vgl. ebd., S. 85. 244 Zur Ähnlichkeit dieser Nebenfabel mit Delisle de la Drevetieres Stück Les Caprices du Coeur et de l'Esprit vermerkt Lessing anläßlich der Entwüife ungedruckter Lustspiele des italiänischen Theaters in der Theatralischen Bibliothek, er habe hierbei auf dieses Werk nicht zurückgegriffen (vgl. LM 6, S. 344). 245 Im Vergleich mit dem Entwuif des Freygeistes hat in dieser Szene 1,3 eine der wesentlichsten Veränderungen stattgefunden. Die ursprüngliche Konzeption, aus Adrasts Munde eine üble Charakteristik Theophans hören zu lassen, wurde in der Ausarbeitung fallengelassen, hier äußert sich Adrast gegenüber seinem Schwiegervater nicht negativ. Die geplanten Schmähungen wären wohl in zu starkem Kontrast zu Adrasts einführender Personenbeschreibung gestanden, sie hätten möglicherweise das Publikum zu sehr gegen ihn einnehmen können.
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·Über dieses ungewöhnliche Verhalten der jungen Herrinnen hat sich die schlaue Kammerzofe Lisette ihre Gedanken gemacht. Sie spricht ihre Vermutungen, die sich mit jenen des Publikums decken, zu Beginn des zweiten Aktes offen im Gespräch mit Theophan aus: Juliane liebt Sie: und das geht mit rechten Dingen zu, denn sie soll Sie lieben. Nur Schade, daß ihre Liebe so ein gar vernünftiges Ansehen hat. Aber was soll ich zu Renrietten sagen? Gewiß sie liebt Sie auch, und was das verzweifeltste dabey ist, sie liebt Sie - aus Liebe. Wenn Sie sie doch nur alle beide auch heyrathen könnten!246 Diese scheinbar ausweglose Situation relativiert Lisette indes flugs, indem sie im folgenden ebenso ungeniert auf heimliche Blicke zwischen Henriette und ihrem Gesprächspartner anspielt. Auch wenn sich Theophan hier recht ausweichend verhält, so gibt diese Szene doch eine gewisse Gewähr, daß am Ende eine glückliche Vereinigung der jungen Leute über Kreuz möglich ist. Die weiteren Dispute der Schwestern bestätigen nur die Zuneigung zum jeweils nicht für sie bestimmten Mann, die den dritten Akt beendende Auseinandersetzung Henriettens mit Adrast zeigt schließlich, wie wenig die Verlobten trotz ihrer Wesensähnlichkeit harmonieren. Ebenso wie sich Henriette über das Betragen ihres Bräutigams bei Juliane beklagt, äußert sich auch Adrast ihr gegenüber in den Szenen IV,3 und IV,4, die einen ersten Höhepunkt der Liebeshandlung bilden. Allein die Ernsthaftigkeit des Liebeskummers verhindert nun, daß der Freigeist in diesen Auftritten lächerlich wirkt, denn seine Begründung, warum er Henriette nicht lieben könne, mutet fast paradox an. Es gereicht ihr nämlich gerade die Ähnlichkeit mit Adrast zum Vorwurf, ihr witziger Geist, ihre ungestüme Art, ihre Spötteleien über "Pflicht, Tugend, Anständigkeit, Religion" sind ihm ein Dom im Auge. Selbst Freigeist, lehnt er die freigeistige Haltung, seine eigenen Wesenszüge an der Braut ab und findet erstaunlicherweise in der konträren Juliane sein Frauenideal. Ihre zurückhaltende Art und ihre "stillen Reize" haben Adrast völlig gefangen, selbst ihre Frömmigkeit erscheint ihm als eine Zierde. Nur in diesem traulichen Gespräch zwischen Juliane und dem Freigeist siedelt Lessing eine Diskussion über die Religion an, die bisher im Freygeist zwischen Adrast und Theophan vermieden wurde. Hier wird schließlich deutlich, daß der junge Freidenker kein grundsätzlicher Religionsverächter ist. Zwar beansprucht er mit intellektueller Überlegenheit die alleinige Ausrichtung auf die irdische Welt und weist so eine transzendente Bestimmung des Menschen VOn sich, doch will er keineswegs seine Umgebung zu atheistischen Proselyten machen. Überheblich billigt er vielmehr die didaktische und staats bewahrende Funktion der Religion, die dem
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Lessing, Der Freygeist, II,3: LM 2, S. 71.
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Pöbel "eine Art von Zaume" sein könne. Ebenso veräußerlicht wie dieses Verständnis der Religion als eines Disziplinierungsinstruments ist seine Behauptung, gerade dem weiblichen Geschlecht verleihe die Religiosität ein "edles, gesetztes und schmachtendes Ansehen - _,,247. Zu Recht begehrt Juliane gegen diese inhaltsleere Deutung auf und führt eine sanfte und doch unwidersprochene Verteidigungsrede der Religion, die allein den Einzelnen zu einem besseren, verantwortungsbewußten, gefaßten Bürger und wahren Menschen wandeln könne. Hätte Theophan diese Worte, die ebenso seine Überzeugung sind, gesprochen, Spott und Hohn wären ihm wohl von Adrast beschieden worden; aus Julianens Munde bleiben sie unerwidert. Lessing hat nicht zuletzt mit dieser Szene noch einmal die Voreingenommenheit des jungen Freigeistes gestaltet. Während ihm die religiöse Überzeugung des Geistlichen Theophan zum Ärgernis wird, gewinnt die gleiche Haltung in der Person Julianens sogar sein Herz. Waren für die Bewertung der Figur Adrast die Liebesverwirrung ebenso wesentlich wie sein Fehler der Vorurteilsverhaftetheit gegenüber Theophan, so werden diese beiden Stränge von der Mitte des vierten Aktes an in der Handlungsführung noch enger ineinandergeknüpft. Bereits in IV,7 bekennt Adrast trotzig Theophan seine Neigung zu dessen Braut. Schon hier wäre eine Lösung der Situation, eine Ende des Spieles möglich, wenn Adrast nicht selbst die Aufklärung verhindern würde, indem er voller Abneigung gegen den künftigen Schwager nicht bereit ist, dessen "ähnliches Geständnis" anzuhören. Der Zuschauer hingegen wird nach Adrasts Abgang endgültig in Kenntnis von Theophans stiller Zuneigung zu Henriette gesetzt und braucht damit für die stürmische Tochter Lisidors nicht mehr zu fürchten, sie bliebe am Ende gar als eine Verlassene zurück. Während also das Publikum längst im Bilde über die wahre Liebe der jungen Leute ist, braucht es noch einige Zeit, ehe der starrköpfige Adrast sein Glück erkennt. Höhepunkt der Auseinandersetzung der ungleichen Bewerber ist Auftritt V,3, der Liebes- und "Lasterhandlung" nun unmittelbar in eins fügt. Auch wenn Adrast hier seine harsche Kritik am Stand der Geistlichen für eine kurze Zeit außer acht zu lassen bereit wäre, ist ein freundschaftlicher Umgang mit Theophan dennoch unmöglich. Seine Eifersucht läßt ihn den Theologen weiterhin hassen, dessen gelassene Haltung Adrast angesichts der Nachricht unbegreiflich scheint. Gefangen in seinen Emotionen, vermag der Freigeist den rational-klaren Aussagen seines Gegenübers nicht zu folgen, sondern betrachtet das Geständnis, auch Juliane liebe ihn, als grausame Spötterei eines Feindes. Aufmerksam wird Adrast erst, als Theophan, seinerseits der Uneinsichtigkeit müde, seine Contenance verliert. Einzig dieser Gefühlsäußerung wird der Freigeist, der sich so viel auf seinen Verstand zugute hielt und doch zugleich "vernünftigen Worten" gegenüber taub geblieben 247
Ebd., IV,3, S. 99.
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2. Teil: Lessings Komödien
war, zugänglich. Nach dem Bekenntnis Theophans, Juliane nicht zu lieben, bleibt bei Adrast trotz aller Bemühungen ein Gutteil seiner Voreingenommenheit bestehen. Noch immer gelangt er nicht zu der von Beginn an behaupteten Erkenntnisleistung des Verstandes, noch immer glaubt er an eine Täuschung Theophans, wie sein a-parte-Sprechen deutlich zeigt. Erst als der Geistliche auch Lisidor über die Lösung der Verlobung mit Juliane unterrichten will, erkennt ihn Adrast nunmehr gerührt als ehrlichen Mann an. Dieser in den Augen des Freigeistes, der weit weniger weiß als der Zuschauer, tugendhafte und an die rührenden Lustspiele gemahnende edle Verzicht auf die Braut überzeugt ihn schließlich. 248 Was die vorangegangenen Bewährungen der Aufrichtigkeit Theophans nicht vermochten, gelingt erst, als seine Eifersucht keinen Anstoß mehr findet. Die Tugend allein, wie noch in den rührenden Lustspielen, kann im Freygeist eine Lösung nicht mehr herbeiführen. Auf die Gefahr hin, das neu gewonnene Wohlwollen wieder zu verlieren, bekennt Theophan allerdings sofort, daß sein Rücktritt so tugendhaft eben nicht ist, denn nun spricht er aus, was ihm schon in IV,7 auf dem Herzen lag: "Ich liebe Henrietten". Adrasts Reaktion bestätigt einmal mehr, wie wesentlich die Eifersucht für dessen Gebaren war:
o
Theophan! Theophan! ich würde Ihre ganze Aufführung mit einem andem Auge angesehen haben. Sie würden der Bitterkeit meines Verdachts, meiner Vorwürfe nicht ausgesetzt gewesen seyn?49
Bezeichnend an dieser Einschätzung und neuartig im Vergleich mit den zeitgenössischen Lustspielen ist nun, daß sich diese Einsicht Adrasts nicht mehr auf den Stand des Theophan bezieht, er spricht nicht davon, ein günstigeres Bild der bisher geschmähten Geistlichkeit gewonnen zu haben, ebensowenig räumt Adrast ausdrücklich eine Ausnahme von seiner vorgefaßten Meinung ein. 25o Bei diesem Geständnis steht nur der verkannte Mensch Theophan im Mittelpunkt, sein Beruf erscheint in diesem Zusam248 Vgl. dagegen Müller (S. 212), für den Theophan eben nicht durch Tugend, sondern durch Eigennützigkeit siegt. Hier darf allerdings die innere Wissensstruktur des Freygeistes nicht außer acht gelassen werden. Theophan handelt zwar im eigenen Interesse, Adrast ist seine Liebe zu Henriette jedoch unbekannt und wird so sehr wohl durch die für ihn offensichtliche Selbstlosigkeit des Geistlichen gewonnen. - Fricke (S. 85 f.) negiert hingegen eine Kausalität von Neigung und Besinnung, denn sähe man in dieser Eifersucht die eigentliche Ursache der Ablehnung, würde die Bekehrung des Freigeistes nicht mehr auf der Güte Theophans, sondern nur auf einem mißverstandenen Ehewunsch beruhen. Das zentrale Anliegen Lessings, nämlich "die selbstlose Güte als die [... ] höchste Bewährung humaner Bestimmung über alle [... ] Vorurteile siegen zu lassen", erhalte dann zu wenig Gewicht. Fricke übersieht allerdings, daß die Veränderung des Adrast zwar tatsächlich durch die Tugenddemonstration des Geistlichen bewirkt wird, diese Wandlung aber unabdingbar mit den Liebeskümmernissen in Verbindung steht. 249 Lessing, Der Freygeist, V,3: LM 2, S. 118.
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menhang nicht mehr relevant. 251 Nicht zuletzt unterscheidet gerade dieses Bekenntnis, ohne seine Eifersucht anders gehandelt, d. h. seinem Verstande vertrauend, rascher Theophans wahres Wesen erkannt zu haben, Adrast noch einmal von den gängigen Lastertypen, deren Torheit keiner situativen Motivation bedarf. Nicht zu Unrecht wurde der Freigeist Adrast als Verwandter Tellheims 252 bezeichnet, der in seiner Vehemenz und Beharrlichkeit, die Freundlichkeiten Theophans abzuweisen, diesem gleiche. Aufs Ganze gesehen, erweist sich jedoch der Major aus Lessings berühmtestem Lustspiel noch differenzierter, den Aussagen der Hamburgischen Dramaturgie näher. Während bei Adrast Negatives neben guten Eigenschaften steht, erwächst bei Tellheim Lächerliches gerade auch aus im Grunde positiven Wesenszügen. Beiden ist allerdings gemeinsam, daß hier nicht mehr wie in den sich an Gottsched orientierenden Lustspielen ein Lastertyp vorgeführt wird, der einerseits eine personifizierte Untugend in all ihrer Konsequenz vorstellt und andererseits als schematisierte Gestalt auftritt. Adrast steht weder mit der im Titel genannten Eigenheit des freigeistigen Denkens im Mittelpunkt der Geschehnisse noch tritt er als einseitige Figur auf. Man möchte fast behaupten, das Freigeisterturn Adrasts ist mehr dramatische Zutat, die den Liebesbeziehungen über Kreuz eine originelle Dimension verleiht, als ein spielentscheidender Wesenszug, zumal eine dezidiert freigeistige Haltung kaum in Erscheinung tritt. Wie späterhin in der Minna bildet damit der Mensch Adrast und nicht der Freigeist Adrast als Zeittyp das Zentrum eines Spieles, das jene einfache Erbauung vieler zeitgenössischer Komödien meidet, ja aufgrund der veränderten Konzeption meiden muß. Und so ruft dieses Stück gleich Minna von Bamhelm kein lauthals überlegenes Lachen des Publikums hervor, wie es den typischen Toren der Sächsischen Komödie ereilte. Am Individuum Adrast wird bereits jene Erheiterung spürbar, die Lessing im 28. Stück der Hamburgischen Dramaturgie charakterisiert, nämlich ein Lachen, welches aus den Situationen entspringt, in die ihn der Dichter setzt, [... ] ihm von unserer Hochachtung [aber] nicht das geringste [benimmt].253 250 V gl. dagegen Steinmetz (Das deutsche Drama von Gottsched bis Lessing, S. 59), der Adrast von seinem Vorurteil über die Geistlichen im allgemeinen befreit glaubt. 251 Dieses Gewahrwerden Adrasts deckt sich mit Lessings Aussagen im 99. Stück der Hamburgischen Dramaturgie, das am Ende der Komödie nicht mehr einen Gebesserten erwartet, sondern allenfalls Erkenntnis der durch die Situation entstandenen Verfehlung zuläßt. 252 Vgl. Duo Mann, Lessing. Sein und Leistung. 31965, S. 200 f. Die von Mann bei Minna von Bamhelm richtig beobachtete Möglichkeit eines negativen Ausganges wird im Freygeist allerdings durch die Dienergestalt Lisette, die auf die mögliche Lösung des Spieles verweist, als weniger drohend empfunden. 253 Lessing, HD, 28. Stück: LM 9, S. 303.
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2. Teil: Lessings Komödien
Hatte die dem Vater gegenüber geäußerte Vorgabe, ein Stück "auf die Freygeister und die Verächter ihres Standes,,254 zu machen, eine noch traditionelle Behandlung verheißen, gestaltet Lessing dieses Thema in der Ausführung weit anspruchsvoller und zugleich komödien poetologisch wegweisend. So wird auf zweierlei Ebenen die Brüchigkeit und Fragwürdigkeit scheinbar statthafter Vorurteile thematisiert: Adrast muß sein unberechtigtes Urteil über Theophan revidieren, zugleich wird auch der Zuschauer gezwungen, einzugestehen, daß selbst Freigeister im Grunde ehrenwert handeln können, d. h. sich Tugend dort verbergen kann, wo man sie nicht vermutet. Wie in seinen späteren Werken macht Lessing mit dieser subtilen Lehre, die sich einem eindeutig moralisch formulierten Satz entzieht, nachhaltig den Menschen zum Mittelpunkt seines Spieles - ein Mensch, der nicht per se lächerlich ist wie die Typengestalten der satirischen Lustspiele, sondern erst aufgrund seiner menschlichen Befindlichkeiten lächerlich, d. h. fehlerhaft in seinem Verhalten werden kann. Als ein Zugeständnis an den Vater ist sicherlich die Figur des Theophan zu werten, der sich stark dem tugendhaften Personal des rührenden Lustspiels nähert. Der Entwurf vermerkt ausdrücklich zu dieser Figur: "so tugendhaft und edel als fromm,,255. Gelassen erträgt er die Schmähungen des jungen Freigeistes und sucht ihn, auf dessen gutes Herz vertrauend, dennoch zu gewinnen. Heuchelei oder gar Rachsucht ob der angetanen Beleidigungen sind ihm fremd, ihm eignet "eine Freundlichkeit, [... ] die sich niemals verleugnet,,256. Obschon diese Haltung damit deutlich seinen edelmütigen Verwandten aus Gellerts Feder gleicht, hat Lessing ihm mit großer Kunst insbesondere auch sprachlich Züge verliehen, die ihn von den allzu bekannten Vorbildfiguren abheben. Der junge Geistliche spricht zwar vielfach eine Sprache des Herzens oder der Tugend, doch zeigt er in wenigen Momenten, daß auch er einer Sprache des Witzes fähig ist und ironisch Adrasts Invektiven zu parieren vermag. 257 Selbst Theophan ist nicht davor gefeit, seinerseits ein klein wenig mit Adrast zu spielen; so läßt er ihn im Gespräch über die in Araspes Händen befindlichen Wechsel bewußt etwas im Unklaren, ehe er schließlich die Schuldscheine aushändigt. Auch seine Äußerung gegenüber Juliane, sein Triumph solle darin bestehen, den ihn jetzt verachtenden Adrast zu einem besseren Urteil zu zwingen,258 klingt uns durchaus selbstgefällig und mag nicht so recht zu jenem rein tugendhaften Bild des jungen Geistlichen passen, das die Forschung gerne von ihm entwirft. Beide Hauptfiguren beweisen damit, wie sehr Lessing in der 254
255 256 257 258
Lessing an Johann Gottfried Lessing, 28. April 1749: LM 17, S. 16. Lessing, Der Freygeist - Entwurf: LM 3, S. 262. Lessing, Der Freygeist, 11,1: LM 2, S. 67. Vgl. ebd., IV,7, S. 103. - V,3, S. 112. - Vgl. dagegen Müller, S. 215. Vgl. Lessing, Der Freygeist, 11,2: LM 2, S. 70.
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Praxis über seinen ein halbes Jahrzehnt später entstandenen Kommentar zu den Lustspiel-Abhandlungen hinausreicht. Zwar erwecken Theophan und Adrast zweifelsohne Lachen und Rührung, die sich als Bewunderung in erster Linie auf die Verhaltensweise des jungen Geistlichen richtet, während die Erheiterung sehr viel stärker der Halsstarrigkeit des Freigeistes gilt, doch kann sich ihr zugleich schon in wenigen Momenten ein Gefühl des Mitleids und Mitfühlens gesellen. Die kontrastierende Struktur, die Tugend und Verfehlung einander gegenüberstellt, wird hier jedoch durch die psychologisch fein motivierte Konfliktknüpfung, vor allem aber mit der Anlage Adrasts als eines gemischten Charakters aufgebrochen. Das mit den Lustspiel-Abhandlungen nahegelegte Schema - hier Laster, da Tugend - hat Lessing somit auf sehr kunstvolle Art zu überwinden gewußt. Neben den beiden Kontrahenten im Mittelpunkt, von denen der Freigeist der komödienpoetologisch ungleich aufschlußreichere ist, treten die übrigen Figuren stärker als in den bisherigen Jugendspielen in den Schatten. Lisidor stellt insofern die tradierte Vatergestalt vor, als sie Gefahr läuft, selbst hin und wieder lächerlich zu werden; im Freygeist geschieht dies, wenn er seine sehr eigenwillige Philosophie aus Adrasts und Theophans Anschauungen zimmert und dabei dem einen wie dem anderen recht gibt. Neu erscheint allerdings, daß der vormals für die Vaterfigur oft konstitutive Wesenszug, finanziellen Fragen größtes Gewicht beizumessen, d. h. auch Heiraten unter diesem Aspekt abzuschließen, hier gänzlich getilgt ist. Demgegenüber bleibt Lisette die altbekannte gewitzte Kammerzofe. Wenngleich sie in diesem Stück, wie schon im Misogyn, nicht mehr die heimliche Herrin im Hause bildet, die alle dirigiert, so hat sie doch zumindest die Diener fest im Griff. Vor allem aber bewahrt sie sich ihre Hellsichtigkeit, die sie die Zusammenhänge der Dinge am raschesten erkennen läßt. Sie ist es, die als erste auf jene tiefen Blicke zwischen Theophan und Henriette hinweist; sie ist es, die auszusprechen wagt, daß diese den Geistlichen liebe; sie ist es, welche die gegenseitige Zuneigung Julianens und Adrasts erspürt, und schließlich ist sie es, die ihr bewährtes Instrument der Intrige einzusetzen sucht, um eine Lösung der verwickelten Liebesgeschichten herbeizuführen, dabei aber an Henriettens und Theophans Unwilligkeit scheitert. Mit ihren Hinweisen auf die wahren Neigungen der vier Verlobten bezeugt sie nicht nur den dieser Figur stets eigenen Scharfsinn und Witz, Lisette steht zugleich als wichtiger Garant eines möglichen glücklichen Endes in diesem Spiel. Sie bildet damit keineswegs eine nur dekorative Rolle, wie Scott-Prelorentzos annimmt. 259 Neben ihrer durchaus handlungsbestätigenden Funktion ist sie aber gemeinsam mit den übrigen Dienerfiguren auch Trägerin einer eher vordergründigen Komik. Auftritt 11,5, 259
S.74.
Vgl. Scott-Prelorenztos, The Servant in Gennan Enlightenment Comedy,
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der den spitzbübischen Diener Johann zum Narren hält, ist ein Muster an bewegungsreicher und vor allem höchst unterhaltender Szenerie und erinnert uns nachhaltig an Lessings wirkungsvolle, possenhafte Gestaltung in der Alten Jungfer. Ein ebenso typisches komödiantisches Element bildet das wiederholte Zurückkommen und Nachfragen der Zofe in III,6. 26o Auffallend ist allerdings, daß Lisette im Freygeist ihre vom Jungen Gelehrten bis hin zum Misogynen geübte Lust zu spotten verloren hat. So äußert sie sich zwar negativ über Adrast, foppt ihn aber nicht wie noch die vorangehenden Protagonisten ob (s)eines Fehlers. Nicht zuletzt wird auch durch diesen Umgang nochmals deutlich, daß der junge Freigeist eben nicht mehr als Typ, den ein überbetonter Wesenszug lächerlich zeigt, verstanden werden kann, denn selbst Lisette muß hier vom bisherigen komödiantischen Schema des Verspottens Abstand nehmen. Dem gängigen Komödienpersonal sind wiederum die männlichen Dienerfiguren zuzuordnen, die neben der bereits diskutierten Funktion einer Negativfolie für ihre Herren größtenteils die komischen Situationen des Freygeistes tragen. Erneut zeigt sich Lessings mit dem Misogynen einsetzendes Verfahren, die augenfällige Komik der Lustspiele auf der Ebene der Dienstboten anzusiedeln. Am Ausgang des Geschehens haben sie indes keinen Anteil mehr, die Protagonisten selbst führen die Handlung zu ihrer harmonischen Lösung. Und auch Lisette kann das Ende nur noch kommentieren und so wieder einmal das letzte Wort behalten?61 Am Ende stehen schließlich zwei glücklich vereinte Paare, über die Frau Philane ihr versöhnendes Schlußwort spricht: Diese Verändrung ist mein Wunsch, mein Gebet gewesen. Ach! Adrast, ach! Henriette, für euch habe ich oft gezittert! [... ] Ihr braucht beide einen Gefährten, der den Weg besser kennet, als ihr. 262 Gleichwohl bleibt es Theophan überlassen, Henriettes Persönlichkeit noch zu bilden, ebenso wie es Julianes Aufgabe sein wird, Adrast seine Vorurteile "wackeren Leuten" gegenüber zu nehmen, ja ihn noch zu einem frommen Manne zu machen. Doch dies ist bereits Stoff zu einer anderen Komödie. Vgl. Lessing, Der Freygeist, III,6: LM 2, S. 120 f. Eine verfehlte Deutung des Schlußsatzes: "Wie übel ist unser eines dran, das nichts zu tauschen hat!" liefert Eckehard Czucka (Begriffswirrwarr. Sprachkritische Momente im Lustspiel der Aufklärung (L. A. V. Gottsched, J. E. Schlegel, Lessing, Geliert), in: Komödiensprache. Beiträge zum deutschen Lustspiel zwischen dem 17. und dem 20. Jahrhundert. Mit einem Anhang zur Literaturdidaktik der Komödie. Hrsg. von Helmut Arntzen. Münster 1988 (Literatur als Sprache. Literaturtheorie Interpretation - Sprachkritik 5), S. 39--66, hier S. 58--61), wenn er Lisettens humorvolle Worte als moralischen Satz, Klage und Problematisierung des Tausches deutet. 262 Lessing, Der Freygeist, V,8: LM 2, S. 124. 260 261
1. Die frühen Lustspiele
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6. Die luden Hatte Lessing mit seinem noch deutlich der Verlachkomödie verpflichteten Stück Der junge Gelehrte vorsichtige Kritik am Typenlustspiel Gottschedscher Observanz geübt und ein Durchbrechen, eine Überwindung dieses Strukturschemas verheißen, so vollzieht er neben dem Freygeist auch im Einakter Die Juden 263 eine weitere deutliche Abkehr von der tradierten Komödienkonzeption. Weder wird hier der allzu bekannte törichte Protagonist vorgeführt, dessen lasterhaftes Verhalten der Zuschauer ob seiner Lächerlichkeit und Unvernunft verlachen kann, noch ist den Juden an der Darstellung einer außergewöhnlichen Tugend im Sinne der Gellertschen Stücke, die zum Nacheifern anspornen wollen, gelegen. Lessing unternimmt vielmehr ein dramatisches Experiment, nämlich, wie die Vorrede zu seinen Schriften vermerkt, zu versuchen, was es für eine Wirkung auf der Bühne haben werde, wenn man dem Volke die Tugend da zeigte, wo es sie ganz und gar nicht vermuthet. 264
Wirkungsästhetisch bleibt zwar damit die bessernde Korrekturfunktion der Komödie gewahrt, doch prangert der junge Autor hier kein auf den ersten Blick offensichtliches Fehlverhalten mit all seinen lächerlichen Konsequenzen an. Es ist vielmehr ein Reflexionsprozeß, der durch das Spiel auf der Bühne einsetzen soll. Kern der dramatischen Fabel bildet das vernichtende Urteil über die ganze Bevölkerungsgruppe der Juden; Lessing decouvriert es in seiner ausnahmslosen Pauschalität und seinem totalitären Anspruch als ein unzutreffendes und unvernünftiges Vorurteil und hält so mit diesem Stück ein eindringliches Plädoyer für gegenseitige Toleranz?65 263 Die Textgenese dieses Stückes ist nicht eindeutig geklärt. Eine Komödie aus der Feder Lessings, die allerdings den Titel Der Jude trägt, wird am 18.10.1749 erstmals von Christian N. Naumann bei der Ankündigung einer Lessingschen Lustspielsammlung in den Jenaischen gelehrten Zeitungen erwähnt. Die Erstveröffentlichung der Juden erfolgte allerdings aus nicht bekannter Ursache erst 1754 im vierten Teil von Lessings Werkausgabe, versehen mit dem Hinweis "Verfertiget im Jahre 1749". Inwiefern diese nun mit dem von Naumann genannten Ur-Juden übereinstimmen, bleibt aufgrund mangelnder Zeugnisse ungewiß. Eine weitere Drucklegung erfuhr dieser Einakter schließlich in einer Sammlung von Lessings Lustspielen, die im Jahr 1767 und in zweiter Auflage 1770 erschien. 264 G. E. Leßings Schrifften. Dritter Theil. Vorrede: LM 5, S. 270. 265 Waldemar Oehlke (Lessing und seine Zeit. Bd. 1. München 1919, S. 122) und Wilfried Bamer (Vorurteil, Empirie, Rettung. Der junge Lessing und die Juden, in: Juden und Judentum in der Literatur. Hrsg. von Herbert A. Strauss/Christhard Hoffmann. München 1985, S. 52-77, hier S. 66) sehen aus diesem Grunde Die Juden in Zusammenhang mit den Rettungen Lessings, insbesondere der Rettung des Hier. Cardanus (1752), die gegen Unterdrückung, Verurteilung und Verfolgung teilweise mit ähnlichen Strukturen wie in diesem Stück zu Felde ziehen. - Als Kemaussage des Stückes sieht, allerdings ohne hinreichend überzeugende Begründung, Lucy TapalsM (Zur Toleranzidee in Lessings Drama "Die Juden", in: Acta Universitatis
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Die Unduldsamkeit, ihre Erscheinungsformen, ihre Folgen und die Reaktion der Bühnenfiguren wie auch des Publikums auf eben das Unerwartete, das der eigenen Überzeugung respektive dem allgemeinen Vorurteil widerspricht, werden von Lessing in diesem Frühwerk scharf beleuchtet. Zu Recht wurde darauf verwiesen, daß das Typenschema mit den Juden in gewisser Weise eine Umkehrung erfahre. 266 Nicht der Vertreter der im Titel aufgerufenen vermeintlich bösen Juden entpuppt sich als die lächerlich negative Figur, die tatsächlichen Übeltäter und Lasterfiguren sind vielmehr die Christen. Doch stehen hier eben nicht die Verbrechen Krumms und Stichs zur Debatte, sondern die im Stück vorgeführte diskriminierende Haltung gegenüber dem jüdischen Volk, die damit zwar an die Stelle der traditionellen lächerlich-lasterhaften Torheit der satirischen Komödie rückt, jedoch in bisher nicht gekannter Weise behandelt und entlarvt wird. Das Publikum durchschaut nicht mehr wie noch im Misogyn oder in der Alten Jungfer die Geschehnisse auf der Bühne, es kann sich im Verlachen nicht mehr mit einer Tugendpartei solidarisieren. Lessing spielt vielmehr mit den dramatis personae und den Zuschauern das gleiche Spiel, "er schaltet ihr Vorurteil aus, bzw. leitet es fehl, indem auch sie nicht erfahren, daß der [... ] Retter ein Jude ist,,267. Nichtsdestoweniger greift Lessing auf gängige Handlungselemente und Figurenkonstellationen der rührenden und satirischen Komödientradition zurück, um diese in einer originellen Lustspielkonzeption zu verschmelzen. 268 Palackianae Olomucensis, Facultas philosophica 48, 1983, S. 15-21, hier S. 15) ein Plädoyer für nationale Einheit. 266 Vgl. Wilfried Bamer. Lessing als Dramatiker, in: Handbuch des deutschen Dramas. Hrsg. von Walter Hinck. Düsseldorf 1980, S. 106-119, hier S. 111. Ders.• Gotthold Ephraim Lessing: Die Juden, in: Ein Text und ein Leser. Weltliteratur für Liebhaber. Hrsg. von W. B. Göttingen 1994, S. 93-107, hier S. 102. - Böhler, S. 252. - Steinmetz. Die Komödie der Aufklärung, S. 67. - Vgl. dagegen Wolfgang Trautwein (Zwischen Typenlustspiel und ernster Komödie. Zur produktiven Verletzung von Gattungsmustern in Lessings "Die Juden", in: Jahrbuch der Deutschen Schillergesellschaft 24, 1980, S. 1-14, hier S. 13), der Die Juden zwar zwischen Typenkomödie und ernstem Spiel ansiedelt, für den aber "die dominante Pragmatik der ersten 21 Auftritte der Typenkomödie" entspricht. Dieses vertraute Schema werde erst mit den letzten beiden Szenen verletzt und so in das Konstruktionsprinzip der ernsten Komödie überführt. - Hans Mayer (Der weise Nathan und der Räuber Spiegel berg. Antinomien der jüdischen Emanzipation in Deutschland, in: Jahrbuch der Deutschen Schillergesellschaft 17, 1973, S. 253-272, hier S. 260) klassifiziert Die Juden schließlich als heiteren Einakter, der von Lessing fälschlicherweise nach dem Schema der Typenkomödie angelegt werde und der notwendig scheitern müsse. 267 Hoensbroech, S. 109. 268 Neuartig erscheint in diesem Zusammenhang allerdings, daß Die Juden wie später Minna von Bamhelm eine zum Teil analytische Struktur aufweisen, sich ein bereits vor Spiel beginn vollzogenes Geschehen als handlungsbestimmend erweist.
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Ganz offensichtlich ist die Figur des inkognito Reisenden in ihrer Gefühlszartheit dem rührenden Lustspiel verpflichtet. 269 Sein fast übertrieben vorsichtiges Bemühen, den Baron nicht zu kränken, das von ihm geäußerte zärtliche Freundschaftsideal und allen voran seine aus allgemeiner Menschenliebe erfolgte Tat, die er ebenso bescheiden wie sonst die Figuren Gellerts als selbstverständlich erachtet, lassen ihn ein Stück weit jenen edelmütigen Charakteren der Comedie larmoyante gleichen. 27o Die Funktion dieser Figur geht jedoch weit über die Intention der rührenden Gattung hinaus. Der Reisende stellt zwar ohne Zweifel die Verkörperung einer außerordentlichen Tugend dar, wie sie GelIert fordert,271 doch wird diese in erster Linie rückblickend deutlich, denn die konstitutive Tugendprobe der weinerlichen Lustspiele, welche die Vortrefflichkeit der Protagonisten wort- und tränenreich in Szene setzen, ist hier schon beendet, ehe das Spiel beginnt. Der nicht als Jude Erkannte gibt vielmehr Gelegenheit, die "schimpfliche Unterdrückung,,272 dieses Volkes deutlich werden zu lassen und, indem er durch sein Verhalten und seinen Charakter das Wohlwollen der Zuschauer gewinnt, schließlich deren Legitimität in Zweifel zu ziehen. 273 Auch das Dienergespann ist aus wohlvertrauten Figuren gebildet. Der sich traditionell gegen seinen Herrn recht grob gebärdende Diener Christoph findet sein weibliches Pendant in der gewitzten Lisette, welche wie269 Vgl. Karl S. Guthke, Lessings Problemkomödie "Die Juden", in: Wissen aus Erfahrungen. Festschrift für Herman Meyer zum 65. Geburtstag. In Verbindung mit Karl Robert MandelkowI Anthonius H. Touber hrsg. von Alexander von Bormann. Tübingen 1976, S. 122-134, hier S. 124. 270 In feinem Widerspruch dazu stehen allerdings die harten Worte, mit denen der Reisende sowohl Christoph als auch den Vogt mehrmals zuruckweist, ja fast beschimpft. - Als Vorbild dieser Figur wurde vielfach Moses Mendelssohn zitiert, den Lessing jedoch erst 1754, also nach der mutmaßlichen Fertigstellung kennenlernte. Überzeugender erscheint eine Inspiration durch Gellerts Leben der Schwedischen Gräfin von G***, welche die erste positive Judengestalt der deutschen Literatur vorstellt, obschon sich in der Fabel nur wenige Beruhrungspunkte ergeben (vgl. Jürgen Stenzel, Idealisierung und Vorurteil. Zur Figur des ,edlen Juden' in der deutschen Literatur des 18. Jahrhunderts, in: Juden in der deutschen Literatur. Ein deutschisraelisches Symposion. Hrsg. von Stephane Mosesl Albrecht Schöne. Frankfurt a.M. 1986, S. 114-126). - Ebenso Stenzel, in: B 1, S. 1153. - Vgl. zu weiteren möglichen Anregungen PO 21, S. 92 f. - Hillen, in: G 2, S. 644 f. - Paul P. Kies, The Sources of Lessing's "Die Juden", in: Philological Quarterly 6, 1927, S. 406410. 271 V gl. Des Hm. Prof Gellerts Abhandlung für das rührende Lustspiel: LM 6, S. 45 f. 272 G. E. Leßings Schrifften, Dritter Theil. Vorrede: LM 5, S. 270. 273 Daß Lessing keinesfalls im Sinn hatte, ein nur ruhrendes Lustspiel zu liefern, zeigt nicht zuletzt Christophs ironische Bemerkung über die Reisebibliothek seines Herrn:"Sie besteht aus Lustspielen, die zum Weinen, und aus Trauerspielen, die zum Lachen bewegen." (Lessing, Die Juden, 10. Auftritt: LM I, S. 392), welche die Kritik der Plautus-Abhandlung weiterführt. 14 Kombacher-Meyer
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2. Teil: Lessings Komödien
derum exemplarisch die Gestalt der schlau-überlegenen Kammerzofe vorstellt. Wenn sie auch in den Juden nur wenig Gelegenheit findet, sich in die Belange der Herrschaft zu mengen, so gelingt es Lisette völlig, sowohl Martin Krumm als auch den Bedienten des Reisenden nach ihrem Belieben zu dirigieren. Ohne Intrigen zu spinnen, steht sie mit ihrer frechen Schlagfertigkeit und pointiertem Witz in einer Linie mit ihren Schwestern in der Alten Jungfer bzw. dem Jungen Gelehrten. 274 Dennoch werden an dieser Figur Wandlungen evident. Hatte Lisette stets fraglos die Sprache der Vernunft geführt und die Torheit spottend angeprangert, so bleibt sie hier aufgrund der verdeckten Struktur als Vertreterin der Tugendpartei stumm,275 ebensowenig äußert sie aber im Gegensatz zu den übrigen Personen antisemitische Vorurteile. 276 Ihre für das Spiel funktionale Rolle ist hier, verglichen mit allen anderen Lustspielen Lessings, am stärksten zurückgenommen worden. Die sich ohne Umschweife vollziehenden Liebeshändel von Zofe und Diener stellen hingegen ein weiteres altbekanntes Motiv dar, das wie schon im Jungen Gelehrten die zart angedeutete Beziehung zwischen dem Reisenden und der Tochter des Barons auf niederer Ebene spiegelt. 277 Ohne Zweifel mag auch der Titel "Die Juden" beim Zuschauer oder Leser in Analogie zu zahlreichen bekannten Komödien die Erwartung geweckt haben, eine Ständesatire auf die Juden vorzufinden, deren Verhalten wie unzählige Male vorher in persona eines lächerlichen Vertreters angeprangert werde. Und tatsächlich scheint es zunächst, als könnte sich diese Annahme sogar erfüllen, ruft doch Martin Krumm im zweiten Auftritt eben dieses wohlvertraute, negative Judenbild auf. Ihre Untermauerung erhält die antisemitische Sicht wenig später durch die Äußerungen des Barons. Gleichwohl zeigen sich von Beginn an deutliche Hinweise, die an einer traditionell satirischen Behandlung zweifeln lassen, zumal die von den Zeitgenossen als typisch empfundenen Juden nur mittelbar durch die verbale Charakteristik der übrigen Personen auf der Bühne präsent sind. Schon zu Beginn entpuppen sich Michel Stich und Martin Krumm dagegen als Böse274 Vgl. dagegen Rentschler (Lisette, the Laugher, S. 540, der konstatiert, daß Lisette "has lost much of her former spunk". 275 Auf diese neue Variation der Lisettenfigur trifft Rentschlers (Lisette, the Laugher, S. 54) Bezeichnung eines "superfluous laughers" nicht mehr zu. 276 Einzig in ihrer an die Baronesse gerichteten Antwort: "St! Fräulein, st! ich will es Ihnen hernach sagen, was das thut." (Lessing, Die Juden, 22. Auftritt: LM I, S. 410) könnte man vielleicht mehr als einen bloßen Hinweis auf die herrschenden Judengesetze sehen. 277 Im Bemühen Lisettens, die Identität des Unbekannten zu ergründen, die fast obligatorische Intrigenhandlung der zeitgenössischen Lustspiele sehen zu wollen, wie Wilhelm Grosse (Nachwort, in: Lessing, Gotthold Ephraim: Die Juden. Ein Lustspiel in einem Aufzuge. Verfertigt im Jahr 1749. Mit Dokumenten zur Entstehung und Wirkung. Hrsg. von W. G. Stuttgart 1981 (Rec1ams Universal-Bibliothek 7679), S. 69-86, hier S. 85) dies tut, erscheint doch zu weit gegriffen.
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wichter, die sich, wie der Zuschauer oder Leser unschwer aus der Unterhaltung der beiden bzw. mit dem Reisenden schließen kann, jene negative Meinung über die Juden für ihre eigenen Verbrechen zunutze machten. Mit langen Bärten als solche maskiert, hatten sie ihren Herrn, den Baron, überfallen, dessen Leben nur durch das glückliche Eingreifen des Reisenden gerettet werden konnte. Zwar sind die mit sprechenden Namen versehenen Bediensteten mit den ersten Sätzen lächerlich eingeführt - beide beschimpfen sich wechselseitig als dumm -, an ihrer Verworfenheit bleibt aber rasch kein Zweifel. "Es wäre ja auf einen nicht angekommen, den wir mehr todt geschlagen hätten,,278, ärgert sich Krumm und zeigt damit, daß man nicht einmal vor Morden haltmachte. Auch Wenn Lessing die Bösartigkeit dieser Figuren durch ihre Dummheit mildert, man denke an die verräterischen Reaktionen des Vogtes, und ihnen durchaus (sprach-)komische Momente zueignet, um sie auf diese Weise für die Komödie zu rechtfertigen, so stehen die beiden in ihrem verbrecherischen Handeln doch außerhalb jeglicher Tradition. 279 Wiederholt wurde darauf verwiesen, daß die Komik des Lustspiels fast ausschließlich auf dieser Ebene der Diener erzielt werde,28o während Reisender und Baron frei von jeglicher vordergründiger Sprach-, Bewegungsund Situationskomik erscheinen, einzig das wechselseitige a-parte-Sprechen im sechsten Auftritt kann als ein kleiner komischer Effekt der bei den Figuren gewertet werden. Wie schon in der Alten Jungfer und auch ansatzweise im Damon und beim Freygeist setzt Lessing demgegenüber insbesondere bei den Nebenfiguren auf bewährte komödiantische Mittel, die in erster Linie dem Delectare verpflichtet sind und Die Juden aus dem Bannkreis eines rührenden Lustspiels rücken. Lisettens einschmeichelnd listiges Spiel mit dem Diener Christoph und dem Vogt, deren Rüpeleien, Grobianismen, die wechselseitigen Beschimpfungen Stichs und Krumms sowie Christophs respektloses, gewitztes Benehmen gegenüber seinem Herrn animieren zu einem fröhlichen, didaktisch nicht instrumentalisierten Lachen. Nicht zuletzt tragen szenische Momente zur Erheiterung des Publikums bei, so das Platznehmen und Platzwechseln auf den Mantelsäcken im 10. Auftritt. Die Lessing, Die Juden, 1. Auftritt: LM 1, S. 375. Zu den Dienerfiguren vgl. Scott-Prelorentzos, The Servant in German Enlightenment Comedy, S. 70-72. 280 Vgl. Steinmetz, Das deutsche Drama von Gottsched bis Lessing, S. 58. Ebenso Wilfried Barner, Lessings Die Juden im Zusammenhang seines Frühwerks, in: Humanität und Dialog: Lessing und Mende1ssohn in neuer Sicht. Beiträge zum Internationalen Lessing-Mende1ssohn-Symposium anläßlich des 250. Geburtstages von Lessing und Mendelssohn, veranstaltet im November 1979 in Los Angeles, Kalifornien. Beiheft zum Lessing Yearbook. Hrsg. von Ehrhard Bahr/Edward P. Harris/Laurence G. Lyon. Detroit, München 1982, S. 189-209, hier S. 196. - Metzger (S. 87) sieht dadurch die Hauptcharaktere sogar in den Hintergrund gedrängt. 278
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Durchsuchung von Taschen, welche diesmal die verräterischen Bärte des Vogtes zufällig ans Licht bringt, hatte Lessing bühnenwirksam schon im Jungen Gelehrten eingesetzt, und auch Martin Krumms mißlungener Versuch, dem Unbekannten die Uhr zu entwenden, unterstützt bewegungsreich die komische Aktion auf der Bühne. Der eigentlich unvernünftige Charakterzug Martin Krumms, Christophs, aber auch des Barons, nämlich ihr unreflektierter Antisemitismus, erregt dagegen, außer aufgrund ihres Sprachgestus,281 wohl kaum Spott oder Verlachen. Selbst die üble, mit komischen Zügen gepaarte Gesinnung Krumms tut der Glaubwürdigkeit der geäußerten Judenschelte keinen Abbruch, ganz im Gegensatz zu den negativen Figuren der satirischen Komödie, deren lächerlich-lasterhafte Züge ihre Aussagen vielfach als unvernünftig und unhaltbar erscheinen ließen. 282 So viel als ihrer [Juden] sind, keinen ausgenommen, sind Betrieger, Diebe und Straßenräuber. Darum ist es auch ein Volk, das der liebe Gott verflucht hat. Ich dürfte nicht König seyn: ich ließ keinen, keinen einzigen am Leben. Ach! Gott behüte alle rechtschaffne Christen vor diesen Leuten!283 Diese mörderischen Flüche, die in ein Pogrom münden, läßt der Vogt auf die Juden los, sie dürften, schwerlich als lächerlich empfunden, in ihrer Kernaussage bei manchem Theaterbesucher auf Zustimmung gestoßen sein. Eine in der Zeitschrift zur Beförderung der Kultur und Humanität unter der jüdischen Nation veröffentliche Anekdote bei einer Aufführung der Juden überliefert ebendiese Reaktion: Mit einem Male setzt der Voigt [... ] das Zwerchfell vieler Anwesenden in wohlthätige Erschütterung. [... ] Viele der anwesenden christlichen Zuschauer, die nicht wußten, daß der verewigte Lessing die rüden Ausdrücke, in welchen der Voigt gegen die Juden zu Felde zieht, einem gefährlichen Bösewicht in den Mund legt, diese guten Leute lachten recht herzlich und äusserten laut ihren innigsten Beifall. 284
281 Nachdrücklich verweist Metzger (S. 90-104) darauf, daß die dramatis personae der Juden durch eine schichtenspezifische Sprache gekennzeichnet sind. Stich und Krumm sprechen als unterste Schicht die "ordentliche hiesige Bauernsprache", "rough-hewn, [... ] heavy with images, oaths". Demgegenüber zeichnet Christoph und Lisette "the witty, sprightly, and more sophisticated language" aus. Auf einer dritten Sprachebene angesiedelt, führen Baron, Reisender und Fräulein eine (zumeist) gewählte und gebildete Kommunikation. Diese unterschiedliche Sprachschichtung stelle nun nach Metzger (S. 104) "a new realization of characterization" dar und "represents a progressive change from that of earlier comedies". 282 Diese Beobachtung widerspricht auch Trautweins These (Zwischen Typenlustspiel und ernster Komödie, S. 4), Krumms Verhalten werde vollständig zu einem Komik-Paradigma reduziert, das sich in das satirische Strukturschema problemlos einfüge. 283 Lessing, Die Juden, 2. Auftritt: LM 1, S. 378.
