Keynes als Philosoph [1 ed.] 9783428486595, 9783428086597

Über die Philosophie von John Maynard Keynes wird im angelsächsischen Sprachraum seit Jahren lebhaft diskutiert. Dabei g

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German Pages 229 Year 1996

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Keynes als Philosoph [1 ed.]
 9783428486595, 9783428086597

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Elke Muchlinski . Keynes als Philosoph

Volkswirtschaftliche Schriften Begründet von Prof. Dr. Dr. h. c. J. Broermann t

Heft 458

Keynes als Philosoph Von

Elke Muchlinski

Duncker & Humblot · Berlin

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme

Muchlinski, Elke: Keynes als Philosoph / von Elke Muchlinski. - Berlin : Duncker und Humblot, 1996 (Volkswirtschaftliche Schriften; H. 458) Zug!.: Berlin, Freie Univ., Diss., 1994 ISBN 3-428-08659-7

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D 188 Alle Rechte vorbehalten © 1996 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fotoprint: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0505-9372 ISBN 3-428-08659-7

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Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706

Für Luisa

Vorwort Über die Philosophie von John Maynard Keynes wird im angelsächsischen Bereich seit einigen Jahren lebhaft diskutiert. Das vorliegende Buch ist eine überarbeitete Version meiner Dissertation, die vom Fachbereich Wirtschaftswissenschaft der Freien Universität Berlin angenommen wurde. Es entstand während meiner zweijährigen Tätigkeit als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut fiir Betriebswirtschaftslehre, Fachrichtung Wissenschaftstheorie, und wurde am Institut fiir Theorie der Wirtschaftspolitik fortgefiihrt und abgeschlossen. Zwei Forschungsaufenthalte im Modem Archive des Kings College in CambridgelGB im März 1992 und September 1993 haben mir die Verwendung einiger unveröffentlichter Manuskripte von Keynes ermöglicht, die den Ausgangspunkt meiner Arbeit bilden. Ich möchte mich an dieser Stelle fiir die Unterstützung des Erstgutachters, Herrn Prof. Dr. Hajo Riese (Berlin) bedanken. Herrn Prof. Dr. P. Birger Priddat (WittenlHerdecke) danke ich fiir kritische Kommentare und Diskussionen. Des weiteren möchte ich die Gelegenheit nutzen, mich fiir das Interesse der StudentInnen in zwei Seminaren im Sommersemester 1993 und Wintersemester 1993/94 zu bedanken. Die Anmerkungen und Kritikpunkte von Prof. Dr. John B. Davis (Marguette University/USA) und Prof. Dr. Wolfgang Kersting (Kiel) waren sehr hilfreich. Ohne die technische Unterstützung durch Herrn Diplom-Volkswirt Andreas Bley (Berlin) hätte die Arbeit nicht diese Form. Für die Publikationserlaubnis einiger unveröffentlichter Manuskripte von I.M. Keynes sei dem First Busar, Kings College, insbesondere Frau Jaqueline Cox (Cambridge), fiir den zielgerichteten Service gedankt. Wie üblich sind verbliebene Irrtümer der Arbeit ausschließlich mir anzulasten. Berlin, im Mai 1996

Elke Muchlinski

Inhaltsveneichnis Einleitung ....................................................................................................................................... 11

Erster Teil Rekonstruktion der erkenntnistheoretischen Position von John Maynard Keynes 1.

Ke)1les und die Begr1lnder der Analytischen Philosophie in Großbritannien ......................... 16

2.

George Edward Moore ............................................................................................................. 21

3.

2.1.

Wahrscheinlichkeit als aposteriori-Begriff................................................................... 23

2.2.

Die tautologische Undefmierbarkeitsthese ................................................................... 24

2.3.

Das Prinzip der organischen Einheitlichkeit ............................................................... 27

2.4.

ZUrilckweisung des Egoismus ...................................................................................... 28

Die Kritik von Ke)1les an der Philosophie Moores in den unveröffentlichten Manuskripten ............................................................................................. 29 3.1. Wahrscheinlichkeit impliziert Unwissen ...................................................................... 31

4.

3.2.

Intuition und individualjudgement ............................................................................. 37

3.3.

Neukonzeption desPrinciple ofOrganic Unity .......................................................... 41

3.4. 3.5.

Verteidigung des Egoismus und Absage an den Utilitarismus .................................... 43 Ke)1les versus Moore .................................................................................................... 48

Bertrand RusselI ....................................................................................................................... 53 4.1.

Zu den Anflingen der Analytischen Philosophie .......................................................... 54

4.2.

Die zweistufige Erkenntnistheorie ................................................................................ 56

4.3. 4.4.

Die Gemeinsamkeiten zwischen Keynes und RusselI .................................................. 59 Ke)1les versus RusselI ................................................................................................... 60

5. A Treatise on Probability - Eine erkenntnistheoretische Schrift ............................................ 62 5.1. Konzeptionelle Aufeinanderbezogenheit von direkter und indirekter Erkenntnis .................................................................................................................... 65 5.2. Die Metapher eines corpus ofknowledge .................................................................... 71 5.3. Wahrscheinlichkeit als rational degree ofbelief........................................................ 75 5.4. Plädoyer filr einen erweiterten Logikbegriff ................................................................ 78 5.5. Weight ofargument...................................................................................................... 80 5.6. Begrenzte Quantifizierbarkeit von Wahrscheinlichkeit ....... ,....................................... 82 5. 7. Wahrscheinlichkeit als guide oflife ............................................................................. 86 5.8.

Zusammenfassung ........................................................................................................ 88

10 6.

Inhaltsverzeichnis Versuch einer Prizisierung der erkenntnistheoretischen Position von Keynes ....................... 88 6.1.

Erkenntnis als Verweisungszusammenhang von Anschauung und Begriff bei

6.2.

Die Synthese von rationalistischen und empiristischen Urteilen bei Kant

Kant und Keynes ........................................................................................................... 95 und Keynes .................................................................................................................. 100 6.3.

Wider die Geschwätzigkeit der Logik. (Kant) respektive dry bones (Keynes) ...................................................................................................................... 104

6.4.

Intuition versus LetztbegJ1lndung ............................................................................... 109

Zweiter Teil

Die Relevanz der erkenntnistheoretischen Position für die Ökonomie von Keynes 7.

Die aktuelle Diskussion ober die Philosophie von Keynes im Überblick ............................. 114 7.1.

Das erkenntnistheoretische Argument (Davis) ........................................................... 115

7.2.

Zur Diskontinuitätsthese (Bateman) ........................................................................... 125

7.3.

Die Kontinuitätsthese (O·OOnnell).............................................................................. 131

7.4.

Hillard oder die Vision absoluter Perfektion der Orthodoxie versus Keynes'

7.5.

Gerrard oder The New Fundamentalism .................................................................... 142

Welt der Unsicherbeit .................................................................................................. 138 7.6.

Dow und der BabylonianApproach .......................................................................... 147

7.7.

Lawson - oder die Rationalität der Konvention .......................................................... 153

7.8.

Runde und die vier verschiedenen Urteilsformen von Keynes zur Bestimmung des weight o[arguments ................................................................. 156

7.9. 8.

Erkenntniswege der Ökonomie .............................................................................................. 160 8.1.

9.

Fazit ............................................................................................................................. 160

Zur Entwicklung neoklassischer Kategorien .............................................................. 163

8.2.

Die Sichtweise von Keynes ......................................................................................... 167

8.3.

Apriori-Erkenntnisse und Erfahrungsbezug ............................................................... 180

8.4.

Die Signifikanz der Primissenformulierung............................................................... 183

8.5.

Die Persistenz von ignorance, uncertainty. expectations und die Nicht-

8.6.

neutralität des Geldes .................................................................................................. 194 Conventional judgement ............................................................................................ 205

8.7.

Primat der Theorie ...................................................................................................... 208

Ri!sume ...................................................................................................................................214 Literaturverzeichnis ................................................................................................................ 217

Einleitung Jenseits eines in der ökonomischen Fachliteratur dominierenden "formalen Ästhetizismus" (Morishima, 1991, 70) hat die Diskussion über die Philosophie von John Maynard Keynes durch die systematischen Arbeiten von Carabelli (1988) On Keynes's Method und O'Donnell (1989) Keynes, Philosophy, Eeonomies and Polities an Konturen gewonnen. Die Konferenz zum Thema Keynes as Philosopher-Eeonomist an der Universität KentlCanterbury im Jahre 1989 hatte synthetisierende Wirkungen, ohne aber einen Konsens über die Frage hervorzubringen, was unter der Philosophie von Keynes zu verstehen ist. Dieser Konsens ist auch nicht mit dem jünsten Diskussionsband herzustellen (DowlHillard, 1995). Eine Rekonstruktion der philosophischen Position kann dann nicht gelingen, wenn der philosophische Stoff aus den unveröffentlichten Manuskripten (1904 bis 1910) und der Treatise on Probability (1921) so interpretiert wird, als handele es sich bei diesen Quellen um Vorarbeiten tUr seine ökonomische Theorie. Diese teleologische Auslegung ist wenig hilfreich. Umgekehrt ist die Methode, die General Theory 0/ Employment, lnterest and Money (1936) als eine logische Konsequenz einer zuvor entwickelten Philosophie zu betrachten, ungeeignet, etwas mehr Transparenz innerhalb der Diskussion herzustellen. Es lassen sich im wesentlichen zwei Probleme, die mit der Evaluierung der Philosophie von Keynes verbunden sind, skizzieren. Wo muß, um das erste Problem mit zentralen Fragen zu umreißen, die Suche nach den philosophischen Wurzeln beginnen, wenn nachweisbar ist, daß er sich vor der Präzisierung der ökonomischen Theorie(n) mit Philosophie beschäftigt hat? Wie ist es zu beurteilen, daß Keynes selbst nur wenig explizite Bezüge zwischen seinen philosophischen Arbeiten und der ökonomischen Theorie herstellt? Kann angenommen werden, es existierten gar keine Verbindungen zwischen den unveröffentlichten Manuskripten, A Treatise on Probability und The General Theory? Diese Fragen müssen verneint werden. Es wird in dieser Arbeit herauszuarbeiten sein, daß die philosophischen Implikationen der ökonomischen Theorie nicht als ein nebensächlicher Hinweis abgetan werden können. Die Evaluierung der philosophischen Auffassung kann nicht über eine Hypothesenbildung und deren Falsifikation vorgenommen werden. Mit diesem ersten Problempunkt ist außerdem verbunden, daß die ökonomische Theorie von Keynes keine signifikante Einheitlichkeit aufweist und es somit nicht einfach ist, diese - von ihm selbst auch immer wieder betonten Änderungen seiner ökonomischen Analyse - auf eine einheitliche philosophische Ebene zu stellen. Es geht nicht einfach darum, der Theorie von Keynes einen

12

Einleitung

philosophischen Hintergrund hinzuzufügen, sie phraseologisch zu erweitern. Das zweite Problem resultiert aus einer intendierten Vorgehensweise, die philosophischen Aspekte und Termini innerhalb der ökonomischen Theorie identifizieren zu können und von hieraus auf eine Bedeutungsgleichheit mit derjenigen innerhalb der Philosophie schließen zu wollen. Auf diesem Wege kann eine Bedeutungsäquivalenz nicht begründet werden. Das Projekt Keynes als Philosoph ist genau genommen nur realisierbar, wenn der philosophiegeschichtliche Hintergrund bei der Entstehung der Schriften von Keynes reflektiert wird. Obwohl innerhalb des aktuellen Diskurses Übereinstimmung in dem Punkt besteht, den Philosophen Keynes nicht losgelöst von seiner ökonomischen Theorie zu reflektieren, wird die Suche nach den Wurzeln der Philosophie von Keynes auch als eine separate Fragestellung akzeptiert. Dabei wird in der Regel Georg Edward Moore und Bertrand Russell eine Vorbildfunktion für Keynes zugeschrieben. Darüber hinaus werden implizite Verbindungslinien zu Wittgenstein und der Schottischen Schule (Carabelli, Davis), Platon (Fitzgibbons), Babylonian (Dow), Kant (Brown-CollierlBausor), Sidgewick (Shionoya), u.a. gezogen. Es ist daher sinnvoll, einzelne philosophische Positionen auszugsweise zu referieren, beispielsweise von Moore, Russell und von Kant. Dadurch entsteht ein Rahmen philosophischer Ansätze, die in jeweils unterschiedlich zu thematisierenden Weise Bedeutung für die Beurteilung von Keynes als Philosoph haben. Es lassen sich insbesondere drei Überlegungen fiir dieses aus der Sicht von Ökonomen ungewöhnlichen Projektes anfUhren: (i) die Präziserung zentraler Begriffe aus der ökonomischen Theorie von Keynes und (ii) das Aufzeigen der Argumentationslinien zwischenA Treatise on Probability (1921) und einigen ökonomischen Schriften und (iii) das Unbehagen mit einer Plethora an Modellen, die losgelöst von ökonomischen Bezügen forciert wird. Insofern handelt es sich bei der hier aufzuarbeitenden Diskussion um das Aufzeigen der durch exegetische Einengungen und dogmatische Zuspitzungen, etwa auf die HickslHansen Interpretation der General Theory, verborgenen Produktionen eines Philosopher-Economists (Batemanl Davis, 1991). Nach einer Phase der Entdeckung des Philosophen Keynes ist nun die Zeit der Überprüfung seiner Position gekommen (CottrelI, 1993; Hillard, 1992; Gerrad, 1992). Zu (i): Keynes wird in der Regel nicht mit philosophischen Fragestellungen in Verbindung gebracht. Schärfer noch formuliert es Kastrop, daß er sich im Unterschied zu seinem Vater, John Neville Keynes, bis auf eine Ausnahme nicht mit derartigen Themen beschäftigt habe (1993, 153). Kastrop begründet es damit, daß die methodologischen Diskussionen zu Beginn des 20. Jahrhunderts unter Ökonomen schon deswegen nicht mehr en vogue waren, weil

Einleitung

13

mit der Schrift von lN.Keynes, The Scope and Method 0/ Political Economy (1891), bereits vieles über die Erkenntniswege in der Ökonomie gesagt worden war. Die These von Kastrop wird im zweiten Teil dieser Arbeit wieder aufgegriffen. Zu (ii): Eine Verknüpfung des Traktats über die Wahrscheinlichkeitstheorie mit den ökonomischen Werken hat schon H. Minsky (1975) mit seiner Untersuchung über John Maynard Keynes angeregt, dennoch blieb es im allgemeinen bei der recht vagen Feststellung, der Terminus Unsicherheit aus der General Theory weise eine Beziehung zur A Treatise on Probability auf. Daß Keynes mit Unsicherheit, die bereits in den unveröffentlichten Manuskripten bei der Herausarbeitung seiner Gegenposition zu Moore signifkant ist, eine epistemologische Position markiert, die sowohl fiir die Treatise, als auch fiir die General Theory Konsequenzen nach sich zieht, wird im Rahmen dieser Arbeit näher zu prüfen sein. Zu (iii): Es ist das Unbehagen mit der orthodoxen Theorie, insbesondere die Formulierung der Prämissen, der Anlaß für Keynes, einen theoretischen Gegenentwurf zu liefern. Dabei korrespondiert Keynes' Kritik, die er in verschiedenen Postskripten zur Publikation der General Theory präzisiert, durchaus mit der aktuellen Selbstkritik einiger Ökonomen (vgl. den lubiläumsband The Economic Journal, Januar 1991). Die Unzulänglichkeit einer Ökonomie, die im Schlepptau mathematisch formaler Eleganz ein Eigenleben zu entwickeln scheint, ist zum Thema innerhalb der Profession avanciert (Beed/Kane, 1991; Holub, 1993; Morishima, 1991; Summers, 1991). Philosophisch konzipierte Abhandlungen bleiben insbesondere in den Fachzeitschriften, deren Auswahl der Beiträge geradezu "geistige(r) Monokulturen" forcieren, überwiegend als "unnötiger Ballast auf der Strecke" (Holub, 1993, 237). Dabei ist fiir die konstatierte Selbstkritik nicht die Verwendung der Mathematik schlechthin verantwortlich, wenn auch die Voraussetzungen fiir einen strikt betriebenen Formalismus in einer Erfahrungswissenschaft, wie der Ökonomie, nicht problemlos ist. Epistemologisch-methodologische Diskussionen haben im Unterschied zum englischsprachigen Raum innerhalb der deutschen ökonomischen Profession zu einer kognitiven Lethargie geführt, die selbstverschuldet ist. Werden philosophische Fragen auf wissenschaftstheoretische Fragen beschränkt, dergestalt, daß nur noch die logische Struktur oder das formale Gebäude axiomatischer Systeme oder auch - in gar nicht seltenen Fällen - deduktivnomologische Explikationsschematismen interessieren, dann kann durchaus

14

Einleitung

mit RF. Harrod gekontert werden, "stop talking and get on with the job".) Eine so (miß)verstandene Reflexion über philosophische Fragen ist selbstentlarvend und dogmatisch, was durchaus Tradition in Deutschland hat. Die de facto Ignorierung der philosophischen Dimension der ökonomischen Theorie von Keynes ist nicht begründbar. Während der time lag bei formal-analytischen Beiträgen in der Profession hinlänglich kritisiert wird, scheint der time lag von Untersuchungen über die philosophischen Aspekte seiner ökonomischen Theorie akzeptiert zu werden. Mein Beitrag intendiert zum einen die Herstellung von Transparenz über zentrale Argumentationslinien der aktuellen Diskussion, zum anderen eine Intervention. Die Schaffung von Transparenz erfordert eine Beschränkung auf ausgewählte Diskussionsbeiträge. Obwohl viele AutorInnen die Signifikanz von Intuition, Erkenntnis und Wahrscheinlichkeit für die ökonomische Theorie von Keynes fokussieren, bleibt das Defizit einer erkenntnistheoretischen Fundierung seiner ökonomischen Theorie bestehen, obwohl BrownCollierlBausor (1988), später dann Davis (1991 b) und Dow (1991; DowlHiIlard, 1995) die Notwendigkeit einer Untersuchung der Epistemologie von Keynes hervorheben. Dies scheint aber nicht mehr als einen Appellcharakter zu haben, denn letztlich wird der konstatierte Einfluß von Moore und Russell auf Keynes nur von wenigen radikal in Frage gestellt. Für andere Autoren ist die erkenntnistheoretische Dimension schlicht uninteressant (vgl. Mini, 1991; Shionoya 1991). Meine Intervention zielt auf die Rekonstruktion der Erkenntnistheorie von Keynes anband einiger unveröffentlicher Manuskripte (1904-1906) und A Treatise on Probability (1921). Dabei vertrete ich die Auffassung, daß ich Erkenntnistheorie nicht als eine Primärstufe der Wissenschaftstheorie, die die Erkenntnistheorie gleichsam auf ein höheres Niveau zu heben verspricht, verstehe. Insofern verwende ich epistemologisch-methodologisch als synonyme Begriffe (vgl. Gabriel, 1993). Ich werde herausarbeiten, daß Intuition im Sinne der Wortverwendung bei Keynes nicht als Letztbegriindung verstanden werden kann. In Analogie zu Immanuel Kant ist Intuition eine Voraussetzung im Prozeß der Erkenntnis. Mit der Rekonstruktion der erkenntnistheoretischen Position von Keynes gelingt es, den in der aktuellen Diskussion virulenten Ambitionen, ihn als klassischen Empiristen oder Rationalisten zu etikettieren, entgegenzutreten. Insofern ist der Rückbezug auf Kant ein methodischer Schritt, keineswegs wird Keyneshierdurch zum Kantianer stilisiert.

) Harrod, R.F. (1938, 383), der mit diesem Satz die Kritiker der methodischen Reflexion radikalisiert.

EinJei!llng

IS

Das Folgende fallt in zwei Teile: Im ersten Teil ist anband der ausgewählten unveröffentlichten Manuskripte zu prüfen, inwieweit die Philosophie von G. E. Moore bestimmend ist für die Entwicklung der philosophischen Auffassung von Keynes. Dabei ist es insbesondere im ersten Teil unvermeidlich, auch auf einige ethischen Aspekte der Philosophie von Moore einzugehen. Ein weiteres Ziel ist es, die Divergenzen zwischen Keynes und Moore (1. - 3.5.) herauszuarbeiten. Im Anschluß daran ist die Frage der Relevanz der Philosophie von Russell zu prüfen (4.). Für eine Rekonstruktion der epistemologischen Auffassung von Keynes ist die Betrachtung zentraler Ausschnitte aus der Treatise erforderlich (5.), um sie im Anschluß daran mit Aspekten der Erkenntnistheorie von Kant zu kontrastieren (6.). Im zweiten Teil stelle ich die Ergebnisse der Untersuchung aus dem ersten Teil in den Kontext der aktuellen Diskussion über die Philosophie von Keynes (7.). Dabei wird nicht mehr die Bedeutung der Philosophie von Moore oder Russell im Vordergrund stehen, sondern die verschiedenen Autoren sind dahingehend zu befragen, welchen Stellenwert sie der erkenntnistheoretischen Position von Keynes zuschreiben. Im dann folgenden Kapitel (8.) sind die Ausführungen von Keynes zur Erkenntnismethode in der Ökonomie anband einiger Textauszüge vorzustellen.

Erster Teil

Rekonstruktion der erkenntnistheoretischen Position von John Maynard Keynes 1. Keynes und die Begründer der Analytischen Philosophie in Großbritannien In diesem Abschnitt ist zunächst auf einige Aspekte der Analytischen Philosophie in groben Zügen einzugehen. I Damit wird ein philosophiegeschichtlicher Hintergrund entworfen, der für die Entstehung der frühen Schriften und insbesondere für die Treatise on Prob ability (1921) zur Beurteilung der philosophischen Position von Keynes signifikant ist. Ganz entschieden möchte ich bereits an dieser Stelle darauf hinweisen, daß mit diesem Vorgehen kein Determinismus behauptet wird, demzufolge Keynes als Element einer bestimmten Epoche in wissenschaftlichen Produktionen lediglich das vollzogen habe, was als Anforderungen an ihn herangetragen worden ist. Die Analytische Philosophie ist eng mit den Personen G.E. Moore und B. RusselI, sowie L. Wittgenstein verknüpft, deren Einfluß in Großbritannien, aber auch in Deutschland nicht unerheblich ist (Ayer, 1971). Die ideengeschichtlichen Ursprünge reichen auf britischer Seite bis zum Empirismus von Hume und Mill zurück. Der Einfluß von RusselI, Wittgenstein und Frege auf die philosophische Entwicklung in Deutschland zu Beginn des 20. Jahrhunderts ist für die Entwicklung des logischen Positivismus, insbesondere aber auch dessen Kritik, nicht unerheblich. Philosophiegeschichtlich ist die Analytische Philosophie aus der Ablehnung idealistischer Philosophien, wie sie u.a. von den Philosophen J. McTaggert (1866-1925) und F.H. Bradley (1846-1924) vertreten werden, hervorgegangen. Beide sind Anhänger des englischen Hegelianismus, dessen Unterscheidungsmerkmal zum kontinentalen europäischen Hegelianismus darin zu finden ist, die Realität nicht aus stofllichen Dingen und Gegebenheiten, nicht aus konkreten Raum- und I Ich vertiefe weitere Gesichtspunkte hierzu im Kontext der Erörterung spezifischer Fragen von Moore et al. Einen Überblick Ober die Entwicklungspfade der Analytischen Philosophie bieten Ayer (1970); Bieri (19943); HOglilLObcker (1993); Moser (1987); Runggaldier (1993); von Savigny (1971) - vgl. kritisch zu dieser Richtung, Hösle (1994).

1. Keynes und die Begründer der Analytischen Philosophie

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Zeitkonstellationen, sondern als eine Ganzheit zu betrachten. Präziser formuliert, ist es das Ideelle, das der Wahrnehmung zugrunde liegt und die Wirklichkeit strukturiert. Ihre Schlußfolgerung hieraus ist die Feststellung einer Dominanz des Geistes als des einzig Wirklichen. Die Negierung aller Gegenständlichkeit oder Materialität im Geistigen als zentrales Merkmal manifestiert sich in der Auffassung, nur das idelle Ganze begründen zu wollen. RusseII pointiert in einer Kritik an McTaggert und BradIey, daß dieses konstatierte Ganze, das ein unhistorisches, zeitloses und stoIDoses Absolutes sei, dem "Sein des Parmenides verwandter als dem Zeitgeist Hegels ist" (1967, 125). In diesem Vergleich manifestiert sich eine scharfe Kritik am Widerspruch der idealistischen Philosophie. Dieser besteht darin, die Bewegung eines Einzeldings im Ganzen zur Bewegungslosigkeit erstarren zu lassen. Die Zusammensetzung des Ganzen ergibt sich additiv als Vorstellung, das Ganze sei die Summe seiner Einzelteile. Insofern ist die Konzeption des Ganzen entgegen der Intention der englischen Hegelinterpretation nicht dynamisch. Ein kurzer Rückgriff auf den zentralen Lehrsatz des Parmenides unterstreicht den Vorwurf von Russell nochmals. Die Lehre des Parmenides (um 540-470 v. ehr.) enthält das Postulat von der Einheit des Seins. Die Auffassung des Parmenides mündet in einen Dualismus: Das Seiende ist; das Nicht-Seiende ist nicht. Das Sein ist unbewegt, unentstanden, unbeweglich, zeitlos, etc. Wahrnehmungen, die hierzu im Widerspruch stehen, sei es die Wahrnehmung von Veränderung, Beweglichkeit, Vergänglichkeit, sind nach Parmenides als Scheinwahrnehmungen zu interpretieren. Die Folge hiervon für die Erkenntnis ist, die empirische Anschauung und die Vernunftserkenntnis als polare Sphären zu betrachten (vgl. Ayer, 1970, Flor, 1993, Hoerster, 1984). Der philosophische Ehrgeiz der Begründer der Analytischen Philosophie liegt demgegenüber in einer Rückfuhrung der Argumente auf einfache Begriffe. Ihr Gegenstand kann verkürzt als der Versuch der Analyse der Sprache, als Präzisierung einer Aussage charakterisiert werden. Methodisch intendiert die Analytische Philosophie die Reduktion komplexer Ausdrücke auf einfache Aussagen. Kennzeichnend ist dabei die Berücksichtigung des Verwendungskontextes, der darüber Auskunft geben soll, ob ein Begriff oder eine Aussage und mit diesen die vorgenommene Beschreibung logisch korrekt ist. Versteht man unter Analyse die Detaillierung eines komplexen Zusammenhangs, so wird die Analogie zum logischen Atomismus deutlich (vgl. Flohr, 1993, 109 f., Strawson, 1994,31 f.).

