Ketteler: Ein deutsches Bichschofsleben des 19. Jahrhunderts [Reprint 2019 ed.] 9783486748970, 9783486748963


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German Pages 766 [772] Year 1924

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Table of contents :
Widmung
Vorwort
Inhalt
Bücherverzeichnis
Erstes Buch. Diesseits von Mainz
1. Abschnitt. Von der Welt zur Kirche — Der Dorfpfarrer
2. Abschnitt. Die Revolutionszeit: Der Frankfurter Abgeordnete — Der Berliner Propst
Zweites Buch. Die ersten Bischofsjahre
1. Abschnitt. Ketteier im hessischen Landesbistum und in der Oberrheinischen Kirchenprovinz
2. Abschnitt. Der Bischof als geistlicher Führer und Gebieter
Drittes Buch. Bischöfliche Kirchen-, Sozial- und Nationalpolitik im Zeichen der deutschen Einheitsbewegung (1859—1870)
1. Abschnitt. Kettelers kirchenpolitischer Kampf mit dem Liberalismus: „Freiheit, Autorität und Kirche"
2. Abschnitt. Kettelers sozialpolitischer Kampf mit dem Liberalismus: „Die Arbeiterfrage und das Christentum"
3. Abschnitt. Ketteier und der nationalpolitische Kampf in Deutschland: „Deutschland nach dem Kriege von 1866"
Viertes Buch. Der letzte Bischofskampf in der Kirche und mit dem Staat
1. Abschnitt. Bischoftum und Papsttum: Das Vatikanische Konzil
2. Abschnitt. Kirche und Staat: Der Kulturkampf
Rückblick und Ausblick. Persönlichkeit und geschichtliche Stellung Kettelers
Namen- und Sachverzeichnis
Berichtigungen und Nachträge
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Ketteler: Ein deutsches Bichschofsleben des 19. Jahrhunderts [Reprint 2019 ed.]
 9783486748970, 9783486748963

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KETTE LER EIN DEUTSCHES BISCHOFSLEBEN DES 19. JAHRHUNDERTS

VON

FRITZ VIGENER MIT E I N E M TITELBILD

MÜNCHEN UND BERLIN 1924 DRUCK UND VERLAG VON R. OLDENBOURG

Alle Redite, einschließlich des Qbersetzungsrechtes, vorbehalten Copyright 1924 by R. O l d e n b o u r g , M u n i c h

FRIEDRICH MEINECKE IN DANKBARER UND VEREHRUNGSVOLLER FREUNDSCHAFT ZUGEEIGNET

Vorwort Wenn heute, in diesem schwersten Kriegsherbste des Scheinfriedens, ein deutscher Gelehrter auf deutschem Boden in alter Weise ein umfassendes wissenschaftliches Werk vorlegen kann, so hat er vor allem seinem Verleger zu danken. Ich fühle mich dem großen Verlagshause, das seit zwei Menschenaltern mit der deutschen Geschichtswissenschaft eng verbunden ist, und Herrn Wilhelm O l d e n b o u r g ganz persönlich verpflichtet f ü r die freundliche Bereitschaft, trotz allem und allem jetzt diese Darstellung von mehr als 40 Druckbogen herauszubringen; ich meine, hier wirkt noch etwas anderes als der allenthalben nicht völlig zerriebene deutsche Unternehmungsgeist. Ich danke in der Stille auch so manchen Freunden und Fachgenossen, die in den langen Jahren der Entstehung dieses Buches mir gelegentlich mit Auskünften beisprangen. Ich denke mit warmem Dank an die zahlreichen deutschen Bibliotheken, die mich unterstützten, insbesondere an die drei, die ich am beharrlichsten in Anspruch genommen h a b e : die Universitätsbibliotheken zu Freiburg und Gießen und die Stadtbibliothek in Mainz. In der Mainzer Bibliothek hat Herr Professor Dr. H e i d e n h e i m e r wie meine dem mittelalterlichen Mainz geltenden früheren Arbeiten, so die gegenwärtige mit unveränderter Hilfsbereitschaft all • die J a h r e hindurch gefördert: er hat mir für zahlreiche Mainzer Arbeitstage vor und nach dem Kriege von Büchern, Streitschriften, Flugblättern, Zeitungen und handschriftlichen Aufzeichnungen bereitgestellt, was nur immer meiner Aufgabe dienen konnte. Der Mainzer Stadtbibliothek verdanke ich auch die Möglichkeit, das „Mainzer J o u r n a l " von seinen Anfängen im Juli 1848 bis zum Ausgang des Jahres 1877 vollständig durchzuarbeiten: eine mühevolle, manchmal unerquickliche, aber notwendige und lohnende Sache. Leider besitzt der Verlag dieses noch heute bestehenden Blattes f ü r die ganze Zeit Kettelers keine Möglichkeit, die Verfasser der Beiträge festzustellen; die Schriftleitung h a t t e die Güte, mir im Namen des Verlages mitzuteilen, daß damals überhaupt keine Registraturen

VI

Vorwort

geführt wurden. Verschlossen blieb mir alles das, was das bischöfliche Mainz Kettelers u n m i t t e l b a r an Akten, Briefen, Büchern hinterlassen hat. Meine Versuche insbesondere, zu d e m handschriftlichen Nachlasse des Bischofs Z u t r i t t zu erlangen, sind nach wie vor dem Kriege erfolglos geblieben. Die S a m m l u n g der Briefe von und an Ketteier, die der bischöfliche Geheimsekretär D o m p r ä b e n d a t Dr. J . M. R a i c h (f März 1907 als Mainzer Domdekan) im J a h r e 1879 herausbrachte, ist wertvoll, doch unvollständig, und auch im einzelnen durch Auslassungen und selbst Änderungen entstellt. Aber der J e s u i t e n p a t e r Otto P f ü l f d u r f t e mit d e m entsagungsvollen Fleiße, den er so manchem Ausschnitte der Geschichte des deutschen Katholizismus im 19. J a h r h u n d e r t entgegengetragen hat, auch Kettelers Nachlaß durchforschen, gefördert zugleich durch die weitgreifenden, gutenteils auf Miterleben gestützten Vorarbeiten Raichs. Pfülf hat in seinem dreibändigen Werk über Ketteier (1899) einen außerordentlich reichen Stoff meist in übersichtlicher Darstellung, oft in willkommener Unberührtheit dargeboten. Als ich vor einem Dutzend J a h r e n f ü r das Handwörterbuch „Die Religion in Geschichte und Gegenwart" (Bd. 3, 1912, Sp. 1068—1071) den knappen Abriß der Lebensgeschichte Kettelers schrieb, lockte mich der Gedanke, in einem Büchlein von wenigen Bogen eine geschichtliche B e t r a c h t u n g dieses Bischofslebens vorzulegen. Aber ich mußte alsbald erkennen, d a ß die älteren Veröffentlichungen, vornehmlich also die drei Bände Pfülfs, auch im Stofflichen starke Lücken aufweisen, d a ß s t a t t einer biographischen Skizze vielmehr eine umfassende Biographie Kettelers schon d a r u m ein wissenschaftliches Bedürfnis sei, weil sie auch Überlieferungsreihen berücksichtigen müsse, die bei Pfülf ausgefallen oder doch nicht genügend zu ihrem Rechte gekommen sind. Dazu war es mir vergönnt, die gedruckte Überlieferung durch mancherlei Ungedrucktes zu ergänzen. Akten über die Berufung Kettelers auf die Berliner Propstei und einzelne Aufzeichnungen über die Versuche, den Mainzer Bischof als Nachfolger Diepenbrocks nach Breslau zu bringen, verdanke ich dem Preußischen Ministerium f ü r Wissenschaft, Kunst und Volksbildung. Berichte der preußischen und österreichischen Gesandten in D a r m s t a d t bot mir Wilhelm S c h ü ß l e r in freundschaftlicher Weise aus seinen Sammlungen f ü r die früher von ihm geplante Biographie Dalwigks dar. Herr Geheimrat L u j o B r e n t a n o , an den ich mich wegen seines Briefwechsels mit Ketteier (vgl. Pfülf 1, 54; 2, 190) wandte, vermochte zwar diese Briefe nicht aufzufinden, gab mir aber eine wichtige Mitteilung aus Kettelers Reichstagszeit (vgl. unten S. 710f.). Meine Frage nach einem Briefwechsel zwischen Ketteier und F r a n z B r e n t a n o (vgl. unten S. 579) ist von Frau Emilie Brentano, der Witwe des hervorragenden Philosophen und einstigen Theologen, mit liebenswürdiger Bereitwilligkeit aufgenommen worden. Leider fanden sich unter den zurzeit allein zugänglichen

Vorwort

VII

Brentanoschen Papieren die Briefe des Bischofs nicht, an deren Vorhandensein Frau Brentano sich erinnern zu können meint. Vielleicht werden sie später noch ans Licht k o m m e n ; m a n darf von ihnen neue Aufschlüsse über Kettelers H a l t u n g u n m i t t e l b a r vor und auf dem Vatikanischen Konzil erwarten. Den Briefschaften der Freunde Kettelers bin ich sonst nicht weiter nachgegangen. Ich erfuhr gelegentlich, daß der gewiß ergiebige Nachlaß des Grafen Klemens Westphalen (vgl. unten S. 601 f.) unzugänglich sei, mußte mich aber hier überhaupt mit dem begnügen, was Raich und Pfülf vorgelegt haben. Was mir nach der kirchlichen, der bischöflichen Seite hin versagt blieb, ist mir nach der weltlichen, der Regierungsseite hin in reichem Maße gewährt worden. Ich konnte die bisher unzugänglichen hessischen Ministerialakten, die sich auf den Mainzer Bischof beziehen, vollständig verwerten. Herr Archivdirektor Dr. Julius Reinhard D i e t e r i c h in D a r m s t a d t h a t meinen Antrag beim hessischen Ministerium aufs freundlichste und erfolgreich u n t e r s t ü t z t ; seiner Vermittlung wie dem Entgegenkommen des Ministeriums verdanke ich es, d a ß ich diese Akten größtenteils auf der Gießener Universitätsbibliothek durcharbeiten konnte. Namentlich dem umfassenden 1. Abschnitte des 2. Buches dieser Biographie sind die neuen Aktenaufschlüsse zustatten gekommen. Das Verhalten der Regierungen gegenüber dem Episkopat der Oberrheinischen Kirchenprovinz zu Beginn der fünfziger Jahre z. B. konnte nun erst in seinen einzelnen Seiten und in seinem ganzen Zusammenhange behandelt werden. Auch die besonderen Beziehungen zwischen D a r m s t a d t und Mainz sind jetzt wesentlich deutlicher zu erkennen als bisher. Die Akten gestatteten es, die Politik des Ministeriums Dalwigk gegenüber der katholischen Kirche zum erstenmal genau darzustellen. Damit war auch f ü r die Erkenntnis der Politik Kettelers gegenüber der Regierung — und die bischöfliche Politik ist im geschichtlichen Sinne die führende — eine Ergänzung der bisher verwerteten Überlieferung gegeben. Da Darmstadt neben den Originalen der bischöflichen Schreiben an die Regierung die Konzepte der Regierungsschreiben an den Bischof bot, ist f ü r den stofflichen Unterbau der Darstellung die Absperrung von den (bei Pfülf größtenteils verwerteten) Mainzer Akten ein erträglicher Nachteil. Ein freier Einblick in vertrauliche Mainzer Aufzeichnungen etwa hätte allerdings die Mainzer Vorgeschichte der Verhandlungen und Verabredungen wohl noch farbiger hervortreten lassen. Es wäre überhaupt mir persönlich eine Beruhigung und f ü r die Sache v e r m u t lich ein Gewinn gewesen, wenn ich die Mainzer geistliche Gemeinschaft um Ketteier auch auf ihrem eigenen Boden nach dem g a n z e n Bestände der Überlieferung h ä t t e kennen lernen können. Daß weitaus das meiste aus dieser Überlieferung in den Stoffmassen des Pfülfschen Werkes steckt, darf allerdings f ü r gewiß gelten.

Vili

Vorwort

Die geschichtliche E r s c h e i n u n g dieser wuchtigsten Persönlichkeit u n t e r den deutschen Bischöfen des 19. J a h r h u n d e r t s ließ sich jedenfalls auch so in allen wichtigen ZQgen beobachten. An kirchlichen und kirchenrechtlichen Einzelheiten wird dem Leser dieses Buches mancherlei z u g e m u t e t : die kirchliche, die bischöfliche T e c h n i k und T a k t i k will geschildert sein mit allen ihren Erscheinungsformen, in deren geistiger Eindeutigkeit wieder der allgemeine Sinn des Kirchlichen sich o f f e n b a r t . Vor allem in den vielen feineren oder derberen Zügen der geistlichen E m p f i n d u n g und der kirchlichen A u f f a s s u n g liegt ein H a u p t t e i l des geschichtlich Beharrenden eines Bischofslebens, d a s eine tiefe W i r k u n g allein auf diejenigen ausgeübt h a t , die gleich i h m von der kirchlichen Gedankenwelt g e n ä h r t und getragen w e r d e n . Die vorliegende Darstellung m u ß t e die besondere F a r b e aller kirchlichen K u n d g e b u n g e n , aller klerikalen Politik unverwischt zu erhalten suchen. Schon d a r u m auch — und nicht lediglich, weil hier bisher viel v e r s ä u m t oder verfehlt worden ist — m u ß t e z. B. d e m Inhalt, den Gedankengängen der wichtigsten Schriften Kettelers bis in alle Falten hinein nachgegangen werden. Die Lebensgeschichte eines Bischofs, der an den K i r c h e n k ä m p f e n einer ganzen Generation als einer der b e d e u t e n d s t e n kirchlichen F ü h r e r beteiligt war, wird von selbst ein Stück geschichtlicher Kirchenpolitik. Weder die kirchlich-staatlichen K ä m p f e in der Oberrheinischen Kirchenprovinz oder auf d e m Boden des neuen Deutschen Reiches, noch die innerkirchlichen Gegensätze, die auf dem Vatikanischen Konzil mit Zwang ü b e r w u n d e n wurden, kann man recht erkennen, wenn man nicht in die K a m p f s t i m m u n g selbst h i n e i n g e f ü h r t wird. Wollte diese Biographie vergangenes Leben wieder lebendig machen, so m u ß t e sie auch eine h e u t e geschichtlich erstarrte Kirchenpolitik wieder als bewegte glühende Masse der gestrigen Gegenwart erscheinen lassen. Mir war sehr d a r a n gelegen, die treibenden kirchlichen Ged a n k e n als solche und in der Seele ihrer Träger, insbesondere dieses Bischofs, möglichst rein zu erfassen, die Gegensätze und K ä m p f e in ihrer ganzen leidenschaftlichen K r a f t zu schildern, ohne selbst von der Leidenschaft des K a m p f e s berührt zu werden. Ich f ü h l t e mich bei meiner Beschreibung e r b i t t e r t e r P a r t e i k ä m p f e keiner P a r t e i verschrieben. Nicht d a ß ich mich gescheut h ä t t e , zu urteilen. Aber ich suchte meinem Urteil jeglichen Einfluß von P a r t e i s t r ö m u n g e n der Vergangenheit und Gegenwart fernzuhalten. Auch allen T e n d e n z e n der E r b a u u n g und V e r d a m m u n g wollte ich die B e t r a c h t u n g des geschichtlichen Lebens eines Mannes entziehen, dessen W i r k u n g freilich wesentlich eben auf diesen T e n d e n z e n beruhte. Mit „parteiischem E n t h u s i a s m u s " , wie ihn Goethe v o m Biog r a p h e n verlangt, ist das vorliegende Buch gewiß nicht geschrieben. Aber ich habe mich b e m ü h t , in die S t i m m u n g dieses Lebens einzudringen, habe versucht, auch das, was ich aus eigenen E r f a h r u n g e n

Vorwort

IX

und Beobachtungen heraus f ü r die Erkenntnis dieser katholischen Welt mitbrachte, kritisch zu verwerten und aufgehen zu lassen in dem geschichtlichen Verständnis der Persönlichkeit Kettelers. Eine Darstellung, die im wissenschaftlichen Sinne geschrieben ist, kann durch das, was sie zu sagen hat, wohl mit Parteimeinungen und Parteistimmungen zusammenstoßen, nicht aber ernsthafte Bekenner einer abgeschlossenen Weltanschauung in ihren Überzeugungen verletzen oder beunruhigen. Die vorliegende Biographie wird — das wage ich zu hoffen —, sofern sie etwa über das rein Erkenntnismäßige hinaus wirken sollte, einer geschichtlich beruhigten Auffassung der unser deutsches Dasein zugleich belastenden und befruchtenden Gegensätze gerade darum dienen können, weil sie diese Gegensätze, wo immer sie in Kettelers Lebensgeschichte eingreifen, in ihrer ganzen Schärfe hervortreten läßt. Bei der Schilderung des Tatsächlichen, auf die es mir vor allem ankam, habe ich manches beiseite gelassen, was mir zunächst unentbehrlich scheinen wollte. Mit Betrachtungen mußte ich insbesondere da sparsam sein, wo das Nachbargelände berührt wurde, das ich übrigens ringsum selbständig kennen zu lernen suchte. In dem Kapitel über den Kulturkampf z. B., das zunächst anders angelegt war, habe ich schließlich die allgemeinen Zusammenhänge nur eben angedeutet, u m das Besondere und Persönliche nicht stärker zurückdrängen zu müssen. Jedenfalls: im ganzen konnte ich mich, dank auch dem großen Entgegenkommen des Verlages, ungestört und frei durch die Erwägung leiten lassen, daß sich mit den besonderen Aufgaben dieses Buches ein starkes Zusammenpressen der Darstellung nicht vertrage; das Wertvolle der bisher unbekannten oder nicht genügend ausgenutzten Überlieferung sollte nicht unberücksichtigt bleiben und auch nicht lediglich aus der Andeutung eines Satzes oder gar eines Wortes den wenigen erkennbar sein, die mit den Dingen vertraut sind. Gewiß verlangt die Not der Zeit Sparsamkeit im Verbrauche des Papiers und der Drucklettern. Mehr aber noch fordert sie die wirtschaftliche und das heißt die wissenschaftlich ausreichende Verwertung einer Forschungsarbeit vieler Jahre. Unsere geistige Währung wenigstens sollte nicht durch den brutalen Dollarstand bestimmt werden; sie hat an der inneren Not, die heute das Dasein der Nation und des Einzelnen bedrückt, ohnedies genug und übergenug zu tragen. G i e ß e n , Oktober 1923.

Inhalt Seite

Widmung Vorwort Inhalt Bücherverzeichnis

III V—IX X XI—XV Erstes

Buch

Diesseits v o n Mainz

. .

1—132

1. A b s c h n i t t . Von d e r Welt z u r K i r c h e — Der D o r f p f a r r e r . . . . 2. A b s c h n i t t . Die R e v o l u t i o n s z e i t : Der F r a n k f u r t e r A b g e o r d n e t e — Der Berliner P r o p s t

3

Zweites

Buch

Die ersten B i s c h o f s j a h r e

133—335

1. A b s c h n i t t . K e t t e i e r im hessischen L a n d e s b i s t u m u n d in der O b e r rheinischen K i r c h e n p r o v i n z 2. A b s c h n i t t . Der Bischof als geistlicher F ü h r e r u n d Gebieter . . . Drittes

66

135 280

Buch

B i s c h ö f l i c h e K i r c h e n - , S o z i a l - u n d Nationalpolitik i m Z e i c h e n der d e u t s c h e n E i n h e i t s b e w e g u n g ( 1 8 5 9 — 1 8 7 0 ) . . . 337—561 1. A b s c h n i t t . K e t t e l e r s kirchenpolitischer Kampf m i t d e m Liberalismus: „Freiheit, Autorität und Kirche" 2. A b s c h n i t t . K e t t e l e r s sozialpolitischer Kampf m i t d e m Liberalism u s : „Die A r b e i t e r f r a g e u n d d a s C h r i s t e n t u m " 3. A b s c h n i t t . K e t t e i e r u n d d e r nationalpolitische K a m p f in D e u t s c h l a n d : „ D e u t s c h l a n d nach d e m Kriege von 1866" Viertes

N a m e n - u n d Sachverzeichnis

471

Kirche

B i s c h o f t u m u n d P a p s t t u m : Das Vatikanische Konzil Kirche u n d S t a a t : Der K u l t u r k a m p f

R ü c k b l i c k und Ausblick. Kettelers

417

Buch

Der letzte B i s c h o f s k a m p f in der u n d m i t d e m Staat 1. A b s c h n i t t . 2. A b s c h n i t t .

339

563—722 .

565 012

P e r s ö n l i c h k e i t und geschichtliche Stellung 723—736 737—750

Bücherverzeichnis ( E n t h ä l t die in abgekürzter Form angefahrten Arbeiten)

A. D. B. = Allgemeine Deutsche Biographie, Bd. 1—55. Leipzig 1875—1910 (Bd. 56 Generalregister, 1912). A r n e t h , Alfred Ritter v . : Aus meinem Leben. 2 Bde. Stuttgart 1893. B a c h e m , Karl: Joseph Bachem. Seine Pamilie und die Firma J . P. Bachem in Köln. Die Rheinische und die Deutsche Volkshalle. Die Kölnischen Blätter und die Kölnische Volkszeitung. Zugleich ein Versuch der Geschichte der katholischen Presse und ein Beitrag zur Entwicklung der katholischen Bewegung in Deutschland. Bd. 1 u. 2. Köln 1912. B a m b e r g e r , Ludwig: Erinnerungen. Hg. v. Paul Nathan. Berlin 1899. B e r g s t r ä ß e r , Ludwig: Studien zur Vorgeschichte der Zentrumspartei ( = Beiträge zur Parteigeschichte, hg. v. Adalbert Wahl, Heft 1). Tübingen 1910. B i e d e r m a n n , K-: Erinnerungen aus der Paulskirche. Leipzig 1849. B i o g r a p h i e n , hessische, in Verbindung mit Karl Esselborn u. Georg Lehnert hg. v. Herman Haupt. Bd. 1, Darmstadt 1918 (in 4 Liefer. 1912, 13, 14, 18 erschienen); Bd. 2, Lief. 1 u. 2, 1920/21. Der B o n i f a t i u s - V e r e i n . Seine Geschichte, seine Arbeit und sein Arbeitsfeld 1849—1899. Pestschrift zum fünfzigjährigen Jubiläum des Vereins von Ant. Ign. Kleffner und Fr. Wilh. Woker. Paderborn 1899. 4°. Br. = B r i e f e von und an Wilhelm Emmanuel Freiherrn von Ketteier, Bischof von Mainz. Hg. v. Dr. J . M. Raich, Dompräbendat u. bischöfl. Secretär. Mainz 1879. B r ü c k , Heinrich: Die Oberrheinische Kirchenprovinz von ihrer Gründung bis zur Gegenwart, mit besonderer Berücksichtigung des Verhältnisses der Kirche zur Staatsgewalt. Mainz 1868. B r ü c k , Heinrich: Adam Franz Lennig, Generalvicar und Domdecan von Mainz in seinem Leben und Wirken. Mainz 1870. B u n s e n . C h r . C. J . Frhr. v.: Die Zeichen der Zeit. Leipzig 1855. B ü ß , Franz Jos.: Die deutsche Einheit und die Preußenliebe. S t u t t g a r t 1849. B ü ß , Fr. J . : Die Aufgabe des katholischen Teils deutscher Nation in der Gegenwart oder der katholische Verein Teutschlands. Regensburg 1851. Chr.-soz. Bl. = Christlich-sociale Blätter (s. unten S. 545 Anm. 1). Aachen 1868 ff. Coli. Lac. = Acta et decreta sanctorum conciliorum recentiorum Collectio Lacensis. Bd. 5 ( . . 1789 — . . 1869) und 7 (Vatik. Konzil). Freiburg i. Br. 1879 u. 1890. D a l w i g k , Tageb. = Die Tagebücher des Freiherrn Reinhard v. Dalwigk zu Lichtenfels aus den Jahren 1860—1871. Hg. v. Wilhelm Schüßler ( = Deutsche Geschichtsquellen des 19. Jahrh., Bd. 2). Stuttgart u. Berlin 1920. D i e h l , Anton: Zur Geschichte der katholischen Bewegung im 19. J a h r h u n d e r t . Das „Mainzer J o u r n a l " im J a h r e 1848. Mainz 1911. D ö l l i n g e r , J . v . : Akademische Vorträge. Bd. 2. Nördllngen 1889.

X11

Bücherverzeichnis

D ö l l i n g e r , Joh. Jos. Ign. v . : Kleinere Schriften, gedruckte und ungedruckte, gesammelt u. hg. v. P. H. Reusch. S t u t t g a r t 1890. D r o s t e - H ü l s h o f f , Briefe = Die Briefe der Dichterin Annette v. Droste-Hülshoff. Hg. u. erläut. v. Herrn. Cardauns ( = Forschungen u. Funde Bd. 2, Heft 1—4). Münster 1909. E b e r l , Friedr. (Priester der Diözese Passau): Die Kirche und die Association der Arbeiter. Gekrönte Preisschrift. Passau 1866. E l v e r s , Rudolf: Victor Aimé Huber. Sein Werden und Wirken. 2 Bde. Bremen 1872, 1874. E r i n n e r u n g s b l a t t e r an Freiherrn Reinhard v. Dalwigk zu Lichtenfels. Eine Lebensskizze von einem alten Diplomaten [ = Arnold v. Biegeleben]. Mainz 1881. E r w i e d e r u n g auf den Artikel in der Beilage zu Nr. 33 der Wochenschrift des Nationalvereins. Darmstadt, 24. 12. 1860. E s s e l b o r n , Karl: Der Deutschkatholizismus in Darmstadt. Darmstadt 1923 (unten S. 161 Anm. 1 nachzutragen). [ F ö r s t e r , Heinrich:] Cardinal und Fürstbischof Melchior von Diepenbrock. Ein Lebensbild von seinem Nachfolger auf dem bischöflichen Stuhle. Miniaturausgabe [ = 2., verbesserte Ausgabe]. Breslau 1859. v. F r a n s e c k y = Denkwürdigkeiten des preußischen Generals der Infanterie Eduard von Fransecky. Hg. und nach anderen Mitteilungen und Quellen ergänzt von Walter von Bremen. Bielefeld u. Leipzig 1901. F r a n z , Albert: Der soziale Katholizismus in Deutschland bis zum Tode Kettelers ( = Apologet. Tagesfragen, 15. Heft). M.-Gladbach 1914. F r i e d b e r g , Emil: Der Staat und die Bischofswahlen in Deutschland. (Bd. 1 Darstellung, Bd. 2 Aktenstücke.) Leipzig 1874. F r i e d j u n g , Heinrich: Der Kampf um die Vorherrschaft in Deutschland 1859—1866. 2 Bde. 9. Aufl. Stuttgart u. Berlin 1912/13. F r i e d r i c h , J[ohannes]: Geschichte des Vatikanischen Konzils. 3 Bde. Bonn 1871, 1883, 1887. F r i e d r i c h , J . : Ignaz von Döllinger. Sein Leben auf Grund seines schriftlichen Nachlasses. 3 Bde. München 1899 u. 1901. G ö r r e s , Jos. v.: Gesammelte Briefe. Bd. 3. Hg. v. Franz Binder Gesamm. Schriften Bd. 9). München 1874. Joseph von G ö r r e s ' ausgewählte Werke und Briefe, hg. mit Einleitung und Anmerkungen versehen von Wilhelm Schellberg. Bd. 2: Ausgewählte Briefe. Kempten u. München 1911. G o t t h e r , Dr. L., Württemberg. Staatsminister: Der Staat und die katholische Kirche im Königreich Württemberg. Stuttgart 1874. G o y a u , Georges: L'Allemagne religieuse. Le Catholicisme 1800—1870. 4 Bde. Bd. 1 u. 2. IV e éd. Paris 1910, Bd. 3 u. 4 Paris 1909. G o y a u , Georges: Bismarck et l'Église. Le Culturkampj (1870—1878). 2 Bde. Paris 1911. G r a n d e r a t h , Theodor, S. J.: Geschichte des vatikanischen Konzils . . . Hg. v. Konrad Kirch, S. J. 3 Bde. Freiburg i. Br. 1903 u. 1906. [ H a f f n e r , Paul Leopold:] Mainz im Jahre 1863 (s. unten S. 285 Anm. 5). H a h n , Ludwig: Geschichte des „Kulturkampfes" in Preußen. In Aktenstücken dargestellt. Berlin 1881. H a n s e n , Joseph: Gustav von Mevissen. Ein rheinisches Lebensbild 1815—1899. 2 Bde. Berlin 1906. H a n s e n , Joseph: Preußen und Rheinland von 1815 bis 1915. Hundert J a h r e polltischen Lebens am Rhein. Bonn 1918. H a s e , Karl: Handbuch der protestantischen Polemik gegen die römisch-katholische Kirche. 4., verbesserte Auflage. Leipzig 1878. H a s s e l , P a u l : Joseph Maria von Radowitz. Bd. 1. Berlin 1905.

Bücherverzeichnis

XIII

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XIV

BQcherverzeichnis

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Erstes Buch

Diesseits von Mainz

V i g a n e r , Bischof K e t t e i e r

I

Erster Abschnitt

Von der Welt zur Kirche — Der Dorfpfarrer FQr das biographische Verständnis des Mainzer Bischofs Wilhelm Emmanuel Freiherrn von Ketteier ist nächst seinem geistigen Zusammenhange mit dem Katholizismus die Blutsgemeinschaft mit dem münsterländischen Adel von entscheidender Bedeutung. Die gegebene und doch immer wieder sich neu gestaltende Verbindung mit dem Katholizismus bezeichnet den eigentlichen Inhalt seines geschichtlichen Lebens. Sein Platz aber in der katholischen Kirche ist durch seine Herkunft mitbestimmt worden. Seine Hinwendung zum geistlichen Berufe und selbst seine Auffassung dieses Berufes kann man nicht verstehen ohne Einblick in die persönlichen Antriebe und allgemeinen Vorstellungen, die durch seine Abstammung bedingt waren. Der dreiunddreißigjährige Baron Ketteier wurde Priester; aber der Geistliche, der Bischof hat nie aufgehört, sich als westfälischer Edelmann zu fahlen. Nicht lediglich im äußeren Sinne wurzelt er in der münsterländischen Adelsgemeinschaft, mit der seine Familie seit einem halben Jahrtausend und länger Schicksale und Begriffswelt teilte. Die Ketteier gehören zu dem niederen Adel, der sich aus der frühmittelalterlichen Dienstmannschaft erhoben hat. In der Zeit, da die Ministerialität auf deutschem Boden eine Macht war, taucht die Familie Ketteier aus dem Dunkel auf. Bis zum Jahre 1271 leitet man die Stammlinie zurück, 25 Jahre früher wird schon einmal ein Ketteier genannt. 1 ) Während die meisten edelfreien Geschlechter Westfalens 1 ), deren stolzes Adelsgefühl sich zurückträumte bis zu den heidnischen ' ) Genauer nachzuprüfende Angaben im Freiherr!. Taschenbuch 1908 S. 379, dazu 1860 S. 410, Ooth. geneal. Taschenbuch (Uradel) 2 (1901), 449 ff. — Vgl. Poth: Zs. vaterlflnd. Oesch. [Westfal.] 70 (1912) I S. 1—108 (die K- als bisch, mfinst. Ministerialen nicht nachweisbar); H. Glasmeier, Das Geschlecht v. Merveldt: Diss., Auszug im Jahrb. d. philos. Fakultät Münster 1920 (1922) S. 104—106. *) Zum folgenden vgl. namentlich die Arbeiten Aloys Schuttes (insbes.: Der Adel u. d. dt. Kirche im Mittelalter, 1910, 52 f., 341 ff. u. ö.) und seiner Schüler, dazu A. Wenninghoff: Zs. d. Savigny-Stiftung, Kanonist. Abteiig. 1 (1911), 33 ff. 1»

4

I 1: Von der Welt zur Kirche.

Der Dorfpfarrer

Edelingen vor Widukinds Zeiten, ihre Söhne und schließlich ihren Bestand der christlichen Kirche opferten, sind die Ministerialen im weltlichen und geistlichen Kirchendienste fröhlich gediehen. Sie haben die Einbuße, die auch ihnen die geistliche Ehelosigkeit brachte, glänzend wettgemacht. So viele Kräfte dem edelfreien Geblüte Westfalens entzogen wurden, so viele und mehr drängten in der Ministerialität empor. Gerade in Westfalen hat sich die Ministerialität f r ü h und mächtig erhoben; hier zuerst ist sie, soviel wir wissen, als freier Stand anerkannt worden. Die zeitweilig dem hohen Adel vorbehaltene Oberschicht des Klerus haben die üppig blühenden Ministerialengeschlechter mit ihren Söhnen durchsetzt. Die meisten Stellen in den Stiftskapiteln Westfalens eroberte seit dem späteren Mittelalter der Dienstmannenadel; auch auf die Bischofssitze vermochte er manchen der Seinen zu bringen. Im Münsterlande insbesondere hat die starke Ministerialität die Plätze im Domkapitel mit wachsendem Erfolge beansprucht. Wenn das Domkapitel zu Münster im J a h r e 1350 adlige Abstammung zur Voraussetzung der Aufnahme machte 1 ), so bedeutete das in dieser Zeit des Rückgangs der hochadligen Familien bei dem ausgeprägt landsmannschaftlichen Charakter des Kapitels eine Bürgschaft für das dauernde Übergewicht ministerialischer Kapitularen. Und dieses Domkapitel wählte den Bischof, h a t t e ein Anrecht auf bestimmende Mitwirkung in der geistlichen und weltlichen Regierung, in bischöflicher und landesherrlicher Verwaltung. Die Väter und Oheime, die Brüder und Vettern dieser Domherren aber gehörten zu der bevorrechteten Adelsschicht t ), die, im Münsterlande breiter gelagert als irgendwo, den zweiten Landstand des Fürstbistums darstellte. Die Städte hatten in dem verkehrsarmen Lande noch im Beginne des 19. J a h r h u n d e r t s kaum etwas zu bedeuten; nur wenige waren landtagsfähig. 3 ) In dieser münsterländischen Ritterschaft, die den Boden mit einem Netze von Burgen und Höfen überzogen hatte, einte sich die steifnackige Selbständigkeit der Westfalen mit einem fest gegründeten Gemeinschafts- und Standesbewußtsein. Dieser Adel war zu eng mit seiner Scholle verwachsen, als d a ß die Mitwirkung bei der Landesregierung ihn h ä t t e entwurzeln können. Er war wohl von der geistlichen Hofluft berührt, nicht aber durch Hofleben verdorben. Freilich blieb es ihm auch versagt, die erziehende Kraft eines starken Staatslebens zu erfahren. Er war mehr gewohnt, im Kleinen zu regieren, als regiert zu werden; er verstand das Herrschen besser als das Gehorchen. Immerhin war dieser Adel, ehe er in das Preußen Friedrich Wilhelms III. eintrat, durch die Schule Fürstenbergs hindurchgegangen. Fürstenberg >) C. v. Olfers, Beiträge z. Gesch. d. Oberstiftes MUnster (1848) S. 43 ff. 2 ) Vgl. C. A. Schlüter, Provinzialrecht d. Prov. Westfalen I: Provinzialrecht des Fürstent. Münster (1829) S. 821. *) J. Roebers, Die Einrichtg. d. Provinzialstände in Westf. (Diss. Münst. 1914) S. 11 ff.; W. Keimer, Die Lage d. münsterländ. Bauern (Diss. Heidelb. 1915) S. 64 f.

Der münsterländische Adel vor und nach der Säkularisation

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h a t im Zeitalter Friedrichs d. Gr. und ein wenig auch wie ein geistlicher Friedrich das Münsterland regiert: ohne je Fürstbischof zu werden, doch der bedeutendste Herrscher, den es gehabt h a t . Er hielt die Adelsherrschaft in Kirche und Staat a u f r e c h t , aber er t a t zugleich alles, um jene Gedanken und Leistungen der Aufklärungszeit, die sich mit den Grundsätzen seiner Kirche vertrugen, f ü r das Münsterland fruchtbar zu machen. Er suchte das geistliche Wesen und insbesondere alle Erziehungstätigkeit mit einem freieren Geiste praktischen Christentums zu durchtränken. Die Fürstenbergische Reformarbeit wirkte auch auf den Adel ein. Politisches und soziales Verantwortungsgefühl blieb ihm nicht f r e m d . Kein Geringerer als der Freiherr vom Stein hat es ausgesprochen, daß der münsterische Adel sich gegen die verderblichen Paderborner Adelsfamilien, die das Land als eine Beute ansähen, sehr durch gemeinnützige Tätigkeit und liberale Gesinnungen auszeichne. 1 ) Aber auch diesem Adel m u ß t e die Säkularisation als eine ungeheuerliche Revolution und als unverwindlicher Schlag f ü r ihn selbst erscheinen. Durch den Untergang der kirchlichen Staatenwelt wurde diesen zahlreichen einander verwandten und verschwägerten Geschlechtern mit einem Male der altgewohnte Sammelpunkt genommen. Sie mußten die Stätte der Tätigkeit und der Versorgung zugleich entbehren. Die Vernichtung des geistlichen Staates zog die Vernichtung der bisherigen kirchlichen Verfassung nach sich. Was die ersten J a h r e preußischer Herrschaft im Oberstift Münster an fürstbischöflicher Überlieferung noch bestehen ließen, hat die napoleonische Herrschaft zerstört. Das Domkapitel, das noch Ende 1801 gehofft hatte, die preußische Herrschaft abzuwehren, vermochte nicht einmal den eigenen Bestand in die neue Zeit hinüberzuretten. Im J a h r e 1811 wurde es aufgehoben. 2 ) Damit waren die alten Landstände f ü r immer dahin. Die Franzosenherrschaft hat dem preußischen Staate, der für die Dauer ') Max Lehmann, Stein 1, 243. — Auch Chr. W. v. Dohm in seinen „Denkwürdigkeiten" 1 (1814) S. 318 rUhmt die geistige Überlegenheit des Münsterlandes „über benachbarte, vorzüglich über geistliche Lande". — Von begeisterten kathol. Stimmen der Zeit z. B. Priedr. Leop. Stolberg, Herbst 1801 (J. Janssen, Stolberg, 2. Aufl., 1882, S. 336): „Ich kenne Deutschland ziemlich genau und kann wohl mit Wahrheit sagen, daß kein Land im deutschen Reiche so rein an Sitten, daß in keinem die Religion so lauter gelehrt und so treu befolgt werde als im Hochstift Münster." St. verweist auf „die Einsichten und den erleuchteten Eifer" Fürstenbergs, deren Verwertung durch die fürstbischöfliche Regierung „zum Wohlstande, zur wahren Aufklärung, zur ehrwürdigen Sittlichkeit und Religiosität unglaublich viel beigetragen" habe. — Hübsche Bemerkungen über die Münsterländer gibt Annette v. Droste-Hülshoff („Bilder aus Westfalen", besond. Kap. 3; vgl. auch „Bei uns zu Lande auf dem Lande"). 2 ) v. Olfers a. a. O.; L. Schmitz-Kallenberg, Monasticon Westphaliae (1909) S. 52; Jos. Müller, Das Domkapitel zu Münster z. Z. der Säkularisation: Zeitschr. f. vaterländische Geschichte [Westfalens] 71 (1913) I, 1—104 (auch Diss. Münster 1913).

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I 1: Von der Welt zur Kirche.

Der Dorfpfarrer

hier der Herr werden sollte, nur in die Hand gearbeitet. Der Adel mußte sich daran gewöhnen, daß ihm die lockenden kirchlichen Stellen entschwanden, daß man auch bei Besetzung deutscher Bischofsstahle nach anderem zu sehen begann als nach der Ahnenreihe. Aber der Bann einer Jahrhunderte alten Überlieferung — durch Fürstenberg gemildert, nicht beseitigt — lag nun einmal auf diesen Familien. Ihre Mitglieder hatten nie die ganze Persönlichkeit dem Staate gegeben; sie hatten im Dienste der Kirche das adlig-münsterländische Gemeingefühl frei betätigt und höchstens noch gestärkt. Sie waren zusammengehalten durch eine starke Organisation und eine feste Tradition, durch die Gleichheit des Glaubens, der Sitte und des Wirtschaftslebens. Sie fühlten sich der preußischen Regierung gegenüber als Genossenschaft eigenen Rechtes. Nach der Auflösung des fürstbischöflichen Staates beschloß die Ritterschaft des ehemaligen Hochstiftes Münster am 13. Juni 1804, ihr gemeinsames Eigentum und ihre Verfassung ohne Rücksicht auf die neuen politischen Grenzen zu behalten. 1 ) Stein, der Reichsritter, billigte diesen übergreifenden Gemeinschaftsgedanken; Hardenberg aber verwarf ihn, und mit seiner Besorgnis vor solchem „Geist der Selbständigkeit, Anmaßlichkeit und angeborner Regierungsteilnahme" wußte er das Kabinett zu gewinnen. 2 ) So war der preußische Staat schon in dem Augenblicke, da er die Herrschaft in Westfalen übernahm, mit der münsterischen AdelsUberlieferung zusammengestoßen.

Unter den achtzehn Ritterschaftsmitgliedern, die zum Abschlüsse des Vertrags von 1804 zusammengekommen waren, finden wir Clemens August Freiherrn von Ketteier zu Harkotten*), des Bischofs Großvater. Er erscheint nicht als Führer, sondern als einer neben den anderen. So war es die Jahrhunderte hindurch gewesen: die Ketteier standen inmitten dieser Adelsgemeinschaft, ohne daß einer aus dem Geschlechte durch bedeutende Steigerung der gemeinsamen Züge oder durch eigenwilligen Bruch mit der Überlieferung sich aus der Reihe erhoben hätte. Man könnte, sieht man von dem kurländischen Zweige der Familie ab, höchstens bemerken, daß der einzige Ketteier, der auf den Bischofsstuhl zu Münster kam, in den Kämpfen zwischen alter und neuer Lehre sich der Sache seiner Kirche kühl gegenüberstellte; 1533 vom Domkapitel gewählt, hat Wilhelm von Ketteier, offenbar mehr protestantisch als katholisch gesinnt, die Bischofsweihe von sich gewiesen und nach vier v. Olfers 164 f., Anlage 11. — Über ähnliche Absichten des rheinischen Adels 1817/18 vgl. J . Hansen, Preuß. u. Rheinld. (1918) S. 41 f. *) Lehmann a. a. O. *) Harkotten, mittwegs zwischen Warendorf und Iburg, das Schloß (K- K ö t h , Ketteier, 1912, Bild 21), das die Familiengruft barg (Br. 142 Anm. 3), ein Lieblingsplatz Kettelers (vgl. z. B. Br. 63 unten, 134 oben).

Die Familie Ketteier. Adel und Kirche

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Jahren sein Amt aufgegeben. 1 ) Es mußte der Familie wie eine Entsühnung erscheinen, daß der Bischof des 19. Jahrhunderts, ein anderer Wilhelm von Ketteier, durch die Reinheit seiner kirchlichen Gesinnung und die Kraft seines kirchlichen Wirkens mehr als nur wiedergutmachte, was der Bischof des 16. Jahrhunderts an der Kirche gesündigt hatte. Im übrigen scheinen die Ketteier im alten Reiche schlecht und recht das Leben ihrer Adelsgenossen gelebt zu haben; von den geistlichen sind manche in den Domkapiteln zu Münster, Paderborn, Osnabrück und Hildesheim untergekommen. Am Vorabend der Säkularisation konnte einer von ihnen noch eine bescheidene Rolle spielen: nach dem Frieden von Lun£ville hat sich Freiherr Mathias von Ketteier, der zugleich auch in Münster und Hildesheim Domherr war, im Auftrage seines Osnabrücker Kapitels bei der Wiener Regierung um die Rettung des Bistums bemüht») — der Träger einer jener bischöflichen Bittschriften, die von der geistlichen Staatenwelt des Reiches das unvermeidliche Schicksal abzuwenden suchten. Zahlreicher als irgendwo sonst standen im weltlich gewordenen katholischen Westfalen die alten Domherren als Zeugen einer vergangenen, doch unvergessenen geistlichen Herrschaft da. Kaum eines der eingesessenen Geschlechter, das nicht in diesem oder jenem benachbarten Stifte bis zu letzt einen Platz behauptet hätte. Auch der Ketteier, der seiner Kirche mehr bedeuten sollte als alle die Dutzende seines Geschlechtes in Jahrhunderten zusammengenommen, ist noch umweht von der altgeheiligten Überlieferung. Man empfindet das Nachwirken des Vergangenen, wenn man sieht, daß er selbst als fünfundzwanzigjähriger Regierungsreferendar die Tonsur erhielt, um die Einkünfte eines geistlichen Benefiziums beziehen zu können*), und daß die münsterländischen Adligen, die einst die Kirche ihres Landes beherrscht hatten, noch vier Jahrzehnte nach dem Untergange des geistlichen Staates nur ungern auf den Gedanken verzichteten, den Kaplan Wilhelm von Ketteier frischweg auf den Bischofsstuhl von Münster zu bringen. 4 ) Ganz persönlich aber ward er in frühester Jugend von der alten Zeit berührt. Der Hildesheimer Domherr Wilhelm von Ketteier, des Vaters Bruder, hob ihn aus der Taufe 6 ); eine freundliche Ironie will es, daß ') Vgl. C. Eubel, Hierarchia catholica 3 (1910) S. 265. Die Urkunden zur Resignation wurden in der mQnsterischen Zs. f. vaterländ. Gesch. 2, S. 234—261 im Jahre 1839 veröffentlicht, sind also der Familie Ketteier gewiß nicht unbekannt geblieben. ') Beckschäfer in d. Mitteil. d. Vereins f. d. Gesch. v. Osnabrück 34 (1909), 144 u. 149. ») Pfttlf 1, 46 und 3, 359, dazu C. Mirbt: Hist. Ztschr. 90(1903), 128; ferner Kettelers Brief vom 11. Sept. 1841 (Br. 102). 4 ) A. v. Droste-Hülshoff, Briefe, hrsg. v. Cardauns Nr. 159 (7. Aug. 1846) S. 356. *) Der weihnachtliche zweite Taufname Emmanuel, der in der Familie niemals gebraucht wurde, ist von Wilhelm Ketteier selbst erst 1850 zu bischöflichem Schmucke hervorgezogen worden.

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I 1: Von der Welt zur Kirche.

Der Dorfpfarrer

dieser Pate des künftigen leidenschaftlichen Kämpfers gegen die Freimaurerei Meister vom Stuhle war. 1 ) Seine Eltern aber, die beide im dreiunddreißigsten Lebensjahre standen, als ihnen am Weihnachtstage 1811 zu Münster, unter französischer Herrschaft, dieser vierte Sohn geboren wurde, hatten das letzte J a h r z e h n t des Fürstbistums bewußt durchlebt. Freilich hat die fromme Erinnerung an das Vergangene diese nüchtern-verständigen Menschen nicht abgehalten, sich in die Gegenwart zu schicken. Während andere westfälische Adlige in katholischer Reichsüberlieferung für sich oder ihre Söhne den österreichischen Dienst suchten, hat der junge Freiherr Friedrich von Ketteier zu Kaldenhoff sofort das neu errichtete preußische L a n d r a t s a m t im Kreise Warendorf übernommen 8 ), und weder er noch seine Gattin — eine Tochter des letzten Generalgouverneurs von Münster — trugen Bedenken, drei ihrer Söhne im preußischen Kadettenkorps unterzubringen. Wir kennen die Eltern, die Mutter zumal, aus ihren eigenen Briefen und aus Berichten ihrer Kinder und Hausgenossen. Die Lebensführung zeigt die erstaunliche Einfachheit, die uns auch sonst f ü r jene Adelskreise bezeugt ist. Die Bescheidenheit in der „wohlgeordneten Haushaltung" der Annette von Droste-Hülshoff, uns aus ihren Briefen 3 ) bekannt, mag ihr Persönliches haben, mag eine besondere Dürftigkeit zeigen, aber wesentlich anders lebten auch die Ketteier nicht in der Stadt oder auf dem schlichten Landsitze. Auch von ihnen gelten die Worte in Eichendorffs „Deutschem Adelsleben am Schlüsse des 18. J a h r hunderts" 4 ): „Ein guter Ökonom war das Ideal der Herren, der Ruf einer ,Kernwirtin' der Stolz der Dame. Sie h a t t e n weder Zeit noch Sinn für die Schönheit der Natur, sie waren selbst noch N a t u r p r o d u k t e . " Wirtschaftlich tüchtig, sparsam und streng, lebten Kettelers Eltern 5 ) in dem überkommenen Geiste einer natürlich-aufrichtigen, kirchlichreinen Frömmigkeit, die nie in Askese aufging oder zur Schwärmerei neigte, in einem einfach-stolzen Adelsgefühl, einer tief wurzelnden Familienüberlieferung, die gefestigt und zugleich erweitert wurde durch das Gemeinbewußtsein der seit Menschengedenken benachbarten und verwandten münsterländischen Geschlechter. Dem sehr strengen Vater hat Ketteier hohe Begabung nachgerühmt. 6 ) Die Mutter, weniger herb ') Von 1808 bis zu seinem Tode (1820) Meister der Loge z u m stillen Tempel in Hildesheim. Vgl. R. Taute, Die kathol. Geistlichkeit u. die Freimaurerei (1895) S. 56 = 3. Aufl. (1909) S. 105; Allgem. Handbuch d. Freimaur. 1 (1000) S. 536. ') Als Landrat wird er in der Ritterschaftsurkunde v o n 1804 (oben S. 6 Anm. 1) genannt. — Als im Herbst 1813 das preußische Heer die preußische Herrschaft nach Westfalen zurückbrachte, baute man vor allem auf „gutgesinnte Patrioten, namentlich ehemalige preußische Landräte". Vgl. B o y e n s Instruktion für den ins Paderbornische und in die Grafschaft Mark entsandten Borstell: Meinecke, Boyen 1, 345 f. *) Hg. v. Cardauns S. 141 u. ö. *) In der Inselausgabe der Werke Eichendorffs (hg. v. Frz. Schulz) 2 S. 484. 5 ) Bilder der Eltern: Köth (oben S. 6 Anm. 3), Bild 1 u. 4. •) Briefe von 1843 (Br. 136) und 1839 (Pfülf 1, 3).

Kettelers Eltern.

In der Jesuitenschule

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aber kaum minder derb als der Vater, läßt Züge ernster Selbstzucht und edler Selbstlosigkeit erkennen, eine Frau, der die Erinnerung an die eigene strenge Jugend die freundliche Mitteilsamkeit und den angeborenen Drang zum Trösten und zum Helfen nur noch verstärkte. 1 ) Wesenszüge der Mutter kehren im Sohne wieder. Aber das Adelsgefühl erscheint in ihm gesteigert, das Eigenbewußtsein zur Eigenwilligkeit vergröbert. Die herrische Heftigkeit, die unbändige Wildheit des jähzornigen Knaben spotteten der harten Willenskraft des Vaters wie der durch Herzlichkeit gemilderten straffen Zucht der Mutter. Man wußte sich nicht anders zu helfen, als daß man den Dreizehnjährigen vom heimatlichen Gymnasium wegnahm und der jesuitischen Erziehungsanstalt zu Brieg im Wallis übergab. 2 ) Indessen, das heftig aufbrausende Wesen des Knaben, der in leidenschaftlicher Ursprünglichkeit zum Streite, zur Versöhnung und wieder zu neuem Streite immer gleich bereit schien, vermochte auch die Erziehungskunst der Jesuiten nur langsam ein wenig zu dämpfen. Die Eigenkraft seiner frischen Natur hat ihn, dem das Herz in heißer Heimatliebe schlug, freilich auch davor bewahrt, in der (übrigens von Söhnen des katholischen Adels Deutschlands stark besuchten) internationalen Anstalt seine deutsche Art zu verlieren oder zu verleugnen; französische Mitschüler, die sich gern an den Deutschen rieben, hat er sein Preußentum mit westfälischer Faust fühlen lassen. In die jesuitische Erziehungsweise wußte er sich nur schwer zu schicken. Die polizeimäßige Überwachung des Verkehrs war nicht lediglich eine Belastung seiner Eigenwilligkeit, sie m u ß t e seinem ganzen naturhaft-freien Wesen zur Fessel werden. Aber die wohl ausgedachte, den Zwang mit Freiheit mischende Schulung ist ihm, der später Massen zu meistern h a t t e , wertvoll geworden. Tiefere Bildung h a t er nicht gewonnen. Als er im Spätsommer 1828 Brieg verließ, scheint er neben guten mathematischen nur leidliche Sprach- und bescheidene Geschichtskenntnisse mitgenommen zu haben. Er erhielt bei der Abiturientenprüfung in Münster das Zeugnis der bedingten Reife zu den akademischen Studien. 3 ) Ohne viel Besinnens beschritt er dann den Weg des Vaters und des ältesten Bruders: das Rechtsstudium sollte auch ihn in die preußische Beamtenschaft führen. ') Vgl. außer ihren Briefen (Auszüge: Pftilf 1 , 3 f f . ) u. a. Kettelers Äußerungen: Br. 117, 123, 134. Die Mutter starb 1844 (dazu Briefe 140 ff.), 12 Jahre nach dem Vater. s ) Zum folgenden: Br. 2 ff., 39, 545 (394); Pfülf 1, 13 ff. — Die jesuitische Erziehung gilt ihm 1841 als unübertrefflich, aber in Brieg hatte er noch unter den Mängeln ihrer früheren Lehrmethode zu leiden: Br. 74 Nr. 3 5 ; über den Wert klösterlicher Erziehungsanstalten überhaupt: Br. 88 (25. März 1841). — Vgl. auch K s Äußerung von 1866: Pfülf 2, 5 5 f . — Über die Anstalt in Brieg j e t z t : Pfülf, Die Anfänge der deutschen Provinz der neu erstandenen Gesellsch. Jesu u. ihr Wirken in der Schweiz 1805—1847 (Freiburg 1922) S. 161 ff. u. 277 ff. (Im Jahre 1826 über 100 Zöglinge, darunter „ v i e l e " aus deutschem Adel). 3 ) Das Zeugnis: Pfülf I, 27 f. — Dazu Br. 64 u. a. gelegentliche Bemerkungen Kettelers.

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I I: Von der Welt zur Kirche.

Der Dorfpfarrer

Als Göttinger Korpsstudent (Herbst 1829 —Sommer 1830)1) ist Ketteier in einem oberflächlichen, genußfrohen Studentenleben aufgegangen. Durch sein herrisch-herausforderndes Wesen war der hochgewachsene Westfale vor den meisten adligen Genossen gekennzeichnet. Wie seine offene Art und frohe Kameradschaftlichkeit, so hielten die Freunde von damals sein leidenschaftliches Selbstbewußtsein im Gedächtnis. 2 ) Der Verlust der Nasenspitze im Säbelduell, den ihm später wohl törichte Polemik vorgehalten hat, erinnerte ihn selbst noch mehr als die anderen zeitlebens an die Streitsucht seiner Studentenjahre und an seine jugendlich-jähzornige Ungeduld, die ohne der Mutter aufopfernde Hilfe die Heilung unmöglich gemacht hätte. Von dem, was das damalige Göttingen geistig bedeutete, hat Ketteier kaum etwas in sich aufgenommen. Die geschichtlichen Vorlesungen, die er belegte, besuchte er schwerlich besser als die juristischen; wir wüßten nicht, daß er von der männlichen Persönlichkeit Dahlmanns oder aus der Anschauungskraft und historisch-politischen Einsicht des greisen Heeren etwas für das eigene Leben gewonnen hätte. In Berlin, Heidelberg, München, dann wieder in Berlin hat er sein juristisches Studium weiterbetrieben und beendet, fast immer auf den gewohnten adligen Umgang beschränkt, ohne tiefere Anregungen zu empfangen. Im Frühjahr 1833 wurde er Auskultator am Land-und Stadtgericht zu Münster, im Herbst 1835 Regierungsreferendar; er erfüllte seine Pflicht, aber er zeigte für seine Aufgaben weder besondere Neigung noch besonderes Verständnis. 8 ) Die innere Welt seiner Studien- und Referendarjahre ist uns nicht ganz verschlossen. Ketteier hat auch als Student nicht mit dem Katholizismus gebrochen, aber er bewahrte von seinem Kirchentum offenbar nur gerade so viel, wie bei dem engen Zusammenhange mit seiner frommen Familie gewissermaßen von selbst lebendig bleiben mußte. Die „Nachfolge Christi" begleitete ihn als schwesterliches Geschenk auf die Universität; aber sie bestimmte nicht seine Lebensführung und Lebensauffassung. Die Mutter, die 1831 schrieb „Wenn Wilhelm nicht so fest im Glauben wäre, dann würde mir um ihn recht bange sein", l ) Über das damalige Korps Guestphalia, dem Ketteier angehörte, vgl. W. Fabricius, Die dt. Korps (1898) S. 370 ff. — Kösener Korpslisten 1798—1904 hg. von K. Rügemer (1905) S. 208 (Nr. 20: K- 1829/30). *) Logs Äußerungen (Pfülf 1, 28) hat mir Goswin Freiherr von der Ropp in Marburg (f 17. Nov. 1919) bestätigt und ergänzt aus Erzählungen seines Oheims, der Kettelers Korpsbruder war und später noch einmal im Zwiegespräche mit dem Bischof die Erinnerungen an gemeinsame Studentenstreiche austauschen konnte. •) Vgl. den Brief der Mutter von 1836 (Pfülf 1, 45) und Kettelers eigene Äußerungen: Br. 1, 67 f. und 171 (zu ergänzen aus Pfülf 1, 176). — Aus Kettelers Auskultatorzeit liegt (Pfülf 1, 39 ff.) eine bescheidene Probearbeit über die preußische Judengesetzgebung vor; er stellt fest, daß sich „allgemein das Bedürfnis einer noch größeren rechtlichen Beschränkung" der Juden kundgegeben habe, und wünschte namentlich für Westfalen diesen „dringenden Anforderungen" Erfolg.

Student und Referendar.

Das Innenleben des jungen Ketteier

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hat offenbar seine Glaubensgewißheit Oberschätzt. Ketteier war als Student „kein eifriger Katholik", nur „die höchste Achtung vor der heiligen Religion" blieb ihm unverloren. So hat er selbst später einem vertrauten geistlichen Freunde bekannt. 1 ) Ob ihn ernste Glaubenszweifel gequält haben? Ihm fehlte jene drängende Selbstbestimmung des Geistes, die aus innerem Triebe heraus auch geheiligte Überlieferungen auf ihr Recht prüft, sie an der eigenen Persönlichkeit zu messen wagt. Seine Gedanken haben ihn nicht solche Wege geführt, wo ihm der geistige Bruch mit dem Katholizismus hätte drohen müssen. Aber er war nicht so oberflächlich, daß ihm Kämpfe mit der Welt des Unglaubens und der Sinne erspart geblieben wären. Im Februar 1841, als er den Entschluß zum Priestertum gefunden hatte, erinnerte er sich der Zeiten, da ihm die Ruhe des guten Gewissens noch fehlte.») Im Herbste desselben Jahres aber hat er im Eichstätter Seminar, tief ergriffen durch das Schicksal eines anderen, Rückschau haltend auf das eigene Leben, der Lieblingsschwester Worte geschrieben, die einen erschütternden Anblick der aufwühlenden inneren Not seiner jüngeren Jahre gewähren: „Man muß selbst erfahren haben, was in dieser unglückseligen Zeit fast alle jungen Menschen erfahren: wie sich in einem Augenblicke oder vielmehr in einem Zeiträume unseres Lebens die fürchterlichsten Extreme nahe berühren, Extreme, die wir gar nicht ahnen, Abgründe, in die wir schon unendlich tief geschleudert sind, während wir uns noch auf der Höhe dünken. Da ist der Obergang so fein, so unscheinbar, selbst zu dem Elendesten und Verworfensten, daß man nur mit Entsetzen an diese Zeit zurückdenken kann. In je größerer Gefahr man da selbst geschwebt, desto tieferes Mitleid fühlt man mit jenen, denen Gott nicht so überfließende Gnaden zugewendet, um diesem Elende zu entgehen." 8 ) Wenn der Katholizismus des Studenten kaum mehr war als ein Stück Lebensgewohnheit, das man mit naiver Selbstverständlichkeit festhält, weil der Antrieb fehlt, es preiszugeben, so hat die Rückkehr auf den heimatlichen Boden den jungen Ketteier wieder einer eifrigeren Kirchlichkeit zugeführt. Nicht in mächtiger innerer Wandlung. Ihm war der Glaube nicht verloren gegangen, sondern nur matt und lau geworden. Er wurde ihm zunächst auch weniger von innen her gestärkt als von außen belebt in dieser festgefügten Gemeinschaft, die nur Menschen einer Herkunft und einer Gesinnung kennen wollte. 4 ) Einem um zwei Jahre älteren preußischen Offizier erschien der Referendar ») Pfülf l, 36. ») Br. 81 (an s. Bruder Wilderich). *) Br. 104. Vgl. die von Pfülf 1,35 angeführten Äußerungen aus der bischöflichen Zeit, auch Br. 116 (s. die folg. Seite Anm. 4). 4 ) Namentlich die Briefe der Annette v. Droste lehren in höchst anschaulicher Weise, wie diese ganze Adelsgemeinschaft durch jegliche Abweichung von ihrer Lebensanschauung und Lebensart in Aufruhr versetzt wurde. Vgl. unten S. 19 Anm. 3.

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Der Dorfpfarrer

Ketteier nicht nur als sehr klug, ernst erzogen und von N a t u r sehr solide, sondern auch als ein strenger Katholik, der den Einwirkungen der Geistlichkeit gehorchte. Man darf freilich aus diesen Worten nicht zu viel folgern. Eduard von Fransecky 1 ), damals Divisions-Adjutant in Münster, schrieb sie unter dem Eindruck späterer Erfahrungen erst nach dem Tode Kettelers nieder. In der Erinnerung eines andern landfremden protestantischen Edelmanns 2 ) lebte der Ketteier von damals jedenfalls nur als flotter Referendar weiter, der weniger geistliche Züge zeigte als sein freilich immer sehr herber und frommer älterer Bruder Wilderich. 8 ) So viel ist gewiß: der spätere Bischof war in jener Zeit nahe daran, untrennbar mit der Welt verkettet zu werden. Er liebte und wurde geliebt. Glaube, Gesinnung, adlige H e r k u n f t , alles schien glücklich zusammenzustimmen. Aber die beiden glichen einander auch in der nüchternen Auffassung der äußeren Lebensbedingungen; in den wirtschaftlichen Verhältnissen, die ihrer Verbindung im Wege standen, sahen sie Gottes Willen gegeben. 4 ) Von kirchlich-asketischen Vorstellungen war Ketteier in seiner unbefangenen Jugendfrische, dem adligen Geselligkeitsdrang und einer fast wilden Jagdleidenschaft 6 ) weit entfernt. Geistliche Gedanken sind erst nach dem Kölner Kirchenstreit in ihm aufgestiegen. Der heftige Zusammenstoß zwischen der preußischen Regierung und der erzbischöflichen Kurie in Köln f ü h r t e von dem Streit über das kirchliche Verfahren bei Mischehen zu einem Ringen zwischen weltlicher und geistlicher Gewalt überhaupt. J e t z t zum ersten Male im Denkwürdigkeiten (1901) 183. Zur Kritik Franseckys ist zu beachten, daß er über Kettelers Hinwendung zum geistlichen Berufe völlig falsche Angaben bringt. ' ) Udo v. Alvensleben bei E. L. v. Gerlach, Aufzeichnungen 2 (1903) S. 348. — Dazu U. v. A. an K. 24. Febr. 1875: Br. 499. ' ) Uber Wilderich sind namentlich Kettelers Äußerungen von 1840/41: Pf Ulf 1, 65 (Br. 53 sind diese Satze, wie viele andere, unterdrückt), Br. 72 (oben) und 80 (unten) zu beachten. Vgl. auch den Trostbrief den er 1873 (Br. 477 f.) an W.s Witwe, die jüngste Tochter Friedrich Stolbergs, schrieb. Neben Kettelers Briefen an die Lieblingsschwester Sophie sind die an Wilderich und dessen Frau besonders wertvoll. — Einem urteilsvollen kirchlichen Gesinnungsgenossen in der preußischen Nationalversammlung von 1848 erschien Wilderich K- als „ein recht tüchtiger und gescheidter Deputierter". Vgl. Ferd. Walter, Aus m. Leben (1865) S. 204 f., in einem Briefe aus Berlin vom 13. Aug. 1848. 4 ) Berichte aus s. Verwandtenkreise: Pfülf 1, 4 3 f . — Dazu Br. 23 (an s. Schwester Sophie, 3. Aug. 1839): „Wünsche, Hoffnungen und selbst vermeintliche Verpflichtungen" haben ihn „zu einem wahren Labyrinth von Wirrwarr gemacht". Vgl. auch Br. 116 (an dieselbe, 5. Juni 1842): „Mit der Heiratswut kömmt es bei uns noch auf einen gefährlichen Punkt. Es ist und bleibt aber auch meine feste Überzeugung, daß es nur zwei Stände auf Erden gibt: den geistlichen und die Ehe. Von den Gefahren, die auf dem ni l'un ni l'autre liegen, habt ihr Frauen wohl keine Ahnung". ' ) Zahlreiche Zeugnisse in s. Briefen (vgl. noch 1843, Br. 137 Mitte) und Äußerungen seiner Angehörigen.

Das Münsterland und die preußische Herrschaft

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19. Jahrhundert zeigte der kirchenstrenge deutsche Katholizismus seine kampfbereite Macht. Tausende deutscher Katholiken wurden kirchlich, kirchenpolitisch aufgerüttelt. Auch dem jungen Ketteier galt der Kampf um Droste-Vischering letztlich als Kampf um den Katholizismus. Aber man darf das Kölner Ereignis nicht einfach zu Kettelers Damaskus machen wollen. Er brauchte sich nicht von Grund auf zu wandeln; eben darum entfaltete sich die kirchliche Wesensart, die in ihm ruhte, nur ganz allmählich, und nur sehr langsam h a t er den Weg zum Priestertum gefunden. Gewiß wurde durch die Gefangensetzung des Erzbischofs Klemens August sein katholisches Empfinden schwer verletzt 1 ), aber er betrachtete sie nicht lediglich als Katholik, sondern auch als westfälischer Edelmann, dessen Standesehre in dem Genossen getroffen war. Das will sagen: ein entsprechendes Vorgehen der preußischen Regierung gegen irgendeinen beliebigen Bischof h ä t t e damals nicht die gleiche Wirkung auf ihn hervorgebracht. Das Erlebnis von 1837 gehörte allerdings seiner, auch in der kirchlichen Idee gegründeten Vorstellungswelt an, aber es war nicht weniger ein auf kirchlichem u n d landschaftlichem Grunde ruhender Gemeinbesitz der münsterländischen Adelsgenossenschaft. Die zwei Jahrzehnte preußischer Herrschaft hatten die Überlieferungen und Gewohnheiten dieses Adels nicht zerstört. Die alte Gemeinschaft der Westphalen, Droste, Galen, der Merveldt, Bocholtz, Böselager und Schmising-Kerssenbrock, der Korff, Ketteier und anderer Geschlechter mehr, sie stand in ihrem Wesen unverändert inmitten des preußischen Westfalens. Mochten selbst unter den Älteren, die das Fürstbistum noch gekannt hatten, nur wenige in der Art der greisen Freifrau von Droste-Hülshoff lediglich dem Vergangenen in sehnsuchtsvoller Erinnerung nachhängen 2 ), — darin stimmten sie alle zusammen, d a ß nirgend sonst als in jenem Vergangenen die Wurzeln ihrer Gemeinschaft zu suchen seien; ihre Erinnerungen und ihre Anschauungen wiesen sie zurück in die kirchlichen Krummstablande*), nicht in das protestantische Preußen. Der münsterländische Adelskreis hat sich dem preußischen Beamtentum und Offizierkorps keineswegs steif verschlossen. Diese Edelleute selbst suchten und fanden dort wie hier ein Unterkommen. Aber schon der äußerliche gesellschaftliche Verkehr im Münsterlande wurde in seinen eigentümlichen Formen durch die Adelsüberlieferung bestimmt. In Münster hatten die altheimischen Geschlechter ihre Häuser; einige wohnten ständig in der Stadt, aber auch für die anderen war sie der gesellschaftliche Sammelpunkt im Winter. ») Vgl. namentlich den Brief (an Wilderich) vom 23. Sept. 1840: Br. 63. ") Vgl. die Briefe der Annette Droste, hg. v. Cardauns, S. 246 u. 333, auch die köstlichen Bemerkungen S. 179 f. *) Vgl. neben den Briefen der Droste (vorige Anm.) auch den Anfang ihrer 1840 geschriebenen „Bilder aus Westfalen".

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11: Von der Welt zur Kirche.

Der Dorfpfarrer

Die Frauen gaben den Ton an. Der im Jahre 1800 begrfindete Damenklub 1 ), der die vornehmste Form der Geselligkeit geschaffen hatte, war in das preußische Westfalen hinQbergetreten, ohne von seinem Bestände oder seiner Ausschließlichkeit etwas Wesentliches zu opfern, ohne auch die Fühlung mit den geistlichen Freunden und Beratern zu verlieren. Nur das kleine Zugeständnis mußte man mehr dem Heimats- als dem Standesstolze machen, daß außer den Frauen des westfälischen Adels die des Oberpräsidenten, des kommandierenden Generals und des Divisionskommandeurs Mitglieder wurden. Der adlige Absperrungsgedanke war auch ffir die Auswahl der Gäste maßgebend: preußische Offiziere und Fremde von Adel durften hier verkehren; einem Bürgerlichen öffnete sich nur ausnahmsweise der Weg in diesen Kreis. Eine derartig streng geschlossene Adelsschicht wollte und konnte nicht im preußischen Wesen aufgehen. Aber Söhne dieser Familien wandten sich dem preußischen Staats- und Heeresdienste zu. Damit war wenigstens eine Verbindung geschaffen, die man schätzte, so sehr man in der Stille zu der Klage neigte, daß die hungrigen Leutnants mehr Zulage kosteten, als wenn sie zu Hause wären.*) Die Annäherung der heimischen und der neuen preußischen Elemente konnte sich bei ihrer Wesensverschiedenheit nur in sehr gemessener Weise vollziehen. Wenn sie dennoch schon unter Friedrich Wilhelm III. über das rein Gesellschaftliche hinauszugreifen begann, so verdankte man das gutenteils den leitenden Männern in Heer 3 ) und Verwaltung der Provinz. x

) Zum folgenden: die Briefe der Droste (bes. S. 184), die Erinnerungen Franseckys (S. 135 ff.), vereinzelte Äußerungen Kettelers (Br. 52), auch Levin Schückings Roman „Die RitterbUrtigen" und dazu wieder die Briefe der Droste. — Über den Damenklub ist mir eine besondere Darstellung nicht bekannt-, eine Notiz Uber die Gründung in dem Schriftchen: Der Civil-Clubb in Münster während des ersten Jahrhunderts seines Bestehens (Münster, Aschendorffsche Buchdruckerei, 1875) S. 25. — Bezeichnend für die wenig erfreulichen ersten Beziehungen des Damenklubs zu den preußischen Offizieren (1803 ff.) die Erzählung des aus Cleve stammenden preußischen Geheimrats Christoph Sethe (1767—1855): Gustav Freytag, Bilder aus d. dt. Vergangenheit 4 (Aus neuerer Zeit) S. 378 ff., 387. ») Droste-Hülshoff, Briefe 159 (9. Febr. 1838, also nach dem Zusammenstoß mit dem Staate). — Für K- persönlich vgl. den Brief, den er an seinen Bruder Wilderich aus Münster 9. Juli 1838 (Br. 7; Pfülf 1, 37 f.) schrieb, zwei Tage, nachdem er „endlich die Zwangsjacke ausgezogen", d. h. seine vierzehntägige Übung als Unteroffizier im münsterischen Landwehr-Ulanenregiment geschlossen hatte: • . . „der Pflichtenkreis eines Unteroffiziers ist an sich schon nicht reizend, für einen Mann unseres Standes, unserer Sinnesart und unserer Bildungsstufe aber fast unerträglich". — Fransecky (S. 183) erzählt, K- habe sich „als Einjähriger beim 11. Husarenregiment durch Diensteifer hervorgetan, jedoch das Landwehroffiziersexamen nicht gemacht, vielleicht um die vor seinem Eintritt in das genannte Regiment ausgesprochene, von der Ersatzbehörde aber zurückgewiesene Behauptung, für den Militärdienst nicht tauglich zu sein, aufrecht zu erhalten". (K. hatte sich auf die künstlich angeheilte Nasenspitze berufen!) >) Vgl. S. 16 Anm. 2. Über Wrangeis Tätigkeit in Münster s. G. v. Below: Dt. Revue 28 (1903) I, 133 ff. u. 325 ff. und Zurbonsen: Ztschr. f. vaterländ. Gesch. [Westfal.] 63 (1905) 1,257 ff. und die dort genannte Literatur.

Die preußische Verwaltung in Westfalen. Ludwig v. Vincke

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Es war von großer Bedeutung, daß die preußische Regierung in Westfalen an oberster Stelle einen trefflichen Vertreter aufweisen konnte. Der Oberpräsident hatte ja nicht nur als das Haupt des Beamtenkörpers der Provinz die Verwaltung zu leiten, er vertrat zugleich auch König und Regierung den Provinzialständen gegenüber, war als Regierungsbeauftragter in der Ständeversammlung der berufene Vermittler zwischen den Anforderungen des Staatslebens und den Anschauungen und Bedürfnissen der Stände, d. h. in Westfalen vor allem des Adels. Von 1816 bis 1844 ist Ludwig Freiherr von Vincke, Steins bewährter Mitarbeiter, Oberpräsident von Westfalen gewesen. 1 ) Er war der geborene Verwaltungsmann, doch einer von denen, die den Menschen im Beamten nicht aufgehen lassen. Seine eigenwillige, lebhafte, ja heftige Natur stand gelegentlich seinen guten Absichten im Wege, aber gerade seine edle Leidenschaftlichkeit, durch große Gedanken gehoben, durch Klugheit gezügelt, hat ihn auf die Höhe seiner Leistungen und seiner Erfolge geführt. Für die neue preußische Provinz war er wie geschaffen. Er kannte und liebte das Land. Er war selbst Westfale, aber nicht Münsterländer, er war vom Adel, aber als Protestant blieb er in dem nötigen Abstände von der katholischen Aristokratie. Das schlichte Männlein, das sich mit fast salopper Sorglosigkeit in dieser gemessenen Gesellschaft bewegte, war ehrlich darauf bedacht, die rechte Grenze zu finden zwischen den Staatsnotwendigkeiten und den besonderen Wünschen der Provinz, der er seine Klugheit und seine Arbeitskraft in leidenschaftlicher Hingabe widmete. Er konnte nicht alles erreichen, was er selbst für das Land begehrte. Jedenfalls hat er das Wesentliche richtig erkannt. Er begriff sofort das Besondere, das in dem Katholizismus gegeben war. Gerade weil er in dem bodenständigen Bekenntnis der großen Mehrheit der Westfalen „ein Hindernis ihrer Aneignung" sah, hielt er „die allersorgsamste Behandlung" für geboten. Er verlangte rascheste Regelung der Beziehungen zum römischen Stuhle, Ordnung des Diözesanwesens, Sicherstellung der Mittel für den Kultus, Heranbildung eines tüchtigen Pfarrerstandes. „In katholischen Ländern wird immer die Gesinnung und Anhänglichkeit der Geistlichkeit die des Volkes bestimmen; ist jene gewonnen, l ) Außer der bekannten Literatur Ober Vincke (s. die Übersicht in der oben S. 4 Anm. 3 gen. Dissertation von Keimer) vgl. heben v. Fransecky 135 f. auch (für die Zeit, da Vincke noch Zivilgouverneur war) die hübsche Szene, die von (W. Langewiesche) in „Jugend und Heimat, Erinnerungen eines Fünfzigjährigen" (1916) S. 67 f. nach mündlicher Überlieferung geschildert wird. Von dem „schwachen Oberpräsidenten von Vincke" zu reden, hat nur Graf Ferd. v. Galen fertiggebracht (E. v. Kerckerinck zur Borg, Beiträge z. Gesch. d. westfäl. Bauernstandes (1912) S. 841); über Galens Urteilsfähigkeit vgl. unten S. 38 mit Anm. 5, über sein Verhältnis zu Vincke vgl. den Brief der Droste vom 5. Januar 1841 (S. 239 f.). — Für die Zelt nach dem Kölner Kirchenstreit vgl. im übrigen unten S. 34 Anm. 6.

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so wird es auch mit dieser weniger schwierig sein." 1 ) Diese Worte zeigen, daß es der Auffassung Vinckes entsprach, wenn z. B. die preußischen Offiziere auf einen freundlichen Verkehr mit dem Klerus von Anfang an Gewicht legten. 2 ) Schwächliche Nachgiebigkeit kannte er darum doch nicht. Die eigenmächtigen Eingriffe in das Universitätswesen, die sich der münsterische Generalvikar Droste-Vischering, der spätere Erzbischof, gestattete, hat er scharf abgewiesen. 8 ) Aber die katholische Bevölkerung Münsters, die es während der Franzosenherrschaft gelernt hatte, das rücksichtsvollere preußische Verfahren in Kirchensachen zu schätzen 4 ), verkannte seine ehrlichen Bemühungen um ihre Anliegen nicht. Daß auf seine Fürsprache hin die westfälischen Franziskaner ihren Bestand wieder auffrischen konnten, blieb ihm unvergessen; noch im J a h r e 1847 wurde in einer westfälischen Zuschrift an den Mainzer „ K a t h o l i k " daran erinnert. 6 ) Über Vinckes Kirchenpolitik scheint niemand geklagt zu haben. Aber in einzelnen Adelsfamilien herrschte schon vor dem Kölner Kirchenstreite und unabhängig von kirchlichen Gegensätzen eine Verstimmung, ja Erbitterung über diese Regierung, die den Führern des adlig-landschaftlichen Sondertums zu bürokratisch und zu dogmatischliberal erschien. 6 ) Auch bei denen, die günstiger über Preußen urteilten, blieb der innerliche Abstand von dem Staate bestehen. Darum eben, weil die Gemeinschaft der Staatsauffassung fehlte, konnte die Eintracht zwischen preußischer Regierung und münsterischem Adel mit einem Ruck zerrissen werden, als diese Familien durch die Gefangennahme des Erzbischofs Klemens August zugleich in ihrem westfälischen Adelsgefühl und in ihrem katholischen Empfinden getroffen wurden. So wenig wie das kaum schüchtern aufkeimende preußische Staatsbewußtsein hielt das ritterliche Treuverhältnis zu dem König, der freilich seine protestantische Abneigung gegen den Katholizismus gelegentlich schroff hervorzukehren liebte 7 ), einer solchen Belastungs') Bericht Vinckes an Hardenberg, Berlin, 19. Juni 1816: E. v. Bodelschwingh, Leben Vinckes 1 (1853), 611. ») H. v. Petersdorff, General v. Thielmann (1894) S. 306 f. 3 ) Brief Drostes an den Kultusminister, 21. März 1820: (Tübinger) Theol. Quartalschr. Jahrg. 1820 S. 514. — Vgl. Treitschke 3, 218 f. *) Vgl. Hülsmann: Zs. f. vaterländ. Gesch. [Westfal.] 63 (1905) I, 88. ») „Katholik" 1847 S. 443. •) Vgl. die beiden lehrreichen, doch mit Vorsicht aufzunehmenden Briefe, die der (von der Regierung verklagtet) Werner v. Haxthausen 1834 an Jos. Görres schrieb: Görres, Briefe 3,421 ff. (besonders 427f.); seine Schrift „Über die Grundlagen unserer Verfassung" nennt v. H. selbst „konfus". — Für Ferd. Galen (vgl. oben S. 15 Anm.) war die Regierung unter Vincke „ein verknöchertes Aggregat von bureaukratischen und liberalen Bestandteilen". — Vgl. dazu Treitschke 4, 555 f. ') Außer W. Wendland, Die Religiosität und die kirchenpolit. Grundsätze F. W.s III. (1909) S. 144ff. vgl. die dort noch nicht verwerteten „Aufzeichnungen von Caroline v. Rochow, geb. v. d. Marwitz, und Marie de la Motte-Fouqud", bearb. von Luise v. d. Marwitz („Vom Leben am preuß. Hofe 1815—1852"), 1908, bes. S. 252.

Wirkungen des Kölner Kirchenstreites i m Münsterlande

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probe stand. Diese westfälischen „RitterbQrtigen" waren doch nur „negative Preußen" 1 ) geworden. Wie glüht selbst in dem „Geistlichen J a h r " der Droste das kirchliche KampfgefQhl, wenn sie zum Evangelium vom Zinsgroschen ausruft 2 ): Gebt Gott sein Recht und gebt's dem Kaiser auchl Sein Odem ist's, der um den Obern schwebet; aus Hochmut nicht, in Eigenwillen hebet nicht eure Rechte gen den heil'gen Brauch! Doch Gott und Welt im Streit: da, Brüder, gebet nicht mehr auf Kaiserwort als Dunst und Rauch. Er ist der Oberste, dem alle Macht zusammenbricht, wie dürres Reisig kracht.

Der Adel stand nicht allein. Sogar in der Stadt Münster bekannte sich fast nur die Beamtenschaft zur Regierung, und der münsterische Aufruhr von 11. Dezember 1837") brauchte nicht erst durch den Adel angefacht zu werden, wie man wohl gemeint hat. Aber in den Edelleuten stellte sich der zuerst leidenschaftliche, dann immer noch hartnäckige Widerstand gegen die Regierung allerdings am sichtbarsten und stärksten dar. Preußische Offiziere aus diesen Kreisen waren in Gefahr, ihren Diensteid zu verletzen. Den Behörden gegenüber fühlten sich diese Geschlechter nicht verantwortlich; des preußischen Staatsbegriffs entbehrten sie in dem Maße, daß ihnen die Minister lediglich als ihresgleichen galten, die ihnen nichts zu sagen hätten. 4 ) Seit der Verhaftung des Erzbischofs hielten sie allgemeine Kirchentrauer. Sie nahmen keine Einladungen an, auch nicht beim Oberpräsidenten, sie stellten alle Lustbarkeiten ein, sie zogen sich völlig zurück. 6 ) Noch im Januar 1839 fand Annette Droste 8 ) die sonst gesellig belebte Stadt Münster tot wie einen Kirchhof. Daß der Damenklub geschlossen war, erschien ihr wie ein Zeichen vom jüngsten Tage. Fast alles war auf dem Lande geblieben; Familien, die ständig in Münster wohnten, hatten die Stadt verlassen. Die kampflustige Stimmung freilich war schon vergangen. 7 ) Zuerst hatten Scharen von Adligen den vertriebenen Erzbischof aufgesucht. 8 ) Die Familienbriefe ältlicher Edelfrauen *) v. Fransecky 140. — Die Auffassung am Hofe Friedrich Wilhelms III. spiegeln die in der vorigen Anm. gen. Aufzeichnungen wieder. ') Droste-Hülshoff, Das geistliche Jahr (24. Sonntag nach Pfingsten). Dazu wieder die höchst anschaulichen Briefe der Dichterin seit 1838; man beachte, wie hier 1839 (z. B. S. 320, 384) „die Preußen" den Heimischen gegenübergestellt werden. *) Außer der oben S. 14 Anm. 3 gen. Literatur die Briefe der Droste S. 155 ff. *) Briefe der Droste 149 u. 159. ') Ebenda 1 5 6 f . ; Wrangeis Briefe bei v. Below (oben S. 14 Anm. 3 ) 138 u. 328. •) Briefe der Droste 184 u. 179. ') Brief der Droste vom 29. Jan. 1839 (S. 184): Der Adel wünscht den Frieden Uber alles. •) Briefe der Droste 160 (9. Febr. 1838). V l g e n e r , Bischof Ketteier

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1 1: Von der Welt zur Kirche.

Der Dorfpfarrer

waren zu förmlichen kirchenpolitischen Abhandlungen angewachsen 1 ), und in Acht und Bann verfiel, wer sich nicht zu den „guten Patrioten und Erzbischöflichen" bekannte. 2 ) Aber gerade die Nähe des unverträglichen und starrsinnigen Droste-Vischering*) wirkte auf die Dauer ernüchternd, nicht weniger auch die beengte Lage einzelner, die um ihrer Überzeugung willen und doch nur ungern den Staatsdienst aufgegeben h a t t e n . In Kettelers leidenschaftlicher Seele mußten die Empfindungen seiner Standesgenossen mit besonderer Heftigkeit aufsteigen. Er bedurfte nicht erst des Antriebes von außen, den Tausende Mitte Dezember durch die päpstliche Allokution 4 ) oder etliche Wochen später durch den Görresschen „Athanasius" 6 ) erhielten. Er zeigte der Regierung sofort seine Verstimmung; aber er kündigte ihr keineswegs in schroffer Form den Dienst auf. S t a t t kurzerhand den Abschied zu fordern, bat er am 7. Dezember 1837 nur um sechsmonatigen Urlaub zur „ferneren wissenschaftlichen Ausbildung im Verwaltungsfache". 6 ) Er h a t t e den ersten Winter der Adelsopposition und „allgemeinen Kirchentrauer" 7 ), der ihn bei seinem Schwager, dem Grafen Mathias Galen, mit dem bisherigen preußischen Geschäftsträger in Belgien, dem „Märtyrer" 8 ) Ferdinand Galen, in Münster zusammenführte, er hatte die ersten Kriegsmonate, da man mit betontem Eifer dem verbannten Erzbischof die Schwelle ablief, als Mitkämpfer durchlebt, ehe er sich entschloß, den Dienst des Staates f ü r immer fahren zu lassen, der die Aufopferung seines Gewissens fordere. Schon jetzt fand er sich „auf den geistlichen Beruf durch den Fingerzeig aller Umstände hingewiesen". Aber er hat in demselben Briefe, worin er dem vertrauten Bruder dieses Bekenntnis ablegte 8 ), erklärt: „ U m mich zum geistlichen Stand würdig umzugestalten, wären größere Wunder erforderlich als Tote aufzuwecken." Dritthalb J a h r e des Kampfes, der Belehrung, der Selbsterziehung mußten vergehen, bis er das Wunder geschehen fühlte. Diese Zeit zwischen Staatsdienst und Kirchendienst ist durch Kettelers Briefe unserer Erkenntnis besonders gut erschlossen, Jahre des Widerstreits zwischen weltlicher Neigung und geistlichem Berufe, die den Biographen fesseln müssen. ') Ebenda. "•) Ebenda 161, zu vgl. mit 179. 3 ) Ebenda 160, vgl. u. a. auch Geisseis Urteil über ihn: Pfiilf, Kardinal v. Geissei 1, 98. 4 ) Vgl. dazu namentlich den Brief Lennigs vom 11. J a n . 1838: H. Brück, Lennig 46 f., aber auch K. selbst 28. Aug. 1867 an den Kardinal-Staatssekretär Antonelli: Pfülf 2, 353. ' ) Unten S. 20. — •) Br. 5. ') Briefe der Droste 156 f. 8 ) Ebenda 163, dazu aber auch 159 und die S. 15Anm. 1 und S. 16 Anm. 6 genannten Stellen. ') 9. Juli 1838, Br. 8. Sein Abschiedsgesuch vom 26. Mai 1838 war am 28. Mai genehmigt worden. Br. 6 f.

Verzicht auf den Staatsdienst. München und der Görreskreis

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Was damals den fast Dreißigjährigen von dem stillen Umgange mit geistlichen und weltlichen Männern seiner Kirche, von dem Studium katholischer Literatur der Vergangenheit und Gegenwart immer wieder hintrieb zu Reisen und Wanderungen, zu der leidenschaftlich geliebten Jagd, zu Opern und vornehmer Geselligkeit in München, zu Adelsverkehr und Adelspolitik in der Heimat — diese äußere Unruhe spiegelt nur seine innere Unrast wieder. Es war das Unbehagliche der Berufslosigkeit, das z. B. auch in einem gesinnungsverwandten Manne von größerer geistiger, aber geringerer geistlicher Befähigung, in Klemens Brentano, den Gedanken an Kirchendienst h a t t e aufsteigen lassen. 1 ) Ketteier t r u g zunächst mehr eine sehnsuchtsvoll-ungewisse Neigung als einen entschlossenen Drang zum Priestertum in der Seele. Aber er riß sich von der Heimat und den Verwandten f ü r ein J a h r los mit dem Gedanken 2 ), in dem München des Görreskreises den rechten Weg zu suchen. Die Leute um Görres waren ihm noch unbekannt. Für ihn, der bisher nur mit einer nicht engen, aber geistig begrenzten, durch Standesüberlieferung geleiteten Adelsschicht 3 ) nähere Fühlung gefunden hatte, t a t sich hier eine neue Welt geistiger Gemeinschaft auf. Der eigenen n a t u r h a f t gesunden Art war der freundschaftliche Verkehr dieser Menschen voller Natürlichkeit und Anspruchslosigkeit ganz gemäß. Die zwanglose Geselligkeit, die beinahe Tag für Tag Guido Görres und Phillips, Jarcke und Ringseis, Döllinger und manche andere bei Joseph Görres vereinigte, umfing mit dem Glänze und der K r a f t ihrer Gaben sofort den nach einer geistigen Heimat durstenden Edelmann. 4 ) Er ging bei Görres ein und aus. 6 ) Er mußte freilich den Abstand seines Wissens und selbst seines Wesens von dieser in Kirchenpolitik, Kunst und Wissenschaft gläubig-klug aufgehenden Gelehrten- und Literatengemeinde stark empfinden. Daß er in den Jahren höchster Aufnahmefähigkeit dem Geistigen wenig Sinn und Arbeit zugewandt hatte, das bedeutete ein Stehenbleiben nicht nur seines tatsächlichen Wissens, sondern selbst seiner Lernfähigkeit.*) Das Kölner Ereignis mit seiner aufrüttelnden Wirkung hatte ihn allerdings einer immer ernsthafter werdenden Beschäftigung mit ernsten Büchern zugeführt. Möhlers Symbolik war vorher schon das Buch seines Herzens. 7 ) Auch Görres wurde ihm literarisch bekannt, noch Vgl. Diepcnbrock an Görres, 8. März 1829: Görres, Briefe 3, 352 (dazu 354 u. 359). *) Vgl. Br. S. 9, 13, 23, 25 (oben), 50 (Mitte). 3 ) Man lese nur die Briefe der Droste! Vgl. bes. 179f., 187, 320. Vgl. oben S. 11 Anm. 4. 4 ) Vgl. Br. 13 (9. Mai 1839). ä ) Br. 13, 29, 43, 51. ' ) Vgl. noch seine eigene Bemerkung von 1855: Br. 254 oben, auch s. Brief v. 20. Mai 1864: Pfiilf 2, 210. ' ) Ketteier, Das allgem. Konzil (1869) S. 34 Anm. 3 : „Wir können nur mit Dankbarkeit daran denken, was wir diesem Buche, welches wir bei seinem ersten

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I I : Von der Welt zur Kirche.

Der Dorfpfarrer

ehe daß die und

er ihn persönlich kennen lernte. Es versteht sich von selbst, er den „Athanasius" gelesen hat 1 ), die schneidige Streitschrift, im Fluge zum Rüstzeug aller kampfbereiten Katholiken wurde 8 ) den Namen Görres in die Reihe der Kirchenväter erhob. 1 ) Bezeichnender doch für Kettelers frischen Drang nach der Aufnahme alles Kirchlichen ist es, daß im Frühjahr 1838 die Görressche Mystik seine HauptlektQre war. 4 ) Damals lagen die ersten beiden Bände vor. 6 ) Das war kein müheloser literarischer Genuß, nicht einmal eine Lektüre, die eine gleichmäßig fromm-beruhigte Stimmung hätte wecken können. Wenn Ketteier damals schrieb*): „Den Kampf des Sinnlichen mit dem Geistigen habe ich noch nie so aufgefaßt, beschrieben und durch Beispiele erläutert gefunden", so zeigt dieses Urteil trotz der persönlichen Eingeschränktheit, daß er dem Wesen des Werkes nahe kam. Aber diese Erkenntnis hatte den Kampf auch mit dem Buche selbst gekostet. Schon in der langen Vorrede konnte ihn manche Künstelei, wie sie sich selbst Brentano nicht leicht erlaubt haben würde, höchstens abstoßen. Am Katholizismus der Romantik war der barocke Aufputz das letzte, was Kettelers klare Einsicht und hausbacken gesunde Frömmigkeit hätte befriedigen können. Mehr bedeutete es, daß nach den geistreich-wirren und zugleich von Kampfesluft umwehten Worten mystischer Rechtfertigung einer mystischen Darstellung Görres zuletzt auch ernsthaft-nüchtern auseinandersetzte 7 ), daß es ihm als furchtsame Feigheit erscheine, wenn die katholische Mystik den Katholiken selbst durch „das wegwerfende Gerede von der Gegenseite" etwas verleidet worden sei, während doch die Mystik, in das Wesen des Glaubens tief verschlungen, eine seiner Grundfesten bilde. „Gebt die Mystik auf, und die Heiligen schwinden auch dahin." So wollte Görres die Mystik in ihrem ganzen Umfang anfassen. Das Hauptstück des ersten Bandes, das im einzelnen die Wege aufzudecken sucht, Erscheinen wiederholt gelesen haben, verdanken." Die 1. Ausgabe der Symbolik erschien 1832. Aus den Aufzeichnungen bei PfUlf 1 , 4 3 (vgl. auch „Katholik" N. F. 33 (1906), 379) läßt sich erkennen, daß ihn Friedr. Stolbergs Witwe spätestens 1834 auf die Symbolik hinwies. — Vgl. noch seine Äußerung von 1862 Uber „dieses unsterbliche Buch": Freiheit, Autorität und Kirche S. 26 Anm. 1; auch: „Die Arbeiterfrage und das Christentum" (1864) S. 154. Dazu Br. 13. ' ) Brief Döllingers vom 7. April 1838: Mitteilungen aus dem Liter.-Archiv in Berlin 3 (1901/05), S. 182. („Wie mir der Verleger meldet, sind nun über 10000 Ex. abgesetzt, was seit der Reformation in Deutschland fast beispiellos ist.") *) So Giovanelli an Görres 12. April 1838: Görres, Briefe 3, 492. — Bemerkenswert auch Eichendorffs Urteil: Gesch. d. poet. Liter. Deutschi. 2 (3. Aufl. 1866) S. 52 f. *) Br. 6 f. — Auf die älteren mystischen Gedanken von Görres verwies schon Möhlers Symbolik (§ 77, aus der Tiibing. Quartalschr. 1830 übernommen). •) Die christliche Mystik I, 1836; II, 1837. •) Br. 7. ' ) 1, S. XIV.

„Die christliche Mystik" von J. Oörres. Ketteier und der Hermesianismus

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die unter dem Antriebe der erwählenden Gotteskraft die mystischen Männer und Frauen der christlichen Kirche gegangen seien, führt in der Nacherzählung legendärer Uberlieferung und visionärer Erlebnisse sehr in die Breite. Aber in diesen Heiligengeschichten konnte Ketteier am ehesten festen Boden gewinnen. Das gerade erfüllte ihn mit Staunen fast mehr noch als Bewunderung, „wie diese Heiligen sich schon in der Welt aller körperlichen Beziehungen entäußert und die gestörte geistige Verbindung, dem Körper und seinem gemeinen Streben zum Trotz, hergestellt haben". Kettelers Klage, daß die Mystik ihm oft unverständlich sei, wird man insbesondere auf die beiden Bücher des zweiten Bandes 1 ) beziehen dürfen, aus denen das Lebendige, auch im kirchlichen Sinne, selbst von der gläubigsten Seele nur mühsam wird herausgeholt werden können. Görres, dem die Schwierigkeit seines Buches nicht verborgen blieb 8 ), war bei der Abfassung vor allem durch den Gedanken bestimmt worden»), die Mystik „müsse, den Himmel öffnend, während die Hölle ihren Schlund aufgetan, eine wohltätige Wirkung zur Befestigung der Schwankenden, Ungewissen, Zagenden und Zweifelnden" üben. In solchem Sinne war die Mystik auch für Ketteier geschrieben. Nur daß er sich nicht in das Schlingwerk des Magischen hineinziehen ließ. Mit der frommen Versenkung in das ehrwürdige Dunkel der Ahnungen und in den Glanz der Visionen vereinigte er die Unterordnung unter die festen und ausschließenden Begriffe kirchlicher Dogmatik. Sein aufsteigendes Verständnis für den Geist des modernen Katholizismus wurde durch einen besonderen, gleichsam juristischen Sinn für die zwangsmäßige kirchliche Rechtsordnung geleitet und bestimmt. Sein Urteil über den Hermesianismus bezeugt das. Gleichzeitig mit der Görresschen Mystik beschäftigte ihn Kreuzhages „Beurteilung der hermesischen Philosophie". 4 ) An diesem Buche fesselte ihn nicht etwa die philosophie-geschichtliche Auffassung noch überhaupt die philosophische Kritik, die wissenschaftlich im Sinne Anton Günthers sein wollte; ihm hinterließ es lediglich den erwünschten Eindruck von der Unbegreiflichkeit der Verirrungen des Hermes, von der Notwendigkeit 1 ) 4. Buch: Eintritt in die Kreise höheren Zuges und Triebes sowie höherer Erleuchtung. — 5. Buch: Fortstreben zum Ziele in Liebe und höherer Erleuchtung durch die Ekstase. ! ) Briefe 3, 457 ff. (von 459 an auch bei Schellberg, G. ausgew. Werke u. Briefe, 1911, Bd. 2 S. 503 ff.), dazu 437 f., aber auch 454 f. Wenn Q. selbst urteilte: „Das Gebäude hat freilich sein eigentliches Fundament nach oben", so begreift man, daß dem jungen H. v. Sybel (Vorträge u. Abhdl. 21) selbst die besten Teile des Buches „mächtige Steine in einem Gebäude von unverständlichem Aufund verkehrtem Grundriß" blieben. In reines Entzücken wurden doch nur Naturen wie Justinus Kerner versetzt (vgl. Görres, Briefe 3, 388 u. 465 f.), dessen Schriften wohl auf Görres eingewirkt haben. ») Mystik 1, S. XVI. Vgl. auch Briefe a. a. 0 . «) Münster 1838. Vgl. K. Werner, Gesch. d. kath. Theol. 2. Aufl. (1889) S. 410 f.

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I 1: Von der Welt zur Kirche.

Der Dorfpfarrer

des römischen Verfahrens. Er h a t Oberhaupt den Hermesianismus niemals als einen Versuch vernunftmäßiger Grundlegung der Offenbarung, ich will nicht sagen gebilligt, nein, auch nur b e t r a c h t e t : nicht eine irregeleitete Spekulation sah er hier, sondern einfach Verrat an der Kirche, Sektiererei. Ihn verband auch mit keinem der führenden Hermesianer das Gefühl persönlicher Hochachtung oder gar Zuneigung, wie es im münsterländischen Adel sonst nicht ganz fehlte. 1 ) Als er auf dem Wege nach München in Köln die Messe hörte, wurde er von dem Gedanken gequält, der Priester möchte zu jener Sekte gehören, die „jetzt großenteils diese heilige S t ä t t e entweiht". 2 )

So war Kettelers Wendung zu scharf bestimmter Kirchlichkeit und Kirchenpolitik in der Heimat vorbereitet. In München aber gewann seine Vorstellung von den kirchlichen Aufgaben mehr Fülle und Bewußtheit. Insbesondere seine Anschauungen über das Verhältnis von Staat und Kirche wurden noch stärker in der Richtung entwickelt, die er mindestens seit dem Kölner Kirchenstreit eingeschlagen hatte. Das naive Preußentum des Knaben war vergangen. Als übermütiger Referendar rühmte er sich wohl gar, mit sechstausend Kerls, wie er selber sei, wolle er den preußischen Staat über den Haufen werfen. 8 ) Jedenfalls: diesem münsterischen Baron ersetzte westfälisches Standesbewußtsein das preußische Staatsbewußtsein. Der Zusammenstoß vom Herbst 1837 brauchte ihm nicht erst einen Kampf zwischen Kirchenbegriff und Staatsbegriff aufzuzwingen; für den S t a n d p u n k t , auf den sein irdischer wie sein ewiger Heimatgedanke ihn hinwies, war die Kölner Frage keine Frage. Durch die Entwicklung des Kirchenstreites im J a h r e 1839 wurde Kettelers Erbitterung über Preußen nur noch gesteigert. Während der ersten Münchner Wochen konnte der Zorn über „die teuflischen Schändlichkeiten hier auf Erden" 4 ) in seinem heißblütigen Herzen zur W u t werden. Aber er erhob sich jetzt in München zu einer überlegteren geistigen Anteilnahme an dem Kirchenkampf, ohne d a ß ihm die Fähigkeit zu leidenschaftlicher Empörung verlorengegangen wäre. Auch in den Männern des Görreskreises, die jetzt seine kirchenpolitischen Lehrmeister wurden, waren ja Erfahrung, Überlegung und Leidenschaft zugleich dem Kirchengedanken zugekehrt. Von dem alternden Görres mit dem ewig jungen Kämpfergeiste h a t Ketteier in den uns bekannten Briefen nur flüchtig gesprochen. Aber auch so ist es klar, d a ß er weniger den Verfasser der Mystik als des Athanasius suchte und f a n d . ») A. v. Droste-HUlshoff, Briefe 160 u. 286. ») Br. 11 (9. Mai 1839 an s. Schwester Sophie). ' ) Erzählung des lippischen Barons v. Stltecron: Bismarcks Frankfurter Bericht vom 14. Jan. 1854 (Poschinger, Preußen im Bundestag 4, 164). •) Br. 14.

Kirchenpolitische Stimmung im Görreskreise.

Die Hist.-politischen Blätter

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Der Mann, dessen Briefe und kleine Schriften schon mehr gesprochen als geschrieben sind, mußte mit seinem mächtigen Wort in der Unmittelbarkeit persönlichen Verkehrs seine Wirkung auf Ketteier ausüben. Und was h ä t t e damals Görressche Gedanken mehr erfüllen können als die Kampfansage an Preußen und den Protestantismus? 1 ) Das vor allem war es auch, was Phillips und Guido Görres, die Ketteier an Jahren nicht weit voraus waren, in lebendiger Belehrung und in ihrer die katholische Welt bezaubernden neuen Zeitschrift zu bieten hatten. Die baierisch-klerikale Abneigung gegen Preußen störte Ketteier jetzt nicht m e h r ; er sah in den Hohenzollern ein Geschlecht, das „in der Geschichte einen Weg gegangen, der unserer katholischen Sache nie günstig war". 2 ) Jarcke, zu dem er mit Ehrerbietung aufschaute, lehrte ihn, die preußischen Farben sinnbildlich zu nehmen 3 ), und ganz gewiß zeigte sich weder der Lehrer noch der Schüler stets bereit, an den Sieg der weißen Farbe über die schwarze zu glauben. Die Bekämpfung des Protestantismus war nicht weniger nach Kettelers Sinn. Angriffslustige Polemik gegen Preußentum und Protestantismus aber kennzeichnete die Historisch-politischen Blätter, deren Gründung selbst zu den unmittelbaren Wirkungen des preußischen Kirchenstreites gehört hatte. 4 ) Schon in dem ersten Hefte 6 ) predigte man den konfessionellen Kampf. Im Spätherbst 1838 aber feierte Josef Görres selbst in Siegerstimmung das „ J a h r g e d ä c h t n i s des 20. November". Hier wurde") die Zeit seit der Gefangensetzung Klemens Augusts als ein J a h r nicht der Betrübnis sondern der Freude für die Kirche, der Betrübnis und der Betretenheit f ü r ihre Gegner, als das große Jubeljahr der Befreiung gepriesen; hier wurde der preußischen Regierung, ihren Streitern und Ratgebern die Erkenntnis, daß niemand anders als Gott ihnen in den Weg getreten sei, abgefordert und die Einsicht in die Notwendigkeit des Rückzuges zugemutet; hier wagte Görres schließlich den Protestantismus als die Verneinung des Christentums hinzustellen, indem er erklärte 7 ): die Kirche ist die gottgesetzte These, die Reformation aber die gottzugelassene Antithese. *) Vgl. (neben den Briefen) für die Absage an den Protestantismiis besonders die erst aus seinem Nachlasse herausgegebenen Aphorismen von 1822 bis 1823: Schriften 5, 121 ff., bes. 129 über den „hochmütigen Sektengeist" des Protestantismus. 2 ) Br. 21 (5. Juli 1839). 3 ) Ketteier, Deutschi, nach d. Kriege v. 1866 S. 67. 4 ) Vgl. dazu den „Rückblick auf den 1. Jahrgang": Hist.-pol. Bl. 3 (1839), 57—64. — Noch 1846 im 18. Bande der Blätter (S. 574) sagte J. Görres: „Der Zweck der Zeitschrift ist schlechthin Verteidigung der Kirche; Geschichte und Politik werden nur subsidiarisch herangezogen." Vgl. Rhein 14 (bei Anm. 5). «) S. 34 ff. •) Hist.-pol. Bl. 2 (1838), 410. ') S. 428. — Ähnlich scharfe Äußerungen auch in den nächsten Jahrgängen, so in den „Zeitläuften" Jarckes (vgl. Rhein 21): 15 (1845), 329 und 330 (Protestantismus „Inbegriff und Summe aller Negation").

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11: Von der Welt zur Kirche.

Der Dorfpfarrer

Ketteier hat die Blatter, die auch in seiner Heimat nicht mehr unbekannt waren 1 ), in der Stimmung des Mitkämpfers gelesen. Wenn sie gerade in diesem zweiten J a h r g a n g , nach dem von Görres selbst bestätigten Urteil eines nahen Freundes 8 ), an Gehalt und Interesse zunahmen, so war es doch vor allem polemischer Gehalt und polemisches Interesse. Die Aufsätze vom F r ü h j a h r 1839, die den Nachhall des Kölner Streites zu beleben suchten, erschienen Ketteier zwar etwas zu scharf, aber „sonst wahre Muster einer konsequent katholischen Darstellung".*) Er genoß behaglich die spöttischen Glossen über einen preußischen Konsistorialrat zu Köln 4 ); in einem Aufsatz „ J o h a n n e s H u ß und sein Geleitsbrief" 6 ) fand er mit Befriedigung die katholische Sache von einem der lügenhaften protestantischen Vorwürfe entlastet; besonders belehrend aber schienen ihm die Auseinandersetzungen „ Ü b e r den uranfänglichen Zusammenhang der Revolution und Reformation". 6 ) Daß diese Artikel über die „Glaubensspaltung" den von ihm verehrten J a r c k e zum Verfasser hatten 7 ), scheint ihm verborgen geblieben zu sein, obwohl er mit dem damals allein die Redaktion führenden Phillips viel zusammen gewesen ist. Aber wichtiger ist auch das Sachliche. Das eben brachte dem jungen Ketteier die Blätter nahe, daß sie sich ohne Ermatten abmühten, das Verständnis für die Notwendigkeit kirchlichen Widerstandes gegen unchristlichen Staat und protestantisches Wesen zu wecken und den Sinn für tatfrohe Kirchlichkeit zu schärfen, daß sie alles der kirchlichen Doktrin unterordneten, zugleich aber, mit kraftbewußtem Willen über das bloß Doktrinäre hinauswachsend, es meisterlich verstanden, jede geistige und politische Bewegung nicht nur an dem kirchlichen Bewußtsein zu messen und zu prüfen, sondern auch für die kirchliche Machtgeltung auszunutzen, d a ß sie endlich dem Kampfe des Tages und der Z u k u n f t den Glanz der Vergangenheit, den romantischen Schimmer einer naiv-geschickt konstruierenden Geschichtsbetrachtung beizumischen wußten. Schon damals h a t indessen Ketteier seine kirchenpolitischen Begriffe und Anschauungen nicht lediglich aus den Historisch-politischen Blättern bezogen. Er hat vielmehr kirchliche Eindrücke und Erlebnisse in den Rheinlanden und in Baiern selbständig aufgenommen und so sehr aus seinem eigenen Wesen heraus beurteilt, daß uns mit einemmal das Persönliche seiner Auffassung klar entgegentritt. Nachrichten über Zwistigkeiten einiger Geistlichen alter Schule und der Regierung mit einem vor Konvertiteneifer brennenden Koblenzer Vikar entlockten ») Br. 15, vgl. 41 u. 44. J ) Giovanelli an Görres, Febr. 1840: Görres, Briefe 3, 540; dazu Görres an Giov., 9. März, ebenda 543 = Schellberg 2, 519. l ) Br. 15. 4 ) Hist.-pol. Bl. 4, 394 u. 484 ff. ' ) 4, 402—425 (von Döllinger: Friedrich, D. 2, 132). •) Hist.-pol. Bl. Bd. 4. ' ) Vgl. Raichs Anm. (1) Br. 42.

Kirchliche und kirchenpolitische Anschauungen K.s (München 1839—40)

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ihm das Geständnis 1 ): „Ich finde, man könnte Lust bekommen, Geistlich zu werden, nur um in diese kirchlichen Zerwürfnisse lebendiger mit einzugreifen, — gewiß weder ein kirchliches noch sonst schönes Motiv, aber m a n wird so ganz und gar vom Geist der Opposition ergriffen, d a ß m a n sich gegen solche menschliche Motive in einer so heiligen Angelegenheit ordentlich wehren muß. Fehlten mir nicht die Vorkenntnisse und leider auch die Nachkenntnisse zu einer derartigen würdigen Opposition, so wäre mir eben diese Versuchung sehr gefährlich." Und kurz darauf, da er über die Konsekration des Bischofs Hofstätter von Passau berichte, schrieb er von diesem und dem Eichstätter Bischof Grafen Reisach 8 ): „Ich bedauere unendlich, keine Gelegenheit zu haben, diese Männer näher in ihrer Wirksamkeit kennen zu lernen. Ich möchte gar zu gerne wissen, wie ein eifriger Bischof mit apostolischem Geiste wohl die Grundübel der jetzigen Zeit in seiner Diözese b e k ä m p f t und den altchristlichen Geist herzustellen sucht. Wenn nicht alle die vielen Wenn's wären, die mich vom geistlichen Stande abhalten, so würde ich sehnlichst wünschen, bei ihnen die Schule durchzumachen." Man könnte versucht sein, in jenen ersten Worten ein Bekenntnis zur Kirchenpolitik ohne Bekenntnis zur Kirche zu finden. Aber schon dort, mehr noch in dem zweiten Ausspruche durchdringen sich vielmehr kirchenpolitische und religiöse Gedanken.») Allerdings h a t auch Kettelers religiöses Leben in München etwas mehr feierliche Kirchlichkeit in sich aufgenommen. Wenn er von Hause her die stille, schlichte Frömmigkeit liebte, so gewann er in München den Sinn für die berauschende Pracht der Pontifikalmesse 4 ), überhaupt für das in der Heimat aus strengerer Auffassung oder mit frommem Gleichmut vernachlässigte Äußere des Gottesdienstes. Aber gerade in den von solchen kirchlichen Gedanken bewegten Münchner Monaten hielt ihn die Welt noch ganz umfangen. Ihm selbst wurde der Widerspruch seines Daseins fast unbegreiflich. 8 ) Er empfand die Bekanntschaft mit der großen Welt als Hemmung. Dennoch wagte er nicht, sich den Adelskreisen zu verschließen, auf die ihn verwandtschaftliche Beziehungen hinwiesen*), noch weniger wollte und konnte er die Besuche aus der Heimat ablehnen, die ihn immer wieder in das gesellige Leben hineinzogen. Vollends aber vermochte er der ererbten und willig gepflegten Jagdleidenschaft nicht Herr zu werden. Wohl erschien ihm in besinnBr. 45 (am 3. Februar 1840, an den Bruder Wilderich). *) Br. 49. «) Vgl. auch Br. 19 f. *) Br. 13, doch auch 18 oben. ') Br. 23, 31, 43. •) Die Gräfin Arco-Zinneberg (Br. 15 f., 40) war eine Nichte seiner Mutter. Sie machte ihn mit der fürstlich Löwensteinischen Familie bekannt (Br. 15,26 ff.), für die er bald „eine wahre Vorliebe" faßte (Br. 41). Er kam so mitten hinein in den Kreis dieser in München „alteingebürgerten ultramontanen Geschlechter" (Treltschke 5, 307).

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I 1: Von der Welt zur Kirche.

Der Dorfpfarrer

liehen Stunden das junkerliche Treiben leer und schal 1 ), auch gelang es ihm gelegentlich, dem mahnenden Gewissen das Opfer einer versäumten Jagd zu bringen, aber die Erinnerung an Jägerfreude und Jägerglück riß ihn immer wieder hinweg von den Büchern und den Menschen der Kirche. Dem Münchner Winter mit seinen gesellschaftlichen Fesseln wenigstens wollte er entfliehen. Aber es blieb bei herbstlichen Wanderfahrten in den österreichischen Alpenländern, und auch sie brachten ihm nicht den Frieden der Entscheidung. Dem zu hingebender Betrachtung drängenden Natursinne Kettelers eignet etwas, was sich nicht völlig einfügen will in die wohlgeordnete kirchliche Begriffswelt. Es sind fast pantheistische oder besser Fechnersche Vorstellungen, denen er unbewußt nachgibt, wenn er in Erinnerung an das stolbergische Schloß Montfort bei Salzburg schreibt 2 ): „Ich kann die Natur nicht f ü r so tot halten, daß sie nicht etwas die Liebe ihrer Besitzer und eine so sorgliche Liebe und Pflege . . . mitempfände." Aber seine Naturbetrachtung ist doch durchzogen von Gottessehnsucht und Kirchengedanken. Die Wucht der Gebirgslandschaft ließ ihn die Spannung empfinden zwischen dem, was er war, und dem, was er werden wollte. Auf einsamer Höhe fühlte er sich wie in einer Zwiesprache mit „dem unendlichen Schöpfer einer solchen Natur". 8 ) Die Burgen zaubern ihm bunte Bilder von Rittertum und vergangener Adelsmacht vor — eine Zeit, mit der er die elende Gegenwart keinen Augenblick vergleichen mochte. 4 ) Nicht anders wurde in Norditalien sein Urteil durch die kirchlich-romantische Einschätzung der Vergangenheit bestimmt; dem gegenwärtigen Leben stand er auch hier kühl, ja abweisend gegenüber, nur daß er seine Zuneigung zum Hause Habsburg gerade in Mailand mächtig empfand. 6 ) Tiefer als alles das ergriff ihn die kirchliche Frömmigkeit des Tiroler Landvolkes, und gläubig blickte er auf die Erscheinungen der mit den Wundmalen begnadeten Marie von Mörl. 6 ) Den Seelenberater aber, den er suchte, um zu dem ersehnten und doch dem eigenen Selbst versagten Entschlüsse zu kommen, hat ihm auch Tirol nicht gegeben. Nach der Rückkehr aus der Bergeinsamkeit erschien ihm freilich die Münchner adlige Gesellschaft störender als bisher, und stärker noch als früher fühlte er sich angezogen von dem Verkehr mit Phillips, dem „Streiter der Kirche" 7 ), von der Beschäftigung mit der kirchlichen Vergangenheit und Gegenwart. Er studierte so strenge Werke wie *) Br. 30, auch 23. — Zum Folgenden überhaupt die Briefe aus München (1839/40). ' ) Br. 61. s ) Br. 35. 4 ) Br. 34. ' ) Br. 38 f. •) Br. 37, dazu 125. — Die Berichte Brentanos über Katharina Emmerich n a h m Ketteier nicht ohne Kritik auf (Br. 17). ' ) Br. 46, vgl. 41.

Unentschiedenheit.

Kirchlicher Beruf und Heimatliebe

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Döllingers Kirchcngeschichte 1 ) und s t a t t , wie er es früher getan hatte, in seinen Briefen von entzückten Worten über Möhlers Einleitung in die Kirchengeschichte zu noch entzückteren über die Hirschjagd unvermittelt überzuspringen 2 ), dachte er jetzt, da seine „Passion zu Möhlers Schriften" nur noch gewachsen war 8 ), in ernsthafter Besonnenheit tatsächlich mehr an die Bücher als an die Büchse. J e t z t konnte er schon Beschämung darüber empfinden, daß ihm die Kirchenväter nicht vertraut waren 4 ); jetzt wurde ihm 8 ) das weltfrohe Münchner Treiben, das er im vergangenen Jahre als die heitere Lebenslust dieser glücklichen Süddeutschen gepriesen hatte, zum nichtigen Hokuspokus im Vergleiche mit der Pracht und Hoheit des Kirchentums, wie es ihm eben damals vor allem in der Persönlichkeit des Bischofs von Eichstätt unmittelbar nahekam. Seine Briefe aus dem Anfang des Jahres 1840') zeigen ein ganz bestimmtes Verständnis für die Kirche als Macht, einen schon recht eigentlich geistlichen Ordnungssinn und einen Herrscherdrang, der auf Herrscherbegabung schließen läßt. Er war nicht nur entschiedener geworden in seinen kirchenpolitischen Gedanken, sondern auch reicher in seinem religiösen Empfinden. Aber noch immer fehlte ihm die innerliche Gewißheit seiner Bestimmung. Das Zwiespältige seines Lebens war nicht geheilt. Er wagte es nicht, die Entscheidung, die er sich vor der Abreise aus der Heimat als selbstverständliches Ergebnis dieser Münchner Zeit gedacht hatte 7 ), jetzt seiner zerrissenen Seele abzuzwingen. In „unglückseliger Ungewißheit" 8 ) kehrte er zu den Seinen zurück. Ohne die Erkenntnis der tiefen, ja leidenschaftlichen Liebe, die Ketteier mit seiner Familie und seiner Heimat verband, müßten uns gerade diese J a h r e des Übergangs von der Welt zur Kirche dunkel und unverständlich bleiben. Nur so erklärt es sich, daß ihm die Lösung von der Welt so schwer und schmerzhaft wurde. Auch in München war ihm alles Fühlen und Denken durchzittert von Heimaterinnerung und Heimatsehnsucht. In die geistige Geselligkeit des Görreskreises, zu den Tafeleien seiner adligen Bekannten — mochte es selbst ein „echt katholisches Diner" 9 ) mit Bischof Reisach sein —, zu den Jagden und in die Bergeinsamkeit, überallhin begleitete ihn das Bild der Heimat 1 0 ) ») Br. 42. Br. 26. Br. 46. 4 ) Br. 47. ^ Br. 50. ') Vgl. namentlich Br. 45 und 49. 7 ) Br. 50. ") Br. 43. •) Br. 51. 10 ) Zeugnisse in den Mlinchner Briefen (besonders 31 ff., 5 6 f.). Vgl. auch den Brief aus Harkotten, 7. Febr. 1841, S. 76 und 78 („unüberwindliche Liebe zur Heimat").

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1 1: Von der Welt zur Kirche.

Der Dorfpfarrer

mit ihren Buchen- und Eichenwäldern und ihrem Nachtigallenschlag, mit dem schlichten Landleben und den fröhlichen Jagden, mit den Menschen, die ihm ans Herz gewachsen waren. Wie nur je einen Verbannten packte ihn, der sich freiwillig losgerissen hatte, das Heimweh. Er überwand die Scheu, sich von neuem zu Hause in beschämender Berufslosigkeit zu zeigen. Anfang J u n i 1840 war er wieder in Münster. Wenige Tage später traf die Nachricht vom Tode Friedrich Wilhelms III. ein. Die preußische Kirchenpolitik m u ß t e ein anderes Aussehen gewinnen. In der alten Umgebung n a h m Ketteier sogleich lebhaft, fast leidenschaftlich Anteil an den alten Sorgen und neuen Hoffnungen. Auch er erwartete „eine neue Zeit". 1 ) Über den Kölner Kirchenstreit h a t t e er so scharf geurteilt wie nur einer seiner Gesippen. 2 ) Die bis zur Ungezogenheit kühle Haltung seiner Adelsgenossen Friedrich Wilhelm I I I . gegenüber h a t t e seiner Auffassung ebensosehr entsprochen wie ihre gesellschaftliche Zurückhaltung; d a ß im Winter 1839/40 dieser münsterische Adelsstreik eingestellt wurde, war ihm nicht so ganz nach dem Sinn. 8 ) Er h a t t e sogar von einer Teilnahme der Adelsdamen beim E m p f a n g des Kronprinzen nichts wissen wollen 4 ) und die günstigen heimatlichen Nachrichten über dessen persönliche Haltung mit dem skeptischen Hinweis auf die ererbte Kirchenfeindschaft der Hohenzollern beantwortet. 6 ) J e t z t , da der Kronprinz König geworden war, urteilte er anders. Zusammen mit den Freunden, als deren H a u p t sein Schwager Graf Mathias Galen erscheint 8 ), besprach er Aufgaben und Aussichten dieser „neuen Zeit". Der Rauchklub, der bei dem Domherrn v. Korff, einem Vertrauten des Erzbischofs Klemens August 7 ), zu tagen pflegte, wurde zum politischen Klub im Kleinen. 8 ) Kettelers Auffassung entsprach der kirchenpolitischen Schulung, die ihm der Görreskreis, und der kirchenpolitischen Erziehung, die er sich selbst in den letzten Jahren gegeben hatte. Für ihn war die kirchliche Frage entscheidend. Nach ihrer religiösen und ihrer politischen Seite erfaßte er sie. Was der neue Herrscher dem durch die Bürokratie seines Vorgängers bedrängten Katholizismus bringen werde, danach zunächst schaute er aus. Auch in ihm hatten die ersten Reden und das ganze Auftreten ») Br. 58 (11. Juni 1840). ) Vgl. noch Br. 41 und 45. •) Br. 48. — Vgl. die Briefe der Droste 197. *) Br. 17 f. (10. Juni 1839). *) Br. 21. •) Br. 6 0 f . — Galen wurde immer mehr zum Vertrauten Kettelers; vgl. unten S. 30 Anm. 2, auch Br. 79, 83 u. ö. ' ) Droste-Vischering, Uber den Frieden (s. unten S. 51 f.) S. 288. •) Br. 38, 83, 110. s

Heimkehr. Der münsterländische Adel und die Anfänge Ff. Wilhelms IV.

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Friedrich Wilhelms IV. die höchsten Erwartungen geweckt. 1 ) Aber er verlor seine nüchterne Besonnenheit nicht; er wollte nach den Taten urteilen. Wie sehr waren doch diese katholischen Edelleute durch die Erlebnisse der letzten Jahre bedrückt! Den Grafen Mathias Galen machten jetzt erst die Nachrichten von der Rückkehr des Posener Erzbischofs Dunin wieder aufleben 2 ), und Ketteier selbst ließ sich die Freude über dieses Ereignis durch die „landesväterliche" Fassung der königlichen Verfügung nicht vergällen; auf „die Wesenheit" kam es ihm an. Dabei verleugnete sich nicht jenes besondere klerikale Empfinden, das auch sonst schon vor seiner Klerikerzeit zu beobachten ist: ihm war das nahe Ende der Amtstätigkeit Sedlnitzkys, des „elenden" Fürstbischofs von Breslau*), noch willkommener als die Rückkehr des Erzbischofs von Posen. 4 ) In seiner allgemeinen Auffassung der Kirchenfragen und in der besonderen Beurteilung der Kölner Angelegenheit zeigt sich die praktische Veranlagung seines Wesens und zugleich die taktische Schulung der Münchner Zeit. Ihn erfüllten nicht „die sanguinischen Hoffnungen, daß nach und nach es der Kirche vielleicht gelingen werde, den Staat in seinen höheren Grundsätzen christlich zu machen, der jetzt durchaus heidnisch ist"; er wollte es zufrieden sein, „wenn nur die Kirche wieder Luft bekömmt, um ihr Werk im kleinen wieder zu beginnen und ihre Arbeit auf Umgestaltung des einzelnen Menschen mit allen Hilfsquellen zu betreiben". 5 ) Es blieb ihm, der noch nicht den Weg zum Priestertum gefunden hatte, also mitten in der Kirchenpolitik der Sinn für die Seelsorge lebendig. Die kirchenpolitischen Gedanken selbst aber waren mit dem Schicksal des Erzbischofs Klemens August verknüpft. Das zweite Stück des Kölner Kirchenstreites ist nicht von dem lauten, leidenschaftlichen Lärm der Presse und der Broschüren begleitet wie das erste, hat die kirchlichen und die unkirchlichen Geister nicht mehr so heftig wider einander aufgeregt. Aber auch diesem Abgesang fehlt die dramatische Spannung nicht, und der Kampf um den Kölner Stuhl hat nicht etwa an Erbitterung eingebüßt, weil er sich jetzt mehr in der Verborgenheit und weniger zwischen Staat und Kirche, als innerhalb der Kirche selbst abspielte. Es war nicht nur der Kampf der unbedingten Naturen gegen die klugen Vermittler, der Kampf l

) Br. 59. ») Br. 61 (August 1840). ' ) Zu Br. 61 vgl. Br. 64 („Elend und wie ein gemeiner Verräter ä la Maroto steht der Fürstbischof auch hier wieder da"), auch Br. 73. — Sedlnitzky (1787 bis 1871) übersiedelte nach seinem Verzichte noch im Spätjahr 1840 nach Berlin und wurde 22 Jahre später protestantisch. Vgl.: Selbstbiographie . . . hg. [v. J . A. Dorner] Berlin 1872; Erdmann: A . D . B . 33, 531—553. 4 ) Br. 61. ») Br. 62.

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11: Von der Welt zur Kirche.

Der Dorfpfarrer

des unüberlegt-rücksichtslosen Kircheneifers mit der überlegt-rücksichtsvollen Kirchenleitung, es war zugleich der persönlich-familienhafte Kampf Drostes und seiner Verwandtschaft um seinen Platz, das Aufbegehren wider seine Mattsetzung, obwohl ihr auch die Kurie zuzustimmen geneigt war, und nicht lediglich wegen preußischer Wünsche, sondern vornehmlich wegen der starren Eigenwilligkeit des Erzbischofs selbst. Kettelers stets lebendige Anteilnahme an Drostes Geschick 1 ) war jetzt, da er ihn auf heimatlichem Boden begrüßen konnte, höchstens noch gesteigert. 2 ) Aber wenn Droste selbst schon mit der Wendung der preußischen Kirchenpolitik seine Rückkehr halb verbürgt sah') und sich von seinem Briefe an Friedrich Wilhelm IV. eine entscheidende Wirkung versprach 4 ), so dämpfte Ketteier bereits seine ersten Hoffnungen in dem Gedanken an die „Eigentümlichkeiten" des Erzbischofs 8 ), und spätestens zu Anfang des J a h r e s 1841 hat er den Glauben an die Wiedereinsetzung des Erzbischofs ganz preisgegeben.®) Der Auffassung, daß es sich um eine grobe Rechtsverletzung handle, blieb er indessen treu; ein Nachgeben und Vereinbaren von katholischer Seite hielt er für unmöglich 7 ). Daß er sich trotz dieser Empfindung die Klarheit der Anschauung und die Nüchternheit des Urteils bewahrte, bezeichnet den Fortschritt seiner kirchenpolitischen Erziehung. Die besondere Richtung seiner Betrachtung aber wies auf Rom. Er fühlte sich nicht nur in seinem erregten kirchlichen, seinem gekränkten adlig-westfälischen Gefühle beruhigt durch das Bewußtsein, d a ß die höchste Gewalt, die es f ü r ihn auf Erden gab, ihr gewichtiges Wort mitsprechen werde. Seine Ansicht der Sache f ü h r t e ihn jetzt weit über das Persönliche hinaus. Wenn er schon früher auf Rom und römische Machtmittel seine besondere Hoffnung gesetzt hatte 8 ), so festigte sich ihm nun, da der neue König den Kirchenkampf abflauen ließ, die Überzeugung, d a ß das Heil der deutschen Kirche in der engsten Verbindung mit Rom liege. Für die Kölner Sache forderte er Unterhandlungen mit Rom, erhoffte er Entscheidung durch Rom 9 ), mindestens einen glücklichen Ausgleich zwischen Papst und König. 10 ) ') Aus München: Br. 45 f. 2 ) Im Sommer 1840 besuchte er zusammen mit seinem Schwager Mathias Galen, der von Droste besonders geschätzt wurde (vgl. Br. 59 oben), den Erzbischof in Darfcld; bei erneutem Zusammentreffen Anfang Dezember fand er ihn viel erfrischter (Br. 69). •) Br. 69. 4 ) Br. 65, vgl. 63. 5 ) Br. 62. •) Br. 75. ' ) Br. 63. 8 ) Br. 26 und besonders 28 (über die päpstl. Allokution vom 8. Juli 1839). 9 ) Br. 62 (August 1840). 10 ) Br. 75 (27. J a n . 1841).

Das Ausklingen des Kölner Kirchenstreites

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Von Rom erwartete er zugleich die längst ersehnte Zurückweisung der hermesianischen „Eigenmächtigkeiten". 1 ) Aber er bewährte auch hier seinen Blick für die praktischen Schwierigkeiten überlegter Kirchenpolitik. Er sagte sich, d a ß es besondere Gründe sein müßten, die Rom noch immer von ernsteren Schritten gegen den Hermesianismus abhielten. Den Heißspornen, die in gesinnungstüchtiger Ungeduld päpstlicher als der Papst sein wollten, verwies er die voreilige Kritik des römischen Verhaltens; sie zeigte ihm nur, „wie ungenügende Vorstellungen man noch von den Hindernissen h a t , die einem recht lebendigen Einwirken des Heiligen Stuhles auf unsere Kirche entgegenstehen". Nicht in Rom, sondern in Deutschland sah er die eigentlichen Hemmungen. Ihm war es unbegreiflich, d a ß die benachbarten Bischöfe nicht ununterbrochen Klage erhoben über das Treiben der Hermesianer. In dieser Weise maß er die kirchliche Wirklichkeit an seinem Kirchenbegriff, an den bischöflichen Gedanken, die ihm, dem Laien, schon bewußter Gegenwartsbesitz waren und noch unbewußte Zukunftsaufgaben bargen. Er beklagte es, d a ß die rheinische Geistlichkeit nicht so zuverlässig war wie die seiner westfälischen Heimat 2 ), er wußte, es hatte sich „in vieler Katholiken Herz das Bild einer toten Geschäftsf ü h r u n g eingeschlichen, wo jeder auf seinem Bezirk und in seinem Ressort zu handeln hat und sich um niemanden sonst zu kümmern b r a u c h t " . Ketteier erkannte also, d a ß nicht nur das Sondertum der Sekte, sondern auch der Bistums-»und der Pfarrpartikularismus überwunden werden mußten. Das Ziel aber schien ihm nur erreichbar in geduldigem Vertrauen auf den Papst, in der bewußt erfaßten Weltgemeinschaft mit Rom. Die K r a f t der Kirche erblickte er in der Einheit und Allgemeinheit ihres Lebens. Es begeisterte ihn das Bewußtsein, d a ß in Amerika, im Orient, überall in der Welt die Gemeinsamkeit des Glaubens sich auch in der Teilnahme an den Leiden der deutschen Kirche zeigte. Alle Gemeinschaft, alle Einheit aber war ihm Gemeinschaft, Einheit mit Rom. Darum mußte er die Gewährung des freien Schriftverkehrs mit Rom als „ein wahres Ereignis" begrüßen 3 ), auch hier mit bischöflichem Verständnis urteilend. 4 ) Darum auch war ihm der Ausgleich zwischen dem Papste und Preußen, sei es selbst auf Drostes Kosten, immer noch Gewinn genug 6 ); denn nur so konnte der Kurie der Weg zur deutschen Kirche gesichert werden. Das persönlich Bedeutungsvolle an Kettelers Haltung in diesen Kämpfen liegt ganz allgemein darin, ') Br. 69. Dieser wichtige Brief an Wilderich, 6. Dez. 1840, bietet auch für das Folgende die Grundlage. *) Br. 63. 3 ) Br. 75 unten. Vgl. dazu Hansen, Rheinland 61 oben. ' ) Vgl. dazu die bischöflichen Dankbriefe an den Kultusminister Eichhorn vom J a n u a r 1841: Treitschke 5, 297. ') Vgl. besonders Br. 75 unten.

11: Von der Welt zur Kirche.

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Der Dorfpfarrer

daß er es jetzt um der Kirche willen lernte, selbst die stärksten und innigsten Bande zu lockern; die Liebe zur Kirche verlangte die Überwindung der Heimatfesseln. In der Liebe zur Heimat vereinigte sich mit dem Gefühl für den väterlichen Boden und die Familie das ritterliche Bewußtsein der mQnsterländischen Adelsüberlieferung; Liebe zur Kirche aber bedeutete ihm „Entbehren und Entsagen im Dienste und zur Ehre Gottes" 1 ) und zugleich Kampf f ü r die Kirche in der Welt, kirchlich gefaßte Kirchenpolitik. Er war bereit, um der Ehre Gottes willen das Zusammenleben mit den Seinigen auf heimatlicher Scholle zu entbehren; der Kirchenpolitik aber brachte er das Opfer des westfälischen Ritterschaftsstolzes. Er hielt es nicht mit den Verwandten Klemens Augusts, die noch beim Ablauf der Kölner Wirren über den Standpunkt einer empfindlichen und ehrgeizigen Familienpolitik nicht recht hinauskommen wollten. 2 ) Sein kirchliches Bewußtsein sollte dem Heimatsgefühl keinen Übergriff mehr in die Beurteilung der Kirchenfrage gestatten. Er wollte diese jetzt einzig und allein im Geiste der Kirche, im Sinne Roms entschieden wissen. Am liebsten h ä t t e er den verehrten Bischof von Eichstätt in Köln gesehen. Das Gerücht, daß Reisach zum Koadjutor Drostes ausersehen worden sei, ließ ihn einen Augenblick mit Begeisterung an dieses „ungeheure Glück" denken*), und unter den „unberechenbaren Folgen" eines solchen Ereignisses vergegenwärtigte er sich e i n e sogleich: die Ernennung des Mannes, der in Rom bei der Verurteilung des Hermesianismus besonders beteiligt war, hätte das Ende dieser „Verwüster der Kirche" 4 ) bedeutet. Aber an ein derartiges „ W u n d e r , wie kein größeres noch gewirkt worden", vermochte Ketteier nicht zu glauben. Seine Skepsis war in der T a t besser am Platze als sein Enthusiasmus. Sogar die bescheidenere Hoffnung, seinen Landsmann Diepenbrock, Sailers feinsinnigen Schüler, in Köln einziehen zu sehen 6 ), blieb unerfüllt.®) Daß im Herbst 1841 der noch wenig bekannte Speyrer Bischof, der pfälzische Winzersohn, dem Grafen Droste an die Seite gestellt wurde, war doch eine besonders starke Probe für die Wurzelkraft seiner neuen Betrachtungsweise. Aber auch ihn mußte mit Geisseis Ernennung dessen kraftvolle und zugleich geschmeidige RegieBr. 76. ) Vgl. Briefe der Annette Droste-Hülshoff 261 f. — Über die Familienzusammenhänge beim Ausbruch des Kölner Streites vgl. noch Gutzkow, Die Absetzung des Erzbischofs von Köln 1837 (in der Gesamtausgabe der Werke 1. Serie, Bd. 10, 1875, S. 47 u. 59). ») Br. 81 «) Br. 128 (8. Jan. 1843). •) Br. 82 (27. Febr. 1841). ' ) Friedrich Wilhelm IV. hatte auf seine Anfrage bei Diepenbrock, der damals Domdekan in Regensburg war, schon Anfang Dezember eine Absage erhalten. Radowitz an Fr. W., 4. Dez. 1840: Hassel, Radowitz 1, 322. — Vgl. Reinkens, Diepenbrock 228 ff. s

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Festigung der kirchlichen Begriffe Kettelers

rungskunst überhaupt und die Unterdrückung des Hermesianismus insbesondere bald versöhnen. 1 ) Wenn Ketteier seine kirchliche Anschauung aus der allzu engen Umklammerung überkommener Adelsbegriffe zu lösen verstand, so m u ß uns das um so mehr als geistlicher Laiensieg erscheinen, je deutlicher wir bemerken, d a ß auch damals sein Sinn f ü r die heimische Ritterschaftspolitik keineswegs erstorben war. In den ersten Wochen Friedrich Wilhelms IV. meinte er wohl»), daß, anders als den Adelsgenossen, ihm selbst ein politisch-ständisches Anliegen der Heimatprovinz wie die Huldigungsfrage „sehr gleichgültig" geworden sei. Aber bald genug sind seine Gedanken in die westfälischen Landtagsk ä m p f e hineingezogen worden. Das Politisch-Ständische und das Kirchlich-Konfessionelle waren freilich untrennbar verbunden 1 ), und Ketteier sah auch hier zunächst nach der kirchlichen Begründung und der kirchlichen Wirkung. Indessen mußte ihn schon die Pflicht der Berichterstattung f ü r den außer Landes weilenden Bruder Wilderich über die kirchlichen Grenzen hinausführen. Er zeigt sich dabei gemäßigter, politisch beruhigter als der herbere Bruder, den er gern mit allen „unsern Herren" bei der Huldigung vor dem Könige gesehen h ä t t e und den er nun gar erst mit dem Verhalten der anderen auszusöhnen sich bemühen mußte. 4 ) Ihn konnte das Gefühl für die bisherigen Leiden der Kirche nicht von der Uberzeugung abbringen, d a ß gegenüber „einer so tüchtigen und ausgezeichneten N a t u r " wie Friedrich Wilhelm Vertrauen einfache Untertanenpflicht sei. 5 ) Wenn Wilderich von Ketteier auf die Erwerbung eines landtagsfähigen Gutes verzichtete, also die Vorbedingung landständischer Wirksamkeit nicht erfüllen wollte, so sah sein Bruder Wilhelm darin einen Fehler. 4 ) Er dachte dabei offenbar an die Aufgaben der Provinz, zugleich aber gewiß an die Nachwehen des Kirchenstreites. Die Landtagkämpfe um die Adresse an den König, Kämpfe, die er nur aus der Erzählung der Freunde kennen lernte, hat er wie ein Streitgenosse der katholischen Adelsg r u p p e erlebt und in leidenschaftlichem Eifer geschildert. 7 ) Eine Adresse, die dem König zugleich für die Fortbildung der ständischen Rechte und f ü r sein Verhalten gegenüber den Katholiken danken sollte, brachte der Freiherr von Schorlemer ein. Der Vorschlag war ') Im mtinsterländischen Adel urteilte man giinstig über Geisseis Anfänge; Briefe der Droste 261 f. — Zwischen Geissei und Ketteier ist es zu einem herzlichen Verhältnis niemals gekommen. Das hat schon J. Fr. v. Schulte (Lebenserinnerungen 1, 17 Anm. 1) richtig bemerkt. ») Br. 59. *) So auch im Rheinland. Vgl. Hansen, Preuß. u. Rheinland 79. ) Er wirkte noch 9. 6. i. d. Berl. Nationalvers. (Pastor 1, 244). Zu Radowitz hatte er schon Sommer 1846 Beziehungen: Steinle 2, 290 Anm. 2. — Diepenbrock hatte bereits in s. Regensburg. Zeit, Ende Nov. 1840, Radowitz kennen gelernt: Reinkens 229; Hassel, Radowitz 1 (1905) S. 322.

Diepenbrock als Begründer, Radowitz als Leiter der kathol. Vereinigung

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taneneid „ f r e u d i g " . Aber mehr. E r hegte, a n d e r s als die meisten katholischen M ü n s t e r l ä n d e r , preußisches S t a a t s g e f ü h l , wenn er es a u c h wesentlich s o l d a t i s c h - v a s a l l e n m ä ß i g f a ß t e und zugleich, wie sich von selbst versteht, kirchlich einschränkte. Nach der Kaiserwahl vom 28. März 1849 d u r f t e R a d o w i t z , der (neben Max von Gagern der einzige aus d e m alten Kreise der katholischen Vereinigung) zu den W ä h l e r n Friedrich Wilhelms g e h ö r t e , m i t R e c h t bei D i e p e n b r o c k Vers t ä n d n i s f ü r seine H a l t u n g e r w a r t e n . 1 ) Vollends d o r t , wo eine d u n k l e Mischung katholischer u n d p r e u ß e n f e i n d l i c h e r E m p f i n d u n g e n u n t e r kirchlicher Hülle politisch zu wirken d r o h t e , m u ß t e n sich beide Männer in der A b w e h r z u s a m m e n f i n d e n . D a s vor allem w a r es, w a s sie bei der B e g r ü n d u n g des katholischen Vereins politisch bewegte. Entscheidend blieb n a t ü r l i c h der kirchliche W u n s c h , eine katholische B e r a t u n g s g e m e i n s c h a f t zu besitzen f ü r jene kirchlichen Anliegen, die in der N a t i o n a l v e r s a m m l u n g b e h a n d e l t werden m u ß t e n und im Verf a s s u n g s e n t w u r f e bereits b e h a n d e l t w a r e n . Das rein Politische sollte Sache der Einzelnen sein. Gerade D i e p e n b r o c k , den dabei sein feinfühliger Abscheu vor E n t w e i h u n g des Religiösen leitete, u n d R a d o witz, der durch politische, d u r c h p r e u ß i s c h e E r w ä g u n g e n m i t b e s t i m m t w u r d e , s u c h t e n die V e r e i n s a u f g a b e n s t r e n g auf d a s Kirchliche zu bes c h r ä n k e n . Aber a u c h j e n e n Mitgliedern dieser etwa auf 50 bis 60 Köpfe a n w a c h s e n d e n Vereinigung, die in der Stille die A u f r i c h t u n g einer klerikalen P a r l a m e n t s p a r t e i w ü n s c h t e n , m u ß t e der Verzicht auf die D u r c h f ü h r u n g dieses G e d a n k e n s in den A n f ä n g e n der Paulskirchent a g u n g m i n d e s t e n s als Gebot politischer Klugheit gelten. Der unpolitische G r u n d z u g des katholischen Vereins k a m gerade auch darin z u m A u s d r u c k , d a ß der w a h r l i c h nicht unpolitische General Vorsitzender w u r d e . Der P r e u ß e in R a d o w i t z weckte schon d a m a l s in m a n c h e n seiner k a t h o l i s c h e n F r e u n d e argwöhnische Bedenklichkeit. Aber der Mann, der bald darauf in der N a t i o n a l v e r s a m m l u n g erklären k o n n t e , d a ß j e d e a n d e r e R ü c k s i c h t schwinden müsse, wenn es sich um die Verteidigung der katholischen Kirche handle, bot kirchlich eine g u t e G e w ä h r und m o c h t e u m seiner preußischen Beziehungen willen auch solchen kirchlich w i l l k o m m e n sein, denen er aus dem gleichen G r u n d e politisch v e r d ä c h t i g w a r . So wurden diese Männer, die in ihrer ü b e r w ä l t i g e n d e n Mehrheit auch j e t z t , da die Frage nach der Reichsleitung noch nicht e n d g ü l t i g gestellt wurde, schon als Gegner preußischer A n s p r ü c h e gelten m u ß t e n , in ihren politischen Zweifeln kirchlich b e r u h i g t . Sie f ü g t e n sich der L e i t u n g des preußischen Generals vorerst u m so williger, als ihnen d u r c h den W u n s c h des von allen verehrten D i e p e n b r o c k diese U n t e r o r d n u n g f a s t zur religiösen Pflicht gemacht wurde. Radowitz an Diepenbrock 30. 3. 49: Meinecke 2 1 5 f . ; jetzt gedruckt: Radowitz, Nachgelass. Briefe u. Aufzeichn. hg. v. W. MOring (1922) S. 76 Nr. 56.

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12: Die Revolutionszeit: Der Frankfurter Abgeordnete. Der Berliner Propst

K e t t e i e r gehörte zu den JOngsten, n i c h t in der N a t i o n a l v e r s a m m lung, wohl aber im katholischen Verein. Neben den auserlesenen Geistlichen u n d Laien, die sich u m Diepenbrock und R a d o w i t z s c h a r t e n , d u r f t e er keine besondere B e a c h t u n g b e a n s p r u c h e n . Aber er h a t t e n a c h H e r k u n f t und Persönlichkeit doch mehr zu b e d e u t e n als ein beliebiger P f a r r e r . Er w a r auch nicht u n b e k a n n t in diesen katholischen Kreisen. Dem Breslauer Fürstbischof e m p f a h l ihn die Zugehörigkeit z u m münsterländischen Adel, Bischof Müller von Münster w a r sein Diözesanbischof, seine Münchner Lehrer Döllinger und Phillips f a n d er hier als e r p r o b t e und n u n von neuem sich b e w ä h r e n d e Kirchenk ä m p f e r wieder. W e n n Ketteier zuerst auf der ä u ß e r s t e n Linken saß 1 ), so darf das höchstens als ein nicht kühl berechneter S t i m m u n g s a u s d r u c k gelten. Ihn erfüllte der kirchlich g e n ä h r t e D r a n g nach d e m freien S t a a t e , der aus der S e l b s t b e s t i m m u n g des deutschen Volkes hervorgehen und sie zugleich sichern sollte; er s e h n t e sich d a n a c h , den „ j a m m e r v o l l e n P o l i z e i s t a a t " v e r d r ä n g t zu sehen durch einen S t a a t „ m i t der a u s g e d e h n t e s t e n Selbstregierung", mit eigenem, freiem Leben der Einzelnen u n d der G e m e i n s c h a f t e n : der Familie, der Gemeinde u n d vor allem der Kirche. 2 ) In der Unklarheit der ersten Tage k o n n t e er sich wohl gefühlsmäßig zu den D e m o k r a t e n r e c h n e n . Auch m a g die Vorstellung, auf der Linken wenigstens keinem F r e u n d e großpreußischer M a c h t g e d a n k e n zu begegnen, seine E m p f i n d u n g e n f r e u n d l i c h umspielt h a b e n . Aber er ist rasch genug a u s dieser U m g e b u n g verscheucht worden. Wenn nicht schon die b e t o n t e F o r m losigkeit, die m a n c h e Leute der Linken liebten, so m u ß t e ihn der alsbald u n v e r h ü l l t zutage liegende R a d i k a l i s m u s der Gesinnung, und nicht n u r der politischen, abstoßen. Den bleibenden P l a t z f a n d er, wie alle seine kirchlichen Freunde, auf der rechten Seite.®) Einer politischen Partei, einem der nach Ablauf der ersten P a r l a m e n t s wochen g e g r ü n d e t e n K l u b s schloß er sich nicht an. So hielten es a n d e r e auch, insbesondere viele Geistliche. Ketteier g e h ö r t e lediglich der unpolitischen katholischen Vereinigung an. Er h a t t e priesterlich der Parteipolitik abgeschworen. Er meinte seiner politischen Neigungen und Abneigungen Herr werden zu können. E r blieb a u c h im P a r l a m e n t e der Geistliche. Indessen, seine politischen Gedanken w u r d e n von den kirchlichen zwar umschlossen, nicht a b e r e r d r ü c k t ; er t r u g das geistliche Gewand, aber an dem P r i e s t e r h u t e p r a n g t e die schwarz-rot-goldene Kokarde. 4 ) Er war weder so kühl noch so un») Pfülf 1, 155 (ohne Beleg). ) Br. 160 ff. (s. unten S. 98). *) Platz Nr. 530 auf dem Ende Juni oder Anf. Juli 1848 veröff. „Grundplan vom Innern der Paulskirche"; neben ihm 2 westfäl. Katholiken. 4 ) v. Schulte, Lebenserg. 3,206. — Über Hutmode u. polit. Grundsätze die köstliche Bemerkg. Laubes 2, 108 f. (1909 : 2, 87). s

Ketteier in der Nationalversammlung und im katholischen Verein

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politisch, daß er in dieser Nationalversammlung u n b e r ü h r t geblieben wäre von dem nationalen Geiste. Durch jenes peinliche Bewußtsein, am falschen Platze zu stehen, durch jenes beklemmende Gefühl unf r u c h t b a r e r Entsagung, wie es den Breslauer Bischof beherrschte, wurden Kettelers parlamentarische Anfänge nicht gestört. Er folgte den Reden in der S t i m m u n g eines Abgeordneten, der darauf b r e n n t , der fremden Anschauung die eigene entgegenzuhalten. In seiner Mappe sammelten sich, längst bevor die Kirchenfrage behandelt wurde, neben Übersichten über Reden und Gegenreden der anderen die eigenen Entwürfe, fertige Reden über Volkssouveränität und d e u t schen Freiheitsbegriff, über das Verhältnis der preußischen zur d e u t schen Nationalversammlung, über die Aufhebung des Adels 1 ); seine Adelsrede wollte er nicht etwa in demokratischer Anwandlung gegen seine Standesgenossen richten, vielmehr gerade aus stolzem Adelsbewußtsein, aus einem geschichtlichen Empfinden, das freilich mit wunderlichem E n t h u s i a s m u s versetzt war, aus heftiger Abneigung gegen die „infamen Titel- und Adelserhebungen" wollte er die Adelstitel beseitigt wissen 2 ), u m so den wahren alten Adel von dem falschen, neuen zu scheiden und jenen (also doch ohne die von dem bäuerlichen A r n d t so geliebten äußeren Zeichen!) seinem alten ländlichen Dasein zurückzugeben. Er konnte zwanzig J a h r e später, als er sich in d e m Begleitworte zu einem mittelalterlichen Adelsbuche an den gesamten christlichen Adel Deutschlands wandte, immerhin manches unmittelbar aus der Adelsrede entnehmen, die er in der Paulskirche ungesprochen h a t t e lassen müssen.*) Ketteier k a m in den ersten Parlamentsmonaten zwar wiederholt zur Wortmeldung, doch nicht zum Worte. Erst die Besprechung der Schulfrage im September b r a c h t e ihn auf die Tribüne. Seine Teiln a h m e an den Dingen, wie sie durch seine Persönlichkeit und seine Zugehörigkeit zum katholischen Vereine 4 ) bestimmt wurde, seine Meinung und H a l t u n g können wir auch so, da bei den wichtigsten Fragen meist namentlich a b g e s t i m m t wurde, einigermaßen erkennen. Wie es in der Paulskirchenzeit selbst geschehen ist, so wird der Nachlebende immer wieder versuchen, auch in den politischen E r örterungen und Entscheidungen die Wege der Klerikalen zu verfolgen. Die Erkenntnis der unpolitischen Art des katholischen Vereins darf uns jedenfalls nicht zu der Meinung verleiten, d a ß er politisch bedeu*) Pfülf l , 1 5 6 f . ') Mit Absicht gewiß spricht er auch i. d. offen. Schreiben an s. Wähler 18. 9. 48 (Br. 164) von „Herrn Rochow". ») Pfülf 2, 398 f. *) Noch im Januar 1870 erklärte K. („Was hat Herr Prof. Nippold in Heidelberg bewiesen?" S. 45; Pfülf 3, 349) die von ihm seit 20 Jahren verteidigten Prinzipien über d. Verhältn. v. Staat u. Kirche seien „ganz dieselben, welche von der ganzen kathol. Fraktion des Frankf. Parlamentes, deren Vorsitz Radowitz führte, aufgestellt wurden".

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tungslos gewesen wäre. Die Vereinigung als solche hielt die Politik f e r n . Nur so k o n n t e die kirchlich g e g r ü n d e t e G e m e i n s c h a f t sich b e h a u p t e n , und d a r u m war R a d o w i t z in dieser Beziehung „ b i s z u m Rigorismus s t r e n g " , wie ein weifisch-großdeutscher P r o t e s t a n t , der jenen K a t h o liken ein wenig s e e l e n v e r w a n d t e braunschweigische P f a r r e r K. J ü r g e n s , gewiß richtig b e o b a c h t e t h a t . 1 ) D a s ist indessen n u r so a u f z u f a s s e n , d a ß die B e r a t u n g e n des Vereins n i c h t d u r c h eine V e r q u i c k u n g d e r politischen mit der religiösen F r a g e a u s der B a h n g e d r ä n g t werden sollten. Diese „ k a t h o l i s c h e V e r s a m m l u n g " 2 ) f ü h r t e aber Männer von gleicher kirchlicher A n s c h a u u n g , die sich zu verschiedenen politischen G r u p p e n hielten oder a u c h a u ß e r h a l b j e d e r P a r t e i s t a n d e n , persönlich z u s a m m e n . Eine derartige, auf die Macht des g e m e i n s a m e n Glaubens g e s t ü t z t e V e r b i n d u n g m u ß t e rascher als jede andere diese A b g e o r d n e t e n einander nahe bringen. Die kirchlich-katholische G e m e i n s c h a f t als solche vermied die politische B e r a t u n g , a b e r die lebendigen Menschen, die ihr a n g e h ö r t e n , m u ß t e n ganz von selbst in den M e i n u n g s a u s t a u s c h mit den Glaubensgenossen h i n e i n k o m m e n . Die Geistlichen, die n u r in diesem katholischen Vereine einen p a r t e i ä h n l i c h e n Verband kennenlernten, sie und alle, die f ü r ihren politischen Eifer nicht in einer Partei Genüge finden k o n n t e n , m o c h t e n a m m ä c h t i g s t e n dazu angelockt werden, die religiösen G e d a n k e n mit den politischen zu v e r b i n d e n , die Kirchenpolitik als ein unablösbares S t ü c k einer Gesamtpolitik zu begreifen, f ü r die jeder G e d a n k e an ein preußisches Übergewicht in D e u t s c h l a n d schon allein kirchlich unerträglich war. Eben diese Männer aber, Ketteier nicht zuletzt, e m p f a n d e n d a s energische P r e u ß e n t u m des leitenden Generals nach wenigen Monaten als Fessel im katholischen Verein.

Die politische Meinungsverschiedenheit, die R a d o w i t z von den meisten Klerikalen t r e n n t e , zeigte sich schon in der A u f f a s s u n g der grundsätzlichen Berechtigung der N a t i o n a l v e r s a m m l u n g . Aber hier k o n n t e n keine Leidenschaften a u f g e r e g t werden. Nicht, d a ß es sich um eine u n b e d e u t e n d e Sache g e h a n d e l t h ä t t e . Die Frage, ob der k ü n f t i g e Reichsregent durch V e r e i n b a r u n g mit den Regierungen oder d u r c h einseitigen P a r l a m e n t s b e s c h l u ß bestellt werden solle, war w a h r lich wichtig genug. Ihre Lösung d u r c h die N a t i o n a l v e r s a m m l u n g erschien zuerst f a s t als unmöglich. 8 ) An das Dasein des Bundestages h a t t e selbst der d a m a l s noch als D e m o k r a t geltende Wilhelm J o r d a n am 14. J u n i erinnert, wenn a u c h nicht in der Meinung, d a ß das ver') Zur Gesch. d. dt. Verfassungswerkes 2, I (1850) S. 49. ) So K.: Br. 157 (19. 8. 48 an den zu s. Stellvertreter i. d. Nationalvers, gewählten Justizkommissär Thiissing in Warendorf). — In s. Brief an s. Bruder Richard 17. 9. 48 (s. unten S. 93) spricht K- von „unserem katholischen Klub". ») Vgl. Rümelin 6 f. 2

Parlamentarische Anfänge. Bundestag und Zentralgewalt

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haßte Alte beibehalten werden solle. 1 ) Bald darauf hatte der westfälische Landrat Georg v. Vincke, der parlamentarisch glänzend begabte Sohn des Oberpräsidenten, in einer mutigen Rede gegen die Phrase von der Allmacht des Volkes die Vereinbarung des Verfassungswerkes geradezu als eine mindestens durch das preußische Wahlgesetz geforderte Pflicht der Abgeordneten bezeichnet, hatte der staatsmännisch maßvolle Mathy den Gedanken einer Entwicklung des Bundestages zum Staatenhause angeregt und die Versammlung beschworen, nicht mit zermalmender Machtvollkommenheit über das Recht der deutschen Staaten hinwegzuschreiten. Aber als Heinrich v. Gagern am 24. Juni mit dem von Mathy verworfenen „kühnen Griff" für die Versammlung das Recht auf Schaffung der Zentralgewalt eroberte, hatte er die überwältigende Mehrheit der Abgeordneten hinter sich, die teils längst nach solcher Entscheidung begierig waren, teils durch sein Bekenntnis mitgerissen oder, wie Mathy selbst, durch den Hinweis auf das nachträgliche Einverständnis der Regierungen hinübergezogen wurden. Der Widerstand war bedeutungslos geworden, darum brauchte er nicht zu verstimmen. Der Zusammenhalt des katholischen Vereins konnte, von seiner politischen Neutralität ganz abgesehen, um so weniger bedroht werden, als zu den 31 Abgeordneten, die das vorherige Einverständnis der Regierungen forderten, außer Radowitz noch so hervorragende Mitglieder gehörten wie Diepenbrock, Döllinger und Phillips. 2 ) Für die Person des Erzherzogs Johann waren sie ohnedies alle gewonnen. Bei Ketteier wie bei seinen kirchlichen Gesinnungsgenossen zeigte sich vornehmlich diese Gewißheit der Erhebung des Habsburgers wirksam, wenn sie*) der provisorischen Zentralgewalt nicht die Verpflichtung auferlegt wissen wollten, lediglich die Beschlüsse der Nationalversammlung zu verkünden und zu vollziehen. Dieser, die künftige Reichsregierung beschränkende Antrag fand bis in die Mitte hinein seine Anhänger und wurde nur mit 285 gegen 259 Stimmen abgelehnt. 4 ) Verworfen wurde auch der demokratische Vorschlag, die durch das demokratische Amerika geheiligte Bezeichnung „Präsident" in die Verfassung zu bringen. Ketteier stand jetzt, da es galt, dem katholischen Reichsverweser den Platz herzurichten, fest in der Reihe derer, die nicht dem ungewissen Willen wandelbarer Parlamentsmehrheiten die Macht überlassen wollten. Er hielt es, wie die meisten seiner klerikalen Gesinnungsgenossen, mit der Rechten gegen die Dreiviertelmehrheit der Versammlung, als diese die Zentralgewalt für die Entscheidung über ') St. B. 1, 317. — Z. Folg.: St. B. 440 f., 519, 520 ff. *) St. B. 1, 576. *) Ausgenommen (sehe* ich recht) nur Clemens und Walter aus Neustadt. 4 ) St. B. 1, 581 ff., nach der Namenaufzählung (S. 586 irrig: 277 u. 261; Haym 1, 36 irrig: 265). — Fortan sind nur schwieriger aufzufindende Stellen der St. B. bezeichnet; die Angabe d. Daten kann sonst als Hinweis genügen. V i g e n e r , Bischof Ketteier

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Krieg und Frieden und über Verträge mit auswärtigen Mächten an das Einverständnis der Nationalversammlung band und der V e r s a m m l u n g die freie Wahl des Reichsverwesers überließ. So weit war Ketteier von politischem Demokratismus entfernt. Seine Z u s t i m m u n g zu d e m Antrage auf Unverantwortlichkeit des Regenten verstand sich danach von selbst. F ü r die Beibehaltung des Bundestages, der den Einzelstaaten, Preußen zumal, eine wirksame V e r t r e t u n g g e s t a t t e t h ä t t e , war er auch jetzt und gerade jetzt, am Vorabend der Habsburgerwahl, natürlich nicht zu haben. Von den 35 konservativen Abgeordneten, die noch im letzten Augenblicke den B u n d e s t a g zu r e t t e n suchten, gehörte immerhin ein Drittel dem katholischen Verein an, und wiederum waren Diepenbrock und Radowitz, Döllinger und Phillips, auch Lasaulx und Lichnowsky darunter. Bei der A n n a h m e des ganzen Gesetzes über die provisorische Zentralgewalt am 28. und bei der Wahl des Erzherzogs J o h a n n am 29. J u n i f a n d e n sich auch alle Klerikalen wieder zusammen mit der überwiegenden Mehrheit der Abgeordneten. Die politischen Gedanken dieser im J u b e l des Augenblicks geeinten Männer gingen freilich weit auseinander. Kettelers H a l t u n g war wesentlich durch die auch kirchlich gerechtfertigte Zuneigung zum Hause H a b s b u r g und die Abneigung gegen alle preußischen Machtansprüche eingegeben. Seine A b w e n d u n g von Preußen läßt sich hier und auch sonst in der Paulskirche deutlich erkennen. Nahezu 200 Abgeordnete, d a r u n t e r die meisten Mitglieder des katholischen Vereins, erklärten zu Protokoll, nur im Vertrauen auf die Z u s t i m m u n g der deutschen Regierungen f ü r die Reichsverweserwahl durch die Nationalversammlung gestimmt zu haben. Die katholischen Preußen, wie die Bischöfe Diepenbrock und Müller, wie Radowitz und der Schlesier v. Bally und viele andere, gaben durch diesen Vorbehalt zu erkennen, d a ß sie um der neuen katholischen Reichsgewalt willen nicht einfach die alten Rechte ihres protestantischen Königs verleugnen wollten. Dem Pfarrer von Hopsten aber lagen näher als solche preußischlegitimistisghen Bedenken jene unpreußischen E m p f i n d u n g e n , wie sie sich damals gerade im katholischen Westfalen vordrängten. 1 ) Dort wußten viele die Freude über die F r a n k f u r t e r Wahl auch d a r u m so recht von Herzen zu genießen, weil sie in der E r h e b u n g des Erzherzogs eine Niederlage Preußens sahen. Münsterische Gassenhelden bewährten ihre Reichsstimmung durch das Niederreißen preußischer Fahnen. Das geschah schwerlich in Kettelers Sinn. Aber von dem Eigenrechte des preußischen Staates wollte er so wenig etwas wissen, wie von dem, was andere, auch manche strenge Katholiken, die preußische Ehre n a n n t e n . ') Z. Folg.: Jung, J . F i c k e r 6 6 f . ; M z . J . 1848 Kr. 5 6 ( 1 1 . 8 . , Beilage), Nr. 60; Büß, Teutsche Einheit S. 5; B.Weber, Charakt.-Bild. S. 335. Preuß. Stimmung damals z. B. bei H. Mallinckrodt (dessen Vater Protestant war!): Pfülf, Mallinckrodt 32; im allg.: H ü t t e m a n n (s. oben S. 70 Anm. 1) 114.

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Widerpreußische Stimmungen. Die Grundrechte

Solche Gegensätze waren unter den Klerikalen schon damals gefühlsmäßig gegenwärtig, und sie waren gefährlich genug. Aber, wenn in der Nationalversammlung überhaupt jetzt noch das Gemeinschaftsbewußtsein das stärkere war, wenn etwas wie eine mit Ewigkeiten rechnende Konzilsstimmung über ihr lag, so konnte insbesondere die katholische Vereinigung durch das einmütige Bekenntnis zu dem vom Parlament erhobenen und doch den alten Gewalten nicht fremden katholischen Reichsverweser höchstens gefestigt werden. Das Zusammenhalten mußte um so mehr auch als kirchliche Pflicht erscheinen, als der Verein bei der Beratung der Grundrechte seine Stärke auf seinem eigensten Gebiete zu zeigen hatte. Die Nationalversammlung, deren Mehrheit durch die Schaffung der vorläufigen Regierung den starken Bundesstaat gesichert zu haben glaubte, schob nun im Hochsommer den Abschluß der Reichsverfassung zurück zugunsten der Grundrechte. 1 ) Die Deckung nach außen schien gegeben. Nun galt es die innere Deckung. Ideologie und berechnende Überlegung vereinigten sich in dem heißen Bemühen, inmitten des Ganzen der deutschen Nation dem politischen, geistigen, sittlichen Sein des Einzelnen und der außerstaatlichen Gemeinschaften die Bürgschaft der Unantastbarkeit zu gewinnen, die persönlichen Rechte abzugrenzen gegen die Anforderungen des Staates, zugleich freilich dem Individualismus Schranken zu setzen, dem „Vandalismus der Freiheit" 2 ) zu steuern. Mit dem Geiste der Versöhnung von Macht und Freiheit hatte der Verfassungsausschuß den Entwurf der Grundrechte zu erfüllen gesucht, den Georg Beseler am 3. Juli der Versammlung vorlegte. Die Unterschiede der liberalen und der klerikalen Auffassung des Verhältnisses von Staat und Kirche waren schon in den Ausschußverhandlungen hervorgetreten. Mit den Erörterungen und Beschlüssen des Verfassungsausschusses®), dessen historisch geschulte, politisch gewitzigte Mehrheit dem Verlangen nach schrankenloser Kirchenfreiheit nicht nachgeben wollte, beschäftigten sich die ersten Beratungen des katholischen Vereins. Er konnte bei der Aufstellung seiner Anträge dem Vorschlage der klerikalen Ausschußminderheit manches entnehmen, was sich mit den günstigen Bestimmungen des preußischen Verfassungsentwurfes berührte. Die Mehrheit des Frankfurter Verfassungsausschusses hatte nur die Freiheit der Bildung neuer Religionsgesellschaften gefordert, von den bestehenden kirchlichen Gemeinschaften aber geschwiegen. Der Gegenantrag der Mitglieder des katholischen Vereins suchte die Kirchenfreiheit schlechthin und in ihr die Freiheit der katholischen Kirche zu sichern, dem ') Zur Rechtfertigung: namentlich Haym 1, 47 ff., auch K. G. W. Stenzel, G. A. H. Stenzeis Leben (1897) S. 413. 2 ) Haym 1, 56. 3 ) J. G. Droysen, Verhandl. d. Verf.-Aussch. 1 (1849) S. 10 ff. 6*

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kanonischen Rechte die Möglichkeit ungehemmter Bewegung auf dem kirchlichen Boden zu verschaffen. 1 ) Das war der innerste Gedanke des zum 12. Paragraphen des Entwurfes nach dem Vorbilde der belgischen Verfassung eingebrachten katholischen Zusatzantrages: „Die Freiheit jeder Gottesverehrung und ihrer öffentlichen Ausübung ist verbürgt" 2 ); das war der Sinn der Haupt- und Grundforderung des sog. Amendements Nagel: „Die bestehenden und neu sich bildenden Religionsgesellschaften sind als solche unabhängig von der Staatsgewalt; sie ordnen und verwalten ihre Angelegenheiten selbständig." 3 ) Der katholische Verein, dem ein Haus am Hirschgraben, in der Straße des jungen Goethe, als Versammlungsplatz diente, begnügte sich nicht damit, die kirchenpolitischen Gegenstände durchzusprechen, die Anträge aufzustellen, die Redner zu bestimmen. Man wußte auch die katholische Bevölkerung allenthalben mit geräuschvollem Eifer für die katholischen Forderungen arbeiten zu lassen, man stützte sich zugleich in der Stille auf die Macht der katholischen Hierarchie. Geisseis geschäftige und geschickte Hand stellte die Verbindung mit der Kurie her. Durch Pius IX. war für die deutschen Katholiken in den Märztagen „der Fortschritt gleichsam sanktioniert." 4 ) Daß der Papst seitdem seine liberale und nationalitalienische Bahn immer mehr verlassen hatte, brauchte im Sommer 1848, in der Zeit zunehmender politischer Beruhigung in Deutschland den Klerikalen nicht als Nachteil zu gelten. Eben damals kam der Geschäftsträger Roms, der Wien wegen der (jetzt schon nachlassenden) Spannung zwischen der päpstlichen und der kaiserlichen Regierung verlassen hatte, in die nächste Umgebung der Nationalversammlung. V i a l e P r e l ä 8 ) , der auch in Kettelers Schicksal eingreifen sollte, ein gebildeter Prälat und gewandter Diplomat, war im Sommer 1845, erst sechsundvierzigjährig, auf Wunsch des Wiener Hofes 6 ) als Nachfolger des zum Kardinal erhobenen Altieri von seiner Münchner l

) Z. Folg.: Schnabel 80 ff.; Meinecke, Rad. 157 ff.; Lempp 27 (dazu Vigener: Theol. Lit.-Ztg. 1915 Nr. 24); Sägmüller: Theol. Quartalschr. 102 (1921), 97—133 (wertvoll, aber anfechtbare Folgerungen). — Vgl. auch unten S. 119. *) St. B. 3, 1637 (Reihenfolge der 46 Unterzeichner planlos; K. an 8. Stelle). ») St. B. 3, 1638. — Zu den Unterschriften (K. an 18. Stelle) vgl. die Rede v. E. v. Lasaulx: St. B. 3, 1781, Spalte 1 Mitte. *) „Katholik" 1848 S. 115 (Korresp. aus Württemberg, 4. März). *) Vgl. u. a.: Pfülf, Geissei (Register); Friedrich, DOllinger 3, 184; Schnütgen: Freib. Diözesan-Archiv 49 (1921) S. 83 mit Anm. 1; Hussarek: Arch. f. Ost. Gesch. 109 (1922) S. 533 ff. mit Anm. 173; Treitschke 5, 306 u. 309. ') Der hess. Gesandte v. Drachenfels an Dalwigk, Wien 14. 12. 1855: Darmstadt, S t a a t s min. (Danach nahm Viale die Berufung nach Wien erst an, als Metternich Verhdl. über die Kirchenfrage in Aussicht stellte; das Wiener Zögern veranlaßte nach 2 Jahren den Nuntius zu einem Antrag auf Abberufung.) — Nach dem Abschluß des Konkordats von 1855 galt V. in Wien als künftiger Papstkandidat: Drachenfels an Dalwigk 30. 11. 1855.

Anträge des kathol. Vereins. Beziehungen zu Rom. Der Nuntius Viale Prelä

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Nuntiatur auf die wichtigere Wiener versetzt worden. Mit Geissei, um dessen Berufung auf den Kölner Stuhl er sich bemüht hatte, stand der gewandte Korse römischer Schulung, der das Deutsche vollkommen beherrschte, in vertrautem Briefverkehr. Erzbischof und Nuntius stimmten vortrefflich zusammen in ihrer straffen Kirchlichkeit und geschmeidigen Weitläufigkeit. Es geschah recht aus dem Bewußtsein der eigenen Gaben heraus, wenn Viale einmal den gerade zum Koadjutor Drostes bestellten Geissei ermahnte, ja auch die Schlangenklugheit nicht zu vergessen. Die kirchlichen Zustände Deutschlands, über die sein Vorgänger eine eigene Schrift veröffentlicht hatte, waren auch ihm aufs genaueste bekannt geworden. Im Geiste der Kurie wirkte er auf den Klerus, auf die katholische Presse, auf katholische Professoren. Er beschränkte sich nicht auf die rein kirchlichen Angelegenheiten; Geissei beriet sich mit ihm über den geplanten Einspruch gegen Bestimmungen des neuen preußischen Strafgesetzbuches. Als Viale die Wiener Nuntiatur übernahm, erwirkte der Erzbischof, der den Wechsel beklagte, die Erlaubnis, den wichtigen Geschäftsverkehr mit Rom nach wie vor durch Viale vermitteln zu lassen. Wie weit dieser Mann im Jahre 1848 die Kirchenpolitik der deutschen Katholiken mitbestimmt hat, ließe sich höchstens aus den römischen Akten erkennen. Er war sehr vorsichtig — je mehr die Zeiten erregt, desto argwöhnischer sind die Regierungen, schrieb er am 27. Juli 1848 an den Kölner Freund —, aber im August, während der vier Wochen seiner Kurzeit in Soden, gab er in Besprechungen mit Diepenbrock, der sich, schon den ganzen Juli hindurch leidend, Anfang August von dem Parlamentsgetriebe in das Bad zurückgezogen hatte, und in Beratungen mit Mitgliedern des katholischen Vereins dem kleinen Kreise erlesener Führer Weisungen für die kommende Würzburger Bischofsversammlung, den anderen seine Winke für die Frankfurter Fragen. 1 ) Ketteier war mit Viale bereits acht Jahre zuvor in München bekannt geworden 2 ), aber er ist bei diesen Besprechungen nicht hervorgetreten und ebensowenig in dem ersten großen Parlamentskampfe um die Kirche, der sich vom 21. bis zum 28. August abspielte. Der geistliche und der weltliche Führer in der katholischen Vereinigung standen auch hier voran. Döllinger wußte durch die Geschmeidigkeit seiner gewandten Beweisführung die Gesinnungsgenossen und die Gegner zu fesseln; Radowitz wirkte auch in dieser Kirchenrede durch den Emst seiner Gesinnung und den Reiz seines Gedankenspiels. Das Mißtrauen gegen den Machtbesitz und die Machtgedanken der katholischen Kirche vermochten sie freilich der Mehrheit nicht ausReinkens 389 u. 411 (zu 391); Förster, Diep. 206. — Besprechungen Geisseis mit den Klerikalen in Frankfurt (K. nicht genannt) Anf. Sept. 1848: Pfülf, O. 1, 591 f. 2 ) Br. 50 (4. 3. 1840), vgl. Br. 23/24.

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zutreiben; der Schwabe Gustav RQmelin1), der doch besser als die meisten protestantischen Abgeordneten das Katholische zu würdigen wußte, meinte am 30. August gar, je mehr Redner der ultramontanen Partei aufträten, desto mehr Anhänger verliere ihre Sache. Vergeblich blieb, als am 8. September diese Beratungen wieder aufgenommen wurden, die neue Beschwörung im Namen des religiösen Friedens, vergeblich der mahnende Hinweis auf den größten protestantischen Staat Deutschlands 1 ), umsonst selbst ließ man, unter Berufung auf die demokratischen Grundsätze, die tausend und mehr Petitionen mit ihrer Viertelmillion Unterschriften auffahren. Die erste Lesung der Grundrechte übertrug schließlich (II. September) den Religionsgesellschaften wohl die selbständige Ordnung ihrer Angelegenheiten, aber mit dem Vorbehalte der Unterordnung unter die Staatsgesetze. Das war nicht der Erfolg, den die Klerikalen erstrebt hatten. Radowitz selbst anerkannte zwar im Bericht an seine Wähler die Fortschritte im Vergleiche mit den früheren Verhältnissen, aber, erschüttert von den parlamentarischen Angriffen auf seine Kirche, sah er die kirchentreuen Parlamentarier einen „wirklichen Kreuzesweg" gehen. Und Ketteier rief, obwohl die zweite Lesung im Dezember Verbesserungen brachte, noch auf der Katholikenversammlung zu Münster im Januar 1849: „Wie haben uns die sog. Volksvertreter behandelt!"

In der katholischen Presse, die im Juli sehr zuversichtlich gesprochen hatte, und nicht anders im Frankfurter katholischen Vereine war die Stimmung im Spätsommer gedämpft, zerrissen. Selbst die innere Einigkeit dieser kirchlichen Gruppe hatte schon einen starken Stoß erfahren. Die erste Beratung der Grundrechte, die innerhalb der Nationalversammlung wie draußen bald mehr Langeweile oder Ungeduld als Beruhigung oder Begeisterung weckte"), ist durch Grenzund Nationalitätsfragen, durch kurze, aber bedeutungsvolle Zwischenspiele auswärtiger Politik durchkreuzt und auseinandergerissen worden. Die polnische Frage im Juli, die schleswig-holsteinische im September erregten heftig die Geister und wirkten bis in die einzelnen Parteien und Gruppen hinein erbitternd und zersplitternd. Der Streit um die Stellung des preußischen Großherzogtumes Posen im neuen Reiche war eine preußische und eine deutsche Angelegenheit; preußische Staatsgesinnung und deutsches Nationalgefühl konnten hier zusammengehen. Die theoretische Begeisterung für die Polen war durch die polnische Praxis seit den Märztagen erheblich abgekühlt worden >) Erg. S. 81. ») v. Bally, 8. Sept.: St. B. 3, 1951. ») Haym 1, 47 ff.

Kirchenpollt. Ergebnis der 1. Lesung der Orundrechte. Die Polenfrage

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— a m meisten dort, wo man die polnische Rebellion mit ihren Ausschreitungen erlebt und die Überheblichkeit der Polen täglich vor Augen hatte. Aber der Drang, das Recht der Selbstbestimmung vor allem einmal den anderen zu schaffen, lenkte noch immer h u n d e r t t a u s e n d e Deutsche. Was diesen Drang so stark machte, war freilich nicht so das überkommene Mitgefühl, das auch dem jüngeren Geschlechte nicht fehlte 1 ), oder der Glaube edler Schwärmer, nicht so der Fanatismus starrer Doktrinäre oder das ursprüngliche Verständnis, das die nach neuer Revolution drängenden deutschen Radikalen den erprobten polnischen Praktikern der Revolution e n t g e g e n b r a c h t e n : die H a l t u n g der sog. Polenfreunde im Sommer 1848 ward vielmehr am stärksten bestimmt durch innerdeutsche politische Wünsche und überdeutsche kirchliche Vorstellungen. Demokraten wollten das verhaßte militärisch-autokratische Preußen treffen, das sie wieder auferstehen sahen, Klerikale zugleich den protestantischen S t a a t , dem keine Gewalt eingeräumt werden sollte über die katholischen Polen.*) Der preußenfeindliche Teil der deutschen Katholiken n a h m Klagen und Forderungen der Polen begierig a u f : die kirchlichen, und — um der kirchlichen willen, zugleich aber in inniger Befriedigung eigener politischer Empfindungen — auch politische. Katholisches Brudergefühl, kirchenpolitische Berechnung, Abneigung gegen den preußischen Staats- und Machtgedanken bestimmten auch die H a l t u n g der Mehrheit der F r a n k f u r t e r Klerikalen bei der Behandlung des bescheidenen Antrags, den A n f a n g Juli durch eine Demarkationslinie abgegrenzten westlichen Teil Posens in den deutschen B u n d , die dort gewählten Abgeordneten in die deutsche Nationalversammlung aufzunehmen. D a ß diese nationalpolitische Sache leicht alle konfessionellen Leidenschaften werde aufregen können, h a t t e man vorausgesehen. In der großen Mittelpartei des Kasinos, der Reichensperger, Max von Gagern und manche andere Klerikale angehörten, gab man sich das Wort, auf die katholische Empfindlichkeit Rücksicht zu nehmen. Der Vorsitzende des katholischen Vereins aber w a r n t e seine Freunde vor der Vermengung des Politischen und des Kirchlichen, wie die Polen sie eifrig betrieben. Indessen nur wenige empfanden, gleich Radowitz, ein politisches Bedürfnis zur E i n d ä m m u n g ihrer kirchlichen Vorliebe f ü r Polen; bei den meisten vielmehr gab herzhafte Abneigung gegen Preußen der katholischen Polenfürsorge einen besonderen Reiz. Radowitz k a n n t e die Dehnbarkeit des Begriffes „kirchlich" gut genug; er m u ß t e es zufrieden sein, wenigstens den katholischen Verein als solchen von einer Behandlung der Polenfrage, ') Vgl. z. B. Haym 1, 77. ») Sogar K. Jürgens (s. oben S. 80 bei Anm. 1) 2 I S. 48 gibt zu, „daß in gewissen Fragen, z. B. in der Polenfrage, bei den Katholiken konfessionelle Beengtheit sich eingemischt habe".

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von einer Bindung an die kirchlich-polnische Auffassung fernzuhalten. Aber er konnte nicht verhindern, daß die meisten Mitglieder der Vereinigung sich persönlich Ober ihre Haltung berieten und verabredeten. Vergebens suchte er noch mitten in der Polendebatte die Leidenschaften zu dämpfen. Er bekannte den katholischen Grundsatz, daß alle politischen, alle nationalen Rücksichten schwinden müßten, wenn es die Verteidigung der katholischen Kirche gelte, aber er bestritt, daß die polnische Frage in solchem Sinne eine katholische sei. Diese Warnung verschärfte nur die Gegensätze im katholischen Lager. Der Bonner Privatdozent Clemens 1 ), Geisseis neuscholastischer Günstling, ein eifriger junger Mann, vielseitig unterrichtet, gewandt, eitel, der drei Jahre zuvor die Sache des heiligen Rockes gegen Gildemeister und Sybel verfochten hatte, selbst Mitglied des katholischen Vereins, scheute sich nicht, offen gegen Radowitz aufzutreten. Er wollte zwar, so beteuerte er, weder aus Gerechtigkeitsliebe unpatriotisch noch aus Patriotismus ungerecht sein, er erklärte sich bereit, Radowitzens Rat zu befolgen und die Religion aus dem Spiele zu lassen. Aber er nahm sogleich dieses Versprechen wieder zurück und ließ in Wahrheit hinter seinen vorsichtigen Worten überall den konfessionellen Untergrund erkennen. Aus ihm sprach, nur ein wenig parlamentarisch gedämpft, der klerikale Partikularismus, in dessen Luft er in Koblenz groß geworden war, dessen Geist die Jesuitenerziehung kirchlich noch fester unterbaut hatte, dem es Bedürfnis war, die Abneigung gegen Preußen kirchlich zugleich und rheinisch zu rechtfertigen. Was Clemens, der Selbst sich an der „sog. paritätischen Universität" zurückgesetzt fühlte, an berechtigten und unberechtigten Klagen über die Zurücksetzung der Einheimischen und der Katholiken vorbrachte, war im Rheinlande seit alters zu hören; selbst die aufreizende vergleichende Verbindung zwischen den Verhältnissen an der Warthe und am Rheine, die Clemens sich nicht versagen konnte, war z. B. erst wenige Wochen vorher in einer niederrheinischen Zuschrift des Mainzer „Katholik" 2 ) hergestellt worden. In persönlichen Auseinandersetzungen mit Radowitz forderte Clemens vorläufige Einverleibung des gesamten Großherzogtums Posen in den deutschen Bund und neue Wahlen für das Gebiet; künftige Teilung unter Wahrung der deutschen Interessen sollte vorbehalten bleiben, aber der Antrag rechnete zugleich mit der Möglichkeit einer Lösung eines Teiles von Posen aus dem preußischen Staate, und Clemens selbst meinte am Schlüsse, ihn noch darum besonders empfehlen zu können, weil er den Polen die größte Hoffnung für die Zukunft lasse und also ihre Zustimmung finden werde.®) Vgl. über ihn zuletzt Fr. v. Bezold, Gesch. d. Friedr.-Wilh.-Universität (1920) S. 372, 385 f., 441 f. ' ) 1848 S. 226 f. — möglicherweise von Clemens selbst. ») St. B. 2, 1172. — Z. Folg.: 1121 ff.; 1130 (dazu 122S u. 1233).

Hertelers Haltung in der Polenfrage

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Neben Clemens h a t t e Dieringer, der Bonner Dogmatiker, selbst Mitglied des Kasinos, einen bescheiden gefaßten A n t r a g eingebracht, die preußische Regierung zur Wiederherstellung des s t a t u s quo im Großherzogtume Posen und zur Abhilfe gerechter Beschwerden der polnischen Einwohner aufzufordern. Beide Anträge f a n d e n nicht einmal die nötige Unterstützung, fielen also aus. Aber sowohl Dieringer wie Clemens h a t t e n auch — und das d e u t e t auf Verabredung einer ganzen Gruppe klerikaler Abgeordneter — den Verbesserungsantrag unterschrieben, den Döllinger, Ketteier und andere Klerikale vorlegten. Dieser Antrag, den beiden anderen verwandt, doch einschneidender und bestimmter, freilich allzu künstlich, ging dahin, die Einverleibung Posens in den deutschen Bund, sowie die Wahlen f ü r nichtig zu erklären, den König-Großherzog aufzufordern, in einer Vertreterversammlung des ganzen Großherzogtums, dessen E r h e b u n g zu einem unteilbaren, in dauernder Realunion mit dem deutschen Reiche stehenden S t a a t e bei Gleichberechtigung der deutschen und der polnischen Nationalität beschließen zu lassen; der preußischen und deutschen F e s t u n g Posen blieb, wie zur Beruhigung, die deutsche Besatzung gewahrt, im übrigen sollte die Regelung der inneren Verhältnisse dem Entschlüsse des Königs anheimgegeben sein. Der widerspruchsvolle A n t r a g f a n d noch eben ausreichende Unterstützung, um zugelassen zu werden. Die radikalen Gegner Preußens h ä t t e manches an ihm locken können, allein sie m u ß t e n schon durch den Schlußsatz, der wichtige Entscheidungen in die H a n d des Königs gab, zurückgestoßen werden. Da dieser ihr eigener A n t r a g so g u t wie aussichtslos war, hielten Ketteier und seine Gesinnungsgenossen sich einen anderen Weg offen: sie unterstützten die Linke in ihrem Verlangen nach kommissarischer Untersuchung der Verhältnisse in Posen. 1 ) Es war indessen nur die Minderheit, die in dem Wunsche, der preußischen Regierung in Posen Schwierigkeiten zu machen, oder in der d a u e r h a f t e n Liebe zu den polnischen Katholiken alle anderen Erwägungen u n t e r d r ü c k t e ; bei der Mehrheit aber — weit über zwei Drittel der Abstimmenden waren es — siegten die namentlich durch Wilhelm J o r d a n s große Rede mächtig angetriebenen nationalen Empfindungen oder die politische Einsicht, daß das erstarkende Preußen, mochten die Berliner Abgeordneten so oder so entscheiden, diese Einmischung nicht dulden werde, mit Rücksicht auf Rußland nicht einmal dulden könne. Der Antrag Döllingers vollends wurde gegen wenige Stimmen verworfen. Diese Klerikalen, die von den anders denkenden Beobachtern jetzt, da sie im Sinne der ungeschriebenen Satzungen ihrer Vereinigung nicht parteimäßig auftreten wollten, doch eben mit begreiflicher Vereinfachung als katholische Partei genommen wurden 2 ), sie h a t t e n verspielt. Die Abstimmung über die wiederholte Anerkennung der f r ü h e r in den deutschen l s

) St. B. 2, 1228. ) Dt. Zeitg. 1848 Nr. 209 (29. 7.) S. 1660 u. 1661.

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I 2: Die Revolutionszeit: Der Frankfurter Abgeordnete. Der Berliner Propst

Bund aufgenommenen Teile des Großherzogtums Posen zeigte, d a ß die wenigen, die sich f ü r den A n t r a g DOllinger eingesetzt h a t t e n , nicht einmal bis zum Schlüsse zusammenhielten. Zu denen, die ja sagten, ist keiner übergegangen. Aber ein Teil entzog sich durch Stimmene n t h a l t u n g oder, wie Döllinger selbst, durch Fernbleiben der Verwerfung, die von dem anderen Fähnlein, dem Ketteier zugehörte, entschlossen ausgesprochen wurde. Die letzte Absplitterung brachte der Antrag, der über das linke Z e n t r u m hinaus als politische Torheit und zugleich als beleidigende A n m a ß u n g empfunden wurde 1 ), die F r a g e : „ E r k l ä r t die Nationalversammlung die Teilung Polens f ü r ein schmachvolles Unrecht und erkennt sie die heilige Pflicht des deutschen Volkes an, zur Wiederherstellung eines selbständigen Polens m i t z u w i r k e n ? " Den Radikalen, die durch Verwirrung harmloser Gemüter noch im letzten Augenblicke ihrer Sache einen Erfolg verschaffen zu können wähnten', stellten sich jetzt von den Klerikalen nur noch Ketteier, sein Landsmann zum Sande und der eigenbrödlerische Lasaulx zur Seite. Allerdings zeigte z. B. noch Kettelers Lehrer und Freund Phillips, daß er mit den drei kirchlichen Genossen im Urteil übereinstimmte: er und neun andere — Österreicher zumeist — gaben die Erklärung ab 2 ), sie hielten die Teilung Polens f ü r ein U n r e c h t : „ d a jedoch Urteile über Ereignisse früherer J a h r h u n d e r t e nicht u n t e r die gesetzlichen Bestimmungen der verfassunggebenden Nationalversammlung gehören, stimmten sie gegen die A u f n a h m e der Erklärung, welche das Urteil über diese Tatsache ausspricht". Die meisten von der Mehrheit aber, etwa 200, unter ihnen Radowitz, Lichnowsky und andere Katholiken, wollten offenbar begründen und beschwichtigen zugleich, wenn sie sich der durch Gagerns Freund Wernher verlesenen Motivierung ihrer A b s t i m m u n g anschlössen: es sei nicht Aufgabe der Nationalversammlung ein Urteil über vergangene geschichtliche Ereignisse auszusprechen und f ü r die Z u k u n f t u n b e s t i m m t e Verheißungen zu geben. Für den katholischen Verein konnte diese, t r o t z der Radowitzschen E r k l ä r u n g doch auch die kirchlichen Anschauungen berührende politische Meinungsverschiedenheit um so gefährlicher werden, als sie auch nach außen hervorgetreten war. Die protestantischen Beobachter der Mittelpartei, die n u n ihrerseits gerade dem katholischen General nicht t r a u t e n , stellten den Zwiespalt in der „kirchlichen Truppe"*) nicht ohne Befriedigung fest. Es ist ein glänzender Führererfolg, daß es Radowitz gelang, den katholischen Verein durch diese Erschütterungen hindurchzuleiten und ihn vorerst noch fester zusammenzuhalten als zuvor. So wenig parteimäßig geschlossen diese kirchliche Beratungsgemeinschaft war, der General verstand es doch, als die Jesuitenfrage wiederum die Geister t r e n n t e und gegeneinander antrieb, >) Vgl. z. B. Rümelin 48 u. 53 f. *) St. B. 2, 1247, Spalte 1 oben. ») Laube 1, 302.

Der kathol. Verein gegen Zulassung der Jesuiten. K. als Freund der Jesuiten

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den Zwang eines Mehrheitsbeschlusses wirken zu lassen. Im Namen der Katholiken des Parlaments, d. h. im Auftrage der katholischen Vereinigung, gab Radowitz in seiner Rede vom 24. August eine Erklärung ab, die unter Zurückweisung aller Sondergesetze gegen den Orden doch das Bedürfnis nach Einführung der Jesuiten in Deutschland bestritt und die Zulassung tatsächlich verwarf. Auch in den kirchlichen Kreisen hegten eben nicht alle eine Vorliebe für die Jesuiten, obgleich diese unmittelbar nach der Revolution ihre konstitutionelle Gesinnung, ihr Verständnis für politische Freiheit beteuert hatten. 1 ) Aber jener Beschluß des katholischen Vereins war keineswegs einhellig. Diese Katholiken, durch kirchliche Zucht dazu erzogen auch kirchenpolitisch das Gesicht zu wahren, ließen allerdings die anderen nicht ahnen, daß sie nur eine mit Zwiespalt erkaufte Einmütigkeit vortäuschten. Ketteier, der sich bei der Polendebatte am weitesten von Radowitz entfernt hatte, gehörte auch jetzt zu dessen Widersachern, zu der Minderheit, die in den Beratungen des Vereins jener „unwürdigen Konzession" widersprochen, dann aber nachgegeben hatte. Mit seiner Bewunderung für jesuitische Erziehungskunst vertrug sich nicht eine so kühl abweisende Beurteilung des Ordens. Was ihn aber zum scharfen Gegner jener Erklärung machen mußte, war seine Überzeugung von dem Nutzen der Jesuiten für die Seelsorge und Seelengewinnung in Deutschland selbst. Radowitz nannte den Orden eine Aushilfe des 16. Jahrhunderts, um Bedürfnissen der katholischen Kirche zu dienen, die in der deutschen Gegenwart ohne die Jesuiten ebenso gut oder besser zu befriedigen seien; Ketteier aber sah in den Vätern der Gesellschaft Jesu die erwünschten Helfer in der Gegenwart, besonders für die Diaspora, und geradezu die besten Erzieher zur strengsten Kirchlichkeit; in seiner Pfarrei zog er bald darauf die Jesuiten zur Missionsarbeit heran — recht als ob er Radowitzens Erklärung hinterdrein wenigstens hätte Lügen strafen wollen. Jene Diplomatenverbeugung vor der unkirchlichen Welt mußte die kirchliche Mißstimmung Kettelers nur noch vermehren, die durch den Gang der Polenverhandlung und die ersten Einblicke in die kirchenfeindliche Parlamentsstimmung geweckt worden war. Sie gewiß hat ihn neben den rein seelsorgerischen Bedenken auf den Gedanken gebracht, sofort nach der ersten Lesung der Kirchen- und Schulbestimmungen seinen Platz in der Paulskirche zu räumen. Und nun gefährdeten bald darauf politische Meinungsverschiedenheiten von neuem den Frieden der katholischen Vereinigung. Am 26. August schloß Preußen zu Malmö den Waffenstillstand mit Dänemark, der die endgültige Aufgabe des Kampfes für die deutsche Sache in Schleswig bedeuten zu sollen schien. Preußen handelte zugleich im Namen der Z. B. „Katholik" 1848, Sonntagsbeilage (Neueste Nachrichten aus d. kath. Missionen) S. 39.

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12: Die Revolutionszeit: Der Frankfurter Abgeordnete. Der Berliner Propst

d e u t s c h e n N a t i o n a l v e r s a m m l u n g , a c h t e t e a b e r n i c h t die Grenzen seiner V o l l m a c h t . In F r a n k f u r t w a r die d e u t s c h - b e w u ß t e S t i m m u n g , die i m J u n i die B e h a n d l u n g der Sache Schleswigs u m w e h t h a t t e , nicht v e r gangen. Man f ü h l t e sich j e t z t im d e u t s c h e n E m p f i n d e n wie in d e r p a r l a m e n t a r i s c h e n E m p f i n d l i c h k e i t g e t r o f f e n . Niemand w a g t e P r e u ß e n förmlich zu r e c h t f e r t i g e n . Der b i t t e r e E n t s c h l u ß des Reichsministeriums, t r o t z allem die A n n a h m e des W a f f e n s t i l l s t a n d e s zu e m p f e h l e n , f a n d allerdings a u ß e r h a l b d e r Linken bei den meisten V e r s t ä n d n i s . Aber den D e m o k r a t e n , die diese d u r c h d a s N a t i o n a l g e f ü h l gedeckte Gelegenheit zu einem V o r s t o ß e gegen d a s v e r h a ß t e P r e u ß e n a u f s gründlichste a u s z u n ü t z e n s u c h t e n , gesellten sich u n t e r D a h l m a n n s F ü h r u n g jene M ä n n e r d e r Mitte und der R e c h t e n , die in ihrer t i e f e n v a t e r l ä n d i s c h e n E r r e g u n g das s t a a t s m ä n n i s c h e Wort R a d o w i t z e n s nicht zu würdigen w u ß t e n , d a ß auf d e m Gebiete der Politik die Pflicht nicht weiter reiche als die Möglichkeit. Am 6. S e p t e m b e r sprach sich die N a t i o n a l v e r s a m m l u n g m i t geringer Mehrheit gegen den W a f f e n stillstand aus. Die Versuche, auf der G r u n d l a g e der K a m p f a n s a g e a n P r e u ß e n ein Ministerium zu bilden, scheiterten, ohne d a ß d a d u r c h die Masse der n i c h t r a d i k a l e n Gegner des Malmöer Vertrages b e k e h r t worden wäre. Aber die wenigen, denen die Unmöglichkeit einer auf die G u n s t der D e m o k r a t e n angewiesenen S t i m m u n g s p o l i t i k in den auch Besonnenen f a s t h o f f n u n g s l o s scheinenden T a g e n nach d e m 6. S e p t e m b e r klar w u r d e , reichten eben hin, die Minderheit zur Mehrheit zu m a c h e n . A m 16. S e p t e m b e r w u r d e der e r n e u t e A n t r a g auf V e r w e r f u n g des W a f f e n s t i l l s t a n d e s u n d W e i t e r f ü h r u n g des Krieges mit 258 gegen 237 S t i m m e n a b g e l e h n t . Die n a m e n t l i c h e n A b s t i m m u n g e n g e s t a t t e n uns a u c h hier einen Einblick in die Z u s a m m e n s e t z u n g der Mehrheit. Wir können f e s t stellen, d a ß einige S t i m m u n g s g e g n e r sich b e u g t e n . Wir b e m e r k e n v o r allem, d a ß die Klerikalen schon a m 6. S e p t e m b e r f a s t e i n m ü t i g auf d e m S t a n d p u n k t e d e r preußischen und der Reichsregierung s t a n d e n , und d a ß die wenigen, die d a m a l s a n d e r s s t i m m t e n , a m 16. S e p t e m b e r ihren W i d e r s p r u c h a u f g a b e n . Gewiß, es war eine politische Frage, die Billigung oder V e r w e r f u n g des Vertrages v o n Malmö, aber eine Frage, von deren E n t s c h e i d u n g die Z u k u n f t der N a t i o n a l v e r s a m m l u n g selbst a b h ä n g e n k o n n t e ; n a c h R a d o w i t z b e d e u t e t e die A b l e h n u n g des Vertrages nichts a n d e r e s als die Z e r t r ü m m e r u n g des erst aus dem F u n d a m e n t e sich e r h e b e n d e n Reichsbaues. R a d o w i t z e n s politischer und kirchlicher Gesinnungsgenosse L i c h n o w s k y w a g t e es sogar, der doch auch nicht wenig von Begeisterung f ü r d a s eigene Selbst bewegten N a t i o n a l v e r s a m m l u n g , u n t e r d e m Murren der Linken, z u z u r u f e n : „ D i e einzige G e f a h r liegt in der Meinung unserer eigenen Omnipotenz, und darin, d a ß uns d e r Schwindel derselben n i c h t ergreife". Es war nicht n u r , a b e r es w a r doch a u c h klug b e r e c h n e t , diese Abschätzung der W i r k u n g des e n d g ü l t i g e n P a r l a m e n t s u r t e i l s ü b e r Malmö nicht

Frankf. u. Berlin: Waffenstillstand v. Malmö. K s polit. Gegensatz zu Radowitz

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n u r auf Preußen und auf Deutschland, sondern auch auf die Nationalversammlung selbst zu beziehen. So wird Radowitz in F ü h l u n g mit einzelnen politischen Freunden versucht haben, auch auf die k a t h o lischen Freunde einzuwirken, die ihm politisch nicht n a h e s t a n d e n . Vielleicht ist diesmal von dem katholischen Verein als solchem die Besprechung der politischen Lage nicht ferngehalten worden; jedenfalls wurde auch er von der politischen Erregung erfaßt. 1 ) Ketteier hielt sich von Anfang an zu denen, die den Waffenstillstand gelten ließen. Ihn bestimmte die Rücksicht auf die w i r t s c h a f t liche Lage der deutschen Ostseeländer — übrigens eine Gedanke, den auch Radowitz in seiner Rede vom 5. September nachdrücklich hervorgehoben hatte. Aber die preußischen E m p f i n d u n g e n und Erwägungen des Generals blieben d e m Pfarrer f r e m d : „ w i d e r w ä r t i g " war es ihm vielmehr, das „ P r e u ß e n t u m so durchschlüpfen zu lassen". Gerade u n t e r d e m Eindrucke der A n n a h m e des Waffenstillstandes schrieb er die Worte, denen wir eine Anschauung von der A r t und der Macht der Gegensätze im katholischen Verein und zugleich von Kettelers politischem T e m p e r a m e n t verdanken. 2 ) „ R a d o w i t z h e m m t uns offenbar und bindet uns im preußischen Interesse, und so sehr ich ihn schätze und hochachte, so ist dies unbedingt vom größten Nachteile." Nicht also eine Bindung „ a n " das preußische Interesse stellte Ketteier fest, noch konnte er ernstlich befürchten, Radowitz wolle seine Glaubensgenossen geradezu in das preußische Lager ziehen. 8 ) Wohl aber verhinderte der Bestand der durch Radowitz geschickt geleiteten, von seiner überlegenen Persönlichkeit abhängigen katholisch-kirchlichen Vereinigung den Zusammenschluß einer ausgesprochenermaßen gegen die preußische F ü h r u n g Deutschlands gerichteten klerikalen politischen Partei. Der Widerstand gegen diese „ B i n d u n g " , die schon bei der Polendebatte, wo sie doch k a u m wirksam werden konnte, störend e m p f u n d e n worden war, bezeichnet den Inhalt der „großen B e w e g u n g " im katholischen Klub, von der Ketteier erzählt. Er h a t diese Bewegung nicht entfesselt — sein Brief eben beweist das —, aber er s t i m m t e ihren Absichten von Herzen zu. Sein politischer Drang drohte die Fesseln geistlicher Rücksichten zu zerreißen; in seiner triebfreudigen politischen Leidenschaft vermochte er es „ k a u m auszuhalten in unserem politischen Indifferentismus". Was „viele" in dem Vereine wollten, die Umgestaltung des kirchlichen Klubs zu einer politischen Partei, „ u m dadurch mehr Gewicht in der Versammlung zu gewinnen", das war auch Kettelers eigentliche Meinung: „eine politische Partei aus einigen Rheinländern, Westfalen und Baiern". Was ihn von d e m Vgl. dazu die demokrat. „Reichstagszeitung" v. 19. 9. 48: Friedrich, Döllinger 2, 419. 2 ) K. an s. Bruder Richard 17. 9. 48: Br. 168 mit Auslassungen; vollständ.: Pfülf 1, 158 mit falscher Datierung. ») So: Meinecke, Radowitz 166, ähnl. Schnabel 99 u. 117 f.

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12: Die Revolutionszeit: Der Frankfurter Abgeordnete. Der Berliner Propst

t ä t i g e n B e k e n n t n i s zu diesem G e d a n k e n abhielt, war einmal und v o r allem die E r i n n e r u n g a n sein P r i e s t e r t u m ; er h a t t e eben d a m a l s ö f f e n t lich und förmlich der Politik a b g e s c h w o r e n . 1 ) Ferner aber, das e r k a n n t e K e t t e i e r u n d das werden a u c h die a n d e r e n sich gesagt h a b e n , h a t t e die Bildung einer klerikalen P a r l a m e n t s p a r t e i ein „großes S c h i s m a " veranlassen müssen, da „ R a d o w i t z d a n n u n f e h l b a r a u s t r e t e n w ü r d e " . In der T a t , j e t z t , da die Frage der Reichsverfassung und d a m i t der k ü n f t i g e n Reichsleitung n a h e r ü c k t e , k o n n t e der P r e u ß e R a d o w i t z a m allerwenigsten wünschen, a u s einer kirchlichen B e r a t u n g s g e m e i n s c h a f t , die den K a t h o l i k e n R a d o w i t z b e f r i e d i g t e , eine p r e u ß e n feindliche politische P a r t e i h e r v o r w a c h s e n zu s e h e n ; eben j e t z t a b e r m u ß t e n die Klerikalen, die g r o ß d e u t s c h e und katholisch-kirchliche Politik als Eins zu fassen s u c h t e n , m ä c h t i g z u m p a r t e i m ä ß i g e n Z u s a m menschlüsse gelockt werden. I n d e s s e n : nicht n u r K e t t e i e r persönlich h a t die V e r s u c h u n g b e s t a n d e n ; die Gefahr des Zerfalls ging i m S e p t e m b e r ü b e r h a u p t noch einmal a n dieser katholischen Vereinigung v o r ü b e r . W a s gegen die G r ü n d u n g der klerikalen P a r t e i sprach, w a r z u n ä c h s t eben die Scheu vor d e m ,, Schisma", vor d e m Bruche m i t R a d o w i t z , der d a n k seiner b e d e u t e n d e n Persönlichkeit und seinen b e d e u t e n d e n Beziehungen — a u c h t r o t z aller h e m m e n d e n W i r k u n g , den preußischen — in der G e m e i n s c h a f t des katholischen Vereins d e r katholischen Sache die besten Dienste leistete. Auf t a k t i s c h e E r w ä g u n g e n a n d e r e r A r t f ü h r t uns der E n t w u r f einer Rede, die K e t t e i e r der Münsterer K a t h o l i k e n v e r s a m m l u n g v o m J a n u a r 1849 hielt. 2 ) In der E r f a s s u n g aller Gemeinden d u r c h die katholischen Vereine sah K e t t e i e r d a s Mittel, eine katholische öffentliche Meinung zu s c h a f f e n , u n d in dieser erst die Gewähr einer Besserung der bisherigen Z u s t ä n d e ; d e n n noch schien ihm „ d a s katholische Interesse ohne die ihm geb ü h r e n d e V e r t r e t u n g auf allen Landes- und N a t i o n a l v e r s a m m l u n g e n " . Die durchgreifende S a m m l u n g , die O r d n u n g der katholischen Massen, mit der m a n nach den Anregungen des Badeners Büß, nach d e m Vorbilde des Mainzer Piusvereines erst begonnen h a t t e , b e t r a c h t e t e er als Voraussetzung einer s t a r k e n klerikalen P a r l a m e n t s p a r t e i . Der b e g r ü n d e t e Zweifel an dem Erfolge einer solchen parteipolitischen Neubildung in F r a n k f u r t wird es ihm und den G e s i n n u n g s v e r w a n d t e n leichter g e m a c h t h a b e n , sich dem fesselnden Willen des preußischen Generals zu f ü g e n . Auch die B e s c h ä f t i g u n g mit den kirchlichen P a r l a m e n t s a u f g a b e n m u ß t e die T r e n n u n g s g e d a n k e n z u r ü c k d r ä n g e n , die sich k a u m noch hervorgewagt h a t t e n . Eben jetzt f ü h r t e die B e r a t u n g d e r G r u n d r e c h t e zur Schulfrage. Gab es noch eine Sache, die s t ä r k e r als diese die überzeugten K a t h o l i k e n im P a r l a m e n t e zur Einigkeit h ä t t e m a h n e n k ö n n e n ? Hier lockte die Möglichkeit, ein wertvolles S t ü c k von dem, w a s in den B e s t i m m u n g e n über die Kirche g r u n d s ä t z 2

Vgl. unten S. 111.

) Pfülf 1, 171 Anm. 1.

Neigung zur Gründung einer klerik. Partei. Fortsetz. d. Grundrechtsberatung

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lieh nicht h a t t e gesichert werden können, t a t s ä c h l i c h zu r e t t e n : die Freiheit kirchlicher E r z i e h u n g s a r b e i t . Und schließlich zu allem noch der schicksalhafte A u g e n b l i c k : der 18. S e p t e m b e r , der T a g des F r a n k f u r t e r A u f s t a n d e s , der dem katholischen Verein in d e m F ü r s t e n Lichn o w s k y eine der glänzendsten Gestalten entriß, diese r a d i k a l d e m o k r a tische Schilderhebung, deren N a c h w e h e n bald die P a r t e i e n des Revolutionsfrühlings u m w a n d e l n sollten, m u ß t e auf den Verein u n m i t t e l b a r im Sinne der Versöhnung wirken und die kleinen Leidenschaften der im großen geistig geeinten M ä n n e r beruhigen.

So k o n n t e die kirchliche A r b e i t s g e m e i n s c h a f t , deren schwerste Krisis j e d e m f r e m d e n Auge verborgen blieb, im wesentlichen geschlossen den K a m p f u m die Schule a u f n e h m e n . Über die Schulfrage selbst u r t e i l t e n freilich die einzelnen Mitglieder des Vereins verschieden. Nicht über die letzten G r u n d s ä t z e . Sie alle k a n n t e n d a s katholische Ideal und v e r e h r t e n es: jegliche E r z i e h u n g kirchlich nicht n u r ihrem Geiste nach, sondern auch kirchlich geleitet; sie alle sahen in der Verb i n d u n g zwischen Schule und Kirche die kirchlich gebotene B ü r g s c h a f t f ü r eine kirchliche J u g e n d e r z i e h u n g . Auch d a r i n s t i m m t e n sie überein, d a ß die reine S t a a t s s c h u l e b e k ä m p f t werden müsse. D a s war längst eine geläufige katholische Klage, d a ß der „ o m n i p o t e n t e " S t a a t die Volksschule v e r d o r b e n habe. Die u n e i n g e s c h r ä n k t e S t a a t s m a c h t w a r b e s e i t i g t ; sie e t w a im Unterrichtswesen wieder herzustellen, lag der Paulskirche f e r n . Der A u s s c h u ß selbst f o r d e r t e die grundsätzliche Ane r k e n n u n g des R e c h t e s eines jeden D e u t s c h e n , U n t e r r i c h t s - u n d Erz i e h u n g s a n s t a l t e n zu g r ü n d e n . Aber d a m i t w a r d nicht die staatliche P r ü f u n g der Lehrer beseitigt, noch g a r das tatsächliche Übergewicht s t a a t l i c h e r Schulen. Die förmliche, gesetzliche G e n e h m i g u n g f r e i e r kirchlicher Schulen w a r von der N a t i o n a l v e r s a m m l u n g nicht zu erw a r t e n . Da m a n die V e r b i n d u n g zwischen Kirche und Schule als solche nicht durchsetzen konnte, so m u ß t e m a n sich b e m ü h e n , den g r u n d sätzlichen S t a n d p u n k t zu w a h r e n d u r c h A b l e h n u n g aller Anträge, die das ganze Schulwesen d e m geistlichen Einflüsse ü b e r h a u p t entziehen wollten, und gleichzeitig versuchen, d u r c h den A n t r a g auf Ü b e r l a s s u n g der Volksschulen an die Gemeinden den Z u g a n g zur Schule f ü r die Kirche f r e i z u h a l t e n . Der A u s s c h u ß f ü r Schulwesen schlug der N a t i o n a l v e r s a m m l u n g v o r : „ D a s g e s a m t e U n t e r r i c h t s - und Erziehungswesen s t e h t u n t e r der Oberaufsicht jedes einzelnen S t a a t e s , bildet einen a b g e s o n d e r t e n Verwaltungszweig und ist d e r B e a u f s i c h t i g u n g der Geistlichkeit als solcher e n t z o g e n . " D e m stellten die Klerikalen den A n t r a g entg e g e n : „Die E i n r i c h t u n g und U n t e r h a l t u n g der Volksschulen liegt nach M a ß g a b e des v o r h a n d e n e n Bedürfnisses vorerst d e r Gemeinde o b . "

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I 2: Die Revolutionszeit: Der Frankfurter Abgeordnete. Der Berliner Propst

In d i e s e m G e d a n k e n e i n i g t e sich der k a t h o l i s c h e Verein n a c h l a n g e n B e r a t u n g e n , a n d e n e n a u c h Erzbischof Geissei b e t e i l i g t w a r . B e s t i m m e n d w i r k t e n a t ü r l i c h die E r w ä g u n g , d a ß d i e V o l k s s c h u l e , w e n n sie G e m e i n d e s c h u l e w u r d e , in v o r w i e g e n d k a t h o l i s c h e n G e m e i n d e n v o l l k o m m e n der kirchlichen L e i t u n g ü b e r l a s s e n war. In der N a t i o n a l v e r s a m m l u n g k a m es nur darauf a n , d i e s e F o r d e r u n g mit d e m l i b e r a l e n G e d a n k e n v o n d e m g l e i c h e n R e c h t u n d der g l e i c h e n Freiheit f ü r alle zu b e g r ü n d e n . K e t t e i e r , der s c h o n als K a p l a n s i c h b e s o n d e r s u m die S c h u l e g e m ü h t h a t t e , der j e t z t bei d e n S c h u l v e r h a n d l u n g e n d e s k a t h o lischen V e r e i n s m i t a r b e i t e t e , w u r d e z u m R e d n e r bestellt. N i c h t er allein. Vor i h m s p r a c h der s c h l e s i s c h e G y m n a s i a l l e h r e r K a h l e r t u n d n a c h i h m , a m 20. S e p t e m b e r , d e m T a g e der A b s t i m m u n g , der B o n n e r T h e o l o g e K n o o d t . Indessen K a h l e r t k a m k a u m darüber h i n a u s , in allgemeinen Darlegungen für den konfessionellen Religionsunterricht u n d f ü r die K o n f e s s i o n s s c h u l e e i n z u t r e t e n . K n o o d t aber e n t s e t z t e die Hörer durch p l a t t e , v e r s c h n ö r k e l t e W e i t s c h w e i f i g k e i t , die v e r g e b e n s d e n „ H a u c h der F r e i h e i t " a u c h f ü r sich b e a n s p r u c h t e ; seine e i g e n e n G e s i n n u n g s g e n o s s e n w a r e n sicher n i c h t e r b a u t d a v o n , d a ß er m i t g e r i n g e r G e s c h i c k l i c h k e i t für das k ä m p f t e , w a s K e t t e i e r zwei T a g e z u v o r wirkungsvoll vertreten hatte. Auch Kettelers Rede 1 ) verheimlichte die kirchlichen Wünsche nicht; im Gegenteil, er suchte durch Offenheit oder wenigstens durch die Beteuerung seiner Offenheit zu verblüffen. „Ich habe keinen Gedanken in der Seele, den ich Ihnen nicht gern mitteilte", rief er aus, und er suchte mit diesen Worten einigermaßen Emst zu machen. In den Mittelpunkt seiner Rede stellte er eine kühne Kampfansage gegen jeden Versuch, das ganze Erziehungs- und Unterrichtswesen dem Staate zu übergeben. Unter der Unruhe des Hauses erklärte er, mit einer solchen Schulgesetzgebung stelle man sich in die geradeste Opposition gegen den Willen des katholischen Volkes und werde die Katholiken herausfordern zu einem „Kampfe auf Leben und Tod gegen die Gesetzgebung des Reiches". Diese Drohung mit dem politischen Kampfe aus kirchlichen Gründen klingt nochmals heraus aus dem Schlußworte: „Wir verlangen eine Verfassung, wo jeder frei sich entwickeln kann, jeder nach seinem eigenen Glauben und nach seiner eigenen Überzeugung. Gewähren Sie uns das, und nichts wird vermögen, die Katholiken vom Reiche loszureißen. Dann werden sie einstehen wie ein Mann bei allen Gefahren für die Erhaltung der Einheit und der Kraft Deutschlands." Mit dieser Verkündigung einer bedingten Vaterlandsliebe konnte Ketteier freilich die Mehrheit der Nationalversammlung nur verstimmen; sie einzuschüchtern, dazu reichte die Macht des politischen Katholizismus doch nicht aus. Dem Abgeordneten oder richtiger dem Pfarrer Ketteier kam es bei dieser Parlamentsrede einmal auf die grundsätzliche Betonung des kirchlichen Erziehungsrechtes an; dann aber, ganz im Sinne der Beschlüsse des katholischen Vereins, auf die demokratisch begründete Empfehlung des demokratischen Weges einer Sicherung des kirchlichen Einflusses. Mit dem kanonischen Rechte mochte man bei geistlichen Beratungen arbeiten; jetzt galt es, die kirchliche Macht auf die allgemeine Freiheit zu gründen. Den Erziehungsinhalt soll nicht der gleichmachende Wille der Staatsgewalt bestimmen, sondern die Überzeugung der Eltern. „Die Richtung St. B. 3, 2182ff. — Knoodt: 2279ff.

Die Schulfrage. Kettelers Rede vom 18. September 1848

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anzugeben, worin der Vater seine Kinder erziehen lassen soll, das wäre T y r a n n e i , das wäre der schmachvollste Absolutismus." 1 ) Dem Ungläubigen müsse die Erziehung seiner Kinder im Unglauben gestattet sein*), dem Katholiken aber auch die katholische Erziehung. Streng durchgeführt, hätte diese Forderung zur Atomisierung der Erziehung führen müssen — außer bei den kirchlich Gesinnten, die in der festen Einheit ihrer Lehre und ihrer Organisation, im Welt- und Ordensklerus die Gewähr des Zusammenhaltes hatten. Die vollkommene Unterrichtsfreiheit, die alle anderen Bindungen beseitigt hätte, wäre allein für die katholische Kirche in dem Deutschland der Konfessionsmischung und der Duldung ein Gewinn gewesen. Aber eben die Einsicht, dafi an die Durchsetzung der uneingeschränkten Unterrichtsfreiheit nicht zu denken sei, hatte den katholischen Verein zur Anerkennung des immer noch höchst verheißungsvollen Gemeinderechts geführt. Ketteier wußte diese kirchliche Forderung nicht ungeschickt sozial zugleich und demokratisch zu rechtfertigen. Die Lehr- und Lernfreiheit sorge nur für die Wohlhabenden. Den Minderbemittelten seien die Rechte an ihren Kindern nur dann gesichert, wenn die Volksschule in die Hände der Gemeinde gelegt werde. Die Berufung der Lehrer dachte er sich auf der scheinbar höchst einfachen demokratischen Grundlage: die Mehrheit der Familienväter entscheidet über die Einrichtung der Gemeindeschulen. Daß damit überall dort, wo die eine Konfession die überwältigende Mehrheit besaß, die Freiheit der Armen nicht gesichert, daß tatsächlich auf dem flachen Lande wenigstens jede Minderheit erst recht preisgegeben war, wenn sie sich nicht der ausgleichenden Staatsgewalt, sondern der selbstherrlichen Entscheidung einer Dorfgemeinde gegenübergestellt sah, das mußte freilich jedem Nachdenkenden deutlich werden. Die Unterrichtsfreiheit, die dem einzelnen grundsätzlich zugebilligt war, wurde zum inhaltlosen Rechte; das Schicksal solcher Minderheiten hat der Redner nicht ausgemalt. Ihm war es vor allem darum zu tun, von der Verfassung die Bestimmung fernzuhalten, die dem Staate den unmittelbaren und entscheidenden Einfluß auf die Volksschulen gegeben haben würde. Der Staat sollte auch für die Volksschulen nur einen bestimmten Grad formaler Geistesbildung vorschreiben dürfen. „Aber das Verhältnis der Schule zur Kirche, der Stoff, der zum Unterrichte gebraucht wird, geht ihn nichts an." Man will die allgemeine kirchliche Anschauung auf den bestimmten Fall anwenden, nur muß, da die Kirche ihre Ansprüche nicht unmittelbar verwirklichen kann, die Gemeinde als Mittelstufe hingenommen werden! Die Berufung der Lehrer soll „ein für allemal in die Hand der Gemeinde gelegt werden, und sie allein — die Gemeinde, sage ich, nicht die Kirche —, sie entscheidet, in welches Verhältnis sie ihre Schüler zur Kirche setzen will, und will sie diese Verbindung, dann hat sie dasselbe Recht, ihre Schule mit der Kirche zu verbinden, wie die anderen Gemeinden das Recht haben, sie von der Kirche zu trennen". Darum konnte sich Ketteier auch mit einem Antrage des den Klerikalen fernstehenden Breslauer Professors Teilkampf zufrieden geben, der 3 ) den Gemeinden die Wahl der (staatlich geprüften) Volksschullehrer und der (staatlicher Oberaufsicht unterstellten) Schulinspektoren zuwies. Es war damit doch immerhin der katholischen Gemeinde die Auswahl streng kirchlicher Lehrer freigegeben. An der Forderung, daß die Erziehung und Bildung als solche ihren ganzen Gehalt durch die Überzeugung der Eltern bekommen müsse, hat er, wie es auch dem Standpunkte des katholischen Vereins und der katholischen Massenpetitionen entsprach, durchaus festgehalten; der Kirche, die nun doch einmal in Deutschland nicht mehr rein nach kanonischer Satzung herrschen durfte, sollte so der Einfluß auf die Schule gesichert bleiben; denn konnten wahrhaft katholische Eltern je etwas anderes meinen, als die Kirche meinte? ') Wahrscheinlich kannte K- damals schon die verwandten Bemerkungen in Fr. J. Stahls „Rechts- u. Staatslehre" (1. Aufl. 1838). 14 Jahre später, in „Freiheit, Autorität u. Kirche", verwertete er das Buch ausgiebig. Vgl. unten Buch 3, Abschn. 1. 2 ) So auch Döllingcr schon am 22. August: Friedrich 2, 397. 3 ) St. B. 3, 2175.' Vi g e n e r

Bischof Ketteier

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Daß Ketteier es vermocht hätte, diesen zugleich volkstümlichen und kirchlich fruchtbaren Gedanken auszunutzen, wo immer ihm die Möglichkeit geboten worden wäre, das läßt auch der offene Brief erkennen, den er, gezwungen durch den Angriff seines erwählten Stellvertreters, eines westfälischen Juristen, am Tage vor seiner Rede, an seine Wähler richtete. 1 ) Aus den klug gewählten Worten hört man den erfahrenen Bauernpastor heraus. Er spricht mit Stolz von seiner Kenntnis des Willens „namentlich des Bauernstandes". Er ruft von der Paulskirche aus seinen für die Anerkennung ihrer eigenen Bedeutung empfänglichen Wählern zu: „Mein oberster Grundsatz ist es hier, daß Sie selbst, meine Herren Familienväter, nach göttlichem und natürlichem Rechte auch die Herren ihrer Kinder sind, und daß Sie, die Eltern, das heilige und unverletzte Recht haben, zu entscheiden, wie ihre Kinder erzogen und gebildet werden sollen." Er höhnt, daß sein Gegner ihnen nur den Leib überlasse, die Seele der Kinder aber dem Staate gebe. Er fühlt sich sachlich überlegen und darf sich persönlich bei seinen Wählern im Vorsprunge glauben, wenn er der Meinung des andern, daß die Gemeinde ihr Dasein lediglich durch den Staat habe und ohne ihn nicht gedacht, daß sie willkürlich aufgehoben, daß sie rechtlich und in ihrer geographischen Begrenzung umgestaltet werden könne, die eigene Meinung entgegenstellte, der Staat habe vielmehr sein Dasein lediglich durch die Gemeinde und könne ohne sie nicht gedacht werden; Staatsgebiete und Verfassungen seien zusammengestürzt, der Gemeindeverband aber sei bestehen geblieben und reiche hinauf bis zu den Uranfängen der Geschichte unseres Volkes. Er hält der gegnerischen Auffassung, die das rechtliche Sein des Staates mit einem Atemzuge aus dem Staate selbst und aus dem Gesamtwillen des ganzen Volkes ableite, ihre Widersprüche vor und macht den Gegner lächerlich, indem er ihn Hand in Hand gehen läßt mit Hans v. Rochow, dem Minister des beschränkten Untertanenverstandes. Er weiß, es paßt vortrefflich zu den Gedanken seiner Wähler, wenn er dem Rechte der Individuen, dem Elternrechte das Recht der Gemeinden auf Selbstbestimmung in eigener Sache gesellen darf, wenn er das „Volk" in Gegensatz zu den „Gelehrten" stellt und rühmt, daß es in seinen Gemeindeangelegenheiten eine praktische politische Schule durchmache, wo sich im kleinen die Fragen wiederholten, die in dem Parlamente im großen verhandelt würden, daß so das Volk eine politische Bildung gewinne und die Tüchtigkeit, die dem Manne das Gefühl der Selbständigkeit gewähre. Er fordere die Volksschule für die Gemeinde auch darum, weil das eine Angelegenheit sei, die sie selbst besorgen könne. Wie in diesem Schreiben an seine Wähler, so berief er sich in der gleichfalls auch den Wählern geltenden Rede auf das Recht, auf den Willen der katholischen Eltern, der sich in den zahllosen Petitionen ausspreche, berief er sich auf den Voikswillen. Kettelers Rede, seine erste und letzte in der N a t i o n a l v e r s a m m l u n g , fiel auf den V o r m i t t a g des 18. Septembers. Man sprach drinnen über Schule und Erziehung, während draußen die geschulten Unerzogenen sich zur g a s s e n m ä ß i g e n A u s l e g u n g des Parlamentsradikalismus rüsteten, die „ I d i o t e n der Freiheit" 2 ) die Paulskirche zu stürmen drohten. D i e R e d e n v o m 18. S e p t e m b e r sind f a s t untergegangen in der Unruhe, die, ein Widerschein der S t u r m s z e n e n auf den Straßen, die V e r s a m m l u n g durchzitterte. Ketteier aber v e r m o c h t e durchzudringen. Die kirchlichen Gesinnungsgenossen auch außerhalb des Kreises der katholischen Parlamentarier durften sich daran erbauen, daß Ketteier in der Verteidigung des R e c h t e s der Freiheit der Eltern und Gemeinden entschlossen und geschickt die Verteidigung der kirchlichen Rechte ') Br. 160 ff. 2 ) Haym 2 S. 1.