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Selbst wenn man an dem Wahrheitsgehalt des durchaus stilisierten Berichts zweifeln will, so zeigt Johann David Michaelis' Rezension der Juden, daß selbst unter den Gebildeten und Gelehrten der Zeit eine antisemitische Haltung nicht ungewöhnlich war, wenn auch mit anderer Diktion und Schlußfolgerung als bei Krumm. Zwar attestiert Michaelis dem Stück zunächst "eine sehr ernsthafte Sitten-Lehre, nehmlich die Thorheit und Unbilligkeit des Hasses und der Verachtung zu zeigen, damit wir den Juden meistentheils begegnen,,285, doch erklärt er diese Haltung im folgenden implizit für rechtens, wenn er dem edlen Reisenden jegliche Wahrscheinlichkeit abspricht und auch eine nur "mittelmäßige Tugend und Redlichkeit" unter diesem Volk als äußerst selten, ja als eigentlich nicht möglich erachtet: Bey den Grundsätzen der Sitten-Lehre, welche zum wenigsten der grosse Theil desselben angenommen hat, ist auch eine allgemeinere Redlichkeit kaum möglich, sonderlich da fast das gantze Volck von der Handlung leben muß, die mehr Gelegenheit und Versuchung zum Betruge giebt als andere Lebens-Arten. 286
Ebendiese Urteile sind es, die auch der Baron im Gespräch mit dem Reisenden geltend macht: Ein Volk, das auf den Gewinnst so erpicht ist, fragt wenig damach, ob es ihn mit Recht oder Unrecht, mit List oder Gewaltsamkeit erhält - - Es scheinet auch zur Handelschaft, oder deutsch zu reden, zur Betrügerey gemacht zu seyn?87
Schon an der Physiognomie glaubt er "das Tückische, das Ungewissenhafte, das Eigennützige, Betrug und Meineid,,288 der jüdischen Bevölkerung ablesen zu können - ein vorurteilsvoller Irrglaube, wie sich spätestens im vorletzten Auftritt zeigen wird. Auffallend ist, daß beide Bühnenfiguren, sowohl Krumm als auch der Baron, keine bzw. kaum religiöse Gründe ins Feld führen, sondern dieses Volk ausschließlich moralisch aufgrund seines Berufsstandes und seiner sozialgeschichtlichen Situation disqualifizieren. 289 284 Der mißverstandene Lessing, in: Sulamith. Eine Zeitschrift zur Beförderung der Kultur und Humanität unter der jüdischen Nation 1, 1806, H. 1, S. 252 f.; zitiert in: Gunnar Och, Lessings Lustspiel "Die Juden" im 18. Jahrhundert - Rezeption und Reproduktion, in: Theatralia Judaica. Emanzipation und Antisemitismus als Momente der Theatergeschichte. Von der Lessing-Zeit bis zur Shoah. Hrsg. von HansPeter Bayerdörfer. Tübingen 1992 (Theatron 7), S. 42-63, hier S. 42. 285 Johann David Michaelis, Rezension, in: Göttingisehe Anzeigen von gelehrten Sachen, 13. Junius 1754; zitiert in: Lessing im Urtheile seiner Zeitgenossen, Bd. 1, S.35. 286 Ebd., S. 36. 287 Lessing, Die Juden, 6. Auftritt: LM 1, S. 386. 288 Ebd. 289 Hierin liegt der gravierende Unterschied zum Nathan begründet, dessen Zentrum die Religions-Problematik bildet. In diesem Sinne stellen Die Juden zwar eine Ergänzung der in Lessings letztem Stück gepredigten Toleranzfrage dar, im Nathan jedoch wie Kant nur die Fortsetzung der Juden zu sehen, d. h. diese als dessen ersten Teil zu werten, wird bei den Werken nicht gerecht (vgl. Hamann an Herder,
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Während sich Krumm in seiner Haltung auf die Autorität der Kirche zu stützen weiß, seinen Antisemitismus damit sogar auf den Haß und die Rache Gottes gründen kann: Wenn sie der liebe Gott nicht selber haßte, weswegen wären denn nur vor Kurzem, bey dem Unglücke in Breßlau, ihrer bald noch einmal so viel als Christen geblieben? Unser Herr Pfarr erinnerte das sehr weislich, in der letzten Predigt. 29o
so fühlt sich der Baron durch ein einziges negatives Erlebnis bestätigt, in den Juden die "allerboshaftesten, niederträchtigsten Leute,,291 zu sehen. Auch Krumm führt als Rechtfertigung diese einmalige negative Empirie an, wenn er von den Diebstählen jüdischer Messebesucher berichtet. Nicht ganz eindeutig ist aber, inwiefern diese Aussage auf tatsächlich Erlebtes zurückgeht oder nur ein erfundener Vorwand ist, möglichst geschickt Uhr und Tabaksdose des Gegenübers zu stehlen. Ein vager Zweifel bleibt nicht zuletzt, ob es sich bei diesen Dieben nicht gar um verkleidete Spitzbuben gehandelt haben könnte, welche die auch von Krumm und Stich eingesetzte Maskierung zu ihrem Vorteil nutzten. Während sich der Zuschauer vom Vogt ob seiner Heimtücke und Dummheit noch distanzieren kann, gelingt dies bei der Gestalt des Barons kaum mehr, denn ihm gilt aufgrund der aufrichtigen Dankbarkeit gegenüber seinem Lebensretter die Sympathie des Publikums, das darin ebenso wie in der Wertschätzung der Freundschaft im Grunde bürgerliche Tugenden wiederfindet. Aufgrund dieser positiven Charakterisierung dürfte es dem Rezipienten ungleich schwerer fallen, die vom Baron geäußerten Urteile über die jüdische Bevölkerung als falsche Haltung zu entlarven, denn ohne Zweifel vermag er das Publikum zu rühren und scheint zunächst eine der vorbildlichen Figuren im Sinne Gellerts darzustellen. Zieht man jedoch die Intention der Juden in Betracht, so zeigt sich rasch, daß diese Ähnlichkeit mit den Gestalten des rührenden Lustspiels nur vordergründig ist. Indem der Baron einer pauschalen Judenschelte das Wort gibt, haftet auch ihm in Lessings Augen eine Verfehlung gegen die aufgeklärte Vernunft an. Wie schon in Damon, Valer und Adrast begegnet damit ein weiterer früher Vertreter des gemischten Charakters, der nicht mehr typisiert nur auf einen Wesenszug reduziert bleibt, sondern dessen sympathische Seiten ebenso mit einer negativen Eigenschaft gepaart sind; einer im übrigen durchaus lächerlichen Eigenschaft, die aber nicht wie noch in der Typenkomödie auf den ersten Blick sogleich ins Auge springt, sondern die sich schon ganz im Sinne der Hamburgischen Dramaturgie "in allen Vermischungen [... ] mit guten Eigenschaften", unter "Bemäntelungen der Leidenschaft und der 6. Mai 1779, in: Johann Georg Hamann, Briefwechsel. Hrsg. von Arthur Henkel. Bd.4. 1778-1782. Wiesbaden 1959, S. 77). 290 Lessing, Die Juden, 2. Auftritt: LM 1, S. 379. 291 Ebd., 6. Auftritt, S. 386.
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Mode,,292, hier hinter einer Gemeingut gewordenen Diskriminierung verbirgt. Und so ist es auch kein hämisches Verlachen, das den Baron ereilt. An ihm bewährt sich vielmehr paradigmatisch die späterhin von Lessing postulierte Hochachtung des Publikums, die dieser Person trotz einer lächerlichen Ungereimtheit unbenommen bleibt. Das pejorierende Verlachen ist somit in aller Konsequenz einer sympathisierenden Erheiterung gewichen. In der Forschungsliteratur wurde die Figur des Barons allerdings bisher nur unter dem Blickwinkel der althergebrachten Komödientradition betrachtet. Während Guthke ihn als überwiegend komische Figur interpretiert, die aufgrund ihres Vorurteils lächerlich gemacht werden soll,293 Dunkle zu Unrecht gar von einem "invariably [... ] old simpleton,,294 spricht, bemerkt Trautwein, daß der Einfluß des rührenden Lustspiels bei dieser Gestalt eine volle Entfaltung der Typenkomödie verhindere. 295 Die mit dem Baron gelungene wegweisende Umsetzung eines gemischten Charakters lange vor der Niederschrift der Hamburgischen Dramaturgie wurde dagegen nicht konstatiert. Demgegenüber stellt der Vogt die ebenfalls im 29. Stück erörterte Kombination des Lächerlichen "mit noch schlimmem [... ] Eigenschaften,,296 dar, die diesen Mann in letzter Konsequenz häßlich und abstoßend wirken lassen. In den Juden demonstriert Lessing nun zugleich jene besondere Art von Lächerlichkeit, die das Ostentative des Gottschedschen Lustspiels durch eine subtile Form der Komik, hier eine Komik der Unaufgeklärtheit297 oder des Vorurteils ersetzt, denn erst am Ende werden für das Publikum eher unerwartet mit dem Baron, aber auch mit Christoph Figuren als lächerlich kenntlich gemacht, die zunächst neutrale dramatis personae, ja sogar Angehörige der vernünftigen Öffentlichkeit zu sein schienen. Daß dieses Lächerliche, d. h. die hier gezeigte antisemitische Einstellung indes nicht auf einen Stand, den ungebildeten Pöbel, begrenzt bleibt, sondern im gesamten Sozialgefüge der Gesellschaft präsent ist, darauf verweist insbesondere die adelige Stellung der positiven Identifikationsfigur. Mit Martin Krumm auf der einen Seite, der als Dieb eigentlich den sozial Deklassierten und damit der untersten Gesellschaftsschicht angehört, sich aber als Vogt in Diensten des Barons ein ordentliches Ansehen geben kann, und am anderen Ende mit dem vermögenden Adeligen markiert Lessing die gesamte mögliche Spanne des von Gottsched für die Komödie zugelassenen Personals und Lessing, HD, 29. Stück: LM 9, S. 303. Vgl. Guthke, Lessings Problemkomödie "Die Juden", S. 132. 294 Harvey I. Dunkle, Lessing's "Die Juden". An original Experiment. In: Monatshefte 49, 1957, S. 323-329, hier S. 326. 295 Vgl. Trautwein, Zwischen Typenkomödie und ernster Komödie, S. 5. 296 Lessing, HD, 29. Stück: LM 9, S. 303. 297 Vgl. Guthke, Lessings Problemkomödie "Die Juden", S. 124. 292
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macht so die Allgemeingültigkeit des alle Schichten umfassenden Judenhasses deutlich. Selbst der im Lustspiel unantastbare Landesherr wird indirekt mit zwei Bemerkungen, die auf seine restriktive Judengesetzgebung Bezug nehmen, aufgerufen und in die Kritik eingeschlossen. 298 Das vorurteilsvolle Denken und die "schimpfliche Unterdrückung" dieser Bevölkerungsgruppe, wie Lessing es nennt,298a vereint somit in den Juden den "christliche[n] Pöbel,,298b mit dem Vertreter der Aristokratie, mit Kirche und Staat. Damit aber erscheint diese in Lessings Augen sehr wohl unvernünftige und unreflektierte Haltung nicht als eine lächerliche Verfehlung, wie sie die Typenkomödie vorzustellen suchte. In den Juden isoliert dieses Laster seinen Träger keineswegs wie bisher von der vernünftigen Gesellschaft, im Grunde muß es nicht korrigiert werden, um ein Leben innerhalb der Sozietät zu ermöglichen. Hier ist es vielmehr ein Allgemeingut, das, wie es scheint, sogar Integration und Gemeinschaft ermöglicht. Wie sich das auf der Bühne präsentierte Fehlverhalten von der bis dato gezeigten lasterhaften Lächerlichkeit der zeitgenössischen Lustspiele unterscheidet, so vollzieht sich zwangsläufig auch die Belehrung eben dieser Unvernünftigen auf andere Art und Weise. Die bekannten Mittel des Spottes und der Ironie können aufgrund der veränderten Spielstruktur, die eine allgemein verbreitete Haltung am Ende als irrige Ansicht erweist, nichts ausrichten, ebenso wird der tradierte Belehrungskommentar nur in geringem Maße wirksam. Der Reisende bleibt den Anklagen Krumms gegenüber fast stumm, wohl ahnend, daß hier eine judenfreundliche Argumentation nicht fruchten kann. Einzig ein desillusioniert klingendes "Wollte Gott, daß das nur die Sprache des Pöbels wäre!"299, deutet an, daß er die Meinung des Vogtes nicht teilt. Erst im nachfolgenden Monolog findet das bisher geschmähte Volk in ihm einen Verteidiger, der die sozialgeschichtliche Situation, ein Mitverschulden der Christen an dem von ihm keineswegs grundsätzlich geleugneten Fehlverhalten von Juden heranzieht: Wenn ein Jude betriegt, so hat ihn, unter neunmalen, der Christ vielleicht siebenmal dazu genöthiget. Ich zweifle, ob viel Christen sich rühmen können, mit einem Juden aufrichtig verfahren zu seyn: und sie wundem sich, wenn er ihnen Gleiches mit Gleichem zu vergelten sucht?3oo 298 So äußert der Reisende: "Denn ich begreife nicht, wie Juden die Straßen sollten können unsicher machen, da doch in diesem Lande so wenige geduldet werden." (Lessing, Die Juden, 2. Auftritt: LM I, S. 378.) Der Ausruf des Barons: "So gibt es Fälle, wo uns der Himmel selbst verhindert, dankbar zu sein?" (ebd., 22. Auftritt, S. 410) bezieht sich ebenfalls auf die Judengesetze. 298. G. E. Leßings Schrifften. Dritter Theil. Vorrede: LM 5, S. 270. 298b Lessing, Die Juden, 22. Auftritt: LM 1, S. 411. 299 Ebd., 2. Auftritt, S. 379. 300 Ebd., 3. Auftritt, S. 380. - Die Kausalität von Verhalten der Christen und Reaktion der Juden hat Lessing hier im Gegensatz zum Erstdruck stärker betont, wo es
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Nur verhalten ergreift der Reisende im Gespräch mit dem Baron Stellung: Ihnen die Wahrheit zu gestehn: ich bin kein Freund allgemeiner Urtheile über ganze Völker - - Sie werden meine Freyheit nicht übel nehmen. - Ich sollte glauben, daß es unter allen Nationen gute und böse Seelen geben könne. Und unter den Juden __301
Diese vernünftige Erfahrung verhallt jedoch durch das Erscheinen des Fräuleins ungehört. Vieler Belehrung braucht es ohnehin nicht, denn als ihm schließlich die Großherzigkeit des Barons die Hand der Tochter anträgt, ist der Reisende gezwungen, seine Identität zu lüften. Der gute Mensch des Stückes, der die Sympathie des Publikums gewann, entpuppt sich nunmehr als ein Repräsentant der vermeintlich grundsätzlich bösen Juden und führt so alle geäußerten pauschalen Urteile ad absurdum. Indem nun dieses gesellschaftliche Phänomen als Vorurteil entdeckt wird, stehen neben den Figuren des Stückes ebenso die Zuschauer, sofern sie diese Einstellung teilen, zu einem Gutteil als Toren da, oder besser gesagt, wie der Baron als gemischte Charaktere, neben deren guten Seiten auch Lächerliches zum Vorschein kommen kann. Der alte Konsens zwischen dem Publikum und den vernünftigen Figuren auf der Bühne, die gemeinsam die entgegen jeder Vernunft Handelnden verlachen, ist nun zerbrochen, denn der Dichter spottet nicht wie üblich einzelner Typen bzw. eines einzigen Standes oder einer Gruppe, sondern beschämt mehr oder weniger die gesamte Gesellschaft auf und vor der Bühne. 302 Wie nun reagieren die in den Juden dargestellten Figuren, um damit auf Lessings Grundüberlegung aus der Vorrede zu seinen Schriften zurückzukommen? Bei Lisette, Christoph und dem Baron löst des Reisenden Bekenntnis: "Ich bin ein Jude" Erstaunen, wenn nicht gar blankes Entsetzen aus. Einzig die junge Baronin, die schon früher als "sich selbst gelaßne Natur,,303 eingeführt wurde, reagiert auf die Eröffnung des Unbekannten, er sei jüdischer Herkunft, in natürlicher und vorbehaltloser Weise: "Ey, was thut das?,,304 Sie allein ist es, die auch nach diesem Bekenntnis den Reisenden als den edlen Menschen und nicht als übel beleumdeten Juden sieht, noch hieß: "Wenn diese [Juden] hintergehen so überlegt man nicht, daß sie die Christen darzu gezwungen haben" (Lessing, Die Juden: B 1, S. 454). Gleichzeitig nimmt er das zu einseitige Urteil des Reisenden, der zweifelt, "ob sich einer von ihnen [Christen] rühmen kann, mit einem Juden aufrichtig verfahren zu sein" (ebd.), etwas zurück. 301 Lessing, Die Juden, 6. Auftritt: LM 1, S. 386. 302 Vgl. Grosse, S. 85. 303 Lessing, Die Juden, 6. Auftritt: LM 1, S. 384. - Die Beurteilung dieser Figur fällt sehr unterschiedlich aus. Während Metzger (S. 88) sie sicherlich etwas zu positiv als "individualized characterization" wertet, sieht Dunkle (S. 327) im Fräulein "hardly a sympathetic character; Lessing makes her merely a silly girl thrilled at heaving a house guest after having lived in virtual isolation".
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während in Christoph ganz offensichtlich, aber auch leise bei ihrem Vater die altbekannten Ressentiments erwachen. Noch einmal bringt Lessing hier in wenigen Zeilen den unreflektierten Umgang mit dem Vorurteil, dessen Konsequenzen und gleichzeitig seine Haltlosigkeit auf die Bühne. Da der "Himmel selbst verhindert, dankbar zu seyn", d.h. die dei gratia erlassenen Gesetze des absolutistischen Staates eine Mischehe untersagen,305 bietet der Baron nun als Ersatz sein Vermögen an. Auf den ersten Blick löblich, verbirgt sich aber dahinter doch noch einmal die vorgefaßte Meinung über die ausschließlich materiell gesinnten Juden, zumal er aus den philosophischen Gesprächen der vorangegangenen Stunden durchaus um die Einstellung seines Gastes wissen müßte. Mit der Ablehnung des durchaus großzügigen Angebotes widerlegt der Jude zum letzten Male eine der wohlbekannten Ansichten, die Seinesgleichen stets als hab- und raffgierig zeichnete. Die Entschuldigung des Barons, er schäme sich dieses Verfahrens, zeugt von seiner Einsicht, daß hier die Neigung zum Reisenden in einem kurzen Moment dem Vorurteil über jüdische Geldgier unterlag?06 Die Macht der antisemitischen Haltung offenbart abschließend in aller Deutlichkeit die Reaktion des Dieners. Obwohl ihm von seiten seines Herrn Gutes widerfuhr und ihn dieser aus erbärmlichen Umständen riß, verurteilt Christoph den Reisenden auf seine bloße Religionszugehörigkeit hin: Was? Sie sind ein Jude, und haben das Herz gehabt, einen ehrlichen Christen in Ihre Dienste zu nehmen? Sie hätten mir dienen sollen. So wär es nach der Bibel recht gewesen. Potz Stern! Sie haben in mir die ganze Christenheit beleidigt. 307
Alle eigenen positiven Erfahrungen werden durch das tradierte Urteil zunichte gemacht, die unerwartet vorgefundene Tugend kann die tief verwurzelte Opinio communis nicht erschüttern. Daß Christoph am Ende doch in Diensten des Reisenden bleibt, geschieht aus pragmatischen Gründen, das materielle Geschenk, die silberne Dose, leistet volle Überzeugungsarbeit. Sprachkomisch kommentierend, es gebe wohl Juden, die keine Juden seien, bestätigt er jedoch das Fortbestehen seines bisherigen Judenbildes, das lediglich eine Ausnahme zugesteht. 308 Gleich dem Diener betrachtet auch der Baron diesen Juden nur als Einzelerscheinung, die grundSätzliche Ablehnung dieses Volkes bleibt bestehen: ,,0 wie achtungswürdig wären die 304 Lessing, Die Juden, 22. Auftritt: LM 1, S. 410. - Etwas weniger prägnant formuliert dies noch der Erstdruck: "Was hat das zu bedeuten? Deswegen können Sie mich doch wohl nehmen." (Lessing, Die Juden: B 1, S. 486). 305 Vgl. Guthke, Lessings Problemkomödie "Die Juden", S. 126. 306 Bamer (Gotthold Ephraim Lessings Die Juden, S. 101) deutet diese Aussage des Barons lediglich als Scham darüber, daß er dem Reisenden nur sein Vermögen schenken wollte. 307 Lessing, Die Juden, 22. Auftritt: LM 1, S. 410. 308 Vgl. dagegen Trautwein (Zwischen Typenlustspiel und ernster Komödie, S. 8), der von einer Revision des antisemitischen Vorurteils bei Christoph ausgeht.
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Juden, wenn sie alle Ihnen glichen!,,309 Selbst wenn der Baron sein Entzücken über den Retter nicht zu verbergen vennag, so zeigt der Irrealis nur zu deutlich, daß hier ebenfalls die altbekannte Auffassung weiterbestehen wird. Eine Revision der Vorbehalte, eine gänzliche Korrektur der Einstellung findet nicht statt. Während ein einziges negatives Erlebnis das vorgefaßte Urteil in den Augen des Barons verifiziert hatte, vennag die positive Erfahrung keineswegs die seit Jahrhunderten tradierte und gleichwohl unreflektierte Meinung über die Juden zu falsifizieren. 3\O Der Appell des Reisenden, "von [s]einem Volke etwas gelinder und weniger allgemein [zu] urtheilen,,311, verhallt somit auf der Bühne ungehört. Am Ende von Lessings Experiment, zu untersuchen, was geschähe, zeigte man Tugend da, wo sie nicht erwartet würde, steht zumindest auf der Bühne Resignation und Desillusion. Inwieweit der Wunsch und das Beispiel des jüdischen Reisenden, seinem Volk toleranter zu begegnen, außerhalb der Theaterbretter Widerhall fand, bleibt letztlich der Reflexion des einzelnen Zuschauers überlassen. Wenig beachtet wurde, daß diese optative Aussage des Barons, die im Grunde einen Tadel der Juden darstellt, in der Replik des Reisenden durch eine Kritik an den Christen ergänzt wird: "Und wie liebenswürdig die Christen, wenn sie alle Ihre Eigenschaften besäßen!,,312 pariert nämlich der Jude die Äußerung seines Gastgebers. Wie der Baron gebraucht auch er den Irrealis und weist damit nachdrücklich darauf hin, daß sich ebenfalls die große Masse der Christen nicht als bessere, tugendhaftere Menschen dünken darf. Gleich der häufig in satirischen Komödien gezogenen Quintessenz wiederholen die beiden Männer damit prägnant die im sechsten Auftritt unterbrochene Moral des Reisenden, "unter allen Nationen [könne es] gute und böse Seelen geben". Nachdem der gängige Komödienschluß einer Heirat des edlen Juden mit dem Fräulein auf der Bühne durch die realen juristischen Verhältnisse unmöglich wurde, läßt der gemeinsame Abgang der Dienerfiguren im letzten Auftritt doch noch die traditionelle Liaison ahnen und schließt damit das Stück in typenkomischer Manier. Auch für Die Juden gilt, daß Lessing im Grunde über die Wirkungsintention der "wahren Komödie" hinausreicht. 313 Lachen und Rührung werden Lessing, Die Juden, 22. Auftritt: LM 1, S. 411. Mann (Lessing, S. 192) glaubt hingegen den Baron von seinen Vorurteilen gegenüber den Juden befreit. 311 Lessing, Die Juden, 22. Auftritt: LM 1, S. 410. 312 Ebd., S. 411. 3I3 Dies spiegelt nicht zuletzt das Prädikat "Problemkomödie" wider, das die Forschung den vielfach disparat empfundenen Juden gerne gegeben hat: vgl. Curtis C. D. Vail, Lessing's Relation to the English Language and Literature. New York 1936, S. 207. - Dunkle, S. 323. - Guthke, Lessings Problemkomödie "Die Juden", S. 122, 124. - Wolfgang Albrecht, S. 4, 8-11. - Bamer, Gotthold Ephraim Lessings Die Juden, S. 99. - Für Trautwein (Zwischen Typenlustspiel und ernster Komödie, 309
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zwar einerseits durch das Spiel auf der Dienerebene und andererseits durch die bewunderungswürdige, edle Haltung des inkognito Reisenden erweckt, doch prägen dieses Stück nicht mehr eine offensichtliche Untugend und ebenso offensichtliche erheiternde Belehrung der Gottschedschen Komödienvorstellung. In einem kunstvoll geknüpften Spiel werden vielmehr jene ernsthaften sittlichen Betrachtungen evident, von denen Lessing außer in den Rezensionen dieser Jahre auch ausdrücklich in der Vorrede zu dieser Komödie spricht. Gerade Die Juden weisen in Thema, Konfliktführung und Personengestaltung auf Lessings späterhin in der Hamburgischen Dramaturgie niedergelegte und mit der Minna von Barnhelm virtuos gestaltete Vorstellung von Komödie voraus. Das Lächerliche eines gesellschaftlichen, der Menschlichkeit widersprechenden Vorurteils soll entlarvt werden, das, so zeigt uns dieses Stück, im Grunde jedem, nicht nur den Vertretern einer bestimmten Schicht und nicht nur bösen Menschen anhaften kann. Hier kann und muß der Zuschauer, wie schon im Freygeist, "lachend sehr ernsthaft sein", um mit Minnas berühmten Worten zu sprechen, und sein Verstand ist es, der lachend dieses wahre und hohe Komische in der Diskrepanz zu echter Humanität erkennen lernen soll. 7. Zusammenfassung: Entwicklungslinien der frühen Komödien Blickt man auf die in den Jahren 1747-1749 entstandenen Lustspiele Lessings, zeigt sich eine deutliche Entwicklung innerhalb dieser Werke, insbesondere in konzeptioneller wie wirkungsästhetischer Hinsicht. Beginnend mit Damon, oder die wahre Freundschaft versucht sich der jugendliche Dichter zunächst im damals sehr beliebten Fach der eher rührenden Komödie und gestaltet eine Hauptfigur, die sich auf den ersten Blick den Protagonisten und Themen Gellerts nähert. Gleichwohl reicht schon diese erste Lustspielgestalt über die bekannte zeitgenössische Konzeption hinaus, bildet doch die Psychologisierung Damons den ersten Schritt hin zu jenen gemischten Charakteren, die Lessing in seinen nachfolgenden Dramen auf die Bühne bringen sollte. Auch wenn dieses Stück noch keine offensichtliche Sprengung der tradierten Lustspielform wagt, sondern am Ende in die Bahnen einer rührenden Schlußszenerie zurückkehrt, verheißt Damon, oder die wahre Freundschaft komödienpoetologisch Neues. Schon hier setzt Lessing um, was er wenige Jahre später in den Lustspiel-Abhandlungen als "wahre Komödie" propagieren sollte, nämlich ein Spiel, das in diesem Falle Verla-
s. 14) ergibt sich aus den Juden keine neue Gattung der Problemkomödie, er sieht sie vielmehr als Bindeglied zwischen den Typenlustspielen und der ernsten Komödie.
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ehen und aus Bewunderung entstehende Rührung beim Zuschauer auszulösen vermag. Mit den folgenden Lustspielen Der junge Gelehrte und Die alte Jungfer, die sich innerhalb des Frühwerkes enger zusammenschließen lassen, wird nunmehr rasch deutlich, daß Lessings dramatisches Talent wohl stärker im komischen Bereich zu suchen ist. Beide Werke sind eindeutig einer satirischen Gestaltung verpflichtet, die im Jungen Gelehrten auf höchst wirkungsvolle Weise eine Kritik am zeitgenössischen Gelehrtenturn formuliert und diese insbesondere an die jugendlichen Studiosi richtet. Trotz der deutlichen Umsetzung Gottschedscher Vorgaben können eine vorsichtige Problematisierung sowie spielgestaltende Modifikationen dieser Komödienkonzeption vor allem mit der Figur Valers beobachtet werden. Der bereits im Jungen Gelehrten spürbaren Lust am komischen Spiel gibt Die Alte Jungfer nun gänzlich nach. Ein Fabula docet ist hier fast völlig dem Delectare gewichen, das ein reines, zum Lachen bewegendes Possenspiel entstehen läßt. Mit dieser von der zeitgenössischen Regelpoetik verworfenen Gattung hat Lessing zugleich sein erstes dramatisches Plädoyer für eine nicht didaktisch instrumentalisierte, autonome Kunst entworfen, selbst wenn er in späteren Jahren an der Utilitarität, der Wirkungsästhetik des komischen Dramas festhält. Wiederum als stärker zusammengehörige Gruppe erweisen sich die letzten drei Lustspiele dieser Jahre. Eine Übergangsstellung zwischen eindeutig satirischem Spiel und neuer Komödienkonzeption behält dabei noch Der Misogyne, der zwar einen für die satirische Verlachkomödie typischen Protagonisten darstellt, aber mit einer innovativen Behandlung durch die übrigen Figuren schon auf die im Freygeist erreichte Charakteranlage hindeutet. Adrast als Paradigma eines gemischten Charakters ereilt schließlich kein spottendes Verlachen mehr, sondern er erwirbt sich trotz seiner Fehlerhaftigkeit die Hochachtung des Publikums und ermöglicht auf diese Weise eine gelungene Synthese von Lachen und Rührung, wobei der junge Freigeist in seiner Charakterisierung schon auf den Briefwechsel und die Hamburgische Dramaturgie vorausweist, indem er das bisherige einseitige Tugend-Laster-Schema, das hier Rührung und dort Lachen bzw. Verlachen bedingt, hinter sich läßt. Lessing vereint in dieser Figur vielmehr positive und negative Eigenschaften, so daß sich nun die Komponenten des Lachens, nämlich Lust und Unlust auf eine einzige Gestalt richten können und damit Lessings Theorie des Lachens erstmals in aller Konsequenz umgesetzt wird. Hatte Der Freygeist in erster Linie in der Charaktergestaltung neue Wege beschritten, so zeichnen sich Die Juden durch einen bisher ungeahnten Aufbau der dramatischen Handlung aus, die ein gemeinschaftsbildendes Vorurteil als verfehlte Geisteshaltung enthüllt und sowohl die positive Figur auf
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2. Teil: Lessings Komödien
der Bühne als auch die Zuschauer einer Komik der Unaufgeklärtheit zeiht. Die Intention dieser Stücke kann sich nun nicht mehr in einem augenfälligen moralischen Satz erschöpfen, sondern es bedarf der Abstraktion und Reflexion, des "Mit vollzuges einer geistigen Auseinandersetzung, die im Dialog geführt wird,,314, um Lessings Aussage ganz zu erfassen und für das eigene Handeln wirksam zu machen. Charakteristisch für diese Lustspielgruppe ist nicht zuletzt, daß sie eine veränderte Schlußgestaltung aufweist. Hier stehen am Ende nicht mehr die wohlbekannten Alternativen der Besserung oder des Ausschlusses aus der vernünftigen Gesellschaft, Lessing läßt seine Protagonisten vielmehr im Grunde bleiben, wie sie sind. So ändert weder Wumshäter noch der Baron seine Meinung, jener sieht sich vielmehr durch die Handlung Hilarias noch bestärkt, während dieser lediglich eine Ausnahme anerkennt, ohne von seinem Vorurteil grundSätzlich abzurücken. Der Freygeist entfernt sich ohnehin von der werkimmanenten Aufgabe einer grundsätzlichen Besserung, da der Anlaß für Adrasts Fehlverhalten überwiegend einer bestimmten Situation entspringt. Mit Lösung der Liebesmisere wandelt sich zugleich auch sein Verhalten, und er erkennt Theophan als ehrenwerten Menschen an, ohne hier ausdrücklich auf dessen Berufsstand Bezug zu nehmen, dem seine Vorurteile galten. Eine wesentliche Erkenntnis dieser Analyse der frühen Werke ist also, daß Lessing mit diesen Komödien sehr viel stärker, als bisher von der Forschung angenommen, eigene Wege beschreitet und aus den Vorgaben der verschiedenen Komödientraditionen heraustritt. 315 Und so deuten zahlreiche der in den frühen Lustspielen gestalteten Neuansätze bereits auf Minna von Bamhelm voraus, die diese einzelnen Aspekte vollendet zu einer neuen Komödienform zu vereinen weiß. Als substantiell erweist sich vor allem aber, daß Lessing schon zu Beginn seines Schaffens dramaturgisch auf der Hinck, Das deutsche Lustspiel des 17. und 18. Jahrhunderts, S. 280. Wolfgang Stellmacher (Lessings frühe Komödien im Schnittpunkt europäischer Traditionen des Lustspiels, in: Parallelen und Kontraste. Studien zu literarischen Wechselbeziehungen in Europa zwischen 1750 und 1850. Hrsg. von HansDietrich Dabnke in Zusammenarbeit mit Alexander S. Dirnitrijew/Peter Müller/Tadeusz Namowicz. Berlin, Weimar 1983, S. 39-72, hier S. 59 f.) attestiert zwar den Komödien einen "quantitativ [en] und qualitativ[en]" Fortschritt gegenüber dem frühaufklärerischen Lustspiel. Diesen erkennt er allerdings keineswegs in der Personengestaltung - er spricht sogar von einer typischen Generalisierung der Figuren, an denen Individuelles getilgt werde -, sondern in einer neuen Struktur, welche "die geschlossene, klar gegliederte Stückhandlung auflockert oder gar auflöst, den zentralen Konflikt und seine Protagonisten in den Hintergrund drängt [... ] und das Schwergewicht mehr und mehr auf das Auskosten des komisch-satirischen Gehalts einzelner Szenen legt". - Monika Fick (S. 61 f.) erkennt für den Freygeist und Die Juden eine Erneuerung des adaptierten Komödienschemas, die übrigen Frühwerke, die nicht eingehender untersucht werden, schlägt sie der sächsischen Typenkomödie zu. 314
315
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Bühne vorwegnimmt, was er komödientheoretisch Jahre später formulieren sollte. Der gemischte Charakter ist damit nicht erst mit Minna von Barnhelm und der Hamburgischen Dramaturgie greifbar, sondern gewinnt schon Leben in Damon, Valer, dem Baron und par excellence in Adrast. Ebenso beginnt Lessings Bemühen um eine Rührung und Gelächter vereinende Gattung nicht erst mit den Lustspiel-Abhandlungen oder dem Briefwechsel über das Trauerspiel; bereits sein erstes Lustspiel Damon, oder die wahre Freundschaft zeigt Ansätze dazu, die schließlich wiederum mit dem Freygeist ihre volle Verwirklichung erfahren. Selbst die mit Lessing untrennbar verbundene Neudefinition des Gelächters in der Komödie als einer Erheiterung bar des Gottschedschen Verlachens sucht der junge Dichter in seinem Fortschreiten vom Misogynen hin zum Freygeist zu erproben. Ebenso deutlich wird allerdings, daß Lessing zwar in seinen letzten beiden Jugendkomödien den Problemgehalt vertieft und auf tiefergründende menschliche und gesellschaftliche Erscheinungen verweist - man könnte hier auch von einem hohen Komischen bzw. wahren Lächerlichen sprechen -, daß aber das Geschehen noch in der Komödiensphäre verbleibt, die sich eines guten Ausgangs gewiß ist. Eine Verwandlung des Lachens in Weinen und Mitleid ist im Frühwerk kaum möglich. Einzig in den Juden liegt die Konfliktlösung außerhalb des Einflusses der dramatis personae. Die Unmöglichkeit der Verbindung des Fräuleins mit dem jüdischen Reisenden grenzt in ihrer Unauflösbarkeit an das Trauerspiel; dieses wird jedoch durch die Reaktion des Reisenden, für den offenkundig nicht die Heirat das erstrebte Ziel ist, umgangen und auf die Decouvrierung des Vorurteils beschränkt. Überblickt man Lessings frühe Versuche im weiten Feld der Komödie, so wird evident, daß sich in ihnen feine Entwicklungsprozesse des Lessingschen Komödienverständnisses vollziehen und widerspiegeln. Sie sind damit überaus wichtige Zeugnisse nicht nur seiner Lustspielpraxis, sondern gerade auch für die Entstehung seiner originellen Gattungstheorie.
11. Die Komödienfragmente Während die frühen Lustspiele eine deutliche Entwicklung seines komödienpoetologischen Verständnisses dokumentieren, erweist es sich bei den auf uns gekommenen Fragmenten ungleich schwerer, Erkenntnisse über das hier zugrundeliegende Lustspielverständnis des noch jungen Dichters zu gewinnen. Problematisch ist vielfach die Entstehungszeit dieser Dramenentwürfe. Eine vorsichtige Einordnung erlauben oft nur strukturelle Aspekte, die jedoch aufgrund der Bruchstückhaftigkeit dieser Lustspiele nie ganz verläßlich sein kann. Aus diesem Grunde ist denn auch die Forschung bei der Datierung der erst im Nachlaß veröffentlichten Fragmente durchaus nicht einhelliger Meinung. 316
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2. Teil: Lessings Komödien
Von der Sekundärliteratur kaum berücksichtigt, können diese dramatischen Bruchstücke in erster Linie Einblick in Lessings Arbeitsweise gewähren, selbst wenn nur zum Freygeist als einzigem vollendeten Lustspiel zugleich der handschriftliche Entwurf vorhanden ist. Für dieses Stück hat Lessing zunächst einen durchgehenden Szenenplan entworfen, der knapp den Handlungsgang festlegt, dabei teilweise schon erste Dialoge skizziert und sich auch bei der Ausarbeitung relativ nah an diese Vorgaben gehalten. Die übrigen überlieferten Komödienfragmente zeigen sehr unterschiedliche Stadien der Planung. Während z. B. der auf Plautus zurückgreifende dramatische Entwurf Weiber sind Weiber den ersten Akt schon vollständig dialogisiert, sind von anderen Vorhaben nur knappe Akt- bzw. Szenenumrisse gefertigt worden oder gar nur ein Personenverzeichnis wie beim Dorfjunker vorhanden. Dennoch soll auch bei diesen oft rudimentären Angaben versucht werden, in einem gewissen Maße Aufschluß darüber zu erlangen, inwiefern diese noch der traditionellen Gestaltung im Sinne der Critischen Dichtkunst verpflichtet sind oder bereits wie der Freygeist-EntwurJ komödienpoetologisch Neues aufweisen. Eine relativ verläßliche Datierung ist zum Dramenfragment Der Leichtgläubige überliefert. Christian Felix Weiße berichtet in seiner Autobiographie, daß Lessing die Anregung zu einem Lustspiel dieses Namens durch seine eigene Bearbeitung des Leichtgläubigen erhalten habe, dessen Fabel und Anlage der Freund kritisierte. 317 Der Plan, der, wie Weiße bemerkt, niemals vollständig ausgeführt wurde, fällt demnach in die Leipziger Studienzeit der beiden, d.h. die Jahre 1747 bis Juli 1748. 318 Aufschlußreich am Leichtgläubigen ist vor allem, daß sich dieser mit gen auen Querverweisen auf die englische Vorlage The Country Wife von William Wycherley aus dem Jahre 1675 stützt. Entgegen anderen Bearbeitungen, z. B. des Trinummus, in der sich Lessing eng an die Fabel des antiken Stückes hält, entlehnt er allerdings aus dem englischen Text lediglich eine Nebenhandlung, die er zudem noch leicht verändert. Wie schon in Damon, oder die wahre Freundschaft bildet eine Dreierbeziehung den Kern dieses Entwurfes. Woldemar, dessen Verlobung mit der wiederum namenlosen Witwe an diesem Tage noch bekannt gemacht wer316 Vgl. LM 3, S. VIII-XI. - Hilfen, in: G 2, S. 757-769. - Stenze I, in: B 1, S. 1043-1047. - Alexander Tragi, Ueber Lessings dramatische Entwürfe, Pläne und Fragmente. Programm des k. und k. Ober-Gymnasiums in Böhmisch-Leipa am Schlusse des Schuljahres 1882. Böhmisch-Leipa 1882. - Caro, S. 467-476. 317 Vgl. Christian Felix Weij3ens Selbstbiographie, S. 14. 318 Selbst für diese kurze Zeitspanne tauchen in der Forschungsliteratur unterschiedliche Angaben auf: Stenzel (in: B 1, S. 1078) datiert den Leichtgläubigen in die zweite Hälfte des Jahres 1747. - Ebenso Rolf Kellner, in: Bamer u. a., Lessing, S. 432. - LM 3 (S. VIII) und Caro (S. 469) setzen ihn für das Jahr 1748 an. Dieser Chronologie folgt auch Meise, S. 107.
II. Die Komödienfragmente
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den soll, wird auch in diesem Stück von seinem falschen Freund Courtal hintergangen, indem jener heimlich der Braut seine Liebe gesteht. Diese weist zwar Courtals Bekenntnis zurück, ja wird sogar über seine Zudringlichkeit unmutig, allerdings hatte sie bereits in der ersten Szene bekannt, daß sie lieber Courtal erhören würde als Woldemar, den sie nur aufgrund einer vorteilhaften Erbschaft heiraten will. Diese drei Figuren entsprechen ausdrücklich den Charakteren von Wycherleys Komödie: Woldemar. Der Leichtgläubige. Siehe den Charakter des Sparkisch in the Country Wife. p. 5. p. 11-15. p. 23-25. 25-28. p. 31. p. 33-36. p. 46. p. 53. Courtal. Sein vorgegebener Freund; der Charakter des Harcourt in der englischen Komödie Eine junge Wittwe. Die Versprochne des Leichtgläubigen. Der Charakter der Alithea. 319
Obschon Der Leichtgläubige lediglich elf knappe Szenen umfaßt und nach dem dritten Auftritt des 2. Aktes abbricht, wird evident, daß hier weniger das Motiv einer geheuchelten Freundschaft, die eine zeitliche Nähe zum Damon nahe legen möchte, entscheidend ist, sondern dieser Entwurf eine deutlich satirische Gestaltung im Sinne der Typenkomödie trägt. Der bereits im Titel mit seiner Verfehlung genannte Protagonist wird ob seiner törichten Leichtgläubigkeit zum Gespött der Diener, aber auch des Publikums. So zeichnet in 1,3 Johann nicht nur ein lächerliches Bild von Courtals und Woldemars Freundschaft, sondern auch ein wenig schmeichelhaftes Bild seines Brotgebers: "Das war beyalledem kein Wunder; denn mein Herr ist ein guter leichtgläubiger Narr.'.320 Diese Vertrauensseligkeit soll nun offensichtlich im weiteren Verlauf in unterschiedlicher Manier demonstriert werden. Allzu gutgläubig läßt Woldemar Courtal mit seiner Liebsten alleine und bietet dem vermeintlichen Freund Gelegenheit, seine eigenen (Liebes-) Interessen bei der jungen Witwe voranzutreiben, die nun ihrerseits über Woldemars Wesenszug verärgert ist. Lisette, die eigentlich auf Seiten Courtals steht, weiß überdies die Leichtgläubigkeit des Protagonisten schlau für sich zu nützen, indem sie ihm allerlei angebliche Lobsprüche ihrer Herrin auftischt. Und Woldemar ist ein so guter Narr, daß er ihr bey jedem kleinen Umstande, der ihm schmeichelt, ein neues Geschenke macht; bis er ihr endlich nichts mehr zu schenken hat, worauf sie kurz abbricht, und sich ihm empfielt. 321
Das spottende Gelächter, das Verlachen des Publikums ereilt in dieser typisch komödiantischen Szene den Protagonisten, der damit unverkennbar in der Tradition jener Lustspielgestalten steht, deren Verhalten im Sinne der Aufklärung lasterhaft, d. h. unvernünftig und zugleich lächerlich ist. Lessing 319 320 321 15
Lessing, Der Leichtgläubige: LM 3, S. 252. Ebd., 1,3, S. 253. Ebd., 1,7, S. 254.
