Kirche und Arbeiterschaft [Reprint 2019 ed.] 9783111575223, 9783111203126


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German Pages 38 [44] Year 1912

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Leitsätze
Kirche und Arbeiterschaft
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Kirche und Arbeiterschaft [Reprint 2019 ed.]
 9783111575223, 9783111203126

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Alfred Töpelmann (vormals I. Ricker) Verlag in Gießen

Rirche und Sozialdemokratie von

Georg Liebster Pastor in Leipzig-Volkmarsdorf [Studien z. prakt. Theol., Hrsg, von L. dienten, K. Eger u. Dl. Schian, II. Bb. h. 1.]

1908

IV u. 128 S.

M. 3.20

Der mutige Vorkämpfer evangelisch-sozialer Gedanken in Sachsen veröffent­ licht hier seine aus der Erfahrung geschöpften und hoffentlich für neue Erfahrung allerorten fruchtbaren Gedanken über dies wichtige Problem in zwei Absätzen: 1. die Neutralität der Kirche, 2. die Diskussion. So ernst es ihm mit der inner­ lichen politischen Neutralität ist, die er von der Kirche gegenüber den wirtschaft­ lichen Parteien fordert, so weit entfernt ist er von einem lässigen laisser aller. Nur wünscht er geistige Auseinandersetzung im besten Sinne bes Worts, wo beide Teile gewinnen, Kirche sowohl wie Sozialdemokratie. Diese geistige Auseinander­ setzung wird nicht nur gefordert, sondern es werden die Wege dahin gezeigt, und in prinzipieller Durcharbeitung die Praxis des geistigen Kampfes mit den wirt­ schaftlichen Parteifragen unserer Zeit behandelt. Lic. G. Traub im Evang. Gemeindeblatt f. Nheinld. u. Wests.

Wenn das Buch, was wir dringend wünschen, eifrig studiert und seine Ge­ danken in die Praxis umgesetzt werden: so wird die Folge nicht nur eine vor­ urteilslosere Beurteilung der Sozialdemokratie, sondern auch ein gewiß langsamer, aber sicherer Einfluß der Kirche und des Evangeliums auf ihre Kreise sein. INonatsschrift für Pastoraltheologie. Vie evangelische Kirche hat Ursache, für diese mutige Schrift von ganzem Kerzen zu danken. Sie ist scharf und aufpeitschend, und das ist gut. Es wird noch viel zu viel salbadert, lamentiert und verdammt in unserer guten Kirche. Und die riesenhaften Klassen sozialdemokratischer Arbeiter werden immer verbitterter und feindseliger gegen die Kirche.... Das Buch gibt eine Antwort „ohne Hörner und Zähne" auf das unleugbare, geradezu furchtbare UUßtrauen der sozialdemo­ kratischen Kreise gegen die Kirche ....

(D, wenn dieses Buch doch in allen Pastoralkonferenzen besprochen, in recht vielen Pfarrhäusern studiert, von recht vielen Kirchenbehörden empfohlen und von recht vielen Menschen befolgt würde! Dann bräche ein neuer Frühling in die Kirche hinein. Pastor A. von Broecker in der Hilfe.

vortröge der theologischen Konferenz zu Gießen - 55. Zolge =======

Kirche und Arbeiterschaft von

Richard Schmitt Pfarrer in Höchst am Main

Verlag von Alfred Töpelmann

(vormals 3. Ricker) ° Gießen ° 1912

Leitsätze. 1. Es handelt sich in vorliegendem Referat nicht so sehr um theoretische, gelehrt wissenschaftliche Untersuchungen als vielmehr um eine mehr praktische Behandlung der Frage „Kirche und Arbeiter­ schaft" auf Grund persönlicher Erfahrung. 2. Unter Kirche verstehen wir die Landeskirche, wie sie sich darstellt in den Einzelgemeinden. Unter Arbeiterschaft ver­ stehen wir den sog. vierten Stand, der sich mit der durch Dampf und Elektrizität bedingten Umwandlung der Gütererzeugung, mit dem Aufblühen der Maschinentechnik und des Fabrikwesens gebildet hat und der mit gutem Recht und allen Kräften nach Anerkennung seitens der andren Stände, nach Gleichberechtigung im Staats­ gefüge, nach wirtschaftlicher Besserstellung und in einem großen Teil seiner Glieder auch nach geistiger Hebung und Bildung strebt. 3. Sofern dieser Arbeiterstand nicht nur in den Industrie­ zentren und ihrer nächsten Umgebung, sondern bis hin zu den ent­ legensten ländlichen Bezirken zu finden ist, und sofern die Kirche hier und dort durch die moderne Arbeiterbewegung stark in Mit­ leidenschaft gezogen ist, rechtfertigt sich das Thema „Kirche und Arbeiterschaft" vor einer Konferenz von Vertretern aus Stadt und Land. 4. In der Stellung des Themas „Kirche und Arbeiterschaft" liegt ein doppeltes: a) eine Tatsache zunächst, nämlich die Tatsache, daß die Arbeiter­ schaft im großen und ganzen der Kirche entfremdet ist und ihr mißtrauisch, wenn nicht feindselig gegenübersteht; wenn die Arbeiterschaft im allgemeinen antikirchlich ist, so soll damit jedoch nicht gesagt sein, daß sie als solche auch antireligiös sei; ferner die Tatsache, daß die Kirche nicht ohne Schuld an dieser Entfremdung der Arbeiterschaft ist, insofern sie sich aristo­ kratisch und bürokratisch und in Verkennung ihrer Pflicht zu

4 sehr zurückgehalten und sich nicht von vornherein auch dieses ihrer Fürsorge ganz besonders bedürfenden Teils ihrer Mit­ glieder in genügend entschiedener Weise angenommen hat. b) eine Aufgabe sodann, nämlich die. Aufgabe für die Kirche, nachzuholen mit allem Fleiß, was sie bis jetzt versäumt hat, und mit allen ihr zu Gebote stehenden Mitteln dafür Sorge zu tragen, die Masse der Arbeiterbevölkerung — die erdrückend große M ehrzahl ihrer Glieder — sich zu erhalten bzw. wieder­ zugewinnen.

5. Dazu ist notwendig:

a) nach der negativen Seite, daß die Kirche alles meide und abtue, was antisozial wirken, was den Arbeiterstand nach seiner Geistesrichtung zurückstoßen muß und was daher dessen fanatischen kirchenfeindlichen Führern immer wieder neuen Stoff zur Agitation gegen die Kirche in die Hand gibt. (Ver­ mietung der Kirchenstühle. Massentaufen und -Trauungen. Unterschiede bei den Kasualien. Liebesgaben an die Pfarrer. Pompöse Kirchen und Pfarrhäuser. Fehlen des Arbeiterstandes in den kirchlichen Gemeindeorganen und Synoden u. a. Ein der Kirche unwürdiges Verhalten gegenüber dem Staat. Streit der kirchlichen Parteien. Engherzigkeit gegenüber freierer Regung.)

b) nach der positiven Seite: et) daß die Kirche durch ihre Diener — uns Pfarrer — den Dienst in Predigt, Sakrament und Seelsorge in einer den veränderten Zeitverhältnissen und den aus dem Arbeiter­ stand hervortretenden Bedürfnissen angepaßten Weise ver­ walten lasse; ß) daß die Kirche im Geist ihres Herrn und Meisters Jesu Christi in ganz besonderer Weise gerade der religiös-sittlich Gefährdeten unter ihren Gliedern sich annehme — und dazu gehört heute der Arbeiterstand — durch nachdrückliche Unterstützung seiner berechtigten wirtschaftlichen Forderungen sowie seines Strebens nach Anerkennung und Gleichberech­ tigung, durch Pflege seines Bildungsbedürfnisses (Vorträge, Gemeindeabende, Kunst, Volksbildungsarbeit, Volksbiblio­ theken, Presse u. a.), durch Arbeiter- und Arbeiterinnen-

5 vereine, Jugendabteilungen (männliche und weibliche) in Stadt und Land.

6. Nimmt vielleicht trotzdem unter dem herrschenden Zeitgeist die Gleichgültigkeit, ja Kirchenfeindlichkeit des Arbeiterstandes zu­ nächst noch zu, die Kirche werde nicht müde und verzage und ver­ zweifle nicht; sie bete und arbeite und traue der Gnade Gottes — und die endlichen Früchte werden nicht ausbleiben.

Nachdem in der ersten Hälfte des vorigen Jahrhunderts im Verfolg der Gedanken, welche die französische Revolution wach­ gerufen hatte, wie in Frankreich so auch i» Deutschland sich da§ Bürgertum die politische und soziale Gleichberechtigung erkämpft und mit dem Bürgertum dank der genialen und hochherzigen Reformarbeit des Freiherrn v. Stein und Hardenberg's auch der Bauernstand sich aus seiner verzweiflungstiollen Lage, von dem lähmenden Druck der Hörigkeit, der Erbuntertänigkeit, ja fast möchte man sagen der Leibeigenschaft in zähem Ringen befreit hatte, erwuchs aus dem Boden der neuzeitlichen Gesellschaft in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts unter dem Einfluß ganz neuer Erwerbs- und Wirtschaftsverhältnisse ein neuer Stand, ein Stand, wie ihn in solcher Massenhaftigkeit und Geschlossenheit und solch rapidem Anwachsen keine frühere Zeit gesehen: der Arbeiter­ stand, der sogenannte vierte Stand. Dampf und Elektrizität, die großen Revolutionäre des 19. Jahrhunderts, sie hatten in fabel­ haft kurzer Zeit eine völlige Umwälzung und Umwandlung der Gütererzeugung hervorgehracht. Durch sie kam ein nie geahntes Aufblühen der Maschinentechnik, entstanden Fabriken über Fabriken und vollzog sich eine weitgehende Verschiebung der Volksschichten. War Deutschland vordem ein Agrarstaat, seine Bevölkerung ihrem Charakter nach fast ausschließlich eine ackerbauende, nun wurde es ein Industriestaat, und in ihm sehen wir den lawinenartig an­ wachsenden Arbeiterstand, der bald seiner Bedeutung sich bewußt werdend unter der Führung von Karl Marx und anderen in einem großen Teil seiner Glieder sein eigenartiges Gepräge in der politisch sozialdemokratischen Partei erhielt. Mit der Begrün-

6 düng dieser selbständigen Partei beginnt in Deutschland der eigent­ liche Kamvf des vierten Standes um dieselben Rechte, die sich vor hundert Jahren der dritte Stand erstritten hat. Die Grund­ festen, auf denen das neue Deutsche Reich sich aufgebaut hat: die allgemeine Wehrpflicht, der allgemeine Schulzwang, das allgemeine gleiche Wahlrecht sind zugleich die Grundlage geworden, auf der sich die neuen Schichten des Volkes, der Hand- und fabrikarbeiten­ den Klassen aus der früheren Unselbständigkeit, Bevormundung und Teilnahmslosigkeit am öffentlichen Leben erhoben, Besserung ihrer wirtschaftlichen Lage, Anerkennung und Gleichberechtigung und persönliche Mitwirkung an der Staatsverfassung und -Ver­ waltung erkämpften, gewiß nicht mit Unrecht, mitunter allerdings mit Mitteln und auf Wegen, die man vom christlich-sittlichen Standpunkt nicht immer gutheißen kann. Eine weitgehende Verschiebung der Volksschichten — so sagte ich schon — machte und macht sich seitdem bemerkbar, begünstigt auch durch das Freizügigkeitsgesetz. Der Zug hin in die Groß­ städte, dorthin, wo die Schlote rauchen und die Maschinen sausen, entvölkerte ganze Landesteile. Wo immer sich Fabriken oder sonst gewerbliche Großbetriebe auftaten, da strömten sie hin, die Bauern­ söhne, die früher auf der väterlichen Scholle festgesessen, zu tausenden und abertausenden. Wir sehen wie vordem kleine unbedeutende Landstädtchen über Nacht fast zu bedeutsamen Industrie-Zentren werden, deren Name in der ganzen Welt bekannt ist, wie um sie herum die Dörfer ihren rein ländlichen Charakter verlieren und rapid groß werden durch die zuziehende Arbeiterbevölkerung; — doch nicht nur das — aus den entlegensten Orten kommen sie zu Hunderten und tausenden in die Fabrikstadt täglich oder des Montags, um die Woche über als Schlafgänger dazubleiben und dann Samstags heim zu ihrer Familie in ihr Örtchen zurückzukehren, das früher

so still und weltverloren nun durch sie mit hineingezogen wird in das unheimlich hastende nimmer ruhende Getriebe der Industrie. Arbeiterschaft — wir finden sie, wenn ich an meine engere Heimat denke, — nicht nur um und in den Fabrikorten, wir finden sie bis hin in das platte Land, ja bis tief, tief in den Taunus hinein, ja von jenseits des Taunus kommen sie — und hier in Hessen werden die Verhältnisse ähnlich sein. So ist jedenfalls die Frage:

7 „Kirche und Arbeiterschaft" keineswegs nur eine Frage für Groß­ städte und Industriezentren, so rechtfertigt sich eine Behandlung dieser Frage vor einer Konferenz von Vertretern aus Stadt und Land. Und das um so mehr, als durch diese neuen, das alte völlig umstürzenden Verhältnisse und insbesondere durch den neuen Geist, der in der modernen Arbeiterbewegung sich breit gemacht und durch sie über Stadt und Land bis ins entlegenste Dörfchen getragen wird, die Kirche ganz gewaltig in Mitleidenschaft gezogen wird, die Kirche aufgerüttelt wird aus ihrem alten gewohnten ruhigen, durch nichts gestörten und stets sich gleichbleibenden Wesen und Gang und sich heute hingestellt sieht vor große Fragen, vor die erschütternde Tatsache, daß die Arbeiterschaft im großen und gan­ zen der Kirche entfremdet ist, ihr mißtrauisch, ja feindlich gegen­ übersteht, wenn schon sie, nicht aus Anhänglichkeit, sondern ledig­ lich aus Utilitätsgründen oder unter der Macht althergebrachter Gewohnheit der erdrückenden Mehrzahl ihrer Glieder nach, den letzten Schritt noch nicht tut und aus der Kirche austritt. Fragt man nach dem Warum? Das ist zunächst die Frage, der nachzugehen ohne Leidenschaft, ohne Rücksicht auf sich selbst, um ihrer inneren Wahr­ haftigkeit willen, eine ernste unumgängliche Pflicht der Kirche ist: Warum hat der Arbeiter zu mir kein Vertrauen mehr? Bei der Beantwortung dieser Frage stütze ich mich wesentlich auch auf die diesbezüglichen Untersuchungen des Herrn Professor Rade, sowie die zusammenfassende Darstellung derselben von Gottfried Naumann in „Evangelisch-Sozial". Warum hält die große Masse der Ar­ beiterschaft sich von der Kirche fern? Man könnte kurz sagen: weil sie sozialdemokratisch organisiert bezw. beeinflußt ist. Es ist nun einmal so, daß unsere Arbeiterschaft zum weitaus größten Teil sich zur Sozialdemokratie hält, weil sie in ihr die einzige Partei sieht, die ihre Interessen mit Erfolg und Energie vertreten hat und noch vertritt. Ob dem wirklich so ist, das lasse ich dahin­ gestellt. Ob die sozialdemokratische Parteileitung, in der das inter­ nationale Judentum in überreichem Maße vertreten ist, wirklich die Arbeiterinteressen vertreten hat, wenn sie den fanatischsten Wider­ spruch erhob gegen die kaiserliche-staatliche Sozialreform, wenn sie in schroffster Weife bis jetzt alle Gesetze der Kranken-, Unfall-, Alters- und Jnvaliditätsversicherung und des Arbeiterschutzes ab-

8 lehnte, das ist doch sehr die Frage. Und trotzdem ists zunächst so, daß diese Partei als die Arbeiterpartei gilt, von deren Geist in etwas die ganze Arbeiterschaft erfüllt ist und der deshalb sehr viele ihr nicht angeschlossene Arbeiter selbst aus evangelischen Ar­ beitervereinskreisen und Kriegervereinen bei Wahlen die Stimme geben — wie ja auch aus bürgerlichen Kreisen in Zeiten der Ver­ ärgerung der Sozialdemokratie nicht wenig Stimmen zufallen, ohne daß man dabei sich darüber gewiß wird, was man damit tut. Und mit brutaler Gewalt, mit einem Terrorismus sondergleichen werden viele in die Partei hineingezwungen, gezwungen sich frei d. h. sozial­ demokratisch zu organisieren, wenn sie überhaupt noch Arbeit bekommen oder behalten wollen, gezwungen, die sozialdemokratischen Blätter zu halten, und mit den sozialdemokratischen Blättern zieht bis in die fernsten Dörfer der sozialdemokratische Geist auch der Kirchenfeind­ schaft ein. Denn hat auch die Sozialdemokratie in ihrem Programm den Satz: Religion ist Privatsache — so steht der nur auf dem Papier — so wird faktisch doch durch Rede und Presse Stimmung gemacht gegen die Kirche, wo und wie es nur geht, und oft in einer geradezu von fanatischem Haß beseelten Weise gegen sie ge­ kämpft und auf Austritt aus ihr hingearbeitet. Und warum und wie pflegt die Sozialdemokratie die Feindschaft wider die Kirche? Nur einige Hauptpunkte seien hier kurz angeführt. Die Sozial­ demokratie erstrebt den Umsturz der jetzt bestehenden Staats- und Wirtschaftsordnung und bekämpft daher mit aller Leidenschaft den Staat. Die Kirche erscheint ihr als eine mit diesem Klassenstaat eng verbündete Macht, die vom Staat abhängig, auf den Staat angewiesen, des Staates Geschäfte zu besorgen habe und daher das Volk in seiner Entwicklung hemme. „Ihrem Charakter als Staatsinstitut entsprechend müsse sie die heutige ungöttliche Un­ ordnung als göttliche Ordnung hinstellen und habe sie sich deshalb von vornherein gegen die Bestrebungen der Arbeiterpartei erklärt und sei eingetreten für die bestehende doch so ungerechte Wirtschafts­ ordnung." Sozialdemokratischer Presse und sozialdemokratischen Agitatoren ist es gelungen, in der großen Masse der Arbeiterwelt die Gedanken zu propagieren, als ob die Kirche mit ihrer Be­ kämpfung der Sozialdemokratie sich zugleich völlig ablehnend ver­ halte gegen die doch so durchaus gerechten Forderungen der ge-

9 samten Arbeiterschaft, die idealen Güter, für welche diese sich ein­ setzt, Aufbesserung ihrer Lage, Licht und Luft, bessere Wohnung, mehr Zeit zur Bildung, mehr Mittel zur Ausbildung ihrer Kinder und bergt — alles Dinge, die zu schaffen die Kirche, die so viel von Bruderliebe rede und ein Hort der Gerechtigkeit sein wolle, in erster Linie berufen sei. Und sie tue es nicht. Im Gegenteil! In ihrer Macht, die sie darstelle, schütze sie als Büttel des Staates noch diese bestehende Wirtschaftsordnung voller Ungerechtigkeit. Und diese Auffassung ist es, die in der Arbeiterwelt weit über den Rahmen der sozialdemokratischen Partei hinaus furchtbar ver­ bittert hat. Ein christlich organisierter Arbeiter schrieb mir noch jüngst: „Das tatkräftigste und wohl nach unseren deutschen Ver­ hältnissen auch das schwierigste Mittel, eine lebendige christliche Kirche herzustellen, ist die Trennung von Kirche und Staat. Es mag das bei uns sehr schwer sein durchzuführen, aber es muß das Ziel sein, dem wir nachstreben; und ich glaube, daß sich diese Notwendigkeit bald immer mehr erweisen wird und daß man auch bei uns, vielleicht früher als man heute denkt, dieser Frage ernstlich wird näher treten müssen. Unsere heutige denkende und scharf beobachtende Arbeiterschaft bemerkt zu oft, daß die Kirche vielfach zum Polizeimann des Staates benutzt wird, auch dann, wenn es gegen berechtigte Arbeiterinteressen geht; daß dann die Arbeiter an der Kirche irre werden, ist selbstverständlich. Der Gedanke der Trennung von Kirche und Staat ist bei mir in England gereift, als ich das praktische werktätige Christentum der freien englischen Kirche kennen lernte. Eine freie Kirche würde sich das verloren gegangene Vertrauen wieder zurückerobern; das Gefühl, das heute die denkenden Arbeiter haben, daß die Kirche mit der Staatsgewalt zusammen das Kapital unterstützt und dadurch verhindert, daß dem Arbeiter seine berechtigten Ansprüche an den errungenen wirtschaft­ lichen Gütern zuteil werden, würde dann schwinden." Ich bringe diese Äußerung aus Arbeiterkreisen, ohne persönlich hier Stellung zu nehmen zu der schwebenden Frage: Trennung von Kirche und Staat. — Die Vertreter der Kirche, so lauten die Vorwürfe weiter, seien nichts anderes als Staatsdiener, mehr Fürstendiener als Reli­ gionsdiener. Das beweise schon Luther, der ob seines Mutes und seines selbständigen Gewissens so gerühmte Luther. Dieser sei im

10 Anfang Revolutionär und Bahnbrecher neuer Ideen gewesen. Durch ihn veranlaßt hätten auch die sozialen Kämpfe seiner Zeit be­ gonnen — und dann habe er als Freund der herrschenden Klassen, als Fürstenknecht geraten, die um ihr gutes Recht ringenden Prole­ tarier tot zu schlagen wie tolle Hunde. Und derselbe Luther, der den kleinen Leuten Sittlichkeit und Keuschheit gepredigt habe, er habe — ein Fürstenknecht — einem Fürsten eine Doppelehe ge­ raten. Und so sei es heute noch. Ter Arme gelte in der Kirche nicht so viel als der Reiche. Die Kirche halte es mit den Großen, den oberen Zehntausend. Diesen räumt sie besondere Vorrechte ein und läßt ihnen allerlei Bevorzugungen zu teil werden. „Für Geld wird alles gemacht, die Geistlichen sind die Hausknechte der besitzenden Klassen." Kinder reicher Leute werden privatim vorbereitet und konfirmiert. Für die Armen gibts die Massentaufen in der Kirche. Trauungen und Beerdigungen, die nicht bezahlt werden, werden nicht so schön ge­ legt, nicht so feierlich gestaltet, mit kürzerer und lange nicht so gut vorbereiteter Rede abgehalten re. — und das will die Kirche Christi sein, dessen, der selber arm war und eine besondere Vorliebe für die Armen hatte. Und wenn ja einmal ein Pfarrer einen guten Anlauf nimmt und sich in soziale Fragen politisch oder wirtschaftlich parteiergreifend einmischt, ein Blick von oben genügt ihn wieder kirre zu machen. So erscheint die Kirche mitsamt ihren Dienern als eine reaktionäre Macht, als ergebene Staatsdienerin, gefügig in allen Dingen den herrschenden Klassen. — Voreingenommen und verbittert gegen die Kirche, wie der Arbeiter nun einmal ist, übt selbst deren christliche Wohltätigkeit, die Fürsorge der inneren Mission, die Armenpflege nur einen sehr geringen versöhnlichen Einfluß auf ihn aus. „Wir Industriearbeiter", so sagte einer, „wollen nichtWohltätigkeit, sondern unser Recht." Ein anderer: „Die christliche Wohl­ tätigkeit kann heute bei der allgemeinen großen Notlage gar nichts mehr nützen. Man soll lieber Zustände schaffen, wo man keine Wohltätigkeit mehr braucht", und dafür solle die Kirche lieber sorgen, zumal das, was sie zu geben in der Lage sei, doch nur ein Tropfen von dem sei, was man mit Eimern genommen habe. — Wie schon erwähnt, macht sich in der Arbeiterschaft ein starker Bildungstrieb bemerkbar. Das Zeitalter der Naturwissenschaften

11 hat zunächst die sogenannten Gebildeten der Kirche entfremdet; diese waren es zuerst, welche die alten Kirchenlehren über Bord warfen und in Wort und Schrift gegen die christliche Weltanschauung als nut der fortgeschrittenen Wissenschaft nicht mehr in Einklang stehend ankämpften. Dem Verlangen nach Wissen, nach Aufklärung ent­ gegenkommend hat dann die sozialdemokratische Partei durch ihre Presse, durch Bildungsvereine, durch Darbietung billiger lehrreicher Bücher, durch Vorträge diese moderne Weltanschauung, die des theoretischen Materialismus, aus den Kreisen der Gebildeten in die Arbeiterwelt verpflanzt. Der Darwinismus schlimmster Art, der kraffeste Häckelianismus, dem die Arbeiterschaft vielfach huldigt, er hat dahin geführt, daß man bald die Vertreter der Kirche, die doch den Kampf gegen diese modernen Geistesströmungen ausnehmen mußten, als Dummköpfe oder Heuchler beurteilte und die Kirche als die Anstalt, die vom Staat zur Verdummung des Volkes be­ nutzt werde. — Der argwöhnische Arbeiter neigt an sich schon zur Verallgemeinerung. So hat er die Erfahrung, daß die Kirche gegen eine monistische Wissenschaft sich stellt, dahin bald verallgemeinert, daß sie jeglicher Wissenschaft fremd und abhold gegenüberstehe und daher ein Hemmschuh für die Kulturentwickclung überhaupt sei. Wir wollen das nicht verkennen, vollkommen war unsere Kirche nie und zeitweise, in bestimmten Perioden mehr als in anderen, hat sie nach dieser oder jener Seite hin sich in der Tat als Hindernis für berechtigte Kulturentwicklungen erwiesen. So fand sie durchaus nicht immer das richtige Verhalten zum menschlichen Welterkennen, zur Wissenschaft. Man denke etwa an die Stellung der kirchlichen Lehre zum biblischen Schöpflingsbcricht. Oder: welche Mühe macht etwa heute die Einführung eines brauchbaren Entwickelungsge­ dankens in die christliche Glaubensüberzeugung. So hat die Kirche allerdings unter Umständen den notwendigen gottgewollten Geistes­ fortschritt an ihrem Teil unterbunden. Oder sie hat wie im Pietis­ mus einst und in allerlei Absenkern des Pietisnms bis heute hin die unveräußerliche Freude des natürlichen Menschenherzens am Schönen, an künstlerischer Produktion und an Gaben der Kunst, am schöpferischen Walten der Phantasie vielfach bei Seite geschoben. Die Reihe ihrer Begehungs- und Unterlassungssünden an dieser Stelle ließe sich leicht vermehren. Dem scharf spähenden Auge der