Eindruck der Rede. Ansprache am Grabe der Opfer des Septemberaufstandes

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zu bergen wußte. Der Frankfurter Mitarbeiter des „Mainzer Journals", das sich in den zwei Monaten seines Bestehens schon bei den westdeutschen Klerikalen einzubürgern begonnen hatte, war insbesondere davon angetan, daß Ketteier „den Maulhelden der Freiheit scharf ins Herz gegriffen" habe. 1 ) Aber auch die Gegner, die eine deutsche Vaterlandsliebe mit geistlichem Vorbehalte freilich nicht gelten lassen konnten, horchten bei seinem „kräftigen und klaren Vortrage" 2 ) auf. Leider hat Heinrich Laube, der gewandteste Literat des linken Zentrums, der sich sonst nicht leicht einen Charakterkopf entgehen ließ, zum 18. September, mächtig ergriffen von dem Aufstande der „Wichte der Revolution", nur obenhin vermerkt: „Eisenmann und Tellkampf, Linke und Ultramontane hielten Reden." Sein Klubgenosse Karl Biedermann aber, der junge Leipziger Professor, ein parteieifriges, liebenswürdiges und bewegliches Mitglied des Augsburger Hofes, hat den Eindruck der Persönlichkeit Kettelers festgehalten. Er rechnet 3 ) Ketteier neben Döllinger und Dieringer zu den Feinen unter den Klerikalen. Ist ihm der Bonner Theolog ein feiner Kopf und Dialektiker, Döllinger der Feinste, eine echte Jesuitengestalt, so erschien ihm doch Ketteier schwungvoller und muskulöser in seinen Reden. Biedermann wird dabei neben der Schulrede Kettelers die Leichenrede im Sinne gehabt haben, die Ketteier am 21. September den Opfern des Septemberaufstandes hielt. Der westfälische Pfarrer sprach als erster am Grabe der beiden vom Pöbel abgeschlachteten Abgeordneten, des Fürsten Felix Lichnowsky, der sein Freund und kirchlicher Gesinnungsgenosse war, und des Generals v. Auerswald. Er sprach von ihrem Schicksale, von Lichnowskys Schicksal und Art insbesondere, persönlich bewegt, zugleich mit einem geistlichen Pathos, das gewiß nur wenigen unter den vielen kritischen Köpfen ringsum ganz nach dem Sinne war, das aber im Persönlichen und Allgemeinen durchaus würdevoll und vornehm blieb, eine Totenklage, die auch auf anders Gesinnte Eindruck machte. Die Grabrede — das ist das Besondere und Bedeutungsvolle an ihr — wendet sich rasch von den Toten zu den Lebenden. Sie wird zur priesterlichen Mahnung und zur politischen Warnung. Ob Ketteier tatsächlich gehofft hat, auch nur einen Radikalen bekehren, nur einen abseits von der Kirche stehenden Liberalen überzeugen zu können? Jedenfalls: das lag ihm am Herzen, ernst gestimmten Menschen und zugleich den erbitterten und drohenden Freunden des Radikalismus das Bekenntnis zuzurufen, das ihn erfüllte. Er hat nicht ganz mit der Schärfe gezügelter Leidenschaft, wie nach ihm Wilhelm Jordan, den politischen Anverwandten der Mörder die Anklagen ins Gesicht geschleudert. Er wollte vielmehr die priesterliche Pflicht der Versöhnung üben und den heiligen Ort durch Worte des Hasses nicht entweihen. Er suchte die wahren Mörder nicht in den Sensenmännern selbst, sondern in den dem deutschen Volke fremden Gedanken. Aber er scheute sich nicht, auch die Träger dieser Gedanken unmittelbar anzugreifen und jene Männer, die Christus, das Christentum, die Kirche vor dem Volke verhöhnen, als die Mörder zu bezeichnen, jene Leute, die den Umsturz zum Prinzip erheben und das Volk von Umsturz zu Umsturz hinreißen, jene Männer, die sich selbst zu den Lügengötzen des Volkes machen wollen, das vor Mz. J. 1848 Nr. 89 (19. 9.), Beilage. ) Dt. Zeitg. 1848 Nr. 256 (20. 9.) S. 1928. 3 ) Erinnerungen aus d. Paulskirche S. 191.

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ihnen niederfalle und sie anbete. So schlug doch selbst sein geistliches Wort auf die Parlamentsgenossen ein und es hat sie getroffen. Auch wandte er sich wider die „falschen Propheten", die die Arbeitslust untergraben und die Gier nach fremdem Oute wecken, denen die Freiheit, die sie fordern, für andere nicht gilt, und tadelte den Stammeshader, der den Drang zur Einheit hemme. Damit sie jene mörderischen Gedanken nach seinem Sinne überwinden lernen, wollte er, „der feurige Apostel des Glaubens" 1 ), der sich abmühenden Welt das Mittel hinhalten, das allein zum Ziele verhelfen könne: die religiöse Erneuerung ist ihm Vorbedingung der politischen. Er bekennt, daß er die Gegenwart schon deshalb liebe, weil sie so gewaltig nach der Erfüllung der Ideen von Freiheit, Einheit und Humanität ringe. Aber er weiß nur einen Weg zur Verwirklichung dieser erhabenen Ideen: die Gemeinschaft mit Christus, der diese Ideale erst in die Welt gebracht habe. Ketteier deutete so auf die Richtung, die schließlich allen gläubigen Christen als die rechte erscheinen konnte. Aber gab es auch einen gemeinschaftlichen Weg für sie alle? Was in diesem Augenblicke auszusprechen, taktlos und töricht zugleich gewesen wäre, lag doch hinter den Worten verborgen: der Katholizismus, der kirchliche, der soziale, der politische, sollte das wahre Heilmittel der Zeit sein. Mit Christus, so verkündete er, kann man „selbst Gemeinschaft der Güter und den ewigen Frieden herstellen, und zugleich die freiesten politischen und sozialen Institutionen schaffen, ohne ihn werden wir mit Schmach, Schande und Elend zugrunde gehen, ein Spott und ein Hohn für die Nachwelt." Diese Ansprache ist im N o v e m b e r 1848 v e r ö f f e n t l i c h t w o r d e n . 2 ) Mehr als die anderen — zwischen K e t t e i e r und J o r d a n sprachen der Göttinger Jurist Zachariä als Vertreter der großen Mittelpartei und Heinrich v o n Gagern — w u r d e sie g e r ü h m t und verbreitet. Ihre w e r b e n den Worte, die nicht lediglich an das parlamentarische und militärische Grabgeleite und an die Zufallshörerschaft gerichtet w a r e n , haben den N a m e n des Pfarrers Ketteier z u m ersten Male über den e n g s t e n Kreis hinausgetragen. Bischöfe, die a n d e r t h a l b J a h r e später bei Kettelers E r h e b u n g auf den Mainzer Stuhl mitwirken sollten, überhörten dieses nach T a t e n rufende B e k e n n t n i s n i c h t ; katholisierende Lutheraner v o n der Art J. Fr. B ö h m e r s g e w a n n e n hier den Eindruck einer starken Persönlichkeit*), und k o n s e r v a t i v e n P r o t e s t a n t e n der N a c h b a r s c h a f t blieb die Grabrede als m u t i g e s politisches Wort im Gedächtnis. 4 ) Ketteier selbst wahrte sich für diese bescheidene erste H i n d e u t u n g auf die geistig erobernden sozialen K r ä f t e der katholischen Kirche e t w a s wie das Gefühl einer ersten Liebe: seine große x

) Biedermann, Erinnerungen a. a. O. ') Leichenrede, gesprochen am Grabe der am 18. Sept. zu Frankfurt a. M. gewaltsam Ermordeten und der im Kampfe gegen die Aufständischen Gefallenen von Pfarrer v. Ketteier. Mit Bewilligung d. H. Verf. hg. u. mit einigen Anhängen versehen. Leipzig, Fritzsche, 1848. (Nachschr. d. Herausgebers 15. 11. 48. — Ex. d. Freiburg. Univ.-Bibl. mit Eintrag: R. Schleiden, Berlin, Nov. 48). Wieder abgedr.: Predigten 2, 107—114; Mumbauer 2, 188—190. — Über die Verbreitung: Arneth 1, 214. — Vgl. noch Wichmann, Denkw. 259; Br. 221 u. 527 f.; Sepp 1, 112. >) Pfülf 1, 142. *) Noch im Frühjahr 1868 erinnert ein Darmstädter Protestant in der Kreuzzeitg. (abgedr.: Mz. J . 1868, Nr. 95, 22. 4.) daran, daß K. damals „in furchtlosester Entschlossenheit der bluttrunkenen Demokratie den Handschuh ins Gesicht warf." — B. Blum v. Limburg erwähnte bei K.s Bischofsweihe die Grabrede (Pfülf 1, 1, 219; Hs. d. Predigt Blums: Mainz, Stadtbibl.). Vgl. auch unten S. 126.

Nachhall d. Grabrede. Der 1. deutsche Katholikentag (Mainz, 2.—5. Okt. 1848) 101

Programmschrift von 1862: „Freiheit, A u t o r i t ä t und Kirche" beginnt mit jenem kirchlichen Kernstücke der Grabrede von 1848 über die Begründung aller gegenwärtigen Aufgaben in Christus, und wieder f a s t ein J a h r z e h n t später vergaß er als Reichstagsabgeordneter nicht, den kurzen Lebensdaten f ü r den P a r l a m e n t s a l m a n a c h einen Hinweis auf diese Rede mitzugeben. Er h a t t e die richtige E m p f i n d u n g , daß hier die Anfänge seiner kirchenpolitischen und kirchlich-sozialen Propaganda lagen. Die Grabrede ist in der T a t f a s t schon eine Programmrede, zu der Ketteier noch in demselben J a h r e 1848 eine gegenständlichere religiös-kirchliche und auch taktische Ergänzung g a b in seiner Ansprache auf der ersten deutschen K a t h o l i k e n t a g u n g und in seinen Dompredigten zu Mainz.

Die Mainzer Tagung der Piusvereine vom 3. bis zum 5. Oktober 1848 ist das volkstümliche Gegenstück zu der Würzburger Bischofsversammlung, die seit Monaten vorbereitet und a m 1. Oktober einberufen, drei Wochen später unter Geisseis Leitung zustande kam. Der ersten allgemeinen deutschen Bischofszusammenkunft, die beim römischen Stuhle ein wenig die Sorge vor nationalkirchlichen Bestrebungen aufleben ließ, folgte erst nach 19 J a h r e n in bescheideneren Formen die zweite. Der M a i n z e r K a t h o l i k e n t a g aber eröffnet die eindrucksvolle Reihe der Versammlungen, in denen f o r t a n fast J a h r f ü r J a h r der deutsche Katholizismus der kirchlichen, sozialen und politischen P r o p a g a n d a seine große Heerschau halten sollte. Freilich h a t t e diese Mainzer T a g u n g des „katholischen Vereines Deutschlands" f ü r eine große, ganz Deutschland umfassende, auf den örtlichen Vereinen ruhende Volksorganisation erst Vorarbeiten zu leisten, Richtlinien f ü r die Z u k u n f t zu geben. Sie vermochte d a r u m auch nicht mit der durchschlagenden W i r k u n g s k r a f t , wie die meisten späteren Katholikentage die ausgleichende Verbindung herzustellen zwischen autoritativer Ansprache und mitschaffender Aussprache. Überdies stand die Mainzer K a t h o l i k e n v e r s a m m l u n g in ihrem A u f t r e t e n nach außen unter dem beherrschenden Eindrucke der F r a n k f u r t e r Nationalversammlung. Der Leiter der Tagung, der Freiburger Professor Franz Josef Büß, jener demokratisch-katholische Agitator und Organisator voll heißer Leidenschaft, derber Volkstümlichkeit und etwas geschraubter juristisch-theologischer Gelehrtenhaftigkeit, der damals noch nicht in der Paulskirche saß, urteilte zwar d r i t t h a l b J a h r e später 1 ) mit nicht ganz unberechtigtem Stolze, „gegenüber der F r a n k f u r t e r Zerklüftung und Zerstörung sollte in Mainz die katholische Macht der Einheit und E r h a l t u n g sich darstellen". Aber die besondere Farbe erhielt die MainBüß, Aufgaben 165. — Z. Folg.: Verhdl. d. 1. Versig. d. kath. Vereins in Dtl. am 3., 4., 5. u. 6. Okt. zu Mainz. Amtl. Bericht. (Mainz 1848.) — Büß, Der kath. Verein (Freib. 1849) S. 17ff.; Büß, Aufg., bes. 171.

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zer Versammlung eben durch die Auseinandersetzung mit den Frankfurter Beschlüssen Ober Kirche und Schule, und insbesondere durch die Teilnahme katholischer Parlamentarier; so wurde der Eindruck der stillen Arbeit an den Satzungen und der gelegentlich etwas ungelenken Aussprache Ober sie zurückgedrängt. Büß wollte a m ersten Beratungstage den Plan der Vortrage f ü r die Öffentliche Sitzung des nächsten Tages festsetzen lassen, aber die Anmeldung von 20 bis 25 Abgeordneten der Nationalversammlung nötigte ihn zum Verzichte. Büß selbst, der auch in Mainz im Sinne eines katholisch-sozialen Programmes redete, die Vertreter der drei Dutzend auswärtigen Piusvereine, aus deren Mitte sich schon die Forderung des allgemeinen und direkten Wahlrechtes erhob, auch die Mainzer Führer, wie der gewandte Domherr Lennig, — sie alle mußten in der großen allgemeinen Versammlung vom 4. Oktober zurücktreten: die katholischen Abgeordneten beherrschten diesen Tag. Sie wollten ausgesprochenermaßen aufgenommen sein „nicht etwa als Reichstagsmitglieder, sondern lediglich als einzelne glaubenstreue Katholiken", aber ihre parlamentarische Eigenschaft war es doch, die ihnen den ersten Platz auf dieser Tagung verschaffte, und sie suchten die Verbindung zwischen dem parlamentarischen Katholizismus und dem Katholizismus der Vereinspropaganda zu festigen. DOllinger berichtete sogar förmlich im Auftrage der katholischen Abgeordneten über die Behandlung der Kirchenfrage in F r a n k f u r t . Seine Rede verriet nicht die Zweifel an der Macht der Nationalversammlung, denen damals schon die wenigsten sich ganz entziehen konnten. Döllinger stand auf dem Boden der Nationalversammlung; ihre Eigenmacht sollte unerschüttert gelten. Durch die Überzeugung von der Notwendigkeit eines neuen Rechtsbodens und der Befugnis, das neue Recht mitschaffen zu dürfen, fanden sich auch die katholischen Abgeordneten jeder Rücksicht auf das alte Recht, das Recht der Einzelstaaten enthoben. Der Gedanke, daß die künftige Rechtsordnung schon im voraus von alten Verpflichtungen entbinde, war nach Döllingers eigener Erklärung maßgebend für die Frankfurter katholische Vereinigung. Die erste Lesung der Grundrechte h a t t e nun freilich die klerikale Auffassung des Verhältnisses von Staat und Kirche beiseite geschoben und in der Schulfrage nicht das Programm der Katholiken, sondern die Vorschläge gebilligt 1 ), die mit der Forderung staatlicher Prüfung der Volksschullehrer und der Ausschließung der Geistlichkeit „als solcher" von der Volksschule die tatsächliche Durchsetzung der kirchlichen Absichten erschwerten. Aber der feine Döllinger ließ, zum Ärger des grobschlächtigen Büß, k a u m etwas verlauten von der Erbitterung, die manche seiner Gesinnungsgenossen angesichts der Haltung der Parlamentsmehrheit erfaßt hatte. Er glaubte, durch ZuSt. B. 3, 2303.

Die katholischen Parlamentarier auf der Mainzer Tagung

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rückhaltung im Urteile noch am ehesten der katholischen Sache nfitzen zu können. Aber auch er, der kühle Gelehrte, scheute nicht davor zurück, mit der neuen Macht der öffentlichen Meinung zu arbeiten. Die Propaganda der Petitionen, die schon vor den Septemberbeschlüssen allem Spotte der Gegner zum Trotze nicht ohne Eindruck geblieben war, sollte nun, geleitet von den katholischen Vereinen mit Macht und Mäßigung zugleich einsetzen, um den endgültigen Beschlüssen nach Möglichkeit ein kirchenfreundlicheres Antlitz zu verschaffen. Um die Hoffnungen der katholischen Parlamentarier auf die Paulskirche zuversichtlicher erscheinen zu lassen als sie waren, ließ man nur den Einen Döllinger in glättender Darstellung berichten, die Meinungsverschiedenheit der Frankfurter Abgeordneten sollte nicht in die buntgemischte Mainzer Versammlung hineingetragen werden. Die anderen, die mit Döllinger von Frankfurt gekommen waren, hielten freie Ansprachen, ohne in die Beurteilung der Parlamentsstreitigkeiten einzu dringen. Ketteier nahm hier in Mainz die Andeutungen seiner Gedanken vom 21. September auf. Mit seiner Anregung, den Piusvereinen kirchlich-soziale Richtlinien zu geben, kam er freilich zu spät. Die soziale Frage war bereits durch Beschluß der Ausschüsse in das Programm aufgenommen worden, was Büß, der sich als sozialpolitischer Wegbereiter des demokratischen Katholizismus fühlte, mit etwas vorwurfsvollen Worten feststellte. 1 ) Überhaupt ist nicht Ketteier zuerst mit sozialen Mahnungen kirchlicher Prägung an den Mainzer Katholikentag herangetreten. Schon in der ersten öffentlichen Abendversammlung, am 3. Oktober, hatte der Berliner Kaplan Ruland die politische Schöpferkraft der christlichen Liebe gepriesen, hatte insbesondere der Advokat Lingens die soziale Frage dargestellt als die große Aufgabe der Gegenwart überhaupt und des Katholizismus insbesondere, der hier „ohne Zweifel in der nächsten Zukunft seine Triumphe feiern" werde. 2 ) Lingens selbst gab freilich nur bescheidene Hinweise auf wohltätige kirchliche Anstalten, namentlich in seiner Vaterstadt Aachen, wo die bedenklichen sozialen Begleiterscheinungen eines schon bedeutenden Industriebetriebes, wie man meinen möchte, der fast geschlossen katholischen Bevölkerung und ihrem einflußreichen Klerus die soziale Arbeit geradezu hätten aufzwingen müssen. Eine tiefgreifende Begründung der sozialen Aufgaben des Katholizismus wird man auch in Kettelers Ansprache vom 4. Oktober nicht finden. Der Pfarrer, der aus seiner Seelsorge nur das ländliche Elend von Kleinpächtern und Tagelöhnern kannte, verstand die Beschäftigung mit der sozialen Frage als Pflicht jener Barmherzigkeit, die mit Almosen hilft, wo die Not des Nächsten nach ihr verlangt. Er möchte die Katholiken seiner Zeit, denen er die Verleugnung des Geistes christlicher Liebe schuld gibt, wieder erfüllt sehen von dem Ideale des heiligen Franziskus, ihr Leben geregelt wissen durch die opferwillige Bruderliebe der ersten Christen. Büß, Aufg. 181 Anm. ) Verhandl. 53; bezeichnenderweise auch bei Büß, Aufg. 183 f. — Z. Folg.: Verhandl. 25 ff. !

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Er wandte sich an das Gemüt des Einzelnen, die Mildtätigkeit der Besitzenden. Das war kein neues kirchlich-soziales Programm, keine Anweisung zu organisatorischer Arbeit; es konnte eher wie eine Individualisierung der sozialen Aufgaben erscheinen. Aber die Leistung des Einzelnen, jede Tat katholischer Nächstenliebe sollte nicht nur Leiden lindern, sondern auch Seelen gewinnen; die katholische Caritas mußte die mächtigste Werbung für die katholische Kirche werden. Die Kirche sollte den Antrieb zur sozialen Arbeit geben und zugleich deren letztes Ziel sein. „Daß es sich zeigen wird, zeigen muß, welche Kirche die Kraft der göttlichen Wahrheit in sich trage", das war es, was dem Pfarrer Ketteier die sozialen Aufgaben zur geistlichen Freude machte. Auch hier wirkte, abgesehen von den vorangehenden Ansprachen, fremde Anregung mit. Ein protestantischer Geistlicher hatte als Abgeordneter in der Paulskirche erklärt, der Kampf zwischen protestantischem und katholischem Glauben auf dem Gebiete des Dogmas werde fortan ruhen, dagegen der Kampf entstehen auf dem Gebiete der sozialen Fragen. Über den Ausgang dieses Wettkampfes kannte Ketteier keinen Zweifel. Eben mit dieser Richtung auf die Kirche selbst aber wies seine geistliche Ermahnungsrede doch über die bloße Caritas hinaus. Die endliche Lösung der sozialen Frage, für die Ketteier dem Staate die Kraft absprach, sollte der katholischen Kirche vorbehalten sein. Damit ließ er erkennen, daß er mehr wollte, als durch Almosen kleinen Nöten abhelfen lassen. Die Mittel und Wege zur Bewältigung dieser großen kirchlichen Aufgabe hat er allerdings nicht aufgedeckt. Nur die geistige Grundlage, wie er sie sich dachte, berührte er wenigstens. Er wünschte die kirchliche Sozialpolitik theoretisch zu rechtfertigen, indem er sie theologisch rechtfertigte. In der Eigentumslehre des Thomas von Aquino, die im kirchlichen Bewußtsein auch damals nicht untergegangen war, fand er den Nachweis für Sinn und Art der „Ausgleichung zwischen Besitz und Nichtbesitz". W a s Ketteier auf d e m K a t h o l i k e n t a g aussprach, war nichts Eigenes v o n B e d e u t u n g . Aber er wirkte mächtig auf diese kirchlich g e s i n n t e n und doch auch national b e w e g t e n Menschen, weil er deutsche und kirchliche G e d a n k e n in Eins z u s a m m e n z u s c h a u e n u n d so auch die d e u t s c h e S t i m m u n g kirchlich zu erfassen und m i t der kirchlichen vereint auf die sozialen Pflichten zu lenken w u ß t e . Die Art seines A u f t r e t e n s und seines Vortrages fesselte, bannte, m e h r als das: sie erschütterte; die Hörer bis zu Tränen zu rühren, das blieb doch ihm v o r b e h a l t e n . Ein P a r l a m e n t s g e n o s s e , ihm v e r w a n d t an warmherziger Ursprünglichkeit, an kirchlichem E n t h u s i a s m u s u n d kirchenpolitischem Eifer, aber romantischer zugleich und geistig vollblütiger in der Wesensart, B e d a Weber, der Tiroler Benediktiner u n d künftige Stadtpfarrer in Frankfurt, h a t mit hübschen Worten v o n d e m „eigent ü m l i c h e n S t o l z " dieser R e d e gesprochen 1 ), die in den E r r u n g e n s c h a f t e n der Märztage das Mittel sehe, den D o m der deutschen Kirche auszubauen, früher und herrlicher als den D o m zu Köln. „ D a h e r schlug sein Wort mit regelloser Macht in die Zuhörer ein, die nur den Widerhall des eigenen Herzens v e r n a h m e n . W e n n ich an den R e d n e r Ketteier denke, so denk' ich mir s t e t s einen ganzen Mann; er kann m a n c h e s Herz in Furcht versetzen, aber er hat ein R e c h t zu sein." Die geistlichen Führer des Mainzer Piusvereins n ü t z t e n die Nachbarschaft des n u n bei den Mainzer Katholiken v o l k s t ü m l i c h e n Parla>) Hist.-pol. Bl. 22 (1848), 664 = B. Weber, Char.-Bilder 400 f.

K.s kirchlich-soziale Katholikentagsrede. Die Predigten über die sozial. Fragen

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mentspfarrers. So bekam Ketteier Gelegenheit, das kirchlich-soziale Thema, das er in der Katholikenversammlung angeschlagen hatte, in Adventspredigten über „ D i e g r o ß e n s o z i a l e n Fragen d e r G e g e n w a r t " wieder aufzunehmen. Diese sechs Predigten, die im November und Dezember 1848 von der Domkanzel herab gehalten wurden, hatten die Aufgabe, die Gläubigen aus der Ruhe der Gesinnungsfrömmigkeit zur Frömmigkeit des Handelns zu führen, aus dem Glauben kirchliche Taten zu erwecken. Der Prediger will nachweisen, daß nicht die willkürlichen und wandelbaren Zeitmeinungen, sondern die ewig erhabenen Lehren der Kirche das Mittel bieten, die Leiden der Gegenwart zu heilen. Die soziale Frage ist ihm zunächst eine Besitzfrage, das aber heißt in seinem Sinne: nicht eine volkswirtschaftliche, sondern eine kirchliche Frage. Sie muß geprüft werden an der Kirchenlehre vom Rechte des Eigentums. Wie der Kommunismus verwerflich ist, so jene schrankenlose Herrschaft des Einzelnen über seinen Besitz, die den Menschen zum „Gotte seines Vermögens" macht. Diese Lehre vom starren Rechte des Eigentums ist eine fortgesetzte Sünde wider die Natur, denn sie erklärt einen fortgesetzten Diebstahl für Recht. Der berüchtigte Ausspruch: „Eigentum ist Diebstahl!" ist nicht bloß eine Lüge, er enthält neben der großen Lüge zugleich eine furchtbare Wahrheit, und mit Spott und Hohn läßt er sich nicht mehr beseitigen. Das Wahre wird auch hier nur von der Kirche dargeboten. Gott, so lehrt Thomas von Aquino, ist der wahre und ausschließliche Eigentümer alles Geschaffenen; dem Menschen ist nur das Nutzungsrecht gewährt, das Recht, die Güter so zu benutzen, wie Gott es festgesetzt hat. Die Fürsorge für andere soll Pflicht, aber auch Verdienst des Einzelnen sein. Darum darf sie nicht vom Staate vorgeschrieben werden. Der bisherige Polizeistaat mit seinen Armengesetzen hat versagt. Begründung der Wohlfahrt darf man nicht vom Staate, nicht von irgendeiner Staatsform erwarten. Aber überhaupt alle die Mittel, wie die Welt sie bietet, das Assoziationsrecht, das freie Wahlrecht, sie fruchten nichts, und die sog. Volksfreunde sind im Grunde eitle Schwätzer. Lediglich die Lehren des Christentums können der drohenden Massenverarmung steuern. Von ihnen her muß die Rettung kommen. „Nicht in der äußeren Not liegt unser soziales Elend, sondern in der inneren Gesinnung." Eine innere Wandlung ist notwendig. Sie wird bedingt durch eine richtige Einsicht in eine grundlegende Lehre der Kirche. Nur die Lehre von der Erbsünde, deren Bedeutung für den Einzelnen Ketteier mit Worten Pascals begreiflich zu machen sucht, verbreitet zugleich „wahres Licht über unsere Zustände". Von hier aus ist der Weg zur Gesinnungsänderung zu finden. Die Nächstenliebe, wie Christus sie fordert, wird Rettung bringen. Wahres Christentum aber ist eins mit der katholischen Kirche. „In Jesus Christus und der von ihm gestifteten heiligen katholischen Kirche" ruht alles Heil. Hier liegt die Quelle menschlicher Freiheit, nicht jener unchristlichen Freiheit, die zur Ungebundenheit, zur Vernichtung aller höheren Ordnung, aller Gesetze führt, sondern der Freiheit, die den Menschen lehrt, sich „mit freiem Willen" dem Gesetze Gottes zu unterwerfen; aus dieser freien Selbstbestimmung sollen die guten Werke hervorgehen. „Die katholische Lehre von der Freiheit des Menschen" — ihr gilt die dritte Predigt — führt unmittelbar zu der Lehre von der Bestimmung des Menschen, die in Kettelers Sinn für die Gesamtheit das leisten soll, was jene für den Einzelnen leistet. Der kirchliche Begriff von Vernunft und Glauben verbürgt wahre Arbeitsamkeit und wahren Wohlstand und so den Zusammenhalt der Gesellschaft; Unglaube führt dagegen mit Notwendigkeit zur Arbeitsscheu und Sinnenlust, zu allen Freveltaten, führt also dem göttlichen Strafgericht entgegen. Auf die Kirche gründen sich auch Ehe und Familie mit ihren unermeßlichen sozialen Werten. Wenn das Heidentum sittliche Verwilderung bedeutete, wenn auch dem Judentume der volle Gedanke Gottes von der Ehe fehlte, so ist die Ehe „durchaus ein Heiligtum des Christentums, und z w a r . . . des wahren, vollen, lebendigen Chri-

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stentums, also der katholischen Kirche"; nur die katholische Kirche kann das Ideal der wahrhaft christlichen Ehe schaffen, die den Einzelnen für die Gesellschaft erzieht. Die Kirche also ist die Grundlage zugleich und die Krönung des gesamten sozialen Lebens. Es ist darum nur folgerichtig, wenn die sechste und letzte Predigt die Autorität der unfehlbaren Kirche als die schlechthin unentbehrliche Fflhrerin zum wahren Vemunftgebrauche und zum wahren Leben erkennen lehrt, den Unglauben aber, der die auBermenschliche Autorität verwirft, als Satanslehre und offene Lüge darstellt.

Das Thema dieser letzten Predigt, die mit dem Ausblick auf das Jüngste Gericht schließt, bezeichnet im Grunde auch den Inhalt der anderen. Diese Dompredigten hatten wenig von dem zu sagen, was man auch damals schon unter sozialer Frage verstand. Sie lösten alles Leben in dem einen Gegensatz auf: Kirche und Unglaube. Der Prediger, den das Verlangen trieb, anderen mitzuteilen, was er selbst „in Christus und seiner Kirche gefunden und erfahren" hatte, mochte meinen, die Lösung der großen sozialen Fragen zu lehren, indem er „die innere erbauende Kraft des Christentums und somit der Kirche und die zerstörende Kraft des Unglaubens in dem Gebäude der gesellschaftlichen Ordnung" nachwies. Und die Massen der Gläubigen, die den Dom füllten, werden gewiß nichts sachlich Unbefriedigendes, Zwiespältiges, Widerspruchsvolles in diesen Predigten bemerkt haben; Das Erbauliche, der Kampf gegen Unglauben und Unsittlichkeit, die Berufung an das kirchliche Gewissen des Einzelnen, die Apotheose der katholischen Ehe und Familie — das alles war dem einfachen Sinne leicht zugänglich; für jeden bescheidenen Ansatz zu schwierigeren Auseinandersetzungen wurden die Hörer immer sogleich wieder entschädigt, jetzt durch warmherzige Erfassung dessen, was sie alle bewegte, jetzt durch kräftige Abwehr der Gedanken, die ihnen selbst hassenswert erschienen oder erscheinen sollten. Aber nicht lediglich an diese Mainzer Katholiken wandten sich Kettelers Predigten. Er veröffentlichte sie Mitte März 1849 als Buch unter dem anspruchs- und verheißungsvollen Titel: „Die großen sozialen Fragen der Gegenwart". 1 ) So, wie er sie im Dome gehalten hatte, legte er sie der Welt da draußen vor, die er zugleich bekämpfen und bekehren wollte. Dort aber blieben sie ohne Wirkung. Man darf darum doch nicht sagen, Kettelers Anregung zu der Beschäftigung mit den großen sozialen Problemen habe keine ernsthaftere Beachtung gefunden. 2 ) Denn eben diese „Anregung" hat Ketteier gar nicht gegeben. Durch den Titel dieses Büchleins sind ernsthafte Gelehrte, ') Mainz 1849. Abgedr.: Predigten 2, 115—221; Mumbauer 2, 210—320. 2 ) So: Grünberg, Christi. Sozialismus: Wörterbuch der Volkswirtsch. 2. A. 1, 618 (3. A. 1,644). — Weiter: Hashagen in der „Hilfe" 1912 Nr. 51; Bergsträßer 163. Von späteren Katholikentagsreden und ähnlichen Kundgebungen über den sozialpolit. „Bahnbrecher" K. usw. sei abgesehen. Kritisch K- Holl, Chalmers: Zs. f. Theol. u. Kirche 24 (1913), 261 Anm.

Die Buchausgabe d. sozialen Predigten. Ihre Stellung i. d. sozialpolit. Literatur 107 die versflumten ihn mit dem Inhalte zu vergleichen, bis in unsere Tage hinein irregeführt worden. Unsere Analyse zeigt, daß man von dem Ketteier des Jahres 1848 alles eher behaupten kann, als daß er in der Fürsorge f ü r die modernen Industriearbeiter die Führung übernommen habe. Ketteier biegt immer wieder — bei einer Predigt ist das verständlich, und daß diese Predigten überhaupt von „sozialen Fragen" handelten, ist Verdienst genug —, er biegt da gerade ab, wo er auf die Wirklichkeit der sich doch schon deutlich erhebenden Arbeiterfragen, auf die sozialpolitischen Aufgaben überhaupt h ä t t e eingehen müssen. Er weist die Staatshilfe, den großen Gedanken staatlicher Sozialpolitik schlechthin mit einer einfachen scholastischen Handbewegung von sich. Er will nur von der sozialen Macht der Kirche etwas wissen, aber er zeigt nicht, wie aus dem alten kirchlichen Kleinbetriebe eine neue Wirksamkeit im großen werden soll, und er zieht keine Verbindungslinien zu den Verhältnissen der Lohnarbeiter im besonderen. Das Wichtigste war ihm die kirchliche Eigentumslehre. Er sah das Besondere der katholischen Anschauung gerade darin, d a ß sie das Eigentumsrecht, die Teilung der Güter, wie sie sich unter den Menschen entwickelt habe, anerkenne, zugleich aber den Kommunismus heilige, indem sie die Früchte des Eigentums wieder zum Gemeingut aller mache. Das hieß denn doch nur ein neues Dilemma schaffen, höchstens eine Aufgabe stellen, keine Lösung geben. Die Gegner meinten wohl später, um solcher Bemerkungen willen in ihm den rechten und echten Kommunisten fassen zu dürfen 1 ); er selbst aber, der persönlich immer zum Helfen im kirchlichen Geiste bereit war, hat gar nicht versucht, diesen geheiligten Kommunismus zum gestaltenden Gedanken der Sozialreform zu machen, und die kirchlichen Freunde gaben sich mit der beruhigenden Einsicht zufrieden, daß er das Eigent u m als die Grundlage aller sittlichen Ordnung ansehe. 2 ) Es ist nicht so, daß angeblich neue sozialpolitische Gedanken dieser Predigten von anderen vernachlässigt worden wären, vielmehr hat Ketteier keinen Anschluß gefunden an ältere und viel gegenständlichere Anregungen anderer. Das Assoziationsrecht, das auch christliche Sozialreformer längst als wirksames Hilfsmittel der Arbeiterschaft verkündet hatten, rechnete er einfach zu den nichtigen Verheißungen, Vgl. Uhlhorn, Katholiz. u. Protest, gegen, d. soz. Frage (1887) S. 20 f., aber schon die Schrift „Bischofskampf am Rhein" (1854 s. unten I I I ) S. 24: „Sind etwa jene sozialistisch-kommunistische Kanzelreden, welche Herr Bischof v. Ketteier in einer Sammlung vereinte, aus dem Gedachtnisse und Buchladen verschwunden?" Auch an K- mag Mor. Hartmann gedacht haben, wenn er Anfang 1849 im 1. Buche der „Reimchronik des Pfaffen Maurizius" Kap. II, 1. Taubenpost von den „demokratischen Ekklesiasten" sagt: „Sie sprechen fast so scharlachrot, wie westphälische Kommunisten." ») B. Weber, Char.-Bilder 472 f. ( = Hist.-pol. Bl. 23, 336). — Vgl. A. Reichenspergers Aufzeichnungen v. April 1848 (Pastor 1, 235) u. s. Rede v. 4. O k t : St. B. 4, 2423.

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mit denen Führer und Verführer „das Volk" irreleiten. Er bleibt der damals in allen sozialen Schichten und Gruppen besprochenen Arbeiterfrage als solcher so fern, wie nur eben möglich. Nicht die Predigt, aber das Buch m u ß t e mit dieser Unfruchtbarkeit um so mehr enttäuschen, als Ketteier selbst die soziale Frage die wichtigste der Gegenwart nannte. Aus selbständigem Studium war er damals offenbar weder mit den katholisierenden Saint-Simonisten und den sozialen Lehren des katholischen Demokratismus in Frankreich vertraut noch mit der englischen Arbeiterbewegung, und man sieht nicht, d a ß ihm die deutsche sozialpolitische Literatur des Jahres 1848 und der vorangehenden Jahre 1 ) anders als durch die sanften Ausstrahlungen in den Historisch-politischen Blättern, dem „ K a t h o l i k " und den sonstigen katholischen Zeitschriften und Zeitungen bekannt geworden wäre. Die noch ungeschriebene Geschichte des sozialen Gedankens im vormärzlichen Deutschland wird neben den Einwirkungen fremder Erfahrungen und Lehren die Anregungen deutscher Ideen nachzuweisen haben. Daß die Romantik wesentlich mitgeholfen hat, das Verständnis für die Sache des vierten Standes zu wecken, steht heute schon fest. Auch die katholisch-soziale Bewegung 2 ) verrät ihren Zusammenhang mit der R o m a n t i k ; den uralten Mutterboden hat sie aber in der Kirche selbst. Die kirchliche Fürsorgearbeit war eine stetig wirkende Sozialpolitik im kleinen. Darum gerade ist es nicht leicht gewesen, die kirchliche Caritas zur modernen Sozialpolitik zu erheben. Auch in den industriell schon stark entwickelten und fast ganz katholischen Gebieten hatte die katholische Kirche noch um das J a h r 1848 nirgends die Arbeiter organisiert; selbst Kolpings katholische Gesellenvereine, die an den Industriearbeitern vorübergingen 8 ), standen damals noch in den Anfängen. Aber einige katholische Gelehrte und Literaten zeigten in den dreißiger J a h r e n schon Verständnis für die Sozialpolitik der Zukunft. Ein in die Tiefe schauender Mann wie Radowitz bemerkte, unbefangener urteilend als selbst Möhler, im J a h r e 1837 einmal 4 ), daß im Saint-Simonismus ein großes christlich-soziales Kapital geborgen ruhe. Vor ihm aber hat mit stärker drängender K r a f t der bedeutendste katholische Philosoph der ersten J a h r h u n d e r t h ä l f t e den Gedanken 1 ) Vgl. jetzt P. Momberts Übersicht: „Aus der Liter, über die soz. Frage u. über die Arbeiterbeweg, i. Dtl. i. d. 1. Hälfte d. 19. Jhs.": Archiv f. Gesch. d. Sozial, ö (1921), 169—236. 2 ) Die neuere kathol. Darstellung v. Alb. Franz, Der soz. Kath. bis z. Tode K s (1914) ist oft unkritisch, aber nicht unnütz. — Lehrreicher Ausschnitt: W. Schwer, Der soz. Gedanke i. d. kathol. Seelsorge (1921). ( ) Dazu jetzt die berechtigten Bemerkungen von Th. Brauer, Kolping (1923) S. 13 ff. «) Radowitz, Schriften 5 (1853), 105. — Möhler: Theol. Quartalschr. 1832 S. 305 ff. = Möhlers Gesamm. Schriften u. Aufs. hg. v. Döllinger (1839) 2, 34 ff. — Vgl. Friedr. Eberl, Die Kirche u. d. Assoziation d. Arbeiter (1866) S. 66.

Katholisch-soziale Literatur vor 1848.

Caritas und Sozialpolitik

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der sozialen Fürsorge auf dem alten kirchlichen Untergrunde betrachtet und zugleich mit dem Gegenwartsleben der aufsteigenden Arbeiterfragen zu verbinden gesucht. Franz Baaders geistiges Wesen durchziehen überhaupt scholastische, mittelalterlich-ständische Anschauungen und Forderungen in wundersamer Verschlingung mit modernen Begriffen und Aufgaben, denen sich wieder mystische Vorstellungen beimischen. Baader faßte in seiner Schrift vom Jahre 18351) das Mißverhältnis zwischen Vermögenslosen und Vermögenden nach der wirtschaftlichen und geistigen Seite. Das Recht der Proletarier auf Erleichterung des Lebens erkannte er ohne Einschränkung an und in ihrem Drange nach gemeinsamem Zusammenschluß gegen die Arbeitgeber sah er die begreifliche Reaktion gegen die „Conspirationen" der Fabrikherren. Das Problem der Einbürgerung des Proletariats, glaubte er, könne durch die vom Staat zu beaufsichtigende Assoziation und die der Kirche zukommende moralische Leitung gelöst werden. Ihn erfüllte der Gedanke, daß der soziale Katholizismus die Massen gewinnen müsse; die Fürsorge der Priester für die Not der Einzelnen soll das Proletariat dem verderblichen Einflüsse der Demagogen entziehen. Es kennzeichnet die Einsicht, die dieser spekulative Philosoph in das soziale Leben seiner Tage unter dem Eindruck englischer Verhältnisse gewonnen hatte, daß er sich von dem in kirchlichen Kreisen noch später heimischen Wahne freihielt, als ob die sozialen Gefahren der wachsenden Industrialisierung durch Bekämpfung der Industrie selbst beschworen werden könnten. Es geschah offenbar unter dem Eindrucke auch der Baaderschen Gedankenentwicklung, wenn bald darauf der erstaunlich belesene Büß*), der überhaupt mehr durch Lesen als durch Erleben auf die soziale Frage geführt wurde, in der badischen Kammer den vielgerühmten, aber wirkungslosen Antrag auf gesetzlichen Schutz der Fabrikarbeit einbrachte. Der Gedanke einer kirchlichen Führung der sozialen Reformarbeit lag ihm damals fern; nur leise berührte er die Bedeutung der Religion. Auch hat Büß in den vielen Schriften, die er nun rasch hintereinander hinaussandte, die eigene Anregung vom Jahre 1837 nicht weiter verfolgt, nicht mit den ihn immer mächtiger ergreifenden kirchlichen Gedanken zu einem kirchlich-sozialen Systeme verschmolzen. Die überkommene kirchliche Caritaslehre gewann indessen allenthalben etwas mehr sozialpolitischen Inhalt, die Forderungen sozialer Fürsorge wurden in den Zeitungen fast zu alltäglichen Erscheinungen. Die Historisch-politischen Blätterz. B. brachten sogleich im ersten Jahr') „Über das dermal. Mißverhältnis der Vermögenslosen oder Proietairs zu . . . " abgedr.: Werke 6 (1854) S. 125—144; s. bes. 1 3 8 « . , 135 f. — Treitschke 4, 599 f. hat die Bedeutung der B.schen Flugschrift hervorgehoben; v. d. Nationalökonomen ist sie kaum beachtet worden, wohl aber von Holl a. a. O. (oben S. 106 Anm. 2). *) 1841 jedenfalls nennt er Baader: Franz, Soz. Kath. 48. — Z. Folg.: Leonh. Müller, Bad. Landtagsgesch. 4 (1902) S . 9 3 ; Schnabel S. 22 u. 5 0 f f . ; Dor, Büß (1912) S. 22 ff.

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gang 1 ) einen Aufsatz „Über A r m u t , Armenwesen und Armengesetze"; die Regelung des Verhältnisses von A r m u t und Reichtum erschien hier als eine „Lebensfrage unserer Zeit, bei deren Lösung gleichmäßig die christliche Menschenliebe, die mit jedem Leiden mitleidet wie die allgemeine Sicherheit und der Wohlstand der Länder beteiligt ist". Im J a h r e 1843 benutzten die Blätter — wir kennen sie als Kettelers ständige Begleiter — ihre Klagen Ober die Fortschritte der „revolutionären Theorie und Praxis, um das Staatskirchentum in Deutschland daffir verantwortlich zu machen, d a ß hier nicht nach Pariser Muster christliche Arbeiterbruderschaften als P h a l a n x gegen den Kommunismus aufgerichtet werden könnten. In demselben Jahrgange und seitdem öfter erschienen bescheidene sozialpolitische Betrachtungen kirchlichen Gepräges, auch Ober die aus dem Fabrikwesen aufsteigenden Bestrebungen, die immerhin zu den „vorherrschenden Tendenzen der Gegenwart" gerechnet werden. In anderen kirchlichen Zeitschriften, im Mainzer „ K a t h o l i k " etwa, wird schon vor der Februarrevolution auch im Hinblick auf Deutschland die Erkenntnis ausgesprochen, daß in den Verhältnissen des Proletariats eine der wichtigsten Fragen der Zeit gegeben sei. 1 ) In die deutsche Märzbewegung aber wurde kein großes politisches Programm hineingeworfen, das nicht auch die soziale Frage berührt hätte. Was bis zum Herbst 1848 über die Arbeiterfrage gesagt worden war von der deutschen Wissenschaft — Ende 1847 h a t t e Bruno Hildebrand den ersten Teil seiner „Nationalökonomie der Gegenwart und Z u k u n f t " abgeschlossen —, von den Parteien, in Vereinen und Versammlungen, inBGchern und in der Presse — a u c h in dem neuen katholischen „Mainzer J o u r n a l " seit dem Sommer 1848*) —, und alles das, was das Leben selbst lehrte, h ä t t e Antrieb und Anhalt gewähren können zu einer tiefer greifenden Behandlung der „großen sozialen Fragen der Gegenwart". Ketteier aber blieb der Prediger, der nur soziale Bereitschaft lehrte und sie lediglich als ein StQck kirchlicher Gesinnung, kirchlicher Frömmigkeit faßte. Das begeisterte Bekenntnis zu der Kirche als einzig zulässiger, aber auch völlig zureichender Helferin, die Weckung des kirchlichen Geistes ist diesem Seelsorger das Wichtigste; die Sinnesänderung, die Herzenserneuerung des kirchlich geleiteten Individuums bildete den Mittelpunkt seines Systems und von ihm strahlte dann, als christliche Tugend, die Liebe zum Nächsten, das soziale Verantwortungsgefühl, der soziale Geist überhaupt aus. In dieser Verbindung der persönlichen Frömmigkeit mit den sozialen Pflichten, in der wenigstens andeutenden Mahnung, die innere Ge>) Hist.-pol. Bl. 1 (1838), 150—163. — Z. Folg.: 11 (1843), 521—542; 12 (1843), 377—399; 17 (1846); 19 (1847) u. ö. *) Schwer 54 ff. u. 67 f. ') A. Diehl, Zur Geschichte der kath. Bewegung im 19. Jahrh. Das „Mainzer Journal" i. J. 1848 (1911).

Begrenzte Bedeutung der sozialen Predigten Ketteten

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sinnung zur sozialen Tat werden zu lassen, darin lag das, was in diesen Predigten Qber Kirche und Kanzel hinauswies in den weiten Kreis der sozialen Arbeit — n u r , daß jede Anleitung zu dieser sozialen Arbeit selbst noch fehlte. Diese Predigten wurden nirgends zum gegenstandlichen sozialpolitischen Programm. So blieb ihre Wirkung eben Predigtwirkung. Die ergreifenden Worte mögen viele gute Vorsätze, manche gute Werke angeregt haben. Aber was wollte das für „die großen sozialen Fragen" bedeuten?

In der zweiten Predigt, am 3. Dezember 1848, hatte Ketteier es als Erfahrung der Gegenwart ausgesprochen, daß keine Staatsform, sondern allein die Kirche Gottes fähig sei, die Wohlfahrt der Menschheit zu begründen. Das war die Absage an die Frankfurter Reichsversammlung, die sich eben jetzt wieder eifrig mit dem Verfassungswerke beschäftigte. Ketteier hatte im Spätsommer beabsichtigt, die Paulskirche wieder mit der Pfarrkirche zu vertauschen. Durch die Haltung seines Stellvertreters wurde ihm das verwehrt. Mit etwas unbesonnener Aufrichtigkeit hatte er diesem geschrieben 1 ): „Nur ein kirchliches Interesse konnte mich bestimmen, die Wahl anzunehmen und auf einige Zeit aus meinem geistlichen Berufe herauszutreten. Ein politisches Interesse kenne ich für mich nicht mehr." Die Veröffentlichung seines Briefes nOtigte ihn, sich vor seinen Wählern zu rechtfertigen. Er zeigte dabei jene geschmeidige Dialektik und rücksichtslos-geschickte Polemik, die er später in unablässigem Kampfe immer wieder bewähren sollte. Aber er mußte in der Verteidigung dem Sinn seiner Worte eine Ausdeutung geben, die einer Zurücknahme gleichkam, und er mußte nun die Lossagung von seiner geistlichen Verwerfung politischer Pflichten vor seinen Wählern und vor dem Reichstage auch durch die Tat beweisen. Zu den Sitzungen des Reichstags, die er seit dem Mainzer Katholikentage ohne Entschuldigung versäumt hatte*), kehrte Ketteier zurück, als im doppelten Sinne eine Österreichische Frage gestellt war: in Österreich selbst durch die im Augenblicke siegreiche Wiener Oktoberrevolution, in Frankfurt durch die Paragraphen 2 und 3 des Verfassungsentwurfes. Die Besprechung der Wiener Vorgänge hatte die Fortsetzung der Verhandlungen, die am 20. Oktober über diese, Österreichs Stellung im Reiche berührenden Paragraphen begonnen hatten, bis zum 24. Oktober verschoben. Ketteier war schon wieder zugegen®), als man am 23. Oktober beschloß, Beauftragte der ») 19. 8. 1848: Br. 157. — Z. Folg: oben S. 98. *) Vgl. St. B. 4, 2451, 2458, 2517, 2569, 2671, 2691. Vgl. dazu 3, 2363; Valentin, Die erste deutsche Nationalvers. (1919) S. 73. ») St. B. 4, 2836. — Z. Folg.: 2918ff. usw.

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Reichsversammlung „zur Abwehr des Bürgerkrieges" nach Wien zu senden, und das Reichsministerium zu allen Maßregeln f ü r den Schutz der Interessen Deutschlands ermächtigte. Auch er s t i m m t e zu. Da ein Erzherzog Reichsverweser war und ein Österreicher von der Energie und der entschieden österreichischen Gesinnung Schmerlings an der Spitze des Reichsministeriums stand, forderte dieser Beschluß von den Freunden Österreichs kein Opfer. Auch bei der Abstimmung über § 2 des Verfassungsentwurfes „Kein Teil des Deutschen Reiches darf mit nichtdeutschen Ländern zu einem Staate vereinigt sein" standen noch keineswegs scharf abgegrenzt Kleindeutsche und Großdeutsche einander gegenüber; denn auch Freunde preußischer Leitung des Reiches träumten davon, daß es Deutsch-Österreich in sich schließen werde. Die Minderheit, die einen Verzicht Österreichs auf seine staatliche Einheit nicht wünschte, und an ihn auch jetzt, da der Staat erschüttert schien, nicht glauben wollte, sie allerdings mußte in diesem Antrage schon den Ausschluß Österreichs ausgesprochen finden. Gemeinsam mit einigen anderen Klerikalen gehörte Ketteier zu dieser kleinen Gruppe, die den Antrag des Verfassungsausschusses verwarf. Als grundsätzlicher Gegner der Ausschließung und der Auflockerung Österreichs war er so starr folgerichtig, auch den Zusatzantrag der Ausschußminderheit, daß im Wege des völkerrechtlichen Bündnisses der innigste Anschluß Österreichs an Preußen geschlossen werden solle, im Gegensatz zu seinen kirchlichen Gesinnungsgenossen Aulike und v. Bally zu verwerfen. Den ganz anders gearteten Zusatz, der „die Verhältnisse Österreichs der definitiven Ordnung vorbehalten" wollte, hat Ketteier mit allen Gegnern und einigen überklugen Anhängern des § 2 unterstützt. Man wollte so dem Paragraphen den Stachel nehmen. Fast genau die gleiche Dreiviertelmehrheit, die diesen Versuch vereitelte, gab die notwendige Ergänzung zu ihrem ersten Beschluß, indem sie durch Annahme des dritten Paragraphen für das Verhältnis der deutschen und nichtdeutschen Länder eines Fürsten lediglich die Grundsätze der reinen Personalunion als maßgebend festsetzte. Ketteier verwarf natürlich diese Bestimmung. Er blieb sich auch darin treu, daß er die etwas preußisch schillernde Umhüllung seines Standpunktes verschmähte, nach der einige andere, auch klerikale, preußische Gegner der beiden Paragraphen griffen. Demgemäß hielt er sich bei der schwachen Minderheit, die a m 3. November durch den Antrag auf Übergang zur Tagesordnung das Verhalten der siegreichen österreichischen Regierung gegenüber der deutschen Zentralgewalt und gegenüber dem österreichischen Volke der Kritik des Frankfurter Reichstages entziehen wollte. Nach diesen Mißerfolgen der streng konservativ-österreichischen Auffassung hatte er wenigstens die Genugtuung, daß die über Wiens Eroberung durch Windischgrätz erbitterten Demokraten, vergebens von dem Reichsministerium ein gröbliches Dreinfahren in Deutsch-Österreich verlangt wissen

Die Verfassungsfrage im Frankfurter Reichstage. K.s Hinneigung zu Osterreich 113 wollten. 1 ) Die Rücksicht auf Österreich war es wieder, die neben der kirchlichen Abneigung gegen Deutschkatholizismus und antiklerikales Demokratentum ihn und einige, meist baierische und österreichische Katholiken veranlaßte, gegen den Gedanken einer parlamentarischen Totenfeier für Robert Blum aufzutreten; die Hinrichtung Blums, die alle Demokraten bis aufs Blut empörte und weit über deren Reihen hinaus als anmaßliche und unkluge Herausforderung des deutschen Reichstages empfunden wurde, hat mindestens den A b g e o r d n e t e n Ketteier nicht berührt. Sein und seiner Freunde Antrag auf Übergang zur Tagesordnung 8 ) wurde zwar unterstützt, aber abgelehnt. Die Versammlung beschloß, f ü r Blum eine kirchliche Feier in der katholischen Kirche abhalten zu lassen; ein kirchlicher Schlag f ü r einen Priester wie Ketteier, aber parlamentarisch erträglich, da kein gemeinschaftlicher Zug der Abgeordneten stattfinden sollte. Die Frage an Österreich, die in den ersten Paragraphen des Verfassungsentwurfes gestellt war, wurde jetzt noch nicht entschieden. Aber alle parlamentarischen Freunde österreichisch-katholischer Vorherrschaft in Deutschland begleitete doch das bange Gefühl, daß die Arbeit an der Reichsverfassung auf ein unerwünschtes Ziel ausmünden werde, daß die Macht, die man schaffen sollte und wollte, schließlich in preußische Hände fallen, daß das Reich ein Deutschland ohne Österreich werden könne. Die Eifrigsten wollten den Einzelstaaten, und das hieß insbesondere Preußen, möglichst noch geringere Rechte zuerkannt wissen, als in dem Verfassungsentwurfe vorgesehen war. Man versteht danach, daß Ketteier z. B. in Gemeinschaft mit einigen wenigen Klerikalen f ü r den vorwiegend von Demokraten gestützten, beinahe tatsächlich zum Siege geführten Antrag stimmte, den einzelnen deutschen Regierungen nicht nur das Recht zu ständigen, sondern das Recht zu Gesandten überhaupt zu nehmen. 1 ) Aber eben jede Stärkung der Reichsgewalt konnte künftig jenem Preußen zustatten kommen, das man in Schranken halten wollte. Der Artikel 3 des Entwurfes führte überhaupt in ein Gebiet, wo, nach Radowitzens aufrichtigem Bekenntnis, die eigentliche Schwierigkeit des Verfassungswerkes lag. Gerade die aus politischen oder kirchlichen Gründen fest zu Österreich haltenden Abgeordneten mußten bei diesen tief in alle Empfindungen eingreifenden Verhandlungen ein zwiespältiges und unsicheres Gefühl in sich tragen; der Zusammenstoß zwischen preußischer Krone und preußischer Nationalversammlung, der fast gleichzeitig mit dem Siege der österreichischen Regierung über die Wiener Revolution eintrat und sich seit der Berufung des Ministeriums Brandenburg am 2. November rasch verschärfte, mußte ihnen alle Erwägungen noch schwieriger, alle Erwartungen noch ungewisser machen. Es ist d a r u m gerade l

) 17. 11. 48: St. B. 5, 3398 f. ') St. B. 5 3625 •) St. B. 4, 2994 (31. 10). Anders beim Konsularrecht: 2999.

V i g e n e r , Bischof Ketteier

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bei einem zugleich berechnenden und impulsiven Manne wie Ketteier nicht leicht, aus den Abstimmungen dieser erregten Wochen die leitenden Gedanken herauszufinden. Man darf es wohl als einen Ausdruck seines Autoritätsgefühles, seines praktischen Verstandes und seiner Abneigung gegen jeglichen Parlamentsabsolutismus nehmen, wenn er zusammen mit Radowitz, auch mit Phillips und anderen seiner kirchlichen Freunde bei der Beratung des Ausschußberichtes über die Berliner Ereignisse f ü r Vinckes Antrag auf Übergang zur motivierten Tagesordnung stimmte. 1 ) Die Begründung dieses Antrages enthielt freilich neben der Anerkennung der verfassungsmäßigen Berechtigung des Vorgehens der preußischen Regierung die Erwägung, d a ß man über die Zweckmäßigkeit ihrer Anforderungen zur Zeit in F r a n k f u r t nicht urteilen könne, und die den Reichsgedanken anerkennende Feststellung, d a ß das Reichsministerium bereits eingeleitet habe, was in der Sache im Interesse Deutschlands zu tun war. Die kleine Gruppe von 45 Abgeordneten, die sich vergebens f ü r Vinckes Antrag einsetzte, stand erst dann im großen Verbände mit fast allen Gegnern der Demokratie, als man Heinrich Simons grobschlächtige Forderung abwies, die preußische Regierung durch die Zentralgewalt als außer ihrem Rechte erklären zu lassen, wenn sie dem Lande ein Ministerium gegen den Willen der Volksvertretung aufdringen und diese eigenmächtig vertagen oder verlegen wolle. Die anderen radikalen Vorstöße gegen Preußen machte Ketteier ebenso wenig mit; auch er konnte die mögliche Gefahr einer demokratisch-radikalen Kammerherrschaft in Berlin nicht verkennen. Aber ihn bestimmte neben kirchlichen Erwägungen nur der Gedanke an die allgemeine Sicherheit und Ordnung; die besonderen Sorgen der Preußenfreunde bekümmerten ihn nicht. Gerade d a r u m brauchte er den Fehler, den die führenden F r a n k f u r t e r Mittelparteien durch die den Ausschußanträgen entsprechenden polizeimäßig-vormundsehaftlichen Beschlüsse vom 14. und 20. November gegenüber der preußischen Regierung begingen, nicht auch als eigene Fehler zu empfinden. Manche konservative Klerikale, wie Radowitz und Phillips, gehörten am 20. November zu den wenigen, die dem F r a n k f u r t e r Reichstage nicht die Aufgabe zuteilten (und wohl auch nicht die K r a f t zutrauten), mit Hilfe der Zentralgewalt die preußische Krone zu der Berufung eines volkstümlichen Ministeriums zu bewegen. Ketteier ist, anders als die meisten aus der Mitte, ganz gewiß nicht dem „leisen Einflüsse der populären S t i m m u n g " 2 ) gewichen; er mag vielmehr recht bewußt die Befriedigung genossen haben, diesmal nicht wie zwei Monate zuvor, gezwungen zu sein, das „ P r e u ß e n t u m " durchschlüpfen zu lassen. Vor einer demokratischen A u s d e u t u n g seiner Abstimmung^ ») St. B. 5, 3296 (14. 11.). «) Haym 2, 37. Vgl. Meinecke, Weltb. «385; «396 f.

Haltung im Streite zwischen preuB. Regierung und Abgeordnetenhaus

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schützte ihn der gegen die Demokraten unter ihren Pfuirufen angenommene zweite Absatz des Ausschußantrages, worin die Reichsversammlung „den auf Suspension der Steuererhebung gerichteten, offenbar rechtswidrigen, die Staatsgesellschaft gefährdenden Beschluß der in Berlin zurückgebliebenen Versammlung ausdrücklich für null und nichtig" erklärte; er unterzeichnete überdies gemeinsam mit fast allen seinen katholischen Freunden die protestantische Erklärung, kraft deren insgesamt 140 Abgeordnete sich ausdrücklich verwahrten „gegen die Auslegung, als enthielte unser Votum die indirekte Anerkennung der Rechtmäßigkeit irgendeines von jener Versammlung seit ihrer Vertagung gefaßten Beschlusses". 1 ) Der demokratische Gedanke also, das preußische Königtum durch Begünstigung der preußischen Nationalversammlung zu treffen, blieb dem Abgeordneten v. Ketteier fremd. Er hat auch jetzt noch rein demokratische Forderungen, wie etwa das Einkammersystem, abgelehnt. Er stimmte sogar am 12. Dezember — gerade von seiner letzten Mainzer Predigt zurückkehrend — für das absolute Veto der Reichsgewalt. Aber als der Antrag in der Minderheit blieb, ist Ketteier nicht jener Erklärung gegen die Folgen dieses Beschlusses beigetreten, die seine unbedingt monarchischen oder entschieden preußisch gerichteten Genossen, Radowitz voran, zusammen mit anderen Anhängern einer starken Monarchie sofort abgaben. Er unterstützte vielmehr jetzt, wie einst in der polnischen Frage von den Freunden getrennt, die demokratischen Bemühungen, das künftige Reichsoberhaupt von dem künftigen Reichstage verfassungsmäßig abhängig zu machen. Ende November hatte Felix Schwarzenberg als Ministerpräsident die Festigung des „verjüngten" Österreich verkündet. Damit war die Ausschließung Österreichs vom Frankfurter deutschen Verfassungswerke wahrscheinlich geworden. Es wirkte die Sorge vor der preußisch-kleindeutschen Lösung der deutschen Frage, wenn Ketteier sich auf der Seite der Demokraten mit dem bloß aufschiebenden Einspruchsrechte der Reichsgewalt einverstanden erklärte 2 ), zuletzt, da die strengeren Fassungen abgelehnt wurden, auch mit der gelinderen, die eine ziemlich bedeutende Mehrheit fand und doch immer noch bei Meinungsverschiedenheiten zwischen Reichstag und Reichsoberhaupt den Willen des Reichstages zum Gesetze machte. Er wurde offenbar getrieben von einer Stimmung, wie sie später im Frühjahr 1849 manche Klerikale zur Annahme des Erbkaiserantrages bewog: das suspensive Veto sollte im voraus wie eine Suspension des preußischen Kaisergedankens wirken; Ketteier durfte sich sagen, daß Friedrich Wilhelm IV. eine Kaiserkrone mit parlamentarischer Hypothek nicht annehmen werde. ' ) St. B. 5, 3475 (21. II.). 2 ) St. B. 6, 4106 (12. 12.). — Z. Folg.: 4120. 8*

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Ketteier hat also auch diesen Paulskirchenkampf nicht ohne politische Gedanken und selbst nicht ohne politische Leidenschaft mitgekämpft. Aber, was ihn, der sich ehrlich auch nach seiner Seelsorge sehnte, bis dicht an Weihnachten heran in Frankfurt festhielt, das war nicht dieser in die Zukunft weisende Kampf, der durch ganz andere als die parlamentarischen Kräfte entschieden werden mußte, waren vielmehr wiederum kirchliche und kirchenpolitische Aufgaben: neben der Mainzer Predigtpflicht die zweite Lesung der Frankfurter Grundrechte. Eben darum unterstützte er auch das demokratische Begehren am 2. Dezember, schon auf die nächste Tagesordnung die Grundrechte statt des Reichstages zu setzen, „weil das Volk mit Ungeduld auf diese Grundrechte wartet". 1 ) Die Zustimmung zu diesem popularitätslüsternen Antrage würde, wenn die geistliche Ungeduld ihn nicht gedrängt hätte, gewiß ihm selbst so fern gelegen haben wie den meisten Mitgliedern des katholischen Vereins; nur Deiters, der Ausschußberichterstatter über die Grundrechte war, und der beharrlich zur Linken haltende Clemens standen neben ihm, während die übrigen gerade durch ihre Stimmen die Ablehnung herbeiführten. Schon am 6. Dezember wurde indessen tatsächlich die zweite Grundrechtsbesprechung in die Beratung über die Reichsverfassung hineingeschoben. Nun zogen noch einmal binnen vierzehn Tagen jene schönen „Grundrechte" vorüber, die allen so erdennahe erschienen und doch auch damals wie im luftleeren Räume über dem noch luftleeren Reiche schwebten. Die Adelsfrage erhob sich jetzt wieder. Der Ausschuß hatte sich im Artikel 2 der Grundrechte auf die Feststellung der Abschaffung der Standesvorrechte und der gesetzlichen Gleichheit der Deutschen beschränkt. 2 ) Der Zusatzantrag Moriz Mohls „Der Adel wird hiermit abgeschafft und darf nicht wieder eingeführt werden" wurde gegen eine starke Minderheit abgelehnt, ebenso der zweite Antrag der Linken, daß alle Adelsbezeichnungen ihre Bedeutung verlieren und vom Staate weder anerkannt noch gebraucht werden sollten. Mit dem zurückhaltenderen Zusätze „Der Adel als Stand ist abgeschafft" hatten die Demokraten Glück; er wurde mit geringfügiger Mehrheit unter dem Beifall der Linken angenommen. Ketteier hatte gegen diese Zusatzanträge gestimmt. Zu dem letzten aber gab er mit 60 anderen Abgeordneten — von seinen katholischen Genossen wieder nur Clemens — die Erklärung ab, nur deshalb dagegen gestimmt zu haben, weil nach der im §7 bereits ausgesprochenen Abschaffung der gesetzlichen Standesunterschiede eine besondere Erwähnung der Aufhebung eines nicht mehr existierenden „Adelsstandes" gänzlich überflüssig sei. Es klingen in dieser Erklärung Gedanken der ungehaltenen Adelsrede Kettelers an. Die Adelsbezeichnungen — sie wurden in der Reichsversammlung St. B. 5, 3791. ») St. B. 5, 3870. — Z. Folg.: 3906, 3915.

Die zweite Lesung der Grundrechte (Adel; Todesstrafe)

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sogar von den Adligen beibehalten, die gegen ihren amtlichen Gebrauch stimmten — ließ er jetzt gelten, aber die Preisgabe der Standesvorrechte wolle er noch einmal geflissentlich betonen. Es ist sehr bezeichnend, daß die übrigen adligen und bürgerlichen Mitglieder des katholischen Vereins, wohl von Radowitz veranlaßt, zusammen mit einigen wenigen anderen Abgeordneten dieser Erklärung noch hinterdrein eine andere entgegenhielten 1 ), die mit Berufung auf die Ablehnung der gegen den Adel als solchen gerichteten Anträge feststellte, daß die Nationalversammlung „den Fortbestand des Adels an und für sich nicht beanstandet" habe. Die Zustimmung einer Zufallsmehrheit zu jenem außerhalb des Zusammenhangs der Abstimmungen mißverständlichen und eben darum der Linken erwünschten Antrage „Der Adel als Stand ist abgeschafft" mußte in der Tat denen, die auch nicht Stimmungszugeständnisse machen wollten, diese ausdrückliche Feststellung näher legen als jene halb entschuldigende Erklärung. Übrigens stimmten bei diesen ersten Grundrechtsfragen noch mehr als sonst in diesem Parlamente der selbständigen Köpfe nicht Parteien, sondern Persönlichkeiten. Demokratische Gleichmacherei lehnte auch Ketteier ab. Er gehörte nicht zu der seltsam zusammengesetzten Mehrheit, die, dem verständigen Ausschußantrage zuwider, am 6. Dezember auch jenes Grundrecht des Revolutionssommers wiederherstellte, daß alle nicht mit einem Amte verbundenen Titel aufgehoben seien und — von neuem erkennt man hier im kleinen die konziliare Ewigkeitsstimmung dieses Parlaments! — „nie wieder" eingeführt werden dürften. Er stimmte auch gegen die demokratischen Ordensvertilgungsanträge*), deren erster, auf Abschaffung der staatlichen Ordensverleihung gerichtet, fiel, während der zweite, der die Annahme ausländischer Orden verbot, eine Mehrheit fand. Die Beseitigung der Todesstrafe blieb wie bei der ersten Lesung bestehen. Man wird Kettelers innere Begründung wohl richtig treffen, wenn man sich die Erwägungen, die einst der junge Karl Hase 8 ) in einer vielbeachteten Schrift gegen die Todesstrafe ins Feld führte, katholisch ergänzt denkt: unbedingte Achtung des Menschenlebens für seine unsterblichen Zwecke, solange Gott und die Natur es bestehen lassen; der Kirche als der Vertreterin Gottes gehört das Leben, das der Staat nicht durch Rechtsspruch kürzen darf. Die meisten katholischen Freunde Kettelers, auch geistliche, dachten schon anders. Die Todesstrafe nach Kriegsrecht versuchte niemand zu beseitigen, und der demokratische Wunsch, dieses Recht auf die Dauer eines Krieges mit auswärtigen Staaten zu beschränken, hatte tatsächlich nur die demokratische Minderheit hinter sich; auch dem allzu offen durch Revolutionsbedürfnisse eingegebenen ») St. B. 5, 3939 (7. 12.). 2 ) St. B. 5, 3920, 3925 (6. 12.). — Z. Folg.: 3944ff. -) Vgl. K. v. Hase, Ideale und Irrtümer (1872) Kap. 7 S. 283 f. (7. Aufl. S. 227 f.).

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Begehren, die Befugnis zur Erklärung des Belagerungszustandes und des Standrechtes nur f ü r Zeiten eines auswärtigen Krieges gelten zu lassen, versagte sich Ketteier mit der gemäßigten Minderheit ebenso, wie dem „ G r u n d r e c h t e " , die Fälle und Formen der Anwendung solcher Rechte durch ein Reichsgesetz bestimmen zu lassen. Die Preßfreiheit wurde nicht u m s t r i t t e n ; nur die Beschränkung auf die Abwehr „vor beugender Maßregeln" gegen die Pressefreiheit veranlaßte eine Plänkelei mit einer kleinen radikalen Gruppe. Die Artikel 5 und 6 des neuen Entwurfes aber, die den früheren Grundrechtsartikeln 3 und 4 des Entwurfes entsprachen, f ü h r t e n wiederum auf den alten K a m p f p l a t z u m Glaubensrechte, Kirche und Schule. Hier begann der Streit sogleich mit den ersten Folgerungen aus der zur Selbstverständlichkeit gewordenen, zwar nicht von allen gebilligten, aber doch von niemand, vollends nicht mit kanonischen Satzungen offen angefochtenen Anerkennung der vollen Glaubensund Gewissensfreiheit jedes Deutschen, „Niemand ist verpflichtet, seine religiöse Überzeugung zu offenbaren, oder sich irgendeiner religiösen Genossenschaft anzuschließen". So lautete der zweite Absatz des einleitenden P a r a g r a p h e n . Er h a t t e vielfach Anstoß gegeben, h a t t e , wie der Verfassungsausschuß selbst erklärte, als eine Art Proklamierung des Indifferentismus das religiöse Gefühl vieler Deutschen verletzt, wie die zahlreichen Eingaben zeigten. Die Mehrheit des Ausschusses strich den Satz, da sie der Überzeugung war, dem religiösen Gefühle Rechnung tragen zu können, ohne irgendwie das Prinzip der Freiheit zu verletzen. Man erkennt aus diesen und anderen Änderungen die Wirkungen der katholischen Wünsche, die draußen, in der Versammlung, im Verfassungsausschusse geäußert worden waren. Demokraten aber verurteilten gerade auch derartige kirchenfreundliche Beschlüsse als einen Rückfall, wie sie denn überhaupt in der zweiten Bearbeitung der Grundrechte eine Umgestaltung „im Sinne der vorrevolutionären, polizeistaatlichen Auffassungsweise" sahen und d a r u m den durch Venedeys leidenschaftliche Rede vom 6. Dezember begründeten Antrag stellten, einen neuen, im Geiste der ersten Grundrechtslesung arbeitenden Ausschuß zu ernennen. Dieser Vorstoß scheiterte, aber die von der Minderheit des Verfassungsausschusses vorgeschlagene Wiedereinsetzung jener Worte über die Offenbarung der religiösen Überzeugung erhielt eine knappe Mehrheit, während der dem katholischen E m p f i n d e n noch unerfreulichere Satz über die „religiöse Genossenschaft" fiel. Rücksicht auf kirchliche Ansprüche bewies die Ausschußmehrheit auch bei der Überarbeitung des § 14. Sie beließ die Erklärung „ E s besteht fernerhin keine Staatskirche", beseitigte aber den einschneidenden Satz „Keine Religionsgesellschaft genießt vor anderen Vorrechte durch den S t a a t " . Die Minderheit des Ausschusses aber legte den Satz, der sich aus den liberalen Grundgedanken ohne weiteres ableiten ließ,

Änderungen an den grundrechtlichen Kirchenbestimmungen

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von neuem vor und sie kam z u m Ziele. 1 ) Die fast geschlossene Gegners c h a f t der Klerikalen gegen diese Bestimmung erklärt sich aus dem Wunsche, in der Reichsverfassung, die eine unbeschränkte Kirchenfreiheit versagte, nicht auch noch die bestehenden kirchlichen Vorrechte grundsätzlich beseitigen zu lassen. Ketteier wird bei der Ablehnung auch von seinem Abscheu vor einer Gleichstellung des Deutschkatholizismus und ähnlicher Gemeinschaftsbildungen mit seiner Kirche angetrieben worden sein. Der Gleichheitsstandpunkt, den seine Septemberrede aus taktischen Gründen so übereifrig in den Vordergrund geschoben hatte, galt ihm jetzt jedenfalls nicht als Hindernis, und er wie seine Gesinnungsgenossen zeigten mit dieser Abstimmung, d a ß sie nicht den Anspruch erhoben, als grundsätzliche Anhänger der T r e n n u n g von Staat und Kirche zu gelten. Bei der zweiten Lesung des alten Artikels IV der Grundrechte, a m 15. Dezember, versuchten die Klerikalen noch einmal, ihre Auffassung vom Schul- und Unterrichtswesen einigermaßen durchzusetzen. Ketteier, ihr rednerischer F ü h r e r bei der ersten Lesung, stand offenbar auch bei der Vorbereitung der Anträge zur zweiten Lesung voran. Nach dem § 23 der neuen Ausschußfassung sollte die Bestimmung des alten § 18 „ D a s gesamte Unterrichts- und Erziehungswesen steht u n t e r der Oberaufsicht des Staates und ist der Beaufsichtigung der Geistlichkeit als solcher entzogen" — durch Weglassung des Wörtchens „ges a m t e " aus Rücksicht auf die Familienerziehung, durch Z u f ü g u n g der Worte „abgesehen von theologischem und Religionsunterricht" im letzten Satzteile aus Rücksicht auf die Kirche geändert werden. Gegen diese neue Zufügung erhoben sich radikale, gegen den ganzen zweiten Absatz der klerikale Antrag, der also nur die jetzt nicht mehr zu umgehende Oberaufsicht des S t a a t e s anerkennen sollte. Diese Anträge wurden verworfen, die des Ausschusses angenommen. Dem ersten Teile des alten § 18 entsprach §24 der neuen Fassung: „ U n t e r r i c h t s - u n d Erziehungsanstalten zu gründen und an solchen Unterricht zu erteilen, steht jedem Deutschen frei, wenn er seine sittliche und wissenschaftliche (oder technische) Befähigung der betreffenden Staatsbehörde nachgewiesen h a t . " Ein klerikaler A n t r a g wollte hier den bösen Bedingungssatz beseitigen. Dieser Antrag, wie der erste, wird in den Verhandlungen als „Amendement Phillips und Genossen" bezeichnet. Ein kleiner parlamentarischer Zufall läßt uns indessen vermuten, daß Ketteier hier der Treibende war. Der Vizepräsident Beseler vergaß es, diesen A n t r a g zu verlesen. Da erinnerte Ketteier daran 2 ) und bat, dem Antrage, „der von mir mit mehreren anderen gestellt worden ist", als d e m weitest gehenden die erste Stelle bei der A b s t i m m u n g einzuräumen. Man mag im katholischen Verein erwartet haben, f ü r diesen Antrag, der in der Tat die größte Bewegungsfreiheit ließ, die Radikalen alle *) St. B. 6, 4127. 2 ) St. B. 6, 4142 (15. 12. 48). — Z. Folg.: 4157 ff.

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u n d noch etliche individualistische Theoretiker zu gewinnen. Aber den D e m o k r a t e n , die d u r c h p a r l a m e n t a r i s c h e Z u g e s t ä n d n i s s e a n die kirchlichen M ä c h t e ohnedies gereizt waren, schien er eben als klerikaler Vorschlag schon v e r d ä c h t i g . Er h a t t e so wenig Erfolg, wie der gleichfalls u n t e r d e m N a m e n Phillips gehende E v e n t u a l a n t r a g , der bescheidenste u n t e r den i m m e r bescheidener w e r d e n d e n Versuchen, einen Rest der klerikalen Schulpläne zu r e t t e n : m a n wollte den Befähigungsnachweis v o r der S t a a t s b e h ö r d e ausdrücklich auf eine öffentliche P r ü f u n g d u r c h eine d e u t s c h e Prüfungskommission b e s c h r ä n k t wissen. Bei der Erfolglosigkeit aller dieser B e m ü h u n g e n war es ein kleiner T r o s t wenigstens, d a ß der radikal-individualistische, antiklerikale zugleich u n d a n t i s e m i t i s c h e Moriz Mohl 1 ) mit seinem A n t r a g e n i c h t d u r c h d r a n g , die kirchlichen B e h ö r d e n (abgesehen v o m Religionsunterricht) und die Orden von d e m R e c h t e der S c h u l g r ü n d u n g , Schulleitung u n d U n t e r r i c h t s e r t e i l u n g eigens a u s z u n e h m e n , vorbehaltlich gesetzlicher Bestimm u n g e n . Übrigens w u r d e schließlich nicht die v o m Verfassungsausschusse, sondern die v o m Schulausschusse empfohlene F a s s u n g a n g e n o m m e n , die n u r den Nachweis der „ B e f ä h i g u n g " schlechthin f o r d e r t e ; die Klerikalen, u n t e r ihnen Ketteier, s t i m m t e n gegen diesen A n t r a g u n d ließen so erkennen, d a ß es ihnen bei ihrem E v e n t u a l a n t r a g eben lediglich u m den Zusatz über die P r ü f u n g zu t u n war. Die beiden G r u n d r e c h t s b e s t i m m u n g e n erster Lesung ,,Die ö f f e n t lichen Lehrer h a b e n die Rechte der S t a a t s d i e n e r . Die Gemeinden wählen a u s den G e p r ü f t e n die Lehrer der Volksschulen" h a t t e der V e r f a s s u n g s a u s s c h u ß f ü r die zweite Lesung fallen lassen, mit B e r u f u n g a u c h auf die e i n a n d e r widerstreitenden Eingaben. Aber g e m ä ß d e m Vorschlage des Schulausschusses wurde der erste Satz nach Abweisung der w e i t e r g e h e n d e n demokratischen F o r d e r u n g einer V e r s t a a t l i c h u n g aller Volksschulen genau im alten W o r t l a u t e mit großer Mehrheit wiederhergestellt, der zweite Satz aber d u r c h die s t a a t s f r e u n d l i c h e r e V o r s c h r i f t ersetzt „ D e r S t a a t stellt u n t e r gesetzlich g e o r d n e t e r Beteilig u n g der Gemeinden a u s der Zahl der G e p r ü f t e n die Lehrer der Volksschulen a n " . K e t t e i e r h a t mit fast allen seinen katholischen F r e u n d e n gegen diese A n t r ä g e g e s t i m m t . Sie widersprachen d u r c h a u s der von ihm zwei M o n a t e zuvor mit werbender Beredsamkeit verfochtenen F o r d e r u n g , die Volksschulen zu Gemeindeschulen zu machen. Diese F o r d e r u n g w a r bei der zweiten Lesung wiedergekehrt in dem Zus a t z a n t r a g e der hier dem N a m e n nach von Phillips g e f ü h r t e n G r u p p e . J e t z t , d a die Entschlüsse der V e r s a m m l u n g über den A n t r a g hinweggegangen w a r e n , zog Phillips ihn zurück, nicht ohne d e m notwendigen Verzichte einen volkstümlichen Schein zu geben, mit der spitzigen E r k l ä r u n g : „weil d u r c h die hohe N a t i o n a l v e r s a m m l u n g den Gemeinden nicht die b e a n t r a g t e n Rechte zugestanden worden sind, so wollen Vgl. U m p p 2 0 2 ff.

Letzte Parlamentskämpfe um die Schule. Mandatsniederlegung

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wir ihnen auch nicht neue Pflichten a u f l e g e n . " 1 ) Einige kleine Erfolge e r r a n g e n immerhin K e t t e i e r und seine Genossen v o n der katholischen Vereinigung noch zuletzt. Eben durch den Ausschlag ihrer S t i m m e n w u r d e der aller kirchlichen Auffassung grundsätzlich widersprechende A n t r a g des Schulausschusses „Die öffentlichen Schulen d ü r f e n nicht konfessionell s e i n " zu Fall g e b r a c h t . Auch die F o r d e r u n g desselben Ausschusses „ B e s o n d e r e Schulen f ü r Kinder a r m e r E l t e r n (sog. A r m e n schulen) und geschlossene Waisenhausschulen d ü r f e n nicht b e s t e h e n " unterlag, freilich n u r einer Zufallsmehrheit von a c h t S t i m m e n ; d a m i t blieben solche Schulen, die auf kirchlichen S t i f t u n g e n r u h t e n , kirchlichem Einflüsse u n t e r s t a n d e n , grundsätzlich gesichert. Schließlich s c h e i t e r t e auch der d e m o k r a t i s c h e Versuch, die v o m Verfassungsauss c h u ß beseitigte grundrechtliche V e r b a n n u n g der J e s u i t e n und verw a n d t e r Orden wieder in die G r u n d r e c h t e h i n e i n z u b r i n g e n ; einige D e m o k r a t e n sogar h a b e n das u m des Prinzips der Freiheit willen abgelehnt. Diese letzten S c h u l k ä m p f e spielten sich a m 15. Dezember a b . An diesem Tage bereits war die B e r u f u n g Heinrichs von Gagern in das Reichsministerium, die erst a m 18. förmlich vollzogen w u r d e , eine f e s t s t e h e n d e T a t s a c h e . Am 16. w u r d e sie z u s a m m e n m i t der E n t l a s s u n g Schmerlings der Paulskirche angezeigt. Diesem f ü r alle F r e u n d e einer preußischen Reichsleitung verheißungsvollen und feierlichen Augenblicke, da Gagern selbst sich d e m P a r l a m e n t e als den Minister d e r Z u k u n f t vorstellte, ist Ketteier geflissentlich a u s dem Wege geg a n g e n . E r erschien zu Beginn der Sitzung a m 16. Dezember, a b e r er verließ sie sogleich wieder. Er s t a n d f o r t a n in keiner anderen Verb i n d u n g mit d e m P a r l a m e n t e , als d a ß a m 17. Dezember sein Urlaubsgesuch f ü r einen Monat genehmigt wurde, und d a ß a m 22. J a n u a r 1849 der P r ä s i d e n t E d u a r d Simson der V e r s a m m l u n g mitteilte, H e r r von Ketteier, A b g e o r d n e t e r a u s dem preußischen Westfalen, habe sein M a n d a t niedergelegt. Es war die p a r l a m e n t a r i s c h e Flucht aus der d e u t s c h e n Reichsversammlung, die ein preußisches Deutschland schaffen zu wollen schien, es war die priesterliche R ü c k k e h r in den preußischen S t a a t , der jeglicher priesterlichen T ä t i g k e i t freie Bahn verhieß. In F r a n k f u r t war um die D e z e m b e r m i t t e alles durch den Gegensatz zwischen G r o ß d e u t s c h und Kleindeutsch zerrissen. P a r t e i g e m e i n s c h a f t e n u n d persönliche Verbindungen lösten sich. Der katholische Verein hörte auf zu b e s t e h e n . Er h a t t e i m m e r unpolitisch sein wollen. Gerade weil er wirklich u n politisch war, k o n n t e er sich nicht länger b e h a u p t e n . M a x von Gagern neben Büß, R a d o w i t z neben Reichensperger — das v e r t r u g sich j e t z t nicht mehr. Es k a m auch nicht zu der klerikalen P a r t e i b i l d u n g , wie ') St. B. 6, 4167.

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I 2: Die Revolutionszeit: Der Frankfurter Abgeordnete. Der Berliner Propst

sie ein Vierteljahr vorher Kettelers politische G e d a n k e n b e s c h ä f t i g t h a t t e . Die Masse der Klerikalen ging in der Masse der G r o ß d e u t s c h e n a u f . Eine u n m i t t e l b a r kirchliche F r a g e war nicht mehr gestellt. Mit den Kirchen- und Schulrechten h a t t e m a n a m 15. Dezember abgeschlossen. F ü r den Rest der G r u n d r e c h t e — Eigentums-, J a g d r e c h t e u. dgl. — b e d u r f t e m a n keines katholischen Vereins mehr, und a m 21. Dezember, als Ketteier, a m Tage n a c h seiner letzten Mainzer D o m p r e d i g t , auf d e m Wege in sein Pfarrdorf war, w u r d e n die G r u n d r e c h t e mit der A b s t i m m u n g über das E i n f ü h r u n g s g e s e t z auch förmlich abgeschlossen. Der katholische Verein, der in der Stille e n t s t a n d e n w a r und in der Stille verschwand, h a t seine Ziele nicht erreicht. Aber die zweite Lesung der G r u n d r e c h t e h a t t e einzelne Ä n d e r u n g e n in seinem Sinne h e r b e i g e f ü h r t , und die maßvolle R e i c h s t a g s m e h r h e i t d u r f t e sich mit R e c h t sagen, in der allgemeinen Freiheit auch die kirchliche genügend gesichert zu h a b e n , wenn sie in den G r u n d r e c h t e n die Kirche lediglich den „ a l l g e m e i n e n " Gesetzen u n t e r o r d n e t e . D a s alles indessen waren n u r Formeln und Sätze. Sie b e d e u t e t e n wenig in ihren E i n s c h r ä n k u n g e n , wenig in ihren Verheißungen. Der große Gewinn f ü r die Männer der Kirche lag nicht in F r a n k f u r t sondern in Berlin. A m 5. Dezember 1848 w u r d e die preußische Verfassung veröffentlicht. Auch sie e n t s p r a n g im politischen Sinne a u s d e m preußisch-deutschen, d e m preußisch-österreichischen Ringen. Berlin schien F r a n k f u r t zugleich und Wien überwinden zu wollen. Diese Verfassung war von der K r o n e d e m Lande auferlegt worden, aber sie a t m e t e liberalen Geist, und dieser preußische liberale Geist h a t t e , u n b e k ü m m e r t e r als die sorglich wägende d e u t s c h e G e m e i n s c h a f t in F r a n k f u r t , auch der stärksten selbständigen Macht im S t a a t e eine V e r w a l t u n g s f r e i h e i t gewährt, die d u r c h keine S t a a t s v e r w a l t u n g sollte g e h e m m t werden dürfen. „ D i e evangelische und die römisch-katholische Kirche sowie jede a n d e r e Religionsgesellschaft o r d n e t und v e r w a l t e t ihre Angelegenheiten selbständig u n d bleibt im Besitz und Genuß der f ü r ihre Kultus-, U n t e r r i c h t s - und Wohltätigkeitszwecke b e s t i m m t e n A n s t a l t e n , Stift u n g e n und F o n d s . " So l a u t e t e Artikel 12 der p r e u ß i s c h e n Verf a s s u n g . Hier k e h r t e der F r a n k f u r t e r S a t z von der Selbständigkeit kirchlicher V e r w a l t u n g wieder, doch o h n e die F r a n k f u r t e r Einschränkung, und hier ward der Besitzstand der Kirche v e r b ü r g t . Der preußische König g a b der katholischen Kirche seines L a n d e s mehr, als die katholischen Abgeordneten vom d e u t s c h e n P a r l a m e n t e je zu erwarten g e w a g t h a t t e n . Hier waren die H e r z e n s w ü n s c h e der F r a n k f u r t e r Klerikalen e r f ü l l t : die selbständige u n d doch privilegierte Kirche war in ihrer Freiheit a n e r k a n n t , — sie w a r a n e r k a n n t n i c h t von einem staatenlosen P a r l a m e n t e , sondern von der s t ä r k s t e n politischen Macht, die es d a m a l s auf d e u t s c h e m Boden g a b . So k o n n t e Ketteier der rasch in O h n m a c h t v e r s i n k e n d e n kirchlich gleichgültig gewordenen Reichsversammlung den R ü c k e n zukehren

Die preuß. Kirchenparagraphen.

Aulike als Leiter der Kathoi. Abteilung

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und sich d e m Staate zuwenden, dessen Dasein selbst er ein halbes J a h r zuvor in katholischer Reichsstimmung unbedenklich geopfert haben würde, dem er auch jetzt noch mit politischem Argwohn gegenüberstand, der nun aber das Land der kirchlichen ,,Magna Charta" geworden war. In Preußen erhielt der Dorfpfarrer Freiherr von Ketteier wenige Monate nach seinem Verzicht auf die Abgeordnetentätigkeit und doch nicht zuletzt d a n k dieser Tätigkeit die bedeutendste katholische Pfarrei, die in der preußischen Monarchie überhaupt bestand. Eben als Pfarrer von St. Hedwig in Berlin freilich sollte er erfahren, d a ß auch in Preußen, den günstigen Verfassungsbestimmungen z u m Trotz, die Bürokratie noch die Kirche u m k l a m m e r t hielt. Er lernte die altpreußischen Verwaltungsmächte in ihrer Einwirkung auch auf die kirchlichen Verhältnisse aus der Nähe kennen und suchte sich mit ihnen auseinanderzusetzen; so erscheint in dem Berliner Propste der „ s t r e i t b a r e " Bischof der Kirchenpolitik vorgezeichnet.

Die B e r u f u n g Kettelers nach B e r l i n war vor allem das Werk des Geheimen Oberregierungsrates Matthias A u l i k e 1 ) aus dem preußischen Kultusministerium. Mitglied der Paulskirche und des katholischen Vereins zu F r a n k f u r t , h a t t e Aulike, vier J a h r e vor Ketteier in Münster geboren, f a s t gleichzeitig mit seinem geistlichen Landsmanne, dem er noch in den letzten K ä m p f e n u m die Schulrechte eng verbunden war, den Abschied aus der Nationalversammlung genommen. Aulike, seit März 1839 Hilfsarbeiter im Kultusministerium, seit J a n u a r 1841 vortragender R a t in der neuen katholischen Abteilung, seit Oktober 1846 ihr tatsächlicher Leiter, war ein strenger Katholik. Nicht ohne Staatsgesinnung, recht von innen her auf den Ausgleich zwischen Kirche und S t a a t gerichtet, wurde er doch in der Tiefe so sehr durch kirchliche Gedanken beherrscht, d a ß er ganz wesentlich aus ihnen heraus seine Vorstellung von diesem Ausgleich bildete und auch da noch mit kirchlichen Begriffen arbeitete, wo er lediglich politisch zu denken meinte. Er brauchte in sich selbst einen Kampf zwischen weltlichem und kirchlichem Staatsbegrifffe nicht erst d u r c h z u k ä m p f e n ; indem er d e m katholischen Ideale diente, glaubte er zugleich dem wahren Wohle des S t a a t e s zu dienen. Er h a t t e zu viel bürokratisches Selbstgefühl, um jede Meinungsverschiedenheit, jede S p a n n u n g zwi') Lebensdaten: R. Lüdicke, Die preuß. Kultusminister u. ihre Beamten (1918) S. 25. — Vgl. die Briefe bei Pfülf, Geissei (s. Register); J. F. v. Schulte, Leb. erg. 1, 6 3 f f . ; Friedrich, Döllinger 1, 361 u. 3, 1 9 2 f f . ; J. Jung, Ficker 68 f.; Pastor, Gagern 279 u. 328; Sepp 117; Hertling, Erg. 1, 57. Auch: O. Mejer, Z. Naturgesch. d. Zentrums (1882) S. 28; Hase, Polemik «580; Treitschke 5, 298 (vgl. 4, 714). Mz. J. 1867 Nr. 242 (Denkmal für den 1865 verstorbenen Aulike).

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1 2 : Die Revolutionszeit: Der Frankfurter Abgeordnete. Der Berliner Propst

sehen R e g i e r u n g u n d E p i s k o p a t ohne weiteres der weltlichen Seite zur L a s t zu legen, a b e r j e d e n tieferen geistlich-weltlichen W i d e r s t r e i t ü b e r w a n d er persönlich im kirchlichen Geiste. Da er die K i r c h e n freiheit im bischöflichen Sinne zu fassen w ü n s c h t e , w a r er willens, in e n g s t e r F ü h l u n g mit den Bischöfen zu h a n d e l n . U n t e r o r d n u n g u n t e r die b e r u f e n e n F ü h r e r der Kirche m u ß t e ihm m e h r b e d e u t e n als U n t e r o r d n u n g u n t e r weltliche Gewalt. Er e m p f a n d es nicht als eine Verletzung seines Amtseides, sondern lediglich als E r f ü l l u n g einer Christenpflicht, wenn er das, was ihm dienstlich b e k a n n t w u r d e , in v e r t r a u l i c h e n P r i v a t b r i e f e n d e m Kölner Erzbischofe w e i t e r g a b . Geissei, der ihn schon seit d e m J a h r e 1841 als einen „sehr b r a v e n " K a t h o l i k e n k a n n t e und ihm f r e u n d s c h a f t l i c h v e r b u n d e n w a r , erhielt d u r c h ihn einen u n m i t t e l b a r e n Einblick in die Ministerialgeschäfte, u n d d a s bed e u t e t e bei einem Manne von der kraftvollen G e w a n d t h e i t Geisseis m e h r als bloßes Z u s c h a u e n . Vielleicht ohne sich dessen b e w u ß t zu werden, w u r d e Aulike gelegentlich a u s einem Ministerialräte z u m erzbischöflichen R a t . W e n n er sich mit g u t e m R e c h t ein V e r d i e n s t an den preußischen K i r c h e n p a r a g r a p h e n zuschrieb 1 ), so steckte in seinen B e m ü h u n g e n a u c h ein S t ü c k des Willens und der G e d a n k e n des Erzbischofs von Köln, der gerade im F r ü h j a h r und im Sommer 1848 s t e t s in F ü h l u n g mit ihm blieb. Des geistlichen Antriebes h a t es bei diesem M a n n e k a u m b e d u r f t . Seine Abneigung gegen staatliche B e v o r m u n d u n g der Kirche glich der des Erzbischofs. Schon vor d e n M ä r z t a g e n v e r t r a t er g e g e n ü b e r d e m K u l t u s m i n i s t e r von R a u m e r eifrig den katholischen S t a n d p u n k t . J e t z t , u n t e r Ladenberg, der das R h e i n l a n d a u s f r ü h e r e r T ä t i g k e i t k a n n t e , aber d e m Kölner Erzbischof als ein besonders g e f ä h r licher B ü r o k r a t der alten Schule erschien, hielt Aulike vollends entschlossen an seiner katholischen A u f f a s s u n g fest. Es bezeichnet seine G r u n d a n s c h a u u n g , d a ß er wie den unkirchlichen B ü r o k r a t i s m u s in P r e u ß e n , so den scheinkirchlichen J o s e p h i n i s m u s in Österreich als den Feind a n s a h , dessen B e k ä m p f u n g ihm eine A u f g a b e von weltgeschichtlicher B e d e u t u n g war. Aus dieser seiner kirchlichen G e d a n k e n w e l t h e r a u s ist Aulikes B e m ü h u n g u m Ketteier zu verstehen. 2 ) Der P r o p s t B r i n k m a n n von St. H e d w i g h a t t e sich schon im F r ü h j a h r 1847 nach seiner westfälischen H e i m a t z u r ü c k g e s e h n t . In den F r a n k f u r t e r M o n a t e n beschäftigten also den Leiter der katholischen Abteilung seit langem die Gedanken an die N e u b e s e t z u n g der wichtigen Stelle. Sobald B r i n k m a n n v o m König ein K a n o n i k a t a m Dom zu Münster erhalten h a t t e , w u ß t e Aulike den Minister u n d a u c h Kettelers geistliche Oberen f ü r seinen Plan zu gewinnen. Die Propstei u n t e r s t a n d dem Fürstbischof v o n Breslau. D i e p e n b r o c k h ä t t e gern einen Schlesier nach Berlin g e b r a c h t . Er war x ) Schulte a. a. O.; Meineckes Vermutung (Weltbürgert. *431) darf also bestimmter gefaBt werden. 2 ) Z. Folg.: Br. 168—183; Pfülf 1, 176 ff.

Aulike und Kettelers Berufung auf die Berliner Propstei

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auch nicht frei von Sorge vor dem Temperamente seines westfälischen Landsmanns 1 ), aber Aulike vermochte ihn in mündlicher Besprechung sofort, einer Berufung Kettelers beizustimmen. Auch die Einwilligung des zuständigen Diözesanbischofs (Bischof MQller von Münster hatte gleichfalls der Frankfurter Nationalversammlung angehört) war in Aulikes Hand, als er sich an Ketteier wandte. Der so sorgsam vorbereitete Werbezug vom April 1849 führte dennoch über allerlei Umwege, die mit der Haltung Kettelers zugleich wieder seine kirchliche Wesensart erkennen lehren. Aulike legte der amtlichen Anfrage vom 11. April ein vertrauliches Schreiben bei, das vor allem auf den Seelsorgerdrang des Umworbenen berechnet war. Diesem Briefe folgten, noch ehe Kettelers Antwort nach Berlin kam, freundlich mahnende Worte Brinkmanns, den Ketteier fünf J a h r e zuvor als den zweiten Kaplan in Beckum kennengelernt hatte, dann, gleichzeitig mit einem neuen Briefe Aulikes, ein von diesem veranlaßtes Schreiben des Bischofs von Münster. Der Bischof machte die inzwischen von Ketteier ausgesprochene Ablehnung zur moralischen Unmöglichkeit, indem er erklärte, er erkenne in dem Rufe die Fügung Gottes und müsse es als Versündigung gegen höhere Interessen der Kirche ansehen, wenn er ihm nicht unbedingt zur Annahme riete; es gäbe auf dem ganzen europäischen Kontinent keinen Missionsort, der jetzt mehr ins Auge gefaßt zu werden verdiene als Berlin. Das gerade war das rechte Wort für Ketteier. Er hatte gegen Aulikes Antrag ernsthafte Erwägungen aufgeführt: die Liebe zu seiner Pfarrei, seine mangelhafte wissenschaftliche Ausbildung, Neigung zum Landleben, Sorge vor dem großen Geschäftsbetriebe der Propstei, sein Widerstreben gegen jede schweigende Unterordnung, vor allem seine Furcht, der Gemeinde kein wahrer katholischer Seelenhirt werden zu können. Es sind, in persönlicher Ausprägung, die althergebrachten Züge geistlicher Demut, die der innerlichen Bereitschaft ohne klügelnde Berechnung die freie Übertragung nach außen versagen. Ein geistliches Pflichtgefühl, dem durch die Mängel des eigenen Ich das Recht auf selbständiges, freies Ergreifen einer höheren Stellung verwirkt erschien, das ihm höchstens erlauben wollte, s t a t t der Pfarrseelsorge die weniger verantwortliche Volksmission auf sich zu nehmen, überhaupt: jener mittelalterlich-mönchisch bewußte Verzicht auf die Freiheit der Entscheidung, der schon seinen Übergang von der Welt zur Kirche kennzeichnete, beherrschte auch jetzt seine Haltung, gewiß nicht ohne leicht umspielt zu werden von dem Gefühle mönchischer Befriedigung über diese Selbstentäußerung und von dem Gedanken an den vorauszusehenden Inhalt der fremden Entscheidung. Einem kirchlich erfahrenen Manne wie Aulike wäre das alles wohl deutlich geDer Domherr Förster (Diepenbrocks Nachfolger) bei der Besprechung über die Nachfolgerschaft Diepenbrocks zu dem Reg.-Präs. v. Zedlitz-Trützschler, Anf. März 1853 (Bericht v. Zedl. a. d. Minist.: Akten des preuß. Kultusmin.).

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12: Die Revolutionszeit: Der Frankfurter Abgeordnete. Der Berliner Propst

worden, auch wenn Ketteier nicht ausdrücklich bemerkt hätte: „Nur wenn ich den Befehl meines geistlichen Obern vor mir habe und so den Willen Gottes in ihm vernehmen muß, werde ich mich blindlings jedem Berufe hingeben." Diese Erklärung, die aus der Ablehnung tatsächlich schon eine Zusage machte, steht nur scheinbar in Widerspruch zu der geistlichen Selbstverwerfung, ist in Wahrheit aber ein notwendiges Stück von ihr und t r a t darum auch in gleicher Weise bei Kettelers Ernennung zum Bischöfe hervor; der Antrieb von außen, der autoritative Spruch erst kann der im geheimen, halb unter der Schwelle des Bewußtseins lebendigen Erwartung in der Gestalt des geistlichen Gehorsams ans Licht helfen und ihr zugleich höhere Berechtigung verleihen. Wenige Tage, nachdem Aulike die verheißungsvolle Ablehnung Kettelers mit dem richtigen Verständnisse beantwortet hatte, fügte sich Ketteier willig dem erwarteten Winke seines Diözesanbischofs — der Bischof bezeichnete ja ganz unmittelbar auch die Berliner Seelsorge als Missionsposten — und dem erbetenen Rate eines benachbarten Jesuiten. Am 3. Mai 1849 erklärte er sich zur Annahme bereit. Dem formlos freundschaftlichen Briefe an Aulike folgte — auch das ist bezeichnend für Kettelers Art — erst auf Aulikes Mahnung am 10. Mai die förmliche Zusage. Am 15. Mai beantragte das Kultusministerium beim Könige die Ernennung Kettelers zum Propste. Der von Aulike verfaßte Bericht 1 ) geht näher auf das Persönliche ein, als es wohl sonst bei solchen Vorschlägen der Fall sein mochte. Jetzt, da mit dem nahenden Ende der Reichsversammlung allenthalben wieder die Revolution drohte, durfte sich der Leiter der katholischen Abteilung bei einem Monarchen von der Art Friedrich Wilhelms IV. einen besonderen Erfolg versprechen, wenn er von dem Pfarrer Freiherrn von Ketteier zu melden wußte: „Vorzüglich hat sein Bestreben, für das Wohl der Armen und Leidenden zu wirken, sowie seine Kanzelgabe Anerkennung gefunden. Er hat sich dabei, worauf unter den jetzigen Zeitverhältnissen besonderer Wert gelegt werden muß, als ein Mann von entschiedenem politischem Charakter und treuer Ergebenheit bewährt, wovon unter anderem sein Verhalten bei der deutschen Nationalversammlung zu Frankfurt, der er im vorigen Jahre einige Monate lang als Deputierter angehörte, und besonders der sittliche Ernst und Mut Zeugnis ablegt, mit welchem er bei der von ihm geleiteten feierlichen Beerdigung des Fürsten Lichnowsky und Generals von Auerswald seinen Uberzeugungen öffentlich kräftigen Ausdruck gab." Ein Abdruck der Grabrede wurde vorgelegt. So warben die Worte, die den Radikalen und Unchristlichen innerhalb und außerhalb des Parlaments Fehde angesagt hatten, jetzt für Ketteier bei dem Könige, der soeben die Krone des Parlamentsreiches abgelehnt hatte. Bereits am 19. Mai hat FriedAkten des preufi. Kultusmin.

Kettelers Klagen über die Verfassung der Hedwigskirclie

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rieh Wilhelm, der ohnedies f ü r einen Geistlichen vom westfälischen Adel angetan sein mußte 1 ), die E r n e n n u n g vollzogen. Im September 1849 siedelte der Propst v. Ketteier nach Berlin über. D a ß er in eine fremde Welt g e f ü h r t werde, war ihm von vornherein klar. Sein reizbares geistliches E m p f i n d e n wurde schon durch die Form der Berufung verletzt. Er k a n n t e von der Heimat her den P a t r o n a t . Dort pflegten es gute Katholiken zu sein, die das Besetzungsrecht übten, und geistliche Berater sorgten d a f ü r , d a ß die weltlichen Hände ohne Verstoß gegen kirchliche Vorschrift a r b e i t e t e n ; Kettelers eigene Pfarrei Hopsten h a t t e den ihm verwandten Grafen Ferdinand Galen zum Patron. 2 ) Die Berliner Hedwigskirche aber u n t e r s t a n d dem P a t r o n a t e des protestantischen Königs. Ketteier, der das geistliche Urteil anderer an die Stelle des eigenen gesetzt h a t t e , der nun vom Fürstbischof Diepenbrock die geistliche B e r u f u n g erwartete, empfand es bitter, vom preußischen Kultusminister über seine E r n e n n u n g durch den König unterrichtet zu werden. 3 ) In der charaktervollen Entschiedenheit, die ihn dort niemals im Stiche ließ, wo er kirchliche Rechte berührt glaubte, h a t er nicht nur dem Breslauer Bischof über diese Verletzung des Kirchenrechtes lebhaft geklagt, sondern zugleich in einem kühlen Antwortschreiben an das Kultusministerium die königliche „ E r n e n n u n g " zur „ P r ä s e n t a t i o n " zurückgeschraubt und, s t a t t seine ergebenste Dankbarkeit f ü r die königliche „ Ü b e r t r a g u n g " der Propstei auszusprechen, vielmehr in priesterlich überlegener Bestimmtheit der Regierung zu verstehen gegeben, d a ß n u r der Bischof ihm ein kirchliches A m t zu verleihen oder zu versagen habe. Zum Widerstande gegen ein S t a a t s k i r c h e n t u m , das ihm in die heiligen Bischofsrechte einzugreifen schien, h a t er d a n n alsbald von Berlin aus den Fürstbischof angerufen. E r bestritt nicht weniger als die ganze staatlich geregelte Grundlage der Stellung des Pfarrers zu St. Hedwig; sie stehe „im Widerspruch mit der göttlichen Autorität der Kirche". Über Vermögensverwaltung nicht allein, sondern gar über Gottesdienstordnung und Seelsorge g a b das vom Kultusministerium im November 1812 erlassene „ S t a t u t " die Vorschriften. Diese T a t sache schon war ihm Beweis genug f ü r die Nichtigkeit dieser Verordn u n g ; bischöfliche Befugnis sah er hier willkürlich durch den S t a a t ausgeübt. Er würde vielleicht das grundsätzliche Verwerfliche eher hingenommen haben, wenn ihn das S t a t u t nicht zugleich in seiner pfarrherrlichen Stellung beengt h ä t t e . Er bemerkte, d a ß in der gesamten Verwaltung des Kirchenwesens, in den Fragen des Gottesdienstes, des Kirchschmuckes, des Schulunterrichts nicht der Pfarrer ') Du Thil, Denkw. 210. Vgl. Treitschke 4, 690. 2 ) Vgl. K. an Galen 6. 6. 49: Pfülf 1, 179 f. 3 ) Z. Folg.: Br. 184ff. Nr. 88 (mit Lücken), 90, 92.

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12: Die Revolutionszeit: Der Frankfurter Abgeordnete. Der Berliner Propst

bestimmte, sondern der Mehrheitsbeschluß des Kirchenkollegs, in dem der Pfarrer nur eine Stimme hatte. Selbst die Stellung des Pfarrers zu den Kaplänen, die kirchlichen Aufgaben des Propstes und der Kapläne fand er durch das Statut bestimmt und abgegrenzt. Das gerade traf ihn aufs tiefste, daß er hier die Aufgaben der Seelsorge durch tote Vorschriften, durch einen Geschäftsmechanismus gehemmt sehen mußte. Sein starkes, auch auf starkes Pflichtgefühl gegründetes Selbstbewußtsein, das er in unbewußter Entfaltung seines innerstens Wesens garnicht als Widerspruch zu seiner stets bereiten Selbstentaußerung empfinden konnte, ließ ihn die persönliche Bindung an den ,, Schleppweg kollegialischer Verhandlungen", ließ ihn überhaupt die Verhältnisse noch drückender empfinden, als sie waren. Schon nach zweimonatigem Wirken wurde er durch den Unmut über die Verfassung seiner Pfarrkirche, auch wohl durch den Ärger über die beiden älteren Kapläne, die seinem scharfen Kirchtum ablehnend gegenüberstanden, so weit gebracht, daß er seinem Bischöfe mit dem Rücktritt glaubte drohen zu dürfen. Diepenbrock urteilte besonnener. Gewiß, auch er war nicht geneigt, die preußische Bürokratie, deren Rettung in den Wirren der Revolution er auch als sein und seines Klerus Verdienst ansprach, nun, da sie wieder zu Kräften kam, in kirchlichen Dingen nach altem Muster schalten und walten zu lassen. Die Beseitigung jenes „unseligen" Statuts schien auch ihm eine lohnende Aufgabe; aber er sah ein, daß sie im Augenblicke nicht gelöst werden könne und selbst dann noch, wenn man nach entgültiger Festlegung der preußischen Verfassung den rechten Boden gewonnen habe, einen schweren Kampf mit dem Ministerium kosten werde. Diepenbrocks überlegene Ruhe hat den stürmischen Propst wohl ein wenig besänftigt, keineswegs aber befriedigt. Ketteier suchte auch ohne Diepenbrock durchzudringen. Er wandte sich an seinen alten Berater Reisach, der (jetzt Erzbischof von München, und unter Pius IX. so gut wie unter Gregor XVI. von allen deutschen Bischöfen der vertrauteste Freund, der verlässigste Berichterstatter der Kurie) tatsächlich für Kettelers Pläne seinen Einfluß eingesetzt haben würde, wenn nicht damals, zu Anfang März 1850, der Berliner Propst bereits zum Bischöfe von Mainz bestimmt gewesen wäre. Bei der Regierung unmittelbar war natürlich nichts zu erreichen. Vom Hofe aber hielt der Propst sich fern, obwohl Friedrich Wilhelm den vornehmen und eifrigen katholischen Seelsorger nicht unbeachtet ließ. 1 )

Fühlte sich Ketteier durch die Berliner Kirchenordnung in seiner pfarrherrlichen Geltung zugleich und in seinem priesterlichen Rechte getroffen, so lagen auch in der lebendigen Gemeinde bel

) Vgl. Br. 241. — Juni 1850 erhielt er den Roten Adlerorden 2. Kl.: Br. 220.

Die Berliner katholische Gemeinde.

Die fürstbischofliche Delegatar

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d e u t e n d e Schwierigkeiten. Berlin 1 ), dessen Bevölkerung heute reichlich zu einem Zehntel katholisch ist, zählte damals u n t e r 420 000 Einwohnern weniger als 20 000 Katholiken. Aber diese Tausende bildeten eine einzige Gemeinde. Für sie alle und f ü r a n n ä h e r n d 5000 katholische Soldaten stand neben einer n e u e r b a u t e n kleinen Kirche und einer Kapelle nur die eine Pfarrkirche St. Hedwig zur Verfügung. Der Propst h a t t e allerdings vier Kapläne an der Seite und einen Beamten f ü r die Geschäfte. Aber ihm allein blieb doch die verantwortungsvolle Leitung der fürstbischöflichen Delegatur f ü r die Mark B r a n d e n b u r g und f ü r Pommern. Dieses ungeheure Gebiet schloß neben der Berliner und den vereinzelten Pfarreien freilich n u r zerstreute Gemeinden in sich, die keine regelrechte Seelsorge k a n n t e n . Über den verlassenen Zustand der Katholiken in der Mark h a t t e eine Zuschrift an den Mainzer „ K a t h o l i k " noch im J a h r e 1847 geklagt. Die sechzehn zu Berlin gehörigen Missionsorte mußten zufrieden sein, wenn ein- oder zweimal im J a h r e ein Geistlicher erschien. Auch Ketteier konnte an diesen Verhältnissen nichts ändern. Die Predigt zur Grundsteinlegung der Brandenburger Kirche im Oktober 1849, ein Besuch der Gemeinden in der Mark und in Pommern — das war alles, was nach außen hervortrat. Immerhin lernte er die Katholiken der Diaspora kennen mit ihrem kirchlichen Idealismus und ihren kirchlichen N ö t e n ; hier sah er, welche gewaltige Verpflichtung zu seelsorgerischer Arbeit und jeglicher Hilfe die Bedürfnisse der verstreuten Gemeinden dieser Gebiete den Katholiken Westdeutschlands, den deutschen Katholiken ü b e r h a u p t auferlegten. Auch gab diese Delegatur ihm zum ersten Male einen weiten Wirkungsbereich, dessen Aufgaben weniger durch die Anweisung des fernen Breslauer Bischofs als durch die Entschlußfähigkeit des Berliner Propstes zu lösen waren. Seinem Vorgänger Brinkmann war in Berlin und in dem Missionsgebiete manches geglückt. Die H a u p t s t a d t , die der strenge Aulike auch gegenüber d e m von ihm umworbenen Ketteier als „in hohem Maße k o r r u m p i e r t " glaubte bezeichnen zu müssen, h a t t e freilich mit ihrem Boden und ihrem Geiste der katholischen Gemeinde arg zugesetzt. Schon die riesige räumliche Ausdehnung hemmte alle kirchlichen Bemühungen. Die Gleichgültigen und Schwachen so wenig wie die Selbständigen und Begehrlichen waren in dieser protestantisch-preußischen Welt, in dem lockenden Leben der großen S t a d t mit ihren geistigen und sinnlichen Genüssen f ü r ein kirchlich-katholisches Leben zu gewinnen, und nicht einmal alle kirchlich Gesinnten ließen sich leicht zusammenfassen. Weitaus die meisten jedenfalls von den Berlinern mit katholischen Taufscheine standen abseits. Die deutschkatholische ») Z. Folg. u. a.: Der Bonifatius-Verein (Festschr. 1899) 2, 44; Dora Meyer, D. öff. Leben i. Berlin im J. vor d. Märzrev. (1912) S. 11 f.; Hist.-pol. Bl. 14(1844), 171 ff.; Katholik 1847 S. 139 u. 1849 Nr. 52; K.s Predigt vom 3. (nicht 13.) 2. 50: Predigten 1, 177ff.; Pfülf 1, 182ff. Vi g e n er, Bischof Ketteier

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1 2 : Die Revolutionszeit: Der Frankfurter Abgeordnete. Der Berliner Propst

Bewegung, die in ihren Anfängen auch in Berlin von sich reden machte, ist vielleicht nicht so an dem kirchlichen Bewußtsein der Wenigen als an d e m Gleichmut der Vielen zuschanden geworden. Sie war im J a h r e 1849 schon zum Stehen gekommen. Die Berliner deutsch-katholische Gemeinde, die vom Radikalismus der Leipziger freigeblieben war, gab immerhin auch damals ihre Mitgliederzahl noch auf 2857 an. 1 ) Aber der Deutschkatholizismus stand am Ende, der kirchliche Katholizismus am Beginne seines Aufstieges hier im protestantischen Norden. Diese Überzeugung h a t t e schon der Wirksamkeit B r i n k m a n n s einen Schwung gegeben. Er h a t t e die Atemfreiheit, die der Katholizismus in Preußen genoß, und vollends die Bewegungsfreiheit des J a h r e s 1848 auszunutzen begonnen. Bei seinem Weggang d u r f t e man wohl von seinen „ S c h ö p f u n g e n " sprechen. Er war der Gründer des katholischen Krankenhauses: im März 1844 erhielt er die königliche Genehmigung, im September 1846 n a h m e n die b a r m herzigen Schwestern ihre Tätigkeit a u f ; erst Ketteier freilich h a t d a f ü r gesorgt, d a ß aus der kleinen Anstalt das große Hedwigs-Krankenhaus wurde.®) Zur Sicherung des Bestandes der katholischen Volksschule h a t t e B r i n k m a n n den Schulverein gestiftet. Der von ihm erwirkten Beihilfe des Lyoner Missionsvereins v e r d a n k t e n einige Gemeinden der Delegatur die Pfarrseelsorge. Unter seiner Leitung auch h a t t e sich in Berlin nach den Märztagen der politische Katholizismus zu sammeln begonnen. Der Berliner Piusverein, der wie die anderen Piusvereine die Politik als solche ausschloß und auf sein unpolitisches Gesicht etwas hielt 8 ), war bereits in den ersten P a r l a m e n t s m o n a t e n an dem Petitionssturm f ü r die Kirchenfreiheit beteiligt. Der Kaplan Ruland, der als Vorsitzender dieses Piusvereins schon auf der ersten Versammlung in Mainz hervorgetreten war, h a t t e sich soeben noch auf der Breslauer Katholikenversammlung vom Mai 1849 f ü r die Selbständigkeit der deutschen Mission eingesetzt, ganz im Geiste seines seitherigen Propstes, der in fast leidenschaftlicher Liebe zur Diaspora im J a h r e 1854 als Weihbischof von Münster sogar einen eigenen Missionsverein begründete und so die Entwicklung des jungen Bonifatiusvereins bedrohte. 4 ) Ketteier konnte also allenthalben a n k n ü p f e n an die Leistungen seines Vorgängers. Sie ins Große zu entwickeln, dazu reichten die wenigen Monate bis zu seiner Berufung auf den Bischofssitz nicht aus. Freilich war es auch etwas anderes, in der protestantischen Großstadt, die die zersplitterten Tausende von Katholiken zuzudecken drohte, Pfarrer zu sein, als in dem katholischen Dorfe, wo Dorfgemeinde und l

) ») Br. 227 ») •)

Allg. Kirchenzeitg. (Darmst.) 1848 Nr. 94 (17. 6.) Sp. 767 (aus Berlin 1. 5.). K.s „Hilferuf" (März 1850), Flugschrift, abgedr.: Br. 194—204. — Vgl. f. Dt. Zeitg. 1849 Nr. 231 (22. 8.): Erklärung des Vorsitz. Ruland. Der Bonifatius-Verein 1, 4 2 f f . ; 2, 41 ff.

Kirchliche Erfolge des Vorgängers; K s eigene Wirksamkeit in Berlin

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Kirchengemeinde fast zusammenfielen. Ketteier mußte die Schwierigkeiten dieser Berliner Seelsorge empfinden ohne sie ganz überwinden zu können. Gewiß vermochte er mit seiner eindrucksvollen Persönlichkeit bei den eifrigsten Gemeindemitgliedern das Bewußtsein der Gemeinschaft zu heben 1 ), und die Gräfin Ida Hahn-Hahn, durch Diepenbrock auf den Propst hingewiesen, fand in ihm den persönlichen Führer, der mit seiner zugleich weltförmigen und weltfernen Würde und dem frommen Ernst seiner Priesterlichkeit das Sehnen ihrer Seele nach dem Sicheren Lande der Kirche zu erfüllen wußte. 1 ) Aber war ihm auch die rechte Art gegeben, die Berliner Katholiken im großen rasch zu gewinnen und zusammenzuhalten? Er griff noch im Februar 1850 zu dem derben Mittel, auf der Kanzel selbst den schlechten Kirchenbesuch zu beklagen, und gegen die Sabbatschändung in den großen Städten zu predigen, gegen dieses Zeichen, daß die Zeit eines großen Abfalls von dem wahren Glauben an den Sohn Gottes bevorstehe oder schon eingetreten sei. Seine Berliner Kanzelreden deuten überhaupt nicht auf den eigentlichen Großstadtprediger, und wenn, wie der damalige Ministerialrat Karl Friedrich v. Savigny, Kettelers späterer Fraktionsgenosse in der Zentrumspartei, meinte, sein Vortrag etwas Autoritatives hatte, so wird das gerade an diesem Platze schwerlich über den festen Kreis der gewissenhaften Kirchgänger hinaus stark gewirkt haben. Seine Erfolge im kleinen und einzelnen liegen mehr in den alten Bahnen seiner seelsorgerischen Priestertätigkeit. Er führte die auch von Diepenbrock gewünschte Vita communis mit seinen Kaplänen wenigstens in der Form des gemeinsamen Mittagstisches ein — für Berlin immerhin eine Erleichterung des seelsorgerischen Zusammenarbeitens. Er selbst versuchte auch in Berlin die persönliche Wohltätigkeit zu üben, die dem einzelnen Armen sich zuwendet. Auch auf der Kanzel der Hedwigskirche berührte er die „große Aufgabe der Zeit, die furchtbare Kluft zwischen Arm und Reich wieder auszufüllen"; diese Aufgabe soll im kirchlichen Verstände gefaßt werden, und nur mit dem Geiste, wie er in den ersten Christengemeinden wirkte, läßt sie sich lösen. Er blieb also bei den Gedanken seiner Mainzer Predigten stehen, ohne sie stärker mit dem Leben des Tages zu verbinden. Die soziale Frage unmittelbar als praktische Arbeiterfrage zu begreifen, hat er auch in dieser Stadt nicht gelernt. Das damalige Berlin war keineswegs die Stätte einer großen Arbeiterbewegung. Aber vor Jahren bereits hatten hier kleine radikale Kreise die Arbeiter zu Kampfgruppen zu sammeln versucht, und auch jetzt, nachdem im Frühjahr 1849 die Geheimverbindungen der revolutionär gesinnten ') Vgl. die Äußerung des Konvertiten E. Steinbrück (über ihn die Notiz von E. Daelen: A. D. B. 54, 463) bei Alb. Stolz, Fügung und Führung «-»(1919) S. 83 (vgl. 73). ') Br. 158, 192, 206, 213 f. 9*

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I 2: Die Revolutionszeit: Der Frankfurter Abgeordnete. Der Berliner Propst

Arbeiterschaft unterdrückt worden waren, bestanden doch noch demokratische Arbeitervereine, die schon d a r u m die Öffentlichkeit beschäftigten, weil viele ihrer Versammlungen aufgelöst wurden, ehe mit dem Sommer 1850 die Polizei ihnen selbst ans Leben ging. 1 )

Immer bleibt es doch für Kettelers künftige Wirksamkeit wichtig, daß sich zwischen Dorfpfarre und Bistum die kurze Seelsorgezeit in der preußischen H a u p t s t a d t schob. Nur sind es nicht sozialpolitische, sondern kirchenpolitische Eindrücke, die diesen Berliner Monaten ihren biographischen Inhalt geben. Die Theorie vom wahren Bischoftum war schon dem Theologiekandidaten aufgegangen; der Propst aber sah auch in die Praxis des Bischofskampfes hinein. Seine erste Klage in Berlin h a t t e der Kirchenverfassung von St. Hedwig gegolten; ihr galt auch sein letzter Berliner Wunsch. Im Dezember 1849 konnte er, der neue Pfarrer, nur dem Breslauer Bischof sein Herz ausschütten; im J u n i 1850, als er die päpstliche Bulle über seine Ernennung zum Bischof von Mainz in der Hand hielt, durfte er es wagen, dem preußischen Kultusminister klarzumachen, daß auch die Berliner Pfarrei von den lastenden Gaben des Staatskirchenrechts erlöst werden müsse: nur dann — so schrieb der neue Bischof—, wenn man Verfassung und Seelsorgeordnung der Hedwigskirche umgestalten werde, könne es seinem Amtsnachfolger gelingen „den Geist der Gottesfurcht und Ordnung zum Heile des Einzelnen und zum Besten der S t a d t und des Staates in der katholischen Gemeinde zu befestigen und, wo er geschwunden ist, wieder herzustellen". Mit dieser bischöflichen Mahnung n a h m Ketteier im Sommer 1850 Abschied von der preußischen Regierung. Neben dem Bischof der Kirchenpolitik aber hat sich noch in Berlin auch der Bischof der feierlichen Kirchenpracht angekündigt. Er verschaffte der preußischen H a u p t s t a d t den Anblick der ersten Fronleichnamsprozession. Er selbst, der ernannte Bischof, f ü h r t e den wohlgeordneten Zug von mehr als tausend Gläubigen aus der Hedwigskirche die Linden entlang durch das Brandenburger Tor über Charlottenburg bis zur Kirche von Spandau — ein Schauspiel, das in Berlin mehr als irgendwo sonst den Eindruck der neugesicherten Macht der Kirche erwecken mußte.") ') Vgl. Steph. Born, Erg. (1898) S. 30ff.; E. Bernstein, Gesch. d. Berl. Arb.Beweg. 1 (1907) S. 75 u. 84 f. *) Vgl. W. H. Riehl, U n d u. Leute IX, 2. Kap. (Ausg. v. 1861 S. 412).

Zweites Buch

Die ersten Bischofsjahre

Erster Abschnitt

Ketteier im hessischen Landesbistum und in der Oberrheinischen Kirchenprovinz „Ich sehe in dem ganzen Verlauf dieser Mainzer Geschichte die Hand Gottes, und wenn die Frankfurter Komödie dazu Veranlassung gegeben, so hat sie doch e t w a s Gutes bewirkt." Dieses vertrauliche geistliche Wort schrieb am 2. März 1850 Erzbischof Reisach von München dem Berliner Propste 1 ), als dessen Berufung nach Mainz unmittelbar bevorstand. Also setzte jener deutsche Kirchenfürst, der in engster Fühlung mit Rom neben Geissei am stärksten den inneren Gang der Kirchenangelegenheiten in Deutschland mitbestimmte, diese Berufung Kettelers, an der er selbst entscheidenden Anteil hatte, unmittelbar in Beziehung zur Paulskirche. In der T a t : der geistliche Abgeordnete der Frankfurter Parlaments- und der Frankfurter Grabrede vom September, der Mainzer Katholikentagsansprache vom Oktober, der Mainzer Dompredigten vom November und Dezember 1848, er war es, den man im Frühjahr 1850 zum Mainzer Bischof machte. Aber seine Erhebung ist nicht das freie Werk der Wähler, auch nicht einmal der Freunde des Kurialismus im Domkapitel; sie ist erst hervorgegangen aus einer äußerlichen Verständigung nach den erbitterten Kämpfen der Überzeugungen und der persönlichen Gegensätze, ist zugleich das Ergebnis eines verschlungenen kirchlich-diplomatischen Spieles. Als zu Beginn des Jahres 1849 die Bischofswahl das geistliche Mainz beschäftigte, wollte man in der ultramontanen wie in der freien Gruppe des Domkapitels etwas anderes, als man ein J a h r später wollte oder wollen mußte. Wie es zu der Berufung Kettelers kommen konnte, das vermag man nur recht zu erkennen aus einer Betrachtung der >) Pfülf 1, 208. — Man halte dazu, daß selbst Montalembert drei Jahre später die Frankf. Nat.-Vers. „tumultuarisch u. lächerlich" nannte („Kathol. Interess." dt. v. Altherr, 1853, S. 157; ebenda S. 103: „das wunderliche Gemengsei von Demagogen, Pädagogen und Philologen", aber mit der Anerkennung, daß in Frankfurt „die Freiheit der Kirche und des Unterrichts" verkündet worden sei.

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U l : Ketteier im Hess. Landesbistum und in der Oberrhein. Kirchenprovinz

geschichtlichen Voraussetzungen, der grundsätzlichen und persönlichen K r ä f t e im geistlichen Mainz der J a h r h u n d e r t m i t t e , aus ihrem eigenen Wesen, aus ihren Wechselbeziehungen, aus ihrer Abhängigkeit von dem Geiste der S t a d t Mainz, von dem heimischen Staate, von der römischen Kurie. Nach den gewaltigen politischen Umwälzungen und kirchlichen Erschütterungen der napoleonischen Zeit ist im neuen Großherzogtum Hessen das neue Bistum Mainz mit dem alten Bischofssitz errichtet worden. Die J a h r e der Revolution und der napoleonischen Herrschaft h a t t e n den geistlichen S t a a t und die geistliche S t a d t zerstört. Dieses schon vor der Säkularisation geistig halb säkularisierte Mainz nebst seinen linksrheinischen Umlanden wurde während des halben Menschenalters französischer Herrschaft in Recht, Wirtschaft und Geistesleben neu u n t e r b a u t . Die Revolutionsbegeisterung ging zwar auch in Mainz weder in die Tiefe noch in die Breite. Der Zwang des Fremden wurde bald als Druck empfunden. Das französische Kaiserreich b r a c h t e mit seinem R u h m e neue Schranken und neue Lasten, neue E n t t ä u s c h u n g und E r b i t t e r u n g ; selbst der wirtschaftliche Gewinn kam nur kleinen Gruppen z u s t a t t e n . Aber dieses Mainzer Land war nun doch aus der freundlichen Nichtigkeit genießerischen Krummstablebens gewiß unter f r e m d e Willkür, aber zugleich unter die eingreifende Zucht eines starken Staates gekommen. Franzosenfreundschaft w a r eine wirkliche K r a n k h e i t n u r weniger, ein leerer Schein bei vielen; der Sinn aber f ü r die Gaben der neuen Zeit ward Gemeingut der meisten, die denkend und t ä t i g im Leben standen. Beseitigung der Feudallasten, Neuordnung des Steuerwesens, Öffentlichkeit des Gerichts, ü b e r h a u p t das ganze napoleonische Gesetzgebungswerk, in dem geschichtlich gebildete Juristen auch alte deutsche Rechtsgedanken wiederfinden d u r f t e n , galt als unverlierbarer Gewinn und ging tatsächlich hinüber in die neue deutsche Herrschaft. Entsprach die französische Wirklichkeit nicht ganz den französischen P a r a g r a p h e n , stand neben der französischen Förderung des Straßenbaus und des Handels die französische Förderung des Analphabetentums, so ließ Napoleon doch den heimischen K r ä f t e n und insbesondere den Geistlichen, die gutenteils aus dem Elsaß zuströmten, hinreichende Bewegungsfreiheit in Kirche und Schule. Unter Napoleons Herrschaft ist das geistliche Mainz wieder erwacht, ein neues geistliches Mainz erstanden. Der Elsässer C o l m a r wurde im J a h r e 1802 an die Spitze der neuen Diözese Mainz gestellt, die aus den westlichen Resten der alten Diözese und aus Teilen der Sprengel von Worms, Speier und Metz gebildet worden war. Die Mainzer in ihrem heimatlichen Empfinden stempelten den napoleonischen Bischof wohl als „ F r a n z o s " ab, höhnten zuerst in stolzer Erinnerung an K u r f ü r s t e n p r u n k dreist über den „Bettel-

Das französische Bistum Mainz. Bischof Colmar.

Liebermann

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b u b " . Aber der milde Colmar d r a n g rasch durch. Er wußte an die Stelle des kurfürstlichen Mainz, dessen Bischöfe aufgehört h a t t e n , Priester zu sein und priesterlich zu leben, ein kirchliches Mainz zu setzen. Colmar, durch Napoleons Vertrauen leidlich gedeckt, schuf eine kirchliche Erziehungsstätte, die, trotz der Bindung an die gallikanischen Artikel von 1682, mehr römisch-gemeinkirchliche Züge aufwies als einst die kurfürstliche Priesterbildung. Im J a h r e 1805 konnte Colmar das Mainzer Priesterseminar eröffnen, das bischöflich im strengsten Sinne war; ausschließlich der Bischof ernannte die Professoren an seiner Lehranstalt. Unter Franz Bruno L i e b e r m a n n , dem Freund und Landsmanne des Bischofs, griff diese Schule strengen Kirchentums mit ihren ordnenden K r ä f t e n tief hinein in das durch A u f k l ä r u n g und Revolution erschütterte kirchliche Sein und Denken der katholischen Mainzer, der mittelrheinischen, der südwestdeutschen Katholiken ü b e r h a u p t . Der sicheren E i n f ü h r u n g der Jugend in die geistlichen Gedanken diente ein bischöfliches seminarium puerorum nach tridentinischer Vorschrift; im J a h r e 1806 errichtet, h a t sich diese kirchliche Knabenschule, auch sie von Liebermann geleitet, allmählich zu der am stärksten besuchten höheren Schule der S t a d t Mainz entwickelt, und vollends in den Anfängen der hessischen Zeit zog dieses bischöfliche Gymnasium, dem zwei Latein-Vorschulen angegliedert waren, auch die Kinder unkirchlich gesinnter, ja unkatholischer Eltern in seinen Bann. So schob sich in das weltkundige, genußfrohe Mainz, das Mainz der Aufklärung, des Franzosentums und des Klubismus dieses streng kirchlich-geistige Wesen mit starken Ansprüchen und starker W i r k u n g — eine fremde Welt auch jenen, die in den Erinnerungen des geistlichen K u r f ü r s t e n t u m s lebten. Das kirchliche Mainz Colmars h a t sich in den Anfängen hessischer Herrschaft geistig zu behaupten, sogar in manchem, z. B. im Seminarunterricht erst frei zu entfalten vermocht. Es war die kleinere H ä l f t e des bisherigen französischen Bistums Mainz, die im Sommer 1816 mit rechtsrheinischem, ehemals zur Mainzer Erzdiözese gehörigem Gebiete staatlich zusammengefaßt wurde. Bischof Colmar t r a t mit hinüber in das Großherzogtum Hessen. Aber er starb bereits im Dezember 1816; das hessische „ L a n d e s b i s t u m " verwaiste, noch ehe es förmlich h a t t e geschaffen werden können. Das Kirchenwesen auf dem Boden des deutschen Bundes war den einzelnen Ländern überlassen. Zu einer gemeindeutschen Regelung der allenthalben verschobenen, zerrissenen, zerrütteten Kirchenverhältnisse h a t t e es der Wiener Kongreß trotz mancher B e m ü h u n g politischer und deutsch-kirchlicher Köpfe nicht gebracht. Die Regierungen m u ß t e n einzeln oder in Gruppen mit Rom verhandeln. D a ß hinter den deutschen katholischen Kirchengemeinschaften, die aus

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II 1: Ketteier im Hess. Landesbistum und in der Oberrhein. Kirchenprovinz

ihrer alten Ordnung herausgerissen, ihrer alten Verbindung beraubt waren, daß hinter diesen Restgütern der alten Diözesan- und Metropolitanverbände die römische Kurie stand mit ihrer moralischen Macht, ihren diplomatischen Mitteln, das ersparte den katholischen „Landeskirchen" zwar nicht die starke Anpassung, wohl aber die vorbehaltlose Hingabe an die staatskirchliche Überlieferung. Wesentliche Abweichungen vom gemeinen römischen Kirchenrecht mußte die Kurie immerhin dulden. Selbst die Kunst des Kardinals Consalvi vermochte eben nicht die zähe bürokratische Masse landesfürstlichen Regierungswesens geistlich umzuformen. Die päpstlichen Anordnungen, wie sie in den Jahren 1821 und 1827 über die neue „ O b e r r h e i n i s c h e K i r c h e n p r o v i n z " ergingen, verrieten die starke Einwirkung der beteiligten Regierungen. Die bischöflichen Diözesen, die dem neuen Freiburger Erzbischof als dem Metropolitan unterstellt wurden, fielen mit dem Staatsgebiete zusammen. Freiburg war das badische Bistum, Rottenburg das württembergische, Limburg das nassauische (die Reichsstadt Frankfurt gehörte kirchlich dazu), Fulda das kurhessische, Mainz das hessen-darmstädtische. Wie die Zirkumskriptionsbulle „Provida solersque" von 1821 in der Abgrenzung der bischöflichen Sprengel, so machte die Bulle „Ad dominici gregis custodiam" von 1827 in der Vorschrift für die Bischofswahlen Zugeständnisse, die durch eine Anweisung an die Domkapitel 1 ) noch erweitert wurden. Der Landesherr konnte darnach die Streichung der ihm mißliebigen Namen auf der vom Domkapitel aufgestellten Kandidatenliste verlangen, und das Kapitel selbst sollte schon bei der Nennung der Kandidaten darauf achten, ob sie dem Fürsten genehm seien. Die beiden pästlichen Bullen aber wurden, wie in den übrigen Staaten der Oberrheinischen Kirchenprovinz so durch Großherzog Ludwig I. von Hessen erst am 12. Oktober 1829 förmlich genehmigt, unter Vorbehalt der landesherrlichen Hoheitsrechte, unter ausdrücklicher Beschränkung auf die Bestimmungen über die Errichtung der Kirchenprovinz mit ihren fünf Bistümern, über die Besetzung der Bischofsstühle und Kapitelsteilen, unter tatsächlicher Ausschließung der unerwünschten Verfügungen über Schulbildung und geistliche Erziehung der künftigen Priester. Der Landesherr wahrte sich also auch hier grundsätzlich wesentliche Rechte. In der gegenständlichen Frage der ersten Besetzung des Bistums Mainz hat gleichfalls nicht der Papst gesiegt. Die Kurie hätte am liebsten Liebermann selbst auf dem Bischofsstuhl gesehen oder seinen elsässischen Landsmann und Nachfolger in der Leitung des Seminars, Andreas Räß 2 ), oder den Bistumsverweser Johann Jakob ») Breve „Re Sacra" 2 8 . 5 . 1 8 2 7 , gedr.: A. Schmidt, Quellen Nr. 6. ) Vgl. dazu die von A. Schnütgen im Hist. Jahrb. 40 (1920) S. 160 Anm. 8 wiedergegebene Stelle i. d. Würzburger Zeitschrift „Religionsfreund für Katholiken" 1829 S. 432. 2

Oberrheinische Kirchenprovinz und hessisches Landesbistum. Bischof Burg

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Humann, Bischof Colmars Straßburger Schüler und Mainzer Generalvikar, einen beliebten und wohlwollenden Prälaten, dessen geistliche Art die Liebermannsche strenge Kirchlichkeit in einer gelinderen und liebenswürdigeren Form zeigte. Aber, wenn niemand sonst, so wußte der badische Pfarrer Burg, der gewiegte kirchliche Berater der oberrheinischen Regierungen, vor der Erhebung solcher Freunde einer „Wiederherstellung des krassesten Ultramontanismus" schon im Jahre 1823 nachdrücklich und mit Erfolg zu warnen. Der Widerstreit der römischen und der hessischen Wünsche wurde schließlich zugunsten des Staates überwunden, indem Pius VIII. am 28. September 1829 eben diesen staatskirchlich gesinnten Vitus Burg, der inzwischen Freiburger Domdekan und Weihbischof geworden war, dem Darmstädter Begehren entsprechend zum Bischof von Mainz ernannte. Burg war ein maßvoller Wessenbergianer, ein Gegner kurialistischer kirchenpolitischer Ansprüche, nicht aber päpstlicher Kirchenleitung, ein Mann, der die Schlangenklugheit höher einschätzte als die Taubeneinfalt, der in seinen widerspruchsvollen, auch wohl zweideutig schillernden Bemühungen, dem Staate zu gefallen und Rom nicht ganz zu mißfallen, entschieden nach der weltlichen Seite hin das bessere Glück hatte und darum eben mit geistlicher Gewandtheit von dem Ministerium du Thil manches zu erreichen vermochte. Kleine tatsächliche Zugeständnisse der Regierung an die kirchliche Auffassung bezeichneten doch eine bescheidene Einschränkung des absolutistischen Staatskirchentums. Aber dieses Staatskirchentum selbst blieb für das neue „Landesbistum" bestimmend, und das Wesentliche der kurzen Bischofszeit Burgs ist die von weltlicher Seite auferlegte, doch auch durch den Bischof und einen Teil des Klerus begünstigte Abbiegung von der Colmarschen und Liebermannschen Richtung. Sobald die Berufung Burgs erreicht war, unmittelbar nach der staatlichen Verkündigung der Bullen, noch vor Erlaß der landesherrlichen Verordnung über die katholische Landeskirche (30. Januar 1830), am 16. Oktober 1829, erklärte die Regierung das bischöfliche Gymnasium, jene gut besuchten priesterlich geleiteten Gymnasialklassen am bischöflichen Seminar für aufgehoben. Die Erziehung der katholischen Jugend, die Schulbildung der künftigen Priester insbesondere wurde so der unmittelbaren geistlichen Aufsicht entzogen; alle sollten fortan in Mainz auf das großherzogliche Gymnasium angewiesen sein. Fast unmittelbar nach der Aufhebung jener Priestervorschule hat man die Mattsetzung der Priesterhauptschule, der bischöflichen Lehranstalt am Mainzer Seminar in die Wege geleitet. Im November 1830 wurde die schon vor Burgs Ernennung vorbereitete und gesicherte katholisch-theologische Fakultät an der Universität Gießen eröffnet. 1 ) !) Für alles, was mit dieser Fakultät zusammenhängt, verweise ich auf m. aktenmäßige Darstellung „Die kathol.-theolog. Fakultät in Gießen und ihr Ende": Mitt. d. oberhess. Oesch.-Ver. N. F. 24 (1922) S. 28—96.

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111: Ketteier im hess. Landesbistum und in der Oberrhein. Kirchenprovinz

Statt in dem überwiegend katholischen, kirchlich wohl eingehegten Mainz mit seiner mächtig auch in die Gegenwart hineinwirkenden geistlichen Vergangenheit in einer rein priesterlichen Anstalt unter den Augen des Bischofs und des Domkapitels in die Theologie eingeführt zu werden, sollten die künftigen Priester nun in dem, weitab vom geistlichen Mainz liegenden, wesentlich protestantischen Gießen, an der wesentlich protestantischen Universität ausgebildet werden. Allerdings gab es dort seit Jahren einige einflußreiche, von der Regierung sehr geschätzte katholische Professoren, und das Kanzleramt gar bekleidete der Westfale v. Arens, dessen katholische Art so streng war, daß er aus kirchlichen Rücksichten die Errichtung der katholischtheologischen Fakultät gerne verhindert hätte. Aber weder die katholische Fakultät selbst noch die anderen katholischen Bestandteile im akademischen Gießen konnten und wollten den Theologiestudenten die Mainzer kirchliche Luft ersetzen. Die Fakultät war keine Stätte kirchenfeindlicher Aufklärung, aber sie erschloß sich der freier gerichteten katholischen Theologie, eine gelehrte Schule anderen Schlages als das Liebermannsche Seminar. Aller offenen und versteckten kirchlichen Anfeindung zum Trotz ist sie in den dreißiger Jahren allmählich emporgeblüht, und aus der Gießener Schule wuchs langsam ein Priesterstand heran, der in seiner Masse den alten Seminarüberlieferungen entfremdet war und sich teilweise bewußt von ihnen lossagte. Das konnte freilich zu Burgs Zeiten noch nicht hervortreten. Damals hatte neben der neuen Gießener Fakultät noch die alte Mainzer Lehranstalt ihre theologischen Zöglinge, damals wirkten in der Geistlichkeit, im Klerus der Stadt Mainz insbesondere und vor allem im Domkapitel noch stark die Liebermannschen Gedanken. Die hessische Regierung selbst stand jetzt, da das Kirchenwesen im staatlichen Sinne wohl geordnet, die geistliche Gewalt durch die weltliche hinlänglich eingeschränkt war, dem kirchenstrengen Katholizismus ohne Abneigung gegenüber. Nach Burgs Tode wurde im Sommer 1833 H u m a n n , der vier Jahre zuvor übergangene Bistumsverweser, nach dem fast allgemeinen Wujisch auch des weniger scharf gearteten Klerus zum Bischof gewählt. Die Regierung, die diese Stimmung kannte, hatte vor der Wahl geradezu den Wunsch seiner Erhebung ausgesprochen, um ihn selbst zu verpflichten und durch diesen gemäßigten Mann aus dem Kreise Colmars die leidenschaftlicheren Geister zu fesseln. Das gelang in der Tat. Unter du Thil und noch anderthalb Jahrzehnte später unter dem Ministerium J a u p gedachte man mit Befriedigung der überraschend ruhigen, freilich nur einjährigen Bischofszeit des frommen Straßburgers. Aber Humann, selbst schon nicht eine hervorragende Persönlichkeit, ließ keinen bedeutenden Gesinnungsgenossen zurück, der gleicherweise dem Domkapitel und der Regierung als der geeignete Nachfolger hätte erscheinen können.

Priestererziehung: Mainz u.CMeßen. Bischof Humann. Bischof Kaiser (1834—48) 141

Der Domherr Franz Werner, nach Humanns Tod (August 1834) Bistumsverweser, wäre allen recht gewesen; aber der betagte Mann, der um das Mainzer Bistum größere literarische als kirchenpolitische Verdienste hatte, der mehr in Jugenderinnerungen an die letzte Kurfürstenzeit lebte als in dem Geiste Liebermanns, verzichtete zugunsten des bevorzugten Regierungskandidaten. Das war der Darmstädter Pfarrer und Oberschulrat Peter Leopold K a i s e r , der jetzt, wie schon bei der vorhergehenden Wahl, als letzter auf der Liste des Domkapitels stand. Kaisers Bischofszeit (Oktober 1834 bis Dezember 1848) stellt bis zum März 1848 hin, von den deutsch-katholischen Wirren abgesehen, eine Zeit des Kirchenfriedens dar. Die innerkirchliche Ruhe wurde wenig, die kirchenpolitische gar nicht gestört. Die Staatsgewalt stand fest, aber rücksichtsvoll über der willig, doch nicht unfrei sich unterordnenden Kirchenleitung. Die Katholiken blieben in einem freundlichen Verhältnisse zu den Andersgläubigen auch da, wo diese die Minderheit hatten, und selbst die aufgeregten Tage der ersten deutschkatholischen Vorstöße erschütterten nicht allzusehr das friedsamgeruhige Kirchendasein. Die scharfen Züge des willensmächtigen Katholizismus unbedingter Kirchlichkeit, den Ketteier bald auch in Mainz heimisch machen sollte, traten noch nicht hervor. Kaiser 1 ) war im November 1788 geboren in dem Dorfe Mülheim am Main bei Seligenstadt Einhardischen Andenkens. In seiner Jugend, am kurmainzischen Gymnasium zu Aschaffenburg 2 ) und an der dortigen Universität, noch von rationalistischen Lehrern erzogen, durch rationalistische Lehren bestimmt, hat er, ohne später im geringsten einem ausgesprochenen theologischen Rationalismus zu huldigen, zeitlebens doch den Sinn bewahrt für eine Theologie, die sich der deutschen Philosophie nicht feindlich verschloß, für eine Kirchlichkeit, die ihre Grenzen nicht allzu eng und ängstlich steckte, für eine Religiosität, der eine gedämpfte Ruhe freundlich-frommer Duldsamkeit im Geiste Sailers nicht als Mangel an kirchlicher Bestimmtheit galt. Der Bischof Kaiser dachte nicht daran, die Uberlieferung des Mainzer Seminars aufzunehmen. Die dem Liebermannschen Kreise keineswegs fremde 1 ) Trauerrede auf . . . Kaiser . . . gehalten im hohen Dome zu Mainz . . . am 5. Jan. 1849 von Adam Franz Lennig, Domkapitular. Mainz 1849, 10 S. 4" (mit dem bezeichnend. Bibelwort: In fide et lenitate ipsius sanctum fecit illum dominum). Auszug aus dieser Trauerrede: Neuer Nekrolog der Deutschen 26 (1848) S. 794—799; Brück, Lennig; Reusch: A. D. B. 15, 10 (Notiz). — Einzelnes aus Zeitungen, Zeitschr., Flugschr., Akten. *) Vgl. Hch. Wagner, Das Aschaffenburger Gymnasium 1773—1814 (Programm des Gymnasiums zu Aschaffenburg 1906). — A. Dyroff, Die Karls-Uniyersität in Aschaffenburg (1907; Sonderdruck aus den Aschaffenburger Geschichtsblättern 1 Nr. 6 u. 6 a S. 41—48 u. 49—56); H. Ketterer, Das Fürstentum Aschaffenburg u. sein Übergang an die Krone Bayern (Aschaffenburg 1914/15) S. 102f.; Dyroff, C. J. Windischmann (1916) S. 19—33 u. S. 110 f.

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Protestantenfeindschaft zeigte sich bei ihm niemals. Eher geschah es einmal, daß protestantischer, als daß bischöflicher Eifer den Frieden bedrohte. Selbst die gemeinsame Kirchenbenutzung führte unter seinem Kirchenregimente nicht zum Streit der Konfessionen; in rheinhessischen Simultankirchen konnte man noch in der Mitte der vierziger Jahre katholische Priester mit freundlicher Andacht am evangelischen Gottesdienste teilnehmen sehen. 1 ) Kaiser persönlich zeigte den Takt des gebildeten Mannes, der das Wesen der anderen, der Andersdenkenden unbefangen zu würdigen und zu achten vermag. 8 ) Wenn man im Jahre 1840 für die Nachfolgerschaft Clemens Augusts von Köln einen Augenblick lang auch an ihn dachte 1 ) so war es wohl eben seine Friedsamkeit, seine scheue Zurückhaltung gegenüber aller Staatsmacht, was die römischen Gedanken von ihm ablenkte; es ist bezeichnend, daß der Mann aus härterem Holze, der dann tatsächlich auf Drostes Platz kam, daß Geissei gerade an Kaisers bischöflichen „Liebesphrasen" Anstoß nahm. 4 ) Klerikaler Kampfgeist war diesem Bischöfe wesensfremd. Seine Umgebung, sein Domkapitel bildeten bald fast ausschließlich Geistliche, die mit ihm die milde Aschaffenburger Schule durchgemacht hatten. 5 ) Der katholisch-theologischen Fakultät stand Kaiser, der von 1817 bis 1822, also bevor man ihre Errichtung plante, Pfarrer in Gießen gewesen war, als fördernder Gönner gegenüber. Der kirchliche Eifer, den dieser fromme und durchaus kirchentreue Bischof überhaupt niemals vermissen ließ, ohne ihn doch je zu betonen, trieb ihn auch dazu an, das kirchliche Leben der Gießener Theologiestudenten durch Fakultät und Pfarrer überwachen zu lassen, verlockte ihn aber niemals zur Nachgiebigkeit gegenüber den immer wieder heimlich bohrenden oder offen fordernden kirchlichen Feinden der Fakultät. Sein gutes Verhältnis zu der Fakultät, die noch nicht dritthalb Jahre nach seinem Tode seinem ebenso viel rücksichtsloseren als bedeutenderen Nachfolger zum Opfer fallen sollte, wurde ihm kaum weniger als seine christliche Duldsamkeit®) von zeitgenössischen und 1 ) Ergibt sich z. B. aus dem Berichte des evangel. Pfarramts zu Undenheim 20. 6. 1857: Ministerium des Innern, Akten betr. Bischof von Mainz. Ahnlich: Offener Brief an . . . Ketteier (S.-A. aus den Evangelischen Blättern), Kassel 1868, S. 19. *) Max v. Gagern 10. 2. 1846 an seinen Vater: Pastor, Gagern 167. ») Pfülf, Geissei 1, 80. *) Pfülf, Geissei 1, 398. *) Dazu namentlich Lennigs bittere Bemerkung in s. Brief an Gisbert Lieber 21. 1. 1850: Brück, L. 141. ' ) Vgl. neben den im Mz. J . 1861 Nr. 108 angeführten Äußerungen z. B. die Berufung auf s. Friedfertigkeit in spät. Protestant. Beschwerden über Ketteier, so 1857 (Akten d. M. d. I.), so auch 1868 u. 1876: Pfülf 1, 226 mit Anm. 1. — Ein Gedicht (Stadtbibl. Mainz), dem Bischof „am 27. Juli 1845 in Vertrauen und Liebe dargebracht von seinen Diözesanen in Mainz", enthält im Beginn der 2. Strophe die Worte: Seit Jahren schon wirkst Du in weitem Kreise / So mild und doch voll Kraft.

Kaisers gelinde Kirchenpolitik.

Der Domkapitular Lennig

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späteren Freunden des Kirchenfriedens hoch angerechnet, während kampfbereite Klerikale seit, den Märztagen in ihm, solange er lebte, nur ein liebenswürdiges Hindernis sahen, und ihn nach seinem Tode am liebsten mit dem tadelnden Lobe „gut und redlich" bedachten. 1 ) Man darf diesen Bischof der kirchlichen Milde nun doch nicht lediglich als den Mann der kirchlichen Nachgiebigkeit nehmen wollen. Die Diözesanstatuten, die er im Mai 1837 veröffentlichte, lassen seine Bemühung um eine sorgsame bischöfliche Leitung seines Sprengeis erkennen. Sie verraten gewiß gelegentlich seine aufgeklärte Abneigung gegen allzu starke Zugeständnisse an manche volkstümliche Formen der Heiligen Verehrung.*) Wenn aber hessische Deutschkatholiken und ihre protestantischen Helfer meinten, in Kaiser gar den Freund einer radikalen Reformbewegung sehen zu dürfen, so hat er vielmehr eben in den deutschkatholischen Wirren seine kirchliche Festigkeit gezeigt. Allerdings stand damals ein Stärkerer stützend und drängend hinter ihm. Der jüngste seiner Domkapitularen, Adam Franz L e n n i g , war es, der den Bischof veranlaßte, in der hessischen Hochburg der Deutschkatholiken zu predigen, und diese Offenbacher Predigt gegen den Deutschkatholizismus, die freilich auch als Kampfrede noch den milden bischöflichen Geist verriet, sogleich zu veröffentlichen. Dieser Domherr Lennig, der nach Kaisers Tode mit aller Leidenschaft nach dem Bischofsstuhle begehrte, und dann, da ihm die Erfüllung seiner Sehnsucht versagt blieb, dem tatsächlichen Nachfolger Kaisers mit aufopfernder Selbstlosigkeit zugleich und charaktervoller Selbständigkeit zur Seite stehen sollte, muß schon darum, weil er durch seine Vorarbeit und seine Mitarbeit dem Bischofsleben Kettelers verbunden ist, hier mit einigen Worten gewürdigt werden. Lennig war Mainzer, unter französischer Fremdherrschaft im Jahre 1803 geboren als der jüngste Sohn eines begabten Kaufmanns, der eine gelehrte Erziehung genossen, die Schule der Mainzer Jesuiten durchgemacht hatte und selbst gar Jesuitenpater geworden wäre, wenn ihn nicht die Aufhebung des Ordens davon abgebracht hätte. Die Mutter war die Tochter eines katholischen Mainzer Arztes. Der Großvater Lennig aber, der aus Augsburg zugewandert war, hatte erst im kurl ) So „Mainz im J. 1863" (s. unten 112) S. 33ff. — „Wohlgesinnt, aber seiner Stelle kaum gewachsen" sagt G. v. Hertling (Kl. Schriften, 1897, S. 530 f.) in seiner Gedächtnisrede auf J. B. Heinrich und ganz im Sinne Heinrichs, der selbst nach außen (Die Reaktion des sog. Fortschritts, 1863, S. 32 ff.) doch eben nur von der kirchl. Gesinnung, nicht v. d. kirchl. Kraft Kaisers sprach. *) DiOzesan-Statuten für das Bistum Mainz im Großerzogtum Hessen und bei Rhein (Mainz 1837; 110 S., eingeleitet durch ein bischOfl. Ausschreiben an den DiOzesanklerus) S. 40 Nr. 26: In den Fragebogen für die Berichte der Pfarrer an die Visitatoren heißt es v a.: „Ob keine Bilder, Statuen, Votiftafeln, die mißgestaltet oder geschmacklos geputzt sind oder den Aberglauben unterhalten, geduldet werden ?"

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f ü r s t l i c h e n Mainz, d a s f a s t Unvermeidliche vollziehend, sein L u t h e r t u m mit dem Katholizismus vertauscht. Im Mainzer Klerikalseminare von L i e b e r m a n n , Nikolaus Weis u n d Heinrich Klee ausgebildet, h a t d e r j u n g e Lennig in R o m sein T h e o l o g i e s t u d i u m abgeschlossen und die Priesterweihe e m p f a n g e n ; in Paris a b e r , wo er sich m i t den orientalischen Sprachen b e s c h ä f t i g t e , l e r n t e er L a m e n n a i s u n d M o n t a l e m b e r t k e n n e n . So a u c h persönlich m i t d e m kirchlich b e w u ß t e n „ l i b e r a l e n " K a t h o l i z i s m u s F r a n k r e i c h s und m i t d e m R o m Leos X I I . in V e r b i n d u n g t r e t e n d , suchte er a u s den noch ungeschieden n e b e n e i n a n d e r aufsteigenden, allem Unkirchlichen a b e r gleich s t a r k widerstrebenden K r ä f t e n des römischen, des französischen, des heimischen katholischen Geistes das Gemeinsame, das K a t h o l i s c h e schlechthin herauszuholen. D a ß das Mainz des Bischofs B u r g n i c h t m e h r das Mainz Colmars und L i e b e r m a n n s w a r u n d nach dieses Bischofs Meinung auch nicht sein sollte, das reizte den jungen Priester, der die kirchlich strenge Welt R o m s u n d die kirchliche Bewegungsfreiheit F r a n k r e i c h s im G e d ä c h t n i s t r u g . Der Bischof wollte das, was Lennig als w a h r e Kirchlichkeit f a ß t e , nicht a n e r k e n n e n ; also a r b e i t e t e ihm dieser Kleriker unbedenklich in der Stille entgegen. In stolzem geistlichem Gefühle wollte er eine kirchliche Stelle nicht a n n e h m e n , d a deren V e r g e b u n g j e t z t S t a a t s sache geworden zu sein schien; m a n m u ß t e schon die Anstellungsu r k u n d e eigens n a c h der alten F o r m a u s den Zeiten v o r Burgs E r h e b u n g a u s f e r t i g e n , u m diesen durch C h a r a k t e r und Besitz u n a b h ä n g i g e n Mann z u r A n n a h m e einer Pfarrei zu bewegen. Sein b e w u ß t e r Klerikersinn, d e r hinwegsah ü b e r alle kirchlichen E r z i e h u n g s a n s t a l t e n von S t a a t e s G n a d e n , e r l a u b t e es ihm auch nicht, der zuerst von Burg, d a n n von Kaiser und zugleich von Regierung u n d F a k u l t ä t ihm a n g e t r a g e n e n B e r u f u n g nach Gießen zu folgen. E r wollte lieber d e r P f a r r e r bleiben, d e r d e m S t a a t e n i c h t s zu d a n k e n h a t t e a u ß e r der Besoldung, die ihm n u r als ein d ü r f t i g e s Teilchen d e r d ü r f t i g e n Zinszahlung a u s all dem säkularisierten K i r c h e n g u t e gelten mochte. Bischof Kaiser m u ß etwas wie Scheu e m p f u n d e n haben vor Lennigs b e s t i m m t e m Wesen. Aber dieser Bischof w a r in seinem Herzen viel zu sehr kirchlich gesinnt, als d a ß er den neuen Geist des schärfer g e f a ß t e n K i r c h e n t u m s , der ihm selbst fehlte u n d den er auch keineswegs an der Herrschaft zu sehen wünschte, n i c h t bei anderen h ä t t e s c h ä t z e n k ö n n e n . Kaisers gelinde, ein wenig b e h u t s a m e Art, die d e n Z u s a m m e n s t o ß mit der Welt, mit der S t a a t s g e w a l t ängstlich mied, w a r doch d e m E i n d r u c k e der Hoheit und M a c h t der kirchlichen Gewalten zugänglich. Schon in den geruhigen T a g e n vor dem Schauspiele der Trierer W a l l f a h r t , d a s nicht n a c h seinem Sinne war, u n d dem d e u t s c h k a t h o l i s c h e n Gegenspiele s c h ä t z t e er Lennig als einen der ausgezeichnetsten Geistlichen; in d e n G e f a h r e n d e r Rongeschen B e w e g u n g selbst a b e r f a n d er geradezu R ü c k h a l t bei der b e s t i m m e n d e n W i l l e n s k r a f t dieses Pfarrers, der ohnedies schon als bischöflicher

Lennigs Persönlichkeit.

Sein Verhältnis zum Bischof Kaiser

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Ratgeber sich dargeboten hatte. 1 ) Im Sommer 1845 beriefen Bischof und Domherren den Gaulsheimer Pfarrer ins Mainzer Kapitel. Lennig brachtc, zwei Jahre später auch zum bischöflichen Offizial bestellt, einen etwas strafferen Zug in die Diözesanverwaltung, soweit die Verordnungen der Regierung und die Wesensart des Bischofs das zuließen. Er faßte den Bischof beim kirchlichen Pflichtbewußtsein und hätte ihn am liebsten sachte hinübergeführt in die vorsichtige Werbearbeit für die unbedingte Kirchlichkeit. Er selbst, der Domherr, wenigstens richtete seine Predigten bestimmter als es der auch jetzt doch gelassen friedsame Bischof tat, auf die Gegenwart hin. Er suchte die kirchlichen Empfindungen auch durch die bürgerliche Sorge anzutreiben: mit der drohend fortschreitenden Entkirchlichung der Massen sah er zugleich die Gefahren begehrlicher Besitzlosigkeit aufsteigen. In der Bekämpfung des deutschkatholischen „Unglaubens" ließ er die sozialen Vorstellungen, die sozialen Ängste der Gläubigen mitwirken. Er wußte seinen Hörern etwa vorzuhalten, daß der Arme, der die kirchlichen Fragen skeptisch betrachte, auch die Fragen der menschlichen Obrigkeit prüfe, die Fragen nach dem Mein und Dein, nach dem Rechte des Eigentums, daß dieser Arme „die Geheimnisse des bürgerlichen Lebens nicht minder unbegreiflich finde als die Geheimnisse der Religion, als z. B. das Geheimnis, daß er in tiefster Armut schmachten soll, während der Reiche schwelgt in Üppigkeit". 8 ) Die Leugnung des Christentums, die Revolution gegen die Kirche ist ihm die Vorschule auch der politischen Revolution, deren Zeichen er damals, im F r ü h j a h r 1846, offen verkündigte. Der Regierung gegenüber hatte er das schon im vorhergehenden Herbste gewagt, als sie in einer bischöflichen Immediateingabe über die deutschkatholische Gefahr für Kirche und Staat nur ganz unbegründete oder übertriebene Beschwerden hatte finden wollen. Das damalige, von Lennig verfaßte Antwortschreiben des bischöflichen Ordinariats 3 ) suchte mit einer solchen kühnen Mischung von gekränkter Untertanbereitschaft und drohend warnender Zukunftsdeutung dem Ministerium die Rücksicht auf die „ehrwürdige Mutterkirche", die Hilfe gegen den deutschkatholischen „Antichristianismus", dem die katholische Kirche niemals werde Zugeständnisse machen können, als Pflicht hinzuhalten. Den Schutz der kirchlichen und religiösen Autorität sollte die Regierung schon als politisches Gebot begreifen lernen; ihr sollte klar gemacht werden, daß aus dem deutschkatholischen Kampfe gegen „die wesentliche Grundlage des Christentums" sich leicht das verderbliche Spiel der „im Geheimen lauernden, im Geheimen sich freuenden Männer der Revolution" erheben könne. ') Vgl. namentlich die wichtige Stelle aus dem Briefe Lennigs an s. Neffen Moufang 2 3 . 2 . 1845: Brück, L. 91 Anm. 1. ! ) Predigt v. 15. 3 . 1 8 4 6 : Brück, L. 99. a ) Schlußstück bei Brück 94 ff. VI g e n e r , Bischof K e t t e i e r

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Als die politische Revolution des J a h r e s 1848 der Kirche, s t a t t sie in den Wirbel der Verwirrung hineinzuzerren, vielmehr erst recht die Bahn freimachte, w u ß t e Lennig seine Organisationsgabe und seinen Einfluß f ü r die Kirche seiner Heimatstadt und f ü r die Kirche Deutschlands zugleich walten zu lassen. Er hatte zwei J a h r e zuvor von der Kanzel herab 1 ) in seiner schlicht einprägsamen Art das Zeitungsblatt eine Kanzel g e n a n n t , auf der täglich vor einer höchst zahlreichen Zuhörerschaft gepredigt werde; er h a t t e versuch^, die Abneigung der Regierung gegen eine neue, eine klerikale Zeitung zu überwinden, zuletzt, noch vor den Märztagen, mit Erfolg. 2 ) Im Revolutionsfrühjahr hat dann Lennig vor allem die Grundlinien f ü r die Anlage des „Mainzer J o u r n a l s " entworfen und bei der Vorbereitung und E i n f ü h r u n g dieses bald bedeutendsten südwestdeutschen klerikalen Blattes mit seiner Arbeitskraft und seinen Geldmitteln geholfen. Die Sammlung der tatbereiten kirchentreuen Katholiken im Mainzer Piusverein®), der A u f b a u dieses freilich nicht großen Vereins, der Zusammenschluß mit den allenthalben aufschießenden Schwestervereinen, ist gutenteils Lennigs Verdienst. Er gehörte zu jenen Klerikalen, die das „ G o t t e s gericht" 4 ) der Revolution durch eigene Mitarbeit zu einer unmittelbar f ü r die Kirche wirkenden Entscheidung machen wollten. Er meinte wohl, vielleicht werde der Märzrevolution eine weit radikalere folgen müssen, um erst einmal den Satan selbst a u f r ä u m e n zu lassen mit allem S t a a t s k i r c h e n t u m , damit dann die Kirche selbst den Wiederaufbau frei in die H a n d bekomme. Aber auch für den Augenblick schon d r ä n g t e er zur u n b e k ü m m e r t e n kirchlichen Ausnutzung der neuen Freiheit. Als eigentlicher Leiter des Mainzer Piusvereins war er bei der Berufung und der Durchführung der ersten deutschen Katholikenversammlung in Mainz beteiligt; wie er seinen eigenen Bischof jetzt unablässig dazu antrieb, im Fordern und Folgern nicht zurückzubleiben, so h a t er f ü r die große Tagung des deutschen Episkopats und so f ü r die gemeinbischöfliche Beratung der Kirchenfragen f ü r das Kirchenprogramm der Würzburger Bischofsversammlung die erste wirksame Anregung gegeben. 5 ) Derart h a t t e sich Lennig als Domkapitular selbst schon zum geistlichen, z u m kirchenpolitischen Geschäftsführer der Mainzer Diözese gemacht, und wenn er Kaiser auf der Würzburger Bischofsversammlung vertreten durfte, so erschien er eben dort und erschien Predigt v. 1 . 3 . 1846: Brück 100. -) Im Januar 1848 genehmigte die Regierung den Zeitungsplan. Brück 112 Anm 3. •) Vgl. neben Brück, Lennig namentl. Bergsträßer Kap. 3, auch Schnabel 40 ff. «) Vgl. den wichtigen Brief an B. Blum v. Limburg 5. 4 . 1 8 4 8 : Brück 108. ') Die Zusammenstellung bei Pfülf, Geissei 1, 592 Anm. 1 scheint mir diese Annahme nur zu bestätigen.

Lennigs Bewerbg. um d. Nachfolgerschaft Kaisers. Haltung d. Ministers Jaup

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er Oberhaupt wie der coadjutor cum spe succedendi seines früh alternden, kränklichen, im Kampfe des Tages ermattenden Diözesanbischofs. Als Kaiser am 30. Dezember 1848 starb, war es der Gedanke der Freunde Lennigs und des Piusvereins, der Gedanke auch Lennigs selbst, daß niemand anderes, als eben er, Bischof werden dürfe. 1 ) Er war erfüllt von der Vorstellung, in dieser durch kirchliche Gegensätze und kirchliche Kämpfe erschütterten Diözese der Bischof der kirchlichen Verheißung und vielleicht auch Versöhnung zu werden. Er wollte seiner Kirche bischöflich helfen, die nach den Enttäuschungen des Parlamentsherbstes noch dem Ungewissen gegenüberstand, die noch immer bedroht wurde durch die revolutionsgenährte deutschkatholische, radikale Bewegung. Diesem beharrlichen geistlichen Gedanken, der gezügelt wurde durch eine kluge, aber niemals feige Rücksicht auf die weltliche Gewalt, gesellte sich der gesunde Ehrgeiz des Fünfundvierzigjährigen: mit der Aufgabe, als Zweiter fast wie der Erste zu regieren, war ihm auch die Lust am Regieren gekommen. Lennigs Erwartungen wurden zu seiner bitteren Enttäuschung vereitelt. Es war nicht, wie man bis in unsere Tage hinein immer wieder behauptet hat, die Regierung, die ihm den Weg versperrte. Der liberale Minister J a u p hatte gewiß keine Zuneigung zu Lennig. Er hätte gerne den maßvollen und beliebten Geistlichen, der im Frühjahr 1835 in Kaisers Darmstädter Stelle eingerückt war, als dessen Nachfolger auch auf dem Bischofsstuhle gesehen. Auf der Vorschlagsliste des Domkapitels stand dieser Stadtpfarrer und Oberschulrat Dr. Lüft an der letzten Stelle, ganz wie einst Kaiser; unmittelbar vor ihm war der Gießener Theologieprofessor Leopold Schmid genannt, vor diesem aber standen die Namen des Domdekans und der sämtlichen sechs Domkapitularen. Die meisten Domherren wollten Lüft ihre Stimme geben. Aber schon bei den ersten Wahlvorbereitungen erklärte er seinen festen Entschluß, die Pfarrei nicht mit dem Bischofssitze zu vertauschen. Jetzt hofften Lennig und seine Freunde, freie Bahn zu gewinnen. Aber sollte die Regierung den gewandten Führer der Mainzer Klerikalen, der schon unter dem Ministerium duThil die Kirchenfreiheit als notwendige Grundlage der Staatssicherheit zu bezeichnen gewagt hatte, als Nachfolger des geruhsamen Kaiser zulassen ? Die Wahl Lennigs konnte leicht verhindert werden. Der Großherzog brauchte ihn nur als minder genehm zu bezeichnen und so die Wähler zur Streichung des Namens zu nötigen. Es bestand überdies, nicht zwar nach geschriebenem Rechte, aber nach dem Vorbilde der früheren Mainzer Wahlen, die Möglichkeit unmittelbarer Einwirkung, wie sie sich der Form nach bei der Erhebung Humanns, tatsächlich auch bei der Erhebung Kaisers gezeigt hatte. J a u p hat wirklich nacheinander die Anwendung beider Mittel ') Die folg. Darstellg. gründet sich auf m. aktenmäßige Untersuchung „Die Mainzer Bischofswahl von 1849/50": Zs. d. Savignystiftung, Kanonist. Abt. 11 (1921) S. 351—427. Über Lennigs Haltg. bes. S.381f. u. 366. 10«

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erwogen. Sogleich nach dem Eintreffen der Vorschlagsliste dachte er an die Streichung Lennigs, noch unmittelbar vor der endgültigen Entscheidung über das Verhalten der Regierung aber neigte er dazu, dem Großherzoge vorzuschlagen, einem der Domherren von der liberalen „Aschaffenburger" Schule, dessen Aussichten für günstig galten, den förmlichen „Vorzug" zu geben. Aber es kam weder zur Streichung Lennigs noch zur Empfehlung dieses Domkapitulars Greßer. J a u p wurde freilich nicht durch eigene Bedenken abgehalten, sondern durch die Mahnungen und Warnungen, mit denen zwei einflußreiche Regierungsbeamte dem Gedanken einer Einmischung entgegentraten. Diese kirchenpolitischen Berater des liberalen Ministeriums, die jetzt noch räumlich getrennt von einander wirkten, sollten sich schon anderthalb Jahre später im neuen konservativen Ministerium eines durch die Verfassung verhüllten Absolutismus zu einer mehr der kirchlichen als der alten staatlichen Auffassung dienenden Kirchenpolitik zusammenfinden : der Freiherr Reinhard von Dalwigk zu Lichtenfels und der Freiherr Franz von Rieffei. D a l w i g k war seit dem Herbst 1845 Kreisrat in Mainz und als solcher zugleich Provinzialkommissar, d. h. Leiter der Provinz Rheinhessen, und Territorialkommissar, d. h. staatlicher Vertreter der Stadt Mainz und der großherzoglichen Regierung den Festungsbehörden gegenüber. Der konservative Protestant Dalwigk wußte sich gerade auch bei den Katholiken beliebt zu machen, die in Mainz fast vier Fünftel, in der ganzen hessischen Rheinprovinz die größere Hälfte der Bevölkerung darstellten. Namentlich seit dem Revolutionsfrühjahr gewann er nahe Fühlung mit den Klerikalen, und das hieß in Mainz mit der stärksten Gruppe innerhalb des konservativen Bürgertums, mit den entschlossensten Gegnern der von Dalwigk nach Kräften bekämpften radikalen Demokratie. Dalwigk wünschte sich keinen anderen als eben Lennig zum Bischof. Darum beschwor er noch im letzten Augenblick und mit Erfolg den Minister Jaup, die Empfehlung der Wahl eines anderen zu unterlassen, darum auch hatte er sogleich bei der ersten Behandlung der Wahlfrage den Verzicht auf Ausübung des Streichungsrechtes dringend angeraten. Im Einvernehmen mit dem Mainzer Territorialkommissar v. Dalwigk arbeitete der Darmstädter Regierungsrat v. R i e f f e i für die Wahl Lennigs, behutsam, wie es sich gegenüber dem liberalen Ministerpräsidenten empfahl. Bei Rieffei waren neben den konservativen die katholischen Gedanken wirksam. Er gehörte zu jenen kirchlich gesinnten Katholiken, die weder „bigott" noch „ultramontan" sein wollten 1 ) und im Staatsdienste dem überkommenen Staatskirchentum nicht mit offener Feindseligkeit gegenüberstanden, aber seit den Märztagen die Macht des kirchlichen Freiheitsideals in der eigenen Seele erfuhren. 1

) Vgl. Rieffels Bemerkungen über Lennig: Vigener, Bischofswahl 372.

Dalwigk in Mainz, Rieffei in Darmstadt als Berater der Regierung

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Sein Großvater ), der letzte Kanzler des letzten Bischofs von Worms, war nach dem Reichsdeputationsschlusse von 1803 zum großherzoglich hessischen Hofgerichtsdirektor in Gießen bestellt worden. In Gießen wurde Franz von Rieffei geboren, in Gießen studierte er Rechtswissenschaft, vom Herbst 1826 bis zum J a n u a r 1831, nicht ohne, in dieser Zeit der allgemeinen scharfen Universitätsüberwachung und der besonderen gestrengen Gießener Kanzlerschaft des Herrn von Arens, als Mitglied einer verbotenen Landsmannschaft das Schicksal einer einjährigen Relegation erfahren zu haben. Im Sommer 1834 wurde er ins Sekretariat des Ministeriums des Innern und der Justiz berufen. Schon durch seine Armut zur Anspannung aller Kräfte genötigt, hat der ernste, nüchterne, überaus arbeitsfähige Beamte fast anderthalb Jahrzehnte lang, namentlich auch als Gehilfe des ihm kirchlich nahestehenden Kanzlers v. Linde, in untergeordneter Stellung ausgeharrt, bis er, im April 1845 durch Verleihung des Charakters als Regierungsrat ausgezeichnet, im März des Jahres 1848 die schon seit fünfundvierzig Jahren stets in katholischen Händen liegenden katholischen Kirchenangelegenheiten zur Berichterstattung erhielt. Von da an übte er in der hessischen Verwaltung und Kirchenpolitik einen sehr bestimmten Einfluß, den er seit dem Sommer 1850 als Ministerialrat unter Dalwigk noch steigern und bis zu seinem frühen Tode (12. Mai 1858) behaupten konnte. Von diesen beiden Männern wurde der Ministerpräsident in der Bischofsfrage unterrichtet, beraten und schließlich geleitet. J a u p selbst hoffte zwar noch auf die Wahl jenes Domherrn, dem er die landesherrliche Empfehlung hatte verschaffen wollen; aber er rechnete nun, da die Regierung sich jeglicher Einwirkung enthielt, ernstlich auch mit einem Erfolge Lennigs. Indessen sollte gerade der freie, durch keine staatliche Einwirkung gehemmte oder angetriebene Wille der Kapitelsmehrheit es sein, der sich dem Domherrn Lennig entgegenstellte. Das Domkapitel war beim Tode des Bischofs Kaiser nicht mehr das alte, das einst den Bischof Burg argwöhnisch überwacht und nach BurgsTbde den Colmarschüler Humann erwählt hatte. Zwischen den Jahren 1835 und 1845 ist der persönliche Bestand des Kapitels von Grund auf erneuert worden. Kaiser konnte alsbald nach seiner Bischofsweihe zwei seiner geistlichen Freunde und Gesinnungsgenossen an einem und demselben Tage als Domherren unterbringen*), vierthalb Jahre später kam ein weiterer aus dem Kreise dieser „Aschaffenburger" hinzu, und nach Ablauf des unruhigen Jahres 1845, das den so ganz anders gearteten Lennig in das Kapitel eintreten sah, verschaffte die Berufung Greßers der Kaiserschen Gruppe wieder die Mehrheit. ') Z. Folg.: Rieffels Personalakten im Hess. Min. d. I. 2 ) 6. Okt. 1835. Vgl. Kirchl. Statistik f. d. Bistum Mainz 1847 S. 10.

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Bei der Bischofswahl vom 22. Februar 1849 stand neben dem alten Hoefer, der im Jahre 1845 zum Domdekan erhoben worden war, entschieden auf Lennigs Seite nur der gleichfalls betagte Westfale Stratmann, den wohl der Kanzler v. Linde, der Neffe und einstige Zögling dieses Priesters, mit seinem in Kaisers Tagen auch in Mainz wirksamen Einfluß im Jahre 1847 ins Domkapitel gebracht hatte. Obwohl einige der anderen Domherren entschiedener als Kaiser selbst den Aufklärungsgedanken zuneigten, hielt Lennig an seiner Hoffnung fest. Aber der Versuch seiner beiden Kapitelsfreunde, den landesherrlichen Wahlkommissar, den Gießener juristischen Professor Michael Birnbaum, den Nachfolger Lindes im Kanzleramt der Landesuniversität, einen Katholiken von sehr milder Art, aus der ihm vorgeschriebenen Zurückhaltung herauszulocken, blieb vergeblich, und bei der Wahl selbst fielen auf Lennig nur die zwei gesicherten Stimmen. Noch nach dem ersten Wahlgange, der dem bisherigen Bistumsverweser nur drei von den sieben Stimmen zuführte, also ergebnislos blieb, versuchte Lennig, ohne übrigens seine Enttäuschung und Empörung verbergen zu können, die Mehrheit durch die förmliche Erklärung zu versöhnen, daß er, zum Bischof gewählt, in keinem anderen Geist als dem des Kapitels handeln würde. Aber der zweite Wahlgang brachte das überraschende und doch wohl von Lennigs Gegnern als Ausweg von vornherein vorgesehene Ergebnis, daß der Professor Leopold Schmid mit vier Stimmen gewählt wurde. Nach Lennigs eigenem Vorschlage hatte man Schmid auf die Liste gesetzt; in Darmstadt selbst galt dieser Vorgang nur als eine bedeutungslose Höflichkeit gegen die weltliche Behörde, die den bischöflichen Platz in der Ersten Kammer, nachdem Lüft ihn abgelehnt, dem angesehenen Gießener Professor am 10. Januar 1849 übertragen hatte. Mit der Erwählung Schmids konnte die Kapitelsmehrheit dem Domherrn Lennig — der, bei den strengen Katholiken allgemein geschätzt, den Männern schärferer Art als ihr geschickter Führer erschien, dessen Wahl sie alle sehnlich erwarteten, — wenigstens einen Mann von klangvollem Namen, freilich von mehr theologischen als kirchlichen Verdiensten, mehr philosophischen als theologischen Neigungen entgegenstellen. Leopold S c h m i d wurde von einer Schweizerin reformierten Bekenntnisses im Jahre 1808 in Zürich geboren, aber von früher Jugend an in der württembergischen Heimat seines katholischen Vaters katholisch erzogen, von protestantischem Geist um so weniger berührt, als seine Mutter bereits im Jahre 1817 starb. In Tübingen und München theologisch und philosophisch ausgebildet, stark bestimmt durch Franz Baader, wurde Schmid im Jahre 1830, noch vor seiner Priesterweihe, als Professor und tatsächlicher Leiter an das Limburger Priesterseminar berufen; später ging er in die Seelsorge über. Sein Buch über die Genesis (1834) wurde von den streng kirchlich Ge-

Der Giefiener Theolog Leopold Schmid zum Bischof gewählt

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sinnten lebhaft begrüßt. Im Rom Gregors XVI. galt das Werk für die wertvollste neuere Schrifterklärung im mystischen, streng rechtgläubigen Sinne. Im „Katholik" nahm man dieses römische Lob auf, und der junge Lutterbeck, später Schmids Gießener Kollege, schrieb für diese Zeitschrift einen umständlichen Aufsatz über Leopold Schmids Erklärung der Hl. Schrift; hier war das günstige Urteil wesentlich durch das Gefühl bestimmt, daß eben „das Wahre und Gute" — im streng kirchlichen Sinne zu begreifen — bei Schmid zu finden sei. Schmid selbst sah es ganz und gar als seine Aufgabe an, durch eine „wahre" Erklärung der Bibel den Katholizismus zu verteidigen gegen den Widersacher, den Protestantismus, der durch eine verfälschte Darstellung der Bibel sich Bahn gebrochen habe. Auch nach seinen persönlichen Beziehungen gehörte der junge Schmid in die Kreise des kirchenstrengen Katholizismus hinein; Nikolaus Weis, der Schüler Liebermanns, damals Speierer Domherr, Herausgeber des „Katholik", stand mit ihm in Verbindung. Aber man schrieb es wesentlich dem Einflüsse Bischof Kaisers zu, wenn Schmid im März 1839 aus der Pfarrseelsorge heraus in jene Gießener Fakultät berufen wurde, in deren wissenschaftlichem „ J a h r b u c h " noch fünf Jahre zuvor sein Werk über die Genesis von dem Orientalisten Vullers wegen der „albernen und mysteriösen Erklärungen" als „eine traurige Ausgeburt der in philosophisches Gewand gehüllten Frömmelei oder Mystik" abgelehnt worden war. Zur alttestamentlichen Exegese kehrte er nicht mehr zurück. Seinen Sinn für symbolische Auslegung und spekulative Ausdeutung der Überlieferung hat der Theologieprofessor fortan der Dogmengeschichte, der zugleich kirchlich und im Geiste des deutschen Idealismus gefaßten Geschichtsphilosophie und auch der Homiletik zugewandt. Von den Auswirkungen des Kölner Kirchenstreits blieb Schmid unberührt. Er stellte sich allerdings weder den theologischen noch den kirchenpolitischen Lehren des Katholizismus der Propaganda in lauter Absage entgegen. Schon an seinem Jugendwerke „Vorlesungen über die Bedeutung der hebräischen Sprache" (1832) hatten aber seine begeisterten Lobredner im „Katholik" bemerkt, daß einige Ausdrücke eine semipantheistische Deutung zuließen. In den Arbeiten aus seiner Gießener theologischen Lehrtätigkeit hatte Schmid kaum noch etwas gemein mit dem Kreise des „Katholik". Von seinem Hauptwerke „Der Geist des Katholicism, oder Grundlegung der christlichen Irenik" lagen zwei Teile vor (1848), als die Freunde des geruhigen und ein wenig lässigen Katholizismus vormärzlicher Stimmung im Mainzer Domkapitel, die Freunde zugleich einer „christlichen Irenik" ihn zum Bischof wählten. Dieses Buch, in seiner theologischen Betrachtungsweise noch angeregt durch die Tübinger Schule, weit mehr aber, besonders in seiner philosophischen Grundauffassung, durch die Spekulation Franz Baaders, über diese hinweg auch durch Hegels Dialektik genährt, will den Katholizismus als gestaltendes

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Lebensprinzip in seiner geschichtlichen S e l b s t e n t f a l t u n g b e t r a c h t e n u n d diese „ S e l b s t v e r m i t t e l u n g " erkennen lehren als Wesenszeichen d e r lebendigen Ideen, als höchste, zugleich den i m m a n e n t e n göttlichen Lebensprozeß verbildlichende D a r s t e l l u n g der Dialektik d e r allgemeinen Weltentwicklung. Mit seiner dialektischen Philosophie der O f f e n b a r u n g redete Leopold Schmid an seinen W ä h l e r n v e r m u t l i c h nicht weniger vorbei als an seinen Gegnern. W o h l a b e r m u ß t e n die Männer des Mainzer Piusvereins, die F r e u n d e einer s t r e n g sich abschließenden katholischen Kirchenlehre, unwillig a u f h o r c h e n , wenn sie v e r n a h m e n , d a ß Schmid in einer schließlichen V e r m i t t l u n g des K a t h o l i z i s m u s und , , E v a n g e l i s m " d a s Ziel der christlichen E n t w i c k l u n g sah. D a s b e t o n t e B e k e n n t n i s z u m Katholizismus f e h l t e a u c h bei diesem „ I r e n i k e r " nicht. Aber der Verm i t t l u n g s g e d a n k e s c h i m m e r t e d u r c h den katholischen Unterbau h i n d u r c h , u n d die s t r e n g e n d e u t s c h e n Theologen, denen e t w a der italienische J e s u i t e n p a t e r P e r r o n e mit seinem Scholastizismus als der r i c h t u n g g e b e n d e Meister galt, m o c h t e n u m so mehr die G e f a h r einer Preisgabe d o g m a t i s c h e r Lehren w i t t e r n , als die Sprache des Buches nicht ihre S p r a c h e w a r . Sie b r a u c h t e n n u r diese Schrift der p ä p s t lichen N u n t i a t u r vorzulegen, ü b e r den im Kirchlichen eigenwilligen, konfessionell ausgleichenden Geist seiner Vorlesungen, seiner W i r k s a m k e i t ü b e r h a u p t n a c h R o m zu berichten, u m seine B e s t ä t i g u n g zu v e r h i n d e r n . U n d m a c h t e n nicht a u c h seine Predigten d e m Gegner die Arbeit leicht, — schon d a r u m , weil sie nichts sagten v o n dem, w a s man in R o m hören w o l l t e ? K o n n t e m a n nicht in der P r e d i g t s a m m l u n g sogar, die er im J u n i 1847 seinem Bischöfe gewidmet h a t t e , bedenkliche B e m e r k u n g e n f i n d e n über die „ Ä u ß e r l i c h k e i t e n " des kirchlichen Lebens, „ w o r i n die Menschen b e w u ß t oder u n b e w u ß t ihrem S e l b s t r u h m oder sonstigen eigennützigen Absichten n a c h g e h e n " ? W a r dieser Professor, d e r n u n Bischof w e r d e n wollte, in der kirchlichen Bewegung des J a h r e s 1848, in dem K i r c h e n k a m p f e der Wahlen und des P a r l a m e n t s , der Presse und der P e t i t i o n e n irgendwie hervorget r e t e n ? Ihm, den alsbald die Z u n e i g u n g d e r D e m o k r a t i e zu ihm, nicht seine Z u n e i g u n g zu ihr auch beim Ministerium in Verruf bringen sollte, k o n n t e m a n freilich alles eher v o r h a l t e n , als d a ß er in den Blütetagen der Märzfreiheiten mit d e m R a d i k a l i s m u s gelipbäugelt h ä t t e . Seine Gießener P r e d i g t v o m 26. März 1848 war wahrlich keine R e v o l u t i o n s p r e d i g t ; als ein Mann, dessen G r u n d a n s c h a u u n g sich nicht w a n d e l t im Wechsel des Tages, sprach er mit V e r a c h t u n g von denen, die sich stolz gegen ihren F ü r s t e n erheben, zu dessen Füßen sie noch j ü n g s t g e k r o c h e n , die den Willen des Volkes, das sie bisher nicht k e n n e n wollten, mit einem Male a n b e t e n , die den Massen huldigen. Aber die F ü h r e r des politischen K a t h o l i z i s m u s verlangten etwas a n d e r e s als solch ein stilles B e k e n n t n i s des M a n n e s m u t e s und der T r e u e z u m L a n d e s h e r r n : Kirchenrecht u n d Kirchenfreiheit, d a s war

Die Persönlichkeit Leopold Schmids

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ihre Losung. Schmid h a t selbst in dem politisch und kirchlich stark erregten Mainz der ersten Apriltage des J a h r e s 1848 in der Predigt zur Primiz eines seiner Schüler nur einmal nebenbei und gewiß nicht im Geiste der Männer um Lennig davon gesprochen, d a ß Religion und Freiheit nur zusammen gedeihen k ö n n t e n ; gerade hier r ü h m t e er nicht den geistlichen Kampf f ü r die machtvolle Kirchenfreiheit sondern die in ihrer Vereinigung von Milde und E r n s t ihm vorbildlich scheinende oberhirtliche F ü h r u n g des ruhig besonnenen Bischofs Kaiser und die gerechte Regierung des Großherzogs. Lennig und die anderen, die den Mainzer Katholizismus der Kirchenfreiheit vertraten, wußten, d a ß sie mit Leopold Schmid in der Theologie, in den kirchenpolitischen Anschauungen, im Kirchenbegriff ü b e r h a u p t höchstens durch einen leichten Hauch katholischen Gemeingefühls verbunden waren. Wenn sie nicht ohnedies über die Lehrtätigkeit und die Schriftstellerei Schmids im Klaren gewesen wären, so h ä t t e allein schon jene Mainzer Predigt — noch mehr durch das, was sie beiseite ließ, als durch das, was sie sagte — ihnen deutlich machen müssen, d a ß sie f ü r ihre Ziele von diesem Geistlichen nichts zu hoffen hatten. Das war der Mann, den die Mehrheit des Mainzer Domkapitels zum Bischof erkoren hatte. Die leidenschaftliche Erbitterung, womit Lennig selbst das Wahlergebnis a u f n a h m , erscheint in seiner Anhängerschaft noch gesteigert und brach mit u n g e h e m m t e r Gewalt in der Tageszeitung dieser klerikalen Gemeinschaft hervor. Das „Mainzer J o u r n a l " suchte zuerst mit den Waffen des Konstitutionalismus, des Mainzer Selbstbewußtseins, der kirchlichen Freiheit gegen die angeblichen D a r m s t ä d t e r Eingriffe in die Mainzer Wahl a n z u k ä m p f e n , um diese als nichtig erscheinen zu lassen. Aber noch ehe Schmid die Wahl angenommen h a t t e ( I . März 1849), m u ß t e es auch seinen Widersachern klar sein, d a ß lediglich die freie Entscheidung der Kapitelsmehrheit das Ergebnis herbeigeführt h a t t e . D a r u m wurde der Feldzug, als sich der Lärm des ersten K a m p f e s 1 ) gelegt h a t t e , bald nur noch im Geheimen und lediglich gegen die Wähler und ihren Erwählten g e f ü h r t . In diesem K a m p f e h a t t e allein die Minderheit des Domkapitels von vornherein günstige Aussichten. Sie selbst war in ihren kirchlichen Anschauungen klar, bestimmt, scharf: Lennig und seine Genossen h a t t e n nichts von der, in ihrer Beweglichkeit auch zerfließenden, halb rationalistisch-verstandesmäßigen, halb fromm-gefühls mäßigen Religiosität, wie sie die Männer der Aschaffenburger Schule in ihrer gelassenen Duldsamkeit hegten. Die Minderheit im Domkapitel aber h a t t e in der Stadt Mainz unter den regelmäßigen Kirchenbe') Unkirchliche Stimmen wurden außer in der Presse auch in Flugblättern laut. Die Mainzer Stadtbibliothek bewahrt ein Gedicht in Mainzer Mundart (Aach noch ebbes iwwer die Bischofswahl in Meenz), das die Leute vom Piusverein, doch auch das Bischofsamt selbst verspottet.

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Suchern vielleicht schon die Mehrheit, jedenfalls stand ihr, wenn nicht die größere, so doch die rührigere, entschlossenere Gruppe der Mainzer Katholiken zur Seite. Vor allem aber: Lennig und seine Freunde fühlten sich hineingestellt in die deutsche und in die Welt-Gemeinschaft des strengen Kirchentums. Der Zusammenschluß des deutschen Episkopats, wie er sich wenige Monate zuvor in der Würzburger Bischofsversammlung dargestellt hatte, war zwar kein festes Einigungswerk von gleichmäßig fortdauernder Wirkung geworden. Die Zwiespältigkeit der persönlichen Art, der geistigen Uberlieferungen, der landschaftlichen und staatlichen Bindungen in den deutschen Bistümern, bei den deutschen Bischöfen konnte nicht so leicht überwunden werden. Selbst in der Oberrheinischen Kirchenprovinz fehlte eine völlige Einheit bischöflicher Gesinnung und bischöflichen Handelns. Aber jene deutschen Bischöfe, die schon vor dem Jahre 1848 in einer engen Verbindung mit Rom einen Weg zur Kirchenfreiheit im kirchlichen Sinne gesehen und seit den Märztagen diese Verbindung ebenso eifrig gepflegt hatten, wie Rom selbst sich um sie bemühte, Männer wie der Limburger Bischof Peter Josef Blum und der Freiburger Erzbischof Hermann von Vicari, vor allem die eigentlichen bischöflichen Träger der deutsch-römischen Verbindungen, der Erzbischof Geissei von Köln und mehr noch Graf Reisach, der Münchner Erzbischof, — sie wußten, was die Besetzung eines deutschen Bistums zu bedeuten habe in einer Zeit, da man die reine Kirchenfreiheit von der Frankfurter Nationalversammlung vergebens gefordert hatte, da überdies die Macht der Entscheidung vom Reichsparlament wieder auf die Einzelstaaten überging, da man in deutschen Mittel- und Kleinstaaten einen Kirchenkampf auskämpfen mußte, um Rechte zu gewinnen, die der Kirche in Österreich zustanden und ihr soeben in Preußen gewährt worden waren. Die stille kirchliche Gegenarbeit gegen die Mainzer Bischofswahl ist geleistet worden von diesen deutschen Prälaten, von anderen angesehenen Vertretern der lehrenden Kirche, auch von einzelnen Männern aus der kirchlichen Gelehrtenschaft, wie Döllinger, in Fühlung mit den römischen Nuntiaturen zu Wien und München, in Fühlung mit Rom selbst, wo der Papst gar Messen für die bedrohte Mainzer Diözese lesen ließ. 1 ) Die Bischofswahl war in ihren Formen kirchlich unanfechtbar, in ihrem Ergebnis kirchlich unerträglich. Rom und seine deutschen Anhänger versuchten deshalb das Ergebnis zu beseitigen, ohne die Form zu berühren. Aber dieser deutsche Professor, der sich um die Bischofswürde nicht beworben hatte, wollte nun doch auf seinem Rechte bestehen. Vergebens bemühten sich weltliche und geistliche Beauftragte der Kurie, bis hinauf zum Freiburger Erzbischof, den erwählten Bischof zum Verzichte zu bewegen. Er glaubte, sich wie Pius IX. bei der Audienz Lennigs 22. U . 1854: Brück, L. 204.

Kirchlicher Kampf gegen das Wahlergebnis

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auf die Mehrheit des Domkapitels so auf die Mehrheit des Diözesanklerus überhaupt berufen zu dürfen und stützen zu können. In der Tat mögen die meisten dieser Kleriker, die in Gießen ausgebildet worden und durch Kaisers milde Schule hindurchgegangen waren, wenn auch kaum für die philosophischen Gedankengänge Schmids, so doch f ü r seine theologische und kirchenpolitische Grundstimmung Verständnis gehabt haben: „Irenik" wurde von Schmid selbst grundsätzlich und praktisch zugleich gefaßt, wurde gerade gewiß mit den praktischen Folgerungen von den Geistlichen, die im freundlichen Leben und Lebenlassen sich wohl fühlten, bereitwillig aufgenommen. So konnte ihnen der Professor als Bischof willkommen sein. Aber es kam schließlich weder auf den Erwählten noch auf seine Wähler an, noch auf den mehr mitgehenden als bestimmenden Pfarrklerus, sondern auf Rom und die Regierung. Das Ministerium J a u p hatte mit seinem Verzicht auf jeden Eingriff in die Kandidatenliste und in die Bischofswahl überhaupt bewiesen, daß ihm die Absicht fernlag, einen Kampf mit der kurialistischen Richtung im Mainzer, im deutschen Katholizismus aufzunehmen. Die Wahl Schmids wurde bei der Regierung und bei Hofe freundlich aufgenommen. Man meinte im Ministerium zunächst, die Kurie werde die für die Oberrheinische Kirchenprovinz geltende Form des Informativprozesses anwenden. Darum beunruhigte man sich in Darmstadt nicht über die erste leidenschaftliche Erregung der Anhänger Lennigs. Die Wahluntersuchung konnte kirchlich vollzogen werden, ohne daß die Regierung sich zu beteiligen oder die Verantwortung zu tragen hatte. Sprach das Ergebnis der kirchlichen Prüfung etwa gegen Schmid, — nun: er war der Erwählte der Kapitelsmehrheit, nicht der Regierung. Dem Ministerium, das gar nicht daran gedacht hatte, Schmids Erhebung zu fordern, fehlte auch die Neigung, für dessen Anerkennung zu kämpfen. Diese Darmstädter Stimmung war den Leuten um Lennig und also auch den Leuten an der Kurie bekannt. So wagte der aus seinem eigenen Lande vertriebene Papst das zu tun, was er nur t u n konnte, wenn die Regierung nicht auf ihren Rechtsansprüchen beharren wollte: Pius IX. leitete keinen Informativprozeß ein, er sprach vielmehr in einem Breve vom 7. Dezember 1849 mit schlichter Berufung auf glaubwürdige Zeugnisse und urkundliche Beweise dem Erwählten die bischöflichen Gaben ab und verwarf die Wahl. Das Ministerium J a u p aber — dessen kirchenpolitischer Berichterstatter v. Rieffei auch jetzt mit dem Freiherrn v. Dalwigk zusammenarbeitete und die Fühlung mit dem Kreise Lennigs nicht verlor — war von dem Gedanken, die Einleitung des Informativprozesses zu fordern, so weit entfernt, daß es vielmehr selbst die Beilegung des Bistumstreites herbeiführen half. Die eigentliche Entscheidung der Personenfrage wurde aus einer Sache des Mainzer Domkapitels zur Sache der römischen Kurie, aber nur die bereitwillige Mitarbeit der hessischen Regierung hat die rasche Lösung

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im Sinne Roms möglich gemacht. Indem Kurie und Regierung sich auf derselben Seite zusammenfanden, entschied sich das Schicksal des erwählten Bischofs. Unter dem doppelten Drucke, vornehmlich aber unter dem nahen Darmstädter und nicht so dem fernen römischen, gab die Kapitelsmehrheit nach. Mehrheit und Minderheit einigten sich im Einvernehmen mit der Regierung über die Nennung von drei Namen außerhessischer Kleriker. An die erste Stelle setzten sie Ketteier, an die zweite den Breslauer Domherrn Heinrich Förster, Diepenbrocks Freund und Mitarbeiter, der als Abgeordneter in der F r a n k f u r t e r Nationalversammlung gleichfalls Mitglied der katholischen Vereinigung gewesen und auch am Mainzer Katholikentage beteiligt w a r ; als letzter wurde der Rottenburger Domherr Ohler genannt. Dieser Schwabe, der bei gut kirchlicher Gesinnung sich doch von dem lauten Treiben der Piusvereine zurückgezogen hatte, war von der alten Kapitelsmehrheit empfohlen worden und der Lennigschen Gruppe nicht eben erwünscht. Die beiden anderen Namen aber waren beiden Teilen genehm; der einzige Domherr der alten Mehrheit, der das neue Verfahren nicht billigte, h a t t e sogar lediglich Ketteier genannt wissen wollen. Der Vorschlag der Dreierliste selbst ging von der Minderheit aus, und erfolgte offenbar mit dem durch Reisach, Diepenbrock und die päpstlichen Nuntien vermittelten Einverständnis der Kurie. Der Papst sollte unter den drei Kandidaten frei wählen. Das hat auch die Regierung ausdrücklich anerkannt. Die weltliche Macht eben war es, die den Ausgleich im Domkapitel, der zuerst unter fremder, auf Rom gestützter geistlicher Einwirkung angebahnt worden, aber infolge der Beharrlichkeit weniger der Wähler als des Erwählten gescheitert war, tatsächlich zustande brachte. Es war das Werk Rieffels und des nicht weniger kirchlich gesinnten Ministerialrats Crève, die am 4. Februar 1850 persönlich in Mainz erschienen; Rieffei insbesondere vermochte es, auch den preisgegebenen erwählten Bischof in Gießen zu versöhnen, der fortan als Angehöriger der philosophischen F a k u l t ä t ganz seiner Philosophie leben konnte. Für jenen Ausweg des Dreiervorschlags, womit die Regierung nicht weniger als das Domkapitel der Kurie ein Zuges t ä n d n i s machte, erhielt das Darmstädter Staatsministerium am 18. Februar 1850 die Genehmigung des Großherzogs. Es geschah auf Grund eines von Rieffei verfaßten, gut auf die Anschauungen Ludwigs III. berechneten Berichts. Hier war der Ausgleich als Werk nicht nur, sondern auch als Gewinn der Regierung dargestellt, als die jetzt durch Schmids Verzicht auch persönlich unbedenklich gewordene Preisgabe eines unmöglichen Planes zugunsten eines aussichtsvollen und beruhigenden. Die Absicht kirchlicher und politischer Beruhigung wurde vom Ministerium am stärksten hervorgehoben. Dieser Kampf um den Gießener Professor, der zum Bischof gewählt worden war und nun für den Abend seines Lebens doch Professor bleiben sollte,

Die Regierung und die päpstliche Verwerfung Schmids

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dieser Streit um den Bonifatiussitz war tatsächlich vom Kirchlichen mmer mehr auch ins Politische hinübergezogen worden, vor allem in Mainz selbst. Diese Verquickung mit dem Politischen, die für die Haltung der Regierung entscheidend wurde, will aus dem Mainzer Leben, den Mainzer Stimmungen heraus begriffen sein.

Katholische Anschauung sah auch das nachkurfürstliche, das hessische M a i n z gern als „die katholische S t a d t " an. Diese Auffassung ist unter Kettelers Regiment, das sich nicht wenig bemühte, ein Regiment auch in der Stadt zu sein, noch gelegentlich hervorgekehrt worden und hat tatsächlich unter Ketteier in einem bestimmten Sinne wieder Berechtigung gewonnen. In den Kämpfen um die Nachfolge Kaisers arbeitete der Kreis Lennigs mit der Vorstellung vom „alten katholischen Mainz". Das Mainzer Journal schrieb in diesem Geiste. Im Hochsommer 1849 aber, einige Monate vor der päpstlichen Entscheidung, hielt der Domkaplan Dr. Heinrich am Kirchweihfeste eine halb kirchenpolitische Predigt, die sofort auch im Druck erschien als „Ein Blick in die religiöse Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft der Stadt und des Bistums Mainz". 1 ) Mit ausdrücklicher Beziehung auf die widerkirchlichen Erscheinungen des Tages — er stellte fest, daß „die schauerlichsten Irrlehren offen verkündigt, die Grundwahrheiten des Christentums offen geleugnet" werden, und meinte damit den Deutschkatholizismus vor allem —, mit verborgener Beziehung auch auf die Bischofswahl erklärte der im Stillen eifrig gegen die Kapitelsmehrheit wirkende Freund Lennigs, daß es jetzt, wie zur Zeit der Arianer, wie zur Zeit der Reformation, wieder ernstlich in Frage stehe, „ob Mainz katholisch, ob es eine feste Burg des Glaubens bleiben, oder aber, ob es der Religion verloren und zu ihren Feinden übergehen werde". Hier war Mainz als von Rechts wegen katholische Stadt angesprochen. Aber dieser Anspruch vertrug sich schlecht mit der Wirklichkeit. Das Mainz der Jahrhundertmitte war die katholische Stadt doch eben nur in Erinnerung oder Forderung. Das Leben der letzten anderthalb Menschenalter hatte das alte Mainz durchfremdet und großenteils zersetzt. Das neue Mainz des deutschen Bundes und des Großherzogtums Hessen ist aus dem Umsturz der Revolutions-, aus den Verschiebungen der napoleonischen Zeit langsam emporgestiegen. Der hessische Vertreter auf dem Wiener Kongreß hatte im Juni 1815 noch die Stadt fahren lassen; erst durch die Pariser Abmachungen vom November 1815 dem Großherzoge gesichert, war sie im Juli 1816 feierlich in dessen Besitz übergegangen. 8 ) Ein derartiges Erwerbsgeschäft !) Mainz, Kirchheim u. Schott, 1849. *) J . R. Dieterich bei: Bechtolsheimer, Dieterich u. Strecker, Beitr. z. rheinhess. Gesch. (1917) S. 280 ff.

158 II 1: Ketteier im besä. Landesbistum und in der Oberrbein. Kirchenprovinz konnte die Mainzer, die sich durchaus als Deutsche und stets als stolze Städter, aber gar nicht als landesfürstliche Untertanen zu fQhlen gewohnt und geneigt waren, gewiß nicht ohne weiteres zu guten HessenDarmstädtern machen. Das hätte sich leichter fügen können, wenn Mainz Landeshauptstadt geworden wäre. So aber gehörte es einem Staate an, dem eine andere Stadt den Beinamen gab, und wenn auch der Mainzer mit stolzem Überlegenheitsgefühle spöttisch auf Darmstadt herabsah: die stille Residenz der hessischen Landgrafen war und blieb die Hauptstadt des Großherzogtums. Da bedeutete es einen Gewinn noch für Mainz, Festungsstadt zu sein, wennschon die militärischen Zwangsgrenzen dem wirtschaftlichen Leben, dem wachsenden bürgerlichen Ausdehnungsdrange bald zur Last wurden. Als Festung, die stärkste des deutschen Bodens, stand sie, hinauswachsend über ihr Provinzdasein, im bescheidenen staatlichen Gemeinschaftsleben des deutschen Bundes. Was zu der, mit mehr als 6000 Mann Preußen und Österreichern und einem hessischen Bataillon belegten Festung gehörte, war deutscher Bundes-, nicht hessischer Staatsbesitz. Was einst der kurfürstliche Hof mit seinem Adel, das stellten jetzt in der gesellschaftlichen Welt von Mainz nicht die hessischen und nicht die städtischen Behörden dar, sondern die militärischen Spitzen, nur daß sie mit dem Mainzer Stadtleben nicht so innig verwachsen konnten wie einst die Adelsfamilien. Die Besetzung des Festungsgouvernements und der Kommandantur wechselten von fünf zu fünf Jahren zwischen Österreich und Preußen ab. Beide Großmächte suchten diese Posten mit dem Glänze militärischer Geltung und gesellschaftlichen Gepränges zu umkleiden; die Reihe der Gouverneure eröffnete kein geringerer als Erzherzog Karl, er wurde abgelöst durch Prinz Wilhelm von Preußen, des Königs Bruder, der im Jahre 1834 als Nachfolger des Herzogs Ferdinand von Württemberg zurückkehrte, und immer wieder sind Generäle von gutem Namen nach Mainz berufen worden.

Auch die Stadt Mainz selbst hatte sich umgestaltet. Die französischen Jahre hatten sie aufgerüttelt, durcheinander geschüttelt, halb auch zerrüttet. Der Stiftsadel war zerstoben. Manche andere alte Familien waren ausgewandert, einige französische Familien zurückgeblieben. Im übrigen behauptete sich zwar der bürgerliche Grundbestand größtenteils. Aber fremde Zuwanderer setzten sich fest. Die hessische Herrschaft führte neue Beamtenfamilien, nicht alte Geschlechter nach Mainz. Sie brachte überhaupt einen bedeutenden fremden, vor allem protestantischen Zustrom. Mainz war in das 19. Jahrhundert hinübergetreten als eine katholische Stadt. Katholisch — mit einer für eine solche Stadt des alten Reiches selbstverständlichen Einschränkung: sie hatte seit Jahrhunderten ihre starke Judenschaft; neben den 20000 Katholiken standen im Jahre 1801 erheblich

Mainz und das Großherzogtum Hessen. Die Bevölkerung der Stadt

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m e h r als tausend J u d e n . Die große j ü d i s c h e Gemeinde ging als E r b g u t der kurfürstlichen Zeit durch die F r a n z o s e n h e r r s c h a f t h i n d u r c h in die hessische Zeit. Waren die J u d e n im G r o ß h e r z o g t u m Hessen ü b e r h a u p t in günstiger Lage, so n a m e n t l i c h in der P r o v i n z Rheinhessen, und insbesondere in deren H a u p t s t a d t . Mainz h a t t e die bed e u t e n d s t e Gemeinde. Im J a h r e 1847 w a r a u c h die einzige gesetzliche Fessel gefallen, die die wirtschaftliche E n t f a l t u n g u n d das bürgerliche Ansehen der Mainzer J u d e n noch h a t t e beeinträchtigen k ö n n e n : d a s „ M o r a l p a t e n t " , das jährlich v o m G e m e i n d e v o r s t a n d auszustellende Zeugnis, womit israelitische G e s c h ä f t s l e u t e ihre g u t e A u f f ü h r u n g , insbesondere die E n t h a l t u n g von W u c h e r und u n e r l a u b t e m Handel nachweisen m u ß t e n . 1 ) P r o t e s t a n t e n w a r e n zwar schon in k u r f ü r s t licher Zeit zugelassen, aber sie genossen n i c h t grundsätzlich das R e c h t d e r J u d e n , frei ihrem Glauben zu leben. 2 ) E r s t seit d e m J a h r e 1802 g a b es eine bescheidene evangelische Gemeinde. Aber bereits im J a h r e 1816 s t a n d e n neben den 1000 J u d e n b e i n a h e ebenso viel P r o t e s t a n t e n , zwanzig J a h r e s p ä t e r h a t t e n die Mainzer P r o t e s t a n t e n mit a n n ä h e r n d 3400 Seelen f a s t die doppelte Ziffer der J u d e n erreicht, in den vierziger J a h r e n wuchsen sie in noch s t ä r k e r e m Verhältnisse. Im J a h r e 1816 stellten sie nicht einmal ein F ü n f z e h n t e l , im J a h r e 1846 dagegen ein Sechstel der Bevölkerung d a r ; Mainz z ä h l t e a m Vorabend der F e b r u a r revolution neben reichlich 28000 katholischen und über 2000 jüdischen f a s t 6000 p r o t e s t a n t i s c h e Bürger. Die P r o t e s t a n t e n v o r allem bildeten den beweglichen, zugleich den a m s t ä r k s t e n z u n e h m e n d e n Teil der Bev ö l k e r u n g . Die K a t h o l i k e n g e h ö r t e n z u m e i s t alteingesessenen Familien a n . Freilich war a u c h bei ihnen mit d e m wachsenden Verkehrsleben des Zollvereins, der neuen R h e i n s c h i f f a h r t und der f ü r den Mainzer H a n d e l u n m i t t e l b a r nicht förderlichen e r s t e n rheinischen Eisenbahnen mehr B e w e g u n g eingetreten. Allerdings v e r m o c h t e n weder die n a t ü r lichen n o c h die erworbenen günstigen V e r k e h r s b e d i n g u n g e n , noch der k a u f m ä n n i s c h e U n t e r n e h m u n g s g e i s t u n d die W i r k s a m k e i t der eifrig a r b e i t e n d e n Mainzer H a n d e l s k a m m e r 3 ) die Nachteile völlig a u s z u gleichen, die die Zugehörigkeit zu einem nicht großen und nicht mächtigen S t a a t e d a m a l s notwendigerweise mit sich b r a c h t e . Aber, wennschon der S t a a t wenig f ü r die S t a d t t a t 4 ) , so s t a n d sie doch j e t z t nicht m e h r so abgeschlossen da wie z u v o r ; auch die alten Mainzer Familien t r a t e n in neue Z u s a m m e n h ä n g e u n d V e r b i n d u n g e n . In d e r ') S. Saalfeld, Bilder aus d. Vergangenheit d. jüd. Gemeinde Mainz (1903) S. 80 f. ») H. Schrohe, Die Stadt Mainz unt. kurfürstl. Verwaltg. (1920) S. 145 ff. a ) Vgl. W. Velke u. P. Meesmann, Die Handelskammer zu Mainz 1798—1898. *) Die „schwere Vernachlässigung unserer Interessen seitens der vormärzlichen Regierung" wird tendenziös übertrieben in dem zu Beginn von Dalwigks Regiment veröffentlichten Aufsatze „Mainzer Zustände": Mz. J . 1850 Nr. 179 (30. 7.). Ahnlich schon die Darmstädter Zeitung 1849 Nr. 14 (14. 1.) in einer Mainzer Zuschrift vom 12. Januar.

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111: Ketteier im hess. Landesbistum und In der Oberrheln. Kirchenprovinz

Zeit von 1847—1852 sind bei mehr als zwei F ü n f t e l n d e r Mainzer Eheschließungen A u s w ä r t i g e beteiligt. 1 ) So v e r ä n d e r t e sich ein S t ü c k auch der eingesessenen B e w o h n e r s c h a f t , u n d in m a n c h e n Familien wurden die alten Überlieferungen d u r c h k r e u z t oder g e t r ü b t . D u r c h alle W a n d l u n g e n erhielt sich indessen ein s t a r k e r G r u n d bestand altmainzischen B ü r g e r t u m s , erhielt sich v o r allem der G r u n d zug mainzischen Wesens. D a s H e i m a t g e f ü h l der echten Mainzer war auch n a c h einem Menschenalter hessischer H e r r s c h a f t nicht hessisch"), sondern rheinisch und mainzisch. Sie sahen sich mit besonderem Stolze in die linksrheinische Rechtseinheit des napoleonischen Gesetzbuches hineingestellt. Vor allem a b e r : das s t ä d t i s c h e V e r a n t w o r t u n g s b e w u ß t sein w a r in ihnen weit s t ä r k e r entwickelt als d a s staatliche. Und das s t ä d t i s c h e G e s a m t b e w u ß t s e i n g r ü n d e t e sich mehr auf ein s t a r k e s Gemeinschaftsleben als auf die — gewiß n i c h t u n b e d e u t e n d e — Gemeinschaftsleistung, m e h r auf die gemütvolle E r f a s s u n g alles dessen, was d a s „ g o l d e n e " Mainz d e m Anblick u n d der E r i n n e r u n g an Eigenem d a r b o t , als auf die v e r s t a n d e s m ä ß i g e B e w ä l t i g u n g großer k o m m u n a l politischer A u f g a b e n . Dieser Mainzer Gefühlsstolz g a b sich in naiver Offenherzigkeit, anspruchslos und b e s t i m m t zugleich, witzig und derb, ein wenig laut in der u n n a c h a h m l i c h e n M u n d a r t , die, mit allem Sein und Denken verwoben, den v o r n e h m s t e n Bürger mit den vielgenannten Mainzer Gassenbuben freundlich verbinden konnte. Das hessische Mainz der J a h r h u n d e r t m i t t e noch f ü h l t e sich oder galt m i n d e s t e n s dem echten Mainzer als ein S t a d t s t a a t eigener K u l t u r und eigener Sprache. G y m n a s i u m , Bibliothek, d a s bescheidene gelehrte, literarische, k ü n s t lerische L e b e n : alles zeigte die besondere Mainzer F a r b e . D u r c h den N a m e n G u t e n b e r g meinten die Mainzer in den S t r o m der W e l t z u s a m m e n h ä n g e aller geistigen K u l t u r hineingestellt zu sein, und wenigstens bei d e m internationalen Feste der E n t h ü l l u n g von Thorwaldsens G u t e n b e r g s t a n d b i l d (1837) f ü h l t e sich Mainz f ü r einen Augenblick wie eine geistige H a u p t s t a d t der Welt. Die eigene L i t e r a t u r aber war heimatlich in ihrer A r t u n d W i r k u n g . G a n z als Mainzer und ganz f ü r Mainzer d i c h t e t e der versöhnlich heitere Friedrich Lennig. Er gab j e d e m seiner Mitbürger „ E t w a s z u m L a c h e n " , und noch längst nach seinem f r ü h e n T o d e (1838) konnten in seiner derbfröhlichen Laune alle Geister dieser S t a d t sich geeinigt u n d versöhnt glauben. J e d e r mann sah in d e m B r u d e r des eifervollen Klerikers nicht den K a t h o liken, sondern den Mainzer. Die kirchlichen Gegensätze waren ü b e r h a u p t d u r c h die Altmainzer Neigung zu freundlicher D u l d s a m k e i t so sehr gemildert, wie in keiner Fr. Dael, Die Bevölkerungsverhältnisse der Stadt Mainz (1853; S.-A. aus Hübners Jahrb. f. Volksw. u. Statist.) S. 16 (S. 28 f. Bevölkerungsübersicht). *) Auch Daiwigk hielt sie später im Grunde s. Herzens „nicht für begeisterte Anhänger" des Großherzogs. Vgl. Dalwigks Tagebücher S. 390 (23. 10. 1866) und Daiwigk an H. v. Gagern 31.10.1868: E.Vogt, Die hessische Politik S. 182.

Mainzer Stimmungen und Mainzer Leben

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anderen Stadt mit derartig starker katholischer Bevölkerung und ähnlich bedeutenden katholischen Erinnerungen. Der klerikale Geist drängte sich nicht vor und darum nicht zuletzt konnte er den widerklerikalen Geist bannen. Der Bischof erschien den Bürgern als ein würdevolles Erbteil vornehmen Kirchentums; die unkirchlichen und die nichtkathoiischen Mainzer selbst sahen in ihm ein Stück städtischen Glanzes, wie etwa freigeistige Italiener den Papst unter den moralischen Besitztümern ihres Heimatlandes nicht missen mögen. Die deutschkatholische Flut erfaßte manchen Mainzer, aber sie zernagte nicht den festen Kirchenbestand. Nur laue Katholiken pflegten sich zu dem mehr im Abwehren und Verwerfen als im Aufbauen starken Deutschkatholizismus zu bekennen; im Februar 1847 erst bildete sich eine Gemeinde in Mainz, zwei Jahre später im überrheinischen Kastel. 1 ) Begünstigt wurden die Deutschkatholiken durch die demokratischen Neigungen, die in Mainz stark entwickelt waren. Der demokratische Gleichheitsgedanke lag den Mainzern fast im Blute; er mußte schon durch eine starke aristokratische Geistesart oder besonders bedeutende historisch-politische Antriebe oder durch geistliche Gedankenleitung und kirchliche Vorstellungen überwunden werden, wenn er nicht dem echten Mainzer wie ein natürlicher, ein notwendiger Besitz erscheinen sollte. Das geräuschvolle, herzliche, freie bürgerliche Tagesleben, das alle Standesunterschiede in dem gemeinsamen Mainzertum aufgehen ließ und jedes Vornehmtun als unrheinisch und unmainzisch abwehrte, dieses Gemeinschaftsleben auf engem Boden hielt die Mainzer Bürgerschaft bis zu den Märztagen hin wie mit einem naturhaften Familienbande zusammen, Ober die Unterschiede des Lebens und der Anschauung, auch über die konfessionellen Gegensätze hinweg. Die Feste schon, die diese bewegliche Bürgerschaft mit angeborener Kunst zu feiern wußte, waren eine gemeinbürgerliche Sache. Der Karneval gehörte als wichtiges Stück in die wohlgeordnete Mainzer Gemeinschaft hinein. Die sinnige Sinnlosigkeit des närrischen Wesens wurde selbst in Köln kaum mit so viel freundlich-feierlicher, wohl schon übertreibender, aber auch ein wenig selbstverspottender Gewissenhaftigkeit vorbereitet und aufgenommen, wie in Mainz. Der im Jahre 1838 begründete Karnevalverein war nach wenigen Jahren die größte Vereinigung der Stadt.*) In dieser Gesellschaft, die nun freilich Fastnachtsleben über den ganzen Winter und Nachwinter hin ausbreitete, zur Leitung berufen zu werden, galt als eine besondere Auszeichnung; wer in der Bürgerschaft Boden gewinnen wollte, konnte hier, wo viele Hunderte und nicht lediglich zu tollem Fastnachtstreiben zusammenkamen, leicht ein l

) Ferd. Kampe, Gesch. d. relig. Bewegung d. neuern Zeit 2 (1853) S. 70 ff.; K- Esselborn, Die deutschkatholische Gemeinde in Darmstadt (ungedr. Gießener philos. Diss. 1921). ') Vgl. die bequeme Übersicht bei A. Börckel, Mainz. Geschichtsbilder (1890) S. 45 f f . V i g e n e r , Bischof Ketteier

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11 1: Ketteier Im hess. Landwbbtum und In der Oberrhein. Kirchenprovinz

wirksames Mittel f i n d e n . 1 ) Der Mainzer K a r n e v a l d u r f t e wie d a s heitere Sinnbild des heiter tatigen Mainzer Lebens, wie d e r fröhliche Ausdruck eines e r n s t h a f t e n Einheitsgeffihles dieser bürgerlichen T r e u g e m e i n s c h a f t erscheinen. Den Mainzern selbst m o c h t e der Zwiespalt, den d a s J a h r 1848 und die n ä c h s t e n J a h r e a u c h in ihre S t a d t hineintrugen, nirgends so sinnfällig deutlich w e r d e n , als in der Z e r s t ö r u n g dieses v e r t r a u t e n fröhlichen Einheitsbildes. Man f ü h l t den r a u h e n Eingriff der neuen Wirklichkeit in dieses f r e u n d l i c h e Leben, wenn m a n den A d v o k a t e n Zitz, der einige J a h r e z u v o r als gewählter u n d wiedergewählter K a r n e v a l s p r ä s i d e n t wie der K ö n i g eines nicht n u r im Genießen einigen Festvolkes erschien, n u n als den leidenschaftlichen P a r t e i m a n n wiederf i n d e t , als den geschäftigen D e m o k r a t e n f ü h r e r in Mainz, als einen der radikalen P a r l a m e n t s k ä m p e n in F r a n k f u r t . Die G e m e i n s a m k e i t des Mainzer B ü r g e r b e w u ß t s e i n s wurde zerrissen d u r c h die m ä c h t i g e n und t r e n n e n d e n Willensantriebe der geistigen u n d politischen Ideale und der p a r t e i m ä ß i g e n F o r d e r u n g e n . In Mainz d r ä n g t e sich die D e m o k r a t i e in der Politik siegreich vor, und im Kirchlichen wie im Politischen t r a t e n der R a d i k a l i s m u s des K i r c h e n k a m p f e s und der R a d i k a l i s m u s der K i r c h e n b e k ä m p f u n g einander mit wachsender Leidenschaft gegenüber. Ein flüchtiger Augenblick der ersten Märzbegeisterung k o n n t e noch die Einheitlichkeit eines f r e i h e i t s t r u n k e n e n B ü r g e r t u m s v o r t ä u s c h e n . Bald war die s t a r k e D e m o k r a t i e in e r b i t t e r t e r Gegnerschaft g e t r e n n t von j e n e m gemäßigten Teile der B ü r g e r s c h a f t , dem auch die politisch nicht als eigene Gruppe h e r v o r t r e t e n d e n Klerikalen angehörten. Die Mainzer D e m o k r a t i e war nicht ganz einheitlich, sie war nicht in allen Schichten so radikal, wie es die l ä r m e n d e V e r t r e t u n g nach außen v e r m u t e n ließ, a b e r sie wurde eben durch geschickte radikale Führer, d u r c h den klugen jüdischen Gerichtsakzessisten Ludwig B a m berger noch mehr als d u r c h den pathetischen Zitz, so g u t z u s a m m e n gehalten, d a ß sie wie eine einheitliche Masse wirken k o n n t e . In die N a t i o n a l v e r s a m m l u n g w u r d e Zitz von fünf Sechsteln aller W a h l m ä n n e r gewählt. Die d e m o k r a t i s c h e S t i m m u n g zeigte sich in der leidenschaftlichen V e r h ö h n u n g des P r e u ß e n s Friedrich Wilhelms IV. und in blutigen Ausschreitungen gegen die Preußen der Festung, wie in planvollen Angriffen wider die G e m ä ß i g t e n in Mainz und die g e m ä ß i g t e Regierung in D a r m s t a d t . Obwohl oder auch gerade weil zahlreiche K a t h o l i k e n , nicht zuletzt in den D ö r f e r n des Mainzer Hinterlandes, zur D e m o k r a t i e hielten, war dieser die G e m e i n s c h a f t der „ P i u s b r ü d e r " v e r h a ß t , und die ') „Wer auf Mainz Einfluß haben will, muß es amüsieren", sagte später in seiner Weise der Seminarprofessor Haffner („Mainz i. J. 1863" S. 10; vgl. unten 112). Er verstieg sich (im Schutze der Anonymitat) sogar zu dem Satze (S. 20): „Karneval, ewiger Karneval, perennierender Karneval ist der Orundton des hiesigen öffentlichen Lebens".

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Die Mainzer Demokratie und die Bischofswahl

Klerikalen wiederum bekämpften in ihrem neuen „Mainzer J o u r n a l " und in dem alten „ K a t h o l i k " , der seit zwei J a h r e n als g u t geleitetes, dreimal wöchentlich erscheinendes Blatt im kirchlichen Sinne stark auf das Leben einwirkte, die „jüdisch-anarchische P a r t e i " . 1 ) Aber die rührige Gruppe um Lennig war zahlenmäßig nicht stark 2 ), und auch die mit ihr seit dem Juli 1848 im Mainzer Bürgerverein politisch verbundenen übrigen monarchisch Konstitutionellen h a t t e n neben den Demokraten wenig zu bedeuten. Alle demokratischen Erregungen im F r a n k f u r t e r Parlamente ließen die Mainzer demokratischen Empfindungen in gesteigerter Leidenschaft aufzucken. Die Mainzer Bischofswahl fiel noch unmittelbar vor die letzte Sturmzeit. Aber eine starke Bewegung h a t t e schon damals die demokratischen Mainzer erfaßt. Zwei Tage nach der Bischofswahl, am 24. F e b r u a r 1849, feierten bei 2000 Demokraten in Mainz den J a h r e s t a g der Pariser Februarrevolution*): ein Massenfest von internationalrepublikanischer Grundfärbung, mit leisen sozialistischen U n t e r t ö n e n ; es fehlte weder die rote Fahne, noch m u ß t e man die Namen S p a r t a c u s und Robespierre vermissen, wenn sie sich auch in etwas b u n t e r Reihe z u s a m m e n f a n d e n . Die Revolutionen vom F r ü h j a h r 1849, die dem Z u s a m m e n b r u c h e der F r a n k f u r t e r Nationalversammlung folgten, namentlich die pfälzische und badische, f ü h r t e n auch in Hessen Aufstände herbei; sie wirkten mächtig auf Mainz zurück, entzogen aber dem dortigen Radikalismus mit Bamberger den besten Kopf, mit Zitz den volkstümlichen Führer. Die Entscheidung zugunsten der monarchischen Gewalten im Sommer 1849 bezeichnete nicht das Ende der demokratischen Vorherrschaft in der S t a d t Mainz. Der liberale Minister J a u p , der den republikanischen Gelüsten von Anfang an entgegengetreten war, dem aber die Mainzer Demokraten, Bamberger voran, immer wieder eine „ w a h r e " demokratische Vertretung des Landes abzuringen versucht h a t t e n , dachte doch nicht daran, die republikanisch gerichteten demokratischen Verbände als solche zu bekämpfen. In Mainz bildete das demokratische Kasino, das erst Dalwigk drei J a h r e später auflöste 4 ), die stärkste gesellige Vereinigung; die Stadtverordneten waren in ihrer Mehrheit Demokraten; die Lehrerschaft b e k a n n t e sich größtenteils zu der Partei, die auch im Winter 1849/50 ») So: „Katholik" 1848 S. 575. — 6% Jahre später, als K., durch d. Bündnis mit Dalwigk gestärkt, gerade das Bonifatiusfest gefeiert hatte, meinte der „Katholik" (1855 I S. 539) gar, die „Tollheiten der Revolutionsjahre" hätten in dem „altkatholischen" Mainz „durchweg einen spezifisch antikatholischen Charakter" getragen. ) In Darmstadt traf sie 15.3. 51 ein. Dazu Vicari an K. 9 . 4 . 5 1 : Pfülf 1, 249. — D. Folg. nach den Darmst. Akten. — Die früheren Darstellungen sind ausnahmslos fehlerhaft und in wesentlichen Punkten irreführend (was hier ein für allemal angemerkt sei). ' ) Später, im Dezember, auf der Rückkehr aus Baden, traf Viale mit Kött zusammen: Pfülf, Geissei 2, 220. 3 ) Vgl. auch: Bad. Min. d. I. an d. Freiburg. Ordinariat 24. 10.51: Maas 226 Anm. 3.