2 Muchlinski

18

1. Teil: Rekonstruktion der erkenntnistheoretischen Position

Im Analyse-Synthese-Prozeß wird hernach das durch die Separierung aufgelöste Ganze erneut zusammengefiigt. 2 Das Problem dieses Reduktionsmodells zeigt sich in dem Anspruch, mit der Analyse eine begriflliche Autorität im Sinne einer Legitimierung letzter Wahrheiten vorzulegen. Wie Strawson ausführt, birgt dieses Vorgehen die Gefahr einer zirkulären Analyse in sich (1994, 31 f.). G.E. Moores Vorgehen ist durch die Suche nach den letzten, einfachen Begriffen, die keiner weiteren Analyse mehr zugänglich sind, motiviert. Darin unterscheidet er sich zum Beispiel von Hume und RusselI, die nicht einfache Begriffe, sondern einfache Sinneseindrücke als atomistische Elemente verwenden. Die Entwicklungsphasen der Analytischen Philosophie können im Rahmen dieser Abhandlung nicht vertieft werden. Wesentlich ist, daß die unter 7. vorgestellten Positionen zur Philosophie von Keynes diesem Reduktionsmodell zugeordnet werden müssen, da sie den Stellenwert der Intuition in der Philosophie von Keynes als Letztbegründungsinstanz und damit als ein atomistisches Element interpretieren. Die Begegnung zwischen Moore und Keynes ist in den unveröffentlichten Manuskripten, in seinem Essay My Ear/y Belieft (C.W., X, 1938, 433-450) und in einigen Überlegungen auch in der Treatise dokumentiert. Keynes war, wie auch Moore, Mitglied der Bloomsbury-Group (vgl. zu den Zielsetzungen dieser Gruppe u.a. Harrod, 1982, Mini, 1991, O'Donnell, 1989, 1991, Moggridge, 1992). Dieser Kreis von Intellektuellen, die sich die "Die Apostel" nannten und in dem Schriftsteller, Verleger, Künstler und Wissenschaftler verschiedener Fakultäten zusammenkamen, war überwiegend der Adressat seiner unveröffentlichten Manuskripte aus den Jahren 1904-1910. Keynes besucht 1902 in Cambridge die Vorlesung von Moore zu Principia Ethica, die nach seinen Worten nachhaltigen Einfluß auf ihn hat. Er zieht Parallelen zur Meditation, spricht von Bewußtseinserweiterung und Gefiihlszuständen, die im viktorianischen Cambridge um die Jahrhundertwende neue Perspektiven erschließen. In My Ear/y Belieft läßt er diese Zeit und Atmosphäre lebendig werden und beschreibt die Auseinandersetzung mit Fragen der Moores Ansatz euphorisch wie folgt: "It was exciting, exhilarating, the beginning of a renaissance, the opening of a new heaven on a new earth" (C. W., X, 435). Moores Gedanken boten neue Orientierung gegenüber tradierten Lebensentwürfen, wie sie das viktorianische England kennzeichnen. 3

2 Zur Kritik an dieser Vorgehensweise (Böhme, 1993). 3 Und, dieser Hinweis mag an dieser Stelle erlaubt sein. am treffendsten von Virginia Woolf in vielen ihrer Bücher thematisiert worden ist.

1. Keynes und die BegrOnder der Analytischen Philosophie

19

Enthusiastisch vennerkt Keynes rückblickend: "We used to regard the Christians as the enemy, because they appeared as the representatives of tradition, convention and hocuspocus" (C.W., X, 446). Mit Blick auf die CambridgeTradition, die er als "religion closely followed the English puritan tradition" beschreibt, verwirft er deren zwingenden Zusammenhang zwischen being good und doing good, weil in praxi das letztere das erstere stören könnte (C. W., X, 437). Die Präzisierung des Begriffs good, das Wissen um Bewußtseinszustände, die good sind, ergibt sich unter der philosophischen Anleitung Moores als eine "direct inspection, of direct unanalysable intuition about which it was useless and impossible to argue" (C. W., X, 437). Die auflehnende Polemik und Distanzierung ist nicht folgenlos :für Keynes' Schriften und seinen kategorialen Neuorientierungen. Entscheidend ist es, die Bewertung von Ereignissen nicht isoliert vorzunehmen, sondern vor dem Hintergrund eines "on the state of affairs as a whole which could not be usefully analysed into parts". (... ) "For example, the value of the state of mind of being in love did not depend merely on the nature of one's own emotions, but also on the worth of their object and on the reciprocity and nature of the object's emotions (... ) I myself was always an advocate of a principle of organic unity through time, which still seems to me only sensible" (C.W., X, 436). Keynes charakterisiert Moore als einen Meister des methodischen Argumentierens, gegen die es kein Gegenargument gab. "What exactly do you mean?" Die keineswegs rhetorische Frage respektive Gegenfrage war strukturierend:für den Diskurs. Keynes fUhrt dazu aus: "We spent our time trying to discover precisely what questions we were asking, confident in the faith that, if only we could ask precise questions, everyone would know the answer" (C.W., X, 1938,440). Moore vertritt im 6. Kapitel, Das Ideal, die Auffassung, daß sobald eine präzise Frage formuliert wird, die Antwort offensichtlich, ja fast schon eine Platitüde ist. 4 Eine deutliche Abgrenzung gegenüber Moores philosophischem Standpunkt trifft Keynes mit Blick auf das 5. Kapitel der Principia Ethica und wird von ihm in dem Manuskript Ethics in Relation to Conduct aufgegriffen. Moores Plädoyer:für generelle Regeln des Verhaltens kann keine Akzeptanz, sondern nur Empörung auslösen (C.W., X, 445, 446). Weder wird die konstatierte Ver4 Keynes weist daraufhin, daß Moore einen Alptraum hatte, in dem er nicht zwischen propositions (AussageniAussagefunktionen) und Gegenständen, z.B. Tischen unterscheiden konnte. Trotz der von ihm geforderten Präzision des sprachlichen Ausdrucks war es ihm nicht möglich gewesen, zwischen Liebe, Schönheit, Wahrheit und Möbeln zu unterscheiden. "They took the same definition of outline, the same stable, solid, objective qualities and conunon-sense reality" (C.W., X, 444). Auf diesen Zwischenfall in der Geschichte des BegrOnders der Analytischen Philosophie dürfte sich meines Erachtens das Manuskript von Keynes aus dem Jahre 1909, Can we consume our surplus or the influence offumiture on our love? beziehen, das ich in dieser Arbeit nicht behandeln will.

2*

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1. Teil: Rekonstruktion der erkenntnistheoretischen Position

knüpfung von Handlung und einem wahrscheinlichen Maximum an Gutem, noch die Verpflichtung des Einzelnen akzeptiert, das individuelle Handeln allgemeinen Regeln zu unterwerfen. Die Losung heißt hingegen, "the right to judge every individual case on its merits, and the wisdom, experience and selfcontrol to do so successfully" (C. W., X, 496). Keynes radikalisiert seine ablehnende Haltung, wenn er ausfUhrt: "This was a very important part of our faith, violently and aggressively held, and for the outer world it was our most obvious and dangerous characteristics. We repudiated entirely customary morals, conventions and traditional wisdom. The consequences of being found out had, of course, to be considered for what they were worth. Be we considered no moral obligation on us, no inner sanction, to conforrn or to obey. Before heaven we claimed to be our own judge in our own case" (C.W., X, 446). Diese schon als radikale Auflehnung gegenüber gesellschaftlichen Konventionen anmutenden Abgrenzungen, können ohne Zweifel als Widerspiegelung einer die Epoche zu Beginn des 20. Jahrhunderts umwälzenden Neuorientierung in der angelsächsischen Intelligenz interpretiert werden. Wie schon gesagt, ist es nicht Aufgabe dieser Untersuchung, die biographischen Sequenzen auszuloten, noch kann die Bedeutung der Bloomsbury-Group näher erforscht werden (vgl. hierzu insb. Davis (1994); M. Keynes (1975). Schließlich darf in diesem Kontext nicht unerwähnt bleiben, daß Moores Philosophie theorie geschichtlich einen Fluchtweg aus dem utilitaristischen Gedanken- und Begründungskomplex bot, der, wie Keynes ausfUhrt, begeistert gewählt wurde: "We used to escape from Benthamite tradition" (C.W., X, 445). Dieser Satz ist so harmlos nicht, wie er vielleicht auf den ersten Blick klingen mag, denn es wird in dieser Arbeit herauszuarbeiten sein, daß diese begrifiliche Emanzipation einige Konsequenzen fiir seine ökonomische Theorie hat. 5 Moore hingegen bleibt dem Utilitarismus verbunden. Eine RückfUhrung von Keynes' Denken auf die Philosophie Moores, wie es in der aktuellen Diskussion oft geschieht, würde ihn demzufolge auch dem Utilitarismus zuordnen, was einem theoriegeschichtlichen Irrtum gleichkäme. 6 Es gehört mit zu den methodischen Problemen eines Forschungsvorhabens, das vornehmlich auf schriftlichen Primärquellen basiert, deren Forschungsrelevanz zu beurteilen. Die Forschungsrelevanz des autobiographischen Essays

5 Vgl. seinen Artikel im Quarterly Journal ofEconomics (1937 a, 209 ff). 6 Vg1. insb. Fitzgibbons (1988); Shionoya (1991).

2. G. E. Moore

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My Early Belieft ist umstritten. Einerseits wird angezweifelt, daß Keynes darin die Situation rückblickend richtig beschrieben habe. Leonard Woolf zum Beispiel wirft ihm sinnverdrehende Darstellungen vor, wenn er behauptet, die Apostel wären alle Immoralisten gewesen, die sich weder um Regeln der Gesellschaft, noch um andere Interessen als die eigenen kümmerten. 7 Aus der Perspektive von L. Woolf ist Bloomsbury ein zentrales Element der theoretischen Umwälzungen der 20er Jahre und nicht ein sich außerhalb der Gesellschaft vollziehendes isoliertes Ensemble. Eine andere Kritik von ihm bezieht sich darauf, daß Keynes den Einfluß von Moores Philosophie schlicht übertrieben und das wissenschaftliche Niveau, auf dem die Vorträge im Bloomsbury-Kreis basierten, untertrieben habe. Bateman etwa kritisiert, daß diese Retrospektive und die Philosophie von Moore für Keynes gar nicht die Bedeutung haben könne, wie er behauptet, da er sich in der Formulierung seiner ökonomischen Theorie gerade nicht daran orientiert, möglichst präzise Begriffe zu schaffen oder zu verwenden (1991 b). Insbesondere die Treatise on Money (1930) und General Theory of Employment, Interest and Money (1936) enthalten viele unpräzise Termini, die eine noch immer lebhafte Exegese forcieren. Insofern habe das Essay kaum Relevanz, da es polemisch geschrieben sei. Bateman versucht eine teleologische Interpretation zwischen den philosophischen Ambitionen und Produktionen und der ökonomischen Theorie von Keynes zu begründen, die, ob ihres Nichtgelingens dann von ihm als ein Beweis dafür gehalten wird, daß die Auseinandersetzung von Keynes mit philosophischen Fragen ohne weitere ökonomiegeschichtliche Bedeutung sei (vgl. meine Ausführungen unter 11.7.2.) 8

2. George Edward Moore Mit den Ausführungen zur Philosophie Moore soll der zeitgeschichtliche Entstehungshintergrund der unveröffentlichten Manuskripte von Keynes nachvollzogen werden, ohne hierbei allerdings den Anspruch auf Vollständigkeit zu erheben. Es ist notwendig, sowohl auf philosophiegeschichtliche Aspekte als auch auf Philosophen einzugehen, die das Ziel der Kritik von Moore sind,

7 L. Woolf war Schrifutellc:r, Vc:rlegc:r und Ehemaon vm Virginia Woolf; 2111" ethischen Kymente, vgl. PriddatlSdtaf(1984). Zur Mctivatim vm Keynes, IÜckblickend ein Essay übc:r die frühen Jahre in Cambridge 21l sdJreiben, vgl. u.a. (Mini, 1991); Moggridge (1992); Shimoya (1991).

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1. Teil: Rekonstruktion der erkenntnistheoretischen Position

da sich Keynes en detail mit dem Denken Moores auseinandersetzt. G.E. Moore (1873-1958) promovierte über Kants Ethik (1898), veröffentlichte 1903 zwei Werke Principia Ethica und The Re/utation 0/ Idealism. Zur biographischen Forschung von G.E.Moore vgl. u.a. Flor (1993), Hoerster (1984), von Savigny (1970). Moore lehrte zu Fragen der Moralphilosophie und des Common sense mit kurzen Unterbrechungen bis 1925 in Cambridge. Die Schrift Principia Ethica erschien 1912 in einer völlig veränderten Fassung, in der er, seinen Kritikern und Kennern der Analytischen Philosophie zufolge, die Unklarheiten der Ausgabe aus dem Jahre 1903 verstärkte. Ich werde mich auf die Version aus dem Jahre 1903 beziehen, da einige Kapital hieraus Angriffsflächen rur die Kritik von Keynes bieten. Als Schüler von McTaggert rechnet Moore in seinem Artikel The Re/utation o/Idealism (1903), sowie im 6. Kapitel von Principia Ethica mit der idealistischen Philosophie ab. Von Savigny erwähnt in seiner Rezension, daß Moore die Behauptung, Zeit sei etwas unwirkliches, wörtlich auffaßte und sich in einen Disput mit McTaggert über die Unsinnigkeit dieser Behauptung verwickelte. Von Savigny resümiert: "Mit mehr Gewöhnung an Philosophie wäre Moore wahrscheinlich wie peinliche Fehlleistung vorgekommen, was er nun tut: McTaggert auf die Folgerungen festzunageln; wie ein Versehen von jemandem, der sich in philosophischen Zirkeln nicht zu benehmen weiß" (1970, 9). Von Savigny entwirft ein luzides Bild von Moore, das ihn als einen Herausforderer der hegelinanischen Schule in England zeigt, der durch penible Fragestellungen und Verzicht auf das Systemdenken den Umschwung zur Analytischen Philosophie einleitet. Moores Ehrgeiz bestand darin, Klarheit in philosophische Theorien durch die Rückfiihrung auf den Common sense zu bringen und die alltagssprachlichen Begriffe aus dem philosophischen Nebel zu befreien, der ihnen geradezu aufgedrängt worden ist. Die Bezeichnung Common sense ist rur Moore ein Beurteilungskriterium für das Verständnis von Dingen des Alltags. Mit anderen Worten, sollen nicht mehr antiquierte Philosophen oder Philosophien die Themen vorgeben. Der Begriff Common sense geht auf die Schottische Schule um Thomas Reid zurück und soll verdeutlichen, daß die Sinne, das Gedächtnis und die Fähigkeit zu Denken einen direkten Zugang zu der vom Bewußtsein unabhängigen Außenwelt verschafft. Moores Theorie der Sinnesdaten steht dazu nicht im Widerspruch. Die in der Wahrnehmung gegebenen Dinge besitzen über die immer raum-zeitlich begrenzte visuelle Wahrnehmung hinaus andere Eigenschaften. Die Theorie der Sinnesdaten besagt, daß die Wahrnehmung durch die Sinne nicht die materiellen Gegenstände beinhaltet. Sinnesdaten oder die Aussage, es gibt Dinge, sind nicht identisch mit den wahrgenommenen Dingen. Die common-sense-A us-

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sage impliziert eine Aussage über eine Beziehung zwischen dem materiellen Ding und den wahrgenommenen Sinnesdaten sowie dem Sprechenden. Daß sein Ziel der radikalen Infragestellung philosophischer Überzeugungen des öfteren unbeabsichtigt bei seinen Schülern Verwirrung stiftet, da er sich im Detail zu verlieren scheint, sei hier nur am Rande erwähnt. Moore kontert, die Existenz seines Körpers hänge nicht von einem übergeordneten Prinzip ab oder davon, was unter der Aussage "Körper existiert" genau zu verstehen ist. 9 Die Behauptung, es gäbe keine materiell begründete Existenz liefe auf eine "performative Inkonsistenz" hinaus (vgl. Flohr, 1993, 66 f.). Die Behauptung könne ja nur von einem sprechenden, menschlichen Wesen, das einen Körper hat und das an einer bestimmten Raum-Zeit-Stelle diese Behauptung aufstellt, vorgenommen werden und begründet somit bereits materielle Existenz. Moores Verdienst ist darin zu sehen, daß er beharrlich rur die Geltung wissenschaftlicher Standards innerhalb der Philosophie eintritt und die intersubjektive Überprüfbarkeit von Aussagen fordert. 10 Im folgenden sei die Wahrscheinlichkeitsauffassung von Moore, die inhaltliche Bestimmung des Begriffs gut (engl. good) 11 , das Prinzip der organischen Einheitlichkeit (Princip/e 0/ Organic Unity) und seine Problematisierung der Egoismuskonzeption der Utilitaristen herausgegriffen. 2.1. Wahrscheinlichkeit als aposteriori-Begriff

Moore kritisiert in Principia Ethica (1903) die Morallehre, die einen kausalen Zusammenhang zwischen Handlungen und Wirkungen postuliert (1970, 220).12 Nach Ansicht von Moore sind unter Verwendung der common senseru/es 0/ conduct zukünftige ethische Beziehungen und Resultate nur mit einer Wahrscheinlichkeit voraussagbar. Regeln, die dabei jene Handlung verursachten, werden wahrscheinlich auch zukünftig das Gute vennehren. Das Problem besteht für ihn darin, eine Prüfung des wahrscheinlichen Resultats vornehmen zu können, weswegen eine Orientierung an allgemeine Regeln notwendig sei.

9 Hoerster (1984, 21) als auch von Savigny stimmen darin Oberein, daß Moore nicht den Anspruch einer Widerlegung des Idealismus hat, sondem daß er einen Existenzbeweis erbringen wollte. Mit dieser Demonstration ist dennoch - so v. Savigny - die idealistische Philosophie unschwer zu beindrucken, da auch sie die Körperlichkeit nicht in Zweifel ziehen würde. Der Adressat dieser Demonstration sei Kant und die Transzendentalphilosophie gewesen (1970, 12 f.). 10 Vgl. Savigny (1970, 14 ff.); Hoerster (1984, 19); Flor (1993,63 ff). 11 Zum besseren Verständnis verwende ich vornehmlich den englischen Terminus good statt gut, weil ich sonst diesen in Gutheit oder Gutsein etc. transformieren müßte. 12 Ich beziehe mich im folgenden auf die deutsche Übersetzung von Wisser, B. (1970).

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1. Teil: Rekonstruktion der erkenntnistheoretischen Position

Moore bindet seinen Begriff der Wahrscheinlichkeit an die Möglichkeit der Überprüfung oder Berechnung der künftigen Ergebnisse (1970, 218). Für den Fall des Nichteintretens des wahrscheinlichen Ergebnisses, müsse eine Revision der Regeln erfolgen. Seine Fundierung des Wahrscheinlichkeitsbegriffs ist empirisch insofern, als er diesen an die Auftrittswahrscheinlichkeit bindet. Moore legt damit die Methode der relativen Häufigkeit zugrunde, bei der die absolute Häufigkeit IOn (A)" des Auftretens des Ereignisses "A", bezogen auf die Anzahl "n" der Durchfiihrungen eines Experiments, also "n(A)/n" bezogen wird. Benötigt wird eine numerische Abbildung der Ereignisse, wie auch eine Grundgesamtheit. Er hebt die Begrenztheit der numerischen Meßbarkeit hervor ohne, daß dies Konsequenzen für seinen Wahrscheinlichkeitsbegriff hat (vgl. 1970,216). Die Verwendung des Begriffs der Wahrscheinlichkeit geht über die Vorstellung von Kausalbeziehungen zwischen einer Handlung und deren Wirkung, wie sie in der Ethik und dem Utilitarismus diskutiert wird, hinaus. 13 Damit erweitert Moore die traditionelle ethisch-philosophische Reichweite um die Zukunftskomponente. Diese prospektive Sicht scheint den Utilitaristen fremd zu sein, deren happiness maximizing, den Lustgewinn der Gegenwart zum Ziel hat. Es gelingt Moore aber nicht, von einem Denken über Kausalität von Handlung und deren Wirkungen gänzlich abzurücken, da Regeln eine kausalitätsstiftende Funktion zu übernehmen haben. 14 2.2. Die tautologische Undefinierbarkeitsthese

Die philosophiegeschichtliche Bedeutung der Principia Ethica liegt hinsichtlich des hier interessierenden Kontextes in dem Postulat der Nichtdefinierbarkeit des Begriffs gut [good] begründet. Die Mehrzahl der in der Literatur vorgetragenen Interpretationen betonen, Keynes sei diesem Postulat gefolgt und habe deshalb Wahrscheinlichkeit nicht definiert. Bevor näher auf

13 Zum Einfluß von Sidgwick auf Moore und Keynes, vgl. die Untersuchung von Shionoya, 1991. 14 Gegenstand des Utilitarismus als ethische Theorie ist die Bewertung einer Handlung im Vergleich mit anderen Handlungsalternativen. Kriterium der Beurteilung ist dabei, ob diese die größte Zahl positiver, nicht-moralischer Werte - Glück, Reichtum, Gesundheit, Schönheit, Einsicht hervorbringt. Während Bentharn als Vertreter des (a) hedonistischen Utilitarismus als ethischen Wert das Erleben von Lust (pleasure) präferiert und die Gleichsetzung von Lusterleben = Glück = Nutzen deduziert, differenziert (b) Mill die Lustformen insofern, als auch der ideelle Nutzen anerkannt wird. Auch Moore kann als Vertreter der (b)-Variante gelten, da er neben Lust auch Erkenntnis, Weisheit, Liebe und Selbstentwicklung als positive Werte postuliert. Utilitaristische Werttheorien gehen der Frage nach, wie verschiedene Wertvorstellungen miteinander zu vergleichen sind. Konkret geht es um das Problem, unterschiedliche Erlebnisse auf kommensurable Güter zu beziehen. Wenn, wie dies Mill unternommen hat, die Werte in eine Rangordnung gebracht werden sollen, muß die Quantifizierung und Hierarchisierung der verschiedenen Optionen in Relation zu anderen begründ bar sein.