12 modernen Arbeiterwelt entgehen diese nicht und dienen ihr zur Verschärfung in dem bösen Urteil: „Die Kirche mag früher, als die Menschen noch nichts von Naturwissenschaft wußten, wohl ganz gut und nützlich gewesen sein, heute dient sie nur zur Verdummungs­ anstalt und zwar zur Verdummungsanstalt im Dienste einer reak­ tionären Macht." Und das um so mehr, als man — verhängnis­ voll für unsere evangelische Kirche — zwischen ihr und einer anderen Kirche keinen Unterschied macht, und was immer an Erweisen in­ tellektueller Rückständigkeit die Geschichte der Kirche alter und auch neuer Zeit aufweist (ich erinnere an die Fälle »Galilei, Columbus, Giordano Bruno oder an Maßregelungen von Vertretern freierer Geistesrichtungen in unseren Tagen), kurzweg der Kirche als Schuld zuschreibt und ihr das Prädikat kulturfeindlich gibt. — Die materia­ listische Weltanschauung nimmt dem Menschen das Jenseits und bindet ihn ganz an das Diesseits. „Macht hier das Leben gut und schön, kein Jenseits gibts, kein Wiedersehn." „Den Himmel überlassen wir den Engeln und den Spatzen." „Ich habe nicht den Verdummungsglauben, den irgend eine Kirche lehrt, der von des Jenseits süßen Trauben schwatzt, wenn das Volk nach Brot begehrt." Und die Kirche — so heißt es — um das Volk recht hübsch zufrieden, geduldig und genügsam zu halten, vertröstet auf die Zukunft. — Die Arbeiterschaft ist wie das vollsaftige Gras, das in der Frühe niedergetreten machtvoll emporstrebt. Ein starkes Kraftgefühl ruht in ihr, und die Kirche kommt und predigt Gott­ oertrauen, nicht sorgen und „schwäche damit die Lust sich zu wehren und erhalte das erbärmliche sich ducken und sich alles gefallen lassen". So hört man in den Fabriksälen und Werkstätten immer wieder das: „Hilf dir selber, so hilft dir Gott". — Wenn schon nach dein Urteil aus der Arbeiterschaft selbst heraus die freireligiöse Bewegung in ihr trotz ihrer nahen Verwandtschaft in geistiger Be­ ziehung nicht den Anklang gefunden hat, den man hätte erwarten sollen, wenn von feiten der sozialdemokratischen Partei geradezu vor ihr gewarnt wird als einer Organisation, die organisatorisch keine Kraft habe, in dem Punkte der zwangsweisen Heranziehung der Dissidentenkinder zum landeskirchlichen Religionsunterricht stehen die beiden auf demselben Boden. Aus Anlaß einer vor einigen Jahren mächtig einsetzenden freireligiösen Agitation namentlich hier

13 bei uns in der Mainebene hat die Bezirkssynode Wiesbaden 1909 sich mit dieser Frage beschäftigen müssen und nach langem hin und her sich mit erdrückender Majorität zu folgender vermittelnden Resolution geeinigt: „Die Bezirkssynode steht auf dem Standpunkt, daß der Religionsunterricht als wesentlicher Bestandteil im Orga­ nismus der Schule erhalten werden muß, und erkennt an, daß das Verfahren der Schulaufsichtsbehörde, wenn sie aus freireligiösen Familien stammende Kinder dem Religionsunterricht zuführt, der zurzeit bestehenden Rechtslage entspricht. Sie erklärt, daß unsere Kirche ihrerseits nicht das Recht beansprucht, Kinder solcher Eltern, die ihr nicht angehören, zu unterrichten, daß sie sich aber der Pflicht nicht entziehen kann und will, solcher Kinder, die dem evangelischen Religionsunterricht zugeführt werden, sich in Treue anzunehmen." Und der Erfolg dieser Erklärung: Ter Kirche wird in der sozial­ demokratischen Presse der Vorwurf gemacht, daß sie die ihr von feiten der Polizeiorgane angesonnene Vergewaltigung Anders­ denkender nicht mit Entrüstung von sich gewiesen habe und sich dadurch abermals erwiesen habe als keine Erzieherin zu den idealen Auffassungen des Lebens, als kein Hort der Achtung auch der Überzeugung anderer, als keine Hüterin des Selbstbestimmungs­

rechts in religiösen Angelegenheiten, als keine Feindin des Ge­ wissensdrucks — und das alles um ihrer haltlosen Abhängigkeit vom Staat willen —; und wo der Fall vorkommt, daß DissidentenEltern gezwungen werden, ihre Kinder zum Religionsunterricht zu schicken, da entsteht, da wird genährt die Gegenstimmung gegen die Kirche. — Ohne Anspruch auf lückenlose Vollständigkeit glaube ich die Hauptpunkte herausgestellt zu haben, die uns erkennen lassen, warum der Arbeiterstand sich vielfach von der Kirche abwendet, warum so viel antikirchlicher Sinn in ihm zu finden. Dem sei klar und unumwunden diesen schweren, mitunter geradezu ungeheuerlichen Vorwürfen gegenüber Ausdruck gegeben, einerseits daß diese vielfach falsch, ungerechtfertigt, einseitig und übertrieben sind. Meine Herren, haben wir es beim Anhören der­ selben aber andererseits nicht herausgefühlt, daß leider auch ein Kern von Berechtigung in ihnen steckt, daß ganz speziell unsere evange­ lische Kirche nicht ohne Schuld ist an der kirchlichen Entfremdung der Arbeitermasse. Während die katholische Kirche sehr bald er-

14 kannte, daß mit der Entwicklung des Arbeiterstandes, seiner äußeren und inneren Entwickelung, eine große Gefahr für sie entstehe, und während sie alsbald nach ihrer Eigenart Mittel und Wege suchte, in mancherlei Organisationen und Veranstaltungen dieser Gefahr zu begegnen, während die katholische Kirche alsbald auf dem Plan war, stand unsere evangelische Kirche Gewehr bei Fuß aristokratisch­ vornehm abwartend dem Wachsen und Fluten der Arbeiterbevöl­ kerung gegenüber, mit einer reservierten Scheu, den sittlich-sozialen Aufgaben energisch nahe zu treten, die sich ihr geradezu aufdrängten, die ihr aber bei ihrer mangelnden Beweglichkeit nicht in ihre alt­ gewohnte Weise, in ihre bürokratisch verfaßte, fast möchte ich sagen verknöcherte Form paßten und darum als nicht zu ihrem Ressort gehörig kurzerhand zurückgewiesen wurden lange Zeit, viel zu lange. Allerlei kleine und große Fragen der Kirchenverfassung und Ver­ waltung, der Zucht und Disziplin wurden da auf Synoden und Konferenzen behandelt mit einem Ernst und Eifer, mit einem Auf­ wand an Zeit und Kraft sondergleichen — als ob ihr in der gegen­ wärtigen Zeitlage gar nichts sonst, vielleicht Wichtigeres und Not­ wendigeres zu tun befohlen wäre, als ob nicht eine neue Zeit gewaltig an ihre Pforte klopfte und es ihr zuriefe: Kirche Christi, denke daran, daß du Salz bleibest und Licht werdest für viele Hunderttausende deiner Glieder, die unter dem wirtschaftlichen Ringen und Kämpfen, unter den auf sie einstürmenden Geisteserscheinungen Gefahr laufen und dir drohen verloren zu gehen! In ihrer Ab­ hängigkeit vom Staat sowie auch vom Geldbeutel der Reichen, mit ihren Privatpatronaten, ihrer ganzen Verfassung nach nach oben hin orientiert, hat denn nicht in den Wirren und Kämpfen unsrer Tage die Kirche vor allem nach oben geblickt, vor allem die Gunst der Mächtigen und Vornehmen, der Herren gesucht — und das oft zu Ungunsten des Arbeiterstandes, der kleinen und geringen Leute?! Wo Pfarrer von ihrem Gewissen gedrängt, weil von der Gerechtigkeit und Billigkeit vieler Forderungen der Arbeiter über­ zeugt, deren Partei ergriffen in offenem freimütigem Wort den anderen gegenüber, haben wirs denn nicht erlebt in Dutzenden und Aberdutzenden von Fällen, daß die Kirche auf Beschwerden der Fabrikherren und anderer Herren, auch des Staates, hemmend und hindernd eingriff und dem Pfarrer bei Strafe verwies und

15 verwehrte, was doch von Gottes- und Rechtswegen seines Amtes, gerade des der Fürsorge der Kirche ganz besonders bedürfenden Teiles seiner Gemeinde in entschiedener Weise sich anzunehmen. ?! — Bedauerlich, tief bedauerlich um der Kirche selbst und dann auch um der unausbleiblichen und daher auch schlagmäßig richtig ein­ getretenen Folgen willen ist dieser Mangel an Verständnis für eine neue Zeit und die durch sie bedingten neuen Pflichten und Aufgaben der Kirche, und daher ihre kühl reservierte, abwartende Stellungnahme dem vierten Stande, seinen Nöten und Sorgen, seinem Ringen und Kämpfen gegenüber. — Gott sei Dank, es ist in etwas im Laufe der Jahre anders geworden; — etwas, wenn auch noch nicht allzuviel — von sozialem Sinn und Geist geht hin­ durch durch unsere Kirche, Konferenzen und Synoden und Kirchenregimente — und ists auch spät, es ist noch nicht zu spät für die Kirche, nachzuholen mit allen: Fleiß, was sie bis setzt versäumt, und mit allen ihr zu Gebote stehenden Mitteln dafür Sorge zu tragen, die Masse der Arbeiterbevölkerung — und das ist doch die erdrückend große Mehrzahl ihrer Glieder — sich zu erhalten bezw. wiederzugewinnen. Müssen wir es auch aussprechen: antikirchlich ist die Arbeiterschaft im allgemeinen — wir dürfen bei ihr anti­ kirchlich nicht gleichsetzen mit antireligiös. Auch hierzu möchte ich ein Urteil aus Arbeiterkreisen selbst anführen. Mein Gewährs­ mann, ein Mann, der in der evangelischen Arbeitervereinsbewegung steht, in seiner weitverzweigten Tätigkeit in Konsumvereinen und sonst sehr viel auch mit Sozialdemokraten zusammenkommt und in seiner Fabrik mit offenem Auge und Ohr vieles gesehen unb gehört, er schreibt: „Man muß die große Volksmasse, die sich heute der Kirche fernhält, in zwei Hälften teilen. Die eine Hälfte, welche geistig und moralisch tief steht und an den geistigen Kämpfen der letzten Zeit keinen Anteil genommen, ist diejenige, bei welcher die Sozialdemokratie durch Wort und Schrift die größten innerlichen Verwüstungen und Verheerungen angerichtet hat. Diesen Menschen ist jede Religion aus den Herzen gerissen. Diesen Ärmsten fehlt jeglicher innere Halt. Von diesen Familien geht all das Elend mt§, das man heute so gern von Sozialdemokratie und Freidenkertum als die natürliche Erscheinung der Großstadt und der modernen Entwickelung zum Großbetriebe hinstellt. Aber es hat seinen Grund

18 darin, daß die Religion aus der Familie geschwunden und daher jeder sittliche Halt fehlt. — Die andere Hälfte, die geistig und sittlich höherstehenden Arbeiter, denen die Parteipresse wohl die Kirche verleidet hat, hat sich, angeregt durch moderne Zeitströmungen, sozusagen eine neue Weltanschauung gebildet. Sie haben auch noch das innere Empfinden, daß der Mensch nicht allein vom Brote lebt, und setzen an die Stelle der Religion nach ihren eigenen Worten die Moral. Ihre Erbauung suchen sie in der Kunst und guten Literatur. Sie sind auch nicht mehr in dem alten Sinne die Feinde der Kirche und derer, die sich zur Kirche halten. Sie schätzen die Weltanschauung der kirchentreuen Menschen ebenso wie die ihrige, wenn sie sie auch für überwunden und veraltet halten. Ich habe die Empfindung, daß, je mehr diese ohne Erfolg nach Ersatz für die aufgegebene Religion suchen, sie wieder zu der Erkenntnis kommen, daß man Religion braucht und auch als moderner Mensch noch der christlichen Kirche an gehören kann. Daß und wie diese Menschen die Überzeugung der kirchentreuen Leute schätzen, dafür

nur ein Beispiel: Bor einigen Jahren wurde für eine Sitzung des Konsumvereins der Charfreitag vorgeschlagen. Da sagte ich: ,Am Charfreitagmorgen kann ich nicht kommen, da gehe ich in die Kirche.' Von den zwölf Herren waren zehn Sozialdemokraten und zuin Teil freireligiös. Es gab eine große Stille, keiner gab einen Ton von sich, nicht einmal ein dünnes Lächeln, bis der Vorsitzende — Sozialdemokrat — erklärte: »Dann müssen wir einen anderen Tag nehmen', was auch geschah." Soweit mein Gewährsmann, ein Arbeiter. Wir sehen, auch die sozialdemokratisch Organisierten sind nicht so schlimm, wie man sie sich wohl vorstellt, leibhaftige Teufel in Menschengestalt; und selbst unter diesen Roten, da sinds ihrer viele, in denen steckt noch ein religiöser Kern. — Der Kirche Sache ist es, in treuer Arbeit diesen religiösen Kern in dem Arbeiterstand herauszuschälen. — Dazu ist es not­ wendig, daß die Kirche alles meide und abtue, was antisozial wirken, was den Arbeiterstand nach seiner Geistesrichtung zurück­ stoßen muß und was dessen fanatischen kirchenfeindlichen Führern immer wieder neuen Stoff zur Agitation gegen die Kirche in die Hand gibt. Wenn ich mich im folgenden dazu wende, im einzelnen kurz anzudeuten, was die Kirche dazu nicht tun und was sie tun