Kombacher~Meyer
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selbst bestätigt diese Sicht des Woldemar, nennt er ihn doch expressis verbis in diesem Zusammenhang einen Narren. Auch seine Notizen Zum Leichtgläubigen sprechen angesichts des "Charakter[s] des Sparkisch", der für Woldemar Pate steht, ausdrücklich von einem "lächerliche[n] Vertrauen in s. Freund,,322. Auffällig an dieser Figurenzeichnung, wie sie uns in dem spärlichen Fragment gegenübertritt, ist allerdings, daß Lessing anscheinend eine allzu negative Charakterisierung seiner Hauptfigur vermeidet, denn neben seiner Lächerlichkeit eignen ihm offenbar auch gute Züge, die ihn mehr in die Rolle eines zwar törichten, aber doch eher naiven und gutwilligen jungen Mannes rücken. So kann z.B. die Witwe schon in 1,1 "an der Seite seines Herzens viel gutes"323 entdecken und selbst Johann nennt ihn einen guten Narren 324. Dies steht allerdings in ausdrücklichem Gegensatz zur Vorlage des Sparkisch aus The Country Wife, die den jungen Mann als gänzlich negative Figur, als einen langweiligen, eingebildeten Dummkopf ausweist. Inwiefern Lessing hier mit dieser sich andeutenden veränderten Charakteranlage eine tiefergehende Psychologisierung vornehmen wollte, muß jedoch unbeantwortet bleiben. Wiederum deutlich französischen Vorgaben verpflichtet ist die im überkommenen Bruchstück spürbare Dominanz der Dienerfiguren. Johann, der Bediente Woldemars, zeigt sich in bester Dienstbotenmanier von pragmatischen, d. h. finanziellen Gründen geleitet, die ihn zum Komplizen Courtals werden lassen. Und auch die gewitzte Lisette ist gerne bereit, eine Verbindung ihrer Herrin mit dem neuen Gast zu befördern. Hiermit scheint sich eine erste Intrige der Diener anzukündigen, die durch Courtals offensichtlichen Plan, sich in Gestalt seines Bruders als vermeintlicher Advokat erneut Zutritt zur Angebeteten zu verschaffen und so die Heirat seines Freundes zu verhindern, ergänzt wird. Nachdem das Fragment an dieser Stelle mit einer nicht mehr ausgeführten Begegnung zwischen Courtal und Johann abbricht, ist über den weiteren Fortgang des Leichtgläubigen nichts bekannt; unklar bleibt damit auch, inwieweit sich die bei den angedeuteten Intrigenstränge zusammenschließen. Nicht ersichtlich ist ebenso, ob der allzu vertrauensselige Woldemar im Laufe des Stückes gebessert werden soll - im erhaltenen Text findet sich allerdings kein Hinweis darauf - oder ob er wie in der englischen Vorlage aufgrund seiner Torheit sogar seine Braut verlieren und damit gründlich düpiert werden wird. Eine Konzeption über fünf Akte liegt für den Dramenentwurf Der gute Mann vor, der wie schon Der Leichtgläubige auf einer englischen Vorlage fußt und aus Congreves Double-Dealer (1695) leicht modifiziert und ver322 323 324
Lessing, Zum Leichtgläubigen: LM 3, S. 255. Lessing, Der Leichtgläubige, I, I: LM 3, S. 252. Ebd., 1,3, S. 253.
11. Die Komödienfragmente
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einfacht die Haupthandlung sowie verschiedene Szenen entlehnt. 325 Valer und Thimant werben beide um Flora, die Tochter TriffeIs. Um eine Verbindung mit Thimant voranzutreiben, hatte Lisette TriffeIs eifersüchtige Ehefrau glauben lassen, dieser liebe in Wahrheit sie und wolle Flora nur heiraten, "damit er desto öftrer und ungezwungener um sie [... ] seyn könnte,,326. Gleichzeitig sucht die schlaue Kammerzofe den von Flora bevorzugten Freier Valer beim Hausherrn übel zu beleumden. Den beiden Liebenden kommt allerdings die verlassene Geliebte Thimants zu Hilfe, die als Phylander verkleidet ebenfalls Frau Triffel erfolgreich den Hof macht. Nach zahlreichen Verwicklungen schließt Der gute Mann schließlich mit zwei glücklichen Brautpaaren, Valer und Flora erhalten einander und auch Thimant kehrt reumütig zu seiner sich zu erkennen gebenden Cynthia zurück. Die im englischen Stück recht umfangreiche Personenanzahl wird damit auf einige wenige Personen begrenzt, ebenso ist die sehr verwickelte Intrigenanlage Congreves bei Lessing eindeutiger strukturiert. Im Vordergrund steht - etwas ungewöhnlich für Lessing - zunächst die Liebesverwicklung mit echt komödiantischen Ränkespielen, gleichwohl wird auch hier ein lächerlicher Wesenszug aufgezeigt, der allerdings weitaus weniger stark satirisch behandelt zu werden scheint als in den übrigen Lustspielen. Offenbar legt Lessing hier sein Augenmerk stärker auf die äußeren Geschehnisse denn auf die Figurenzeichnung, die, aus dem vorhandenen Konzept zu schließen, kaum individuelle Charaktere vorstellt, sondern für den Handlungsausgang eher funktionalisierte Gestalten entwirft. Gleichwohl arbeitet er mit für die Komödie seiner Zeit typischen, d. h. überzeichneten VerlachFiguren: Frau Triffel als kokette Person, die sich offensichtlich in kleinen Amiren mit den Freunden des Hauses befindet. Ihr zur Seite als Titelgestalt der gute Mann, der gänzlich von seiner Frau dominiert wird und zugleich zu naiv ist, die Untreue seiner Frau zu erkennen bzw. sich ihrer zu erwehren. Allzu leicht läßt er sich von seinen Gegenspielern, sei es Lisette, Thimant oder seiner Gattin beeinflussen, glaubt ihnen ihre entschuldigenden Erklärungsversuche. Selbst ein wohl eindeutiger Brief Phylanders an seine Gattin, der versehentlich in seine Hände gerät, vermag ihm nicht die Augen zu öffnen. Erneut weiß Phylander den Hausherrn zu beschwichtigen, so daß dieser glaubt, sogar seine Frau um Verzeihung bitten zu müssen. Diese "niederträchtige, kriechende" Einstellung ist es auch, die Thimant schon in III,5 zu heftigen Vorwürfen gegenüber Triffel veranlaßt. Eine ungeschminkte Maßregelung muß sich die Familie schließlich in der letzten Szene gefallen lassen. Enttäuscht macht Thimant nicht nur der materiell orientierten Lisette heftige Vorhaltungen, sondern sagt auch "dem Hause sehr bittre Wahrheiten,,327, nämlich daß "der Vater ein Narr, die Frau eine 325 326 15*
Vgl. earo, S. 469 f. Lessing, Der gute Mann, 1,2: LM 3, S. 317.
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2. Teil: Lessings Komödien
Buhlschwester,,328 sei. Selbst Flora, über die aufgrund der Textsubstanz wenig Aussagen getroffen werden können, die aber wohl zusammen mit Valer eine eher blasse Liebhabergestalt bildet, schmäht der erfolglose Bewerber. Erst diese späte Reue über seine Untreue ermöglicht nun sein Happy-End mit Cynthia. Trotz dieser Einsichten ist er schwerlich als die positive, vernünftige Figur des Stücks zu werten, denn das Unrecht gegenüber seiner verlassenen Geliebten sieht er nicht aufgrund einer inneren Entwicklung ein, seine Reue scheint vielmehr durch die erfolglose Werbung bei Flora bedingt zu sein. Bereits am Titel der Komödie Der gute Mann wird deutlich, daß eine Akzentverschiebung gegenüber der englischen Anregung stattfindet, die als Hauptfigur eben jenen Double-Dealer, den Intriganten Maskwell (hier Thimant) wählte, der aus bloßer Freude an der Intrige eine Heirat der Liebenden verhindern will. Bei Lessing rückt hingegen neben den Liebeswirren der Hausherr mit all seiner Blindheit stärker in den Vordergrund. Bereits mit 1,6 beginnt sich das Spiel Phylanders-Cynthias mit Frau Triffel und ihrem Manne breit zu entwickeln, Thimant hingegen spinnt hier kaum mehr Intrigen, sondern äußert nur noch lauthals seinen Unmut. Für den Fortgang der Handlung wird er nach einem erregenden Moment fast unwesentlich. Lachmann/Muncker datieren das Bruchstück etwa um das Jahr 1753 und stimmen damit Schmidt zu, der es in das zeitliche Umfeld der Sara Sampson setzt, da sowohl das Komödienfragment als auch das bürgerliche Trauerspiel auf den Double-Dealer Bezug nehmen würden. 329 Lessing wendet sich allerdings nicht erst in den 50er Jahren dem englischen Drama zu, schon relativ früh entdeckt er diese literarische Tradition. 33o Bereits die im Oktober 1749 verfaßte Vorrede zu den gemeinsam mit Mylius unternommenen Beyträgen zur Historie und Aufnahme des Theaters verspricht, besonders unser Augenmerk auf das englische und spanische Theater [zu] richten. Shakespear, Dryden, Wicherley, Vanbrugh, Cibber, Congreve sind Dichter, die man fast bey uns nur dem Namen nach kennet, und gleichwohl verdienen sie unsere Hochachtung sowohl als die gepriesenen französischen Dichter. 331
Ebd., V,5, S. 322. Ebd. 329 Vgl. LM 3, S. X. 330 Umfangreiche Entlehnungen aus englischen Dramen hat Paul P. Kies (Lessing's Early Study of English drama, in: Journal of English and Germanic Philology 28, 1929, S. 16-34. - Ders., Lessing's Relation to Early English Sentimental Comedy, in: Publications of the Modern Language Association of America 47, 1932, S. 807-826) nachzuweisen versucht, die sich allerdings nicht immer als ganz stichhaltig erweisen, da zahlreiche, von Lessing eingesetzte Motive und Handlungszüge sicherlich zum Gemeingut der europäischen Lustspieltradition zählen. 331 Bey träge zur Historie und Aufnahme des Theater, Vorrede: LM 4, S. 52. 327 328
11. Die Komödienfragmente
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Die beiden Verfasser wagen in ihrer Vorrede schließlich gar eine für den damaligen Zeitgeschmack unerhörte Behauptung, indem sie eine Affinität der deutschen Mentalität zum englischen Drama vertreten: Das ist gewiß, wollte der Deutsche in der dramatischen Poesie seinem eignen Naturelle folgen, so würde unsre Schaubühne mehr der englischen als französischen gleichen?32
Auch die im vierten Band der Beyträge erschienene Übersetzung Des Herrn von Voltaires Gedanken über die Trauer- und Lustspiele der Engländer zeugen von der Aufgeschlossenheit und dem Interesse an dem von der zeitgenössischen Kritik zum Teil heftig abgelehnten englischen Theater, selbst wenn hier Lessings Übersetzungstätigkeit nicht eindeutig nachgewiesen werden kann?33 Eine intensivere Beschäftigung mit der europäischen Literatur spiegelt nicht zuletzt eine weitere Notizensammlung des jungen Autors wider. Die Comischen Einfälle und Züge, von der Forschung einhellig in den Jahren 1747-1748 angesiedelt, enthalten pointierte Wortwechsel und komische Sentenzen, für die vielfach als Quelle Gherardis Sammlung Theatre italien ausgemacht werden konnte; einige wenige Notizen, Nr. XIII und Nr. XIV, entstammen indes dem englischen Stück She wou'd if She cou'd von George Etherege?34 Angesichts dieser frühen Hinwendung zum englischen Drama sind meines Erachtens die von Schmidt herangezogenen Gründe für eine Einordnung des Guten Mannes ins Umfeld der Sara Sampson nicht hinreichend. Vor allem die tragende Rolle Lisettens, die ungeniert gegen ihre Herrschaft intrigiert, und die französische Behandlungsart dieses Stückes haben die Opinio communis der Forschung veranlaßt, gegen Schmidt den Guten Mann zu Lessings frühen Werken zu zählen. 335 Nachdem Lessing in seinem Entwurf jedoch lediglich auf Szenen des Congreveschen Stückes verweist, diese aber nicht weiter entwirft, ist es im Grunde kaum möglich zu beurteilen, wie die Figur Triffel in der Ausarbeitung gestaltet worden wäre, ob sein Schicksal eher Mitleid oder im Sinne der satirischen Komödie überlegenen Spott und Verlachen erregen sollte. Eine eindeutig französisch-klassizistische Behandlungsart ist demnach nicht unbedingt ersichtlich, zumal die dominante Rolle der Zofe etwas in Zweifel zu ziehen ist. Lisette legt zwar die Basis für Thimants Listenspiel, auf den weiteren Verlauf der Ereignisse 332 Ebd., S. 53. - Diese Einschätzung wird von Lessing allerdings in den Jahren der Hamburgischen Dramaturgie wieder etwas zurückgenommen (vgl. Lessing, HD, 12. Stück: LM 9, S. 234). 333 Vgl. Des Herrn von Voltaires Gedanken über die Theater- und Lustspiele der Engländer: B 1, S. 1350 f. 334 Vgl. Schmidt, Die Quellen der "Comischen Einfälle und Züge" Lessing's, S. 466 f. 335 Vgl. Tragl, S. 2-5. - Caro, S. 468 f. - Stenzel, in: B 1, S. 1086.
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2. Teil: Lessings Komödien
zwischen TriffeI, Frau Triffel und Cynthia-Phylander hat sie indes keinen Einfluß mehr. Gleichwohl begegnen im Guten Mann bekannte Elemente, die schon Lessings übrige frühe Lustspiele zeigen. So läßt sich die für den Jungen Gelehrten aummige Häufung der Intrigen im Guten Mann wiederfinden, die allerdings auch die englische Vorlage auszeichnet. 336 Selbst der Auftakt wird davon geprägt, wenn Thimant verärgert vom Plan Lisettens berichtet, über die Neigung der Frau Triffel leichter die Hand Floras zu gewinnen. Ungeahnte und komische Folge dieser List ist allerdings, daß "diese Coquette dadurch verführt [wurde], zu glauben, daß er mehr in sie, als in ihre Stieftochter verliebt sey,,337. Auch das zweite Ränkespiel, das gehalten ist, Thimants Wünsche zu befördern, wird von Lisette getragen. Valer, Konkurrent um die Liebe Floras, wird beim Vater gleichzeitig mit der Behauptung, er sei in Frau Triffel verliebt, in ein schlechtes Licht gesetzt. Ebenfalls noch in der letzten Szene des ersten Aktes tritt mit Thimants verlassener Geliebten Cynthia die erfolgreich inszenierte Gegenintrige auf den Plan. Zwar beinhaltete auch der Double-Dealer ein amouröses Abenteuer der (Stief)mutter der Braut, Lady Phylant, mit einem Freund des Verlobten; daß sich hinter der Gestalt Phylanders jedoch eine verlassene Geliebte Thimants verbirgt, ist Lessings eigene Zutat, die nachdrücklich an das Spiel im Spiel der Alten Jungfer und vor allem des Misogyne erinnert. Die Akte zwei bis fünf breiten eigentlich nur mehr die aus dieser Exposition folgenden Verwirrungen und komischen Situationen aus, in deren Verlauf neben der Liebeskomödie zugleich TriffeIs ganze Naivität zu Tage tritt. Aufgrund der komischen Strukturen erscheint damit eine wohl eher frühe Entstehung im Umfeld des Misogyne überzeugender?38 Eine ähnlich frühe Datierung scheint auch für das Lustspielfragment Der Vater ein Affe, der Sohn ein Jeck vertretbar. Von den geplanten fünf Aufzügen hat Lessing zwar lediglich vier knappe Szenen umrissen, allerdings gibt die recht ausführliche Personenbeschreibung Aufschluß über die eindeutig satirische Behandlung des Themas. Zwei Toren bilden den Mittelpunkt des Stückes, dem sie auch den Titel geben: die mit sprechenden Namen gekennzeichneten Barone von Modisch. Ist der Vater ein Stutzer aus alter Zeit, zärtlich, affektiert und eitel, so steht ihm sein Sohn, der junge Baron von Modisch, in nichts nach. Er ist ein Stutzer nach der neuesten Mode: Frech, flatterhaft, zu allen Ausschweifungen geneigt, und dabey voll von einer närrischen Meinung von sich selbst, von seiner Schönheit, seinem Witze, und seiner Lebensart. 339 336 Vgl. William Congreve, The Double-Dealer, in: The Complete Plays of William Congreve. Ed. by Herbert Davis. Chicago, London 1967, S. 117-204. 337 Lessing, Der gute Mann, 1,1: LM 3, S. 317. 338 Vgl. auch Stenzei, in: B 1, S. 1045, 1086 f. 339 Lessing, Der Vater ein Affe, der Sohn ein Jeck: LM 3, S. 323.
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Auch dieser Entwurf rezipiert die englische Vorlage The Double-Dealer, allerdings wird daraus nur Lord Froth entlehnt, der zur Vorlage für den alten Baron wird?40 In welchen Situationen nun diese beiden Lasterhaften der Lächerlichkeit und dem Verlachen ausgesetzt werden, ist aufgrund des zu kurzen Bruchstückes nicht klar, allerdings scheint mit der Düpierung der eingebildeten Barone die in der Exposition eingeführte obligatorische Liebeshandlung eng verbunden zu sein. Nach dem Personenverzeichnis zu schließen, scheint sich der komische Konflikt wohl daran zu entzünden, daß Herr von Gutherz dem ihm befreundeten Baron von Modisch seine Tochter Melissa zur Schwiegertochter versprochen hat, diese aber auch vom rechtschaffenen Dorant (in 1,1 Dorimant genannt) geliebt wird. Der weitere Verlauf, darunter auch Lisettens Stellung, bleibt indes im Dunkeln. Außer Zweifel steht jedoch die lächerliche Darstellung der bei den Stutzer, nicht erkennbar ist aber, ob es sich im übrigen um eine stärker satirische oder gar possenhafte Anlage handelt. Während die Handlung doch wohl den gängigen Vorgaben entspricht, zeigt bei Der Vater ein Affe, der Sohn ein Jeck insbesondere die Standeszugehörigkeit der dramatis personae komödienpoetologische Relevanz. Hatte Gottsched zunächst nur einen engen Personenkreis für die Komödie zugelassen, wurde in der dritten Auflage der Critischen Dichtkunst von 1742 diese Klausel etwas erweitert. Lessing geht, wohl auch in Anlehnung an Congreves Double-Dealer, der im adeligen Milieu spielt, an die äußerste Grenze der vom Regelkanon erlaubten Möglichkeiten, indem er gerade die hochgestellten Persönlichkeiten gnadenlos dem Verlachen des Publikums preisgibt und so eine Kritik am Adelsstand formuliert. Mit ebenfalls traditionell satirischen Elementen arbeitet der Entwurf Palaion. Im Jahre 1750 in Berlin zunächst in französischer Sprache entworfen, übertrug Lessing diese Skizze nach eigenen Angaben 1756 ins Deutsche, fügte dem Stück unter dem neuen Titel Vor diesen! eine weitere Szene hinzu und änderte verschiedene Passagen seiner ursprünglichen Konzeption teilweise ab. In diesem Zusammenhang wurden folgerichtig auch die französisierenden Namen der dramatis personae eingedeutscht. Signifikant ist hierbei, daß Lessing nunmehr den Protagonisten, der in der französischen Komödie noch den sprechenden Namen Palaion (griech.: vormals) trug, in Vor diesen! zu einem bloßen Wilibald werden läßt. Sowohl im französischen Konzept wie auch in der etwas geänderten Übertragung steht mit dieser Hauptfigur ein typischer Tor der satirischen Komödie im Mittelpunkt. Palaion-Wilibald ist, wie das vorangestellte Motto ankündigt, ein "Laudator temporis acti", der das Heil nur in der Vergangenheit erblickt:
340
V gl. ebd.
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2. Teil: Lessings Komödien
Oh que tout honnet homme aujourd'hui est a plaindre! Le bon vieux tems est passe; et le siecle ou nous sommes n'est que trop fait pour degouter entierement du monde toute ame vertueuse. 341
Früher war alles besser, die Richter gerechter, die Mädchen tugendhafter, die Liebhaber vernünftiger, ja selbst die Zeit verlief "vor diesen [... ] nicht halb so geschwind!,,342 Während Palaion mit der folgenden Ankunft des Advokaten abbricht, wir auf diese Weise nur des Alten lächerliche Verklärung der Vergangenheit erfahren, erhält der in der Übersetzung hinzukommende Vierte Auftritt eine zusätzliche echt komödiantische Wendung. Hier kommt ans Licht, daß Wilibald zwar seiner Tochter Charitas die besseren Sitten der zurückliegenden Zeiten predigt, selbst aber in seiner Jugend seine Geliebte, die Mutter Charitas', entführt hat. Die vermeintliche Tugendhaftigkeit des Hausherrn erweist sich als Schein und auch die so sittsame goldene Zeit wird auf diese Weise ad absurdum geführt. Wir dürfen sicherlich annehmen, daß die Tochter diese Entdeckung klug nützen wird, um dem widerstrebenden Vater, der den steifen und düsteren Florian als Schwiegersohn favorisiert, eine Einwilligung in ihre Heirat mit Philibert abzuringen. Dem ganz offensichtlich lächerlich-lasterhaften Wilibald gesellt sich im deutschen Fragment von 1756 im Anwalt Codex eine weitere komische Figur zu, die von Lessing wohl als eine rein erheiternde Gestalt ohne didaktische Funktion angelegt wurde und die Begegnung mit dem Hausherrn bzw. seiner Tochter in eine lustige Szenerie verwandelt. Das Gespräch zwischen dem närrischen Juristen und der vernünftigen Charitas, die ihn, ohne daß er es gewahr würde, in vielfache Widersprüche verwickelt, stellt ein erfrischendes Beispiel für Lessings pointiert-witzige Dialogkunst dar. Ähnlich gelungen ist der neu konzipierte Vierte Auftritt, wenn Charitas dem lächerlichen Anwalt gewitzt das Geheimnis Wilibalds entlockt. Indem sie sich völlig uninteressiert stellt, erfährt sie durch diesen Trick die Vergangenheit des Vaters, Codex hingegen glaubt, ganz dem Bild eines Toren entsprechend, letztlich sogar noch, er habe die Tochter zum besten gehalten. Ganz eindeutig ist in dem überkommenen Bruchstück Charitas die dominierende Figur, die (wie bei den 1749 entstandenen Lustspielen Lessings) die spielgestaltende Rolle des hier nicht mehr vertretenen Kammermädchens übernimmt. Über die weitere Gestaltung geben diese wenigen Szenen keinen Aufschluß.
341 Lessing, Palaion, Scene premiere: LM 3, S. 310. - Lessing, Vor diesen!, 1. Auftritt: LM 3, S. 348:
Wie sehr ist jeder ehrliche Mann heut zu Tage zu beklagen! Die gute alte Zeit ist vorbey , und die, in der wir jetzt leben, muß allen zum Ekel und zum Verdruß werden, die nur noch ein Fünkchen Vernunft und Tugend haben. 342 Ebd., 3. Auftritt, S. 353.
11. Die Komödienfragmente
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Kaum etwas ist über die beiden Fragmente Die Großmüthigen 343 und Der Dorfjunker344 bekannt. Der Dorfjunker umfaßt nur wenige Zeilen eines Personenverzeichnisses, das zunächst die Titelgestalt nennt. Der arme und zugleich als stolz charakterisierte Protagonist wird aufschlußreich mit dem sprechenden Namen "Herr von Wahn" bezeichnet, was auf eine vermutlich satirische Überspitzung seiner Wesenszüge hindeutet. Auch hier stellt die traditionelle Heirats- bzw. Liebesgeschichte neben den Auswüchsen der Hauptfigur den Mittelpunkt des dramatischen Konfliktes. Seine Tochter Angelika soll mit einem groben Landedelmann vermählt werden. Auch wenn Lessing bereits hier abbricht, dürfen wir wohl vermuten, daß zwei recht ungleiche Partner verbunden werden sollen und diese Ehe aus Sicht des vernünftigen Theaterpublikums nicht zustande kommen darf. Ob Lessing beim Dorfjunker mit der Figur des von Wahn bereits versucht, Lächerliches aus einer guten Eigenschaft (Stolz trotz Armut) hervorgehen zu lassen, oder Wahns Wesenszug zum Objekt einer harschen Adelskritik wählt, ist aus den wenigen Angaben nicht ersichtlich. Die sieben umrissenen Szenen des Fragments Die Großmüthigen lassen kaum Schlüsse über die Anlage dieser geplanten Komödie zu. Ausgangspunkt ist offenbar eine häufiger für Komödien gewählte Situation, die hier allerdings noch etwas modifiziert erscheint. Ein Vater, in diesem Falle der Graf von Carlstadt, reist auf der Suche nach seiner verschollenen Tochter in die Stadt. Im Hause Andreas Dürers will er über deren Verbleib Auskunft erlangen und begegnet ihr dort - zunächst unerkannt - in Coelestine. Diese entspricht wiederum dem durchaus verbreiteten Typ des ungekünstelten und klugen, aber mittellosen Mädchens. 345 Die im Grunde leicht aufzuklärende Situation wird nun in Szene IV in bester komischer Manier verwirrt, als sich Graf und Pflegevater gänzlich mißverstehen und Dürer glaubt, der Gast begehre Coelestine zu seiner Maitresse. Erneut auf einem Mißverständnis beruhen die Geschehnisse des zweiten Aktes. Ein verstecktes Geldgeschenk des Grafen an seine Tochter erweckt die Eifersucht ihres Liebsten und führt schließlich zu heftigen Vorwürfen Coelestines gegenüber dem noch unerkannten Vater, womit das Fragment abbricht. Aus der vorliegenden Textgestalt zu schließen, scheinen Die Großmüthigen weniger satirische Züge zu tragen als eine eher rührende Gestaltung zu versprechen, ohne dabei jedoch die komische Seite, die sich in den unterschiedlichen Lessing, Die Großmüthigen: LM 3, S. 328 f. Lessing, Der Dorfjunker: LM 3, S. 330. - Hypothetisch postuliert Paul P. Kies (Lessing's Intention in Der Dorjjunker, in: Research Studies of the State College of Washington 11, 1943, S. 257-263) als Quellen für dieses Fragment Lessings George Farquhars The Beux Stratagem und John Vanbrughs The Relapse. 345 Ähnliche Ausgangspositionen und Mädchentypen finden sich z. B. in Johann Elias Schlegels Stummer Schönheit in Gestalt der Juliane oder aber in Carolinchen aus Gellerts Das Loos in der Lotterie etc. 343
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2. Teil: Lessings Komödien
Verwechslungen andeutet, zu sehr außer acht zu lassen. Aufgrund der Anlage ist eine Kombination aus Rührung und Gelächter durchaus denkbar, die allerdings schon etwas über die Lustspiel-Abhandlungen hinausweist; denn es ist auffallend, daß hier ganz offensichtlich kein lächerlicher Fehler für die Komödienhandlung vonnöten ist und die Figuren nicht per se schon lächerlich sind. Nach Lachmann/Muncker ist das Fragment gemeinsam mit dem Doifjunker aufgrund des handschriftlichen Befundes in die zweite Berliner Zeit, die Jahre 1751/52 zu denken?46 Auch die Zurückdrängung der Satire zugunsten eines möglicherweise Komik und Rührung vereinenden Spieles spräche für eine etwas spätere Datierung. Ein Indiz könnte nicht zuletzt die veränderte Benennung der Figuren sein. Trugen sie in den frühen Lustspielen und Fragmenten meist latinisierte bzw. sprechende Namen oder englische Appellativa347 , die eine bewußte Konnotation bewirkten, wählt Lessing in den Großmüthigen teilweise völlig neutrale deutsche Namen, wie er sie auch in Minna von Barnhelm einsetzt. Eine Veränderung gegenüber den ersten Lustspielen besteht schließlich darin, daß die Figur der Lisette, deren dominante Rolle in den ausgearbeiteten Werken der Jugendjahre mehr und mehr zurückgedrängt wurde, hier gänzlich auszufallen scheint. Wenn auch nicht den Komödien der frühen Jahre zugehörig, so stellt das Tarantula-Fragment ein nicht unwesentliches Dokument in Lessings Auseinandersetzung mit den zeitgenössischen Dichtungstheorien dar und soll deshalb im Umfeld der unvollendeten Komödien Beachtung finden. Als Teil eines literarischen Scherzes unter Freunden348 nimmt dieses Bruchstück einer Possenoper nicht nur die Oper betreffende poetologische Aussagen aufs Kom, sondern spiegelt zugleich ganz allgemein Lessings Umgang mit den literarischen Regeln der Zeit. Damit reicht dieser Entwurf im übrigen weit über die eigentliche Bestimmung einer Posse hinaus, die nach Lessing nur zum Lachen bewegen will. Tarantula äußert nämlich eine zwar sehr spaßhaft formulierte, aber doch unmißverständliche Kritik an den veräußerlichten Regeln der zeitgenössischen Poetik. Es scheint, als legte Lessing hier die Fabel einer Komödie zugrunde, indem er zwei lächerliche Toren, einen närrischen Musiker und einen alternden, eingebildeten Arzt aufeinandertreffen läßt. Ganz in der Manier der Lustspiele wird zwischen beiden eine Heirat verabredet: Olibrio, der Künstler, will die Tochter Polinellos heiraten, als Gegenleistung stellt er Lobeshymnen auf den Schwiegervater in Aussicht, dessen medizinische Leistungen der künftige Schwiegersohn auf den Gassen bekannt machen will. Das Herz der auf diese 346 Vgl. dagegen Tragi (S. 19), der Die Großmüthigen in der Hamburger Zeit, d. h. im Umfeld der Hamburgischen Dramaturgie entstanden sehen will. 347 Vgl. ebd., S. 5. 348 Vgl. dazu Stenzei, in: B 1, S. 1124-1127.
11. Die Komödienfragmente
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Weise verkuppelten Tochter gehört jedoch selbstredend einem anderen, und so muß Lisette als verläßliche Hilfe der Liebenden die Wirrnisse zu einem sicherlich guten Ende führen. In dieser traditionellen Handlungsanlage teilt Lessing nun aber fleißig verbale Spitzen gegen die regelgetreue Dichtungstheorie aus. Die singenden Kranken sollen laut Regieanweisung wiederholt Fehler begehen, um die Wahrscheinlichkeit besser zu beobachten, die den Opern gemeinhin mangele. Lessings Anmerkung, das Lied der Patienten müsse häufiger wiederholt werden, um den ersten Akt anschwellen zu lassen, richtet sich gegen die Vorgaben der Critischen Dichtkunst, nach deren Maßgabe die Handlung in etwa gleich große Teile zu fassen sei?49 Und Lisettens Drängen zur Eile: "So kommen Sie doch fort/Der Schauplatz bleibt ja ledig.,,35o zielt schließlich auf die bekannte Regel, daß die Bühne bis zum Ende des Aufzuges niemals ganz leer werden dürfe?51 Selbst die Figurengestaltung läßt auf eine Kritik an Gottscheds Verdikt über die Opernfiguren schließen, da diese sich gänzlich unnatürlich verhalten würden. In der Oper als übertrieben gegeißelt, stellen die von Lessing gewählten Personen doch gleichzeitig das von Gottsched propagierte Personal der satirischen Komödie dar. Mehr als die Art der Komik dieses Bruchstückes, die in erster Linie aus dem lächerlichen Verhalten der närrischen Protagonisten entsteht, ist die unmißverständliche Verspottung der strengen Dichtungsregeln von Belang. Tarantula stellt damit in reinster Form Lessings Plädoyer für die Autonomie der Kunst und ein innovatives Dichtungsverständnis dar, dem ebenjene veräußerlichten, mechanischen Regeln, die nur den Buchstaben, aber nicht den Geist befolgen, keine Grenzen setzen können. 352 Problematisch am Fragment Die Witzlinge erscheint vor allem seine Datierung. 353 Lessings Notiz aus dem Jahre 1756 Über zwei Lustspiele von Otway und Wycherlel 54 merkt den Charakter einer Witzlingin, die sich von den gelehrten Frauen in Molieres Les femmes savantes unterscheidet, als durchaus interessante komödiantische Idee an. Will man diesen Hinweis auf Die Witzlinge beziehen, so entfernt sich das Fragment dadurch deutlich von den bisher überwiegend den späten 40er Jahren zugeordneten EntVgl. Gottsched, AW VI, 2, S. 317. Lessing, Tarantula, 3. Auftritt: LM 3, S. 278. 351 Vgl. Gottsched, AW VI, 2, S. 352. 352 In diesem Zusammenhang steht ohne Zweifel das an den hier beteiligten Friedrich Wilhelm Marpurg gerichtete Gedicht [Üjber die Regeln der Wissenschaften zum Vergnügen; besonders der Poesie und Tonkunst, welches ebenfalls die bloße Regelgläubigkeit scharf angreift und wohl zeitgleich, also um 1749, entstanden sein dürfte. 353 Vgl. zu Fragen der Datierung: Barner, in: B 5,1, S. 792-795. 354 Lessing, Über zwei Lustspiele von Otway und Wycherley: LM 14, S. 197204. 349
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2. Teil: Lessings Komödien
würfen. Lachmann/Muncker datieren schließlich das Bruchstück aufgrund zweier aus Laurence Sternes Tristram Shandy entlehnter Namen in das Jahr 1763, für das eine intensive Lektüre des englischen Romans bezeugt ist. 355 Das Strukturschema der Witzlinge verrät indes kein innovatives oder fortgeschrittenes Lustspielverständnis, das auf die Erkenntnisse des Briefwechsels deuten könnte, zumal das Thema im Gegensatz zum Freygeist und den Juden wenig originell erscheint. Lessing greift hier zum einen auf das vielfach genützte Motiv der konträren Schwestern zurück, für die jeweils ein Elternteil Partei ergreift. Die mit sprechendem Namen charakterisierte Madame Blunt stellt zusammen mit der von ihr bevorzugten Tochter Miranda typische Figuren der satirischen Komödie dar. Es sind ,,[z]wey affectirte witzig seyn wollende Närrinnen"356, denen mit den ebenfalls bezeichnenden Namen Morey und Fuhl zwei ebenso lächerliche Witzlinge als Anbeter zur Seite treten. Um eine Heirat der im Gegensatz zu ihrer Schwester eher häuslichen und vernünftigen Charlotte mit ihrem Liebsten Philint zu bewerkstelligen, ist eine Intrige vonnöten, die ebenfalls auf altbekannte Muster zurückgreift. Auffallend ist allerdings, daß hier die Kammerzofe Lisette wenig beteiligt scheint, sondern der sonst vielfach passive Liebhaber diese List einfädelt. Ein als Graf verkleideter Perückenmacher soll Miranda, die nach Meinung der Mutter als erste der Töchter heiraten muß, den Hof machen, um so die Einwilligung Madame Blunts für eine Eheschließung Charlottens rascher zu erlangen. Hier bricht sich wohl wieder einmal Lessings Vorliebe für ein Spiel im Spiel, eine höchst wirkungsvolle Verkleidungsintrige Bahn. Im ganzen verharrt jedoch die Konzeption der Handlung wie auch die Anlage der Figuren als typisierte lächerliche Gestalten in den Strukturen der zeitgenössischen Verlachkomödie, ja fällt sogar hinter die 355 Szene V der Witzlinge mit dem Verweis "Siehe p. 18. Die Scene mit der Abschrift der Verse." (LM 3, S. 408) stellt möglicherweise einen Bezug zum 9. Buch, Kapitel 11 des Tristram Shandy dar. Lessing könnte die Beschreibung des etwas kuriosen Aufputzes von Onkel Toby und Trim als Anregung für die Ausstaffierung des angeblichen Grafen genützt haben (vgl. Laurence Sterne, Leben und Ansichten von Tristram Shandy, Gentleman. Neu übers. und hrsg. von Michael Walter. Band IX [Neuedition nach dem Vorbild der Originalausgabe]. Zürich 1991, S. 18). Der Afterwitzling Fuhl könnte Trim, dem Diener Onkel Tobys, nachempfunden sein (vgl. ebd., Band 11, Kap. 5, S. 38 0; hier würde allerdings die Lessingsche Anmerkung "Fuhl ist der ernsthafte Afterwitzling. Dorinde und Eugenius. Siehe die Rolle des Trim p. 4." (Die Witzlinge, Act. I, Sc. IV: LM 3, S. 407) mit ihrer Seitenangabe nicht zutreffen. Die Beziehungen und Quellen der Witzlinge scheinen im übrigen noch nicht restlos geklärt zu sein, da zwar "Eugenius" und "Trim" zwei auch im Tristram Shandy auftretende Figuren sind, der vollständige Querverweis lautet aber "Dorinde und Eugenius". Eine Gestalt Dorinde ist in Sternes Roman allerdings in diesem Zusammenhang nicht bekannt. Möglicherweise bezieht sich Lessing also neben der englischen Lebensgeschichte auch auf ein noch nicht identifiziertes Werk mit dem Titel bzw. den Figuren "Dorinde und Eugenius". 356 Lessing, Die Witzlinge, 1,1: LM 3, 407.
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frühen Werke Der Freygeist, Die Juden und selbst den Misogyne zurück. Allenfalls ließen sich die Aussagen der Lustspiel-Abhandlungen heranziehen, indem negative und positive Haltungen, personifiziert in Madame Blunt und Miranda einerseits und Charlotte andererseits, auf die Bühne gestellt werden, die allerdings in einer sehr groben Kontrastierung den Zuschauer zum Verlachen und möglicherweise auch zu Rührung bzw. Bewunderung animieren können. Insgesamt jedoch läßt das überlieferte Fragment wohl eher eine typisch satirische Gestaltung erwarten?57 Ob Lessing tatsächlich, wie Barner annimmt, die gegeißelten Schematismen der Borniertheit und des Scheinwesens durchbrechen wird,358 scheint aufgrund der Anlage des Fragments durchaus zweifelhaft. 359 Anekdotisch ist uns von Karl Lessing die Entstehung des Fragments Der Schlaftrunk überliefert, der aufgrund einer literarischen Diskussion mit Prof. Ramler von Lessing als Beweis seiner Thesen während der Berliner und Hamburger Jahre 1766 und 1767 skizziert wurde. 36o Die zeitliche Nähe zur Minna von Barnhelm und vor allem der Hamburgischen Dramaturgie ist es, die den in mehreren Fassungen überlieferten Plan für die Entwicklung seines Komödienverständnisses und Lustspielschaffens so interessant macht. Vergleicht man nun aber den Schlaftrunk mit Lessings berühmtester Komödie, wird man unweigerlich enttäuscht. Zwar eignen dem Fragment eine spritzig-witzige Dialogführung und eine durchaus achtbare komische Situationsgestaltung, doch jenes subtile Spiel der Minna von Barnhelm und deren kunstvolle Verbindung von Lachen und Ernst vermißt man hier. Auffallend und über das Bekannte hinausreichend, ohne jedoch die Qualität der Personengestaltung der Minna zu erreichen, ist allerdings die Wahl des Protagonisten, der nicht mehr Träger eines Lasters im eigentlichen Sinne ist. Wie im 28. Stück der Hamburgischen Dramaturgie im Hinblick auf den Zerstreuten des Regnard erörtert, haftet Samuel Richard kein moralischer Fehler oder eine verbesserliche Untugend an, sondern eine VergeBlichkeit, die weder durch vernünftige Argumente noch durch eine Intrige behoben werden kann. Hier wird die von Lessing in der Hamburgischen Dramaturgie verkündete Wirkungsabsicht des Lustspiels augenfällig. Lachen ist das Ziel dieser Gattung, die auf diese Weise die ihr eigene Funktion erfüllt, ohne nunmehr noch wie bei Gottsched die dargestellten Unarten zu bessern. 357 Tragi (S. 10) reiht Die Witzlinge aufgrund ihrer Spielstrukturen in die frühen Fragmente der Jahre 1748-1751 ein. 358 Vgl. Barner, in: B 5,1, S. 794. 359 Ca ras These (S. 482), der Sprung von den Witzlingen zur Minna von Barnhelm sei nicht allzu kühn, ist aufgrund der eingesetzten Motive und des Komödienpersonals unhaltbar. Eine inhaltliche oder strukturelle Verbindungslinie läßt sich zwischen diesen beiden Werken in keiner Weise entdecken. 360 Vgl. Bohnen, in: B 6, S. 876 f. - Vgl. auch Karl Lessing an Lessing, 20. August 1767: LM 19, S. 226.
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2. Teil: Lessings Komödien
Samuel Richard entspricht damit jenem Lustspielhelden, dessen Ungereimtheit uns zwar erheitert, über den wir uns gleichwohl nicht spottend erheben, sondern der unser Wohlwollen gewinnt. Die Demonstration seiner VergeBlichkeit wird von Lessing indes echt komödiantisch und höchst wirkungsvoll ausgearbeitet. Sein vergeblicher Versuch, Charlotte eine eben gelesene Geschichte zu erzählen, die wiederholten Fragen nach der Anzahl der getrunkenen Tassen Kaffee, sein stetes Vergessen, daß sich Besuch angekündigt hat, unterhalten den Zuschauer sicherlich herzlich. Eine lachende Verurteilung des Protagonisten findet jedoch nicht mehr statt. Ein Höhepunkt seiner Zerfahrenheit ist schließlich, wenn Richard in Szene I, I zwar zunächst noch an den bevorstehenden Gerichtstermin denkt, doch dies in der folgenden Begegnung mit dem intriganten Bruder schon wieder vergessen hat. Und zur Erheiterung aller sucht er seine Erinnerungslücken durch findige Fragen zu verbergen. Das Publikum hofft natürlich, daB Richard auch den letztmöglichen Termin seines gerichtlichen Streites mit seinem alten Freund Berthold um 2000 Taler vergessen möge,361 um so das Glück seiner Nichte und des jungen Berthold nicht zu gefährden, und so kann das Auditorium dem VergeBlichen ebenjene nachsichtig-verständnisvolle Haltung entgegenbringen. Lessing erreicht dies durch ein sehr geschicktes Spiel mit dem Wissen der Zuschauer, läßt er es doch offen, welcher der beiden Alten sich nun im Recht befindet. Allerdings ist man fast geneigt, dem vergeßliehen, aber doch liebenswerten Richard Glauben zu schenken. So steht gegen dessen Beteuerung, er habe die Rechnungen schon bezahlt, seine große VergeBlichkeit; der bejahrte Berthold hat indes zeit seines Lebens gerne prozessiert, und selbst sein Sohn streut etwas zweifelhafte Andeutungen über den Vater aus. 362 Die Gutmütigkeit Samuel Richards steht hingegen außer Frage. Selbst wenn ihn Philipp Richard einen Geizhals schilt, hat er doch seinem Bruder trotz wiederholter Verluste mehrmals größere Summen Geldes geliehen. Dieser auf das Vermögen des Älteren wartende Bruder ist der eigentliche Gegenspieler des Stückes, dessen tückische Absicht von der hellsichtigen Zofe, hier mit dem neuen Namen Finette, rasch erkannt wird: Merken Sie denn nicht, Herr Richard, was er darunter sucht? Er will Sie und den alten Berthold nur vollends zusammenhetzen, damit Charlottchens Heyrat mit dem jungen Berthold darüber zurückgehen möge. 363
Doch selbst Philipp Richard soll, aus dem vorhandenen Konzept zu schließen, nicht gebessert oder bestraft werden; dies würde in Ansätzen die in 361 Jürgen Schröder (Gotthold Ephraim Lessing. Sprache und Drama. München 1972, S. 290 f.) spricht in diesem Zusammenhang von einer epigrammatischen Einrichtung des Schlaftrunkes, der von der Spannung lebe, ob Samuel Richard auch den dritten Termin vergessen werde. 362 Vgl. Lessing, Der Schlaftrunk, I, 6: LM 3, S. 428. 363 Ebd., 1,4, S. 423.
