Katechismusunterricht nach Luthers Kleinem und Großem Katechismus: (1.–5. Hauptstück) [2., verbes. Aufl., Reprint 2022] 9783112676783, 9783112676776


120 29 47MB

German Pages 176 [200] Year 1947

Report DMCA / Copyright

DOWNLOAD PDF FILE

Table of contents :
Vorwort zur zweiten Auflage
Inhalt
Einleitung. Luthers Selbstzeugnis über den Inhalt seines Katechismus und über einen rechtbeschaffenen Katechismusunterricht
Erster Teil: Die drei ersten Hauptstücke
Gesamtschau
I. Wie lebt ein Christ?
II. Was glaubt ein Christ?
III. Wie betet ein Christ?
Zweiter Teil: Die beiden letzten Hauptstücke
Allgemeine Vorbemerkungen
IV. Wie wird man ein Christ?
V. Wie bleibt man ein Christ?
Schlußworte des Großen Katechismus
Anhang 1: Zeichnerische Darstellung des Kirchenjahres
Recommend Papers

Katechismusunterricht nach Luthers Kleinem und Großem Katechismus: (1.–5. Hauptstück) [2., verbes. Aufl., Reprint 2022]
 9783112676783, 9783112676776

  • 0 0 0
  • Like this paper and download? You can publish your own PDF file online for free in a few minutes! Sign Up
File loading please wait...
Citation preview

Katechismusunterricht nach

Luthers Kleinem und Großem Katechismus (1.—5. Hauptstück)

Von

Erwin Wißmann

Lic. theol.

Zweite, verbesserte Auflage

19 4 7 Verlag

von

Alfred

Töpelmann

in

Berlin

Alle H e c h t e , i n s b e s o n d e r e das R e c h t der Ü b e r s e t z u n g , v o r b e h a l t e n . D r u c k v o n W. C r ü w e l l ,

Dortmund

III

Vorwort zur zweiten Auflage. I n einer Notzeit ohnegleichen, in der die Dringlichkeit des Unterrichts nach Luthers Kleinem Katechismus f ü r alle Evangelischen, denen die Z u k u n f t unseres Volkes a m Herzen liegt, außer Frage steht, darf dies Buch — in mancherlei Hinsicht verbessert — zum zweitenmal hinausgehen. Sein Hauptanliegen blieb dasselbe: L u t h e r s e i g e n e A u s l e g u n g , wie sie im G r o ß e n K a t e c h i s m u s dargeboten wird, zur Erhellung des Sachverständnisses heranzuziehen und f ü r den Unterricht fruchtbar zu machen. Diese hier erstmalig erhobene Forderung hat seit dem Erscheinen des Buches im J a h r e 1932 erfreulicherweise weithin Anerkennung u n d in manchen Hilfsbüchern spürbares Echo gefunden. Luthers klärenden, bildhaft-lebendigen Ausführungen aus dem Großen Katechismus blieb deshalb auch in der neuen Auflage ein breiter R a u m vorbehalten. Ebenso h a t das Buch seine Grundhaltung insofern gewahrt, als es d e m Lehrer keine fertigen Unterrichtsrezepte an die H a n d geben u n d ihn dadurch bevormunden will. Es möchte vielmehr zur B e s i n n u n g a u f d i e S a c h e anregen, die vorhandenen S c h w i e r i g k e i t e n aufzeigen und W e g e z u i h r e r Ü b e r w i n d u n g v o r s c h l a g e n . Nur wo bestimmte Darlegungen der ersten Auflage unnötig breit erschienen, wurden sie gekürzt oder gestrichen. Daß dem Ruf der A r b e i t s s c h u l e nach Mitarbeit und Selbstbet ä t i g u n g der Schüler sowie den Forderungen der J u g e n d p s y c h o l o g i e u n d einer P ä d a g o g i k d e s G l a u b e n s nach wie vor e r n s t h a f t Rechnung getragen wurde, wird der Leser auf jeder Seite feststellen können. Zur Erhöhung der praktischen Verwendbarkeit des Buches wurden die kürzeren B i b e l s t e l l e n und alle empfohlenen B e g l e i t s t o f f e i m W o r t l a u t a b g e d r u c k t . Auch ein kleiner B i l d e r a n h a n g konnte zugefügt werden. D a f ü r fielen die Hinweise auf andere Hilfsbücher, die sowieso heute zumeist nicht mehr erreichbar sind, fort.

IV Schließlich wurde auf vielfachen Wunsch das 4. u n d 5. H a u p t s t ü c k neu aufgenommen, so daß das Buch nun in gleicher Weise für den Religionsunterricht aller Schulen wie für die verschiedenen Arten der kirchlichen Unterweisung zur Verfügung steht. Möchte es darum auch in seiner neuen Gestalt den Religionslehrern an Volks-, Berufs- und Höheren Schulen samt den evangelischen Religionsdozenten an den Pädagogischen Akademien und Instituten ebenso dienen wie den Geistlichen in Konfirmandenunterricht, Christenlehre, Jugendarbeit, Erwachsenenunterweisung und Predigt, den Anfängern, Fortgeschrittenen und im Amt Erfahrenen, den Theologen und Nichttheologen, und möchte es allen neue Freude schenken zum Unterricht mit Luthers Kleinem Katechismus, diesem güldenen Kleinod, das der Reformator unserer evangelischen Kirche und unserem deutschen Volk zu beider Heil geschenkt hat. G i e ß e n , Neujahr 1947. Lic. E r w i n W i ß m a n n .

Abkürzungen: K K . = Kleiner Katechismus; GK. = Großer Katechismus.

Inhalt

V

Inhalt. Seite

Vorwort

III

Inhaltsübersicht

V

E i n l e i t u n g : Luthers Selbstzeugnis über den Inhalt seines Katechismus und über einen rechtbeschaffenen Katechismusunterricht E r s t e r T e i l : Die drei e r s t e n H a u p t s t ü c k e Gesamtschau

1 6 6

I. Wie l e b t ein C h r i s t ? 1. Hauptstück: Die zehn Gebote A. Grundlegung 1. Die zehn Geböte als vollkommener Gotteswille und christliche Lebensnorm 2. Die zehn Gebote als Werke des gehorsamen und dankbaren Glaubens 3. Die zehn Gebote als die „guten Werke" der E v a n g e l i s c h e n . . . 4. Die zehn Gebote als Werke unseres gottgegebenen „Standes". . 5. Die zehn Gebote als evangelische Umprägung jüdischen Sondergutes 6. Die zehn Gebote als positive Erfüllung des negativen Dekaloges 7. Die zehn Gebote als Gesetzespredigt für Kinder und Unmündige 8. Die zehn Gebote als Gesinnungspredigt für reifere Christen. . . 9. Die zehn Gebote als Herolde der Gottes- und Nächstenliebe . . 10. Das erste Gebot als „Haupt- und Quellborn" aller übrigen Gebote B. Unterrichtliche Behandlung der zehn Gebote 1. Arbeitsschulmäßiger Zugang zu den zehn Geboten 2. Übersicht über den Sachinhalt der zehn Gebote 3. Einzelbehandlung der zehn Gebote Eingang: „Ich bin der Herr, dein Gott" 1. Gebot Das 1. Gebot in seinem Verhältnis zu den übrigen Geboten . . . 2. Gebot 3. Gebot Übergang von der ersten zur zweiten „Tafel" 4. Gebot . . : 5. Gebot 6. Gebot 7. Gebot 8. Gebot 9. und 10. Gebot Beschluß der zehn Gebote

9 9 9 9 9 10 10 11 11 12 12 13 13 13 14 15 15 17 21 22 29 33 33 41 45 52 60 67 70

Inhalt

VI

Seite II. W a s g l a u b t ein C h r i s t ? 2. Hauptstück: Die drei Artikel des christlichen Glaubens

76

A. Grundlegung 1. Das Apostolikum als Zusammenfassung des Evangeliums der Bibel 2. Luthers Einteilung des Glaubensbekenntnisses in drei Artikel s t a t t in zwölf 3. Der dreifache Inhalt des Glaubensbekenntnisses 4. Die persönliche Zuspitzung von Luthers Erklärungen 5. Die praktisch-religiöse Abzweckung von Luthers Erklärungen . . 6. Die Aussagen der Artikel und ihrer Erklärungen als Aussagen des Glaubens 7. Das Wesen des „Glaubens" nach Luthers Erklärungen . . . . 8. Das Verhältnis des 2. Hauptstücks zu den zehn Geboten . . . 9. Das Verhältnis der drei Artikel untereinander

76 76

B. Unterrichtliche Behandlung der drei Artikel . . . .'

83

I . Allgemeine Vorbemerkungen 1. Arbeitsschulmäßiger Zugang zu den drei Artikeln . . . . . ' 2. Unterrichtliche Folgerungen aus der Eigenart von Luthers Erklärungen 3. Stoffbeschränkung als Haupterfordernis einer kindes-(jugend-) gemäßen Behandlung der drei Artikel 4. Technische Hilfen f ü r den Unterricht im 2. Haujitstück . . 5. Steigerung der Schwierigkeiten beim 2. und 3. Artikel . . . I I . Einzelbehandlung der drei Glaubensartikel 1. A r t i k e l 1. Arbeitsunterrichtlicher Zugang zum 1. Artikel 2. Der Glaube an den Schöpfergott 3. Der Glaube, daß Gott mich „erhält" 4. Der Glaube, daß Gott mich „reichlich und täglich versorget" 5. Der Glaube, daß Gott mich „wider alle Fährlichkeit beschirmet und vor allem Übel behütet und bewahret" . . 6. Der Glaube an „Gott, den V a t e r , den Allmächtigen". . 7. Der Glaube an die u n v e r d i e n t e „göttliche Güte und Barmherzigkeit" 8. Der Dank des Glaubens 9. Zugammenfassung

76 77 78 79 79 80 82 83

83 83 84 85 86 87 87 87 87 88 90 91 94 96 96 97 98

2. A r t i k e l 98 1. Arbeitsunterrichtlicher Zugang zum 2. Artikel 98 2. Bemerkungen zum Wortverständnis des 2. Artikels . . . 99 3. Hauptanliegen von Luthers Erklärung 102 4. Der unterrichtliche Weg f ü r die Behandlung von Luthers Erklärung 104

Inhalt

VII Seite

5. 6. 7. 8.