17 soll, so möchte ich dem voranstellen das eine: Wie zurzeit die Ver­ hältnisse liegen, muß unsere Kirche heute mehr Missionskirche werden, wie sie es bei ihrem Anfang gewesen, muß ihr für ihr Tun als leuchtendes Vorbild vorschweben ihr größter Missionsprediger, der Apostel Paulus, der ohne im geringsten etwas preis zu geben von dem köstlichen Schatz, den die Kirche zu hüten und auszuteilen hat, nämlich dem Glauben der Kinder Gottes, doch weitsichtig und weit­ herzig wie kein anderer gearbeitet hat, und der nur darum die ganz außerordentlichen Erfolge von Jerusalem bis Rom, in Asien und Europa erzielen konnte und erzielt hat, weil er, sich nicht bindend an äußere vielleicht veraltete Formen und kein Buchstaben­ knecht (2. Kor. 3, 6: TO ydp ypd|i|ia ctiüoxretvst, ~o 8e itvsüjia Cv ex t.Avtwv icäatv epiaotöv eSoökcoaa, tva Tot>c icketovae xspS^ao» • eyevd;i7]v toT- ’louSaiote 6); ’louSaioq, Tote utco vdpiov c'oe 6icö vdjiov, Tote dvdiioi; d>e dvojioe, rote daö-evsatv da&sv^e —

Tote icdaiv yeyova icdvxa, tva icavTio; Ttvde ad>aa>. — „Wir haben", so hat Professor Baumgarten auf einem evang.-sozialen Kongreß ganz richtig ausgeführt, „heute zu rechnen mit einer großen geflissentlich gepflegten und künstlich groß gezogenen Empfindlichkeit und haben sie zu schonen." Entfremdend, ja geradezu abstoßend wirken alle Einrichtungen, die den Leuten den Eindruck erwecken und bestärken: die Kirche gehört nur den Besitzenden, die Unbemittelten sind nicht vollwertige Glieder derselben. Der Eindruck wird erweckt, wo z. B. noch die alte Sitte oder Unsitte herrscht, die Kirchenstühle zu ver­ mieten. Ich habe im Rheinland (es war in Elberfeld) es einmal selbst empfunden, wie herabdrückend, wie störend und wie so un­ würdig es ist, wie es bittere Gedanken wachrufen muß, wenn während des Geläutes die Menschenmenge in den Gängen sich zu­ sammendrängt und stehen und warten muß, bis der Gottesdienst schon begonnen, bis es sicher anzunehinen ist, daß die vielen ge­ mieteten Kirchenstühle wieder einmal leer bleiben und dann endlich für die Anderen aufgeschlossen werden. Mag auch einer Gemeinde damit eine reiche Einnahmequelle entgehen, wenn sie ihre Kirchen­ stühle nicht mehr vermietet, unevangelisch ist diese bis in das Gottes­ haus hineingetragene Klassifizierung von Reich und Arm, dieses so krasse Herausstellen des Unterschiedes zwischen Bemittelten und Schmitt, Kirche und Arbeiterschaft.

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18 Unbemittelten. Darum hinweg mit diesem Unfug, wo er sich noch findet! — Auf derselben Linie liegts, wenn bei besonderen kirch­ lichen Festen und Veranstaltungen, z. B. auch an den Prüfungs­ und Konftrmationstagen, für so manch' reichere und vornehmere Familie, die sich im übrigen kaum oder gar nicht im Gotteshaus sehen läßt, gegen ein anständiges Trinkgeld selbstverständlich durch den Kirchendiener natürlich ganz vorne dicht bei den Konfirmanden Plätze reserviert werden, und so manch arme und geringe Konfir­ mandeneltern, die nicht zahlen oder ganz früh schon kommen können, müssen sich mit Plätzen begnügen, von denen sie kaum etwas sehen und hören. Das erregt Neid, Mißgunst, das entfremdet, und dem sollten wir mit aller Schärfe entgegentreten. — Kirchentaufen sind an sich etwas ungemein schönes und jedenfalls in sehr vielen Fällen würdiger als Taufen in den Häusern. Und wo es althergebrachte Sitte ist, vor versammelter Gemeinde am Schluß des Gottesdienstes oder nach demselben im Kreise der Eltern, Paten und Freunde die Kinder zu taufen, soll mein diesen Brauch erhalten, so lange es irgend,geht. Anders wird die Sache da, wo zur Kirche nur die Kinder kleiner Leute gebracht werden und dann en mässe getauft wird, in größeren Gemeinden zehn, fünfzehn auf einmal, wo da­ gegen festgehalten wird an der Haustaufe für die oberen Stände, für die Reicheren, die dem Pfarrer seine besondere Mühewaltung im Haus mit klingender Münze zu zahlen in der Lage und willig sind, mögen auch offiziell die Stolgebühren abgelöst und alle Amts­ handlungen an sich frei sein. Bedeutet die Einführung solcher Massentaufen ebenso wie von Massentrauungen gewiß eine wesent­ liche Arbeitsvereinfachung für den Großstadt- und Jndustriepfarrer, das persönliche, individuelle, seelsorgerliche Moment scheidet dabei unvermeidlich mehr oder minder aus, und schon aus diesem Grunde kann ich mich hierfür nicht erwärmen. Mir wills vorkommen wie ein kaltes totes Opus operatum. Darum weg mit diesen Massen­ handlungen! Und wo wirklich Kirchentaufen eingeführt sind, da schaffe man die daneben bestehenden Haustaufen ab, schon um den bösen Schein zu meiden. Entweder — oder! Entweder Kirchen­ oder Haustaufen für alle, das ist eine soziale Forderung, deren Berechtigung man anerkennen muß, und deren Erfüllung wesentlich mit dazu dienen wird, der Kirche wieder das Vertrauen der Ar-

19 beiterschaft zu erwerben. Wird dadurch uns Pfarrern auch die Arbeit wesentlich gemehrt, vergessen wir es nicht, wir sind um unserer Gemeinde willen da und nicht umgekehrt die Gemeinden um unsertwillen, und ein gut Teil unsrer Gemeinden, das ist die Arbeiterbevölkerung. — An sich sollten sicherlich alle Gemeinde­ glieder, einerlei ob reich oder arm, vornehm oder gering, für den Pfarrer in Ausübung seines Dienstes bei Taufen, Trauungen, Beerdigungen gleich sein. Ob nicht etwas dran ist an den bitteren und beschämenden Klagen aus Arbeitermund: „Wenn der soge­ nannte Prediger mehr bezahlt wird, macht er auch eine bessere Rede; bekommt er kein Geld, so ist er nicht zu haben. Die Kirche ist nicht für uns da, denn sie ist nur für Geld da!" Ob nicht doch — gar nicht absichtlich, vielleicht unbewußt — in der ganzen Aufmachung und Ausgestaltung unsrer Kasualien, auch in der Dar­ bietung des Gotteswortes, Unterschiede hier und da sich einstellen, die unbedingt verstimmend wirken müssen nach unten, und die wir peinlich vermeiden sollten! Wenn Familien will sagen zur Trauung das Gotteshaus besonders schmücken, durch den Organisten oder einen Freund des Hauses die Orgel spielen lassen u. bergt., dagegen können und wollen wir gewiß nichts einwenden; aber von der Kirche und ihren Dienern aus muß unbedingt Gleichheit bis ins kleinste geübt werden. — Und wesentlich wirds weiter mithelfen, das Ansehn der Kirche zu heben und sie von dem Verdacht der Gelddienerei zu reinigen, wenn die sog. Liebesgaben, auch Windfall genannt, bei Verrichtung von Kasualien, insbesondere bei Konfir­ mationen, ganz abgeschafft würden. Es hat ja die Zeiten gegeben, wo die Pfarrer, namentlich in den Großstädten, auf dieselben an­ gewiesen waren, bei dem früheren schwachen Gehalt und den großen Ansprüchen, die das Stadtleben an die Familie wie auch an den Pfarrer als solchen stellte. Wenn auch der Pfarrerstand vom Staat bei der großen Gehaltsregulierung vor etlichen Jahren neben den übrigen studierten Ständen bedeutend geringer bewertet worden ist und die Kirche in Preußen — die Verhältnisse in Hessen ent­ ziehen sich meinet Kenntnis — unter einem gewissen geheimrätlichministeriellen Druck sich zunächst hat damit zufrieden geben müssen, etwas besser ists doch bei uns Pfarrern gehaltlich geworden; wenn auch nicht glänzend, so sind wir heute doch so gestellt, daß wir

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20 um unseres Standes, um des Ansehens unserer Kirche willen und um uns vor jeder üblen Nachrede zu schützen auf diese zweifel­ haften, ja ich scheue mich des Ausdrucks nicht, demütigenden Neben­ einkünfte, Liebesgaben oder wie sie heißen, ganz verzichten sollten. — Unsere Gotteshäuser sollen ihrer Bestimmung entsprechend würdig, anheimelnd sein, sie brauchen gar nicht in puritanischer Nüchtern­ heit grau in grau gehalten zu sein; sie sollen vielmehr und dürfen in ihrer inneren Ausstattung, in bunter Verglasung und sonstigem Schmuck auch für das Auge etwas bieten; auch die Kunst soll in unseren Kirchen zur Geltung kommen. Aber wir kennen das eine oder andere Gotteshaus, über die Maßen groß angelegt nach außen, in seinem Inneren raffiniert luxuriös und pompös, so daß man sich fragt: ist das wirklich noch eine evangelische Kirche, eine Stätte der Verkündigung des Gotteswortes!? Beängstigend fällt wie ein Druck diese übertriebene Üppigkeit auf das Gemüt grade des kleinen, solchen Pompes ungewohnten Mannes. Da fühlt er sich nicht recht wohl, und unwillkürlich zieht er seine Vergleiche. Eine halbe Million und noch mehr kostet diese eine Kirche für eine verhältnismäßig nur kleine Gemeinde! Nicht nur daß zu ihrer Bezahlung wir Gemeindeglieder für Jahrzehnte hinaus mit horrend hoher Kirchensteuer belastet werden — unweit dieses Pracht­ baues, dort in jenem Arbeiterviertel, da wohnen eng zusammen­ gedrängt auf einige kleine dumpfe Räume, ohne Licht und ohne Luft, ihrer der Familien so viele! Hätte ein bescheideneres Gottes­ haus nicht auch genügt? Und was könnte man mit den Hundert­ tausenden, die hier in kalter Pracht angelegt sind, für Gutes stiften dort in der Fürsorge für die Armen der Gemeinde! Das sind Arbeitergedanken angesichts so mancher Millionenkirche. Haben sie nicht ihre Berechtigung? Können wir sie verstehen? Sollte die Kirche aus ihnen nicht etwas lernen? Drunten in Unna in West­ falen — wenn ich nicht irre — inmitten des großen Industrie­ bezirks, da hat vor einigen Jahren der Gemeindekirchenrat be­ schlossen, das gesamte nicht geringe Kirchenvermögen zu ganz billigem Zinsfuß zum Bau von gesunden Arbeiterwohnungen zu verwenden. Dieser Gemeindekirchenrat hat damit soziales Ver­ ständnis bewiesen und einen Weg betreten, auf dem von der Kirche das Vertrauen der Arbeiterschaft wieder gewonnen werden kann. —

21 Wie unsere Gotteshäuser so sollen auch unsere Pfarrhäuser ihrer Bestimmung entsprechend geräumig und doch auch nicht zu groß, in ihrer inneren Einrichtung gewiß standesgemäß und so recht behaglich und wohnlich und doch von einer gewissen Einfachheit sein, sodaß alle, die da ein- und ausgehen, der Fabrikherr sowohl wie der Fabrikarbeiter, in ihm sich wohl fühlen können. Eine übertriebene, ans Luxuriöse grenzende Verfeinerung der Pfarrhaus­ einrichtung führt schließlich dahin, daß — wie ichs von einem Pfarrhaus weiß — die geringen Leute erst am Eingang Filz­ pantinen über ihre Schuhe ziehen mußten und nur in diesen die feinen Räume des Pfarrhauses betreten dursten. So was ist natürlich vom Übel und Wasser auf die Mühle für die vielen, die der Kirche und ihren Dienern gern was am Zeug flicken wollen. — In unseren kirchlichen Gemeindeorganen, Kirchenvor­ stand und größerer Gemeindevertretung, die in ihrer Zusammen­ setzung ein getreues Bild unsrer Gemeinden geben und dement­ sprechend Vertreter der verschiedenen sozialen Stände in sich um­ fassen sollten, da fehlt — nicht überall, aber doch in sehr vielen Gemeinden — der Arbeiterstand fast gänzlich. In den vordem rein ländlichen Orten da sperrt sich der alteingesessene Bauern­ stand mit allen Kräften und mit einem geradezu an Fanatismus grenzenden Eifer, der einer besseren Sache wert wäre, gegen die wie sie genannt werden „Hergeloffenen" oder was man sonst für wenig liebevolle Ausdrücke von ihnen gebraucht, gegen Arbeiter wie in der Verwaltung der Zivil- so auch der Kirchengemeinde. Und wie verkehrt ist das! Dadurch stößt man ja einem ganzen großen, für unser Volksleben bedeutsamen Stand vor den Kopf und treibt ihn den gegen Staat und Kirche rührig tätigen Treibern auf der anderen Seite direkt in die Hände. Nicht etwa um damit zu renommieren, sondern lediglich um die Tatsache zu konstatieren, bemerke ich, daß wir in meiner Gemeinde Höchst — und sie ge­ hört zu den größten unseres Bezirks und ist mit die bedeutendste Arbeitergemeinde desselben — den Arbeiterstand im Kirchenvor­ stande schon lange vertreten haben und die größere Gemeindever­ tretung fast zur Hälfte aus Arbeitern besteht, und wir sehr gut dabei fahren. Wir haben es durch eine lange Reihe von Jahren erlebt, daß die intelligenten Arbeiter — und nur die kommen

