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German Pages 198 [200] Year 2012
Kleine Literaturgeschichte der großen Liebe
Matthias Luserke-Jaqui
Kleine Literaturgeschichte der großen Liebe
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Das Werk ist in allen seinen Teilen urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung in und Verarbeitung durch elektronische Systeme. © 2011 by WBG (Wissenschaftliche Buchgesellschaft), Darmstadt Die Herausgabe des Werkes wurde durch die Vereinsmitglieder der WBG ermöglicht. Umschlagabbildung: Gustav Klimt, Der Kuss (Ausschnitt). © akg-images / Erich Lessing. Umschlagentwurf: Peter Lohse, Heppenheim Gedruckt auf säurefreiem und alterungsbeständigem Papier Printed in Germany Besuchen Sie uns im Internet: www.wbg-wissenverbindet.de ISBN 978-3-534-23778-4
Elektronisch sind folgende Ausgaben erhältlich: eBook (PDF): 978-3-534-70781-2 eBook (epub): 978-3-534-70779-9 eBook (online): 978-3-534-70780-5
Inhalt „Denn alle Lust will Ewigkeit“. Statt eines Vorworts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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1 „Erklär mir, Liebe!“ Lesarten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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2 „Liebe, der schönste Text“. Modelle der Deutung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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3 Die lustvolle Frau. Zur Kulturgeschichte eines literarischen Bilds . . . . . . . . . . . . . . .
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4 „Liebe voll Lust“. Der Wille zum Bekenntnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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5 „Lust und Liebe“. Ein romantisches Modell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105
6 „Es ist, was es ist“. Die große Liebe in der Literatur der Moderne . . . . . . . . . . . . . . . . 133
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Inhalt
„Die Liebe hemmet nichts“. Statt eines Nachworts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 Anmerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 Namenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195
Niemand hat das Bedürfnis, über die Liebe zu sprechen, wenn das nicht für jemanden geschieht (Roland Barthes: Fragmente einer Sprache der Liebe, S. 163) And Lust said: I am Love (Algernon Charles Swinburne: Major Poems and Selected Prose, S. 69) Ich sage Dich, Ich liebe Dir, Denn ohne Du Kann ich Nicht bin! (Anonym)
„Denn alle Lust will Ewigkeit“. Statt eines Vorworts „Lieber und wolgeneigter Leser. / Der Titul dises wintzigen Büchels muß niemand erschröcken“1 – mit diesen Worten eröffnete Abraham a Sancta Clara seinen Wunderlichen Traum von einem großen Narrennest (1703). Diesem Trost mag ich mich anschließen, ist das Thema auch noch so unerschöpflich – und „unerschöpflich ist die Liebe“2 schreibt Friedrich Schiller seiner großen Liebe am 25. August 1789 –, dieses ‚winzige Büchlein‘ kann nicht mehr, als dies erkennen zu geben. In der Literatur ist der Zusammenhang von großer Liebe und lustvoller Frau dokumentiert. Natürlich hätte man auch ein Buch über den lustvollen Mann schreiben können. Doch ist das nicht Thema dieses Werks. Vielmehr bin ich im Laufe meiner Studien den Fährten nachgegangen, welche die Literatur – männliche wie weibliche Schriftsteller – selbst legt. Der Status der Erdichtung ist dabei ebenso nebensächlich wie der Grad der Echtheit. Sollten sich die literarischen Beschreibungen von lustvoller Frau und großer Liebe nicht mit der Wirklichkeit der Autoren und Autorinnen decken, dann legen sie immerhin Zeugnis ab von deren Wünschen und Vorstellungen, die ja bekanntlich nicht weniger ernst zu nehmen sind als die Empirie. Dichtung wird als das genommen, was sie ist, als wirkliche Erfindung. Insofern werden in diesem Buch auch keine Schriftstellerbiographien auf ihre große Liebe hin befragt. Ich pflichte Lessings 7. Literaturbrief (1759) bei, wo zu lesen ist: „Was geht uns das Privatleben eines Schriftstellers an? Ich halte nichts davon, aus diesem die Erläuterungen seiner Werke herzuholen“.3 Die in diesem Buch herangezogenen Quellen sind nicht jene der Autorität, „sondern die der Freundschaft“,4 um eine Formulierung von
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„Denn alle Lust will Ewigkeit“.
Roland Barthes in Anspruch zu nehmen. Wir folgen schlicht „der liebe spur“,5 von der Otto Christoph Eltester 1695 schreibt, gleichwohl Herders Mahnung erinnernd, „daß nichts in der Welt lange Erörterung so sehr haßet, als Liebe. Liebe in einen Folianten gebracht, ist nicht Liebe mehr“. Diese Erkenntnis ist ihm so wichtig, dass er sie wenig später wiederholt, hassen würde die Liebe Folianten und „immensa opera“.6 Eine kleine Literaturgeschichte der großen Liebe muss also notgedrungen auch klein vom Umfang her ausfallen, „[. . .] und hiermit Punktum. Genug zum Vorbericht eines so kleinen Büchelchens“.7 Vielleicht noch dieses, den Herzensergießungen (1797) Wackenroders und Tiecks entnommen: „Deute mir meine Worte nicht übel [. . .] und so wirst Du denn alles zum besten auslegen“.8 Matthias Luserke-Jaqui
Darmstadt/Kusel, im Sommer 2010
1 „Erklär mir, Liebe!“ Lesarten Ein anagrammatisches Wortspiel von Bernd Brucker und Alexandra Steiner soll in das Thema ‚Große Liebe‘ einführen, deren Protagonisten zwischen Erklären und Glauben seit jeher schwanken: „Glaubst du an die große Liebe?“ Nicht selten beginnt das ganze Elend mit dieser Frage, in der die Antwort bereits enthalten ist: „Bald Stauung! Sei begierdelos!“ Sie weigern sich, das zu glauben? Ist natürlich tischgerührt (Ihr gutes Recht) und allzu menschlich, denn schließlich lässt sich niemand so leicht sein Werte-Zerrbild tummeln (sein Weltbild zertrümmern), vor allem dann, wenn er an das Gute, Edle, Schöne im Menschen glaubt. Vielleicht lassen Sie sich ja überzeugen [. . .].1 ‚Große Liebe‘ lässt sich in zweierlei Hinsicht nur versuchsweise, eben essayistisch, erschließen. Einmal methodisch: Dass es unmöglich und auch unsinnig ist, methodisch in das Thema große Liebe einzuführen. Zum anderen: Dass es keine systematische und chronologische Ordnung geben kann, denn Kennzeichen der großen Liebe – dies mag als ein Ergebnis vorweggenommen werden – ist ihre Ordnungslosigkeit, Liebe lässt sich nicht einfädeln in das Nadelöhr von Zeit und System. Der Arzt und Dichter Friedrich Schiller formulierte dies in einem Brief an seine große Liebe Charlotte von Lengefeld so: „Ein Mensch, der liebt, [. . .] steht bloß unter den Gesetzen der Liebe.“2 Aber: „Es ist ein groß Unterschied, etwas mit lebendiger Stimme oder mit toter Schrift an Tag zu bringen“,3 stellt schon Martin Luther
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„Erklär mir, Liebe!“
1519 in seinem Sermon von dem ehlichen Stand klar. Und dann will ich über die Liebe schreiben? Über ein Thema, „für das jeder sich einzig kompetent hält und das – wahrscheinlich deshalb – von leeren Allgemeinheiten und Klischees geradezu starrt.“4 Und Gleiches gilt übrigens auch für die Literatur! Ich bringe also in meinem diskursiven Feld zwei Themenbereiche zusammen, deren Wurzeln fest in individuellen Erfahrungswelten verankert sind. Das hat ein großer Gelehrter, Erasmus von Rotterdam, ähnlich schon in diese Worte gefasst, was auch für die Liebe gilt: „Wozu [. . .] braucht man [. . .] Autoritäten, / wenn, ach, die Lebenserfahrung nur allzu guter Beweis ist.“5 Und zu guter Letzt hält mir eine Focus-Umfrage vom Mai 2008 vor Augen, dass immerhin zwei Drittel der Deutschen (nämlich 69 Prozent) an die einzig große Liebe glauben.6 29 Prozent der Befragten sagen, die Liebe des Lebens existiere nicht, 72 Prozent der 18- bis 34-Jährigen und 63 Prozent der 45- bis 54-Jährigen glauben an die große Liebe. Was also tun? Ich finde Rat bei einem anderen Gelehrten der Frühen Neuzeit, Hans Sachs, der schreibt in seiner Summa (1567): „Da inventirt ich meine bücher, / Ward gar ein fleissiger durchsücher“.7 Und tatsächlich finde ich eine erste Spur bei Ovid: „Kennt einer in diesem Volk die Liebeskunst nicht, so lese er dieses Gedicht und sei danach ein Meister in der Liebe!“8 Nun, die Ansprüche hier sind nicht ganz so hoch, kaum einer wird am Ende dieses Büchleins ein Liebesspezialist sein. Aber immerhin stellt Ovids Eröffnungssatz seiner Ars amatoria unmissverständlich einen ernstzunehmenden Zusammenhang her zwischen Liebe und Literatur. Damit formuliere ich die erste Annahme: Einen Text über Liebe zu lesen, generiert Wissen über Liebe (vielleicht sogar Liebe selbst?). Stendhals Einwand wäre damit zumindest massiv infrage gestellt, er hat im Kapitel Über die deutsche Liebe seines Buchs Über die Liebe (1822) geschrieben, „so leben die guten, einfältigen Nachfahren der Germanen von der Einbildungskraft. Kaum haben sie die unvermeidlichen Lebensnotwendigkeiten erledigt, so sieht man mit Erstaunen, wie sie sich auf das werfen, was sie ihre Philosophie nennen; das ist eine Art sanfte, liebenswürdige und vor allem harmlose Narrheit.“9 Wie geht man also um mit jenem „mächtige[n] Gefühl, wofür die Sprache keine andere Namen als Liebe und Wollust hat“,10 wie Novalis
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meinte? Entgegen der herkömmlichen Lesart, dass Liebe blind und stumm mache und sich die Liebenden der Unsagbarkeit ihrer Liebe versicherten, versuchen diese literaturgeschichtlichen Studien Argumente für das Gegenteil zu stärken. Nichts ist so beredt wie die Liebe, nichts ist so geschwätzig wie Lust und Leidenschaft. Körperlichkeit, Geschlechtlichkeit, Sexualität, kurz Sex werden damit als eine nichtsprachliche Kommunikationsform ausgewiesen, die sich gelegentlich auch der Worte bedient, deren Darstellung aber ohne Worte nicht auszukommen vermag. In der Literatur wird der Leibkörper zum Wortkörper, selbst wenn geschwiegen wird, so wird dies beredt getan. Das ciceronische ‚cum tacent clamant‘ (‚indem sie schweigen, reden sie‘) findet auch hier seine Bestätigung, ich folge also – um mit Mörikes Maler Nolten (1832) zu sprechen – der „Sprache der beredtesten Liebe“.11 Die Literatur erzählt gerne von der verschmähten Liebe, von der beleidigten und verhinderten Liebe, vom ständebedingten Liebeskonflikt, von Verführung und Gewalt, von der enttäuschten Liebe. Weit verbreitet ist die Ansicht, wenn es ein eindrucksvolles Beispiel und deren Scheitern für eine große Liebe in der Literatur gibt, dann sei dies Shakespeares Drama Romeo und Julia (1597). Immer wieder wird dieser Text als Referenzbasis für die Entwicklung mehr oder weniger origineller Thesen herangezogen. Bei Julia Kristeva heißt es beispielsweise über das Liebespaar: „Kein anderer Text zeigt so leidenschaftlich, daß den Liebenden in ihrem Streben nach der geschlechtlichen Vereinigung und nach der Legalisierung ihrer Leidenschaft nur ein flüchtiges Glück beschieden ist“.12 Für Romeo steht gleich am Anfang des Stücks fest, Liebe ist „eine vernünftige Tollheit, eine erstikende Galle, eine erquikende Herzstärkung“.13 Juliette kann Romeo lieben, soll ihn aber hassen, sagt sie am Ende des ersten Aufzugs (I/6), um sich innerhalb weniger Sätze darüber klar zu werden, dass sie ihn tatsächlich liebt, den verhasstesten Feind. Romeos Freund Mercutio bemüht das europäische Modell einer großen Liebe der Entsagung, Petrarka und Laura, um an ihnen deutlich zu machen, dass die Liebe seines Freundes zu Juliette ungleich größer sei, „Laura war gegen sein Fräulein nur ein Küchenmensch“.14
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„Erklär mir, Liebe!“
Was aber, so wäre in diesem Buch zu fragen, ist mit der erfüllten Liebe, mit der Erfüllung jener großen Liebe, von der wir Menschen – folgt man den Darstellungen unserer Literatur und den Umfragen – alle träumen? Müsste man nicht sogar im psychoanalytischen Sinn von einer regelrechten Wunschlust sprechen, obwohl die große Liebe stets auf gegenseitigem Einverständnis, also mehr als nur auf gegenseitigem Wunsch, beruht? Die zentrale Frage, um welche alle Texte über die große Liebe kreisen (und gelegentlich auch kreißen) und um deren Beantwortung sie sich beredt bemühen, heißt: Wie das Vergängliche bewahren, wo das Bleibende so flüchtig ist? Zur Liebe gehört demnach die Wiederholung ebenso wie zu ihrer Lust – und darin offenbart sich auch ihre Aporie. Wie kann das wiederholt, wie kann dieses scheinbar so Flüchtige dauerhaft gesichert werden? Davon handelt Literatur über Liebe und davon handelt dieses Buch einer kleinen Literaturgeschichte der großen Liebe. Nebenbei bemerkt gelangt die Redensart von der ‚großen Liebe‘ erst mit Friedrich Schlegel und seinem Lucinde-Roman (1799) in den deutschen Wortschatz; noch das Deutsche Wörterbuch der Brüder Grimm kennt in seinem Artikel zum Lemma ‚Liebe‘ von 1885 den Ausdruck ‚große Liebe‘ nicht, wohl aber ‚erste Liebe‘ und ‚neue Liebe‘. Vorab sind einige Voraussetzungen zu nennen, mit denen dieses Buch arbeitet, ohne sie eigens zu explizieren. Erstens ist die große Liebe mehr als ‚nur‘ Liebe; dieses ‚Mehr‘ macht die Liebe zur ‚großen Liebe‘. Die große Liebe ist nochmals eine Steigerung dessen, was Liebe ohnehin auszeichnet: Die Inszenierung des Maximums als Forderung und als Hingabe, als Versprechen und als Einlösung jenseits aller nur denkbaren Superlativsemantik. Zweitens wird nicht die Rede von einseitiger Liebe sein; die große Liebe muss von beiden Liebenden als solche erfahren und dokumentiert werden. Drittens wird auch nicht von den Derivat- und Schwundformen einer großen Liebe gesprochen, dies wäre ein eigenes Thema. Viertens verzichtet dieses Buch auf die Darstellung lebensgeschichtlicher, biographischer Modelle. Fünftens ist das Buch insofern herkömmlich, als es von heterosexuellen Liebesbeziehungen ausgeht. Das Geschlecht der Liebenden entscheidet nicht
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über Erkennen, Akzeptanz und Verlauf einer großen Liebe. Mehr denn je gilt hier, dass ‚Geschlecht‘ eben auch eine soziale Konstruktion ist. Das lenkt den Blick notwendigerweise auf die Bedeutung der Geschlechterdifferenz bei der Konstruktion von sozialer und historischer Wirklichkeit, auch wenn sie sich im fiktionalen Medium der Literatur vollzieht. Noch 1938 bemühte José Ortega y Gasset in seinen Essays Über die Liebe ein kulturell zementiertes, um nichts weniger patriarchales Bild: „Denn der Mann empfindet die Liebe unverzüglich als eine heftige Begierde, geliebt zu werden, während die Frau zuerst ihre eigene Liebe fühlt, den warmen Strom, der aus ihrem Wesen dem Geliebten entgegenbricht und sie zu ihm treibt. Das Bedürfnis, geliebt zu werden, empfindet sie nur als eine Folge und in zweiter Linie. Die normale Frau, das vergesse man nicht, ist das Gegenteil des Raubtiers, das sich auf die Beute wirft; sie ist die Beute, die sich dem Raubtier hinwirft.“15 Dies sagt mehr aus über die individuellen und gesellschaftlichen Frauenbilder der Männer, die dies in Worte fassen, als über ‚das Wesen‘ der Frau, gar über die große Liebe. Und dies übergeht auch die Tatsache, dass es andere männliche Stimmen gegeben hat, welche die Parität der Lust in der Liebe vertraten, so zum Beispiel Ovid, der empfiehlt: „Was uns erfreut, das sollen Mann und Frau zu gleichen Teilen genießen. Ich verabscheue ein Beilager, das nicht beide hinschmelzen läßt“. Und: „Eilt gemeinsam zum Höhepunkt; dann ist die Lust vollkommen“.16 Ein Philosoph der Wollust, Julien Offray de la Mettrie, bekannte im 18. Jahrhundert, „der schönste Anblick, den es auf der Welt gibt, ist eine schöne Frau“.17 Während Michel de Montaigne eher wieder ovidisch dachte: „Beim Liebesspiel geht mir der Genuß, den ich dem Weib verschaffe, lieblicher ein als der, den ich selbst empfinde“.18 Für Novalis jedenfalls ist klar, „mit den Frauen ist die Liebe und mit der Liebe die Frauen entstanden, und darum versteht man keins ohne das andre.“19 Die große Liebe ist atopisch, sie ist nicht einzuordnen, ihre Beschreibung hingegen utopisch oder streng topologisch, was von den jeweils historisch kontingenten kulturellen Kodes abhängt. „Das geliebte Wesen wird vom liebenden Subjekt für ‚atopos‘ gehalten“, schreibt
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Roland Barthes und greift dabei auf Sokrates zurück. Ich als Liebender kann den Anderen als das geliebte Objekt „nicht einordnen, eben weil er der Einzigartige ist, das besondere Bild, das sich wundersamerweise herbeigelassen hat, auf die Besonderheit meines Verlangens zu reagieren“. „Als atopos läßt der Andere die Sprache erbeben: man kann nicht von ihm, über ihn sprechen“.20 Ich folge in diesem Buch einer bestimmten Lesart und rufe zuvörderst das klassische philologische Ethos in Erinnerung: ‚lege meo periculo‘ – ‚lies auf meine eigene Gefahr hin‘. Große Liebe, genauer das literarische Modell einer großen Liebe, imaginiert das Bild von der lustvollen Frau. Diese Frau wird von den Literaten weder als organisch minderwertig noch als seelisch andersartig empfunden, vielmehr als Ergänzung wahrgenommen. Große Lust ist kein Substitut der großen Liebe, sondern verhält sich komplementär zu ihr. Wo sich die große Liebe ereignet, vollzieht sich auch die große Lust. Der Umkehrschluss gilt freilich nicht. Im Zusammenhang dieses Buchs geht es um die kulturgeschichtliche Ausprägung des Bilds von der lustvollen Frau als Deutungsmuster der großen Liebe. Die Leidenschaft wird dabei beredt, Lust wird sprachlos. Leidenschaft führt das große Wort, Lust stammelt den kleinen Laut – und die Literatur führt beide zusammen in der Rede von der großen Liebe. Große Liebe bedient sich großer Worte, sie drängt immanent stets auf eine Poetik der Liebe. Dass es dabei um literarische Bilder der großen Liebe geht, ist selbstredend dem Titel dieses Buchs zu entnehmen, und es muss nicht immer so kompliziert zugehen wie in Karl Valentins Komischem Liebesbrief: „Warum hast Du so lange nicht geschrieben? – wo Du doch neulich geschrieben hast, daß Du mir schreibst, wenn ich Dir nicht schreibe!!“21 Auch die kannibalische Seite der Liebe mit ihrem Verschmelzungsphantasma, welches die Psychoanalyse recht gut zu deuten weiß, erwähnen wir nur mit dem Autorenpaar Friedrich Schiller und Günter Eich. Während Schiller mutmaßt, Liebe sei, „in das Nebengeschöpf überzugehen, oder daßelbe in sich hineinzuschlingen, es anzureissen“,22 könnte man darauf mit Eich antworten: „Odysseus verzehrt sich vor Sehnsucht, guten Appetit.“23
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Wo Liebe ist, da ist Literatur nicht weit. Entweder man lässt sie als Liebender oder Liebende für sich sprechen und gebraucht sie damit als Ausdrucksmedium, oder man nutzt sie als Beschreibungsmedium einer großen Liebe. „Denn alle Lust will Ewigkeit“ – das garantiert der Liebe die Literatur. Darin mag ein Grund zu sehen sein für die enge Allianz, die Literatur und Liebe seit je eingehen. Lange schon, wenn die Liebenden gestorben und ihr unmittelbar erinnerbares Andenken erloschen ist, spricht die Literatur noch von ihrer großen Liebe, als sei es eben erst geschehen. Vollständig ausgetrieben scheinen sowohl der Wunsch nach der großen Liebe wie auch deren Vorstellbarkeit bei den Brüdern Goncourt, die unter dem Datum vom 16. November 1864 in ihr Tagebuch eintragen: „Wir haben die Frau, mit anderen Worten, den Vorwand zur Liebe, und die Natur so gut wie ersetzt durch das Gemälde“.24 Dass die Geschichte der großen Liebe aber weitergeht, zumal ihre Literaturgeschichte, will ernsthaft niemand bezweifeln, auch wenn Martin Walser die ungleiche große Liebe zwischen dem alten Goethe und der jungen Ulrike von Levetzow durch den eben in heftiger Liebe wild entflammten Dichter die entscheidende Frage stellen lässt: „Zur Fortpflanzung war sie noch nie nötig. Wozu also Liebe? Dass wir merken, wir leben nicht mehr im Paradies. Dass kein menschliches Leben ohne Leiden bleibe“.25 Also, was ist Liebe? Ist sie eine Art „Kriegsdienst“,26 wie Ovid meint, oder doch nichts anderes, „als das Verlangen nach sinnlichem Genuß durch ein Wesen, das man ersehnt“ oder eine „wache, lebendige, freudige Erregung“?27 Dieses Buch wird auf diese Frage keine verallgemeinerbaren oder wie auch immer gearteten konsensfähigen Antworten geben, denn es ist der Beleg dafür, dass jeder Text individuell antwortet und der Leser allein bleibt, ja bleiben muss, mit dem Echo in seinem Herzen, das die Worte der Dichter hervorrufen. Und einem ehemaligen Tennisprofi können wir mit diesem Buch auch nicht wirklich helfen, der nach einer gescheiterten Beziehung über die Nachrichtenagentur ap am 28. November 2008 fragen ließ: „Ich wäre froh, wenn mir jemand mal die Liebe erklären könnte. Soll ich in Zukunft nach mei-
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nem Herzen oder meinem Kopf gehen?“ Nein, Liebe kann man nicht erklären, man kann sie aber beschreiben, und genau das tut die Literatur. Die imperative Aufforderung Ingeborg Bachmanns also Erklär mir, Liebe! wird unbefolgt bleiben. Gleich, was Liebe ist, wir sollten sie annehmen in Demut und mit Lust. Karoline von Günderrode mahnt uns in ihrem Gedicht Überall Liebe (1805) so: „Verlohren ist wen Liebe nicht beglücket“.28 „Bisher hat alles Das, was dem Dasein Farbe gegeben hat, noch keine Geschichte: oder wo gäbe es eine Geschichte der Liebe“,29 fragt Friedrich Nietzsche in seiner Fröhlichen Wissenschaft (1882). Daran hat sich bis heute viel, sehr viel geändert. Selbst wenn man die ganze Ratgeberliteratur beiseite lässt, bleiben immer noch genügend Hundertschaften kulturgeschichtlicher Darstellungen über alle Aspekte der Liebe übrig. Heinrich Böll hat in seiner Nobelpreisrede festgestellt: „Niemand wird je wissen, wie viele Romane, Gedichte, Analysen, Bekenntnisse, Schmerzen und Freuden auf diesen Kontinent Liebe gehäuft worden sind, ohne daß er sich als total erforscht erwiesen hätte.“30 Umso auffallender ist es dann, dass es zur großen Liebe in der Literatur keine Darstellung gibt. Gemeint sind nicht die Biographien großer Männer und Frauen, die liebten, und gemeint sind auch nicht die vielfältigen Digressionen der Liebe wie die unglückliche Liebe, die einseitige Liebe, die unerwiderte Liebe, die nicht vollzogene Liebe etc. Das Grimm’sche Wörterbuch listet unter dem Lemma Liebe eine Fülle der sprachlichen und lebensweltlichen Kombinationsmöglichkeiten auf: Die geistige, brüderliche, blinde, heimliche, brennende, keusche, unzüchtige, hürische, wahre, falsche, gezwungene, erste, neue, böse, schöne Liebe. Insofern versteht sich die hier vorgelegte kleine Literaturgeschichte der großen Liebe als ein Essay, als ein erster Versuch, einen Blick auf dieses unerschöpfliche Thema zu riskieren.
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„Liebe, der schönste Text“. Modelle der Deutung Diskurstheorie, Poststrukturalismus – Systemtheorie – Kultursoziologie, Medientheorie – Psychoanalyse – Kulturgeschichte der Literatur Wenn Liebe wirklich der schönste Text ist, wie es bei Schiller heißt, dann stellt sich doch die Frage, ob es nicht eine dazu passende Texttheorie oder Philosophie gibt, die gleichsam als Schlüssel zum Verstehen dienen könnte. Gibt es aber tatsächlich eine Theorie der Liebe oder gar eine Philosophie der Liebe oder der Wollust? Eine ‚Literaturwissenschaft der Liebe‘ jedenfalls existiert nicht, wie ein Zeitgenosse festgestellt hat. Und doch lohnt es sich, einen Blick auf die Beiträge einiger Diskutanten zu werfen, die aus höchst unterschiedlichen Perspektiven und mit teils sehr differenten methodologischen Zugangsweisen der Liebe zu Leibe rücken. Diskurstheorie, Poststrukturalismus Der französische Literaturtheoretiker Roland Barthes veröffentlichte 1977 sein Buch Fragmente einer Sprache der Liebe, worin er konsequent die Konzentration auf den Diskurs der Liebe zur Anschauung bringt. Dies im wörtlichen Sinn, denn bereits auf der handwerklich-strukturellen Ebene seines Buchs verweigert er jedwede Form von Sinnsuche, um die Fokussierung auf die Liebe als „Deklamation einer bereits vollzogenen [. . .] Tatsache“ zu optimieren. Damit er als Autor der Versuchung einer Suche nach Textsinn widerstehen konnte, so schreibt er,
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„Liebe, der schönste Text“
sei es erforderlich gewesen „eine absolut bedeutungslose Gliederung zu wählen“.1 Dies erklärt die nicht weiter durchschaubare Lemmatisierung seines Buchs, das in einzelnen Artikeln über den Liebesdiskurs aufgeht und von A wie Abhängigkeit bis Z wie Zugrundegehen reicht. Barthes beklagt zu Recht, dass sich der leidenschaftlichen Liebe heutzutage kein Denksystem mehr annähme2 und wiederholt unwissentlich damit einen Aphorismus von Schlegel: „Es giebt noch keine Philosophie der Liebe; vielleicht ist sie nicht bloß der beste sondern der einzige Gegenstand der Romanpoesie“,3 obwohl er – mit Blick auf seine Lucinde – eine „Philosophie der Wollust“4 durchaus festzustellen vermag. Wenn Johann Christoph Rost in seinem anonym erschienenen Gedicht Die schöne Nacht (1754) im Hinblick auf eine amouröse Situation schreibt – und die Leser haben tatsächlich ein entsprechendes, mit heutigen Maßstäben gemessen harmloses Kupfer vor Augen –: Weg war die Hand, das heißt: Sie war nicht mehr zu sehen, Was im Geheim mit ihr geschehen, Das sag’ ich nicht; doch wenn ihr schärfer fragt, So merkt: es war, was man viel lieber thut, als sagt [. . .],5 dann lenkt er den Blick gerade auf das Nichtgesagte. Die Verweigerung der Beschreibung ist bereits selbst wieder Bestandteil einer Beschreibung. In das Feld einer Untersuchung über den Liebesdiskurs, also über die Frage, wie reden und schreiben die Menschen über Liebe und was verschweigen sie darüber, gehört zweifelsohne das unvollendet gebliebene Spätwerk Sexualität und Wahrheit (Bd. 1 1976, Bd. 2 u. 3 1984)6 von Michel Foucault. Die darin vorgetragene, von Foucault sogenannte Repressionshypothese bildet den Grundstein, auf dem sich sein dreibändiges Werk aufbaut. Ins Zentrum seines Interesses stellt Foucault das Beziehungsgeflecht von Macht, Wissen und Sexualität. Gegen die herkömmliche Lesart, dass dieses Beziehungsgeflecht auf Repression basiert und repressiv wirkt, stellt Foucault die Repressionshypothese, die besagt, dass es im Interesse von Macht liegt, Sexualität
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nicht zu unterdrücken, sondern sie erst auf vielfältige Weise zu diskursivieren, also sprachlich zu vergegenständlichen. Zugespitzt könnte man sagen, dass die Repression von Sexualität erst den (auch emanzipativen) Diskurs über die Unterdrückung der Sexualität hervortreibt. Foucault interessieren aber nicht die Gründe für die Unterdrückung von Sexualität, sondern allein die Gründe dafür, weshalb wir Menschen so nachdrücklich die Tatsache betonen, dass unsere Sexualität unterdrückt wird.7 Er untersucht in der historischen Analyse der „‚Diskursivierung‘ des Sexes“ die „‚polymorphen Techniken der Macht‘“.8 Das bedeutet nun nicht, dass Foucault die Geschichte der Verbote, Verneinungen, Ausgrenzungen und Unterdrückung von Sexualität infrage stellt oder gar leugnet. Vielmehr gewichtet er diese Tatsachen anders. Während die Vertreter der Repressionshypothese in der Negation von Sexualität den zentralen Schaltmechanismus für die Unterdrückung der Sexualität sehen, erkennt Foucault darin nur eine Taktik der Vorrichtung mit operativer Absicht innerhalb einer übergeordneten ‚Diskursstrategie‘. Diese beschreibt er als Techniken der Macht und als Willen zum Wissen, die sich beide keineswegs in der bloßen Repression der Sexualität erschöpfen. Foucault schreibt die Geschichte von Sexualität und Wahrheit gleichsam „im Rücken der Repressionshypothese“9 als eine Geschichte der Instanzen der Produktion von Diskursen, von Macht und von Wissen. So ziele beispielsweise die Diskursivierung von Sexualität seit Ende des 16. Jahrhunderts auf eine Vielfalt von unterschiedlichen Diskursen. Diese diskursive Überproduktion lasse sich nicht mit einer zunehmenden Repression erklären. Und auf der anderen Seite münde der Wille zum Wissen schließlich in eine Wissenschaft von der Sexualität, die sich in der Verlaufsgeschichte der bürgerlichen Gesellschaft konstituiert. In jeder Gesellschaft werde die Produktion eines Diskurses kontrolliert, selektiert, organisiert und kanalisiert. Die Steuerungsmechanismen übernehmen dabei bestimmte externe Prozeduren, die unmittelbar auf den Prozess des Diskurses einwirken. Eine solche Prozedur ist beispielsweise die Ausschließung wie ein Verbot, die Vernunft-Wahnsinn-Antinomie oder das Grundgesetz der zweiwertigen Logik, die Wahr-Falsch-Antinomie. Auf dem Weg der Analyse von Verboten ge-
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„Liebe, der schönste Text“
langt man zur Einsicht in das Verhältnis von Macht und Begehren, das den Diskurs bedingt. Ein Diskurs ist zugleich auch Gegenstand des Begehrens und wird zur Schnittstelle von Macht und Begehren. In diesem Zusammenhang muss man wohl Foucault recht geben, der in einem Gespräch mit Gilles Deleuze 1972 gesagt hatte, „das Begehren wird noch lange ein Problem sein“.10 Die drei Ausschließungssysteme (das verbotene Wort, die Ausgrenzung des Wahnsinns und der unbedingte Wille zur Wahrheit) treffen einen Diskurs zentral. Insbesondere der fiktionale Diskurs der Literatur ist von der Ausschließungsprozedur ‚Wille zur Wahrheit‘ nachhaltig betroffen, intendiert er doch das eigentlich Unwahre. Neben diesen Prozeduren, die einen Diskurs äußerlich betreffen, gibt es die internen Prozeduren, mit denen die Diskurse sich selbst kontrollieren. Dazu zählt Foucault den Kommentar, den Autor und die Disziplinen. Die Funktion der internen Prozedur Kommentar besteht darin, das Prinzip der Abstufung von Primärtext und Sekundärtext aufrechtzuerhalten. Auf ein und denselben literarischen Text können sich beispielsweise zwei völlig verschiedene Diskurstypen des Kommentars beziehen.11 Der Kommentar lebt von dem Paradox, dass er das erstmals zur Sprache bringen muss, was im Primärtext nicht gesagt, aber doch enthalten ist, und zugleich muss er das beständig wiederholen, was im Grunde nie gesagt wurde. Den literarischen Texten bescheinigt Foucault einen „merkwürdigen Status“12 zwischen den Alltagsdiskursen und den dauerhafteren Diskursen religiöser und juristischer Texte. Das neben dem Kommentar zweite Verknappungsprinzip eines Diskurses betrifft die Autorfunktion, wie sie von der jeweiligen Schreibund Zeitsituation vorgeschrieben wird. Foucault geht es nicht darum, die Tatsache eines schreibenden und kreativen Individuums zu leugnen. In seinem Vortrag Was ist ein Autor? (1969) hatte er zu dieser Frage ausführlich Stellung genommen und die Autorfunktion als die Existenz-, Distributions- und Funktionsweise von bestimmten Diskursen charakterisiert. Sehr ausgeprägt ist diese Funktion bei literarischen Diskursen. Die letzte interne Prozedur betrifft die sprechenden Subjekte. Der Eintritt in die Ordnung des Diskurses wird durch bestimmte Auswahl-
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kriterien geregelt, nicht jedes sprechende Subjekt kann an jedem Diskurs partizipieren.13 Dass darin wiederum Mechanismen von Macht und Begehren eingeschrieben sind, liegt auf der Hand. Rituale, Diskursgesellschaften, der Prozess der gesellschaftlichen Aneignung von Diskursen und Doktrinen regeln den freien oder eingeschränkten Zugang zu den Diskursen. Insbesondere fordern die Doktrinen eine doppelte Unterwerfung: einmal die Unterwerfung der Subjekte unter die Diskurse, zum anderen die Unterwerfung der Diskurse unter die sprechenden Subjekte. Dazu gehören beispielsweise Formen der familialen und gesellschaftlichen Erziehung. Aus Foucaults Untersuchung kann man für eine Bewertung des Liebesdiskurses die Erkenntnis gewinnen, dass die Literatur eine spezifische, nämlich zivilisatorische Funktion übernimmt. Diese besteht in der Bändigung der Liebe, und der Diskurs ist der Ort dieser Bändigung. Eine der vielen Quellen aus dem 18. Jahrhundert formuliert dies folgendermaßen: Lesen – und damit Schreiben – könne nicht nur die Empfindung für das Gute und Schöne schärfen, das Herz veredeln und den Verstand aufklären, sondern könne „alle Triebfedern der Seele in Bewegung setzen“.14 Das schreibt Gottfried Benedict Funk in der Zeitschrift Nordischer Aufseher von 1762. Der Herausgeber Johann Andreas Cramer hatte am gleichen Ort den aufgeklärten Poetikstandard wiederholt, wonach der Dichter „die stärkern Leidenschaften der Seele erschüttert“ und dadurch nach und nach bei den Lesern der „Geschmack gereinigt und erhöht“ würde. Das Wissen, dass Poesien mehr „Gewalt über das Herz“ hätten „als andere Schriften“,15 gehörte zum Allgemeingut derer, die sich an der Diskussion über Leidenschaften und der Frage ihrer Bändigung beteiligten.
Systemtheorie Niklas Luhmann versucht in seinem Buch Liebe als Passion (1982) nichts Geringeres, als die Frage zu beantworten, weshalb Menschen immer wieder beginnen sich zu lieben, obgleich sie wissen, dass die Liebe vergänglich ist. Er möchte die Motivlage nicht anthropologisch,
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„erst recht nicht durch den kruden Hinweis auf Bedürfnisse nach sexueller Befriedigung“ erklären, sondern er beabsichtigt vielmehr in seiner Studie, historische Perspektiven mit theoretischen zu verbinden. Die anfänglich so banale Frage nach dem Warum einer Liebesbeziehung liest sich dann, in die mechanistisch-technizistische Sprache der Luhmann’schen Systemtheorie übertragen, so: Sie kombiniert gesellschaftstheoretische, evolutionstheoretische, kommunikationstheoretische und attributionstheoretische Ausgangspunkte im Begriff des symbolisch generalisierten Kommunikationsmediums und verknüpft dann diesen Theorieansatz mit Untersuchungen über Ideenevolution, das heißt über Evolution im Kontext einer historischen Semantik, die in Abhängigkeit von Möglichkeiten, die die gesellschaftsstrukturelle Entwicklung bietet, auf Erfahrungen mit ihrem jeweiligen Ideengut in der kommunikativen Praxis reagiert.16 Für unseren Zusammenhang ist nicht die theoretische Tragfähigkeit dieses Ansatzes relevant. Interessant für die Untersuchung des Verhältnisses von Literatur und Liebe ist allein die Bedeutung und Rolle, die Luhmann in seinem Buch der Literatur zumisst. Besonders fällt auf, dass die Beispiele, die er anführt, nahezu ausnahmslos der englischen oder französischen Literatur entnommen sind. Der Abstraktionszwang, unter den sich Luhmann selbst stellt, verleitet ihn dazu, Entwicklungen in der deutschsprachigen Literatur und ihre sozialen und historischen Signifikanzen zu ignorieren. Auch seine spärlichen Rückgriffe auf Forschungsliteratur beziehen sich fast durchweg auf völlig veraltete Darstellungen. Die einschlägige literaturwissenschaftliche Forschung erwähnt er nicht. „Die wohl wichtigsten Veränderungen“, die sich im 18. Jahrhundert vollziehen, betreffen nach Luhmann die Sexualität. Eine gesteigerte soziale Reflexivität habe „die Befreiung der Sexualität eingeleitet“,17 behauptet der Autor und stützt sich dabei ausschließlich auf französische Romane. Dies widerspricht anderen Forschungen, die gerade in der Inflationierung von Sexualitätsdiskursen eine zunehmende, verfeinerte
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Repressionsapparatur sehen. Auch Luhmanns Äußerung, dass sich im 18. Jahrhundert eine „Verlagerung der literarischen Quellen von der direkten Sachaussage in den Roman“18 vollziehe, ist auf die Sexualität bezogen so nicht richtig. In der Neukodierung von Sexualität im ausgehenden 18. Jahrhundert sieht Luhmann eine sich abzeichnende „Neutralisierung der Schichtdifferenzen“. Dass Sexualität auch ein Machtdispositiv ist, bleibt dabei unberücksichtigt. „Meine Vermutung ist, dass über die Aufwertung der Sexualität dann auch die Konkurrenz von ‚Liebe‘ und ‚Freundschaft‘ als Grundformeln für eine Codierung der Intimität entscheidbar wird. Liebe gewinnt. Am Anfang des 18. Jahrhunderts sind beide Formeln am Start mit je unterschiedlichen Chancen“. Luhmann macht einen „Veredelungsprozeß“ aus, wonach Sexualität durch Freundschaft aufgewertet wird, dessen institutionell teleologisches Ziel die Ehe sei. Historisch nicht zutreffend urteilt Luhmann: „Mit Rührung stellt man fest, daß die gleichen Tendenzen zur sexuell basierten Liebesehe sich auch in den unteren Ständen beobachten lassen“. Der Autor meint, dass noch vor der Romantik „deutliche Tendenzen zu einer neuen Synthese“ von Liebe, Ehe und Sexualität erkannt werden könnten, die für alle Stände gälten.19 Als die herausragende Leistung des 18. Jahrhunderts betrachtet Luhmann die Entdeckung der „Inkommunikabilität“. Die Erfahrung von Inkommunikabilität falle dort an, „wo immer Moral auf Begriffe gebracht wird, die in der Kommunikation kontraintentional wirken“. Dem ist allerdings entgegen zu halten, dass gerade im 18. Jahrhundert der Prozess einer umfassenden Diskursivierung von Leidenschaften, mithin von Liebe und Sexualität in der fiktionalen und nicht-fiktionalen Literatur einsetzt. Die große Entdeckung des 18. Jahrhunderts ist also gerade die Diskursivierbarkeit und nicht die Inkommunikabilität. Welche gesellschaftliche Funktion diese Diskursproduktionen erfüllen, bleibt bei Luhmann ungeklärt, ebenso dunkel bleibt auch die Behauptung, es sei „kein Zufall, daß auf die Erfahrung der Inkommunikabilität die Romantik folgt“. Als Ergebnis verfestigt sich der Eindruck, dass die banale Frage, von der Luhmann ausgegangen war, auch eine banale Antwort erfährt: „Das Vom-anderen-erlebt-Werden wird zur Kompo-
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nente operativer Reproduktion. Selbstreproduktion und Fremdreproduktion bleiben nach Systemkontexten getrennt und werden doch uno actu vollzogen“.20 Dieses Resümee nährt den Verdacht, dass es bei Luhmanns Untersuchung über die Liebe und ihre Systembedingungen im 18. Jahrhundert eigentlich nicht um die Liebe ging. „Geht man vom Postulat funktionsspezifisch ausdifferenzierter selbstreferentieller Sozialsysteme für Intimbeziehungen zwischen jeweils zwei Personen aus und versteht man Intimität als Interpenetration, kann man rückblickend sondieren, ob und in welchen Hinsichten die semantische Tradition des amour passion und der romantischen Liebe dafür Orientierungsvorlagen geliefert hat“.21 Menschliches Handeln und Sprechen wird so auf systemische Größen normiert und quantifiziert und geht dadurch jeder humanen Tradition der Aufklärung verlustig. Nicht Intimität wird gesellschaftlich kodiert, sondern ein gesellschaftlicher Kode wird intimisiert. Das ist eine andere Perspektive und unterschlägt nicht mehr den individuellen, rebellischen, anarchischen und mithin subversiven Anteil der Liebe. Schon früh hat Julia Bobsin auf die Probleme einer systemtheoretischen oder diskursanalytischen Explikation des Liebesmodells hingewiesen, da bei diesen Verfahren – aufgrund ihres weit ausladenden Theoriezuschnitts – der einzelne literarische Text nur noch als Beispiel einer spezifischen fiktionalen Liebeskonstellation diene.22 So kann Bobsin beispielsweise über Schlegels Roman resümieren: „In der Lucinde sind die Probleme der Sexualität und der Subjektkonstitution in der Codierung der Liebesehe berücksichtigt“. Bobsin sieht in der Lucinde gewissermaßen einen utopischen Überschuss, wenn sie bemerkt, der Text enthalte „Aspekte einer Liebessemantik von Gleichheit und selbständiger Partnerschaft, die über das trivialisierte Modell der romantischen Liebe, wie sie bis Ende der sechziger Jahre des 20. Jahrhunderts gültig war, hinausweisen.“ Schlegels Ehemodell, wie es die Lucinde offeriere, zeichne sich gerade durch die unaufhebbare Verbindung von Sexualität und Individualität aus und klammere soziale Rücksichten aus.23 Über das geradezu magische Schwellenjahr 1800 liest man dann bei Jutta Greis: „An diesem historischen Punkt ist die expandierende
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Evolution des literarischen Liebestopos vorläufig abgeschlossen in dem Sinn, daß ein semantisches Feld abgesteckt und in seinen Möglichkeiten erprobt wurde.“24 Sie spricht im Anschluss an Luhmann von einer neuen Formierung der Liebessemantik im 18. Jahrhundert, die in der Identitätsbildung von Liebe und Ehe gipfelt.25 Allerdings sei diese Kongruenz nur semantisch nachweisbar, und doch spricht Greis von deren „Kulturmächtigkeit“,26 die der Ausgangspunkt weitreichender sozialer Umstrukturierungen sei. Niels Werber verleiht diesen systemtheoretischen Überlegungen in seiner Arbeit Liebe als Roman ein kritisches Gegengewicht, allerdings löst auch er das offensichtliche Grundproblem nicht. Er stellt seinem Buch einen umfänglichen Forschungsbericht voran, der auch die systemtheoretischen Fehlschlüsse Luhmanns nochmals kritisch benennt, obgleich der Autor seine These von literarischer und intimer Koevolution auf einen systemtheoretischen Ansatz aufbaut. Werber bilanziert die Forschung, dass Einigkeit in der Annahme bestehe, die gesellschaftliche Modernisierung finde in der Liebessemantik eine kompensatorische und therapeutische Funktion.27 Das Phantasma der Paarintimität wappne gegen die Schrecken und Unbillen der modernen Gesellschaft. Werber kritisiert diese gängige These zu Recht: „Die Überzeugungen solcher Aussagen entstammen freilich derselben Semantik, die es soziologisch zu analysieren gälte“. Aus dem Blickwinkel einer Systemtheorie der Liebe eigne intimen Systemen eine doppelte, nämlich psychische und soziale Funktion. Nach Ansicht Werbers gibt es in der Literatur des 18. Jahrhunderts ein Wissen um die soziale Kodierung von Liebe, das aber nur dann in den Blick wissenschaftlicher Expertise zu rücken vermag, wenn man sich nicht mit den Fragen der Ehe (als Liebes- oder als Konvenienzehe), sondern der Eheanbahnung – also herkömmlicherweise dem Prozess der Liebe – beschäftigt. Davon zeugten die Liebesromane: „Der Roman erfüllt [. . .] den Wunsch nach einem authentischen Einblick in die Seele des Menschen und muß zugleich mit der Unmöglichkeit zurechtkommen, die Differenz von Kommunikation und Bewußtsein diesseits des Fiktionalen je aufzuheben“.28 Damit benennt Werber aber selbst das Grundproblem seines Ansatzes: Wie lässt sich über intime Kommunikation anders berichten, als
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eben literarisch, sofern keine sozialwissenschaftlichen Feldstudien betrieben werden sollen, die historisches Material ohnehin nicht erfassen? Demzufolge werden drei Stilarten intimer Kommunikation bestimmt: die höfische Galanterie, die bürgerliche Konvenienzehe und die naive Hingabe. Über Schlegels Roman bemerkt Werber: Der „von der Romantik oft beschworene Geist, der die Textelemente zu einer Einheit verbindet, hat in Schlegels Lucinde die Gestalt der Liebe angenommen.“ Natürlich hat Werber recht, wenn er betont, „[. . .] eine Literaturwissenschaft der Liebe existiert nicht“. Doch zeigt gerade Schlegels Lucinde, dass die nachfolgende Bemerkung nicht zutreffend ist: „Liebe ist nicht Literatur, wohl aber gibt es eine literarische Reflexion der Liebe. Und als Roman wird die Liebe zum Objekt der Literaturwissenschaft“.29 Im Gegenteil, Liebe ist Text jenseits jeglicher Gattungsverengung. Obwohl Werber die Bedeutung und damit die Gefahren einer Vereinseitigung der Gattungstypologie kennt, verschafft er dennoch dem Roman einen exklusiven Status, der ihm möglicherweise nur quantitativ zusteht, der letztlich aber nicht mehr aussagt über den historischen Wandel intimer Kommunikation in der Literatur als vergleichbare dramatische und lyrische Dokumente.30 Um den Gefahren von Ontologisierungen und ins Uferlose hinauswachsenden Überzeichnungen, die als Hypothesen attraktiv, als Arbeitsgrundlage aber wenig brauchbar sind, vorzubeugen, tut ein gattungstypologisch offener und historisch unvoreingenommener Blick in die Literaturgeschichte not.