Jesus Christus als Herr und Erlöser zu seinen Lebzeiten . . Jesus Christus als Herr und Erlöser des Paulus . . . . Jesus Christus als Herr und Erlöser Luthers Jesus Christus als Herr und Erlöser in den Liedern unseres Gesangbuchs . . . 9. Jesus Christus als Herr und Erlöser in der bildenden Kunst 10. Jesus Christus als Herr und Erlöser unserer Kinder . .

104 106 107

3. A r t i k e l 1. Übergang vom 2. zum 3. Artikel 2. Fehlende Einheitlichkeit im Inhalt des 3. Artikels . . . 3. Gedankenführung im GK 4. Zwiespältigkeit der Artikelerklärung im K K 5. Die Linie des Glaubens im K K . und GK 6. Die Linie der Heiligung im GK. und K K 7. Unterrichtliche Folgerungen auä dem Erklärungsaufbau des GK. und K K , " 8. Einzelfragen und -Schwierigkeiten bei der Behandlung des 3. Artikels . 9. Sonstige Hilfen f ü r die Behandlung des 3. Artikels . . . I I I . Abschluß des 3. Artikels und des 2. Hauptstücks

114 114 115 115 116 116 119

109 110 111

121 124 131 135

III. Wie b e t e t ein C h r i s t ? 3. Hauptstück: Das Vaterunser

137

A\ Allgemeine Vorbemerkungen 1. Übergang vom 1. und 2. Hauptstück zum Vaterunser nach dem GK. 2. Die einleitenden Ausführungen über das Beten im GK 3. Arbeitsunterrichtlicher Zugang zum Vaterunser 4. Vorschau auf den Gesamtinhalt des Vaterunsers 5. Vorschau auf Luthers Erklärungen im K K . und GK 6. Richtlinien f ü r die unterrichtliche Behandlung des Vaterunsers . . 7. Sonstige Unterrichtshilfen

137 137 137 139 140 140 142 143

B. Einzelerklärung Anrede 1. Bitte 2. Bitte 3. Bitte 4. Bitte 5. Bitte 6. Bitte 7. Bitte Schlußlobpreis Amen

143 143 144 145 147 148 151 153 156 158 159

C. Rückschau auf den Gesamtinhalt des Vaterunsers D. Hinweise zum rechten Beten des Vaterunsers

159 160

VIII

Inhalt Seite

Zweiter Teil: Die beiden letzten H a u p t s t ü c k e Allgemeine Vorbemerkungen 1. Das 4. und 5. Hauptstück als Antwort auf die Fragen: „Wie wird man ein Christ ?" und „Wie bleibt man ein Christ ?" 2. Übergang zum 4. und 5. Hauptstück im GK 3. Das Wesen der Sakramente: I. Ihre Einsetzung durch Christus 4. Das Wesen der Sakramente: II. Das Zusammentreffen von Wort und Element 5. Ablehnung der katholischen Sakramentszählung 6. Arbeitsunterrichtlicher Zugang zum 4. und 5. Hauptstück . . . 7. Die unterrichtliche Bedeutung der Ausführungen im GK. . . .

162 162 163 163 164 164 165 165

IV. Wie wird man ein Christ? 4. Hauptstück: Das Sakrament der heiligen Taufe A. Erläuterungen des GK. zu den Fragestücken des K K 1. „Was ist die Taufei" 2. „Was gibt oder nützet die Taufe?" 3. „Wie kann Wasser solche großen Dinge tun?" 3. a), Einschub: Von der Kindertaufe 4. „Was bedeutet denn solch Wassertaufen?"

165 165 165 166 166 167 168

B. Unterrichtliche Winke 1. Sprachliche Schwierigkeiten 2. Sachliche Schwierigkeiten 3. Ergänzungen zum KK. und GK. im Unterricht

169 169 170 170

V. Wie bleibt man ein Christ? 5. Hauptstück: Das Sakrament des Altars oder das heilige Abendmahl 172 Übergang vom 4. zum 5. Hauptstück im GK 172 A. Erläuterungen des GK. zu den Fragestücken des K K 1. „Was ist das Sakrament des Altars?" 2. „Was nützet denn solch Essen und Trinken?" 3. „Wie kann leiblich Essen und Trinken solche großen Dinge tun ? " 4. „Wer empfängt denn solch Sakrament würdiglich?" B. Unterrichtliche Winke 1. Sprachliche Schwierigkeiten 2. Sachliche Schwierigkeiten 3. Ergänzungen zum KK. und GK. im Unterricht 4. Luthers „Vermahnung und Beizung, das hochwürdige Sakrament oft zu empfangen" •• . Schlußworte des Großen Katechismus Anhang 1: Zeichnerische Darstellung des Kirchenjahres Anhang 2: Bilder zur Behandlung des 2. Artikels

172 172 173 174 174 175 175 175 176 180 182 183 187

Einleitung. Luthers Selbstzeugnis über den Inhalt seines Katechismus und über einen rechtbeschaffenen Katechismusunterricht. GK., Kurze Vorrede: „Diese Predigt ist dazu geordnet und angefangen, daß es sei ein U n t e r r i c h t für die Kinder und E i n f ä l tigen, darum sie auch von altersher auf griechisch heißt Katechismus, das ist eine Kinderlehre, so ein jeglicher Christ zur Not wissen soll, also daß, wer solches nicht weiß, nicht könnte unter die Christen gezählt und zu keinem Sakrament zugelassen werden; gleichwie man einen Handwerksmann, der seines Handwerks Recht und Gebrauch nicht weiß, hinauswirft und für untüchtig hält. Derhalben soll man junge Leute die Stücke, so in den Katechismus oder Kinderpredigt gehören, wohl und fertig lernen lassen und mit Fleiß darin üben und treiben." KK., Vorrede: „Wer in einer Stadt wohnen will, der soll das S t a d t recht wissen und h a l t e n . " GK., Kurze Vorrede: „Denn es ist mitnichten zu leiden, daß ein Mensch so roh und wild sei und solches nicht lerne, weil in diesen drei Stücken (gemeint sind die drei ersten Hauptstücke) kürzlich, gröblich und aufs einfältigste verfaßt ist alles, was wir in der S c h r i f t haben; denn die lieben Väter oder Apostel (wer sie gewesen sind) haben also in eine Summa gestellt, was der Christen Lehre, Leben, Weisheit und Kunst sei, wovon sie reden und handeln und womit sie umgehen." GK., Große Vorrede: Der Katechismus ist „der ganzen Heiligen S c h r i f t kurzer Auszug und Abschrift". Tischreden: „DerKatechismus ist die rechte L a i e n b i b e l , darin der ganze Inhalt der christlichen Lehre begriffen ist, so einem jeden Christen zu der Seligkeit zu wissen vonnöten ist." Das Gotteswort und Zeugnis des Katechismus verlangt von uns Glauben. GK., Von der Taufe: „Wo er nun redet, ja wohin und wodurch er redet, da solider Glaube hinsehen und sich daran halten." „Ohne Glauben i s t es nichts nütz, ob es gleich an ihm selbst ein gött-

2

Einleitung.

Hoher, überschwenglicher Schatz ist . . . Denn es ist beschlossen, was nicht Glaube ist, das tut nichts dazu, empfängt auch nichts." Zum Glauben aber kann man niemand zwingen. KK., Vorrede: „ . . . wiewohl man niemand zwingen kann nooh soll zum Glauben . . . " „Wir sollen niemand zum Glauben oder zum Sakrament zwingen . . . " GK., Von dem Sakrament des Altars: „Wir aber zwingen noch dringen niemand, darf's uns auch niemand zu Dienst und Gefallen tun. Das soll dich aber reizen und selbst zwingen, daß Er's haben \yill und I h m gefällt. Menschen soll man sich weder zum Glauben noch irgendeinem guten Werk nötigen lassen. Wir tun nicht mehr, denn daß wir sagen und vermahnen, was du tun sollst, nicht um unsert-, sondern um deinetwillen. E r l ö c k t und reizt dich; willst du solches verachten, so antworte selbst dafür (so verantworte es selbst)." GK., 3. Artikel: „Den Glauben kann keine menschliche Klugheit begreifen und muß allein vom Heiligen Geist gelehrt werden.". . . „Darum glauben wir an den, der uns täglich herzuholt d u r c h das Wort und den Glauben g i b t , mehrt und stärkt durch dasselbe Wort . . . " GK., Vom Gebet (Einleitung zum Vaterunser): „Denn weil es mit uns also getan ist, daß kein Mensch die 10 Gebote vollkommen halten kann, ob er gleich angefangen hat zu glauben, . . . ist nichts so not, denn daß man Gott immerdar in den Ohren liege, rufe und bitte, d a ß er den Glauben und E r f ü l l u n g der 10 Gebote uns gebe, erhalte und mehre und alles, was uns im Wege liegt und daran hindert, hinwegräume." GK., Von der Kindertaufe: Auch bei einem jeden u n s e r e r K i n d e r können wir nur „der Meinung und H o f f n u n g " sein, „daß es glaube, und b i t t e n , daß Gott ihm den Glauben gebe . . . WaTum das ? Darum, daß wir wissen, daß Gott nicht lügt; ich und mein Nächster und Summa alle Menschen mögen fehlen und trügen, aber Gottes Wort kann nicht fehlen". Wozu soll uns Lehrern solche Einsicht und solcher Glaube dienen? GK., 5. Bitte: „Solches aber soll nun dazu dienen, daß uns G o t t den Stolz breche und uns in der Demut halte. Denn er hat sich vorbehalten das Vorrecht, ob jemand wollte auf seine Frömmigkeit pochen und andere verachten, daß er sich selbst ansehe und dies Gebet vor Augen stelle, so wird er finden, daß er ebenso fromm (nicht

Luthers Selbstzeugnis.