22 hier in Betracht — in den kirchlichen Gemeindekollegien oft bessere, weitsichtigere und opferbereitere Mitarbeiter für den Pfarrer sind, als manche aus Handwerker- oder sogenannten gebildeten Kreisen herkomniende, die in ihrem Tun entweder von egoistischen Beweg­ gründen geleitet werden oder sich nur um deswillen in den kirch­ lichen Gemeindeorgancn wissen, daß die Kirchensteuer ja nicht zu hoch und die Ausgaben in und für die Gemeinde ja nicht zu viel werden, die nur bremsen und wieder bremsen und daher geradezu ein Hemmschuh sind für eine gedeihliche und notwendige Gemeinde­ entwickelung. Ich stehe nicht an zu sagen, es müssen das nicht etwa nur Leute sein, die irgend christlich organisiert sind. Es kann das auch ein Mann sein, der wer weiß aus welchen Gründen sozialdemokratisch organisiert ist, der das wirtschaftliche Programm etwa der Sozialdemokratie vertritt, ohne sich von dem antichrist­ lichen Geist der Partei beherrschen und fortreißen zu lassen. Und solche Menschen gibt es, Gott sei Dank, doch auch noch, und diese wollen auch bei uns gern mitarbeiten. Dürfen wir sie zurück­ stoßen? „Warum ich mich als Sozialdemokrat am kirchlichen Leben beteiligen muß?" darüber las ich noch jüngst einen Aufsatz in „Evangelisch-Sozial", in dem der Verfasser, ein sozialdemokratisch organisierter Schuhmacher aus Darmstadt, zum Schluß folgendes schreibt: „Es geht auch in der Kirche vorwärts, es gibt nicht nur lauter mammonistisch gesinnte, sondern auch eine ganz stattliche Schar sozial oder sozialistisch denkender, von ihrer Seelsorgermission ehrlich durchdrungener Vertreter der Kirche, die neben dem Männer­ stolz vor Arbeiterbataillonen sich auch den Männerstolz vor Königs­ und Mammonsthronen zu wahren gewußt haben und daruin auch eifrig am Werke sind, das Evangelium von Jesus Christus zu er­ halten. Diese freie Richtung innerhalb der Landeskirche zu stützen, um sie auch wirklich einmal von den sie entwürdigenden Fesseln der Bevormundung des Staates zu befreien, sowie sie zu jener idealen und großen einheitlichen und freien Volkskirche umgestalten zu helfen, auf die wir hoffen, darum arbeite ich in der Kirche. Sie soll die für die Verwirklichung des Sozialismus so unentbehr­ lichen Grundlagen des inneren Lebens mit ihren Werten, Lehren, Wahrheiten und ihrer christlichen Sittlichkeit befestigen und der Jugend andere tiefere und höhere Ewigkeitswerte in sich bergende

23 Ideen einpflanzen, die besser sind und wertvoller, als auch der bestgemeinte materialistisch-utilitaristische Moralunterricht. Damit sie das vermag, fühle ich mich als Sozialdemokrat, dem nicht die Partei, wohl aber der Sozialismus das wichtigste ist, au meinem Teil zur Beteiligung am kirchlichen Leben verpflichtet." Wo sich uns die Mitarbeit eines solchen Sozialdemokraten bietet, sollen, dürfen wir sie zurückweisen? Mögen wir in vielem anders denken und nicht mit ihm gehen können, müssen wir uns nicht freuen der Anknüpfung, die wir durch einen solchen Mann bekommen hinüber zu einer starken Bevölkerungsschicht, die uns mißtrauisch gegenübersteht und an die heranzukommen uns sonst sehr schwer oder unmöglich sein dürfte! Hier bietet sich uns ein Weg dazu. Daß wir uns nicht aus einer falschen Scham zurückhalten lassen ihn zu betreten! — Und wie in den Vorständen der Einzelgemeinden, so hat der Arbeiterstand kraft seiner Zahl nicht nur, sondern auch kraft seiner Intelligenz ein gutes Anrecht auf Sitz und Stimme auch in unseren Kreis-, Landes-, ja Generalsynoden. Glauben Sie nicht, daß Arbeiter, ebenso wie sie in den politischen und staatlichen Körperschaften, im Reichs-, Landtag usw. ihren Mann stellen und sich sehen und hören lassen können, so auch in den synodalen Körperschaften segensreich mitarbeiten könnten und würden und dort nicht fehlen sollten, wo es sich um das Wohl und Wehe der Kirche handelt, schon um deswillen nicht, weil sie aus sich und ihrer Erfahrung heraus am ehesten wissen und beurteilen können, was der Kirche heute nottut, uni diese großen Massen der ihr entfremdeten Arbeiter wiederzugewinnen? — Meine Herren, es ist wohl schon hier und da angedeutet, es muß aber noch einmal klar und unzweideutig ausgesprochen werden, ein der Kirche unwürdiges Verhalten dem Staat gegenüber, das ists, wodurch die Kirche sich herabsetzt, ja verächtlich macht in den Augen des Arbeiterstandes, wodurch sie sich ganz unendlich geschadet hat und was sie — es mag ja nicht leicht werden — unter allen Umständen um ihrer selbstwillen schon meiden sollte. Lassen Sie mich diese These ganz kurz begründen durch zwei schlagende Beispiele. Sie wissen, wie an­ fangs der neunziger Jahre des vorigen Jahrhunderts eine frische, viel versprechende Bewegung zur Behandlung und Lösung der schwierig gewordenen sozialen Probleme einsetzte, wie auch die

24 Kirche sich zunächst derselben freundlich gegenüberstellte und sie unter ihren Förderern und Mitarbeitern sehr viele für die gute Sache begeisterte Pfarrer zählte. Da erhoben sich widrige Winde von oben. Die staatlichen Behörden wurden erfüllt von einem gewissen Mißtrauen. Man regte sich darüber auf, wenn Geist­ liche über soziale Dinge ihre Meinung sagten und ihr Urteil ab­ gaben, unangenehme Tatsachen ins Licht rückten und für bestimmte Maßregeln eintraten und Stimmung machten. Diese sog. sozialen Pastoren wurden einer staatsgefährlichen Demagogie beschuldigt, ja man scheute sich nicht in geradezu verleumderischer Weise ihnen niedrige Motive zu unterstellen, ihnen die Grenzen für ihr Wirken vorzuzeichnen, als wäre man ihnen vorgesetzt, sie vor der Öffent­

lichkeit als sozialistische Pastoren zu brandmarken und ihnen an­ zuhängen, sie seien schlimmer als die Sozialdemokraten, bis dann, diese ganze Gegenarbeit ihren Kulminationspunkt erreichte in dem bekannten Telegramm: „Christlich-sozial ist Unsinn." Der Staat wollte nicht; — und weil er nicht wollte, so sollte und mußte auch die Kirche ihre Stellung revidieren. So kam der Brems­ erlaß der obersten Behörde der größten evangelischen Landeskirche, der vor der breiten Öffentlichkeit diese sozialen Pastoren zurecht­ wies und erklärte, wie man sie künftig zu beraten gedenke. Und es wurde Winter und es wurde Sommer und ein günstigerer der christlich-nationalen Arbeiterbewegung freundlicherer Wind ging durch die Segel des Staatsschiffes. Und siehe da, auch die Kirchenregimente erkannten auf einmal wieder, daß ihre Pastoren unbe­ dingt hinein müßten in diese Bewegung. Heute so, morgen so! Das war für die Kirche und ihr Ansehen in den Augen der Millionen von Arbeitern wahrlich nicht gut. Und das andere Beispiel, das ich Ihnen geben wollte, es ist ebenso charakteristisch. Durch Jahr und Tag hat der Staat sich der Feuerbestattungsfrage gegenüber durchaus ablehnend verhalten. Und die Kirche! Mußte sie auch zugeben, daß keinerlei dogmatische Bedenken gegen die Feuerbestattung vorlägen — sie erlaubte auf vieles Drängen höchstens, daß wir Pfarrer, aber nicht im Amts­ gewand, sondern nur in schwarzen: Rock, im Sterbehaus einige Worte sprechen dürsten. So standen wir Pfarrer in einem inneren Widerstreit, in einem argen Gewissenskonflikt zwischen den Ver-

25 fügungen unsrer vorgesetzten Dienstbehörde und dem Verlangen unsrer Gemeindeglieder nach pfarramtlicher Beteiligung bei der Feuerbestattung. Der Staat ließ seine Bedenken fallen — und siehe von einem Tag zum andern hat auch die Kirche ihre Be­ stimmungen geändert. „Sie hat es abermals gezeigt: ich kann so und kann auch anders", das ist das Urteil aus Arbeiterkreisen, das ich des öfteren habe hören müssen. Man denkt da nicht an die faktisch vorhandene Zwangslage der Kirche gegenüber dem Staat, nicht an den so weitgehenden staatlichen Schutz und all die Privilegien, die die Kirche genießt, und daß sie darum eine ge­ wisse Rücksicht auf den Staat zu nehmen verpflichtet ist. Man stellt scharf in solchen und ähnlichen Fällen, deren sich noch manche anführen ließen, nur die nackten Tatsachen nebeneinander, und die Kirche erleidet dadurch in den Augen vieler eine starke Einbuße an Achtung und Vertrauen. — Wenn die rabies theologorum heute schärfer als zu anderen Zeiten sich breit macht und zu den rücksichtslosesten Parteikämpfen führt, wenn eine äußerste Rechte gebieterisch nach einem neuen Bekenntnis verlangt, das noch viel schärfer zu fassen sei, und ihr anathema ausspricht über den bösen Liberalisnius, der selbst an Gott nicht mehr glaube, wenn eine äußerste Linke jegliches Bekennt­ nis für die Kirche abweist und für eine schrankenlose Freiheit amt­ licher Verkündigung eintritt und mit einer Ausschließlichkeit sonder­ gleichen, die der der äußersten Rechten nicht viel nachgibt, alle die­ jenigen, die nicht mit ihr gehen, als rückständig hinstellt, der noch kirchenfreundliche Arbeiter steht und staunt und ist entsetzt und fragt sich: sind denn das wirklich Diener derselben Kirche, der Kirche Christi? Die große Masse der Gleichgültigen läßt sich dadurch nur um so leichter hinüberziehen in die geistige Sphäre der fana­ tischen sozialdemokratischen Führer, denen diese Streitereien der kirchlichen Parteien Wasser auf die Mühle sind, und die sie mit diabolischer Freude ausschlachten zu den giftigsten Kampfmitteln gegen die Kirche, diese innerkirchlichen Streitigkeiten ebenso wie die Engherzigkeit mancher Kirchenregimente und sonstiger kirchlicher Organe liberaler Regung und Richtung gegenüber, die Fälle schafft und Urteile fällt, die, wie mancher andere auch der Arbeiter nicht versteht und gutheißt, die ihn entfremdet und zurückstößt von einer

26 Kirche, der die wahre Geistesfreiheit abgehe. Daß wir doch unter dem furchtbaren Ernst der Zeit weitherzig evangelisch dächten und handelten! Daß wir — die von der Rechten wie von der Linken — uns doch achteten und anerkenneten ein jeder den anderen in dem Seinen und es beherzigten: die Kirche ist in Gefahr! Da ist keine Zeit zu theologischem Gezänke, da ist es am Platz auch, über theo­ logische Gegensätze hinweg sich die Hand zu reichen zu gemeinsamen Tun! Noch ists nicht zu spät! Aber es ist hohe Zeit! Was sollen wir tun? Ich antworte zunächst: Den Dienst in Wort, Sakrament und Seelsorge mehr in einer dem aus dem Arbeiterstand hervortretenden Bedürfen angepaßten Weise ver­ walten. Um jedem Mißverständnis vorzubeugen, bemerke ich im voraus, daß ich damit nicht gesagt haben will: wir sollten in irgend einem Punkt von dem christlichen Glaubensgehalt etwas dran geben oder denselben modern ummodeln. Nein, das alte Evangelium von Gott dem Schöpfer und Herrn aller Dinge, unserem Vater in Christo, von Christus dem Lebendigen, unserem Heiland, unserem einigen Weg zur Wahrheit, unsers Lebens und Strebens bestem Freund, von der Sünde des Menschen, seiner Erlösungsbedürftig­ keit und -Fähigkeit, und der Notwendigkeit der aufrichtigen Buße und dem Wandel der Kinder Gottes bis hin zum Schauen des Vaters droben im Licht, dies alte Evangelium, das ists, was wir unverkürzt und rein zu bieten haben auch dem Arbeiterstand. Aber veränderte Zeitverhältnisse bedingen oft neue Formen, besondere zu gewissen Zeiten heroortretende Bedürfnisse verlangen gebieterisch zu ihrer Befriedigung ein liebe- und verständnisvolles Eingehen auf dieselben. Dazu ists meines Erachtens das erste, daß wir intensiv Seelsorge treiben, den Arbeiter, auch den sozialdemokratisch organisierten, in seiner Familie aufsuchen, auch wenn er nicht zu uns in die Kirche kommt, und wir werden es zumeist erfahren: wir werden anfangs vielleicht etwas zurückhaltend und dann doch freundlich ausgenommen und dankbar begrüßt. Wie der Pfarrer einer bäuerlichen Gemeinde, wenn er seinen Posten ausfüllen und mit seinen Leuten in nähere Fühlung kommen will, sich in das ländliche Wesen und Getriebe, in das Sinnen und Streben seiner Bauern hineinleben muß, — und mag ihm das vielleicht seiner Herkunft nach schwer fallen —, so gilt es im persönlichen Verkehr