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diese Behauptung eingegangen wird, sei zunächst die Beweisführung von Moore vorgetragen. Zunächst zur Begriffs- und Bedeutungsvielfalt des Wortes gut [goodl . Der Versuch einer Präzisierung des "inflationären Gebrauch(s) des Wortes gut" ist offensichtlich damit verbunden, so etwas wie eine "Äquivokation" zu erlangen (Annemarie Pieper, 1994, 263). Neben den kategorialen Bemühungen von Aristoteles, den metaethischen Klärungsversuchen seitens Moores - auf den allein hier kurz eingegangen wird -, den metaphysischen Kontroversen zwischen Sokrates und Platon über die Idee des Guten bis hin zu weiteren philosophischen Lehrvätern, hat die Beschäftigung mit dem Begriff epochale Zeugnisse hinterlassen. Kants Lehre vom höchsten Gut in der Kritik der praktischen Vernunft steht dabei, so Pieper, in einem gewissen Widerspruch zu seinen Ausführungen in der Kritik der reinen Vernunft, denn es handelt sich bei diesem um einen metaphysischen Begriff fern allen Empirischen und auch aller möglichen Erfahrung, zumindest, wenn er auf das Gott-, Seele-, und das Welt-Problem angewandt wird. Denn Kants Dogmatismusvorwurf beinhaltet ja, daß die Metaphysik jenseits ihres selbstgewählten Anspruchs, Prinzipien aufstellt, ohne die Potentialität und Begrenzung des menschlichen Erkenntnisvermögens zu reflektieren. Sein Postulat, daß Begriffe ohne Anschauung leer und Anschauung ohne Begriffe blind sind, ist hier paradigmatisch zu verstehen (vgl. meine Ausführungen hierzu unter I.6.). In der Principia Ethica (1903) formuliert Moore drei Fragen: 1. Was bedeutet gut [goodl ? 2. Welche Dinge sollen um ihrer selbst willen existieren? 3. Wie sollen wir uns verhalten, um das Gute zu vermehren? Die Antwort auf die erste Frage lautet kurz und knapp: Der Begriff gut [good 1 ist einfach und nicht definierbar. Moore sagt, "wir wissen nicht, was gut ist". Seine Antwort lautet schlicht, "daß gut gut ist und damit ist die Sache erledigt, weil gut eine einfache, nicht-natürliche Eigenschaft ist, die nicht definiert werden kann" (1970, 36). Der Versuch einer Definition dessen, was gut [goodl ist, liefe auf eine Tautologie hinaus, weil sie der inhärenten Gewißheit über die Bedeutung eines Begriffs keine zusätzlichen Informationen verleiht (1970, 45). Für Moore ist gut [goodl eine Sache, die selbstevident ist. Die Gleichsetzung von Bücher und gut [goodl widerspricht nach Moore der intuitiven Einsicht, über die jeder verfügt. Die Falschheit einer Gleichsetzung kann nicht logisch bewiesen werden. Davon ist nun aber eine andere Einsicht zu unterscheiden: "Wir wissen nicht was gut ist, aber wir wissen was gut ist" lautet die Antwort. Die Antwort auf die zweite Frage fallt differenzierter aus. Sie kann wahr oder falsch sein, Bestätigung oder Widerlegung einer Sache

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l. Teil: Rekonstruktion der erkenntnistheoretischen Position

beinhalten. Gute Dinge [good] sind, weil sie aus verschiedenen Aussagen zusammengesetzte Ganzheiten sind, analysierbar und definierbar. Wie erkennen wir, was gut [good] ist? Hierin sind wir nach Moore sicher und können es nicht verfehlen. Dabei grenzt er Intuition gegen empirische Behauptungsaussagen ab. Moore setzt zur Erläuterung die Begriffe gelb und gut [good] gleich (1970, 45 f.). Auch gelb ist ein einfacher, unanalysierbarer Begriff, der nicht aus einfachen Qualitäten zusammengefügt werden kann. Indern er dem Begriff gut [good] ein Zusammengesetztsein abspricht, wird dieser Begriff einer Analyse entzogen. Moore betont, daß er nur bei Vorliegen eines nichtdefinierbaren Begriffs auf Intuition zurückgreifen will. Keineswegs ist für ihn damit ein Wahrheitsanspruch oder gar ein Letztbegründungsverlangen verbunden, wie er vorn Intuitionismus vertreten wird (1970, Vorwort, 6). Moore versteht Intuition nicht als eine Gegeninstanz der Vernunft (1970, 206, 207). Die Intuition liefert bei Urteilen, die man für wahr hält, eine Begründung. Insofern ist Intuition nicht als Wahrheitsbeweis zu verstehen. Die Antwort auf die erste Frage stellt ein intuitives ethisches Urteil dar, das unbeweisbar und unwiderlegbar ist. "Die Evidenz eines Urteils für uns ist lediglich ein Grund dafür, daß wir es als wahr auffassen" (1970, 206). Damit wird auch hervorgehoben, daß es nicht empirisch widerlegbar ist. Deutlich wird in dieser Kurzbetrachtung, daß Moore keineswegs der Evidenztheorie der Wahrheit, die Evidenz oder Intuition als Referenz für Wahrheit versteht, zugeordnet werden kann. Bleibt abschließend zu diesen Ausführungen festzuhalten, daß der Versuch einer Definition von good nach Moore auf einen naturalistischen Fehlschluß hinausliefe. Im naturalistischen Fehlschluß werden seiner Meinung nach die natürliche, empirische WeIt und die nicht-natürliche, nicht-empirische Welt der Werteigenschaften zusammengeworfen. 15

15 Moores Beweisfilhrung gegen den sog. naturalistischen Fehlschluß ist ein Kampf gegen sich selbst. Wie v. Savigny ausfilhrt, hat Frankena die Gleichsetzung eines Schlusses von Sein auf Sollen mit dem naturalistischen Fehlschluß als einen Irrtum von Moore herausgearbeitet. Tatsächlich handele es sich um dessen Fehler, eine "inhahliche Feststellung in einer Sprache mit einer Feststellung über Bedeutungsgleichheit von Ausdrücken der Sprache zu verwechseln" (1970, 18). Zum Beispiel ist der Satz "Junggesellen sind fröhliche junge Mllnner" eine inhaltliche Behauptung, aber die Identifizierung von "Junggeselle" mit "fröhlicher junger Mann" falsch. Mit dem Vorwurf des "naturalistischen Fehlschlusses" will Moore die utilitaristische Position angreifen (vgl. hierzu auch Hörster, 1984).

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2.3. Das Prinzip der organischen Einheitlichkeit

Bereits im l. Kapitel erläutert Moore, warum das Prinzip der organischen Einheitlichkeit für ihn relevant ist. Die Bestimmung dessen, was gut [good] ist, hängt nicht von einer Sache selbst, sondern von der Sache und deren Beziehung zum Ganzen ab. Die Beantwortung der 3. Frage "Was sollen wir tun?" erfolgt im 5. Kapitel, Ethik in Beziehung zum Verhalten. Moore schreibt, die Pflicht eines jeden bestehe darin, unter alternativen Handlungen diejenige zu wählen, die das Gute [good] in der Welt, des Universums, wahrscheinlich vermehre (1970, 210 f.). Auch die 3. Frage ist beantwortbar, verlangt aber ein übergeordnetes Prinzip, das Prinzip der organischen Einheitlichkeit. Gute Dinge [good] sind, weil sie komplex sind, analysierbar und beschreibbar. "Aussagen über das Gute sind allesamt synthetisch und niemals analytisch" (1970, 78 f., 205). Der Begriff [good] hingegen ist eine einfacher, nicht auf weitere Entitäten reduzierbarer und unanalysierbarer Begriff. 16 Wichtig im Kontext der Bestimmung dessen was good ist, ist das von ihm konstatierte "Paradox des Prinzips der organischen Einheitlichkeit". Moore fUhrt dazu aus: "Das Paradox, das zu beachten ist, besteht darin, daß der Wert eines solchen Ganzen in keiner regelmäßigen Proportion zur Summe der Werte seiner Teile steht. (... ) Der Wert eines Ganzen darf nicht als Summe der Werte seiner Teile gleich angenommen werden" (1970, 61, 62, 255). Die Wertbestimmung eines Ganzen erfolgt nicht additiv über die Werte seiner Teile. Wissen wir nun, was der Begriff "organisch" bedeutet? Moore versucht zu präzisieren: "Ich werde ihn (den Terminus "organisch", EM) verwenden, um auszudrücken, daß ein Ganzes einen eigentlichen Wert hat, der sich in seinem Umfang von der Summe der Werte seiner Teile unterscheidet. Der Terminus impliziert keinerlei Kausalverhältnis zwischen den Teilen des betreffenden Ganzen. Er impliziert auch nicht, daß die Teile nur als Teile jenes Ganzen gedacht werden können oder daß sie, wenn sie Teile eines solchen Ganzen sind, einen Wert haben, der sich von dem unterscheidet, den sie hätten, wenn sie nicht Teile des Ganzen wären" (1970, 72). Moore will der hegelianischen Idee eines Ganzen eine materialisierte Konzeption entgegenstellen. In dieser erfahren die Teile ihre Wertzuschreibung nicht nur in Abhängigkeit vom Systemkontext, sondern separat. Sein Versuch der Herleitung eines organischen Zusammenhangs mit Verweis auf seinen Körper ist sicher nicht geeignet, die idealistische Philosophie in ihren 16 Vgl. Pieper, A (1994, 266-268)

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1. Teil: Rekonstruktion der erkenntnistheoretischen Position

Fundamenten zu erschüttern. Offen bleibt zudem, wie er das Verhältnis zwischen den Entitäten konzipieren will. 2.4. Zurückweisung des Egoismus

Im 3. Kapitel seines Buches kritisiert Moore die utilitaristische Maxime, die eine Übereinstimmung des eigenen Glücks mit dem Glück anderer apostrophiert. 17 Die prima facie befremdliche Feststellung fordert Moore zur Kritik heraus. Seine Beweisführung startet er mit der Feststellung, "der wichtigste Irrtum betrifft den Begriff mein eigenes Wohl [good] im Gegensatz zu dem Wohl anderer" (1970, 148). Paraphrasierend kann seine Überlegung zugespitzt werden in der Frage, ob der Besitz gut [goodloder ist das, was ich besitze, gut [goodl ist. Entscheidend ist nun für ihn, daß nur der Besitz privat sein kann, nicht das gutsein [goodl. Letztgenanntes beinhaltet immer eine absolute Dimension. Die Rede von "meinem eigenen gut" [goodl kann nur gut [goodl "im absoluten Sinne" bedeuten, wie also könnte es jemand besitzen? (1970, 152). "Mein" kann nur das sein, was gut [goodl ist und nicht das Faktum, daß es gut [goodl ist. Mit dieser Differenzierung zwischen dem Besitz eines Dings, das good ist und dem Attribut good, kritisiert er den utilitaristischen Egoismus, demzufolge es viele private goods gäbe und jeder Egoist sein eigenes good für das alleinige hielte. Der Begriff des individuellen good der Utilitaristen ist seiner Meinung nach inkonsistent. Seine Methode basiert nun auf einer - von Keynes heftig kritisierten - Annahme. Moore konstruiert eine unveränderliche und notwendige Beziehung zwischen allgemeinem Guten [general good] und dem persönlichem Gut [private good]. Gut [goodl existiert für sich genommen und ist für alle Individuen dasselbe, damit ist es für den Egoisten bindend (1970, ISO, 151). Die Behauptung, es gäbe mehrere private goods bedeutet demzufolge eine Negierung des absoluten oder allgemeinen good. Konkret läuft die utilitaristische These auf die Verneinung eines einzigen, absoluten good hinaus. Indem ich sage, ich verfolge mein good, gerate ich nach Moore in einen Widerspruch, da es nur ein absolutes good gibt und dies nicht meines sein kann (vgl., 1970, 239). Die Konsequenz aus der Verneinung der Privatheit von good ist die Sinnlosigkeit eines Strebens danach. Die Utilitaristen bezeichnen das Streben nach dem allgemeinen good als primäres Anliegen, womit sie einen Wider17 Um so unverständlicher erscheint mir Moores Argumentation, in der er letztlich an einer Gleichsetzung von allgemeinem gut rrutpersänlichem gut festhAlt und somit die Angriffe von Keynes aufsieh zieht (Zum Utilitarismus, vgl. die Einfiihrung von Höffe, 1992).

3. Die unveröffmtlichtm Manuskripte Val Ke)11es

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spruch formulieren, wenn sie behaupten, "für mich selbst" impliziere somit "auch für andere". Moores Kritik der utilitaristischen Moralprinzipien ist hier nicht weiter zu vertiefen, wenngleich es ihm nicht gelingt, diese überzeugend vorzubringen (vgl. insb. 1970, 157). Auch die Konsequenzen, die er aus seiner Kritik zieht, sind nicht ganz nachvollziehbar. Während die utilitaristische Argumentation auf eine Gleichsetzung vom (a) allgemeinen mit dem (b) persönlichen good hinausläuft, kehrt Moore diese um und behauptet einen Gleichsetzung von (b) und (a). Damit verbleibt Moore in der utilitaristischen Argumentationsweise. Die Ausführungen zur Position von Moore können nunmehr zusammengefaßt werden: Er verwendet Intuition als einen objektiven Terminus, der in seiner Anwendung auf good zur Folge hat, daß ein jeder weiß, was es bedeutet. Wir wissen intuitiv, was good ist, somit ist der Subjektbezug enthalten, dennoch erfährt dieser die Zuschreibung eines objektiven Sachverhalts. Den Aneignungsprozeß thematisiert Moore nicht. Indem Moore das Prädikat good auf unbeseelte Materie, das Universum, anwendet, kann er nicht zwischen universal good und personal good unterscheiden. Demzufolge kann er auch die Wirkungen dieser intuitiven Unmittelbarkeit des eigenen good für das Individuum nicht erfassen.

3. Die Kritik von Keynes an der Philosophie Moores in den unveröffentlichten Manuskripten In diesem Abschnitt sollen nun die Divergenzen und Konvergenzen zwischen Moore und Keynes herausgearbeitet werden. Dabei ist meine These, die Ethik von Moore diene Keynes dazu, seine erkenntnistheoretische Position zu entwickeln, weiter zu präzisieren. Keynes erörtert nicht die ethischen Postulate allein, sondern stellt in immer neuen Formulierungen und Wendungen die Frage, warum Moore zu dieser Auffassung kommt. Die Kriterien für eine Auswahl aus den unveröffentlichten Manuskripten sind die Thematisierung der Begriffe intuition, individual judgement, good, egoism, Principle 0/ Organic Unity (p.O.u.) und Wahrscheinlichkeit, da Keynes mit diesen seine Kritik an der Philosophie Moores fundiert. Die Vermutung, mit dieser Auswahl auch die Begründung einer bestimmten Auffassung vorzubereiten, liegt vielleicht nahe, ließe sich dennoch leicht durch Berücksichtigung weiterer unveröffentlichter Manuskripte aus den Jahren 1904-1910 zurückweisen. Eine Gesamtbetrachtung erlaubt meines

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1. Teil: Rekonstruktion der erkenntnistheoretischen Position

Erachtens ebensowenig die Rückftihrung der Philosophie von Keynes ausschließlich auf Moore oder Russell. 18 Die hier interessierenden Manuskripte werden zunächst mit Ausnahme von Science and Art, auf das ich vorab und zugleich abschließend eingehen möchte, mit einer headline tituliert, denen jeweils Argumente nachfolgen. Diese Strukturierung ist nicht von Keynes vorgegeben. Das Thema von Science and Art aus dem Jahre 1909 (5 Seiten) ist das Verhältnis von Wissenschaft und Kunst, dargestellt anband unterschiedlicher QualifIkationen und geforderten Fähigkeiten. Keynes pointiert hierin Gegensätze zwischen Wissenschaftlern und Künstlern. Er wiederholt seine in einer bereits zu einem früheren Zeitpunkt verfaßten Abhandlung in A Theory 01 Beauty (1906) Auffassung, die Aufgabe des Philosophen sei die Schärfung seines Wahrnehmungsvermögens und das Abschütteln der Wolke der Konventionen. Das Bild des Philosophen, das Keynes hier entwirft, weist diesem Transzendenz im Sinne einer Überschreitung des Gegebenen, der Gewohnheiten und die Schaffung neuer Zusammenhängen zu. Diese durchaus kreative Anforderung, fIndet ihr Spiegelbild in seiner Darstellung des Künstlers. Der Künstler habe als Liebhaber geistiger und körperlicher Schönheit zunächst in der Wahrnehmung und Kontemplation zu verharren, bevor er ihr Form und Ausdruck verleiht. Während der Philosoph den Zauberstab der Dialektik selbst reflektieren muß, ist für den Künstler die Zurückhaltung im sprachlichen Ausdruck charakteristisch, dafür aber entwickelt er seinen kreativen Part über die bildhafte Vergegenständlichung der betrachteten Objekte. Seine Ausführungen zur Metapher vom Zauberstab der Dialektik bleiben in diesem Essay ambivalent, obgleich sie als Kunst der Beweisführung oder Unterredung interpretiert werden können. Da er dem Philosophen das transzendente Moment zuschreibt, ist der Dialektik auch das Bewegungsmoment inhärent. In Science and Art werden Wissenschaftler und Künstler in einer auf den ersten Blick kaum nachvollziehbaren Polarisierung beschrieben. Um diese philosophieschichtlich besser verstehen zu können, wäre es notwendig, die kontroversen Diskussionen zwischen den Aposteln der Bloomsbury-Group

18 Vgl. u.a. Fitzgibbons (1988, 1991), der auf die platonischen Wurzeln der Philosophie von Keynes hinweist und sich dabei auf die Manuskripte aus den Jahren 1904-1910 stützt; vgl. die Untersuchungen von Carabelli (1988), Davis (1991 b, 1994), O'Donnell (1989).

3. Die unveröffentlichten ~anuskripte von Keynes

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aufzuarbeiten. 19 Darüber hinaus wäre näher auf die philosophischen Konzeptionen von A. Smith, ggf. A. Marshalls und D. Ricardos einzugehen, da diese ebenso auf diese Unterscheidung insistieren. 20 3.1. Wabrscbeinlichkeit impliziert Unwissen

Das Manuskript Ethics in Relation to Conduct (1904) trägt den Titel des 5. Kapitels von Moores Principia Ethica und umfaßt 20 handschriftliche Seiten. Hierin setzt sich Keynes mit Moores Auffassung des Wahrscheinlichkeitsbegriffs und der Urteilsfahigkeit von Individuen auseinander. Er kritisiert die aposteriori Konzeption der Wahrscheinlichkeit und die Funktion, die allgemeinen Regeln in der ethischen Theorie zukommen soll. Keynes wendet sich gegen Moores Definition eines richtigen Verhaltens, wonach diejenige Handlung zu wählen sei, die das Gute [good] des Ganzen [the whole] vermehre wobei dieses identisch mit dem Universum sei. Argument 1 Eine Wahrscheinlichkeitsaussage ist au/Evidenz bezogen.

Für Keynes resultieren näher zu spezifizierende Probleme aus dem Begriff der Wahrscheinlichkeit, den Moore verwendet. Er konstatiert: "It is constantly assumed that the correctness of such an assertion as 'this is probable so' can be confirmed or refuted by future events. In other words it is supposed that the statement of a probability makes a prophecy of certain truth concerning future events. According to this view x will probably happen means I do not know whether x will happen in any particular case, but, that x will happen more than not" (Ethics in Relation to Conduct, 1904,2). Die empirische Fundierung einer Wahrscheinlichkeitsaussage weist er ZUJÜck. An anderer Stelle präzisiert er sein Argument wie folgt: "A statement of probability always has reference to the available evidence and cannot be refuted or confirmed by subsequent events" (Ethics in Relation to Conduct, 1904, 9). Seine Ablehnung der prospektiven und retrospektiven Bestimmung von Wahrscheinlichkeit ist paradigmatisch insofern, als er damit die empirische Fundierung der Wahrscheinlichkeitstheorie durch die Britische Com-

19 Minis (1991) Untersuchung fllhrt hier auch nicht weiter als bereits existierende; vgl. Crabtree. D.fThirlwall. AP. (1980); Moggridge (1992). Dominierende Argumentationslinien innerhalb der Apostel hat Bonadei zusammengestellt, siehe dort (ibid, 1994, 21fE). 20 Einen systematischen Vergleich zwischen Smith und Ricardo versucht Kastorp (1993) vorzulegen.

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1. Teil: Rekonstruktion der erkenntnistheoretischen Position

. munity of Science kritisch in Frage stellt - ein methodisches Anliegen, das auch für die Grundlegung seiner Treatise on Probability signifikant ist. Ausführlich schildert er die Münzmufexperimente von Karl Pearsons, der eine längere Phase darauf verwandte festzustellen, wie häufig beim Münzmuf Kopf oder Zahl erscheinen. 21 Daß beim Münzwurf Kopf und Zahl je zur Hälfte auftreten, ist für Keynes eine logische Schlußfolgerung und nicht aus wiederholten Würfen ex post herleitbar, somit hält er es für nicht erforderlich, wie Pearson eine Münze 24.000 mal und mehr zu werfen. Mit zunehmenden Experimenten - n - oszilliert die relative Häufigkeit - n(A)/n - immer geringer um den Wert 0.5. Es zeigt sich, daß bei steigenden Würfen eine Gleichwahrscheinlichkeit von Kopf und Zahl auftritt, vorausgesetzt die Annahme der Stabilitätseigenschaft des Münzwurfes (Ethics in Relation to Conduct, 1904, 5-8). Indem Moore den Wahrscheinlichkeitsbegriff ausschließlich empirisch fundiert, produziert er aus der Sicht von Keynes einen zweifachen Irrtum. Erstens sind Erfahrungen für Keynes eine äußerst unsichere Instanz zur Ableitung von wahrscheinlichen künftigen Ereignisse. Zweitens benutzt Moore den Begriff Wahrscheinlichkeit im Sinne der relativen Häufigkeitstheorie und behauptet damit implizit die Möglichkeit einer numerischen Meßbarkeit. Beide Irrtumsmomente weist Keynes als unhaltbar zurück. Die Begründungen en detail werden im folgenden transparent.

Argument 2 Verknüpfung der Bedeutungsgewichtung eines Ereignisses durch das Individuum mit dem Terminus Wahrscheinlichkeit. Obgleich Keynes einräumt, "any adequate definition of probability I have never seen, and I am unable to give one" (Ethics in Relation to conduct, 1904, 2), kritisiert er Auffassungen, die die Frage der Wahrscheinlichkeit lediglich auf eine Frage des Auftretens der Alternativen Kopf oder Zahl reduzieren. In dieser Betrachtung wird Wahrscheinlichkeit in den Kontext der bivalenten Logikauffassung gestellt, eine für Keynes unzureichende Sichtweise, die ihn zu weiteren Auführungen motiviert, denn die Erörterung dessen, was unter Wahrscheinlichkeit zu verstehen ist, muß seiner Auffassung nach über diesen Kontext hinaus erfolgen. "It has not always been recognised that such 21 Keynes wendet sich nicht grundsätzlich gegen die quantitativen Methoden, wie zum Beispiel die Ermittlung der absoluten Häufigkeit oder relativen Häufigkeit. Die absolute Häufigkeit summiert die Anzahl der beobachteten Fälle, in denen A eingetreten ist - n (A) -; die relative Häufigkeit bezieht hingegen, die absolute Häufigkeit - n(A) - des Auftretens eines Ereignisses A, auf die Anzahl der Realisierungen (n) eines Experimentes, also - n(A)/n -. Vgl. hierzu unter 1.5.

3. Die unveröffentlichten Manuskripte von Keynes

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questions are not typical of all questions on probability, and that in fact only a very limited class of questions are capable of numerical treatment" (Ethics in Relation to Conduct, 1904, 5). Mit diesem grundsätzlichen Einwand gegenüber einer Synonymität von Wahrscheinlichkeit und Meßbarkeit markiert Keynes seine Kontraposition, die Auswirkungen auch auf seine ökonomische Theoriebildung hat. Die nun folgende Passage verdeutlicht den Perspektivenwechsel, den Keynes vornimmt. "By the statement A is more probably than B (this type can include the case where B is not A)22 I mean something of this nature I have more evidence in favour of A than in favour ofB; I am making some statement concerning the hearing ofthe evidence at my disposal; I am not stating that in the long run A will happen more often than B for certain" (Ethics in Relation to Conduct, 1904,4, Herv. EM). Mit meinen Hervorhebungen möchte ich die Blickrichtung unterstreichen, die Keynes innehat. Das Individuum urteilt auf der Basis von Evidenz. Evidenz ist nicht identisch mit Beweise haben, somit nicht empirisch fundiert, sondern es ist ein Begriff, der mit intuition assoziiert ist. 23 Die Betonung in diesem Argument liegt auf der individuellen Bedeutungsgewichtung für ein Ereignis. "My point is this that the evidence need not always be of this nature and that in any case to base a statement of probability on past frequency is not the same thing as to make a certainly true statement with regard to further frequency" (Ethics in Relation to Conduct, 1904, 10). Ich möchte zunächst den Terminus Evidenz näher betrachten und dann zu weiteren TextsteIlen aus den unveröffentlichten Manuskripten zurückkehren. Im Rahmen einer sprachanalytischen Lesart wäre eine Analogisierung von "the bearing of the evidence at my disposal" mit Gewißheit oder intuitivem Akzeptieren durchaus möglich. Evidenz ist so gesehen als eine Aufforderung, einen Sachverhalt zu akzeptieren als ihn zu verwerfen, zu verstehen. 24 Die Unterscheidung, die Keynes in dem O.g. Zitat trifft, ist epistemologisch nicht unwichtig. Er verdeutlicht damit einerseits die Möglichkeit der induktiven Rechtfertigung infolge des Auftretens von Wahrscheinlichkeitsrelatio-

22 Zu dem Satzteil in der Klammer ist folgendes anzumerken: Hierin wird die in der Logik bekannte Überlegung des Satzes vom ausgeschlossenen Dritten formuliert. Dieses logische Axiom besagt, einem Subjekt x kommt das Prädikat a entweder zu oder nicht - a v _ - ; eine dritte Möglichkeit ist ausgeschlossen. Grundlage des S.v.a.D. ist das Bivalenzprinzip. Demnach ist die Aussage entweder wahr oder falsch. Diese bivalente Logikauffassung geht auf AristoteIes zurück und von Keynes nicht konsequent geteilt wird. 23 Im Lateinischen bedeutet Evidenz das "Herausscheinen", der "Augenschein", die unmittelbare sirmliche Anschauung oder geistige Einsicht. Im Englischen wäre das mit "the mind's eye" zu übersetzen und zeigt die begriflliche Nähe zur Intuition. 24 Vgl. Chisholm, R. (1979, 68 f.) 3 Muchlinski

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1. Teil: Rekonstruktion der erkenntnistheoretischen Position

nen. Von diesen grenzt er andererseits logische Beurteilungen oder Evidenzen, die nicht empirisch begründet sind, nennen wir sie logische Wahrscheinlichkeit, ab. Mit anderen Worten, Keynes stellt den aposteriori oder kontingenten Urteilen die apriori oder notwendigen Urteile gegenüber. An dieser Stelle sollte nochmals betont werden, daß mit diesem Evidenzbegriff nicht - wie in der Evidenztheorie der Wahrheit - die Wahrheit oder Falschheit von Aussagen oder Propositionen behauptet wird. 25 Die Bezugnahme auf das individuelle Urteil, der available evidence, die nicht empirisch ist, beansprucht zunächst nur die Abkehr von allgemeinen Regeln, wie sie Moore verlangt, zu verdeutlichen. Insofern ist Keynes konsequenter als Moore. Keynes bemüht sich vorrangig darum, die eigene Position zu präzisieren und die Widerspruche im Denken von Moore zu analysieren. Er grenzt sich damit von einer zur damaligen Zeit in Großbritannien weit verbreiteten Auffassung ab, der zufolge Wahrscheinlichkeitsbeziehungen unabhängig, von dem jeweiligen Beurteilungsakt durch das Individuum abgekoppelt, verstanden werden.