3

frömmer) ist als die andern, u n d m ü s s e n a l l e v o r G o t t d i e F e d e r n n i e d e r s c h l a g e n und froh werden, daß wir zu der Vergebung kommen; und denke es nur niemand, solange wir hier leben, dahin zu bringen, daß er solcher Vergebung nicht bedürfe. Summa, wo er nicht ohne Unterlaß vergibt, so sind wir. verloren." Was erwartet Luther außerdem von einem rechten Katechismuslehrer? Nach Luther stehen die „Schulmeister" „an d e r E l t e r n S t a t t " und müssen „von ihnen Kraft und Macht zu regieren nehmen". „Daher sie auch nach der Schrift alle Väter heißen, als die in ihrem Regiment das Vateramt treiben und v ä t e r l i c h H e r z gegen die Ihren tragen sollen" (GK., 4. Gebot). Was von den Eltern gilt, gilt demnach auch von ihnen: Gott „will n i c h t B u b e n n o c h T y r a n n e n zu diesem Amt xind Regiment Eaben, gibt ihnen auch nicht darum die Ehre, das ist Macht und Recht zu regieren, daß sie sich anbeten lassen, sondern denken, daß sie u n t e r G o t t e s G e h o r s a m sind und vor allen Dingen sich ihres Amtes herzlich und treulich annehmen" (GK., 4. Gebot, Schluß). „Das wäre auch die rechte Weise, Kinder wohl zu ziehen, weil man sie m i t G u t e m u n d L u s t kann gewöhnen; denn was man allein mit Ruten und Schlägen soll zwingen, da wird keine gute Art aus, und wenn man's weit bringt, so bleiben sie doch nicht länger fromm, denn die Rute auf dem Nacken liegt. Aber hier wurzelt es ins Herz, daß man sich mehr vor G o t t denn vor der Rute und Knüttel fürchtet" (GK., 2. Gebot, Schluß). Welche methodischen Ratschläge gibt Luther? (Methodisch überholte Forderungen sind hier weggelassen.) 1. H a l t e d i c h an e i n e n u n d d e n s e l b e n K a t e c h i s m u s t e x t ! KK., Vorrede: „Aufs erste, daß der Prediger vor allen Dingen sich hüte und meide mancherlei oder anderlei Text und Form der zehn Gebote, Vaterunser, Glauben, der Sakramente usw. Sondern nehme e i n e r l e i F o r m für sich, darauf er bleibe, und dieselbige' immer treibe e i n J a h r wie d a s a n d e r e . Denn das junge Volk muß (man) mit einerlei gewissem Text lehren, sonst werden sie gar leicht irre, wenn man heut so und übers J a h r so lehret, als wollt' man's bessern. Und wird damit alle Mühe und Arbeit verloren." 2. G e h e l a n g s a m v o r ! KK., Vorrede: „Und n i m m d i r W e i l e - d a z u , denn es ist nicht not, da'ß du alle Stücke auf einmal vornimmst, sondern eins nach dem

4

Einleitung.

andern: Wenn sie das erste Gebot zuvor verstehen, danach nimm das andere vor dich und so fort, sonst werden sie überschüttet, daß sie keins wohl behalten." 3. Bediene dich des Großen K a t e c h i s m u s und anderer Hilfsbücher! KK., Vorrede: „Nimm den Großen K a t e c h i s m u s für dich und gib ihnen auch reicheren und weiteren Verstand. Daselbst streich ein jeglich Gebot, Bitte, Stück aus mit seinen mancherlei Werken, Nutz, Frommen, Fahr und Schaden, wie du das reichlich findest in so viel Büchern davon gemacht." 4. Wähle anschauliche Beispiele aus Bibel und Alltag! GK., 1. Gebot, Zusatz: „ . . . alle Historien und Geschichten, wie uns die Schrift reichlich anzeigt und noch tägliche Erfahrung wohl lehren kann." 5. Unterrichte mit alledem s t e t s kindesgemäß! GK., Kurze Vorrede, Schluß: „Denn darum tun wir den Fleiß, den Katechismus oft vorzupredigen, daß man solches in die Jugend bleue, nicht hoch noch scharf, sondern kurz und a u f s e i n f ä l t i g s t e , auf daß es ihnen wohl eingehe und im Gedächtnis bleibe." GK., 2. Gebot, Schluß: „Das sage ich so einfältig für die Jugend, daß es doch einmal eingehe; denn .weil wir Kindern predigen, müssen wir auch mit ihnen lallen." Die Hauptsache bleibt jedoch die eigene Vertiefung in den Katechismus. GK., Vorrede: „Viele meinen, der Katechismus sei eine schlechte, geringe Lehre, welche sie mit einemmal überlesen und dann alsbald können, das Buch in den Winkel werfen und gleich sich schämen, mehr drin zu lesen." „Das sage ich aber für mich: Ich bip auch ein Doktor und Prediger, ja, so gelehrt und erfahren, als sie alle sein mögen, die solche Vermessenheit und Sicherheit haben: Noch tue ich wie. ein Kind, das man den Katechismus lehrt, und lese und spreche auch von Wort zu Wort des Morgens und wenn ich Zeit habe die zehn Gebote, Glauben, das Vaterunser, Psalmen usw.; und muß noch täglich dazulesen und -studieren und kann dennoch nicht bestehen, wie ich gern wollte, und muß ein Kind und Schüler des K a t e c h i s m u s bleiben und bleib's auch gerne. Und diese zarten, ekelen Gesellen wollen mit einem Überlesen flugs Doktor über alle Doktor sein, alles können und nichts mehr bedürfen."

Luthers Selbstzeugnis.

5

„Darum bitte ich abermal alle Christen . . . , sie wollten nicht zu frühe Doktoren sein und alles zu wissen sich dünken lassen . . . , sondern sich täglich wohl drin üben und immer treiben, dazu mit aller Sorge und Fleiß sich vorsehen vor dem giftigen Geschmeiß solcher Sicherheit oder Dünkelmeister, sondern stetig anhalten beide mit Lesen, Lehren, Lernen, Denken und Dichten und nicht also ablassen . . . Werden sie solchen Fleiß tun, so will ich ihnen zusagen, und sie sollen's auch innewerden, welche. Frucht sie erlangen werden und wie feine L e u t e G o t t aus ihnen machen wird, daß sie mit der Zeit selbst fein bekennen sollen, daß, je länger und je mehr sie den Katechismus treiben, je weniger sie davon wissen und je mehr sie daran zu lernen haben, und wird ihnen als den Hungrigen und Durstigen dann allererst recht schmecken, das sie jetzt vor großer Fülle und Überdruß nicht riechen mögen. Dazu gebe Gott seine Gnade! Amen."

Erster Teil:

Die drei ersten Hauptstücke. Gesamtschau. Luther hatte im Januar 1529 nur die drei ersten Hauptstücke als Tafeldrucke herausgegeben; erst bei deren Neudruck inj März 1529 kamen die beiden Sakramentstafeln hinzu. Aber noch in der Kurzen Vorrede des GK. bezeichnet er die drei ersten Hauptstücke als „die nötigsten S t ü c k e , die man zum ersten lernen muß von Wort zu Wort erzählen und soll die Kinder dazu gewöhnen täglich . . . , weil in diesen drei Stücken kürzlich, gröblich und aufs einfältiggte verfaßt ist alles, was wir in der Schrift haben". So schrieb er schon in der Vorrede zur „Deutschen Messe" (1526): „In diesen drei S t ü k ken s t e h t s c h l i c h t und kurz g e f a ß t alles, was einem Christen zu wissen not i s t . " Und in der „Kurzen Form" der zehn Gebote, des Glaubens und des Vaterunsers vom Jahre 1520 hatte er gleich zu Anfang erklärt: „Das ist nicht ohne sonderliche Ordnung Gottes, daß für den gemeinen Christenmenschen, der die Schrift nicht zu lesen vermag, verordnet ist, zu lernen und zu wissen die zehn G e b o t e , den Glauben und das V a t e r u n s e r , in welchen drei Stücken fürwahr alles, was in der Schrift steht und immer gepredigt werden mag, auch alles, was einem Christen not ist zu wissen, gründlich und überflüssig begriffen ist, und mit solcher Kürze und Leichte verfasset, daß niemand klagen noch sich entschuldigen kann, es sei zu viel oder zu schwer zu behalten, was ihm not ist zur Seligkeit." Mit der Wahl dieser drei ersten Hauptstücke steht Luther im Strome m i t t e l a l t e r l i c h e r Überlieferung. Glaubensbekenntnis, zehn Gebote und Vaterunser waren auch die hauptsächlichsten Lehrstucke der katholischen Kirche. Neben ihnen stand noch das Ave Maria. Selbst Luther rechnet zu Anfang seiner Wirksamkeit mit vier Hauptstücken. Erst seit 1523 läßt er das Ave Maria weg und beschränkt, sich auf die zehn Gebote, den Glauben und das Vaterunser. Hinsichtlich der R e i h e n f o l g e dieser drei Hauptstücke weicht der Reformator dann in bezeichnender Weise von der gewöhnlichen Überlieferung ab. Die meisten mittelalterlichen Folgen begannen mit dem

Gesamtschau.