Vorbereitung der Regierungsbesprechungen

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schon zu Anfang Dezember hätte eröffnet werden sollen. Aber wenige Wochen später drang der württembergische Vorschlag der Hauptstadt desjenigen Landes, das den Sitz des Erzbischofs in sich schließe, begreiflicherweise in Karlsruhe sogleich durch. Es mag dahingestellt bleiben, ob Württemberg wirklich aus Rücksicht auf die „Oberhäufung des Bundestagsgesandten mit wichtigen Geschäften" von Frankfurt abriet, oder nicht vielmehr aus Besorgnis vor den Bundestagsgewalten, insbesondere vor dem förmlich nicht beteiligten, aber einflußreichen, entschieden kirchenfreundlichen Österreich und auch vor Preußen, dessen hohenzollerische Besitzungen zur Oberrheinischen Kirchenprovinz gehörten, dessen König, wie jeder wußte, gern freundliche Hinneigung zu katholischer Bischofsmacht zeigte, dessen neuer Bundestagsgesandter Otto von Bismarck freilich, was damals auch die Diplomaten noch nicht ahnten, bald erkennen lassen sollte, daß er in der oberrheinischen Kirchenpolitik einen anderen Stil liebte als Friedrich Wilhelm IV. Jedenfalls erklärten sich die übrigen Regierungen, zuletzt, am 17. Januar 1852, auch Kurhessen, mit Karlsruhe einverstanden. Das Ministerium Dalwigk war dank Rieffels nie ermattender Arbeitskraft besonders gut für die Konferenz vorbereitet. Er bemühte sich Anfang November 1851 um vertrauliche amtliche Mitteilungen über die Ansichten der badischen Regierung. Von ihm auch kam die wichtige Anregung, die erste Zusammenkunft nur für eine allgemeine Aussprache zu bestimmen; erst nach diesem „vorläufigen" Austausch der Meinungen und nach Prüfung der Vorschläge sollten die Regierungen für eine zweite, endgültige Tagung die bestimmten Anweisungen geben. In der Tat waren die ersten K a r l s r u h e r K o n f e r e n z e n (7.—24. Februar 1852) nicht abschließend, aber sie boten doch in eindringlicher Besprechung aller bischoflichen Forderungen schon f ü r die meisten Punkte die Grundlage der endgültigen Entscheidung. 1 ) Bei der Eröffnung am 7. Februar waren neben dem badldischen Staatsrate Freiherrn von Stengel nur die Vertreter Württembergs und HessenKassels zugegen, — Oberkirchenrat von Schmid und Obergerichtsdirektor Abee — seit der dritten Sitzung (10. Februar) auch der nassauische Kommissar Ministerialrat Hendel. In der sechsten Sitzung, am 13. Februar, erschien zum erstenmal der bisher amtlich verhinderte Beauftragte des Großherzogtums Hessen. Aber Rieffei, der sich in diesen kirchlich-katholischen Angelegenheiten staatlich und kirchlich gleichermaßen zur Mitarbeit berufen fühlte, trat fortan aufs stärkste in den Verhandlungen hervor. Dabei wird deutlich, daß er inmitten der Bemühungen um gemeinschaftliche Einzelbestimmungen den besonderen Darmstädter Standpunkt zu wahren suchte. Die großherzogliche Regierung war in einer Sache, nicht der unbedeutendsten auf diesem kirchenpolitischen Diplomatenkongreß, gebunden und belastet, ähnlich wie Kurhessen. Da sie im übrigen gemeinsam mit den Genossen vorgehen wollte, mußte es die besondere Aufgabe ihres Vertreters sein, den ersten Schritt auf eigenen Wegen, die Preisgabe der Universitätsbildung der katholischen Theologen möglichst ») Z. Folg. die hektograph. Protokolle (Darmst., Min. d. I.), 207 Folioseiten. Protokollführer war der bad. Ministerialsekretär Turban (über ihn: A. D. B. 54, 715 ff.) — Für die Einzelheiten vgl. die bisch. Denkschriften (oben S. 194 ff., unten S. 225 ff.).

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noch unter die gemeinsame H a u p t r i c h t u n g rechtfertigend unterzubringen und durch geschickte Betonung der auch in Hessen festgehaltenen Rechte des Staatskirchent u m s die Bereitschaft zum Entgegenkommen gegen einzelne bischöfliche Wünsche, wie sie in Dalwigks Regierungsgrundsätzen und in Rieffels Herzen insbesondere zu Hause war, möglichst auch bei den Nachbarstaaten zu wecken. Bei der Besprechung des kirchlichen Disziplinarverfahrens erklärte Rieffei, im Gegensatz zu dem strenger staatskirchlichen badischen, u n t e r dem Beifall des württembergischen Vertreters, man müsse an dem Grundsatze, d a ß die geistliche Jurisdiktion dem Bischof gehöre und daher auch die Leitung dem bischöflichen Bea u f t r a g t e n zu überlassen sei, festhalten, aber die Regierung könne das Recht der Teilnahme an der Verhandlung nicht rein kirchlicher Fälle beanspruchen. Daß die bischöflichen Behörden auf Verlangen der Regierung die Akten vorlegen müßten, darin kamen alle Vertreter ebenso überein, wie in der Überzeugung, d a ß bei etwaigen künftigen Vereinbarungen die Disziplinargewalt des S t a a t e s gegen die Geistlichen in ihrer Eigenschaft als Staatsbeamte (z. B. als Lehrer) ausdrücklich vorbehalten sei. Sie alle wollten auch gewahrt wissen, was die Verordnung v o m 30. J a n u a r 1830 über den Recursus tamquam at abusu1) vorschrieb. Der persönlichen Entscheidung des Bischofs suchte Rieffei wenigstens die geringeren Disziplinarsachen zu sichern. Man erkennt hier die Rücksicht auf den Brauch der Mainzer Diözese und auf die Persönlichkeit des Mainzer Bischofs. Aber Baden und W ü r t t e m b e r g bestanden grundsätzlich darauf, daß alle Disziplinarsachen vor dem bischöflichen Gerichte behandelt werden m ü ß t e n ; bischöfliche Disziplinarverfügungen bei der Visitation sollten nur als vorläufig gelten und alsbald der rechtlichen Beurteilung des bischöflichen Gerichts unterstellt werden. In der Frage des landesherrlichen P l a c e t zeigen sich gerade die kirchenfreundlichsten Regierungen staatskirchlich konservativ: in den beiden hessischen Staaten hatten die rein landesherrlichen Rechte noch am meisten zu bedeuten und wurden von den Fürsten selbst eifersüchtig gewahrt. Während in W ü r t t e m b e r g und Baden seit 1848 tatsächlich ü b e r h a u p t kein Placet eingeholt wurde, b e d u r f t e n im Großherzogtum Hessen nur bischöfliche Erlasse über rein geistliche und kirchliche Gegenstände keiner Staatsgenehmigung. Auch f ü r diese forderte Rieffei wenigstens die Vorlegung zur staatlichen Kenntnisnahme, f ü r alle anderen aber sollte auch ferner das landesherrliche Placet eingeholt werden. Die Schwierigkeit der Abgrenzung der „rein kirchlichen Gegenstände" wußte Rieffei mehr zu umgehen als zu überwinden: man müsse sich mit der Aufstellung des Grundsatzes begnügen und f ü r die Ausführung den Bischof verantwortlich machen. Damit wurde schließlich alles auf die kirchenpolitische Praxis der einzelnen Regierungen gestellt, — und diese Bewegungsfreiheit in der Anwendung der gemeinsam festgesetzten Grundsätze eben war der Regierung Dalwigk erwünscht. Die bischöflichen Klagen über Beschränkung des Verkehrs mit Rom und die über staatliche Einmischung in Bischofswahl und Besetzung der Kapitelstellen erklärten die Kommissare einstimmig für u n b e g r ü n d e t ; sie w a h r t e n ihren Regierungen ausdrücklich die in dem Breve „Re Sacra"*) zugestandenen Rechte. In der Frage der Domherrenstellen war es wieder der Darmstädter Vertreter, der f ü r die Regierungsrechte e i n t r a t ; ein nicht bloß negativ wirkender staatlicher Einfluß sei hier schon darum nötig, weil dem Domkapitel eigene, namentlich in der Zeit der Sedisvakanz wichtige Aufgaben zukämen. Rieffei lehnt in der Sitzung v o m 19. Februar auch das Verlangen der Bischöfe nach freier und selbständiger Verwaltung des Kirchenvermögens ab. Selbst wenn man das örtliche Kirchenvermögen nicht als Eigentum der körperschaftlichen Kirchengemeinde gelten lassen wolle, sei dessen staatliche Verwaltung unter bloßer Mitwirkung der bischöflichen Behörde, in Hessen mindestens, gerechtfertigt: denn die durch den Kirchenbesitz nicht gedeckten Bedürfnisse müßten ») Vgl. oben S. 196. ' ) Vgl. oben S. 138 mit Anm. 1.

Die Karlsruher Besprechungen vom F e b r u a r 1852

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durch Umlagen auf die Pfarrkinder gedeckt werden, ein R e c h t auf Ausschreibung von Umlagen aber dürfe m a n dem Bischof nicht zugestehen. Die kirchenfreundlichen Absichten der hessischen Regierung u n d die kirchlichen Anschauungen ihres Vertreters zeigten sich erst da wieder, als m a n auf die vor seiner A n k u n f t behandelte Frage der Besetzung kirchlicher Amter zurückgriff. Rieffei k o n n t e feststellen, „ d a ß im Großherzogtum Hessen dem Bischof die allseitig als wünschenswert a n e r k a n n t e Mitwirkung bei der Besetzung der katholischen Pfarrstellen und sonstigen Benefizien gesichert" sei. Aber er bemerkte zugleich, daß der Bischof sich dennoch mit dem Bestehenden nicht begnügen zu wollen scheine, und er selbst erklärte die landesherrliche Ernennung der Geistlichen, obwohl ihr der Vorschlag des Bischofs vorausging, für verwerflich, weil sie „streng g e n o m m e n " den Grundsätzen des Kirchenrechts nicht entspreche. Er behielt seiner Regierung vor, diese Form a b z u ä n d e r n ; die landesherrliche Bestätigung werde freilich wohl in keinem Falle aufgegeben werden. Eine Ausnahme von dem bischöflichen Verleihungsrechte hielt er n u r bei kanonisch erworbenem P a t r o n a t e f ü r begründet. Hier p r ü f t e dieser katholische Ministerialrat die nachbarliche territorialkirchliche Auffassung nicht auf ihre politische Nützlichkeit, sondern auf ihre kanonische Berechtigung. „ E i n landesherrliches P a t r o n a t s recht als Emanation der Landeshoheit, wie in W ü r t t e m b e r g , ist in Hessen von Seiten des Landesherrn bisher nicht in Anspruch genommen worden, und d ü r f t e auch kirchenrechtlich schwerlich begründet erscheinen." In derselben Sitzung vom 21. Februar u n t e r n a h m es Rieffei mit starker Einsetzung der diplomatischen Mittel des Verhüllens und Verschiebens, die Preisgabe der Giessener F a k u l t ä t zu schildern und zu rechtfertigen. Wie in Wahrheit der Bischof geboten, die Regierung vergebens verboten, wie man in Mainz zu handeln, in Darms t a d t aber zu reden gewußt h a t t e , davon d u r f t e Rieffei nicht sprechen, obwohl es den freundnachbarlichen Genossen schwerlich verborgen geblieben war. Er arbeitete im wesentlichen mit bischöflichen Beweisgründen. Er wagte, u m mit dem Verhalten des Bischofs auch das der Regierung zu rechtfertigen, sogar die B e h a u p t u n g , Ketteier habe um die „ E r l a u b n i s " zur Einrichtung der Studienanstalt gebeten, und die Regierung habe geglaubt, diesem „ W u n s c h e " nicht entgegentreten zu sollen, h a u p t sächlich, weil sie kein Konvikt habe errichten können, aber auch weil man das kirchliche Recht auf Heranbildung der Kirchendiener, das bischöfliche Recht auf die Leitung der Klerikererziehung nicht wohl in Abrede stellen könne. Es ist, als ob die hessische Regierung und ihr Bischof einander im Geiste die H a n d reichten. Die Sonderstellung des Großherzogtums, mehr noch des K u r f ü r s t e n t u m s Hessen, die der Verlauf der Verhandlungen gelegentlich aufgedeckt h a t t e , wurde am Schlüsse dieser Vorberatungen in aller Form ausgesprochen. Der Kasseler Vertreter gab zu Protokoll, er müsse, falls m a n sich in den wesentlichen P u n k t e n nicht einigen werde, seiner Regierung vorbehalten, die Dinge nach Maßgabe der besonderen kurhessischen Verhältnisse zu regeln; Rieffei aber erklärte, daß u n t e r der gleichen Voraussetzung seiner Regierung wohl nicht angesonnen werden könne, die f r ü h e r verabredeten Bestimmungen ohne Rücksicht auf die Verhältnisse des Großherzogtums streng auszuführen. An dieser 13. Sitzung vom 23. Februar 1852 (am 24. Februar folgte noch die förmliche Schlußsitzung) beteiligte sich auch — m a n erinnert sich der Anregung Viales u n d Diepenbrocks 1 ) — der preußische Gesandte in der Schweiz, Rudolf von Sydow*), nun freilich nur noch, u m sich zu unterrichten, nicht um einzugreifen.') Erst jetzt, vielleicht eben veranlaßt durch diese, der badischen Regierung am Tage zuvor, den Vertretern der anderen Staaten lediglich zugleich mit der Einführung bekannt gemachte Teilnahme des preußischen Beauftragten f ü r Hohenzollern, be0 Vgl. oben S. 201. ') Mai 1853 wurde er Regierungspräsident von Hohenzollern. Vgl. v. P a s t o r : Janssens Briefe 1, 187 A n m . 3. 3 ) Vgl. dazu Knies (s. unten S. 210) S. 414 f.

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schloß man, den Regierungen anheimzugeben, auch die freie Stadt Frankfurt zu den künftigen endgültigen Verhandlungen einzuladen und diese in Karlsruhe am 10. Mai beginnen zu lassen. Jetzt also kam es auf die bestimmte Unterweisung der Regierungsvertreter an. Rieffei, der hoffen durfte, daß seine Meinung die des Ministers, und Dalwigks Meinung wiederum die des Großherzogs bestimmen werde, hat über die Februartagung erst am 18. April Bericht erstattet. Der Erzählung über die Ansprüche war er durch die Protokolle enthoben. Es kam ihm nicht weniger auf die Beurteilung des Vergangenen als auf die Bestimmung des Künftigen an und dafür wollte er vor allem durch mündlichen Vortrag vor dem Minister wirken. Auch seine Instruktion wurde ihm mündlich erteilt. Hier verstummen also die Akten fast völlig. Immerhin gab Rieffei seinem kurzen Berichte „einige allgemeine Bemerkungen" mit, die von Dalbergs und Colmars Zeiten ausgehen, die Gründung der Oberrheinischen Kirchenprovinz und die Verhandlungen zwischen der Kurie und den Regierungen betrachten und diesen geschichtlichen Rückblick kirchenpolitisch zu verwerten suchen. Die entscheidend wichtige Tatsache, daß die Regierung jene Bullenparagraphen von 1827 über die tridentinischen Seminare, über den Verkehr mit Rom, über die bischöfliche Gerichtsbarkeit nicht anerkannt hatten, überging Rieffei damals.1) So konnte er die Meinung vertreten, daß die Forderungen der Bischöfe, auch jene „bis jetzt" nicht ausgeführten Bestimmungen zu vollziehen, „nicht aller rechtlichen Begründung entbehren dürften". Zugleich stellte er fest, „daß die Verhältnisse des Papstes und der katholischen Kirche zum Staat durch eine Vereinbarung zwischen der Kurie und den vereinigten Regierungen nicht geordnet, vielmehr das, dieses Verhältnis normierende landesherrliche Edikt vom 30. Januar 1830 einseitig von den Regierungen erlassen worden" sei. Allerdings konnte der hessische Ministerialrat die Rechtsgültigkeit dieses Edikts nicht übergehen. Aber er wies auf diese „nächste und hauptsächlichste Quelle des im Großherzogtum geltenden Kirchenstaatsrechtes" und verwandte Verordnungen nur flüchtig hin, um sich dann mit aller Wärme dem seit Errichtung des Landesbistums auf dem Wege einer Verständigung mit dem Bischof erlassenen Ministerialverfügungen zuzuwenden. Dieses Verfahren, die „so wünschenswerte" Einmütigkeit zwischen Kirche und Staat aufrecht zu erhalten, betrachtete er als vorbildlich, seitdem er zum Referenten in catholicis bestellt wurde. Die Überzeugung, daß es „eine heilige Pflicht" sei, zur Wahrung des kirchlichen Friedens nach Kräften beizutragen, hatte ihn bei den Vorberatungen geleitet; sie bestimmte nun auch, da sie von Dalwigk geteilt wurde*), seine Haltung bei den entscheidenden Verhandlungen, obwohl es in Darmstadt an Gegenströmungen nicht fehlte. Die Rücksicht auf den im Herzen dem Alten zuneigenden Großherzog ließ auch Rieffei erkennen, wenn er beteuerte, daß dem in den Majestätsrechten des Landesherrn begründeten jus circa sacra nichts vergeben werden dürfe. Und wenige Tage nach der Einreichung dieses Rieffelschen Berichtes beschwor der baierische Gesandte den hessischen Minister 1 ) !) Erst im Aug. 1853 trug er nach, daß „aus den neuesten Erörterungen über die Verhandlungen mit Rom" hervorgehe, daß Art. 5 u. 6 des „Ultimatum" ( = „Ad dominici gregis" § 5 u. 6) v. d. Regierungen abgelehnt worden seien. Aber er hätte schon aus der landesherrl. Verkündigung v. 12. 10. 1829 (gedr.: A. Schmidt, Quellen Nr. 7; vgl. oben S. 138) die Sachlage erkennen können. ' ) Wie der preuß. Gesandte v. Canitz 22. 2. 52 dem König meldete, sagte ihm Dalwigk: bei aller Anerkennung der großen Verdienste K.s um die Belebung des religiösen Sinnes werde er doch nicht umhin können, seiner Tendenz, sich als eine vom Staate vollkommen unabhängige Gewalt zu gerieren, entgegenzutreten; dazu wolle er die Ergebnisse der Karlsruher Kirchenkonferenz abwarten. — Hier mischt sich mit D.s Herzensmeinung die Rücksicht auf Preußen und auch auf die Anschauung des Großherzogs (dazu unten S. 213 ff.); von dem „Entgegentreten" bekam K- jedenfalls nichts zu spüren. ») Frh. v. Schrenck an Dalwigk, praes. 25. 4. 52.

Der literarische Kampf um die bischöflichen Forderungen

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mit Berufung auf den letzten baierischen Ministerialerlaß, auf möglichste Gleich* förmigkeit des Vorgehens bedacht zu sein, nicht mehr zu bewilligen als Baiern, und dieses auf dem Laufenden zu halten.

Inzwischen war auch der Kampf in den Zeitungen und Broschüren heftiger geworden. Bestellte Verteidiger des alten Staatskirchentums, liberaler Katholizismus, bewußter Protestantismus t r a t e n dem bischöflichen Begehren entgegen, und die katholische Polemik regte sich stärker als zuvor. Im „Mainzer J o u r n a l " aber berief man sich gegenüber dem Vorwurfe — wie ihn z. B. im F r ü h j a h r s a n f a n g 1852 die sacht regierungs- und bundestagsfreundliche F r a n k f u r t e r Oberpostamtszeitung vorbrachte, d a ß die kirchliche Partei das Mißtrauen der Katholiken gegen ihre protestantischen Fürsten erregen wolle, daß sie Preußen schmeichle, weil sie es f ü r den Kirchenkampf mit den kleineren S t a a t e n auszunutzen wünsche —, berief man sich gegenüber dieser nicht ganz unberechtigten Beobachtung einfach auf die vorbildliche E i n t r a c h t von Kirche und S t a a t in Preußen (die kleinen Störungen, über die man kirchlich klagte, überging man jetzt) und vor allem darauf, d a ß Preußen und Österreich schon alles das gewährt hätten, was die oberrheinischen Bischöfe jetzt forderten. 1 ) Es waren die Männer um Ketteier, die immer wieder mit diesem Mittel arbeiteten. Des Bischofs junger juristisch-kanonistischer Helfer, der Dompräbendat und bischöfliche Professor J . B. Heinrich veröffentlichte, n a t ü r lich ohne seinen Namen zu nennen, die stattliche Streitschrift „ D e r paritätische S t a a t und die Forderungen der Bischöfe der Oberrheinischen Kirchenprovinz". 2 ) Es war eine historisch und kirchenrechtlich v e r b r ä m t e Verteidigung der bischöflichen Denkschrift. In Mainz sahen die kirchlich Gesinnten») und ihre Gegner den S a m m e l p u n k t der kirchlichen Kräfte. Die auch von Heinrich noch eben polemisch berücksichtigte geistreiche Heidelberger Broschüre „Der christliche Staat und die bischöflichen Denkschriften" 4 ) w u ß t e die Gerüchte von einer zu Rom bereits beschlossenen Designation des gegenwärtigen Bischofs von Mainz zum K o a d j u t o r des „ E r z h i r t e n der Diözese", ja sogar von einer auf diesem Wege erstrebten Wiederherstellung der alten geschichtlichen „metropolis Germaniae" gewandt zu verwerten, vermutlich mit der Nebenabsicht, Zwiespalt im kirchlichen Lager zu erregen. Hier wurde der „ E d e l m a n n aus W e s t f a l e n " als der ins Römische und Klerikalische übersetzte Hofschulze des ») Mz. J. 1852 Nr. 75 (27. 3.) # [ = Heinrich?]. >) Mainz, Kirchheim u. Schott, 1852. 84 S. — H. bekennt sich als Verf. in s. Schrift „Die Reaktion des sog. Fortschrittes" (1863) S. 51 Anm. 2. ') Z. B. auch Montalembert, der „den Nachfolger des hl. Bonifatius" (er nennt K-, wie auch viele nach ihm taten, „einen alten Kavallerieoffizier": Unteroffizier der Landwehr-Kavallerie ist K- allerdings gewesen, s. oben S. 14 Anm. 2) „an der Spitze der Bischöfe" sieht (Kathol. Interessen S. 18). * ) „ . . . Mit besond. Berücksicht. der Denkschriften des oberrhcin. u. bairischen Episcopats" (Heidelberg 1852; 69 S.), bes. Abschnitt 1. V i g e n e r . Bischof Ketteier

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, , O b e r h o f s " g e f a ß t und zugleich als der neue Innocenz III., der Innocenz „im kleinen f ü r die Oberrheinische K i r c h e n p r o v i n z " , der Bischof der donnergewaltigen Kanzelberedsamkeit, der f l a m m e n d e n H i r t e n briefe und d e r F a s t e n m a n d a t e 1 ) , f ü r die er „ n u r die höchst u n d i p l o matisch u n v e r b l ü m t e und sonore Redeweise jenes P o n t i f e x gegen J o h a n n ohne Land sich z u m Muster g e n o m m e n zu h a b e n s c h e i n t " . Der Verfasser — schon Heinrichs Gegenschrift d e u t e t e auf Daniel Schenkel, der seit 1851 in Heidelberg wirkte und soeben, mit d e m J a h r e 1852, die Leitung der D a r m s t ä d t e r „Allgemeinen K i r c h e n z e i t u n g " mit ü b e r n o m m e n h a t t e —, d a c h t e freilich insbesondere an die „ n i c h t bloß zu hessischer, zu oberrheinischer, sondern zu deutscher, zu ö k u menischer B e r ü h m t h e i t gelangte Totlegung der katholisch-theologischen F a k u l t ä t zu Gießen", wenn er den Bischof von Mainz „ i m Sinne m a n c h e r " eher den Bischof von H e s s e n - D a r m s t a d t nennen zu sollen ineinte. Es bezeichnet den gewaltigen E i n d r u c k der neuen Bischöflichkeit K e t t e l e r s auf b e o b a c h t e n d e Gegner, d a ß dieser entschlossene Kritiker der bischöflichen D e n k s c h r i f t mit einer Studie über ihn geradezu erst die Voraussetzung f ü r das Verständnis der D e n k s c h r i f t (freilich a u c h f ü r deren Ablehnung) g l a u b t e schaffen zu müssen. Allerdings neigte mit der öffentlichen Meinung n u n auch dieser doch nicht u n k r i t i s c h e p r o t e s t a n t i s c h e Theolog zu einer Ü b e r s c h ä t z u n g vielleicht weniger der Persönlichkeit als der u n m i t t e l b a r e n W i r k s a m keit Kettelers, d e m m a n ohne weiteres auch die Abfassung der Denkschrift zuteilte. In Ketteier, in d e m Bischof, der seinen Hirtenbrief v o m F r ü h j a h r 1851 ohne Placet erscheinen ließ und gleichzeitig seine Priesterschule eröffnete, sah auch der j u n g e Marburger N a t i o n a l ö k o n o m Karl Knies den F ü h r e r im aufsteigenden K i r c h e n k a m p f . 2 ) Er stellte die s t a a t l i c h e A b l e h n u n g der Denkschrift „ d e r ganz u n v e r hohlen r e v o l u t i o n ä r e n E r k l ä r u n g " der Bischöfe als selbstverständlich hin und m a h n t e die Regierungen, dem „Viribus unitis" der Bischöfe gegenüber die v e r t r a g s m ä ß i g e Gemeinschaft des Handelns festzuh a l t e n ; es war, als wollte er seinen H e i m a t s t a a t und das andere Hessen insbesondere w a r n e n , wenn sein Schlußwort allen diesen S t a a t e n zu beherzigen gibt, d a ß sie „auf nichts mit weniger Sicherheit rechnen können als auf den D a n k der römischen Hierarchie". Aber in D a r m ») Vgl. dazu unten Buch 2, Abschnitt 2. ) Karl Knies, Die kathol. Hierarchie in d. groß, deutschen Staaten seit 184& u. d. gegenwärt. Konflikt zwischen den Fürsten u. d. Bischöfen der Oberrhein. Kirchenprovinz: Allgem. Monatsschr. f. Wissensch, u. Lit. hg. v. J. G. Droysen 1852 S. 394—420 (Marburg, im März 1852). Sonderausgabe bei den Darmst. Ministerialakten mit Begleitschreiben (Marburg, 1 4 . 5 . 5 2 : Erhofft, seine Schrift werde vielleicht nicht ganz unnütz erscheinen, „da sie aus dem Drange seines protestantischen Gewissens, wie aus s. lebhaften Interesse für die Aufrechterhaltung des deutschen Fürstenrechtes hervorgegangen ist und seiner entschiedenen Überzeugung nach auf der Wahrheit der geschichtlichen Verhältnisse beruht"). — Das Min. d. I. beschloß 25. 5., sie ad acta zu legen. 2

Die Karlsruher Verhandlungen vom Mai 1852

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Stadt gerade w o l l t e m a n v o n derartigen V o r s t e l l u n g e n n i c h t s wissen. Die K n i e s s c h e kleine A b h a n d l u n g , im März g e s c h r i e b e n , m i t v o l l e m N a m e n v e r ö f f e n t l i c h t , lief übrigens erst g e g e n M i t t e Mai bei den R e gierungen ein, als diese ihre B e r a t u n g e n s c h o n w i e d e r b e g o n n e n h a t t e n . D i e n e u e n K a r l s r u h e r V e r h a n d l u n g e n w u r d e n a m 13. Mai 1852 e r ö f f n e t . 1 ) Zu den f r ü h e r e n B e v o l l m ä c h t i g t e n der f ü n f S t a a t e n k a m der Vertreter F r a n k f u r t s hinzu, der Schöff u n d S e n a t o r Dr. Müller. Preußen, d a s gleichfalls e i n g e l a d e n w o r d e n w a r , n a h m n i c h t teil; der Streit u m die E r n e u e r u n g d e s Zollvereins t r e n n t e die preußische R e g i e r u n g v o n d e n „ D a r m s t ä d t e r V e r b ü n d e t e n " , d. h. eben d e n S t a a t e n der Oberrheinischen K i r c h e n p r o v i n z n e b s t B a i e r n u n d S a c h s e n . Unter V e r w e r t u n g der früheren B e r a t u n g s e r g e b n i s s e e i n i g t e m a n sich j e t z t über die A n t w o r t auf die bischöfliche D e n k s c h r i f t , zugleich über die n e u e R e g i e r u n g s v e r o r d n u n g , die d u r c h Ä n d e r u n g einzelner B e s t i m m u n g e n d e s E d i k t s v o m 30. J a n u a r 1830 d e n B i s c h ö f e n E n t g e g e n k o m m e n zeigen wollte.8) Bei diesen neuen Besprechungen trat der Darmstädter Beauftragte noch stärker hervor als früher. Er wußte den besonderen hessischen Wünschen Anerkennung, mindestens Duldung zu sichern, sowohl dort, wo es sich um Zugeständnisse an die Bischöfe handelte wie auch da, wo nach dem Willen des Großherzogs das alte Staatskirchenrecht gewahrt werden mußte. In der Frage des landesherrlichen Placet insbesondere verharren die beiden hessischen Bevollmächtigten bei der grundsätzlich strengeren Auffassung ihrer Regierungen, denen sie vorbehielten, durch eine Erklärung an die Bischöfe die Aufrechterhaltung der Placetbestimmungen von 1830 (§ 5) ausdrücklich festzustellen; zu der neuen, den Bischöfen günstigeren Fassung wurde überdies im Protokolle vermerkt, daß jedem der beteiligten Staaten die Art und Weise, wie das landesherrliche Placet erteilt werden solle, überlassen bleibe. Für die Regierungsantwort an die Bischöfe lieferte Rieffei selbst den Entwurf der Erklärung über das landesherrliche Placet zu päpstlichen Bullen; mit der Entschiedenheit, wie sie die Rücksicht auf den Landesherrn gebot, stellte er fest: die Regierungen könnten niemals zugeben, daß durch die Annahme und Bestätigung päpstlicher Bullen und Konstitutionen die gesetzgebende Gewalt des Staates irgendwie beschränkt werde, und wie alle neuen päpstlichen Erlasse der Staatsgenehmigung bedürften, so auch ältere, wenn sie, bisher nicht im Gebrauch, herangezogen werden sollten. Um den früheren Beschlüssen über Bischofswahl und Kapitelsstellen auch die kirchenrechtliche Deckung zu schaffen, setzte Rieffei durch, daß man die Bischöfe ausdrücklich auf die in ihrer Denkschrift übergangenen Breven hinweise. Die Entscheidung über die freie bischöfliche Ernennung der Ordinariatsmitglieder wurde der tatsächlich bestehenden Einrichtung im Großherzogtum Hessen angepaßt. Auf die Mitwirkung bei Besetzung der Landdekanate wollten Baden und Kurhessen verzichten. Aber Württemberg und Nassau wollten die alten §§12, 23 und 24 in der Hauptsache festhalten, und Rieffei forderte entsprechend der im Großherzogtum *) Sie galten als Fortsetzung der alten, die Sitzung v. 13. Mai wurde als 15. Sitzung bezeichnet. — Die Protokolle (vgl. oben S. 205 Anm. 1) der Sitzungen 15—31 (am 17.2.) umfassen die Seiten 209—351. ') Die in Karlsruhe beratene, unter dem 1. 3. 53 veröffentl. neue V e r o r d n u n g am bequemsten bei Arth. Schmidt Nr. 11. Die §§4, 5, 9, 18, 19, 25, 27 von 1830 (Schmidt Nr. 9; vgl. oben S. 139) werden durch die §§2—8 vom 1 . 3 . 5 3 ersetzt, was schon hier, zur Entlastung der folgenden Darstellung, vermerkt sei. 14*

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bestehenden Übung noch bestimmter die Beibehaltung; so wurde beschlossen, diese Paragraphen unverändert zu lassen, die Beantwortung der bischöflichen Forderungen bei diesem „mehr zu den Interna der einzelnen Staaten" gehörigen Gegenstande aber jeder Regierung freizustellen. Hinsichtlich der Synoden hatte Rieffei bei den Vorberatungen im Februar bereitwillig der kirchlichen Auffassung nachgegeben. Aber in Darmstadt zeigte man sich hierin beharrlicher, und jetzt mußte Rieffei darauf bestehen, daß für die Abhaltung von Provinzial- oder Diözesansynoden, wenn ihnen ein öffentlicher Charakter beigelegt werden solle, Staatsgenehmigung, mindestens aber Anzeige nötig sei und der Regierung die Abordnung eines Kommissars freistehen müsse; jedenfalls werde seine Regierung die §§ 9 und 18 schwerlich ganz aufheben. In der übernächsten Sitzung, am 3. Juni, einigte man sich auf die hessische Mindestforderung, die im wesentlichen in die neuen §§4 und 5 übergingen. Rieffei hatte im Laufe der Verhandlungen so oft Gelegenheit, seine Sachkenntnis, seinen versöhnlichen, ja, kirchenfreundlichen Sinn, zugleich seine staatlich geforderte Bestimmtheit zu zeigen, daß es nicht überraschen kann, wenn man die Abfassung der Einleitung und des Schlusses zu dem Antwortschreiben an die Bischöfe gerade ihm zugewiesen sieht; seine Entwürfe wurden ohne Änderung am 3. und 5. Juni angenommen. 1 ) Auch jetzt freilich waren es wieder Hessen-Darmstadt und HessenKassel, die durch förmliche Erklärung am 4. Juni jeden Versuch unmöglich machten, die Karlsruher Beschlüsse Uber den augenblicklichen Zweck der Erledigung bischöflicher Klagen hinaus als neue, in den früheren Verträgen nicht enthaltene, für alle Zeiten bindende kirchenpolitische Verpflichtungen zu fassen. Aber für die Antwort an die Bischöfe wenigstens hatte man nun doch den im großen und ganzen gemeinsamen Wortlaut gefunden und im Schlußprotokoll vom 5. Juni wurde u. a. festgesetzt, daß auch der Aufbau der Antwortschreiben gleichartig sein und sich an die Gliederung der bischöflichen Denkschrift anschließen, daß ihr Datum gleich sein solle, daß darüber und über die landesherrliche Ratifikation Baden spätestens bis zum 1. August unterrichtet werden müsse. Diese Karlsruher Beschlüsse sollten indessen nicht so rasch und so glatt vollzogen werden, wie sie gefaßt w o r d e n waren. Die H e m mungen lagen in den hessischen Verhältnissen. Die Vertreter beider Hessen h a t t e n in Karlsruhe s c h o n ein wenig abseits gestanden. Aber nur H e s s e n - K a s s e l löste sich v o n der G e m e i n s c h a f t tatsächlich los. Die a b s o l u t i s t i s c h e Regierung des Kurfürsten Friedrich Wilhelm f ü h l t e sich in ihrem g u t e n E i n v e r n e h m e n mit d e m Bischof v o n Fulda viel zu gesichert 2 ), als daß sie ihn h ä t t e reizen wollen; der Bischof g e n o ß mehr Freiheiten, als die verabredete A n t w o r t und die neuen Kirchenparagraphen z u g e s t a n d e n . Man ließ daher in Kassel die Karlsruher Vereinbarungen unvollzogen. Obwohl die H a l t u n g Kurhessens s c h o n lange vorher f e s t s t a n d , wurde die badische Regierung erst Mitte J a n u a r 1853 d a v o n unterrichtet. Einen Monat zuvor h a t t e Frankfurt, g e w i ß in F ü h l u n g mit Kassel, den gleichen Schritt untern o m m e n , w a s freilich wenig zu bedeuten h a t t e , da Frankfurt zu der größtenteils nassauischen Limburger D i ö z e s e gehörte. Übrigens n a h m man in Kassel und Frankfurt so viel R ü c k s i c h t auf die anderen *) Wortlaut der Einleitung (mit d. durch d. später. Rücktritt Frankfurts u. Kurhessens — vgl. unten S. 215 f. —veranlaßten Änderungen v. 15.2.53) auch: v. Kremer-A. 1, 183. *) Die staatskirchl. Bestimmungen der kurhess. „provisor. Verfassung" standen nur auf dem Papier.

Die Karlsruher Verabredungen und Großherzog Ludwig III. von Hessen

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Staaten, daß man nicht die Karlsruher Grundsätze beanstandete, sondern die Unterlassung der Ratifikation lediglich durch die „äußeren" Verhältnisse begründete. Die Schwierigkeiten, die in Hessen-Darmstadt das Karlsruher Werk bedrohten, wurden nicht geschaffen durch Dalwigks Sehnsucht nach freundlichem Einverständnis mit Ketteier, durch seine Bereitschaft, die Zugeständnisse der anderen zu überbieten, sie erwuchsen vielmehr aus der Unlust Großherzog Ludwigs III., einzelne Karlsruher Bestimmungen anzuerkennen. Am 23. Juli 1852 hatten ihm das Ministerium des Hauses und des Äußeren und das Ministerium des Innern das Ergebnis der Karlsruher Konferenz vorgelegt. Also anderthalb Monat nach dem Abschlüsse! Diese Verzögerung, die zu dem für die Veröffentlichung der Antworten verabredeten Zeitpunkt, dem 1. August, schlecht passen will, erklärt sich daraus, daß die Darmstädter Regierung dem Großherzoge die Akten nicht lediglich mit kurzer Erläuterung vorlegen wollte, sondern in einer ausführlichen Denkschrift über die Karlsruher Tagung 1 ), deren allgemeine Richtung zu rechtfertigen, deren einzelne Beschlüsse zu begründen suchte. Daß man solche Darlegungen für notwendig hielt, das allein schon läßt erkennen, wessen man sich vom Großherzog versehen zu müssen meinte. Natürlich war es kein anderer als Rieffei, der die Feder führte. Er bemüht sich, sein Wort auf den Großherzog abzustimmen, aber man kann nicht sagen, daß es ihm immer gelungen sei. Ein allgemeiner Satz wie der, daß das landesherrliche Oberaufsichtsrecht über die Kirche „wesentlicher Ausfluß der den Regenten der Völker erteilten, ebenwohl auf göttlicher Anordnung beruhenden Mission" sei, schmeichelte sicherlich den Empfindungen Ludwigs III., mußte ihm aber entwertet erscheinen durch die ungewisse Einschränkung, man dürfe dem jus circa Sacra nicht eine „die Grenze des Rechtes" überschreitende Ausdehnung geben wollen; und es mochte dem Landesherrn doch allzu bischöflich klingen, wenn er las, daß „auch vom Staate das eigentümliche Wesen der Kirche anerkannt und die ungehinderte Entwicklung desselben überall geschützt werden" müsse. Bei der Behandlung der einzelnen Karlsruher Beschlüsse hatte es Rieffei dort natürlich leicht, wo die bischöflichen Forderungen verworfen, die Bestimmungen von 1830 beibehalten wurden, wie etwa das Einspruchsrecht wegen Mißbrauchs der geistlichen Gewalt. Aber vor diesem Fürsten die Preisgabe des Brauches der förmlichen landesherrlichen Ernennung der Pfarrer, die Änderung der alten Vorschriften über das Placet, über die Synode, über den Verkehr mit Rom und über die Erziehung der Kleriker zu rechtfertigen, das war nicht eben leicht. Von der rein kirchenrechtlichen Begründung durfte man sich keine großen Eindrücke versprechen; dennoch hat Rieffei auch in diesem Berichte Abschr. v. Kanzleihand, 98 Foliospalten, mit der v. Rieffels Hand eingetragenen Entscheidung des Großherzogs v. 13. 1 . 5 3 (s. unten S. 215 f.).

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immer wieder mit kirchlich-kirchenrechtlicher Betrachtung gearbeitet. Ludwig III. zeigte sich zwar in den meisten Punkten mit den Vorschlägen einverstanden, bei einigen der wichtigsten aber machte er Bedenken geltend und forderte erneute Berichterstattung. Insbesondere wollte er, da dem Bischöfe das Vorschlagsrecht bereits zustand, das Recht der Ernennung der Pfarrer nicht aufgeben; die Entschließung über Abänderung der theologischen Ausbildungsvorschriften vom Jahre 1830 (§25) behielt er sich vor, „bis die dermaligen Verhältnisse der katholisch-theologischen Fakultät in einer der Würde des Staates entsprechenden Weise geordnet sein werden"; in der Erteilung des landesherrlichen Placet für kirchliche Erlasse sah er nicht bloß ein Recht, sondern auch eine Pflicht der Staatsgewalt, sie liege überdies im Interesse der Kirche selbst, „indem hierdurch der Friede zwischen Staat und Kirche soll erhalten werden". Mit wem der Großherzogsich damals beraten hat, steht dahin. Jedenfalls gibt seine Antwort an das Ministerium (3. August 1852) seine persönliche Anschauung wieder: sie verrät die Abneigung eines herrschaftsbewußten Fürsten gegen Opferung überkommener Rechte und die Bemühung eines überlegenden Regenten um Wahrung staatlicher Hoheit und Würde, sie zeigt zugleich, daß Ludwigs gesunder Sinn die schwachen Stellen des Entwurfs zu erkennen wußte. Das Ministerium mußte sich nun von neuem bemühen. Jetzt sah Rieffei ein, daß er lediglich mit den Gründen kanonistischer Gelehrsamkeit und mit katholischen Kirchengedanken nicht werde durchdringen können. Die gemeinsame Antwort der beiden Ministerien vom 31. August 1852 wurde wieder zu einer umfänglichen Abhandlung mit geschichtlichen und kirchenrechtlichen Erörterungen. 1 ) Man belehrte den Fürsten, in neuerer Zeit habe die Überzeugung Raum gewonnen, „daß die Stellung, welche die gallikanischen Lehrsätze und das daraus hervorgegangene Territorialsystem der Staatsgewalt gegeben haben, nach den jetzigen Zeitverhältnissen nicht mehr haltbar, daß jene Leitung der Kirche, welche früher unter verschiedenen Darstellungsformen als notwendig verteidigt wurde, kein Majestätsrecht, sondern eine bloße Verwaltungsmaxime sei, daß die Kirche als ein rechtsfähiges und berechtigtes Subjekt betrachtet werden müsse und daß die e i g e n t l i c h e n Majestätsrechte des Staates gegen die Kirche nur diejenigen seien, welche der Staat gegen jede physische oder moralische Person besitzt". Aber zu der kirchenrechtlich-kirchlichen kam nun die kirchenpolitisch-politische Begründung; ihren Inhalt und Sinn kennzeichnet der eine Satz schon hinlänglich: „Wenn jemals, so ist es gewiß heutzutage notwendig, jenes Einvernehmen zwischen Staat und Kirche zu wahren, ohne welches Ersprießliches für beide nicht erwartet werden kann." Diese Erwägung konnte zur ») Abschr. (66>/2 Foliospalten) im Min. d. I.

Rieffei und Dalwlgk erwirken die Zustimmung des GroBherzogs

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Rechtfertigung der Zugeständnisse, zur Rechtfertigung des Verzichts auf das Placet in geistlichen Angelegenheiten, zur Rechtfertigung auch der einseitigen bischöflichen Neuordnung des theologischen Unterrichts, die Rieffei nicht gerade als reines Ideal, aber doch als Gewinn für das Land, för den Staat wie für die Kirche hinzustellen wußte. Der Großherzog, der jenen ersten langen Ministerialbericht sogleich in Zustimmung und Widerspruch erledigt hatte, ließ den neuen, der am Schlüsse die alten Anliegen wiederholen mußte, fünfthalb Monate liegen. Da nun doch einmal der in Karlsruhe verabredete Zeitpunkt längst vorüber war, da Kurhessen und Frankfurt sich überhaupt versagten, mußten sich die drei anderen Regierungen mit Geduld wappnen, wenn sie nicht auch noch den Abfall Darmstadts erleben wollten. Zur Gewinnung des Großherzogs brauchte das Ministeriuni einige Zeit. Es fehlte nicht an starker Gegenwirkung.1) Namentlich König Maximilian von Baiern, der seinem Episkopate nicht weiter entgegenkommen wollte als in dem Erlasse vom Frühjahr 1852 geschehen war, benutzte einen Besuch in Darmstadt im Herbste 1852, um die Bedenken seines Schwagers zu verstärken. 8 ) Aber die innerpolitische Begründung der kirchenpolitischen Zugeständnisse wird schließlich beim Großherzoge den Ausschlag zugunsten der Anträge gegeben haben. Auch mußte Dalwigks entschiedenes Festhalten an der Karlsruher Verständigung schon an sich auf den Großherzog Eindruck machen; es galt, dem Rate eines Mannes zu folgen, der es in kürzester Zeit verstanden hatte, in dem Lande, das der Herrschaft einer demokratischen Kammermehrheit überantwortet zu sein schien, rücksichtslos die autonome Gewalt der Regierung wiederaufzurichten. Das Schwergewicht der Erfolge Dalwigks überwand den Widerspruch und Widerstand Ludwigs III. Am Rande des großen Ministerialberichts vom 23. Juli 1852, dessen Anträge zunächst in wesentlichen Punkten abgelehnt worden waren, konnte Rieffei fast ein halbes Jahr später befriedigt die „Resolutio Serenissimi" eintragen. Auf einen neuen Bericht vom 8. Januar 1853 hin genehmigte Ludwig fünf Tage später die Veröffentlichung der in Karlsruhe verabredeten neuen Verordnung. Die Antwort an den Bischof freilich gab er auch jetzt noch nicht dem Ministerium frei; sie sollte ihm zuerst im Entwürfe nochmals vorgelegt werden. Mit der Änderung des Wortlautes bei Bestellung der Pfarrer — „auf erfolgten bischöflichen Vorschlag" t) Vgl. Crève (s. unten S. 218 Anm. 3) an K. 15. 1. 53: Pfülf 1, 350. *) Luft an K. 6. 1.53 (Pfülf 1, 349): „Der Oroßherzog war zur Unterschrift geneigt, aber durch die Ankunft d. Königs v. Bayern war wieder alles vereitelt worden, und Herr v. Dalwlgk u. Rieffei mußten wieder von vorne anfangen". — 4. 4. 53 schreibt der preuß. Oesandte v. Canitz an Fr. Wilh. IV., ihm sei aus guter Quelle bekannt, König Max habe bei seiner Anwesenheit im letzten Herbst dem Großherzog geraten, in den Konzessionen an den Klerus nicht zu weit zu gehen.

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sollte zugefügt w e r d e n — e r k l ä r t e er sich schon j e t z t e i n v e r s t a n d e n ; schon j e t z t a b e r b e s t i m m t e er a u c h , d a ß in d e m Schreiben a n den Bischof ausdrücklich festgestellt werde, die R e g i e r u n g b e t r a c h t e den derzeitigen Z u s t a n d der katholisch-theologischen F a k u l t ä t in Gießen n u r als vorläufig und b e h a l t e sich weitere V e r f ü g u n g e n vor, u n d zugleich schien er d a s Ministerium, dessen w e r b e n d e r Bericht v o n den Aufsichtsrechten der R e g i e r u n g gesprochen h a t t e , b e i m W o r t e n e h m e n zu wollen, denn er v e r l a n g t e eine Ä u ß e r u n g d a r ü b e r , „welcher E i n f l u ß den landesherrlichen Behörden auf die in Mainz b e s t e h e n d e Lehra n s t a l t v o r z u b e h a l t e n sein w i r d " . N u n endlich k o n n t e die K a r l s r u h e r K o n f e r e n z wieder e r ö f f n e t und rasch geschlossen w e r d e n . In einer einzigen, der dreißigsten Sitzung einigten sich a m 15. F e b r u a r 1853 die K o m m i s s a r e der vier S t a a t e n über die Ä n d e r u n g e n , deren der f r ü h e r g e n e h m i g t e E n t w u r f des A n t w o r t s c h r e i b e n s an die Bichöfe infolge d e r H a l t u n g HessenKassels und F r a n k f u r t s b e d u r f t e . Die S t o ß k r a f t ward n a t ü r l i c h wesentlich a b g e s c h w ä c h t , d a die A n t w o r t nicht v o n allen Regierungen der Kirchenprovinz ausging. In jenen von Rieffei a b g e f a ß t e n Einleitungs- und Schlußsätzen w a r e n i m m e r wieder die „vereinten Reg i e r u n g e n " a u f m a r s c h i e r t ; j e t z t m u ß t e man diesen gewichtigen Ausd r u c k opfern, m u ß t e auch bei B e a n t w o r t u n g der einzelnen bischöflichen Beschwerden s t a t t der „ v e r e i n t e n R e g i e r u n g e n " vielmehr allein die Regierung nennen, die „ i h r e m " Bischof a n t w o r t e t e . J a , man w a g t e sogar j e t z t nicht mehr an d e m scharfen Urteile f e s t z u h a l t e n , d a s in Rieffels E n t w u r f der Schlußsätze ü b e r die bischöflichen E i n g a b e n gefällt worden war. Der Freiherr von Rieffei in seinem katholischen Eifer wird gewiß nicht ungern darauf verzichtet h a b e n , dem S t a n d e s genossen im Bischofskleide zu schreiben, die „ v e r e i n t e n R e g i e r u n g e n " k ö n n t e n „ n i c h t u m h i n , die B e m e r k u n g beizufügen, d a ß die Fassung der bischöflichen D e n k s c h r i f t , besonders aber der späteren Eingabe vom 10. F e b r u a r 1852 der Stellung der Herren Bischöfe zu der Regierung nicht überall e n t s p r i c h t " . J e t z t sollte s t a t t dessen jede Regierung in s a n f t e r Versöhnlichkeit ihrem Bischöfe schreiben, sie hege das Vert r a u e n , er werde auch seinerseits nach K r ä f t e n zu einem gedeihlichen Z u s a m m e n w i r k e n zwischen S t a a t und Kirche im Sinne der E n t schließung mitwirken. Voran freilich ging der die Bischöfe gewiß noch allzu sehr an polizeistaatliche Fürsorglichkeit g e m a h n e n d e Satz, d a ß die A b l e h n u n g einzelner bischöflicher A n t r ä g e „ d u r c h reifliche E r w ä g u n g dessen, was dem gemeinsamen Wohle des S t a a t e s j j n d der Kirche f r o m m t e , b e s t i m m t w o r d e n " sei. Da Kassel und F r a n k f u r t wenigstens die A n e r k e n n u n g der Karlsruher G r u n d s ä t z e nicht z u r ü c k g e n o m m e n h a t t e n , so d u r f t e n die vier S t a a t e n sich i m m e r h i n in ihrer A n t w o r t an die Bischöfe auf die Übere i n s t i m m u n g aller Regierungen berufen. 1 ) Als D a t u m der neuen ') So auch im Eingange der Verordnung v. 1. 3. 5 3 (A. Schmidt S. 55).

Abschluß der Karlsruher Besprechungen.

Antwort an die Bischöfe

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gleichlautenden Verordnung wurde 1 ) der 1. März 1853 bestimmt, doch sollte sie nicht vor dem 5. März veröffentlicht werden, möglichst aber an diesem, dem f ü r die Erwiderung der bischöflichen Denkschrift bestimmten Tage. Man ließ — ein Zeichen der nachwirkenden Kraft des großherzoglichen Widerstandes! — bis zum 1. März den Regierungen das Recht der Beanstandung. In der T a t hat der Großherzog noch im letzten Augenblicke Schwierigkeiten gemacht. Verstimmt auch darüber, d a ß ihm die Fristsetzung bis zum 1. März erst am 28. Februar vom Ministerium mitgeteilt worden war, verweigerte er mit Berufung auf die H a l t u n g Kassels und F r a n k f u r t s die Ermächtigung zur Veröffentlichung der Antwort an den Bischof und behielt sich seine Entschließung vor. Dalwigk aber, der in der B e m ü h u n g um ein Einvernehmen mit der katholischen Kirche seinem katholischen Ministerialräte nichts nachgab 2 ), w u ß t e in geschickt rechtfertigenden schriftlichen Vorstellungen vom 3. März diesen letzten Widerstand zu überwinden. Am 4. März gab Ludwig III. nach. So ergingen u n t e r dem 5. März 1853 die nicht völlig gleichlautenden, aber zumeist doch übereinstimmenden Antworten der badischen Regierung an den Erzbischof von Freiburg, der württembergischen an den Bischof von Rottenburg, der hessischen an den Bischof von Mainz, der nassauischen an den Bischof von Limburg. Es war die letzte gemeinsame T a t dieser „ v e r e i n t e n " Regierungen. Fortan gingen sie, wenn schon immer wieder einmal miteinander Fühlung gewinnend, kirchenpolitisch getrennt v o r : jede k ä m p f t e auf eigene Weise ihren Bischofskampf, leidenschaftlich und hartnäckig die einen, friedlichfügsam die anderen. Aber auch die Bischöfe standen nur noch einmal fest z u s a m m e n : bei der Abweisung der Regierungskundgebung vom 5. März 1853; die Trennung selbst in ihrer Gemeinschaft, die Sonderstellung des Fuldaer Bischofs k ü n d i g t sich an, leise wenigstens, in der von grundsatzsicherem Bischofsgefühl eingegebenen Antwort vom 18. J u n i 1853. Der Auseinandersetzung dieser neuen bischöflichen Denkschrift mit den Regierungsantworten auf die erste Denkschrift müssen wir im einzelnen nachgehen. 8 ) Aber wir haben zuerst nach der bischöflichen Vorgeschichte dieser Denkschrift zu fragen. In d. Sitzung v. 1 5 . 2 . 5 3 ; die letzte Sitzung, 17.2., galt lediglich der Genehmigung der letzten Protokolle, die insgesamt von der badischen Regierung aufbewahrt werden sollten. *) Vgl. den oben S. 215 Anm. 1 gen. Brief Crèves. 3 ) Die Inhaltsangabe (unten S. 225 ff.) erspart uns eine Aufzählung der Paragraphen der Regierungsschreiben v. 5 . 3 . 5 3 (das hessische im Konzept Rieffels, 30 Foliospalten, bei den Akten des Min. d. I.; d. bad.: Karlsr. Ztg. 6. 3. 53; d. w ü r t t . : Außerord. Beilage z. Staatsanzeiger u. (mit einig. Auslassungen) Allg. Zeitg. 1853 Nr. 69 (10. 3.) S. 1089 f.). Das wichtigste ist übrigens oben in der Darstellung der Karlsruher Besprechungen schon berührt. — Inhaltsangabe: Brück, Oberrh. 310 ff.

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II 1: Ketteier im hess. Landesbistum und in der Oberrhein. Kirchenprovinz

Im oberrheinischen E p i s k o p a t e lebte Neigung z u m W i d e r s t a n d e gegen die Regierungen, noch ehe deren A n t w o r t v e r e i n b a r t w a r . Der greise Vicari meinte Mitte O k t o b e r 1852 in einem Briefe an K e t t e i e r , d a s Ausbleiben der A n t w o r t e n erklare sich n u r d a r a u s , d a ß „ d i e zwei edlen Hessischen Königlichen H o h e i t e n " mehr von den bischöflichen Forderungen zu g e w ä h r e n w ü n s c h t e n , als z. B. die badische R e g i e r u n g Marschall. 1 ) Für d e n K u r f ü r s t e n von Hessen traf das einigermaßen zu, dagegen war es, wie wir wissen, in D a r m s t a d t g e r a d e der Großherzog, der die K a r l s r u h e r V e r e i n b a r u n g f a s t vereitelt h ä t t e , nicht weil er mehr, sondern weil er weniger bewilligt wissen wollte, als die R e g i e r u n g s b e a u f t r a g t e n beschlossen h a t t e n . Ketteier d a c h t e h i e r ü b e r d e n n auch skeptischer als sein Metropolit. 2 ) Gegen E n d e S e p t e m b e r h a t t e er in D a r m s t a d t vergeblich den Großherzog von der Gerechtigkeit u n d Notwendigkeit aller bischöflichen Forderungen zu überzeugen, vergeblich auch bei dieser Audienz und in den Regierungskreisen über den Inhalt der K a r l s r u h e r Beschlüsse und über den Z e i t p u n k t ihrer Veröffentlichung etwas zu erfahren gesucht. J e t z t w a r er gereizt. Vicaris Z u m u t u n g eines neuen persönlichen Versuches beim Großherzoge lehnte er a b ; er hielt j e t z t , E n d e November 1852, den Zus a m m e n s t o ß f ü r unausbleiblich, er sehnte sich nach der E n t s c h e i d u n g , nach bischöflicher T a t , er riet dem Erzbischof, eine B i s c h o f s t a g u n g bereits im Vorfrühling zu berufen. Dabei b r a c h t e auch Ketteier der hessischen Regierung weit mehr Z u t r a u e n entgegen als der badischen. Crève, der Ministerialrat im Justizministerium*), — der über Vorgänge bei der Regierung u n m i t t e l b a r an Ketteier berichtete (etwa wie es in P r e u ß e n Aulike d e m Erzbischof Geissei gegenüber t a t ) , während der k o r r e k t e r e Rieffei seine Mitteilungen höchstens durch V e r m i t t l u n g des D a r m s t ä d t e r S t a d t p f a r r e r s L ü f t an Ketteier gelangen ließ —, D a m i a n Crève, der ü b e r h a u p t u m einen Grad kirchlicher erscheint als Rieffei, immerhin doch auch nicht das S t a a t s k i r c h e n r e c h t durch das kanonische R e c h t im S t u r m e v e r d r ä n g t wissen wollte, g a b sofort a m 15. J a n u a r 1853 dem Bischof die „ v e r t r a u l i c h e " Mitteilung von der großherzoglichen Genehmigung der K a r l s r u h e r Beschlüsse und b e t e u e r t e zugleich „auf das heiligste", d a ß von d e m „ w ü r d i g e n " Ministerpräsid e n t e n alles f ü r die A n e r k e n n u n g der w o h l b e g r ü n d e t e n R e c h t e der katholischen Kirche aufgeboten worden sei, „ d a ß auch die gehässigsten Mißdeutungen, denen sein edles Streben ausgesetzt war, nicht l

) Vicari an K- 16. 10.52: Pfülf 1, 256. ') Vgl. dazu unten S. 220 f. mit Anm. 1 auf S. 221. ®) Damian Dagobert Crève, geb. in Mainz 2 . 4 . 1 8 0 9 als Sohn des Obergerichtsrates Dam. Ernst C., seit 1836 Substitut des Oeneralstaatsprokurators am Obergericht zu Mainz (1846 Charakter als Generaladvokat), 1 0 . 6 . 4 9 Ministerialrat, 1 3 . 1 2 . 5 6 iebensl. Mitglied der Ersten Kammer, 4 . 5 . 6 8 auf s. v. Justizminister empfohl. Oesuch hin „in den temporären Ruhestand" versetzt, f 17.12.68 (Personalakten: Darmstadt, J u s t i z m i n i s t . ) .

Bischöfliche Stimmungen vor Absendung der Regierungsantwort

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vermochten, ihn von der betretenen Bahn der Gerechtigkeit abzulenken". 1 ) Nun wußte freilich dieser Staatsbeamte, daß der Bischof etwas mehr wollte, als was man selbst in dem Darmstadt Dalwigks die „wohlbegründeten Rechte" der Kirche nannte; aber er wollte gewiß auch als Katholik sprechen, wenn er dem Bischof empfahl, die Bewilligungen beruhigt als sehr namhafte Abschlagszahlung hinzunehmen, da ja Dalwigks und Rieffels Eifer in der Förderung der kirchlichen Anliegen „nie erkalten" werde. Blickte aus diesen Worten nicht wieder der Wunsch heraus, den Frieden zwischen Staat und Kirche zu erhalten, sei es selbst unter staatlichen Opfern? Angesichts derartiger halb offiziösen Zusicherungen mag der Mainzer Bischof schon damals über die Aussichten einer unmittelbaren Verständigung mit Darmstadt nachgesonnen haben. Aber noch fand er zuviel von staatskirchlichem Bewußtsein auch bei dieser Regierung am Werke und noch konnte er nicht ernstlich daran denken, eigene Wege zu gehen: schon darum nicht, weil auf der einen Seite die Darmstädter Regierung noch mit den übrigen zusammenhielt, auf der anderen Seite er selbst sich an die Bischofsgemeinschaft gebunden fühlte, ja sogar auf die Freiburger Berufung nach wie vor noch rechnen durfte, denn trotz der Ablehnung durch den Prinzregenten Friedrich von Baden, auf dessen Bekehrung zum Katholizismus zu hoffen 1 ) man nun wohl schon verzichtet hatte, hielt die Kurie an dem Koadjutorplane fest.") Ketteier wird die neue Darmstädter Stimme eher einfach als Zeichen der Schwäche genommen haben. Sein Erfolg in der Seminarsache schien die Anschauung zu rechtfertigen, daß die Regierung, die im Augenblicke durch den Zusammenhalt mit den Nachbarn noch gestützt wurde, am ehesten doch einem gemeinsamen, geschlossenen Angriffe der Bischöfe wider die verbündeten Staaten weichen werde. So nahm Ketteier die Teilzugeständnisse der Regierung kaum in anderer Stimmung auf als die übrigen Bischöfe auch. Was hatten die Regierungen zu bieten? Oder vielmehr: was bot ihm seine Regierung? Denn die Staaten folgten ja den Bischöfen nicht auf den Wegen über die Landesgrenzen hinaus. Die Bischöfe der ganzen Kirchenprovinz hatten die von ihnen allen unterzeichnete Denkschrift durch ihren Metropoliten jedem einzelnen Landesherrn zustellen lassen; die Regierungen dagegen, auch damit schon ihr Festhalten an der territorialkirchlichen Überlieferung ankündigend, antworteten einzeln dem eigenen „Landesbischof". So mußte auch der Bischof von Mainz zuerst einmal seiner Regierung eine vorläufige Antwort geben. ») Crève an K- 15. 1.53: Pfülf, 1, 350. *) Leop.v. Gerlach an Bismarck 15.4.52: Berliner Gerüchte, daß Fr. übertreten wolle (Briefe G.s hg. v. Kohl S. 8). *) Viale Prelà an Vicari 30.1.53: Maas 647; Bericht d. Ost. Gesandten in Baden 25. 3. 53: Pfülf 1, 259 Anm. 1. Vgl. Poschinger, Preußens auswärt. Politik 1 (1902) S. 232.

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Man h a t t e den Bischöfen Zeit genug gelassen, sich stimmungsmäßig zur A u f n a h m e oder vielmehr zur Ablehnung der Regierungsgaben vorzubereiten. Auch in Mainz rechnete man bei dem langen Hinzögern der Antwort nicht mit einer f ü r die Kirche günstigen Entscheidung; das „Mainzer J o u r n a l " 1 ) wurde ironisch gestimmt, als man Mitte Februar 1853 in Wiesbaden offiziös eine „allseitig befriedigende Lösung der D i f f e r e n z p u n k t e " f ü r die nächsten Tage in Aussicht stellte. Vicari schleuderte der Regierung sogleich am 6. März, k a u m d a ß er ihre Zuschrift erhalten h a t t e , das drohende Apostelwort entgegen: „Man muß Gott mehr als den Menschen gehorchen" und zeigte gar die Rücksichtslosigkeit, den grobschlächtigen Einspruch sofort in die Presse zu bringen. 8 ) So leidenschaftlich, wie es die Freiburger Berater dem alten Erzbischof eingegeben hatten, a n t w o r t e t e n die anderen nicht. Ketteier, noch zuletzt durch jenen kirchenfrommen Ministerialratsbericht bestärkt, mochte tatsächlich von dem Ministerium Dalwigk etwas mehr erwartet haben, jedenfalls wollte er mehr begehren, als in der Verordnung vom 1. März, in dem Schreiben vom 5. März 1853 zugestanden worden war. Er ließ in seiner Zuschrift an das Ministerium vom 9. März 3 ) das Gefühl der E n t t ä u s c h u n g gut hervortreten: „Unsere sehnlichsten Wünsche sind nicht in Erfüllung gegangen. Höchste Staatsbehörde h a t nicht geglaubt, der katholischen Kirche die Stellung einräumen zu müssen, um die wir gebeten haben, und mit einigen wenigen Ratifikationen soll der ganze Inhalt jener landesherrlichen Verordnungen a u f r e c h t erhalten werden." Mit andeutender Unbestimmtheit erklärte er: „ E s ist mir unmöglich, in einem so ernsten Augenblick jetzt schon überall zu entscheiden, was n u n m e h r die Pflicht gegen Kirche und Staat von mir f o r d e r t . " Er kündigt die eigentliche Antwort erst f ü r die Zeit nach Ostern an, nach der Beratung mit den übrigen Bischöfen. D a ß er persönlich weitere Zugeständnisse verlangen werde, gab er indessen jetzt schon zu verstehen mit den Schlußworten: „ I c h halte mich aber zu dieser vorläufigen Äußerung verpflichtet, um jedem Mißverständnisse meiner Handlungsweise vorzubeugen, wenn ich bis dahin meine Amtsgeschäfte noch in der bisherigen Weise f o r t f ü h r e . " Ketteier leitete das Festhalten an wichtigen Stücken der landesherrlichen Verordnung von 1830 ganz richtig auf die Person des Großherzogs zurück und auf andere Einflüsse, die stärker seien als der Ministerpräsident, .der im Grunde seines Herzens die bischöflichen Ansprüche als billig ansehe. Auch der preußische Gesandte, zu dem Kette') 1853 Nr. 39, Beilage (16. 2.). *) Zu d. Veröff. i. d. Allg. Zeitg. vgl. d. Hinweis in dem Einspruch der Bischöfe v. 12. 4. 53: v. Kretner-A. 1,186. Vgl. auch die Äußerungen d. Min. v. Rüdt 25. 3 . 5 3 : Pfiilf 260 Anm. 3. 3

) K. an das Min. d. 1., Mainz 9. 3. 53 (praes. 12. 3.).

Kettelers vorlaufiger Einspruch gegen die Regierungsantwort

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ler so sprach ), kannte Dalwigks Neigung für die katholische Kirche als „Stütze der Ordnung". Aber zu diesem Vertreter des Preußens der günstigen Kirchenparagraphen sagte der Bischof doch auch, es sei ein sehr wehmütiger Eindruck, zu sehen, wie die Darmstädter Regierung in dieser ernsten Zeit, gegen die wichtigsten und heiligsten Interessen des Volkes taub und blind, sich damit beschäftigte, neue Uniformen für die Schulmeister zu erfinden und statistische Tabellen über das Lebensalter der Nachtwächter anfertigen zu lassen. Die Verantwortung für einen Konflikt mit der weltlichen Autorität treffe nicht ihn. Es lebte auch in Ketteier jene kampfbereite Stimmung, mit der sein gewandter Berater Lennig die Regierungserklärungen aufnahm: „Wer so antworten kann, der gibt nichts, als wozu er gezwungen wird. Wir wollen sie daher zwingen, indem wir uns einmal von ihnen verfolgen lassen." In demselben Briefe an den Limburger geistlichen Freund meinte der Mainzer Generalvikar 8 ): „Die Bischöfe, indem sie in demjenigen Geleise fortwandeln, das ihnen Gott und die Kirche so deutlich vorschreiben, können nicht irregehen; die Folgen ihres Handelns wird und muß Gott auf sich nehmen." In diesem Zeichen des Kirchenkampfes, der derart als gottgeboten und gottgeleitet galt, stand die Bischofskundgebung vom April, stand auch die große Bischofsdenkschrift vom Juni 1853. Die Bischöfe, die nebst ihren Generalvikaren unter erzbischöflichem Vorsitz in Freiburg zusammentraten 8 ), erließen am 12. April eine gemeinsame Erklärung an die Regierungen. 4 ) Sie klang wie eine Kundgebung souveräner geistlicher Mächte an feindliche weltliche Mächte, sie klang wie eine Kriegsdrohung. Sie brachte zugleich die förmliche Aufkündigung der Untertanentreue (die am Schlüsse, fast wie zum Hohne, wieder beteuert wird), die Lossagung vom Staate und seinem Rechte. Den Gehorsam gegen die „Menschen", und also die Staatsgesetze, geben die Bischöfe preis zugunsten des höheren Gehorsams gegen Gott. Sie erklärten in aller Form, daß für ihre Amtsverwaltung künftig nur noch das Dogma und das darauf beruhende Verfassungsrecht ihrer Kirche maßgebend sein sollen, daß sie den von den „allerhöchsten und höchsten Regierungen" gegenüber der katholischen Kirche festgehaltenen l ) v. Canitz an Fr. W. IV. 4 . 4 . 5 3 (aus d. preuß. Gesandtschaftsberichten durch W. Schüßler). *) Lennig an d. Sekretär d. Bisch, v. Limburg: Brück, L. 164. — Dazu K-s Äußerung unmittelbar nach der Freiburg. Tagung, 17. 4. 53: Pfülf 1, 262. — Die verwandte Limburger Stimmung erkennt man aus d. Schreiben Blums an Vicari 16. 4. 53 (erw.: Maas 233 Anm. 3) u. aus Liebers Schrift (vgl. Höhler 2, 247f.). ») Das Bild d. Bischofsvers., gemalt v. Dr. E. Heuß (vgl.Mz. J . 1855 Nr. 294), das nach der Lithogr. v. Schertie noch 4 Jahre später zu ermäßigtem Preise ausgeboten wurde (Mz. J . 1857 Nr. 285), ist wiedergegeben bei Höhler 2, 249. Hinter den sitzenden K., dessen schmaler feiner Kopf leidlich herausgearbeitet ist, steht der behäbige, fast feiste Lennig. 4 ) v. Kremer-Auenrode 1, 186.

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Vorschriften und Anordnungen, die auf einem vom Papste wiederholt und feierlichst verworfenen Systeme ruhen, auf das entschiedenste entgegenzutreten beschlossen haben. Die ausführliche Begründung dieses Beschlusses wollen sie in einigen Wochen vorlegen. Wenn sie nach ihrer förmlichen Absage an die Regierungen nun doch von diesen „eine wohlwollende und unbefangene Würdigung" für ihre künftige Vorlage erbitten, so konnte das wie Ironie klingen. Indessen verrat sich hier wohl auch der Kampf der Meinungen und Naturen, der selbst diesen kirchlich wohlgesinnten oberrheinischen Episkopat nicht so ganz zur Einheit werden lassen wollte. Es war nicht nur der Widerstreit der Wesensart etwa Kettelers und Lipps 1 ), der gewiß nicht leicht überwunden wurde. Es gab auch sachliche Gegensätze zwischen Ketteier und den anderen 2 ): Ketteier gerade wollte, und eben um der Kirche willen, daß man sich mit bestimmten Zugestandnissen, wie er sie später für seine Diözese erreichte, allgemein begnüge. So erklärt es sich, wenn der kurzen Kundgebung fast eine Woche der Beratung voranging; sie wurde kirchlich durch eine von Ketteier gelesene Messe eingeleitet.*) Aber schließlich mußte Ketteier seinen von anderen, namentlich dem Limburger Bischöfe bekämpften Standpunkt aufgeben. Die Begehrlicheren drangen durch. Einen Augenblick schien es, als ob diese bischöfliche Erklärung, wie sie Nassau und Baden, Württemberg und Hessen gleichmäßig traf, diese Regierungen auch zu einem gleichmäßigen, würdevollen, staatsbewußten Widerstande zusammenführen sollte. Jetzt entflammte selbst in den duldsamen Seelen der Darmstädter Minister und Ministerräte der Stolz des Staatsgefühls. Vor allem: das war mehr, als man dem Großherzoge bieten zu dürfen meinte, und schon darum mehr, als das Ministerium Dalwigk schweigend hinnehmen konnte. Jetzt fand Rieffei scharfe Worte, fand, so schien es, gemeinsam mit seinem Minister und dem in diese Bewegung mit lebhafter persönlicher Teilnahme eingreifenden Großherzoge den Willen zur Tat. Der Gedanke, die früheren Regierungsbevollmächtigten zur Abwehr der neuen, nicht eben mit sanften Hirtenworten eingeleiteten bischöflichen Gewalttaktik sogleich wieder zusammentreten zu lassen, ist allerdings von der badischen Regierung ausgegangen, die auf einen raschen Vorstoß des schon durch sein Alter zum kirchenpolitischen Martyrium besonders berufenen Freiburger Erzbischofs gefaßt sein mochte. Aber in Darmstadt nahm man die Karlsruher Anregung sofort *) An d. Rottenburger Bischof Lipp nur kann Lennig gedacht haben, wenn er (in dem S. 221 Anm. 2 gen. Briefe) sagt, auch die Oberrh. Kirchenprovinz habe gesündigt, „freilich nicht in den jetzigen Trägern, wenigstens nicht in allen". 2 ) Vgl. d. letzten Satz des v. Pfülf, Geissei 2, 246 mitgeteilten Limburger Briefes v. 1.6. 54. 3 ) Mz. J . 1853 Nr. 85, Beilage (10.4.).

Erklärung der Bischöfe gegen die Regierungen (April 1853)

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auf. Rieffei sah ein einheitliches Verfahren der Bischöfe nach einem von ihnen „verabredeten System" vor sich, darum empfahl er die Erfüllung des badischen Wunsches, obwohl die Blätter schon von einer Abfertigung des Rottenburger Bischofs durch die württembergische Regierung 1 ) zu berichten wußten. Eine Woche nach Einlauf des bischöflichen Protestes, am 21. April 1853, gab das Ministerium den badischen Vorschlag an den Großherzog weiter und bat um Rieffels Bestellung. 2 ) Ludwig 111. willigte am übernächsten Tage ein, aber mit einem Vorbehalte, der sich aus den Erfahrungen des vergangenen Jahres erklärt: er verfügte, daß dem Kommissar bestimmte Instruktionen für die beabsichtigte Ubereinkunft erteilt werden sollten. Die Gemeinschaft der Regierungen, die nach den Darmstädter Erwartungen nun wirkungsvoll der Gemeinschaft der Bischöfe entgegentreten sollte, war indessen nicht mehr zu retten. Selbst der Plan der gemeinsamen Besprechungen war schon zerschellt, als der Großherzog ihn feierlich guthieß. Die übereilte Stuttgarter Antwort an den Bischof von Rottenburg wurde in Karlsruhe nicht so gleichmütig hingenommen wie in Darmstadt. Baden zog seinen Vorschlag zurück und antwortete am 21. April dem Erzbischof unmittelbar und gleichfalls mit großer Schärfe. Fünf Tage später erteilte Nassau dem Limburger Bischof Bescheid. Die Darmstädter hätten sich gewiß unmittelbar mit den Genossen vereint in der Kampfstellung wohler gefühlt; jetzt blieb ihnen nichts übrig, als auch ihrem Bischof mutvoll eine ähnliche Erwiderung zugehen zu lassen. Der Großherzog genehmigte am 1. Mai den ihm tags zuvor eingereichten Ministerialantrag, aber auch jetzt wieder erst nach genauer Prüfung des Wortlauts. Er hat in Rieffels Entwurf kleine Stellen gestrichen, geändert, verschärft. Für das Schlußstück dieser Erwiderung hatte der milde Ministerialrat selbst schon eine scharfe Fassung gefunden, die sich teilweise wörtlich an die schwäbisch deutliche württembergische Antwort anlehnt: „Gleichwie S. K. H. der Großherzog von allen seinen Untertanen eine unerschütterliche Standhaftigkeit in der schuldigen Untertanentreue erwarten, so verlangen sie auch von jedem derselben Gehorsam dem Gesetze und Beobachtung der Staatsverfassung. Allerhöchstdieselben werden, wenn das angekündigte Entgegentreten von E. bisch. Hochwürden in einer die Landesgesetze verletzenden Weise in Ausführung gebracht werden wollte, die Gesetze und Verfassung des Staates gegen jeden Eingriff zu schützen und nötigenfalls von der Ihnen von Gott verliehenen Gewalt den Gebrauch zu machen wissen, welchen die Erfüllung Allerhöchst Ihrer Regentenpflichten erheischt." Das Schreiben, das mehr den Ansichten des Großherzogs als den Absichten des Ministeriums entsprach, ist mit dem Datum des 2. Mai ') 1 9 . 4 . 5 3 : Friedberg, Gränz. zw. Staat u. Kirche 1 (1872) S. 880 (Auszug: v. Kremer-A. 1, 187). Vgl. Golther 144 f. ») 2 1 . 4 . 5 3 : Min. d. I. an den Großherzog („cito", spediert 21.4.).

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1853 nach beschleunigtem Ministerialratbeschlusse noch am 3. Mai nach Mainz gesandt worden. Aber Ketteier dachte nicht daran, sich dieser „ V e r f ü g u n g " zu beugen. Er legte sie zu den Akten. Wenn sie ihm den Widerspruch vorhielt zwischen seiner Beteuerung der U n t e r t a n e n t r e u e und seiner förmlichen Aufkündigung des Gehorsams gegen die Gesetze, so d u r f t e er sich beruhigt fühlen bei dem Grundsatze, d a ß man Gott mehr gehorchen müsse als den Menschen, bei diesem bischöflichen Satze, der sich seit langem und auch ihm immer von neuem als nützliche Abwehrformel gegen staatliche Ansprüche bewährte. Eben der Mainzer Bischof, der jetzt bei den Regierungen die äußerste Grenze der Verblendung erreicht sah, der das Z u t r a u e n zu seiner Regierung gewiß nicht verlor, die K r a f t dieses Z u t r a u e n s aber nicht zuletzt in dem Glauben an das kirchliche Widerstandsrecht und dessen Wirkung f a n d , eben Ketteier ü b e r n a h m die Sorge f ü r die Abfassung des E n t w u r f e s der neuen bischöflichen Denkschrift. Auf der Grundlage der Freiburger Besprechungen 1 ), der eigenen Aktensammlung Kettelers und der Aktensendungen seiner Mitbischöfe, mit Hilfe seiner Mainzer geistlichen Genossen, insbesondere §einc§ Generalvikars Lennig 2 ) und des beweglichen, juristisch und theologisch geschulten Dompräbendaten Dr. Heinrich, ist der Mainzer bischöfliche Entwurf ausgearbeitet worden 8 ), der auf der oberrheinischen Bischofsversammlung vom J u n i 1853 zu der großen bischöflichen Denkschrift ausgestaltet wurde. Diese neuen Freiburger Beratungen, an denen wiederum die Generalvikare teilnahmen, dauerten nur fünf T a g e : man darf danach annehmen, daß die am 18. Juni unterzeichnete Denkschrift, die fast acht Druckbogen füllt, zum größten Teile die Mainzer Grundlage bewahrt hat. Sinn und Maß der Eingabe waren durch die Aprilbeschlüsse vorausbestimmt. Sie sollte die begründete Gehorsamsaufkündigung bringen. Daß auch sie nicht lediglich den Regierungen, vielmehr zugleich der Öffentlichkeit vorgelegt wurde, beweist den Kampfwillen der vereinigten Prälaten. Indessen, eben in diesem Augenblicke der betonten Zuversicht zeigte sich schärfer als zuvor der Riß auch in dieser geistlichen Gemeinschaft. Der Bischof von Fulda unterzeichnete wohl die Denkschrift, aber er ließ sich f ü r dieses Zugeständnis von den anderen einen hohen Preis zahlen. Am Schlüsse der Denkschrift stand seine Erklärung zu lesen, die die Flucht aus der Kampfreihe gar nicht mehr verhüllt. In der ersten Denkschrift h a t t e man sich mit der Anspielung auf die bessere ») Vgl. Vicari an d. Papst 20. 5. 53: Maas 233. ') Vgl. schon K- v. e. Firmungsreise an Lennig 10.5. 52: Pfülf 1, 254. ») Vgl. Brücks Nachruf auf Heinrich: „Katholik" 1891 1,405. Daß hier v. d. großen Anteil Heinrichs an d. Denkschrift gesprochen wird, läßt gerade für K s persönl. Anteil Raum. — Über Heinrich unten Buch 2, Abschnitt 2.

Die Mainzer Grundlagen der oberrhein. Bischofsdenkschrift v. Juni 1853

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tatsächliche Stellung der Bischöfe von Fulda und Mainz begnügt; jetzt bekannte sich der kurhessische Bischof zwar zu der Überzeugungsgemeinschaft mit den übrigen, aber er stieß nicht gemeinsam mit ihnen gegen seinen Landesherrn vor, und es war doch eine die Strategie der Bischöfe störende Sondertaktik, wenn dieser Fuldaer beteuerte, er dürfe die zuversichtliche Hoffnung hegen, „in Bälde alles nach Recht und Billigkeit in seinem Bistum so geordnet zu sehen, daß unzweideutige gesetzliche Bestimmungen die glücklichste Eintracht zwischen der Staats- und Kirchengewalt für immer befestigen". Darum war für diese Regierung der „erleuchteten Einsicht" die Denkschrift überhaupt nicht bestimmt: Kurhessen wurde weder in der Überschrift genannt, noch wurde die Denkschrift in Kassel vorgelegt. Sie war eine Kampfschrift; der Bischof von Fulda aber glaubte, anders als die übrigen, des Kampfes nicht zu bedürfen. Auch Ketteier hoffte auf die Nachgiebigkeit seines Ministeriums. Aber er meinte, sie erzwingen zu müssen. Darum hat er der Denkschrift keinen Vorbehalt mitgegeben, auch kein dankbares, zugleich werbendes Wort der Anerkennung über die hessischen Kirchenverhältnisse; auf sie wird nur in der Denkschrift selbst gelegentlich hingewiesen. Die Forderungen des Episkopats durften als Kettelers persönliche Forderungen gelten. Die b i s c h ö f l i c h e D e n k s c h r i f t vom 8. Juni 1853 — mag sie auch oft an die von 1851 anknüpfen, mag hier und da die Mitwirkung der bischöflichen Genossen die ursprünglichen Mainzer Züge verändert haben — bleibt ein lebendiges Stück aus der kirchlichen Welt Kettelers. Schon in der Einleitung ihrer Denkschrift 1 ) bekennen sich die Bischöfe zwar zu der Verpflichtung, im Geiste des Friedens zwischen Kirche und Staat zu wirken, erklären sich ganz erfüllt von dem Geiste des Gehorsams und der Ehrfurcht gegenüber der weltlichen Obrigkeit, anerkennen ihre Treu- und Gehorsamspflicht gegen die Landesherren und Staatsgesetze; sie berufen sich aber zugleich auf die göttliche Ordnung der Kirche und auf ihr eigenes Gewissen und beharren dabei, daB die katholische Kirche in den Ländern der Oberrheinischen Kirchenprovinz dastehe „mit unbedingtem Rechtsanspruche auf selbständige Existenz und ungestörte Wirksamkeit, also auf Respektierung der vollen Integrität ihrer Lehre, ihres Kultus, ihrer Disziplin, ihrer Verfassung und ihres Kirchenregimentes". Darum erheben sie Einspruch gegen die neuen einseitigen Staatsverfügungen. Durch vorherige Verständigung mit der Kirche — so meinen nun die Bischöfe hinterdrein — hätten die Regierungen den Frieden sichern können; jetzt aber kann es den Bischöfen nur darum zu tun sein, das „durchaus Unbefriedigende" der Regierungsantwort darzulegen. Sie verteidigen zuerst (§ 1) die bischöfliche Denkschrift von 1851: sie stellte sich nicht den allgemeinen Staatsgesetzen entgegen, vielmehr nur den eigens f ü r die Bischöfe, für die Kirche erteilten Verordnungen und Vorschriften. Die Bischöfe greifen hier also auf jene Unterscheidung zurück, die in der Frankfurter Nationalversammlung den kirchlichen Gewinn bei der zweiten Lesung der Grundrechte bezeichnet hatte. 1 ) *) Freiburg, Herder, 1853. 122 S. — Bei v. Kremer-A. 1,188 f. ist nur der Schlußteil (S. 119—121), doch nicht mehr die Erklärung des Bischofs v. Fulda (s. oben) abgedr. aus Roskoväny, Monum. cath. 4, 812—838. •) Vgl. oben S. 118 f. V i g e n e r , Bischof Ketteier

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Die Regierungen, so sagt § 2 , haben die R e c h t s f r a g e , die Sache des positiven Rechts zu einer Sache der Nützlichkeit und W o h l f a h r t gemacht. Als Rechtsfrage, als ein Stück der Rechtsordnung gilt es den Bischöfen, wenn es sich u m Besetzung der Pfarreien, Erziehung der Geistlichen,Verwaltung des Kirchenvermögens h a n d e l t : Rechtswahrung ist Staatspflicht, Rechtsverletzung h a t zur Revolution g e f ü h r t . — Für die Grenzen zwischen S t a a t s r e c h t u n d K i r c h e n r e c h t aber haben die Bischöfe ( § 3 ) die Bestimmungen des „objektiven und positiven R e c h t s " zur H a n d : die Völker- und staatsrechtliche Anerkennung der Oberrheinischen Kirchenprovinz (also gilt auch das Kirchenrecht f ü r alle die Kirche berührenden Rechtsfragen), der unvordenkliche Besitzstand und die Gewährleistung dieses Rechtsbestandes durch Reichsgesetze, besonders den Westfälischen Frieden und zuletzt noch den Reichsdeputationshauptschluß, dessen Schutz so gut gelten m u ß wie seine der Kirche nachteiligen Bestimmungen gelten. Alle diese Rechte sind nur durch Vertrag zwischen S t a a t und Kirche zu ändern, wie es tatsächlich durch die Bullen „Provida solersque" und „Ad domirtici gregis custodiam" geschehen ist. In diesen Rechtsbestand der katholischen Kirche haben ( § 4 ) die Regierungen seit dem J a h r e 1803 mit Verordnungen und Maßregeln eingegriffen, die z. T. jetzt noch bestehen und von den Bischöfen b e k ä m p f t werden müssen. Nach dem Zusammenbruche des Reiches ließ man „von der katholischen Kirche selbst k a u m nur noch den Namen bestehen", sie wurde zu einer von dem Regenten und dessen Ministern regierten Landes- und Staatsanstalt. Man meint, bei dieser Zuspitzung Kettelers H a n d am Werke zu sehen! Die sich anschließende, mehr auf Rom als auf die Regierungen berechnete einseitige Darstellung der Anfänge der Oberrheinischen Kirchenprovinz kann danach nicht mehr überraschen. Die erste bischöfliche Denkschrift h a t t e die Beseitigung der vom Papste verworfenen staatskirchlichen Bestimmungen begehrt; die zweite wiederholt diesen Antrag unter umständlicher Abwehr der Einreden und Entscheidungen, die in den Regierungsantworten vom 5. März 1853 den bischöflichen Beschwerden und Forderungen entgegengestellt worden waren. F ü r die Besetzung der k i r c h l i c h e n Ä m t e r und P f r ü n d e n (§ 5) soll allein das kanonische Recht maßgebend sein. Eine fürstliche Stellenbesetzung könnte es nur dann geben, wenn die katholische Kirche Staatsanstalt oder wenn der Landesherr Inhaber der Kirchengewalt wäre. Die Einheit von Kirche und S t a a t lehren, die Kirche zu einem Stücke des Staates machen, heißt aber •— wieder hört man die Mainzer Stimme herausklingen — eine heidnische Auffassung von S t a a t und Religion vertreten. Die Verwerfung dieser Anschauung ist moralische und politische Pflicht des Staates, ist aber der in Rechtsgeltung dastehenden katholischen Kirche gegenüber zugleich u n a n t a s t b a r e Rechtspflicht. Inhaber der Kirchengewalt ist der Fürst nur nach protestantischer Kirchenverfassung, ist er tatsächlich und rechtlich seit der Reformationszeit [von mittelalterlicher landesherrlicher Kirchengewalt wissen die Bischöfe also nichts!]; die katholische Kirchengewalt aber steht den Bischöfen und dem Papste zu, also können die Ämter nicht, wie die protestantischen, von Fürsten vergeben werden ohne eine Rechtsverletzung, die durch das protestantische Bekenntnis der Fürsten noch verschärft wird. Den Bischöfen vielmehr s t e h t auch in den deutschen Ländern die Besetzung der Kirchenämter zu. Der sog. S t a a t s p a t r o n a t ist eine irrige und unbegründete Theorie, die übrigens f ü r die linksrheinischen Pfarreien des Bistums Mainz (die Denkschrift beruft sich auf das französische K o n k o r d a t von 1801) nicht galt, bis die Verordnungen vom 8. Februar 1830 „ohne jeglichen Rechtstitel" dem Bischöfe das Besetzungsrecht absprach und nur ein Vorschlagsrecht übrig ließ. Der S t a a t s p a t r o n a t überhaupt ist nichtig. Er läßt sich auf die Nachfolge der weltlichen Landesherren in die weltlichen Besitzund Hoheitsrechte der geistlichen Fürsten nicht gründen, denn die Erzbischöfe und Bischöfe vergaben die Pfarreien nicht k r a f t ihrer Landeshoheit, sondern [was durchaus nicht immer der Fall war!] vermöge ihrer geistlichen Jurisdiktion; er kann aber auch nicht aus der Landeshoheit als solcher gefolgert werden, da er geschichtlich „nie und nirgends" k r a f t der Landeshoheit beansprucht wurde [was.

Inhalt der bischöfl. Denkschrift: Stellenbesetzungen; Prüfung der Geistlichen

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wiederum irrig ist!] und da eine derartige Forderung „ m i t den ersten und einfachsten Rechtsprinzipien" im Widerspruch s t e h t : denn P a t r o n a t s r e c h t ist kein öffentliches und politisches Recht, sondern ein kirchliches Privatrecht, ein rein kirchliches und religiöses Recht und Vorrecht. Auch mit der Errichtung der Oberrheinischen Kirchenprovinz ist kein P a t r o n a t s r e c h t auf die Landesherren übergegangen. Die katholische Kirche h a t „nicht aufgehört, dagegen zu protestieren", daß die Landesherren ein Stellenbesetzungsrecht ü b t e n ; „ d a ß die kirchlichen Behörden, unter W a h r u n g des Prinzips und Rechtes, so gut es ging, dem F a k t u m der weltlichen Macht sich zeitweilig gefügt h a b e n " , wird nebenbei zugegeben, aber als rechtlich bedeutungslos bezeichnet und nicht der geschichtlichen Wirklichkeit entsprechend gewürdigt. Die Rechtsfrage gilt den Bischöfen d a m i t als zu ihren Gunsten entschieden. Aber auch die (in der D a r m s t ä d t e r Antwort am vollständigsten zusammengestellten) Gründe, die sich auf das Wohl des Staates und der Kirche berufen, soll die Denkschrift erledigen: sie alle sprechen nur f ü r „Mitwirkung", f ü r „Beteiligung" der Regierungen, zugleich aber d a f ü r , d a ß der Kirche der H a u p t a n t e i ! bei der Stellenbesetzung gebührt, wie denn gerade durch die freie bischöfliche Pfründenvergebung dem Wohle des Staates a m besten gedient wird, während das bisherige Verfahren die Kirche, entgegen der Regierungsbehauptung, schwer geschädigt h a t ; die grundsätzliche Beeinträchtigung, die „prinzipielle Vernichtung der kirchlichen Verfassung und des kirchlichen Rechtes", wie es freilich sehr prinzipienhaft heißt, besteht auch da, wo, wie z. B. im Großherzogtum Hessen und im Herzogtum Nassau, die Praxis das verderbliche Prinzip mildert. Der nächste, der sechste 1 ) P a r a g r a p h ( P r ü f u n g e n d e r G e i s t l i c h e n ) bringt den bischöflichen Einspruch gegen § 8 der Verordnung vom 1. März 1853, da dieser zwar den Artikel 27 der Verordnung vom 30. J a n u a r 1830 a u f h e b t , aber Teilnahme und Einspruchsrecht des landesherrlichen Kommissars festsetzt; was in der ersten Denkschrift gegen die bisherige „gemeinschaftliche P r ü f u n g " gesagt ist, t r i f f t auch diese landesherrliche Überwachung: sie widerspricht dem Rechte und der N a t u r der Sache. 2 ) — Die kirchliche G e r i c h t s b a r k e i t über die Geistlichen ( § 7 ) ist in manchen Diözesen f a s t bis zur Vernichtung geschmälert, anderwärts, z. B. im Großherzogtum Hessen, wurde diese Sache im ganzen befriedigender geordnet und gehandh a b t . Die Bischöfe fordern auch hier die völlige kirchliche Freiheit und berufen sich wieder auf das positive Recht, auf die N a t u r der Sache, auf Billigkeit und Schicklichkeit. Sie verwerfen jede Beschränkung der geistlichen Gerichtsbarkeit, auch jede Berufung eines Verurteilten an die weltliche Gewalt (recursus tamquam ab abusu).3) Nur als den Büttel lassen sie den S t a a t auch hier gelten: denn auf die A n r u f u n g der Staatshilfe zur Vollziehung eines kirchlichen Urteils wollen sie nicht verzichten, aber — so weit treiben sie ihre kirchliche Folgerichtigkeit — auch dann h a t der S t a a t nur zu untersuchen, ob das geistliche Gerichtsurteil tatsächlich ergangen, „nicht aber, ob das Urteil an sich ein gerechtes i s t " . Die E r z i e h u n g d e s K l e r u s ( § 8 ) ist unveräußerliches Recht der Kirche. Nun ist aber § 25 vom 30. J a n u a r 1830 nicht bloß festgehalten, sondern in Verbindung mit den Erklärungen in der begleitenden Staatsschrift vom 5. März 1853, zumal der großherzoglich hessischen Antwort an den Bischof von Mainz [hier kehrt sich !) In d. Buchausgabe sind die §§ 6—21 falsch als 4—19 bezeichnet. a ) 25. 3. 52 h a t t e K.s Ordinariat der Regierung geschrieben, es überlasse ihr die Art der Beteiligung an d. P r ü f u n g der Zöglinge d. bisch. Lehranstalt (beim Eint r i t t in d. p r a k t . Seminarjahr). Vgl. Vigener, F a k u l t ä t S. 82 f. s ) Im O k t . 1855, als die endgült. Fassung d. Übereinkunft zwisch. d. Regier, u. K. vorbereitet wurde (vgl. unten S. 273 f.), n a n n t e der „ K a t h o l i k " 1855 II S. 339 jeden Versuch eines solchen recursus „Auflehnung gegen die gesetzlich normierte Autorität der Kirche, ein Unterfangen, welches der hl. Stuhl mit excommunicatio latae sententiae belegt h a t und welchem keine weltliche A u t o r i t ä t , schon im wohlverstandenen Interesse aller Autorität ü b e r h a u p t , irgend Vorschub leisten sollte".

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I I I : Ketteier im hess. Landesbistum und in der Oberrhein. Kirchenprovinz

Ketteier wider den Großherzog selbst!] 1 ), wesentlich erschwert durch die Art der Auslegung. Die großherzogliche Regierung gibt so „zu erkennen, daß sie sich f ü r berechtigt halte, dem Bischof die Bildung und Erziehung seiner Theologen zu entziehen, die Lehranstalt am Seminar zu Mainz aufzuheben und die katholischen Theologen zu zwingen, ihre theologischen Studien an der Staatsanstalt zu Gießen, oder auch wo sonst der Regierung es beliebt, zu m a c h e n " . Hier konnte Ketteier noch einmal, persönlich im Chorus der Bischöfe verschwindend, drohend sich verwahren gegen jeden Gedanken einer A n t a s t u n g seiner bischöflichen L e h r a n s t a l t ; da er die D a r m s t ä d t e r Fügsamkeit kannte, d u r f t e er die bloß vorläufige Duldung des theologischen Unterrichts in Mainz als ein das kirchliche Recht ableugnendes, ungenügendes Zugeständnis mit stolzen Worten tadeln lassen. Theologischen Unterricht und Klerikererziehung betrachten die Bischöfe als reine Kirchensache, als unvordenkliches Recht der deutschen Bischöfe. Die geschichtliche und juristische Begründung dieses bischöflichen Rechts sollte zugleich die staatlichen, insbesondere die D a r m s t ä d t e r Gründe f ü r die staatliche Klerikerbildung an der Landesuniversität widerlegen. Der Nachweis des Weiterbestehens der Mainzer theologischen Lehranstalt wird umständlich zu f ü h r e n versucht, weil die Dinge nicht so einfach lagen wie in Fulda. Vorgänger Kettelers h a t t e n die Gießener F a k u l t ä t geduldet, a n e r k a n n t , gelobt, gefördert. Diese unangenehme Tatsache sucht m a n durch Verhüllung und Ausdeutung möglichst unschädlich zu machen, um festhalten zu können, Ketteier habe mit der Wiederbesetzung der Lehrstühle und der Wiederbelebung der theologischen Studien in Mainz „lediglich ein nie aufgehobenes, j a , förmlich nie bestrittenes Recht a u s g e ü b t " . In der bischöflichen Auffassung erledigt sich jeder Zweifel überh a u p t von vornherein: „ E s ist nämlich der theologische Unterricht und die klerikale Erziehung so wesentlich eine ausschließlich und rein kirchliche und bischöfliche Amtsverrichtung, als die Predigt der katholischen Glaubenslehre, die Seelsorge, die Erteilung der Priesterweihe." Die allgemeinen, auf kirchliche Grundanschauung und päpstliche Kundgebungen gestützten Auseinandersetzungen empfangen ihren eigentlichen Sinn und Inhalt doch nur durch den tatsächlich schon abgeschlossenen Kampf des Mainzer Bischofs gegen Gießen. Diesem Bischofskampfe blieb freilich die bischöfliche Einheitlichkeit und die volle Schlagkraft versagt, weil in Baden und in W ü r t t e m b e r g theologische Fakultäten bestanden und die Tübinger gar, die berühmteste von allen, nicht am Bischofssitze lag, also das schönste Musterbeispiel f ü r ein wiedererstehendes, durch ein Konvikt nach dem Vorbilde des Wilhelmsstiftes theologisch-pädagogisch bereichertes Gießen bieten konnte. Es war ein bitteres Mainzer Zugeständnis an den Bischof von R o t t e n b u r g (der freilich auf seine Tübinger F a k u l t ä t stolz war und f ü r den Mainzer Geist wenig Sinn zeigte), daß man den Nutzen des Wilhelmsstiftes und die Verdienste der dort wirkenden Männer an derselben Stelle anerkennen mußte, wo man ein „ S t a a t s k o n v i k t " in Gießen als „ein von vornherein verkehrtes und schädliches I n s t i t u t " bezeichnete. Die bischöflichen Gegensätze, ja Widersprüche, konnten k a u m deutlicher zutage t r e t e n ; aber die Mainzer Aussichten wurden d a r u m doch nicht gemindert, denn die hessische Regierung selbst h a t t e ja bereits gezeigt, daß sie f ü r den Mainzer S t a n d p u n k t mindestens tatsächlich gewonnen war. Die bischöfliche Beredsamkeit, die gegen die Bemerkungen des hessischen Antwortschreibens über die Vorzüge der Universitätsbildung des Klerus aufgeboten wurde, ließ d a r u m doch ihre Kunst der Anklage, der Auslegung, der Überredung nicht weniger eifrig spielen. Hier kehren die Gedankengänge wieder, die der Darmstädter Regierung aus Kettelers Zuschriften hinlänglich bekannt waren. Der Darmstädter Behauptung, daß kein Bedürfnis zu niederen kirchlichen Konvikten vorhanden sei, wird jetzt mit Berufung auf W ü r t t e m b e r g und auf Baden, entschieden widersprochen; diese Konvikte mindestens sind als Ersatz f ü r die eigentlichen Knabenseminarien notwendig. Zu dem landesherrlichen T i s c h t i t e l (§ 9), „ d e m Versprechen der Landesherren, den Geistlichen im Falle ihrer Dienstunfähigkeit einen standesgemäßen LebensunterVgl. oben S. 214 u. 216.

Die bischöfliche Denkschrift: Erziehung des Klerus; Religionsunterricht; Placet

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halt zu verschaffen", waren die Landesherren (zufolge des Reichsbeschlusses von 1803 und der Säkularisation) verpflichtet. Tatsächlich wird nun der Tischtitel (Nassau ausgenommen) keineswegs aus staats- oder landesherrlichen, sondern aus rein kirchlichen Mitteln erteilt. Der Tischtitel aber ist eine große Beschwerde für die Kirche, führt geradezu zur Vernichtung der kirchlichen Rechte, wenn der Staat ihn als Vorbedingung der Weihe ansieht. Jetzt verzichten zwar die Regierungen darauf, den l a n d e s h e r r l i c h e n Tischtitel als Weihebedingung zu fordern, machen aber von diesem oder einem anderen ihnen als genügend geltenden Titel die Anerkennung ihrer Verbindlichkeit zur Gewährung des standesgemäßen Unterhaltes abhängig, sie wollen nur Inhaber solcher Titel und nur Kleriker, die den staatlichen Prüfungsforderungen genügen, zum Kirchendienst in ihren Ländern zulassen. Gegenüber diesen [vom Standpunkte eines Staates, der auf sein Recht etwas halten will, selbstverständlichen !] Forderungen ziehen sich die Bischöfe hochmütig aber gewiß auch hoffnungslos auf einen politischen und einen kirchlichen Lehrsatz zurück, ohne sich durch den zutage liegenden Widerspruch zwischen beiden stören zu lassen: „Ob jemand im Staatsgebiet zu dulden sei, das hängt von den allgemeinen bürgerlichen und politischen Gesetzen ab", „Ob jemand aber im Klerus der Diözese zu dulden sei und geistliche Funktionen verrichten dürfe, hängt von den kirchlichen Gesetzen und der kirchlichen Ordnung ab, und kraft der rechtlichen Anerkennung der Kirche ist der Staat verpflichtet, diese kirchliche Ordnung anzuerkennen." Die Durchsetzung einer solchen Forderung hätte die Bischöfe in sehr einfacher Weise auch des Kampfes um die kirchlichen Orden überhoben. Die kirchlichen Rechte auf „Erteilung des U n t e r r i c h t e s in d e r R e l i g i o n u n d d e r T h e o l o g i e " (§ 10) wahren die Bischöfe gegenüber den sie hier besonders enttäuschenden Entschließungen der Regierungen. Ohne solche „unveräußerlichen" Rechte kann die Kirche „gar nicht existieren". Der kirchliche Standpunkt ist übrigens grundsätzlich einfach: aller katholische Religionsunterricht ist Ausfluß des in der Diözese dem Bischöfe zustehenden kirchlichen Lehramtes, an dem der Staat keinen Anteil hat. Darum fordern die Bischöfe die Leitung des Religionsunterrichtes, insbesondere die Auswahl der Lehrbücher, das Recht der Erteilung und Entziehung der kanonischen Sendung an die Lehrer und das Recht, diesen unmittelbar Weisungen zu geben. Die halb gönnerhafte, halb bescheidene Beteuerung, daß dabei „die Bischöfe gerne das möglichst einträchtige Zusammenwirken mit der Staatsgewalt anstreben werden", war freilich zur Umstimmung der Regierungen ebensowenig geeignet, wie die Übertragung dieser Forderungen auf den theologischen Universitätsunterricht. Die günstigeren Verhältnisse des Großherzogtums Hessen, die dem Mainzer Bischöfe das Recht gaben, die Universitätsfrage als bischöflich beantwortet zu betrachten, wurden auch bei der Behandlung des Schulunterrichts erwähnt; daß der Bischof nicht unmittelbar dem Religionslehrer Anordnungen geben könne, war nur von den drei anderen Staaten vorgeschrieben worden. In der bischöflichen Kritik der Regierungen aber liegt hier etwas vom Geiste des künftigen österreichischen Konkordates, und es ist kein Zufall, daß sich die Bischöfe wenigstens in einer bescheidenen Anmerkung auf die Religionsunterrichts-Paragraphen der kaiserlich österreichischen Verordnung vom 23. April 1850 berufen. Auch (§11) mit dem Begehren nach Beseitigung der Placet-Bestimmungen von 1830 kämpfte nach der bischöflichen Behauptung die Kirche um ihre Existenz. Diese Paragraphen verkünden den Grundsatz der absoluten Rechtlosigkeit der Kirche, ihre absolute Abhängigkeit von der Staatsgewalt am klarsten und unbedingtesten. Sie sind nun ersetzt durch die §§2 und 3 1 ) der Verordnung vom l . M ä r z 1853. Mit Recht bemerken die Bischöfe, daß jetzt alles ankomme auf die Auslegung des Begriffes „eigentümlicher Wirkungskreis der Kirche", auf die Abgrenzung der „staatlichen und bürgerlichen Verhältnisse". Aber sie wollen eben [auch hier freilich in dem Bewußtsein, nach Unerreichbarem zu greifen!] jenen kirchlichen Wirkungskreis ') Vgl. oben S. 206 und 211 über das Piacet.

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II 1: Ketteier im hess. Landesbistum und in der Oberrhein. Kirchenprovinz

„dem positiven kirchlichen Recht g e m ä ß " abgemessen sehen. — Für Anordnungen über den K u l t u s betrachten sie ( § 1 2 ) Staatsgenehmigung als schlechthin unangebracht. Auch f ü r die Volksmissionen soll das gelten. Sie nennen die Missionen einfach eine „ A n w e n d u n g der gewöhnlichen Mittel der katholischen Seelsorge" und erklären, die f r e m d e n Prediger und Beichtväter betätigten sich lediglich im Namen des ordentlichen Seelsorgers. — J e d e Behinderung der K l ö s t e r und kirchlichen Vereine ist ihnen (§ 13) unvereinbar mit der freien Religionsübung, mit dem Rechte der katholischen Kirche, „in der Eigentümlichkeit ihres Wesens zu bestehen". — Mit der kirchlichen S t r a f g e w a l t gegen L a i e n b e f a ß t sich der kurze § 14. Dem S t a a t e wird keinerlei Prüfungsrecht gegenüber kirchlichen Zensuren zugestanden, wohl aber als Pflicht abverlangt, der Kirche Rechtsschutz zu gewähren, falls die von der Kirche Ausgeschlossenen sich widersetzen. Den Bischöfen (wie allen Katholiken) gereicht es zwar zum Tröste (§ 15), d a ß durch die Verordnung von 1853 die Bestimmungen von 1830 über den Verkehr mit dem P a p s t e f ü r aufgehoben erklärt wurden, aber sie erheben Einspruch gegen die Beschränkung der Verkehrsfreiheit auf die reinen Gewissenssachen. — Hinsichtlich der Besetzung der B i s c h o f s s t ü h l e und Kanonikate und Vikarien an den Domkirchen (§ 17) erkennen die Bischöfe n u r die Bestimmungen der Bulle „Ad dominici gregis custodiam" an. Die B e r u f u n g auf die Breven 1 ) suchen sie als unzulässig d a r z u t u n . Ungesetzlich und u n s t a t t h a f t nennen sie insbesondere den Regierungseinfluß auf die Kandidatenzusammenstellung und die, sei es auch nur passive, Anwesenheit eines landesherrlichen Kommissars bei dem W a h l a k t e , dies um so mehr, als eine solche Teilnahme nach den Kirchengesetzen und auch nach den neuesten Erklärungen des Papstes „ein Nullitätsgrund i s t " : ein Wink vornehmlich Kettelers an seine Regierung, die noch zu der letzten Bischofswahl in hergebrachter Weise den Kommissar gesandt h a t t e . ' ) — Zusammensetzung des O r d i n a r i a t s , Bestellung der Generalvikare ist (§ 18) Bischofssache. Es gibt hier kein staatliches Genehmigungsrecht, besonders auch nicht f ü r den Generalvikar*), der „der rein persönliche Stellvertreter und Bevollmächtigte des Bischofs ist und mit dem er juristisch nur Eine Person a u s m a c h t " . Die Bischöfe bestehen (§ 19) auf der tatsächlichen Ausscheidung der B i s t u m s - D o t a t i o n „ a u s dem Staatsvermögen und deren Auslieferung an die Kirche zum vollen rechtlichen Besitz, Verwaltung und G e n u ß " . Der Zweifel der hessischen Regierung, ob sie aus dem Deputationshauptschlusse eine Verpflichtung habe, wird als unberechtigt hingestellt. Desgleichen (§ 20) die staatliche Abweisung der bischöflichen Forderung, „ d a ß der Kirche ihr katholisches Kirchen- und Stiftungsvermögen zur freien Verwaltung und Verwendung überlassen wird". Dabei soll indessen der S t a a t auch der Kirche, die selbst ihr Vermögen verwaltet, den Schutz seiner Gerichte und besondere Hilfeleistung gewähren. — Für die „höchst preiswürdigen I n t e n t i o n e n " der Regierungen, daß die S c h u l e n und namentlich die Volksschulen vom Geiste des positiven Christentums durchdrungen sein müßten und also auch der katholischen Kirche ein wesentlicher Einfluß auf die Schulen zustehen müsse, sind die Bischöfe empfänglich ($21). Dieses grundsätzliche Zugeständnis der Regierungen soll nun auch tatsächlich im Sinne der Bischöfe betätigt werden. Sie verlangen, d a ß S t a a t und Kirche gemeinsam auf möglichste Beseitigung der (nichtkonfessionellen) Kommunalschulen hinarbeiten, und daß die katholischen Schulen auch katholisch im streng kirchlichen Sinne seien. Katholisch aber ist eine Schule nur, wenn sie im rechten Verhältnisse zum Bischöfe steht, und das wird da») Vgl. oben S. 206 u. 211. «) Vgl. auch u n t e n S. 233 mit Anm. 2. ») Vgl. dazu oben S. 202. — Das heutige kirchliche Recht bestimmt (Codex iuris canonici, can. 366 § 2): Vicarius generalis libere ab Episcopo designatur, qui eum potest ad nutum removere. Über die gesamte Stellung des Generalvikars: U. Stutz, Der Geist des Codex iuris canonici (1918) K a p . 9.

Die bischöfliche Denkschrift: Bischofswahl; Dotation; Schulen

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durch bedingt, daß die katholischen Lehrer neben der staatlichen Anstellung eine kirchliche Mission vom Bischof empfangen, daß dieser die Mission versagen und den religiös unzuverlässigen entziehen, d. h. deren Absetzung verlangen darf, daß der Bischof endlich die Schulbücher genehmigt und die Schulen selbst in ihrer religiösen Beschaffenheit beaufsichtigen darf. So werden die Forderungen von 1851 ausgestaltet: die katholische Volksschule soll (Kettelers inniger Wunsch!) zu einer vom Staat unterhaltenen bischöflichen Schule werden. Die Bischöfe meinen sich bei diesen ihren Forderungen auf die pflichtmäßige Geltendmachung der positiv begründeten Rechte beschränkt zu haben, denen überdies kein wahres Interesse, kein wirkliches Recht der Staaten und der Regenten im Wege stehe. Die Bischöfe, die derart auch die Entscheidung über das „wahre" Staatsinteresse beanspruchen, erklären, daß sie noch immer den Frieden suchen und wünschen. Aber sie können ihre Überzeugung und Grundsätze nicht opfern. Dem Eid der Treue zum Souverän und dem allgemeinen staatsbürgerlichen Gehorsam gegen die Gesetze können sie keine Verbindlichkeit zugestehen über die durch Gottes Gebot und den Schwur der Treue zum Papste gezogenen Grenzen hinaus. Menschliche Gesetze dürfen nie über göttliche gestellt werden. Das würde heißen, den Boden der christlichen Religion aufgeben. „Die Bischöfe mögen nicht glauben, daß sie etwas der Art von seiten ihrer Regierungen zu fürchten haben sollten." Jedenfalls: „die Bischöfe werden der Stimme ihres Gewissens unerschrocken folgen".

Diese scharfe Freiburger Denkschrift, gutenteils Mainzer Werk, sollte in Darmstadt auch als Kettelers Meinungsäußerung gelten. In der Duldung hatte ja das Ministerium Dalwigk sogleich im Beginne der neuen Bischofsherrschaft eine bedeutende Fähigkeit entwickelt. Die Mattsetzung der Gießener Fakultät war Kettelers größter, aber nicht einziger Erfolg. In kleinen Dingen konnte er dieselbe Taktik eines freundlichen Abtrotzens wiederholt mit ähnlicher Wirkung anwenden. Die Betrachtung seiner bischöflichen Verwaltung wird uns das noch zeigen. Dalwigk hätte am liebsten den Bischof ungestört gewähren lassen, ohne die Regierung auf bischöfliche Anschauungen zu verpflichten und durch neue förmliche Zugeständnisse zu binden. In ihm wirkten dabei Rücksichten auf Regentenbegriff und Hoheitsgefühl des Großherzogs stärker als seine eigene staatskirchliche Vorstellung. Aber Ketteier durfte erwarten, daß für die kirchliche Mitarbeit bei der Erziehung der Staatsbürger auch der sonst an staatskirchlichen Überlieferungen haftende Großherzog Verständnis bewähren werde; in den Tagen, da man in Darmstadt die Antwort an den Bischof aufsetzte, hatte Ludwig III. bei der Audienz eines Mainzer katholischen Gymnasiallehrers mit einer doch wohl auch auf den Bischof berechneten Entschiedenheit den Religionslehrer als den wichtigsten Lehrer der Jugend bezeichnet. 1 ) Ketteier kannte die verschiedenartigen kirchlichen und politischen Strömungen in Darmstadt. Die Märzverfügungen von 1853 zeigten ihm die Macht der staatskirchlichen Überlieferung auch bei seiner Regierung. Es galt, die ihm entgegenkommenden christlich-konservativen Grundanschauungen am Hofe und im Ministerium, das dort lebendige Bewußtsein politischer Gemein>) Hennes, Tagebuch (Mainz, Stadtbibliothek): 1853 Febr. 20.

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II 1: Ketteier im hess. Landesbistum und in der Oberrhein. Kirchenprovinz

schaft mit der katholischen Kirche auszuspielen gegen die staatskirchlichen Gedanken. Der Bischof vertraute dabei wenig auf Mittel und Mittelchen einer zögernden Diplomatie. Es entsprach seinem Temperament und seinen günstigen Erfahrungen, wenn er auf den Eindruck drohender bischoflicher Entschlossenheit rechnete. Er hätte deshalb unmittelbar nach Veröffentlichung der Denkschrift gern auch Geisseis Anerbieten einer offenen Zustimmungserklärung der preußischen Bischöfe erfüllt gesehen. 1 ) Er selbst vor allem wollte einschüchtern und zugleich versöhnlich die Ausgleichsmöglichkeiten erkennen lassen. Die Bischofsdenkschrift vom Juni 1853 war bei all ihren Mainzer Zügen doch eine gemeinsame Provinzialerklärung. Sie war ihm nicht persönlich, nicht mainzisch genug. So gab er dieser großen oberrheinischen Denkschrift, die, dem Freiburger Abkommen gemäß, unter dem 16. Juli 1853 von den einzelnen Bischöfen, außer dem kurhessischen, den einzelnen Regierungen zugesandt wurde, seine besondere Mainzer Denkschrift mit. Denn zu einer Denkschrift wuchs der zugleich als Antwort auf die Regierungsmitteilung vom 5. März gedachte Begleitbrief an, der, gleichfalls unter dem 16. Juli 1853 in Mainz geschrieben, zusammen mit der gedruckten großen Bischofsdenkschrift am 26. Juli beim Ministerium des Innern einlief. 2 ) In den kirchlichen Klagen und Drohungen, im Fordern und Beschwören wahrhaft bischöflich, wirkte diese Antwort Kettelers geradezu wie ein in Paragraphen umgegossener Hirtenbrief an die Regierung. Das ist das Wesentliche, daß der Bischof hier in aller Form verfügt; er stellt fest, nicht, was er gern tun oder getan sehen möchte, sondern was er tun werde. Diese bischöflichen Verfügungen und Ankündigungen aber stehen fast allenthalben im unmittelbaren Gegensatze zu den Verfügungen und Ankündigungen der Regierung. Ketteier selbst spricht in diesem Schreiben einmal davon, daß es ihm hier hauptsächlich darauf ankomme, die Weise seines künftigen Verfahrens in seinem bischöflichen Wirkungskreise „einer höchsten Staatsregierung" darzulegen. So zeigt er bei der Durchsprechung der einzelnen Paragraphen der bischöflichen Denkschrift vor allem, daß und wie er zu handeln gedenke. Bei der Besetzung der kirchlichen Ämter wird er künftig gemäß den Kirchengesetzen verfahren, denn die katholische Kirche, die eine Säkularisation ihrer Güter „geduldig" erträgt, kann „in eine Säkularisation ihrer selbst nicht einwilligen": eine Überlassung der Besetzung der kirchlichen Amter an den Staat aber würde eine solche Säkularisation bedeuten. Die Anwesenheit eines landesherrlichen Kommissars bei den Prüfungen der Kandidaten und bei etwaigen Konkursprüfungen „verbittet" sich der Bischof kurzerhand. Das von der Regierung aufrechterhaltene Recht, die Berufung vom geistlichen Gericht an die Staatsgewalt „ m u ß " er ablehnen; Kleriker, >) K. an Geissei 12.7.53: Pfülf, G. 2, 223f. ') „An ein höchstes Min. d. I. der Bischof von Mainz", 16.7.1853. — Bei Pfülf 1, 350ff. sind einige Stellen, bes. aus dem Schlufiteile wiedergegeben (nach dem Mainzer Konzept).

Kettelers Begleitschreiben an die Regierung, Juni 1893

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die sich hierin gegen die „uralten" Kirchengesetze verfehlen, wird er bestrafen. Sollte die katholisch-theologische Fakultät in Gießen mit Besuchszwang wieder eröffnet werden, so würde er den Professoren die kirchliche Mission verweigern, sie, wenn sie dennoch lesen sollten, mit kirchlichen Zensuren belegen und ihre Hörer von den Weihen ausschließen. Er würde die Fakultät überhaupt nur gelten lassen, wenn ihre Lehrer sämtlich seine ausdrückliche Einwilligung zur Übernahme des Lehramtes erhalten, wenn er jederzeit diese Erlaubnis zurücknehmen, wenn er die „Vorlesebücher" und die anzukündigenden Vorlesungen zulassen und verwerfen kann, und vor allem, wenn durch die Wiederherstellung der Fakultät das bischofliche Seminar J n seiner dermaligen Einrichtung" nicht beeinträchtigt oder gefährdet werden würde. Man sieht: seine Voraussetzungen sind derart, daß sie als Vorbedingungen nicht der Wiederaufrichtung der Fakultät sondern ihrer Verhinderung erscheinen; Ketteier wußte freilich, daß er hier weniger wider das Ministerium als wider den Großherzog sprach, daß er geradezu zum Verbündeten des Ministeriums gegen den Landesherrn wurde. Bei Anordnungen über Gegenstände gemischter Natur „wird" er nicht „einfach" das Placet erbitten, vielmehr vorher mit der Regierung besonders verhandeln und nur im Einvernehmen mit ihr voranschreiten und in seinem Erlasse dieses Einverständnis ausdrücklich erwähnen; er meint, daß er so in Anerkennung der landesherrlichen Gerechtsame „gewissermaßen" noch weitergehe, als der § 7 der Verordnung vom 1. März 18531) dies zu verlangen scheine, während er doch in Wahrheit auch hier wieder als selbständige geistliche Macht neben der weltlichen Macht erscheinen will und erscheint. Zu den Bemerkungen der Denkschrift über die Bischofswahl gibt er wieder seine besondere Mainzer Nutzanwendung: der landesherrliche Kommissar „wird" sich künftig auf die kanonisch zulässige Art der Teilnahme beschränken „müssen"; Ketteier will also von sich aus, unter Hinweis auf den Willen der Kurie, das Verfahren bei der nächsten Mainzer Bischofswahl bestimmen.') Dem von der Regierung „mit Entschiedenheit" beanspruchten Rechte, die Domkapitularen wie jeden, der im Staate ein Öffentliches Amt mit äußerer Wirksamkeit übernimmt, im Amte zu bestätigen, stellte er seine Erklärung entgegen, daß ein Domkapitular kein Öffentliches Amt im Staate, sondern in der Kirche übernimmt. Die „unausprechlich weitgreifende" Behauptung, daß die Übernahme aller öffentlichen Kirchenämter der Staatsgenehmigung bedürfe, wird und kann die katholische Kirche niemals anerkennen. „Ihr Dasein und ihr vollberechtigter Bestand in Deutschland ist weit älter, als die Entstehung solcher Theorien einer bis ins Bodenlose sich erstreckenden absoluten Allmacht der Staatsgewalt, und sie kann auch im Großherzogtum Hessen nicht verpflichtet werden, solchen mit ihrem innersten Wesen nicht zu vereinbarenden, in den größten und mächtigsten Staaten der Welt, katholischen wie protestantischen, gänzlich unbekannten Ansprüchen sich zu unterwerfen". Er selbst „wird" deshalb — überall hört man hier seine ganz persönliche Sprache heraus — künftig jene Genehmigung nicht mehr einholen. Auch von der freien Berufung seiner Gehilfen „wird und k a n n " er sich nicht abhalten lassen, noch würde er sich einer etwa beabsichtigten Beschränkung in seiner freien Ernennung eines Qeneralvikars fügen können. Fast noch bestimmter, noch schärfer wahrt er seinen Standpunkt in der S c h u l f r a g e , die ihm besonders am Herzen lag. Die Leitung der Volksschule steht seit alters her der Kirche zu; erst wenn ihr der leitende Einfluß tatsächlich wieder zurückgegeben ist, kann von einer wahren Religionsfreiheit die Rede sein. Die Regierungen aber sprechen hier dem Bischöfe jedes selbständige Recht ab. Er protestiert „entschieden" dagegen und behält sich vor, „dem Rechte der katholischen Kirche mit allen ihm zu Gebote stehenden gesetzlichen Mitteln Anerkennung und A. Schmidt, Quellen S. 56. ') Die Anwesenheit des Kommissars bei der Wahlhandlung selbst blieb aber gerade im Großherz. Hessen am längsten, bis z. Anfang des 20. Jh. bestehen. Vgl. Vigener, Bischofswahl S. 357 mit Anm. 5.

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I I I : Ketteier im hess. Landesbistum und in der Oberrhein. Kirchenprovinz

Geltung zu verschaffen". Er „wird" es als eine besondere Pflicht seines Amtes und als eine notwendige Übung seines Rechtes betrachten, „das gläubige katholische Volk gegen ungläubige, kirchenfeindliche, schlechte Lehrer zu schützen, es vorkommenden Falles vor solchen offiziell zu warnen, und dieselben mittels Verhängung von Zensuren und kirchlichen Strafen kennbar und möglichst unschädlich zu machen". Also wird das bischöfliche Recht zur Aufreizung gegen Staatsbeamte vom Bischöfe selbst offen und amtlich angekündigt. Er baut hier ganz besonders auf die Empfindung Dalwigks, der von 1848/49 her die radikalen Lehrer in böser Erinnerung hatte, und weislich wird hier gerade festgestellt, es würde „in einer Zeit, wo die Notwendigkeit der Bekämpfung der Revolution eine konsequente Rückkehr zu den Grundsätzen des positiven Rechtes, wo immer es verkannt war, so dringend anrät, für den Staat ebenso heilbringend als ehrenvoll sein, der Kirche ihr uraltes, durch ihr erlittenes Unglück wahrlich nicht verwirktes Recht zurückzugeben". So deutet er unbefangen an, wie die Bundesgenossenschaft der Kirche erworben werden könnte. Er weiß, daß der Gedanke des Zusammenwirkens mit der Kirche dem Ministerium Dalwigk geläufig ist. Darum fühlt er sich in der Überzeugung beruhigt, daß er für seine Kirche nur das ihr nach göttlichem und menschlichem Rechte Gebührende beansprucht und „allen Rechten und gültigen Interessen" der Regierung hinsichtlich der Kirche Rechnung zu tragen bestrebt sei. Darum hofft er „auch jetzt noch", daß die Regierung „der katholischen Kirche diejenige Stellung gewähren werde, die es dem katholischen Untertan und dem katholischen Bischof möglich macht, den Gehorsam gegen die weltliche Obrigkeit mit dem Gehorsam gegen die göttliche Anordnung in seiner Kirche zu vereinen". Darum aber erklärt er auch feierlich, „daß das der katholischen Kirche im Großherzogtum Hessen aufgedrungene Staatskirchentum in unvereinbarem Widerspruch steht mit dem göttlichen Glauben und der göttlichen Verfassung der katholischen Kirche". In seiner Bischöflichkeit mutet er der Regierung das Verständnis mindestens seiner bischöflichen Empfindung zu, um so seine eigenen Forderungen und im voraus auch die erwartete Nachgiebigkeit des Ministeriums zu rechtfertigen: die Regierung sollte es nicht „als ein Zeichen der Auflehnung, sondern als ein Zeichen eines höheren Berufes der Kirche oder wenigstens als Zeichen des Glaubens an eine göttliche Stiftung und eine göttliche Sendung der Kirche anerkennen, wenn die Bischöfe nicht vermögen, den Glauben und die Verfassung der Kirche dem wechselnden Zeitgeiste und wechselnden Theorien anzupassen, sondern sich für verpflichtet halten, in Zeiten wilder Auflösung dem Volke die Pflichten des Gehorsams zu verkünden, in andern Zeiten aber die weltlichen Obrigkeiten auf Grenzen hinzuweisen, über die hinaus sie nicht gehen können". Bischöfliche Seelsorge auch der Regierung gegenüber! Den Ausdruck seines (in Wirklichkeit doch zweifeldurchsetzten I) Vertrauens zu dem „erlauchten Regenten" ergänzte er, der opferbereite Bischof, durch das stolze und drohende Bekenntnis seines wahrhaft festen Vertrauens auf die Treue seines Klerus. Er ist „durch das aufmunternde Vorbild so vieler heiliger Bischöfe ermutigt"; er kann, so sagt er am Schlüsse dieser Kundgebung, mit vollkommener Ruhe und unbegrenzter Zuversicht der Zukunft entgegenblicken.

W e n n man die Forderungen und D r o h u n g e n der oberrheinischen Bischofsschrift und des Mainzer Begleitbriefes d u r c h d e n k t , k ö n n t e man versucht sein, sie u n d i p l o m a t i s c h z u nennen. A b e r das wäre falsch geurteilt. Ist die richtige E i n s c h ä t z u n g des Gegners eine Grundforderung aller Politik, so h a t Ketteier diese Grundforderung erfüllt. So wie diese Regierungen einmal waren 1 ), galt es, in den bischöflichen l

) „Schwach, schüchtern, planlos" zeigten sie sich nach dem Urteil des letzten febronianisch gestimmten, von der wirkenden Kirchenpolitik längst ausgeschlossenen

Zurückhaltung der Mainzer Klerikalen

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Worten kein Zagen und Zögern zu zeigen, es galt, die Unbedingtheit des gesicherten Kirchentums zu beteuern und die Unbedenklichkeit eines festen Kirchenmannes zu bewähren; es galt, der Regierung die Gefahren neuer Erschütterungen des Staatslebens vor Augen zu stellen und mit dem Schauspiel eines bischöflichen Martyriums zu drohen, ihr zugleich aber den politischen Segen der kirchlichen Hilfe gegenwärtig zu halten. Die Pressestimmen im Mainz Kettelers h a t t e n auch jetzt wieder in ihrer Weise die bischöflichen Vorstellungen zu unterstützen. Eine „Orientierung über den Kampf der Kirche in der Oberrheinischen Kirchenprovinz" brachte der „ K a t h o l i k " Ende Juli 1853 1 ), als die Denkschrift der Bischöfe soeben an die Regierungen versandt worden war und nun auch im D r u c k allgemein zugänglich werden sollte. Hier wurde, dem Grundtone der Denkschrift gemäß, die prinzipielle Anerkennung des guten Rechtes der Kirche als die einzige Möglichkeit der W a h r u n g des Friedens bezeichnet, f ü r den Fall des staatlichen Versagens aber ein Kampf nach dem Muster des preußischen „ u n t e r dem seligen Klemens A u g u s t " angekündigt. Indessen, dasselbe H e f t enthielt unter den kirchlichen Mitteilungen eine offenbar auf den Bischofshof zurückgehende Notiz vom 24. Juli, die von der bischöflichen Denkschrift und dem aussichtsreichen Beginne des offenen Kampfes in W ü r t t e m b e r g und Baden in einem Atem sprach, zugleich aber die Zuversicht ausdrückte, d a ß „wenigstens einige der Regierungen" den Weg zu einer beiden Teilen ehrenvollen Regelung finden möchten. So rückte man schon vorsichtig von den Predigern des unbedingten Kirchenkampfes a b und m a h n t e dabei, ohne sie zu nennen, die hessischen Staatsmänner, denen auch die Drohung mit dem sichern großen Siege einer zurückgewiesenen Kirche galt. Daß der „ K a t h o l i k " die Forderungen der bischöflichen Denkschrift auch im einzelnen verteidigt, steht natürlich nicht im Widerstreit mit dieser Taktik. Das Mainzer politisch-klerikale Blatt zielte mit Mahnungen, Warnungen, politischen Beschwörungen und persönlichen Schmeicheleien unmittelbar auf Dalwigks staatsmännisches Bewußtsein, diplomatisches Selbstgefühl und persönliche Eitelkeit. Dieses „Mainzer J o u r n a l " , das die ministeriellen Eingriffe in das Verfassungsleben gebilligt und g e r ü h m t h a t t e , verfügte freilich über ein einfacheres Mittel gegen alle bösen Schäden der freiheitlichen Welt als der Minister: Kirchenfreiheit ist Vorbedingung alles Helfens und Heilens. 2 ) Die ZeiKirchenfürsten, der es gewünscht hätte, daß die Regierungen die Zurücknahme der „ungebührlichen Drohung" dieser Bischöfe zur Voraussetzung einer Verhandlung mit ihnen gemacht hätten. Wessenberg an Bunsen 1. 11.55: Nippold 3, 429 f. l ) „Katholik" 1853 II S. 1—8. ») Z. Folg.: Mz. J. 1853, bes. Nr. 33 (8.2., Qervinus), Nr. 45, Beilage (u. ö. t K. Fischer), Nr. 48 Beilage, Nr. 56 Beilage (8. 3.), Nr. 88 (13. 4.). — Man darf bei den Urteilen über K. Fischer an Moufang denken. Vgl. unten Buch 2, Abschnitt 2.

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111: Ketteier Im hos. LandesbUtum und in 4tr Qberrhdn. Klrchenprovinz

tung mag mit den politischen Gegnern des Historikers Gervinus oder mit den kirchlich-protestantischen Gegnern des Philosophen Kuno Fischer wider den „Mißbrauch" der Wissenschaft eifern, immer gilt ihr als Helferin für den Staat nicht weniger als ffir die Religion nur die Freiheit, — „die wahre nämlich". Das Zusammengehen der oberrheinischen Staaten betrachtete sie schon mit der Hoffnung auf deren Trennung und auf die besonderen hessischen Zugeständnisse. Die Verordnung vom 1. März 1853 druckte sie sofort aus dem Regierungsblatte ohne kritische Glossen ab. Am Tage nach der Freiburger Bischofskundgebung vom 12. April 1853 begann sie Erörterungen zur Kirchenfrage, die, ganz im Sinne der Bischöfe, auch auf die Gefahr des Zusammenstoßes mit dem Staate das kirchliche Recht „den Tatsachen und den echt konservativen Prinzipien gemäß" ausgesprochen und aufrecht erhalten wissen wollten. Man mochte aber ffir diesen kirchlich gefärbten, um der Kirche willen in der Notwehr auch revolutionären Konservatismus das Verständnis oder doch die Duldung Dalwigks gewinnen. Jetzt, da die Gefahr des staatlichen Widerstandes gegen die Kirche drohend schien, wurde mit einiger Berechtigung und viel Berechnung behauptet, „das religiöse Volk" werde auf kirchlicher Seite stehen und dieses Volk sei der letzte und festeste Halt aller gesetzlichen Ordnung. Mit einer starken und doch klug abgemessenen Übertreibung schrieb eine gefällige Feder in einem lobredrierischen Leitartikel 1 ) über das Ministerium Dalwigk, daß dessen wahrhaft großartige Leistungen alle, selbst die kühnsten Erwartungen weit fibertroffen hätten. Das „Journal" vermied inmitten der kräftigen Unterstützung des Feldzuges gegen die badische Regierung jeden Schein eines Vorwurfs gegen die hessische, die freilich durch beredte Auseinandersetzungen über die Rechtsgrundlagen der bischöflichen Forderungen, durch bedeutsame Hinweise auf Österreichs Sympathien ffir den Episkopat 2 ) zu rascher Nachgiebigkeit gelockt werden sollte. Das Blatt ließ es sich angelegen sein, auch Dalwigk persönlich bei seinem diplomatischen Zwiste mit dem preußischen Gesandten von Canitz eifrig, allerdings unter betulichem Ausdrucke des Zutrauens zu der konservativen preußischen Regierung, zu unterstützen. Einem liberalen Gegner des Ministers und seiner klerikalen Bundesgenossen 3 ) erschien im Spätsommer 1853 die fast offiziös anmutende Verteidigung Dalwigks durch das „ultramontane Schmähblatt", erschien die Übereinstimmung der Mainzer Klerikalen und der Regierung des Grenzlandes Hessen in ihrer „demonstrativen" Hinneigung zu dem Frankreich Napoleons III., erschien die befremdende Tatsache, daß Dalwigk zusammen mit anderen hohen Beamten und vielen Offizieren an der vom französischen ') Nr. 99 (16. 4. 53). ») Nr. 152 (29. 6. 53). 3 ) Grenzboten 12 (1853), 2. Semester, 1. Bd. S. 467ff.: „AusFrankfurt" (etwa im September geschrieben).

Darmstadt und die verbündeten Regierungen

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Gesandten in Darmstadt am 15. August veranstalteten kirchlichen Napoleonsfeier teilnahm 1 ), während der regierende Nachfolger Philipps des Großmütigen das Darmstädter Standbild dieses Förderers der Reformation nicht mit der geziemenden Feierlichkeit zu enthüllen wagte, — dies alles erschien dem scharfen Beobachter als ein Beweis des Zusammenarbeitens der Darmstädter weltlichen und der Mainzer geistlichen Regierung und so als eine Erklärung der „auffallenden" Darmstädter Zurückhaltung „gegen die ultramontanen Übergriffe". In der Tat hat das Ministerium Dalwigk die Geißelhiebe der bischöflichen Denkschrift ohne öffentliche Einsprache hingenommen. Und dem Bischöfe selbst wurde nicht einmal sofort vorgehalten, daß er Verfügungen der Regierung sich zu „verbitten" erlaubt hatte. Nur die Darmstädter Bleistiftstriche am Rande des Mainzer Briefes dürfen wohl als Zeichen der Erregung des Herrn von Rieffei über die bischöfliche Redeweise gedeutet werden: ein stiller Einspruch, der in den Ministerialakten verborgen blieb. In Nassau verkündigte der Minister Wittgenstein schon am 8. August 1853 dem Limburger Bischof, die Denkschrift könne als theoretische Ausführung nur zu den Akten genommen werden, und wiederholte die mit Maßregelung drohende Verfügung vom 26. April für den Fall, daß der Bischof bei der Gehorsamsverweigerung verharre. Diese „vorläufige" Antwort wurde noch an demselben Tage den verbündeten Regierungen mitgeteilt. Unmittelbar danach erfuhr man in Darmstadt, daß die württembergische Regierung die bischöfliche Denkschrift „vorerst" unbeantwortet lassen werde, aber zur entschiedensten Abwehr des tatsächlichen Vorgehens der Rottenburger Bischofskurie entschlossen sei. 2 ) In Baden war Anfang Juni 1853 das Ministerium des Innern von dem gelinderen, liberalen Marschall auf Herrn von Wechmar übergegangen, der in der allgemeinen Landespolitik und in der Kirchenpolitik kräftiger aufzutreten gewillt war. Der Staatsminister von Rüdt sorgte indessen dafür, daß man in der verbindlich-unverbindlichen Antwort auf die Überreichung der Denkschrift dem greisen Erzbischof noch rücksichtsvolle Friedensbereitschaft zeigte. Nur der durch Vicaris Zumutungen hervorgerufene Zwiespalt zwischen der erzbischöflichen Kurie und dem großherzoglichen Oberkirchenrat deutete schon im Sommer auf nahe Kämpfe in Baden. Damals entwickelte die badische Regierung der hessischen ein kleines kirchenpolitisches Programm. Aber das Darmstädter Ministerium ließ seine Abneigung gegen eine kirchen') Dazu: Bericht Breidenbachs (s. die folg. Anm.) 14. 8. 53 (praes. 16. 8.): der französ. Gesandte in Stuttgart hat Minister u. diplomat. Korps zum „jour de la fite de S. M. l'Empereur des Français" eingeladen. Dem Gottesdienste wohnte das diplomatische Korps als solches nicht bei. „Eine Öffentliche Ankündigung dieses Gottesdienstes, wie in Darmstadt, ist bis jetzt hier nicht erfolgt". *) 8 . 8 . 5 3 Nass. Staatsmin. an hess. Min. d. Ä. (praes. 12. 8.), 15. 8., zusammen mit d. Bericht des hess. Geschäftsträgers i. Stuttgart v. Breidenbach v. 12.8. (praes. 14.8.) dem Min. d. I. zur Äußerung mitgeteilt.

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I I I : Ketteier im hess. Landesbistum und in der Oberrhein. Kirchenprovinz

politische Bindung erkennen, indem es sich auf die E r k l ä r u n g beschränkte, man sei mit dem im badischen Schreiben ausgesprochenen Ansichten einverstanden. 1 ) Auch die württembergische Regierung suchte die Fühlung mit den anderen zu wahren. Sie h a t t e Anfang Mai, nachdem sie kurz zuvor den Bischofsprotest vom 12. April auf eigene F a u s t zurückgewiesen hatte, eine Abschrift der hessischen Verf ü g u n g an Ketteier 2 ) erbeten und erhalten. Sie verbarg ihre Auffassung nicht, und im August 1853 gehörte zu ihren Plänen ein so k ü h n e r Gedanke wie die Gehaltsperre: durch Verweigerung der endgültigen Anstellung der Geistlichen und damit der E i n k ü n f t e meinte der katholische Ministerpräsident und Minister des Innern, der sympathische Freiherr von Linden, dem passiven Widerstand, den er gegen den Bischof beibehalten wissen wollte, die nötige K r a f t geben zu können. 3 ) Aber Rieffei und Dalwigk hegten offenbar schon im Spätsommer ihre Zweifel an der Beharrlichkeit der württembergischen, an den Erfolgen der badischen Regierung. Dem Mainzer Bischof a n t w o r t e t e Dalwigk erst, als Ketteier soeben seinen Hirtenbrief f ü r Vicari veröffentlicht h a t t e und man in D a r m s t a d t bereits wußte, d a ß die w ü r t t e m bergische Regierung mit dem Bischof von R o t t e n b u r g verhandele. Diesmal schädigte das Zuwarten als solches gewiß nicht den Staat. Aber Ketteier konnte sein Spiel doch schon f ü r halb gewonnen ansehen, als Dalwigk ihm am 19. November 18534), ohne d a ß die Regierung als solche über den bischöflichen Ordinariatsbericht einen Beschluß gefaßt h ä t t e , persönlich antwortete und dieses Verfahren ausdrücklich aus seiner ernsten Pflicht ableitete, alles aufzubieten, um den kirchlichen Frieden zu bewahren und die so nötige Eintracht zwischen der Staats- und Kirchengewalt aufrecht zu erhalten. Rieffei — er ist der Verfasser auch dieses Ministerbriefes — kargt nicht mit Lobesworten über die Verdienste der Regierung u m Katholizismus und Katholiken im Großherzogtum; er scheut auch nicht vor der Feststellung zurück, d a ß das hergebrachte einträchtige Zusammenwirken zwischen der Regierung und der katholischen Kirchenbehörde erst in neuester Zeit „und wahrlich ohne Schuld der Staatsregierung" g e t r ü b t worden sei. Aber diese begreifliche Feststellung leitet nicht etwa einen Gegen') So veränderte v. Rieffei bezeichnender Weise in dem v. anderer Hand geschriebenem Entwürfe (Min. d. I. an Min. d. A. 13. 7. 53, abges. 19. 7., unter Rückgabe des v. Min. d. A. übersandten bad. Schreibens) die Worte, daB man „mit dem Verfahren, welches die Oroßh. bad. Regierung den Bischöfen der Oberrhein. Kirchenprovinz gegenüber einzuhalten gedenke, vollkommen einverstanden sei und daß man diesseits von gleichen Grundsätzen ausgehen werde". *) Vgl. oben S. 223. ») Bericht Breidenbachs, Stuttg. 23. 8. 53 (v. Min. d. A. dem Min. d. I. mitgeteilt 1 . 9 . 5 3 , praes. 5.9.). ) 25Vi Foliospaiten v. d. Hand des Regierungsrats v. Lehmann, dabei Rieffels Vermerk „Sogleich mundieren".

Staatliche Anerkennung der veränderten Übereinkunft (April 1856)

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weichenden Verfügungen nicht ferner zählen". Das Gelingen dieser Übereinkunft, die doch unter seinem Namen ging, rühmte der Ministerpräsident als „ein sehr glückliches, für die Regierung E. Kgl. Hoheit ruhmvolles Ereignis". Am 11. April 1856 genehmigte der Großherzog die Anträge des Ministeriums. Seine Stimmung freilich war von Grund aus anders als die Dalwigks. Er fand „nach genauer Prüfung" die Anträge „ganz zweckmäßig". Aber er bemerkte: „übrigens ist doch eine genaue Kontrolle des Bischofs von Mainz immer sehr nötig, denn er möchte wohl einen Staat für sich gern haben". 1 ) Mit einer derartigen Kritik an der Haltung oder, möchte man sagen, an der Grundstimmung seines eigenen Ministeriums war der Großherzog schon vier Monate zuvor einmal hervorgetreten: Dalwigk hatte zu Wiener Berichten über das österreichische Konkordat bemerkt, er halte dieses für ein „wenig staatskluges W e r k " ; Ludwig III. aber setzte die spitzigen Worte hinzu: „Man scheint in neuerer Zeit nicht reich an staatsklugen Werken, was sehr zu bedauern ist".') Unter dem 19. April 1856 endlich erging die vom Großherzog genehmigte Ministerialantwort an Ketteier.*) In den späteren Kammerkämpfen wurde sie nur teilweise, aber unter dem falschen Scheine der Vollständigkeit veröffentlicht. Damals, im Juli 1869, behauptete Dalwigk vor der Kammer, den „päpstlichen Bemerkungen" habe die Regierung „nicht nachgeben zu können" geglaubt, die „Unterhandlungen" hätten sich bis zum Jahre 1860 hingezogen, unterdessen sei es „bei der im Jahre 1854 abgeschlossenen Konvention geblieben". Um diese Unwahrheit nicht selbst aufdecken zu müssen, gab das Ministerium sein eigenes Schreiben vom 19. April 1856, ähnlich wie das vom 6. August 1855, in verfälschender Auswahl wieder. Vor allem mußte die Einleitung weggelassen werden, denn hier war mit Berufung auf das Ministerialschreiben vom 6. August 1855 in dürren Worten gesagt, der Großherzog habe die durch Roms „Bemerkungen" zur Übereinkunft von 1854 nötig gewordenen Abänderungen an dieser Übereinkunft genehmigt. In gleicher Weise verleugnete man im Jahre 1869 die am 4. April 1856 bei einzelnen Bestimmungen gewährten Zugeständnisse, insbesondere über die Prüfung, über den Religions>) K- hatte in s. Eingabe v. 16. 7. 53 (oben S. 232) erklärt: „Die Kirche will niemals einen Staat im Staate bilden und kann es ihrem Dogma und ihrer Natur nach nicht wollen". ') Randbemerkung des Großherz., Darmst. 6. 12.55, auf Dalwigks unter d. gleich. Datum geschriebenem Begleitzettel zu d. Berichte des Wiener Gesandten v. Drachenfels, Wien 3 0 . 1 1 . 5 5 ( S t a a t s m i n i s t e r i u m ) . — Heinr. v. Gagern billigte begreiflicherweise Dalwigks Haltung: Rob. v. Mohl, Lebenserinnerungen 1 (1902) S. 251. ') An demselben Tage schon brachte d. Mz. J. (1856 Nr. 93) eine Darmstädter Meldung v. 17.4.: „Wie wir vernehmen, ist unsere kathol. Kirchenfrage nun völlig geordnet u. wir wollen hoffen, daß man auch anderwärts nach denselben Prinzipien verfahren werde". 18*

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II 1: Ketteier im hess. Landesbistum und in der Oberrhein. Kirchenprovinz

Unterricht, über die Synoden — die vorherige Anzeige wird „nicht als eine zu erfüllende Verpflichtung" beansprucht, „doch immerhin wünschenswert" genannt —, über die Klöster; hier beugte die Regierung sich nicht den Forderungen Kettelers, klammerte sich vielmehr an die Vorbehalte, die in den päpstlichen Vorschlägen an Württemberg und Nassau und im österreichischen Konkordate zugestanden waren: sie erkannte des Bischofs Recht ungehinderter Klostergründung unter der Voraussetzung an, daß er sich vorher vertraulich mit der Regierung ins Einvernehmen setze. Den — im J a h r e 1869 gleichfalls unterschlagenen — Schluß des Ministerialschreibens bildete das Bekenntnis zu der Notwendigkeit eines „gegenseitigen" Vertrauens und Wohlwollens, des vereinten Wirkens zur Erreichung der „von Staat und Kirche gemeinsam angestrebten höheren Zwecke", bildete schließlich die Erklärung des Ministeriums, daß es auch künftig, wie bisher, an diesem Gesichtspunkte festhalten werde. Nun gab auch Ketteier sich zufrieden. Er erhob gegen die verbesserte Fassung, die das Ministerium den einzelnen Paragraphen der Übereinkunft „zu geben die Güte hatte", keine weiteren Bedenken. 1 ) In der Klosterfrage freilich, deren Entscheidung er dem Papste zuschiebt, legt er seine Auffassung nochmals genau dar. Er bedauert, daß der von ihm „so o f t " verfochtene, in Frankreich, Belgien, Preußen und anderwärts geltende Standpunkt nicht auch von der Darmstädter Regierung gewählt worden sei. Er verkennt nicht, daß die ministerielle Fassung des Klosterparagraphen wenigstens einem „an sich ungerechten System die allermildeste Deutung" gebe, er rühmt diesen neuen Beweis der Gerechtigkeitsliebe und des Wohlwollens: aber ihm erscheint dieser Standpunkt nicht nur ihm gegenüber, sondern auch für den Staat selbst „weniger angemessen" als sein eigener, und als bereitwilliger geistlicher Ratgeber des Staates sucht er z. B. den Wert der Kapuzinertätigkeit in Rheinhessen auch für die „bürgerliche Ordnung" nachzuweisen. Immerhin, er sucht sich die tatsächliche Bewegungsfreiheit auch hier ausdrücklich zusichern, indem er erklärt, er verstehe die Konvention dahin, daß auch bei Meinungsverschiedenheiten über die Zweckmäßigkeit der Einführung eines Ordens, die Regierung diese Einführung jedenfalls nicht zu behindern gedenke. Moguntia locuta est, causa finita estl Ganz allgemein scheinen uns zwei Sätze, die auch in diesen Einzelerörterungen wieder auf die letzten Grundlagen der seelsorgerischen, aus dem kirchlichen, als dem höheren Rechte schöpfenden Bischofspolitik hinweisen, wie die notl ) K- an das Min. d. I. 14. 5. 56, praes. 19. 5. — In d. großen Schreiben an das Min. v. 2 6 . 1 0 . 6 2 (vgl. unten III 1) erklärte K-, die kathol. Kirchenverhältnisse in Hessen seien „ . . . endlich durch die Konvention v. 23. August 1854 und derenspätere Erläuterungen geregelt". Ähnlich noch 29. 6. 1875 an d. Min. d. I.: „ . . . die nunmehr [1856] abgeänderte Konvention . . . in der Praxis sofort zur Anwendung gebracht u. v. d. großherz. Regierung in allen Punkten bis zum heutigen Tage f e s t g e h a l t e n . . . " .

Vergebliche Bemühung K s um die päpstliche Anerkennung der Übereinkunft

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wendige bischöfliche Ergänzung und (durch die Tat bewährte) Auslegung jenes wiederholten Regierungsbekenntnisses zum kirchlichstaatlichen Bündnisse: „Ich habe mich überhaupt schon so oft davon überzeugt, wie ungemein schwer es selbst den gerechtesten und erleuchtetsten Staatsmännern wird, in kirchlichen Fragen das Gute und Wahre, das sie ihrem ganzen Willen nach erstreben, nun auch wirklich zu finden. In solchen Dingen ist das Auge des Bischofs oft schärfer wie das des Staatsmannes". Als Ketteier der Regierung diese Antwort sandte, hatte er bereits den „Befehl "zur Vorbereitung der Vorlage an den päpstlichen Stuhl erteilt, um die Vollmacht zur Unterzeichnung zu erhalten. Für ihn selbst und für die Regierung war — was später beide Teile vor der Öffentlichkeit ableugnen oder verhüllen ließen 1 ) — die Übereinkunft von 1854 ersetzt durch die Vereinbarung von 1856; diese galt 2 ), obwohl sie nicht förmlich ausgefertigt und unterzeichnet wurde. Die vorläufige Übereinkunft war von der Kurie in wesentlichen Punkten abgelehnt worden; für das auf Grund der päpstlichen Wünsche verbesserte neue Übereinkommen sollte nun Kettelers Generalvikar die Zustimmung der Kurie erwirken. Am 9. Juni 1856 war die neue Übereinkunft nach Rom gesandt worden. Anfang August reiste Lennig nach Rom 3 ); kurz vorher hatte er in einem Ordinariatsbericht an das Ministerium 4 ), freilich vergeblich, auch die Antwort wegen der kirchlichen Vermögensverwaltung eingemahnt. In Rom wurden Lennig und seine geistlichen Begleiter — sein Neffe, der Domkapitular und Seminarregens Moufang, und der nach der Meinung des Ministeriums Dalwigk offenbar nicht belastete Professor Riffel — zwar alsbald in einer Privataudienz von Pius IX. „sehr wohlwollend" empfangen. 5 ) Aber die Kurie ging auf die Mainzer Wünsche nicht ein. Anfang Oktober gab man im geistlichen Mainz die Hoffnung auf einen Erfolg Lennigs preis; um die Nutzlosigkeit seiner Sendung zu verbergen, leugnete man deren kirchenpolitische Zwecke geradezu ab.*) Der Papst verweigerte selbst der römisch verbesserten hessischen Über») Für Mainz: Mz. J. 1869 Nr. 134 (12.6.). 2 ) Die befreundeten Staaten wußten „dem Vernehmen nach" (Dörnberg) v. d. Abschluß des „Übereinkommens". Bitten um Mitteilung einzelner Bestimmungen oder auch des ganzen Wortlauts der Übereinkunft wurden erfüllt, dabei das „vorläufige" der alten Überschrift gestrichen und die Veränderungen des Jahres 1856 eingetragen. (Akten des Min. d. I.: Dörnberg an Dalwigk, Frankfurt 1 0 . 7 . 5 6 mit Vermerk Dalwigks v. 1 5 . 7 . 5 6 ; 5. 2 . 5 7 Ministerialbuchhalter Regierungsrat Schott an Rieffei.) ") Brück, Lennig 217. *) 14.7. 56 (praes. 15. 7.). — 19. 7. 56 Min. d. I. an d. Ordinariat (mit „Eilt", abges. 22. 7.): Angelegenheit ist im Gange, kann aber noch nicht bald beendet werden, wenn auch „Verständigung" zu erwarten. ä ) Röm. Mitteil. v. 20. 8.: Mz. J. 1856 Nr. 203 (30. 8.). «) Mz. J. 1856 Nr. 239 (11. 10.), Zusatz zu e. röm. Meldung (1. 10.) der Köln. Zeitung.

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I I I : Ketteier im Hess. Landesbistum und in der Oberrhein. Kirchenprovinz

einkunft die förmliche Anerkennung, einmal weil man den Mainzer Bischof für seine Selbstherrlichkeit büßen lassen wollte, vor allem aber, weil im Jahre 1856 die schon seit zwei Jahren sich hinziehenden Verhandlungen zwischen der Kurie und Baden zu einer Einigung in vielen Fragen geführt hatten und die im Februar 1856 eröffneten württembergischen Besprechungen in Rom glücklich gediehen. Die tatsächlich günstige Lage des Katholizismus in Hessen, die jetzt durch die Übereinkunft mit der Regierung genügend gesichert war, machte freilich die starre römische Haltung gegenüber Ketteier besonders leicht. Die Kurie ließ den Bischof wohl ihre Ungnade fühlen, aber seinen sachlichen Erfolg nahm man gerne hin; auch die verbesserte Ubereinkunft wurde zwar nicht bestätigt, doch bereitwillig geduldet. Und Rom handelte wenigstens nicht über Kettelers Kopf hinweg; man wollte ihn, den erfolgreichen katholischen Bischof, nicht vor der protestantischen Regierung als ohnmächtig erscheinen lassen. Man konnte diese Rücksicht ohne Schaden üben, weil der Bischof und die Regierung im Grunde zuverlässig auch nach römischer Auffassung waren; sollten die Konkordate mit den anderen zustande kommen, so brauchte man gegebenenfalls nur dem durch die „Übereink u n f t " schon genügend vorbereiteten Großherzogtum die Konkordatsformen anzulegen. Der rasche Abschluß mit Württemberg, am 8. April 18571), bedeutete in der Form und in der Sache einen kirchlichen, einen kurialen Erfolg. Immerhin hatte in der Frage der Bischofswahlen wenigstens Ketteier mehr erreicht als die Kurie: nach der hessischen Übereinkunft sollte „lediglich" die Bulle von 1827 maßgebend sein, während in der württembergischen „Konvention" überhaupt von dem „verabredeten Verfahren" gesprochen wurde und bei den Besprechungen ausdrücklich auch die Zugeständnisse der Breven anerkannt worden waren. 2 ) Übrigens betrachtete man in dem Kreise Kettelers, wo man auf den Ausgang der württembergischen Verhandlungen mit Spannung gewartet hatte 8 ), den Abschluß der württembergischen „Konvention" offenbar als halbe Rechtfertigung der MainzDarmstädter Übereinkunft: gewiß handelte es sich dort um eine Vereinbarung der Regierung mit Rom selbst und nicht mit dem Bischöfe, immerhin war es doch ein Vertrag nicht über die Kirchenprovinz, sondern über die Diözese, ein Vertrag mit einer einzelnen Regierung. Die Kurie aber schwieg sich auch jetzt dem Mainzer Bischöfe gegenüber aus. Die Enttäuschung Kettelers mußte um so größer sein, als die im Sommer 1856 eingeleiteten Verhandlungen zwischen Wiesbaden und Limburg von Rom geduldet, ja im Sommer 1857 geradezu gebilligt wurden. 4 ) Freilich hatte Bischof Blum stets von sich aus die l

) ) ') *) s

Deutsch z. B.: v. Kremer-A. 1, 290ff. L. Oolther, Staat u. Kirche i. Württ. S. 161 f. Vgl. besonders Mz. J . 1853 Nr. 70 (24. 3.) und 79 (3. 4.). Höhler 2, 265.

Gründe der römischen Zurückhaltung.

Kirchlicher Nutzen der Übereinkunft

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engste Fühlung mit der Freiburger und mit der römischen Kurie gewahrt; Ketteier aber stand eben damals auf gespanntem Fuße mit diesem gehorsamen Limburger Bischöfe 1 ), und in Rom wollte man Kettelers selbständiges Vorgehen nicht vergessen. Die badischen Verhandlungen gingen in Rom ruhig weiter. Nach ihrem Abschlüsse konnte man Nassau sowohl wie Hessen nötigenfalls auf den römischen Pfad zu zwingen hoffen. Aber das „Konkordat" mit Baden wurde vollzogen, als der Kaiserstaat des Musterkonkordates soeben den schweren Stoß des Jahres 1859 erlitten hatte. Der kräftig aufbegehrende Liberalismus erzwang sogleich den Rückzug der badischen Regierung, und dem Sturze des badischen sollte bald der des württembergischen Vertrages mit Rom folgen. Der Weg zu neuen oberrheinischen Siegen war der Kurie versperrt. Auch in Hessen stürmten die schon vorher argwöhnischen Gegner Dalwigks unmittelbar nach dem Sturze der badischen Konkordatsregierung gegen die Darmstädter Kirchenpolitik an. Aber die Übereinkunft von 1854/56 sollte dennoch ihre Geltung bewahren, und die Regierung Dalwigk hielt an ihren Zusicherungen fest, solange sie selbst sich zu halten vermochte. In den Kampfzeiten der sechziger Jahre konnten die deutschen kirchlichen Eiferer und die römischen Wächter nicht mehr verkennen, daß dieser Mainzer Bischof sich klüger gezeigt hatte als sie alle. Den geistlichen Segen aber seiner „Obereink u n f t " mit dem Staate, den kirchlichen Gewinn seines Einverständnisses mit dem alles überdauernden, dem beharrlichsten Ministerium der Reaktion, das überhaupt auf deutschem Boden zu finden war, die Früchte dieses Zusammenarbeitens von Kirche und Staat vermochten mit dem Bischof selbst sehr rasch auch die unbedingten Verfechter der unbedingten kirchlichen Grundsätze richtig einzuschätzen. Eben weil er sich auf das Wohlwollen zuerst, dann auf die vertragsmäßigen Versprechungen der Regierung stützen konnte, war Ketteier in der Lage, seine innere Kirchenpolitik im bischöflichen Sinne zu betreiben, nicht gehemmt durch staatliche Gewalten. ») Ergibt sich aus Mi. J. 1856 Nr. 111 (11.5.) und 116 (18.5.).

Zweiter Abschnitt

Der Bischof als geistlicher Führer und Gebieter In der freien bischöflichen Erziehung seines Klerus sah Ketteier eine unentbehrliche Bürgschaft f ü r die Z u k u n f t seiner Diözese. Noch vjjr Ablauf seines ersten Mainzer Jahres h a t t e er sich dieses Bischofsrecht gesichert. Die Lehranstalt am Mainzer Seminar stand mit dem 1. Mai 1851 da, und niemand im Lande d u r f t e ernsthaft d a r a u f r e c h n e n , sie verdrängen oder hemriien zu können, solange dieses Ministerium und dieser Bischof zusammenhielten. Die Zweite Kammer allerdings, obschon eingeschüchtert durch den Druck des scheinkonstitutionellen Absolutismus, war doch zu stark mit akademisch gebildeten und akademisch empfindenden Beamten durchsetzt, als d a ß sie die bischöfliche Willkür gegen die Gießener F a k u l t ä t schweigend h ä t t e hinnehmen mögen. Am 17. J u n i 1852 beschloß sie mit 25 gegen 6 Stimmen, die Regierung um den unverzüglichen Erlaß einer Verordnung zu ersuchen, wonach k ü n f t i g katholische P f a r r ä m t e r nur solchen Theologen übertragen werden sollten, die eine deutsche Universität besucht und die akademische Abgangsprüfung vor der katholisch-theologischen F a k u l t ä t zu Gießen bestanden h ä t t e n . Die K a m m e r konnte sich dabei auf das geltende Recht und die seitherige Übung berufen. Aber dieser, wie die bescheidenen vorangehenden und folgenden Versuche der Abgeordneten, das Recht des Staates zu schützen, mußten an der Haltung der Staatsregierung selbst scheitern. Das geistliche Mainz d u r f t e beruhigt sein 1 ); man wußte, daß das Ministerium seine Kirchenpolitik wohl über die Kammer, aber nicht über den Bischof hinweg betreiben werde. Die Mainzer geistliche Lehranstalt war in die Hand des Bischofs gegeben wie nie zuvor. Nicht mehr, wie einst in dem Liebermannschen Seminar unter Napoleons Herrschaft, wurde der Lehrbetrieb durch Regierungsvorschriften eingeengt; die Prüfungen auch blieben eine ») Vgl. z. B . „ K a t h o l i k " 1851 II S. 5 3 2 ( a u c h 5 2 4 ) .

Die bischofliche Lehranstalt am Seminar. Der Regens Moufang

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rein geistliche Angelegenheit. Ketteier machte es sich zur Pflicht, seinem Seminar durch die Mittel geistlicher Aufsicht, Leitung und Ü b u n g den Geist lebendiger Kirchlichkeit einzuhauchen, diese bischöfliche Schule durch immer wiederholten persönlichen Besuch, durch Besprechungen mit den Seminaristen und mit den Lehrern, durch die Forderung regelmäßiger Berichterstattung einen im strengen Sinne bischöflichen Charakter zu wahren. Diese Musterstatte kirchlicher Priesterbildung arbeitete nicht lediglich f ü r die Mainzer Diözese. Die Limburger Theologiekandidaten pflegten seit dem J a h r e 1852 in Mainz zu studieren, seit dem Sommer 1859 waren sie zum Besuche des Mainzer Seminars förmlich verpflichtet 1 ); im Herbst 1856 standen neben 42 heimischen Kandidaten 22 aus den Diözesen Limburg, Freiburg, Speier und Osnabrück 2 ), 1864 gehörten die 82 Zöglinge nur noch zur Hälfte der Mainzer Diözese an, die übrigen s t a m m t e n z u m Teil auch aus der Schweiz, aus Frankreich, einer aus Amerika, und 20 ausländische Bewerber m u ß t e n wegen Raummangels abgewiesen werden. Immer wieder kamen weither in größerer Zahl werdende Kleriker, auch einzelne durch Ketteier selbst seiner Kirche zugeführte Konvertiten. Kirchentreue Katholiken freierer Art freilich betrachteten dieses Seminar und dieses bischöfliche Mainz überhaupt als den Sitz einseitiger, enger Kirchlichkeit. Es entsprach Kettelers eigener Einschätzung von Glaube und Theologie, von Lehre und Wissenschaft, wenn aller theologische Unterricht als kirchliche Unterweisung gefaßt wurde. Durch dogmatische Zuverlässigkeit waren die Seminarprofessoren ausgezeichnet, nicht durch wissenschaftliche Bedeutung. Regens des Seminars wurde Christoph M o u f a n g 8 ) , vorher sechs J a h r e lang Religionslehrer am Mainzer Gymnasium. Er e n t s t a m m t e einer wohlhabenden Mainzer Kaufmannsfamilie. Er fühlte sich als Mainzer, als Bürger des katholischen, aber auch des rheinisch-heiteren Mainz. Seine geistig-geistliche Entwicklung stand unter dem Einfluß seines geistlichen Oheims Lennig und des kirchenstrengen Mainzer Kreises, er war gleichsam Liebermanns Enkelschüler; aber er h a t t e zugleich etwas von der witzigen Art des älteren Bruders seiner Mutter, des Dichters Friedrich Lennig. Er war der geborene Volksredner, der auch vor den Künsten der Demagogie nicht unbedingt zurückschreckte. Er plauderte wohl gelegentlich selbst einmal vor seinen Katholikentagshörern davon, daß er sich etwas stark ausdrücke, weil man in großen Versammlungen F r a k t u r reden müsse. 4 ) Er liebte die derbe Deutlichkeit und wußte den mittelrheinischen Ton zu treffen. ') Höhler 2, 235 f. ) Mz. J . 1856 Nr. 263 (19. 11.). — Z. Folg.: Mz. J . 1862 Nr. 282 (9. 12.); K. an d. Großherzog 16. 12.64. — In d. Schweiz wirkten 1875 nicht weniger als 125 Priester, die K.s Seminar besucht hatten (Pfülf 3, 227). 3 ) L a u d i e r t : A . D . B . 52, 4 8 6 f f . ; Forschner: Hess. Biogr. 1, 241—247. «) Verhdl. d. 27. Katholikenvers, in Konstanz (1880) S. 282 f. 2

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II 2: Der Bischof als geistlicher Führer und Gebieter

Er gewann jeglicher Sache mit sicherem Blick ihre volkstümlich wirksame Seite ab, er wendete jede Erörterung so, daß sie den Massen einleuchtete, mochte er nun auf den deutschen Katholikenversammlungen sprechen, die er von der ersten an fast ausnahmslos und immer in hervorstechender Anteilnahme besuchte, oder mochte er als Prediger, als großdeutscher Politiker im hessischen Landtage, oder später als Reichstagskandidat und Reichstagsabgeordneter auftreten; die volkstümliche Redeweise verschmähte er auch dann nicht, wenn er vom Papste sprach. 1 ) Allem Unkirchlichen hielt er sich geistig fern: er hatte kein Verständnis für die katholischen Deutschen, die als Historiker oder Philosophen mit der nichtkatholischen Wissenschaft die Verbindung zu wahren suchten; Geschichtschreiber, deren Werke sich der kirchlichen Anschauung nicht einfügten, galten ihm als Geschichtsfabrikanten, die Philosophie der Berliner „Hegelingen" oder Kuno Fischers war ihm erbärmlichste Sophisterei. 2 ) Aber im Leben wußte Moufang sich klug in die Verhältnisse zu finden, er konnte wohl zur rechten Zeit das Grundsätzliche zurückstellen, um in der Wirklichkeit möglichst viel für die Kirche zu wahren. Er gehörte überhaupt — und nicht lediglich aus kirchenkluger Berechnung, sondern zugleich aus einem ursprünglichen Empfinden, das in der weltläufigen Mainzer Überlieferung wurzelte, — immer noch zu den kirchlich Maßvolleren 3 ); seine geistlichen Genossen durften gewiß mit Recht rühmen, daß ihm selbst die Aufgeklärtesten ihre Achtung nicht versagten. 4 ) Sein schlichter Humor war zum Versöhnen geschaffen; auch in dem Reichstagszentrum wußte er später mit seiner freundlichen, herzlichen Gewandtheit Gegensätze auszugleichen. 5 ) Moufang hat mancherlei geschrieben, ohne in seinem langen Leben (1817—1890) den Drang zu wissenschaftlichen Leistungen zu verraten: kleine Beiträge zur Geschichte des Katechismus bedeuten nicht viel; das ganze Schwergewicht auch seiner schriftstellerischen Tätigkeit neigt nach der praktischen Seite. Die kirchliche Lehre mit all ihren Folgerungen verteidigte er gegen die kritischen Ansprüche der kirchlich freieren katholischen Wissenschaft, die katholische Moraltheologie gegen feindliche Angriffe. Seit November 1854 dem Domkapitel angehörend, führte erden Kampf wider den Liberalismus an der Seite seines Bischofs, den er in der Ersten Kammer vertrat. Die Handwerkerfrage behandelte er in dem kirchlichen Geiste, der auch Kettelers Sozialpolitik beherrscht. In der Vgl. Hase, Polemik * 188 Anm. 94. ) Vgl. Mz. J . 1862 Nr. 213; Verhandl. d. 14. Oeneralvers. . . . Aachen 1863 S. 64; Hase 541 Anm. 32. s ) Bezeichnend s. Brief an K. 1 0 . 2 . 6 9 über Freiburg. Domkapitelsstreitigk.: Pfülf 2, 369. 4 ) (Haffner,) Mainz im Jahre 1863 S. 53. s ) Hertling, Erg. 2, 122. — Kirchlich u. persönl. lehrreich, daß M. sich noch in s. letzten Monaten u m Döllingers Seelenheil sorgte: Friedrich, D. 3, 605. 2

Der Dogmatiker J. B. Heinrich

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Schulfrage, die in Hessen bei dem Neben- und Widereinander von Konfessions- und Simultanschulen besonders verwickelt war, wurde Moufang den Gläubigen ein geschickter Wegweiser. Zu kirchlicher Frömmigkeit und kirchlichem Bewußtsein sollte sein „Officium divinum" hinleiten, und dieses zuerst 1851, dann wieder und wieder gedruckte Gebetbuch für gebildete Katholiken — im neuen Reiche auch das Gebetbuch Windthorsts—ist schließlich doch die wirkungsvollste Schrift Moufangs gewesen, als einzige sein Leben überdauernd. Neben dem Regens des neuen Seminars stand, unzertrennlich von ihm, sein Landsmann und Jugendfreund Dr. Joh. Baptist H e i n r i c h (1816—1891). 1 ) An der bischöflichen Lehranstalt behandelte Heinrich die Dogmatik. Aber erst in seinem Alter hat er sich durch seine breit angelegte „Dogmatische Theologie" (1873 ff.) unter den streng thomistischen Theologen einen Namen gemacht, damals auch die erste, noch wenig bestimmte Anregung zur Begründung der Görresgesellschaft gegeben. Vor dem Vaticanum trat er nicht mit größeren gelehrten Arbeiten hervor. Er war zunächst der apologetische und kirchenpolitische Schriftsteller. Wie Ketteier hatte Heinrich über die Rechtswissenschaft sich zur Theologie gefunden, freilich auf anderen Wegen als der westfälische Baron: er war von 1840 bis 1842 Privatdozent der Rechtswissenschaft in Gießen. Der Kleriker Heinrich stellte seine juristische Schulung wirksam in den kirchlichen Dienst. In einem stark apologetischen Drange zu werbender Verteidigung seiner Kirche hielt er seine Predigten, schrieb er seine Broschüren. Er sprach nicht so volkstümlich humorvoll wie der joviale Moufang, aber auch er, geschmeidiger und geistlich salbungsvoller als der Freund, redete gern im leichten Ton des Scherzes und liebte es, auf den Katholikentagen mit kurzen, unvorbereiteten Ansprachen von starker Augenblickswirkung hervorzutreten. Im katholischen Mainz dachte man im Frühjahr 1848 daran 2 ), ihn in die Schriftleitung des damals vorbereiteten „Mainzer Journals" aufzunehmen. Aber er wurde vielmehr Ende 1849 zusammen mit Moufang Herausgeber des „Katholik", und die beiden „Mainzer Dioskuren", wie man sie bald von den Katholikentagen her nannte, machten diese bewährte Zeitschrift vollends zu einem theologischen und kirchenpolitischen Musterblatte im römischen und neuscholastischen Sinne. Heinrich selbst hatte schon im Frühjahr 1848 in seiner, im „Katholik"®) abgedruckten Rede auf Görres gezeigt, daß ihm die Kirchengedanken den letzten Maßstab der Beurteilung alles Geistigen und der Einschätzung eines jeden Genius boten. Es kennzeichnet die l

) Lauchert: A . D . B . 50, 151 f.; Hertling, Kl. Schrift. (1897), 520—538. — Z. Folg.: Hertling, Erg. 1, 283 u. 2, 149; H. Cardauns, Aus dem Leben eines dt. Redakt. (1912) S. 76 f. ») „Katholik" 1848 Nr. 28 (5.3.) S. 113 Anm. ») 1848 Nr. 28—31.

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1 1 2 : Der Bischof als geistlicher Führer und Gebieter

Geistesart dieses Mannes (und doch nicht nur die seine), daß ihm Görres mehr ist als Goethe, sowohl „wissenschaftlich", wie vor allem, weil Görres, nicht minder genial als Goethe, sein Genie durch das Licht und die K r a f t des Christentums habe weihen lassen; es kennzeichnet ihn noch mehr, wenn er sagt, Goethe sei seinem Wesen nach ein genialer Heide wie — Horaz. Damals auch kündigte sich schon Heinrichs später immer wieder b e w ä h r t e Bereitschaft an, kirchliche Gegner kirchlich zu v e r d a m m e n und literarische Feinde des Katholizismus vor seinen einheitlich gearteten, g u t zu lenkenden Hörern oder Lesern moralisch zu erledigen. So wurde Gutzkow in dem Vortrag über Görres als ein „ j e t z t bereits verkommener J u n g d e u t s c h e r " bezeichnet 1 ), und im kirchlichen Ärger über die Reformgedanken Hirschers katechisierte der Kaplan den weit über ihn hinausragenden Freiburger Theologen mit dem Überlegenheitsgefühle kirchlicher Selbstzufriedenheit. Diese Streitschrift über die kirchliche Reform, von Heinrich gegen Ende des J a h r e s 1849 abgeschlossen und sogleich großenteils im „ K a t h o l i k " , dann vollständig als Buch veröffentlicht 2 ), mußte den Verfasser dem neuen Bischof besonders empfehlen; hier wurden Forderungen der Würzburger Denkschrift vertreten in geschickter Abwehr nicht so der staatlichen als der kirchlich-demokratischen Ansprüche, hier wurde die E r r i c h t u n g von Knabenseminarien angeregt gemäß dem tridentinischen Gebote: dessen Erfüllung aber war ein Lieblingsgedanke Kettelers, der das Domkapitel bald genug beschäftigen sollte. Heinrich h a t t e schon auf der ersten Versammlung der katholischen Vereine, der Mainzer T a g u n g vom Oktober 1848, Ketteier kennen gelernt; der gewiegte Domkaplan vor allem war es, der den wortgewaltigen westfälischen Pfarrer f ü r die Dompredigten zu gewinnen wußte. Das ihm widerwärtige Ergebnis der Mainzer Bischofswahl von 1849 hat Heinrich in unermüdlicher heimlicher Arbeit b e k ä m p f t ; er t r a t dann mit dem neuen Bischof in Verbindung, noch ehe dieser nach Mainz kam, und half ihm die Wege ebnen. Ketteier dankte ihm sogleich, wenige Monate nach der Bischofsweihe, durch Ernennung zum Dompräbendaten und zog später den im kirchlichen Sinne trefflich geschulten und befähigten Mann immer näher an sich h e r a n ; schon ehe Heinrich, seit dem Sommer 1855 Domkapitular, nach Lennigs Tode Domdekan wurde (1867), war er der vertrauteste Berater des Bischofs, dessen Schriften größtenteils vor der Drucklegung durch Heinrichs bessernde Hand gingen. Freilich, in wichtigen Fragen der inneren Kirchenpolitik, insbesondere der Beurteilung 1

) „ K a t h o l i k " 1848 S. 114. ) „Die kirchl. Reform. Eine Beleuchtung der Hirscherschen Schrift „Die kirchl. Zustände der Gegenwart" (1850; Vorwort: 10.11. 49).— Dazu noch Heinrichs Gutachten f ü r d. Indexkongregation (1869): Pfülf 2, 3 7 5 f . ; hier das hochmütige Irrwort: „Die Schriften Hirschers überhaupt werden in nicht sehr langer Zeit gänzlich vergessen sein". a

Heinrich als Kettelers Vertrauter. Der Philosophieprofessor Haffner

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der kirchlichen Stellung des Papstes stimmten der Bischof und sein Mitarbeiter nicht überein. 1 ) Wie dieser Regens und dieser Dogmatiker, so arbeiteten die anderen Lehrer der erneuten Priesterschule — unter ihnen der mit staatlichem Ruhegehalt ausgestattete Kirchenhistoriker Riffel ( f D e z . 1856) — im Namen und im Geiste Kettelers als „bischöfliche" Professoren. Im J a h r e 1855 t r a t Paul H a f f n e r hinzu, der Repetent a m Tübinger Wilhelmstifte gewesen war, aber von dem besonderen Geiste der Tübinger Theologenfakultät nichts angenommen h a t t e . Der Schwabe f ü g t e sich leicht in Kettelers Kreis; seit den sechziger J a h r e n — 1866 wurde er auch Domkapitular — nannte man ihn gern in einem Atem mit dem „geistlichen Brüderpaare" Moufang und Heinrich. Haffner, um ein Dutzend J a h r e jünger als die beiden, suchte ihnen in volkstümlicher Beredsamkeit gleichzukommen; Moufangs kräftiger Humor fehlte ihm, aber er wußte alles in die Ebene seiner manchmal geschickten, meist platten Witze zu ziehen 8 ), er zeigte sich stets bereit zum bequemen Spotte vor einer nicht eben kritischen Hörerschaft, überhaupt in seinen Reden nicht sehr taktvoll, in seinem Auftreten etwas u n b e k ü m m e r t , noch später als Bischof die ewige Sorge seiner älteren Freunde, insbesondere des Domdekans Heinrich. 3 ) Er war nicht unbegabt und h a t t e sich viel Wissen zusammengelesen. Seine „aufklärenden" Broschüren fanden zahlreiche Liebhaber; Döllinger freilich s p o t t e t e schon im J a h r e 1867 über die „seichten, oft mit den ergötzlichsten Schnitzern gespickten Kompilationen Haffners". 4 ) Die Art, wie dieser Main2er Professor der Philosophie von seiner Philosophie aus ins Leben hinein wirkte und gewiß auch die Zöglinge der bischöflichen Lehranstalt die bürgerlich-unkatholische Umgebung beurteilen lehrte, vermag man aus seinen unter undurchsichtiger Maske höchst gewandt geschriebenen Büchlein „Mainz im J a h r e 1863" 6 ) einigermaßen zu erkennen. In dem Dunkel der Namenlosigkeit ließ er seinen schwäbischen Mutterwitz und vor allem seine dreiste Redefertigkeit schrankenlos schalten; von dem Theologen war hier kaum etwas zu spüren, u m Das zeigt sich schon vor dem Vaticanum z. B. in d. Beurteilung des Syllabus: K- hatte starke Bedenken, für H. aber war der Syllabus „die größte Tat des Jahrhunderts und vielleicht vieler Jahrhunderte" (Friedrich, Döllinger 3, 394 f.). ') Besonders bezeichnend: Verhdl. d. 25. Generalvers., Würzb. 1877 S. 125 f. ») Hertling, Erg. 2, 70 f. 4 ) Beil. z. Allg. Z. 1867 Nr. 72 = Döllinger, Kl. Schrift. 274; vgl. Nippold, Kl. Schrift. 2, 445. ') Mainz im Jahre 1863. Ein Bild öffentl. Lebens. In Briefen skizziert v. E. P. Separat-Abdruck aus dem „Echo der Gegenwart". Aachen 1863. (136 S.; in der 3. Aufl. ein Nachwort.) — Einzelne dieser Briefe „gehören vielleicht zu dem Schönsten und Großartigsten, was in deutscher Sprache geschrieben worden ist", meinte, gleichfalls durch Namenlosigkeit gedeckt, ein guter Freund im Mz. J. 1863 Nr. 160 (12.7.). — Gegenschriften: Herr Reineke Fuchs in „Mainz im Jahre 1 8 6 3 ' - . . . v. W. Hieronymi (Darmstadt 1863. 58 S.); Mainz im Jahre 1864 (79 S.).

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II 2: Der Bischof als geistlicher Führer und Gebieter

so mehr von dem Parteimann, der alle Waffen verwendet. Gerade diese oberflächlich-geschickte Broschüre zeigt, daß sich Haffner recht aus eigenem heraus in das bischöfliche Mainz hineingefunden hatte. Damals war schon eine halbe Priestergeneration aus der neuen Lehranstalt hervorgegangen, deren Bestand der Bischof vom Anbeginn an als die denkbar günstigste Vorbedingung der Heranziehung einer in seinem Geiste gebildeten Priesterschaft ansehen durfte. Aber diese Jahr für J a h r stetig fortwirkende Erziehungsarbeit galt nur w e r d e n d e n Priestern; sie konnte unmittelbar nicht auf den Klerus einwirken, den Ketteier vorfand, auf die Pfarrer, die großenteils an der Gießener Fakultät, von Leopold Schmid, Lutterbeck und den anderen halb oder ganz verdächtigen Theologieprofessoren ausgebildet worden waren und die Friedensschule der Bischofszeit Kaisers durchgemacht hatten. Ketteier — „Bischof von Gottes und des apostolischen Stuhles Gnade" — nannte sich Bischof Wilhelm Emmanuel: als „gottgesandt" wollte und sollte er dieser durch den Bischofskampf in sachlichen Gegensätzen und persönlichen Leidenschaften zerrissenen Mainzer Diözese erscheinen. Man kannte ihn vom Jahre 1848 her als den Prediger der christlichen Liebe; auch die maßvollen unter den Anhängern des erwählten Bischofs Leopold Schmid wünschten nichts anderes, als daß dieser westfälische Baron, dieser im dörflichen Gemeindeleben seelsorgerisch, in der Berliner Propstei schon bischöflic": geschulte Priester, der in die Mainzer geistlichen und bürgerlichen Kämpfe nicht verwickelt war, der Bischof des Friedens werde. Auch Ketteier selbst wollte den Frieden bringen, aber den Frieden einheitlicher Kirchlichkeit; darum brachte er auch das geistliche Schwert: er wollte ausrotten, was ihm kirchlich schädlich erschien. Er empfand im Beginne seines zweiten Bischofsjahres den Mangel an einer genügenden Zahl seeleneifriger Priester als sein größtes Leid: das Volk, meinte er1), sei noch so wunderbar empfänglich, „aber die Priester, diese vielen erbärmlichen Mietlinge". Den Zwiespalt im Klerus durch den Segen bischöflicher Belehrung und den Zwang bischöflicher Macht zu überwinden, war freilich sein fester Entschluß. Er wollte auch die Mittel anwenden, die ein Praktiker wie Geissei vertraulich 2 ) als die in Mainz allein wirksamen bezeichnet h a t t e : statt der „Liebesphrasen" im Stil Kaisers „ K r a f t und Entschiedenheit". Anderthalb Jahre nach seinem Einzüge in Mainz sandte Ketteier ein geheimes Ausschreiben an die gesamte Geistlichkeit seiner Diözese, l ) 23. 10.51 an B. Blum: Pfülf 1, 314. — K. neigte dazu, „das Volk", namentlich das Landvolk, etwas gar zu günstig zu beurteilen (Äußerung des Pfarrers Sickinger: Pfülf 3, 353 f.). Übrigens sagte er April 53 zu Canitz (oben S. 221 Anm. 1): „Die gründliche Demoralisation der Massen hier im Südwesten liegt zu Tage." Ahnlich in Eingaben an die Regierung. ») 23. 7. 50 an s. Weihbischof Baudri: Pfü)/, K. 1, 221 f.

Ketteier und der Diözesanklerus. Die bischöflichen Visitationen

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das er in die „mildere Form einer allgemeinen Bitte und Ermahnung" an seine „geliebten Brüder" kleidete, das aber die ernstliche mündliche Rügung aller Verstöße für die nächste bischöfliche Rundreise ankündigte und manchem dieser Priester, die Kaisers gelinder Art gedachten, hart und gebieterisch erschien. Hier schon wurde unter den Pflichten des priesterlichen Lebens allen anderen der Gehorsam gegen die Kirche, gegen den Bischof vorangestellt. Ketteier, der sich dessen bewußt sein durfte, auch priesterlich den Priestern ein Vorbild zu bieten — als Beichtvater, als Prediger voll aufrüttelnder Macht 1 ), als Volksmissionar und frommer Wallfahrer —, er wollte die ganze Geistlichkeit zu seiner priesterlichen Art hinführen und den geistig anders gerichteten Klerikern ein zwingender Erzieher werden. Er bildete sich eine gehorsame Priesterschaft, für die er auch gegenüber ihren zahlreichen Widersachern 2 ) immer und überall einzutreten willens war. Die Mainzer katholische Presseapologetik redete gelegentlich wohl etwas gar zu betulich von Kettelers Kircheneifer 3 ). Gewiß aber ist, daß es diesem Bischof ernst war um die tridentinische Vorschrift regelmäßiger Visitation der bischöflichen Diözese, was man nicht von allen sonst hervorragenden Bischöfen sagen konnte. 4 ) Seine Firmungsreisen, die nach festem Plane einen großen ! des Jahres beanspruchten, wurden wenigstens in der ersten Hälfte seiner Bischofszeit zu Fahrten auch in die kleinsten Pfarreien; jedes dritte J a h r kam er in jeden Kirchort. Der bischöfliche Firmungsbesuch bedeutete zugleich Pfarrvisitation und Schulprüfung im Religionsunterricht. Der Bischof erschien als Oberherr des Pfarrers und der ganzen Kirchengemeinde, die sich im katholischen Dorfe mit der politischen Gemeinde fast völlig deckte; ihre Verhältnisse suchte der Bischof durch Winke, durch Vorschriften mitzubestimmen. Dieser episcopus verstand sich auf die Kunst des imonjoTtüv. Er überwachte die Geistlichen in ihrer Seelsorgetätigkeit, in ihrem ganzen Leben: er sah nach ihren Büchern und Zeitschriften, er forderte, daß sie das Mainzer Journal oder sonst ein kirchenstrenges Blatt hielten und empfahlen; jeden Nachklang einer freieren Geistesart beim Klerus suchte er kirchlich einzufangen und unschädlich zu machen.*) Die Gemeinden pflegten ihn wie einen Fürsten festlich zu empfangen; nicht einmal die Böllerschüsse fehlten. Man bejubelte und feierte ihn, man verehrte ihn, aber ') Vgl. namentlich Döllingers Urteil: A. Braun-Artaria, Von berühmten Zeitgenossen (1918) S. 198; auch Hertling, Erg. 1, 17 f. ') U . a . : K. an d. Min. d. I. 28.4.51 „Ich habe nie in einem Lande gelebt, wo der Klerus so angefeindet wird wie hier". Von Berlin abgesehen kannte K. freilich nur kathol. Gegenden. — Vgl. auch unten S. 316 ff. ») Mz. J . 1862 Nr. 184 Anm.; 1867 Nr. 184. *) Vgl. etwa über Diepenbrock den Brief des Breslauer Dompropstes Ritter an Döllinger: Friedrich, D. 2, 508. *) Ein Beispiel: Pfülf 3, 306.

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II 2 : Der Bischof als geistlicher Führer und Gebieter

die meisten Pfarrer f ü r c h t e t e n seine Strenge, sein gebieterisches Wesen, seine leidenschaftliche Heftigkeit. 1 ) In seinem Stolze, den er nie ganz zu überwinden vermochte, in seiner Herrenmäßigkeit, seiner im Augenblicke des Selbstvergessens rücksichtslosen Herrischkeit, in seinem gelegentlich hervorbrechenden J ä h z o r n e hat er manchem bitteres Unrecht g e t a n ; der Freiburger und der Kölner Erzbischof wurden ein oder das andere Mal von klagenden Mainzer Klerikern angegangen, und das Domkapitel m u ß t e sich mit dem Bischöfe wegen seiner Schroffheit u n d Willkür wieder und wieder auseinandersetzen. Seine persönliche Erziehungsarbeit am Klerus wollte Ketteier ergänzt wissen durch die mönchischen Mittel der Priesterexerzitien. Schon im Herbst 1850 ließ er solche geistlichen Übungen durch einen pfarrherrlichen Landsmann abhalten, der freilich in anderen Diözesen — so auch in Limburg unter Bischof Blum dem Widerstande der Regierung zum Trotz 2 ) — es mit dieser nützlichen Schulung in Gebet und Betrachtungen über Kirche und Welt schon früher h a t t e versuchen dürfen. Damals und später wurde im geistlichen Mainz die Freiwilligkeit dieser Priesterexerzitien betont.*) Aber es mußte doch als eine bischöfliche Mahnung erscheinen, wenn in den „Kirchlichen Mitteilungen" des von Heinrich und Moufang geleiteten „ K a t h o l i k " 4 ) kurz vor Eröffnung der Exerzitien festgestellt wurde, d a ß sich f a s t die Hälfte des Klerus „ b e r e i t s " gemeldet habe und daß mit Rücksicht auf die große Teilnehmerzahl die Exerzitien zweimal stattfinden sollten; und es versteht sich, d a ß nach Einbürgerung des neuen Brauches diesem Bischof alle Mainzer Geistlichen, die sich lässig den Exerzitien entzogen, als Priester zweiter Klasse galten. Später, im September 1866, schärfte ein bischöflicher Erlaß dem Klerus die Pflicht zur regelmäßigen Beteiligung an den Exerzitien ein. Nur die ersten Exerzitien hatte Ketteier einem Weltgeistlichen ü b e r t r a g e n ; seitdem ließ er sie J a h r f ü r J a h r durch Jesuiten abhalten, die, durch des Bischofs besondere Zuneigung ausgezeichnet, natürlich gegenüber den Pfarrern der Mainzer Diözese weniger gehemmt waren als der münsterländische Pfarrer. Die Bereitschaftsstimmung der jesuitischen Exerzitien ergriff indessen tatsächlich immer nur die geistlich Erweckten mit aller Macht. Die Zusammenhaltung der Diözesangeistlichen ü b e r h a u p t in geistlichem Leben und pfarrherrlicher Pflichterfüllung blieb doch die Aufgabe des Bischofs selbst, seiner ständigen geistlichen Helfer, seiner l ) (Haffner,) Mainz im J. 1863 läßt das S. 3 8 durchblicken; mit aller W u c h t aber wird es ausgesprochen in d e m v. Lennig verf. Schreiben des Domkapitels an K . 19. 12. 60: Pfülf 2, 73 ff. ») Vgl. Höhler 2, 191. •) Z . B . : Deutsche Zeitung 1850 Nr. 267 ( 2 4 . 9 . ) , aus Mainz 2 3 . 9 . ; Mz. J . 1861 Nr. 187 (13. 8.) gegen das liberale „Frankf. Journal". «) 1850 II S. 237; ähnlich 1852 II S. 237.

Jesuitische Exerzitien.

Bischöfliche Stellenbesetzung

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Diözesanverwaltung. Ketteier mußte gerade in den Anfängen seiner bischöflichen Wirksamkeit einen fast allgemeinen Widerstand gegen seine hochfliegenden Gedanken priesterlicher Gemeinschaft erleben 1 ), er mußte gar erleben, daß etliche Priester abtrünnig wurden*): zwei wirkten bald als protestantische Geistliche im Großherzogtum Hessen und führten als unterrichtete und entschlossene Gegner des bischöflichen Systems literarische Fehde gegen das kirchliche Mainz. Aber die sich selbständig entwickelnden wie die unwürdigen Geistlichen blieben verschwindende Ausnahmen in dieser von Jahr zu J a h r gleichmäßiger gemodelten Priesterschaft. Wenn Ketteier später mitten in seinem politischen Buche vom Jahre 1867') das Hohelied des „geheiligten Priesters" anstimmte und die „Heiligkeit" des katholischen Priestertums als wertvollstes kirchliches Erbauungsmittel, als wirksame Voraussetzung einer künftigen „Wiederversöhnung der Protestanten mit der Kirche" begriff, so durfte er an die große Masse seiner Mainzer Diözesangeistlichen denken, die nun wahrhaft seine Geistlichen waren. Eine wichtige Vorbedingung dieses bischöflichen Erfolges war die freie Ausübung des bischöflichen Rechtes der Stellenvergebung, der kirchlichen Prüfungen, der kirchlichen Disziplin. Durch die Verständigung mit dem Ministerium Dalwigk verschaffte sich Ketteier die staatliche Anerkennung oder doch Duldung dieser und überhaupt aller ihm unentbehrlich scheinenden bischöflichen Rechte. Die „vorläufige Übereinkunft" gewährleistete bis auf bedeutungslose Einschränkungen die kanonisch freie bischöfliche Besetzung der geistlichen Stellen. Ketteier ernannte und versetzte nach seinem Willen. 4 ) Bei den sog. Sukkursalpfarreien auf dem linken Rheinufer — und das waren die meisten — stand dem Bischof sogar die Absetzung des Pfarrers zu.*) Aber auch da, wo er nicht lediglich nach seinem Willen eingreifen konnte, wußte er tatsächlich durch die eindeutige Kundgebung seines Urteils und seines Begehrens viele, und nicht bloß hochbetagte, Pfarrer, die nicht seines Sinnes waren, zur Aufgabe ihrer Seelsorgetätigkeit zu nötigen; in der Trierer Diözese lebten bei 700 Pfarrern nur 5 Pfarrer im Ruhestande, in Kettelers Diözese stieg die Zahl der zur Ruhe gesetzten Pfarrer allmählich auf 30, obwohl ») Vgl. unten S. 331 f. *) Auch später noch, vgl., überhaupt zu den Diözesandingen, Pfülf; ein Beispiel in etwas zugerichteter Erzählung: Hertling, Erg. 1, 10. ») Deutschi. n. d. Kriege v. 1866 S. 190 ff. *) Vgl. dazu besonders Pfülf 1, 324 oben. ' ) Über die Sukkursalpfarrer vgl. neben den kirchenrechtl. Darstellungen die dem Kulturkampf (1874) entspringenden Bemerkungen v. J. Fr. v. Schulte: Erinnerungen 2, 92—98. — In der ersten Bischofszeit K-s wurde z. B. der Pfarrer von Oberflörsheim bei Alzey abgesetzt; er trat zum Protestantismus über. Mz. J . 1857 Nr 167 (19. 7.). VI g e n t r , Bischof Ketteier

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der Mainzer Bischof nur ein Fünftel der Trierer Pfarrerzahl unter sich hatte. 1 ) Das kirchliche Prüfungswesen wußte Ketteier in seinen ersten Bischofsjahren so zu ordnen, daß sein Einfluß verstärkt wurde und ihm die Auslese gesichert war. Schon im F r ü h j a h r 1852 verfügte er, daß die Kapläne vor der Erneuerung ihrer Vollmachten zur Seelsorge jeweils eine P r ü f u n g ablegen müßten, die sie fester an die Meinungen und den Willen des Bischofs band. Zwei J a h r e später wurde für die Besetzung der Pfarreien der Pfarrkonkurs 2 ) eingeführt. Wieder zwei J a h r e später, Anfang April 1856, eben zu der Zeit, da die Darmstädter Regierung die päpstlich-bischöfliche Verbesserung der Übereinkunft von 1854 förmlich anerkannte, wurde dieses Verfahren endgültig festgelegt; damit war die letzte Wahl unter denen, die im bischöflich geleiteten Konkursexamen gut bestanden hatten, dem Bischof selbst überlassen. Ein Teil des Klerus versuchte damals, diese Art der Stellenbesetzung mit ihren Prüfungsvorschriften, diese drohende und drückende Examensbeigabe zu jeder Bewerbung um eine bessere Pfründe, diesen tridentinischen Pfarrkonkurs aus der Mainzer Diözese wieder hinauszudrängen; die Geistlichen, so wurde aus ihrer Mitte vorgeschlagen, sollten vor ihrer ersten Anstellung oder (wie es tatsächlich in Deutschland der überwiegende Brauch wurde) einige Jahre nach ihrer Weihe das „ K o n k u r s e x a m e n " — das dann freilich kaum noch so genannt werden durfte — ein für allemal ablegen. Aber gerade die erste Mainzer Diözesankonferenz vom April 1856, wo sich diese Anregung hervorwagte, gab dem Bischof die Gelegenheit zur Unterdrückung derartiger Anwandlungen; der offiziöse Bericht darüber läßt die sichere bischöfliche Leitung des Klerus erkennen.*) Mit einer Diözesankonferenz hatte es Ketteier bereits im Herbst 1852 versucht. Damals handelte es sich indessen nur u m eine vom Bischof angeordnete, von ihm unter Teilnahme der Domherren geleitete Zusammenkunft der Landdekane seiner Diözese ad audiendum verbum episcopi. Diese zweitägigen „Beratungen" im Mainzer Seminar waren wesentlich dazu bestimmt, die bischöflichen Vorschriften einzuschärfen, die zu Anfang des Jahres in jenem warnenden Geheimausschreiben an den Klerus ergangen waren: „Belebung der Verwaltung und der Aufsicht über die Befolgung der Kirchengesetze" — das bezeichnete Ketteier selbst als den Hauptzweck dieser Zusammenkünfte und er machte als geistlicher Gebieter den Dekanen Aufsicht und Anzeige zur Pflicht. Wie wenig er sich indessen damals auf alle Dekane verlassen konnte, zeigte sich ihm sogleich in der Tatsache, daß diese *) Im einzelnen vgl.: Statistik für das Bistum Mainz 1855ff.; Verzeichnis der Geistlichen und Pfarreien des Bistums Mainz 1862, 1866 ff. ») Vgl. oben S. 196. ») „Katholik" 1856 I S. 257.

Kirchliches Prüfungswesen.

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Diözesankonferenzen

vertraulichen Verhandlungen in die Presse gebracht wurden. Die Konferenz vom April 1856 1 ) offenbarte in ihrer Gestaltung und ihrem Verlaufe die Wirkungen der bischöflichen Tätigkeit. J e t z t wurde nach dem belgischen Muster, nach d e m Vorbilde auch der Breslauer Diözese eine regelrechte Diözesankonferenz a b g e h a l t e n ; neben den Mitgliedern des bischöflichen Ordinariats und den Dekanen n a h m aus jedem D e k a n a t ein auf der Dekanatskonferenz ausgewählter Pfarrer teil. Die Diözesankonferenz war ü b e r h a u p t vorbereitet durch Konferenzen der einzelnen Dekanate. Aber die Verhandlungen der Diözesankonferenzen beschränkten sich nicht auf die aus den Dekanatsberichten zusammengestellten Anträge und Fragen. Vielmehr wirkte auch hier vor allem die Anregung, der Wille des Bischofs. Es ist bezeichnend f ü r sein persönliches Zugreifen, daß er in dem Winter vor dem Zusammentreten der Diözesankonferenz den ganzen Klerus der S t a d t Mainz und der Umgebung alle vierzehn Tage zu f r o m m e r Betrachtung, zu Vorträgen und Besprechungen u n t e r seiner Leitung vereinigte. In der Vorbereitung der Diözesankonferenzen, bei der Wahl der Verhandlungsgegenstände griff die Hand des Bischofs bestimmend ein. Alle Vorträge auf der Konferenz — sie wurden von Mitgliedern des Ordinariats und von Pfarrern gehalten — mußten ihm vorher im Wortlaut vorgelegt werden. Er schloß die Aussprache, persönlich entschied er die Streitfragen, und es war das bischöfliche Mainz selbst, das öffentlich feststellte 2 ), d a ß neben dem Geiste des vollkommensten Vertrauens zwischen Bischof und Klerus „der Geist einer auf den katholischen Glauben gegründeten kirchlichen Reverenz und Obedienz" diese Versammlung beherrsche. Die bischöflichen Diözesankonferenzen waren gedacht als Vorbereitung künftiger Diözesansynoden. Das Ministerium, das willens war, ihm auch hier freie Hand zu lassen, h a t t e der Bischof bei den Verhandlungen über die endgültige Form der Übereinkunft im September 1855 zum grundsätzlichen Verzicht auch auf die bischöfliche Anzeige solcher Synoden zu bewegen gesucht und dabei mit etwas spöttischen Beruhigungsworten erklärt, die Regierung werde, sobald die Verhältnisse die Abhaltung einer Diözesansynode gestatteten, sich überzeugen, „wie heilbringend für Kirche und Klerus, aber auch wie harmlos und, ich möchte sagen, wie direkt ganz und gar gleichgültig f ü r den S t a a t diese Diözesansynoden sind". 3 ) Aber Ketteier hat zwar wiederholt, auch noch auf dem vatikanischen Konzile, von der Notwendigkeit und dem Segen der Diözesansynoden gesprochen, niemals aber eine förmliche Synode abgehalten. Er dachte sich wohl ') Z. Folg.: „Katholik" 1856 I S. 246—277 „Die Diözesan- und Dekanatskonferenzen im Bistum Mainz". ') „Katholik" 1856 I S. 251. ') K. an d. Min. d . I. 3. 9.1855.

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ein Provinzialkonzil der Oberrheinischen Kirchenprovinz als unmittelbaren Ausgangsboden der Diözesansynode. Er wollte so in einer Zeit (1866), da der Gedanke seiner Berufung nach Freiburg in der Stille noch weiterlebte, der Oberrheinischen Kirchenprovinz ihren wahren, inneren Organismus wiedergegeben sehen, und er wünschte, daß dabei derselbe Jesuitenpater herangezogen werde, der im J a h r e 1860 bei dem im streng kirchlichen Sinne vorbildlichen Kölner Provinzialkonzil als Geisseis theologischer Berater gewirkt h a t t e . Aber Ketteier persönlich hatte, wie wir sahen, in den fünfziger J a h r e n nur allzu wenig Rücksicht auf die Kirchenprovinz gezeigt; ein wirkungsvoller, viel gelesener geistlicher Schriftsteller, wie der Benediktiner Beda Weber, der Frankfurter Stadtpfarrer tirolischer H e r k u n f t , ließ noch im J a h r e 1857 in seinem letzten Werke 1 ) deutlich fühlen, daß er den verdienten und gewiß auch jetzt noch 1 ) warm verehrten Ketteier als wesentlich mitverantwortlich ansehe f ü r den Mangel an bischöflichem Zusammenhalt in der Oberrheinischen Kirchenprovinz, f ü r die Lockerung des Metropolitanverbandes, f ü r die kirchliche Zerrissenheit im deutschen Südwesten. Aber auch ohne den idealen Einklang der Suffragan- und Metropolitangewalten, ohne Provinzialkonzil und Diözesansynode wußte Ketteier mit Hilfe jener Konferenzen und Prüfungen, vor allem aber dank seiner persönlichen Überwachung kirchlicher Einrichtungen und geistlicher Personen, seine Diözese vollkommen in der Hand zu halten. Gewiß h a t t e schon Bischof Kaiser durch die Diözesan-Statuten vom J a h r e 1837 s ) eine brauchbare Grundlage f ü r die straffe Leitung der Diözese geschaffen. Aber jetzt wurde die ganze Verwaltung bischöflicher als bisher. Unter seinen Vorgängern gehörte der bischöflichen Kanzlei als „Expeditor" lediglich ein großherzoglich hessischer Kanzleirat an, übrigens, wie sich versteht, ein kirchlich gesinnter Mann 4 ). Ketteier aber setzte diesem schon bei der Begründung des „Landesbistums" berufenen Beamten einen „geistlichen R a t " als ersten Expeditor voran und ließ so die Loslösung von der Vormundschaft der Regierung auch in der bischöflichen Behördenordnung selbst erkennen. Die bischöflichen Verfügungen, die des Ordinariats wie die persönlichen Ausschreiben Kettelers — neben den Verordnungen erhoben auch die bischöflichen Lehr- und Mahnworte, die zahlreichen Hirtenbriefe ihren Anspruch über den Tag hinaus —, sie wurden seit Anfang 1859 in dem „Kirchlichen Amtsblatt der Diözese Mainz" zusammengehalten, ' ) Kartons aus d. dt. Kirchenleben S. 199 ff. (in dem Aufsatze „Die Leiden der Diaspora in Deutschland") ' ) Für 1848 vgl. oben S. 104. ») Vgl. oben S. 143 (mit Anm. 2). *) Der Domherr Oreßer, der Kaufmann Humann (des früheren Bischofs Bruder) und dieser Kanzleirat Wellinger bildeten das „Diözesan-Comit6" des am 30. 5. 51 eingeführten Bonifatiusvereins. „Katholik" 1851 I S. 476.

Bischöfliche Verwaltung.

Kampf gegen die Deutschkatholiken

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das fortan jährlich in etwa 20 Nummern erschien und in jeder Pfarrei vorhanden sein mußte. 1 ) Für seine Verfügungen, seine Hirtenbriefe war der Bischof nicht mehr der Regierung verantwortlich. Er h a t t e längst bevor man in Mainz und in D a r m s t a d t an den Abschluß einer Übereinkunft dachte, bereits vor dem Ende seines ersten Bischofsjahres einen Hirtenbrief, der über die Grenzen der innerkirchlichen Angelegenheiten hinausgriff, veröffentlicht und sogleich in einer Dreikreuzer-Ausgabe zu T a u senden verbreiten lassen 2 ), ohne das vorgeschriebene Placet einzuholen. Dieser Hirtenbrief von 1851 enthielt einen leidenschaftlich rücksichtlosen Angriff auf den Deutschkatholizismus, der als der vollendete Abfall von dem gesamten Lehrgebäude der katholischen Kirche, von dem wirklichen und wahren Christentum, als „ d a s entschiedenste Antic h r i s t e n t u m " g e b r a n d m a r k t wurde. Das konnte von allen nichtkatholischen Christen nur als bischöfliche Anmaßung e m p f u n d e n werden, und wurde tatsächlich selbst von altgläubigen Protestanten so e m p f u n d e n . Da in einzelnen rheinhessischen Gemeinden der Deutschkatholizismus noch herrschte, da er auch in Mainz selbst, in Offenbach und an einigen anderen Orten sich kräftig regte, so wollte Ketteier sogleich mit scharfem Wort eingreifen. Daß beim Ministerium Dalwigk die radikalen Deutschkatholiken, auf die auch der Großherzog persönlich nicht gut zu sprechen war 3 ), keinen Rückhalt finden würden gegen ihn, den Bischof, der eben jetzt aus eigener Machtvollkommenheit die Aufrichtung seiner bischöflichen Lehranstalt vorbereiten konnte, dessen d u r f t e er gewiß sein. Vergeblich empfahl die Zweite K a m m e r dem Ministerium die Berücksichtigung der deutschkatholischen Beschwerden. Die Erste Kammer, deren Mehrheit die Regierungsmeinung als verpflichtend ansah, erklärte sich gegen die eine Stimme des protestantischen Dekans Thudichum f ü r nicht zuständig. 4 ) Als sich deutschkatholische Gemeinden dann unter Ber u f u n g auf die Verfassung mit einer Klage über Mißbrauch geistlicher Gewalt an die Regierung wandten, verwarf der Staatsrat die Beschwerde als „ u n s t a t t h a f t " . 8 ) So wurde dieser heftige bischöfliche Vorstoß, dieser angriffsfrohe Hirtenbrief, der schon mit seinem bloßen Dasein das geltende Recht verletzte, durch die Staatsbehörde selbst gedeckt. *) Ein „Allgemeines Sachregister zum Kirchl. Amtsblatt (v. 28. 1.1859 bis 1 . 6 . 1 9 0 5 , unter Angabe der wichtigsten bischöfl. Verordnungen v. 1802—59)" wurde v. d. bisch. Kanzlei 1905 hg. (58 S. gr. 4°). 2 ) Vgl. „ K a t h o l i k " 1851 I S. 191. — Zum Folg. auch: Kampe (s. oben S. 161 Anm. 1) S. 168 ff. u. 244 ff. 3 ) H. Hennes (kathol. Gymnasialprof. in Mainz, der gelegentl. auch mit Kzusammenkam), Tagebuch (Stadtbibl. Mainz) 20. 7. 53. ' ) 4. 6. 51. Dazu das Mz. J . 1851 Nr. 135 (7. 6.) in seiner Weise: Herr Th. ist, wenn wir nicht irren, teilweise von d. kathol. Wetterauern gewählt worden. 6 ) Das wurde noch 1861 dem Ministerium Dalwigk in d. Wochenschrift des Nationalvereins vorgehalten. (Sonderdruck: „Zustände" 3 S. 15.)

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Auch in einer anderen Sache, die f ü r das kirchliche Leben der politischen Gemeinden von großer Bedeutung war, bei deren Behandlung staatliche, gemeindliche, persönliche Anliegen sich mit den kirchlichen und bischöflichen berührten, in der Frage der Kirchenvorstände, hat Ketteier von Anfang an seine Selbstherrlichkeit walten lassen. Dem Kirchenvorstande war insbesondere die unmittelbare Verwaltung des Kirchenvermögens a n v e r t r a u t , unter der Leitung und Aufsicht der Regierungsbehörden. 1 ) Neben dem Ortsgeistlichen war der Bürgermeister oder der Beigeordnete ständiges Mitglied des Kirchenvorstandes; gehörten diese nicht dem katholischen Bekenntnis an, so bestimmte der Kreisrat f ü r diese Vorstandsstelle ein Mitglied der Kirchengemeinde, das, wenn möglich, aus dem Gemeinderat genommen werden mußte. Die unständigen Kirchenvorstandsmitglieder — drei, in Gemeinden von mehr als 2000 Seelen fünf — wurden mit Stimmzetteln gewählt, und zwar durch die ständigen Mitglieder und drei oder fünf Männer, die der Gemeinderat aus seiner Mitte n a h m ; zählte er nicht Katholiken genug, so wurden die fehlenden Wahlmänner aus den fünfundzwanzig Höchstbesteuerten der Kirchengemeinde durch den Kreisrat ausgesucht. In den Beratungen des Kirchenvorstandes, die nur bei Teilnahme des Pfarrers gültig waren, entschied die Stimmenmehrheit, bei Stimmengleichheit die höhere Behörde. Man sieht: der Pfarrer hat bei den Entscheidungen des Kirchenvorstandes kein rechtliches Übergewicht, und dem Bischof steht auf die Zusammensetzung und die Verwaltungstätigkeit der Kirchenvorstände kein Einfluß z u ; nur bei strafbaren Verletzungen der Kirchenzucht, die jedoch durch die weltlichen Mitglieder des Kirchenvorstandes der zuständigen Strafbehörde anzuzeigen waren, sollten „die vorgesetzten höheren kirchlichen Behörden" das Nötige vorschreiben. Alle unmittelbare Macht im Kirchenvorstande lag vielmehr bei der Gemeinde selbst und dem übergeordneten großherzoglichen Kreisrat, dem vom Ministerium abhängigen Verwaltungsbeamten. Gewiß, die Kirchengemeinden und so auch die Kirchenvorstände konnten geistlichem Einflüsse zugänglich sein und mußten unter einem alles beherrschenden Bischöfe tatsächlich immer mehr abhängig werden von der geistlichen Gewalt. Aber überall da, wo ein unkirchlicher Radikalismus sich noch kräftig zu behaupten wußte, waren die Geistlichen in ihrer Geltung und Wirksamkeit stark gehemmt. Das hat Ketteier, der in dem revolutionserregten Mainzer Gebiete, insbesondere in dem mit Deutschkatholiken stark durchsetzten 2 ) sog. Ingelheimer Grund unerwünschte Beobachtungen machen mußte, sogleich erkannt und mit ähnlicher Schärfe beurteilt wie die Klerikerausbildung im protestantischen Gießen. Er suchte aber auch nach ä h n l s

) Z. Folg.: Edikt v. 9 . 6 . 3 2 (A. Schmidt, Quellen Nr. 10). ) Kampe 4 S. 13.

Der Bischof und die Kirchenvorstände

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liehen Abwehrmitteln, wie sie sich sogleich in der Fakultätsfrage bew ä h r e n sollten. K r a f t seines Glaubens an den Beruf seiner Kirche setzte er sich einfach selbst an die Stelle der weltlichen Behörde. In Dingen, die durch das Gesetz geregelt waren, verfügte er ohne gesetzliche Befugnis, aber mit dem guten Vertrauen nicht nur auf sein kirchliches Recht, sondern auch auf die verständnisvolle Nachgiebigkeit der Regierung. Wen anders traf er denn auch mit seinen kirchlichen Schlägen als jene radikalen Demokraten, deren Unterdrückung Dalwigk als eine seiner ersten Aufgaben ansah ? So b e a n t r a g t e der Bischof schon a m 26. September 1850 beim Ministerium des Innern 1 ), d a ß Lücken im Kirchenvorstande nicht mehr nach der üblichen Wahlform ausgefüllt, die Kirchenvorstände vielmehr bis auf weiteres unverändert bleiben sollten. Er erhielt keine A n t w o r t ; das deutete er, wie bei der E r r i c h t u n g seiner Lehranstalt, als schweigende Zustimmung. Am 14. Oktober 1852 ließ er kurzerhand durch sein Ordinariat eine ged r u c k t e Verfügung an sämtliche Kirchenvorstände ergehen. Es geschah im Widerspruche mit allem geltenden Rechte. Das Ordinariat, das gegenüber den Kirchenvorständen als solchen von sich aus keine Befugnis h a t t e , verlangte von jenen Vorstandsmitgliedern, die „durch ihr unkirchliches Leben der Gemeinde zum schweren Ärgernis" gereichten, Besserung oder Austritt aus dem Kirchenvorstande; die Pfarrer mußten sich die B e k a n n t m a c h u n g dieses Erlasses von den Mitgliedern des Vorstandes bescheinigen lassen. Diese willkürliche Verfügung zielte vor allem eben auf die Kirchengemeinden des Ingelheimer Grundes. Die zuständige Regierungsstelle, das Kreisamt zu Bingen, suchte den Angriff abzuschlagen durch die höfliche Bitte um die Ansicht des Ordinariats über die notwendige Erneuerung oder Vervollständigung der Kirchenvorstände. Dem Ordinariat aber galt „der politische und der religiöse Z u s t a n d " jener Pfarreien — also auch der „politische", d. h. das Vorherrschen der Demokratie — als zureichende Rechtfertigung seiner Verfügung. Die bischöfliche Behörde t r a t der großherzoglichen, die doch nur den bescheidenen Versuch zur Erfüllung gesetzlicher Vorschriften machte, recht wie eine übergeordnete Macht entgegen: „ W i r müssen Sie daher ersuchen, vorerst von einer Ergänzung abzusehen oder eine Entschließung des Großh. Ministeriums zu veranlassen." Derart ließ das Ordinariat (25. Nov. 1852) halb drohend die Regierung als seinen Verbündeten gegen den Regierungsbeamten a u f t a u c h e n ; das geistliche Mainz rechnete auch hier mit begreiflicher Zuversicht auf das politische und selbst kirchliche Verständnis im weltlichen D a r m s t a d t . Das Kreisamt, das sofort an das Ministerium berichtete, k o n n t e feststellen, d a ß jenes Ausschreiben von der bischöflichen Behörde allein nicht h ä t t e erlassen werden dürfen, und verwies auf die Kreisamtsinstruktion vom J a h r e 1835, mit deren Inhalt aller») Z. Folg.: Akten des Min. d. I. (Bisch, v. Mainz, 1851—53).

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dings die bischofliche Absicht, die E n t f e r n u n g unkirchlicher Mitglieder eines K i r c h e n v o r s t a n d e s zu „beschließen", u n v e r e i n b a r war. Aber w a s h a t t e eine t o t e V e r f ü g u n g neben d e m lebenden Bischöfe zu bed e u t e n ? Wessen sich der einer angesehenen Mainzer Familie ents t a m m e n d e Regierungsassessor Parcus, der den K r e i s a m t s b e r i c h t vom 29. N o v e m b e r 1852 nach D a r m s t a d t sandte, von dieser Regierung gewartigte, zeigt seine ironisch wirkende Bemerkung, d a ß er nicht ersehen k ö n n e , ob d a s Ordinariatsausschreiben „ e t w a mit Genehmigung h ö c h s t e r Stelle" erlassen w o r d e n sei. Die „ h ö c h s t e Stelle" aber war in solchen Dingen tatsächlich der katholische Ministerialrat von Rieffei. Seine M e i n u n g b e s t i m m t e a u c h j e t z t die H a l t u n g des Ministeriums. Der Bericht des Binger K r e i s a m t e s blieb unerledigt liegen. In solcher Weise k o n n t e Ketteier a u c h gegenüber Laien sein R e c h t im S t a a t e sich s c h a f f e n und ungestört a u s ü b e n . F ü r jenes politisch aufgewühlte und kirchlich g e f ä h r d e t e Ingelheimer Gebiet h a t t e er übrigens bereits, k r a f t eigenen Rechtes w i e d e r u m , als seine Helfer die J e s u i t e n verschrieben.

K e t t e l e r s K l o s t e r p o l i t i k ist ein selbständiges und wesentliches S t ü c k seiner Kirchenpolitik. Hier gerade a r b e i t e t e er aus innerster Seele heraus. Er k o n n t e von dem Ordensleben so tief begeistert sprechen, d a ß man an das leidenschaftlich religiöse Bekenntnis eri n n e r t wird, d a s s i e b e n h u n d e r t J a h r e zuvor ein anderer d e u t s c h e r Bischof, der freilich selbst d a s Kleid der Zisterzienser a n g e t a n h a t t e , vor der Welt ablegte. E t w a s von dem Mönchsenthusiasmus Ottos von Freising lebte in Ketteier u n d sprach sich selbst in seinem Buche über 1866 a u s 1 ) : er preist hier die katholische Kirche wegen ihrer „zahllosen" Ordensleute, „die alles verlassen, um selbst a r m e Diener der Armen und N o t l e i d e n d e n zu werden — in einer Zeit, welche die A r m u t f ü r das g r ö ß t e Übel h ä l t " ; das freie Dasein der religiösen Genossenschaften r e c h n e t er zu den Mitteln, die ganze, w e l t ü b e r w i n d e n d e K r a f t in der Kirche zu b e t ä t i g e n . Er h a t d e n n auch in seine f a s t ordensfreie Diözese ein s t a t t l i c h e s S t ü c k von der Mannigfaltigkeit klösterlicher Gemeins c h a f t e n hineingebracht und er h a t f ü r ihre Bewegungsfreiheit im bischöflichen Sinne persönlich gesorgt. Als Ketteier k a m , bestand in der Mainzer Diözese kein Männerkloster, waren hier auch n u r zwei weibliche Ordensgemeinschaften v e r t r e t e n : die Englischen Fräulein und die Barmherzigen Schwestern. Aber auch jenen Lehrorden und diese Krankenpflegerinnen h a t erst Ketteier zu weitgreifender W i r k s a m k e i t g e f ü h r t . Die Barmherzigen Schwestern (Vinzentinerinnen) waren im Schutze der Freiheiten des J a h r e s 1848 nach Mainz berufen worden, ohne d a ß m a n die Regierung ') Deutschi. n. d. Kriege v. 1866 S. 169; S. 186.

Kettelers Klosterpolitik: Barmherzige Schwestern; Englische Fräulein

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befragt h ä t t e ; kurz vor Kettelers A n k u n f t h a t t e man ihr Klösterchen eröffnet. 1 ) Im städtischen Rochusspitale wurden sie, nachdem Ketteier die Anträge bei der Regierung Ende 1851 nachträglich und nebenher u n t e r s t ü t z t hatte 2 ), im Sommer 1852 eingeführt, drei J a h r e später kamen sie in das reiche, stark besetzte Mainzer Invalidenhaus, und kurz zuvor h a t t e man ihnen die Erziehung der Waisenmädchen übertragen. 8 ) Ihre Verdienste als Pflegerinnen wurden zu hoch angeschlagen, als d a ß (1863) verleumderisch übertriebene Klagen über die Verwaltung des Invalidenhauses — Klagen, die in Mainz und weithin die Öffentlichkeit leidenschaftlich erregten 4 ) — sie ernstlich h ä t t e n schädigen können. Sie versorgten auch in D a r m s t a d t , wo ihnen namentlich der strengkirchliche Ministerialrat Arnold von Biegeleben und die f r o m m e Freifrau von Hertling 5 ) die Wege gebahnt hatten, ein eigenes K r a n k e n h a u s , sie h a t t e n kleine Niederlassungen in Heppenheim und Bensheim an der Bergstraße 6 ): sie waren und blieben, im J a h r e 1867 in der Mainzer Diözese etwa vierzig an der Zahl, die beliebten Pflegerinnen, die in der Stille zugleich wie weibliche Seelsorger im kirchlichen, im bischöflichen Sinne wirken konnten. Die Englischen Fräulein h a t t e n sich in Mainz aus der Spätzeit des K u r f ü r s t e n t u m s in das Großherzogtum Hessen hinübergerettet. Diese Lehrgenossenschaft f ü r die weibliche Jugend war u n t e r Bischof Kaiser glücklich gediehen, freilich nicht ohne in Kleidung und Auftreten an die herrschende Abneigung gegen das Klosterwesen Zugeständnisse zu machen. Ketteier überwachte auch hier alles. Sein Ordinariat berief sich auf die neuen Erfolge der Lehrschwestern, um im Sommer 1860 dem Pfarrklerus die W e r b u n g f ü r den Orden wirksamer anzuempfehlen. Der Bischof persönlich sorgte dafür, daß die nicht ganz kirchenstrengen Überlieferungsreste des 18. J a h r h u n d e r t s beseitigt w u r d e n : in Anlehnung an die vom Papste genehmigten Regeln g a b er selbst im J a h r e 1865 den zu einer kirchlichen Macht in seiner Diözese heranwachsenden Lehrorden ein bischöfliches Verfassungsgesetz. Die Englischen Fräulein beschränkten sich nicht auf die S t a d t Mainz, wo sie die sämtlichen sechs katholischen Mädchenschulen in der Hand h a t t e n : sie gründeten in Bingen ein Institut, sie erlangten die Leitung öffentlicher katholischer Mädchenschulen in Worms und Alzey, wo im übrigen Simultanschulen bestanden, in drei anderen Städten, schließlich gar in Offenbach, der alten Hochburg der Deutschkatholiken. Sie setzten sich — im J a h r e 1867 zählte man ihrer h u n d e r t

2

) 3 ) 4 ) 6 ) 6 ) Bingen

Brück, Lennig 115; Moufang auf d. Innsbrucker Katholikenvers. v. 1867. 31. 12. 5 1 : Br. 226. Mz. J. 1852 Nr. 160 ( 7 . 7 . ) ; „Katholik" 1855 I S. 248. Vgl. „Schwester Adolphe"; dazu kathol. Gegenschriften u. Erklärungen. Hertling, Erg. 1 S . 9 . Barmherz. Schwestern v. d. Kongregation des Karl Borromäus kamen nach u. in andere Städte.

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in der Diözese — auch in zwei Dörfern fest, obwohl gerade Ketteier sie als ausgesprochene städtische Orden betrachtete. Der Bischof wollte nicht die ländlichen Mädchenschulen ganz den aus der S t a d t kommenden, in der S t a d t gebildeten und, sei es auch von den Englischen Fräulein in Mainz, geschulten Lehrerinnen überlassen, die nicht einmal in genügender Zahl zu Gebote standen. Er wünschte f ü r seine Diözese Landlehrerinnen ohne städtische Ansprüche und Gewohnheiten, derbe, leistungsfähige, hilfsbereite, zuverlässige Frauen, die über die Schulstunden hinaus f ü r die Schulkinder und auch f ü r deren Angehörige im kirchlichen Geiste sorgten, Schulschwestern zugleich und Pflegeschwestern. Da er in dem Pfarrer des reichen Dorfes Finthen bei Mainz einen tüchtigen und selbständigen Helfer fand, konnte bereits im Herbste 1851 die neue Genossenschaft der „Schul- und Krankenschwestern von der Vorsehung" bescheiden mit fünf künftigen Lehrerinnen ins Leben treten, denen bis z u m J a h r e 1856 noch neun folgten; sie erlangten durch die S t a a t s p r ü f u n g das Lehrrecht. Diese Genossenschaft der „Finthener Schwestern", so recht eine Schöpfung des „ B a u e r n p a s t o r s " Ketteier, wurde von der vierzigjährigen F a n n y v. Laroche geleitet. Der Bischof selbst ließ diese vornehme Konvertitin eigens klösterlich ausbilden, aber nicht in dem Münchner Mutterhause der deutschen Schulschwestern, sondern in dem elsässischen Kloster Rappoltsweiler, das im Unterrichtswesen zurückstand, aber dem Volksleben, der „Mission" zugewandt war. Die Kongregation von Finthen, eine kirchlich selbständige Genossenschaft der Mainzer Diözese unter bischöflicher Oberleitung, erhielt im J a n u a r 1858, nachdem Ketteier unermüdlich in D a r m s t a d t gedrängt hatte, vom Großherzoge die Körperschaftsrechte, also auch die förmliche landesherrliche Anerkennung und so, wie man in Mainz sogleich feststellte 1 ), das freie Recht, überall im Lande Niederlassungen zu gründen. Übrigens war von der Regierung, die noch zu Anfang des Jahres 1853 jede Anstellung von Schulschwestern verweigert h a t t e , unmittelbar nach Abschluß der vorläufigen Übereinkunft von 1854 die Verwendung der Schwestern an öffentlichen Schulen zugestanden worden, und das war für die Praxis die Hauptsache: jetzt wurden binnen zwölf Jahren in einem Dutzend Dörfer die Mädchenschule der Leitung dieser Schulschwestern und d a m i t tatsächlich mehr einer wirksamen bischöflichen, als der rechtlich bestehenden staatlichen Oberaufsicht unterstellt. Die Schwestern errichteten einzelne Kleinkinderschulen und Arbeitsschulen, gründeten Jungfrauenvereine, betrieben auch die Krankenpflege und leiteten seit dem Sommer 1856 das große Marien-Waisenhaus bei Neustadt im Odenwald, eine fürstlich löwensteinische Stiftung. In der Stadt Mainz besaßen die doch gerade f ü r das flache Land bestimmten Schwestern seit 1860 ein Ausbildungshaus. Mz. J . 1858 Nr. 24 (29. 1.).