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der Hamburgischen Dramaturgie vertretene Möglichkeit der Schlußgestaltung einer Komödie bestätigen, wenngleich hier das wichtige Element der Erkenntnis fehlt. "Strafe" genug wäre für ihn, wenn er die Eheschließung der jungen Leute nicht verhindern könnte, seinem Lauern auf das Erbe des vermögenden Bruders würde dies aber wohl kaum ein Ende setzen. Obschon im Namen etwas verändert, betritt mit Finette eine vertraute Figur die Bühne. Sie ist ohne Zweifel ganz und gar die gewitzte und weitsichtige Kammerzofe geblieben, die zur traditionellen Helferin der Liebenden wird. Folgt man dem Entwurf 11, ist es an ihr, den Schlaftrunk auf Bitten Karls hin zu bereiten, und auch der Rausch Philipp Richards geht auf ihr Konto. Ebenso schlagfertig wie die Zofe erscheint Lucinde, die in ihrem Übermut und ihrer Lust, verschiedene Töne anzuschlagen, sich durchaus als eine Schwester Hilarias und Minnas erweist. Nachdem die Ausarbeitung mit Szene 11,7 abbricht und sich im übrigen von den zwei erhaltenen Entwürfen unterscheidet, bleibt ungeklärt, wie Lessing das von Ramler geforderte Motiv eines Schlaftrunkes letztlich einzusetzen gedachte. 364 In seiner Gesamtanlage wie auch der Personengestaltung im ganzen nicht an Minna von Bamhelm heranreichend, ist es dennoch kein "hingeworfenes Nebenwerk,,365, vielmehr ist Der Schlaftrunk in der Wahl des Protagonisten und der damit veränderten Art des Gelächters Zeugnis für Lessings Ringen um eine neue, eigene Form der Komödie. Betrachtet man die Fragmente vor der Folie der vollständig ausgearbeiteten Werke, so ist man leicht geneigt, jene Bruchstücke, die eine deutlich satirische Prägung versprechen, wie z. B. den Leichtgläubigen, Der Vater ein Affe, der Sohn ein Jeck in ihrer Entstehung relativ früh, d. h. noch vor dem Misogyne anzusetzen, um so ein Fortschreiten im Verständnis und in der Konzeption von Komödien nachzuweisen. Indes zeigt PalaionNor diesen!, daß Lessing auch nach seinen die gängigen Lustspielmodelle überwindenden Jugendkomödien auf bewährte satirische Mittel der Gestaltung zurückgreift. Die gewählte Form der Satire kann damit nicht unbedingt als Indiz einer frühen Niederschrift gelten. Auffallend ist allerdings, daß Lessings Jugendkomödien seit dem Misogyne immer stärker die Lisettenfigur zurückdrängen und zugleich die weiblichen Hauptgestalten deutlicher hervortreten lassen. Hierin liegt möglicherweise ein strukturelles Element, das 364 Diese Unvollständigkeit hat in der Forschung zu unterschiedlichen Vorschlägen zum Ausgang dieses Werkes geführt, die jedoch alle hypothetisch bleiben müssen. Vgl. dazu: Schmidt, Lessing, Bd. I, S. 560 f. - Konrad Zwierzina, ,Der Schlaftrunk' von Lessing, in: Festschrift für Bernhard Seuffert zum 23. Mai 1923. Mit Beiträgen von Walther Brecht u.a. Leipzig, Wien 1923, S. 63-72. - Schröder, Gotthold Ephraim Lessing, S. 292. - Eine Fortsetzung erlebte das Fragment bereits im 18. Jahrhundert: Der Schlaftrunk. Ein Lustspiel in drei Aufzügen. Ein Torso Lessings ergänzt von Dr. Eckstein. Meldorf, Leipzig 1787. 365 Schmidt, Lessing, Bd. I, S. 561.
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2. Teil: Lessings Komödien
eine Entstehung der Fragmente im Umfeld oder nach dem Weiberfeind nahe legt. Indiz für eine spätere Phase innerhalb der Jugenddramen kann nicht zuletzt Lessings Verwendung von deutschsprachigen Namen ohne negative Konnotation für seine Dramenfiguren sein. Dennoch kann eine so gewonnene Einordnung dieser Bruchstücke in das Gesamtwerk Lessings nie ganz verläßlich sein, vor allem ist eine detaillierte Reihung, wie sie TragI teilweise vornimmt, sicherlich nicht zu leisten?66 Entscheidender als diese konkreten Datierungsversuche erscheint mir die Feststellung, daß Lessing eine relativ große Anzahl von Fragmenten zurückgelassen hat - Werke, die vielleicht auch deshalb unvollendet blieben, weil ihm diese Pläne zu sehr in traditionellen Mustern gefangen schienen und vor seinem schon in jungen Jahren ausgeprägten originellen Verständnis der Gattung Komödie letztlich nicht bestehen konnten.
111. "Indem ich ein Stück nach meiner Art daraus verfertigt": Bearbeitungen antiker und zeitgenössischer Komödien Es steht außer Zweifel, daß Lessing in seiner theoretischen Bestimmung der Komödie nicht nur auf der antiken Lustspieltradition fußt, sondern auch auf jene der europäischen Nachbarländer Bezug nimmt. Seine Abhandlung über Plautus, die Beschäftigung mit Aristoteles und Denis Diderot, seine im Nachlaß überlieferten Notizen, die in der Theatralischen Bibliothek veröffentlichten Entwüife ungedruckter Lustspiele des italiänischen Theaters und große Teile der Hamburgischen Dramaturgie zeigen, wie sehr sich in diesem Dichter die Fäden der vergangenen und zeitgenössischen Komödienüberlieferung verbinden. Sein eigenes Komödienschaffen ist sicherlich ebenso von diesem vielfältigen Wissen geprägt worden, zumal Lessing eine intensive Lektüre der damals bekannten Lustspiele pflegte, wiederholte Male spricht er ausdrücklich davon, Plautus, Terenz, Goldoni etc. gelesen zu haben. Den durch ausländische Traditionen angeregten poetologischen bzw. historischen Schriften Lessings stehen allerdings in weitaus geringerem Umfang Bearbeitungen fremder Lustspiele zur Seite. Bereits die in Kapitel 11 behandelten Fragmente entlehnten aus ausländischen Werken einzelne Motive, Szenenanlagen und Personenkonstellationen, die im folgenden analysierten Stücke zeigen ihren Bezug zur jeweiligen Vorlage weitaus deutlicher, indem sie überwiegend den gesamten Handlungsrahmen übernehmen. Gerade diese praktischen Gestaltungen gewähren im Vergleich mit dem Original Einblick in die Entwicklung des Komödienverständnisses Lessings, vor allem aber geben die gegenüber der Vorlage vorgenommenen
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Vgl. TragI, S. 2-5.
III. Bearbeitungen antiker und zeitgenössischer Komödien
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Veränderungen Aufschluß darüber, wie er aus diesen Originalen "ein Stück nach [s]einer Art [... ] verfertigt,,367. 1. Plautinische Vorlagen
a) Weiber sind Weiber - nach Plautus: Stichus
Die große Bedeutung des antiken Dichters Plautus für den noch jugendlichen Lessing findet neben der theoretischen Beschäftigung ihren sinnfälligsten Ausdruck in drei erhaltenen Bearbeitungen seiner Stücke?68 als deren früheste wohl der fragmentarische Versuch Weiber sind Weiber anzusehen ist, welcher auf der antiken Komödie Stichus fußt. Von Naumann in den Jenaischen gelehrten Zeitungen angekündigt, ist eine Datierung dieses Lustspiels in das Jahr 1749 gesichert369 ; es allerdings wie Hillen zu den Vorarbeiten des Schatzes zählen zu wollen,370 erscheint aufgrund der Komödienstruktur wenig überzeugend. Die entschieden possenhafte Gestaltung des Fragments Weiber sind Weiber rückt es vielmehr in unmittelbare Nähe der ebenfalls dieser Gattung verpflichteten Alten Jungfer und ist somit eher an den Beginn der Jugendarbeiten Lessings zu setzen. Ebenso muß diese Bearbeitung weniger als eine von scharfer Satire geprägte Verlachkomödie gewertet werden, wie Riedel dies tut 371 , denn als ein überwiegend der Unterhaltung verpflichtetes Spiel. Eine satirische Kritik an einzelnen gesellschaftlichen oder charakterlichen Mißständen wird bei Lessing kaum mehr spürbar, eine vernünftige Gesellschaft als Hüterin aufgeklärter Tugenden und Normen ist in dieser Bearbeitung wie in der Alten Jungfer nicht präsent, alle Gestalten sind im Grunde moralisch bedenklich und tadelhaft. Singt Plautus noch das Lob ehelicher Treue, so ist eine wie auch immer geartete Lehre in diesem Fragment Lessings im Grunde nicht mehr erkennbar. Die von Karl Lessing versuchte Deutung scheint mehr als unwahrscheinlich und gezwungen: Vielleicht wollte er [Lessing] ein Beyspiel liefern, daß Zärtlichkeit gegen den Mann von gar keinen moralischen Umständen, sondern b10s von dem physikalischen Temperamente abhängt, und so unerklärlich als Sympathie ist. 372
Lessing an Moses Mende1ssohn, 8. Dezember 1755: LM 17, S. 46. Vgl. zu Plautus' Komödien Jürgen Blänsdorf, P1autus, in: Das römische Drama. Hrsg. von Eckard Lerevre. Darmstadt 1978 (Grundriß der Literaturgeschichte nach Gattungen), S. 135-222. 369 Vgl. Stenzel, in: B 1, S. 1225, 1246. 370 Vgl. Hilfen, in: G 2, S. 767. 371 Vgl. Riedel, Lessing und die römische Literatur, S. 44 f. 372 Gotthold Ephraim Lessings Theatralischer Nachlaß. Hrsg. von Kar! Lessing. Teil 1. Berlin 1784, S. XIV; zitiert in: B 1, S. 1226. - Monika Fick (S. 65) folgt 367 368
16 Kornbacher·Meyer
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2. Teil: Lessings Komödien
Hatte Plautus Derb-Komisches und zum Teil Anstößiges in erster Linie im Dienermilieu bzw. der Figur des Schmarotzers Gelasimus angesiedelt, die Figuren der Herrschaftsebene hingegen als durchaus tugendsam und anständig gezeichnet, so setzt Lessing auch diese Personen in ein negatives Licht. Die beiden Plautinischen Schwestern, Panegyris und Pamphila, die ihren abwesenden Männern in herzlicher Liebe zugetan sind, lassen bei Lessing keine echte Liebe bzw. Trauer mehr spüren. Hilaria grämt sich nicht viel über das Ausbleiben ihres Mannes, sondern vergnügt sich derweil mit ihren "närrischen Freiem". Verdruß bereitet ihr allein, daß sich im Augenblick nur ein einziger Werber bemüht. Dünkt es ihr gleichgültig, was über dieses Gebaren geredet wird, so ist für Schwester Laura die Meinung der Gesellschaft entscheidend, allein aus diesem Grunde trauert sie um den Verlust ihres Gatten Leander. Von jenem hehren Frauenbild, das Panegyris und Pamphila ihrem Vater gegenüber vertreten 373 und dem sie selbst zu entsprechen suchen, ist in Weiber sind Weiber nichts mehr zu spüren. Auch die bei Plautus als ehrenhaft charakterisierten Gatten wandeln sich in Lessings Bearbeitung zu liederlichen Taugenichtsen, deren Verfehlungen wir aus dem Munde Lisettens erfahren, die hier allerdings nur die von Hilaria und Laura selbst erhobenen Anschuldigungen wiederholt: [N]ach Ihrer eigenen Beschreibung, so ist der eine ein Verschwender, der andre ein Verthuer gewesen. Der eine hat sein Geld verspielt, der andre hat es im Pharao verlohren. Der eine hat seine Frau versäumet, der andre hat sie braache liegen laßen. Der eine hat es mit andern Weibern gehalten, und der andre mit seines Nachbars Weibe. Kurz, es sind Brüder dem Leibe und der Seele nach gewesen. 374 Hierzu kommen Streitsucht, Ungeduld und Trunkenheit, so daß selbst Laura nicht umhin kann, den Abwesenden als einen "Teufel von einem Manne" zu bezeichnen. Für die Absicht der Schwestern, dennoch ihren Gatten verbunden zu bleiben, gibt Hilaria schließlich die komisch-treffende Begründung: Warum sollten wir von unsern Männern geschieden werden, mit denen wir doch auf das allerfriedlichste leben? Die uns in drey Jahren nicht die geringste saure Miene gemacht haben. Die uns in der Zeit haben thun lassen, was wir nur selber gewollt. Wenn man ja Männer haben muß, so sind dieses die besten. Je weiter von uns, je besser für uns. 375
Karl Lessing in dieser Interpretation und nennt Weiber sind Weiber einen Text über den Satz, daß Liebe keine Gründe annehme. 373 Vgl. Plautus, Stichus, 1,2, in: Antike Komödien. Plautus/Terenz in zwei Bänden. Hrsg. und mit einem Nachwort und Anmerkungen versehen von Walther Ludwig. Bd. 2. Darmstadt 1981, S. 906 f. 374 Lessing, Weiber sind Weiber, 1,1: LM 3, S. 281. 375 Ebd., 1,2, S. 285.
III. Bearbeitungen antiker und zeitgenössischer Komödien
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Die wohl gravierendste Veränderung vollzieht sich jedoch an Vater Antipho. Im Personenverzeichnis von Plautus als grämlicher Alter beschrieben, ist er indes charakterlich am wenigsten einseitig festgelegt. Sein Ansinnen, die Töchter mögen sich scheiden lassen, scheint einerseits durch die echte Sorge begründet zu sein, sie nicht mit Bettlern leben zu sehen, vor allem aber geschieht es wohl auf Anraten seiner Freunde. Gleichwohl bedrängt er die beiden nicht allzu sehr: Oder soll ich grob/Sie fragen, ob sie lieber hier bleiben/Oder einen andern ehelichen wollen?lDas mach ich nicht. Was soll ich alter Mann/Mit den Meinen Krieg führen, da sie mir's auch/Nicht zu verdienen scheinen, daß ich's tu. Nein, ich will keinen Streit. 376
Diese sich für eine differenzierte Figurengestaltung eignende Vorlage nützt Lessing im Gegensatz zur späteren Übertragung des Schatzes noch nicht, vielmehr wird Antipho mit Herrn Seltenarm durch eine typische zeitgenössische Lasterfigur sprechenden Namens ersetzt, welche dem Bild des geizigen Alten entspricht, bei dem der in der antiken Vorlage noch humorvoll behandelte Zug einer Liebeslüsternheit nun einseitig negativ verstärkt wird. Ihm liegt nun nicht mehr das Wohl der Kinder am Herzen, die geplante Eheauflösung der Töchter dient allein seinen Interessen. Sind erst die "Brodfresser, die [... ] nichts verdienen,,377 aus dem Hause, ist Seltenarm nicht nur die Sorge um ihren finanziellen Unterhalt los, vor allem könnte er dann mit der Dienerin Lisette, die er unverhohlen umwirbt, ungestört zusammenleben. Selbst die Nachfolger seiner Schwiegersöhne hat er unter eigennützigen Aspekten gewählt: Bey dem einen lernt er dafür singen, weil er es trotz der Natur, die ihm Ton und Gehör versagt hat, lernen will. Und der andre erzehit ihm dafür seine Schlachten und Heldenthaten, weil er durch die Bewundrung fremder Tapfferkeit den Mangel der seinigen zu ersetzen glaubt. 378
Um sein Ziel zu erreichen, schreckt er offenbar selbst vor einem Ränkespiel nicht zurück, für das er Labrax, dem antiken Vorbild des Schmarotzers Gelasimus nachempfunden, gewinnen will. War dieser in der Komödie des Plautus das eigentlich verbindende Element innerhalb der nur lose geknüpften Szenenfolge, so überträgt Lessing diese dominante Rolle ganz traditionell in der Neubearbeitung der schlauen Kammerzofe und damit einer Figur, die in der antiken Vorlage kaum von Belang war. Wie auch in anderen frühen Jugendwerken Lessings darf Lisette es nun wagen, ihrer Herrschaft auf witzige und doch ungeschminkte Weise die Wahrheit zu sagen, sie zu verspotten und lächerlich zu machen, oft ohne daß diese es gewahr würde. Und gleich ihrer Schwester in der Alten Jungfer scheint sie sich, 376 377 378
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Plautus, Stichus, 1,2, in: Antike Komödien. Plautus/Terenz. Bd. 2, S. 905. Lessing, Weiber sind Weiber, 1,2: LM 3, S. 284. Ebd., 1,1, S. 284.
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2. Teil: Lessings Komödien
durch finanzielle Versprechungen schnell überredet, auf eine Seite zu schlagen. 379 Auch wenn Lisette damit nicht den vernünftig-aufgeklärten Tugendkanon repräsentiert, so ist sie doch jene Figur, mit der das Publikum fraglos sympathisiert, mit der es zusammen die törichten Figuren auf der Bühne verlachen kann. Diese herausgehobene Position Lisettens, die an fast jeder Szene beteiligt ist, läßt Lessing zum Teil recht deutliche Veränderungen der Komposition vornehmen, die mit der Szenen anordnung des Stichus kaum mehr übereinstimmt. Auf diese Weise erzielt er für den ersten Akt eine Einheit der Handlung, die der antiken Komödie fehlt; denn dort laufen genau betrachtet nur mehrere Stränge parallel. Die Frage der ehelichen Treue und die Rückkehr der vermißten Männer stehen recht isoliert neben den wiederkehrenden Philosophien des Schmarotzers Gelasimus und dem den letzten Akt bestimmenden Fest der ebenfalls heimgekehrten Sklaven Stichus und Sagarinus. Wie Lessing diese bei Plautus gezeigten Geschehnisse gestalten wollte, ist aufgrund des Abbruchs nach 11,2 nicht zu ermessen. Hinreichend deutlich wird allerdings, daß er die Figur des Parasiten stärker in den eigentlichen Handlungsgang einzubinden sucht, indem Seltenarm den von seinem Appetit bestimmten Labrax in den Dienst seiner Intrigen ziehen wird. Ohne literarische Vorlage bei Plautus bleiben hingegen die bei den Freier um die Hand der Töchter. Auch sie erfüllen typische Rollenmuster: Wohlklang als eingebildeter Künstler sowie Capitain Segarin als Vertreter des großsprecherischen Miles gloriosus, dessen Heldentaten indes erheuchelt sind und der in Wahrheit nur ein Schuhputzer ist. Ihre Funktion in Weiber sind Weiber ist anhand des vorliegenden Textkorpus allerdings nicht erkennbar. Eine Fokussierung der komisch-possenhaften Ausrichtung durch diese hinzugefügten, lächerlichen Typen scheint allerdings gewiß, da nicht nur die Wesenszüge und das Verhalten Wohlklangs und Segarins zum Lachen animieren. Ihre Szenen sind wie das gesamte Fragment durch ein hohes Maß an witziger Sprachgestaltung geprägt. Lessing greift dabei auf wohlbekannte Mechanismen zurück, z. B. lächerliche Übertreibungen, ironische Bemerkungen, umständliche Beschreibungen, wie sie die Kammerzofe in 1,6 gibt, ohne doch von ihrem Gegenüber verstanden zu werden. Ein Höhepunkt des ersten Aktes stellt sicherlich die Unterredung Lisettens mit Segarin dar, der ihr hohe Versprechungen für ihren Beistand bei der Werbung macht. Dieses "Allerkostbarste", das die Zofe nun zu erraten sucht, entpuppt sich, in das Prinzip der Repetition gefaßt, nicht als Rittergut, Stein der Weisen oder als Tinktur für ewiges Leben etc., sondern als das Versprechen "ewiger Gewogenheit" des Capitaines. 38o Ähnliches gilt auch für die Dialoge der Zofe Ebd., 1,6, S. 29l. - 1,8, S. 293 f. Vgl. ebd., 1,8, S. 294. - Hier wendet Lessing übrigens im wahrsten Sinne Kants spätere Definition an: "Das Lachen ist ein Affekt aus der plötzlichen Ver379
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mit den bei den Schwestern und Seltenarms, der allerdings eine recht derbe Sprache führt. 381 In dieser bewußten Gestaltung, alle Szenen komisch aufzuladen, steht das Fragment Weiber sind Weiber wiederum in enger Beziehung zur Posse Die alte Jungfer und zeigt Lessings Freude an einem rein dem Delectare verpflichteten Spie1. 382
b) Justin - nach Plautus: Pseudolus Im Gegensatz zum Fragment Weiber sind Weiber, das sich im ausgearbeiteten ersten Akt deutlich von der Szenenabfolge der Plautinischen Vorlage entfernt, orientiert sich die ebenfalls unvollendet gebliebene Bearbeitung Justin (zumindest den Aufbau betreffend) stark an Plautus' Original Pseudolus 383 . Vielfach setzt Lessing im Entwurf, der die einzelnen Szenen zum Teil nur kurz beschreibt, nicht aber dialogisiert, den bloßen Vermerk "v. eandem Scenam apud Plautum" bzw. nur die Angabe des entsprechenden Auftrittes im Pseudolus. Das ausführliche Personenregister gibt allerdings Aufschluß über die notwendigen Änderungen, um diese römische Komödie für das zeitgenössische Theater akzeptabel zu machen. Aus dem liederlichen Kuppler Ballio des Plautus ist bei Lessing zwar ein ebenso unsympathischer und verworfener Herr Ballof geworden, der nun aber nicht mehr wie sein antikes Vorbild ein sicherlich Anstoß erregendes Freudenhaus unterhält, sondern zu einem Betrüger mutiert, der siebzig Professionen schon versucht, Sprachmeister, Coffetier, Fechtmeister, Komödiant, und wer weis was gewesen war. 384
wandlung einer gespannten Erwartung in nichts." (Immanuel Kant, Kritik der Urteilskraft. Hrsg. von K. Vorländer. Hamburg 1974, § 54 (Anrn.), S. 190.) 381 Vgl. Lessing, Weiber sind Weiber, 1,4: LM 3, S. 287 f. 382 Diese Beobachtungen widersprechen entschieden Metzgers These (S. 127), daß Lessing in Weiber sind Weiber "intended to emphasize whatever serios plot elements Plautus had provided, bringing the tone of the play away from the "Possenspiel" and closer to that of the "wahre Komödie". - Monika Fick (S. 64) bemerkt zwar richtig, daß Lessing das Werk Plautus' als Muster einer wahren Komödie gelte. Der von ihr ausdrücklich den ernsthaften Stücken zugerechnete Stichus zeigt jedoch in Lessings Übertragung aufgrund der einseitigen Verstärkung der komischen Elemente keineswegs diese von ihr behauptete Möglichkeit einer Synthese. - Gerade für Weiber sind Weiber konstatiert Hinck (Das deutsche Lustspiel des 17. und 18. Jahrhunderts, S. 271 f.) eine deutliche Überlagerung der Plautinischen Vorlage durch die Tradition des Theatre italien, die sich u. a. in der Alterslüsternheit des Herrn Seltenarm, der Ausgestaltung der bei den Freier etc. zeige. 383 Nach Stenze I (in: B 1, S. 1045) ist dieses Fragment im Umfeld des PlautusKomplexes, also 1749, vielleicht auch Anfang 1750 entstanden. - Vgl. ebenso Tragi, S. 6. 384 Lessing, Justin: LM 3, S. 299.
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2. Teil: Lessings Komödien
Die Hetäre Phoenicium, die als Sklavin im Hause Ballios dient, wandelt sich der Zeit entsprechend zu Jungfer Charlotte, die von Ballofs verstorbener Frau in Pflege genommen worden war, nun aber, nachdem seither das Kostgeld nicht bezahlt wurde, als Kammermädchen in ein vornehmes Haus gegeben werden soll. Den sittenstrengen Grundsätzen der Aufklärungszeit entsprechend, wird damit der Offizier Polymachaeroplagides durch eine noble Dame ersetzt, die gewillt ist, Ballof auch das fällige Kostgeld zu erstatten. Die übrige Personenkonstellation gleicht in etwas modifizierter Form der antiken Vorlage. Vollständig getilgt wurden dabei die Figuren Callipho und Charinus, Freunde des Calidorus und seines Vaters sowie der Lustknabe; aus den Sklaven wurden folgerichtig die Bediensteten Justin, Wolfgang und Martin Knecht, die weitgehend ihre bei Plautus vorgefundene Aufgabe und Charakteranlage zu behalten scheinen. Im Zentrum steht hierbei die Titelfigur Justin, die wie ihr schlaues Vorbild im antiken Drama die List ersinnt und ausführt. Um schließlich einen glücklichen Schluß mit einem Happy-End der Verliebten zu ermöglichen, ist bei Lessing Simon nur noch der Vormund des Callidor und entpuppt sich zur Überraschung aller als der unbekannte Vater Jungfer Charlottens. Wie eng sich Lessing bei der endgültigen Ausarbeitung an diese Variation einer Heirat mit Hindernissen gehalten hätte, muß im letzten unbeantwortet bleiben. Allerdings enthält die antike Vorlage zahlreiche Strukturen und Elemente, die auch die Jugendlustspiele Lessings in hohem Maße prägen und ihm wohl gerade deshalb die Komödie Pseudolus interessant erscheinen ließen: eine virtuos geführte Intrigenhandlung des Dieners, verknüpft mit Rollentausch und Maskierung, welche seine frühen Werke gerne einsetzen. Geprägt wird Pseudolus darüber hinaus durch eine witzige, gewandte Dialogführung, wie sie auch Lessings eigene Arbeiten auszeichnet und die er hätte übernehmen können. Die von Riedel behauptete Umdeutung der turbulenten Handlung des Pseudolus im Sinne des rührenden Lustspiels 385 läßt die oben gezeigte Textstruktur meines Erachtens nicht zu. Hier wird eben keine herausragende Tugendleistung auf die Bühne gestellt, vielmehr düpieren sowohl antikes Original als auch deutsche Neubearbeitung mit ihrem Listenspiel Ballio-Ballof nach Kräften, der damit eindeutig der typischen Verlach-Figur zuneigt. Die nicht näher ausgeführte Sorge Simons um sein Mündel muß nicht zwangsläufig als Einfluß des rührend-empfindsamen Traditionsstranges gewertet werden, derart positiv besetzte Nebenfiguren sind auch in der 385 Vgl. Riedei, Lessing und die römische Literatur, S. 45. - Erneut erkennt Simonetta Sanna (Lessings "Minna von Bamhelm" im Gegenlicht. Glück und Unglück der Soldaten. Bem u.a. 1994 (IRIS 7), S. 224) in der Pseudolus-Bearbeitung einen Beitrag zur Theorie des Rührstückes und Annäherung an die Gellertsche Tugendkomödie.
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Satirischen Komödie möglich. Einzig die Wiederfindung von Charlottens Vater könnte am Ende des Stückes eine Reminiszenz an die von GelIert geförderte Form darstellen; gleichwohl steht in lustin unzweifelhaft das amüsante Intrigenspiel des schlauen Dieners im Mittelpunkt, das der Zuschauer lachend begleiten kann. c) Der Schatz - nach Plautus: Trinummus Gewiß die aufschlußreichste Übertragung eines Plautinischen Lustspieles legt Lessing im Jahr 1750 mit seiner Version des Trinummus unter dem Titel Der Schatz vor. In zweierlei Hinsicht erscheint diese Übertragung besonders bedeutsam. Sie ist, wie Lessing selbst ausdrücklich betont, die praktische Demonstration der in der Critik über die Gefangnen des Plautus anhand des antiken Vorbildes entworfenen Komödientheorie, 386 die sich von einer einseitig satirischen Bestimmung abzuwenden beginnt, zugleich bildet dieses Lustspiel den Abschluß des Jugendwerkes. Tatsächlich dürfte Lessing im Trinummus jene in der Plautus-Abhandlung dargelegte neue Struktur erkannt haben, die ihn bereits die Gefangnen so sehr schätzen ließ. Hier wie dort stehen Rührung, Bewunderung und Lachen als Wirkungen des Spieles nebeneinander, tritt Komisches und zu Verwerfendes neben ehrenvolle Absichten und Handlungsweisen. Gleichwohl dominieren die rührenden Elemente keineswegs, da die an die weinerliche Gattung gemahnende Tugendprobe des Philto, d. h. die Sicherung des Schatzes durch den Hauskauf, nicht den eigentlichen Handlungsmittelpunkt darstellt, sondern vielmehr die für die Liebesbeziehung daraus hervorgehenden Folgen. Diese aber, Stalenos anfängliche Verweigerung und schließlich seine Zustimmung zur Hochzeit des Mündels mit Kamilla, die List der beiden Alten und die so herbeigeführte Verwechslungsszene des gedungenen Boten mit dem behaupteten Auftraggeber sind stark von komischen Elementen bestimmt, die das Delectare in den Vordergrund rücken. Auffallend ist in diesem Zusammenhang, daß die eher moralisierend-belehrenden Passagen der antiken Vorlage, wie z. B. die Unterredung zwischen den künftigen Schwägern mit den Ermahnungen des Lysiteles sowie der Reue des Lesbonicus,387 bei Lessing getilgt werden. Eine deutlich faßbare Lehre bzw. Verurteilung des Lasters im Sinne Gottscheds wird hier, ähnlich wie in den Gefangnen, aber auch im Freygeist, nicht mehr auf der Bühne verkündet. Dennoch unterscheidet sich Der Schatz in seiner Darstellung lustiger und ehrenhafter Personen deutlich von jenen ersten Bearbeitungen anti386 Vgl. Lessing, Beschluß der Critik über die Gefangnen des Plautus: LM 4, S. 192. 387 Vgl. Plautus, Trinummus, m,2, in: Antike Komödien. Plautus/Terenz. Bd. 2, S.966-970.
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ker Spiele, die einen stärker possenhaften bzw. satirischen Charakter tragen. Komödienpoetologisch interessant macht dieses Werk Lessings insbesondere die Figurengestaltung, die kaum noch Typen vorstellt, sondern sich auch hier dem gemischten Charakter nähert. Schon die zeitgenössische Kritik bemerkte wohlwollend diese ungewöhnliche Gestaltung: "Den Charakter des verschwendrischen Sohns bildet Herr L. zugleich edel und großmüthig, und wenn wir ihn nebst dem Character des Freygeistes und des Geistlichen in dem vorigen Lustspiel zusammen nehmen, so können wir vielleicht diese Regel machen, daß Herr L. [ ... ] dem menschlichen Hertzen die beste Gestalt zu geben pflege. ,,388 Diese ausgleichenden Züge findet Lessing allerdings schon beim römischen Dichter vorgebildet. Das antike Vorbild Lesbonicus gilt als Verschwender, der "freilich auch ein weniges/Zu seinem Vergnügen in Lustbarkeiten durchgebracht [hat],,389, zugleich aber wegen einer gutmütig übernommenen Bürgschaft in finanzielle Schwierigkeiten gelangt ist. Wenn der junge Athener den Vorschlag, seine Schwester ohne Mitgift zu verheiraten, zunächst mehr aus Stolz und Trotz zurückzuweisen scheint, so macht die Unterredung mit dem Freund deutlich, daß Sorge und Pflichtgefühl der Schwester und Familie gegenüber Lesbonicus so handeln lassen. 390 Wie Lelio liebt er seine Schwester aufrichtig, nur weiß es jener eingängiger auszusprechen: Du weißt es, Maskarill, ich liebe meine Schwester. Jetzt also muß ich das Aeusserste für sie thun, wenn sie nicht Zeit Lebens mit Unwillen an ihren Bruder denken SOll.391
Das Prekäre der Lage hat Lessing ebenfalls stärker herausgearbeitet. Während Lysiteles' Vater durchaus bereit ist, auf eine Mitgift zu verzichten, macht im Schatz Staleno als Vormund des verliebten Leander sie zur Bedingung dieser Eheschließung. Gleichwohl erschüttern die drohenden Konsequenzen dieser Situation beide, Lesbonicus wie Lelio; ein Erkenntnisprozeß wird ausgelöst, der sich in dem Versuch einer Wiedergutmachung realisiert. Der Vergleich der jugendlichen Verschwender bei Plautus und Lessing fällt in der Sekundärliteratur, die diesen Rezeptionsstrang allerdings nur am Rande beachtet hat, sehr unterschiedlich aus. Während Sierke die Person des Lesbonicus wenig überzeugend wertet und sein ablehnendes Verhalten als falschen Heroismus, als Trotz und einen Versuch interpretiert, den Schein zu wahren,392 konstatiert Riedel zu Recht, daß Lelio die verherrli388 [Johann D. Michaelis], Göttingische Anzeigen von Gelehrten Sachen. Göttingen, 31. Mai 1755; zitiert in: Lessing im Urtheile seiner Zeitgenossen. Bd. 1, S. 55. 389 Plautus, Trinummus, II,2, in: Antike Komödien. Plautus/Terenz. Bd. 2, S. 953. 390 Vgl. ebd., III,2, S. 967-969. 391 Lessing, Der Schatz, 5. Auftritt: LM 2, S. 144 f. 392 Vgl. Sierke, S. 50.
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chenden Züge seiner antiken Vorlage nicht erreiche393 . Wenn Lessing diese Positionen der römischen Komödie vermeidet, dann wohl deshalb, weil sie ihm zu konträr erschienen. Aus dem wahrhaft edlen Verschwender394 ist nun in der modemen Bearbeitung ein mittlerer Charakter geworden, dem neben negativen Neigungen auch gute Seiten eignen, der aber die Extreme von lasterhaft bis edel nicht mehr voll ausschöpft. Um Lelio dennoch positiv zu verstärken, setzt Lessing eine Paarkonstellation ein, die er auch im Freygeist (hier allerdings noch wirkungsvoller) nützt. Dem mittleren Charakter steht eine den Fehler des Herrn negativ spiegelnde Dienerfigur zur Seite. Lelio wird vom ebenso leichtsinnigen und lasterhaften Maskarill begleitet, von dem der Zuschauer, selbst wenn dies nicht auf der Bühne demonstriert wird, zumindest glauben darf, daß er seinen Herrn in diesem lokkeren Lebenswandel bestärkt, ja ihn gar dazu verleitet. Der antike Stasimus ist hingegen im Grunde ein durchaus loyal gesinnter Sklave, den es offenbar bedrückt, nun auch das letzte Besitztum seines Herrn Lesbonicus bzw. Charmides verloren zu sehen und der hierin sogleich ein Komplott wittert. Maskarill seinerseits läßt an seinen eigennützigen Absichten keinen Zweifel, sein Versuch im 4. Auftritt, dreist im Angesicht seines Herrn Geld zu unterschlagen, läßt ahnen, daß er sich wohl auch in der Vergangenheit an Lelios Besitz schadlos gehalten hat. Von echter Sorge um seine Herrschaft ist im Schatz nichts mehr zu spüren: "Endlich kann ich eines Herrn, wie er ist, entbehren. Meine Schäfchen sind im Treugen. ,,395 Sein Einsatz, die Übergabe des Gutes zu verhindern, resultiert vielmehr, wie er selbst sagt, aus Mitleid, das im Grunde nochmals Maskarills Überlegenheitsgefühl gegen seinen Brotgeber zum Ausdruck bringt. Doch selbst an dieser Figur lassen sich am Ende ausgleichende Züge auffinden, wenn der Bedienstete mit seiner Komödie den zurückgekehrten Herrn dem Sohn gegenüber gnädig zu stimmen sucht. Letztlich vermag auch Maskarill wie die meisten Dienergestalten trotz ihrer moralischen Anfechtbarkeit lachend das Publikum auf seine Seite zu ziehen, indem er das letzte Wort in diesem Lustspiel behält. Eine ähnlich ambivalente Zeichnung wie bei Lelio versucht Lessing an einer weiteren Figur umzusetzen, die ihm allerdings mit Leanders Vormund Staleno nicht recht glücken will. Dieser führt sich im ersten Auftritt zunächst als eine typische Lasterfigur ein. Der Panegyrik Leanders auf seine Liebste begegnet er mit einem stereotypen "Was kriegt sie mit?", das ihn 393 Vgl. Riedel, Lessing und die römische Literatur, S. 56. - Vgl. dagegen Stenzel (in: B 1, S. 1235), der den Charakter Lelios aufgewertet sieht. 394 V gl. Ernst R. Lehmann, Der Verschwender und der Geizige. Zur Typologie der griechisch-römischen Komödie, in: Gymnasium Heidelberg 67, 1960, S. 78-83; zitiert in: Riede!, Lessing und die römische Literatur, S. 56. 395 Lessing, Der Schatz, 8. Auftritt: LM 2, S. 152.
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2. Teil: Lessings Komödien
als den wohlbekannten habgierigen Alten entlarvt. Angesichts dieser eindeutigen Rollenbestimmung will der Ärger über den vermeintlich schäbigen Hauskauf seines Freundes nicht recht passen, wandelt sich doch der nur ans Finanzielle Denkende nun geschwind in einen kleinen Tugendapostel, der das vorteilhafte Geschäft Philtos verurteilt. In diesem Versuch einer polyvalenten Anlage des Staleno drückt sich Lessings damaliges Bemühen aus, die Typenhaftigkeit der bisherigen Komödienformen mittels einer glaubwürdigeren Psychologisierung zu überwinden. Daß dies im Schatz nicht gänzlich gelingt, liegt wohl in den vorgefundenen Konstellationen des Plautinischen Spieles begründet. Die antiken Gestalten Megaronides und Philto werden bei Lessing zu Staleno verschmolzen. Er muß damit sowohl die Funktion des tadelnden Freundes erben als auch die Rolle des Vormundes übernehmen, der aber nun aus dramaturgischen Gründen die Ehe ob des fehlenden Heiratsgutes ablehnt. Erst diese materielle Ausrichtung läßt Lessings Philto das Geheimnis des Schatzes entdecken und ruft schließlich die List der beiden Alten hervor, die damit zwingender als noch bei Plautus motiviert ist. In dieser Doppelfunktion liegt indes begründet, daß Staleno als gemischter Charakter nicht absolut überzeugen kann. Gleichwohl ist es gerade diese veränderte Personenzeichnung, die sich für die Entwicklung von Lessings Komödienverständnis und Lustspielschaffen so bedeutsam erweist. Schon bei Plautus und diesem folgend auch in der deutschen Bearbeitung tritt kein Fehlerhafter auf die Bühne, über den sich das Publikum lachend erheben könnte. Spott und Gelächter, nach Gottsched die einzig zulässige Reaktion auf die lasterhafte Exempelfigur, kann hier nicht aufkommen, da Lesbonicus-Lelio nichts einseitig Lächerliches mehr anhaftet, zumal das Handlungsgeschehen nicht primär von ihm angestoßen wird. Die Verfehlung des jungen Mannes steht keineswegs im Zentrum des Geschehens, sie ist lediglich für die Entfaltung der Situation notwendig. Ganz in diesem Sinne kann es nicht Anliegen des Schatzes sein, hauptsächlich diesen Fehlerhaften auf den rechten Weg zu führen und dabei sein Verhalten als falsch zu entlarven. Die Einsicht Lelios ist für den Fortgang der Fabel nicht entscheidend, denn der Plan der Alten, einen falschen Boten mit der angeblichen Mitgift zu senden, wird davon nicht tangiert. Sie ist lediglich für die differenzierte Charakterisierung des Atheners vonnöten, der auf diese Weise durchaus die Sympathie der Zuschauer erwerben kann. In Ansätzen deutet er auf den gemischten Charakter voraus, der so Lust und Unlust auf sich zu ziehen vermag. Im Schatz ist zudem jenes von Lessing in der Plautus-Abhandlung betonte Novum gegenüber der zeitgenössischen Komödie zu sehen, die nur durch Verlachen die Lächerlichkeit des Protagonisten abstrafte - ein Novum, das Lessing insbesondere die Captivi und den Trinummus des Plautus zu Paradigmen einer neuen Komödie werden läßt. Hier findet sich ein rüh-
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rend vorbildliches Verhalten, wenn Philto als uneigennütziger und weitsichtiger Vormund handelt, der, um der Kinder Vermögen zu sichern, selbst einen üblen Leumund in Kauf nimmt. Diesem Verhalten kontrastiert die materielle Handlungsweise des Vormunds Staleno entschieden, die das spottende Verlachen des Publikums hervorrufen kann. Dennoch wollte sich Lessing damit keinesfalls in die Tradition des weinerlichen Lustspieles stellen, trotz seiner differenzierten Personencharakterisierung ist Der Schatz weniger rührend denn unterhaltend. Neben der Tilgung allzu moralisierend-belehrender Passagen ist grundsätzlich die dramatische Straffung der Handlung auffallend, die das fünfaktige Stück des Plautus in eine schnelle und konzentriertere Abfolge von 18 Szenen umwandelt. 396 Einmal mehr tritt hier die große Bedeutung eines gut geknüpften Handlungsknotens in Erscheinung, wie sie insbesondere auch die Rezensionen immer wieder einfordern. Die von Lessing vorgenommene Umstellung, das Geheimnis des verborgenen Schatzes erst nach Leanders Liebesbekenntnis zu setzen, birgt so eine spannungsreichere Eröffnung des Stückes. Deutliche Einschnitte hat ebenso die Schlußgestaltung erfahren. So fügt Lessing dem Schatz noch ein Moment der letzten Spannung ein, wenn Vater Anselmo glaubt, aufgrund einer alten Verpflichtung seine Tochter nicht mit Stalenos Mündel verheiraten zu können, ein Hindernis, das allerdings noch in derselben Szene überraschend entkräftet wird. Kaum mehr bangen muß der Zuschauer hingegen bei der Unglücks nachricht des Maskarill, da er sie als den im 14. Auftritt ausgeheckten Einfall des Dieners erkennen kann, der den Zurückgekehrten milde stimmen soll. Die bei Plautus arrangierte Ehe des reuigen Lesbonicus mit Callicles' bisher ungenannter Tochter läßt Lessing wohl aufgrund ihrer mangelnden Wahrscheinlichkeit und Motivation fallen. In diesen Szenen wird noch einmal die den Schatz charakterisierende Verstärkung komischer Elemente evident, nicht zuletzt erzielt durch prägnantere Dialoge?97 Die Unterredung Leanders mit Staleno, die Einwände Maskarills und das echt komödiantische Aufeinandertreffen Anselmos und des verkleideten Raps wirken, selbst wenn sie im wesentlichen der antiken Vorlage verpflichtet sind, schwungvoller und witziger als bei Plautus. Und wie in den Juden und im Freygeist werden insbesondere die Diener zu Trägem der Komik. Ein Muster komischer Gestaltung ist im 17. und 18. Auftritt zu fassen, wenn Maskarill die den Vater ängstigende Erwartung in einen Scherz auflöst: Er [Lelio] stürzte die Treppe herab, lief sporenstreichs zum Hause hinaus, und warf sich nicht weit von hier - - - zu den Füßen seines Vaters. __398 Vgl. die Veränderungen im einzelnen bei Sierke, S. 10--55. - PO 21, S. 95-105. Vgl. zur sprachlichen Gestaltung dieses Stückes Metzger, S. 137-142. 398 Lessing, Der Schatz, 18. Auftritt: LM 2, S. 169. - Ein Vorbild dieses gesteigerten Aufbaus findet sich in Lessings Notizen Comische Einfälle und Züge (LM 3, 396 397
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2. Teil: Lessings Komödien
Lessing selbst weist in der Hamburgischen Dramaturgie auf diesen Wesenszug seiner Übertragung hin, "in welcher der Verfasser alle die komischen Scenen seines Originales in einen Aufzug zu concentriren gesucht hat,,399. Sein Lob an die Schauspieler, sie hätten "ihre Rollen mit der Fertigkeit [gespielt], die zu dem Niedrigkomischen so nothwendig erfordert wird,,4oo, jedoch als grundsätzliche Klassifizierung des Schatzes als einer Posse zu deuten,401 scheint mir verfehlt. Zwar zeigt Lessing ohne Zweifel typische Gestaltungsmerkmale des Niedrigkomischen, wie Verwechslung, Wortspiele etc., die Charakteranlage hingegen reicht weit über den Gehalt einer Farce hinaus. Betrachtet man abschließend die drei Bearbeitungen Plautinischer Komödien, so spiegeln sie einen Entwicklungsprozeß, den ebenso Lessings eigenständige Frühwerke vollziehen. Von einer stark oberflächlichen Komik, hier vertreten durch Weiber sind Weiber und Justin, schreitet der junge Dramatiker zu einer differenzierteren Komödienform, deren bedeutsamster Neuansatz in einer veränderten, menschlich überzeugenderen Figurengestaltung begründet liegt, Figuren, die nunmehr die Gesetze Gottscheds verneinen. Daneben liegt auch bei diesen Bearbeitungen das Augenmerk Lessings auf der komischen Gestaltung seiner Stücke, sie alle sind ebenso Übungsfelder für seinen charakteristischen Sprach witz und die für seine Zeit unerreichte komische Dialogisierung. Vor allem Lessings letzte Bearbeitung einer antiken Dramenvorlage, Der Schatz, bestätigt die Forderung der PlautusAbhandlung nach einer Komödie, in der auch erhabene Gesinnungen Ausdruck finden, und weist damit auf die "wahre Komödie" der LustspielAbhandlungen voraus. Dennoch muß festgehalten werden, daß Der Schatz trotz dieser Ansätze und Parallelen hinter den Juden, vor allem aber hinter dem Freygeist zurückbleibt. Lessings originelle Arbeiten sind Zeugen einer individuelleren und nicht zuletzt auch poetologisch reiferen Gestaltung, die ihn die antiken Komödien ob ihrer stofflichen und konfiguralen Vorgaben letztlich nicht einmal mit dem Schatz erreichen ließen.
2. Die aufgebrachte Tugend nach Burnaby: The Modish Husband Nur schwer datierbar ist das Lustspielfragment Die aufgebrachte Tugend,402 als deren Vorlage Paul Kies The Modish Husband von William Burnaby aus dem Jahre 1702 ermitteln konnte. 403 In seinem erhaltenen Nr. III, S. 496). Eine ähnliche Variante der Spannungsauflösung in Nichts hatte Lessing bereits in Weiber sind Weiber verwendet. 399 Lessing, HD, 9. Stück: LM 9, S. 221. 400 Ebd. 401 Vgl. Riedel, Lessing und die römische Literatur, S. 57.