7

Vaterunser oder dem Glauben. Luther stellt aus seiner neuen Grundhaltung heraus diese Reihenfolge auf den Kopf, nimmt das Gesetz an den Anfang, das Evangelium in die Mitte und läßt alles ausmünden in das Gegenteil menschlicher Werkgerechtigkeit, ins Gebet. Wie er schon in der „Kurzen Form" von 1520 geschrieben hatte: „Denn drei Dinge sind nötig einem Menschen zu wissen, daß er selig werden möge. Das erste, daß er wisse, was er tun und lassen soll. Zum andern, wenn er nun sieht, daß er es. nicht tun noch lassen kann aus seinen Kräften, daß er wisse, wo er's nehmen und suchen und finden soll, damit er dasselbe tun und lassen möge. Zum dritten, daß er wisse, wie er es suchen und holen soll." Dieser Grundanschauung entsprechen die Übergänge zwischen den einzelnen Hauptstücken im GK. Bei Beginn des zweiten Hauptstücks lesen wir dort: „Bisher haben wir gehört das erste Stück christlicher Lehre und darin gesehen alles, was Gott will von uns getan und gelassen haben. Darauf folgt nun billig der Glaube, der uns vorträgt alles, was wir von Gott erwarten und empfangen müssen, und, aufs kürzeste zu reden, ihn ganz und gar erkennen lehrt. Welches eben dazu dienen soll, daß wir dasselbe tun' können, so wir laut der zehn Gebote tun sollen . . . Denn so wir könnten aus eigenen Kräften die zehn Gebote halten, wie sie zu haitön sind, bedürften wir nichts weiter, weder Glauben noch Vaterunser." In Übereinstimmung damit heißt es dann am Anfang des dritten Hauptstücks:' „Wir haben nun gehört, was man tun und glauben soll, darin das beste und seligste Leben steht. Folgt nun das dritte Stück, wie man b e t e n soll. Denn weil es mit uns also getan ist, daß kein Mensch die zehn Gebote vollkommen halten kann, ob er gleich angefangen hat zu glauben, . . . ist nichts so not, denn daß man Gott immerdar in den Ohren hege, rufe und bitte, daß er den Glauben und Erfüllung der zehn Gebote uns gebe, erhalte und mehre und alles, was uns im Wege liegt und daran hindert, hinwegräume." Für die u n t e r r i c h t l i c h e Behandlung ist uns mit alledem und besonders mit dem ersten Satz der zuletzt angeführten Vaterunsereinleitung eine unübertreffliche Hilfe und Wegweisung gegeben. Wie. könnten wir den Inhalt and den Sinn der drei ersten Hauptstücke besser zusammenfassen als mit der Feststellung, daß sie uns zeigen und sagen, 1. „was man t u n " , 2. was man „glauben", 3. „wie man beten soll" ? Das ist ebenso sachlich klar und einwandfrei wie kindertümlich leicht verständlich und behältlich ausgedrückt. J a , eine derartige Zusammenschau kommt aufs beste den Möglichkeiten a r b e i t s -

8

Die drei ersten Hanptstücke.

u n t e r r i c h t l i c h e r G e s t a l t u n g entgegen. Geht man mit seinen Schülern — auch Erwachsenen! — so an den Katechismus heran, wie Luthers inhaltliche Erklärungen (s. o. S. 1) es erfordern, daß man nämlich in ihm nichts anderes sucht als eine christliche Glaubens- und Lebenskunde, so wird eine in diese Richtung weisende einleitende Aussprache ohne Mühe von selbst auf diese dreifache Fragestellung stoßen, daß man als Christ vor allen Dingen wissen muß, was man tun und lassen, was man glauben und wie man beten soll. Die Antwort auf diese Fragen haben wir dann in den drei ersten Hauptstücken: I. Wie ein Christ lebt. II. Was ein Christ glaubt. I I I . Wie ein Christ betet. Gleichzeitig haben wir mit solcher Fragestellung dann aber auch den arbeitsunterrichtlichen Zugang zu jedem einzelnen Hauptstück, wie weiter unten näher gezeigt werden wird.

I. Wie lebt ein Christ? 1. Hauptstück: Die zehn Gebote. A. Grundlegung. 1. Die zehn Gebote als vollkommener Gotteswille und christliche Lebensnorm. GK., Beschluß der zehn Gebote: „So haben wir nun die zehn Gebote, einen Ausbund g ö t t l i c h e r Lehre, was wir tun sollen, daß unser ganzes Leben Gott gefalle." 2. Die zehn Gebote als Werke des gehorsamen und dankbaren Glaubens. GK., Einleitung zum Vaterunser: „Das (in den ¡Sehn Geboten befohlene) Werk ist ein Werk des Gehorsams, und das ich tue, tue ich nicht anderer Meinung, denn daß es in dem Gehorsam und Gottes Gebot geht, darauf ich könnte gründen und fußen und solches groß achten, nicht um meiner Würdigkeit willen, sondern um des Gebots willen." GK., 1. Artikel: „Weil uns das alles . . . täglich von Gott gegeben, erhalten und bewahrt wird, so sind wir ja schuldig, ihn darum ohne Unterlaß zu lieben, loben und d a n k e n , und kürzlich, ihm ganz und gar damit zu dienen, wie er durch die zeh-n Gebote fordert und befohlen h a t . " 3. Die zehn Gebote als die „guten Werke" der Evangelischen. GK., Besohluß der zehn Gebote: „So haben wir nun die zehn Gebote, . . . den rechten Born und Röhre, aus und in welchen quellen und gehen muß alles, was gute WeTke sein sollen, also daß außer den zehn Geboten kein Werk noch Wesen gut und Gott gefällig sein kann, es sei so groß und köstlich vor der Welt, wie es wolle." — „Aber solche Werke gelten und scheinen nicht vor der Welt Augen, denn sie sind nicht seltsam und - aufgeblasen, an sonderliche eigene Zeit, Stätte, Weise und Gebärde geheftet, sondern gemeine t ä g l i c h e Hauswerke, so ein Nachbar gegen den andern treiben kann; darum haben sie kein Ansehen."

10

1. Hauptstück: Wie lebt ein Christ ?

4. Die zehn Gebote als Werke unseres gottgegebenen „Standes". GK., Beschluß der zehn Gebote: „Ist das nicht eine verfluchte Vermessenheit der verzweifelten Heiligen, so da, sich unterstehen, höher und besser Leben und S t ä n d e zu finden, denn die zehn Gebote lehren ? . . . Das rede und treibe ich darum, daß man . . . sich gewöhne, in a l l e n S t ä n d e n auf E r d e n a l l e i n h i e r h e r zu s e h e n und sich damit zu bekümmern. Denn man wird noch lange keine Lehre noch S t ä n d e aufbringen, die den zehn Geboten gleich sind, weil sie so hoch sind, daß sie niemand durch Menschenkraft erlangen kann, und wer sie erlangt, ist ein himmlischer, engelischer Mensch, weit über alle Heiligkeit der Welt." Steht doch „ein j e g l i c h e r in s e i n e m S t a n d n a c h G o t t e s O r d n u n g " (GK., Schluß des 1. Gebots) als Vater, Mutter, Sohn, Tochter, Bruder, Schwester, Mann, Frau, Lehrer, Schüler, Herr, Knecht, Obrigkeit, Untertan, Arbeitgeber, Arbeitnehmer, Nachbar, Freund, Prediger, Gemeindeglied usw., wie es auch die dem K K . beigegebene „ H a u s t a f e l etlicher Sprüche für a l l e r l e i h e i l i g e Orden und S t ä n d e " an einigen Beispielen dartun will. K K . , Von der Beichte: „Da siehe deinen Stand an nach den zehn Geboten, ob du Vater, Mutter, Sohn, Tochter, Herr, Frau, Knecht seiest . . . " 5. Die zehn Gebote als evangelische Umprägung jüdischen Sondergutes. Luther beweist seine „Freiheit eines Christenmenschen" gegenüber dem alttestamentlichen Text der zehn Gebote, wie er in 2. Mose 20 und 5. Mose 5 überliefert ist, in folgenden Punkten: a) Beim 1. Gebot läßt er die Stelle „der dich aus Agyptenland, aus dem Diensthaus, geführt h a t " weg, ebenso den Zusatz „Du sollst dir kein Bildnis noch irgendein Gleichnis machen usw.". b) Die Worte „Ich, der Herr, dein Gott, bin ein eifriger Gott bezieht Luther auf a l l e Gebote, nicht nur auf das erste (GK. und KK.). c) Im ursprünglichen Gebotstext des K K . und GK. läßt er die Drohung zum 2. Gebot „denn der Herr wird den nicht ungestraft lassen . . . " wegfallen, desgleichen die erst in der Ausgabe von 1540 eingedrungene Verheißung zum 4. Gebot „auf daß dir's wohl gehe und du lange lebest auf Erden". (Anders in der Auslegung des GK., s. u. 7.)

Die zehn Gebote: Grundlegung.