Weibliche Genossenschaften und Orden

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Eine bescheidene kirchlich-soziale Schwesterngemeinschaft bildeten die Frauen vom guten Hirten. Sie eröffneten mit Genehmigung der Regierung im Dezember 1853 ein Rettungshaus zur vorübergehenden Aufnahme gefallener oder verwahrloster Frauen. Die Berufung dieser Genossenschaft war der Gedanke der Gräfin H a h n - H a h n . Mit ihrem „Büchlein vom guten H i r t e n " suchte sie diesen Fürsorgeschwestern den Boden zu bereiten, wie sie überhaupt die bedeutenden Honorare ihrer rasch geschriebenen frommen Bücher f ü r f r o m m e Werke zu verwenden pflegte; sie selbst, die nach einem kurzen friedlosen und unfrommen Weltleben dem Propste Ketteier die von ihr ersehnte beruhigende E i n f ü h r u n g in die katholische Kirche verdankte, lebte fortan, eine eifervolle Helferin des Bischofs Ketteier, in der bescheidenen Klösterlichkeit dieses Hauses. Als ersten der alten Orden brachte Ketteier im J a h r e 1854 — in der Zeit, da der Abschluß der Übereinkunft mit der Regierung gesichert war — die Franziskanerinnen nach Mainz. Die Anerkennung ihres Bettelrechtes wurde zuerst von der Regierung verweigert, im J u n i 1856 aber, nach den von Lennig verfaßten Vorstellungen des bischöflichen Ordinariats und den günstigen Berichten der Bürgermeisterei Mainz auf Widerruf gewährt 1 ): die Gaben sammelnden und austeilenden, in der Hauspflege fürsorglich tätigen „ArmenSchwestern des hl. F r a n z " wurden rasch volkstümlich und gehörten fortan zu den besonders hervorstechenden kirchlichen Erscheinungen des Mainzer Lebens. Ihre erste Leiterin war eine Verwandte des Bischofs. Neben diesen Franziskanerinnen standen seit dem J a h r e 1860 die streng abgeschlossenen „Schwestern der ewigen Anbetung vom Orden des hl. Franz", gutenteils aus frommen Mainzerinnen gebildet. Den Franziskanerinnen war der erste Männerorden auf dem Fuße gefolgt. In der bewährten Weise — ohne Genehmigung, aber auch ohne Widerstand der Regierung 8 ) — wurden die Kapuziner unter besonders reger Mitarbeit Lennigs im Herbst 1854 nach Mainz gezogen. Sie betätigten sich teilweise als Volksmissionare, sie bewährten auch hier in der Mainzer Diözese ihren Ruf, der volkstümlichste unter den Männerorden zu sein.*) Schon im F r ü h j a h r 1856 konnte Ketteier der Regierung triumphierend vorhalten 4 ), daß die Kapuziner, deren Einf ü h r u n g vom Ministerium als im Widerspruch stehend mit der „ D e n k und Gefühlsweise" der rheinhessischen Bevölkerung abgelehnt worden sei, „von Ort zu Ort durch ganz Rheinhessen ziehen und überall mit Ehrerbietung, ja Begeisterung empfangen werden und mit ihren Fastenl ) Neben Brück, Lennig 182ff.: Mainz, Stadtbibl., Akten über Kirchenangelegenheiten. — Auch (Haffner,) Mainz im J . 1863 S. 47 ff., 51 f. ») Vgl. dazu oben S. 276. *) Vgl. dazu etwa J . Janssen, Zeit- u. Lebensbilder 2. Aufl. (1876) S. 265. 4 ) K. an d. Min. d. I. 14. 5. 56. — Man vgl. damit Haffners Erzählung: Mainz i. J . 1863 S. 44.

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predigten zugleich der bürgerlichen Bevölkerung dienen". Im J a h r e 1862 kamen die Kapuziner auch nach Dieburg, dem alten k u r m a i n zischen Stadtchen, das als Wallfahrtsort besucht wurde; bei der Wallf a h r t a m Tage Mariä Geburt pflegte der Bischof hier zu predigen, wie er sich auch an der Wallfahrt z u m Rochusberg bei Bingen und in dem gleichfalls altmainzischen Gernsheim gerne beteiligte. Die Priester unter den Mainzer Kapuzinern gingen übrigens größtenteils aus dem bischöflichen Seminar hervor. Ihr erster Guardian aber war Kettelers priesterlicher Bruder Richard ( f 3 . J a n u a r 1855). In den J e s u i t e n sah Ketteier von Jugend an einen besonders wertvollen Teil der kämpfenden Kirche; als Pfarrer schon holte er Jesuiten zur Mission herbei. Ihre Mitarbeit schien ihm in der zerspaltenen, geistig erregten, kirchlich noch nicht einheitlichen Mainzer Diözese unentbehrlich. Schon nach den ersten Wochen bischöflicher Tätigkeit h a t t e er einzelne Jesuiten als Gastprediger berufen; sie zu fester Niederlassung nach Mainz zu bringen, wagte er erst nach der endgültigen Sicherstellung der verbesserten Übereinkunft mit der Regierung. Die erste Jesuitenmission in dem hessischen Landesbistum Mainz war jene im Ingelheimer Gebiete 1 ); so eröffnete im H e r b s t 1850 der Orden seine Tätigkeit mit dem K a m p f e gegen bürgerliche Zwistigkeiten in katholischen Gemeinden. Im Juli 1851 bat er den deutschen Jesuitenprovinzial u m Überweisung einer »Abteilung« der jesuitischen „ M a n n s c h a f t " zum Herbst und Winter; f ü r Worms, Dieburg, Seligenstadt und das nahe bei Mainz liegende stattliche Dorf NiederOlm waren „wieder Missionen gefordert" worden. 2 ) Zu Anfang des J a h r e s 1852 versuchte es Ketteier mit einer Jesuitenmission, außer in kleinen Orten und, vergeblich, in Offenbach auch in Mainz selbst. 3 ) Der unmittelbare Erfolg in der Stadt war bescheiden. Aber schon jetzt konnten einige Väter zu stiller geistlicher Arbeit zurückbleiben. Fünf J a h r e später wurde der Pater Haßlacher, der in Deutschland nach dem Vorbilde Lacordaires religiöse Vorträge f ü r Gebildete einzubürgern suchte, nach Mainz berufen: im F r ü h j a h r 1857 sprach er an einigen Abenden vor ungefähr 600 Männern, zumeist Beamten und Kaufleuten, über kirchliche und unkirchliche Weltanschauung im Geiste einer scharf zugreifenden polemischen Apologetik, die aus der geschichtlichen B e t r a c h t u n g die Nutzanwendung für die Gegenwart zog und etwa an dem Beispiel des Kaisers Julian nachwies, „wie es der heimliche Krieg gegen die Kirche zu allen Zeiten getrieben, wie er sie ihrer Güter beraubt, die Geistlichen der Verachtung preisgegeben und die ') 27. 8. 1850 bischöfl. Bitte um Sendung von 2 oder 3 Jesuiten „zur Abhaltung von Volksmissionen in der Umgegend von Mainz": Duhr, Aktenstücke (1903) S. 34 Nr. 40 (dazu S. 43 Anm. 1). Ober das Ingelheimer Gebiet oben S. 294 mit Anm. 2. *) K. an P. Minoux 24. 7. 1851: Duhr S. 79 Nr. 82. *) Duhr S. 99 ff. Nr. 100. Dazu aber die von Duhr nicht berücksichtigten Mitteilungen bei Pfülf 1,271 Anm. 3.

Kapuziner. Jesuiten

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Jugend zum Besuche der heidnischen Schule gezwungen, die Christen von allen Ämtern ausgeschlossen" habe 1 ); man kann sich nach dieser Probe leicht vorstellen, wie die „Warnungen vor Schwäche und Feigheit" gehalten und gemeint waren, mit denen diese „religiösen Konferenzen" schlössen. Ketteier hat diese Vorbereitung einer geistlichen Zusammenfassung der gebildeten kirchentreuen Mainzer persönlich gefördert; für den frühen Morgen des letzten Vortragstages wurden die Teilnehmer in die alte Quintinskirche geladen: der Pater sprach, der Bischof teilte die Kommunion aus. Diese von einem Jesuiten geleiteten Stunden der Andacht und Belehrung bezweckten zugleich, die Mainzer mit dem Gedanken einer Jesuitenniederlassung vertraut zu machen. Als unmittelbare Wegebereiter predigten dann im Advent 1858 einige Patres in Mainz. Im Februar 1859 war die feste Niederlassung der Jesuiten ganz wie von selbst zur Tatsache geworden. Ketteier, längst ungehindert in seinen Entschließungen, wies ihnen die Christophskirche zu, die durch Berufung des bewährten Pfarrers Himioben in das Domkapitel frei geworden war. Der Bischof stellte also die Väter gleichsam in die Reihe der Pfarrgeistlichkeit hinein, wenn auch die Pfarrei förmlich von der Quintinskirche aus verwaltet wurde. In der Stadt und von außen her erhob sich wohl bald der Kampf gegen die Mainzer Jesuiten in der Presse, in Streitschriften, in der Kammer; aber sie waren gedeckt durch die Regierung wie durch den Bischof und behaupteten sich bis zum Herbst 1872. In die Schulen konnte Ketteier nicht zwar die Jesuiten selbst hineinbringen, wohl aber ihren Einfluß. Die Mainzer Patres wurden insbesondere bestimmende Seelenführer der kirchenstrengen Gymnasiasten; deren marianische Kongregation leitete ein Jesuit. 1 ) Die Kongregation, die drei Jahre nach der dauernden Niederlassung der Jesuiten bereits aus sechzig Schülern bestand, beschränkte sich nicht auf das stille Gebet; sie diente vor allem der Aussprache, der Belehrung über Fragen des Glaubens und der Sitten, der Kirche und der Weit, diente der Ausbildung der Herzen und der Geister in dem jesuitisch gefaßten kirchlichen Sinne. 8 ) Den Jesuiten hatte Ketteier vorher schon die Brüderschaft frommer Mainzer Bürger unterstellt, und neue berufsständische Brüderschaften — für jüngere l ) Mz. J . 1857 Nr. 81 (5.4.; vgl. Nr. 41 u. 71). ') Über „Die Marian. Sodalitäten u. ihre Wichtigkeit in uns. Zeit" hatte der „Katholik" 1855 I eine werbende Belehrung gebracht. ') Im April 1863 stellte der fortschrittl. Abg. Dumont aus Mainz in d. 2. Kammer fest, daß die Kongregation in den Statuten „ein wohlgeordnetes und wohlgerüstetes Schlachtheer" genannt wird, daß auch „um Vertilgung der Ketzereien" gebetet werden soll (1. Landtag, Protok. 31 S. 39 f.; Mz. J . 1863 Nr. 102, 2. 5.). — In einem der Spottblätter, wie sie der Frankfurter Deutschkatholik Fr. Ducat gegen das Mainz K.s herausbrachte (Dritte Epistel an ... Sausen, oder sein Mainzer J o u r n a l . . . ; Mai 1863. Mainz, Stadtbibl.), trägt eine kriechende Schlange die Aufschrift: Marianische Kongregation.

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1 1 2 : Der Bischof als geistlicher Führer und Gebieter

Kaufleute, f ü r Handwerker — kamen gleichfalls unter jesuitische Leitung. Die Väter machten ihre Christophskirche zu einem Sammelp u n k t e des f r o m m e n Lebens, insbesondere f ü r die Jünglinge aus den verschiedenen Lehranstalten. 1 ) Von seinen Mainzer Jesuiten ließ Ketteier auch die Laienbrüder überwachen, denen die Leitung eines Erziehungshauses f ü r Knaben a n v e r t r a u t war. Mit Hilfe bäuerlicher und bürgerlicher, adliger und kaiserlicher Geldmittel b a u t e er den Grundbesitz aus, den er im J a h r e 1862 in Klein-Zimmern bei Dieburg erworben hatte. Die Laienbrüder hielt er in einer eigens von ihm gegründeten klösterlichen Vereinigung unter dem Namen „ B r ü d e r vom hl. J o s e f " zusammen. Das Erziehungshaus behauptete sich, nicht ohne Schwierigkeiten, als bescheidene Schule f ü r verwaiste, verwahrloste, hilfsbedürftige katholische Knaben, die einem H a n d w e r k oder der Landwirtschaft zugeführt werden sollten. Der letzte Sinn all dieser Ordensberufungen und aller klosterlichen Gründungen, die von Kettelers geistigen Mitarbeitern wohl die Freiheitsbäume des katholischen Lebens genannt wurden 2 ), ruhte in dem kirchlichen Erziehungsgedanken. Ihm sollten auch die von dem Bischof errichteten, überwachten oder geförderten kirchlichen L a i e n v e r e i n i g u n g e n dienen. Bei der Berufung Kettelers bestanden in seiner Diözese, von dem Mainzer Piusverein abgesehen, n u r zwei kirchliche Vereine; beim Beginne des Kulturkampfes gab es deren achtzehn, nicht alle freilich bedeutend. Den Vinzentiusverein, f ü r dessen Verbreitung er schon als Pfarrer eingetreten war, und den Elisabethverein fand Ketteier vor. Sowohl jenem Verein f ü r die Pflege kranker und armer Männer, den der junge Ozanam im J a h r e 1833 in Paris gestiftet hatte, wie dem weiblichen Gegenstücke, der wenig jüngeren deutschen Gründung, h a t t e eine Anregung der ersten deutschen Katholikenversammlung, jener Mainzer Tagung vom Herbst 1848, den Weg nach Mainz geöffnet. Eine unmittelbare Wirkung der vierten deutschen Katholikenversammlung, die in dem Mainz Kettelers im Herbst 1851 abgehalten wurde, war die Einführung des Kolpingschen Gesellenvereins, dessen Gründer und Leiter auf dieser Tagung besonders hervortrat. Ketteier, längst mit Kolping in kirchlich-sozialer Gedankenfühlung stehend 3 ), aber noch frei von starken sozial-politischen Antrieben, gab sich mit der hergebrachten Form der Gesellenvereinigung zufrieden. Er sorgte dafür, daß dem Mainzer Vereine, dem im Sommer 1862 vom Großherzoge die Korporationsrechte verliehen wurden 4 ), Vereine in einigen anderen Städten seiner Diözese folgten, er suchte beim Klerus f ü r diese, immer doch noch wesentlich als kirchlich») *) •) *)

So K. 12. Nov. 1873 an den Präfekten der Propaganda in Rom: Pfülf 3, 173. (Haffner,) Mainz im J. 1863 S. 58. Vgl. oben S. 53 f. Mz. J. 1862 Nr. 166 (19. 7.).

Kirchliche Laienvereinigungen

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religiöse Schutzmittel gedachten Gesellengenossenschaften den Sinn zu wecken, er wählte persönlich aus seinen Geistlichen die Leiter der Vereine; in der S t a d t Mainz wurde eine besondere kirchliche Lehrlingsschule, eine Schöpfung des Vinzentiusvereins, zur Vorschule wie f ü r das Gesellentum so auch f ü r den Gesellenverein. Dem Gesellenvereine setzte der Bischof eine bescheidene weibliche Schutzvereinigung an die Seite (1862), den „Maria-Hilf-Verein zur U n t e r s t ü t z u n g hilfsbedürftiger lediger Frauenspersonen, insbesondere hilfsbedürftiger weiblicher Dienstboten", dessen Versorgungshaus außer durch Stiftungen und Spenden doch auch durch kleine Beiträge der Hilfsbedürftigen selbst unterhalten wurde; der Verein, der Nichtkatholiken zugänglich sein sollte, war nach anderthalb J a h r e n außer in Mainz schon in 54 Pfarreien eingeführt, was freilich dem bischöflichen Eifer längst nicht genügte. Den Bonifatiusverein hat Ketteier noch vor dem Gesellenverein in die Mainzer Diözese gebracht. 1 ) Er, der als Berliner Propst die Nöte der Diaspora kennen gelernt hatte, b e t r a c h t e t e diesen Missionsverein als ein nützliches Werkzeug f ü r die kirchliche Arbeit in der konfessionell stark gemischten Mainzer Diözese; hier, in der Diözese selbst vor allem lag denn auch das Wirkungsgebiet des Mainzer Bonifatiusvereins: in den ersten zwanzig J a h r e n seines Bestehens war er z. B. bei der Begründung und Unterhaltung von 13 katholischen Schulen beteiligt. Die übrigen, die eigentlich persönlichen Vereinsgründungen Kettelers verraten gutenteils einen besonderen adligen Zuschnitt. Selbst bei den Anfängen des „Vereins der christlichen M ü t t e r " war der Adel ganz besonders beteiligt. Ketteier g r ü n d e t ^ im Dezember 1860 den kleinen Verein, dessen geistliche Leitung er persönlich übernahm, als erste deutsche Zweigbildung der französischen E r z b r u d e r s c h a f t der christlichen Mütter. Nach vier J a h r e n zählt dieser Mainzer Verein über 400 Mitglieder, von denen zwei Fünftel in der S t a d t Mainz saßen, die übrigen über Deutschland zerstreut waren. Bald entwickelten sich einzelne Ortsvereine, zu Ende des J a h r e s 1871 gab es deren insgesamt 27 mit etwa 12000 Mitgliedern. Der ursprüngliche Mainzer Verein bewahrte sein Übergewicht und die Ausdehnung über Deutschland hin; durch die Teilnahme des Bischofs ausgezeichnet, von der Gräfin Hahn mit literarischem und persönlichem Eifer geleitet, vereinigte er im zwölften J a h r e seines Bestehens über dritthalbtausend auswärtige Frauen in sich. Nach seiner Grundbestimmung n u r eine Vereinigung zur Förderung der häuslichen Kindererziehung, half doch auch der Verein der christlichen Mütter mit Geldmitteln bei kirchlichen Aufgaben, wie der Errichtung von Kirchen und Schulen. Als er sich ins Große entwickelte, stand er in Deutschland dann freilich (seit dem *) Ausschreiben d. Bisch. Ordinariats 3 0 . 5 . 5 1 , vgl. „Katholik" 1851 I S. 476. — Z. Folg.: „Der Bonif.-Verein der Diözese Mainz" (1871) S. 40; Pfülf 2, 1 2 0 f . (vgl. 343 u. 3, 207). — Vgl. oben S. 292 Anm. 4.

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Jahre 1872) unter der Regensburger Erzbruderschaft, nicht mehr unter der Mainzer bischoflichen Privatgründung, die gerade in der Stadt Mainz selbst, trotz, vielleicht auch wegen der Rührigkeit der frommen Gräfin, es nicht einmal auf dreihundert Mitglieder brachte, von denen kaum ein Drittel tatsächlich an dem Vereinsleben teilnahm. Zu den katholischen Vereinigungen, die auf Kettelers Anregung zurückgehen, gehört auch ein adliger Standesverein mit kirchlichen Absichten und Aufgaben. Dieser Verein katholischer Edelleute aus Rheinland und Westfalen wurde unter der Leitung des Freiherrn von Schorlemer-Alst, des Begründers der christlichen Bauernvereine, im Jahre 1863 gebildet. Seit 1869 als Korporation anerkannt, wußte der damals etwa vierzig, meist jüngere Mitglieder umfassende Verein namentlich im Kulturkampfe seine kirchenpolitische Nützlichkeit zu erweisen. Man hielt — u n d das war ganz im Sinne des Bischofs — auf strenge Prüfung der standesmäßigen Voraussetzungen nicht weniger als der kirchlichen. Neben diesem Bunde der Edelmänner steht schwesterlich der gleichfalls von Ketteier angeregte Verein zu Ehren der hl. Familie, ein mehr auf das Kirchliche als Kirchenpolitische gerichteter Bund katholischer Edelfrauen. So sonderbar die adlige Abschließung anmutet bei einer Gemeinschaft, die sich nach der nazarenischen Zimmermannsfamilie benennt: auch dieser Verein, den unter der geistlichen Oberleitung des Bischofs einige, meist ihm verwandte Adelsfrauen im Spätjahre 1863 zur Pflege von Frömmigkeit und Häuslichkeit, Sparsamkeit und Wohltätigkeit begründeten, blieb für die Dauer auf den Adel beschränkt, erreichte denn auch nach fünf Jahren erst die Zahl von fünfzig Mitgliedern, die sich auf die drei Gruppen Rheinland, Westfalen, Sachsen-Schlesien verteilten. Die längste Zeit wurde der Verein durch nahe Verwandte Kettelers geleitet; er selbst aber, dem damit die unmittelbare persönliche Einwirkung erleichtert wurde, wollte nicht frei werden von dem Zweifel an der Lebensfähigkeit dieses seines Werkes. Dennoch hat der Bischof, den bei all seiner Kirchlichkeit immerfort die eigenen Familienüberlieferungen und die Meinungen, die Wünsche seiner adligen Gesippen mitbestimmten, dieser fromm-bescheidenen noch eine andere, in ihren Ansprüchen hochgreifende, nach ihrer tatsächlichen Bedeutung nahezu nichtige Vereinigung von Adelsfrauen an die Seite gesetzt. Um den Gedanken der Errichtung einer katholischen Universität zu fördern, gründeten nämlich einige Damen des katholischen Adels, in Verbindung mit der Gräfin Hahn und ihrem bischöflichen Berater, im Sommer 1865 den Katharinenverein. Ketteier, der, wie fast alle deutschen Bischöfe und die strengen Kirchenmänner überhaupt, neben der konfessionellen Volksschule die konfessionellen Mittelschulen und Hochschulen geschaffen wissen wollte, der die Einrichtung einer freien katholischen Universität in Deutschland als die Krone aller Kämpfe für die Freiheit der Kirche bezeichnete, griff

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Adlige Vereine. Kettelers Schulpolitik

angesichts der geringen Fortschritte aller vorbereitenden Versuche, den „Parteianstalten des Unglaubens" katholische Hochschulen entgegenzusetzen, auch nach dieser weiblichen Hilfe. Der Katharinenverein kam über große Aufrufe und kleine Geldsammlungen nicht hinaus. Aber noch in den halb spielerisch scheinenden, bei der übergroßen Spannung zwischen Leistung und Ziel f a s t komisch wirkenden Bemühungen dieses Vereins, der lediglich eine kleine weibliche Sondergruppe des bischöflichen Heeres darstellt, erkennen wir den alles bischöfliche Handeln durchwirkenden Gedanken der kirchlichen Erziehung. Freilich blieb der Einfluß auch der größeren Vereine fast ganz auf Kircheneifrige beschränkt. Sie aber wurden eben in diesen Gemeinschaften straff zusammengehalten und so auch f ü r die politische Arbeit im kirchlichen Sinne vorbereitet.

Indessen h a t t e n alle diese bischöflichen Schulen f ü r Erwachsene, auch nach Kettelers eigener Überzeugung, wenig zu bedeuten neben dem eigentlichen S c h u l w e s e n , neben den Aufgaben der katholischen öffentlichen Erziehung, der kirchlichen Seelenführung und Geistesbildung des heranwachsenden Geschlechts. Es gab zwei Hauptwege zur öffentlichen kirchlichen Erziehung der katholischen Kinder: private, aber vom S t a a t a n e r k a n n t e kirchliche Schulen und die möglichst starke tatsächliche Verkirchjichung staatlicher Schulen mit katholischer Schüler- und Lehrerschaft. Die bescheidenen Ansätze von kirchlichen Privatschulen, wie Ketteier sie vorfand, sind unter ihm rasch entwickelt worden. Wir lernten die Ausbreitung der Englischen Fräulein kennen — neben ihrem Institut St. Mariae bestanden in Mainz übrigens noch andere katholisch g e f ü h r t e höhere Töchterschulen —, wir berührten die derbere dörfliche Erziehungsarbeit der Finthener Schwestern. Die wichtigere Knabenerziehung in freier kirchlicher Anstalt ist das Werk der Schulbrüder. Deren Berufung aber nach Mainz ist der erste große Erfolg der bischöflichen Schulpolitik. Es geschah auf Kettelers Anregung, d a ß der Elsässer Franz Josef Enderlin (1804—1879) und zwei andere Lehrer der 1810 gegründeten französischen Genossenschaft ,,frères de Marie" im Herbst 1851 nach Mainz kamen, zunächst als Gäste des Bischofs. In der S t a d t Mainz, wo drei J a h r e zuvor die gesamten Volksschullehrer bis auf zwei oder drei die Beseitigung der konfessionellen Schule und des kirchlichen Einflusses im Unterricht gefordert h a t t e n , waren die unkirchlich gesinnten katholischen Lehrer noch nicht mattgesetzt. Die Besserung der Volksschulverhältnisse im kirchlichen Sinne konnte Ketteier n u r im Zusammenarbeiten mit der Regierung zu erreichen hoffen. Aber die Vorbildung der künftigen katholischen H a n dels- und Gewerbetreibenden — die sog. Einjährigenbildung — wollte Vi g en er, Bischof Ketteier

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er auf eigene Faust, wenn schon mit der unentbehrlichen Genehmigung des Ministeriums, kirchlich sichern. Die Berufung der Marienbrüder sollte ihm gestatten, den „indifferenten" höheren Lehranstalten eine Art modernisierter Domschule entgegenzustellen. Anlaß und Absichten des Unternehmens h a t er der Regierung mit seiner wirkungsvoll werbenden Entschiedenheit sogleich auseinandergesetzt, nicht ohne auf die unkirchlichen Erscheinungen in dem Mainzer Volksschulwesen tadelnd und erwartungsvoll zugleich hinzuweisen. 1 ) In diesem Falle zeigte die Regierung alsbald das Entgegenkommen, das Ketteier sonst zumeist erst durch seine beharrliche Bestimmtheit erzwingen mußte: im Dezember 1851 gestattete sie dem Bischof, eine von i h m zu beaufsichtigende Lehranstalt der Schulbrfider zu errichten, so>bald diese die vorgeschriebene staatliche P r ü f u n g abgelegt hätten. Im Februar 1852 wurde die Anstalt im bescheidensten Ausmaße eröffnet. Die SchQlerzahl wuchs zwar nach vier Jahren schon auf 200 an, aber die guten Mainzer BOrgerfamilien mieden damals zumeist diese Schule, die anfänglich noch sehr nach einem refugium peccatorum aussah. Allmählich aber wurde sie wie von den österreichischen Militärfamilien so von angesehenen Mainzern mehr beachtet, sie konnte sich (1864) ein Pensionat angliedern und auch die Erschütterung des Jahres 1866 gut überdauern. Im neuen Reiche gedieh die Schule ins Große; sie zählte bei Kettelers Tode fast 500 Schüler, nahm dann erst unter dem Drucke der Ordensgesetzgebung ab. Im ganzen darf man von einer raschen Veredelung dieser Schule sprechen. Die zweifelhafte Mischung der Anfangsjahre verschwand, seit den sechziger Jahren wurde auch das boshafte Spottwort, man lerne in der Marienschule bloß den Rosenkranz beten, an den trefflichen Unterrichtsergebnissen, wie sie namentlich auch bei den Aufnahmeprüfungen f ü r das Gymnasium hervortraten, zuschanden, und zahlreiche streng protestantische und selbst jüdische Familien schickten ihre Söhne unbedenklich zu den von Ketteier berufenen und dauernd überwachten Brüdern. So war neben die Staatsschulen eine kirchliche Mittelschule gestellt, Vorschule und Realschule zugleich. Ein bischöflicher Erfolg von grundsätzlicher Bedeutung! Aber diese Marienschule blieb notwendigerweise eine vereinzelte Erscheinung. Wenn nicht taktische Erwägungen, so mußten schon finanzielle Rücksichten von ähnlichen Versuchen in den anderen, überwiegend protestantischen Städten abschrecken. Die höheren Knabenschulen blieben staatlich, wie die Volksschulen auch. Der Gedanke an kirchliche Fortbildungsschulen beschäftigte den Bischof gelegentlich (1865), ohne daß der Gedanke zur Tat geworden wäre. Die weitaus wichtigste Aufgabe der bischöflichen Schulpolitik lag also innerhalb der staatlichen Schulen selbst. i y K. an d. Min. d. I. 6. 10. 51, gedr.: J . Selbst, Die St. Marienschule in Mainz (1902) S. 7 ff.

Die Schulbrüder.

Konfessions- und Kommunalschulen

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Im Großherzogtum Hessen bestanden neben den überwiegenden Konfessionsschulen sog. Kommunalschulen. Das Gesetz kannte nur ein staatliches Volksschulwesen. Das Ministerium des Innern war die oberste Aufsichtsbehörde. Die regelrechte Leitung des Schulwesens aber stand der Ober-Studiendirektion in Darmstadt zu, die im September 1849 aus der Vereinigung des Oberstudienrates und des Oberschulrates gebildet worden war 1 ), ein fünfköpfiges Kollegium, in dem neben einem protestantischen geistlichen Konsistorialrate der katholische Stadtpfarrer von Darmstadt saß. Die einzelnen Ortsschulen überwachte ein Schulvorstand, aus dem Ortspfarrer, dem Bürgermeister und zwei Gemeindemitgliedern gebildet. Sie entschieden nach Stimmenmehrheit; nötigenfalls griff die Entscheidung der Aufsichtsbehörde ein. Das Schuledikt von 1832 war alles eher als kirchenfeindlich, und selbst Ketteier konnte es rühmen.*) Die Religionslehre war hier (§ 25) als die „Grundlage aller Volksschulen" bezeichnet, die Umwandlung der Konfessions- in Kommunalschulen war an bestimmte Vorschriften gebunden (§ 16) und dadurch erschwert, der Pfarrer war (§ 58) der Vorsitzende des Ortsschulvorstandes. Da der Pfarrer dieses gesetzliche Vorrecht genoß, da in katholischen Gemeinden überdies ein bürgerlicher Vertreter sich nicht leicht dem geistlichen Willen auf die Dauer widersetzen konnte, da schließlich unter Dalwigk die Bürgermeister stark von der Regierung abhängig waren und das Ministerium einen Bürgermeister von strenger Kirchlichkeit oder wenigstens von fügsamer Haltung gegen Pfarrer und Bischof mehr schätzte als einen aufsässigen, so waren beim Beginn von Kettelers Bischofstätigkeit die tatsächlichen Voraussetzungen für eine Steigerung des kirchlichen Einflusses in der Schule nicht ungünstig. Darmstadt leistete den kirchlichen Bemühungen um die Schule sogar unmittelbar Vorarbeit. Schon in den ersten Monaten des Ministeriums Dalwigk wurden die freien Lehrervereine, die seit den Revolutionstagen entstanden waren, aufgelöst; statt ihrer sollte für jeden Schulbezirk eine Lehrerkonferenz gebildet werden, und die strenge Überwachung dieser Konferenzen wurde der Bezirks-Schulkommission zur Pflicht gemacht. Der frühere Brauch, daß Geistliche eines Bezirks, die nicht Mitglieder der Kommission waren, doch an den Lehrerkonferenzen, ohne Stimmrecht allerdings, teilnahmen, sollte nach Möglichkeit wiederbelebt und gefördert werden.*) Der beliebte l

) Regierungsblatt 1849 Nr. 60 (24.9.): Verordng. v. 14.9. ' ) 1868 Febr. 24 zu Dalwigk (D.s Tagebücher S. 367; auch D. an Qagern 25. 2 . 6 8 : Oagernarchiv; durch E. Vogt). — Dazu das Lob des Mz. J . 1868 Nr. 105 (4. 5.). *) Amtsblatter der Oberstudiendirektion (an die Bezirks-Schulkommission) Nr. 6—8 (28.12. 50). — Für die Mainzer Schulverhaltnisse (vgl. weiter unten) sind neben der Literatur — Moufang, Pfarrschulen; Pfülf; Aldermann ( = L. Bendix), Klerikales Schulregiment in Mainz, Mz. 1898 (eine stoffreiche klerikale Parteischrift); W. Fuchs, J . Boudin (1913) — städtische Akten verwertet.

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D a r m s t ä d t e r S t a d t p f a r r e r Dr. Lüft ( f 2 3 . April 1870), der einstige Gießener Professor, übte in der Ober-Studiendirektion einen bedeutenEinfluß a u s ; das war für den Bischof „von unaussprechlichem W e r t e " . 1 ) Lüft h a t t e nichts vom Heißsporn an sich. Aber gerade seine vorsichtige Taktik, die in Mainz nicht immer befriedigte, k a m den kirchlichen Anliegen zustatten. Er konnte ein gutes Stück der bischöflichen, der geistlichen Anschauungen in die Darmstädter Schulpolitik hineintragen. Dieser maßvolle Mann nannte einmal das Verlangen nach Kommunalschulen „ f r i v o l " . ' ) Das geschah in einem Briefe an den bischöflichen Sekretär. Aber er durfte es sogar auf der Diözesankonferenz des Jahres 1857, wo er als Geistlicher unter Geistlichen stand, ganz unbefangen aussprechen, auch die oberste Schulbehörde halte die Kommunalschulen f ü r schädlich. Der geistliche Kampf gegen diese Schulen wurde tatsächlich längst von der Regierung offen u n t e r stützt. 8 ) Der Bischof konnte diese Schulfragen freier und wirksamer anfassen als einst der F r a n k f u r t e r Abgeordnete. Er sah hier eine heilige Aufgabe. Vor keiner anderen Gefahr, meinte er später einmal 4 )» zittere er so sehr, als vor allem, was nur entfernt die Schulverhältnisse berühre. Von Anbeginn seiner Bischofstätigkeit ermahnte er das Ministerium zur B e k ä m p f u n g der „schädlichen" Lehrer, der widerkatholischen Schulreformversuche in Mainz.') Seinem Klerus empfahl er den Kampf gegen die Kommunalschule bereits auf der ersten Diözesankonferenz; soweit katholische Konfessionsschulen mit eigenem Vermögen in Kommunalschulen umgewandelt worden waren, meinte Ketteier damals (1852), das Verlangen nach Rückbildung am ehesten mit der Klage über stiftungswidrige Verwendung des Kirchenvermögens begründen zu können. Aber tatsächlich ging er nicht diesen Weg, der immerhin zu einem Streite mit der Regierung über die oberste Verwaltung des Kirchenvermögens hätte führen können; er s t ü t z t e sich vielmehr auf die freundliche Duldung oder die stille Mitarbeit der Staatsbehörden. Er konnte auch in den stark gemischten Gegenden, etwa in Worms oder bei Alzey 6 ), von der Kanzel herab gegen die Kommunalschulen wie gegen die gemischten Ehen seine leidenschaftlichen Vorstöße f ü h r e n ; wenn Protestanten sich durch die bischöfliche Polemik verletzt fühlten oder liberale katholische Beamte über das ») K. an Haffner, Rom 6. 5 . 7 0 : Br. 411. ») Im Jahre 1863: Pfülf 1, 334. ») Mz. J . 1856 Nr. 187 (10.8.). — In dem von Bismarck eingeforderten Berichte des preufi. Residenten in Frankfurt, v. Wentzel, vom 1.12. 1864 heißt es (v. Selchow, Der Kampf um das Posener Erzbistum S. 167): „Eine Reihe von Kommunalschulen wurde in Konfessionsschulen umgewandelt und an den Orten, wo es wegen der geringen Anzahl der Katholiken Schwierigkeiten hatte, der Staat zu bedeutenden Zuschüssen genötigt, die auch bereitwillig gezahlt wurden." 4 ) Br. 411 (an Haffner, Rom 6. 5. 1870). •) Vgl. unten S. 323 f. •) Mz. J . 1857 Nr. 167 (19. 7.).

Gründung katholischer Schulen

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bischöfliche Vorgehen klagten ), konnten sie sich von d e m Urteilsspruche der Regierung keinen Gewinn versprechen. Die allgemeinen Schulverhältnisse lagen bis zum K u l t u r k a m p f e für die katholische Kirche so günstig, wie der Bischof in diesem überwiegend protestantischen Lande nur erwarten konnte. Die Versuche der liberalen K a m m e r mehrheit (insbesondere im F r ü h j a h r 1868), der Simultanschule freie Bahn zu schaffen, scheiterten; alle Bemühungen um ein neues Schulgesetz blieben unter Dalwigks Ministerium vergeblich. In Rheinhessen war im ersten halben Menschenalter hessischer Herrschaft mehr als die Hälfte der evangelischen und fast die Hälfte der katholischen Schulen tatsächlich zu Kommunalschulen geworden*). Ketteier aber konnte diese Entwicklung bei den ehemals katholischen Konfessionsschulen hier und da rückgängig machen und ihr ü b e r h a u p t Einhalt gebieten. Gelegentlich gelang es ihm, an Orten mit bescheidener katholischer Minderheit eine katholische Schule zu schaffen, so noch a m Vorabende des Krieges von 1866 in Gießen, wo sich selbst im J a h r e 1870 erst 51 katholische Schüler zusammenfanden. Die örtlichen Schulkämpfe gingen gewiß nicht immer zugunsten des Bischofs aus. Aber wenn die Gemeinde gewonnen war, deren Willensmeinung nach dem Edikt von 1832 maßgebend sein sollte, so war bei der Gesinnung der Regierung alles gewonnen, und selbst gegen den Willen einer Gemeinde durften die Katholiken manches zu erreichen hoffen.») Gerade in den sechziger Jahren, als konfessionelle und kirchliche Gegensätze wieder stärker in die hessischen innerpolitischen Kämpfe hineinspielten, erlebte Ketteier die Genugtuung, d a ß an neun Orten die Gemeinden — man sieht den Pfarrer am Werke und hinter ihm den vom Ministerium begünstigten Bischof — mit sofortigem Erfolge die Ersetzung der Kommunalschulen durch Konfessionsschulen beantragten. Soweit die Umwandlung nicht einfach auf Kosten der Gemeinden selbst geschah, griff der Bonifatiusverein oder irgendein freundlicher Helfer ein; in Rödelheim bei F r a n k f u r t b r a u c h t e der Bischof nur zu predigen: „ W a s heißt es, ein Christ sein" und dabei zu bedauern, d a ß er die Religionsprüfung in der Kirche abhalten müsse, >) Akten des Min. d. I., Beschwerden geg. d. Bisch, v. Mainz, 1857—1862 (besond.: Oberkonsistorium an Min. d. I. 3 0 . 1 0 . 5 7 mit Beilage). — Vgl. auch oben S. 295 f. — Bei Kompetenzstreitigkeiten, so berichtet Wentzel an Bismarck (s. S. 308 Anm. 3) „pflegen die Staatsbehörden bei der Zusammensetzung der Ministerien zu unterließen, was bei den Behörden oft große Verstimmung hervorgerufen hat". ') Mz. J. 1862 Nr. 37(13. 2.). Ende 1819in Rheinhessen: 164kathol.,63 luther., 91 reform. Schulen; 1834: 158 kathol. (wovon 74 tatsächl. zu Kommunalschulen umgewandelt waren), 90 ev., mit Beobacht. d. vorgeschrieb. Formalitäten eingerichtete Kommunalschulen. Das Mz. J. bemerkt dazu: „Die Moral aus diesen Zahlen ergibt sich von selbst." 3

) Vgl. z. B.: Mz. J. 1856 Nr. 182 (5. 8.) die anspruchsvolle Zuversicht auf Erfüllung der „Bittschrift an die höchste Behörde".

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weil keine Konfessionsschule vorhanden sei, — und schon schenkte der fromme Herr von Brentano ein dreistöckiges Wohnhaus. 1 ) Die bischöflichen Visitationen der katholischen Gemeinden galten stets auch der Schule, insbesondere dem Religionsunterricht, für den im Herbst 1855 der vom Verfasser unter Kettelers Augen neu bearbeitete Katechismus des Jesuiten Deharbe eingeführt wurde. 2 ) Die katholischen Lehrer, die nicht nur in Mainz seit 1848 sich den kirchlichen Fesseln zu entwinden gesucht hatten, mußten mehr noch als die Priester von Ketteier erst in den Geist seines Kirchentums hineingebannt werden. Auch hier wirkte neben dem sanften Zwang der kirchlichen Mittel der Willensdruck des mit der Regierung verbündeten Bischofs. Die bischöflichen Visitationsprotokolle waren Protokolle zugleich über die Schulverhältnisse, über die Lehrer. Das katholische Lehrerseminar in Dieburg wurde durch Ketteier von Grund auf verkirchlicht. Unter den Lehrern wie unter den Zöglingen (es waren ihrer 20 bis 30) herrschte zunächst noch eine freiere Richtung; sie standen teilweise dem Kirchentum kühl, fast feindlich gegenüber. Mit Hilfe eines entschlossen kirchlichen, im Sinne des Bischofs pädagogischen geistlichen Seminarleiters wußte Ketteier seit dem Jahre 1852 allmählich die widerstrebenden Geister zu bändigen und zu bessern; er verdrängt die allen kirchenstrengen Katholiken verhaßten Ideen Diesterwegs, die sich in das Seminar eingeschlichen hatten, und nahm den Kampf gegen sie alsbald auch in der Öffentlichkeit auf. Schon im Jahre 1854 plänkelte Ketteier einmal im Vorübergehen*) gegen den hervorragenden Pädagogen, dessen Einfluß im deutschen Volksschulwesen damals allenthalben stark zu fühlen war. Dem Bischof hätte D i e s t e r w e g als Feind der katholischen Kirche gegolten, auch wenn er sich auf die Verwerfung des konfessionellen Religionsunterrichts in der Volksschule beschränkt hätte. Aber die von der Aufklärung herkommenden, durch Lessings und Schillers Religionsbegriffe, durch Schleiermacher auch bestimmten Anschauungen Diesterwegs mußten ihm von Grund aus zuwider sein. Als in Preußen, wo schon unter Eichhorn im Frühjahr 1847 dem liberalen Reformer die weithin wirkende Leitung des großen Berliner Lehrerseminars entzogen worden war, der Kultusminister Raumer den Kampf gegen Diesterwegs Grundsätze in der Lehrererziehung und im Volksschulunterricht aufgenommen hatte, da suchte alsbald auch das katholische Mainz die Gunst der Stunde zu nutzen. Im Herbst 1854 waren die von Ferd. Stiehl aufgestellten preußischen „Regulative" veröffentlicht worden, die den wesentlich durch Diesterweg vermittelten Geist der Aufklärung in Lehrerstand und Lehrerbildung verwarfen, sich zum ») Mz. J. 1855 Nr. 231 (3.10.). «) Vgl. „Katholik" 1855 II S. 240; „Katholik" 1856 II S. 309—323: „Plan z. Erteilung d. Religionsunterrichts nach den beiden Mainz. Diözesan-Katechismen". ') Recht u. Rechtsschutz S. 15.

Ketteier» Kampf mit Diesterweg

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kirchlichen Christentum bekannten und als gegenständlichen Ausdruck der stärkeren Verchristlichung der Schule eine wesentliche Steigerung des Religionsunterrichts forderten. Auf katholischer Seite hatte man die Bedeutung dieser Vorschriften zunächst nicht genügend beachtet. Aber im Sommer 1856 brachte eben der Mainzer „Katholik" 1 ) einen eigenen Aufsatz über die Regulative. Sie wurden als Anfang einer neuen Epoche der Erziehung der deutschen Jugend begrüßt, weil „hier die Behörde die falschen, verderblichen, rationalistischen Erziehungsgrundsätze unumwunden verwirft und das positive Christentum wieder als Fundament aller Bildung anerkennt". Man bemerkt bald, daß der ungenannte Verfasser gegen die Diesterwegschen Lehren — „noch keine Häresie war für Deutschland so gefährlich als die moderne falsche Pädagogik" — den deutschen Episkopat zum Kampf aufrufen möchte. Er hält nicht zurück mit seinem Bedauern darüber, daß der preußische Unterrichtsminister und nicht die katholische Kirche diesen notwendigen Kampf eröffnet habe. Kirchlicher Eifer versteigt sich in der Abhandlung zu dem Satze: „Wenn irgendein Mann hätte unschädlich gemacht werden müssen, so wäre es D i e s t e r w e g gewesen, und wenn je Schriften vor den Richterstuhl der geistlichen Behörde hätten gezogen werden müssen, so sind es die seinigen." Die Mahnung an die kirchlichen Stellen macht der Verfasser noch fühlbarer, indem er anerkennt, der preußische Minister habe mit richtigem Takte die katholischen Schulangelegenheiten außer Frage gelassen, wahrscheinlich in dem Gefühle, „daß dies die Sache der Bischöfe sein müsse". Der vorwurfsvolle Ton des Aufsatzes ist noch kein Beweis dafür, daß er nicht aus Kettelers Umgebung stammt. Gerade der Mainzer Bischof brauchte sich am wenigsten getroffen zu fühlen. Er hatte bereits gegen Diesterweg geschrieben. Was er bei dem ersten Vorstoß versäumt hatte, konnte er bald reichlich nachholen. Die Stiehlschen Regulative riefen Diesterweg von neuem auf den Plan. Seine „Rheinischen Blätter für Erziehung und Unterricht" spielten gegen die Raumersche Regieruitgspädagogik den freien Geist des Protestantismus aus. Seine Schrift „Pädagogisches Wollen und Sollen" (1857) wünschte unter anderem zu zeigen, daß und wie ein Lehrer eben als Lehrer den Religionsunterricht erteilen könne, auch wenn er sich innerlich von dem Bekenntnis losgesagt habe. Hier griff Ketteier ein. Sein Fastenhirtenbrief von 1858, der (wie es nun schon bischöflicher Brauch war) auch als Broschüre verbreitet wurde, brachte einen leidenschaftlichen Angriff auf Diesterweg — „der von einer tief feindseligen Gesinnung gegen das Christentum und die Kirche durchdrungen ist, weil er von beiden nur die Mißgestalt kennt, die er in sich trägt" —, auf dessen „wahrhaft teuflisches System der Verführung der Kinder zum Unglauben und des schändlichsten Betruges der Eltern". Als N. F. 14, S. 49—68.

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Diesterweg den groben Angriff in einer schon im Titel wirksamen Streitschrift „Bischof und P ä d a g o g " zurückwies, a n t w o r t e t e Ketteier 1858 in einer neuen Auflage seines Hirtenbriefes 1 ) mit einer zum Nutzen katholischer Leser zusammengestellten Auswahl von Darlegungen und Äußerungen des Pädagogen, um dessen „Widersprüche und Unwahrheiten" aufzudecken. Dieser literarische Pädagogenkampf wurde von Ketteier mit leidenschaftlicher Schärfe g e f ü h r t , weil er in Theorie und Praxis alle Lehrer und alle Schulen, auf die er irgendwie einwirken konnte, unbedingt vor den Diesterwegschen Lehren bewahren wollte. In der T a t stand dem Bischöfe bald nicht mehr eine Lehrerschaft gegenüber, die größtenteils auf Diesterweg geschworen h ä t t e . Der Bischof und seine geistlichen Helfer — hier nicht zuletzt auch viele Pfarrer — vermochten die Mehrheit der katholischen Lehrer fest an die kirchliche Sache zu k e t t e n . Der demokratische Mainzer Landtagsabgeordnete Müller-Melchiors glaubte noch im F r ü h j a h r 1852 die Volksschullehrer als die Soldaten der Demokratie bezeichnen zu dürfen 2 ); die katholischen Lehrer aber hatten es damals in ihrer Mehrheit schon verlernt, sich offen zum demokratischen Heerbanne zu halten. Auch hier leisteten Regierung und Bischof vereint die Gegenarbeit, und die bischöfliche Geistlichkeit scheute nicht vor den aussichtsvollen Versuchen zurück, liberale Lehrer durch den drohenden Hinweis auf die neue Machtstellung der Kirche einzuschüchtern. 8 ) Wie f ü r den Klerus, so ließ Ketteier f ü r die Lehrer durch Jesuiten Exerzitien veranstalten. 4 ) Wenn auch der erste Zwangserfolg des J a h r e s 1853 mit beinahe drei Fünfteln aller katholischen Lehrer nicht mehr ganz erreicht wurde, so vereinigten diese geistlichen Übungen, die immer wieder angesetzt werden konnten, doch meistens annähernd die Hälfte der katholischen Lehrerschaft. Im September 1858 wagte es das bischöfliche Mainz, das wieder die Voranmeldung von 200 Lehrern f ü r die Exerzitien zu verzeichnen h a t t e , der sparsamen Regierung das preußische Vorbild einer Geldunterstützung der Lehrerexerzitien vorsichtig zu empfehlen.®) Für ihre kirchlich befriedigende Haltung durften übrigens die katholischen Lehrer von dem Kreise Kettelers Unterstützung ihrer Anliegen, auch ihrer Gehaltswünsche erwarten. 6 ) *) „Der Religionsunterricht in d. Volksschulen. Ein Hirtenbrief." — Das Mz. J . hatte kurz zuvor (Nr. 276; 25. 11. 58) D.s Schrift bekämpft, war aber über Beschimpfungen gegen das „pädagogische Orakel" mit seinem „Hautgout von Gemeinheit" kaum hinaus gekommen. ») Mz. J . 1852. *) Vgl. z . B . die Bemerkungen W. Wemhers in der 2. Kammer 1 . 5 . 1 8 6 0 (Protok. S. 14 f.). ' ) Vgl. besonders: Mz. J . 1852 Nr. 140, 1854 Nr. 243, 1857 Nr. 234, 1862 Nr. 197, 1867 Nr. 283; „ K a t h o l i k " 1853 II S. 336 u. 1855 II S. 288. 4 ) Mz. J . 1858 Nr. 227 (28. 9.). •) Mz. J . 1858 Nr. 169 (22. 7.) und 172.

Das geistliche Mainz und die Lehrer

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Als in den sechziger J a h r e n die erstarkte Fortschrittspartei im hessischen Landtag und in der Presse u n t e r dem Zeichen der Diesterwegschen „ H u m a n i t ä t s s c h u l e " den Kommunalschulen zum Siege über die Konfessionsschulen zu verhelfen suchte, da konnten Ketteier und die Seinen nicht nur wegen der H a l t u n g der Regierung beruhigt sein: sie waren vor einem Einsprüche der katholischen Lehrer sicher, wenn sie die Kommunalschulen als konfessionslose Freimaurerschulen, als Freimaurerlogen f ü r Schulkinder verhöhnen ließen 1 ), und der Bischof, der damals (1863), gut verhüllt, über die Schulfrage „ E i n W o r t eines Lehrers an seine Standesgenossen und alle S c h u l f r e u n d e " hinaussandte 2 ), brauchte den Kampf um die Schule k a u m noch als Kampf auch um die Seelen der Lehrer zu b e t r a c h t e n . Selbst in Mainz gehörten Erfahrungen, wie sie im Herbst 1848 die kirchlichen Führer mit den katholischen Lehrern der S t a d t h a t t e n machen müssen, der Vergangenheit an. Wohl h a t t e Ketteier noch gegen Ende des J a h r e s 1858 3 ) mit bitteren Worten an jene von Diesterwegschen Gedanken beherrschte Eingabe der Mainzer Volksschullehrer erinnert und festgestellt, d a ß einzelne Lehrer und selbst ein oder das andere Institut noch in demselben Geiste fortwirkten, aber auch diese Anklagerede mußte zugeben, d a ß es mit den Mainzer Schulverhältnissen wesentlich besser geworden sei: in der H a u p t s a c h e h a t t e n die „christlichen" Eltern, h a t t e n der Bischof und seine Mitkämpfer sich gegen die „ungläubigen" Lehrer durchgesetzt. Freilich waren in Mainz kirchliche Erfolge nicht leicht und oft nur u n t e r Zugeständnissen und Opfern zu erreichen. Die schulpolitischen wie alle geistigen Gegensätze wurden in der S t a d t mit anderer W u c h t ausgetragen als auf dem flachen Lande. In Mainz bildeten die Katholiken, nicht aber die Klerikalen die starke Mehrheit; gerade d a r u m war es f ü r Ketteier so schwer, seine Mainzer Gegner zu treffen, weil sie großenteils dem katholischen Bekenntnis angehörten. In M a i n z beherrschten auch nach dem J a h r e 1849 die Demokraten das stadtpolitische Feld. Sie h a t t e n ein starkes Übergewicht in der S t a d t v e r w a l t u n g . So durften die Klerikalen von Gemeinderatsbeschlüssen, die das geistige Leben berührten, wenig f ü r die kirchliche Sache erwarten. Es bezeichnet die vorwaltenden, auch in Kettelers Herrschaftsjahren nicht überwundenen städtischen Stimmungen 4 ), daß ») Mz. J. 1864 Nr. 135 (12.6.). ') Vgl. Pfülf 2, 39 Anm. 1. ") In der unten S. 319 mit Anm. 2 genannten Ansprache. *) Etwas übertrieben heißt es In dem offenbar auf Mainzer liberale Gewährsmänner zurückgehenden Berichte v. Wentzels vom 1. 12. 1864 (v. Selchow S. 166; s. oben S. 308 Anm. 3): K.s Hirtenbriefe hätten „einen besonderen Eindruck nicht zurückgelassen. Gerade die Stadt Mainz ist indifferent und lau geblieben. Auch auf die politische Gesinnung der dortigen Katholiken hat er nicht zu wirken vermocht; diese wählen fortdauernd zur zweiten Kammer, wie zum Gemeinderat demokratisch."

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just am Vorabende von Kettelers Bischofsweihe Eduard Duller, einer der geistigen Führer des rheinischen Deutschkatholizismus, durch Gemeinderatsbeschluß in die Bürgerschaft aufgenommen wurde; die katholischen Stadtverordneten — Fr. Dael, der später dem Bischof nahetrat, und ein Lennig gehörten zu ihnen — mußten erfahren, daß ein großherzoglicher Polizeikommissar in seinem amtlichen Gutachten über Duller dem Bürgermeister erklärte, die Aufnahme eines Mannes von so hoher sittlicher und wissenschaftlicher Bildung gereiche der Stadt Mainz nur zur Ehre. 1 ) Damals freilich hatte das neue hessische Regiment sich noch nicht entfaltet. Aber auch unter ihm blieb die eigentliche Stadtverwaltung so ziemlich in den alten Bahnen. In die Freiheit des Mainzer Stadtlebens allzu scharf polizeimäßig einzugreifen, hielt doch auch Dalwigk nicht f ü r gut. Schon aus Gründen der allgemeinen Politik des Großherzogtums mußte Mainz vorsichtig behandelt werden, diese größte und beweglichste Stadt des Landes, über deren bodenständige, wenig hessisch gefärbte Empfindungen Dalwigk zeitlebens sich keiner Täuschung hingab*); er sah es gewiß nicht als Beweis einer inneren Wandlung dieser demokratischen Gemeinschaft an, wenn ihm der Gemeinderat im November 1856 einstimmig das Ehrenbürgerrecht verlieh. 8 ) Die Stadtverwaltung zeigte ein J a h r nach Dalwigks Berufung ins Ministerium so gut wie vorher, daß sie kirchenpolitisch nicht nach Darmstädter oder gar nach bischöflichen Rezepten zu verfahren gedenke. Im August 1851 beschloß der Gemeinderat mit allen gegen drei Stimmen, den Deutschkatholiken den berühmten Akademiesaal des kurfürstlichen Schlosses zur Verfügung zu stellen. Die Klerikalen, die Abweisung gefordert hatten, da die Deutschkatholiken nicht mehr auf christlichem Standpunkte stünden, suchten in ihrem Blatte die Regierung gegen Bürgermeister und .»aufgeklärtreligiöse" Stadträte scharf zu machen. 4 ) Sie hatten im Frühjahr 1851 Kettelers leidenschaftlichen Hirtenbrief gegen die Deutschkatholiken leidenschaftlich verteidigt und im Ärger über die Haltung der Zweiten Kammer erklärt, der Bischof werde den Demokraten, Gothanern und Rongeanern, wenn nötig, noch mit zehn Hirtenbriefen in das faule Fleisch schneiden: „ E r wird euch von der Domkanzel herab mit der Kraft des Wortes noch mehr als einmal das schlotternde Gehäuse eures Leibes erschüttern." Kein Bischof und keine Regierung erhob Widerspruch dagegen, daß hier in wenig geziemender Form, aber fast wie im Namen des Bischofs, der parteipolitische Kampf als Kanzel') Mainz, Stadtbibl.: Protokolle über Bürgeraufnahmen, Sitzung des Gemeinderats v. 2 4 . 7 . 5 0 , dazu Beratungsprotokoll v. 27. 7.50. ») Vgl. oben S. 160 Anm. 2. ») (A. v. Biegeleben,) Erinnerungsblätter an Dalwigk S. 29 u. 52 Anm. 1. — Zu Biegelebens berechnetem, aber gewiB nicht berechtigtem Urteile vgl. etwa oben S. 270. — Die feierliche Aufnahme D.s in Mainz erfolgte erst 12. 3. 57. «) Mz. J . 1851 Nr. 193 (17. 8.), 1. Beil. — Z. Folg.: Nr. 94 (22. 4 ), 209 (4. 9.), 220 (17. 9.).

Haltung des Mainzer Oemeinderats in Kirchenfragen

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recht verkündet wurde. Vielmehr hatten diese Mainzer Klerikalen, als sie einige Monate später nach Staatshilfe gegen „Atheismus und Materialismus" riefen, wenigstens die Genugtuung, die verhaßten „Rongeaner" in Mainz durch kleinliche Polizeischikane Dalwigks, auch durch das Verbot der Wahl Dullers zum Prediger gehemmt zu sehen. Anfang November 1852 durften sie die behördliche Auflösung des Mainzer demokratischen Kasinos begrüßen; sie schien dem Mainzer Journal 1 ) eben durch die „demokratische Tendenz" dieses „sogen." demokratischen Kasinos „bei allen Vernünftigen" genugsam gerechtfertigt. Kurz zuvor hatten freilich die Gemeinderatswahlen den Demokraten einen neuen großen Sieg gebracht und sie in heftige Fehde mit den Klerikalen verwickelt. 2 ) Man kann übrigens nicht sagen, daß das demokratische Stadtregiment sich schroff antiklerikal oder gar antikatholisch gezeigt hätte. Der Bürgermeister Nikolaus Nack (zuletzt Oberbürgermeister genannt, f 6. Mai 1860) war ein guter Katholik, freilich im Stile der absterbenden Generation und selbst durch Ketteier dem Geiste freundlichen Gewährenlassens und weitherziger Duldung nicht mehr zu entziehen. 1 ) Immerhin, dieser Bürgermeister hatte seine Verdienste um die Einführung der „längst ersehnten" 4 ) Barmherzigen Schwestern in das städtische Spital. Die hergebrachte Anteilnahme an den Kirchenfesten wurde auch von der demokratischen Gemeinderatsmehrheit mit freundlicher Bereitwilligkeit beibehalten. Für die Bonifatiusfeier von 1855 warf der Gemeinderat an Ausschmückungsgeld nicht weniger als 1000 Gulden aus, was selbst der Regierung zu viel erschien.*) Man gab diesem kirchenfreundlichen Beschlüsse eine liberale, weltläufige Rechtfertigung, indem man auf die Bedeutung des Festes „für die Zivilisation im allgemeinen" verwies; die Klerikalen wurden dadurch in ihrer Befriedigung über diese Bereitwilligkeit der Stadtverordneten nicht gestört, die radikalen Gegner der Klerikalen freilich auch nicht versöhnt.*) Der Bürgermeister pflegte bei den kirchlichen Festen nicht zu fehlen, und wenn an der Fronleichnamsprozession begreiflicherweise nicht die Stadtverordnetenversammlung als solche teilnahm, so war es doch mindestens in dem ersten Jahrzehnt nach Kettelers Erhebung Brauch, daß in der Gemeinderatssitzung 1852 Nr. 260 (3.11.)- — Über die Mainzer Deutschkatholiken vgl. S. 161, 293, 314, 317 mit Anm. 1. •) Vgl. z. B. Mz J . 1852 Nr. 256 (27.10.) u. 257. *) Doch unterschrieb er z. B. Dez. 1859 den Mainzer Aufruf zu einer Adresse an d. Papst: Mz. J . 1859 Nr. 286. ') Mz. J . 1852 Nr. 160. *) 6. 6. 55 das Kreisamt Mainz an d. Bürgermeister (Genehmig, des am 31. 5. vorgelegten Gemeinderatsbeschlusses vom 30.5.): Mainz, Stadtbibliothek. *) Die Erbitterung spiegelt sich in einem langen, arg unorthographischen anonymen Brief an den Bürgermeister Nack 7 . 6 . 55.

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am Tage vor Fronleichnam der Bürgermeister die Herren einlud 1 ), sich gegebenenfalls ihm und den Beigeordneten im Domchore anzuschließen; die S t a d t war also doch jeweils bei der Prozession förmlich vertreten. Der Bürgermeister Nack zeigte sich den kirchlichen Vereinen gegenüber nicht unfreundlich, wenn er persönlich auch nur etwa einem so wenig geistig zwangvollen Vereine wie dem — im Sommer 1856 gegründeten, unter dem Ehrenpräsidium des Bischofs stehenden — Dombauverein als Mitglied angehörte. Die Mainzer S t a d t v e r w a l t u n g war es auch, die dem frommen Philipp Veit den Weg nach Mainz öffnete. 2 ) Schon im November 1848, als man von dem bereits f r ü h e r geäußerten Wunsche Veits, mitsamt seinen Malgenossen, besonders Steinle, Mainz f ü r F r a n k f u r t einzutauschen, von neuem hörte, h a t t e Nack im Namen des Gemeinderates den Künstler zur Übersiedelung eingeladen. Fünf J a h r e später k a m der nicht lediglich von den guten Katholiken geschätzte Meister nach Mainz. Er fand hier die verheißene Aufnahme, und etwa ein J a h r nach dem Tode Nacks wurde ihm die Direktorstelle an der städtischen Gemäldegalerie übertragen. Freilich fehlte es nicht an Widerspruch gegen die Berufung des „ N a z a r e n e r s " ; Gegner des Klerikalismus wollten auch hier nur einen neuen klerikalen Vorstoß sehen. Ü b e r h a u p t t r a t e n in den sechziger Jahren, genährt durch die neuen innerpolitischen Kämpfe, die alten Gegensätze immer s t ä r k e r auch im Mainzer Leben hervor. Die Stadtverwaltung, die dem Einflüsse der stadtpolitisch noch wenig organisierten Klerikalen entzogen war, blieb als solche im allgemeinen nach wie vor ziemlich zurückhaltend. Aber wenn schon manche Beschlüsse des Gemeinderats dem Bischof und den Seinen kirchlichen Kummer bereiteten, so setzten sich die nichtkatholischen oder unkirchlichen Stadtverordneten oder vollends ihre einflußreichen Wähler keine engen Schranken im Streite mit dem bischöflichen Gegner, der auch als Bote des Herrn n i c h t ' l e d i g l i c h das s a n f t e Wirken seines Tags verehrte. Sie warfen sich der vom Bischof geleiteten P r o p a g a n d a der Predigt und der Presse, der Vereine und der Orden, überhaupt der auch in das Mainzer Geistesleben anspruchsvoll eingreifenden Macht des Katholizismus, die von dem Frieden der Kaiserschen Bischofsjahre nichts mehr übrig ließ, mit einem nach gegnerischem Vorbilde nicht selten zum Fanatismus sich steigerndem Kampfeifer entgegen. Dem seit Anfang der sechziger J a h r e zurückgedrängten, gerade in Mainz selbst nur von der Minderheit der K a t h o liken gelesenen „Mainzer J o u r n a l " 3 ) stand in dem „Mainzer Anzeiger" ein k a u m weniger leidenschaftliches, vielleicht nicht immer so gut bedientes, aber viel stärker auch unter den Katholiken verbreitetes demokratisch-liberales Blatt gegenüber. Das mit Vorliebe gegen Ketteier kämpfende „ F r a n k f u r t e r J o u r n a l " lag in Mainz allenthalben >) Beratungskontrolle 1856 21.5., 1857 10.6., 1860 6.6. u. ö. ') Z. Folg.: Mainzer Akten. •) Für die Zeit vor 1859 vgl. unten Buch 3, Abschnitt 1.

Mainzer Pressekampfe

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aus und auch die radikale „(Neue) F r a n k f u r t e r Zeitung" h a t t e ihre Mainzer Leser. Die Broschüren des Bischofs und seiner Helfer, die apologetischen und polemischen Veröffentlichungen des blühenden Mainzer Verlagsbuchhandels katholischer Richtung f a n d e n in Mainz selbst und in den Nachbarstädten F r a n k f u r t und Wiesbaden manche schreibfertige, nie freilich dem Bischof ebenbürtige Gegner, insbesondere u n t e r den Deutschkatholiken, die gerade den Mainzer Klerikalen f ü r die Dauer ein Gegenstand umgekehrter Nächstenliebe geworden waren. 1 ) Namentlich aus dem F r a n k f u r t e r deutschkatholischen Lager kamen Schriftchen, Flugblätter, Spottbilder, die freilich auch d a n n , wenn sie nicht von dem Fuhrunternehmer Ducat, sondern von J o h a n n e s Ronge selbst ausgingen, nicht immer viel von dem „Geist der Liebe" verrieten, den sie wohl durch die „Prediger der freien deutschen Nationalkirche" f ü r diese künftige freie und große Bruderkirche anrufen ließen. 2 ) Aber sie wurden doch in Mainz gelesen und belacht. Der größere Teil der Mainzer Bürgerschaft katholischen Bekenntnisses wollte sich auch durch Kettelers Bischofsregiment aus den behaglichen Lebensgewohnheiten, der duldsamen W e l t b e t r a c h t u n g nicht herausreißen lassen. Vor dem klerikalen Richterstuhle konnte „Mainz im J a h r e 1863" doch nur schlecht bestehen. Man glaubte erst d a n n auf Besserung hoffen zu können, wenn einmal der auf der S t a d t liegende böse Dunstkreis der Presse durchbrochen sei. 3 ) Haffner b e h a u p t e t e zwar 4 ), Mainz sei immer noch eine katholische Stadt, wie wenige andere, in seinem tiefsten Wesen; aber seine eigene Darstellung gibt Einschränkungen, die dieses Urteil umstoßen. Er wie sein Bischof und die anderen, die gern einmal von dem „echt katholischen Mainz"*) sprachen, wußten doch nur zu gut, d a ß in Wahrheit das kirchlichkatholische Mainz nicht einmal die Hälfte der katholisch g e t a u f t e n Männer in sich schloß 8 ) und als Sondergemeinde in der S t a d t Mainz >) Vgl. neben K-s häufigen Ausfällen z. B. die Haffners „Mainz im J . 1863" S. 66 ff., bes. 68 f. u. 73 f. („Cisternen dieses armseligen Colluviums von Unglauben"). ') So in dem ziemlich harmlosen Bilderbogen (60:50 cm) „Die Lösung der deutschen Frage", den Ronge im Sept. 1863 aus Frankfurt gegen „Mainz im J . 1863" hinausgehen ließ. Unter Verzicht auf eine genaue Beschreibung dieses Blattes (neben anderen in der Mainzer Bibliothek) bemerke ich nur: bei einem Schützen- u. Turnerfeste am Rheine zerschlägt Germania (unter dem Ausruf: Hinweg den Glaubenshaß vom deutschen Rhein usw.) mit dem Schwerte den Stab u. die Tiara des Papstes, während daneben zwei Jesuiten von zwei Feuerwehrleuten gebändigt werden; hinter der Germania wird ein Jesuitenhut, der einem B i s c h o f s h u t e gleicht, durch einen Bürger von einer Stange heruntergeschossen, von einem Feuerwehrmanne mit der Spritze getroffen; rechts im Vordergrunde reichen ein ev. u. ein kath. Geistlicher sich die Hand, ein deutschkathol. Prediger mit der Fahne segnet und besiegelt den Bund. *) (Haffner,) Mainz im J . 1863 S. 90. *) Ebenda S. 61 u. 65, dazu aber S. 6 ff., 12 u. ö. ') So z. B.: Mz. J . 1862 Nr. 143. •) Noch 8 . 6 . 1 8 6 7 schrieb K. an Pius IX., etwa 5000 erwachsene Mainzer seien kirchlich gleichgültig. Pfülf 2, 138 Anm. 1. — Vgl. z. B. noch Lennigs Predigturteil vom Aug. 1860: Brück, L. 257.

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dastand, stark in Ansprüchen und Leistungen, aber das bürgerliche Mainz nicht leitend noch bestimmend. Das kirchliche Mainz Kettelers fühlte sich sogar recht in Kampfstellung gegen das größere unkirchliche Mainz. Mit Ketteier war der neue katholische Geist in das Bischofshaus eingezogen. Er hatte die Mainzer Geistlichen und die große Masse der Kirchenbesucher erfaßt, er hatte den Katholiken von ausgeprägtem Kirchenbewußtsein, die vorher im Piusvereine so ziemlich gesammelt, nur eine kirchliche Gruppe neben anderen bildeten, die unbestrittene Führung, die Alleinherrschaft im kirchlichen Leben der Stadt verschafft. Der Sieg des strengen Kirchentums war zugleich ein Sieg der Propaganda. Diese mußte freilich in Mainz Maß zu halten suchen, wenn sie Erfolge erringen wollte. Gegen die Deutschkatholiken arbeitete der kirchliche H a ß ungehemmt 1 ), ohne die stille Wiedergewinnung „von unglücklichen Verführten" zu stören; gerade seit Ausgang der fünfziger J a h r e mehrten sich diese Rücktritte. 1 ) Den Protestanten gegenüber durfte man sich schon aus politischen Rücksichten nicht die Sprache erlauben, wie sie gegen die „Rongeaner" üblich war. Aber in der Umgebung des Bischofs fand man die Toleranz der Mainzer Katholiken gegen die Protestanten allzu groß, während doch die katholischen Mainzer Kundgebungen des Jahres 1855 den nichtkatholischen Hessen herausfordernd genug erschienen waren. Die protestantische Geistlichkeit in Mainz zeigte sich zurückhaltend gegenüber dem bischöflichen Kirchenwesen. Die Dreihundertjahrfeier des Augsburger Religionsfriedens wurde auch von der Mainzer evangelischen Gemeinde festlich begangen. Sie mochte wohl als protestantisches Gegenstück zur Bonifatiusfeier betrachtet werden, aber die Ansprachen der drei Stadtpfarrer — der erste war zugleich Superintendent von Rheinhessen — wurden nicht auf den Ton des Bonifatiushirtenbriefes gestimmt. Die Festpredigt des Superintendenten verkündete sogar die Pflicht zum konfessionellen Frieden, zur christlichen Bruderliebe auch gegen die Andersgläubigen.*) Eher mochten die Hörer und Leser, die noch den scharfen Klang der Bischofsworte im Ohre trugen, an Mainzer Verhältnisse denken, wenn der liberale Pfarrer Nonweiler, schon als Freund der Deutschkatholiken im Kreise Kettelers nicht geschätzt 4 ), in seinem einleitenden Vortrage erklärte: „Überall in deutschen Landen leben Katholiken und Protestanten friedlich nebeneinander, i) Vgl. oben S . 3 1 4 f . und S.3I7 Anm. 1, dazu etwa noch: Mz. J . 1862 Nr. 25 (30.1.): Deutschkatholizismus „keine Religion, sondern das gerade Gegenteil davon". ' ) (Haffner,) Mainz im J. 1863 S. 75. Dazu manches in den städtischen Akten (z. B. schon 1857: ein jüngeres Mädchen u. ein Mann treten wieder zum Katholizismus über). •) Gedächtnis-Feier des vor 300 Jahren zu Augsburg abgeschloss. Religionsfried. in d. Ev. Gemeinde zu Mainz ... v. Nonweiler, Dr. Schmitt, Göring (Mz. 1855> S. 33. — Z. Folg.: ebenda S. 17, 19, 50 f. «) (Haffner,) Mainz im 7. 1863 S. 79 f.

Verschärfung der konfessionellen Gegensätze in Mainz

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und wo sie nicht durch herzlose, für den Frieden im Vaterlande völlig gleichgültige Männer zur Zwietracht aufgestachelt werden, da wird dieser Friede auch dauern." Deutlicher noch war die Anspielung in der Predigt des dritten Pfarrers, der „würdige Abwehr" der Gegner als besonders nötig bezeichnete in einer Zeit, da die Anhänger Roms „mit unerhörter Anmaßung und Kühnheit" „sogar in protestantischen Ländern sich Schmähungen gegen die evangelische Kirche" erlaubten. Daß die konfessionellen Gegensätze in dieser seit alters so freundlich duldsamen Bürgerschaft sich immer mehr verschärften, erklärt sich aus der Art, wie Ketteier sein Bischofsamt und seine Stellung in der Stadt auffaßte. Die Gegner behaupteten, er selbst habe kurz nach dem Beginn seiner Mainzer Tätigkeit dem Bürgermeister auf dem Wege nach Darmstadt den Vorsatz zu erkennen gegeben, „die Zustände von Mainz in die Beschaffenheit des Zeitalters vor der Reformation zurückzuführen". Er ließ das — etwas obenhin, aber förmlich gewiß mit Recht — als eine „platte" Lüge erklären. 1 ) In der Tat, wie hätte ein Mainzer Bischof in der Mitte des 19. Jahrhunderts ernstlich an eine neue Gegenreformation denken sollen ? Grundsätzlich allerdings hätte er sich zu diesem Gedanken bekennen müssen, denn ein rein katholisches Mainz war freilich sein Ideal, ein von dem Bischof und nur von ihm geleitetes Mainz. Selbst in dem Mainz der Wirklichkeit, in dieser ganz und gar nicht kirchlich gelenkten, nur nach Taufscheinausweis überwiegend katholischen Stadt trat er gelegentlich in einer Weise auf, als trüge der Mainzer Bischof noch landesherrliche Gewalt in Händen. Er überwachte, er richtete wohl Bürgerschaft und Stadtverwaltung. Man sehe, wie er im Dezember 1858 gegen eine private Veranstaltung mit öffentlichem Angriffe vorging. Ein Tafellied, das bei der Cäcilienfeier der Mainzer „Liedertafel" gesungen worden war, ein gewiß nicht feines Mönchsbildchen auf dem gedruckten Liederblatte schienen ihm eine Verhöhnung der katholischen Kirche in einem ihrer Orden zu bedeuten. Ein anderer hätte wohl in einer solchen Sache sich still an den Verein gewandt, dem genug Katholiken angehörten. Ketteier aber ließ eine fürstliche „Ansprache an die Bewohner der Stadt Mainz" ergehen*) und füllte sie mit Klagen über Lehrer und Schulen, über Stadt und Bürgerschaft; auch den Juden ward ein kräftiges Wort zuteil.») Die meisten Mainzer mochten der Übertreibungen bischöflicher Empfindsamkeit und Lehrhaftigkeit spotten; die feier' ) Mz. J . 1864 Nr. 20 (24. 1.). ») Abgedr.: Mz. J . 1859 Nr. 3 (5.1.) u. 4. Vgl. Nr. 5, 6, 10, 11. — „An die Bewohner der Stadt und Diözese Mainz" erging 15. 1. 63 (Br. 279) die Erklärung gegen die „Schmähschrift": „Schwester Adolphe" (vgl. oben S. 297 Anm. 4). *) Dazu, mehr noch als gegen den Bischof, gegen die „judenfeindlichen, man darf sagen menschenfeindlichen Anschwärzungen und Aufreizungen" im Mainzer Journal (vom 4.1.59): „Toleranz und Humanität, ein Wort der Abwehr und Verständigung von Dr. Aub, Oroßh. Erst. Rabbiner in Mainz. Im Januar 1859." (15. S.)

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II 2 : Der Bischof als geistlicher Führer und Gebieter

liehen Redeformen schienen nicht recht zu dem Anlasse zu stimmen und paßten jedenfalls übel zu dem leichten Witze der Mainzer. Aber Ketteier wollte die Gelegenheit beim Schöpfe fassen, um einmal gegenüber dem „lügenhaften Gerede von Toleranz und Bildung" die „ W a h r h e i t " der Mainzer Verhältnisse hinzustellen, wie er sie sah: er meinte aussprechen zu dürfen, in ganz Deutschland habe sich noch kein Katholik an einer solchen Beschimpfung des Protestantismus beteiligt, wie sie in Mainz gegen die katholische Kirche geübt werde. 1 ) In seiner Programmschrift von 1861 2 ) pries er die Mainzer der Jahre 1792 und 1793, weil sie in ihrer unermeßlichen Mehrzahl die Liebe zu ihrer christlichen, deutschen Vergangenheit bewährt und dem Terrorismus der Jakobiner und Franzosen heldenmütig widerstanden hätten; seitdem freilich sei das „alles anders geworden, und die Mainzer haben die vier Galgen vergessen, mit denen man ihren Voreltern die Freiheit zugebracht h a t " . Sechs J a h r e später, als weitere heftige politische, kirchliche und schulpolitische Streitigkeiten über die Stadt dahingegangen waren und die Klerikalen sich zwar politisch der Demokratie, aber gewiß nicht geistig dem Liberalismus genähert hatten, wurde unter stärkerem Beifall als Widerspruch ein unbedeutendes Theaterstück aufgeführt, das zwei wühlende Jesuiten auftreten und den jungen J o s e p h II. einige heftige Worte sprechen ließ über die katholische Politik seines Hauses und gegen die Jesuiten, „die eifrigsten Diener des finsteren Geistes der L ü g e " . Schon längst war man im Kreise Kettelers empört „über das breite Haus, das alle Abende seine Hörsäle des frivolsten Witzes öffnet", über „dieses Theater, das auch die armen Katholiken mit ihren Kommunalsteuern bezahlen müssen, damit ihre Söhne und Töchter in ihm die Verachtung der Religion und die Leichtfertigkeit lernen". 3 ) J e t z t redete der Bischof gegen jenes Lustspiel „Gute Nacht, Hänsc h e n " , das übrigens schon im J a h r e 1861 entstanden war, von der Kanzel herab und schrieb im Anschluß an seine Predigt ein Heftchen über „Die öffentliche Beschimpfung der katholischen Kirche auf der Bühne". 1 ) Katholischer Einspruch gegen das Theaterstück, das gewiß als Waffe in dem seit Jahren tobenden Kampfe gegen die Mainzer Jesuiten wirken sollte, mußte erwartet werden. Ketteier aber trat auch jetzt als der Seelenberater der Mainzer Bürgerschaft überhaupt auf. Seine Streitschrift, die den Lustspielschreiber sehr gröblich anNatürlich klagten die Gegner nicht weniger, Dumont z. B . sprach 1 . 6 . 63 Öffentlich v. d. „Schmähungen" einzelner Geistl. „gegen u n s " (Dumonts Nachlaß Mainz, Stadtbibliothek). *) Freiheit, Autorität u. Kirche Kap. 18 (Volksausgabe S . 58). ») (Haffner,) Mainz im J . 1863 S. 87. *) Gegen diese, Anf. J a n u a r 1868 veröff. bischöfl. Broschüre schrieben u. a. der Verf. des Lustspiels, Arthur Müller („Ein Vademecum f. d. Bischof v. Mainz ...) und W . Hieronymi ( „ I m Theater u. im Dome . . . " ) , der als deutschkath. Prediger in Mainz (seit 1855) schon öfters mit K . zusammengestoßen war.

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Bischof und Bürgerschaft

griff, führte sich zugleich ein als „Ein Appell an alle, welche Sinn f ü r Gerechtigkeit und Ehre haben und mit ihren katholischen Mitbürgern auf Grund gegenseitiger Achtung in Frieden leben wollen". Wie ein echter episcopus civitatis wollte er f ü r das „Wohl der S t a d t " sorgen, indem er die F e r n h a l t u n g konfessioneller Streitigkeiten von dem öffentlichen Leben der S t a d t Mainz begehrte. Der Bischof erschien in seiner eigenen Auffassung und wollte so allen anderen erscheinen als der Gerechte, dessen Festhalten an dem Grundsatze „gegenseitiger Gerechtigkeit" nicht angezweifelt werden dürfe und könne. Aber er betrachtete die Mainzer Theaterszenen nur als Beispiel der in Hessen überhaupt und auch sonst in Deutschland zu beobachtenden „antikatholischen Intoleranz" und er ergänzte d a r u m seine Friedensparole f ü r das ganze deutsche Volk im Geiste kirchlicher K a m p f b e r e i t s c h a f t : „Frieden unter den Konfessionen auf dem Boden der vollen Parität und Gerechtigkeit, sonst lieber Kampf und M a r t y r i u m " . Wo es die Sache des Jesuitenordens galt, ließ sich Ketteier eben noch leichter als gewöhnlich zu Übertreibungen in Abwehr und Angriff verleiten. Um seiner Jesuiten willen war er kurz zuvor auch mit der Mainzer Stadtverwaltung zusammengestoßen. Schon bald nach dem Tode des alten Bürgermeisters Nack h a t t e sich der S t a d t r a t , der aus seiner Pflicht zu Leistungen f ü r die Christophskirche auch Rechte ableitete, mit den in diese Pfarrkirche gesetzten Patres beschäftigt und, zu Ende des J a h r e s 1861, die Beiträge f ü r die Kirche auf d a s notwendigste eingeschränkt. 1 ) Aber der vom Mainzer Kreisamt unters t ü t z t e Versuch, der Pfarrei wieder einen eigenen Pfarrer zu verschaffen, scheiterte an dem Einverständnis zwischen Bischof und Ministerium. Als im S p ä t j a h r 1866 der Gemeinderat bei der Regierung die Auflösung der Mainzer Jesuitenniederlassung beantragte, begnügte sich Ketteier nicht mit stiller Gegenarbeit in D a r m s t a d t . Er redete auf der Domkanzel 2 ) mit maßloser Leidenschaftlichkeit wider diesen „Angriff auf das Recht der Kirche wie auf die Rechte des bischöflichen Amtes, Angriff gegen die Rechte des katholischen Volkes wie der Jesuiten selbst", er predigte wider dieses „ A t t e n t a t auf die Gewissensfreiheit", „die Infamie dieses Treibens"; „Intolerantismus im höchsten Grade", „Parteiwesen der verkommensten A r t " sah er in diesem Mainz an der Herrschaft. Das Verlangen der Stadt wurde von der Kammermehrheit unterstützt. Der staatliche Zuschuß wenigstens, der nicht für eine Jesuitenkirche bestimmt war, wurde gestrichen. Ketteier focht diese Entscheidung vor Gericht an. Vergeblich. Dennoch blieb in Wahrheit er der Sieger: die Gulden des Staates fielen aus, die Jesuiten aber standen fest in Mainz, in der städtischen katholischen Pfarrei und im städtischen katholischen Leben. ») Lennig an B. Blum v. Limburg 31. 1 2 . 6 1 : Brück, L. 245 f. — (Haffner), Mz. i. J. 1863 S. 54. ») Mitteibngen aus d. Predigtskizze: Pfülf 2, 304. V l g e n e r , Bbchof Ketteier

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II 2: Der Bischof als geistlicher Führer und Gebieter

So wirkte das bischöfliche Bündnis mit dem Staate, das — wie wir noch sehen werden — alle politischen Wendungen und Wandlungen der sechziger Jahre überdauerte, auch auf die Mainzer Verhältnisse immer wieder zurück. Nicht zuletzt dem Rückhalt an der Regierung — d. h. dem Darmstädter Ministerium, denn mit dem bürokratischen, zugleich stadtfreundlichen Mainzer Kreisamte waren die Getreuen des Bischofs weniger zufrieden 1 ) — verdankte es Ketteier auch, wenn ihm gerade in M a i n z bedeutende Erfolge seiner S c h u l p o l i t i k beschieden waren. Hier hatte er seine bischöfliche Lehranstalt, hier die Schulen der Englischen Fräulein und der Schulbrüder, hier konnte er den der Schule entwachsenen Jünglingen die ungewohnte Pflicht des Besuches der sonntäglichen Christenlehre auferlegen 2 ), vor allem aber: in Mainz blieben, solange Dalwigk am Steuer stand, die katholischen Volksschulen bestehen, war das großherzogliche Gymnasium, ähnlich wie in dem kleinen Bensheim, ganz wesentlich eine katholische Anstalt. Im Jahre 1863 meinte man im geistlichen Mainz 3 ): „Es ist reine Logik der Tatsachen, wenn unsere hiesige Fortschrittspartei, nachdem sie das Rathaus und die Kammersitze erobert hat, nunmehr auf die Schulhäuser Sturm läuft." Dieser Sturm wurde damals in der Tat zwar nicht zum erstenmal, aber mit verstärkten Kräften unternommen. Der Mainzer Stadtrat, der auch früher den Klerikalen nicht ganz verschlossen war, entsprach damals in seiner Zusammensetzung einigermaßen der Zweiten Kammer: die Fortschrittspartei, deren Stellung im Lande wir noch berühren werden, besaß auch in Mainz die überwältigende Mehrheit; eben im Jahre 1862 hatten drei Ergänzungswahlen wieder drei entschlossene Fortschrittsmänner in den Stadtrat gebracht. Aber die Vorstöße gegen die Mainzer Konfessionsschulen blieben auch jetzt vergeblich. In Mainz waren die katholischen Pfarrschulen kurfürstlicher Zeit über die Franzosenherrschaft hinweg in den hessischen Staat hinübergewandert. In den zwanziger Jahren dachte wohl die Provinzialregierung daran, sie durch Simultanschulen zu ersetzen. Aber es blieb beim alten. Das Schuledikt von 1832 wurde einige Jahre nach der Verkündigung auch in Mainz durchgeführt. Das bedeutete nur eine Festigung der Konfessionsschulen (auch der nichtkatholischen), eine Sicherung der Pfarrschulen, ohne daß deren Mängel, die auch geistlichen Augen nicht entgingen 4 ), beseitigt wurden; die Aufsicht von oben *) Vgl. (Haffner,) Mainz im J. 1863 S. 103 f. ) In kleineren Städten, wie Seligenstadt, unternahm es die geistl. Behörde, den Besuch der Christenlehre selbst mit Geldstrafen zu erzwingen. „Zustände im Großh. Hesen" 1, S. 29. ») (Haffner,) Mz. i. J. 1863 S. 112. *) Moufang, Pfarrschulen S. 31 f.; (Haffner,) Mz. i. J . 1863 S. 116. — Dazu Lüft an K. 6. 1. 53: Pfülf 1, 336. J

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Die konfessionellen Volksschulen in Mainz

fehlte fast ganz, es fehlte auch schon in den dreißiger und vierziger Jahren das einheitliche Zusammenwirken von Gemeinderat und Klerus. Die radikalen Vorschläge, mit denen die Mainzer Lehrer im Herbst 1848 den Konfessionsschulen überhaupt den Untergang zu bereiten wünschten, führten weder zu den gewollten noch zu anderen Reformen. Der Mainzer Gemeinderat nahm wohl eigene und fremde frühere Pläne auf und beschloß im Dezember 1848 die Umgestaltung der Konfessionsin Kommunalschulen. Aber schon damals versagte sich die Regierung. Vom Ministerium Dalwigk erlangte die Stadtverwaltung im Jahre 1851 immerhin eine Verfügung, daß zur Milderung der störenden Unterschiede in den Besuchsziffern der einzelnen Pfarrschulen die Stadt in neue Schulbezirke eingeteilt werden solle. In bescheidenem Maßstabe wurde die Neuordnung zwei Jahre später tatsächlich durchgeführt. Die alten Pfarrschulen hießen fortan amtlich „Sektionsschulen", ihre Bezirke waren ein wenig anders abgegrenzt, in Wahrheit aber bestanden sie weiter. Die entscheidende Stellung im Schulvorstande blieb dem Geistlichen, ein Geistlicher wurde auch Inspektor all dieser Mainzer Schulen. Den aus den Vorständen der Mainzer Schulen gebildeten allgemeinen Mainzer Schulvorstand freilich hatte der Bürgermeister zu leiten. Aber wenn die einzelnen Vorstände in ihrer Mehrheit gut kirchlich waren, brauchte dieser allgemeine Vorstand keine kirchlichen Sorgen zu erwecken; sogleich in der ersten Sitzung wußten übrigens die Geistlichen so nachdrücklich mit kirchlichen Forderungen hervorzutreten, daß der wackere Bürgermeister den Gemeindevorstand überhaupt nicht mehr zusammentreten ließ. Dem Bischof galt diese wie jede einseitige staatliche Anordnung für katholische Schulen schon als weltlicher Übergriff. „Die Oberstudiendirektion", so schrieb er im Januar 1853 an das kirchliche Mitglied dieser Behörde 1 ), „verkennt durchaus oder ignoriert wenigstens die vollkommen berechtigte und selbständige Stellung, die das Bischöfliche Ordinariat ihr gegenüber in der Wahrung der Rechte der Kirche an den katholischen Elementarschulen hat." Ketteier machte darum auch dem Mainzer Klerus den Einspruch gegen die Neuordnung zur Pflicht, empfahl freilich, um die Schäden einer starren Grundsatztreue zu meiden, die möglichst entschlossene Ausnutzung des tatsächlichen kirchlichen Obergewichts in den Mainzer katholischen Schulen. Er selbst wußte gegen kirchlich unzuverlässige Mainzer Lehrer schon vorher seinen Einfluß in Darmstadt mit Erfolg einzusetzen. Das Ministerium Dalwigk hatte, vielleicht von Ketteier angetrieben oder mindestens ermutigt, im Frühjahr 1851 die bisherige Zurückhaltung aufgegeben und eine Visitation der Mainzer Schulen gewagt. Der Bischof erwartete als Wirkung dieses Eingreifens vor allem die Entfernung der „schädlichsten und unbrauchbarsten Mitglieder des städtiK. an Lüft 1 4 . 1 . 5 3 : Pfüif 1, 337. 21*

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1 1 2 : Der Bischof als geistlicher Führer und Oebieter

sehen Schullehrerpersonals" und die endgültige Beseitigung aller „Versuche und Vorschläge, das Mainzer Schulwesen zu dekatholisieren". So schrieb er persönlich dem Ministerium im Oktober 1851. 1 ) Er h a t t e dabei vor allem den Führer der Mainzer Lehrerbewegung des J a h r e s 1848 im Auge, Josef Napoleon Boudin, einen beweglichen Mann, der, als Sohn eines napoleonischen H a u p t m a n n s in Mainz 1812 geboren, das Mainzer Gymnasium mit Prima verlassen, später in Darms t a d t und Paris naturwissenschaftliche Studien getrieben h a t t e , aber als Lehrer an der Mainzer Ignatius-Pfarrschule die Oberschulbehörde nicht ganz befriedigte. 2 ) Ketteier r u h t e nicht, bis er bei der Regierung durchgesetzt h a t t e , d a ß sie den unkirchlichen Boudin Ende 1852 von der Schule entfernte und gegen die anderen von ihm als „religionsfeindlich" bezeichneten Lehrer einschritt. 3 ) So wußte er mit Darmstädter Hilfe der Mainzer katholischen Lehrerschaft die liberalen Gedanken auszutreiben, zu denen sie sich vor wenigen Jahren noch fast einmütig b e k a n n t hatte. Auch die späteren Mainzer Kommunalschulabsichten gingen vornehmlich auf Boudin zurück, der seit dem J a h r e 1861 dem Gemeinderat angehörte. Aber diese Pläne, die von dem Willen fast der ganzen Stadtverwaltung getragen waren, wurden von der Regierung nicht genehmigt, weil sie vom Bischof verworfen wurden. Erst auf der Höhe des Kulturkampfes konnte Mainz die Konfessions- durch Simultanschulen ersetzen, vorher (1863) hat man lediglich die Bezirkseinteilung vereinfacht, aber dabei die alten Pfarrgemeinden berücksichtigt und je zwei von ihnen in jeden der drei Schulbezirke zusammengenommen. Das großherzogliche G y m n a s i u m zu Mainz h a t t e das bischöfliche „ G y m n a s i u m " etwa in demselben Zeitpunkte verdrängt, da die katholisch-theologische F a k u l t ä t in Gießen die Mainzer bischöfliche Lehranstalt ablöste. Bald nach der Begründung der hessischen Herrschaft errichtet als eine Anstalt für Schüler aller Bekenntnisse 4 ), wurde das Gymnasium bei der Schließung der bischöflichen Schulen im Herbst 1829 zur Schule auch für die künftigen katholischen Geistlichen ausdrücklich b e s t i m m t . Darum suchte man auch nach streng kirchlichen Lehrern, sogleich insbesondere nach einem katholischen Geschichtslehrer. Der überwiegende Zustrom katholischer Schüler f ü h r t e dahin, daß das Gymnasium tatsächlich einen ausgesprochen katholischen l

) Oben S. 3 0 6 Anm. 1.

') Vgl. die (natürlich mit Vorsicht aufzunehmenden) Bemerkungen Lüfts v. 1863: Pfülf 1, 334. — Über Boudin: W. Fuchs in d. Hess. Biogr. 1, 447 f f . ; oben S. 241 Anm. 2. ») Lüft an K. 3. 1 . 5 3 : Pfülf 1, 3 3 6 unten. — Danach ist Fuchs zu berichtigen. «) H. Brühl, Mainz (1829) S . 3 5 0 .

Der Bischof und das Mainzer Gymnasium

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Charakter annahm ), — katholisch freilich, wie man vor der Jahrhundertmitte in Mainz eben katholisch war. Unter Ketteier wuchs der kirchliche Einfluß bei freundlicher Mitarbeit der Leitung des Gymnasiums selbst. Die Märztage des Jahres 1848 hatten wohl auch diese Schule ein wenig berührt: die vier oberen Klassen ließen durch zwei Schüler dem Ministerium des Innern eine Vorstellung gegen die Fesseln der Unterrichtsverwaltung überreichen 2 ) und forderten darin auch „Aufhebung des entwürdigenden Kirchenzwanges, d. h. Erlaubnis für die katholischen Schüler, die Kirche zu besuchen, wann und wo sie wollen". Aber solche Anwandlungen waren bald überwunden. Als Ketteier am 16. Juli 1850 fürstlich-feierlich in Mainz einzog, wurden ihm drei Festgedichte 8 ) der Gymnasiasten überreicht: als Friedensboten begrüßten sie ihn, und doch ließen sie gläubigen Kampfruf laut genug erschallen; die förmliche lateinische Adresse des Gymnasiums selbst — der Direktor gehörte zu denen, die an der Rheinbrücke den Bischof empfingen — blieb in der Prosa feierlich, in der Poesie fromm und friedlich. Gewiß durften nicht alle Gymnasiallehrer als Leute des Bischofs gelten; auch unter den katholischen gab es Freimaurer. Aber es beleuchtet doch die Verhältnisse, daß Ketteier bereits im März 1851 nach einem Gottesdienst in der Gymnasiumskapelle eine Ansprache an die Schüler richtete, „das" Lehrerkollegium in der Wohnung des Direktors begrüßte und dabei den echt christlichen Geist der Anstalt lobte; seine Freunde zeigten in der Presse ihre Freude über „ein solches Zusammenwirken von Kirche und Schule". 4 ) Der Namenstag der katholischen Großherzogin wurde in diesem unkonfessionellen Gymnasium durch ein Hochamt in der Kapelle gefeiert, wobei „alle" Lehrer und Schüler zugegen waren. 5 ) Der Jahresfeier zur Preisverteilung und zur Entlassung der Abiturienten wohnte der Bischof gelegentlich bei.") Die Festreden pflegten dem bischöflichen Interesse für das staatliche Gymnasium zu entsprechen. Ein in Kettelers Kreis besonders geschätzter Lehrer sprach etwa 7 ) über „das Studium der humanistischen *) Erst der Kulturkampf führte dahin, daB am Gymnasium in Mainz und an der Realschule zu Bingen auch protestantische Lehrer angestellt wurden. Ketteier selbst erwähnt das in seiner Lehrschrift von 1876 über „Die Gefahren der neuen Schuigesetzgebung" S. 50 f. mit der Hindeutung, daB die bisherige „billige Rücksichtsnahme auf die katholische Bevölkerung" schon darum am Platze gewesen sei, weil am Mainzer Gymnasium „die Mehrzahl der Jünglinge aus der ganzen Diözese, welche sich dem Priesterstande widmen wollen, ihre Schulbildung erhalten". Die Schüler waren etwa zu 2 Dritteln katholisch, 1866/67 z . B . (Programm S. 34): 188 Kath., 47 Protest., 41 Israeliten. >) 9 . 4 . 4 8 : Bockenheimer, Mainz in d. J. 1848 u. 1849 (1906) S. 191. ') Mainz, Stadtbibliothek; auch: Min. d. I., Akt. betr. Landesbischof. *) Mz. J. 1851 Nr. 72 (25. 3.). •) Mz. J. 1855 Nr. 62 (15. 3.). ') Mz. J. 1856 Nr. 191 (15. 8.), 1858 Nr. 190 (15. 8.). Ö Dr. Vogel, 13.8. 58 (damals wurde der Bischof bei der Feier durch Lennig vertreten): Mz. J. 1859 Nr. 190. — Für d. Folg.: 1858 Nr. 190.

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II 2: Der Bischof als geistlicher FOhrer und Gebieter

Wissenschaften im christlichen Geiste" und stellte dabei den wahrhaft kirchlich empfundenen Satz auf, der hohe religiöse Sinn müsse sich im Vortrag einer jeden Wissenschaft äußern. Ein anderer suchte den Abiturienten vom Herbst 1858 klar zu machen, auf der Universität seien weit schlimmer noch als die Gefahren für die Sittlichkeit die für den Glauben, „seitdem die Sitze der Wissenschaft vorzugsweise auch die Sitze der Glaubenslosigkeit geworden sind, seitdem es Mode geworden, die schlimmsten Ausgeburten verkehrter Geister mit dem Namen .Wissenschaft' zu beehren". Solche Reden brachte das Mainzer Journal begreiflicherweise im Wortlaut; das Blatt durfte den guten Geist der Anstalt beloben, der sich den — hier wohl immer geistlichen — Berichterstattern etwa auch darin offenbarte, daß die Reden der Gymnasiasten sich von einem übergroßen Hervorheben des klassischen Altertums fernhielten. Als Direktor des Gymnasiums war in dem Jahre der Ernennung Kettelers ein aus Bensheim stammender Dr. Grieser berufen worden. Die Grundsätze, die er gelegentlich über die Stellung des Gymnasiums zur sittlichen Erziehung entwickelte, galten dem geistlichen Mainz als gesund und vortrefflich 1 ); er, der Laie, bat den Bischof wiederholt, durch Errichtung eines Gymnasialkonviktes den Gefahren zu begegnen, denen die von auswärts kommenden Gymnasiasten in Mainz ausgesetzt seien. 2 ) Grieser starb im Jahre 1859: der Bischof beteiligte sich am Leichenbegängnis, die Bischöflichen aber rühmten, daß dieser Direktor „den Einfluß der Religion zu kräftigen und zu mehren" gesucht habe. 3 ) Und doch war ihm sein Nachfolger überlegen wie an Begabung und Leistungsfähigkeit so an Glaubenskraft und Kirchenbewußtsein. Heinrich Bone 4 ) stellte sich neben Ketteier recht als ein zur kirchlichen Mitarbeit berufener weltlicher Erzieher, dem Bischof auch in der zwangvollen Geistesart ähnlich, nicht freilich ihm gleich an durchgreifendem Willen. Es begreift sich, daß nirgend sonst als im Mainzer Bischofshause der Plan der Berufung dieses streng katholischen Westfalen entstand, der, 1813 geboren, seit 1856 Direktor des Gymnasiums in Recklinghausen, sich durch Lehrerfolge, durch Bücher für und über den deutschen Unterricht, aber auch durch religiöse Gedichte und Lieder, durch ein katholisches Gesangbuch bekannt gemacht hatte. Anfang September 1859 wurde Bone ernannt, am 1. Oktober eingeführt; der Vertreter der obersten Schulbehörde stellte die „wahre, glaubenstreue Religiosität" allem anderen voran, was er über den neuen Direktor bei dessen Einführung zu sagen hatte. 5 ) Den Unterricht und die Per*) ») ») •) »)

Mz. J. 1857 Nr. 180 (15.8.). Ketteier, Der Culturkampf gegen die kath. Kirche (1874) S. 49. Mz. J. 1859 Nr. 14 (18.1.), vgl. Nr. 8. Vgl. R. Dippel: Hess. Biogr. 1, 397 ff. Mz. J. 1859 Nr. 230, vgl. 211.

Der kirchenstrenge Gymnasialdirektor H. Bone

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sönlichkeit Bones behielten auch Männer, die sich anders entwickelten, in freundlichem Gedächtnis 1 ). Er wollte den katholischen Schülern ein religiöser Führer auch, ein Berater sein; auf sie vor allem war seine Lehrtätigkeit, seine Gymnasialleitung zugeschnitten. Seine Ansprachen bei den jährlichen Schulfeiern — im Jahre 1873, da er seinen Platz räumen mußte, legte er seine elf Schulreden als „Gedenkblätter für Schule und Leben" vor — zeigten eine kirchliche, gelegentlich fast geistliche Färbung. In der Fürsorge für katholische Schüler ging er wohl so weit, daß er ihren Verkehr mit Protestanten eingeschränkt wissen wollte, und etwas von dem Geiste der marianischen Kongregation, die stets auf seine stille Förderung rechnen durfte, atmete sein ganzes pädagogisches Wesen. Das Lehrerkollegium stimmte offenbar größtenteils mit dem vom Bischof und schon darum auch von der Regierung geschätzten Direktor zusammen. Ein ehemaliger Theolog immerhin, der zugleich im Stadtrat saß, — ein beliebter Lehrer übrigens — beugte sich dem herrschenden Geiste nicht; der Abtrünnige wurde dafür mit dem Kennwort „entschieden antireligiöse Gesinnung" in Haffners anonymer Schrift von 1863*) namentlich angegeben. Die neben diesem auch für künftige Theologen kirchlich befriedigenden Gymnasium immer stärker aufblühende Realschule konnte nicht eine derartige kirchliche Bedeutung beanspruchen; doch fehlte es auch ihr nicht an streng katholischen Lehrern, und der weithin bekannte Direktor Schödler — der freilich nicht, wie Bone, ein Gebetbuch „Orate!" veröffentlichte, sondern ein „Buch der Natur" — hielt sich doch mindestens nicht unkirchlich.*) Der Bischof vermochte da, wo er nicht herrschen oder bestimmen konnte, wenigstens zu dämpfen oder zu hemmen; arbeiteten nicht alle Mainzer Schulen mit ihm und für seine Sache, so stellte sich doch auch keine für die Dauer offen gegen ihn. Mit Hilfe all dieser persönlichen und dinglichen Kräfte, die der Bischof unmittelbar oder mittelbar in den Dienst seiner kirchlichen Aufgaben stellte, wurde ein bedeutender Teil der katholischen Bevölkerung von Mainz im Geiste der Kirche geeint und gebunden. Von der kleinen, aber gerüsteten ultramontanen Partei sprach im Sommer 1863 ein Führer des Mainzer Fortschritts. 4 ) Diese „ultramontane Partei" war freilich als solche politisch-parlamentarisch noch immer nicht stark: manche gute Katholiken hielten sich dem politischen Katholizismus fern, in der Zweiten Kammer waren die Klerikalen kaum vertreten; aller kirchlich-katholische, aller bischöfliche Einfluß broech, *) *) 4 )

Carl Schurz, Lebenserg. 1, Kap. 3 S. 54ff. (Volksausgabe S. 36 ff.); Hoens14 Jahre Jesuit, Volksausgabe 1, 109. Mz. im J . 1863 S. 99. Auch er unterschrieb, wie Bone, den oben S. 315 Anm. 3 genannten Aufruf. Dumonts Rede v. 1.6.63 (vgl. oben S. 320 Anm. 1).

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II 2: Der Bischof als geistlicher Führer und Gebieter

in D a r m s t a d t wirkte nicht auf parlamentarischen, sondern auf widerparlamentarischen Wegen, unmittelbar beim Ministerium. In Mainz selbst fühlten sich wie früher gegenüber der Revolutionsdemokratie, so gegenüber der Fortschrittspartei der beginnenden sechziger J a h r e alle „ K o n s e r v a t i v e n " über die Konfessionsunterschiede hinweg zusammengehörig: aber noch bei den Gemeinderatswahlen von 1862 fehlte ihnen der feste Verband, die rasche Bereitschaft. Darin aber verraten sich die Mängel der parteimäßigen Organisation eben der Klerikalen. Denn wie in der Revolutions- so waren in der Reaktionszeit die „konservativen" Protestanten in Mainz nicht zahlreich; Haffner d u r f t e damals behaupten 1 ), in Mainz seien die Worte K a t h o liken und Konservative so ziemlich identisch. Ketteier und seine Mitarbeiter übersahen nicht jene Mängel — eben Haffner in seiner anonymen Schrift wies auf sie hin —, aber man d u r f t e sich auch sagen, d a ß der weitschichtige Aufbau kirchlicher Herrschaftsmittel über Einzelne und Gemeinschaften, wie ihn dieses neue Bischofsregiment in weniger als einem halben Menschenalter geschaffen hatte, als unmittelbare Grundlage auch für politische Arbeit gelten konnte und zu wirken begann. In der Ausgestaltung aller jener kirchlichen und halbkirchlichen Vereinigungen und Veranstaltungen — seit dem Herbst 1859 h a t t e Mainz auch seinen Verein für christliche K u n s t 1 ) — lag doch eine unentbehrliche und wesentliche Vorarbeit f ü r die eigentliche politische Parteibildung, die d a r u m eben in Mainz mit einer fast wunderbar scheinenden Schnelligkeit und K r a f t sich erheben konnte, sobald sie vom geschichtlichen Augenblicke gefordert wurde. Einen Stützpunkt seines politisch noch in der konservativen Gemeinschaft verborgenen und doch schon politisch bewährten 3 ) Heerbannes schuf sich das katholische Mainz eben im J a h r e 1863, belehrt auch durch die Stadtwahlen des vorhergehenden Jahres. Laien und Kleriker, allen voran Kettelers vertrauter Mitarbeiter Heinrich, gründeten nach dem Vorgang anderer Städte einen katholischen Leseverein. Dem neuen Vereine brachte im nächsten J a h r e glückliches Zugreifen seines Vorsitzenden eine Heimstatt, die noch einen besonderen Reiz bot, weil dieser „ F r a n k f u r t e r Hof" bisher der Versammlungsort der demokratischen Gegner gewesen war. J o h a n n Falk, der urwüchsige, witzige Mainzer Metzgermeister, der im J a h r e 1863 durch Ankauf der Druckerei auch das bedrohte Mainzer J o u r n a l gerettet h a t t e , dachte sich als Vorsitzender das neubegründete „ K a s i n o " vor allem als ein K a m p f m i t t e l der „eingeborenen" Mainzer gegen die „kleine Zahl" der Fremdbürtigen, Liberalen, die „fast alle einflußreichen Stellen bis herab zu den niedrigsten mit Personen, die in erster Linie ihnen zu ->) •) Bischof ')

Mainz im J. 1863 S. 98. Mz. J. 1859 Nr. 276 (27. 11.). Den Vorsitzenden hatte satzungsgemäß der zu ernennen. Vgl. unten Buch 3.

Das Mainzer katholische Kasino.

Kettelers Domkapitel

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Diensten stehen müssen", besetzten. 1 ) Auch solche bürgerlichen Gedanken, die man mit der Berufung auf den „alten und g u t e n " Mainzer Charakter zu rechtfertigen und zu stützen wünschte, Waren indessen von kirchlichen Gedanken getragen, wie denn Falk selbst, seitdem er auf der Mainzer Katholikentagung des J a h r e s 1848 zum Kircheneifer erweckt worden war, seinen festen Platz in der katholischen P r o p a g a n d a b e h a u p t e t e . Der Bischof aber hielt segnend seine H a n d über diesem katholischen Kasino, das den Zusammenschluß der kirchentreuen Bürgerschaft, die Zusammenarbeit der Geistlichen und der Laien in den allen diesen Mainzern geläufigen Formen zwangloser Geselligkeit wie von selbst frei und leicht fördern mußte. „Auch als Bischof" begrüßte Ketteier das Kasino auf der Eröffnungsfeier und den Männern, die bei dem Ankaufe des Kasinohauses auf die Finanzbeihilfe auch des Domkapitels rechneten, rief er bestätigend und ermunternd z u : „ D a s ist ja besser als Kirchen b a u e n ! " Seine geistlichen Freunde aber f a n d e n hier eine neue S t ä t t e des stillen und des öffentlichen Wirkens.

Das D o m k a p i t e l stand bei dem Ausbau des ganzen bischöflichen Herrschaftssystems dem Bischof zur Seite. Rasch ist aus dem Kapitel Kaisers das Kapitel Kettelers geworden. Die Domherren alten Schlages fügten sich in das neue System; einer der am freiesten gesinnten Wähler Leopold Schmids wurde sogleich bei der E i n f ü h r u n g des Bonifatiusvereins im F r ü h j a h r 1851 zum geistlichen Mitgliede des Diözesanausschusses bestimmt. 8 ) Sie starben übrigens bald dahin, die in Kaisers Gedanken lebenden Kapitularen wie jene beiden, die sich als Freunde Lennigs gezeigt h a t t e n ; der Tod des greisen Domdekans Hoefer im Herbst 1855 machte auch die förmlich leitende Stelle im Kapitel f ü r Lennig frei. 3 ) Durch Lennig (f 22. November 1866), durch Lennigs Neffen Moufang, durch Heinrich, der im J a h r e 1867 die von Moufang ausgeschlagene Nachfolge Lennigs im D o m d e k a n a t a n t r a t , durch Haffner erhielt dieses bischöfliche Domkapitel seinen Charakter. Die Paladine des streitbaren Bischofs! Aber dieses dem Bischof in der kirchlichen E m p f i n d u n g innig verbundene Domkapitel war zugleich die einzige kirchliche Gemeinschaft der Mainzer Diözese, die, gerade aus rein kirchlichen Erwägungen heraus, dem leidenschaftlichen Willenszwang dieses bischöflichen Herrschers Wideratand entgegenzusetzen wagte und mit ihrem Widerstand auch Erfolge zu erringen wußte. Lennig zumal, schon vor seiner l

) C. Forschner, Joh. Falk III (1905) S. 50 u. 52 f. ) Vgl. oben S. 292 Anm. 4. ») Akten über die Bestattung Hoefers (2.11.55): Mainz, Stadtbibliothek. — Lennigs Gesinnungsgenosse Stratmann starb 14.11.62 (Mz. J . 1862 Nr. 265), der zum Kreise Kaisers gehörige Schnetter schon 2 1 . 5 . 5 4 („Katholik" 1854 I S. 431). J

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II 2: Der Bischof als geistlicher Führer und Gebieter

Erhebung zum Generalvikar 1 ) der erste Mann des Kapitels und als solcher auch an der Seite des Bischofs selbständig wirkend, sorgte mit ehrerbietiger Entschiedenheit dafür, daß bei dem kirchlich eifervollen, doch auch persönlich bewußten Regierungsdrange des Bischofs die Kapitelsrechte nicht unters Rad kamen. Man kann das schon ein wenig erkennen in dem von Lennig verfaßten Ordinariatsberichte, der unter dem 17. Mai 1851 zur Verteidigung der neuen bischöflichen Lehranstalt nach Darmstadt ging. 2 ) Wenn es hier einmal heißt, das bischöfliche Ordinariat wolle der Deutung vorbeugen, als ob der Bischof oder das Domkapitel auf die von den oberrheinischen Bischöfen beanspruchten Rechte zu verzichten gedenke, so wäre das vielleicht auch in einem von Ketteier unmittelbar eingegebenen Schreiben ähnlich ausgedrückt worden; aber es ist schon ein betont nachdrücklicher Hinweis auf Kapitelsrechte, wenn Lennig mit Beziehung auf die oberrheinische Bischofsdenkschrift vom Februar 1851 erklärte, „der Bischof von Mainz sowohl als das mit ihm bei Genehmigung jener Eingabe einverstandene Domkapitel" dürften erwarten, daß das Ministerium ihnen nicht den Abfall von den Grundsätzen der Denkschrift zumute. Auch mag man es als Zeichen der Wahrung der Kapitelsselbständigkeit ansehen, daß im badischen Kirchenstreite von 1853 das Mainzer Domkapitel neben dem Bischof eine besondere Adresse an den Freiburger Erzbischof richtete. 3 ) Aber erst in der entschlossenen Bekämpfung jener nicht ganz seltenen bischöflichen Maßlosigkeit gegen Geistliche, in dem wirksamen Widerstand gegen willkürliche Versuche mit bischöflichen Lieblingsplänen, gegen unkanonische Eigenmächtigkeiten offenbarte das Kapitel, in einem beharrlichen, vor der Welt verborgenen Ringen mit dem Bischöfe, die Kraft seines Selbstbewußtseins und kirchlichen Verantwortungsgefühls. Was der Kaplan Ketteier einst mit dem ersten geistlichen Eifer mehr anzudeuten als durchzuführen unternommen hatte 1 ), die geistliche Vita communis, hätte der gebietende Bischof gar zu gern den hundert und mehr Klerikern seiner Diözese zur Pflicht gemacht. Eine nach den Regeln des gemeinschaftlichen Lebens in Gruppen zusammengefaßte Geistlichkeit wäre leichter zu überblicken, leichter zu leiten gewesen, und eine gegenseitige Aufsicht der Priester selbst hätte die bischöfliche Aufsicht unterstützen können. Eine derartige bischöfliche Berechnung verdrängte indessen bei Ketteier keineswegs die eigentlich priesterliche Betrachtung: es sollte geschaffen werden, was nach seiner Meinung8) „zu jeder Zeit die vom hl. Geiste der Kirche gegebene Form für das höhere, übernatürliche, priesterliche Leben" war. Aber das Dez. 1852; oben S. 202. ') Akten des Min. d. I. XIII, 4 Bd. 1. — Vgl. die oben S. 139 Anm. 1 gen. Abhandl. S. 72 ff. ») Vgl. Mz. J. 1853 Nr. 280 (28. 11.). •) Vgl. oben S. 56. *) „Freiheit, Autorität u. Kirche" (1862) S. 244.

Kettele« vergebliche Bemühung um die geistliche Vita communis

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mußte er sich doch selbst sagen, als er schon im Frühjahr 1851 die erste Empfehlung dieser dem Klerus längst fremd gewordenen Gemeinschaftsordnung vorsichtig hinaustragen ließ 1 ), daß zunächst nur auf einzelne Priestergenossenschaften an diesem und jenem Orte, nicht aber auf die Erfassung des ganzen Klerus durch die Formen des Gemeinschaftslebens gerechnet werden könne. Mindestens doch wollte er eine Reihe besonders geeigneter Priester seiner Diözese zu einer Kongregation zusammenfassen; er beabsichtigte, die in der letzten Zeit des Mainzer Kurstaates entschwundene Priesterkongregation des Bartholomäus Holzhauser (f 1658)2) zu erneuern; diese Kongregationspriester, die Garde gleichsam seines Priesterheeres, sollten ihm vor allem zur Leitung bestimmter Diözesananstalten zur Hand sein, wie er sie auf der Diözesankonferenz des Jahres 1858 als notwendig bezeichnete: ein Priesterhaus mit gemeinschaftlichem Leben, ein Priesterhaus für die Neugeweihten, ein Pönitentenhaus, ein Knabenseminar, ein Knabenrettungshaus. Der Mainzer Diözesanklerus aber bis auf wenige Ausnahmen wollte von solchen Plänen, wollte von dem Zwang eines, sei es auch nur zeitweiligen Gemeinschaftslebens nichts wissen, nicht anders auch die meisten Domherren, deren erfahrener Führer Lennig dem Bischof schon im Jahre 1857 mit aller Offenheit entgegentrat und sogar sein Amt als Generalvikar zur Verfügung stellte. Der Bischof war nicht verpflichtet, in dieser Sache die Meinung des Domkapitels oder gar des Pfarrklerus zu berücksichtigen, und Ketteier hatte nicht übel Lust, seine Machtvollkommenheit zu zeigen und seine Priesterkongregation, ein Stück wenigstens des priesterlichen Gemeinschaftslebens, in seine DiOzese hineinzustellen. Aber schon die nüchterne Feststellung, daß kaum für die regelrechte Seelsorge Priester genug zur Verfügung standen, mußte ihn an die Wirklichkeit erinnern, und die wuchtige Tatsache, daß alle Gutachten aus dem Klerus, selbst die von ihm bestellten, gegen seine Pläne lauteten, konnte doch nicht einfach übersehen werden. Tatsächlich mußte eben Ketteier hier dem auf der Masse der Pfarrer ruhenden, im Domkapitel zusammengefaßten Widerstande sehr gegen seinen Willen und seine Neigung 3 ) weichen. Die Berufung der Jesuiten nach Mainz sollte dann ausgesprochenermaßen 4 ) als Ersatz dienen. ») „Katholik" 1851 I S. 529; dazu Pfillf 1, 323. _ *) Über ihn ließ K. damals im „Katholik" 1852 (N. F. 5 u. 6) schreiben (dazu u. weitere Liter, bei Lauchert: A. D. B. 50, 458). — Mai 1856 bisch. Verordnung über den Hausstand der Geistlichen. a ) Noch „Deutschi. n. d. Kriege v. 1866" S. 194 bringt ein nachdrückliches Lob der Vita communis — ein stiller Vorwurf gegen seine Kapitularen, von denen offenbar nur Heinrich (er schrieb 1862 das Vorwort zu der dt. Übersetzung v. Gaduels Biographie Holzhausers) auch in dieser Sache mit dem Bischöfe ging; von hier aus auch erklärt sich Moufangs Abneigung gegen die Übernahme des Domdekanats, Heinrichs Bereitschaft. 4 ) Moufang an K. 5.5. 57: Pfülf 1, 329.

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II 2 : Der Bischof als geistlicher Führer und Oebieter

In dem Streit um die Vita communis hat Ketteier durch notgedrungene Nachgiebigkeit einen schärferen Zusammenstoß mit dem Domkapitel vermieden. In anderen Dingen, die nicht weniger wichtig und grundsätzlich bedeutungsvoll waren, wurde der Bischof in schwere Kämpfe mit seinem Kapitel verwickelt. Sie können uns an die geistlichen Zwistigkeiten erinnern, die einst im alten Reiche Bischof und Domkapitel nicht selten wie zwei feindlich getrennte Vertretungen der einen Kirche erscheinen ließen. Jedenfalls, ohne jenes starke geistige, kirchliche, kirchenpolitische Gemeinbewußtsein, das Ketteier mit seinem Kapitel verband, hätten diese Kämpfe das ganze geistliche Leben der Diözese verwirren müssen. Die Gefahr war nicht gering. Denn diese Zusammenstöße sind im Grunde immer nur neue Formen des Widerstreites zwischen den aus absolutistischen Vorstellungen entspringenden Machtbegriffen des Bischofs und dem durch kanonische Satzungen gestützten Rechtsbewußtsein des Domkapitels. Das Schicksal seiner Idee des priesterlichen Gemeinschaftslebens mußte in dem Herrensinne dieses Bischofs die Neigung zum Zurückdrängen einschränkender Ansprüche des Domkapitels um so mächtiger antreiben, als nach seiner Überzeugung sein bischöflicher Wille das Beste für die Diözese, für die Kirche in sich trug. Der Plan, ein Knabenkonvikt zu errichten, war ihm gewiß nicht einfach durch solche absolutistischen Neigungen eingegeben. Aber sie wirkten doch mit, und bei dem Versuche der Durchführung wurde Ketteier immer stärker von dem Wunsche erfaßt, in der Überwindung grundsätzlicher Widerstände des Domkapitels bischöfliche Machtvollkommenheit zu bewähren. Die Übereinkunft mit der hessischen Regierung sicherte ihm die freie Errichtung eigener „seminaria puerorum nach den von dem Konzilium von Trient vorgeschriebenen Normen". Schon im Dezember 1850 hatte der Papst dem neuen Bischof die tridentinischen Bestimmungen über Knabenseminare als besonders weise und wichtig zur Befolgung empfohlen. 1 ) Im Mai 1862 wurde ihm die Errichtung einer solchen kirchlichen Erziehungsanstalt durch die Konzilskongregation nahegelegt. Eine derartige Schule, die von ihren Zöglingen den Einfluß ungeistlicher Menschen und Gedanken fernhalten konnte, entsprach dem Ideale Kettelers durchaus. Ihn mochten zugleich die besonderen Vollmachten locken, die in den tridentinischen Vorschriften dem Bischof eingeräumt wurden 2 ); er war hier nicht auf das Domkapitel als solches angewiesen, sondern nur auf einen „Beirat", den zwei Domherren bilden sollten; einer war vom Bischof, einer vom Kapitel zu bestellen. So wähnte Ketteier, auch für das von ihm geplante bischöfliche K o n v i k t ganz nach eigenem Willen das Priesterseminar l

) Br. 223. ') Conc. Trid., sess. X X I I I de ref. c. 18. Schon Heinrich in s. Schrift über d. kirchl. Reform (oben S. 284) hatte (S. 105 ff.) auf diese Bestimmungen hingewiesen. — Vgl. ferner K. an Pius IX. 8. 6. 67: Pfülf 2, 87.

Kämpfe Kettelers mit dem Domkapitel

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u n d reiche P f a r r p f r ü n d e n mit A b g a b e n belasten zu k ö n n e n . A b e r er m i ß k a n n t e die kirchenrechtliche Stellung des D o m k a p i t e l s , u n t e r schätzte wohl auch die kanonistischen K e n n t n i s s e u n d die W i d e r s t a n d s k r a f t seiner Domherren. Er sprach von der G r ü n d u n g eines „ K n a b e n s e m i n a r s " und stellte seine Absichten u n t e r den S c h u t z der t r i d e n t i nischen V e r o r d n u n g e n ; was er aber tatsächlich als „ S e m i n a r " s c h a f f e n wollte, war lediglich ein K n a b e n k o n v i k t , eine geistlich geleitete U n t e r k u n f t s s t ä t t e f ü r Schüler, keine Schule, kein geistliches G y m n a s i u m . Natürlich k o n n t e Ketteier über den Unterschied n i c h t im u n k l a r e n sein. Aber in ihm lebte der Gedanke, d a ß d e r m a l e i n s t aus d e m K o n v i k t e das eigentliche K n a b e n s e m i n a r erstehen müsse. So h a t er, auch hier von dem u n b e i r r b a r e n E r o b e r u n g s d r a n g e b e h e r r s c h t , sich selbst eingeredet, d a ß das erreichbare G u t e d u r c h das schwer zu gew i n n e n d e Bessere, das k ü n f t i g einmal k o m m e n m o c h t e , schon im v o r a u s rechtlich gedeckt werde. Das D o m k a p i t e l v e r s u c h t e vergebens, den Bischof auf den Boden des geltenden Kirchenrechts z u r ü c k z u l e i t e n . E r blieb dabei, K o n v i k t und tridentinisches K n a b e n s e m i n a r gleichzus e t z e n ; er b e s t r i t t d a r u m d e m D o m k a p i t e l als solchem die Befugnis, in dieser Sache mitzusprechen, er f o r d e r t e das K a p i t e l lediglich gebieterisch auf, einen Vertreter f ü r jenen bischöflichen Beirat zu bestellen. So war das Kapitel genötigt, in R o m gegen die bischöfliche E n t s c h e i d u n g B e r u f u n g einzulegen. Der Konzilskongregation, die im J a h r e zuvor den Bischof zur E r r i c h t u n g eines K n a b e n s e m i n a r s a u f g e f o r d e r t h a t t e , w a r die E n t s c h e i d u n g in die H a n d gegeben. D a a u c h f ü r sie ein K o n v i k t nicht als Seminar gelten k o n n t e , g a b sie d e m Bischof die nötigen Winke, u m ihn vor der f a s t unvermeidlichen f ö r m lichen Niederlage zu r e t t e n . Als Ketteier, durch eine andere Streitf r a g e noch mehr v e r s t i m m t über sein Kapitel, die Sache von n e u e m an die Kongregation b r a c h t e (1864), w u r d e sie w i e d e r u m im Sinne des Kapitels und n u n endgültig erledigt, doch aus R ü c k s i c h t auf den Bischof ohne a m t l i c h e Förmlichkeiten. Eben in diesem J a h r e 1864 k o n n t e er sein bescheidenes K o n v i k t eröffnen, a u c h so doch eine kleine T r u t z g r ü n d u n g gegen das D o m k a p i t e l und eben schon d a r u m in der E n t w i c k l u n g g e h e m m t . In einer S t i m m u n g , die durch das H e r a u s f o r d e r n d e , selbst L a s t e n d e an K e t t e l e r s Wesen und T a t e n nicht wenig gereizt war, h a t t e d a s Kapitel in der Zeit, d a die Frage des K n a b e n s e m i n a r s z u m ersten Male die K u r i e beschäftigen sollte, einen Kampf u m sein selbständiges M i t b e s t i m m u n g s r e c h t über Domgottesdienst und Domausstattung d u r c h z u f e c h t e n . W i e d e r u m erhebt sich der K a m p f über die Streitfrage h i n a u s zu grundsätzlicher B e d e u t u n g . Schon im März 1858, als man zuerst über Kapitelsrechte bei V e r w a l t u n g des D o m v e r m ö g e n s stritt, h a t t e K e t t e i e r einmal der E r k l ä r u n g seines D o m d e k a n s , in Sachen d e r K i r c h e n f a b r i k sei der Bischof an das E i n v e r s t ä n d n i s des Domkapitels g e b u n d e n , das h o c h m ü t i g e W o r t e n t g e g e n g e h a l t e n :

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II 2: Der Bischof als geistlicher Führer und Gebieter

„Sie — die Domkapitularen — können nichts. Sie können einige Statuten für sich machen; Sie können über einige kleinere Dinge verfügen. In allem andern aber bin ich Bischof und ich habe anzuordnen." 1 ) Das Domkapitel gewann ihm freilich mit einem ausführlichen schriftlichen Bericht über die Kapitelsrechte in der Domkirche die Erklärung seines Einverständnisses ab. Aber er gab seine Antwort nicht schriftlich und hielt sich tatsächlich nicht an seine leicht hingeworfene mündliche Anerkennung der Kapitelsrechte. Sein Generalvikar erntete für die Berufung auf das bischöfliche Wort gelegentlich gar ein heftig abschneidendes „Davon will ich gar nichts mehr hören", und zu Anfang des Jahres 1863 erklärte Ketteier schließlich kurzerhand, er gedenke auch über den Widerstand des Kapitels hinweg das Innere des Domes nach seinen Absichten ändern zu lassen. Dazu kam, daß er, gleichfalls wider den Willen des Kapitels, zwei jüngere Geistliche zu Zeremonienmeistern ernennen wollte. Da das kanonische Recht in allen Fragen des Kultus auch die Domherren den Zeremonienmeistern unterstellt, so drohte der Wille des Bischofs das Domkapitel geradezu vom Dome selbst zu trennen, um so mehr, als er gleichzeitig einen anderen Geistlichen gegen den Widerspruch des Kapitels als Sakristan bestellen wollte. Bei der grundsätzlichen Bedeutung der Sache mußte das Kapitel seine Kraft daran setzen, um sich gegen die Willkür des verehrten, aber in seiner Herrischkeit gefährlichen Bischofs zu behaupten. Lennig bewährte sich auch hier als der rechte Dekan, als der Führer dieses Domkapitels, das sich als die beharrende und gleichsam unsterbliche Vertretung der Mainzer Kirche und ihrer Uberlieferung den traditionsfeindlichen Neigungen und Wünschen des Bischofs entgegenzuwerfen entschlossen war. Lennig, der sich seit vielen Jahren um den Zustand des Domes mit persönlichem Eifer und mit Einsetzung eigener Geldmittel bemüht zeigte 2 ), verteidigte als Domherr, als Domdekan und schließlich doch auch als Mainzer die heimatliche Kirche in ihrer geschichtlichen Gestalt gegen den trotz allem nun einmal landfremden Bischof. Er ließ nicht nach in seinem tapferen, würdevollen Widerstande gegen Kettelers eigenwillige Absichten, gegen die — so schrieb er seinem „gnädigen Herrn" in einem großen Verteidigungsbriefe vom 6. Februar 1863 — „allzu energische Natur Ew. Bischöfl. Gnaden", und vor allem, er ermattete nicht in der grundsätzlichen Abwehr der bischöflichen Versuche einer „Trockenlegung oder Umgehung" der Kapitelsrechte; er berief sich dabei dem Bischof gegenüber auf seinen Amtseid, seine Pflicht, sein Gewissen. Lennig an K- 6 . 2 . 63 (mit der Bemerkung, daß er „nach Inhalt u. Form die Richtigkeit fast jedes Wortes beschwören könnte"): Pfülf 2, 98 f. — L. sagt „vor schon ziemlich vielen Jahren". Auf März 1858 führt K.s Brief v. 23. 2. 63: Pfülf 2, 103 f. •) Brück, L. 301; Friedr. Schneider, Der Dom zu Mainz (1886; Oktavausgabe) S. 170 f.

Wahrung der Kapitelsrechte. Kampfgemeinschaft zwischen Bischof u. Kapitel

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Angesichts dieses Widerstandes hat Ketteier auch in den Domfragen, die freilich nicht weniger klar lagen als die anderen Streitpunkte, schließlich nachgeben müssen, nicht ohne das Grundsätzliche in dem Auftreten seines Domkapitels gegen ihn auch hier bitter zu empfinden. Dabei ist in allem durchaus der Bischof der Angreifer gewesen, gewiß aus einem reinen kirchlichen Wollen heraus, zugleich aber auch in eingeborenem Herrschergeist und mit unbekümmerter Rücksichtslosigkeit. Der Kampf ist dem Domkapitel durch die arg verschobenen Rechtsvorstellungen und die übersteigerten Machtbegriffe Kettelers aufgenötigt worden. Die Domherren haben Grundrechte ihrer kanonischen Gemeinschaftsbildung verteidigt und gerettet: die eingeschränkten, aber bestimmten und unverlierbaren Rechte, mit denen das Domkapitel neben den Bischof gestellt ist. Damit wird das allgemein Bedeutende dieser Kämpfe gekennzeichnet und zugleich doch auch das Besondere berührt, das eben in der reinen, scharfen, durch keine fremden Einwirkungen verschobenen Abgrenzung dieser Kämpfe, in ihrer Unberührtheit von allen unkirchlichen GedankenstrOmungen liegt. Zwiespalt, Zwistigkeiten zwischen Bischof und Domkapitel gehören in der damaligen katholischen Kirche Deutschlands keineswegs zu den ungewöhnlichen Erscheinungen. Aber wenn sie grundsätzliche Bedeutung hatten, wurden sie von der Tiefe her durch Unterschiede der Kirchenbegriffe und der Glaubensübung bestimmt: so war es in Köln, ähnlich etwa in Paderborn 1 ); von den noch hermesianisch denkenden Kölner Kapitularen fühlte sich Geissei in seiner ganzen Kirchenauffassung geschieden. In Mainz aber gab es damals in den Glaubensfragen und in der Kirchenpolitik nichts Trennendes zwischen Bischof und Kapitel. Gerade durch die grundsätzliche Einigkeit und das tatsächliche Zusammenwirken bei allen ins äußere Leben eingreifenden geistig-kirchlichen Aufgaben sind Ketteier und seine Domkapitularen über die Gefahren, die Hemmungen dieser jahrelangen Verwaltungsstreitigkeiten und dieser immer wiederkehrenden Machtproben hinweggehoben worden. Die kirchliche und persönliche Zuverlässigkeit der Mainzer Domherren hat die ungeistliche Welt draußen von dem erbitterten geistlichen Ringen nichts ahnen lassen. Im Beginn der sechziger Jahre, da am Bischofshofe die Verstimmung immer stärker zu werden drohte, standen sie alle mit ihrem Bischof in einer festgeschlossenen Schlachtreihe gegen den gefährlichsten Feind. Das aber war der Liberalismus, war die Fortschrittspartei. Jener kleine Mainzer Bürgerkrieg, den wir berührt haben, ist nur das besondere städtische Spiegelbild der allgemeinen politischen und kirchenpolitischen Kämpfe, die sich im Großherzogtum Hessen, in Deutschland überhaupt nach dem politischen Schicksalsjahre 1859 erhoben hatten und die großen Wandlungen der europäischen politischen Verhältnisse, der politischen Kräfte und Meinungen in der deutschen Staatenwelt leidenschaftlich und lärmend begleiteten Pfülf, Geissei 2 S . 5 8 f . , 184 ff., 188 ff., 200, 458 (vgl. 262 ff.).

Drittes Buch

Bischöfliche Kirchen-, Sozial- und Nationalpolitik im Zeichen der deutschen Einheitsbewegung (1859—1870)

V l g e n e r , Bischof Ketteier

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Erster Abschnitt

Kettelers kirchenpolitischer Kampf mit dem Liberalismus: „Freiheit, Autorität und Kirche" Den Ausgang des Krieges von 1859 empfand der politische Katholizismus auf deutschem Boden als zwiefachen Schlag: der katholische Kaiserstaat und das katholische Kirchenhaupt waren getroffen. Jede Anfechtung der österreichischen Gebieterstellung in Italien bedeutete eine Bedrohung des Papstkönigs, eine Gefährdung des Kirchenstaates. Den kirchenstrengen katholischen Deutschen war der französisch-sardinische Krieg gegen Österreich zugleich ein Krieg gegen den Katholizismus, die Niederlage Österreichs, der S t a a t s m a c h t des Konkordates, ein kirchliches Unglück und schon d a r u m ein Schaden auch f ü r Deutschland. Das nationale Empfinden, das gegen Frankreich a u f f l a m m t e , verband sich dem katholischen und diente ihm. D a r u m eben gab es unter den deutschen Klerikalen nur e i n e Meinung über diesen Krieg: der Ausdruck dieser Meinung f ä r b t e sich gewiß in Österreich etwas kräftiger als in Preußen, aber die Grundauffassung war die gleiche. Andere Preußen mochten damals heiß um die Erkenntnis ringen, welchen Weg ihr Vaterland im Angesicht der Schicksalsfrage des J a h r e s 1859 werde wählen müssen: nach der klerikalen Anschauung h a t t e der Staat Friedrichs des Großen nicht frei zu entscheiden über die eigene Z u k u n f t ; er h a t t e lediglich, ohne Bedingung und ohne Besinnung, die österreichische Machtstellung in Italien, in Europa mit den Waffen zu schützen. Es war nicht dasselbe, wenn die katholischen Großdeutschen und wenn die anderen meinten, Preußen müsse am Po den Rhein verteidigen. Gemeinsam war den Großdeutschen die Hingabe an Österreich, gemeinsam war der weit überwiegenden Mehrheit des deutschen Volkes im J a h r e 1859 die Besorgnis vor Frankreich, die starke nationale Erregung: aber in allen politischen Gedanken katholischer Politiker ruhte der kirchliche Gedanke als letzter Untergrund, als das Beharrende, das Stärkere. Die greifbaren 22*

3 4 0 I U I : K.s kirchenpol. Kampf m l t d . Liberalismus: „Freiheit, Autorität u. Kirche"

politischen wie die stimmungsmäßigen Nachwirkungen des Krieges von 1859 r ü h r t e n unmittelbar an diesen kirchlichen U n t e r g r u n d . Eben d a r a u s erklärt es sich, d a ß die deutschen K ä m p f e seitdem von niemand mit größerer Leidenschaft d u r c h g e k ä m p f t wurden als von den Klerikalen. Den Kampf f ü r Österreich f a ß t e n sie auf als Kampf f ü r die katholische Vormacht in Deutschland, f ü r die europäische Großmacht, die als einzige den Anforderungen einer kirchlichen Politik im Innern und nach außen genügte, auch der Kirchenstaatspolitik, wenigstens den Absichten nach. Der Kirchenstaat sollte als gleichsam nicht von dieser Welt, als überstaatliches, als kirchlich-religiöses Gut gelten. D a r u m wagte man in Deutschland seit dem J a h r e 1859 die Katholikentage zu Kundgebungen f ü r die E r h a l t u n g der weltlichen Herrschaft des Papstes zu benutzen 1 ); vorher und nachher freilich haben großdeutsche Heißsporne wie Büß, aber auch geistliche Mitarbeiter Kettelers, etwa Moufang, auf diesen kirchlichen Versammlungen, vorsichtiger oder derber, auch in die deutschen politischen Gegensätze hinübergegriffen. Gerade die Mainzer Klerikalen, die hessischen katholischen Großdeutschen brauchten sich keinen Zwang aufzuerlegen. Im Lande waren und blieben sie Regierungspartei. Der freundliche Einklang, der im K a m p f e gegen die Demokratie, gegen alles Liberale den Kreis um Dalwigk dem Kreise Kettelers verband, wurde durch die Erschütterungen der großen Politik, durch Krimkrieg und italienischen Krieg nicht zerstört. Die Mainzer kirchlich-politische Neigung zu dem absolutistisch-klerikalen Österreich regte sich gewiß, eben weil sie auch kirchlichen Wurzeln entwuchs, stärker als die Darmstädter weltlich-politische. Aber auf Österreich waren beide Teile angewiesen, und der Abscheu vor jeglicher Äußerung einer selbständigen preußischen Machtpolitik blieb ihnen stets gemeinsam. Das war etwa bei der Preisgabe der preußischen Union oder bei der Zollvereinskrise von 1852/53 deutlich genug hervorgetreten; in der Stille des Bischofshofes sprach man damals gelegentlich in dem gleichen widerpreußischen Geiste wie am Großherzogshofe. 2 ) Den Kampf der oberrheinischen Bischöfe gegen das Staatskirchentum h a t t e die Wiener Diplomatie unterstützt, noch ehe die hessischen Zugeständnisse an Ketteier verbrieft waren; seit dem Abschlüsse der Übereinkunft zwischen Regierung und Bischof d u r f t e auch die ausgesprochen katholische Politik Österreichs an dem weltlichen so gut wie an dem geistlichen Herrschaftszentrum in Hessen auf Verständnis rechnen. 3 ) Die mittelstaatlichen Anwandlungen von selbständiger Politik während des Krimkrieges, die auch Dalwigk erfaßten, f ü h r t e n wohl zu Verstimmungen, nicht aber zur E n t f r e m d u n g ») Verhandl. der 11. Gen.-Vers Freib. 1859 S. 219 ff., 82 f., 113 ff., 261 ff. — Z. Folg.: Linz 1850(Verhandl. S. 136ff.); Prag 1860 (s.unten III 3 bei d.7.Anm.). ») Vgl. oben S. 245 f. 3 ) Vgl. die Bonifatiusdanksagung Buols, oben S. 270.

Österreichische Gesinnung der Mainzer Klerikalen

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zwischen Österreich und Hessen, brauchten d a r u m auch die guten Mainzer Beziehungen zu D a r m s t a d t nicht zu t r ü b e n . Denn österreichisch zeigte man sich allerdings im klerikalen Mainz so entschieden, wie es geboten war in einer Zeit, da das Konkordat vorbereitet und bald vollzogen wurde. Das „Mainzer J o u r n a l " machte die Wiener Krimkriegspolitik auch in ihren Schwankungen getreulich mit. Nach dem Augustvertrage, vor dem Bündnisvertrage Österreichs und der Westmächte, n a n n t e das Blatt den Krimkrieg einen Kampf um Deutschlands Schicksal und Z u k u n f t , sah dabei in dem anspruchsvollen Satze, d a ß Deutschland eine Beute f ü r Rußland und die W e s t m ä c h t e werde, wenn es nicht durch seine eigene K r a f t beiden gewachsen sei, den „ K e r n p u n k t aller politischen Bestrebungen des großen deutschen Kaiserstaates." 1 ) Als Österreich dann seinen Einzug in die D o n a u f ü r s t e n t ü m e r , den es im Dezemberbündnis europäisch gedeckt zu haben schien, durch preußisch-deutsche Hilfe sichern wollte, wurde Preußen ein Gegenstand mahnender W e r b u n g auch f ü r die Mainzer Freunde Österreichs. 2 ) Nach dem Mißerfolge in Berlin und F r a n k f u r t wurden die Mainzer Stimmen den Wiener Wünschen gemäß wieder westmächtlicher als zuvor; nun wurde Österreich eben wegen seiner Verbindung mit Frankreich als der wahre Schützer Deutschlands, als der Hort konservativer Politik gepriesen, und schon meinte man den künftigen Segen der „rückhaltlosen Freundschaft zwischen Franz Josef und Napoleon", also der Gemeinschaft der katholischen Kaiser und ihrer katholischen Länder, greifbar vor sich zu sehen.*) Da im J u n i 1855 Österreich wieder in eine Neutralitätspolitik zurücklenkte, die nach Stärke aussehen sollte und doch nur Schwäche war, mußte auch im „Mainzer J o u r n a l " die westliche Begeisterung etwas g e d ä m p f t werden. Die Politik Buols aber, die zuletzt sich wieder mit schroffer kriegerischer Drohung gegen Rußland gewandt hatte, wurde nach dem Ende der K ä m p f e vielleicht gerade d a r u m , weil man ihre Unsicherheit so deutlich erkennen konnte, a u f . dem Mainzer Vorposten Österreichs überlaut gelobt. 4 ) Eine umständliche Abhandlung — ob Mainzer, oder nicht vielmehr Wiener Ursprungs? — über „ D e u t s c h l a n d s äußere und innere Verhältnisse", deren Abdruck im „Mainzer J o u r n a l " kurz nach E r ö f f n u n g der Pariser Verhandlungen begann und, einen Monat lang unterbrochen, nach dem Ende des Kongresses abgeschlossen wurde, beurteilte die Belebung der deutschen Politik Österreichs seit dem J a h r e 1848 als Bedürfnis Deutschlands ') Mz. J . 1854 Nr. 280 (1. 12.), 281, 282: „Das eine Notwendige". *) Mz. J . 1855 Nr. 17 (20. 1.); vgl. Nr. 27 (1. 2.) aus d. Frankf. Journal. ») Mz. J . 1855 Nr. 51 (1. 3.). — Ähnliche Gedanken, mit scharfer Wendung gegen Preußen, entwickelten bald darauf (vgl. Goyau, Cathol. 3, 36) die Hist.polit. Blätter u. Beda Weber (Wackernell, B. Weber, 1903, S. 3 8 9 f . ; vgl. Bachem 2, 442 ff., auch Steinte 2, 358). 4 ) Mz. J . 1856 Nr. 19 (23. 1.), 20; vgl. Nr. 21 (aus d. Allg. Zeitg.).

3 4 2 Hl i : K.s kirchenpol.Kampf mit d.Liberalismus: „Freiheit, Autorität u.Kirche"

und Österreichs, insbesondere auch als notwendigen Gegendruck des Südens gegen das politische, gesellschaftliche, religiöse Übergewicht des Nordens und a n e r k a n n t e f ü r die Gegenwart als den ersten Grundsatz deutscher Politik den Anspruch Österreich auf die F ü h r u n g Deutschlands. 1 ) Hier wagte sich die Kritik an den Mittelstaaten hervor, mehr gegen die süddeutschen Königreiche freilich als gegen Hessen gerichtet; s t a t t das ungeklärte Verhältnis zwischen Österreich und Preußen auszunützen, m ü ß t e n diese Staaten in den deutschen Angelegenheiten vor allem derjenigen Großmacht folgen, die „das Ganze des Vaterlandes und weniger sich selbst im Auge" habe. Es p a ß t zu der schlichten Kühnheit dieses Satzes, wenn das Österreich des Konkordats eben auch als solches mit seinem neuen religiöskirchlichen Leben gepriesen wird 2 ) und zugleich den Regierungen wie den protestantischen Großdeutschen die Besorgnis vor Übergriffen der Bischöfe, die Angst vor dem „katholischen Gespenst" ausgeredet werden soll. „Das kaiserliche Österreich kann und wird niemals aus Deutschland weichen" — in diesem Worte lag der lebendige politische Sinn dieser Predigten. Daher auch der gefällige Eifer f ü r die deutschösterreichische Zolleinigung 8 ), f ü r die Anliegen österreichischer Wirtschaftspolitik, deren Förderung in Hessen bei der hergebrachten Volkstümlichkeit österreichischer Papiere übrigens schon privatwirtschaftlich hinreichend gerechtfertigt erscheinen mußte. Über Preußen h a t t e man kirchlich, politisch, wirtschaftspolitisch zu klagen. Unter anderen politischen „Mißtönen", die den Mainzer Ohren aus Preußen im Sommer 1856 entgegenschlugen, erklangen scharf kritische Stimmen über Österreichs italienische Politik, die damals noch nicht mit den erzherzoglichen Besänftigungsversuchen kam. Der Pariser Kongreß schon h a t t e mindestens den Argwohn wecken müssen, d a ß Cavour auf dem Wege zur Verbindung mit Napoleon sei; dem Widerwillen und Widerspruche Buols zum Trotz waren dort italienische Fragen berührt worden und gerade jene, die Österreich als italienische und katholische Macht nahe genug angingen: seine militärisch-politische Vormundschaft in Mittelitalien und die Verhältnisse im Kirchenstaate. Mit dem Gedanken an ein österreichischfranzösisches Bündnis beschäftigten sich wohl auch nach dem Kongresse die Erwartungen oder wenigstens die Worte der Mainzer Klerikalen. Aber seit Anfang 1857 zeigte sich immer deutlicher docli die Sorge vor den italienischen Bewegungen, in deren Hintergrund man freilich Napoleon noch nicht finden konnte. ») Mz. J. 1856 Nr. 58 (8. 3.) u. 59. •) Mz. J. 1856 Nr. 86(11. 4.) mit dem (auf angeführte kirchliche Erscheinungen gestützten) Satze: „So bereitet sich ein n e u e s , g l ä u b i g e s und e r n s t h a f t e s V o l k vor, welches das diesseitige Leben wiederum richtig auffaßt, weil es das jenseitige kennt." ») Mz. J. 1856 Nr. 220 (19. 9); z. Folg.: 140 (17. 6.), 141, 144 ; 93 (19. 4.), 193 (19. 8.).

Vertretung der Politik Österreichs durch das „Mainzer Journal" 1855 ff.

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Ein getreuer Verfechter • der Wiener Politik ü b e r h a u p t , wurde d a s „Mainzer J o u r n a l " nun insbesondere der, bisweilen wohl bestellte, Anwalt der italienischen Politik Österreichs. Im Sommer 1856 war Österreich im Mainzer Geburtstagsgruße f ü r Franz Josef noch ohne besondere Beziehung auf Italien gefeiert worden als Perle und Hort Mitteleuropas, „ a n dessen Gedeihen unsere besten nationalen Hoffnungen sich k n ü p f e n . " Im März 1857, als die österreichisch-piemontesische Spannung bedenklich erschien, wurde die österreichische Herrschaft in Italien einfach als deutsche Herrschaft bezeichnet; auf den Sturz des deutschen Regiments in dem lombardisch-venezianischen Königreiche sei es abgesehen. 1 ) Die konservative italienische Politik Österreichs mußte schon als Schutzpolitik f ü r den Kirchenstaat allen Katholiken wertvoll sein. Der Bischof selbst, der sich von öffentlicher P a r t e i n a h m e im Nebenund Widereinander der großen Staaten zurückhielt, rechnete die Förderung der päpstlichen Sache auch in der Politik zu seinen kirchlichen Aufgaben: im F r ü h j a h r 1857 ließ er durch einen Jesuitenpater Vorträge halten, die ganz u n m i t t e l b a r auch auf die Gefährdung des Kirchenstaates verwiesen. 2 ) Übrigens konnte Ketteier alles — Politisches wie Unpolitisches —, was er als Bischof nicht sagen mochte und was doch nicht unausgesprochen bleiben sollte, leicht und sicher in die Öffentlichkeit bringen. Er selbst hat öfter f ü r das „Mainzer J o u r n a l " geschrieben und nicht lediglich in kirchlichen Fragen. 3 ) Aber man hat seine Zeitungsaufsätze im Dunkel gelassen. Wie s t a r k unter ihnen die politischen oder halbpolitischen vertreten sind, läßt sich nicht feststellen, und sein Anteil etwa an den kirchlich gefärbten politischen Journalberichten des erregten J a h r z e h n t e s von 1856 bis 1866 bleibt u n b e k a n n t . Immer aber war doch das Mainzer katholische Blatt die gegebene S t ä t t e f ü r die Aussprache oder die Andeutung der kirchenpolitischen und auch rein politischen Gedanken und Wünsche der bischöflichen Kurie. Gewiß wurde die Zeitung nicht durch den Bischof geleitet, und er glaubte sogar bestreiten zu dürfen, d a ß sie unter seinem Einfluß s t e h e ; aber seine Freunde und die Freunde seiner Freunde — auch die nichtgeistlichen zumeist doch geistige Untertanen des Bischofs — waren die wirksamsten Mitarbeiter, und Männer wie Moufang und Heinrich standen stets bereit zu Wort und Wink f ü r das B l a t t . Einige der politischen Aufsätze mit geistlichen Zügen dürfen jedenfalls, wenn nicht auf Ketteier selbst, so doch auf seine Umgebung zurückgeleitet werden. Ganz allgemein aber: die Stimme des J o u r n a l s , mochten die einzelnen Laute von hier oder von dort kommen, war die kirchlich-katholische Stimme, die Stimme ») Mz. J. 1857 Nr. 69 (22. 3.): „Österreich und Piemont." ») Mz. J. 1857 Nr. 81 (15. 4.). «) Vgl. Pfülf 2, 274, und, auch z. Folg., 3, 374.

344 III 1: K.s kirchenpoLKampf mit d.Liberalismus: „Freiheit, Autorität a Kirche" des geistlichen Mainz, deren Grundton damals die Auffassung auch des neuen bischöflichen „Mainzer Kreises" erkennen ließ. Politisch aber klang diese Stimme rein österreichisch. Man zeigte im kirchlichen Mainz die leidenschaftliche Hingabe an das katholische Österreich um so offener, je mehr sich in Italien die nationalen, auch gegen den Kirchenstaat gerichteten K r ä f t e erhoben. D a ß die Lage in den beiden ersten J a h r e n nach dem Pariser Kongreß noch ungeklärt war, läßt sich auch in dem einheitlich gefärbten Journal erkennen. Im September 1857 verriet man sogar die F u r c h t , daß Rom unter Napoleons Druck zu Reformen im Sinne der Westmächte gebracht werden k ö n n t e ; einer derartigen Meldung der „Allgemeinen Zeitung" wurde die Mainzer Bemerkung beigegeben 1 ): „ D a s alles ist j a aber schon dagewesen und h a t zu den schlimmsten Dingen g e f ü h r t . " Hier mischte sich die bittere Erinnerung an die liberalen Anfänge Pius IX. mit der freilich rasch verscheuchten Besorgnis, die damalige Abwendung der Kurie von Österreich könne wiederkehren. Der piemontesischen Politik t r a u t e man mit gutem Grunde nicht. Es war allerdings gar zu plump, das H a u s Savoyen zu warnen vor der italienischen „ R e v o l u t i o n " , der italienischen Nationalbewegung, die nichts bedeute als das Streben nach der Republik Italien. Denn kurz zuvor, im April 1857, hatte eine Überschau über „Die politische Situation" 2 ) die russische Politik wegen der Zuneigung zu Sardinien als grundsatzloses Treiben g e b r a n d m a r k t und Preußen deutlich genug in die gleiche Reihe gestellt; grundsätzliche Festigkeit und Klarheit blieb das Vorrecht einer einzigen Großmacht, blieb allein Österreichs R u h m . Das kirchliche Mainz sprach seine Verehrung f ü r das absolutistische, aber kirchlich geleitete Österreich gelegentlich mit einem w a h r h a f t kirchlichen Eifer aus. In einem Aufsatz über Österreichs geschichtliche Aufgabe hieß es, dieser Staat habe ganz dieselbe Behandlung erfahren wie die katholische Kirche: „etwaige" Mängel habe man aufgedeckt, über das Gute aber geschwiegen. Dieser langen Mainzer Aufsatzreihe 8 ) konnte freilich niemand vorwerfen, daß sie bei der geschichtlichen Betrachtung das „ G u t e " übersehe: Österreich erschien hier im 17., im 18., im 19. J a h r h u n d e r t als der selbstlose Retter Deutschlands, das gegenwärtige Österreich aber unter seinem „glorreichen" Kaiser als vorbildlich im Kirchenwesen, in Wirtschaft, in Politik; dieser Gläubige sah beglückt Deutschland immer enger zusammenwachsen mit diesem Österreich, das stets seine Hauptaufgabe darin finden werde, die Einheit unseres Vaterlandes zu erhalten. ') Mz. J. 1857 Nr. 218 (15. 9.). — Z. Folg.: Nr. 158 (3. 7.). ') Mz. J. 1857 Nr. 77 (11. 4.) - Nr. 79. — Dazu Nr. 192 (19. 8.) aus der „Ostdeutschen Rundschau". ') Neun Artikel, der erste Nr. 116 ( 1 7 . 5 . 5 7 ) , der letzte Nr. 145(24.6.). Zeichen: # # ; ob Heinrich?, vgl. Nr. 116 mit 112.

Deutsche und kirchliche Bestandteile der politischen Haltung der Mainzer

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Die kirchliche Befriedigung klang auch bei dieser politischen Erörterung durch. Im Hochsommer 1857 konnte sich die auf Österreich fest vertrauende, gesättigte kirchliche Zuversicht, die eben jetzt in dem württembergischen „ K o n k o r d a t " und in den günstigen Wirkungen der badischen Verhandlungen mit Rom neue N a h r u n g gefunden hatte, bei diesen Mainzer Klerikalen zu der Forderung versteigen, daß auch das Leben und die Tätigkeit der Staaten nach Gottes Vorschriften eingerichtet, also kirchlich beherrscht werden sollten. 1 ) In einer Auseinandersetzung mit der Kreuzzeitung — diese wolle der „in einer päpstlichen Dienstbarkeit" stehenden österreichischen Politik eine preußisch-protestantische mit der Herrschaft über Norddeutschland entgegenhalten — lehnte m a n zwar jede „ T r e n n u n g auf Grund religiösen Gegensatzes" ab, scheute sich aber nicht, auch hier, wo man zeigen wollte, „Wie Deutschland einig werden mag" 2 ), die Geschichtsanschauung des Bonifatiushirtenbriefes verschärft arbeiten zu lassen, indem man der Reformation vorwarf, sie habe die Wissenschaft öde gemacht, die Kunst vertrieben und noch schlimmer die politische Ordnung, mit ihr die politische Freiheit getroffen. Dieselbe Zeitung, die Preußen und den Protestantismus je und je als historisch und politisch belastet hinzustellen suchte, gab d a n n sofort wieder den guten R a t , d a ß in der Presse „nicht mehr das Trennende, die Stammesund Glaubenseigentümlichkeiten Verletzende den Inhalt ihrer deutschvaterländischen Mitteilungen" bilden d ü r f e ; sie wußte zugleich die Fürsten — das wollte heißen: vor allem Friedrich Wilhelm IV. und seinen Stellvertreter, den Prinzen von Preußen — zu belehren, d a ß „nicht in ihrer Partikular-Souveränetät, sondern in einer deutschen Gesamtmacht die Bürgschaft der Heilighaltung ihres fürstlichen Rechtes und Besitzes" liege; sie forderte schließlich, den gegenständlichsten österreichischen Wunsch aufnehmend, die Erhebung des preußisch-deutschen zum österreichisch-gesamtdeutschen Zollverein, damit so das Werk „deutscher Einigung" befriedigend abgeschlossen werde.") Die leitenden Mitarbeiter des Journals dachten sich dabei, immer zu übereinfacher B e t r a c h t u n g der Dinge geneigt, in die österreichischen Gedanken so gut hinein, d a ß ihr Werben f ü r Österreich — „ihm sind die deutschen Interessen Lebensinhalt geworden", h a t t e man eben wieder einmal ausgerufen — stets auf dem Grunde des unerschütterten Glaubens an die Macht des Kaiserstaates r u h t e oder zu ruhen schien. Die kühne Verkündigung 4 ), daß Österreich sich jetzt in einer entschieden besseren Stellung befinde als vor dem Ausbruch der Revolution von 1848, wurde mit einer den kirchlich gesinnten ') Mz. J. 1857 Nr. 176 (30. 7.). Dazu Nr. 215 (15. 9.) über Franz Josef, „der an seinen Prinzipien unverbrüchlich festhält". >) 1857 Nr. 294 (16. 12.), 297, 298. Zeichen: *M*. — Vgl. S. 346 Anm. 3. 3 ) 1858 Nr. 18 (22. 1.). Vgl. Nr. 4 (6. 1.). 4 ) 1858 Nr. 37 (13. 2.).

3 4 6 I U I : K.skirchenpoL Kampf mit d. Liberalismus: „Freiheit, Autorität u. Kirche"

Lesern leicht einleuchtenden Sicherheit kirchlich b e g r ü n d e t : das Gedeihen soll davon abhängen, d a ß „die Geister und alle staatliche Tätigkeit von den Wahrheiten des C h r i s t e n t u m s " getragen seien; mit dem Konkordat habe Österreich „seinen A u f b a u ganz und gar auf die göttliche Ordnung, O f f e n b a r u n g und Gnade gegründet, und die Zeit wird lehren, daß es hierbei nicht auf Sand g e b a u t h a t . " So wurde immer wieder von der befriedigten kirchlichen E m p f i n d u n g aus das Politische gedeutet und beurteilt; der kirchliche Gewinn sollte hinterdrein politisch gerechtfertigt und so auch denen wenigstens österreichisch empfohlen sein, denen er katholisch nichts bedeutete. Es ist unverkennbar, d a ß mit dem J a h r e 1858 unter dem Eindrucke der allmählich deutlicher hervortretenden Absichten Napoleons und Cavours das Mainzer klerikale Blatt die allzu vordringlichen Kirchlichkeiten und die allzu anspruchsvolle Kritik Preußens mehr und mehr zurücktreten ließ, um schließlich, als die Entscheidung mit den Waffen zu erwarten war, den Prinzregenten geradezu schmeichlerisch zu umwerben. Noch bis in den Sommer 1858 hinein wurde die Abwehr preußischer Machtgedanken gelegentlich scharf oder schulmeisterlich geführt 1 ), wurden die österreichischen Zollwünsche im alten Stile angemeldet 2 ), und das laute Denken mit österreichischen Gedanken verriet noch weiterhin wenig Selbstbesinnung. Es wirkte nicht lediglich Kaisergeburtstagsstimmung, wenn am 18. August 1858 Österreichs weltgeschichtlicher Aufgabe zugleich und seines Schutzamtes über Deutschland gedacht wurde, als gäbe es kein in seiner Macht und seinen Ansprüchen erstarkendes Preußen. 8 ) Dieser enthusiastische Zeitungsschreiber sah eben im Spätsommer 1858 „die" deutschen Völker von den Banden des Vorurteils gegen Österreichs Absichten befreit, sah den Zug nach Einigung auf dem Wege zur Erfüllung; Österreich sollte als „ d i e " deutsche Einheitsmacht gelten, von der die öffentliche Meinung Taten erwarte und erwarten dürfe in der europäischen wie in der deutschen Politik. Mit willkürlich aufgesetzten „historischen Schlaglichtern" suchte er die Vorstellung zu wecken, d a ß der bestehende Dualismus zwischen Österreich und Preußen ein modernes und ein höchst überflüssiges Gebilde sei; er beschwor den Prinzregenten von Preußen, seine Aufgabe als die eines Vermittlers in dem großen Restaurationswerke deutscher Einigung zu erkennen, und mitten in den Besorgnissen vor den preußischen Neigungen zu einem „Höhertragen der preußischen F a h n e " hoffte er auf die preußische Gefolgschaft f ü r das, was er Österreichs deutsche Aufgabe nannte, was freilich gerade f ü r ihn nach außen die Sicherung der österreichischen ») Nr. 32, 118, 139, 168, 178. J ) Nr. 96, Nr. 153. s ) Mz. J. 1858 Nr. 193, dann 210 (8. 9.), 211, 224 (24. 9.), 263 (10. 11.), 240 (13. 10.), 252 (27. 10.). Der Schreiber ist derselbe »M», von dem die oben S. 345 Anm. 2 genannten Aufsätze stammen.

Die italienische Gefahr 1858.

Klerikale Rücksicht auf Preußen

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Stellung in Italien, auf dem Boden des Deutschen Bundes aber die politische und wirtschaftliche Führerschaft Österreichs bedeutete. Auch an Zeichen eines überhitzten kirchlichen Eifers fehlte es noch im Herbst 1858 keineswegs; aber er wandte sich nicht gegen Preußen, sondern gegen Napoleon, der jetzt den fremden Klerikalen wie denen seines eigenen Landes unheimlich zu werden begann. 1 ) Jedenfalls: seit dem S p ä t j a h r 1858 unterblieben die spitzigen Mainzer Angriffe gegen Preußen. Die „Neue Ä r a " , die den preußischen Liberalismus zu d a u e r h a f t e m Bündnis der preußischen Krone nahezubringen schien, war gewiß f ü r den österreichisch-großdeutschen Klerikalismus nicht eben verheißungsvoll. Schon die große persönliche Ansprache des Prinzregenten an seine Minister vom 8. November 1858 1 ) konnte in dem Mainz Kettelers keinen freundlichen Widerhall wecken: mit ihrer Kampfansage gegen alle Versuche, die Religion zum Deckmantel politischer Bestrebungen zu machen, mit ihrer nüchternen, militärisch bestimmten, so ganz und gar nicht an die Art des königlichen Bruders gemahnenden E r k l ä r u n g : „Der katholischen Kirche sind ihre Rechte verfassungsmäßig festgestellt; Übergriffe über diese hinaus sind nicht zu dulden."*) Aber man lernte jetzt in Mainz, um Österreichs willen an sich zu halten. K a u m d a ß ein scharfes Wort über die Neue Ära fiel, über diese wohl nicht ungefährlich, doch auch in sich verworren scheinende liberale Reaktion. 4 ) Allenthalben verraten die Urteile des Journals aus Rücksicht auf Österreich Rücksicht auf Preußen. Ein bezeichnendes Beispiel: ein erprobter Mitarbeiter 6 ) h a t t e im Februar 1858 die englische Heirat des Prinzen Friedrich Wilhelm von Preußen als Beweis des mangelnden preußischen Verständnisses f ü r den größeren deutschen Zusammenhang b e t r a c h t e t ; im November aber redete ein nicht weniger gewichtiger Mitarbeiter, in überdeutlicher Berechnung, von der Hoffnung, „ d a ß Preußen, dem großen Zuge deutsch-patriotischer Gesinnung und verwandtschaftlicher Verbindung mit England folgend, die Kette vervollständigt, durch welche eine große mitteleuropäische Allianz ' ) Leitartikel über den Streit um den getauften J u d e n k n a b e n Mortara in Bologna: Nr. 255, 256, 258, 259. In Nr. 258 ist auch aus d. Allg. Zeitg. eine Wiener Mißbilligung der Intervention Napoleons beim Papste übernommen. Erzbischof v. Bologna war der dem Bischof und seinen Mitarbeitern wohlbekannte Viale Prelä. «) Erich Mareks, K. Wilhelm 6./7. Aufl. (1910) S. 139. 3 ) Gerade diese und andere „auf die kirchlichen Verhältnisse sich beziehenden P u n k t e " wurden in einer Berliner Mitteilung an den „ K a t h o l i k " 1858 II S. 432 herausgehoben. ' ) Mz. J . 1858 Nr. 285 (5. 12.), Zustimmung zu kritischen Äußerungen der Leipz. Zeitg.; schon Nr. 274 (23.11.) Münchner Meldung, d a ß die preußische „Neue Ä r a " bei den baierischen Liberalen Hoffnung auf einen „Systemwechsel (wie sie es nennen)" wecke. ') * M * (vgl. oben S. 346 Anm. 3) Nr. 32 (7. 2. 58). Dazu Nr. 269 (17. 11.) # # (vgl. oben S. 344 Anm. 3).

3 4 8 I I I 1: K.skirchenpol. Kampf mitd.Liberalismus: „Freiheit, Autorität u.Kirche"

ihre Vollendung erhält. Der deutschen Allianzfrage wäre alsdann die wünschenswerteste Lösung zuteil geworden". Österreichs Not im J a h r e 1859 lieh dann seinen rheinischen klerikalen Helfern zwar nicht den Geist, doch den Schein der Gerechtigkeit, j a der Bescheidenheit gegenüber Preußen. Die führenden J o u r n a l m ä n n e r , denen die Erinnerungen des protestantischen Hohenzollernhauses sonst wahrlich nicht nahe zu sein pflegten, wollten nun auf einmal dem gegenwärtigen Preußen mit preußischer Vergangenheit beikommen: ein Berliner Mitarbeiter rief den Großen K u r f ü r s t e n als Kronzeugen an und suchte die zur Zurückhaltung ratenden preußischen Stimmen mit dem Mahnworte „gedenke, daß du ein Deutscher b i s t " zu beschwichtigen 1 ); einer der Mainzer Führer selbst 2 ) aber ließ eine Polemik gegen „die delphische Weisheit der Kreuzzeitung" — f ü r sie war das Zerwürfnis zwischen Frankreich und Österreich n u r ein Konflikt der beiden katholischen Großmächte an den Stufen des Stuhles Petri — mit dem. Anscheine der Zuversicht ausklingen in das Wort, der Regent von Preußen sei ein würdiger Sohn der großen Mutter, der Königin Luise, die gefordert habe „alles n u r mit und für Deutschland". Man drängte im Februar schon zum bewaffneten Eingreifen. Zu A n f a n g des Monats wurde 3 ) in Mainz der zugleich lockende und herausfordernde Ruf der Wiener Presse mit Beifall wiederholt: „ E s erschalle das entscheidende deutsche Wort, bevor es zu spät ist, denn nicht England, sondern Deutschland, das von l 1 /» Millionen Schwertern starrende Deutschland, ist vor allem berufen, den Krieg zu verhindern und jedem, der ihn wagt, den Frieden zu diktieren." Vierzehn Tage später a b e r erklang aus dem Journalkreise selbst 4 ) frei und laut der Ruf nach dem deutschen Kriege: in Frankreich müsse die Regierung Friedensmanifestationen zu verhindern suchen, in Deutschland dagegen dränge das Volk in allen seinen Schichten zu einem Hinüberschleudern des Fehdehandschuhs auf französischen Boden. Eine solche Bereitschaft, den französischen Plänen durch eine österreichisch-deutsche Kriegserklärung zuvorzukommen, zeigte sich in dem klerikalen Blatte der Bundesfestung Mainz, und verwandte Blätter sprachen ähnlich; man begreift, d a ß preußisch gesinnte südwestdeutsche Liberale, die nicht „heißspornig Deutschland f ü r Österreichs hegemonistische Interessen in Italien" eingesetzt wissen wollten, in solchen klerikalen Pressestimmen gar nur den Kampf f ü r Rom sahen 5 ), der in der T a t gewiß nicht allein, aber in der Tiefe am stärksten den Mainzer Bischof 1859 Nr. 28 (3. 2.), vgl. 29, 32, ») * M * ; Nr. 35. ») Mz. J . 1859 Nr. 27 (2. 2.). *) * M * . Nr. 49 (27. 2.). ' ) Grenzboten 18. J a h r g . (1859) I 2 Betrachtung noch 1904 in der nützlichen v. 1859, Bismarck u. die öff. Meinung in

33, 34.

S. 143—152. — Eine ähnlich einseitige Arbeit von A. Mittelstaedt, Der Krieg Deutschi. S. 23 u. ö.

Die Mainzer Klerikalen und der Krieg von 1859

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selbst wie seine Getreuen bewegte, von dem aber die Taktik jetzt zu schweigen gebot. Der scharfe Ton gegen Westen aber blieb die Forderung gerade des Journals. Als ein preußischer Mitarbeiter Anfang März mahnte, man solle sich hüten, von vornherein die nationale Leidenschaft zu entflammen, da sagte die Schriftleitung diesem „verehrten Freunde" — der nun freilich sich naiv genug gezeigt hatte, eine ruhige Aussprache („in christlicher Weise") zwischen Franzosen, Deutschen und Italienern zu fordern —, seine Auffassungsweise sei zu ideal und abstrahiere zuviel von den konkreten Verhältnissen; sie selbst meinte, das Richtige habe vielmehr der Freiburger Erzbischof getroffen, der sogar der Anordnung eines allgemeinen Kirchengebetes für die Erhaltung des Friedens einen kriegerischen Klang zu geben wußte. 1 ) Der Hinweis auf bischöfliches Urteil in dieser von kirchlichen Empfindungen umbrandeten politischen Frage war zu begreifen; er konnte um so gewichtiger erscheinen, als einige Wochen zuvor die Schriftleitung zur Bezeugung ihrer konservativen Gesinnung, ihres Festhaltens am Alten, Hergebrachten, Erprobten sich auf das Urteil „der bedeutendsten und einsichtvollsten Persönlichkeiten in Staat und Kirche" berufen hatte 2 ); sie durfte dabei an Ketteier und Dalwigk denken. Noch kurz vor dem Kriegsausbruche war Ketteier persönlich des Glaubens, daß Preußen, wenn nicht aus besseren Motiven, dann schon in eigenem Interesse, sich zu Österreich halten werde. 3 ) Er ließ auch Mitte Mai, da die Kämpfe in Italien gerade begonnen hatten und die Verhandlungen zwischen Preußen und Österreich weitergingen, mit der Hoffnung auf den österreichischen Sieg die Hoffnung auf einen gemeinsamen deutschen Kampf anklingen. Das geschah in seiner ersten und letzten öffentlichen Äußerung über den Krieg. Der Papst auch galt als bedroht, und der Papst selbst hatte alle Bischöfe mit dem Ausschreiben allgemeiner Gebete für den Frieden beauftragt. Der Verkündigung dieses päpstlichen Rundschreibens fügte Ketteier eine kurze Ansprache bei 4 ): konnte sie noch als rein kirchlich gelten, wenn sie zum Gebete für den gefährdeten obersten Hirten aufforderte, Nr. 52 (vgl. auch Nr. 81). Der Erzbischof (oder vielmehr der Verf. des Hirtenbriefs) sprach von d. Gebete „für kräftige Einigung der deutschen Fürsten und VOlker, in welcher ja die Bürgschaft des Weltfriedens liegt". Daß die Freiburger Kurie Österreichisch gesinnt war, wußte man in Mainz. ' ) 1859 Nr. 7 (9. 1.). — Neben anderen werbenden Erklärungen z. B. 1857 Nr. 65 (18.3.) in der „Einladung zum Abonnement" u. a.: „Unser Blatt wird an seiner Aufgabe: Bekämpfung der Revolution, Stärkung der Autorität in Kirche und Staat unerschütterlich festhalten, wie es dieses seit seiner Begründung im J . 1848 getan." Es sei „das am meisten gelesene politische Blatt in Mainz, im Großherzogtum Hessen, Kurhessen, Nassau, Frankfurt und Rheinbayern". Nach 1859 stand es nicht mehr so günstig (vgl. oben S. 316). ») K. an s. Schwägerin Paula 16. 4. 59: Br. 267. ' ) Ausschreiben v. 17. 5. 59. — Vgl. Mz. J. 1859 Nr. 119 (22. 5.).

350 IUI: K.skirchenpol.Kampf mitd.Liberalismus: „Freiheit, Autoritätu.Kirche" so griff Ketteier als deutscher Bischof b e w u ß t in das politische Leben ein, indem er den Gläubigen zurief: „ b e t e t auch recht beharrlich um die Einigkeit der deutschen Fürsten und Völker, betet um den Sieg der gerechten Sache, um den Sieg der österreichischen, der deutschen W a f f e n " ; warnte er geistlich, kirchlich „ v o r jener unchristlichen Gesinnung, die andere Völker h a ß t oder v e r a c h t e t " , so schob er zuletzt doch mit scharfem Worte die V e r a n t w o r t u n g jenen zu, „welche die beklagenswerten Ereignisse in ihrem Ü b e r m u t e und durch ihre frevelhaften Pläne herbeigeführt h a b e n . " Gebete f ü r den Sieg des Rechtes und der Gerechtigkeit verordneten auch preußische Bischöfe mit kräftigen Worten. 1 ) Die deutschen Bundesschwierigkeiten und die Gegensätze zwischen den deutschen Großmächten berührte Ketteier in der Öffentlichkeit nicht. Aber er konnte nicht anders denken als die Klerikalen überh a u p t , die Preußen zuerst umwarben, dann, da Österreich allein kämpfen mußte, verdammten. Für die mehr vornehme als durchgreifende, mehr ehrliche als aussichtsvolle Vermittlungspolitik des Prinzregenten zeigten diese Großdeutschen kein Verständnis; das h ä t t e man selbst dann von ihnen nicht erwarten dürfen, wenn sie etwa das auch in der Not nicht erschütterte Wiener Selbstbewußtsein, das ihnen doch lediglich als kaiserliche Festigkeit erschienen wäre, in allen seinen Äußerungen gekannt h ä t t e n . In den ersten Kriegswochen redete einer der beharrlichsten Mainzer Mahner 2 ) der preußischen Regierung zudringlich ins Gewissen: wie in den Zeiten des ersten Napoleon gelte es die Bek ä m p f u n g französischer Oberherrschaft, und der preußische R u h m lasse sich nur erhalten, wenn Preußen seine Pflicht so auffasse, wie damals Österreich, und danach handle. Derselbe Mitarbeiter aber h a t t e unmittelbar vorher die nur m ü h s a m gebändigte Abneigung wider die selbständigen preußisch-deutschen Machtgedanken deutlich genug gezeigt. Er meinte 3 ), die Gothaer, die „deutschen Patrioten par excellence", verrieten mit ihrer u n t e r der H a n d arbeitenden Bek ä m p f u n g der großdeutsch gesinnten Fürsten nur eine wahrhaft zynische Geringschätzung der großen Mehrheit des deutschen Volkes. Denn diesmal habe sich der Selbsterhaltungstrieb der Fürsten mit dem der deutschen „Völker" vereint, und man könne „sogar so weit gehen zu behaupten, d a ß unter gewissen Umständen es vorzuziehen sei, eher von Frankreich u n t e r j o c h t , als von Preußen verschlungen zu werden." „Die Wiedervertreibung der Franzosen würde nicht lange auf sich warten lassen, während mit einer vollendeten preußischen Unirung das Deutschland einer mehr als tausendjährigen Geschichte verschwunden wäre." Hier war von den „ G o t h a e r n " , nicht von der *) So Martin v. Paderborn in e. Hirtenbriefe v . 29. 5. — Über die verwandte Stimmung Geisseis: Pfülf, O. 2, 417 ff. ') Mz. J. 1859 Nr. 124 (28. 5.) # # . ») Nr. 121 (25. 5.) „ D i e Stellung von Gotha und Berlin".

Klerikales Werben um Preußen.

Wendung im Sommer 1859

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preußischen Regierung die Rede, und auch von dem verdächtigen „politischen Berlinertum" wurde „ P r e u ß e n " ausdrücklich getrennt. Aber mittelbar mindestens war der Angriff gegen die Regierung der Neuen Ära gerichtet und ganz unmittelbar gegen den Gedanken preußischer Führung in Deutschland, der gerade auch d a n n eine gefährliche Anziehungskraft gewinnen konnte, wenn ein den sich sammelnden Liberalen verbundenes Preußen als selbständiger siegreicher Leiter eines deutschen Krieges gegen Frankreich aufgetreten wäre. Die Furcht vor Preußens Hilfe, sofern sie nicht zugleich Preußens Verzicht auf selbständige F ü h r u n g bezeichnete, war größer als die vor Preußen Absage — bei den verantwortlichen österreichischen Stellen und nicht anders bei den unverantwortlichen, aber unterrichteten literarischen Vorfechtern der österreichischen Politik. In Berlin, wo man jenen Leitartikel mit seinem dreisten Abwägen vorübergehender französischer gegen bleibende preußische Gefahr sofort beachtete 1 ), meinte man zur Erklärung einer solchen Sprache nur feststellen zu müssen, d a ß das Mainzer Journal „ u n t e r dem Schutze" Kettelers stehe. Einen Nachklang der Stimmung des Bischofs mag man hier wohl h ö r e n : nicht zwar das Wort über Frankreich, wohl aber die Erinnerung an die preußische Bedrohung einer tausendjährigen deutschen Vergangenheit spiegelt seine Anschauung wieder. Schon brachte die Zeitung in einer Zuschrift aus seiner westfälischen Heimat®) die Behauptung, die ganze Politik der Neutralität strebe nur nach Österreichs Untergang. Dabei konnte doch dieser westfälische Schreiber so gut wie die Mainzer Schriftleitung wissen, d a ß in Wahrheit auch schon bescheidene Ziele einer selbstisch-selbstbewußten preußischen Politik andere Wege als den der freundlichen, zum Eingreifen f ü r Österreich bereiten Neutralität gefordert h ä t t e n ; von dem zu schweigen, was Bismarck in Petersburg und einige andere Preußen damals sich als Aufgabe ihres Staates dachten. Jener maßvollere Mainzer Mahner 8 ), als unermüdlichster in einem Chore von Rufern in der Not Österreichs, beschwor in den Tagen von Magenta und Solferino von neuem den Schatten der „unvergeßlichen und mit Recht so hoch verehrten Königin Luise", erinnerte an frühere Versäumnisse Preußens, w a r n t e vor der Gefahr einer Erfüllung jener Prophezeiung des Rheinischen Merkurs, daß „auf den Schlachtfeldern von Italien zugleich über das Schicksal der deutschen Rheinlande und wer weiß, bis wieviel weiter noch in die deutschen Herzlande hinein, entschieden" werde. Der Ausdruck einer nationalen Beklemmung, die, was immer von kirchlichen Absichten dahinter v e r m u t e t werden durfte, aus deutscher Vergangenheit heraus begreiflich und ») Aus d. Ü b e n Th. v. Bernhardis 3 (1894) S. 230 f. ") 1859 Nr. 125 (29. 5.). >) *M», vgl. oben S. 346 Anm. 3.

3 5 2 11! l: K s kirchenpol. Kampf mit d. Liberalismus: „Freiheit, Autorität u. Kirche"

berechtigt war! Die Anklagen gegen Preußen aber schimmern hier und auch sonst durch die werbenden Worte hindurch. Nur notgedrungen hielt das J o u r n a l in den Wochen der italienischen Entscheidung mit eigenen scharfen Angriffen gegen die Berliner Regierung zurück. Noch ehe die K u n d e vom Waffenstillstände eingetroffen war, wurden wenigstens Münchner „Deutsche Stimmen über preußische Politik" aufgenommen 1 ), die Preußen Mangel an Mut, an moralischer K r a f t und an jedem Entschluß vorwarfen. Die Journalleitung selbst aber gab am 17. Juli 1859 einer Zuschrift, die da meinte, ein österreichischer Entschluß zum Weiterkämpfen h ä t t e wohl gute Früchte getragen, ein trockenes „vielleicht auch n i c h t " mit auf den Weg. Es bedurfte nicht mehr des kaiserlichen Manifestes vom 15. Juli, das mit dem bitteren Wort über das Versagen des ältesten und natürlichen Bundesgenossen das eigene Versagen Österreichs vergessen machen und die ganze E r b i t t e r u n g über die Niederlage auf Preußen lenken wollte. Der Mainzer Kreis fand sich leicht in die Preisgabe der erzwungenen Rücksichtnahme auf Preußen. Der vordem so sanft maßvolle Mainzer Mahner Preußens sprach nun sofort von „unedler Säumnis" 2 ); den Verzicht von Villafranca, den er soeben noch selbst f ü r unmöglich gehalten h a t t e (die Waffenruhe wollte ihn lediglich als Unterbrechung des alsbald auch am Rhein losbrechenden Krieges erscheinen), rechtfertigte er nun mit der österreichischen Erwägung, d a ß die Bedingungen der preußischen Hilfeleistung eben lästiger gewesen seien als die Zugeständnisse an die Feinde. Man zeigte sich, immer zugleich getrieben von der Sorge um den kaum auch nur diplomatisch gesicherten Kirchenstaat, sogar österreichischer als das amtliche Österreich: kurz nach dem Züricher Friedensschlüsse verkündete das Mainzer Journal, daß der wahre Friede in Italien die Wiederherstellung der österreichischen Rechte zur Voraussetzung habe. Aber solche hochfliegenden Träume sollten bald vergehen. Die italienische Bewegung wogte weit hinweg über die künstlichen Schranken der Verträge. Genährt von ihr, begünstigt zuerst durch die Neue Ära in Preußen, erhob sich die deutsche nationale Bewegung. Die Regierungen der Reaktion hatten sich des liberalen Bürgertums zu erwehren. Das Ministerium Dalwigk mußte noch vor Ablauf des Kriegsjahres inmitten einer sonst gefälligen Kammer gefährliche kirchenpolitische Forderungen auftauchen sehen und fand sich bald sogar, da seine Polizeimittel versagten, einem heftigen Anstürme des Liberalismus gegenüber. Diese Vorstöße richteten sich gegen Regierung und Klerikalismus zugleich. Beide konnten den *) Nr. 157 (9. 7.) aus d. Münchner Volksboten. Dazu die Anmerk. der Redakt. d. Mz. J . : „Wir haben das alles schon vor Monaten gesagt, wir haben in neuester Zeit um des l i e b e n F r i e d e n s willen die trefflichen Artikel über diese Frage vorläufig bei Seite gelegt. Lassen wir auch heute noch a n d e r e reden." *) » M \ Nr. 162 (15. 7.). Z. Folg. Nr. 160 u. 161.

Großherzog Ludwig III. von Hessen und Dalwlgk

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Kampf vereint d u r c h k ä m p f e n . Denn das bewährte Bündnis, die charakteristische Erscheinung der inneren Geschichte Hessens unter dem Ministerium Dalwigk, bestand u n e r s c h ü t t e r t weiter.

Großherzog Ludwig III., dem überkommenen Staatskirchentum innerlich zuneigend, h a t t e die Kirchenpolitik des Gewährens gelegentlich zu dämpfen gesucht, aber allen Regierungsentwürfen, die wir größtenteils als bischöfliche E n t w ü r f e erkennen konnten, schließlich doch zugestimmt. Sein gesunder Menschenverstand n ä h r t e sich nicht von hohen Ideen. Ihn erfüllte mehr das fürstliche Bewußtsein als der Sinn f ü r die große Politik. Im Auswärtigen k a n n t e er keinen andern politischen Leitgedanken als die Sicherung seiner Souveränität und der „europäischen" Stellung des Großherzogtums; im Innern liebte er die wohlgeordnete Ruhe, das zwangvoll-fürsorglich Patriarchalische im Staats- und Kirchenleben. Seit Ausgang der fünfziger J a h r e ließ er Dalwigk noch freier gewähren als zuvor, denn er sah, so wie er es nur wünschen konnte, seinen Minister mit beharrender Hingabe nach innen und außen in seinem Sinne arbeiten. Die Großherzogin Mathilde, die politisches Feuer in sich f ü h l t e und den aus der baierischen Heimat überkommenen katholisch-großdeutschen Abscheu vor preußischkleindeutschen Plänen im K a m p f e gegen den Nationalverein mit stiller Leidenschaft aufleben ließ, m u ß t e vielleicht gelegentlich 1 ) ihren Einfluß beim Großherzoge wirken lassen, u m eine Mißstimmung zwischen Fürst und Minister zu verscheuchen. Im allgemeinen bedurfte es dessen nicht, und gerade während der großen politischen und kirchenpolitischen K ä m p f e nach dem frühen Tode der Großherzogin (25. Mai 1862) saß Dalwigk fester im Vertrauen seines Herrn als je. Von der näheren Beschäftigung mit der Kirchenpolitik im besonderen h a t t e Großherzog Ludwig III. sich schon im F r ü h j a h r 1856 verabschiedet, als er die umgestaltete „vorläufige" Übereinkunft durch seine Billigung tatsächlich zur endgültigen machte. Aber er konnte befriedigt sehen, wie der Bischof die katholischen Priester und Laien in straffer Zucht hielt, und die immer erneuten Beteuerungen der U n t e r t a n e n t r e u e und Dankbarkeit, die ihm aus dem bischöflichen Mainz entgegenhallten, mußten ihm wenigstens politisch willkommen sein. Es sollte als kirchliche Danksagung f ü r die kirchlich gebesserte Übereinkunft gelten, wenn im J a h r e 1856 am Geburtstage des Landesherrn der Bischof das Hochamt abhielt und das „ J o u r n a l " , in das Gewand der Klio sich hüllend, begeisterte W o r t e über die Verwaltung des Landes in der Feststellung gipfeln ließ, der Großherzog verdiene den *) Vgl. Bismarcks Bemerkung in dem Berichte vom 7. 1. 54: Poschinger, Preußen im Bundestag 4, 161. — Über die QroBherzogin auch oben S. 251 mit Anm. 3 , dazu unten S. 382 Anm. 2. V l g e n e r , Bischof Ketteier

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3 5 4 I U I : K-skirchenpoLKampf mitd.Liberalismus:„Freiheit,Autoritätu.Kirche"

Beinamen des Gütigen und Edeln. 1 ) „Ein Blick auf das Großherzogtum Hessen" f ü h r t e hier im Sommer 1856 zu einem ähnlichen Ausdrucke des GlücksgefOhles wie im J a h r e 1851, n u r d a ß j e t z t die kirchliche Grundlage dieses Gefühls freier aufgedeckt wurde u n d der Dank für die kirchenpolitische Bewegungsfreiheit fast zu offen herauskam. Den Ministerpräsidenten bewahrte weltkundige Diplomatenklugheit vor der Uberschätzung solcher Zeitungsworte. Aber er zeigte sich doch auch dem zur Schmeichelei vergröberten Beifalle zugänglich, und die neue hessische Kirchenpolitik hielt er nun einmal, und nicht ohne jedes Recht, f ü r sein staatsmännisches Verdienst. Er hatte, vor Selbstlob in der Öffentlichkeit und im Gespräche so wenig wie in seinen verborgenen Aufzeichnungen zurückschreckend, schon im November 1852, um die Preisgabe der Gießener F a k u l t ä t zu beschönigen, dem preußischen Gesandten gegenüber erklärt, er habe in seinem passiven Auftreten den Beifall gewiegter englischer S t a a t s m ä n n e r gefunden. 1 ) Etwas „Passives" h a t t e sein Auftreten freilich auch dann noch, als die Aktivität des Bischofs das Ministerium vertragsmäßig zu binden suchte. Wer die Wege überblickt, die zu den Vereinbarungen zwischen D a r m s t a d t und Mainz führten, die mehr bischöflichen als staatlichen Quellen des Ausgleichs, wer sich erinnert, daß auch die Verhandlungen selbst mehr von dem geistlichen als dem weltlichen Drucke geformt wurden und d a ß in D a r m s t a d t Rieffels Anteil an aller kirchenpolitischen Arbeit weit größer war als der Dalwigks — selbst jenes Wort Dalwigks zu dem preußischen Gesandten ist dem Gedankengut Rieffels abgeborgt*) —, wer sich all das vergegenwärtigt, wird die Leistung des Ministers gewiß auch hier nicht überschätzen. Aber wenn nicht im letzten Sinne f ü r den Staat, so doch mindestens f ü r das Regierungssystem, wie es dieser Großherzog und dieser Minister durchführen wollten, und so auch im besonderen f ü r den Kampf wider alle Erscheinungsformen des Liberalismus war es ein bedeutender Gewinn, daß die katholische Kirche mit ihren konservativen Kräften f ü r die Regierung eingesetzt werden k o n n t e ; und das bleibt doch im Sinne dieser konservativ-absolutistischen Regierung das Verdienst des leitenden Staatsmannes. Freilich auch dieser Erfolg kostete Zugeständnisse und zog Willkürlichkeiten nach sich. Nach der endgültigen Gewährung der bischöflichen Vertragsforderungen wurde dem Großherzog, an dessen Namensfest man in allen katholischen Kirchen zum Zeichen, daß er als von ») Mz. J . 1856 Nr. 134 (10. 6.). Z. Folg.: Nr. 186 (9. 8.), 187; dazu oben S. 176 f. ») Rosenberg an d. preuß. Min. 12. 11. 52 (vgl. oben S. 186 Anm. 1). Die englischen Lobesworte, die ihm sein Freund Liebig 23. 9. 51 aus Balmoral übermittelte, hat Dalwigk sogar in der 2. Kammer 11. 10. 60 hervorgezogen. ' ) In d. Ministerialbericht an d. Großherzog 3 1 , 8 . 5 2 heißt es; „Rücksichten der Staatsklugheit gebieten, von allen Verboten abzusehen, welche nicht gehandhabt und ausgeführt werden können."

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Portdauer des Bundes zwischen Darmstadt und Mainz

Gott gesetzt anerkannt werde, feierlichen Gottesdienst hielt, wurde dem „innig geliebten Oberhaupt der großen hessischen Familie" wieder und wieder vor allem dafür gedankt, daß er den Frieden zwischen Staat und Kirche bewahrt habe. 1 ) Anderen aber schien wohl eben durch den Bischof und die Seinigen der hergebrachte konfessionelle Friede gestört zu werden. Kettelers kräftige Tonart brachte tatsächlich nach dem Abschlüsse der Übereinkunft — mindestens seit dem Bonifatiusjahre und nicht erst seit dem Ausbruche der scharfen innerpolitischen Kämpfe — gelegentlich einigen Aufruhr in dörfliche, in städtische Gemeinden. Regierungsbeamte selbst, liberal-katholische nicht weniger als protestantische, evangelische Geistliche zumal, bis hinauf zu den Superintendenten, fühlten sich zu Beschwerden gegen Ketteier gedrängt. Aber sie mußten dann wohl die bittere Erfahrung machen, dem Bischöfe gegenüber machtlos zu sein: in Darmstadt hörte man nicht gern auf Klagen über das kirchliche Mainz oder über den Bischof selbst; amtliche Hände suchten das Wellengekräusel örtlicher Streitigkeiten mit freundlicher Rücksicht auf Ketteier zu glätten. 2 ) Also kam die vormundschaftliche Verwaltung Dalwigks wie im Großen so im Kleinen dem Bischof zustatten. Anderwärts, in dem katholischen Baiern etwa und selbst in dem Preußen der günstigen Verfassungsbestimmungen, ertönte immer wieder kirchlicher Tadel über die weltliche Bürokratie; in Hessen lastete sie gerade auf der katholischen Kirche am allerwenigsten. Dabei offenbarte sich im übrigen die Fürsorglichkeit des verordnungseifrigen Dalwigkschen Regiments auch in bedenklichen und in seltsamen Erscheinungen, die man neben seinen, vielfach freilich dem Antriebe der Bevölkerung entspringenden Leistungen für das Wirtschaftsleben neuerdings ebenso sehr zu übersehen pflegt, wie sie früher, in den Kämpfen der sechziger Jahre zumal, von den Widersachern des Ministers geflissentlich übertrieben worden sind.*) Aber wenn man diese Kämpfe, auch die kirchenpolitischen, in ihrer Leidenschaftlichkeit verstehen will, muß man die Eingriffe dieser der katholischen Kirchengewalt im Lande so wohlgesinnten Regierung in das Leben der Einzelnen und der Gemeinschaften allerdings beachten. ») Mz. J . 1857 Nr. 134 (10. 6.), zum Geburtstag des Großherzogs. — Weiter 1858 Nr. 198 (25. 8.). *) Der Kreisrat Goldmann in Dieburg z. B. fand im Frühjahr 1862 gegenüber anmaßenden und falschen Vorwürfen des Bischofs nicht den rechten Rückhalt beim Ministerium, wie die Akten (zur Ergänzung von Pfülf 2,10 ff.) zeigen. 16.5.62 schrieb das Min. an Goldmann u. a.: „ w i r . . . müssen sehr wünschen, daß dieser Angelegenheit keine weitere Folge gegeben werde", ähnlich endgültig 13. 6. 62. Über rheinhessische Klagen vgl. oben S. 295 f. u. 318 ff. *) Vgl. namentlich die Polemik in d. Wochenschrift des Nationalvereins („Zustände"), dazu die Darmstädter 1. und 2. „Erwiderung", ferner die hess. Berichte in den Grenzboten (bes. 1856 IV S. 2 4 - 3 2 u. 144—151; 1862 IV S. 167—171) und in den Preuß. Jahrb. (besond. 24 [1869], 22—42).

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U l i : K.s kirchenpol. Kampf mit d. Liberalismus: „Freiheit, Autorität u.Kirche"

Als groteskes Nachspiel des alten Polizeikrieges gegen demokratische Vollbarte erschienen im März 1852 sorgsam ausgearbeitete Bartvorschriften f ü r Beamte. Im nächsten J a h r e wurden sie nochmals eingeschärft. Man spottete wohl über dieses „Edidum quarum barbarum", man stritt über die Ministerialverordnung, daß Advokaten keine Bärte tragen sollten. 1 ) Aber es blieb dabei. Man mußte sich auch damit abfinden, daß die Staatsbeamten in Uniform gesteckt wurden: wie die Zoll- und Steuerbeamten und die Polizisten, mußten die Minister und Ministerialbeamten, die Bezirksärzte, die Richter, die Gymnasial- und Reallehrer ihre Uniform tragen; selbst den evangelischen Pfarrern gab man eine schwarze Uniform mit schwarzem Dreimaster. Ketteier h a t t e im F r ü h j a h r 1853 gut spotten, daß die Darmstädter Regierung — damals, da sie noch nicht auf dem Wege zur Übereinkunft war, nach des Bischofs Meinung noch „gegen die wichtigsten und heiligsten Interessen des Volkes t a u b und blind" — sich damit beschäftige, neue Uniformen f ü r die Schulmeister zu erfinden und statistische Tabellen über das Lebensalter der Nachtwächter anfertigen zu lassen. 2 ) An die katholische Kirche und die Universität — in Gießen verlor man nicht ganz die notwendige Wachsamkeit gegen ministerielle Versuche zu Eingriffen in die Lehrfreiheit 3 ), — an diese beiden über die Landesgrenzen hinausweisenden Gemeinschaften wagte sich der Uniformierungsdrang des Großherzogs 4 ) und seiner Regierung nicht heran. Jene durchgeführte äußerliche Uniformierung der Beamten war ja schließlich nur das Sinnbild der erstrebten politischen Uniformierung. Politisches und selbst kirchliches Wohlverhalten diente als wirksame Empfehlung. Viele Beamte wurden durch den Druck der oberen Behörden eingeschüchtert. Die Bürgermeister, vor Dalwigks Tagen immerhin aus drei Gemeindekandidaten von der Regierung ausgewählt, wurden nach Beseitigung der Gemeindeordnung von 1821 durch die Regierung aus der Mitte der nach Dreiklassenwahl gebildeten, übrigens durch Regierungsspruch auflösbaren Gemeinderäte ernannt. Die von Gagern geschaffenen Bezirksräte, die als Vertretung der Bevölkerung an der Kreisverwaltung teilnahmen, wurden ihres eigentlichen Sinnes entkleidet. Bei diesen Verwaltungsänderungen Dalwigks, mochten sie immerhin zur Vereinfachung führen, handelt es sich nicht, wie sein Lobredner Arnold v. Biegeleben behauptet 5 ), um „Vervollkommnung in freisinniger Richtung". Vielmehr sollten die Regierungsbehörden Mz. J. 1852 Nr. 55, Beilage (5. 3.). ) K. zu Canitz 4. 4. 5 3 (s. oben S. 215 Anm. 2). 3 ) Vgl. z. B. Baldensperger, Credner (1897) S. 61. — Gegenüber der Mattsetzung der kathol.-theol. Fakultät hatte die Universität freilich nicht ihre ganze Kraft eingesetzt. 4 ) Dalwigk zu dem Prinzen Alexander 25. 1. 65: Dalw. Tageb. 168. 6 ) Erinnerungsblätter 47. Ihm folgt Schüßlers Einleitung zu Dalwigks Tagebüchern vertrauensvoll. 2

Das Ministerium Dalwigk und das hessische Land

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wieder einzig und allein vom Ministerium abhängig gemacht werden, d a r u m wurden die Befugnisse der Bezirksräte eingeschränkt; es galt eben, das haben Dalwigks d a n k b a r e klerikale Freunde schon im J a h r e 1855 offen ausgesprochen 1 ), „ein demokratisches und die freie Bewegung der Regierungsbehörde lähmendes Element aus den Kreisverwaltungen zu entfernen." Das Verbot der politischen Vereine und andere Maßregeln aus den Anfängen der Tätigkeit Dalwigks blieben auch nach der Umgestaltung des durch die Verordnung vom 7. Oktober 1850 dem Lande auferlegten Wahlverfahrens bestehen. Das Wahlgesetz vom 26. September I856 2 ) ließ das Dreiklassenwahlrecht fallen, behielt aber die indirekte Wahl f ü r die Vertreter der S t ä d t e und Landgemeinden bei und ließ nur den grundbesitzenden Adel seine sechs Abgeordnete unmittelbar wählen. Manchen Adligen galt dieses den Adel bevorzugende Wahlrecht, das im übrigen nur die Steuerzahlung zur Voraussetzung hatte, als zu konstitutionell g e f ä r b t ; man hätte, wie in der Ersten K a m m e r ausgesprochen wurde, eine Landesvertretung nach dem Muster der althessischen ständischen Verfassung mit ihren drei Kurien Adel, Geistlichkeit, Städte vorgezogen. Dieses Wahlgesetz, das von dem demokratischen Ideale weit entfernt blieb, aber auch keine Vorrechte der oberen Bürgerschicht mehr kannte (aus der Ersten K a m m e r verschwanden die von der ersten Steuerklasse gewählten Mitglieder), wurde im F r ü h j a h r 1855 schon mit jenem Landtage vereinbart, der als „außerordentliche Ständeversammlung" nach Regierungsnotrecht im Herbst 1850 berufen worden w a r : ein Beweis, daß dieser Landtag, dessen doch stets bescheidene liberale Vorstöße Dalwigk nötigenfalls durch geschickte Vertagungen unschädlich zu machen wußte, sich im Verlauf der J a h r e dem Ministerium angepaßt hatte. Die Wahlen vom Dezember 1856 brachten eine Zweite Kammer, die f a s t mit gleichem Recht wie die vorangehende als „Beamten- und Bürgermeisterkammer" angesprochen werden konnte. 5 ) Diese Abgeordneten waren ganz überwiegend liberal gesinnt, aber sie zeigten wenig Neigung, in dieser Zeit, da ringsum die konservativen Gewalten noch feststanden, einen aussichtslosen Kampf mit dem Ministerium aufzunehmen. Es gab wohl Leute genug im Großherzogtum (sie bildeten gewiß die Uberzahl), die gern etwas mehr Kammeropposition gesehen h ä t t e n . Der Wunsch wurde auch offen ausgesprochen. Aber wie wenig das jetzt noch zu bedeuten hatte, zeigte sich z. B. im Sommer 1857 darin 4 ), d a ß Dalwigk selbst bei einem Mainzer Festessen der beiden Kammern und der Minister etwas von oben herab auf solche Stimmen verweisen und feststellen konnte, eine systematische *) ') *) 4 )

Mz. J. 1855 Nr. 151 (30. 6.). Gg. Meyer, D. parlatn. Wahlrecht (1901) S. 199. Etwas übertreibend „Grenzboten" 1862 IV S. 168. Mz. J. 1858 Nr. 153 (3. 7.).

3 5 8 I U I : K-g kirchenpol. Kampf mit d. UberaUsmus: „Freiheit, Autorität u. Kirche"

Opposition — „im Interesse des Landes sage ich gottlob" — habe auf diesem Landtage nicht stattgefunden. Nach der Meinung der Mainzer klerikalen Ministerpartei aber war das Land noch immer nicht dankbar genug für das Gute, das die „erleuchtete" Regierung getan habe. 1 ) In der Zweiten Kammer hatten die Klerikalen nur d r e i Vertreter sitzen, dabei allerdings einen so geschickten und entschlossenen Mann wie den Mainzer Generalstaatsprokurator Eduard Seitz, den höchsten Justizbeamten der Provinz Rheinhessen. Er vertrat die Sache seiner Kirche ausgezeichnet; die Gegner nannten ihn schon im Jahre 1847, da er, damals Assessor in Gießen, eben erst seine Abgeordnetentätigkeit begonnen hatte, einen Jesuiten, und für die „Allgemeine Zeitung" war er der Hofrat Büß der hessischen Kammer*); er zeigte sich übrigens weniger derb, weniger agitatorisch veranlagt und sehr viel geschmeidiger als der badische Oberländer. Einen freundlichen Widerhall fanden kirchliche Kundgebungen indessen nur in der Ersten Kammer, wo der Bischof anfänglich persönlich erschien, dann durch Lüft, seit 1863 durch Moufang vertreten wurde. Die Erste Kammer ging eben fast in geschlossener Reihe die Wege der Regierung, und diese kreuzten keinen Bischofsweg. Innerhalb der Regierung selbst behauptete sich der klerikale Einfluß. Protestantische Kreisräte meinten zu Anfang der sechziger Jahre wohl einmal, bei der jetzigen Leitung der öffentlichen Angelegenheiten könnten nur noch Katholiken auf Beförderung rechnen. 8 ) Eine starke Übertreibung gewiß. Überall aber saßen die eifrig katholischen Räte : im Ministerium des Äußern Arnold v. Biegeleben, im Justizministerium Heinrich Franck, der maßgebende Referent des alten, wenig bedeutenden Justizministers v. Lindelof, nach Meinung der Gegner bei der Stellenbesetzung auch auf kirchliche Gesinnung sehend und mit dem kirchlichen Mainz in guter Verbindung 4 ), und Damian Crève 6 ), wegen seiner Kenntnis des rheinhessischen Rechts und der rheinhessischen Verhältnisse als Mitarbeiter im Justizministerium geschätzt, stets in persönlicher Fühlung mit Dalwigk, dem er sich willig zur Verfügung Mz. J . 1858 Nr. 133 (10. 6.). ») Vgl. R. F(endt) in Struves „Dt. Zuschauer" Aug. 1847, s. Vigener, Fakultät S. 37 Anm.l (lies: 1847). — Im übrigen v. Schulte: A. D. B. 33 S . 6 5 6 f . u. Bergsträßer, Studien S. 103 ff., dazu Dalwigks Tageb. S. 325. ») Erwähnt in d. Schreiben K.s an das Min. d. I. 28. 3. 62 (Antwort auf die Beschwerde des Kreisrats Goldmann; vgl. oben S. 355 Anm. 2). 4 ) Übertreibend Preuß. Jahrb. 24 (1869), 24 „der Vertraute des Bischofs". — Prinz Ludwigs ungünstige Meinung über Franck: an d. Großherz. 24.7. 70 (veröff. v. Schüßler: Dalw. Tageb. S. 469). Franck in d. 2. Kammer, besond. Verhandl. v. 13., 14., 19.—21. Mai 1862. § ) Vgl. oben S. 218 mit Anm. 3. — Die Nationalvereinsschrift über Dalwigk, „Zustände" 3 (1861), verweist auf die große Zahl von Preßprozessen gegen rheinhess. liberale Blätter, „seitdem Geheimrat Crève die Pazifikation der rheinhessischen Gerichte vollzogen h a t " .

Die katholischen Ministerialräte.

Rodenstein als Rieffels Nachfolger

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stellte 1 ), als dessen bösen Dämon gar die leidenschaftliche Polemik der Liberalen ihn kennzeichnete, was bei seinem Ingrimm auf alles Liberale begreiflich genug war. Wir lernten ihn bereits als freiwilligen Berichterstatter der bischöflichen Kurie kennen. Wir sprachen auch von den guten Beziehungen, die der Bischof und sein Generalvikar mit dem Freiherrn v. Rieffei unterhielten, dem eigentlichen weltlichen Lenker jener vielfach geistlich vorausbestimmten hessischen Kirchenpolitik der fünfziger Jahre. Rieffels vorzeitiger Tod (12. Mai 1858) war ein Verlust für Ketteier wie für Dalwigk. Aber dieser katholische Referent, der in seinem letzten Lebensjahre übrigens die seit längerer Zeit erledigte erste Ratsstelle im Ministerium des Äußern erhalten hatte, bekam wieder einen katholischen Nachfolger. Auch Hessen hatte seine „katholische Abteilung", nicht der Form, aber der Sache nach. Daß die Einrichtung nach außen nicht hervortrat, war keineswegs lediglich ein Nachteil, um so weniger, als die katholischen Räte durch Geistesart und Absichten des leitenden Ministers dauernd begünstigt und in ihren Anschauungen gegen andere Strömungen im Ministerium oder am Hofe gedeckt wurden. Acht Tage nach Rieffels Tode wurde der Freiherr Maximilian v. R o d e n s t e i n , der zwei Monate zuvor Mitglied und Rat in der Oberstudiendirektion geworden war, Ministerialrat im Ministerium des Innern und Referent für die katholischen Kirchensachen. 2 ) Er hatte zusammen mit Rieffei in Gießen studiert, ein Jahr nach diesem die Fakultäts^ prüfung bestanden, war 1839—1844 Assessor beim Hofgericht in Gießen, dann am Darmstädter Hofgerichte zuerst Assessor, seit September 1845 Rat, als solcher einige Jahre lang der Amtsgenosse des älteren Freiherrn v. Hertling (f 1851). Rodenstein war ein nüchterner Beamter; der freundlich beobachtenden battenbergischen Prinzessin Marie, die ihn später im Kreise seiner älteren Geschwister im gastlichen Rodensteiner Hofe zu Bensheim näher kennenlernte, kam er etwas trocken vor. 3 ) Dienstliche Gutachten rühmen mit vielleicht nicht lediglich formelhaften Worten seinen Fleiß, seine tüchr tigen Kenntnisse, seine praktische Gewandtheit. Ob er über die starke Arbeitskraft Rieffels verfügte, muß fraglich bleiben; daß er nicht die Bewegungsfreiheit, die Wirksamkeit, den Einfluß seines Vorgängers zu gewinnen vermochte, läßt sich in den Akten beobachten. Rieffei pflegte die großen kirchenpolitischen Arbeiten allein zu erledigen; wenn er in den letzten Jahren ausnahmsweise einmal einen der jüngeren Räte heranzog, so überarbeitete er doch dessen Entwurf zumeist in einschneidender Weise. Dalwigk ließ ihm in den kirchenpolitischen l ) Bezeichnend besonders die bei Pfiiif 1, 411 f. erwähnte Verwendung C.s durch Dalwigk. *) Personalakten (Maximilian Frhr. Überbruck von Rodenstein, geb. 10. 10. 1810 in Bensheim, gest. ebenda 6. 6. 1903): Darmstadt, Min. d. Innern. *) Fürstin Marie zu Erbach-Schönberg, Aus stiller u. bewegter Z e i t 2 ( 1 9 2 1 ) S . l l f .

3 6 0 III 1: K skirchenpol.Kampf mit d. Uberalismus: „Freiheit, Autorität u.Kirche"

Fragen freie H a n d ; wir könnten nicht sagen, d a ß der Minister jemals einen Entwurf dieses Rates auch nur geändert hätte. Rieffels Selbständigkeit ist offenbar m i t u n t e r zur Selbstherrlichkeit geworden. In dem Diensteide der Ministerialsekretäre, den er im J a h r e 1834 h a t t e schwören müssen, stand die Verpflichtung auf getreuliche Verwahrung der Akten und U r k u n d e n ; Rieffei hat kirchenpolitische Aktenstücke, etwa badische Zuschriften, die ein wenig nach Kirchenkampf schmeckten 1 ), gelegentlich gar zu g u t v e r w a h r t : sie fanden sich in seinem Nachlasse, ohne ein Zeichen geschäftlicher Behandlung zu tragen. Nach seinem Tode k a m die kollegialische Besprechung auch der kirchenpolitischen Angelegenheiten im Ministerium mehr zu ihrem Rechte. Man kann da die wertvolle, teils an die Zeiten du Thils erinnernde, teils in die Z u k u n f t weisende Beobachtung machen, daß inmitten dieser Dalwigkschen Regierung doch Persönlichkeiten standen, die, obwohl frei von Neigung zum Kirchenkampfe, den kirchenpolitischen Kurs nicht einfach begeistert oder auch nur still mitsteuerten. Ganz unmittelbar läßt sich das an den Ministerialbesprechungen über die Verwaltung des Kirchenvermögens erkennen — Auseinandersetzungen, die auch wegen ihrer unmittelbaren Beziehung auf Forderungen und Vorschläge Kettelers beachtet sein wollen. Ketteier hätte zu den kirchenpolitischen Erfolgen der J a h r e 1854 bis 1856 gerne noch die staatliche Anerkennung seiner bischöflichen Auffassung der Verwaltung des Kirchenvermögens hinzugewonnen. Er n a h m im März 1858 seine Bemühungen vom November 1855 wieder auf. Er erinnerte 8 ) an den damals gemäß der Aufforderung des Ministeriums von ihm überreichten Entwurf. 3 ) Auch hier ging sein Wunsch auf die einfache Umwandlung seiner bischöflichen Aufstellung in eine großherzogliche Verordnung. Sein Entwurf schob freilich, unter Berufung auf die päpstlichen Vorschriften, die bisherige staatliche Rechtsauffassung, die bisherige staatliche Verwaltungsordnung beiseite. Der Kirche allein sollte das oberste Verwaltungsrecht, sollte die t a t sächliche Leitung der Vermögensverwaltung zustehen, staatliche Ansprüche nur in Unterordnung unter diesen kirchlichen Grundsatz berücksichtigt werden. Der Bischof forderte die von der Kurie in ihren Bemerkungen zu der vorläufigen Übereinkunft 4 ) unter bestimmten Bedingungen „ e i n g e r ä u m t e " Errichtung eines gemischten Verwaltungsausschusses. Dieser sollte zu gleichen Teilen aus Geistlichen und *) 30. 12. 52 (über Volksmissionen): Akten des hess. Staatsmin. — Die Sache mag bei den Karlsruher Verhandlungen (oben S. 216 f.) nebenher mündlich von Rieffei berührt worden sein. ») K. an das Min. d. I. 9. 3. 58 (praes. 12. 3.). ») K. an d. Min. d. I. 28. 11. 55 (praes. 30. 11.) mit den Beilagen: Entwurf einer Organisation des Kirchenvorstands (vgl. oben S. 295f.) und Entwurf über die Verwaltung des Kirchenvermögens (vgl. oben S. 273). 4 ) Animadversiones ort. 16: A. Schmidt, Quellen 65 f. — Vgl. oben S. 266.

Beratungen über die kirchliche Vermögensverwaltung

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Laien bestehen, wäre aber in Wahrheit eine bischöfliche Behörde geworden: die Geistlichen h a t t e der Bischof allein auszuwählen, die vom Staate zu bestellenden Laien aber m u ß t e n dem Bischof genehme Katholiken sein; vor allem aber: der Bischof oder sein B e a u f t r a g t e r war der den Ausschlag gebende Vorsitzende dieser Kommission, die überdies ausgesprochenermaßen im Namen der Kirche, nach kanonischen Vorschriften die Geschäfte führen sollte. Der bischöfliche Entwurf, dessen A n n a h m e eine völlige Umwandlung der Verwaltung des Kirchenvermögens bedingt haben würde, ist vom Ministerium nicht abgelehnt, aber auch nicht gutgeheißen worden. Rieffei zeigte sich in dieser wichtigen Sache von Anfang an bei allem hergebrachten Entgegenkommen gegen den Bischof doch vorsichtig zurückhaltend. Das letzte große Ministerialschreiben über die endgültige Fassung der Übereinkunft, das unter dem 6. August 1855 dem Bischof zugegangen war 1 ) und ihn zu jenem fertigen E n t würfe veranlaßte, h a t t e doch nur eine „ Ä u ß e r u n g " von ihm darüber begehrt, wie er sich die Sache nach der päpstlichen Vorschrift denke, namentlich auch, wie der neue Modus „mit dem dermalen bestehenden Verwaltungsgange in Einklang gebracht werden k ö n n e " ; dieser Aufforderung ging der Satz voraus, das Ministerium habe, „wenigstens soweit wir die Sache bis jetzt zu beurteilen vermögen", keine Veranlassung, „der von dem apostolischen Stuhle bezeichneten Einr i c h t u n g an sich entgegen zu sein, sofern dadurch f ü r den S t a a t keine neuen Verbindlichkeiten geschaffen werden". Es war Rieffei, der in den Entwurf des Regierungsrats Lehmann diese Einschränkungen einfügte und so die in dieser Sache zunächst ausgesprochene grundsätzliche Anerkennung der päpstlichen Forderung beinahe wieder hinfällig machte. Als dann der bischöfliche Entwurf eingereicht war, ließ m a n die Sache auf sich beruhen, bis jene bischöfliche Mahnung kam. Von Rieffei liegt keine weitere Äußerung vor. Erst ein halbes J a h r nach seinem Tode wurde der umfassende Bericht des Geheimen S t a a t s r a t s v. Bechtold abgeschlossen 2 ) und im Ministerium besprochen. Bechtold, einer der nächsten Mitarbeiter du Thils, war der Märzbewegung zum Opfer gefallen, aber von Dalwigk im J a h r e 1851 zurückberufen worden. Die Mainzer Klerikalen hatte dieser Schritt des Ministers besonders befriedigt. Bechtold war in der T a t mit Dalwigk, dessen Nachfolger als Minister des Innern er im Frühjahr 1871 werden sollte, politisch einer Meinung und ihm kirchenpolitisch nicht geradezu entgegengerichtet. Aber er wurzelte zu fest in der staatskirchlichen *) Vgl. oben S. 270 f. ') Darmst. 15. 11. 58, „Vortrag" von 2954 Foliospalten, eigenhändig. Auf dem letzten Bogen die Bemerkungen Rodensteins, Lehmanns (18. 11.), Dalwigks (21. 11.). Das Gutachten v. Starcks vom 9. 1. 59 (er erhielt nach Rückkehr von einer Dienstreise die Akten durch v. Bechtold) liegt auf besonderem Blatte bei. Über Bechtold vgl. du Thil, Denkwürdigk. (u. Anm. 11 u. 71 des Hg. H. Ulmann).

362 III 1: K-s ldrchenpol. Kampf mit d. Uberalismus: „Freiheit, Autorität u. Kirche" Überlieferung, als d a ß er im Sinne der neuen bischöflichen F o r d e r u n g e n h a t t e sprechen können. Es w ü r d e auch die Verleugnung seines eigenen W e r k e s b e d e u t e t haben. D e n n er war an der A u s a r b e i t u n g der Vero r d n u n g e n von 1832 beteiligt gewesen, insbesondere der V e r o r d n u n g e n Ober die K i r c h e n v o r s t ä n d e und die Verwaltung des K i r c h e n v e r m ö g e n s (6. J u n i 1832). Eben deshalb sollte er j e t z t sein G u t a c h t e n a b g e b e n . Bechtold schlug die B e i b e h a l t u n g wesentlicher B e s t i m m u n g e n von 1832 vor, u n t e r b e d e u t e n d e n Zugeständnissen a n den Bischof, wie sie durch die bindende Ü b e r e i n k u n f t von 1854 n o t w e n d i g g e m a c h t seien; die Regierung sollte sich auf das unveräußerliche A u f s i c h t s r e c h t b e s c h r ä n k e n , die eigentliche obere V e r w a l t u n g aber d e m Bischof überlassen. Die gemischte Kommission wollte er nicht bewilligt, oder doch jedenfalls n u r n a c h wesentlicher, von ihm im einzelnen dargelegter A b ä n d e r u n g des bischöflichen E n t w u r f s gutgeheißen wissen. Rieffels Nachfolger erklärte sich mit Bechtold e i n v e r s t a n d e n bis auf den einen, freilich den wichtigsten P u n k t : er meinte, in j e n e m Ministerialschreiben v o m 6. August 1855 sei der päpstliche Vorschlag, insbesondere die gemischte Kommission, als V e r h a n d l u n g s g r u n d l a g e a n g e n o m m e n ; man könne also n u r auf die auch von ihm g e w ü n s c h t e n Ä n d e r u n g e n des bischöflichen E n t w u r f s hinwirken. L e h m a n n hielt sich zu Bechtold, er b e s t r i t t noch ausdrücklicher als dieser die von Rodenstein b e h a u p t e t e Verpflichtung des Ministeriums und berief sich d a f ü r auf die tatsächlichen Absichten — die Absichten Rieffels, wie wir sahen — bei j e n e m Ministerialschreiben, die schon aus dessen „ v o r s i c h t i g e r " F a s s u n g h e r v o r l e u c h t e t e n ; er b e m e r k t e überdies w a r n e n d (schon f ü h l t m a n ein wenig die Rücksicht auf die von der soeben erö f f n e t e n preußischen „ N e u e n Ä r a " g e n ä h r t e liberale Bewegung), d a ß die Bestellung einer neuen Behörde großes Aufsehen erregen w ü r d e . Dalwigk aber, der als letzter seine Meinung niederschrieb, schloß sich ganz d e m katholischen Ministerialrat an, und zwar a u c h d a r u m , weil es nach seiner Meinung dem Bischof angesichts der römischen Weisung „schwer sein" würde, in der Frage der gemischten K o m mission nachzugeben. Ein kurzes, scharf b e s t i m m t e s G u t a c h t e n h a t noch nachträglich, im J a n u a r 1859, der Freiherr v. Starck, der P r ä s i d e n t des hessischen Oberkonsistoriums, vorgelegt. Er weist den E n t w u r f K e t t e l e r s schlechthin zurück. Er urteilt skeptisch a u c h über Bechtolds Verbesserungsvorschläge: sie seien nicht durchzusetzen, wenn man erst einmal die gemischte Kommission grundsätzlich z u g e s t a n d e n habe. Diese Kommission a b e r würde in der Öffentlichkeit das größte Aufsehen erregen und „neue Veranlassung" sein, „ ü b e r die u n b e g r e n z t e Nachgiebigkeit der Regierung gegen die katholische Kirchengewalt zu r ä s o n i e r e n " ; er ist mit L e h m a n n der Meinung, d a ß m a n mindestens versuchen müsse, an der vom Bischöfe gewünschten E i n r i c h t u n g v o r b e i z u k o m m e n . Hier zeigt sich bei allem A b s t ä n d e von der „räson i e r e n d e n " öffentlichen Meinung doch eben eine starke R ü c k s i c h t auf

Zurückstellung der Vorschlage K s Ober kirchliche Vermögensverwaltung

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sie; hier verrät sich etwas von der schärferen Tonart eines Mannes mit stärkerem Staatsbewußtsein. Der Einspruch blieb nicht wirkungslos. Das Ministerium fragt« in Stuttgart und in Wiesbaden nach den dortigen Verordnungen oder Entwürfen über eine den römischen Forderungen angepaßte Verwaltung des kirchlichen Vermögens; von beiden Seiten aber bekam man zu hören, daß nichts gewährt und nichts geplant sei. 1 ) Da hat denn auch Dalwigk, als nun gar der Krieg von 1859 seine deutschen Nachwirkungen zeigte, auf den Versuch einer Erfüllung jener von ihm persönlich begünstigten bischöflichen Forderungen verzichtet. Und der Bischof, der sonst nicht leicht locker ließ, wurde bald belehrt, daß es zunächst einmal gelte, das Erreichte zu verteidigen und neu zu sichern. Darum zeigte er keine Verstimmung. Gegen die seit Anfang der sechziger Jahre mit Leidenschaft und Wucht vorgetragenen Angriffe der Liberalert auf die Mainz-Darmstädter Vereinbarungen brauchte er mehr als zuvor Rückhalt bei der Regierung, und diese selbst wieder, die sich bald von der Fortschrittspartei ohne Erbarmen, freilich auch ohne die rechte Wirkung befehdet sah, wollte ihr System und darum auch dessen bewährte geistliche Stütze nicht aufgeben. Man sah einander manches nach und hielt dem gemeinsamen Feinde gegenüber am alten Bündnis fest. Auch die Auffassungsunterschiede in der ministeriellen und der klerikalen Betrachtung deutscher und europäischer Fragen führten höchstens zu kleinen Stimmungsstörungen. Die Mainzer Klerikalen waren politisch rein großdeutsch-österreichisch gerichtet, Darmstadt dagegen großdeutsch mit einem starken, im Zwiespalt bestimmenden Einschlag hessischen Souveränitätsbewußtseins. Ausnahmsweise gab sogar das Mainzer Journal in den ersten Monaten nach Villafranca Stimmen mittelstaatlichen Argwohns auch gegen Österreich Raum. Anfang September 1859, als Dalwigk wohl ebensosehr wie Beust 1 ) über Osterreich verstimmt war, durfte hier der Gedanke der Trias gegen die Wiener „Ostdeutsche Post" verteidigt und dabei ein Wort gewagt werden 3 ), das die Empfindungen des Dritten Deutschlands in den Jahren 1864 und 1865 vorwegzunehmen scheint: die Trias sei als „das einzige Gegenmittel gegen eine völlige Zerreißung von Deutschland — mag diese nun durch österreichisch-preußische Veruneinigung oder Vereinigung drohen — in Aussicht genommen; und am Ende würde die einzige Gefahr gerade für sie selbst darin bestehen, l

) Min. d. I. an Min. d. A. 15. 1. 59 (abges. 19. 1.); v. Breidenbach, hess. Gesandter in Stuttgart, 29. 1. 59 an Min. d. A. (auf dessen Schreiben vom 25. 1.); Min. v. Wittgenstein, Wiesbaden 10. 2. 59, an d. hess. auBerord. Oesandten am nass. Hofe v. Münch-Betlinghausen [Bundestagsgesandten] in Frankfurt. *) Beust, Aus drei Viertel-Jahrhunderten 1, 264 f. ») Mz. J . 1859 Nr. 202 (1. 9.).

3 6 4 11 I I : K.s Idrchenpol. Kampf mit d. Liberalismus: „Freiheit, Autorität u. Kirche"

d a ß leicht ihre Neigung vorherrschender zu Österreich als nach der andern Seite sich wenden k ö n n t e . " Ein Satz, der sich inmitten der übereifrigen Bekenntnisse zu Österreich seltsam genug a u s n i m m t und andere Einflüsse verrät, als sie die Mainzer Klerikalen beherrschten. Zwei Monate später gestattete die Schriftleitung noch einmal einem Mitarbeiter, die deutsche „ R e f o r m f r a g e " im Sinne des „einzig möglichen" Planes der „vermittelnden Dreigliederung" Zu behandeln 1 ), bemerkte aber ausdrücklich, sie teile die Anschauung dieses Freundes der Trias nicht. Die bescheidene mittelstaatliche Kundgebung auf dem Würzburger Tage vom 21. November 1859, die nicht einmal in Wien verstimmte, konnte die Freundschaft zwischen Mainz und D a r m s t a d t nicht berühren. Das „ J o u r n a l " d u r f t e sich getrost durch eine Stimme vom Sitze des Bundestages bestätigen lassen, d a ß diese Regierungen „nicht entfernt die Bildung neben oder gar außer dem Bund im Auge g e h a b t " h ä t t e n ; denn vorher schon h a t t e das offiziöse Wien mit gewandter Schmiegsamkeit die Absichten der Mittelstaaten beruhigt als K u n d g e b u n g gegen den Nationalverein und die preußische Hegemonie erkannt, h a t t e sie deutsch zugleich und habsburgisch zu deuten gewußt. Auch die kirchliche Betrachtung der europäischen Staatenwelt brachte die Klerikalen wohl zu anderen Anschauungen, als sie im D a r m s t ä d t e r Ministerium herrschten, nicht aber in einen bleibenden Zwiespalt mit ihm. Dalwigk, der während des Krieges als ein kampflustiger Franzosenfresser erschienen war 2 ), also die Stimmung der Klerikalen geteilt h a t t e , hielt jetzt wieder viel auf die guten westlichen Beziehungen und wuchs immer mehr in sie hinein. Seit dem J a h r e 1853 feierte man in D a r m s t a d t den Napoleonstag in der katholischen Stadtkirche durch einen Gottesdienst, an dem auf Einladung des französischen Gesandten die Ministerien, die Diplomaten, das Militär teilnahmen. 3 ) Auch im J a h r e 1859 sollte der 15. August, obwohl noch zwei Monate zuvor das ganze Land den Krieg gegen Napoleon III. begehrt hatte oder begrüßt hätte, nach dem Wunsche der Franzosen und des Ministers in D a r m s t a d t nach hergebrachter Weise begangen werden. Der S t a d t p f a r r e r aber — der uns bekannte Dr. Lüft — versagte dem französischen Gesandten die Hergabe der Kirche und zeigte sich fest genug, allen Bitten und Vorstellungen des erschrockenen Dalwigk nicht zu weichen. 4 ) Vergebens rief der Minister auch den Bischof an, der ihm vielmehr in einem sonst rücksichtsvollen und vorsichtigen Briefe das Wort zu lesen g a b : „Deutsche Bischöfe und Priester können nicht darauf verzichten, es zu empfinden und erNr. 262 (11. 11.). — Z. Folg.: Nr. 283 (6. 12.), 277 (29. 11.), Beilage (aus d. Ostdt. Post, Wien 25. 11.). ») Beust 1, 141 (vgl. 222). ») Vgl. oben S. 236 f. «) Der Schriftwechsel bei Pfülf 1, 411 ff.