Kultursoziologie, Medientheorie Eine interessante, weil ungewöhnliche Analyse des kulturgeschichtlichen Modells der romantischen Liebe liefert Eva Illouz in ihrer kapitalismuskritischen Studie Der Konsum der Romantik (1997), wobei sie vornehmlich die Produktionsbedingungen des Modells und deren gesellschaftliche Anverwandlungen kultursoziologisch analysiert. Illouz verfolgt die These, romantische Liebe sei eine „kollektive Arena, in der
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die sozialen Teilungen und kulturellen Widersprüche des Kapitalismus ausgetragen werden“. Das Gefühlsmodell ‚romantische Liebe‘ entpuppt sich so als transformiertes Warenmodell. Kulturelle Rahmenbedingungen benennen dieses Gefühl, sie „spezifizieren die damit verbundenen Normen und Werte und liefern Symbole und kulturelle Szenarien, die das Gefühl gesellschaftlich kommunizierbar machen“ – ergänzen müsste man: konsumierbar machen.31 Sie definiert die moderne – gelegentlich auch postmodern genannte – romantische Liebe mit dem demokratischen Ideal der freien Objektwahl, der Grenzüberschreitungen und der Lustmaximierung als eine kulturelle Praxis, die maßgeblich von der spätkapitalistischen politischen Ökonomie geprägt und gesteuert ist.32 Zugespitzt formuliert, könnte man sagen: Die Liebe dient als Körper des Kapitals. Genährt würde die Hypothese von Illouz durch einen Blick in die Literaturgeschichte, allerdings wählt der Dichter Schiller ein vorkapitalistisches Beispiel, er vergleicht die Liebe mit einem Tauschgeschäft. In den Ästhetischen Briefen schreibt er: „Aus ihren düstern Fesseln entlassen, ergreift das ruhigere Auge die Gestalt, die Seele schaut in die Seele, und aus einem eigennützigen Tausche der Lust wird ein großmüthiger Wechsel der Neigung. Die Begierde erweitert und erhebt sich zur Liebe [. . .]“.33 Kulturgeschichtlich ist dagegen aber einzuwenden, dass die Maximierung von Lust seit jeher zur großen Liebe im Liebesdiskurs gehört, weit vor Entstehung des Kapitalismus wird der Konnex von maximaler Lust und großer Liebe beschworen, summarisch sei hier auf Enea Silvio Piccolominis Liebesnovelle Euryalus und Lucretia verwiesen. Im Spätkapitalismus kommt das Modell romantische Liebe als Massenmedium und Kitschidentität hinzu. Allerdings sollte man dies sorgfältiger psychoanalytisch und psychohistorisch reflektieren. Illouz verbindet ihre Beschreibung mit einer Kritik an Luhmanns Theorie des symbolischen Kodes, der sie die Ontologisierung einer Referenz vorwirft, ohne den dazugehörigen Referenten und seine kulturellen Prägungen und Abhängigkeiten zu berücksichtigen. Während Luhmann von der Prägung der Gefühle durch kulturelle (literarischfiktionale) Kodes ausgeht, wonach die Gefühle diese Kodes abbilden, dreht Illouz die Perspektive um und untersucht das Gefühlsmodell
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‚romantische Liebe‘ als Medium einer spätkapitalistischen Indienstnahme, wonach die Fiktion keineswegs die Erfahrung ersetzt hat.34 Ist die Bedeutung der medialen Wahrnehmung von Sexualität, Paarintimität und Liebeskodierung in den bisherigen Untersuchungen kaum zur Sprache gekommen oder allenfalls als Randphänomen notiert, so spricht nun Linda Hentschel in ihrem Buch Pornotopische Techniken des Betrachtens (2001) von der geschlechtlichen Kodierung des medialen Raums. Sie erarbeitet eine Leitthese, mit der sie diese Behauptung prüft. Die „metonymische Überlagerung von medialem Raum und weiblichem Körper“ sei Bestandteil einer „aktiven Erziehung zur Skopisierung des Begehrens“, was letztlich auf eine Schulung der Schaulust hinauslaufe. Der visuelle, mediale Raum werde dadurch zunehmend so sexualisiert, dass der Betrachter sich gegenüber dem Bild oder dem Raum insgesamt wie einer Frau gegenüber positioniere. Dieses Verfahren nennt sie die ‚pornotopische Technik des Betrachtens‘; „die Interaktion zwischen Betrachter, seinem Körper und dem Bildraum [kann] analog der Sextechnik der Penetration strukturiert werden“.35
Psychoanalyse „Liebe sei eine Leidenschaft“, schreibt Montaigne in den Essais, „die aus einer Mischung besteht von recht wenig wirklicher Substanz und viel mehr Hirngespinsten und unruhiger Erwartung“.36 Julia Kristeva untersucht diesen Sachverhalt in ihrem Buch Geschichten von der Liebe (1983) mit psychoanalytischem Interesse und entwickelt die These, dass Liebe eine Melange aus Wahn und Idealisierung sei. Die Liebe herrsche im Zwischenreich zwischen Narzissmus und Idealisierung. Sie entwickelt diese These in der Analyse der großen Figuren abendländischer Liebe: griechischer Eros, jüdische Ahav, christliche Agape sowie an Narziss, Don Juan, Romeo und Julia und der Jungfrau Maria. Die Sprache der Liebe, so führt Kristeva aus, sei Literatur, da sie Metaphern freisetze.37 Das ist eine starke These, denn umgekehrt heißt dies: Wenn Liebe spricht, generiert sie Literatur. In der Literatur der Moderne gehe die
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Metapher sogar zunehmend in die „narrative Ellipse über, eine Variante der Verdichtung“38 und eine Folge der Lockerung der Überichzensur. Das Brennen des Begehrens offenbare sich in den Zeichen des Nichtgesagten. Das Nichtgesagte sei das Reale. Wird diese These in einem ersten Schritt an Liebes-Texten der Moderne geprüft, müssen sich Zweifel einstellen. Denn schon zum Ende des 19. Jahrhunderts hin nehmen die Versuche zu, eine eigene exakte Sprache der Liebe zu finden. Wenn man allerdings den Blick nur über die Höhenkämme der Literatur schweifen lässt und nur Namen wahrnimmt wie Joyce (obgleich auch hier Mollys Schlussmonolog im Ulysses (1922) Kristeva widerspricht), Flaubert oder Schnitzler, entsteht ein falsches Bild. Richtet man sodann den Blick auf historische Liebes-Texte, wird Kristevas These vollends unhaltbar, da es – seit es Literatur gibt – je schon Versuche gegeben hat, das Reale – und das meint in der psychoanalytischen Lesart Kristevas das Sexuelle – zu benennen. Die Geschichte der Literatur bewahrt diese Versuche als eindrucksvolle Dokumente. So enthusiasmiert sich beispielsweise ein anonymer Barockdichter in seinem Gedicht auf die Vulva (Auff ihre S====) aus den Deliciae Poeticae (1728) als dem „schöne[n] Lust=Revier“: „Mich hat ein freyer Griff gefangen und gebunden, [/] Der Schlitz den ich berührt macht meinen Hertzen Wunden“.39 Und ein erotisches Epigramm des griechischen Dichters Rufin aus dem ersten nachchristlichen Jahrhundert jubelt: „Glücklich, wer dich erblickt, dreimal glücklich, wer dich hört, / Halbgott, wer dich küsst, unsterblich, wer mit dir schläft“.40 Und bei Catull liest man 55 v. Chr. über ‚das Reale‘: Und wenn du das willst, sorge dafür, daß keiner an der Schwelle die Tür verriegelt und auch du nicht Lust bekommst auszugehn, sondern zu Hause bleibst und uns bescherst neun Fickereien in direkter Folge.41 Kristeva löst in ihrer Argumentation den Begriff der Liebe vom Begriff des Liebeskodes. Über die Freiheit des Individuums, die Liebe jedesmal neu oder ein für allemal zu erfinden, schreibt sie: „Die Liebe ist die Zeit
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und der Raum, in denen sich das ‚Ich‘ das Recht nimmt, außergewöhnlich zu sein. [. . .] In der Liebe bin ich am Gipfel der Subjektivität“. Kristeva vertritt die Ansicht, dass wir heutzutage über keinerlei Liebeskodes mehr verfügen. Darunter versteht sie „keine stabilen Spiegel für die Liebe in einer Epoche, innerhalb einer Gruppe, einer Klasse. Die Couch des Analytikers ist der einzige Ort, an dem der Gesellschaftsvertrag ausdrücklich eine – freilich private – Suche nach Liebe gestattet“. Kristeva spricht auch von Liebeskrisen und Liebesmängeln, die unser Leben kennzeichneten. Auf der Suche nach neuen Liebeskodes seien unter anderem auch heterosexuelle Paare, die sie erstaunlicherweise als eine gesellschaftliche Randgruppe und „Dissidenten der öffentlichen Moral“42 bezeichnet. Die Geschichte der Literatur, die ja nach der Eingangsthese Kristevas auch eine Geschichte der Liebe darstellt, malt ein anderes Bild. Denn ist es nicht viel mehr so, dass gerade die Moderne von der permanenten Suche nach der Geltung differenter Liebesmuster und Liebeskodes gekennzeichnet ist? Und wendet man dies historisch, steht das Paarmodell einer großen Liebe seit je in der Auseinandersetzung und Konkurrenz mit den herrschenden Liebeskodes und sucht gerade darin nach eigenen, individuellen Ausprägungen. Der Konflikt mit der herrschenden Moral markiert nicht die endgültige Grenze einer großen Liebe, sondern prägt stets die Herausforderung, nach einer Überbietung zu suchen, sei sie nun als Glückserfüllung oder als Scheitern gelebt. Und obwohl Kristeva zu dem Ergebnis kommt, dass wir heute über keinen Diskurs der Liebe mehr verfügen, endet ihr Buch doch halbwegs versöhnlich in der Bemerkung: „Die Psychoanalyse führt also nicht nach der höfischen Minne, dem Libertinismus, der Romantik und der Pornographie einen neuen Code der Liebe ein. Sie unterstreicht das Ende der Codes, aber auch das Fortdauern der Liebe als einer Baumeisterin von Sprachräumen“.43
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Kulturgeschichte der Literatur Eine Literaturgeschichte der Liebe könnte sich als ein Glanzstück einer allgemeinen Kulturgeschichte der Literatur erweisen, da hier anthropologische, soziale und ästhetisch-literarische Fragestellungen und Aufgaben in besonderer Weise ineinander greifen. Eignet sich Liebe als Paradigma einer performativen Wende in der Literaturwissenschaft? Da dies den Rahmen des vorliegenden Essays vollkommen sprengen würde, sollen nur ein paar wenige Stichworte eines Aufrisses genügen. Das Paradigma einer kulturwissenschaftlichen Germanistik war zum Ende des vergangenen Jahrhunderts nicht neu.44 Neu war aber der Versuch, die Germanistik neben den etablierten kulturwissenschaftlichen Theoriefeldern in Volkskunde, empirischer Kulturwissenschaft, Geschichte, Soziologie und Philosophie aufzustellen und theoriegeleitet diese Neuorientierung zu begleiten. Auf der Grundlage des Buchs Was ist Kulturgeschichte? (2005) von Peter Burke lässt sich ein Umriss erahnen, wie eine Kulturgeschichte der Liebe ausfallen könnte, gewissermaßen eine Zwischensumme versuchen.45 Unter der Überschrift Die Große Tradition referiert Burke zunächst historische Aspekte einer Kulturgeschichte, die großen Traditionen der allgemeinen Kulturgeschichte werden aufgeführt, und die Wiederentdeckung der Kulturgeschichte in den 1970er-Jahren wird gewürdigt. Karl Lamprecht stellte 1897 erstmals die Frage: ‚Was ist Kulturgeschichte?‘ Der Gegenstandsbereich wurde bis heute sukzessive erweitert, die Frage, was sich innerhalb der Grenzen befindet, bleibt schwer zu beantworten. Deshalb schlägt Burke vor, die Aufmerksamkeit vom Gegenstandsbereich weg auf die applizierten oder propagierten Forschungsmethoden zu richten. Als allgemeine gemeinsame Grundlage aller Kulturhistoriker begreift er das Interesse am Symbolischen. Burke unterteilt vier Phasen einer Geschichte der Kulturgeschichte: Die klassische Phase (das betrifft den Zeitraum von 1800 bis 1950), die Phase einer ‚Sozialgeschichte der Kunst‘ ab 1930, die Phase einer Geschichte der Volks- und Populärkultur in den 1960er-Jahren und die Phase einer „Neuen Kulturgeschichte“.46
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Auf eine Kulturgeschichte der Literatur übertragen könnte dies Folgendes bedeuten: In der kulturwissenschaftlichen Germanistik gab es eine erste Phase der Standortbestimmung mit den Leitfragen: Welcher Theorietransfer zwischen Kulturwissenschaften und Literaturwissenschaft könnte gelingen, welche Thementransformationen wären wünschenswert und – vor allem – welche historischen Vorbilder gibt es bereits zu diesem Neuansatz? Im Mittelpunkt stand also die Frage: Was ist eine literaturwissenschaftliche Kulturgeschichte bzw. was ist eine Literaturwissenschaft als Kulturwissenschaft? Diese Phase begann in den 1990er-Jahren und ist inzwischen an ihr Ende gelangt, man könnte sie die informative Phase nennen, die wissenschaftshistorisch und theoriehistorisch ausgerichtet war. Zu erwarten ist nun eine zweite Phase, die sich gleichsam mit der illokutionären Seite dieses Anspruchs befasst, eine Art transformative Phase, die eben erst begonnen hat und die Frage nach der Intentionalität eines kulturgeschichtlichen Paradigmas stellt. Sie fragt: ‚Was will?‘ und ‚Was wird sein?‘ und mündet bestenfalls in eine projektbezogene Arbeit. Als ‚Probleme der Kulturgeschichte‘ werden bei Burke die Auswahl der Quellen und die Quantifizierung benannt. Kommt es etwa bei größeren Datenmengen zu anderen Schlussfolgerungen? Burke widerspricht der Widerspiegelungstheorie, wonach „die Texte und Bilder einer Zeit unkritisch als Spiegelungen dieser Zeit“47 begriffen werden. Daraus folgt die Dringlichkeit und Sorgfalt der Quellenkritik und der kritischen Inhaltsanalyse. Denn was ein Dokument erzählt, muss noch lange nicht das Erzählte dokumentieren. Burke expliziert die terminologische Differenz von Hoch- und Volkskultur. Der Gegensatz zwischen beiden solle aus pragmatischen Gründen nicht zu scharf herausgearbeitet werden, vielmehr sollten mehr die Kontexte beachtet werden. Schließlich wendet sich Burke dem Kulturbegriff zu. Operationabel sei ein anthropologischer Kulturbegriff, der die Fähigkeiten und Gewohnheiten des Menschen umfasse.48 Eine Kulturgeschichte der Literatur knüpft an das – allgemein gesagt – zivilisationstheoretische Erbe von Norbert Elias an, wonach Kultur als die Gesamtheit menschlicher Lebensäußerungen verstanden und prozessual begriffen wird. Um diesen kulturellen und historischen
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Transformationsprozessen Rechnung zu tragen, äußert eine Kulturgeschichte der Literatur Vorbehalte gegenüber der Vorstellung, ein objektivierbarer Autorwille sei Gegenstand einer Textinterpretation. Stattdessen stellt eine Kulturgeschichte die Frage: Sind Rückschlüsse aus literarischen Quellen auf nicht-literarische Kontexte und umgekehrt überzeugend, können sie gar methodisch gesichert werden?49 Eine Kulturgeschichte der Literatur nimmt Peter Burkes Bedenken als starkes Argument gegen ein close reading, wie es in narratologischen Ansätzen expliziert wird, ernst. Dabei müssen die Bedingungen der Rezeption und Transformation von Literatur untersucht werden. Die heute gängigen und selbstverständlichen kulturgeschichtlichen Paradigmata von ‚Mikrogeschichte‘ und einer ‚Geschichte von unten‘, die als das Erbe der Sozialgeschichte bezeichnet werden können, werden dabei bewahrt, dies beinhaltet auch die strikte Ablehnung einer Fixierung auf die Literatur des sogenannten Höhenkamms aus ausschließlich ästhetischen Gründen. Bei der Untersuchung der Bedeutung der Historischen Anthropologie im dritten Kapitel seines Buchs macht Burke auf die Transformation des Kulturbegriffs aufmerksam und betont dessen Pluralisierung. Etwas emphatisch formuliert er: „Wir sind auf dem Weg zu einer Kulturgeschichte aller erdenklichen Gegenstände“50 – Träume, Gefühle, Nahrungsmittel, Gesten, Reisen, Treppen etc. Eine Kulturgeschichte des Kusses wäre bei dieser Aufzählung zu ergänzen,51 und auch eine Kulturgeschichte der Liebe fände sich in dieser Verwandtschaft wieder. Dies wird als die Geburtsstunde der ‚Neuen Kulturgeschichte‘ gefeiert, die zunächst als New Historicism auftrat. Burke nennt dies eine „anthropologische Wende“,52 die auch die Literaturwissenschaft vollzogen habe. Innerhalb der germanistischen Kulturwissenschaft spricht man inzwischen von einem ‚cultural turn‘. Burke geht auf die zahlreichen Quellen der ‚Neuen Kulturgeschichte‘ ein. Erstmals taucht die Rede von einer ‚New Cultural History‘ 1989 bei Lynn Hunt auf. ‚Neue Kulturgeschichte‘ wird von Burke als die „vorherrschende Form der heute praktizierten Kulturgeschichte“53 bezeichnet. Sie ist gekennzeichnet durch ein starkes Interesse an Theoriebildung, man mag dies durchaus
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auch als Ausdruck von Strategien der Selbstvergewisserung begreifen. Dies schlägt bis in die Philologien durch, der Aufwand an Theoriesortierung und Theoriebewertung ist relativ hoch und ein charakteristisches Kennzeichen dieser Phase der Kulturgeschichte. Eines der Schlüsselwörter der ‚Neuen Kulturgeschichte‘ heißt Praxis, es geht also beispielsweise dann nicht um eine Geschichte der Theologie, sondern der religiösen Praxis, oder nicht um eine Geschichte der Literatur, sondern um eine Geschichte des Lesens. Die Konzentration gilt der Rezeption als Form kultureller Gebrauchsweisen. In diesen Zusammenhang gehören auch die Arbeiten zu einer Geschichte des Körpers als Leitparadigma, die durch die anthropologische Wende in der Literaturwissenschaft wie Studien zur Affektkontrolle, zum Leidenschaftsdiskurs oder zu Körperbildern, ergänzt werden. Eine Kulturgeschichte der Liebe gehört in diesen Kontext. Im fünften Kapitel diskutiert Burke die Bedeutung der kulturellen Konstruktion von sozialer Wirklichkeit wie Klasse und Geschlecht, von Denkbildern, von Handlungsvorstellungen oder von Diskursen, die Konstruktion von Identität und die Konstruktion von Geschichte.54 Die Grundprobleme, die sich aus diesen Fragen aber zwangsläufig ergeben, bleiben freilich weiterhin strittig diskutiert: Wer konstruiert, unter welchen Bedingungen, aus welchem Material? Burke spricht von den jüngsten Entwicklungen als von einer „‚performativen Wende‘ in der Kulturgeschichte“.55 Als deren Leitfrage könnte die Frage gelten, was dieses eine Schreiben tut, welches seine Strategien sind, seine Techniken, seine Inszenierung, seine Rezeption und seine Wirksamkeit. So verstanden kann man mit Blick auf die Liebe verallgemeinern: Liebe wird zu einer Art Kulturtechnik. Burke macht im letzten Kapitel drei Szenarien aus, die durchaus auch einen prognostischen Wert für eine Kulturgeschichte der Literatur bereithalten: 1. Jacob Burckhardts Rückkehr, worunter die Restitution einer traditionellen Kulturgeschichtsschreibung zu verstehen ist. „Eine mögliche Zukunft für die Kulturgeschichte [. . .] ist eine neuerliche Konzentration auf die Hochkultur“.56 Dies führt zu einer Neubestimmung von Hochkultur und zu einer Verlagerung ihrer Merkmale, ein Prozess, wie Burke feststellt, der bereits in Gang ist. 2. Eine weitere
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Ausdehnung des Gegenstands- und Themenbereichs. Unter anderem werden dabei Politik, Gewalt, Emotionen, sinnliche Wahrnehmungen als neue Gegenstandsbereiche erschlossen. 3. Eine Gegenbewegung zur Reduktion von Gesellschaft auf Kultur. Die Definition von Kultur sei inzwischen zu weit, die Wörter ‚sozial‘ und ‚kulturell‘ seien austauschbar geworden. Eine Verschränkung von Sozialgeschichte und Kulturgeschichte sei nicht rückgängig zu machen. Burke arbeitet hier nochmals scharf die Bedeutung der sozialen Frage auch und gerade einer Kulturgeschichte heraus: Wer rezipiert?57 Neue Quellen bedürften neuer Formen der Quellenkritik und neuer Regeln. In diesem Zusammenhang kommt Burke am Rande auf den textualistischen Kulturbegriff zu sprechen. Er verweist darauf, dass beispielsweise Historiker und Anthropologen diese Metapher des Lesens von Kultur nicht in gleicher Weise verwenden. Man kann hier ergänzen, dass es selbst unter Historikern, auch unter Literaturhistorikern, keine terminologische und pragmatische Klarheit gibt. Burke kritisiert, die Metapher ‚Kultur als Text‘ garantiere der Intuition einen zu großen Raum dadurch, dass unklar bleibe, wer im Falle zweier kontroverser ‚Lektüren‘ (also Deutungen) tatsächlich die richtige durchführe. Hier könnte möglicherweise die performative Kulturgeschichte weiterhelfen, die gerade auf die Wahr-falsch-Distinktion verzichten muss, will sie denn als eine performative gelten können. Und schließlich benennt Burke die Gefahr der Fragmentierung. Eine Absage an universalistische Zugriffe könnte die Gefahr der dann nur vereinzelt gültigen Schlussfolgerungen zur Folge haben.58 Burke hebt die Bedeutung der Erzählung in der Kulturgeschichte hervor, man spreche in diesem Zusammenhang dann von kulturellen Narrativen, die auch narratologisch interpretiert werden könnten, zugleich lasse sich Kulturgeschichte auch narrativ darstellen.59 Wäre Liebe demnach nur ein Narrativ in unterschiedlichen Kulturen? Kulturgeschichte ist keine Leitwissenschaft, keine Großtheorie, die weder willens noch in der Lage wäre, alle hegemonialen Theoriebedürfnisse im Wissenschaftsbetrieb zu befriedigen. Eine Kulturgeschichte der Literatur kann als Metabegriff differenter kulturwissenschaftlicher Theorieprofile und Lösungsansätze verstanden werden.
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Kulturgeschichte zeichnet sich dann durch eine Kombinatorik unterschiedlicher Selbstthematisierungsvorschläge aus. Dadurch bewahrt sich eine Kulturgeschichte der Literatur ihre Anschlussfähigkeit an unterschiedliche Konzeptualisierungsformen von Kultur, von Kulturtheorie, von Kulturwissenschaft. Die klassische sozialgeschichtliche Trias der Bedingungen von Produktion, Distribution und Rezeption von Texten bleibt unabdingbar für die Literaturinterpretation. Durch den Rekurs auf einen textualistischen Kulturbegriff wird das figurative Denken gefestigt, Kulturgeschichte kommentiert den Wandel literaler Kommunikation und erklärt die Transformation von Kulturtechniken. Zwischen den beiden kulturgeschichtlichen Lagern ‚Buchstabengläubigkeit‘ und Symbolbedeutung wird sich auch die literaturwissenschaftliche Binnendiskussion weiter bewegen, und eine Kulturgeschichte der Literatur wird die symbolische Bedeutsamkeit von Texten und Kontexten methodisch sichern helfen. Damit besinnt sie sich wieder auf das, was von jeher zum Kerngeschäft der Literaturwissenschaft zählte. Die Geschichte der Hermeneutik entwickelte die Lehre vom mehrfachen Schriftsinn, wonach einem Text neben dem sensus litteralis, also dem wörtlichen, buchstäblichen Verstehen, stets auch ein sensus spiritualis, also eine symbolische Bedeutung, eingeschrieben ist. Die symbolische Bedeutungsebene des Textes erschöpft sich nicht in der Materialität der Zeichen. Es geht also beim kulturgeschichtlichen Kontextualisieren um jene Textebene, von der Schiller 1797 spricht, als er „eine Symbolische Bedeutsamkeit“60 von Texten fordert, Texte seien „in Chiffern verfaßt“ und man müsse sie „dechiffrieren“,61 wie er im Geisterseher schreibt. Später wird auch Rainer Maria Rilke im Jahr 1893 die „andere, symbolische Bedeutung“62 von Texten betonen. Wo Liebe ist, ist Kultur, friedfertige Kultur. Liebe ist eine Kulturtechnik, Liebe ist mehr als der aktive Beitrag der Natur zur Aggressionshemmung, um es evolutionsbiologisch auszudrücken, und Liebe ohne Intimität gibt es nicht, und davon berichtet die Literatur. Liebe ist, wie es nüchtern im Grimm’schen Deutschen Wörterbuch heißt, „in anderm sinne leidenschaft, als das sinnliche, gegenüber dem geistigen und herzlichen der liebe“.63 Eine kleine Literaturgeschichte der großen Liebe ist also auch eine kleine Kulturgeschichte der großen Liebe.
3 Die lustvolle Frau. Zur Kulturgeschichte eines literarischen Bilds „Das Unaussprechliche der Lust“ – „Beredsamkeit der Leidenschaft“ – Benennen und Umschreiben: „Schwanzlose Bücher“ und „geschwänzte Sonette“ – Liebe als Kulturtechnik – „jetzt, jetzt, schnell, schnell“. Über die Sexualisierung der Literatur. Erotik und Pornographik – Die Zähmung der Lust. Zur Geschichte eines kulturellen Emblems „Das Unaussprechliche der Lust“ Das Thema ‚Die lustvolle Frau‘ ist in der Literatur unerschöpflich. Die Dichter schwanken dabei zwischen „ein[em] Frauenzimmer [. . .] in der Einbildung des Dichters“ (Lessing, s. u.) und der Tatsache eines abgeschwächten Lacan’schen ‚la femme n’existe pas‘ bei Friedrich Schlegel, der über Lucindes Geliebten Julius schreibt: „Die Frauen kannte er eigentlich gar nicht“ und grundsätzlicher: „[. . .] kein Weiser hat die Weiblichkeit ergründet“ (s. u.). Auch wenn im Untertitel des vorliegenden Buchs, das natürlich keinesfalls mit der quellenreichen, für die Forschung immer noch unverzichtbaren Geschichte der erotischen Literatur (1927)1 von Paul Englisch konkurrieren will, von einer Literaturgeschichte die Rede ist, gleichwohl abgeschwächt durch den Hinweis, dass es sich um eine ‚Kleine Literaturgeschichte‘ handle, so kann in den folgenden Überlegungen nur die Rede von ausgewählten Beispielen sein. Lust und Liebe, um die es dabei gehen wird, bilden das, was man gemeinhin den Untersuchungs-
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gegenstand nennt. Dabei wird weder eine Enzyklopädie der Liebe noch eine Theorie der weiblichen Lust angestrebt noch will das Buch eine Typologie der literarischen Liebe oder der Liebe oder der Lust oder der Leidenschaft liefern. Vielmehr fügen sich diese Studien gedanklich ein in die Reihe von Stendhals De l’Amour (Über die Liebe).2 Sie möchten auf eine großartige Tradition der europäischen Literatur insgesamt, vornehmlich aber auch der deutschsprachigen Literaturgeschichte aufmerksam machen, nämlich auf die Gesänge von der großen Liebe. Bei dem knappen historischen Rundgang anhand ausgewählter Textzeugnisse wird man der Frage nachgehen müssen, inwieweit die Vorstellung von der lustvollen Frau die Vorstellung von der großen Liebe prägt – oder umgekehrt: Beeinflusst am Ende das Bild der großen Liebe das Bild von der lustvollen Frau? Wäre die lustvolle Frau dann gleichsam das Heilsversprechen der großen Liebe? Die Literatur stellt zwar diese Fragen, sie beantwortet sie aber höchst unterschiedlich. Im Zusammenhang dieses Buchs geht es nur um die kulturgeschichtliche Ausprägung des Bilds von der lustvollen Frau als Deutungsmuster der großen Liebe. Dass dabei die große Liebe auch als Deutungsmuster der lustvollen Frau dient, liegt auf der Hand und soll weder bestritten noch verschwiegen werden. Die Liebe, zumal die große Liebe, ist gelegentlich so schwatzhaft, dass sie auch darüber zu berichten weiß. Und keineswegs war es zu allen Zeiten selbstverständlich, dass die lustvolle Frau auch als lustvoller Mensch gesehen wurde. Nur so viel an dieser Stelle: Im Jahr 1791 etwa konnte Heinrich Nudow in seiner Apologie des schönen Geschlechts stolz verkünden, es bestünden nun keine Zweifel mehr, „daß wirklich und wahrhaftig die Frauenzimmer Menschen sind“. Nudow führt nicht zu widerlegende Merkmale auf, die Frauen besäßen einen Kopf, weshalb sie zunächst zu den Tieren zu rechnen seien, ferner verfügten sie über eine Brust, das „Vorgebürge der guten Hofnung“ und Ort erlaubter und unerlaubter Leidenschaften. Flüchtig erwähnt er noch die Kleidung, „die Neigung der Weiber zur Liebe, zum Haß, zum Zorn, zur Beiwohnung, zu fruchtlosen Vergnügungen und zu andern menschlichen Leidenschaften“.3
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Von lustvollen Männern – deren Existenz selbstredend nicht in Zweifel gezogen wird – ist im Folgenden nicht die Rede. Das ist dem Geschlecht des Verfassers geschuldet, der durchaus nicht die Meinung Lessings teilt: „Und was ist gleichwohl klärer, als daß dieses ein Frauenzimmer sein muß, welches nirgends als in der Einbildung des Dichters anzutreffen?“4 Dahinter verbirgt sich aber auch diese Überlegung: Indem die Literatur weiblich gedacht wird, gelingt es (nicht nur uns Männern), ihr lustvoll zu begegnen. ‚Die lustvolle Frau in der Literatur‘ ist also gleichsam eine doppelt imaginierte Steigerung von Weiblichkeit. Der weibliche Verführungszauber in der großen Liebe, von dem und von der die Literaten berichten, soll somit auch Leser über das Thema hinaus an die Literatur heranführen, sie zum Lesen verführen. Das Buch ist damit auch ein Bekenntnis zur großen Liebe der Literatur – unabhängig davon, ob wir diesen Genetiv nun philologisch als subjektiven (wonach die Literatur zur großen Liebe gehört) oder als objektiven (wonach die Literatur als das Objekt einer großen Liebe gilt) klassifizieren wollen. Schon der Schriftsteller Wilhelm Heinse hatte 1774 in einem Brief an Wieland geschrieben, die Phantasie könne „ein ewiger Cunnus“5 sein. Heinse hatte damit die männliche Phantasie als weibliches Sexualorgan benannt, das dort verführt, wo die Sittenstrenge der Wirklichkeit Einhalt gebietet und Verbote errichtet. Goethe beschreibt dies im West-östlichen Divan (1819) etwas dezenter: „Wortbild entzündet, Liebe schürt zu“.6 Die Literatur erzählt gerne von der verschmähten Liebe, von der beleidigten und der verunmöglichten Liebe, vom ständebedingten Liebeskonflikt, von Verführung und Gewalt, von der enttäuschten Liebe. Was aber ist mit jener „ächten Liebe“,7 wie Novalis sie nannte? In dem aus dem Ende des zweiten nachchristlichen Jahrhunderts stammenden, antiken Roman Daphnis und Chloe von Longos heißt es: „Denn gänzlich ist der Liebe noch niemand entronnen, und keiner wird ihr je ganz entrinnen, solange es Schönheit gibt und Augen sehen.“8 Solange es Menschen gibt, wird es Liebe geben, und wenn es Liebe gibt, wird es Lust geben. Große Lieben drängen auf große Lust und auf deren Erfüllung. In diesem Buch ist daher nicht die Rede von den unerfüllten Lieben, die den Erdball bevölkern in Myriaden. Stattdessen folge ich einer
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bestimmten Lektüre: ‚Große Liebe‘ imaginiert das Bild der lustvollen Frau. Diese Frau wird von den Dichtern als körperlich und seelisch gleichwertig empfunden und als Ergänzung wahrgenommen. Schon ein griechischer Zauberspruch aus dem vierten Jahrhundert nach Christus beschwor die Erfüllung der Liebe in der sexuellen Lust. Der schmachtende Hermeias erbittet von Anubis, dass seine Geliebte „schmelzend in Liebesbegierde zu allen Stunden von Tag und Nacht“ sein möge, bis sie, gepeitscht vom Begehren, zu ihm komme, „dienend meinem und ihrem Liebesverlangen ohne Zögern und ohne Scham, Schenkel an Schenkel, Leib an Leib pressend und ihr Schwarzes an mein Schwarzes, das höchste Wonne bringt [. . .] jetzt, jetzt, schnell, schnell“.9 Der römische Dichter Ovid berichtet im dritten Buch seiner um das Jahr Null entstandenen Metamorphosen von der Geschichte eines Mannes, der sieben Jahre lang als Frau gelebt hatte. Tiresias, so hieß der Mann, hatte zwei Schlangen bei der Paarung mit einem Stock verletzt. So wurde gleichsam zur Strafe aus dem Mann Tiresias die Frau Tiresias. Im achten Jahr begegnet sie wieder den beiden Schlangen, sie kombiniert und schlussfolgert richtig, dass ein erneuter Schlag auf die Kriechtiere den Geschlechtswechsel wieder rückgängig machen könne. Und so geschieht es. Das exklusive Wissen um die sexuelle Lust von Mann und Frau befähigt ihn dazu, nun als Schiedsrichter in einem scherzhaften Streitgespräch des Götterpaares Jupiter und Juno angerufen zu werden. Das Paar, nicht gerade Inbegriff und Beispiel für eine große Liebe, will wissen, wer mehr sexuelle Lust empfinde, Mann oder Frau. Jupiter meint, die weibliche Lust sei größer, Juno bestreitet dies. Die Antwort des Tiresias fällt eindeutig aus, „dicta Iovis firmat“,10 er bestätigt Jupiters Meinung. Die Göttergattin nimmt sich das sehr zu Herzen und schlägt den Mann Tiresias mit Blindheit, worauf Jupiter ihn mit der Gabe der Weissagung versieht. So sehr dies Einblick in das Eheleben des göttlichen Paars geben mag, so deutlich wird hier ein literarisches, mithin kulturgeschichtliches Bild konstituiert. Demnach droht die symbolische Kastration in Form der Blendung jenem, der zuviel weiß von der weiblichen Lust. Oder sie trifft den, der möglicherweise eine falsche Aussage macht
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über die Lust der Frau. Freilich nur in diesem Mythos. Die Literatur bestätigt gerade das Gegenteil, wer das hohe Lied auf die große Liebe singt, wird gerne gehört und gerne gelesen. Das Bild der lustvollen Frau ist, legt man diesen Mythos zugrunde, ein Männerbild, unabhängig davon, ob diesem Bild Frauen zustimmen und unabhängig davon, ob die betroffene Frau Juno ihrem Bild von sich selbst zugestimmt hat. Nur im Modus der großen Liebe kommen beide Selbst-Bilder zur Deckung. Lust und Liebe, sie vollziehen gleichsam symbolisch jene Vereinigung, von der sie, gleichviel ob schwärmerisch oder leidenschaftlich, ob erlebt oder phantasiert, berichten. Und so knapp, wie das Kamasutra das Thema ‚Liebe aus Leidenschaft‘ abhandelt, verhält es sich mit der großen, der leidenschaftlichen Liebe zumindest in der Literatur nicht. „Finden Mann und Frau, die einander schon längere Zeit lieben, nach mannigfachen Hindernissen endlich zueinander, oder kehrt eines von beiden von einer Reise zurück, oder versöhnen sie sich nach einem Streit mit darauffolgender Trennung, so ist dies ‚Liebe aus Leidenschaft‘. Dabei benehmen sie sich, wie sie wollen“.11 Für den Barocklyriker und Poetiker Martin Opitz ist die Liebe jener „wetzstein“ für Dichter, „an dem sie jhren subtilen Verstand scherffen“, schreibt er in seinem Buch von der Deutschen Poeterey 1624. Nicht alle Poeten, die von „Liebessachen“ schrieben, seien zu meiden, ermuntert Opitz die Leser. Allerdings lässt er keinen Zweifel daran, dass eine keusche Muse auch „keusche gemüter“ erfordere.12 Diese Liebe indes ist körperlos. Und laut wird ihr in der Barockliteratur ein leidenschaftlicher Protest entgegen gebracht. Robert Gernhardt meinte in seinen Fünf schlichten Gedichten zu einem komplexen Thema (1997) lakonisch: „Über Liebe kann man nicht schreiben / Man liebt oder läßt es bleiben“.13 Auch diesen jüngsten Warnungen zum Trotz – die Literatur lässt es nicht bleiben, sie schreibt über die Liebe und liebt es über die Liebe zu schreiben, die sie liebt und über die sie schreibt. Der Philosoph Hegel bescheinigt in seinen Vorlesungen über die Ästhetik den Franzosen – und er meint damit ihre Literatur – die Fähigkeit zur „Beredsamkeit der Leidenschaft“,14 eine Formulierung, die sich auch in Goethes Versuch über die Dichtungen (1796), einer Überset-
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zung von Madame de Staёls Essai sur les Fictions, wiederfindet.15 In demselben Zusammenhang spricht Hegel auch davon, dass es den Deutschen wegen der „Zusammengezogenheit unseres Gemüts“16 als ein Unrecht erscheine, wenn Empfindungen in der Poesie ausgesprochen würden. An welche Literatur der Philosoph dabei dachte, ist nicht überliefert. Allerdings muss man sich an dieser Stelle fragen, ob das Sinn macht, von der ‚Beredsamkeit der Leidenschaft‘ oder – wie Robert Musil (1880–1942) in seiner Geschichte aus drei Jahrhunderten (1927) – von der „Beredsamkeit der Liebe“17 zu sprechen? Kann man sagen, Liebe schweigt beredt? Es gibt doch nichts Geschwätzigeres als Liebe. So individuell und intim die Liebe ist, so sehr will sie die ganze Welt als Publikum, will in die Welt hinausschreien ihr Glück, will die Welt an ihrer Lust teilhaben lassen. Das zumindest bezeugen die literarischen Texte, die von großer Liebe handeln, allein schon durch die Tatsache, dass sie als Texte veröffentlicht werden. Catull schreibt über seine Geliebte Lesbia: „Sie brennt vor Leidenschaft, und deshalb muss sie reden“.18 Roland Barthes nennt dies die narrative Wollust der Liebe.19 Vielleicht müsste man darin den Unterschied zwischen Liebe und Leidenschaft suchen: Liebe ist wortlos, Leidenschaft hingegen beredt. Und große Liebe zeugt von beidem, von der wortlosen Lust ebenso wie vom lustvollen Wort. Und diese Fähigkeit zur Lust wird in der Literatur der Frau zugeschrieben, als Phantasma, als Wunsch oder als Wirklichkeit. Deshalb handelt dieses Kapitel von der lustvollen Frau. Folgen wir den Worten des großen Philosophen, dann bewegt sich zwischen Wortlosigkeit und Geschwätzigkeit das, was sich als Liebe, Lust und Leidenschaft in der Literatur Gehör verschafft. Die Rede von der großen Liebe zu beherrschen heißt demnach, auch das Stammeln hörbar zu machen. Vielleicht gelingt es der Literatur sogar, jenes Schweigen hören zu lassen, von dem Cicero sagt, dass es beredt sei. Bei Ovid ist zu lesen: „Es empfinde die Frau die Liebe, gelöst bis ins innerste Mark, und gleich groß sei die Lust für beide. Schmeichelnde Laute und liebliches Flüstern sollen nicht aufhören, und mitten im Spiel sollen dreiste Reden nicht verstummen. [. . .] Was dir Freude macht, sollen Laute und das Keuchen des Mundes offenbaren“.20
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Betonte Hegel an der einen Stelle die Beredsamkeit der Leidenschaft, so hebt er in der Einleitung zu seinen Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte (1833) hervor, es sei die List der Vernunft, „daß sie die Leidenschaften für sich wirken läßt“.21 So gelesen, wäre die Vernunft beredt. Wie aber, wenn sich die Leidenschaft der Vernunft bediente, listig und aller Vernunft entgegen? Wenn die List der Leidenschaft eben darin bestünde, sich der Vernunft zu entziehen, sich nicht deren Herrschaft dienstbar zu machen? Der Blick auf die Literatur der großen Liebe macht uns skeptisch, ob dem Philosophen hier die letztgültige Erkenntnis gelungen ist. In Schillers Drama Fiesko (1783) finden sich die Worte, „Gewalt ist die beste Beredsamkeit!“ (I/5).22 Lessing hat wenige Jahre zuvor von der „Beredsamkeit des Körpers“23 (1749/50) gesprochen und schließlich unmissverständlich in das Buch von Liebe und Verführung, in die Emilia Galotti (1772), diktiert: „Verführung ist die wahre Gewalt“ (V/7). Liest man alle drei Zitate zusammen, überblendet die historisch kontingenten Aussagen und verdichtet sie zu einer Behauptung, so folgt daraus: Verführung ist die beste Beredsamkeit. Doch davon zeugt die große Liebe nicht, denn sie kennt keine Verführung, sie ist sie selbst. In Goethes West-östlichem Divan findet sich dann die berühmte Formulierung vom ‚Buch der Liebe‘. Das gleichnamige dritte Kapitel des Divans enthält das Gedicht Lesebuch (1816): Wunderlichstes Buch der Bücher Ist das Buch der Liebe; Aufmerksam hab ich’s gelesen: [. . .].24 Aus einem textualistischen Wortfeld werden in diesem Gedicht insgesamt 12 Begriffe zitiert, darunter Lesebuch, Buch, lesen, Blatt, Heft, Abschnitt, Kapitel, Fragment, Band, Erklärungen – deutlicher kann das Verständnis von Liebe als Text nicht unterstrichen werden. Dies ist mehr als nur ein metaphorischer Gebrauch, denn wir müssen uns von der Vorstellung lösen, dass ein Text nur ein Buchstabengewebe sein
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kann. Zuerst wurde der Gegenstand selbst, das Buch oder der Text, erotisiert, zu einem Objekt des Begehrens, wie beispielsweise bei dem griechischen Dichter Straton. In einem Epigramm über die Knabenliebe aus dem ersten nachchristlichen Jahrhundert etwa heißt es: Glückliches Büchlein, ich bin nicht neidisch. Gewiß, beim Lesen wird dich ein Knabe hochdrücken, wenn er dich ans Kinn hält, oder an die weichen Lippen pressen oder zwischen die feuchten Schenkel einklemmen, o du Glücklichste! Oft wirst du auf dem Schoß umhergehn, oder auf den Stuhl geworfen, wirst du jenen Bereich furchtlos zu berühren wagen. Viel wirst du ihm in der Stille vorsprechen. Aber für mich Papyrusröllchen, sprich, ich bitte dich, häufiger.25 Choderlos de Laclos (1741–1803) schildert in seinen Liaisons dangereuses (Gefährliche Liebschaften, 1782), wie der Vicomte von Valmont an die Präsidentin von Tourvel einen Liebesbrief schreibt. Verrückt vor Liebe nach der abwesenden Frau stillt er seine sexuelle Begierde an einer Geliebten, im Bett liegend schreibt er auf dem nackten Körper der Frau die Zeilen – und wer hätte dabei nicht die eindrucksvolle Verfilmung durch Stephen Frears aus dem Jahr 1988 vor Augen –: „So will ich mich rächen für die Verbannung, zu der Sie mich verurteilen. Wie war mir, wenn ich an Sie schrieb, so wohl; nie empfand ich bei dieser Beschäftigung eine so sanfte und doch so lebhafte Erregung. Alles scheint meine Verzückung zu steigern: die Luft, die ich atme, ist voll Wollust, die Unterlage sogar, auf der ich Ihnen schreibe und die zum ersten Mal dieser Bestimmung geweiht ist, wird für mich zum heiligen Altar der Liebe.“26 Wenn wir nun diese Schilderung als erzählerischen Ausgangspunkt einer Entwicklung begreifen, so werden Goethes Römische Elegien (1788) zum entscheidenden Missing Link dreier Entwicklungsstufen der Verwandlung von Schrift in Körperlichkeit und Körperlichkeit in Schrift, die klar zu erkennen sind. Dort berichtet Goethe davon, wie er tagsüber seine Gelehrsamkeit mehrt und nachts sein erotisches Wissen mit der Geliebten erweitert:
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Sehe mit fühlendem Aug’, fühle mit sehender Hand. Raubt die Liebste denn gleich mir einige Stunden des Tages; Gibt sie Stunden der Nacht mir zur Entschädigung hin. Wird doch nicht immer geküßt, es wird vernünftig gesprochen, Überfällt sie der Schlaf, lieg ich und denke mir viel. Oftmals hab’ ich auch schon in ihren Armen gedichtet Und des Hexameters Maß, leise, mit fingernder Hand, Ihr auf den Rücken gezählt [. . .].27 Auch Abaelard (1079–1142) beschreibt die Verknüpfung von wissenschaftlicher Lektüre und Körperlektüre, von Buchtext und Körpertext in einem seiner Briefe. Als Hauslehrer angestellt, entwickelt sich schnell ein Liebesverhältnis mit Heloïsa (ca. 1099–1164): „Meine Hand hatte oft mehr an ihrem Busen zu suchen als im Buch, und statt in den wissenschaftlichen Textbüchern zu lesen, lasen wir sehnsuchtsvoll eins in des anderen Auge.“ Und auch dieser Liebende gesteht, „es war auch ein zermürbendes Leben, bei Nacht für die Liebe zu wachen und bei Tag für den Beruf“,28 und möglich, dass er als intimer Kenner antiker Liebeslyrik den Properz-Vers kannte, „in der Liebe spielen die Augen die führende Rolle“.29 Dass diese große Liebe dann in der Entmannung Abaelards endet, ist bekannt. Zum Körpertext tritt in der Literatur also meist auch ein Körperbild hinzu, in Mozarts Zauberflöte (Uraufführung 1791) singt der verliebte Tamino über ein Abbild seiner Tamina: „Dies Bildnis ist bezaubernd schön“. Der Zauber der Liebe erstreckt sich auf dessen mediale Reproduktion, wie Schiller meinte, sei die Liebe das Einzige in der Natur, „wo auch die Einbildungskraft selbst keinen Grund findet und keine Grenze sieht“.30 Schon Montaigne schreibt in seinen Essais (1580), bei der Liebe wirkten hauptsächlich der Gesichts- und der Tastsinn, zur Not käme man auch ohne geistige Reize an sein Ziel, niemals aber ohne körperliche.31 Lessings Mahnung aus dem Laokoon (1766) nimmt sich demgegenüber nachgerade prüde aus: „Dem Auge das Äußerste zeigen, heißt der Phantasie die Flügel binden, und sie nötigen, da sie über den sinnlichen Eindruck nicht hinaus kann, sich unter ihm mit schwächern Bildern zu beschäftigen“.32
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Ähnlich sieht es auch wiederum Montaigne, „wenn einer alles sagt, fühlen wir sofort Übersättigung und Ekel“. Bildnis und Schrift werden auf diese Weise zu Substituten des Glücks, zumindest der Glücksverheißung durch die lustvolle Frau. Das Begehren lässt sich nicht durch die bloße Abwesenheit des oder der Geliebten still stellen. Und wiederum Montaigne gibt dem Körpertext den Vorzug vor dem Körperbild der Liebe: „Kraft und Wert der Liebe sind in der poetischen Darstellung lebendiger und beseelter als in der Wirklichkeit; das dichterische Bild sieht gewissermaßen verliebter aus als die Liebe selbst“.33 Der Einwand von Louise Millerin aus Schillers Drama Kabale und Liebe (1784) ist gleichwohl ernst zu nehmen. Sie beschwört die Imaginationskraft der Liebe, der es gelinge, den „wie kalte Leichname“ leblos daliegenden Buchstaben mit den „Augen der Liebe“34 Leben einzuhauchen. Goethes Gedicht Lesebuch nun stellt dann den Endpunkt dieser Entwicklung dar. Aus dem heiligen Altar der Liebe einer Darstellung des untergehenden Ancien Régime bei Laclos wird wenige Jahre später das romantische Evangelium der echten Lust und Liebe bei Friedrich Schlegel. Der Dichter wird zum Priester, der die frohe Botschaft der Liebe weitergibt, um schließlich, wenngleich historisch früher, in Schillers Bekenntnis zu münden, Liebe sei ein Text. Doch um auf Goethe zurückzukommen, vom Buch der Liebe zu reden heißt, dass es zuvor geschrieben worden ist. Wer aber schreibt? Nun ist nicht mehr die Rede vom Buch der Natur, in dem zu lesen sei. Das Buch der Liebe hat die Rede vom Buch der Natur abgelöst. Weiter gedacht könnte dies bedeuten, dass nun nicht mehr das poetologische Postulat der Naturnachahmung für die Dichtung gilt, wonach Dichtung die schöne Natur nachzuahmen habe, sondern stattdessen möglicherweise das der Liebesnachahmung. Historisch durchgesetzt hat sich dies freilich nicht. Die Literatur hätte sich dann auf den langen Weg gemacht, die Wirklichkeit und Echtheit unmittelbaren Erlebens durch die Simulation ihrer Trugbilder doppelt zu brechen. Nur in vereinzelten Begriffen blitzt darin das Ursprungsdenken auf, wonach die Liebe der Ursprung aller Dinge ist. So etwa im Wort der ‚Flammenschrift‘, in ‚Leidenschaft‘ und eben auch in der ‚großen Liebe‘.