11

d) Statt „ S a b b a t t a g " sagt er beim 3. Gebot „Feiertag", schiebt gleichzeitig im GK. ausdrücklich alle äußerlich-jüdische Sabbatgesetzlichkeit beiseite und sucht nach einer neuen evangelischen Sinnerfüllung wahrer Feiertagsheiligung (s. Einzelbesprechung des 3. Gebots). e) Ebenso zeigt er im GK. beim 8., 9. und 10. Gebot, wie der ursprüngliche, jüdische Sinn für uns Christen überholt ist und wie wir weiter und tiefer schauen müssen als der Wortverstand des Alten Testamentes. 6. Die zehn Gebote als positive Erfüllung des negativen Dekaloges. Über die unter 5. angedeutete evangelische Umformung dieses und jenes Gebotes hinaus bedeuten L u t h e r s E r k l ä r u n g e n zu den zehn Geboten im K K . eine weitere, für jedes einzelne Gebot in besonderer Weise gültige Überhöhung ihres ursprünglichen Sinnes. Waren die zehn ,,Ge"bote des Dekalogs mit Ausnahme des 2. und 4. Gebotswortlautes nur Verbote, so stellt Luther in seinen Erklärungen neben das bloße Verbot das Gebot, d h. die positive Forderung im Sinn der Bergpredigt, ja beschränkt sich auf diese positive Seite beim 1. und 6. Gebot. 7. Die zehn Gebote als Gesetzespredigt für Kinder und Unmündige. Diese positive und evangelisch-christliche Sinnerfüllung und Überhöhung der zehn Gebote läßt Luther die Augen nicht verschließen vor den Notwendigkeiten einer einfachen und schlichten Gesetzespredigt vor den „Einfältigen" und „Unmündigen". Hierfür hält er die Heranziehung des L o h n - u n d S t r a f g e d a n k e n s zur Begründung der Ge- und Verbote für notwendig. Von daher erklärt sich zum Teil das Doppelmotiv „Wir sollen Gott fürchten und lieben" im Anfang aller Erklärungen vom 2> Gebot ab und die entsprechende Begründung dieser Motivierung in der Erklärung des Beschlusses der Gebote. Von hier aus wird dann auch verständlich, weshalb Luther trotz Weglassung der Drohung beim Text des 2. Gebots und der Verheißung bei dem des 4. Gebots (s. o. 5c) in den Erläuterungen des GK. sehr nachdrücklich auf diese Zusätze hinweist, ja darüber hinaus noch andere Verheißungen und Drohungen aus der Schrift hinzufügt (Psalm 50, 15 beim 2. Gebot, Psalm 109, 13 beim 4., Matthäus 25, 42f. beim 5., Sprüche 19, 17 beim 7.). Auch der K K . mit seinem Schluß der zehn Gebote beweist deutlich, daß Luther bewußt über das „ G e s e t z " zum „Evangelium" führen will und daß ihm nach Galater 3, 24 das Gesetz ein „ Z u c h t m e i s t e r " ist auf Christus hin.

12

1. Hauptstück: Wie lebt ein Christ ?

8. Die zehn Gebote als Gesinnungspredigt für reifere Christen. Derselbe GK., der so nachdrücklich den Lohn- und Strafgedanken bei den Unmündigen anwendet, gibt auf der anderen Seite klar genug zu verstehen, daß das Ziel christlicher Unterweisung nicht im äußeren Befehlen, Drohen, Verheißen und Tun steckenbleiben darf, sondern hinführen muß zur rechten, evangeliumsgemäßen H e r z e n s g e s i n n u n g . Dafür schon hier einige Beispiele Wie Jesus in der Bergpredigt, so fordert auch Luther beim 5. Gebot, „daß man nicht töten soll, weder mit Hand, H e r z e n , Mund, Zeichen, Gebärden noch Hilfe und R a t " . „Denn wo Totschlag verboten ist, da ist auch alle Ursache verboten, daher Totschlag entspringen mag . . . So will Gott die Wurzel und Ursprung wegräumen, durch welche das H e r z wider den Nächsten erbittert wird." Und beim 6. Gebot sagt er ausdrücklich — im Unterschied und in Ergänzung zum KK 1 —, „daß jedermann mit Werken, Worten und G e d a n k e n keusch lebe in seinem . . . Stande", „also daß H e r z , Mund und der ganze Leib keusch sei". Dementsprechend soll auch durch das 9. und 10. Gebot „die Ursache und Wurzel aus dem Wege" geräumt werden, „daher alles entspringt, dadurch man dem Nächsten Schaden t u t " . Denn Gott „will vornehmlich d a s H e r z r e i n haben, . . . daß man des Nächsten Schaden nicht begehre . . . " Darum gilt es auch für das 1. Gebot: „Wo das H e r z wohl mit Gott dran ist und dies Gebot gehalten wird, so gehen die andern alle hernach." „Denn wo ein solches H e r z gegen Gott ist, das hat dieses und alle anderen erfüllt." 9. Die zehn Gebote als Herolde der Gottes- und Nächstenliebe. Die bekannte Scheidung der Gebote in die beiden Gruppen 1—3 und 4—10 entsprechend den beiden „Tafeln" mit ihren „Pflichten gegen G o t t " und den „Pflichten gegen den Nächsten" finden wir auch in Luthers GK. Der Übergang vom 3. zum 4. Gebot lautet d o r t : „Bisher haben wir die ersten drei Gebote gelernt, die da gegen G o t t gerichtet sind, . . . folgen nun die sieben, gegen unseren N ä c h s t e n gestellt." Im Blick auf Jesu Doppelgebot der Gottes- und N ä c h s t e n l i e b e sehen wir daneben die G o t t e s l i e b e genugsam in der Erklärung zum ersten Gebot und im Anfang aller übrigen Gebotserklärungen auf den Leuchter erhoben, während die N ä c h s t e n l i e b e zusammenfassend noch einmal am Schluß des ganzen KK. in dem letzten Abschnitt der Haustafel mit dem Spruche „Liebe deinen Nächsten wie dich selbst; in dem Wort sind alle Gebote verfasset" „der Gemeinde" eingeschärft wird.

Die zehn Gebote: Grundlegung.

13

10. Das erste Gebot als „Haupt und Quellborn" aller übrigen Gebote. Mit der steten Rückbeziehung der Erklärungseinleitungen „Wir sollen Gott fürchten und lieben" auf das erste Gebot gibt Luther übör das unter 9. Gesagte hinausgehend unermüdlich zu bedenken, daß aufs letzte gesehen den zehn Geboten nicht das D o p p e l gebot der Gottes- und Nächstenliebe, sondern das eine e r s t e G e b o t zugrunde liegt. Mit prachtvoll eindrücklichen Bildern hat er das im GK. beim Schluß des ersten Hauptstücks ausgesprochen: „Also soll n u n d a s e r s t e G e b o t l e u c h t e n u n d seinen Glanz g e b e n in die a n d e r n alle. Darum mußt du auch dies Stück lassen gehen durch alle Gebote, als die Schale oder Bogel (Bogen) im Kranz, daß es Ende und Anfang zuhaufe füge und alle zusammenhalte, auf daß man's immer wiederhole und nicht vergesse . . . Also s i e h s t d u , wie d a s e r s t e G e b o t d a s H a u p t u n d Q u e l l b o r n i s t , so d u r c h die a n d e r n alle g e h t , und wiederum alle sich zurückziehen und hangen an diesem, daß Ende und Anfang alles in&nandergeknüpft und -gebunden ist." Für die u n t e r r i c h t l i c h e V e r w e r t u n g darf dabei darauf hingewiesen werden, daß die gedoppelte Wendung „Wir sollen Gott fürchten und lieben" der Zweiteilung der Erklärungen in Verbot und Gebot entspricht, in dem Sinne, daß die Furcht das Böse verhüten und die Liebe zum Guten hintreiben soll; vgl. die Erklärung des Beschlusses im KK.: Darum sollen wir uns fürchten vor seinem Zorn und nicht wider solche Gebote tun" und „ . . . darum sollen wir ihn auch lieben und vertrauen und gerne tun nach seinen Geboten". Die Hauptsache bleibt jedoch das Zurückgehen auf die einheitliche Gesinnungswurzel des ersten Gebotes, aus dem wie aus einem Brunnenstock die Wasser christlichen Lebens in vielen Einzelröhren herausströmen, oder anders ausgedrückt, die evangelische Schau des richtigen Verhältnisses von Glauben und guten Werken im Sinne des Pauluswortes von dem „Glauben, der sich in der Liebe tätig erweist" (Galater 5, 6). B. U n t e r r i c h t l i c h e B e h a n d l u n g der z e h n G e b o t e . 1. Arbeitsschulmäßiger Zugang zu den zehn Geboten. Der arbeitsschulmäßige Zugang zum Dekalog ist mit unserer F r a g e s t e l l u n g : Wie l e b t ein C h r i s t ? gegeben. Die Schüler werden von sich aus auf diese Frage alles mögliche aufzählen können, was zu einem christlichen Leben gehört oder was sich für einen Christen nicht geziemt. Wir werden die entscheidende Frage nach dem Woher ? unserer christlichen Erkenntnis stellen und zu zeigen haben, daß Luther in