1859: Die hessischen Klerikalen gegen Napoleon und Italien

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kennen zu geben, wenn ein Teil des teuren V a t e r l a n d e s von einer f r e m d e n Macht schmählich beschädigt und erniedrigt w i r d . " Das w a r österreichisch-großdeutsch, d e u t s c h - n a t i o n a l u n d kirchlich-kirchens t a a t l i c h zugleich e m p f u n d e n . Bei Ketteier und den Seinen wurden j e t z t so s t a r k wie n u r je alle politischen Erwägungen durch die Rücksichten auf Kirche, P a p s t und Kirchenstaat gelenkt. Schon im Herbst 1859, d a die U n r u h e n im päpstlichen Gebiete berechtigte Sorgen weckten, a r b e i t e t e man in Mainz mit jenem f o r t a n ohne E r m a t t e n wiederholten, schließlich, lange nach dem E n d e des K i r c h e n s t a a t e s , angesichts der politischen und kirchlichen Wirklichkeit still zurückgestellten, nie aber förmlich preisgegebenen Schlagworte, d a ß die S o u v e r ä n i t ä t des P a p s t e s eine der letzten Bürgschaften religiöser Selbständigkeit sei. 1 ) Als zu A n f a n g des J a h r e s 1860 Napoleon im Gegensatz zu dieser, von Ketteier und dem gesamten E p i s k o p a t v e r f o c h t e n e n A n s c h a u u n g den K i r c h e n s t a a t f ü r kirchlich entbehrlich, ja gefährlich erklären ließ u n d seine Politik diesem Satze einigermaßen a n p a ß t e , indem er es mindestens zugab, d a ß die italienische B e w e g u n g d e m Königreiche Sardinien sogleich schon die kirchenstaatliche R o m a g n a einbrachte, d a wurde die seit dem Beginn des J a h r e s 1859 nicht mehr erloschene klerikale Erb i t t e r u n g gegen Napoleon zu neuer Leidenschaft angetrieben. Die scharfen Angriffe gegen Napoleon, die n u n aus dem Kreise Kettelers hervorgingen — neben dem „Mainzer J o u r n a l " s t a n d der Mainzer „ K a t h o l i k " —, waren also gewiß ebensowenig nach Dalwigks Sinn, wie dem klerikalen Mainz das D a r m s t ä d t e r E i n v e r n e h m e n mit Napoleon, dem Helfer des „ k i r c h e n r ä u b e r i s c h e n " Savoyens, behagte. Aber, von d e m alten G e m e i n s a m e n abgesehen, die T a t s a c h e , d a ß auf der einen Seite die Klerikalen über Gebete und Verfluchungen, über Geldsammlungen und Hilfsgesuche, über den Krieg der Presse und der Versammlungen nicht hinausgingen, d a ß auf der a n d e r e n Seite die hessische Regierung, so gern sie als europäische Macht a u f t r a t , doch keine europäische M a c h t war, also auch auf das Schicksal des Kirchens t a a t s keinen E i n f l u ß h a t t e , diese beruhigende T a t s a c h e schon ließ hüben und d r ü b e n eine e r n s t e M i ß s t i m m u n g gar nicht erst a u f k o m m e n ; die Klerikalen e r t r u g e n willig die F r a n z o s e n f r e u n d s c h a f t des Ministers, Dalwigk die lauten u n d anspruchsvollen K u n d g e b u n g e n f ü r den Papst. Übrigens t r a t e n in der klerikalen Polemik die Ausfälle gegen Napoleon bald bescheiden z u r ü c k im Vergleich mit den Angriffen auf das Königreich Italien. 2 ) Dieses aber galt d e m konservativen Protestanten Dalwigk so g u t wie den konservativen Katholiken als eine S c h ö p f u n g der R e v o l u t i o n . D a ß durch jenes P r e u ß e n , dem die Mz. J. 1859 Nr. 250 (27. 10.), vgl. 251 ff., 263. *) Immerhin nannte z. B. Moufang sogar in einer Rede für die hess. Landtagswahlen v. 1862 (vgl. unten S.401f.) Napoleon den „europäischen Großlügner" (Mz.J. 1862, Extrabeilage zu Nr. 207, 6. 9.).

366 IUI: K.« IdrchenpoL Kampf mit d.Uberallsmus: „Freiheit,Autorität u.Kirche" Bischöfe, dem die zu Kundgebungen für den Papst zusammengefaßten preußischen, deutschen Katholiken den Kreuzzug f ü r den Kirchenstaat zugemutet hatten, später, im Frühjahr 1862, klüglich erst nach den Wahlen 1 ), dieses „italienische Raubkönigtum" anerkannt wurde, daß auch der Deutsche Bund nicht anders verfuhr, das war ein Vorgang, der dem Darmstädter Minister 1 ) kaum minder empörend erschien als dem Mainzer Bischof und den Seinen. So nährte der neue H a ß gegen das katholische und doch widerpäpstliche Königreich Italien die alte Abneigung gegen Preußen. Zugleich wurde der kirchlich-katholische Widerwille gegen den Liberalismus in allen seinen Erscheinungen, gegen seine national-politischen Ziele insbesondere, durch jede Erinnerung an die Schicksale des Kirchenstaates, an die Lage des Papstes seit dem J a h r e 1859 angetrieben. Denn eben aus Ideen des Liberalismus sah man die nationale Bewegung der Italiener sich erheben und nun die neue nationale Bewegung in Deutschland. Die italienischen Erfolge auch ermutigten den deutschen Liberalismus, dem das Preußen der Neuen Ära den ersten Rückhalt bot, zu dem Versuche, über die Grenzen des Einzelstaats hinaus seine K r ä f t e zusammenzufassen. Als freie deutsche Nachschöpfung seines italienischen Vorgängers vereinigte der deutsche Nationalverein in dem Gedanken der Einheit eines freien Deutschlands liberale Träger des Erbkaisergedankens von 1848/49, Demokraten der Paulskirche und deren Gesinnungserben. Die italienisch-europäischen Voraussetzungen wie der deutsche Inhalt, der mit den hergebrachten großdeutschen Gedanken, vollends ihrer klerikalen Ausdeutung unvereinbar war, mußten also diese große liberale Gründung dem politischen Katholizismus als Feind seiner politischen und seiner kirchlichen Gedanken erscheinen lassen, der kirchlichen nicht nur wegen des Widerstreites der Politik des Nationalvereins und der Papstpolitik der Klerikalen, vielmehr auch wegen der innerdeutschen kirchenpolitischen, ja der religiösen Auffassungsgegensätze. In allem Liberalismus sahen die Klerikalen zuletzt nur ein Werk der Nacht des Unglaubens. Der Liberalismus aber sah in der geistig gebundenen und doch beweglich in Politik und Leben eingreifenden kirchlichen Macht seiner klerikalen Gegner die Verneinung seiner geistigen Grundlagen, der Freiheit des Geistes und der Geistesträger, die Verneinung seines politischen Ideals, der Einheit und Freiheit der Nationen. Der Nationalverein wollte keine Kampfstellung gegen den Katholizismus einnehmen und hat als solcher nie eine derartige Kampfstellung gewählt. Aber die hierarchischen Ansprüche mit politischen Absichten, mit politischen Neben- oder auch Hauptwirkungen wollte er allerdings l

) Dazu Kurd v. Schlözer, Petersburg. Briefe (1921) S. 241 (21. 3. 62). ') Dalwigk, Tageb. 15. 3. 62 (S. 84): „Unterredung mit der Großherzogin. Wir sprachen auch vom Bunde und von der unglaublichen Nachricht, daß derselbe das Königreich Italien anerkannt habe."

1859ff.: Klerikalismus und Liberalismus

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bekämpfen. Die geistigen Gegensätze zwischen Liberalismus und Klerikalismus aber gingen in Anschauung und Wirklichkeit unmittelbar in die politischen über. Im Großherzogtum Hessen stieß der geistige und politische Liberalismus in gleicher Weise auf den Widerstand der mächtigen Mainzer kirchlichen und der herrschenden Darmstädter staatlichen Kräfte. Im Geistigen nicht weniger als im Politischen konnten sich auch hier die beiden Kreise berühren und verstehen. Selbst für die besonderen Offenbarungen des katholischen Kirchentums hatte der Protestant Dalwigk zwar keine Vorliebe, wohl aber eine hohe Achtung. Dem geistigen Liberalismus aber brachte er Abneigung, ja hochmütige Verachtung entgegen, wie dem politischen auch. Wenn nicht die konstitutionellen und die deutschen, so hätten schon die kulturpolitischen Vorstellungen und Forderungen dieses Liberalismus — wie sie mit den politischen vereint in volkstümlich-volksmäßigen grundsätzlichen Bekenntnissen gerade im Herbst 1859, in den Anfangszeiten des Nationalvereins, bei den großen Schillerfeiern 1 ), dritthalb Jahre später bescheidener bei der Fichtefeier®) hervortraten — hingereicht, um dem Ministerium Dalwigk die Bekämpfung des Liberalismus als Pflicht erscheinen zu lassen. Die liberale Kampfrichtung gegen die Konfessionsschule, gegen die kirchlichen Sonderrechte bedrohte insbesondere die kirchlichen Vereinbarungen zwischen Regierung und Bischof. Gerade auf kirchenpolitischem Boden zeigte der südwestdeutsche Liberalismus zuerst seine neue Macht: der badische riß im siegreichen Kampfe gegen das „Konkordat" mit Rom die Herrschaft an sich, der württembergische stürzte nach badischem Muster die Vereinbarung mit Rom, die Vorbild der badischen gewesen war; der hessische aber, der kein Konkordat zu zerschlagen, sondern nur mit einem Vertrage zwischen Regierung und Bischof zu kämpfen hatte, sollte auch nach glänzendem Wahlsiege im Herbst 1862, als der Nationalverein auf seiner Höhe stand, gegen das Ministerium Dalwigk, und das hieß zugleich gegen Ketteier, nicht durchdringen. Das wenige Jahre zuvor vom Kirchenkampf am wildesten durchwühlte Baden kam unter der Führung des dem hessischen Ministerpräsidenten stimmungsverwandten, aber weicheren Freiherrn v. Meysenbug auf nicht allzu staatsbewußten Wegen zum Ausgleich mit Rom: unmittelbar nach dem Tage von Solferino kam die ÜbereinMainzer klerikale Mißstimmung über die Schiller-Feier: Mz. J . 1859 Nr. 264 (13. 11., aus d. Freiburg, kathol. Kirchenblatt), 287 (10. 12.), 288, 289, 291. «) Das Gegenbild: Mz. J . 1862 Nr. 94 Die Fichte-Feier s (wohl eine Mainzer geistl. Feder, vermutlich Haffner) „Wer war dieser F i c h t e ? . . . seltsame Idee, diese längst vergessene C e l e b r i t ä t . . . plötzlich . . . wieder in Szene treten zu lassen . . . F. war entschiedener und erklärter A t h e i s t . . . " .

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III 1: K.s kirchenpol. Kampf mit d. Liberalismus: .¿Freiheit, Autorität u. Kirche"

k u n f t zustande — e i n römischer Triumph inmitten ernster G e f a h r e n — , zwei Monate nach Villafranca wurde sie vom Papste verkündigt. Schon im Herbste 1855, unmittelbar nach dem Abschlüsse des österreichischen Konkordats, noch vor dessen Veröffentlichung hatten die kirchenbewußten Mainzer gehöhnt 1 ), die badischen „ F e b r o n i a n e r " müßten dieses Konkordat eben hinnehmen und sich seinen Konsequenzen fügen. Die Zuversicht war dann bis zum Kriege von 1859 hin nur noch gestiegen; ihr entsprach auf der anderen Seite die Sorge der Liberalen, der Protestanten über die wachsende Macht der Klerikalen 2 ), als deren künftigen geistlichen Führer man im badischen Lande selbst nun von neuem den Mainzer Bischof nannte, der auch, nachdem er den Sonderbund mit Dalwigk eingegangen war, immer wieder dem greisen Erzbischofe die Firmungsreisen a b n a h m und als Prediger seine große Wirkung erzielte, der bei Freund und Feind 3 ) noch als künftiger K o a d j u t o r und Nachfolger Vicaris galt. In dem Dankschreiben f ü r das römische Abkommen mit Karlsruhe sprach der Erzbischof dem Papste davon, daß er auf die Ernennung des Koadjutors hoffe und daß ihm immer wieder als die tauglichste Persönlichkeit der Bischof von Mainz vorschwebe. Die grundsätzliche Nachgiebigkeit des Ministeriums, die sich in dem Vertragsschlusse mit Rom gezeigt hatte, durfte man in Freiburg und in Mainz nun auch in der alten Koadjutorfrage 4 ) erwarten. Die Mattsetzung des „ K o n k o r d a t e s " durch das Land und seinen Fürsten h a t dann freilich die H o f f n u n g auf Kettelers Einzug in Freiburg weit zurückgedrängt. Den römischen Erfolg in der badischen Sache h a t t e man laut, überlaut gefeiert. Mit der päpstlichen Verkündigung schien hier, wie vorher in Württemberg, der Gewinn geborgen. Die Vollziehung durch den Großherzog am 5. Dezember 1859 galt den Kirchlichen nur noch als ein kleines staatliches Nachspiel zu dem großen kirchlichen Werke. Und doch war in einem Vorbehalte dieser Regierungsverkündigung schon die Möglichkeit, nun, am Ausgang des Jahres 1859, mehr als bloß die Möglichkeit eines Widerstandes der Badener gegeben: wie es einem um zwei J a h r e zurückliegenden Wunsche der Zweiten Kammer entsprach, war die großherzogliche Genehmigung des römischen Vertrages gebunden an die Gewährung der ständischen Zustimmung zur Änderung der entgegenstehenden Gesetzesbestimmungen. Daß dieser Vorbehalt über seinen Wortsinn hinaus wirksam wurde, dafür sorgte die Stimmung der K a m m e r m e h r h e i t : am 30. März 1860 sprachen sich Dreiviertel der Abgeordneten gegen die Gültigkeit des „Konkordats", für eine gesetzliche Ordnung der Kirchenverhältnisse aus; !) Mz. J. 1855 Nr. 253 (28. 10.). ) Vgl. z. B. Bunsens Denkschrift vom August 1858: Nippold 3, 514. 3 ) Zu Pfülf 1, 392 f. vgl. z. B. noch als liberale Darmstädter Stimme aus dem Okt. 1856: Grenzboten 1856 IV S. 147. *) Vgl. oben S. 200 ff. 2

Die Liberalen gegen die „Konkordate": Baden; Württemberg

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sie vertrauten dabei nicht auf die Minister, wohl aber auf die Grundanschauung und das konstitutionelle Empfinden des Großherzogs Friedrich. Die plumpe Art der ministeriellen Verteidigung der „wesentlichen Rechte der Krone" führte den Bruch zwischen Friedrich und seinen Ministem sofort herbei. Die Führer der Konkordatsgegner in der Ersten und in der Zweiten Kammer, Stabel und Lamey, bildeten das neue Ministerium, dem die Osterproklamation des Großherzogs ein maßvolles kirchenpolitisches Programm mitgab. Zu dem vom Willen der liberalen Kammermehrheit gestützten Reformwerke dieses Ministeriums gehörte das Gesetz über die rechtliche Stellung der Kirche vom Oktober 1860. Dieses Gesetz enthielt zwar die preußische Bestimmung über die selbständige Ordnung und Verwaltung der kirchlichen Angelegenheiten durch die Kirche selbst, übernahm auch größtenteils den Inhalt des Konkordats, rückte aber in einigen Punkten, wie in der Schul- und der Klosterfrage, von den Konkordatszugeständnissen ab. Die römische und die erzbischöfliche Kurie, Kurialen und Kurialisten erhoben begreiflicherweise gegen die Beseitigung der römisch-badischen Vereinbarung lauten Einspruch, aber mit dem sehr gut erträglichen Inhalt des badischen Kirchengesetzes gaben sie sich tatsächlich gern zufrieden; bei der Entschlossenheit der Regierung, auch in der Verwaltung keine klerikalen Nebeneinflüsse aufkommen zu lassen, mußten dann freilich die geistlichen Versuche, in der Praxis mehr zu erreichen, bald zu neuen badischen Kirchenkämpfen führen, an denen auch die Mainzer mit Wort und Schrift teilnahmen. In Württemberg war es zwischen der Regierung und der Kammer — ihr sagte man im übrigen eine ähnliche Gefügigkeit nach wie der hessischen — schon vor der Auflösung vom August 1855 zu manchen kleinen Zusammenstößen gekommen. Die Übereinkunft zwischen Bischof und Regierung war auch in Württemberg zustandegebracht worden, ohne daß die Kammer Einspruch erhoben hätte. Gegen die Verhandlungen in Rom und den Abschluß der Übereinkunft mit Rom (April 1857), gegen die Veröffentlichung dieses „ K o n k o r d a t s " ohne Befragung des Landtages wurden wohl Bedenken laut. Ein stärkerer Widerstand aber erhob sich erst nach dem Kriege von 1859, und er wurde unwiderstehlich, als das badische „ K o n k o r d a t " zu Fall gekommen war. Weniger wider die einzelnen Bestimmungen selbst als gegen die Art ihrer Vereinbarung und ihrer Verkündigung wandte sich die Kammermehrheit: nicht so die Zugeständnisse an sich verwarfen sie als vielmehr dieses „ K o n k o r d a t " , das über den Landtag hinweg abgeschlossen worden war. Im März 1861 wurde es abgelehnt; zwei Drittel der Abgeordneten versagten denjenigen Konkordatsbestimmungen, die von der Regierung zur Genehmigung vorgelegt wurden, die Anerkennung. Der Kultusminister Gustav Rümelin, der einst in der Frankfurter Nationalversammlung nach Ketteier und VI g e n er, Bischof Ketteier

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III 1: K-s kirchenpol. Kampf mit d;Liberalismus: „Freiheit, Autorität u. Kirche"

gegen ihn zur Schulfrage gesprochen hatte, k a m nun mitsamt seinem Werke zu Fall. 1 ) Sein Nachfolger Golther vollzog auf der Grundlage der eigenen Anschauung den Willen der Kammermehrheit, indem er die wesentlichen Konkordatsbestimmungen in eine Gesetzvorlage brachte, die schon am 30. J a n u a r 1862 angenommen wurde. In Baden also und in W ü r t t e m b e r g arbeitete die Regierung mit der Kammermehrheit, mit dem ausgesprochenen Willen der politisch greifbaren Mehrheit der Bevölkerung z u s a m m e n : in Baden mit etwas schärferer Wendung gegen kirchliche Ansprüche, in W ü r t t e m b e r g mit einer freundlicheren Anpassung an die kirchlichen Wünsche. In H e s s e n dagegen durfte auch nach dem Kriege von 1859 das fester gefügte, durch den Willen des Großherzogs gestützte, von Dalwigk geschickt geleitete halbabsolutistische Bürokratenregiment die liberalen Regungen niederzuhalten suchen und wußte tatsächlich, bei sonstigen kleinen Zugeständnissen, die neben dem Gesetze herlaufenden Vereinbarungen mit dem Bischof auch gegen den zuerst zögernd v o r f ü h l e n d e n , dann stürmisch aufbegehrenden Liberalismus zu behaupten. Die Wandlungen in der katholischen Kirchenverwaltung h a t t e man im Lande längst b e m e r k t : die Pfarreibesetzungen durch den Bischof, die Berufung von Ordensgeistlichen, die Klostergründungen, alle neuen bischöflichen Herrschaftsformen, die Ketteier mit der raschen Mattsetzung der Gießener F a k u l t ä t so fühlbar eingeführt hatte, erregten Aufsehen und Ärger. Hier und da einmal erklang in der Zweiten K a m m e r ein Wort über diese Erscheinungen. Aber die Macht lag bei der Regierung und so der Gewinn bei den ihr verbündeten Bischöflichen. Diese konnten in fast übermütiger Selbstgewißheit im Spätsommer 1856, als die verbesserte Übereinkunft geborgen war, mit mehr als bloß andeutender Danksagung ungestört hervortreten. 2 ) Erst durch den Krieg von 1859, durch die römisch-badische Vereinbarung, die wachsende liberale Bewegung in Preußen und in ganz Deutschland, durch den Nationalverein, der im September 1859 unter hervorstechender Teilnahme des D a r m s t ä d t e r Advokaten und früheren Abgeordneten Metz seine erste große F r a n k f u r t e r Versammlung gehalten hatte, wurde in Dalwigks belobter Beamtenkammer die kirchenpolitische Kritik wieder hervorgelockt. Einer der wenigen a ) Rümelin hat noch 1880 die Konvention gegen Qolthers Buch „Der S t a a t und die katholische Kirche in Württemberg" lebhaft verteidigt („Zur kathol. Kirchenfrage": Reden u. Aufsätze N. F., 1881, S. 205—277). 2 ) Mz. J. 1856 Nr. 187 (10. 8.): „Wahrhaft erhaben s t e h t . . . [in Beziehung auf die kirchl. Angelegenheiten] unser jetzt regierender Großherzog da, indem er der Erste auf umfassende und feierliche Weise, nicht durch bloßes Oewährenlassen, der katholischen Kirche gerecht werden wollte. Mit dieser seiner Tat hat er ein großartiges Bedürfnis der Welt erfüllt: die wahre Vereinigung der geistlichen und weltlichen Gewalt in beiderseitiger Selbständigkeit und zu gegenseitiger freier und wohlwollender Unterstützung." — Vgl. oben S. 277 f.

Der Liberalismus in Hessen.

Der Altliberale Wilhelm Wernher

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Abgeordneten, die nach ihrer Stellung zugleich und ihrer Wesensart unabhängig waren, leitete einen kleinen Feldzug gegen die hessische Kirchenpolitik schon Mitte Dezember 1859 ein, in derselben Zeit, da der Freiburger Erzbischof, freilich schon u m t o b t von den Kundgebungen der Gegner, in seinem Hirtenbrief über das „Friedenswerk" das feierliche öffentliche Dankopfer für das „gnadenvolle Geschenk der K o n v e n t i o n " ansagen ließ. Es war Wilhelm Wernher von Nierstein, der Freund Gagerns — den Enthusiasten der Paulskirche h a t t e er 1848 als der Volker neben diesem Siegfried gegolten 1 ) —, ein Landwirt oder, wie er gern sagte, ein Bauer, der Mann von sicherem Stolze, der in der K a m m e r selbst auf seine Überzeugungsfestigkeit und Mannhaftigkeit, auf sein Ansehen im Lande verweisen durfte. 2 ) In der letzten Kammersitzung des Jahres 1859 wurde die folgende Interpellation Wernhers verlesen 3 ): „ H a t Großh. Regierung mit der römischen Kurie ein Konkordat abgeschlossen? Oder, wenn nicht ein Konkordat, existiert nicht sonst ein Vertrag oder eine vertragsmäßige Verabredung, die, wenn nicht f ü r immer, doch für vorläufig bis zum Abschluß eines Konkordates, dessen Stelle vertreten soll? Wird im Falle einer Bejahung, Großh. Regierung den Vertrag den Ständen vorlegen ? und wann ist diese Vorlage zu erwarten ? Welche sind, im Falle der Verneinung der beiden ersten Fragen, die rechtlichen Grundlagen, auf die alle die Veränderungen sich stützen, welche in den letzten J a h r e n von Seiten des katholischen Klerikats dieses Landes, in seinen Verhältnissen zur Regierung, zur Schule, zur politischen und bürgerlichen Gesetzgebung vorgenommen worden s i n d ? " Dazu gab Wernher, der jetzt die Interpellation noch nicht begründen durfte, eine verständige, maßvolle, doch auch bestimmte Bemerkung über seine Absicht: unter ausdrücklicher Anerkennung des Rechtes auf innerkirchliche Freiheit verlangte er W a h r u n g der Verfassung; er forderte vor allem eine offene und klare Antwort, damit es möglich werde, etwaige kirchliche Übergriffe zurückzuweisen, aber auch gegebenfalls Befürchtungen der Gegenseite als übertrieben zu erkennen. Die offiziösen kirchlichen Mitteilungen im Mainzer „ K a t h o l i k " 4 ) faßten diese Interpellation eines „protestantischen Deputierten gotha>) H. Laube, Das dt. Parlament, Ausgabe v. 1909 : 3, 25 f. *) Protok. d. Kammersitzung v. 4. 6. 60 S. 43. — Später, mindestens seit Anfang 1863, da die Kampfweise der Fortschrittspartei scharf geworden war, hat übrigens Wernher dem ihm von Jugend an befreundeten Ministerpräsidenten häufig über Stimmungen und selbst vertrauliche Äußerungen der Opposition in der Stille Bericht erstattet, wie Dalwigks Tagebücher (s. das Register) ausweisen. •) Verhandl. d. 2. Kammer, 16. Landtag (1860/62), Protok. Bd. 1 (1860), 13. Sitzg. 16. 12. 59 S. 2 f. — Fortan unterbleiben die Einzelverweise auf die leicht aufzufindenden Druckstellen der Verhandlungen. ') 1860 I S. 128 (Januar 1860). — Vgl. K.s Brief an Kardinal Reisach 15. 4. 60, wo er, ohne unmittelbare Beziehung auf Hessen, spricht von „der allgemeinen Anfeindung der mit dem hl. Vater abgeschlossenen Konkordate, wobei eine Lüderlich-

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ischer P a r t e i " zwar sofort, ganz wie die badische „ A g i t a t i o n " gegen den römischen Vertrag, als S y m p t o m eines systematischen Kampfes des Pseudoliberalismus und Rationalismus gegen die Freiheit der Kirche und das kirchliche Leben. Aber bei der Regierung so wenig wie am Bischofssitze bestand die Neigung, sich durch diese lästige Störung die bewährte Eintracht verderben zu lassen. Die Vertagung der K a m m e r gestattete es dem Minister, die Antwort auf die Interpellation viereinhalb Monate hinauszuschieben, und er meinte sich dieser K a m m e r gegenüber getrost auf einige schriftliche Bemerkungen beschränken zu dürfen, die wenig und nicht einmal die halbe Wahrheit sagten, hochmütig abweisend klangen und überdies der K a m m e r erst in letzter Stunde zugingen. Die Regierung war ü b e r h a u p t nicht vertreten, als in der ersten Sitzung des J a h r e s 1860, am 1. Mai, ihre Antwort verlesen wurde und Wernher seine Anträge kurz begründen konnte. Durch das wenig rücksichtsvolle Verfahren der Regierung und durch ihre Kirchenpolitik überhaupt gereizt, warf Wernher der Regierung „Totlegung" der Gesetze vor: er sprach über das Schicksal der katholisch-theologischen Fakultät, das bald darauf durch L u t t e r becks Schrift 1 ) dem Lande ins Gedächtnis zurückgerufen wurde, über die Loslösung des Klerus aus der Abhängigkeit vom Staate, über das geistliche „wohl disziplinierte, in sich abgeschlossene Heer, unter einheitlichem K o m m a n d o " , über die geistliche Beherrschung der katholischen Lehrer, über die tatsächliche Beseitigung des Rechts der Beschwerde gegen den Mißbrauch der geistlichen Gewalt; er beantragte, die Regierung um Veröffentlichung ihrer Regelungen mit dem Bischof zu ersuchen, er beantragte eine Kammererklärung, daß die dem rheinhessischen Rechte und der Verfassung widersprechenden Vereinbarungen nicht als gesetzlich gelten sollten, bis sie verfassungsmäßig durch die Organe der Gesetzgebung gebilligt worden seien; schließlich sollte die Regierung aufgefordert werden, die Sicherungen gegen den Mißbrauch geistlicher Gewalt nur dann zu lockern, wenn die römische Hierarchie die P a r i t ä t der christlichen Konfessionen vollständig und tatsächlich anerkenne. Auf der Grundlage des mit Wernhers Wünschen wesentlich übereinstimmenden Ausschußberichts — der protestantische Rödelheimer Pfarrer Thudichum war Berichterstatter — beschäftigte sich die K a m m e r am 11. Oktober 1860 mit der Kirchenfrage. Es war immerhin etwas Neues, daß Dalwigk sich in einer so wichtigen, weitgreifenden Sache vor den „getreuen S t ä n d e n " verantworten mußte. Er eröffnete die Verhandlung mit einer Selbstverteidigung, die in der günstigen Beurteilung der Wirkungen seiner Kirchenpolitik gewiß nicht durchaus im Unrecht war, meist aber doch keit [so: Pfülf 2, 2; Br. 269: „Verkommenheit"] der Gesinnung zu Tage tritt, die den Revolutionsmännern in Italien Ehre machen würde". *) Anton Lutterbeck, Gesch. d. kath.-theol. Fakultät zu Gießen. Gießen 1860.

Wernhers kirchenpolitische Anträge in der Zweiten Kammer (1860)

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die Dinge mehr gewandt als aufrichtig behandelte, um mit berechnender Treuherzigkeit diese nach seiner Meinung lediglich durch einseitige Betrachtung vom Standorte der weltlichen Gewalt und durch konfessionelle Vorurteile mißleiteten Abgeordneten zu beruhigen. Wernher, in seinen Worten wieder gemäßigter, hielt eine große, mit Hinweisen auf rheinische Rechtsverhältnisse der Vergangenheit fast überladene Rede. Nur da findet er einen schärferen Ton, wo er von dem Bischöfe spricht, von des Bischofs Erlassen, Jesuiten, Klöstern. Zum Schlüsse aber nimmt er geschickt den Freundschaftston Dalwigks auf; er rät der Regierung, gerade auch mit Rücksicht auf diese gemäßigte Zweite Kammer, die Gesetzesvorlage nicht zu verweigern — eine Mahnung, deren sich dieses Ministerium zwei Jahre später angesichts der Zusammensetzung der neuen Kammer erinnern mochte. Jetzt gab Dalwigk, kavaliermäßig, nur die gute Absicht des Wernherschen Antrags zu, meinte aber: „sein letztes Ziel ist dennoch nichts mehr und nichts weniger, als eine gar nicht durchzuführende Beschränkung der Gewissensfreiheit, die Herbeiführung eines Zustandes, um den wir andere Staaten nicht beneiden wollen." Damit war zugunsten einer allgemeinen, gleichviel ob berechtigten, ob angreifbaren, Beurteilung des Antrags dessen besonderes Gegenständliche beiseite geschoben: das Begehren nach gesetzlicher Regelung der Beziehungen zwischen Staat und Kirche, vor allem auch das bestimmte und berechtigte Verlangen nach Mitteilung jener Vereinbarungen, die doch wahrlich gerade auch nach Dalwigks Auffassung nichts zu schaffen hatten mit dem, was er als die Folgen oder vielmehr gar als das „Ziel" des Antrages betrachtete. Der ausgezeichnete Anwalt der bischöflichen Sache brauchte nur die ministerielle Verteidigung des ministeriellen und des bischöflichen Standpunktes durch genauere Ausnutzung juristischer Sätze und geschichtlicher Erscheinungen dankbar zu ergänzen. Seitz fing ziemlich offen als katholischer Kirchenpolitiker an, redete dann als Jurist mit richterlicher Art und Übung, um bald immer mehr, wenn schon in freundlicher Hülle, den Parteimann hervortreten zu lassen. Er berief sich auf die „Tatsache", daß innerhalb und außerhalb des Großherzogtums das katholische Gefühl durch die Art, wie Wernher früher seinen Antrag begründete, aufs tiefste verletzt worden sei. Den Eindruck von Wernhers Darlegungen über das in Rheinhessen geltende Recht suchte er durch Erörterung der Einzelheiten, die er genau kannte, zu verwischen; immerhin erwies sich Wernher in einem wichtigen Punkt als besser unterrichtet. 1 ) Die Verteidigungsabsicht war bei Seitz trotz der gemessenen Form deutlich zu merken, wenn er etwa behauptete, die Mainzer Jesuiten lebten in der tiefsten Zurückgezogenheit, „diese harmlosen Männer" beschränkten sich auf l

) Vgl. Protok. d. Sitzg. v. 11. 10. 60 S. 38.

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ihre religiösen Ü b u n g e n ; oder wenn er auf Preußen verwies, um ein willkommenes, f ü r seine Absichten übrigens nicht ungefährliches Beispiel d a f ü r zu geben, daß Ordnung durch Verfassung und Gesetz zu noch größerer Freiheit der katholischen Kirche führen könne. Der Schluß der Seitzschen Rede aber machte ihren katholischen Antrieb und zugleich die erwartungsvolle Beziehung auf Regierungsgedanken ganz deutlich mit der Erklärung, daß die Aufregung, d a ß die Unruhe innerhalb und außerhalb der Grenzen Hessens gerichtet sei „gegen alles, was in dem Staat, in der Kirche, der Gesellschaft Gesetz und Ordnung v e r t r i t t " , d a ß die Zeit krank sei, aber „der Arzt, der bestimmt ist, diese Krankheit zu heilen", nicht ausbleiben werde. In der K a m m e r selbst h a t t e Seitz t r o t z oder auch wegen des Bekenntnisses zu Dalwigk, zu der staatlich-kirchlichen Arbeitsgemeinschaft keinen Erfolg. Der Ausschußantrag, der im Sinne Wernhers die Regierung ersuchte, die „ U n t e r h a n d l u n g e n " mit dem Bischof abzulösen durch möglichst rasche Einbringung einer Gesetzesvorlage über das Rechtsverhältnis des Staates zu der katholischen Kirche und ihren Organen, wurde mit 37 gegen 3 Stimmen angenommen. Aber in der Ersten K a m m e r änderte sich das Bild. Dalwigk war in der Zweiten K a m m e r dem Verlangen nach förmlicher Veröffentlichung der Übereinkunft durch die scheinwahre Behauptung ausgewichen, d a ß die Übereinkunft noch nicht so weit gediehen sei, u m den Ständen mitgeteilt und im Regierungsblatte veröffentlicht zu w e r d e n ; n u r zur Verlesung der Konventionsbestimmungen, die ein Abgeordneter über irgendeinen P u n k t in dem Verhältnisse zwischen katholischer Kirche und Staatsgewalt ausdrücklich zu wissen wünsche, war er bereit: ein seltsames „Zeichen des Vertrauens" 1 ), da doch die Mitteilung des Ganzen den Abgeordneten die Z u m u t u n g ahnender Forschung nach den einzelnen „ P u n k t e n " h ä t t e ersparen können. In der Ersten Kammer ließ denn auch Dalwigk die ursprünglichen Bestimmungen der Übereinkunft von 1854 ganz verlesen, zu dem ausgesprochenen Zwecke, sie als „ S t ü c k w e r k " erkennen zu lehren. Hier konnte der Minister unbedenklich als besonderen Grund seines Verhaltens die „Besorgnis" anführen, daß „die katholische Kirche" — er .hätte besser gesagt: der Mainzer Bischof — sich gesetzlichen Bestimmungen zur Regelung ihres Verhältnisses zur Staatsgewalt, Feststellung ihrer Rechte innerhalb des Staatsgebietes, wenn diese einseitig von Regierung und Landständen aufgestellt seien, nicht fügen werde und nicht fügen könne. Hier also vergaß man des sonst so gerühmten preußischen Beispiels! Aber, von dem Vertreter des Bischofs zu schweigen, auch die Standesherren bis auf den Fürsten Solms-Lich waren mit Dalwigk einer Meinung, *) Wernher betrachtete es denn auch als Mißachtung der Kammer. Seine Bemerkungen in der Kammersitzung vom 1. 7. 61 (Protok. S. 33 f.) muß man der verhüllenden, ja falschen Darstellung Dalwigks vom 3. 11. 60 (Protok. S. 7) entgegenstellen.

Dalwigk und der Klerikale Seitz gegen Wernher

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und f ü r den Antrag Wernher s t i m m t e hier einzig und allein der protestantische Prälat Zimmermann. Am 3. November 1860 kam die Kirchenfrage nochmals vor die Zweite K a m m e r . Der Ausschußbericht suchte den Minister mit dessen eigenen W a f f e n zu schlagen: er h a t t e die Unvollständigkeit der Vereinbarungen hervorgehoben; der Ausschuß sah nun diese Unvollständigkeit besonders darin, d a ß die Übereinkunft „gerade in den Beziehungen, welche den Staat und seine Angehörigen am nächsten und empfindlichsten berührten, nichts regele und so einer willkürlichen Praxis fortwährend weiten Spielraum gewähre." Aber derselbe Dalwigk, der so feierlich die Übereinkunft als nicht vollendet, ja als „ S t ü c k w e r k " bezeichnet hatte, rief nun in die K a m m e r hinein: alle Verhältnisse sind vollständig geregelt. Die Kammermehrheit — vertreten durch den Berichterstatter Thudichum, dem die gesetzliche Regelung als „Friedenswerk" erschien, und durch den Bruder des berühmteren Friedrich Julius Stahl, den Gießener Professor der Staatswissenschaften Wilhelm Stahl, der in schärferer W e n d u n g gegen den Bischof und dessen Herrscherstellung sprach, — blieb mit allen gegen 6 Stimmen bei ihrem Beschlüsse. Dennoch d u r f t e n die Bischöflichen sich als Sieger fühlen. Unmittelbar nach den Oktoberverhandlungen erklärten sie, durch Dalwigk gedeckt, nicht ohne hohnvolles Behagen: „Der Antrag des Ausschusses wurde von der Majorität angenommen, scheint aber von praktischen Konsequenzen nicht zu sein, und so d ü r f t e zur Befriedigung aller vernünftigen Leute im Großherzogtum vor der H a n d der Frieden zwischen S t a a t und Kirche nicht gestört werden." Damals hielten sie immerhin f ü r gut, dem Ausdrucke der Zufriedenheit die Drohung folgen zu lassen, die Kirche brauche den Kampf nicht zu f ü r c h t e n ; selbst wenn einmal solche Kammerversuche d u r c h gleichgeartete preußische eine höhere Bedeutung erhalten sollten, würden die Kammern n u r „dieselben Lorbeeren sammeln, wie einstens die Bürokratie gegen Klemens August unsterblichen Andenkens errungen h a t . " 1 ) Diese Drohungen in die Z u k u n f t hinein mußten den Minister ungekränkt lassen. Er h a t t e gegen die Kammermehrheit — übrigens nicht ohne liebenswürdigen Diplomatendank f ü r so „viele unvergeßliche und erfreuliche Beweise des Vertrauens dieser verehrlichen Kammer"*) — mit beinahe kanonischem Verständnis die Sache der katholischen Kirche vertreten, er, der leitende Minister des konstitutionellen Staates, z. B. in „religiösen" Angelegenheiten der Katholiken (so nannte er nun die Kirchenfragen) die K a m m e r als unzuständig bezeichnet, genau so, wie es kurz darauf im „Archiv f ü r katholisches Kirchenrecht" 3 ) ein „angesehener „ K a t h o l i k " 1860 II von einem der Herausgeber Falle aus K-s u n m i t t e l b a r e r *) Protok. 3. 11. 60 S. 3 ) 6 (1861), 157 f.

S. 510. Diese „Kirchl. Mitteilungen" rühren gewiB her, wahrscheinlich von Heinrich, s t a m m e n in jedem Umgebung. 3 (oben).

3 7 6 III 1: K.» Idrchenpol. Kampf mit d. Uberaltomus: „Freiheit, Autorität u. Kirche"

Prälat" tun sollte. Dem entsprach gegen Jahresende die Mainzer Danksagung 1 ): an diesen Minister, der „die wahre Bedeutung der Zeit" erfaßt habe; an den Großherzog, der, in Weisheit und Gerechtigkeitssinn den gefährlichen Bahnen anderer (der badischen Nachbarn versteht sichl) fernbleibend, den rechten Weg erkannt habe, „was die Geschichte dereinst rühmend berichten wird"; an die Erste Kammer, der, wie der Regierung selbst, in entzückten Worten wahrhaft erleuchtete Ansichten, echter Freiheitssinn, glänzende Erhabenheit über Vorurteile, hohe Unparteilichkeit, zartes Billigkeits- und Schicklichkeitsgefühl, tiefer Ernst gegenüber der Wichtigkeit der Sache nachgerühmt wurden. Den Kampf, der nun vor allem in der Presse und in einer großen Broschürenreihe weitertobte, beobachten wir nur soweit, als der Bischof — den man im Landtage nicht persönlich, aber doch in seiner Wirksamkeit und in deren Wirkungen scharf kritisiert hatte — mit eigenem Wort und unmittelbar eingriff. Sein Fastenhirtenbrief vom Februar 1861 erscheint als eine Kirchenkundgebung mit einem guten Stück Politik darinnen. Er redete von den „maßlosen Ungerechtigkeiten", die sich in den Absichten der Kammermehrheit offenbarten, mutete freilich seinen Lesern auch den Verzicht auf staatsrechtliche, historische, politische Überlegung, ja selbst auf logisches Denken zu, wenn er mit einem, gewiß nur von den Massen der Gläubigen nicht bemerkten Fehlgriff in diesen Hirtenbrief den Satz stellte: „So rücksichtslos erhebt sich der Zeitgeist, daß er zwar duldet, wenn die Regierungen mit reichen Banquiers wie mit Königen unterhandeln, aber nicht ertragen kann, wenn mit einem katholischen Bischof ein Vertrag abgeschlossen wird." Ein solcher Hirtenbrief, der den Freunden des alten Staatskirchenrechts geradezu als ein Schulbeispiel für die Notwendigkeit des Placet gegolten hätte, konnte ein Ministerium, das am liebsten den Gegnern des Bischofs den Mund verschlossen hätte, nur befriedigen. Im März 1861 bekämpften die liberalen und klerikalen Eingaben gegen und für die „Konvention" einander, lieferte der Bischof im Broschürenstreit ein Mahn- und Hirtenwort unter der glücklichen Überschrift: „Soll die Kirche allein rechtlos sein?", dem mit geringerem Geschick und geringerer Wirkung der deutsch-katholische Prediger Hieronymi in einem Schriftchen antwortete „Sollen die Bischöfe allein die Kirche sein?" Vorher schon hatte Seitz ein klug angelegtes, freilich doch unter dem Schein unbefangener Wissenschaftlichkeit keineswegs unparteiisches, auch nicht immer in vornehmer Ruhe verharrendes Büchlein veröffentlicht 2 ) als „Abfertigung" der Streitschrift eines ungenannten liberalen Juristen, der „Die Mainz-Darmstädter Konvention und die ») Mz. J . 1860 Nr. 295 (18. 12.). *) „Die kathol. Kirchenangelegenheit im GroBherzogtum Hessen." Mainz, Kirchheim, 1861. 162 S. — Vgl. Wernhers Bemerkung (folg. Seite Z. 8 v. u.).

Broschüren- und Landtagskämpfe um die Mainz-Darmstfldter Übereinkunft 3 7 7

großherzoglich hessische Verfassung" in ihrem Verhältnis oder vielmehr in ihrer ihm gewiß scheinenden Unvereinbarkeit miteinander verglichen hatte. Im Landtage kam die Kirchensache nicht voran, weil das Ministerium sich versagte; eben darum aber rückten Regierung und Kammermehrheit sichtbar weiter voneinander weg. Die neue Interpellation, die Wernher, Stahl und zwei andere Abgeordnete in der Kammersitzung vom 19. Juni 1861 einbrachten, wurde durch Dalwigk mit schriftlicher Beantwortung der beiden Fragen am 25. Juni im alten Stile kurz erledigt: neue Verhandlungen mit dem Bischöfe „zum Zwecke des definitiven Abschlusses der Konvention" haben nicht stattgefunden; die Regierung ist zur gesetzlichen Regelung des Rechtsverhältnisses des Staates zur katholischen Kirche „nach wie vor" bereit, „wenn sich Punkte ergeben sollten, welche verfassungsgemäß zur Kompetenz der Stände gehören". Bei der Kammerverhandlung am 1. Juli 1 ) erschien der Minister nicht. Wernher aber, auch über diese neue „Vernachlässigung" der Kammer erbittert, hielt eine gründliche Abrechnung mit ihm, wobei er freundschaftliche Zusicherungen seines Duzfreundes Dalwigk und das amtliche Verhalten des Ministers gegeneinander ausspielen konnte. Er gab in der schlichten Schilderung der Entstehungsgeschichte seiner neuen Interpellation eine schneidende Kritik der Regierungsgrundsätze und der Ministergepflogenheiten. Wernher nämlich hatte sich in Stuttgart, wo man jetzt nach Verwerfung des „Konkordats" (März 1861) ein Kirchengesetz ausarbeitete, mit den leitenden Männern besprochen. Gestützt auf diese Kenntnis der württembergischen Verhältnisse, überreichte er dem Ministerium eine Denkschrift. Dalwigk erklärte dem Freunde Wernher schriftlich, man sei im Ministerium einig darüber, daß gewichtige Gründe für seine Ansichten sprächen, aber der Ausgleich der großherzoglichen Rechte und der ständischen Befugnisse, die nicht „unnötig" erweitert werden dürften, sei schwierig. Die bewährte ausweichende Ministersprache 1 In einer Unterredung mit Wernher ging Dalwigk weiter. Er sagte Vorlagen zu, ließ sich dafür versprechen, daß Wernher nicht mit seinem schon gesammelten Material in den Broschürenkampf eingreife. Wernher schwieg im Vertrauen auf die Zusage, obwohl einzelne bischöflich gerichtete Broschüren „mit weitgehender Unterstützung der Organe der Regierung" erschienen. Eine neue Besprechung mit Dalwigk, den er auf die württembergische Vorbereitung der Regierungsvorlagen verwies, zeigte ihm, daß von dieser hessischen Regierung nichts zu erwarten sei. Er kündigte nun in einem förmlichen Schreiben dem Minister an, daß er eine Besprechung mit dem Ministerialräte v. Rodenstein — in ihm sah er gewiß nicht ohne Berechtigung den Schützer der gegnerischen Stellung — als nutzlos ablehne und nun als ») Z. Folg.: Protok. 1. 7. 61 S. 33ff.

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III 1: K.s Idrchenpol. Kampf mit d. Liberalismus: „Freiheit, Autorität u. Kirche'

Abgeordneter die verfassungsmäßigen ständischen Rechte an der Gesetzgebung verteidigen werde, die ihm durch die Übereinkunft mit dem Bischof verletzt schienen. Alles dies teilte er in seiner Rede mit. Das Wichtigste aber an ihr war, daß sie vor dem ganzen Lande den Zwiespalt zwischen Regierung und Kammermehrheit in seiner allgemeinen Bedeutung und grundsätzlich faßte. Indem er den Wunsch aussprach, d a ß aus der Kirchenangelegenheit, die mit dem Kammerbeschlusse nicht beendet sein sollte, kein dauernder Konflikt zwischen den Ständen und der Regierung entstehe, deutete Wernher selbst an, daß der Konflikt begonnen habe, gefährlich zu werden. Das n a n n t e er jetzt den Kern der Sache, d a ß die Regierung grundsätzlich beanspruche, in den Fragen über das Verhältnis von Staat und Kirche das Recht der Gesetzgebung ohne Stände zu üben, d a ß sie der Kammer nur gestatte, sich an den Geldbewilligungen f ü r kirchliche Zwecke zu beteiligen. „ D a ß in der Verfassung eine Reihe von Paragraphen dieses Gebiet berühren, d a ß für Rheinhessen eine ganze Gesetzgebung darüber besteht, das alles sind vom Standpunkte der j e t z i g e n Regierung aus ganz unbedeutende Dinge, sie leugnet ein wesentliches Recht der Ständeversammlung und dieser Kampf zwischen ihr und der Behaupt u n g des von uns beschworenen Rechtes, der m u ß auf die eine oder andere Art ausgetragen werden." Das waren Töne, die an hannöverische oder kurhessische Kämpfe erinnern konnten. Für den Augenblick war der K a m m e r verfassungsmäßig kein weiterer Schritt mehr möglich. Wernher selbst sprach das aus. Aber in demselben Atem erklärte er a u c h : „Die Berufung, die wir einlegen, ist an das Land gerichtet, das Land wird über diese Berufung das Urteil sprechen in den nächsten Wahlen." Er erwartete oder vielmehr er befürchtete und bedauerte, daß dieses Urteil in Form und Inhalt schroffer sein werde als er wünsche; aber das daraus für das Land entspringende Unheil, so schloß er, „das k o m m t auf das H a u p t derer, welche Eigensinn für politische Größe und Standhaftigkeit ansehen, und die B e h a u p t u n g irgendeiner vorgefaßten Doktrin, in die man sich einmal festgerannt hat, f ü r staatsmännische Weisheit halten." Konnte sich die tiefe Erregung über dieses Regiment deutlicher verraten, als wenn in dem Abgeordnetenhause, das sich noch immer mit Recht des Großherzogs alleruntertänigste treugehorsamste Zweite K a m m e r der Stände nannte, ein so maßvoller Mann wie Wernher, der, mochte er schon wie ein alter Gemeinfreier neben ministerialischen Beamten dastehen, doch die überwältigende Mehrheit der Volksvertreter auf seiner Seite wußte, wenn dieser von Grund aus, freilich nicht im Parteisinne, konservative Mann die Regierung und den ihm persönlich befreundeten Ministerpräsidenten mit solcher Schärfe ang r i f f ? Und doch war, darauf konnte er mit Recht anspielen, die Stimmung im Lande noch viel leidenschaftlicher. Hier h a t t e n alte demokratische Widersacher Dalwigks, mit eigenen Gegnern von

Liberale Mißstimmung gegen Dalwigk.

Der Nationalverein

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gestern in verwandten deutschen und konstitutionellen Gedanken verbunden, die Führung im Kampfe gegen die Reaktion übernommen. Sie hätten das Ministerium Dalwigk am liebsten gestürzt; sie suchten ihm nun wenigstens, zunächst vor allem in der außerhessischen Presse, möglichst viel an Ansehen und lieber noch an Einfluß zu entziehen. Männer des Nationalvereins standen in dieser Kampfreihe voran. Wenige Wochen nach dem Tage von Villafranca war der deutsche N a t i o n a l v e r e i n begründet worden 1 ): im bitteren Gefühle der deutschen Ohnmacht, ohne H o f f n u n g auf Österreich, das mit seinen militärischen Leistungen enttäuscht, mit seiner Diplomatie E m pörung erregt hatte, in der Erwartung auf Preußen, obwohl dessen Haltung unmittelbar vor und in dem Kriege auch die meisten preussischen Liberalen nicht befriedigen konnte, in der leidenschaftlichen Sehnsucht nach einem, sei es immer kleineren, doch einheitlichen und freien Deutschland. Auf das neue liberale Preußen hoffte der neue Verein. Freilich, der in Preußen regierende gemessene Liberalismus des Ministeriums Hohenzollern-Auerswald und der unruhig agitatorische Liberalismus des Nationalvereins waren nicht derart wesensverwandt, d a ß sie sich nun einfach hätten verbinden können; und im Nationalverein selbst hatten sich so verschieden gerichtete Männer zusammengefunden, d a ß weder die Unterschiede und Abstufungen liberaler und demokratischer Betrachtung ganz ausgeglichen wurden, noch auch n u r eine bestimmte und allen gemeinsame Auffassung über die Stellung Preußens im künftigen Reiche gewonnen werden konnte. In Süddeutschland ist der Nationalverein über einzelne Bollwerke inmitten einer feindlichen oder gleichmütigen Umgebung nicht hinausgekommen. D a r m s t a d t gehörte bald zu den besten Stützpunkten des Nationalvereins, das D a r m s t a d t Dalwigks, die Residenz des allen preußischdeutschen Machtgedanken, mochten sie volksmäßig oder von der Staatsgewalt vertreten werden, tief abgeneigten Großherzogs. Die hessische Regierung stand schon im Kampfe gegen den Nationalverein, da er noch kaum gegründet war. Sechs Tage nach der großen F r a n k f u r t e r Versammlung, am 21. September 1859, wurde das Verbot der politischen Vereine im Großherzogtum neu eingeschärft. Der Nationalverein h a t t e freilich auch von Anfang an seinen hessischen Zweig getrieben, ja, man darf sagen, er h a t t e eine Darmstädter Wurzelfaser. Der Regierungsdruck, immer einer der wirksamsten Erzieher zur Freiheit, h a t t e die alten Demokraten in Hessen auch nach der Zerschlagung ihrer Vereine und der Einschränkung der Pressefreiheit zusammengehalten. Auch in der K a m m e r waren sie noch vertreten. Sie konnten freilich nur vorsichtig sich hervorwagen. Aber sie standen in stärkender Fühlung mit politischen Nachbarn. Der tiefe MeinungsVgl. vor allem H. Oncken, Bennigsen. — Über Hessen und den Nationalverein : Dalwigks Tagebücher, Mainzer Journal und die oben S. 355 Anm. 3 und S. 358 Anm. 5 gen. Literatur.

3 6 0 1111: K.8 Idrchenpol. Kampf m it d. Liberalismus: „Freiheit, Autorität u. Kirche"

und Stimmungsunterschied zwischen D e m o k r a t e n und Liberalen w a r damals so wenig überwunden wie vorher und nachher. Indessen, da sie sich wiederholt in gemeinsamer K a m p f s t e l l u n g gegen die Regierung zusammenfanden, r ü c k t e n beide tatsächlich einander näher. Das Aufbegehren gegen die Dalwigksche Kirchenpolitik insbesondere verband sie. Wir sahen, d a ß ein Altliberaler wie Wernher, der Mann des Paulskirchenkasinos und der Kaiserpartei, in diesen nach hessischen Reaktionsmaßstäben unerhört k ü h n e n , freilich zunächst ergebnislosen Vorstößen die F ü h r u n g h a t t e . Auch hier in Hessen war dem Nationalverein durch die Regierungspolitik vorgearbeitet worden, auch hier vereinigten sich Leute der Linken und der Mittelgruppe von 1848, Demokraten und liberale „ G o t h a e r " in den deutsch-einheitlichen und deutsch-freiheitlichen Nationalvereinsgedanken. An ihrer Spitze s t a n d kein Altliberaler, sondern ein Mann, der, 1848 erst dreißig J a h r e zählend, zu den f ü h r e n d e n Demokraten der Zweiten K a m m e r gehörte, als Dalwigk ins Ministerium berufen wurde. Es war der D a r m s t ä d t e r Hofgerichtsadvokat August M e t z , jüdischer A b s t a m m u n g 1 ) , katholischen Bekenntnisses, aber mindestens in der Zeit seines politischen Wirkens nicht auf dem Boden katholischer W e l t a n s c h a u u n g stehend, von leidenschaftlichem liberalem und deutschem E m p f i n d e n erfüllt, dem Klerikalismus aus politischkleindeutschen Überlegungen, mehr noch aus liberalen Kulturbegriffen heraus ein hassender und gehaßter Feind. Metz bewährte sich als klug berechnender, wirkungsvoller Volksredner. Bei fester politischer Grundanschauung doch eine vermittelnde N a t u r , zeigte er sich zur Vermittlung auch zwischen Nord und Süd nach H e r k u n f t und Art besonders geeignet. Selbst in Norddeutschland n a n n t e man ihn wohl einmal in einem Atem mit Bennigsen. 2 ) Wie die würdevolle, vornehme Ruhe fehlten ihm freilich auch die w a h r h a f t staatsmännischen Züge: die verworrenen und noch verworrener scheinenden deutschen Verhältnisse in den ersten J a h r e n des Ministeriums Bismarck vermochte er noch weniger als andere Gleichgesinnte zu überschauen; er überschätzte sich und seine Partei und prahlte gar zu Ende des J a h r e s 1864 phantastisch mit dem nahen siegreichen deutschen Nationalvereinsund Volkskriege gegen das Preußen Bismarcks. 3 ) Aber f ü r das Werben in günstiger Stunde, f ü r den Redekampf, f ü r den beweglichen und doch beharrlichen Widerstand gegen die Mächte der Reaktion und des Partikularismus war er wie geschaffen. Mit seinen sanguinischen und Das wurde vom Mz. J . (1860 Nr. 303, 29. 12.) nicht übersehen. *) Oncken 1, 445 Anm. 1 (westfälischer Brief 5. 2. 61). •) Dalwigks Tagebücher S.153 (13.12.64: Wernher zu Dalwigk). — Vgl.Mz. J . 1864 Nr. 181 (5. 8.): Metz sagte auf einer Offenbacher allgem. Volksversammlung, solange es noch Menschen wie Bismarck und Rechberg gebe, solange sie nicht moralisch vernichtet seien, könne der Glaube an deutsches Recht und deutsche Sitte nicht erhalten werden.

August Metz und der Nationalverein in Hessen

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weichen Zügen setzte er sich wohl dem Vorwurf aus, daß er sich in patriotischem Überredungseifer im Süden süddeutscher, im Norden norddeutscher aufspiele als er sei 1 ); aber das war schließlich wohl nur politische Bewährung seiner gewandt den Verhältnissen sich anschmiegenden und so gerade einflußreichen Advokatenart. Er gehörte zu den Gründern und bald zu den Führern des Nationalvereins. Er trat bereits auf der Eisenacher Versammlung vom August 1859 selbständig hervor. Auf der Frankfurter Versammlung vom September 1859 wagte dieser „sonst emanzipierte Demokratenhäuptling" zur Überraschung Bismarcks 1 ) sogar das Wort „Lieber das schärfste preußische Militärregiment als die kleinstaatliche Misere". Vorher schon hatte seine „Erläuterung zum Eisenacher Programm" den „Eisenachern" die Ermutigung Preußens zur Betreibung deutscher Reformen als Aufgabe hingestellt. 8 ) Das war das Gegenteil dessen, was Dalwigk wollte. Der hatte sich nur vorübergehend, da Darmstädter Anliegen es forderten, mit dem k o n s e r v a t i v e n Preußen einigermaßen freundlich vertragen; das Preußen der Neuen Ära war ihm schon wegen der Abwendung von der konservativen Überlieferung höchst verdächtig. Aber mehr noch die preußisch-kleindeutschen als die demokratischen Gedanken wollte er treffen, wenn er auf die gewaltsame Unterdrückung des Nationalvereins in ganz Deutschland hinarbeitete und sie in Hessen sogleich durchzuführen suchte. Anfang Oktober 1859 bereits begann die Kriminaluntersuchung gegen Metz und Genossen wegen verbotener Teilnahme an einem „ausländischen" Verein. Neue Anklagen folgten im nächsten Jahre, neue Verurteilungen zu kleinen Gefängnisstrafen. Mit Briefüberwachung und Hausuntersuchung, mit gerichtlichen und nichtgerichtlichen Mitteln, mit zahlreichen Preßprozessen 4 ) arbeitete das Ministerium Dalwigk. Ganz ohne Scheu suchte es die Justiz in den Dienst der Politik zu stellen. Juristischen Bedenken oder persönlicher Zaghaftigkeit des Justizministers machte Dalwigk, gestützt auf die besondere Ermächtigung des Großherzogs 6 ), mit persönlicher Entschlossenheit ein Ende. Aber die Willkür dieser scheinkonstitutionellen Regierung sollte diesmal kläglich Schiffbruch erleiden. Die hessischen Mitglieder des Nationalvereins, Metz vor allem, nahmen literarische Rache an Dalwigk: in nachbarlichen Tagesblättern, wie *) Orenzboten 21 (1862), 4. Bd. S. 170. *) Bismarck an Schleinitz 25. 9. 59: B.s Briefwechsel mit d. Minister v. Schleinitz (1905) S. 4 5 f . ; Oncken 1, 343 Anm. 1. *) Es war nur der folgerichtige Ausdruck seiner preuBisch-deutschen Grundanschauung, wenn sich Metz nach Königgrätz zu Bismarck bekannte. Dafür wurde er, wie bedeutendere Männer auch, von Herwegh verhöhnt. Vgl. R. M. Meyer, Dt. Parodien (1913) S. 166 u. 217. *) „Zustände" 3 (1861) S. 15: Rheinhessen „hat im verflossenen Jahre mehr Preßprozesse gehabt wie das ganze Übrige Deutschland". *) Dalwigks Tagebücher S. 23.

3 8 2 III 1: K.s kirchenpol. Kampf mit d. Liberalismus: „Freiheit, Autorität u. Kirche''

dem „ F r a n k f u r t e r J o u r n a l " , und vor allem in der Wochenschrift des National Vereins; die hier zuerst veröffentlichte Darstellung über „Zustande im Großherzogtum Hessen", die mit einseitiger Kritik die ganze innere und äußere Verwaltung Dalwigks, namentlich auch den Bund mit dem Bischof und das bischöfliche Regiment selbst, rücksichtslos angriff, wurde im Sonderdruck allenthalben im Lande verbreitet. Die Verbote gegen den Nationalverein, die Verfolgungen der Mitglieder blieben f ü r die Dauer wirkungslos. Der Verein wuchs im Feuer der Gegner. Metz suchte die behördliche Macht durch Masse zu zwingen. Im Herbst 1860 f ü h r t e er in Offenbach über h u n d e r t Bürger mit einem Schlage dem Vereine zu. A n f a n g 1861 bildete sich in Mainz eine noch etwas stärkere Vereinsgruppe, die zur Befriedigung der Klerikalen 1 ) nur zum kleineren Teile aus Katholiken b e s t a n d ; vorher schon waren in Alzey und anderwärts Vereine gegründet worden. Gegen sie alle ließ Dalwigk zunächst die Gerichte aufbieten. Aber bereits zu Anfang des J a h r e s 1861, da er ein förmliches Verbot des Nationalvereins beim Bundestage beantragte, hegte er in der Stille das Gefühl, d a ß sein Kampf „gegen die Revolution, d. h. gegen den Nationalverein" bei der Gleichgültigkeit der meisten deut§chcn Regierungen vergeblich bleiben müsse. Im Vertrauen sprach er bereits von dem Rückzüge, den er mit dem Pathos seiner Selbstgefälligkeit im voraus schon ehrenvoll nannte, weil er erst erfolgen werde, nachdem die letzte Patrone verschossen sei. 1 ) Noch im V o r f r ü h j a h r 1861 versuchte er wohl wenigstens die Mittelstaaten zu gemeinsamer Verabredung gegen die Freiheit der politischen Vereine, der Volksversammlungen, der Presse anzutreiben: der Nationalverein, der „ H a ß und Verachtung gegen den Deutschen Bund und Unzufriedenheit mit den bestehenden Regierungen in weiten Kreisen zu erwecken" suche, sollte mit Gewalt, mit militärischen Mitteln selbst u n t e r d r ü c k t werden, da nun doch einmal hessischer Polizei- und Gerichtszwang nicht ausreichte. Diesen Einzelkampf gegen hessische Vereinsmitglieder mußte Dalwigk im Juni 1861 aufgeben. Ein „ehrenvoller R ü c k z u g " ? Dalwigks klerikale Lobredner meinten damals, schwankend zwischen heroischen und wehmütigen Gefühlen: „Gibt es jetzt Märtyrer in Deutschland, so sind sie eher in den Regierungskreisen zu finden als im Nationalverein." 3 ) Der Minister selbst aber verzichtete wenigstens nicht auf den geheimen K a m p f . Bei seinem Besuche des Königs Wilhelm nach dem Badener Anschlage vom Juli 1861 wollte er — seine ger ü h m t e Freimütigkeit gegen Fürsten zur Dreistigkeit erhebend — den König gegen den Nationalverein scharf machen. Aber er h a t t e Mz. J. 1860 ) Dalwigk zur Folg.: ebenda 27 u. 3 ) Mz. J. 1861 2

Nr. 18 (22. 1.). Oroßherzogin 9. 1. 61, vgl. 6. 1.: Tageb. S. 26 u. 47 f. — Zum 5 2 f f . , dann 3 9 f f . Nr. 140 (19. 6.): < Der Nationalverein.

Dalwigks Polizeikrieg gegen Metz und den Nationalverein

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kein Glück, so wenig, wie im J a h r e zuvor auf dem Fürstentage zu Baden-Baden der König von W ü r t t e m b e r g mit dem gleichen Ansinnen. „ W e n n man verfolge, so mache man nur Märtyrer und gewähre dem verfolgten Verein eine sich steigernde gefährliche B e d e u t u n g . " Diese verständige königliche Antwort m u ß t e den Minister um so mehr treffen, als sie zu seinen ärgerlichen Erfahrungen nur allzu g u t p a ß t e . Wenn Dalwigk bei dieser vertraulichen Unterredung dem Nationalverein die eigentliche Verantwortung für den Mordversuch am Könige zuzuschieben wagte, so taten es seine klerikalen Bundesgenossen offen und laut. Das Mainzer Journal 1 ), das den Nationalverein und auch Metz persönlich ohne Unterlaß bekämpfte, bezeichnete nach dem Anschlage Beckers in einem kurzen Leitaufsatze Fürstenmord als „die letzte freilich, aber die notwendige Konsequenz einer Agitation, welche selbst in den untersten und ungebildetsten Volksklassen die Leidenschaften aufwühlt und die A u t o r i t ä t und den Glauben an sie systematisch u n t e r g r ä b t " ; den König Wilhelm aber n a n n t e das Blatt das erste Opfer des deutsch-einheitlichen Fanatismus, die „ G o t h a e r " die wahren Schuldigen — voller E r w a r t u n g , d a ß nun dem Nationalverein auch in Preußen der hessische Verfolgungsgeist entgegentreten werde. Der Zusammenhang der Diplomatie Dalwigks und der klerikalen Polemik zeigt sich auch hier aufs deutlichste, gleichviel, wie weit D a r m s t a d t an den Mainzer Äußerungen beteiligt gewesen sein mag. Das Mainzer J o u r n a l f ü h r t e den Kampf gegen den Nationalverein, den Liberalismus überhaupt mit einer eifervollen Leidenschaft, die sich nie austoben, nie erschöpfen zu wollen schien. Auch der Bischof selbst ist seit dem Beginne der sechziger J a h r e immer mehr, mittelbar und unmittelbar, in der Stille ein Prediger der Presse, persönlich und offen ein Prediger der Broschüren geworden. Der E n d s t o ß Wernhers vor der K a m m e r v e r t a g u n g im Sommer 1861 hatte f ü r den Augenblick kein Ergebnis gehabt. Aber der Bischof war sich darüber klar, d a ß der eigentliche Kampf mit dem Liberalismus auch in Hessen noch bevorstehe. Der Nationalverein h a t t e schon jetzt über das hessische Ministerium tatsächlich triumphiert. Er mußte geduldet werden. Der Einfluß seiner Organisationen und seiner Presse wuchs noch immer an. Als der geistliche Verbündete Dalwigks wurde Ketteier bekämpft. Im Laufe des J a h r e s 1862 schrieb der Bischof zu Abwehr und Angriff sogar eine besondere Schrift gegen den Nationalverein als „antikatholischen" Verein, der vom S t a n d p u n k t e des rationalistischen Protestantismus die rechtliche Stellung der katholischen Kirche in Deutschland anfeinde, der einen Bischof im Sinne der Emser Punktation und an der Stelle der katholischen Kirche eine Nationalkirche wolle. Ketteier hat diese Schrift nicht veröffent') 1861 Nr. 168 (21. 7.), Nr. 170, auch — aus den Hist.-pol. Bl. — Nr. 1 8 2 - 1 8 5 ,Das Attentat von Baden-Baden und die Verwicklungen der inneren Politik Preußens".

384 in 1: K.« IdrehenpoL Kampf mit d. Uberaltemus: „Freiheit, Autorität u. Kirche" licht 1 ); obgleich sie die Verurteilung des Nationalvereins, mindestens des Nationalvereins in Hessen, kirchlich-religiös zu begründen suchte — „ein Verein, der uns Katholiken in unserem Glauben und unserem Rechte beschimpft und beeinträchtigt" —, schien es ihm doch wohl bedenklich, mit einer eigenen Schrift über einen nationalpolitischen Verein unmittelbar in den Kampf der politischen Meinungen und Gemeinschaften einzugreifen. Die „Agitation" gegen die „ K o n v e n t i o n " — den Ansturm in der Kammer, wie den in der Presse — hatte übrigens schon der bischöfliche Hirtenbrief vom Februar 1862 abzuweisen gesucht, nicht ohne die für die Kirche, für den Bischof wahrlich doch günstige Übereinkunft als ein eben noch erträgliches Mindestmaß dessen erscheinen zu lassen, „was eine gerechte Regierung der katholischen Kirche schuldig war". Vor allem a b e r : aus einer großen Schrift über „ F r e i h e i t , A u t o r i t ä t u n d K i r c h e " konnte jetzt jeder Gläubige, jeder Ungläubige, konnten Freund und Feind das Urteil des Bischofs über den Liberalismus zur Genüge kennen lernen. Denn dieses Werk mit dem philosophisch-theologischen Titel, das am Jahresende 1861 abgeschlossen war und gegen Mitte Februar 1862 2 ) herauskam, kehrte zwar immer wieder zu kirchlichen Grundfragen zurück, wollte aber auch die großen Leitlinien nur im Hinblick auf die Bedürfnisse des Tages geben. Die hessischen Kirchenkämpfe der Jahre 1860 und 1861 hatten die Regierung und so auch den Bischof nicht von dem alten Standorte verdrängen können, aber die Macht des Nationalvereins und der liberalen Presse offenbart. Recht eigentlich eine Grundschrift f ü r die Katholiken im öffentlichen Leben, f ü r die kirchentreue Presse sollte dieses Werk sein. 8 ) „Die weitaus zum größten Teile dem Teufel dienende Presse ist jetzt in Deutschland die Hauptmacht, die das Reich Gottes b e k ä m p f t . Möchte Gott uns helfen, ihr eine Presse, die der Wahrheit dient, in derselben Ausdehnung entgegenzustellen!" So schrieb der Bischof, der sich stets um Gedeihen und Gebahren der katholischen Presse wirksam kümmerte 4 ), in vertrautem Briefe an die Gräfin Hahn 6 ), als er ihr das Buch sandte. Damit deutete er auf den eigentlichen Sinn seiner Arbeit hin. Die praktische Absicht bricht tatsächlich immer wieder durch das Gespinst der theoretischen l

) Kurze Auszüge: Pfülf 2 S. 1 f. u. 22. •) Mz. J. 1861 Nr. 36 (12. 2.). ' ) Freiheit, Autorität und Kirche. Erörterungen über die großen Probleme der Gegenwart von Wilhelm Emmanuel Freiherrn von Ketteier, Bischof von Mainz. (Mainz, Kirchheim, 1862. X u. 259 S. — Vorwort: Mainz, 29. Dez. 1861). Die 5., 6. und 7. Aufl. erschienen als „Volksausgabe" (irrig: F. Nippold, Kl. Schriften 2, 412 Antn. 1) noch im J . 1862 (VIII u. 146 S. engen Drucks kl. 8°). «) Vgl. z.B. 1853: H. v. Petersdorff, Kleist-Retzow (1907) S. 212; Bachem 2, 166ff.; 1854: Bachem 2, 302 u. 419. ' ) 20. 2. 62: Br. 273 (statt „dem Bösen" ist zu lesen — vgl. Pfülf 2, 159 — „dem Teufel").

K. gegen den Liberalismus. „Freiheit, Autorität und Kirche" (Febr. 1862) 3 8 5 Erörterungen des Buches hindurch, oder vielmehr sie b e s t i m m t diese, ihre Auswahl und ihre A u s d r u c k s f o r m e n . Was die bischöfliche Betrachtung der „großen Prinzipienfragen der Gegenwart" über „Freiheit, Autorität und Kirche" recht eigentlich hervorgerufen hat, ist in seiner greifbaren Gegenständlichkeit im einleitenden Vorwort ohne Umschweife gesagt. Die Tagespresse mit ihrem unermeßlichen Einfluß auf Denkweise und Gesinnung der Menschen, mit ihrer innigen Beziehung zum konstitutionellen Leben, zu den im Staate immer stärker hervortretenden Kammermehrheiten hat größtenteils die katholische Kirche in Acht und Aberacht erklärt. Die Bewohner Deutschlands sind zur größeren Hälfte katholisch, aber die katholischen Anschauungen werden nur in wenigen Blättern vertreten. Der Bischof, der also, Klagen anderer Katholiken aufnehmend 1 ), seiner Kirche ein gewaltiges Stück ihres natürlichen Wirkungsfeldes entzogen sieht, möchte in die katholische Tagespresse wenigstens Einheit und Kraft gebracht wissen. Das aber setzt Klarheit über die Lage und die Forderungen des Katholizismus voraus, über wahr und unwahr, Recht und Unrecht. Die Gegner wissen, was sie wollen, die Katholiken noch nicht. Er möchte ihnen helfen, indem er die Grundfragen der Zeit erörtert im Geiste des päpstlichen Ausspruches, daß man den Worten ihren wahren Sinn wiedergeben müsse. Diese große katholische bischöfliche Prüfung der Schlagwörter des Tages 1 ) beginnt mit der allgemeinen Betrachtung der echten, christlichen, katholischen Auffassung von Fortschritt und Aufklärung, Freiheit und Gleichheit, der bei wunderbarer Mannigfaltigkeit ihrer Anwendung ewig gleichen Grundformen und Grundgesetze göttlicher Offenbarung, katholischer Glaubenslehre. Aber schon diese allgemeine Betrachtung trägt gegenwärtig-gegenständliche Züge. Einmal in der freilich flüchtigen Kritik der unkirchlichen Auffassung — ein Ausschnitt aus Kettelers Frankfurter Grabrede vom September 1848 liefert das Kernstück dieser Kritik —, dann in der Mahnung, daß die Katholiken und ihre Presse sich auch vor dem Scheine hüten müßten, als ob sie soziale und politische Formen der Vergangenheit für unverbesserlich und darum für das einzige Heilmittel hielten. Auch das war ein Gedanke, den Ketteier schon fast anderthalb Jahrzehnte zuvor einmal ausgesprochen hatte.*) Durch den neu auflebenden, auf den Verfassungsstaat eingeschworenen „liberalen" Katholizismus (im Herbst 1852 hatte Montalembert sein Buch über ,,Die katholischen Interessen" veröffentlicht, das sogleich auch auf Deutschland wirkte), durch die romantisch-patriarchalisch-konservative Gegenbewegung waren die Fragen nach dem Recht und dem Wert der Staatsformen wieder in den Vordergrund kirchlicher Erwägungen und katholischer Politik geschoben worden. In den Jahren 1853 und 1854 bedrohte der Meinungsstreit über diese politischen Grundfragen den Zusammenhalt der deutschen Katholiken, die Einheit ihrer Presse und die Wirksamkeit ihrer parlamentarischen Vertretung in dem größten deutschen Verfassungsstaate. Der Konvertit Franz v. Florencourt verfocht damals als Leiter der „Kölnischen Volkshalle" zum Verdrusse der ihn bald (April 1854) ') (A. Niedermayer,) Die kathol. Presse Deutschlands 1861. — Schon Hase, Polemik 4 S. 540 Anm. 30 hat diese Schrift, ohne den Verf. (N. lebte seit 1860 in Frankfurt, wurde Sept. 1862 Kaplan in Sachsenhausen; vgl. v. Pastor: Janssens Briefe 1, 380 Anm. 3) zu kennen, zusammen mit K.s Presseklagen angeführt. — K. war mit N.s Schriftchen „ganz ungemein zufrieden" (Frau Rat Schlosser an Steinle 11. 9. 61 aus Stift Neuburg, wo K. damals, wie so oft, für einen Tag sich aufgehalten hatte: Steinle 1, 496). ') Bald nach K.s Schrift erschien, unabhängig von ihr zusammengestellt, A. Reichenspergers „Not- und Hülfsbüchlein für Zeitungsleser" unter dem Titel „Phrasen und Schlagwörter" (Vorwort: Febr. 1862 ; 2. A. Sommer 1863 ; 3. A. Sommer 1872). ») Oben S. 61. V i g e n e r , Bischof Ketteier

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3 8 6 III 1: K s kirchenpol. Kampf mit d. Liberalismus: „Freiheit, Autorität u. Kirche" verdrängenden verfassungstreuen rheinischen Katholiken den feudalen, ja, einen grundsätzlich verfassungsfeindlichen Standpunkt 1 ), und in der katholischen Fraktion, die seit dem Jahre 1852 im preußischen Landtage bestand, kamen die westfälischen und rheinischen Ritterbürtigen mit der Rechten in dem Wunsche nach einer Beschneidung der Verfassung überein. Zu denen, die sich dem vorherrschenden politischen Liberalismus der Fraktion versagten, gehörte Wilderich v. Ketteier; streng konservativ, wie er war, legte er als erster der Genossen im Oktober 1853 sein Mandat nieder. Sein bischoflicher Bruder aber vertrat in diesem Fraktions- und Pressestreit nicht den Standpunkt der katholischen Gefolgsleute der Kreuzzeitungspartei. Er schrieb dem Führer der katholischen Fraktion 1 ) tadelnde Worte über die „Volkshalle", „die ein fertiges politisches System als alleinseligmachendes aufstelle und alle von sich stoße, die es nicht teilen"; er bekannte sich zugleich zu Reichenspergers günstiger Meinung „über den Wert der Verfassung für die Freiheit der Kirche". Das sollte nun freilich nicht einfach eine Hingabe Kettelers an den „liberalen" Katholizismus bedeuten. Montalembert hatte in den „Katholischen Interessen" 1 ) schlechthin erklärt, die politische Freiheit sei der Schutzbrief und das Werkzeug der katholischen Wiedergeburt in Europa gewesen, er hatte erklärt, man möchte sagen verfügt, die verfassungsmäßig beschränkte Regierung sei im gegenwärtigen Europa „die einzig mögliche Form der politischen Freiheit". Das war eine grundsätzliche Bindung an den Konstitutionalismus. Ketteier aber fragte lediglich nach der tatsächlichen Bedeutung einer Verfassung für das k i r c h l i c h e Leben; er sah mit scharfem Auge die kirchlichen Schattenseiten der Wirklichkeit des Kamniergetriebes und so wenig wie für eine der andern, wollte er sich für die konstitutionelle Staatsform als solche und um ihrer selbst willen einsetzen. Aber wenn er nun in seinem Buche, in diesem großen kirchlichen Leitfaden durch die Wirren des öffentlichen Lebens diejenigen zurechtwies, denen politische Formen der Vergangenheit als unantastbar galten, so mußte das zugunsten des Verfassungsstaates, also im Sinne der auch jetzt an der preußischen Verfassung festhaltenden katholischen Fraktion wirken. Die ausdrückliche Nennung der „katholischen Presse" an dieser Stelle bezeichnet die Absichten der bischöflichen Mahnung noch deutlicher. Die „Freiheit" ist für den Bischof kein Problem. Die einfache Entwicklung der christlichen Gedanken, die in der Kirche so vielfach ausgesprochen sind, genügt zur Erkenntnis des vollen, wahren Sinnes der Freiheit: sie ist eingeschränkt durch die Pflicht der Unterwerfung unter den göttlichen Willen. In der kirchlichen Lehre allein sieht er die sittliche Freiheit gewährleistet. Unberührt von dem, was unterrichtete Gegner ihm an grundsätzlichen Erwägungen und geschichtlichen Beobachtungen entgegenhalten konnten, spricht er das Wort aus, die Kirche habe eine hohe Ehrfurcht vor dem Gewissen des Menschen, das nach katholischer Lehre das innere Urteil sei, „wodurch des Mensch nach reifer Überlegung das, was er innerlich für wahr und recht erkennt, auf sein Leben, auf seine Handlungen anwendet". Freilich wird dieser überraschende Gewissensenthusiasmus sogleich wieder kirchlich eingeschränkt: da es auch ein irriges Gewissen geben kann, so hört die Kirche nicht auf, daran zu erinnern, welches Verderben aus dem selbstverschuldeten Irrtum des Gewissens hervorgeht. Die sittliche und die vernünftige Freiheit — in dieser doppelten Freiheit besteht alle menschliche Freiheit, Menschenwürde überhaupt — sind ihm lediglich kirchlich bestimmt. Damit ist auch die Frage „Glaube und freie Wissenschaft" im voraus erledigt, und das bischöfliche Kapitelchen darüber ist, ähnlich dem damit innerlich zusammenhängenden späteren Abschnitte über die Freiheit in der Kirche, höchstens bemerkenswert wegen der temperamentvollen, doch oberflächlichen Abwehr der gegnerischen Anzweiflung katholischer Wissenschaftlichkeit. In der Kirche ist die !) Vgl. Bachem 2, 346 ff. ' ) K. an A. Reichensperger 13. 4. 1854: Pastor, R. 1, 356. •) Kapitel 7 (S. 60, S. 95, vgl. 102).

Fr., A. u. K . " (Legitimismus und Verfassung; Staat von Gottes Gnaden)

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vollendete Entwicklung und vollkommene Ausgleichung der individualistischen Kräfte und der Gemeinschaftskräfte gegeben. Durch die Frage nach dem rechten Verhältnisse beider Kräfte soll die Beurteilung staatlicher Verhältnisse bestimmt werden. Das innere Recht dieser Kräfte mit ihrer Ausartung vergleichen, heißt Freiheit und Revolution, wahre Autorität und Absolutismus einander gegenüberstellen. Zum Wesen der sozialen, bürgerlichen, politischen Freiheit gehört die Selbstverwaltung: Ketteier preist sie — auch das ist ihm eine altvertraute Empfindung 1 ) — als eine große Schule wahrer, gesunder, auf wirkliche Verhältnisse gegründeter Ansichten im Staatsleben". Die kirchliche Sicherung aber fehlt auch hier nicht: diese „Selbstbestimmung" ist mit der Pflicht verbunden, „sich dem Gesetze Gottes und der von ihm überall gegründeten Ordnung zu unterwerfen"; in alle Selbstverwaltung also, das folgt daraus, kann das kirchliche Gebot eingreifen. Der tiefste Sinn der Staatsgewalt — allenthalben mußte sich Ketteier hier, wenn nicht an die Vorgänger Jarckes, so doch an diesen seinen Lehrer selbst mehr noch als an Stahl erinnern — ist christlich, ist kirchlich bestimmt: „Die Staatsgewalt, erfaßt und geübt im Geiste des Christentums, wäre das höchste Ideal der weltlichen Gewalt." Die Forderung einer gerechten und einfachen Gesetzgebung führt ihn zu einem schnellfertigen Worte Uber die „vergiftende" Wirkung des römischen Rechts, „des heidnischen Ultramontanismus", und zu der Kritik der „Gesetzgebungsfabrik" des modernen Staates, einer Kritik, die mit ihrem Spotte Uber Gesetzmacherei der Kammern vor allem den verhaßten Kammerliberalismus treffen möchte, schließlich aber doch auch wieder nur eine schlichte Anweisung ist zu kirchlicher Behandlung der Fragen nach den Aufgaben der Staatsgewalt; die katholische Presse soll es als eine erhabene Aufgabe erkennen, auch die große Politik an den einfachsten Grundsätzen der „Wahrheit und Gerechtigkeit" zu messen. „Der Staat von Gottes Gnaden" — die in der staatlichen Ordnung bestehende Gewalt begriffen als eine „in ihrem Wesen von dem menschlichen Willen vollständig unabhängige, göttliche Einrichtung" — und „der Staat von Menschen Gnaden" werden im einfachsten Schema einander gegenübergestellt. 1 ) Zwischen die Betrachtung des einen und des andern aber schiebt sich ein selbständiger Abschnitt über „die Krönung der christlichen Könige" durch Bischofshand, „wie sie im Christentum durch tausend Jahre im Gebrauch war", als Zeichen, daß Herrscher, Staat und Recht von Gottes Gnaden stammen. Er füllt Seiten dieser Lehr- und Kampfschrift mit Auszügen aus dem Pontifikale über die Königssalbung; sie ist ihm darum so heilig, weil sie — den priesterlich verdammenden Seitenblick auf die nur wenige Monate zurückliegende Königsberger Krönung des protestantischen Preußenkönigs „von Gottes Gnaden" mußte jeder fühlen — neben dem Königtume von Gottes Gnaden auch ein Priestertum von Qottes Gnaden voraussetze. Als Welt- und Staatsordnung von Menschen Gnaden wird mit etwas katechismusmäßiger Einfalt aber auch mit predigthafter Kraft der „sog. moderne S t a a t " hingestellt, „der ein Menschenwerk sein will, obwohl er an gewissen deutschen Hochschulen seine Hoftheologen hat, die ihm einen gewissen evangelischen Schein geben sollen". Er soll erscheinen in seinen „ganz notwendigen und furchtbaren Konsequenzen", deren letzte die Vernichtung der Weltordnung ist. Auch hier werden in die allgemeinen Betrachtungen die besonderen und gegenwärtigen hineingesponnen: Recht der Gottesleugnung in der Wissenschaft und bei den Lehrern der Jugend zugelassen — der kirchliche Stoß gegen die unkirchlichen Universitäten und die unkirchlichen Schulen; „Gesellschaften, welche die Gottesleugnung Gottesdienst nennen, als religiöse Sekten anerkannt" — der kirchliche Stoß gegen die Deutschkatholiken. Die Erörterungen über Absolutismus und Zentralisation erhalten ihre besondere literarische Farbe durch die Einschiebung eines Briefes von Finelon; einen der x ) Vgl. oben S. 98. *) Einen Ausschnitt aus diesem Teile brachte alsbald das Mainzer Journal (1862 Nr. 61 u. 62). 25*

3 8 8 III 1: K.S kirchenpol. Kampf mit d. Liberalismus: „Freiheit, Autorität u. Kirche" „liebenswürdigsten und mildesten Charaktere, die das Christentum aufzuweisen h a t " , nennt Ketteier den französischen Erzbischof in alter Zuneigung. 1 ) Aber auch hier findet m a n die mit einfacher Bestimmtheit durchgeführte Gegenüberstellung: „christlich-germanische" persönliche und korporative Freiheit, deren rechte Zeit das Mittelalter war, und neuzeitliche Staatsgewalt nach heidnisch-absolutistischem Vorbilde, ob n u n der Absolutismus des Fürsten oder des Wohlfahrtsausschusses oder des Liberalismus, das ist im Grunde eins. Bei der liebevollen Beschäftigung mit der absolutistischen Zentralisation des Konstitutionalismus fallen die besonders auf Baden abzielenden beißenden Worte: „Die allmächtige Staatsgewalt, verbunden mit einer politischen Partei, macht durch ihre zahllosen Werkzeuge, oft durch Anwendung schlechter Mittel, die K a m m e r n ; und die so gemachten Kammern vermehren dann wieder die Allmacht der Staatsgewalt. Und das wird dann Volksrepräsentation genannt!" Den letzten Unterscheidungsgrund der politischen Parteien findet der Bischof — ganz folgerichtig bei seinen Voraussetzungen — in der Auffassung von dem Verhältnis der Weltenordnung zu G o t t ; wie ein Weltenrichter will er die Staatsbürger in zwei Gruppen teilen: die einen glauben an eine übernatürliche Ordnung, die anderen leugnen sie; das soll gerade in bezug auf die politischen Grundsätze gelten: denn jene sind die Vertreter der wahren und echten Freiheit, diese die Verfechter des Absolutismus. In künstlicher Konstruktion — obwohl er hier neben Döllinger auch Tocqueville a n f ü h r t — schafft sich Ketteier so eine christlich-widerabsolutistische Grundlage zum Angriffe auf den die Kirche bedrohenden bösen Feind. Denn auch der moderne Liberalismus gehört auf die Seite der Allregierer; er ist Absolutismus u n t e r dem Scheine der Freiheit. „Während früher die Fürsten den absolutistischen H a m m e r f ü h r t e n , mit dem seit dreihundert Jahren jede wahre deutsche Freiheit z e r t r ü m m e r t ist, und sich dabei ,von Gottes Gnaden' nannten, wollen jetzt andere, die sich ,von Gottes Gnaden' nennen, denselben Hammer schwingen und das Werk, namentlich an der Kirche, fortsetzen und vollenden. Die Peitsche, die der absolute Monarch gebraucht, will jetzt der absolute angebliche Volksrepräsentant f ü h r e n , nur noch schärfer." Der Liberalismus ist dem Bischöfe lediglich ein die Freiheit heuchelnder Despotismus. Dieser Liberalismus, der von Freiheit und Volkswillen redet, bedroht jede freie Selbstbestimmung, bedroht Haus und Kirche und alle hohen Güter der Menschheit. Was er will, ist die Gleichheit des Unfreiseins; da liegt die „große Lüge" des liberalen Glaubenssatzes: „Die Freiheit ist Despotismus des Gesetzes". Jetzt greift der Liberalismus durch Gesetze sogar in das „innerste Leben" der Kirche ein. Durch den Schein des Wahlrechtes, unter dem Schein der Volkssouveränität knechtet er das Volk, v e r t r i t t er nur seine Parteisache. „Deshalb ist es eine sehr große Aufgabe der katholischen Presse, ihn fortwährend an seinen Ursprung und an seine Grundsätze zu erinnern und ihn zu zwingen, nicht bloß Zeitungsmeinungen, Parteiinteressen, Kollegienhefte zu vertreten, sondern das wirkliche Volk." Als bewährten Gegner des „Lügenliberalismus" nennt er d a n k b a r die „Historisch-politischen Blätter". Aber er r u f t gegen den „falschen, f r e m d e n " Liberalismus, der in Mitteldeutschland das Szepter noch f ü h r t und es in Preußen an sich reißen möchte, überhaupt den deutschen, den christlichen Geist auf. Auch der Begriff „ R e c h t s s t a a t " muß erst von den liberalen Entstellungen gereinigt werden. Allerdings: mit der Forderung, daß zum Rechtsstaat Schutz f ü r jedes Recht gehöre, zeigt sich der moderne liberale Absolutismus — das sagt sein geistlicher Verächter doch frei heraus — besser als der alte monarchische. Aber der „ R e c h t s s t a a t " des „Unglaubens" ist nur ein eitler P o p a n z ; der wahre Rechtsstaat fordert Anerkennung der übernatürlichen Ordnung. So zeichnet sich hinter der Staatsgewalt der Schatten der lehrenden Kirche ab, und es paßt zu der geistlichen Stimmung dieser Rechtsstaatbegriffe, daß Sätze des Thomas von Aquino über Vgl. oben S. 40 f.

,Fr., A. u. K." (Liberalismus als Absolutismus; Ständevertretung)

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Ursprung und Würde des Gesetzes den Abschnitt beschließen. Doch findet sich hier auch der gegenständliche, freilich nicht ausgestaltete Vorschlag, daß die katholische Presse, u m den Rechtsschutz besser zu sichern, f ü r die Errichtung eines Reichsgerichtes — übrigens auch eine Erinnerung an die Paulskirche! 1 ) — eintreten möge; der Bischof sagt es nicht, aber es ist klar: ein solches Reichsgericht wollte er in Wien, jedenfalls aber im katholischen Süden aufgetan wissen, und der Rechtsschutz f ü r die Kirche war es, der vor allem auf diese Weise gewährleistet werden sollte. Dem Bischof gilt der Gottesgedanke als bestimmend f ü r den Staatsgedanken. 2 ) Er läßt d a r u m einen Unterschied wie jenen zwischen Konstitutionalismus und ständischer Verfassung nur als formal gelten und eben d a r u m darf er die Ansicht aussprechen — tiefgreifende Gegensätze des Tages versöhnlich berührend —, daß die katholische Presse beiden Staatsformen ihr Recht lassen solle. Ohne Montalembert zu nennen, gesteht er ihm zu, daß der gläubige Christ seinen Grundsätzen nichts vergebe, wenn er sich aller Formen des konstitutionellen Lebens bediene. Aber er selbst bekennt sich mit Wärme zu der ständischen Verfassung: in ihr findet er, wie es dem kirchlich gefaßten Naturrecht entspricht, das bessere Abbild der organischen Verbindung der Dinge in der Natur und die bessere Bürgschaft f ü r die wahre Selbstregierung und die wahre Vertretung: die Vertretung wirklicher, allgemeiner, im Volke vorhandener Interessen. Er ist nicht so kritiklos, einfach die Erneuerung des mittelalterlichen ständischen Wesens zu begehren, er findet hier geschichtliche Verschuldung bei den absolutistischen, egoistischen Ständen. Aber die Selbstvertretung der Stände als großer durchgebildeter Körperschaften ist ihm doch wertvoller als das jetzige Verfassungsleben, „wo jeder Abgeordnete eigentlich alles in allem vertreten m u ß " . Man sieht ihn hier nach den einfachen, ursprünglichen, ewigen Wahrheiten greifen, die — so müssen wir freilich sagen — in der Verschränkung des Daseins, und sei es selbst in kirchlicher Verschränkung, immer wieder verfälscht und verzerrt werden. Er möchte f ü r den Gegensatz zwischen Selbstregierung und Zentralisation, zwischen organischer und mechanischer Staatseinrichtung selbst die Schlagworte Germanismus und Romanismus gelten lassen, wenn man nur mit ihm die hier lauernde Ausdeutung Freiheit = Protestantismus, A u t o r i t ä t = Katholizismus 3 ) ebenso entschlossen zurückweist wie den „falschen N a t i o n a l h o c h m u t " , Er holt die Germania des Tacitus hervor, u m es mit ihrer Darstellung verständlich zu machen, „wie Gott ein so herrliches, sittenreines Volk sich auserwählte, u m es z u m Träger des Christentums zu machen." Das Christentum h a t — eine sehr einfache Begründung der „christlich-germanischen" Idee — diese deutschen Tugenden geheiligt und befestigt und so erst das „eigentlich germanische Wesen" geschaffen, das denn auch heute dort zu finden ist, wo im deutschen Volke noch Gottesfurcht und „christlicher" Glaube besteht, während der dem entsittlichten R ö m e r t u m entsprechende moderne Unglaube „schmachvolle Beschimpfung unseres ganzen deutschen Volksstammes" sich zu schulden kommen läßt. Jüdische Zeitungsschreiber möchte er hier besonders brandmarken. Er nennt sie nicht geradezu, aber — man erinnert sich seiner Referendarmeinung über den Segen einer stärker einschränkenden Judengesetzgebung 4 ) — seine Worte 6 ) konnten niemand im unklaren lassen: !) Verfassung d. dt. Reiches vom 28. 3. 1849, Abschnitt 5 (§ 125—129). 2 ) Vgl. schon seine von ihm nicht veröffentlichten Darlegungen v. 1854: Pfülf 1, 309. ") C. Frantz, Kritik aller Parteien (1862) S. 233 meinte damals, der Protestantismus könne nichts anderes sein wollen als die der Freiheit zugewandte Seite der allgemeinen Kirche selbst, die römisch-katholische Kirche hingegen repräsentiere das auf der Tradition ruhende Prinzip der Autorität. Aber er bemerkte sogleich: „Dies Beides sind aber keine sich aufhebende, sondern sich ergänzende Gegensätze" und begründete das in einem Sinne, der auch dem Bischof erträglich h ä t t e scheinen können. 4 ) Vgl. oben S. 10 Anm. 3. — 6 ) S. 125, Volksausgabe S. 70.

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III 1: K s kirchenpol. Kampf mit d. Liberalismus: „Freiheit, Autorität u. Kirche"

„Wenn man so viel Blätter liest, die nur von Mitteilung der Laster leben und dadurch unterhalten, kann man sich des Gedankens kaum erwehren, daß ein großer Teil der Mitarbeiter derselben nicht von deutschem Blut abstammt, sondern mit fremder Unsittlichkeit unser Volk verdirbt". Diese leidenschaftlichen Worte sollten sich besonders gegen Mainzer Journalisten richten und gegen das nachbarliche Frankfurt, von wo aus wieder und wieder Pfeile gegen das geistliche Mainz, gegen den Bischof abgeschossen wurden. An das Kapitel „Religionsfreiheit und katholische Kirche" insbesondere mag Ketteier gedacht haben, als er der Gräfin Hahn schrieb, er habe einige schwierige Fragen behandelt, wo man leicht irren könne. Ein klug berechnetes, auf die gegebene Wirklichkeit abgestimmtes Maßhalten steht nicht ohne Widerstreit neben bestimmten kirchlichen Grundsätzen, die doch nicht angefochten werden sollen. Er bemüht sich um den Nachweis, daß die katholische Kirche dem „Ungläubigen" in vollem Maße die Religionsfreiheit gewähre, die ein ernster Geist 1 ) wie der Protestant Guizot (L'église et la sociäi chrüienne en 1861) fordere. Thomas von Aquino und sein jesuitischer Ausleger Suarez dienen als Zeugen für das Maß kirchlicher Duldung der Religionsfreiheit auch der Ungläubigen. Nur das Recht der Predigt bei den Nichtchristen wird für die Kirche beansprucht; ihre geistige Gewalt erstrecke sich nur auf ihre Glieder. Die Religionsfreiheit habe nur „ihre natürlichen Grenzen in der Vernunft, in der natürlichen Sittlichkeit und in der natürlichen Ordnung". Einer Ausdeutung dieser Begriffe bedarf Ketteier nicht; er hatte ja bereits gezeigt, daß alles „Natürliche" zuletzt doch kirchlich bestimmt ist. Von der Bürde ehemaliger Ketzerverfolgungen sucht er seine Kirche wohl einigermaßen zu entlasten, auch wird man neben anfechtbaren geschichtlichen Betrachtungen die einschränkende Auslegung kirchlicher Sätze bemerken. Aber die kirchliche Bestrafung der mittelalterlichen Häresie wird doch von ihm pflichtgemäß grundsätzlich und ausdrücklich anerkannt: diese Häresie habe trotz der „Einsicht in die bestrittene christliche Wahrheit" ihr widerstanden. Die Behandlung der Häresie als eines bürgerlichen Vergehens sei in der Glaubenseinheit begründet gewesen; sie „mußte" also mit der Zerstörung dieser Einheit aufhören, und bis die sicher zu erwartende „glückliche Zeit" der wiederhergestellten Einheit kommt, „müssen wir uns, so gut es geht, vertragen". Das ist indessen lediglich eine bischöfliche Meinung, keine kirchliche Lehre. Übrigens gibt der Bischof, auch hier zurückhaltender als Montalembert, die strengen kirchlichen Grundsätze als solche nicht auf, auch nicht das Recht ihrer Anwendung für den Fall, daß die Dinge einmal anders liegen werden ; Glaubenseinheit und Ketzerbekämpfung sollen ja gerade nach seiner Auffassung innerlich zusammenhängen.1) Er schränkt sein persönliches Toleranzpatent nicht nur durch die Erklärung ein, daß es lediglich „unter den gegebenen Verhältnissen" gelte: auch in der Gegenwart schon sollen von der Duldung die „Sekten" ausgenommen sein1), die „unter dem Deckmantel der Religion" den persönlichen Gott leugnen oder die sittlichen Grundlagen der menschlichen Gesellschaft gefährden, indem sie „den unsittlichsten Materialismus befördern". Wieder sind die Deutschkatholiken gemeint. Eine Religionsfreiheit, die solche Sekten duldet, ist ihm ein unsittlicher und unvernünftiger Greuel, und er prophezeit den Staaten, die diesen Greuel dulden — d. h. dem modernen Rechtsstaat und selbst dem Hessen Dalwigks — den Untergang. ! ) So S. 240, Volksausgabe S. 135. «) Andeutend K. selbst in der Erklärung an die Kreuzzeitung 6. 5. 68 (Br. 384), mit Berufung auch auf die Schrift von 1862. ' ) Von Rothenbücher, Die Trennung von Staat und Kirche (1908) S. 94 In sonst nicht ganz richtigem Satze über K. richtig beachtet. Noch vorsichtiger als K. drückt z. B. G. v. Hertling den Gedanken einer christlich-kirchlich begründeten staatlichen Beschränkung der „Propaganda des krassesten Materialismus und Atheismus" aus: Kl. Schriften S. 1 ff. (24 f.).

Fr., A . u . K . " (Religionsfreiheit und kath. Kirche; Staat und Kirche)

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Die wahren Grundsätze über das Verhältnis zwischen Staat und Kirche sind nach seiner Auffassung verletzt durch die Anlegung des Mafistabes des protestantischen Absolutismus an die katholische Kirche. Aus der „Kirchenspaltung" erst, so will es die hier wie so oft unzureichende geschichtliche Einsicht des Bischofs, ist der fürstliche Anspruch auf Beherrschung des Gewissens hervorgegangen, und lediglich protestantisch ist der Satz: „Cuius regio, eius religio". Aber das fürstliche System des Absolutismus gegenüber der katholischen Kirche war erträglich, denn diese Fürsten hatten ein persönliches Gewissen: jetzt aber — so springt der gereizte Löwe wieder den verhaßten Feind an — steht der katholischen Kirche der falsche liberale Absolutismus gegenüber, „der keinen Gott kennt, keine Geschichte, kein erworbenes Recht, keine Pietät, kein Gewissen und von tiefstem Hasse gegen die katholische Kirche erfüllt ist", der allen unter dem Vorwande der Religion zusammentretenden neuen Vereinen (wieder sind insbesondere die Deutschkathoüken gemeint!) freie Selbstverwaltung gewährt, aber Eingriffe der Staatsgewalt in die innersten Rechte der Kirche und staatliche Verfügung über Priesterbildung und kirchliche Stellenbesetzung begehrt; das (ihm selbst durch die Regierung gewährleistete) bischöfliche Recht der Stellenbesetzung ist ihm ein besonderes wichtiges Beispiel für den Wert der Kirchenfreiheit. Der Drang zur Bedrohung der Kirche macht sich vorzugsweise in einigen kleinen deutschen Staaten geltend (man fühlt den Fingerzeig auf Baden, man hört die Nachklänge der hessischen Kammerkämpfe!), aber fast die ganze Presse in Südwest- und Mitteldeutschland unterstützt diese Richtung. Die Freiheit der Kirche nennt Ketteier — unter Aufnahme der in der preußischen Verfassung verbessert fortlebenden Grundrechtssätze von 1848 — das Recht der Kirche, ihre eigenen Angelegenheiten nach ihren Grundsätzen selbst zu verwalten und dabei nur den allgemeinen Staatsgesetzen unterworfen zu sein. Die Kirche kann sich für ihre Freiheitsforderung außer auf den göttlichen Auftrag auch auf den europäischen Rechtszustand berufen: eine Verletzung ihres Rechts, ihrer Verfassung und der freien Übung der Kirchengewalt ist „ein frevelhafter Eingriff in das gesamte historische und positive Recht". Die Sprache der bischöflichen Denkschriften! Auch auf das (wieder im Naturrecht begründete) Recht der Selbstverwaltung stützt sich das Verlangen nach Kirchenfreiheit, nach Freiheit des klösterlichen Lebens — Montalemberts „Mönche des Abendlandes" leihen ihm hier ein Pathos, das ihm fremd ist —, endlich auf das Recht jedes einzelnen katholischen Christen, der im Lande wohnt. Von dem Recht des Einzelnen gegenüber der Kirche ist weiter nicht die Rede. Dem Bischof genügt es, das Wesen der kirchlichen Autorität in Lehre und Regierung als durch „feste Grenzen beschränkt" darzustellen; er beruhigt sich bei dem „in der Kirche unbestrittenen Satz, daß auch die höchste kirchliche Gewalt von den Pflichten des natürlichen und göttlichen Gesetzes nicht entbinden kann". Gerade weil die kirchliche Autorität mit ihren geistigen Mitteln besteht, gerade weil die Anerkennung der kirchlichen Autorität die Gottheit Christi, die Stiftung der Kirche und ihres unfehlbaren Lehramtes durch Christus voraussetzt, gerade darum ist auch die auf diese Autorität gestützte katholische Wissenschaft „einzig in der Weltgeschichte": „sie ist nicht das Erzeugnis Einer Schule, Eines Landes, Einer Zeitperiode, Eines Standes; sie ist recht eigentlich, wie die Weltkirche, so eine Weltwissenschaft." Also wandelt sich dem Bischöfe die schwierige Verteidigung gegen Anzweifelung katholischer Wissenschaftlichkeit in das enthusiastische Bekenntnis zu ihrer einzigen Größe, wie es die Apologeten in Unterricht und Presse gebrauchen konnten. Aus der Forderung der Kirchenfreiheit die Trennung von Staat und Kirche zu folgern, lehnt er ab. Nur, indem sie sich auf die Zweideutigkeit des Wortes warfen, sei es den Gegnern möglich gewesen, die Vorstellung zu erwecken, als ob vom katholischen Standpunkte aus jemand „an eine Trennung des wesentlichen Verhältnisses zwischen Staat und Kirche" hätte denken können. Er vergißt dabei freilich, von den rechtlichen Verhältnissen in einzelnen Staaten ganz abgesehen, die Ausnutzung der „Zweideutigkeit" des Begriffes durch die Klerikalen selbst,

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III 1: K.s kirchenpol. Kampf mit d. Liberalismus: „Freiheit, A u t o r i t ä t u. K i r c h e "

etwa im J a h r e 1848. Die Begründung seiner kirchlichen Auffassung ist auch hier wieder von biblischer E i n f a c h h e i t : die Kirche darf sich nicht von dem t r e n n e n , was von Gott s t a m m t ; der S t a a t aber ist eine göttliche Veranstaltung. (Versteht sich: der wahre S t a a t , der zugleich die Kirche zu schützen h a t ! ) Die Kirche m u ß ihre Glieder zum Gehorsam gegen die Gewalt im S t a a t nur anhalten, soweit diese „der göttlichen A n o r d n u n g " entspricht. Damit ist der uralte kirchliche Anspruch auf die letzte Entscheidung über Untertanengehorsam und Staatstreue grundsätzlich gewahrt, jegliche Anwendung des auch von Ketteier je und je hervorgezogenen Satzes „Man m u ß Gott mehr gehorchen als den Menschen" im voraus gerechtf e r t i g t , dem Staate mit liberaler Mehrheitsregierung ü b e r h a u p t das Urteil gesprochen. Dem „modernen Zeitgeist" hält Ketteier auch Feindschaft gegen die Familie vor. Die Familie als der natürliche U n t e r b a u von Kirche und S t a a t soll geschützt werden gegen die Eingriffe des „Absolutismus". Den kirchlichen Kampf gegen Staatsvorschriften über Kindererziehung in gemischten Ehen und über die öffentlichen Schulen lehrt der Bischof als Kampf des Gewissens und der Überzeugung der Eltern begreifen. Der Grundsatz der Unauflösbarkeit der Ehe f ü h r t ihn zur Verwerfung der Zivilehe, die dem Geiste und Willen des deutschen Volkes widerspreche: die altdeutsche Auffassung von der Heiligkeit der Ehe, durch das Christentum geheiligt, „ s e l b s t " durch die Glaubensspaltung nicht b e r ü h r t , wird noch jetzt nur durch den falschen Liberalismus bedroht. Es ist eine kleine Minderheit oft nur durch Vorurteil und Mode bestimmter Städter, die in den künstlich geschaffenen Ruf nach der Zivilehe e i n s t i m m t ; gegen diese Bewegung (trotz der „kleinen Minderheit" nennt sie der Bischof „eine der unseligsten, die zum Verderben der Menschen durch die Welt g e h t " ) „ i m Namen des deutschen und des christlichen Volkes" zu kämpfen, ist Pflicht aller Katholiken. Von der Familie aus will Ketteier die Schulfrage b e t r a c h t e t wissen. Er kann das ohne kirchliches Bedenken t u n , denn die Familie ist „noch wesentlich christlich". Der taktisch glückliche Gedanke, auf dem Wege über die Familie die kirchlichen Ansprüche an die Schule zu verfechten, erinnert uns wieder an Kettelers Paulskirchenrede. Wie der Bischof darlegt, möchte der liberale Absolutismus das Werk des monarchischen vollenden, indem er die Schule „ohne Haus und ohne K i r c h e " als eine S t a a t s a n s t a l t einzurichten bestrebt ist. Lösung der Schule vom Hause b e d e u t e t Lösung vom Gewissen der Eltern wie von der Kirche zugunsten der „zufällig" in den Schulbehörden herrschenden wechselnden Ansichten. Der Bischof spricht von Geist und Gewissen der Eltern wie von einer ewig beharrenden Größe und er h a t ein Recht dazu, denn er meint Geist und Gewissen, wie sie von der im Wechsel ewig beharrenden Kirchenmacht beherrscht und bestimmt werden. Nur so viel Recht an der Schule will er der Staatsgewalt gewährt wissen, als ihr Friedrich Julius S t a h l zugestanden h a t . Stahl h a t t e in seiner „ R e c h t s - und Staatslehre" 1 ) nach „ U m k e h r der Wissens c h a f t " gerufen. Er gab der an ihrer Gottlosigkeit zugrunde gehenden Philosophie eine Absage; „ n u r d a n n kann die Philosophie ein Nationalgut sein, wenn sie in Übereinstimmung mit der öffentlichen Religion, wenn sie im Dienste der Kirche i s t " . Er r ü h m t e sich — hier eng mit J a r c k e zusammengehend —, Gott wieder in die Rechtsphilosophie eingeführt zu haben, er stellte seine Rechts- und Staatsphilosophie auf die Grundlage christlicher Weltanschauung. Das m u ß t e den Bischof anziehen, der aus dem streng positiven Protestantismus Stahls die verborgenen katholischen Ergebnisse 2 ) und das gegenwärtige Stück Katholizismus ebenso sicher herausfühlte, ' ) Rechts- und Staatslehre auf der Grundlage christlicher Weltanschauung. 1. Abteil. ( = Philosophie des Rechts II). Zuerst 1833, 3. Aufl. 1854. Zum Folg. (nach der 3. Aufl.) besonders: S. X I I , X V I I I , X X I X , X X X ( = Vorrede zur 2. Aufl.); Buch 1, 2. Abschnitt, 4. Kapitel; S. 135 A n m . ; S. 347; S. 492 ff.; 498f., 497 f. s ) Im „ K a t h o l i k " 35 (1835) war bei der empfehlenden eingehenden Besprechung (S. 87—104) der 1. Ausgabe dem Verf. gegenüber die Überzeugung ausgesprochen worden (S. 90), „ d a ß seine und alle der ihm Gleichgesinnten ähnliche Bestrebungen

,Fr., A. u. K." (Familie und Schule; Stahls Staatslehre)

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wie es auf der anderen Seite und in anderem Sinne Bunsen t a t ; man versteht es schon von diesem Zusammenhang her, wenn Bunsen in seinen „Zeichen der Zeit" Ketteier sowohl wie Stahl bekämpfte. Ketteier brauchte nicht einmal immer erst das Christliche Stahls durch sein Christliches, durch das Katholische zu ersetzen; Stahl selbst schon erkannte z. B. in der dem Bischof heiligen Lehre des Thomas von Aquino das Idealbild einer ungetrübten Einheit von öffentlichem Glauben und öffentlicher Bildung, Theologie und Philosophie — wobei ihm ganz wie dem Bischof der Glaube als das Höhere, die Theologie als das Bestimmende galt. Bei Stahl fand Ketteier den Leitgedanken, der ihn selbst beherrschte: aller Kampf der Gegenwart ist schließlich nur Kampf zwischen Christentum und Entschristlichung der zivilisierten Welt. Stahls Versuch der philosophischen Grundlegung der Staatslehre wird den Bischof, dem der Sinn für das Philosophische fehlte, wenig beschäftigt haben, konnte ihn übrigens nur bestärken in seiner Abneigung gegen die widerscholastische Philosophie Kants und die Dialektik Hegels, denn Stahl meinte beide überwunden zu haben. Fühlte Ketteier in des Juristen Auseinandersetzung über den Willen und die sittliche Freiheit den protestantischen Gedanken drohend aufsteigen, so durfte er doch an der durchgreifenden Kraft und Bewußtheit dieses Gedankens zweifeln, wenn er diese oder jene katholisierende Bemerkung las. Gewiß baute Stahl, der den Gedanken der historischen Rechtsschule und den preußischen Staatsgedanken (wenn auch nicht den friderizianischen) einigen Einfluß auf seine Staatslehre gestattete, auf anderem Boden als Ketteier. Diesem lag Stahls unbedingte Hochschätzung des Staates fern: war es der „christliche" Staat, so doch zugleich der gegebene „christliche", nicht aber katholische preußische Staat, dessen Selbständigkeit Stahl im Jahre 1848 entschieden verteidigt hatte, ohne doch des Verständnisses für einen konservativen Nationalstaatsgedanken zu entbehren. 1 ) Dennoch konnte Ketteier wie in der grundsätzlichen so in der gegenständlichen politischen Betrachtung eine Strecke Weges mit Stahl zusammengehen. Kaum weniger leidenschaftlich als der Bischof verdammte der Berliner Professor, der dem preußischen Herrenhaus und Oberkirchenrat angehörte, den Liberalismus als religiöse zugleich und politische Sünde, als „System der Revolution", dem er den Wahrspruch zuschob „L'ennemi de Dieu, l'ami de tous les hommes", und auch er vereinigte mit der Abneigung gegen liberalen Konstitutionalismus den Wunsch, die preußische Verfassung zu bewahren. Was Ketteier in seiner derben Weise über den verhaßten Deutschkatholizismus dachte und sagte 1 ), was er über die „Verfolgung" der Kirche zu klagen hatte, dafür bot ihm wiederum Stahl eine protestantisch-konservative Parallele. Stahls Lehre von der Unterrichtsfreiheit aber konnte sich Ketteier im wesentlichen zu eigen machen. Die belgische Unterrichtsfreiheit nannte Stahl als Musterbild. Er lehnte allerdings die grundsätzliche Forderung eines ganz vom Staate gelösten kirchlichen Unterrichtswesens ab (schon mit Rücksicht darauf, daß dann die Anschauungen des Papstes Bonifazius VIII. und Bellarmins gelehrt werden könnten), aber über die Grenzen der staatlichen Schulrechte dachte er so, wie es entweder ganz ohne Folge bleiben oder zum Katholizismus notwendig zurückführen müssen." — F. Nippold, Welche Wege führen nach R o m ? (1869) S. 229 (vgl. 223) sagt in seiner übertreibenden Manier, Stahl habe „den Protestantismus" zu rekatholisieren gesucht. *) Vgl. Meinecke, Weltbürgertum 1. Buch, 10. Kap. (6. Aufl. S. 263 ff.); v. Martin, „Die weltanschaul. Motive im altkonservativen Denken" in der Festschrift für Meinecke „Deutscher Staat und deutsche Parteien" (hg. v. P. Wentzcke, 1922), S. 361 ff. *) Hier hätte er sich auch auf den „liberalen" Montalembert berufen können; der nannte z. B. („Interessen" S. 16) Ronge Luthers „erbärmlichen Nachäffer", „der unter großen Beifallsbezeugungen der Demokraten und Philosophen den vollstandigen Verfall des päpstlichen Babylons prophezeit hatte".

3 9 4 I U I : K s ldrchenpol. Kampf mit d. Liberalismus: „Freiheit, Autorität u. Kirche'' der Bischof nur wünschen mochte, der sich denn auch für seine Schrift den Satz nicht entgehen ließ: „Wenn die Staatsschule entchristianisiert oder auch nur mit der betreffenden anerkannten Konfession in Gegensatz gestellt wird, dann ist ihr Monopol oder ihre maßgebende Macht nicht mehr gerechtfertigt, weder in direkter Weise bei der allgemeinen Volksschule, noch auch in indirekter Weise bei den Bildungsanstaiten für den Staatsdienst. Dann gilt das Gesetz des Gewissens, man kann keinen Vater zwingen, sein Kind einem seiner Religion feindlichen Einfluß zu übergeben, und gilt nicht minder das Recht der Kirche selbst, den Beruf der Erziehung, den sie hat, gesondert vom Staate zu verfolgen." Mit der Schulaufsicht übernimmt nach Kettelers Meinung der Staat die Verpflichtung, nichts zu dulden, „was der Verehrung des Einen wahren Gottes widerspreche"; das konnte in der Wirklichkeit leicht die staatliche Schulaufsicht zu einer kirchlichen machen. Auf die Wirklichkeit aber kam es dem Bischof auch hier vor allem an. Darum suchte er das kirchliche Bewußtsein der Eltern zu scharfen gegen jegliche Gewissensverletzung im Betriebe der öffentlichen Schulen, suchte sie zum Kampfe aufzurufen gegen das Schulsystem des Liberalismus, gegen eine durch Schulzwang dem größten Teile der Bevölkerung aufzunötigende „von Haus und Kirche getrennte Staatsschule", eine „geistige Zuchthausanstalt, in die man die Kinder christlicher Eltern treiben würde, um ihnen dort ihren christlichen Glauben zu nehmen" — eine Christenverfolgung, mit der verglichen des „abtrünnigen" Kaisers Julian Verbot christlicher Schulen noch eine milde Verfolgung zu nennen sei. Schon jetzt findet der Bischof das, was die mittlere und höhere Schule bildet, größtenteils dem modernen Unglauben zugefallen. Um so größer sein angsterfüllter Eifer für die Volksschule. Ketteier liebt übertreibende Worte, aber es sprechen seine seelsorgerischen Empfindungen zugleich und eine scharfe Einsicht, wenn er an die Spitze dieses Schulkapitels den Satz stellt: „Keine Frage ist für die Zukunft wichtiger als die über die rechte Stellung der Schule; keine von dem besseren Teile der Bevölkerung bisher weniger verstanden." Die beiden Abschnitte unmittelbar vor dem „Schlußwort" sind zwei Gelegenheitsäußerungen, die ebenso gut fehlen könnten. Wenn sie dennoch in diesem Buche untergebracht sind, so beweist das, daß sie dem Bischof etwas bedeuteten. Es ist eine längere geistespolitische, eine ganz kurze staatspolitische Darstellung: Freimaurerei; deutsche Einheit. Kettelers umgekehrte Liebe zur F r e i m a u r e r e i erklärt sich wohl nicht zuletzt auch aus dem unausgesprochenen Empfinden, daß hier eine zu dem katholischen Kirchenwesen, ja dem katholischen Gottesbegriff im Gegensatze stehende Gemeinschaft doch in Formen dachte und lebte, die an die geheimnisvolle Symbolik des Kirchlichen erinnern konnte: dieses unbestimmte Gefühl, daß man zwischen Maurerei und kirchlicher Ordnung in Recht und Lehre verwandte Züge entdecken mochte, es mußte die Abneigung gegen diese unkirchliche „geheime Gesellschaft" nur noch verschärfen. „Die Freimauerei nimmt allein in der ganzen Welt einen merkwürdigen Ausnahmszustand tatsächlich ein und grundsätzlich in Anspruch." Das sollte sich auf die Tatsache beziehen, daß die Freimaurer in der Presse wenig besprochen wurden und nicht besprochen sein wollten. Aber mußte nicht jeder bei diesem bischöflichen Satze an die katholische Kirche denken, an ihre grundsätzliche und tatsächliche Sonderstellung im Leben der Zeit? Der Bischof, der doch wußte, daß seine Kirche weder in ihrer Diplomatie noch in ihrem Ordensleben sich offen vor der Welt entfaltete, forderte, daß man endlich aufhören möge, die Freimaurerei und ihre Mitglieder dem Tageslichte zu entziehen, forderte von der katholischen Presse eine nachdrückliche Beschäftigung mit der Maurerei, um diese zum Hervortreten aus dem Dunkel zu zwingen. Er selbst macht den Anfang mit dieser Beschäftigung und gibt so, was ja die unmittelbare Absicht seiner Schrift ist, der katholischen Presse mit der Weisung zugleich das Vorbild. Das Wesen der Freimaurerei ist ihm durch den englischen Deismus bezeichnet. Das Unrecht dieser „rationalistischen christlichen Sekte", die am Gottesglauben festhält, sieht er in der Leugnung der übernatürlichen Offenbarung Gottes. Darin

Fr., A. u. K . " (Freimaurerei; Deutschlands Einheit)

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liegt der vollkommene und entschiedene Gegensatz zur katholischen Kirche. Damit ist das kirchliche Verbot des Eintritts in den Maurerorden gerechtfertigt. In der kastenartigen Verfassung der Maurer und ihrem Einfluß auf das Staatsleben sieht er aber ein allgemeines Bedenken, eine Gefährdung der Staatsbürgerrechte. Staatsämter können in Freimaurerhänden zu Bundeszwecken mißbraucht, vor allem aber kann durch maurerische Lehrer „ein geheimer innerer Krieg" gegen die Offenbarungsgläubigen geführt werden, und so bei angeblicher Freiheit der Religion und der Wissenschaft die Schule der Verbreitung der maurerischen religiösen und wissenschaftlichen Anschauungen dienen. Was vorher schon angedeutet wird, tritt zum Schlüsse bestimmter hervor: das staatliche Verbot der Maurerei soll als ein staatliches Bedürfnis erscheinen, wie es dem Bischof ein kirchliches Bedürfnis ist. Ihm scheint die Maurerei „eine große Vor- und Übungsschule für alle Arten geheimer Gesellschaften zu sein und dadurch die ganze europäische Staatenordnung in ihren Fundamenten zu beschädigen". Ihm sind geheime Gesellschaften in jeder Hinsicht mit einem geordneten Staatswesen vollkommen unverträglich, sie scheinen ihm „einen gewissen unsittlichen Charakter" in sich zu tragen. Mit geschickter Ironie ruft er schließlich den Zeitgeist, der auf allen Gebieten Öffentlichkeit fordere, gegen „dieses geheime Treiben" an. Auf einen staatlichen Kampf gegen die Maurer mag Ketteier selbst in seinem Hasse nicht gehofft haben. Aber seine in der Form übrigens erstaunlich maßvolle Auseinandersetzung veranlaßte doch die klerikale und die nichtklerikale Presse — ganz wie Ketteier es wünschte — sich mit den Maurern und ihrem bischöflichen Gegner zu beschäftigen, rief vor allem die Maurer selbst auf den Plan: noch im Sommer 1862 erschienen zwei maurerische Schriften, im Spätjahre 1864 folgte ein kurzer Briefwechsel zwischen Ketteier und dem Herausgeber der „Bauhütte" und im Frühjahr 1865 das Bischofsbüchlein „Kann ein gläubiger Christ Freimaurer sein?", natürlich eine neue Verneinung dieser Frage. Auch Kettelers „Arbeiterfrage", sein Buch über 1866 und vor allem Kulturkampfschriften kamen wieder und wieder auf diese Gegensätze zurück. In dem Freimaurerkapitel des Buches von 1862 aber sind die politischen Erwägungen und Wünsche, obwohl nicht unmittelbar bezeichnet, überdeutlich zu erkennen: Maurerei und Liberalismus, herrschender Kammerliberalismus rücken in des Bischofs Vorstellung nahe zusammen, von den „geheimen Gesellschaften" aber gingen seine eigenen Gedanken und sollten die Gedanken derer, die er zu belehren wünschte, hinüberwandern zu den italienischen Einheitskämpfern und in die nächste deutsche, hessische Nähe, zum Nationalverein. Die drei Seiten aber Uber „die E i n h e i t D e u t s c h l a n d s " sind bemerkenswert durch das Bekenntnis zum Bundesstaat und durch kirchliche Ausnutzung nationalpolitischer Erwägungen, wie sie sich etwa in dem Satze zeigt: „Nichts würde die Einheit des deutschen Volkes mehr fördern, als die ehrliche Anerkennung des Prinzips der Selbstverwaltung für die Kirche"; der „absolutistische Liberalismus" aber, der von der deutschen Einheit redet, bringt durch Übergriffe ins kirchliche Gebiet, durch den „Terrorismus" gegen die katholische Kirche in einzelnen Kammern und in der Presse die Gefahr innerer Kämpfe. Von den kirchlichen Eiferern aber, denen die deutschen Einheitsbestrebungen deshalb als aussichtslos erscheinen, weil in ihnen auch ein katholikenfeindlicher Geist hervortritt, rückt der Bischof ab, wie er auch durch die religiöse Spaltung nicht die Einigung überhaupt, sondern nur die Erreichung des höchsten Ideals einer nationalen Einigung unmöglich gemacht sieht. Er verlangt jedenfalls von den deutschen Katholiken, daß sie sich „in der Liebe zum deutschen Vaterlande, zu seiner Einheit und Größe von niemandem übertreffen lassen". Also steht in dem letzten Satze vor dem „Schlußworte" das Bekenntnis zu dem von Ketteier nie verleugneten deutschen Vaterlande. Das „ S c h l u ß w o r t " selbst — ein „Wort" von anderthalb Druckbogen! — lenkt wieder hinein in die kirchlichen Betrachtungen. Der Geist, der Christus ans Kreuz geschlagen hat, bekämpft seitdem die Kirche: er hat sie in ihrem Werke gestört, er hat die Christenheit zerrissen. „Daher", so kündet der Bischof im Stile des Bonifatiushirtenbriefes mit vorsichtiger Verknüpfung, „daher jene unglückliche

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I I I 1: K . s kirchenpol. Kampf mit d. Liberalismus: „Freiheit, Autorität u. Kirche"

Trennung v o n der katholischen Kirche im Abendlande, die seit dreihundert J a h r e n gleichsam in unseren eigenen Eingeweiden w ü t e t u n d Verderben bringt", daher die Spaltungen im Protestantismus, daher der Deismus, der mitten in der Christenheit selbst das Christentum bekämpft. Nur die Spaltungen verschulden den „namenlosen Greuel", daß die Toren nicht nur in ihren Herzen, sondern von den Dächern und Lehrstühlen herab, sagen dürfen: Es ist kein G o t t . " Wiedervereinigung der K o n fessionen, das ist die große Aufgabe. Für sie zu wirken durch Gebete, ist allgemeine P f l i c h t : einen Gebetsverein aller Christgläubigen wünscht der Bischof herbei; die Pflege des die Lüge, den Irrtum überwindenden heiligmäßigen Lebens ist die besondere Pflicht des Ordensstandes und des Priesterstandes. Den ersehnten „ G e b e t s v e r e i n " denkt sich der Bischof konfessionell gemischt, doch ist er offen genug, das kirchlich Selbstverständliche auszusprechen, daß das Ziel nicht eine „Wiedervereinigung" mit katholischen Zugeständnissen, sondern die gegebene katholische Kirche selbst ist, daß die Katholiken „bei einer Wiedervereinigung nur an eine Rückkehr zur katholischen Kirche denken können". 1 ) Die katholische Kirche ist eben die Kirche schlechthin, denn sie ruht auf d e m Inhalt und dem Geiste des lebendigen Gotteswortes, dessen Fortbestehen in der ununterbrochenen Reihenfolge der Bischöfe gewährleistet ist, sie ruht auf der vermöge übernatürlichen Beistandes unfehlbaren Lehrautorität. In d e m Gegensatze zwischen dem protestantischen Schriftprinzip und d e m lebendigen Lehramt der katholischen Kirche liegt das ganze Wesen u n d der letzte Grund der religiösen Trennung. W e n n der Protestantismus seine religiöse Überzeugung auf die Bibel gründen will, so sieht der Bischof darin eine große Selbsttäuschung. Der Versuch zur Begründung dieses Urteils kann freilich höchstens die Ansprüche einer landläufigen Polemik befriedigen. Zum letzten Schluß aber verläßt Ketteier die in der Form vornehme Polemik gegen den Protestantismus, u m noch einmal d e m „ W e l t g e i s t " mit seinen Kammermehrheiten, seiner Presse, seiner Kirchenfeindschaft die göttliche, gnadenvolle Autorität der Kirche entgegenzusetzen. Über die „bodenlose Heuchelei des modernen Liberalismus", über den „Plan der Hölle, die Schule d e m AntiChristentum dienstbar zu machen", über alle die „großen Anliegen der Menschheit" muß das christliche Volk belehrt werden, von jeder Kanzel herab, in zahllosen Blättern, in politischen Versammlungen, überall, von den Laien wie v o m Klerus. „Der revolutionäre Absolutismus ist darauf aus, die Gewalt an sich zu reißen, u m dann unser liebes, gutes, deutsches Volk in den Abgrund des Unglaubens und der Zuchtlosigkeit zu stürzen. Es ist viel größer und herrlicher und vor Gott verdienstlicher, gegen sie das Christentum zu verteidigen, als in träger Ruhe über die Taten unserer Voreltern zu schwärmen, die nach Jerusalem zogen, u m die Stellen, wo das Blut Christi geflossen war, den Ungläubigen zu entreißen. Wer bei diesem Kampfe ruhig bleibt, wird einst am Richterstuhle Gottes die Worte hören, die jener Hausvater zu den trägen Arbeitern sprach: Wie habet ihr da den g a n z e n Tag müßig gestanden!" Dieser Schluß des „Schriftchens" — es ist immerhin das umfänglichste der Bücher des Bischofs — war gegen die kirchenstillen Frommen, gegen die reinen Beter, gegen die romantischen Genießer eines ästhetisierenden Katholizismus, gegen den „religiösen Katholizismus" im Sinne Rosminis und seiner feingeistigen Nachfahren gerichtet 2 ): auch alle romantischen Empfindungen, auch alle Erinnerungen an kirchliche Vergangenheit sollen zur Tat führen in der Gegenwart. *) K. Hase hat in der Vorrede der 2. Aufl. seiner „Polemik" (31. 10. 64) den offenherzigen Satz im Wortlaut angeführt: 4. Aufl. S. X X Anm. 1. Zum Folg. e b e n d a S. 8 9 Anm. 85. — Irrig: Hase 531 Anm. 12. ») Vgl. dazu Mz. J. 1863 Nr. 303 ( 3 0 . 1 2 . ) : „Freireligiöse Wechselwirkungen" V I I I (Klage, daß auch von guten Katholiken — „freilich auch nur von solchen, die ohne praktische Lebensrichtung und höchstens auf einige Bücher und Lieblingsstudien zurückgezogen, sich gänzlich a u ß e r h a l b der Entwicklung unserer sozialen Zustände oder, wie sie oft meinen, ü b e r dieselben sich gestellt haben" — „ m i t arkadischer Hirteneinfalt" gefragt werde, „ w i e es denn k o m m e , daß gerade

,,Fr., A. u. K." (Bekämpfung d. Liberalismus). Bedeutung u. Verbreitg. d. Schrift

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Ferdinand Walter in Bonn, der den oberrheinischen Bischofskampf mit katholischem Herzen begleitet und in der Stille die Vorbereitung der Denkschrift von 1852 mit einer Darstellung über die kirchlichen Rechtsverhältnisse in Preußen u n t e r s t ü t z t hatte, nennt in seinem a n d e r t h a l b J a h r e nach Kettelers Schrift vollendeten Buche „ N a t u r r e c h t und Politik im Lichte der Gegenwart" in der Reihe der Verteidiger des historischen Rechts und der christlichen Politik neben A d a m Müller, J a r c k e und anderen auch den Mainzer Bischof mit der Schrift von 1862. Das mag in dieser gelehrten Kompilation des f r o m m e n Kanonisten hingehen, der auch die kirchenpolitische oder halb erbauliche Literatur beachtete, und so allerdings Recht hatte, eine Darstellung anzuführen, der Entschiedenheit des kirchlichen Urteils, leidenschaftlicher kirchenpolitischer Eifer, Gegenständlichkeit der Erziehungsziele und Lehrabsichten Feuer und Farbe verleihen. Aber man könnte einem so durchaus unphilosophischen, selbst unwissenschaftlichen Kopfe wie Ketteier, der auch als Schriftsteller stets der Mann des gegenwärtigen Lebens und der kirchlichen T a t war, kein größeres Unrecht tun, als wenn man „Freiheit, A u t o r i t ä t und Kirche" e r n s t h a f t unter die große sozialphilosophische und staatsphilosophische Literatur rechnen wollte. Mit wissenschaftlichem Maße gemessen, würde dieses, wie alle Bücher des Bischofs, schlecht bestehen. In der Auswahl, in der Mischung der gegebenen kirchlichen Gedanken, in ihrer F o r m u n g und Abtönung, vor allem in ihrer geschickten Beziehung auf das Leben liegt der Wert, liegt die Wirkungskraft dieser Kampfschrift, dieses einfachen und doch im einzelnen immer wieder packenden und anreizenden Führers f ü r die katholische Presse und die Gläubigen im öffentlichen Leben überhaupt. Da sich die Schrift vornehmlich auf die Gegenwart richtete, war ihre rasche Verbreitung auch rasch abgeschlossen: binnen zwei Monaten erschienen vier Auflagen 1 ), aber die einige Monte später ausgegebene siebente Auflage, die dritte Volksausgabe, war bereits die letzte. Im Auslande wurde das Buch gleichfalls b e a c h t e t : in Frankreich, wo die Zusammenstöße zwischen Napoleonismus und Klerikalismus, wo die innerkirchlichen Gegensätze zwischen dem „liberalen" Katholizismus Montalemberts und dem scharf ultramontanen Katholizismus Veuillots die Geister erregten, bereitete man sogleich eine Übersetzung vor, nicht anders in den Niederlanden, auch in Ungarn und Böhmen, später in Italien*) g e g e n M a i n z u n d s e i n e K i r c h e u n d s e i n e n B i s c h o f das Ubermaß des Hasses und der Verleumdung gerichtet sei, und daß seit B e d a W e b e r s Tod jeder Angriff gegen die Kirche im allgemeinen in unseren Gegenden f a s t e i n z i g in einen Angriff auf Institutionen und Persönlichkeiten d e r M a i n z e r K i r c h e eingekleidet erscheine?" ») Mz. J. 1862 Nr. 88(15. 4.). — Dazu 1867 Nr. 8(10. 1.): „seiner Zeit" wurden 20000 Exemplare abgesetzt. *) Libertà, autorità, chiesa; considerazioni sui grandi problemi del nostro tempo. Parma 1864 (Ergänzung zu Pfülf 2, 160).

3 9 8 III 1: K.S Idrohenpol. Kampf mit d. Liberalismus: „Freiheit, Autorität u. Kirche"

und Spanien. Auch strenggläubige konservative Protestanten schätzten dieses konservative und so versöhnlich scheinende Buch; die Familie von Riedesel, das hessische Adelsgeschlecht, dessen Senior neben den H ä u p t e r n der standesherrlichen Familien geborenes Mitglied der Ersten K a m m e r war, schickte einem ihrer Angehörigen die Schrift sogar auf seine ägyptische Reise nach. 1 ) Diese bischöfliche Waffe gegen den Liberalismus war indessen gerade kirchlich ein zweischneidiges Schwert. Nicht so wie Montalembert, der vor allem dort, wo der Katholizismus die Macht h a t t e , die katholische Duldung bewährt sehen wollte, immerhin aber mit starken Zugeständnissen an die moderne Welt, an die deutschen Verhältnisse h a t t e der Bischof von der Religionsfreiheit geredet. Man konnte bei ihm Worte finden, die als Bekenntnis zur Duldungspflicht angesprochen werden d u r f t e n ; seine freilich wieder eingeschränkten Sätze schienen doch in einer Sache, wo seine Kirche keine förmlichen Zugeständnisse sondern höchstens ein tolerari potest kennt, solche g r u n d sätzlichen Zugeständnisse zu machen. Nun aber beriefen sich die Liberalen im zwangsmäßig rein katholisch erhaltenen Tirol darauf, daß sich Ketteier an Döllinger angereiht habe, d a ß auch dieser Bischof die Religionsfreiheit verteidige.*) Der Mainzer Bischof als Zeuge der verhaßten Liberalen — ein schwerer Schlag f ü r die Tiroler Klerikalen! „ W ü r d e bei der gegenwärtigen Stimmung des Volkes der Klerus nicht im Sinne der Glaubenseinheit reden und handeln, er würde im vollständigsten Mißtrauen begraben, seine Wirksamkeit wäre verloren, sein Einfluß weniger als Null." So schrieb der Vorsitzende des katholischen Vereins von Tirol an Ketteier unter flehentlicher Bitte, „ein beruhigendes Wort der Wahrheit für unser armes Volk auszusprechen, damit es nicht den Bischof gegen den Bischof habe — wie man ihm fälschlich vorpredigt". J e t z t war der wortgewandte Bischof in peinlicher Lage. Zur Beseitigung des kirchlichen Ärgernisses, zur möglichst unschädlichen, in Deutschland erträglichen Wiedergutmachung des Tiroler Schadens bedurfte es eines erheblichen Aufwandes dialektischer Mittel. Nicht überall und unter allen Verhältnissen sollte, so erklärte er jetzt, diese bestimmte Religionsfreiheit selbst gegen den Willen der Bevölkerung durch Akte der Staatsgewalt eingeführt werden; E i n f ü h r u n g der Religionsfreiheit „im Sinne des Zeitgeistes" habe er nie verlangt. Er suchte, was eine Verschiebung des unmittelbaren Streitpunktes bedeutete, unter willkürlich vorausgreifender Berufung auf mögliche Folgen, das, was seine Schrift selbst anerkannt hatte, zu beseitigen. Den „gottesleugnerischen S e k t e n " h a t t e er die dem Protestantismus zugestandene Duldung verwehrt. ») F. Nippold, KI. Schriften 1, 191 u. 194; 2, 407 Anm. 1. ») Zum Folg. die Briefauszüge bei Pftilf 2, 164ff.; K.s Brief vom 2. 4. 62, der von Tirol aus als Broschüre verbreitet wurde, vollständig: Mz. J . 1862 Nr. 101 (1. 5.).

Wirkung der Schrift. Einspruch der Tiroler Klerikalen

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So suchte er die Tiroler Wünsche zu erfüllen, indem er die bestimmte Größe „Protestantismus" durch die unbestimmte, höchstens kirchlich faßbare Größe „Unglaube" ersetzte. Wenn den Protestanten in Tirol versagt war, auch nur eine Pfarrei zu begründen, wenn hier kein evangelisches Gotteshaus bestehen durfte, so rechtfertigt er das mit der einfachen Erklärung, in Wahrheit handle es sich darum, „ob dem ganzen modernen Unglauben die schönen Täler Tirols geöffnet, ob es diesem frechen, schamlosen Unglauben gestattet sein soll, an dem edlen Tiroler Volksstamm alle seine teuflischen Verführungskünste zu üben und ihn an Leib und Seele zu vergiften." Außer auf die Gefahr der „gewaltsamen Propaganda des Unglaubens" beruft sich der Bischof auch auf die Gefahr des Kapitals. Hier greift er um seiner lieben protestantenfeindlichen Tiroler 1 ) willen zu so naiven Worten, als habe er die ganze übrige, die kritische Welt ringsum vergessen: „Nicht der gläubige Protestantismus, aber die ungläubigen dem AntiChristentum dienenden geheimen Gesellschaften werden ohne Zweifel ihr Kapital in die wunderschönen Täler Tirols hineinleiten und zahllose Tiroler, die jetzt die frische Luft ihrer Gebirge einatmen, werden dann als Sklaven der Industrie und der Fabriken nunmehr die verpestete Fabrikluft kennen lernen und an Leib und Seele zu Grunde gehen." Die künftige Fabrikluft als moralische Rechtfertigung der gegenwärtigen Verweigerung freier protestantischer Religionsübung! Das ganze Schreiben jedenfalls eine beredte Ergänzung zu den deutelnden und deutbaren Bemerkungen des Buches, ein anschaulicher Beweis für die Festigkeit der kirchlich bestimmten Grenzen der Religionsfreiheit, wie Ketteier sie im letzten Grunde wirklich begriff und nach der kirchlich-päpstlichen Lehrmeinung, die ihm bald im Syllabus anspruchsvoll entgegentreten sollte, schließlich begreifen mußte. Die Gegner haben schon vor diesem Tiroler Nachspiel und nachher immer wieder den Bischof gegen den Bischof auszuspielen gesucht; sie erkannten seine grundsätzlichen Vorbehalte auch da, wo sie nur angedeutet waren, und trauten darum seinen Zugeständnissen nicht. Die Liberalen überhaupt und die Deutschkatholiken insbesondere wehrten sich gegen die massiven bischöflichen Angriffe. In der Presse, in Flugblättern, in Streitschriften wurde er in der nächsten Zeit, da sich der Kampf namentlich in der Stadt Mainz immer mehr verschärfte, derb, auch wohl plump angepackt. 2 ) Die dem Bischof ebenbürtig oder Vgl. dazu oben S. 26 u. 52 f. *) Vgl. z. B. Mz. J. 1862 Nr. 58 (11. 3.). — „An W. E. v. Kettler [so!], Bischof v. Mainz, Zweck der Jesuiten: Alle Ketzer zur römischen Kirche zurückzuführen . . . " Johannes Ronge, Frankfurt a. M., im April 1863". Dieses Flugblatt (4 Folioseiten; Mainz, Stadtbibliothek), das vor allem gegen K-s „Schutzschreiben für die bekannte Schwester Adolphe" (vgl. oben S. 319 Anm. 2) gerichtet ist, bezieht sich einmal ausdrücklich auf des Bischofs „Werk Uber Freiheit".

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U l i : K.s kirchenpol. Kampf mit d. Liberalismus: „Freiheit, Autorität u. Kirche"

überlegen waren, beschäftigten sich mit seiner Zweckschrift kaum 1 ), am ehesten machte noch der nicht ungewandte aber doch unbedeutende Hieronymi Eindruck, wenn er, der als deutschkatholischer Prediger freilich allen Grund hatte, die maßlose Gehässigkeit des Bischofs zu vergelten, sogleich und später eingehender die Auslegungen und Ausdeutungen des Bischofs nicht ohne berechtigten Spott kritisierte. 1 )

„Freiheit, A u t o r i t ä t und Kirche" war unmittelbar auch durch die hessischen K a m m e r k ä m p f e angeregt worden und als praktisches Grundbuch der Kirchentreuen auf die inneren Verhältnisse des Großherzogtums gerichtet. Das Kapitel über Bedeutung und W e r t der Kirchenfreiheit beginnt mit der wiederholten Einschärfung des Gedankens, d a ß die Sorge für diese Freiheit nicht einseitiges priesterliches Standesinteresse, sondern ein hohes, heiliges Anliegen aller katholischen Christen sei. Dieser allgemeinen Mahnung schloß sich die besondere für die Wahlen a n : Erkenntnis des Wertes der Kirchenfreiheit soll die Katholiken davon abbringen, daß sie „so gleichgiltig darein sehen, wie die Männer, die sie selbst wählen, ihre Kirche mißhandeln und ihr Leben u n t e r b i n d e n " . Von den rund 900000 Bewohnern des Großherzogtums Hessen waren etwa 230000 katholisch getauft, in der Provinz Rheinhessen bildeten die Katholiken die größere Hälfte der Bevölkerung; die klerikale Partei der Zweiten Kammer aber stellte sich in dem Abgeordneten für Bingen und in Seitz dar. Ein halbes J a h r nach Veröffentlichung des bischöflichen Buches fanden die Wahlen für den 17. Landtag s t a t t . Zum erstenmal seit dem Jahre 184§ t r a t e n die Klerikalen wieder kräftig hervor. In Mainz meinten sie die Zeit wenigstens kommen zu sehen, „wo die Katholiken nicht mehr wie eine Herde ohne Führer und Hirten umherirren und den heuchlerischen Verführungen preisgegeben sind, sondern wo ihre geborenen Führer, ihre Priester, Lehrer, Seelsorger sich darein finden, auch f ü r die Wahlen tätig zu sein offen und ehrlich"; es sollten „nicht bloß die Prediger der freien Gemeinden, die Männer des Unglaubens, sondern auch die Priester der katholischen Kirche ihre Rechte und Pflichten als Bürger der Gemeinde und des Staates erkennen und unter Umständen energisch dafür einzustehn wissen" — dann würden sie „alle religiösen und ]

) So: Daniel Schenkel, Die kirchliche Frage und ihre protestantische Lösung im Zusammenhange mit den nationalen Bestrebungen und mit besonderer Beziehung auf die neuesten Schriften v. Döllingers und v. Kettelers. Elberfeld 1862. — A u c h : H. F. Uhden [A. D. B. 39, 143/5], Bischof K-, Gräfin Hahn und Card. Wiseman, wie sie zur römischen Kirche einladen (Oöttingen 1862); vgl. Pfülf 2 , 1 6 0 Anm. 2. ») „Freiheit oder Autorität — was will die Kirche?" Darmstadt 1862 (64 S.; breite Auszüge aus Kettelers Schrift mit Bemerkungen Hieronymis, die nicht geradezu gehässig sind); „Jubilate!" (Wiesbaden 1875) S. 37 ff. (wenig glimpflich).

Die Klerikalen bei den hessischen Landtagswahlen vom Sept. 1862

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rechtlichen Männer ihrer Gemeinden und Berufskreise auf ihrer Seite haben".1) Ein Zukunftsbild, das sich als einigermaßen treu erweisen sollte! Aber f ü r den Augenblick waren die Aussichten einer rein katholischen Parteibildung noch nicht günstig. Der politische Katholizismus h a t t e seinen Rückhalt an der Regierung; er war ihr gegenüber d a r u m auch zu Rücksichten genötigt. Er d u r f t e seine Stellung im Lande, selbst bei ungünstigem Ausgange der Wahlen, für gesichert halten, solange das Ministerium Dalwigk gesichert war. Wie bisher in Land und Landtag, so standen jetzt die Klerikalen als Verbündete der Regierung da. Aber die Stimmung der gläubigen Katholiken war durch den kirchenpolitischen Kammer- und Pressekampf kirchlich erregt, und die Organisation der Wähler, soweit sie nicht vom Liberalismus beherrscht und soweit sie leicht zugänglich waren, bleibt doch vor allem das Verdienst der Klerikalen selbst. Sie brachten, unter Moufangs Leitung und so unter stiller bischöflicher Förderung, namentlich in Mainz, wo die äußere politische Einheit der Klerikalen verloren gegangen war, eine „großdeutsch-konservative" Partei zusammen, die freilich erst Ende August 1862, unmittelbar vor den Urwahlen (3. September), mit ihrem Programm und der Wahlmännerliste fertig war. Den Katholiken wurde das Eintreten f ü r diese Partei als Pflicht hingehalten. Das großdeutsche Bekenntnis sollte zugleich die protestantisch-konservativen Großdeutschen binden und eine bei der Macht des Liberalismus doppelt gefährliche Zersplitterung verhüten. Die neu aufsteigende, von Österreich und den Mittelstaaten angetriebene und ausgenutzte großdeutsche Bewegung sollte nun auch f ü r die hessischen Landtagswahlen verwertet werden. Der Wahlaufruf dieser „großdeutsch-konservativen" Partei wandte sich, unter zugleich großdeutsch, katholisch und mainzisch begründender Polemik, gegen die Fortschrittskandidaten Metz und Dumont, gegen die ganze Fortschrittspartei, von der nur Unheil zu erwarten sei, die sich intolerant und gehässig zeige, nicht — man f ü h l t die geistliche Feder — gegen den Unglauben, aber gegen das positive Christentum, namentlich gegen die katholische Kirche, in deren innere Zustände und Rechte sie sich unbefugt einmische; die eigenen Forderungen der Partei waren neben den großdeutschen die kirchlichen: jede Konfession soll ihre Angelegenheiten selbst ordnen, der S t a a t nur — in gleicher Gerechtigkeit für alle (von der Rechtlosigkeit der „ S e k t e n " wurde jetzt nicht gesprochen) — die religiösen Überzeugungen aller seiner Angehörigen ehren und ihre Rechte beschützen. Die von den Mainzer Klerikalen zum 1. September einberufene Wählerversammlung !) Mz. J . 1862 Nr. 196 (24. 8.): Zu den Landtagswahlen # # (die wichtigsten der oben angeführten Worte sind im Journal gesperrt gedruckt). Der Stil des Aufsätzchens widerspricht mindestens nicht der Vermutung, daB K. der Verf. sei. — Zum Folg.: ebenda Nr. 203ff. (Moufangs Rede: Sonderbeilage zu Nr. 207). Vi g e n e r , Bischof Ketteier

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4 0 2 III 1: K.s kirchenpol. Kampf mit d. Liberalismus: „Freiheit, Autorität u. Kirche"

bezeichnete Moufang, der H a u p t r e d n e r , mit N a c h d r u c k als eine nicht katholische, s o n d e r n g r o ß d e u t s c h e ; nicht konfessionell, sondern politisch sei die Partei, lediglich Großdeutsch und K l e i n d e u t s c h , K o n s e r v a t i v u n d F o r t s c h r i t t wollte er einander gegenüberstellen; d e r F o r t s c h r i t t s p a r t e i , die d a s Volk terrorisiere, hielt er vor, d a ß in i h r e m P r o g r a m m vieles „ g e l o g e n " sei — so sprach er die Bischofssprache mit etwas d e r b e r e m T o n e —, d a ß vor allem die H a u p t s a c h e verschwiegen w e r d e : die Zerstückelung D e u t s c h l a n d s ; wohl d e u t e t e auch er einmal darauf hin, d a ß die vorige K a m m e r „ u n s e r heiligstes G u t " mit F ü ß e n getreten habe, aber er stellte die kirchenpolitisch-hessischen Gedanken d u r c h a u s h i n t e r die deutschen z u r ü c k : das sei die Frage bei dieser Wahl, ob großdeutsch oder kleindeutsch, ob g r o ß d e u t s c h auf dem Wege der V e r s t ä n d i g u n g und friedlichen E n t w i c k e l u n g oder ob kleindeutsch auf d e m Wege der Rechtsverletzung, des U m s t u r z e s und wohl gar des Bürgerkrieges. So suchten die Klerikalen u n t e r ihrer g r o ß d e u t s c h e n F a h n e den hessischen L a n d t a g s w a h l e n einen Gewinn abzuringen, der u n t e r der katholischen noch n i c h t zu erlangen war. Sie b e m ü h t e n sich mit Erfolg, die „ k o n s e r v a t i v e " G e m e i n s c h a f t nicht durch B e t o n u n g des Konfessionellen zu stören. Die Regierung selbst t r a t mit allen Mitteln f ü r diese Gemeinschaft gegen den F o r t schritt a u f ; der Großherzog und Dalwigk ließen die E i n w i r k u n g auf die v o m Hofe a b h ä n g i g e n Leute zu vollendetem W a h l z w a n g steigern 1 ), denn Dalwigk wollte wenigstens den „ S k a n d a l " v e r h ü t e n , d a ß die Residenz d u r c h „ H e r r n Metz und Genossen" v e r t r e t e n werde. Vom Lande selbst d u r f t e man nicht viel hoffen. Die W i r k u n g e n der gerade von den Mainzer Klerikalen immer wieder g e r ü h m t e n Verdienste des Ministeriums reichten doch nicht aus, seine Gewaltsamkeiten vergessen zu machen und seine A n h ä n g e r s c h a f t zu mehren. Das M a c h t b e w u ß t s e i n der Liberalen und D e m o k r a t e n in Hessen, die nun d a n k der V o r a r b e i t des Nationalvereins größtenteils p a r t e i m ä ß i g z u s a m m e n g e f a ß t w u r d e n , h a t t e sich zuerst eben d u r c h den T r i u m p h des Nationalvereins über Dalwigks Polizeiregiment, d a n n aber vor allem durch die Wahlsiege des preußischen Liberalismus s t a r k gesteigert. In P r e u ß e n war seit dem Sommer 1861 der schon länger vorbereitete U m s c h w u n g deutlich zu e r k e n n e n : im ganzen Königreich und d a n n , nach den Wahlen vom S p ä t h e r b s t 1861, a u c h in der K a m m e r sah sich der d e m Ministerium nahestehende Altliberalismus überflügelt durch den d e m o k r a t i s c h e r , parlamentarischer g e f ä r b t e n Liberalismus, der sich im J u n i 1861 in der F o r t s c h r i t t s p a r t e i g e s a m m e l t h a t t e . Die Mehrheit, g e s t ü t z t auf die Volksstimmung, scheute in dem Kampf um die Heeresverfassung auch vor dem Z u s a m m e n s t o ß m i t den liberalen Ministern nicht zurück. Im März 1862 löste König Wilhelm das A b g e o r d n e t e n h a u s auf und ersetzte die liberalen durch konser' ) Dalwigk an den Großherzog 23. 8. 62 mit Randbemerkung des Großherz, v. gleichen Tage: Dalwigks Tagebücher 98.

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Die preußische und die hessische Fortschrittspartei

vative Minister. Die Wahlen vom Mai 1862 f ü h r t e n in das Haus eine an Zahl, an Kampfeifer und Selbstgefühl gestärkte Linke als die beherrschende Mehrheit, die dann im Herbst 1862 gegen den neuen Minister, gegen den vielen schon vorher v e r h a ß t e n , auch maßvollen Mitgliedern des Nationalvereins mehr als verdächtig scheinenden Bismarck den Kampf mit der alten Grundsatztreue, Leidenschaft und Zuversicht aufnehmen sollte. Das liberale Gemeinschaftsgefühl leitete die Erregung der preußischen Fortschrittspartei durch die Presse, durch persönliche Verbindungen, durch Vereinsbeziehungen, insbesondere durch den Nationalverein, der damals mit 25 000 Mitgliedern seinen H ö h e p u n k t erreichte, auf die Liberalen in den anderen deutschen Staaten über. In Hessen, wo wir einen bescheidenen Verfassungskampf sich abspielen sahen, wurde die im Nationalverein vorbereitete F o r t s c h r i t t s p a r t e i rasch aufgebaut, auch sie mit starken demokratischen Zügen, wie ja ü b e r h a u p t — was Hermann Baumgarten in seiner berühmten „Selbstkritik" 1 ) nach Königgrätz feststellte — im J a h r e 1862 der unwiderstehliche Einfluß Preußens auf die übrigen deutschen Länder sich darin äußerte, d a ß auch hier, selbst in Staaten, die in anderer Weise als das Hessen Dalwigks wirklich konstitutionell regiert wurden, die ganze Masse der liberalen Partei nach links rückte. Das Programm der hessischen Fortschrittspartei wurde unter der Führung des erprobten August Metz in einer F r a n k f u r t e r Wahlversammlung — also außer Landes — am 12. August 1862 aufgestellt. 2 ) Danach sollten in der Sache der Freiheit und des Volksrechtes sich alle zusammenfinden, „welche ein einiges deutsches Vaterland mit deutschem Parlament und kräftiger Zentralgewalt und f ü r das eigene Hessenland ein w a h r h a f t verfassungsmäßiges Leben nach allen Richtungen erstreben". Die alten liberalen Forderungen, deren frühere Erfüllung von Dalwigk wieder hinweggenommen worden war, wurden wiederholt: freie Presse, freies Versammlungsrecht, freies Vereinsrecht, Selbständigkeit der Gemeinden, freies Wahlgesetz f ü r Gemeinde- und Landtagswahlen. Das Verlangen nach „ A c h t u n g vor jeder religiösen Überzeugung", „Gleichheit der Rechte aller Konfessionen" deutet nur unbestimmt auf die kirchenpolitischen Absichten hin. Diese traten (ganz im Sinne der bisherigen Zweiten Kammer, obwohl sie auch hier wieder als „beinahe bloß aus Staatsdienern zusammengesetzt" sehr von oben herab behandelt wurde) unmittelbar zutage in den Sätzen: „Wir bekämpfen das Mainz-Darmstädter K o n k o r d a t und alle Angriffe gegen die zugesicherte religiöse Freiheit. Wir verlangen für die ') Der deutsche Liberalismus: Preuß. Jahrb. 18 (1866), daraus: H. Baumgarten, Aufsätze hg. v. Erich Mareks (1893) S. 165. ') Gedr. in Frankf. Zeitungen v. 13. 8. 62. — In dem Aufruf auch ein Hinweis auf den „durch energisches Zusammenhalten und Mitwirken aller Freisinnigen" erfochtenen „glänzenden" preußischen Wahlsieg. 26*

4 0 4 III 1: K.s kirchenpol. Kampf mit d. Liberalismus: „Freiheit, Autorität u. Kirche"

katholische Kirche gesetzliche Regelung ihres Rechtsverhältnisses, sowie für die protestantische Kirche endliche E i n f ü h r u n g der schon vor mehr als vierzehn Jahren zugesagten zeitgemäßen Verfassung mit gehöriger Beteiligung der Gemeinden und Laien". Der Aufruf berührte mit den Eingangsforderungen und dann noch mit dem Eintreten f ü r die E r h a l t u n g des Zollvereins die deutsche Frage, wie das jetzt kaum anders sein konnte, da Österreich in bundesmäßiger Zusammenarbeit mit den meisten Mittelstaaten, d a r u n t e r D a r m s t a d t , wieder gegen Preußens Ansprüche a u f t r a t . Aber man zeigte sich zurückhaltend und ließ das kleindeutsche Programm beiseite. Vor allem: in diesem liberalen Aufruf zu den hessischen Landtagswahlen traten, anders als in dem drei Wochen später folgenden klerikal-großdeutschen, die hessischen Ansprüche und Anliegen in den Vorderg r u n d ; an alle „Freisinnigen", die „das seitherige Regierungssystem und die in der Staatsverwaltung der letzten zwölf J a h r e erkennbare Richtung" verwarfen, wandte sich dieser fortschrittliche Aufruf. Gerade im Zeichen dieser Leitgedanken, hinter denen die Zwiespältigkeit zwischen den vorherrschenden kleindeutschen und der namentlich vielen Demokraten vertrauten großdeutschen Auffassung zurücktrat und angesichts des preußischen Verfassungsstreites auch leicht zurückgestellt werden konnte, gerade mit dieser scharfen Wendung gegen Dalwigk und dessen klerikale Verbündete gewannen die Fortschrittsmänner bei der Wahl im September 1862 einen glänzenden Erfolg: sie stellten 38 von den 50 Abgeordneten. Das bischöfliche Mainz erlebte immerhin neben dem Schmerze, d a ß die Stadt Mainz durch die Fortschrittler Dumont und Metz vertreten war, die Genugtuung, außer dem katholischen Abgeordneten f ü r Bingen zwar nicht mehr Seitz, aber einen ähnlich entschiedenen, wenn auch nicht so gut geschulten Katholiken in die K a m m e r einziehen zu sehen: den Freiherrn Philipp von Wambolt aus kurmainzischem Stiftsadel. Durch den überwältigend scheinenden Wahlsieg der Gegner sollte nun doch weder der Minister, den der Fortschritt so gern gestürzt 1 ), noch der Bischof, den er so gern in feste Schranken zurückgeworfen hätte, überwältigt werden. Aber in D a r m s t a d t wie in Mainz mußte man doch mit der neuen, auch in ihrem Geiste und ihrer S t i m m u n g neuen K a m m e r rechnen; jetzt war die von Wernher angekündigte scharfe Antwort auf Dalwigks hochmütige Nichtachtung der früheren „ B e a m t e n k a m m e r " tatsächlich erfolgt. Es gab auch jetzt allerdings innerhalb dieser großen Fortschrittspartei Unterschiede in Stimmungen und Meinungen: Mainzer und Gießener Demokraten z. B. bestritten die Rechtsgiltigkeit der bestehenden Verfassung und damit doch auch die Gesetzmäßigkeit des neuen Landtags; tatsächlich redeten denn auch einige eifrige Demokraten davon, die K a m m e r müsse sich sogleich i ) Vgl. Grenzboten 21 (1862) Bd. 4 S. 168 f.

Wahlsieg der Fortschrittspartei in Hessen

405

am ersten Tage f ü r unzuständig erklären. Aber diese Grundsatztreuen, die einen Kampf nach kurhessischem Muster begehrten, drangen nicht durch, und auch die gegnerischen Hoffnungen auf eine baldige Spaltung zwischen altliberalen und demokratischen Bestandteilen der Fortschrittspartei erwiesen sich als trügerisch. In der kirchenpolitischen Auffassung jedenfalls fühlten sie fast alle sich einig. Das zeigten schon Wahlaufruf und Pressestimmen, noch ehe Reden und Abstimmungen in der K a m m e r es zeigen konnten, und vor der Landtagseröffnung auch richteten (ähnlich wie im J a h r e 1848, nur vorsichtiger) liberale Lehrer, auch etliche katholische, eine Eingabe an den Großherzog, die unter anderem den geistlichen Einfluß in der Schule b e k ä m p f t e . Dalwigk brauchte sich durch den unerwürtschten Ausgang der Wahlen in seiner festen Stellung nicht unmittelbar bedroht zu fühlen, aber er hegte einen tiefen Argwohn gegen die fortschrittlichen Abgeordneten, gegen ihre fortschrittlichen Ansichten, ihre deutschen und hessischen Absichten. Der liberalen englischen Gemahlin des Thronfolgers, die von der neuen Mehrheit eine gute Meinung hatte, sagte er vierzehn Tage vor Eröffnung der K a m m e r , er habe geschriebene und gedruckte Beweise, d a ß diese Leute den Umsturz wollten; der Mehrzahl nach wünschten sie die deutschen Fürsten zu entthronen, u m einen einzigen oder a m besten eine einige Republik an die Stelle zu setzen. 1 ) Zur Feststellung ihrer kirchenpolitischen Absichten aber brauchte er sich nicht erst nach derartigen „Beweisen" umzusehen. Es galt, das Werk der Vereinbarung mit dem Bischof gegen die K a m m e r m e h r h e i t zu behaupten. So ungünstig die Aussichten schienen, Dalwigk und Ketteier sollten auch diesmal sich siegreich der Gegner erwehren. Sie arbeiteten wieder von vornherein nach geheimer Besprechung zusammen. Dalwigk kam den Kammerwünschen halbwegs entgegen in der Absicht, sie so gerade unschädlich zu machen. Die Regierung legte einen Gesetzentwurf vor, der nach badischem Muster die rechtlichen Verhältnisse des Staates zu den Kirchen und kirchlichen Vereinen überhaupt behandelte. Damit glaubte man jedem Scheine der Bevorzugung einer Kirche vorbeugen zu können; Dalwigk und sein Mitarbeiter v. Rodenstein hatten sich f ü r dieses Verfahren nach vertraulicher Anfrage die Zustimmung der leitenden Persönlichkeiten der evangelischen Landeskirche verschafft. 2 ) Zugleich meinte das Ministerium, mit der Einbringung einer solchen a l l g e m e i n e n Gesetzvorlage sich gegen den Vorwurf der Inkonsequenz gesichert !) Dalwigks Tagebücher S. 87 (20. 10. 62). 2 ) Der Präsident des Oberkonsistoriums Geheimrat Frh. v. Starck (vgl. oben S. 362) der Referent in allgemeinen geistlichen Angelegenheiten Geh. Oberkonsistorialrat Frey und der Prälat Dr. Zimmermann. — Dies und das Folgende nach dem von Rodenstein entworfenen Bericht des Min. d. I. an den Großherzog 31.10. 62 (mit Vermerk „ E i l t " ; 11. 11. 62 von dem Großherzog genehmigt, der noch 7. 11. Dalwigk hatte auffordern lassen, ihm ein förmliches „berichtliches Gutachten" des Oberkonsistoriums vorzulegen).

406

III 1: K.s kirchenpol. K a m p f m i t d. Liberalismus: „ F r e i h e i t , A u t o r i t ä t u. Kirche"

zu haben, weil, w i e der Bericht an den Großherzog mit

anfechtbarer

R e c h t f e r t i g u n g s a g t , es sich früher „ n u r " d a r u m g e h a n d e l t habe, d e n Inhalt

der

vorlage alte,

zu

von

vorläufigen machen, Wernher

Übereinkunft

obgleich

diese

bekämpfte

zum

Gegenstand

Übereinkunft

Auffassung des



einer

das

Gesetz-

war ja

Ministeriums



G e b i e t der G e s e t z g e b u n g nicht berührte", also die S t ä n d e auch zur Mitarbeit berufen g e w e s e n seien. m i t t e l n d e

Richtung"

seines

D a s Ministerium, das die

Entwurfes rühmte,

die R e c h t e der K i r c h e auf i h r e m G e b i e t e sicher z u stellen. Mitteilung,

daß Ketteier gegen

ein

derartiges

Gesetz

„vertrauliche"

Brief

des

Bischofs

wurde

dem

als

Staates

Auch

nichts

liches einwenden werde, sollte d e m Großherzog die Vorlage Der

nicht „ver-

bezeichnete

d e s s e n Absicht, unter vollständiger W a h r u n g der R e c h t e des

die „das

die

Erheb-

empfehlen.

Großherzog

vor-

g e l e g t ; die bischöfliche Mitarbeit schien wohl schon durch das freundlich

bescheidenere

protestantische

trauliche" Anfrage, gerechtfertigt. schichte

dieses

Gesetzentwurfes

Gegenstück,

jene gleichfalls

D a s aber ist eben an der

das

wichtigste,

Einwirkung des Bischofs ausgearbeitet

daß

er

nicht

„verVorgeohne

wurde.

G e m ä ß einer persönlichen Besprechung mit Dalwigk h a t t e Ketteier unter d e m 26. Oktober 1862 seine Meinung über die Bestimmungen des badischen Gesetzes v o m 9. O k t o b e r 1860 eingehend dargelegt. 1 ) Er w ü n s c h t e kein derartiges Gesetz u n d er k o n n t e sich darauf b e r u f e n , d a ß auch Dalwigk „bei jeder Gelegenheit" die A n s c h a u u n g Öffentlich v e r t r e t e n habe, nach der V e r f a s s u n g s u r k u n d e wie nach der s t ä n d i g e n Ü b u n g sei die S t a a t s r e g i e r u n g berechtigt, die in der K o n v e n t i o n b e r ü h r t e n G e g e n s t ä n d e ohne Beirat der S t ä n d e zu regeln. D a ß die Regierung j e t z t an die „ M ö g l i c h k e i t " einer gesetzlichen O r d n u n g denke, e r k l ä r t er sich a u s d e m Wunsche n a c h Beseitigung des leidenschaftlichen, u n b e r e c h t i g t e n P a r t e i t r e i b e n s . Er selbst kann ein staatliches Recht zu solcher Gesetzgebung n u r a n e r k e n n e n , wenn sie in die V e r f a s s u n g u n d die wohl erworbenen Rechte der Kirche nicht e i n g r e i f t ; den „ P a r t e i g r u n d s a t z " , d a ß die S t a a t s g e w a l t oder gar die zufällige K a m m e r m e h r h e i t Rechte geben oder n e h m e n k ö n n e , e r k l ä r t er, ganz in der Sprache von „ F r e i h e i t , A u t o r i t ä t u n d K i r c h e " , f ü r u n v e r e i n b a r auch nur m i t d e m G o t t e s g l a u b e n , u n d staatliches Gesetzgebungsrecht ist i h m n u r die Befugnis, d e m Recht (das, wie sich versteht, im Geiste des kirchlich g e f a ß t e n N a t u r r e c h t s genommen werden m u ß ) in dem Gesetze A u s d r u c k zu geben. Nach dieser kirchlichen Bindung des S t a a t s r e c h t e s bespricht er die einzelnen P a r a g r a p h e n des badischen Gesetzes'), das d e m k ü n f t i g e n hessischen als Vorlage dienen sollte. Da dieses Gesetz die meisten wesentlichen B e s t i m m u n g e n der badischen „ K o n v e n t i o n " mit R o m ü b e r n o m m e n h a t t e , b r a u c h t e eine G e f ä h r d u n g d e r bisher a n e r k a n n t e n kirchlichen A n s p r ü c h e im allgemeinen nicht b e f ü r c h t e t zu werden. ' ) K. an Dalwigk, Mainz 26. 10. 62 ( B e g i n n : In Folge der m ü n d l i c h e n Bes p r e c h u n g , welche ich vor einigen Tagen m i t E. E. zu h a b e n so glücklich w a r . . . ) , 28 von Kanzleihand weit beschriebene G r o ß q u a r t s e i t e n . ! ) G e d r . : Bad. R e g i e r u n g s b l a t t 1860 Nr. 51, d a r a u s : Archiv f . k a t h . Kirchcnrecht 6 ( 1 8 6 1 ) , 132 f f . ; vgl. Maas 406 ff. — In d e m hess. Gesetzentwurf ( g e d r . : Brück, O b e r r h . 554 Nr. 7 ; A. S c h m i d t , Quellen 6 8 Nr. 13) entsprechen A r t . 1—3 den badischen §§ 1—3; A r t . 4 = § 7 ; 5 = 8 ; 6 = 9 ; 7 = 11; 8 = 13; 9 = 15; 10 = 16; 11 = 10; 12 = 14; 13 = 6 ; 14 = 12; 15 = 17. — Bei Brück u n d bei S c h m i d t auch die Beschlüsse der 2., die A u s s c h u ß a n t r ä g e der 1. K a m m e r , desgl.: Mz. J . 1863 Nr. 250; E n t w u r f u. Beschlüsse auch bei Heinrich, Reaktion S. 237—242.

Ketteier und der Entwurf eines hessischen Kirchengesetzes

407

Die Einwendungen und Wünsche Kettelers sind aber f ü r seine Bischofsart bezeichnend genug. Auch hier hält sich seine Erörterung nicht frei von jenem Lehrton, den er so gerne, wie ein höchster Staatsrat, und nie ganz vergeblich anschlug; selbst der Stil der großen bischöflichen Lehrschrift kehrt in dieser kleinen Denkschrift wieder. Zu dem § 3 — hier wird die Bildung religiöser Verein«, sofern sie nicht den Staatsgesetzen und der Sittlichkeit widersprechen, gestattet — bemerkt der Bischof, der feste Sinn des Wortes „religiös" sei vollständig vernichtet, seitdem man „die Rongeaner und die Freigemeindler" als religiöse Vereine bestehen lasse; ohne nähere Bestimmung der Worte „sittlich" und „religiös" werde dieser Paragraph zu einem Freibriefe f ü r alle Vereine, auch die unsittlichsten und irreligiösesten. Ohne übrigens Gewicht darauf zu legen, beanstandet er in dem Satze über das Korporationsrecht der Kirchen ) Mit Moufang war M.schon 1846 befreundet: Liederbach (oben S.518 A.2) S.81. *) Man halte dazu etwa, daß Windthorst sich im Mai 1868 darum bemühte, die baierischen Klerikalen gegen das Ministerium Hohenlohe scharf zu machen. Vgl. Poschinger, Bismarck u. d. Parlamentär. 2 (1895) S. 119.

Mainzer klerikale Hoffnungen auf Osterreich und Frankreich (1868)

533

der liberalen Kulturgesetze, das Österreich mit dem protestantischen Kanzler und dem kirchenfeindlichen Innenminister, es blieb den Mainzer Klerikalen eben doch der Feind des preußischen Feindes; wie zum Spott auf alle katholischen Herzenswünsche wird Österreich ob seiner innerpolitischen Freiheit gepriesen, wie zum Spott auf alle Wirklichkeit wird dieser erschütterte, verschuldete, nur langsam sich wieder aufrichtende Staat als das Land der glänzenden wirtschaftlichen Blüte und finanziellen Leistungsfähigkeit dem angeblich der inneren Kraft und Freiheit entbehrenden Preußen gegenüber gestellt: es ist eben das Österreich, von dem man ganz wie von Frankreich Rache für Sadowa verlangt und erwartet. In „Rückblicken und Parallelen" malt sich das klerikale Mainz auch die Zukunft aus, den „möglichen" Verlauf eines „preußisch"-französischen Krieges: die Franzosen werden sogleich in Karlsruhe, in Stuttgart erscheinen, Baiern zur Nachgiebigkeit zwingen, sie werden „gegen Erfurt und — weiter vordringen". So wurde ernste deutsche Besorgnis vor den Absichten Napoleons bei vielen Klerikalen zurückgedrängt durch den zu allem bereiten Haß gegen Preußen, wie er etwa aus dem abgegriffenen, doch immer wieder aufgenommenen Gassenworte sprach „lieber französisch als preußisch". 1 ) Im „Mainzer Journal" wurde jene Wiener Auffassung heimisch, die insbesondere der klerikale und österreichisch-zentralistische „Volksfreund" vertrat: Österreich, innerlich Preußen weit überlegen, muß, da Preußen von seiner Eroberungspolitik nicht abgebracht werden kann, mit einem längeren Waffenstillstand zufrieden sein; der aber ist um so sicherer, je besser Österreich mit Frankreich steht, man darf sich also nicht um Preußen bemühen, da Frankreich so dem Kaiserstaate wieder entfremdet werden müßte. Mit der „ Z u k u n f t " , dem demokratischen Berliner Blatt, verkündet das „Journal", daß Österreich aus Selbsterhaltungstrieb mit Frankreich gegen Preußen werde kämpfen müssen; das Gespenst eines „zweiten Biarritz" zwischen Preußen und Rußland soll dabei im voraus auch vor unbefangen deutsch fühlenden Laien den Osterreichisch-franzOsischen Bund rechtfertigen. Um seiner politischen, zuletzt freilich auch wieder kirchlichen Hoffnungen willen behandelt das Mainzer Blatt die Osterreichischen Kirchenkämpfe mit zarter Rücksicht und bewundernswert beharrlicher Sanftmut. Nach Veröffentlichung der konfessionellen Gesetze in Österreich (Mai 1868), der ersten Maigesetze der deutschen Geschichte, brachte das „ J o u r n a l " allerdings eine Wiener Zuschrift über den radikal kirchlichen Hirtenbrief des Bischofs Feßler von St. Pölten, eine von stiller kirchlicher Hoffnung auf die kirchliche Besinnung Franz Josefs bewegte Kritik der österreichischen Gesetzgebung: der Kaiser habe seine Untertanen gewisser Verpflichtungen enthoben, der Papst habe dies jedoch seinen Untertanen, den österreichischen Katholiken, >) Vgl. z.B. A. Rapp, D. deutsche Gedanke (1921) S.256 u.262. — Oben S.350f.

534 III 3: K. u. der nationalpol. Kampf in Deutschi.: „D. nach d. Kriege v. 1866" gegenüber noch n i c h t g e t a n ; f ü r diese bestehe also das K o n k o r d a t noch in voller K r a f t . Diese E r s e t z u n g der österreichischen U n t e r t a n e n s c h a f t d u r c h die papstliche, diese förmliche bischofliche A u f k ü n d i g u n g des Staatsgesetzes ist aber eben n u r in der u m f o r m e n d e n Wiener Inhaltsangabe des Hirtenbriefes e n t h a l t e n . Die sonst s t e t s bereiten Mainzer F e d e r n selbst werden z u r ü c k g e h a l t e n . Sogar die päpstliche Allokution v o m 22. J u n i 1868 entlockt keinem der vielen Mainzer K i r c h e n m ä n n e r ein lautes B e k e n n t n i s zur Kirchenfreiheit, d r ä n g t keinen zu einem Stoße gegen die S t a a t s w i l l k ü r ; m a n ü b e r n i m m t lediglich die Ubersetzung dieser K u n d g e b u n g aus d e m Wiener „ V o l k s f r e u n d " . Die päpstlichen Klagen über die schweren K r ä n k u n g e n der Kirche in Österreich h ä t t e m a n gewiß noch kirchlich verfechten k ö n n e n , ohne sich in Wien politisch allzusehr mißliebig zu machen. Aber w ä r e es ohne G e f ä h r d u n g der klerikalen H o f f n u n g e n , ohne Schädigung der großdeutschen Gedanken möglich gewesen, die förmliche Ungültigkeitserklärung g u t z u h e i ß e n und zu v e r t r e t e n , die der P a p s t über die „ v e r a b s c h e u e n s w e r t e n " österreichischen Gesetze v e r h ä n g t e ? Vollends da der P a p s t seinen Nichtigkeitsspruch über die Maigesetze von 1868 auch r ü c k w ä r t s auf das „ w a h r h a f t abscheuliche" S t a a t s g r u n d g e s e t z v o m 21. Dezember 1867 a u s d e h n t e und alle mit der Exkommunikation bedrohte, die irgendwie an diesem Gesetz t e i l h a t t e n , also auch den Kaiser s e l b s t ? F r a n z Josef h ö r t e nicht a u f , die H o f f n u n g der großdeutschen Klerikalen zu sein, auch als er v o m K o n k o r d a t a b g e r ü c k t war. Gerade der Mainzer Kreis, sieht m a n vom Bischof ab, wurde beherrscht von diesem G e d a n k e n . Der Innsbrucker K a t h o l i k e n t a g v o m S e p t e m b e r 1867 h a t t e die österreichische S t i m m u n g der deutschen Klerikalen ü b e r h a u p t und der Mainzer insbesondere b e k u n d e t und zugleich aufgefrischt. Der leidenschaftliche A b w e h r k a m p f des österreichischen E p i s k o p a t s h a t t e n i c h t einmal bei dem Mainzer Bischöfe Beifall geweckt, geschweige d e n n bei seinem Stabe. Die neue österreichische Verfassung aber, eben jenes v o m P a p s t e v e r d a m m t e S t a a t s grundgesetz, h a t t e n die Mainzer Klerikalen b e g r ü ß t als freiheitliche Uberflügelung des siegreichen P r e u ß e n s . Die Mainzer Männer meinten es mit ihrem B e k e n n t n i s zu der D e z e m b e r v e r f a s s u n g als einem Vorbereitungsmittel f ü r den Rachekrieg gegen Preußen, m i t ihren bald a n d e u t e n d e n , bald u n v e r h ü l l t e n W o r t e n über deutsch-österreichischfranzösische Bundesgenossenschaft wider Preußen viel zu ernst, als d a ß sie durch kirchlichen K a m p f r u f jenen ersehnten B u n d im voraus h ä t t e n g e f ä h r d e n wollen. Überdies sollte dieser B u n d doch wieder auch kirchlich f r u c h t b a r wirken, der Siegesbund der katholischen Mächte, den, so meinte m a n wohl im G e d a n k e n a n das hohe Ziel, selbst der S c h a t t e n einer v o r ü b e r g e h e n d e n V e r b i n d u n g m i t Italien nicht werde entweihen k ö n n e n . Der K a m p f des „Mainzer J o u r n a l s " gegen Preußen war übrigens zu einem g u t e n Teil nicht lediglich Mainzer, sondern zugleich Wiener K a m p f ; die österreichische G e s a n d t s c h a f t in D a r m s t a d t

Kettelers Festhalten am preußisch-deutschen Einigungsgedanken

535

stand durch die geheime Vermittlung Moufangs in Beziehung zu dem Blatte. 1 ) Der Bischof persönlich aber ging nicht diese Wege. Gewiß n a h m er den Kampf gegen das der Kirche nicht ergebene, vom Papst verurteilte neue Österreich nicht mit der ganzen literarischen Zuriistung auf, wie er sie sonst wohl wirken zu lassen liebte. Aber sein Hirten-* brief für den Papst verbarg nicht seine Empörung über das liberale Österreich, und im Politischen war bei ihm jetzt weder der großdeutsche oder preußenfeindliche Antrieb noch der Glaube an die K r a f t Österreichs so stark, daß ihm, wie den meisten seiner kirchlichen Freunde und Mitarbeiter, die kirchlichen Bedenken dadurch hätten behoben werden können. Er h a t t e in aller Öffentlichkeit die Einigung Deutschlands unter Preußen gefordert. Er ließ auch die österreichische Regierung über seine deutschen Vorstellungen und Wünsche nicht im Unklaren. Dem österreichischen Gesandten in D a r m s t a d t , der ihn am 4. November 1868 aufsuchte, sagte er zu dessen Überraschung geradezu, f ü r Preußen und für jeden Deutschen bestehe die Notwendigkeit, dem jetzigen unhaltbaren Zustande ein Ende zu machen, und Norddeutschland müsse, falls Frankreich der preußischen Überschreitung der Mainlinie eine Kriegserklärung entgegenstellen wolle, diese augenblicklich aufnehmen, zumal kaum ein geeigneterer Zeitpunkt gefunden werden könne. Diese fast zu einem vorbeugenden Kriege bereite Stimmung des Bischofs h a t freilich wieder, wie jeder umfassende Gedanke bei ihm, auch ihre kirchliche Unterlage: er sehnte sich nach rascher E n t scheidung, denn derzeit, sagte er dem Österreicher, hätten die liberalen Elemente Norddeutschlands noch nicht Zeit gehabt, böse Saaten auszustreuen, um die Völker zu berücken, aber dies würde nicht ausbleiben, wenn man die Zeit so verstreichen lasse. Zugleich wirkte doch die national-politische Überzeugung in ihm, und man wird ihre Stärke nicht ganz niedrig einschätzen, wenn man bedenkt, daß es der österreichische Gesandte war, dem er diese Worte sagte: „Ich m u ß aufrichtig gestehen, d a ß ich seinerzeit noch infolge meiner Sympathie 8 ) v. Bruck an Beust, Darmstadt 5. 11. 68 (Abschr. aus d. Wiener Staatsarchiv durch W. Schüßler): „Als ich gestern nach Mainz fuhr, um mich mit Herrn Domkapitular Moufang über das Mainzer Journal zu b e s p r e c h e n . . . " — Dieser Bericht enthält auch die im Folg. verwertete Erzählung über Brucks Unterredung mit K. — Zu dem Urteil K.s vgl. oben S. 516. 2 ) Bruck setzt hinter dieses Wort: (?!). Das beweist nur, daß ihm die Kenntnis der alten Anschauung K.s ebenso fehlte wie das Verständnis der neuen. — Auch Brucks Überzeugung, daß diese Ideen K.s „vom ganzen rheinischen Klerus kolportiert" würden, spricht nicht für die Urteilsfähigkeit dieses Gesandten. Aber man darf danach doch annehmen, daß manche Geistliche in Hessen kein Geheimnis daraus machten, daß sie die politische Überzeugung des Bischofs teilten. Bruck fügt noch hinzu: „ J a noch mehr, es scheint, daß man sich auch anschickt, neue geistliche Blätter zu gründen, welche in dieser Hinsicht wirken sollen, und man fing auch bereits an, den Übergang des Mainufers anzuraten." Bruck hat hier wohl den kathol. Presseverein im Auge. Der Gedanke eines solchen Vereins war nach

536 III 3: K. u. der nationalpol. Kampf in Deutschi.: „D. nach d. Kriege v. 1866"

für das Kaiserhaus und für Osterreich die Hoffnung hegte, Österreich werde bis an die Mainlinie vordringen, dann hätten sich zwei deutsche Teile gebildet, die in guter Freundschaft leben könnten und ein ganzes deutsches Reich gebildet hätten, welches jeder Anfeindung von außen fiberhoben gewesen wäre. Da nun aber dies nicht eintrat, so muß ich wohl bei dem kleinen Funken von Nationalgeffihl, den mir meine Hauptanhänglichkeit zu den kirchlichen Pflichten übrigläßt, wünschen, daß sich ein starkes Reich bilde, um dem jetzigen Provisorium ein Ende zu machen. Rechtsgrundlagen kann Preußen hierzu keine anrufen, aber da es sich nun einmal Ober das Recht hinaussetzte, so muß es denn schon logisch bleiben und die ganze Sache nicht auf halbem Wege lassen." Diese Erklärungen, die Ketteier am 4. November 1868 dem Österreicher gab, machen jede Anzweiflung seines ehrlichen und entschlossenen Festhaltens an der Erkenntnis vom Herbst 1866, an dem Bekenntnis vom Frühjahr 1867 unmöglich. Gewiß: er hat den Partikularismus in Süddeutschland nicht ausdrücklich und offen bekämpft, obwohl dieser dem bischöflichen Programm das Lebensrecht absprach und die Wirkungskraft zu nehmen drohte; er durfte das schon darum nicht tun, weil er in dem partikularistischen Treiben fast die ganze Fülle katholischer politischer Kräfte am Schaffen sah. Aber ihn selbst haben sie in seinen Überzeugungen nicht einen Augenblick erschüttert. Er konnte manche Verkündigungen seines Buches über 1866 in den nächsten Jahren als eine vorgreifende Überflügelung der Wirklichkeit ansehen, nicht aber als ein Phantom. Und wenn die Erfüllung seines ganzen, seines deutschen und deutsch-österreichischen Programms seit 1867 stärker gefährdet erschien, so konnte er die Schuld nicht bei Preußen, sondern nur bei Österreich und den Vorkämpfern Österreichs, auch den klerikalen, sehen. Das neue Österreich jedenfalls mit seiner kirchlich gleichgültigen, wenn nicht kirchenfeindlichen Regierung war nicht mehr sein Osterreich. Aber nicht lediglich das Österreich des Liberalismus war es, das seine Hoffnungen herabstimmte, sondern zugleich das Österreich der unausgeglichenen Nationalitätenmischung. Er hat, mit größerer staatsmännischer Einsicht als mancher Staatsmann, im November 1869 dem hessischen Ministerpräsidenten klar zu machen gesucht 1 ), daß Österreichs Wiedereintritt in einen deutschen Bund unmöglich geworden sei infolge der inneren Hindernisse: die Madjyaren, die Polen, die Tschechen würden einen festen Anschluß einer Anregung des Wiener Nuntius 1863 in einem Briefe K.s an Geissei empfohlen. Im Okt. 1867 auf der Bischofsversammlung zu Fulda durchgesprochen und insbesondere von K. vertreten worden; Sept. 1868 setzte K. den Verein für seine Diözese ins Werk: Fahrer des katholischen Adels in Hessen, wie Fürst Karl Löwenstein und Freih. v. Wambolt, geistliche Praktiker und Taktiker, wie der Domherr Haffner, leiteten diesen „Diözesan-Preßverein". >) K. zu Dalwigk 10. 11. 69: Dalwigks Tagebücher S. 417 f.

Kirchliche und politische Gründe seiner Abweisung Österreichs (1868/69)

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Österreichs an Deutschland nie zugeben. Daß Dalwigk dieser Beobachtung die Hoffnung auf gewaltsame kriegerische Veränderung der tatsächlichen Verhältnisse, der augenblicklichen Übermacht Preußens entgegen zu halten wußte, konnte Ketteier ruhig hinnehmen; er kannte die Starrheit der in einem einzigen Gedanken verfangenen politischen Leidenschaft dieses hessischen Ministers, der auch dem deutschen Bischöfe nicht anders als dem französischen Diplomaten nur die Hemmung jeder endgültigen Ordnung in Deutschland „wenigstens bis die Osterreichische Armee reorganisiert sei" als seiner praktischen Weisheit letzten Schluß zu künden wußte. Dem Bischof aber galt es ffir gewiß, daß man Osterreich bei ferneren Kombinationen Ober Deutschlands Zukunft außer Berechnung lassen müsse. Der kirchliche Unmut über Österreichs Kirchenpolitik hat gewiß auf diese Haltung Kettelers nicht wenig eingewirkt. Man konnte sich immerhin denken, daß ein Osterreich des Konkordats oder vielmehr der Kirchenund Schulfreiheit mit der Befriedigung seines kirchlichen Empfindens auch sein politisches Urteil über Osterreich erschüttert haben würde. Wenn jetzt, im Herbst 1869, seine frühere günstige Meinung über Beust in das Gegenteil verwandelt erscheint, so eben deshalb, weil er den Österreichischen Reichskanzler für die neuen Österreichischen Schulgesetze verantwortlich machte; das von der Regierung am 2. März 1869 vorgelegte Volksschulgesetz war am 24. April vom Abgeordnetenhause, am 10. Mai vom Herrenhaus angenommen worden. Der kirchliche Untergrund seines politischen Denkens schimmert hier wieder durch. Wenn er auch jetzt seine kirchlichen Bedenken nicht ablenken und nicht einschläfern ließ, so beweist das gewiß, daß das Kirchliche in ihm reiner wirkte als in ihm den sonst geistesverwandten Journalpolitikern: schon in seiner politischen Entscheidung für Preußen sahen wir die kirchliche Erwägung bestimmend mitwirken, und als er im Sommer 1868 zu Ludwig v. Gerlach seine kirchliche Zufriedenheit mit Preußen aussprach und hinzusetzte, „wenn es mit den anderen deutschen Staaten nur erst auch so weit wäre" 1 ), so zeigte er damit diesem protestantischen, freilich katholikenfreundlichen und unbismarckischen preußischen Konservativen aufs deutlichste, daß er von einem preußisch geleiteten Deutschland die Übernahme der preußischen Ordnung der Kirchenverhältnisse erwarte. Aber in seiner Beurteilung Preußens zeigt sich zugleich eine rein politische Einsicht in die gegebenen Verhältnisse, eine Erkenntnis des Wirklichen, die nicht umnebelt war von der widerpreußischen Leidenschaftlichkeit der meisten Klerikalen. „Widerwillen" gegen Preußen und das preußische Verfahren im Jahre 1866 erfüllte auch ihn. Das gab er dem hessischen Minister damals, im Herbst 1869, zu. Aber er nahm dem anderen sogleich die Freude über dieses Geständnis, denn mit einer Bestimmtheit, Ernst Ludwig v. Oerlach, Aufzeichnungen 2 (1903) S. 303.

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III 3: K. u. der nationalpol. Kampf in Deutschi.: „D. nach d. Kriege v. 1866"

die den politischen Grundgedanken seines Buches über „Deutschland nach d e m Kriege von 1866" in unverminderter K r a f t zeigt, erklärte er, nur in dem Anschluß an Preußen das Heil f ü r Deutschland sehen zu können. Das war unmittelbar vor der Reise zum Vatikanischen Konzil sein Abschiedswort an Dalwigk, dessen ganze Politik n u r den einen Sinn h a t t e , die Ergebnisse des Krieges und des Friedens von 1866 durch einen neuen Krieg umzustoßen, einen Krieg, der nur unter französischer Anteilnahme zu denken war, den Dalwigk geradezu mit französischer Hilfe geführt wissen wollte. Der französische Krieg der Wirklichkeit sollte dann freilich kein Dalwigkscher sein. Vor den deutsch-französischen Krieg aber legte sich der gewaltige, in den K a m p f m i t t e l n und im Kampfwillen große und in seinem Ergebnisse viele und nicht die schlechtesten Männer der Kirche enttäuschende päpstlich-bischöfliche Kirchenkrieg. Man darf bei der Betrachtung der süddeutschen öffentlichen Meinung, namentlich unter den protestantischen Großdeutschen und den protestantischen Partikularisten Schwabens, im letzten J a h r e vor Vollendung der preußisch-deutschen Einigung die Einwirkung dieses Kirchenkampfes nicht übersehen. Aber der deutsche Konzilskampf vor Eröffnung und während des Konzils h a t auch die politische Haltung der Katholiken großdeutscher H e r k u n f t nicht unbeeinflußt gelassen. Viele von den großdeutschen Katholiken, die den Konzilsbegriff nicht papalisiert, den Episkopat nicht kirchlich mediatisiert wissen wollten, wurden ganz von selbst stimmungsmäßig leichter f ü r die preußische F ü h r u n g ^gewonnen, als es ohne die innerkirchlichen K ä m p f e geschehen wäre. Mindestens wurden sie alle und wurden auch ihre kirchlichen Gegner — die Verfechter des absoluten Papstgedankens in Kirchenverfassung und Glaubensbestimmung, die Vorstreiter des Unfehlbarkeitsdogmas — durch die geistige Vorbereitung auf die Konzilskämpfe und die geistige Teilnahme an ihnen gefesselt, abgelenkt von dem Tageskampf um die deutsche Frage. P a p s t t u m und Konzil, päpstliche und kirchliche Unfehlbarkeit, päpstlicher Universalepiskopat und eigenes Bischofsrecht — die Grundbegriffe und die Schlagworte für den Abschluß des kirchlichen Verfassungsrechts und des dogmatischen Baues, sie drängten auch in der katholischen Tagespresse den Kampf um die Vollendung des Reichsbaues, den Kampf um Preußen und Österreich, um Bundesstaat und S t a a t e n b u n d zurück. Aber dieser politische Meinungsstreit wurde doch nicht ü b e r h a u p t beigelegt. Insbesondere die Stellung der scharf ausgesprochenen Gegner Preußens und so die Grundstellung des „Mainzer J o u r n a l s " und seiner Freunde blieb die alte. Zu Anfang des J a h r e s 1869 erneute der bewährte Wiener Mitarbeiter seine bitteren Bemerkungen über das Bismarckische Preußen, seine Ruhmesworte auf Österreich 1 ), obwohl dieses jetzt ein Land der i) Mz. J. 1869 Nr. 12 (15. 1.) „Preußen und Österreich" • Wien 13. 1. — Zum Folg.: Mz. J. 1869 Nr. 44 (23. 2.); Nr. 31 (6. 2.) [über den „Correspondent von

Beharrende Kampfstimmung gegen Preufien im „Mainzer Journal" (1869/70)

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Finanznot und schwerer Regierungskrisen war, ein innerlich zerrissener Staat, der eben damals durch die siegreiche Empörung der Dalmatiner, durch die gesteigerten Ansprüche der nichtdeutschen Nationalitaten bedrängt war. Als gäbe es keine liberale, vom Papst verdammte, von den Bischöfen bekämpfte österreichische Kirchenpolitik, begrüßte dieser Klerikale in dem klerikalen Blatte die freiheitliche Entwicklung Österreichs, weil sie ihm als Stärkung Österreichs erschien; die Abneigung wider Preußen überwog hier die Abneigung wider den Liberalismus. Gegen Ende Februar 1869 erschien über „Die Depossedierten im Herrenhause" wieder ein Wiener Artikel voll Bismarckhaß und politischer Franzosenfreundschaft. Diese Empfindungen waren in Mainz so gut zu Hause wie in Wien. Anfang Februar hatte das Journal aus dem stark gelesenen Nürnberger „Correspondent" einen Leitaufsatz über „Die Mainlinie" abgedruckt, der mit den Sätzen schließt: „Es drückt uns Süddeutsche jetzt noch, daß wir unter dem Zwang eines fremden Cäsar gegen Österreich schlagen mußten. Jetzt wird auch ein einheimischer Cäsar uns nimmermehr dahinbringen." Und noch am 9. Juli 1870, inmitten der auch dem Bischöfe nicht fremden nationalen Erregung gegen Frankreich, verriet das „ J o u r n a l " in kühler Feindseligkeit gegen Preußen jene parteimäßige Auffassung des Augenblicks, zu der sich in Baiern die seit einigen Wochen den Landtag beherrschenden „Patrioten" bekannten. So blieb der aufreizende Widerstreit des Politischen, t r a t dieses auch zurück, in dem geistlichen Mainz doch lebendig. In j enen gegensätzlichen Anschauungen aber von dem Verhältnis zwischen Papsttum und Episkopat, von dem Wesen der kirchlichen Verfassung und der dogmatischen Entscheidung barg sich eine neue Gefahr, wie für die Einheit des Katholizismus überhaupt, so insbesondere für das einheitliche Zusammenhalten der Gemeinschaft um Ketteier. Der Bischof selbst war erfüllt von dem kirchlichen Bischofsgedanken, den er in dem Papstgedanken vollendet, nicht aber mit seiner Selbständigkeit ausgelöscht sehen wollte. Die führenden Mainzer Klerikalen aber, die rücksichtslos auch im Gegensatze zu den rein kirchlichen Empfindungen und Forderungen des Augenblicks österreichisch und widerpreußisch sein wollten — mitbestimmt freilich von der Hoffnung auf künftigen Gewinn der katholischen Kirche —, sie waren im Kirchlichen fast alle streng päpstlich, papalistisch gesinnt: sie wollten in der allgemeinen Papstkirche kein Sondertum kennen, auch kein bischöfliches Sondertum eigenen Rechtes. Wir werden sehen, wie diese aus und für Deutschland": Ludw. Salomon, Gesch. d. dt. Zeitungswesens3 (1905), 621; K. A. v. Müller S. 238]; 1870 Nr. 157 (9.7.): „Frankreich und Preußen" (u. a. „ . . . daß s i c h . . . die französischen Blätter ganz an die richtige Adresse wendeten, wenn sie den Grafen Bismarck zur Rechenschaft aufforderten. Die Kandidatur selbst ist eine Immoralität, so groß, als nur eine solche gedacht werden k a n n . . . Ein Krieg wegen eines preußischen Prinzen in Spanien geht uns nichts an.").

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der Tiefe kommende Spannung, die zu der gefährlichen politischen Meinungsverschiedenheit als gefährlichere kirchliche hinzutritt, im Verlaufe des Vatikanischen Konzils gesteigert wird, wie sie dann mit dem Siege des Papstes nachläßt und schließlich in dem gemeinsamen kirchlichen Gegensatze zu dem Altkatholizismus und vor allem zu den Staatsgewalten verschwindet. Am Ausgange der sechziger Jahre jedenfalls war durch Politik und innere Kirchenpolitik der Zusammenhalt zwischen dem Bischof und vielen seiner nächsten kirchlichen Helfer auf die Probe gestellt. In den übrigen allgemeinen kirchlichen Begriffen, in dem geistigen Weltbild Oberhaupt, in der Auffassung der Kirchenpolitik in Hessen und der badischen Kirchenverhältnisse, auch in den sozialpolitischen Gedanken und Bemühungen lag allerdings ein Gemeinsames, das die Empfindungen und die Handlungen des Bischofs und der Seinigen immer noch einheitlich zusammenhielt.

Die Mainzer Klerikalen waren seit denErfolgen der Bismarckischen Staatskunst im Jahre 1864 fast ganz in der Politik aufgegangen. Die einzige bemerkenswerte s o z i a l p o l i t i s c h e Schrift, die nach Kettelers Buch vom Februar 1864 und vor Kettelers Arbeiterrede vom Juli 1869 aus diesem Kreise hervorging, Moufangs „Handwerkerfrage", gehört noch in den Sommer 1864 und war unmittelbar aus den hessischen politischen Kämpfen hervorgegangen: es ist die durch Anmerkungen bereicherte Rede, die der Domkapitular als des Bischofs Vertreter in der Ersten Kammer am 4. Juli 1864 gehalten hatte. 1 ) Im Dezember 1863 war von der Zweiten Kammer der Antrag auf volle Gewerbefreiheit angenommen worden, Moufang forderte dagegen von der Regierung einen Gesetzentwurf über die Einführung der Freizügigkeit, die Vorlage einer Handwerkerordnung und eine Umarbeitung der Gemeindeverordnung im Sinne der korporativen Selbständigkeit der Gemeinde. In dem strichweise fast geschlossen katholischen Rheinhessen, wo völlige Gewerbefreiheit bestand, mußte Gemeindeselbständigkeit und Handwerksordnung einen Gewinn für die Klerikalen bedeuten, schon darum und nicht lediglich wegen der Abwehr des liberalen Eifers für ein Kirchengesetz durfte er getrost sagen, die Sache sei viel wichtiger als die Kirchenfrage. Moufangs Rede ist wertvoll durch praktische Hinweise und läßt die Kritik des gesunden Menschenverstandes arbeiten : er klagt z. B. darüber, daß die hessische Statistik den Unterschied zwischen Fabrikindustrie und Handwerk nicht berücksichtige, er wendet sich gegen Lassalles willkürliche Berechnung, daß 89 bis 96 vH der Bevölkerung zu den ganz unbemittelten Klassen gehörten; l

) Die Handwerkerfrage. Rede, gehalten in der Ersten Kammer der Stände zu Darmstadt und mit Noten vermehrt von Christoph Moufang, Domcapitular und Regens des bischöflichen Seminars zu Mainz (Mainz, Kirchheim, 1864).

Kirchliche Sozialpolitik nach dem Kriege von 1866

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im Jahre 1871 freilich sollten weder Moufang noch Ketteier vor der Anwendung dieser irreführenden Zahlen zurückscheuen. 1 ) Übrigens bekämpft Moufang vor allem, ganz wie es Ketteier getan hatte, die unbeschränkte Gewerbefreiheit, die auch er für die schlimme Lage des Handwerks verantwortlich macht. Er zeigt dabei, daß er von Mario 1 ), von Rau, von Roscher und Bruno Hildebrand eben so gut zu lernen wußte, wie von den Klerikalen P6rin, Ferdinand Walter, Roßbach. Ketteier persönlich verlor die Arbeiterfrage nicht mehr aus dem Auge. Aber seine Entwürfe und Pläne blieben in den fünf ersten Jahren nach der Herausgabe seines Buches der Öffentlichkeit verborgen. In seiner politischen Schrift von 18678) beschränkt er sich darauf, die traurigen Ergebnisse der modernen Volkswirtschaft und die ihnen zugrunde liegenden verderblichen Theorien wieder einmal, teilweise in wörtlicher Anlehnung an seine Darlegungen von 1864, vorzuführen, nur daß er jetzt die liberale Volkswirtschaft in ihrer „Grausamkeit und Unsittlichkeit" dadurch zu kennzeichnen sucht, daß er auf Malthus und Mill verweist; so soll man erkennen, wie weit „die Volkswirtschaft ohne Religion und ohne Christus" die Menschen gebracht habe. Die alte Kritik und das alte Heilmittel, die Kirche; kein Wort, das in den Kämpfen des Tages bestimmte sozialpolitische Aufgaben bezeichnet hätte. Aber Ketteier hatte bereits im Jahre 1865 wie sich selbst, so auch anderen klar gemacht, daß nicht die Kirche allein, nicht Religion und Sittlichkeit allein die Arbeiterfrage lösen könnten, und wenigstens in einer Predigt zum Stiftungsfeste des Mainzer Gesellenvereins im November 1865 hatte er es geradezu ausgesprochen 4 ), der Staat dürfe sich, wenn er wichtige Unternehmen fördere, auch der Pflicht einer Unterstützung des Arbeiterstandes nicht entziehen. Daß dann nach dem Kriege von 1866 überhaupt die Dinge ganz anders lagen als in dem Winter 1863—64, dem die „Arbeiterfrage" entstammte, das konnte dem Bischof nicht entgehen. Als er zuerst über die Arbeiterfrage schrieb, war die deutsche Frage noch in der Schwebe, die preußische Kraft gebunden durch das unsichere Verhältnis zu Österreich und den Mittelstaaten wie durch den Kampf zwischen Regierung und Kammer, der das ganze innerpolitische Leben zugleich aufwühlte und lähmte, ward der preußische Liberalismus auch von der großen Masse der preußischen Katholiken unterstützt, hatte die parlamentarische Vertretung der preußischen Klerikalen ihre Bedeutung verloren, galt die sozialdemokratische Agitation gerade dem Bischof und seinen Vgl. unten S. 656 bei Anm. 3. ») Vgl. unten S. 558. *) Deutschland nach dem Kriege S. 221 ff. — Vgl. auch oben S. 511. 4 ) Daß der „Social-Democrat" vom 24. 11. 65 große Stacke aus der Predigt brachte, deutet auf Fühlung einzelner Mitglieder des Mainzer Gesellenvereins mit den Lassalleanern. Vgl. auch oben S. 4?5, 427, 435. — Zu der Predigt: Pfülf 2, 204 (auch Anm. 2).

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Freunden fast ganz noch als willkommene Gegenwirkung gegen den Liberalismus. J e t z t aber war Österreich durch das Preußen König Wilhelms aus Deutschland verdrängt, der Nordbund geschaffen, die meisten Liberalen in Preußen aus Bismarcks Widersachern zu Bismarcks Helfern geworden; jetzt wuchs die Sozialdemokratie langsam an, gehemmt noch durch inneren Zwiespalt, durch die Wirkungen des preußischen Sieges politisch gebunden, aber schon begierig die Arme ausstreckend auch nach den katholischen Massen im Rheinlande. Das preußische Deutschland, ein starkes und, so schien es, dem Neuen zugängliches Kleindeutschland war auf dem Marsche, und der Norddeutsche Bund bereits mit seinem allgemeinen direkten Wahlrecht gab den Massen eine neue Bedeutung. Hier lag ein Antrieb auch f ü r die Männer der Kirche, die katholischen Massen noch fester politisch zusammenzufassen und sie schon d a r u m auch sozialpolitisch an sich zu fesseln. Der gewaltige Machtzuwachs aber des preußischen Staates und der preußischen Staatsregierung selbst, der nach Kettelers Erkenntnis f ü r ganz Deutschland n u t z b a r gemacht werden mußte, gab dem Staate auch in des Bischofs Meinung ein anderes sozialpolitisches Gewicht. Zu Anfang März 1867, als Kettelers politisches Buch soeben erst seinen Weg begonnen h a t t e und die Massen bald berufen sein sollten, im Norddeutschen Bunde nach dem allgemeinen Wahlrecht zu wählen, da brachte das den p o l i t i s c h e n Gedanken des Bischofs so stark abgeneigte „Mainzer J o u r n a l " zwei Aufsätze über das „Arbeiterrecht", die man auf Ketteier selbst zurückleiten darf. 1 ) Hier wird dem Staate die Pflicht gesetzlicher Hilfe zugeschoben. „Der Staat hat durch seine Gesetzgebung die Arbeit rechtlos g e m a c h t ; er ist daher auch verpflichtet, an der Wiederherstellung des Rechtsschutzes f ü r die Arbeit mitzuwirken." Freilich sollte die gemessene gesetzgeberische V e r p f l i c h t u n g im Sinne des Bischofs zugleich die B e r e c h t i g u n g des Staates zu sozialpolitischer Arbeit begrenzen. J e t z t , da die Führer des Lassalleschen Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins mit der Idee des alle deutschen Stämme umfassenden freien deutschen Einheitsstaates die Staatshilfe als das soziale Heilmittel, das allgemeine Stimmrecht als das wichtigste Mittel zum Ziele verkündeten, konnte Ketteier diese nützlichen Gedanken nicht länger vernachlässigen. 1 ) Er veröffentlichte — wer mit des Bischofs Schreibweise v e r t r a u t war, konnte seine Feder erkennen — Anfang Dezember 1867 im J o u r n a l drei Leitaufsätze über die Generalversammlung des Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins. Diese Ver») Mz. J . 1867 Nr. 55 (7.3.) —57 (unter Verwertung e. Aufsatzes der „Hist.poi. Bl."), mit demselben Zeichen (*), wie die sogleich zu besprechenden von Kgtammenden Aufsätze v. Anfang Dez.: Nr. 284, 285, 287, 289. — Man vgl. dazu auch K.s Ansprache im Gesellenverein, vorige Seite bei Anm. 4. ' ) „Deutschland nach d. Kriege v. 1866" hatte nur das allgemeine Wahlrecht wenigstens berOhrt. Vgl. oben S. 507.

K s Anlehnung an Sozialdemokrat. Arbeiterforderungen (Dez. 1867)

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Sammlung hatte sechs Wochen vorher in Berlin stattgefunden, in der Zeit, da der soeben in den norddeutschen Reichstag gewählte Leiter dieses Arbeitervereins, J. B. v. Schweitzer, der Herausgeber des vom Bischof sorgfältig gelesenen „Social-Democrat" in der Öffentlichkeit und auch im Reichstage selbst mit Liebknecht, dem Feind aller parlamentarischen Arbeit und aller unrevolutionären Gewerkschaftsgedanken, zusammengestoßen war. Die „warme Teilnahme f ü r den Arbeiterstand und seine täglich wachsende N o t " sollte der Betrachtung des Bischofs die Grundstimmung verleihen. Vor allem aber kam es ihm auch hier darauf an, aus den sozialdemokratischen Verhandlungen 1 ) das Wertvolle und Nützliche herauszuholen. Zugleich mußte gerade jetzt, da die sozialistische Agitation über den hemmenden Zwiespalt des Augenblicks hinaus ihre Zukunftswirkung zu verraten begann und gefährlicher zu werden drohte als die liberale Organisation, der bischöfliche Führer darauf ausgehen, die Nichtigkeit der sozialistischen Heilsgedanken als solcher wenn nicht zu beweisen so doch zu verkünden. Er griff nun zu dem taktischen Mittel, das er in seinem Briefe an die niederrheinischen Arbeiter so geschickt angewandt h a t t e : der Tod Lassalles wurde von ihm, mehr als es der Wirklichkeit entsprach, zum Wendepunkt in der Entwicklung des Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins gemacht; seitdem zeige sich, daß dieser Verein „gänzlich" ohnmächtig sei, mit seinen Systemen der wachsenden Not des Arbeiterstandes Abhilfe zu bringen, daß „unser armer Arbeiterstand", wenn er keine andere Hilfe „bekömmt" 2 ), einem allgemeinen Elend entgegengehe. Neben den beiden praktischen Gedanken des allgemeinen Wahlrechts und der Staatshilfe bieten diese Sozialdemokraten nur „die unfruchtbarste Theorie". Theoretische Auseinandersetzungen lagen den Absichten und der Geistesart des Bischofs gleich f e m . Aber nachdem er das Theoretische grundsätzlich verdammt hatte, durfte er das Praktische tatsächlich ausnutzen. Die beiden, wie er meinte, allein nützlichen Gaben jener sozialdemokratischen Versammlung waren die Verhandlungen über die Frauenarbeit und über die gesetzliche Regelung der Arbeitszeit in Verbindung mit der Sonntagsruhe. Er gibt eindrucksvolle Stücke dieser Verhandlungen wieder. Dieser Schrei aus dem Arbeiterstande soll Mitgefühl wecken mit der „furchtbaren sozialen Wunde" der Frauenarbeit. Zugleich will der Bischof die Leser zu der Einsicht zwingen, daß auch hier nur die Religion helfen könne. Dabei versetzt er wiederum dem Liberalismus einen Schlag. Er tut es in seiner Weise. Er sieht bei den anderen nur rohe Ablehnung aller Fürsorge, nur gemeine Gewinnsucht. Die Fabrikarbeit als Folge der modernen Volkswirtschaft zerstöre die Familie, entsittliche die Weiber. Aber „die Partei, welche das Kapital repräsentiert, bleibt dabei vollständig gleichgiltig. Was kümmert sie auch die Zerstörung der Familie und die physische und die sittliche E n t a r t u n g der Weiber, wenn sie nur zur Vermehrung des Kapitals b e i t r ä g t ? " So wird in dieser Verallgemeinerung ein Stück Wahrheit zur Lüge, ein begreiflicher und jedenfalls parteimäßig berechtigter Angriff zur Ver>) Er gab über sie das halb beifällige, halb skeptische Urteil der „ Z u k u n f t " wieder; es gehört wohl zu seiner Taktik, daß er dieses zwar Liebknecht, nicht aber Schweitzer geneigte bürgerlich-radikale Blatt (vgl. G. Mayer, Schweitzer S. 209 unten) als „gewiß unbefangen und dem Vereine nicht abgeneigt" bezeichnet. — Schweitzer h a t t e übrigens im Herbst 1867 dem Norddt. Reichstag einen Gesetzentwurf zum Schutze der Arbeit vorlegen wollen, fand aber nicht die nötige Unterstützung. Mayer S. 205. ') Nicht K. allein allerdings, aber er doch immer schreibt „ k ö m m t " . Auch die anderen oben durch „ " hervorgehobenen Ausdrücke entsprechen seiner Redeweise.

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leumdung.1) Auch die Schlußbetrachtung Ober die Frage der Staatshilfe kehrt sich einseitig gegen den Liberalismus. Zu der alten Behauptung, der liberale Ökonomismus kenne „nur" die Interessen des Kapitals, zu der als Vorwurf gefaßten Feststellung, er betrachte die menschliche Arbeitskraft „lediglich" als Werkzeug, gesellte sich nun die Klage, daß dieser Liberalismus jeden gesetzlichen Schutz für die Arbeit verwerfe. Hatte etwa Ketteier selbst, da er seine Lehrschrift aber die Arbeiterfrage hinaussandte, gesetzlichen Arbeiterschutz gefordert und nicht vielmehr die Staatshilfe als ohnmächtig bezeichnet? Aber er war eben nicht mehr der erst halb belehrte Sozialpolitiker vom Winter 1863/64. Gewiß fügten sich die neuen Anklagen gegen den Liberalismus dem ursprüglichen Programme leicht ein, insoweit sie sich gegen den verhaßten alten Feind wandten. Auch des Bischofs Höhnen auf alle jene Regierungsbehörden, „die so gerne bereit sind, jedem Druck des Kapitals mit bedientenhafter Bereitwilligkeit nachzugeben und jede Sabbathschändung amtlich zu autorisieren, damit die großen Unternehmer mit der Lebenskraft der Arbeiter etwas mehr Geld verdienen", auch dieser Stoß gegen die Regierungsautorität hätte dem politischen BedQrfnis entspringen können. Daß er nicht bei der Polemik stehen bleiben wollte, kündete sich indessen schon an, wenn er die Einschränkung des preußischen SonntagsPostdienstes in dieser Zeit der Sabbatschändung als dankenswerten Fortschritt anerkannte — also doch eine s t a a t l i c h e Arbeitseinschränkung! Aber er griff geradezu die Arbeiterförderung gesetzlicher Regelung der Arbeitszeit und des Verbotes der Sonntagsarbeit auf. „Wir können uns diesen Forderungen als Christen und als Menschen nur vollkommen anschließen". „Wir wiederholen den Gedanken, den wir schon im vorigen Jahre ausgesprochen haben*): die Arbeit ist der Mensch selbst, ein wesentlicher Teil seiner Persönlichkeit. Sie muß deshalb in einem zivilisierten Staate durch das Gesetz geschützt sein. Wo das nicht der Fall Ist, WO die Arbeit lediglich als Ware angesehen wird, wo es dem Kapital und seinem Egoismus gestattet ist, den Arbeiter durch Ausbeutung seiner Arbeitskraft langsam zu morden, wo überdies ein großer, täglich wachsender Teil der Bevölkerung in solchen Verhältnissen lebt, da besteht trotz aller Redensarten von Zivilisation ein gutes Stück der scheußlichsten Barbarei." D e r a r t setzte er sich mit einer ähnlich leidenschaftlichen K r i t i k des liberalen Wirtschaftsbegriffs, wie er sie vor fast fünf J a h r e n in seinem B u c h e niedergelegt h a t t e , für ein neues Ziel ein: für den staatlichen Arbeitsschutz. Aber er t a t es ohne das Gewicht seines bischöflichen Namens. E r blieb d a m a l s bei diesen W o r t e n stehen, und was in ihnen auf den Leser a m nachhaltigsten wirken m o c h t e und wohl a u c h wirken sollte, w a r doch das Gemeinsame des alten und des neuen S t a n d p u n k t e s : die Angriffswucht der sich m ä c h t i g vordrängenden Polemik wider den Liberalismus. Auch d a m a l s noch fühlten sich alle diejenigen zu ihm hingezogen, die, wie H e r m a n n Roesler, der innerlich schon für den W e g zur katholischen K i r c h e gerüstete R o s t o c k e r NationalOkonom, die theoretischen und praktischen Nachwirkungen der Lehren des A d a m Smith als einen Abfall von der christlichen Lebenswahrheit verurteilten und die W i r t s c h a f t s g r u n d s ä t z e von diesen „verderblichen B a h n e n " wieder „ a u f den normalen W e g des R e c h t s und der M o r a l " zurückführen wollten. 8 ) *) freund" mit der «) •)

Der den Sozialpolitikern von der Richtung Schulzes nahestehende „Arbeiterhatte sich z. B. schon im Jahre 1865 wiederholt mit der Frauenarbeit, auch Wohnungsfrage beschäftigt. Im Mz. J . 1866? Roesler an K-, 4. 1. 68: Pfülf 2, 431 ff. — Über R . : A. D. B. 53 S. 500 f. —

K- gegen d. Liberalismus, für staatl. Arbeiterschutz. „Christl.-soz. Blatter"

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Von dieser durch den Bischof vorgezeichneten Stellung gegen den Liberalismus gingen auch die „ C h r i s t l i c h - s o z i a l e n B l ä t t e r " 1 ) aus. Seit dem 19. März 1868 in Aachen erscheinend, zeigten sie sich, wenn sie auch zunächst nicht stark verbreitet waren, als die wertvollsten westdeutschen Helfer des Bischofs, als die ihn nach außen bald überflügelnden Vorkämpfer der katholischen Sozialpolitik. Vordem hatten diese niederrheinischen Klerikalen, die politisch dem Liberalismus gar nicht so fern standen, gelegentlich im „Mainzer Journal" in einem wohl gar noch vergröberten Mainzer Stile die fortschrittliche Sozialpolitik bekämpft. 1 ) Jetzt kündigten sie in ihren neuen Blättern sogleich den Kampf gegen die „aufgeblasene Wissenschaft" der Nationalökonomie an, gegen diese Gönnerin der „antichristlichen Grundsätze unserer Zeit" 8 ); diese wollten sie ganz wie Ketteier, auf den sich der Einführungsaufsatz der Blätter indessen nicht ausdrücklich beruft, wieder ersetzen durch die für alles soziale Leben als ewig richtig geltenden Prinzipien des Christentums und der christlichen Moral. Anregung von Westen nahmen sie freundlich auf 4 ), aber auch die theoretischen Lehren Lassalles mit ähnlicher Gläubigkeit, die Leistungen Schutzes mit ähnlichem Groll zugleich und ähnlicher Nachahmungsbereitschaft wie Ketteier. Noch im Februar 18726) erklärte der Kaplan Schings als Herausgeber: „Unsere, die christlich-soziale Richtung, folgt . . . in der Theorie meistens der Auffassung Lassalles." So hatte es Ketteier im Jahre 1864 gehalten. Aber gerade in der Theorie blieb man in Aachen starrer als in Mainz. Im Spätjähr 1869, da Ketteier auch öffentlich gezeigt hatte, daß er in der Produktivgenossenschaft nicht mehr das beste Hilfsmittel für die Arbeiter sehe, wurde seine frühere AnschauBegeisterte Anzeige seiner Schrift aber Smith: Christl.-soz. Blatter 1868 Nr. 6 (28. 8.) S. 102—104. *) Christlich-sodale Blatter. Beitrage zur Lösung der socialen Frage nach christlicher Auffassung. Redig. u. hg. v. P. J . Schings, Kaplan, und Nie. Scharen. (Nr. 1: „Aachen, am Feste des h. Joseph, den 19. Marz, 1868". Alle 32 Tage soll 1 Doppelbogen erscheinen, Preis 20 Sgr. im Jahre. — Anfang 1869 hatte das Blatt noch nicht annähernd 1000 Bezieher; vgl. 2. Jahrg. Nr. 1, 13. 1. 69, S. 16.) — Vgl. oben S. 462. — Ich benutze die fast vollständige Reihe der Chr.-soz. Bl. aus der Universitätsbibliothek in Bonn. •) Vgl. z. B. Mz. J . 1864 Nr. 253. *) Chr.-soz. Bl. 1868 Nr. 1 S. 3. — Vgl. auch Nr. 5 (27. 7. 68), Nr. 6 (28. 8.), Nr. 7 (3. 10.): „Das bevorstehende ökumenische Konzil und die neue Wissenschaft der Nationalökonomie" (Grundgedanke: das herrschende Industriesystem — Adam Smith Gesinnungsgenosse der gottlosen Enzyklopädisten! — habe alle volkswirtschaftlichen Verirrungen aufkommen lassen und sei die Hauptursache der sittlichen und materiellen Armut). ') 1869 Nr. 3 (19.3.) S.35 Hinweis auf Pirin (vgl. oben S.439f.); 1870 Nr. 6 S. 85. •) S. 45 f. — Rud. Meyer, Emanzipationskampf 1, 69 findet seltsamerweise hier bei Schings die erste „wissenschaftliche" Vertretung der katholischen Sozialtheorie. — Schings (f 14. 5. 76, 39 Jahre alt), der Sohn eines Arbeiters, seit 1864 Priester, hielt die Blatter mit „persönlichen Opfern" aufrecht. Vgl. Chr.-soz. Bl. 1876 Nr. 20 (21.5.) S. 153, auch Nr. 22/23 (4.6.) S. 182 u. allgem. 1873 S. 120, 1874 S. 146. V l g e n e r , Bischof Ketteier

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ung in den „Blattern" noch vertreten und sein altes Lobeswort auf diese „herrliche Idee" herangezogen. 1 ) Der bischöflichen Haltung entsprach auch die beharrliche leidenschaftliche Polemik gegen den Liberalismus, die hier am Niederrhein ihre besondere Nahrung hatte in der damaligen Überlegenheit liberaler Genossenschaften über klerikale Gründungen 2 ): wie der Bischof 1864 verkündet hatte, so lehrten die Blätter 1868 und 1869, daß der Liberalismus durch den Sozialismus gerichtet sei; wie bei dem Bischof, so wurden hier die Auseinandersetzungen mit den nun gleichfalls gefürchteten Sozialdemokraten wieder zum Angriff auf die Liberalen. Die beginnende Wandlung in dem klerikalen Verhalten gegenüber der Sozialdemokratie konnten wir bei Ketteier selbst schon im Frühjahr 1866 beobachten. Das Einführungsprogramm der „Christlich-sozialen Blätter" vom Marz 1868 sagte dagegen nichts wider die Sozialdemokratie, nichts von ihr. Noch die Krefelder Versammlung christlichsozialer Vereine von Rheinland und Westfalen im Juli 1868 — auch in der sozialen Kirchenpolitik arbeiteten Rheinländer und Westfalen zusammen — verriet keine Wendung gegen die Sozialdemokratie. Allerdings stand für diese Versammlung überhaupt — man wird die Parallele zu der Entwicklung der liberalen sozialpolitischen Unternehmungen Schutzes beachten — der Handwerker im Vordergrund, nicht der Industriearbeiter; man sprach von der Rettung des Bürgerund Handwerkerstandes vor den Gefahren der schrankenlosen Gewerbefreiheit, des Wuchertums, der Übermacht des Kapitals, nicht von dem klerikalen und sozialdemokratischen Wettringen um die Arbeiter. Aber jede Festigung der katholisch-sozialen Vereinsbildung mußte den Gegensatz zu den Sozialdemokraten steigern, und eben in Krefeld einigte man sich über engeren Zusammenschluß, Wahl eines Zentralvorstandes, Erhebung der „Christlich-sozialen Blätter" zum Vereinsorgan. 8 ) Und schon im Juni hatte man einmal die Front nach links genommen: wie einst Orosius im Geiste des Augustinus, so verteidigten mehr als vierzehn Jahrhunderte später diese niederrheinischen Klerikalen das Christentum gegen den „unberechtigten Vorwurf", daß es Schuld trage an dem Elende der Zeit; noch gefangen in den Almosenfesseln, die auch Ketteier nur mit Mühe abstreifen konnte, riefen sie den Arbeitern zu: „ H ü t e t euch, ihr armen Arbeiter, die Kommunisten !) 1869 Nr. 11 (5. 12.) S. 162—164. Vgl. noch 1870 Nr. 1 u. Nr. 7, auch schon 1868 S. 57 ff. (Studentenrede mit Anmerk. der Schriftleitung). — Zum Folg. besonders 1869 S. 68 und 118. *) Vgl. oben S. 462 (auch S. 447). — Vgl. auch V. A. Hubers Bemerkungen in dem Briefe an K. 16.6.68: Br. 385 f., dazu Chr.-soz. Bl. 23.4.69 (also nach der Krefelder Tagung, auf die Huber durch K.s Vermittlung Einfluß zu gewinnen suchte) S. 51 aber die „unhaltbar gewordenen Schranken der Innungen und Gewerbe", mit einer Redaktionsbemerkung zugunsten der Zwangsinnungen. *) Chr.-soz. Bl. 1868 Nr. 5 (27. 7.) S. 82 f., dazu d. in d. vorigen Anm. gen. Brief Hubers. — Zum Folg.: Nr. 4 (24. 6. 68) S. 65—67.

Stellung der „Christl.-soz. Blätter" zur Sozialdemokratie (1868/70)

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und Sozialisten nehmen euch eure Würde, eure Freiheit, eure Glückseligkeit und die Barmherzigkeit der Reichen". Das beweist ihre wachsende Sorge vor der Sozialdemokratie und nicht nur vor deren Schriften. Weihnachten 1868 gewann der noch unbedeutende Aachener Lassallesche Arbeiterverein in einer kleinen öffentlichen Versammlung etwa dreißig neue Mitglieder: Katholiken drohten so dem kirchlichen Einfluß entzogen zu werden; der Schlag war um so ärgerlicher, als die Jünger Lassalles, die Gruppe der Grafin Hatzfeld, wiederum Kettelers günstiges Urteil über Lassalle zu verwerten wußten. 1 ) In der Versammlung selbst war nur ein Kampf zwischen Sozialisten und Anhängern Schutzes geführt worden, aber hinterdrein erkannten doch die Klerikalen, daß die sozialdemokratische Agitation gerade dann gefährlich werden konnte, wenn sie die katholischen Empfindungen schonte und sich durch Berufung auf den Mainzer Bischof zu decken suchte. Zur Abwehr bemühten sich die niederrheinisch-westfälischen ChristlichSozialen, nach Kettelers Vorbild, die Spaltungen in der Sozialdemokratie gegen deren moralisches Ansehen auszuspielen. So geschah es sogleich in dem Bericht über die Aachener sozialdemokratische Versammlung. Und im April 1869 wurde in den Blättern zwar immer noch, unter Berufung auch auf Kettelers „Arbeiterfrage", das Verdienst der Sozialdemokraten um die Kritik des liberalen Ökonomismus gerühmt, zugleich aber die Sätze niedergeschrieben: „Wir müssen uns indessen hüten, den wuchtigen Schlägen, welche Lassalle den Bourgeois versetzt, unbedenklich zuzujauchzen. Radikaler Sozialismus, liberaler Ökonomismus und christlicher Sozialismus stehen genau in demselben Verhältnis zueinander, wie Protestantismus, deistischer Rationalismus und Kirche". Jetzt nahm man bischöfliche Warnungen vor der „großen Gefahr des Kommunismus" auf, vor der sozialistischen Gefahr; der Ausspruch des Bischofs Gasser von Brixen wurde abgedruckt: „Etwas Dauerndes wird der Sozialismus niemals begründen; das widerstreitet seiner Natur: doch eine vorübergehende Herrschaft seiner Anhänger genügt, um furchtbare Zerstörung anzurichten". Ein Aufsatz „Zur Charakteristik der deutschen Sozialdemokratie", der im übrigen vor allem noch Befriedigung verriet über sozialdemokratische Erfolge gegenüber den Liberalen, stellte doch fest, die von der Sozialdemokratie erstrebte Alleinherrschaft deute auf noch größere Gefahren für die Gesellschaft hin. Zu Anfang des Jahres 1870 wurde dann*) von der Chr.-soz. Bl. 1869 N r . l (3. 1.) S. 13 (vgl. auch S. 25 ff. Aber den Allgem. Internation. Arbeiterverein). — Zum Folg.: Nr. 4 (23.4.69) „Zur Theorie der sozialen Frage IV" (verfaßt — vgl. S.53 — von G. Gronheid, Kooperator an der Lambertikirche u. Sekretär des Verwaltungsrates der Volksbank zu Münster); Nr. 4 S. 53 f. und Nr. 5 (25. 5. 69) S. 69—71: „Bischöfl. Urteile aber soziale Fragen"; Nr. 5 S. 65 bis 69: „Zur Charakteristik der deutschen Sozialdemokratie I. Glaubensbekenntnisse"; Nr. 8 (30. 8. 69) S. 113—118 desgl. II: „Liberalismus und Sozialismus". *) Nr. 2 (17.2.) S. 25 f. — Weiter: Nr. 1 (15.1.) S. 15 (diese Stelle bei R. Meyer, Emanzipationskampf S. 343).