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„Beredsamkeit der Leidenschaft“ Widersprüchlicher könnte die historische Situation im 18. Jahrhundert nicht sein, jenem Jahrhundert, in dem die Bürgerlichen sich als eigene gesellschaftliche Schicht herauszubilden beginnen und sich neben den Unterschichtigen wie Handwerkern, Bauern und Tagelöhnern auf der einen und dem Adel auf der anderen Seite durch eigene Handlungskonzepte und Selbstverständigungsweisen behaupten müssen. Die bürgerliche Tugendlehre mit ihrem Moralkatalog ist eine Folge dieses sozialgeschichtlichen Prozesses, dessen Auswirkungen bis in unsere Gegenwart reichen. Das hat auch Folgen für die konzeptuellen Vorstellungen von Liebe und dem Leben eines Modells der großen Liebe. Am schärfsten wird dies wohl in Friedrich Schlegels Lucinde-Roman deutlich, der krass die Abkehr von bürgerlichen Wertvorstellungen des 18. Jahrhunderts markiert. Liebe also ein veralteter Ausdruck einer veralteten Sache? Das meinte zumindest 1788 Christian August Vulpius, der Schwager Goethes. Aus seinem Glossarium sei folgende Passage zitiert: LIEBE, ein veralteter Ausdruck, nach einigen, nach andern, eine durch öftern Umlauf abgeschliffene Münze, welche nur noch durch die Substanz ihren Werth erhält. Sie gleicht einer Schönen, welche der eine liebt, der andre haßt, und wozu jeder seine Gründe hat. Der eine sieht sie von vorn, der andre von hinten, der eine eilt sie zu erreichen, der andre flieht vor ihr. Sie ist, sagen die Dichter, das beste Geschenk, welches die seeligen Götter den Menschen gaben, das wonnevollste Gut auf Erden. Daher sagt Wieland: O Liebe, süsses Labsal aller Leiden der Sterblichen, du wonnevoller Rausch vermälter Seelen – welche andre Freuden sind deinen gleich? – Ohne dieselbe, sagt Horaz, ist nichts schön in der Welt, und Julius von Tarent, lehrt uns, daß nur sie die mächtigsten Triebe brüte;
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Palingenius giebt ihr einen göttlichen Ursprung, und Milton sagt uns, daß selbst die Engel lieben, eine Vereinigung verlangen, und keine Hinderniß finden, sich zu vermischen. Sie läutert, sagt eben dieser Dichter, die Gedanken und erweitert den Mut, hat ihren Siz in der Vernunft, ist selbst klug und die Leiter, auf welcher man zur himmlischen Liebe hinauf steigen kann. Die Liebe, sagt Hofmannswaldau, etwas figürlich, ist: – die edle Saat, so von dem Himmel kommen, und auf der Erde nichts als Zuckerfrüchte trägt, es ist der beste Leim, aus Gottes Hand genommen, so Mensch zu Menschen fügt, und uns zur Lust bewegt. Sie ist dem Menschen so ins Herz geschrieben: Die Tafel war der Mensch, der Schreiber aber Gott. Sie macht das Sichtbare unsichtbar, und was unsichtbar ist, sichtbar, sagt Ariosto. Sie allein nur macht in der Welt den Menschen notwendig, läst Göthe seinen Werther sagen: – der gründet nur auf Sand, der nicht auf Liebe baut, die als ein festes Band auch die Natur verknüpft; – lehrt uns der Dichter Aeltervater, Opitz. – Der Verfasser der Lebensläufe nach aufsteigender Linie, sagt, mit der ihm besonders eigenen Art: „Liebe ist der Funke, den Gott anschlug, als er die Welt schuf.“ – An einem andern Orte, sagt er sehr wahr: „Was ist die Liebe? (das Natürlichste was in der Welt ist.) Was ist sie worden? Wenn sie köstlich gewesen, was ist sie anders, als Schwärmerei?“ – Was zum Gegentheil gesagt wird, will ich nicht anführen, weil es mich zu weit von meinem Gegenstande abführte, nur will ich noch bemerken, daß offenbar der gröste Werth der Liebe von Dichtern oder Selbstverliebten gegeben wird, und wer wollte denn gern
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jemanden in seinem Wahne stöhren? – So viel aber ist gewiß, daß die wahre Liebe, immer seltener wird, und daß man nicht ganz unrecht thut, wenn man das Wort, Liebe, im eigentlichen Verstande, als einen veralteten Ausdruck einer gleichfalls veralteten Sache, betrachtet.35 Und Johann Christoph Adelung scheint Vulpius noch zwanzig Jahre später in seinem Grammatisch-kritischen Wörterbuch von 1808 zu sekundieren: „Im gemeinen Leben und der vertraulichen Sprechart pflegt der Begriff der Liebe und der Schätzung in manchen Fällen mehr oder weniger zu verschwinden“.36 Dieser Eindruck vom allmählichen Sterben des Wortes Liebe in den einschlägigen Lexika der Zeit könnte sich verstärken, wäre da nicht der ausgesprochen voluminöse Artikel in der Oekonomisch-technologischen Encyclopädie (1800) von Johann Georg Krünitz. Streng akademisch wird über die Liebe doziert: „In etwas engerer Bedeutung ist es die Fertigkeit, sich an jemandes Wohlfahrt zu vergnügen, und solche auf das möglichste zu befördern“. Und die „eheliche Liebe“ ist demnach „ein ruhiges und anhaltendes Gefühl der Zuneigung zwischen Personen, die durch das eheliche Band mit einander verbunden sind, das bald die Stelle der flüchtigen Triebe einnimmt, und sich mit jedem Tage vermehrt“. Und auch Krünitz zieht den symbolischen Vorhang des Verschweigens vor dem vor, was die Leser und Leserinnen ‚eigentlich‘ interessiert: „Der unnennbare Trieb ist die Anlage zum unnennbaren Genusse, – zu jener überschwenglich wollüstigen Wirksamkeit unserer vegetabilischen Organisation, [. . .] welches aber um des Anstandes willen nicht weiter ausgeführt werden darf“.37 Das ist die konsequente Absage an die Leidenschaften und damit an die kulturelle Lesart des Modells einer großen Liebe. Dieser Artikel gleicht einer lexikologischen Anti-Lucinde. Nicht das Wort Liebe verschwindet demnach, sondern ihr leiblicher Anteil. Aber selbst nach 2000 Jahren Liebeslyrik und Worten der Leidenschaft über die lustvolle Frau und nach großen Reden auf die große Liebe glaubt sich Friedrich Gottlieb Klopstock im Jahr 1752 immer noch am Anfang der Geschichte der großen Liebe, die ihm als sein per-
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sönlicher Beginn einer Liebesgeschichte erscheint. In der Ode An Cidli (1752) ist zu lesen: Unerforschter, als sonst etwas den Forscher täuscht, Ist ein Herz, das die Lieb’ empfand, Sie, die wirklicher Werth, nicht der vergängliche Unsers dichtenden Traums gebahr, Jene trunkene Lust, wenn die erweinete, Fast zu selige Stunde komt, Die dem Liebenden sagt, daß er geliebet wird!38 Und weiter verknüpft der Autor die große Liebe mit deren Unaussprechlichkeit, wobei bereits das Medium, das er dazu wählt, nämlich das Buch, das Gedicht, kurz die Schrift, diesen Topos der Unaussprechlichkeit unterläuft. „Wer der Geliebten spricht / Diese Liebe mit Worten aus?“,39 fragt Klopstock. Die Antwort liegt auf der Hand: Selbstverständlich er, der Mann und Autor. ‚Trunkene Lust‘ ist bei den Autoren dieser Zeit unaussprechliche Lust, oder, wie es bei Hagedorn postum 1780 heißt, „das Unaussprechliche der Lust“.40 Und doch feiern die Dichter beredt, ausschweifend und begeistert in Worten diese Lust. Das Gedicht wird zum genuinen Ort des Liebesworts. Das Wissen um die lustvolle Frau und die trunkene Lust produziert das Wissen um die Tabuisierung des Sexes eben als das Unaussprechliche der Lust. Johann Christoph Rost hat dieses Wissen um das selbst auferlegte oder auch gesellschaftlich erwartete Redeverbot in seinem oft nachgedruckten und bereits erwähnten Gedicht Die schöne Nacht von 1754 wiederum literarisch genutzt. Zum Ende dieses Gedichts, das von den zu erwartenden Wonnen der schönen Nacht, nicht aber von der Nacht selbst handelt, heißt es: Weg war die Hand, das heißt: Sie war nicht mehr zu sehen, Was im Geheim mit ihr geschehen, Das sag’ ich nicht; doch wenn ihr schärfer fragt, So merkt: es war, was man viel lieber thut, als sagt. [. . .]
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und . . . doch, ihr Schönen wollt, man soll euch alles sagen; Die mehr noch wißen will, Die zwinge sich, und schweige still, Sie kann ja doch den Dichter heimlich fragen.41 So lenkt der Autor damit nicht nur den Blick auf das Nichtgesagte und Verschwiegene, sondern er stellt sich zugleich elegant in die Tradition Ovid’scher Liebeskunst: „Vor der verschlossenen Kammertür, Muse, bleib stehen!“42 Dieser kulturelle Kode, wonach Geschlecht und Geschlechtlichkeit in ihrer literarischen Darstellung einem Schamhaftigkeits- und Peinlichkeitsstandard unterworfen werden, ändert sich in einer 2000-jährigen Geschichte also nicht. Das Tabu wird zum Ort der verweigerten Aussage. Der Vorhang wird zugezogen, diesseits und jenseits der imaginären Trennung bleibt das Wissen, das beide Seiten der Differenz verbindet. Und dieses Wissen basiert auf der Erfahrung der großen Liebe. Liebe, Lust und Leidenschaft sind jene Augen, ohne die das Wissen und das Reden darüber, ohne die die Sprache blind blieben. Damit legitimiert Dichtung sich selbst, auch jenseits herrschender Schicklichkeitsstandards das zur Sprache zu bringen, was allen bekannt, aber nur wenigen zu schreiben erlaubt ist. Der Dichter wird zum Sprachrohr dessen, was kulturelle Normen und Standards auszusprechen verweigern. Der Dichter ist Mitwisser, ja Verbündeter der Lust. Er ist der zweite Mann und der einzige Zeuge, der die Lust der Frau als unsichtbarer Dritter im Bunde bezeugt. Anders bei Salomon Gessner. In seiner 1753 erschienenen Idylle Die Nacht benennt er das, was Rost als unaussprechlich galt: „Meine zitternde Linke, spielt’ auf dem leichtbekleideten Schoosse mit ihren zarten Händen verräthrische Spiele, indem der andre Arm, um den weissen Hals von braunen Locken umflattert sich wand“.43 Natürlich bleibt umstritten, ob solche und andere Äußerungen und poetischen Darstellungen nun wörtlich zu verstehen oder lediglich als metaphorisches Spiel der Phantasie zu begreifen sind, die anakreontische Dichtung lebt nachgerade von diesem Phantasiespiel. Giovanni di Boccaccio (1313–1375) hat in der Geschichte von der gefangenen Nachtigall aus
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seinem Decamerone (1349/53) auch hier einen europäischen Standard für die Literatur generiert. In dieser Geschichte heißt es schlicht: „Caterina hatte den rechten Arm um Ricciardos Hals geschlungen, während sie mit der linken Hand das Ding gefaßt hatte, das ihr euch, sonderlich vor Männern, zu nennen scheut“.44
Benennen und Umschreiben: „Schwanzlose Bücher“ und „geschwänzte Sonette“ Die Grenzlinie zwischen historischer Tatsächlichkeit und der Fiktionalität des Geschriebenen, also zwischen der Buchstäblichkeit des Worts und dessen metaphorischem Gebrauch zu verfolgen, ist nicht unsere Aufgabe. Nicht von ungefähr reüssiert die Gattung des Briefromans im Zeitalter der Empfindsamkeit zur erfolgreichsten literarischen Gattung überhaupt – neben dem bürgerlichen Trauerspiel, das Liebesverrat und Liebesverlust zum Inhalt hat und dessen das ‚entliebte‘ Publikum nach wie vor bedarf. Den Unterschied zwischen dem gesprochenen, geflüsterten und dem geschriebenen Liebeswort benennt Heloïsa im Briefwechsel mit Abaelard deutlich. Auf diese Differenz kann aber bei vorliegenden Lektüren nicht eingegangen werden, dies aus einem prinzipiellen Grund: Die Lust und die große Liebe ereignen sich zwar in Wort und Schrift, doch strebt Literatur nach der Unvergänglichkeit der großen Liebe, nach dem Festhalten außerhalb der Zeit. Gleichwohl muss man bei der Lektüre bedenken, dass das Nichtgehörte nicht der Ort der Literatur ist, sonst wäre die Unterscheidung zwischen geschriebenem Wort und gesprochenem Wort hinfällig. Die Literatur phantasiert das gesprochene Wort unabhängig davon, ob es tatsächlich gesprochen wurde oder hätte gesprochen werden können. Im sechsten Brief ihres Briefwechsels schreibt Heloïsa an ihren Geliebten Abaelard: „Im Schreiben will ich die Worte meiden, die ich von Mund zu Mund überhaupt nicht meiden könnte“. Auch Heloïsa kennt und benennt die zivilisatorische Schranke, die der Verschriftlichung ihres Liebesglücks Grenzen gebietet. „Wenn uns des Herzens Leiden-
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schaften vorwärts peitschen, kann kein Mensch den ungestümen Trieb so fest beherrschen, daß er nicht doch leicht zur Tat wird, noch leichter sich in Worten Luft macht. Unsere Worte sind ja in solcher Lage nur zu bereit, der Leidenschaft Ausdruck zu verleihen [. . .]“. Schließlich wird in ihrer Liebesgeschichte das Wort sogar zum Ersatz für die körperliche Anwesenheit des geliebten Mannes: „Liebster! [. . .] Ich brauchte ja nur die ersten Worte anzusehen, um Eure Schrift zu erkennen. Und da ich den Briefschreiber so fest in meinem Herzen trage, so versenkte ich mich in heißer Hingabe in seine Worte. Ist mir auch der Mann verloren, soll doch aus seinem Wort sein Bildnis mich beglückend anschauen!“45 Aus Ovids erstem Buch seiner Amores (Liebesgedichte) sei ein anderes Beispiel angeführt. Dort ist zu lesen, nachdem der Autor eindrücklich die Schönheit des Körpers seiner Geliebten beschrieben hat: „Über das Übrige nichts“ – mit diesen dürren Worten übersetzen Walter Marg und Richard Harder 1981 das lateinische „cetera quis nescit?“ des Ovid. In der Prosaübersetzung von Michael von Albrecht von 1997 liest man stattdessen die wesentlich näher am lateinischen Wortlaut sich orientierende Frage: „Wer kennt das Weitere nicht?“,46 und in wieder einer anderen Übersetzung noch deutlicher: „Wer wüsste nicht, wie es weiterging?“47 Die eine Übersetzung zieht, um diesen in der Literatur bewährten metaphorischen Ausdruck zu gebrauchen, schamhaft den Vorhang vor ein Geschehen, das nur noch körperlich sich ereignet und dessen Versprachlichung den Autor zum Mitwisser, mehr noch: zum Voyeur macht. Die jüngere Übersetzung hingegen gibt das wieder, was Ovid tatsächlich fragt. Er spielt mit seiner Frage auf ein allgemeines Wissen an, das Wissen um Sex und Liebe. In der Differenz der Übersetzung verbirgt sich mehr als nur ein philologisches Detail, es ist vielmehr der prinzipielle, kulturell bedingte Unterschied zwischen dem Wissen um Sex und dessen Tabuisierung. Auf diese Weise wird die Philologie zum Ort des Niederschlags einer mentalen Differenz zwischen dem Wunsch nach Benennung und dem Willen zur Verschleierung. Dieses Spiels von Benennen und Umschreiben bediente sich beispielsweise Goethe in seinem Gedicht An den Geist des Johannes Sekundus (1776):
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Lieber, heiliger, großer Küsser, Der du mir’s in lechzend atmender Glückseligkeit fast vorgetan hast! Wem soll ich’s klagen? klagt ich dir’s nicht! Dir, dessen Lieder wie ein warmes Küssen Heilender Kräuter mir unters Herz sich legten, Daß es wieder aus dem krampfigen Starren Erdetreibens klopfend sich erholte. Ach wie klag ich dir’s, daß meine Lippe blutet, Mir gespalten ist, und erbärmlich schmerzet, Meine Lippe, die so viel gewohnt ist Von der Liebe süßtem Glück zu schwellen Und, wie eine goldne Himmelspforte, Lallende Seligkeit aus und einzustammeln. Gesprungen ist sie! Nicht vom Biß der Holden, Die, in voller ringsumfangender Liebe, Mehr mögt haben von mir, und mögte mich Ganzen Ganz erküssen, und fressen, und was sie könnte! Nicht gesprungen weil nach ihrem Hauche Meine Lippen unheilige Lüfte entweihten. Ach gesprungen weil mich, öden, kalten, Über beizenden Reif, der Herbstwind anpackt. Und da ist Traubensaft, und der Saft der Bienen, An meines Herdes treuem Feuer vereinigt, Der soll mir helfen! Wahrlich er hilft nicht Denn von der Liebe alles heilendem Gift Balsam ist kein Tröpfgen drunter.48 Goethe schickte das Gedicht seiner großen Liebe Charlotte von Stein. Am 1. November 1776 liest man in Goethes Tagebuch die Eintragung: „Johannes Sekundus“.49 Und einen Tag später notiert er: „Herz[og] auf die Jagd, ich in Garten. Ad Manes J.S.“50 Dieser verschlüsselte Eintrag „Ad Manes J.S.“ wird in der Goethe-Forschung mit dem Hinweis auf den humanistischen Dichter Johannes Secundus (1511–1536) aufgelöst. „Ad Manes J.S.“ wird somit übersetzt mit ‚An die Manen des Jo-
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hannes Secundus‘. Die Forschung führt als Beleg für die richtige Auflösung der Schreibweise den Hinweis auf die Tagebucheintragung vom 1. November sowie auf Goethes gleichlautendes Gedicht An den Geist des Johannes Sekundus an, das nach der Datierung auf der Handschrift am 2. November 1776 entstanden ist und erstmals in erheblich veränderter Form und mit dem veränderten Titel Liebebedürfniß 1789 in den Schriften veröffentlicht wurde. Wer vernimmt mich? ach wem soll ich’s klagen? Wer’s vernähme würd er mich bedauern? Ach die Lippe, die so manche Freude Sonst genossen hat und sonst gegeben, Ach sie ist gespalten und sie schmerzt erbärmlich. Und sie ist nicht etwa wund geworden Weil die Liebste mich zu wild ergriffen, Hold mich angebissen, daß sie fester Sich des Freunds versichernd ihn genösse. Nein das zarte Lippchen ist gesprungen Weil nun über Reif und Frost die Winde Spitz und scharf und lieblos mir begegnen. Und nun soll mir Saft der edeln Traube Mit dem Saft der Bienen, bei dem Feuer Meines Herds vereinigt, Lindrung schaffen. Ach was will das helfen, mischt die Liebe Nicht ein Tröpfchen ihres Balsams drunter?51 Entscheidend ist, dass sich der Autor in der Referenz auf Secundus eines kulturellen Kodes bedient, der von den Zeitgenossen leicht entschlüsselt werden kann. In den Basia-Gedichten schildert der neulateinisch schreibende Secundus die Wonnen sexuellen Glücks mit seiner großen Liebe, der Spanierin Neaera. Diese Basia- oder Kuss-Gedichte sind in der Zeit zwischen Sommer 1534 und Herbst 1536 entstanden und wurden 1539 gedruckt.52 Sie stellen einen Zyklus von insgesamt neunzehn Gedichten dar, in denen es um die metonymische, metapho-
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rische, aber durchaus auch buchstäbliche Bedeutung und Funktion des Küssens geht. Die Basia-Gedichte sind erotische Gedichte, die den historischen Brückenschlag zwischen der antiken erotischen Dichtung und deren neuzeitlicher Modellierung in der anakreontischen Dichtung dokumentieren. In der neuplatonischen Kussdichtung galt der Kuss nicht als Teil des erotischen Vorspiels, sondern als Ersatz für Sex. Nach alter Vorstellung, die ein Topos erotischer Dichtung ist, vereinen sich im Kuss die Seelen der beiden Küssenden.53 „Dum nostros animos per ora mixtos“, „Durch die Münder vermischten sich die Seelen“,54 hatte es schon bei Conrad Celtis (1459–1508) geheißen, und bei Secundus liest man: Mund an Mund werden zwei Seelen zu einer vereint. So ergießen wir beide uns in des anderen Körper, wenn die Liebe, dem Tod nahe, in Wollust erstirbt.55 Der ‚andere Körper‘ ist wörtlich genommen der ‚fremde Körper‘, der erst in der symbolischen Vereinigung des Küssens als dem antizipierten sexuellen Akt zum anderen und schließlich zum gemeinsamen eigenen wird. Auch Goethe bedient sich dieses Topos, wenn er einen Brief an Charlotte von Stein mit den Worten beendet, und dies kann durchaus als Erfüllung seiner Liebessehnsucht verstanden werden, „meine Seele ist auf deinen Lippen“.56 Secundus geht über die Tradition erotischer Dichtung weit hinaus und spielt mit dem beständigen Wechsel zwischen der metaphorischen Ebene und ihren symbolischen Einschreibungen und der buchstäblichen Ordnung erotischen Sprechens. Goethe nun bezieht sich mit seinem Sekundus-Gedicht auf das Gedicht Basia 8 von Secundus. Der Schlussvers heißt dort: „O vis superba formae!“, „O stolze Macht der Schönheit!“57 Die lateinische Zeile gibt in den verschiedenen Übersetzungsmöglichkeiten die mentalitätsgeschichtlichen Verschiebungen preis. Denn zwischen dem lateinischen Wort ‚forma‘, dem deutschen ‚Schönheit‘ und dem englischen ‚loveliness‘ liegen erhebliche Bedeutungsverschiebungen. Die deutsche ‚Schönheit‘ wird der ‚forma‘ des lateinischen Textes nicht gerecht, sie
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sublimiert in der Terminologie ästhetischer Erfahrung, was der Text Zeile um Zeile wiederholt beschwört, die Körperlichkeit der Leidenschaft. Insofern bedeutet das lateinische Wort ‚forma‘ eben die körperliche Form, die Gestalt oder die Figur der Geliebten. Unter dieser Perspektive gewinnt auch das ursprüngliche SekundusGedicht von Goethe neue Gestalt. Denn Goethe beschwört im Rückgriff auf ein voranakreontisches Gedicht eben diesen begehrten Körper der Geliebten, er sucht die Erfüllung dort, wo er sie unwidersprochen bekommen kann und ihr Körper verfügbar geworden ist, in der Literatur. Man muss dabei unterscheiden zwischen der Ebene der beschworenen literarischen Figur und Geliebten des Secundus, nämlich Neaera, und der realen Figur Charlotte von Stein als der phantasierten Geliebten Goethes. Durch den Rückgriff auf Secundus und den kulturellen Kode erotischen Sprechens in dessen Basia-Gedichten verknüpft Goethe Literatur und Leben. Aufschlussreich ist in diesem Zusammenhang eine Briefnotiz Goethes. Am Sonntag, den 3. November 1776, berichtet er Charlotte von Stein über den vorangegangenen Tag: „Ich bitte Sie um das Mittel gegen die Wunde Lippe, nur etwa dass ich’s finde heut Abend wenn ich zurückkomme. Muss ich Sie schon wieder um etwas bitten um etwas heilendes. Gestern Nacht haben mich Stadt und Gegend und alles so wunderlich angesehen. Es war mir als wenn ich nicht bleiben sollte. Da bin ich noch in’s Wasser gestiegen und habe den Alten Adam der Phantaseyen ersäuft. Adieu beste Frau.“58 Goethes gespaltene Lippe ersetzt die gespaltene Zunge, die Wahrheit über das Begehren vertritt die Lüge über es. Das heiße Verlangen taut nicht den Frost auf den Lippen, die Begehrte, Frau von Stein, ist was ihr Name sagt. Bei Secundus findet Goethe Trost. Die Umwandlung von der Zunge bei Secundus, die durch einen leidenschaftlichen Biss der Geliebten verletzt wird, zur verletzten Lippe bei Goethe ist mehr als nur eine geringfügige Bedeutungsverschiebung. Bei Secundus geht es im buchstäblichen Sinn um die Zunge als Organ des Sprechens, im symbolischen Sinn freilich handelt das Gedicht Basia 8 eben von jenem Sprechen über die Geliebte, von der preisenden Rede ihrer Schönheit, ihres Körpers und der Liebe zu ihr. Die Zunge ist insofern Metonymie des Worts wie des Körpers.
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Im Gedicht Basia 9 appelliert Secundus an die künstliche Verknappung der Liebeserfüllung als weitere Variante im Liebesspiel. Neaera solle ihn nicht ständig küssen, solle nicht jedem sexuellen Impuls nachgeben, solle sich dem Mann siebenmal verweigern, wenn er sie neunmal verlange. Diese gespielte Verweigerung diene letztlich der Luststeigerung, so Secundus. Das literarische Rollenspiel erlaubt die Offenbarung des eigenen Verlangens. Dies wird besonders am Beispiel von Basia 14 deutlich: Warum reichst du mir flammendrote Lippen? Nicht will dich ich, du Harte, nicht dich küssen, dich, Neaera, die härter als harter Marmor. So hoch soll ich, du Spröde, deine Küsse achten – und es dabei bewenden lassen –, daß ich rücklings lieg mit gestrafftem Muskel und mein Hemd und das deine schon durchstoße, und, von ungestillter Begierde toll, ich soll vergehn, ich Armer, in brünst’gem Rasen? – Wohin willst du? Bleib hier! Versag die Augen nicht mir und nicht die feuerroten Lippen. Schon erweicht, will ich nichts als nur dich küssen: weicher bin ich ja schon als Daunenfedern.59 Goethe konnte sich auch auf das Secundus-Gedicht Basia 12 verlassen, dessen appellative Schlusszeilen eindeutig sind: Ich sing nur von Küssen (nicht was danach kommt), [. . .] denn so keusch ist meine Neaera, daß sie gliedlos lieber ein Buch mag als den Dichter.60 Was in der deutschen Übersetzung verschämt, zumindest doppeldeutig mit „gliedlos“ wiedergegeben wird, vermag im Lateinischen an sprachlicher Klarheit nicht übertroffen zu werden. ‚Mentula‘ heißt es dort und bedeutet Penis, und so ist es nicht nur philologisch, sondern
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eben auch kulturgeschichtlich wesentlich genauer, wenn in einer anderen Übersetzung dieser Vers mit den Worten wiedergegeben wird: „denn so keusch ist meine Neaera, daß sie ein schwanzloses Buch einem schwanzlosen Dichter vorzieht“.61 Dass es Goethe durch den Rückgriff auf die Gedichte des Secundus um die Artikulation seines eigenen Begehrens ging, wird auch durch den Hinweis auf die bedeutungsvolle Neuformulierung des Titels plausibel. Aus An den Geist des Johannes Sekundus wird Liebebedürfniß. Deutlicher ist die Intention des Gedichts kaum zu exponieren, das drängende Begehren des Textes, das der anakreontischen Angleichung – „im starren Bande / Zwängen sich die freyen Lieder“,62 wie es im West-östlichen Divan heißt – weichen muss, zieht sich in die Einsilbigkeit des Titels zurück. Und schließlich kann die Anrufung des historischen Vorbilds Secundus auch einen Akt der Identifikation darstellen. Johann Goethe nimmt im literarischen Rollenspiel als zweiter (‚secundus‘) Johannes die Stelle des Vorbilds ein und erfüllt sich somit literarisch, was ihm als Literatur Liebeserfüllung verheißt. Secundus und Neaera vollziehen die Vereinigung im ewigen Kuss, wovon Basia 2 spricht, mehr als Küsse gebe Neaera, Nektar und Tau aus ihrer Seele heißt es in Basia 4, wo auch Rosengärten und Bienen zitiert werden, welche den Honig Neaeras aufbewahren. Bei Secundus wird die Geliebte als Göttin benannt, bei Goethe erst gar nicht erwähnt. Sie dient als verdeckte Adressatin im Hintergrund, vordergründig ist das Gedicht an Secundus gerichtet. Nur in ihrer Abwesenheit ist die Geliebte gegenwärtig. Während die Geliebte des Secundus in sinnlicher Unmittelbarkeit gleichsam im Text körperlich vorhanden ist, verbleibt Goethes Geliebte im Modus des Phantasmas. Erst die Moderne wird auf diesen Disziplinierungsdruck mit der restlosen Destruktion zivilisatorischer Gebote und kultureller Normen reagieren. Am Beispiel von Goethes Umarbeitung der Erstfassung des Sekundus-Gedichts lässt sich dieser zivilisatorische Wandel im Umgang mit der Versprachlichung von Liebe, Lust und Leidenschaft veranschaulichen, dies in zweierlei Hinsicht. Zum einen zeigt das SekundusGedicht Goethes den Wandel von den originalen Basia-Gedichten der Frühen Neuzeit zur Disziplinierungsapparatur der Sprache, dem Subli-
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mationsdruck bei Goethe in der Aufklärung. Und zum anderen dokumentiert es den erfolgreichen Abschluss dieses Prozesses, nämlich den Wandel von Goethes Erstfassung von 1776 hin zur Druckfassung von 1789 als dem Produkt selbstdisziplinarischer, eben erfolgreicher Umwandlung von Fremdzwang in Selbstzwang. Ein Jahr vor den Basia-Gedichten des Secundus veröffentlicht ein anderer, ebenfalls neulateinisch schreibender Dichter einige Epigramme, die von der Liebe handeln. Simon Lemnius (1511–1550) hatte im Jahr 1538 mit Epigrammen den Zorn Luthers auf sich gezogen, der sogar den Tod des Verfassers forderte. Lemnius wurde steckbrieflich gesucht und reagierte 1539 mit einem heute in seiner Aggressivität und Obszönität kaum mehr begreiflichen Pamphlet auf Luther. In der Monachopornomachia, zu deutsch: Mönchshurenkrieg, lässt er beispielsweise den Chor der Babylonierinnen am Ende des Stücks sagen: Nochmals: leb wohl, Luther, mit den aufgerissenen Mösen und faulen Schwänzen. Leb wohl, Luther, mit dem Hurenkrieg! Diese Ergötzlichkeiten, Scherze, Späße, Nonnen, Mösen, Schwänke, geilen Aphroditen und Eroten bringen wir dir dar. So leb nun wohl, Luther! Laß es dir wohl ergehen, Luther, da du ein so bedeutender Mann bist! Leb wohl, Luther, mit der struppigen Filzmütze, die du zu ficken glaubst, wenn du Käthe fickst. Leb wohl. Luther!63 Lessing hat im zweiten Teil seiner Schriften (1753) sieben Briefe der Verteidigung des Lemnius gewidmet, ohne gleichwohl „solch lüderliches Zeug“64 zu rechtfertigen. Ob dies nun von Lessing ernst gemeint war, also jenseits der rhetorischen Geste eines Zugeständnisses an seine Kritiker zu verstehen ist, sei dahingestellt. Einen anderen Ton schlägt Lemnius in seinen Liebeselegien (Amorum Libri IIII) von 1542 an. „Mixta est in amore voluptas“, „in der Liebe unsere Lust vereint“, ist dort zu lesen, und: „Omnia nimirum gaudia vincit amor“, „alle Wonnen übersteigt die Liebe“. Auch das Kussmotiv findet sich in wenig metaphorischem Gebrauch wieder: „Wie oft lag ich bei ihr mit im Kuß verschränkten Zungen und beglückte mein Mädchen im Innersten
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mit tausendfacher Freude“.65 Damit wird der Grenzbereich zwischen der erotischen Beschreibung der lustvollen Frau, der großen Liebe und pornographischen Texten betreten. Sebastian Brant (1457–1521) warnt in seiner Narrensatire Das Narrenschiff (1494) vor den Gefahren auch der sexuellen Lust. Lust schlechthin wird weiblich verstanden, und dies nicht nur im Sinne eines grammatischen Geschlechts: Irdische Lust vergleichet sich Einem üppigen Weib, das öffentlich Sitzt auf der Straß und schreit sich aus, Daß jedermann komm in ihr Haus [. . .] Drum gehn die Narrn in ihren Schoß Gleichwie zum Schinder geht der Ochs.66 Wer liebt, galt schon immer als von Sinnen. ‚Amantes, amentes‘, und mehr noch, „die Lieb ist ein Dieb“, lässt uns 1703 Abraham a Sancta Clara wissen, „dann dise stihlt denen Menschen gar die Vernunfft / und macht sie zu einem Narren / amantes, amentes“.67 Der Autor schildert den Verliebten als einen ständig wie eine Sackpfeife seufzenden Narren, der vor lauter Liebesglut jedes Strohdach zum Entzünden bringe, der sich einen Finger von der Hand zum Zeichen seiner Liebe abtrennen lasse, der ein Glas mit den Zähnen zernage und den Handschuh seiner Liebsten stehle, zerstückle, brate und verspeise. Viel anzufangen ist mit diesem Zeitgenossen nach des Sancta Claras Meinung nicht. Und dennoch behauptet ein Autor wie Lessing in seinem Gedicht An die Liebe (1751): Ohne Liebe Lebe, wer da kann. Wenn er auch ein Mensch schon bleibe, Bleibt er doch kein Mann.68
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Liebe als Kulturtechnik Friedrich Hölderlin schreibt im Jahr 1800 in seinem Gedicht Die Liebe die folgenden Verse: [. . .] Sprache der Liebenden Sei die Sprache des Landes, Ihre Seele der Laut des Volks!69 Das eröffnet einen großartigen Ausblick: Liebe wird, so verstanden, zu einer Art Kulturtechnik. Sie ist mehr als nur ein ‚Kulturmedium‘.70 Wo Liebe ist, ist Kultur. Und mehr noch, Novalis bietet diese Steigerung aller Steigerungsmöglichkeiten: „Die Liebe ist der Endzweck der Weltgeschichte – das Amen des Universums.“71 Und eines ist tröstlich, das wissen wir nun nach diesem Blick in die Literaturgeschichte der großen Liebe: Solange es Liebe gibt, gibt es Worte, und solange es Worte gibt, gibt es Schrift. Und mit des Novalis Worten können wir sagen, „die lehrreichste Schrift“ sei „die Menschengestalt“.72 Erscheint der Mensch, mithin der Körper, als Schrift, dann wird die Schrift zum Körper. Und diese Bezeichnung ‚Körper‘ meint in der Literatur den metaphorischen Körper ebenso wie den buchstäblichen und unterscheidet nicht zwischen dem Körper der geliebten Frau als Königin oder dem Körper der geliebten Frau als Dienerin. In Lessings Damon (1747) etwa sagt Lisette: „Liebe bleibt Liebe. Eine Königin liebt nicht edler, als eine Bettlerin, und eine Philosophin nicht edler, als eine dumme Bauersfrau“.73 Jakob Michael Reinhold Lenz ist da schon deutlicher. In seinen Anmerkungen übers Theater (1774) findet sich ein Hinweis, den man nun mit Lessings Wort spiegeln kann und der dann an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig lässt. Unterm Kleid der Königin sehe es nicht anders aus als unterm Rock der Bürgersfrau. Lenz fordert in den Anmerkungen vom Dichter individuelle Menschenkenntnis, die auch „unterm Reifrock der Königin“ forsche. Am Ende seiner Abhandlung bekräftigt er nochmals wörtlich diese Forderung nach einer anthropologischen Ästhetik und wiederholt, ob König, Königin oder niedrigster Pöbel, alle seien sie Menschen, „auch unterm Reifrock“.74
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Dies ist der Punkt, wo der literarische Diskurs über die große Liebe dem pornographischen Schreiben begegnet. Und die Frage lautet dann: Lässt sich über Liebe, Lust und Leidenschaft anders angemessen schreiben als eben pornographisch? Es bedarf keiner langen diskursiven oder historischen Exkurse, die Antwort ist denkbar einfach. Die Rede von der großen Liebe, die Literatur über Liebe, Lust und Leidenschaft wurde stets der Pornographie verdächtigt. Zu jeder Zeit und an jedem Ort. Und die Geschichte dieser Literatur war immer stärker als die Geschichtlichkeit ihrer gegnerischen Argumente. Ein bekanntes unbekanntes Beispiel sei in Erinnerung gerufen. Goethes sogenannte Hanswurstiaden stehen in nichts pornographisch verunglimpfter oder auch pornographisch gemeinter Literatur nach. Mit dem Begriff des Studentenulks und der Studentensprache versuchte man sie auf das zitierfähige Niveau eines Klassikers zu hebeln, gern gesehen, geschweige denn gelesen, waren sie freilich nie. Um aber ein Missverständnis zu vermeiden: Große Liebe heißt nicht große Pornographie. Die Literatur über die große Liebe kann zwar durchaus großartige Pornographie bedeuten, doch Pornographie muss noch lange nicht von Liebe handeln. Das könnte die Vermutung nahe legen, Pornographie sei mehr eine Rezeptionshaltung denn ein objektivierbares Merkmal der Produktionsseite. Wenden wir unseren Blick zu den Ursprüngen der europäischen Literatur, dann bleibt kein Zweifel an der Vereinbarkeit von pornographischem Schreiben und der Rede von der großen Liebe. Es ist, genauer betrachtet, wesentlich mehr als nur eine Vereinbarkeit. Es ist eine dargestellte Einheit von Körperlichkeit und Liebe, die wir heutigentags vorschnell mit dem Begriff Pornographie belegen, es ist die Verschmelzung von Lust und Leidenschaft zur großen Liebe. Denn die große Liebe drängt auf unbedingte körperliche Anwesenheit des anderen. Im siebten Jahrhundert vor Christus lebte im antiken Griechenland ein Dichter namens Archilochos. Von ihm sind einige wenige Gedichte und Gedichtfragmente überliefert, die in ihrer sprachlichen Intensität von den Augenblicken der großen Liebe zeugen:
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[Nr. 57] Unselig liege ich da im Bann der Sehnsucht, entseelt, von schweren Schmerzen auf Geheiß der Götter durchbohrt durch die Knochen. [Nr. 58] Doch mich bezwingt, Freund, die gliederlösende Sehnsucht. [Nr. 61] doch zerrissen sind meines Schwanzes Sehnen [Nr. 62] und tatendurstig hinstürzen auf ihren Wanst und an den Bauch den Bauch drücken, die Schenkel an die Schenkel [Nr. 77] Dann nahm ich das Mädchen und legte es nieder inmitten der blühenden Blumen. Mit einem weichen [Mantel] umhüllte ich [sie] und hielt ihren Nacken in meinen Armen, als sie verschreckt innehielt wie ein Rehkitz [auf der Flucht,] und berührte sanft [ihre Brüste] mit den Händen, [sie aber] zeigte [verstohlen] ihre frische Haut, das Anzeichen der Jugendblüte. Und [ganz] ihren schönen Leib um und um betastend, schleuderte [warm] ich meine Kraft heraus, streichelnd ihr blondes [Haar.]75 Sicherlich ist dies nicht die Geburtsstunde eines Blondinen-Mythos, wenn die Blondine als verführbare und verfügbare Frau gilt. Entscheidend ist etwas anderes: Unverhohlen sexuell sind diese Zeilen, in denen Archilochos vom nackten Begehren im buchstäblichen Sinn spricht. Diese Deutlichkeit im Wort, zumindest in der Schrift, ist nicht voraussetzungslos. „Will etwas sagen, aber es hält mich ab / die Scham“, heißt es in einem Gedichtfragment der Sappho (617/612–570/560 v. Chr.), von dem mehr nicht überliefert ist. Will die Frau sich als lustvoll selbst porträtieren, so bedarf es der Überwindung kultureller Normen und Schranken. „Eros löst meine Glieder und stört mich auf, / bittersüßes, entmachtendes Ungetier“, „Doch Eros zerwühlte mir / das Gemüt, wie ein Wind vom Gebirg in die Eiche fällt“, „[. . .] und auf Betten, die weich bereit, / zarte . . .. . . / hast gestillt deine Sehnsucht . . .“, „Und ich sehn mich und ich begehr . . .“ – auch dies ist ein Gedichtfragment, von dem mehr als diese Zeilen nicht erhalten ist.76
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Scham, Peinlichkeitsschwellen, Schicklichkeitsstandards, kurz zivilisatorische Regularien lenken auch den Umgang der Dichter mit ihrem Thema. Nicht jeder ist so freizügig wie Archilochos oder Ovid. Sappho nimmt sich demgegenüber vergleichsweise schüchtern, ja prüde aus. Aber das Verbot, über die große Liebe zu reden, von der Lust und Leidenschaft der Liebe zu sprechen, findet sich schon bei ihr. Damit belegt diese frühgriechische Dichterin, dass das Sprechen über die Liebe so alt ist wie das Verbot, über sie zu reden. Archilochos und Sappho sprechen in Fragmenten. Unabhängig davon, dass dies mutmaßlich und ausschließlich durch die Überlieferungsgeschichte ihrer Verse begründet ist, lässt sich doch hieran die Überlegung anschließen, ob das Sprechen über die Liebe nicht bloß in Fragmenten möglich ist – ja, ob die große Liebe selbst am Ende bloß Fragment bleibt? Fragment vielleicht eines phantasierten Universums der vollkommenen Erfüllung, unter Verzicht auf den Anpassungszwang an die Wirklichkeit?
„jetzt, jetzt, schnell, schnell“. Über die Sexualisierung der Literatur. Erotik und Pornographik Über Pornographie – und das bedeutet in diesem Zusammenhang literarische Pornographie – ist schon so viel geschrieben worden, dass hier weder neue Gedanken hinzugefügt werden noch die bisherigen Diskussionen mit all ihren widersprüchlichen moralischen, politischen, theologischen, juristischen, psychologischen Argumentationsformen auch nur ansatzweise zusammengefasst werden sollen.77 Lassen wir stattdessen den englischen Philosophen Simon Blackburn zu Wort kommen: „Ich würde vielmehr sagen, der zentrale Zweck der Pornographie, wie auch anderer Wörter und Bilder, besteht darin, die Einbildung zu erregen. Was man sich vorstellt, ist ein – männlicher oder weiblicher – Partner, der Dinge so bereitwillig oder enthusiastisch tut, so aktiv oder passiv oder so einfühlsam oder zärtlich, wie es den Neigungen des Konsumenten entspricht.“ Pragmatisch kann man diese Beurteilung nennen, hilfreich bei der weiteren Lektüre großer Texte über die große Liebe. Blackburn schreibt ganz unprätentiös: „Wollust
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[. . .] will nichts weiter als guten Sex“,78 und greift damit jenen Gedanken des Barockdichters Christian Hoffmann von Hoffmannswaldau wieder auf, den dieser in seinem Gedicht Die Wollust (1679) festgehalten hatte: „Die Wollust bleibet doch der Menschen höchstes Guth“.79 Sogar Johann Heinrich Zedlers Universal-Lexikon (1748) archiviert diese positive Bedeutung in dem Wort „Wollusts-Tummelplatz“ und erklärt: „wird bey dem Frauenzimmer die Clitoris genennet“,80 um dann aber unter dem Lemma ‚Clitoris‘ zu erklären: „doch findet man es bey geilen Weibs-Personen viel länger und dicker“,81 und damit durch das pejorative Wort ‚geil‘ im Sinne von triebgesteuert die positive Semantik aufzulösen. Ähnliches geschieht mit dem Wort ‚Wollust‘, dem Zedler immerhin 18 umfangreiche Spalten seines Lexikons widmet. Steven Marcus prägte den Begriff von Pornotopia: „Das Programm der Pornographie besteht darin, die unbewußten Phantasien im Leser freizusetzen; der Inhalt dessen, was er liest, wird darüber belanglos“. Diese Verselbstständigung des literarischen Diskurses sei als Kennzeichen literarischer Pornographie zu verstehen. Pornographisches Schreiben verwendet metaphorische Ausdrucksformen, meint sie aber nicht. Eine Metapher ist nur auf der sprachlichen Ebene eine Metapher, also eine uneigentliche Redeweise, meint aber auf der Darstellungsebene das genaue Gegenteil, das Eigentliche. Marcus nennt diese allgemeine Funktionsbestimmung pornographischer Literatur Pornotopia, „ein Universum im Zeichen des Sexus“.82 Für seine These führt er zahlreiche Beispiele aus der angelsächsischen Literatur an. Die deutschsprachige Literatur hingegen ist längst nicht so quellenträchtig wie die englische oder französische, obwohl inzwischen der Nachweis des ältesten pornographischen Textes der deutschen Literatur, der keine Übersetzung einer englischen oder französischen Vorlage darstellt, gelang. Dieses pornographische Buch konnte nur durch Zufall der rigiden deutschen Zensur des 18. Jahrhunderts entgehen.83 Pornographische Literatur lebt – dies kann man im Anschluss an Marcus festhalten – vom Gleichgewicht der Säfte. Die Kapitalisierung des Sexes beschreibt den männlichen wie den weiblichen Körper als Aktienbörse, wer am meisten bietet, verdient am meisten. Der wahre Verkehr wird zum Warenverkehr sexueller Leistungen.
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Was also ist Pornographie – und wenn in diesem Zusammenhang von Pornographie die Rede ist, so meint dies eben nur die literarische Pornographie? Stellen wir zunächst eine andere Frage: Weshalb muss man wissen, was Pornographie ist? Dabei interessieren weder juristische noch theologische noch moralische Argumente. Und auch die Antworten, die Rousseau und Aretino (1492–1556) gaben, können nicht wirklich überzeugen. Jean-Jacques Rousseau berichtet etwa in seinen Bekenntnissen (1781), wie er als junger Mann wahllos und ziellos sich Bücher ausgeliehen oder gekauft habe und dabei auch nicht vor der Ansicht von „schalen und albernen Büchern“ bewahrt blieb. Freilich sei er älter als dreißig Jahre geworden, bis er endlich einen Blick „in eines jener gefährlichen Bücher geworfen hatte, die eine schöne Dame der großen Welt einzig deshalb so unbequem findet, weil man sie nur mit einer Hand zu lesen vermag“.84 Ob sich der Autor hinter dem Urteil dieser unbekannten Dame nur versteckt und damit ein Männerphantasma der onanierenden Frau camoufliert oder dieses Bonmot tatsächlich bereits Rousseau überliefert wurde, sei dahingestellt. Von dem Schweizer Maler und Dichter Johann Heinrich Füssli jedenfalls ist eine Zeichnung erhalten, worauf eine wohlig sich entspannende Frau zu sehen ist.
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Abb. 1: Johann Heinrich Füssli (1741–1825): Schlafende und Amor (Kreidezeichnung 1780/1790. Öffentliche Kunstsammlung Basel, Kupferstichkabinett, Inv. 1941 291). Das Lächeln, die entblößte Brust, die ursprüngliche Lage der linken Hand im Schoß, der Fingerzeig der rechten Hand auf das Buch lassen eine erregende Lektüre mutmaßen.
Über den Zusammenhang zwischen einer vermeintlich gestörten psychosexuellen Entwicklung und der Romanlektüre bei Mädchen waren die Bürgerlichen des 18. Jahrhunderts anfangs äußerst besorgt.85 Die Rousseau’schen, zur einhändigen Lektüre befähigenden Bücher sind jedenfalls pornographischen Inhalts, in der Regel versehen mit pornographischen Bildern.86 Jean Marie Goulemot hat Rousseaus Wort zum Titel eines Buchs genommen. In Gefährliche Bücher (1986) schreibt er über den Unterschied zwischen dem, wie er es nennt, libertinen Roman und dem pornographischen: „Im ersteren keine Anhäufung von Umarmungen, keine Heimlichkeit, [. . .] keine bildhafte Darstellung. [. . .] ein Wortroman“. Über den erotischen oder pornographischen Roman heißt es: „Er kennt nur hingegebene Körper, spontane Begierde und unmittelbare Lust“, er sei ein Bildroman.87 Wortroman oder Bildroman – diese Unterscheidung ist wenig hilfreich, wenn doch die Bilder im Herzen der Wörter durch die Lektüre entstehen. Und, vergessen sei nicht Goethes Erfahrungsdiktum: ‚Wortbild entzündet‘!
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Der Italiener und Gründervater der neuzeitlichen literarischen Pornographie Pietro Aretino hingegen forderte die Leser im Epilog zu seinen I Modi (Stellungen) direkt auf, die Wirkung der Texte und die Wirkung der pornographischen Bilder zu seinem Werk selbst zu überprüfen und Hand an sich zu legen: „Glaubt Ihr es nicht, faßt die Wahrheit am Schwanz“.88 Im Nachwort zu seiner Aretino-Ausgabe schreibt der Herausgeber Thomas Hettche: Pornographie spielt mit der Imagination, indem sie reale sexuelle Aktivität inszeniert und zugleich einbekennt, daß diese Inszenierungen imaginär sind. Immer gesteht sie, daß die Herrschaft der Fiktion über den Leser, in der sie triumphiert, nicht aus der täuschend echten Abbildung der Wirklichkeit erwächst, sondern aus der Weise, wie Sprache die Einbildungskraft des Lesers erregt. Pornographie, die eben nicht naiv verfährt, reflektiert über Lektüre und die Wirkung künstlerischer Darstellung, die sie zugleich feiert. Der pornographische Text hat so Teil an einem genuin ästhetischen Phänomen und trägt das Konstituenz von Literatur in sich, das er zudem im Wortsinn: verkörpert.89 Ein pornographischer Text erfüllt demnach auf geradezu radikale Weise die kulturell urspünglichste Aufgabe von Literatur, schon Aristoteles sprach von der spezifischen Lust, die Literatur hervorbringe. Und bei Horaz heißt es, Literatur solle Vergnügen bereiten (delectare) wenngleich natürlich pornographische Literatur auf das nicht minder konstitutive, zweite Merkmal verzichtet, nämlich einen Nutzen (prodesse) zu entwickeln. Selbstverständlich ist hier nicht der Ort, die schwierige und keineswegs immer leidenschaftsfrei geführte Diskussion über literarische Pornographie und ihre Bewertung nachzuzeichnen. Vielleicht sollte man in der Tat die Tendenz zu einem entkrampfteren – oder wie es im Untertitel des Buchs Die neue Lust der Frauen von Corinna Rückert heißt: entspannten – Umgang mit diesem Thema befördern.90 Gänzlich unbeeindruckt von den Sittlichkeitsstandards seiner Zeit und ihren religiösen Vorstellungen benennt Pietro Aretino in seinem
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Buch I Modi, das um 1525 entstanden ist, gedruckt und sogleich von der Zensur verfolgt wurde, die Dinge beim Namen. Er appelliert an die Emanzipation der Lust, vertritt, wie viele andere nach ihm, eine freie Republik der Leiber und wird zum ‚Urvater‘ europäischer pornographischer Literatur. Und dennoch spricht Aretino von ‚Liebenden‘, deren sexuelle Stellungsmöglichkeiten er in seinen Sonetten besingen will, illustriert durch entsprechende Kupferstiche.91 Von Liebe, gar von großer Liebe ist bei dieser Art Literatur, also bei pornographischer Literatur, jedoch kaum die Rede. Gleichwohl sind viele Texte über die große Liebe pornographisch insofern, als sie die Körperlichkeit des Begehrens als Liebesversprechen feiern. Die große Liebe erfüllt sich in der großen Lust, davon zeugen alle Liebestexte. Metaphorisch und mythologisch wird dies im Zusammenschluss von Himmel und Erde oder Menschen und Göttern bewältigt, sprichwörtlich ist bis heute vom Himmel auf Erden die Rede. „Liebe du mächtige knüpfst den Olympus, die Erde zusammen“,92 heißt es in einem Xenion (1796) Schillers. Liebe – und ihre sexuelle Erfüllung – wird in der Literatur seit je mit der Vergöttlichung des Menschen in Verbindung gebracht, für den Moment der Lust ist es dem Menschen möglich, erdenentrückt zu sein. Der griechische Dichter Rufin besingt im ersten Jahrhundert n. Chr. seine Geliebte mit den Worten „Halbgott, wer dich küsst, unsterblich, wer mit dir schläft“.93 Schiller hat dies in seiner Hymne Der Triumf der Liebe (1782) in die Worte gefasst: Seelig durch die Liebe Götter – durch die Liebe Menschen Göttern gleich! Liebe macht den Himmel Himmlischer – die Erde Zu dem Himmelreich.94 Und Franz Kafka notierte: „Die sinnliche Liebe täuscht über die himmlische hinweg; allein könnte sie es nicht, aber da sie das Element der himmlischen Liebe unbewußt in sich hat, kann sie es.“95
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Die große Liebe imaginiert das Bild der lustvollen Frau, die als Ergänzung wahrgenommen wird. Große Lust ist kein Substitut der großen Liebe, sondern verhält sich komplementär zu ihr. Die große Liebe drängt auf große Lust und auf deren Erfüllung. Die Literatur über die große Liebe jedenfalls hat keine Berührungsängste vor der Darstellung der großen Lust.