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mit dem Arbeiter auch in dessen Gedankenwelt sich mit hinein versetzen, Interesse zu haben für seine Wohn- und Arbeitsverhält­ nisse, den Amtsrock und das Amtsbewußtsein eimnal zu Hause zu lassen und als Mensch dem Menschen sich zu nähern und ihm nachzugehen in seinen inannigfachen oft verworrenen und der Kor­ rektur bedürftigen Gedankengängen. Und wenn auch nicht auf Anhieb, wir erreichens mit der Zeit, wenn auch nicht bei allen, so doch bei manchem, daß der Arbeiter trotz aller systematischen Verhetzung anfängt wieder Vertrauen zu uns zu bekommen, wir lernen aus solchem wenn ich so sagen darf mehr freien Verkehr, wir lernen da viel für uns und unsere Amtsführung, wir lernen da Geduld, wie sie der Vater oder die Mutter haben muß gegen­ über dem irregeleiteten Kind, wir lernen es, unvermerkt zu lehren und den andern nach und nach wieder auf die Wege christlichen Denkens und Fühlens zu bringen. Dazu gehört nicht etwa eine schwächliche Nachgiebigkeit, nicht ein Preisgeben dieses und jenes, dazu gehört viel Takt und Verständnis und echt evangelische Weit­ herzigkeit und Liebe. — Bezüglich der Kasualien, auch der Ver­ waltung der Sakramente, habe ich schon mancherlei angedeutet, und kann ich es mir ersparen dasselbe nochmals zu wiederholen. Einen Punkt muß ich hier nur noch besonders erwähnen, der allüberall da, wo Arbeiter wohnen, akut werden kann und bei engherziger wenig taktvoller Behandlung zu Konflikten geführt hat und führen muß, die der Kirche besser erspart bleiben, ich meine die Beerdi­ gung sozialdemokratisch-organisierter Arbeiter. Die Familien der­ selben verzichten — abgesehen von verschwindend wenig Fällen — nicht auf Beteiligung der Pfarrer, — ein abermaliger erfreulicher Beweis, daß die Religion und der Glaube aus der Arbeiterfamilie noch nicht geschwunden! Die Genossen beteiligen sich erfahrungs­ gemäß immer sehr zahlreich. Sie bringen ihre Kränze mit den riesigen roten Schleifen. Sie wollen auch dem Verstorbenen singen. Wie sollen wir uns da verhalten? Ich erwidere, den ganzen Akt so einrichten, daß keinerlei Konflikt entstehen kann. Ich habe mich in meiner 26 jährigen Tätigkeit, wenn ich das sagen darf, folgender Praxis bedient: nie ein Wort gegen den Kranz mit der roten Schleife gesagt, in meiner Ansprache keinerlei Polemik getrieben, sondern immer darauf hingewiesen, wie der Christenglaube dem,

28 der sich ihm öffnet, in den schweren Tagen der Krankheit und des Sterbens und auf dem Friedhof doch so reichen Trost bietet, den wir nirgends sonst finden können. Den Arbeitergesangverein, der stets von selbst gekommen und mir den Text seiner Lieder wie jeder andere Gesangverein vorgelegt, habe ich ruhig singen lassen — und er hat immer ein passendes Lied gehabt; — nach der Einseg­ nung habe ich sofort den Segen gesprochen und damit meinerseits die Handlung geschlossen und dann das Grabe verlassen, um den Leuten Gelegenheit zu geben, ihren Kranz in ihrer Weise niederzulegen. Mit dieser Praxis bin ich stets gut gefahren und habe keinerlei Jriedhofskonfiikte gehabt, wohl aber oft eine Trauer­ versammlung, die sich durchaus würdig benahm, den Hut zum Ge­ bete und zur Einsegnung zog, und habe ich damit den Sozis etwas den Wind aus den Segeln genommen, und daraus müssen wir meines Erachtens bedacht sein. — Wie hier, so dürften wir auch im kirchlichen Unterricht, in unseren Religions- und Konfirmanden­ stunden dem Fühlen und Denken des modernen Arbeiters mancherlei Konzessionen machen, z. B. bei der Besprechung der Schöpfungs­ geschichte, bei der man in der Bekämpfung der Kirche stets einhakt. Warum soll nmn§ — und wir müssens ja schon um unsrer Ehrlich­ keit und Wahrhaftigkeit willen — den Konfirmanden nicht klipp und klar sagen: diese Geschichte ist nicht wörtlich, buchstäblich zu verstehen! Und richtig verstanden steht dieser biblische Schöpfungs­ bericht nicht im schroffsten Widerspruch zu der Entwickelungstheorie der Naturwissenschaft, wie die Feinde der Kirche behaupten! Warum soll man nicht den Kindern in diesem Alter die Versuchungsge­ schichte der ersten Menschen, nicht auch die Versuchungsgeschichte Jesu erklären, wie sie zu erklären ist?! Warum soll man bei der Bibelkunde des Alten Testaments nicht offen daraus Hinweisen, daß die fünf Bücher Mosis nicht ganz von Moses geschrieben, zum Teil viel späteren Ursprungs sind und neben der heiligen Geschichte viel Volksgeschichte Israels und damit viel Sagenhaftes enthalten! Der Punkte wären noch manche anzuführen. Freilich soll und darf man das nicht tun, ohne zugleich den ewigen Wahrheitsgehalt der Bibel immer wieder klar herauszuheben und einzuprägen. Damit sinkt die Bibel nicht im Wert und verliert sie nichts von ihrer Bedeutung, im Gegenteil! Denn glauben Sie nicht, meine

29 Herren, es ist besser, unsere Arbeiterkinder, die alsbald nach ihrer Schulentlassung mancherlei andere, auch naturwissenschaftliche Bücher zu lesen bekommen, sie haben durch uns, ihre Pfarrer, eine ge­ wisse Aufklärung und damit Anleitung 511111 Verständnis der Weltanschauungsfragen bekommen, zu denen sie dann Stellung nehmen sollen, als sie treten hinaus ins Leben völlig unvorbereitet und in dem Wahn, die Kirche lehre glauben an den Buchstaben der Bibel — die Pfarrer müßten lehren, was sie selbst nicht glaubten, — und es dauert dann nicht lange und sie sitzen bei denen, die die Kirche mitsamt der Bibel als von der modernen Wissenschaft überwunden völlig verwerfen. — Wenn ich sodann die Predigt genannt habe als ein Hauptstück, durch das wir suchen müssen, dem Arbeiterstand wieder nahe zu kommen, so möchte ich auch hier vorausschicken — um jeden Irrtum zu vermeiden —, daß ich es scharf ablehne, unsere Predigten — den veränderten Zeitver­ hältnissen und den aus dem Arbeiterstand hervortretenden Be­ dürfnissen etwas mehr angepaßt — sollten etwa wirtschaftliche, nationalökonomische Theorien entwickeln. Dazu sind die Predigten nicht da; sie sollen allein Gottes Wort bieten so wie es Jesus geboten hat; das ist auch des Pfarrers Beruf nicht; so wenig derselbe dem Politiker oder Juristen ins Handwerk pfuschen darf, so wenig soll er sich als Lehrer der Nationalökonomie auftun wollen; denn dazu fehlen ihm, von allem anderen abgesehen, die notwendigen Kenntnisse. Theologe und Nationalökonom zugleich, das ist bei den Anforderungen, die beide Disziplinen an ihren Mann stellen, für einen zu viel. Sozial sollen wir predigen — ich denke dabei vor allem an Christi Vorbild — d. h. für die heutige Zeit ebenso konkret, so drastisch, auch so aggressiv, wie es Jesus für seine Zeit getan hat. Wenn wir etwas erreichen wollen durch unsere Predigten, nicht nur unsere Gewohnheitskirchengänger mal wieder befriedigen, sondern durch dieselben werben, gewinnen wollen für unsere Sache, dann dürfen diese nicht dogmatisch, nicht weltfremd gehalten sein, dann müssen wir mit ihnen hineingreifen kühn und unerschrocken ohne Menschengefälligkeit in das um uns pulsierende Leben, in ihnen eingehen, wo und wie sich die Gelegen­ heit bietet, auf all die großen und ernsten Fragen des Lebens, die weite Kreise beschäftigen, und sie unter das Licht des Gottes-

30 worts stellen, — selbst auf die Gefahr hin, mal einem reichen Mann oder rückständigen Arbeitgeber etwas mit unseren Aus­ führungen auf den Fuß zu treten. Anlaß und Gelegenheit dazu bietet uns das Gotteswort so unendlich viel, fast auf jeder Seite der Bibel. Warum sollen wir nicht uns einmal klar und un­ zweideutig aussprechen dürfen in unsrer Predigt über das Recht des kleinen Mannes der Allgemeinheit gegenüber, auf gesunde Wohnungs- und Arbeitsverhältnisse, über sein Recht, in Staat und Kommune mit dabei sein zu dürfen und in seinen Erfahrungen und mit seinen Wünschen gehört zu werden, da wo es sich um seine Angelegenheiten handelt, über sein Recht, sich zusammenzutun, anständig behandelt zu werden, gebührenden Lohn für seine Arbeit zu erhalten, seine freien Sonntage, kürzere Arbeitszeit zu bekommen (denken wir nur an die Bergarbeiter unter Tag), über sein heiliges Anrecht auf Schutz von Weib und Kind und dergleichen mehr — alles Dinge, die andere Stände in ihrer Weise doch auch für sich beanspruchen. Freilich gilts hierbei, wie es wohl von manchem sogenannten sozialen Pastor ini Übereifer geschehen, sich davor zu hüten, daß

man nicht aus einem Extrem ins andere falle, daß man nicht übersehe, der Pfarrer mit seiner Predigt ist nicht nur für den einen Stand da, daß man speziell dem Arbeiterstand nicht nur von seinen Rechten rede, sondern ihm auch seine Pflichten genau ebenso wie den übrigen Ständen vorhalte, seine Pflicht z. B. sich als Glied eines großen Ganzen zu wissen und zu betragen, sich eines gediegenen Wissens zu befleißigen, seine Pflicht der Nüchtern­ heit im Leiblichen und den geistigen Strömungen gegenüber und zu halten am Evangelium — kurz gesagt, Licht und Schatten gleichmäßig zu verteilen, zu lehren, zu strafen, zu warnen, zu bessern durch die Predigt die Oberen und Untern, die Kleinen und Großen, Arbeitgeber und Arbeitnehmer, den einen wie den andern: das heiße ich sozial predigen, und solche soziale Predigt hat unsere Zeit not. — Um dem allem in Seelsorge, im Unterricht, in Predigt, in seinem ganzen Wirken gerecht zu werden und namentlich in unseren Arbeitergemeinden seinen Mann zu stellen, dazu bedarf es meines Erachtens für den Pfarrer als des ausübenden Organs der Kirche nicht nur eines gründlichen Studiums der Theologie, sonderlich

31 der Kirchengeschichte und Apologetik, dazu sollte er auf der Uni» versität wenigstens auch das eine oder andere geeignete volkswirt­ schaftliche Kolleg hören — und derartige Vorlesungen werden ja wohl überall geboten — und mit Freuden ists zu begrüßen, daß auch unsere theologischen Seminarien in Friedberg und Herborn durch volkswirtschaftliche Kurse für ihre Kandidaten diese nicht streng theologische und doch für unsere Heranwachsenden Theologen wichtige und unentbehrliche Sache, sagen wir die „soziale Frage", in den Bereich ihrer Tätigkeit einbezogen haben. Empfehlen dürfte es sich, die Exegese nicht — wie es heute noch meist geschieht — nur von wissenschaftlichem und erbaulichem, sondern auch einmal von sozialem Gesichtspunkt aus zu treiben — gerade auf unseren Seminarien. Ist erst unsere Theologenwelt, die alte wie die junge, etwas mehr mit sozialem gesalbt, und gewinnt sie damit mehr ent­ gegenkommendes Verständnis für die große Lebensfrage, „Kirche und Arbeiterschaft", nun dann wirds besser, dann wird unsere Kirche, wenn auch abhängig vom Staat, doch auch heute noch im Staatsgefüge und Leben der Völker eine Macht von nicht zu unterschätzender Bedeutung, sich ihrer Aufgabe ganz anders be­ wußt werden, gerade des Arbeiterstandes, als des Standes, der religiös-sittlich gefährdet ist, sich in echt christlichem Geist besonders anzunehmen, seine berechtigten wirtschaftlichen Forderungen nach­ drücklichst dem Staat und der Gesellschaft gegenüber zu vertreten und seine Bestrebungen nach Anerkennung und Gleichberechtigung im Gefüge des Ganzen zu unterstützen und zu fördern — und Gelegenheit dazu bietet sich genug in den Einzelgemeinden wie in den Körperschaften der Provinzial- und Landeskirchen. Dann wird sie nicht mehr weltfremd und eingedenk des Satzes, der auch für sie gilt: nil humani a me alienum puto — aus ihrer falschen Reserve heraustreten, hineingehen ins Volk, in die Massen, anders als von altersher gewohnt, hier mitarbeitend und dort neues ins Leben rufend — suchen, dadurch allen alles zu werden, um wenigsten etliche zu gewinnen, andere zu stützen und zu halten. Und hierzu rechne ich Vorträge nicht nur über geistliche Dinge, Gemeindefamilienabende mit religiösen Darbietungen an den kirch­ lichen Festen und Gedenktagen, und solche aus den verschiedensten