Argument 3 Keynes Einwand gegen Moores allgemeine Regeln des Verhaltens. Die im ersten Teil unter 2. herausgearbeiteten allgemeinen Regeln, die das (ethische) Handeln des Individuum im Denken von Moore leiten, werden von Keynes attackiert. Seine Zurückweisung von potentiell deskriptiven, normativen oder gar universell gültigen rules to conduct ist durchaus im epistemologischen Kontext zu beurteilen, auch wenn Moore diese allgemein gültigen Regeln auf das ethische Handeln bezieht. Moores Anspruch, eine ethische Theorie des Verhaltens vorlegen zu wollen, muß sich durch den Rekurs auf individuelle Beurteilungsakte einlösen lassen können, so lautet zusammengefaßt die Forderung von Keynes. Die Referenz einer Beurteilung ist der besondere Fall, nicht jedoch allgemeine Regeln. Keynes argumentiert: "To begin with I am doubtful whatever it is every possible to show that a rule of action is generally right in the sense that it is certain that it will produce a maximum of total good in the majority of cases. All we can say is that a rule of action is in general probably right, and this is, as I have tried to show, an entirely different statement. But it is clear that, in any particular case, we have far more evidence by which to form OUf judge-

25 Franz Brentano gilt als Vertreter der Evidenztheorie der Wahrheit. Zur Systematisierung verschiedener Wahrheitstheorien, vgl. KUnne, W. (1994,116-171).

3. Die unveröffentlichten Manuskripte von Keynes

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ment than in the general case, and hence the possibilities in the general and in the special case rnay be different" (Ethics in Relation to Conduct, 1904, 19). Moore skizziert konträr zu seinem eigenen Forschungsprogramm ein ohnmächtiges Individuum, das die allgemeinen Regeln hinzunehmen habe. Genauer betrachtet, fehlt das Individuum in seiner ethischen Theorie. Wahrscheinlichkeitsaussagen sind fiir Keynes jedoch besondere Beurteilungsakte des Individuums. Diese epistemologische, nicht ethische Relevanz seiner Kritik, wird im weiteren noch zu präzisieren sein. Wichtig an dem oben vorgestellten Zitat ist die Differenzierung in special case und general case, womit Keynes gegenüber Moore abgrenzbar ist, da er jede konstatierte Übereinstimmung beider Aspekte ablehnt. Der erneute Hinweis auf den besonderen Beurteilungsakt oder der kognitiven Kompetenz eines Individuums von Keynes zeigt zudem, daß allgemeine Regeln des Verhaltens, nicht abstrakt zu rechtfertigen sind, schon gar nicht mit Verweis auf eine empirische Basis. Ob die Einhaltung der vorgeschlagenen Regeln wahrscheinlich zu dem gewünschten Ergebnis fUhren wird, ist eine empirische Hypothese und steht damit im Gegensatz zu den general rules 0/ conduct. Keynes' Kritik an einem derartigen faktisch-normativen Regelsystem des Verhaltens, impliziert über die hinterfragte Wirksamkeit hinaus das intendierte Ziel des ethischen Handeins. Argument 4 Wahrscheinlichkeit impliziert Nichtwissen.

Kehren wir zur Kontroverse über den Wahrscheinlichkeitsbegriff zurück. In Ethics in Relation to Conduct steht dieser im Zentrum der Kritik von Keynes, was nicht bedeutet, daß Ethik ohne Belang fiir ihn ist, nur soll das nicht hier untersucht werden. 26 Die gar nicht triviale Feststellung, Wahrscheinlichkeit impliziert Unwissen, richtet sich gegen den Versuch einer empirischen Fundierung der Wahrscheinlichkeit. Keynes Argument lautet: "But at any given moments we must form our judgement of probable rightness upon what evidence we have. Ignorance can be no bar the making of a statement with regard to probability . Probability implice ignorance; it is because we do not know for certain that we use the word at all, and the fact, that is possible (... ) that every action producing a balance of good in the immediate future may produce a vast balance of evil on the whole is no bar to our assertion until we have further evidence that 26 Vgl. hierzu Priddat, P.lScherf, H. (1984).

3*

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1. Teil: Rekonstruktion der erkenntnistheoretischen Position

such an action is probably right" (Ethics in Relation to Conduct, 1904, 12, 13).27

Er fährt fort: "If, in fact, we are in complete ignorance as to all events subsequent to the end of the year - in that case, we have, in my opinion more evidence to support the view that x is right than to support the contrary and hence we are justified in saying x is probably right. Of course, if Moore can prove his proposition the likelihood is increased, we are more certain that x is right than we were before; he has added to our available evidence. But I claim that even if he is unable to prove it, even if there is no evidence to show that good, subsequent to the period we can foresee, is more likely than evil, or that for distant great goods and evils are but slightly affectedly by any simple present act we are still justified in saying x is probably right (Ethics in Relation to Conduct, 1904,15). Deutlich wird die Abkehr von einer empirischen Fundierung der Wahrscheinlichkeitsauffassung hin zu einer apriori - Konstruktion. Zusammenfassend bleibt zu diesem Essay festzuhalten, daß die Intuition nicht explizit herausgearbeitet wird. Insofern Keynes aber auf the bearing 0/ the evidence at (one) disposal bei der Abgrenzung zur Wahrscheinlichkeitsauffassung von Moore beharrt, erlangt die Intuition als ein individueller Beurteilungsakt an Bedeutung. Es ist in diesem Manuskript Ethics in Relation to Conduct deutlich von Keynes worden, daß die Evidenz, als auch der individuelle "act of judgement" die Basis der Beurteilung ist und die Argumentation von Keynes bestimmt. Es ist eben gerade diese erkenntnistheoretische Pointierung seines Vorgehens gegen Moore der Grund dafür, Keynes philosophisch in die Nähe von Kant zu rücken. Dieses methodische Vorgehen ist attraktiv, da Evidenz nicht mit empirischen Beweisen für die Wahrheit oder Falschheit eines Ereignisses oder einer Aussage verknüpft ist. Der in Ansätzen deutlich gewordene Wahrscheinlichkeitsbegriff in Ethics in Relation to Conduct, beschäftigt Keynes noch im 26. Kapitel der Treatise (s.dort The Application 0/ Probabilily to conduct). Notwendig ist nun, diese Auffassung von Wahrscheinlichkeit genauer zu untersuchen.

27 Orthographische Fehler werden von mir nicht konigiert, da sie letztlich die Authentizität des papers beinträchtigen. Das gilt auch fllr die Ausfiihrungen aus der Treatise on Prability, in der Keynes judgment in der Regel ohne e (judgement) schreibt.

3. Die unveröffentlichten Manuskripte von Keynes

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3.2. Intuition und individual judgemenJ.

Das Manuskript Miscellanea Ethica (1905) umfaßt 25 Seiten. Darin kritisiert Keynes den Begriff der Intuition bei Moore und entwickelt seine eigene Auffassung des Begriffs Intuition. Er kritisiert die Anwendung des Begriffs good auf das Universum und entwickelt darüber hinaus eine Differenzierung infltund good.

Argument 1 Moores These einer Undejinierbarkeit des Begriffs good wird von Keynes akzeptiert. Den Auftakt zu Miscellanea Ethica (1905) bildet ein Zugeständnis an die Position von Moore, wonach jeder Versuch einer Definition von good auf eine Tautologie hinausliefe. Keynes konstatiert: "Good is not identical with any one thing except itself; but that does not prove that it may not be a complex notion. To prove that good is simple and indefiniable, is not sufficient to point out the naturalistic fallacy" (1905, 1). Er geht mit diesem Argument aber eindeutig über Moore hinaus, wenn er auf die Unzulänglichkeit hinweist, von der Typiisierung simple und indeflniable bereits auf den naturalistischen Fehlschluß schließen zu wollen. Die Beschreibung von good als einem einfachen, nicht natürlichen und damit irreduziblen Terminus, der keiner weiteren Analyse unterworfen werden kann, ist vor dem philosophiegeschichtlichen Hintergrund nicht überraschend. Ich habe bereits erwähnt, daß die Übereinstimmung, wie sie die obige Aussage von Keynes zum Ausdruck bringt, einigen Autoren in der gegenwärtigen Rezeption und Interpretation der Manuskripten dazu dient, Keynes' philosophische Wurzeln in Moore zu erblicken. Ungeachtet dieser offensichtlichen Kongruenz, ist aber die in der gegenwärtigen Debatte dominierende Auffassung, Keynes habe deswegen den Begriff Wahrscheinlichkeit nicht definiert, fragwürdig. Selbst die methodische Vorgehensweise eines Analogieschlusses von dieser Nichtdefinition good auf die Nichtdefinition von Wahrscheinlichkeit scheitert, weil Keynes in der Treatise on Probability sehr wohl Definitionspotentiale liefert. Interessant ist an dieser Passage des weiteren, daß Keynes den von Moore produzierten naturalistischen Fehlschluß nicht übernimmt. Damit hinterfragt er dessen konstatierte Gleichsetzung der Beschreibung als einem einfachen Terminus und die Bewertung derselben als good. Mit dem Werturteil good ist ein präskriptives Urteil verbunden, das ohne Zweifel eine Handlungsaufforderung enthält, der Keynes nicht folgt. Er hält sich nicht lange mit der

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I. Teil: Rekonstruktion der erkenntnistheoretischen Position

tautologischen Undefinierbarkeitsthese auf, da seine Intention in diesem Essay auf eine Neubestimmung von good und damit auf eine Abgrenzung gegenüber Moore gerichtet ist.

Argument 2 Good versus fit In Abgrenzung zu Moore, entwickelt Keynes in Miscellanea Ethica (1905, 4, 5) eine Unterscheidung in good und fit, sowie infitness und goodness der Objekte moralischer Intuition. Ich möchte insbesondere auf die Differenzierung von good undfit eingehen. Mit dieser will er der aus seiner Sicht problematischen Verwendung des Begriffs good durch Moore entgegenarbeiten. Für Keynes ist der Begriff good allein Bewußtseinszuständen resp. Individuen vorbehalten. Das Objekt, das eine Empfindung hervorruft, istfit, die Empfindung selbst good. Da dem Universum vermutlich keine Empfindungen wie Menschen zugeschrieben werden kann, ist das Prädikat good auf es nicht anwendbar. Objekte oder Gegenstände sind fit, aber im Sinne dieser intendierten Distinktion nicht good. Keynes thematisiert ansatzweise eine konzeptionelle Verknüpfung zwischen fit und good, die mit Kants Verweisungszusammenhang von Anschauung und Begriff in der Kritik der reinen Vernunft assoziiert werden kann. Fit objects stehen für Objekte der Außenwelt, die Mannigfaltigkeit der Anschauung, wie Kant schreibt. Gegenstände der Außenwelt affizieren das Subjekt. Dieses Affiziertwerden ist der Ausgangspunkt der Erkenntnis des Subjekts, insofern ist die Empfindung, die fit objects auslösen, good. Keynes formuiert hiermit eine Unterscheidung, die er später, in A Treatise on Probability unter direct knowledge und indirect knowledge diskutiert. Der Prozeß des Affiziertwerdens durch Gegenstände ist konstitutiv an das Vorhandensein einer Außenwelt und an ein erkennendes Subjekt gebunden, das a priori die Mannigfaltigkeit der Wahrnehmung strukturiert - eine Auffassung, die Kant deutlich von den Empiri~en unterscheidet und in die Nähe des Rationalismus rückt. Die Anschauung (Intuition) hingegen ist Voraussetzung von Erkenntnis, eine Position, die er mit dem Empirismus teilt. Ich behaupte nun, daß Keynes mit seiner Differenzierung in fit und good eine analoge Skizzierung des Erkenntnisprozesses vornimmt. Die Intention dieser Unterscheidung ist es,fit objects als potentiell wahrnehmbare Dinge zu verstehen, wobei es hier wiederum nicht darum geht, mit dieser Wahrnehmung zugleich die Eigenschaften des Dings benennen zu können. Dem entsprechend ist ein unfit object ein metaphysisches Ding oder Unding, wie

3. Die unveröffentlichten Manuskripte von Keynes

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Kant es bezeichnet, das nicht die Sinne affizieren, somit keine Empfindung auslösen kann. Eine nachfolgende Übersicht mag dieser Differenzierung etwas mehr Klarheit verleihen:

Objekt

Empfindung

fit

good

unfit

bad

Mit der Unterscheidung in fit und good gewinnt Keynes Kriterien für den Prozeß der Erkenntnis. Eine Verwechslung vonfit und good hätte zur Folge, denselben Fehler wie Moore zu begehen, und der unbelebten Natur oder dem Universum Bewußtsein zuzuschreiben Darin zeigt sich Moores idealistische respektive metaphysische Verbundenheit. In diesem Kontext kann Keynes deutlich von der metaphysischen Position von Leibniz abgegrenzt werden, für den zum Beispiel der Tisch eine "Kolonie von Seelen" ist. 28 Insofern das Universum als Ganzes betrachtet weder bewußt, noch eines Bewußtseins fähig ist, kann es auch nicht good sein. Es kann, so wäre Keynes zu ergänzen, auch kein fit object sein. Er schreibt: "The predicate of good is solely applicable to the mental states of conscious beings. Now the Universe regarded as a whole is not conscious being, nor is it capable of mental states. As an organie unity, therefore, it cannot be good, and regarded as an aggregate of conscious being its goodness must be precisely equal to the sum of the goodness of the persons composing iso Grant the premise, which I arn leaving alone for the present, and you grant, all" (Miscellanea Ethica, 1905, 21). Keynes' metaethische Reflexionen führen zu erkenntnistheoretischen Überlegungen, wie auch mit dem nachfolgenden Argument verdeutlicht werden kann.

28 Keynes steht damit in Opposition zu idealistischen (metaphysischen) Vorstellungen. Das Primat der Ideen konunt darin zum Ausdruck, daß nur der Gedanke - z.B. Tisch - im Bewußtsein sein muß, um seine Existenz begründen zu können. Die Existenz eines Tisches o.a. hänge von irgendeinem Bewußtsein ab. Das Sein hänge damit von der Idee, der Vorstellung ab. Berkeley radikalisiert diese Ansicht, indem er behauptet, daß, während das menschliche Bewußtsein ausruht, das Bewußtsein Gottes die Existenz wahrnimmt, womit eine Kontinuität des Tisches gewährleistet sei. (vgl. Hoerster, 1984, 21 ff.).

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l. Teil: Rekonstruktion der erkenntnistheoretischen Position

Argument 3 Wider die metaphysischen Spekulationen.

Moores Postulat, der einzig rationale Grund des HandeIns bestehe darin, ein größtmögliches good des Universums zu erzielen, begegnet Keynes mit dem folgendem Argument: "But as we never have the opportunity of direct inspection, it is impossible to tell what kinds of action increase the goodness of the universe as a whole. We appear to be reduced to a moral impotence from which nothing can save us short of a Revelation whose mandates we must be prepared to pursue regardless of their apparently deterrninant effect on those parts which we can inspect. (... ) AIthough there is no direct relation between goodness of parts of the universe and the whole, it supposes nevertheless that an improvement of a part gives rational probability of an improvement of the whole. The proof or disproof of such aproportion would require an investigation of what in such a case as this the precise meaning of probability would be" (Miscellanea Ethica, 1905,20). Es sind zwei zentrale Vorwürfe, die Keynes an Moore adressiert. Zum einen ist es die fehlende, obgleich intendierte Distanzierung gegenüber der Metaphysik, zum anderen ist es die in der Subjektlosigkeit seiner Theorie zum Ausdruck kommende, appellative Haltung gegenüber dem Universum oder sogenannten Gesetzen des Univesums. Argument 4 Approximate Uniformity 0/ Human Organs

Erkenntnis setzt ein erkennendes Subjekt voraus, über das bestimmte Annahmen getroffen werden können. Keynes räumt ein, daß bei der Erörterung des Erkenntnisprozesses von einer sehr unterschiedlichen Natur und besonderen Geschichte der Individuen auszugehen wäre. Er abstrahiert dann von einer solchen Differenzierung, um seine Prämisse zu formulieren. "Assuming the approximate uniformity of human organs, we can ( ... ) say what, apart from peculiar circumstances, a man ought to think and feel: - not indeed what he can think and feel - that will always depend upon his nature and his past" (Miscellanea Ethica, 1905,25). Mit dieser Annahme thematisiert Keynes nicht die spezifische, individuelle Empfindung, die durch die Wahrnehmung eines Gegenstandes ausgelöst wird, sondern daß, was man berechtigterweise über menschliche Empfindungen sagen kann. Auch aus einer metaphysischen Perspektive, wäre diese Argumentation, so Keynes, wohl nicht akzeptabel, da subjektive und relative Elemente

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involviert sind. "But I trust it will not conflict with its sole basis - the testimony ofintuition and experience" (Miscellanea Ethica, 1905,25). Vor dem Hintergrund der vorgetragenen Passagen aus dem unveröffentlichten Manuskript kann Keynes' Vorgehen ohne weiteres als Problematisierung der erkenntnistheoretischen Zusammenhänge interpretiert werden. 29 Abschließend kann Miscellanea Ethica dahingend zusammengefaßt werden, daß Keynes den Begriff intuition benötigt, um sich aus der Mooresehen Sicht einer arithmetischen Herleitung eines Gesamturteils aus einzelnen Urteilen und der utilitaristischen Philosophie herauszulösen. Damit versucht er zugleich einen Weg aus der Komplikation finden, die mit der Annahme Moores, die Verbesserung eines Teiles sei eine rationale Wahrscheinlichkeit für die Verbesserung des Ganzen, entstanden ist. Mit der Differenzierung in good und fit, präzisiert Keynes seine erkenntnistheoretische Sichtweise. Obgleich nicht explizit Thema, wird seine Auffassung zur Wahrscheinlichkeit in Miscellanea Ethica dennoch gegenüber Ethics in Relation to Conduct insofern erweitert, als er nun den Teminus Intuition thematisiert und damit die subjektive Dimension der Wahrscheinlichkeit skizziert. Wichtig ist zudem, daß für Keynes ex ante die Potentialität eines Irrtums in jeder Schlußfolgerung inbegriffen ist. Das grenzt ihn erneut von Moore ab, der aus der Sicht von Keynes auf fehlende Wissensbasis hinzuweisen glaubt. Moore zeige aber nur, daß es keine Gewißheit gibt. 3.3. Neukonzeption des Pr;nc;ple o/Organ;c Unity

Das Manuskript On the Principle ofOrganic Unity (1910) enthält weitere Spezifizierungen zum Thema good und dem Prinzip der organischen Einheitlichkeit, das bereits in Miscellanea Ethica das Thema bildet und es somit ergänzt.

Argument 1 Keynes negiert die universelle Anwendbarkeit des Principle ofOrganic Unity. Keynes hebt die Begrenztheit des Principle of Organic Unity (p.O.U.) hervor und negiert damit den von Moore konstatierten universellen Anspruch. Moores Argument war zum einen, das Universum als Ganzes konstituiere eine organische Einheit, zum anderen, es sei die Pflicht eines jeden, das Gute des 29 Shionoya, Y. nennt es die konsequente Anwendung seiner metaethischen Intuition (1991, 21), eine filr mich nicht nachvollziehbare Interpretation, da Keynes keine Metaethik apostrophiert, sondern eine erkenntnistheoretische Grundlegung.

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Universums zu fördern. Für Keynes ist sowohl die erste Überlegung. als auch die Schlußfolgerung unakzeptabel, da sie die moralische Pflicht selbst unsinnig werden läßt. Moores Fehlkonzeption des Principle of Organic Unity weist er mit folgenden Worten zurück: "In ethical calculation each individual momentary state of mind is our sole unit. In so far, as a .state of mind has part to this extent I admit the principle of organic unities: It is the excellence of the state as a whole with which we are concerned. But beyond each individual mind the Organic Principle cannot reach" (Miscellanea Ethica, 1905, 22, vgl A TheoryofBeauty 1906,19). Es ist widersprüchlich, die Moral zuerst als etwas universell Existierendes vorauszusetzen und dann im zweiten Schritt durch das individuelle Handeln realisieren zu wollen. Das Aufzeigen der Grenzen moralischer Einheiten und damit der Rekurs auf each individual mind ist darüber hinaus eine Kritik an der impliziten hegelianischen Denkweise von Moore. Es fallt ihm schwer, eine klare Trennungslinie zwischen dem Subjekt und dem Universum zu markieren und ist deshalb nicht in der Lage, das Prinzip der organischen Einheitlichkeit anders denn als bloßes additives Ganzes zu präsentieren, das keineswegs organische Dimensionen aufweist. Keynes weist damit auf eine wichtige Konsequenz hin: Die Aktivität des Individuums kann nur in Begriffen eines individuellen Bewußtseins als Ganzes erklärt werden, da es eine organische Einheit an und für sich konstituiert. Damit kann Keynes in seiner Neukonzeption des P.O.u.'s verdeutlichen, daß eine organische Verbindung zwischen den individuellen Bewußtheiten keine bloße additive Verknüpfung ist, wie sie sich Moore zum Beispiel vorstellt. Der Unterschied zwischen dem P.O.U. von Moore und dem Prinzip intersubjektiver Beziehungen, der Neukonzeption des P.O.U. durch Keynes, besteht im wesentlichen darin, ein Ganzes zu schaffen, nicht aber dieses bereits vorauszusetzen. Keynes gelingt es damit, zum einen die Autonomie des Individuums zu thematisieren und zum anderen, eine Konzeption für eine Problematisierung der Beziehungen zwischen Individuen bereitzustellen, die, vermöge der persönlichen Integrität ihrer Erfahrung, grundverschieden sind. 3o Bezogen auf seine ökonomische Theorie kann bereits an dieser Stelle konstatiert werden, daß die Keynes'schen Individuen keine Nachvollziehenden des ökonomischen Mechanismus, keine Marionetten des ökonomischen 30 Es sei noclunals hervorgehoben, daß dies kein Widerspruch zu der Armalune der "approximately uniformity of human organs" ist, die den kognitiven Prozeß betrifft, während hier die Erfahrungsdimension betont wird.

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Systems sind, sondern durch ihr Handeln den Markt und die ökonomischen Zusammenhänge erst hervorbringen, die ihrerseits in einer Wechselwirkung zum Individuum stehen. Ebenso sei vorab hervorgehoben, daß diese autonomen Individuen keine Konstruktionen im Sinne der liberalen Ökonomie sind, wonach individuelle Zielimplementierung und das Handeln aus Eigennutz, der Slogan lautet hier sacro egoismo, auf der gesamtwirtschaftlichen Ebene zu Wohlstandsmaximierung führe. Es gibt für Keynes auch auf der ökonomischen Ebene keinen derartigen additiven ökonomischen Zusammenhang, wofür einige ökonomischen Schriften herangezogen werden könnten, exemplarisch sei auf Economic Possibilities For Dur Grandchildren (C.W., IX, 1931, 321-332) verwiesen. Da die Anwendung des P.O.U. auf den individuellen Bewußtseinszustand nur Verwirrung stiftet, plädiert Keynes für dessen Verbannung aus der ethischen Theorie (Miscellanea Ethica, 1905, 23). Nicht das Universum, sondern Individuen setzen Grenzen. Abschließend ist festzuhalten, daß Keynes' recht unklare Abhandlung in diesem Punkt in einem auffallenden Mißverhältnis zu seinem Bekenntnis in My Early Belieft (1938) steht. Dort weist er euphorisch darauf hin, daß er immer ein Advokat des P.O.U. gewesen sei. Die Ausführungen in den hier vorgestellten Manuskripten verdeutlichen die Suspendierung des Universums als Maxime individuellen Urteilens und Handeins. Die umgekehrt favorisierte Betrachtung inthronisiert das Individuum im Prozeß des Urteilens und Handeins und benennt damit den Akteur, den Moore, da er im Universalismus gefangen bleibt, nicht vorzeigen kann. 3.4. Verteidigung des Egoismus und Absage an den Utilitarismus

In dem nun vorzustellenden Essay Egoism (1906), das 12 Seiten umfaßt, spürt Keynes dem Konflikt zwischen Egoismus und Universalismus nach und fonnuliert mit dieser Differenzierung zugleich eine Kritik an der Egoismuskonzeption von Moore. 31 Präziser fonnuliert, entlarvt er Moore als Utilitaristen. Dieses Manuskript weist anders als die zuvor diskutierten, einen eindeutigen ethischen Bezug auf. Die Frage drängt sich auf, warum dieses Papier im Kontext meiner Abhandlung erörtert werden soll. Wie ich eingangs ausführte, ist der zeitgeschichtliche Entstehungshintergrund dieser Essays überwiegend mooristic insofern, als selbiger mit seinen Thesen zur Ethik eine Angriffsfläche für 3I Mit Universalismus wird eine philosophische Richtung (vgl. etwa Platon, Hegel) benannt, die das Universum als eine Ganzheit betrachtet und zugleich als Maßstab zur Beurteilung des Individuums, welches abgeleitet aus diesem Ganzen gedacht wird.