Die Zähmung der Lust. Zur Geschichte eines kulturellen Emblems Aus dem sechsten vorchristlichen Jahrhundert stammt ein Gedicht des griechischen Dichters Anakreon, worin er die sexuell unerfahrene, von ihm begehrte und geliebte Frau mit einem ungestümen thrakischen Füllen vergleicht: Wisse, auf richtige Art könnt ich anlegen dir das Zaumzeug und, die Zügel haltend, dich lenken um den Wendepunkt der Rennbahn.96 Viele Jahrhunderte später singt Oswald von Wolkenstein (ca. 1376– 1445) in einem seiner Lieder: Aristoteles, der große Lehrer, von einem Weibe wurde er übertrumpft; all seine Weisheit half ihm nichts, sie ritt auf ihm nach höfischer Art.97 Bei dem italienischen Renaissancedichter Piccolomini (1405–1464) – auch von ihm wird noch die Rede sein – liest man in seiner Novelle Euryalus und Lucretia über die Frauen: „Läßt man ihnen die Zügel locker, sind sie weniger untreu. [. . .] Oh, das Weib ist ein unbezähmbares Tierchen und mit keinem Zügel zu halten“.98 Der Autor verweist sogar explizit auf das Leben der Dichter und der Philosophen, um die Aus-
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wirkungen einer großen Liebe zu studieren, er erwähnt in diesem Zusammenhang auch die Aristoteles-Phyllis-Legende, die im 15. Jahrhundert bereits längst zu einem kulturellen Geschlechteremblem von Liebe und Leidenschaft und deren Bändigung geworden war. In einem der in der Novelle wiedergegebenen Liebesbriefe beschwört Lucretia das überlieferte Geschlechterbild und ruft dieses Emblem der Zähmung der Leidenschaften auf. Sie schreibt ihrem Geliebten, sie wolle nicht eine zweite Phyllis genannt werden, denn je länger sie liebe, desto mehr begehre und desto leidenschaftlicher liebe sie, wie Mythologie und Geschichte zeigten, würden Frauen ohnehin leidenschaftlicher lieben als Männer.99 Der italienische Humanist Pietro Bembo (1470–1547) schreibt wenig später in seinem viel gelesenen Dialog über die Liebe (1505), da die Liebe „alles erdenklich Gute“ umfasse, müssten die Affekte gezügelt und im Zaum gehalten werden. Bembo bedient sich also dieser tradierten Zivilisationsmetapher in selbstverständlicher Weise, das Begehren nach der Geliebten vergleicht er mit einem „Pferd, das nicht eingeritten ist, Sattel und Zügel nur widerwillig erträgt“.100 Friedrich von Logau gebraucht 1654 in zwei Epigrammen seiner Sinngedichte bei der Thematisierung des Zusammenhangs von Begehren und Disziplinierung des Begehrens die bekannte Reitkunstmetaphorik. Das erste Epigramm trägt den Titel Weiberhaare, das zweite den Titel Begierden: Wie / daß das Frauenvolck so lange Haare führen? Sie sind der Zaum / womit der Mann sie kan regiren. Begierden sind ein hartes Pferd das seinen Reuter reitet Wann nicht Vernunfft sein Maul versteht vnd recht den Zügel leitet. Gleichlautend auch der Titel des folgenden Epigramms: Menschen sind wie Pferde / die zu allen Zeiten / Mit dem schärffsten Sporne die Begierden reiten.101
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Der Barockdichter Hoffmannswaldau preist in seiner Lobrede an das liebwerteste Frauenzimmer (1697) denjenigen, „Der in der Liebsten Schoß mit vollem Zügel rennet, / Der seiner Venus so flößt Liebesbalsam ein“.102 Ernest Bornemann hat in seiner lexikographischen Studie über den obszönen Wortschatz der Deutschen, so der Untertitel, festgehalten, ‚reiten‘ bedeute schlicht ‚koitieren‘.103 Natürlich kann man dies auch poetischer ausdrücken und Heinrich Heines Nachlassgedicht von 1855 auf seine Freundin ‚Mouche‘ sprechen lassen: Doch vielleicht ist dir zuträglich Nimmermehr die Lendenkraft Welche galoppieret täglich Auf dem Roß der Leidenschaft.104 Wie man allerdings zu der Auffassung gelangen kann, dass das Bild vom kriechenden Aristoteles „die vom Christentum geschluckte Homosexualität“105 dokumentiere, bleibt rätselhaft, offenbart sich doch gerade das Gegenteil darin: Aristoteles wird als sexhungriger, verliebter Mann vorgestellt, der sich sogar gerne und aus freien Stücken erniedrigen lässt, um sein Ziel Phyllis zu verführen erreichen zu können. Auch die Vermutung, der gerittene Aristoteles belege die Bedeutung des angeblich im Mittelalter häufig praktizierten Analverkehrs, will nicht recht einleuchten. Diesen Vermutungen und ins Kraut schießenden Thesen stellt die Arbeit von Cornelia Herrmann eine auf Fakten basierende kunsthistorische Analyse entgegen, welche die profanen Darstellungen der Aristoteles-Phyllis-Legende im 14. und 15. Jahrhundert sorgfältig untersucht.106 Die Beispiele ließen sich mehren, allein sie machen eines deutlich: So sehr sie historisch auseinander liegen und teils aus unterschiedlichen Kulturkreisen stammen, so selbstverständlich bedienen sie sich eines gemeinsamen kulturellen Emblems, sie berufen sich auf eine vertraute kulturelle Ikonographie der Disziplinierung von Liebe und Leidenschaft.107 Kultur- und literaturgeschichtlich gesehen ist dieses Emblem ausformuliert in der Aristoteles-Phyllis-Legende.108
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Die unantastbare Autorität, die der griechische Philosoph Aristoteles über viele Jahrhunderte hinweg darstellte, wurde schon im Altertum konterkariert durch diese zunächst mündlich, später schriftlich überlieferte Legende, die zu Beginn des 13. Jahrhunderts nach Deutschland und Frankreich vordrang. Danach warnt der Philosoph seinen Schüler Alexander den Großen vor übermäßig leidenschaftlicher Liebe zur Königin. Diese fühlt sich von Alexander vernachlässigt und als sie entdeckt, dass der Rat des Aristoteles die Ursache hierfür und der Philosoph selbst in sie verliebt ist, verspricht sie ihm, auf sein Begehren einzugehen, wenn er zuvor eine Bedingung erfülle, er müsse sich von ihr, auf allen Vieren kriechend, reiten lassen. In dieser Stellung werden die beiden dann von Alexander überrascht. Dessen Entrüstung kontert der Philosoph mit der Bemerkung, wie sehr der Vorfall bestätige, dass seine Warnung vor der Liebe zu Recht ausgesprochen sei. Die Ikonographie dieser Reitszene wurde schon sehr früh moralisch-patriarchal gedeutet als eindrückliche Warnung vor weiblicher Sexualität. Im christlichen Mittelalter wurde diese Funktionalisierung in der bildenden Kunst noch weiter verstärkt. In Wandgemälden, Glasmalereien und Reliefs von Kirchen und Kathedralen wurde die Szene wiederholt dargestellt. Auch an einem der Türflügel des mittleren Westportals des Straßburger Münsters, die in der Französischen Revolution eingeschmolzen wurden, soll sich eine solche Darstellung befunden haben,109 eine thematische Holzschnitzerei findet sich auch im Chorgestühl des Magdeburger Doms. Die wohl bekannteste mittelalterliche Erzählung ist der Lai d’Aristote (um 1120/1130 entstanden) von Henri d’Andeli. Der Autor stellt die Macht der Liebe erst gar nicht infrage, sondern erklärt, bevor er mit seiner Erzählung zu moralischem Nutzen und Frommen beginnt, „die Liebe ist von so hohem Rang, daß es keinen Widerstand mehr gibt, wenn sie einen Menschen überwältigt“. Und diese Überwältigung betrifft jeden Menschen, unabhängig von Stand und Bildung. Dies wird an den beiden Protagonisten, Aristoteles als Vertreter des Wissens und Alexander als Inbegriff abendländischer Machtfülle, exemplifiziert. Da der König seine höfischen Pflichten vernachlässigt und stattdessen nur Augen und Ohren für seine Geliebte hat, wirft Aristoteles
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ihm „Gehirnerweichung“ vor und rät, sich auf die Amtsgeschäfte zu konzentrieren.110 Dieser Form der Entsagung gegenüber bringt die Geliebte, die in der Erzählung übrigens keinen Namen trägt, wenig Verständnis auf, sie sinnt auf Rache und beabsichtigt ihn in eine Lage zu manövrieren, in der er weder von Dialektik noch von Grammatik Rettung zu erwarten hat.111 Der König wird in das Manöver eingeweiht, er soll als versteckter Zuschauer fungieren. Leicht bekleidet hält sich die Dame, wie sie im Text genannt wird, am nächsten Morgen früh vor des Aristoteles Fenster auf. Bei ihrem Anblick wird eine „Erinnerung“ in ihm geweckt – da der Text sehr dezent bleibt, was dem Stilmerkmal dieser Textsorte entspricht, kann man nur mutmaßen, dass es sich um das Erinnerungsbild einer Frau handelt. Jedenfalls gerät Aristoteles außer sich, verliert die Fassung und verliebt sich Hals über Kopf in die Geliebte des Königs. Seine Worte drücken deutlich aus, was er will, „kommen Sie hier herein und befriedigen Sie mit ihrem schönen, makellosen Leib mein Verlangen“. Nun überträgt der Erzähler die ursprünglich in der Mythologie dem Liebesgott Amor zugeschriebene Funktion der schicksalhaften Liebe auf die Frau selbst: „Sie wußte ganz genau, wie sie ihm einheizen und ihn in ihren Bann schlagen mußte; sie wollte einen Pfeil auf ihn abschießen, der raffiniert gefiedert (und deshalb sehr treffsicher) wäre.“112 Diese List besteht darin, Aristoteles die Erfüllung seines Verlangens in Aussicht zu stellen, wenn er zuvor bereit wäre, sie auf ihm reiten zu lassen. Der Philosoph willigt ein, wird wie ein Zelter gesattelt und kriecht auf allen Vieren durch den Garten, während die Dame auf ihm sitzt. König Alexander hat die Szene beobachtet und stellt nun Aristoteles zur Rede, der um eine Rechtfertigung nicht verlegen ist. Er habe demonstrieren wollen, welche Macht die Liebe über einen Menschen habe, wenn sich schon ein alter Mann zum Narren machen lasse, um wie viel anfälliger müsse dann ein junger Mensch wie der König sein. Nach dieser Morallehre lässt der Philosoph zukünftig den verliebten König in Ruhe und rät nicht mehr zur Entsagung. Der Autor nun kommentiert die ungewöhnliche Wendung in der Erzählung mit den Worten: „Daraus schließe ich, daß der Magister [= Aristoteles] an seiner Verfehlung keine Schuld trägt, denn sie war nicht
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durch Wissen, das er erworben hatte, sondern durch die wahre, aufrichtige Natur veranlaßt“.113 Am Ende seiner Erzählung wird er sogar noch deutlicher, man solle liebende Frauen und Männer nicht tadeln, denn die Liebe habe Macht über alle Menschen und sich ihr zu entziehen sei unmöglich. Dass die Geschichte nebenbei noch eine pikante andere Botschaft enthält, ist für die Zeitgenossen unbedeutend, immerhin belegt d’Andelis Erzählung, dass auch ein so großer, belesener Philosoph wie Aristoteles sich einmal getäuscht und sogar einen falschen Rat erteilt hat. Ursprünglich stammte das Erzählmotiv des gerittenen Liebhabers aus dem Orient – der älteste Beleg datiert auf das Jahr 516 n. Chr. –, gelangte im Mittelalter nach Europa und ist bis heute in einem mündlich überlieferten deutschen Schwank erhalten.114 Im 12. und 13. Jahrhundert taucht die Erzählung in französischen und deutschen Predigtmärchen und Dichtungen erstmals auf, im 15. und 16. Jahrhundert ist sie in Fastnachtsspielen weit verbreitet, unter anderem schreibt auch Hans Sachs ein Aristoteles-Phyllis-Gedicht.115 Noch populärer ist das Motiv des von einer Frau gerittenen Philosophen allerdings in der bildenden Kunst geworden. Eine Vielzahl von Holzschnitten, Zeichnungen und Kupferstichen folgte im 15. und 16. Jahrhundert, darunter der bekannte Holzschnitt von Hans Baldung Grien aus dem Jahr 1513, worauf Phyllis und Aristoteles nackt zu sehen sind, die ansonsten, wenngleich spärlich, bekleidet dargestellt wurden. Die Behauptung, das Motiv sei zum letzten Mal 1618 nachweisbar in einer Arbeit des Niederländers Paulus Moreelse, ist falsch.116 Das Internet stellt einen Großteil der modernen und zeitgenössischen Aristoteles-Phyllis-Abbildungen heutzutage ohne Schwierigkeiten vor, diese reichen vom mittelalterlichen Wandteppich bis zum modernen Acrylbild. Kunsthistorisch am bedeutsamsten ist sicherlich der Holzschnitt von Grien:
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Abb. 2: Hans Baldung Grien (1484/85–1545): Aristoteles und Phyllis (Holzschnitt 1514)
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Im Jahr 1688 schreibt einer der Väter der Aufklärung, Christian Thomasius, einen Aristoteles-Roman. Man kann davon ausgehen, dass dieser Text durchaus den Zeitgeschmack des Lesepublikums traf. Thomasius kündigt seinen kleinen Roman schon unter den vielversprechenden Titeln Von des Aristotelis seinen Courtesien und Die Liebes-Geschichte des Aristotelis an.117 Die Geschichte entwickelt sich aus einem Gespräch mit langen Erzähleinlagen zwischen den Brüdern Cyllenio und Cardenio. In erster Linie schrieb Thomasius damit eine Satire auf die Leipziger Universitätsverhältnisse, doch variiert er originell die Aristoteles-PhyllisLegende und enthebt sie jeglicher moralischer Belehrung. Nicht die Frau von Alexander, dem Schüler des Aristoteles, sondern Olympias, die Mutter Alexanders, wird bei Thomasius zum Ziel der Leidenschaft des Philosophen. Obwohl Aristoteles während seiner Studienzeit bei Platon „alles verfressen / verhurt und verspielt hatte“, wird er an den Hof des mazedonischen Königs Philipp berufen. Als Prinzenerzieher macht der Philosoph schnell Karriere, da er die Gelegenheit zu einer Liebesintrige erkannt hat. „Olympias des Alexandri Frau Mutter ware eine junge hitzige Dame“, die eine „brünstige Liebe“ zu Aristoteles entwickelt.118 Mit der Geschichte einer gleichzeitig inszenierten Gegenintrige bei Hof hat Thomasius die erzählerischen Voraussetzungen geschaffen, die Hauptfigur dem größtmöglichen Spott auszuliefern. In Abwandlung der Legende reitet nicht die Frau als Inbegriff der Gefahr sexueller Verführung auf dem Philosophen, sondern dieser ist es selbst, der die Herrschaft der begehrten Frau und die Erniedrigung durch sie über sich erfleht: Grosse Königin / schrie hier Aristoteles, sich zu der Olympias Füssen werffende / eure Majestät lassen mir zu / daß ich für diese überschwengliche Gnade derselben den Absatz küsse / weil ich mich all zu unwürdig erkenne / diese mir bezeigete Gewogenheit zu verdienen / auch Lebenslang euer Majestät unterthänigster Sclave und Ehrendiener sterben werde.119 Die Verführungsszene flicht Thomasius in ein öffentliches Philosophieexamen Prinz Alexanders ein. Die versammelten Philosophen des Kö-
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nigreichs sitzen an einer langen Tafel und führen „herrliche Discurse“. Die höfischen Verhaltensstandards in der Öffentlichkeit über dem Tisch erzwingen von Olympias, die neben Aristoteles Platz genommen hat, eine Haltung, die der intim kodierten Situation unter dem Tisch nicht entspricht, „zumahlen Aristoteles beym Trunck anfieng untern Tische mit den Knien zu löffeln; und erwartete sie mit Verlangen [. . .]“. Die Verführung gerät Aristoteles zum Desaster. Olympias kann sich „unmüglich des Lachens enthalten / weil sie den geringsten Appetit nicht bey sich befunde / des Aristotel. Mund zu küssen / indem sie wohl wuste / daß er das Maul gar selten auszuspühlen pflegte / und sein Athem nicht viel anders roche / als wenn er Arsenicum gefressen hätte“.120 Nun sind dies weit mehr als nur literar- oder kulturhistorische Kuriosa, denn es geht nicht um den Stellenwert der aristotelischen Schulphilosophie schlechthin, sondern allein um die Autorität der aristotelischen Poetik, die im 17. und 18. Jahrhundert einen Leitdiskurs darstellt, der das Selbstverständnis der Schreibenden ebenso bestimmt wie er es formuliert. Erst Mitte des 18. Jahrhunderts kommt es zu einer radikalen Infragestellung dieser Dominanz, als über die Bedeutung der Leidenschaften und ihrer literarischen und kulturellen Funktion neu nachgedacht wird. Dass es bei der Destruktion von philosophischer und poetologischer Autorität des Aristoteles teils auch zu gravierenden, aber um nichts weniger produktiven Missverständnissen gekommen ist, zeigt das Beispiel der Anmerkungen übers Theater von Lenz. Dieser spricht darin von der aristotelischen Poetik als einer „poetischen Reitkunst“.121 Der junge Dichter des Sturm und Drang lehnt nicht nur jeglichen Autoritätsanspruch der Poetik ab, sondern er greift im Bild von der Poetik als einer poetischen Reitkunst das Motiv der AristotelesPhyllis-Legende wieder auf. Die Destruktion der Lehrautorität des Philosophen deckt sich also völlig mit der zielgenau von Lenz vorgetragenen Destruktion des ältesten poetologischen Textes der abendländischen Kulturgeschichte. Lenz verbindet in dieser Formulierung das kulturelle Emblem der Bändigung der Leidenschaften mit der Funktionsbestimmung von Literatur. Aristoteles hatte ja immerhin im sechsten Kapitel seiner Poetik die Behauptung formuliert, Literatur erzeuge Leidenschaften und helfe zugleich sie sozialverträglich zu kanalisieren (Katharsis).
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Im Laufe des 18. Jahrhunderts, dem Jahrhundert der Aufklärung, kommt es mehr und mehr zur Deckung zwischen den Motiven der Aristoteles-Phyllis-Legende und der Diskussion über das Katharsisproblem, wie also auf rechte Weise mit einer Leidenschaft wie beispielsweise der Liebe umgegangen werden soll. Wer nun über die Liebe spricht, spricht zugleich über deren Bändigung und die Rolle der Literatur, die diese dabei spielt. Am Beispiel von Schillers fiktionalem und ästhetischem Werk lässt sich sehr gut ablesen, wie er selbst als Autor in diese Umbruchphase gerät und sie operativ entscheidend mitbestimmt. Anfangs präsentiert sich Schiller als junger Autor noch in der rebellischen Geste des Autoritätenschrecks. Man denke etwa an die Vorrede zur ersten Auflage der Räuber (1781), worin er sich noch gegen ‚die allzu engen Palisaden des Aristoteles‘ verwahrt hatte. Damit ist neben der Kritik an der vermeintlich aristotelischen Lehre von den drei dramentheoretischen Einheiten von Ort, Zeit und Handlung auch die Katharsis gemeint. Lady Milford, die libertin Liebende aus Schillers Stück Kabale und Liebe, vertritt ein patriarchal anverwandeltes Programm von weiblicher Liebesidentität. „Es ist verdrüßlich, ein Roß zu reiten, das nicht auch in den Zügel beißt“. Milford evoziert damit ein kultur- und kunstgeschichtliches Bild, das treffender kaum die sozial kodierte Mann-Frau-Beziehung des 18. Jahrhunderts beschreibt. ‚Etwas am Zügel führen‘ heißt, ein Affektmodell zu entwickeln, das die Zähmung der Leidenschaften erlaubt. Schiller bedient sich hier jenes kulturgeschichtlichen Bilds der Aristoteles-Phyllis-Legende. Später sagt Lady Milford über ihren Geliebten, den Herzog, dann: „Ich nahm dem Tyrannen den Zügel ab, der wollüstig in meiner Umarmung erschlappte“, und beschreibt damit ein Programm der Triebabfuhr zugunsten der Reduktion repressiver Energien. Sie definiert die Geschlechterdifferenz folgendermaßen: „Wir Frauen können nur zwischen Herrschen und Dienen wählen – [. . .]“ und als größte Wonne definiert sie, „Sklavinnen eines Manns zu sein, den wir lieben“.122 Der Textverlauf macht deutlich, dass auch dieses Liebesmodell defizitär bleibt und scheitert, Milford entsagt und flieht, während die bürgerliche Louise Miller von ihrer großen Liebe Ferdinand umgebracht wird. Selbst im Tod bildet sich die Geschlechterordnung in der sozialen Differenz ab.
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Das Gedicht Freigeisterei der Leidenschaft (1786) thematisiert schon im Titel die Schwierigkeiten einer Selbstbändigung der Leidenschaften. Den ‚Flammentrieb‘ des Herzens zu ‚dämpfen‘, der Liebe also entgegenzuwirken, wird als schlichte Unmöglichkeit für die Liebenden erkannt. Der Schwur, sich selbst bändigen zu wollen, ist nicht einzuhalten. Das männliche lyrische Ich ist gleichsam jenes zivilisatorische Ich, das zum Leidenschaftsverzicht gezwungen wird und sich mit dem Vorsatz zur Selbstdisziplinierung überfordert. Schiller ist nach dem Beginn seines Studiums der Philosophie Immanuel Kants im Jahr 1791 auf dem Weg ein Modell zu entwickeln, das die Freiheit des Menschen von Leidenschaften zum Ziel hat. In den Briefen über die ästhetische Erziehung des Menschen (1795) wird dies bereits programmatisch eingefordert. In seiner Kritik an Bürgers Gedichten fordert Schiller, der Dichter müsse das Leidenschaftsbedürfnis der Leser nicht bedienen, sondern für seine Aufgabe einer Reinigung der Leidenschaften nutzen. Eine Übermacht der Leidenschaft könne nur durch das in der Dichtung dargestellte „Idealschöne“123 aufgehoben werden. Das Ziel ist, Kunst und Literatur zu Wegbereitern einer wahrhaft aufgeklärten menschlichen Gesellschaft zu machen, die frei von Leidenschaften ist. Schiller mutmaßt eine „ästhetische Tendenz“ in der Natur des Menschen, die „durch Läuterung seiner Gefühle zu diesem idealistischen Schwung des Gemüts kultiviert werden kann“,124 wie es in seinem Aufsatz Über das Erhabene (1801) heißt. Die Katharsis fungiert jetzt als Katalysator einer idealistischen Kultivierung – die Leidenschaft der Liebe bleibt auf der Strecke. In seiner Metaphysik der Sitten (1797) hatte Schillers großes philosophisches Vorbild Kant eine klare Definition des nunmehr an den philosophischen Diskurs delegierten zivilisatorischen Erfordernisses gegeben. Über sich selbst Herr zu sein bedeute, „seine Affekten zu zähmen und seine Leidenschaften zu beherrschen“. Die Disziplinierung ist jetzt in Herrschaft übergegangen, das Bild der poetischen Reitkunst ist nun eine allgemeine zivilisatorische Chiffre. Leidenschaft resultiere aus sinnlicher Begierde, die zur „bleibenden Neigung“ geworden sei. Der tugendhafte Mensch müsse, um tugendhaft zu sein, seiner Vernunft die „Zügel der Regierung“ über Affekte und Leidenschaften übergeben. Die Herrschaft der Vernunft über Affekte zu verlieren, sei gleichbedeutend
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mit einer „Krankheit des Gemüts“.125 Schwindsucht, Abzehrung, Verkrüppelung, Hinterlistigkeit und Wahnsinn seien die Folgen.126 Im Abschnitt Von den Leidenschaften findet sich dann jene oft zitierte Pathologisierung der Leidenschaften. Im § 78 heißt es: „Leidenschaften sind Krebsschäden für die reine praktische Vernunft und mehrenteils unheilbar“. Reine Vernunftwesen – also alle nicht Liebenden – und Tiere seien frei von Leidenschaften, doch derjenige Mensch, der die Herrschaft über sich selbst verliere, finde seine „Lust und Befriedigung am Sklavensinn“. Kant malt dieses Bild drastisch aus, die Leidenschaften seien Ketten, unter denen der Unglückliche seufze und die „gleichsam schon mit seinen Gliedmaßen verwachsen sind“. Kant ist sich sicher: „Leidenschaft [. . .] wünscht sich kein Mensch. Denn wer will sich in Ketten legen lassen, wenn er frei sein kann?“127 Besser lässt sich das Bild einer erfolgreichen Selbstbändigung kaum beschreiben. Mit der Liebe kann der Königsberger Philosoph Kant nicht viel mehr anfangen, als sie zu einer Ziffer im Zählwerk seiner Argumente zu machen. Liebe, schreibt er im Ende aller Dinge (1794), ist die „freie Aufnahme des Willens eines andern unter seine Maximen“.128 Nein, schreit Novalis dem entgegen, das darf nicht sein! „Die Liebe ist der Endzweck der Weltgeschichte – das Amen des Universums“.129 Die frühaufklärerische Erkenntnis, dass manche Leidenschaften nicht auszurotten seien, ist bei Kant einem radikalen Auslöschungsgebot gewichen. Thomas Hobbes formulierte im Leviathan (1651) vorsichtig folgende Prognose: „Die Begierden und anderen menschlichen Leidenschaften sind an sich keine Sünde. Die aus den Leidenschaften entspringenden Handlungen sind es ebenfalls so lange nicht, bis die Menschen ein Gesetz kennen, das sie verbietet“.130 Bei Kant findet die Prognose ihre philosophischen Argumente. Dem Hobbes’schen Verbot folgt die kantische Tilgung. Am Ende der Aufklärung hat Kant die durch den Zivilisationsprozess geforderte Affektkontrolle nochmals beschrieben und die Tilgung der Leidenschaften in das pädagogische Programm einer zivilisatorischen Erziehung eingeschrieben. In seiner Schrift Über Pädagogik aus dem Jahr 1803 nennt er vier wesentliche Elemente der familialen und gesellschaftlichen Erziehung: Disziplinierung, Kultivierung, Zivili-
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sierung und Moralisierung. Disziplinierung bedeutet, „suchen zu verhüten, daß die Tierheit nicht der Menschheit, in dem einzelnen sowohl, als gesellschaftlichen Menschen, zum Schaden gereiche. Disziplin ist also bloß Bezähmung der Wildheit“.131 Disziplin ist jene zivilisatorische Gelenkstelle, wo sich die Tierheit in die Menschheit umwandelt.132 Die Disziplin unterwirft die Menschen den Gesetzen der Gesellschaft, und damit ist auch das Gesetz der Tilgung von Leidenschaften Teil dieses Disziplinierungsprogramms. Kant spricht ausdrücklich davon, dass die Kultivierung auch eine ‚Kultur der Seele‘ umfasse und insofern nicht nur auf die Vermittlung zivilisatorischer Standards und Fertigkeiten wie etwa Lesen, Schreiben oder Rechnen ziele. Die Zivilisierung zielt auf die ausgeprägte Selbstkontrolle zum Nutzen des Gemeinwohls. Durch die Moralisierung werden der Tugendkanon der bürgerlichen Gesellschaft, die Kriterien für moralisch verantwortliches Handeln, Leistungsgebote und verbindliche gesellschaftliche Normen vermittelt und damit auch die Liebesstandards. Welche Auswirkungen das Konzept eines idealistischen Triebverzichts, wie es bei Schiller und Kant vorgestellt wird, haben kann, wird an einem Liebesratgeber der Zeit deutlich. Friedrich von Ehrenberg schreibt 1806 in seinem populären Buch über die Leidenschaft der Liebe, sie solle so weit veredelt werden, dass sie jeglicher Sinnlichkeit entkleidet ist: „[. . .] sich von der Herrschaft der Sinnlichkeit zu einem großen und reinen Sinne zu erheben: das ist die Aufgabe der Veredlung an den Menschen“. Und wenig später heißt es: „Der Mensch soll in seiner Befriedigung nicht den thierischen Kitzel, nicht die Gluth der Leidenschaft, sondern das Wohlgefallen der Harmonie, die Wonne des Einseyns genießen. Er soll sich immer mehr reinigen von dem Bedürfnisse gemeiner Lust“.133 Die Befreiung von Leidenschaft, die ureigenste Funktion von Literatur, wie Aristoteles sie beschrieben hatte, spielt nun keine Rolle mehr. Stattdessen wird ein radikaler Triebverzicht als idealistische Version der Katharsis propagiert. Die Literatur hat die Katharsis als Funktion des Zivilisationsprozesses endgültig verloren. Das bedeutet für die Liebe letztlich, die Liebenden können nicht mehr aus der Literatur lernen, was Liebe ist und wie sie funktioniert, sondern nur noch, was sie
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nicht sein darf und wie sie zu bändigen ist. Indirekt, wenngleich aus der gegenteiligen Ansicht heraus, bestätigt dies auch eine Autorin wie Louise Brachmann. Sie schreibt in ihrem Gedicht Antigone (1834): „Edelste, zarteste Liebe, die jeder Leidenschaft fremd ist“.134 Dies ist schon ein Platonisierungsprodukt, das sich das Unbezähmbare der großen Liebe bereits zivilisatorisch diszipliniert anverwandelt hat. Doch die Geschichte der großen Liebe, die Geschichte von Emanzipation und Repression der Leidenschaft geht weiter, Liebe nimmt keine Rücksicht auf die Moralgebote von Philosophen und Theologen. Einen Höhepunkt der trivialen Adaption des Aristoteles-Phyllis-Themas in der Literatur stellt sicherlich die unfreiwillig parodistische Ballade Aristoteles und Phyllis (1893) von Rudolf Baumbach dar. Als Beispiel dieser Form literarischer Aneignung mit der geringen Abänderung, dass Aristoteles nun von der Magd der Königin geritten wird, mögen einige Zeilen genügen. Über den liebeshungrigen Philosophen heißt es: Der Meister sich im Anfang wehrte, Als ihn die Magd zum Roß begehrte, Allein die vielgewalt’ge Minne Hielt ihm umnebelt alle Sinne. Er thät sich willig niederbücken Und nahm den Sattel auf den Rücken. Drauf band die Magd von ihrem Kleide Ein Gürtelein von rother Seide Und gab’s als Zaum ihm in den Mund, Daß sie daran ihn leiten kunnt, Schwang in den Sattel sich behende Und spornte ihres Thieres Lende Und lenkte mit dem Gürtelband Ihr Rößlein in das Gartenland. [. . .] Die Königin beobachtet diese Szene und ruft entrüstet aus: „[. . .] ‚Alle guten Geister! / Die Phyllis reitet auf dem Meister‘“.135
4 „Liebe voll Lust“. Der Wille zum Bekenntnis Das Hohelied – Piccolomini: Euryalus und Lucretia Das Hohelied Der Aufklärungsphilosoph, Theologe und Literat Johann Gottfried Herder veröffentlichte 1778 einen Kommentar zum Hohelied unter dem Titel Lieder der Liebe. Vor dem Hintergrund der teils heftig geführten Kontroversen um eine ‚richtige‘ Deutung dieser biblischen Schrift wehrt Herder gleich zu Beginn alle falschen Erwartungen ab: „Mein Zweck ist nicht, einen Kommentar über dies Buch der Liebe zu schütten, mit allen meinen Vorgängern zu fechten und auf ihren Schultern groß zu werden.“ Und dennoch beginnt mit Herders Interpretation eine neue Auslegungsgeschichte, die freilich mehr Aufmerksamkeit in der Theologie als in der Literaturwissenschaft erfahren hat. Herders Lieder der Liebe gehören wohl zu den unbekanntesten Zeugnissen der Literaturgeschichte – welch eine Diskrepanz zu ihrer theologiegeschichtlichen Bedeutung! „Was ist nun sein Inhalt? was sagt das Buch von Anfang bis zum Ende?“, fragt der Autor. Herders Antwort lapidar: „Liebe, Liebe“; er betont ausdrücklich, dass im Buch der Liebe auch tatsächlich von Liebe „gesungen werde, nicht blutige Erobrung, nicht Policeiwesen, noch Buße und Bekehrung“ seien die Themen. Das ist eine klare Absage an die bisherigen Kommentare, die größtenteils die Wörtlichkeit der Liebe – Herder nennt es ein „Lied der Liebe“ – im Text und sein erotisches Potenzial übergingen. Liebe erfordert einen anderen diskur-
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siven Umgang. Der Autor weiß, „Liebe erläutern, ist schon ein unglücklich Ding; wer sie nicht von selbst fühlt, ist ihres Genußes nicht fähig oder nicht werth“.1 An diesem Punkt soll Herders Wort in Anspruch genommen werden, als es hier nicht darum gehen kann, einen neuen Kommentar zum Hohelied zu schreiben, sondern diesen Text als frühes kulturgeschichtliches literarisches Zeugnis einer großen Liebe in Erinnerung zu rufen und zu würdigen.2 Das Hohelied stammt aus dem dritten Jahrhundert v. Chr. und ist nach übereinstimmender Auffassung eine redaktionell bearbeitete Sammlung von Gedichten und Fragmenten verschiedener Kunstlieder, teils auch im Volksliedton. Sprachgeschichtlich gesehen finden sich altiranische, malaiische, altindische und aramäische Entlehnungen oder Fremdwörter. Gattungsgeschichtlich (Beschreibungslied, Rollengedicht, Türklage, Traumschilderung) referiert das Hohelied auf ägyptische, arabische, hellenistische und römische Vorbilder. Es enthält keine eindeutig verifizierbare innere Struktur. Das Hohelied ist kein homogener biblischer Text, sondern wird heute als eine Sammlung verschiedener Liebesgedichte verstanden mit möglicherweise unterschiedlichen Verfassern. Die Auslegungsgeschichte des Hohelieds unterscheidet von Beginn an ein buchstäbliches Verständnis von einer allegorischen Deutung des Textes. In der jüdischen Tradition markiert die Braut im Text das Volk Israel, der Bräutigam hingegen Gott. In der christlichen Interpretationsgeschichte vertritt die Braut die Stelle der Kirche Jesu, der Text allegorisiert das Verhältnis Christi zur Gemeinde oder der einzelnen Seele zu Christus. Allegorisch drücken die Liebeslieder die Liebe zu Gott und Gottes Liebe zu den Menschen aus. Für eine kleine Literaturgeschichte der großen Liebe ist allein entscheidend, welches Potenzial einer Liebessemantik der Text offenbart und menschheitsgeschichtlich zu einem solch frühen Zeitpunkt der kulturellen Entwicklung dokumentiert. Dabei ist die Frage, ob die Texte Rückschlüsse auf das Geschlecht ihrer Verfasser zulassen oder ob sie schlicht als klassisches Beispiel von Rollengedichten betrachtet werden müssen, für unseren Zusammenhang unerheblich.
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Herder bekundet seine grundsätzliche Skepsis gegenüber Textdeutungen, obgleich er als studierter und praktizierender Theologe natürlich weiß, dass alles Sagen stets ein Aussagen ist und es im hermeneutischen Verständnis den einen wahren Textsinn nicht geben kann. Einer überbordenden Deutbarkeit von Texten hält er entgegen, man würde die Dichter „mit Auslegungen salben und in ihr schönes weites Zelt Sachen hineintragen, an die sie wahrlich nicht dachten“. Nebenbei, der Vergleich des Dichters mit einer nomadischen Existenz ist ein unverschämt modernes Bild und lässt die Sprachkraft und Aktualität Herders ahnen. Herder muss zeitgenössisch eine Deutung, die auf den erotischen Leibdiskurs der Gedichte des Hohelieds Rücksicht nimmt, gegen eine reduktionistische Lesart verteidigen, in der Erotik und Sexualität durch eine repressive Allegorese getilgt sind. Herder wirft diesen Interpreten darum vor, sie seien „Pedanten und Wortkrämer, die uns am Hohenliede nur Hebräisch lehren und Anakreontisch singen lehren wollten“.3 Am Anfang des Hohelieds steht die Aufforderung zum Küssen, „Küssen soll er mich / mit Küssen seines Mundes“. Es ist die Geliebte, die spricht und die ein imperatives „Ja!“ äußert, die wohl kürzeste sprachliche Liebeserklärung. Die Liebe zwischen ihr und ihrem Geliebten ist unmissverständlich eine große Liebe, denn sie wird in Vergleichen beschrieben, die eine stetige Steigerung ihrer Intensität und Qualität beinhalten. Besser als der beste, königliche Wein sei diese Liebe, der Geliebte selbst rieche verführerisch. Sogar sein Name wirkt liebessteigernd. Es geht in diesen Anfangsversen also um eine ganzheitliche große Liebe, die alle Sinneswahrnehmungen gleichermaßen umfasst. Diese Liebe stellt ein weiteres Merkmal, wie übrigens nur wenige Texte, einer großen Liebe erkennbar heraus, die Unbeschwertheit. Die Geliebte fordert nämlich den Geliebten auf: „Reiß mich hinter dich / dann rennen wir!“4 Aus Sicht der Frau steht der geliebte Mann vor ihr, streckt ihr die Hand aus und reißt sie förmlich zu sich heran, um mit ihr gemeinsam loszurennen. Das nächste Bild beschwört bereits die Ankunft in einem Haus, der symbolische Ort des Liebesvollzugs. Auch das zweite Gedicht ist aus der Sicht einer Frau geschrieben, allerdings kontrastiert es das erste Gedicht. Sie ist sonnengebräunt
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(„mich, die die Sonne getroffen hat“5) und ist sich ihrer Schönheit durchaus bewusst. Ihre Verse beinhalten allerdings eine Klage, denn sie hat die ihr gestellte Aufgabe nicht gelöst, sie hat ihren Weinberg nicht gehütet. Weg von der Buchstäblichkeit der Verse bedeutet dies auf einer symbolischen erotischen Ebene des Textes, die geliebte Frau hat ihre Jungfräulichkeit verloren, sie hat ihre Liebe – gegen das familiäre Gebot – körperlich vollzogen. Das Bild des Weinbergs und der reifen Weintrauben als erotisches Symbol der Liebe hat sich bis in die Literatur der Moderne erhalten; bei Ingeborg Bachmann etwa findet sich noch eine Spur in ihrem Gedicht Erklär mir, Liebe (1956): „Wasser weiß zu reden, / die Welle nimmt die Welle an der Hand, / im Weinberg schwillt die Traube, springt und fällt.“6 Auch die Sprecherin des dritten Gedichts begreift nicht, weshalb ihre Liebe verborgen bleiben sollte. Sie fragt den Geliebten, wo er sich tagsüber aufhalte, und die weiteren Verse zeigen, dass sie von ihrem Geliebten versteckt wird: „Warum bin ich wie eine / die sich verbergen muss / bei den Herden deiner Freunde?“ Dann ergreift der Geliebte im vierten Gedicht das Wort. Er assoziiert seine Geliebte als eine „Stute“ und variiert damit das zivilisatorische Bild der gebändigten weiblichen Lust. Denn diese Stute, so stellt es sich der Geliebte vor, sei vor einen pharaonischen Kriegswagen gespannt. Die Ketten und Schnüre des Pferdegeschirrs werden als reizvoll empfunden. Sobald der Pharao ruht, sollen Gold und Silber einfache Ketten und Schnüre ersetzen. Dann erfolgt ein urplötzlicher Perspektivenwechsel, und die Geliebte empfindet den Moment des Glücks, wenn der Geliebte ihr körperlich nahe ist, als ein Moment des Liebesbesitzes: „Mein ist dann mein Liebster [. . .] ruhend zwischen meinen Brüsten“.7 Ein Wechselgesang zwischen Geliebtem und Geliebter eröffnet sich nun. Der Mann preist die Schönheit der geliebten Frau, die Frau rühmt die Schönheit des geliebten Manns und bezieht in ihren Liebeshymnus wieder das Bett als den Ort des Liebesvollzugs mit ein. Es geht Schlag auf Schlag mit den Liebespreisungen, ein regelrechter Wettbewerb um die gesteigerte Liebesbeschreibung beginnt. Diese Verse sind mehr als nur ein Frage- und Antwort-Spiel, mehr als Lied und Gegenlied. Die Frau vergleicht sich mit einer Lilie und einer Rose, der Mann bestätigt
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dies Urteil. Er selbst wird von der Geliebten mit einem Apfelbaum im Wald verglichen, ein eindrucksvolles Bild. Denn zum einen ist der Apfelbaum als Baum der Erkenntnis ja das Baumsymbol des Paradieses, wonach Eva Adam einen Apfel zu essen gab und der Mann daraufhin beider Nacktheit erkannte. So wurde religionsmythologisch die Entstehung des Schamgefühls erklärt. Herder nimmt in seinem Hohelied-Kommentar diese Ängstlichkeit des Menschen vor der Beschreibung des Sexes in der Literatur aufs Korn: „Ich bin gewiß, daß sich an dem ‚Adam erkannte sein Weib‘ noch kein unschuldiger Knabe gestoßen hat, aber wohl an dem unkeuschen Verhüllen, an dem Moralischen Kopfschütteln mit Ach und Aber.“8 Zum anderen fällt ein einzelner Apfelbaum unter Waldbäumen sofort auf, er sticht hervor, schon in der Blüte entfaltet er seine Pracht und seine Früchte sind lieblich und süß. Doch das Bild enthält noch eine weitere Variante. Wenn der Geliebte mit einem Fruchtbaum im Wald verglichen wird, dann unterstreicht dies nicht nur seine Einzigartigkeit, sondern betont auch, dass der Geliebte eine natürliche Pracht und Schönheit besitzt. Denn es ist ein wilder Apfelbaum, der nicht gepflanzt wurde, der nicht kontrolliert, beschnitten, gehegt, letztlich also nicht zivilisatorisch gebändigt wurde. Die Geliebte erweitert nun dieses Bild, sie spricht von ihrem sexuellen Begehren, das sie unter dem Schutz dieses Baumes empfindet: „In seinem Schatten begehre ich / leg ich mich nieder / seine Frucht / ist meinem Gaumen süß“. Diese Liebe ist auch durch ein tiefes Vertrauen, neben dem Begehren auch durch eine unaufdringliche Zärtlichkeit gekennzeichnet. So sehr die große Liebe also die Leidenschaft beschwört, so genau will sie Vertrauen, Geborgenheit und Stille. „Krank vor Liebe“ sei sie, bekennt die Geliebte und beschreibt, wie der Geliebte sie umarmt, er liegt auf der rechten Seite neben ihr.9 Diese Detailgenauigkeit in der Liebesbeschreibung dieser Verse – der großen Liebe geht es eben auch um die Details – verbürgt ihre Echtheit, hier beschreibt jemand eine große Liebe, der diese Liebe erfahren hat. Der körperliche Kontakt, der um den Leib geschlungene Arm des Geliebten sind wesentlicher Bestandteil dieser vertrauensvollen Liebessituation. Eine Liebe ohne Leiblichkeit ist nach dem Ermes-
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sen dieser Verse unvorstellbar. Und die Geliebte steigert nochmals den Liebeshymnus, sie mahnt nämlich ihre Umwelt Rücksicht zu nehmen auf diese Liebe: „Weckt die Liebe nicht / und stört sie nicht auf / bis es ihr gefällt.“ Nun wird der stimmliche Eindruck von Geliebtem und Geliebter gepriesen, und mehrmals erfolgt die Aufforderung aufzustehen und zu gehen. Dieser Moment des Aufbruchs, der sich in der Natur als beginnender Frühling darstellt und in der Liebe dem Reifen der Liebespartner gilt („Die Feige / hat Farbe bekommen / und blühende Reben duften“), wird mit der imperativischen Wiederholung ‚Steh auf und geh!‘ verknüpft. Man kann darin durchaus auch eine zunehmende Sexualisierung dieser Lieder erkennen, das Begehren wird nicht versteckt, sondern offen benannt. Auffällig dabei ist, dass der Geliebten nicht ein ‚Komm!‘, sondern ein ‚Geh!‘ zugerufen wird. Das verstärkt den Eindruck, dass beide bereits das Liebeslager teilen und der Geliebte aus dieser Perspektive spricht. Das ‚Geh!‘ bedeutet eine Aufforderung zum Aufbruch, denn vom Ende des Gedichts her gelesen ist es der Geliebte, der auf seine große Liebe wieder sehnsuchtsvoll wartet: „lass mich dein Erscheinen sehen / [. . .] Deine Stimme tut wohl / dein Erscheinen ist wunderbar“, ruft er ihr zu. Die stärkste Form der Intimisierung, der Besitzanspruch auf die gegenseitige Liebe, schließt diese Verse ab: „Mein Geliebter gehört mir / und ich ihm!“10 Wieder wechselt das lyrische Ich, nun beschreibt die Frau ihre Sehnsucht nach dem geliebten Mann, den sie in ihrem Bett vermisst, dessen Abwesenheit sie umtreibt, sie hinausgehen lässt in die Straßen und auf die Plätze, um ihn zu suchen, ihn, „den ich wie mein Leben liebe“. Doch alle Suche bleibt vergeblich, auch von dieser Erfahrung der nicht erfüllten Sehnsucht sprechen diese Gedichte der großen Liebe. Lange hält der Zustand der Ruhelosigkeit aber nicht an, die Frau findet den Geliebten, „den / den ich liebe wie mein Leben. / Ich fasste ihn und ließ ihn nicht los“. Von dieser Erfahrung des Festhaltens, des Nichtmehr-Loslassens, des offenen Bekenntnisses zum Liebesanspruch, ja zur Paarintimität berichten die Verse als einer grundlegenden anthropologischen Liebeserfahrung. Die Geliebte nimmt den Mann mit nach Hause, zieht sich in das mütterliche Zimmer zurück und be-
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schwört wieder ihre Umgebung, die „Frauen Jerusalems“, ihre Liebe nicht zu stören.11 Eine Liebe braucht die Dezenz ihrer Umgebung, um sich entfalten zu können. So sehr sie auf Zweisamkeit ausgerichtet ist, so sehr ist sie auch eine Form sozialer Interaktion mit ihrer Umgebung. Eine große Liebe will bekennen, dass sie groß ist und will den Widerhall ihrer Liebe erfahren. Dann stellt der Text die Frage, wer diese Frau eigentlich sei, die eine solch große Liebe offenbart, doch die Frage bleibt unbeantwortet. So individuell die Aussagen der sprechenden Partner getroffen sind, so sehr erscheint die Frau eher als der Phänotyp einer großen Liebe. Der Vergleich mit König Salomo, mit seinem Bett und seinem Gefolge hebt die Bedeutung der innerlichen Pracht und Einzigartigkeit dieser Liebe hervor. Die Liebe ist so groß, dass sie sich durchaus mit dem größten Herrscher der damaligen Zeit messen kann. Das vierte Kapitel eröffnet eine Lobpreisung der Geliebten durch den Mann. Dieses sogenannte Frauenlob wird in die europäische Literatur Eingang finden, von der Leibdominanz erotischer Texte bis hin zum platonisierten Text, der nur noch einen gleichsam leiblosen Frauenkörper feiert. Das Hohelied aber preist die Schönheit der Frau, ihre Augen, ihr Haar, ihre Zähne, ihre Lippen, ihre sanfte Stimme, ihre Schläfe, ihren Hals, ihre Brüste. Der „Berg der Myrrhe“ und der „Hügel des Weihrauchs“ dürfen als Kodierungen des weiblichen Geschlechts im buchstäblichen Sinn verstanden werden. Das Gedicht schließt mit dem Bekenntnis: „Kein Makel ist an dir“. Das Hohelied weicht einer Sexualisierung der Sprache nicht aus, im Gegenteil, die Gedichte betonen Mal um Mal, dass zu einer großen Liebe auch der Sex gehört. Wieder ist es der Mann, der seiner Geliebten eine Aufforderung zuruft, diesmal ein „Komm, brich auf!“12 Sie solle zu ihm kommen, er sei durch ihre Liebe an Herz und Verstand verwundet. Sie ist ihm ein Garten, der verschlossen, aber voller Verheißung ist, sie gleicht ihm als eine verschlossene Quelle und ein versiegelter Brunnen – Metaphern, die die Aufforderung zur Überschreitung einer Grenze ebenso beinhalten wie sie das Wissen um eine großartige Entdeckung zum Ausdruck bringen. Und so heißt es denn über die Geliebte: „Was du ausstrahlst / das Paradies!“13 Auch wenn es