14

1. Hauptstück: Wie lebt ein Christ?

den zehn Geboten, wie er sie im Blick auf das Neue Testament verstand und erklärte, die zusammenfassende Forderung für einen christlichen Lebenswandel fand. Damit werden unsere Schüler vor die wuchtigen Sätze des ersten Hauptstücks gestellt, aus dem nach c h r i s t lichem Glauben G o t t der Herr zu ihnen heute wie zu allen Geschlechtern vor ihnen spricht. 2. Übersicht über den Sachinhalt der zehn Gebote. Bleiben damit die zehn Gebote — auf dem Hintergrund der Bergpredigt! — für den christlichen Glauben End- und Ausgangspunkt menschlichen Fragens, so wird sich auch hier «in arbeitsbetonter Unterricht in jeder nur möglichen Weise bemühen, dies urewigalte und doch urewigneue Gottesland der zehn Gebote von den Schülerherzen und von dem Schülerdenken entdecken und erobern zu lassen. Dazu aber bedarf es der eigenen Klarheit über die Sachinhalte der zehn Gebote, wie sie L u t h e r in unübertrefflicher Weise im GK. herausgearbeitet und aneinandergereiht hat. Auf die Abtrennung der drei ersten gegen Gott gerichteten Gebote von den sieben übrigen auf den Nächsten bezogenen hatten wir schon oben unter A 9 hingewiesen. Innerhalb dieser Gruppenbildung gilt es nun weiter, Luthers Einzelinhaltsbesohreibungen der Gebote aufzuzeigen. Bei den drei e r s t e n Geboten lehnt sich dabei Luther an das — schon im Mittelalter übliche — Schema Herz — Mund — T a t an. So schreibt er beim Übergang zum 2. Gebot im GK.: „Gleichwie das erste Gebot das Herz unterwiesen und den Glauben gelehrt hat, also führt uns dies Gebot heraus und richtet den Mund und die Zunge gegen Gott." Und gegen Ende des 2. Gebotes wiederholt er noch einmal: „Also daß das Herz zuvor durch den Glauben Gott seine Ehre gebe, danach der Mund durch das Bekenntnis." Dementsprechend faßt er den Inhalt der drei ersten Gebote bei der Überleitung zum 4. Gebot im GK. folgendermaßen zusammen: „Bisher haben wir die drei ersten Gebote gelernt, die da gegen Gott gerichtet sind. Zum ersten, daß man ihm von ganzem Herzen vertraue, ihn fürchte und liebe in all unserem Leben. Zum andern, daß man seines heiligen Namens nicht mißbrauche zur Lüge, noch einigem bösen Stücke, sondern zu Gottes Lob, Nutz und Seligkeit des Nächsten und seiner selbst. Zum dritten, daß man an der Feier und Buhe Gottes Wort mit Fleiß handle und treibe, auf daß all unser T u n und L e b e n danach gehe."

Die zehn Gebote: Übersicht.

15

Bei den a n d e r e n s i e b e n G e b o t e n „gegen unseren Nächsten gestellt" bezeichnet Luther das 4. Gebot im GK. als „das erste und höchste". Beim 5. Gebot fährt er dann fort: „Hier gehen wir nun aus unserm Haus unter die Nachbarn, zu lernen, wie wir untereinander leben sollen, ein jeglicher für sich selbst gegen seinen Nächsten", um beim Eingang zum 6. Gebot den Zusammenhang zwischen dem 5. und 6. also darzulegen: „Diese Gebote sind nun an ihnen selbst leicht zu verstehen aus dem nächsten ( = vorhergehenden). Denn sie gehen alle dahin, daß man sich hüte vor allerlei Schaden des Nächsten; sind aber fein ordentlich gestellt. Zum ersten auf seine e i g e n e P e r s o n ; danach fortgefahren auf die nächste Person oder das nächste Gut nach seinem Leibe, nämlich sein e h e l i c h G e m a h l , welches mit ihm ein Fleisch und Blut ist, also daß man ihm an keinem Gut höher Schaden tun kann." Beim 7. Gebot folgt dann: „Nach deiner Person und ehelichem Gemahl ist z e i t l i c h G u t das nächste" und beim 8.: „Über unsern eigenen Leib, ehelich Gemahl und zeitlich Gut haben wir noch einen Schatz, nämlich E h r e und gut Gerücht, welches wir auch nicht entbehren können." Zu dieser Skala „Leib, Gemahl, Gut, Ehre" fügt schließlich das 9. und 10. Gebot noch das „ R e c h t " hinzu (Schlußzusammenfassung im „Beschluß der zehn Gebote", GK.), so daß für Luther in den zehn Geboten eine ganz klare und geradlinige Gedankenfolge vorliegt, aus deren Schau heraus er dann auch die Gebotserklärungen des KK. niedergeschrieben hat, die deshalb mit aus solcher Schau zu verstehen und — zu behandeln sind. 3. Einzelbehandlung der zehn Gebote. Eingang: „Ich bin der Herr, dein Gott."

Unsere meisten Katechismen enthalten heute zu Beginn des ersten Hauptstücks die von Luther selbst noch nicht in seine Katechismusausgaben aufgenommenen Eingangsworte „Ich bin der Herr, dein Gott", die in der Bibel (II. Mose 20, 2 und V. Mose 5, 6) vollständig die Fortsetzung haben: „der ich dich aus Ägyptenland, deinem Diensthause, geführt habe" (s. o. S. 10). Und zwar finden wir heute die also gekürzten Worte entweder als Überschrift über allen Geboten oder entsprechend dem Eisenacher Katechismustext von 1884 als Anfang des 1. Gebotes. Von diesem Sachverhalt aus haben wir uns zu fragen: Was hat es mit diesen Eingangsworten für eine Bewandtnis, und wie haben wir sie unterrichtlich auszuwerten ?

16

1. Hauptstück: Wie lebt ein Christ?

Ohne uns auf Einzelheiten des gerade über diese Worte lebhaft ausgefochtenen wissenschaftlichen Streites einzulassen, gilt es folgendes festzuhalten : 1. In der B i b e l bilden diese Worte die feierliche Erinnerung an Gottes unvergleichliche Gnadentat und die ebenso feierliche Begründung für die Forderung der diesem Gott in dankbarem Gehorsam zu haltenden Gebote. 2. L u t h e r hat stets und besonders vom Jahre 1530 ab in den Eingangsworten „Ich bin der Herr, dein Gott", auch wenn er sie im Jahre 1529 nicht in den GK. und KK. aufnahm, eine göttliche Verh e i ß u n g gesehen, und zwar „Die Verheißung aller Verheißungen, Quelle und Haupt aller Religion und Weisheit, das Evangelium, das den verheißenen Christus in sich beschließt" (WA. 30 II, S. 358), in dem Sinne also, daß der „Herr" im Himmel sich als u n s e r „ G o t t " , d. h. als unser Vater, Wohltäter und Helfer anbietet. 3. In der späteren Schicht des GK. und vor allem im KK. ist Gott aber, wie wir später noch näher sehen werden, gleichzeitig immer auch der H e r r , der zu f o r d e r n hat und der wegen seines Zornes und seiner Strafgewalt zu f ü r c h t e n ist. 4. Im U n t e r r i c h t dürfte es sich deshalb empfehlen, gemäß dem Sinngehalt der biblischen Fassung und unter Vereinigung der zwiespältigen Gedankenführung Luthers b e i d e s zu seinem Hecht kommen zu lassen: Den Hinweis auf die h e i l i g e M a j e s t ä t Gottes („Ich bin der Herr"), der heute wie immer Herr über alle Menschen bleibt, um ihnen in den zehn Geboten seinen heiligen Willen ewig unverbrüchlich immer neu kund zu tun (I. Mose 17, 1: „Ich bin der allmächtige Gott; wandle vor mir und sei fromm!"; III. Mose 19, 2: „Ihr sollt heilig sein, denn ich bin heilig, der Herr, euer Gott"), und daneben die Hindeutung auf seine in Christus vollendete Gnadenzusage („dein Gott"), mit der er sich uns schenkt, ehe er fordert, und mit der er von uns fordert, um immer neu sich uns zu schenken. Damit wäre sowohl dem „fürchten und lieben" aller Gebotserklärungen genug getan wie der gleichlaufend-grundlegenden Erklärung des ersten Gebotes, ebenso aber der zugleich drohenden und lockenden Haltung des Beschlusses der Gebote und den die heilige Allmacht u n d die väterliche Liebe Gottes betonenden Aussagen des ersten Artikels und des Vaterunsers. Außerdem aber wäre auf diese Weise klar geworden, daß es unterrichtlich am richtigsten ist, d i e W o r t e „ I c h b i n d e r H e r r , d e i n G o t t " a l s E i n l e i t u n g z u a l l e n G e b o t e n zu nehmen und nicht nur als