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Redaktion selbst das Bestreben der Lassalleaner und Schulzeaner für gleich widerchristlich erklärt und — eine Verallgemeinerung jener privaten Anweisung Kettelers im Frühjahr 1866! — verkündet, kein Mitglied eines christlich-sozialen Vereins dürfe einem sozialdemokratischen Verein angehören. So trat seit dem Jahre 1868 der vorher in der Presse und offenbar nicht selten in der Wirklichkeit verhüllte Gegensatz zwischen den christlich-sozialen Klerikalen und den Sozialdemokraten — das hieß am Niederrhein auch 1869 noch: den Lassalleanern — bestimmt hervor. Nicht am Mittelrhein, nicht in Mainz, wo die Sozialdemokratie noch wenig bedeutete, sondern am Niederrhein ist der Kampf ausgebrochen. Hier lag damals der Schwerpunkt der klerikalen Verteidigung und Werbung. In ihrer niederrheinischen Heimat selbst sahen die Männer der „Christlich-sozialen Blätter" ihre nächste Aufgabe. Hier, in Düsseldorf, wurde die katholische Generalversammlung des Jahres 1869 abgehalten, die so wirkungsvolle Reden über sozialpolitische Fragen brachte, daß der junge Stöcker von dort einen beharrenden Eindruck von katholisch-sozialer Tätigkeit mitnahm. 1 ) Nun aber stützten sich wie die Bemühungen der rheinisch-westfälischen Christlich-Sozialen, so die sozialpolitischen Kundgebungen des Düsseldorfer Katholikentages vom September 1869 wiederum auch auf Ketteier. In Düsseldorf») beantragte die sozialpolitische Sektion (und die Generalversammlung stimmte zu, wie sich versteht) die Empfehlung der Grundsätze, die Ketteier sechs Wochen zuvor in seiner Offenbacher Ansprache an die Arbeiter aufgestellt hatte; zugleich dankten Sektion wie Versammlung dem Bischof öffentlich für sein unablässiges Wirken zum Besten der Arbeiter. Ein unmittelbares und persönliches Eingreifen Kettelers in die Kreise der „Christlich-sozialen Blätter" läßt sich nirgends feststellen, obwohl V. A. Huber jedenfalls damit rechnete. 3 ) Tatsächlich aber wurde durch des Bischofs sozialpolitische Bekenntnisse die Nachwirkung seiner Schrift von 1864 und dann durch sein erneutes Hervortreten im Sommer 1869, nicht nur die allgemeine sozialpolitische Bereitschaftsstimmung der niederrheinischen Klerikalen belebt, sondern auch einzelnen ihrer Organisationspläne ein Antrieb gegeben. Kettelers kirchlich-sozialer Bericht für die Fuldaer Bischofsversammlung vom September 1869 — wir werden ihn und jene Offenbacher Ansprache sogleich noch genauer betrachten — erschien alsbald in den „Christlichsozialen Blättern" und wurde in Sonderabdrücken zu 6 Pfennigen ver») Vgl. S. Kaehler in d. Pestgabe Parteien" (hg. v. P. Wentzcke 1922) S. 79 (kurze Briefnotiz vom 6. 3. 69). ' ) Neben den „Verhandlungen" Nr. 9 (4. 10.) S. 134 f. *) Vgl. den oben S. 546 Anm. 2

f. Fr. Meinecke „Deutscher Staat u. deutsche S. 258 Anm. 3 = Oertzen, Stöcker 1 (1910) (Dasseldorf 1869) vgl. Chr.-soz. Bl. 1869 genannten Brief an K.

K. u. d. „Chr.-soz. Blätter". Christl.-soz. Fortschritte am Niederrhein (1869/70)

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breitet. ) Man hatte sich in Aachen als einen der Preisrichter über die Ausarbeitung eines „positiven Programms und einer durchführbaren Organisation für die christlich-soziale Partei" den Mainzer Bischof gedacht; nun sah man in seinem Fuldaer Berichte geradezu eine Art Beantwortung, verzichtete auf einen besonderen Prüfungsausschuß und ließ eine der vier förmlichen Bewerbungsschriften drucken. Auf des Bischofs Bericht berief sich auch der im Dezember 1869 veröffentlichte Aufruf an die christlich-sozialen Vereine Deutschlands und ihre Förderer, auf ihn verwies man bei der Empfehlung des Studiums der Nationalökonomie für Geistliche. Wenn zu Ende des Jahres 1869 ein Kaplan für die „Christlich-sozialen Blätter" den Entwurf zu einem christlichen Arbeiterkatechismus schrieb, oder dort im Februar 1870 „Gedanken zur Bildung eines christlich-sozialen Vereins" veröffentlicht wurden, so durfte zwar der sozialpolitische Optismismus dieser Leute - - der zweite meinte gar (ein halbes J a h r nach dem Eisenacher Kongresse!), die Blütezeit der Sozialdemokratie sei vorbei — nicht auf Ketteier zurückgeleitet werden, aber die neuen bischöflichen Anregungen waren allenthalben zu spüren, schließlich doch auch, obwohl Ketteier nicht unmittelbar beteiligt war, in der eben zu Anfang des Jahres 1870 vorbereiteten G(ündung des christlich-sozialen Arbeitervereins zu Aachen. In den sozialpolitischen Bemühungen und Erfolgen der niederrheinischen Klerikalen überhaupt sahen diese selbst und die Gegner eine Wirkung der bischöflichen Lehren und Forderungen. Im Sommer 1869 beklagte sich Schulze, zur Befriedigung der Aachener Christlich-Sozialen, über das Umsichgreifen Kettelerscher Ideen in den Rheinlanden. 1 ) Die jetzt langsam aufrückenden marxistischen Sozialdemokraten mußten die gleiche Beobachtung machen. Marx*) empfand es mit bitterem Ärger, daß der Klerus in dem Aachener, dem Düsseldorfer, überhaupt dem rheinischen Gebiet eine Macht sei, gegen die noch schwere Kämpfe geführt werden müßten; wenn er über Kettelers „Kokettieren" mit der Arbeiterfrage schalt, so hatte eben seine rheinische Reise vom Sommer 1869 offenbar den Eindruck in ihm hinterlassen, daß dort ein starker und gut geführter Gegner mit wurzelhafter Kraft den Boden behaupte. Schon im Frühjahr 1869 hatte auch Liebknecht in Berlin 4 ) besorgt auf die „negative Seite des Sozialismus" hingedeutet, !) Chr.-soz. Bl. 1869 Nr. 10 (6. 11.) S. 145—152 (falsche Seitenbezeichnung!), Nr. 11 (15. 12.) S. 178. — Zum Folg.: 1869 Nr. 9 (30. 8.) S. 128, Nr. 10 S. 166f.; 1870 Nr. 1 (15. 1.) S. 1 f. und S. 2—5; Nr. 2 (17. 2.) S. 23—27 (S. 26 f. die Satzungen „des in der Bildung begriffenen christlich-sozialen Arbeitervereins zu Aachen", mit drei Gruppen: Nadelarbeiter; Tuchfabrikarbeiter; Eisen- und andere Fabrikarbeiter). *) Vgl. Chr.-soz. Bl. 1869 Nr. 8 (30. 8.) S. 126 f. (Redaktionsanzeige der Offenbacher Rede K.s über die Arbeiterbewegung). *) Marx an Engels, Hannover 25. 9. 69: Briefwechsel 4 (1913) S. 194. *) Rede v. 31. 5. 69: O. Mayer, Schweitzer S. 304. — Im März 1867 dagegen

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die er in der konservativ- und in der katholisch-sozialen Bewegung dargestellt sah und gerade auch in Ketteier bestätigt f a n d ; die Erfolge der sozialistischen Demokratie schienen ihm durch Manner von der Richtung Hermann Wageners und durch Ketteier stärker bedroht als durch die reine, unsozialistische Demokratie. Die katholische Kirche war ja in der Tat die Macht, die auf die Dauer leichter als jede andere, besser vor allem als Liberalismus und Demokratie breite Arbeiterschichten vor der sozialdemokratischen Bewegung absperren konnte. Sie durfte, weil wirtschaftlich weniger gebunden und weniger Partei und politisch beweglicher als die anderen, soziale Zugeständnisse machen, selbst manche sozialistische Arbeiterforderungen aufgreifen, ohne doch die durch Gnaden und Zwang der religiösen Kräfte gesicherte Herrschaft über die Arbeiter aufs Spiel zu setzen; sie konnte, die Gruppen hüben und drüben mit den kirchlichen Mitteln lenkend, katholische Arbeiter und katholische Unternehmer zugleich in Schranken halten. Als J . B. Schweitzers „Social-Democrat" im J a n u a r 18701), mit ähnlichem Unmut wie kurz zuvor die marxistischen Gegner, davon sprach, daß die katholisch-klerikale Partei, insbesondere die Geistlichkeit immer deutlicher das Bestreben zeige, in die Arbeiterbewegung einzugreifen, da war es vor allem „die gepredigte Versöhnung zwischen den Kapitalisten und der Arbeiterklasse", was ihn aufbrachte. Gerade diese Gefolgsleute Lassalles waren im Augenblicke noch die unmittelbar gefährlichsten Gegner der rheinischen Christlich-Sozialen. Neben den beiden Vertretern der Hatzfeldischen Gruppe, die im Rheinland vorherrschte, saß J . B. v. Schweitzer im norddeutschen Reichstag und versuchte dort, vor allem freilich in taktischer Berechnung, sozialpolitische Anregungen zu geben; auch durfte damals der Allgemeine Deutsche Arbeiterverein trotz der Spaltung noch keineswegs als gestürzte Größe angesehen werden. Im Juni 1869 war es sogar, freilich nur unter dem Drucke von Schweitzers Diktatorenehrgeiz und nur für kurze Zeit, zu einer Einigung zwischen der Sekte um die Gräfin Hatzfeld und dem von Schweitzer geführten Vereine gekommen*); noch einen Monat später meinten die „Christlich-sozialen Blätter" 1 ), dieser „plötzlich und mit D a m p f k r a f t betriebene Versuch einer Wiedervereinigung der beiden sozialistischen Parteien" bleibe immer noch das wichtigste Ereignis in der norddeutschen Arbeiterbewegung. Auch der erfolgreiche Streik der Berliner Zimmerer verstärkte damals die Stellung des Lassalleschen Arbeitervereins und die Lust an politischer Agitation. hatte Schweitzer, ganz wie vordem Lassalle, K.s „Arbeiterfrage" für seine Sache ausgenutzt. Vgl. A. Bebel, Aus m. Leben 2 (1911) S. 47. >) 30. 1. 70, vgl. Chr.-soz. Bl. 1870 Nr. 2 (17. 2.) S. 22. ') G. Mayer, Schweitzer S. 296 f. — Die Hatzfeldischen zahlten etwa 2000 Köpfe, der große Verein war ungefähr siebenmal so stark (Mayer 312). «) 1869 Nr. 7 (29. 7.) S. 103.

Sozialdemokrat. Gefahren für die christlich-soziale Bewegung

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Aber schon erhob sich der feindliche Bruder. 1 ) Die internationale Sozialdemokratie in Marxens Geist begann unter Liebknechts Führung und Bebels derber Werbearbeit den Kampf gegen Schweitzer immer entschiedener zu führen. Diese neue deutsche sozialdemokratische Gemeinschaft kam von der deutschen Demokratie her. Noch vor den Zollparlamentswahlen vom März 1868 hatten z. B. die Mainzer und die Darmstädter Demokraten — freilich mit mehr als zweifelhaftem Erfolg für ihre Sache — Bebel und Liebknecht als Redner auftreten lassen. Die Beschlüsse des Nürnberger Arbeitertages vom August 1868 aber zeigten bereits, daß sich von der bürgerlichen Demokratie eine neue radikale Arbeiterpartei loszulösen beginne. Indem diese, mit ihrem Internationalismus und ihrer Lehre vom Zukunftsstaat sachlich von Lassalle abrückend, sich von dem zentralistischen Allgemeinen deutschen Arbeiterverein fernhielt, war die Notwendigkeit einer entscheidenden Auseinandersetzung zwischen Schweitzers und Liebknechts Anhängern gegeben, noch ehe auf dem Eisenacher Kongreß im August 1869 durch den Anschluß einer Minderheit des Arbeitervereins an die Gefolgschaft Liebknechts die internationale sozialdemokratische Arbeiterpartei Deutschlands ins Leben gerufen wurde. Als Ketteler Ende Juli 1869 nach langem Zuwarten — und wiederum wie 1863/64, wesentlich angetrieben durch die Wirkungen einer nun freilich nicht lediglich für den Liberalismus gefährlichen sozialistischen Agitation — mit seiner Offenbacher Arbeiterrede hervortrat, standen Lassalleaner und Marxisten als Parteien von etwa gleicher Stärke, aber sehr verschiedenen Zukunftsaussichten da. Der Bischof hatte aus der sozialdemokratischen Presse, die er eifrig studierte 1 ), aus den Gefechten zwischen dem „Social-Democrat" Schweitzers und dem „Demokratischen Wochenblatt" der Leute um Liebknecht, vielleicht auch unmittelbar aus der im März 1869 veröffentlichten Broschüre des zum Marxismus bekehrten Lassalleaners Max Hirsch einen Überblick über die Lage gewonnen. Ihm konnte nicht entgehen, daß die Schweitzerische Organisation ernstlich bedroht sei, daß aber in den Marxisten ein neuer und wohl bald gefährlicherer Feind der christlich-sozialen Arbeit erstanden sei. Es kam darauf an, die katholischen Arbeiter vor der sozialdemokratischen Gefahr vorsichtig zu warnen und, ganz wie fünfeinhalb Jahre zuvor, Gaben, mit denen der Sozialismus lockte, auf christlich-katholischer Grundlage darzubieten, verwandte Gedanken kirchlich-sozial zu begründen. Als aufmerksamer Beobachter mußte Ketteler z. B. erkennen, daß die Demokraten unter Hirsch und Duncker, dann auch die von Schweitzer geleitete sozialil

) Vgl. zum Folg. neben Mayers Schweitzerbiographie seine Abhandlung „Die Trennung der proletarischen von der bürgerlichen Demokratie in Deutschland (1863—1870)": Archiv f. Gesch. d. Soz. 2 (1912) S. 1—67. ») Vgl. Br. 332 ff. (an die Arbeiter von DQnnwald, s. oben S. 463 ff.), auch Pfülfs (3, 288 f.) Mitteilungen aber K.s Ausschnittsammlung.

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stische Bewegung in den Gewerkschaften eine Organisationsart hervorgetrieben hatten, die von ihm selbst früher nach dem Vorbilde Lassalles unbeachtet gelassen worden war. Zugleich konnte er daran denken, das Ankämpfen der Lassalleaner gegen Frauenarbeit und Obergroße Arbeitszeit aufzunehmen; was er im Dezember 1867 ohne Namensnennung im „Mainzer Journal" verfochten hatte 1 ), vertrat er nun öffentlich. Uberhaupt setzte er in seiner Offenbacher Ansprache wie in seinem Gutachten für den Bischofstag zu Fulda nach bewährter Weise fremde Anregungen und Versuche aller Art in eigene Mahnungen und Vorschläge um.

Was Ketteier im Sommer 1869 über „ D i e A r b e i t e r b e w e g u n g u n d i h r S t r e b e n im V e r h ä l t n i s zu Relig i o n u n d S i t t l i c h k e i t " ' ) sagte, war zunächst unmittelbar an Arbeiter der Mainzer Diözese gerichtet. Nach mehr als vierzehntägiger Visitation des Dekanates Seligenstadt hielt er am 25. Juli Tausenden, Arbeitern zumeist, auf der Heide vor der neuen Marienkapelle bei Offenbach diese sozialpolitisch-kirchliche Ansprache. Als Druckschrift, obschon auch so „allen christlichen Arbeitern" seiner Diözese gewidmet, wollte sie mehr in die Weite wirken. Gesinnungsgenossen des Bischofs fanden damals und später auf diesen wenigen Seiten einen besonders wirkungsvollen Ausdruck seiner sozialen Absichten, und in dem niederrheinisch-klerikalen Kreise um die „Christlich-sozialen Blätter", der (im Rahmen strenger Kirchlichkeit, versteht sich) ein wenig radikal gerichtet war und gelegentlich auch radikale Stimmen hören ließ, war man entzückt über diese neue bischöfliche Kundgebung gegen die Schulzeschen „Volksbeglückungstheorien" 8 ), begeisterte man sich an der „wahrhaft christlichen Kühnheit" des Bischofs, die Wahrheiten aussprach, wie sie „unsere katholischen Bourgeois aus anderem Munde nicht hätten ertragen können. 4 ) Die bischöfliche Rede steht in der Tat mitten in dem sozialpolitischen und politischen Kampfe zwischen Klerikalen und Liberalen, aber auch zwischen Klerikalen und Sozialdemokraten. Die besonderen bischöflichen Beziehungen zu den Diözesanen aus dem Arbeiterstande sind wohl zu spüren, sie werden von Ketteier geflissentlich betont; aber ihr sozialpolitischer Gehalt darf nicht überschätzt werden: der Bischof l

) Vgl. oben S. 542 ff. ') Die Arbeiterbewegung... Eine Ansprache, gehalten auf der LiebfrauenHaide am 25. Juli 1869 von Wilhelm Emmanuel Preiherm von Ketteier, Bischof von Mainz (Mainz 1869. 24 S., abgedr. auch: Mumbauer 3, 184—214). — Eine Bemerkung Aber den Sinn fflr religiöse Fragen bei der damaligen Offenbacher Arbeiterbevölkerung: Nippold, Kl. Schriften, 2 417 (Anm. 3). •) Chr.-soz. Bl. (jetzt v. Schings allein geleitet) 2 (1869) Nr. 8 (30. 8.) S. 126 f. *) Der Aachener Stiftsvikar Pfeiffer an K. 21. 8. 69: Pffllf 2, 438 f.

K.s Offenbacher Ansprache über „Die Arbeiterbewegung" (Juli 1869)

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war z. B. nicht einmal über die Dauer der Arbeitszeit in der Offenbacher Gegend unterrichtet, noch wußte er Genaues über die Ausdehnung der Frauenarbeit. Er wollte auch hier als Bischof kirchliche Gedanken vertreten, ihnen die sozialpolitischen ein- und unterordnen, und wieder wird seine bischöfliche Berechtigung, vor Arbeitern über Arbeiterfragen zu sprechen, aus seiner Stellvertretung desjenigen hergeleitet, „der selbst ein Arbeiter, des Zimmermanns Sohn sein wollte, um sich der Menschen in ihrer Not zu erbarmen". Wie vertragen sich Arbeiterbewegung und Religion? Das sollte die Grundfrage für jeden katholischen Arbeiter sein, das war die Grundfrage der Ansprache. Das Gegebene ist die kirchliche Religiosität, die kirchliche Sittlichkeit; jegliche Bestrebung der Arbeiterschaft muß also an der ewig feststehenden, auch die Schrift von 1864 beherrschenden Einsicht gemessen werden, daß ohne „Religion" keine Besserung der Lage möglich sei. Das gilt zunächst ffir die Arbeitervereinigung, die Grundrichtung der ganzen Arbeiterbewegung. Sie ist zur wahren Naturnotwendigkeit geworden. Die unbedingte Freiheit der modernen Volkswirtschaft — so nimmt der Bischof seine alte Formel wieder auf — hat den Arbeiter isoliert, die Geldmacht zentralisiert; der Menschenverband wurde zerstört, an seine Stelle trat der Geldverband. Um zu verhindern, daß Menschenkraft durch Geldraacht zertreten werde, als Mittel gegen die Isolierung des Arbeiterstandes sind die Arbeiterorganisationen heilsam, selbst notwendig. Wenn aber die Arbeiterführer keine Religion haben, sind sie Verführer, sind sie gerade so schlimm wie gottlose Kapitalisten und werden, wie diese, die Arbeiter ausbeuten. Der Bischof läßt sich das lehrreiche Beispiel natürlich nicht entgehen, das der Zwiespalt der sozialdemokratischen Führer damals darbot. Wollen die Arbeiterführer etwas erreichen, so müssen sie mindestens eine achtungsvolle, wohlwollende Stellung zur Religion, „zur Kirche" einnehmen. Auch in allen einzelnen Standesanliegen der Arbeiter soll sich zeigen, daß Gottlosigkeit die größte Feindin des Arbeiterstandes ist. Das Streben nach Lohnerhöhung ist berechtigt. Auch die Arbeitseinstellung läßt der Bischof gelten als Mittel gegen die großen Unternehmer, die den Menschen als Maschine betrachten; er empfiehlt sogar die Streiks 1 ), indem er darauf verweist, daß selbst die scheinbar erfolglosen Streiks der englischen Trade unions in Wahrheit zu Lohnerhöhungen führten. Er spricht eben zu Arbeitern, die selbst zum Teil den nach englischem Vorbilde geschaffenen Genossenschaften angehören. Er kennt ihre Hoffnungen, ihre Hoffnungen auch auf die Erfolge von Arbeitseinstellungen. Er will sie aber auch hier nicht lediglich gewerkschaftlich, sondern seelsorgerisch beraten und kirchlich führen: sie sollen einsehen lernen, daß jeder Versuch, „der Menschenarbeit und dem Arbeiter seine Menschenwürde zurückzugeben", im innigen Zusammenhang mit der Religion und Sittlichkeit bleiben müsse, wenn er ihnen wahren Nutzen bringen soll. Die Lohnerhöhung hat ihre natürlichen Grenzen — im Jahre 1864 hatte Ketteier davon noch nicht gesprochen —, denn auch der höchste Lohn wird dem Arbeiter ohne Mäßigkeit und Sparsamkeit nicht befriedigende Wohlfahrt gewähren; Mäßigkeit und Sparsamkeit aber wird der Arbeiterstand „ n u r " besitzen, wenn sein ganzes Leben ein wahrhaft und innig religiöses ist. Wiederum diese einfache bischöfliche Entscheidung, dieses sozialpolitische Roma locuta est! Seine wahrlich ernste und ernstgemeinte und eindrucksvolle Warnung vor dem Wirtshausleben nutzt er übrigens ein wenig gegen den Staat und dessen Diener aus: die Vermehrung der Wirtshäuser, dieser „Lohnaussauger", wird von den Regierungen in dem Maße geduldet, „als dieser selbst den Sinn f ü r Sittlichkeit und Religion verloren haben", und ein Beamter sagte einmal dem Bischöfe, die Ver*) Im „Mainzer Journal" waren sie noch Mitte Oktober 1868 als ein ganz verfehltes Mittel verurteilt worden (Nr. 242, Zeichen *M*; vgl. oben S. 347 Anm. 5).

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mehrung der Wirtshäuser liege wegen der Vermehrung der Steuern im Interesse des Staates. Es ist eben „nur" die Religion, die dem Arbeiter die hohe sittliche Kraft zur Mäßigkeit und Sparsamkeit einzuflößen vermag. Von den t a t s a c h lichen Leistungen der angeblich unchristlichen, religionsfeindlichen Liberalen ist hier gar nicht erst die Rede. Allerdings kehren auch jene leidenschaftlich aufreizenden Worte nicht wieder, mit denen Ketteier im Jahre 1864 die liberalen Unternehmer gebrandmarkt hatte. Wenn er Maßhalten in den Arbeiterforderungen als religiöse Pflicht hinstellt — sie zu erfailen ist eben nur ein braver, christlicher, religiöser Arbeiterstand befähigt — , so vergißt er freilich nicht, von neuem die Gottlosigkeit des Kapitals, das den Arbeiter als Arbeitskraft und Maschine bis zur Zerstörung ausnutzt, eine Entwflrdigung des Arbeiterstandes zu nennen; sie passe nur zur Theorie jener Menschen, die unsere Abstammung vom Affen ableiten. Aber neben die Geldmacht ohne Religion stellt er jetzt als gleichfalls verderblich die Arbeitermacht ohne Religion. Darin spiegelt sich die sozialpolitische Wandlung des letzten Jahrfünfts wieder. In wachsender Macht erhob sich die radikale Arbeiterschaft als Feind nicht nur der Liberalen sondern auch der Klerikalen. Der Bischof warnt jetzt die Arbeiter, sich nicht als Mittel zu ganz anderen Zwecken gebrauchen zu lassen. Da die Sozialdemokratie den Lohnkampf lehrte und vom Lohnkampf lebte, mahnt der Bischof maßvoll zur Besinnung. „Nicht der Kampf zwischen dem Arbeitgeber und dem Arbeiter muß das Ziel sein, sondern ein rechtmäßiger Friede zwischen beiden." In den übermäßigen Lohnforderungen sieht er die „Gottlosigkeit" der Arbeiter sich auswirken. Er empfiehlt den Arbeitern das Maßhalten auch als Klugheitspflicht. Wenn durch allzu große Arbeiteransprüche Geschäftsstockungen herbeigeführt werden, so können die Arbeiter nicht leicht einen anderen lohnenden Erwerb finden. Ja, der Bischof läßt in diesen so ganz auf die Industriearbeiter berechneten Darlegungen die auch sonst von ihm, mehr noch von Moufang sorglich gepflegte Rücksicht auf die Handwerker hineinspielen: unter unbilligen Arbeiterforderungen hatten auch die kleinen Geschäftsleute des mittleren Bürgerstandes, auch die Handwerker und Meister zu leiden. Wie die Beschränkung des Lohnes, so ist die Ausdehnung der Arbeitszeit bis zur äußersten Grenze das Werk der modernen Volkswirtschaft, die — das gehört zu der für den Bischof ein für allemal feststehenden und unentbehrlichen Begriffsbestimmung — alles Sittliche und Religiöse, also das wahrhaft Menschenwürdige außer acht läßt. Gemeinschaftlicher Kampf gegen übermäßige Arbeitszeit ist wohlbegründetes Recht der Arbeiter; aber den wahren Nutzen aller solcher Bestrebungen verbürgt erst die Religiosität, da sie den Arbeiter zum rechten Gebrauch der Zeit antreibt. Auch hier begnügt sich der Bischof mit der kirchlichen Formel, ohne die wirtschaftliche, die praktische Frage der Arbeitszeit zu untersuchen. Die Arbeiterforderung der Ruhetage ist ihm ganz und gar zugleich Forderung der Religion. Hier, wo die Worte des Bischofs von dem Strom kirchlicher Gedanken unmittelbar getragen werden, bricht die leidenschaftliche Sprache von 1864 hemmungslos hervor: die Empörung über das „wahrhaft himmelschreiende Verbrechen", das die Grundsätze der modernen Volkswirtschaft und „ d i e " ihnen dienende Partei am Menschengeschlecht begangen habe und vielfach noch begehe durch Entziehung der Sonntagsruhe.1) Hier, wo er der ausbeutenden Geldmacht mit ihrem Schein zartester Menschenfreundlichkeit eine Maske meint abreißen zu können, da er von Lug und Trug der Auffassung der Geldmänner redet, beruft sich der Bischof vor diesen Arbeitern auch auf die sozialdemokratische Kritik: „Die Heuchelei, die man dabei mit sogen, liberalen Grundsätzen trieb, ist in neuerer Zeit von einigen Führern der Arbeiterbewegung mit großer Wahrheit aufgedeckt worden." Wenn nicht in der Polemik, so ist er doch in den Forderungen maßvoll: die Ruhezeit, die Sonntagsruhe muß zur Arbeitszeit rechnen, denn durch die Arbeit, die in der Woche für den Fabrikherrn geleistet wurde, ist die Ruhezeit nötig geworden, und sie ist zugleich die VorVgl. zum Folg. oben S. 448.

Kirchliche und sozialpolitische Forderungen der Ansprache

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bedingung zu neuer Arbeit. Gerade, weil er auch hier nur sozialistische Forderungen gegen die „Geldherren" aufnimmt — geschickt übrigens und packend —, will er um so deutlicher zeigen, daß er selbst hier doch mehr zu bieten habe. Er will von der Lehre ins Leben führen: die Arbeiter sollen sich nicht damit zufrieden geben, daß in den Parteiorganen von den Ruhetagen die Rede ist, sie sollen auch tatsächlich mitwirken, daß die Ruhetage nicht durch eigennützige Arbeiter gestört werden. Schon sein priesterlicher Abscheu vor der Entheiligung des Sonntags mußte ihn dazu drängen, die Sonntagsarbeit einzelner als Versündigung am ganzen Arbeiterstand aufzufassen. Eben darum aber sollte auch die Arbeiterneigung zur Sonntagsruhe wieder kirchlich verwertet werden im Sinne des Gebotes der Sabbatheiligung; erst die Religion macht den Ruhetag zum Tag des Segens für den Arbeiter und die Arbeiterfamilie. Auch der Arbeiterforderung des Verbots der Kinderarbeit steht die Geldgier vieler Arbeiter im Wege. Ketteier, der sonst die Arbeiter gegen die Arbeiterführer auszuspielen suchte, konnte hier den Arbeitern die Urteile einiger Führer entgegenhalten; namentlich nannte er Fritzsche, den Leiter des Verbandes der Zigarrenarbeiter, und das war eine kluge Wahl, denn seine Offenbacher Hörer bestanden großenteils aus Zigarrenarbeitern. Was Fritzsche „in ergreifender Weise schildert", fand der Bischof durch alle Erfahrungen seines eigenen Lebens bestätigt. Stärker als der Hierarch und der Parteimann spricht hier der Kinderfreund — denn das war Ketteier auch als Bischof geblieben, Kinderfreund nicht lediglich priesterlicher Prägung. Er lehnt es ab, die pflichtmäßige Familienarbeit des Kindes als Rechtfertigung der Fabrikarbeit gelten zu lassen, die den Familiengeist schon im Kinde zerstört und ihm überdies jede freie Zeit zum heiteren Kinderspiele raubt. Darum beklagt er, daß man die Fabrikarbeit der Kinder — „eine entsetzliche Grausamkeit unserer Zeit" — zwar beschränkt, jedoch nicht verboten hat. Aber er will und muß doch auch hier vor allem die Unterstützung derartiger Forderungen durch „die Religion" ins Licht stellen. So soll auch bei dem Kampfe gegen Beschäftigung der Frauen und Mädchen die sittliche und Insbesondere die religiöse Grundlage als unentbehrlich betrachtet werden; hier gerade hat Ketteier jene enge und für ihn selbst eigentlich am wenigsten erträgliche Begriffsbestimmung von 1864 — „die Arbeiterfrage ist Arbeiterernährungsfrage" — preisgegeben mit der förmlichen Feststellung, daß die Arbeiterfrage vor allem eine sittliche sei. Die schlimmen Rückwirkungen der Frauenarbeit auf das Familienleben schildert Ketteier mit Worten, die er dem „von der wärmsten Liebe zu dem Arbeiterstande eingegebenen" Buche des französischen Staatsphilosophen Julius Simon über die Arbeiterin entnimmt. Die Arbeiteranklagen gegen die Fabrikbeschäftigung der Arbeitertöchter weiß er den besonderen kirchlichen Absichten seines Buches ganz unmittelbar unterzuordnen mit dem geschickten und bei bestimmter Auslegung nicht unrichtigen Worte: „Das ist eine Sprache, die man vor zehn Jahren, als die Arbeiterbewegung in Deutschland noch nicht verbreitet war, kaum anders als auf den christlichen Kanzeln hörte." Freilich das „kaum" hätte von Rechts wegen seinen Inhalt auch durch Hinweise auf liberale Leistungen erhalten müssen; statt dessen weiß Ketteier jetzt wieder im Geiste des Buches von 1864 mit willkürlicher Verallgemeinerung „die" liberale Partei durch die schnöde Behauptung demagogisch zu beschimpfen: sie „hatte für diese sittlichen Gefahren der Arbeitertöchter keinen Sinn, und wenn sie in den Fabriken in Grund und Boden verdorben waren, so behauptete sie doch noch mit heuchlerischer Miene, eine Wohltäterin des Arbeiterstandes zu sein, weil die Mädchen bei ihr Geld verdienten". Der Bischof fordert nicht Verbot der Beschäftigung von Arbeiterinnen, nicht Beschränkung der Mädchenarbeit, sondern Schutz für die Sittlichkeit der Arbeiterinnen, eine Forderung, die zwar „heilige Ehrensache für den Arbeiterstand, zuletzt aber wiederum als Pflicht der Religion zu begreifen ist". Auch bei den anderen Arbeiterforderungen könnte er, so dünkt es ihn, nachweisen, daß sie, soweit sie berechtigt seien, ihre wahre Stütze in der Religion und Sittlichkeit haben. Aber er übergeht diese zum Teil sozialpolitisch wichtigen Fragen,

556 III 3: K. u. der nationalpol. Kampf in Deutschi.: „D. nach d. Kriege v. 1866" so „besonders gern" er vor diesen Offenbachern z. B. Aber die Partnerschaft gesprochen hätte, überzeugt, daß diese Arbeiterbeteiligung an Unternehmen nirgends leichter durchzuführen sei als bei Zigarrenarbeitern, da die Zigarrenbereitung kein großes Betriebskapital erfordere. Er beschließt seine sozialpolitischen Bemerkungen vielmehr mit einer allgemeinen Mahnung an die Arbeiter, ihre Forderungen nicht das rechte Maß überschreiten und egoistisch wie das Kapital werden, noch sie in unklare phantastische sozialistische Bestrebungen ausarten zu lassen. Man beobachtet hier die noch immer vorsichtig ausgesprochene Erkenntnis Kettelers, daß auch der wachsenden Gefahr sozialdemokratischer Propaganda gewehrt werden müsse. Eben von dieser Einsicht auch mitbestimmt ist die Warnung vor den Religionsspöttern, den Betrügern, den Verführern, denen alles Denken, Reden und Wirken zur Lästerung „gegen uns Katholiken" wird. Indem er dann aus ehrlichem priesterlichem Herzen, aus der Teilnahme für das katholische Volk, aus der Kenntnis des Volkes, vor Sittenlosigkeit und Trunksucht warnt, macht er seine Ansprache, wie schon vorher gelegentlich, ganz zur Predigt, um mit den letzten Sätzen diesen Tausenden nochmals einzuprägen, daß alle Bestrebungen für den Arbeiterstand eitel und vergeblich seien, wenn nicht Religion und Sittlichkeit ihre Grundlage bildeten. Daß aber „Religion" zuletzt nur Katholizismus sein solle, das war hier deutlicher gesagt, als in dem Buche von 1864 — begreiflich, denn jetzt sprach der Bischof an einem Wallfahrtsorte zu den Gläubigen, und er selbst war schon fast auf dem Wallfahrtswege nach Rom, zu dem katholischen Konzil, zu der Bischofsversammlung, die nach seinen Vorstellungen und Wünschen eine Versammlung werden sollte, die alles menschliche Gebrechen kirchlich sühnen, alle Nöte des weltlichen und kirchlichen Lebens im reinen katholischen Geiste behandeln und heilen, auch die soziale Frage mit bischöflichem Gemeinschaftsgeiste nach deutschem Vorbilde, nach Kettelers Anregung erfassen müsse. Es war eine Wirkung v o n Kettelers Auftreten, es war sein persönlicher Erfolg, d a ß auf der F u l d a e r B i s c h o f s v e r s a m m l u n g v o m S e p t e m b e r 1869, die schon g a n z in das Zeichen des Konzils gerückt war, die kirchliche Seite der Arbeiterfrage als eine g e m e i n s a m e A n g e l e g e n heit des deutschen E p i s k o p a t s anerkannt wurde. Es durfte für diese Besprechung, deren Inhalt er auch sonst als Vertreter des bischöflichen Kirchenbegriffs m i t b e s t i m m t hat, einen umfassenden Bericht über die „ F ü r s o r g e d e r K i r c h e f ü r d i e F a b r i k a r b e i t e r " 1 ) liefern. Diese für eine Bischofsberatung b e s t i m m t e bischöfliche Überschau, an der vermutlich ein praktisch geschulter Mitarbeiter beteiligt war, zeigt natürlich andere Züge als die an die Arbeiter gerichtete Offenbacher R e d e , die zeitlich mit ihr zusammenfällt. 8 ) Ketteier l e g t e in Fulda drei sozialpolitische Schriftstücke vor, einmal ein G u t a c h t e n von Kolpings Nachfolger und Biographen S. G. Schäffer über die Gesellen- und Lehrlingsfürsorge mit einem bischöflichen H i n w e i s auf den Unterrichtsplan des Mainzer Gesellenvereins; ferner A n t r ä g e auf Fürsorge für stellenlose und dienstunfähige weibliche D i e n s t b o t e n — die Bischöfe beschlossen, daß Zufluchtsstätten für diese M ä d c h e n in den großen S t ä d t e n errichtet werden sollten; endlich jenen Bericht l ) Mumbauer 3,145—166; erster Abdruck: Chr.-soz. Bl. 2 (1869) Nr. 10 (6.11.) S. 145—152, danach Mz.J. 1869 Nr. 267 (16. 11.). >) Das „Referat" trägt das Datum 26. 7. 1869.

K s sozialpolitischer Bericht für die Bischofsversammlung v. Sept. 1869

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über kirchliche Arbeiterfürsorge, der bereits zwei Monate später, a m 6. N o v e m b e r 1869, mit einigen E r g ä n z u n g e n in den „Christlich-Sozialen B l ä t t e r n " veröffentlicht wurde. Dieser sozialpolitische Bericht Kettelers ist weit gegenständlicher, sachlicher und weniger polemisch als die Offenbacher Rede und vollends die „Arbeiterfrage". Freilich ist es auch hier wieder fremdes Out, das durch die bischöfliche Vermittlung kirchlich wirksam werden soll. Ketteier nimmt, was er brauchen kann, von allen Seiten1), ohne jetzt jedesmal etwa die Anleihen bei Liberalen durch Verdammung ihrer Ansichten und ihrer Gesinnung gleichsam kirchlich unschädlich zu machen. Dieses kleine Programm enthält die folgenden Gedanken und Vorschläge. In Deutschland sind die Verhältnisse noch nicht so schlimm wie in England, aber ähnliche Zustände beginnen sich doch in einzelnen deutschen Fabrikbezirken zu entwickeln; dieselben Ursachen mflssen auch hier dieselben Wirkungen hervorbringen, und keine irdische Macht vermag dem Gang der Dinge Einhalt zu tun. Mit Hilfe von Freihandel, Gewerbefreiheit, Freizügigkeit hat das Kapital im Bunde mit der Maschine, der Arbeitsteilung und der Verkehrserleichterung ein solches Übergewicht gewonnen, daß „der Mittelstand, eine der Hauptstützen des Staates und der Kirche, nach und nach verschwinden und an dessen Stelle die der modernen Zeit eigentümliche Masse der besitz- und freudelosen, der unzufriedenen und lebensmüden Proletarier treten muß". Ketteier geht hier, bei anderer Grundstimmung und anderen Absichten, doch in der Bahn sozialdemokratischer Gedanken. Kurz darauf sagt er mit ähnlicher Bestimmtheit, der fabrikmäßige Großbetrieb „muß" auch in Deutschland „auf allen Gebieten mehr und mehr voranschreiten und in gleichem Maße die Auflösung des Handwerkerstandes, des Kleingewerbes befördern und die Zahl der unselbständigen Arbeiter und der besitzlosen Masse vermehren". Lediglich nach dem Gesetze kaufmännischer Berechnung wird das Verhältnis des Arbeitgebers zum Arbeitnehmer') bestimmt. Diesem einseitig auf den Nutzen des Produzenten gerichteten Verhältnis entspringen materielle, physische, moralische Cbelstände für den Arbeiter: der Lohn richtet sich (man bemerkt hier, neben dem bischöflichen Gefühle für die Not der Arbeiter, wieder die kritiklose Hingabe an die herrschenden Schlagworte) nach dem „ehernen ökonomischen Gesetz". Bei Geschäftsstockungen, bei Krankheit und Alter ist der Arbeiter ohne Verdienst, ein verlorener Mann: er hat keine Hoffnung, sich aus seiner gedrückten Lage zu erheben, wie der selbständige Handwerker; nichts in seinem Beruf ist geeignet, ihn geistig und moralisch zu heben — und zu alledem kommt das Elend seiner Lebensweise mit den Gefahren für Sittlichkeit und Familienleben. Eine solche Arbeiterbevölkerung ist „für die Gnaden des Christentums, solange sie nur auf dem Wege der gewöhnlichen Pastoration geboten werden, im großen und ganzen vollkommen unempfänglich und unzugänglich." Das ist eine wesentliche Erkenntnis, die in den Schriften Kettelers noch nicht ausgesprochen worden war. Er hat sie — unter der Einschränkung, daß diese Zustände in „vielen" katholischen Gegenden noch nicht, oder nur in den Anfängen eingetreten seien, freilich wiederum von anderen übernommen; er selbst verweist auf V. A. Hubers Schrift über „Die latente Assoziation", wo dasselbe mit etwas anderen Worten und freilich auch in etwas anderer Meinung gesagt worden war. Unmittelbar nach dem für den Bischof gewiß nicht leichten Zugeständnis, daß hier die regelrechte Seelsorge versage, folgt die noch stärker von seiner bisherigen bequemen Formel abgehende Erklärung: „Es müssen zuerst Einrichtungen zur Humanisierung dieser verwilderten Massen geschaffen werden, bevor man an *) Einseitig übertreibend sagt G. Traub, Materialien z. Verständn. u. z. Kritik d. kath. Sozialismus (1902) S. 33, „daß das ganze Programm der inneren Mission, wie sie Wichern einstens im Sinn hatte", hier von K. „aufgenommen" worden sei. *) Hier zuerst begegnen beide Ausdrücke vereint bei KM der erste schon in der Offenbacher Rede (oben S. 554).

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III 3: K. U. der nationalpol. Kampf in Deutsch!.: „D. nach d. Kriege v. 1866"

deren Christianisierung denken kann." Ganz kirchlich empfindend, aber weit entfernt von seinem früheren kirchlichen Optimismus, macht der Bischof also den wahren Erfolg katholischer Arbeiterfürsorge abhängig von einer Art Heidenmission auf deutschem Boden. Außer auf Huber beruft er sich hier — der bischöfliche Bericht zeigt sich überhaupt von einem Abglanze wissenschaftlicher Auffassung etwas stärker berührt als das bischöfliche Buch — auf Mario. Der damals wenig beachtete, erst bald danach (1870) von Schäffle gleichsam neu entdeckte K. G. Winkelblech (Karl Mario), der mit seinen Gedanken offenbar der katholischen Sozialpolitik in manchem vorgearbeitet 1 ) und auch auf Ketteier unmittelbar eingewirkt hat, hatte in seinen 1848—1859 in Lieferungen veröffentlichten großen Untersuchungen über „Die Organisation der Arbeit" an der in dem Bischofsberichte vermerkten Stelle (1, 102 ff.) von den Empfindungen, den Stimmungen des Proletariats, insbesondere auch von dessen Beziehungen zu den übrigen Ständen gesprochen, und dabei das Los des Proletariats mit den Hörigen des Mittelalters, mit den Sklaven der Antike verglichen unter Berufung auf Worte von Lamennais („Die Kette und die Geißel des modernen Sklaven ist der Hunger"), die man in Kettelers verschiedenen Darstellungen anklingen hört. Mario hatte übrigens auch*) — das mag sich Ketteier bei Ausarbeitung der „Arbeiterfrage" schon angemerkt haben — das größte Verdienst Fouriers in seiner Kritik der sozialen Zustände gefunden, namentlich in den „leider nur allzu richtigen" Bildern, die er von der Familie und der Industrie entwirft, und ganz allgemein in dem scharfen Nachweise der „Gebrechen der liberalen Gesellschaft". Da sittliche Schäden und der Mangel sittlicher Heilkräfte den tiefsten Grund der sozialen Frage bilden, so kann „das" Christentum allein helfen, kann nur „die Kirche" eine friedliche Lösung bringen; „selbst" der Protestant Huber sagt, daß auf diesem Felde „ein spezifisch katholischer Beruf" liege.1) Bemerkenswerter noch als dieser, jetzt nur bestimmter gefaßte alte Anspruch ist die bisher bei Ketteier nicht begegnende ausdrückliche Erklärung, daß „alle" Interessen der Kirche hierbei beteiligt seien. Gerade ihre eigentliche Aufgabe, die Sorge für das Seelenheil, kann sie an Millionen nicht erfüllen, wenn sie die soziale Frage — Ketteier arbeitet auch hier ganz mit Hubers kritischen Bemerkungen — ignorieren und sich auf die gewöhnliche Pastoration beschränken wollte. Diese Frage ist ihm aber geradezu mit dem kirchlichen Lehr- und Hirtenamt untrennbar verbunden: sie berührt sogar das depositum fidei, denn die einseitige Entwicklung des Systems der modernen Volkswirtschaftlehre steht mit göttlichen Bestimmungen in offenbarem Widerspruch und verdient Verwerfung „aus dogmatischen Gründen". Für die Forderung einer Einschränkung auch der volkswirtschaftlichen Freiheit beruft er sich hier überraschenderweise auch auf „Staatsökonomen liberaler Richtung", d. h. auf einen Führer der historischen Schule wie Wilhelm Roscher. Die Warnungen Roschers und anderer vor schrankenloser Freiheit hätte er freilich schon fünf Jahre zuvor kennen sollen. Der materialistischen Auffassung, die den Arbeiter zur Sache macht, ist die Kirche verpflichtet, das Pauluswort entgegenzuhalten, daß der, der für die Seinigen, namentlich für seine Hausgenossen nicht sorgt, ärger ist als ein Ungläubiger. Die Kirche muß — man meint hier die Beihilfe des dem Bischof an theologischer Schulung weit überlegenen Domdekans Heinrich erkennen zu können — die Arbeitermassen aus einer, der occasio proxima peccando analogen Lage mit aller Kraft zu befreien suchen; auf der Kirche lastet auch die Pflicht, den in äußerster Not steckenden Arbeitern „ex caritale" zu helfen, und das um so mehr, da sie allein helfen kann. Eben durch dieses größte Liebeswerk, dessen unser Jahrhundert ' ) Vgl. das Vorwort zur 2. Aufl. der „Untersuchungen" 1 (1855); ferner neben W. E. Biermanns Buch über Winkelblech (1909) z. B. Waentig in d. SchmollerFestschrift „Entwicklung der dt. Volkswirtschaftslehre.." (1908) 2, Abt. 25 S. 35 f. ' ) Mario 2, 519 und 565; Biermann 1, 174. *) K. entnimmt das Wort dem Aufsatze, den Huber 1862 in d. Hist.-pol. Bl. 49 (S. 628) veröffentlicht hatte.

Inhalt des Berichtes (kirchliche und staatliche ArbeiterfUrsorge)

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bedarf, muß die Kirche sich als die wahre Heilsanstalt erweisen. Zu diesem kirchlichen Grundgedanken, der in Kettelers Dompredigten von 1848 bereits bestimmend hervorgetreten war, gesellt sich jetzt die nur hier so offen angedeutete kirchenpolitische Erwägung, dafi die Kirche sich der Arbeiter annehmen müsse „weil sie sonst in Hände von Parteien fallen, die sich um Christentum entweder gar nicht kflmmern, oder dasselbe befeinden (Schulze-Delitzsch, Sozialdemokratie), oder wenigstens außer der katholischen Kirche stehen." Den Einwand, die Arbeiterfrage sei noch zu verworren, um ein aussichtsvolles kirchliches Eingreifen zu gestatten, weist Ketteier ab. Die Frage ist vollkommen reif, das ganze System der modernen Volkswirtschaft kann nicht umgestoßen, also muß es gemildert werden. Die Heilmittel liegen nicht in den theoretischen, großenteils unfruchtbaren Diskussionen gewisser politischer und Arbeiterparteien — hier werden also liberale und sozialistische Doktrin in einem Atem verworfen —, aber sie sind auf dem praktischen Gebiete in den Leistungen wohlwollender Fabrikbesitzer und christlicher Männer zu finden. Vorkehrungen und Anstalten zur Verbesserung der Lage des Arbeiterstandes zählt der Bischof nun einfach so auf, wie der amtliche Bericht des Preisgerichts der Pariser Weltausstellung von 1867 sie zusammenstellt 1 ): die verschiedenen Anstalten zur Fürsorge gegen Not und Verarmung; Anstalten zur Beseitigung des Lasters; Anstalten zur Hebung des intellektuellen und moralischen Zustandes des Arbeiters; Arbeits- und Löhnungsordnungen (u. a. Prämien, mit Hinweis auf Krupp, Gewinnbeteiligung); Unterstfltzungen, um den Arbeiter seßhaft zu machen; Sparsamkeitsgewöhnung; Eintracht unter den Arbeltern (dabei an erster Stelle der zu Kettelers Offenbacher Darlegungen schlecht passende Satz „Vermeidung der Arbeitseinstellungen: derartige Störungen pflegen in Fabriken, wo für die Arbeiter gesorgt wird, gar nie vorzukommen"); gute Beziehungen zwischen dem Werkbesitzer und den Arbeitern; Verbindung landwirtschaftlicher und industrieller Arbeiten; Sorge fflr die Unverdorbenheit der Mädchen („Nichtverwendung der Mädchen in den Fabriken, selbst zum Nachteil der Industrie"); Rücksichten auf die Pflichten der Hausfrau: die Forderung des Schutzes der Familie begleitet Ketteier hier, wie in seiner Offenbacher Ansprache, mit einem Hinweise auf das Buch von Simon. Er selbst fügt zuletzt als einzige eigene Forderung hinzu: Tätigkeit der Staatsgesetzgebung zum Schutze der Arbeiter. Der Bischof, der in seiner „Arbeiterfrage" noch hochmütig vom Staat und von Staatshilfe fast grundsätzlich glaubte absehen zu dürfen, hatte seine schon vor 1866 einsetzende Bekehrung nunmehr gründlich durchgeführt. Er reiht jetzt ein ganzes Bündel sozialpolitischer Staatsaufgaben zusammen, wie sie schon von Sozialpolitikern der verschiedensten Art aufgestellt worden waren: Verbot vorzeitiger Beschäftigung und Einschränkung der Arbeitszeit der Kinder; Trennung der Geschlechter in den Arbeitsräumen; Schließung gesundheitsschädlicher Arbeitsräume; Regelung der Arbeitszeit; Sonntagsruhe, Unfall- und Invaliditätsentschädigung; gesetzliche Sicherstellung und Beförderung der gemeinnützigen Arbeitergenossenschaften; Staatsaufsicht über die Ausführung der Arbeitergesetzgebung durch Ernennung offizieller Fabrikinspektoren. Den Wert einer solchen staatlichen Aufsicht sieht er durch die englische Arbeitergesetzgebung seit 1832 bezeugt; die ' ) Dabei werden von deutschen Leistungen die Anstalten des Freiburger Fabrikanten Mez ausdrücklich genannt. Bei seinen nahen Beziehungen zu Freiburg wird K. schon früher darüber unterrichtet gewesen sein. Mez sorgte für eine christliche Hausordnung (sogar Gebet, bei Wahrung des konfessionellen Friedens), er hatte schon Weihnachten 1859 ein „Friedensblatt für unser Haus" drucken lassen, worin u. a. gesagt war: „wir alle, katholische und evangelische Christen,.. s i n d . . . einig in der Hauptsache, nämlich im Glauben und im Grund unserer Seligkeit". Diese überkonfessionelle Christlichkeit erregte bei Klerikalen freilich Anstoß. VgL Joh. Kober, Karl Mez (Basel [1892]) S. 87 f., im übrigen neben Kober das Schriftchen von Rob. Koenig, K- M., der Vater der Arbeiter (1881), bes. S. 11 f.

560 III 3: K- u. der nationalpol. Kampf in Deutschi.: „D. nach d. Kriege v. 1866" von Ketteier benutzte deutsche Übersetzung des englischen Buches über diese Dinge hatte im Jahre 1868 kein anderer als der — liberale Jurist Franz v. Holtzendorff veröffentlicht. Für den staatlichen Genossenschaftsschutz aber konnte Ketteier schon auf ein deutsches Gesetz verweisen, das für den Norddeutschen Bund am 4. Juli 1868 erlassene Gesetz über die privatrechtliche Stellung der Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften. Der Bischof — im Kreise der Bischöfe so weltlichoptimistisch, wie er sich bisher der Welt gegenüber geistlich optimistisch gezeigt hatte — meint im Rückblick auf die Pariser und die eigenen Vorschläge, wenn ein solches System von Vereinigungen und Anstalten allgemein verbreitet sei, dann werde die soziale Frage gelöst sein. Man wird bemerken, daß der Bischof hier ganz und gar nicht mehr die Überwindung der sozialen Not als eine ausschließlich kirchliche Sache betrachtet. Jetzt, wo er sich ernsthaft mit der verwickelten Wirklichkeit des sozialen Lebens befaßt, wird der Kirche eine sehr viel bescheidenere, zugleich doch sehr viel inhaltvollere Aufgabe zugewiesen. Die Kirche soll nicht von Amts wegen jene Arbeitervereine und Anstalten gründen oder leiten, sondern nur fördern durch wohlwollende Teilnahme, durch Unterricht und geistliche Mithilfe. Vor allem beim Klerus muß die Kirche das Interesse für den Arbeiterstand wecken, der „soziale" Bischof wird nicht ohne Bitterkeit im Sommer 1869 das Urteil niedergeschrieben haben, der Klerus sei vielfach „von der wirklichen Existenz und Größe und von der drohenden Gefahr der sozialen Übelstände nicht überzeugt", durchschaue nicht das Wesen und die Ausdehnung der sozialen Frage und sei im unklaren über die Hilfsmittel. Jetzt erst gibt auch e r einige greifbare und eingreifende Vorschläge, deren Verwirklichung freilich von ihm höchstens eingeleitet werden konnte: bei der Ausbildung des Klerus darf in der Philosophie (schon findet er in Stöckls Lehrbuch den Wegweiser), in der Pastoral die Arbeiterfrage nicht mehr übergangen werden; einzelne Geistliche sollten nationalökonomisch ausgebildet werden; bei Anstellung von Geistlichen in Fabrikorten soll man nach der sozialpolitischen Befähigung sehen. Am meisten wäre zu erwarten, wenn ein Mann es sich zur Lebensaufgabe machte, f ü r die Arbeiter das zu sein, was Kolping für die Gesellen war: literarisch und durch die Anschauung der deutschen, französischen, englischen Verhältnisse unterrichtet, müßte er an seinem Wohnorte wohltätige Arbeitergenossenschaften gründen, in den Industriegebieten (mit den Ortsgeistlichen und wohlgesinnten Fabrikbesitzern in Fühlung) als Apostel des Friedens zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer auftreten, ohne Voreingenommenheit für Personen und Systeme (auch hier fühlt man, daß Ketteier nicht in den Fesseln von 1864 bleibt), nur mit praktischem Verständnis. Allerdings, das sagt er sich mitten in diesem, die Art und das Ausmaß der Arbeiterbewegung noch immer nicht erkennenden Enthusiasmus: das bloße Warten auf den rechten Mann würde wohl vergeblich sein. Aber die Hoffnung wahrt er sich doch, daß die geeignete Persönlichkeit gefunden würde, „wenn vom deutschen Episkopate ein Anstoß zur Beteiligung an der Lösung der Arbeiterfrage gegeben wird." Bei den örtlichen Verschiedenheiten empfiehlt sich nicht die Schaffung eines kirchlichen Organismus für ganz Deutschland, keine so große Zentralisation, wie bei dem Gesellenverein. Eine kirchliche Organisation in Form einer kanonischen Brüderschaft hielt schon Kolping für den, doch eng an die Kirche angeschlossenen Gesellenverein „nicht f ü r zuträglich" 1 ); noch mehr gilt das bei Arbeiterorganisationen: in jeder Diözese — man erkennt den bischöflichen Selbständigkeitsgedanken! — sollten sich geeignete Leute geistlichen oder weltlichen Standes um die Arbeiterverhältnisse kümmern, und diese „Diözesandeputierten" entweder für einzelne Länder oder für ganz Deutschland zu gemeinschaftlicher Beratung zusammentreten. Auch in der Presse müsse für die christliche ArbeiterfQrsorge geworben werden — die Aachener „Christlich-sozialen Blätter" empfiehlt der Bischof als geeignetes Organ —, und die Jahresversammlungen der katholischen Vereine sollen im gleichen Sinne wirken. !) Vgl. dazu oben S. 53 f.

Zurückdrängung der sozialpolit. Vorschläge K.s durch die Konzilsbewegung

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Diese sozialpolitischen und taktischen Anregungen Kettelers haben offenbar schon auf der Tagung selbst nicht so stark gewirkt, wie Ketteier wünschen mußte. Wenn das Fuldaer Bischofsprotokoll 1 ) von dem hohen Interesse der versammelten Bischöfe spricht, so hat sich doch dieses Interesse nicht in eindringlicher Auseinandersetzung mit diesen Anregungen gezeigt: man erledigte die Sache in einer Nachmittagssitzung Man verzichtete auch auf sozialpolitische Einzelvorschläge für das bevorstehende Konzil und beruhigte sich mit der Absicht, darauf hinzuwirken, daß das künftige Konzil die Verpflichtung der Kirche zur Armenfürsorge neu einschärfen möge. 2 ) Das Konzil eben war es, das mit seinen anders gearteten Fragen und Forderungen, mit den drohenden papalen Ansprüchen die Bischöfe von festen Beschlüssen wie über andere Reformgedanken, so auch über die sozialpolitischen Anliegen abdrängte. Papsttum und Kirche, Primat und Episkopat — das war es, was alle Bischöfe bewegte, die deutschen voran und unter ihnen keinen mächtiger als den papsttreuen und bischofsbewußten Ketteier. x

) Pfülf 2, 435. *) Man halte dazu, daß Moufang 24. 5. 69 aus Rom dem Bischof schrieb (Pfülf 3 , 2 0 ) : neulich hat mir der Herr Kardinal [ R e i s a c h ] . . . von der „sozialen Frage" gesprochen, „für deren Bearbeitung es freilich hier sehr an Material fehlt". — Vgl. schon Mz. J. 1868 Nr. 242 (17. 10) von *M* ( = Moufang?, vgl. oben S. 553 Anm. 1): „Die Kirche wird auf dem bevorstehenden allgemeinen Konzil die verschiedenen Schäden, an denen unsere Zeit leidet, vor ihr Forum ziehen; sie wird dabei gewiß auch in der Arbeiterfrage die richtigen Mittel und Wege ergründen, um die bestehenden Gegensätze auszugleichen."

Vi gener, Bischof Ketteier

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Viertes Buch

Der letzte Bischofskampf in der Kirche und mit dem Staat

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Erster Abschnitt

Bischoftum und Papsttum: Das Vatikanische Konzil Das Mainz des Bischofs Ketteier war kirchenstreng und papsttreu. Hier war jede Regung freierer Theologie verbannt, hier duldete man keinen Nachklang der Aufklärung, keinen Gedanken einer deutschkirchlichen Überlieferung, die sich dem allgemeinen Kirchentuni nicht willig einordnen wollte; der Bischof und die Seinen gaben sich bewußt und gewissenhaft dem Gemeinkirchlichen, dem ROmisch-Katholischen in Lehre und Leben hin. Ketteier persönlich gehörte, wie wir sahen, von früh an zu den Kirchlichen, die romantische Vorstellungen mit den Forderungen gegenwartsfester Kirchenpolitik zu verbinden wissen, und er konnte als Bischof aus Eigenem heraus die Colmarschen und Liebermannschen Überlieferungen, die in Lennig und anderen Mainzern weiterlebten, aufnehmen und ausgestalten 1 ): der Ersatz der Universitätsbildung durch Seminarerziehung steht bezeichnend am Eingang seines bischöflichen Wirkens. Er selbst hatte keine wissenschaftliche Ader, keinen Sinn für wissenschaftliche Arbeit; alle Gelehrsamkeit, alle Theologie war ihm einzig und allein ein Stück kirchlichen Lebens. Das kirchliche Leben aber, das er in der eigenen Diözese beherrschte, beobachtete er überwachend in den übrigen Teilen der Oberrheinischen Kirchenprovinz, auch wohl in anderen Kirchenprovinzen. Es war nicht seine Art, die Stimmungen, Worte und Handlungen, die seinen eigenen kirchlichen Vorstellungen widersprachen, geduldig hinzunehmen. Sein Rottenburger Amtsbruder Lipp ( f 3 . Mai 1869), der schwäbische theologische Überlieferungen gegenüber römischem Vereinheitlichungszwange zu schützen suchte, hatte z. B. unter der Mainzer Berichterstattung nach Rom nicht wenig zu leiden, und das ') Vgl. dazu sein Bekenntnis bei s. Bischofsjubiläum 24. 7. 75 (Mz. J. 1875 Nr. 170, 24. 7.): B. Colmars „Beispiel war für mich, gleich bei meiner Berufung auf den Mainzer Stuhl, ein Antrieb, sobald als möglich das Seminar wieder herzustellen".

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IV 1: Bischoftum und Papsttum: Das Vatikanische Konzil

Trierer Domkapitel mußte im Jahre 1869 sein eigenes Recht der Bischofswahl und ein wenig auch die preußische Bistumspolitik (mit der Ketteier persönlich nicht die besten Erfahrungen gemacht hatte) gegen die anmaßliche Kritik in Kettelers Schrift über „Die Gefahren der exemten Militärseelsorge" notgedrungen mit aller Schärfe verteidigen. 1 ) Aber selbst in den Äußerungen einer römisch geregelten Kirchlichkeit steckt bei Ketteier noch etwas von ursprünglicher bischöflicher Vorstellung: es ist auch hier der Bischof, der mit oder, wie in der Trierer Sache, ohne römische Anregung kraft seiner apostolischen Berufung, kraft seines bischöflichen Anteils an der Leitung der allgemeinen Kirche kirchlich-bischöfliche Kritik übt. Man kann den B i s c h o f Ketteier nicht verstehen, wenn man seinen Bischofsgedanken nicht von Grund aus richtig erfaßt. Nur von seinem Bischofsgedanken aus ist seine Haltung auf dem Konzile, seine Haltung in den Streitfragen über Universalepiskopat und Unfehlbarkeit des Papstes zu begreifen. Die Erhebung Kettelers auf den Mainzer Bischofsstuhl war das gemeinsame Werk deutscher Kurialisten und der römischen Kurie. Seiner papsttreuen Kirchlichkeit nicht weniger als seiner seelsorgerischen Bewährung verdankte der Berliner Propst die frühe Berufung zur Bischofswürde. In dem Bischöfe wuchs das gemeinkatholische Empfinden, mit dem die gehorsame Unterordnung unter den Papst unzertrennlich verbunden war, nur noch mächtiger an. Aber der gläubigen Hingabe an die Idee des Papsttums, der persönlichen Verehrung für Pius IX. gesellte sich der unmittelbar erlebte Bischofsgedanke, das demütige und zugleich stolze Bewußtsein, dem gewaltigen, über die Welt verbreiteten, von Christus begründeten und in ihm geeinten Episkopat anzugehören, ein Teilhaber zu sein der kirchlichen Lehrgewalt und ein Glied der Bischofsgemeinschaft, die den römischen Bischof an der Spitze hatte, aber ihr eigenes kirchliches Recht besaß, der apostolischen Bischofsreihe, die bis zu den Tagen des Herrn zurückreichte, der den Aposteln und in ihnen ihren bischöflichen Nachfolgern geboten hatte, die Gläubigen zu leiten. Ein bischöfliches Lebensgefühl, seelsorgerisch zugleich und hierokratisch geformt, beherrschte die Vorstellungen Kettelers, durchflutete sein Denken und Handeln. Aus dem Mittelpunkte seiner kirchlichen Ideenwelt erhob sich fromm und fordernd das Bischofsbewußtsein — von jenem Augenblick an, da er bei seiner Weihe zum ersten Male ein bischöfliches Hirtenwort sprechen durfte. Dieser Bischof ließ gern den kirchlich unanfechtbaren, aber römisch als unzureichend geltenden Satz hören, daß die Bischöfe von Christus den Auftrag zur Regierung der Kirche erhalten hätten. Im Jahre 1865 konnte er dem Kardinal Reisach gegenüber*) die Bischöfe geradezu ») Vgl. die Aktenstacke bei Pfülf 2,407—412 (dazu 3 S. 12 oben: Moufang an K., Rom 6 . 1 . 6 9 ) und 416—425. *) 4. 12. 65: Br.311. — Zu allem Folgenden finden sich die (hier nur an einzelnen Stellen ergänzten) Belege, auch genauere Einzeluntersuchungen in meiner

Kettelers Bischofsbewußtsein: Abneigung gegen den Kurialismus

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die „Spitze der K i r c h e " nennen. Darin lag natürlich keine Anzweiflung der Primatrechte des Papstes: aber kein Kurialist hätte sich j e so bischoflich ausgedrückt wie dieser Bischof, der das Bewußtsein der Bischofsgemeinschaft, den Gedanken von der bischöflichen Weihe als dem höchsten kirchlichen Weihegrade stets gegenwärtig in sich trug. Uber die päpstliche Unfehlbarkeit hat er sich vor den Konzilskämpfen nicht eingehend ausgesprochen. Aber er erklärte doch z. B . in seiner großen Lehrschrift „Freiheit, Autorität und Kirche" verständlich genug, die unfehlbare Lehrautorität der Kirche hafte nicht unmittelbar an dem einzelnen Bischof, sondern an der Gesamtheit des Episkopats in der Verbindung mit dem Nachfolger des hl. Petrus; nur feierliche, dem Inhalt der Offenbarung geltende Aussprüche dieses kirchlichen Lehramtes, so klärte er im Mai 1868 die von der Unfehlbarkeit des Papstes redende „Kreuzzeitung" auf, seien durch einen besonderen Schutz Gottes vor Irrtum bewahrt. Kettelers Abneigung gegen die kurialistische Lehre von dem Universalepiskopat und der Unfehlbarkeit des Papstes berührte nicht seine treue Hingabe an Rom. Ein liberaler Literat wie Gutzkow, der in der Zeit der „ N e u e n Ä r a " das Schicksal des Papstes in die Hand des preußischen Herrschers gegeben wähnte, mochte damals meinen: „ I m Katholizismus der ganzen Welt (das dumpfe Spanien vielleicht ausgenommen) regt sich eine großartige Bewegung, die Bewegung der Verbesserung der Lehre, der Kämpfe gegen die Hierarchie". Aber das war lediglich eine phantasievolle Verkennung der Wirklichkeit. Noch phantasievoller freilich zeigte sich Gutzkow, wenn er den deutschen bischoflichen Führer dieser Bewegung lebendig vor seinen Augen sah: „Man frage den Bischof Ketteier von Mainz, was die Akten seiner Kurie verbergen!" Das wurde im J a h r e 1861 geschrieben 1 ), also vor der Veröffentlichung von „Freiheit, Autorität und Kirche", und geschrieben mehr in einer dichterischen Vorliebe für einen stolzen und starken deutschen Bischof, als in kritischer Vertrautheit mit der Persönlichkeit Kettelers, die einige Jahre zuvor im „Zauberer von R o m " offenbar auch das Vorbild abgegeben hatte für den kirchlich frommen, aber nicht ultramontanen und nicht hierokratisch befangenen Priester aus altem Adelsgeschlechte, den Bonaventura von Asselyn. Kirchliche Reformgedanken beschäftigten allerdings den Mainzer Bischof mehr als die meisten anderen. Diese Gedanken waren indessen niemals derart, daß auch nur ein Hauch nationalkirchlich-widerrömischen Geistes sie umspielt hätte. Wohl aber hat er, wie die Andeutungen in seinen Schriften und Briefen 2 ) und Abhandlung „ K . und das Vaticanum" in der Festschrift f. Dietr. Schäfer „Forschungen u. Versuche z. Oesch. d. Mittelalters u. d. Neuzeit" (1915) S. 652—746. Gutzkow, Die Anerkennung des Königreichs Italien (in d. „Zeitungsrandglossen" v. 1861): Gesamm. Werke, 2. Ausg., 1. Serie Bd. 10 (1875) S. 359. — Zum Folg.: Gutzkow, Der Zauberer v. Rom (1858) Bd. 2 S. 82ff. u. öfter. 2 ) Z. B. an Bischof Dupanloup von Orléans, Marz 1867 (Pfalf 3 S . 4 aus Lagrange, Dupanloup 4 3 (1884) S. 50: „ . . . V i e l wichtiger dagegen wäre es, wie ich glaube,

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IV 1 : Bischoftuni und Papsttum: Das Vatikanische Konzil

dann die bestimmteren Anregungen in der Konzilszeit erkennen lassen, eine Reform nicht zuletzt auch an der Kurie selbst gewünscht. Bischöflich waren eben auch seine Reformgedanken. Ketteier hielt fest an der überkommenen bischöflichen Auffassung von der auf der Bischofsgemeinschaft ruhenden, im Papste gipfelnden, nicht aber vom Papst absolutistisch beherrschten Kirche, an der bischöflichen Uberzeugung, daß die letzte und höchste Gewalt in Kirchenlenkung und Glaubensbestimmung nicht lediglich päpstlich sei, sondern kirchlich, das heißt, daß sie in der untrennbaren Gemeinschaft von Papsttum und Episkopat liege. Diesen bischöflichen Kirchengedanken sah er durch die neue papalistische Bewegung der fünfziger und sechziger Jahre bedroht und bald aufs äußerste gefährdet. Der uralte Zwiespalt zwischen bischöflicher und rein päpstlicher Auffassung der Kirche wurde überwunden durch den zwangvollen Willen des Papstes, dem es zustatten kam, daß die Gläubigen durch kirchliche Belehrung und, seit 1859 und 1866 besonders, auch durch politische Erfahrung vorbereitet waren. Das Vatikanische Konzil hat die monarchische Auffassung der katholischen Kirche zwar nicht zu Ende gedacht, aber zu Ende dekretiert. Die papalistischen Bischöfe gaben auf dem Konzil dem Papste, was er begehrte; größtenteils selbst in der Masse verschwindend, wie die meisten der zweihundert kleinen italienischen Bischöfe, entschieden sie mit der Masse ihrer Stimmen, was weder durch die Macht logischer und geschichtlicher Gründe noch durch die Macht kirchlich-moralischen Druckes den anders denkenden Bischöfen, insbesondere der Mehrheit der deutschen Bischöfe als Überzeugung beigebracht werden konnte. Es war dann der Zirkel im logischen, die Folgerichtigkeit im kirchlichen Denken, wenn dieselben Bischöfe, die in der römischen Lehre von dem Universalepiskopat und der Unfehlbarkeit des Papstes eine Gefährdung, ja eine Verneinung der wahren katholischen Kirchenverfassung sahen, sich dieser Lehre beugten, sobald sie zum Dogma geworden war, und sie wurde zum Dogma kraft eines Konzilsbeschlusses, kraft einer geradezu einmütigen Entscheidung der in der geschichtlichen Stunde des 18. Juli 1870 zur Anerkennung einer päpstlich-konziliaren dogmatischen Verkündigung um den Papst versammelten Bischöfe. Es war eine b i s c h ö f l i c h e Kundgebung, die dem reinen Papstgedanken den Sieg zuerkannte. Das innere Schicksal der römisch-katholischen Kirche, das in dieser Entscheidung sich vollzog, bezeichnet zugleich das Schicksal des Bischofsgedankens in Ketteier. Den absolutistischen Zug in der päpstlichen Kirchen verwaltung hatte Ketteier während der oberrheinischen Kirchenkämpfe, insbesondere bei seinem Werben um die päpstliche Billigung der Übereinkunft mit Dalwigk erkennen können. Die päpstliche Neigung zum Absolutismus den Geist der Heiligkeit in allen Stufen der kirchlichen Hierarchie mächtig anzufachen."

Bischofsgedanke und Papstgedanke. Vorbereitung des Konzils

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auch in der Dogmatisierung kirchlicher Lehren war bei der Verkündigung des Dogmas von der Unbefleckten Empfängnis am 8. Dezember 1854 hervorgetreten. Wie die meisten deutschen Bischöfe war der Mainzer empört darüber, daß eine tatsächlich römische Entscheidung in letzter Stunde den Schein gemeinbischöflicher Mitarbeit erhielt. 1 ) Es war die Bewährung der persönlichen Entscheidungsgewalt des Papstes in einer seit alters umstrittenen Frage, so etwas wie eine Vorprobe für die Hauptfrage. Das Konzil, das sich nach römischen Wünschen mit dieser Hauptfrage, mit der Lehrmeinung von der päpstlichen Unfehlbarkeit beschäftigen sollte, wurde seit dem Ausgang des Jahres 1864 in der Stille unmittelbar vorbereitet. Von dem Plane der Berufung eines allgemeinen Konzils hat der Papst selbst zu den Kardinälen erst am 6. Dezember 1864 und lediglich im strengsten Vertrauen gesprochen 1 ), also nach der Septemberkonvention, in denselben Tagen, da mit dem Syllabus errorum die Kriegsartikel im Kampfe gegen den modernen Liberalismus, gegen ein Kernstück des modernen Geisteslebens überhaupt aufgestellt wurden. Der Zusammenhang der Verkündigung der Konzilspläne (mögen diese selbst auch bis in die Zeit der Verbannung des Papstes, bis in den Anfang des Jahres 1850 zurückgehen) mit der politischen Lage in der Mitte der sechziger Jahre, mit der Bedrohung des Kirchenstaates ist nicht zu verkennen Aber das ist nur e i n e Verbindungslinie und nicht die wichtigste. Nicht die Kirchenstaatsgedanken, sondern die Kirchengedanken wirkten am stärksten, nicht der Papstkönig, sondern der Papstbischof wollte in dem Konzil und durch das Konzil siegen, der episcopus episcoporum. Neben den Kardinälen wurden, im April 1865, sechsunddreißig Bischöfe ins Vertrauen gezogen.*) Zu diesen Auserwählten gehörte Ketteier nicht, obwohl er für den bedeutendsten der deutschen Bischöfe galt; Rom suchte sich den Liebermannschüler Weis von Speier und den scharf kurialistischen Senestrey von Regensburg aus. Schon damals mögen auch andere in das Konzilgeheimnis eingedrungen sein: die förmliche Bekanntgabe aber geschah erst am 29. Juni 1867. Das römische Aposteljubelfest diente dem Papst als Gelegenheit, dem zum Feiern und Bekennen versammelten Episkopat — auch Ketteier gehörte zu den fünfhundert Bischöfen — das Konzil anzukündigen. Der Gedanke einer Dogmatisierung der Unfehlbarkeit des Papstes, *) Wichtiger noch als das Zeugnis Leopoldsv. Gerlach (DenkwQrd. 2 [1892] S. 575), auf das Pffllf 1, 367 Anm. 1 verweist (in der Meinung, es durch Berufung auf eine römische Predigt Kettelers entwerten zu können), ist der von Pfülf 3 S. 4 f. wiedergegebene Brief K-s an Dupanloup (s. vor. Anm.) mit dem Satz: „Aber Versammlungen von Bischöfen, einzig dazu bestimmt, gewisse große Feierlichkeiten glänzender zu gestalten, oder auf welchen man lediglich schon im voraus festgestellten Entschliefiungen eine formelle Sanktion leihen soll, ohne an ihrer Fassung selbst beteiligt zu sein — solche Versammlungen mißfallen mir." ') Vgl. Granderath 1, 20ff. 3 ) Vgl. Granderath 1, 46.

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IV 1: Bischoftum und Papsttum: Das Vatikanische Konzil

die manche Bischöfe schon von der Apostelfeier selbst befürchtet hatten, ruhte nun als dunkler Schatten auf dem Konzilsgedanken. Ketteier war einer derartigen Dogmatisierung durchaus abgeneigt. Die Konzilsfrage Oberhaupt betrachteten die deutschen Bischöfe zunächst als eine gemeinsame deutsche Kirchenfrage. Seit dem Jahre 1848 hatte sich keine allgemeine deutsche Bischofsversammlung zusammengefunden. Mehr noch durch die Abneigung der Kurie als durch persönliche und sachliche Gegensätze im deutschen Episkopate selbst war die von Ketteier stets gewünschte 1 ) Berufung verhindert worden. Die Fuldaer Bischofsversammlung vom Oktober 1867, über die wir im einzelnen nicht genau unterrichtet sind, sollte bischöfliche Richtlinien geben für die Beantwortung der siebzehn Fragen, die vom Papste den Bischöfen vorgelegt worden waren; damals beschlossen die Bischöfe auch, zwei Jahre später zu einer zweiten und letzten Besprechung der Konzilsfragen zusammenzutreten. Die Öffentlichkeit beschäftigte sich erst nach dem Erlasse der Berufungsbulle vom 29. Juni 1868 stärker mit dem Konzil, seinen Absichten und vermutlichen Aufgaben. Mit dem Spätsommer 1868 setzen auch die unmittelbaren theologischen Vorarbeiten ein. Die Kurie berief aus aller Welt theologische Berater und Hilfsarbeiter. Wie die Bischöfe, so wurden auch diese „Konsultoren" so einseitig ausgewählt, daß im Oktober 1868 selbst der päpstliche Nuntius in München, Meglia, obwohl er sich wenig erbaut zeigte von der deutschen katholischen wissenschaftlichen Theologie, die sich der protestantischen möglichst anzupassen suche, in Rom die Berufung einiger von den Gemäßigten unter diesen Theologen anriet; seine Vorschläge vom 2. Oktober 1868 stützten sich vornehmlich auf die von ihm erbetenen Vorschläge Kettelers. Dieser nannte in seinem Brief vom 3. September 1869 dem Nuntius zwar nicht, wie es z. B. Kardinal Schwarzenberg getan hatte, Döllinger und Kuhn, denn beide galten, wennschon nicht gleicherweise, in Mainz als verdächtig; aber den Tübinger Hefele (an den auch Schwarzenberg mit besonderer Wärme erinnert hatte), den Freiburger Alzog, den Bonner Dieringer wollte Ketteier „trotz ihrer Schwächen" berufen sehen: das sei unschädlich, und so würde man „allen Anhängern der sogenannten deutschen Wissenschaft den Mund verstopfen, während im anderen Falle man ohne Zweifel die Anklage einer gewissen Einseitigkeit bei Auswahl der betreffenden Priester erheben wird". Es gilt aber hier, neben der ausgesprochenen bischöflichen Taktik gegenüber der deutschen Universitätstheologie die unausgesprochene gegenüber Rom nicht zu übersehen: diese deutschen Professoren waren entschiedene Gegner der römischen Unfehlbarkeitslehre. Auch die M a i n z e r Konsultorenwahl Kettelers weist in dieselbe Richtung: Moufang, der sonst als t h e o l o g i s c h e r Ratgeber des Bi') So noch in der polit. Schrift von 1867, s. oben S. 509 f.

Deutsche „Konsultoren" für das Konzil.

Moufang als Konsultor in Rom

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schofs nicht hervortritt, wurde von Ketteier und demgemäß von dem Nuntius vorgeschlagen und von der Kurie ernannt, Moufang aber stand, anders als Heinrich, in der Unfehlbarkeitsfrage damals dem Bischof nahe. Die römischen Berichte, die Moufang in den ersten fünf Monaten des Jahres 1869 an Ketteier sandte, sind leider von Pfülf nur auszugsweise veröffentlicht und vor allem nicht durch Kettelers Antworten ergänzt worden. Auch so aber erkennt man schon, daß Moufang in der Gegnerschaft gegen die Dogmatisierungsabsicht mit Ketteier übereinkam. Mit einem Hauptverfechter der Unfehlbarkeitslehre, dem Erzbischof Manning von Westminster, der bereits in seinem Hirtenbriefe über die Petrusfeier 1867 die Dogmatisierung gefordert hatte und nun nach Moufangs Meinung seinen Einfluß in Rom geltend machte, stand der Mainzer Domherr in mündlichem und schriftlichem Meinungsaustausch über die Unfehlbarkeitsfrage. Der Erzbischof, der gern überhaupt eine engere geistige Verbindung zwischen dem katholischen England und dem katholischen Deutschland hergestellt hätte, stieß nun freilich bei diesem romtreuen Theologen des romtreuen Bischofs auf entschiedenen Widerstand: die 15 Punkte f ü r die Dogmatisierung, die Manning den g e g e n die Dogmatisierung gerichteten 12 Punkten Moufangs entgegenstellte, überzeugten diesen nicht und konnten auch den Bischof nicht überzeugen. Ketteier erhielt von Moufang aus Rom auch wichtige Winke. Man erkennt die Gedankengemeinschaft beider, wenn der Domherr sogleich nach seinem ersten Empfang bei dem Kardinalstaatssekretär den Bischof bat, Antonellis großes Vertrauen zu ihm „recht zum Besten der Kirche" zu benutzen. In demselben Berichte vom 6. Januar 1869 drängte Moufang, in der ausgesprochenen Absicht, so „schon bei den Vorarbeiten die richtigen Gedanken in die Köpfe aller" zu bringen, seinen bischöflichen Herrn zur Abfassung einer Schrift über das Konzil; sie sollte sofort ins Französische übersetzt werden, um in Rom wirken zu können. Hier wird die besondere römische Aufgabe des bischöflichen Konzilsbuches, die wir auch aus dessen Inhalt erkennen werden, unmittelbar angedeutet. Die deutschen Aufgaben der Schrift, die Ketteier sofort im Januar 1869 ausarbeitete, sind mit dieser römischen eng verbunden. Eine große deutsche Bewegung gegen die Unfehlbarkeitspläne ist allerdings erst hervorgerufen worden durch den Lockruf der jesuitischen, dem Papste nahestehenden Civittä cattolica, jene berühmte „Korrespondenz aus Frankreich" vom Anfang Februar 1869, der Döllinger unter sorglicher, aber bald unwirksamer Verschweigung seines Namens die Janusbriefe entgegenstellte. Das geschah gegen Mitte März 1869. Aber unter deutschen Theologen und Kirchenmännern war die Abneigung gegen das geplante Unfehlbarkeitsdogma bereits etliche Wochen vor der Civiltä-Stimme stark genug hervorgetreten, um z. B. vom Münchner Nuntius am 15. Januar 1869 eigens nach Rom gemeldet zu werden. Bischöfen, die, wie der Mainzer, schon seit langem jene römischen Absichten fürchteten, mußte ein solches deutsches

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I V I : Bischoftum und Papsttum: Das Vatikanische Konzil

k a t h o l i s c h e s W i d e r s t r e b e n w i l l k o m m e n sein, nur d u r f t e diese S t i m m u n g n i c h t gar zu u n g e b e r d i g w e r d e n . Es galt, den W i d e r s p r u c h zu d ä m p f e n , ihn zugleich a b e r g e g e n die römischen A b s i c h t e n wirken zu lassen. K e t t e i e r h a t bis z u m F e b r u a r 1869 nach außen u n d o f f e n n i c h t s g e t a n , als d a ß er die f r o m m e n G e d a n k e n der Gläubigen auf das K o n z i l l e n k t e . D a s war die A u f g a b e der sechs Predigten, die er in der A d v e n t s z e i t des J a h r e s 1868, v o m 29. N o v e m b e r an, i m Mainzer D o m e hielt. In der Stille j e d o c h h a t t e er sich z. B. s c h o n zwei M o n a t e vorher i m H a u s e d e s kurialistisch g e s i n n t e n Erzbischofs D e c h a m p s v o n Mecheln, d a n n aber u n t e r vier A u g e n m i t D u p a n l o u p v o n Orléans b e s p r o c h e n , m i t d e m ihn s c h o n früher die v e r w a n d t e A b n e i g u n g g e g e n römischen A b s o l u t i s m u s und r ö m i s c h e U n f e h l b a r k e i t s i d e e n z u s a m m e n g e b r a c h t h a t t e . Möglich, d a ß auf d i e s e B e s p r e c h u n g e n der P l a n z u r ü c k g e h t , über d a s K o n z i l m i t b e h u t s a m e r A u f k l ä r u n g in religiös-kirchlicher R e f o r m s t i m m u n g zu p r e d i g e n . A u c h m a g K e t t e i e r s c h o n bei der V o r b e r e i t u n g dieser P r e d i g t e n a n deren V e r ö f f e n t l i c h u n g g e d a c h t h a b e n . D i e Schrift über d a s Konzil aber, w i e sie Mitte Februar 1869 erschien, ist d o c h erst infolge der d r ä n g e n d e n M a h n u n g e n M o u f a n g s in rascher A r b e i t e n t s t a n d e n . W a s a u s d e n Predigten in d a s B u c h überging, w a r v o r a l l e m für die Laien in D e u t s c h l a n d b e s t i m m t , — w a s h i n z u k a m , s o l l t e an die hohen u n d h ö c h s t e n Geistlichen in R o m g e r i c h t e t sein. Diese Schrift „ D a s a l l g e m e i n e K o n z i l u n d s e i n e Bedeut u n g f f l r u n s e r e Z e i t " verrat ihren Ursprung in predigthafter Aufklärung und Begründung kirchlicher Fragen, in predigtmäßigen Mahnungen. Aber auch andere Schriften Kettelers, die nicht auf Kanzelworte zurückgehen, tragen solche Züge, und die Konzilsschrift greift in Betrachtungen und Anregungen, in Zugeständnissen und Warnungen, in ihren Forderungen und vor allem in ihren eigentlichen Absichten weit über die Aufgaben einer Predigtreihe hinaus. Der erste Teil allerdings ist ganz Predigt. Der erste Satz dieses Buches vom Februar 1869 war derselbe, der die Kanzelrede vom 29. November 1868 eröffnet hatte. Von der Kanzel stammen die stark schulmäßig katechisierenden Erörterungen über Vernunft und Offenbarung. Die autoritätslose menschliche Vernunft ist nie anspruchsvoller, stolzer und besser ausgerüstet aufgetreten als jetzt; nie aber ist die Spaltung über die Frage „Was ist Wahrheit?" so tief wie eben jetzt. In dem allgemeinen Konzile bietet Gott von neuem durch die Stimme des von ihm gestifteten Lehramtes die Leitung zum Ziele dar. Umständliche bischöfliche Erörterungen, die von Möhlers Gedanken genährt sind, zugleich aber mit den Sätzen des Mainzer Katechismus arbeiten, stellen der protestantischen Forderung freier Schriftforschung die katholische Lehre von der inneren, die Vernunft erleuchtenden Gnade und von dem unfehlbaren kirchlichen Lehramt entgegen. „Die Frage aller Fragen: Wahrheit oder Skeptizismus" ist dem Bischöfe (Kap. 6) eben durch das bloße Dasein der kirchlichen Lehrautorität erledigt. Die „Verirrungen" des protestantischen Prinzips steigern sich im Protestantenverein zum Aufgeben jeder christlichen Wahrheit unter dem Scheine der Christlichkeit, führen am Ende der vielen christlichen Jahrhunderte zurück zu heidnischem Skeptizismus. Die gleiche Geistesrichtung beherrscht die Logen, und „überall" sieht der Bischof an der Spitze der Bewegung zur Gründung der „Volkskirche" des Protestantenvereins die „Logenbrüder". Der Protestantenverein ist der organisierte christliche Skeptizismus, das Freimaurertum ist der organisierte

Kettelers Schrift „Das allgemeine Konzil" (kirchl. u. päpstl. Unfehlbarkeit)

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Vernunftskeptizismus. Hier, wo Ketteler mit geübter Hand die Waffen der Polemik ergreift, werden die scholastischen Betrachtungen, ähnlich wie sieben Jahre zuvor in „Freiheit, Autorität und Kirche", durch derartige wirkungsvolle Schlagworte belebt; ein gelehriger Leserkreis soll erkennen, daß Gott durch das Konzil „in außerordentlicher Weise" zu den Menschen reden will, um sie von den Irrwegen des Skeptizismus zurückzuführen. Noch entschiedener erscheinen die geschichtlichen Bemerkungen über das kirchliche Lehramt (Kap. 5) in ihrer beruhigenden Einfachheit abgestimmt auf die Masse der Kirchenbesucher, auf den Durchschnitt der Diözesanen. Aber sie bieten einige wichtige Andeutungen, die Kettelers Konzilshaltung vorausahnen lassen: Nie hat ein Mensch nach Christus eine höhere Lehrgewalt besessen als die Apostel und vor allem Petrus; aber sie entschieden doch erst — Ketteler spricht in breiter Erzählung von dem „Apostelkonzil" —, nachdem sie in vielen gemeinschaftlichen Untersuchungeu alle m e n s c h l i c h e n Mittel der Klarstellung erschöpft hatten. „Das ist die Vorschrift geblieben für die Ausübung der unfehlbaren Lehrautorität in der Kirche, deren Aussprüche nur erfolgen, nachdem alle natürlichen und menschlichen Mittel zur Ergründung der Fragen vorausgegangen sind." Und auf die Frage, wie das angekündigte Konzil abgehalten werde, glaubt er keine erschöpfendere Antwort geben zu können als die: geradeso wie dieses erste apostolische Konzil. Die frommen Laien mochten es freilich dieser Aufstellung nicht anmerken, daB sie — als geschichtliche Betrachtung überaus kritiklos 1 ) — ein ganzes Stück kirchenpolitischer Berechnung birgt. Kluge Rücksicht auf römische Stimmungen, auf dem Bischof bekannte starke römische Erwartungen und nicht unbedeutende römische Besorgnisse wirkt auch da mit, wo Ketteler Gegenstand und Grenzen des unfehlbaren Lehramtes der Kirche mit vorsichtiger Bestimmtheit behandelt. Die Kirche ist von Christus bestellt als Zeugin seiner Lehre, als Richterin bei Streitigkeiten über Inhalt und Sinn dieser Lehre, überhaupt als Lehrerin der christlichen Wahrheiten. Damit stehen dem Bischöfe die Grenzen der kirchlichen Unfehlbarkeit fest: ihr ausschließlicher Gegenstand ist die offenbarte Glaubens- und Sittenlehre, nur jene kirchlichen Entscheidungen dieses Inhalts sind unfehlbar, die auch ihrer Form nach als dogmatische Aussprache der Kirche erscheinen; diese dogmatischen Entscheidungen sind für die Menschheit nicht unbeweglich abgeschlossen — unwandelbar sind nur alle Glaubenswahrheiten als Ausdruck der ewigen göttlichen Wahrheit —, sie sind göttliche Keime, die sich im Leben des Einzelnen und aller menschlichen Institutionen immer mehr entfalten sollen, und die Einsicht in den Zusammenhang dieser Glaubensund Sittenlehren mit allen Wahrheiten „läßt einen Fortschritt zu, der nicht eher ein Ende hat, bis wir statt des Gesetzes Gottes und seiner Offenbarung Gott selbst besitzen und schauen werden." Man erkennt hier in der Gedankenfassung und in den Ausdrücken die Nachwirkung der Ideen Möhlers, dessen „Symbolik" Ketteler in dieser Schrift*) als in ihrer Art einzig empfiehlt. Wollte er in der Stille den Geist des tiefgläubigen großen Theologen beschwören gegen die gefährlichen Gedanken, die mit einer einseitigen Hervorhebung der p ä p s t l i c h e n Unfehlbarkeit die in der Einheit des Episkopats ruhende k i r c h l i c h e bedrohten? Das Kapitel über die Organe des unfehlbaren Lehramtes der Kirche könnte flüchtiger Betrachtung einen ganz anderen Eindruck mitgeben. Ordentliche Organe des unfehlbaren Lehramtes der Kirche sind die als Lehrer der Gemeinde bestellten Priester, sind in höherer Stufe die Bischöfe, die für ihre Diözese die Lehrer, die Zeugen, die Richter der Lehre Jesu sind, solange sie in Vereinigung mit dem gesamten Apostolate und mit dessen Oberhaupte, dem Nachfolger des hl. Petrus stehen, und abermals ein höheres Organ des unfehlbaren Lehramtes der Kirche ist der Papst. Das „wichtige" Verhältnis zwischen dem Lehramte des Papstes und dem Lehramte der Bischöfe sucht Ketteler l ) Volkmuth (vgl. oben S. 513 f.) hat das in seiner Gegenschrift „Petrus und Paulus auf dem Konzil zu Jerusalem" (1869) ausgenutzt. s ) S. 34 Anm. 3, vgl. S. 120.

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klar zu machen durch seitenlange Auszüge aus des Kardinals Litta „vortrefflichem" Buche, dessen deutsche Übersetzung in Münster 1844 erschienen und gewiß damals schon dem Priester Ketteier bekannt geworden war. Hier werden die Bibelstellen aber Petrus und die übrigen Apostel in der hergebrachten Weise als Grundlage des kirchlichen Lehramtes betrachtet. Die Überordnung Petri wird hervorgehoben, indessen auch die Berufung der anderen Apostel zum Lehramte, die Beteiligung der Gesamtheit der mit dem Papste vereinigten Bischöfe an der Kirchenregierung nicht ungebührlich zurückgedrängt, vielmehr konnte Ketteier in dem Kardinalswort über die bewunderungswürdigen Einrichtungen und den göttlichen Plan des Kirchengebäudes „in seiner Ganzheit und Vollständigkeit" seine bischöfliche Idee der höheren kirchlichen Einheit von Primat und Episkopat wiederfinden. Mit eigenen Worten hätte er bischöflich bestimmter gesprochen; aber es war wertvoll für ihn, sich auf die höhere Autorität des römischen Kardinals berufen zu können. Im Gedanken jener kirchlichen Einheit sind auch seine Bemerkungen über die „Streitfrage von der Unfehlbarkeit des Papstes" zu verstehen. Er schließt sich der Meinung an, die fast drei Jahrhunderte zuvor vom Kardinal Bellarmino als die sicherste und von fast allen Katholiken geteilte bezeichnet worden war; sie „läßt die Frage unerörtet, ob der Papst in Glaubenssachen persönlich irren könne oder nicht, und beschränkt sich darauf, zu behaupten, daß wenn der Papst über Glaubenssachen für die ganze Kirche eine feierliche Entscheidung gibt, diese Entscheidung nicht häretisch, nicht irrig sein könne". Die eigentliche Streitfrage wird so im Zwielicht gelassen. Aber man beachte die Worte über das, was „unerörtert" bleibt, man nehme Kettelers Feststellung hinzu, „solche Aussprüche setzen immer zugleich eine Form voraus, wodurch sie sich jedem unbezweifelt als eine Entscheidung über eine bestimmt begrenzte Streitfrage in Glaubenssachen kundgeben". Die nach Moufangs römischen Berichten doppelt empfehlenswerte Rücksicht auf Rom hat allerdings den Bischof zu dem beim Festhalten seiner Grundanschauung denkbar größten Entgegenkommen an römische Lieblingsvorstellungen bewogen1), weil er mithelfen wollte, die Erhebung dieser Vorstellungen zum Dogma zu verhindern. So versteht man wohl, daß Döllinger, der den Kampf gegen die römischen Absichten führte, ohne bischöflich gebunden zu sein, zu der irrigen Behauptung kommen konnte, hier sei „das neue Dogma empfohlen". Aber leichter doch versteht man, daß die jesuitischen Beurteiler') zwar das Bekenntnis zu Bellarmino unter Verschweigung der Vorbehalte dankbar erwähnten, im übrigen jedoch die Schrift weit kühler aufnahmen als das gleichzeitig veröffentlichte, von Döllinger ihr auch gleichgesetzte unfehlbarkeitsfreundliche Buch des Bischofs Feßler von St. Pölten. Und vollends versteht man, daß Rom selbst mit der Schrift Kettelers und das hieß mit seiner Haltung in der „Frage" der Unfehlbarkeit nicht recht zufrieden war. Die römische Civiltà cattolica, die in enger Fühlung mit der Kurie stand und eben jetzt auch von deutschen Jesuiten nicht so als Jesuitenblatt, sondern als „ein vom Oberhaupt der Kirche ausgezeichnetes Organ" gepriesen und verwertet wurde»), sie hatte mit jener sogleich von Freund und Feind aufgegriffenen Korrespondenz „Aus Frankreich" von Anfang Februar 1869*) den kurialen Wunsch nach Anerkennung der Unfehlbarkeitslehre ausgesprochen, sie vertrat zugleich ohne Einschränkung — und die deutschen „Stimmen aus Maria-Laach" gaben das getreue Echo*) — die 1 ) Hinterdrein wurde diese taktisch berechnete, sachlich eingeschränkte bischöfliche Anerkennung der Unfehlbarkeitslehre in ein förmliches Bekenntnis zu der auf dem Konzil (unter Kettelers leidenschaftlich ernstem Widerspruche!) dogmatisierten Lehre umgestempelt: z. B. noch Juli 1875 im Mz. J . 1875 Nr. 170. *) „Das ökumenische Konzil, Stimmen aus Maria-Laach" N. F. 2 (1869) S. 64 bis 66; ebenda S. 61—64 über Feßler. ») „Das ökumenische Konzil" 3 (1869) S. 11 Anm. 1 (April 1869). *) Vgl. neben der Konzilsliteratur noch J . Fr. v. Schulte, Erg. 1, 263 f. •) „Das ökumen. Konzil" 3 S. 16f.

Ketteier, „Das allgem. Konzil" (beschränkte papstliche Unfehlbarkeit)

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extrem kurialistische Auffassung, daß die Unfehlbarkeit des Konzils auf der Unfehlbarkeit des Papstes beruhe; sie machten also die kirchliche Lehre vom unfehlbaren Konzil abhängig von der erst zu dogmatisierenden Lehre vom unfehlbaren Papste und beanspruchten für diese Doktrin allgemeine Anerkennung. Von einem papsttreuen Bischof begehrte man etwas anderes, als was Ketteier (S.92) die „beschränkte Unfehlbarkeit" nannte. Vor allem aber: wenn er die Organe des unfehlbaren Lehramtes in der aufsteigenden Reihe Priester, Bischof, Papst vorfahrte, so schloß er doch nicht mit dem Papste ab, sondern verkündete ganz schlicht und fest: „ I n höchster Stufe sind endlich Organe des unfehlbaren Lehramtes der Kirche die allgemeinen Konzilien". Natürlich nahm Ketteier nicht die konziliare Theorie auf, nicht den zweiten der Gallikanischen Artikel von 1682, der die Überordnung des Konzils über den Papst lehrt. Aber der in den letzten Auswirkungen noch nicht überwundene Streit über die Stellung des allgemeinen Konzils wird von ihm jedenfalls nicht mit der papalistischen Formel erledigt. Die Frage scheint ihm, abgesehen von Zeiten einer zweifelhaften Papstwahl, unzulässig, da ein Konzil ohne oder gar gegen den rechtmäßigen Papst kein allgemeines Konzil sei. Aber er fügt Worte hinzu, die seine Grundauffassung von der nur in der Einheit von Primat und Episkopat gegebenen, also nicht letztlich auf dem Papst allein ruhenden Kirchenverfassung und Kircheneinheit erkennen lassen, jenen überkommenen bischöflich-katholischen Kirchenbegriff, den er dann auf dem Konzile klarer und bestimmter faßte und monatelang wie seinen heiligsten Besitz verteidigte. Nach den Verheißungen Christi, so meint er, läßt sich „der Fall gar nicht denken, daß auf der einen Seite der zweifellos rechtmäßige Papst, auf der anderen der gesamte Episkopat, auf einem Konzil versammelt, sich gegenüberständen. Dann wäre ja die Kirche in der Verfassung zerstört, welche ihr Christus gegeben hat". An Spaltungen der Konzilsväter mochte er nicht denken, jedenfalls nicht davon reden. Aber daß er an den Schluß dieses bei der Tagesstimmung in Deutschland und in Rom wichtigsten Kapitels nicht ein Wort der Sehnsucht nach einer Lehrentscheidung über die Unfehlbarkeit, nicht einmal ein Treubekenntnis zum Papste stellte, daß er vielmehr auch hier die Verwertung aller menschlichen Mittel zur Erforschung der Wahrheit für jede Entscheidung des kirchlichen Lehramts forderte, das mußte an der Kurie eine Vorahnung der künftigen Konzilskämpfe wecken. Selbst in dieser Schrift — die den Glauben an eine freilich bischöfliche gut umhegte päpstliche Unfehlbarkeit als fast allgemein hinstellte, um die auf anderem Wege vorzutragenden Gründe gegen die „Opportunität" einer Dogmatisierung um so wirksamer zu machen — vermochte eben Ketteler nicht seine Grundanschauung so stark abzumildern, daß sie den anderen hätte erträglich scheinen können. Wie mußte es römischen Ohren klingen, wenn sie zu hören bekamen, jene Erforschung als Form menschlicher Sicherung der Wahrheit sei auch nötig, um „die" Träger der Unfehlbarkeit der Kirche „in der Demut, in der Erkenntnis ihrer Nichtigkeit zu erhalten"? Päpstliche „Demut", gar „Nichtigkeit", das konnte der demütige Papst einmal selbst von sich sagen, — aber ein deutscher Bischof? Nun, diesem deutschen Bischof war es ernst genug mit solchen Gedanken. Er erkennt — flüchtig und unkritisch ist allerdings auch dieses (9.) Kapitel über die Konzilsgeschichte —, d a ß die allgemeinen Konzilien jederzeit die Hauptmittel zur Verteidigung der offenbarten Wahrheit „in ihrer ganzen Vollständigkeit und Reinheit darstellten", daß insbesondere auch das letzte, das von Trient, die alte katholische Lehre in allen angegriffenen oder mißverstandenen Lehrpunkten mit wunderbarer Kraft und Klarheit dargelegt habe. Damit waren ihm auch die Aufgaben des bevorstehenden Konzils (Kap. 10) gegeben. Zu ihnen aber rechnet er nicht die „Frage" der Unfehlbarkeit; um diese nicht aufnehmen zu müssen, hatte er ja eben jene kunstvolle, freilich auch gekünstelte Darstellung von ihrer Geltung und ihren Grenzen entworfen, beruhigend und abmahnend zugleich. Er dachte sich das Vatikanische Konzil als Reformsynode im Stile des tridentinischen, nur von noch mächtigerem Ausmaße.

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IV 1: Bischoftum und Papsttum: Das Vatikanische Konzil

Das Hinlenken auf die allgemeinen Grundaufgaben der Kirche sollte natürlich auch ein Ablenken sein von jenen besonderen römischen Wünschen. Der die Gegenwart beherrschende große Irrtum ist ihm die grundsätzliche Leugnung jeder übernatürlichen Offenbarung und also jeder übernatürlichen Heilsordnung, ist Naturalismus, Rationalismus, Materialismus („diese niedrigste Form des Atheismus"). Es kommt dem Bischof nicht auf eine philosophische Kritik an — sie wäre ihm wohl auch mit Hilfe seiner theologischen Mitarbeiter nicht recht gelungen —, es handelt sich darum für uns auch nicht um Gegenkritik; es gilt nur, die bischöfliche Auffassung festzuhalten. Das Christentum ist berufen, die Irrtümer der Welt zu überwinden. Die Verteidigung der aufs Leben bezogenen übernatürlichen und natürlichen Wahrheiten darf sich nicht mit der einfachen Verkündigung dieser Wahrheiten begnügen; die Kirche muß vielmehr auf die Verwirklichung dieser Wahrheiten im Menschheitsleben eingehen, muß „nach der Richtschnur der ewigen Wahrheit aussprechen, in welchem Verhältnisse das Christentum und die Kirche zur Wissenschaft und Schule, zur Familie und Ehe, zu Staat und Gesellschaft steht". Durch die Trennung dieser Kulturgebilde von der Kirche, von der Religion will der Lügengeist, der naturalistische Zeitgeist die Entchristlichung des Volkes herbeiführen. Man sieht Ketteier hier wiederum in der durch das halbe Menschenalter seiner Bischofszeit erprobten Fechterstellung gegen die „kirchenfeindliche" moderne Welt, gegen den Staat des „naturalistischen Zeitgeistes", diesen modernen Staat, der ganz folgerichtig ist, wenn er „sich eines Tages berechtigt glaubt, wie er bereits in seinem blutbefleckten Ursprünge im Jahre 1793 in Frankreich wirklich getan hat, zu dekretieren, die Übung der katholischen Religion sei verboten, ja der Glaube an Gott und dessen Anbetung untersagt". Man erfährt nicht, wo er zu suchen ist, aber jedenfalls: dieser Staat wird vom Bischöfe verdammt. Und wieder lodert hier der alle Kampfschriften Kettelers durchglühende Haß gegen den Liberalismus auf, die aus den letzten Überzeugungen, aus dem kirchlichen Glaubensbewußtsein unmittelbar aufsteigende und eben darum unüberwindliche Feindschaft gegen jene Bewegung, die „in unerhörtem Mißbrauch des heiligen Namens der Freiheit eine freie Wissenschaft, eine freie Schule, einen freien Staat anstrebt, deren angebliche Freiheit aber nichts ist als eine rechtlose Empörung gegen den lebendigen Gott, als die Befreiung von den Gesetzen der Wahrheit, der Gerechtigkeit, der Religion, um die Menschen der Knechtschaft aller Leidenschaften und aller Willkür und jeglichem Egoismus zu überliefern, um sie von einem Abgrund des Verderbens in den anderen zu stürzen, um durch den Staat den Abfall der Menschheit von Gott und die Selbstvergötterung der Menschheit zu vollbringen. Ganz der Plan der alten Schlange: ihr werdet wie Gott sein". Gegen diesen Geist des Abfalls von Oott wird die Kirche die ewige Wahrheit der Vernunft und des Christentums vertreten. Die Wissenschaft muß sich von göttlichem Glauben leiten lassen; die Schule darf sich von Christus nicht lossagen; den Staat wird die Kirche in den ihm „von Gott" verliehenen Rechten und Gewalten anerkennen 1 ), ihm aber zurufen (ein gedämpfter Nachklang der Stimmen mittelalterlicher und moderner Gregore!): „Du bist Gottes Diener zur Handhabung der Gerechtigkeit". Schutz aller wohlerworbenen Rechte, der kirchlichen zumal, ist die besondere Pflicht des Staates. Die Kirche jedenfalls — damit betritt der Bischof den vertrauten Boden der Kirchenpolitik — muß und wird sich die Freiheit erkämpfen, die sie zur Erfüllung ihrer göttlichen Sendung bedarf. Sie wird für sich beanspruchen: Freiheit der Lehre, der Wissenschaft, der Presse, das Recht, ihre Priester für das Priestertum, ihre Kinder für das Christentum zu erziehen, ohne sich dabei mit dem von einer mißtrauischen und feindseligen Staatsgewalt ihr zugemessenen Maße zu begnügen. Sie wird die Freiheit der Wahl ihrer Diener, besonders der Bischöfe beanspruchen. In seinem Büchlein über die Bischofswahlen 2 ) hatte Ketteier im vergangenen Jahre den kirchlichen Begriff der Wahl1 2

) Vgl. dazu K., Unfehlb. Lehramt (s. unten S. 602 ff., bes. 607 f.) S. 89. ) „Das Recht der Domkapitel und das Veto der Regierungen bei den Bischofs-

K . „Das allgem. Konzil" (gegen d. Liberalismus; Konzil als Mittel d. Heiligung)

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freiheit die Ausschließung „staatlicher Beeinflussung der Bischofswahlen" mit größerem kirchenpolitischem Eifer als kirchenrechtlicher und geschichtlicher Einsicht verfochten; die Kirche wird das Recht klösterlichen Lebens, das Recht zu allen Werken der christlichen Barmherzigkeit sich wahren, sie wird gerade jetzt, da die Welt feindseliger ist als je zuvor, alles zu beseitigen suchen, was der Entfaltung der christlichen und priesterlichen Tugenden im Wege stehen kann. Gerade die höchste Anspannung der kirchlichen Kräfte, die höchste Ausbildung des kirchlichen Freiheitsschutzes gegen die schließlich ohnmächtige „ W u t der Hölle" berechtigt die Kirche, jene Christen, „die nicht durch ihre eigene und nicht durch unsere Schuld, sondern durch Schuld längst vergangener Zeiten von der Einheit der Kirche getrennt sind, liebevoll zur Rückkehr aufzufordern". Die „Vorurteile" der anderen behandelt der Bischof mit der hergebrachten Oberflächlichkeit erbaulicher Polemik: er, der z. B. allen Liberalismus wie eine moralische Krankheit beurteilt und den liberalen Fahrern gegenüber auch nicht einen Ansatz zur Gerechtigkeit zeigt, meint bei den verschiedenen Parteien der Gegenseite fast allenthalben unrichtige Voraussetzungen und irrige Urteile sehen zu müssen, besonders in religiösen Streitfragen; die protestantischen Mißverständnisse über katholisches Lehramt und katholisches Priestertum sucht er mit drängendem Eifer zu beseitigen. Aber man kann doch auch hier seine zugleich kluge und ehrliche Abneigung gegen kirchliche Übertreibungen erkennen: er tadelt scharf jene kirchlichen Schriftsteller, die „gegen die Wahrheit und gegen die Liebe fehlen", indem sie durch ihre Ausdrucksweise mißverständliche Auffassungen fördern und Vorurteile anregen; er nennt dabei — wieder eine Mahnung, die in Rom mißfallen mußte, — neben den Kontroverslehren von der Verehrung der Heiligen, namentlich der Mutter Gottes, ausdrücklich die Kontroverslehren von dem Primat des Papstes. Das Schlußkapitel mit der einsilbigen, aber auch einprägsamen Überschrift „Pflichten" weist die der Kirche überhaupt von Jesus gegebene Bestimmung „ H e i ligung des Apostolats", „Einigung aller Menschen in Gott und in Jesus" insbesondere auch dem künftigen Konzile zu. Die „dem Apostolate" durch Christus übergebene Lehre ist schlechthin die Wahrheit. Darin liegt alles. Darin liegt — so werden wir sagen müssen — zugleich die bischöfliche Abwehr des Gedankens einer Vermehrung der Dogmen durch eine Dogmatisierung der römischen Unfehlbarkeitslehre; Ketteier selbst macht das deutlich und namentlich für die Kurie verständlich mit den Worten: „Nicht, wie viele glauben, die Vielheit und Neuheit der Beschlüsse wird über die Bedeutung des Konzils für die kommenden Jahrhunderte entscheiden, sondern ihre Zweckmäßigkeit, um das Apostolat zu heiligen." Denn die Heiligung vor allem hat Christus zur Pflicht gemacht. Weil die Wahrheit, die Wahrheit Christi, die von den Aposteln verkündet werden soll, Quelle aller Heiligkeit ist, so muß der Apostel, der Träger dieser heiligenden Wahrheit — man meint die ins Bischöfliche gewandelte Papstsprache Gregors V I I . zu hören! — selbst heilig sein. So verkündet der Bischof (mehr die römische Führung beschwörend als den Feind draußen abweisend), das Konzil werde „genau in dem Maße mächtig in die Zukunft eingreifen, als es einen mächtigen Impuls zur Heiligung der Apostel der Kirche und aller, die am Apostolate Anteil nehmen, gewähren wird". Jesus hat das Apostolat eingesetzt nicht als Ziel, sondern nur als ein Mittel. Das Ziel ist die Seele jedes einzelnen Menschen. Hier erhebt sich, wiederum zugleich in stiller Abwehr aller Papstvergottung, der seelsorgerische Grundgedanke des Priestertums überhaupt und der persönlichen Priesterlichkeit dieses Bischofs als Ausdruck des letzten Erdensinns der Kirche und so auch des Konzils. In Kettelers gläubig-enthusiastischer Betrachtung schränkt sich der Konzilsgedanke — er schaut freilich im Geiste das ewig zukünftige ideale Konzil, nicht das in der Wirklichkeit nahende vatikanische— auf die Heiligung der lehrenden, wählen in Preußen und in der Oberrheinischen Kichenprovinz" 1868. Zur Kritik: E. Friedberg, Der Staat u. d. Bischofswahlen in Deutschland (1874); Ulr. Stutz, Der neuste Stand des deutschen Bischofswahlrechtes (1909). V i g e n e r , Bischof Ketteier

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auf die Heiligung der hörenden Kirche ein. In die Forderung des Gebetes aller Gläubigen klingt dieses zugleich glaubige und berechnende Buch aus. Der Gebetsgeist soll immer mehr wachsen „und mit der größten Inbrunst fortdauern, wenn die Verhandlungen selbst stattfinden". Aber dieser Gebetseifer soll, das ist deutlich, nicht den römischen Herzensforderungen dienen, soll alles eher, als die Gläubigen auf ein Unfehlbarkeitsdogma vorbereiten. Nichts von neuem Dogma: Heiligung der Priester, Vereinigung der Menschen in Einem Glauben, die Bekehrung der Welt zur katholischen Kirche, diese katholisch-apostolische Sehnsucht, die immer wieder aus dem kirchlichen Geiste des Bischofs hervorbricht, sie ist ihm der letzte und man möchte sagen einzige Sinn einer jeden und so auch der künftigen Allgemeinen Kirchenversamml ung.

Dem Mainzer Bischöfe wäre das Vaticanum zum wahren Konzil der Christenheit geworden, wenn es sich, mit dem Versuche einer Heilung des Glaubenszwiespaltes, zur Vollendung der idealen Aufgabe des Tridentinum angeschickt hätte. Schon vier Jahre zuvor, da er mit der Möglichkeit einer Entfernung des Papstes aus Rom rechnete, dachte er sich ihn in Irland, ein allgemeines Konzil abhaltend, dachte er sich als Wirkung dieses Konzils die allmähliche Bekehrung des germanischen Europas und mehr noch als das. 1 ) Eine Selbsttäuschung gewiß. Ihm aber war der Gedanke mehr als lediglich ein frommes Phantasiespiel. Nur freilich vergaß er nicht ganz, daß sein Enthusiasmus sich hier von den letzten, ins ewig Ungewisse greifenden Vorstellungen nährte. Auch in der deutschen unkatholischen Welt lebte der Drang zur Bekehrung nur in wenigen, und höchstens bei diesen mochte er sich wohl von dem päpstlichen Aufruf an die Protestanten einige Wirkung versprechen; ein so betuliches Buch jedenfalls lag ihm gewiß nicht, wie sein Paderborner Amtsbruder Martin es eben jetzt veröffentlichte als „ein freies Wort an Deutschlands Katholiken und Protestanten" unter dem fragenden und zugleich antwortenden Titel „Wozu noch die Kirchenspaltung?" Neben der fernen Hoffnung stand doch die nahe Furcht, die Besorgnis vor römisch-papalistischen Dogmatisierungswünschen. Sie hat auf die Fassung dieser Konzilsschrift eingewirkt; sie äußerte sich in gelegentlichen vertrauten Bemerkungen über römische Dogmatisierungspläne, von denen er, wie so viele deutsche Kleriker und Laien sogar ein Schisma befürchtete; sie trat noch stärker hervor, als, ein halbes Jahr später, die deutschen Bischöfe ihre Beratung am Bonifatiusgrabe eröffneten. Es kam jetzt, da inzwischen ein bischöflicher Vorkämpfer der Unfehlbarkeitslehre öffentliche, für die anders gerichteten Bischöfe vorwurfsvolle Lobsprüche des Papstes geerntet hatte, darauf an, daß bischöfliche Warner den noch mit Behutsamkeit, aber schon im Gefühle ihrer Macht tätigen Kurialisten die Neigung nähmen, die vom Trienter Konzile nicht entschiedene Frage des Universalepiskopates und der Unfehlbarkeit des Papstes durch das römische Konzil im römischem Sinne erledigen zu lassen. *) So schrieb K- 2 . 3 . 6 5 (Pffllf 3 S. 2 Anm. 1), und zwar nicht an einen Laien oder einen beliebigen Priester, sondern an den Kardinal Reisach.

Die deutsche Bischofstagung von 1869 und die Untehlbarkeitsfrage

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Die am 1. September 1869 eröffnete Bischofstagung zu F u l d a erscheint wie ein vorweggenommenes Vaticanum im kleinen: Kampf um die Unfehlbarkeitslehre, Majorität und Minorität auch hier; nur freilich stellten in Fulda jene Bischöfe die überwältigende Mehrheit dar, die in Rom zu der Minderheit gehören sollten. Am Grabe des Bonifatius versammelten sich 17 deutsche Bischöfe (unter ihnen der neu gewählte, noch nicht geweihte Hefele von Rottenburg); drei Bischöfe ließen sich durch Bevollmächtigte vertreten; überhaupt nicht beteiligt waren die Erzbischöfe von Gnesen und von Bamberg und vier Bischöfe, unter ihnen der in Rom wirkende scharf kurialistische Regensburger Senestrey. Ketteier stand lebhaft tätig, in manchem geradezu führend in der Versammlung, immer jedenfalls bewußt und selbständig: selbständig in seinem bischöflichen Sinne, nicht in theologischen Leistungen. Seine dogmatischen Vorarbeiten für Fulda waren noch weniger selbständig als seine sozialpolitischen: aber dort wie hier bringt er in seinem bischöflichen Willen ein Eigenes und Wertvolles hinzu. Das Mainzer Gutachten war das Werk des Domdekans Heinrich; dessen infallibilistische Neigungen bedurften allerdings einiger Dämpfung durch Kettelers Bischofsgedanken. Neben Heinrichs Arbeit über die Voraussetzungen einer konziliaren Behandlung der Unfehlbarkeitsfrage stellte Ketteier Bemerkungen über die „Opportunität" einer Dogmatisierung. Sie waren verfaßt von dem Priester Franz Brentano, der seit zwei Jahren als Privatdozent der Philosophie in Würzburg eine starke, wesentlich noch auf strenge Katholiken und insbesondere die Theologen beschränkte Wirkung übte. 1 ) Als Ketteier, der den Brentanos befreundet war und bei seinen sozialpolitischen Studien auch des Philosophen jüngeren Bruder Lujo befragt hatte, das dogmatische Gutachten einholte, war Franz Brentano einer freien Entfaltung seiner philosophischen Weltanschauung schon näher, als Ketteier und als er selbst ahnen konnten: durch historisch-kritische, vernunftmäßige Überprüfung der Dogmen seinem Glauben entfremdet, trat er im April 1873 aus der Kirche aus. Jetzt aber urteilte und sprach er mindestens über die Unfehlbarkeitsfrage ganz so wie es auch die Herzensmeinung des Bischofs war: die Frage, ob die Dogmatisierung der päpstlichen Unfehlbarkeit zeitgemäß sei, verneinte Brentanos Gutachten mit einer durch die sachliche Abneigung gegen die Lehre selbst verstärkten Entschiedenheit. Der Stimmung der meisten deutschen Bischöfe entsprach dieses Gutachten weit mehr als die allzu sänftigliche Darstellung Heinrichs. Die vierzehn dem Dogmatisierungsgedanken abgeneigten Bischöfe einigten sich auf eine sofortige Eingabe an den Papst, die ganz im Sinne ') Über Franz Brentano (1838—1917), den Sohn Christian B.s, vgl. zuletzt C. Stumpf in der v. A. Chroust hg. Biographiensammlung „Lebensläufe aus Franken" 2 (1922) S. 67—«5. Vgl. noch Friedrich, Döllinger 3, 420. — Von einem Briefwechsel Franz Brentanos mit K- läßt sich z. Z. nichts feststellen; vgl. die Bemerkungen des Vorworts.

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der von Ketteier vorgelegten E r ö r t e r u n g Brentanos, den gegenwärtigen Z e i t p u n k t , soweit D e u t s c h l a n d in Frage komme, f ü r weniger geeignet e r k l ä r t e zur D o g m a t i s i e r u n g der Unfehlbarkeitslehre. Diese u n e r b e t e n e bischöfliche A b m a c h u n g h a t den P a p s t v e r s t i m m t ; sie wollte ja auch nicht schmeicheln, sondern w a r n e n . Der Hirtenbrief der in Fulda versammelten Bischöfe dagegen war eine von R o m a u s geradezu gew ü n s c h t e Belehrung der durch „ A n f e i n d u n g e n des Konzils" g e f ä h r d e t e n Gläubigen. Dieser f ü r die Öffentlichkeit b e s t i m m t e Brief sollte beschwichtigen ; deshalb und auch d a r u m , weil er die U n t e r s c h r i f t e n aller Teilnehmer an der T a g u n g tragen sollte, also auf die infallibilistische Minderheit R ü c k s i c h t n e h m e n m u ß t e , wurde er vorsichtig gefaßt, bek a n n t e sich zu d e m Gemeinschaftsgedanken und verhüllte die Gegensätze. Der Mainzer E n t w u r f dieses bischöflichen R u n d s c h r e i b e n s w a r — d a r i n zeigten sich nicht n u r Heinrichs römische Neigungen, sondern auch Kettelers t a k t i s c h e E r w ä g u n g e n — ganz auf den Ton kirchlichen Vert r a u e n s zu d e m Konzile gestimmt. Ketteier h ä t t e gern die scharfe Scheidung zwischen d e m Inhalt des in R o m k r ä f t i g a b m a h n e n d e n Schreibens an den P a p s t u n d dem Inhalte des in D e u t s c h l a n d s a n f t beruhigenden Schreibens an die Gläubigen a u f r e c h t erhalten. Aber die a n d e r e n Bischöfe — Förster von Breslau, E b e r h a r d von Trier u n d Hefele waren die B e r i c h t e r s t a t t e r — brachten in den ü b e r a r b e i t e t e n und v e r k ü r z t e n Mainzer E n t w u r f einen Zusatz, der aus der G e d a n k e n w e l t des Warnungsbriefes genommen war und mit den W o r t e n , d a ß Besorgnisse, die das V e r t r a u e n abschwächten, selbst von w a r m e n und treuen Gliedern der Kirche gehegt würden, n u r allzu deutlich auf deutsche Bedenken gegen römische Absichten hinwies. Da nun einmal, gegen seinen Wunsch, das öffentliche Bischofsschreiben diese bischöflichen S t i m m u n g e n erkennen ließ, h a t auch Ketteier selbst, gewiß m i t b e s t i m m t d u r c h das Anwachsen der Propaganda, in seinem Abschiedshirtenbriefe vom 12. N o v e m b e r 1869 nicht verschwiegen, d a ß er nicht weniger als die Schädigung des P r i m a t e s eine „im scheinbaren Interesse des P r i m a t s " geschehende Schädigung des Apostolats f ü r eine Versündigung a m Werke Christi halte, und der besondere Sinn seines betonten Bekenntnisses zu der „unabänderlichen göttlichen G r u n d v e r f a s s u n g der K i r c h e " m u ß t e selbst der großen Masse der Gläubigen klar werden, da er sie gleichzeitig d a r ü b e r belehrte, d a ß Konzilsentscheidungen in Glaubensfragen „ n i c h t etwa nach M a j o r i t ä t getroffen w e r d e n " — ein schwerer I r r t u m allerdings, dessen A u f d e c k u n g durch das neue Konzil aber den Bischof weit mehr enttäuschen und treffen sollte als seine Diözesanen.

Ketteier ging z u m Konzile voller Besorgnis v o r den dogmatischen Plänen Roms, a b e r nicht ohne H o f f n u n g auf die W i r k u n g der bischöflichen Bedenken, des bischöflischen Widerspruchs. Indessen lag die Ge-

Der Gegensatz der kirchlichen Grundanschauungen auf dem Konzil

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fahr ganz allgemein in dem Zwiespalte zwischen einer Kirchenbetrachtung, wie sie die meisten deutschen und viele andere Bischöfe zeigten, und den papalistischen Kirchenbegriffen. Die Bischöfe von der Art Kettelers wollten den bischöflichen Anteil an der Kirchenleitung, die bischöfliche Selbständigkeit in der Diözesanregierung auch gegen Rom schützen. Für die Kurie aber war es verlockend, ja fast wie ein unwiderstehlicher Zwang mochte der Gedanke wirken, mit Hilfe des papsttreuen Konzils zu versuchen, den innerkirchlichen Absolutismus des Papstes rechtsförmig zu vollenden. Die kirchliche Zentralgewalt war nun einmal so stark, war auch in der Glaubensbestimmung — wie die Dogmatisierung der conceptio immaculata gezeigt hatte —, in der dogmatischen Auslegung und in der Kirchenverwaltung so selbstherrlich geworden, daß sie zu der Übung und zu den Ansprüchen auch das grundsätzliche Recht und die allgemeine Anerkennung gewinnen wollte. So, wie die römische Kurie innerkirchlich tatsächlich dastand in Besitz und Begehren, so, wie Dutzende hervorragender Bischöfe dachten und empfanden, war ein Zusammenstoß der einander widerstrebenden Kirchenmänner und Kirchenbegriffe auf dem Konzil unvermeidlich. Die Sehnsucht des Papstes und der Papalisten nach der Verkündigung der päpstlichen Unfehlbarkeit war also zwar der stärkste unmittelbare, doch nicht der einzige, auch nicht der letzte und tiefste Antrieb zu der konziliaren Auseinandersetzung. Der Kurialismus trug etwas von widerbischöflichem Geist in sich, aber auch in dem Episkopalismus—mochte er immer frei bleiben von den alten Gedanken gemeinbischöflicher, konziliarer Oberhoheit auch über dem Papste — steckte ein Stück nicht widerpäpstlichen, aber widerkurialistischen Geistes. Schon die Reformgedanken etwa, wie Ketteier und seine bischöflichen Gesinnungsverwandten sie vertraten, atmeten diesen besonderen bischöflichen Geist. Wenn also nach dem päpstlichen Berufungsschreiben das Vatikanische Konzil als eine neue große Reformsynode erscheinen konnte und als solche auch in der päpstlichen Eröffnungsrede erschien, so hätte doch selbst die strenge Verwirklichung der Reformhoffnungen leicht auf denselben Kampfboden geführt, der durch die unmittelbare, vom Papste geforderte und geförderte Betreibung der Dogmatisierung des römischen Begriffes vom Universalepiskopat, von der Unfehlbarkeit des Papstes nach einer kurzen Zeit der Vorbereitung erreicht worden ist. Diese Vorbereitung vollzog sich in der literarischen und p e i n lichen Propaganda und in der stillen Arbeit der Konzilsausschüsse. Die literarische Polemik war für die Kurialisten unter den Bischöfen dank römischer Unterstützung und Belobigung eine einfache Sache. Ihre Gegner auf dem Konzil aber mußten sich in der öffentlichen Abwehr vorsichtig zurückhalten. Den Kampf im Konzile selbst haben sie um so kräftiger geführt. Ketteier gehört in die vordere Reihe dieser bischöflichen Streiter. Er hat die besonderen Gefahren, die in der einseitigen kurialistisch-

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IV 1: Bischoftum und Papsttum: Das Vatikanische Konzil

papalistischen Zusammensetzung der konziliaren Arbeitsausschüsse, namentlich des wichtigsten, des Glaubensausschusses, lagen, mit als erster bekämpft. K a u m war das Ergebnis der Wahlen zu diesem Glaubensausschusse bekannt geworden, als Ketteier mit einigen anderen Bischöfen eine Eingabe ausarbeitete, die am 2. J a n u a r 1870, mit insgesamt nur 26 Unterschriften versehen, dem Papste zuging. Was hier ausgesprochen wurde, kennzeichnet in der T a t das entschiedene Bischofsbewußtsein Kettelers: den Bischöfen gebühre auf dem Konzile das Vorschlagsrecht, nicht ausnahmsweise kraft päpstlichen Zugeständnisses, sondern von Amts wegen, und es sei nicht weniger notwendig, die ewigen Gerechtsame des Bischofskollegiums zu sichern als die des Hauptes der Kirche; aus dieser grundsätzlichen Auffassung ergab sich dann von selbst die Forderung, daß der vom Papste zur Prüfung aller Vorlagen ernannte Ausschuß durch gewählte Konzilsväter ergänzt werden müsse, und daß vor diesem Ausschusse jeder Bischof persönlich seine eigenen Vorschläge vertreten dürfe. Im Grundsätzlichen bescheidener, im Gegenständlichen ähnlich scharf gegen die kurialeTaktik gerichtet war der ebenfalls von Ketteier unterstützte gleichzeitige Antrag, daß alle Vorlagen über Sachen des Glaubens oder der Disziplin den Konzilsvätern ausgehändigt, diese selbst nach Maßgabe der Nationalität oder Staatsangehörigkeit in etwa sechs Gruppen geteilt, die Konzilsreden gedruckt werden sollten. Es war ein Versuch, die nationale Gruppenbildungdurchzusetzen, u m mit nationalen Mehrheitsbeschlüssen, die sich nötigenfalls auch auf die Macht der Staaten stützen konnten, die international gemischten, aber fast rein papalistisch gefärbten Arbeitsausschüsse in Schranken halten zu können. Aber dieser von 85 Bischöfen unterzeichnete Antrag wurde von Pius IX. ebenso abgewiesen wie jener Antrag der 26. Das war nicht der erste Schlag für die gläubige Zuversicht, die Ketteier bei allem besorgten Zweifel noch hegte und zu bewahren suchte. Er hatte persönlich — er, mit seinem Selbstvertrauen und selbstsicheren Auftreten — bereits am 22. Dezember 1869 dem Papste bekannt, daß seine Wahrheitspflicht ihn zur Bekämpfung der römischen Unfehlbarkeitslehre nötige, und er hattq, kühner als alle die anderen, bei dieser Audienz versucht, den Papst von den Dogmatisierungsversuchen abzubringen; aber es war nur ein augenblicklicher Scheinerfolg des Bischofs, wenn sich Pius persönlich bereit erklärte, mit einer feierlichen konziliaren Anerkennung der im Jahre 1439 auf dem Konzil von Florenz aufgestellten Formel über die päpstliche Vollgewalt vorlieb zu nehmen: als wenige Wochen später die deutsche und österreichische Eingabe gegen das Verfahren der infallibilitätsfreundlichen Mehrheit sich auf die Florentiner Formel berief, die von päpstlicher Unfehlbarkeit nichts wußte, da fand sie im Vatikan bereits kein Echo mehr.

Ketteier und die bischöfl. Bewegung gegen den papatl. Absolutismus

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Die Gegensätze hatten sich in der Konzilsaula selbst schon gezeigt. In den letzten Tagen des Jahres 1869 begann die Behandlung der Vorlage „De doctrina catholica". Der Wiener Kardinal-Erzbischof Rauscher und andere sprachen so entschieden, daß Ketteier von diesem „vollendeten apostolischen Freimute" entzückt war. Die seit dem 8. Januar 1870 durchberatenen Vorlagen über die bischöfliche Stellung wiesen manche päpstliche Eingriffe in Bischofsrechte auf, und es fehlte ihnen viel von dem, was Bischöfe vom Schlage des Mainzers erwarteten, was der in Fulda beschlossene, jetzt in Rom von Ketteier und den meisten deutschen Bischöfen unterzeichnete Reformantrag forderte. Diese deutsche Eingabe war bischöflich in ihren kirchlichseelsorgerischen Anforderungen an die Bischöfe selbst, aber auch in ihren Ansprüchen auf den festen Anteil der Bischöfe bei der Kirchenregierung. Dem Geiste dieser deutschen Eingabe entsprach der Geist der ersten großen deutschen Bischofsreden im Konzil. Ketteier und sein von ihm'kirchenpolitisch einigermaßen abhängiger Freund Melchers teilten sich in die Aufgaben des Kritisierens und des Begehrens: der Kölner Erzbischof wies die in dem Entwürfe zutage tretenden Eingriffe in die Diözesanregierung zurück, forderte Dezentralisierung, Ausdehnung der bischöflichen Vollmachten; der Mainzer Bischof, an dessen Rede man den Freimut zugleich und den E m s t zu rühmen wußte, kam mit bestimmten Reformvorschlägen: neben seinem alten Lieblingsgedanken der Vita communis des Klerus steht die Forderung regelmäßiger Diözesan- und Provinzialsynoden; seine Erfahrungen und Meinungen über Bischofswahlen legte er in einer besonderen Eingabe vom 9. Februar nieder, mit dem Verlangen einer allgemeingültigen Erneuerung der tridentinischen Beschlüsse über die Bischofswahl. Die Stimmung der bischöflichen Gegner des Papalismus war damals schon gereizter. Kurz zuvor hatten sie von der Unfehlbarkeitsadresse erfahren, die bei der kurialistisch gesinnten Mehrheit seit den letzten Tagen, des Jahres 1869 in der Stille herumgegeben wurde. Die Abwehr gegen sie zuerst hat die Minderheit in starker Zahl zu festerer Form zusammengeführt: am 28. Januar 1870 wurde die Unfehlbarkeitsadresse dem Papste überreicht, am nächsten Tage die Gegenadresse mit 136 Unterschriften. Unter ehrerbietiger Anerkennung der päpstlichen Rechte stellt diese Eingabe fest, daß die Lehre von der Autorität des apostolischen Stuhles durch Tridentinum und Florentinum hinreichend ausgesprochen sei, daß es sich jetzt, da die Feinde der Religion die Kirche bedrohten, nicht empfehle, den Gläubigen neue Lasten auf zulegen; sie läßt der Hindeutung auf die Notwendigkeit, vor einer Dogmatisierung der päpstlichen Unfehlbarkeit die ihr entgegenstehenden geschichtlichen und selbst dogmatischen Schwierigkeiten zu überwinden, den Hinweis auf die Gefahren für die Kirche folgen. Das hieß, im Sinne der Fuldaer Taktik, im Sinne des Mainzer Bischofs verfahren, der sich denn auch sofort bei der ersten Besprechung vom 9. Januar auf die von Rauscher

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entworfene Adresse verpflichtet hatte. Vorsichtige Haltung empfahl sich schon darum, weil dem Konzile selbst die Lehre noch nicht vorgelegt worden war. Im Zeichen einer verhüllenden Taktik standen vollends die öffentlichen Erklärungen Kettelers. So sehr er selbst dazu neigte, alles in die Presse hineinzutragen: der Konzilsjournalismus, der das, was in der Konzilsaula verhandelt, was in der Gemeinschaft der Minoritätsbischöfe oder in einzelnen Gruppen vertraulich besprochen wurde, nach wenigen Tagen schon aller Welt zu erzählen wußte, der war ihm ebenso zuwider wie die schneidende theologische Kritik, die Döllinger und andere deutsche Gelehrte an dem Geschäftsgang, an Reden und Rednern des Konzils, ja a m P a p s t t u m selbst übten. Sein Bischofsgefühl empörte sich gegen das Dreinreden der Laien, gegen den Ton überlegener Belehrung bei deutschen Theologen. Gedrängt auch durch geistliche und weltliche Mahnungen aus der Heimat, die ihn die wachsende Gefahr der E n t f r e m d u n g zwischen ihm und seinen unfehlbarkeitsfreundlichen Mitarbeitern und Verehrern, der Verwirrung bei den Gläubigen erkennen ließen, veröffentlichte er im Mainzer „Katholik" eine unter dem 8. Februar gegebene Erklärung gegen Döllinger. Nicht daß er, wie es die Kurialisten und seine papalistischen Freunde in Deutschland so sehr wünschten, ein feierliches Bekenntnis zu der von Döllinger (und kaum anders ja von Ketteier selbst!) bestrittenen Unfehlbarkeitslehre abgegeben h ä t t e : was er t a t und — nach dem Scheitern seines Versuchs, die bischöflichen Gesinnungsverwandten zu einer gemeinsamen Erklärung gegen den „Herrn Stiftspropst" zu vereinigen — f ü r sich allein tun mußte, war einmal das, daß er, der ehemalige Hörer des Döllinger, „der einst seine Schüler in seinen Vorlesungen mit Liebe und Begeisterung gegen die Kirche und den apostolischen Stuhl erfüllte", jeden „Schein" einer Übereinstimmung seiner Ansichten mit denen des Döllinger ablehnte, „den jetzt die Feinde der Kirche und des apostolischen Stuhles mit Ehren überhäufen", war ferner die Abweisung des Döllingerschen Angriffs gegen den Primat selbst, der Döllingerschen Anzweiflung des Konzils von Florenz und der Döllingerschen Behauptung, das gegenwärtige Konzil „könne" nicht die päpstliche Unfehlbarkeit erklären. Obwohl die Leute an der Kurie und auch der Papst persönlich genugsam erfahren hatten, wie Ketteier dachte, hat ihm Pius mit einem eigenhändigen Schreiben für den Bischofsbrief gegen den „bekannten Münchner Professor" gedankt. Ob man durch diese lobende päpstliche Mahnung den einflußreichen Bischof zu gewinnen hoffte ? Aus der würdigen Antwort Kettelers kann man über die ehrerbietige Danksagung hinweg die Kritik einer solchen Zumutung herausfühlen: er stellt sein bischöfliches Amt dem Papste zur Verfügung, jedenfalls aber will er es nicht um den Preis seiner Überzeugung behalten; in jeder Frage will er auf dem Konzile handeln nach dem, was er f ü r wahr erkannt hat. Daß aber seine Wahrheitserkenntnis nicht

Kettelers Kampfstellung auf dem Konzil nach außen verhüllt

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die des Papstes war, daß der Bischof gerade in der Papstfrage verwarf, was Kurie und Kurialisten wünschten, das war schon damals klar und sollte sich seit dem Februar 1870 immer deutlicher zeigen. Die am 20. Februar eigens zur leichteren Durchsetzung der papalistischen Doktrin verfügte Abänderung der Geschäftsordnung gewährte die Möglichkeit, die weitere Behandlung einer Sache jederzeit durch Mehrheitsbeschluß abzuschneiden, und überließ einer derartigen parlamentarischen Entscheidung auch das Schicksal der einzelnen Anträge. Das war das Gegenteil dessen, was Ketteier noch beim Abschiede seinen Diözesanen als selbstverständlichen Konzilsbrauch verkündet hatte. Er empörte sich über diese römische Verfügung aufs äußerste. Im Gespräche und sogar in der schriftlichen Begründung seines am 10. März dem Glaubensausschuß eingereichten Gegenantrags nannte er eine dogmatische Entscheidung ohne moralische Einstimmigkeit ein wahres Verbrechen. Schon acht Tage vorher h a t t e er — gegenüber dem Willen der Mehrheit, die den Papst auf ihrer Seite wußte, freilich jetzt wie später ohnmächtig — eine Eingabe aufgesetzt, die, neben zwei anderen, umständlicheren einhergehend, vor allem einen Debatteschluß gegen den Willen der Minderheit unmöglich machen wollte (er sollte, wenn fünfzig widersprächen, nicht zulässig sein) und f ü r dogmatische Konzilsbeschlüsse die moralische Einmütigkeit aller Bischöfe forderte; die Erfüllung gerade dieses Begehrens sei, so hieß es in der Eingabe, und das ist f ü r Kettelers Bischofsart bezeichnend, auf dem gegenwärtigen Konzil um so mehr geboten, als man hier Väter zur Abstimmung zugelassen habe, von denen es fraglich sei, ob ihnen dieses Recht nur kraft kirchlicher oder auch kraft göttlicher Rechte zustehe. Dieser — vergebliche — Bischofskampf gegen die Geschäftsordnung des Konzils war seinem letzten Sinne nach ein — vergeblicher — Kampf gegen die Unfehlbarkeit des Papstes. Als solcher mußte er schon darum auch von den Konzilsmitgliedern selbst betrachtet werden, weil inzwischen der Prüfungsausschuß gegen die einzige Stimme Rauschers die Unfehlbarkeitsadresse dem Papste zur Annahme empfohlen hatte, und die baldige Einbringung des neuen dogmatischen Schemas für gewiß gelten durfte. Am 7. März wurde t a t sächlich der Entwurf über die Unfehlbarkeit des Papstes dem Entwurf über die Kirche eingefügt. Aber der Beginn der Beratung schien noch fern. Ehe dieser große Kampf in die Konzilsaula getragen wurde, führte man den konziliaren Kleinkrieg um zwei andere Vorlagen. Die Vorlage „De fide catholica", im wesentlichen eine nicht gerade im Sinne der bischöflichen Kritiker durchgeführte Überarbeitung des früheren Schemas „De dodrina catholica'1, wurde mit ihren Sätzen über Gott und Offenbarung, Glaube und Vernunft am 24. April in der dritten öffentlichen Sitzung, nach einmütiger Billigung durch die Bischöfe, feierlich zum Dogma erhoben.

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Die zweite Vorlage b e r ü h r t e wieder u n m i t t e l b a r bischöfliche Rechte, obwohl sie n u r d e m K a t e c h i s m u s galt. Die K u r i e zeigte a u c h hier ihre zentralistischen N e i g u n g e n : die ganze katholische Welt sollte nach Einem K a t e c h i s m u s u n t e r r i c h t e t werden, u n d m a n wollte etwa den Deutschen m i t ihrem ausgebildeten Volksschulwesen nicht n u r den gleichen K a t e c h i s m u s z u m u t e n wie den H a l b a n a l p h a b e t e n dieses oder jenes Landes, sondern a u c h d o r t wie hier d e n K a t e c h i s m u s u n t e r r i c h t n u r f ü r Sonn- u n d Feiertage u n b e d i n g t verbindlich m a c h e n . Das hieß im G r u n d s a t z a u s s p r e c h e n , d a ß der schulmäßige regelrechte Religionsunterricht nicht m e h r b e d e u t e n sollte als sonntägliche Kirchenunterweisung. Abruzzenschulpolitik a m R h e i n e ! K e t t e i e r f ü h l t e in diesen römischen E n t w ü r f e n den Schlag gegen die bischöfliche Bewegungsfreiheit, zugleich a b e r sah er, der Bischof der Seelsorge und der Schulüberwachung, die priesterlichen E r z i e h u n g s a u f g a b e n und die bischöfliche Schulpolitik g e f ä h r d e t . Minoritätsbischöfe b e a n s t a n d e t e n — u n t e r d e m Murren der Gegner, die sich i m m e r m e h r selbst als T r ä g e r einer besonderen kirchlichen U n f e h l b a r k e i t zu f ü h l e n schienen — die B e s c h r ä n k u n g bischöflicher R e c h t e in der K a t e c h i s m u s v o r l a g e und w a n d t e n sich gegen den g e p l a n t e n allgemeinen Z w a n g s k a t e c h i s m u s . Rauscher, der die Vorlage g r u n d s ä t z l i c h v e r w a r f , s u c h t e sie unschädlich zu machen durch den Antrag, die V o r s c h r i f t in eine bloße Esftißfehlung zu verwandeln. Der laute W i d e r s p r u c h der Mehrheit zeigte sofort die Aussichtslosigkeit dieser T a k t i k . K e t t e i e r , der m i t R a u s c h e r in der bischöflichen G r u n d a u f f a s s u n g ü b e r e i n s t i m m t e , b e m ü h t e sich, u n t e r tatsächlicher H i n n a h m e des u n e r w ü n s c h t e n Unvermeidlichen, seinen s t ä r k s t e n priesterlich-erziehlichen u n d auch seinen s t ä r k s t e n bischöflichen Bedenken Gehör zu verschaffen. Er verlangte in seiner Rede vom 30. April die Streichung jener S o n n t a g s m i n d e s t f o r d e r u n g , die wenigstens in Deutschland, wie er richtig s a g t e , n u r den Feinden der Kirche willkommen sein w e r d e ; a b e r er v e r l a n g t e zugleich, und er wiederholte diese F o r d e r u n g zweimal, d a ß der g e p l a n t e Einheitskatechismus vor der Veröffentlichung allen Bischöfen zur Beguta c h t u n g zugeschickt werden müsse: die Bischöfe sollten also mitsprechen; sie m ü ß t e n , so l a u t e t e seine bischöfliche B e l e h r u n g Roms, den neuen K a t e c h i s m u s mit f r ü h e r e n vergleichen, u m den Schaden der E i n f ü h r u n g eines schlechten K a t e c h i s m u s v e r h ü t e n zu k ö n n e n . Aber der Disziplinarausschuß, der kurialistisch g e f ä r b t w a r wie die anderen Ausschüsse auch, n a h m zwar den priesterlich-seelsorgerisch b e g r ü n d e t e n ersten Vorschlag Ketteier an, strich also die W o r t e ü b e r den bloßen Sonnt a g s u n t e r r i c h t ; der Bischofsgedanke bischöflicher Mitarbeit aber w u r d e im Geiste des päpstlichen A b s o l u t i s m u s verworfen. Auch hier das sinnvolle Vorspiel des H a u p t s t ü c k e s ! Dieses selbst sollte nun überraschend schnell a u f g e f ü h r t werden. Die bischöflichen Betreiber der p ä p s t l i c h e n Unfehlbarkeit — einer der eifrigsten war Senestrey von R e g e n s b u r g — e r k a n n t e n die

Ketteier als konzillarer Verteidiger der Bischofsrechte

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Gefahr der Hinauszögerung: kirchliche Schwierigkeiten, politische Verwicklungen konnten ihren und des Papstes Lieblingsgedanken stören. Die neue Geschäftsordnung hatte die Aufgabe, bei der Behandlung der Unfehlbarkeitsfrage in dem Plenum des Konzils den Papalisten den Sieg zu erleichtern. Aber ob diese Frage vor den anderen, bereits vorliegenden, ob sie außer der Reihe, gesondert wie ein Allerheiligstes, in die Konzilskirche gebracht werden sollte, das hatte, aller Konzilsordnung nach, der Glaubensausschuß zu entscheiden. Dieser fast ganz papalistisch gefärbte Glaubensausschuß besaß nun in seiner Mehrheit doch so viel kirchliches, so viel konziliares Verantwortungsgefühl, daß er davor zurückscheute, von sich aus eine gewaltsame Verschiebung vorzunehmen. Da ist es der Papst persönlich gewesen, der, getragen von dem Eifer der bischöflichen Unfehlbarkeitswerber und getrieben von seiner eigenen Unfehlbarkeitssehnsucht, die Konsiispräsidenten zwang, den bisherigen Verhandlungsplan umzustoßen und den Entwurf „De Romano pontifice" allem anderen voranzustellen. Es war der Staatsstreich des absolutistischen Papstes gegen die verfassungsmäßigen Mächte der Kirche und des Konzils. Pius IX. wies als tatsächlich absoluter Herr den kürzesten Weg zur dogmatischen Sicherung seiner schon im voraus geübten höchsten Gewalt in Kirchenregierung und Glaubensentscheidung. Die Einbringung des Unfehlbarkeitsantrags selbst war schließlich auch den Minoritätsbischöfen, so sehr sie ihr widerstrebten, nicht überraschend gekommen: mit diesem Staatsstreich des Papstes aber traf sie ein wirklich unerwarteter Schlag. Sie pflegten gut unterrichtet zu sein über die Pläne und Entschließungen der einzelnen Ausschüsse, über die Stimmungen der maßgebenden konziliaren Oberschicht; sie kannten die Haltung der Mehrheit, der Konzilspräsidenten, sie erfuhren von dem Drängen des Papstes, aber auch von dem Widerstand in dem Glaubensausschuß: das willkürliche Durchgreifen aber des Papstes wirkte still und plötzlich, und inmitten jener Katechismuserörterungen, am Tage vor der Kettelerschen Rede, am 29. April, verkündete der Vorsitzende Kardinal, daß das Thema „Vom Papste" vorausgenommen werden sollte, „auf den Wunsch sehr vieler Konzilväter". Ketteier, dessen innere und äußere Anteilnahme an den Konzilsaufgaben so echt und so stark war, der dem von ihm persönlich verehrten Papste persönlich und ehrlich seine Gesinnung und seine Absichten aufgedeckt hatte, der zugleich um des Papstes und der Kirche willen als Verteidiger des Konzils gegen Döllinger aufgetreten war und den oberflächlichen Betrachtern da draußen wie ein Verteidiger der päpstlichen Unfehlbarkeit erscheinen konnte, er mußte sich durch dieses päpstliche Gewaltverfahren in seinen versöhnlichen Bestrebungen wie in seinen innersten Empfindungen getroffen fühlen. Er selbst hatte — mit theologischer Hilfe, versteht sich 1 ) — ein besonderes Schema Vermutlich hat der Jesuit Quarella (s. unten S. 588 f.) mitgearbeitet.

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„De sanda ecclesia catholica" zustande gebracht, das jenes ihm wenig durchsichtig und namentlich allzu unbischöflich scheinende Januarschema des Konzilsausschusses womöglich verdrängen sollte. Aufbau und Grundgedanken dieses Kettelerschen dogmatischen Entwurfes, der nun freilich mehr durch vermittelnde Gedanken als durch scharfe Bestimmtheit ausgezeichnet ist, sind kirchlich-bischöflich. Zuerst wird von den Rechten der Bischöfe gesprochen, dann von denen des übergeordneten Papstes; die besonderen Rechte des Papstes in Kirchenregierung und Glaubenssatzung werden etwa im Sinne der Mainzer bischöflichen Konzilsschrift vom Februar 1869 betrachtet. In einzelnen dieser Betrachtungen und Erörterungen Kettelers mochten die schrofferen Widersacher der päpstlichen Unfehlbarkeitslehre ein Zugeständnis an diese oder gar, wie, sicher mit Unrecht, der ungarische Erzbischof Haynald, „die ganze Infallibilität" finden: das, was bindend verpflichten sollte, lag doch nur in den bestimmten Sätzen, die Kettelers Schema als Definitionsformel, als unmittelbaren Gegenstand der dogmatischen Entscheidung bot; hier aber ist nicht von p ä p s t l i c h e r Unfehlbarkeit die Rede, sondern lediglich von der Irrtumsfreiheit der Kirche, deren Dogmatisierung eben im Sinne Kettelers die besondere Dogmatisierung der päpstlichen Unfehlbarkeit ausschließen sollte. Ketteier konnte diese Vorlage erst am 9. März den Konzilsmitgliedern zustellen lassen. Da aber mußte sie schon als überholt gelten, denn drei Tage zuvor war dem Konzile jener Zusatz zu dem Schema „De ecclesia", jenes Kapitel von der päpstlichen Unfehlbarkeit zugegangen. Gegen dieses Unfehlbarkeitsschema aber wandte sich Ketteier sofort in förmlichen „Observationes", wie sie, Antrag und Begründung bringend, dem Glaubensausschuß eingereicht werden mußten. Auch hier berief er sich auf seinen eigenen Entwurf „De sanda ecclesia catholica'', aber er beantragte jetzt kurzweg die Streichung des nicht genügend begründeten und schädlichen Unfehlbarkeitsschemas; für den Fall, daß (wie vorauszusehen) dieses Begehren abgewiesen werden sollte, forderte er eine erschöpfende Erörterung der Stellen aus Bibel ünd Tradition und aller kirchengeschichtlichen Quellen, die in Frage kämen. Schließlich verlangte er für die endgültige Entscheidung moralische Einstimmigkeit, und hier eben stand jenes scharfe Wort, das freilich künftig auch den Bischof selbst belasten sollte: eine andere Form der Entscheidung sei ein wahres Verbrechen an der Kirche. Solche Anregungen und Anträge des Mainzer Bischofs erschienen manchem guten Kurialisten als eitel Ketzerei. Durch die umfassende Schrift aber, die Ketteier gegen das Unfehlbarkeitsschema in Umlauf setzte, fühlte sich der Papst persönlich in seinen eigensten Rechten und Erwartungen verletzt. Auch hier haben wir es nicht mit einer selbständigen theologischen Arbeitsleistung des Bischofs zu tun. Die noch im März gedruckte „Quaestio" ist das Werk des Jesuitenpaters Quarclla, des Theologierepetenten im Collegium Germanicum. Aus dem Schöße

Kettelers dogmatische Entwürfe für das Konzil. Die „Quaestio"

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des, wenn man so sagen darf, Unfehlbarkeitsordens selbst, aus der jesuitischen römischen Musterbildungsstätte ging diese höchst energische Schrift hervor. Dieses Jesuitenbuch, das so unjesuitisch war — kein anderer Jesuit hat sich denn auch mit Quarella zur Ablehnung der Unfehlbarkeitsdoktrin bekannt —, ist zugleich doch des Bischofs Buch: es sind beharrende Grundgedanken Kettelers, die hier auseinandergesetzt werden, und einzelne Ausdrücke weisen unmittelbar auf seine Mitarbeit hin. Er selbst hat übrigens von seiner Beteiligung gesprochen, und sie wird, da er ein Hausgenosse des Paters war, sich bei der Entstehung aller Teile des Buches gezeigt haben. Die „Quaestio" als Ganzes jedenfalls war nach seinem Sinne, nach seinem Willen, nach seiner Weisung geschrieben: sie war, von außen wie von innen gesehen, sein Konzilsbuch. Er hat sie in der Schweiz drucken lassen, er hat, als sie auf den persönlichen Wunsch des Papstes beim Eintreffen in Rom beschlagnahmt wurde, mit scharfen Worten an den KardinalStaatssekretär, ja unter der Drohung mit buchhändlerischem Vertrieb ihre Freigabe erzwungen; auch durch den schulmeisterhaften, zugleich fromm-brutalen Rat des Papstes, er möge sich vor dem Kruzifix niederwerfen und dort überlegen, was er mit der Schrift zu tun habe, ließ er sich nicht davon abhalten, persönlich die „Quaestio" unter die Konzilsgenossen zu verteilen (Mitte April 1870). Diese Schrift sollte eben nicht, wie die fälschende Legende hinterdrein glauben machen wollte und nur allzu viele glauben zu machen vermochte, lediglich eine sorgsame Prüfung der Bedenken veranlassen, damit die ihm im Grunde höchst willkommene Lehre vollends gesichert dastehe; die „Quaestio" konnte und sollte vielmehr allein dem unmittelbaren, scharfen Kampfe gegen die römischen Lehrmeinung dienen. Darum gerade konnte Ketteier sie als das beste Mittel bezeichnen, seine Anschauung allen Konzilsvätern mitzuteilen, darum gerade hat er ihre Grundsätze vor versammeltem Konzil unerschütterlich als seine Überzeugung vorgetragen. Die „Quaestio" dringt denn auch bis zu dem Punkte vor, den gerade der Mainzer Bischof als den Mittelpunkt seiner eigenen Auffassung betrachten mufite. Nicht die Unfehlbarkeitsdoktrin allein, vielmehr der ihr zugrunde liegende Gedanke des papstlichen Absolutismus, den Ketteier verabscheute, wird hier bekämpft. Ist die Kirche gemäßigte oder absolute Monarchie? Das ist die Grundfrage. Die Antwort bedeutet die Ablehnung der Lehre von der päpstlichen plenitudo potestatis, bedeutet — das gemahnt an den gemäßigten Gallikanismus und war mit dem Florentinum nicht ganz leicht zu vereinbaren — die Verkündigung der Anschauung, daß die Fülle der kirchlichen Gewalt aus der überwiegenden des Papstes und der ihr untergeordneten der Bischöfe bestehe, daß nur in der Gemeinschaft der Bischöfe und ihres Hauptes die höchste Lehrgewalt ruhe. Eine Verkündigung der päpstlichen Unfehlbarkeit als solcher sei nur möglich nach Beseitigung aller, dieser Lehrmeinung entgegenstehenden theologischen und geschichtlichen Bedenken; diese Verkündigung gilt dem Verfasser aber als unnötig, ja — hier vernimmt man Kettelers Sprache — sie wäre angesichts des Widerstandes, der sich gegen sie in der Kirche erhebt, geradezu ein unerhörter Vorgang.

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Die starke Erregung, die dieser Vorstoß Kettelers beim Papste und im Konzil hervorrief, war noch kaum abgeklungen, als die Unfehlbarkeitsfrage mit jener päpstlicher Botschaft v o m 29. April plötzlich aus dem Kreise der Broschüren und Parteibesprechungen in den Kreis der Konzilsverhandlungen selbst geführt wurde. So kam die Frage vor das berufene Gericht, um nun dort erst von denen, die sie verneinten, mit der vollen Wucht sachlich begründeter Gegnerschaft angefaßt zu werden. Die Eröffnung der Verhandlungen über die Unfehlbarkeitsvorlage, deren endgültige Fassung und Anerkennung dem Vatikanischen Konzile seinen eigentlichen Platz in der Geschichte des Katholizismus geben sollte, wurde von der Minorität mit einem förmlichen Einspruch gegen die päpstliche Änderung der konziliaren Verhandlungsfolge begleitet. Man erkennt, wie bedeutend der Eindruck der Persönlichkeit und der sachlichen Mitarbeit Kettelers bei den bischöflichen Gegnern der päpstlichen Unfehlbarkeitslehre war, wenn man sieht, daß, in diesem Augenblicke der ersten durchgreifenden Spannung zwischen Bischöflichkeit und Papalismus in dem Konzilsplenum selbst, der Mainzer Bischof als Führer im Widerstand und Widerstreit anerkannt wurde. Der feierliche Einspruch, den 71 Bischöfe unter dem 8. Mai an den Papst richteten, ist von Ketteier aufgesetzt. Er verrät Kettelers bischöfliche Auffassung im Entgegenkommen und im Festhalten. Auch dieser schneidigste aller großen Bischofsbriefe, die Pius IX. Oberhaupt von der Konzilsminderheit hat hinnehmen müssen, zeigt sich nämlich entgegenkommend da, wo ein Verstehen, ein Zusammengehen, ein Ausgleich möglich schien: mahnend und lockend zugleich erinnert er daran, daß in der getrennten Behandlung, in der Absonderung des Papstes vom Episkopat, in der Herauslösung der päpstlichen Vorrechte aus dem kirchlichen Zusammenhang eine Gefahr liege, die bei Wahrung des Zusammenhanges, bei der Betrachtung der Vorrechte des Hauptes erst nach Feststellung der Aufgaben der Glieder vermieden werden könne. Aber dieser Einladung zur Verständigung, zur Rückkehr auf den alten Boden folgt eine Erklärung, die es als kirchliche Pflicht hinstellt, jenen gegebenen Zusammenhang zu erhalten: es sei eine in den Regeln des Glaubens wie der Logik begründete Notwendigkeit, vom Papste lediglich im Zusammenhange mit der allgemeinen Kirche zu sprechen, die Behandlung des höchsten Lehramtes der Kirche und der überall anerkannten Unfehlbarkeit der Kirche den Erörterungen über die keineswegs unbezweifelte Unfehlbarkeit des Papstes vorangehen zu lassen. Wird die Wahrung der Bischofsrechte als Wahrung auch des richtig verstandenen päpstlichen Interesses hingestellt — ein Gegenstück zu dem päpstlichen Ausspruch, ein Papst könne unmöglich wirkliches Bischofsrecht verletzen! —, so ist damit ein päpstlicher Vorstoß gegen Bischofsrechte geradezu als Vorstoß auch gegen päpstliche Rechte verurteilt. Aber die Verdammung wird ganz unmittelbar ausgesprochen durch die schneidenden Worte, daß die Bischöfe, die, im Kampfe nicht gegen Kirchenfeinde, sondern gegen Brüder, Schulmeinungen zum Siege verhelfen wollen, der Kirche den schwersten Schaden zufügen. Damit wird der Papst selbst, ohne genannt zu sein, tatsächlich als ein Schädiger der Kirche bezeichnet. So ward diese versöhnliche Ausgleichsbereitschaft zur kräftigen Kriegsstimmung. Diesen Kriegsruf aber trug Ketteier auch in die Konzilsaula. Seine Konzilsrede vom 23. Mai berührt sich darin mit dem von ihm aufgesetzten Einspruch v o m 8. Mai, daß sie nochmals die willkürliche Umkehrung der Verhandlungsfolge förmlich verurteilte. Aber diese

Bischöfl. Einspruch gegen die Unfehlbarkeitsvorlage.

K-s Rede v. 23. 5 . 1 8 6 9

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g e w a l t i g s t e Konzilsrede, die der Mainzer, eine der e i n d r u c k s v o l l s t e n , die ü b e r h a u p t ein B i s c h o f g e h a l t e n h a t , w ä c h s t w e i t h i n a u s ü b e r einen bloßen Streit u m die G e s c h ä f t s o r d n u n g , in d e m freilich s c h o n e t w a s v o n d e m Sachlichen lag. Diese wahre Bischofsrede w u r d e z u m u n m i t t e l baren w u c h t i g e n Angriff g e g e n die römische A n t w o r t auf die P a p s t f r a g e , die, v o n d e m S t r e i t e der J a h r h u n d e r t e u n d d e n L e i d e n s c h a f t e n d e s A u g e n b l i c k s u m t o b t , j e t z t zur E n t s c h e i d u n g g e s t e l l t w a r . W a s K e t t e i e r vorher in E i n g a b e n und Schriften, in R e d e n und B e m e r k u n g e n g e l e g e n t l i c h g e ä u ß e r t , e t w a s v o r s i c h t i g zögernd n o c h a n g e d e u t e t h a t t e , d a s e r s c h e i n t hier z u s a m m e n g e f a ß t in klarer B e s t i m m t h e i t , g e s t e i g e r t z u m g r o ß a r t i g e n B e k e n n t n i s , z u m bischöflichen B e k e n n e n des G l a u b e n s hier, der V e r w e r f u n g dort. Ketteier verwirft hier den päpstlichen Absolutismus, der mit der Lehre von dem papstlichen Universalepiskopat die alten Grundsätze der Kirchenregierung, mit der Lehre von der Unfehlbarkeit des Papstes das überkommene Glaubensleben bedroht. Was die Konzilsvorlage als päpstliche Unfehlbarkeit verkündet, das ist nicht mehr jene Lehre von der päpstlichen Unfehlbarkeit, die auch ihm stets als höchst angesehene, wenn schon nicht dogmatisch völlig gesicherte Lehre gegolten h a t , ist vielmehr eine Schulmeinung, die man jetzt zur WQrde eines Dogmas erheben will; jetzt soll allen unter Strafe der Exkommunikation der Glaube vorgeschrieben werden, daß auch dann der Papst unfehlbar sei, wenn er allein, unabhängig von der ganzen Kirche spreche. Damit sind nach Kettelers Meinung die Bischöfe, denen Christus In den Aposteln die Lehrgewalt gegeben und den Beistand des Heiligen Geistes verheißen hat, in bezug auf die oberste und unfehlbare Lehrgewalt von den übrigen Gläubigen nur durch die Verpflichtung zur Verkündigung päpstlicher Dekrete unterschieden. Durch diese Dekrete aber scheint ihm „die göttliche Konstitution der Kirche verändert und vernichtet zu werden". Einen unbischöflichen Geist findet er schon in den ersten Kapiteln des Schemas, die, unter maßloser Übertreibung der „gewiß heiligsten, doch nicht einzigen" päpstlichen Autorität, die Lehre vom Primat behandelte; etliche zweideutige Worte, meint er, könnten den Anschein erwecken, als seien die göttlichen Rechte der Bischöfe bestritten und dem Papste eine Herrschaft zugewiesen, die nur Christus, dem Stifter der Kirche, zukomme. Wie es Freunde der weltlichen Monarchie gibt, die diese schädigen, weil sie Heil und Kraft der Monarchie im Absolutismus sehen, schwächen treue Freunde der Kirche und des Primats gegen ihren Willen beide, indem sie deren Heil in einem gewissen Absolutismus des Papstes erblicken; denn auch den Primat schwächt man, wenn man den Episkopat seiner Kraft beraubt. Auch das Zeugnis der Kirche Ober Offenbarungswahrheiten scheint ihm abgeschwächt, wenn der Papst allein als Zeuge gilt. Ketteier schloß seine Rede, unter dem wachsenden Murren der Majoritätsbischöfe, mit der feierlichen Verwahrung gegen päpstlichen Absolutismus in der Kirche Den Absolutismus, dem so viele Übel entwachsen sind, der den Menschen verdirbt und erniedrigt, will er von der Kirche ferngehalten sehen; er möchte die Autorität der Kirche als das Fundament jeder Autorität durch das Konzil verkündet wissen, aber zugleich soll man zeigen, daß die Kirche, deren ganze Regierung von Gott angeordnet und gut geregelt ist, keine willkürliche, ungebundene, absolutistische Gewalt kennt, daß es nur Einen absoluten Herrn und Monarchen gibt: Jesum Christum, der sich die Kirche durch sein Blut erworben hat. D a s w a r ein w ü r d e v o l l e s und in seiner W e i s e großartiges B i s c h o f s b e k e n n t n i s zu der b e s t e h e n d e n K i r c h e n v e r f a s s u n g und K i r c h e n l e h r e . W i e vorher in d e n V e r h a n d l u n g e n der Minoritätsbischöfe, s o s t a n d K e t t e i e r j e t z t vor v e r s a m m e l t e m Konzile, vor der G e n e r a l k o n g r e g a t i o n

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als einer der Führer der Minorität da. Seine Rede vom 23. Mai erschien auch Majoritätsbischöfen von der Art des Regensburgers als der stärkste Ausdruck der gegnerischen Anschauungen. Hatte die „Quaestio", die immerhin förmlich des Jesuitenpaters und nicht des Bischofs Werk war, noch Zweifel gelassen: jetzt konnte die Kurie keine Hoffnung mehr auf Ketteier setzen. Noch einige Wochen zuvor mochte man sich von dem Ausspielen der M a i n z e r Stimmungen gegen Ketteier etwas versprechen. Der dogmatische Meinungszwiespalt zwischen ihm und seinen Mainzer Getreuen mußte in der Tat für den Bischof eine schwere Last sein. Auch seelisch schwer. Er hatte seine Diözese allenthalben mit dem Geiste der Kircheneinheit erfüllt, hatte das romtreue geistliche Mainz zu dem gemacht, was er w a r ; er hatte sich nach päpstlichem Urteil als vorbildlicher Bischof bewährt, treuliche Unterordnung unter Rom sich und allen zur Pflicht gemacht. Er wollte auch jetzt und gerade jetzt seine bischöfliche Treue gegen Rom zeigen, aber eben seine b i s c h ö f l i c h e Treue. Er konnte es nun erleben, daß Mainzer Kleriker, gutentcjls seine Helfer oder seine Geschöpfe, sich päpstlicher fühlten und so auch kirchlicher däuchten als ihr Bischof: er freilich wußte, daß die wenigsten von ihnen den tieferen Sinn seines bischöflichen Widerstandes erfaßten oder auch nur, so wird er nach seiner Art geurteilt haben, erfassen konnten. Jedenfalls: das geistig romanisierte Mainz zeigte sich, anders als der Bischof, auch in dem Kirchenbegriffe romanisiert. Die Mainzer Kleriker und Klerikalen von Einfluß standen in der Unfehlbarkeitsfrage fast geschlossen gegen ihren Herrn und Meister. Moufang mag im Frühjahr 1870 noch seine Auffassung vom Frühjahr 1869 bewahrt haben. Aber wenn überhaupt, dann nur in der Stille. Der noch immer von ihm und Heinrich geleitete „ K a t h o l i k " vertrat den römischen Standpunkt, und das „Mainzer J o u r n a l " gar arbeitete mit einem ganz unproblematischen Eifer der Einbürgerung des werdenden Dogmas vor. Diesen Mainzern war es nicht unbekannt, daß die öffentlichen Erklärungen Kettelers seine wahre Meinung verhüllten; nur die Harmlosen oder seine jugendlich gläubigen Verehrer konnten in ihm einen Anhänger der Unfehlbarkeitslehre sehen 1 ), die Wissenden aber mußten seine Kundgebungen gegen Döllinger nur mit bitterem Ärger oder grimmigem Humor lesen. Der Mainzer Seminargeist schlug gegen den Bischof selbst aus. Der Münchner Nuntius Meglia, der im Frühjahr 1869 dem Bischöfe gegenüber die unfreundliche römische Beurteilung der Bischofsschrift über das Konzil beklagt hatte, stand im Frühjahr 1870 in geheimer Verbindung mit führenden Männern der Mainzer Diözese. Diese Untergebenen Kettelers, die ihm unmittelbar nicht entgegenzutreten wagten, unterrichteten den Nuntius davon (und dieser ') So Graf Paul v. Hoensbroech, der damals Primaner des Mainzer Gymnasiums war und im bischöflichen Hause wohnte. Vgl. v. Hoensbroech, B. v. K.: Preuß. Jahrbücher 102 (1900) S. 97; auch v. Hoensbroech, 14 Jahre Jesuit, Volksausgabe (1912) 1, 106.

Die Mehrheit des Mainzer Klerus gegen Kettelers Haltung

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gab am 4. Mai 1870 die Nachrichten an Antonelli weiter), daß die übergroße Mehrheit des Klerus sich mehr oder weniger offen zugunsten der Unfehlbarkeitslehre ausgesprochen habe und ihren Unwillen gegen ihren Bischof laut ausdrücken würde, wenn nicht die Pflicht der Unterwürfigkeit im Wege stehe. Ketteier kannte diese Mainzer Stimmungen vermutlich aus unmittelbaren Berichten, aber schon an der Haltung des „Mainzer Journals" konnte er sie Tag für Tag ablesen. Nicht aus Rücksicht auf die Eiferer, aber aus Rücksicht auf die Massen der Gläubigen, aus Rücksicht auch auf das Konzil und die bischöfliche Stellung beharrte er noch nach der großen Rede vom 23. Mai auf der verhüllenden Taktik: der „Katholik" erhielt im Juni eine irreführende, kaum noch scheinwahre Erklärung des Bischofs über seine Stellung auf dem Konzil. Aber die Betulichkeit des Journals, dessen politische Haltung ihm auch damals nicht genehm war, bedauerte Ketteier, und im Juli noch mußte schließlich der „Katholik", widerstrebend genug, eine vom Bischof eingegebene römische Korrespondenz veröffentlichen, die von jener infallibilitätsfreundlichen Mainzer Meinung abwich und allen, die den Sinn der Gegensätze überhaupt erfaßten, die wahre Meinung des Bischofs offenbaren mußte. Die Zeit bischöflicher Erklärungen, kirchlich-episkopalistischer Siegesmöglichkeiten war indessen damals vorüber. Auch an dem kurzen sommerlichen Endkampf auf dem Konzile hat Ketteier einen ganz persönlich bestimmten Anteil. Seine Rede vom 23. Mai bezeichnet den Höhepunkt seiner Konzilsbekenntnisse, nicht seiner Konzilsarbeit. Seit der zweiten Maihälfte verfolgte er die Reden und Unternehmungen der Mehrheit mit verstärkter kritischer Wachsamkeit. Die Stimmung der Gegner trat ihm sogleich nach seiner Rede ganz unmittelbar entgegen in der beifälligen Aufnahme der Rede Mannings, die zu seiner Empörung die Unfehlbarkeit der Kirche auf die Unfehlbarkeit des Papstes gründen und diese überhaupt zum Unterbau der ganzen Kirche machen wollte; bei diesem Erzbischof von Westminster, der vielen fast wie ein Kirchenvater vorkam, fand Ketteier alles voll willkürlicher Behauptungen, voll Subjektivismus. Aber er mußte sich sagen, daß dieser Konvertit mit seiner „urprotestantischen" Anschauungsweise doch die Konzilsmehrheit für sich hatte, auf der siegenden Seite stand. Als die zweckvolle Geschäftsordnung sich am 3. Juni in dem Mehrheitsbeschlüsse über die Beendigung der Generaldebatte bewährt hatte, gab es für die Minorität neben der verzweifelten und in jedem Sinne ungewissen Hoffnung auf eine sommerliche Vertagung vor Verkündigung der Unfehlbarkeit — eine Empfindung, die auch dem enttäuschten Ketteier nicht fremd blieb —, neben der kaum weniger verzweifelten Hoffnung auf ein Zugeständnis des Papstes selbst nur noch die höchst fragwürdige bescheidene Aussicht, bei Beratung der einzelnen Bestimmungen wenigstens die schroffste papalistische Prägung verhüten zu können. Den Gedanken, Vi gen er, Bischof Ketteier

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IV 1: Bischoftuni und Papsttum: Das Vatikanische Konzil

d u r c h A u s t r i t t a u s d e m Konzil dessen Unfreiheit v o r aller Welt zu b e k u n d e n , v e r t r a t e n n u r wenige, u n d auch sie m e h r im S t u r m e der E m p ö r u n g als in k ü h l e r Berechnung. Ketteier lehnte m i t den meisten Minoritätsbischöfen einen solchen Vorschlag ab u n d g a b sich zufrieden m i t dem von ihm u n d Hefele besonders u n t e r s t ü t z t e n Einspruch, den Rauscher e n t w o i f e n h a t t e . Bedenklicher als diese v o m Gegner wohl k a u m b e m e r k t e Meinungsverschiedenheit w a r die wenig geschlossene, wenig k r a f t v o l l e H a l t u n g der Minorität gegenüber d e m d r i t t e n Kapitel in der ersten S a t z u n g „De ecclesia Christi", dem Kapitel über den päpstlichen Universalepiskopat. K e t t e i e r allerdings w a r hier ganz fest und k l a r : d e n Universalepiskopat h a t t e die „Quaestio", h a t t e nachdrücklicher seine Rede v o m 23. Mai a b g e l e h n t . Die siegessichere Mehrheit a b e r schuf jetzt eben einen d o g m a t i s c h e n Satz, der die päpstliche Gewalt in der Kirche als bischöflich, u n m i t t e l b a r u n d ordentlich bezeichnete, u n d sie belegte mit feierlicher V e r d a m m u n g nicht n u r die L e u g n u n g der päpstlichen Vollgewalt ü b e r h a u p t , sondern ausdrücklich auch — das war ein v o m P a p s t selbst gewünschter Z u s a t z — die Meinung, d a ß der P a p s t nur den überwiegenden Teil, n i c h t aber die ganze Fülle der höchsten Gerichtsgewalt über die ganze Kirche besitze; also eben jener gallikanische Satz, den Ketteier mit der „Quaestio" als die allein wahre Kirchenlehre v e r t r e t e n h a t t e , w u r d e n u n mit d e m A n a t h e m belegt. W e n n nicht die Sache selbst weit über das Persönliche hinauswiese, so könnte m a n v e r s u c h t sein, hier die päpstliche B e s t r a f u n g des eigenwüchsigen und eigenwilligen Mainzer Bischofs zu finden. Ein Kerns t ü c k des kirchentreuen Episkopalismus, des gemäßigten Gallikanismus, des uralten rechtgläubig-bischöflichen Kirchenbegriffs ward mit der A n n a h m e jener Vorschläge des Glaubensausschusses a m 11. Juli 1870 d u r c h rechtsförmigen Konzilsbeschluß v e r d a m m t und begraben. Ketteier, der wie so mancher Minoritätsbischof Urlaub (bis zum November) erbeten u n d a m 9. Juli tatsächlich die Reiseerlaubnis erhalten h a t t e , blieb n u n doch in Rom, u m die E n t s c h e i d u n g über d a s ganze Schema „ V o m P a p s t e " a b z u w a r t e n ; bei der Sommerhitze, bei der politischen H o c h s p a n n u n g , die in wenigen Tagen zur Kriegserklärung F r a n k r e i c h s an P r e u ß e n f ü h r e n sollte, k o n n t e man n u r noch mit einer kurzen Arbeitszeit des Konzils rechnen. Vor anderen h a t Ketteier a u c h in diesen letzten Konzilstagen zu r e t t e n versucht, was zu retten war von j e n e m Unfehlbarkeitsbegriffe, den die bischöfliche Minderheit hegte und von d e m sie sagen d u r f t e , d a ß er bisher als der dogmatisch allein gegebene galt. Die Einzelbesprechung über die Unf e h l b a r k e i t s s a t z u n g ist n i c h t so schnell beendet worden, wie die über den Universalepiskopat. Zu diesem vierten Kapitel „De ecclesia dessen Besprechung schon a m 15. J u n i begonnen worden war, h a t t e der nicht zu der Minorität gehörige Kardinal-Erzbischof von Bologna u n t e r ihrem Beifall einen Vorschlag eingebracht, der bischötliche

Das Konzil und die Unfehlbarkeitssatzung. Kettelers Kampf gegen sie.

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Beteiligung an päpstlicher Glaubensentscheidung als notwendig hinstellte. Aber diesen, in den Gedankenkreis Kettelers hineinpassenden Antrag ließ der Glaubensausschuß sofort am 20. Juni abweisen mit der Erklärung, die von dem Ausschuß gewünschte Unfehlbarkeitsdefinition werde ihrer eigentlichen Wirkung beraubt, wenn man irgendein Zustimmungsrecht der Bischöfe anerkennen wolle. Ketteier wußte also, daß er dem entschlossenen Mehrheitswillen zur Verkündigung der von ihm verurteilten kurialistischen Unfehlbarkeitslehre gegenüberstand, als er am 25. Juni noch einmal in einer mit ihrer Kraft und Klarheit eindrucksvollen Rede feierlich Einspruch erhob „gegen die Absicht, diese Schulmeinung zur Würde eines katholischen Dogmas zu erheben". Die Mehrheit aber durfte sich auf den Papst berufen. Er war immer wieder mit seiner eigenen Meinung von seiner lehramtlichen Unfehlbarkeit deutlich genug hervorgetreten, und Ketteier gerade hatte da, wie wir wissen, seine besonderen persönlichen Erfahrungen machen müssen. An dem Tage nach Kettelers widerkurialistischer Rede, am 26. Juni, ließ sich Pius, recht wie zur Antwort, von einem Kardinal als „maestro infallibile della cattolica chiesa" begrüßen, und was er zum Danke erwiderte, war kaum etwas anderes als eine förmliche Verurteilung der bischöflichen Gegner der Unfehlbarkeitslehre. War damit nicht auch für die dogmatische Fassung dieser Lehre der unbedingte Sieg des Mehrheitswillens gesichert ? Es gab noch e i n e n Anhalt der Hoffnung — einer bescheidenen Hoffnung freilich —, wenigstens die schroffste Form verhüten zu können. Die nach dem Willen des Papstes gegebene Geschäftsordnung hatte das Konzil zum Kirchenparlament gemacht, ein Parlament übrigens mit absolutistischer Mehrheit. Gegen die heilige Überzeugung, gegen die ernstesten Gründe, gegen den schärfsten Einspruch einer an Zahl nicht geringfügigen, an Gehalt bedeutenden Minderheit wurde über Glaubensfragen durch Zählung der Stimmen entschieden, nicht nach dem Gewicht der Gründe. Als Ideal aber galt auch unfehlbarkeitsfreundlichen Bischöfen der parlamentarische Konzilsbetrieb nicht. Ketteier hat diese der Minorität wohlbekannte Stimmung auszunutzen versucht. Er hoffte jetzt, da das Unfehlbarkeitsdogma an sich nach aller Voraussicht als unvermeidliches Schicksal hingenommen werden mußte, die Gegner um den wertvollen Preis der Einmütigkeit immerhin noch für eine nicht ganz unerträgliche Formel gewinnen zu können: wenigstens die Notwendigkeit der Fühlung des Primats mit dem Episkopat, der tatsächliche Zusammenhang beider Gewalten sollte ausgedrückt werden. Indessen, bei der Mehrheit machten sich nur vorübergehend unbedeutende Zeichen des Entgegenkommens bemerkbar. Ketteier aber kam überhaupt nicht mehr zum Reden: die Minoritätsbischöfe verzichteten, nach dem Rate des sonst so radikalen Erzbischofs Haynald, am 4. Juli auf das Wort und führten so selbst den rascheren Abschluß auch der Einzelberatungen über das vierte Kapitel herbei. 38*

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Die letzte konziliare H o f f n u n g der Minorität lag jetzt bei den Abstimmungen über die Verbesserungsanträge. Aber das waren eben Minoritätshoffnungen! Die Verbesserungsvorschläge, die nocli etwas vom alten bischöflichen Geist in sich trugen, blieben Vorschläge. Auch Kettelers A n t r a g wurde vom Glaubensausschuß, dann, a m 11 .Juli, von der Generalkongregation abgelehnt. Wie h ä t t e sich auch die auf den Papst gestützte und ihm dienende Mehrheit jetzt noch dazu bereit finden sollen, die Unfehlbarkeitsformel zu belasten, ja, nach ihrer Meinung, zu entwerten durch den Zusatz, d a ß der ex cathedra entscheidende P a p s t nicht allein, sondern immer verbunden mit den Bischöfen s p r e c h e ? So blieb das Schema, was es w a r : die dogmatische Formel der uneingeschränkten Unfehlbarkeit des ex cathedra sprechenden Papstes. In aller Eile wurde es am 12. Juli verteilt, u m am nächsten Tage als Ganzes der Generalkongregation zur A b s t i m m u n g vorgelegt werden zu können. Es war jene Formel, die Ketteier eine Vernichtung der päpstlichen Kirchenverfassung genannt h a t t e . Was t a t er nun, da über diese Formel und über sie allein mit J a oder Nein a b g e s t i m m t werden mußte ? Ketteier bot sich noch einmal der Minorität als Führer dar, als Führer freilich zu einem bescheidenen Ziele, aber immer doch zu dem höchsten, das in dieser Sache auf dem Boden der römischkatholischen Kirche, in der Gemeinschaft der Papstkirche jetzt überh a u p t noch erreicht werden konnte. Er urteilte ruhiger, nüchterner als die meisten Minoritätsbischöfe: eben d a r u m verwarfen sie seinen Gedanken. Und doch war dieser Gedanke nicht nur klug in der R ü c k sicht auf das Mögliche, sondern auch würdevoll und k ü h n in der W a h r u n g der bischöflichen Selbständigkeit f ü r den Fall, daß die Mehrheit sich unnachgiebig zeigen sollte. Aus Aufzeichnungen, in denen Ketteier sich Rechenschaft gab von der Lage und seinen Pflichten, kennen wir seine Gedanken in diesen schwersten Konzilstagen: die Z u m u t u n g eines Placet um der Einigkeit oder um des Papstes willen weist er von sich; sein sachliches Hauptbedenken ist, d a ß das Schema dem Papste allein, mit Ausschluß der Bischöfe die ganze Fülle der Gewalt und damit zugleich die höchste Lehrgewalt und die Unfehlbarkeit zuspricht, die er auch a l l e i n , „ohne alle Rücksicht auf den E p i s k o p a t " besitzen soll — eine Lehre, die Ketteier „unmöglich" als alten und beständigen Glauben der Kirche anerkennen kann. Dieser Anschauung entsprang seine Anregung in der Minoritätssitzung vom 12. Juli, muß auch der uns nicht bekannte W o r t l a u t der Formel entsprochen haben, die nach seinem Vorschlage dem Papst als Ersatz f ü r die bischöflich unerträgliche Formel des Schemas dargeboten werden sollte. Ein derart bedingtes Placet also wollte er am 13. Juli ausgesprochen wissen, aber nur unter der Bedingung, daß, im Falle des Mißerfolges beim Papste, dem bedingten J a vom 13. Juli das unbedingte Nein, das einmütige Non Placä der geschlossenen Minorität in der öffentlichen Sitzung folgen sollte. Wenn sich die meisten Minoritätsbischöfe dem Gedanken

K.s Bemühungen um Milderung d. Unfehlbarkeitsformel. S. Fußf. ll vor Pius IX.

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Kettelers versagten, so größtenteils gewiß deshalb, weil sie in ihrer schärferen Augenblicks- oder auch Grundstimmung am 13. Juli das bedingte Placä nicht aussprechen wollten; manche aber taten es wohl lediglich in der Besorgnis vor dem von Ketteier verlangten endgültigen Non Placet. So blieb dieser kluge Gedanke ungenutzt, dessen Ausführung am ehesten noch den Papst zur Mäßigung hätte nötigen können. Da Ketteier nun einmal nicht durchdrang, so hat er — auch darin zeigt sich, daß ihm das bedingte Placet Mittel zum Zweck sein sollte — in Übereinstimmung mit fast allen Minoritätsbischöfen am 13. Juli die Unfehlbarkeitsvorlage mit Non Placet beantwortet. Den ablehnenden Bischöfen blieb nur noch übrig, beim Papst ihr Glück zu versuchen. Ein fast verzweifeltes Mittel: der Wille des Papstes, der zugunsten der Unfehlbarkeitserklärung bestimmend in die Konzilsgeschäfte eingegriffen und die Freiheit des Konzils t a t sächlich beschränkt hatte, sollte nun aufgerufen werden gegen die Konzilsmehrheit, nicht zwar um die jetzt unvermeidliche Unfehlbarkeitserklärung, wohl aber um deren schroffste widerbischöfliche Form fernzuhalten. Pius IX. als Anwalt der Minorität! Mit einem Zwange zur Hoffnung, mit einem letzten Reste des alten gläubigen Vertrauens auf die Persönlichkeit des Papstes muß Ketteier — gemeinsam mit dem ungarischen Primas, mit den Erzbischöfen von Paris und München, mit dem Bischof von Dijon durch die Minorität dazu berufen — am Abend des 15. Juli zum Papste gegangen sein. Die einzige schwache Hoffnung stützte sich auf den Wunsch des Papstes und wohl der meisten Majoritätsbischöfe, für die dogmatische Verkündigung die Einmütigkeit der Konzilsväter zu erreichen. Der Papst, der die Minoritätsabordnung mit der Feststellung überraschte, er kenne den Wortlaut des Schemas noch nicht, schien sich dem Gedanken nicht ganz zu verschließen, daß die Gewinnung von nicht weniger als achtzig Bischöfen und damit die Herstellung der Einstimmigkeit immerhin eines Zugeständnisses wert sei. Was die Minorität begehrte, war indessen nicht wenig: der vor einigen Tagen erst eingeschobene Zusatz im dritten Kapitel, der den absoluten Universalepiskopat verkündete, und die Bezeichnung „vere episcopalis" für die päpstliche Gewalt sollten gestrichen, und im vierten Kapitel sollte ein Wort über den bischöflichen Anteil an dem unfehlbaren Lehramte hinzugefügt werden. Ob der Papst erst durch das leidenschaftlich bewegte kniefällige Bitten des Bischofs, der nicht der Form, aber der Sache nach der Führer dieser Abordnung war, dazu gedrängt wurde, eine Aufzeichnung der Minoritätswünsche zu fordern, oder ob er von vornherein gewillt war, die Bischöfe mit diesem Scheinzugeständnisse zu entlassen, um dann der Konzilsmehrheit die Entscheidung doch freizugeben, das steht dahin. Jedenfalls aber liegt ein bezeichnender Ausdruck des kirchlichen, des bischöflichen Wesens und zugleich der menschlichen Persönlichkeit Kettelers in seinem berühmten Fußfalle vor Pius, in seiner bewegten Beschwörung des „guten Vaters",

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die Bischöfe, die Kirche zu retten. Dieser Bischof, der mit seinem starken Bischofsbewußtsein doch so ehrlich wie nur irgendeiner der Oberzeugten Majoritätsbischöfe dem Papste ehrerbietig zu dienen wünschte, er ward in diesem Augenblicke der ursprünglichen Hingabe und der warmen Berufung an das Herz des Papstes von der kirchlichen Sorge zugleich und von dem Gefühle kirchlicher Unterordnung und persönlicher Verehrung gegenüber dem Papste überwältigt; des Dichters tiefes Gefühl für die Grenzen der Menschheit wirkte, geistlich gewandelt, in diesem Bischöfe, der, allen Zweifel vergessend, in gläubigem E n t h u siasmus zum Papst aufschaute: „Wenn der uralte heilige Vater mit gelassener Hand aus rollenden Wolken segnende Blitze über die Erde sät, küss' ich den letzten Saum seines Kleides, kindliche Schauer treu in der Brust." Aber waren es s e g n e n d e Blitze? In dem Papste, dem weiche Empfindungen nicht fremd waren, dem gewiß auch Verständnis f ü r vornehme Edelmannsgesinnung nicht fehlte, mag menschlich etwas angeklungen sein von dem, was des Bischofs Seele durchstürmte. Aber der Papst fühlte sich auch als der nur Gott verantwortliche Lenker der Kirche, als der gebietende servus servorum Dei. Und selbst wenn er persönlich hätte nachgeben wollen, so hätten alle jene, die mit ihm und durch ihn herrschen wollten und herrschten, ihn davon abzuhalten gewußt, hätten jetzt insbesondere die bischöflichen Betreiber der päpstlichen Unfehlbarkeit solche Zugeständnisse an deren bischöfliche Widersacher verhütet. Sie wollten die päpstliche Unfehlbarkeit auch von der leisesten bischöflichen Einschränkung reingehalten wissen. Die Forderungen der Minorität mußten ihnen als ein allzu hoher Preis f ü r die Einmütigkeit erscheinen. Gefährlich aber war diese Minorität nicht mehr. Ihren Gegnern — dem Papste wie den Bischöfen — mußte das gerade die Entscheidung leicht machen, daß sie eine offene Empörung, einen Abfall der anderen nicht zu erwarten hatten. Nur wenige Minoritätsbischöfe waren fähig, an den äußersten Schritt überhaupt nur ernsthaft zu denken; der Gedanke an eine Lossagung von der Papstkirche konnte auch bei ihnen nicht mehr sein, als der letzte, aber verborgene Ausdruck ihrer Überzeugung. Die Mehrheit war zu stark und kirchlich zu mächtig, die Kräfte der kirchlichen Organisation waren zu bedeutend, zu einheitlich, zu sehr schon durch die Zentrale gelenkt, als daß eine Bischofsopposition im Großen anders als bei unmittelbarer Hilfe der Staatsmächte möglich gewesen wäre. Ihre Aussichten aber hätten höchst zweifelhaft bleiben müssen, denn die Staatsmächte wurden eben Mitte Juli 1870 durch den deutsch-französischen Krieg gefesselt, und in keinem Lande standen auch nur alle Bischöfe, geschweige denn die Massen der Kleriker und der Gläubigen dem Dogma ablehnend gegenüber. Der einzelne Bischof aber, der sich von Papst und Konzil losgesagt hätte, würde günstigenfalls eine Zeitlang von der weltlichen Gewalt gestützt worden sein und wäre dann, wenn nicht schon durch

Die Koiuilsentscheidung und ihre bischöfl. Gegner. K-s Abreise von Rom

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den inneren Widerspruch seiner Stellung und den Widerstreit seiner Empfindungen, rasch genug durch die kirchlichen Mächte matt gesetzt worden; der Ruhm der persönlichen Überzeugungstreue wäre ihm fast nur von solchen zugesprochen worden, mit denen oder für die er sonst nie gedacht und empfunden hatte: kirchlich wäre er ein Toter gewesen, ohne Einfluß, ohne Wirksamkeit, verdammt, vergessen oder nur noch still umworben von den Frommen, die da meinten, seine Seele retten zu müssen. Auch Ketteier mag mehr als einmal die Schicksale eines Bischofs überdacht haben, der von dieser innerhalb ihrer Grenzen so reichen, dieser so mächtigen und zwangvollen Gemeinschaft sich loszureißen wagen wollte. Aber es war dann doch nur das mögliche Schicksal anderer, das er erwog: er selbst ward sicherlich nicht einen Augenblick von dem Wahne beherrscht, ein Bischof auch gegen Papst und Konzil sein zu können. Er hatte gewiß eine schwere und nicht lediglich persönliche Enttäuschung erlebt, aber er lernte es, den Zusammenbruch seiner inneren bischöflichen Kirchenwelt als Schicksal, als Fügung hinzunehmen. Der Mainzer Bischof, der von einer großen Reformsynode geträumt hatte, sah nun das Konzil der Stimmenmehrheit das Werk vollenden, sah den Sieg der Macht über seine Bischofsgedanken, die er als die wahren kirchlichen verfochten hatte und verfechten durfte, obwohl es die Gedanken einer Minderheit von Bischöfen waren. Die letzten Konzilstage brachten der Mehrheit neue Erfolge. Der Papst enttäuschte die hoffenden Minoritätsbischöfe. Am Abende des 15. Juli hatte er von der bischöflichen Abordnung einen Bericht zu eigenen Händen begehrt, am 16. verwies er die Minorität an das Konzil selbst. Die Konzilsmehrheit aber zeigte ihre Macht, indem sie noch am 16. Juli in das Unfehlbarkeitskapitel die ausdrückliche Verwerfung eines dogmatisch wirksamen bischöflichen Zustimmungsrechtes einfügte; der vom Glaubensausschusse vorgelegte Satz „definitiones Romani Pontificis irreformabiles esse ex sese" wurde ergänzt durch die Worte „non autem ex consensu ecclesiae". Der letzten feierlichen Abstimmung in der öffentlichen Sitzung vom 18. Juli 1870, die jene von ihm verworfene Universalepiskopats- und Unfehlbarkeitslehre zum Dogma erheben sollte, entzog sich Ketteier, wie fast alle seine Gesinnungsgenossen durch die Abreise.

Auch nach der Abreise noch suchte die Mehrzahl der deutschen Oppositionsbischöfe künftiges gemeinsames Handeln zu vereinbaren. Der Gedanke eines fortdauernden offenen bischöflichen Widerstandes aber war aussichtslos. Am Hofe zu Karlsruhe wußte man allerdings

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später zu erzählen 1 ), daß in der Zeit, als das deutsche Hauptquartier im siegreichen Kriege gegen Frankreich bereits nach Versailles verlegt war, also doch frühestens in der zweiten Septemberhälfte, Ketteier in der Stille bei Bismarck angefragt habe, ob sein Beharren in bischöflicher Opposition gegen das Dogma bei Bismarck einen Rückhalt finden werde. Das ist indessen eine unmögliche Erzählung. Diese Legende darf wohl aus einer wunderlichen Zusammenschiebung von zwei Tatsachen erklärt werden: Bischof Hefele von Rottenburg, der sich als letzter der deutschen Bischöfe erst im April 1871 dem Konzilsspruche beugte, hat allerdings bei seiner, bei der württembergischen Regierung in jenem Sinne angefragt*), und Ketteier hat sich tatsächlich nach Versailles an Bismarck gewandt*), aber nicht mit der sinnlosen, bei seiner persönlichen und kirchlichen Grundanschauung undenkbaren Zumutung der Unterstützung einer „Opposition", die es bei ihm gar nicht gab. Es waren lediglich deutsche kirchenpolitische Wünsche, mit denen er an Bismarck herantrat. Was er kirchlich tun müsse, blieb ihm nicht zweifelhaft. Wenige Wochen nach seiner Heimkehr, noch mitten in der Erregung der Tage von Gravelotte und St. Privat, hatte er bereits die vatikanischen Beschlüsse in seinem kirchlichen Amtsblatt veröffentlicht. So sprach er seine Unterwerfung aus. Es war am 20. August 1870. Zehn Tage später wurde die dritte deutsche Bischofsversammlung zu Fulda eröffnet. Sie trug nun freilich ein anderes Gesicht, als die Mehrheit der Bischöfe bei der Tagung von 1869 es sich je hätte vorstellen können. Ketteier hatte sich vor seiner Kirche schon zu einer Zeit gebeugt, da die meisten deutschen Mitglieder der Minorität noch grollend über Möglichkeit und Mittel des Widerstandes nachsannen oder auch den Gedanken der Amtsniederlegung erwogen, der jetzt, anders als auf dem Konzile selbst, dem Mainzer völlig fremd war. Aber auch Ketteier zeigte alles eher als einen Renegatenfanatismus. Er suchte vielmehr die allzu eifrigen und anspruchsvollen Papalisten im Episkopat, im Klerus und in der Laienschaft zu zügeln. Das war auch der Sinn seiner Tätigkeit in Fulda. Eine etwas kümmerliche Tagung: neun Bischöfe unter dem Vorsitze des Kölners. Drei Fünftel des deutschen Episkopates blieben fern. Von den deutschen Mitgliedern der vatikanischen Minorität erschienen vier. Aber die Teilnahme dieser vier — neben Ketteier die Erzbischöfe von Köln und München und Bischof Krementz von Ermeland — übte ihre Wirkung. Das Rundschreiben der versammelten Bischöfe bezeugt die entscheidende Mitarbeit der vier; so begreiflich die Empörung der langsam sich zusammenfindenden „Altkatholiken" über die Fuldaer Beschlüsse ist, sie bezeichnen den*) Nippold, Kl. Schriften 2, 411; Nippold, Führende Persönlichkeiten (1911) S. 279f.; „Das neue Jahrhundert" 4 (1912) Nr. 8. *) J . Fr. v. Schulte, Lebenserinnerungen 1, 378. — Vgl. unten S. 610. ») Vgl. unten S. 613.

K. veröffentlicht d. Konzilsbeschlüsse (20.8.1870). Bischofsversammlg. in Fulda

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noch den Sieg der Gemäßigten. Nichts von Siegesfreude! Das Vatikanische Konzil wird als rechtmäßig anerkannt, das neue Dogma in hergebrachter Weise, doch in bescheidener Schlichtheit als die Entwicklung einer alten kirchlichen Wahrheit hingestellt. Aber dieser Hirtenbrief, der den Gläubigen die päpstliche Unfehlbarkeit als Glaubenslehre zu verkündigen hatte, vermeidet sogar den Ausdruck „päpstliche Unfehlbarkeit". Für den in Fulda gebilligten Wortlaut waren eben, bevor er veröffentlicht wurde, noch die anderen Bischöfe zu gewinnen, und das hieß insbesondere: die meisten Minoritätsbischöfe. Darum mußte das Schriftstück, dessen Entwurf wahrscheinlich von Ketteier mitgebracht worden war, auf diese Bischöfe Rücksicht nehmen. Dieser Hirtenbrief konnte nun freilich nicht in den Stil konziliarer Minoritätskundgebungen gekleidet werden, aber in seiner Zurückhaltung wirkt inmitten der pflichtmäßigen Hingabe an Papst, Konzil und Konzilsbeschlüsse noch die Minoritätsstimmung leise nach. In der Tat war der Hirtenbrief, als er endlich am 15. September 1870 veröffentlicht wurde, außer von den Teilnehmern der Bischofsversammlung, von acht anderen Bischöfen unterschrieben, unter ihnen Minoritätsbischöfe wie Dinkel von Augsburg und Eberhard von Trier. Fünf deutsche Bischöfe der Konzilsminderheit gaben allerdings auch jetzt noch nicht ihren Namen für eine Kundgebung her, die nun doch einmal die Preisgabe nicht nur sondern auch die Ableugnung ihrer Überzeugung aussprach. Diese Haltung kann nicht befremden, wenn man sieht, daß selbst ein Mann wie Ketteier, der so viel rücksichtslose kirchliche Entschlossenheit auch gegen seinen eigenen inneren Menschen zeigte, noch ein ganzes Stück von seinem alten Bischofsgedanken mit sich herumtrug. An seine Abwehrschriften gegen die Angriffe, die sich mit besonderer Heftigkeit gerade wider ihn kehrten, darf man sich freilich nicht halten; diese glatten Erklärungen lassen den Zwiespalt nicht erkennen, der ihn selbst innerlich erregte, den Zwiespalt zwischen der Auffassung, die er tatsächlich während der Konzilstagung verfochten hatte, und der Darstellung, die er jetzt von der preisgegebenen Auffassung den Feinden wie den Freunden vorhielt. Auch im Vertrauen durfte er nicht wiederholen oder nur halb zugestehen, was er auf dem Konzile mit einer nicht wegzudeutelnden Bestimmtheit vertreten hatte. Sein münsterländischer Jugendfreund Graf Klemens Westphalen setzte ihm Weihnachten 1870 in einem Briefe derb zu und hielt den Minoritätsbischöfen, die im Augenblick der Entscheidung „schmählich gekniffen" hätten, den Bekenner Klemens August entgegen. Ketteier verteidigte sich 1 ), ohne indessen seine Konzilsgedanken aufzudecken; wenn er behauptete, die unendliche Mehrzahl der Konzilsbischöfe wäre jederzeit bereit, für ihre Überzeugung ihr Leben hinzugeben, so vergaß er doch zu sagen, in welchem ») K. an Westphalen 13. 1. 71: Pfülf 3, 126ff (vgl.125).

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Sinne das Wort „Überzeugung" zu verstehen sei, vergaß er zu sagen, daß es für ihn und die anderen Bischöfe etwas gab, was ihnen mehr galt, als menschliches Leben nicht nur, sondern auch menschliche Überzeugung: ihre Kirche und deren Einheit. Was die Gegner erkannten, aber verwarfen, was sie mit ihrem einheitlichen, auf dem Überzeugungswillen der Persönlichkeit, nicht im Überzeugungszwang der Gemeinschaft ruhenden Wahrheitsbegriffe nicht vereinbaren konnten, war eben das, daß diese Bischöfe vom Wesen der Kirche, von der verfassungsmäßigen Stellung des Papstes und seiner Lehrgewalt eine Auffassung, die sie in der Konzilsaula als unhaltbar und unkirchlich feierlich verworfen hatten, nunmehr als die allein richtige und allein kirchliche vertraten und den Gläubigen auferlegten. Für Ketteier war dieser menschliche Widerspruch göttlich, kirchlich gelöst: das Allgemeine Konzil in der Vereinigung mit dem Papste, gerade auch nach des Bischofs persönlicher Überzeugung die höchste Gewalt der Kirche, hatte entschieden, nicht zwar mit einmütiger Kundgebung der Konzilsväter, aber doch eben entschieden. Indessen war Kettelers bischöfliche Grundanschauung, die seinem Konzilskampfe den großen Zug gegeben hatte, mit seinem Kirchenbegriff und selbst mit seiner Persönlichkeit zu innig verbunden, als daß sie nicht in seinen Gedanken hätte weiter leben und auch in seinen Worten hätte anklingen müssen. Er trug noch ein Etwas von dem, was das Wesen seines Widerstandes gegen das werdende Dogma ausgemacht hatte, selbst in die Verteidigung des vollendeten Dogmas hinein. Das Alte lebte in ihm stärker, als er selbst Wort haben wollte, aber er suchte doch auch ganz bewußt noch jetzt ein Etwas von dem alten Bischofsgeiste den Überpäpstlichen entgegenzuwerfen. Er hatte in Fulda schon gedämpft. Er sah in den nächsten Monaten nach der Bischofsversammlung in den Ansichten und Urteilen „vortrefflicher" Katholiken „unberechtigte Extreme" sich vordrängen, fand dort Eifer ohne Einsicht. 1 ) Er dachte dabei im besonderen an die Gefahr einer radikal papalistischen Ausdeutung des Papstdogmas. Er bekämpfte sie durch eine episkopale Ausdeutung, die nun freilich weder im Sinne der Kurie lag noch auch durch den Sinn der vatikanischen Entscheidungen gedeckt werden konnte. Der behutsame Kampf gegen das, was er hier unter „unberechtigten Extremen" verstand, bezeichnet denn auch die besondere Absicht seiner Lehrschrift, die er im März 1871 über „ D a s unfehlbare L e h r a m t des P a p s t e s nach der E n t s c h e i d u n g des v a t i c a n i s c h e n C o n c i l s " veröffentlichte. *) Mit der Bemerkung: „Ich erkenne gern an, daß dieser Fehler bei uns Katholiken jetzt, in einer besonders aufgeregten Zeit, recht häufig vorkommt. Wenn man das ultramontan nennen wOrde und wenn man Ober diesen Sinn des Wortes einverstanden wäre, so würde ich Angriffe gegen diese Art des Ultramontanismus nicht zurflckweisen . . . " An seine Nichte, Oräfin Helene Droste zu Vischering, Mainz 2.12.70: Br. 427.

Kettelers Schrift „Das unfehlbare Lehramt des Papstes" (Marz 1871)

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Nicht die Frage nach den Beweisen soll ihn beschäftigen; sie ist erledigt. Alle Beweismittel, so reichlich er sie jetzt — anders als zuvor — in Schrift und Tradition gegeben glaubt, entscheiden nicht mit absoluter Gewißheit; gerade darum, zur Erklärung von Schrift und Tradition, hat Gott eine Autorität eingesetzt, und nur in demütiger Unterwerfung unter sie liegt der Friede widerstreitender Meinungen. Aber über die dogmatische Lehre selbst will er aufklären. Daß die bisher veröffentlichten Schriften nicht alle Gesichtspunkte zur richtigen Erklärung erschöpft haben, daß alltäglich grobe Mißverständnisse über sie verbreitet werden, daß man den Gegenstand der Unfehlbarkeit nicht immer scharf bestimmt und die Kirchenlehre mit theologischen Meinungen vermischt, — das ist es, was den Bischof zum Schreiben veranlaßt. So deutet das Vorwort schon auf Kettelers Absicht, die nun einmal zum Dogma erhobene papalistische Doktrin, die er in den Konzilskämpfen verworfen hatte, wenigstens vor weiterer papalistischer Ausdeutung zu bewahren. Dabei bewegt ihn offenbar auch die Erwartung, auf diese Weise die Kirchentreuen unter den noch Widerstrebenden leichter ffir das Dogma gewinnen zu können. In dem Gedanken an die Bischofsforderung konziliarer Festsetzungen Aber Bischofsrechte hat er darum auch sogleich in dem ersten Satze daran erinnert, daß das Konzil noch nicht beendet sei: „Wiedereröffnung" des Konzils, das war eine der letzten trügerischen Hoffnungen des sterbenden kirchentreuen Episkopalismus. Aber schließlich ist die ganze Schrift Kettelers von trügerischen Hoffnungen getragen: er meinte, dem vatikanischen Dogma eine etwas mehr bischöfliche Ausdeutung geben und diese Auslegung als die richtige hinstellen zu dürfen. Ahnlich wie zuvor den Syllabus, sucht er jetzt die Entscheidung des vierten Kapitels der vatikanischen Glaubenssatzung von der Kirche Christi den eigenen Wünschen und Vorstellungen gefügig zu machen. Er bespricht den Wortlaut dieser Entscheidung: alle hier gegebenen Merkmale einer päpstlichen Entscheidung sind nötig, um diese zu einer unfehlbaren Kathedralentscheidung zu machen; sie alle müssen, meint er, so deutlich erkennbar sein, daß sie keinen vernünftigen Zweifel übrig lassen. Und noch ein anderes setzt er, ohne sich auf den Wortlaut der vatikanischen Konstitution stützen zu können, aus seiner bischöflichen Anschauung hinzu: auch die bisher von der „Wissenschaft" aufgestellten Merkmale einer Kathedralentscheidung, die im vatikanischen Dekrete nicht genannt sind, „wie namentlich vorhergehendes Gebet und Untersuchung", „werden" solchen päpstlichen Akten „nie" fehlen. An die Notwendigkeit gründlicher Untersuchung und an den dem Papste „ n u r " für seine amtliche Tätigkeit in der Person des Apostels Petrus versprochenen göttlichen Beistand („im strengsten Sinne einer A m t s g n a d e " ) klammert sich vor allem der beharrende Rest des alten Unfehlbarkeitsbegriffes des Bischofs. Er weist damit ganz richtig auch die Auffassung ab, die eine persönliche Heiligkeit des Papstes als Voraussetzung oder Folge der Unfehlbarkeit des päpstlichen Lehramtes bezeichnet; er verrät dabei aber eine geringe Bekanntschaft mit den Gedanken Gregors VII., wenn er meint, niemals habe ein Verteidiger des unfehlbaren päpstlichen Lehramtes eine Sündenlosigkeit des Papstes behauptet. Das Wesentliche liegt jedoch in seinem theologisch und kirchenpolitisch gleich naiven Versuche, dem vatikanischen Dogma Schranken zu setzen durch die Doktrin eines tridentinischen Theologen, des Dominikaners Melchior Canus, wonach der Papst wie die Bischöfe auf dem allgemeinen Konzil nur dann Gottes Beistand erlangen, „wenn sie zugleich die menschlichen Mittel zur gründlichen Untersuchung der Streitfrage angewendet haben". Papst und Konzil müßten ihre Vernunft anwenden und durch „Gründe" das Wahre vom Falschen unterscheiden; mitCanus glaubt er die den unfehlbaren Aussprüchen der Päpste und der Konzilien vorausgehenden Untersuchungen als Bedingung des göttlichen Beistandes bezeichnen zu dürfen, freilich ohne zu erkennen, daß es nicht auf Canus und Ketteier ankam, sondern auf Canones und Kurie, ohne auch nur zu bemerken, daß in jedem Falle Art und Maß der „notwendigen" Untersuchungen ganz der Entscheidung eben des Papstes überlassen war. Den Theologen Canus zieht Ketteier übrigens auch als Zeugen heran f ü r die „allen" Theologen gemeinsame Lehre, daß die vom Papst bestätigten Konzilsbeschlüsse nicht irrig sein könnten; er will dabei seine eigene

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Haltung persönlich nicht weniger als kirchlich rechtfertigen, wenn er den vom katholischen Boden aus unanfechtbaren Satz hinschreibt: „Wer . . . in der Theorie das Recht unfehlbarer Glaubensentscheidungen der Kirche anerkennt, dann aber alle formelle Gültigkeit derselben der Entscheidung seiner subjektiven Auffassung unterwirft, der vernichtet die Autorität der Kirche." Auch das soll ihm selbst und denen, die gleich ihm über den Weg der Feindschaft gegen das Dogma zu dessen Anerkennung geführt worden waren, Beruhigung sein, daß er (mit einer nur formal berechtigten Berufung auf den Wortlaut der vatikanischen Entscheidung) feststellt, die Unfehlbarkeit des päpstlichen Lehramtes könne nie weiter gehen als die Unfehlbarkeit der Kirche selbst, der Gegenstand der Unfehlbarkeit also habe durch das Vatikanische Konzil keine Veränderung erlitten, das depositum fidei bleibe das Objekt der Unfehlbarkeit der Kirche und auch des Papstes. Nach der natürlichen Logik freilich bewegte er sich hier im Kreise und zugleich entzog er sich selbst den vorher künstlich aufgebauten bischöflichen Boden, wenn er als Bestätigung eben die Worte der vatikanischen Satzung heranzieht, dafi nämlich die Päpste nur das entschieden, „was sie unter Gottes Beistand mit der Heiligen Schrift und den apostolischen Traditionen übereinstimmend erkannt" hätten; auch hier war es doch eben das päpstliche Urteil selbst, das diese Übereinstimmung mit denselben Mitteln zugleich behauptete und endgültig bewies. An dem niederdrückend eindeutigen Satze, daß päpstliche Kathedralentscheidungen aus sich selbst und nicht durch die Zustimmung der Kirche unabänderlich seien, war nun freilich überhaupt nicht zu rütteln. „Diese Bestimmung ist eine notwendige Folgerung aus der hier entschiedenen Lehre". Mit scheinbar schlichter Bereitwilligkeit, die von dem schweren Kampf in Rom nichts verrät, schreibt der Bischof diesen Satz; dabei hatte gerade er eine derartige „notwendige" Folgerung noch zu verhüten gesucht, als die Dogmatisierung der Lehre bereits unvermeidlich geworden war. Ein Stückchen vom Alten suchte er doch auch hier wenigstens stimmungsmäßig für sich zu retten: die Kathedralentscheidung des Papstes ist nicht, wie „fälschlich behauptet wird", „ein vollkommen isolierter, vom ganzen Lehrkörper getrennter" Akt; der Papst handelt vielmehr „zugleich in der allerinnigsten und wesentlichsten Einheit mit den anderen Gliedern des Lehrkörpers und muß sich je nach der Verschiedenheit der Fälle ihrer Beihilfe bedienen". Er tröstet sich mit dem nichtssagenden Satze: „Das exsese hat also absolut nichts zu tun mit der Vorstellung einer Trennung". Er meint — und es ist möglich, daß seine fast krankhafte Sehnsucht nach Rettung der alten Bischofsgeltung ihm auch hier den logischen Irrweg verhüllte — den Sinn der Formel erfaßt zu haben, wenn er feststellt, daß ja eben in der ersten Konstitution des Vaticanum selbst „die Entscheidung des Vatikanischen Konzils, bei welcher der Papst die Beihilfe des gesamten Episkopats in Anspruch nimmt, eine Entscheidung ex cathedra genannt" werde. Ihm wurde es also zur Anweisung auf die Zukunft nicht nur, sondern zur dogmatischen Gewähr, daß der Papst, wie es doch historisch, politisch, kirchlich notwendig gewesen war, bei dieser Entscheidung die Bischöfe herangezogen hatte; dieser Bischof wollte es sich und jedenfalls den anderen nicht eingestehen, daß der Episkopat selbst nur die endgültige Verabschiedung alles Episkopalismus feierlich vollzogen hatte. Die Meinung, daß die vatikanische Entscheidung mit der „allgemeinen" Tradition übereinstimme, also nichts Neues enthalte, stand im schroffstem Widerspruch zu allem dem, was Ketteier und seine Gesinnungsgenossen auf dem Konzile gesagt und getan hatten; ein Minoritätsbischof konnte diese Meinung ohne Verschweigen und Verhüllen, ohne starke Verzeichnungen und Verzerrungen nicht wiedergeben. Vielleicht hat der dogmatische Helfer Heinrich dem Bischöfe die peinvolle Arbeit hier abgenommen. Der Hinweis auf den von Ketteier geschätzten Bossuet immerhin wird vom Bischöfe selbst herrühren — nur haben die Worte Bossuets mit dem Dogma von dem Universalepiskopat und der Unfehlbarkeit des Papstes nichts zu schaffen. Lehrreich aber ist es, dafi der Bischof auch hier, wo er die Verwerfung der gallikanischen Anschauungen, die vatikanische Lehre von der päpstlichen Unfehlbarkeit vorträgt, den „Mißdeutungen und Entstellungen", den papalistischen nämlich, ent-

„Das unfehlbare Lehramt" (päpstl. u.kirchl. Unfehlbarkeit; Papst u. Bischöfe)

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gegentreten zu müssen meint. Die vatikanische Entscheidung bedeute nicht, „daB der Papst etwas als Glaubenslehre entscheiden könne, worin die Kirche nicht mit ihm abereinstimmt, oder daß er sich um den Konsens, die Übereinstimmung mit der Kirche ear nicht zu kümmern habe, oder endlich, daß er die natürlichen Mittel, um über diese Übereinstimmung Gewißheit zu erhalten, von jetzt an nicht mehr anzuwenden brauche". So kehrt seine Forderung der Anwendung der menschlichen Mittel wieder. Aber er will viel mehr. Er taucht jetzt vollends die vatikanische Satzung tief in seine eigenen Bischofsgedanken hinein: er legt aus, entwickelt, entscheidet, als ob er selbst ex cathedra spräche. Den Wortlaut des vatikanischen Ausspruchs, päpstliche Lehrentscheidungen seien unveränderlich „ex sese, non autem ex consensu ecclesiae", umklammert er so fest, daß er zwar dieser Konzilsentscheidung den Atem nimmt, nicht aber der Vorstellung von dem consensus ecclesiae. Er meint oder erweckt den Anschein, vatikanisch zu reden; aber er stellt doch nur jene Meinung als verurteilt hin, die im consensus ecclesiae geradezu die Ursache, den letzten Grund der Unfehlbarkeit sieht, und bringt als ihr wahres, kirchlich gebotenes Gegenstück allein den Satz, daß das Lehramt der Kirche unfehlbar sei durch den Beistand des hl. Geistes. Wenn dieser Beistand der letzte Grund der Unfehlbarkeit „sowohl für den Papst wie für die Bischöfe ist" — sie erhalten den Beistand „selbst und unmittelbar", denn „das ist die Bedeutung der Worte des Konzils, daß die höchsten Aussprüche des Papstes ex sese unabänderlich seien",—so ist, meint Kettelers bischöfliche Vorstellung, damit „wahrlich nicht gesagt, daß sie sich bei den Entscheidungen in Glaubensstreitigkeiten um den Konsens der Kirche in der Vergangenheit und Gegenwart nicht zu kümmern haben, oder gar daß der Papst etwas als Glaubenslehre feststellen könne im Widerspruch mit dem Konsens der Kirche in allen Jahrhunderten". Immer wieder bringt er, da es sich doch um die päpstliche Unfehlbarkeit handelte, Papsttum und Episkopat zusammen und so läßt er seine seltsame Ausdeutung des „ex sese" auch von beiden in gleicher Weise gelten. Päpstliche Unfehlbarkeit bedeutet diesem Bischof, daß der göttliche Beistand den Papst bewahrt „vor jeder Abweichung von der geoffenbarten Lehre, von dem Konsens der rechtgläubigen Kirche", von jener Lehre, worin „von den apostolischen Zeiten an alle rechtgläubigen Christen übereinstimmen". Er wollte sich selbst jetzt einen Einklang schaffen, indem er das neue Dogma auf die eigenen alten Vorstellungen zurückleitete und mit ihnen zu verschmelzen suchte— das neue Dogma, das er in seiner großen Konzilsrede vom 23. Mai 1870 für unverträglich mit der göttlichen Verfassung der Kirche erklärt hatte. Lassen ihn die Entscheidungen der vatikanischen Dekrete im Stich, so sucht er sich noch aus ihren Einleitungsworten Trost und Hilfe zu holen. Er selbst freilich erklärt in der gegen die wissenschaftlich überlegenen deutschen Widersacher gerichteten Polemik des Schlußkapitels im Hinblick auf mittelalterliche päpstliche Kundgebungen, es sei ebenso töricht, wie es ein Beweis großer Unwissenheit sei, „wenn alle Teile einer Urkunde, die eine Entscheidung ex cathedra enthält, für dogmatische Entscheidungen ausgegeben werden"; dennoch nimmt er die den dogmatischen Entscheidungen vorangehenden Einleitungsworte der Unfehlbarkeitssatzung „Pastor aeternus" — Worte, die den unzufriedenen Teil des Episkopats besänftigen sollen, ohne irgend eine Verbindlichkeit zu besitzen — wie eine dogmatische Entscheidung auf und trägt sie so den Gläubigen vor. Derart konstruiert er seinen eigenen Konstruktionen eine päpstliche Bestätigung, insbesondere seiner Überzeugung von der Verpflichtung des Papstes, alle durch die göttliche Vorsehung gegebenen menschlichen Mittel vor der dogmatischen Entscheidung zu verwerten. Er muß zwar zugestehen, daß über die Auswahl der Mittel in jedem einzelnen Falle der Papst „in letzter und höchster Instanz" zu entscheiden habe. Dennoch will er das nicht einmal von dem „Wie" ohne Einschränkung gelten lassen. Er stützt sich auf die ihn selbst vielleicht tatsächlich beruhigende Behauptung, das Dekret sage, der Papst „müsse" sich bei der Auswahl der Mittel „nach den Umständen der Zeit und nach Lage der Sache" richten. Das war nun freilich in Wahrheit eine Abbiegung von dem Wortlaut und Wortsinne der vatikanischen Entscheidung und vollends von ihren Absichten. In der Verkennung der Wirklichkeit geht er so

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weit, daß er es als einen bischöflichen Gewinn ansehen zu dürfen meint, wenn das Vatikanische Konzil nichts darüber bestimmt, in welchen Fällen papstliche Kathedralentscheidungen „ohne Mitwirkung eines allgemeinen Konzils eintreten sollen". Er macht auch hier wieder aus einer für die Entscheidung belanglosen geschichtlichen Peststellung jener Einleitungsworte eine Vorschrift; er will nicht verstehen, daß die dogmatische Satzung, die jene von Ketteier in willigem Glauben erträumte Einschränkung nirgends nennt noch kennt, in Wahrheit dem Papste völlige Freiheit, ungestörtes Entscheidungsrecht läßt. Der Bischof kommt immer wieder mit seinen in die Wirklichkeit hineinveriegten Herzenswünschen, immer bestimmter behauptet er, der Papst „müsse" alle Mittel zur Aufklärung des Tatbestandes einer Streitfrage anwenden, obwohl die Konzilserfahrungen sogar, die Erlebnisse, die der Entscheidung vorausgingen, ihn eines anderen hätten belehren müssen. In dem Bewußtsein, daß der Papst nur „nach den göttlichen Gesetzen" entscheiden könne, daß er das Gesetz nicht mache sondern nur anwende, fühlt sich Ketteier kirchlich zugleich und verstandesmäßig gesichert; die Frage, wer denn darüber entscheiden solle, ob der Papst das „gänzlich unabhängig von seinem Willen" bestehende Maß richtig anwende, erhebt sich für den Bischof nicht: sie gilt ihm als erledigt, da der Papst ja gerade bei der „Anwendung des göttlichen Gesetzes" die Gabe der Unfehlbarkeit besitzt. Die Frage nach dem Verhältnisse der vatikanischen Entscheidung zur apostolischen Tradition, die Frage, der die erbittertsten Kämpfe der Glaubensüberzeugung und der geschichtlichen Einsicht auf dem Konzile selbst gegolten hatten, sie ist jetzt, nach der Entscheidung, keine Frage mehr. Die Gegner, die auch nach dem 18. Juli 1870 noch den Standpunkt der Konzilsminderheit vertreten wollten, begehrten — wie der Bischof nicht ohne bequeme Vereinfachung und unzulässige Zuspitzung der gegnerischen Meinung sagt —, begehrten den wissenschaftlichen Beweis, daß die Lehre „gerade so, wie sie jetzt gelehrt wird, in allen Jahrhunderten und von allen Lehrern der Kirche ausdrücklich und mit derselben Klarheit vorgetragen wurde". Diese Forderung weist der Bischof als unberechtigt, als unkatholisch ab. Die Kirche lehre eben „nicht immer mit denselben Worten dasselbe", die „lebendige" Erklärung des Sinnes der Worte schaffe allerdings „Veränderung". Ein höchst flüchtiger Streifzug durch die Tradition soll diese Auffassung von der kirchlichen Lehrautorität sichern; schließlich findet sie der Bischof auch schon in der Bibel. Er arbeitet hier ganz mit den Mitteln der Konzilsmehrheit; begreiflich genug, denn er will oder muß hier hinsichtlich der Konzilsentscheidung eben zu der Meinung der Mehrheit kommen. Er gibt dem notwendigerweise feststehenden Ergebnisse die Fassung: „Alt und apostolisch ist die Lehre selbst, neu ist die durch die entstandenen Zweifel hervorgerufene authentische und ausführliche Erklärung derselben." Aber selbst hier weiß er auch jene zu tadeln [und das sind die entschlossenen Vertreter der römischen Anschauungen!], die für die dogmatische Entscheidung einen „absolut zwingenden Beweis liefern zu können" behaupten. Er spricht von einer falschen Methode der Verteidiger. Aber er trifft die Ultrapapalen noch weit schärfer und scheut selbst vor der Andeutung des Vorwurfs der Ketzerei nicht zurück: „Die Behauptung der absoluten Klarheit der gesamten Tradition steht eigentlich auf derselben Linie mit der reformatorischen Behauptung der absoluten Klarheit des Wortes Gottes." Für seine bischöfliche Ausdeutung des Verhältnisses der päpstlichen zur kirchlichen Unfehlbarkeit macht sich Ketteier die Tatsache der „Vertagung" des Konzils zunutze. Wenn das Konzil seine Arbeit vollenden und die ganze Lehre von der Kirche verkünden wird — und diese Zeit „wird kommen" —, dann werden von selbst viele „Mißverständnisse" verschwinden. Ketteier benutzt diese Erklärung auch, um seine Abreise vor der letzten öffentlichen Konzilssitzung zu rechtfertigen, eine Verteidigung freilich, die einer scharfen Prüfung nicht standhält. Aber die Hauptsache ist doch, daß er auch hier wieder in das vatikanische Dogma den eigenen bischöflichen Geist hineinzupressen sucht. Die streng kurialistische Anschauung, wie sie längst vor der Dogmatisierung von berufenen und unberufenen, aber in Rom immer gern gehörten

Das unfehlbare Lehramt" (bischöfliche Ausdeutung des neuen Dogmas)

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Eiferern, wie sie jetzt ausdrücklich oder in der Stille von beauftragten oder nicht beauftragten Verteidigern des Vaticanum vertreten wurde, hat Ketteier als ungenügend und mißverständlich bezeichnet. Er verwirft die Auffassung nämlich, daß das Oberhaupt der Kirche der ausschließliche Träger des die Kirche vor Irrtum bewahrenden göttlichen Beistandes sei, die Meinung, es sei „die Kirche selbst nur mittelbar und indirekt unfehlbar, nämlich durch ihr Oberhaupt"; nicht anders aber verwirft er die kurialistische Auffassung, „die Kirche sei zwar Trägerin der Unfehlbarkeit, aber der Papst sei das einzige Organ, wodurch sie von dieser göttlichen Gabe Gebrauch machen könne, und die Bischöfe seien es nur mittelbar durch Teilnahme an dieser Prärogative des Oberhauptes". Die „ohne Zweifel" häretische ultraepiskopalistische Meinung, „die Bischöfe allein auch ohne den Papst, ja aber dem Papste, könnten als Organe der Kirche unfehlbare Entscheidungen geben", braucht er nicht weiter zu beachten. Die vierte Auffassung aber geht dahin: „die Kirche selbst sei kraft ihrer unauflöslichen Vereinigung mit Christus und dem hl. Geiste unfehlbar, und sie betätige diese ihre Unfehlbarkeit durch die von Christus eingesetzten Organe des kirchlichen Lehramtes, je nach den Bedürfnissen der Kirche und der Leitung der göttlichen Vorsehung, bald durch vom Oberhaupte der Kirche allein ausgehende Lehrentscheidungen, bald durch die Lehrentscheidungen allgemeiner Konzilien, in welchen der gesamte Episkopat mit dem Oberhaupte der Kirche in unteilbarer Einheit zusammenwirkt". Dieser Auffassung gibt er „entschieden den Vorzug"; sie scheint ihm dem Sinne der Schrift und der Überlieferung, den Lehraussprüchen der Kirche und insbesondere auch den Lehraussprüchen des Vatikanischen Konzils am besten zu entsprechen. Er vergißt dabei ganz, daß die Bindung des Papstes, die er mit dieser seiner „Auffassung" schafft, der vatikanischen Entscheidung selbst fremd ist. Seine Auffassung ruht auf seinem falschen Verständnis der vatikanischen Satzungen. Er meint jetzt, in diesen sei die Unfehlbarkeit der Kirche geradezu „als der Grund und das Maß der Unfehlbarkeit des päpstlichen Lehramtes" bezeichnet, er kann das freilich nur meinen, weil von ihm die Gleichsetzung der päpstlichen und der kirchlichen Unfehlbarkeit in eine Ableitung jener aus dieser umgedeutet wird. Es ist nicht mehr der alte freie Flügelschlag des bischöflichen Geistes; der im Innern unheilbare Zwiespalt der alten Anschauung und der neuen Lehre fesselt doch auch diese willensmächtige Natur. Ein feines Ohr immerhin konnte noch in Krittlers Bekenntnis zu dem neuen Dogma den Widerhall des Kampfes nachzittern hören, obwohl oder auch weil es fremde Worte waren 1 ), die er wählte, um seine Hingabe an „die göttliche Wahrheit" zu bekunden. Bei der Abwehr der gelehrten Gegner des Dogmas aber galt dem Bischöfe bischöflicher Tadel als zureichender Ersatz für wissenschaftliche Begründung. Er hält diesen Gegnern — an Döllinger denkt er insbesondere — das Beispiel Bossuets vor Augen, der sich auch in der Opposition als treuer Sohn der Kirche gezeigt habe. In dem Vorwurfe liegt noch ein stilles, leises Werben, aber es wird zurückgedrängt durch die leidenschaftliche Abwehr der Angriffe, die jetzt mit der Schrift Johann Friedrich Schuttes über „Die Macht der römischen Päpste" — „eine wahre Skandalschrift" — selbst immer leidenschaftlicher wurden. Die kirchlichen Wächter und Führer konnten jetzt, da sie der Masse der Gläubigen und vollends des Klerus gewiß sein durften, die dogmatischen Darlegungen und kirchlichen Folgerungen der Widersacher leichter ertragen. Anders aber stand es um die p o l i t i s c h e Beurteilung der vatikanischen Lehren. Sie hatte schon vor der Entscheidung mit dem berühmten Rundschreiben des baierischen Ministerpräsidenten Hohenlohe in der Stille eingesetzt und trat nun in dem literarischen Streit immer stärker hervor. Hier lag eine Gefahr für die Stellung des Katholizismus in Preußen, in den anderen deutschen Staaten, in dem neuen Deutschen Reiche überhaupt. Ketteier erkannte diese Gefahr. Er sah den alten bösen Feinde am Werke, den Liberalismus, „eine Partei voll Ungerechtigkeit und voll *) S. 94 ff. aus Vincenz von Lerinum.