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Diskurse bot und seine Vorlesungen an der Universität in Cambridge als Kampfansage an die idealistischen Philosophie nicht minder geeignet für Kontroversen waren. Mit anderen Worten, Keynes arbeitet sich an der Opposition zum Viktorianischen System, die durchaus von Moore verkörpert wird, ab und adaptiert dennoch nicht seine Position. ,Zur Begründung meiner These, Keynes habe in der Distanzierung von Moore seine erkenntnistheoretische Position entwickelt, ist die nähere Untersuchung der Kernaussagen dieses Manuskriptes notwendig. Argument J Zurackweisung der konstatierten Übereinstimmung von universal good und personal good

Moore geht von einer Gleichsetzung des universal good und personal good aus, womit verkünt gesprochen, der Unterschied zwischen dem Universum und dem Individuum negiert wird. Diese Vorgehensweise, die Keynes nicht nur zurückweist, sondern die ihn zugleich zu neuen philosophischen Einsichten und einer fundierteren Erwiderung der idealistischen Philosophie fuhrt, sei im folgenden dokumentiert. "The thing is a petitio principie. That connexion between ought and general good is precisely what the egoist denies. (... ) This omission runs through his whole system, and he would no doubt reply that he omits the proof because there is no proof, because the connexion is self-evident, because general good causes ought with it. This may be so, but I think it needs a little explanation, for, as I shall figure out, it has been almost universally derived by earlier moral philosophers" (Egoism, 1906, 1,2). Er fragt, ist es unmittelbar einleuchtend fiir das Individuum, die Verfolgung eines allgemeinen good allein durch es selbst zu rechtfertigen? Welche Motive sollte das Individuum haben? Keynes' explizite Zurückweisung der von Moore behaupteten Kongruenz eines universal good mit personal good erfährt in dem nun folgenden Zitat einen argumentativen Höhepunkt: "For those, who have no faith in the matter of utilitarism or in the sanctions of religions and who agree with the general principle of Moore, this is, in my opinion, the pointed crux; - and Moore has showed it over. It is the real quarrel between the egoist and the universalist; and Moore has not settled it, by, his rather logic dropping argument. Are we not each of us, an end to ourselves? Suppose the decree has gone forth: It is good as a means that you should be bad in yourself: Am I submit? Am I to choose to be bad in myself in order that some devils whom I neither know nor can for should wallow in heaven? Am I to go to hell that some stranger may sit at the right hand of god?" (Egoism, 1906,3,4).

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4S

Keynes verweigert die Unterordnung gegenüber einem Universum oder allgemeinen Zielen, weil er anders als Moore in der Lage ist, die Subjektbezogenheit zu thematisieren. Die Betonung der Individualität, die nicht im Universellen negiert wird, kennzeichnet die grundlegenden Unterschiede zwischen Moore und Keynes. Es ist über den real quarrel zwischen dem Egoisten und Universalisten hinaus ein Problem für Keynes, utilitaristische, religiöse oder gar Moores Prinzipien der Autbebung fundamentaler Interessengegensätze zwischen Individuen und dem Universum anzuerkennen. Argument 2 Kritik an der Dominanz von universal good. Die Konsequenz aus einer Analogisierung von private good und universal good besteht für Moore offenbar darin, eine Präferierung des universal good unreflektiert zu verlangen. Keynes pointiert seine Kritik an dieser Betrachtungsweise wie folgt: "Despite Moore's claim to have refuted egoism, my good stand off more clearly differentiated from your good than ever before. (... ) In fact if he presses his Principle of Organic Unity in its extremest form the good of the Universe has not even a necessary connexion with individual goodness. My goodness and your goodness no longer consist in obedience to a common law; my goodness demands that my states of mind should be as good as possible, and yours depend upon your states of mind; and there is nothing whatever to prevent these two competing" (Egoism, 1906, 9). Das Verfolgen des privaten good soll zugunsten des universal good zurückgestellt werden. Insofern Moore das good des Universums als das dominierende Prinzip ansieht, muß Keynes ihm seine Zustimmung verweigern, die sich in seinem Protest manifestiert, "we may be strong enough to sacrifice our own pleasure, but never strong enough deliberately to sacrifice our own goodness. We ought, but we can't. (... ) Universal good is supreme - in heaven. Private Good is supreme - on earth" (Egoism, 1906, 12). Der weiteren Bearbeitung vorgreifend, möchte ich an dieser Stelle bemerken, daß diese Favorisierung einer egoistischen Orientierung sehr wohl im Einklang mit den ökonomisch-theoretischen Grundlinien der Argumentation in der General Theory (1936), sowie früheren Schriften, beispielsweise: The Economic PossibiJity tor our Grandchildren (1930) oder The Economic Consequences 0/ the War (1919) steht. Denn niemals resultiert für ihn aus einer egoistischen Grundhaltung der Individuen eine wohlfahrtssteigernde oder gar wohlfahrtsmaximierende Situation für alle übrigen Egoisten oder Individuen noch für die Gemeinschaft als Ganzes.

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Argument 3 Der repräsentative Egoist verfolgt sein personal good Warum aber verlangt Moore den Verzicht auf die Verfolgung eines eigenen good? Welche Motive sollte ich haben, fragt Keynes, mein eigenes good zu opfern? Der repräsentative Egoist erklärt, daß sein eigenes good für ihn das einzige vernünftige Ding ist, das er erstrebt. Ein Egoist läßt sich nur auf die Rationalität des privaten good ein, da er anderenfalls ein Narr sein würde, denn ein generelles good ist ein Abstraktum für ihn. In einer Anspielung auf das göttliche Gesetz, mit welchem Christen Harmonie mit dem Universum und dessen geheimen Gründern verhießen, führt Keynes aus, daß vor Verkündung dieser Lehre alle denkenden und sich selbst respektierenden Personen Egoisten waren. Nur ihre eigene Dummheit hätte sie daran hindern können, ihr eigenes Wohlbefinden zum Maßstab ihres Handeins zu machen. Das altruistische Gebot war ihnen fremd. Einer blanken Empörung gleich ist dieser Satz: "I ought to sacrifice my happyness, everthing indeed that is mine, but ought I to sacrifice myself, my own goodness on the altar of humanity?" (Egoism, 1906, 4). "I am a good friend of the universe and I do my best for it: but am I willing to go to the devil for it? And as I am opening my mouth to say, NO, I see again the vision of absolutely universal good, and I cannot look it in the face. Who am I that I should take about my good? I have committed the sin against the Holy Ghost" (Egoism, 1906, 11). In dieser Sequenz manifestieren sich Einwände gegen das Christentum, dessen Einfluß auf eine Umwendung des ethischen Empfindens seit dem Mittelalter bis hin zum Utilitarismus des 18. Jahrhunderts und seinem Postulat der Nützlichkeit als ethische Norm hier nicht zur Diskussion steht. Immerhin ist auf dem ersten Blick die Aufforderung von 1. Bentharn, das größte Glück der größten Zahl und damit eine Nutzenmaximierung anzustreben, nicht mit dem Verzichtsgebot und der Askese eines Christen kompatibel. Gemeinsam ist dennoch beiden Richtungen, daß sie das Individuum zugunsten eines übergeordneten Systems negieren, wenngleich beide per Dekret die individuelle Verpflichtung in Form von Geboten und Verhaltensanweisungen ausgeben.

Argument 4 Die Unhaltbarkeit einer Gleichsetzung von Gutes tun mit Gutsein (good). Die explizite Aufforderung von Moore, das good in der Welt durch "Gutes zu tun" zu vermehren, provoziert die Frage, ob diese Verpflichtung an sich good ist. Ist es nicht besser, good zu sein? Für Keynes ist diese Aufforderung

3. Die unveröffentlichten Manuskripte von Keynes

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ein Trugschluß, da hier zwei Forderungen synthetisiert werden sollen. "It may be true that by such action I shall increase the general good, that I shall be doing good. But is the obligation to do good? Is it not rather to be good?" (Egoism, 1906, 3,4). "If to be good is to act in hannony with the Universe, whatever that may mean, it must be identified with to do good" (Egoism, 1906, 6). Die Unterscheidung von to be good und to do good setzt offensichtlich voraus, daß es keine Identität zwischen dem Individuum und dem Universum gibt. Wenn es nur möglich ist good zu sein, in dem good (Gutes) getan wird, kann niemals die Frage nach dem Primären gestellt werden, da dies auf die Frage hinausliefe, welches Blatt (Klinge) der Schere tatsächlich den Schnitt verursacht hat - offensichtlich keine sinnvolle Frage, so Keynes. Die Botschaft des christlichen Gebots lautet zum einen, daß "Gutes tun" und "gut sein" zwei Seiten desselben Phänomen sind. Zum anderen impliziert es eine universelle Hannonie zwischen universal und personal good. Keynes kommentiert dies zynisch: "General goodness is man's duty, personal goodness is his reward" (Egoism, 1906,7).

Argument 5 Keynes betont die intuitive Unmittelbarkeit des eigenen good. Keynes argumentiert, daß Individuen einige von Objekten ausgelöste Empfindungen als good erfahren und dadurch motiviert sein können, sie zu verfolgen. Das individuelle own good ist der einzige vernünftige Grund überhaupt für ein Individuum, Forderungen zu erheben. Es muß demzufolge ein individuelles Ding oder Sache existieren, auf die ich meine Forderungen richten kann. Demnach kann nicht das Absolute oder ein Generelles die Voraussetzung für ein Wollen sein. Es gibt für Individuen eine intuitive Unmittelbarkeit des eigenen good, die nicht im Universellen aufhebbar oder transfonnierbar ist. Das allgemeine good kann hingegen nicht intuitiverfaßt, noch als Motiv verstanden werden. 32 Zusammenfassend kann dieses Manuskript als eine Fortführung der Kritik an der hegelianischen, aber auch utilitaristischen Argumentation von Moore betrachtet werden, die ein Ausblenden der intuitiven Unmittelbarkeit des private good beinhaltet. Moores universelle Orientierung als Maßstab zur

32 Mit dieser Frage setzt sich Shionoya intensiv auseinander (vgl. dort, 1991); O'Donnell spürt der in den Bereich der praktischen Ethik hineinreichenden Unterscheidung von "On Being Good and Doing Good" nach und vertritt die Auffassung, Keynes habe beide Optionen gelten lassen (1989, 112 f; vgl. in Ahnlicher BegrOndung auch Davis, 1991 b, 1994).

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1. Teil: Rekonstruktion der erkenntnistheoretischen Position

Lösung ethischer oder auch erkenntnistheoretischer Fragen wird von Keynes als inadäquat betrachtet. 3.5. Keynes versus Moore

Anband der hier vorgestellten unveröffentlichten Manuskripte konnte gezeigt werden, daß die Wirkung der Philosophie von Moore auf Keynes Argumentationen zumindestens in den Aspekten Intuition und der Wahrscheinlichkeitsauffassung zu relativieren ist. Die von Keynes in aller Deutlichkeit formulierten Einwände gegen Moore, können nicht als eine Begründung für eine Interpretation seiner Philosophie als mooristie herangezogen werden. In der Negation von Aspekten der Philosophie von Moore liegen gleichwohl Identifizierungspotentiale, die wissenschaftsgeschichtlich weder selten, noch vermeidbar sind (vgl. Kuhn, 19889). Die Einschätzung einiger in der gegenwärtigen Debatte involvierten Autoren (Fitzgibbons 1988; Shionoya 1991; Skidelsky 1983), wonach die Philosophie von Keynes mooristie sei, kann nach der Untersuchung dieser ausgewählten Manuskripte nicht bestätigt werden. Wenngleich Keynes die Faszination, die von Moores philosophischer Neuerung auf ihn ausgeht, noch 30 Jahre später betont, so geht er doch weit über Moore hinaus, indem er sich den Fallstricken der paradigmatischen Geborgenheit, die der Hegelianismus und Utilitarismus Moore noch bieten kann, entzieht. 33 Es ist insbesondere die Thematisierung der erkenntnistheoretischen Aspekte in einigen der unveröffentlichten Manuskripten, sowie die Entwicklung des anderen Egoismuskonzeptes, die eine Distanz zu Moore begründen. Darüber hinaus weisen die von Keynes formulierten Entgegnungen hinsichtlich der Analogisierung des individual good und private good durchaus existentialistische Züge auf. Sie decken unbarmherzig die hegelianische Verwurzelung von Moore auf. Unbarmherzig ist dies deshalb, weil er seine Philosophie als einen Einwand gegen Hegel versteht. Eine kurze Bemerkung zum Existentialismus l.P.Sartres. Sartre versucht mit seiner phänomenologischen Ontologie die Frage des Seins und des Bewußtseins zu bestimmen. 34 Er differenzierte in An-Sieh-Sein, als das vom 33 In Anlehnung an die Vielfalt der Bedeutungen des Paradigmabegriffs von Kuhn (1988 9). 34 SelbstverstAndlieh bedeutet diese Interpretation im Lichte des Existentialismus von Sartre nicht, daß Keynes mit dessen Philosophie vertraut gewesen sei. Zweifelsohne ist mit der Untersuchung der existentialistischen Position von Keynes ein Forschungsbedarfbenannt. J.P. Sartre, Das Sein und das Nichts (L' etre et le neaot, 1943). Versuch einer phänomenologischen Ontologie (1966), ist mit seiner

3. Die unveröffentlichten Manuskripte von Keynes

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Bewußtsein unabhängige Sein der Dinge und das Für-Sieh-Sein, als das durch das Bewußtsein geprägte Sein des Menschen. Während das An-sieh-Sein als etwas Gegebenes, Positives, zu verstehen ist, ist mit dem Für-Sich-Sein die Möglichkeit der Negation impliziert. In der Anwendung dieser Negationsformel zeigt sich im Sein das, was es nicht ist und im Nicht-Sein, das, was es ist. Diese sematische Wendung vom Gegebenem zum Nichtgegebenem und vice versa soll in erster Linie die hinter den Seins-Fragen bei Sartre sich verbergende Bewegung oder auch Transzendenz beleuchten. 35 Insofern ist es nicht nur eine semantische Umkehrung. Das menschliche Sein oder die Gegenwart eines Menschen ist Bewegung, da er (sie) sich in jedem Moment seines (ihres) Seins auf die Zukunft hin entwirft. Diese Orientierung auf den Entwurf ist Transzendenz und damit wird aus existentialistischer Perspektive ausgeschlossen, daß der Mensch auf Faktizität oder Immanenz reduziert werden kann, was ihn vernichten würde. In jedem Moment seines Seins also negiert der Mensch das An-Sieh-Sein durch seinen Entwurf und überwindet damit die Immanenz. 36 Mit der Hervorhebung von Intuition und individual judgement verwirft Keynes nicht nur das Bild eines Individuums, das invariant einem Systemzusammenhang zuzuordnen ist und damit Moores Philosophie, er entwirft insbesondere damit ein Bild eines Individuums, das sich durch Veränderung und Bewegung beschreiben läßt. Am deutlichsten kommt seine existentialistische Position in dem Essay Egoism (1906) zum Ausdruck. Das keynesianische Individuum entwirft sich auf eine Zukunft hin, es unterwirft sich dieser aber nicht. Es handelt und ist damit immer auch potentiell vom Scheitern bedroht. In der General Theory begleitet diese Ungewißheit respektive die Unsicherheit, die nicht auf mathematische Wahrscheinlichkeit fÜckführbar ist und nicht eliminiert werden kann, jede Entscheidung und Handlung eines ökonomischen Akteurs.

radikalen Infragestellung von traditionellen, gesellschaftlichen und religiösen Postulaten, die aus der Geworfenheit des Menschen in seine Freiheit, der er nicht entfliehen kann, resultiert, zweifelsohne eine wichtige Schrift der philosophischen Nachkriegsepoche, nicht nur in Frankreich. Die Existenz eines Individuums setzt bereits dessen Freiheit voraus. Eine Konsequenz aus dieser Freiheit ist filr Sartre die ZUlilckweisung einer intendierten Beglilndetheit und Beglilndbarkeit vorgegebener Normen und Regeln. Die existentialistische Position von Keynes wäre in weiteren, hier nicht vorgestellten unveröffentlichten Manuskripten, zu untersuchen. 35 Transzendenz meint hier in erster Linie Bewegung und Veränderung, nicht aber die jenseits der Erfahrung liegende Existenz. Die Bedeutung dieser Konzeption liegt in dem Aufzeigen der Möglichkeiten des Menschen durch Gebrauch seiner Freiheit das jeweils Gegebene zu Oberschreiten und sich zu dem zu verhalten, was potentiell ist. 36 Vgl. Sartre, 1.P. (1964) Marxismus und Existentialismus.

4 Muchlinski

so

1. Teil: Rekonstruktion der erkenntnistheoretischen Position

Während Moore sicher eine Zielorientierung auch für seine Position beanspruchen würde, ist der entscheidende Unterschied zu Keynes darin zu sehen, daß es sich bei Keynes um die Zielsetzung des Individuums und nicht des Universums handelt. Mooristisch gewendet hingegen bedeutet Transzendenz jedoch die Bewegung auf ein Ziel eines Anderen hin, z.B. des Universums und damit betont er das Sich-Selbst-Überschreiten im Interesse eines übergeordneten Zieles, eines Gesamt- oder Gemeinwohls. Der Slogan ist durchaus hegelianisch: Der Wert des Einzelnen wird nur durch sein Überschreiten bestätigt, womit der Widerspruch in der Philosophie von Moore, dargelegt am Beispiel der Principia Ethica, unerträglich wird. Seine Lehre, die eine Befreiung aus der idealistischen Vorbestimmtheit des Menschen intendiert, verliert gleichzeitig jenes Subjekt und mit ihm die individuelle Zielsetzung aus dem Blick. Eine so verstandene Befreiungsphilosophie kann sich nicht auf die Negation des Einzelnen stützen und gleichzeitig ihm als einzige Möglichkeit zur Rechtfertigung seines Daseins lediglich die Unterordnung unter die Gemeinschaft aufzeigen. Moores Körperbeispiel taugt deshalb auch nicht als Gegenentwurf zum hegelianischen Systemdenken, da die Gleichsetzung eines medizinischen Systems mit einem gesellschaftlichen System keinen Sinn ergibt, außer den, ihre Unterschiedlichkeit respektive Inkommensurabilität zu verwischen. Es erinnert an den Versuch einer Analogisierung des Blutkreislaufs (des Körpers) und des ökonomischen Kreislaufs, der regelmäßig deshalb zum Scheitern verurteilt ist, weil das Besondere der Geldwirtschaft, nämlich Profitwirtschaft, zu sein, unterschlagen wird. Der Kreislauf der Geldwirtschaft aber ist ein Kreislauf mit Überschuß, genauer gesagt kein Kreislauf, denn der Überschuß in Form des Zinses muß erwirtschaftet werden. Moore hingegen scheint unter Transzendenz eine Methode zu verstehen, die sich selbst widerlegt. Damit steht er Hegel nahe, in dessen Denken der Einzelne nur ein abstraktes Moment des Daseins ist. Die zugrundeliegende Idee ist eine Gleichsetzung von Wirklichkeit und Vernunft und damit wird das Individuum seiner Wahrnehmung beraubt, denn sie impliziert eine rationalistische Dominanz. Im Hegeischen Denken ist das Eigentliche einer Sache dazu bestimmt, in ein anderes zu konvergieren. Wesentlich ist bei ihm der Moment der gegenseitigen Erkenntnis der Bewußtseinsindividuen. Konkret heißt das, ich erkenne den Anderen als mit mir identisch und das bedeutet, daß ich in mir nur die universale Wahrheit oder Universalität meines Ichs erkennen kann. Die Folge hiervon ist die Leugnung des Individuums. Mein Ziel soll es demnach sein - wie Moore es mit dem Prinzip der organischen Einheitlichkeit

3. Die unveröffentlichten Manuskripte von Keynes

SI

vorgibt - mich auf diesen Anderen hin zu überschreiten, der mit mir identisch ist. Aber diese kontinuierliche Verneinung des Einen im Anderen ist nichts weiter als die Verneinung des Positiven. Für Hegel ist dieses Bild offenbar auch erschreckend und wird von ihm abgelehnt, denn dann wäre jedes Handeln Zerstörung und jedes Leben wäre Flucht. Folglich muß man annehmen, daß alle so negierten Individuen im absoluten Geist positive Gestalt annehmen. Wie kann das aber möglich sein, da doch der Geist Subjekt ist, welches gleichzeitig im hegelianischen Ansatz geleugnet wird? Der Begriff Subjektivität beinhaltet bereits das Getrenntsein - z.B. vom ideellen Weltgeist oder vom Universum. Soll nun das Subjekt die vereinten Menschen der Zukunft sein, dann behauptet man zugleich deren Bedeutungslosigkeit in der Gegenwart, somit also auch Subjektlosigkeit. Sie können an dieser künftigen Einigung gar nicht teilhaben, denn wie soll der Prozeß vom subjektlosen zum Einheitssubjekt denkbar sein? Das Ende ist dann erreicht hat, wenn der einzelne sich dem Staat (Hegei), bei Moore dem Universum, hingegeben habe. Aber warum soll ich mich dem Universum, dem heiligen Geist, wie Keynes ironisch diesen Akt zuspitzt, unterwerfen? Damit würde der Einzelne auf sich, seine Individualität verzichten, aber keine Wirklichkeit wird je erzielt, deretwegen er sich negierte. Diese Dialektik ist widersprüchlich insofern, als sie zu einem Sophismus führt: Wenn der einzelne negiert wird, dann hat auch das Universum bei Moore, bei Hegel der Staat, das Gesamte keine substantielle Grundlage mehr. Wenn das Universum ohne Substanz ist, dann gibt es auch keinen Grund, weswegen man sich seinetwegen negieren, opfern sollte. Das universelle Ganze verwandelt sich somit in ein Nichts, ist bloße Abwesenheit. Und dieser Abwesenheit in der Anwesenheit kann Moore selbst nicht entkommen. Die Rechtfertigung des eigenen Selbst kann nicht an ein Universum oder einen ideellen Weltgeist delegiert werden, eine Einsicht, die Keynes beharrlich in wandelnden Pointierungen in allen vier unveröffentlichten Manuskripten zum Ausdruck bringt. Das Subjekt kann nicht negiert werden, denn nur in ihm ist das Bewußtsein aller Dinge enthalten oder wie es Keynes in seiner Erwiderung auf das Principle ofOrganic Unity präzisiert: "But beyond individual mind the Organic Principle cannot reach" (1906, 19). In seiner Verteidigung des Egoismus wendet Keynes sich gegen eine Instrurnentalisierung des Menschen als ein Mittel zur Erreichung eines Zieles. Er wendet sich gegen eine idealistische Apriorisierung, die in dem Primat des Universums oder des Postulats to do good zum Ausdruck kommt. Dieses

4*

S2

1. Teil: Rekonstruktion der erkenntnistheoretischen Position

methodische Vorgehen von Moore stellt ihn schon deshalb nicht zufrieden, da er den Begriff des Universums nicht der Erfahrung oder einer potentiellen Erfahrung entnimmt, sondern er diesen als Orientierung vorgibt. Das Individuum hat sich diesen konstitutiven Schemata, dessen Wahrheit apriori konstatiert wird, anzupassen. In der Sichtweise von Keynes aber ist der Mensch sich selbst das Ziel, nicht etwa, um das Gute des Universums zu maximieren. Denn wieso ist die Sache des Universums oder, allgemeiner formuliert, der Gemeinschaft, zugleich die Sache eines Individuums? Woher der suggerierte Gleichklang? Moore greift seinerseits auf die utilitaristische Morallehre zurück, um good, ein Wort, das nach einer Ergänzung verlangt, nämlich for wen oder was?, einen universalen, absoluten Sinn zu geben. Im Kern behauptet zum Beispiel Utilitarismus, daß die Interessen des einzelnen mit denen der Allgemeinheit zusammenfallen. 37 Keynes distanziert sich deutlich von dieser utilitaristischen Maxime, wie in dem Essay Egoism gezeigt werden konnte. Warum sollte die Opferung des Menschen rur ein universales Ziel nützlich sein? Nützlich, ein zentraler Terminus des Utilitarismus ist nur, was dem Menschen dient. Wenn dies so ist, dann muß man, um dem Menschen zu dienen, anderen schaden - aber nach welchem Prinzip soll man zwischen ihnen wählen? Die utilitaristischen Morallehren beruhen auf dem gleichen Irrtum wie der von Moore propagierte Verzicht auf das private good: Man setzt voraus, daß in mir oder in anderen zunächst eine Leere vorhanden war, und daß ich nicht hätte handeln können, wenn nicht von vornherein rur mein Handeln ein bestimmter Platz ausgespart gewesen wäre. Aber unsere Handlungen warten nicht darauf, auf- oder abgerufen zu werden. Sie schaffen die Zukunft, die nicht ex ante festgelegt ist, sie entsteht erst durch unsere Handlung. Die handlungstheoretische Sichtweise von Keynes, die er in den unveröffentlichten Manuskripten entfaltet, wird insbesondere in der ökonomischen Theorie ihre volle Entfaltung erfahren. Die herausgearbeiteten konträren Auffassungen zwischen Moore und Keynes relativieren die in der Literatur vorherrschende Interpretation einer mooristic-philosophy, wie sie Keynes in seinen unveröffentlichten Schriften vertreten haben soll. Deutlich geworden ist, daß er im Unterschied zu Moore eine anti-utilitaristische Position bezieht und damit auch die noch rur Moore nachweislich relevante Orientierung an Hegel überwindet. In dem nächst37 Vgl. Keynes, J.M. (1937, insb. 213 11).