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Entwurfsplan hält sich Lessing mit einigen unwesentlichen Modifikationen sehr eng an die englische Vorlage, allerdings sind diese Notizen, kurzen Umrisse und Verweise auf Szenen bei Bumaby für eine verläßliche komödienpoetologische Einschätzung zu rudimentär. So ist kaum zu ermessen, wie Lessing dieses grobe Szenar letztlich umzusetzen gedachte. Dennoch vermag schon die Vorlage einigen Aufschluß über die Art der geplanten Komödie zu geben. The Modish Husband 404 stellt ein Beispiel der sog. englischen comedy of manners dar, die als satirisches Sittenstück gleich der deutschen Typenkomödie soziale bzw. gesellschaftliche Schwächen und Verhaltensweisen lächerlich macht und auf diese Weise erziehen will. Im vorliegenden Werk ist es nun die Treulosigkeit, insbesondere der Männer, die gegeißelt werden soll. Als Mittel wählt der englische Dichter und ihm folgend Lessing eine recht verwickelte Handlung, die fast jede Figur dieses Stückes in unterschiedlichen Liebes- und Eifersuchtsbeziehungen zeigt. Lord Promise, in der deutschen Bearbeitung der Graf, hat eine Affäre mit Lady Cringe/der Baronesse. Um wiederum seine Frau von dieser Liaison abzulenken, überredet er Lionel, der eigentlich Camilla/ Amalia liebt, ihr den Hof zu machen. Lady Promise/die Gräfin, die um die Untreue ihres Mannes weiß, bittet ihrerseits Lionel als Liebesbeweis, Lady Cringe/der Baronesse seine Aufmerksamkeit zu schenken, und will auf diese Weise dem unzuverlässigen Gatten einen Rivalen zur Seite stellen. Erst als sie von der Abmachung des Lords/des Grafen mit Lionel erfährt, sucht sie selbst ein Abenteuer mit diesem. Lionel steht schließlich zwischen drei Frauen, denn auch die von ihm verehrte Lady Cringe/die Baronesse hegt Sympathien für ihn. Während Lord Cringe/der Baron gänzlich ahnungslos bleibt, kommt es nun CamillalAmalia zu, dieses Netz zum Besten aller zu entwirren. Schon diese Figurenkonfiguration zeigt, daß es Bumaby und Lessing eher um eine unterhaltende und überraschende Handlungsverwicklung zu tun war, denn auf eine differenzierte Figurengestaltung ankam. Ein individueller Charakter, der auf eine gemischte Figur hinweisen würde, vermag in dieser Komposition kaum aufzuscheinen. Ohne Zweifel handelt es sich fast gänzlich um funktionale Gestalten, eine tiefergreifende Psychologisierung ist nicht erkennbar. 40s Über die Art der komischen Gestaltung geht aus dem hinterlassenen Komödienfragment nur wenig hervor, allerdings 402 LM 3 (S. X) rückt das Stück an die Wende der Jahre 1753 und 1754, da es stellenweise dem rührenden Lustspiel zuneige. Stenzel (in: B 2, S. 1316 f.) vermutet aufgrund von Querverbindungen zu Ludwig und Aurora sowie den Thomson-Übersetzungen eine Entstehung etwa 1751/52, während Tragi (S. 10) nur eine grobe Zuordnung für die frühen Jahre zwischen 1748 und 1751 vornimmt. 403 Vgl. Paul P. Kies, Lessing and Burnaby, in: Modem Language Notes 50, 1935, S. 225-230. 404 William Bumaby, The Modish Husband, in: The Dramatic Works of William Burnaby. Ed. by F. E. Budd. London 1931, S. 273-341.
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2. Teil: Lessings Komödien
scheint Lessing gegenüber der englischen Vorlage komische, bühnenwirksame Effekte zu übergehen, so fehlt z. B. Harry, der Sohn des ebenfalls getilgten Kupplers Will Fanlove. 406 Möglicherweise empfand Lessing indes die Verwicklungen der drei Paare unterhaltend genug, so daß er hier bewußt auf possenhafte Einschübe verzichtete. Ob damit gleichzeitig eine Verstärkung der moralischen Intention einherging - Kies schließt dies aus der veränderten Titelgebung und dem Verhalten des Grafen und Lionels 407 -, kann im letzten wohl nicht befriedigend beantwortet werden. Eine herausragende Tugend im Sinne Gellerts wird jedoch keinesfalls in der Aufgebrachten Tugend vorgestellt. Amalia ordnet zwar die Liebeswirrnisse ohne ernste Folgen, doch nicht um der Tugend und der moralischen Ordnung, sondern ihrer selbst, d. h. der Liebe zu Lionel willen: "Sie würde stolz darauf seyn, wenn sie nicht ihre Liebe am meisten dazu antriebe. ,,408 Dieses Wissen um die eigennützigen Beweggründe ihres Handeins und die daraus resultierende kritische Selbstbeurteilung verleihen Amalia allerdings eine Glaubwürdigkeit, die weit über Camilla und die typisierten Figuren der zeitgenössischen rührenden Lustspiele hinausreicht. Mit ihrem in 1,1 vorgebrachten Rat für Lady Promise, nichts lasse die Liebe schneller zurückkehren als die Eifersucht, und ihrer von Lessing nicht mehr skizzierten List, die als Spiel schließlich zu einem guten Ende führt, reiht sich Amalia in die Riege der gewandten Frauengestalten in Lessings frühen Werken und Fragmenten ein. In ihr findet sich sicherlich die am stärksten konturierte Figur dieses Dramenfragments. Nur Vermutungen also sind aufgrund der Bruchstückhaftigkeit des knappen Szenars darüber möglich, inwiefern Lessing mit der Aufgebrachten Tugend eine, wie Kies annimmt, rührende Komödie mit einzelnen komischen Elementen im Sinne der von den LustspielAbhandlungen genannten "wahren Komödie" zu schaffen versuchte. 409 Doch selbst wenn es Lessing hier gelänge, zu Beachtendes und zu Meidendes, Rührung und Komik zu verbinden, so käme dieses Stück insgesamt wohl schwerlich über ein leichtes Liebes- und Eifersuchtsdrama hinaus. Die Tiefe und der menschliche Gehalt des Freygeistes, der Juden, ja selbst der Plautinischen Stücke werden meines Erachtens hiermit nicht erreicht. 405 Züge, die die Einseitigkeit der Figuren aufbrechen, zeigen sich allenfalls ansatzweise beim Grafen in dessen Gewissensbissen über seine Untreue bzw. Lionels Sorge, sein vorgetäuschter Flirt mit der Gräfin könnte der wahren Liebe zu Amalia hinderlich sein. Diese Überlegungen werden allerdings durch sein Verhalten in IV,3 und IV,4 relativiert. Hier scheint ihn die offensichtliche Eifersucht seiner Liebsten wenig zu berühren (Lessing, Die aufgebrachte Tugend, IV,3-IV,4: LM 3, S. 445 0. 406 Vgl. Kies, Lessing and Bumaby, S. 230. 407 Vgl. ebd., S. 229 f. - Ähnlich spricht auch Stenzel (in: B 2, S. 1316) von einer Betonung der empfindsamen Elemente. 408 Lessing, Die aufgebrachte Tugend, IV,2: LM 3, S. 327. 409 Vgl. Kies, Lessing and Bumaby, S. 229 f.
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3. Die Klausel im Testamente/Die glückliche Erbin nach Goldoni: L'Erede fortunata Mit Carlo Goldoni wendet sich Lessing Mitte der 50er Jahre einem zeitgenössischen Dichter zu, der sich alsbald auf den deutschen Bühnen etablieren konnte. 410 Aus Leipzig, einem frühen Zentrum der Goldoni-Rezeption, berichtete er Moses Mendelssohn im Dezember 1755: Eine von meinen Hauptbeschäftigungen ist [... ] noch bis jetzt diese gewesen, daß ich die Lustspiele des Goldoni gelesen habe. [... ] Es ist fast in allen viel Gutes, und die meisten sind auch ziemlich regelmäßig. 411
Als Gründe für das allgemein große Interesse am italienischen Dichter nennt Maurer die mit diesen Stücken sich eröffnende Möglichkeit einer behutsamen Theaterreform. 412 Was Lessing in dieser Zeit an den Lustspielen seines ausländischen Kollegen so faszinierte, können wir nur mutmaßen. Naheliegend ist jedoch, daß ihn die hier vielfach auftretende Verbindung von urwüchsiger Komik, vertreten durch die Dominanz der Dienerfiguren bzw. des Harlekin, und spannungsreicher Intrige mit einem spürbaren Bemühen um eine charakterlich anspruchsvollere Gestaltung besonders interessierte. Entgegen den französischen Lustspielen, die Gottsched bevorzugte, scheint Lessing weitaus stärker in den Werken Goldonis Wesentliches der Gattung Komödie umgesetzt zu finden. In diesem Sinne ist auch sein schon in den Rezensionen neu konnotierter Begriff "regelmäßig" zu deuten, da Goldonis Stücke mit der Figur des Harlekin und einer nur losen Einhaltung der drei Einheiten nicht unbedingt Gottscheds Gebot der klassizistischen Regelmäßigkeit entsprechen. Lessings Begeisterung für die Stücke seines Kollegen bestätigt sein Plan, den Italiener in der Theatralischen Bibliothek eingehender vorzustellen, vor allem aber die Adaption von sechs seiner Komödien, die "größtentheils schon auf dem Papier, größtentheils aber noch im Kopfe,,413 sind und die Lessing zu Ostern 1756 veröffentlichen wollte. Um welche Werke es sich handelte, ist nicht bekannt; die Notizen gingen verloren, einzig zu Goldonis L'Erede Jortunata sind das Szenar für ein fünfaktiges Spiel mit dem Namen Die Klausel im Testamente und unter dem Originaltitel Die glückliche Erbin sieben ausgearbeitete Auftritte des ersten Aufzugs überliefert. Den brieflichen Zeugnissen zufolge können diese Fragmente sicher dem Jahr 1755 zugeordnet werden, spricht doch Lessing gegenüber Mendelssohn aus410 Zur Rezeption Goldonis vgl. Amold E. Maurer, Carlo Goldoni. Seine Komödien und ihre Verbreitung im deutschen Sprachraum des 18. Jahrhunderts. Bonn 1982 (Mitteilungen zur Theatergeschichte der Goethezeit 3), besonders S. 41-119. 411 Lessing an Moses Mendelssohn, 8. Dezember 1755: LM 17, S. 46. 412 Vgl. Maurer, S. 319 f. 413 Lessing an Moses Mendelssohn, 8. Dezember 1755: LM 17, S. 46.
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drücklich davon, daß er sich L' Erede Jortunata zugeeignet habe, um daraus ein Stück nach seiner Art zu verfertigen. 414 Diese Veränderungen nach echt Lessingscher Art erkannte die Forschung zu Recht in der Straffung, besseren Motivierung und konzentrierteren Verknüpfung der zum Teil recht verworrenen Handlungsführung Goldonis. 415 Danzel und Guhrauer bemerkten ganz richtig, daß alles, was nicht zur eigentlichen Haupthandlung zähle, wegfalle, so z. B. der nächtliche Besuch Florindos (bei Lessing: Joachim), bzw. stärker auf den Kern der Handlung hingeordnet werde wie die Eifersuchtsszenen zwischen Beatrice/Camilla und Lelio/Philibert. 416 Bedenkt man, wie sehr Lessing immer wieder auf einen wohlangelegten Knoten eines Dramas gepocht hatte, so sind diese formalen Veränderungen nicht gering einzuschätzen. Neben formalen Eingriffen erkennt Simonetta Sanna noch deutliche thematische Modifikationen, die Lessings Neubearbeitung bestimmen.417 Während Goldoni auf die gesellschaftliche Rolle des Kaufmannsstandes ziele, stelle Lessing mit seinen Figuren die Befreiung "von abstrakten Determinanten des Typs" dar, versinnbildlicht in Lelio, der sich aus "Fremdbestimmtheit lösen und zu einem individuell fundierten Willen finden,,418 müsse. Die scheinbar enge Anlehnung an das italienische Original lasse somit bei genauerer Betrachtung einen Entwurf ganz anderer Art sichtbar werden. 419 Sanna betrachtet die deutsche Bearbeitung der L'Erede Jortunata als Vorstufe der Minna von Barnhelm, da sie wie später Tellheim die Gespaltenheit zwischen überindividueller Pflicht und Vernunft und individuellem Wollen verkörpere und diesen Zwiespalt mittels einer Intrige überwinde. 42o Soweit die Entwürfe dies erkennen lassen, tritt jedoch meines Erachtens der Konflikt des Sohnes zugunsten einer eher rührenden Akzentuierung bzw. einer stark mit komischen Elementen arbeitenden Eifersuchtshandlung zurück, in deren Mittelpunkt die aufrichtige Vatergestalt Vgl. ebd. Vgl. ebd., S. 320. - Hinck, Das deutsche Lustspiel des 17. und 18. Jahrhunderts, S. 264. - Ähnlich Schmidt (Lessing, Bd. 1, S. 368), der im übrigen Die glückliche Erbin als schwaches Intrigenstück betrachtet. - Metzger (S. 155) vertritt dagegen die Auffassung, daß es sich bei dem dialogisierten Fragment vielfach nur um eine Übersetzung von Szenen Goldonis handelt, die "add little of Lessing's own creative personality to the play". 416 Vgl. Danzel, Bd. 1, S. 320. 417 Vgl. Simonetta Sanna, Lessing und Goldoni. Die Phasen eines Vergleichs, in: Deutsche Aufklärung und Italien. Hrsg. von Italo Micheie Battafarano. Bern u. a. 1992 (Iris 6), S. 205-249. 418 Ebd., S. 210 f. 419 Vgl. ebd., S. 223. 420 Vgl. ebd., S. 211. - Simonetta Sanna übersieht allerdings, daß sich die Intrige des Vaters bei Lessing nicht darauf richtet, Lelio zu heilen, sondern Panurg und Joachim in ihren Ansprüchen auszuschalten. 414 415
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Araspe steht. Ein echtes Ringen mit sich selbst, die Tiefe des Liebeszwiespalts wird in Lelios Monolog nicht spürbar. Schnell ist eine Entscheidung getroffen, die ihn damit in die Nähe der rührenden, großmütigen Gestalten Gellerts rückt: Nein, ich muß sie unterdrücken, diese Liebe, so unschuldig sie auch sonst war. [... ] Oder will ich lieber eine unschuldige Tochter ihrer väterlichen Verlassenschaft berauben, und meinen Vater von dem Gipfel seiner Hoffnung herabstürzen? Nein, gewiß, das will ich nicht - So sey sie denn meine Mutter, die meine Gattin nicht seyn kann. 421
Wie seine tugendhaften Kollegen will auch er zugunsten seiner Mitmenschen auf das eigene Glück verzichten, allerdings wird er insofern psychologisch überzeugender gestaltet, als es ihm nicht gelingt, aus seinem Schritt eine moralische Befriedigung zu ziehen. 422 Die verzweifelte Zerrissenheit eines Tellheim, die sich auch gestisch umsetzt, wird hier aber in keiner Weise erreicht, zumal die Figur Lelios im Verlauf des Stückes, mit Ausnahme des Happy-Ends, kaum mehr auf der Bühne präsent ist. Der im 6. Auftritt folgende Dialog zwischen Lelio und dem Diener Pasquin hebt zudem die Ernsthaftigkeit und Rührung der vorangegangenen Szenen teilweise auf. Mehrmals ruft Lelio, unentschlossen, was auf die Nachricht Julianens zu tun sei, den Bediensteten zurück, ehe er sich entschließt, selbst mit ihr zu sprechen und, wie wir aus 11,1 erfahren, der Geliebten eine Heirat mit dem Vater anrät. In dieser durchaus komischen Szene allerdings wie Simonetta Sanna einen Beweis der Absurdität und Lächerlichkeit von Lelios Verzicht sehen zu wollen, erscheint nicht überzeugend, zumal dieser Entschluß eben nicht von gesellschaftlichen Normen diktiert wird, sondern der Liebe und Rücksicht gegenüber dem Vater und Juliane, d. h. ebenfalls Lelios individuellem Wollen entspringt. 423 Lessing vertieft vielmehr den vorgefundenen Stoff im Sinne einer wahren Komödie, wie er sie nur ein Jahr vor diesem Entwurf in der Theatralischen Bibliothek theoretisch bestimmt hatte. Die Glückliche Erbin zeigt das deutliche Bestreben, Elemente und Wirkungen der Rührkomödie und des Possenspiels bzw. des satirischen Lustspiels nebeneinanderzusetzen. Tugenden und Laster werden kontrastiv vor Augen gestellt und können so beim Zuschauer Rührung und Lachen bzw. Verlachen, Bewunderung und Scham erwecken. Goldonis Drama schien Lessing offenbar ein mögliches Modell Lessing, Die glückliche Erbin 1,5: LM 3, S. 345 f. In einer ähnlichen Konfliktsituation befindet sich auch Juliane im Jungen Gelehrten. 423 Die These Sannas (Lessing und Goldoni, S. 228), Lelio handle im ersten Akt ähnlich wie Joachim aus einer Verneinung des individuellen Willens und der autonomen Persönlichkeit heraus, ist somit nicht gerechtfertigt. Von einer unnatürlichen Zerrissenheit kann man deshalb nicht sprechen. 421
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für seine eigene Komödienvorstellung zu bilden. Vor allem das Verhalten des Vaters ist ein Beispiel rechter, vorbildlicher Vaterliebe, das Rührung und Bewunderung zu erzeugen versteht. So wird er durch die Testamentsverfügung zwar zunächst zum Hindernis für die Heirat der jungen Leute; nachdem er jedoch deren Zuneigung erkennt, will er (zumindest bei Goldoni) bereitwillig und selbst unter Verlust des der Firma willkommenen Vermögens auf Juliane verzichten. 424 Die beiderseitige Rücksichtnahme sowohl des Sohnes als auch des Vaters findet ihren Höhepunkt in Szene IV,6, die, Goldoni folgend, einen Großmutstreit zwischen Lelio und Araspe enthält. Inwiefern Lessing diesen in ein komisches Licht zu setzen gedachte, ist nicht zu ermessen. Der vorbildlichen Vater-Sohn-Beziehung steht in scharfem Kontrast mit Panurg und seinem Mündel Joachim eine zweite Beziehung gegenüber, die in ihrer Zeichnung und Figurencharakterisierung unschwer als falsch entlarvt und verlacht werden kann. Während Araspe das Wohl seines Sohnes und Julianens am Herzen liegt - er spürt, daß Lelio auf die Testamentseröffnung nicht allzu freudig reagiert -, ist bei Panurg einzig die finanzielle Seite von Interesse, sein Mündel Joachim ist ihm lediglich Mittel zum Zweck. Um diesen Gegensatz desto schärfer hervortreten zu lassen, hat Lessing gerade Joachim gegenüber dem italienischen Vorbild Florindo auffallend negativ verstärkt. In seiner Dummheit ist er, wie im übrigen auch Panurg als geldgieriger Alter, eine jener typisierten Figuren im Sinne Gottscheds, die der Zuschauer ob ihrer Lasterhaftigkeit und Lächerlichkeit verlachen kann. Ohne Zweifel zeigt dieses Paar dem Publikum das, was es zu vermeiden habe, d. h. wie es nicht handeln soll. Rührung und Verlachen sind in diesem Versuch noch allzu deutlich den getrennten Bereichen von Tugend und Laster zugeordnet. Selbst Lelio kann, soweit dies das Textmaterial erkennen läßt, nicht als gemischter Charakter mit guten und schlechten Eigenschaften gewertet werden. Die Tatsache, daß er sich seinem Vater verpflichtet fühlt, ist im Grund nicht als Laster oder lächerliches Fehlverhalten zu interpretieren. 425 Bezeichnend für Lessing ist, daß er trotz der Konzentration der Handlung den komischen Passagen breiten Raum läßt; dies gilt insbesondere für die Eifersuchtsszenen zwischen dem Ehepaar Camilla und Philibert, die mit dem typischen Element des Mißverstehens von Situationen Lachen bzw. sogar Verlachen erregen. An allen Verwicklungen sind im Gegensatz zu Goldoni die Dienerfiguren nur wenig beteiligt, die Aufgabe der Intrigenführung geht, wie in anderen frühen Werken Lessings, aus ihren Händen auf Vater Araspe über. Danzels These, Die glückliche Erbin erfahre eine Umgestaltung zur Bedientenkomödie,426 ist damit nicht recht haltbar. Lisette 424 Das Fragmentarische der Glücklichen Erbin läßt leider keinen Schluß zu, auf welche Weise Lessing eine Konfliktlösung herbeiführen wollte. 425 Vgl. dagegen Sanna, Lessing und Goldoni, S. 229.
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und Pasquin eröffnen zwar das Spiel und haben wohl auch am Ende das letzte Wort, ihre angestammten Aufgaben erfüllen sie jedoch nicht mehr. Gleichwohl muß dem 1. Auftritt, der ganz Lessings eigene Erdichtung ist, ein besonderes Augenmerk gelten. Er beinhaltet, nicht ungewöhnlich für unseren Dichter, eine komödienpoetologische Diskussion, welche die typisierte Figurenanlage der Bediensteten auf der Bühne reflektiert. Lessing, der in der Plautus-Abhandlung in Sprache und Gebaren eine realistische Zeichnung der Dienerfiguren befürwortet hatte, rechtfertigt hier gewissermaßen die Lisetten- und Pasquinfiguren, die sich eben nicht wie Diener des realen Lebens verhalten, sondern mit ihrer typischen, wiederkehrenden Anlage nur eine Erfindung der Komödiendichter darstellen. 427 Die damit thematisierte Problematik der Typenbildung, auf die Lessing bereits in seinen vorangegangenen Lustspielen und Rezensionen hier und da hinwies, wird schließlich in seinem folgenden Versuch, Minna von Bamhelm, ebenfalls durch individuelle Dienergestalten gelöst werden. Angesichts der Verteidigung des Harlekin mag an Lessings Bearbeitung überraschen, daß er die Dienerfigur des Arlecchino getilgt hat. Ein Grund für diesen Verzicht liegt möglicherweise darin, daß Goldonis Harlekin in Szenen anzutreffen ist, die in der L'Erede fortunata die Situation zunehmend verwirren und von Lessing der Geradlinigkeit der Handlungsführung wegen gestrichen wurden. Dennoch wird die komische Dimension nicht vernachlässigt. Komisches, das vielfach zum Verlachen verleitet, wie z. B. die Eifersuchtsszenen zwischen Philibert und Camilla,428 vor allem aber das Verhalten Panurgs und Joachims stehen gleichberechtigt neben Rührendem. Es bleibt festzuhalten, daß Lessing zwar mit der poetologischen Reflexion der Dienergestalten auf Künftiges vorausweist, insgesamt jedoch mit dieser Umsetzung der theoretischen Bestimmung einer "wahren Komödie" hinter seinen vorangegangenen Werken zurückbleibt. 429 Die Verbindung von Rührung und Lachen, vor allem aber die Figuren- und Konfliktgestaltung seiner beiden Jugendlustspiele Die Juden und Der Freygeist werden von der Glücklichen Erbin nicht erreicht. Vgl. Danzel, Bd. 1, S. 321. Als Lehre dieses Auftritts bezeichnet Simonetta Sanna (Lessing und Goldoni, S. 231) meines Erachtens wenig überzeugend, daß die "Lisetten nicht außerhalb des Typus, befreit von den Konventionen der komischen Rolle" existieren können. 428 In diesen Episoden stellt Lessing als zweiten Handlungsstrang ein Beispiel rechten und falschen ehelichen Verhaltens vor Augen. Während Camilla ohne Grund ihrem Mann mißtraut, spielt dieser, als er seine Frau mit Joachim ertappt, nur den Eifersüchtigen. Hier wendet Lessing ein traditionelles Intrigenschema an, das den Vernünftigen den Fehler seines Gegenübers annehmen läßt, um ihm so die Unsinnigkeit seines Verhaltens aufzuzeigen. 429 Vgl. auch Metzger (S. 155), der stilistisch einen Rückschritt zu den vor den Juden entstandenen Werken sieht. 426 427
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4. Die Matrone von Ephesus nach Petron: Die Witwe von Ephesus Noch einmal wendet sich Lessing in späten Jahren mit der Matrone von Ephesus einer antiken Vorlage zu, die bereits vor ihm zahlreiche Neubearbeitungen sowohl epischer als auch dramatischer Art erfahren hatte. Hauptquelle dieses Stoffes ist für Lessing die im Satyrikon des Petron erzählte Geschichte einer jungen Witwe, die, untröstlich über den Tod ihres Gatten, diesem nachsterben will, doch noch am Grabe des Ehemannes den Verführungskünsten eines Soldaten erliegt und, um den neuen Geliebten vor der Entdeckung seiner Amtsverletzung zu schützen, bereit ist, den betrauerten Toten an das Kreuz eines verschwundenen Verbrechers zu hängen. 43o Was die Version Lessings so interessant werden läßt, ist neben der dramatischen Konzeption, die Aufschluß über seine späte komische Gestaltungskunst geben kann, insbesondere die hiermit verbundene Frage nach den Möglichkeiten einer Dramatisierung epischer Stoffe. Daß Lessing diese Problematik eingehend reflektiert, zeigt vor allem das 36. Stück der Hamburg ischen Dramaturgie, das wohl in enger zeitlicher Nähe zu den auf uns gekommenen Entwürfen am Beispiel der Matrone von Ephesus wesentliche Aspekte epischer und dramatischer Dichtung erörtert. Ein ausführlicher Vergleich einer moralischen Erzählung Marmontels und des hierauf fußenden Lustspiels Soliman der Zweite von Favart im 32.-35. Stück läßt in Lessing die Erkenntnis reifen, daß so manche drollige und dem Ansehen nach wirklich komische Erzehlung, in der dramatischen Form darüber verunglücken müssen431. Dies gilt auch für die Matrone von Ephesus. Einen Grund für die höchst schwierige Übertragung dieser Geschichte auf die Bühne erkennt Lessing in der Unmittelbarkeit der dramatischen Darstellung. 432 Die Vorstellungen und Vermutungen, welche die Vortragsweise des Erzählers durch die epische Distanz nur evoziert, werden im Drama nun vollkommen gegenwärtig vor Augen gestellt. [W]as wir dort nur hören, daß es geschehen sey, sehen wir hier wirklich geschehen; woran wir dort noch zweifeln können, davon überzeugt uns unser eigener Sinn hier zu unwidersprechlich. 433
430 Petron, Satyrikon. Übersetzt von earl Fischer. Mit einer Einleitung und Erläuterungen von Bemhard Kytzler. München 1990, S. 130--134. 431 Lessing, HD, 36. Stück: LM 9, S. 333. 432 Vgl. dazu auch Lessing an Heinrich Wilhelm von Gerstenberg, 25. Februar 1768: LM 17, S. 245-248. 433 Lessing, HD, 36. Stück: LM 9, S. 334.
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Die Option, sich skeptisch von der möglicherweise hämischen Art eines Berichterstatters zu distanzieren, steht dem Publikum bei der dramatischen Vergegenwärtigung nicht mehr frei. Und so wird der Charakter der Matrone, für den der Hörer der Geschichte zwar ein verurteilendes, aber doch nicht unangenehmes Lächeln hatte, nun "ekel und häßlich" erscheinen. Insbesondere der Einfall, den neuen Geliebten dadurch zu retten, indern man den toten Mann ans Kreuz heftet, könne im Drama nur Abscheu erregen. Kurz, die petronische Fabel glücklich auf das Theater zu bringen, müßte sie den nehmlichen Ausgang behalten, und auch nicht behalten; müßte die Matrone so weit gehen, und auch nicht so weit gehen. 434
Wie Lessing dieses Paradoxon letztlich ins Bild zu setzen gedachte, muß offen bleiben. Das Lustspiel Die Matrone von Ephesus, an welcher er sich trotz aller aufgezeigten Schwierigkeiten versuchte, ist in mehreren Entwicklungsphasen, deren fortgeschrittenste acht dialogisierte Auftritte umfaßt, nur fragmentarisch überliefert. Bereits in seinen Jugendjahren war Lessing dieser Stoff begegnet, denn 1744 hatte sein Freund Christian Felix Weiße diesen für die kornische Bühne umgesetzt. Weiße wie auch Lessings Bruder Karl Gotthelf berichten, daß Lessing schon in Leipzig einen eigenen Entwurf skizzierte, um "den bittem Spott des Herrn Weiße über das schöne Geschlecht [zu] mildem,,435. Die erhaltenen Bruchstücke sind jedoch nach Lachmann/Muncker überwiegend erst in den frühen Monaten des Hamburger Aufenthaltes entstanden,436 dafür sprechen neben der Verbindung zur Dramaturgie auch briefliche Berichte dieser Zeit. 437 Die überlieferten Zeugnisse stellen jeweils unterschiedliche Entwurfsstadien der Matrone dar. Während Bruchstück I für die Szenenfolge nur einen groben Rahmen umreißt, läßt ein weiteres Fragment bereits eine nähere Situationsbestimmung und eine erste Dialogisierung erkennen. Offenbar stand dieses Lustspiel in einern Aufzug kurz vor seinem Abschluß, die jüngste Fassung ist bis zum achten Auftritt nahezu vollständig ausgearbeitet, lediglich die von Lessing als problematisch erachtete Schlußszenerie fehlt hier noch. 438 NichtsdestoEbd. Gotthold Ephraim Lessings Leben, S. 63. - Vgl. auch Christian Felix Weij3ens Selbstbiographie, S. 14. 436 Vgl. LM 3, S. XIII. 437 Vgl. Bohnen, in: B 6, S. 872. - Vgl. Heinrich Christian Boie an Gleim, 8. Dez. 1767 sowie Boie an Eschenburg, 16. Dez. 1767, in: Gotthold Ephraim Lessings Gespräche nebst sonstigen Zeugnissen aus seinem Umgang. Zum erstenmal gesammelt und hrsg. von Flodoard Freiherrn von Biedermann. Berlin 1924, S. 120, 123. 438 Die Aussagen der Freunde Lessings über die Fertigstellung der Matrone von Ephesus hat vor allem in früheren Jahren der Annahme Nahrung gegeben, die komplette Fassung sei mit jener 1775 zwischen Leipzig und Braunschweig verlorenge434 435
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weniger stellen die drei überkommenen Entwürfe keine bruchlose, konsequente Stufenfolge in der Ausarbeitung dieses Lustspieles dar. Gerade sie verdeutlichen in ihren Modifikationen Lessings Ringen mit den Schwierigkeiten dieses Stoffes, seinen Versuch, die Figuren und die überraschende Wendung glaubhaft zu machen. Das erste Szenar, das nach Lachmannl Muncker sogar dem Ende der 50er Jahre zuzurechnen sein könnte, problematisiert die zweifelhafte Schluß szenerie kaum: Der Soldat körnt wieder. Erzehit daß der Gehangne gestohlen sey. Der Officier will verzweifeln. Die Bediente körnt auf den Einfall den toden Mann an die Stelle zu hängen. Die Matrone williget endlich darein, und da sie sich eben darüber machen, entdekt der Soldat lachend, daß der Gehangne noch da sey.439
Wesentlich ist allerdings die von Lessing eingeführte Abweichung von der Erzählung Petrons und den späteren Bearbeitungen. 44o Der Leichenraub der Erzählung mutiert hier nur mehr zu einem Spaß, einer List des Dieners, die abschreckende Umsetzung des Leichenaustausches bleibt auf diese Weise dem Zuschauer wie der Matrone erspart. Lediglich die Bereitschaft der Witwe, ihren toten Mann an die Stelle des verschwundenen Verbrechers zu heften, beweist nun ihre neue Liebe. Im folgenden Entwurf werden die im Szenar umrissenen fünf Auftritte zunächst auf acht Szenen ausgedehnt, die neben aller Komik, als deren Vertreter sich der Diener Dromo erweist, eine Psychologisierung der Figuren versuchen. Nicht anders ist der zweifellos komisch anmutende 3. Auftritt zu verstehen, der eine im Schlafe sprechende Antiphila zeigt. Indem sie im Traum, also im Unbewußten, vom Essen und Trinken spricht, bestätigt sich ihrer Trauer zum Trotz die Gebundenheit an das Leben. 44l Diese Szene dient dazu, den wenig später eintretenden Sinnes wandel, ihre Verführbarkeit durch die Schmeicheleien des Offiziers motivisch zu unterstützen, gleiches gilt für die angefügte, dem 7. Auftritt zugehörige Gesprächsnotiz, wo sich die Werbung um die schöne Witwe mittels philosophisch-religiöser Argumentation vollzieht. Während Antiphila, auf ein Weiterleben nach dem Tode verweisend, fragt, wem sie dann in Elysium als Geliebte angehöre, Philokrates oder ihrem ersten Gatten, stellt der verliebte Offizier die Idee absoluter Diesseitigkeit und gegenwärtigen Genusses dagegen. Selbst eine antike Schicksalsvorstellung wird zur Erklärung der neuen Liebesbeziehung gangenen Kiste verschollen (vgl. Leisewitz an Lichtenberg, 25. Feb. 1781, in: Lessings Gespräche, S. 293). 439 Lessing, Die Matrone von Ephesus (Entwurf): LM 3, S. 440. 440 Vgl. Theodorus Comelius van Stockum, Lessings Dramenentwurf "Die Matrone von Ephesus", in: Neophilologus 46, 1962, S. 125-134, hier S. 129. 441 Diese Zusammenhänge außer acht lassend, faßt Karl S. Guthke (Nachwort, in: D. Faust. Die Matrone von Ephesus. Fragmente. Mit einem Nachwort von K. S. G. Stuttgart 1968, S. 76) die Szene irrtümlich als grob possenhaft auf.
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herangezogen, wenn Philokrates sich an die Weissagung eines Orakelspruchs erinnert, er werde "die beste Frau bey den Toden finden,,442. Dennoch scheinen diese Ansätze die Wendung des Schlusses im letzten nicht überzeugend zu motivieren. Die in der Hamburgischen Dramaturgie genannten zentralen Problempunkte kann Lessing noch nicht in Gespräche umsetzen, sowohl die Werbung Philokrates' und bezeichnenderweise das Liebesgeständnis Antiphilas werden nur stichpunktartig festgehalten: Dromo körnt mit der Nachricht zu rük. Verzweiflung des Offiziers. Erklärung der Wittwe. 443
Wenig Probleme verursachen hingegen die letzten Bilder des Lustspiels. Die Liebesbeziehung der Herrschaft auf niederer Ebene spiegelnd, gehört das Schlußwort wie so oft dem Dienerpaar, Mysis und Dromo, das noch einmal seine Komik spielen läßt. In der ausführlichsten überlieferten Fassung unternimmt Lessing das Wagnis, die bisher ausgeklammerten Szenen auszuarbeiten; dabei handelt es sich zugleich um jene in der Hamburgischen Dramaturgie benannten kritischen Punkte, welche die Umsetzung des epischen Stoffes erschweren. Hatte Lessing dort davon gesprochen, daß sich der Hörer der Erzählung ein "empfindliches Weibchen" einbilden würde, "dem es mit seinem Schmerze wirklich Ernst ist, das aber den Versuchungen und ihrem Temperamente unterliegt,,444, sucht er diese Vorstellung nun auf die Bühne zu stellen. Schon der zweite Auftritt, die Unterredung Mysis und Dromos, nimmt eine dahin zielende Figurencharakteristik vor, beschreibt doch die ohne Zweifel gut informierte Sklavin ihre Herrin als tugendhaft, überaus verliebt und treu. Die in der vorangegangenen Version wohl eher unfreiwillig komisch wirkende Szene, wenn Antiphila im Schlafe vom Mahlhalten spricht, ist hier durch eine eindringliche Schilderung ihres Schmerzes ersetzt worden. Eben aus dem Traum erwachend, vergißt sie zunächst den Verlust des Geliebten, um im folgenden um so heftiger und verzweifelter Beweise für die Unmöglichkeit des Todes von Telamon (später als Cassander bezeichnet) zu suchen, ehe sie schließlich, die schreckliche Wahrheit erkennend, ihm nachsterben will. Diese Szene wird nun durch das Nahen des Offiziers unterbrochen, der die Schönheit der sich schlafend stellenden Witwe in höchsten Tönen preist. Diese Überredungen "so fein und dringend und siegend,,445 auch in den Vorstellungen der Zuhörer bilden zu können, bereitete dem Dramaturgen Schwierigkeiten. Diese sucht er zu lösen, indem er Philokrates, zu Beginn noch überheblich scherzend, vom Anblick Antiphilas völ442 443
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Lessing, Die Matrone von Ephesus: LM 3, S. 442. Ebd., 8. Auftritt, S. 443. Lessing, HD, 36. Stück: LM 9, S. 334. Ebd.
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2. Teil: Lessings Komödien
lig gebannt zeigt. Sie erscheint ihm als Verkörperung göttlicher Schönheit. Selbst die Sklavin bestätigt die Eindringlichkeit und Glaubwürdigkeit seiner Panegyrik. Eine neue Ebene der Verführungssituation eröffnet Lessing nun im 7. Auftritt. Hatten die schöne Witwe in den vorangegangenen Entwürfen nur die Schmeicheleien über ihr Äußeres bzw. allenfalls Philokrates' rationale Begründung eines Diesseitsgenusses verführt und ihr so einen sehr oberflächlichen Zug verliehen, werden in dieser letzten Version die ernsthaften Züge durch eine neue Art des Persuadere vertieft. Der Offizier schlägt die "Saite der Seelenliebe,,446 an, stellt sich als engen Freund des Verstorbenen vor und kann erstmals wirklich Antiphilas Herz erreichen, wie die Regieanweisung Lessings: "sich langsam mit Empfindung gegen ihn wendend,,447 bestätigt. Der Lobpreis Philokrates' mochte zwar selbst der Trauernden schmeicheln, allein die Worte hätten sie wohl nicht verführen können. 448 Die gemeinsame Trauer um den Verstorbenen, Antiphilas Glaube, ihren Verlust in Philokrates gespiegelt zu sehen und insbesondere die Empfindungen ihres Mannes angesichts des Todes durch den angeblichen Freund ausgedrückt zu wissen, muß als das eigentliche Moment der Verführung erachtet werden. Nicht mehr das Wissen um die Wirkung ihrer Schönheit ist es, die den Wandel der Witwe bewirkt, sondern, von Lessing sehr subtil und psychologisch genau erfaßt, die gemeinsame Trauer als emotionales Verbindungs glied. Die Frage nach dem Ausgang bleibt indes unbeantwortet, anscheinend ist es Lessing nicht gelungen, den überlieferten Schluß befriedigend zu gestalten. Während für Monika Fick Die Matrone von Ephesus in der Aporie endet, weil die Verführung Antiphilas zu glaubwürdig motiviert sei,449 bin ich der Auffassung, daß Lessing letztlich trotz aller psychologisch überzeugenden Motivierung das Schlußbekenntnis der Witwe - sei es nun mit oder ohne Hilfe eines fiktiven Leichenraubes - nicht mehr überzeugend empfand und wohl auch in Widerspruch zu seinen dramatischen Vorstellungen sah. 450 In diesem Zusammenhang ist daran zu erinnern, daß Lessing im direkten Umfeld des Diskurses über die Dramatisierung epischer Stoffe ausFick, S. 314. Lessing, Matrone von Ephesus, 7. Auftritt: LM 3, S. 464. 448 Monika Fick (S. 314) sieht hingegen von dem Moment an, wo die Witwe ihre vorteilhafte Stellung über dem Grabe einnimmt, kein Entrinnen mehr. - Ähnlich ist auch für Robert Petsch (Die Matrone von Ephesus. Ein dramatisches Bruchstück von Lessing, in: Dichtung und Volkstum 41, 1941, S. 87-95, hier S. 93) Antiphila bereits durch die Komplimente des Offiziers gänzlich gefesselt. 449 Vgl. Fick, S. 315. 450 Nach H. B. Nisbet (Lessing and Misogyny: Die Matrone von Ephesus, in: Texte, Motive und Gestalten der Goethezeit. Festschrift für Hans Reiss. Hrsg. von lohn L. Hibberd/H. B. Nisbet. Tübingen 1989, S. 13-31, hier S. 25-28) ist der Abbruch biographisch begründet, nämlich durch die Beziehung Lessings zu Eva 446
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führlich die Anlage der Charaktere erörtert, für die er als Kriterium insbesondere Übereinstimmung fordert. Eine Änderung von "schwarz auf weiß" darf in diesem Sinne von den Umständen nicht bewirkt werden. Antiphila steht allerdings aufgrund der überlieferten Fabel von Beginn an zwischen zwei sehr konträren Verhaltensweisen. Einerseits muß sie, um nicht ekelhaft und häßlich zu wirken, die wirklich Trauernde, anderseits aber durch ihr Temperament verführbar sein. Diese Wesenszüge versucht Lessing durch eine betonte Empfindsamkeit der Witwe sowie durch ihre Verstellungskunst gegenüber dem Soldaten im 4. Auftritt glaubhaft zu machen. Er erschafft so, charakteristisch für seine Komödien, eine Figur mit mehreren Seiten und Leidenschaften. Eine letztlich befriedigende Motivation des überlieferten Liebeswandels ist jedoch, auch im Hinblick auf die Kürze der Handlung, nicht möglich. Die Trauer muß zunächst noch die Oberhand behalten, denkbar wäre allenfalls eine auf die spätere Zukunft gerichtete Beziehung zwischen Antiphila und Philokrates. 451 Auch dessen Charakter und seine offensichtlich lügenhafte Behauptung einer Freundschaft zu Cassander erweisen sich als in die Schlußgestaltung schwer integrierbar. 452 Bleibt abschließend die Frage nach dem Wesen der Komik in diesem Fragment. Charakteristisch für Lessing ist sicherlich das Spiel der Bediensteten, hier vor allem Dromos, der Träger einer vordergründigen Erheiterung ist. Nachdem seine im vorangehenden Entwurf schon ausgestaltete Werbung um Mysis fehlt, avanciert nun die erste Begegnung der beiden zum komischen Zentrum. Dromo verkörpert hierbei den wohlbekannten Typus des Bediensteten, einerseits dreist schwerfällig an die Existenz von Gespenstern glaubend, andererseits mit echt Lessingschem Sprach witz ausgestattet: Ich glaube ja an Gespenster - wie Sie gesehen hat, mein Kind -, warum sollte ich an die Treue der Frauen nicht glauben? Ich glaube an alles, was nicht so recht glaublich ist. 453 König, die sich nach dem Tode ihres Mannes in einer der Matrone von Ephesus vergleichbaren Situation befunden habe. 451 Nach Monika Fick (S. 313) zeigt Die Matrone von Ephesus eine enge thematische Verwandtschaft zu Emilia Galotti. In beiden Dramen bilde Verführung die "wahre Gewalt", offenbare sich die Macht der sinnlichen Neigungen. Das Lustspielfragment könne aus diesem Grunde als ein "Seitenstück" zu dieser Tragödie gesehen werden. Dieser Ansatz läßt sich fortführen: Emilia Galotti birgt mit ihrer Wendung ins Tragische gleichsam die Lösung der Probleme, die Lessing in der komischen Gestaltung unbeantwortet ließ. Möglicherweise spiegeln die Schwierigkeiten der Matrone von Ephesus Lessings wenig später an seinen Bruder übermittelte Erkenntnis, es sei "leichter, zum Mitleiden zu bewegen, als lachen zu machen" (Lessing an Karl Lessing, 9. Juni 1768: LM 17, S. 254). 452 Ohne auf die Problematik der Antiphila-Figur einzugehen, glaubt Schröder (Lessing, S. 296) für das Ende an eine "glückliche Wendung" durch den Charakter des Philokrates, der die Witwe nur habe auf die Probe stellen wollen.
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2. Teil: Lessings Komödien
Das Spiel der Diener wird jedoch im folgenden gänzlich durch die Konstellation Antiphila-Philokrates in den Hintergrund gedrängt. Auf der Ebene der Herrschaft erweist es sich als ungleich schwerer, Komisches auszumachen. Wohl kann nach Lessing Lächerliches schlechten und guten Eigenschaften, sogar dem feierlichen Ernst beigefügt sein, auch sind, wie Minna formuliert, "alle Übertreibungen des Lächerlichen so fähig", doch scheinen diese Konzepte in der Matrone von Ephesus nicht aufzugehen. Selbst wenn man annehmen will, Antiphila gehe in ihrer Trauer und mit ihrem Eid zu weit, so unterdrückt doch die Rückbindung an den unzweifelhaften Tod des Gatten jede Art von Komik. Ähnlich unglücklich wirkt Tellheims Situation, doch erscheint diese in einer veränderten Perspektive und vor allem nach dem Eintreffen des königlichen Briefes weniger existentiell, als er selbst glaubt. Für die Matrone gelingt indes dieses Spiel mit einer veränderten Sicht auf die Dinge nicht mehr. Auch Monika Ficks Argument, im Aufkeimen einer neuen Liebe sei die Wiederherstellung der natürlichen Ordnung vollzogen, die von der Witwe durch ihren Eid und ihre Auflehnung gegen den Willen der Götter verletzt wurde,454 kann die Handlung nicht ins Lustspielhafte wenden. Es erscheint kaum möglich, für Antiphila am Ende die in der Hamburgischen Dramaturgie geforderte Hochachtung, ein wohlwollendes Lachen zu bewahren. Ihre Schwäche und Verführbarkeit werden, sei die Charakterisierungskunst noch so versiert, immer von höherer moralischer Warte aus als Verfehlung verurteilt (und verlacht) werden. Und so konnte nicht einmal Lessing dieser Fabel ihre komische Leichtigkeit geben, "weil zwischen Sarkophagen und angesichts eines Toten [selbst] die geistvollste [Komödie],,455 beleidigen muß. Will man Die Matrone von Ephesus als eine Umsetzung der Lessingschen Theorie des Briefwechsels und der Hamburgischen Dramaturgie sehen, auf der Bühne und im Publikum Weinen in Lachen zu verwandeln und aus der Traurigkeit die Freude notwendig entspringen zu lassen, so ist dieses Experiment letztlich nicht gelungen. Als wesentlich für Lessings Komödienverständnis bestätigt sich aber eine mit den verschiedenen Ausarbeitungsstufen stetig wachsende, vertiefte Psychologisierung der Figuren, um deren Handeln glaubwürdig zu zeigen. Die zunächst einseitige Gestalt Antiphilas wächst zu einem gemischten Charakter heran. Auch in der Grundanlage der Komödie greift Lessing bereits erprobte Schemata auf. Die vor allem durch Sprache und Gestik erzeugte vordergründige Komik auf der Spielebene der Bediensteten wird mit dem Versuch einer ernsthafteren Gestaltung der Haupthandlung ergänzt und kon453 454 455
Lessing, Die Matrone von Ephesus, 2. Auftritt: LM 3, S. 449. Vgl. Fick, S. 314 f. Schmidt, Lessing, Bd. 1, S. 559. Schmidt spricht dabei nicht ganz korrekt
von einer Farce, da es Lessing keineswegs darum geht, nur zum Lachen zu animieren.