I. Gebot.

17

Teil des ersten Gebotes zu fassen, wenn selbstverständlich auch das erste Gebot mit seiner Erklärung sich als nächstes aus dem Doppelanruf der Eingangsworte «rgibt. Es wäre demnach mit den Schülern (besonders höherer Stufen) herauszuarbeiten, was diese Anrede Gottes nach ihren zwei Seiten hin für uns bedeutet: Mit welchem Recht Gott seine Forderungen an uns stellt und wie er mit seinen Geboten — wie mit allem, was er sonst tut und fordert — nur immer unser Bestes im Sinne hat. 1. Gebot. Gegenüber dem im vorstehenden Sinne verstandenen Gottesanruf „Ich bin der Herr, dein Gott" erhebt sich als erste, arbeitsunterrichtlich zu ziehende Folgerung die Frage: "Wie haben wir uns diesem Gott gegenüber zu verhalten ? Die Antwort auf diese erste Frage gibt das erste Gebot mit seiner Weisung: „Du sollst nicht andere Götter haben neben mir!" Dieser Wortlaut proklamiert g e s c h i c h t l i c h gesehen zunächst den Monotheismus Israels und wendet sich damit negativ gegen jede damalige oder spätere Abgötterei. L u t h e r s E r k l ä r u n g stellt über das geschichtliche Verständnis hinaus die gegenwärtige Beziehung zwischen uns und Gottes heiligem Willen her und faßt den für uns heute gültigen Sinn des Gebotes zusammen in den unvergänglichen Worten: „Wir sollen Gott über alle Dinge f ü r c h t e n , lieben und v e r t r a u e n . " Hierzu ist an Hand des GK. und K K . folgendes klarzustellen: 1. F ü r c h t e n hat für Luther im GK. stets und in erster Linie die Bedeutung der F u r c h t vor Gottes S t r a f g e w a l t auf Grund seiner Drohungen als Richtergott (s. o. S. 11 A 7). Über diese Straffurcht erhebt sich freilich nach anderwärts gemachten Bemerkungen Luthers bei reiferen Christen die nicht so sehr auf die mögliche Strafe als vielmehr auf den heiligen Gott blickende reine Gottesfurcht im Sinn der E h r f u r c h t und des demütigen Frommseins vor der ewigen, göttlichen Majestät. Wenn GK. und K K . wegen ihrer Rücksichtnahme auf die „Einfältigen" diese Gottesfurcht ohne den Beigeschmack der Straffurcht nicht besonders aufführen, so schreitet doch, worauf nicht entschieden genug hingewiesen werden kann, auch hier die Straffurcht nicht alleinherrschend einher, sondern in Gemeinschaft mit dem „heben und vertrauen". Beides muß gesehen und im Unterricht betont und festgehalten werden. Denn Gottesfurcht ist nicht christlich ohne Liebe und Vertrauen, und Liebe und Vertrauen sind nicht richtig ohne den Ernst ehrfürchtigen Stehens, vor dem Herrn der Welt. Dieser 2 W i ß m a n n , Katechismus Unterricht.

18

1. Hauptstück: Wie lebt ein Christ?

Ernst gehört für Luther an die erste Stelle. E r vor allem spricht aüs den zehn Geboten, und nur durch diesen Ernst hindurch leuchtet der gütige Blick des Vaterauges Gottes und heißt uns in aller „ F u r c h t " zu „lieben" und zu „vertrauen". 2. L i e b e n a b e r s o l l e n wir G o t t wegen s e i n e r L i e b e , die er uns immer neu verheißt (vgl. den Eingang und Schluß der zehn Geböte) und von der die drei Artikel (s. u.) nicht genugsam zu rühmen wissen. Kommt doch das Wort „ G o t t " nach Luthers Meinung von dem Worte „ G u t " , und wenn auch solche Worterklärung einer modernwissenschaftlichen Kritik nicht standzuhalten vermag, so verdienen die diesbezüglichen Sätze des GK. gleichwohl als Bekenntnis seines frohen Glaubens in Erinnerung zu bleiben. Sie lauten (GK., 1. Gebot): „Das sei aber den Einfältigen gesagt, daß sie den Verstand dieses Gebots wohl merken und behalten, daß man Gott allein trauen und sich eitel Gutes zu ihm versehen und von ihm gewarten soll, als der uns gibt Leib, Leben, Essen, Trinken, Nahrung, Gesundheit, Schutz, Friede .und alle Notdurft zeitlicher und ewiger Güter, dazu bewahrt vor Unglück und, so uns etwas widerfährt, rettet und aushilft, also daß Gott allein der ist, von dem man alles Gute empfängt und alles Unglück los wird. D a h e r a u c h , a c h t e i c h , wir D e u t s c h e n G o t t e b e n m i t dem N a m e n von a l t e r s h e r n e n n e n (feiner und artiger, denn keine andere Sprache) n a c h d e m W ö r t l e i n G u t , als der ein ewiger Quellbrunn ist, der sich mit eitel Güte übergießet, und von dem alles, was gut ist und heißt, ausfließt." 3. Damit aber geht, -wie der Anfang der eben abgedruckten Stelle zeigt, das Lieben ohne weiteres in V e r t r a u e n über und steht Seite an Seite neben diesem. Dies Vertrauen-aber ist dann das eigentliche Thema des von Luther zuerst zum Druck gegebenen A n f a n g s d e r G K . - E r k l ä r u n g zum 1. Gebot. Hier stehen die berühmten und auch im Unterricht immer wieder hervorzuholenden herrlichen Sätze: „Was heißt: einen Gott haben, oder was ist Gott ? Antwort: Ein Gott heißt das, dazu man sich versehen soll alles Guten und Zuflucht haben in allen Nöten, also daß einen Gotlf haben nichts anderes ist, denn i h m v o n H e r z e n t r a u e n u n d g l a u b e n ; wie ich oft gesagt habe, daß a l l e i n d a s T r a u e n u n d G l a u b e n des H e r z e n s m a c h t b e i d e , G o t t u n d A b g o t t . Ist der Glaube und das Vertrauen recht, so ißt auch dein Gott recht; und wiederum, \fo das Vertrauen falsch und unrecht ist, da-ist auch der rechte Gott nicht. Denn die zwei gehören zuhaufe: Glaube und Gott. Worauf du nun (sage ich) dein Herz hängst

1. Gebot.

19

und verläßt, das ist eigentlich dein Gott." Hier jubelt die dritte, die hellste Glocke im Geläut reformatorischer Frömmigkeit. Daß sie im KK., bei den zehn Geboten, nicht so laut hörbar wird, tut dem keinen Eintrag. Sie schwingt auch dort mit — und soll mitklingen, wie der GK. es unmißverständlich zum Ausdruck bringt. 4. Denn erst alle d r e i Glocken z u s a m m e n , die des.„Fürchtens", des „Liebens" und dès „Vertrauens", geben den rechten, vollen Klang. So kündet es der KK. in der Erklärung des ersten Gebotes und in der des Beschlusses, und so wiederholt es der GK. unter Hinweis auf eben diesen Zusatz (am Ende des 1. Hauptstücks): „Damit er will gefordert haben,daß sie alle aus solchem Herzen gehen, das alleine Gott f ü r c h t e t und vor Augen hat und aus solcher Furcht alles läßt, das wider seinen Willen ist, auf daß es ihn nicht erzürne, und dagegen ihm allêine v e r t r a u t und ihm z u l i e b e tut, was er haben will, weil er sich so freundlich als ein Väter hören läßt und uns alle Gnade und Gutes anbietet . . . Also daß dies Wort: ,Du sollst nicht andere Götter haben' nichts anderes aufs einfältigste will gesagt haben, denn soviel hier gefordert: Du sollst mich als deinen einigen rechten Gott f ü r c h t e n , l i e b e n und mir vertrauen." 5. Mit alledem sind freilich von uns die Worte „ ü b e r alle D i n g e " noch nicht beachtet und besprochen. Sie scheinen auf den ersten Blick besagen zu wollen, daß wir als Menschen dieser Erde auch vieles andere „fürchten, heben und vertrauen", daß aber Gott vertrauen, Gottesliebe und Gottesfurcht noch ein ganz ander Ding ist und sein muß als dies irdisch-menschliche Abhängigsein und Anhänglichsein. Mit einer solchen Deutungsweise ist indessen Luthers Meinung und Blickrichtung nicht erfaßt. Luther schrieb die Worte „über alle Dinge" vielmehr in, P a r a l l e l e zum Verbot „Du s o l l s t n i c h t a n d e r e G ö t t e r h a b e n n e b e n m i r " . Er wollte damit zu bedenken geben — nicht nur daß wir Gott anders und mehr fürchten, lieben und vertrauen sollen als irgend etwas auf der Welt, sondern daß alles irdisch-weltliche Fürchten, Lieben und Vertrauen dauernd in, Gefahr steht, gottlos und damit A b g ö t t e r e i zu werden. Luther hat das im GK. in der Hauptsache für das V e r t r a u e n anschaulich zu machen gesucht an einigen „gemeinen Exempeln des Widerspiels". Er schreibt dort (Anfang des 1. Gebots) : „Es ist mancher, der meint, er habe Gott und alles genug, wenn er Geld und Gut hat, verläßt und brüstet sich darauf so steif und sicher, daß er auf niemand nichts gibt. Siehe, dieser hat auch einen Gott, der heißt Mammon, 2»