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keine strukturell verankerte Klimax in dieser Gedichtfolge gibt, kann der Vers doch als eine Art Höhepunkt im Bekenntnis dieser großen Liebe gelesen werden. Die Verheißung des Paradieses und seine Vorwegnahme auf Erden, das ist die Unübertrefflichkeit der großen Liebe. Der Text appelliert damit an diese menschliche Erfahrung: Wer das Paradies kennenlernen möchte, der liebe. Nun greifen die Verse auf die zuvor entwickelte Metaphorik zurück, der Brunnen ist jetzt geöffnet und lebendiges Wasser sprudelt. „Kommen soll er / mein Liebster / zu seinem Garten / und essen soll er / seine köstlichste Frucht“.14 Als erotische Metapher ist der Garten schon in der sumerischen und babylonischen Liebessprache „Ort der Liebesfreuden, [. . .] wo sich die Verliebten ‚im (tiefen) Schatten der Bäume des Gartens‘ der Liebe hingeben. [. . .] Der ‚blühende Garten‘ ist die Geliebte oder ihre Vagina [. . .]“.15 Der Geliebte kommt tatsächlich in der Nacht, die Geliebte bekennt: „das Innerste meines Schoßes / stöhnt ihm entgegen“.16 Dann geschieht etwas Unfassbares, der Geliebte wendet sich ab und geht weg. Die Frau bricht sofort auf, um ihn zu suchen, doch sie findet ihn nicht, sie schreit nach ihm, doch er antwortet nicht. Diese Verlassenheitsängste – denn ob es eine reale oder nur eine befürchtete Erfahrung ist, bleibt vom Text her gesehen offen – werden als wesentlicher Bestandteil einer großen Liebe bejaht. Nun bestätigt die Frau das Begehren des Mannes, „alles an ihm [ist] Begehren. / Das ist mein Liebster / das mein Geliebter!“ Und wieder äußert der Text den legitimen Besitzanspruch einer solchen Liebe: „Meinem Geliebten gehöre ich / und mein Geliebter mir“.17 Hatte zuvor schon der Geliebte gesagt, er sei an Herz und Verstand vor lauter Liebe verwundet, so muss er nun feststellen: „Ich verstehe es nicht“. Gemeint ist die Heftigkeit der Leidenschaft, die ihm in seiner Liebe entgegenschlägt. Er ist überwältigt von der Macht der Liebe. Er vergleicht nun den Schoß seiner Geliebten mit einem Weizenhaufen, der von Rosen umgeben ist und preist am Ende dieses Gedichts die Liebe: „Wie schön, wie wohltuend / bist du / Liebe voll Lust!“18 Nun wollen beide gemeinsam aufbrechen, sie will ihre Liebe ihm schenken,
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die er schon lange besitzt. Man kann dies als den Aufbruch in eine gemeinsame Zukunft lesen, eine große Liebe drängt auf Dauer und Erhalt. Und so sind auch die herausragenden Verse über die Zeitlosigkeit der Liebe am Ende des Hohelieds zu verstehen: „Lege mich wie ein Siegel auf dein Herz, wie einen Armreif auf deinen Arm. Denn Liebe ist stark wie der Tod und Leidenschaft unwiderstehlich wie das Totenreich. Ihre Glut ist feurig und eine Flamme des Herrn, so daß auch viele Wasser die Liebe nicht auslöschen und Ströme sie nicht ertränken können“.19
Piccolomini: Euryalus und Lucretia In der bereits erwähnten Geschichte von der gefangenen Nachtigall erzählt Boccaccio im Decamerone (1349/1353), durch einen zeitgenössischen Holzschnitt eindrucksvoll illustriert, wie sich zwei junge Liebende heimlich treffen, um ihrer Leidenschaft körperlichen Ausdruck zu verleihen. Nicht dies ist das eigentlich Beeindruckende an dieser und den anderen erotischen Erzählungen des Decamerone. Vielmehr ist es Boccaccios Hinweis, wie Scham Sprachlosigkeit hervorbringt. Erst die Leidenschaft der großen Liebe ermöglicht es den Liebenden, eine Sprache für ihre Lust zu finden. Bereits ein knappes Jahrhundert zuvor hatte Andreas Capellanus, kulturgeschichtlich an Ovids Aufruf zum gemeinsamen Orgasmus anknüpfend, in seinem Traktat Über die Liebe (entstanden um 1280) zur Bewahrung der Liebe geraten: „Frisch erhält sich die Liebe auch durch das freudespendende und süße Ausleben körperlicher Sexualität, doch sollte es in der Form und in dem Maße geschehen, daß die Partnerin dabei keinen Überdruß empfindet“.20 Allerdings muss man bei dieser Art von mittelalterlichen Liebestraktaten berücksichtigen, dass sie durch und durch ständedistinkt argumentieren.21 So auch Capellanus, sein Plädoyer eines gemeinsamen sexuellen Erlebens von Mann und Frau beschränkt sich ausschließlich auf den Bereich der höfischen Liebe. Über die Liebe und Liebesfähigkeit der Unterständischen, in diesem Fall der Bauern, urteilt er hingegen, sie seien überhaupt zu keiner
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Liebe fähig und verteidigt sogar das Privileg des Adels, Bäuerinnen vergewaltigen zu dürfen. „Wenn dich allerdings die Liebe zu ihren Frauen reizen sollte, so versäume nicht, [. . .] falls du einen günstigen Ort gefunden hast, dir sofort zu nehmen, was du wolltest, und mit ihnen unter Gewaltanwendung den Beischlaf zu vollziehen“.22 Der Zwang soll helfen, die unkultivierte Bauersfrau gefügig zu machen – im Umkehrschluss würde dies bedeuten, dass nur kulturelle Bildung und Prägung Liebesfähigkeit und damit eine große Liebe ermöglichen. Der Minnesänger Wolkenstein hat eine Reihe von Gedichten geschrieben, in denen er die Liebe zu seiner Frau besingt. Sie sind ein einzigartiges mittelalterliches Zeugnis einer großen Liebe: Liebe ist ein Wort, teurer als alle Schätze, wenn einer Liebe zu seinem Heile übt. Liebe überwindet alles, [. . .] O weltliche Liebe, wie schwer sind deine Fesseln! In einem anderen Lied ist über die sexuelle Lust zu lesen: Wie könnte ein zart hübsches Mädchen mein Herz wonniger schmücken, unbeschwert machen, als mit so herrlicher, süßer, reiner Lust? Mund Mündlein geküßt, Zung an Zünglein, Brüstlein an Brust, Bauch an Bäuchlein, Pelz an Pelzlein frisch, eifrig, nimmermüd gedrückt. Über ihren Geliebten lässt Wolkenstein eine Magd in einem anderen Gedicht sagen: „Sein Leib schenkt viel Lust, danach verlangt mich heftig.“ Auch wenn dies noch kein expliziter Ausdruck einer großen Liebe ist, so ist doch die Betonung des Zusammenhangs von Liebe und körperlicher Lust offensichtlich. Im Gedicht Nr. 15 wird Wolkenstein
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noch deutlicher. Hier schildert er sein Begehren nach der abwesenden geliebten Frau – Wolkenstein nennt sogar den Namen seiner Ehefrau Grete – während nächtlicher Einsamkeit. Er seufze nach der Lieben, „die allein mein Verlangen stillen könnte / und den Krampf meiner Lenden.“ Der Gedanke an deinen schönen Leib geht mir durch und durch, das singe ich vor allen Leuten. [. . .] Sieh zu, mein Lieb, daß unser Bettlein kracht.23 Über die Geliebte, die auf ihren Liebhaber wartet, liest man in einer anderen mittelalterlichen Handschrift: Du bist min ih bin din. des solt du gewis sin. du bist beslossen in minem herzen. verlorn ist daz sluzzelin. du muost och immer dar inne sin.24 Im Gegensatz also zur älteren Minnelyrik, wonach die besungene Frau für den Minnesänger unerreichbar war und die kunstvoll überformte Projektionsfläche seiner Sehnsüchte darstellte, nennt Wolkenstein die sexuelle Lust und ihre Erfüllung im Rahmen einer leidenschaftlichen Liebesgemeinschaft beim Namen. Um 1401 ist das ausgesprochen populäre Prosastreitgespräch Der Ackermann und der Tod entstanden, dessen Verfasser Johannes von Tepl (ca. 1350–ca. 1414) ist. Der Autor, der sich mit einem Ackermann mit Feder vergleicht, erhebt Anklage gegen den Tod, der ihm soeben seine große Liebe genommen hat. In 32 Kapiteln wird dieser Prozess ausgetragen, bevor im letzten Kapitel das Gottesurteil ergeht. Der Tod versucht unter anderem, dem Ackermann die Liebe zu seiner Frau zu verleiden, indem er ihm entgegenhält, „je mehr Liebe dir wird, desto mehr Leid widerfährt dir. Hättest du dich der Liebe enthalten, so wä-
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rest du nun des Leides enthoben. Je größere Freude, Liebe zu erfahren, desto größer das Leid, zu entbehren Liebe.“ Das Frauenbild des Todes ist ohnehin nicht positiv besetzt, es reproduziert das mittelalterliche Kirchenverständnis. Die Frau sei „krank zur Arbeit, gesund zur Wollust, dazu zahm oder wild ist sie, wann sie dessen bedarf“, lässt der Tod den Ackermann wissen, der dem energisch widerspricht.25
Euryalus und Lucretia Enea Silvio Piccolomini, der später als Papst Pius II. bekannt wurde, schrieb und veröffentlichte 1444 seine Novelle Euryalus und Lucretia. Ob dieser Liebesgeschichte biographische Erfahrungen und Erlebnisse des Verfassers Piccolomini zugrunde liegen oder sich alles als reine Fiktion darstellt, interessiert hier nicht. Entscheidend ist die Darstellung einer Liebe auf den ersten Blick, einer großen und leidenschaftlichen Liebe in der Literatur der Frühen Neuzeit. Diese Novelle gilt als eines der bedeutendsten Zeugnisse der Renaissanceliteratur. Bis 1500 erschienen über 70 verschiedene Ausgaben, darunter auch zahlreiche nationalsprachliche Übersetzungen. Niklas von Wyle etwa übertrug den Text 1462 schon ins Deutsche. Das Buch ist mit dem lateinischen Titel De duobus amantibus historia überschrieben, Die Geschichte zweier Liebender. Lucretia, eine Toskanerin von außergewöhnlicher Schönheit, ist knapp zwanzigjährig und mit einem steinreichen Mann verheiratet. Der Erzähler nimmt von Beginn an Partei für Lucretia, so habe es ihr Mann nicht besser verdient, als von seiner Frau betrogen zu werden. Der Deutsche Euryalus, ein enger Freund des Kaisers, 32 Jahre alt und ebenfalls reich und schön, verliebt sich in Lucretia. Die Geschichte einer großen Liebe auf den ersten Blick beginnt. Übrigens verlieben sich die Protagonisten spontan und zeitgleich ineinander. Die sprachliche Kommunikation zwischen den beiden ist erschwert, das exponiert der Text, um die Bedeutung der nicht-sprachlichen Kommunikation durch den Blick zu unterstreichen. Nach längerem Reflektieren, ein Be-Denken im doppelten Wortsinn, entscheidet sich Lucretia: „Ich
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will die Liebe wagen“.26 Schnell ist von brennender Leidenschaft und loderndem Feuer die Rede. Die Fähigkeit zu sexueller Treue und Monogamie ist nach Ansicht Piccolominis an den sozialen Stand gekoppelt. Armut erzwingt Keuschheit, Bescheidenheit, Treue, Kargheit und Reinheit des Herzens, während Reichtum Begierde hervorbringt (lateinisch ist im Text von „libido“ die Rede, Begehren hingegen wird als „furor“ wiedergegeben)27. Überträgt man dies auf die Figuranten des Textes, dann kann das nichts Gutes verheißen, denn beide, Euryalus wie Lucretia, sind sehr reich und von hoher Herkunft. Dass dies natürlich nicht mit den anthropologischen Beobachtungen schon der Zeitgenossen übereinstimmt, liegt auf der Hand, gehört aber als moralische Botschaft des Autors mit zum Text. Lucretia vermag ihre Leidenschaft nicht mehr zu zähmen – immer wieder taucht die klassische Zähmungsmetapher im Text auf. Im Selbstgespräch erkennt Euryalus, dass er seiner Liebe zu Lucretia hoffnungslos ausgeliefert ist. Erich Fried (1921–1988) wird dies im 20. Jahrhundert in die schlichten Worte fassen „es ist, wie es ist“, Euryalus erkennt: „Ach, was wehre ich mich gegen die Liebe, da es doch vergeblich ist?“ Dann ruft er, gleichsam ins Publikum der Liebenden, ein donnerndes „Aspice poetas!“, „seht euch die Dichter an!“28 Euryalus bedient sich nicht der Literatur als Vergleichsmedium und als empirisches Reservoir, um von ihm aus Schlüsse über seine individuelle Lebens- und Liebessituation zu ziehen. Sondern er verweist auf das Leben der Dichter und der Philosophen, er erwähnt die Aristoteles-Phyllis-Legende, die ja im Laufe der kulturgeschichtlichen Überlieferung geradezu zu einem kulturellen Geschlechteremblem von Leidenschaft und Disziplinierung der Leidenschaft geworden war. Er zählt schließlich Vögel und Säugetiere auf, um bei ihnen Liebe als „etwas Naturgegebenes“ nachzuweisen. Wenn also die Liebe ein „Naturgesetz“ sei, wie könne dann ausgerechnet er sich als Einziger dagegen stemmen? „Alles besiegt ja die Liebe“, „Omnia vincit amor“, so resümiert er, Vers 69 von Vergils zehnter Ekloge zitierend, den Gedankengang.29 Natürlich hat dieses Selbstgespräch eine ausschließlich
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selbstlegitimatorische Funktion. Aber interessant dabei ist, dass sich Euryalus gängiger kultureller Kodes bedient. Gerade deren Aufrufen bedeutet ihre Stärkung und Sicherung in der Überlieferung. In dem in den 1490er-Jahren entstandenen Dialog über die Liebe (1505) von Bembo findet sich im Kapitel über die wahre Liebe die schlichte Festlegung: „Die Liebe ist [. . .] ein natürlicher Affekt unserer Seelen und von daher notwendig gut, vernünftig und maßvoll“.30 Was für den einen ein Naturgesetz ist, ist für den anderen, den als Inbegriff der Selbstdisziplin fungierenden Diener Sosias, ein weit verbreitetes „Übel, und es gibt kaum einen, der nicht daran leidet“.31 Mythologisch zurückzuführen ist die Vorstellung von der Liebe als einer Naturkraft auf die Darstellung Platons im Symposion, wo es heißt: „Von so langem her also ist die Liebe zueinander den Menschen angeboren, um die ursprüngliche Natur wiederherzustellen, und versucht aus zweien eins zu machen und die menschliche Natur zu heilen.“32 Liebe also als Remedium, als Heilmittel, um die Teilung des Menschen in In-Dividuen rückgängig zu machen, sie aufzuheben? Nun werden heimliche briefliche Liebesbotschaften zwischen Lucretia und Euryalus ausgetauscht, um ein Treffen vorzubereiten. Die Novelle ist auf diese Begegnung als Höhepunkt hin angelegt, die Schwierigkeiten, die es dabei zu bewältigen gilt, gehören zum Repertoire der Liebesliteratur: misstrauische Umwelt, unterschiedliche Zeitpläne, die Frage des besten Treffpunkts und des günstigsten Zeitpunkts, Störungen des Liebesspiels etc. In einem dieser Liebesbriefe beschwört nun auch Lucretia das tradierte Geschlechterbild und ruft auch sie die Zivilisationsmetapher der Zähmung der Leidenschaften auf. Je länger sie liebe, schreibt sie, desto leidenschaftlicher und rasender begehre sie. Mythologie und Geschichte würden belegen, dass Frauen ungezähmter und leidenschaftlicher liebten als Männer.33 Dass sie mit diesem Brief das Gegenteil dessen bewirkt, was sie beabsichtigt hatte – wenn sie es denn so beabsichtigt hatte! – und Euryalus noch mehr in Liebe entbrennt, gehört sowohl zum Genre der Novelle über die große Liebe als auch zu dieser selbst. Wer so beredt über
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die Gefahren und Schwierigkeiten der Liebe schreibe, den könne man nur noch mehr lieben, und sie beide sollten sich andere Vorbilder wählen, als die von Lucretia genannten, antwortet Euryalus. Er bemüht am Ende seines Briefs die ebenfalls bekannte Erniedrigungsrhetorik der Liebe, er wolle nur ihr Sklave sein und eine Bestätigung ihrer Gegenliebe erhalten. Dass er diese mit Lucretias Brief bereits vorliegen hat und dieser Brief immerhin den Anlass seiner Ausführungen darstellt, übergeht er geflissentlich. Zu schön ist auch für ihn die Wiederholung des Liebesgeständnisses. Zur Liebe gehört demnach die Wiederholung ebenso wie zu ihrer Lust – und bestätigt damit jene Aporie, wonach das wiederholt werden soll, was so flüchtig ist. Die Frucht der Liebe – „fructum [. . .] amoris“ – ist die Lust, sie zu genießen, sei aber Sünde, zitiert Lucretia den christlichen Sündenkatalog. Immerhin begeht Lucretia willentlich Ehebruch. Ihr Widerstand wird von Euryalus aber lediglich als rhetorische Geste wahrgenommen, den er ebenso schnell wie erfolgreich überwindet. Der Text spricht offen und frei über das sexuelle Begehren. „Und das Liebesspiel schuf ihnen nicht [. . .] Sättigung, sondern weckte nur noch größeren Liebesdurst.“ Ist die große Liebe erst einmal erwidert, wird die Sehnsucht nach Wiederholung und Dauer ihre treibende Kraft. Allerdings durchlebt Euryalus zwischenzeitlich alle Höhen und Tiefen individueller Selbstzweifel und kultureller Vorurteile. Er macht sich Vorwürfe, sich einer Frau ausgeliefert und von ihr abhängig gemacht zu haben, wo er doch wisse, dass eine Frau nur ein „unbezähmbares, unzuverlässiges, wankelmütiges, grausames, unzähligen Leidenschaften hingegebenes Tier“ sei.34 Dass er sich dabei auf Seneca berufen könnte, ist ihm nicht einmal bewusst; in De constantia sapientis schreibt Seneca: „Die Frau an sich ist unvernünftig und, falls man ihr keine Kenntnisse vermittelt und nicht viel Bildung zukommen lässt, ein wildes Tier, maßlos in seinen Begierden“.35 Doch die Selbstanklage des Euryalus schlägt ebenso schnell wieder um in ein Loblied auf Lucretias körperliche Schönheit. Das Begehren der Liebenden verlangt eine „zweite Vereinigung“, die auch bald erfolgt.36 Weder können die beiden Liebenden ihre große Liebe vorerst offen bekennen noch körperlich vollziehen, sie leiden und ihre Leidenschaft
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wächst. Verstohlene Blicke und Winke werden getauscht. Um einen Ausweg zu finden, zieht Euryalus Pandalus ins Vertrauen. Im Wesen der Liebe liege es, erklärt Euryalus, umso heftiger zu brennen, je mehr sie mit Hindernissen zu kämpfen habe.37 Nahezu jeder Mensch sei von dieser Leidenschaft regelmäßig in seinem Leben betroffen. Wenn die Liebe als große Liebe entfacht sei, „bis ins innerste Mark eingedrungen ist“, gebe es keine Rettung mehr. Dann folgt das Liebesbekenntnis: „Ich liebe Lucretia“.38 Pandalus wurde auch von Lucretia in das Liebesgeheimnis eingeweiht, sodass er nun bestätigen kann, dass auch sie rasend vor Leidenschaft sei. Er wundert sich über die Verwandlungskraft der Liebe, die Lucretia nicht wiedererkennen lasse. Damit wird von einer unabhängigen, dritten Figur im Text bestätigt, was die Liebenden bereits bezeugen: Die große Liebe verändert. Lucretia und Euryalus treffen sich ein drittes Mal. Merkmale des klassischen Frauenlobs reihen sich an überschwängliche Lobpreisungen körperlicher Begeisterung. „Und bald pries er entzückt ihren Mund, bald ihre Wangen, bald ihre Augen; und manchmal hob er auch die Decke und erblickte Geheimnisse, die er nie zuvor gesehen hatte“. Diese dritte Nacht übertrifft die beiden vorangegangenen Begegnungen. Danach wird nur noch summarisch berichtet, dass sich die Liebenden immer wieder treffen konnten, die Liebe überwindet alle Hindernisse: „Sed omnia superavit amor“, „Aber die Liebe triumphierte“. Dann muss Euryalus auf Geheiß des Kaisers nach Rom reisen. Lucretias Mitreise, gar ihre Entführung wird von Euryalus mit Rücksicht auf Lucretias gesellschaftlichen Stand verworfen, und so kommt es zur tränenreichen Trennung der Geliebten. Der Autor lässt die Leser wissen und beruft sich dabei auf ein uraltes Verständnis von Liebesdichtung, wonach nur derjenige über Liebe dichten könne, der auch liebe: „Den Schmerz ihrer Seele kann nur ermessen und beschreiben, wer selbst einmal geliebt hat“. Unterwegs erfährt Euryalus vom Tod Lucretias. Zum Trost dekretiert der Kaiser ihm eine andere Frau. Dieses schnelle Ende der Novelle über eine große Liebe kommentiert der Autor in seiner Schlusspassage: „So endet [. . .] die wahre Geschichte einer unglücklichen Liebe. Ihre Leser aber mögen sich daran zu ihrem eigenen Nutz und Frommen ein Beispiel nehmen und den
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Becher der Liebe nicht zu trinken verlangen, denn er enthält weit mehr Bitternis als Süße.“ Der Text selbst legt Widerspruch ein gegen dieses zeitbedingte Moraldiktat, denn er ist es, der von Lust und Liebe, von der Widerständigkeit und der Veränderungskraft der großen Liebe und davon spricht, dass ihr kein Mensch entgehen kann.39
5 „Lust und Liebe“. Ein romantisches Modell Was ist romantische Liebe? – Das Modell große Liebe: Friedrich Schlegels Lucinde Was ist romantische Liebe? Neuerdings geht die begriffliche Unschärfe und inhaltliche Verwischung dessen, was unter romantischer Liebe historisch verstanden werden kann oder soll, sogar so weit, dass die empfindsame Liebe mit dem Modell der romantischen Liebe verwechselt wird. Nur so ist es zu erklären, dass in Christian Schuldts Buch Der Code des Herzens (2004) eingangs die berühmte Fensterszene aus Goethes Roman Die Leiden des jungen Werthers (1774) zitiert und mit den Worten kommentiert wird, diese Szene zeige „romantische Liebe pur“. Romantische Liebe konzentriere sich „ganz auf die Art und Weise, wie Liebende miteinander kommunizieren“, verbunden mit den individuellen Textmarken, welche die Liebenden in ihrem Subtext Liebe setzten. Der individuelle Liebeskode trenne die Welt der Liebenden vom Rest der Welt und schaffe eine Art paralleler Liebeswelt, die eigenen Regelungen und Gesetzen unterliege.1 Dabei hatte die Fensterszene lediglich die Kodes empfindsamer Liebe aufgerufen. Wie Werther im Brief vom 16. Juni berichtet, sind Lotte und er auf einem Ball, sie tanzen, ein Unwetter zieht auf, sie gehen ans Fenster und betrachten Blitz und Donner, sie legt ihre Hand auf die seine und spricht das Zauberwort ‚Klopstock!‘ aus. Er weiß sofort, was gemeint ist, ihre Ergriffenheit angesichts des bedroh-
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lich wirkenden Naturschauspiels überwältigt ihn, er küsst weinend ihre Hand. Insgesamt ist der Werther ein denkbar schlechtes Beispiel für eine große Liebe, denn diese Liebe ist einseitig und endet für Werther final, die Frau bleibt Projektionsfläche der männlichen Sehnsüchte. So wie von den literarischen Figuren Lotte und Werther der Name ‚Klopstock‘ als Kodewort empfindsamer Liebe verstanden wird, so wandelt sich der Figurenname ‚Werther‘ im Laufe der Zeit zu einem kulturgeschichtlichen Emblem, welches das Risiko einer Verlustgeschichte der großen Liebe mit tödlichem Ende versinnbildlicht. Besonders deutlich wird dies in der Verschränkung von Literatur und Leben, wie sie das Beispiel der großen Liebe zwischen Heinrich von Kleist und Adolfine Henriette Vogel zeigt, das aus einer Zeit stammt, als der empfindsame Briefroman längst Vergangenheit war, die Erinnerung an den kulturellen Kode der Empfindsamkeit aber noch gegenwärtig ist. Wenige Tage, bevor sie mit ihrem Geliebten Heinrich in den Freitod geht, schreibt Henriette Vogel folgende Zeilen an ihn: Mein Heinrich, mein Süßtönender, mein Hyazinthenbeet, mein Wonnemeer, mein Morgen- und Abendrot, meine Äolsharfe, mein Tau, mein Friedensbogen, mein Schoßkindchen, [. . .] mein Wald, meine Herrlichkeit, mein Schwert und Helm, meine Großmut, meine rechte Hand, mein Paradies, meine Träne, meine Himmelsleiter, mein Johannes, mein Tasso, mein Ritter, mein Graf Wetter, [. . .] mein Schmeichelkätzchen, meine sichre Burg, mein Glück, mein Tod, mein Herzensnärrchen, mein Schiff, mein schönes Tal, meine Belohnung, mein Werther [. . .].2 Dieser Hymnus Henriette Vogels gilt als Gegenstück zu einem ebensolchen ekstatischen Liebesprosagedicht Kleists vom November 1811. Kurz darauf, am 28. November 1811, brachten sich beide um. Henriette Vogel, die unheilbar an Krebs erkrankte, verheiratete Frau, die von ihrem Mann wegen ihrer Erkrankung abgelehnt wurde, geht mit Kleist zusammen in den Tod. Doch anders als Werther, der von ihr als literarische Figur angerufen wird, erfüllte sie sich zuvor ihre Liebe.
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Bei Helen Fisher wird die romantische Liebe als Glück und Schmerz, als heftiger Gefühlssturm und wunderbare Leidenschaft, als Hochstimmung und Obsessivität des Verliebtseins gekennzeichnet. Romantische Liebe sei „eine der drei zentralen Hirnstrukturen, die sich zur Steuerung von Paarung und Fortpflanzung entwickelten“.3 In Struktur und Chemie sei die romantische Liebe fest im menschlichen Gehirn verankert.4 Fishers neurophysiologisch-paläoanthropologische Argumentation negiert dann vollends die historische Differenz der romantischen und der nicht-romantischen Liebe, sodass man konsequenterweise auch auf das Epitheton ‚romantisch‘ verzichten könnte. Was bei dieser Art der Theorieerschließung oft übersehen wird, ist das historische Moment. Für eine protestantische Auffassung von Liebe etwa sind die Bemerkungen zur Liebe und die entsprechenden Äußerungen über die Ehe bei Luther in seinen Eheschriften durchaus diskursprägend geworden. Ohne auf die Details einzugehen – zumal auf die komplexe Entwicklung von Luthers Liebesverständnis – sei so viel zusammengefasst: Luther unterscheidet zwischen der falschen Liebe, der ehelichen und der natürlichen. „Aber über die alle geht die eheliche Liebe, das ist eine Brautliebe, die brennet wie das Feuer und sucht nicht mehr denn das ehliche Gemahl, die spricht: ‚Ich will nicht das deine, ich will weder Gold noch Silber, weder dies noch das, ich will dich selber haben, ich will’s ganz oder nichts haben.‘“ Aber die Liebe ist nach diesem (christlichen) Verständnis nicht rein, vielmehr mischt sich etwas bei und „fälscht diese Liebe“, die „sündlich Lust“.5 Dieser Sachverhalt soll daran erinnern: Die brennende, die große Liebe gibt es nicht ohne den Zwang zur Komplexitätsreduktion. Es geht daher nicht um die bekannte Opposition von Konvenienzehe und Liebesheirat, sondern diesen einfachen Zusammenhang herzustellen zwischen Lust und Liebe, das lehrt uns, was vulgo als Modell von ‚romantischer Liebe‘ in Anspruch genommen wird und wohl zu den gängigsten Irrtümern unserer Wissenschaft zählt. Zwischen Luther und Schlegel steht der Frühaufklärer Thomasius, der nach vernünftigen Grundregeln und gesunden Lehrsätzen, wie er es nennt, der ehelichen Liebe sucht. Zwar gesteht er 1701 der „offenbahre[n] Brünstigkeit / der Ehelichen Liebe“ ihr Recht zu, allerdings
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plädiert er für eine bis zum Selbstverzicht reichende Intimisierung von Liebesbezeugungen unter Eheleuten; sie sollten sich in der Öffentlichkeit nicht küssen, denn: „Ein eintziger in einer Gesellschafft gegebener Kuß / macht offte die gantze Compagnie lüstern / Mund mit Mund zu paaren“.6 Thomasius muss man zugute halten, dass er im gleichen Atemzug für Toleranz gegenüber jenen Ehepaaren appelliert, die diesem zivilisatorischen Gebot eben nicht entsprechen wollen. Thomasius dokumentiert also einen kulturellen Wandel, der Auskunft gibt über den Disziplinierungsdruck, der von gesellschaftlichen Repräsentanten und Diskursbegründern gegenüber den Liebenden gefordert wird. Die Liebe ist eher eine Angelegenheit der Übereinstimmung des Willens als der Lust.7 Wie erfolgreich dieser Wandel zum Selbstzwang verläuft, zeigt eine kleine Abhandlung in einer der wichtigsten und am weitesten verbreiteten moralischen Wochenschriften des frühen 18. Jahrhunderts. Im Geselligen erscheinen im Jahrgang 1749 einige grundlegende Ausführungen über „alle Arten der rechtmässigen Liebe“.8 Dabei geht es wiederum um die Bedeutung des Kusses, denn der Kuss wird zum gleichermaßen literarisch inszenierten wie zum kulturgeschichtlichanthropologisch definierten Emblem der Anakreontik. Sicherlich falsch ist es, wenn man den Fiktionalitätscharakter der Rokokoliteratur zu sehr betont und in den Vordergrund stellt. Nicht die Inszenierung von Fiktionalität als Wirklichkeit, sondern von Wirklichkeit als Fiktion charakterisiert Rokokoliteratur.9 Und müßig ist es darauf hinzuweisen, dass schon seit der antiken Anakreontik der Kuss als Leibmetapher gilt und insofern der Erotisierung des Kusses die Erotisierung des Leibes entspricht. Nachgerade erstaunlich ist es nun, wenn der anakreontische Kuss oder wenigstens das Küssen in Zeiten der Anakreontik in einer Kulturgeschichte des Kusses keine Erwähnung findet.10 Denn geküsst wird viel in der Anakreontik. Klopstock ruft sogar den „gemeinschaftlichen anakreontischen Kuß“ aus, wobei er sich möglicherweise auf die genannte Abhandlung aus Dem Geselligen bezieht. Und er lädt Gleim nicht nur zum Kaffee, sondern auch „auf einen Kuss“ ein.11 In seiner Elegie 1751, die er anlässlich der Hochzeit seines Freundes Christian Ludwig Schmidt mit Antoinette Elisabetha de Ahna 1748 geschrieben hatte, ist gleichsam ein poetologisches Kussprogramm zu lesen:
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Auch die hört dich vielleicht, die mehr als scherzende Lieder, Die im prophetischen Klang tönende Lieder empfind’t. Aber du, glüklicher Freund, mit deiner jungen Geliebten, Höret mich an diesem festlichen Abend nur nicht! Ihr fühlt mehr, als Lieder euch lehren, und laßt es dem Dichter, Daß er von Küssen entfernt, anderer Küsse besingt. Freund, ein einziger Blik, von einer Seele begeistert, Die von der süßen Gewalt ihrer Empfindungen bebt; Und ein Seufzer, mit vollem Verlangen, mit voller Entzükung, Ausgedrükt, auf einen zitternden blühenden Mund, Ein beseelender Kuß, ist mehr, als hundert Gesänge, Mit ihrer ganzen langen Unsterblichkeit werth.12 In einem der wichtigsten Benimmbücher des frühen 18. Jahrhunderts, in der Ceremoniel-Wissenschaft (1728) von Julius Bernhard von Rohr, sind der Kuss und das Küssen streng zivilisatorisch reglementiert. Der Autor kennt die nur ein Jahr zuvor erschienene Historisch-Philologische Untersuchung Von der mancherley Arten und Absichten der Küsse von Johann Friedrich Hekelius.13 Rohr erwähnt aber neben dem Handkuss nur noch den Wangenkuss, der die gesellschaftliche Achtung der geküssten Dame zum Ausdruck bringe. Man dürfe „sie nicht auf den Mund, sondern auf den Backen küssen, [. . .] und also ein schön und ein heßliches Gesicht mit gleicher Höflichkeit tractiren“.14 Vom Männerkuss hält er nichts. Anders zwei Jahrzehnte später jener Georg Friedrich Meier, der im 129. Stück der moralischen Wochenschrift Der Gesellige seine Abhandlung über die Liebe und das Küssen veröffentlicht, die als eine regelrechte Zeichenlehre der Zärtlichkeit gelesen werden kann. Meier eröffnet seinen Text mit der Feststellung, dass Liebe ohne Zärtlichkeit nicht vermögend sei, eine gesellige Gesellschaft angenehm und reizend zu machen. Schon die Verwendung weniger Signalbegriffe wie Zärtlichkeit, Geselligkeit, Herz, angenehm und reizend macht den Zeitgenossen deutlich, dass Meier einen empfindsamen Diskurs verfolgt. Seine Absicht ist es, „das Geheimniß der Zärtlichkeit“ zu lüften:
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Von allen Dingen muß ich des Kusses Erwehnung thun. Ein brünstiger, feuriger und sanfter Kuß erweckt in dem ganzen Bezirke des Mundes eine Empfindung, die ungemein angenehm ist, und er ist daher der allergewöhnlichste und natürlichste Ausbruch der Zärtlichkeit. Dadurch beweisen verliebte Leute einander die Zärtlichkeit ihrer Liebe; und häufige anacreontische Küsse sind am mächtigsten, das Herz bis auf den Grund zu rühren. Selbst zärtliche Freunde können nicht unterlassen, einander häufig zu küssen; und wir setzen in unserer Gesellschaft einen großen Werth auf unsere freundschaftlichen Küsse. Man könne auch ohne unzüchtige Empfindungen küssen, und anders als Thomasius positioniert sich Meier eindeutig: „Ich rathe demnach allen Eheleuten, die sich zärtlich lieben wollen, den öftern Gebrauch dieses Hülfsmittels nicht zu versäumen“.15 Ein freundlicher Gesichtsausdruck, ein holdes Lächeln, schmachtende, sehnsuchtsvolle Blicke seien eindeutige und von allen als solche identifizierbare Zeichen und Mittel der Zärtlichkeit. Die zärtliche Liebe steigert dieses Zeichenrepertoire noch um ein sanftes Händedrücken und liebkosendes Streicheln der Hände und der Wangen.16 Eine freundliche und angenehme Stimme sei ebenso unverzichtbar, um die Zärtlichkeit der Liebe zum Ausdruck zu bringen, wie Kosenamen und Diminutivformen. Meier empfiehlt – auch heute noch gängige – Tiernamen wie Bärchen und Täubchen, es gebe ein ganzes Wörterbuch entsprechender verliebter Namen, die zur „Zärtlichkeit der Sprache“ gehörten. Über die liebkosenden Reden der Verliebten schweigt der Autor verschämt. Meier schließt seine Abhandlung mit der Bemerkung, wenn man mit diesen angeführten Kunstgriffen Zärtlichkeit und Liebe zu verbinden vermöge, „alsdenn wird die Liebe unser ganzes Herz durchweichen, und ihr sanftes Feuer wird mit einer belebenden Wärme alle Adern durchglühen“.17 Die zivilisatorische Selbstzwangmetapher des Ansichhaltens hat nun endgültig ihr Verbreitungsmedium, die Literatur, erobert. Erst die Literaten des Sturm und Drang werden gegen ‚Wärme‘, ‚Glut‘ und ‚sanftes Feuer‘ wieder ‚wild lodernde Leidenschaften‘ und ‚Dammbrüche‘ setzen.
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Friedrich Schlegels Modell einer romantischen Liebe bedeutet also am Ende des 18. Jahrhunderts eine konsequente Abkehr von empfindsamer Selbstbeherrschung, die zum Wohle einer verstandesorientierten Partnerschaft in der Liebe und Ehe gedacht war. Man kann es ganz einfach auch so ausdrücken: Das Modell romantische Liebe – eigentlich ist damit ausschließlich Schlegels Lucinde-Modell gemeint, denn alle anderen romantischen Liebesmodelle der Literatur fallen wiederum dem zivilisatorischen Disziplinierungsdruck ihrer Zeit zum Opfer – rehabilitiert die Lust. Die Verbindung von ‚Lust und Liebe‘, die Forderung nach deren existenzieller Unabdingbarkeit, gab es in der Literatur aber schon seit je. Das reicht vom alttestamentlichen Hohelied über griechische und lateinische Zeugnisse, über Wolkensteins Liebesgedichte, die Frühe Neuzeit – man denke nur an Piccolominis Euryalus und Lucretia, an Secundus, an Lemnius. Allerdings wurde ihre kulturelle Bedeutung immer wieder höchst unterschiedlich bewertet. Meist erfuhr das ‚Evangelium von Lust und Liebe‘, wie es bei Schlegel heißen wird, eine effektive Minimalisierung oder sogar Repression.
Das Modell große Liebe: Friedrich Schlegels Lucinde Ich gelange „beim Lesen“ der Lucinde zu einem „heteros logos“, zu einem anderen Gedanken (so Schiller in seinem letzten Brief an Goethe, 29. April 1805), neudeutsch: zu der These, dass Liebe einer sprachlich-textuellen Darbietung bedarf, um als große Liebe erkannt und verbürgt zu werden. Dies markiert zugleich ein Paradoxon zum Anspruch der Liebe, dass Worte sie mitzuteilen versagten. Darin mag das Romantische von Schlegels Liebesmodell zu erkennen sein, dass er dem Liebesdiskurs als Text die größtmögliche Authentizität des Gefühls einräumt und dies, entgegen jüngeren literaturwissenschaftlichen Arbeiten, unabhängig von jedweder gattungstypologischen Diskussion. Damit greift Schlegel das auf, was Schiller im Don Karlos (1787) schon auf den Begriff gebracht hatte: „Liebe, der schönste Text“ (V. 1596). Sprach Hegel von der ‚Beredsamkeit der Leidenschaft‘, so Schlegel von der ‚Rhetorik der Liebe‘. Liebe wird demnach als kulturel-
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les Muster verstanden, das die Sprache als Geschlechter- und Liebesordnung ebenso regelt wie es sie in Unordnung zu bringen vermag. Schon vor Hegel hatte ein anderer großer deutscher Philosoph über die Liebe geurteilt. Kant schrieb in seiner Anthropologie: „Sich verlieben ist eine Leidenschaft die man nicht los wird“.18 Wie weit ist Schlegel davon entfernt. Bevor die Lucinde 1799 überhaupt erschienen war, hatte Schiller bereits befunden, Schlegel habe „zum Schriftsteller kein Talent“.19 Als dann der Roman vorlag, urteilte er in einem Brief an Goethe vom 19. Juli 1799: „Schlegels Lucinde [. . .] ist der Gipfel moderner Unform und Unnatur, man glaubt ein Gemengsel aus Woldemar, aus Sternbald, und aus einem frechen französischen Roman zu lesen“.20 Schlegel wagte es, dem Lesepublikum in seiner Lucinde das Modell einer „großen Liebe“21 vorzustellen, das dem Großteil der Leser als unverhüllte Pornographie erschien. In die Reihe derer, die nur moralisch pikiert auf die Lucinde reagieren konnten, ist auch die unverständige Kritik Heines aus der Romantischen Schule aufzunehmen. Jene Rezensenten, welche die Lucinde priesen, wünscht sich Heine „von Obrigkeitswegen“ festgesetzt. Er beklagt die unzüchtige Nichtigkeit, Lucinde sei keine Frau, sondern „eine unerquickliche Zusammensetzung von zwei Abstraktionen, Witz und Sinnlichkeit“.22 Was hatte Schlegel getan? Schlegel wagte es, dem Lesepublikum in seinem Roman das Modell einer „großen Liebe“ vorzustellen, das die Frau als lustvolles Objekt und Subjekt einer leidenschaftlichen Liebesbeziehung imaginiert. Das frühromantische Programm einer ‚progressiven Universalpoesie‘ erfährt hier die unvergleichliche Karriere einer ‚progressiven Universalerotik‘. „Vorerst scheint die Lucinde-Woge (oder -Mode?) vorbei zu sein. Zu erforschen gäbe es freilich noch genug“,23 schreibt Karl Konrad Polheim in der bibliographischen Notiz zur revidierten und erweiterten Ausgabe der Lucinde 1999. Doch diese neuen Forschungsansätze oder Deutungsinteressen hängen maßgeblich von der Wahl des Deutungsstandpunktes und dem zugrundeliegenden methodischen Zuschnitt ab. Man kann ernsthaft nicht behaupten, dass sich die Wissenschaft nicht mit Schlegels Lucinde beschäftigt habe. Mindestens die allge-
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meine Verweisgeste auf ein Modell romantischer Liebe, was auch immer im Einzelnen darunter verstanden werden mag, enthält zugleich den Hinweis auf diesen Roman. Dass die Ausführungen zur Lucinde im ersten Band (mehr nicht erschienen) von Manfred Engels Monographie über den Roman der Goethezeit mit dem programmatischen Untertitel Transzendentale Geschichten erschienen sind, verwundert nicht, wenn man mit Engel bilanziert, im Roman gehe es „um einen Entwurf des rechten Lebens und – kategorisch ungeschieden – des rechten Dichtens in unbewußter (organisch-kreatürlicher) und bewußter (religiös-mythischer) Einbindung des Individuums in das Ganze bei gleichzeitiger Wahrung seiner individuellen Freiheit“.24 Das aber bedeutet, die Lucinde gerade um ihre entscheidende Dimension als Liebestext zu verkürzen.25 Damit wird die Linie einer Lesart der älteren Forschung fortgesetzt, die in der Suche nach einer ausschließlich ästhetischen und formalgeschichtlichen Bedeutung des Romans diesen als kulturgeschichtliches Dokument ignoriert. So hat noch Bernd Bräutigam in Anlehnung an Hans Eichner davon gesprochen, dass Julius’ Leben „in der Verbindung mit Lucinde [. . .] eine ästhetische Qualität“ erhalte. Das Thema des Liebesromans sei keine Liebesgeschichte, sondern ein „ins Empirische gewendeter ästhetischer Zustand“.26 Bärbel Becker-Cantarino widersprach der Auffassung der geistesgeschichtlichen Forschung, die bei Eichner bilanziert wird,27 wonach die Lucinde Dokument eines emanzipativen und damit neuen Frauenbilds sei. Stattdessen hob sie hervor, dass Schlegel die Lucinde-Figur nicht als Individuum, sondern lediglich als Gattungswesen gestalte, das zwar nicht mehr in der Tradition der biblisch-patriarchalen Rollendefinition stehe, gleichwohl aber auf eine neue Funktion „zu einer seelisch-sinnlichen Erlöserrolle für die existentiellen Nöte des Mannes“28 verpflichtet werde. Becker-Cantarino sieht das eigentliche emanzipative Potenzial des Textes in der Bedeutungsaufwertung des Erotischen.29 Nach dieser forschungsinduzierenden Klarstellung, dass Schlegels Lucinde-Figur keineswegs einem emanzipatorischen Erwartungsbild entspräche, hatte sich Sigrid Weigel 1983 nochmals heftig und mit deut-
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lich anderen Akzentuierungen gegen die Lesart gewandt, der Roman Lucinde sei ein historisches Dokument der Frauenemanzipation, indem er ein utopisches Bild einer emanzipierten Frau entwerfe. Weigel wies diese Deutung als „absurd“30 zurück und trug starke Argumente vor, stattdessen gerade umgekehrt von einem gespaltenen Frauenbild des Autors wie des Textes zu sprechen.31 Im Roman erfülle die Frauenfigur der Lucinde eine bestimmte Funktion, nämlich „das weibliche Prinzip als Realisierung der Idee einer stillgestellten Vollendung“ zu generieren. Weigels Rede vom ‚gespaltenen Frauenbild‘ bedeutet „männliches Unvermögen, in der Frau Geliebte und Partnerin zugleich zu sehen“. Demnach dienen die Frauenfiguren des Romans lediglich als Projektionsflächen männlicher Figuren, mithin sind sie Männerphantasmen und als solche „Kunstfiguren“ und „synthetisch“.32 Man muss nicht alle Formulierungen Weigels teilen, um ihr doch in einem entscheidenden Punkt zustimmen zu können: Sie rückt die tradierte (nicht nur männliche) Lesart gehörig zurecht, wonach der Roman in erster Linie das Dokument eines ästhetischen Programms seines Autors ist. Diese über lange Zeit dominierende Lesart ist Ausdruck eines Versuchs der Stillstellung ‚unordentlicher Begierden‘ im Text. Der Versuch, den Begriff der Liebe wieder ins Recht zu setzen, folgt diesem eigenwilligen frühromantischen Affektmodell. Den Bemühungen, die Lucinde ausschließlich als ein formalästhetisches oder philosophisches Experiment zu begreifen, und den Ansichten, der Roman müsse im Kontext einer „universellen Natur- und Kunstphilosophie gesehen werden“,33 die dann Liebe als alles beherrschendes Naturgesetz ausweise, muss eine Bemerkung Schlegels aus den Jahren 1800/1801 entgegengesetzt werden. Er schreibt in den Fragmenten zur Poesie und Litteratur. II, die Lucinde sei „eine erotische Dichtung / Liebe, Lust und die alten Götter müssen darin herrschen“.34 Zwar bezieht sich diese Notiz in erster Linie auf die geplante Fortsetzung der Lucinde, jedoch ist sie aus dem Kontext der Lucinde-Niederschrift und Lucinde-Beschäftigung so zu verstehen, dass sie Schlegels Urteil über seinen Roman auf den Punkt bringt. Damit wird es auch problematisch, den Roman insgesamt und ausschließlich transzendentalphilosophisch hochzurechnen und die Bedeutung des Romans als Begehrenstext zu ignorieren.