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Unwahrhaftigkeit"; sie „besteht großenteils aus offenen Feinden des Christentums und jeder übernatürlichen Religion und sie schämt sich nicht, Fortschritt und Freiheit auf hre Fahnen zu schreiben und zugleich der Kirche Freiheit und Recht vorzuenthalten". Es sollte im Sinne Kettelers die moralische Vernichtung des Kirchenrechtslehrers Schulte und seiner Gesinnungsgenossen sein, dafi man ihnen die Vereinigung mit „dieser Partei" vorhalten konnte. Aber die Polemik hatte auch ihre positive Seite. Jetzt, da die neu sich bildende Zentrumspartei unter Berufung auf die preußische Verfassung mit der Forderung reichsgesetzlicher Verbürgung der Kirchenfreiheit hervortreten wollte — schon sprach Ketteier seine zuversichtliche Hoffnung auf diese „große, starke Partei aus dem Süden und aus dem Norden Deutschlands" offen aus —, jetzt, am Vorabende der ersten Reichstagswahlen galt es, alle konservativen Mächte in Deutschland den kirchlichen Wünschen geneigt zu machen. So wird hier kirchliche Verteidigung zu politischer Vorsorge. Die doppelte Zielsetzung hat die Beweisführung des Bischofs wahrlich nicht schlüssiger gemacht. Seine Meinung, daß nach den vatikanischen Satzungen selbst die Unfehlbarkeit des Papstes denselben Gegenstand und dieselben Grenzen habe wie die Unfehlbarkeit der Kirche, soll ihm nun die „einleuchtende" Forderung gestatten, daß die päpstliche Unfehlbarkeit nicht staatsgefährlicher sein könne als die kirchliche. Die Kirche aber „hat eigentlich im Grunde als solche und im unmittelbaren Zusammenhang mit dem Dogma nur Ein großes politisches Prinzip— und das ist wahrlich nicht staatsgefährlich —, daß nämlich auch die bürgerliche Gewalt von Gott ist, und daß deshalb auch Gottes Gebot uns verpflichtet, ihr gehorsam zu sein". Von den wirklichen und den möglichen sehr verschiedenartigen Folgerungen aus diesem „Einen Prinzip" spricht er jetzt nicht; auch von den uneigentlichen, von den mittelbar mit dem Dogma zusammenhängenden, von den durch die Auslegung der „Sitten" sich ergebenden politischen Lehren und Forderungen schweigt er hier, obwohl er selbst sie in seiner Konzilsschrift von 1869 andeutend mindestens entwickelt hatte. 1 ) Er sucht die deutsche Siegesgewißheit — er schrieb im Januar 1871 — nicht weniger als die Harmlosigkeit naiver Leser für seine kirchliche Auffassung auszunutzen. Er wagt es gar, der „Verdächtigung" der Kirche und des Papstes die Behauptung entgegenzustellen, „daß in der ganzen gegenwärtigen Weltlage und in der Gesinnung aller katholischen Völker die volle Unmöglichkeit eines Übergriffes auf das politische Gebiet" liege; er erklärt, solche Übergriffe wären nur dann möglich, „wenn der Papst den Willen und die Macht hätte, die ganze politische Ordnung der Welt über den Haufen zu werfen" — eine derartige Annahme aber sei „kindisch". S o sprach K e t t e i e r in einer Zeit, da klerikale Franzosen, die sich schon m i t t e n i m K r i e g e als T r ä g e r des R a c h e g e d a n k e n s f ü h l t e n , ihre w i r k s a m e n B e z i e h u n g e n zur r ö m i s c h e n Kurie p f l e g t e n , d a u n t e r d e m Segen d e s P a p s t e s die „ G e n f e r C o r r e s p o n d e n z " d e n K a m p f zugleich gegen die F e i n d e d e s v a t i k a n i s c h e n D o g m a s u n d des „ k a t h o l i s c h e n " Frankreichs, den K a m p f g e g e n d a s w e r d e n d e „ p r o t e s t a n t i s c h e " Kaiserreich a u f n a h m , da in D e u t s c h l a n d selbst u n d n i c h t lediglich in der klerikal-partikularistischen S c h i c h t Baierns die seit l a n g e m u n d noch a m V o r a b e n d e des K r i e g e s l e i d e n s c h a f t l i c h v e r f o c h t e n e n klerikalen w i d e r p r e u ß i s c h e n G e d a n k e n sich in der Stille wieder z u m K a m p f e bereit m a c h t e n , nicht w e n i g e r g e l o c k t v o n d e n H e r z e n s n e i g u n g e n ihrer T r ä g e r als g e t r i e b e n v o n der o f t p l u m p e n gegnerischen P o l e m i k wider k a t h o l i s c h e D o g m e n u n d klerikale M e i n u n g e n . Schon i m N a c h winter d e s J a h r e s 1871 l a g eine s c h w ü l e L u f t ü b e r D e u t s c h l a n d . Die ») S. 114. Vgl. oben S . 5 7 6 f .

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Bischöflicher Kampf gegen den Altkatholizismus

Geister, die Ketteier jetzt noch mit kirchlichen Wunschformeln zu beschwüren suchte, stießen bald entfesselt aufeinander. Mit der Schrift über das unfehlbare Lehramt des Papstes hatte sich Ketteier seine Beklemmungen von der Seele geschrieben. Auch er führte weiterhin, in der Bischofsgemeinschaft und allein, einen erbitterten Kampf gegen alle, die ihre kirchlich-episkopalistische Anschauung vom Frühjahr 1870 ohne Einschränkung noch im Winter vertreten wollten. Die wissenschaftlichen Unterlagen ihres eigenen früheren Standpunktes sahen die alten Minoritätsbischöfe durch den größten unter den lebenden katholischen Kirchenhistorikern, der ihnen allen unmittelbar oder mittelbar Lehrer gewesen war, am wirksamsten verteidigt, durch ihn und viele, die von ihm lernten oder mit ihm gingen, gegen sie selbst ausgenutzt. Die Bischöfe suchten im Frühjahr 1870 Döllinger und die „Döllingerianer" und alle „altkatholischen" Widersacher kirchlich mattzusetzen. Insbesondere in dem Hirtenbrief vom Mai 18711) verdammten sie diese ganze „wissenschaftliche Richtung, welche sich von der Auctorität der Kirche losgesagt hat und nur an ihre eigene Unfehlbarkeit glaubt", als unverträglich mit dem katholischen Glauben, als einen Abfall von der wahren Kirche; hinterdrein sahen sie nun — alle Minoritätsbischöfe außer Hefele in Gemeinschaft mit ihren vatikanischen Gegnern — in der Dogmatisierung der vor Jahresfrist von Ketteier als Umsturz der Kirchenverfassung verurteilten Lehre nichts Geringeres als ein Werk der göttlichen Vorsehung. Damit hatte auch Ketteier, schärfer noch als in Fulda und in seiner Schrift, den Schnitt gemacht zwischen seiner alten Überzeugung und dem neuen Dogma, dem „Prüfstein der Geister". Aber auch persönlich wollte er sich nicht dabei beruhigen, die vom nichtvatikanischen Standpunkt und gar von dem Boden einer nicht dogmatisch bestimmten Moral aus gut begründeten Angriffe auf den Wechsel seiner Anschauungen schweigend hinzunehmen, obwohl doch Federn genug in Bewegung waren — Federn der Wissenden und der Gutgläubigen —, um die Legende von dem nie wankenden Unfehlbarkeitsglauben des Mainzer Bischofs zu verteidigen. Indem Ketteier persönlich in diese Polemik eingriff, wurde er von selbst dazu getrieben, nicht nur seinen gegenwärtigen Glauben zu bekennen und zu begründen, sondern zugleich seine frühere Haltung zu verhüllen und umzudeuten; auf diesem Wege der Abwehr ist er bis zur Unwahrheit geführt worden. 2 ) Aber das, was er vor der Öffentlichkeit nicht sagen wollte und als Bischof der nachvatikanischen Kirche nicht sagen konnte, hat ihn in der Stille noch beschäftigt. Durch das Konzil war eine Doktrin, der ^ G e d r . z . B.: E. Friedberg, Sammlung der Aktenstücke z. 1. Vat. Konzil (1871) S. 713ff. *) Z. B. 21.10.1872 (Br.459ff.), dazu die falschen Angaben des Jesuiten de Buck: B r . 4 6 5 f . ; ferner K. an das Staatsmin. in Darmstadt 24. 9. 74: Br. 486 und K.s öffentl. Erklärung 4 . 8 . 75: Br.505. V i g e n e r , Bischof K e t t e i e r

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IV 1: Bischoftum und Papsttum: Das Vatikanische Konzil

er aus dem Innersten seiner bischöflichen Überzeugung heraus widerstrebt hatte, zum Dogma erhoben worden. Dieses Konzil ging zu Ende, wurde „ v e r t a g t " , ohne mit seiner Lehre von der Kirchengewalt auch nur die bescheidensten Wünsche der wahrhaft bischöflichen Bischöfe erfüllt zu haben. Von den kirchlichen Gegnern der dogmatisierten Doktrin, die sich unterworfen hatten, wollten manche mindestens die Hoffnung nicht aufgeben, daß eine Wiedereröffnung der Beratungen dem Konzile noch nachträglich einen bescheidenen Schein von Bischöflichkeit geben werde. Deutsche Kirchenmänner, geistliche und weltliche Theologen, die zugleich Ideologen waren, meinten nach dem Ende des deutsch-französischen Krieges ernsthaft, die Kurie zur Eröffnung zwar kaum einer neuen Konzilstagung, wohl aber konzilsmäßiger Beratungen veranlassen zu können. Ketteier selbst beschäftigte sich bis an sein Lebensende mit ähnlichen Hoffnungen, mit bischöflichen Erwartungen. 1 ) Im Herzen hörte er nicht auf, obwohl besiegt durch die Macht der Mehrheit und durch die eigene Kirchentreue, alten Bischofsgedanken nachzuhängen. Das richtige Verständnis für Kettelers Standpunkt konnten nur die wenigen gewinnen, die gleich ihm den Konzilsstreit als kirchliche Gegner der römischen Unfehlbarkeitslehre durchgefochten und sich dann gefügt hatten; Bischof Hefele von Rottenburg etwa, der den Weg der kirchlichen Unterwerfung langsamer ging als Ketteier und erst im April 1871 die vatikanischen Beschlüsse veröffentlichte, mutete dem neuen Dogma genau dieselbe Einschränkung zu, die soeben Ketteier vertreten hatte. 2 ) Die Gegner hüben und drüben freilich urteilten anders. Die Altkatholiken, die namentlich den scharfen Mainzer Bischof scharf anzufassen liebten, nannten seinen Einschränkungsversuch sogleich eine trügerische Ausflucht 3 ), und die wirklich, die von Grund aus infallibilistischen Theologen und Kirchenmänner, deutsche Jesuiten voran, ließen es durchblicken, daß sie das „Bekenntnis" der bischöflichen Schrift, eben um der Auslegungen, um der Vorbehalte willen, nicht so recht für voll ansahen. Aber Ketteier stand fester als je bei seiner Kirche. Er hatte das neue Dogma angenommen, wie man unter dem Drucke der Vgl. K. an Antonelli 17. 10. 71: Pfülf 3,134. Dazu K.s Äußerung in der Peterskirche 12. 5. 77: B. Liesen, Letzte Lebenswochen des Bischofs . . . (1877) S. 8 ; Pfülf 3, 307. Auch die halbstündige Privataudienz bei Pius IX. 17. 5. 77 (Pfülf 3, 311) mag von diesen Gedanken berührt worden sein. 2 ) Kurz vor s. Unterwerfung tröstete sich Hefele in e. Briefe an Döllinger 1 5 . 3 . 7 1 (Schulte, Altkatholiz., 1887, S. 225ff.; Oranderath 3,564) u. a. damit, daß das vat. Dekret noch nicht authentisch erklärt werden könne, „wie denn in der Tat die Deutungen von Scheeben, Schäzler usw einerseits und Ketteier usw. anderseits wirklich disharmonieren". — Vgl. etwa noch den Trierer Bischof Eberhard: J . Kraft, M. Eberhard (1878) S. 176ff. (vgl. 175). 3 ) Rhein. Merkur 2 (1871) Nr. 10 (5. 3.) S. 95. — Zum Folg. ebenda S. 87, auch P. Franzelin S.J. im Mainzer „Katholik" April 1871.

Bischöfl. Hoffnung auf neue Konzilsberatung.

K-s Hingabe an seine Kirche

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Not etwas a n n i m m t , und er h a t t e es doch zugleich aufgenommen, wie er, der getreue katholische Bischof, ein Gebot, eine Lehre seiner unfehlbaren Kirche aufnehmen mußte. Er ließ den offenen Kampf für die alten Bischofsrechte, f ü r die bischöfliche Auffassung der allgemeinen Kirche ruhen. Die kirchlichen Kräfte, seine eigenen und die seiner Gesinnungsgenossen, die kirchlichen K r ä f t e insgesamt, bisher gefesselt durch innerkirchlichen Gegensatz und Streit, wurden nun frei f ü r den Kirchenkampf nach außen, f ü r den kirchlich-politischen Kampf, f ü r deutsche Kirchenpolitik insbesondere. Aller kirchliche Eifer, alle kirchlichen Leidenschaften auch dieses Bischofs dienten nun, ohne Vorbehalt und ohne Ablenkung, der im Zwange der neuen P a p s t m a c h t straff zusammengefaßten Kirche selbst.

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Zweiter Abschnitt

Kirche und Staat: Der Kulturkampf Ketteier kehrte gegen Ende Juli 1870 von Rom nach Mainz zurück. Von der kämpfenden Konzilsgemeinschaft kam er zu der kämpfenden Volksgemeinschaft. Am Tage von Weißenburg d u r f t e er den zum Heere ziehenden König Wilhelm in derselben S t a d t begrüßen, wo er fast genau sieben J a h r e zuvor dem Kaiser Franz Joseph großdeutsche bischöfliche Segenswünsche für das Werk des F r a n k f u r t e r Fürstentages mitgegeben hatte. J e t z t sprach er unpolitischer, ganz als der Mann der Kirche. Königliche Worte vom J a n u a r 1870 über die Notwendigkeit des Glaubens an die Gottheit Christi — Worte, die er schon sogleich in einer Streitschrift gegen den liberalen protestantischen Theologen Friedrich Nippold verwertet h a t t e — griff er jetzt in kirchlicher Stimmung und kirchlicher Absicht wieder auf. Wir sahen, wie Ketteier nach dem Prager Frieden sich dargeboten h a t t e als ein kirchenstrenger, aber politisch belehrter Führer, der kirchliche Gesinnungsgenossen herausziehen wollte aus der Steinwüste u n f r u c h t b a r e n Preußenhasses, aus dem Nebellande großdeutscher Romantik. Wir sahen, daß er dieser neuen politischen Überzeugung beharrlich treu blieb. Aber wir konnten auch bemerken, d a ß in seinem politischen Erkennen und Bekennen ein kirchliches Berechnen und Begehren sich b a r g : seine politische Schrift von 1867 h a t t e dem Deutschland, das hier von der nächsten Z u k u n f t gefordert und erwartet wurde, die verfassungsmäßige Verbürgung kirchlicher Freiheit, ja besondere Pflichten christlicher Politik zugewiesen. J e t z t war er tatsächlich willens, persönlich und unmittelbar an die nationale Staatsgemeinschaft, die nun im Kampfe mit dem (seinem kirchlichkatholischen wie seinem national-politischen Empfinden widerwärtigen!) Frankreich Napoleons heranreifte, an das werdende Deutsche Reich seine kirchlichen Forderungen zu richten. Der Sieg Preußen-Deutschlands sollte nach Kettelers Erwartung auch der Kirche einen Gewinn bringen. Kein Enthusiasmus täuschte

Das neue Deutsche Reich und die verfassungsmäßige Kirchenfreiheit

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ihn. Ein williges Verständnis für katholische Vorstellungen und Bedürfnisse traute er diesem Preußen wahrlich nicht zu. In der Stille versprach er sich jetzt wie seither 1 ) höchstens etwas von dem Eindrucke katholischer Entschlossenheit. Auch knüpfte sich seine Hoffnung weniger an die Sache Roms als an die Sache des katholischen Deutschlands selbst. Nicht, daß ihn das persönliche Schicksal des Papstes, den er kirchlich soeben noch so scharf bekämpft hatte, gleichmütig gelassen hätte. Auch ihm galt der Kirchenstaat als ein Stück der Papstgewalt selbst, der Einzug der Truppen Viktor Emanuels in die Stadt des Papstkönigs als Sakrileg. Der Papstkampf, der sich nach dem 20. September mit gesteigerter Leidenschaft in der Presse und in Versammlungen deutscher Katholiken während des Ringens zwischen Deutschland und Frankreich erhob, mußte schon darum, weil er das kirchliche Bewußtsein und den klerikalen Zusammenhalt stärkte, auch dem Bischöfe willkommen sein. Aber die diplomatischen Versuche zugunsten des Papstes überließ er anderen. Im November 1870 kam Erzbischof Ledochowski von Posen nach Versailles mit der Absicht, im Sinne des Papstes einen preußischen Einspruch gegen die Eroberung Roms zu erwirken. Ketteier hatte sich bereits am 1. Oktober brieflich an Bismarck gewandt. 2 ) Seine Wünsche galten indessen nicht der römischen Frage, sondern den deutschen Kirchenanliegen. Er suchte Bismarck davon zu überzeugen, daß ein allgemeiner, berechtigter und dem Staate heilsamer Wunsch der deutschen Katholiken erfüllt werde, wenn die künftige Reichsverfassung die preußischen Bestimmungen über die Kirchenfreiheit übernähme. Das war ein alter Gedanke des Bischofs. Seitdem die preußische Verfassung bestand, hatte er sie immer wieder um ihrer Kirchenparagraphen willen gerühmt. Diese preußischen Sätze galten ihm in den Kämpfen der Oberrheinischen Kirchenprovinz als glückliches Musterbild einer kirchlich-staatlichen Verständigung, in dem Deutschland nach dem Kriege von 1866 als die unentbehrliche Sicherung der inneren Einheit, als die wahre magna Charta des religiösen Friedens. Sein Bischofswort wird die Anregung dazu gegeben haben, wenn kurz nach Veröffentlichung seines politischen Buches, am 19. März 1867, ganz in seinem Sinne zwei rheinische Katholiken im norddeutschen Reichstage die Übernahme der kirchlichen Grundrechtssätze aus der preußischen Verfassung begehrten*), freilich ohne bei der Reichstagsmehrheit oder bei der Regierung durchzudringen. Bismarck wußte natürlich, daß, wie damals, so auch jetzt ') Vgl. namentlich K.s Brief an Bartolini, den Sekretär der Ritenkongregation, 4. 12. 67: PfAlf 2, 279 ff. *) Br. 422 ff., zuerst in K s Schrift „Die Centrums-Fraction" (1872) S . 3 5 f f . Dazu K.s in der „Germania" 1873 Nr. 65 veröffentl. Brief v. 16.3. 73: Br. 472 (oben), auch v. Poschinger, Bismarck und die Parlamentarier 3 (1896) S. 255 f. ') Hansen, Preußen und Rheinland S. 195.

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die kirchlichen E r w ä g u n g e n entscheidend waren. Die politische Begründung, die der Bischof seiner Bitte an Bismarck mitgab, hatte gewiß ihren guten S i n n : durch die Aufnahme der preußischen Kirchenparagraphen in die Reichsverfassung würden die Katholiken beruhigt und die meisten fester f ü r das Reich gewonnen, würden insbesondere die Katholiken von Elsaß und Lothringen — die Vereinigung dieser Länder „mit dem alten M u t t e r l a n d " erwartet Ketteier — leichter mit dem neuen Deutschland verschmolzen. Aber Bismarck betrachtete auch im Herbst 1870, als er inmitten der ihn umlagernden äußeren und inneren politischen Schwierigkeiten durch Kettelers kirchenpolitische Forderung heimgesucht wurde, die Dinge vom S t a n d p u n k t einer maßvoll zurückhaltenden Zentralgewalt; die Reichsverfassung sollte sich auch darin an die Verfassung des Norddeutschen Bundes anlehnen, d a ß sie die Kulturpolitik den Einzelstaaten überließ. Ketteier erhielt keine A n t w o r t . Der Mißerfolg bei Bismarck verwies den Bischof nun auf die Wege der Propaganda und des Parlaments. Sein Verlangen nach den preußischen Kirchenparagraphen, selbst ein Stück angewandter Kirchenpolitik, gehört zugleich in Kettelers kirchlich-politischen Kampf f ü r den „christlichen" Staatsgedanken überhaupt. Vierzehn Tage nach der Anfrage in Versailles erließ er einen Hirtenbrief gegen die Eroberung Roms. 1 ) Etwas spät immerhin. Auch galten diese Hirtenworte zugleich d e m künftigen Deutschland; die Betrachtungen über Papst und Kirchenstaat und über deutsche Politik waren freilich durch die Einheit seiner kirchlichen Anschauung zusammengehalten und im Innersten enger aufeinander bezogen, als er es auszusprechen wagte. Er tritt hier bestimmt und scharf an das werdende Deutsche Reich mit jenen kirchlich-politischen Grundforderungen heran, die er in seinem Buche von 1867 vertreten hatte. Alle fernere Entwicklung Deutschlands hänge von seiner Haltung gegenüber dem religiös-kirchlichen Anliegen ab. Er fordert von dem christlichen Staate vor allem die Verwerfung alles Liberalismus. „Dieses Pranzosentum in Deutschland ist uns gefährlicher als das Pranzosentum in Prankreich und es hat vielleicht in Deutschland tiefere Wunden geschlagen, wie selbst in Frankreich. Alle äußeren Siege Ober Frankreich sind Scheinsiege, solange die falschen französischen politischen Prinzipien, denen der europäische Liberalismus fort und fort huldigt, Ober uns herrschen Solange die Lenker unserer Staaten in Europa diesen unchristlichen und undeutschen Prinzipien huldigen, ist es eine Torheit, von Frieden zu sprechen. Davon hängt die Zukunft ab, davon der Friede der Welt, nicht daß Staat und Schule, nicht daß alle bürgerlichen Einrichtungen gottlos gemacht, sondern daß sie auf das innigste mit der Religion verbunden werden. Nur ein Staatswesen, das die Religion achtet, und bei allen seinen Einrichtungen auf die religiöse Überzeugung seiner Angehörigen Rücksicht nimmt, hat ein Recht auf Gottes Segen. Mögen daher die Siege Deutschlands, welche das christliche deutsche Volk erfochten, uns auch ein christliches Deutschland wiederbringen.... Möge man das christliche deutsche Heer l

) „Die Gewalttat gegen den hl. Vater und die Anliegen unseres Vaterlandes". Hirtenbrief, 15.10.1870. Auch abgedr.: Mz. J. 1870 Nr. 257 (5.11.), 259.

Ketteier gegen den Liberalismus.

Katholische Parteibildung

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nicht betrügen und die Früchte seines Sieges nicht dem ungläubigen, gottlosen Liberalismus, diesem entdeutschten Franzosentum ausliefern. Widrigenfalls . . . wird kein Friede kommen, sondern vielmehr Kampf unter allen Völkern der Welt, blutiger und schrecklicher als der, welchen wir jetzt vor Augen sehen."

Das war mehr als eine kirchliche Predigt, mehr als ein mahnender Hirtenbrief. Diese Kundgebung mit ihren Anklagen gegen den Liberalismus, den jetzt die deutsche Einheit zur Vorherrschaft in ganz Deutschland bringen zu sollen schien, mit ihrer verhaltenen Drohung gegen die Regierung, mit ihren Zwangsvorschriften f ü r das neue Reich, diese bischöfliche Kundgebung h a t t e den politischen Sinn, für den Gedanken der Notwendigkeit einer katholischen Parteibildung im künftigen Reiche zu werben. Um die Wiederherstellung einer parlamentarischen Vertretung des politischen Katholizismus bemühten sich eben jetzt erprobte parlamentarische und außerparlamentarische kirchliche Vorkämpfer. In Preußen war die im Kampfe der Fortschrittspartei mit Bismarck nahezu aufgeriebene katholische. Fraktion nach dem Kriege von 1866 nicht neu aufgerichtet worden. Im Schutze der Verfassungsparagraphen und des Kirchenfriedens, auch wohl in der Sorge vor den Wirkungen eines Zusammengehens mit dem welfisch-partikularistischen Windthorst wagte man es damals, sich wieder an das Vorbild der ersten deutschen und der ersten preußischen Nationalversammlung anzulehnen: die kirchenstrengen Katholiken verteilten sich auf die einzelnen Fraktionen und traten, übrigens nur in bescheidener Zahl, gelegentlich zur Besprechung der in das Kirchliche übergreifenden Fragen zusammen. Auch im Reichstage des Norddeutschen Bundes kam es nicht zur Bildung einer katholischen Fraktion. Im Juni 1870 aber, angesichts der in Preußen und im Bunde bevorstehenden Wahlen, angetrieben auch durch die kirchlichen und kirchenpolitischen Wirkungen der vatikanischen Bewegung und Gegenbewegung, vereinigten sich Klerikale aus verschiedenen Teilen der preußischen Monarchie unter der F ü h r u n g des bewährten Parlamentariers Peter Reichensperger zur Aufstellung von Leitsätzen für die Wahlen. Reichensperger ließ sie in der „Kölnischen Volkszeitung" abdrucken. Auf sie gründete sich das Soester Programm, das am 28. Oktober 1870, also 14 Tage nach der Ausgabe von Kettelers kirchlich-politischem Hirtenbriefe, veröffentlicht wurde. Kirchliche und politische Gedanken verbinden sich auch hier. Die kirchlichen erscheinen noch so ehrlich-einfach konfessionell, d a ß lediglich von „ d e r " Kirche gesprochen wird. Sind die kirchlichen Sätze des Soester Programms weniger wortreich als die des Reichenspergerschen Werbebriefes, so weisen sie doch zwei wesentliche Zusätze a u f : einmal die Forderung tatsächlicher P a r i t ä t — die natürlich im kirchlich-katholischen Sinne verstanden sein wollte, so etwa, wie sie Ketteier dritthalb J a h r e zuvor in seinem weithin beachteten Streite mit der evangelischen Geistlichkeit Hessens ver-

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treten h a t t e 1 ) —, ferner die „Abwehr jeden Angriffs auf die Unabhängigkeit der kirchlichen Organe", ein Satz, der auch auf den Papst bezogen werden sollte. Das förmliche Programm der neuen klerikalen Landtagsfraktion verriet mehr Vorsicht und Zurückhaltung. Schon die Parteibewegung selbst läßt den Sieg der klugen Taktiker erkennen : von den 48 Katholiken (es war etwa die Hälfte der katholischen Landtagsmitglieder), die sich der klerikalen Partei anschlössen, s t i m m t e die Mehrheit gegen jene, die auf die Bezeichnung „katholische Volksp a r t e i " drangen, und setzten z u m Kummer dieser Aufrichtigeren die Bezeichnung „ Z e n t r u m (Verfassungspartei)" durch. 2 ) Vollends in dem klerikalen J a n u a r a u f r u f f ü r die Reichstagswahlen wurden die tatsächlich bestimmenden, alle politischen Meinungsverschiedenheiten überwindenden konfessionellen Gedanken eingehüllt in dehnbare politische Grundsätze und in die allgemeine Forderung kirchlicher Freiheit. Ketteier war bei diesen Vorbereitungen und auch bei der förmlichen Gründung der Zentrumspartei des Reiches nicht u n m i t t e l b a r beteiligt. Aber seine Anregungen haben doch mitgewirkt. Die Forderung der Übernahme der preußischen Kirchenparagraphen in die Reichsverfassung h a t t e keiner so nachdrücklich wie er publizistisch und nun selbst diplomatisch vertreten; nicht diese Forderung geradezu, aber das ihr entsprechende Verlangen nach W a h r u n g der kirchlichen Freiheit und des Rechts der Religionsgesellschaften war in jenem vorsichtigen Wahlaufruf schon ausgesprochen, die Kirchenparagraphen selbst sollten dann alsbald von der Fraktion b e a n t r a g t werden. Schon zu Ende des J a h r e s 1870 aber, vierzehn Tage vor Veröffentlichung des klerikalen Wahlaufrufs, h a t t e es Ketteier als eine Aufgabe der neuen klerikalen Zeitung bezeichnet, die jetzt notwendige Vereinigung „aller" Katholiken Deutschlands zu einer großen einigen Partei zu erleichtern. 3 ) Den Parteileuten in Berlin m u ß t e gerade ') „Die wahren Grundlagen des religiösen Friedens.'' Mainz 1868 [Febr.]. 87 S. Dazu protestantische Erwiderungen: Pfülf 2, 314ff. und wieder katholische Mainzer Entgegnung: Gottfried Schneidewin (Deckname für den Seminarprofessor Brück?), Der Bischof von Mainz und die drei hessischen Superintendenten. Mainz 1868, 80 S. (beruht z . T . auf einer Aufsatzreihe im „Mainzer Abendblatt" vom Mai 1868); vgl. auch Pfülf 2, 319 oben. 2 ) Zur Ergänzung der Mitteilungen bei Pastor, Reich. 2 S . 5 besonders: Mz. J. 1870 Nr. 295 (20. 12), # Berlin 17. 12. (offenbar von einem Fraktionsmitgliede) „Die Fraktion der,Katholiken' hat sich nunmehr gebildet unter dem Namen ,Fraktion desCentrums'. Bei der Vorbesprechung wurde von einemTeile der Name,konservative Volkspartei' und .katholische Volkspartei' vorgeschlagen, ohne jedoch durchzudringen. U. E. wäre letzterer Name der passendste g e w e s e n . . . (Hinweis auf Baden, auf den künftigen R e i c h s t a g ) . . . ,Centrum' ist eine ganz nichtssagende Bezeichnung. Trotzdem wollen wir sie akzeptieren in der Hoffnung, daß sie nur provisorisch ist." 3 ) Zum Folg.: K. 27.12.70 an das „Comité", das die Probenummern der „Germania" vom 17. 23., 27. 12. 70 übersandt hatte: „Germania" 1895 Nr. 292 (18. 12.), daraus Pfülf 2, 394.

Das „Zentrum" in Preußen und im Reiche. K- und die An'änge der „Germania"

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das Urteil dieses Bischofs etwas bedeuten, der in der Kirchenpolitik als der Führer des deutschen Episkopats gelten durfte, der insbesondere der Presse längst als Mitarbeiter und Zensor nahestand, der noch drei Jahre zuvor auf der Fuldaer Bischofstagung eine Organisation der katholischen Tagespresse unter Aufsicht der einzelnen Diözesanbischöfe vorgeschlagen hatte. Kettelers Urteil über die ihm zugesandten Probenummern der „Germania" dient aber überhaupt unserer Erkenntnis seiner damaligen Anschauung und Stimmungen. Er verspricht sich viel von einer großen, maßvoll und ruhig geschriebenen Berliner Zeitung, die „politisch" auf dem Standpunkt stehe, der von den besten katholischen Mitgliedern der preußischen Kammern im Verlaufe vieler Jahre auf Grund der preußischen Verfassung geltend gemacht worden sei. Nicht im Romanentum und Germanentum, sondern in den „großen Prinzipien" sah er die Gegensätze und wollte er sie von dem neuen katholischen Blatte gesehen wissen. Darum eben enttäuschten ihn die Probenummern der „Germania". Denn aus ihnen sprach die Hoffnung von der wechselseitigen Durchdringung des Germanentums und des Christentums, von einem neuen deutschen Vorbilde für andere Nationen. Der Chefredakteur war in der Tat ein Mann, der sich Geibels Wort von der am deutschen Wesen genesenden Welt katholisch umprägte, ohne es national zu zerstören. Wir kennen Friedrich Pilgram. 1 ) Im stolzen Erleben der deutschen Siege hatte er sich bereit gefunden, die Studierstube mit dem Redaktionszimmer zu vertauschen. Er war kirchlich, philosophisch, national gleich enthusiastisch gestimmt und so allerdings wenig geeignet, ein großes Blatt des kirchlich verlässigen, aber nicht enthusiastischen, politisch wachsamen, argwohnischen, skeptischen deutschen Klerikalismus zu leiten. Ketteier hielt der Betrachtungsweise Pilgrams die nüchterne, auch ein wenig ironische Forderung entgegen, recht demütig zu sein und nicht großsprecherisch. Das war eine scharfe Ablehnung des national begeisterten Redaktionsphilosophen, dem das Wort „Germania" eine über allen inneren Kampf hinausweisende nationale Verpflichtung bezeichnete. Des Bischofs Wort wird nicht wenig dazu beigetragen haben 2 ), daß bereits am 1. April 1871 der feinsinnige Ideolog durch den robusten Praktiker abgelöst wurde, durch Paul Majunke, den geistlichen Virtuosen des derben Kirchenkampfes der Presse, der Wahlen, des Parlaments. Ketteier suchte nicht den Kampf mit der Regierung, aber er wünschte die Katholiken gerüstet zu sehen, und zu der ihm stets unvermeidlich erscheinenden Auseinandersetzung mit dem Liberalismus Vgl. oben S . 4 2 2 f . ) Bei K.sBischofsjubiläum 25.7.75 schrieb der Redaktionsstab der„Germania" in einem Glückwunschschreiben (Pfülf 3, 247) u. a., K- habe „unserem Unternehmen und unsern Bestrebungen von Anfang an unausgesetzt die wärmste Teilnahme gewidmet". 2

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IV 2: Kirche und Staat: Der Kulturkampf

lockte es ihn auch jetzt. Seine Unfehlbarkeitsschrift v o m Januar 1871 klang in eine vernehmliche Kriegsandrohung aus gegen die „Partei voll Ungerechtigkeit und voll U n w a h r h a f t i g k e i t " , aber auch in ein vertrauendes und zugleich m a h n e n d e s B e k e n n t n i s der „zuversichtlichen und freudigen" H o f f n u n g , „ d a ß sich eine große, starke Partei aus dem SQden und aus d e m Norden D e u t s c h l a n d s auf d e m ersten Reichstage z u s a m m e n f i n d e n wird mit der Forderung, diese Freiheit der Kirche auch in d e m Reichsgesetze zu garantieren". Dieser Partei wollte er in seinem D r a n g e z u m Belehren und Führen jetzt, kurz nach der Veröffentlichung des v o n A u g u s t Reichensperger verf a ß t e n Wahlaufrufs, geradezu die Richtlinien vorschreiben, über die K ö p f e der alten Parlamentarier hinweg, doch nicht i m sachlichen Gegensatze zu ihnen. In den l e t z t e n Kriegswochen schrieb er den Entwurf zu einem politischen P r o g r a m m für die Katholiken nieder und erläuterte die P r o g r a m m s ä t z e in einem kirchlich-politischen K o m m e n t a r . Diese Schrift, die er i m Februar 1871 abschloß, aber aus parteitaktischen E r w ä g u n g e n d a m a l s zurückhielt u n d erst zwei Jahre später veröffentlichte 1 ), lehrt seine politischen Grundanschauungen in ihrer Beziehung auf den politischen Augenblick und so seine politische S t i m m u n g am Vorabend der Reichstagswahl erkennen. Freilich darf man die parteimäßigen Absichten des Bischofs nicht einen Augenblick vergessen und muß sich die Tatsache gegenwärtig halten, daß es Ketteier damals nicht wagte, diesen seinen Entwurf als anerkannte und wahrhaft richtunggebende Leitsätze des deutschen politischen Katholizismus hinzustellen. Es bleibt aber wichtig, in dem einleitenden Brief an den unbekannten und vielleicht nur gedachten Anreger dieser Programmschrift vom Februar 1871 den Bischof selbst bestimmt aussprechen zu hören, daß es eine Partei „der Katholiken" ist, die er in die Reihe der politischen Parteien eingeführt wissen will. Die Gründe dieser konfessionellen Parteibildung liegen für ihn selbst wieder auf konfessionellem Boden: die Mißverständnisse zwischen „uns" und den bekenntnistreuen Protestanten seien noch viel zu groß, als daß man an eine politische Vereinigung denken könne. Allerdings sprach er die Meinung aus, eine katholische Partei sei nur vorübergehend notwendig: „Sind erst die Prinzipien wahrer Gerechtigkeit, welche wir vertreten, Grundprinzipien des Deutschen Reiches geworden, ist der Liberalismus mit seinen ungerechten, gewalttätigen Bestrebungen gründlich Oberwunden, dann wird von selbst die katholische Partei als solche aufhören." Der Liberalismus wird überhaupt von vornherein und bestimmt als der gefährlichste Gegner „der" Katholiken gefaßt. Überwindung des Liberalismus sollte und würde eben den Sieg der politischen Grundanschauung des Katholizismus bedeuten und freilich die „katholische Partei" überflüssig machen, weil diese sich dann (das war die nicht förmlich ausgesprochene Meinung) gleichsam zu der Reichspartei der „gläubigen" Christen erweitert haben würde, ohne doch ihre besondere kirchliche Nutzbarkeit einzubüßen. Aber Ketteier hat schwerlich eine katholisch-protestantische politische Glaubens- und Herrschgemeinschaft von der nächsten Zukunft erwartet; immerhin sollte in dem Satze über die Notwendigkeit der katholischen Partei das Wörtchen „vorübergehend" die protestantisch-konservativen Geister beruhigen helfen, um die katholischen Aussichten einer politischen Freundschaft mit ihnen zu verbessern. Die Katholiken im Deutschen Reiche. Entwurf zu einem politischen Programm. Mainz 1873, VIII u. 123 S. — Vgl. auch unten S. 641 ff.

Kettelers Programmentwurf „Die Katholiken im Deutschen Reiche"

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Kettelers Programm verpflichtet die Katholiken nur zur rückhaltlosen Anerkennung der deutschen Reichsgewalt innerhalb der Grenzen ihres jetzigen Rechtsbestandes; im übrigen enthält der Entwurf nur Forderungen an das neue Reich, kurze Programmsätze, deren Begründung und Erläuterung Aufgabe der ganzen Schrift ist. Von dem neuen Reiche sagt er, daß es nicht sein Ideal sei, aber er zieht es dem Deutschen Bunde und auch den letzten Zeiten des alten Reiches vor. Er begehrt eine willige Anerkennung der Neugestaltung, „weil durch sie das Recht des deutschen Volkes auf eine nationale Existenz besser wie bisher und vielleicht unter den gegebenen faktischen Verhältnissen in der einzig möglichen Weise befriedigt worden ist." Die Abspaltung Österreichs — dieses Österreichs, das ihm als Land des Liberalismus gegenwärtig entfremdet ist — soll durch dessen innigsten Anschluß an das Deutsche Reich einigermaßen gut gemacht werden, und diese Verbindung auch als annähernde Erfüllung des Sehnens der Großdeutschen gelten. Er sieht hier zugleich eine Forderung des deutschen Machtgedankens gegeben. Dieser Bischof ist auch jetzt nicht pazifistisch verblendet; er spricht sogar wie von einer sicheren Sache, wenn er meint: „Der nächste Krieg wird Frankreich ganz anders gerüstet finden, wie der eben abgelaufene." Es ist danach nur selbstverständlich, daß er am Partikularismus alles das f ü r unberechtigt hält, was „einer starken, lebenskräftigen Reichsgewalt entgegensteht"; er verrät damit mehr ursprüngliches Reichsgefühl, als dann einige Wochen später im Programme des Reichstagszentrums zum Ausdruck kommen sollte 1 ). Läßt er die volle Souveränität der Einzelstaaten als formell berechtigt gelten, so erscheint sie ihm doch als materielle Rechtsverletzung, weil „das deutsche Volk ein unveräußerliches geschichtliches Recht hat, unter einem deutschen Kaiser zu einem Reiche geeinigt zu sein". Darum, aber auch nur darum, lehnt er es ab, das Verhältnis zwischen dem Kaiser und den Landesfürsten als r e i n föderalistisch zu betrachten, verwirft er auch den Anspruch der Bundesstaaten auf eine selbständige Vertretung bei fremden Mächten, von der er ähnliche Gefahren, wie in früheren Zeiten, nämlich „Reichsverräterei" befürchtet. Der gegen allgemeine Zentralisation, vor allem gegen den ausgleichenden Einheitsgedanken des Liberalismus gerichtete Zug des Partikularismus ist ihm dagegen höchst erwünscht. Damit sind die kulturpolitischen und das bedeutet notwendig: die konfessionellen Grundlagen seiner Auffassung berührt. Sie werden in den Erörterungen über das Verhältnis des Reiches zur christlichen Religion freier aufgedeckt. Die Beschränkung der Reichsverfassung auf die sachlichen Grenzen der norddeutschen Bundesverfassung erklärt er für unmöglich, wofern das Reich berechtigt sein solle, den Namen des „alten" deutschen Reiches zu tragen. Er fordert die Ergänzung der „provisorischen" Reichsverfassung durch Berücksichtigung der geistigen Interessen. Wie er das meint, läßt er sofort erkennen, indem er erklärt, die Institutionen und Gesetze des Reiches müßten von der Achtung der Religion und Sittlichkeit durchdrungen sein, sie müßten „sich von dem materialistischen Staatswesen lossagen, welches viele europäische Staaten todkrank gemacht hat". Die Selbständigkeit der rechtlich bestehenden Religionsgesellschaften, der Konfessionen — außerkonfessionelle christliche Religion ist ihm ein „objektloses Nebelbild", darf also auch für den Staat nicht vorhanden sein —, sie muß reichsgesetzlich, verfassungsmäßig verbürgt werden: nur so sind die Konfessionen gegen „religiöse Wühler" gesichert, nur so ist der, auch f ü r die innere Stärkung des Reiches notwendige religiöse Friede möglich; „religiöse Wühler" sieht er in „manchem" deutschen Lande tätig, und in der Erinnerung an hessische, an badische Widersacher der katholischen Kirchenmacht lag ein lebendiger Anstoß für seine Forderung reichsrechtlicher Anerkennung der Kirchenfreiheit. Einen besonderen Anspruch der deutschen Katholiken auf diese religiöse Bürgschaft sieht er darin, daß in dem einem protestantischen Kaiser unterstehenden Reiche sie die Minderheit bilden — eine Er*) Hier heißt es: „ . . . soll . . . von der Selbstbestimmung und Selbsttätigkeit der einzelnen Staaten in allen inneren Angelegenheiten nicht mehr geopfert werden, als die Interessen des Ganzen unabweislich fordern."

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I V 2 : Kirche und S t a a t : Der Kulturkampf

wägung, die man nicht gerade syllabusmäßig nennen kann. 1 ) Über „Freiheit und Absolutismus" spricht Ketteier in dem Stile der Schriften von 1862 und 1867: der Absolutismus, der Mißbrauch der Staatsgewalt auf Kosten der persönlichen Freiheit, ist ihm mehr als im Heidentum und in der Renaissance und in der französischen Revolution — sie alle waren „noch gewissermaßen zu fromm dazu" — im Liberalismus verwirklicht. Der modernen „Staatshörigkeit" gegenüber möchte er das geretti t wissen, was er die „alte", die „wahre" Freiheit nennt, die gleich weit entfernt von Absolutismus und Revolution, vor allem die Freiheit der Familie und aller Genossenschaften in sich schließt, insbesondere natürlich — was hier nicht eigens gesagt wurde — die Freiheit der Kirche. Ihm mußte es jetzt, bei der deutschen Stimmung nach Krieg und Sieg, besonders nützlich erscheinen, den Kampf gegen den „liberalen Despotismus" als wahrhaft heimatlichen, deutschen Kampf hinzustellen — „denn Haß gegen Despotismus und Absolutismus und Liebe zur persönlichen Freiheit ist das beste Erbteil des germanischen Volksstamms". Von dem Despotismus der Kirchenmacht, dem die liberale Feindschaft galt, von dem Absolutismus der Papstmacht, gegen den Ketteier selbst auf dem Konzile die schwersten Anklagen erhoben hatte, war hier natürlich nicht die Rede. Die Gegner mochten der bischöflichen Behauptung, daß die Unterrichtsfreiheit des Liberalismus durch Bedingungen und Voraussetzungen illusorisch gemacht werde, den Zweifel an dem sachlichen Werte der kirchlichen „Lehr- und Lernfreiheit" entgegensetzen: aber es bedarf hier, keiner liberalen und keiner wissenschaftlichen Kritik der bischöflichen Kulturpolitik. Man muß nur feststellen, daß er, ähnlich wie einst in der Frankfurter Nationalversammlung, dem Staate ein Aufsichtsrecht über alle Schulen zugesteht, nicht aber das ausschließliche Aufsichtsrecht; er fordert vielmehr für die anerkannten christlichen Konfessionen ein wirksames Mitaufsichtsrecht, das seiner Meinung nach ein wahres Mitaufsichtsrecht des Volkes ist, namentlich der Eltern, die dann mit ruhigem Gewissen ihre Kinder der Schule anvertrauen können. Wie er es 1848 getan hatte, anerkennt er den staatlichen Schulzwang, soweit er zur Sicherung eines gewissen Grades von Kenntnissen notwendig ist, und das staatliche Recht, auch von den Lehrern der Privatschulen den Nachweis ihrer sittlichen und wissenschaftlichen Befähigung zu fordern. Jedes Überschreiten dieser Schranken verwirft er, denn es „führt zum Staatsmonopol des Unterrichtes und zu einer geistigen Knechtung des Volkes"; es hemmt, fügen wir hinzu, vor allem die freie kirchliche Erziehungspolitik von der Elementarschule bis zur Universität. Das staatliche Unterrichtsmonopol aber sieht er in Deutschland noch überall mehr oder weniger herrschen, und der moderne Liberalismus eben — ihm gegenüber lobt der Bischof jetzt die „wahren" Liberalen von 1848— ist der Verfechter des Staatsmonopols der Bildung und Wissenschaft, der die Katholiken („uns") und das deutsche Volk „seeleneigenhörig" machen will. Alle gesellschaftliche und politische Reform ist nach Kettelers Vorstellung eng mit der Kirche verbunden. Spricht er von den „Verfassungsformen", so meint er feststellen zu können, daß die vollendetste Verfassungsform der Geschichte überhaupt ihrer Grundidee nach die des alten deutschen Reiches gewesen sei; hier waren — so meint er in einer mehr kirchlich als geschichtlich begründeten und kirchlich berechnenden Reichsromantik — alle Bedürfnisse des staatlichen, religiösen, geistigen und wirtschaftlichen Lebens in einen überaus reich gegliederten Organismus zusammengefaßt und wenigstens annähernd befriedigt. Die gegenwärtige Lage scheint ihm dadurch gekennzeichnet, daß der Volksmasse, die durch Zerstörung der alten mit dem früheren Staatswesen verwachsenen gesellschaftlichen Ordnungen desorganisiert ist, lediglich noch der Staatsverband gegenübersteht. Reorganisation der Gesellschaft, organische Verbindung der reorganisierten Gesellschaft mit dem Staate ist ihm die Aufgabe. Daß er sie vor allem im kirchlichen Sinne gefaßt und gelöst sehen möchte, zeigt er nicht allein negativ darin, daß er die Vernichtung der alten gesellschaftlichen Ordnung und ihrer „religiösen Grundlage" den Hauptsitz aller politischen und sozialen Übel nennt, ') Vgl. dazu oben S. 508.

„Die Katholiken im Deutschen Reiche" (Kirchenfreiheit; Reichsverfassung)

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sondern ganz unmittelbar in der Erklärung, die mächtigste der noch bestehenden Körperschaften, die dank göttlicher Stiftung unzerstörbare Kirche, enthalte „alle die sittlich-religiösen Kräfte, welche zu einer organischen Gliederung und Verfassung der Gesellschaft im Sinne geordneter Freiheit und der freien Selbstverwaltung notwendig sind". So ergibt sich mit Notwendigkeit recht eigentlich aus seiner kirchlichen Grundauffassung die von ihm doch mehr weltlich-politisch eingeführte Forderung des Ausbaues der Reichsverfassung. Deren Anlage nach dem Muster der norddeutschen Verfassung genügt dem Bischöfe nicht. Natürlich liegen ihm unitarische Gedanken, wie sie dem Liberalismus geläufig waren, fern. Er wünscht vielmehr eine vollkommene Durchführung des Gedankens der Volksvertretung und eine bessere Verfassungsbürgschaft und fordert darum Oberhaus und Reichsgericht. Ein Haus, „insbesondere ein Haus aus allgemeinen direkten Wahlen", vermag nicht die Idee der Vertretung des gesamten Volkes zu verwirklichen; das Deutsche Reich bedarf eines Oberhauses, eines Senates. Dieses Oberhaus aber denkt sich der Bischof nicht, wie es von preußischen Konservativen vorgeschlagen wurde1), als Mischform von Bundesrat, Regierungsabordnung und gewählten Vertretern; es soll vielmehr lediglich hervorgehen aus den großen Korporationen und festen Verbänden und aus dem erblichen Grundbesitz. Die großen konservativen Mächte also sollen die deutschen Senatoren stellen. Vor allem natürlich die Kirchen: wir erinnern uns, daß schon im Zeichen des Frankfurter Fürstentages deutsche Bischöfe die lockende Vorstellung beschäftigte, in ein deutsches Oberhaus einziehen zu können.') Diese Vorstellung muß gerade den Mainzer Bischof freundlich umgaukelt haben, dessen gegenwartssichere Diplomatie immer ein wenig eingetaucht war in idealisierte Reichsgedanken. Rechte vergangener geistlicher Gewalten also wollte er in modernem Gewände wieder aufleben lassen. Dagegen galt ihm die von anderen gewünschte Berechtigung der gegenwärtigen weltlichen Fürsten, in das Oberhaus Männer ihres Vertrauens zu entsenden, als durchaus verwerflich. Er wollte kein Staatenhaus, dessen Notwendigkeit Dalwigk eben um diese Zeit dem Bischof klar zu machen suchte'); er meinte vielmehr, die Regierung sei als dritter Faktor in der Gesetzgebung und als Inhaber der Exekutive hinreichend vertreten. Das Reichsgericht aber soll in Kettelers Sinne vor allem eine Rechtsgewalt über der Regierungsgewalt darstellen. Dieses Reichsgericht soll über alle, auch die von den Regierungen ausgehenden Verletzungen einer Landes- oder der Reichsverfassung entscheiden, soll urteilen über Gesetzesüberschreitung der Reichs- und Landesregierung bei Ausübung der Regierungsgewalt. Die viel gerühmte Trennung von Justiz und Verwaltung scheint ihm — man erkennt auch hier sogleich die kirchlichen Zusammenhänge — ein schlechtes Werk von Absolutismus und Liberalismus, eine schwere Beeinträchtigung des „alten deutschen Grundsatzes", daß jeder Rechtsstreit nur vor dem Richter zu entscheiden sei. Hier findet er in seiner Kritik des modernen Staates, in der Forderung eines höchsten Rechtsschutzes für das öffentliche Recht den Verbindungsweg zu dem ihm vertrauten Satze „justitia fundamentum regnorum", der wenige Wochen später dem Programme des Reichstagszentrums vorangestellt wurde, um in anspruchsvoller Parteiauslegung auf das Deutsche Reich bezogen zu werden. Des Bischofs Auseinandersetzungen über „Staatsschuld und Steuern" bringen neben scharf kritischen, aber auch predigthaft übersteigerten Bemerkungen gegen Börsenwesen und Gründungsgesellschaften, neben oberflächlich bequemer Begründung des oberflächlich bequemen volkstümlichen Begehrens nach Verminderung *) Von Mor. v. Blanckenburg; vgl. Gerh. Ritter, Die Konservativen u. Bismarcks deutsche Politik (1913) S. 339 ff. ') Vgl oben S . 4 8 4 f . ') Dalwigks Tagebücher 25. 2. 1871 S. 483. D. verwies den Bischof auf einen Aufsatz von Zöpfl, den er dann auch 16.3. (Tageb. S. 486) dem Kronprinzen überreichte. In K.s Schrift (S. 65f.) ist Zöpfls „Staatsrecht" (mit d. Bemerkungen über das Reichskammergericht) herangezogen.— Reichsgericht: oben S. 389 mit Anm. 1.

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IV 2: Kirche und S t a a t : Der Kulturkampf

der Heereskosten, die nur flüchtig, doch mit Nachdruck hingeworfene Forderung der Verstaatlichung der Eisenbahnen. Die Arbeiterfrage berührt Ketteier hier nur, soweit sie, seiner neuen Erkenntnis gemäß, nach staatlicher Gesetzgebung verlangt: der Staat soll dem Arbeiterstande zu genossenschaftlichen Verbindungen die gesetzliche Hilfe gewähren 1 ), die Arbeiter und ihre Familien gegen Ausbeutung gesetzlich sichern; einen kleinen Anfang zur Reorganisation des Arbeiter- und Handwerkerstandes erkennt Ketteier in dem Genossenschaftsgesetze vom Juli 1868, das wenigstens den besser gestellten Arbeitern die Vereinigung zu gemeinschaftlichem Geschäftsbetrieb ermögliche. Neben der leidenschaftlichen Kritik des Liberalismus, die von einer Kettelerschen Kundgebung über die soziale Frage nicht wegzudenken ist*), steht die Kritik des Staates, von dem es — Kettelers gewöhnliche Übertreibung einer berechtigten Beobachtung — hier heißt, er habe „alle" Forderungen der liberalen Volkswirtschaft befriedigt. Noch vor sieben Jahren hatte der Bischof des Staates Recht und Befähigung zum sozialen Helfen grundsätzlich bestritten; jetzt hielt er dem Norddeutschen Bunde vor, mit seinen (freilich noch bescheidenen!) Schutzbestimmungen weit hinter der staatlichen Pflicht zurückgeblieben zu sein. Von der Kirche, der allein Ketteier vordem den wahren Beruf zur Lösung der sozialen Frage zugesprochen hatte, ist hier gar nicht mehr die Rede. In dem Maße, wie Kettelers Vorstellungen von den wirklichen Arbeiterverhältnissen, von den wirklichen sozialen, nicht zwar Heil-aber Hilfsmitteln sich klärten, in dem Maße mußten sie sich dem Staate zuwenden. Der bischöflichen Kritik fehlt die sachliche Berechtigung nicht. Die Gewerbeordnung vom 21. Juni 1869 wird man bei ihm noch glimpflich behandelt finden, wenn man einmal sich der Sprache erinnert, die er sonst gegenüber liberalen Gesetzeswerken zu wählen liebte, und wenn man zum anderen etwa nachsieht, wie am Ausgang des 19. Jahrhunderts eine ganz anders gerichtete, national-politische staatsrechtlich-geschichtliche Betrachtung „dieses Prunkstück der .liberalen' Doktrin in seiner nackten Schönheit vorzuführen" wußte. 3 ) Die sozialpolitischen Vorschläge Kettelers, die sich vielfach mit seinen auf fremde Anregung zurückgehenden Forderungen von 1869 berühren 4 ), verraten ein über die *) Kurze Zeit, nachdem K. in der Stille seine Schrift vollendet hatte, meinten die ihm sachlich nahe stehenden, aber persönlich nicht von ihm beeinflußtem „Christi.soz. Blätter" (1871 Nr. 3 S. 38, nochmals Nr. 7,1. 7., S. 86), unter Hinweis auf die „der christlich-sozialen Auffassung sich nähernde" junge sozialwissenschaftliche Schule" (Kathedersozialisten), man werde bald fordern können: „Eine im Wege der Staatsgesetzgebung zu bewirkende Vereinigung der industriellen Arbeiter zu Korporationen, denen in organischer Verbindung mit der Magistratur die rechtliche Befugnis zuständig ist, je nach der Beschaffenheit des Gewerkes die Arbeitsordnung und die Lohnverhältnisse positiv-gesetzlich innerhalb des bestimmten Gewerkes und am bestimmten Orte festzustellen, und für die so festgestellte Arbeitsordnung, Rechtssprechung und Verwaltung durch die staatliche Autorität die Exekution zu bewirken." S. 31 geben die Chr.-soz. Bl. dem „Arbeiterfreund" „die Versicherung, daß seit dem dreijährigen Bestehen dieser Zeitschrift noch nie ein deutscher Bischof, also auch nicht der Mainzer Bischof, in Ihrem Sinne einen Einfluß auf deren Redaktion ausgeübt h a t " . Dazu aber S. 38 (vgl. S. 14) das Bekenntnis, sie hätten ohne die Vorarbeit K.s („Die Arbeiterfrage und das Christentum") „bei der auf katholischer Seite um sich greifenden Verwirrung der Geister das bescheidene Unternehmen zu beginnen, aber auch ohne die selbstlose Unterstützung verwandter und gleichgesinnter Kreise weiterzuführen nicht wagen dürfen". Vgl. auch oben S. 545 ff., unten S. 709 u. 711. ' ) Auch G. v.Hertling meint in seiner sonst nicht immer kritischen Katholikentagsrede auf K. v. 1911 (Verhandl. S. 220), K. habe f ü r die sozialen Schäden „in übertriebener Weise" die liberale Gesetzgebung [nur diese? den Liberalismus überhaupt!] verantwortlich gemacht. *) P. Kloeppel, Dreißig J a h r e deutscher Verfassungsgesch. 1867—1897 (Lpz. 1900) S. 345ff. — 4 ) Oben S. 552 ff.

Die Katholiken im Deutschen Reiche" (Sozialpolitik; Freimaurerei)

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Forderung anderer fast noch hinausgreifendes Vorwärtsdrängen: Verbot der Arbeit aller Kinder unter 14 Jahren außerhalb des Elternhauses; Verbot der Arbeit aller verheirateten Frauen in Fabriken und anderen industriellen Geschäften außer dem Hause; Verbot der Sonntagsarbeit in allen Fabriken und industriellen Geschäften; einen gesetzlichen Normalarbeitstag von 10 oder höchstens 11 Stunden hält der Bischof für „wohlberechtigt" und er fordert schließlich zur Sicherung der Durchführung solcher gesetzlichen Bestimmungen allgemeine gesetzliche Kontrolle. Von der Arbeiterfrage springt er in willkürlichem und man möchte sagen wildem Eifer zu den Logen hinüber. Er bringt es fertig, dieses bei aller kirchlichen Parteigebundenheit doch auf Großes gerichtete „politische Programm" mit einem Kapitel „Geheimgesellschaften" abzuschließen, dessen polizeimäßige Vorschläge allen, die nicht gleich ihm eine kirchlich nützliche Forderung als gemeingültig ansehen wollten, seine alten und neuen Freiheitsbeteuerungen als zweifelhaft, seine in der Programinschrift selbst ausgesprochene Verwerfung der Ausnahmegesetze als wertlos erscheinen lassen konnten. Den Freimaurern wollte er das Recht auf ihre seitherige Erscheinungsform durch die einfache Feststellung nehmen, daß sie eine geheime Gesellschaft darstellten, daß aber geheime Verbindungen bei geordneten öffentlichen Verhältnissen nicht zulässig seien.1) In polemischer Auseinandersetzung mit Bluntschli, dem Großmeister der Bayreuther Großloge, dem Führer des Protestantenvereins, der herausfordernd genug die Tätigkeit des Freimaurerordens als Arbeit am künftigen Tempel veredelter Menschlichkeit dem Zerstörungswerke der Hierarchie und der hierarchischen „Ordensleute der Finsternis" entgegengestellt hatte, in lebhafter Bekämpfung und zugleich berechnender Ausnutzung der Erklärungen Bluntschlis fordert er strafgesetzliches Verbot aller geheimen Gesellschaften — was er nicht als staatliche Unterdrückung der Freimaurerei gefaßt wissen will, sondern als Erzwingung des Verzichtes der Freimaurerei auf den Geheimbund: jedes Ausnahmegesetz über die Freimaurerei soll aufgehoben, diese vielmehr „wie die übrigen politischen Vereine" unter die allgemeinen Gesetze und die Aufsicht der ordentlichen Verwaltungsbehörden gestellt werden, wobei die staatliche Aufsicht über die Logen nur durch Nichtfreimaurer geübt werden darf. Man erkennt, daß der sechzigjährige Bischof den Haß wider alle Formen liberaler Weltanschauung und vollends gegen diese „geheimen Gesellschaften" mit jugendlicher Leidenschaft in sich trägt. Es ist bezeichnend, daß dieses Kapitel mit 22 Seiten ein volles Fünftel des ganzen „politischen Programms" ausmacht. Verkannte Kettelers kirchlicher Eifer, daß eine solche Predigt gegen den Freimaurerorden mit leichter Änderung wider den Jesuitenorden verwendet werden konnte? .War die Gesellschaft Jesu für die Liberalen nicht mindestens so sehr „geheime Gesellschaft" wie der Freimaurerbund für den Bischof? War ein Kampfgesetz gegen den im Jahre 1848 unter förmlicher Zustimmungserklärung der kirchenstrengen Parlamentsmitglieder von Deutschland ferngehaltenen Jesuitenorden nicht mit ähnlichen Beweisgründen liberal zu rechtfertigen, wie sie Ketteier jetzt von neuem mit klerikaler Entrüstung gegen die Freimaurer aufmarschieren ließ? Indessen, im Februar 1871 war von einer nahen Gefahr für die Jesuiten nichts zu erkennen, und in dem aufreizenden Freimaurerkapitel jedenfalls lag kein Anlaß, dieses doch zum Wirken bestimmte bischöfliche Programm zurückzuhalten. Kettelers Vorwort h a t die Gründe der ursprünglich nicht beabsichtigten Zurückhaltung dieses B u c h e s offenbar richtig a n g e d e u t e t : die A u s s i c h t auf eine Verständigung unter den K a t h o l i k e n in den verschiedenen deutschen Ländern schien i h m zu gering und die „ A u f regung der G e m ü t e r " jedem E i n i g u n g s v e r s u c h e u n g ü n s t i g zu sein. Die R e i c h s s t i m m u n g dieses P r o g r a m m s war, gerade weil sie auch auf kirchlichem Grunde ruhte, kräftiger und lebhafter als partiku') Vgl. dazu oben S. 511 mit Anm. 1.

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I V 2 : Kirche und S t a a t : Der Kulturkampf

laristisch gerichteten Klerikalen lieb sein konnte, und allzuviel von dieser Reichsstimmung lag in Forderungen wie denen des ReichsOberhauses u n d Reichsgerichts. N u r die Forderung der Übernahme der preußischen Kirchenparagraphen in die Reichsverfassung erschien wegen des hohen kirchenpolitischen Nutzungswertes und der gerade f ü r Süddeutschland, insbesondere für das allzu staatskirchlichbürokratisch regierte Baiern erhofften Wirkung trotz ihrem unitarischen Geiste d e m klerikalen Partikularismus erträglich. Der Grundrechtsvorschlag, wie ihn Ketteier seit J a h r e n vertreten hatte, ist denn auch vom Reichstagszentrum alsbald eingebracht worden. Des Bischofs Verzicht aber auf die Veröffentlichung seines „ P r o g r a m m s " bedeutete nicht den Verzicht auf Propaganda, auf Wahlkampf mit Wort und Schrift. Er wurde W a h l k a n d i d a t für den Reichstag. Er warb also zugleich im persönlichen Sinne f ü r die eigene Sache, wenn er den katholischen Wählern kirchlich-politische Richtlinien gab. In seinem Ausschreiben vom 13. Februar 1871 1 ) ermahnte er, wie es im Sinne des Z e n t r u m s a u f r u f e s auch andere Bischöfe taten, Priester und Gläubige seiner Diözese, wo immer es möglich sei, aufrichtige und wahre Katholiken zu wählen, bei einem nichtkatholischen Kandidaten aber sich wenigstens die Gewißheit des Schutzes ihrer religiösen Rechte zu verschaffen. E r macht die ganze Politik, das ganze nationale Leben zu einem Gegenstande kirchenpolitischer Erwägung, denn er erklärt, in allen politischen und nationalen Fragen werde der Gegensatz zwischen der mit Recht und Sittlichkeit unzertrennlich verbundenen Religion und dem mit Gewalttätigkeit und Ungerechtigkeit verwachsenen Unglauben in den Vordergrund treten. „Christ oder Antichrist — das ist die Entscheidung", so h a t t e er vor vier J a h r e n sein Buch über Deutschland ausklingen lassen; „Religion oder Unglaube", so hieß es jetzt. Den wahren. „Christ", die wahre „Religion" sah der Bischof nur im Katholizismus, aber schon die Rücksicht auf die Konfessionsverteilung im Reiche, die Rücksicht vor allem auf die bündnisfähige protestantische Orthodoxie nötigte zum politischen Überschreiten der konfessionellen Grenzen. Der „Unterschied" zwischen Katholiken und „gläubigen" Protestanten soll zurücktreten. In allzu kunstvoll reinlicher Scheidung stellte Ketteier „katholische" und „protestantische" Wahlkreise nebeneinander: jene sollten eifrige Katholiken, diese gläubige Protestanten in den Reichstag senden; „ d a n n wird es gelingen, dem neuen Deutschen Ex. in der Mainzer Stadtbibliothek.; gedr. auch: Mz. J . 1871 Nr. 49 (27. 2.) und F. X. Schulte, Gesch. d. Kulturkampfes (1882) S . 9 0 Nr. 3 0 . — Ein Erlaß des Erzbischofs Melchers von Köln wies schon unter dem 23. 1.71 die Geistlichen an, darauf hinzuwirken, daß alle Gläubigen „von ihrem Wahlrecht nach Maßgabe der bereits früher angebenen Grundsätze einen für Staat und Kirche heilbringenden Gebrauch machen". Abgedr. nach e. Mitteilung aus Köln vom 6. 2.: Mz. J. 1871 Nr. 33 (8. 2.).

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Kettelers Wahlprogramm vom Februar 1871

Reiche Gesetze zu geben, die einen wahren und bleibenden Frieden mit den christlichen Konfessionen begründen, die die feste Grundlage für die wahre Größe Deutschlands und die Zukunft dieses neuen Reiches sind". Man sieht: ein über alle Wirklichkeit hinausgreifender politischer Enthusiasmus, wie er gelegentlich auch die ProgrammSchrift durchzuckt, mischt sich in diesem Wahlerlasse mit kühler Berechnung. Oder muß man sagen, die Berechnung berge sich im Enthusiasmus? Ketteier selbst hätte vielleicht auch dem eigenen Herzen kaum die Antwort geben können. Für ihn war hier keine Frage gestellt. Ihm schien seine Betrachtung der politischen Verhältnisse, diese Betrachtung der politischen Wahlen kirchlich nützlich, ja kirchlich notwendig; damit war sie gerechtfertigt. Darum konnten jene allgemein christlichen Gedanken, mit besonderen katholischen Erwägungen und Forderungen durchsetzt, von ihm ganz unbefangen dargeboten werden. Den liberalen Parteien schrieb er den Willen zu, unter dem Namen freisinniger Bestrebungen alles Bestehende nach den Grundsätzen der Gottlosigkeit und des Unglaubens umzuändern, das religiöse Leben in allen seinen Äußerungen zu unterdrücken; sie werden sich bemühen, während das alte Deutschland — er läßt auch hier wieder vorsichtig seine Bonifatius-Gedanken 1 ) durchblicken — a u f dem e i n e n christlichen Glauben gegründet war, das neue Deutschland auf dem faulen Grund des religiösen Indifferentismus aufzubauen. Die Gefahr für die Katholiken in Deutschland erscheint ihm um so größer, als sie infolge des Ausscheidens von fast 12 Millionen österreichischer Katholiken eine Minderheit von wenig mehr als ein Drittel der Bevölkerung darstellen. Es gilt, die gesetzliche Bürgschaft zu schaffen, daß die Katholiken auch in dem neuen Deutschland „unbeirrt und ungeschmälert" leben können; um aber die katholischen Interessen, ja die Existenz der katholischen Kirche in Deutschland nicht von den Launen und Schwankungen einer feindseligen Mehrheit abhängig werden zu lassen, müssen jene Gesetze in die Grundverfassung des neuen Reiches aufgenommen werden. Das also ist der Kern des bischöflichen Wahlprogramms: verfassungsmäßige Festlegung der kirchlichen Freiheit, und das hieß: Übernahme der kirchlichen Bestimmungen der preußischen Verfassung, wie es Ketteier bereits ein halbes Jahr zuvor bei Bismarck angeregt hatte. Von Papst und Kirchenstaat, mit denen sich Presse und Versammlungen eifrig genug beschäftigten und alsbald auch eine Eingabe des preußischen Landtagszentrums sich befaßte, schweigt diese Wahlanweisung. Das war eine politisch kluge Zurückhaltung, die man auch kirchlich rechtfertigen konnte*), denn in dem allgemeinen ') Vgl. oben S. 269. ) In seiner Friedenspredigt vom 5 . 3 . 7 1 machte K. ausdrücklich den wahren Frieden und auch das Glück im Innern davon abhängig, daß „Fürsten und Völker dem Statthalter Christi gerecht werden". s

Vi g e n e r , Bischof Ketteier

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IV 2: Kirche und Staat: Der Kulturkampf

Satze von der Kirchenfreiheit ließ sich der Satz von der Freiheit des Papstes, von der Notwendigkeit des Kirchenstaates, jederzeit unterbringen, sobald die politische Lage es aussichtsvoll machen sollte. Ketteier selbst setzte übrigens seine ganze Persönlichkeit f ü r diesen Wahlkampf ein, von dessen Ausgang er die künftigen Schicksale der katholischen Kirche in Deutschland abhängig glaubte. Er gab nach Veröffentlichung jenes Erlasses in der Stille bestimmte Anweisungen. J e t z t waren der Bischof und der noch immer auf seinem Ministerposten stehende Dalwigk politisch einander wieder näher gekommen. Ketteier u n t e r s t ü t z t e Dalwigks Wahlarbeit. Im Wahlkreise Bensheim-Erbach sollte — eine vergebliche H o f f n u n g freilich! — Heinrich von Gagern, der auch jetzt nicht den W e g zur preußischen F ü h r u n g zurückfand und sich selbst überlebt zu haben schien, gegen den Nationalliberalen zum Siege g e f ü h r t werden; Dalwigk suchte den Bischof auf und bewog ihn, die aussichtslose K a n d i d a t u r des katholischen Freiherrn Philipp v. W a m b o l t fallen zu lassen und den Geistlichen die Wahl Gagerns zu empfehlen. 1 ) Ketteier selbst, dem sich fünf Wahlkreise zur Verfügung stellten, n a h m f ü r Tauberbischofsheim an. Glücklicher als sein Domherr Moufang, der in Mainz nach wildem W a h l k a m p f e , t r o t z s t a r k e m E n t g e g e n k o m m e n an die S t i m m u n g der Arbeiter und Kleinbürger, gegen Ludwig Bamberger unterlegen war, siegte der Bischof in der Wahl vom 3. März 1871 mit Dreifünftelmehrheit über den Nationalliberalen. Erzbischof von Freiburg zu werden, war ihm t r o t z aller eigenen E r w a r t u n g e n und f r e m d e n Bem ü h u n g e n versagt geblieben; es k o n n t e ihm eine G e n u g t u u n g sein, d a ß er n u n wenigstens politisch einen Teil der Erzdiözese Freiburg, einen Teil des badischen Landes vertreten d u r f t e , dessen katholische Bevölkerung er so oft und so eifrig kirchlich b e t r e u t , geistlich belehrt h a t t e . Es war gutenteils altmainzisches Gebiet, das den Mainzer Bischof in den neuen deutschen Reichstag sandte, eine L a n d s c h a f t des geistlichen K u r s t a a t e s , der in Kettelers fürstlichem Bischofsgeiste als ein stolzes Stück des kunstvoll gewobenen Erinnerungsbildes vom alten Reiche weiterlebte. Kirchlich, geistlich f a ß t e Ketteier im Grunde die politische, die parlamentarische Aufgabe an, jetzt so gut wie 1848. Er m u ß t e auch nach außen sich f ü r seine Person zu diesen kirchlichen T r i e b k r ä f t e n der Politik bekennen, wofern er sich nicht selbst Lügen strafen wollte. Er h a t t e zu Ende des J a h r e s 1867 im K a m p f e mit dem Liberalismus öffentlich „Die politische Lüge" 2 ) abgewehrt, die ihn „ R e p r ä s e n t a n t einer politischen P a r t e i " n a n n t e : politisches P a r t e i h a u p t zu sein, würde er als eine schwere Verletzung seines bischöflichen Amtes betrachten, denn „ich bin der Bischof aller Katholiken meiner Diözese, sie mögen eine politische Gesinnung verfolgen, welche sie wollen". !) Dalwigks Tagebücher 25. 2. 71 S. 483. 2 ) Mz. J. 1867 Nr. 293 (17. 12), 298,-danach: Br. 355—363 (357 unten).

Ketteier als Reichstagsabgeordneter. Klerikale und Partikularisten

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Nun war er als Abgeordneter gewiß nicht Parteihaupt. Aber auch seine bloße Zugehörigkeit zum Zentrum mußte und wollte er kirchlichkatholisch begründen: die Rechtfertigung seiner Haltung lag einmal in der durch kein politisches Programm und keine politische Rede, durch keinen protestantischen Wähler und keinen protestantischen Fraktionsgenossen zu beseitigenden Tatsache, daß diese Partei ihre stärksten, ihre allein zusammenhaltenden Kräfte aus der kirchlichkatholischen Gemeinschaft zog; vor allem aber durfte sich der Bischof durch seine Auffassung gerechtfertigt fühlen, daß er als Abgeordneter tatsächlich alle wahren Katholiken vertrete, wenn er für kirchliche Freiheit kämpfe, gerechtfertigt überhaupt durch seine persönliche kirchliche Überzeugung und seine persönlichen kirchlichen Absichten. Kirchlich also war und mußte sein das eine, große Ziel der Reichstagstätigkeit dieses Bischofs. Dem widerspricht es nicht, wenn er sich trefflich darein fand, daß das Zentrum nicht förmlich als katholisch-konfessionelle Partei auftrat, und wenn er selbst tatsächlich, wie schon 1848, gegen seine guten geistlichen Vorsätze von der Leidenschaft auch des politischen Kampfes berührt wurde. Kirchliche und politische Leidenschaften sollten sich überhaupt verbinden und bei den Vorkämpfern des politischen Katholizismus um so inniger miteinander verschmelzen, je bereitwilliger auch die Gegner den Kampf auf das geistige und kirchliche Gebiet hinübertrugen. Ein Rufer in der Wüste blieb jener streng kirchliche Katholik, der, sich selbst mit gutem Grunde als politischer Einsiedler fühlend, es im Sommer 1872 in den „Historisch-politischen Blättern" 1 ) als „ein großes Unglück von unberechenbaren Folgen" bezeichnete, „daß der mit 1870 hoffnungslos und für immer besiegte Partikularismus in dem Programm der katholischen Partei Aufnahme fand". Wie die Begründer des Zentrums, so dachten die geistlichen und weltlichen Führer der Partei anders. Sie sahen in dem betonten Föderalismus, in dem politisch-klerikalen Partilcularismus, der sich als Föderalismus gab, von Anfang an eine politische Erweiterung und Verstärkung ihrer kirchlich gewährleisteten Parteierfolge, deren Ausmaß bei den Wahlen gerade in Preußen weit größer war, als die liberalen Gegner je erwartet hätten. 1 ) Nach 1866 hatten Vertreter des preußisch-deutschen Bundesstaatsgedankens, wie Ketteier, politisch kaum etwas gemein mit den starr großdeutschen und den hartnäckig partikularistischen Klerikalen, von denen manche dem Bischöfe selbst scharf entgegentraten. Auch jetzt ging Ketteier nicht zu diesen Partikularisten über, aber jetzt war der Partikularismus kein Hinderungsgrund mehr für die katholisch-politische Gemeinschaftsbildung, kein Hemmnis der ') 70 (1872 II) S. 137, in den „Glossen eines politischen Einsiedlers" (S. 132 bis 156). *) Vgl. z. B. W. Oncken im Europ. Geschichtskalender 1871 S. 519. Auch Peter Reichensperger 21.11.70.: Pastor, Reich. 1, 606. 40*

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parteibrüderlichen Verbindung des bischoflichen Vorkämpfers der preußisch-deutschen ReichsgrQndung und der partikularistischen Feinde des Reiches. Im Zentrum fanden norddeutsche und süddeutsche Partikularsten Rückhalt und Unterkunft. Elsässische Protestier erwarteten hier Verständnis; vertrauend auf einen kräftigen Partikularismus in der Politik des Reichstagszentrums, stellten baierische „Patrioten" das Bedenken zurück, daß sie durch Teilnahme an den Reichstagswahlen eine förmliche Anerkennung des von ihnen verworfenen Reiches aussprächen; Windthorst aber — mit dem parteimäßig zusammenzugehen vor dem Kriege von 1870 die meisten Klerikalen im preußischen Landtage und, von Mallinckrodt abgesehen, auch im norddeutschen Reichstage sich gescheut hatten aus Furcht vor dem Vorwurfe des Partikularismus —, dieser Weife, der von seiner Abneigung gegen preußisch-deutsche Reichsgewalt nichts eingebüßt hatte, sollte jetzt rasch in die Reihe der Zentrumsführer einrücken. Windthorst unterschrieb das Parteiprogramm vom März 1871, das freilich erst am 19. Juni in der „Germania" veröffentlicht wurde, an zweiter Stelle; vor ihm stand Karl Friedr. v. Savigny, der einst im Einvernehmen mit Bismarck die klerikale Politik in Baden und damit auch Ketteier bekämpft, der noch im August 1867 rheinischen Klerikalen als einer der „gouvernementalen", der Freiheit der Kirche gefährlichen Katholiken gegolten hatte, nun freilich immer mehr in die Feindschaft mit Bismarck hineinkam. Windthorst aber wurde bei dem ersten großen, grundsätzlich und politisch bedeutenden Vorstoß des Reichstagszentrums in einer Reihe mit den Reichensperger und Ketteier vorgeschickt. Der erste Kampf im neuen Deutschen Reichstage galt der Adresse an den Kaiser. Die Verpflichtung zu dieser Begrüßung anerkannten die Klerikalen so gut wie die konservativen und die liberalen Parteien, aber sie setzten dem von der Mehrheit gewählten Wortlaut einen zumeist übereinstimmenden, an der grundsätzlich und politisch wichtigsten Stelle aber anders gearteten Wortlaut entgegen. Ketteier hat im Frühjahr 1872 nach Niederlegung seines Mandates mit dürren Worten gesagt 1 ): „Bei der Adreßdebatte waren die Katholiken nicht so sehr als Mitglieder der Zentrumsfraktion in den Kampf getreten, als vielmehr in ihrer Eigenschaft als Katholiken." Es war aber doch die Fraktion als solche, die eine katholische Beurteilung einer politischen Frage vertrat. Der Oedanke, den Verzicht auf die Einmischung in innere Angelegenheiten fremder Völker grundsätzlich auszusprechen, ließ sich von der hohen Politik aus genügend rechtfertigen, um nicht erst durch taktische Bedürfnisse erklärt werden zu müssen. Aber taktische Erwägungen erklären gewiß nicht zuletzt die zugespitzte l

) Die Centrums-Fraction S. 28.

Die Reichstagsadresse an Kaiser Wilhelm

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Form der berühmten Stelle, die mit einem anfechtbaren geschichtlichen Urteil über mittelalterliche Kaiserpolitik einsetzte und mit dem eben durch dieses Urteil verdeutlichten und verschärften Satze schloß: „Die Tage der Einmischung in das Leben anderer Völker werden, so hoffen wir, unter keinem Vorwande und in keiner Form wiederkehren." Man kann wohl erwägen, ob es nicht größer gewesen wäre, in diesem Augenblicke, da es sich um die gemeinsame deutsche Danksagung an den Kaiser handelte, auf diese Worte zu verzichten. Aber man darf im Hinblick auf die führende Partei der Nationalliberalen nicht vergessen, daß wie in den Schriften und dem Machtbereiche des Mainzer Bischofs, so allenthalben im politischen Kampfe dem Liberalismus recht eigentlich die katholisch-kirchliche Feindschaft angesagt worden war. Für die Reichstagsmehrheit überhaupt aber konnte selbst in der Haltung des Papstes ein Anlaß zur Abwehr liegen. Soeben hatte das päpstliche Glückwunschschreiben an den Kaiser, das unter dem 6. März 1871 die Mitteilung von der Reichsgründung beantwortete 1 ), in deutbarer Weise die Hoffnung ausgesprochen, die kaiserliche Freundschaft werde zum Schutze der Freiheit und der Rechte der katholischen Religion nicht wenig beitragen. Die von der Kurie begünstigte und geförderte „Genfer Correspondenz" aber, die der katholischen Presse auch kurial-offiziös zubereiteten Stoff lieferte, ließ sich mit wirklich oder angeblich deutscher Feder „aus Rom" schreiben 2 ), es sei männlich, christlich, wahrhaft katholisch gesprochen, wenn die Katholiken sich überall für Tragung der drückendsten Staatslasten unter der Bedingung bereit erklärten, daß ihre Gewissensfreiheit durch die Freiheit ihres obersten Hirten gewährleistet sei; es ist gut, hieß es zum Schlüsse, „daß überall und in allen Kreisen recht klar werde, daß wir Katholiken nur dann Untertanen sein können, wenn der Papst Souverän ist". In Deutschland bewährten sich namentlich katholische Edelleute als Vorkämpfer politischer Papstgedanken, die derart zur Voraussetzung deutscher Reichsgedanken gemacht wurden, als Vorkämpfer der „Genfer Correspondenz", auf deren stärkere Verwertung in der deutschen klerikalen Presse sie hinarbeiteten: allen voran der dem Mainzer Bischof befreundete Fürst Karl von Löwenstein, doch auch heimatliche Adelsgenossen Kettelers und sein hessischer Standesgenosse, der Baron v. Wambolt. Der Bischof selbst zeigte keine Vorliebe für die bald immer heftiger gegen das kaiserliche Deutschland hetzende „Correspondenz"; er sagte sich im Oktober 1871 auch öffentlich von ihr los. Aber wenn nicht mit der „Genfer Correspondenz", so brachte man ihn, mindestens aber, und mit Recht, seine Umgebung, das geistliche Mainz, mit dem Gedr. z. B.. Siegfried, Aktenstücke S. X X X I Anm. 1. ) Rhein. Merkur 2 (1871) Nr. 12 (19. 3.) S. 109. Vgl. ebenda Nr. 5 (29. 1.) S.47, auch P. v. Hoensbroech: Preuß. Jahrb. 102(1900), lOOf. — Vgl. unt. S.649,662. 2

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„Mainzer Journal" in Verbindung. Hier aber wurde vor, in und nach dem Kriege die Kirchenstaatsfrage eifriger und man möchte sagen mit mehr Staatsgesinnung behandelt als die deutsche Frage. Am Vorabende des Kaisertages von Versailles sprach man hier 1 ) von der Ungewißheit der Annahme der Versailler Vertrage — „jeden Ausganges mit vollster Resignation gewartig", und drei Wochen später ließ der Verfasser dieses Leitaufsatzes die reichsfeindliche Gruppe der baierischen „Patrioten" mit ihrer Erklärung gegen das neue Reich zu Worte kommen. Der Kirchenstaat aber wurde, kurz nach dem Eintreffen jenes papstlichen Glückwunschschreibens an Kaiser Wilhelm, in dem Mainzer Blatte geradezu als der Katholikenstaat hingestellt, ja mit plumper Politisierung der Kirchengemeinschaft begriff man die Katholiken als Volk fQr sich: „Die Macht des Papsttums", so wurde im Vertrauen auf ein papstfreundliches England verkündet, „ist ohne Zweifel die erste der Welt. Dasselbe kann deshalb seine Souveränität nicht verlieren, denn das katholische Volk hat zum mindesten ebensoviel Anrecht, ein unabhängiges Oberhaupt zu besitzen, als jede andere einzelne Nation". Unmittelbar nach Eröffnung des Reichstages, drei Tage vor der Adreßdebatte erschien allerdings ein politischer Leitartikel „Rom und die Großmächte", dessen Verfasser, weniger anspruchsvoll als jener englandgläubige Enthusiast und in fühlbarem Gegensatze zu ihm, vor falschen Hoffnungen auf baldige Wiederherstellung des Kirchenstaates durch eine der Großmächte oder gar auf das phantastische Privatunternehmen einer katholischen Armada warnte; aber auch dieser nüchterne Betrachter erwartete einen neuen Aufstieg legitimistischer Gedanken im Geiste der Heiligen Allianz. Angesichts dieser und ähnlicher Worte 2 ), die wahrhaft starke Stimmungen aus der Stille in die Öffentlichkeit trugen, begreift man das Vorgehen der Reichstagsmehrheit; sie wollte durch zurückhaltende, aber unmißverständliche Abweisung der weltbekannten, in ihren möglichen politischen Wirkungen unübersehbaren päpstlichen Erwartungen jeden Schein einer schweigenden Billigung oder nur Duldung verhüten. Ketteier freilich meinte hinterdrein*), einer Adresse, *) Mz. J . 1871 Nr. 14 (17. 1 . ) . - Z u m Folg.: Nr. 34 (9. 2.; wie Nr. 14 von P, vgl. unten S.642 Anm. 1), 65 (17.3. „England und die röm. Frage" GC), 73 (27. 3., von P). J ) Vgl. etwa noch: Christl.-soz. Blätter 1871 Nr. 3 S. 36—39 „Die katholische Verfassungspartei auf dem deutschen Reichstage und die christlich-soziale Frage" (unmittelbar vor den Reichstagswahlen). Darin (S. 36; Sperrungen von mir) der Satz: „Unter den aufgestellten Programmen ist offenbar das der A n g e h ö r i g e n d e r k a t h o l i s c h e n K i r c h e das schwerwiegendste seinem Inhalte nach, weil das Oberhaupt der katholischen Kirche seiner weltlichen Macht, eines tausendjährigen Besitzstandes beraubt ist, und weil diese Besitzergreifung vollzogen hat eine R e g i e r u n g , w e l c h e i h r e n G e s a n d t e n b e i m n e u e n d e u t s c h e n K a i s e r accreditiren will." *) Centrums-Fraction S. 23f. (mit verfehlter Polemik gegen Bennigsen). Zum Folg.: ebenda S. 20f. und 25.

Die Kirchenstaatsfrage und die Adreßdebatte

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die sich genau an die Thronrede gehalten hätte, würde auch das Zentrum zugestimmt haben; in der Thronrede aber stand der Satz, der kirchenstaatliche Hoffnungen schon fühlbar abwies: „Das neue Deutschland . . . wird ein zuverlässiger Bürge des europäischen Friedens sein, weil es stark und selbstbewußt genug ist, um sich die Ordnung seiner eigenen Angelegenheiten als sein ausschließliches, aber auch ausreichendes und zufriedenstellendes Erbteil zu bewahren." Eine derartige Andeutung 1 ) aber fehlte begreiflicherweise der vom Zentrum eingebrachten Adresse; mochte ihr Ketteier im übrigen patriotische Gefühle und treue Kundgebung, Ergebenheit gegen den Kaiser und das Reich mit Recht nachrühmen: die anderen konnte sie nicht befriedigen, eben weil sie auch im Schweigen römische Erwartungen zu verraten schien. Die Zentrumsfraktion selbst gab sich keiner Täuschung über die Wirkungen einer solchen Absonderung hin; ihren Mitgliedern waren „die Konsequenzen ihres Schrittes vollkommen bewußt". So hat Ketteier beim Abschied vom Reichstage selbst erklärt. Er meinte damals auch sagen zu dürfen, „alle" Katholiken Deutschlands hätten den Wunsch gehegt, „daß ihr Kaiser, welcher versprochen hatte, alle Rechte im Deutschen Reiche zu schützen, sich auch des Oberhauptes der Kirche, in dessen Stellung so viele katholische Rechte mit berührt sind, mit seinem mächtigen Worte annehmen möge". Also doch die gemeinkatholische Erwartung einer, ausgesprochenermaßen allerdings nur diplomatischen Intervention zugunsten Roms, wie sie denn auch von Windthorst im Reichstage tatsächlich gefordert wurde! Solchen Ansprüchen von vornherein die Aussicht auf Erfolg zu nehmen, war nun eben der besondere Sinn der Mehrheitsadresse; den Weg der Einmischung in Italien offen zu halten, aber der wahre Sinn der Zentrumsadresse. Der Parlamentskampf um diese Adressen mußte der Sache nach auch ein Kampf um Papsttum und Kirchenstaat sein, überhaupt um politische Nutzbarmachung kirchlicher Gedanken, ein Spiel und Gegenspiel, das dann in der Auseinandersetzung über die katholischen Wünschen entspringenden Grundrechtsforderungen tiefe kirchen- und kulturpolitische und auch nationalpolitische Gegensätze aufdecken sollte. August Reichensperger eröffnete in der siebenten Reichtagssitzung am 30. Marz 1871 die Verteidigung der Zentrumsadresse mit einem Angriff auf die Mehrheitsadresse; er unterließ es dabei, von Papst und Kirchenstaat näher zu sprechen. Miquel, der ihm nach Schulze-Delitzsch und eindringlicher als dieser entgegnete, holte das nach. So war der in der Rednerreihe auf Miquel folgende Ketteier genötigt, die Papstfrage, die ja doch hinter den Anträgen und Reden stand, wenigstens zu berühren. Er begründete die Ablehnung des Entwurfes der anderen ähnlich wie Reichensperger, aber mit eigenen geistlich-moralischen Betrachtungen, zugleich in geschickter An') Die z. B. auch von der italienischen Regierung sofort richtig aufgefaßt wurde; Bericht des französischen Gesandten in Florenz Q. Rothan, 29. 3. 71: Rothan, Souvenirs 2 (1885) S. 383; H. Bastgen, Die römische Frage 2 (1918) S. 766 mit Anm. 3.

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knüpfung an die Auffassung, an die Persönlichkeit des Fürsten, dem diese Huldigung gelten sollte; mit Gedanken des Kaisers soll die Ablehnung jener Adresse an ihn begründet werden: der Entwurf sei mindestens in einzelnen Punkten nicht ganz wahr, nicht so schlicht, wie die vorbildlichen Berichte über die Kriegsereignisse, die „unsere ruhmreiche Kriegsführung" ganz dem schlichten Sinne des Kaisers entsprechend gegeben habe. Er meint, daß schon die in diese allgemeine Adresse hineingetragene Geschichtsauffassung der Mehrheit, das Urteil über die alte Kaiserpolitik, seiner Partei die Zustimmung „eigentlich" unmöglich mache. Aber er lehnt vor allem auch die sachlich wichtigsten Worte ab: er stellt, nicht frei von Willkür in der Auslegung, die grundsätzliche Verwerfung einer Einmischung als eine unmögliche Forderung dar. Die „fruchtlose" Erörterung, ob das Interesse der deutschen Katholiken an der Unabhängigkeit des Papstes nicht Schutz beanspruchen könne, erklärt er, nicht beginnen zu wollen; eben diese Hindeutung ließ doch erkennen, was ohnedies für gewiß gelten mußte, daß die Klerikalen wie früher so jetzt aus der staatlichen Schutzpflicht gegenüber deutschen Rechten auch eine Pflicht zum Schutze der besonderen Rechte der deutschen Katholiken ableiteten. Es ist danach begreiflich, wenn der baierische Liberale Volk, der sogleich nach dem Bischöfe sprach, von dem Zentrum die bestimmte Erklärung forderte: „es ist unsere Anschauung, daß das Deutsche Reich zugunsten der Wiedereinsetzung der weltlichen Herrschaft des Papstes n i c h t interveniere".1)

Die Gegner der Klerikalen hatten des Bischofs Rede mit besonderer Spannung erwartet: sie fesselte zuerst alle, enttäuschte freilich die Anspruchsvollen anderer Geistesrichtung rasch. 2 ) Aber man beschäftigte sich auch am zweiten Verhandlungstage noch vornehmlich mit ihm, obwohl inzwischen Windthorst in geschickter Rede herausgegriffen hatte, was sich günstig, namentlich konservativ günstig beleuchten ließ, denn auch er hätte, so wenig Hinneigung er zu kaisertreuen Konservativen hegte, sie noch in diesem Augenblicke gern von den Liberalen getrennt. Ketteier aber mußte sich auch gegen den freikonservativen Grafen Bethusy-Huc verteidigen, der des Bischofs Meinung von einem klerikalen Sonderbesitz an Gottesfurcht abgelehnt hatte; die Verteidigung Kettelers konnte nur zu leicht den Eindruck erwecken, daß ihm der Bestand des Reiches als bedingt gelte durch die Anerkennung des Geistes der „Gottesfurcht", das wollte sagen, einer der katholischen Auffassung entsprechenden geistigen Grundlage des Reiches. Als dann der Protestant Wilhelm Ewald, von den Tagen der Göttinger Sieben her politisch berühmt, jetzt in seinem Welfentum erstarrt, gegen Preußens „Unrecht" im Jahre 1866 von neuem protestierte unter Berufung auf den von Ketteier wieder hervorgezogenen Kernsprucli „Justitia est fundamentum regnorum", dabei an der bischöflichen Rede die deutlich erkennbare Verurteilung der preußischen Verstöße gegen jenen Spruch begrüßte und nur die ausdrückliche Beziehung auf das Jahr 1866 1

) Man muß hier daran erinnern, daß Pius IX. in dem Syllabus vom 8. 12. 64 den Satz verurteilt hatte (§62): Proclamandum est et observandum principium de noninterventu. ») Vgl. etwa: „Im neuen Reich", hg. v. Alfred Dove, 1871 I S. 522; H. v. Treitschke 31. 3. 71 an s. Frau: Briefe 3, 316 Anm. 1.

K s Reichstagsrede v. 30. März 1871. Der Grundrechtsantrag des Zentrums

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vermißte, da hat Ketteier gegen diese preußenfeindliche Ausdeutung seiner Worte keinen Einspruch erhoben. Die Adreßdebatte bildete die Einleitung zu dem sachlich bedeutenderen Grundrechtskampfe und hat diesem sogleich etwas von ihrer Erregung mitgegeben. Die klerikalen Aussichten waren schon bei der Eröffnung des Reichstages nicht die besten. Immerhin hatten die Nationalliberalen selbst Mitte März noch die Entscheidung offengelassen; die vom Zentrum gewünschte Aufnahme der preußischen Verfassungsbestimmungen über die Kirchen war jedenfalls nicht grundsätzlich von ihnen abgelehnt worden, wenn sie auch mit etwas unbestimmten Worten den Versuch, eine „zweideutige" Fassung einzubringen, für aussichtslos erklärt hatten. 1 ) Daß die Regierung für den Zentrumsantrag nicht eintreten werde, wußte Ketteier, seitdem er an einem der letzten Märztage den Reichskanzler besucht hatte, um die vor einem halben Jahre brieflich geforderte Aufnahme der preußischen Kirchenparagraphen in die Reichsverfassung genauer zu begründen; wenn er von dieser Besprechung die Überzeugung mitnahm, daß der Antrag von der Regierung lediglich zurzeit und aus politischen Gründen nicht unterstützt werde, nicht aber als regierungsfeindlich gelte, daß Bismarck ihm eher persönlich wohlwollend gegenüberstehe, so haben Kettelers persönliche Wünsche bei der Bildung dieses letzten Urteils 2 ) gewiß unbewußt mitgewirkt. Der Kampf um die Grundrechtssätze wurde von den Klerikalen ohne Frage unter den stärksten Zweifeln am Erfolg eröffnet, gerade weil er hüben und drüben als Kampf der Grundsätze betrachtet wurde. Er galt dem Bischof insbesondere als Prüfstein der Geister, als Wage für den Wert des neuen Reiches. Es ist ein Beweis dafür, wie sehr Ketteier sich in den wenigen Monaten seiner parlamentarischen Tätigkeit in die parlamentarische Verhüllungstaktik seiner Partei hineingelebt hatte, daß er in seiner Zentrumsschrift von 18728), seinem persönlichen Parteibericht gleichsam, behauptete, bei dem Grundrechtsantrage habe es sich nur um das „politische" Programm der Zentrumspartei gehandelt. In Wahrheit gab es keinen parlamentarischen Antrag, der von der Tiefe her so durchaus kirchlich gedacht und empfunden gewesen wäre, wie eben dieser. Vollends für Ketteier persönlich lag hier der kirchliche Grundgedanke seiner ganzen politischen Tätigkeit, wie einst in Frankfurt, so jetzt in Berlin. Das politische Zentrumsprogramm stand hier allerdings gleichfalls in Frage, *) Rhein. Merkur 2 (1871) Nr. 12 (19.3.) S. 109, aus der „Köln. Zeitung". ») Veröffentlicht erst in K.s Erklärung vom 16. 3. 73 in der „Germania" 1873 Nr. 65, Br. 470ff., dazu 26. 10. 71 (Br. 447) und auf der anderen Seite Bismarcks Reden vom 10. 3. 73 (Die polit. Reden d. Fürst. B. hg. v. H. Kohl 5, 1893, S. 389) und 23. 3. 87 (Kohl 12, 1894, S. 348), auch vom 2 1 . 4 . 87 (Kohl 12 S. 369 u. 372) und 1. 4. 95 (Kohl 13, 1905, S. 309); Bismarck, Gedanken u . E r g . 2, 125. 3 ) Die Centrums-Fraction S. 7.

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indessen mehr leidend als bestimmend, denn mit dem betont föderalistischen Grundgedanken der Partei war der Übergriff der Reichsgesetzgebung auf die Kirchenpolitik, die auch im Norddeutschen Bunde Landessache gewesen war, schlecht zu vereinigen; immerhin ließ sich der Antrag parteipolitisch rechtfertigen als gesetzgeberische Anwendung der Programmsätze Ober verfassungsmäßige Verbürgung der religiösen Freiheit aller Reichsangehörigen. Der Zentrumsantrag 1 ) forderte, nach dem ersten Paragraphen der Reichsverfassung Bestimmungen einzufügen, die nach dem Vorbilde der preußischen Verfassung den Kirchen und Religionsgesellschaften das Recht der freien Verwaltung sicherten. Im Reichstage*) begründete Peter Reichensperger am 1. April 1871 den Antrag mit Gedanken und Worten, wie sie Ketteier seit einem J a h r z e h n t schriftlich und mündlich unermüdlich vorgetragen h a t t e ; Reichensperger suchte die Forderung, die auf politischem Boden kirchliche Wünsche verwirklichen wollte, mit solcher entschlossenen Einseitigkeit p o l i t i s c h zu rechtfertigen, daß sie fast wie ein kirchliches Opfer erscheinen k o n n t e . ' ) Was der Antragsteller verhüllte, holten die Gegner wieder ans Licht. Heinrich v. Treitschke, der es übrigens schon damals nicht ganz unbedingt mit der nationalliberalen Fraktionspolitik hielt 4 ), faßte die innerliche Verbindung ins Auge, die zwischen dem Grundrechtsantrag und dem klerikalen Adreßantrage bes t a n d ; diesen nannte er mit bitterem Witze die secessio in montem sacrum. E r bestritt den Klerikalen die Befugnis, sich auf die Frankfurter Grundrechte zu berufen; er sah hier überhaupt nur den Versuch, der katholischen Kirche auf einem Seitenwege eine selbständige Stellung dem S t a a t e gegenüber zu schaffen. Treitschke richtete sich schon mehr gegen Ketteier als gegen Reichensperger, wenn er über diese Auswahl aus den Grundrechten der preußischen Verfassung spottete, über diese armen sechs Artikel, die — nun deutet er auf Kettelers W o r t — die magna Charta der deutschen Nation sein sollten, wenn er spottete über das angenehme Beiwerk, das die eigentlichen kirchlichen Absichten verdecke. Aber er apostrophierte ganz unmittelbar den Abgeordneten Ketteier mit witzig spöttelndem Vergleiche zwischen dem alten Deutschland, auf dessen Reichstag der Mainzer vertreten war, und dem neuen Deutschland, das den ungeheuren Fortschritt auch darin zeige, daß der Bischof von Mainz als erwählter Vertreter der deutschen Nation auftrete. Wenn Treitschke dann den Antrag aus der Absicht erklärt, das Reichsrecht gegen die Landesgesetze „mit einem Schein des R e c h t s " auszuspielen, so mußten auch hier schon seine Worte „jeder beliebige Bischof könne dann gegen die Verfassung seines Landes Klöster errichten" wieder wie eine unmittelbare Beziehung auf den Sieger über staatliche Verfügungen und Verordnungen erscheinen, nicht anders auch seine, zuletzt vom Widerspruch des Zentrums begleitete B i t t e , „nicht einem beliebigen deutschen Landesbischof" die Möglichkeit zu geben, gegen seine Landesregierung den Rebellen zu spielen. >) Gedr.: Sten. Berichte d. Reichstags I. Leg.-Periode, I . S e s s i o n , 1871, B d . 3 (Anlagen) S. 62 Nr. 12 (zum Folg.: S. 63). — K . beanspruchte nicht (CentrumsFraction S. 4 1 ) die geistige Urheberschaft des Grundrechtsantrages, aber sie kommt ihm tatsächlich doch unmittelbar oder mittelbar zu. 2 ) Sten. B e r . I 1, 1871, S. 104 ff. (auch für das Folgende). 3 ) Zum Schlüsse: „Die Tatsache der Glaubensspaltung können wir nicht ungeschehen machen; wir können aber die politischen Schädlichkeiten, die daraus erwachsen, überwinden. Das ist der Zweck meines Antrages." 4 ) Vgl. Treitschke, Briefe 3 S. 3 2 2 : 3 0 . 4 . 7 1 . Treitschke und Bennigsen standen sich damals kühl gegenüber: Oncken, B . 1, 7 3 4 Anm. 1, dazu Treitschke, Briefe 3, 307 bei Anm 2.

Reichstagskampf um die Grundrechte. Kettelers Rede v. 3. 4. 1871

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Nun aber erhob sich in der nächsten Sitzung, am 3. April, als erster Redner der geistliche Ritter wider den weltlichen. Man sieht die ewig gleiche Kraft seiner alles Geistige, alles Politische aufsaugenden kirchlichen Überzeugung einmal wieder ungehemmt hervorbrechen, wenn Ketteier, Treitschkes Wort aufnehmend, diesem Reichstag zurief: „Geben Sie niemals Zustimmung zu Gesetzen, welche Rebellen gegen Gottes Gesetz sind; dann werden auch wir gewiß niemals Rebellen gegen Landesgesetze sein". Den durch des Zentrums kirchenpolitischen Eifer und die eigenen kirchenpolitischen Neigungen schon aufgereizten Nationalliberalen konnte das nur als Bestätigung der von Treitschke ausgesprochenen Besorgnis gelten, und in dem Zurufe „ S i e wollen es also doch" klang diese Auffassung dem Bischof sogleich entgegen. F ü r Ketteier wie für Treitschke mußte dieser Zweikampf begleitet sein von den Erinnerungen an die schweren badischen Kirchenkampfe. In der grundsätzlichen Bestimmtheit aber jener Eingangsworte Kettelers, die er auch nachher nicht abschwächte, erinnert diese seine zweite große Reichstagsrede an seine Paulskirchenrede; auch die taktische Befähigung zu einseitiger Beleuchtung und geschickter Verschleierung bewährte sich hier, besser noch als einst, und auch durch werbende Verbindung mit gemeindeutschen Gedanken, die sich in der T a t hier heranziehen ließen, suchte er den Parteiantrag zu empfehlen. Mit der Übernahme des Artikels 15 der preußischen Verfassung in die Reichsverfassung sollte nun nach der Auffassung des Zentrums — Ketteier spricht seiner Partei den „Standpunkt der höheren Gerechtigkeit gegen alle" zu — das Werk der deutschen Kriegsheere vollendet werden. Der Geist der Gottesfurcht, von dem der Kaiser und das Heer sich erfüllt zeigten, müsse „in irgend einer Weise" auch in dem Verfassungswerk ausgedrückt werden; der Zentrumsantrag biete die Gelegenheit. Dieser Antrag sei der rechte Ausdruck der Parität: die religiösen Kämpfe sollen vom politischen Boden ausgeschlossen werden; im öffentlichen und politischen Treiben fordert Ketteier— er, der alle seine politischen Gedanken und alle seine politische Polemik getränkt hatte mit religiös-kirchlichen Anschauungen und Ansprüchen — , fordert Ketteier vor dem deutschen Reichstage „religiöse Versöhnung". Die Verfassung gewähre jetzt mehr Gedankenfreiheit als Religionsfreiheit. Die Forderung der Zentrumspartei gehe nur auf kirchliche Selbständigkeit im Rahmen der allgemeinen Gesetzgebung, nur die „vorbeugende Gesetzgebung, die Ausnahmsgesetzgebung für Religion und religiöse Genossenschaften" bekämpfe sie. Das waren offenbar die Worte, wie Ketteier sie sich zurechtgelegt hatte, ehe Treitschke sprach. 1 ) Die zweite Hälfte der bischöflichen Rede aber, die zuletzt wieder gewandt zum Grundsätzlichen zurückleitet, war wesentlich eine Auseinandersetzung mit Treitschke; sie entlockte namentlich den baierischen Klerikalen immer wieder lauten Beifall — begreiflich genug bei ihrer Stimmung gegenüber dem preußischen und protestantischen Geschichtschreiber, dem Herausgeber der „Preußischen J a h r b ü c h e r " . Mit Hilfe jener Kunst der Ausdeutung und der Vereinfachung, die er in allen seinen Kämpfen meisterlich zu üben wußte, verteidigte er die preußische Verfassung und die Gedanken von 1848 gegen Treitschke, der in Wahrheit den größten Rückschritt predige, nämlich die alten Grundsätze des Staatskirchenrechts. Die Annahme des Zentrumsantrages werde Deutschland ein großes Gut bringen, den wahren religiösen Frieden. Bei der Stimmung der Reichstagsmehrheit hielt es Ketteier — wieder wird man an seine Parlamentsrede von 1848 erinnert — für nützlich, einfach die Zuständigkeit des Reichstages zur Auslegung katholischer Prinzipien zu bestreiten, und daß er mit diesem Einsprüche zugleich etwas vom Reichstage forderte, zeigt seine Erklärung, die Katholiken seien berechtigt, nach ihrem Glauben in Deutschland zu existieren, nach den Prinzipien der Kirche „innerhalb der allgemeinen wahren Prinzipien im S t a a t e " ; diese Grundsätze „müßten" anerkannt werden. Hier also wurde mitten im deutschen Reichstage von einem deutschen Bischöfe, freilich namens 1 ) Man beachte, daß er wieder — und zwar ohne Beziehung auf Treitschkes spitzes Wort — den Zentrumsantrag eine magna Charta des Religionsfriedens in Deutschland nannte.

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einer politischen Partei, versucht, ein ganzes Stück kirchlicher Staatslehre in das deutsche Reichsrecht und das deutsche Reichsleben hineinzutragen; ganz unabhängig von der Frage der Grundrechtsforderung mußte der Reichstagsmehrheit diese Zumutung, die „wahren" Prinzipien des Bischofs gläubig hinzunehmen, unerträglich sein. Ketteier selbst begehrte — und damit berührte er vom kirchlichen Boden aus eine wahrlich nicht kirchliche Frage — die Anerkennung der Zentrumsforderung auch mit Rücksicht auf die Elsässer, die „ihrer großen Majorität nach ein ihrer Kirche und ihrem Glauben treu anhängendes Volk" seien. 1 ) Für Ketteier konnte es nicht schwer sein, in überzeugter Rede diese unitarische Grundrechtsforderung der „föderalistischen Verfassungspartei" zu vertreten; es war einer seiner alten Lieblingsgedanken, für den er hier kämpfte. Anders Windthorst. Er sprach lediglich als Parteitaktiker, wenn er die Parteiforderung begründete, der seine eigene partikularistische Herzensmeinung widerstrebte und die er gern verhindert hätte; sein weifischer Föderalismus mußte hier vor den kirchlichen Bedürfnissen kapitulieren. Auch Windthorst ließ übrigens den von Ketteier vorsichtig angeschlagenen Ton des Zweifels an der inneren Reichseinheit im Zentrumssinne leise anklingen. Dieser Weife wünschte, wie selbst die Trümmer seines von ihm planmäßig vernichteten Briefwechsels noch erkennen lassen, kaum etwas herzlicher, als das neue Reich wieder zerstört zu sehen; im heimlichen Genüsse seiner anders gearteten wahren Hoffnungen, nur scheinbar im Sinne der ehrlichen Meinung Kettelers, die ein „christliches" Deutsches Reich als das allein starke Deutsche Reich betrachtete, erklärte nun auch Windthorst, die Annahme des Zentrumsantrags sei notwendig im Interesse der Konsolidierung des Reiches, und in kluger Ausnutzung seiner Rolle setzte er gar hinzu, es scheine ihm schon bedauerlich genug, daß nicht die Regierung die Initiative ergriffen habe. Es bezeichnet den geistigen Nachhall auch der Grundrechtserörterungen Kettelers, daß sie durch Windthorsts Rede nicht aus dem Vordergrunde des Redekampfes verdrängt wurden. Moritz v. Blanckenburg, damals noch Bismarcks Freund, ironisierte die widerspruchsvollen Begründungen der Zentrumsredner, insbesondere den Widerspruch im Auftreten Windthorsts, aber auch ihn reizte es, sich grundsätzlich vor allem mit dem Bischof auseinanderzusetzen. Kettelers naive und emphatische Aufforderung an den Reichstag, keine gegen „Gottes Gesetze" rebellischen Gesetze zu geben, war von dem unmittelbar nachher sprechenden freikonservativen Grafen Renard nicht beachtet worden; sachlich stimmte Renard im wesentlichen mit Treitschke überein, nur glaubte er, optimistischer als dieser, daß es dem deutschen Geiste bald gelingen werde, die freie Kirche im freien Staate zu schaffen Erst der in Bochum gewählte Berliner Fortschrittler Dr. Löwe stellte die naheliegende Frage, wer denn entscheide, was Gottes Gesetze seien. Windthorst blieb die Antwort schuldig. Der erste Liberale, der nach ihm zu Worte kam, gab sie dann vom liberalen Standpunkt aus. Es war der baierische Jurist Marquard Barth (schon 1848 in Frankfurt als kleindeutscher Gegner der großdeutschen Klerikalen von seinen liberalen Parlamentsfreunden geschätzt), der nun den Bischof mit kirchlichen Waffen politisch zu schlagen suchte: wer den unfehlbaren Papst anerkenne, müsse ihn auch darüber entscheiden lassen, ob ein Gesetz gegen Gottes Gesetz sei; freilich widerspreche der Zentrumsantrag mit der Forderung der Preßfreiheit den päpstlichen Lehren. In schneidigerem Tone sprach der Führer der badischen Nationalliberalen, der Mannheimer Oberstaatsanwalt Kiefer, der aus den Erfahrungen der oberrheinischen Kirchenkämpfe den nötigen Anschauungsstoff gegenwärtig hatte und mit dem ursprünglich nationalen das an dem massiven Wesen der badischen Gegner geschärfte, auch wohl überschärfte antiklerikale Empfinden des badischen Liberalismus für den Kampf um die Reichsverfassung mitbrachte. Kiefers schärfstes Wort freilich: „Die Herren haben die nationale Idee, ungeachtet des preußischen Verfassungsartikels 15, bekämpft bis auf den heutigen Tag und mit allen ihren Mitteln, und sie würden dies heute noch tun, ') Vgl. schon den Brief an Bismarck vom 1. 10. 70, oben S. 613 f.

Liberale und Konservative gegen die klerikalen Forderungen

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wenn ihnen nicht durch den Gang der Dinge eine andere Idee aufgedrungen worden wäre", dieser Satz, der eine geschichtliche Beobachtung einseitig parteipolitisch verwertete und gerade auf den Mainzer Bischof durchaus nicht zutraf, hatte, bei großer Unruhe des Zentrums, lauten Beifall links u n d rechts geweckt. Dennoch, und obwohl auch die Konservativen Auffassung und~Änträge des Zentrums bekämpften, hatte der Gang der Aussprache vor allem doch die alten tiefen Gegensätze zwischen Liberalismus und Klerikalismus aufgedeckt; man konnte erkennen: diese Gegensätze wurden schon auf beiden Seiten bewuBt gepflegt, man fühlte: hüben und drüben arbeitete sich der längst bewährte, in den süddeutschen Staaten, in Baden zumal, auch in dem Jahre der deutschen Entscheidung nicht beruhigte Kampfgeist zu neuen schweren Auseinandersetzungen auf dem neuen Reichsboden empor. Den Männern des Zentrums, denen der Liberalismus als der geborene, der unversöhnliche Gegner erschien, blieb die Hoffnung auf ein leidliches Verhältnis zu den Konservativen noch lebendig. Auch gegen die Konservativen wehrte man sich, aber man warb zugleich um sie. Hermann v. Mallinckrodt, maßvoll in der Form, suchte ihnen ins Gewissen zu reden. Freilich sah er bei der Partei die konservativen Prinzipien mehr und mehr „verdunsten". Von dem „wahren" Konservatismus versprach er sich immerhin etwas f ü r seine Partei, in deren Namen er es nun mit Aufsehen erregenden Worten als eine allgemeine Frage der Rechtssolidarität in Europa hinstellte, „wenn das legitimste und älteste Recht in Europa in der ruchlosesten Weise angegriffen und beeinträchtigt wird". Das war eine grundsätzlich berechtigte Anwendung konservativ-legitimistischer Gedanken, aber sie bestimmte in dieser einseitigen Beziehung auf den Kirchenstaat angesichts der deutschen politischen Aufgaben doch höchstens Konservative von der bis zur Reichsfeindschaft versteinernden Prinzipienstarrheit Ludwigs v. Gerlach. Dagegen durfte Mallinckrodt hoffen, auf die Masse der Konservativen, denen der Reichsgedanke die alten preußischen Bindungen gelockert zu haben schien, Eindruck zu machen mit seiner zugleich konservativ-königstreu und preußisch-deutsch gefärbten Ankündigung, daß seine Partei die Freiheit für alle wolle, die Freiheit des Guten und des Bösen, „auf dem Boden einer in starker Hand gehaltenen und gesicherten, gerechten, sittlichen Gesetzgebung". Er verwarf die„Trennung des Staates von der Kirche"; Staat und Kirche sollten selbständig nebeneinander stehen, aber auf den Gebieten, wo beide einander berühren und ineinander greifen, ein wohlwollendes, vertrauendes Zusammenwirken zeigen. Mit fast lockendem Werben kam er den Konservativen so weit entgegen, daß er erklärte, von diesem Standpunkt aus würden auch die Meinungsverschiedenheiten über Schule, Ehe und dergleichen zu erörtern sein. Wer schärfer zusah, mußte hier freilich ein Gleiten und Wogen bemerken, das „diesen Standpunkt" überhaupt nicht mehr als „ S t a n d p u n k t " erscheinen ließ. Miquel fand denn auch wieder lebhafte Zustimmung auf beiden Seiten des Hauses, als er, der erprobte Kämpe des Nationalvereins, des preußischen Landtags, des norddeutschen Reichstags, die Haupt- und Herzensgedanken mindestens vieler Klerikalen richtig fassend, herausfordernd und doch nur alte Herausforderungen zurückzahlend, dem Zentrum zurief: „Das Deutschland von heute ist gegen Sie zustande gebracht, Sie haben es verhindert mit allen Mitteln, Sie sind heute die Geschlagenen". Es klang wie ein Bekenntnis zugleich der nationalliberalen Partei, wie ein Kampfbekenntnis schon, wenn er mit schneidender Schärfe verkündete: „Ich will kein Vertrauen haben, ehe ich nicht Beweise habe; die Geschichte flößt mir kein Vertrauen ein." Das Wort sollte wohl im besonderen Mallinckrodts, freilich zunächst nur den Konservativen geltende versöhnliche Gebärde abweisen. Aber gerade in Miquels Rede stand die Auseinandersetzung mit Ketteier beherrschend voran. Er hat ausgesprochen, was heute noch empfinden wird, wer diesen die Tiefen auch der kirchlichen Leidenschaften schon halb aufdeckenden Redekampf überschaut: Kettelers Ausführungen bildeten die eigentliche Grundlage dieser ganzen Diskussion. Eben in Miquels Rede kündete sich schon der künftige Vorstoß gegen die preußischen Verfassungsbestimmungen an, die das Zentrum jetzt auf das ganze Reich übertragen wissen wollte.

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Dieser Kampf, den die in allen Reden nachklingenden Worte Kettelers durchziehen, hinterlaßt doch vornehmlich den Eindruck, daß die dem neuen Reich aus dem Norddeutschen Bunde überkommene, der staatlichen Wirklichkeit angeschmiegte Verfassung lediglich um der mächtigen, in Ihrem römischen Haupte jetzt höher als je erhobenen Kirchengemeinschaft willen durch einen das Ganze und die Teile wesentlich berührenden Zusatz umgestaltet werden sollte. Die Aussprache hatte ganz unmittelbar zu den kirchlichen Grundlagen des Zentrumsantrags geführt, zu den kirchlichen Absichten, von denen auch jetzt die klerikalen Anregungen und Forderungen getragen wurden. Selbst einen so klugen und parlamentarisch geschultem Kopf wie August Reichensperger ergriff die kirchenpolitische Erregung; er lief Gefahr, in seiner diesen ersten großen Reichstagskampf abschließenden Rede vom 4. April 1871 mehr von den Stimmungen, von der konfessionellen Tiefenströmung im Zentrum zu verraten, als er parteitaktisch verantworten konnte. Der Vorstoß der Zentrumspartei endigte mit einem parlamentarischen Mißerfolge. Der Grundrechtsantrag wurde mit 223 gegen 59 Stimmen abgelehnt. Es war auch sachlich ein schwerer Schlag für jene Katholiken, die, führend oder geführt, die Übernahme der preußischen Kirchenparagraphen in die Reichsverfassung als eine notwendige Bürgschaft der Kirchenfreiheit ansahen. Soweit diese Katholiken die kirchlichen Verhältnisse, namentlich den Kampf gegen Altkatholiken und „Staatskatholiken", überschauten, erkannten sie natürlich auch den besonderen kirchenpolitischen Sinn jenes Antrags. Ketteier hatte schon in seinem Briefe an Bismarck aus der Einheit kirchlicher und kirchenpolitischer Erwägungen heraus jene Verfassungsbestimmungen gar das „einzige" Mittel zum religiösen Frieden genannt. Bismarck aber war und blieb zurückhaltend. Bereits beim Beginne der Reichstagssession konnte der Bischof kaum weniger als irgendeiner seiner Parteigenossen über den Verlauf der parlamentarischen Verhandlungen im Zweifel sein. August Reichensperger gab in jener Rede vom 4. April 1871 seiner (das spätere Bild vom Zentrumsturm in anderem Sinne vorwegnehmenden) Bemerkung, das Zentrum stehe in einer Festung, von allen Seiten beschossen, die parteimäßig selbstgefälligen Worte mit: „Wir haben das alles vorhergesehen, und es erschüttert uns nicht im mindesten." Die Zentrumsparlamentarier erkannten die unmittelbare parlamentarische Ergebnislosigkeit des Antrages, als sie ihn stellten. 1 ) Es war kein so ganz reines Pathos, wenn Ketteier ein Jahr später in seiner Parteischrift 2 ) ») Vgl. dazu K., Centrums-Fraction S. 42 (auch und anders Windthorst in s. Rede vom 22.4. 71). — Daß man von badischer Seite noch nachher den Kaiser für reichsrechtliche Ordnung des Verhältnisses von Staat und Kirche zu gewinnen suchte, zeigt Hohenlohes Eintrag zum 11.6.71: Denkwürdigk. 2,61. 2 ) Centrums-Fraction S. 34.

Parlamentarischer Mißerfolg, kirchenpolit. Nutzen des Grundrechtsantrags

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mit einer auf die Nation bezogenen religiösen Feierlichkeit sein Urteil sprach: „Kein Mitglied aus dem gesamten Hause, mit Ausnahme der Polen, hat sich der Zentrumsfraktion bei diesem Antrage angeschlossen, was zum ewigen Gedächtnisse vermerkt zu werden verdient, da es sich hierbei um den Schutz von Rechten handelte, welche zu den heiligsten Gütern der Nation gehören." Der nächste praktische kirchenpolitische Zweck des Antrages war natürlich hüben wie drüben klar: die Einzelstaaten, denen es an Kirchenfreiheit noch fehlte, sollten sie durch Reichsgesetz zwangsweise erhalten. Ketteier suchte nach dem Scheitern des Antrages das, was grundsätzlich nicht zu erreichen war, auf diplomatischem Wege wenigstens für das Großherzogtum Baden durchzusetzen, also für das Land, dem gegenüber er stets kirchliche Abneigung und bischöfliche Sehnsucht zugleich empfunden hatte. Er scheute sich nicht, er, der deutsche Reichstagsabgeordnete, am 14. April 1871 dem Kardinal-Staatssekretär Antonelli zu empfehlen 1 ), das deutsche Bedürfnis nach rascher Regelung der Kirchenverhältnisse Elsaß-Lothringens zu einem Druck auf die Reichsregierung auszunutzen, die Vereinigung der Sprengel von Straßburg und Metz mit einem deutschen Erzbistum geradezu abhängig zu machen von dem Verzichte der badischen Regierung auf ihre bisherige Kirchenpolitik, von der Wiederherstellung des Kirchenfriedens in Baden. Aber der parlamentarische Grundrechtsvorstoß, dessen Mißerfolg der Bischof auf derartigen Umwegen etwas abzumildern suchte, stand für die Zentrumsfraktion noch in einem allgemeineren kirchlichen Zusammenhang, der nur von wenigen Gegnern im Augenblicke genügend beachtet wurde. 2 ) Sie fürchtete, daß die damals nicht unbedeutende und dazu noch überschätzte katholische Bewegung gegen die Konzilsentscheidung") von dem Reichstag aus planmäßig gefördert werden könnte. Wie bei der Bildung der Fraktion, so wirkte auch bei der Einbringung des Grundrechtsantrages diese innerkirchliche Rücksicht wesentlich mit. Im Reichstage selbst saßen mehr Katholiken außerhalb als innerhalb der Zentrumsfestung. Der Grundrechtsantrag hatte trotz seiner parlamentarischen Aussichtslosigkeit seinen besonderen Zweck und hat diesen so ziemlich erfüllt: die 58 Zentrumskatholiken, im Kirchlichen straff zusammengefaßt und entschlossen geführt, überraschten die 67 nichtklerikalen Katholiken, die, zerK. an Antonelli 14. 4. 71: Pfülf 2 , 3 7 3 f . Gleichzeitig zeigt K. in seinem Offenen Brief an Bluntschli ( 1 5 . 4 . 7 1 ; Br. 436ff., bes. 437) auch nach außen, daß er den Kampf gegen die Reste landesherrlichen Kirchenregimentes und insbesondere gegen die badische Kirchenpolitik nicht aufzugeben gedenke. ') Zum Folg. A. Reichenspergers Tagebucheintrag vom 1 6 . 6 . 7 1 bei Pastor 2 S. 3 0 f . ; Hohenlohe, Denkwürdigkeiten 2 S . 5 2 (vgl. 48). *) Im Reichstage selbst sprach Franz v. Staufenberg die Erwartung aus, die altkatholische Bewegung könne eine weltgeschichtliche Bedeutung gewinnen wie die Reformation.

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streut über die Parteien, keine Einheitlichkeit, geschweige einen Zwang der Meinung kannten und über bescheidene Ansätze zu einem kirchenpolitischen Zusammenschlüsse nicht hinauskamen. Die Abwehr des Zentrumsantrages brachte die dem Zentrum widerstrebenden kirchentreuen Katholiken des Reichstages in eine Front mit den unkirchlichen Katholiken und mit den Abgeordneten anderer Bekenntnisse, ließ also — schon darum mußte bei allen politischen Rücksichten das Hervortreten der kirchlichen Gedanken in der Auseinandersetzung den Zentrumsmitgliedern nicht unerwünscht sein — den Kirchlichen im Lande jene kirchlich untätigen Katholiken und alle „Staatskatholiken" als Katholiken zweiter Klasse, das Zentrum aber als Hort der wahren Kirchlichkeit, als einzigen Vorkämpfer wahrer Kirchenfreiheit erscheinen. Die Verbindung zwischen klerikalen Abgeordneten und klerikalen Wählern arbeitete gut genug, um den parlamentarischen Kampf für die Kirchenparagraphen durch den Kampf der Presse und der Adressen zu unterstützen, was zugleich die auch sonst schon mobil gemachten volksmäßigen Kräfte gegenüber dem Altkatholizismus verstärken mußte 1 ); darum aber konnte Ketteier hinterdrein wenigstens sich für berechtigt halten, in seiner vereinfachenden Redeweise zu erklären, „das" katholische Volk habe allgemein die Aufnahme der preußischen Kirchenparagraphen in die Reichsverfassung gefordert. Dabei stimmten in Wahrheit nicht einmal die Zentrumsabgeordneten ganz überein. Es bedeutete für Ketteier eine bittere Enttäuschung, daß der gewandteste parlamentarische Fechter derZentrumspartei jene kirchenpolitische Grundrechtsforderung, die dem Bischof wie eine Gewissenssache aller guten Katholiken erschien, innerlich ablehnte, und zwar lediglich aus partikularistischen Erwägungen heraus. Windthorst war überhaupt fähig, Politik auch auf Kosten des Kirchlichen zu betreiben; Ketteier dagegen hielt an der Nachordnung des Politischen fest. Wenn er im Frühjahr 1871 die polnischen Katholiken in Posen mahnte, keine weiteren Petitionen zugunsten der weltlichen Herrschaft des Papstes an den Reichstag zu senden, so verband er damit nicht, wie Windthorst, den Ratschlag, s t a t t dessen die Fürsten anzugehen, verband damit vor allem nicht die politischen Gedanken des Weifen, der in seinem Briefe an den polnischen Domherrn Kozmian in Posen 2 ) von seiner Hoffnung auf eine Intervention der katholischen Mächte in Rom schrieb und noch ganz andere Hoffnungen auf die ersehnte Wiederherstellung einer ') Vgl. z. B. Pastor, Reichensperger 2 S. 30 mit A n m . 2 und S. 39. — Zum Folg.: K e t t 1er, Centrums-Fraction S . 3 5 . 2 ) 4 . 5 . 7 1 . Der Brief wurde 2 3 . 2 . 7 2 beschlagnahmt u n d 13.3. veröffentlicht. Vgl. M. Busch, Tagebuchblätter 2 (18 V) S. 337 f., dazu S . 3 3 5 (für K.). Vgl. Bismarcks Herrenhausrede v o m 6. 3 . 7 2 : Polit. R e d e n 5 (18 3) S. 291. Auch Bismarck zu A. Reichensperger: Pastor 2, 6 4 ; Poschinger, B. u. d. Parlamentarier 2 (1895) S. 184.

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Zwiespalt zwischen Ketteier und Windthorst (April 1871)

klerikalen franzosischen Monarchie und den Sieg der klerikal-feudalen Mächte in Österreich setzte. Die von Grund auf verschieden geartete Betrachtungsweise führte in bestimmten Fragen zu Zwiespältigkeiten zwischen Ketteier und Windthorst. Gegen Ende April 1871 kam es zu einem schärferen Zusammenstoß. Wir sind darüber einstweilen nur durch die kargen Bemerkungen unterrichtet, mit denen der katholische Fürst Chlodwig Hohenlohe, der Begründer der liberalen Reichspartei, einen Berliner Brief vom 30. April 1871 abschloß 1 ): „In der Zentrumsfraktion ist Ketteier mit Windthorst in Streit geraten. Ersterer ist abgereist. Man sagt, Ketteier habe Windthorst vorgeworfen, er mißbrauche die kirchliche Frage zu politischen Zwecken. Windthorst hätte ihm antworten können, Ketteier mißbrauche die Politik zu kirchlichen Zwecken; ob er es getan hat, weiß ich nicht. Jedenfalls ist Ketteier fort. Ebenso sein treuer Schildknappe Löwenstein. Die ganze Fraktion ist ärgerlich, daß die Allianz mit den Konservativen mißlungen ist. Nun werden wohl im Geheimen neue Pläne ausgebrütet." Es scheint danach, daß Windthorst zu kirchenpolitischen Zugeständnissen, insbesondere wohl zur ausdrücklichen Preisgabe der Grundrechtsforderungen bereit war, um die Verbindung mit den Konservativen zu erleichtern, von denen auch die den Klerikalen am stärksten zuneigenden jene Grundrechtssätze bestimmt verwarfen. 2 ) Ketteier aber wollte nichts Kirchliches opfern, wollte vor allem von seiner Grundforderung der verfassungsmäßigen Sicherung der Kirchenrechte nicht abrücken. An diesem seinem Lieblingsgedanken hat der Bischof auch nach dem parlamentarischen Mißerfolge mit leidenschaftlicher Einseitigkeit festgehalten. 8 ) Wenn er sich mit Windthorst überwarf, so muß seine Erbitterung über dessen Haltung in dieser Sache mindestens stark mitgewirkt haben. Gerade n a c h dem Abschluß der Grundrechtskämpfe im Reichstag wurde des Bischofs Standpunkt mit besonderem Nachdruck im „Mainzer Journal" verfochten. Am 15. April 1871 erschien seine Rede vom *) Denkwürdigkeiten 2,52. Windthorst schrieb in dem in der vorigen Anmerkung genannten Briefe: „Der Herr Bischof von Mainz ist nicht hier, sondern in seine Heimat abgereist. Ob und wann er wieder hierher zurflekkehrt, weiß ich nicht." — 20.4. istKzuletzt im Reichtage nachweisbar (Sten. Ber. S. 313f.), 25. 4. Urlaubsbewilligung für 4 Wochen (St. B. 373), spätestens an diesem Tage Abreise (Pfülf 3, 151), 22.5. K. „fehlend", nicht beurlaubt (St. B. 836), desgl. 26. 5. (944), 31. 5. (945) neuer vierwöchiger Urlaub („Amtsgeschäfte"). Der Fürst zu Löwenstein-WertheimRosenberg wird schon 20.4. unter den Beurlaubten genannt, im Mai unter den Fehlenden. — Nippold, „Der letzte Bischof von Mainz": Kl- Schriften 2, 368 Anm. 2 (vgl. 436 oben) bemerkt, ohne irgend etwas Tatsächliches anzugeben, der geheime Gegensatz zwischen K. und Windthorst sei viel tiefer gehend gewesen, „als die Weisheit der Redaktionsbureaux sich träumen ließ". ') Z. B. Mor. v. Blanckenburg und der nicht dem Reichstag angehörende, aber in der Partei einflußreiche Kleist-Retzow: H. v. Petersdorff, Kleist-Retzow (1907) S. 412. ») Vgl. auch unten S. 647 f., 652 und 673 f. VI g e n e r , Bischof Ketteier

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30. März nochmals als Leitaufsatz, und fünf Tage später schloß ein wohl von Ketteier u n m i t t e l b a r angeregter, jedenfalls der bischöflichen Gruppe in der Zentrumspartei nahestehender Mitarbeiter des „Journals" einen Aufsatz „Der Deutsche Reichstag und die Grundrechte" mit der Bemerkung, „ d a ß wir bei aller Achtung vor anderen Ansichten in diesem P u n k t e in b e w u ß t e m Gegensatze zu unseren Gesinnungsgenossen in den Fragen religiöser Natur jede Kompetenzerweiterung des Reiches willkommen heißen." 1 ) Bei den Reichstagsverhandlungen selbst war dieser Gegensatz verborgen geblieben. Diese öffentliche Hindeutung auf ihn, dieser kirchlich bewußte und zugleich ein wenig politisch verärgerte Rückblick wird Windthorsts Abneigung gegen Kettelers H a l t u n g gesteigert, den unmittelbaren Zusammenstoß stimmungsmäßig vorbereitet haben. Was es aber mit den damaligen Verhandlungen zwischen Zentrum und Konservativen und ihrem Mißlingen für eine Bewandtnis hatte, das läßt sich aus der bis jetzt bekannten Überlieferung nicht feststellen. Auch Konservative bedauerten, d a ß sie Ober Adreß- und Grundrechtserörterungen sogleich mit dem Z e n t r u m auseinandergekommen waren. 2 ) Ketteier persönlich aber war einem politischen Zusammengehen mit den Konservativen keineswegs abgeneigt. Aus seinen nationalpolitischen Anschauungen heraus konnte er ein solches Bündnis gewiß ehrlich und mit größerer Berechtigung als Windthorst erstreben, und seine Grundauffassung vom Staate stand in manchem der konservativen sehr nahe. 8 ) Auch persönliche Beziehungen fehlten nicht; sein Bruder Wilderich, der neben ihm im Reichstagszentrum saß, h a t t e seit alters Freunde unter den protestantischen Konservativen. 4 ) Die „ K r e u z z e i t u n g " zeigte im F r ü h j a h r 1871 Rücksicht auf das Zentrum, namentlich aber auf die katholischen Anschauungen ü b e r h a u p t und die des Mainzer Bischofs im besonderen. Sie h a t t e unmittelbar nach der Adreßdebatte noch selbst einem gemeinsamen Wirken der Konservativen und der „ K a t h o l i k e n " beim Ausbau des Reiches das Wort geredet, h a t t e zur Belustigung klerikaler Kritiker 6 ) die Mehrheitsadresse hinterdrein scharf kritisiert und so die Haltung der konservativen Reichstagsfraktion tatsächlich verurteilt; am 13. April aber, also kurz vor dem unmittelbaren Zusammenstoße zwischen Ketteier und Windthorst, widmete sie dem Bischof ein Leitaufsätzchen, das seiner grundsätzlichen Rechts») Mz.J. 1871 Nr. 89 (15.4.); Nr. 93 (20.4.) „Der deutsche Reichstag und die Grundrechte", Zeichen: P (vgl. oben S. 630 Anm. 1. unten S. 648 mit Anm. 1). «) H. v. Petersdorff, Kleist-Retzow (1907) S.412. >) Vgl. z. B. oben S. 392 f. (Stahl). 4 ) Wilderich Ketteier war z. B. mit Udo v. Alvensleben befreundet: Br. 499f. (A. an K. 24. 2. 75; K- an A. 2. 3. 75). ') Reinhold Baumstark, Der erste deutsche Reichstag u. d. Interessen d. k a t h . Kirche ([April] 1871) S. 51.

Das Zentrum und die Konservativen

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anschauung unter christlicher B e r u f u n g auf die Zehn Gebote ausdrücklich zustimmte und nur gewisse politische Folgerungen ablehnte, diese Ablehnung selbst aber wieder, auch darin eine der bischöflichen ähnliche Denkart verratend, religiös begründete. Ketteier hatte in seinen Reichstagsreden die Konservativen nicht angegriffen, eher geflissentlich geschont. Seit Ablehnung der Grundrechtsanträge brachten die Reichstagsverhandlungen überh a u p t keine Verstimmung zwischen der Rechten und dem Zentrum. Die aufreizenden Redekämpfe bei den Wahlprüfungsverhandlungen verschärften vielmehr nur den Gegensatz zwischen den Klerikalen und der Masse der Liberalen. Man t r u g in die Wahluntersuchungen den ungebrochenen Kampfgeist der Wahlen selbst hinein. Ketteier persönlich h a t diese K ä m p f e mit parlamentarischer Leidenschaftlichkeit verfolgt — eine f ü r den angezweifelten Wahlsieg eines Parteifreundes scheinbar günstige Feststellung begleitete er als einziger mit lautem „ H ö r t ! H ö r t ! " 1 ) —, aber seine E m p ö r u n g galt im Augenblick und galt bei der Rückschau wesentlich nur den Nationalliberalen, denn sie waren es vor allem, die in geistlicher Wahlbeeinflussung einen Grund der Wahlverwerfung sahen und sich dabei nach Kettelers Meinung durch religiöse Vorurteile und Mißstimmungen leiten ließen. Die Konservative^ aber haben sich — übrigens auch vereinzelte Nationalliberale — bei den Abstimmungen über die Wahlen, besonders über die h a r t u m k ä m p f t e W a h l August Reichenspergers, mit dem Zentrum zusammengefunden, und derselbe Blanckenburg, der am 3. April dem Bischof die klerikalen Wahlumtriebe, die Vermengung von Religion und Politik herb vorgehalten h a t t e , erklärte sich drei Wochen später mit solchem Nachdruck gegen die grundsätzliche Beanstandung geistlicher Wahlarbeit, d a ß Ketteier in seiner politischen Schrift vom F r ü h j a h r 1872 d a n k b a r auf dieses protestantischen Konservativen „wahres und gerechtes" Wort verwies. Das Z e n t r u m dachte nun freilich parlamentarischer als die Konservativen. Die Partei setzte sich fast einmütig — und der Bischof war dabei — f ü r die Gewährung von Tagegeldern ein; schon die Erwägung, k ü n f t i g etwa zu scharfer parlamentarischer Opposition gegen die Regierung übergehen zu müssen, legte dem Z e n t r u m den streng parlamentarischen S t a n d p u n k t nahe. Dieser einem alten liberalen Begehren entsprechende Diätenantrag, der von der Mehrheit des Reichstags am 20. April, in dritter Lesung am 25. April 1871 angenommen, von dem Bundesrat aber einstimmig abgelehnt und in Kettelers Parteischrift von 1872 gegen Bismarck ausgespielt wurde 2 ), mag manche Konservative auch gegen das Z e n t r u m eingenommen haben, h ä t t e aber schwerlich die Annäherung vereitelt. Es ist nun 1 ) Sten. Ber. 237 Spalte 2 unten (17.4. 71). — Zum Folg.: K., Centrums-Fraction S. 55 u. 71 ff. 2 ) K., Centr.-Fract. S. 83 ff. 41»

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gewiß nicht unmöglich, daß Mitte April 1871 auch kirchliche Starrheit des Mainzer Bischofs ein Zusammengehen beider Parteien verhindert hat. Stärker aber mußte damals noch die politische Belastung des Weifen einem Bunde beider Parteien im Wege stehen. Auch ist Windthorst deutlicher als Ketteier von den Konservativen abgerückt, freilich in einer Form, die den Tadel noch als Mahnung an die alte christlich-germanische Richtung unter den Konservativen erscheinen ließ. Es war am 22. April 1871, also drei Tage bevor Ketteier verstimmt abreiste 1 ), daß Windthorst vor versammeltem Reichstage beteuerte, er habe sich auch deshalb dem Zentrum angeschlossen, weil er, seiner „inneren Natur nach konservativ", gefunden habe, daß die Fraktion, der er am liebsten beigetreten wäre, „die konservative Partei, wie sie sich nennt", nicht mehr konservativ sei; er bestritt, ganz als Parteitaktiker, den Konservativen das Konservative, weil eine Vertretung konservativer Interessen auf die Dauer „ohne die kirchliche und religiöse Grundlage" nicht möglich sei. Das waren keine Worte, die ein Bündnis mit den Konservativen anzubahnen berufen sein konnten; vielleicht dürfen sie schon als die Absage nach vergeblichen Bemühungen gelten. Das aber jedenfalls bezeichnet den augenblicklichen Verzicht des Zentrums auf eine Verständigung mit der konservativen Partei, daß eben damals Windthorst und die beiden Reichensperger die erste nähere Verbindung zwischen Ludwig v. Gerlach und ihrer Partei herstellten. Am 24. April trafen sie mit ihm zusammen und an demselben 25. April, da Ketteier Berlin verließ, wurde dieser radikale Konservative, dessen leidenschaftlicher Kampf gegen Bismarcks Politik selbst einen Windthorst befriedigen konnte, als Gast in die Zentrumsfraktion eingeführt; es kam, wie August Reichensperger, stolz auf den Erfolg, in sein Tagebuch schrieb"), zu einer „Art von Fraternisierung auf dem a l l g e m e i n e n christlichen Boden". Möglich, daß auch diese Verbindung noch, die in der Zentrumsfraktion spätestens am 24. April besprochen worden sein muß, bei Kettelers Verstimmung mitgewirkt hat. Einen politisch nützlichen, kirchlich nicht schädlichen, „allgemeinen christlichen Boden" wußte auch er wahrlich zu schätzen. Aber, wenn man schon davon absehen mag, daß auch Gerlach von der Übernahme der preußischen Kirchenparagraphen in die Reichsverfassung nichts wissen wollte*), so konnte Ketteier, der die Hoffnung auf Bismarck und die Regierung damals noch nicht preisgegeben hatte, dieses wenig einbringende und manches gefährdende Einzelbündnis auch politisch kaum begrüßen. Jedenfalls ') Seine Abreise konnte mit besonderen geistlichen Verpflichtungen gerechtfertigt werden: 26.4. traute er auf dem Löwensteinlschen Schlosse Heubach in Unterfranken den Infanten Alfons von Spanien mit Maria Neves aus dem Hause Braganza, Infantin von Portugal. Vgl. Pffllf 3, 151. ') Pastor, Reichensperger 2, 24. ') Mz. J. 1872 Nr. 30 (5.2.) aus der „Germania".

Parteikampfe nach der ersten Reichstagssession

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mußte aber die konservative Partei dadurch verstimmt werden. Die „Kreuzzeitung" selbst gab Anfang Mai bereits ihrem alten Freunde, der freilich dem Reichsgedanken noch mehr als der konservativen Partei entfremdet war, auch öffentlich den Absagebrief. 1 ) An dem zweiten bedrohlichen Zwiespalt in der Zentrumsfraktion, der rasch, indessen wiederum nicht im reichsfreundlichen Sinne überwunden wurde, war Ketteier unmittelbar nicht beteiligt: Windthorst drohte mit seinem Austritt, weil Peter Reichensperger in einer Reichstagsrede die Bewilligung der Dotationen an die Heerführer als Pflicht der Dankbarkeit gegen den König bezeichnet hatte; indessen Windthorsts Machtprobe glückte: er blieb, blieb als Sieger, denn die größere Hälfte seiner Partei stimmte gegen die Bewilligung. 2 ) Ketteier hätte, selbst wenn er durch die Verstimmung über Windthorst nicht beeinflußt worden wäre, nach seinen früheren warmen Worten über König und Heer 8 ) kaum anders als mit Peter Rcichensperger gehen können; allein zur Überraschung der Gegner und mancher nicht ganz eingeweihter Parteifreunde blieb er auch in den letzten Reichstagswochen des Frühjahrs 1871 von Berlin fern.

Die erste Reichstagssession, die am 15. Juni 1871 feierlich im Weißen Saale geschlossen wurde, war durch den Kampf der Parteien, durch den Kampf der anderen gegen das Zentrum und dessen kirchlich bedingte Ansprüche, durch die ersten bitteren klerikalen Gegenäußerungen gekennzeichnet. Die Regierung hatte im Reichstage noch an sich gehalten. Aber in Preußen entspann sich bereits im Frühjahr 1871 der Schulstreit zwischen dem Kultusministerium und dem Bischof von Ermeland; die Frage nach den staatlichen Wirkungen der vatikanischen Beschlüsse drohte eine gefährliche Frage der staatlichen Praxis zu werden. Und auch die Reichsregierung selbst hatte schon in den Wahlkampftagen die Mittel der Presse gegen den Klerikalismus eingesetzt. Ketteier, der sich als kirchenpolitischer Primas der deutschen Bischöfe fühlen durfte und als in Baden gewählter Reichstagsabgeordneter auch in eigener Sache sprechen konnte, wies damals, Mitte März, die Behauptung der „Norddeutschen Allgemeinen Zeitung", deutsch oder nichtdeutsch sei die Frage bei den Reichstagswahlen gewesen, als eine „freche Parteilüge" zurück 4 ), persönlich auch dadurch gereizt, daß in der Übersicht der Wahl') Die „Kreuzzeitung" läßt die Verstimmung aber Gerlach, dann den Bruch mit ihm am 7. und 9. 5. 71 (Nr. 106 u. 107) erkennen; dazu Gerlachs gefflhlvolle Entgegnung: Nr. 115 (18. 5.). ') Vgl. Pastor, Reichensperger 2, 30. J ) Vgl. oben S. 632 (oben). *) Br. 430f. (Mainz 14. 3. 71; nach Pfülf 3, 148f. u. 160 vielmehr vom 18. 3.).

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ergebnisse für Baden 12 „Nationale" gegen 2 „Klerikale" gestellt wurden. Das Blatt suchte darauf des Bischofs „politische Vergangenheit", insbesondere sein Buch über 1866 gegen ihn aufmarschieren zu lassen, allerdings mit geringem Glück. Dem Bischof war es nicht schwer, diese oberflächliche offiziöse Antwort eben mit Berufung auf sein Buch abzufertigen; mit p e r s ö n l i c h e r Berechtigung (nicht aber mit gleicher Berechtigung für manche seiner politisch tätigen Glaubensgenossen) rief er entrüstet: „Mitten in dieser nationalen Erhebung wagt man uns den Schandfleck einer undeutschen Gesinnung anzuheften." Dennoch führte das Geplänkel damals noch nicht zur Schlacht. Im Reichstage trat ihm die Gegnerschaft nicht der Regierung, sondern der Parteien entgegen. Er kämpfte für kirchliche Grundsätze und Ansprüche auf staatlichem Boden im Widerstreit mit dem Liberalismus, Seine Fehde mit dem Heidelberger Staatsrechtslehrer Bluntschli 1 ), Mitte April 1871, machte er zur Fehde mit dem Liberalismus, auch zu einer persönlichen, etwas leidenschaftlichen und ein wenig ironischen Abrechnung mit seinen nationalliberalen Gegnern im Reichstage, mit Miquel und mit Treitschke, der ihn dann freilich wenige Tage später auf einem parlamentarischen Abend beim Kronprinzen mit liebenswürdiger Kühnheit zur Rede stellte, weil der bischöfliche offene Brief an Bluntschli ihn als dessen genauen Freund und Freimaurergenossen geschildert h a t t e . Auch im Sachlichen h a t t e sich Ketteier hier wiederum die Polemik leicht gemacht, indem er, wie im Hirtenbrief vom Oktober 1870, seine liberalen Gegner zu einer Kopie der französischen Liberalen abstempelte, den Liberalismus schlechthin als ein von Grund auf undeutsches System v e r d a m m t e und also den lebendigen Trägern dieses Systems die deutsche Geistesart absprach: das alles in einer Zeit, da auf der einen Seite diese Männer gerade den Anspruch erhoben, in der Praxis wie in der Theorie eine wahrh a f t deutsche Politik zu vertreten, auf der anderen Seite Ketteier selbst und seine Gesinnungsverwandten sich aufs empfindlichste getroffen fühlten, wenn ihr deutscher Sinn, j a auch nur der deutsche Sinn ihrer ersten Reichstagsanträge angezweifelt wurde. Des Bischofs offener Brief an Bluntschli vom 15. April 1871 klang wie eine bedingungslose Kriegserklärung an den Liberalismus. Nicht so seine zehn Tage jüngere zweite Kundgebung an und über den Liberalismus. Die „Kölnische Zeitung", das größte und immer noch maßvolle nationalliberale B l a t t wünschte von Ketteier, unter B e r u f u n g auf seinen offenen Brief an Bluntschli, über seine Stellung in den Fragen der kirchlichen Ansprüche und Rechte gegenüber dem S t a a t ein bestimmtes Bekenntnis zu erlangen. In seiner Antwort 2 ) lehnte er die Zumutung, als katholischer Bischof gegen den „ U l t r a m o n t a n i s m u s " aufzutreten, nun freilich sofort durch die einfache Erklärung ab, solche Ultramontanen gäbe es nicht. Aber selbst an dieser Stelle des Briefes schlägt er einen ungewohnt friedfertigen Ton an. Das erklärt sich aus der Beruhigungsabsicht des Ganzen. Ketteier mochte sich sagen, daß unter den Nationalliberalen nicht alles blindlings zum Kirchenkampf dränge, und aus der Anfrage der „Kölnischen Zeitung" wird er die versöhnliche Stimme der Maßvollen um so bereitwilliger herausgehört haben, weil sie ihm in diesem Augenblicke, da er soeben den Zwist mit Windthorst erlebt hatte, willkommen war. „Die ehrlichen Liberalen" überschrieb er seine Antwort, und das war ernst gemeint, was selbst die gutgläubigen Br. 436f., vgl. oben S. 623. Dazu Treitschke Briefe 3, 320. ) Aus der „ K ö l n . Volkszeitung" abgedr.: Mz. J . 1871 Nr. 101 (29. 4.), 102 (1. 5.), 105. Gerichtet gegen den Aufsatz der „Köln. Zeitung" 1871 Nr. 100—102: „Die freie Kirche im freien S t a a t e " . 2

Ketteier und die „ K ö l n i s c h e Z e i t u n g " (April 1 8 7 1 )

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Leser dem Bischöfe (dem nun freilich auch so der ironische Genuß an der Ü b e r r a s c h u n g der Gegner blieb) gewiß nicht zugetraut h ä t t e n . Die Liberalen, denen e r hier a n t w o r t e n wollte, n a n n t e er „ e h r l i c h " , „weil sie das Prinzip der Freiheit nicht ganz verleugnen, wenn es sich um die k a t h o l i s c h e K i r c h e h a n d e l t " . E r k o n n t e allerdings a u c h in seiner absichtsvollen Darstellung die kirchlichen V o r b e h a l t e nicht ganz verhüllen, noch wollte er seine kirchliche Grundanschauung zurücktreten lassen. A b e r er fühlte sich berufen, als gemäßigter K l e r i k a l e r zu gemäßigten Liberalen so zu sprechen, d a ß noch ein S t ü c k c h e n gemeinsamen B o d e n s übrig zu bleiben schien. V o r allem s t i m m t e er dem Liberalen zu, wenn dieser e r k l ä r t e , die rechtlich eingeschränkte Religionsfreiheit finde f ü r j e t z t in P r e u ß e n ihren entsprechenden Ausdruck in den „freilich noch etwas allgemein g e h a l t e n e n " Grundrechtsartikeln 1 2 — 1 9 der preußischen Verfassungsurkunde. D a s war j a , bis auf die unerwünschte kritische B e m e r k u n g , eine höchst willkommene Anerkennung der „Magna Charta" des Bischofs, ein an diesem O r t e immerhin gewichtiges B e k e n n t n i s zu den preußischen Kirchenparagraphen, die im R e i c h s t a g e von führenden Nationalliberalen skeptisch b e t r a c h t e t worden waren. W o l l t e das nationalliberale B l a t t dem B i s c h o f nur ein B e k e n n t n i s e n t l o c k e n ? J e d e n f a l l s , K e t t e i e r ließ es sich nicht verdrießen, vor diesem politischen Gegner die grundsätzlichen F r a g e n zu erörtern und die einzelnen preußischen P a r a g r a p h e n auszulegen. Dabei freilich wirkten gewisse k i r c h liche Notwendigkeiten als t a k t i s c h e r Nachteil. Der Bischof suchte, kirchlich k o r r e k t , den ganzen Menschen für die K i r c h e zu beanspruchen, und alle seine D a r legungen m u ß t e n , selbst bei weitherziger Auslegung allen etwa noch zweifelnden Liberalen deutlich machen, d a ß er sich auf einer anderen E b e n e bewege als sie selbst. Z u m guten E n d e hielt er, der doch im Namen der gewaltigsten geistigen Z w a n g s m a c h t dieser E r d e sprach, dem Liberalismus vor, daß er seine Doktrinen durch S t a a t s g e setze den Völkern aufzwingen wolle. Freilich, es war der „ f a l s c h e " Liberalismus, der unter dem S c h e i n e der F r e i h e i t seine „ S t a a t s z w a n g s j a c k e " bringt, der „freimaurerische Liberalismus, der die Zivilehe allgemein einführen und die katholischen Orden nicht dulden w i l l " . A b e r wer w u ß t e n i c h t , d a ß die Begriffe „ f a l s c h " , „ f r e i m a u r e r i s c h " von K e t t e i e r so weit gefaßt wurden, daß leicht auch alles das wieder d a r u n t e r fallen k o n n t e , was er j e t z t noch als „ e h r l i c h e n " Liberalismus mit gönnerhafter Freundlichkeit gelten H e ß ? Die liberalen Gegner konnten denn a u c h , des B i s c h o f s Formulierungen gegen den Liberalismus nun auf den U l t r a m o n t a n i s m u s übertragend, schließlich nur feststellen, d a ß der B i s c h o f k a u m einen anderen S t a n d p u n k t einnehme, als j e n e U l t r a m o n t a n e n , die „ihren spezifischen römischen Katholizismus den widerstrebenden Völkern aufzwingen w o l l e n " , als j e n e r „ u n d e u t s c h e " U l t r a m o n t a n i s m u s , gegen den sie, in welcher A b s i c h t auch immer, t a t s ä c h l i c h den Bischof als ihren Mitk ä m p f e r aufgerufen h a t t e n ; den T o n der bischöflichen Kundgebung k o n n t e n diese Nationalliberalen rühmen, der Inhalt a b e r belehrte sie nur über die Unmöglichkeit einer Verständigung zwischen dem deutschen Liberalismus und dem Mainzer B i s c h o f , und den Gewinn für die eigene S a c h e fanden sie lediglich darin, daß der bestehende Gegensatz n u r noch b e s t i m m t e r und klarer hervorgetreten sei.

Dieser bescheidene erste klerikale Versuch einer freundlichen Annäherung an den rechten liberalen Flügel ist der letzte geblieben, und es war schließlich auch nur ein Versuch des allzeit etwas sanguinischen Bischofs selbst. Die „Kölnische Zeitung" hatte zu der Zeit, da Ketteier „die ehrlichen Liberalen" zu belehren begann, am 28. April 1871, den K a m p f gegen die Ultramontanen bei allen Wahlen als patriotische Pflicht bezeichnet. Darin mußten die Leute um Ketteier die vorweggenommene Antwort an ihn sehen, noch ehe die Zeitung am 6. Mai die abschließende Antwort brachte. So blieb es unbedenklich, wenn a m 3. Mai bereits das „Mainzer J o u r n a l " unter

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demselben Verfasserzeichen, das jener die eigene Partei kritisierende Aufsatz Qber die Grundrechte trägt 1 ), eine ganz anders gestimmte RQckschau auf das „Debüt des deutschen Reichstags" veröffentlichte: da der kirchenpolitische Unitarismus der Grundrechtsparagraphen nicht durchgedrungen war, wurde der politische, militärische, wirtschaftliche, rechtliche Unitarismus (Ketteier selbst hatte ja an ein Reichsgericht gedacht!) als gegebenes oder kommendes Übel hingestellt, das den Einzelstaaten Qberlassene Schicksal von Kirche und Schule aber aus dem Verlaufe der Reichstagsdebatten abgelesen und die Hoffnungen ffir Recht und Freiheit der Kirche allein noch auf unermüdliche Beharrlichkeit, auf festen Zusammenhalt der Katholiken gesetzt. Es war eben im Mai 1871, daß der Kampf wider die noch immer nicht ganz ungefährlichen 2 ) Altkatholiken, der dem Zentrumsvorstoß im Reichstage den besonderen kirchlichen Sinn gegeben hatte, ohne parlamentarische Hülle von den berufenen deutschen Vertretern der römisch-katholischen Kirche geführt wurde: der Hirtenbrief der deutschen Bischöfe verkündete grundsätzlich und im allgemeinen die Abweisung und Verdammung der nichtvatikanischen Katholiken, wie das im besonderen und einzelnen bereits geschehen war, z. B. durch den Bischof von Ermeland gegen den Religionslehrer des Braunsberger Gymnasiums, durch den Kölner Erzbischof gegen Bonner Theologieprofessoren. Aber es war nicht so, daß nun die Kämpfer und der Kampfeifer sich ganz auf das religiös-kirchliche Gebiet hinübergeschoben hätten. Nicht nur, daß die Kirchenfragen überhaupt, die Papstfrage im besonderen ein unveräußerliches Politisches in sich schlössen, auch die Zentrumspartei hatte die Verbindung zwischen dem Kirchlichen und dem Politischen hergestellt und wollte sie festhalten: die Partei hatte sich nun einmal dem politischen Partikularismus verschrieben, sie nahm Rücksicht selbst auf radikal reichsfeindliche Stimmungen unter Klerikalen, und allzuviele in Kirchenwesen, Presse und Parlament führende Katholiken waren gewillt, das neue Reich nach seiner Haltung in den Kirchen- und Papstfragen zu betrachten und zu behandeln. Die erste Reichstagssession hat — das ist wesentlich für die Beurteilung nicht zwar gewisser plumper Übertreibungen, die sich Regierungen und Parteien bald zuschulden kommen ließen, wohl aber der Anfänge des Kulturkampfes — die Abneigung starker klerikaler Schichten gegen das Reich nicht geschaffen, nicht einmal die Anzeichen, die Äußerungen dieser Stimmung zuerst hervorgelockt, die sich bald bis zu leidenschaftlichen Haßausbrüchen steigerten. Vielmehr hat das Verhalten baierischer „Patrioten" und anderer klerikaler Partikularisten bei manchen ') Vgl. oben S. 642 mit Anm. I, unten S. 652 Anm. 1. -) Vgl. z. B. Janssens Besorgnisse (Mai 1871): Briefe 1, 416.

Klerikal-partikularistische Pressefehde gegen das Reich

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Nichtklerikalen innerhalb und außerhalb ) der Parlamente die gereizte Grundstimmung gegen den politischen Katholizismus überhaupt erst geweckt oder doch alten Argwohn, beharrliche Abneigung verstärkt. Gewiß haben die Reichstagsverhandlungen vom Frühjahr 1871 eine weitere Verschärfung der Gegensätze gebracht, wenn auch noch im Sommer 1871 die Haltung der Klerikalen nicht einheitlich war. Eine Geschichte des Kulturkampfes aber hätte jedenfalls festzustellen, daß bevor die Reichsregierung aus ihrer Zurückhaltung heraustrat, daß insbesondere vor der sog. Kriegsansage durch die Kreuzzeitung vom 19. Juni 1871 angesehene, einflußreiche klerikale Blätter über die Kirchenstaatsklagen hinweg ihre Anklagen, ihre bittere Kritik, ihre Drohungen gegen das Reich selbst richteten. Die „Historisch-politischen Blätter" 2 ) etwa wagten im Mai 1871 nicht nur das Parteiurteil auszusprechen, der verstorbene Nationalverein sei als Deutsches Reich wiedererstanden, sie druckten auch die im hohnisch herausfordernden Prophetentone drohenden Worte der international-klerikalen „Genfer Correspondenz" ab: „Ist Herr v. Bismarck wirklich der große Mann, was er eben noch zu beweisen hat, so muß es ihm bereits klar sein, daß es einen Gott gibt, dem man nach jedem großen Triumphe seinen Tribut zahlen muß, damit der erlangte Ruhm dauerhaft sei und nicht etwa untergehe in der Schande, wie wir dies soeben an Napoleon gesehen haben. Als Staatsmann muß König [!] Wilhelms Reichskanzler wissen, daß es seit dem Bestehen des Christentums in jeder Epoche ein Kaiserreich gegeben hat und daß keines derselben zugrunde gegangen ist, ohne sich vorher von der geheiligten Sache Roms abgewendet zu haben." Die beschämende Annahme, daß hier eine deutsche Stimme sprach, war nur allzu berechtigt. Übrigens hielt sich damals zwar das amtliche Rom zurück, wie es das amtliche Deutschland tat, aber das römisch-jesuitische Weltkirchenblatt fällte doch kurz nach den Grundrechtserörterungen des Reichstages sein Verdammungsurteil gegen das protestantische Kaiserreich, ohne es zu nennen, und verkündete dabei die alten römischen Herrschaftsansprüche über die Welt.") In derselben Zeit aber hörten deutsche Klerikale nicht auf, wie es Windthorsts Wunsch und heimlicher Weisung 4 ) entsprach, es dem Deutschen Kaiser öffentlich vorzuhalten, daß er dem Papste keine Hilfe leiste. Im „Mainzer Journal", das ist hier für uns bemerkens') Ein Beispiel: Kurd v. Schlözer Ende Januar 1871 an einen Freund : P. Curtius, Schloezer (1912) S. 95 f. ») 67 (1871), 763ff. (765, auch 775); 781 (vgl. 776f., 786f.). ») Civiltà cattoi. 6. 5. 1870 S. 330; deutsch: Rhein. Merkur 2 Nr. 21 (21.5. 71) S. 205. *) In dem oben S. 640 Anm. 2 genannten Briefe Windthorsts an Kozmian.

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wert, wurde E n d e Mai 1871 gegen den Kaiser ziemlich u n v e r b l ü m t der willkürliche Vorwurf des Wortbruchs erhoben. 1 ) Ketteier selbst griff in den beginnenden Kampf ein, sobald Bismarck aus seiner Zurückhaltung hervorgetreten war. Da das Zentrum auch im Reichstage mit kirchlichen Motiven politisch gearbeitet hatte, wagte der Reichskanzler den Versuch, die höchste kirchliche Stelle gegen die kirchliche Parlamentspartei auszuspielen. Mitte Mai ermächtigte er den Grafen Frankenberg, der wie auch andere kirchentreue, aber zentrumsfeindliche Katholiken der freikonservativen Reichstagsfraktion angehörte, zu der öffentlichen Mitteilung, d a ß Antonelli das Verhalten des Zentrums gegen die durch Gerechtigkeit und Unparteilichkeit ausgezeichnete Regierung mißbilligt habe, und er bestätigte, angesichts klerikaler Anzweiflungen und Angriffe, diese für das Zusammenarbeiten von Kurie und Z e n t r u m gefährliche Veröffentlichung. Eben aber die Gefahr f ü r die kirchenpolitische Schlagk r a f t des Katholizismus ü b e r h a u p t rief den Mainzer Bischof auf den Plan. Es war sein kirchliches und diplomatisches Verdienst, von dem Kardinal-Staatssekretär einen Brief zu erwirken, der jene diplomatische Mißbilligung halb bestritt, halb umdeutete und schließlich zu einem grundsätzlichen Lobe der grundsätzlichen Gedanken der katholischen Abgeordneten kam. Immerhin mußte Antonelli zugeben, daß er die Absicht, den Reichstag zu einer Intervention f ü r den Papst zu veranlassen, als v e r f r ü h t bezeichnet habe. So bedurfte der römische Brief, um recht zu wirken, noch einer deutschen Ausdeutung und Ergänzung. Als Ketteier ihn a m 30. Juni in der „ G e r m a n i a " veröffentlichte, erklärte er, kein Mitglied der Zentrumsfraktion habe den Versuch gemacht, den Reichstag zu einer Meinungsäußerung f ü r eine Intervention zu veranlassen — eine Behauptung, die (von der Herzensmeinung der Zentrumsabgeordneten und dem eigentlichen Sinn ihres Auftretens zu schweigen) mit einzelnen Reden schlecht zu vereinbaren war. Aber Ketteier t a t mehr. Er wandte sich gegen den Reichskanzler selbst. Bismarck h a t t e in seinem Schreiben an Frankenberg vom 19. Juni 1871 erklärt, die Äußerungen Antonellis seien veranlaßt worden durch die amtliche Anfrage in Rom, ob dort die Haltung der Partei gebilligt werde, deren parlamentarischer Einfluß, welches auch die Absichten ihrer Führer sein möchten, tatsächlich in derselben Richtung ins Gewicht falle, „wie die parlamentarische Tätigkeit der Elemente, welche die von Sr. Heiligkeit dem Papste mit Sympathie begrüßte Herstellung des Deutschen Reiches prinzipiell anfechten und negieren". Die W u c h t dieses öffentlichen Angriffs wurde verstärkt durch jenen von oben eingegebenen äußerst scharfen und ») Mz.J. 1871 Nr. 123 (26. 5.), 125 (30. 5.): „Zeichen derZelt" (Berlin, im Mai).

Zentrum und Kurie. Ketteier gegen Bismarck

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spitzigen Leitaufsatz der „Kreuzzeitung". Hier wurde dem Zentrum vorgeworfen, mit der politischen Parteibildung auf konfessioneller Grundlage den fDr Deutschland gefährlichsten Gegensatz, katholisch und evangelisch, in den Vordergrund gestellt zu haben und den Kampf zwischen geistlicher und weltlicher Gewalt wieder wachzurufen; hier wurde der absolutistisch umgeformten katholischen Kirche ein für Deutschland geltender konservativer Beruf abgestritten und mit einem — im Hinblick auf die Kurie sowohl wie die maßvollen Katholiken höchst unglücklichen — Hinweis auf die vor 300 Jahren in Deutschland bewährte Überlegenheit des Deutschtums über das Römertum die Drohung ausgesprochen, daß die Reichsregierung einem auf bisherigem Wege beharrenden Ultramontanismus die Angriffe nicht mehr lediglich mit Verteidigung beantworten werde. So gewiß die Haltung vieler deutscher Klerikalen, vor allem die Sprache klerikaler Blätter des In- und Auslandes das Recht gab, von einer klerikalen „Aggression" zu sprechen; der Umschlag vorsichtiger Zurückhaltung in heftige Abweisung war zu plötzlich, als daß nicht die offiziellen und offiziösen Kundgebungen vom 19. Juni 1871 als Kriegsandrohung hätten aufgefaßt werden müssen. Ketteier arbeitete jetzt mit der lauten Entrüstung gegen Berlin und mit der stillen beschwörenden Mahnung in Rom. Er wies bei Veröffentlichung des Kardinalsbriefes den Vorwurf tatsächlicher Reichsfeindschaft „mit tiefster Entrüstung" zurück; er glaubte, seine Fraktion durch die allgemeine Berufung auf die Prinzipien der Wahrheit und Gerechtigkeit genügend decken zu können, obwohl er doch wußte, daß auf Windthorst wenigstens jene Anschuldigung zutraf. In einem vertraulichen Brief an Antonelli 1 ) aber mahnte er zum Argwohn gegen die Anschuldigungen der preußischen Diplomatie; er bezichtigte Bismarck kurzweg der „Lüge" zur Irreführung Roms, aber er setzte sich dem gleichen Vorwurf aus, indem er behauptete, alle Mitglieder der Zentrumsfraktion hätten ausnahmslos die Tatsache der Reichsgründung „vollkommen anerkannt und nach besten Kräften mitgewirkt, das Deutsche Reich, wie es jetzt ist, zu kräftigen und zu stärken". Der Brief gibt eine Vorstellung von Kettelers Stimmung. Aber er zeigt zugleich — und damit bestätigt er, soweit das überhaupt möglich ist, die Beteuerungen der öffentlichen Erklärung —, daß Ketteier die Zentrumspartei auch in Rom als reichstreu betrachtet wissen wollte, wie er selbst, getreu der Erkenntnis von x ) 1.7. 187!, erst von Pffllf 3 , 1 5 3 mitgeteilt.— Daß der geistliche Diplomat K. nach außen mit ganz denselben Mitteln arbeitete wie die weltliche Diplomatie, daß er auch, um in seiner Sprache zu reden, „eine Lüge" nicht scheute, zeigt sich wieder in seiner gewandten Darstellung dieser „Episode" in der Schrift „Die CentrumsFraction" S. 43ff., bes. S. 50 („Ich bin weit entfernt, hier eine absichtliche Unwahrheit vorauszusetzen"). — Vgl. auch oben S. 609 mit Anm. 2. — Zur Antonellisache noch Bismarcks Landtagsreden vom 2 3 . 3 . und 2 1 . 4 . 1887.

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1866, tatsachlich willens war, zum Reiche zu halten. Nur daß sein Urteil Ober die Regierung jetzt immer kritischer wurde. Er mochte sich damals schon besorgt fragen, ob diese Reichsregierung, die keine besondere verfassungsmäßige Bürgschaft für die Kirche gewähren wollte, nicht etwa gar den Gedanken hege, die preußische Regierung, das preußische Ministerium Bismarck zur Preisgabe der preußischen Kirchenparagraphen zu bestimmen. Jedenfalls dachte er sich als eine, ohne jede Rücksicht auf Regierungsmeinungen, für die Dauer bleibende Aufgabe des Reichstagszentrums, den Grundrechtsantrag immer wieder vorzubringen. Das war der besondere Sinn seines Wortes von dem Fortarbeiten an der Einigung Deutschlands, das ward unmittelbar ausgesprochen in einem auf die geistliche Umgebung des Bischofs weisenden Aufsatze des „Mainzer Journals" vom 11. und 14. Juli 18711), der in seiner Überschrift schon deutlich machte, daß „Der Krieg gegen die katholische Kirche in Deutschland" diesem Klerikalen als eröffnet galt und anderen gelten sollte; dabei wußte diese aufstachelnde Klage, die den Heldentod der katholischen Soldaten in Gegensatz zu stellen wagte zu der behaupteten „Beeinträchtigung ihrer heiligen Religion", doch nur von der Adreßdebatte und den Kirchenparagraphen zu reden und von der noch älteren Tatsache, „daß man in den annektierten Ländern überall die den Katholiken höchst lästigen und ungerechten Einrichtungen bestehen ließ, wie z. B. die konfessionslosen Schulen in Nassau". Schon aber wurden (gewiß nicht auf Antrieb des Bischofs) im „Mainzer Journal" auch Stimmen laut 1 ), die auf international-klerikale Zusammenhänge hindeuten und sich mit Frankreich nicht im deutschen, sondern im römischen Sinne beschäftigen; hier fehlt weder das Wort von der „Solidarität der Katholiken aller Länder", noch der deutliche Ausdruck der kirchlichen Hoffnung auf französischcRoyalisten und Legitimisten, des kirchlichen Bedauerns über Frankreichs gegenwärtige Regierung und gegenwärtige Lage. Zugleich wahrt das Blatt seine alte Verbindung mit dem innerdeutschen Widersacher des preußisch-deutschen Reiches, mit dem reichsverdrossenen Partikularismus, dem Ketteier persönlich niemals Neigung entgegengebracht hatte. „Aus dem Hannoverschen", also wohl aus dem Windthorstschen, durfte Mitte Juli 1871 ein erklärter Reichsfeind *) Mz. J. 1871 Nr. 160 und 163. Vermutlich von Haffner, der noch als Bischof in die 39. Generalvers. d.Kathol., Mainz 1892, hineinrief (Bericht S.176), die katholischen deutschen Kriegsteilnehmer hatten schon 1872 gewußt, „daß das Blut, das von ihnen vergossen worden, nunmehr ausgenutzt werden sollte zum Schaden der Religion". 2 ) Zum Folg.: Mz. J. 1871 Nr. 169 (21.7.) „Die römische Frage" (Zeichen P ) ; 174 (27.7) aber Thiers, 176 (29.7.) und 177 (31.7.) aber Dupanloups Kammerrede zur Unterstützung der Eingabe der französischen Bischöfe für den Papst; 208 (28. 8.) „Frankreich" (P). Vgl. oben S. 642 Anm. 1.

Kirchengedanken und Politik im „Mainzer Journal" (Sommer 1871)

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im „Mainzer Journal" einen Aufsatz „Zur Lage" schreiben. 1 ) Er möchte alle nationalpolitischen Erfolge getilgt wissen, weil sie dem Partikularismus das Konzept verdorben hatten. Mit diesem hartnäckigen Partikularismus verbinden sich Parteieifer und kirchliche Ideologie: Die „preußisch-deutsche Gruppe" der verhaßten Liberalen und der Sozialismus wollen die Herrschaft des Teiles Qber das Ganze, die „Partei des Christentums", vertreten durch das Zentrum, will „die Herrschaft des Christentums, göttlichen und menschlichen legitimen Rechtes zur Wahrheit machen"; dieses „Christentum", also der Katholizismus, ist aber „gleich verbindlich für Regierung wie Regierte", muß alle Gesetze durchdringen, und die politischen Vorkämpfer dieses Christentums sind es, die dem „Gewaltrecht" das historische und Vertragsrecht entgegenhalten und nur eine „Föderation aller deutschen Stämme" wollen. Derart sollte der klerikalpartikularistische Föderalismus kirchlich gerechtfertigt, ja alleinberechtigt erscheinen. Von den nationalen und internationalen Gefahren ist dabei weiter nicht die Rede. Vielmehr wird der Zentrumspartei auch eine europäische Aufgabe zugeschrieben: Deutschland (im klerikalen Sinne neugeboren) soll den festen Mittelpunkt bilden, „woran das dahinsiechende Europa sich staatlich und moralisch aufrichten kann", die Zentrumspartei „zugleich eine europäische Zentrumspartei" werden. Ein Zukunftsdeutschland also und ein Zukunftseuropa erscheinen hier, deren Dasein des lebendigen Reiches Untergang voraussetzt, aber durch Aufrichtung einer kirchlich gearteten Herrschaft Qber Deutschland-Österreich, Frankreich, Italien und in der Wiederherstellung des Kirchenstaates alle kirchlich Empfindenden Qberreich entschädigen sollte. Nicht mit derartig deutlicher Begehrlichkeit, aber fühlbar genug bestimmten die Gedanken der Papstmacht und der deutschen Kirchenmacht auch den kirchenpolitischen Inhalt der 21. Generalversammlung der deutschen Katholiken, die in Kettelers Bischofsstadt unter seiner Teilnahme im September 1871 abgehalten wurde. 1 ) Es war der Kriegsrat einer kampfbereiten Gemeinschaft. Moufang, der vor Jahren schon in geistlicher Kriegsstimmung einer solchen Versammlung zugerufen hatte, ein Bischof in Ketten sei sein Ideal, denn das fQhre jedesmal zum kirchlichen Sieg*), Moufang war der wirksame Vorbereiter und geistige Leiter dieses dritten Mainzer Katholikentages. *) Mz. J . 1871 Nr. 170(22.7.); 172 „Zur Lage". * Aus dem Hannoverschen 17.7. — Später wurde z. B. in den Christi.-soz. Blättern 1873 Nr. 1 (4.1.) S. 1—3 („Liberalismus und Internationale") für das erwartete Chaos hn Innern die gleiche Heilung angekündigt: aus den Trammern werde „ein Staat in verjüngtem Glänze sich erheben, die hl. katholische Kirche". ' ) Zum Folg.: Verhandl. d. 21.Generalvers. d . k a t h . Vereine Dtl. zu Mainz am 10., 11., 12., 13. u. 14. Sept. 1871. Mainz 1871. ' ) Verhandl. des 18. Generalvers. d. kath. Vereine Deutschlands u. Österreichs (Innsbruck 1867) S. 80.

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Moufangs Werbeaufsatz im Mainzer „ K a t h o l i k " 1 ) HeB die bevorstehende Generalversammlung als eine vom Augenblick geforderte große Kundgebung für den Papst und für die katholische Kirche Deutschlands erscheinen. Seine Begrüßungsrede aber spielte, und wahrlich nicht in Reichsbegeisterung, die Größe der deutschen Vergangenheit gegen „die Großtaten des gestrigen T a g e s " aus, forderte von der Versammlungeine Erklärung darüber, „wie wir in den Gefahren, die unserer heiligen Sache drohen, uns benehmen sollen", und offenbarte selbst schon den Sinn einer solchen Erklärung, indem er die Lage der deutschen Katholiken unerträglich nannte, weil die Lage des Papstes unerträglich sei, indem er die Ablehnung des Grundrechtsantrages durch die Reichstagsmehrheit als Rechtsverweigerung brandmarkte, indem er, die Abwehr in Angriffsstimmung führend, unter dem lauten Beifall seiner Hörer auch dem „Willen des allgewaltigen Mannes" die katholische Unnachgiebigkeit über „die Grenze des Gewissens" hinaus entgegenstellte und, unter stolzer Berufung auf die Überzeugungskraft „der 14 Millionen katholischen Deutschen" im „ n e u e n " Reiche, derb drohend ausrief, wenn man mit diesem, „nicht dem schlechtesten", Drittel anbinde, werde man sehen, „wie eher alles bricht als der katholische Glaube im deutschen Volk". Moufangs Programmrede in der ersten geschlossenen Versammlung hielt den Trägern der Kronen vor, vielfach zuerst die Wahrheit vergessen zu haben, daß die Obrigkeit Gottes Stellvertreterin sei; jeder Zweifel über den Sinn dieses Wortes war unmöglich, da Moufang unmittelbar vorher die katholische Kirche als „ d a s " Reich Gottes auf Erden bezeichnet hatte. Hier faßte er das wahre Völkerrecht als Papstrecht, pries die Päpste der Vergangenheit als oberste Richter und Friedensfürsten, und tadelte — unter stürmischem Beifall — die gegenwärtige Zeit dafür, daß sie kein Oberhaupt „ d e r " Kirche anerkennen wolle, „das mit dem Rechte ausgestattet ist, die Streitigkeiten zwischen den Völkern beizulegen und gar sie unfehlbar darüber zu belehren, was sie von Gottes wegen zu glauben h a b e n " ; hier wagte sich das unmißverständliche Wort hervor, es gebe „ m a n c h e " Throne, die keine andere Grundlage hätten als zerrissene Verträge. Wie in den einleitenden Reden, so wurde auf dieser Tagung alles, was gesagt und getan wurde, alles, was man in Gedanken und Worten ergriff, nicht zuletzt Kaiser und Reich, in den Schatten der Papstfrage gestellt. Daß eine „Erklärung über die römische F r a g e " beantragt wurde, ist begreiflich, j a selbstverständlich; nicht selbstverständlich aber, daß zugleich—freilich durch den Baron v . W a m b o l t , den heimlichen Vorkämpfer der „Genfer Correspondenz" — in deutlicher Abwehr gegen Bismarck nicht nur, sondern auch gegen die förmliche Haltung der Kurie selbst „die Aufklärung Roms über die Lage der einzelnen Länder" als Erfordernis des Gesamtinteresses der Kirche bezeichnet wurde. Alle kirchlichen Klagen dieser katholischen Versammlung hatten ihre politischen Spitzen, ihre politischen Absichten, die zuletzt freilich wieder auf die Unermeßlichkeit des Kirchlichen wiesen. Der Domkapitular Molitor aus Speier, der kirchliche, politische, poetische Freund des Mainzer Kreises, ließ in einer siegesbewußten Rede die Reichstagsmehrheit als den Friedensstörer erscheinen, der mit der B o m b e der römischen Frage unvorsichtiger Weise eine Kluft geöffnet habe, die nicht so leicht geschlossen werden könne, — und sprach doch in demselben Atem das W o r t : „Die römische Frage ist tatsächlich die Hauptfrage der Gegenwart". Der eigentliche und besondere Zweck aber gerade dieses Katholikentages vom September 1871 wurde ganz unbefangen bezeichnet durch den demagogischen Paul Majunke, den geistlichen „ R e d a k t e u r aus B e r l i n " . E r rief in die letzte öffentliche Versammlung hinein: „ W i r sind hierher gekommen als Richter, wir sind erschienen als Geschworene eines Volksgerichtes, um zu Gericht zu sitzen über die Bestrebungen, welche jetzt von oben herab gepflegt werden. Wir sind hierhergekommen als Landesverteidiger. Nachdem unsere Anverwandten draußen im Felde ihr B l u t vergossen haben gegenüber dem äußeren Feinde, sind wir hier erschienen, um uns zu verteidigen gegen 1 ) Dieser Aufsatz im Augusthefte des „ K a t h o l i k " 1871 II Moufang verfaßt.

ist offenbar von

Der Mainzer Katholikentag vom September 1871

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den inneren F e i n d . " Die Antwort aber auf die Frage „was haben wir zu tun den feindlichen Bestrebungen unserer Regierungen gegenüber" erwartet Majunke von den Bischöfen, den „geborenen Führern und Feldherren" der deutschen Katholiken; er plaudert aus, daß gerade über die Verhaltungsmaßregeln für die Gläubigen die Bischöfe auf ihrer nur um Tage zurückliegenden Zusammenkunft in Fulda sich besprochen hätten. Man erkennt den gewiegten Pressetaktiker: es war in der Form einer begeisterten Qehorsamserklärung eine öffentliche Mahnung an die Bischöfe, „Führer und Feldherren" zu sein. Die besondere Beziehung auf den anwesenden Mainzer Bischof fehlte nicht. Majunke meinte als Beweis dafür, daß die Gegner sich über die Macht des Episkopats nicht täuschten, j a sogar dessen „übernatürlichen Nimbus" empfänden, das Wort der Berliner „Börsenzeitung" anführen zu dürfen: „Der Bischof von Mainz hat eher zehn Rabbiner in der Tasche, als der Generalsuperintendent von Berlin einen halben." Neben dieser Berufung an die Bischöfe steht die Berufung an den S t a a t . Aber wie die Bischöfe nicht als Friedensmahner sondern als Kampfführer gedacht sind, so wird der S t a a t nicht umworben, sondern in gebieterischer Form auf seine Pflicht hingewiesen. Der vorwärtstreibende Kampfgeist der Versammlung verrät sich auch darin, daß ihr Präsident Baudri — einer der Veteranen des politischen Katholizismus, der Bruder des gleichfalls anwesenden Kölner Weihbischofs — seine Schlußrede dazu benutzte, unter ungerechtfertigter und aufhetzender Berufung auf ein angebliches „festes Versprechen" in der Thronrede von 1867, im Namen der Katholiken Preußens „an unseren König" die Forderung zu stellen, „einen Vater der Christenheit, unseren Vater, unser Eigentum, unser Interesse in R o m " zu schützen, und daß er seine anspruchsvollen Worte, deren taktische Nützlichkeit gerade in ihrer faktischen Aussichtslosigkeit lag, in die Erklärung ausmünden ließ: „ W i r erwarten T a t e n und auch j e t z t noch, wo dieser mächtige und siegreiche König von Preußen Kaiser von Deutschland geworden ist. E r ist u n s e r Kaiser, und wir werden ihm treu sein, wie der Katholik jederzeit seinem Fürsten treu sein muß; allein wir dürfen es erwarten und fordern, daß er auch treu zu uns Katholiken halte." Derartige Bekenntnisse kirchlich bedingter Treue, die herausfordernden Worte, die von dieser Versammlung in entgegenkommender Stimmung aufgenommen wurden und selbst in Tischreden noch leise widerhallten, mußten sie nicht den leidenschaftlich verschärften Widerspruch der ohnedies leidenschaftlichen Gegner wecken? Was wollte es nach diesem und alledem bedeuten, wenn beim Festmahle kein Geringerer als der Mainzer Bischof selbst den Trinkspruch auf den Kaiser und den Großherzog ausb r a c h t e ? Vielleicht meinte er, der Zeuge der eifervollen Klagen und Anklagen gegen die Regierenden, den bedenklichen Eindruck der verschiedenen politischen Hohnund Kampfworte abschwächen zu können. Jedenfalls, er bezeichnete den Trinkspruch auf den Kaiser auch als Forderung katholischer Grundsätze, er erklärte — es klang wie eine Zurechtweisung des Präsidenten — : „Wir sind treue Untertanen nicht j e nach dem uns eine Regierung gefällt oder nicht, nicht nach unserem Belieben, nicht nach unserer Wahl, sondern wegen Gott und Gottes Gebot." Gewiß konnte „Gottes G e b o t " auch wohl eine andere Haltung decken — „man muß Gott mehr gehorchen als den Menschen" war seit alters ein bischöflicher Lieblingsspruch — , aber Ketteier wiederholte doch jetzt sein Wort von 1862 „An Vaterlandsliebe wollen wir Katholiken wahrlich keinem nachstehen". Auch er freilich deutete auf die Kaiserpflicht zur Kirchenhilfe hin: von der Gewährung des in der kaiserlichen Kundgebung vom 18. J a n u a r versprochenen Rechtsschutzes hängt nach des Bischofs Meinung die Größe, die Macht des Reiches ab. Schon sieht er den alten bösen Feind wieder am Werke. „ E s gibt in Deutschland eine mächtige Partei, welche das deutsche Kaiserreich mißbrauchen will, um uns Katholiken rechtlos zu machen und unseren Glauben zu unterdrücken." Majunke hatte die Regierungen als den Feind hingestellt und von den Bischöfen die Führung im Kampfe gefordert; Ketteier dagegen lenkte den kirchlichen Kampfeifer auf den Liberalismus, der nun allein als der „innere F e i n d " erscheinen sollte. „Möge Gott dem Kaiser beistehen, daß er, wie er Frankreich besiegt hat, als es uns bedrohte, auch im Innern Deutschlands jene französischen

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Prinzipien und Grundsätze der Gottlosigkeit überwinde, welche Frankreich zugrunde gerichtet haben und welche auch in Deutschland, ins deutsche Volk und das deutsche Heer, jene Partei einbürgern will, die das Deutsche Reich zum Kampfe gegen die Kirche verleiten möchte." Wie sollten liberale „Grundsatze" im Deutschen Reiche anders überwunden werden als durch den politischen Kampf gegen ihre Träger? Aber war es klug von dem Bischöfe, jetzt, da dem politischen Katholizismus die Fehde von oben her angedroht war, da die Aufhebung der katholischen Abteilung des preußischen Kultusministeriums schon das tatsächliche Abrücken von der seit drei Jahrzehnten hergebrachten Berliner Kirchenpolitik eröffnet hatte, war es klug, jetzt die Regierung zum Kriege gegen den Liberalismus aufzurufen? Die Nationalliberalen jedenfalls konnten auch diese Kriegsansage beim katholischen Festmahl als Rechtfertigung des eigenen Kampfes gegen die Klerikalen aufgreifen. Sie durften das um so eher tun, als auch Kettelers sofort veröffentlichte Katholikentagsrede Ober „ L i b e r a l i s m u s , S o z i a l i s m u s u n d C h r i s t e n t u m " 1 ) von der gleichen Gesinnung und Stimmung eingegeben war. Ketteier kommt hier auf den alten Pfaden zu dem alten Verdammungsurteil: der jetzige Liberalismus, von dem „ehrlichen" 48er Liberalismus sehr verschieden*), ist mit den Geldmächten eng verbandet und erhebt den Anspruch auf Alleinherrschaft und Unfehlbarkeit; sein System aber läßt sich durch die drei Sätze bezeichnen: „Der Staat ohne Gott. Der Staat selbst Gott. Kampf gegen den wahren Gott durch den Staat." Dieses unechten Liberalismus echter Sohn ist der Sozialismus, „an sich eine der verderblichsten Verirrungen des menschlichen Geistes", aber „vollkommen berechtigt, wenn die Prinzipien des Liberalismus wahr sind". Der Sozialismus verwirft Religion, Ehe, Privateigentum. Aber damit zeigt er nur, daß er nicht auf halbem Wege stehen bleibt und die Folgerungen aus den liberalen Sätzen zieht. Darum ist eben der Liberalismus auch der wahrhaft Schuldige, und der Bischof packt ihn in dieser katholikentagsmäßig getönten Rede so derb an wie nur je. Er scheut auch hier nicht davor zurück, das, was für manche Liberale, f ü r manche liberale Blätter insbesondere, zutraf, auf den Liberalismus überhaupt anzuwenden, ihn als schlechthin religionsfeindlich und moralfrei erscheinen zu lassen. „Der Liberalismus lacht über die Ewigkeit, über den Trost der Religion. Materieller Genuß ist ihm einzige Bestimmung des Menschen. Darum reißt er alle Reichtümer der Welt an sich, um die Mittel zu gewinnen, den sinnlichen Genuß so weit zu treiben, wie immer möglich. Dabei findet er es aber ganz in der Ordnung, daß 90 Prozent der Menschheit, selbst von allem Genuß ausgeschlossen, nur dazu leben, um den 10 Prozent der Auserwählten diesen Genuß bis zur Übersättigung möglich zu machen." Diese mißverstandene Statistik war Ende Februar 1871 auch von Moufang in einer auf die damals bevorstehenden Reichstagswahlen berechneten Rede*) ganz in derselben demagogischen Weise ausgenutzt worden. Die Denkenden freilich, auch unter den Klerikalen, mochten wohl fragen, wo denn die Beamten und Kaufleute, die Lehrer und Geistlichen, wo sie alle, die den Hauptbestand der bischöflichen Gefolgschaft darstellten, wo denn schließlich der Bischof selbst und der joviale Domkapitular unterzubringen seien: unter dem zum übersättigten Genuß auserwählten Zehntel oder unter den „von allem Genuß" ausgeschlossenen neun Zehnteln der Menschheit? Zu ähnlich plumpen Mitteln der Polemik, die in einerMassenversammlung für den Augenblick allenfalls wirken konnten, griff Ketteier mehr als einmal auch in dieser durch den Druck für die Dauer bestimmten Rede. Es galt den guten Zweck. Den Kampf gegen den Liberalismus nennt er einen l

) Gedr.: Verhandl. S.72—87; Christl.-soz. Blätter 1871 Nr. 13 (1.10.) S. 173 178; als selbständige Schrift: Mainz 1871; wieder abgedr.: Mumbauer 3,242—261. •) Vgl. oben S. 642. — Zum Folg.: oben S.388f., 396, 447 ff., auch S. 540 f. *) „Die Mittel zur Besserung der sozialen Lage der Arbeiter. Vortrag, gehalten im großen Saale des Casino ,Zum Frankfurter H o f , 27. Febr. 1871." 15 S. (S. 2f.: „Nach den Mitteilungen des statistischen Büros in Berlin . . . 90% der Bevölkerung dem Arbeiterstande a n g e h ö r i g . . . 10% repräsentieren das Kapital"). Dazu oben S. 540f.

Kettelers „Liberalismus, Sozialismus und Christentum"

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Kampf „für alle Güter, die uns das Christentum gebracht hat, nicht nur fflr die ewigen, auch für die zeitlichen, bis herab zu dem christlichen Mutterherzen, das uns in der Jugend gehegt und gepflegt". Dieser Kampf gegen das neue Heidentum des Liberalismus ist heilige Pflicht. Er fordert, in der Frage der Mittel nüchtern nach dem Nächsten und Nötigsten blickend, von den Gläubigen, daß sie die Gegner, deren grofie Kraft in ihrer festen Organisation und ihrem Einfluß auf Presse und Wahlen bestehe, mit ähnlichen Waffen bekämpfen, daß sie die nötigen „gezogenen Geschütze" erst finden; eine einzige gute, von nachhaltiger innerer Kraft bewegte Organisation auf irgendeinem Gebiete des großen Kampffeldes scheint ihm mehr wert als tausend Reden. Er selbst wollte die eigene Rede gefaßt wissen als allgemeine Einleitung zu den „praktischen" Beschlüssen des Katholikentages; sie sollte also der Kampfbereitschaft dienen. Denn diese Beschlüsse, zumeist noch mehr Worte als Taten, entbehrten doch nicht der unmittelbaren kirchenpolitischen Bedeutung: die Adresse an den Papst, die Kundgebungen für den Bischof von Ermeland und die baierischen Bischöfe etwa, oder die Entschließung gegen das Staatsschulmonopol, das als ungerechte Beschränkung der Gewissensfreiheit von den Katholiken mit aller Entschiedenheit zu bekämpfen sei. 1 ) Auf dem sozialpolitischen Gebiete empfahl die Generalversammlung abermals dringend — hier war freilich mehr als Mahnung nötig, wollte man aus den bloßen guten Absichten herauskommen — die Bildung christlich-sozialer Vereine zur moralischen und ökonomischen Hebung des Arbeiterstandes; bemerkenswerter noch ist die Erklärung, daß es notwendig sei, „durch eine Enquetekommission unter Zuziehung von Arbeitgebern und Arbeitern die ökonomische und soziale Lage der Arbeiter zu prüfen, um aus dem gesammelten Material die Grundlagen und Bedingungen für die Legislatur eines Arbeitsrechts zu gewinnen". Hier hatte das geistliche Mainz noch soeben ein wenig vorgearbeitet. Ein Aufsatz im,, Journal"*) über „Die Katholiken und die soziale Frage", der die hergebrachte, hier übrigens maßvolle Polemik gegen den ökonomischen Liberalismus nicht vermissen ließ, war mit einer Empfehlung staatlicher Mindestsätze f ü r den Arbeitslohn, staatlicher Aufsicht zur Verhinderung der Arbeiterausbeutung hervorgetreten. Ein Erlaß des bischöflichen Ordinariatsa ber hatte eine Umfrage an die Pfarrer in Fabrikorten gebracht, über die Arbeits- und Lebensverhältnisse der katholischen Arbeiter der einzelnen Pfarrbezirke; dieser Erlaß war sogleich auch in den „Christlich-sozialen Blättern" abgedruckt worden*), kurz vor dem Beginn der Generalversammlung, die nun wiederum förmlich ihre Zustimmung zu der bisherigen Haltung der „Blätter" aussprach und so diese verdiente, aber nur mit einer kleinen Gemeinde dahinlebende Zeitschrift zu fördern suchte.

Es fehlte diesem Mainzer Katholikentag also nicht an sozialpolitischen Anregungen, wie es fich in der Bischofsstadt Kettelers gebührte. Aber auch sie standen nicht außer Zusammenhang mit dem Kirchenkampf. Als Ganzes und im einzelnen war dieie Versammlung doch bewußt in das Zeichen des Kirchenkampfes gestellt worden. Es sollte ein Kirchenkampf sein gegen alle nichtvatikanischen Katholiken, gegen die damals noch zukunftsgewissen Altkatholiken, die sich eben im September 1871 in München zu ihrem ersten Kongresse versammelten; ein Kampf gegen „protestantische ') Zu dieser von Wambolt eingebrachten Resolution (Verhandl. S. 320) vgl., was in der 2. öffentl. Versamml. der Münchner Pfarrer Huhn (als kirchenfester Bekämpfer Döllingers „mit stürmischem Beifall empfangen") sagte (S. 167ff.); u. a.: „solange die Regierungen in dieser Frage liberal bleiben, werden alle Katholiken die getreueste Opposition der verschiedenen Majestäten Regierungen bleiben". J ) Mz. J . 1871 Nr. 196 (23. 8.), 197. Zeichen: P. Vgl. oben S. 630 Anm. I. 3 ) Christi.-soz. Bl. 1871 Nr. 11 (1.9.) S. 153. Vgl. R. Meyer 1, 334. Vi g e n e r , Bischof Ketteier

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Intoleranz", gegen Freimaurerei — die katholischen Adligen pries man in Mainz, weil sie ihre Stellung als echte Malteser wiedergefunden hatten, „nicht wider den kranken Halbmond, sondern wider das gottlose Schurzfell" 1 ) —, gegen den Liberalismus Oberhaupt und die Nationalliberalen insbesondere, schließlich und nicht zuletzt gegen die deutschen Staatsgewalten, deren Kampfbereitschaft sich angekündigt hatte in dem Zwiste zwischen der Regierung und dem Episkopate Baierns, in den preußischen Auseinandersetzungen mit dem Bischof von Ermeland, in der Aufhebung der katholischen Abteilung des preußischen Kultusministeriums: ein Kampf, der hüben und drüben mit den Mitteln der lauten Propaganda und der heimlichen Diplomatie vorbereitet und geführt wurde. Es sind auch hier zwei Offensiven zusammengestoßen, oder vielmehr : der ewige grundsätzliche Widerstreit zwischen Staat und Kirche war wieder einmal unter dem Drucke der entgegengesetzten und einander kreuzenden kirchlichen und politischen Gedanken des geschichtlichen Augenblicks zum Kampfe der Menschen und Gemeinschaften der lebendigen Gegenwart geworden. Die meisten staatlichen Kampfmaßregeln liegen deutlich zutage, die kirchlichen, tief gegründet in überstaatlichen und auch widerstaatlichen Gedanken mit EwigkeitsansprQchen, bleiben mehr verborgen. Daher erklärt es sich, daß man oft allzu einseitig nur den Kampf der Staatsgewalten betrachtet hat. Aber die Kirche auch trug mit ihrer eigenen Angriffskraft die Angriffslust in sich. Als geistig-geistliche Gemeinschaft straff zusammengefaßt wie nie zuvor, war sie politisch durch die Zurückdrängung der alten katholischen Mächte und die Vernichtung des Kirchenstaats schwer getroffen. Ihre politischen Gedanken richteten sich jetzt mit bohrender Beharrlichkeit auf die Wiederherstellung ihrer unmittelbaren und mittelbaren staatlichen Machtmittel. Das neue Deutsche Reich wollte sie damals nur als willigen Helfer gelten lassen, sonst aber als Feind bekämpfen unter Ausnutzung ihrer Macht über die Geister, aller leidenschaftlichen und opferbereiten Gläubigkeit, aller gekränkten Kirchlichkeit. Wir deuten auf diese Grundstimmungen nur flüchtig hin. Auch die Kämpfe selbst können wir hier nur soweit betrachten, als. der Mainzer Bischof in sie eingegriffen hat •oder von ihnen unmittelbar berührt wurde.

Die zweite Reichstagssession*) führte noch nicht zu dem entscheidenden Bruche zwischen Regierung und Zentrum. Aber sie >) Verhandl. S.233f. (Potthoff, Hofprediger in Dresden; vgl. S. 230ff. aber „protestantische Intoleranz", besonders im Königreich Sachsen). ») Sten. Ber. I 2, Bd. 1 (16.10.—I. 12. 71) S. l l l f . : K.s Rede vom 2.11.; S. 479 bis 483 : 23. 11.

Die zweite Reichstagssession. Ketteier gegen Erweiterung der Reichsrechte

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brachte doch in den Kanzelparagraphen das erste, sei es auch maßvolle und gut zu begründende Reichskampfgesetz gegen kirchlichpolitische Propaganda, und diese letzten Reichstagswochen des Mainzer Bischofs, von Mitte Oktober bis zum 1. Dezember 1871, waren von Anbeginn schon umlagert von der schweren Luft des kommenden Kampfes. Zwei Tage vor der Reichstagseröffnung hatte der baierische Kultusminister Lutz, den Ketteier fortan scharf im Auge behielt, zur Sicherstellung der „gegenseitigen" Unabhängigkeit von Kirche und Staat eine „tiefgehende Revision" der Gesetzgebung angekündigt und den katholischen Gegnern der Unfehlbarkeit den Schutz des Staates wider den Mißbrauch geistlicher Gewalt verheißen. Die baierischen Klerikalen faßten die Ministerrede als Kriegserklärung. Dieser Konflikt in dem überwiegend katholischen zweitgrößten Bundesstaate mußte in ganz Deutschland, bei der Reichsregierung, die darauf vorbereitet war, im Reichstage, in Preußen die widerklerikale Bewegung antreiben. Für den Mainzer Bischof war die Ankündigung einer baierischen Kirchengesetzgebung schon darum ein besonders schwerer Schlag, weil sie den bereits jetzt nur noch taktisch wertvollen Gedanken einer erneuten Betreibung des Grundrechtsantrages im Reichstage vollends hinfällig machte. In der notgedrungenen Preisgabe dieses Gedankens lag indessen zugleich ein parteipolitischer Gewinn: das Zentrum konnte nun gegen jegliche Erweiterung der Zuständigkeit des Reiches auftreten, ohne sich von neuem dem Vorwurf auszusetzen, den eigenen Föderalismus um der Kirche willen zu durchbrechen. Ketteier, nunmehr mit Windthorst ausgesöhnt, stand fest in der Reihe der Zentrumskämpfer. Die Fraktion warf sich fast einmütig der liberalen Reichstagsmehrheit entgegen, als der Antrag Büsing die Einrichtung einer Volksvertretung in allen Einzelstaaten — also auch in Mecklenburg — zu einem Satze der Reichsverfassung erhoben wissen wollte. Nur Peter Reichensperger, in nachwirkender Erinnerung an seine liberale Zeit, sprach dafür. Unmittelbar vor ihm hatte Ketteier den Antrag bekämpft. Auch hier, wie bei den Frühjahrsdebatten, war auf der Gegenseite Treitschke aufgetreten; er forderte die Sicherung eines bescheidenen Mindestmaßes konstitutioneller Rechte, er sprach die schönen Worte: „ W i r werden die harten Lasten, die unsere Nation tragen soll, um ihrer Sicherheit willen, ihr auferlegen, ohne nach den Stimmungen der Masse zu fragen, aber dieselbe Unabhängigkeit der Stimme wollen wir auch zeigen nach oben." Kettelers Rede vom 2. November aber bestritt — seine Gründe brachte er auch in der Rechtfertigungsschrift von Anfang 18721) vor — die Zuständigkeit des Reiches. Da nun doch einmal die Reichskirchenparagraphen ausgeblieben waren, „Die Centrums-Fraction" S. 92 ff. — Zum Antrag Lasker: ebenda S. 97 ff. Reichsgericht, vgl. oben S. 389 u. 621). *2•

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fand auch er sich in die streng föderalistische Auffassung. Er beanspruchte übrigens, seine Haltung auch mit grundsatzlicher Ablehnung des (für Mecklenburg zu erwartenden) indirekten Wahlsystems rechtfertigen zu dürfen unter genußvoller Berufung auf Bismarcks kräftiges Wort über das preußische Wahlrecht. Er umkleidete dabei Opportunitätspolitik mit falschem Prinzipienglanze. Gewiß: auch vor dieser konstitutionellen Versammlung erneuert er offen sein altes grundsätzliches Bekenntnis zu der Idee der ständischen Vertretung. Aber er erklärte zugleich, „ d a ß allgemeine direkte Wahlen mehr Wahrheit haben als indirekte und durch einen Zensus beschränkte Wahlen", obwohl ihm doch jeder Kenner der Geschichte des Ministeriums Dalwigk hätte entgegenhalten können, d a ß niemand das indirekte Wahlsystem und sogar die Wahlvormundschaft der Regierung eifriger begönnert und begünstigt hatte als der hessische Klerikalismus und daß niemand besser als der Mainzer Bischof die Macht dieser mit solchen Mitteln arbeitenden Regierung zu nutzen gewußt hatte. Bei der Ablehnung des Antrags über die Erstreckung der Reichszuständigkeit auf das ganze bürgerliche Recht, auf Strafrecht und Gerichtsverfassung hielt sich dem Zentrum nur die äußerste Rechte zur Seite. Für das Zentrum sprachen August Reichensperger und Windthorst. Ein Reichsgericht hatte der Mainzer Bischof selbst gewünscht (freilich noch nicht in der Öffentlichkeit), er gab auch jetzt die Idee eines gemeinsamen deutschen Rechts, „welche f ü r jeden Deutschen etwas mächtig Anziehendes h a t " , nicht grundsätzlich preis, aber er schob ihre Verwirklichung jener Zukunft zu, wo „das Deutsche Reich sich nicht auf dem Sandboden des Liberalismus, sondern auf dem festen Boden des Christentums, der Geschichte und des geschichtlichen Rechtes f o r t b a u t " ; er war parteifest genug, den Antrag Lasker einen Versuch zu nennen, „das Gebiet des innern Staatsrechtes den Bundesstaaten zu entziehen und es der Reichsgewalt zu übertragen" und sogar das mehr parteitaktischen als staatsrechtlichen Erwägungen entspringende und entsprechende Wort Windthorsts ausdrücklich zu billigen, daß damit den einzelnen Staaten die Basis ihrer staatlichen Existenz entzogen sei. Wandte sich hier der von Parteitaktik noch stärker als von partikularistischen Überzeugungen eingegebene föderalistische Gedanke gegen den Ausbau des Reichsrechts, so ließen die letzten Reichstagskämpfe des Jahres 1871 wieder den kirchlichen Untergrund der Zentrumspartei hervortreten, waren selbst durchsetzt von kirchlichen Uberzeugungs- und Machtgegensätzen. Der baierische Antrag auf gesetzliche Bekämpfung des politischen Mißbrauchs der Kanzel wurde vom Bundesrat am 19. November 1871 angenommen. Im Reichstag wurde der Entwurf dieses Zusatzes zum Strafgesetzbuch am 23. November von dem baierischen Kultusminister und Bundesratsbevollmächtigten Lutz begründet. Die Empörung im Zentrum

K.s Reichstagskämpfe im Herbst 1871. Abweisung der „Genfer Correspondenz"

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war stark, stärker doch die zuversichtliche K a m p f s t i m m u n g . 1 ) Peter Reichensperger und Ketteier sprachen für ihre Partei, diesmal, in der kirchlichen Sache, einer Meinung, beide als scharfe Gegner jenes Kanzelparagraphen. Wieder sprach auf der anderen Seite auch Treitschke. Aber nicht mit ihm, vielmehr mit den Baiern, stieß der Bischof zusammen, mit Lutz und den vier baierischen Abgeordneten, die sich dem Minister zur Seite stellten. Persönlich am schärfsten war der Zusammenstoß mit dem liberalen katholischen Augsburger Bürgermeister Fischer, der die kirchenstrengen Abgeordneten aufs äußerste gereizt h a t t e mit den „exorbitanten B e h a u p t u n g e n " , d a ß die katholische Hierarchie auf den S t a n d p u n k t einer politisch-agitatorischen Partei herabgesunken sei und d a ß die politisch-revolutionäre ultramontane Partei nicht mehr auf dem Boden des Reiches stehe. Auch die innerkirchlichen Gegensätze, die vatikanischen Bischofskämpfe wurden neben dem deutschen klerikalen Kanzel- und Pressekampf von diesem und anderen angriffslustigen Liberalen in die Erörterung gezogen. Ketteier wehrte sich gegen den Augsburger in seiner Rede vom 23. November, in einer kurzen mündlichen und einer längeren gedruckten Erklärung, die er, wie es seiner immer wieder hervorbrechenden naiven Herrenart entsprach, ohne Befragung des Präsidenten im Reichstage verteilen ließ. Den Fallstricken liberaler Gegner wußte er sich geschickt zu entziehen; über den grobschlächtigen bajuwarisch-klerikalen „Volksboten", der die Abschüttelung des „ordinären" Blattes und seiner „obskuren Skrib e n t e n " durch den bischöflichen Reichstagsabgeordneten mit heftigen Angriffen auf den preußischen „ J u n k e r " beantwortete, d u r f t e er hinwegsehen: sehr viel unbequemer aber, ja gefährlich war mit ihren deutschen Edelmännern und römischen Hintermännern die reichsfeindliche „Genfer Correspondenz", die am 22. September 1871 davon zu plaudern wußte, Bismarck habe in einer Unterredung mit „einem deutschen Bischof" ein „ Ü b e r m a ß von Zynismus" gezeigt. Ketteier hat diese Erzählung, die nur auf ihn bezogen werden konnte und sofort auf ihn bezogen wurde, in einer öffentlichen Erklärung vom 26. Oktober 1871 Lügen gestraft; er bemerkte, nach seiner Meinung seien Geist und Ton des Blattes der großen Sache nicht angemessen, der es dienen wolle. Diese Abfertigung entsprang seiner ehrlichen Überzeugung. Das beweist seine vertrauliche Antwort an die ihm befreundeten fünf deutschen Adeligen, die sich als „Mitbegründer und V e r t r e t e r " der „Correspondenz" über seine Vorwürfe beschwerten. 1 ) Zwei Sätze aus seiner scharfen A n t w o r t verdienen als neues Zeugnis seines trotz allem und allem selbständig beharrenden Bischofsgeistes hervorgehoben zu werden: Er mißbilligt „eine gewisse ') Tagebuch A. Reichenspergers 26.11.71: Pastor 2, 50. ) Einige Worte aus dem Briefe an K-, große Teile des Briefes K.s vom 6.12. 71: Pfölf 3, 138f. u. 162. a

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Großtuerei und Prahlerei mit der Gewalt des Papstes, als ob er in der Lage wflre, mit einem Worte alle seine Gegner niederzuwerfen und die ganze Welt gegen sie a u f z u b i e t e n . . . . Dieses Prahlen mit der Macht des Papstes ist, glaube ich, von dem unerschQtterlichen Vertrauen auf die Hilfe Gottes wesentlich verschieden und wohl geeignet, statt unsern Gegnern zu imponieren, uns vor ihnen lacherlich zu machen". Bestimmend fQr seine, wie er meint, höchstens zu milde Erklärung aber waren deutsch-kirchenpolitische Erwägungen, die er gleichfalls in dem Briefe ausspricht: „Die ,G. C.' hat wesentlich zu der in allen maßgebenden Kreisen weit verbreiteten, die Kirche in Deutschland tief beschädigenden Ansicht Veranlassung gegeben, daß es eine katholische Koalition unter römischer Leitung gebe, welche die feindseligsten Ansichten und Absichten gegen das Deutsche Reich hegt und gegen welche das Deutsche Reich sich wie gegen einen Feind wehren muß." Man braucht nur die vom altkatholischen „Rheinischen Merkur" aufgegriffenen und dadurch allgemein bekannt gewordenen Aufsätze der „Correspondenz" zu lesen 1 ), um dieses Urteil des Bischofs und mehr noch das Urteil seiner Gegner über die Wünsche und Absichten der Klerikalen zu verstehen. Man begreift es auch, daß Ketteier, nachdem er so in den Verdacht der Lüge und der Schmähungen gegen Bismarck gekommen war, es als ein Opfer für die Sache seiner Kirche betrachtete, wenn er Mitte November 1871 nochmals eine Unterredung mit dem Reichskanzler erbat. Bismarck war viel zu ritterlich, als daß er dem Bischof eine peinliche Stunde bereitet hätte. Seine Überlegenheit auch im Geplänkel des Augenblicks hat er freilich den Bischof einmal mit heiterer Miene ernstlich fühlen lassen. Als Ketteier geistlich-selbstgewisse Bemerkungen über die besseren katholischen Bürgschaften für die ewige Seligkeit mit der Frage schloß: „Glauben Sie etwa, daß ein Katholik nicht selig werden könne?", da antwortete Bismarck: „Ein katholischer Laie unbedenklich; ob ein Geistlicher, ist mir zweifelhaft; in ihm steckt ,die Sünde wider den heiligen Geist', und der Wortlaut der Schrift steht ihm entgegen."*) Der Inhalt der zweistündigen ') Vgl. z. B. oben S. 629. — Fürst Karl zu Löwenstein sandte 15.1.71 ein vertrauliches Rundschreiben an katholische Zeitungen (abgedr.: Rhein. Merkur 2. Jg. Nr. 5,29.1.71, S. 47). Er empfiehlt eifrige Benutzung der „Genfer Correspondenz", namentlich Ihrer römischen Berichte. „Dieses Unternehmen ist vom hl. Vater gutgeheißen und gesegnet worden. Um stets die neuesten und ganz verbürgten Nachrichten aus Rom bringen zu können, steht das Genfer Bureau in ununterbrochenem Verkehr mit den höchsten und einflußreichsten Personen in Rom. Die ,G. C.' Ist daher auch ganz genau aber die Wünsche und Anschauungen der römischen Kurie unterrichtet, so daß auch die Leitartikel und „Betrachtungen" von besonderem Interesse sind, zumal in einer Zeit, in welcher der römische Stuhl vielfach verhindert ist, auf dem gewöhnlichen Wege mit der katholischen Welt zu verkehren." *) Bismarck, Gedanken u. Erinnerungen 2,125 f. (24. Kapitel). — Es mag hier erwähnt sein, daß schon Bunsen, Zeichen der Zeit 1, 54 dem Bischof vorhält, daß

Ketteier bei Bismarck, 16. Nov. 1871

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Besprechungen beider vom 16. November 18711) war kirchenpolitisch und rein politisch bedeutungsvoll. Hier hat Ketteler zum letzten Male unmittelbar beim Reichskanzler versucht, die Regierung von den Nationalliberalen zu trennen. Diese waren nicht ganz ohne Besorgnis.*) Aber da Ketteler dem Reichskanzler keine politischen Bürgschaften zu bieten hatte, weder nach innen noch nach außen, so mußte seine Erklärung, daß Bismarck Deutschland schwer schädigen werde, wenn er es durch eine neue Gesetzgebung Qber Staat, Kirche und Schule dem Liberalismus und dem Freimaurertum überliefere, mußte diese religionspolitische Mahnung mit reichspolitischen Nebengedanken vergeblich bleiben. Bismarck aber ließ im Gespräche mit dem Bischöfe seine wunderbare Kunst berechneter Offenherzigkeit in voller Kraft spielen: von Rom aus werde wie von einem Mittelpunkte der Kampf gegen das Deutsche Reich geleitet, der durch den Polonismus bedrohte deutsche Osten sei der erste Angriffspunkt, in den konfessionellen Wahlen, in der Haltung des Zentrums, in der Sprache der katholischen Presse erkenne er die Anzeichen einer katholischen Koalition in den verschiedenen Ländern (wobei er besonders an die Klerikalen Österreichs und Frankreichs denken mußte); seine wichtigste Aufgabe sei es, schon von ferne her die Gefahren ins Auge zu fassen, die seine Schöpfung bedrohten, und sie mit allen ihm zu Gei>ote stehenden Mitteln niederzuwerfen. Ketteler nannte diese Anschauung drei Jahre später — als die internationalen Zusammenhänge doch deutlich genug hervorgetreten waren — einen Wahn, ja einen Vorwand und reine Erfindung; im Winter 1871 dagegen (obwohl sich damals die außenpolitischen Gründe der Haltung Bismarcks noch nicht so leicht erkennen ließen) hatte er, wie sein Brief an die deutschen Mitleiter der „Genfer Correspondenz" zeigt, mehr Sinn für die Ernsthaftigkeit der Vorstellungen und Befürchtungen Bismarcks. In der Unterredung sein Bonifatiuswort über Deutschland (vgl. oben S. 269) an die Worte von der Sünde gegen den hl. Geist mahne. ') K s Aufzeichnung: Pfalf 3 , 1 6 2 f . ; A. Reichenspergers Tagebuch 1 9 . 1 1 . 7 1 : Pastor 2, 49 u. 50. Dazu K.s (wie die grobe Tendenz zeigt, für die Öffentlichkeit bestimmten, aber erst von Pfülf 163ff. z.T. gedruckten) Bemerkungen vom Dez. 1874. Bei dem Kaiser konnte Ketteler 19.11.71 zwar aber Vaticanum und Syllabus sprechen, aber politisch nichts erreichen; der Kaiser war davon durchdrungen, daß die Klerikalen mit dem Angriff begonnen hätten, und zwar schon bei der Reichstagsadresse. Über diese Audienz: Pfülf 3, 158 und 159/160 (mit berechtigter „großer Zurückhaltung" gegenüber Nippolds einseitiger und wenig körperhafter Erzählung: Dt.-ev. Blätter 3 (1878) S. 414 = Nippold, Kl. Schriften 2, 436 f.); Pastor, Reichensperger 2, 49f. ') 21. 11. 71 Bennigsen an seine Gattin (Oncken 2, 235): „Zum Glück ist Bismarck gegen alle Versuchungen und Einflüsterungen des Bischofs Ketteler u. a. unerschüttert geblieben und wird den Kampf gegen Rom und die deutschen Römlinge mit der ihm innewohnenden Energie aufnehmen." — Für K- hatte Bennigsen „etwas Geheimnisvolles an sich" (K-, Centrums-Fraction S. 23; die ganze Stelle auch bei Oncken 2, 252).

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des Priesters mit d e m S t a a t s m a n n e n a h m e n die K i r c h e n f r a g e n einen breiten R a u m ein, aber ihre religiöse, Oberhaupt ihre kirchliche Seite blieb doch nebensächlich: sah Ketteier den W e r t d e r katholischen Abteilung in der B e r a t u n g leitender Stellen d u r c h sichere katholische Männer, so ließ Bismarck das gelten, rechtfertigte a b e r die A u f h e b u n g eben als politisches A b w e h r m i t t e l gegen politische, polnisch-politische A u s n u t z u n g des kirchlichen V e r t r a u e n s m a n n e s im preußischen Kultusm i n i s t e r i u m ; selbst die Besprechung der v a t i k a n i s c h e n Dogmen und der Meinung über ihre Staatsgefährlichkeit f a n d , wie auch die Beh a n d l u n g der B r a u n s b e r g e r Frage, ihre Schwierigkeit nicht in d e m Kirchlichen an sich, sondern in den politischen W i r k u n g e n und in den Möglichkeiten politischer V e r w e r t u n g des Kirchlichen. Ketteier selbst h a t noch im Dezember 1874 a n e r k a n n t , d a ß Bismarck nach außen auf Italien — zur D e c k u n g gegen Österreich u n d Frankreich —, nach innen auf die Nationalliberalen — n a m e n t l i c h i m Hinblick auf S ü d d e u t s c h l a n d und auch auf die Heeresanliegen — R ü c k s i c h t n e h m e n müsse. Aber gerade weil nicht kirchliche Vorurteile noch kirchenpolitische Gereiztheit, sondern hochpolitische E r w ä g u n g e n auch d e m Bischof als b e s t i m m e n d f ü r Bismarcks H a l t u n g erschienen, gerade d a r u m m u ß t e er alle H o f f n u n g e n preisgeben, die ihn zu seinen schriftlichen und mündlichen Vorstellungen bei Bismarck angetrieben h a t t e n . Nicht erst d u r c h die ihm gewiß höchst widerwärtigen Reichstagsv e r h a n d l u n g e n über den K a n z e l p a r a g r a p h e n , ü b e r h a u p t nicht durch p a r l a m e n t a r i s c h e E i n d r ü c k e , sondern durch die E r f a h r u n g e n mit der stärkeren ü b e r p a r l a m e n t a r i s c h e n Macht ist seine Reichstagsmüdigkeit, die selbst ein wenig Reichsmüdigkeit in sich t r u g , geschaffen worden. Er h a ß t e den Liberalismus. Er sah j e t z t in der s t a r k e n nationalliberalen Partei den geistigen und politischen Todfeind der kirchlichen Geistes- und S t a a t s p o l i t i k ; aber d u r c h die bescheidenen liberalen Reichstagserfolge des J a h r e s 1871 h ä t t e er sich niemals seine E r w a r t u n g e n n e h m e n und von seinen diplomatischen Versuchen a b d r ä n g e n lassen. Seine letzte U n t e r r e d u n g mit Bismarck vielmehr ist die G e b u r t s s t u n d e seines Entschlusses, den parlamentarischen Kirchenkampf a u f z u g e b e n , u m den bischöflichen Kirchenkampf desto freier und kräftiger f ü h r e n zu k ö n n e n . In den Z e n t r u m s g e d a n k e n der S a m m l u n g der P a r t i k u l a r i s t e n h a t t e er sich j e t z t g u t h i n e i n g e f u n d e n ; sein M a n d a t überließ er einem badischen P r o t e s t a n t e n partikularistischer Gesinnung. Sein u m f a s s e n d e r R e c h e n s c h a f t s b e r i c h t über seine Reichstagstätigkeit aber w a r d z u m R e c h t f e r t i g u n g s b e r i c h t über die H a l t u n g der Z e n t r u m s f r a k t i o n , zur Anklageschrift zugleich gegen die Sünden des Liberalismus u n d schon auch der R e g i e r u n g : seine Darstellung der D i ä t e n f r a g e 1 ) wirkt ganz wie eine gern g e f ü h r t e Fehde gegen Bismarck. ') K., Die Centrums-Fraction S. 83 ff. — Vgl. oben S. 043 mit Anm. 2.

Ketteier und die Anfänge des preußischen Kulturkampfes

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Immerhin hielt sich Ketteier damals, im F r ü h j a h r 1872, noch zurück. Es war wesentlich ein preußischer K a m p f . Noch d u r f t e der Mainzer Bischof seiner eigenen Regierung kirchliches Vertrauen entgegenbringen. Selbst in Preußen waren die Gegensätze, seitdem im J a n u a r 1872 Adalbert Falk den konservativen Kultusminister v. Mühler ersetzt hatte, zwar sogleich schärfer, aber noch nicht unversöhnlich geworden. Das Schulaufsichtsgesetz konnte auch f ü r die katholische Kirche keineswegs als unerträglich gelten. Die preußischen Bischöfe stellten d a r u m dem staatlichen Anspruch auf das alleinige Aufsichtsrecht zwar „das unveräußerliche heilige Recht der Kirche auf die Volksschule" entgegen, aber sie w u ß t e n , d a ß das Gesetz nicht das Ende des kirchlichen Einflusses in der Schule bedeute, und suchten d a r u m den Frieden zu wahren. Politisch brachten die Landtagsverhandlungen über das Schulgesetz den Klerikalen sogar einen kleinen Gewinn: es vollzog sich der Bruch zwischen Bismarck und der äußersten Rechten. Im April 1872, als die preußischen Bischöfe in Fulda über die preußische Schulfrage ihre Eingabe an das Ministerium und ihr Rundschreiben an den Klerus aufsetzten, s t a n d Ketteier noch abseits. Er meinte damals geradezu, f ü r eine gesamtdeutsche Bischofstagung sei die Zeit noch nicht gekommen. 1 ) Wenige Monate später aber ist diese Tagung abgehalten worden, und niemand h a t ihr eifriger vorgearbeitet als eben Ketteier. Was den Wechsel in seiner H a l t u n g bestimmte, kann nicht zweifelhaft sein. Der J u n i 1872 brachte die A n n a h m e des Jesuitengesetzes: die V e r b a n n u n g des Ordens, dem Ketteier als bischöflicher Erzieher und Seelsorger sich tief verpflichtet fühlte. Kein preußisches, sondern ein Reichsgesetz! Außerhalb Preußens und Baierns aber gab es nur in Hessen, im bischöflichen Mainz eine Jesuitenniederlassung. Das Gesetz, das Kettelers kirchliches Empfinden ü b e r h a u p t weit mehr reizen m u ß t e als ein halbes J a h r zuvor der Kanzelparagraph, traf ihn also zugleich ganz u n m i t t e l b a r in seiner Diözese. Fortan w i r k t e Ketteier als einer der Führer des deutschen und insbesondere des preußischen Episkopates. Ein Führer freilich, dem die rechte amtliche Stellung mangelte. Es mußte in diesen Kulturkampftagen als ein schwerer Nachteil f ü r den deutschen Katholizismus erscheinen, daß nicht Ketteier sondern sein zum Leiten und Organisieren weniger befähigter Freund Melchers das Erzbistum Köln erhalten h a t t e . Ein Geissei fehlte: das haben damals kampfgeübte katholische Kirchenmänner empfunden 2 ), wie es heute der rückschauende Geschichtschreiber erkennen muß. Ketteier h a t t e nicht Geisseis ') Vgl. die Briefe des Freiburger Geistl. Rats Strehle (der unter Vicari erzfc. Geheimsekretär war und von K. persönlich geschätzt wurde) an K.s Sekretär Raich 23. 3 und 18. 4. 72: Pfülf 3, 174 ff. — Dazu schon Majunkes Mahnung auf dem Katholikentag v. Sept. 1871: oben S. 654 f. ') Strehle 1 8 . 4 . 7 2 (s. d. vorige Anm.): Mir scheint es, daß ein Erzbischof v. Geissei fehlt.