4. BertrandRussell

53

folgenden Abschnitt ist nun zu untersuchen. inwiefern einem weiteren Vertreter der Cambridge-Tradition. Bertrand Russell, nachhaltigen Einfluß auf die Herausarbeitung der Philosophie von Keynes zugeschrieben werden kann.

4. Bertrand Russell

Im Vorwort zur A Treatise on Probability hebt Keynes den Einfluß von Russell, Moore und anderen aus der Cambridge Tradition auf sein Denken hervor. In diesem Kapitel ist deshalb auf die relevanten Grundlinien der Philosophie von Russell in der gebotenen Kürze einzugehen. 38 Der Name Russell wird oft synonym mit dem Logischen Atomismus, einer philosophischen Richtung verwandt, die er zusammen mit Wittgenstein zu Beginn des 20. Jahrhunderts entwickelt hat. 39 Ihn aber allein mit dem Logischen Atomismus identifizieren zu wollen, wird den sehr verschiedenen philosophischen Ansichten, die Russell vertreten hat, nicht gerecht. Seine Philosophie läßt sich eher in Sprüngen als in einem gleichförmigen Entwicklungsverlauf entlang einer philosophischen Idee nachzeichnen. Und diese Idee ist in der zentralen Rolle, die Sinnesdaten (sensa data) im Rahmen seiner Erkenntnistheorie zukommt, zu finden. Russell selbst hat sich positiv zu seinen Veränderungen, die er als unvermeidliche Entwicklungsphasen betrachtete, bekannt. 40 Sein Biograph und Mitautor von Principia Mathematica 41 , A. N. Whitehead, kennzeichnet Russells Philosophie als "ein Schlachtfeld, auf dem er gegen sich selbst gekämpft hat" (Hochkeppei in: Russell, 1992, 10).42 Quine lobt ihn ob seiner fast alle Wissens- und Lebensbereiche durchdringenden Klarheit und seines Realismus' (ibid). Seine erkenntnistheoretische Position beinhaltet ähnlich der von Moore die Akzeptanz der Außenwelt. Konsequenter 38 UmfangreidJ.e Uilursudnmgm tlber die Bezjcillmg zwisdll:n KC}1les IDld Russell haben u.a. Bmadei, R. (1994), Br S respektive yS < yD vorliegt, wobei mit ys das gesarntwirtschaftliche Güterangebot und mit yD die gesarntwirtschaftliche Güternachfrage angezeigt wird. Bei einer solchen Angebotsrestriktion leitet Keynes eine Gewinninflation ab, die aus der Überschußnachfrage auf dem Gütermarkt resultiert. Die Analyse der Marktungleichgewichts-Konstellationen dient, wie erwähnt, als Basis seiner Kritik an der Orthodoxie und zugleich als theoretische Grundlegung, um die Ungleichgewichtslagen in der Ökonomie analytisch fassen zu können. 72 Wichtig an diesen Ausfiihrungen zu den impliziten Voraussetzungen der ersten Prämisse ist es, die Prozeßanalyse bei Keynes zu erkennen. Er konstatiert weder ein sicheres Wissen über eine gegebene Erstausstattung, die aufgrund einer gegebenen Präferenzordnung optimal alloziert wird, noch einen Spar-Investitions-Mechanismus, der über den Zins zu einem Ausgleich von Sparen und Investitionen und damit zu einem Gleichgewicht fUhrt. Zu (B): Die zweite Prämisse der Unabhängigkeit der Veränderungen der Einkommensniveaus einer Gesellschaft von individuellen Einkommensänderungen negiert die Abhängigkeit ökonomischer Variablen und Resultate von den Entscheidungen über die Einkommensverwendung. Dies ist auch der Grund dafiir, warum die Orthodoxie weitgehend dem Postulat von J.B. Say folgen kann, somit keine Abweichung einer effektiven von einer notionalen Nachfrage thematisiert und auch auf die Ableitung eines Multiplikatorprozesses verzichten kann.

71 Keynes (1930),A TreatiseonMoney. C.W. Bde. V (fhePure Theory ofMoney) und Vl (fhe App./ied Theory ofMoney), 10. Kapitel aus Bd. V.

72 Spahn diskutiert drei potentielle adaptive Methoden, die bei Nichtübereinstimmung des gesamtwirtschaftlichen GOterangebots und der gesamtwirtschaftlichen GOtemachfrage respektive von I und S wirksam werden können: (i) die knappheitsbedingten Preissteigerungen; (ii) die Lagerbestandsänderungen als Konsequenz einer nicht sofortigen Anpassung der Produktionskapazitäten an ein Ungleichgewicht auf dem GOtermarkt und schließlich (iii) die Produktionsanpassungen (1996,15 f., 81f.).

8. Erkenntnisweg~ der Ökonomie

191

Keynes stellt im Vorwort zur General Theory diese Implikationen der zweiten Prämisse ins Zentrum, um ihre Unzulänglichkeit offenzulegen. "I have to point out, (it) should not have led us to overlook the fact that the demand arising out of the consumption and investment of one individual is the source of the incomes of other individuals, so that incomes in general are not independent, quite the contrary, of the disposition of individuals to spend and invest; and since in turn the readiness of individuals to spend and invest depends on their incomes (GT, 1936, xxxiii). Die Konsum- und Sparentscheidung löst in dieser wechselseitigen Aufeinanderbezogenheit das Einkommen aus einer isolierten Betrachtung oder gar als exogenes Moment heraus. Insofern Einkommen als Prälimimare der Konsum- und Sparentscheidung verstanden ist, stellt sich die Frage, wie Einkommensentwicklung zu fassen ist. Dieser Prozeß ist an einen Geldvorschuß und damit an eine Verschuldungsbereitschaft der potentiellen Investoren gebunden. Mit dem erwähnten Kalkül der Verschuldungsbereitschaft ist bereits die fundamentale Frage für eine Geldwirtschaft gestellt. Die Frage, wie unter Bedingungen der Unsicherheit diese Verschuldungs- und Investitionsbereitschaft modellhaft hergeleitet werden kann. Dieses Anliegen ist, so könnte ein Einwand lauten, doch völlig losgelöst von meta-ökonomischen oder gar meta-theoretischen Reflexionen beantwortbar, indem auf das postkeynesianische Argument der Unsicherheit und der Notwendigkeit der Berücksichtigung der Erwartung verwiesen wird. Die nachfolgende Passage aus dem Vorwort präzisiert noch einmal die Wechselwirkungen, auf die Keynes rekurriert: "And I argue that important mistakes have been made through extending to the system as a whole conclusions which have been correctly arrived at in respect of a part of it taken in isolation" (GT, 1936, xxxii). Keynes kündigt die General Theory als eine Konsequenz der Emanzipation von orthodoxen Vorstellungen an. "This book (... ) is primarily a study of the forces which determine changes in the scale of output and employment as a whole; and, whilst it is found that money enters into economic scheme in an essential and peculiar manner, technical monetary detail falls into the background. A monetary economy, we shall find, is essentially one in which changing views about the future are capable of influencing the quantity of employment and not merely its direction" (GT, 1936, xxii). Programmatisch stehen damit die Fragen der Analyse von Wechselwirkungen und damit die Überwindung der isolierten Untersuchung ökonomischer Probleme, die Erörterung der Voraussetzungen der Ressourcenentwicklung, der Beschäftigungsentwicklung und der Funktion des Geldes in der monetären Ökonomie zur Diskussion. Der analytische Schritt heraus aus

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'2. Teil: Relevanz der Erkenntnistheorie

einer Welt der Sicherheit, in der zudem von unsicherer Zukunft abstrahiert wird, ist ein weiterer Indiz für einen intendierten Kategorienwechsel. Ich habe schon darauf hingewiesen, daß ich im Kontext dieser Arbeit keine Kategorienanalyse vornehme und auch nicht der Kontroverse weiter nachgehen will, ob Keynes einen Paradigmenwechsel in der ökonomischen Theorie vollzogen habe oder ob es lediglich bei seinen diesbezüglichen Absichten geblieben ist. Während Kastrop (1993, 153) beispielsweise die Transformation der ökonomischen Kategorien verneint, besteht fiir Parsons (1985) kein Zweifel bierin, der sich die überwiegende Zahl der im Teil 11.7. vorgestellten Autoren anschließen dürften. Keynes selbst beurteilt die Veränderung der kategorialen Voraussetzungen seiner ökonomischen Theoriebildung als grundlegend und als notwendig. Schon der Treatise on Money liefert er Begründungen für die Veränderung der Kategorien, um das Ungleichgewichtsphänomen von Investition und Ersparnis hinsichtlich der ökonomischen Dynamik diskutieren zu können. "The relation between tbis (General Theory, erg. EM) book and my Treatise on Money, wbich I published five years ago, is probably clearer to myself than it will be to others; and what in my own mind is a natural evolution in a line of thought which I have been pursuing for several years, may sometimes strike the reader as a confusing change ofview. This difficulty is not made less by certain changes in terminology which I have feIt compelled to make" (1936, xxii). Was zunächst die Leserln gar nicht in Erstaunen versetzt, ist, daß Keynes die General Theory nicht als eine fortgesetzte Untersuchung des Gegenstandes, der noch in der Treatise on Money interessiert, sondern klar und deutlich die unterschiedlichen Untersuchungsbereiche und auch die terminologische und kategoriale Verschiedenheit der Schriften hervorhebt. 73 Es ist zunächst festzuhalten, daß Keynes die General Theory als eine Analyse as the whole vorstellt. In der Literatur über die Philosophie von Keynes ist umstritten, ob diese Beschreibung erstens auf das Principle 0/ Organic Unity (p.O.U.) riickführbar ist und zweitens, ob Keynes damit die schon in der Treatise on Prob ability formulierte Unterscheidung zwischen atomistischen und organischen Systemen anwendet. Die Diskussion über die Bedeutungsäquivalenz des P.O.U. und einer organischen Sichtweise beinhaltet im Kern die Frage, ob die induktive Methode in beiden Systemformen anwendbar ist. Mit der atomistischen Prämisse wird behauptet, daß die zu beobachtbaren Entitäten isolierbar, klar definierbar und in ihrer Struktur und

73 Es ist an dieser Stelle nicht möglich, einen systematischen Vergleich zwischen bei den Werken vorzunehmen.

8. Erkenntniswege der Ökonomie

193

Umfang eindeutig sind. Keynes spricht hier von endlichen Systemen, man könnte auch sagen einer endlichen Grundgesamtheit. Sie lassen sich zu einer Hypothese oder einer Allaussage zusammenfügen. Die Methode einer enumerativen Induktion versagt nun nach Keynes in organischen Systemen. Dies deshalb, da die Interdependenzen zwischen Subsystemen und ihre nicht eindeutige Isolierbarkeit es verhindert. Zudem zeichnen sich organische Systeme dadurch aus, daß sie nicht endlich sind, sie sind indeterminiert. 74 Schon Brown-CoIIierlBausor haben 1988 eine Untersuchung dieses Themenkomplexes vorgenommen, denen verschiedene Beiträge, u.a. von CarabeIIi (1988), Davis (1989/90), O'Donnell (1989), schließlich die über verschiedene Beiträge hinweg sich erstreckende Auseinandersetzung zwischen Bateman (1989) und Winslow (1989) folgten. Die Diskussion über atomie versus organie zeichnet sich erstens durch lebhafte Dispute und zweitens durch den Mangel eines schließlich bislang nicht präzisierten Begriffsverständnisses von atomie und organie aus. Nach meiner Kurzbetrachtung dieser Diskussion läßt sich folgendes resümieren. Die Beschreibung eines atomie system bei Keynes lehnt sich am klassischen Bild der Naturwissenschaft und an der Vorstellung über mechanische Zusammenhänge an (Treatise, 1921,275-277,289-294). Indem Keynes die enumerative Induktion an das Vorhandenensein von atomistischen Strukturen und damit an ein Paradigma des 18. Jahrhunderts bindet, formuliert er eine Referenz, von der er die Ökonomie als Erfahrungswissenschaft abgrenzen kann. Ohne, daß nach dem gegenwärtigen Stand der Forschung über den Begriff organie einheitlich zu urteilen wäre, ist dieser eher geeignet, die Wechselwirkungen der ökonomischen Beziehungen zu beschreiben. Für die Ökonomie lehnt Keynes die Adaption des mechanistischen Weltbildes ab, wie anband der bisherigen Ausführungen und der noch folgenden gezeigt werden kann. Diese Abgrenzung erfolgt nicht in der Treatise on Probability, da in diesem Buch keine ökonomischen Fragestellungen behandelt werden, sondern in den verschiedenen Vorarbeiten zur und in der General Theory. Deshalb ist der Hinweis auf sein Vorwort zur General Theory nicht nur als ein Lippenbekenntnis zu verstehen, sondern durchaus als ein Anliegen, methodisch einer Erfahrungswissenschaft gerecht zu werden, die wie die Untersuchung von Frambach zeigte, nicht mit dem antiquierten Weltbild der Physik vor Newton operieren kann, sondern die theoretischen Innovationen und damit die Abkehr von einer determinierten Weitsicht und einem Gewißheitsverlangen akzeptieren muß. 74 Die Ausfilhrungen von Keynes zur Induktion in atomistischen versus organischen Systemzusammenhängen fmden sich im Abschnitt III der Treatise. insbesondere das Kapitel Ober Induktion und Analogie sei hier empfohlen.

13 Muchlinski

194

2. Teil: Relevanz der Erkenntnistheorie

8.5. Die Persistenz von ignorance, IUIcertainty, expectaJions und die Nichtneutralität des Geldes

Im Kontext der Post-Keynesianischen Forschung besteht kein Zweifel an der Signifkanz des Terminus Unsicherheit für die ökonomische Theoriebildung von Keynes (Davidson, 1994, 6. Kap.).75 Dabei kann vor dem Hintergrund meiner Ausführungen resümiert werden, daß Unsicherheit, epistemologisch interpretiert aus ignorance resultiert und damit aus der Opposition gegenüber Moore heraus zu verstehen ist. Uncertainty und ignorance bilden somit eine kategoriale Einheit. Prägnant heißt es dazu in der General Theory: "Our knowledge is vague and scanty" (1936, 148). Er distanziert sich von einer unterstellten Bedeutungsäquivalenz "ve!)' improbable" und "uncertain" (ibid). Diese fehlende Gewißheit ist exemplarisch für .die Kontinuität seiner erkenntnistheoretischen Position und bezieht über das Wissen in der Zukunft auch die Unsicherheit eines gegenwärtigen Wissens mit ein. Damit wird kein teleologischer Zusammenhang zwischen den Manuskripten und der ökonomischen Theorie behauptet, sondern die Relevanz dieser Schriften hervorgehoben. Die Kategorie state 0/ confidence ist für die Analyse der ökonomischen Entscheidungen (animal spirits) und der Akkumulation grundlegend. Keynes schreibt: "There is, however, not much to be said about the state of confidence apriori" (1936, 149). Eine Definition von state 0/ confidence liefert er nicht, es ist aber möglich, ähnlich der Metapher des corpus 0/ knowledge, hierunter ein Erkenntnisvermögen und dies als eine Handlungsvoraussetzung zu verstehen. Die mit den Kategorien Unsicherheit verbundenen theoretischen Erörterungen lassen kaum den lapidaren Kommentar zu, daß eine vage Zukunft noch keine ökonomische Unsicherheit begründe, "sofern die Sicherungssysteme bekannt sind", zumal von dem hier interessierenden Autor darauf verwiesen wird, daß "nur der Eigentümer dadurch gekennzeichnet (ist), daß für ihn weder ein gegenwärtiges noch ein zukünftiges Sicherungssystem existiert. Er ist für seine Sicherung auf die Exklusivität seines Eigentums geworfen" (Steiger, 1996, 16).

75 Vgl. den jüngst erschienenen Sammelband zur Thematik: DowlHillard (1995). Im IV. Teil der Treatise, Some philosophical applications of probability, erörtert Keynes uncertainty im Kontext der Frage, ob mathematische Erwartungen sowohl die Präferenzen messen, als auch die UneTWÜnschbarkeit und die Unsicherheit bestimmter Handlungsfolgen eliminieren können (1921,345). Vgl. auch Cottrell (1993).

195

8. Erkenntniswege der Ökonomie

Bevor auf die Implikationen dieses Argumentes fiir die ökonomische Theorie eingegangen wird, sind an dieser Stelle die den weiteren Ausführungen vorauseilenden zentralen Kategorien von Keynes und der Neoklassik als Epistemologie versus Ontologie gegenüberzustellen (vgl. 8.1.):

Keynes

Neoklassik

epistemology

ontology

ignorance

certain knowledge

uncertainty

certainty

intuition, i.e. direct knowlede or knowledge incomplete

self-evident without further need ofanalysis

state of conjidence

state ofmechanization

expectations

determinism

liquidity preference

no desire for cash

unstable economic dynamics irreversibility

stability and equilibrium reversibility

J-

(prospective yields, investment, employment, money supply, etc.)

J-

(particle, force, mass, energy, basic endowments)

Das Argument von Steiger führt - wie die oben stehende Synopse verdeutlicht - unmittelbar zur Theorie der Geldwirtschaft, die Keynes als eine Gläubiger-Schuldner-Beziehung konzipiert, in der Eigentümer ob fehlender sozialer Sicherungsbezüge eben gerade mit jener Unsicherheit in jedem Moment ihrer Entscheidung und der in die Zukunft reichenden Entscheidun13*

196

2. Teil: Relevanz der Erkenntnistheorie

gen konfrontiert sind (ibid, 17). Die Geldwirtschaft ist durch ein Gläubigerrisiko zu kennzeichnen. Keynes entwickelt Kategorien, mit denen das Speziflkum der Geldwirtschaft, das Gläubigerrisiko, erfaßt werden kann. Diese Interpretation schließt eine ontologische Sichtweise aus. Mit der Kategorie state 0/ confidence, von der Keynes im 12. Kapitel der General Theory sagt, daß Ökonomen mit ihr Bewegungen der Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals, Veränderungen von Investition und Erwartungen über zukünftige Erträge, somit die ökonomische Dynamik oder Krisen erklären können, fundiert er einen theoretischen Gegenentwurf zur Orthodoxie und deren Welt der Sicherheit. Die Signiflkanz des state 0/ confidence kommt darin zum Ausdruck, daß ein fehlendes Vertrauen eine Krise bewirken oder verschärfen kann. Im Kontext der Unsicherheit und des Erwartungsbildungsprozesses repräsentiert der state 0/ confidence einen Rahmen für die Urteilsbildung. Beispielsweise ist für die Entscheidung eines Geldvorschusses in die Produktion und damit für den Verzicht auf die Geldhaltung, was einer sinkenden Liquiditätsprämie entspricht, ein positiver Zustand des Vertrauens wichtig. Dieser manifestiert sich in eine positive Erwartung steigender Proflte. Ebenso kann eine Verschlechterung bewirken, daß infolge der Reduktion des Kreditangebots auch die Bereitschaft zum Geldvorschuß und damit die Produktion und Beschäftigung abnimmt. Mit Änderungen des state 0/ confidence gehen Änderungen der Erwartungen einher. Die auf dieser Ebene thematisierbaren ökonomischen Wechselwirkungen werden insbesondere über die Kategorie Liquiditätsprämie vermittelt (17. Kapitel der General Theory). Aber bereits im 12. Kapitel werden im Kontext von Unsicherheit, Erwartungen, Zustand des Vertrauens und der ökonomischen Entscheidungen die kategorialen Grundlagen der Liquiditätspräferenz vorgetragen. Eine detailierte Beurteilung der ökonomischen Analyse von Keynes, die er auf der Grundlage der Transformation der Kategorien realisiert, würde den Rahmen meiner Arbeit sprengen. Dennoch möchte ich nach der Kurzbetrachtung des (i) state 0/ confidence im folgenden auf (ii) die Erwartungen und die (iii) Liquiditätspräferenz und die Geldfunktionen eingehen. (ii) Der zentrale Stellenwert der Erwartungen in der ökonomischen Theorie ist konsistent mit der Prämisse von Keynes, die Ökonomie thematisiere keine Welt der Sicherheit (1936, 48 f.). Die ökonomisch relevanten Faktoren werden im Kontext der Erwartungen (erwartete Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals,

8. Erkenntniswege der Ökonomie

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erwarteter Zinssatz, erwartete Geldpolitik, etc.) diskutiert.16 Die Orthodoxie hingegen geht davon aus, daß es keine Enttäuschungen von Erwartungen gibt, da zu jedem Zeitpunkt Fakten und Erwartungen als determiniert und berechenbar unterstellt werden. 17 Sie blendet dabei unvollständiges Wissen aus: "The calculus ofprobability, tho mention ofit was kept in the background, was supposed to be capable of reducing uncertainty to the same calculable status as that of certainty itself; just as in the Benthamite calculus of pains and pleasures or of advantage and disadvantage, by which the Benthamite philosophy assumed men to be influenced in their general ethical behavior" (Keynes, 1937a, 213). Die entgegengesetzten Annahmen, die für Laborexperimente adäquat sein mögen, versagen in der Ökonomie als Erfahrungswissenschaft. Die Transformierung von Unsicherheit in einen mathematischen Erwartungswert des ökonomischen Modells impliziert ebenso eine Bedeutungstransformation. Werden wie im Konzept der rationalen Erwartungstheorie subjektive Erwartungen als übereinstimmender Wert mit dem mathematischen Erwartungswert modelliert, dann kann nicht mehr von Unsicherheit in der Wortbedeutung von Keynes gesprochen werden. Lawson, der die Diskussion über die Philosophie bereits lange vor einer virulent werdenden Exegese in einigen Aspekten vorweggenommen hat, bezeichnet in seinem jüngsten Beitrag die Bemühungen der community 0/ science, die Erwartungskonzeption auf mathematische Erwartungen zu reduzieren, als eine inakzeptable Auseinandersetzung. "This focus upon events, in consequence, has diverted scarce resources into endless attempts to measure and remeasure them, to identify exact or probabilistic relationships holding between them, and so on" (1995 a, 104).78 Für Lawson ist diese Methode im Geiste eines positivistischen Weltbildes anzusiedeln. Er nennt es the straightjacket 0/ positivism (ibid), das durchaus als ein Gefangenbleiben im Gegebenen verstanden werden kann. Er ist in dieser Einschätzung durch den Zusatz zu unterstützen, daß diese straightjacket 0/ positivism die Transzen76lnsbesondere die erwarteten Erträge seien hier erwälmt (vgl. 1936, 138,210, 197-9,298,315,

320-2, 238, 263-5).

17 Auf eine Herleitung der verschiedenen ElWartungsbildungsmodelle, in denen ElWartung als endogene Größe modelliert wird, möchte ich hier verzichten. Eine Untersuchung über ElWeiterung der Modellierungen von Gleichgewichtsansätzen um den Aspekt der Unsicherheit und ElWartungen hat Iris Pieper vorgelegt (1994). Vgl. auch die Konzeption der Hypothese rationaler ElWartungen in der Formulierung von Muth (1961), Rational Expectations and the Theory of Price Movements, in: Econometrica, 29, 315-335) zitiert nach I. Pieper (1994), in der der subjektive mit dem mathematischen ElWartungswert zusammenfallen und so eine modelltheoretische Begründung von rationalen ElWartungen

anzejP..

7 Vgl. LawsonIPesaran (1985). Neben Lawson (\995, 77-106), setzt sich auch Davidson in einem aktuellen Beitrag mit dieser Thematik auseinander (1995, 109-11).