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Auch die Frage interessiert nicht, inwieweit das Frauenbild der Lucinde mit demjenigen des Autors Schlegel oder demjenigen Geschlechterbild seiner Zeit identisch ist, obgleich Eva Domoradzki einige Argumente für eine moderne Form des Biographismus anzuführen versucht.35 Denn wäre dies so, müsste man nüchtern Folgendes bedenken: Schlegels Frau Dorothea, geschiedene Veit, geborene Mendelssohn, schrieb 1818: „Ich bin vor allen Dingen darauf bedacht, für mich selbst keinen Willen zu haben, sondern alles so geschehen zu lassen, wie Gott will; wie Schlegel es wünscht, daß es geschehen soll“. Dass dieser Gott Schlegel sei, daran ließ sie keinen Zweifel, wie schon aus einer Bemerkung von 1799 hervorgeht: „Dem Friedrich wollen wir nur immer einen Tempel bauen – er ist doch ein Gott, wo nicht mehr!“ Und in ihrem Tagebuch sekundiert sie: „Und er soll dein Herr sein! – diese Worte des Schöpfers sind nicht Moralgesetz, sondern Naturgesetz.“36 Dorothea reproduziert und bestätigt damit ein Frauenbild, das am Ende der Aufklärung, mitten in der frühromantischen Aufbruchstimmung, immer noch die Geschlechterwahrnehmung prägt.37 1799 erscheint Schlegels Debütroman mit dem schlichten Titel Lucinde. Ein Roman. Dieser Roman provoziert bis heute auch in der Forschung höchst unterschiedliche Lesarten. Die einen sehen in ihm das frühe Zeugnis der Frauenemanzipation, von einem männlichen Verfasser geschrieben, die anderen platonisieren den Text, entziehen ihm gewissermaßen seine Körperlichkeit und feiern im Roman das Manifest einer Liebesreligion. Und schließlich gibt es einige wenige Stimmen, die den Roman als literarische Männerphantasie, als emanzipatorischen, als wilden Text im Gehege des Patriarchats verstehen. Ich denke, man muss zur Lektüre zwei Voraussetzungen treffen: 1. Auf die Zeitgenossen hat der Roman unverschämt provozierend gewirkt; von vorbehaltloser Zustimmung bis hin zum Vorwurf der literarischen Pornographie reicht das Spektrum, obgleich die Schlegel zugeschriebenen pornographischen Gedichte zu diesem Zeitpunkt noch nicht erschienen waren. Um nur ein Beispiel anzuführen: So liegst du gut. Gleich wird sich’s prächtig zeigen Wie klug mein Rat: ich schiebe meinen Dicken
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In dein bemoostes Tor – man nennt das Ficken. Du fragst warum? – Davon laß jetzt mich schweigen. Schon seh’ ich Schmerz in deinen blanken Blicken, Das geht vorbei: du mußt zurück dich neigen, Gleich wird dein Blut dir jubeln wie die Geigen Von Engeln, welche ihre Brünste schicken In bebender Musik zum Ohr der Welt. Famos! . . . Du einst dich mir in bravem Schaukeln, Die Schenkel schmiegen pressend, es umgaukeln Mich Düfte, die mich locken in die Unterwelt. Ein Stoß – ein Schrei! . . . Die weißen Glieder zittern Im Kampf wie Apfelblüten in Gewittern.38 Ist Schlegel nun der Erste, der Einzige, der mit dieser Freizügigkeit den Zusammenhang von sexuellem Begehren und Liebe beschreibt? Beileibe nicht. Wer einen wahrlich pornographischen ‚Gegentext‘ zur Lucinde sucht, sei beispielsweise auf das wiederentdeckte Buch Lina’s aufrichtige Bekenntnisse aus dem späten 18. Jahrhundert verwiesen39 oder nehme einfach Schlegels eigene pornographische Sonette zur Hand.40 Und wer ein hochliterarisches Beispiel bemühen will, denke an Heinse. In der Lucinde dekodiert Schlegel den Liebesdiskurs so radikal, dass dies von den Zeitgenossen als Sakrileg empfunden wurde. Es ist weder die Rede von metaphorisch-religiöser Inbrunst (wie etwa in Novalis’ Hymnen an die Nacht von 1800) noch von künstlerischen Sublimationsleistungen, es geht schlicht um den Zusammenhang von Liebe, Lust und Literatur. Man kann also mutmaßen, dass der Text zeitgenössisch als programmatischer Emanzipationstext, als Patriarchatskritik verstanden wurde. 2. Aus heutiger Sicht, wenn man also nach dem aktuellen Stellenwert des Textes fragt, muss man kritisch festhalten, dass er weder historisch noch aktuell für weibliche Autonomie plädiert. Er erscheint uns vielmehr als der Versuch, Emanzipation fiktional abzublocken, indem
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das Phantasma der scheinbar selbstständigen Frau entworfen wird. Der Text erfordert also eine geschlechterdifferente Lektüre, die nach der literarischen und kulturellen Konstruktion von Weiblichkeit im Text fragt. Die Sprache der Liebe solle „frey und kühn“41 sein, die Darstellung körperlicher Liebe erfordert demnach eine andere, eine neue kulturelle Mitschrift. Zeitgenössisch wurde der Anspruch dieses neuen Tons, der neuen Schrift, durchaus erkannt, nicht aber honoriert und schon gar nicht fortgesetzt. Die weibliche Hauptfigur des Textes, Lucinde, ist nicht verheiratet, sie hat ein uneheliches Kind und lebt in einer ‚wilden Ehe‘, einer Liebesgemeinschaft mit der männlichen Hauptfigur Julius zusammen – Grimms Deutsches Wörterbuch wird hier schon, in Anlehnung an einen Vers Hagedorns, von der ‚freien Liebe‘ „im gegensatze zur ehe“42 sprechen. Allein diese Konstellation war für die Zeitgenossen ein Tabubruch. Gleichwohl hat auch dieses Modell einen geschichtlichen, nämlich mittelalterlichen Vorläufer in der Liebesbeziehung zwischen Abaelard und Heloïsa. Heloïsa selbst ist es, die ihren Geliebten als ihren Gatten bezeichnet. Verheiratet, also nach damaligem Recht mit dem kirchlichen Sakrament gesegnet, sind die beiden natürlich nicht. „Du bist mein Zeuge, nicht meine Lust, nicht mein Wille war je mein Ziel, nein, nur Deine volle Befriedigung. In dem Namen ‚Gattin‘ hören andere vielleicht das Hehre, das Dauernde; mir war es immer der Inbegriff aller Süße, Deine Geliebte zu heißen, ja – bitte zürne nicht! – Deine Schlafbuhle, Deine Dirne.“ Die große Liebe und die Lust gelten ihr als Ehesurrogat. Und auch Abaelard pflichtet ihr darin bei, dass sie eine lustvolle Beziehung führten: „In unserer Gier genossen wir jede Abstufung des Liebens, wir bereicherten unser Liebesspiel mit allen Reizen, welche die Erfinderlust ersonnen.“43 In der Lucinde wird weibliche „Prüderie“,44 also das zivilisatorische, das kulturell erworbene Ansichhalten, als unnatürlich verworfen. Der Text imaginiert dadurch die befreite, die lustspendende und die lustempfangende Frau, es geht um die Männerphantasie der ständigen sexuellen Verfügbarkeit und Willigkeit der Frau, wie sie schon Montaigne in den Essais naturgesetzlich begründete. Die Natur habe den Frauen eine „dauernde Bereitschaft“ verliehen, sie seien für die Män-
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ner „immer bereit“.45 In Schlegels Lucinde ist die Adressatin des männlichen Schreibers und Erzählers letztlich also nicht die einzelne Frau Lucinde, sondern es geht ihm um Weiblichkleit schlechthin: „Laß mich’s bekennen, ich liebe nicht dich allein, ich liebe die Weiblichkeit selbst. Ich liebe sie nicht bloß, ich bete sie an, weil ich die Menschheit anbete. [. . .] Es ist die älteste kindlichste einfachste Religion, zu der ich zurückgekehrt bin“. Obwohl Julius deutlich vor Augen steht, „kein Weiser hat die Weiblichkeit ergründet“ und es über ihn heißt: „Die Frauen kannte er eigentlich gar nicht“46 und er damit nur wiederholt, was schon Schillers Ferdinand in Kabale und Liebe wusste: „Weiber [. . .] das ewige Rätsel!“47 Die Lucinde führt im Untertitel die gattungstypologische Bezeichnung Ein Roman. Im Text selbst greift der Autor dreimal diese Zuordnung auf: „Und sollte dir ja dieser kleine Roman meines Lebens zu wild scheinen: so denke dir, daß er ein Kind sey [. . .]“. An anderer Stelle heißt es: „Übrigens wollte ich eigentlich davon reden, welchen Eindruck dieser fantastische Roman auf die Frauen machen würde, wenn der Zufall oder die Willkühr ihn fände und öffentlich aufstellte“. Indirekt spricht der Autor aber auch von seinem Text als Roman, wenn er ihn „dieses tolle kleine Buch“ nennt. Im Stil der erotischen Literatur des 18. Jahrhunderts fingiert er seinen Roman als „Bekenntnisse“, was wiederum die Charakterisierung als ‚wilder‘ und ‚fantastischer‘ Roman legitimieren hilft.48 Dem eigentlichen Text ist ein Prolog vorangestellt, der mehr enthält, als nur literaturhistorische Referenzen auf Petrarka, Boccaccio und Cervantes, welche die rhetorische Funktion einer klassischen captatio benevolentiae ersetzten. Die drei großen Namen der europäischen Literaturgeschichte, die mit Petrarka auch den Begründer eines der wichtigsten europäischen Liebesdiskurse aufruft, werden mit einer mythologiegeschichtlichen Referenz verknüpft, die sich unschwer als Sublimierungsallegorie zu erkennen gibt. Es ist der griechische Mythos von Leda und dem Schwan, wonach der Göttervater Zeus Leda begehrte, die seine Zuneigung aber nicht erwiderte. So verwandelte er sich in einen Schwan und vollzog in der Tierkostümierung den Geschlechtsakt. Bei Schlegel nun dient das Bild zunächst zur Abwehr möglicher Kritiken, Adler – als Sinnbild unan-
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greifbarer Dichtergröße – und Schwan kümmerten sich nicht um das „Gekrächz der Raben“. Dem Schwan gehe es um nichts anderes, „als daß der Glanz seiner weißen Fittiche rein bleibe. Er sinnt nur darauf, sich an den Schooß der Leda zu schmiegen, ohne ihn zu verletzen; und alles was sterblich ist an ihm, in Gesänge auszuhauchen.“49 Der Schoß der Leda wird zum Sinnbild weiblicher Sexualität und die Berufung auf dieses Sinnbild dient der Rechtfertigung literarischen Schreibens darüber. Die Sublimierung des männlichen Begehrens erfolgt im ‚Gesang‘, was hier als poetisches Artefakt verstanden werden kann. Literatur wird demnach als Sublimierungsprodukt eines fiktiv angenommenen, da mythologisch evozierten Begehrens verstanden. Anders gesagt, stellt sich die Fiktion (die Literatur) als Ergebnis eines fiktiven Begehrens dar. Damit wiederholt Schlegels Text im Prolog, was für die Ebene der Autorwirklichkeit ohnehin gilt, dass die Literatur stets Begehren modelliert. Die Bedeutung der Schoßmetaphorik ergibt sich, streng hermeneutisch argumentiert, aus den zahlreichen Parallelstellen. In den insgesamt neun Textstellen überwiegt die Bedeutung vom weiblichen Schoß, vom Schoß der Natur und vom Schoß als Ort der Paaridentität.50 Im ersten ‚Bekenntnis eines Ungeschickten‘ steht Julius am Fenster und phantasiert die Gegenwart seiner Geliebten. In der Lesart dieses ersten Briefs von Julius an Lucinde ist Liebe demnach nicht ein kulturelles Produkt, sondern Liebe ist ein Naturzustand. Erst die kulturelle Überformung macht aus der (natürlichen) Liebe ein (unnatürliches) Verhaltensmuster. Liebe offenbart „einen tiefen Blick in das Verborgne der Natur“; im Sinne einer Antitheodizee geht es nicht mehr darum, die Ordnung der Dinge und die Welt als die beste oder nützlichste aller möglichen Welten zu rechtfertigen, sondern es ist die denkbar „schönste“ Welt. Eines wird hier schon deutlich: Die Liebe ästhetisiert – die Wahrnehmung, die Dinge, das Verhalten. Auch wenn sich für Julius sein Zustand „leicht aus der Psychologie“ erklären lässt, so bleibt die „romantische Verwirrung“ der Liebe doch jener flüchtige Moment, den es als Erinnerung, Phantasie oder Wirklichkeit festzuhalten gilt. „Ich bat sehr, du möchtest dich doch einmal der Wuth ganz hingeben, und ich flehte dich an, du möchtest unersättlich seyn“.51 Die Wut, von
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der Julius spricht, ist im Wortsinn des 18. Jahrhunderts die sexuelle Lust, die im zeitgenössischen medizinischen Diskurs als Mutterwut, Liebesfieber, furor uterinus oder febris amatoria bezeichnet wird und über die zu lesen ist: „Artet der Trieb zum Beyschlafe in Wuth und Unsinn aus, so wird er auch wohl Liebeswuth genannt“.52 Die Bedeutung der schönsten Welt schließt ein, dass über die „schönste Situazion in dieser schönsten Welt“ gesprochen bzw. geschrieben wird. Dies heißt aber im Klartext, die „Ordnung“ der Welt, die Beschreibungsregulative einer „bürgerlichen und gesellschaftlichen Ordnung“ zu verlassen, gar sie zu vernichten und ihr die Unordnung der Liebe entgegenzusetzen, deren Darstellung die Unordnung des Textes bedeutet.53 Im Grammatisch-kritischen Wörterbuch (1808) von Adelung wird dieser Aspekt von Ordnung und Unordnung kodifiziert: „In der engsten Bedeutung ist“ Liebe „die Leidenschaft, oder das zu einer Fertigkeit gewordene Verlangen nach dem Besitze oder Genusse einer Person andern Geschlechtes, da sie denn so wohl rechtmäßig und geordnet, als unrechtmässig [!] und ungeordnet seyn kann.“54 Das „schönste Chaos“, von dem Julius nun schreibt, ist diese Unordnung der Liebe. So erklärt Schlegel via sein Alter Ego Julius, der sich selbst als „gebildeter Liebhaber und Schriftsteller“ bezeichnet, weshalb sein Roman kein narrativ kohärenter Text ist, sondern eine Vielzahl unterschiedlicher Gattungstypen vereint. An diesem Punkt steht Schlegels Roman in der Tat am Beginn einer romanpoetischen Moderne. Folgerichtig fügt sich also als nächstes Kapitel des Romans die Dithyrambische Fantasie über die schönste Situazion an. Der Text benennt das Begehren nach der Dauer der Erfüllung. Das schließt die Gültigkeit und Dauer des Augenblicks nicht aus: „Die Liebe [. . .] ist auch der heilige Genuß einer schönen Gegenwart“. In dieser Phantasie, die Julius sucht, soll das Begehren „sich endlich erfüllen und endlich Ruhe finden“. Lust und Liebe kennzeichnen diesen Zustand, gar von einem großen Karneval der Lust und Liebe spricht Julius an anderer Stelle. Im Zusammenhang dieser Phantasie fällt auch erstmals das Wort von der Ehe, die beide miteinander verbinde. Damit ist nicht das bürgerliche Institut oder ein religiöses kirchliches Sakrament gemeint, auch wenn Julius wenig später von der „Religion der Liebe“ spricht.55
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Vielmehr erfolgt die Definition dessen, was unter „unsrer Ehe“ verstanden wird, aus der männlichen Perspektive; für Julius bedeutet dieser Zustand die Verschmelzung von weiblichem Ich und männlichem Ich mit einem Allmachtsanspruch, der jegliche Vergänglichkeit ausschließt. Zu einer echten Ehe gehöre, so Julius, ewige Liebe. „Ich kann nicht mehr sagen,“ schreibt Julius, „meine Liebe oder deine Liebe; beyde sind sich gleich und vollkommen Eins, so viel Liebe als Gegenliebe“.56 Ewigkeit, Einheit und Harmonie sind die Anspruchskriterien, die dieses Ehemodell kennzeichnen. Nietzsche wird dies später in die längst zur gängigen Münze gewordene Formulierung kleiden: „Denn alle Lust will – Ewigkeit“.57 Zugleich ist Nietzsche auch jener Kronzeuge, der die Stellung der Ehe in der bürgerlichen Gesellschaft des 19. Jahrhunderts skeptisch beurteilt. In einem nachgelassenen Fragment warnt er, „aus der Liebe läßt sich keine Institution machen“, die Ehe sei lediglich „die gesellschaftliche Erlaubniß, die zwei Personen zur Geschlechtsbefriedigung an einander ertheilt wird“.58 Auch Schlegels Zeitgenosse Novalis fühlt sich vor die Wahl zwischen Liebe oder Ehe gestellt, „die Ehe bezeichnet eine neue, höhere Epoke der Liebe [. . .]“.59 Schlegel hingegen propagiert in seiner Lucinde einen anderen Weg, den der erfüllten Lust in einer monogamen Beziehung, die gesellschaftlich nicht legitimiert ist. Lucinde ist die ‚große Liebe‘, so wird es am Ende des Romans heißen.60 Schlegel führt damit einen Begriff ein, der in der zeitgenössischen Literatur seinesgleichen sucht. Lucinde wird von Julius als eine Frau erfahren und phantasiert, die sexuelle Erfüllung gewährt und „unersättlich“ ist. Julius genießt nicht nur diese sexuelle Erfüllung mit seiner großen Liebe, sondern er genießt auch den Genuss. Das Superlativische von Lust und Liebe kennzeichnet also diese große Liebe von Beginn an, und nur so ist zu verstehen, wenn Julius sich selbst als Priester und Prophet im Namen der Geschlechterliebe begreift, der „das hohe Evangelium der ächten Lust und Liebe“ zu verkündigen habe. Die schönste Situation meint die sexuelle Erfüllung in der großen Liebe, und das wirft unweigerlich die Frage nach der Moral einer textuellen Darstellung dieser großen Liebe auf. Beide Hauptfiguren, Julius und Lucinde, thematisieren genau dies, wenn Lucinde einwirft, wie könne
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man das schreiben wollen, „was kaum zu sagen erlaubt ist, was man nur fühlen sollte?“, und Julius antwortet, man dürfe, was man fühle, auch sagen und was man sagen wolle, dürfe man auch schreiben. Allein die Authentizität des Gefühls legitimiert die Darstellung ‚des Schönsten‘. Wie Leser darauf reagierten, ist bekannt. Die große Liebe findet noch eine weitere Steigerungsmöglichkeit. Diese besteht darin, „die Rollen [zu] vertauschen“.61 Erstaunlicherweise wurde diese Textstelle bislang bei den LucindeInterpretationen geflissentlich überlesen, passt sie doch so gar nicht in ein naiv emanzipatives oder ein vorschnelles genderkritisches Verständnis des Textes.62 Gleichwohl markiert sie vom Beginn an das Phantasma des Rollen- und Geschlechterwechsels – und nicht der Rollen- und Geschlechterauflösung! – in der großen Liebe. Dieses Spiel des Rollentauschs stellt sich Julius als „wunderbare sinnreich bedeutende Allegorie auf die Vollendung des Männlichen und Weiblichen zur vollen ganzen Menschheit“ dar. Weshalb aber bedarf es dieser Vollendung? Darauf gibt der Text keine Antwort. Der Verzicht auf kulturelle Inszenierungsmuster, die als Vorurteile und als falsche Scham gebrandmarkt werden, der Verstoß also gegen kulturelle Kodes, gegen soziale Regeln und religiöse Rücksichtnahmen, kurz: der Anspruch „in schöner Anarchie“ die Vollendung von Lust und Liebe zu leben, enthält eine klare Absage an tradierte Verhaltens- und Verständnisordnungen. Nicht umsonst spricht Julius von der „beneidenswürdige[n] Freyheit von Vorurtheilen“, davon, dass man sich „über alle Vorurtheile der Cultur und bürgerlichen Conventionen“ hinwegsetzen solle, oder, wie es in den Lehrjahren der Männlichkeit heißt: „Es ward Grundsatz bey ihm, die gesellschaftlichen Vorurtheile, welche er bisher nur vernachlässigte, nun ausdrücklich zu verachten“.63 Bei Schlegels Schriftstellerkollegen Heinse findet sich eine vorrevolutionäre Vorwegnahme dieses antibürgerlichen Impulses in seinem Roman Ardinghello (1787). Darin schreibt Heinse über den kulturellen Zwang zur monogamen Paarintimität: Und ist eine junge Schönheit nicht imstande, ihrer viele zu vergnügen? Verliert der eine etwas, wenn der andre auch von der Quelle
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trinkt, woran er schon seinen Durst gelöscht hat? In einer guten bürgerlichen Gesellschaft sollte platterdings auch gesellschaftliche Liebe und Freundlichkeit sein; allein wir können uns von dem Krebsschaden der Vorurteile vieler Jahrtausende noch nicht heilen. Eins und eins ist wahrlich nicht viel mehr als einsiedlerisch und gegen die Natur; [. . .]. In einer – freilich nicht veröffentlichten – Ergänzung zu dieser Textstelle schmückt Heinse die Erklärung noch sexuell drastisch aus und lässt die lebenslustige Fiordimona sagen: Brüder und Helden, jeder wert, ein Mann zu sein, machen sich eine Freude daraus ein schönes Weib gemeinschaftlich wie einen kernhaften Braten zu theilen. Der Schwanz ist weiter nichts als eine andre Zunge unten am Bauche, und wenn er ein zart Gefühl hat, so schmeckt er die Verschiedenheit der Fotzen wie jene die Weine. Und warum soll er mit guten Freunden nicht in Gemeinschaft essen und trinken? An einer guten jungen Fotze können sich Dutzend Schwänze in einem Abend satt kosten und satt lecken. In einer bürgerlichen Gesellschaft sollte platterdings auch gesellschaftliche Liebe und Freundlichkeit sein. [. . .] Die Zunge genießt allerley, der Schwanz nur Fotzen, und die Fotze nur Schwänze, und wir wollen sie noch überdieß nur eins und eins zusammenpaaren, und dieß auf Lebenszeit?64 Übrigens hat dies später auch Goethe in seinem Gedicht Modernes (1827) ähnlich gesehen: „Denn wärt ihr stets bei Einer geblieben, / Wie könntet ihr noch immer lieben?“65 Schlegel gebraucht in der Lucinde an dieser Stelle ein kleines Adjektiv, mit dem er seinen Roman kennzeichnet, dieser könne, lässt er Julius sagen, ob seiner erotischen Assoziationsmöglichkeiten zu „wild“66 scheinen. Mit dieser Charakterisierung greift er – ob wissentlich oder unwissentlich, spielt dabei keine Rolle – eine Sprachregelung auf, die Schiller in Kabale und Liebe immerhin zur Bestimmung sexuellen Begehrens ins Spiel brachte.67 Louise Miller bringt hier eine Unordnung
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in die Liebe, da sie deren Triebnatur erkennt. Ob sie diese Kenntnis aus der Literatur bezogen hat, wie der Vater mutmaßt, bleibt im Stück dahingestellt. Sie artikuliert „wilde Wünsche“, die sich für sie als Bedrohung darstellen. Ihr Geliebter Ferdinand wird zum „Feuerbrand“,68 der wütet und den Mann sprachlos macht. Diese Sprachlosigkeit bleibt auch gegenüber Lady Milford bestehen, sie spiegelt jeweils seine Fassungslosigkeit angesichts der distinkten Aussagen der beiden Frauen Louise und Lady Milford.69 Die aristokratische männliche Sprachbeherrschung versagt vor der sprachgewandt artikulierten Autonomie des weiblichen Ichs. Louises wilde Wünsche werden von Lady Milfords „wildere[n] Wünsche[n]“70 überboten. In einem regelrechten Wettbewerb der Leidenschaften versuchen sich die beiden Frauen ständedistinkt zu positionieren. Dabei tritt eine erstaunliche Umkehrung der Verhaltensstandards bürgerlicher und aristokratischer Ordnung zutage. Während Lady Milford sexuell exzessiv gelebt hat und nun ihre Sehnsucht nach einer verlässlichen Partnerbeziehung, nach ihrer großen Liebe artikuliert und dies für sie ‚wildere Wünsche‘ sind als je ihre Lebensweise zuvor, ahnt die unerfahrene Louise, dass ihre Liebe zu Ferdinand nicht körperlos bleiben wird, sondern auf eine sexuelle leidenschaftliche Beziehung zielt, ihre Wünsche also wild, leidenschaftlich, ungeordnet, nicht mehr disziplinierbar werden. Am Ende aber wird Ferdinand den Superlativ wilder Wünsche vollenden. Als er an der Aufrichtigkeit von Louises Liebe zweifelt, ruft er sich selbst in Erinnerung, dass seine „wildesten Wünsche schwiegen“,71 obwohl er Louise gerade geküsst hatte. Begehrensfrei und körperlos war ihre Liebe. Allerdings dient ihm diese Erinnerung nicht dazu, die geliebte Frau zu entlasten und sein verlorenes Vertrauen zurückzugewinnen, sondern er prädiziert damit eine Kosten-Nutzen-Reflexion, die seinen Verzicht und damit seinen Verlust in den Mittelpunkt rücken – und er eröffnet dadurch eine Rechnung bürgerlicher Ökonomie. In seiner Dissertation Versuch über den Zusammenhang der thierischen Natur des Menschen mit seiner geistigen (1780) hatte Schiller noch am Beispiel Fieskos in der Tradition aufgeklärter Schulphilosophie argumentiert und die individuelle Gefahr einer ‚Unordnung der Wollust‘ geschildert:
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Zerrüttungen im Körper können auch das ganze System der moralischen Empfindungen in Unordnung bringen, und den schlimmsten Leidenschaften den Weg bahnen. Ein durch Wollüste ruinirter Mensch wird leichter zu Extremis gebracht werden können [. . .]. Katilina war ein Wollüstling, eh er ein Mordbrenner wurde; und Doria hatte sich gewaltig geirret, wenn er den wollüstigen Fiesko nicht fürchten zu dörffen glaubte. Ueberhaupt beobachtet man, daß die Bösartigkeit der Seele gar oft in kranken Körpern wohnt.72 Über die gesellschaftlichen Auswirkungen einer im Schlegel’schen Sinne auf ‚Lust und Liebe‘ basierenden Partnerschaft ist sich Louise Millerin im Klaren, sie erkennt, dass mit ihrem ‚Liebesprojekt‘ „die Fugen der Bürgerwelt auseinander treiben, und die allgemeine ewige Ordnung zu Grund stürzen würde“.73 Schon Jean-François Marmontel warnte in seiner Dichtkunst (dt. 1766) vor den Gefahren der Leidenschaften, deren Darstellung die Aufgabe der Tragödie sei, an erster Stelle führt er die Liebe an; sie erstreckten „ihre schädliche Herrschaft über alle Staaten, über alle Classen der Gesellschaft. Diese sind die wahrhaften Feinde der Ordnung [. . .]“.74 Demgegenüber hielten Aufklärer wie Dedekind schon früh die Einsicht fest, dass der Mensch ein Triebwesen sei und es gelte, dem angemessen Rechnung zu tragen. In seinem Buch Die Kunst Wollust zu geniessen an Lucinden (1756) schreibt er: „Es ist gar zu verwegen, die Wollust zu verdammen. Nein, nein; ihr Störrischen, müsset es nicht übel nehmen, daß wir Menschen sind!“75 Wie aktuell dieses Thema ist, zeigt der englische Philosoph Blackburn, der 2008 ein Buch über die Wollust in deutscher Übersetzung vorgelegt hat. Darin beschreibt er die Wollust als „das intensive, frenetische Verlangen nach den Wonnen sexueller Aktivität [. . .]“. Den Rückkoppelungseffekt, die eigene Lust in der Lust des anderen wiederzufinden, vergleicht er mit einer Art gemeinsamen Musizierens und nennt dies die „reine Gegenseitigkeit“ oder die „Hobbes’sche Einheit“. „Die Natur macht uns zu Narren, aber sie entschädigt uns durch Lust.“ Und wie ein ferner Nachhall zur Lucinde klingt es, wenn Blackburn schreibt: „Wenn wir sie als das begreifen, was sie ist, können wir die
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Wollust für die Menschheit reklamieren, und wir können lernen, dass Wollust am besten gedeiht, sofern sie unbelastet ist von schlechter Philosophie und Ideologie, von Falschheiten, Verzerrungen, Entartungen, Perversionen und Verdächtigungen, die sie daran hindern, sich frei zu entfalten.“76 Das hat viel Ähnlichkeit mit Heinses epikureischem Bekenntnis aus dem Ardinghello, „wenn man die Wollust dem Leben abzieht, so bleibt nichts als der Tod übrig“.77 Schlegel erschließt also einen hoch interessanten textualistischen Liebesbegriff. Demnach wird Liebe als Text verstanden, dessen richtiges Verstehen von der entsprechenden hermeneutischen Schulung der Liebenden, also dem Textschreiber und zugleich dem Textleser, abhängt. Julius spricht von einer „Rhetorik der Liebe“, vom „ächte[n] Buchstabe[n]“, von einem neuen Sinn, der sich ihm erschlossen habe und den er den „höhern Kunstsinn der Wollust“ nennt, der nur durch die Liebe gelehrt werden könne.78 So erklärt sich nebenbei auch Schlegels Bemerkung: „Ursprung der Kunst aus der Wollust und Liebe“.79 In den Athenäums-Fragmenten, jenen programmatischen Aphorismen, die Friedrich Schlegel, sein Bruder August Wilhelm und Friedrich Schleiermacher geschrieben haben, ist im Fragment Nr. 87 zu lesen: „Das Erste in der Liebe ist der Sinn füreinander, und das Höchste, der Glauben aneinander. Hingebung ist der Ausdruck des Glaubens [. . .]“. Obwohl Friedrich Schlegel den Frauen Sinn für Kunst abspricht (geschehen im Fragment Nr. 102), ist eine Frau doch die Hauptfigur seines einzigen Romans. Lucinde hat nach diesem Diktum keinen Sinn für Kunst, sie ist gleichwohl mehr, sie ist der Sinn der Kunst selbst. Das Geliebte zu vergöttern sei die Natur des Liebenden, schreibt Schlegel im Fragment Nr. 363. Unterschieden davon sei es, dem Realbild der geliebten Frau ein Phantasiebild unterzuschieben und dieses Bild mit Idealitätsvorstellungen aufzuladen. Doch was wird nun vergöttert? Das Realbild, das Phantasiebild oder gar ein Mix aus beidem? Der Liebestheoretiker bleibt hier ebenso unklar wie der Liebespraktiker, der seine literarischen Figuren im Roman die große Liebe finden lässt. Zeichnet sich diese große Liebe vielleicht gerade dadurch aus, dass sie die Differenz von Wirklichkeit und Phantasie aufhebt und eben aus der Kraft der Liebe ein ganz anderes Bild des anderen konsti-
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tuiert, das sich nicht mehr aus den Erfahrungen, Erwartungen und Wünschen des eigenen nährt? In dem also das andere von vornherein schon als die andere oder der andere, jedenfalls wesentlich geschlechtlich gesetzt wird? Und was sagt der Theoretiker Schlegel dazu? „Wahre Liebe“ – so teilt er unmissverständlich und enttäuschend ungenau mit – „sollte ihrem Ursprunge nach, zugleich ganz willkürlich und ganz zufällig sein, und zugleich notwendig und frei scheinen; ihrem Charakter nach aber zugleich Bestimmung und Tugend sein, ein Geheimnis, und ein Wunder scheinen“ (Fragment Nr. 50). Wovon spricht Schlegel, von Büchern oder von Menschen? Was er über Jean Pauls Frauenfiguren meint, lässt sich ohne Weiteres auf eine Vielzahl von Frauengestalten in der Literatur beziehen: Jean Pauls Frauen seien „Gliederfrauen zu psychologischmoralischen Reflexionen über die Weiblichkeit“ (Fragment Nr. 421). Müsste man also, um etwas über die große Liebe zu erfahren, das Feld der Theorie verlassen? Wesentlich ernüchterter klingt es in einem von Schleiermacher verfassten Aphorismus: „Was oft Liebe genannt wird, ist nur eine eigne Art von Magnetismus. Es fängt an mit einem beschwerlich kitzelnden en rapport Setzen, besteht in einer Desorganisation und endigt mit einem ekelhaften Hellsehen und viel Ermattung. Gewöhnlich ist auch einer dabei nüchtern“ (Fragment Nr. 340). Immerhin gibt der Philosoph und Theologe Schleiermacher in einer Idee zu einem Katechismus der Vernunft für edle Frauen diesen den Rat mit: „Du sollst nicht falsch Zeugnis ablegen für die Männer; du sollst ihre Barbarei nicht beschönigen mit Worten und Werken“ (Fragment Nr. 364). Im Leben wie in der Literatur würden Frauen, zu dieser Einsicht gelangt auch Friedrich Schlegel, gleichermaßen ungerecht behandelt (vgl. Fragment Nr. 49). Im Lucinde-Roman definiert Julius die „Empfindung des Fleisches“, welche also das körperliche Begehren meint, als die erste Stufe einer „Liebeskunst“. Während Männer diesen ersten Grad der Liebe aber lernen müssen, eignet er den Frauen von Natur aus, „jede hat die Liebe schon ganz in sich“. Die Liebe ist für den Mann „nur ein Wechsel und eine Mischung von Leidenschaft, von Freundschaft und von Sinnlichkeit“. In den Lehrjahren der Männlichkeit wird Julius hervorheben, dass die Frauen „mitten im Schooß der menschlichen Gesellschaft Natur-
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menschen geblieben sind“. Keine Frage, dass Julius hier das traditionelle Geschlechterbild der Frau als ursprüngliches, leidenschaftliches und triebgesteuertes Wesen evoziert. Der zweite Grad jener Liebeskunst entspricht einem Ideal, nämlich der Erfüllung und Befriedigung des weiblichen Verlangens. Für den Mann heißt dies, „Fantasie“ aufzubringen und die „Allmacht der Fantasie“ auch zu ertragen, um diesen Grad der „intensive[n] Unendlichkeit, Unzertrennlichkeit ohne Zahl und Maaß“ zu erreichen. Der dritte Grad ist „das bleibende Gefühl von harmonischer Wärme“.80 Sexuelle Lust, phantasievolle Befriedigung und Harmonie werden also als die drei Stufen der großen Liebe beschrieben. Zumindest ist dies ein etwas anderer Gedanke als Stendhals Kristallisationstheorie der Liebe. In dem bereits zitierten Buch Über die Liebe schrieb dieser: Im Hirn eines Liebenden, das vierundzwanzig Stunden hindurch in Aufruhr ist, geht vergleichsweise folgendes vor: In den Salzburger Salzgruben wirft man in die Tiefe eines verlassenen Schachtes einen entblätterten Zweig; zwei oder drei Monate später zieht man ihn über und über mit funkelnden Kristallen bedeckt wieder heraus; selbst die kleinsten Zweiglein, nicht größer als die Krallen einer Meise, sind überzogen mit zahllosen schillernden, blitzenden Diamanten; man erkennt den einfältigen Zweig gar nicht wieder. Ich bezeichne als Kristallisation die Tätigkeit des Geistes, in einem jeden Wesenszuge eines geliebten Menschen neue Vorzüge zu entdecken.81 Schlegels Julius liebt nicht nur Lucinde, sondern „die Weiblichkeit selbst“, er betet die Weiblichkeit und die Menschheit an und fordert Lucinde auf, ihn zum Priester der Weiblichkeit zu weihen. Nur so ist die in der sich anschließenden Idylle über den Müssiggang geprägte Formel vom ‚hohen Evangelium der echten Lust und Liebe‘ zu verstehen. Julius ist zum Priester dieser Liebesreligion geweiht. Ihm geht es darum, die Objektivität seiner Liebe, die Liebe als Naturzustand, festzustellen. „Diese Objektivität und jede Anlage zu ihr bestätigt und bildet
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ja eben die Magie der Schrift, [. . .]. Die Liebe selbst sey ewig neu und ewig jung, aber ihre Sprache sey frey und kühn [. . .]“. Schlegels textualistisches Liebesverständnis – wonach also die Schrift und die Sprache der Liebe ihre Objektivität verbürgen – ist an die Ästhetisierung des Sexes gekoppelt. Anders formuliert: Die Ästhetik der Wollust wird an das Durchschreiten der dreigradigen Liebeskunst gebunden. Die echte, objektive Liebe ist – folgt man der Argumentation des Romans – die große Liebe, ihre Tatsächlichkeit ist textgestützt, auch wenn sich in das, „was reine Darstellung und Thatsache scheint“, „Allegorie eingeschlichen“ hat. Wenn man das Schlegel’sche Liebesmodell als das Modell einer Liebesbeziehung gegen die „öffentliche Meinung“ versteht, wird deutlich, dass demzufolge auch ein Liebestext wie die Lucinde sich zwangsläufig gegen Erwartungen, Regularien und Geschmacksvorstellungen der zeitgenössischen Öffentlichkeit stellen muss. Aus „niedriger Ordnungsliebe“ darf ein wildwüchsiger Text der Liebe nicht beschnitten werden.82 Das Plädoyer für den Müßiggang lehnt vehement die Triebfedern einer modernen Gesellschaft ab. Eile, Zeitnot, Effizienzdenken oder ökonomisches und soziales Maximierungsstreben sind mit der Unordnung der Liebe unvereinbar, die gerade auf ihre Zeitvergessenheit und Sorglosigkeit verweist. Schlegels Ästhetik der großen Liebe gründet sich auf die Annahme, „alles Gute und Schöne ist schon da und erhält sich durch seine eigene Kraft“. In diesem Zusammenhang fällt der Begriff des ‚Sturm und Drang‘, dessen die Liebe nicht bedürfe, da sie nur in der „heiligen Stille der ächten Passivität“ statthat, und es muss die Frage erlaubt sein, weshalb Schlegel an dieser Stelle auf diesen literarhistorischen Periodenbegriff rekurriert.83 Die kritische, genauer skeptische Haltung Schlegels gegenüber dem Sturm und Drang zeigt schon das 1798 formulierte Athenäums-Fragment Nr. 306: „Die Geschichte von den Gergesener Säuen ist wohl eine sinnbildliche Prophezeiung von der Periode der Kraftgenies, die sich nun glücklich in das Meer der Vergessenheit gestürzt haben“.84 In der Lucinde nun ist über den Zusammenhang von Sexualität und dem Drang zur Diskursivierung zu lesen: „Es brannte und zehrte in meinem Mark; es drängte und stürmte sich zu äußern. Ich griff nach
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Waffen, um mich in das Kriegsgetümmel der Leidenschaften, die mit Vorurtheilen wie mit Waffen wüthen, zu stürzen und für die Liebe und die Wahrheit zu kämpfen [. . .]“. Nur so wird die Äußerung von Julius verständlich: „Lieber erst den Diskurs, und hernach die Götter“. Die große Liebe von Julius und Lucinde hat den dritten und höchsten Grad der Liebeskunst, die Harmonie, erreicht. Dies bedeutet nun nicht, dass diese Liebe körper- und geschlechtslos geworden ist. Die Liebe ist alles, erklärt Julius, sie enthält „Freundschaft, schöne[n] Umgang, Sinnlichkeit und Leidenschaft“. Und doch gilt: „In einem Augenblick ist die Liebe da, ganz und ewig, oder gar nicht“ und „alles Schöne ist schnell und leicht“.85 Die Liebe bleibt fragil und flüchtig, allein der Text verbürgt ihr Dauer. Darin liegt das Geheimnis einer Ästhetik von Lust und Liebe als Lebensform und als Schreibhaltung in der Lucinde. Und in diesem Willen zur Beständigkeit kann das Gegenprogramm zum augenblicklichen Genuss und zum Gebot der plötzlichen Erfüllung gesehen werden, wie es etwa Montaigne beschrieben hat, der den Liebenden rät, sich so kurz wie möglich von der Liebe beherrschen zu lassen – die disziplinären Apparaturen des Selbstverzichts und der Selbstbeherrschung erheben drohend ihr Haupt. Nicht so in der Lucinde. Die Entwicklungsgeschichte der großen Liebe zwischen Lucinde und Julius nimmt ihren Ausgangspunkt in der Beobachtung, dass auch Lucinde einen „entschiednen Hang zum Romantischen“ habe. Julius versteht darunter die Ablehnung von kulturell kodierten Vorurteilen und bürgerlichen Ordnungsmustern. Lucinde vermag ohne Rücksichtnahmen frei und unabhängig zu leben. Julius erkennt in der Geliebten eine „wunderbare Gleichheit“. Nur er und sie vermögen „in der heiligen Schrift der schönen Natur“ zu lesen. Diese ‚schöne Natur‘ ist in einem einzigen Wort gebündelt, „er hatte das Wort gefunden [. . .] Liebe“. Die große Liebe macht die Menschen erst „zu wahren vollständigen Menschen“.86 Julius modifiziert mit dieser Äußerung die Anthropologie der Aufklärung um ein entscheidendes Stück. Galt dort die Einsicht, dass der Mensch ein Triebwesen sei und erst die Disziplinierung der Leidenschaften und die Affektmodellierung ihn zum Menschen mache,87 so ist es nun die Rückkehr in den Naturzustand
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der Liebe ohne kulturelle und gesellschaftliche Überformung. Dies führe letztlich zu einer freien Republik der Liebenden, oder wie Julius sagt, zu einer „allgemein[en] Brüderschaft aller Einzelnen“.88 Dass hier Julius für seinen Autor spricht, geht aus folgender Eintragung Schlegels hervor, wonach diese Erkenntnis in den Liebesdiskurs implementiert wird: „Nur durch die Liebe und durch das Bewußtsein der Liebe wird der Mensch zum Menschen.“89 Eine „neue Ordnung der Dinge“ basiert auf der Unordnung der Liebe, sie intendiert ein Kommunikations- und Handlungsmodell, das die Gleichheit der Liebenden proklamiert und die Geschlechterdifferenz festigt. In dieser veränderten Perspektive ist nun „die Gesellschaft [. . .] ein Chaos“. Während der Mann Julius sich zur Gottvollkommenheit entwickelt, vervollkommnet sich die Frau Lucinde, „gleich der Natur als Priesterin der Freude das Geheimniß der Liebe leise zu offenbaren“. Die Hierarchie der Geschlechter bleibt zwar bestehen, doch verbürgt die Textur der Liebe die Gleichheit der Liebenden. Denn – und auch dieses Argument ist nicht in den genderkritischen Arbeiten zur Lucinde zu finden – die große Liebe wandelt „die Natur im Menschen zu ihrer ursprünglichen Göttlichkeit“. Während der Mann also gottähnlich wird, wird die Frau gottgleich. Und diese Wandlung vollzieht das „heiligste Wunder der Natur“, die Wollust. Schlegel ruft somit emphatisch das sexuelle Begehren als jenen Ort der Verwandlung auf, der die Umkehrung der Geschlechterrollen und deren Aufhebung verbürgt. Für das Jahr 1799 ein wahrlich kühnes Gedankenexperiment!90 Als Ergebnis der Lucinde-Lektüre lassen sich folgende Erkenntnisse über das Verhältnis von Liebe und Literatur formulieren: 1. Liebe ist ein Naturzustand, ist nichts kulturell Generiertes, sie ist ein anthropologisches Muss. 2. Liebe wird als Text verstanden. Sie bleibt fragil und flüchtig, allein der Text verbürgt ihr Dauer. Die Textur der Liebe gewährt die Gleichheit der Liebenden. Denn die große Liebe wandelt „die Natur im Menschen zu ihrer ursprünglichen Göttlichkeit“. 3. Letztlich könnte man von hier aus sogar die These wagen, Liebe sei eine ‚natürliche‘ Kulturtechnik (Liebe = Natur, Text = Kultur).
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4. Das schlägt auch auf die Darstellung von Liebe durch: Die Unordnung der Liebe bedeutet bei Schlegel die Unordnung des Textes. Die Liebe ästhetisiert – die Wahrnehmung, die Dinge, das Verhalten, sie verändert also. 5. Schlegels Konjunktions-Modell von Lust und Liebe auratisiert die große Liebe als Evangelium und gibt ihr doch zugleich ihre Lust zurück. Sexuelle Lust, phantasievolle Befriedigung und Harmonie werden als die drei Stufen einer großen Liebe beschrieben.
6 „Es ist, was es ist“. Die große Liebe in der Literatur der Moderne Robert Musils Der Mann ohne Eigenschaften und Die Vollendung der Liebe – „Crazy little thing called love“. Entmythologisierungsprogramme: Elfriede Jelineks Lust und Die Klavierspielerin, Nicholson Bakers Vox Robert Musils Der Mann ohne Eigenschaften und Die Vollendung der Liebe Der österreichische Schriftsteller Robert Musil hat in seinem Jahrhundertroman Der Mann ohne Eigenschaften (1930/1932) mit beißendem Spott die Dissoziation von Liebe und Ehe in der modernen Gesellschaft kommentiert. Über die Liebesexpertin Diotima, eine der zahlreichen Hauptfiguren des Romans, heißt es: Sie hatte nicht gewußt, daß unsere Zeit, der sich vermutlich der Begriff der Liebesleidenschaft entrückt hat, weil er eher ein religiöser als ein sexueller ist, es als kindisch verschmäht, sich noch mit der Liebe zu beschäftigen, dafür aber ihre Anstrengungen an die Ehe wendet, deren natürliche Vorgänge sie in allen Abwandlungen mit frischer Ausführlichkeit untersucht. Schon damals waren viele jener Bücher entstanden, die mit dem reinen Sinn eines Turnlehrers von den „Umwälzungen im Geschlechtsleben“ sprechen und den Menschen dazu verhelfen wollen, verheiratet und dennoch vergnügt zu sein.1
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Während Diotima aber über die Schwierigkeiten einer Verknüpfung von Vergnügen und Ehe rätselt, lebt das Geschwisterpaar Ulrich und Agathe seine große Liebe. Daraus entwickelt sich eines der größten Liebesexperimente in der Literatur der Moderne. Im 61. Kapitel seines Romans Der Mann ohne Eigenschaften entfaltet Musil den Zusammenhang von Experiment und Utopie. Diese Textstelle ist gewissermaßen eine Trockenübung in Sachen Experiment, das in Folgendem besteht: Utopien bedeuten ungefähr soviel wie Möglichkeiten; darin, daß eine Möglichkeit nicht Wirklichkeit ist, drückt sich nichts anderes aus, als daß die Umstände, mit denen sie gegenwärtig verflochten ist, sie daran hindern, denn andernfalls wäre sie ja nur eine Unmöglichkeit; löst man sie nun aus ihrer Bindung und gewährt ihr Entwicklung, so entsteht die Utopie. Es ist ein ähnlicher Vorgang, wie wenn ein Forscher die Veränderung eines Elements in einer zusammengesetzten Erscheinung betrachtet und daraus seine Folgerungen zieht; Utopie bedeutet das Experiment, worin die mögliche Veränderung eines Elements und die Wirkungen beobachtet werden, die sie in jener zusammengesetzten Erscheinung hervorrufen würde, die wir Leben nennen.2 Man kann dies wörtlich nehmen und ausschließlich modallogisch analysieren, dann lässt sich aus dieser Passage im Kontext anderer Ausführungen des Romans eine Art Generalschlüssel zur Interpretation von Texten ableiten, gleichsam eine hermeneutische Allmachtsphantasie aus dem Mann ohne Eigenschaften entwickeln. Die Leitbegriffe, auf die dabei zurückgegriffen werden kann, sind jene von Musil selbst im Roman exponierten Modalbegriffe Wirklichkeit und Möglichkeit. Im Zusammenhang einer kleinen Literaturgeschichte der großen Liebe kommt es allerdings nur auf einen einzigen Aspekt an. Musil entwickelt in jenem 61. Romankapitel die Basisbedingungen für ein Experiment, er stellt die Bedeutung der Möglichkeit heraus, es ist von möglicher Veränderung eines Elements und von den möglichen Wirkungen im Leben die Rede, nicht von den zu erwartenden, tatsächlichen Veränderungen oder Wirkungen. Wenn eine Möglichkeit sich
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entwickelt, entsteht Utopie, Utopien sind sich entwickelnde Möglichkeiten; und: Utopie ist ein Experiment. Da aus Möglichkeiten Utopien entstehen und Utopien Möglichkeiten sind und Utopien Experimente sind, bedeutet dies in der logischen Schlussfolgerung, eine Möglichkeit ist ein Experiment mit möglichen Parametern. Terminologisch etwas variiert heißt dies: Eine Möglichkeit ist eine Möglichkeit, die eine Möglichkeit oder mehrere Möglichkeiten im Leben beobachten lässt. Die zentrale Frage lautet nun: Was geschieht, wenn Liebe als Platzhalter dieser Utopie in Musils Denkfigur eingelesen wird? Unter den Bedingungen des Textes gilt: Wenn nun diese Möglichkeit die Liebe ist, bedeutet dies, dass die Liebe eine Möglichkeit ist, die Liebe beobachten lässt; schärfer formuliert: Die Liebe ist eine Möglichkeit zur Liebe, eine Liebe ist eine Liebe ist eine Liebe, nur Liebe schafft Liebe. Liebe ist, was Liebe generiert. Ein erstaunliches Ergebnis dieses Musil’schen Experiments. Der Autor instruiert seinen Erzähler, das Experiment sogleich zu starten, und zwar mit seinem Protagonistenpaar Ulrich und Agathe. Sie beginnen ihr Experiment Liebe, eines der bemerkenswertesten Experimente erzählender Literatur des 20. Jahrhunderts, obwohl sich der Autor, wie eine Nachlassnotiz festhält, zeitweilig sehr unsicher war über die Bedeutung der Liebe: „Hat es Sinn, ein solches Wort rund herum zu untersuchen?“3 Die heiligen Gespräche – so der Titel des elften Kapitels des zweiten Buchs (1932) – der Geschwister Ulrich und Agathe nehmen ihren Ausgangspunkt in der Lektüre verschiedener Mystikertexte.4 Sie sind aber keine Gottessucher, das wäre ein Missverständnis. Ulrichs Bemerkung, er unterrichte sich über die Wege des heiligen Lebens, bedeutet nicht, dass er eine religiöse Wendung vollzogen hat.5 Ulrich und Agathe gehen diesen Weg, „ohne fromm zu sein, ohne an Gott oder Seele, ja ohne auch nur an ein Jenseits und Nocheinmal zu glauben; sie waren als Menschen dieser Welt auf ihn geraten und gingen ihn als solche: und gerade das war das Beachtenswerte“.6 Das Liebesexperiment der Geschwister besteht darin, einen der Unio mystica vergleichbaren Zustand zu schaffen und ihn dauerhaft zu sichern, eben den anderen Zustand. Doch wie kann dieser Zustand erreicht werden? Ulrich weiß, dass ihn die Diskursmaschine lediglich in die Lage versetzt, viel dar-
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über sprechen zu können.7 Er selbst erkennt, „meine Natur ist als eine Maschine angelegt, [. . .]! Ich will einmal anders sein!“8 Unter diesem Blickwinkel ist es nur schlüssig, wenn Ulrich auch über die Liebe feststellt, sie sei eine von den „Übereinstimmungsmaschinen“. Deren Funktion besteht darin, Gleichgerichtetheit herzustellen, in Überzeugungen, Absichten, Interessen, Glauben, Entscheidungen. Die heiligen Gespräche also kreisen um die Liebe. Der Erzähler warnt seine Leser: „Aber wer das, was zwischen diesen Geschwistern vorging, nicht schon an Spuren erkannt hat, lege den Bericht fort, denn es wird darin ein Abenteuer beschrieben, das er niemals wird billigen können: eine Reise an den Rand des Möglichen, die an den Gefahren des Unmöglichen und Unnatürlichen, ja des Abstoßenden vorbei, und vielleicht nicht immer vorbei führte“. Die Protagonisten sind auf der Suche nach einer Bewusstseins- und Lebensverfasstheit, die der Roman den ‚anderen Zustand‘ nennt. Es ist ein Zustand der „Entgrenzung und Grenzenlosigkeit des Äußeren wie des Inneren, das der Liebe und der Mystik gemeinsam ist!“ Ulrich wirft der „bürgerliche[n] Kultur“ vor, sie habe „jenen anderen Zustand auf den Hund gebracht, der Erkenntnisse apportiert“. „Der Mensch hat zwei Daseins-, Bewußtseins- und Denkzustände“, Mystik aber lehnt Ulrich ab, das gliche „Dauerferien“; in einer Nachlassnotiz findet sich sogar die Bemerkung, Mystik sei nur das Geheimnis, „in unserer Welt anders zu leben“. Also bleibt die Liebe, die Utopie eines „anderen [. . .] Lebens in Liebe“ oder die Utopie des Essayismus II, wie es Musil auch nennt.9 Und darum geht es auf den nächsten 1000 Seiten des Romans. Das von den Geschwistern diagnostizierte Entgrenzungsgefühl wird von ihnen als ein Merkmal der Liebe definiert. Plötzlich haben sie das diskursiv eingeholt, was sich körperlich schon längst abzeichnete: Ulrich und Agathe lieben sich. In einer Nachlassnotiz zu Agathe schreibt Musil: „Nun denkt sie angestrengt nach; das Ergebnis heißt wohl: ich muß handeln, uzw. (Glanz aus Brüsten): sex. handeln“. Ob dies der Roman dann auch tatsächlich umsetzt, es also zum geschwisterlichen Inzest kommt, lässt der Text uneindeutig und ist in der Forschung – wie könnte es anders sein – heftig umstritten.10 An anderer Stelle jedenfalls lässt Musil Agathe sagen, in der „gewöhnlichen verliebten Liebe“ seien
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„ohne Zweifel Begehren und Selbstlosigkeit enthalten“. Da es Ulrich und Agathe in diesem Zustand, wo sie bereits „das Fieber der Liebe [. . .] in ihren Körpern“ tragen, nicht möglich ist zu „erzählen“, was vor sich geht, übernimmt der Autor diese Funktion und widerlegt damit vordergründig die Ansicht, dass dieser Zustand nicht beschreibbar sei.11 Doch bleiben auch seine Beschreibungsversuche vage. Obwohl das Begehren die sexuelle Vereinigung in der Phantasie bereits vorweggenommen und auch vollzogen hat, empfinden die Geschwister ein noch stärkeres Verlangen, das sie den realen Vollzug des Inzests noch vermeiden lässt, sie sind „die Ungetrennten und Nichtvereinten“ oder, wie Musil nach 1938 in einem der Versuche zur Fortsetzung der Druckfahnenkapitel schreibt: „Wahrsch[einlich] Coit[us] voraussetzen, aber, als natürlich, darüber schweigen; u. das sind Nebenlinien.“12 Es bleibt aber unklar, was dieses höhere Gebot und die höhere Ahnung, die stärker als das Begehren sind, genau bedeuten. Nun ergeben sich aber zahlreiche Schwierigkeiten. Schon zu Beginn des Romans prädiziert der Autor, ein Liebender müsse die Liebe verlassen, um sie zu beschreiben, den anderen Zustand zu schildern gelinge nur, wenn man sich nicht in diesem Zustand befinde.13 Diese Bemerkung findet sich übrigens in jenem Kapitel, worin Musil seine Denkfigur des Utopie-Experiment-Modells vorstellt, man kann der Textstelle also eine gewisse Dignität zusprechen. Daraus ergibt sich die Kardinalfrage, vielleicht eine Art Experimentum crucis im Bacon’schen Sinne, wie es in einem Nachlasskapitel über die Möglichkeit der unverfälschten Liebe ausgedrückt ist:14 Warum wird dann trotzdem so viel darüber geschrieben oder anders: Wie ist es möglich, darüber so viel zu schreiben? Wie kann sich der Autor Musil aus diesem Dilemma befreien, „daß die Sprache nicht für diese Seite des Daseins geschaffen ist“?15 Man müsse in diesem Zustand der Liebe sein, um zu wissen, was vor sich gehe, reklamiert immerhin der Erzähler.16 Damit befindet dieser sich in dem Dilemma, dass die Darstellung des anderen Zustands und der Liebe ihm unter der Hand zur Beschreibung einer Beschreibung gerät, wenn er diesen Zustand selbst nicht dauerhaft zu sichern vermag. Diese Sicherung aber, die Verzeitlichung der Liebe, garantiert die Literatur! Das ist ein entscheidendes Ergebnis des Experiments.