III. Bearbeitungen antiker und zeitgenössischer Komödien
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trastiert. Mehr und mehr sucht Lessing seine Vorstellung der hohen Komik, die eben nicht mit jenem lauten Gelächter der niederen Gattung verbunden ist, umzusetzen. Wie Die Matrone von Ephesus belegt, gelingt ihm dies jedoch mit originellen Stoffen ohne Rücksicht auf antike bzw. zeitgenössische Vorlagen überzeugender.
5. Zusammenfassung Überblickt man die auf uns gekommenen Bearbeitungen ausländischer Lustspiele, so zeigt sich hier eine den frühen Komödien vergleichbare Tendenz. In den Jahren 1749 bis 1755, für die die meisten Übertragungen verbürgt sind, experimentiert Lessing mit unterschiedlichen Möglichkeiten der Komödie, wobei jedoch bezeichnenderweise eine satirische Durchformung im Sinne der Gottschedschen Regeln vermieden wird. Am Beginn seiner Auseinandersetzung mit ausländischen Modellen stehen z. B. mit Weiber sind Weiber noch überwiegend possenhafte und entschieden dem Delectare verpflichtete Bearbeitungen, vor allem im lustin kann das Publikum das schlaue Intrigenspiel des Dieners amüsiert begleiten. Die Lehrhaftigkeit ist gerade in diesen Stücken stark zurückgenommen; dies bedingt insbesondere bei Lessings erster Plautus-Übertragung auffallende Eingriffe in die z. T. durchaus moralisierende Vorlage. In ihrer Gestaltung enger zusammengehörig scheinen die teilweise nur fragmentarisch erhaltenen Bearbeitungen Der Schatz, Die aufgebrachte Tugend und Die glückliche Erbin. Ein modifiziertes, weiterentwickeltes Komödienverständnis zeigt insbesondere Der Schatz, nicht nur aufgrund seiner individuelleren und damit überzeugenderen Figurenzeichnung, sondern vor allem durch die bereits in der PlautusKritik angekündigte innovative Verbindung hoher Gesinnungen mit echt komödiantischen Elementen. Eine verbindliche Zuordnung läßt sich aufgrund der Bruchstückhaftigkeit für Die aufgebrachte Tugend nicht treffen, allerdings wird auch hier Lessings Bemühen erkennbar, Rührendes und echt Lustiges, Possenhaftes bzw. Satirisches in einem Stück wenn auch noch nicht zusammenzubinden, so doch nebeneinanderzustellen. Das jüngste Stück innerhalb dieser Gruppe, Die glückliche Erbin, zeigt ebenfalls das deutliche Bestreben, eine im Sinne der Theatralischen Bibliothek "wahre Komödie" zu schaffen, indem sie Bewundernswertes und Fehlerhaftes darstellt. Auch wenn Lessing in diesen Stücken zum Teil stärker in seine Vorlagen eingreift bzw. sich von diesen löst, um sie seiner eigenen Komödienvorstellung gemäß umzugestalten, so bleiben die Bearbeitungen insgesamt doch in Figurenanlage und Konzeption hinter seinen originellen Entwürfen dieser Jahre zurück. Eine Sonderstellung hat zweifelsohne die Matrone von Ephesus inne, sowohl aufgrund der Werkchronologie und ihres Bezuges auf eine nicht dramatisierte Vorlage als auch durch ihren Gehalt und ihre komische Gestaltung. Sie stellt Lessings letztlich gescheiterte Unternehmung dar, eine
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2. Teil: Lessings Komödien
Komödie zu entwerfen, die Lachen und Weinen bzw. Ernst in engster Verbindung auf die Bühne bringt, ja diese Emotionen, wie es der Briefwechsel mit Nicolai und Mendelssohn thematisiert, auseinander hervorgehen bzw. ineinander übergehen zu lassen.
IV. Minna von Barnhelm, oder das Soldatenglück: Spielformen des Lachens und Weinens Ein Stück ganz eigener Art stellt unwidersprochen Lessings letztes vollendetes und zugleich berühmtestes Werk aus dem Bereich des Komischen dar: Minna von Barnhelm, das als das beste deutsche Lustspiel, neben dem allenfalls Kleists Zerbrochner Krug bestehen könne, als ein Prunkstück des Literaturkanons,456 Krönung aufklärerischer Komödiendichtung,457 ein vollkommenes Lustspiel 458 oder aus dem Munde Goethes als "Produktion [... ], die den Blick in eine höhere, bedeutendere Welt [... ] glücklich eröffn[e],,459, betitelt wurde. Seit jeher betonen die Einschätzungen das Neuartige dieser Komödie Lessings, die durch ihren "spezifisch temporären Gehalt,,460, ihre Figurencharakteristik, aber auch durch Stoff und Handlungsführung die bekannten Lustspielschemata der Aufklärungsepoche überwindet, diese sogar im Drama selbst durchspiele und so deren Untauglichkeit entlarve. 461 Zu Recht wurde dabei, wenn auch mit unterschiedlicher Gewichtung und Schlußfolgerung, die eigentümliche Verflechtung komischer und ans Tragische grenzender Elemente, des Lachens und Ernstes hervorgehoben, die Minna von Barnhelm nicht zuletzt die Klassifikation als Tragikomödie462 und - weitaus häufiger - als eines ernsten Lustspieles 463 eingetragen hat. Nicht zuletzt sieht man in ihr die wirkungsästhetische Be456 Vgl. Horst Steinmetz, "Minna von Bamhelm" oder die Schwierigkeit, ein Lustspiel zu verstehen, in: Wissen aus Erfahrungen. Werkbegriff und Interpretation heute. Festschrift für Herman Meyer zum 65. Geburtstag. In Verbindung mit Karl Robert Mandelkowl Anthonius H. Touber hrsg. von Alexander von Bormann. Tübingen 1976, S. 135-153, hier S. 137. 457 Wolfgang Albrecht, S. 52. 458 Otto Mann, Lessing . Minna von Bamhelm, in: Das deutsche Drama. Vom Barock bis zur Gegenwart. Interpretationen I. Hrsg. von Benno von Wiese. Düsseldorf 1975, S. 80-101, hier S. 80. 459 Johann Wolfgang Goethe, Dichtung und Wahrheit, 7. Buch, in: HA 9, S. 281. 460 Ebd. 461 Vgl. Steinmetz, Die Komödie der Aufklärung, S. 74. - Ders., "Minna von Bamhelm" oder die Schwierigkeit, ein Lustspiel zu verstehen, S. 151. - Gaier (S. 46-50) sieht hingegen nicht nur wie Steinmetz die Typenkomödie aufs Spiel gesetzt, sondern alle gängigen Konzeptionen von sächsischer Komödie über Commedia dell'arte, Comedie d'analyse und rührendem Lustspiel bis hin zu einer OthelloVariante erfolglos in der Person Minnas durchexerziert. 462 Vgl. Guthke, Geschichte und Poetik der deutschen Tragikomödie, S. 43.
IV. Minna von Bamhelm, oder das Soldatenglück
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stimmung der Lustspiel-Abhandlungen von Lachen und Rührung als komödiantischer Intention katexochen umgesetzt, Minna von Barnhelm avancierte so zu Lessings Exempel einer "wahren Komödie".464 In der Bedeutung dieses Werkes für die Literaturhistorie und Theatergeschichte einig, geht die Forschung hingegen bei der Auslegung ungleich weniger konform. Konstatierte Steinmetz vor nunmehr 25 Jahren, daß die wissenschaftliche Diskussion zwei Jahrhunderte nach der Fertigstellung Minna von Barnhelms noch immer mit Problemen der Interpretation, ja um ein grundsätzliches Verständnis ringe, so gilt dies heute nicht minder. 465 Die Fülle von Interpretationsversuchen und Detailanalysen lassen als ein Kernproblem der Deutung die Beurteilung der Tellheim-Figur und seiner Konfliktsituationen mit dem König und daraus resultierend mit Minna erkennen. Übertreibt der Major, wenn er glaubt, die Kontroverse mit der königlichen Hofstaatskasse verbiete ihm eine Heirat mit dem Fräulein von Barnhelm, oder ist dieses Verhalten aufgrund der zeithistorischen Situation durchaus gerechtfertigt? Pointiert formuliert: wird er lächerlich oder ist Tellheim ernst bzw. tragisch oder gar beides? Was bewirkt letzten Endes die Lösung dieses Dramas? Ist es die königliche Nachricht seiner Rehabilitierung oder das Verstellungs spiel Minnas? - Anders gefragt: Ändert sich Tellheim durch die Intrige seiner Braut, wird er dadurch erzogen und geheilt oder bleibt er wie er von Beginn an war? Diese für das Verständnis des Textes so wesentlichen Fragen haben eine Vielzahl von Antwortversuchen gefunden, die sich trotz aller differenzierten Ausprägung etwas näher klassifizieren lassen. Einerseits wird Tellheim als eine Lustspielgestalt verstanden, welcher ein lächerlicher Fehler, zumeist jener eines überzogenen (oder gar anachronistischen) Ehrbegriffs anhafte. Auch wenn er keineswegs den lasterhaften Typen der zeitgenössischen Lustspiele gleichgesetzt werden dürfe, da in ihm wie im gesamten Spiel zuviel Ernsthaftes mitschwinge, so sei seine Verfehlung doch noch im Sinne der satirischen Komödie eine durch Minnas Spiel zu heilende und korrigierbare. 466 Demgegenüber wurde 463 Vgl. z.B. Amtzen, S. 25-45. - Ingrid Strohschneider-Kohrs, Die überwundene Komödiantin in Lessings Lustspiel, in: Wolfenbütteler Studien zur Aufklärung. Im Auftrag der Lessing-Akademie hrsg. von Günter Schulz. Bd. 11. Wolfenbüttel 1975, S. 182-199, S. 183. - Heinz Schlaffer, Tragödie und Komödie. Ehre und Geld. Lessings "Minna von Barnhelm", in: H. Sch., Der Bürger als Held. Sozialgeschichtliche Auflösungen literarischer Widersprüche. Frankfurt am Main 2 1976, S. 86-125, hier S. 94. - Gaier, S. 50--56. 464 Vgl. Mann, Lessing, S. 178. - Hinck, Das deutsche Lustspiel des 17. und 18. Jahrhunderts, S. 290. - Grimberg, S. XLIX-LII. - Zur Problematik dieser frühen Aussage in Zusammenhang mit dem Briefwechsel und der Hamburgischen Dramaturgie siehe 1. Teil, Kap. III und Kap. V. 3 dieser Arbeit. 465 Eine differenzierte Gesamtinterpretation unter Berücksichtigung neuerer Forschungsergebnisse wurde in diesem Sinne erneut von Wolfgang Albrecht (S. 60) angemahnt.
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2. Teil: Lessings Komödien
immer wieder auf die Bedrohlichkeit der Situation Tellheims hingewiesen, die als hoffnungslos oder gar tragisch empfunden wurde. Aus diesem Grunde könne das Täuschungsspiel seiner Braut weder eine Veränderung 466 Vertreter dieser Richtung, die vielfach den Konflikt geringer als seine Lösung begreifen (vgl. Steinmetz, "Minna von Barnhelm", S. 140) sind u. a.: Hans Rempel, Tragödie und Komödie im dramatischen Schaffen Lessings. Unveränderter reprografischer Nachdruck der Ausgabe Berlin 1953. Darmstadt 1967 (Libelli 220), S. 86. Wolfgang F. Michael, Tellheim eine Lustspielfigur, in: DVjs 39, 1965, S. 207-212. - EmU Staiger (Lessing: Minna von Barnhelm, in: E. S., Die Kunst der Interpretation. Studien zur deutschen Literaturgeschichte. Zürich 1955, S. 63-82) sieht Tellheim zwar in die Zonen des Trauerspiels emporwachsen, zu einem Fehler und damit komisch werde allerdings seine Ehrvorstellung, weil sie der Major als eine absolute Größe gegenüber der Liebe Minnas behaupten will. - Den Unterschied zu den Protagonisten des Gottschedschen Komödientypus betont auch Catholy (Das deutsche Lustspiel, S. 67-77), da Tellheim zwar den Fehler des "unverzeihlichen Stolzes" zeige, dieser jedoch nicht von vorneherein feststehe. Das Spiel Minnas bewirke in einem Abschleifungsprozeß die erneute Vereinigung mit dem Geliebten, vor allem aber offenbare diese Verstellung, die den glücklichen Ausgang zum Teil sogar gefährde, die ganze Substanz der Liebe Tellheims. - Den Deutungsansatz Richard Alewyns (Tellheims Erziehung, in: R. A., Probleme und Gestalten. Essays. Frankfurt am Main 1974, S. 247-250) nennt bereits der Titel seines Essays. - Das Anachronistische des Ehrbegriffs Tellheims, den erst Minnas Spiel zu einer menschlichen Existenz befreien könne, betont insbesondere Helmuth Kiesel (in: Barner u.a., Lessing, S. 261-268). - Vgl. dazu auch Erich Meuthen (Von den "Schranken der Ehre und des Glücks" - oder: Wie es Tellheim die Sprache verschlägt, in: Euphorion 81, 1987, S. 355-375), der diesen für ihn obsoleten Begriff als paradoxes Mittel einer Kritik an einer rein materiell-funktionalen Realität interpretiert. Simonetta Sanna (Lessings "Minna von Barnhelm" im Gegenlicht, S. 191, 231, 234) sieht (verkörpert in den beiden Protagonisten) die Grundsätze eines höfischen Ehrenkodex, der der Lächerlichkeit preisgegeben werde, mit den Werten einer bürgerlichen Gesellschaft in Konflikt geraten. Nur der von Minna gesteuerte Bildungsprozeß garantiere den glücklichen Ausgang der Komödie mit Tellheims Absage an einen verabsolutierten Ehranspruch (ebenso Dies., Streitkultur in Lessings Minna von Bamhelm. Minnas Fähigkeit versus Franziskas Unfähigkeit zum Streiten als Movens von Handlungsentwicklung und Konfliktlösung, in: Streitkultur. Strategien des Überzeugens im Werk Lessings. Referate der Internationalen Lessing-Tagung der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg und der Lessing Society an der University of Cincinnati, Ohio/USA, vom 22. bis 24. Mai 1991 in Freiburg im Breisgau. Hrsg. von Wolfram Mauser/Günter Saße. Tübingen 1993, S. 444--456). - Ebenfalls als anachronistisches Ethos betrachtet Rüskamp (S. 67) Tellheims Verhalten, zugleich weist er nicht ganz stringent auf die schon von Michelsen herausgearbeitete Handlungsstruktur der Komödie hin, die diese ernste Situation des Majors nur als überzogene Moral und ehrpusselige Pedanterie umdeute. - Auch Seeba (S. 65-85) betrachtet Tellheim als komischen Helden, wobei er allerdings den Ehrbegriff zu sehr an die finanzielle Situation koppelt. - Jürgen Jacobs (Lessing. Eine Einführung. München, Zürich 1986, S. 70-76) erkennt bei Tellheim Affinitäten zum komischen Lastertyp, doch bestehe sein Fehler in der Verhärtung und Vereinseitigung einer im Grunde tugendhaften Haltung, auf deren Korrektur die Intrige seiner Braut zielen müsse. - Als notwendigen Prozeß, der den Major wieder als Individuum zu sich selbst kommen lasse, deutet Amtzen (S. 25-45) Minnas Verhalten, nachdem Tell-
IV. Minna von Bamhelm, oder das Soldatenglück
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seiner selbst noch eine Konfliktlösung des Lustspiels bewirken. Diese komme einzig durch das königliche Rehabilitationsschreiben zustande, weshalb am Ende die Komödie tatsächlich nur einen hauchdünnen Sieg davontrage. 467 Gleichwohl wurde von Vertretern dieser Richtung, die Tellheims unglückliche Situation hervorhoben, eine allzu einseitige Deutung vermieden, indem auch sie an der Gestalt des Majors Lächerliches ausmachen. 468 heim durch seine selbstgewählte Blindheit seine menschliche Autonomie verliere und so lächerlich werde. 467 Vgl. Steinmetz, "Minna von Bamhelm", S. 152. - Raimund Belgardt (Minna von Bamhelm als komischer Charakter, in: Monatshefte 58, 1966, S. 209-216) deutet Tellheim als einen von Minna (und dem Zuschauer) Mißverstandenen; auf diese Weise wird für ihn das Edelfräulein zur eigentlich komischen Figur dieser Komödie. - Peter Michelsen (Die Verbergung der Kunst. Die Exposition in Lessings "Minna von Bamhelm", in: P. M., Der unruhige Bürger. Studien zu Lessing und zur Literatur des achtzehnten Jahrhunderts. Würzburg 1990, S. 221-280) arbeitet maßgeblich die Unlösbarkeit der Probleme Tellheims heraus. Diese werde dem Zuschauer jedoch durch Lessings Anlage des Stückes, vor allem durch den Kunstgriff der Exposition nicht in vollem Maße bewußt, vielmehr werde nur der Anschein erweckt, daß eine Lösung durch das Spiel Minnas möglich sei und Tellheim von dem Fehler eines übertriebenen Ehrgefühls geheilt werde. - Entschieden verneint auch Steinmetz ("Minna von Bamhelm", S. 135-153) die Möglichkeit einer Veränderung des Majors durch Minnas Intrige, da er dann aufgrund der Spielstruktur nur als ein der Übertreibung Verfallener erschiene. Im Gegensatz zu den Protagonisten der Typenkomödie liege es aber gerade nicht in seiner Macht, die nicht aufgrund einer persönlichen Verfehlung entstandene Konfliktsituation zu ändern. - Erneut hebt Greiner (Die Komödie, S. 169-184) diese Lenkung des Zuschauers hervor, der zunächst von einem Fehler des Helden ausgehen müsse. Tatsächlich werde aber die Ehre Tellheims nicht in Frage gestellt, sondern sogar als Wert bekräftigt. Ganz in diesem Sinne vermag Minna keine Änderung der Grundsätze ihres Bräutigams zu erspielen. - Als vorbildlichen Charakter interpretiert Wicke (S. 109-122) die Figur Tellheims, der zwar bis zum 4. Akt in einem komischen Licht stehe, in Wahrheit jedoch eine tragische Person bilde. 468 Vor allem Mann (Lessing, S. 195-213) stellt die tragischen Verstrickungen des Majors heraus, der mit seinem Entschluß, auf Minna zu verzichten, durchaus korrekt handele. Eine Erziehung durch das Spielgeschehen sei in diesem Sinne unmöglich, erst die Nachricht des Königs löse als ein deus ex machina die Konflikte auf. Nichtsdestoweniger erkennt auch noch Mann an Tellheim Lustspielhaftes, da ihm die innere Freiheit gegenüber seiner Tugendgesinnung fehle und so ein Zug von Donquichotterie entstehe. - Tellheims hoffnungslose, unglückliche Lage hebt Gaier (S. 42-56) hervor und weist damit ausdrücklich die Annahme eines überzogenen Ehrbegriffs zurück. Bis zum Eintreffen des königlichen Briefes sei dieser in keiner Weise lächerlich, erst seine unkritische Begeisterung über dieses Schreiben lasse ihn als schwache Persönlichkeit komisch erscheinen. - Komische Widersprüche in Tellheims Verhalten erkennt Reh (Die Rettung der Menschlichkeit, S. 238 bis 283). Auch wenn Minnas Spiel eine Distanzierung Tellheims von seinem Ehrbegriff und eine Milderung des komischen Exzesses seiner Gefühlsverhärtung bewirke, so könne hingegen der Konflikt mit dem König nur durch das dramaturgisch notwendige Rehabilitationsschreiben aufgehoben werden. - Auch Monika Fick (S. 251 bis 256) betont den Ernst der Lage, der nur von außen gelöst werden könne. Sie er-
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2. Teil: Lessings Komödien
Ein in erster Linie komödienpoetologischer Blickwinkel auf Minna von Barnhelm will im folgenden versuchen, Probleme und Widersprüche der Deutungsgeschichte wenn nicht zu lösen, so doch etwas zu erhellen. Für die Interpretation dieser Komödie scheint es sinnvoll und aufschlußreich, in stärkerem Maße als bisher geschehen, Lessings theoretische Schriften heranzuziehen; dies gilt insbesondere für die so wesentliche Begriffsfassung des Lachens in der Korrespondenz mit Nicolai und Mendelssohn und in der Hamburgischen Dramaturgie, deren erste Blätter kurz nach dem Erscheinen der Minna von Barnhelm zur Ostermesse 1767 begonnen wurden. Es wird zu fragen sein, inwieweit die im Ersten Teil erarbeiteten Erkenntnisse vor allem im Hinblick auf Lessings Verbindung der beiden Ausdrucksformen des Lachens und Weinens, der Komik und des Ernstes diese große Komödie bestimmt haben. Dabei erstreckt sich die Untersuchung jedoch nicht nur auf die textimmanente Ebene, als entscheidende Kategorie muß dabei auch die wirkungs- bzw. rezeptions ästhetische Dimension, die Lessing zur Grundlage seines Gattungsverständnisses erhebt, reflektiert werden. Minna von Barnhelm stellt, dies sei als eine These formuliert, im Grunde Lessings theatralische Umsetzung seiner Theorien von Lachen und Weinen sowie der Möglichkeiten dar, künstlerisch eines in das andere zu verwandeln, aus dem Ernst das Lachen entspringen zu lassen und vice versa. Hier zeigt sich letztlich auch, daß Lessing das Phänomen der menschlichen Erheiterung in der dichterischen Praxis weitaus differenzierter als in seiner theoretischen Formulierung erlaßt, sind doch in seiner letzten Komödie die unterschiedlichsten Variationen des Lachens und Weinens gestaltet. 469 So erweckt Lessing nicht nur das von ihm so geschätzte vernunftgeleitete Lachen einer hohen Komik, das sich in eher stiller Weise äußert, der Zuschauer wird ebenso durch komische Szenen von der Lust des reinen, nicht zweckgerichteten Lachens überwältigt, ein spottendes Verlachen findet ebenso statt, wie Lessing auch die negative Form des bitteren Lachens, das keinen Ausweg mehr weiß, aufzeigt, aber auch ebenso Tränen fließen läßt, und schließlich lebt in Minna von Barnhelm ein lachender Ernst oder Humor, der die Tragweite der Geschehnisse ermißt, ohne von dieser Erkenntnis niedergeschlagen zu werden, da er auf die Vorsehung vertraut. 470 Mit diesem Spiel der Möglichkeiten von Lachen und Weinen ist nicht zuletzt kennt einen Konflikt zwischen Liebe und Ehre, wobei Tellheim paradoxerweise da "als ,stolz' vorgeführt wird, wo er objektiv keinen Fehler begeht" (S. 252); gleichwohl werde dieser Stolz für ihn zur Gefahr. Durch Minnas Intrige erfahre er eine Befreiung seiner Empfindungen; seine innere Einstellung wandle sich, ohne daß sich der Major jedoch im Grunde wesentlich verändere. - Schröder (S. 240) stellt ebenfalls die tragische Situation Tellheims heraus, geht aber gleichzeitig von einer Art Heilung und Einsicht des Majors aus. 469 Auf die Thematisierung des Lachens in Minna von Bamhelm weist Janik (S. 162-165) hin, allerdings ohne eine vertiefende und weiterführende Analyse.
IV. Minna von Barnhelm, oder das Soldatenglück
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auch ein Spiel mit den wirkungsästhetischen Möglichkeiten von Komödie und Tragödie verbunden, das Minna von Barnhelm ein Stück weit als eine sich auf der Bühne vollziehende Theorie der Gattungen, als eine gespielte Poetologie sehen und lesen läßt. Schon die zeitgenössische Rezeption hatte im Hinblick auf die Wirkung dieses Stückes konstatiert, daß es "oft zum Lachen, weit öfter zum Lächeln, und nicht selten zu Thränen,,471 bewege. Daß das laute Lachen in erster Linie durch die Dienerfiguren sowie die Gestalten auf niederer Ebene erreicht wird, steht wohl außer Frage. 472 Vielfach werden im Umfeld dieser dramatis personae Mechanismen eingesetzt, die Lessing zum Teil dem Bereich der niederen Form der Komik zuordnet, d. h. die einer eher vordergründigen Erheiterung dienen und vor allem den Bauch in Erschütterung versetzen. Doch selbst diese typischen komödiantischen Szenen und Elemente, die teilweise aus dem satirischen Lustspiel vertraut scheinen, rufen unterschiedliche Qualitäten des Lachens hervor. Der Grund hierfür ist sicherlich in einer veränderten Personencharakterisierung zu suchen, welche die Forschung als ein entscheidendes Kriterium der Abkehr von überlieferten Komödientraditionen betrachtet hat. 473 Noch weitgehend einem typischen, lächerlichen Vertreter entspricht die Figur des Wirtes, der Kontrast von Mangel und Realität, hier eine moralische Untugend, ist leicht ersichtlich. Auf den eigenen Vorteil bedacht, läßt er bei Ankunft einer vornehmen Kundschaft Tellheim, der schon fast als Stammgast zu zählen ist, das Zimmer räumen. Je nach Situation und Gegenüber tritt er mal grob-unverschämt oder schmeichlerisch-heuchelnd bzw. 470 Ein kurzer Blick auf neuere Versuche, dieses Phänomen zu erfassen, macht evident, wie (unerwartet) stark es Lessing schon im 18. Jahrhundert gelungen ist, Bedingungen und Möglichkeiten dieser Ausdrucksformen (möglicherweise auch zu einem Gutteil intuitiv) zu erfassen; sie werden in mancherlei Hinsicht durch heutige Erkenntnisse bestätigt (vgl. z. B. Helmuth Plessner, Lachen und Weinen. Eine Untersuchung nach den Grenzen menschlichen Verhaltens. Arnheim 1941). - Selbst wenn sich gravierende Differenzen zur geradezu klassischen Untersuchung Henri Bergsons (Das Lachen. Ein Essay über die Bedeutung des Komischen. Aus dem Französischen von Roswitha Plancherel-Walter, Nachwort von Karsten Witte. Darmstadt 1988) offenbaren, die das Lachen als Ausdruck einer Gruppe im Sinne eines strafenden, integrativ-dissoziativen Verlachens oder Auslachens erklärt, so setzt Lessing durchaus - dies wird im folgenden noch zu zeigen sein - ähnliche Mechanismen und Anlässe des Lachens ein, wie sie auch Bergson erkennt. 471 BPZ, 9. April 1767; zitiert in: Lessing im Urtheile seiner Zeitgenossen. Bd. 1, S.177. 472 Strohschneider-Kohrs (S. 185 f.) erkennt die heiteren Züge vor allem in Elementen aus der comedie gai, wie z. B. die "fröhliche Heiraterei" Franciskas und Werners, der polternde Bediente etc. 473 Diese Veränderungen der Rollenfächer erörtert insbesondere Hinck, Das deutsche Lustspiel des 17. und 18. Jahrhunderts, S. 292-298.
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2. Teil: Lessings Komödien
scheinheilig auf, vor allem aber erweist er sich als neugieriger Geschäftsmann, wenn er nicht nur das versiegelte Beute1chen in Tellheims Schreibpult untersucht, sondern auch Unter dem Deckmantel der polizeilichen Verordnung genau über die Angelegenheiten des neuen Gastes Auskunft gewinnen will. So muß Franciska bei Minnas und Tellheims Wiedersehen den Indiskreten geradezu nötigen, das Zimmer zu verlassen. Hochachtung ist ihm gegenüber kaum denkbar, und so speist sich das Gelächter über die plumpe Indiskretion des Wirts nicht aus einer sympathisierenden Erheiterung, sondern ist vielmehr Spott und Verlachen. Die Unlust über die Eigenarten der Figur dominiert ohne Zweifel über die hervorgerufene Lust. Wie in der satirischen Spielform wird er von Franciska, ebenso von Just und Werner in unterschiedlicher Weise vorgeführt und düpiert; der Zuschauer aber tritt auf der Stelle an die Seite der Spottenden, indem er sich lachend über den Wirt erhebt. Die Verbindung zur Typenkomödie steht für diese Figur außer Frage, gleichwohl vermeidet es Lessing, die negativen Züge zu überzeichnen und aus dem Wirt nur noch ein hageres Gerippe von lasterhaften Eigenschaften zu machen. Wie mit der Figur des Wirtes verknüpft Lessing auch mit der Dienergestalt Justs Elemente der niederen, besser gesagt zweckfreien Komik: Just, der träumt, sich zu prügeln, und davon erwacht, der den heuchlerischen Gastwirt an der Nase herumführt und sich schließlich VOn ihm beleidigend beim Vornamen gerufen glaubt. All diese Szenen evozieren ein Lachen, das dem Possenspiel zuzuordnen ist, ein Lachen ohne erzieherischen Impetus. Fügt sich Just mit diesem Beginn noch dem vertrauten Bild eines etwas groben und tölpeligen Dieners, so tritt er im folgenden, wie Hinck nachdrücklich betont, aus den überlieferten Schemata heraus. Es erscheint ihm geradezu unmöglich, gegen Tellheim zu intrigieren oder gar seiner zu spotten,474 im Gegensatz zu Anton im Jungen Gelehrten, der diesen Zug par excellence vorführt. Seine Bindung an Tellheim ist eine echt menschliche. Wie tief diese Loyalität und Anhänglichkeit reichen, offenbaren das sog. Pudelgleichnis und Justens Schuldaufrechnung in 1,8. Hier ist nun der für die früheren Dienstboten kennzeichnende Zug, aus finanziellen Eigeninteressen zu handeln (man denke nur an Christoph in den Juden, Maskarill im Schatz, Lisette in der Alten Jungfer oder auch an die Dienerfigur Johann im Freygeist), verschwunden. Gerade Just zeigt sich als ein gemischter Charakter, in dem sich positive wie negative Seiten zu einem realistisch gezeichneten Bedienten verbinden. Sein einerseits grobes, ungeschliffenes Wesen wird durch seine vielfach anrührende Hilfsbereitschaft, Treue und Anhänglichkeit versöhnt, ja die zum Teil erschreckenden Rachepläne gegenüber dem Wirt entspringen eigentlich nur seiner großen Ergebenheit für Tellheim. Im Grunde seines Wesens ist er ein ehrlicher und anständiger 474
Vgl. ebd., S. 295.
IV. Minna von Bamhelm, oder das Soldatenglück
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Mensch. Wie sehr er sich mit dieser starken Bindung von seinen Kollegen unterscheidet, zeigt das Spiel ausdrücklich in zwei unmittelbar aufeinanderfolgenden Auftritten. Während Just über den drohenden Abschied von Tellheim sogar Tränen vergießt, verlohnt es für den namenlosen Bedienten Minnas nicht einmal, den Namen der Herrschaft zu lernen, da er sich "meistentheils aller sechs Wochen, eine neue"475 suche. Den Kontrast zwischen Justens Haltung und den übrigen Tellheimschen Dienern bestätigt ausführlich die Unterhaltung mit Franciska, die zugleich Hincks Urteil widerlegt, Just sei durch einen gänzlichen Mangel an Witz gekennzeichnet,476 gelingt es ihm doch, der schlagfertigen Zofe Paroli zu bieten. Die Komik dieser Szene III,2 entspringt weniger einer direkten Sprachkomik als einer geschickten Dialogführung, die dreimal dasselbe Aufbaumuster nützt: Franciska erkundigt sich nach dem Verbleib einer der Diener, über den Just zunächst in neutraler Weise Auskunft gibt. Erst auf die Nachfrage des Kammermädchens wird die Ironie der vorangegangenen Antwort erkennbar, denn nun gibt Just mit der Schilderung der wahren Ereignisse seiner Aussage einen völlig neuen Sinn. Die vermeintlich braven Bedienten des Majors erweisen sich allesamt als treulose und betrügerische Gesellen. Franciskas Schimpftirade und das ironische Loblied Justens beschließen jeweils dieses Dialogschema, das am Ende nochmals durch eine überraschende Wendung gesteigert wird, denn mit dem Avancement des Läufers hat es wider Erwarten seine Richtigkeit. Just findet aber auch für ihn eine treffend witzige Steigerung: "Fritz hingegen kann dem Galgen tausend Schritte vorgeben, und ich wette mein Leben, er hohlt ihn ein.,,477 Was uns nicht nur in dieser Szene, sondern vor allem auch noch in den gewitzten Bemerkungen Franciskas begegnet, ist ein Lachen, das nicht durch possenhafte Elemente oder lächerlichen Kontrast, sondern durch Witz und das ihm innewohnende Überraschende und Unvermutete erweckt wird. 478 Gänzlich anders gestaltet sich die Sprachkomik des Leutnants Riccaut und des Wachtmeisters Werner. Während der französische Offizier durch ein im übrigen mit sinnreichen Anspielungen durchzogenes 479 Kauderwelsch erheitert und damit ohne Zweifel einen Höhepunkt sprachkomischer Gestaltung in Minna von Bamhelm bildet, erinnert der Wachtmeister mit seinem repetierten "Frauenzimmerchen" an die Eigenart früher LustspielfiLessing, Minna, 1,9: LM 2, S. 185. Vgl. Hinck, Das deutsche Lustspiel des 17. und 18. Jahrhunderts, S. 295. 477 Lessing, Minna, III,2: LM 2, S. 210. 478 Vgl. Wolfgang Preisendanz, Über den Witz. Konstanz 1970, S. 27. 479 So nennt er als seinen vollständigen Namen "Chevalier Riccaut de la Marliniere, Seigneur de Pret-au-vol, de la Branche de Prensd'or", was Ouo Mann mit "Herr von Diebeslust, aus der Linie der Goldnehmer" bzw. Bohnen (in: B 6, S. 862) als "Herr von Schmeichler und Schmarotzer" übersetzt. 475
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2. Teil: Lessings Komödien
guren Lessings, bestimmte Phrasen stereotyp zu wiederholen. 48o War sie in der Frühzeit gehalten, lächerliche Gestalten zu kennzeichnen, schlägt die Manie in diesem Falle nicht in negative Beurteilung um, vielmehr wird auch Werner als ein im ganzen aufrichtiger und Tellheim treu verbundener Kerl gezeichnet. 481 Wie bei lust speist sich diese Verbundenheit aus gemeinsamen Erfahrungen, hier von Kriegserlebnissen, die Wachtmeister Werner zweimal zum Lebensretter Tellheims werden ließen. Die bloße Nachricht von der finanziell desolaten Lage seines ehemaligen Vorgesetzten hatte Werner veranlaßt, "sein Bißchen Armuth mit [ihm] zu theilen,,482. Den Tellheim übergebenen 500 Louisdor, die er ihm mit der unausgesprochenen Absicht anvertraut hat, der Major möge sie zu seinem Lebensunterhalt aufbrauchen, will er nun erneut einen stattlichen Betrag hinzufügen, doch wird er daran von Tellheim allzu schnell gehindert. Lessing greift in dieser Sequenz in etwas veränderter Gestaltung auf ein altbekanntes Komödienmuster zurück, nämlich das des "betrogenen Betrügers" bzw. "ertappten Lügners". Wurde in der alten Form der negative Akteur zu Recht selbst hinters Licht geführt, vom Publikum schadenfroh ausgelacht und so die rechte Gesellschaftsordnung wiederhergestellt, wird in Minna von Barnhelm ein gutwilliger Einfall durch Tellheims Reaktion vereitelt. In diesem Sinne gilt Werner kein strafendes und seine Behandlung rechtfertigendes Verlachen mehr; das Lachen verstummt überhaupt mit Werners tiefgreifender Frage: "Aber der, der mich so zu lügen zwingt, was sollte der? Sollte der sich nicht auch schämen?,,483 Ein weiteres Mal steht Werner in Szene m,lO als ertappter Lügner vor uns und wird dabei von Franciska gehörig vorgeführt. Indes ist diese Geschichte mit den gerne verleugneten Ringen, sprich Bindungen keine böswillige Erfindung des Hauptmanns. Sie entspringt (ähnlich wie lusts Racheplan) vielmehr aus den Bemühungen, Tellheims Ansehen zu schützen. Nur Franciskas Behauptung, der Major habe einen Ring versetzen müssen, d. h. habe finanzielle Nöte, ruft Werners Widerspruch hervor, den Topos des treulosen Soldaten aufgreifend, sein Freund sei dieses Schmuckstück vielleicht recht gerne losgeworden. Das vorbehaltlose Einstehen Werners für Tellheim, das nach Aussage des Wirtes sogar 480 Dieses sprachliche Verfahren entspricht Bergsons Vorstellung vom Lächerlichen als etwas Mechanischem. Alles Zwanghafte, Steife, Stereotype, Automatische oder Fixierte gerate in einen komischen Widerspruch zum Beweglichen und individuell Lebendigen und provoziere so ein in Bergsons Augen strafendes Lachen (vgl. Bergson, S. 17, 33). Diese lächerlich wirkende Zwanghaftigkeit bestätigt sich vor allem in Szene IV,4, wenn Werner hölzern und steif auftritt. 481 Vor allem Hinck (Das deutsche Lustspiel des 17. und 18. Jahrhunderts, S. 297 f.) betont die Sprengung des Klassensystems der Komödie durch diese zwar sozial niedriger gestellte, aber doch unabhängige Figur. 482 Lessing, Minna, 1,4: LM 2, S. 179. 483 Ebd., III,7, S. 218.
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des eigenen Lebens nicht schonen würde, ist indes nur eine Facette seines Wesens. Ein erstes Gespräch mit lust, das um seinen Soldatenberuf kreist, setzt ihn durchaus in ein komisches Licht, auch wenn er nicht in der vertrauten Rolle des Miles gloriosus, des großsprecherischen und doch feigen Kriegers auftritt. Daß Werners Absicht, nur um des Krieges willen wieder mit dem georgischen Fürsten Heraklius in die Schlacht zu ziehen, nicht rechtens ist, wird allerdings erst zwei Akte später expressis verbis mit Tellheims Urteil deutlich: Laß mich nicht von dir glauben, daß du nicht so wohl das Metier, als die wilde, lüderliche Lebensart liebest, die unglücklicher Weise damit verbunden ist. Man muß Soldat seyn, für sein Land; oder aus Liebe zu der Sache, für die gefochten wird. Ohne Absicht heute hier, morgen da dienen: heißt wie ein Fleischerknecht reisen, weiter nichts. 484
Hier liegt sehr subtil gestaltet ein Stück jenes wahren Lächerlichen verborgen, das nach Lessings Auffassung eben nicht unbedingt laut lachen macht, das aber im Kontrast zum eigentlichen Menschsein entsteht. Unter einer oberflächlichen Komik, die ihre Wirkung vor allem aus der sprachlichen Gestaltung zieht, berührt das eigentlich Lächerliche das zutiefst dem Menschlichen Widersprechende. 485 Bezeichnend ist, daß Werner nie als Mensch und Freund, wohl aber als Soldat lächerlich erscheint. Stand zunächst die ethische Fragwürdigkeit seines Berufsverständnisses zur Disposition, so gilt in den Szenen IV,4-5 der tiefgreifende Spott seinem Rollenverhalten. letzt mit einem Auftrage Tellheims versehen, zeigt der bisher so zwanglos gezeichnete Wachtmeister entsprechend der Regieanweisung ein völlig verändertes Benehmen: "Paul Werner (der in einer steifen Stellung, gleichsam im Dienste, hereintritt).,,486 Indem er nun Persönliches wie die Beziehung zu Franciska verdrängt und nur mehr in der Rolle des diensthabenden Soldaten auftritt, wird er in einer Situation, in der eben diese Rolle unangemessen erscheint, lächerlich. 487 Minna bemerkt dies sogleich spottend gegenüber Franciska, die tieferblickend den Grund dieses Gebarens nennt: Ja, gnädiges Fräulein, das ist mein Wachtmeister. Sie finden ihn, ohne Zweifel, ein wenig steif und hölzern. Jetzt kam er mir fast auch so vor. Aber ich merke wohl; er glaubte, vor Ihro Gnaden, auf die Parade ziehen zu müssen. Und wenn die Soldaten paradiren, - ja freylich scheinen sie da mehr Drechslerpuppen, als
Ebd., S. 219 f. Gerade hier verbirgt sich denn auch eine geschickt verschlüsselte Kritik am Soldatenturn. 486 Lessing. Minna, IV,4: LM 2, S. 234. 487 Simonetta Sanna (Lessings "Minna von Bamhelm" im Gegenlicht, S. 122 bis 124) spricht in diesem Zusammenhang etwas mißverständlich von einer "bösen Seite" Werners. 484 485
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Männer. Sie sollten ihn hingegen nur sehn und hören, wenn er sich selbst gelassen ist. 488
An Werner wird in etwas veränderter Fonn eine ähnliche Struktur wie bei Tellheim sichtbar, die gesellschaftliche, berufliche Rolle überdeckt bzw. bestimmt den sonst "sich selbst gelassenen,,489 Menschen, der sich frei von Konventionen und Regeln weiß, und läßt ihn so starr und lächerlich erscheinen. In dieser Szene mit Minna und Paul Werner wird ein Grundzug des Kammerfräuleins evident, nämlich jener einer durchaus scharfsinnigen Beobachterin und Kritikerin. Hellsichtig vennag sie nicht nur hier die geheimen Ursachen verschiedener Verhaltensweisen zu benennen; so entlarvt sie als Motivation für das Verhalten ihrer Herrin zu einem nicht geringen Teil Eitelkeit und Eigenliebe. Sie kann mit geistreichen Aphorismen aufwarten, die allerdings weniger Produkt intensiven Nachdenkens sind, vielmehr aus der Empfindung und dem gesunden Menschenverstand Franciskas resultieren. Schlagfertig und frech-gewitzt begegnet sie schließlich Wemer, dem Wirt und nicht zuletzt auch Tellheim. Mag mancher dieser Züge noch an die Lisetten der frühen Lustspiele gemahnen, so ist doch der Funktionswandel der Zofenfigur in Minna von Barnhelm unübersehbar und sinnfällig gemacht durch die Namensänderung. Franciska verbindet mit Minna (wie Tellheim und Werner) über die soziale Schranke hinweg Freundschaft. Die neue Qualität dieser Beziehung von Herrin und Zofe manifestiert sich auch in der Biographie beider. So ist Franciska gemeinsam mit Minna erzogen worden, sie habe, wie sie stolz verkündet, "alles gelernt, was das gnädige Fräulein gelernt hat,,49o. Die signifikante Änderung betrifft indes ihre Stellung im Drama selbst. Während ihre Schwestern in den frühen Komödien Lessings zunächst die eigentlichen Fäden der Handlung ziehen, ehe sie nach und nach "entmachtet" werden und fast gänzlich verschwinden, hat Franciska nur wenig Anteil an dem Listenspiel, das wie schon im Misogyn ganz das Werk des liebenden Mädchens Minna ist. Franziska wird im Grunde nur eine Statistenrolle zugewiesen. Funktions- und bedeutungslos wird das sächsische Kammerfräulein indes keineswegs. Minna nennt sie spöttelnd einmal eine "Sittenrichterinn,,491 und hat damit so unrecht nicht, bildet doch Franciska mit ihrer teilweise recht kritischen Beurteilung Minnas ein Gegengewicht, das deren Handlungen aus anderer Warte betrachtet 488 Lessing, Minna, IV,5: LM 2, S. 235. 489 Diese Formulierung erinnert nicht zuletzt an die Charakterisierung der jungen Baronin in den Juden. Einzig sie hatte, als die sich selbst gelassene Natur beschrie-
ben, auf die Entdeckung des Juden in vorbehaltloser, d. h. rein menschlicher Weise reagiert. 490 Lessing, Minna, 11,2: LM 2, S. 194. 491 Ebd., IV,I, S. 227.