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2. Teil: Relevanz der Erkenntnistheorie

denz verhindert, die Keynes' Denken und Methode in dieser Frage auszeichnet. Die Beharrlichkeit, mit der Keynes seine Bedenken gegenüber einer universellen Anwendung von Mathematik innerhalb der Erfahrungswissenschaft Ökonomie vorbringt, ist paradigmatisch motiviert. Seine Forderung an die Orthodoxie lautet, die Illusion einer mathematisch-berechenbaren Welt aufzugeben und mit der Kraft der Desillusionierung die so gewonnenen Einsichten theoretisch zu nutzen. Im Originalton von Keynes: "All these pretty, polite technique, made for a well-penelled Broad Room and a nicely regulated market, are liable to collapse (... ). I accuse the classical economic theory of being itself one of these pretty, polite techniques which tries to deal with the present by abstracting from the fact that we know very little about the future" (1937a, 215). Explizit weist Keynes theoretische Analysen zurück, die seine vorangestellte Aussage als philosophisch und damit irrelevant für die Ökonomie interpretieren. Zentrales Merkmal der Orthodoxie ist, daß sie ökonomisch inhärente Prozesse zerschneidet. Keynes' Forschungsprogramm hingegen ist als ein Versuch der Analyse der Wechselwirkungen zu verstehen. Explizit Ricardo, Marshall und Pigou erwähnend und deren Methode der Ableitung eines langfristigen Gleichgewichts kritisierend, grenzt sich Keynes von dieser Vorgehensweise wie folgt ab: "But these more recent writers like their predecessors were still dealing with a system in which the amount of the factors employed was given and the other relevant facts were known more or less for certain. (... ) The calculus of probability, tho mention of it was kept in the background, was supposed to be capable of reducing uncertainty to the same calculable status as that of certainty itself; just as in the Benthamite calculus of pains and pleasures or ofadvantage and disadvantages (... )" (1937 a, 212). Während der zentrale Stellenwert der Erwartungen für die Investitionsentscheidungen und für die Einschätzung zukünftiger Erträge im 12. Kapitel der General Theory einige Autoren einlädt, Keynes auch mit Verweis auf andere Passagen der General Theory des Psychologismus zu bezichtigen (vgl. Rieter, H., 1985, 24 fI.), haben sie anderen Autoren als Anregungen für die Modellierung von Erwartungen, z.B. im Rahmen der "Rational Expectation Theory" gedient. Fuhrmann hebt hervor, daß die von Keynes herausgearbeitete wechselseitige Abhängigkeit der Marktphänomene von Erwartungen der Wirtschaftsagenten zur Theorie der rationalen Erwartungen geführt habe, die eine Endogenisierung der von Keynes noch exogenen Prozesse der Inforrnationsbeschaf-

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fung und Verarbeitung zum Ergebnis hat. Dabei wird Keynes oft unberechtigterweise in das Konzept adaptiver Erwartungsbildung eingeordnet, obgleich er die Infonnationsverarbeitung über Marktstrukturen der Erwartungsbildung ebenso zugrunde gelegt hat (1988, 258 f.). Die Endogenisierung der Erwartungen, die ein Charakteristikum der Theorie rationaler Erwartungen ist, ist nach Fuhnnann nun nicht mehr kompatibel mit der Auffassung von Unsicherheit, wie sie Keynes in der General Theory diskutiert, weil auf das wahrscheinlichkeitstheoretisch faßbare und numerisch fonnulierbare Risiko abgestellt wird. 79 Mit dieser Vorgehensweise wird der Erwartungsbegriff von Keynes auf das wahrscheinlichkeitstheoretisch gefaßte Risiko reduziert und verhindert, die Essenz der General Theory zu diskutieren zu können. Erst vor dem Hintergrund von uncertainty und ignornace ist es sinnvoll, Erwartungen zu thematisieren. (iii) Für die Präzisierung der Geldfunktionen ist die Persistenz von Ignorance, Uncertainty, Expectations, wie sie anhand seiner Kritik am Neutralitätspostulat der Orthodoxie deutlich wird, fundamental. In seinem Artikel A Monetary Theory 0/ Production, erschienen 1933 in der Festschrift zu Spiethoff, greift Keynes die implizite Neutralitätsannahme des Geldes der Klassik heraus, um daran die Inadäquatheit der klassisch-neoklassischen Theorie zu zeigen, da mit ihr nicht die Geldfunktionen geklärt werden können. "An economy, which uses money but uses it merely as a neutral link between transactions in real things and real assets and does not allow it to enter into motives or decisions, might be called ( ... ) areal-exchange economy. The theory which I desiderate would deal, in contradistinction to this, with an economy in which money plays a part of its own and affects motives and decisions and is, in short, one of the operative factors in the situation, so that the course of events cannot be predicted, either in the long period or in the short, without a knowledge of the behaviour of money between the first state and the last. And it is this which we ought to mean when we speak of a monetary economy" (C. W., XIII, 408-409). Die Neutralität des Geldes begründet die Neoklassik damit, daß die Geldhaltung keinen Nutzen stiftet, da sie in der intertemporalen Analytik immer mit der Opportunitätsüberlegung eines entgangenen Konsums bewertet wird. Geld hat keinen Preis und steht damit im Widerspruch zur Neoklassik, in der 79 Zur Diskussion der Erwartungen im Kontext der keynesianischen Theorie, vgl. Fuhrmann (1988); Gijsel!Haslinger (1987); Leijonhufvud (1983). Daß der Unsicherheitsbegriffvon Keynes nicht mit dem Risikobegriffvon Knight kompatibel ist, hat auch Heering herausgearbeitet (1991,52 f.). Für Knight ist der Unsicherheitsbegriff identisch mit nicht-numerisch meßbar, während Risiko numerisch meßbar ist. Für Keynes gilt dies nicht.

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2. Teil: Relevanz der Erkenntnistheorie

die Nachfrage respektive das Angebot über den Preis vermittelt ist. Insofern Geld in seiner zentralen Definition als Tauschmittel immer auf die GütelWelt rückbezogen wird, ist auch die Herleitung eines Geldzinses in dieser Theorie unmöglich, da lediglich ein Güterzins konstatiert werden kann. Die Ableitung der Tauschmittelfunktion des Geldes ist rur eine barter economy akzeptabel, in der Ware gegen Geld, verstanden als Ware, getauscht werden, fiir eine Geldwirtschaft jedoch unzureichend. In dem Neutralitätspostulat verbirgt sich nach Keynes auch die Annahme einer Abwesenheit von Krisen - eine nicht gerade überzeugende Prämisse. Damit wird nicht behauptet, Keynes leite aus dem Vorhandensein von Geld Krisen ab, sondern mit der Integration des Geldes in die Theorie sind die Bewegungen der Akkumulation und deren Blockierungen erst formulierbar. Um Geldfunktionen theoretisch bestimmen zu können, ist es Voraussetzung, die Neutralitätsannahme aufzugeben. "One of the chief causes of confusion lies in the fact that the assumptions of the real-exchange economy have been tacit, and you will search treatise on real-exchange economics in vain for any express statement of the simplifications introduced or for the relationship of its hypothetical conclusions to the facts of the real world. We are not told what conditions have to be fulfilled if money is to be neutral. Nor is it easy to supply the gap. Now the conditions required for the neutrality of money (... ) are (... ) precisely the same as those which insure that crisis do not occur. If this is true, the real exchange economies is a singularly blunt weapon for dealing with the problem ofbooms and depressions" (C.W. XIII, 410, 411). Geld wird in seiner Reduktion auf einen Schleier der Realsphäre jener Dignitiät beraubt, die aus der Funktion des Geldes als Wertaufbewahrungsmittel und Medium der Kontrakterfüllung resultiert. Die Einwände von Keynes gegenüber der Orthodoxie sind inkompatibel mit der ihm zugeschriebenen Intention einer realitätsnahen Formulierung der Prämissen. Bezeichnenderweise trägt Keynes nicht den VOlWUrf einer fehlenden Kongruenz von Theorie und Empirie an die Orthodoxie heran. Deswegen überzeugt auch die Argumentation von Riese nicht, der an die Adresse der Post-Keynesianer den Vorwurf richtet, daß Unsicherheit durch die Existenz des Geldes evoziert würde. Sein Argument, die Weit sei unsicher, weil es Geld gibt, ist Ausdruck einer empiristischen Sichtweise. 80

80 Vgl. die Argumente von Riese gegen den Post-Keynesianismus. In: Hoffmann (1987), 189 ff.

8. Erkenntniswege der Ökonomie

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In seinem Postkriptum problematisiert Keynes das Homogenitätspostulat der Geldnachfrage der Klassik, das auf der Neutralitätsannahme basiert. 81 Insbesondere in der Behandlung der Geldfunktionen und des Zinses symbolisiere sich nach Ansicht von Keynes die klassische Vorstellung einer Welt der Sicherheit. Warum sollte jemand in der Welt ohne Unsicherheit, die eine Welt der Orthodoxie ist, Geld halten wollen? Diesen Gedanken bringt Keynes prägnant zum Ausdruck: "Our desire to hold Money as a store of wealth is a barometer of the degree of our distrust of our own calculations and conventions concerning the future. Even tho this feeling about Money is itself conventional or instinctive, it operates, so to speak, at a deeper level of our motivations. It takes charge at the moments when the higher, more precarious conventions have weakened. The possession of actual money lulls our disquietude; and the premium which we require to make us part with money is the measure of the degree of our disquietude" (QJE, 1937 a, 216). Diese Pointierung greifen die Post-Keynesianer als einen zentralen analytischen Punkt in der ökonomischen Theorie von Keynes heraus. Die Liquiditätsvorliebe, die kurzgefaßt als die Annehmlichkeit und Sicherheit der Geldhaltung, somit als ein zentrales Motiv des Verzichts auf eine Geldaufgabe beschrieben wird, entfaltet hierbei terminologische Bedeutung. 82 Keynes schreibt dazu: "The amount (measured in terms of itself) which they are willing to pay for the potential convenience or security given by this power of disposal (exclusive ofyield or carrying cost attaching to the asset), we shall call its liquidity-premium I" (1936, 226). Festzuhalten bleibt an dieser Stelle, daß eine opportunitätskostentheoretische Interpretation der Liquiditätspräferenz nicht annähernd die Intention von Keynes wiedergeben kann. Die Kritik an der Klassischen Zinstheorie und der Nichtneutralitätshypothese baut auf dieser Liquiditätspräferenz, die als eine nicht-pekuniäre Ertragsrate zu verstehen ist, auf. Er schreibt: "The rate of interest is not the price which brings into equilibrium the demand for resources to invest with the readiness to abstain from present consumption. It ist the price which equilibrates the desire to hold wealth in the form of cash with the available quantity of cash" (1936, 167). Der Zins ist nicht als ein Lohn des Wartens, sondern als ein Verzicht auf Geldhaltung zu definieren. Der Zins ist hierbei die Materialisierung der nichtpekuniären Ertragsrate, der Liquiditätspräferenz (vgl. Steiger, 1996, 15).

81 Keynes (1937 a) The General Theory ofEmployment. Summary. In: The Quarterly Journal of Economics, February, 209-223. 82 Vgl. auch Davidson (1994, 109 ff.).

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2. Teil: Relevanz der Erkenntnistheorie

Dieser exemplarische Einstieg in die ökonomische Argumentation ist im folgenden mit weiteren Ausführungen zu den Krisenursachen in einer Geldwirtschaft in der gebotenen Stringenz zu ergänzen. Keynes betont, daß ein Verfall der Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals eine Krise in der Geldwirtschaft auslösen kann und zwar, bevor ein zu hoher Zins als Barriere der Investitionen wirkt (1936, 222). Wenn auch zunächst die Vorstellung einer Zinsbarriere, konkret die Vorstellung, ein zu hoher Zinses blockiere tendenziell die Investitionen, Erklärungskraft aufweisen kann, so vertritt Keynes dennoch im 22. Kapitel der General Theory die Ansicht, daß primär der Zustand des Vertrauens als Reflex der Entwicklung oder Bewegung der Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals, wobei hier ein Vergleich mit dem Marktzins impliziert ist, als Krisenursache anzusehen ist. 83 "But I suggest that a more typical, and often the predominant, explanation of the crisis is, not primarily a rise in the rate of interest, but a sudden collapse in the marginal efficiency of capital. (... ) Moreover, the dismay and uncertainty as to the future which accompanies a collapse in the marginal efficiency of capital naturally precipitates a sharp increase in liquidity-preference - and hence a rise in the rate of interest. Thus the fact that a collapse in the marginal efficiency of capital tends to be associated with a rise in the rate of interest may seriously aggravate the decline in investment" (1936, 315-316). Wichtig ist bei dieser Herleitung, daß eine sinkende Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals mit einer erhöhten Liquiditätspräferenz und damit einem Verzicht auf ein Geldangebot einhergeht. Mit diesem Verzicht sinkt die potentielle Verschuldungsmöglichkeit, da das Kreditangebot verknappt wird und die Zinsen tendenziell steigen. Steigende Zinsen wiederum signalisieren unter Umständen im Vergleich zu den - bei negativem state of confidence erwarteten Erträgen als der Vergleichsgrundlage, eine attraktivere Anlageform. Bezogen auf die Verschuldungsbereitschaft jedoch wirken steigende Zinsen restriktiv. Ein Vergleich der jeweiligen erwarteten Ertragsraten provoziert die Entscheidung für oder gegen eine Sachkapitalinvestition. Vor dem Hintergrund der Ausführungen in (i), (ii), (iii) ist es nun möglich, Keynes theoretische Innovation hinsichtlich seiner Analyse einer Unterbeschäftigung bei Gleichgewicht (2. Kapitel der General Theory) methodisch einzuordnen (1936, 15 f., 249 f). Mit der hier diskutierten Transformation der Kategorien wird es möglich, die Ökonomie als einer Theorie der sich 83 Schon diese Formunierung verdeutlicht, daß die idealtypische Formulierung der Verhaltensannahme filr Investitionen, I = I (i) respektive I = I (i, re) nicht als ein Mechanismus verstanden werden kann. Die erstgenannte Formulierung behauptet einen negative Zusammenhang zwischen einem Zinsanstieg und der Zunahme der Investitionen, während die zweitgenannte Form zudem die erwarteten Erträge mitberücksichtigt (vgl. Spahn, 1996).

8. Erkenntniswege der Ökonomie

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verschiebenen Gleichgewichte zu thematisieren und sie von der Gleichgewichtstheorie abzugrenzen. "Or, perhaps, we might make our line of division between the theory of stationary equilibrium and the theory of shifting equilibrium - meaning by the latter the theory of a system in which changing views about the future are capable of influencing the present situation" (GT, 1936,293).84 Damit bleibt resümierend festzuhalten: Das Konzept der Unsicherheit, das Keynes in der General Theory vertritt, hat seine philosophischen Wurzeln in der Wahrscheinlichkeitsauffassung, die um seine Erkenntnistheorie oszilliert. Der hier vertretene Ansatz, Unsicherheit epistemologisch zu interpretieren, ist auch gegen die in der textbook-economy dominierende Position gerichtet, Unsicherheit allein als ein empirisches Argument zu verstehen. Dort wird nicht nur die in der Lehrbuchliteratur oft beklagte sogenannte Komplexität der ökonomischen Wirklichkeit bemüht, aufgrund derer zum einen die Modellbildung erforderlich sei. Dabei wird der Unsicherheit in Form von sogenannten Störtermen Ausdruck verliehen. Insofern diese aber (in der Regel) Null gesetzt werden, wird Unsicherheit wieder eliminiert. Die epistemologische Interpretation von Unsicherheit erlaubt demgegenüber die Relativierung der Empirie. Damit soll nicht der Erfahrungsbezug für die Ökonomie in Abrede gestellt werden. Kant hat in der A priori-Argumentation gezeigt, unter welchen Bedingungen die Erfahrung als Lehrrneisterln zu relativieren ist. Zu dieser ad analogia Interpretation der Philosophie von Keynes, motivieren neben den hier analysierten unveröffentlichten Manuskripten und der Treatise on Prob ability, insbesondere die bereits skizzierten Einwände von Keynes gegenüber der Orthodoxie. Seine Kritik an der Welt von Ricardo, Malthus, Jevons und Pigou ist Ausdruck des Versuchs der Abgrenzung einer anderen Sichtweise. Die häufige Bezugnahme auf orthodoxe Autoren, wie auch die teilweise begriffliche Verwobenheit mit ihr, ist wissenschaftsgeschichtlich interessant, weil sie zeigt, daß der Erkenntnisprozeß theoriegeleitet verläuft. Sie verdeutlicht, daß seine bisherige Sichtweise durch die klassisch-neoklassische Schule geprägt ist, deren Kategorien er zu überwinden sucht. Ein häufig an Keynes adressierter Vorwurf lautet zu Unrecht, er sei den klassisch-neoklassischen Kategorien nie entkommen, sondern habe lediglich eine unbedeutende Variationen derselben vorgelegt. 85

84 Zur Analyse des in der Literatur diskutierten Konzeptes multipier Gleichgewichte, die auch spieltheoretische Annahmen enthalten, vgl. Eicke-Scholz (1990). 85 Vgl. beispielsweise Heise (1991). Diese Auffassung ist nicht neu und findet ihren Niederschlag in der IS-LM-Modellierung, die im Hicks-Hansen-Modell ihren Vorläufer hat.

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2. Teil: Relevanz der Erkenntnistheorie

Welche inhärenten Verbindungslinien bestehen zwischen dem methodischen Vorgehen von Keynes, das sich in der Kritik an den Prämissen manifestiert und dem in dieser Arbeit postulierten Anspruch, den Philosophen Keynes zu skizzieren? Die Herausbildung der neuen Sichtweise, seiner Theorie, wird über die Transformation der Kategorie~ bestimmt. Die Kategorie monetary economy wird der Kategorie real exchange economy gegenübergestellt, um erstgenannte als die neue Begriffiichkeit zu etablieren. Die erkenntnistheoretisch relevante Persistenz von uncertainty und ignorance findet in der Bestimmung der Geldfunktionen als Wertaufbewahrungsmittel und Zahlungsmittel im Sinne eines Mediums der Aufhebung von Ansprüchen aus Kontrakten, ihren signifikanten Ausdruck (vgl. 1936,294). In einer hier nur andeutungsweise vorzunehmende Weiterentwicklung dieser keynesianischen Sichtweise, avanciert der Vermögensmarkt zum primären Markt, gefolgt vom Gütermarkt und dem Arbeitsmarkt. Als Derivat der übrigen Märkte hat die isolierte Betrachtung des Arbeitsmarktes analytisch wenig Belang. Da die Investition auf einem Geldvorschuß und damit auf einer Verschuldungsbereitschaft basiert, interessieren in einer monetärkeynesianischen Lesart die ökonomischen Voraussetzungen für die Bereitschaft zur Aufgabe von Geld. Zu diesem Entscheidungskalkül ist ganz wesentlich die jeweilige Marktkonstellation zu analysieren, um die Bedingungen für Investitionen und damit rur Entwicklung zu spezifizieren. 86 Der Geldvorschuß zwingt zu einer Produktion mit Überschuß, um die Kosten der Verschuldung refundieren zu können. Dabei kann das ökonomische Kalkül der Vermögenssicherung und der Vermögensmehrung als das handlungsleitende Motiv betrachtet werden. Die Verschuldungsbereitschaft bringt dabei den methodologischen Ausgangspunkt von Keynes zum Ausdruck, daß Investitionen nicht über einen Konsumverzicht finanziert werden. Deshalb betont er die Liquiditätsvorliebe, die sich ändern muß. Ein Sinken der Liquiditätsvorliebe erhöht das Geldangebot, das einen Anreiz darstellt, um über einen Geldvorschuß den Investitionsprozeß zu initiieren. Wir hatten oben bereits in der Darlegung seines Argumentes gegenüber Vertretern der Stockholmer Schule nachvollziehen können, wie der Kontext zwischen Geldangebot, Geldvorschuß und schließlich als Kalkül der Einkommensverwendung aus der keynesianischen Perspektive zu verstehen ist.

86 Riese (1988).

8. Erkenntniswege der Ökonomie

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8.6. Conventionaljudgement

In diesem Unterkapitel wird anknüpfend an den Ausführungen zu Lawson und Keynes versucht, den Terminus conventional judgement präziser zu fassen. In der General Theory umschreibt Keynes mit conventional judgement den Versuch, eine Balance zwischen der Einschätzung über das, was man berechtigterweise schlußfolgern kann und einer individuellen Beurteilung herzustellen. Mit anderen Worten gibt dieser Terminus eine individuelle Beurteilung des Fremdbewußtseins wider. Zunächst einmal möchte ich seine Behauptung aufgreifen, der potentielle Investor orientiere sich an Konventionen hinsichtlich der erwarteten Erträge und lege sie seinen Investitionsentscheidungen zugrunde. Die Abhängigkeit der Marktbewertung von einer unvollständigen Basis des Wissens, ist für ihn der Ausgangspunkt: "Nevertheless the above conventional method of calculation will be compatible with a considerable measure of continuity and stability in our affairs, so long as we can rely on the maintenance of the convention" (1936, 152). Dabei ist der Begriff Konvention mehr als nur ein undefinierbarer state of affairs, da die Bewertung von zukünftigen Erträgen getätigter Investitionen eine große Rolle für die Bildung der langfristigen Erwartungen spielt. Damit hebt er den perpetuierenden Effekt einer positiven Einstellung zur Investitionsentscheidung auf die Investitionstätigkeit und die Beschäftigung hervor. Insofern Investoren ihre Urteile über die Marktbedingungen zum Ausdruck bringen und sie mit einer darüber wahrnehmbaren konventionellen Einschätzung ins Verhältnis setzen, gewinnt die Investitionsentscheidung eine objektive, nicht aber meßbare Dimension. 87 Die Marktbewertung ist eine Beurteilung der Wissensgrundlage und verändert sich mit der Änderung dieser Wissensgrundlage selbst: "For if there exist organised investment markets and if we can rely on the maintenance of the convention, an investor can legitimately encourage himself with the idea that the only risk he runs is that of a genuine change in the news over the near future, as to the likelihood ofwhich he can attempt to form his ownjudgment, and which is unlikely to be very large" (1936, 153). Der Rückbezug auf Konvention ist aber nicht gleichbedeutend mit einer Abwesenheit von Unsicherheit, wie dies z.B. von Q'Donnell u.a. vertreten wird. In dieser unauthebbaren epistemologischen wie auch empirischen Unsicherheit, die mit einer langfristigen Investitionsentscheidung konfligiert, ist der potentielle Investor gezwungen, Entscheidungen zu treffen.

87 Vgl. Davis (1995, 249); Freedman (1995).

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2. Teil: Relevanz der Erkenntnistheorie

Die illustrative Umschreibung von Keynes liest sich wie folgt: "And he need not lose his sleep merely because he has not any notion what his investment will be worth ten years hence" (1936, 153). Damit wird nun nicht behauptet, daß etwaige Verluste nicht auftreten könnten. Es geht darum, einen Rahmen zu skizzieren, der eine Bewertung von Marktphänomenen erlaubt vorzunehmen, die bei einer Investitionsentscheidung nicht zu einem unaufhebbaren Schicksal rur den Investor avanciert. Die Metapher von Keynes bringt dies deutlich zum Ausdruck: "Investments which are fixed for the community are thus made liquid for the individual" (1936, 153).88 Damit gelangen wir zu den signifikanten Voraussetzungen rur die Investitionsentscheidung eines Investors, die Wahrnehmung eigener Interessen. Analog der Kalküle eines repräsentativen Egoisten, den Keynes gegen Moores Postulat der Erzielung eines allgemeinen good ins Feld ruhrt, ist der potentielle Investor in der Lage, die eigenen Profitmotive von denen anderer Investoren, wie auch von allgemeinen Wohlfahrtszielen zu unterscheiden (1936, 154-155). Diese Betrachtung ist so trivial nicht, wie sie auf den ersten Blick erscheinen mag. Zu denken wäre beispielsweise an die implizite Annahme der Wohlfahrtstheorie, von einer individuellen Nutzenmaximierung auf die gesamtwirtschaftliche Wohlfahrtssteigerung zu schließen. An dieser Stelle möchte ich nochmals auf die unveröffentlichten Manuskripte von Keynes verweisen, inbesondere auf Egoism und Miscellanea Ethica, worin diese Ableitung implizit ausgeschlossen wird. 89 Nun könnte der Einwand gegen diese Betrachtung eines Rekurses auf das individuelle Profitmotiv lauten, es handele sich hierbei um eine zu enggefaßte Bedingung, die in verschiedene Motive der Investitionsentscheidung zu diversifizieren sei: Soziale Motive, sachliche Motive etc. Aber eine derartige Differenzierung würde nichts an dem grundlegenden Problem ändern, daß letztlich der Rückbezug auf die Individualität den Entscheidungsimpuls gibt oder ihn verhindert. Keynes hat hierfiir den ausgesprochen treffenden Begriff der animal spirits, womit der spontane Akt der Handlung und Entscheidung symbolisiert wird, vorgesehen. "Most probably, of our decisions to do some88 Unsicherheiten bei Investitionsentscheidungen werden in der aktuellen Literatur, beispielsweise bei Dixit (1992) unter dem Gesichtspunkt des Optionswertes des Abwartens thematisiert, der dem Wert einer Investitionsentscheidung gegenüberzustellen ist. Die Grundidee ist folgende: Bei einer Investition fallen in der Regel Fixkosten an, die bei einer Revidierung der Investitionsentscheidung dennoch bedient werden müssen. Die Unsicherheit Ober diese irreversiblen Fixkosten, als auch die Existenz von Investitionsmöglichkeiten in nicht transparenten, nicht kompetitiven Märkten, kann zu einem Hinauszögern der Investitionsentscheidung filhren. In dieser Situation ist es filr den potentiellen Investor geboten und rational, abzuwarten und die Option der Investition von einer sich sukzessiv verbessernden Informationslage abhängig zu machen. 89 Vgl. auch Davis (1991 b).

8. Erk.enntniswe~e der Ökonomie

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thing positive, the full consequences of which will be drawn out over many days to come, can only be taken as a result of animal spirits - of a spontaneous urge to action rather than inaction, and not as the outcome of a weighted avarage of quantitative benefits multiplied by quantitative probabilities" (1936, 161). O'Donnell u.a. Autoren unterstellen, da Keynes im Jahre 1936 nicht mehr der Apologet einer uneingeschränkten Rationalität menschlichen Verhaltens sei, wie noch in "frühen" Zeiten, ist der Rückbezug auf die mass psychology oder Konvention notwendig. Regelmäßig wird die folgende Aussage von Keynes fiir diese Begründung herangezogen: "Knowing that our own individual judgement is worthless, we endeavor to fall back on the judgement of the rest of the world which is perhaps better informed. That is, we endeavor to conform with the behavior of the majority or the average (... ), we rnay strictly term a conventional judgment" (postkriptum zur General Theory, 1937 a, 214). Das Eingestehen einer Bedeutungslosigkeit des individuellen Urteils allein, ist nicht gleichzusetzen mit einem Appell, jenes nun an eine übergeordnete Beurteilungsinstanz zu delegieren. Es verdeutlicht, daß die ökonomischen Zusammenhänge als Wechselbeziehungen thematisiert werden. Das ökonomische Individuum agiert nicht auf der Grundlage einer gegebenen Präferenzfunktion. Diese Aussage von Keynes ist konsistent mit seiner Position in den unveröffentlichten Manuskripten und der Treatise. Der Verweisungszusammenhang von individueller Beurteilung und dem behavior of the majorify negiert nicht die Unsicherheit über das zu Bewertende, sondern hebt diese gerade hervor. Damit komme ich zu meiner Kritik an Davis und implizit den anderen AutorInnen, die den Begriff Konvention ähnlich ableiten. Dieser Exegese ist zunächst entgegenzuhalten, daß mit direct and indirect knowledge in der Treatise kein Dualismus angesprochen wird, den Keynes zu überwinden trachtet, noch wird damit die Intuition als subjektive Komponente beschrieben, die dann im Rahmen der ökonomischen Theorie objektiviert wird. Keynes' Einschätzung einer Unzulänglichkeit des individuellen Urteils und des Rekurses auf ein allgemeines Wissen eliminiert nicht die individuelle Beurteilung, noch erlaubt es die Beschreibung eines Wandels vom jungen zum reifen Keynes. 90

90 Ähnlich argumentiert Bateman (1987 f.); Cottrell (1993); Davis 81994); Moggridge (1992); 0' Donnell (1989); Shionoya (1991) u.a.