32 anderen Gebieten im übrigen. Gerade solche Gemeinde-Familien­ abende, die erfahrungsgemäß gern besucht werden aus allen Kreisen der Gemeinde, und wo sie in freier Weise zusammensitzen und in Verkehr treten, die Zugehörigen der einzelnen Stände, wie dienen sie nicht nur zum engeren Zusammenschluß der Gemeinde, die sich vielleicht in wenig Jahren aus Nord- und Süddeutschen, aus Zu­ ziehenden aus dem Osten und Westen gebildet hat, und wie wird da Gelegenheit gegeben an manchen wieder heranzukommen, der sich sonst fern hält. Auf ihre Kinder sind die Arbeiter stolz. In und mit den Kindern kann man hier und da die Eltern wieder fassen. So habe ich des öfteren schon zu Deklamationen an solchen Familienabenden gerade Kinder solcher Väter herangeholt, die, wie ich wußte, stramm rot waren. Es ist mir vereinzelt begegnet, daß die Kinder nicht kommen und vortragen durften. In weit mehr Fällen aber erlebte ich es zu meiner Freude, daß mit den Kindern die Eltern kamen und andächtige Zuhörer und Zuschauer waren und sonst fremde und ungewohnte Klänge ihnen ins Ohr klangen und ihnen vielleicht auch ins Herz drangen und längst eingeschlafene oder erstorbene Erinnerungen aus der Jugendzeit wieder weckten. An solchen Abenden bietet sich auch Gelegenheit, in Lichtbilderserien die Kunst, die profane und kirchliche Kunst, auf die Gemüter wirken zu lassen. Der Arbeiter ist empfänglich für die Kunst, die bildende und die redende. „Sie machen sich keinen Begriff", so sagte mir ein Arbeiter, der in Konsumangelegenheiten hier und da mit sozialdemokratischen Arbeitskollegen reisen mußte und mit denselben in anderen Städten auch sehenswerte altehr­ würdige Gotteshäuser besuchte, „Sie machen sich keinen Begriff, Herr Pfarrer, wie ergriffen ich die Leute gesehen habe vor den Meisterwerken kirchlicher Kunst". Darum auch hinweg bei unseren Konfirmationen mit den vielleicht echt kirchlichen, aber dabei wenig künstlerischen Konfirmationsscheinen, und herbei mit den in ihrer Komposition vielleicht weniger streng kirchlich gehaltenen, ja etwas modernen, aber dabei künstlerisch vollendeteren Scheinen, auch wenn sie etwas mehr kosten. Mögen sie kosten, was sie wollen, wenn wir sie nur wiederfinden, und wir finden sie, in Ehren ge­ halten, eingerahmt an den Wänden der Nrbeiterwohnungen — mehr vielleicht wie in denen der anderen Stände — bei ihrem

33 Beschauen Herz und Gemüt erhebend, eine stille Predigt darstel­ lend für die, die sonst selten oder nie eine Predigt hören. — In und weit umher um Frankfurt herum, hinübergreifend nach Nassau und nach Hessen, arbeitet seit Jahren, ich darf sagen mit sicht­ lichem Erfolg, der Ausschuß für Volksoorlesungen zur Befriedigung des Bildungstriebs vor allem der Volksmassen. Sein Arbeits­ programm dürfte Ihnen allen bekannt sein. Darauf näher ein­ zugehen kann ich mir daher versagen. Die eine bedeutsame und vorbildliche Tatsache nur möchte ich hier unterstreichen, daß in den Vorständen der einzelnen Ortsgruppen eine stark gemischte Gesellschaft zusammensitzt — sozialdemokratisch und christlich or­ ganisierte Arbeiter, Wissenschaftler und wenig Gebildete, Reiche und Arme — und daß vor allem erfreulicherweise bei diesem Werk die Kirche sich nicht hintangehalten und auch Pfarrer dort mit, ja mit in erster Reihe tätig sind. Pfarrer und ausgesprochene Sozialdemokraten zusammen des öfteren an einein Tische sitzend, in einer Arbeitsgemeinschaft — und so ists gut und so soll es sein. Da bei dieser Volksbildungsarbeit, da lernt man sich auch kennen und fängt an, sich wieder zu achten. Darum soll die Kirche in ihren Vertretern dort nicht fehlen. — Es bedarf ferner hier keines besonderen Hinweises darauf, von welch unendlich segens­ vollem oder verderblichem Einfluß bei dem Lesehunger unseres Volkes die Presse in Zeitungen, Büchern, Flugschriften und anderem ist. Bis vor wenigen Jahren hat die evangelische Kirche sich auf ihre Sonntagsblätter mit ihrem mehr erbaulichen Inhalt beschränkt, die Tagespresse den Gegnern der christlichen Weltanschauung über­ lassen und auch nicht den geringsten Versuch gemacht, Einfluß auf dieselbe zu gewinnen. Zentrum und Sozialdemokratie waren weit­ sichtiger und ein gut Teil ihrer Macht über die Volksmassen be­ ruht auf ihrer Presse, die sie sich geschaffen. Erst die Not mußte unserer Kirche die Augen öffnen und das Gewissen rühren. In verschiedenen Landeskirchen, der Provinz Sachsen, Rheinland und Westfalen, im vormaligen Herzogtum Nassau und sonst, sind, von der Kirche angeregt, Presseoerbände und -büros entstanden, und beginnt man nun evangelisch-christlichen Sinn und Geist hineinzu­ tragen in die großen Tagesblätter und Lokalpresse — nimmt man den Kampf auf gegen die Schund- und Schandliteratur, den LeihSchmitt, Kirche und Arbeiterschaft. 3

34 bibliothekenkram, die Kolportage der Hintertreppenromane, und schafft man demgegenüber gute gediegene Bibliotheken. „Spät kommst Du, doch Du kommst" so müssen wir es auch hier unsrer Kirche zurufen, doch zu spät ists immer noch nicht! Darum auf und lege ein Teil deines Geldes in dieser Sache an und glaube nur, das ist eine vortreffliche Anlage und sie bringt Dir reichliche Zinsen! — Und nun zuletzt und doch nicht zuletzt — ich möchte sagen, das beste, notwendigste kommt zuletzt — noch ein kurzes Wort über die Organisationen, die zu vergleichen sind der Oase mitten in der Wüste, dem starken Felsen mitten im brandenden Meer, die mitten unter der dunklen gährenden und gegen alles Göttliche tobenden, auf den Umsturz hinarbeitenden sozialdemokratischen Arbeitermasse dastehen als eine kleine Kämpferschar mit stolz wehendem Panier, auf dem es in hell leuchtenden goldenen Buch­ staben weithin zu lesen ist: das „Tut Ehre Jedermann, fürchtet Gott, ehret den König, habt die Brüder lieb". Sie wissen, ich meine unsere evangelischen Arbeitervereine. Etwa 25 Jahre ist es her, daß sie entstanden sind. Stürme von oben sind über sie hingebraust. Die schwersten Angriffe von unten haben sie unaus­ gesetzt zu erdulden gehabt. Klein ist die Schar ihrer Mitglieder — etwa 150000 — gegenüber den hundert und aberhundert­ tausenden sozialdemokratisch organisierter Arbeiter. Aber sie sind da — Gott sei Dank —, und daß sie da sind und es ihnen hei­ liger Ernst ist mit der Verwirklichung ihres Programms, das haben sie genugsam bewiesen. Auf dem Boden unbedingter Neu­ tralität allem religiös-kirchlichen und politischen Parteiwesen gegen­ über stehend und dadurch berufen, aus diesen verschiedensten Lagern heraus alle noch auf christlichem Standpunkt stehenden zu um­ fassen, in unseren Gemeinden die Stätte bietend, auf der und von der aus sich die mannigfachsten Veranstaltungen treffen lassen, die wir kurz besprochen und durch die die Kirche wieder mit dem Arbeiterstand in Fühlung kommen kann — warum, so fragen wir, ja warum haben diese evangelischen Arbeitervereine nicht eine ganz andere Entfaltung bisher genommen, warum sind sie nicht eine Macht geworden, die noch weit stoßkrästiger und wider­ standsfähiger dem Ansturm einer blindwütigen Sozialdemokratie

35 gegenüber gestanden hätte — warum? Meine Herren, ich muß es auf Grund meiner mitunter recht bitteren Erfahrungen hier offen aussprechen: weil sie bei der Kirche und ihren Vertretern noch vielfach bis heute einer unverständlichen Gleichgiltigkeit und da« durch bedingt einem gewissen passiven Widerstand begegnen; weil man sie vielfach für etwas ganz anderes hält, als sie sind und sich nicht die Mühe nimmt, ihr Wesen und Wollen zu studieren; weil manche Pfarrer von ihrem einseitig kirchlich-theologischen Standpunkt aus meinen, da nicht mittun zu können (o, wie verkehrt!); weil andere Pfarrer zu bequem sind und die Arbeit mit einem solchen Verein in ihrer Gemeinde nicht auf sich nehmen wollen, weil ihrer viele Pfarrer es bis jetzt noch nicht erkannt haben, es ist in unserer Zeit nicht genug mit dem Dienst auf der Kanzel oder mit einem Kaffeekränzchen im Frauen- oder Jung­ frauenverein — unsere noch christlichen Arbeiter, sie warten förm­ lich darauf und verlangen es sehnlichst, daß ihr Pfarrer sie orga­ nisiert in einem Verein, der soziale Dersöhnungsarbeit treibt. Warum? Weil auch unsere Kirchenregimente im allgemeinen — ich meinte das immer wieder herausfühlen zu müssen — trotz allem und allem der evangelischen Arbeitervereinsbewegung als einem noli me tangere kühl reserviert gegenüberstehen und sich bis da­ hin nicht haben entschließen können, mit der ganzen Wucht ihrer Autorität sich für dieselbe einzusetzen, wie sie sicherlich es ver­ diente. Da lobe ich mir das Königliche Konsistorium der Provinz Sachsen zu Magdeburg, das unter dem 16. Oktober 1909 auf Grund des Berichts der Delegiertenversammlung des Gesamtver­ bands evangelischer Arbeitervereine in Hannover den Rückstand dieser Bewegung in der Provinz Sachsen bedauerte und amtlich folgende Veröffentlichung erließ: „Wir verkennen die religiöse und soziale Bedeutung dieser Vereinigungen nicht, schätzen vielmehr den Mut, die Tatkraft und Mühewaltung der Leiter und Mitglieder hoch ein, die vielfach mit freudiger Entschiedenheit zum Evange­ lium sich bekennen und dem Terrorismus ihrer Gegner auf kirch­ lichem und geschäftlichen: Gebiete zu trotzen wagen. Wenn die evangelischen Arbeitervereine, wie es im mitteldeutschen Verbände erstrebt wird, mit einem regen in evangelisch-kirchlichem Sinne ge­ führten Vereinsleben die nützlichen Einrichtungen der Rechtsaus-