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und ihre Haltungen relativieren kann. Sie ist es, die schon zu Beginn über Tellheims Lage eine gänzlich andere Sicht als ihre Herrin äußert und somit auch dem Publikum als Alternative anbietet. Minna jubelt nur über den wiedergefundenen Verlobten und scheint dabei ausschließlich um sich selbst zu kreisen, Franciska hingegen vermag diese überschwengliche Freude (noch) nicht recht zu teilen. Des Majors offenbar mißliche Situation appelliert an ihr Mitleidsgefühl und so ist sie dem Weinen bzw. Ernst näher als dem Lachen: Wir haben den Mann wiedergefunden; aber wie haben wir ihn wiedergefunden? Nach allem, was wir von ihm hören, muß es ihm übel gehn. Er muß unglücklich seyn. Das jammert mich. 492
Es ist bezeichnend, daß Minna diese unterschiedlichen Gefühlsregungen beider noch einmal aufgreift und ihre Sicht ausdrücklich gegen Franciskas Aufforderung zum Mitleid stellt: Er jammert dich? Mich jammert er nicht. Unglück ist auch gut. Vielleicht, daß ihm der Himmel alles nahm, um ihm in mir alles wieder zu geben !493
Auch gegen Ende der Komödie ist es wiederum die Zofe, die warnend ihre Stimme gegen Minna erhebt: "Noch nicht genug?,,494 oder "Und nun, gnädiges Fräulein, lassen Sie es mit dem armen Major gut seyn. ,,495 Als sich die Inszenierung gar gegen ihre Urheberin wendet, fällt Franciska schließlich das harte Urteil: "Nun mag sie es haben!,,496 Sie übernimmt damit den Part eines außenstehenden Beobachters bzw. Kommentators, der zum einen an mancherlei Stellen die Gedanken des Publikums auszusprechen scheint, vor allem aber das Spiel und das Verhalten Minnas kritisch reflektiert, in Frage stellt und auf diese Weise eine nicht zu unterschätzende Sicht auf die Protagonistin bietet. Während Lächerliches, Komisches und Witziges auf der Ebene der Diener- bzw. Nebenfiguren gut auszumachen und relativ leicht den verschiedenen Formen des Komischen bzw. Arten des Lachens zuzuordnen ist, erweist sich die Frage, inwiefern die Protagonisten Minna und Tellheim Anlaß zu Lachen aufgrund von an ihnen sichtbar werdendem Lächerlichen geben, weitaus diffiziler. Dies spiegelt die seit der Entstehung der Minna von Bamhelm von der Forschung kontrovers geführte Diskussion wider. "Und ist es meine Einrichtung, daß alle Uebertreibungen des Lächerlichen so fähig sind?,,497 fragt Minna ganz recht. Nur, trifft diese Einschät492 Ebd., denheit der 493 Ebd., 494 Ebd., 495 Ebd., 496 Ebd.,
1I,5, S. 199. - Auch Franciskas "Wir" zeigt die oben erörterte Verbunbeiden Frauen. 1I,7, S. 201. V,5, S. 250. V,9, S. 253. V,lO, S. 258.
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zung auf Tellheim tatsächlich zu? Die wissenschaftliche Beschäftigung hat bei ihrer Überlegung, ob im Major eine lächerliche Figur begegne oder nicht, verstärkt auf die artifizielle Struktur des Lustspiels Bezug genommen, die nicht zuletzt eine Beurteilung Tellheims so schwierig macht. Glaubt man den Major in einer tragischen Situation, so wird der ernste Charakter stärker betont und man hat Mitleid; sieht man ihn als lächerliche Gestalt, kann man ihn belachen. Ein und dieselbe Figur kann also Weinen oder/und Lachen erwecken, abhängig ist diese Einschätzung indes von der jeweiligen Beurteilung der Umstände und der Situation des Protagonisten. Gleichzeitig ist jedoch dieses disparate Bild der Figur eine Bestätigung von Lessings These der Verwandtschaft von Lachen und Weinen bzw. Mitleid, die durch eine Steigerung bzw. Abschwächung der Anteilnahme auseinander hervorgehen können. Um uns Tellheim und dieser Deutungsproblematik anzunähern, soll im folgenden sein Verhalten und Auftreten von Beginn des Dramas an verfolgt werden: Aus welchem Blickwinkel und mit welchem Wissen sehen ihn die übrigen dramatis personae, sieht ihn der Zuschauer? Vage wird er zunächst im Streitgespräch Justens charakterisiert als ehrlicher Mann und Offizier, der, aus dem Heeresdienst entlassen, zudem in einer beträchtlichen finanziellen Misere steckt. Die genauen Ursachen dieser Situation bleiben jedoch verborgen. 498 Daß es sich bei Justens Aussagen nicht um eine verzerrte Schilderung eines Dieners handelt, bestätigen im folgenden die Auftritte 1,4-8: Tellheim, der nicht einmal in einer eigenen Notlage anvertrautes Geld antastet; Tellheim, der, obschon selbst arm, das ihm zustehende Geld der Rittmeisterin Marloff ablehnt; Tellheim, der verspricht, für den Sohn des Verstorbenen sorgen zu wollen; Tellheim, der bei Krankheit für seinen treuen Diener aufkommt. All diese Szenen fügen das Mosaik eines tugendhaften Menschen, den wir uns auch in einem rührenden Lustspiel denken können. Auf ihn trifft allerdings wie auf keine andere Komödienfigur ebenso Lessings Bestimmung für das Trauerspiel zu, für die der Zuschauer Mitleid bzw., wie Lessing es im Briefwechsel nennt, Rührung als einen Grad des Mitleids empfinden könne, da er gerade zu Beginn "weder die Vollkommenheiten, noch das Unglück des Gegenstandes deutlich denke, sondern von beyden nur einen dunkeln Begriff.499 habe. 497
498
Ebd., IV,6, S. 239. Michelsen (S. 228 f., 234) hat, unter Verweis auf Meyer-Benfey, gezeigt, daß
Lessing Möglichkeiten, den Zuschauer genau zu informieren, bewußt verstreichen läßt. 499 Lessing an Friedrich Nicolai, 29. November 1756: LM 17, S. 77. - Lessing scheint in Minna von Bamhelm ein Stück weit das hier beschriebene Verfahren anzuwenden, da er zunächst auf die "Unfälle" Tellheims verweist, ehe er das Publikum mit den guten Eigenschaften näher bekannt macht. Dies aber ist, so der Brief an Nicolai, eine Möglichkeit, Rührung hervorzurufen. Lessing exemplifiziert seine Thesen an den verschiedenen Darstellungsmöglichkeiten eines Bettler-Schicksals,
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Gleichwohl enthält dieser erste Akt ein kleines Indiz auf Brüche in der sonst so vorbildlichen Gesinnung Tellheims. Just erhält seinen Abschied, weil der Major ihm "nichts schuldig werden will,,50o. Dieses Motiv, das für Tellheim hier noch positiv ausgelegt werden kann, entfaltet erst im weiteren Handlungsverlauf seine volle Wirkung und Bedeutung und legt vor allem rückblickend die Sicht nahe, hinter seinem edelmütigen Umgang mit der Witwe Marloff stecke mehr als nur tugendhafter Handlungswille. 501 Dies gilt ebenso für den Schluß der Unterredung Justens mit Tellheim. Solange Just bei der Beschreibung seines Verhältnisses zu seinem Herrn auf der Ebene des Pudelgleichnisses bleibt, ist der Offizier bereit, die Kündigung zu widerrufen. Sobald der Diener aber von Hilfeleistungen (sogar betteln und stehlen) spricht, die er zu erbringen bereit sei, will dieser die Zustimmung zurücknehmen. Nachdem die weitere Entwicklung noch dunkel vor dem Zuschauer liegt, kann im ersten Akt von einer offenkundig lächerlichen Tellheim-Gestalt gewiß nicht gesprochen werden. 502 Hochachtung und Freude bzw. Mitgefühl für den Offizier überwiegen entschieden. Diese Sicht wird zunächst verstärkt durch das Loblied Minnas auf ihren Verlobten, selbst kritische Aspekte, wie sein überlanges Schweigen, werden durch die Umstände der Kriegswirren bzw. Friedensregelungen entkräftet. Doch der so unverhofft Wiedergefundene reagiert anders, als Minna es sich in ihrem Freudentaumel erträumt hat. Er verweigert sich ihr, glaubt ihrer nicht mehr wert zu sein: Sie suchten einen glücklichen, einen Ihrer Liebe würdigen Mann; und finden einen Elenden. [... ] Aber Sie meynen, ich sey der Tellheim, den Sie in Ihrem Vaterlande gekannt haben; der blühende Mann, voller Ansprüche, voller Ruhmbegierde; der seines ganzen Körpers, seiner ganzen Seele mächtig war; [... ] Dieser Tellheim bin ich eben so wenig, - als ich mein Vater bin. [... ] Ich bin Tellheim, der verabschiedete, der an seiner Ehre gekränkte, der Krüppel, der Bettler. - Jenem, mein Fräulein, versprachen Sie Sich; wollen Sie diesem Wort halten? _503
Notwendigkeit und Vernunft befehlen ihm, das Verlöbnis mit der noch immer geliebten Minna zu lösen. Aber ist es nicht Unvernunft, wenn Liebende einander aus freien Stücken verlorengehen? Diese Frage stellt Minna und mit ihr sicherlich der Zuschauer. Andererseits, so verwerflich kann es sicherlich nicht sein, daß Tellheim den Entschluß faßt, seiner Braut ein Leben an seiner Seite im vermeintlichen Unglück zu ersparen. Indem sich die einer Tellheim vergleichbaren Situation, nennt dieser sich doch ausdrücklich selbst einen Bettler. 500 Lessing, Minna, 1,8: LM 2, S. 183. 501 Vgl. ebenso Günter Saße, Liebe und Ehe. Oder: Wie sich die Spontaneität des Herzens zu den Normen der Gesellschaft verhält. Lessings "Minna von Bamhelm". Tübingen 1993 (Studien und Texte zur Sozialgeschichte der Literatur 40), S. 53 f. 502 Vgl. dagegen Michael, Tellheim, eine Lustspielfigur, S. 209, 211. 503 Lessing, Minna, 11,9: LM 2, S. 203, 205.
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Forschung vielfach Minnas Äußerungen: "Das klingt sehr tragisch" bzw. "wie vernünftig ist diese Vernunft?" zu eigen machte, wurde in diesem Sinne die Reaktion Tellheims als Bestätigung bzw. Präludium seiner lächerlichen, da übertriebenen Ehrauffassung gelesen. 504 Daß Minna in dieser Situation unangemessen reagiert, wird von den Vertretern einer lächerlichen Tellheim-Figur zumeist übergangen. Minna führt in der Begegnung mit dem Verlobten fort, was sie gegenüber Franciska schon ausgesprochen hatte, nämlich daß Tellheim sie nicht jammere. Und so hat sie kein Mitleid, kein Bedauern für den Unglücklichen, sondern glaubt mit Scherz alle Hindernisse zu vertreiben. Damit aber gibt sie Tellheims tiefergründendem Problem den Anstrich einer bloß eingebildeten Tragik. Ist demzufolge Tellheim doch als ein mißverstandener, gar ein tragischer Held zu interpretieren? Nicht ganz, denn Tellheims grundsätzliche Weigerung, Mitleiden zuzulassen, muß ihm kritisch angelastet werden: [D]er Unglückliche muß gar nichts lieben. Er verdient sein Unglück, wenn er diesen Sieg nicht über sich selbst zu erhalten weiß; wenn er es sich gefallen lassen kann, daß die, welche er liebt, an seinem Unglück Antheil nehmen dürffen. sos Stellt man also noch einmal die Frage, ob Tellheim als lächerlich zu bezeichnen ist, ob sich ein Kontrast von Mangel und Realität auftut, so läßt sich konstatieren, daß eine übertriebene Ehrempfindung in den die Exposition bildenden ersten zwei Akten noch nicht eindeutig in Erscheinung tritt. 506 Tellheims Verhalten ist eben nicht Ausdruck einer an die satirische Typenkomödie gemahnenden Manie, vielmehr deutet sich hier jenes von Lessing wiederholt genannte wahre Lächerliche an. Der Major wird trotz bzw. gerade seines Unglücks wegen lächerlich, weil er sich der von Lessing betonten menschlichen Grundeigenschaft des Mitleids und der Anteilnahme verweigert. 507 In eigentlich unmenschlicher Weise will Tellheim allein sein Unglück tragen. Der vielfach für Minna von Bamhelm beschwo504 Vgl. u. a. Alewyn, S. 248. - Staiger, S. 70 f. - Renate Homann, Selbstreflexion der Literatur. Studien zu Dramen von G. E. Lessing bis H. von Kleist. München 1986 (Theorie und Geschichte der Literatur und der schönen Künste 70), S. 98. - Kiesel, in: Barner u. a., Lessing, S. 263. 505 Lessing, Minna, 11,9: LM 2, S. 203. 506 Michelsen (S. 241) verweist darauf, daß der Begriff der Ehre bis zu Szene 11, 8 nicht einmal erwähnt werde. - Gaier (S. 54) betrachtet es gar als "törichtes Geschwätz" der Forschung, Tellheim auf den Ehrstandpunkt fixiert zu sehen. 507 G. H. Hertling (Zur Genese des psychologischen Realismus. "Mitleid", "Furcht" und "Originalität" in Lessings Denken und in "Minna von Barnhelm", in: Text & Kontext 13, 1985, S. 244-278) will in Minna von Bamhelm den markantesten Niederschlag der Tragödienaffekte Furcht und Mitleid erkennen. Tellheim wird damit in diesem Deutungsansatz nicht als zeitweise lächerlicher Protagonist empfunden, sondern der Zuschauer muß fürchten, sein krankhaft anmutendes Selbstmitleid arte in unheilbaren Eigensinn aus (ebd., S. 261 f.). Problematisch erscheint dabei, daß Hertling die wirkungsästhetische Dimension der Furcht für die Zuschauer, näm-
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rene EhrkonfliktS08 ist damit aufgehoben in einem tiefer greifenden Spiel um die Fähigkeit, Mitleid zu fühlen, Mitleid anzunehmen und, wie sich später zeigen wird, um die Wirkungen dieser philanthropischen Empfindung. Diese Auseinandersetzung erfolgt indes in lustspielhafter Weise, indem Lessing uns Zuschauer auf einen lächerlichen Kontrast von Mangel und Realität, d. h. auf ein Fehlverhalten gegenüber den Forderungen des Mitleids aufmerksam machen will. Unter diesem Gesichtspunkt gedeutet, verbirgt sich auch in Minnas Verhalten wahrhaft Lächerliches, weil sie in ihrer Freude nicht mehr willens ist, mit Tellheim Mitleid zu fühlen. so9 Hier sei an die wichtige Bestimmung des Briefwechsels erinnert: "Der mitleidige Mensch ist der beste Mensch." Minna indes lacht über Tellheim, noch ehe sie das volle Ausmaß seiner Lage erkannt hat, und stempelt ihn so von Beginn an zu einem lächerlichen Menschen aufgrund einer (vermeintlichen) Selbstverkennung, wie sie so oft den Typenfiguren anhaftet. Gleichwohl bleibt der Zuschauer nach dem Abgang der beiden etwas ratlos zurück, eine eindeutige Festlegung der Figuren mag ihm aufgrund des Geschehensverlaufs noch nicht gelingen. Diese Ratlosigkeit des Publikums scheint der Wirt in Worte zu fassen, der am Ende seines Botenberichts in III,3 über den Fortgang der Auseinandersetzung Minnas mit dem Major räsoniert: Ja, ich wollte viel drum geben, - ich bin nicht neugierig, - aber ich wollte wie viel drum geben, wenn ich den Schlüssel dazu hätte. [... ) die Auslegung gleichsam; so den eigentlichen Zusammenhang von dem, was ich gesehen. 510
Hier sei am Rande bemerkt, daß Lessing in diesem Bericht des Wirtes noch einmal seine im Briefwechsel geäußerte These augenfällig macht, daß "alle Betrübniß, welche von Thränen begleitet wird, [... ] ein Betrübniß über ein verlohrnes Gut"SII sei. Minnas TränensI2 gelten Tellheim, der sich ihr entzieht. Die Freude über den so unverhofft Gefundenen weicht in diesem Moment dem Bewußtsein eines drohenden Verlusts des Geliebten, ein Übergang bzw. Umschwung von Freude zu Ernst und Weinen vollzieht sich.
lieh "der bemitleidete Gegenstand selbst werden [zu) können" (Lessing, HD, 75. Stück: LM 10, S. 102), vernachlässigt. 508 Der von der Forschung gern zitierte Antagonismus von Liebe bzw. Herz, verkörpert durch Minna, und Ehre, repräsentiert von Tellheim, erscheint mir etwas zu einseitig, die menschliche Dimension der Figuren kann damit nicht erfaßt werden. 509 Positiv, als wache Vernunft deutet Simonetta Sanna (Streitkuitur in Lessings Minna von Bamhelm, S. 451) diese mitleidslose Reaktion Minnas, während Franciska im engen Horizont des Mitleids verhaftet bleibe. 510 Lessing, Minna, III,3: LM 2, S. 211. 511 Lessing an Moses Mendelssohn, 13. November 1756: LM 17, S. 69. 512 Vgl. Lessing, Minna, III,3: LM 2, S. 211.
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Den Schlüssel zum Verhalten Tellheims erhält, dies wurde von der Forschung immer wieder herausgearbeitet, Minna und mit ihr der Zuschauer erst in Szene IV,6, als der Major die wahren Gründe seiner Ehrverletzung nennt und selbst das Fräulein in ihrem Lachen verstummen läßt. Der Verlauf des dritten Aktes ist hingegen gehalten, Tellheim mehr und mehr aus der Perspektive Minnas zu sehen, nämlich als einen Mann, der nicht nur den Ernst seiner Lage überbewertet, sondern der, jede Anteilnahme zurückweisend, sich nicht helfen lassen will. s13 Gerade diese starre Haltung, niemandem etwas schulden zu wollen, ist wiederum Ausdruck der Ablehnung jeglichen Mitleids und jeglicher Anteilnahme, die es zunächst zum Konflikt mit Werner kommen läßt, der die Argumente des Majors zwar ad absurdum führt, ihn aber doch nicht überzeugen kann, sein Geld anzunehmen. Tellheims Diktum "Es ziemt sich nicht, daß ich dein Schuldner bin"S14, stellt der Wachtmeister die harten Kriegserlebnisse entgegen, die seinen Vorgesetzten auch nicht nach Mein und Dein fragen ließen. Tellheims "ich will dein Schuldner nicht seyn"SlS kommt seiner inneren Einstellung ungleich näher. Die gesellschaftlichen Konventionen der Zeit hinderten Tellheim nicht daran, bei seinem ehemaligen Untergebenen und Freund eine Anleihe zu nehmen, wohl aber seine subjektive (Ehr-)Auffassung, die ihm Mitleid und Almosen verbietet. S16 Daß Tellheim doch längst in seiner Schuld stehe, da er ihm das Leben gerettet habe, daran erinnert ihn wiederum Wemer. Sooft dieser auch die mangelnde Begründetheit der Tellheimschen Behaup513 Dezidiert unter dem Aspekt des Gebens und Nehmens deuten Tellheim: Rolf Geißler, Spiel um das Glück - Lessing: "Minna von Bamhelm", in: Deutsche Komödien. Vom Barock bis zur Gegenwart. Hrsg. von Winfried Freund. München 1988 (UTB für Wissenschaft, Uni-Taschenbücher 1498), S. 32-42, hier S. 37. Strohschneider-Kohrs, S. 188. - Ilse Graham, The Currency of Love. A Reading of ,Minna von Bamhelm', in: Gennan Life and Letters 18, 1964/65, S. 270-278; zitiert in: Wolfgang Wittkowski, Theodizee und Tugend: ,Minna von Bamhelm' oder: Worum es in Lessings Dramen geht, in: Sprachkunst 22, 1991, S. 177-201, hier S. 191. 514 Lessing, Minna, III,7: LM 2, S. 218. 515 Ebd. 516 Joachim Dyck (Minna von Bamhelm oder: die Kosten des Glücks. Komödie von Gotthold Ephraim Lessing. Mit einem Dossier von Joachim Dyck: über Wirte als Spitzel, preußische Disziplin, Lessing im Kriege, frisches Geld und das begeisterte Publikum. Berlin 1981, S. 109 f.) weist darauf hin, daß durch ein Patent Friedrichs H. vom Jahre 1744 den höheren Dienstgraden untersagt war, ohne Wissen des Regimentskommandeurs Schulden zu machen bzw. von Unteroffizieren und Soldaten Geld zu leihen. Dyck interpretiert Tellheims Haltung dahingehend, daß dieser sich immer noch den Befehlen des Königs verpflichtet fühlt, obwohl diese doch durch die Entlassung aus dem Heeresdienst hinfällig geworden seien. - Vgl. auch Saße, Liebe und Ehe, S. 54 f. - Ob dieses Wissen beim bürgerlichen Publikum vorausgesetzt werden konnte, sei dahingestellt, zumal weder Wemer noch Tellheim auf diese gesetzliche Lage verweisen.
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tungen aufzeigt: der Major verfällt hartnäckig auf immer neue Ausflüchte. Der Ansicht, in seinen jetzigen Umständen dürfe er nicht borgen, setzt Werner spöttisch entgegen, er wolle es wohl tun, wenn er wieder zu Geld gekommen sei. Die Behauptung, man müsse Geliehenes zurückzahlen können, beantwortet Werners Überzeugung, daß finanzielle Mittel einem Manne wie Tellheim nicht immer fehlen werden. Und die erneute Abwehr des Majors, sein Freund brauche das Geld selbst so nötig, stößt auf Werners Vertrauen in die Zukunft. In dieser Dialogführung zeigt sich erneut Lessings komödiantische Kunst. Während sich Tellheim als der rhetorisch Überlegene erweist, der Werner am Ende schließlich noch über die ethische Verpflichtung des Soldatenturns belehren kann, wird er mit seiner hartnäkkigen Ablehnung finanzieller Hilfe zur eigentlich lächerlichen Gestalt dieser Szene; ein Auftritt, der im übrigen auch Tellheims früheres Verhalten in einem etwas anderen, weniger günstigen Licht erscheinen läßt und Schatten auf Künftiges vorauswirft. Eine Bestätigung der Geschehnisse in III,7, die Tellheims überzogene Reaktion zeigen, scheint, als weitere Szene in diesem Akt, Minnas Bewertung seines Briefs zu sein. Schriftlich sucht er der Verlobten die Gründe und Rechtfertigung seiner Verweigerung einer Heirat zu erklären, Ursachen, deren Wohlüberlegtheit Minna zunächst bestätigt: "Sein Brief, 0 sein Brief! Jede Zeile sprach den ehrlichen, edlen Mann."S17 Die objektive Berechtigung und edle Gesinnung der Handlungsweise Tellheims werden damit durchaus gewürdigt und anerkannt, auf die konkrete Situation aber bezogen, ist dieses Gebaren in Minnas Augen falsch, [d]enn auch seiner Geliebten sein Glück nicht wollen zu danken haben, ist Stolz, unverzeihlicher Stolz!518
Dieses "ein wenig zu viel Stolz" nennt Minna nun erstmals im Verlauf der Komödie einen Fehler. Vom Standpunkt Minnas und des Zuschauers aus betrachtet, der diese Beurteilung als Konsequenz des Tellheimschen Berichts erlebt und damit für richtig halten muß, scheint hier nun in etwas modifizierter Form das Schema des satirischen Typenlustspiels voll zu greifen. Die Untugend ist erkannt, ein Plan wird erdacht, Tellheim "wegen dieses Stolzes mit ähnlichem Stolze ein wenig zu martern"S19. Das TypenLessing. Minna, m,12: LM 2, S. 225. 518 Ebd., S. 225 f. 519 Ebd., S. 226. - Diese Aussage ist wichtig für die Beurteilung, ob Tellheim durch diese List erzogen bzw. geheilt werde. Minna plant an keiner Stelle, den vermeintlichen Fehler des Verlobten zu korrigieren. Der Streich stellt meines Erachtens lediglich eine Revanche Minnas dar, die keine bzw. kaum eine didaktische Besserungsabsicht enthält. Dies ist nur aufgrund der verdeckten Struktur der Komödie möglich, die erst im vierten Akt durchsichtig wird. Minna weiß allerdings durch die schriftliche Rechtfertigung über Tellheims Situation Bescheid, ebenso weiß sie aber auch, daß ihr Onkel Bruchsall mit den Geldern der Stände zu ihm unterwegs ist. Die Notlage ist für Minna damit schon gelöst, und so kann sie, wie Franciska und 517
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2. Teil: Lessings Komödien
schema geht indes nur auf den ersten Blick hin auf, Handlungsstruktur, Intention und nicht zuletzt Figurenzeichnung zeigen hingegen ein gänzlich anderes Komödienmuster. Tellheim erscheint als Exempel jenes von Lessing propagierten gemischten Charakters, er ist durch und durch eine achtenswerte Figur, die trotz ihrer guten Eigenschaften lächerlich werden kann. Dieses komische Verhalten ist indes kein wesensmäßiger Grundzug mehr wie noch bei den satirischen Typen, sondern Resultat seiner unglücklichen Lage. Und selbst in dieser Situation steht er nicht durchgängig als ein Ungereimter vor uns, es sind vielmehr einzelne Momente, in welchen der durchaus rechtschaffene Mann lächerlich wirkt. So sieht sich der am Arm Verwundete als Krüppel, finanzielle Sorgen stempeln ihn in seinen Augen zum Bettler. Aus demselben Grund, weshalb er sich weigert, Werners Dukaten anzunehmen, scheint er auch Minnas Hilfe und Güte zurückzuweisen. Weil Tellheim nur um seine eigene Situation kreist, kompromittiert er das Edelfräulein und bringt sie, obwohl er gerade ihr die Kompromittierung ersparen möchte, durch die Lösung des Verlöbnisses in Unehre. Die Übersteigerung der Tatsachen gereichen Tellheim zum Vorwurf und lassen ihn zugleich in einem komischen Licht erscheinen, so daß wir mit Minna über ihn, ohne ihn zu verlachen, lachen können, denn wie bemerkt sie weise: "alle Uebertreibungen [sind] des Lächerlichen so fähig"S2o. Ihre Behauptungen treffen, mit einer Ausnahme, wie wir in Kürze sehen werden, ins Schwarze, sie beurteilt Tellheims Umstände im Hinblick auf die körperliche Verfassung und seine finanzielle Situation tatsächlich weit richtiger als er und so fragt sie zu Recht: Kann man denn auch nicht lachend sehr ernsthaft seyn? Lieber Major, das Lachen erhält uns vernünftiger, als der Verdruß. 521
Tellheim hält in dieser Passage eine Einschätzung seiner selbst aufrecht, die sich nicht mit der Ansicht seiner Umgebung und dem wirklichen Zustand deckt. Sein und Selbstbild treten auseinander. Ganz im Sinne der Hamburgischen Dramaturgie verbergen sich in Tellheims übertriebenem Ernst und seiner Beharrung auf seinem Unglück lächerliche Ungereimtheiten. Der Zuschauer, dessen Wohlwollen sich auf die hinlänglich bekannten positiven Wesenszüge des Majors richtet, verspürt über diese seine überzogene Einschätzung Unlust, die ihn, wenngleich nicht herzhaft, so doch verhalten über Tellheim lächeln läßt. Der Ernst Tellheims ruft somit das Lavielleicht auch das Publikum erstaunt feststellen, "sehr ruhig sein" und ihren Streich ausführen. - Vgl. dagegen Saße (Liebe und Ehe, S. 58), der von einer kompletten Fehleinschätzung der Situation durch Minna ausgeht. 520 Lessing, Minna, IV,6: LM 2, S. 239. 521 Ebd., S. 238. - Hertling (S. 268) faßt diese Äußerung wenig überzeugend als ein ironisches Mit-Lächeln Minnas auf.
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ehen Minnas und des Zuschauers hervor. Dieses Lachen verkehrt sich indes in Ernst bzw. gar Weinen, wenn Tellheim nun den wahren Grund seiner Ehrverletzung darstellt, der eben nicht, wie Minna bisher glaubte, in seiner Verabschiedung besteht: Die Stände gaben mir ihren Wechsel, und diesen wollte ich, bey Zeichnung des Friedens, unter die zu ratihabirende Schulden eintragen lassen. Der Wechsel ward für gültig erkannt, aber mir ward das Eigenthum desselben streitig gemacht. [... ] Man erklärte ihn für eine Bestechung, für das Gratial der Stände, weil ich sobald mit ihnen auf die niedrigste Summe einig geworden war, mit der ich mich nur im äussersten Nothfall zu begnügen, Vollmacht hatte. So kam der Wechsel aus meinen Händen, und wenn er bezahlt wird, wird er sicherlich nicht an mich bezahlt. - Hierdurch, mein Fräulein, halte ich meine Ehre für gekränkt; nicht durch den Abschied, den ich gefordert haben würde, wenn ich ihn nicht bekommen hätte. 522
Diese Mitteilung erstickt nun auch das bisherige Lachen Minnas - "Sie sind ernsthaft, mein Fräulein? Warum lachen sie nicht?" - und mit ihm jenes des Publikums. Die Untersuchungen von Michelsen, Dyck oder auch Saße haben in jüngerer Zeit deutlich gemacht, daß die gegen den Offizier vorgebrachten Anschuldigungen weitaus schwerwiegender sind als der heutige Rezipient denken mag bzw. die Struktur des Lustspiels verrät. 523 In diesem Sinne sei die Tellheimsehe Forderung nach Wiederherstellung seines Ansehens und seiner Ehre524 durchaus berechtigt, seine Behauptung, ,,[d]as Fräulein von Barnhelm verdienet einen unbescholtenen Mann,,525, gerechtfertigt. Die gut gesetzten Argumente Minnas, die sächsischen Stände wüßten seine Verdienste sehr wohl zu würdigen, können Tellheim deshalb kaum zu einer anderen Haltung bewegen, zumal das Fräulein allzu rasch ins Scherzhafte zurückfällt, sie zu wenig ernsthaft bleibt: "Bilden Sie sich ein, Tellheim, Sie hätten die zweytausend Pistolen an einem wilden Abende verloren. ,,526 522 Lessing, Minna, IV,6: LM 2, S. 239 f. - Die Erklärung Tellheims widerspricht im übrigen Seebas (S. 78) und Schlaffers (S. 107) Deutung, die Tellheims Ehrverletzung nur als Geldangelegenheit betrachten. Das Ungenügende dieser Erklärung konstatiert bereits Wolfgang Wittkowski, "Minna von Barnhelm" oder die verhinderten Hausväter, in: Lessing Yearbook 19, 1987, S. 45-66, hier S. 46. 523 Vgl. Michelsen, S. 223-228, 254-259. - Dyck, S. 99-105. - Saße, Liebe und Ehe, S. 65-81. - Vgl. auch Mann (Lessing, S. 201), der als erster auf die durchaus schicksalsschwere Lage Tellheims hingewiesen hat. 524 Vgl. zum Ehrbegriff Michelsen (S. 226 f.), der die unterschiedlichen Bezugsmöglichkeiten von "Ehre" näher bestimmt. Tellheims Ehrverständnis beziehe sich nicht, wie vielfach angenommen, auf die Standesehre, d. h. Soldatenehre, vielmehr sei er in seiner (staats-)bürgerlichen Ehre gekränkt, die ihm innerhalb der Gesellschaft Anerkennung und Würdigung sichere. - Ebenso Reh, Die Rettung der Menschlichkeit, S. 254 f. - Fick, S. 246 f. - Vgl. auch Wittkowski ("Minna von Barnhelm", S. 52 f.), der von der Wertgeltung in den Augen der Welt spricht. 525 Lessing, Minna, IV,6: LM 2, S. 242.
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2. Teil: Lessings Komödien
Selbst Minnas Vertrauen in die gütige Vorsehung, die sie beide durch Tellheims großmütiges Verhalten gegenüber ihren Landsleuten zusammenführte, mag weder den Major trösten noch verändert es die Sicht seiner Lage. Angesichts der ganzen Wahrheit wächst die bisher vorherrschende Unlust nun zur Traurigkeit über das Mißgeschick des Protagonisten empor und erreicht auf diese Weise die Ebene des Mitleids. Die Analogie dieser dramatischen Situation zum Briefwechsel ist kaum zu übersehen. Lessing konstatiert gegenüber Nicolai, daß Rührung bzw. Tränen als Grade des Mitleidens nur dann erweckt würden, "wenn er [der Unglückliche] mich mit seinen guten Eigenschaften so wohl, als mit seinen Unfällen bekannter macht, und zwar mit beyden zugleich, welches das wahre Kunststück ist, Thränen zu erregen,,527. Tellheims Schicksal ist mit jenem von Lessing angeführten Beispiel nahezu identisch: aus einer guten Tat erwachsen üble Folgen, ein Tugendhafter wird durch ein edles Verhalten ins Unglück gestürzt. Die Ebene der Übersteigerung wird mit dem Bericht des Majors aufgehoben bzw. (kurzzeitig) verdrängt. In diesem Moment ist er nicht mehr der lächerliche und doch achtenswerte Protagonist, er ist ein unglücklicher Held, der unser Mitleid erweckt. Tellheim, den Glauben an die Vorsehung verlierend, kann nicht mehr über sich selbst lachen, eines allen Widrigkeiten zum Trotz behaupteten und auf innere Selbstgewißheit gründenden Humors ist er nicht mehr fähig, aus ihm bricht sich nur noch "das schreckliche Lachen des Menschenhasses" Bahn. 528 Dieses sardonische Gelächter, das in den Collectanea die Verwandtschaft von Lachen und Weinen bestätigt, tritt an die Stelle des Weinens. Es ist verzweifelter Ausdruck jener Situationen, in denen der Mensch nichts mehr anzufangen weiss, weder mit sich noch mit der Welt, in denen er mit seinem Latein am Ende ist und im Leeren steht, wie vor einer Mauer oder einem Abgrund. 529
Die befreiende, überwindende Kraft des Lachens über sich selbst, auf die Lisette schon im Jungen Gelehrten verweist, den im Lachen liegenden "wahre[n], allgemeine[n] Nutzen" vermag Tellheim angesichts seiner Situation nicht mehr wahrzunehmen. 53o Er ist ein Held, der an seinem Schicksal Ebd., S. 240. Lessing an Friedrich Nicolai, 29. November 1756: LM 17, S. 77. 528 Korrektumotiz: Vgl. dazu auch Stefan Busch, Blasphemisches Lachen in Klopstocks Messias und Lessings Minna von Bamhelm. Zur Herausbildung eines literarischen Leitmotivs der Modeme, in: Lessing Yearbook 33, 2001 [2002], S. 27 bis 54, v.a. S. 42-49. 529 Plessner, S. 123. 530 Belgardt (S. 211 f.) vertritt die These, daß in dieser Szene Minnas Ideologie einer guten Vorsehung ad absurdum geführt und sie damit zur eigentlich komischen Figur werde, weil sie Tellheims Lage und Charakter mißverstehe. In einer Mißdeutung des 28. Stückes der Hamburgischen Dramaturgie entspringt für Belgardt 526 527
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derart verzweifelt, daß Minna fast fürchten muß, ihn reue seine gute Tat, weil sie üble Folgen für ihn habe. Dies gemahnt an Lessings später formulierte Gedanken zur Erziehung des Menschengeschlechts, die einer Zeit und eines Menschen gewiß sind, die "das Gute thun [... ], weil es das Gute ist, nicht weil willkührliche Belohnungen [wie z. B. Ehre und Wohlstand] darauf gesetzt sind,,531. Und so kann der Major selbst noch in dieser Situation, in der er den Konventionen der Gesellschaft zufolge richtig handelt, im Sinne von Lessings Definition in der Hamburgischen Dramaturgie als lächerlich, dem wahren Menschsein widersprechend bezeichnet werden, da er die "innern bessern Belohnungen,,531a, welche Die Erziehung des Menschengeschlechts als den eigentlich rechtyn Handlungsmovens benennt und erhofft, hinter die weltlichen Belohnungen bzw. die Konsequenzen einer edlen Tat zurücksetzt und sich nunmehr an den "bloß zeitliche[n] Strafen und Belohnungen,,532 orientiert. Zweifelsohne ist es eine sehr artifizielle Struktur, die hier zugrunde liegt, und Lessing wäre wohl nicht Lessing, wenn er dahinter nicht eine tiefere Intention verbergen würde. Tellheim handelt also dem Verständnis der Gesellschaft zufolge richtig, gleichwohl übt der Autor daran Kritik. Die scheinbare Vernunft darf und muß auf ihre Vernünftigkeit vom Standpunkt der Humanität aus überprüft werden. War es in den Juden ein gemeinschafts stiftendes Vorurteil, das entlarvt wurde, so zielt Minna von Barnhelm auf ein fragwürdiges gesellschaftskonformes Verhalten, dem es, obschon berechtigt, doch an Menschlichkeit fehlt, da ihm selbst die Liebe geopfert wird. 533 In diesem Sinne fällt Minna ihr (und zugleich Lessings) Urteil: 0, über die wilden, unbiegsamen Männer, die nur immer ihr stieres Auge auf das Gespenst der Ehre heften. 534
Aus der Perspektive Tellheims und der Gesellschaft bzw. seines Standesethos mag er sich also im Recht befinden und lauter handeln, daneben aber steht die Dimension des Autors Lessing, der diese Konventionen anzweifelt, indem er Tellheim lächerlich erscheinen läßt. Die Fragwürdigkeit dieMinnas Komik aus ihrem "Mangel an Realitätssinn infolge ihrer beschränkten Philosophie und dem wirklichen, ihren Argumenten widersprechenden Sachverhalt". 531 Lessing, Die Erziehung des Menschengeschlechts, § 85: LM 13, S. 433. Vgl. ebd., § 83. 5310 Ebd., § 85, S. 433. 532 Ebd., § 96, S. 435. 533 Auch Kiesel (in: Barner u. a., Lessing, S. 256) erkennt als kritische Aufforderung Lessings, "daß die Normen der alten Gesellschaft durch den Aufbau einer neuen gesellschaftlichen Moral ersetzt werden müssen, deren Leitbegriffe ,Liebe', ,Mitleid' und ,Freundschaft' heißen." Allerdings werde diese Forderung mit Tellheims Vision einer in Szene V, 9 beschworenen privat-menschlichen Existenz erhoben, die der Brüchigkeit gesellschaftlicher Harmonie gegenüberstehe. 534 Lessing, Minna, IV,6: LM 2, S. 240. 19 Kombacher-Meyer
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ses Vorgehens wird nicht zuletzt evident, wenn der Major die eigentlich rechte Auffassung von Ehre verneint: Die Ehre ist nicht die Stimme unsers Gewissens, nicht das Zeugniß weniger Rechtschaffenen _ _ _535
und sich nur auf die äußerliche Anerkennung konzentriert. Und so kann Minna schließlich tautologisch ergänzen: "Nein, nein, ich weiß wohl. - Die Ehre ist - die Ehre". Lessing übt damit Kritik an Tellheims Ehrauffassung, weil sie, scheint sie auch noch so plausibel, alleiniger Zielpunkt wird und in Kontrast zur inneren Glückseligkeit, d. h. Unabhängigkeit von äußeren Umständen steht, wie sie Die Erziehung des Menschengeschlechts zum Beweggrund menschlichen Handelns536 bestimmt. 537 Neben diesem artifiziellen Spiel um die wirklichen und erhofften Beweggründe menschlichen Tuns läßt ab Szene IV,6 insbesondere der Umgang mit seinem Unglück Tellheim lächerlich werden. So beharrt er zwar darauf, daß sich das Blatt völlig wenden, d. h. seiner Ehre die vollkommenste Genugtuung widerfahren müsse, doch ebenso konsequent verweigert er sich jedem Hinweis auf eine Lösung seiner Sache im guten. So tut er Minnas Bericht über die positive Nachricht des Leutnants Riccaut ab und muß doch gleichzeitig zugeben, der Kriegszahlmeister habe eine ähnliche Botschaft bestellt. Noch einmal weist er in V,l Werner scharf zurecht, der eben diese Nachricht aus anderer Quelle erfahren hat. In diesem Nicht-wahr-habenWollen, seinem starren Beharren auf einem unglücklichen Ende übertreibt Tellheim zweifelsohne und wird wiederum lächerlich. Das Mitleid des Zuschauers schwindet und macht nunmehr erneut der Unlust über des Majors Blindheit Platz. Und so erscheint er nicht nur Minna als "hartnäckiger Mann", wenn er trotzig darauf besteht: Man wird mich wollen lauffen lassen. Allein man irrt sich; ich werde nicht lauffen. Eher soll mich hier das äusserste Elend, vor den Augen meiner Verleumder, verzehren - [... ] Ich brauche keine Gnade; ich will Gerechtigkeit. 538
Ebd., S. 242. Vgl. Fick, S. 431. 537 Daß Lessing nicht erst in späten Jahren, sondern schon früh dieses Gründen auf den eigenen Wert behauptet, bestätigt ein Gedicht vom Jahre 1752 mit dem Titel Ich (LM 1, S. 131): Die Ehre hat mich nie gesucht; Sie hätte mich auch nie gefunden. [... ] Wie lange währts, so bin ich hin, Und einer Nachwelt untern Füssen? Was braucht sie wen sie tritt zu wißen? Weiß ich nur wer ich bin. 538 Lessing, Minna, IV,6: LM 2, S. 242. 535
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Es zeigt Lessings gereifte komödiantische Kunst, daß er gerade in IV,6 und den nachfolgenden Szenen ernsthafte Züge des Majors mit lächerlich übertriebenen Ansätzen mischt bzw. lautere Ansichten, von höherer Warte aus betrachtet, fragwürdig sein läßt, so daß eine Trennung kaum mehr möglich ist: [W]enn meiner Ehre nicht die vollkommenste Genugthuung geschieht; so kann ich, mein Fräulein, der Ihrige nicht seyn. Denn ich bin es in den Augen der Weit nicht werth, zu seyn. [... ] Es ist eine nichtswürdige Liebe, die kein Bedenken trägt, ihren Gegenstand der Verachtung auszusetzen. Es ist ein nichtswürdiger Mann, der sich nicht schämet, sein ganzes Glück einem Frauenzimmer zu verdanken, dessen blinde Zärtlichkeit _539
Und hierin wird Tellheim nun wieder zum komischen Helden, der gegen die Menschlichkeit fehlt, weil er einen weltlichen Ehrenkodex absolut setzt. Die Komik wird daher nicht nur, wie Hinck beobachtet, an der Schwerkraft seiner Situation und seines untadeligen Charakters brüchig,540 sondern resultiert ursächlich aus dieser seiner Situation und seinen guten Anlagen. Gerade weil er ehrenhaft ist, übertreibt er schließlich diesen Ehrstandpunkt; weil er Minna noch liebt und schonen will, verletzt er sie tief; weil er unglücklich ist, geht ihm das Vertrauen auf die sich ankündigende und lösende Vorsehung verloren. Und so läßt Lessing hier in virtuoser Weise aus dem Ernst das Lachen entstehen, wird Lächerliches in guten Eigenschaften sichtbar, ganz wie es die Hamburgische Dramaturgie fordert. Selbst Franciska, die zu Beginn noch mit Tellheim fühlt, muß nun zugeben, er treibe es "ein wenig zu bunt". Die lustspielhafte Spannung wird gegen Ende dieses zentralen Auftritts vor allem dadurch wiedergewonnen, daß Tellheims Problem dem Zuschauer (und Minna) als ein lösbares erscheint, weisen doch die Botschaft Riccauts sowie die Nachricht des Kriegszahlmeisters auf ein gutes Ende voraus. Nur mit diesem Wissen, dem sich der Major hartnäckig verweigert, kann Minna ihr Spiel wagen. Sie ist sich des guten Ausgangs gewiß. Ihr Onkel wird mit 2000 Pistolen, der Schul den tilgung der Stände, erwartet, ein königliches Handschreiben muß binnen kurzem eintreffen. Ihre Verstellung kann und will damit keine Lösung der Situation herbeiführen, ebensowenig soll Tellheim im Sinne der satirischen Typenkomödie erzogen, gebessert, zum Widerruf seiner Unvernunft gebracht werden. Das Fräulein spricht auch an keiner Stelle von einer didaktischen Ausrichtung ihres Planes. 54 ! Es ist vielmehr eine Revanche, ein Streich, der den Verlobten "wegen dieses Stolzes Ebd. Vgl. Hinck, Das deutsche Lustspiel des 17. und 18. Jahrhunderts, S. 288. 541 Vgl. dagegen die Opinio communis der Forschung, daß Minna ihr Spiel mit der Zielsetzung einer Lösung und Besserung inszeniere. Gegen diese didaktische Ausrichtung wendet sich Hans-Georg Wemer, Komödie der Rationalität. Zu Les539
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mit ähnlichem Stolze ein wenig [... ] martern,,542 will. Darin liegt meines Erachtens die deutlichste Veränderung gegenüber dem bekannten Intrigenschema der Sächsischen Komödie, aber auch Lessings frühen Werken, wie z. B. Hilarias Plan im Misogyne, dessen Zielsetzung expressis verbis genannt wird. Und so schlüpft Minna etwas mutwillig in die Rolle, die ihr bisher Tellheim bot. Ganz wie sie es schon in IV,l vorhergesehen hatte, will Tellheim nun seine Verlobte sogleich heiraten, als er vernimmt, daß sie seinetwegen unglücklich, da von ihrem Onkel enterbt sei. Jetzt fähig, nicht nur zu geben, sondern auch zu empfangen, wendet er sich an Werner mit der Bitte um den vorher abgelehnten finanziellen Beistand. Lähmte ihn sein Selbstmitleid, macht ihn Minnas Unglück wieder fähig zu handeln. Tellheims Egozentrik weicht im 5. Aufzug der Indifferenz gegenüber der Ehrverletzung, die bisherige Bedeutung der Wiederherstellung seines öffentlichen Ansehens verliert für ihn an Gewicht: Von diesem Augenblicke an, will ich dem Unrechte, das mir hier wiederfährt, nichts als Verachtung entgegen setzen. Ist dieses Land die Welt? Geht hier allein die Sonne auf? Wo darf ich nicht hinkommen? Welche Dienste wird man mir verweigern ?543,
fragt er und gibt Minna im nachhinein recht, die auf seine Reputation in Sachsen hinwies. Tellheim legt nun eine Haltung an den Tag, die in deutlichem Widerspruch zur Position vorangegangener Gespräche steht, entweder rehabilitiert zu werden oder vor den Augen der Verantwortlichen leidend zugrunde zu gehen. Damit entlarvt Tellheim auch seine früheren Aussagen als überzogen. Nicht Liebe oder logische Argumentation, erst sein fühlendes Mitleid mit Minna vermag Tellheim aus Ärgernis und verbissener Wut, wie er selbst gesteht, zu reißen. [D]ie Liebe selbst, in dem vollesten Glanze des Glücks, konnte sich darinn [in der Seele] nicht Tag schaffen. Aber sie sendet ihre Tochter, das Mitleid, die [... ] die Nebel zerstreuet und alle Zugänge meiner Seele den Eindrücken der Zärtlichkeit wiederum öfnet. 544
Diese Beschreibung der Kraft des Mitleids läßt natürlich sogleich an die Aussage Lessings im Briefwechsel denken, der mitleidigste Mensch sei der beste Mensch. Auch Minna hatte auf die Wirkung dieser Empfindung hingewiesen, wenn sie Tellheims ablehnender Haltung entgegensetzte: "Vielleicht würde mir Ihr Mitleid gewähret haben, was mir Ihre Liebe versagt.,,545 Es sind insbesondere diese Äußerungen des Majors, die, wie sings "Minna von Bamhelm", in: Lessing-Konferenz Halle 1979. Hrsg. von H.-G. W. Bd. t. Halle/S. 1980, S. 129-154, hier S. 14t. 542 Lessing, Minna, m,12: LM 2, S. 226. 543 Ebd., V,5, S. 25t. 544 Ebd., S. 250 f. 545 Ebd., IV,6, S. 243.