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"2. Teil: Relevanz der Erkenntnistheorie

Es ist daher der Auffassung von Freedman zuzustimmen, der die Betonung der Orientierung an Konventionen nicht als eine Obsoletheit der Individualbetrachtung, sondern als einen notwendigen methodologischen Schritt interpretiert, die Welt der Orthodoxie zu verlassen. 91 Insofern Keynes standardisierte rnikroökonomische Optimierungen zurückweist, somit strikt marginalistische Kalküle als Basis einer Investitionsentscheidung für unzureichend hält, bereitet er den Weg für eine konventionelle Betrachtungsweise bei ökonomischen Entscheidungen. "Keynes substitute these mutable and rather fragile conventions for the strict automatic stabilisers ofthe classical system" (1995, 90). Auch in dieser Interpretation wird Konvention nicht als ein Substitut für Unsicherheit, sondern als eine mit der Unsicherheit einhergehende, notwendige Orientierung verstanden. Damit setzt Keynes die Untersuchungs methode, die sich bereits in einigen unveröffentlichten Manuskripten findet, fort. Wichtiger als die biographisch motivierte Auslegung seiner Schriften ist es, den Kategorienwechsel, mit dem Keynes gegen den orthodoxen Begründungszusammenhang vorgeht, zu reflektieren. Ich möchte meine Vorbehalte gegenüber einer intendierten Transformation von Intuition (individual judgement) in conventional judgement in vier Schritten zusammenfassend begründen: (i) Intuition ist keine Kategorie des jungen Keynes, die durch die Konvention eines alten Keynes substituiert wird; (ii) Intuition ist Voraussetzung von Erkennntis und als Element einer Beurteilung (Erkenntnis) zu verstehen, während Konvention den Beurteilungskontext von Fremdbewußtseins bezeichnet, auf das das individuelle zu beziehen ist; (iii) mit Intuition thematisiert Keynes knowledge incomplete, das auch für Konventionen gilt; (iv) Konvention eliminiert nicht Unsicherheit und ist greade aus diesem Grunde mit seiner Überzeugung eines we simply do not know kompatibel (QJE, 1937). 8.7. Primat der Theorie

Im nun folgenden Kapitel möchte ich anband einer kurzen Rezeption der schon legendären Keynes-Tinbergen-Debatte die Bedeutung der methodologischen Reflexion unterstreichen. Im Jahre 1938 erschien Tinbergens Buch, "Statistical Texting of Business Cycle Theory", das Keynes rezensierte. In einem ersten Kommentar an Mr. Tylor, der ihm das Werk übersandt hatte, formuliert Keynes grundsätzliche Fragen eines methodischen Vorgehens. Er

91 Vgl. auch Davidson (1991; 1995).

8. Erkenntniswege der Ökonomie

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kritisiert, daß Tinbergens "cryptic method of exposition" (C. W., XIV, 285) Fragen provoziere, die von ihm nicht im entferntesten erläutert oder beantwortet werden. 92 Die Keynes-Tinbergen-Debatte wird in Rezensionen entweder zur Diskreditierung von Keynes und/oder der Ökonometrie durch ihn herangezogen. Zum einen wird Keynes Beschäftigung mit Fragen der Anwendbarkeit mathematischer Meßverfahren auf ökonomische Phänomene auf diese Debatte selbst beschränkt (vgl. Phelps, 1979/80; Lawson in LawsonlPesaran, 1985), was nicht verständlich ist, da Keynes bereits im Jahre 1908 einen Artikel über Indexierung und den damit verbundenen methodischen Probleme verfaßt hat (vgl. C.W., XI, 49-156). Zum anderen wird damit die erkenntnistheoretische Dimension seiner Position ignoriert. 93 Eine systematische Auswertung der Debatte hat in jüngster Zeit Carabelli unter der Fragestellung der Charakterisierung der Ökonomie durch Keynes vorgenommen (1988, 173-193; vgl. auch Bateman 1987; Brown-Collier/Bausor 1988; O'Donnell 1989). Zentrale Kritikpunkte von Keynes sind die Prämissen einer Linearität, Homogenität und Unabhängigkeit des ökonomischen Materials respektive der suggerierten Indifferenz (atomistische Einheiten) der Variablen, schließlich die Wahl der Variablen unter ihrem Aspekt der Operationalisierbarkeit, der time lags und die Prämisse der Reversibilität, die Tinbergen nicht expliziert. Fragwürdig ist aus seiner Sicht die Anwendbarkeit der multiplen Korrelation, wie sie Tinbergen exerziert, verbunden mit einer fundamentalen Relativierung der deduktiv-mathematischen Schlüsse, die rur sein Vorgehen symptomatisch sind. Keynes favorisiert hingegen induktive Schlüsse und ist aus der Perspektive seiner erkenntnistheoretischen Position weit davon entfernt, weder die Falsiftkationsmethodologie zu apostrophieren, noch die statistischen Resultate als Erkenntnis zu akzeptieren. Die Anwendung komplexer statistischer Verfahren ist an theoretische Vorannahmen gebunden, die von Tinbergen nicht expliziert werden. Keynes

92 Auf die Antworten von Tinbergen, die erwartungsgemäß eine Verteidigung seiner Methode beinhalten, möchte ich an dieser Stelle nicht eingehen (vgl. C. W. XIV, 293 und The Economic Journal 1940 (Nr. 50), 141-154). 93 Eine negative Einstellung zum Einsatz von Mathematik in der Ökonomie wird Keynes insb. von Samue\son (1946); Blaug (1980); Skidelsky (1983) unterstellt. Eine kritische und distanzierte Haltung in dieser Frage nehmen dagegen Bateman (1988); Carabelli (1988); Davis (1988-89); Dow (1991); Moggridge (1992) und u.a. O'Donnell (1989, 1990) ein.

14 Muchlinski

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"2. Teil: Relevanz der Erkenntnistheorie

hebt die dominierende Rolle der Theorie gegenüber Quantifizierungen hervor. Er fUhrt dazu folgende Überlegung an: "There is first of all the central question of methodology, - the logic of applying the method of multiple correlation to unanalysed economic material, which we know to be nonhomogeneous through time. If we are dealing with the action of numerically measurable, independent forces, adequately unanalysed so that we knew we were dealing with independent atomic factors and between them completely comprehensive, acting with fluctuating relative strength on material constant and homogeneous through time, we might be able to use the method of multiple correlation with some confidence for disentangling the laws of their action; (... ) In fact we know that every one of these conditions is far from being satisfied by the economic material under investigation. How far does this impair the validity ofthe method?" (C.W., XIV, 286, vgl. auch 289) Welche Relevanz oder Glaubwürdigkeit kann eine Untersuchung für sich beanspruchen, die nicht den theoretischen Ausgangspunkt benennt? Keynes fragt: "Howare these coefficients arrived at? Is it by laborious trail-and-error guessing, or by method? How are the time lags arrived at? Is it by common sense guessing or by method. (... ) In short, how far are the results mechanically and uniquely obtainable from the data, and how far do they depend on the way the cook chooses to go to work?" (C.W. XIV, 286-288). Seine kritischen Einwände paraphrasierend, sei seine Skepsis an der Wahl der berücksichtigten Faktoren und der time logs hier aufgegriffen. Keynes äußert den Verdacht, daß diese Wahl willkürlich sei, da Tinbergen nicht deren theoretische Bestimmung thematisiert. Die Auswahl der Faktoren scheint allein durch ihre Verfügbarkeit und Operationalisierbarkeit motiviert. Die bei Tinbergen zugrundeliegende Annahme der Unabhängigkeit der ökonomischen Faktoren impliziert die Gefahr nichtssagender Korrelationen. Was passiert, fragt Keynes, wenn diese "trimming offigures" (C.W., XIV, 288) während der Untersuchung auf Faktoren reagieren, durch die sie erklärt werden sollen? "This he seems to do by some sort of trial-and-error method. That is to say, he fidgets about until he finds a time lag which does not fit in too badly with the theory he is testing und with the general presuppositions of his method" (C.W. XIV, 314). Schließlich sind die auf den "time lags" basierenden graphischen Abbildungen inadäquat insofern, als sie lediglich historische Beschreibungen in Gestalt eines "curve fitting" liefern. Indem sie zugleich als Basismaterial für induktive Argumentationen fungieren, werden

8. Erkenntniswe~e der Ökonomie

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manipulierte Kurven prospektiven Trends sowie den Erklärungen und Prognosen zugrundegelegt. 94 Zur Indifferenz in punkto Unabhängigkeit der Faktoren kommt die Frage nach der Dimension, in der sie gemessen werden, hinzu. Deren Variabilität scheint grenzenlos, wenn Tinbergen unbegrundet sowohl Quoten oder Raten, als auch absolute Größen verwendet. Kritisch pointiert Keynes dieses Vorgehen: "I infer that he considers independence of no importance. But my mind goes back to the days when Mr. Yule sprang amine under the contraptions of optimistic statisticans by bis discovery of spurious correlation. ( ... ) It becomes like those puzzles for children where your write down your age, multiply, add this and that, substract something else, and eventually ends up with the number of the Beast in Revelation. (... ) Thus it ist sometimes a rate and sometimes an absolute quantity; and when in the final outcome he multiply this hotch-potch, sometimes by a large coefficient and sometimes by a small one, and than substracts from it the rate of interest multiplied (usually) by a small coefficient" (C.W. XIV, 310-311). Im vorherigen Abschnitt wurde bereits die Notwendigkeit einer Analyse der Wechselwirkungen, die Keynes betont, diskutiert, die es erlaubt, aus der Unabhängigkeitsannahme aufzugeben. Das Willkürmoment, so wie es Keynes in der Metapher des Kinderpuzzles zum Ausdruck bringt, das Zusammengewürfelte (hotch-potch - der Eintopf), bringt in polemischer Form seine Reserviertheit zu ökonometrischen Fragen auf den Punkt. Für Keynes ist dies der Anlaß, zu einem weiteren Kritikpunkt, der Annahme der Linearität ökonomischer Faktoren überzugehen, um diese als eine rur Sozialwissenschaften inadäquate Methode zurückzuweisen. Schließlich ist auf ein rur seine ökonomische Theorie kontitutives Element einzugehen. "What place is left for expectation and the state of confidence relating to the future ?" (C. W., XIV, 287), fragt Keynes. Die Antwort von Tinbergen einer auf Statistiken beruhenden Fortschreibung zukünftiger Ereignisse befriedigt Keynes nicht, da das statistische Material, gleichsam den "trimming offigures", inadäquat ist. Es ist das Primat der Theorie, das Keynes hervorhebt. Tinbergens Vorgehen kann nur als eine reduktionistische, quantitative Beschreibung einer bereits theoretisch geleisteten Analyse verstanden werden. Er äußert Zweifel daran, ob überhaupt die signifikanten

94 In Anspielung auf die Treatise schreibt Keynes:"Thirty years ago I used to be occupied in examining the slippery problem of passing from statistical description to inductive generalisation in the case of simple correlation; and in the era of multiple correlation I do not fmd that in this respect practice is much improved" (C.W., XlV, 315). Ähnlich äußert sich Scherf, wenn er betont, daß viele Kritikpunkte von Keynes trotz vielerlei Fortschritte in der Ökonometrie auch heute noch zutreffend sind (1986, 145f.).

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"2. Teil: Relevanz der Erkenntnistheorie

Faktoren - er nennt sie verae causae - in die Untersuchung miteinbezogen wurden. Tinbergens Anspruch einer Falsifikation der Theorie durch trimming figures weist Keynes als nicht akezptierbar zurück (vgl. C. W., XIV, 288-89). Diese Kurzbetrachtung der Keynes-Tinbergen-Debatte verdeutlicht, daß Keynes die ökonometrische Methode nicht auf der Basis einer MathematikPhobie, sondern aus seiner erkenntnistheoretischen Perspektive beurteilt. Die Ökonomie als moral science gewinnt ihre Erkenntnisse aus der theoretischen Analyse, nicht aus der Beobachtung. Die Anwendung komplexer statistischer Verfahren ist an theoretische Vorannahmen, d.h. an Prämissen gebunden, die in der Regel als mathematische Setzungen ihren Niederschlag finden. Keynes betont das Primat der Theorie und Intuition im Erkenntnisprozeß. Für die Zeit von 1904-1921 ist ein erkenntnistheoretisches Prinzip ungebrochen sichtbar: Die qualitative logische Analyse geht der quantitativen voraus und bestimmt den Anwendungsbereich. Die Voraussetzungen rur die mathematische Modellierung sind jene homogenen, linearen, indifferenten und unabhängigen Entitäten, die die Ökonomie nicht kennzeichnen. Insofern sind die zu fordernden Voraussetzungen zugleich die Ursache des Problems. Keynes' Plädoyer ftir eine theoretische Analyse, die ohne Eliminierung der Wechselwirkungen nicht homogener, nicht linerarer und nicht indifferenter Faktoren zu Erkenntnissen ruhrt, zeichnet ihn in hohem Maße als Epistemologen aus. Mit seinen Einwänden gegenüber mathematischen Verfahren in der Ökonomie, artikuliert Keynes insbesondere die mit einem unkritischen Einsatz von Mathematik auftretenden Probleme. "The mathematical argument ( ... ) undoubtedly follows from its premises" (C. W. XI, 83), weswegen eine Explizierung der Prämissen eine zentrale Kritik an der Orthodoxie ist. Er stellt Fragen als Theoretiker, rur den die Falsifikationsmethode, wie sie von kritischen Rationalisten propagiert wird, nicht geeignet ist, Erkenntnisse in der Ökonomie hervorzubringen (zur Irrelevanz der Anwendung von Termini des Kritischen Rationalismus auf Keynes, vgl. Runde, 1994).95

95 Vg1. etwa Phelps (1979/80), Rima (1988). Anders dagegen Hillard (1992, S9 f.), O'Donnell (1990 b, 29-47), die hervorheben, daß Keynes den Einsatz dieser Instrumente problematisiert. Mit Recht, wie sich mit Blick auf das gegenwärtige Unbehagen Ober den Mathematisierungsgrad in der Ökonomie, belegen läßt. Morishima spricht von einem "exzessiven mentalen Ästhetizismus" (1990, 70). Vgl. auch Breitung (1993), Haslinger et al (1993), Holub (1993) und Rotschild (1993). Die Autoren greifen dort - obgleich sie sich nicht auf diese Debatte beziehen - exakt jene dort aufgeworfenen Fragen auf, insbesondere die Frage, "welchen Zwecken denn die Ökonometrie letztlich zu dienen habe. Ist die Ökonometrie ein Instrument zur Falsifikation ökonomischer Theorien? (... ). Dient die Ökonometrie der Prognose oder besitzt sie eher eine heuristische Funktion, indem sie hilft,

8. Erkenntniswege der Ökonomie

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Das Primat der Theorie und die Hervorhebung von intuition, individual judgement and inlrospection erlaubt die Abgrenzung von empiristisch motivierten Ökonomen. Damit befindet sich Keynes in aktueller Gesellschaft mit anderen Ökonomen, die sich mit methodischen Fragen und Problemen beschäftigen und ihre Distanziertheit gegenüber einem unreflektierten Mathematikeinsatz zum Ausdruck bringen (vgl. Beed/Kane, 1991, Buchholz, 1993, Hendry, 1980, Holub, 1993, Morishima, 1991, Summers, 1991). Rima, eine ausgewiesene Vertreterin der ökonometrischen community 0/ science, ist der Auffassung, daß nur wenige Ökonomen der ablehnenden Haltung von Keynes gegenüber der Ökonometrie gefolgt seien, die Mehrheit habe sich dieser Methode angeschlossen. Sie schreibt in ihrem Überblickartikel über die Erfolge der Econometrics Society, "econometric research has become, for many, the sine qua non of economic science. This development is c1early inconsistent with Keynes's reservations about the usefulness of statistical probability to explain economic outcome that come into being under uncertainty. The vision ofthe real world to which Keynes first gave expression in A Treatise on Probability and which provided the epistemic foundation for the General Theory 0/Employment, Interest and Money is a perspective which is conceptually incompatible with the mid-centwy transformation of economics that has accompanied the formalist revolution" (1988, 19-20). Den hier von Rima euphemistisch vorgetragenen Fortschritten der Ökonometrie, möchte ich nicht weiter nachgehen. Interessanter ist ihre Interpretation der Treatise als einer deskriptiven Darstellung von Wirklichkeit, die Keynes als epistemologische Grundlage seiner ökonomischen Theorie betrachte. Aber diese Auslegung trifft nicht zu, wie ich auf den vorausgehenden Seiten expliziert habe. Aus diesem Grunde ist auch ihre Entgegensetzung von Formalismus versus Realität nicht im entferntesten geeignet, die Erkenntnismethode von Keynes widerzuspiegeln.

Zusammenhänge zwsichen Variablen aufzudecken?" (BreitungIHaslingerlHeinemann, 1993, 151). Fragen, die zumindestens Keynes verneinen wOrde. Weitere kritische Arunerkungen hierzu haben Sununers (1991) und Henry (1980) verfaßt.

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2. Teil: Relevanz der Erkenntnistheorie

9. Resume Das vorgestellte Projekt Keynes als Philosoph ergänzt die aktuelle Diskussion um einen weiteren Aspekt. Die epistemologische Position von John Maynard Keynes läßt sich auf der Grundlage einiger unveröffentlichter Manuskripte, Ethics in Relation to Conduct, Miscellanea Ethica und Egoism, und der Treatise on Probability herausarbeiten. Der philosophische Hintergrund der Cambridge Tradition zu Beginn des 20. Jahrhunderts, geprägt durch Moore, Russell und Wittgenstein, stellt eine Folie fiir Keynes bereit, die eigene Sichtweise zu entwickeln. Seine radikale Infragestellung eingeübter Argumentationsmuster der community 0/science, die sich wie ein roter Faden durch die unveröffentlichten Manuskripte und A Treatise zieht, provoziert neue Fragestellungen. Wahrscheinlichkeitsbeziehungen sind nicht objektiv begründbar, sondern an die Intuition und Wahmehmungskapazität des Individuums gebunden, dennoch ist Wahrscheinlichkeit nicht subjektiv im Sinne eines human caprice. In diesem Zusammenhang rekurriert Keynes auf die Metapher eines corpus o/knowledge und damit eines Erkenntnisvermögens. Die Untersuchung der vorliegenden philosophischen Essays, als auch A Trealise on Probability läßt die Interpretation zu, daß einige philosophische Konzeptionen innerhalb seiner ökonomischen Theorie nicht zufällig einen zentralen Stellenwert einnehmen, beispielsweise die Termini uncertainty, state 0/ conjidence und expectations. Damit wird keineswegs ein teleologischer Zusammenhang zwischen den philosophischen Schriften und der ökonomischen Theorie konstatiert. Es kann gezeigt werden, daß diese Begriffsverwendung nicht Ausdruck einer empirischen, sondern Ausdruck einer epistemologischen Lesart ist. Seine Ausfiihrungen zu den Methoden der Erkenntnisgewinnung lassen sich am deutlichsten in seiner Kritik an der Orthodoxie nachvollziehen. Die zentralen Einwände gegen die KlassiklNeokiassik basieren auf einer distanzierten Betrachtung des Einsatzes von Mathematik und einer Begrenzung des Euphemismus, über quantifizierbare Verfahren Unsicherheit eliminieren zu wollen. Es ist dieser an vielen Stellen seiner ökonomischen Schriften hervorgehobene grundsätzliche Zweifel, der Keynes zu folgender Aussage zu motivieren scheint: "About these malters there is no scientific basis on which to form any calcuiable probability whatever. We simply do not know" (1937 a, 214) - auch nicht mit Rekurs auf conventional judgement. An keiner Stelle in der Treatise on Money, auch nicht bei der Herieitung der Gewinn- und Einkommensinflation, noch in der General Theory, erlaubt sich Keynes diese Unsicherheit via Prämissensetzung auszuklammern.

9. Resume

215

Damit läßt er das in der textbook-economy gern bemühte Argument einer Komplexität der Wirklichkeit, deretwegen Unsicherheit besteht, Erwartungen gebildet werden und dies alles zusammen dann den Zustand des Vertrauens als Abbild scham, weit hinter sich. Unsicherheit ist nachweislich schon in den unveröffentlichten Manuskripten das Thema gewesen, mit dem er sich gegenüber der herrschenden Cambridge Tradition abgrenzen konnte und damit auch von einem Logikverständnis, das in der axiomatischen Bestimmung eindeutig wahrer oder falscher Prämissen eine sichere Grundlage zu schaffen glaubt. Dabei zielen die Einwände von Keynes auf die Prämissenformulierung, nicht auf das induktive Argument als solches. Das Ziel eines Nachvollzugs zentraler Argumentationslinien in den unveröffentlichen Manuskripten, A Treatise on Probability und der ökonomischen Theorie von Keynes verdeutlicht eine Approximation zentraler Begriffe und Überlegungen, ohne hiermit von deren Bedeutungsäquivalenz in den verschiedenen Schriften oder gar einer systematischen und kontinuierlichen Entwicklungslinie sprechen zu können. Die Konsequenzen aus dieser Betrachtung schlagen sich kategorial in seiner ökonomischen Theorie nieder. Damit wendet sich Keynes gegen den Determinismus der Orthodoxie, in deren Konzeption Erwartungen nicht enttäuscht werden können und Anpassungsprozesse langfristig zu makroökonomischen Gleichgewichten führen. Für ihn ist die Ökonomie kein kybernetisches System, das endogen die Gleichgewichtsposition nach exogen verursachten Schocks zu erreichen in der Lage ist. Sein Forschungsinteresse richtet sich auf die Frage der Einkommensentstehung und damit die Bestimmungsgründe von Beschäftigung. Das aber verbietet die Orientierung an Normen der ökonomischen Theoriebildung, wie sie beispielsweise im Anspruch auf Rigorosität und Universalität, schließlich Wahrheit zum Ausdruck gebracht wird. Die Kritik an derartigen impliziten Theorieanforderungen hat Keynes insbesondere in seiner Auseinandersetzung mit G.E. Moore in den erwähnten unveröffentlichten Manuskripten dargelegt und als roten Faden mit in die Ausarbeitungen seiner ökonomischen Theorie hineingetragen. Keynes' Methode der Herauslösung des Individuums aus einer prädeterminierten Welt, in der Subjekte auf Rezeptionsautomaten reduziert werden, erlaubt in einer ad analogie Betrachtung die Parallele zu Kant herzustellen. Dieser hat in der Kritik der reinen Vernunft gezeigt, daß Erkenntnisprozesse keine passiven Adaptionen sind, gemäß derer sich die Außenwelt in das leere Bewußtsein des erkennenden Subjekts eingraviere, es geradezu tätowiere. Ein auf bloßen Adaptionen beruhender Erkenntnisprozeß wird radikal in Frage gestellt. Erkenntnis wird von Kant als Verweisungszusammenhang von Anschauung und Begriff, bei Keynes als Verweisungszusammenhang von direct

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2. Teil: Relevanz der Erkenntnistheorie

and indirecI knowledge verstanden. Keynes arbeitet in der Treatise die Implikation dieser Sichtweise heraus: Intuition (direcl knowledge) ist als Voraussetzung der Erkenntnis zu thematisieren, nicht aber als Letztbegründung. Eine Vereinnahmung durch den klassischen Empirismus und Rationalismus ist vor diesem Hintergrund nicht mehr möglich. In dieser Lesart ist Keynes' Philosophie eine no-name-philosophy.

Das verbindende Moment in der erkenntnistheoretischen Auffassung von Keynes und Kant ist die Persistenz der epistemologischen Unsicherheit und damit die Unmöglichkeit der Gegenstandserkenntnis. Bezogen auf die Erkenntnismethoden der Erfahrungswissenschaft Ökonomie, erlangt die Modellbildung für Keynes einen wichtigen Status. Ökonomische Modellbildung, verstanden als Artefakt, mit dem der Erkenntnisgegenstand geschaffen wird, um somit Erfahrung möglich zu machen, wird aber insofern ihrer Dignität beraubt, als die notwendigerweise mit ihr verbundene Mathematisierung nicht auf implizite Prärnissenformulierungen hin kritisch von der Profession reflektiert wird. Darüber hinaus ist der aktuell betriebene Formalismus in einer Erfahrungswissenschaft kritisch zu hinterfragen. Ökonomische Modellbildung ist kein Selbstzweck, wie Keynes an mehreren Stellen herausarbeitet. Der Zweck des Modellierens ist die Potentialität der Erfahrung. Anderenfalls reduziert sich ökonomische Modellbildung auf bloße Vernanftleien (Kant) und damit auf Sophistikationen der community of science. Die aktuelle Selbstkritik der ökonomischen Profession ist hierfür, wie ausgeführt worden ist, ein Indiz.

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