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Vielleicht sollte in diesem Zusammenhang nochmals an ein Gedicht aus dem Buch der Bücher von Goethes West-östlichem Divan erinnert werden, worin dieser Bezug von Liebe und ihrer zeitlichen Enthobenheit als Privileg und Lizenz der Liebes-Literatur angesprochen wird: Liebchen, ach! im starren Bande Zwängen sich die freyen Lieder, Die im reinen Himmelslande Munter flogen hin und wieder. Allem ist die Zeit verderblich, Sie erhalten sich allein! Jede Zeile soll unsterblich, Ewig wie die Liebe seyn.17 Musils Agathe entwickelt ein finales Bewusstsein, sie fürchtet, dass sie und ihr Bruder „eine Art Letzte Mohikaner der Liebe“ sein könnten und sie „überhaupt die letzte Liebesgeschichte, die es geben kann“, lebten. Liebe als Gefühl lässt, folgt man den Gesprächen der Geschwister, „ein mögliches Leben gebrochen durch das wirkliche“ empfinden. Es geht also um einen Erfahrungsdualismus, dass alles stets auch anders sein könnte und im Wirklichen sich das Mögliche verbirgt. Liebe macht zwar blind, sie macht aber auch sehen, was nicht sichtbar ist, darauf beharrt Agathe gegenüber Ulrich.18 Der Liebende erwecke diese Möglichkeiten, er ist also Experimentator. Dann macht Ulrich folgende Bemerkung: Ein Liebender sei zugänglich „für alles, was geliebt, und also gewollt, gedacht und in Worten niedergelegt worden ist“.19 Was geliebt wird, versichert sich der Schrift, wo Liebe ist, ist Schrift. Das Gespräch kreist im Folgenden um Liebeskomposita wie Feindesliebe, Schönheitsliebe, Vaterlandsliebe, Lebensliebe, Jagdleidenschaft, Heimatliebe, Naturliebe, Nekrophilie, Hassliebe, Backfischliebe usf. Als Leser gewinnt man den Eindruck, dass die Diskursmaschine Ulrich zu überhitzen beginnt. Agathe findet Ulrichs Tagebuch, was dem Erzähler die Möglichkeit bietet, diese reflexiven und essayistischen Passagen des Romans aus dem Gesprächszusammenhang der beiden Hauptfiguren zu lösen und gattungstypologisch weich zu bet-
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ten. Ulrich erörtert nun also die Frage, ob Liebe ein Gefühl sei. Das Erstaunen des Lesers greift er sogleich auf und präsentiert die „richtige Antwort“, wonach es bei der Liebe am wenigsten um Gefühle ginge. Das stellt eine über 3000-jährige abendländische Erfahrung auf den Kopf. Was ist Liebe denn? Ulrich lässt sich zu einer bemerkenswerten Festlegung hinreißen, wenn er weiter ausführt: „Liebe ist das sanfte, göttliche, von Asche verdeckte, aber unauslöschliche Wesen der Welt!“ Doch mehr als ein metaphorisches Sprechen ist damit auch nicht gewonnen, das erkennt Ulrich sofort, denn andere Universalparameter wie ‚göttliche Vernunft‘, ‚Logos‘ oder ‚Schoß der Welt‘ könnten an dessen Stelle treten. Liebe wird nun als ein Zustand begriffen, der die mögliche Welt zum Vorschein bringe. Ulrich erkennt, dass seine Schwester und er diese Welt suchen, sie sind also Liebende. Weshalb nun ist Liebe kein Gefühl, sondern ein Zustand? Ulrichs Tagebuchantwort fällt klar und entschieden aus: Ein Gefühl hat weder Dauer noch Identität, es verändert sich stetig. Ulrich und Agathe suchen das andere Gefühl, eben den Zustand der Liebe – Ulrich spricht auch vom Zauberwald. Und wenn Liebe denn ein Gefühl wäre, dann sicherlich ein anderes als die übrigen Gefühle; Ulrich schlussfolgert: „Liebe ist eine Ekstase“. In der Literatur habe es hierfür Beispiele gegeben, ergänzt er an späterer Stelle.20 Agathes heimliche Lektüre von Ulrichs Tagebuch wird durch den weiteren Erzählverlauf kurzzeitig unterbrochen, dann findet sie zu ihrem Missvergnügen einen geschichtlichen Abriss zur Gefühlspsychologie, wie die Überschrift von Kapitel 52 lautet. Darin folgt Ulrich vor allem der Frage, was ein Gefühl sei, am Beispiel historischer Entwicklungslinien innerhalb der Schulpsychologie. Im Ergebnis belegt es Ulrichs mäandernde Reflexionskraft ebenso wie des Autors solide Kenntnisse der historischen Psychologie (besonders der Gestaltpsychologie), immerhin war Musil auch studierter und promovierter Psychologe. Ein Gefühl habe seine Ursache in einem äußeren Reiz, der aber nicht einmalig auslösend, sondern beständig im Gefühl vorhanden bleibe. So schaffe sich jedes Gefühl seine eigene Welt. Ulrich weicht einer exakteren begrifflichen Festlegung zunächst aus und bedient sich des Verfahrens der doppelten Bedeutung, er exerziert die Flucht
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in den Begriff. Ein Gefühl scheine sowohl Zustand als auch Vorgang und weder Zustand noch Vorgang zu sein.21 Logisch ist dies, denn wenn ein Gefühl Zustand ist, kann es nicht Vorgang sein, und wenn es Vorgang ist, kann es nicht Zustand heißen. Ulrich spricht von der „amphibische[n] Zweideutigkeit der Gefühle“22 – nebenbei bemerkt: Dann kann aber das zuvor präjudizierte Weder-Noch des Gefühls nicht stimmen, oder die Dialektik stößt an ihre Grenzen. Ulrich verknüpft nun Gefühl mit Handeln, womit er im Grunde Intentionalität meint. Die Größe und Intensität und den Gegenstand unserer Gefühle kennen wir erst, wenn wir handeln. Für die Liebenden heißt dies, indem sie handeln, lieben sie. Lieben ohne Handeln ist ein Unding. Im Liebenden liegt also die Möglichkeit, unsere Welt anders zu erleben.23 Diese andere Welt der Liebe konstituiert sich aus „möglichen Wirklichkeiten“. Nun kann man erkennen, dass der Autor Musil durch diese modaltheoretische Wendung wieder auf seine Denkfigur des Utopie-Experiments zurückkommt, da bricht der Roman ab und die spannende Frage, wie es mit den Liebenden weitergeht, bleibt unbeantwortet. Ulrich bilanziert ernüchternd, es gebe ein gewöhnliches Gefühl und ein anderes Gefühl, die Sprache sei „nicht für diese Seite des Daseins geschaffen“. Musil beendet dieses Dilemma – und damit auch den bis dahin veröffentlichten und den in korrigierten Druckfahnen vorliegenden Teil seines Romans – mit einem Trick, einem klassischen Literaturparadoxon: Was der Sprache verwehrt ist, gelingt der Figur. So bleibt dem Autor wie seinem Protagonisten Ulrich nur die eine Form der ‚Bewältigung‘, in dieser schlichten Aporie läuft der Roman aus: „Und so schrieb er nieder, was er gedacht hatte“. Ähnlich lässt er Ulrich in einer Nachlassnotiz sagen: „Ich schreibe, weil ich manches besser verstehen möchte“.24 Später, in einer – man muss sagen: leider – verworfenen Ausführung zum letzten Kapitel Atemzüge eines Sommertages lässt Musil folgenden Dialog über die Liebe die beiden Protagonisten ausagieren: ‚Willst du also gar nichts tun?‘ fragte Agathe zurückhaltend. ‚Doch! Aber das Reich der Liebe ist ja in allem die große Anti-Realität. Darum hast du als erstes deinem Gefühl Arm und Bein abzu-
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schneiden; dann werden wir erst sehen, was trotzdem geschehen kann!‘ ‚Du machst das wie eine Maschine!‘ schmälte Agathe. ‚Man muß es wie ein guter Experimentator tun‘ widersprach Ulrich ungerührt. ‚Man muß das Entscheidende einzukreisen trachten!‘ Agathe leistete nun ernsthaft Widerstand. ‚Wir haben doch keine Untersuchung abzuschließen, sondern, wenn du den Ausdruck gestattest, unser Herz zu öffnen‘ verlangte sie mit einiger spöttischer Schärfe.25 Ist das Reich der Liebe also wirklich „die große Anti-Realität“? Im Grunde geht es in den Gesprächen zwischen Ulrich und Agathe stets um die Frage, ob der Liebe eine dauerhafte Qualität eigne, ob sie ein beständiges Gefühl sei. Ulrich tendiert sehr dazu, dies zu bejahen, da der Liebe immerhin eine „weltgestaltende Kraft“ zugestanden werde, er bleibt letztlich aber unentschieden, löst den einen Standpunkt durch die Betonung des anderen wieder auf, ohne zu einem Ergebnis zu gelangen; er nennt dies auch das ‚unernste Philosophieren‘.26 Agathe reagiert darauf zunehmend unwillig, für sie ist Denken kein abstrakter akademischer Vorgang, sondern hat direkt etwas mit ihrem Leben zu tun. Insofern heißt für sie über die Liebe reflektieren über ihr eigenes Leben reflektieren, um eine Klärung für sich herbeizuführen. Je länger der Roman dauert, desto mehr gelingt es ihr, ihren Bruder Ulrich von der Richtigkeit und Notwendigkeit dieser Haltung zu überzeugen, der von der „Bevorzugung der Liebe in seinem Denken“, von seinem „Verlangen nach Liebe“ reichlich irritiert ist. Leider bleibt unklar, wie sich Musil diese weitere Liebesentwicklung vorgestellt haben könnte.27 Aber der Autor lässt uns Leser sogar doppelt ratlos zurück. Neben dieses eine Paradoxon – dem fundamentalen Zweifel an der Repräsentationsfähigkeit der Sprache für die Liebe – gesellt sich ein weiteres, das sich in einer Frage bündeln lässt. Wenn die Sprache der Liebe, wie Musil im zweiten Band seines Romans ausführt, eine „Geheimsprache [sei], die in ihrer höchsten Vollendung so schweigsam wie eine Umarmung“28 ist, wer vermag dann noch diese Sprache zu dechiffrieren? Hier muss Einspruch erhoben werden. Der Roman selbst ist der Ge-
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genbeweis. Nach dem Experiment mit Musil zeigt sich, dass nichts geschwätziger ist als die Liebe, da ihr Verbündeter die Literatur ist. Schon Novalis‘ Klingsohr sagte im Heinrich von Ofterdingen (1802): „Die Liebe ist stumm, nur die Poesie kann für sie sprechen. [. . .] die Liebe ist selbst nichts, als die höchste Naturpoesie.“29 Und Gottfried Benn urteilte: „[. . .] die Liebe ist es damals wie heute, die die Seitenzahlen vermehrt und den Autor zu ausgreifender Entwicklung treibt“.30 In einem von Musils Reinschriftkapiteln, die immerhin Varianten zu den Druckfahnenkapiteln darstellen, greift der Erzähler übrigens selbst in diesem Sinne ein und kommentiert das Geschehen zwischen Ulrich und Agathe folgendermaßen: „Ob übrigens, was Agathe und Ulrich verband, als Liebe zu verklagen sei oder nicht, soll damit nicht entschieden sein, obgleich sie unersättlich miteinander sprachen. [. . .] es gilt von der Liebe wie von allen Gefühlen, dass sich ihre Glut umso größer in Worten ausbreitet, je weiter ihnen noch das Handeln ist“.31 Musil bestätigt damit also explizit, was er in den Druckfahnenkapiteln offenlässt, er wertet die Funktion der Sprache in der Liebe immens auf. In seinem Roman Der Mann ohne Eigenschaften formuliert er Geltungsanspruch für diese Behauptungen: 1. Liebe ist, was Liebe generiert (also unabhängig davon, ob dieser Zustand ‚natürlich‘ oder ‚kultürlich‘ bedingt ist). 2. Für die Liebenden heißt dies, indem sie handeln, lieben sie. 3. Liebe ist kein Gefühl, sondern ein Zustand, der anderes von der Welt zum Vorschein bringt. 4. Die Verzeitlichung der Liebe garantiert die Literatur. Musils Prosaband Vereinigungen (1911) besteht aus den beiden Erzählungen Die Vollendung der Liebe und Die Versuchung der stillen Veronika. In der Vollendung der Liebe stellt Musil ein Liebesmodell vor, das auf den ersten Blick irritiert. Die Vollendung einer großen Liebe soll gerade im Moment ihrer inszenierten Untreue erlangt sein. Die denkbar größte Distanz zu ihrem Mann macht Claudine dessen Bedeutung und Nähe deutlich. Claudine befindet sich auf einer Zugreise und lernt einen Fremden kennen, der bereits mit den ersten Worten einen sexuellen Diskurs eröffnet und Anzüglichkeiten platziert, indem er die winterliche Landschaft mit Spitzendessous vergleicht. Claudine er-
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kennt, dass die Liebe zu ihrem Mann durch etwas gekennzeichnet sei, das „unter dem Bereich der Worte“ liege, um es zu verstehen, müsse es geliebt werden. Es war etwas, das sie nur mit ihrem Mann teilte; „so war es eine innere Vereinigung, während sie die Oberfläche ihres Wesens diesem Fremden überließ“. Insofern wird die Erzählung selbst zum Versuch, das Begehren wortsichtbar zu machen, eine Art Blindenschrift für Sehende. Während der fremde Ministerialrat vor der verschlossenen Zimmertür Claudines auf Einlass wartet, lebt diese ihre sexuelle Unterwerfungsphantasie aus. Sie entkleidet sich und kniet sich vierlings auf den Teppich. Sie begreift, „dass das die Untreue war“ und phantasiert den sexuellen Akt mit dem Fremden. Claudine erschrickt und erstaunt gleichermaßen über die Möglichkeiten, die sich ihr boten und die nur durch eine Kleinigkeit zur Wirklichkeit hätten werden können. Sie treibt „der Gedanke, es tun zu müssen“ und öffnet dem Fremden die Tür. Sie legt sich ins Bett und schläft mit dem Gedanken ein, dass man alles preisgeben müsse, was sich preisgeben ließe, „um uns mit dem, woran niemand heran kann, fester zu umschlingen“.32 So erfährt Claudine eine tiefe Liebe zu ihrem abwesenden Mann. Auch Veronika, die Hauptfigur aus der Erzählung Die Versuchung der stillen Veronika, ergeht sich in dieser Lustphantasie. „Die Vorstellung, [. . .] fast nackt und unten offen, während draußen einer vorbeiging, so nah und nur durch ein Bett getrennt, bog sie fast zusammen“ – allerdings bestärkt diese Phantasie nicht ihre große Liebe, sondern Veronika flüchtet sich in ein Surrogaterleben. Claudine hingegen vollstreckt am nächsten Tag die phantasierte sexuelle Untreue mit dem Fremden und erahnt dabei „eine Vorstellung von ihrer Liebe“.33 Claudine praktiziert also ein Liebesparadox: Die sexuelle Untreue wird für sie zum leidenschaftlichen Liebesbekenntnis.
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„Crazy little thing called love“. Entmythologisierungsprogramme: Elfriede Jelineks Lust und Die Klavierspielerin, Nicholson Bakers Vox Hatte es in Hermann Hesses Erzählung Peter Camenzind (1903) noch geheißen: „Ach, die Liebe ist nicht da, um uns glücklich zu machen. Ich glaube, sie ist da, um uns zu zeigen, wie stark wir im Leiden und Tragen sein können“,34 so ist nun bei Elfriede Jelinek selbst nicht mehr vom Leiden die Rede, sondern nur noch von der radikalen Entmythologisierung von Liebe. Woher die Autorin die Gewissheit nimmt, dass die moderne und postmoderne Gesellschaft keine andere Form der Liebe als ihre größtmögliche Schwundform zulässt, erklärt sich aus den Quellen der Beobachtung, derer sich Jelinek bedient. Sie analysiert Kitsch und Kommerz, Vorabendserien im Fernsehen ebenso wie Groschenromane. Massenkultur und Liebe vertragen sich demnach nicht. Jelinek gehört mit ihrem Werk längst zum festen Bestand der modernen deutschsprachigen Literatur. Was die großen Autoren der klassischen Moderne in Österreich begonnen haben (man denke an Schnitzler, Hofmannsthal oder Musil), setzt sie konsequent fort: die Dezentrierung des Subjekts, die Demaskierung der Sprache und die Destruktion patriarchaler Gewalt, allesamt am Trivialthema Liebe exekutiert. Nach dem Selbstverständnis der Autorin ist ein Subjekt in einer ideologisierten, von Trivialmythen überzogenen Gesellschaft immer ein ideologisiertes, eben von Trivialmythen überzogenes Subjekt. Ihr Roman Lust (1989) beschreitet einen für viele Leser unerträglich konsequenten Weg, das Selbstdenken als wichtigstes Gut der europäischen Aufklärung wird hier zum Denken des Selbst, das als männliches identisch und als weibliches nicht-identisch ist. Insofern kann Lust auch als eine Ergänzung zu Jelineks Roman Die Klavierspielerin gelesen werden, in beiden Fällen bildet die Geschlechterdifferenz die unumkehrbaren patriarchalen Machtverhältnisse ab. Verschiedentlich wurde betont, in Lust gehe es gar nicht mehr um weibliche Sexualität und deren literarische Darstellung, „sondern nurmehr um männliche Lust in der extremen Variante der alltäglichen
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häuslichen Vergewaltigung und der kommerziellen Gewalt-Pornographie“, „Gewalt über die weibliche Sexualität“ sei das eigentliche Thema.35 Daneben sollte man aber nicht übersehen, dass Lust auch von Natur und vom menschlichen Umgang mit Natur und natürlichen Ressourcen, ebenso vom Thema kapitalistischer Ausbeutung, von Arbeitern und Arbeitslosen, von der Sackgasse des Klassenkampfes, von Kunst, von Religion und von Sport handelt. Wie viele Lust gelesen haben, zu Ende gelesen haben, lässt sich nicht ermitteln, und wenige werden es sein, die das Buch mehrmals lasen. Jelineks Texte gelten immer noch als schwer lesbare Literatur, eine Etikettierung, der man allerorten begegnet und die meist den moralischen Widerstand der Leser gegen den Text meint. Dies hängt in erster Linie vom jeweiligen politischen, moralischen und erst an letzter Stelle vom ästhetischen Standpunkt der Betrachter ab. Ihre Schriften werden als Kampfschriften gegen die Herrschaft des Patriarchats oder als überspanntes Emanzipationsprodukt gelesen. Dass Lust auch als pornographische Schrift bezeichnet wurde, spielt heute keine Rolle mehr. Erstaunlich resistent sind allerdings Urteile dieser Art, die Autorin wolle mit ihrem Text „unangenehme, teilweise unerträglich ekelhafte Beschreibungen menschlicher (und vor allen Dingen männlicher) Triebe“36 zur Darstellung bringen. Wohl kein anderer Text Jelineks hat nach Erscheinen eine solch kontroverse, polemische und größtenteils auch unverständige Diskussion ausgelöst wie eben Lust. Jelineks Themen sind seit ihren Anfängen radikale Sprachkritik, Herrschaftskritik und Geschlechtskritik, die sich – und darin liegt ihr besonderer Ansatz – eben nicht voneinander isolieren lassen, sondern aus deren Verschränkung das je einzelne literarische Werk der Autorin entsteht. Das Buch wird mit einem recht dunklen Zitat eröffnet: „Tief in versenktem Raume / trank ich vom Freund . . . Als ich zum Tag mich wandte, / war bis zum fernsten Saume / kein Ding, das ich noch kannte – / die Herde war entrückt, mit der ich rannte“.37 Am Ende wird die Autorin über sich und ihr Geschlecht sagen: „Wir sind die Herde des Hauses und erwärmen die Herren, wenn nötig“. Ausgerech-
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net einem vermeintlich pornographischen Text wird das Zitat eines christlichen Mystikers vorangestellt. „Wer deutet uns das?“, fragt Jelinek selbst im Text.38 Der Verfasser dieser Zeilen ist Johannes vom Kreuz, der eigentlich Juan de la Cruz (1542–1591) hieß, ein spanischer Karmelit und Kirchenlehrer war und zahlreiche mystische Schriften verfasste, darunter auch jenen Geistlichen Gesang, aus dessen drittem Teil über die mystische Vermählung Jelineks Motto entnommen ist. Man kann dieses Motto bereits als einen Texthinweis darauf lesen, dass im Folgenden von der „Entmystifikation des ‚heiligen Eros‘ bzw. der Heiligung von (männlicher) Sexualität“39 als dem eigentlichen Programm von Lust die Rede ist. Allerdings spricht mehr dafür, nicht von der Heiligung männlicher Sexualität, sondern von einer Art Kontrafaktur zu sprechen, worin sich die Absicht der Autorin bricht, eben das Unheilige zu benennen. Lust ist demnach die konsequente Aushebelung uneigentlichen mystischen Sprechens, und insofern stellt das Motto insgesamt die Kontrafaktur zum Roman dar. Zeichen und Bezeichnetes fallen im Text nicht auseinander, um einen Raum von vielen Bedeutungen zu eröffnen, sondern Jelineks Sprache ist eindeutiges Sprechen. In der Maskerade des Eigentlichen verbirgt sich das Uneigentliche. Im Zeichen des Sexes wird das Bezeichnete sogar zum Gezeichneten. Die Sprache, die je schon in der Lesart Jelineks die Sprache des Patriarchats ist, bedient sich des uneigentlichen Sprechens, um die wahren Gewalt- und Herrschaftsverhältnisse zu verschleiern. Das mystische uneigentliche Sprechen des Patriarchats gebraucht eine Sprache der Repression und Demütigung, die Formel von Gleichheit und Freiheit drückt tatsächlich die Forderung nach bedingungsloser Unterwerfung des weiblichen Ichs unter das männliche Genital aus. Das ist der Blick Jelineks, von hier aus startet sie ihren Versuch einer bedingungslosen Patriarchatskritik des Trivialmythos Liebe. In der Erklärung zur 26. Strophe seines Gesangs schreibt Johannes vom Kreuz: „Die Seele hebt in dieser Strophe die unvergleichliche Gnade hervor, die ihr Gott erwies, indem er sie in das Innerste der Liebe, zur Vereinigung und Umgestaltung in Gott einführte. Sie spricht von zwei Wirkungen, die daraus für sie hervorgingen, nämlich von der Vergessen-
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heit und Entfremdung von allen Dingen, sowie von der Ertötung aller Gelüste und Neigungen“.40 Dieser Gott heißt in Lust Hermann, der als ‚Herr Mann‘ zu lesen ist und als Phänotyp des Mannes schlechthin figuriert. Die Seele ist in der Lesart Jelineks die Frau, Gerti, sie ist Seele des Haushalts und willfähriges Sexualobjekt. Das Innerste des mystischen Raums ist ihr Unterleib, an dem der Herr und Mann seine sexuellen Obsessionen abarbeitet. Die Unio mystica ist im Blickfeld von Lust die Unio exstatica. Diese Konstellation gilt – und das berührt einen der wichtigsten Punkte von Jelineks Schreibverfahren – für den Trivialmythos des glücklichen Lebens oder der großen Liebe, den die Männer im Buch mit den Ideologemen Liebe, Natur, Erholung und sexuelle Verfügbarkeit der Frau zelebrieren und dem die Frauen sich unterwerfen. Der entscheidende ästhetische Griff Jelineks besteht darin, dass sie diese Trivialität nicht inszeniert, sondern bis in den materialen Bereich der Sprache hinein völlig destruiert und die Trivialmythen als vom Patriarchat verabreichte Sedativa entlarvt, deren Funktion darin liegt, herrschaftsstabilisierend zu wirken. In der kapitalistischen Gesellschaft und in Zeiten medial inszenierter Nichtigkeiten beanspruchen nun die Trivialmythen Verheißung und Erlösung. Jelinek entschleiert in Lust diese Mythen und zeigt, dass alles aussprechbar und benennbar ist und die Zeichen nicht mehr auf eine Transzendenz verweisen, sondern das Bezeichnete in der gesellschaftlichen Wirklichkeit selbst, im Raum der Paarbeziehung, vorzufinden ist. Das Verfahren, das Jelinek dabei zur Anwendung bringt, kann als eine Ästhetik des Obszönen verstanden werden. In ihrem 1970 geschriebenen Essay Die endlose Unschuldigkeit hat sie im Anschluss an Roland Barthes’ Kritik der Alltagsmythen programmatische Positionen formuliert.41 Die Autorin untersucht in diesem Text die gesellschaftliche Funktion trivialer Mythen und bestimmt sie als entpolitisierte Aussagen, die in erster Linie auf die Stabilisierung des Patriarchats als Herrschaft der Bourgeoisie über die Arbeiter und als Herrschaft des Mannes über die Frau abzielen. Worauf die Trivialmythen wie beispielsweise Liebe, Sexualität, Kommunikation, Gleichheit der Menschen, echte Natur usw. verweisen, wird
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selbst zum Zeichen, auf das das Patriarchat als das Bezeichnende nur noch verweist. In der gesellschaftlichen Wirklichkeit aber sind die unverstellten ‚Echtformen‘ nicht mehr zu bekommen, lediglich deren Abklatsch als triviales Surrogat. Diese Zeichen sind als Geste konsumierbar wie etwa Groschenromane, Vorabendprogramme, Werbesprache – sie verfolgen die Stillstellung revolutionärer Veränderungsabsichten. Damit zielen die Trivialmythen auch auf die Verhinderung einer Emanzipation der Frau; die Frau erscheint in der entpolitisierten Aussage nur „als ware und aufgeputztes sexualobjekt“42 in einem Herr-Knecht-Verhältnis. Am konsequentesten ist dieser Ansatz in Lust umgesetzt. In ihrem Essay Der Sinn des Obszönen (1988) führt Jelinek über den Zusammenhang von Pornographie und Patriarchat Folgendes aus: In dem, was ich schreibe, gibt es immer wieder drastische Stellen, aber die sind politisch. Sie haben nicht die Unschuldigkeit des Daseins und den Zweck des Aufgeilens. Sie sollen den Dingen, der Sexualität, ihre Geschichte wiedergeben, sie nicht in ihrer scheinbaren Unschuld lassen, sondern die Schuldigen benennen. Die nennen, die sich Sexualität aneignen und das Herr/Knecht-Verhältnis zwischen Männern und Frauen produzieren. [. . .] Das Obszöne ist dann gerechtfertigt, wenn man den Beziehungen zwischen Männern und Frauen die Unschuld nimmt und die Machtverhältnisse klärt.43 Genau dies tut Jelinek in Lust, sie führt nicht eine Sprache des Obszönen vor (das wäre Pornographie), sondern sie legt das Obszöne der Sprache offen, sie verschränkt die Bewusstseinsstandards von Sprache, Macht und Lust. Sprache macht Lust und Lust macht Sprache.44 Im Text geht es schlicht darum, dass eine Frau, die repräsentativ für alle Frauen stehen soll, von einem Mann, der repräsentativ für alle Männer steht, unterdrückt wird. Ihr wird strukturelle, brachiale und sexuelle Gewalt angetan. Sie verharrt in diesem Herr-Knecht-Verhältnis, auch in einer anderen Beziehung, da sie an den Trivialmythos der Liebe glaubt: „Und die Frau gehört der Liebe. Jetzt erst recht muß sie immer
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wieder in diesen schönen Freizeitpark kommen“. Liebe widerfährt den Protagonisten nur zufällig und so resümiert die Autorin: „Es hänget aber an einem die Liebe“.45 In den Beziehungen zwischen Mann und Frau geht es aus der Sicht des Textes nicht um Sex, sondern es geht um das Machtverhältnis, das sich im Sex widerspiegelt. Sex ist das Medium der Macht und nicht etwa Ausdruck gegenseitiger Zuneigung. Dem Warenfetischismus der Gesellschaft wird der Körperfetischismus an die Seite gestellt, die Menschen werden entweder verbraucht oder zu Verbrauchern funktionalisiert. Das Fabrikantenehepaar Hermann und Gerti trägt keinen Nachnamen. Die bürgerliche Identität ist unwichtig, da der patriarchale Machtmechanismus nicht an eine bestimmte Gesellschaftsschicht gebunden ist. In der Kleinfamilie von Mann, Frau und Kind ist Gerti als Mutter und Ehefrau ebenso unfrei eingeschlossen wie in dem Modell Mann, Frau und Geliebter, als welcher Michael im Text eingeführt wird. Die Lust hat Gerti aber „aus sich herausgerissen“ und die Autorin kommentiert, die Lust ist eine „endlose Kette von Wiederholungen, die uns mit jedem Mal weniger gefallen, weil wir durch die elektronischen Medien und Melodien daran gewöhnt wurden, jeden Tag etwas Neues ins Haus geliefert zu kriegen“. Die Demontage des Trivialmythos von der Lust treibt die Autorin so weit, dass sie sich im elften Kapitel direkt an die Lesenden wenden kann mit den Worten: „Haben Sie noch immer Lust zu lesen und zu leben? Nein? Na also.“46 Der Roman Lust ist keine Pornographie, er ist vielmehr eine bis an die Grenzen des Möglichen und Machbaren reichende literarische Ästhetik des Obszönen, zu dem die Macht, der Kapitalismus, die Sprache und der Sex, eben das Patriarchat, gehören. Damit geht Jelinek weit über de Sade und die schwarze Aufklärung hinaus. Obszön ist, was Gewalt beklatscht, auch und gerade im Geschlechterverhältnis oder in der Sexualität. Ästhetik des Obszönen heißt die schonungslose Analyse des trivialen Lebens. Sie stellt nicht Obszönes ‚schön‘ dar – diese Erwartungsapparatur wird in der Tat durch Pornographie bedient –, sondern sie deckt das Obszöne als männliche Gewalt in den gesellschaftlichen Verhältnissen auf. Man muss die Analyse Jelineks nicht teilen, aber
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man muss ihren Versuch anerkennen, der gesellschaftlichen Wirklichkeit diesen Spiegel der Selbstreflexion vors Gesicht zu halten. Das Problematische an Jelineks Lust-Buch mag in der Tat darin liegen, dass es die Lesart suggeriert, Sex sei obszön. Das aber wäre doch wirklich ein Trivialmythos, diesmal ein neu generierter, aus der guten Absicht entstanden, den vermeintlichen Trivialmythos von Lust und Liebe zu demaskieren. Jelineks Roman Die Klavierspielerin wurde 1983 veröffentlicht. Wie in anderen Texten der Autorin auch, geht es ihr um eine grundsätzliche Patriarchatskritik. Eine Grundannahme wird daher auch in der Klavierspielerin fortwährend kritisiert: Die Herrschaft des Patriarchats stützt sich auf Angst und Gewalt, Liebe ist in diesem Kontext nicht möglich. Die Vorstellung einer gewalt- und angstfreien Beziehung zwischen Mann und Frau wird als trivialer Mythos entlarvt. Liebe ist der Mythos, auf den das Patriarchat sich gründet, und dennoch wird in ihren Romanen geliebt. Die Entdeckung des Begehrens vollzieht sich bei der Hauptfigur, der Klavierlehrerin Erika Kohut auf einem von Männern kodierten Weg. In Vorwegnahme des masochistischen Briefs vom Ende des Romans fügt sie sich Schmerzen zu, um sich zur Lust zu befreien, „ihr Hobby ist das Schneiden am eigenen Körper“, mit einer Rasierklinge erweitert sie ihr Geschlechtsteil, der Schnitt soll „die Öffnung vergrößern“. Den Mythos der permanenten Lust wie den Mythos der größtmöglichen Lust, den Erika jetzt in einem chirurgischen Eingriff vergegenständlicht, hat sie zuvor in den Pornokinos der Stadt als vermeintliche Wirklichkeit der Lust kennengelernt. Die ursprüngliche Fiktion des Films bedeutet für Erika Kohut Wirklichkeit. Auch ihr Klavierschüler Walter Klemmer wird wenig später bekennen, dass Schein „entschieden“ vor Sein gehe und dass die Wirklichkeit „wahrscheinlich einer der schlimmsten Irrtümer überhaupt“ sei.47 Beide Hauptfiguren leben also in einer Welt von Fiktion und Phantasie, aus der heraus sie ihr radikales Verständnis von Liebe beziehen. Indem Erika in die Welt geht, um zu beobachten, entlässt sie sich selbst in die Sexualität. Sie sitzt mit weit gespreizten Beinen vor dem
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Spiegel, um dem Befehl des Mythos Lust zu gehorchen, und wird gleich nach dem Geschehen von der „weit geöffneten Welt“48 erwartet. Erikas Sexualität ist zunächst aber kommunikationslos. Aus der sicheren Position einer Voyeuristin heraus beobachtet sie ein kopulierendes Paar im Wiener Prater. Wie ein entfesseltes, aus dem Käfig gesellschaftlicher und familialer Erziehung ausgebrochenes wildes Tier wittert sie nervös. Im Schutz der Dunkelheit stellt Erika nach außen hin unbeteiligt ihre voyeuristische Suche an, mitten in die Beschreibung des Geschlechtsverkehrs des beobachteten Paares platziert die Autorin den Erzählerkommentar, wonach beide Geschlechter immer etwas grundsätzlich Gegensätzliches wollten. Dieser Gegensatz drückt sich im Mythos von Lust und Liebe aus. Erika wird von dem Mann beinahe entdeckt, zugleich entlädt sich ihre scheinbare Teilnahmslosigkeit im Urinieren. Bewegungs- und willenlos verharrt sie in ihrem Versteck, die ihr zugewiesene Rolle ist die der Beobachterin und nicht die der aktiv Handelnden. „Mit der einen Hand hat Erika Kohut soeben auf dem Klavier der Vernunft, mit der anderen auf dem Klavier der Leidenschaften gespielt“.49 Das Musikinstrument, das mit dem Mythos vom Klassenaufstieg für Erika verknüpft ist und das zugleich ihr Arbeitsgerät darstellt, wird nun zum Sinnbild einer gezielten Instrumentalisierung von Vernunft und Begehren. Instrumentelles Denken ist an instrumentalisierte Sexualität gekoppelt und umgekehrt. Dies zeigt der weitere Verlauf des Romans, insbesondere das Verhältnis zwischen Erika Kohut und Walter Klemmer. Konstitutiv für diese Beziehung ist die Masturbationsszene auf der Toilette. Walter Klemmer stilisiert sich in die Rolle derjenigen Person, über die Erika Kohut Macht besitzt, gleichwohl im Bewusstsein, dass er der eigentlich Mächtigere ist. Zum anderen phantasiert sich die Lehrerin selbst eine sexuelle Macht, die ihr in der gesellschaftlichen Realität der Beziehung zwischen Lehrerin und Schüler nicht zukommt. Die Vorstellung von der weiblichen Macht über den beherrschten Mann entlarvt Jelinek als Mythos, als jenen trivialen Mythos, der dem Patriarchat die Macht lustvoll macht. Zwischen Männern und Frauen kann es demzufolge immer nur Herrscher und Beherrschte geben. Doch
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der literarischen Figur Erika Kohut geht es wie der Autorin Jelinek, sie ist „sexuell auf Männer angewiesen“.50 Am Ende jener Masturbationsszene unterweist Erika den Schüler, „daß sie ihm in Zukunft alles aufschreiben werde, was er mit ihr anfangen dürfe. Meine Wünsche werden notiert und Ihnen jederzeit zugänglich gemacht. Das ist der Mensch in seinem Widerspruch. Wie ein offenes Buch. Er soll sich jetzt schon darauf freuen!“ Als es dann soweit ist, dass Erika einen Brief aus der Tasche ziehen und Klemmer geben kann, kommentiert Jelinek: „In dem Brief steht, welchen Fortgang eine gewisse Liebe nehmen soll. Erika hat alles aufgeschrieben, was sie nicht sagen will“.51 Damit wird deutlich, dass Erika trotz der sexuellen Nötigung durch ihren Schüler in der Toilettenszene die Sexualität des Mannes als das Signal zum Beginn einer Liebesbeziehung versteht. Damit hätte der triviale Mythos Liebe endgültig obsiegt, vermag er doch mit der Beschwörung von Liebe das wahre sexuelle Machtverhältnis zu camouflieren. Erika deutet also wiederum das als Wirklichkeit, was in Wirklichkeit Mythos ist, und erfüllt somit eine Erwartung des Patriarchats. Aus der Sicht des Schülers Klemmer wird die Tatsache, dass seine Lehrerin ihm einen Brief überreicht hat, mit dem expliziten Verbot ihn gleich zu lesen, zum Mysterium. Bedeutet der Brief für die Frau etwas zu schreiben, was sie nicht sagen will, so bedeutet er für den Mann etwas zu erfahren, was man nicht sagen kann. In der Männerphantasie Klemmers wird Erikas Entscheidung nicht zu sprechen, sondern zu schreiben, als Eingeständnis gewertet, etwas nicht aussprechen zu können. Dieses Etwas ist die imaginierte Leerstelle, der es sich zu bemächtigen gilt. Um seine Macht wiederzugewinnen – denn die dominanten sexuellen Erfahrungen mit seiner Lehrerin sowie deren Brief haben Klemmer irritiert – bedient sich der Schüler des Trivialmythos Liebe. Die Autorin will Liebe als eben dies, als Mythos, entlarven. „Klemmer schildert Erika eine utopische Partnerschaftlichkeit, durch liebende Gefühle gut gewürzt. Wie schön kann die Liebe doch sein, mit dem richtigen Du genossen“. Erika schreibt, ihr sehnlichster Wunsch sei, dass Klemmer sie bestrafe. Sie bittet ihn, sie als Sklavin anzuneh-
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men und masochistische Handlungen auszuführen. Doch Klemmer beschwört seine Liebe zu Erika, „ich liebe dich so sehr, [. . .] daß ich dir niemals weh tun könnte, nicht einmal um den Preis, daß du es wünschst“. Jelinek destruiert Liebe als einen trivialen Mythos: Wenn Erika hofft, dass „aus Liebe alles ungeschehen bleibt“, dann rührt dies an die Unmöglichkeit einer Umkehrung des ‚grundsätzlich Gegensätzlichen‘ der Geschlechterdifferenz.52 Denn da es Liebe nicht gibt, können Erikas Wünsche auch nicht ungeschehen bleiben, und indem sie ausgeführt würden, erwiese sich patriarchale Macht als das, womit sie gleichgesetzt wird, als Herrschaft der Männer auch über die Phantasien der Frauen. Den Wunsch nach Unterwerfung äußert Erika Kohut nur, weil sie geliebt werden will und weil sie an die Liebe glaubt. Und sie muss an den Mythos Liebe glauben, weil auch sie auf Männer angewiesen ist. Was schon Ovid wusste, „allen Mythen paßt sich meine Liebe an“,53 gilt in Jelineks Lesart umso mehr, wenn dieser Mythos sich als Trivialmythos entlarvt. Doch welche Liebenden wollten dies glauben? Die skeptische Souveränität Ingeborg Bachmanns jedenfalls, die in einem Interview von 1971 über das „Phänomen Liebe“ äußerte, „Liebe ist ein Kunstwerk, und ich glaube nicht, dass es sehr viele Menschen können“,54 vermisst man bei Jelineks Diagnose. Der amerikanische Schriftsteller Nicholson Baker lässt in seinem 1992 erschienenen Roman Vox zwei Liebende sich begegnen, die sich selbst nie sehen, nie fühlen werden, sondern lediglich durch ein Telefongespräch miteinander vereint sind. Dies im wörtlichen Sinn, die beiden Personen masturbieren am Telefon während des Gesprächs und erleben so einen gemeinsamen Höhepunkt intensiver Liebeserfahrung. Ferdinands bange Frage aus Schillers Kabale und Liebe, „werden wir uns in Gesprächen der Liebe erschöpfen?“,55 beantwortet Baker also eindeutig. Ob sie sich anschließend auch persönlich begegnen werden, lässt der Roman offen. Erst am Ende des Textes bekommen die beiden Stimmen, die zu einer großen Stimme des Sexes werden, Identität: Abby und Jim. Ihr Gespräch über Sex und sexuelle Phantasien wird fast gar nicht von einem Erzähltext unterbrochen. Nur die beiden
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Stimmen am Telefon zählen, so beginnt denn auch der Roman unvermittelt und ohne Einleitung mit dem ersten Dialogsatz. Kurz nach dem gemeinsam audiell erlebten Orgasmus kann Jim am Ende resümieren: ‚Ehrlich! Ich glaube, das ist wirklich eins der schönsten Gespräche, das ich je hatte.‘ ‚Mir hat’s auch gefallen‘, sagte sie. ‚Aber ich weiß nicht – findest du, wir haben genug über Sex geredet?‘ ‚Nicht annähernd genug. [. . .]‘ Anders als die Masturbationsszene in Jelineks Roman Die Klavierspielerin, bei der die Hauptperson Erika lediglich die Teilnahme ihres Geliebten am Sex phantasiert, geht es Baker um die phantasierte körperliche Erfüllung von Liebe, gewissermaßen um eine von vornherein zeitlich definierte körperliche Dauer einer großen Liebe. Allerdings wird die technische Reproduzierbarkeit zu einer Hauptbedingung dieser Liebe. Der Anonymisierung des Sexes, gekoppelt an eine größtmögliche Intimität, gilt die schier unendliche Kommunikation der beiden Protagonisten. Die Liebe wird vom menschlichen Liebesadressaten auf ein verdinglichtes Liebesobjekt übertragen: ‚Wenn ich masturbiere und nicht unter der Dusche stehe, dann müssen meine Brüste gestreichelt werden, aber, buh-huh, da ist keiner, der sie streicheln könnte [. . .].‘ ‚Das hier ist ein wahres Wunder.‘ ‚Es ist nur ein Telefongespräch.‘ ‚Ein Telefongespräch, wie ich es mag. Ich liebe das Telefon.‘ Und Abby bestätigt, dass sie dieses Kommunikationsmittel ebenfalls schätzt, vornehmlich die Tatsache, dass es „so eine Macht“56 ausübt. Völlig unbekümmert von Jelineks scharfer antikapitalistischer Mythenkritik zelebrieren Jim und Abby eine Pornographie des Herzens, sie singen das Hohelied des Sexes. Jim erzählt von seinen Erlebnissen in einem Secondhandbuchladen, als er in der Abteilung für Liebesromane von der Vorstellung besessen
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wird, welche sexuellen Abenteuer diese Bücher bereits miterlebt hätten. Er kauft sich den Roman Anfängerglück von Dixie Browning, den zuvor eine Frau besessen hatte. Nach der Lektüre findet er auf den Blättern am Ende des Buchs einen Werbehinweis auf einen Bücherhalter, der es ermögliche, ein Buch ohne Hände zu lesen. Sofort konnotiert Jim diese Aussage sexuell. Das Buch wird in diesem Ständer mit einem durchsichtigen Band fixiert, es „kann sich nicht mehr rühren, es ist hilflos – es ist weit gespreizt festgeschnallt – offen für alle hungrigen Augen der Welt, die es bewundern wollen“.57 Der die Lektüre begleitenden Masturbation steht nichts mehr im Wege. Die Buchstäblichkeit des Werbetextes, der auch noch daran erinnert, dass nun beim Gebrauch dieses Bücherständers die Hände frei für andere Dinge blieben, wird von Jim sexualmetaphorisch umgedeutet, um schließlich wenig später wiederum die Wörtlichkeit zurückzugewinnen, dieses Mal aber auf einer zweiten, sexuell definierten Ebene der Buchstäblichkeit. Während Abby von einer Masturbationsszene unter der Dusche berichtet, fragt Jim: „Sind deine Beine jetzt auseinander?“ Die unbekannte begehrte Frau am anderen Ende der Leitung wird zum Buch, das der Mann zu lesen begonnen hat. Kurz vor dem Höhepunkt fragt er noch einmal: ‚Sind deine Beine gespreizt?‘ ‚Meine Zehen klammern sich an den Rand des Couchtisches.‘ ‚Berührst du mit der rechten Hand deine Klitoris?‘ ‚Ganz schön unverschämt! Aber ja, die Antwort lautet ja.‘58 In diesem Zusammenhang sei an Rousseaus Bonmot über die Bücher, die man nur mit einer Hand zu lesen vermag, und Füsslis Zeichnung einer lesenden und zugleich masturbierenden Frau erinnert, um die kulturgeschichtliche Bedeutung dieses Themas zu erkennen. Während sich Jelinek noch in – scheinbar patriarchatskritische – Metaphern flüchtete, die sich übrigens auch in einem solch unverfänglichen Text wie Schillers Wilhelm Tell finden, wo etwa vom „glanzvoll offne[n] Schoß des Tages“59 gesprochen wird, lässt Baker seine Figuren buchstäblich sprechen. Vox ist eigentlich kein Roman, sondern die Doku-
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mentation eines wunderbaren Dialogs über Sex und Liebe und bestätigt, was der Text schon früh feststellt: „Was wir nicht alles für die Liebe tun“.60 Dieser Romandialog ist mehr als eine Variante des Themas Liebe im ‚Zeitalter ihrer technischen Reproduzierbarkeit‘ (Walter Benjamin) und bietet mehr als postmoderne Lebenserfahrungen, in Zeiten von Headset und Flatrate sind manche Details des Romans ohnehin schon überholt, nein, Vox kann insgesamt als ein Gegenstück zu Jelineks Lust gelesen werden. Sieht so die Liebe heute aus? Jedenfalls ist Liebe heute dann schließlich nur noch eine lose Sammlung von Kurzgeschichten, in denen die Desaster des Alltags für die überspannten Beziehungserwartungen der Protagonistenpaare dokumentiert werden.61 Oder gilt, was Freddy Mercury von der englischen Rockband Queen 1979 titelte: „crazy little thing called love“? Dem könnte man mit Büchners Leonce und Lena (1838) hinzufügen: „ein sonderbares Ding um die Liebe“, auch wenn sich der „Mechanismus der Liebe“, wie es im Stück heißt, als Mechanik der Triebe erweist.62 Anlass zur Sorge müssen uns diese literarischen und kulturellen Entwicklungen nicht geben, denn eine große Liebe erschöpft sich ohnehin nie in der Technik des Sexes, sondern macht sich diese dienstbar, weist sie zurück oder nimmt sie an, entscheidet aber selbst. Erich Fried hat diese urgewaltige Autonomie von Liebe in einem der schönsten Liebesgedichte unserer Literatur – und bekannt geworden durch den Song der deutschen Rockpopband MIA – mit dem Titel Was es ist in die schlichten Worte gefasst: Es ist was es ist sagt die Liebe.63 In Nietzsches Nachtwandler-Liedern Zarathustras heißt es: „Lust aber will nicht Erben, nicht Kinder, – Lust will sich selber, will Ewigkeit, will Wiederkunft, will Alles-sich-ewig-gleich“ und: „Denn alle Lust will – Ewigkeit“ und: „Lust will aller Dinge Ewigkeit, will tiefe, tiefe Ewigkeit!“64 Wir sollten uns also hüten, vom Ende der Geschichte der großen Liebe zu sprechen. Angesichts der über dreitausendjähri-
Die große Liebe in der Literatur der Moderne
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gen Geschichte von Textzeugnissen und kulturgeschichtlichen Dokumenten großer Lieben, seien sie real gewesen oder phantasiert, ist das angebliche Ende stets nur ein Teil dieser endlosen Bewegung. Solange es Menschen gibt, gibt es Liebe, und solange es Liebe gibt, gibt es Kultur.
„Die Liebe hemmet nichts“. Statt eines Nachworts Ist Liebe geduldig? Wohl kaum, und nicht jeder Liebende vermag folgendem Ratschlag des anonymen Barockdichters zu folgen: Lieben, das läßt sich nicht zwingen, Lieben entstehet vor sich, Soll dir’s darinne gelingen, Mußt du geduldiglich Warten, was Zeiten und Tage dir bringen.1 Der Dichter Matthias Claudius hat dem in seinem Gedicht Die Liebe (1798) energisch widersprochen: Die Liebe hemmet nichts; sie kennt nicht Tür noch Riegel, Und dringt durch alles sich; Sie ist ohn Anbeginn, schlug ewig ihre Flügel, Und schlägt sie ewiglich.2 Ich räume ein, „ich könnte so noch lange fortfahren [. . .]“,3 aber es sollte eine kleine Geschichte der großen Liebe werden, deshalb gilt: „Es ist Zeit, vom Schwanengespann herabzusteigen“.4 Doch ich finde kein Ende, denn ich weiß, die Liebe ist ein unendlicher Text voller erlesener Lust. Deswegen nehme ich (wieder einmal) Zuflucht bei einem Klassiker und will mir die Mahnung Johann Georg Hamanns zu eigen machen: „Wagt euch also nicht in die Metaphysick der schönen Künste, ohne in den Orgien und Eleusinischen Geheimnissen vollen-
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„Die Liebe hemmet nichts“
det zu seyn. Die Sinne aber sind Ceres, und Bacchus die Leidenschaften; – alte Pflegeltern der schönen Natur.“5 Herder toppt dies noch, indem er die Liebe zur „Natur aller Naturen“6 erklärt. In zwei gewaltigen Liebestexten der Antike findet sich ein klares Bekenntnis, mehr noch ein Wissen um die Bedeutung der Liebe. Im zweiten Buch, Kapitel 9b, seiner Amores (Liebesgedichte) schreibt Ovid: „Wenn mir ein Gott sagen würde: ‚Leb ohne Liebe!‘, würde ich das ablehnen“.7 Welch Geste der Auflehnung, welch Dynamik des Widerspruchs, gespeist aus der Kraft eines einfachen Gefühls, der Liebe. Und ähnlich bekennt der Apostel Paulus im Brief an die Korinther: „Wenn ich mit Menschen- und mit Engelszungen redete und hätte der Liebe nicht, so wäre ich ein tönend Erz oder eine klingende Schelle“.8 Nun bleibt mir nur noch ein Lessing-Zitat zu bemühen, das sich am Ende seiner Abhandlungen zur Fabel (1759) findet: „– Ich breche ab!“9 Dem habe ich nichts weiter hinzuzufügen. Beschämt muss ich feststellen: „Ich wollte eigentlich von der Liebe sprechen“.10 Nichts ist geschwätziger als die Liebe, und dieses Schicksal teilt sie mit der Literatur. Als Literaturwissenschaftler stelle ich – nicht ohne Genugtuung – fest: Liebe braucht Literatur, denn nur Literatur garantiert ihre Dauer. Womit ich wieder bei der Ewigkeit wäre. Tröstlich ist es zu wissen nach diesem Rundgang durch die Literaturgeschichte, solange es Liebe gibt, gibt es Worte, und solange es Worte gibt, gibt es Schrift, und solange es Schrift gibt, gibt es Liebe. In seinem Drama Kabale und Liebe lässt Schiller den großen Liebenden Ferdinand sagen: „Toren sinds, die von ewiger Liebe schwatzen“,11 hält dem aber als Privatmensch entschieden entgegen: „die Liebe muß hinter sich wie vor sich Ewigkeit sehen“.12 Große Liebe ist ein Stück geborgte Ewigkeit.
Anmerkungen „Denn alle Lust will Ewigkeit“. Statt eines Vorworts 1 Abraham a Sancta Clara: Wunderlicher Traum von einem großen Narrennest. 2 Schiller: Nationalausgabe, Bd. 25, S. 279. 3 Lessing: Werke und Briefe, Bd. 4, S. 468. 4 Barthes: Fragmente einer Sprache der Liebe, S. 22. 5 Die Entdeckung der Wollust, S. 80. 6 Herder: Sämtliche Werke, Bd. 8, S. 530, 531. 7 [Anon.:] Versuch eines kleinen Wörterbuchs der Liebe, S. IV. 8 Wackenroder, Tieck: Herzensergießungen eines kunstliebenden Klosterbruders, S. 28.
1. „Erklär mir, Liebe!“ 1 2 3 4 5 6 7 8 9
Brucker, Steiner: Die Welt der Anagramme, S. 67. Schiller: Nationalausgabe, Bd. 25, S. 203. Luther: Ein Sermon von dem ehlichen Stand, S. 3. Kamper, Wulf: Von Liebe sprechen, in: Das Schicksal der Liebe, S. 7. Zitiert nach: Lateinische Gedichte deutscher Humanisten, S. 115/ 117. Vgl. www.focus.de/magazin/kurzfassungen/focus-umfrage (30.5.2008). Sachs: Summa all meiner gedicht, S. 6. Ovid: Ars amatoria. Liebeskunst, S. 5. Stendhal: Über die Liebe, S. 203.
162 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30
Anmerkungen
Novalis: Werke, Tagebücher und Briefe, Bd. 1, S. 227. Mörike: Werke in einem Band, S. 468. Kristeva: Geschichten von der Liebe, S. 202. Shakespeare: Romeo und Juliette, I/2. Shakespeare: Romeo und Juliette, II/4. Ortega y Gasset: Über die Liebe, S. 57. Ovid: Ars amatoria. Liebeskunst, S. 103, 107. La Mettrie: Die Kunst, Wollust zu empfinden, S. 56. Montaigne: Die Essais, S. 311. Novalis: Ergänzungen zu den Teplitzer Fragmenten, S. 617. Alle Zitate in diesem Absatz: Barthes: Fragmente einer Sprache der Liebe, S. 44, 45. Valentin: War es gestern, oder war’s im 4. Stock, S. 109. Schiller: Nationalausgabe, Bd. 23, S. 80. Eich: Gesammelte Maulwürfe, S. 73. Edmont u. Jules de Goncourt: Tagebücher, S. 294f. Walser: Ein liebender Mann, S. 70. Ovid: Ars amatoria. Liebeskunst, S. 73. Montaigne: Die Essais, S. 306, 311. Günderrode: Sämtliche Werke und ausgewählte Studien, Bd. 1, S. 335. Nietzsche: Sämtliche Werke, Bd. 3, S. 378. Böll: Versuch über die Vernunft der Poesie, S. 35.
2. „Liebe, der schönste Text“. Modelle der Deutung 1 Barthes: Fragmente einer Sprache der Liebe, S. 71, 21. 2 Vgl. Barthes: Fragmente einer Sprache der Liebe, S. 33. 3 F. Schlegel: Aus den Heften zur Poesie und Literatur, S. 237 [= Aphorismus Nr. 123]. 4 F. Schlegel: Fragmente zur Poesie und Literatur. Erster Teil, S. 215. 5 [Rost:] Die schöne Nacht, S. 10. 6 Vgl. Foucault: Sexualität und Wahrheit, Bd. 1 bis Bd. 3. 7 Vgl. Foucault: Sexualität und Wahrheit, Bd. 1, S. 18.