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schon eingangs erwähnt, Anlaß zu einer kontroversen Interpretation dieser Figur gegeben haben. Die Forschung spricht in unterschiedlicher Akzentuierung vielfach von einer Änderung bzw. Besserung Tellheims,546 der sein Ehrprinzip aufgebe; Mann, Steinmetz und Michelsen betonen demgegenüber, daß keine Revision seiner grundsätzlichen Einstellung erfolge. 547 Aufschlußreich sind in diesem Zusammenhang Lessings Aussagen der Hamburgisehen Dramaturgie, die eine mit der Korrektur verbundene Wandlung des Charakters von schwarz auf weiß als Lustspielschluß ebenso ablehnen wie eine Bestrafung des Helden. 548 Ganz in diesem Sinne zeigt sich zwar an Tellheim in diesen Szenen eine Änderung seines Verhaltens; nicht jedoch erscheint er als ein vormals übertrieben Ehrenhafter, der nun seine Grundprinzipien widerruft, gesteht er doch an keiner Stelle ein, sich gegenüber seiner Verlobten falsch verhalten zu haben. 549 Ja, er macht, wie Michelsen nachweist, wiederum seine Ehre zum Handlungsmovens, wenn er Franciska, die auf die Möglichkeit einer Trennung anspielt, schilt: "Elende! für wen hältst du mich?,,55o Die hier aufgerufene Vorstellung stellt jedoch nicht die öffentliche und von Tellheim eingeklagte Reputation dar, sondern ist in diesem Falle die Stimme seines Gewissens. 55 ! Und so glaubt Tellheim nun gar, Minnas Verhalten, d. h. ihre Verstellung, entschuldigen zu müssen: 546 Rempel (S. 86) erkennt darin eine Bewußtseinsänderung, die zu einer neuen Stellungnahme führe und so die Schwierigkeiten löse. - Nach Fritz Martini (Riccaut, die Sprache und das Spiel in Lessings Lustspiel "Minna von Barnhelm", in: Gotthold Ephraim Lessing. Hrsg. von Gerhard und Sibylle Bauer. Darmstadt 1968 (Wege der Forschung 211), S. 376-426, hier S. 423) schlage Minna Tellheim mit eigenen Waffen und verhelfe ihm so zu einer neuen Selbsterkenntnis. - Amtzen (S. 42) sieht die Menschlichkeit über das Bewußtsein der gekränkten Ehre siegen. Kiesel (in: Barner u. a., Lessing, S. 254) spricht von der Lösung aus der Fixierung des Ehrprinzips, der eine Selbstfindung folge. - Ähnlich Homann, S. 106-108. Alewyn (S. 248) bezeichnet Minnas Spiel als erfolgreiche erzieherische Kur und weist zugleich darauf hin, daß das auslösende Moment seine Ehrauffassung sei. - Simonetta Sanna (Lessings "Minna von Barnhelm" im Gegenlicht, S. 455) geht von einer offensichtlichen Wandlung Tellheims aus. - Auch Hertling (S. 271) erkennt eine innere Metamorphose. - Rüskamp (S. 71) erblickt zwar keine grundSätzliche Besserung, gleichwohl treffe der Major eine Entscheidung gegen das Ehrprinzip. 547 Vgl. Mann, Lessing, S. 204. - Nach Steinmetz ("Minna von Barnhe1m", S. 147) bewirkte Minnas Täuschung "nicht die geringste Änderung seiner grundsätzlichen Einstellung", sie bewirke lediglich eine Änderung der Umstände. Tellheims Verhalten gründe indes auch dann noch auf der "gleichen, unveränderten Überzeugung". - Für Michelsen (S. 263 f.) verläuft Minnas Spiel nur scheinbar erfolgreich, "dank der durch die Exposition bewirkten Bewußtseinstrübung des Zuschauers". Tatsächlich werde jedoch keine Korrektur vollzogen, selbst wenn die Verstellung des Fräuleins einen "Aufschwung der Seele" bei Tellheim bewirke (vgl. S. 279). 548 Daß er dieses Prinzip im übrigen schon bei seinen Jugendwerken anwendet, wurde im 2. Teil dieser Arbeit, Kap. I bereits erörtert. 549 Vgl. ähnlich Steinmetz, "Minna von Barnhelm", S. 147. 550 Lessing, Minna, IV,7: LM 2, S. 244.
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2. Teil: Lessings Komödien
Dieses Mißtrauen in meine Ehre, in ihren eigenen Werth, vor ihr selbst zu entschuldigen, vor ihr selbst - Vor mir ist es schon entschuldiget!552 Und doch bewirkt die Lüge des Fräuleins eine unübersehbare Veränderung an Tellheim. Sie zeigt ihn wieder, wie Steinmetz bemerkt, als den "Menschen, der er wirklich ist,,553. Nunmehr fähig, Hilfe und Mitleid anzunehmen, neben seinem eigenen Schicksal die prekäre Lage Minnas zu sehen, vermag er seinen Gefühlen freien Lauf zu lassen, er kann wieder als wahrer Mensch handeln, indem er Mitleid fühlt. In welchem Kontrast stehen seine jetzigen Worte zu jenen, die er für die Witwe Marloff fand: Hören Sie auf, Madame! Weinen wollte ich mit Ihnen gern; aber ich habe heute keine Thränen. Verschonen Sie mich!554 Zu Beginn des Stückes hat Tellheim kein Mitleid, keine Tränen, er agiert, wie Karl Lessing analysierend an den Bruder berichtet, "ganz fühllos", und so seien "Rechtschaffenheit und Edelmuth an ihm nur noch mechanisch,,555. Vergessen ist dagegen im 5. Akt die erste Begegnung, bei welcher der Major erst auf seine Verlobte zuflieht: "Ah! meine Minna!", ehe er sich zurückreißt und um Distanz bemüht ist: "Verzeihen Sie, gnädiges Fräulein". Vergessen ist das nicht durchgängig geglückte Bemühen, seine Gefühle hinter einer förmlichen Anrede zu verbergen. 556 Das Täuschungsspiel des Edelfräuleins macht sie nun wieder zu seiner "liebsten Minna".557 Wie das Fräulein aus dieser Situation einen Ausweg finden will, bleibt uns verborgen, denn just in diesem Moment läßt Lessing den durch Riccaut angekündigten Feldjäger mit der positiven Nachricht des Königs erscheinen. Und sogleich wirkt der eben noch so rührende Tellheim in seiner Begeisterung über das Schreiben wieder lächerlich:
55l Vgl. dagegen Michaels Annahme (Zu Lessings dramatischem Werdegang, S. 1007), daß nun die Ehre keine Rolle mehr spiele. 552 Lessing, Minna, V,4: LM 2, S. 248. 553 Steinmetz, Die Komödie der Aufklärung, S. 73. 554 Lessing, Minna, 1,6: LM 2, S. 180. 555 Karl Lessing an Gotthold Ephraim Lessing, 22. März 1768: LM 19, S. 249. 556 Zur auffallenden Veränderung des Sprachgestus bei Tellheim vgl. Hertling,
S. 271. - Metzger, S. 233 f.
557 Indes scheint selbst noch Tellheims Mitleid, das ihm so beredt eine Zukunft ausmalen läßt, ein kleiner Makel anzuhaften, da er ausdrücklich noch auf seine unglückliche Situation hinweist, der die von Minna jetzt gleiche: "Gleichheit [sei] aber immer das festeste Band der Liebe." (Lessing, Minna, V,5: LM 2, S. 249.) Hier zeigt sich, auf subtile Weise gestaltet, das Ungereimte der Haltung Tellheims. Mit Minna, die er durch äußere Umstände, ihre Enterbung, unglücklich sieht, hat der Major Mitleid; mit Minna, die der Verlust des Geliebten unglücklich machte und der, wie sie selbst sagt, der Spott der sächsischen Landsmänninnen gegolten hätte, konnte er nicht fühlen.
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0, mein Fräulein, welche Gerechtigkeit! - Welche Gnade! Das ist mehr, als ich erwartet! - Mehr, als ich verdiene!558
Ohne Zweifel ist das königliche Handschreiben für die Lösung der Komödie notwendig, da Minnas Schicksal, das Tellheim zu einer Heirat bewegt, ja nur ein vorgetäuschtes, erfundenes ist. 559 So stünde wohl zu erwarten, daß der Major in Kenntnis der wirklichen Situation wieder zu jenem Standpunkt der Öffentlichkeit wie in 11,9 und IV,6 zurückkehren würde, der eine Eheschließung unmöglich machte. Manch einer mag sich nun mit Franciska wundem: "Noch nicht genug" bzw. wie Schmidt die Frage stellen, "warum Minna den Handbrief, der [ihr] Glück besiegelt, so kühl aufnimmt, warum sie noch ein paar Szenen hindurch ,Komödiantin' bleibt, statt die Finte nun einzugestehn?,,56o Minna wäre wohl nicht Minna, wenn sie nun demütig einlenken würde, gibt ihr diese Rehabilitation doch erst Gelegenheit, ihren Plan auszuführen, den Geliebten "mit ähnlichem Stolze ein wenig zu martern". Die außerhalb des Spieles liegende Lösung des Konflikts durch den König ist somit zugleich Vorbedingung für Minnas innerhalb der dramatischen Handlung vollzogenen Streich. Das Fräulein hält Tellheim einen Spiegel vor, der sein als Stolz empfundenes Verhalten zurückwirft, wenn sie nun ihrerseits seinen früheren Standpunkt vertritt, ein(e) Ehrlose(r), ein(e) Unglückliche(r) könne keine Verbindung eingehen, um den anderen nicht ebenfalls der Verachtung auszusetzen. Gesteigert wird dies, indem Tellheims eigene Argumente der nichtswürdigen Liebe und blinden Zärtlichkeit ihm aus Minnas Munde entgegenklingen: "Es ist eine nichtswürdige Kreatur, die sich nicht schämet, ihr ganzes Glück der blinden Zärtlichkeit eines Mannes zu verdanken!,,56! 558 Ebd., V,9, S. 253. - Ich stimme mit Gaier (S. 54) überein, daß Tellheims Reaktion auf die Rehabilitation angesichts seiner vorangegangenen Äußerungen übertrieben und deshalb lächerlich ist. Gaiers These, Tellheim wirke bis zu diesem Zeitpunkt in keiner Weise kornisch, ist hingegen, wie schon die Analyse gezeigt hat, nicht aufrechtzuerhalten. Vorbehalte bestehen vor allem auch gegen die Deutung dieser Figur als einer schwachen Persönlichkeit, die die Kontributionsforderungen aus purer Bequemlichkeit vorstrecke. 559 Vgl. dagegen Guthke, Geschichte und Poetik der deutschen Tragikomödie, S. 41. - Strohschneider-Kohrs, S. 191. - Sanna, Lessings "Minna von Barnhelm" im Gegenlicht, S. 64. 560 Schmidt, Lessing, Bd. 1, S. 463. 561 Lessing, Minna, V,9: LM 2, S. 256 f. - Vgl. dazu ebd., IV,6, S. 242: v. Tellheim. [... ] Es ist ein nichtswürdiger Mann, der sich nicht schämet, sein ganzes Glück einern Frauenzimmer zu verdanken, dessen blinde Zärtlichkeit Hier nützt Lessing die von Bergson später als Inversions-Verfahren benannte Szenenanordnung, welche auf Wiederholung und Spiegelung basiert. Bergson gesteht selbst zu, daß "sich beide symmetrischen Szenen nicht einmal unbedingt vor unsern Augen abspielen [müssen]. Es genügt, wenn wir an die eine denken, während wir der anderen zusehen." (Bergson, S. 66)
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Unschwer läßt sich in dieser Szene und Minnas Worten eine Spiegelung der früheren Begegnungen der Liebenden in 11,9 bzw. IV,6 erkennen. So sehr der Major auch seine Verlobte zu beschwören sucht, sie ist ebensowenig wie vormals er selbst zu überzeugen, ihm ihre Hand zu reichen; sie beharrt darauf, daß "die unglückliche Barnhelm die Gattin des glücklichem Tellheims nie werden" soll. Während der Zuschauer dieses geschickte Spiel mit den Worten durchschauen kann, müssen sie für Tellheim tiefen Ernst ausdrücken. Mit dieser Spielkonzeption wendet Lessing eine Kompositionsmöglichkeit an, die er später im 99. Stück der Hamburgischen Dramaturgie theoretisch formulieren sollte. Eine Handlung, die auf der bloßen Kollision der Charaktere gründet, könne (wie bisher in der satirischen Typenkomödie) nur durch Veränderung einer dieser Figuren aufgelöst werden und schlafe deshalb nach und nach ein. Bestehe ein Drama jedoch in mehr als dieser charakterlichen Kollision, so könne die Auseinandersetzung der Persönlichkeiten auch zum Ende hin uneingeschränkt fortdauern. Dieses Schema gilt zweifelsohne für Minna von Bamhelm, die im Tellheimschen Konflikt mit dem König eine wesentliche Handlungsdimension erhält, die nicht von den Figuren auf der Bühne selbst gelöst werden kann, die vor allem aber die Kollision der Protagonisten erst ermöglicht. Ihrem, d. h. vor allem Minnas Spiel setzt nun die Wiederherstellung der gesellschaftlichen Position als Lösung der Probleme Tellheims noch keinen Schlußpunkt, der Fortgang der Geschehnisse ist nicht wie oftmals in der Typenkomödie vorhersehbar. Und so trifft Lessings Ausruf "Den hingegen will ich sehen, der in dem fünften Akte des Terenz die Wendungen des Dichters errathen kann!"s62 ebenso auf seine eigene Komödie zu, die mit V,lO nunmehr einen unerwarteten Verlauf nimmt. Just als Minna glaubt, der Knoten löse sich bald, weil Tellheim die Aktion mit dem Ringe durchschaue, entgleitet ihr das Spiel, beginnt es, sich gegen sie selbst zu wenden. Aus der insgeheim lachenden Verstellung des Fräuleins, das der Zuschauer mit Wissen um den wahren Tatbestand vielleicht lächelnd begleiten konnte, droht nun bitterer Ernst mit schlimmen Folgen zu werden, denn Tellheim mißversteht die Situation völlig. Er erkennt den überreichten Ring noch immer nicht als den von ihm versetzten und damit als Aufrechterhaltung des Verlöbnisses, vielmehr glaubt er an eine arglistige Täuschung Minnas, um so die Verbindung zu lösen. Auch hier ist Tellheim ob seines Argwohns, seiner offensichtlichen Blindheit und verworrenen Gedankengänge ein lächerlicher Held, auf den sich die Lust und Unlust des Publikums richtet. Und wirkt Tellheim nicht schon dadurch komisch, daß er jetzt so heftig auf Minnas vermeintliche Lossagung reagiert, die doch nur das wäre, was er selbst zu Beginn für richtig hielt? Lautes Lachen erscheint hier indes kaum mehr möglich, da nunmehr die 562
Lessing, HD, 99. Stück: LM 10, S. 201.
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Sphäre der Sorglosigkeit und die Hoffnung auf ein gutes Ende verloren scheint; es ist wohl eher, wie grundsätzlich bei den Ereignissen um Tellheim, ein Lachen des Verstandes, das eher leise lächeln macht. Eine typisch komische Situation, in der alle Beteiligten bis auf den Protagonisten den wahren Sachverhalt kennen, droht zu einer tragischen Verkennung zu werden, da sich Tellheim wiederum allen Erklärungsversuchen verschließt. So wie aus Tellheims unglücklicher Situation das Lachen hervorging, wandelt sich nun Minnas und des Zuschauers Freude in ihr Gegenteil. Das Spiel, das den Geliebten nur ein wenig quälen sollte und zugleich zu einem nicht geringen Teil der Eigenliebe schmeichelte, scheint ausweglos, wenn nicht das Erscheinen des Grafen von Bruchsal als eines deus ex machina die endgültige Auflösung zum Guten brächte. Jetzt offenbart Tellheim dem Publikum und Minna den Anblick seines ganzen Herzens. Obwohl er sich von seiner Geliebten verraten glaubt, tritt er doch ohne Zögern an ihre Seite, um sie gegen den vermeintlich grausamen Oheim zu schützen. Diese Tat ist schließlich seine überzeugendste Liebeserklärung an Minna. Nun kann sie, erlöst lachend, die Verwicklung aufklären, das Verlöbnis bestätigen. Hier spiegelt sich noch einmal deutlich die Intention der Verstellung Minnas, die eben nicht auf eine Korrektur ihres Gegenübers zielte: Dieses zur Probe, mein lieber Gemahl, daß Sie mir nie einen Streich spielen sollen, ohne daß ich Ihnen nicht gleich darauf wieder einen spiele. - Denken Sie, daß Sie mich nicht auch gequälet hatten?563
Ihre Frage bleibt indes mit Tellheims ,,0 Komödiantinnen, ich hätte euch doch kennen sollen!" unbeantwortet. Gerade die wenigen (Schluß-)Worte bestätigen, wie sehr beide Hauptfiguren auch am Ende immer noch sie selbst geblieben sind, sich im Grunde nicht geändert haben. Selbst wenn Minnas Spiel die Gefühlsverhärtung564 des Majors für den Moment lösen kann,565 letzten Endes ist Tellheim jetzt noch überzeugt, recht gehandelt zu haben, mit keinem Worte nimmt er Geschehenes zurück. Ebenso bleibt Minna dasselbe mutwillige Fräulein, das sie von Beginn an war, selbst wenn sie in diesem Falle erschrocken eingestehen muß, den Scherz zu weit getrieben zu haben. 566 Damit kann auch diese Figur als ein gemischter ChaLessing, Minna, V,12: LM 2, S. 261. Vgl. Hinck, Das deutsche Lustspiel des 17. und 18. Jahrhunderts, S. 288. Reh, Die Rettung der Menschlichkeit, S. 280. 565 Fraglich erscheint mir Rehs Annahme (Die Rettung der Menschlichkeit, S. 278), daß es sich hierbei um eine Charakterentwicklung im Sinne einer grundsätzlichen Änderung der Einstellung zum Mitmenschen handle. 566 Catholy (Das deutsche Lustspiel, S. 75 f.) und Reh (Die Rettung der Menschlichkeit, S. 275-282) sehen darin einen Korrekturprozeß, wie ihn Lessing in den Brüdern des Terenz beobachtet, wo "jeder nur dem andem soviel [abschleift], als nöthig ist, ihn gegen den Nachtheil des Excesses zu verwahren" (Lessing, HD, 99. Stück: LM 10, S. 201). 563
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rakter gelten, der positive wie negative Seiten miteinander verbindet,567 eine Charakterisienmg, die Minna im übrigen schon bei ihrem erstem Erscheinen von sich selbst gibt: Franciska, wenn alle Mädchens so sind, wie ich mich ietzt fühle, so sind wir sonderbare Dinger. - Zärtlich und stolz, tugendhaft und eitel, wollüstig und fromm. 568
Tellheim bestätigt und begründet diese Einschätzung Minnas als einer Figur mit "Lichtern und Schatten", mit Tugenden und Fehlern, denn sie "wäre sonst ein Engel, den [er] mit Schaudern verehren müßte, den [er aber] nicht lieben könnte,,569. Mitleidslos tritt sie dem Geliebten gegenüber, während sie für den unbekannten Capitaine Riccaut sehr wohl bedauernde Worte findet. Bedenken wir noch einmal Lessings Definition des Lächerlichen als jeglicher Ungereimtheit, jeglichen Kontrasts von Mangel und Realität, so können wir Minnas Verhalten durchaus als lächerlich werten, wenngleich es keineswegs lautes Lachen provoziert. Verfehlt ist nicht zuletzt ihre Haltung gegenüber Tellheim, weil sie ihn in manchen Momenten nicht mehr als eigenständiges Subjekt wahrzunehmen scheint, hört es sich doch mehr als anmaßend an, wenn sie sagt: "Ich bin Ihre Gebietherinn, Tellheim; Sie brauchen weiter keinen Herrn.,,57o, ebenso wie ihre Rechtfertigung gegenüber Franciskas Einwänden: Nun, laß mich nur, liebe Franciska. Du sollst mit deinem Wachtmeister auch machen können, was du willst. 571
Aus diesen überzogenen Einstellungen entspringt schließlich auch Minnas zu weit getriebenes Spie1. 572 Martinis wegweisende Untersuchung konnte überzeugend nachweisen, daß die von den Zeitgenossen Lessings umstrittene und unverstandene Riccaut-Szene in IV,2 nicht nur eine Parallel- und Kontrastfunktion für Tellheim, sondern ebenso für Minna besitzt und mit ihrer Spielthematik unentbehrlicher Bestandteil der Sinnstruktur des Dramas ist. 573 Strohschneider-Kohrs führt diesen Ansatz fort, indem sie den Bezug vor allem zum "etre sur des son fait" bzw. dem "corriger la 567 Vgl. dagegen Mann (Lessing, S. 205), der Minna etwas pathetisch als eine der "herrlichsten und strahlendsten Konzeptionen der Weltliteratur" beschreibt, als ein "Wesen von größter und echtester Leuchtkraft", von "sieghafte[r], menschliche[r] Helle und Unbeirrbarkeit". - Ausdrücklich verweist Ingrid Strohschneider-Kohrs (S. 196) darauf, daß sowohl die Tugenden Tellheims als auch Minnas Übertreibungen und Maßlosigkeiten zeitigen. 568 Lessing, Minna, II,7: LM 2, S. 202. 569 Ebd., V,9, S. 255. 570 Ebd., IV,6, S. 238. 571 Ebd., IV,I, S. 227. 572 Reh (Die Rettung der Menschlichkeit, S. 281) sieht gerade in diesem übermütigen Spiel die "Klippe des vollkommenen Charakters" vermieden, der sich Lessing mit Minna nähere.
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fortune" aus dem Munde des Leutnants gegeben sieht, das Minna schließlich verführe, ihren Streich zu übertreiben. Diese berechtigten Überlegungen seien um eine weitere, wesentliche Bezugsmöglichkeit erweitert. Die Verweisfunktion der Spiel-i rn-Spiel-Szenen ist nicht nur auf die Handlungsstruktur des Dramas beschränkt, sie besteht nicht zuletzt darin, die Möglichkeiten von Komödie (und auch Tragödie) als eine poetologische Diskussion im Spiel selbst zu reflektieren. Franciskas Vorhaltungen, sich in Riccaut getäuscht zu haben, stellt Minna die Notwendigkeit derartiger Erfahrungen entgegen und formuliert damit im Grunde in etwas anderen Worten als die Hamburgische Dramaturgie eine Aufgabe des Lustspiels, nämlich seine Mitmenschen ertragen zu lernen, wobei sie ausdrücklich darauf hinweist, daß selbst die vermeintlich so einseitigen Personen gute Seiten besitzen können, d. h., dramentheoretisch gesprochen, gemischte Charaktere sind. Auffallend ist, daß Minna zwar von einem Lern- bzw. Erfahrungsprozeß spricht, aber aus dieser Begegnung selbst nichts lernt, zumindest nicht das, was Lessing ebenfalls in der Hamburgischen Dramaturgie als Aufgabe der Komödie benennt, nämlich "sich wider alle Eindrücke des Beyspiels zu verwahren,,574. Daß ihr Spiel mit dem französischen Offizier einen anderen Ausgang hat, als sie erwartete, beeindruckt sie indes kaum. Auch daß Riccaut trotz seiner Betrügereien beim Kartenspiel offenbar verlieren kann dies berichtet er zu Beginn der Unterhaltung -, zeigt keine Wirkung auf Minna, sie sieht und hört nur des Chevaliers "etre sur de son fait". Ein Grund, warum ihr schließlich das Spiel mit Tellheim entgleitet, ist meines Erachtens darin zu sehen, daß sie sich gerade nicht gegen den negativen Eindruck der Begegnung mit Riccaut verwahrt, sie dieses Beispiel nicht reflektiert und so ihren Übermut zum Spiel nicht dämpft.
In ähnlicher Weise enthält auch der dem Geliebten zugedachte Streich eine im Drama verborgene Theorie der Komödie, vollzieht doch Lessing auf der Bühne, was er wenig später im 29. Stück des Theaterorgans zur wirkungsästhetischen Bestimmung des Lustspiels formuliert, nämlich, daß diese Gattung keine direkte Heilungsfunktion mehr besitze. So wie Moliere und Regnard durch ihre Figuren weder einen Geizigen noch einen Spielbesessenen ändern können, kann ein Stolzer, in dessen Rolle Minna schlüpft, 573 Laut Martini (Riccaut, die Sprache und das Spiel, S. 392, 394) zeige sich hier Minnas Fähigkeit zur Güte ebenso wie ihre Neigung zum Spiel, das sich indes so anders als jenes des betrügerischen Capitaines gestalte. Im Gegensatz zum Falschspiel des französischen Capitaines unternehme Minna ihre Aktion "nicht um der Täuschung willen, sondern aus der Wahrhaftigkeit seines [Tellheims] und ihres Herzens heraus". Dieser sehr positiven Interpretation Martinis kann ich nicht recht zustimmen, spielt doch Minna in entschiedener Absicht, den Major zu martern, d. h. sehr wohl um des Spieles willen. - Zur Kontrastierung Tellheims und Riccauts vgl. Guthke, Geschichte und Poetik der deutschen Tragikomödie, S. 40. 574 Lessing, HD, 29. Stück: LM 9, S. 304.
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sein Gegenüber korrigieren. Die psychologisch begründete Unmöglichkeit einer plötzlichen Revision, auf die Lessing in der Hamburgischen Dramaturgie abzielt, vollzieht sich im letzten Akt in Szene V,9 vor unseren Augen. Was Schröder "eine Bankrotterklärung der ästhetischen Lustspielstruktur,,575 nennt, ist indes eine von Lessing bewußt gestaltete Auseinandersetzung mit den Wirkungsmöglichkeiten der Komödie. Nicht mehr einzelne Laster zu korrigieren, sondern das Publikum das lachende Erkennen von Lächerlichem in jeder nur denkbaren Erscheinungsform zu lehren, das als etwas dem Menschen nicht Anstehendes selbst in guten Eigenschaften verborgen liegen kann, ist die neue, schon in Minna von Barnhelm vorgeführte Intention des komischen Dramas; eine Aufgabe, die hier mehr oder weniger fast allen Figuren des Dramas zufällt. 576 Von Just über Werner und Franciska bis hin zu Tellheim und Minna, sie alle machen im Denken und Tun ihrer Mitmenschen Ungereimtes aus. Sie führen dem Zuschauer vor, was auch er durch die Komödie lernen und üben soll, nämlich alle Arten des Lächerlichen zu erkennen; sie bestätigen indes zugleich, daß diese Unzulänglichkeiten des Menschen nicht (immer) direkt auszumerzen sind. Das Spektrum der Lächerlichkeiten hat sich im Vergleich zur Typenkomödie und Lessings Frühwerk ganz entschieden erweitert. Schon allein deshalb wäre es verfehlt, diese letzte Komödie immer nur auf ein Fehlverhalten Tellheims hinzuordnen. 577 Minna von Barnhelm ist ein Spiel um die Conditio humana und um die Beweggründe menschlichen Handeins, das eben oft genug auf seine Vernünftigkeit und seine Humanität hin befragt werden muß. Daß Minna im Rahmen dieser Bestimmung des Komischen eine besondere Rolle zugeordnet wird, steht außer Frage, denn sie ist es, die im Grunde allgemeingültige Aussagen trifft. Man denke hier an ihre weise Erkenntnis, daß alle Übertreibungen des Lächerlichen so fähig seien, ebenso wie ihre Maßgabe, auf Tugend und Vorsehung zu vertrauen. Und sie ist es nicht zuletzt, die den Grundtenor des neuen Lessingschen Spieles formuliert, das zweckfreie komische Elemente, die zum Teil der Posse zugerechnet werden können, nicht verneint, das aber "auch lachend sehr ernsthaft seyn kann". Lessing legt ihr eine (Welt-)Sicht in den Mund, die um die Schräder, Gotthold Ephraim Lessing, S. 243. Mit anderer Argumentation weist zwar auch Steinmetz ("Minna von Bamhelm", S. 152) auf die in Minna von Bamhelm vollzogene Entfunktionalisierung des traditionellen Komödien- und Intrigenschemas hin, doch führt er diese Überlegungen nicht weiter. So wird ihm diese Komödie nur zur "Warnung vor der vorschnellen Identifizierung bestimmter, bekannt scheinender Phänomene mit bis dahin für wahr gehaltenen Fakten". 577 Unter anderem lassen es beide Protagonisten an Mitleid fehlen und geben so der Ausgangssituation ihre verhängnisvolle Richtung. Während Tellheim zu sehr auf sein eigenes Unglück fixiert bleibt, ist sich Minna des "etre sur de son fait" allzu sicher, und so wird in beiden Fällen die Sicht auf den Mitmenschen verstellt (vgl. auch Strohschneider-Kohrs, S. 196). 575
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Unzulänglichkeiten des Menschen, um drohendes Unglück weiß, die sich dennoch ihre Freiheit, ihren Humor bewahrt, indem sie auf die Vorsehung und deren Güte vertraut. 578 Es zeigt Lessings gereifte komödiantische Kunst, daß er mit Minna eine Figur gestaltet, die gerade nicht wie die Tugendvertreter der satirischen Komödie oder die weiblichen Figuren des Gellertschen Spieles vorbildlich ist (man denke an Jungfer Fröhlichinn im Hypochondrist, Herrn Wackermann in der Pietisterey etc.), vielmehr fällt auch auf sie von Zeit zu Zeit ein komisches Licht. Ihre kleinen Verfehlungen, Lächerlichkeiten eröffnen indes eine weitere poetologische Bestimmung; denn an Minna exemplifiziert Lessing, daß es mehr als der in der Komödie vermittelten und eingeübten Fertigkeiten der lachenden Erkenntnis bedarf, um den Menschen seiner Vervollkommnung zuzuführen. Minnas Lachen allein wird der Situation nicht gerecht. Indem sie ihr Spiel übertreibt, es an Mitgefühl gegenüber Tellheim fehlen läßt, verursacht sie so die gerade noch verhinderte Katastrophe am Ende mit. Das von Achtung geprägte Lachen über das Allzumenschliche qua rationales Erkennen darf den emotionalen Prozeß des Mitleidens nicht verleugnen, die Folgen eines Zuwenig an Mitleid werden deutlich sichtbar. Um diese Wirkung zu erzielen, dies aufzeigen zu können, ist indes eine Ernsthaftigkeit des Spieles notwendig, die die sonst von Beginn an gewahrte Ebene der Sorglosigkeit bzw. Lösbarkeit der Komödienwelt in Frage stellt. Erst sie verleiht den Geschehnissen eine bisher ungekannte menschliche Dimension, welche die Darstellung allzu offensichtlicher und korrigierbarer Ungereimtheiten und Fehler nicht erreichen kann. Gleichzeitig verhindert Lessing durch seine kunstvolle Handlungsstruktur, welche die gesamte Tragweite der Geschehnisse erst im 4. Akt aufdeckt, daß der lustspielhafte Charakter verlorengeht. Intention und Lustspielanlage sind aufs engste verwoben. So kann der Mensch mit seinen Höhen und Tiefen zeigen, daß Komisches eben auch in all diesen Höhen und Tiefen menschlicher Erfahrungen verborgen liegen kann. Dadurch wird aber kein lautes, den Körper übermannendes Lachen mehr hervorgerufen, vielmehr ist es der Verstand, der, das subtile Ungereimte dieser Situationen erkennend, lachen kann. Nicht zuletzt wird damit evident, daß Lessings Diktum einer Rührung und Lachen vereinenden "wahren Komödie" im Sinne der Lustspiel-Abhandlungen dieses Spiel wirkungsästhetisch nicht erschöpfend zu fassen vermag. Wohl sind die Komponenten darin aufgehoben, doch insgesamt hat Lessing dieses eher einseitige Schema sowohl theoretisch als auch dramenpraktisch hinter sich gelassen und mit Minna von Bamhelm in Wirkungsästhetik, Personencharakterisierung und Handlungsführung auf höherer Ebene eine neue, echt Lessingsche Form der Komödie geschaffen. Sein letztes Lustspiel wird damit Lessings nachhaltigstes 578 Zum Dreh- und Angelpunkt seiner Minna-Interpretation erhebt Wittkowski (Theodizee und Tugend) die Theodizee.
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Plädoyer für die notwendige Verbindung von Lachen und Weinen bzw. Mitleiden und für die Verbindung der Gattungen Tragödie und Komödie. Ohne den lustspielhaften Grundcharakter zu stören, bilden beide zusammen in diesem Spiel vereint Empathie- und Erkenntnisfähigkeit, Herz und Verstand des Zuschauers und leisten auf diese Weise ihren Beitrag zur Erziehung des Menschengeschlechts.
Schlußbilanz "Kann man denn auch nicht lachend sehr ernsthaft seyn?" Diese Frage stellt nicht nur berechtigterweise die Protagonistin in Lessings berühmtestem Lustspiel, Minna von Barnhelm, sie ist zugleich ein Stück weit Programm seiner Komödie, wie sie uns am Höhe- und Zielpunkt der Entwicklung entgegentritt, verdichten sich doch in dieser Erkenntnis wesentliche Konstituenten eines gegenüber den zeitgenössischen Modellen deutlich veränderten Gattungsverständnisses. So sehr Lessing auch noch auf den vorgefundenen Lustspielkonzeptionen fußt, sie in jungen Jahren zur Orientierung nimmt und nehmen muß: ein Ungenügen an den überkommenen Bedingungen zeigt sich bereits zu Beginn seiner theoretischen Beschäftigung mit diesem dramatischen Fach in vielerlei Hinsicht, man denke nur an die starke Orientierung am französischen Klassizismus und damit verbunden an eine von Lessing als starr abgelehnte Regelhaftigkeit. Es ist nun vor allem die Wirkungs ästhetik, die zu einem, ja zu dem entscheidenden Kriterium der Gattungsdefinition avanciert. Schon früh wird evident, daß dem jungen Autor die einseitigen Angebote der Aufklärungskomödie, sei es das Verlachen eines Lasterbehafteten in der Satire, sei es die gerührte Bewunderung vorbildhafter Leistungen, wie sie die tugendhafte Variante auf die Bühne bringt, nicht mehr befriedigen und er mit der "wahren Komödie" nach einer ausgewogeneren Verbindung beider, die satirische Komödie und das Rührstück prägender Empfindungen sucht. Während in diesen theoretischen Überlegungen die Wirkungskomponenten der Rührung und des Lachens, respektive der Bewunderung und Beschämung noch weitgehend kontrastierend nebeneinanderstehen, schreitet Lessings späteres Verständnis der Komödie fort zu einer, wie Minna es nennt, lachenden Ernsthaftigkeit oder, wenn man will, einer ernsthaften Erheiterung. Dieses veränderte Lachen, das sich vom bisher geübten verächtlichen Verlachen der Typenkomödie so sehr unterscheidet, weil es Achtung und Sympathie für den Belachten wahrt, erschüttert oder übermannt den Zuschauer nicht lauthals, es ist nicht mehr Reaktion auf ein eindeutig lächerliches Laster, so sehr auch diese Formen der Erheiterung in der Komödie weiterhin ihr Recht behaupten. Nunmehr gilt es, das Lächerliche in all seinen auch noch so subtilen Erscheinungen als etwas dem Menschen nicht Anstehendes, der Humanität als letzter Beurteilungsinstanz Widersprechendes erkennen zu lernen. Dieses wahre Komische, das auch in guten Eigenschaften und Gesinnungen, ja selbst im vernünftig
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Schlußbilanz
Scheinenden verborgen liegen kann, macht damit nicht unbedingt laut, wohl aber den Verstand lachen. Statt wie noch in der satirischen Typenkomödie einen allzu augenscheinlichen moralischen Satz zu spielen, weiß das Lustspiel Lessings nun um Lächerliches in allen Bereichen und Situationen menschlichen Lebens und der Gesellschaft; selbst im Unglück, im Ernst kann es aufscheinen, dem vernünftig Handelnden vermag es ebenso anzuhaften wie den Gesetzen des absolutistischen Staates, man denke nur an die Intention der Juden. Wenngleich Lessing die Möglichkeiten eines possenhaften bzw. zweckfreien Spieles nützt und damit den fröhlichen Grundtenor des Lustspiels durchaus wahren kann, Ziel seiner neuen Komödie ist es, neben und in der Erheiterung auch nachdenklich zu stimmen. Daß sich dieses erkennende Lachen des Verstandes in Ernsthaftigkeit und in besonderen Fällen gar in Mitleid und Weinen zu verwandeln vermag, zeigt nicht nur Minna von Bamhelm, dies lassen bereits Der Freygeist und Die Juden in unterschiedlicher Akzentuierung ahnen. Die Komponenten des Lachens, nämlich Lust und Unlust, die sich auf Vollkommenheiten und Unvollkommenheiten bzw. Mangel und Realität des betrachteten Gegenstandes richten und diesem das Wohlwollen des Lachenden sichern, können sich so der Traurigkeit und Freude, den Ingredienzien des Weinens, annähern. Diese stärkere affektive Beteiligung aber läßt ein befreites Lachen nur des Bauches, eine ungetrübte Heiterkeit verschwinden und uns vielmehr lachend ernsthaft sein. Die veränderte Bestimmung des Lachens sowie des Lächerlichen und, damit verknüpft, Lessings Wirkungspoetik der Komödie, die nicht mehr auf direkte Korrektur, sondern auf eine allgemeine Weltund Menschenkenntnis setzt, zeitigen fraglos auch entscheidende Modifikationen der übrigen tradierten Strukturen, sei es in der Personenanlage, der Schlußgestaltung oder auch der Handlungsführung und konstituiert damit eine die zeitgenössischen Konzeptionen weit übersteigende Neubestimmung dieser Gattung. Diese wird allerdings nicht in einer rein theoretischen Auseinandersetzung erreicht; der Blick auf Lessings (Euvre macht deutlich, daß poetologische Reflexion und dramatische Produktion einander ergänzen, nur wissenschaftlich analysierend das Phänomen des Lachens und der Komödie nicht erfaßbar ist. Erst die Zusammenschau läßt Lessings originelles Verständnis des komischen Spieles klar hervortreten. Sowohl Theorie als auch Praxis prägt jedoch ein kontinuierliches Fortschreiten in der Erprobung der Möglichkeiten der Komödie. Lessings Experimente mit unterschiedlichen Formen des lustigen Spiels von einem der Rührkomödie verpflichteten Versuch über possenhafte Arbeiten bis hin zu seinen beiden letzten, vielversprechendsten Frühwerken weisen eine deutliche Entwicklung auf, die entscheidende Einsichten vor allem im Hinblick auf das dargestellte Lächerliche und den lachenden Umgang mit ebendiesem spürbar werden läßt. Insbesondere Der Freygeist und Die Juden zeigen das Bemühen, das später formulierte Paradigma einer "wahren Komödie"
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umzusetzen, gleichzeitig deuten aber gerade sie in ihrer artifiziellen Struktur auf Kommendes voraus. Die Vielzahl überlieferter Fragmente sowie die Bearbeitungen ausländischer Vorlagen, die letzten Endes die Stufe der originellen Jugendwerke nicht erreichen, zeugen allerdings von den Schwierigkeiten im Ringen um eine neue Form der Komödie, deren frühe theoretische Fundierung, so sehr sie die überkommenen Modelle zu vereinen bzw. zu überwinden sucht, doch hinter Lessings Komödien dieser Jahre zurückbleibt. Der wegweisende Ansatz, der zwar die vorangegangenen Überlegungen nicht gänzlich verleugnet, aber doch eine veränderte Zielrichtung erhält, wird erst im Briefwechsel mit Nicolai und Mendelssohn und diesen vielfach weiterführend in der Hamburgisehen Dramaturgie greifbar. Letztlich bleibt es Minna von Barnhelm vorbehalten, Lessings weiterentwickelte theoretische Erkenntnisse umzusetzen bzw. im Hinblick auf die Hamburgisehe Dramaturgie ein Stück weit vorwegzunehmen und zugleich eine kleine gespielte Poetologie des Lachens und Weinens, der beiden dramatischen Gattungen zu schaffen, eine für Lessing charakteristische Verbindung von niederer und wahrer Komik, von vordergründiger Erheiterung und erkennendem Lachen des Verstandes zu realisieren. Daß das Bemühen um die so anspruchsvolle Form der Komödie selbst nach Minna von Barnhelm und der Hamburgisehen Dramaturgie nicht immer von Erfolg gekrönt war, zeigt Die Matrone von Ephesus, der die Umsetzung der theoretischen Erkenntnisse von Lachen und Weinen nicht recht gelingen will. Lessings Komödienweg zeichnet sich nicht nur durch eine stetige Modifikation und kritische Befragung und schließlich die Überwindung der vorgefundenen Lustspielmodelle aus, das Verständnis dieser Gattung erreicht mit ihm eine bisher für Deutschland ungekannte Komplexität und Geschlossenheit, welches auch die grundsätzlichen Fragen nach dem Wesen des Lächerlichen, dem Phänomen des Lachens und seiner Beziehung zum Weinen erörtert. Lessing stellt uns letztlich eine Komödie vor Augen, die den Betrachter, nochmals sei es zitiert, lachend ernsthaft sein läßt, indem sie einerseits Inhumanes und damit Lächerliches in das Gewand des Lustspieles kleidet, zugleich aber lehren will, die Unzulänglichkeiten des menschlichen Lebens lachend zu ertragen, lachend hinzunehmen, und uns, wie Lessing schon in seiner frühesten poetologischen Aussage zur Komödie festhält, auffordert, immer auch ein Stück weit über uns selbst zu lachen.
20 Kornbacher-Meyer
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Becker-Cantarino, Barbara 180 Belgardt, Raimund 271,288 f. Bender, Wolfgang F. 103 Benseier, Frank 190 Berghahn, Klaus L. 11, 12, 79 Bergson, Henri 82, 273, 276, 295 Berthold, Helmut 87 Bibel
30
Biedermann, Flodoard Freiherr von 261 Birke, Brigitte 16 Birke, Joachim 16 Blänsdorf, Jürgen 241 Blaicher, Günther 85 Blumenthai, Liselotte 78 Bodmer, Johann Jakob 19,40,42 Böckmann, Paul 161, 192 Böhler, Michael 13, 81, 82, 88, 91, 158,208 Boetius, Henning 117 Bohnen, Klaus 85, 86, 88, 95, 237, 261,275 Boie, Heinrich Christian 261 Bond, Edward 85 Borckenstein, Heinrich 19 Borden, Charles E. 142 Bormann, Alexander von 209,268 Boxberger, Robert 26 Braun, Fritz 66 Braun, Julius W. 79 Brecht, Walter 239 Breitinger, Johann Jakob 19,42 Breuer, logo 116 Buck, Elmar 103, 140, 142 Budd, Frederick E. 253 Büchner, Georg, Lenz 50 Burger, Heinz Otto 151 Burnaby, William, The Modish Husband
252-254
Busch, Stefan
288
Cardano, Hieronymus 207 Caro, Josef 189,224,227, 229, 237 Cases, Cesare 190, 197, 199 Cassirer, Ernst 84
328
Personen- und Werkregister
11, 21, 27, 92, Catho1y, Eckehard 107, 153, 270, 297 Chassiron, Pierre-Matthieu-Martin de 23, 28, 55, 56, 57 f., 59, 60, 61, 62, 63-65, 122 Reflexions sur le Comique-larmoyant, dt.: Betrachtungen über das weinerlich Komische aus dem Französischen des Herrn M. D. C. (übers. von Lessing) 55, 57 f., 63-65 Cibber, Colley 228 Cicero (Marcus Tullius Cicero) 151, 188 Coello, Antonio, Graf von Essex 110 Coffey, Char1es, Der Teufel ist los 47-50, 53, 55 Congreve, William 226-228, 229, 230, 231 The Double-Dealer 226-228, 230, 231 Conrady, KarlOtto 28 Consentius, Ernst 43 Corneille, Pierre, Discours des trois unitis 35 Cosack, Wilhe1m 86 Courtine, J.-F. 87, 88 Coypel, Antoine 120 Cromwell, Henry 83, 84 Czucka, Eckehard 206 Dacier, Anne Lefevre 29 Dahnke, Hans-Heinrich 222 Danzel, Theodor Wi1he1m 26, 256, 258 Daunicht, Richard 23 Davis, Herbert 230 Delisie, Louis Fran,