3*

38 kunftsstelle, der Anfertigung von Schriftsätzen in Versicherungs­ und Arbeiterschutzangelegenheiten, der Verbandssterbe- und Hilfs­ krankenkassen, sowie ähnliches in die Hand nehmen, so können sie für die einzelnen Mitglieder wie für die Gemeinden und für die Provinz zu einem Segen werden und allmählich eine Macht bilden, die der durch andere Organisationen betriebenen, wider­ christlichen Parteiarbeit mit Erfolg entgegen zu treten, im Stande sein wird. Es erscheint uns darum von großer Bedeutung, daß evangelisch gesinnte Männer sich der Begründung und Leitung evangelischer Arbeitervereine annehmen, und wir weisen die Herren Geistlichen und Kirchenältesten — zumal in Städten und Jndustriebezirken — auf die Gelegenheit hin, durch die Begründung evangelischer Arbeitervereine oder durch Beteiligung an ihrer Lei­ tung, sowie durch ihre Versorgung mit Vorträgen und bergt einer­ seits den evangelischen Arbeitern zu helfen und andrerseits den Kirchengemeinden, der Provinzialkirche und dem Vaterlande einen wesentlichen Dienst zu erweisen". Meine Herren, wenn ich das Referat zum heutigen Tag über­ haupt übernommen habe, so ist es wesentlich um deswillen ge­ schehen, weil es mir Gelegenheit geben sollte, einen warmen Appell an Sie zu richten: Soweit es bestanden und besteht, lassen Sie Ihr Vorurteil fahren, kommen Sie, helfen Sie und arbeiten Sie mit in der evangelischen Arbeitervereinssache! Wir haben im Mittelrheinischen Verband nach Überwindung großer Schwierig­

keiten nun einen Sekretär berufen! Dieser ganz besonders wie auch ich, soweit ich irgend kann, sind jeder Zeit und gern bereit mit Rat und Tat Ihnen zur Seite zu stehen. Organisieren wir nicht, seien Sie überzeugt, es geschieht von anderer Seite — unserer evangelischen Kirche wahrlich nicht zürn Segen. Darum auf zur Gründung evangelischer Arbeitervereine, und wo das Be­ dürfnis sich zeigt, auch evangelischer Arbeiterinnenvereine — und im Anschluß daran und in Verbindung damit evangelischer Jugendver­ einigungen, ebenfalls männlicher und weiblicher, in Stadt und Land. Über die Notwendigkeit, die schulentlassene Jugend zu sammeln, zu organisieren, zu schützen und zu bewahren, darüber nur ein Wort zu verlieren, das halte ich nicht für am Platz. Lesen Sie nur das kürzlich erschienene Buch von W. Jlgenstein: „Die Ge-

37 dankemvelt der modernen Arbeiterjugend. Eine Beleuchtung der roten Jugendbewegung. (Vaterländischer Verlag und Kunstanstalt, Berlin SW. 61, Johanniterstraße 6). Bei der Frage nach der Form der Jugendfürsorge hat man die These aufgestellt: Jünglingsver­ eine oder Jugendabteilungen. Ich bedauere diese These und halte sie für nicht zweckdienlich, ini Gegenteil zur Entfremdung führend bei Männern, die doch alle, der eine von hier, der andere von da, je nach Veranlagung an dem einen Werk mitarbeiten wollen, die Jugend zu retten vor der sozialdemokratisch revolu­ tionären atheistischen Hochflut. Meines Erachtens sollte die These lauten: Jünglingsvereine und Jugendabteilungen. Auch die von der kirchlichen Rechten ins Leben gerufenen und gewiß zum Segen für viele wirkenden Jünglingsvereine, sie haben erkannt, daß sie in ihrem Arbeitsprogramm an der propädeutischen Einführung und Behandlung der großen wirtschaftlichen Fragen nicht mehr vorbei können. Wo in kleinerer Gemeinde ein solcher Jünglings­ verein schon besteht oder der betreffende Pfarrer sich seiner Eigen­ art nach für einen solchen entscheidet, da werde ihm nicht unlieb­ same Konkurrenz gemacht etwa durch eine neutrale Jugendver­ einigung oder Jugendabteilungen der evangelischen Arbeitervereine. Und in den Großstädten, da meine ich, ist noch so viel Jugend zu sammeln, daß die verschiedenartigsten Vereinigungen zur Für­ sorge für die Jugend gut nebeneinander und miteinander arbeiten können. Wenn nur etwas geschieht!! Meine Herren, ich bin am Ende. Habe ich die einzelnen Punkte, in denen unsere Arbeit einsetzen soll, auch nur andeutungs­ weise berühren können, wenn meine Darbietungen Anlaß zu frucht­ bringender Debatte geben, und wir aus ihnen Anregung mit hin­ ausnehmen, so haben sie ihren Zweck erfüllt. Die Zeiten sind ernst! Die Not ist groß, und wer weiß, ob der Höhepunkt kirchlicher Entfremdung in den Arbeitermassen schon erreicht ist! Die Kirche hat sie und getröstet sich der Verheißung ihres Herrn und Meisters: Siehe, ich bin bei Euch in meinem Geist, mit meiner Kraft! Sie bete und arbeite und zage und ver­ zweifle nicht! Sie hat solcher Sturm- und Drangperioden schon mehr im Laufe der Jahrhunderte durchgemacht und zuletzt doch

immer gesiegt.

38 Es gilt Hunderttausende von irregeleiteten betörten Brüdern dem Christenglauben und damit der Kirche zu erhalten bezw. wiederzugewinnen! Eine große, eine schwere Aufgabe — darum, meine Herren, wir alle in die Front! Hinaus ins Leben! Hinan an die Arbeit! Hinein in den Kampf!

Alfred Göpelmann (vormals 3- Ricker) Verlag in Gießen

Jesus Christus und die soziale Frage von Professor

Stands G. Peabody

in Cambridge

Deutsche Übersetzung von E. Müllenhoff

Geh. m. 5.-

Geb. rn. 6.-

Wtr besitzen noch keine Arbeit, welche den überragenden Gegenstand in seiner ganzen Universalität so überlegen monumental und doch so fein behandelt wie dieser freisinnige Protestant. Hochland.

Die kirchliche Beerdigung der Selbstmörder von

O. Nöldeke

Pastor in Höckelheim Mit einem Vorworte von Prof. D. (D. Baumgarten

1903

M. -.80

Die Friedhofsfrage Konfefftons» oder Simultanfriedhofe? Ein Lösungsversuch auf Grund der Tatsachen 1905

von Pfarrer

Eberhard Goes

in Langenbeutingen

M. -.75

Evangelische Jugendlehre Ein Hülfsbuch zur religiösen Iugendunterweisung nach Luthers Kleinem Katechismus von

Karl Eger

Professor D. in Friedberg Geh. Uirchenrat und Direktor des Predigerseminars

Geh. M. 5.-

Zweite Auflage -

1912

Geb. M. 5.80

Gesundheit und Erziehung Eine Vorschule der Ehe

von 2. Auflage

Prof. Dr. med.

Stidltt in Bonn a. Uh.

Geb. M. 5.-

Cltern und Lehrern diene das Buch zu ernstem Studium, der Vater möge es dem Sohne mit auf die Universität geben, und hoffentlich sind viele Mütter frei genug von ungesunder Prüderie, um es der erwachsenen Tochter zu empfehlen. Germania, Berlin.

Gef. wenden!

Alfred Töpelmann (vormals 3- Ricker) Verlag in Gießen

Lebendige Gemeinden Festschrift zu (ElltU SUljCS 80. Geburtstag

Geh. IN. 5.-

VH, 220 S. gr. 8° - 1912 - INit e. Bilde Sulzes

Geb. IN. 6.-

C. Llemen, Evangelisches Gemeindeleben in England und Nordamerika. 3- Eger, Die Gemeinde und ihre Jugend. p. Grünberg, Die evangelische Gemeinde und die Innere Mission, p. Kirinß, Die Gemeindepredigt. W. Kötzschke, Vie evangelische lebendige Gemeinde ein Bollwerk gegen Hont. E. Lammers, Die Gemeinde als sittlich-religiöse Autorität. fj. Matthes, welche Ziele sind für die volkskirchliche Erziehung erreichbar? p. Müller, Die Gemeinde und die Frauen. F. Niebergall, Gemeindepolitik. M. Schian, Ideelle Gemeinde und empirische Gemeinde. 3- Schoell, Das Parochialprinzip und der theologische Streit. F. Siegmund-Schultze, Seelsorgebezirke. F. Spitta, Das evangelische Kirchengebäude. H. Stock, Die Konferenz für evangelische Gemeindearbeit.

wie predigen wir der Gemeinde der Gegenwart? von 1904

Pfarrer

Walther Wolff

in Hachen

M. 1.—

Unsere Großstadtgemeinden ihre Not und

deren Überwindung von

1910

Pastor Lic. Dr.

Otto vibelius

in Danzig

M. -.50

Hussichten und Hufgaben der evangelischen Landeskirchen in der Gegenwart von

1909

Professor Lic. HelMlch lNütthtS in Darmstadt

M. 2.60

dorträge -er theologischen Konferenz zu Gießen Zell, R., Vie geschichtliche Entwicklung der Uirche im 19. Jahrhundert und Erschien zusammen mit:

die ihr dadurch gestellte Ausgabe.

heinriti, G., Vie Forschungen über die Paulin. Briefe, (vortr. 2) Itl. 1.60 Zachße, E., Über die Möglichkeit, Gott zu erkennen, (vortr. 4) m. 1.Eibach, H., Über die wissenschaftliche Behandlung und praktische Benutzung Erschien zusammen mit:

der heiligen Schrift.

Zchürer, E., Der gegenwärtige Stand d. johanneisch. Frage, (vortr. 5) BI. 1. — Ehlers, R., Das Neue Testament und die Taufe, (vortr. 6) RI. L — Rattenbusch, von Schleiermacher zu Ritschl. Zur Grientierung über die Dogmatik des 19. Jahrhunderts, (vortr. 7) vergriffen; vierte Auflage im Frühjahr 1913. Reischle, Bl., Sohms Rirchenrecht und der Streit über das Verhältnis von Recht und Kirche. (vortr. 8) M. 1. —

Flöring, Fr., Vas Alte Testament im ev. Relig.-Unterr. (vortr. 9) m. 1. — Walz, R., Veräußerlichung, eine Hauptgefahr für die Ausübung des geist­ lichen Berufes in der Gegenwart,

(vortr. 10)

M. - .80

Wirbt, E., Der deutsche Protestantismus und die Heidenmission im 19. Jahrhundert,

(vortr. 11)

M.

1.20

Veitzmann, G. A., Vie sprachliche Erforschung der griechischen Bibel, ihr gegenwärtiger Stand und ihre Ausgaben, (vortr. 12)

M. —.80

Rade, RI., Religion u. Moral. Streitsätze für Theologen, (vortr. 13) RI. — .60 Rriiger, ®., Die neuen Funde auf dem Gebiete der ältesten Kirchengeschichte (1889-1898).

(vortr. 14)

RI. - .60

Foerster, E., Vie Rechtslage des deutschen Protestantismus 1800 und 1900. M. —.80

(vortr. 15)

Weiß, I., Vie Idee des Reiches Gottes in der Theologie, (vortr. 16) RI. 1.50 Holtzmann, O., Vie jüdische Schriftgelehrsamkeit zur Zeit Jesu, (vortr. 17) M. - .70

Rudde, R., Vas Alte Testament und die Ausgrabungen. 3um Streit um Babel und Bibel.

2. Auflage mit vielen Anmerkgn. (vortr. 18) M. —.90

DrewS, P., Vie predigt im 19. Jahrhundert. Britische Bemerkungen und praktische Ivinke.

(vortr. 19)

Eibach, R.» Unser Volk und die Bibel. Babelstreit,

(vortr. 20)

Hl.

1.—

Ein Nachwort zum Bibel- und M. —.60

Wiegand, F-, Vas apostolische Symbol im Mittelalter, (vortr. 21) RI. 1. — Vechent, h., Herder und die ästhetische Betrachtung der heiligen Schrift, (vortr. 22)

M. - .75 Fortsetzung auf der letzten Seite

Vortrage -er theologischen Konferenz zu Gießen (Fortsetzung von der 3. Umschlagseite)

Köhler, W., Katholizismus und Reformation.

Kritisches Referat über die wissenschaftlichen Leistungen der neueren katholischen Theologie auf dem Gebiete der Reformationsgeschichte, (vortr. 23) KT. 1.20

Eger, K., Das Wesen der deutsch-evangelischen Volkskirche der Gegenwart, (vortr. 24)

Kl.

1.25

Knopf, R., Der Text des Neuen Testaments.

Neue Fragen, Funde und Forschungen der neutestamentlichen Textkritik, (vortr. 25) 11L 1.—

Vomemann, to., Der Konfirmanden- und der Religionsunterricht in der Schule in ihrem gegenseitigen Verhältnis,

(vortr. 26)

1.80

Kl.

prenschen, E., Die philologische Arbeit an den älteren Kirchenlehrern und ihre Bedeutung für die Theologie,

(vortr. 27)

1.20

Kl.

Herrmann, w., Offenbarung und Wunder, (vortr. 28) Kl. 1.40 Veit, w., was soll der evangelische Gemeindepfarrer sein: Priester, Evan­ gelist oder Seelsorger?

(vortr. 29)

1.50

Kl.

Knodt, E., Die Bedeutung Talvins und des Talvinismus für die prot. Welt im Lichte der neueren und neuesten Forschung, (vortr. 30) Kl.

1.80

Schian, HL, Der moderne Individualismus und die kirchliche Praxis, (vortr. 31)

Kl.

Stephan, h., Die heutigen Ruffassungen vom Neuprotestantismus. trag 32)

Kl.

1.(Vor­ 1.20

Schmitt, R., Kirche und Arbeiterschaft, (vortr. 33) Kl. - .70 Gall, st. Frhr. von, Die Papyrusurkunden der jüdischen Gemeinde in Elephantine in ihrer Bedeutung für jüdische Religion und Geschichte, (vortr. 34) Kl. -.60

Vorträge -er hessischen und Nassauischen theologischen Ferienkurses stchelis, E. Ehr., Der vekalog als katechetisches Lehrstück,

(vortr. 1) Kl. 1.40

Holtzmann, ®., Der christliche Gottesglaube. Seine Vorgeschichte und Ur­ geschichte.

(vortr. 2)

Kl. —.80

Jülicher, st., Neue Linien in der Kritik der evangelischen Überlieferung, (vortr. 3)

Kl.

1.60

Alfred Töpelmann (vormals ). Ricker) Verlag in Gießen