Anmerkungen
8 9 10 11 12 13 14 15 16 17
18 19 20 21 22 23 24
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Foucault: Sexualität und Wahrheit, Bd. 1, S. 21, 22. Foucault: Sexualität und Wahrheit, Bd. 1, S. 23. Foucault: Von der Subversion des Wissens, S. 114. Vgl. Foucault: Die Ordnung des Diskurses, S. 19. Foucault: Die Ordnung des Diskurses, S. 18. Vgl. Foucault: Die Ordnung des Diskurses, S. 26. Der nordische Aufseher, S. 340. Der nordische Aufseher, S. 105, 109, 351. Beide Zitate: Luhmann: Liebe als Passion, S. 47. Luhmann: Liebe als Passion, S. 139, 142. – Mit Sicherheit ist es aber auch nicht so, wie Albert O. Hirschman glauben machen will, dass durch die Entwicklung der kapitalistischen Gesellschaft die Leidenschaften „unter Kontrolle gebracht, wenn nicht ausgelöscht waren“ (Leidenschaften und Interessen, S. 141). Luhmann: Liebe als Passion, S. 137. Alle Zitate in diesem Absatz: Luhmann: Liebe als Passion, S. 147, 147, 148, 148, 151. Alle Zitate in diesem Absatz: Luhmann: Liebe als Passion, S. 153, 154, 161, 220. Luhmann: Liebe als Passion, S. 222. Vgl. Bobsin: Von der Werther-Krise zur Lucinde-Liebe, S. 15. Bobsin: Von der Werther-Krise zur Lucinde-Liebe, S. 197, 190, vgl. 192. Greis: Drama Liebe, S. 16. – Auf dem Umschlagblatt dieses Buchs steht statt ‚Entstehungsgeschichte‘ das Wort ‚Entwicklungsgeschichte‘ – das träfe den prozessualen Charakter historischer Semantik in der Tat besser. Vgl. Greis: Drama Liebe, S. 176. Greis: Drama Liebe, S. 177. Vgl. Werber: Liebe als Roman, S. 14. Beide Zitate in diesem Absatz: Werber: Liebe als Roman, S. 14, 17. Alle Zitate: Werber: Liebe als Roman, S. 457, 19, 19. Werber setzt sich kritisch mit der Arbeit von Jutta Greis auseinander, wiederholt aber selbst den ihr entgegengehaltenen Fehler
164
31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44
45 46 47 48 49
50 51 52 53
Anmerkungen
der gattungstypologischen Einäugigkeit; vgl. auch Werber: Liebe als Roman, S. 47, wo er das „hohe Gewicht“ der Gattungsgeschichte betont. Beide Zitate: Illouz: Der Konsum der Romantik, S. 2, 4. Vgl. Illouz: Der Konsum der Romantik, S. 25. Schiller: Nationalausgabe, Bd. 20, S. 409. Vgl. Illouz: Der Konsum der Romantik, S. 172. Beide Zitate: Hentschel: Pornotopische Techniken des Betrachtens, S. 10, 12. Montaigne: Die Essais, S. 308. Vgl. Kristeva: Geschichten von der Liebe, S. 14, 9. Kristeva: Geschichten von der Liebe, S. 355. Die Entdeckung der Wollust, S. 160. Applaus für Venus, S. 132. Applaus für Venus, S. 40. Alle Zitate in diesem Absatz: Kristeva: Geschichten von der Liebe, S. 13, 14, 15. Kristeva: Geschichten von der Liebe, S. 368. Vgl. zum Folgenden ausführlich Luserke-Jaqui: Performative Wende oder Was will eine Kulturgeschichte der Literatur?, S. 77–90. Vgl. Burke: Was ist Kulturgeschichte? Burke: Was ist Kulturgeschichte?, S. 15. Burke: Was ist Kulturgeschichte?, S. 33. Vgl. Burke: Was ist Kulturgeschichte?, S. 46. Hier gilt es noch einmal eine kritische Diskussion mit dem New Historicism zu führen und ebenso den textualistischen Kulturbegriff, bis hin zu der kultursemiotischen Variante Posners, auf seine Brauchbarkeit hin zu befragen, da augenblicklich beide Ansätze fashionable sind. Vgl. zur ersten Orientierung Roland Posner: Kultursemiotik, S. 39–72. Burke: Was ist Kulturgeschichte?, S. 49. Vgl. Montandon: Der Kuss. Burke: Was ist Kulturgeschichte?, S. 65. Burke: Was ist Kulturgeschichte?, S. 75.
Anmerkungen
54 55 56 57 58
59 60 61 62 63
165
Vgl. Burke: Was ist Kulturgeschichte?, S. 116ff. Burke: Was ist Kulturgeschichte?, S. 133. Burke: Was ist Kulturgeschichte?, S. 149. Vgl. Burke: Was ist Kulturgeschichte?, S. 167. Dies beträfe auch Stephen Greenblatts Omnipotenzphantasma, wonach die selektiv gewonnenen Erkenntnisse postwendend zu universalistischen Erklärungsmodellen avancieren. Eine Kulturgeschichte der Literatur dagegen will über die Problemlage von Greenblatts Kontextualisierungsverfahren hinausgelangen. Das könnte möglicherweise durch die Rückbesinnung auf genuin philologische Kompetenzen gelingen, bliebe aber noch kritisch zu prüfen. Vgl. Burke: Was ist Kulturgeschichte?, S. 180. Schiller: Nationalausgabe, Bd. 29, S. 87; Brief an Goethe vom 23. Juni 1797. Schiller: Frankfurter Ausgabe, Bd. 7, S. 724. Rilke: Sämtliche Werke, Bd. 5, S. 286. Deutsches Wörterbuch, Bd. 6, 1885, S. 920.
3. Die lustvolle Frau. Zur Kulturgeschichte eines literarischen Bilds 1 Vgl. Englisch: Geschichte der erotischen Literatur. 2 Allerdings hege ich die bescheidene Hoffnung, dass diesem Buch nicht derselbe Misserfolg wie Stendhals Werk beschieden ist. 3 Alle Zitate in diesem Absatz: Nudow: Apologie des schönen Geschlechts, S. VI, 43, 61. – Vgl. auch den Dokumentationsband: Ob die Weiber Menschen sind. 4 Lessing: Werke und Briefe, Bd. 2, S. 662. 5 Heinse: Sämmtliche Werke, Bd. 9.1, S. 178. 6 Goethe: Sämtliche Werke nach Epochen seines Schaffens, Bd. 11.1.2, S. 30. 7 Novalis: Werke, Tagebücher und Briefe, Bd. 1, S. 485. 8 Longos: Daphnis und Chloe, o. S. [S. 3]. 9 Antike Zaubersprüche, S. 37.
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Anmerkungen
Ovid: Metamorphosen, V. 333 (= S. 146). Kamasutra von Vatsyayana, S. 71. Alle Zitate: Opitz: Buch von der Deutschen Poeterey, S. 19. Gernhardt: Lichte Gedichte, S. 13. Hegel: Werke, Bd. 13, S. 305. Vgl. Goethe: Münchner Ausgabe, Bd. 4.2, S. 46. Hegel: Werke, Bd. 13, S. 305. Musil: Gesammelte Werke in neun Bänden, Bd. 6, S. 540. Römische Frauen, S. 159. Vgl. Barthes: Fragmente einer Sprache der Liebe, S. 52. Ovid: Ars amatoria. Liebeskunst, S. 163. Hegel: Werke, Bd. 12, S. 49. Angaben beziehen sich auf Akt- und Szeneneinteilung. Lessing: Werke und Briefe, Bd. 1, S. 730f. Goethe: Sämtliche Werke nach Epochen seines Schaffens, Bd. 11.1.2, S. 31. Applaus für Venus, S. 136. Laclos: Schlimme Liebschaften, S. 132. Goethe: Erotische Gedichte, S. 50f. Beide Zitate: Abaelard: Die Leidensgeschichte und der Briefwechsel mit Heloïsa, S. 21. Applaus für Venus, S. 64. Schiller: Nationalausgabe, Bd. 25, S. 328. Vgl. Montaigne: Die Essais, S. 298. Lessing: Werke und Briefe, Bd. 5/2, S. 32. Beide Zitate: Montaigne: Die Essais, S. 308, 303. Schiller: Kabale und Liebe, V/1. Vulpius: Glossarium für das Achtzehnte Jahrhundert, S. 43–45. Adelung: Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart, Tl. 2, Wien 1808, Sp. 2056. Alle Zitate in diesem Absatz: Krünitz: Oekonomisch-technologische Encyclopädie, Bd. 78, Berlin 1800, S. 403, 421, 477f. Klopstock: Oden, S. 49. Klopstock: Oden, S. 50. Hagedorn: Phryne, S. 23.
Anmerkungen
41 42 43 44 45 46 47 48 49
50 51 52 53
54 55 56 57 58 59 60 61 62 63
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Beide Zitate: [Rost:] Die schöne Nacht, S. 10, 14. Ovid: Ars amatoria. Liebeskunst, S. 105. Gessner: Idyllen, S. 9. Boccaccio: Erotische Geschichten, S. 59. Alle Zitate in diesem Absatz: Abaelard. Die Leidensgeschichte und der Briefwechsel mit Heloïsa, S. 149, 149, 75. Ovid: Amores. Liebesgedichte, S. 20 (V. 25), 20, 21. Römische Frauen, S. 165. Goethe: Sämtliche Werke nach Epochen seines Schaffens, Bd. 2.1, S. 30. Goethe: Tagebücher, Bd. I,1, S. 28. – Die nachfolgenden Ausführungen stützen sich auf Matthias Luserke: „O vis superba formae!“, S. 9–32. Goethe: Tagebücher, Bd. I,1, S. 28. Goethe: Sämtliche Werke nach Epochen seines Schaffens, Bd. 2.1, S. 31. Vgl. Secundus: Basia, S. IXf. Vgl. Pyritz: Paul Flemings Liebeslyrik, S. 53. Pyritz gibt einige Beispiele für das Motiv des Seelenraubs bzw. Seelentauschs beim Küssen, das sich bis Paul Fleming verfolgen lässt. Lateinische Gedichte deutscher Humanisten, S. 40. Deutsche Übersetzung, S. 41. Lateinische Gedichte deutscher Humanisten, S. 389. Vgl. Goethe: Weimarer Ausgabe, IV/5, S. 116 – Brief vom 23. April 1781. Lateinische Gedichte deutscher Humanisten, S. 384/385. Goethe: Weimarer Ausgabe, IV/3, S. 117. Lateinische Gedichte deutscher Humanisten, S. 393. Lateinische Gedichte deutscher Humanisten, S. 391. Borgstedt: Kuß, Schoß und Altar, S. 301. Goethe: Sämtliche Werke nach Epochen seines Schaffens, Bd. 11.1.2, S. 33. Ich zitiere den deutschen Text des im Original in lateinischen Versen verfassten Stücks nach: Mundt: Lemnius und Luther, Tl. 2, S. 315.
168
Anmerkungen
64 Lessing: Werke und Briefe, Bd. 2, S. 675. 65 Humanistische Lyrik des 16. Jahrhunderts, S. 548/549, 550/551, 551. 66 Brant: Das Narrenschiff, S. 179. 67 Abraham a Sancta Clara: Wunderlicher Traum von einem großen Narrennest, S. 10. „Amantes, amentes“ übersetzt der Herausgeber Haas mit „wenn in Liebe, dann von Sinnen“ (ebd., Anm. 1). 68 Lessing: Werke und Briefe, Bd. 2, S. 199. 69 Hölderlin: Sämtliche Werke und Briefe, S. 285. 70 Vgl. das gleichnamige Buch: Liebe als Kulturmedium. 71 Novalis: Werke, Tagebücher und Briefe, Bd. 1, S. 427. 72 Novalis: Schriften, Bd. 4, S. 249 – Brief vom 5. Februar 1798 an Caroline Just. 73 Lessing: Werke und Briefe, Bd. 1, S. 72. 74 Beide Zitate: Lenz: Werke und Briefe, Bd. 2, S. 652, 671. 75 Archilochos: Gedichte, S. 95, 95, 97, 97, 107. 76 Alle Zitate in diesem Absatz: Sappho: Strophen und Verse, S. 60, 58, 25, 40, 19. 77 Wer sich schnell informieren möchte, sei auf das umstritten lesenswerte Buch verwiesen von Cornell: Die Versuchung der Pornographie, bes. S. 42 (Definition von Pornographie). 78 Beide Zitate: Blackburn: Wollust, S. 113, 127. 79 Die Entdeckung der Wollust, S. 8. 80 Zedler: Großes vollständiges Universal-Lexikon, Bd. 58, Halle, Leipzig 1748, Sp. 1440. 81 Zedler: Großes vollständiges Universal-Lexikon, Bd. 6, Halle, Leipzig 1733, Sp. 736. 82 Beide Zitate: Marcus: Umkehrung der Moral, S. 208. 83 Vgl. [Anon.:] Lina’s aufrichtige Bekenntnisse. 84 Beide Zitate: Rousseau: Bekenntnisse, S. 83. 85 Vgl. dazu die nach wie vor wegweisende Arbeit von Meise: Die Unschuld und die Schrift, bes. S. 57ff. 86 Zur literarisch dokumentierten Geschichte der Selbstbefriedigung vgl. Lütkehaus: „O Wollust, o Hölle“. 87 Beide Zitate: Goulemot: Gefährliche Bücher, S. 57f., 58.
Anmerkungen
169
88 Aretino: I Modi. Stellungen, S. 45. – Vgl. Fischer: Obszöne Töne, S. 81–109. 89 Aretino: I Modi. Stellungen, S. 59. 90 Vgl. Rückert: Die neue Lust der Frauen. 91 Vgl. Aretino: I Modi. Stellungen, bes. S. 9. 92 Schiller: Frankfurter Ausgabe, Bd. 1, S. 705. 93 Applaus für Venus, S. 132. 94 Schiller: Nationalausgabe, Bd. 1, S. 75. 95 Kafka: Hochzeitsvorbereitungen auf dem Lande, S. 73. 96 Applaus für Venus, S. 24. 97 Wolkenstein: Lieder, S. 63. 98 Piccolomini: Euryalus und Lucretia, S. 45. 99 Vgl. Piccolomini: Euryalus und Lucretia, S. 37. 100 Bembo: Asolaner Gespräche, S. 106, 107. 101 Alle Zitate: Logau: Sinngedichte, S. 173, 190, 129. 102 Erotische Lyrik der galanten Zeit, S. 30. 103 Bornemann: Sex im Volksmund, o. S., Lemma ‚reiten‘. 104 Heine: Sämtliche Gedichte, S. 850. 105 Korff: Der Philosoph und die Frau, S. 19. – In das gleiche Horn bläst Antes: Die Kurtisane Tullia d’Aragona, S. 49. 106 Vgl. Herrmann: Der ‚Gerittene Aristoteles‘, bes. S. 9. 107 Vgl. dazu Matthias Luserke: Die Bändigung der wilden Seele, S. 195–206. 108 Vgl. zur ersten Orientierung die beiden Artikel von Brednich: Aristoteles und Phyllis, Bd. 1, Sp. 786–788; und Stammler: Aristoteles, Bd. 1, Sp. 1027–1040. – Die bislang einzige Monographie zu diesem Thema mit einem umfassenden Überblick über die Bearbeitungen des Motivs in Literatur und bildender Kunst stammt von Borgeld: Aristoteles en Phyllis. – Vgl. auch Boesch: Aristoteles und Phyllis auf Glasgemälden, S. 21–30. 109 Vgl. Stammler: Aristoteles, Bd. 1, Sp. 1032. 110 D’Andeli: Der Lai von Aristoteles, S. 62, 64. 111 Vgl. d’Andeli: Der Lai von Aristoteles, S. 66. 112 Alle Zitate in diesem Absatz: D’Andeli: Der Lai von Aristoteles, S. 68, 70, 69.
170
Anmerkungen
113 D’Andeli: Der Lai von Aristoteles, S. 73. 114 Vgl. dazu Brednich: Aristoteles und Phyllis, Bd. 1, Sp. 788 mit weiteren Angaben. 115 Vgl. Storost: Zur Aristoteles-Sage im Mittelalter, S. 298–348; und Sowinski: Aristoteles als Liebhaber, S. 315–329. – Zu den mittelalterlichen Literarisierungen des Aristoteles vgl. Wagner: Aristoteles-Erwähnungen, Bd. 2, S. 498–514; sowie Hertz: Aristoteles in den Alexanderdichtungen, Bd. 19, S. 3–103. 116 Vgl. Stammler: Aristoteles, Bd. 1, Sp. 1035. – Vgl. auch Sarton: Aristotle and Phyllis, S. 8–19 (mit weiteren Abb.); sowie Stammler: Der Philosoph als Liebhaber, S. 12–44. – Dass das Motiv mit einer generellen Erweiterung auf ein algophiles sado-masochistisches Ambiente hin virulent geblieben ist, zeigt eine Zeichnung von Planitz mit dem Titel Aristoteles redivivus, abgebildet in: Schertel: Der Flagellantismus, Bd. 5, S. 166. 117 [Thomasius:] Schertz- und Ernsthaffter / Vernünfftiger und Einfältiger Gedancken, S. 458, 572. 118 [Thomasius:] Schertz- und Ernsthaffter / Vernünfftiger und Einfältiger Gedancken, S. 460, 490. 119 [Thomasius:] Schertz- und Ernsthaffter / Vernünfftiger und Einfältiger Gedancken, S. 540. 120 [Thomasius:] Schertz- und Ernsthaffter / Vernünfftiger und Einfältiger Gedancken, S. 549, 549, 569. 121 Lenz: Werke und Briefe, Bd. 2, S. 650. 122 AlleZitateindiesemAbsatz:Schiller:KabaleundLiebe,II/1,II/3,II/1. 123 Schiller: Nationalausgabe, Bd. 22, S. 256. 124 Schiller: Nationalausgabe, Bd. 21, S. 40. 125 Alle Zitate: Kant: Werkausgabe, Bd. 8, S. 539, 540, 540, 580. 126 Vgl. Kant: Werkausgabe, Bd. 12, S. 581f. 127 Alle Zitate: Kant: Werkausgabe, Bd. 12, S. 600, 601, 601, 582. 128 Kant: Das Ende aller Dinge. Werkausgabe, Bd. 11, S. 188. 129 Novalis: Werke, Tagebücher und Briefe, Bd. 1, S. 427. 130 Hobbes: Leviathan, S. 97. 131 Kant: Werkausgabe, Bd. 12, S. 706. 132 Vgl. Kant: Werkausgabe, Bd. 12, S. 697.
Anmerkungen
171
133 Euphranor. Ueber die Liebe, Tl. 2, S. 192, 196. 134 Zitiert nach: Deutsche Dichterinnen vom 16. Jahrhundert bis zur Gegenwart, S. 155. 135 Baumbach: Abenteuer und Schwänke, S. 105f., 106.
4. „Liebe voll Lust“. Der Wille zum Bekenntnis 1 Alle Zitate: Herder: Sämtliche Werke, Bd. 8, S. 642, 529, 534. 2 Zu den fachwissenschaftlichen Fragen vgl. Zakovitch: Das Hohelied. 3 Beide Zitate: Herder: Sämtliche Werke, Bd. 8, S. 554. 4 Beide Zitate: Das Lied der Lieder [= Hohelied], S. 1302. 5 Das Lied der Lieder [= Hohelied], S. 1302. 6 Bachmann: Werke, Bd. 1, S. 110. 7 Beide Zitate: Das Lied der Lieder [= Hohelied], S. 1303. 8 Herder: Sämtliche Werke, Bd. 8, S. 547. 9 Beide Zitate: Das Lied der Lieder [= Hohelied], S. 1303. 10 Alle Zitate: Das Lied der Lieder [= Hohelied], S. 1304. 11 Alle Zitate: Das Lied der Lieder [= Hohelied], S. 1305. 12 Alle Zitate: Das Lied der Lieder [= Hohelied], S. 1306. 13 Das Lied der Lieder [= Hohelied], S. 1307. 14 Das Lied der Lieder [= Hohelied], S. 1307. 15 Haas: Babylonischer Liebesgarten, S. 129. 16 Das Lied der Lieder [= Hohelied], S. 1307f. 17 Beide Zitate: Das Lied der Lieder [= Hohelied], S. 1309. 18 Beide Zitate: Das Lied der Lieder [= Hohelied], S. 1310. 19 Hoheslied 8, 6, 7. Übersetzung aus dem Urtext von Jörg-Friedrich Luserke. 20 Capellanus: Über die Liebe, S. 167. 21 Vgl. die grundlegende Arbeit von Walter: Unkeuschheit und Werk der Liebe. 22 Capellanus: Über die Liebe, S. 163. 23 Alle Zitate: Wolkenstein: Lieder, S. 57, 13, 17, 45, 47. 24 Dû bist mîn. ih bin dîn, S. 78.
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Anmerkungen
Alle Zitate: Tepl: Der Ackermann und der Tod, S. 21, 55. Piccolomini: Euryalus und Lucretia, S. 13. Piccolomini: Euryalus und Lucretia, S. 14, 18. Piccolomini: Euryalus und Lucretia, S. 23, 22/23. Piccolomini: Euryalus und Lucretia, S. 25, 25, 24/25. Bembo: Asolaner Gespräche, S. 105. Piccolomini: Euryalus und Lucretia, S. 53. Platon: Symposion, 191d [zitiert nach: Platon: Sämtliche Werke, Bd. 2, S. 222]. Vgl. Piccolomini: Euryalus und Lucretia, S. 37. Alle Zitate: Piccolomini: Euryalus und Lucretia, S. 62, 65, 67. Römische Frauen, S. 17. Piccolomini: Euryalus und Lucretia, S. 75. Vgl. Piccolomini: Euryalus und Lucretia, S. 83. Beide Zitate: Piccolomini: Euryalus und Lucretia, S. 85. Alle Zitate in diesem Absatz: Piccolomini: Euryalus und Lucretia, S. 103, 104/105, 113, 115.
5. „Lust und Liebe“. Ein romantisches Modell 1 Alle Zitate: Schuldt: Der Code des Herzens, S. 13, 25. – Wie Schuldt ernsthaft behaupten kann, jedes Kind wisse heutzutage, woran man Liebe erkenne und welche Regeln zu beachten seien, wenn Liebe im Spiel sei (vgl. beinahe wörtlich ebd., S. 14), bleibt unklar. Wer sich mit Heranwachsenden ernstlich beschäftigt, wird eine andere Erfahrung machen. 2 Kleist: Sämtliche Werke und Briefe, Bd. 1, S. 917f. 3 Fisher: Warum wir lieben, S. 7f. 4 Vgl. Fisher: Warum wir lieben, S. 8. 5 Alle Zitate: Luther: Ein Sermon von dem ehlichen Stand, S. 5. 6 Thomasius: Ob Wahrhaffte Liebe zwischen Ehe-Leuten / sich nothwendig in anderer Gesellschafft / kund geben müsse?, Bd. 22, S. 327. 7 Vgl. Thomasius: Ob Wahrhaffte Liebe zwischen Ehe-Leuten / sich nothwendig in anderer Gesellschafft / kund geben müsse?, S. 328.
Anmerkungen
173
8 [Georg Friedrich Meier:] [Ohne Titel], in: Der Gesellige 3/129 (1749), S. 273–278, hier S. 278. 9 Vgl. dazu ausführlich Luserke-Jaqui: Anakreontik und Rokoko, S. 19–31. 10 Vgl. Best: Die Sprache der Küsse. Ohnehin ist das Buch von Ebberfeld: Küss mich, wesentlich informativer. 11 Klopstock: Briefe 1738–1750, S. 95 (Brief an Gleim, 22. Juni 1750), S. 89 (Brief an Gleim, 16. Juni 1750). 12 Klopstock: Oden und Elegien, S. 25. 13 Vgl. Hekelius: Historisch-Philologische Untersuchung. 14 Rohr: Einleitung zur Ceremoniel-Wissenschaft, S. 380. 15 Alle Zitate: [Meier:] [Ohne Titel], S. 273, 274, 275. 16 Vgl. [Meier:] [Ohne Titel], S. 275f. 17 Beide Zitate: [Meier:] [Ohne Titel], S. 278. 18 Kant: Werkausgabe, Bd. 11, S. 581. 19 Schiller: Nationalausgabe, Bd. 28, S. 2. – Zum Verhältnis Schillers und Schlegels, der seinen ‚klassischen‘ Kollegen als den ‚reinen Nullpunkt‘ in der Dichtung titulierte, vgl. Luserke-Jaqui: Friedrich Schiller, S. 32f. 20 Schiller: Nationalausgabe, Bd. 30, S. 73. 21 Schlegel: Lucinde, S. 106. 22 Beide Zitate: Heine: Sämtliche Schriften, Bd. 5, S. 408. 23 Schlegel: Lucinde, S. 215. 24 Engel: Der Roman der Goethezeit, Bd. 1, S. 442. – Zur Frage der historiographischen Probleme von Epochenstrategien und Epochenverwerfungen zwischen Klassik und Romantik vgl. LuserkeJaqui: Über Schillers Jungfrau von Orleans, S. 79–94. 25 Ähnliche Vorbehalte sind auch gegenüber ausschließlich rhetorikgeschichtlichen Arbeiten zu formulieren, vgl. etwa Holland: Lucinde the Novel from „Nothing“, S. 163–176. 26 Beide Zitate: Bräutigam: Leben wie im Roman, S. 13. 27 Vgl. Kritische Friedrich-Schlegel-Ausgabe, Bd. 5, Einleitung. 28 Becker-Cantarino: Schlegels Lucinde, S. 138. 29 Vgl. Becker-Cantarino: Schlegels Lucinde, S. 134. 30 Weigel: Wider die Romantische Mode, S. 81.
174
Anmerkungen
31 Vgl. Weigel: Wider die Romantische Mode, S. 75. 32 Weigel: Wider die Romantische Mode, S. 69, 75, 75. 33 Schultz: Geist und Sinnlichkeit, S. 59. – Vgl. auch Foschi Albert: Friedrich Schlegels Theorie des Witzes und sein Roman Lucinde, die die Lucinde etwa „aus der erkenntnistheoretischen Perspektive der Witztheorie“ als „Explikation der romantischen Ästhetik Schlegels“ (S. 75) liest. Solche Interpretationsansätze sind selbstverständlich legitim, nur im Kontext einer Diskursgeschichte der Liebe uninteressant. 34 F. Schlegel: Fragmente zur Poesie und Literatur, S. 354 [= Nr. 102]. 35 Vgl. Domoradzki: Und er erschuf die Frau nach seiner Sehnsucht, S. 169–184. 36 Alle Zitate zitiert nach: Kluckhohn: Die Auffassung der Liebe, S. 380f., 381, 381. 37 Der Aufsatz von Schrage-Früh: Subversive Weiblichkeit?, S. 365– 390, kann in diesem Zusammenhang vernachlässigt werden, da er die bekannte (feministische) Kritik nur wiederholt, dann aber in einer biographistischen Volte die Literarisierung einer Denkfigur (Lucinde) gegen die Realhistorie (Günderrode) ausspielt und in biographistischer Manier eben jener Idealisierung der historischen Person Karoline von Günderrode das Wort redet, die an Schlegels literarischer Figur so vehement kritisiert wurde. 38 Zitiert nach: Ich will dich, S. 78. 39 Vgl. [Anon.:] Lina’s aufrichtige Bekenntnisse. 40 Vgl. etwa den Nachdruck in: Die Sauglocke, S. 41–47. 41 Schlegel: Lucinde, S. 37. 42 Deutsches Wörterbuch, Bd. 6, 1885, S. 919ff. (im Original kursiv). 43 Beide Zitate: Abaelard: Die Leidensgeschichte und der Briefwechsel mit Heloïsa, S. 81, 21. 44 Schlegel: Lucinde, S. 34. 45 Montaigne: Die Essais, S. 310. 46 Alle Zitate: Schlegel: Lucinde, S. 34f., 33, 53. 47 Schiller: Kabale und Liebe, V/7.
Anmerkungen
48 49 50 51 52
53 54 55
56 57 58 59 60 61 62
175
Alle Zitate: Schlegel: Lucinde, S. 23, 35, 32, o. S. [= S. 9]. Beide Zitate: Schlegel: Lucinde, o. S. [= S. 7]. Vgl. Schlegel: Lucinde, S. 33, 30, 39. Alle Zitate: Schlegel: Lucinde, o. S. [= S. 11], S. 13, 12. Adelung: Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart, Tl. 2, Sp. 2059. – Zu den anderen Lemmata vgl. ebd., Tl. 3, Sp. 350; Jacob und Wilhelm Grimm: Deutsches Wörterbuch, Bd. 6, Sp. 2830; Campe: Wörterbuch der Deutschen Sprache, Tl. 3, S. 121f., 384. Alle Zitate: Schlegel: Lucinde, S. 15, 14, 69. Adelung: Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart, Tl. 2, Sp. 2058. Alle Zitate: Schlegel: Lucinde, S. 14, 14, 88, 16, 18. – Um dies noch einmal explizit zu betonen: Ich argumentiere auf der Textebene der Figuren, nicht auf der Autorebene. Dass bei Friedrich Schlegel die Grenzen zwischen der vollendeten Liebe und der (bürgerlichen) Ehe aufgehoben sind, ist bekannt, vgl. dazu etwa die verdienstvolle Lemmatisierung des Herausgebers Polheim in seiner Lucinde-Ausgabe, S. 144. Schlegel: Lucinde, S. 17, vgl. auch S. 91. Nietzsche: Also sprach Zarathustra, KSA, Bd. 4, S. 402. Nietzsche: KSA, Bd. 12, S. 179. Novalis: Werke, Tagebücher und Briefe, Bd. 2, S. 770. Vgl. Schlegel: Lucinde, S. 115. Alle Zitate in diesem Absatz: Schlegel: Lucinde, S. 12, 37, 20, 19. Auszunehmen ist hierbei die Arbeit von Michel u. Michel, die von Rollenpluralität sprechen und diese mit Schlegels Konzept einer Symphilosophie erklären. Die Ausweitung ihres Untersuchungsgegenstands auch auf Novalis unterstreicht, dass die modellhafte Übertragung und Verschiebung von Geschlechterrollen in der frühromantischen Literatur nicht auf Schlegels Lucinde begrenzt ist. Ihrer Kritik an der Sekundärliteratur ist vorbehaltlos zuzustimmen, vgl. Edith und Willy Michel: Der „zusammenstimmende Pluralis“ und die „unbegreiflichen gleichzeitigen Empfindungen“, S. 113–135.
176
Anmerkungen
63 Alle Zitate: Schlegel: Lucinde, S. 19, 23, 23, 30, 65. 64 Beide Langzitate: Heinse: Ardinghello, S. 225, 412. (Auf die Wiedergabe editorischer Zeichen habe ich verzichtet.) 65 Goethe: Weimarer Ausgabe, I/3, S. 121. 66 Schlegel: Lucinde, S. 23. 67 Ich fasse an dieser Stelle kurz zusammen, was ich andernorts ausführlich dargelegt habe, vgl. Luserke-Jaqui: Die Unordnung der Liebe, S. 17–34. 68 Schiller: Kabale und Liebe, I/4. 69 Vgl. Schiller: Kabale und Liebe, II/3. 70 Schiller: Kabale und Liebe, II/1. 71 Schiller: Kabale und Liebe, IV/2. 72 Schiller: Nationalausgabe, Bd. 20, S. 65. 73 Schiller: Kabale und Liebe, III/4. 74 [Marmontel:] Des Herrn Marmontels Dichtkunst, 2. Tl., Bremen 1766, S. 88f. 75 [Dedekind]: Die Kunst Wollust zu geniessen an Lucinden. O. O. 1756, S. 21. – Hans Eichner hatte mit seiner Bemerkung, dieses Buch habe mit Schlegels Roman nichts gemein, sicherlich recht. Allerdings ist die diskursive Strategie, Sexualität als anthropologisches Positivum emanzipativ zu werten, in beiden Texten gleich (vgl. die Einleitung zur Lucinde, in: Kritische Friedrich-SchlegelAusgabe, Bd. 5, S. XX, Anm. 16). – Vgl. auch das Werk [Anon.:] Die Kunst die Wollust zu empfinden [. . .] (1751). Neudruck unter dem Titel: La Mettrie: Die Kunst, Wollust [!] zu empfinden. 76 Alle Zitate: Blackburn: Wollust, S. 92, 93 (Blackburn leitet dies aus Hobbes’ Naturrecht ab), 128, 135. 77 Heinse: Ardinghello, S. 223. 78 Alle Zitate: Schlegel: Lucinde, S. 31, 30, 31, vgl. auch S. 29. 79 Schlegel: Fragmente zur Poesie und Literatur, S. 354 [= Nr. 102]. 80 Alle Zitate in diesem Absatz: Schlegel: Lucinde, S. 31, 33, 82, 80, 32, 99, 32, 32. 81 Stendhal: Über die Liebe, S. 45. 82 Alle Zitate in diesem Absatz: Schlegel: Lucinde, S. 34 (vgl. auch S. 35), 36f., 86, 24, 38.
Anmerkungen
177
83 Beide Zitate: Schlegel: Lucinde, S. 39, 40. 84 Schlegel: Kritische Schriften und Fragmente, Bd. 2, S. 134. 85 Alle Zitate in diesem Absatz: Schlegel: Lucinde, S. 30, 47f., 51, 47, 40. 86 Alle Zitate: Schlegel: Lucinde, S. 78, 78, 85, 83f., 93. 87 Vgl. dazu Luserke: Die Bändigung der wilden Seele. 88 Schlegel: Lucinde, S. 92. 89 Schlegel: Charakteristiken und Kritiken I, S. 264 [= Nr. 83]. 90 Alle Zitate in diesem Absatz: Schlegel: Lucinde, S. 88, 51, 96, 98, 98.
6. „Es ist, was es ist“. Die große Liebe in der Literatur der Moderne 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10
11 12
Musil: Der Mann ohne Eigenschaften, [= GW 1–5], S. 882. Musil: Der Mann ohne Eigenschaften, S. 246. Musil: Der Mann ohne Eigenschaften, S. 1224. Zu den nachfolgenden Ausführungen vgl. Luserke: Robert Musil, S. 98f. Vgl. Musil: Der Mann ohne Eigenschaften, S. 750. Musil: Der Mann ohne Eigenschaften, S. 761. Vgl. Musil: Der Mann ohne Eigenschaften, S. 754: „Ich kann viel davon reden!“ Musil: Der Mann ohne Eigenschaften, S. 891 (Hervorhebung M. L.-J.). Alle Zitate in diesem Absatz: Musil: Der Mann ohne Eigenschaften, S. 1108, 761, 765, 766, 767, 1279, 1882. Es darf aber in Erinnerung gerufen werden, dass Musil im Nachlass Folgendes notiert hat: „U.[lrich] fühlt in ihrer Nähe das Zurückströmen des Außen u Innen zum Gefühl u. das Durchgreifen des Gefühls. Auch die sex. Tendenz, die einer anderen Sphäre angehört.“ (Musil: Der Mann ohne Eigenschaften, S. 1276). Alle Zitate in diesem Absatz: Musil: Der Mann ohne Eigenschaften, S. 1912, 1318, 1086, 1083. Beide Zitate: Musil: Der Mann ohne Eigenschaften, S. 1104, 1282.
178 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40
Anmerkungen
Vgl. Musil: Der Mann ohne Eigenschaften, S. 255. Vgl. Musil: Der Mann ohne Eigenschaften, S. 1427. Musil: Der Mann ohne Eigenschaften, S. 1202. Vgl. Musil: Der Mann ohne Eigenschaften, S. 1084. Goethe: Sämtliche Werke nach Epochen seines Schaffens, Bd. 11. 1.2, S. 33. Vgl. Musil: Der Mann ohne Eigenschaften, S. 1108. Alle Zitate in diesem Absatz: Musil: Der Mann ohne Eigenschaften, S. 1094, 1104, 1111. Alle Zitate in diesem Absatz: Musil: Der Mann ohne Eigenschaften, S. 1123, 1123, 1130, vgl. S. 1192. Vgl. Musil: Der Mann ohne Eigenschaften, S. 1159. Musil: Der Mann ohne Eigenschaften, S. 1162. Vgl. Musil: Der Mann ohne Eigenschaften, S. 1172, 1201. Alle Zitate in diesem Absatz: Musil: Der Mann ohne Eigenschaften, S. 1195, 1202, 1203, 1273. Musil: Der Mann ohne Eigenschaften, S. 1319. Vgl. Musil: Der Mann ohne Eigenschaften, S. 1413. Alle Zitate in diesem Absatz: Musil: Der Mann ohne Eigenschaften, S. 1319, 1319, 1405, 1415. Musil: Der Mann ohne Eigenschaften, S. 1102. Novalis: Heinrich von Ofterdingen, S. 117. Benn: Die neue literarische Saison, S. 279. Musil: Der Mann ohne Eigenschaften, S. 1220. Alle Zitate in diesem Absatz: Musil: Gesammelte Werke, Bd. 6, S. 181, 181, 189, 191, 191. Beide Zitate: Musil: Gesammelte Werke, Bd. 6, S. 223, 194. Hesse: Peter Camenzind, S. 70. Beide Zitate: Janz: Elfriede Jelinek, S. 111, 119. Wegel: ‚Der Aufbruch der Phrase zur Tat‘, S. 406. Jelinek: Lust, S. 5. Beide Zitate: Jelinek: Lust, S. 248, 245. Janz: Elfriede Jelinek, S. 116. Johannes vom Kreuz: Des Heiligen Johannes vom Kreuz sämtliche Werke, Bd. 4, S. 204.
Anmerkungen
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41 Vgl. dazu auch die Darstellung von Fischer: Trivialmythen in Elfriede Jelineks Romanen, bes. S. 16–20. 42 Jelinek: Die endlose Unschuldigkeit, S. 76. 43 Jelinek: Der Sinn des Obszönen, S. 102. 44 Vgl. dazu die Staatsexamensarbeit von Silvia Jaqui: Macht Sprache Lust [Ms.]. 45 Beide Zitate: Jelinek: Lust, S. 116, 242. 46 Alle Zitate in diesem Absatz: Jelinek: Lust, S. 118, 123, 170. 47 Alle Zitate: Jelinek: Die Klavierspielerin, S. 88, 118. 48 Jelinek: Die Klavierspielerin, S. 90. 49 Jelinek: Die Klavierspielerin, S. 149. 50 Jelinek: Ich mag Männer nicht, aber ich bin sexuell auf sie angewiesen, in: profil 13 (1989), S. 84. 51 Beide Zitate: Jelinek: Die Klavierspielerin, S. 181, 191. 52 Alle Zitate: Jelinek: Die Klavierspielerin, S. 213f., 221, 228. 53 Ovid: Amores. Liebesgedichte, S. 71. 54 Bachmann: Wir müssen wahre Sätze finden, S. 109. 55 Schiller: Kabale und Liebe, III/4. 56 Alle Zitate auf dieser Seite: Baker: Vox, S. 188f., 69, 69. 57 Baker: Vox, S. 80. 58 Beide Zitate: Baker: Vox, S. 90, 169. 59 Schiller: Wilhelm Tell, V. 1105. 60 Baker: Vox, S. 11. 61 Vgl. Biller: Liebe heute. 62 Beide Zitate: Büchner: Werke und Briefe, S. 167, 186. 63 Fried: Was es ist, S. 35. 64 Alle Zitate: Nietzsche: Also sprach Zarathustra, KSA, Bd. 4, S. 402, 403.
„Die Liebe hemmet nichts“. Statt eines Nachworts 1 Anonymes Gedicht Die gezwungene Liebe, in: Erotische Lyrik der galanten Zeit, S. 31. 2 Claudius: Ausgewählte Werke, S. 290.
180 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12
Anmerkungen
Schlegel: Lucinde, S. 36. Ovid: Amores. Liebesgedichte, S. 163. Hamann: Sokratische Denkwürdigkeiten, S. 97. Herder: Sämtliche Werke, Bd. 8, S. 530. Ovid: Amores. Liebesgedichte, S. 85. 1. Korinther 13,1. Lessing: Werke und Briefe, Bd. 4, S. 411. Montaigne: Die Essais, S. 306. Schiller: Kabale und Liebe, V/7. Schiller: Nationalausgabe, Bd. 25, S. 289.
Literatur Quellen Abaelard: Die Leidensgeschichte und der Briefwechsel mit Heloïsa. Übertragen u. hgg. v. Eberhard Brost. Neuausgabe. Heidelberg 1979. Abraham a Sancta Clara: Wunderlicher Traum von einem großen Narrennest [1703]. Hgg. v. Alois Haas. Stuttgart 2001. [Anon.:] Lina’s aufrichtige Bekenntnisse. Mit einem Nachwort hgg. v. Matthias Luserke u. Reiner Marx. Frankfurt a. M. 1995. [Anon.:] Versuch eines kleinen Wörterbuchs der Liebe nebst einem neuen Göttergespräche als Denkmal der Freundschaft an Vermählungstagen geliebter Freunde und Freundinnen. Paphos, im Jahre der glücklichen Ehen. O. O. [Köln], o. J. [ca. 1795]. Antike Zaubersprüche. Zweisprachig. Übersetzt u. hgg. v. Alf Önnerfors. Stuttgart 2001. Applaus für Venus. Die 100 schönsten Liebesgedichte der Antike. Ausgewählt u. übersetzt v. Niklas Holzberg. München 2004. Archilochos: Gedichte. Griechisch und deutsch. Übertragen u. hgg. v. Kurt Steinmann. Frankfurt a. M., Leipzig 1998. Aretino, Pietro: I Modi. Stellungen. Die Sonette des göttlichen Pietro Aretino zu den Kupfern Marcantonio Raimondis. Nachgedichtet u. mit einem Essay versehen v. Thomas Hettche. Frankfurt a. M. 1997. Bachmann, Ingeborg: Werke. Hgg. v. Christine Koschel, Inge von Weidenbaum u. Clemens Münster. München 1978. Bachmann, Ingeborg: Wir müssen wahre Sätze finden. Gespräche und Interviews. Hgg. v. Christine Koschel u. Inge von Weidenbaum. München, Zürich 1983.
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Literatur
Baker, Nicholson: Vox. Reinbek b. Hamburg 1994. Bembo, Pietro: Asolaner Gespräche. Dialog über die Liebe. Hgg. u. übersetzt v. Michael Rumpf. Heidelberg 1992. Benn, Gottfried: Die neue literarische Saison, in: Ders.: Das Hauptwerk. Hgg. v. Marguerite Schlüter. Bd. 2: Essays, Reden, Vorträge. Wiesbaden, München 1980, S. 279–290. Best, Otto F. [Hg.]: Lob der Zärtlichkeit. Eine Stilistik der Liebe. Frankfurt a. M., Leipzig 1994. Biller, Maxim: Liebe heute. Short stories. Köln 2007. Boccaccio, Giovanni di: Erotische Geschichten. Ausgewählt aus dem Decameron. Übertragen v. Albert Wesselski. Frankfurt a. M., Leipzig 1999. Böll, Heinrich: Versuch über die Vernunft der Poesie, in: Ders.: Essayistische Schriften und Reden 3, 1973–1978. Hgg. v. Bernd Balzer. Köln 1980, S. 34–50. Bornemann, Ernest: Sex im Volksmund. Der obszöne Wortschatz der Deutschen. Reinbek b. Hamburg 1991. Brant, Sebastian: Das Narrenschiff. Stuttgart 1988. Burke, Peter: Was ist Kulturgeschichte? Aus dem Englischen v. Michael Bischoff. Frankfurt a. M. 2005 [Original: 2004]. Capellanus, Andreas: Über die Liebe. Eingeleitet, übersetzt u. mit Anmerkungen versehen v. Fidel Rädle. Stuttgart 2006. Carrière, Jean-Claude: Mit anderen Worten. Ein erotischer Sprachführer. Aus dem Französischen übertragen v. Nathalie Rouanet-Herlt u. Helen Zellweger. Berlin 2008. Claudius, Matthias: Ausgewählte Werke. Hgg. v. Walter Münz. Stuttgart 1990. D’Andeli, Henri: Der Lai von Aristoteles, in: Erzählungen des Mittelalters Bd. 4: Altfranzösische Liebesgeschichten. Übersetzt v. Chris E. Paschold u. Albert Gier. Kettwig 1992, S. 60–74. Das Lied der Lieder [= Hohelied], in: Bibel in gerechter Sprache. Hgg. v. Ulrike Bail, Frank Crüsemann, Marlene Crüsemann u. a. Gütersloh 2006. Der nordische Aufseher. Hgg. v. Johann Andreas Cramer. Bd. 2, 87. St. Kopenhagen, Leipzig 1762.
Quellen
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Namenregister Abaelard 47, 54, 117 Abraham a Sancta Clara 9, 63 Adam 91 Adelung, Johann Christoph 51, 120 Ahna, Antoinette Elisabetha de 108 Alexander der Große 76f. Anakreon 53, 58f., 61, 73, 89, 108, 110 Anubis 42 Archilochos 65f. Aretino, Pietro 69, 71f. Ariost 50 Aristoteles 71, 73–82, 85f., 99
Böll, Heinrich 18 Bornemann, Ernest 75 Brachmann, Louise 86 Brant, Sebastian 63 Büchner, Georg 156 Burckhardt, Jacob 36 Burke, Peter 33–37
Bachmann, Ingeborg 18, 90, 153 Baker, Nicholson 133, 144, 153–155 Barthes, Roland 7, 10, 15f., 19f., 44, 147 Baumbach, Rudolf 86 Bembo, Pietro 74, 100 Benjamin, Walter 156 Benn, Gottfried 142 Blackburn, Simon 67, 125 Boccaccio, Giovanni di 53, 95, 118
D’Andeli, Henri 76, 78 Dedekind, Friedrich 125 Deleuze, Gilles 22
Capellanus, Andreas 95 Catull 31, 44 Celtis, Conrad 58 Cervantes 118 Cicero 13, 44 Claudius, Matthias 159 Cramer, Johann Andreas 23
Ehrenberg, Friedrich von 85 Eich, Günter 16 Elias, Norbert 34 Eltester, Otto Christoph 10 Epikur 126 Erasmus von Rotterdam 12 Eva 91
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Namenregister
Fisher, Helen 107 Flaubert, Gustave 31 Foucault, Michel 20–23 Fried, Erich 99, 156 Funk, Gottfried Benedict 23 Füssli, Johann Heinrich 69f., 155 Gasset, José Ortega y 15 Gernhardt, Robert 43 Gessner, Salomon 53 Gleim, Johann Wilhelm Ludwig 108 Goethe, Johann Wolfgang 17, 41, 43, 45f., 48–50, 55–62, 65, 71, 105, 111–113, 123, 138 Goncourt, Edmont de 17 Goncourt, Jules de 17 Goulemot, Jean Marie 70 Greenblatt, Stephen 165 Grien, Hans Baldung 78f. Grimm, Jacob 14 Grimm, Wilhelm 14 Günderrode, Karoline von 18, 174 Hagedorn, Friedrich von 52, 117 Hamann, Johann Georg 159 Hegel, Georg Wilhelm Friedrich 43–45, 111f. Heine, Heinrich 75, 112 Heinse, Wilhelm 41, 116, 122f., 126 Hekelius, Johann Friedrich 109
Heloïsa 47, 54, 117 Herder, Johann Gottfried 10, 87–89, 91, 160 Hermeias 42 Hesse, Hermann 144 Hobbes, Thomas 84, 125, 176 Hoffmannswaldau, Christian Hoffmann von 50, 68, 75 Hofmannsthal, Hugo von 144 Hölderlin, Friedrich 64 Horaz 49, 71 Illouz, Eva 28f. Jean Paul 127 Jelinek, Elfriede 133, 144–156 Johannes vom Kreuz 146 Joyce, James 31 Juno 42f. Jupiter 42 Kafka, Franz 73 Kant, Immanuel 83–85, 112 Kleist, Heinrich von 106 Klopstock, Friedrich Gottlieb 51f., 105f., 108 Kristeva, Julia 13, 30–32 Krünitz, Johann Georg 51 Lacan, Jacques 39 Laclos, Choderlos de 46, 48 Lamprecht, Karl 33 Leda 118f. Lemnius, Simon 62, 111 Lengefeld, Charlotte von 11
Namenregister
Lenz, Jakob Michael Reinhold 64, 81 Lesbia 44 Lessing, Gotthold Ephraim 9, 39, 41, 45, 47, 62–64, 160 Levetzow, Ulrike von 17 Logau, Friedrich von 74 Longos 41 Luhmann, Niklas 23–27, 29 Luther, Martin 11, 62, 107
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Palingenius 50 Paulus160 Petrarka, Francesco 13, 118 Phyllis 74f., 78–82, 86, 99, 170 Piccolomini, Enea Silvio 29, 73, 87, 95, 98f., 111 Platon 58, 80, 86, 93, 100, 115 Polheim, Karl Konrad 112, 175 Properz 47 Queen 156
Marcus, Steven 68 Marmontel, Jean-François 125 Meier, Georg Friedrich 109f. Mercury, Freddy 156 Milton, John 50 Montaigne, Michel de 15, 30, 47f., 117, 130 Mörike, Eduard 13 Mozart,Wolfgang Amadeus 47 Musil, Robert 44, 133–142, 144, 177 Neaera 57, 59–61 Nietzsche, Friedrich 18, 121, 156 Novalis 12, 15, 41, 64, 84, 116, 121, 142 Nudow, Heinrich 40 Olympias 80f. Opitz, Martin 43, 50 Ovid 12, 15, 17, 42, 44, 53, 55, 67, 95, 153, 160
Rilke, Rainer Maria 38 Rohr, Julius Bernhard von 109 Rost, Johann Christoph 20, 52f. Rousseau, Jean-Jacques 69f., 155 Rückert, Corinna 71 Rufin 31, 72 Sachs, Hans 12, 78 Sade, Donatien Alphonse François de 149 Sappho 66f. Schiller, Friedrich 9, 11, 16, 19, 29, 38, 45, 47f., 72, 82f., 85, 111f., 118, 123f., 153, 155, 160 Schlegel, August Wilhelm 126 Schlegel, Dorothea 115 Schlegel, Friedrich 14, 20, 26, 28, 39, 48f., 105, 107, 111–116, 118–123, 125–129, 131f., 174–176 Schleiermacher, Friedrich 126f. Schmidt, Christian Ludwig 108
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Namenregister
Schnitzler, Arthur 31, 144 Secundus, Johannes Nicolai 55–62, 111 Seneca 101 Shakespeare,William 13 Sokrates 16 Staël, Madame de 44 Stein, Charlotte von 56, 58f. Stendhal 12, 40, 128, 165 Straton 46 Tepl, Johannes von 97 Thomasius, Christian 80, 107f., 110 Tieck, Ludwig 10 Tiresias 42
Valentin, Karl 16 Vergil 99 Vogel, Adolfine Henriette 106 Vulpius, Christian August 49, 51 Wackenroder,Wilhelm Heinrich 10 Walser, Martin 17 Wieland, Christoph Martin 41, 49 Wolkenstein, Oswald von 73, 96f., 111 Wyle, Niklas von 98 Zedler, Johann Heinrich 68 Zeus 118