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Natur und Wirkungsart: nicht die verschlagene Diplomatenkunst, nicht die Gaben des stillen, unauffälligen, möglichst nur im Verborgenen rücksichtslos zwingenden Führens, nicht auch jene im Theologischen, im Kirchlichen rein römisch bestimmte Geist^richtung. die eine der festesten Voraussetzungen der nie gestörten engen Verbindung zwischen Geissei und der Kurie gebildet hatte. Der Mainzer Bischof hielt Rom die Treue, aber alle seine großen kirchlichen Verdienste reichten nicht aus, ihm, dem bischöflichen Kämpfer gegen päpstlichen Absolutismus, jemals das unbedingte Vertrauen der römischen Kirchenleitung zu verschaffen, wie er auch selbst, bei aller Ehrerbietung, in Pius IX. nicht das Ideal eines Papstes zu sehen vermochte. 1 ) Ketteier hätte also einen Geissei gewiß nicht geradezu ersetzen können. Immer aber war er doch der deutsche Bischof, der am ehesten f ü r den Platz des preußischen Erzbischofs berufen gewesen wäre. Nun mußte er sich bemühen, durch seine persönliche Geltung zu ersetzen, was ihm an amtlicher fehlte. Mit seiner energisch zugreifenden Art, mit seiner Befähigung, die Massen zu packen, die Gläubigen durch Wort und Schrift voll wirkungsstarker Deutlichkeit auf die nächsten Ziele hinzuweisen, überhaupt mit allen seinen bischöflichen Gaben konnte er auch wuchern, ohne das Pallium zu tragen. Übrigens erschien die ehrwürdige Geschichte des kirchlichen Mainz, die man vom Bischofshause aus gern als kirchlichen Rechtstitel wirken ließ*), auch anderen wie eine sachliche Ergänzung der persönlichen Berufung dieses Mainzer Bischofs zur Führerschaft im Kirchenkampfe. In Mainz wußte man es wohl zu würdigen, wenn in Freiburg ehemalige Mitarbeiter Vicaris*), die den wieder und wieder, insbesondere sogleich nach Vicaris Tode kirchlich aufgegriffenen Gedanken der Berufung Kettelers auf den Metropolitensitz der Oberrheinischen Kirchenprovinz nun endgültig hatten preisgeben müssen, Kettelers mangelnde hierarchische Berechtigung durch seine persönlichen Eigenschaften und seine Stellung als Nachfolger des hl. Bonifatius ausgeglichen fanden, daß sie ihn für befähigt und verpflichtet hielten, die Führung zu übernehmen, zu der Melchers nur dem Amte nach besser berufen war. Es geschah offenbar nicht ohne Einwirkung dieser Freiburger Anregungen, wenn Ketteier ') Neben seinen Äußerungen während der Konzilsmonate vgl. an phillips 18.7.71 (Br. 446): „Ich habe aller Hoffnung entsagt, daß Gott der so hilfsbedürftigen Welt durch einen christlichen Fürsten helfen werde. Dagegen liegt es mir immer in dem Sinne, daß eine Zeit kommen müsse, wo Gott der Welt einen Papst schickt, der es versteht, alle göttlichen Kräfte in der Kirche anzuregen." *) Moufang z. B. rief auf dem (Mainzer) Katholikentag von 1871 aus (10.9.; Verhandl. S. 16 f.): „Der erste Stuhl nach dem von dem hl. Petrus zu Rom gegründeten war der hl. Stuhl von Mainz. (Bravol) Das sind freilich längst vergangene Dinge, denn, m. H., wie Sie wissen, ist Mainz aus einem Primatialsitz ein Suffraganbistum geworden." ») So Strehle 23. 3. 72 (s. S. 665 Anm. 1).

Kettelers Anteil an der deutschen Bischofsversammlung zu Fulda, Sept. 1872

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für die deutsche Bischofsversammlung vom September 18721) den Entwurf eines Hirtenbriefes an die deutschen Katholiken durch seinen Generalvikar aufsetzen ließ. Aber er drang in Fulda mit dem Vorschlag einer solchen Kundgebung nicht durch. Überhaupt zeigten sich die Meinungsunterschiede viel zu stark, als daß der Mainzer wie von selbst die tatsachliche Führung hätte gewinnen können. Die zu Anfang Oktober 1872 veröffentlichte Denkschrift Ober die Lage der Kirche immerhin geht auf einen Mainzer Entwurf zurück, wenn sie auch erst durch einen Ausschuß von fQnf Bischöfen die endgültige Gestalt empfing. Daß man hier die kirchlichen Bestimmungen der preußischen Verfassung als vorbildlich hinstellte und darüber hinaus den allgemeinen Anspruch der katholischen Kirche, „in der ganzen Integrität ihrer Verfassung und ihres Wesens zu bestehen" als rechtlich und geschichtlich begründet voraussetzte, daß eben von diesem Grundgedanken die Verteidigung der Zentrumspartei und die Abwehr des Jesuitengesetzes unternommen, daß der Vorwurf der Vaterlandsfeindlichkeit und Staatsgefährlichkeit der katholischen Kirche abgewiesen wurde*) — das alles jedenfalls geschah in Kettelers Sinn. Das an bischöfliche Denkschriften aus seinen Mainzer Anfängen gemahnende Schlußwort, daß allein die kirchlichen Grundsätze für die Bischöfe bestimmend sein würden, verrät die Kampfbereitschaft der (trotz dem Zusammenstoße des Bischofs von Ermeland mit dem Staate) noch unangefochtenen Bischofsgemeinschaft. Diese Haltung des deutschen Episkopats entsprach den Wünschen der Kurie, die schon öffentlich ihre Absage an Bismarck und das Deutsche Reich gegeben hatte: durch Belobigung der „Genfer Correspondenz"*), noch schärfer, am 24. Juni 1872, in dem berüchtigten, auch mit nachträglicher Umdeutung nicht mehr gutzumachenden Worte von dem Steinchen, das den Fuß des Kolosses zertrümmern könne. Die erste Kulturkampftagung des deutschen Episkopates ist die letzte geblieben. Da es, von vereinzelten Gesetzesvorschriften abgesehen, keine förmlich gesamtdeutsche Kirchenpolitik gab, sondern nur eine einzelstaatliche, so konnten die Bischöfe nicht als deutsche Bischofsgemeinschaft den Kampf führen. 4 ) Die preußische Gesetz') Vgl. Pfülf 3 , 1 7 8 ff. — „Denkschrift der am Grabe des heiligen Bonifazius versammelten Erzbischöfe und Bischöfe über die gegenwärtige Lage der katholischen Kirche im Deutschen Reiche." Paderborn 1872. 31 S. (Unterschriften Fulda 20. 9., dazu 2 Nachträge.) Bis auf die Unterschriften vollständig auch bei Siegfried, Aktenstacke S. 133—150. — In s. Erklärung v. 21. Okt. 1872 (Br. 459 ff.), die aber das Vaticanum falsche Angaben macht, hat K- (S. 460) die Erzählung der „Provinzial-Correspondenz", daß er die Denkschrift „verfaßt haben soll", nicht zurückgewiesen. *) Vgl. dazu oben S. 651 und 655. ») Vgl. dazu oben S. 662 mit Anm. 1. *) Nur Jan.-Febr. 1875 erließen sie insgesamt eine Erklärung (gedr. z. B. Siegfried S. 264 ff.) gegen die kurz zuvor veröffentlichte Papstwahldepesche Bismarcks v. 14. 5. 72.

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gebung brachte die schärfsten Eingriffe in die bisherige Ordnung des Verhältnisses von S t a a t und Kirche, in Preußen k a m es am schnellsten zu schweren Störungen der kirchlichen Verwaltung und Seelsorge. Die künftigen Versammlungen am Grabe des Bonifatius sollten lediglich preußische Bischöfe vereinigen. Mußte d a s die Trennung Kfcttelers von den preußischen Amtsbrüdern, mußte das ihren Verzicht auf seine willkommene Teilnahme b e d e u t e n ? Der hessische Landesbischof zählte in seiner Diözese drei Dörfer, die im J a h r e 1866 preußisch geworden waren. Er h a t t e sich d a r u m doch niemals bisher als preußischer Bischof gefühlt. J e t z t aber, in dem ersten G r o ß k a m p f j a h r e 1873, wurden die bescheidenen drei Pfarreien z u r erwünschten Rechtfertigung der Einstellung dieses bischöflichen Kämpfers in die preußische Schlachtreihe. „ F ü r den preußischen Anteil seiner Diözese" — eben f ü r jene drei Dörfer — unterzeichnete er das Fuldaer Sendschreiben vom 2. Mai 1873. Die Formel kehrt im Hirtenbriefe vom Februar 1874 wieder. Mit dem J a h r e 1875 aber verschwindet sie: Ketteier steht ohne Einschränkung in der Reihe der preußischen Bischöfe. Seine sachliche Teilnahme war ohnedies von Anfang an so stark wie es bei seiner zum Kämpfen und zum Führen gleich bereiten Natur sein mußte. Mit der literarischen Polemik war er schon im Sommer 1872 hervorgetreten. Man wird in ihr die alte Leidenschaftlichkeit und die alte Neigung zu übertreibenden Verallgemeinerungen erkennen. Aber es war schließlich nur die Einsicht, d a ß ein schwerer Kampf von unberechenbaren Wirkungsmöglichkeiten eröffnet worden sei, die ihn zur volkstümlichen Schriftstellerei zurückführte. Sein Büchlein über das Jesuitengesetz eröffnet im Juli 1872 die stattliche Reihe seiner Kulturkampfschriften 1 ), die er durch Predigten und Hirtenbriefe von k a u m strengerer Form, aber stärkerem kirchlichem Gewichte zu stützen und geistlich zu ergänzen wußte. Der erste große Mainzer Mahnruf an die Katholiken ging übrigens nicht vom Bischof aus. Auch ist die katholische Vereinigung, die, Anfang Juli 1872 bereits, von Mainz aus verkündete, der Kampf der Gegenwart sei gegen die Existenz der katholischen Kirche in Deutschland überhaupt gerichtet, nicht unmittelbar eine Schöpfung Kettelers. Er enthielt sich vielmehr mit kluger Absicht der offenen Teilnahme an der Begründung dieses auch f ü r politische Aufgaben, für parteipolitische Arbeit bestimmten „Vereins der deutschen Katholiken"; er weilte an irgendeinem Orte auf seiner gewohnten Visitationsreise, als in Mainz a m 8. Juli 1872 der Vorstand des neuen Vereins jenen Aufruf an „ d i e " Katholiken Deutschlands 2 ) erließ, der jetzt schon, >) Von 1872 bis 1877 allein 10 selbständige Schriften. 2 ) Gedr. z. B.: Siegfried S. 151 Nr. 79; Auszug, nebst Auszug aus den Satzungen: Europ. Geschichtskalender 1872 S. 165 f. — „Emmerich Gladbach" veröffentlichte im März 1874 die Kampfschrift „Zweck, Mittel und Erfolge des Mainzer Katholiken-

K- als „preußischer" Bischof.

Der Mainzer „Verein d. dt. Katholiken"

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da allerdings „die segensreich wirkende Gesellschaft J e s u " v e r b a n n t ward, aber noch niemand etwas von Maigesetzen ahnte, von dem kirchlichen Existenzkampfe sprach und mit d e n ' a l l g e m e i n e n , im Streite des Tages so oder so auszudeutenden und anzuwendenden Sätzen schloß: „Die heiligsten Güter sind in Gefahr. Erheben wir uns als treue Söhne der Kirche und des Vaterlandes. Kämpfen wir unermüdlich, unerschrocken für Recht und Wahrheit. Recht muß Recht bleiben, und der endliche Sieg ist der W a h r h e i t . " Der damals aus 21 Männern, darunter 10 Adligen, bestehende Vorstand des Vereins genoß ziemlich viel Bewegungsfreiheit, doch sollten jährliche Generalversammlungen die Teilnahme der Mitglieder lebendig halten, Wanderversammlungen die Massen der Gläubigen gewinnen. Die Zahl der Mitglieder betrug im F r ü h j a h r 1873 fast 88 000; sie saßen zu drei Vierteln im Rheinland und in Westfalen, aber auch das Großherzogt u m Hessen h a t t e ihrer an Dritthalbtausend, übertraf damit das benachbarte, weit stärker katholische Baden und k a m über die Hälfte der baierischen Zahl hinaus. An der Spitze des Vorstandes, dem man klüglich auch Geistliche, aber nur drei beigegeben h a t t e , standen die Freiherren Felix v. Lo£, Kettelers Duzfreund, und Georg v. Franckenstein, der mit Moufang bald nahe befreundete baierische Partikularist, neben ihnen als Schriftführer die Mainzer Kaufleute Nikola Rack6 und Eugen Haffner, der Bruder des gleichfalls zum Vorstand gehörigen Domkapitulars. Aber ü b e r h a u p t fanden sich hier geistliche und weltliche Helfer des Bischofs zusammen mit seinen adligen Freunden von nah und fern. Es bedurfte also garnicht seiner sichtbaren Mitarbeit, die nach außen nur hemmend und störend h ä t t e wirken können. An der stillen Vereinstätigkeit n a h m er übrigens weit stärker teil, als er in der Öffentlichkeit zugeben wollte. 1 ) Die Berührung mit der ersten Kundgebung und den Absichten des Mainzer Katholikenvereins zeigt sich auch in jenem bischöflichen Vereins, besonders in der Rheinprovinz" (Berlin 1874. 96 S.; S. 42—47 der „Aufruf" ; S. 92 Übersicht der Mitgliederzahlen und der Beiträge). Der Deckname deutet auf den 1838 in Emmerich geborenen Friedr. Nippold, von dem u. a. die gegen Kgerichtete Schrift „Ein Bischofsbrief vom Concil und eine deutsche Antwort" 1870 und der Vortrag Ober den Altkatholizismus ( = Kl. Schriften 2 S. 57—100) 1874 in demselben Verlag erschienen waren. Er hat jene Schrift über den Verein vielleicht nur veranlaßt, nicht selbst geschrieben, denn er nennt sie in seiner Abhandlung über Ketteier von 1877 („Der letzte Bischof von Mainz": Kleine Schriften 2 , 3 8 7 Anm. 1) „mustergültig" in der Darstellung. — Nippold hatte 1869 „Eine Kontroverse mit dem Bischof von Ketteier" (Kl. Schriften 1 S. 534—557). l ) Vgl. s. Erklärung vor dem Appellationsgericht in Münster 20. 7. 76 (Beleidigungsklage des Oberpräsidenten der Provinz Westfalen gegen K-), also nach Auflösung des Vereins: Pfülf 3, 177 Anm. 1. Dagegen aber selbst Mitteilungen im Mz. J. 1874 Nr. 137 (Loe spricht bei der 2. Generalversammlung des Vereins 16. 6. 74 im einzelnen über „die besonderen Verdienste" K-s um den Verein), Nr. 139, 142 (dazu K-s u. a. auch gegen das Vertrauen „auf Fürsten" gerichtete Predigt auf dem Rochusberge bei Bingen 17.6.74: Pfülf 3, 194 und 1,189 ff.).

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Büchlein vom Juli I872. 1 ) Die Schrift r u f t nur zum geordneten und gesetzmäßigen Kampf gegen das Jesuitengesetz auf. Aber eine grundsätzliche Erklärung gibt ihr eine Bedeutung über den unmittelbaren Anlaß hinaus. Ketteier bekennt, er selbst sei erst allmählich „über die Veränderung unserer Rechtsstellung, über die gänzliche Umgestalt u n g unserer Lage klar geworden". Damit leitet er zu dem im Sinne der Kundgebung des Katholikenvereins aufstachelnden Satze über, es handle sich „ u m Vernichtung aller wohlerworbenen Rechte der katholischen Kirche, was folgerichtig auf eine Zerstörung der katholischen Kirche in Deutschland selbst h i n a u s l ä u f t " . Er möchte die Gläubigen vor dem Wahne bewahren, als bedeute das Jesuitengesetz etwa lediglich eine Maßregel gegen jesuitische Organisation und Agitation, eine Maßregel, die als solche auch manchem gläubigen K a t h o liken begreiflich erscheinen konnte und von einem Kenner der deutschen Parlamentsgeschichte vielleicht auch mit den Erklärungen des k a t h o lischen Vereins in der Paulskirche h ä t t e gerechtfertigt werden können. Die Getreuen des Bischofs sollten vielmehr sogleich den Gedanken in sich aufnehmen, d a ß alles kirchliche Wirken und Sein in Deutschland gefährdet sei. Das ist auch der allgemeine Sinn seines Hirtenbriefs vom 4. Oktober 1872 über die Fuldaer Bischofsversammlung und seiner Predigt vom 3. November über den Kampf gegen die Kirche. In dem Hirtenbriefe, der mit der Anordnung öffentlicher Gebete f ü r die kirchlichen Anliegen schließt, findet sich der zugleich abwehrende und herausfordernde Satz 2 ): „Die W o r t f ü h r e r einer mächtigen Partei wagen es, die unerhörte Lüge öffentlich auszusprechen, d a ß die katholische Kirche, welche recht eigentlich Deutschland einig und groß gemacht hat, staatsgefährlich sei." Die Predigt 3 ) aber gipfelt in dem D e n k s p r u c h : „ U m das Christentum zu zerstören, muß man die katholische Kirche zerstören, und um die katholische Kirche zu zerstören, muß man die göttliche Verfassung der Kirche zerstören." So wurden jetzt Gedanken, wie sie Ketteier auf dem Konzil wider päpstlichen Universalismus und Absolutismus h a t t e wirken lassen, eingesetzt gegen die S t a a t s m a c h t . Die preuß.ischen Kampfgesetze des J a h r e s 1873 durften dem Bischof als Rechtfertigung seiner Auffassung gelten. Am 9. J a n u a r 1873 brachte Falk, der schon sieben Wochen zuvor den Gesetzentwurf über kirchliche Strafmittel vorgelegt h a t t e , an den L a n d t a g die E n t würfe eines Gesetzes über Vorbildung und Anstellung der Geistlichen, eines Gesetzes über kirchliche Disziplinargewalt und den königlichen Gerichtshof f ü r kirchliche Angelegenheiten, endlich eines schon in ') „Das Reichsgesetz vom 4. Juli 1872, betr. den Orden der Gesellschaft Jesu und die Ausführungsmaßregeln dieses Gesetzes" (Mainz, Kirchheim, 1872. Zum Folg. bes. S. 3 und 15). 2 ) Hirtenbrief vom 4. 10. 72 S. 4 f. 3 ) Sie wurde sogleich veröffentlicht. Abgedruckt auch: Predigten 2, 285 ff.

Die preußischen „Maigesetze".

Ketteier« Kampfschrift gegen

rie

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Möhlers Tagen vorbereiteten Gesetzes über den Austritt aus der Kirche. 1 ) Es s o l l t e n Kampfgesetze sein, nach Auffassung der Regierung Abwehrgesetze gegen kirchliche Angriffe, die, wie Falk in seiner Einführungsrede meinte, „die freie Entwicklung des Staates zu seinen nationalen Zielen hindern". Aber schon das allein war kein glücklicher Gedanke bei diesen „Maigesetzen", daß man den Theologen durch Einführung einer besonderen Staatsprüfung über ihre allgemeine wissenschaftliche Bildung, namentlich auf den Gebieten der Philosophie, Geschichte und deutschen Literatur, den rechten Sinn für das geistige und das staatliche Deutschland meinte beibringen zu können. Die Bestimmung desselben Gesetzes über die Geistlichen aber, wonach die Kandidaten, denen ein geistliches Amt übertragen werden sollte, dem Oberpräsidenten zu nennen seien und von diesem binnen dreißig Tagen mit genauer Begründung beanstandet werden könnten, war an sich weder neu noch kirchenfeindlich und in milderer Form z. B. selbst in Kettelers berühmter „Übereinkunft" zu finden. 1 ) Nur aber standen jetzt diese Vorschriften im Zusammenhange mit den Ausbildungsbestimmungen, mit dem „Kulturexamen", und sie waren begleitet von tief eingreifenden Strafandrohungen. Vor allem aber: es waren rein staatliche Verfügungen, dies alles war eine Gesetzgebung, durch Regierung und Volksvertretung ohne Befragung der Kirche zustande gebracht, „Eingriffe politischer protestantischer Körperschaften in die göttliche Verfassung der Kirche". So hat Ketteier in stiller Auseinandersetzung mit den Maigesetzen geurteilt, so urteilte er öffentlich. Schon sieben Wochen nach Einbringung der preußischen Gesetzentwürfe lag seine Streitschrift gegen sie vor.*) Eine Streitschrift auch im persönlichen Sinne: denn sie wendet sich in scharfer Polemik, die selbst kleine Künste der Dialektik nicht verschmäht, gegen den juristischen Professor Emil Friedberg, aber auch, maßvoller, doch nicht weniger dialektisch, gegen den juristischen Kultusminister. Das Büchlein bekämpft mehr noch den deutschen Liberalismus als die preußische Regierung. Vor allem aber ist doch auch hier bestimmend der Gedanke an die letzten möglichen Wirkungen, wie Ketteier sie gesehen wissen wollte, um den allgemeinen Widerstand der Katho') Die preuB. Kirchengesetze des Jahres 1873. Hg. mit Einleitung u. Kommentar von Paul Hinschius. Berlin 1873 (desgl.: Die pr. K g. der J . 1874 u. 1875 nebst dem Reichsgesetze vom 4. Mai 1874. Berl. 1875). Die Texte auch z. B. im Europ. Geschichtskalender, bei Siegfried und in den anderen Quellensammlungen zur Gesch. d. Kulturkampfes. Einzelnachwette sind hier entbehrlich. — Zum Folg. besonders K s Aufzeichn. u. Äußerungen bei Pfülf 3, 180ff.; Pfülfs Mitteilungen aus den Fuldaer Protokollen sind z. T. ergänzt bei Goyau, Bismarck et l'Eglise 2 S. 5 ff., 253 ff. (wo indessen Pfülf 3, 200 f. nicht berücksichtigt ist). ») Vgl. oben S. 260 f. *) „Die preuB. Gesetzentwarfe über die Stellung der Kirche zum S t a a t . " Mainz, Kirchheim, 1873. 52 S. — Zum Folg. bes. S. 27, 51, 52.

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liken anzutreiben. Daher das bedingungslos hingestellte Wort „Mit diesen Gesetzen k a n n die katholische Kirche nicht b e s t e h e n " ; daher so stark übertreibende Behauptungen, wie die, es würde „die Ann a h m e dieser Gesetze wieder zu jener Einheit der gesamten Gewalt, welche auf Erden Ober Menschen gefibt werden k a n n , der geistlichen und der weltlichen, zurückführen, wie sie im H e i d e n t u m bestand und dort zum barbarischen Despotismus und zur schrecklichsten Knechtung der Menschen geführt h a t " ; daher in dem auf gleichgestimmte Leser gewiß stark wirkenden Schlußstücke so rücksichtslos zugespitzte Sätze, wie d e r : „Man will die Freiheit der katholischen Kirche vernichten, sie durch ein ganzes System von Gesetzen von aller Verbindung mit d e m Volke ausschließen und sie gänzlich ohnmächtig machen." Die kirchendiplomatische Arbeit des Bischofs ging indessen neben dieser kirchenpädagogischen einher. Er blieb mit Melchers in enger Fühlung. Er vor allem drängte auf Einmütigkeit der preußischen Bischöfe, zu denen er nun in der Not des K a m p f e s sich selbst rechnete und bereitwillig von den anderen gerechnet wurde. 1 ) In der Einigkeit des Handelns und des Leidens schien ihm die Stärke des Episkopats dem Staate gegenüber zu ruhen, zugleich in dem Festhalten der kirchlichen Grundauffassung. „Unerschütterliche Verteidigung der Prinzipien" im engsten Anschluß an den apostolischen Stuhl — d a r u m , angesichts der H a l t u n g und der Absichten der Staatsgewalt, auch keine A n n a h m e solcher Bestimmungen, die man auf dem Wege der Vereinbarung h ä t t e zulassen können, keine Nachgiebigkeit einzelner Bischöfe: das waren die H a u p t s ä t z e der von Moufang im Auftrage Kettelers zusammengestellten bischöflichen Richtlinien, die tatsächlich von der Fuldaer Bischofsversammlung Ende April 1873 anerkannt wurden. Sie sind vorher offenbar durch Melchers der Kurie vorgelegt worden. Die römischen Ratschläge schlössen sich denen Kettelers an, zeigten sich nur bestimmter geneigt zu der auch von dem Bischof als möglich zugegebenen tatsächlichen Hinnahme einzelner Bestimmungen. Antonelli sprach überhaupt, wie kluge Ratgeber der Kurie in solcher Lage noch stets zu sprechen pflegten: wenn tätiger Widerstand gefährlich ist, können die Bischöfe gewisse Bestimmungen der Maigesetze duldend zulassen, müssen aber zugleich grundsätzlich Einspruch erheben; vor allem aber sollen sie — hier kehrt Kettelers Mahnung als römische Mahnung wieder — gemeinsames Vorgehen verabreden und sich in den einzelnen Diözesen genau an das Verabredete halten. Die Bischöfe haben sich denn auch in Fulda durch Unterzeichnung eines Protokolls förmlich zur Einheitlichkeit des Handelns verpflichtet. Diese zuerst von Ketteier angeregte Bindung konnte die starken Meinungsverschiedenheiten unschädlich machen. Die Bischöfe rechneten schon l

) Vgl. oben S. 668.

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Verabredungen der Bischöfe. Grundsätze und Taktik.

jetzt mit dem offenen Kampfe; sie bestimmten, daß im Falle erzwungener Verhinderung des Bischofs der Generalvikar die bischöfliche Verwaltungsvollmacht ausüben und daß weiter zwei Priester bestimmt werden sollten, die gegebenenfalls einzuspringen hätten. Ketteier durfte auch das als einen persönlichen Sieg empfinden, daß das kirchlich aufgefaßte Wort Lex iniusta non est lex in Fulda als Leitsatz angenommen wurde, und es ist ganz aus dieser Stimmung über die inzwischen vollzogenen Maigesetze zu verstehen, wenn er im August 1873 bei der Prager kirchlichen Jubelfeier als Gast des KardinalErzbischofs Schwarzenberg — des einstigen Mitstreiters in den Konzilskämpfen, der nun zwar nicht zu den kirchlichen, aber zu den politischen Papalisten gehörte und sich von einem kommenden monarchischen Frankreich eine katholische Neuordnung Europas versprach 1 ) —, wenn Ketteier da, freilich ohne die französischen Erwartungen des Böhmen auch nur im mindesten zu teilen, von der Prager Domkanzel herabrief*): zu denen, die notwendig Feinde der Kirche seien, gehöre auch der Fürst, der nicht im Geiste Christi regiere. Der Bischof versuchte allerdings auch damals, wie insbesondere die Betrachtung der hessischen Verhältnisse noch zeigen wird, mit der grundsätzlichen Festigkeit eine taktische Beweglichkeit zu verbinden; nur mußte das um so schwieriger werden, je mehr die staatlichen Maßregeln an die kirchlichen Grundsätze rührten. Er wollte nur das zurückgewiesen wissen, was kirchlich als zweifelloser Übergriff des Staates gelte, dieses aber auch unbedingt und auf jede Gefahr hin, und zwar einmal aus der Glaubenspflicht heraus, dann aber auch in der praktischen Erwägung, daß ein anderes Verhalten zur völligen Verwirrung der „Prinzipien" auch im christlichen Volke führen müsse. Wenn er in Fulda vor seinen Mitbischöfen ausdrücklich anerkannte, daß durch Übereinkommen dem Staate Mitwirkung bei Stellenbesetzung eingeräumt werden könne, so galt ihm das doch nicht als kirchliche Anerkennung eines staatlichen, sondern als kirchliche Übertragung eines kirchlichen Rechtes; es deutete auch nur auf künftige Ausgleichsmöglichkeiten, denn für den Augenblick blieb dieses Zugeständnis im Dunkel der Verhandlungen verborgen und wurde selbst hier durch die grundsätzliche Anschauung noch wieder zugedeckt. Gerade in der Maigesetzgebung als solcher sah Ketteier einen willkürlichen Eingriff der Staatsgewalt in göttliches Kirchenrecht. Gegenüber den Änderungen der preußischen Verfassung schien ihm bei mildester Deutung eine Anerkennung der staatlichen Berechtigung immerhin noch möglich, obwohl ihm persönlich bei seiner alten Vorliebe für die preußischen Kirchenparagraphen das im April 1873 veröffentlichte Gesetz über Abänderung der Artikel 15 und 18 besonders schmerzlich sein mußte; hier war dem Artikel 15 über die selbständige Kirchen') Vgl. Wolfsgruber, Schwarzenberg 3, 395. ) Predigten 2, 307 f.

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V I g e n e r , Bischof Ketteier

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Verwaltung die verhaßte Frankfurter Einschränkung Ober die Staatsgesetze und die gesetzlich geordnete Staatsaufsicht 1 ) beigegeben, und die Kirche wurde durch den Zusatz zum Artikel 18 verfassungsmäßig an die kommende Kirchengesetzgebung gebunden. Es entsprach also Kettelers Betrachtung der Dinge, wenn das Fuldaer Sendschreiben vom 2. Mai 1873 sich nicht mit der Verfassungsänderung auseinandersetzte, sondern nur den Einspruch gegen die Maigesetze erneuerte, das bischofliche Festhalten an den kirchlichen Grundsätzen verkündete. Freilich hatte sich in Fulda nur ein Teil der Bischöfe zu der von Ketteier und Melchers verfochtetenen Meinung bekannt, d a ß — e b e n auf Grund jener gelinden Auslegung der Änderungen — die katholischen Beamten auch fortan noch die Verfassung beschworen könnten; es kostete den Kölner Erzbischof einige Mühe, bis die zur Entscheidung angerufene Kurie sich aus NützlichkeitsgrQnden dieser Auffassung anschloß. So zeigte die Kirche, wesentlich durch Kettelers Anregung bestimmt, hier wenigstens keine Neigung, die Herbeiführung des offenen Kampfzustandes zu beschleunigen, obwohl neben den auf den Kampf eingeschworenen Blättern auch der Papst selbst seine überscharfe Sprache nicht aufgegeben hatte und bald danach, im August 1873, mit dem aufdringlichen Versuche, den Kaiser persönlich in einen Gegensatz zu dem Verfahren der preußischen Regierung zu bringen, ganz gewiß nicht dem Frieden diente. Der Kampf freilich war ohnedies mit den Maigesetzen unvermeidlich geworden. Aus der grundsätzlichen Ablehnung der Gesetze durch die katholische Kirche ergab sich der passive Widerstand, ergaben sich Streitigkeiten um die Pfarreibesetzung, Schwierigkeiten in der Seelsorge, nachdem Falk im Herbst 1873 Anweisung zur strengeren Ausführung der Gesetze gegeben hatte. Die Regierungsvorlage über die bürgerliche Eheschließung (Dezember 1873), ihre für die Kirche noch ungünstigere Umgestaltung durch den Landtag, die rasche Veröffentlichung dieses Zivilehegesetzes (März 1874), die Gesetzentwürfe vom J a n u a r 1874 mit ihrer Ergänzung und Verschärfung der Maigesetze von 1873, diese neuen Maigesetze und insbesondere ihre f ü r alle kirchlich Denkenden unerträglichen Bestimmungen über die Verwaltung erledigter Bistümer und über die unbefugte Ausübung kirchlicher Amtshandlungen, die bitteren Streitigkeiten der Parteien in der Presse und im täglichen Leben, die Verhaftung einzelner widerspänstiger Bischöfe, das alles versteifte die Kampfstimmung und stärkte den kirchlichen Kampfwillen. Die preußischen Bischöfe hatten, und wiederum Ketteier mit ihnen, bereits im Februar 1874 über die Gefangensetzung des Posener Erzbischofs zugleich und über die neuen Gesetzentwürfe ein Sendschreiben erlassen, das den bischöflichen Entschluß zum Widerstand verkündete u n d von den Priestern, von den Gläubigen die gleiche ') Vgl. oben S. 86.

Verschärfte Kampfstimmung 1874. Anwachsen der Zentrumspartei

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Festigkeit forderte. Zu Ende Juni 1874, als der Kölner und der Trierer in rasch vorübergehender Haft saßen, wurde von neuem eine Bischofsversammlung in Fulda abgehalten. Eine stillere Tagung als die von 1873. Diesmal gab es keine Parteien, keine geteilten Abstimmungen. Ketteier und die neun preußischen Bischöfe beharrten ejnmütig bei den früheren Beschlüssen. Sie hatten jetzt mehr als zuvor die katholischen Massen und selbständige Einzelne hinter sich. Vielen Katholiken wurde durch die bei aller zur Schau getragenen Siegesgewißheit doch tiefsitzende Erbitterung über die Regierungspolitik das noch nicht immer starke Reichsbewußtsein erschüttert. Auch solche katholischen Deutschen, die, überzeugte Katholiken, im Politischen nur deutsch denken wollten, wurden durch die strenge Ausführung der Maigesetze in ihren religiösen Empfindungen verletzt 1 ); manchem, der den Kampf gegen Preßkapläne gelassen hinnahm oder gar begrüßte, galt der Kampf gegen Seelsorger als unerträglicher Gewissenszwang. Gerade dadurch wurde der katholische Widerstand unüberwindlich, daß sich den parteipolitisch Treibenden und Getriebenen jetzt fast alle zugesellten, die überhaupt noch in katholisch-kirchlichen Anschauungen lebten. Die Festigung der Zentrumspartei und das starke Anwachsen ihrer Vertretung im Reichstage bei den Wahlen vom Januaf 1874 muß man auch auf den Zustrom solcher kirchlich, nicht aber schroff klerikal gestimmten Katholiken zurückführen. Diese Gemäßigten freilich blieben fast einflußlos, in der Presse wie im Parlament. Auch hatte das Zentrum den Gewinn an Reichstagssitzen teilweise weniger den kirchlichen Empfindungen als den politischen Zugestände nissen an die bürgerliche und die proletarische Demokratie zu verdanken. So war es im Großherzogtum Hessen und insbesondere in der bischöflichen Residenzstadt Mainz. Die „katholische Volkspartei" in Hessen hatte seit Ausgang der sechziger Jahre ihre Organisation ausgebaut, ihre Reihen gestärkt. Nicht Demokraten und Liberale, wie bei der Zollparlamentswahl von 1868*), sondern Liberale und Klerikale stritten jetzt in Mainz um den Platz im neuen Reichstage. Da bei den ersten Reichstagswahlen offenbar viele Demokraten nicht für den Kandidaten der radikalen demokratischen „Volkspartei", sondern f ü r Bamberger stimmten, kam dieser gerade noch über die absolute Mehrheit hinaus. Bei der Wahl vom J a n u a r 1874 standen den Nationalliberalen keine bürgerlichen Demokraten gegenüber, wohl aber Sozialdemokraten, und zwar solche von der marxistischen, nicht der Lassallescfien Gruppe. Der Nationalliberale blieb diesmal um 50 Stimmen hinter der absoluten Mehrheit zurück; in der Stichwahl zog der Zentrumskandidat neben den sozialdemokratischen Stim') Das kommt gelegentlich zum Ausdruck, so in einem Briefe von K. Bader (s. oben S. 246 Anm. 2) bei v. Weech: Bad. Biographien 2. Ausg. Bd.2 (1881) S.551. ') Vgl. oben S. 530 f. 43»

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men noch weitere 1800 an sich heran, großenteils gewiß von Demokraten, die sich bei der Hauptwahl zurückgehalten hatten. Es war Moufang, der den Sieg errang und persönlich jedenfalls verdient hatte. In seinen Reden und in der Pressepropaganda bewahrte sich wieder seine volkstümliche Geschicklichkeit, auch seine taktische Begabung.' Die Klerikalen warben bei dieser Wahl von Anfang an um die Stimmen der Demokraten, was schon dadurch erleichtert war, daß ihnen nicht mehr Bamberger sondern der weniger bedeutende Obergerichtsrat Görz gegenüberstand. Das „Mainzer J o u r n a l " empfahl den Demokraten mit Erfolg den Verzicht auf eine aussichtslose eigene Kandidatur zugunsten Moufangs, dessen Programm auch die demokratischen Forderungen enthalte. 1 ) Den nichtkatholischen oder kirchlich gleichgültigen Wählern wurde das Zentrum als die einzige wahre Volkspartei empfohlen, den guten Katholiken aber wurde in Abwehr eines nationalliberalen Flugblattes, das sich an die „denkenden" deutschen Katholiken gewandt hatte, nicht etwa lediglich in stiller kirchlicher Unterweisung, sondern in der Zeitung selbst gesagt, für Görz zu stimmen, „das verbietet einem jeden wahrhaft denkenden Katholiken seine katholische Ehre und sein katholisches Gewissen". Für die Stichwahl suchten dann die Klerikalen den demokratischen und sozialdemokratischen Gegnern ihres eigenen Gegners die Verpflichtung zur Wahlhilfe dadurch einzuschärfen, daß Moufang jetzt ausschließlich als der Mann der Opposition erschien. Der klerikale Wahlaufruf kam den radikalen Stimmungen durch Schlagworte wie „Militärstaat" und „Bismärckerei" entgegen. Von katholischer Kirche und katholischem Volke schwieg man jetzt. Die klerikale Partei nannte sich gar nur noch „Volkspartei" ohne das Wörtchen „katholisch" und brachte im letzten Augenblicke den nicht gerade kirchlich gedachten Werberuf: „Soll nicht wenigstens die größte und intelligenteste Stadt des Landes durch einen Mann der Opposition im Reichstage vertreten sein?" Zwischen der Hauptwahl und der Stichwahl, Mitte Januar 1874, wurde des Bischofs Büchlein gegen den preußischen Kultusminister veröffentlicht. 1 ) Keine Wahlschrift gewiß, aber in ihren Klagen und Anklagen mit den „Oppositionsgedanken", die bei den Radikalen für den Mainzer Domherrn wirken sollten, mindestens nicht im Widerspruch; die kirchliche Bekämpfung zeigte doch auch politische Spitzen wie gegen Falk so gegen Bismarck.®) Die Broschüre, die es in drittl ) Mz. J . 1874 Nr. 4 (6. 1.) Zum Folg.: Nr.5—23 (28. 1.), bes. Nr. 7 und 19. *) „Die Anschauungen des Cultusministers Herrn Dr. Falk Ober die katholische Kirche nach dessen Rede vom 10. Dez. 1873 beleuchtet von . Mainz 1874. 30 S. — Nach einer Mainzer Mitteilung vom 16.1. 74 Im Mz.J. Nr. 14 (17. 1.) „heute" ausgegeben. — Vgl. zum Folg.: Mz. J. 1874 Nr. 31 (6.2.); Nr. 59 (12.3.), 61 (14.3.), 63 (17. 3.): Beschlagnahmung in Gnesen, in Krefeld, in Hildesheim. ') S. 18: „Die Auffassung des Herrn Dr. Falk erinnert ganz lebhaft an das Urteil der Heiden aber die Christen in den ersten Jahrhunderten. Auch sie wurden

Moufangs Sieg bei der Mainzer Reichstagswahl vom Januar 1874

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halb Wochen auf vier Auflagen brachte und rasch auch in Preußen allenthalben gelesen, freilich bald auch in Ost und West polizeilich verboten wurde, war u n m i t t e l b a r für die preußischen Landtagskämpfe, mittelbar auch ffir die Reichstagskämpfe bestimmt. Die politisch wirkungsvollste klerikale Abwehr gegen die Staatsgewalten lag nun längst schon ü b e r h a u p t bei der parlamentarischen Vertretung des politischen Katholizismus. Ketteier konnte in Moufang, so gewiß dieser weit demokratischer gerichtet war und weniger Reichsbewußtsein in sich t r u g als der Bischof, doch auch persönlich seinen Vertreter im Reichstage sehen, wie dieser schaffensfrohe Domherr nach wie vor auch des Bischofs berufener Vertreter in der hessischen Ersten K a m m e r war. Aber f ü r die kirchenpolitische Bischofsarbeit, die ihre eigenen Wege u n d Ziele h a t t e , bedeutete das keine Entlastung. Sie wurde vielmehr durch die immer derberen staatlichen Zugriffe zugleich und die nicht immer glückliche kirchliche Abwehr seit dem J a h r e 1874 nur noch mehr erschwert. Namentlich das wenig diplomatische päpstliche R u n d schreiben an den deutschen Episkopat vom 5. Februar 1875, das die gesamten Maigesetze nicht etwa nur kirchlich verurteilte, sondern kurzerhand f ü r „ u n g ü l t i g " erklärte, m u ß t e den bischöflichen und den parlamentarischen Kirchenkämpfern mehr Sorgen als Dankgefühle erwecken. Zentrumsabgeordnete versuchten vergebens, die römischen Worte hinterdrein abzuschwächen. Die deutschen Bischöfe, obwohl durch ein päpstliches Belobigungsschreiben vom 2. März 1875 besonders e r m u n t e r t und kurz zuvor durch das Reichsgesetz über die Zivilehe, auch durch die staatliche Amtsentlassung des Bischofs von Paderborn kirchlich gereizt, ließen sich nicht zu unmittelbarer N a c h a h m u n g der päpstlichen Redeweise über die preußische Gesetzgebung verlocken: n u r die Unmöglichkeit ihrer Mitwirkung bei Ausführung der Gesetze verkündigten sie von neuem. Immerhin hielten sie sich doch an das Beispiel jenes Briefes, den Pius IX. im August 1873 dem Kaiser geschickt h a t t e , und suchten mit einer als Anmaßung wirkenden 1 ) Loyalitätsbeteuerung die Krone auszuspielen gegen .,die Häuser des Landtags, in welchen das Verständnis christlicher Anschauungen mehr und mehr zu schwinden b e g i n n t " . Zu dieser Kundgebung vom 2. April 1875 h a t t e n sich die Bischöfe in einer von dem Mainzer besonders Verächter des Staatsgesetzes genannt, wenn sie den Götzen und den Bildnissen der heidnischen Kaiser, welche göttliche Verehrung in Anspruch nahmen, nicht huldigen wollten." — S. 29 f.: „Bismarck nennt das Verfahren der Bischöfe .revolutionär'. Es gibt einen revolutionären Begriff von Revolution und einen christlichen... Es ist bemerkenswert, daß der Reichskanzler sich den revolutionären Begriff von Revolution zu eigen gemacht hat." ') „ . . . der K a i s e r . . . gereizt mit Recht durch die unsinnige und unverschämte Erklärung sämtlicher preußischen Bischöfe aus Fulda, welche heute im ,Staatsanzeiger' veröffentlicht wird". So Bennigsen nach einer Besprechung mit Bismarck 1 0 . 4 . 7 5 an s. Frau: Oncken 2, 280.

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lebhaft empfundenen „ E i n h e i t und Freudigkeit der S t i m m u n g " 1 ) zusammengefunden. Bei der E n d e April 1875 abgesandten Erwiderung der Bischöfe auf die Abfertigung ihrer Kundgebung durch das S t a a t s ministerium h a t t e K e t t e i e r an dem Kölner Entwurf einige Milderungen vorgenommen, obwohl gerade er j e t z t aufgebracht sein mußte durch die neue Vorlage Ober die Aufhebung der preußischen Verfassungsartikel 15, 16 und 18, also jener von ihm wie eine geheiligte Satzung verehrten „magna Charta des religiösen F r i e d e n s " , deren — damals noch fernliegende — Aufhebung er schon in seinem B u c h e Ober 1866 ein Nationalunglück genannt h a t t e . 1 ) Der bischöfliche Einspruch gegen das vom L a n d t a g schon a m 16. März 1875 in erster Lesung erledigte Sperrgesetz 1 ) war offenbar in Fulda ohne Schwierigkeit vereinbart worden; dieses Gesetz über die Einstellung der Leistungen aus Staatsmitteln, das auch den Mainzer Bischof wegen seiner preußischen Pfarreien traf, h ä t t e freilich ein durch kanonische Betrachtungsweise nicht gehemmter K e n n e r der Geschichte der Oberrheinischen Kirchenprovinz gerade dem Mainzer Bischof gegenüber sarkastisch rechtfertigen können durch die Feststellung, daß ein Vierteljahrhundert zuvor die oberrheinischen Bischöfe vom S t a a t e die Anerkennung ihres Rechtes beansprucht h a t t e n , einem ungehorsamen Geistlichen auch die Einkünfte seiner kirchlichen Stelle zu entziehen. 4 ) Meinungsverschiedenheiten dagegen gab es über die beiden preußischen Gesetze, bei deren Anwendung sich die Fragen kluger T a k t i k oder nützlicher Praxis neben denen der Grundsätze erhoben. Ketteier hat hier in der einen Sache gemeinschaftlich mit, in der anderen Sache im Gegensatz zu seinem Freunde Melchers, wiederum seine Meinung in Fulda und in R o m zum Siege geführt. D a ß er in der einen Frage den mildesten, in der anderen den strengsten Standpunkt vertrat, kennzeichnet i h n : denn er bewährte nur von neuem bischöfliche Nachgiebigkeit in den Dingen, die an der Peripherie, an der weltlichen Außenseite des kirchlichen Lebens lagen, wo die taktische Berechnung religiös unschädlich, kirchlich nützlich war, und priesterliche Festigkeit da, wo das katholische Empfinden selbst, das kirchliche Grundgefühl in Frage k a m . So wurde der Gesetzentwurf über die kirchliche Vermögensverwaltung in den katholischen Kirchengemeinden — den Melchers mit E n t r ü s t u n g als die Verfügung einer allgemeinen Säkularisation dieses kirchlichen Vermögens auffaßte, zurückwies und auch von den übrigen Bischöfen zurückgewiesen sehen wollte — von Ketteier ganz gelassen hingenommen. Dagegen hat er den von Melchers und anderen Bischöfen gebilligten Gedanken der kirchlichen Benutzung jener katholischen Gotteshäuser, die etwa auf Grund des *) *) *) ')

K. an s. Schwagerin Paula, Mainz 5. 4. 75: Br. 501. Vgl. oben S. 507 (unten). Veröffentl. 22. 4. 75: Hinschius (s. oben S. 671 Anm. 1) S. 69 ff. Vgl. oben S. 196 (unten).

Sperrgesetz, Altkatholikengesetz (1875). K- gegen den Altkatholizismus

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sog. Altkatholikengesetzes (4. Juli 1875) von der altkatholischen Gemeinschaft verwendet würden, unbedingt und mit Erfolg abgewiesen: wie auch hätte er, der als Laie schon durch das Messelesen eines Hermesianers sich in seinem kirchlichen Bewußtsein beunruhigt gefühlt hatte 1 ), als Bischof es dulden können, daß katholische Kirchen im Wechsel seinen Priestern und denen der „Apostaten", sei es immer von Fall zu Fall entsühnt, zur Gottesverehrung dienen sollten? Jetzt gar, da Hubert Reinkens, der Bischof der Altkatholiken, auch in Hessen (Dezember 1873) als „katholischer Bischof" staatlich anerkannt w a r ? Am „Altkatholizismus" mußte ihn schon der Name reizen, mußte aber auch der ursprüngliche sachliche Untergrund bischöflicher Kirchenauffassung, der dicht genug bei seiner eigenen alten Bischofsmeinung lag, ihn, den gehorsamen Bischof, zum Widerspruch antreiben: ein Widerspruch, der schon deshalb leidenschaftlich wurde, weil ein wenig auch von kirchlicher Selbstbeschwichtigung darin stecken mochte. Er wandte sich etwa gegen den Juristen Emil Friedberg und den Theologen Friedrich Nippold nicht zuletzt darum mit besonderer Heftigkeit, weil er in ihnen gelehrte protestantische Gönner des Altkatholizismus treffen wollte, er hat in Fehden mit geistigen Führern unter den altkatholischen Geistlichen, wie Friedrich Michelis und Johannes Friedrich, einen wahren Bischofszorn entwickelt, er hat noch im März 1877 der staatlichen Begünstigung der Altkatholiken ein besonderes Schriftchen 2 ) gewidmet, obwohl er diese Schrift mit dem Satze glaubte eröffnen zu dürfen: „Der sog. Altkatholizismus gibt kaum noch eine Veranlassung, von ihm öffentlich zu sprechen." Hier, in dem rein kirchlichen Kampfe, zeigte er eine größere Leidenschaftlichkeit als im politischen. Und doch muß man sagen, daß sein persönliches Auftreten während des Kulturkampfes im Vergleich mit dem seiner Umgebung und ihrer Presse als höchst gelinde erscheint. Man wird in diesen kirchlichen Kampfzeiten das Schauspiel der national*) Oben S. 22 bei Anm. 2. *) „Die thatsächliche Einfahrung des bekenntnislosen Protestantismus in die katholische Kirche." Mainz, Kirchheim, 1877. 34 S. — Oer Altkatholizismus hatte, abgesehen von Offenbach (wo ein altkatholischer Pfarrer wirkte), in Hessen wenig zu bedeuten, Immerhin doch 1876 einige bescheidene Fortschritte in der Organisation zu verzeichnen: Anf. Febr. 1876 tagte in Mainz eine Vertreterversammlung der altkatholischen Gemeinden und Vereine des Landes, wobei außer Offenbach, Gießen, Mainz und Worms noch 6 kleinere Orte vertreten waren ; in Mainz wurde seit Juli 1876 wenigstens regelmäßig alle 14 Tage durch den Wiesbadener Pfarrer altkatholischer Gottesdienst abgehalten (50—60 Teilnehmer), auch altkatholischer Religionsunterricht erteilt. Vgl. „Deutscher Merkur" 7 (1876) Nr. 6 (5. 2.) S. 55, Nr. 25 (17.6.), Nr. 30 (23.7.) S. 261, Nr. 36 (2.9.) S. 312. Vgl. schon ebenda 6 (1875) Nr. 37 und 39 ff. (dazu Mz. J . 1875 Nr. 225), Nr. 43 (23. 10. 75; Mainzer Vereinsgründung), Nr. 46 (13. 11.75); Beginn des altkatholischen Religionsunterrichts in Mainz.— Der 6. Altkatholikenkongreß wurde 28.—30. 9. 1877 (also dritthalb Monate nach K s Tod) in Mainz abgehalten. Vgl. „Dt. Merkur" 8 (1877) Nr. 38 (22. 9.) — 41 (13. 10.), u. a. Nr. 40 S. 327 gegen K-s letzte Schrift.

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politischen einigermaßen erneuert f i n d e n : selbst da, wo er leidenschaftlich wird, erscheint der Bischof maßvoll, sobald man die Äußerungen mancher seiner Mitarbeiter und F r e u n d e vernommen hat. Die Pressepolemik während der Kulturkampf j ä h r e ist ein besonders unerfreuliches Stfick der unerfreulichen Geschichte deutscher Zeitungskampfe. Preußische Blätter, die den Klerikalismus b e k ä m p f t e n , pflegten auch dem Mainz des Bischofs Ketteier ihre A u f m e r k s a m k e i t zu schenken. Es k a m dabei gelegentlich vor, d a ß der Bischof rficksichtlos, ja wohl einmal mit beschränkter Rohheit 1 ) angegriffen wurde. Aber die andere Seite erwies sich als ebenbürtig. Am schlimmsten mußte hier die planmäßige Förderung der K a m p f s t i m m u n g und das Hinüberlenken auch auf den nationalpolitischen Boden wirken. Nicht lediglich in der baierisch-klerikalen Winkelpresse, die Ketteier von sich abgeschüttelt hatte 2 ), lebte kräftig und frei der alte H a ß gegen Preußen, gegen die preußische Einigung Deutschlands wieder auf, wagte sich selbst, mehr oder minder verhüllt, die verräterische H o f f n u n g auf Frankreich, auf ein klerikales französisches Königreich hervor. Geistig gewichtige Zeitschriften, wie die „Historisch-politischen Blätter", brachten im ersten Sommer nach den Maigesetzen und nach der Erhebung des kirchlich und monarchisch empfindenden Marschalls Mac Mahon z u m Präsidenten der französischen Republik neben den Klagen über die Wiederherstellung des heidnischen Staatsprinzips, des wahren einstigen römischen Cäsarentums in Deutschland Prophezeihungen über den kommenden Zusammenbruch dieses neuen Cäsarismus und dazu, 1873 schon und von neuem 1874, kirchlich befriedigte Meldungen über die monarchische Bewegung in Frankreich und deren katholischen Sinn; gegen Ende J u n i 1874, als monarchische und republikanische Franzosen in der K a m m e r und im ganzen Lande offen einander gegenüberstanden und die Schwäche der Royalisten noch nicht zutage lag, da schloß der Pariser Berichterstatter der „ B l ä t t e r " seinen Brief über „ D a s Ende vom Anfang in Frankreich, wie es sich dort ansieht", in der (nun freilich falschen) Hoffnung, im nächsten Briefe die Herstellung der Monarchie schildern zu können. Das alte Görresblatt beschwerte sich damals über die angebliche preußisch-deutsche Idee der „Vollendung der R e f o r m a t i o n " und ließ dabei selbst den konfessionellen Staatsgedanken so scharf hervortreten wie nur je, es mochte sich um deutsche oder österreichische, u m französische oder italienische Verhältnisse handeln. „ D a s C h r i s t e n t u m " wird etwa Voraussetzung der Erhaltung der „österreichischen Idee" genannt, oder es heißt wohl geradezu: „Der S t a a t von Österreich ist seiner Geschichte und seinem Berufe nach katholisch, und wenn er das zu sein a u f h ö r t , so hat er keinen hinreichenden Grund mehr seiner Existenz."») >) Frankf. Journal, vgl. J. B. Kißling, Gesch. d. Kulturkampfs 2 (1913) S. 291. ») Vgl. oben S. 661. 3 ) Hist.-pol. Bl. 74 (1874 II) S. 873 (vgl. Oberhaupt S. 866—887 „Gedanken

Pressekampfe 1873 ff. Klerikale Abneigung gegen das Reich

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Im „Mainzer J o u r n a l " t r a t diese konfessionelle B e t r a c h t u n g selten in ihrer Reinheit hervor. Hier war das Katholische sorglicher eingehüllt in das Politische, dieses aber d r ä n g t e sich mit ungleich stärkerer Leidenschaft und Derbheit vor als in den gemessener sich gebenden „Historisch-politischen B l ä t t e r n " . Der Mainzer Kreis, der — nicht von Ketteier persönlich gilt das — die österreichischen Maigesetze von 1868 aus politischer Berechnung bereitwillig hingenommen hatte 1 ), d u r f t e die preußischen ohne ängstliche Z u r ü c k h a l t u n g bekämpfen, da jetzt kirchliche und politische Auffassung zusammenklangen. Klerikales Klagen über den Kampf aber wurde immer wieder zum Preisen des Kampfes. Wie die Münchner „ B l ä t t e r " , Kettelers ferne Freunde, der verfolgten Kirche eine unwiderstehliche Gewalt der Eroberung zusprachen und inmitten der „ K a t h o l i k e n h e t z e " nicht abließen von einem geistig und politisch überspannten Denken an „die rechte und die ewige" Einheit, die Einigung des ganzen Deutschlands „in der Einzigen heiligen katholischen Kirche" 2 ), so zeigte auch das dem Bischofshause nahe Mainzer Blatt auf dem H ö h e p u n k t des Kulturkampfes unverdrossen seine Siegesgewißheit und das befriedigte Bewußtsein, d a ß das Kämpfen selbst unmittelbaren kirchlichen Gewinn bringe. Diese Zeitung ließ, obwohl sie doch beizeiten über das Fiasko des K u l t u r k a m p f s zu spotten w u ß t e , ihre Redeweise immer leidenschaftlicher werden. Sie mißbrauchte die Fünfundzwanzigjahrfeier von Kettelers Bischoftum zu der Drohung, ein weiteres Anwachsen des K u l t u r k a m p f e s würde den Sturz der Throne zur Folge haben, „und die schwer heimgesuchte Menschheit m u ß sich notgedrungen in die rettenden Arme der Kirche werfen, deren heilsame Anstalten sich rasch aus den allgemeinen T r ü m m e r n erheben werden". 8 ) Hier offenb a r t e sich bei der Nachricht von dem Kissinger Mordanschlage auf Bismarck im Juli 1874 eine schnöde politische Auffassung und eine persönliche Rohheit, die dem E m p f i n d e n des Bischofs nur widerlich gewesen sein kann. Diese Klerikalen zeigten sich z. B. auch herzlich erfreut, wenn sie sahen, d a ß gute Katholiken am Geburtstage des greisen Kaisers ihre Häuser ungeschmückt ließen, während etwa beim J u b i l ä u m des Bischofs (1875) oder des Papstes (1877) alles laut und festlich feierte; übrigens bewiesen die nichtkatholischen Mainzer ihre alte, den Gegner persönlich befriedigende, sachlich beschämende Weitherzigkeit durch Anteilnahme an der bischöflichen Feier. über Österreich und die Österreicher"); S. 297. — Die Hoffnung auf das segensreiche Wirken der Wiederherstellung eines legitimistischen Frankreichs auch z. B. bei Aug. Reichensperger, so 4. 9. 73: Pastor 2, 117 (vgl. 127). ') Vgl. oben S. 533 f. ») Hist.-pol. Bl. 71 (1873 I) S. 905—927. „Ein Stein und das Steinchen aus der Höhe" (besond. S. 924 u. 927). — S. 241—256 Seitenüberschrift „Katholikenhetze". ») Mz. J. 1875 Nr. 170 (24. 7.). — Zum Folg.: 1874 Nr. 163 (16. 7.), 164,167, 168.

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Vollends auf dem Sedantag lastete die klerikale Verdammung. Man darf nicht vergessen, daß die manchmal oberflächlichen oder geschmacklosen Sedanfeiern nicht selten eine scharfe Wendung gegen die Klerikalen nahmen, man darf auch daran erinnern, daß im Jahre 1863 preußische Generale die Teilnahme an den gleichfalls oft parteipolitisch gefärbten Erinnerungsfeiern für die Leipziger Völkerschlacht untersagten 1 ): aber es bleibt bestehen, daß nur allzu viele Klerikale das „protestantische" Kaiserreich im Herzen nicht liebten und Sedan für kirchlich belastet hielten schon wegen der geschichtlichen Zusammenhänge zwischen dem 2. und dem 20. September, zwischen der Gefangennahme Napoleons und dem Einzüge der Italiener in Rom, daß der Spott Ober Sedanfeiern keineswegs lediglich eine parteipolitische Waffe gegen die Nationalliberalen war, vielmehr leicht zur gehässigen Hetze gegen die nationale Erinnerung selbst und gegen den Reichsgedanken wurde. Das zeigte sich im „Mainzer Journal", wo man schon früher Ober „St. Sedantag" gewitzelt hatte*), besonders deutlich im Jahre 1876.8) Ketteier persönlich legte auch hier größere Zurückhaltung an den Tag. Jene plumpen Versuche parteipolitischer Entwertung des deutschen Einheitskrieges und seines nationalen Ergebnisses, wie sie von manchen seiner kirchlichen Freunde aus*gingen oder gebilligt wurden, blieben nicht nur den förmlichen Erklärungen sondern auch den wirklichen Anschauungen des Bischofs fremd. In den Sommerwochen des Jahres 1874, da die berechtigte Erregung über den Anschlag auf Bismarck sich häufig in ungerechten und grobschlächtigen Kundgebungen gegen die Klerikalen und selbst gegen die katholische Kirche entlud, hat er allerdings, auch hier den ') Vgl. Oncken, Bennigsen 1, 610. ) Mz. J . 1875 Nr. 192 (19. 8.) — eine notwendige Ergänzung zu den Worten Pfaifs (3, 195 Anm. 1) Ober „die Fabel, wonach Ketteler das Spottwort von ,St. Sedan' aufgebracht haben sollte". — Vgl. schon Mz. J. 1874 Nr. 201 -{-Zur Sedanfeier. „Satanfeier nennt bereits vielfach das katholische Volk die von einer gewissen Partei in Szene gesetzte Sedanfeier." ») Mz. J. 1876 Nr. 189 (16. 8.) „Zum 2. September" ( . . . Die Nationalliberalen sagen, sie feierten die Einheit Deutschlands, Kaiser und Reich usw. [so!]. Das ist Geschmacksache, worüber wir hier nicht streiten wollen. Aber muß denn dies gerade am Tage von Sedan geschehen? Feiert euer [sol] Nationalfest am Tage des Frankfurter Friedensschlusses, oder am Tage der Kaiserproklamierung zu Versailles oder an einem beliebigen Tage, nur nicht an dem Schlachtentage [so!] von S e d a n . . . . ) — Dazu halte man, daß das Mz. J . den gelegentlich einmal in den Histor.-pol. Blattern verfochtenen neu-großdeutschen Gedanken einer Vereinigung der deutschen Teile Österreichs mit dem Deutschen Reiche bekämpfte und dabei wohl durchblicken ließ, ein wiedererstehender katholischer Kaiserstaat, das Österreich einer neuen Gegenreformation werde einstens das Preußen, das Deutsche Reich des Kulturkampfes aberwältigen. Mz. J . 1876 Nr. 24 (29. 1.): „Österreichs Stellung", Zeichen: # . Man möchte den Verfasser unter den fahrenden Mainzer Klerikern suchen, die nicht, wie K-, 1866 umgelernt hatten. Dem Stile nach wäre kaum an Moufang oder Haffner, eher an den Seminarprofessor und späteren Bischof Brück zu denken. J

Die Klerikalen gegen die Sedanfeier. Kettelers Sedanerlaß

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anderen Bischöfen vorangehend, einen Erlaß gegen kirchliche Sedanfeiern veröffentlicht. 1 ) Er erklärte grundsätzlich, übrigens mit kühlen Worten, seine Bereitwilligkeit, ein Sedanfest als nationales Dankfest „für die Abwendung großer Gefahren, welche wir diesem Siege verdanken", auch kirchlich feiern zu lassen; aber der Sedanfeier, „wie sie jetzt von unseren Gegnern betrieben wird", diesem Freudenfest „einer antichristlichen Richtung", versagte er „vorläufig" feierliches Geläute und festlichen Gottesdienst, und wenn er den Pfarrern gestattete, zum Sedantag Gebet oder Bittamt zu halten, so doch nicht im nationalpolitischen Sinne dieses Tages, sondern im kirchlichen Sinne, „um Gottes Gnade und Segen über Deutschland zu erflehen und namentlich um Gott zu bitten, daß er uns die innere Einheit wieder gebe, ohne welche die äußere Einheit nur ein leerer Schein ist". Wie beinahe jede Kampfhandlung dieses Bischofs, so zielte auch seine kirchliche Bannung des Sedantages auf die Liberalen, die hessischen Liberalen insbesondere, deren Feier des 2. Septembers ihm wie ein Stück des Kampfes gegen seine Kirche erschien. Die Feier, so meinte er, gehe „nicht vom gesamten deutschen Volke aus, sondern hauptsächlich von einer Partei". Diese Partei eben wollte er treffen, wollte er von neuem kirchlich verdächtig machen, moralisch belasten. Denn der Liberalismus hatte sich jetzt gerade in Hessen wider ihn erhoben, und die Wirkungskraft dieser Liberalen war jetzt weit größer als früher, weil sie mit der Darmstädter Regierung nicht mehr im Kampfe, sondern in freundlicher Verbindung standen.

Der Freiherr Reinhard v. Dalwigk hatte als hessischer Minister mit zäher Beharrlichkeit gegen Preußen gearbeitet. Das war in den Zeiten des Bundestages sein gutes politisches Recht. Aber er führte diesen Kampf auch nach 1866 heimlich weiter. Er mühte sich im Inlande und im Auslande mit gedämpfter Leidenschaftlichkeit, den Bundesstaat zu zerstören, dem das Großherzogtum selbst mit einer seiner Provinzen angehörte; er schreckte nicht zurück — man bemerkt in seinen Tagebüchern sogar seine Befriedigung —vor hochverräterischen Besprechungen mit französischen Gesandten und Sendlingen, nicht vor einem infamen Aufpeitschen der französischen Rachegefühle. Er wollte auch dann noch „europäische" Politik treiben, als das für diesen kleinen Staat Sinnlosigkeit und Treubruch zugleich bedeutete. So hielt er es bis zum Beginn des deutschen Krieges gegen Frankreich. Aber er hätte sogar im neuen Reiche sich gern als Minister des Bundesstaates Hessen behauptet. Dieser Zumutung an die politische Vernunft und an das gesunde Empfinden der öffentlichen Meinung l

) Mainz 1 9 . 8 . 7 4 : Br. 482—484. S. 174 f. (vgl. ebenda S. 174).

Auszug: Europ. Geschichtskalender 1877

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w u r d e im April 1871 ein E n d e g e m a c h t . D a s w a r i m m e r h i n erst nach den Reichstagswahlen, bei d e n e n Dalwigk in Hessen m i t seinem persönlichen u n d amtlichen Einflüsse den ihm g e s i n n u n g s - oder s t i m m u n g s v e r w a n d t e n K a n d i d a t e n , wie Heinrich v . G a g e r n , vergeblich einen Erfolg zu verschaffen s u c h t e . Großherzog L u d w i g I I I . teilte den U n m u t seines Ministers ü b e r die Siege B i s m a r c k s u n d den Aufstieg Preußens. Auch er s t a n d d e m Reiche o h n e W ä r m e gegenüber. Er opferte n u r ungern den v e r t r a u t e n Berater d e m D r u c k e der neuen Zeit. Die E r w a r t u n g , d a ß „ d a s Ministerium des allgemeinen M i ß t r a u e n s " durch ein „ a u f r i c h t i g n a t i o n a l g e s i n n t e s " e r s e t z t werde 1 ), erfüllte er auch jetzt noch nicht. Gezwungen g a b er die f ü h r e n d e Persönlichkeit preis, u m ihr System f ü r den Augenblick w e n i g s t e n s zu r e t t e n . Die hessischen Nationalliberalen, die j e t z t w e i t a u s die s t ä r k s t e Partei im Lande darstellten, d u r f t e n m i t g u t e m G r u n d e e n t r ü s t e t s p o t t e n , es sei lediglich der Minister von seinem Ministerium b e e r b t w o r d e n . 2 ) Nicht e i n neuer Mann k a m im April 1871 in der L e i t u n g der Ges c h ä f t e auf. Der überalte Freiherr Friedrich v. Lindelof (geb. 1794 in Oldenburg) wurde Minister d e s Ä u ß e r n u n d M i n i s t e r p r ä s i d e n t , blieb dabei J u s t i z m i n i s t e r . Friedrich Georg v. Bechtold, der (wie a u c h Dalwigk selbst) Mitglied des S t a a t s r a t s und lebenslängliches Mitglied der Ersten K a m m e r war, rückte von der ersten Ratsstelle im Ministerium des Innern zu dessen Leitung auf. Man r ü h m t e B e c h t o l d s Verdienste u m die L a n d w i r t s c h a f t ; u n s ist er bereits b e k a n n t 3 ) als E r b e der Überlieferungen du Thils, als selbständiger M i t a r b e i t e r Dalwigks, dem er bei manchen Auffassungsverschiedenheiten doch auch kirchenpolitisch die Gefolgschaft nicht versagt h a t t e . F i n a n z m i n i s t e r blieb Max v. Biegeleben, der zweite in der streng katholischen B r ü d e r d r e i h e i t ; sein jüngerer Bruder Arnold, Dalwigks eifervoller Verehrer, gehörte noch dem „ S t a a t s r a t " an, der j e t z t und bis zur A u f l ö s u n g im J a h r e 1875 von Lindelof geleiteten obersten b e r a t e n d e n , bei Verwaltungsstreitigkeiten auch entscheidenden Behörde. Es blieben vor allem die kirchlich gesinnten Ministerialräte der Dalwigkschen H e r r s c h a f t : im Ministerium des Innern der letzte Rodenstein, im J u s t i z m i n i s t e r i u m der Geheime S t a a t s r a t Heinrich F r a n c k , seinem bisherigen Einflüsse nach selbst J u s t i z m i n i s t e r und mehr als das. Nun w u r d e aber auch diese Regierung Dalwigkscher F ä r b u n g im Sommer 1872 durch d a s Reichsgesetz über die J e s u i t e n zum Eingreifen im bischöflichen Mainz genötigt. U n t e r d e m 9. August Grenzboten 30 (1871) I S. 322 („Aus Hessen"). Dazu, einige Wochen später, im März 1871: Preuß. Jahrb. 27 S. 368—375 „Das Ministerium Dalwigk auch im neuen Reiche". ') „Im Neuen Reich" 1871 I S. 790—795: Die Veränderung im Ministerium. Aus dem Großherzogtum Hessen. ») Vgl. oben S. 361 f. — Im übrigen zum Vorhergehenden und Folgenden neben dem Großherz. hess. Staatshandbuch 1871 ff. die gothaischen Kalender (Freiherrl.; Adlige Häuser).

Hessen im neuen Reich. Entlassung Dalwigks. Sturz seines Ministeriums

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untersagte das Ministerium des Innern den Jesuiten jegliche seelsorgerische Tätigkeit, auch Beichthören und Religionsunterricht. Ketteier versuchte, im Vertrauen auf seine Freunde in Darmstadt, die Väter von St. Christoph eben als seine Seelsorgehelfer, als Beichtväter mindestens zu halten. Aber vergebens; die Regierung blieb fest. Die förmliche und endgültige Auflösung der Mainzer Jesuitenniederlassung erfolgt allerdings erst im Spätherbst 1872, als es auch ein Ministerium Dalwigk ohne Dalwigk nicht mehr gab. Für Ketteier bedeutete das alles eine beängstigende Einleitung des Kirchenkampfes. Durch den Abzug der Jesuiten wurde besonders die priesterliche Überwachung der gebildeten Jugend schwer beeinträchtigt, aber überhaupt des Bischofs geistliches Erziehungswerk, das ein halbes Menschenalter lang frei hatte wirken können, war bedroht. Am 4. Dezember 1872, als Adolf v. Doß, der bisherige Superior der Mainzer Jesuitenniederlassung, im Begriffe stand, den Genossen in die Verbannung zu folgen 1 ), schrieb Ketteier in vertrautem Briefe*): „Wir sind jetzt ganz in dem Berliner Fahrwasser und Gott weiß, was uns noch bevorsteht." Das war gewiß ein etwas übertreibendes Urteil, wie es die Trauer um die Jesuiten dem Bischof eingab. Aber allerdings hatte die Lage sich zu seinen Ungunsten verschoben. Das preußische Vorbild war jetzt gefährlicher, weil die hessische Regierung sich von Grund auf umgebildet hatte. An demselben 14. August 1872, da den Mainzer Jesuiten jede seelsorgerische Tätigkeit polizeilich untersagt wurde, ist der Minister v. Bechtold unerwartet gestorben. Hatte er selbst schon den neuen Verhältnissen Zugeständnisse machen müssen, so konnte sein Nachfolger kaum anders als im Sinne der Reichspolitik und im Sinne Preußens bestellt werden. 3 ) Der in Bismarcks Umgebung geschätzte hessische Gesandte in Berlin, Karl Hofmann (1827—1910), wurde am 2. September 1872 mit der Bildung der Regierung beauftragt. Jetzt erst zerfiel das Ministerium Dalwigk. Jetzt mußten mit dem Minister Lindelof sofort auch die Ministerialräte Franck und v. Rodenstein gehen; der Finanzminister v. Biegeleben, der noch geschont werden sollte, wurde ein J a h r später durch seinen ersten Rat, August Schleiermacher, abgelöst. Am wichtigsten war neben dem Wechsel im Äußern und in ') Die Verbindung zwischen Mainz und den Jesuiten hörte übrigens nicht ganz auf. Doß wenigstens war im J. 1873 noch acht Monate lang bei dem frommen Maler Steinte in Frankfurt untergebracht, und dabei keineswegs untätig, vielmehr „selbst in der Verkleidung" besonders auf die Geistlichkeit von Einfluß. Brief Steinles, Frankfurt 2. 1. 74: Steinle 2, 427. — Über Doß sonst noch die kleine Biogr. v. Pfülf (» 1900) und P. v. Hoensbroech, 14 Jahre Jesuit (Volksausg.) 1, 108 f. *) 4. 12.72 an s. Schwester Sophie: Br. 467. *) Von nutzlosen Versuchen Heinrichs v. Gagern, sich als Ministerkandidat der Partikularisten u. Ultramontanen aufzudrängen, erzählt ohne genaue Einzelheiten die politische Korrespondenz der Preuß. Jahrb., Berlin 8. 9. 72: Bd. 30 S. 337.

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der Präsidentschaft der Wechsel im Ministerium des Innern. Julius Rinck Freiherr v. Starck wurde „Direktor des Ministeriums des Innern", obwohl er erst im Oktober 1871 aus der Provinzialdirektorstelle für Oberhessen als Rat ins Innenministerium berufen worden war. 1 ) Seine kirchenpolitischen Anschauungen wird er gutenteils von seinem Vater, dem energischen Oberkonsistorialpräsidenten*), überkommen haben. An der EinfQhrung der neuen hessischen Verwaltungsgesetze, vor allem der Gesetze über das Volksschulwesen und über das Verhältnis von Staat und Kirche, also an der hessischen Kulturkampfgesetzgebung, kommt dem Minister v. Starck mit der besonderen Verantwortung auch ein hervorragender Arbeitsanteil zu. Allerdings kann man in den Akten beobachten, daß der Ministerpräsident, der Starcks Leistungen mit besonderer Wärme anerkannte*), sich persönlich in erstaunlichem Ausmaße an der Einzelarbeit der Gesetzgebung beteiligte. Mit Hofmanns Berufung kam überhaupt ein frischer Zug in die Staatsverwaltung. Das muß jede unbefangene Betrachtung anerkennen, gleichviel, wie man über die Kirchenpolitik urteilen mag. Der patriarchalisch-konservative Großherzog mußte nun am Ausgange seiner Regierung, wie einst in ihrem Beginne, liberale Zugeständnisse machen. Es war ein höchst maßvoller Liberalismus allerdings, der unter Hofmann zur Herrschaft kam. Immerhin wurde doch wie mit den Personen so mit manchen sachlichen Überlieferungen des Ministeriums Dalwigk aufgeräumt. Die Städteordnung, die Landgemeindeordnung, die Kreisordnung machten dem Gedanken der Selbstverwaltung fühlbare Zugeständnisse; diese ganze Verwaltungsgesetzgebung von 1874 und 1875 konnte ein Gelehrter, der als Gießener Professor des Staatsrechts ihre Einführung miterlebt hat, „epochemachend in der Entwicklung des hessischen Staatsrechts" nennen. 4 ) Auch das oberste Verwaltungswesen wurde neu geordnet: die Minister und Ministerialräte zusammen bildeten zur Behandlung der allgemeinen Staatsangelegenheiten und damit auch der Kirchenpolitik das „Gesamtministerium". Das neue Ministerium, von Hofmann persönlich durch *) Personalakten im Staatsministerium. Kurze, nicht ganz genaue Angaben: Dt. Zeitgenossenlexikon (1905) Sp. 1402. Ebenda 629 ein unbefriedigender Artikel Ober Hofmann. Weiteres über Hofmann verstreut, zuletzt Valentin: Dt. Revue 37 III (1912). Nachrufe verzeichnet: Biogr. Jahrb. u. dt. Nekrolog 15, Jahrgang 1910 (Berl. 1913), Totenliste S. 35*; ebenda S. 82» über Starck (1825—1910). *) Vgl. oben S. 362. *) Besonders 18. 5. 76 an den GroBherzog, als er Starck zur Nachfolge in der Leitung des Ministeriums vorschlug. — Im Folgenden sind allenthalben wieder die Ministerialakten verwertet (bes.: Min. d. I. X I I I 1, Akten betr. die rechtl. Stellung der Kirchen; Staatsminister., Akten betr. den Bischof Ketteier). ') Carl Gareis, Das Staatsrecht des GroBh. Hessen ( = Handb. d. öff. R e c h t s . . . , hg. v. Marquardsen 3 13, Freiburg 1884, S. 50—112) S. 98. — Zum Folg. ebenda S. 74 und Gg. Meyer, Pari. Wahlrecht (1901) S.244.

Ministerium Hofmann (Sept. 1872—Mai 1876). Landtagswahl v. Dez. 1872

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eine Rede vom 19. September 18721) auch in Mainz eingeführt, hatte sofort ein neues Wahlgesetz vorgelegt: hier wurde der Dalwigksche Einbruch des Vertretungsgedankens der Ersten Kammer in die Zweite Kammer wieder gutgemacht und also die bisherige Vertretung des grundherrlichen Adels in der Zweiten Kammer — es waren immerhin 6 Abgeordnete — beseitigt, nur in der Ersten Kammer wurden jetzt diesem Adel zwei gewählte Mitglieder zugebilligt; das an die Steuerzahlung gebundene Wahlrecht blieb indirekt, je die Hälfte der Abgeordneten wurde alle drei Jahre neugewählt, auch die Wahlkreise wurden geändert. Die Klerikalen und ihre Gegner stellen die Landtagswahl vom Dezember 1872 in das Zeichen der Kirchenfrage. Die Mainzer „katholische Volkspartei" 2 ) ließ im Wahlkampf, ähnlich wie bei den Reichstagswahlen, neben den kirchlichen die demokratischen Gedanken wirken, nicht ohne durch volkstümliche Klagen Ober Staats- und Kommunalsteuern, durch bequeme Agitation gegen Kapitalismus und Militärstaat den Vorstellungen der Massen entgegenzukommen: der Liberalismus wurde ihnen verdächtig gemacht als der Steuerbringer, als der bewilligungsfreudige Förderer der Militärlast, die „die Kraft und den Wohlstand des Volkes verzehre"; man suchte dabei die Alt-Mainzer Eifersucht aufzustacheln gegen das „herbeigezogene Volk", das „die Millionen, welche unsere Voreltern uns hinterlassen," bald aufgezehrt haben werde. Vor allem aber wurde, wie der Parteiname schon ankündigte, das katholische Bewußtsein angerufen. Die katholische Religion wurde als die einzige Macht bezeichnet, die dem sog. Fortschritt noch im Wege stehe. Ein Wahlaufsatz des „Mainzer Journals" verkündete in vergröbertem Bischofsstile, die katholische Religion Oberhaupt solle bekämpft, wenn möglich vernichtet werden, weil ihre Glaubens- und Sittenlehre mit den Grundsätzen der leitenden Personen im Deutschen Reich und speziell im Großherzogtum Hessen nicht in Einklang zu bringen seien; sie solle vernichtet werden, weil sie fOr das neue Heidentum nicht passe. Der eigentliche Wahlaufruf wußte die besonderen katholischen Anliegen in den allgemeinen Freiheitsgedanken so gut aufgehen zu lassen, wie man sie noch wenige Jahre vorher in den Gedanken der Reaktion und der Regierungswillkür geborgen h a t t e : „Freiheit des Gewissens, der Erziehung, des Unterrichts, der Presse und Wissenschaft" — der katholische Sinn dieser liberalen Worte wurde gesichert durch die förmliche Gleichsetzung von Freiheitsschutz und Kirchenschutz. Die von Mainz aus geleitete klerikale Wahlarbeit führte nun freilich nur zu dem höchst bescheidenen Erfolge, daß die klerikale Partei im Landtag ihren unbedeutenden Bestand behauptete: der katholische Abgeordnete für Bingen und der katholische Bürgermeister von Seligenstadt wurden wiedergewählt. Kißling, Gesch. d. Kulturkampfes 2 (1913), 8. 452. ») Zum Folg.: Mz. J. 1872 Nr. 283 (4. 12.), 286 (7. 12.).

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IV 2: Kirche und Staat: Der Kulturkampf

Was sollten diese zwei Manner von der „katholischen Volkspartei" bedeuten bei der Übermacht der Liberalen, jetzt, da Regierung und Liberale zusammengingen ? Das Ministerium Hofmann hatte sofort eine gesetzliche Ordnung der Beziehungen zwischen Staat und Kirche in Aussicht gestellt. Das entsprach den alten Wünschen der Liberalen, die unter Dalwigk nicht hatten durchdringen können. Jetzt freilich war jeder Gedanke an eine solche Gesetzgebung berührt von der Kulturkampfluft. Auch Hofmann und Starck dachten vor allem an staatliche Abwehr gegen kirchliche Ansprüche. Sie drängten nicht zum Kampfe. Auch sie hielten sich, insbesondere in der Anerkennung der bischöflichen Stellenbesetzung, noch an die Dalwigksche „Übereinkunft", die im Herbst 1866 förmlich, doch unter einer den Bischof beruhigenden Regierungserklärung und ohne ihre tatsächliche Geltung einzubüßen, aufgehoben worden war. Indessen machte sich der Wechsel in der politischen Leitung auch hier bemerkbar: die Regierung wahrte der bischöflichen Behörde gegenüber ausdrücklich die Rechte der Staatsgewalt 1 ); also bestand sie auch auf Erfüllung der bischöflichen Anzeigepflicht für die Ernennung zu Kirchenpfründen und auf dem Regierungsrechte des Einspruchs. Schon im Spätjahr 1872 begann im Ministerium die Vorbereitung der Kirchengesetzentwürfe. Der Mainzer Bischof hatte die Denkschrift des deutschen Episkopats vom 20. September 1872 seiner Regierung nicht amtlich mitgeteilt; darum ließ man sie in Darmstadt auf sich beruhen. 2 ) Aber Kettelers Hirtenbrief über diese Denkschrift wurde, eine geistliche Belehrung der Staatsbehörde, in formloser Weise kurzerhand dem Ministerium des Innern übersandt. Den Minister v. Starck verstimmte das. Aber es gab keine gesetzliche Handhabe zum Vorgehen gegen dieses „Agitationsmittel" des Bischofs. Allerdings wurden die Kreisämter zur Beachtung der Kanzelvorträge angehalten; man wollte also gegebenenfalls mit Hilfe des Kanzelparagraphen einschreiten. Auch befestigten Denkschrift und Hirtenbrief den überhaupt am ehesten zum entschlossenen Vorgehen neigenden Starck in der Überzeugung von der Notwendigkeit, die staatlichen Rechte gegenüber der katholischen Kirche gesetzlich zu sichern. Er hätte am liebsten eine einheitliche Gesetzgebung der deutschen Staaten, also etwas wie ein Reichskirchengesetz in der Form von gleichgearteten Einzelstaatsgesetzen durchgeführt gesehen. Nicht erst die preußische Gesetzgebung von 1873 hat in Darmstadt den Anstoß zu Gesetzentwürfen gegeben. Dem preußischen Landtage Hervorgehoben in der vom Ministerpräsidenten v. Starck 4. 5. 1881 dem Großherzog Ludwig IV. überreichten Denkschrift (Akten des Min. d. I.). — Zu der Bestimmung der „Übereinkunft" über die Pfrflndenvergebung vgl. oben S. 260 mit Anm. 2. *) Min. d. A. an das württ. Min. d. A. 29. 10. 72: Akten des Staatsminist. — Zum folg.: M. d. I. an Min. d. A. 23. 10. 72.

Vorbereitung d. hessisch. Kirchengesetze.

BischOfl. u. staatl. Schulpolitik

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lag nur der Entwurf eines Gesetzes über kirchliche Strafmittel vor, als dem hessischen Ministerpräsidenten Mitte Dezember 1872, noch vor dem Zusammentritt des neuen Landtags, aus dem Ministerium des Innern der Entwurf eines Kirchengesetzes von 53 Artikeln zuging. Durch das preußische Vorbild wurde Hofmann dann veranlaßt, den Stoff auf mehrere Gesetzesvorlagen zu verteilen. Es war nicht mehr so wie in Dalwigks Zeiten, daß der Ministerpräsident die kirchenpolitische Einzelarbeit einfach seinen Räten Oberlassen hätte. Hofmann setzte sich selbständig mit den Fragen auseinander. Gegen Ende Februar 1874 legte er dem Ministerium zur weiteren Beratung Entwürfe eines Gesetzes Ober das allgemeine Rechtsverhältnis von Staat und Kirche und eines Gesetzes Ober den Mißbrauch der geistlichen Amtsgewalt vor. Aber ehe die kirchenpolitischen Gesetze an den Landtag herankamen, hatte dieser ein neues Schulgesetz bereits verabschiedet. Nach außen war Oberhaupt früher als die in die Anfänge der Ministerschaft Hofmanns zurückreichenden kirchlichen Gesetzentwürfe der Entwurf des neuen Schulgesetzes hervorgetreten.^) Ein solcher war in der Zweiten Kammer bereits am 21. Februar 1873 gefordert worden durch einen liberalen Antrag auf Wiederherstellung der katholischtheologischen Fakultät in Gießen, Vereinigung der beiden (konfessionell getrennten) Lehrerseminare, Einrichtung lediglich konfessionsloser Volksschulen ohne konfessionellen Religionsunterricht durch die Lehrer. Die Regierung versagte sich derartigen radikalen Vorschlägen. Sie wollte sich mit maßvollen Neuerungen begnügen, und Starck hielt auch persönlich mit Schärfe diesen Standpunkt gegenüber liberalem Drängen aufrecht. Für den Bischof aber mußte auch eine zurückhaltende Begünstigung der Simultanschulen als gefährlicher Angriff auf die in Dalwigks Tagen glücklich ausgebaute kirchliche Herrschaft im katholischen Volksunterricht erscheinen. Er hatte in seiner Schalpolitik ungewöhnlich große Erfolge errungen. 1 ) Die Kommunalschule, die der Liberalismus zum Siege hatte führen wollen, war auf katholischem Boden nur noch mehr zurückgedrängt, Ordensleuten die staatliche Anerkennung ihrer Unterrichtsanstalten gewährt und die Lehrtätigkeit an staatlichen Schulen gestattet worden. Die gesetzliche Grundlage des hessischen Schulwesens bildete das Schuledikt von 1832. Ketteier hatte diese von den Liberalen längst befehdete alte Verordnung noch vor wenigen Jahren zu Dalwigks besonderer Befriedigung als vorbildlich gerühmt.*) *) Doch wußte die Presse aber die Absicht der Regierung, Kirchengesetze nach preußischem Muster zu geben, bereits Anfang Mai 1873 zu berichten. Aus der Köln. Zeitung dem Mz. J. (1873 Nr. 104; 5. 5.) aus Darmstadt 3. 5. gemeldet. ») Vgl. oben S. 305 ff. ') Vgl. oben S. 523. VI g e n e r , Bischof Ketteier

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IV2: Kirche und Staat: Der Kulturkampf

J e t z t , da dem Bischof mit dem Sturze des Ministeriums Dalwigk der politische R ü c k h a l t entzogen war, m u ß t e ihm das Edikt von 1832 als der rechtliche Rückhalt auch f ü r seine kirchlichen Schulgedanken noch wichtiger werden. Sobald im Marz 1873 der Gesetzentwurf über die Volksschulen veröffentlicht worden war, bekämpften ihn die Klerikalen. Zu Beginn des J a h r e s h a t t e sie noch die H o f f n u n g auf einen Zwiespalt zwischen dem Ministerium und der, namentlich wieder von August Metz gef ü h r t e n Kammermehrheit freundlich umgaukelt. 1 ) Und selbst am 9. Juli noch brachte das „Mainzer J o u r n a l " — jetzt war Philipp Wasserburg der verantwortliche Leiter*) — von „einem praktischen Schulmanne weltlichen Standes", der offenbar die kirchlichen Hoffnungen nicht völlig aufgegeben h a t t e , einen Aufsatz über das Schuledikt von 1832: den Hauptfehler sah er in einer etwas umständlichen Behördenordnung, den Hauptvorzug in der „gleichmäßigen" Beteiligung des geistlichen und weltlichen Regiments an der Verwaltung der Schule. Diesem bedeutenden, in den katholischen Schulen durchaus vorherrschenden Einfluß des Klerus drohte nun das neue Gesetz den Boden zu entziehen. Die Klerikalen waren in einer schwierigen Lage. Unter Dalwigk konnten sie die Segnungen eines verschleierten Absolutismus in dem Verfassungsstaate mit liberaler Kammermehrheit ungestört genießen. J e t z t , da sie im Reiche, in Preußen und sonst mit dem Parlamentarismus arbeiteten, mußten sie sich auch in Hessen, wo sie einer gelinde liberalisierenden Regierung und einer kräftig liberalen Kammermehrheit gegenüberstanden, wohl oder übel mit den verfassungsmäßigen Wegen abfinden. Sie bezweifelten das Bedürfnis nach Preisgabe des, wie sie behaupteten, „alle Interessenten" befriedigenden Schuledikts, aber sie gestanden, d a ß gegen eine gesetzliche Regelung des Schulwesens im Grunde nichts einzuwenden sei. 8 ) Diese kirchlich bedenkliche Anerkennung des verfassungsmäßigen Rechtes bedeutete für den klerikalen S t a n d p u n k t eine Gefahr, die auch durch die Kampfansage gegen den Inhalt der Gesetzvorlage nicht zu bannen war. In der Abwehr der Gegner ließen d a r u m auch 1 ) Mz. J. 1873 Nr. 20 (28. 1.). — Metz ist bereits 23. 2. 74, im 56. Lebensjahre, plötzlich gestorben. Mz. J. 1874 Nr. 46 (25. 2.) bemerkt dazu: „Die nationalliberale Partei verliert in ihm ihren alleinigen Führer, für sie ist der Verlust allerdings unersetzlich', denn der bereits eingetretene Zersetzungsprozeß der Partei wird bald offen und klar zu Tage treten." — Nr. 47 aus Darmstadt 25. 2 eine unfreundliche Notiz über die Bestattung. 2 ) Seit 1.4.73. — Uber Wasserburg s. oben S.516Anm.4. — Daß der zuerst im Mz. J. veröffentlichte „Brief an den Kaiser" (Aber den berühmten Briefwechsel zwischen Papst und Kaiser v. 7. 8. u. 3. 9. 73) nicht von Wasserburg, sondern von K. herrühre, ist eine willkürliche Behauptung eines gehässigen Aufsatzchens (Kvorsichtigerweise nicht mit Namen genannt!) im „Dt. Merkur" 5 (1874) Nr.8 (21.2.) S. 57 f. 3 ) Mz. J. 1873 Nr. 155 (7. 7.) „Die Schulfrage".

Entwurf und Veröffentlichung des hessischen Schulgesetzes (1873, 1874)

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der Bischof und die Seinen die Frage des verfassungsmäßigen, des staatlichen Rechtes verschwinden hinter den Sätzen des kirchlichen Rechts und der kirchlichen Rechtsanschauung. Der gesamte Pfarrklerus der Mainzer Diözese und die große Masse der von ihm geleiteten katholischen Gemeinden versuchten durch Eingaben an Ministerium und Landtag, durch öffentliche Versammlungen und durch die Presse der Gefahr entgegenzuwirken. 1 ) Das blieb vergeblich. Am 16. Juni 1874 wurde das neue Schulgesetz veröffentlicht. Damit war nun allerdings der bisherigen Begünstigung der Konfessionsschulen wie des geistlichen Wirkens in der Schulaufsicht und der Schulleitung die gesetzliche Grundlage genommen, auch die überkommene tatsächliche Stellung der Kirche im Schulwesen stark bedroht. Man versteht den kirchlichen Widerspruch gegen die Vorlagen und dann auch gegen das Gesetz selbst. Einen ausgesprochen kirchenfeindlichen Charakter trugen indessen die neuen Bestimmungen keineswegs. Man darf sogar von billiger Rücksicht auf die Kirche sprechen. Die Staatsschule ist gesetzliche Schule, aber private Schulen sind mit Genehmigung und unter Aufsicht der Staatsbehörde zugelassen; die Grundform der Schule soll die nichtkonfessionelle, gemeinsame Schule mit konfessionellem Religionsunterricht sein, aber überall, WO katholische und protestantische Schulen mit mindestens je 30 Schülern nebeneinander bestehen, bleibt es bei den Konfessionsschulen, wofern nicht die Mehrheit der Gemeindevertretung sich für die Umwandlung entscheidet; der Lehrer soll mit Rücksicht auf die Konfession der Mehrzahl der Kinder ausgewählt werden — so bestimmte das Gesetz, während der Entwurf über die Frage nach der Konfession des Lehrers hinweggegangen war; die Oberstudiendirektion mit ihrem in Dalwigks Zeiten so einflußreichen Vertreter der katholischen Landeskirche verschwand, die Geistlichen wurden auch nicht mehr Kreisschulinspektoren, aber aus dem Ortsschulvorstande wurden sie nicht verbannt. War das Gesetz kein Kampfgesetz, so widersprach es doch schroff den kirchlichen Forderungen nach möglichst einheitlicher kirchlicher Erziehung, führte zur Beschränkung des kirchlichen Einflusses, auch zur Zerstörung kirchlicher Schulen. Die Schulschwestern verloren ihre staatlichen Stellungen: ein Schlag für die ländlichen katholischen Mädchenschulen, vor allem aber für diese von Ketteier gestiftete Ordensgemeinschaft selbst. 2 ) In einigen rheinhessischen Orten bekam die Kirche bald den Schaden zu fühlen*), aber am stärksten drohte die x ) An die Erste Kammer, auf die er am ehesten rechnen konnte, richtete der Klerus schon im Juli 1873 einen Protest wider die „Rechtsverletzungen gegen die Eltern, die Kinder und die Kirche". Mz. J. 1873 Nr. 166 (19. 7.). *) Vgl. oben S. 298 (Finthener Schwestern). 3 ) Neben den Zusammenstellungen bei Pfülf vgl. z. B. Mz. J . 1876 Nr. 104 (4. 5.), auch 1875 Nr. 106 (8. 5.), 107, 108 (gegen die neuen Schulbücher).

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Gefahr in den Städten, und in der Bischofsstadt selbst war es in der Tat rasch um die Konfessionsschule geschehen. Die Mainzer Bürger überhaupt, auch die katholischen, gehörten überwiegend dem Liberalismus an. Bei den Gemeinderatswahlen vom Herbst 1874 hatten die Klerikalen allerdings weit günstiger abgeschnitten als früher. Aber auch jetzt noch standen ihren 10 Vertretern 17 Nationalliberale gegenüber, und wenn sie vielfach auf die Unterstützung der drei unpolitischen Stimmen rechnen durften, so konnten doch die 6 Demokraten, trotz ihrer geringen Vorliebe für die liberalen Nachbarn, in kulturpolitischen Fragen kaum mit den Klerikalen gehen. So wurde ein Nationalliberaler zum Bürgermeister gewählt und so fand sich die einfache Mehrheit, die statt der bisherigen Zweidrittelmehrheit für den Beschluß zur Umwandlung der Schulen genügte, leicht zusammen. Im Frühjahr 1875 wurde die Einleitung des Verfahrens beim Mainzer Kreisamt beantragt, im Herbst 1875 waren die katholischen Pfarrschulen wie die evangelischen Schulen zu gemeinsamen Stadtschulen geworden. Dagegen blieben die Schulverhältnisse an den Orten unangetastet, wo Anstalten beider Konfessionen bestanden und die kirchentreuen Katholiken die Mehrheit hatten oder in der Gemeindevertretung durch altgläubige Protestanten wirksam unterstützt wurden. In den Dörfern aber, die bisher nur katholische Schulen kannten, wurde durch das Gesetz zumeist nur der Name, nicht der Geist der Schule verändert. Der Bischof wies im Herbst 1875 die Pfarrer an, namentlich als Mitglieder des Ortsschulvorstandes alle Befugnisse auszunutzen, und noch im Sommer 1876 konnte er doch nur in wenigen Schulen eine schlimme Wirkung des Kulturkampfes wahrnehmen. 1 ) Die kirchlich-katholische Gegenarbeit wider staatliche Gesetzgebung und liberale Kulturpropaganda erlahmte nicht. Die Domherren und die Pfarrer, die katholischen Blätter — neben dem „Mainzer Journal" mit seinem volkstümlichen „Abendblatt" machte sich der noch derbere und volkstümlich-anspruchslose „Starkenburger Bote" bemerkbar —, nicht zuletzt viele katholische Lehrer standen dem Bischof zur Seite. Bereits im Juni 1872 hatten kirchenstrenge Volksschullehrer dem allgemeinen „Hessischen Landes-Lehrerverein" den „Hessischen Lehrerb u n d " entgegengestellt, der sich nicht katholisch nannte, auch in seinen Satzungen nur von „christlichen" Erziehungsprinzipien sprach, aber in seinem Aufruf an „die" Lehrer Hessens 1 ) die Forderung einer „christlichen" Volksbildung doch auch erhob „im Namen der Kirche, welche die Erziehung für die Ewigkeit zu leiten berufen ist". Vor allem aber Ketteier persönlich hat das Seinige getan, den unkirchlichen Geist von der staatlichen Schule auch fortan fernzuhalten. Seine Visitationsreisen dienten, wie in alter Zeit, auch der ') An s. Schwester Sophie, Mainz 3. 7. 76: Br. 527; dazu 11. 8. 76 an 8. Schwagerin Paula: Br. 529. ') Mz. J. 1872 Nr. 139 (17. 6.).

Wirkungen des Schulgesetzes. Kettelers Schrift über die Schulgesetzgebung

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Prüfung katholischer Lehrer und Schüler, der Schulverhaltnisse überhaupt. Zu dem hessischen Schulgesetze schrieb er im Anfang des J a h r e s 1876 eine volkstümlich aufklärende und warnende Broschüre 1 ), ein bescheidenes Belehrungsbüchlein für die Eltern, das kaum etwas anderes voraussetzt, als guten kirchlichen Willen: er ermahnt die Eltern, durch eigene Erziehungsleistung im kirchlichen Sinne zu ersetzen, was den Kindern in einer unkatholischen Schule vorenthalten bleibe; er selbst gibt sogleich den Eltern Anweisung zu den Handreichungen frommer Kindererziehung. Diese Anweisungen nach den Vorschriften des Katechismus mit schlichter kirchlicher Begründung und Nutzanwendung ergänzte er aber — damit wurde auch dieses bischöfliche Mahnwort zum Kampfaufruf — durch die Aufforderung zur Wachsamkeit gegenüber der religiös-sittlichen Richtung der gemeinsamen Volksschule, durch die unmittelbare Aufforderung an die Eltern, gegen jede Schule, die in der Kindererziehung die Verbindung verliere mit der „christlichen" Überzeugung der Eltern, bei den Staatsbehörden Einspruch zu erheben. E r mahnt schließlich auch zu p o l i t i s c h e r Gegenarbeit, indem er — die Zentrumspartei empfehlend, ohne sie zu nennen — von den Eltern den entschiedenen Anschluß an die Bestrebungen jener „christlichen Männer" begehrt, die für die Freiheit des Unterrichts eintreten, also die freie Gründung freier katholischer Schulen auf dem Wege der Gesetzgebung durchzusetzen suchen. Der kirchliche Einfluß auf die Gesetzgebung freilich war jetzt ausgeschaltet. Aber die parlamentarische Vertretung der Klerikalen stand auch in Hessen vor dem Aufstieg. Wenn Ketteier nur die bescheidenen Anfänge erlebte — den drei klerikalen Abgeordneten gesellten sich im Herbst 1875 immerhin noch der erprobte Johann Falk und sein Mainzer Landsmann R a c k i — , so hatten er und seine Helfer doch die Wege gewiesen, und der beharrliche kirchliche Widerstand, zu dem jede Schrift, jedes Wort des Bischofs ermahnte, war die wichtigste Voraussetzung der kommenden Erfolge. Auch in der Gegenwart schon wurde durch das einmütige Zusammenhalten der vom Bischof geführten kirchentreuen Katholiken wenigstens der Anprall des Feindes gemildert. Die hessische Kirchengesetzgebung folgte jenem kirchlich geächteten Schulgesetze rasch nach. Aber diese dem preußischen Vorbild angepaßten Gesetze sind in Hessen nicht mit der preußischen Strenge durchgeführt worden. Das erklärt sich wohl auch daraus, daß unter den Richtern manche kirchliche Katholiken 0 „Die Gefahren der neuen Schulgesetzgebung für die religiös-sittliche Erziehung der Kinder in den Volksschulen. Ein Wort der Belehrung und Ermahnung an die Eltern. Von Wilhelm Emmanuel, Freiherrn von Ketteier, Bischof von Mainz." (Mainz 1876. 71 S.). — Dazu die vier Predigten K.s „Die Pflichten des Elternhauses unter den modernen Schulverhältnissen" (Mz. 1877. 78 S.) — das letzte Bachlein, das K. veröffentlicht hat. — Aug. Lehmkuhl S. J. verwies noch zu Lebzeiten K.s lobend auf die Schulschrift von 1876: Stimmen aus Maria-Laach 12 (1877), 429f.

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IV 2: Kirche und Staat: Der Kulturkampf

saßen, namentlich am Mainzer Obergerichte. 1 ) Vor allem aber behandelte die hessische Regierung selbst die Kirchensachen erheblich gelinder als der große Nachbarstaat. Der Bischof persönlich wußte sich die Bewegungsfreiheit zu wahren und er empfand das, angesichts der Schicksale der meisten preußischen Bischöfe, als eine gnädige Fügung. Ungestört predigte er in Mainz und allenthalben in seiner Diözese. In alter Weise hielt er seine von Klerus und Volk gefeierten und gefürchteten prüfenden Besuche in den Pfarreien. Bei einer Firmungsreise im Vogelsberg konnte er noch im Sommer 1876 der verwaisten Fuldaer Diözese bischöflich beistehen: dritthalbtausend Firmlinge aus dem preußischen Gebiete strömten ihm zu. Dabei hat er sich zwar zumeist vorsichtig und geschickt gehalten, in seinem literarischen Kampfe gegen die hessische Gesetzgebung aber keineswegs der Regierung viel Rücksicht erwiesen. Namentlich mit dem Innenminister v. Starck war er schon im Februar 1874 wegen der Jesuiten etwas unsanft zusammengestoßen 2 ); so konnten die unter Hofmanns Ministerpräsidentschaft noch ganz erträglichen förmlichen Beziehungen zwischen Bischof und Regierung erschwert scheinen, als Starck im Mai 1876 auf Vorschlag des an die Spitze des Reichskanzleramtes berufenen Hofmann die Leitung übernahm. Die großen Kirchengesetze aber gehören alle noch dem Ministerium Hofmann an; ihre Entwürfe gehen, soweit nicht der unermüdlich auch mit den Kirchenfragen beschäftigte Ministerpräsident selbst sie ausarbeitete, allerdings überwiegend auf Starck zurück. Das hessische Gesetz über die rechtliche Stellung der Kirchenund Religionsgemeinschaften im Staate vom 23. April 1875 konnte sich stützen auf die in der Zweiten Kammer immer wieder ausgesprochenen Wünsche nach gesetzlicher Regelung des Verhältnisses zwischen Staat und Kirche und hält sich im Wortlaut teilweise unmittelbar an den großen Gesetzentwurf von 1862"), aber der dort in Anlehnung an die preußischen Verfassungsparagraphen ausgesprochene Satz über die Kirchenfreiheit war nun nach dem preußischen Muster vom April 1873 eingeschränkt; die unmittelbare Wendung gegen die katholische Pfülf 3, 233. — Vorsichtig angedeutet z. B. schon in der (auch zu den Akten des Min. d. I. genommenen) außerord. Beilage z. Allg. Zeitg. 1876 Nr. 264 (20. 9.). — Mit der Neuordnung des Gerichtswesens 1878 wurde das Darmstädter Oberlandesgericht der zuständige höchste Gerichtshof im Sinne der Kirchengesetze. ' ) „Kann ein Jesuit von seinem Obern zu einer Sünde verpflichtet werden? Correspondenz mit dem Präsidenten des GroBherzogl. Hessischen Minist, des Innern Frhr. von Starck." — Als neu erschienen verzelchn.: Mz. J. 1874 Nr. 46 (25. 2.); Inhalt wiedergegeben: Nr. 49, 50, 51. *) Vgl. oben S. 406 ff. — Zum Folg.: oben S. 670 f. — Die hessischen Kirchengesetze am bequemsten (und mit Hinweisen auf die Kammerverhandlungen) bei A. Schmidt, Quellen S. 126 ff. und 209 ff. — Im übrigen das Folgende nach den Akten, auf die nur z. T. im einzelnen verwiesen wird.

Entstehung und Inhalt der hessischen Kirchengesetze vom April 1875

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Kirche, gegen die vatikanische Kirche überhaupt, gegen die Mainzer Kirche und die Verteidigungsmethode ihres Bischofs im besonderen ist zu erkennen in dem Satze: „Insbesondere kann keine Kirche oder Religionsgemeinschaft aus ihrer Verfassung oder ihren Verordnungen Befugnisse ableiten, welche mit der Hoheit des Staates oder mit den Staatsgesetzen in Widerspruch stehen." Darüber nämlich war man sich im Ministerium, war sich der Ministerpräsident persönlich von vornherein klar, daß Ketteier überhaupt dem Staate das Recht zur freien, verfassungsmäßigen Gesetzgebung in Sachen der katholischen Kirche bestreiten werde. Gerade diese Gewißheit aber mußte der Regierung, wenn sie schon einmal zur Kirchengesetzgebung schreiten wollte, den Entschluß erleichtern, auch die preußischen Maigesetze über die geistliche Amtsgewalt und über Vorbildung und Anstellung der Geistlichen nachzuahmen; dabei übernahm sie indessen, was die tatsächliche Wirkung des Gesetzes crheblich abmildern sollte, nicht die preußische Vorschrift 1 ) über die (fast immer den Bischof treffenden) Geldstrafen bei ungesetzlicher Verzögerung der Wiederbesetzung einer erledigten Pfarrei. Von den übrigen beiden Gesetzen, die am 23. April 1875 erlassen wurden, regelt das eine das kirchliche Besteuerungsrecht', es mußte dem Bischof als unerwünscht gelten, war aber zu ertragen. Das andere dagegen bedrohte die großen klösterlichen Schöpfungen Kettelers mit dem Untergange. Dieses Ordensgesetz (dem das preußische erst fünf Wochen später nachfolgte) schloß grundsätzlich neue Niederlassungen aus und verwehrte den bestehenden die Aufnahme neuer Mitglieder; aber diese allgemeinen Bestimmungen wurden erheblich eingeschränkt zugunsten der Kirche: das Ministerium des Innern konnte den nur dem Unterricht dienenden weiblichen Orden und Kongregationen, die Unterrichtsanstalten besitzen, die dauernde Aufrechterhaltung des Bestandes an Lehrkräften gestatten und den ausschließlich mit der Krankenpflege beschäftigten Orden und Kongregationen nicht nur die Aufnahme neuer Mitglieder sondern auch die Errichtung neuer Niederlassungen. Freilich: alles unterstand der Staatsaufsicht, und jederzeit konnte das Gesamtministerium auf Antrag des Ministeriums des Innern die Auflösung bereits bestehender Niederlassungen und Anstalten beschließen — „aus Gründen des öffentlichen Wohls oder wegen Ungehorsams gegen die Vorschriften des Gesetzes". Ketteier hat alle diese schmerzlichen Eingriffe in das Kirchenrecht und in seine bischöfliche Arbeit bekämpft, sobald am 9. September 1874 die Gesetzentwürfe veröffentlicht waren. Übrigens sind vorausgehende kirchenpolitische Anträge der Zweiten Kammer von der Regierung in Fühlung wie mit dem protestantischen Oberkonsistorium ') Preuß. Gesetz v. 11. 5. 73 § 18: Hinschius, Die preuß. Kirchengesetze des J. 1873 S. 137. — Auch das preußische „Sperrgesetz" vom 22. 4. 75 (vgl. oben S. 678) wurde in Hessen nicht nachgeahmt. Vgl. dazu das Versprechen der Regierung vom August 1854: oben S. 257.

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so mit dem bischöflichen Ordinariat behandelt worden. Der Abgeordnete Schaub, ein evangelischer Pfarrer, hatte am 19. Februar 1873 einen Antrag eingebracht Ober die Besteuerungsrechte der Kirchenund Religionsgesellschaften. Das Ministerium des Innern forderte am 29. April von der katholischen und der evangelischen Kirchenbehörde Berichte ein. Während das Oberkonsistorium erst nach zweimaliger Mahnung am 4. Juli antwortete, dann freilich sogleich einen ganzen Gesetzentwurf nebst Motiven vorlegte 1 ), schickte das bischöfliche Ordinariat bereits unter dem 28. Mai einen von Heinrich unterzeichneten und offenbar auch verfaßten Bericht. Mainz bestritt in der Frage der staatlichen Leistungen für die Kirchen grundsätzlich die rechtliche Gleichstellung von katholischer und evangelischer Kirche: der katholischen Kirche gegenüber habe der Staat im Reichshauptschluß von 1803 die rechtsverbindliche Verpflichtung zu den Leistungen an die Kirche, namentlich für Bischof, Domkapitel, bischöfliche Kanzlei, Besoldung der Geistlichen, übernommen; solche staatlichen Leistungen seien nur auf bestimmten einzelnen Rechtstiteln beruhende Entschädigungen ffir das Kirchenvermögen, das dem Staate zugefallen sei. Diese Mainzer Erklärung zeigte für den Einzelfall, was das Ministerium überhaupt in allen diesen Fragen von dem bischöflichen Ordinariate zu erwarten hatte. Über Kettelers persönliche Haltung gegenüber den kirchlichen Gesetzentwürfen mußte das Ministerium wenn nicht schon durch alles, was der Bischof je gesagt und getan hatte, so durch das Studium der Ministerialakten aus Dalwigks Zeiten belehrt werden. Wie Hofmann richtig voraussah, erhob Ketteier ganz allgemein gegen die staatliche Kirchengesetzgebung als solche Einspruch. Aber nicht alle Entwürfe erschienen dem Bischof in gleicher Weise unerträglich. Sein schärfster Widerspruch wandte sich gegen die Vorschriften über Vorbildung und Anstellung der Geistlichen. Hier fühlte er sich nicht nur in seiner kirchlichen, seiner bischöflichen Geltung und in seinem geistlichen Empfinden getroffen, sondern geradezu in seiner heiligsten Herzensüberzeugung. Der Ton des Schreibens, das er am 24. September 1874, dritthalb Wochen nach der Veröffentlichung der Gesetzentwürfe, an das Staatsministerlum richtete'), ') Es verdient erwähnt zu werden, dafi das GroBherzogl. Oberkonsistorium die Bogen mit den vorgedruckten Worten „Untertanigster Bericht" noch damals verwandte, die K. persönlich sofort gestrichen hatte (s. oben S. 166) und die dann auch vom bischöft. Ordinariat nicht beibehalten wurden. *) Akten des Staatsministeriums. 39 Folioseiten, nur die Unterschrift eigenhandig. Praes. 28. 9. 74. — Vermerk: Ad acta. Dst. 24. 10. 74 Beschl. im Großh. Gesamt-Ministerium. Hofmann. — Bleistiftvermerk, gleichfalls von Hofmanns Hand: Nach Eintrag mir wieder vorzulegen. — Gedr.: Mz. J. 1874 Nr. 231 (5. 10.); Br. 485=496. — Das Schreiben ist auf der Firmungsreise in Ockstadt unterschrieben. Starke Mitarbeit Heinrichs ist anzunehmen, einiges aber mindestens geht auch im Wortlaut auf K. zurück. — Zur Klerikererziehung und Stellenbesetzung vgl. besonders oben S. 184 f., 226 ff., 232 f., 257 f., 260 f., 280 f., 289.

Kettelers Einspruch gegen die Entwürfe der Kirchengesetze (Sept. 1874)

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steigert sich denn auch eben an diesem Punkte zu eindrucksvoller Leidenschaftlichkeit: er kann die künftigen Geistlichen nicht den Gefahren der unchristlichen, der kirchenfeindlichen philosophischen und geschichtlichen Universitätsausbildung preisgeben; er will sich nicht die Möglichkeit entziehen lassen, „der heiligsten unter allen seinen Amtspflichten, nämlich der Pflicht der Heranbildung eines tiefgläubigen, in christlicher und katholischer Wissenschaft gründlich gebildeten, von Jugend auf sittenreinen Klerus irgendwie zu genügen", er will seine Theologen nicht den katholischen Universitätsfakultäten anvertrauen, deren Professoren, auch wenn sie nicht, wie in Bonn, größtenteils altkatholisch sind, jederzeit durch unkirchlich gesinnte ersetzt werden können. „Unter diesen Umständen müßte ich nicht ein katholischer Bischof, sondern ein Mann ohne Glauben und Verstand und ein Verräter an meiner Kirche und meinem Amte sein, wenn ich mich nicht der Ausführung dieser Gesetzesbestimmungen mit aller Kraft entgegensetzen und nicht lieber alles dulden, als zu solchem Seelenverderben mitwirken wollte." Durch diesen Satz ist schon inmitten der bischöflichen Erklärung, die alle fünf Gesetzentwürfe abzufertigen sucht, der Widerstandswille des Bischofs ausgedrückt und die Stimmung des den Einspruch abschließenden Satzes vorweggenommen, der nun freilich ein Bischofswort ohne Einschränkung bringt: „Ich werde lieber alles erdulden, als von meiner bischöflichen Pflicht um ein Haar breit abweichen und auch nur im kleinsten Punkte dem katholischen Glauben und dem Rechte und der Freiheit der katholischen Kirche etwas vergeben, und ich habe die feste Zuversicht, daß der gesamte Klerus und das ganze gläubige katholische Volk der Diözese Mainz in unauflöslicher Einheit mit mir verbunden sind und bleiben werden." Es folgte wohl noch ein sanftes Schlußsätzchen, daß „dieses Wort rückhaltloser Offenheit niemanden verletzen, vielmehr zum Nutzen des katholischen Volkes und zum Frieden unseres Vaterlandes eine wohlwollende Aufnahme finden" möge. Aber Ketteier redete sich nicht ein, mit seinem Widerspruche jetzt noch durchdringen zu können; auch seine Erklärung, bei grundsätzlicher Bewegungsfreiheit könne die Kirche sich mit vollständiger Trennung vom Staate abfinden, dachte er sich nicht als Verhandlungsvorschlag. Den Widerstand aber hielt er für notwendig schon aus grundsätzlichen Erwägungen und um der Zukunft willen, natürlich auch, um im Augenblicke schon den katholischen Massen den Zusammenhalt zu sichern und ihre Stoßkraft einmal verwerten zu können.

Ketteier ließ den Kampf in der Öffentlichkeit sofort aufnehmen. Eine katholische Protestversammlung in Mainz wurde durch eine Rede Moufangs zu dem lauten Bekenntnis des Non possumus geführt. 1 ) Die Mainzer Klerikalen stellten in ihrem Blatte „Die Proteste der Tausende und die Abstimmung der Einundvierzig" einander gegenüber und behaupteten, daß sie „das ganze katholische Volk" hinter sich hätten, die liberalen Abgeordneten aber nur „eine Anzahl intoleranter Protestanten", obwohl doch auch die Gegner mit Kundgebungen und Eingaben hatten arbeiten können. Das „Journal" griff zu dunkeln Drohungen unter Anspielung auf den Namen des Innenministers: „An dem Tage, wo auf Grund jener Gesetze das erste Opfer fällt, werden auch für uns manche Rücksichten fallen. Wir haben formidable Reserven, die selbst dem Starken unangenehm werden können." Die Professoren des Seminars, an ihrer Spitze der Regens Moufang, richteten an die Erste Kammer eine Vorstellung zugunsten ihrer Lehranstalt. Ketteier persönlich machte es aller Welt klar, daß er auf ein Zurück der Regierung nicht rechne. Er ieß ihr keine Wartezeit. *) Mz. J . 1874 Nr. 238 (13. 10.). — Zum Folg.: 242 (17. 10.), 246, 256.

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A m 28. S e p t e m b e r 1874 traf seine Eingabe im Ministerium ein, a m 5. Oktober schon war sie i m „Mainzer J o u r n a l " zu lesen, drei Wochen später h a t t e er seine Schrift über die K i r c h e n g e s e t z e n t w ü r f e 1 ) vollendet, gegen Mitte N o v e m b e r erschien sie im B u c h h a n d e l und wurde sofort von T a u s e n d e n gelesen. Ganz auf die breite Masse der Gläubigen abgestimmt, soll die Schrift zeigen, daß die Gesetzentwflrfe „mit der göttlichen Einrichtung der Kirche und ihren göttlichen Lehren unvereinbar" seien, daß er sie ohne Verletzung seines Bischofseides nicht befolgen könne. Er will die Nichtigkeit der allgemeinen Begründung dieser Gesetze, die Nichtigkeit der beigegebenen „Motive" dartun, darüber hinaus die Nichtigkeit der ihnen zugrunde liegenden modernen Kultur überhaupt: einer, der „mitten in ihr steht" — so wird bei den gewiß nicht kritischen Gläubigen Eduard v. Hartmann mit seiner „Selbstzersetzung des Christentums" eingeführt — soll den Zusammenbruch dieser Kultur, die Wertlosigkeit widerkatholischer Weltanschauung beweisen. Die Kirchengesetze werden als Ganzes und im einzelnen kritisiert. Das Entscheidende aber sind auch hier die Willensbekenntnisse des Bischofs; zurücklenkend zu Worten, wie er sie im Beginn seiner Bischofszeit aussprach, beteuert er, keine Priester weihen zu wollen, die er nicht kenne, die etwa gerade von den leichtsinnigen Streichen des Studentenlebens herkämen. Er geht in seiner kirchlichen Entschlossenheit bis zu der Erklärung an die Gläubigen, die freilich auch als drohende Mahnung an die Gegner gedacht war: „Es ist besser, Ihr lebt und sterbt ohne Priester und ohne Sakramente, als daß ich Euch einen durch moderne Kultur und Staatsschulen verdorbenen Priester schicke, der unter dem Scheine eines katholischen Priesters in Euren teuren Gemeinden das Unkraut der modernen Kultur aussäen würde." Die ganze Energie der geistlichen Art Kettelers lebt in diesen Worten, in dieser Schrift, die freilich an mehr als einer Stelle auch die engen Grenzen seiner Geistesart erkennen und auf die bescheidene geistige Höhenlage derer schließen läßt, an die er sich wendet, so etwa, wenn ein Mann wie Richard Rothe als „der Heilige des Protestantenvereins" verhöhnt wird. Aber alle solche Urteile sind doch gut berechnet, wohl ausgesonnen vor allem die reichspolitischen Urteile, die das Schlußstück der Schrift beherrschen. Der Bischof, der noch wenige Jahre vorher den bürokratischen Absolutismus in Hessen nach Kräften ausgenutzt hatte, zieht nun gegen den Deutschland beherrschenden preußischen „Absolutismus" zu Felde, gegen „die ursprüngliche Idee des Preußentums, die rücksichtslose Allgewalt des Staates" und zugleich gegen die vielen, die da „glauben, daß man von jetzt an weder Gott noch Christus bedürfe und daß der preußische Militarismus alles im Himmel und auf Erden ersetzen könne, um auf ihm die Allgewalt des Staates in der Hand des preußischen Monarchen auf immer zu befestigen". Unter Dalwigk hatte man die Demokratie leidenschaftlich bekämpft; jetzt suchte selbst der Bischof, viel zurückhaltender freilich als Moufang und die Politiker des „Mainzer Journals", die Verbindung mit radikalen Stimmungen freundlich zu begünstigen, jetzt, im Herbst 1874 — da hessische Klerikale bei der Reichstagswahl und in der Presse schon demokratische Beihilfe genossen hatten, da ein katholischer Mainzer Demokrat wie Dumont schon wieder ein wenig kirchlich zu empfinden begann 2 ), und Mainzer Klerikale wieder demokratische Neigungen fühlten und erkennen ließen — spricht nun diese Schrift vorsorglich die bischöfliche Befürchtung aus, daß jener preußische ') „Der Culturkampf gegen die kathol. Kirche und die neuen Kirchengesetzentwürfe in Hessen." Mainz 1874. VIII u. 86 S. — Vorwort: Mainz, 22. Okt. 1874. Dazu: Br. 496 f. — Mz. J. 1874 Nr. 265 (13. 11.) und 270 (19. 11.; Mainz 18. 11: in acht Tagen 4000 Exemplare abgesetzt, neue Auflage unter der Presse). *) Das läßt sich z. B. aus s. Haltung bei den Kammerverhandlungen über die Kirchenfrage erkennen. Als K. im Frühjahr 1876 wegen Vergehens gegen die Kirchengesetze vor Gericht stand, war Dumont sein Verteidiger.

Kettelers Schrift gegen die Gesetzentwürfe (Okt. 1874). Landtagsbeschliisse

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Absolutismus „seine vollen Konsequenzen nicht nur der Kirche, sondern auch jeder andern Volksfreiheit gegenüber ziehen werde".

Was hier nur im Vorübergehen angedeutet war, wurde in der klerikalen Presse rücksichtsloser und nachhaltiger vorgetragen. Auch Streitschriften griffen ein, auf beiden Seiten. Aber die Versuche der Gegner, die Klerikalen selbst zu belehren, blieben vergeblich. Ob nun ein (wohl aus Darmstadt aufgerufener) Württemberger die Katholiken in Hessen als „liebe deutsche Brüder" darüber aufzuklären suchte 1 ), daß seine Landsleute seit 1862 oder schon länger unter den nun in Hessen eingeführten Gesetzen „ruhig und ungestört ihrer Religion leben konnten und gelebt haben" — oder ob liberale und Regierungsblätter mit Überredung, mit Kritik, mit Hohn arbeiteten, sie alle übten innerhalb der fest gefügten Gemeinschaft der Kirchenstrengen keine zersetzende Wirkung aus; laue Katholiken blieben gleichmütig, liberale beteiligten sich wohl an der Bekämpfung der Klerikalen in Vereinen und in der Presse, die Masse der Kirchlichen aber wurde unter dem Druck der feindlichen Vorstöße nur noch enger zusammengeschlossen. Kettelers hessisches Kulturkampfbüchlein erschien, als die Besprechung der Regierungsvorlage in der Zweiten Kammer geschlossen, in der Ersten Kammer gerade eröffnet worden war. An die Erste Kammer klammerten sich noch kirchliche Hoffnungen. Der Bischof, die Seminarprofessoren, die hundert und mehr katholischen Gemeinden hatten Einsprüche und Eingaben an die Erste Kammer gerichtet. Hier saßen starr konservative Standesherren, auch katholische wie der Fürst Isenburg-Birstein, hier ließ jetzt Dalwigk seine Diplomatie im Sinne der Kirchenpolitik seiner Ministerzeit und so im kirchlichen Sinne spielen, hier kämpfte Moufang, der Vertreter des Bischofs, mit gedämpfterem Kriegseifer, als er ihn sonst zeigte. Ähnlich wie bei der Behandlung des Schulgesetzes stellte sich jetzt die halbe Erste Kammer auf einen kirchenfreundlichen Standpunkt. Es fehlte nur an einer Stimme und der Antrag Dalwigks auf Vertagung der Beratung der Vorlagen wäre angenommen worden; 14 Mitglieder vereinigten sich mit Dalwigk. Auch die klerikale Anregung, das Gesetzeswerk für eine „Verfassungsänderung" zu erklären und also dessen Annahme an die Zweidrittelmehrheit zu binden, wurde durch zwei Fünftel der Stimmen unterstützt. Freilich wäre auch eine Ablehnung der Kirchengesetze in der Ersten Kammer, von der Entschlossenheit der Regierung abzusehen, schon darum hinfällig geworden, weil bei ausbleibender Verständigung das Durchzählen der Stimmen beider Kammern verfassungsmäßig geboten war. Nur so viel erreichte das Oberhaus, daß in den Strafbestimmungen der Entwürfe die Gefängnisstrafe durch 1

) „Die kirchenpolitischen Gesetze in Hessen und Württemberg. Sendschreiben eines Württembergers an die Katholiken in Hessen." Darmstadt, Bergsträßer, 1876. 26 S. (liegt auch bei den Akten des Min. d . i . X I I I 1).

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Festungsstrafe ersetzt, und daß die richterliche Entscheidung in den Kirchensachen nicht einem eigenen Gerichtshofe sondern dem obersten Gericht in Hessen übertragen wurde. In allen Hauptfragen blieb die Zweite Kammer im Einvernehmen mit dem Ministerium fest; ihre endgültigen Beschlüsse vom 22. März 1875 wurden in der Ersten Kammer am 8. April angenommen und am 23. April durch den Großherzog veröffentlicht. Inzwischen hatte der Bischof den Versuch gewagt, den Großherzog persönlich von der Kirchenpolitik seiner Regierung abzuziehen. Am 20. Februar 1875 — wenige Wochen nachdem ein Hirtenbrief, der die Notwendigkeit kirchlichen Widerstandes unmittelbar aus der Göttlichkeit der katholischen Religion herleitete, die bischöfliche Kritik der Gesetzentwürfe in jedes Dorf, in jede Kirche getragen hatte — erbat sich der Bischof durch Vermittlung des Ministerpräsidenten eine Audienz beim Großherzog. 1 ) Auf Hofmanns Vorschlag wurde er sofort an die verantwortlichen Organe der Regierung verwiesen. Er besaß indessen zu viel Bischofsbewußtsein und westfälische Zähigkeit, als daß er darauf verzichtet hätte, das, was mündlich zu sagen ihm verwehrt wurde, dem Großherzog schriftlich vorzutragen. Dieser Bischofsbrief vom 7. April I875 2 ) unternahm es, von dem Großherzog der kurzen Kampfzeit, der überdies „am Abend" seiner „glorreichen" Regierung steht, Berufung einzulegen an den Großherzog der langen Friedenszeit, der beiden Jahrzehnte rücksichtsvoller Kirchenpolitik: Ketteier bedachte sich nicht, leise den Ton des Vorwurfs und der bischöflichen Ermahnung anklingen zu lassen; vor allem aber, er berief sich — und das war vom Boden der Vergangenheit aus sein gutes Recht — auf die Regierungserklärung vom Oktober 1866, wonach dem Bischof die Rechte aus der „Übereinkunft" auch nach deren förmlicher Aufhebung verbleiben sollten: eben auf diese „allergnädigste" Zusicherung stützte er seine Bitte um Versagung der großherzoglichen Bestätigung der Kirchengesetze. Wie vorauszusehen war, wurde das bischöfliche Schreiben dem Ministerium des Innern zum Bericht zugewiesen. Der Großherzog, der übrigens schon im März 1872 im Gespräche lebhaft geklagt hatte über „die UnZuverlässigkeit und den Jesuitismus" Kettelers*), Eigenhändiger Brief K.s (auch die Anschrift auf dem Briefumschlag ist von ihm selbst geschrieben), Mainz 19. 2. 75: Staatsministerium. — Ebenda Hofmanns Entwurf seiner kurzen Antwort an K., 20. 2. 75 dem Großherzog vorgelegt (nachdem dieser vorher zu H.s Bericht Aber das bischofliche Ansuchen eigenhändig vermerkt hatte „Bitte diesen Gegenstand nach Ihrem Ermessen zu erledigen"), am 21. 2. genehmigt; die Antwort wurde noch an demselben Tage ausgefertigt und abgesandt. >) Minist, d. 1. X I I I 1 fasc.2. Nur die Unterschrift eigenhändig. Unter dem 8. 4 vom Großherzog dem Min. d. I. zum Bericht aberwiesen, dort aber erst am 12. eingegangen. *) Vgl. den am 24. 3. 72 bei Bismarck eingegangenen Bericht aus Darmstadt Ober Äußerungen des GroBherzogs beim Essen zur Feier des kaiserlichen Geburts-

Kettele» Einspruch beim Groftherzog. Seine Eingabe gegen die Gesetze

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erhielt und genehmigte an demselben 22. April 1875, da er die Kirchengesetze vollzog, den Bericht des Ministeriums und den Entwurf der Antwort an den Bischof. Starck verstand es gut, die bischöfliche Kurie mit den Waffen zu treffen, die sie und Dalwigk zur Rettung der „Ubereinkunft" einst verwendet hatten 1 ): die in Mainz gestützte und ausgenützte diplomatische Verlogenheit Dalwigks gegenüber der Kammer wurde jetzt wider des Ministers geistlichen Bundesgenossen ausgebeutet, und das ganze trügerische Spiel mit der scheinbaren Beseitigung der „Übereinkunft" erhielt nun, indem man es ernst nahm, hinterdrein den gegenteiligen Sinn. Ketteier hatte Recht: von der Regierung Dalwigk war ihm persönlich die unveränderte Geltung der „aufgehobenen" Bestimmungen zugestanden worden. Aber im Einvernehmen mit ihm hatte diese Regierung nach der Aufhebung der Obereinkunft öffentlich verkündigt, bis zum Erlasse eines Gesetzes über die Kirchenangelegenheit sollten alle von b e i d e n Kammern anerkannten Vorschriften des Gesetzentwurfs von 1862 maßgebend sein. Auch berief sich die Regierung nun zur Rechtfertigung ihres Vorgehens darauf, daß Rom jener Übereinkunft niemals zugestimmt habe. Der Bischof gab sich natürlich nicht gefangen. Er war gewiß schon zu seinem Brief an den Großherzog weniger durch die Hoffnung bestimmt worden, die Vollziehung der Gesetze verhindern zu können, als durch den Wunsch, kein Mittel unversucht zu lassen und vor allem auch diesen Einspruch beim Landesherrn aktenmäßig festzuhalten. Jetzt, nach der Veröffentlichung der Gesetze, war ihm die Vertretung der „unveräußerlichen" Kirchenrechte nicht weniger eine Gewissenspflicht zugleich und ein persönliches Bedürfnis. Sein Brief an das Ministerium des Innern, der zwar gewiß nicht ohne Mitarbeit anderer, Heinrichs insbesondere, zustandekam, allenthalben aber die Auffassung und oft auch die Sprechweise Kettelers verrät, wuchs zu einer Denkschrift an.*) Man wird hier gelegentlich unmittelbar an die Beweisführung der großen oberrheinischen Denkschriften erinnert, und auf die Denkschrift vom Juni 1853, die ja Im wesentlichen Mainzer Ursprungs war, wird einmal, zur Kennzeichnung der oberrheinischen Kirchenverhältnisse in den dreißiger und vierziger Jahren, austages: Mor. Busch, Tagebuchblatter 2 (1899) S. 339. „Der Großherzog sagte weiter: K- komme jahrlich etwa zweimal zu ihm und .versichere ihm jedesmal, daß die Katholiken seine besten Untertanen seien; aber er wisse, was er von diesen Versicherungen zu halten habe; er kenne Herrn v. K. nur zu gut und wünsche nichts mehr, als Ihn mit seinem Herrn Moufang recht bald los zu werden. Nebenbei bemerkte er, Preußen kOnne ihm beide Herren abnehmen, dort würde man mit ihnen schon fertig werden, und sie seien bei uns weniger gefahrlich." ») Vgl. zum Folg. oben S. 270 Anm. 3, 275 ff. und S. 530. *) K- an das Min. d. I., Mainz 29.6.75 (Akten Min. d. I. X1111 fasc. 2). 45 weltbeschriebene Polioseiten, nur die Unterschrift eigenhändig. Praes. 30. 6. 75. — Zwei Satze aus dem Schlußstacke gedr.: BrOck-Kißling, Gesch. d. kath. Kirche im 19. Jahrh. 4 II 1 (1905) S. 291. — Zum Folg. vgl. oben S. 194ff., 224ff.

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drflcklich verwiesen. Es bleibt der alte Hauptgedanke, auf dem jede grundsätzliche Rechtfertigung des bischoflichen Standpunkts notwendigerweise beharren mußte: die hessischen Kirchengesetze stehen „in den wesentlichen Punkten mit den Glaubenslehren der katholischen Kirche und mit den Grundbedingungen der ihr staatsrechtlich gewährleisteten Existenz im Widerspruch". Man kann sie nach der Meinung des Bischofs „nicht als Staatsgesetze bezeichnen. Sie sind Kirchengesetze, welche von dem hierfür vollständig inkompetenten Staate erlassen worden sind". Er hält der Regierung vor, daß die Einmischung der Staatsgewalt in die innersten Angelegenheiten der Kirche zusammentreffe mit dem offen ausgesprochenen Plane einer Partei, die eben durch solche Gesetze das kirchliche Leben unterdrücken wolle. Er sucht auch im einzelnen nachzuweisen, daß die neuen Gesetze mit dem katholischen Glauben in Widerspruch stehen. Er sagt dabei aber Ausbildung und Anstellung der Geistlichen, was er schon oft gesagt hatte. Er (oder sein Mitarbeiter Heinrich) weiß aber auch Joh. Geffckens Buch aber „Staat und Kirche" in breiten Auszagen zu verwerten; diese scharfe Kritik der Maigesetze war ihm willkommen als das Zeugnis eines von denen, „die der katholischen Kirche vollkommen fernstehen". Der zweite Teil der Denkschrift gilt der „Übereinkunft" von 1854/56 und soll die nach Dalwigks Erklärungen und Verhalten allerdings gerechtfertigte bischöfliche Auffassung dieses „rechtsverbindlichen" Übereinkommens nun auch vor dem ganz anders gearteten Minister Starck begründen, vor allem die Auffassung, daß die im Jahre 1866, bei der förmlichen Aufhebung der Übereinkunft, zugestandenen Rechte, d. h. tatsächlich die durch die Übereinkunft verbürgten Rechte bestehen bleiben müßten. Ketteier will hier nicht dem Staate grundsätzlich die Befugnis zur gesetzlichen Ordnung der Kirchenfragen bestreiten, aber er macht dieses staatliche Recht tatsächlich inhaltlos, indem er von jeder gesetzlichen Regelung unbedingt die Übereinstimmung mit jenen Rechten fordert: durch die Zusagen von 1866 gilt ihm die Regierung als gebunden „für alle Zukunft". So zeigt die Denkschrift Züge einer unbeweglich und fast unversöhnlich scheinenden Kirchlichkeit. Aber man (larf auch die bescheidenen Anzeichen einer Zurückhaltung, einer Rücksicht gegenüber der Staatsgewalt nicht übersehen. Ketteier schiebt auch hier die Hauptverantwortung den liberalen Grundgedanken und Zeitströmungen zu; die Störung des konfessionellen Friedens, ja die Gefährdung der politischen Einheit sieht er damit geschaffen, daß „die Ständekammern sich die Kompetenz der Kirchenversammlungen beilegen"; sie also, und nicht so sehr der landesfürstliche Absolutismus der vergangenen Generation noch auch die Verwaltungsgedanken der gegenwärtigen Regierungen erscheinen hier als die eigentlich schuldigen Träger des „falschen und verderblichen" Systems der neueren Kirchenpolitik. Auch das bischöfliche Bedauern, daß die hessische Regierung sich durch die preußischen Erfahrungen nicht von dieser Gesetzgebung habe abhalten lassen, soll nicht lediglich ein Vorwurf sein. Gerade hier zeigen des Bischofs Worte: „Wenn aus der Durchführung der hessischen Gesetze dieselbe Erfahrung erwachsen wird, so bedauere ich dieses um so tiefer, je höher ich das Verhältnis des gegenseitigen Vertrauens schätze, welches bisher in Hessen sowohl zwischen dem Fürsten und seinen Untertanen, als auch zwischen der Kirche und dem Staate bestanden hat", zeigt auch am Schluß die erneute Feststellung, er habe nichts in Anspruch genommen und werde nichts in Anspruch nehmen „als das klare und unveräußerliche Recht, welches die Regierung Sr. königl. Hoheit selbst anerkannt und unangetastet zu lassen die Zusicherung gegeben hat", zeigt diese ganze Erklärung, bei aller Grundsatzfestigkeit, über die Vorwürfe und die Selbstrechtfertigung hinweg eine Mäßigung, die nicht auf unversöhnlichen Kampf deutet, vielmehr — ganz abgesehen von der stillen Erwartung einer künftigen Zurückdrängung des feindlichen Liberalismus — die Hoffnung auch auf eine erträgliche Gegenwart verrät.

Ein dem Bischof nahestehender Gesinnungsgenosse bemerkt in einem Nachruf auf Ketteier 1 ): „Er war mit Ängstlichkeit darauf be') Pfülf 3,229f. (aus der mir unzugänglichen „Kath. Stimme" 1877 Nr. 15 S. 115).

Ketteier verwirft kirchliche Mitwirkung bei Ausfahrung der Kirchengesetze

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dacht, daß in dem Widerstand gegen die Gesetzgebung nicht weiter gegangen werde, als unbedingt notwendig erschien, und die Haltung, welche er persönlich den Eingriffen der hessischen Gesetzgebung gegenüber beobachtete, war die der strengsten Defensive und der ausschließlichen Passivität." Jedenfalls hat Ketteier in seinen Streitund Lehrschriften mehr Kampfgeist gezeigt, als er in der Wirklichkeit, seinem stürmischen Temperament zum Trotz, walten ließ. Er wollte die Stimmung des Widerstandes lebendig halten, trieb sie selbst mit Predigten und Broschüren an, aber er hütete sich nach Möglichkeit, die zum Maßhalten geneigte Regierung durch seine Handlungen zu reizen. Und selbst seine Kampfschriften bewegen sich vorwiegend innerhalb der Grenzen grundsätzlicher Betrachtung. Darum eben berühren sie einander so eng; die eine wiederholt nicht selten, was in der anderen schon ausgesprochen worden ist. Wenn sie einmal, wie in der bischöflichen Herzensangelegenheit des Jugendunterrichts, Anweisungen zum Einsprüche, zur Gegenwirkung geben, so doch mit dem sorgsamen und schon um der tatsächlichen Machtverhältnisse willen auch ernst gemeinten Vorbehalte der Rechtsschranken. Auch Kettelers Abwehrschrift gegen die Kirchengesetze ist nicht, wie liberale Gegner, die ob seiner lange währenden Zurückhaltung erstaunt waren, nur allzu bereitwillig verkündeten 1 ), eine Kriegserklärung an die Regierung, wenn Kriegserklärung Kriegsbeginn bedeuten soll; der Kampf war längst im Gange, und diese Broschüre leitet auch keine Kampfverschärfung ein. Auch sie hält sich vor allem an die grundsätzliche kirchliche Betrachtung. Sie will die bestimmte Frage beantworten: „Warum können wir zur Ausführung der Kirchengesetze nicht mitwirken ?' ) Bluntschli auf der Heidelberger Tagung der Altkatholiken 12. 3. 1877: D«ut scher Merkur 8 (1877) Nr. 11 (17. 3.) S. 89.

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Rückblick und Ausblick

zu vornehm — das Wort auch im weltläufigen Sinne genommen —, um als Proselytenmacher aufzutreten oder auch nur im Stile des Alban Stolz die Seeleneroberung zu betreiben. Aber er war der geborene Berater der Halbbekehrten. Naturen, deren GemQtsdrang zur katholischen Kirche sich noch an die Schranken verstandesmäßiger Bedenklichkeiten stieß, konnten an seiner Hand leicht den Weg in die neue Welt finden; seine aristokratische Herkunft machte sich übrigens auch hier bemerkbar: unter den Konvertiten auf dem Mainzer Boden treten die Adligen unverhältnismäßig stark hervor. Diesem Bischöfe war das xa^iafia xv/tegvijoewg gegeben, die eingeborene Leichtigkeit des Gebietens; sie ruhte auf dem Ewigkeitsgefühle kirchlicher Geborgenheit, zugleich aber auf dem irdischen Gefühle der Weltsicherheit und einem durch adliges Standesempfinden gestützten Selbstbewußtsein. Alle Herrschergedanken, Oberhaupt alle persönlichen Vorstellungen und Kräfte sollten indessen im Geiste des Bischofs nur den geistlichen Gedanken, den kirchlichen Aufgaben dienen. Alles Persönliche wurde ihm der Idee nach zur bloßen vermittelnden Form des Qberpersönlichen Kirchlichen. Der I d e e nach — denn die priesterliche Bemühung dieses priesterlichen Bischofs, die eigenen weltlichen Vorurteile, jegliche Spur des Standesdünkels und aristokratischer Gebundenheit, das starke ursprüngliche Aufbegehren auch seines persönlichen Stolzes, seiner Herrischkeit, seines Jähzorns zu überwinden und alle Kräfte seines Wesens hineinzubannen in die Hingabe an die Kirche: diese bewundernswert ernste Selbsterziehung im Geiste kirchlicher Frömmigkeit hat die wilden Triebe in der ursprünglichen Anlage seiner Natur zwar gefesselt und immer mehr zurückgedrängt, nicht aber völlig überwunden. Er lag ewiglich im Streite mit den Sturmgeistern seiner Seele, und in den Auseinandersetzungen mit Freund und Feind, mit seinem Domkapitel so gut wie etwa mit liberalen Gegnern, hat er den Ton gern in Dur angegeben. In seiner kirchlichen Wirksamkeit gewann er schließlich fast völlig die Herrschaft über sich selbst; der westfälische Baron wußte als Bischof das Übergreifen seines aristokratischen und persönlichen Herrscherdranges durch sein praktisches Christentum zu hemmen, die jähe Leidenschaftlichkeit seines Wesens durch die stille Leidenschaftlichkeit gläubiger Hingabe zu mildern. Im Kampfe mit der Welt dagegen ließ er bis in seine letzte Lebenszeit hinein heftigen Empfindungen freie Bahn, gelegentlich vielleicht berechnend, meist doch im Aufbrausen seines Blutes oder getrieben durch sein herrenmäßiges Bischofsbewußtsein. Es war seine Art nicht, nur in der Stille und vom Hintergrund aus zu wirken. Er liebte den lauten Widerhall und wußte dessen Wirkung zu schätzen. Seinem stark entwickelten Sinne für Öffentlichkeit galt kräftige Propaganda als ein notwendiger Bestandteil kirchlicher Politik, als ein Stück moderner kirchlicher Diplomatie. Es bezeichnet

Persönlichkeit und geschichtliche Stellung Kettelers

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den auch sonst zu beobachtenden Unterschied seiner Geistesart von der Geisseis, daß er etwa in der Frage der Gründung einer freien katholischen Universität auf die Öffentlichkeit der Behandlung drang; gerade weil er in dieser Sache den starken Widerstand des „Weltgeistes" für gewiß ansah, wollte er nichts vom Geheimhalten hören; er wünschte die freie Auseinandersetzung im offenen Kampfe. Mehr als die schweigsame und schmiegsame Diplomatie liebte er die Wucht des Zugreifens: mit einem raschen, offenen Wort, einer Drohung auch, suchte er auf den Gegner zu wirken. Er wollte alle kirchlichen Kampfmittel aufnehmen und ausbilden; nach Möglichkeit zog er sie aus der Hand geistlicher Helfer und kirchlich gesinnter Laien unmittelbar an sich. Er focht gern persönlich und meist mit offenem Visier, wo mancher seiner Genossen das Dunkel, die Deckung suchte. Er sah, wie kein anderer Bischof des 19. Jahrhunderts, seinen Beruf darin, den ganzen Kreis des kirchlichen Lebens mit lehrendem Wort und ordnender Tat zu durchschreiten, ein Führer und ein Vorbild. In der Allseitigkeit seiner geistlichen Arbeitsleistung läßt Ketteier seine Mitbischöfe, auch den ihm im Diplomatischen überlegenen Geissei weit hinter sich. Geissei mußte viel von dem, was Ketteier selbst tat, anderen Händen überlassen; Geissei fühlte sich als oberster Kriegsherr, der sich berichten läßt und dann entscheidet, der die Leitung fest in der Hand behält, aber nicht leicht selbst etwas unternimmt, was ein Untergebener durchführen kann. Gewiß, Geissei war Bischof einer sehr bedeutenden Diözese und Leiter der größten deutschen Kirchenprovinz, während Ketteier nur einen kleinen bischöflichen Sprengel unter sich hatte. Aber das erklärt noch nicht die Verschiedenartigkeit des Wirkens beider. Der tiefere Grund liegt vielmehr darin, daß Geissei allzustark — auch im Sinne persönlicher Neigung — gefesselt war durch die Kirchendiplomatie und hohe Kirchenpolitik, während dem Mainzer Bischof vor allem die Aufgaben der Seelsorge persönliche Anliegen gewesen sind. Er wollte jede Erscheinung des Lebens wie auf die Bedürfnisse der Kirche so auf das Seelenheil der Gläubigen beziehen. Es war ihm eine Pflicht bischöflicher Wachsamkeit, jedem fremden Eingriff in das Kirchliche vorbeugend oder abwehrend entgegenzutreten. Persönliche Frömmigkeit, gute Werke und stilles Gebet galten auch ihm als Zierden des Christen: es sind die alten, ewig beharrenden kirchlichen Tugenden; aber sie dürfen in dieser Welt voll tätiger Kirchenfeinde nicht die einzigen bleiben. Katholisch sein, hieß ihm Kämpfer sein. Jeder Priester, jeder Laie sollte mitkämpfen im Geiste der Kirche. Der Bischof aber wartete nicht erst, bis die anderen Zugriffen. Er wirkte persönlich als Prediger, als Beichtvater auf die Gläubigen ein. Er wußte jede Gelegenheit kirchlicher Belehrung zugleich zur Unterrichtsstunde für den Kirchenkampf zu machen. Wo immer die Gemeinschaft der Gläubigen bedroht schien, suchte er mit seinen Schriften zu wehren und zu helfen,

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Rückblick und Ausblick

suchte er d e m Feinde den Weg zur H e r r s c h a f t über die Seelen zu verlegen. Auch als Schriftsteller verriet K e t t e i e r das Hochgefühl seiner Bischöflichkeit und seiner Selbstgewißheit, beides mit den s t a r k e n Antrieben zugleich u n d den engen Schranken. D a s Geheimnis seiner bischoflichen Erfolge, auch seiner literarischen, liegt in der Energie seines Geistes, in der W u c h t seines Wollens, nicht in d e r K r a f t seines Denkens oder in verfeinerter Geistigkeit. Kein willkürlicheres Wort als das J o h a n n e s J a n s s e n s von dem „ M i l l e n a r m e n s c h e n " Ketteier! Dieser Bischof gehörte zu den einfachen, ursprünglichen Naturen, deren Verstand den p r a k t i s c h e n Fragen, die das Leben ihnen vorlegt, rasch auf den Grund zu sehen vermag, die mit m ä c h t i g e m Willen ihren gesunden Menschenverstand zwingen, alle seine K r ä f t e f ü r e i n e n Zweck herzugeben. D a r u m auch fehlt dem geistigen Leben Kettelers der Reiz widerspruchsvoller E n t w i c k l u n g . Von j e n e m segenvollen Ringen des Geistes mit den Überlieferungen der überpersönlichen geistigen Mächte blieb er u n b e r ü h r t . K o n n t e ein F ü h r e r des Katholizismus gewissenh a f t e r , als er es t a t , die kirchliche G r u n d r i c h t u n g , die strenge geistige B i n d u n g des Katholizismus h i n n e h m e n ? Über seinem inneren Sein s t e h t der Katholizismus als religiöse Idee und als eindeutige geistige Z w a n g s m a c h t , nicht aber als persönlich wirkende geistige Gestaltungsk r a f t . E r h a t jene Bewegungsfreiheit, die auch innerhalb der festen Grenzen kirchlicher W e l t a n s c h a u u n g noch möglich bleibt, nicht besessen und nicht begehrt. Er h a t die unkatholischen Geistesmächte abgewiesen, ohne sich erst mit ihnen e r n s t h a f t a u s e i n a n d e r z u setzen. Nicht zuletzt in dieser seiner Geistesart liegt es begründet, d a ß er, der mehr Schriften veröffentlicht h a t als irgendeiner seiner d e u t s c h e n Mitbischöfe, f ü r die allgemeine Geistesgeschichte des Katholizismus wenig, f ü r die wissenschaftliche Theologie nichts b e d e u t e t . Von der theologischen F a k u l t ä t seiner V a t e r s t a d t erhielt er im J a h r e 1862 den D o k t o r g r a d ; aber er v e r d a n k t e diese Auszeichnung lediglich seinen kirchlichen, seinen kirchenpolitischen Verdiensten. Für die Universitätstheologie, selbst wenn sie sich nicht der von ihm g e s c h ä t z t e n Neuscholastik entgegenstellte, hegte er wenig Vorliebe. Die kirchliche Wissenschaft ü b e r h a u p t w ü n s c h t e er ganz der kirchlichen F ü h rung, der E n t s c h e i d u n g der Bischöfe und des römischen Stuhles, der Aufsicht der Indexkongregation unterstellt zu sehen; bei der Vorbereitung des Syllabus h a t er die Überwachung der Theologie g a n z im römischen Sinn empfohlen. Er wollte, wie er den eigenen Geist kirchlich zu bändigen w u ß t e , das ganze Geistesleben der P r i e s t e r , der Gläubigen kirchlich fesseln, bischöflich bestimmen. Seine g e s a m t e Diözesanpolitik ließ uns d a s e r k e n n e n ; bezeichnend etwa a u c h d a s Wort, das er im J a h r e 1862 einem von dem Besuche der L o n d o n e r Weltausstellung begeisterten P f a r r e r zurief: „ W e n n Sie wieder e i n m a

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eine große Reise machen, dann reisen Sie nach R o m ; das ist das London der Priester." Ketteier gehört nicht zu den feingebildeten Prälaten, die mit literarischem Verständnis der großen L i t e r a t u r des Katholizismus entgegenkommen, denen Dante und Calderon mehr sind als hohe Namen, noch gar zu jenen, die auch Geistesgaben der unkirchlichen Welt zu genießen wissen, sei es immer im leichten Weihrauchwirbel. Der Katholizismus Kettelers und seines Mainzer Kreises blieb allen geistigen Bewegungen, die nicht aus katholischer Wurzel entspringen, verschlossen und ließ keinen Raum f ü r die Ausstrahlungen eines geistigen Deutschtums protestantischer Prägung. Kettelers Wesen blieb u n b e r ü h r t von dem Geisteshauche, wie er in Diepenbrock etwa waltete. Vollends steht er weitab von dem Kreise gelehrter Kirchenfürsten, die f ü r die Behandlung kirchlicher Philosophie oder f ü r die kirchliche Geschichtsbetrachtung aus Eigenem heraus etwas mitbringen, die m i t gelehrter Arbeit v e r t r a u t sind oder mit gesammeltem Wissen und sinnendem Geiste die Grenzen katholischer Weltbetracht u n g abschreiten. Er besaß auch keine künstlerische Anschauung oder nur den Sinn für kirchliche Kunst, wie ihn etwa Diepenbrocks Nachfolger Förster zeigte. 1 ) Sein Bischofsbewußtsein, das ihn antrieb, Selbständigkeit und Freiheit in den Fragen kirchlicher Verwaltungspolitik auch dem Papste gegenüber zu wahren, wurde auf dem Boden kirchlicher Geistespolitik zur Fessel. Dennoch oder gerade auch deshalb h a t er stärker gewirkt als alle die anderen. Er steht in der Art seiner Geistigkeit wie in seiner Kirchlichkeit der großen Masse der Frommen nahe, die er zugleich, d a n k der Beweglichkeit seines Geistes und vor allem d a n k der Steigerung der kirchlichen Kräfte in seiner Seele, zu führen und, dank der Macht seines Willens, zu beherrschen vermochte. Seine geschichtliche Stellung auch begründete er durch die entschlossene und kunstvolle Ausnutzung seiner praktischen Gaben und seiner kirchlichen Berechtigung. Als Ketteier geboren wurde, war die deutsche Kirche zerrüttet durch die französische Eroberung und die Eingriffe deutscher Territorialgewalten; als der münsterländische Baron sich dem Priestertum zuwandte, hatte der kirchlich neugeordnete deutsche Katholizismus die erste volkstümliche Bewegung mit politischen Ausstrahlungen durchlebt, war aber trotz der günstigen W i r k u n g dieser Machtprobe des Kölner Kirchenstreites nicht einmal in seinen kirchenstrengen Elementen zusammengeschlossen oder gar geistig vereinheitlicht; als Ketteier seinen Bischofssitz erhielt, sah sich der durch die revolutionären Bewegungen von 1848/49 glücklich hindurchgeleitete deutsche Katholizismus, der einer einheitlichen deutschen Führung und einer Heinr. Finke, Carl Müller (1896) S. 59.

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gesamtdeutschen Organisation entbehrte, in den LandesbistQmern und Kirchenprovinzen den auch im Kirchenwesen zumeist reaktionär gerichteten Staatsgewalten gegenüber: die Landeskirchen im Ringen mit den Landesregierungen, beide nicht national einheitlich zusammengeschlossen oder überhaupt durch einen nationalen Gedanken bestimmt, vielmehr territorial eingeschränkt und nur in lockeren Teilverbänden, wie der Oberrheinischen Kirchenprovinz, zusammengefaßt, die Kirchen immerhin durch den mächtig anwachsenden Einfluß der römischen Kurie gestützt, keineswegs aber schon in einheitlich straffer Abhängigkeit gleichmäßig an die Kurie gebunden; als Ketteier starb, stand die unmittelbare Papstgewalt über der allgemeinen Kirche und damit über dem deutschen Katholizismus in unerhörter Machtfülle, waren die deutschen Bistümer durch den Geist strenger Kirchlichkeit geleitet, zeigte sich die deutsche katholische Kirchengemeinschaft, die von der vatikanischen Krise des Katholizismus am stärksten bedroht worden war, so sehr, wie nie zuvor in der deutschen Geschichte, durch die fest begrenzten römisch-katholischen Gedanken bestimmt, stand dieser in den Überzeugungen der Gläubigen und in der Machtordnung der Kirche gegründete deutsche Katholizismus zwar in schwerem Kampfe mit den neuen deutschen Staatsgewalten: aber allen kirchlich bewußten Katholiken erschien die Verteidigung des römisch neu geordneten Kirchentums als dessen Verfestigung. In dem Menschenalter der geschichtlichen Wirksamkeit Kettelers hat sich der deutsche Katholizismus des strengen Kirchenbewußtseins, des geistigen Zwanges, der politischen Sammlung, der im geistigen und verfassungsmäßigen Sinne papale Katholizismus völlig ausgestaltet, hat sich zugleich der Katholizismus der modernen sozialen Arbeit langsam seinen großen Aufgaben zugewandt, sich zu seinen ersten Leistungen emporgehoben. In dem Verhältnisse Kettelers zu dieser ganzen Entwicklung, in seinem Anteil an dieser geistigen und kirchlichen Abschließung, dieser politischen und sozialen Erschließung des deutschen Katholizismus ist die wesenhafte geschichtliche Bedeutung seines Lebens gegeben. In der Oberrheinischen Kirchenprovinz hat er die ihm von Rom aus zugedachte förmliche Führerstelle eines Erzbischofs niemals erlangen können, aber die persönliche Führerrolle, für die er geboren war, konnte er in den Anfängen seiner Bischofszeit sogleich übernehmen. In seinem Sinne für das Erreichbare, der neben der Grundsatzfestigkeit stets in ihm lebendig blieb, hat er sich freilich nicht lange bedacht, die vergeblichen Versuche zu einheitlicher Lenkung der Kirchenpolitik der ganzen Oberrheinischen Kirchenprovinz aufzugeben, um sich den Erfolg in der eigenen Diözese zu sichern. Während Nachbarbischöfe im Wechsel von Waffenstillstand und Fehde mit ihren Regierungen sich durchschlagen mußten, gewann er, der sein Regiment mit dem Gewaltstreich gegen die staatliche theologische Fakultät eröffnet hatte, den Staat zum Freunde

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und Helfer. Das in der staatlichen Überlieferung und in den persönlichen Anschauungen des Großherzogs noch stark verwurzelte hessische Staatskirchenrecht wußte er in allen Hauptfragen kirchlichen Lebens unschädlich zu machen. Mit seiner Überzeugungskraft und seinem Selbstvertrauen setzte er sich zuerst gegen den Staat und dessen staatsrechtlich gegründete Ansprüche durch, um dann, selbst durch die Regierung gedeckt und zugleich die Regierung gegen die politische Demokratie deckend, jede die Einheitlichkeit des Bischofsregiments bedrohende Erscheinungsform kirchlicher Demokratie niederzuhalten. In diesem Großherzogtum Hessen, wo auch nach den Märztagen von 1848 die staatliche Vormundschaft in Kirchensachen nicht beseitigt worden war, hat Ketteier, durch förmliche Zugeständnisse der Regierung gesichert, alsbald die freie Leitung der katholischen Landeskirche an sich gebracht: eine gewaltige Wandlung in wenigen Jahren. Der Bischof übte nun tatsächlich sein Verfügungsrecht über die geistlichen Stellen ungestört aus. Er wußte unter Ausnutzung aller Hilfsmittel und Verwertung aller Helfer, nicht zuletzt der Jesuiten, namentlich aber doch dank der eigenen Entschlossenheit und gewaltigen Arbeitskraft, aus einer mit liberalen und kirchlich matten, auch manchen persönlich lässigen Priestern durchsetzten Geistlichkeit einen Diözesanklerus von größter Einheitlichkeit und Geschlossenheit zu schaffen; der unüberwindlichen Schwierigkeiten, die in der trägen oder gar feindseligen Masse unkirchlicher Katholiken sich den Versuchen einer kirchlichen Zusammenfassung aller Laien entgegenstellten, vermochte auch er nicht Herr zu werden: aber er wußte doch, gestützt auf die Vorarbeit und Mitarbeit seiner geistlichen Genossen, den Geist des Widerstandes gegen die Welt und der Kampfbereitschaft für die Kirche allen überhaupt noch kirchlich empfindenden Katholiken einzugeben, gar auch jenen friedsamen Frommen, die selbst da noch, wo der Kampf zur kirchlichen Tugend wurde, in freundlicher Verträglichkeit untätig dagestanden hatten. Diese kirchliche Wehrhaftmachung der Gläubigen wurde die Voraussetzung der politischen, die darum eben, weil sie kirchlich vorbereitet war, rasch vollzogen werden konnte, als sie durch die Wandlungen des Jahres 1859, mehr noch 1866 und vollends durch die Reichsgründung gefordert wurde. Kettelers politische Anschauungen sind im Grundsätzlichen ganz durch kirchliche Begriffe bestimmt worden. Vom Kirchlichen aus beurteilte er die Stellung des Einzelnen in der Gesellschaft, die Stellung des einzelnen Katholiken und der ganzen Kirche zum Staate. Er übertrug so entschlossen, wie nur je ein Priester, ein Bischof, die alte christliche Glaubensvorschrift „Man muß Gott mehr gehorchen als den Menschen" aus der Seele der Einzelpersönlichkeit in das Gemeinschaftsleben: er machte das moralische Gebot zu einem kirchlichen, und für die kirchenpolitische Ausdeutung dieses Herrenwortes forderte er mit kirchlicher Folgerichtigkeit vom Staate dieselbe Anerkennung,

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die nach kirchlichem Gesetze der Gläubige zu leisten h a t . Dabei räumte er doch bereitwillig ein, was der Wirklichkeit nicht versagt werden konnte. Denn er wußte, d a ß er n u r so den kirchlichen Gedanken auch außerhalb des Bereiches ihrer Zwangsgeltung R a u m verschaffen könne. Gewiß, er rief es mehr als einmal aus, sogar in einem Hirtenbriefe (1865), der sog. moderne Staat sei der grundsätzlich religions- und gottlose S t a a t ; aber er wußte sich doch in das Dasein dieses Staates zu schicken, wußte sich in dem S t a a t e mit liberaler, mit „heidnischer" Kammermehrheit einzurichten. Sein Staatsideal selbst war christlichgermanisch mit katholischem Vorbehalt. Man findet in seinen immer n u r flüchtigen Bemerkungen über Staatsbegriffe Berührung etwa mit Adam Müller und mit Jarcke. E r läßt sich aber vornehmlich ganz unmittelbar lenken durch die einfache Erwägung, d a ß in der Kirchenlehre das Richtmaß auch f ü r die Staatslehre gegeben sei: denn es ist die Kirchenlehre, die er meint, wenn er von den „ewigen Grundsätzen" der Sittlichkeit und den Geboten Gottes spricht. Man begegnet bei ihm oft genug einer romantisch gefärbten B e t r a c h t u n g über deutsche Vergangenheit und deutsche Z u k u n f t , über den deutschen Staat des Mittelalters, wie über den ersehnten Staat der Z u k u n f t . Ist seine geschichtliche Anschauung auch hier ohne Tiefe, entbehrt sie sogar oft der rechten Gegenständlichkeit und des Zusammenhanges, so behält sie stets doch ihren lebendigen Sinn in der Beziehung auf die Gegenwart, in der unmittelbaren Anwendung auf die kirchlichen Aufgaben. Ketteier ü b e r n i m m t bereitwillig Vorstellungen romantischer Geschichtsanschauung, aber nicht, weil er sie als reine Anschauung einer geistig nachgeschaffenen Vergangenheit zu schätzen gewußt hätte, sondern lediglich um ihres kirchlichen Wertes und kirchenpolitischen Nutzens willen. Auch in den Fragen der politischen Wirklichkeit ist er vornehmlich durch kirchliche Erwägungen bestimmt worden. Seine großdeutsche Parteistellung, seine Anpassung an die hessische Innenpolitik mußten wir im letzten Grunde aus seinem kirchlichen Empfinden erklären, nicht anders selbst seine Haltung nach dem Kriege von 1866. Damals freilich, in den Anfängen des Norddeutschen Bundes, war vom kirchlichen Boden aus viel eher, als in den Tagen, d a das Österreich des Konkordats noch als die erste deutsche Vormacht galt, eine Entscheidung nach beiden Seiten möglich, und neben der klugen Abwägung der kirchlichen Aussichten im preußisch-deutschen Reiche wirkte auf Ketteier immerhin auch der nationalpolitische Gedanke. Schätzte Ketteier das Preußen Bismarcks zuerst und zuletzt nicht als die stärkste deutsche politische Macht, sondern als den S t a a t der kirchenfreundlichen Verfassungsparagraphen, fehlte ihm auch die freie Hingabe an den Nationalgedanken, so h a t er doch den Sinn für den nationalen Zusammenhalt der Deutschen nicht verloren noch verleugnet. Sein Buch über Deutschland nach dem Kriege von

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1866 ist bei aller kirchlichen Berechnung und Begrenzung auch eine nationalpolitische T a t , die Tausenden von großdeutschen Katholiken, denen das Wort des Bischofs z u m Leitwort wurde, den Übergang in das neue Reich erleichtert hat. Sein eigenes Verhalten gegenüber dem deutschen Kaiserreiche wollte Ketteier d a n n freilich nicht zuletzt auch abhängig machen von der Erfüllung bestimmter kirchenpolitischer Forderungen, insbesondere der reichsrechtlichen Anerkennung der preußischen Verfassungssätze über die freie Kirchenverwaltung. Aber er h a t sich auch mitten in den erregten K u l t u r k a m p f t a g e n , obwohl er die deutsche kirchliche Politik den internationalen Zusammenhängen nicht entziehen konnte noch wollte, niemals in die Reihe derer gestellt, die in der Stille gegen den Bestand und die Sicherheit des Reiches arbeiteten. Der Kulturkampf selbst mußte ihm als die deutsche Feuerprobe der nachvatikanischen Kirche erscheinen, und in d e m Ringen um das freie kirchliche Leben des deutschen Katholizismus hat er die bitteren Erinnerungen an das Konzil, das ihm das Opfer der Überzeugung, der bischöflichen Gesamtanschauung kirchlicher Verfassungseinheit zugemutet hatte, zwar nicht vergessen, aber verhüllt. Seine bischöfliche Kirchenauffassung war das einzige Stück seiner kirchlichen Vorstellungswelt, das in einem tiefen Gegensatz s t a n d zu römischen Vorstellungen und Forderungen; u m seiner Kirche willen mußte er diesen alten kirchlichen, den eigenen bischöflichen Kirchenbegriff preisgeben. Kirchenpolitisch war er während des K u l t u r k a m p f e s in seinem Mainzer Winkel so ziemlich an die F l a n k e n t a k t i k gebunden, und nur durch die Energie seines bischöflichen Willens und d a n k der hohen Einschätzung, die ihm seit mehr als zwei J a h r z e h n t e n in ganz Deutschland zukam, vermochte er auch so in dem schweren Abnutzungskriege seit dem J a h r e 1873 einen Führerplatz zu behaupten. Auf seinem bischöflichen Wirken lasteten diese Kampfzeiten f ü h l b a r genug. Die persönliche und die literarische Bischofsseelsorge erhielt ihren Inhalt jetzt ganz vorwiegend d u r c h den Kirchenkampf. Die Notwendigkeiten der Kriegführung schrieben ihm die Bahn vor. Die kirchenpolitischen Aufgaben und Rücksichten beengten auch den „ s o z i a l e n Bischof". In den siebziger J a h r e n gab er den sozialpolitischen Anregungen, die er f r ü h e r in sich aufgenommen und den kirchlichen Gedanken eingeordnet h a t t e , in der Öffentlichkeit keine neue Entwicklung. Ein großer Teil der Klerikalen hielt sich in den sozialpolitischen Fragen noch zurück; von denen aber, die in die politische Propaganda die sozialpolitische hineintrugen, ließen nicht wenige und selbst manche Mitarbeiter des Bischofs, anders als er es wollte, taktische Rücksichten auf die Sozialdemokratie hervortreten. So erklärt es sich, d a ß die unmittelbare Wirkung der katholisch-sozialen Anschauungen Kettelers damals bescheiden blieb. Wir mußten überh a u p t die Einschätzung der sozialpolitischen Bedeutung Kettelers

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auf ihr wahres Maß zurückführen. Es ist auch hier nicht so, daß seine Wirkung auf der Selbständigkeit und Tiefe seiner Einsicht, auf der geistigen Durchdringung der Probleme ruhte; sie erklärt sich vielmehr aus der Kraft seines Wollens, mehr noch aus der Macht seiner kirchlichen und seiner personlichen Geltung. Nirgends Führer zur Erkenntnis, in der Geschichte der sozialpolitischen I d e e n ohne eigene Bedeutung, ist er doch der wirkungsvollste sozialpolitische Erzieher der deutschen Katholiken seiner Generation gewesen. Es war eine Tatsache von starker Wirkung, daß dieser Bischof mit der Kraft seiner kirchlichen Gläubigkeit, mit dem zwingenden Ansehen seines bischöflichen Rechts und seines bischoflichen Namens, mit echtem sozialem Empfinden und zugleich mit lockender und machtvoller politischer Kampfansage an den Liberalismus in die durch liberale und sozialistische Agitation bereits angetriebene sozialpolitische Bewegung eingriff. Auch die S o z i a l p o l i t i k Kettelers ist Seelsorgepolitik ihrem Ursprünge nach, ist im letzten Grunde religiöse und kirchliche Seelsorgepolitik geblieben. Von dem kirchlichen Boden aus, nur langsam, unsicher, unter beharrenden Hemmungen ist Ketteier zu der modernen Arbeiterfrage vorgedrungen. Seine sozialpolitischen Betrachtungen und Forderungen sind eng an die kirchlichen Gedanken gebunden, und überall auch ist der Zusammenhang mit politischen Interessen des Katholizismus zu erkennen. Eben diese Abhängigkeit aber von der übeigeordneten Ideen- und Lebensgemeinschaft des Katholizismus mußte den deutschen Katholiken die Aufnahme der sozialen Mahnungen erleichtern; durch den k i r c h l i c h e n Weckruf am ehesten konnten sie aus der Umklammerung egoistischer Triebe und unsozialer Überlieferungen losgelöst werden. Die Schärfung des sozialen Gewissens der deutschen Katholiken ist eine der großen geschichtlichen Leistungen dieses Mainzer Bischofs, dessen geistige Kirchenprovinz sich beinahe deckte mit dem Siedlungsgebiete der katholischen Deutschen. Als sozialer Bischof hat Ketteier seinen Namen nicht nur, auch seine Schriften und selbst eine bescheidene praktische Wirkung weit über die deutschen Grenzen hinausgetragen. Die gemeinkirchliche Geltung seines katholisch-sozialen Sammlungsrufes ist bald nach seinem Tode in den Schatten gestellt worden durch den Namen des päpstlichen Sozialpolitikers. Haben viele damals und später 1 ), obwohl Leo X I I I . den Mainzer Bischof bereitwillig seinen Vorgänger nannte, den bischöflichen Ruhm gleichsam aufgehen lassen in dem päpstlichen, so mag es angemerkt werden, daß beim Tode Kettelers, im Jahre vor der Erhebung Leos, die der Kurie nahestehende Civiltà cattolica*) den gewiß nicht ganz richtigen, aber als Äußerung an solcher ') Soeben z. B. auch Walter Goetz: Meister der Politik, hg. v. E. Mareks u. K. A. v. Müller, 3 (1923) S. 479 f. l ) 28 (1877) III S. 506.

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Stelle doch wichtigen Satz über Ketteier schrieb: er ist es, der die Grundlagen gelegt hat fQr die soziale und wirtschaftliche Reform im katholischen Sinne. Es spricht auch nicht lediglich die Vorliebe des deutschen Katholiken fQr den deutschen Bischof, wenn etwa ein so papsttreuer Gelehrter wie Georg v. Hertling gegen eine des Bischofs Stellung verdunkelnde Überschätzung der Erlasse Leos X I I I . Bedenken angedeutet hat. 1 ) Die Überschätzung seiner sozialpolitischen Leistungen gehört freilich auch zu Kettelers Schicksalen. Aber die falsche Beurteilung, die ungeschichtliche Anschauung wird hier, wie so oft in der Geschichte geistiger und politischer Gemeinschaften, selbst wieder zur geschichtlichen Macht. Der Ketteier der umdichtenden Vorstellung ist mit dem Ketteier der Wirklichkeit verschmolzen in dem Erinnerungsbilde gläubiger Katholiken. Der deutsche Katholizismus läßt das gerade in seiner sozialpolitischen Propaganda erkennen. Ketteier ist auch der Generation deutscher Katholiken, die nach seinem Tode in die öffentliche Arbeit für ihre Kirche eintrat, eben als der soziale Bischof lebendig und ewig gegenwärtig geblieben. In der volkstümlichen Vorstellung von Kettelers Sozialpolitik aber lebte und lebt unausrottbar auch der Wahngedanke, daß die eigentliche Arbeiterfürsorge, die moderne Sozialpolitik überhaupt ihren Ursprung habe in dem schöpferischen Geiste des Bischofs: aus der sozialen Erstarrung, aus gleichgültigem oder mißgünstigem Individualismus erhob sich als einsamer Rufer dieser „Arbeiterbischof", längst ehe es einen Sozialisten gab, längst ehe liberale Gegner des politischen Katholizismus auch nur ein bescheidenes Verständnis für die soziale Frage verrieten. In dieser Weise etwa verschiebt sich das Bild der geschichtlichen Wirklichkeit in dem Bewußtsein der Gläubigen, die führend oder helfend in der fruchtbaren, oft vorbildlichen Arbeit der katholischen Caritas stehen, die, lehrend oder lernend, die volkstümlichen Gemeinschaften, die Vereine und Verbände des deutschen Katholizismus bilden. Die Lebenskraft des Namens Ketteier leuchtet allenthalben aus der katholischen Bewegung des letzten Menschenalters hervor: der soziale Bischof als der bedeutendste geschichtliche Träger der ersten starken katholischsozialen Regungen in Deutschland, aber auch als die symbolische und zugleich ganz lebensstarke Verkörperung der scheingeschichtlichen Idee von dem kirchlich-katholischen Ursprung der modernen Sozialpolitik. Es wäre wenig bewiesen, wenn diese Vorstellungen über Ketteier etwa nur zum jahrhundertgedächtnisse seines Geburtsjahres hervorgetreten wären, obwohl auch die Tatsache schon etwas bedeutet, daß im Jahre 1911 nicht lediglich in seiner westfälischen Heimat*) und am Rheine die volkstümliche Erinnerung an ihn in i) Hist.-pol. Bl. 120 (1897) S. 883 f. *) Vgl. z. B. Münster. Anzeiger 1912 Nr. 914 (Dez. 27). — Im allgemeinen: Die Herz-Jesu-Kirche (Ketteier-Gedächtniskirche zu Mainz-Mombach), Mainz 1913,

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f r o m m e n Feiern und auch wohl in f r o m m e n S t i f t u n g e n sich a u s s p r a c h . Der K a t h o l i k e n t a g des J a h r e s 1911 — von 58 G e n e r a l v e r s a m m lungen der Katholiken Deutschlands die f ü n f t e , die in Mainz abgeh a l t e n w u r d e — stellte sich ganz u n m i t t e l b a r in den S c h u t z dieses bischöflichen N a m e n s : die offizielle F e s t p o s t k a r t e g a b d e m Bilde des Bischofs in symbolischer Darstellung u n d in W o r t e n den Spruch mit „ F ü r Kirche und Volk", und in der n i c h t ganz kritiklosen E r i n n e r u n g s rede Hertlings wie in den i m m e r wiederkehrenden Huldigungen v o r K e t t e i e r oder Berufungen auf ihn t r a t der Kirchenpolitiker zurück h i n t e r dem Heros katholischer Sozialpolitik. Aber auf den großen deutschen K a t h o l i k e n t a g e n des ausgehenden 19. u n d beginnenden 20. J a h r h u n d e r t s ü b e r h a u p t , bei diesen lauten K u n d g e b u n g e n eines lebendigen Gemeinschaftsbewußtseins, b e w ä h r t e kein geschichtlicher N a m e des deutschen Katholizismus mehr gegenw ä r t i g e K r a f t als der seinige. Und es ist i m m e r wieder zuerst und zuletzt der soziale Bischof, zu dem die R e d e n , die E r i n n e r u n g e n , die M a h n u n g e n , die Beifallskundgebungen z u r ü c k k e h r e n auf diesen T a g u n g e n , wo Lehrmeinungen, z u s a m m e n h a l t e n d e u n d w e r b e n d e G r u n d a n s c h a u u n g e n , geschichtliche und ungeschichtliche Überlieferungen auf einfache Formeln gebracht, wo W a h r h e i t und I r r t u m leicht zus a m m e n g e b a l l t wurden zu handlicher R u n d u n g . Ein Schweizer S t a a t s r a t etwa, der gerade eine französische Auswahl aus Schriften K e t t e l e r s in Basel h a t t e erscheinen lassen, redete auf der Mainzer V e r s a m m l u n g des J a h r e s 1892 von „ d e m " Schöpfer einer christlichen Sozialpolitik 1 ); ein l e b h a f t e r Münchner Schlossergeselle ging auf d e r T a g u n g von 1895 in B e t r a c h t u n g e n über A u f g a b e n und Ziele d e r katholischen Arbeitervereine von seinen halblegendären E r i n n e r u n g e n an den „ w a h r e n Anwalt des arbeitenden Volkes u n d der a r b e i t e n d e n S t ä n d e " a u s ; ein g e w a n d t e r niederrheinischer A r b e i t e r s e k r e t ä r wie Giesberts leitete die E n t w i c k l u n g „ d e s " sozialen P r o g r a m m s der d e u t s c h e n K a t h o l i k e n durch Ketteier kühn bis in die vierziger J a h r e z u r ü c k ; ein Freiburger Arbeitersekretär sprach auf der M a n n h e i m e r S. 10. — Z. Folg. vgl. etwa die Verbandszeitschrift der kath. deutschen Studentenverbindungen (C. V.) „Academia" 24 (1911) Nr. 7 S. 209 f.: „Unser Verband und die Ketteier-Gesellschaft" v. Frhr. K. v. Fechenbach-Laudenbach (Frühjahr 1911 v. d. K.-Gesellschaft ein Ketteler-Heim in Nauheim errichtet, eine Wohltätigkeitsanstalt, besonders für arme Arbeiter und deren Kinder; „vorlaufig" können aber wegen der großen Kosten „meistens nur bessere Kurgäste aufgenommen" werden). l ) Verhandl. d. 39. Generalvers. d. Kath. Deutschi, zu Mainz v. 28. 8. bis 1.9. 1892 (Mainz 1892) S. 414ff. — Z. Folg.: Verh. d. 42. G.-V. (München 1895) S. 347 f., vgl. 354; Verh. d. 47. G.-V. (Bonn 1900) S. 238 (Giesberts); auch 53 (Essen 1906) S. 381; 49 (Mannheim 1902) S. 89 f. (ebenda S. 134 wieder Giesberts); 52 (Straßburg 1905) S. 129; 51 (Regensburg 1904) S. 376 (vgl. noch die ebenda S. 809 im Register verzeichneten Stellen, von denen indessen 454 zu streichen ist). Ferner: 56 (Breslau 1909) S. 262 f. — Auch auf anderen Katholikentagen ist K-s Name öfters genannt worden; die einzelnen Hinweise können hier wegbleiben.

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Tagung von 1902 d a v o n , d a ß Ketteier „als der E r s t e " mit apostolischem Freimute die sozialen Gefahren erkannt u n d praktische Vorschläge gegeben habe, „die heute noch als Richtschnur dienen", d a ß dieser Bischof „drei J a h r z e h n t e vor d e m A u f t r e t e n der Sozialdemokratie die Arbeiterfrage aufrollte und praktisch f ü r die Arbeiter t ä t i g w a r " ; mit der Selbstverständlichkeit, wie sie die Wiedergabe allbekannter Tatsachen zu umkleiden pflegt, rief ein Führer der Düsseldorfer christlichen Gewerkschaften in die Arbeiterversammlung des Katholikentags von 1905 hinein: „ E h e es in unserem deutschen Vaterlande eine Sozialdemokratie gab, hat es einen katholischen Bischof gegeben, Freiherrn v. Ketteier, Bischof von Mainz, der die Fahne der christlichen Sozialpolitik a u f g e p f l a n z t " ; ein Straßburger Gymnasialprofessor gar h a t t e im J a h r e zuvor geradezu v e r k ü n d e t , Ketteier habe an der Spitze der ganzen sozialen Bewegung unserer Zeit gestanden. In dieser Weise wurde wieder und wieder von K a t h o liken zu Katholiken geredet bis in unsere Tage hinein, und immer n a n n t e man, das ist f ü r die Würdigung der Nachwirkung Kettelers wichtig, seinen Namen so, wie man einen ganz lebendigen, allen vertrauten Namen n e n n t ; die Meinung, daß er der Schöpfer aller d e u t schen Sozialpolitik sei, war solchen Katholikentagsrednern und ihren Hörem im Beginn des 20. J a h r h u n d e r t s schon f a s t zu einem Dogma geworden. Derart greift die nachschaffende Legende über die geschichtliche Leistung hinaus. Die richtige Erkenntnis von der Führerschaft Kettelers in der katholischen Sozialpolitik verband sich mit der frei gestalteten Vorstellung von seiner schöpferischen V e r k ü n d u n g neuer sozialer Gedanken, von der Einleitung aller modernen Sozialpolitik überhaupt durch diesen Bischof. Geschichte und Legende wachsen zusammen. Aber wird eine Legende, die Gedanken in sich t r ä g t von ähnlicher K r a f t und Dauerhaftigkeit wie die Geschichte, in ihrer Wirkung nicht selbst wieder zur Geschichte? Es ist ein eindrucksvolles Zeichen gerade auch der g e s c h i c h t l i c h e n Geltung der Persönlichkeit Kettelers, d a ß die Erinnerung an ihn ü b e r h a u p t und insbesondere an seine Arbeit auf dem sozialpolitischen Boden (der wenigstens in seinem stimmungsmäßigen Werte volkstümlichen Vorstellungen leicht zugänglich ist) alsbald nach seinem Tode schon von der Legende umsponnen wurde. Es fehlt im 19. J a h r h u n d e r t nicht an deutschen Bischöfen, die in die Kirchenpolitik tiefer eingegriffen haben und ihren diplomatischen Einfluß u n m i t t e l b a r oder mittelbar weiter in die Welt hinein wirken lassen konnten als Ketteier. Aber es gibt keinen anderen Bischof, der zugleich so selbstlos und so selbstgewiß, mit so viel religiösem Ernst und kirchlicher Entschlossenheit die Aufgaben seines Bischofsamtes erfüllt und von so schmalem Boden aus durch die K r a f t und den Ein-

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Rückblick und Ausblick

druck seiner Persönlichkeit auf alle kirchlichen und sozialen Bewegungen des deutschen Katholizismus in solchem Maße eingewirkt hätte, wie dieser Mainzer Bischof aus mQnsterischem Adelsgeschlecht. Kiemens August von Droste-Vischering ist in dem Gedenken der Nachlebenden zusammengewachsen mit der Erinnerung an den preußischen Kirchenstreit von 1837, an „das" Kölner Ereignis: er ist aus einer geschichtlichen Persönlichkeit gleichsam zur geschichtlichen Tatsache geworden. Reisach und Geissei haben außer in eng begrenzter heimatlicher Überlieferung ihren Platz nur in dem Wissen der Geschichtskenner und der Kirchenpolitiker. Ketteier aber steht als Persönlichkeit, als flüchtig und doch groß umrissene geschichtliche Gestalt in der Seele der bewußten deutschen Katholiken unserer Tage, der gebildeten Katholiken aller Welt. Heinrich v. Treitschke hat einmal bemerkt, es sei das Vorrecht der Feldherren und der Priester, daß sie wahrhaft volkstümlich werden könnten. Ketteier ist der einzige deutsche Bischof des neunzehnten Jahrhunderts, der diese priesterhafte Volkstümlichkeit auch im Sinne geschichtlicher Dauer gewonnen hat.

Namen- und Sachverzeichnis (Die in den Anmerkungen genannten Verfasser von Büchern und Aufsitzen sind aufgenommen, sofern sie als Zeltgenossen Ketteiers urteilen. Das Sachverzeichnis gibt eine Auswahl von Schlagworten. Man vgl. auch die Seitenüberschriften) 549 (Aachen; auch Anm. 1). 560. 709 A . 3. 711 A A. 3. 734. Vgl. Chrlst.-soz. — Katholische ArAachen 103 (Lingens). 421. 424. 438. 515 A . 2 beitervereine 711 A. 3 (Lingens). 545. 547 (Arbeiterverein). 549. 552 Arbeiterschutzgesetze 711 A. 4 (Pfeiffer) 711 A . 3. — Stiftsherr: Spee; Arbeitsordnung 622 A . 1 Kaplan: Schings Arbeitsrecht 657 . 710 Abte, kurhessischer Obergerichtsdirektor 205 ff. Arbeitszeit 543 f. 552. 554. 559. 623 211 f f . 404 f. „Archiv für katholisches Kirchenrecht" 375 f. Abeken, Heinr. 423 mit A . 1 Areo-Zinneberg, Orftfin 25 A . 6 Abiturientenprüfung 9 mit A . 3. 267 v. Arera, Frz. Jos. 140. 149 Absolutismus (staati.; kirchl.) 97.178. 332. 387. Arianer 157 388. 391 f. 396. 413. 476. 483. 502. 504. 506. v. Arneth, Alfred 70 A . 3 568 f. 581.589.591. 620.621.666. 690.698.702 Aschaffenburg, Universität 141 (auch: Oymna„Academia" (Student. Zeitschrift) 733 A . 2 (734) sium). 142. 148. 153 Ad domintet gregis custodtam (p&pstl. Bulle v. Assoziationen s.: Genossenschaften; Gewerk1827) 138. 184. 195. 226. 230. 240. 265. 266 schaften ; Produktivgenossenschaften A . 1. 278 Atheismus 390 A . 3. — Vgl.: Materialismus Adel (besond. westf.) 3 ff. 13 f f . 28 ff. 70. 79. Attila 529. 720 116 f. 127. 303. 304. 357 (Hessen). 386. 414. Dr. Aub, Rabbiner in Mainz 319 A. 3 457 . 491. 507 . 658. 661. 669. 724 Auersperg, Fürst, öaterr. Ministerpräsident 521 Admont, Engelbert v. 42 f. v. Auenwald. General (1848) 99 Adolphe, Schwester (Mainz) 297 A . 4 Aufklärung 5. 565 AdreBdebatte (im Dt. Reichstag 1871) 628 ff. Augsburg: Bürgermeister Fischer 661; Bischöfe: 642 f. 652. 663 A. 1 Rlcharz 189. Dinkel 601 Alexander, Prinz von Hessen 356 A. 4 „Augsburger Postzeitung" 427 Alice, Prinzessin von Hessen (seit 13. Juni 1877 Augsburger Religionsfriede 318 OroBherzogln) 405 Augustinus 60 A . 2. 546 „Allgemeine Kirchenzeitung" (Darmstädter) 210 Amlke, Matthlas 112. 123 ff. 218 ,,Allgemeine Monatsschrift für Wissenschaft und Literatur" (hg. v. J. O. Droysen) 210 A. 2 B „Allgemeine Zeltung" (Augsburger) 220 A. 2. 344. 358. 485 A. 2. 694 A . 1. 713 mit A. 1 v. Baader, Franz 43. 45 A.3. 109. 150. 151. 180. Allianz, Heilige 475. 503. 630 421 Aitkathoiizismus 540. 600. 609. 638. 639 f. 648. Baden, OroBherzogtum 201 f. 203 f f . 211f. 216f. 657. 678 f. (Altkatholikengesetz v. 1875). 697. 218 f. 222 f. 229. 235. 237 f. 243 ff. 253. 255. 718 f. 257. 262. 278. 279. 345. 367 f f . („Konkordat" v. 1859). 376. 388. 391. 405—8. 493 A . 1. 494. AltSttlng 722 500. 507. 526. 529. 533. 540. 599 f. 616 A . 2. v. Alvensleben, Udo 12 A. 2. 642 A. 4 619. 626. 636. 637. 638 A. 1. 639. 669. — Alzey 297. 382 Großherzoge: Leopold I I ; Friedrich I. Alzog, Joh. Bapt. 570 Amerika, Vereinigte Staaten 31 (Katholiz.) 450 Baden-Baden, Fürstentag (1860) 475 Bader, Karl 246 A. 2. 675 A. 1 (Bürgerkrieg). 510(s. Baltimore). 525 (KirchenBaiern 24. 68 A . 2. 73. 93. 193 (Bischöfe). 204. freiheit) 208 f. 211. 215. 347 A. 4. 355. 473 A. 1. 494 f. Animadversiones, s. Hessen: Übereinkunft v. 497 f. 500. 519 f. 526. 529. 533. 539. 608. 628. 1854 630. 632. 648. 657 f. 659 ff. 665. — König: AntonelU, Giacomo 18 A . 4. 254. 261 mit A. 3. II. 215. S. auch München, 265. 274. 510 A . 1. 571. 589. 610 A. 2. 639 mit v. Maximilian Bally, Abg. d. Nationalvers. (1848) 82. 86 A. 2. A. 1. 651. 672 112 Arbeiter, Arbeiterfrage: vgl. Soziale Frage „Arbeiterfreund" (liberale Zeitschrift) 459 A. 1. Baltimore, Bischofsversammlung 510 Bamberg, Erzbischof von (Delnlein) 579 544 A . 1. 622 A. 1 Bamberger Tagung der Mittelstaaten (1854) 254 Arbeitertag, Nürnberger (1868) 551 Arbeitervereine (vgl. auch Genossenschaften; Bamberger, Ludwig 162 f. 531. 626. 675. 676 Gewerkschaften): Allgemeiner Deutscher Ar- Barmherzige Brüder 446 beiterverein 434. 441 f. 463 f. 465. 542. 547. Barmherzige Schwestern 130. 296 f. 315. 446. 454 550 — Arbeiterbildungsverein 419. 433. 448. Barth, Marquard, Reichstagsabg. 636 710 A . 1 — Christlich-soziale Arbeitervereine | Bartotini, Ritensekretär 538 A . 1. (513 A. 1) V i g e n e r , Bischof Ketteier

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Namen- und Sachverzeichnis

Basel 734 Battenberg, Fürstin Marie s. Erbach-Schönberg Baudri, Weihbischof von Köln 286 A . 2. 665. — Sein Bruder Friedrich (Maler in Köln, Reichstagsabg.) 655 Baumgarten, Herrn. 403 mit A . 1 Baumstark, Reinhold 642 mit A . 5 Bayreuth 623 Beamtenschaft 250. 426. 506 f . — V g l . Hessen Bebel, August 549 A . 4 (550). 551. 714 v. BecMola, Friedr. Georg 255 A . 2. 361 f. 408 A . 3 . 684 f. v. Beckedorff, Ludw. 39 mit A . 3 Beckum 55 f. 63 f. 125 Befreiungskriege 57. 492 mit A . 1 Belcredi, Oraf, österr. Minister 488 Btlet, P . 512 A . 3 Belgien 393. 424 f. 438 f f . Bellarmino. Kardinal 393. 511. 574 v. Below, Georg 430 f. (431 A . 1) v. Bennigsen, Rudolf 380. 432. 630 A . 3. 634 A . 4. 663 A . 2. 677 A . 1 Benshelm 326. 706 (Gymnasium). 709 (auch A . 3 ) . 710 Bensheim-Erbach, Reichstagswahlkreis 626 Bergstraße 709/10 Berlin 10 (Universität). 114 (Revolution). 123—132 (126ff.Hedwigskirche;klrchl. Ü b e n ) . 433 (Arbeiter). 527 A . 2. 549 A . 4. 550. 655 (Generalsuperintendent) „Berliner R e v u e " 427 f . f . Bernhard!, Theodor 351 mit A . 1 Beseler, Georg 83. 119 Graf, Reichstagsabg. 632 Bethusy-Huc, v. Beust, Graf 363 mit A . 2. 364 A . 2. 500. 521. 522 f f . 526. 535 A . 1. 537 Bibel 519 A . 2 Biedermann, Karl 99. 100 mit A . 1. 174 A . 3 v. Biegeleben, Arnold 177 A . 2. 251. 297. 314 A . 3. 356 mit A . 5. 483. 530 A . 2. 684 v. Biegeleben, Ludwig 483. 485. 486. 487 v. Biegeleben, Maximilian 483. 684. 685 Bingen 295 f. Kreisamt (s. Parcus). 297 ( E n g l . Fraulein). 325 A . 1 (Realschule). 404 Binterim, A n t . Jos. 43 A . 3 Birnbaum, Michael 150. 166 f. 194 A . 1. 199 Bischofsversammlungen, deutsche; preußische. A l l g e m e i n : 509f. 719. — F u l d a 1867 : 509. 535 A . 2 (536). 570. 617. — Fulda 1869 : 53 A . 6. 548. 552. 566 f f . 570. 579 f. 583. — Fulda 1870: 600. 602. — Fulda 1872 : 665 f f . — F u l d a 1873: 672 f. — Fulda 1874: 675. — Fulda 1875: 677 f. — V g l . Würzburger Bischofsvers. Bischofswahlen 135. 138. 147. 211. 230. 233. 271. 273. 410. 413. 510. 566. 576 f. — S. Mainz

Bologna, Erzb.: Viale Prelä (s. dort) S. 347 A . I Bone, Heinrich 326 f . Bonifacius V I I I . , Papst 393 Bonifatius 209 A . 3. 268. 393. 509. 668 Bonifatiusfeier v . 1855, Bonifatiushirtenbrief K.S 1 6 3 A . 1 . 2 6 8 f . 315. 318. 345. 503. 504.509 625. 661. A . 2. 720 Bonifatiusverein 130. 292. A . 4. 303. 309 Bonn, theolog. Fakultät 648. 697 Bonn, Katholikentag (1900) 734 A . I Bossuet 40. 603. 607 Boudin, Jos. Napoleon 241 A . 2. 324 v. Boytn, Herrn. 8 A . 2. 57 A . 7 Brtmer, K . 459 A . 1 Braganza,^ Maria Neves, Infantin v . Portugal Brandenburg 129 (fürstbisch. Delegatur; kathol Stadtkirche) Braun-Artaria, Anna 287 A . I Braunsberg, Gymnasium zu 648. 664 v. Breidenbach, hess. Gesandter in Stuttgart 237. A . 1 u. 2. 238 A . 3. 261 A . 3. 270 A . 2. 363 A . 1 Brentano, Clemens 19. 26 A . 6. 63. 64 (auch A. 2) Brentano, Franz V I f. 579 f. Brentano, Lujo V I . 579. 710 f. v. Brentano (in Rödelheim) 310 Breslau, Katholikentag (1909) 734 A . 1. — Regierungspräsident: Zedlitz Breslau, Bistum 129.245 (Domkapitel). 287 A . 4 (Dompropst Ritter). Bischöfe: Sedlnitzki; Diepenbrock; Förster Breven, päpstl. 278. — S. „ R e Sacra" Brieg ( i m Wallis) 9 mit A . 2 (Jesuiten) Brinkmann, Joh. Bernh. 124 f. 129 f. 707.719 Brixen, Fürstbischof Gasser 481 A . 2. 547 v. Bruck, österr. Gesandter in Darmstadt 534 ff. Bruderschaften 56. 58. 110. 301 f. — S. Marian. Kongregation Brück, Helnr. X I . 241 A . 2. 616 A . I. 682 A. 3 Brüggemann, Karl Heinr. 71 f. 432. A . l de Buck, Jesuit 609 A . 2 Büdingen 408 (Oymnasialdir. Thudichum) Büsing, Reichstagsabg. 659 Bundestag 170f. 350. 382. 415. 481. 482 f. — S. Deutscher Bund Bundesrat 643. 660 v. Bunsen, Chr. K . Josias 234 A . 1 (235). 368 A . 2. 393. 662 A . 2 ; Buol-Schauenstein, Karl Ferd. Graf v., österr. ! Minister d. Auß. 270 mit A . I. 340 A . 3. 341 f. | Burg, Vitus, Bischof v . Mainz 139 f . 144. 149 1 Burghausen (in Niederbaiem) 722 I Büß, F . J. 82 A . l . 94.101. 109. 121. 243.340.358 Busch, Moritz 640 A . 2

Bismarck 22 A . 3. 205. 243. 248 f. 308 A . 3. 309 A . I. 353 A . 1. 380 mit A . 3 . 381 A . 2. 387 ! Calderon 727 A . 3 . 403. 415 . 428 f. 447. 479 f . 484 f. 490. v. Canitz, preuß. Gesandter In Darmstadt 208 493. 495. 497 f. 500 f f . 505 f f . 510. 512. 515. A . 2.215 A . 2. 220 f. 236. 286 A . 1. 356 A . 2. 519 f . 526. 530. 531 A . 2. 540. 544. 600. 612f. Conus, Melchior 603 628. 632 mit A . 2. 636 A . 1. 638. 640 A . 2. Caritas, Christi. 108 f. 420 f. 436. 444. 455. 733 644. 649 f f . 654. 660. 662 f f . 665. 667 (auch Cavour 342. 346. (519) A . 4). 676 mit A . 3 . 677 A . 1. 681. 682. 684. „Chrlstllch-soclaie Blätter" 462 mit A . 2. 545 f f . 700 A . 3. 707 f . 730 (545 A . l ) . 552 A . 3. 560. 622 A . 1. 630 A . 2. Blanc, Louis 433 653 A . 1. 656 A . 1. 657. 709. A . 2 u. 3. 710 v. Blanckenburg, Moritz 621 A . 1. 636. 641 A . 2. A . 1. 711 A . 3 . 714 A . 4. 715 mit A . 1 643 Christi .-soziale Vereine 546. 657. 709 f. 711 A . 3. Blind ( — Cohen), Jul. 490 — S. Arbeitervereine Blum, Peter Jos., Bischof von Limburg 100 A . 4. „Civiltà cattolica" 516 A . 1. 571. 574. 649 A . 3 . 146 A . 4 . 154. 182. 189. 193. 202. 221 A . 2. 732/733 222. 237. 251 f . 261 A . 4. 261 f. 263 A . 1. 278 f. Clemens, Fr. Jak. 81 A . 3. 88. 116 286 A . 1. 288. 321 A . I Collegium Germanicum 36 f. 588. 706 Blum, Robert 113 Colmar, Ludwig, Bischof von Mainz 136 f. 139. Bluntschli, Joh. Kaspar 623. 639 A . 1. 646. 723 144. 208. 565 mit A . i Consalvi, Kardinal 138 v. Bocholt2, Familie 13 „Correspondent von und für Deutschland" 538 Bockenheimer K - O. 516 A 3. 531 A . 1 A . 1. 539 Böhmen 397. — Vgl. Tschechen Correspondenz, Oenfer (s. dort) Böhmer, Joh. Friedr. 64. 100 de Coux, Graf 439 „Börsenzeitung" 654 Cozmtan, Domherr in Posen 640 mit A . 2. 649 v. Böselager, Familie 13 A. 4

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Namen- und Sachverzeichnis

Credner. Karl Aug. 180 A. 2 v. Drachenfels, hess. Oesandter in Berlin 84 A. 6. Crivt, Damian 156. 215 A. 1. 217 A. 2. 218 f. 275 A. 2 Dreierwalde 57 250. 269 . 358 Dresden, Hofprediger: Potthoff 658 mit A. I „Czas", Krakauer Zeitung 516 A. I Dreyes, Lebrecht 73 A. 3 v. Droste-Hülshoff, Annette 5 A. 1. 7 A. 4. 8. D 11 A. 4. 13 A. 2 u. 3. 14 A. 2. 17 ff. 22 A. 1. 32 A. 2. 33 A. 1. 34 A. 6. 38 A. 5. 57 A. 1 u. 6. Dael (später Freih. zu Koeth), Friedr. 314. 441 64 A. 4. — Ihre Mutter 13 mit A. 1. 444 A. 4 v. Droste zu Vischering, Oraf Klemens 481 A. 2; Dänemark 91. 483. 486 s. Gattin: Helene, geb. Oräfln Galen (Nichte Dahlmann, Friedr. Christoph 10. 92 des Bischofs) 601. 717 A. 3 v. Dalberg, Herzogin 49 A. 6 v. Dalwigk, Reinhard 84 A. 6. 148. 155. 159 A. 4. v. Droste zu Visehering, Klemens August Freiherr Erzbischof v. Köln 13. 16. 17 f. 23. 28 160 A. 2. 163. 166 f. 168. 170 ff. (usw. Buch 2. A.7. 29—34. 45. 51. 57. A. I. 67. 85. 142. Abschnitt 1). 231. 235. 238 ff. 251 f. 254 ff. 235. 375. 601. 736 258. 260 A. 1. 261. 263 A. 3. 265 A. 2. 266 ff. Droysen, J . G. 83 A. 3. 210 A. 2. 502 273 A . 2 . 274 ff. 279. 288. 291. 293. 295. 307. A. 2. 309. 314 f. 322 f. 340. 352. 353 ff. 357ff. Ducat, Friedr. 301 A. 3. 317 363 — 383. 390. 401 ff. 404 ff. 409 ff. 414 f. Dünnwald (b. Mülheim a. Rh.) 463 ff. 419. 453. 487. 494. 496. 504. 522 ff. 530. 536ff. Düsseldorf 462. 548 f. (Katholikentag v. 1869). 621 mit A. 3. 626. 660. 683 f. 689. 690. 698. 735 (Gewerkschaftssekretär) 699. 702 Duller, Eduard 314 f. Dammer, Friedr. 434 A. 1 Dumont, Alexis 301 A. 3. 320 A. 1. 401. 404. Dante 727 409. 410. 531. 698 A. 2 Darboy, Erzbischof v. Paris 597 Duncker, Franz 551 Darmstadt 158. 297. 498. 551. 715. — Hof- Duncker, Max 510 A. 1 ericht 359. — Oberlandesgericht 694 A. 1. — Dunin, Erzb. v. Posen 29 farrei, kathol. 147. 260. 265. 307. 365 (Stadt- Dupanloup, Bischof v. Orleans 567. 569 A . l . 572. 652 A. 2 pfarrer: Kaiser; Lüft) „Darmstädter Zeitung" 163 A. 3 E Decluunps, Erzbischof v. Mecheln 572 Eberhard, Matthias, Bischof v. Trier 68 A. 3. Deharbe, Jos., Jesuit 310 580. 601. 610 A. 2. 675 Deinlein, Erzb. v. Bamberg 579 Deiters P. F., Abg. In d. dt. Nationalvers. (1848) Eberl, Friedr. 108 A. 4. 465 A. 1 Ehe (Familie) 105 f. 392. 407. 410. 454 f. 507. 116 523. 543. 558 f. 637. 674 Dekanat (Landdekane) 290. — Vgl. Klerus; Ehrte, Franz, Jesuit 60 A. 4 Mainz Eichendorff 8 (bei A. 4). 20 A. 3. 61 A. 5. 73 Demokratie, Demokraten 7811. 87. 89 f. 92. 95. 98 ff. 112 ff. 148. 152. 162 ff. 169 ff. 178. 184. Eichhorn. J . A. F., preuB. Kultusminister 31 A. 4. 310. 513 A. 2 295. 312 ff. 320. 328. 340. 356 f. 377 ff. 381. 393 A. 2. 402. 404. 419 f. 433 f. 451. 458. 480. Eichhorn, K. Fr. 64 A. 2 Eichstätt 11. 36 ff. 41. 44 54. — Bischof: Oraf 500. 511. 529 ff. 551. 675 f. 698. Relsach „Demokratisches Wochenblatt" 551 Eigenbroät, Reinhard 518 A. 2 Deutinger, Martin 49 A. 2 Deutscher Bund 350. 415. 477. 496. 503. 619. — Eigentumslehre, kirchl. 104 (Thomas v. Aquino). 105. 107 S. Bundestag „Deutsche Vierteljahrsschrift" (Cotta) 264 A. 2 Eisenacher Kongreß (1869) 549. 551. 714 „Deutsche Volkshalle" 518. — Vgl. „Köln. Eisenbahnen, Verstaatlichung 622 Eisenmann, Gottfr. (Abg. in d. Nationalvers. Blätter" 1848) 99 „Deutsche Zeitung" 99 A. 2. 288 A. 3 „Deutscher Merkur" s. „Rheinischer Merkur" Elberfeld 420 (Oesellenverein) Deutschkatholizismus 113. 119. 129f. (Berlin). Elisabethverein 302 141. 143. 145. 161. 293 f. 314 f. 317. 318. 387. Elsaß, E.-Lothringen 136. 480. 489 A. 2. 614. 628. 636.639 390. 393. 399 f. 407. 409. 410 Deutschland 267 (Kirche). 268 f. 366. 395. 402. Emmerich, Katharina 26 A. 6 Emser Kongreß 187. 383 453. 481. 490. 493. 501 ff. 509. 535. 598. 608. 612 f. 650. 653. 681. — S.: Dt.Bund; Oroß- Enderlin, Franz Jos. 305 deutsch; Kleindeutsch; Mittelstaaten; vgl. Engelberl v. Admont 42 f. einzelne Staaten, bes. Österreich u. Preußen Engels, Friedr. 512. 549 A.3 England 341. 347. 348. 430. 433. 449. 457. 476. Diäten (Antrag im Reichstag) 643. 664 517. 571. 630. — S. London Dieburg 300. 310 (Lehrerseminar). 355 A. 2 (Kreisrat Ooldmann). 529. 531. 706(Konvikt) Englische Fräulein 296. 297 f. 305. 322 v. Depenbrock, Melchior 19 A. 1. 32. 60 A. 5. Episkopalismus (blschöfl. Kirchenbegriff) 42. 263 f. 566 ff. (Buch 4, Abschnitt 1) 726 75 ff. 79. 81. 82 f. 85. 124. 125 A. 1. 127 f. 131. 156. 164. 201. 207 . 245. 287 A. 4. 510. 727 Erbach-SehSnberg, Marie, Fürstin, geb. Battenberg 255 A. 3. 359 mit A. 3 Diesterweg, Adolf 310 ff. 313 Erfurt 173 (Parlament v. 1850) 533 DI Jon, Bischof v. (Rivet) 595 Ermeland, Bischof v. 75 (1848). S. auch KreDinkel, Bischof v. Augsburg 601 mentz DIOzesankonferenzen (s.Mainz) 290 f. 331 Essen 709 (Reichstagssitz). 734 A. 1 (KathoDiözesanstatuten (s. Mainz) 143. 145 likentag 1906) Diözesansynoden 212. 271. 276. 291. 583 DSUinger 20 A. 2. 24 A. 5. 26 f. 37. 45 A. 3. 47ff. Europa 653. 673 50. 63 A. 5. 71. 81. 82 f. 85. 89 f. 97 A. 2. Ewald, Wilh., Reichstagsabg. 632 f. 99. 102 f. 154. 282 A. 5. 287 A. 1. 388. 397. Exerzitien 54. 56. 197. 288. 312. — Vgl. Jesuiten 400 A. 1. 441. 471 A. 1. 472. 508 A. 4. 517. 570. 571. 574. 584. 607. 609. 610 A. 2. 657 A. 1 F v. Dürnberg 277. A. 2 Fabriken, Fabrikarbeit 53. 419. 421 f. 424 f. Dogmatik 41 f. 43 f. 283 431. 436 ff. 445 ff. 540. 546. 556. 559. 622 f. v. Dohm, Christian 5 A. 1 Falk, Adalbert 655. 670 f. 674. 676 mit A. 2 Domkapitel 135 u. ö. (s.Mainz). 206. 233 u. 3. 677. 717 v. Doß, Adolf, Jesuit 685 mit A. 1 Falk, Johann (in Mainz) 328 f. 693 Dove, Alfred 632 A. 2

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N a m e n - und Sachverzeichnis

F e b r o n i a n i s m u s 187 A . 2 3 6 8 Federn 40 A . 5 Feldkirch 524 Ftnelon 39 f f . 42. 387 f. F e r r a r a 60 Ferdinand, Herzog v. W ü r t t e m b e r g , Gouverneur v . Mainz 158 Feßler, J o s . , Bischof v . S t . P ö l t e n 5 3 3 . 574 Fichte 367 m i t A. 2 (F.-Feler v . 1862) F i n t h e n (bei Mainz) 298 F i n t h e n e r Schwestern 298. 305. 691 m i t A. 2 Fischer, K u n o 235 A. 2. 236. 282 Fischer, L u d w . Friedr. Alex., B ü r g e r m e i s t e r v. A u g s b u r g , Reichstagsabg. 661 v. Florencourt, F r a n z 385 f. Florenz, Konzil v . (1439) 582. 584. 5 8 9 Förster, H e i n r i c h , D o m h e r r , seit 1853 F ü r s t bischof v. Breslau 125 A. 1. 156. 164. 580. 727 F o r t s c h r i t t s p a r t e i 335. 401 f f . 4 1 3 f f . 417. 419. 428. 443. 453. 483. 486. 491. 501 f . 508. 687. — Vgl. Hessen, Liberalismus Franck, Heinrich, hess. M i n i s t e r i a l r a t 358. 684 f v. Franckenstein, Georg 669. 708. 719 f. (720 A. 1) Frankenberg, Craf Fred 6 5 0 F r a n k f u r t a . M . 138. 204 f. 208. 211 f . 216. 317. 349 A . 2. 390. 425 A . 2 ( S t r e i k ) . 427. 433 f. (Arbeiter). 436 ( K a t h o l i k e n t a g 1863). 442. 481 f f . (groBdeutsche V e r s a m m l u n g ) . — Senator: Dr.Müller. — Stadtpfarrer, s.: B.Weber; Thissen. — PreuB. R e s i d e n t : v . W e n t z e l F r a n k f u r t e r F O r i t e n t a g (1863) 428. 453. 483 ff. 612. 621 „ F r a n k f u r t e r J o u r n a l " 288 A. 3. 316 f. 341 A . 2. 382. 6 8 0 A. 1 „ F r a n k f u r t e r Z e l t u n g " 317. 531 m i t A . 2 F r a n k r e i c h , Franzosen 5. 8 f. 57. 136. 236 f. 281. 320. 322. 339. 341. 348 f f . 3 6 4 f. 397. 433. 438. 472. 478. 485 f f . 491 f. 4 9 4 f f . 497 f. 500. 505. 512. 520. 527 f. 530. 532 f f . 537. 538 A . 1. 539. 571. 574. 594. 608. 612. 614. 620 ( R e v o l u t i o n ) . 641. 646. 653. 655 f. 663 f. 673. 680 ( a u c h A. 3). 683. 727 v. Fransecky, E d u a r d 12. 14 A. 2. 15 A. 1 Frantz, C o n s t a n t i n 389 A. 3 Franz Josef, Kaiser v . Österreich 243. 268. 343. 344 A. 1. 346. 428. 453. 478. 480. 4 8 3 f. 4 9 2 f . 498. 522. 5 3 3 f. 612 Franzelin, J o h . B a p t . , J e s u i t 610 A. 3 F r a n z i s k a n e r i n n e n 299 F r a u e n v o m O u t e n H i r t e n 299 F r a u e n a r b e i t 543. 544 A . 1. 552. 555. 559. 623 F r e i b u r g I. Br. 734 ( A r b e l t e r s e k r e t ä r ) F r e i b u r g , E r z b i s t u m 138. 201 ( D o m k a p i t e l ) . 281. 626. 665 A. 1. — E r z b l s c h o f : v . Vicari. — Oelstl. R a t : Strehle F r e i m a u r e r 8 mit A. 1. 313. 325. 394 f. 399. 4 4 6 . 4 9 3 . 5 0 2 . 508 (oben). 511. 514. 5 7 2 f . 623. 646 f. 658. 668. 704. 722 Frey, hess. O e h . O b e r k o n s l s t o r i a l r a t 405 A . 2 Friedberg, Emil X I I . 2 6 0 A. I . 2 6 5 A. 2. 576 A. 2 (577). 609 A. I. 671. 679. 7 0 3 A. 2 Friedrich, J o h . X I I . 50 A. 4. 679 Friedrich /., Großherzog v . Baden 246. 248. 250. 369 Friedrich der Große 5. 4 9 3 Friedrich Wilhelm, der O r o ß e K u r f ü r s t 348 Friedrich Wilhelm III., König v . P r e u ß e n 4. 28. 66. 5 0 3 Friedrich Wilhelm IV., K ö n i g v . P r e u ß e n 28. 30. 32 A. 6 . 33. 52. 67. 76 f. 122. 124. 126. 128. 201. 208 A . 2 . 215 A. 2. 221 A . 1. 245 A. 3. 345. 347. 5 0 3 Friedrich Wilhelm, Kronprinz v. Preußen (Kaiser Friedrich III.) 347. 621 A. 3. 646 Fritzsche, Sozialdem. 555 v. FOrstenberg, F r a n z 4 f. ' F u l d a , B i s t u m 138. 694. — Bischof: K ö t t F u l d a , Bischofsvers.: s. d o r t

G

Gaduel 331 A. 3 v.Oagern, Heinrich 81. 90. 100. 121. 169. 175. 178. 275 A. 2. 307 A. 2. 505. 522 f f . 626. 684. 685 A 3 v. Gagern, Max 77. 87. 121. 142 A. 2. 487. 518 v.Galen, O r a f e n , F a m i l i e 13 v.Galen, Clemens 711. 716 v.Galen, F e r d i n a n d 15 A . 1. 16 A. 6. 18. 34 A. 6 . 38. 55. 5 8 A . 8 . 127 v. Galen, M a t t h l a s 18. 28. 2 9 v.Galen, M a x 529 O a l l l k a n l s m u s 589. — Vgl. E p i s k o p a l i s m u s OalllkanIsche Artikel (1682) 137. 575 Gareis, K a r l 6 8 6 A . 4 Garibaldi 4 9 0 . 527 Gasser, Bischof v . B r i x e n 481 A. 2 . 547 O a s t e i n e r V e r t r a g (1865) 4 8 8 Gef/cken, J o h . 702. 704 Geissei, J o h . , Erzblschof v . K ö l n 18 A. 3 . 32 f. 51 A. 6 . 6 8 f . 75 A . 2. 8 4 f . 88. 101. 124. 135. 142. 154. 187 A . I , A . 2. 188. 200 A . 4 . 218. 232. 244 A. 3 . 2 5 3 A . 2 . 255 A. 5. 261 A . 4. 2 6 2 f. 2 6 4 A . 3 . 286. 2 8 8 . 292. 3 5 0 A. I . 424. 485 A . 1. 5 1 3 A . 2. 5 3 6 A . 2. 665 m i t A. 2. 666. 724. 736 G e l e h r t e n v e r s a m m l u n g , k a t h o l . ( M ü n c h e n 1863) 441 O e m e i n d e ( v e r b a n d ) 97 f . 4 2 3 . 449. 507 O e n e r a l v i k a r , blschöfl. 202. 6 7 3 ( O . v i k a r e K . s : L e n n l g ; Heinrich) O e n e r a l s u p e r i n t e n d e n t e n : siehe Berlin (655); Hessen „ G e n f e r C o r r e s p o n d e n z " 608. 629. 649. 654. 661 f . 6 6 3 . 667 G e n o s s e n s c h a f t e n 107. 422 f . 4 2 6 . 4 3 0 f f . ( B u c h 3, A b s c h n . 2). 546. 5 5 9 f. 622. 716. — Vgl.: Produktivgenossenschaften; Teilhabergesellschaften v. Gerlach, Leopold 2 4 8 A . 2. 5 6 9 A . 1 v. Gerlach, L u d w i g 12 A . 2. 245 A. 3 . 246 A . 2 . 491. 505 A . 3. 537 A . 1. 637. 6 4 4 „ G e r m a n i a " 516 A. 1. 6 1 3 A . 2 . 6 1 7 . 628. 644 A . 3. 6 5 0 G e r m a n i s m u s 187 A. 2. 389. 5 0 7 . 617 Gernsheim 300 Gervinus, G g . O o t t f r . 235 A. 2 . 236. 511 O e s c h l c h t e , O e s c h l c h t s a n s c h a u u n g 4 2 . 6 3 . 98 458. 511. 727. 730 Oesellenverein, k a t h o l . 5 3 f. 302 f . (Mainz). 4 2 0 f . ( E l b e r f e l d ) . 425. 429. 444. 456. 5 4 1 . 554. 556. 5 6 0 G e s e t z g e b u n g 450 f. G e w e r b e f r e i h e i t 424. 426. 437. 447. 5 4 0 . 544. 546. 557. 6 2 2 ( G e w e r b e o r d n u n g v . 1869) G e w e r k s c h a f t e n 551 f . 716. 735 Glesberts, J o h . 734 m i t A . 1 Gießen 149. 358. 4 0 4 ( D e m o k r a t e n ) . — H o f gericht 149. 3 5 9 . — P f a r r e i , k a t h . 142 ( K a i s e r ) . 260. 265. — A l t k a t h o l i k e n 6 7 9 A. 2 O l e ß e n , U n i v e r s i t ä t 139 f . 149. 182 f f . 2 8 3 . 356. 359. — K a n z l e r : A r e n s ; v . L i n d e ; B i r n b a u m . — K a t h o l . - t h e o l . F a k u l t ä t 139 f . 144. 179 f f . 207 . 210. 214. 216. 228. 2 3 1 . 233. 261. 280. 354. 356 A. 3. 370. 372. 689. 7 0 6 f . 728. — P r o f e s s o r e n : O a r e l s ; L u t t e r b e c k ; Leopold S c h m l d ; W i l h e l m S t a h l Gildemeister, K a r l Herrn. 8 8 Giovanelll 20 A . 3. 24 A . 2. 66 A . 2 Giskra, L., ö s t e r r . Minister d . I. 522 f f . Gladbach, E m m e r i c h 6 6 8 A. 2 Gladstone 4 9 A. 1 Onesen, Erzbistum: s . P o s e n Göring, e v a n g e l . P f a r r e r In Mainz 318 A. 3 GSrres, O u i d o 19. 23 GSrres, J . 18. 1 9 - 2 4 . 36. 4 2 . 5 1 . 6 3 . 66 A . 2. 2 8 3 f . Oörresgesellschaft 283 Oörreskrels ( M ü n c h e n ) 22 f . 28. 38. 44. 5 0 Gört, J o s . , H o f g e r i c h t s a d v o k a t in Mainz 6 7 6 Goethe 38. 284 G ö t t i n g e n 10 ( U n i v e r s i t ä t )

Namen- und Sachverzeichnis Goldmann, Kreisrat in Dieburg (bei K.s T o d Provlnzlaldlrektor in Mainz) 355 A. 2. 358 A. 3 Golthtr, Ludw., wQrtt. Minister 223 A. 1. 278 A. 2. 370 (auch A. 1) Oonella, p ä p s t l . Nuntius in München 261 Oonsenhelm 709 A. 3. 710 Gortschakow 524 A. 1 Oothaer Kongreß (1875) 714 ( G o t h a e r Prog r a m m der Sozialdemokratie) „ O o t h a e r " (liberale Kleindeutsche) 173 f. 314. 350. 383. 426 f. 520. 523 Qrtgor VII. 264. 577 (vgl. 576) Gregor XVI. 18. 30 f. 36. 49. 128. 151. 264 Orelfswald, Universität ( R e k t o r ) 520 „ O r e n z b o t e n " 348 A . 5. 355 A. 3. 357 A. 3. 368 A. 3. 381 A. 1. 404 A. 1. 4 M A. 2 . 684 A. 1 Grifter, Mainzer D o m k a p i t u l a r 148 f. 292 A. 4 Grieser, Mainzer G y m n a s i a l d i r e k t o r 326 Crcnheld, K o o p e r a t o r in M ü n s t e r 547 A . 1 OroBdeutsch 72. 77. 94. 112. 121 f . 339. 342. 347. 350. 366. 401 f. 404. 412. 415. 428. 453. 467. 469. 471. 473. 477 ff. 485. 489 f. 492 f. 496. 5 0 5 . 512. 515. 517. 520. 526. 612. 619. 627. 718 G r u n d r e c h t e (1848) 86. 116 f f . 713 G r u n d r e c h t e (1871) 633. 641 f. 648 . 662. 659 Günther, A n t o n 21. 4 5 A. 2. 49 O u e s t p h a l l a . K o r p s 10 A. 1 Guiiof 390 Gutenberg 160 Gutzkow 3 2 A. 2. 284. 567 O y m n a s l u m : s. Bensheim; Mainz

H H a b s b u r g 26. 76. — S. Osterreich Hagele, J o s . M a t t h i a s 467 HSresie 3 9 0 . 424 Hiusser, L u d w . 502. 514 Haffner, Eugen (Mainz) 669 Haffner, Paul Leop. I X . 162 A. 1. 282 A . 4 . 2 8 5 « . 288. 299 A . 1 u . 4. 302 A. 1. 308 A. 4. 317. 3 1 8 A. 2. 320 A . 3 . 321 A. 1. 322 A . 1, 3, 4. 327. 328. 367 A . 2. 412 A. 2 . 461 A . 1. 481. 529. 536 A . 2 . 652 A . l . 682 A . 3. 709 A. 2 Hahn-Hahn, Grflfin Ida 131. 299. 303 f. 390. 400. 4 2 3 H a l l e . U n i v e r s i t ä t 422 „Halllsches V o l k s b l a t t " 246 A. 2 Haltwachs, hess. Minist, d. A. 171 f . H a n d w e r k e r f r a g e 53. 282. 420. 425 f. 429 ff. 434.437(Handwerkerbund). 456.460f. 546.557 H a n n o v e r 526. 6 5 2 f. Hardenberg, Graf 6 H a r k o t t e n , SchloB 6. 27 A. 10. 38. 40 A. 5 v. Hartmann, E d u a r d 698 Hartmann, Moritz 107 A. 1 Hase, K a r l 117. 282 A . 1. 385 A. 1. 396 A. I. 703 A . 2. 704. 713 m i t A. 2 v. Hasner, Leopold, Csterr. K u l t u s m i n i s t e r 524 Hassenpflug 204 Haßlacher, P e t e r , J e s u i t 300 Hatzfeld, Gräfin 547. 550. 751 v. Haxthausen, W e r n e r 16 A. 6 Haym, Rudolf X I I I . 83 A. 1 u . 2. 86 A 3. 87 A . 1 9 8 A. 2 . 174 A . 3 Haynald, E r z b . v. Kafozsa 588. 594 Heeren, Arnold 10 Hefete 570. 579. 580. 600. 610 A . 2 Hegel 43 f . 151. 180. 393 H e l d e l b e r g 10 ( U n i v e r s i t ä t ) . 723 A. 1 ( A l t k a t h o l i k e n t a g 1877) H e i d e n t u m 105. 448. 454 f. 511. 572. 657. 672. 676 A. 3. 680. 7 3 0 Heinrich, D r . J o h . B a p t . 143 A. 1. 157. 182. 185. 209. 2 2 4 . 283 f f . 288. 328 f. 331 A. 3. 332 A. 2. 344 A . 3 . 411 f f . 422. 440. 489. 558. 579 f. 592. 607. 696 ( a u c h A. 2). 701 f. 705. 722 f. Hendel, nassauisch. Ministerialrat 205 ff. 211 f f . Hermes, Heinr. 231 A . 1. 293 A. 3 H e p p e n h e i m 459 A . 2 . 709

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Hergenrtther, J o s . 508 A . 4 Hermes, Georg 21 f. 41 Hermesianismus 21 f. 37. 41. 47. 68 A. 4. 335. 513 A . 2 . v. Hertting. Georg 143 A. 1. 282 A. 5. 283 A. 1. 283 A. 3. 289 A . 2 . 297 A. 5. 390 A. 3. 622 A . 2 . 733 f. — Seine M u t t e r : 297: s. V a t e r : 359 Herwegh, Georg 381 A. 3 Hessen, GroBherzogtum 136 f f . (Buch 2, Abschnitt 1; 177: Verfassung v . 1820). 323. 327 f f . 352 f f . 370 f f . (371 Verfassung). 411 (Verfassung). 478. 483. 507. 516. 529. 530 f f . 619. 673. 685 ff. (686 Gesamtministerlum). 729. — G r o ß h e r z . : Ludwig 1. 158; Ludwig I I I . (s. G a t t i n : Mathilde); Ludwig IV. ( G a t t i n : Alice). — P r i n z e n : Alexander 3 5 6 ; Emil 171. — Ministerien (s. die N a m e n ) : du T h l l ; G a g e m ; J a u p ; Hallwach«; Dalwlgk; B e c h t o l d ; Hof m a n n ; Starck. — Andere M i n i s t e r : v. Biegeleben, M a x ; Lindelof ; Schleiermacher. — Ministerialräte: v. Biegeleben, A r n o l d ; Crève; F r a n c k ; v. Rleffel; v. R o d e n s t e i n . — Mlnlsterialsekret&r: v. Lehm a n n . — R e g l e r . r a t : S c h o t t . — Beamte 174. 3 5 6 . 5 3 0 . — Bezirksrate 356 f. — Bürgermeister 307. 366. — Christlich-Soziale 709 f. — F o r t s c h r i t t s p a r t e i (s. auch d o r t ) 322. 401 f f . 453. 5 0 6 . 530 f . 687. — G e s a n d t e in D a r m S t a d t : Baiern 208 A. 3 (v. Schrenck); F r a n k reich 236 f . ; Osterreich: v . Bruck 534ff., v . Liltzow 270; P r e u B e n : v. C a n i t z ; v . Rosenb e r g . — G e s a n d t e r , hess. in Berlin: v . Dörnb e r g ; F r a n k f u r t u. W i e s b a d e n : v . M ü n c h ; S t u t t g a r t : v . B r e i d e n b a c h ; W i e n : Heinrich v. O a g e r n . — Kirche (vgl. Oberrhein. Kirchenp r o v i n z ) 540. 665. 679. 689 f f . — Kirchenedikte (1830; V e r o r d n u n g v . 1853) 208. 2 1 6 f . 226. 233. 235. 240. — Kirchengesetzentwurf V. 1862 : 4 0 6 f f . — Kirchengesetz v. 1875: 689. 693 f f . — Klerikale 660. 665. 715 ( s o n s t : Mainz, Klerikale). — L a n d t a g 169 ff. 179.184. 215- 275. 280. 293. 301. 357 f. 3 7 7 f . 391. 400. 4 0 4 f . 4 0 8 f f . 427. 530. 540. 544. 6 9 1 . 6 9 8 A . 2 . 699 f.701. ( E n t e K a m m e r besonders: 282.357 f . 3 7 4 f . 677. 6 8 7 . 6 9 1 . 6 9 7 . 6 9 9 : Zweite K a m m e r b e s o n d e r s : 184. 215. 227. 262. 3 5 2 . 3 7 0 f f . 403. 689 f. 6 9 5 f.). — Lehrer :s. d o r t . — Liberalismus (s. d o r t , auch : Fortschrittspartei) 448. 494 m i t A. 2. 675 f . 683. — National verein : s. dort. — O b e r k o n s i s t o r i u m 362 f. 406 A . 2 . 6 9 5 f . (Präsid e n t : v . S t a r c k ) . — Oberstudiendirektion 241 A . 2 . 307. 3 2 2 f . 369 ( k a t h . weltl. Mitglied: v. R o d e n s t e i n , s. dort), 691. ( K a t h o l . geistl. Mitglied: L ü f t , s. dort.) — P r ä l a t , e v a n g . : Z i m m e r m a n n . — S c h u l e n : s. d o r t . — Schuledikt (1832): 307 . 322. 523 f. 690. — Schulgesetz (1874): 689. 691 f f . 699. — Soziald e m o k r a t i e 711 (s. auch u n t e r Mainz). — S u p e r i n t e n d e n t e n 318. 355. — Vorläufige Ü b e r e i n k u n f t zwischen Regierung u. Bischof (1854/1856): 257 f. 2 6 5 f f . (die p&pstl. anlmadverslones, desgl. 270 A. 3 u. 275). 273 ff. (273, 275 a u c h animadvers.). 289. 208. 332. 352 f f . 360 f . ( a u c h animadvers.). 363. 371 f f . 403 f. 406 f f . 409 f f . 415. 530. 568. 671. 688. 7 0 0 f f . Wahlen: s. dort. — Hessen-Kassel 2 0 4 f f . 211 f f . 216. 225. 349 A . 2 H e u b a c h , SchloB 644 A. 1 Hleronyml, W i l h . 285 A. 5. 320 A. 4. 376. 400 m i t A . 2. 459 A. 1 Hildebrand, B r u n o HO. 541 Hildeshelm 646 A . 2. — D o m k a p i t e l : 7 ( D o m h e r r : Wilh. v . Ketteier) Himioben, H c h . J o s . , P f a r r e r 301 (Mainzer Domherr) Himpel, Felix 67 A. 2 Hirsch, M a x , Sozialdemokr. 551 Hirsch, M a x ( G e w e r k s c h a f t ) 551 Hirscher, J o h . B a p t . 284 „HIstorlscI.-polltlsche B l a t t e r " 23 f. 34. 36. 38 43. 5 0 A . 3 . 4 . 5 1 A . 4 . 6 4 f . 7 1 . 7 4 A . 2 . 1 0 4 A . 1

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N a m e n - u n d Sachverzeichnis

108 ff. 244. 341 A. 3. 388. 428. 444. 4