20

1. Hauptstück: Wie lebt ein Christ?

da ist Geld und Gut, darauf er alle sein Herz setzt, welches auch der allergemeinste Abgott ist auf Erden. Wer Geld und Gut hat, der weiß sich sicher, ist fröhlich und unerschrocken, als sitze er mitten im Paradies. Und wiederum, wer keines hat, der zweifelt und zagt, als wisse er von keinem Gott. Denn man wird ihrer gar wenig finden, die gutes Muts sind und nicht trauern noch klagen, wenn sie den Mammon nicht haben; es klebt und hängt der Natur an bis in die Grube. — Also auch, wer darauf traut und trotzt, daß er große Kunst, Klugheit, Gewalt, Gunst, Freundschaft und Ehre hat, der hat auch einen Gott, aber nicht diesen rechten einigen Gott." Im Hinblick auf diese Sätze kann älteren Schülern gezeigt werden, wie nach Luthers Sinn und Ausführung die „ A b g ö t t e r " der Christen vor allem die Dinge der Welt sind und das, was man s e l b s t oder ein anderer Mensch kann und hat. Der größte Abgott bleibt jedoch d a s eigene Ich, „das da Hilfe, Trost und Seligkeit sucht in eigenen Werken. . . . Was ist das anders, denn aus Gott einen Götzen, ja, einen Abgott gemacht, und sich s e l b s t f ü r Gott gehalten und a u f g e w o f f e n ? Aber das ist ein wenig zu scharf, gehört nicht für die jungen Schüler." 6. P o s i t i v ist schließlich noch herauszustellen, unter welcher Bedingung uns die Dinge dieser Welt und die menschlichen Werke nicht zu A b g ö t t e r n zu werden brauchen. Auch daran hat Luther bei der Niederschrift seines GK .gedacht und die dortige Erklärung des 1. Gebotes deshalb so beschlossen: „Darum laßt uns das erste Gebot wohl lernen, daß wir sehen, wie Gott keine Vermessenheit noch Vertrauen auf ein ander Ding leiden will und nichts Höheres von uns fordert denn eine herzliche Zuversicht alles Guten, also daß wir richtig und s t r a c k s vor uns gehen und alle G ü t e r , so Gott g i b t , g e b r a u c h e n nicht weiter, denn wie ein Schuster seine Nadel, Ahle und Draht braucht zur Arbeit und danach hinweglegt, oder wie ein Gast der Herberge, Futter und Lager, allein zur zeitlichen N o t d u r f t , ein jeglicher nach seinem S t a n d nach G o t t e s Ordnung, und lasse nur keines seinen Herrn oder Abgott sein." 7. Z u s a m m e n f a s s e n d wäre für den Gang des U n t e r r i c h t s demnach festzuhalten, daß zunächst einmal die Dreiheit „ G o t t fürchten, lieben und v e r t r a u e n " im Anschluß an biblische und sonstige Geschichten eindrücklich gemacht werden muß, wobei das Verhalten der Kinder zu ihren Eltern die vergleichende Grundlage und die überall verwertbare Anknüpfungsmöglichkeit darbietet. Der zweite Schritt

1. Gebot.

21

wäre dann, G o t t „über a l l e D i n g e " und M e n s c h e n zu stellen und sowohl das Vertrauen und die liebe zu ihm wie die Furcht vor ihm als die von jedem Christen in a l l e n F ä l l e n des K o n f l i k t s geforderte Entscheidung entdecken zu lassen und vorzuhalten. Der letzte Schritt, in dem an Gott vorbeigerichteten und von Gott weggewandten Vertrauen, Fürchten und Lieben A b g ö t t e r e i und G ö t z e n d i e n s t zu erkennen, wäre dann die Krönung unseres unterrichtlichen Bemühens, das auf diese Weise wieder beim Gebots Wortlaut „nicht andere Götter neben mir" anlanden könnte, von dem natürlich auch hätte ausgegangen werden können. Für die beiden letztgenannten Unterrichtsschritte sei neben naheliegenden B e i s p i e l e n aus dem m o d e r n e n L e b e n (Menschenfurcht! Liebhabereien und Leidenschaften! Abergläübiges Vertrauen!) nur noch an folgende G e s c h i c h t e n und W o r t e der B i b e l erinnert: a) G o t t ü b e r alle D i n g e f ü r c h t e n : Matth. 10, 28: „Fürchtet euch nicht vor denen, die den Leib töten und die Seele nicht mögen töten. Fürchtet euch aber vielmehr vor dem, der Leib und Seele verderben mag in die Hölle." (Vgl. auch alle Märtyrer!) b) G o t t über alle D i n g e l i e b e n : Negativ: Der reiche Kornbauer: Luk. 12, 16—21. Positiv: Jesus in Gethsemane: Er liebt Gott mehr als sein eigenes Leben. c) G o t t über alle D i n g e v e r t r a u e n : Positiv: Abraham: I. Mose 12, 1—6. David (positiv) und Goliath (negativ): I. Sam. 17, 42—47. Sprüche 3, 5 : „Verlaß dich auf den Herrn von ganzem Herzen und verlaß dich nicht auf deinen Verstand." Psalm 118, 8: „Es ist gut, auf den Herrn vertrauen und nicht sich verlassen auf Menschen." Ein besonders treffendes S a m m e l b e i s p i e l enthält die Bergpredigt Matth. 6, 19 — 7 , 5 in der Reihenfolge: Gott über alles lieben (6, 19—21: Gott, nicht den Mammon!), vertrauen (6, 25—34: Gott, nicht den eigenen Sorgen!), fürchten (7, 1—5: Für sich selbst Gottes Richterspruch fürchten!). D a s 1. G e b o t in seinem V e r h ä l t n i s zu den ü b r i g e n G e b o t e n . Wir hatten bereits bei unserer „Grundlegung" zu den 10 Geboten darauf aufmerksam gemacht, daß für Luther das 1. G e b o t „ H a u p t

22

1. Hauptstück: Wie lebt ein Christ?

und Quellborn" a l l e r übrigen Gebote ist (s. o. ¡3- 13), weil es die für diese notwendige G j u n d g e s i n n u n g — den dreifach bestimmten Glauben an Gott — enthält und einschärft. So schließt der GK. beim 1. Gebot mit der Bemerkung: „Da« sei genug vom ersten Gebot, welches wir mit Worten haben müssen ausstreichen, weil daran allermeist die Macht liegt, darum, daß, wo daa Herz wohl mit Gott dran i s t und dies Gebot g e h a l t e n w i r d , so geheoi die a n d e r n a l l e hernach." Von daher ist es innerlichst gegründet und überdies ein pädagogisch weises Unternehmen Luthers, daß er seine sämtlichen noch folgenden Gebotserklärungen mit dem Rückgriff auf das 1. Gebot beginnt, um unauslöschlich und unvergeßlich diesen Zusammenhang, d. h. das Verankertsein aller Gebote im 1., in die Gewissen zu schreiben. Daß er dabei die zweiteilige Formel „Wir sollen Gott fürchten und lieben" als gleichwertigen Ersatz für die dreiteilige Gebotserklärung nehmen konnte, hat seinen Grund in der bei ihm nachzuweisenden Nachbarschaft und Verwandtschaft von „lieben" und „vertrauen". Andererseits zeigt sich an dieser wie an vielen anderen Stellen das feine Urgefühl des Reformators für die Grundgesetze sprachlichen Wellengangs, wonach vor der Zweiteiligkeit der negativ und positiv bestimmten Gebotserklärungen auch eine Zweiseitigkeit der Erklärungseinleitungen am Platze war, deren sachliche Gleichläufigkeit mit dem Erklärungsinhalt uns bei jedem einzelnen Gebot nun noch weiter zu beschäftigen hat (vgl. die Vorbemerkungen dazu auf S. 19 und 11 unter 10. und 6.) 2. Gebot. Gilt es somit für alle Gebote, daß sie nur von cfer im 1. Gebot geforderten Grundgesinnung her zu verstehen sind und deshalb auch als aus jener Grundgesinnung herauswachsend unterrichtlich behandelt werden müssen, so gilt diese Beziehung für das dem 1. zunächststehendjp 2. Gebot in ganz besonderem Maße. Und «war meint Luther — wie Jesus Matthäus 5, 22 beim 5. Gebot — daß dem Herzen des Menschen z u n ä c h s t der Mund und seine Rede sei. Wenn demnach das 1. Gebot die rechte Herzensgesinnung gegen Gott verlangt, so ist der erste Schritt zum Tatwerden dieser Gesinnung das rechte Reden mit Gott und das e h r e r b i e t i g e Sprechen von Gott. Deshalb Luthers Eingangssatz zum 2. Gebot, der uns auch für den arbeitsunterrichtlich herzustellenden Übergang vom 1. zum 2. Gebot den allerbesten und viel zu wenig beachteten Weg angibt: „Gleichwie

2. Gebot.

23

das erste Gebot das Herz unterwiesen und den Glauben gelehrt hat, also führt uns dies Gebot heraus und richtet den Mund'und die Zunge gegen Gott. Denn das e r s t e , so aus dem Herzen b r i c h t und s i c h erzeigt, sind die W o r t e " ; „also daß", wie es späterhin heißt, „das Herz zuvor durch den Glauben Gott seine Ehre gebe, danach der Mund durch das B e k e n n t n i s " . Zu welcher Forderung freilich die Erfahrung des Lebens im übelsten Gegensatz steht: „Nun ist es leider eine allgemeine Plage in aller Welt, daß ja so wenig sind, die nicht Gottes Namen zur Lüge und aller Bosheit brauchen, so wenig als ihrer sind, die allein von Herzen auf Gott vertrauen." Das Ineinanderverflochtensein des 2. und 1. Gebots zeigt sich aber auch hier. Auf dieser Grundlage gilt es dann weiter, den Sinn der zweiten G e b o t s e r k l ä r u n g zu erfassen. GK. und K K . haben dabei das gemeinsam, daß sie zuerst von dem falschen und dann von dem rechten Gebrauch des Namen Gottes reden. Nur beginnt der GK. hinsichtlich des Mißbrauchs mit dem „lügen und trügen" als dem „leichtesten Verstand dieses Gebots" und läßt erst danach das „fluchen, schwören, zaubern" folgen, während der K K . beide Wortgruppen umstellt. Alle Ausdrücke gehören aber auch hier ganz deutlich zu dem voraufgegangenen „bei seinem Namen", weshalb es verkehrt ist, bei den letzten beiden Worten an einfaches „lügen und trügen" zu denken. Denn so belehrt uns der GK.: „Lügen und trügefi ist an ihm selbst große Sünde, wird aber viel schwerer, wenn man sie noch rechtfertigen will und, sie zu bestätigen, G o t t e s Namen a n z i e h t und zum S c h a n d d e c k e l m a c h t , also daß aus einer Lüge eine zweifältige, ja vielfältige Lüge wird." So ist „lügen und t r ü g e n " hier g l e i c h b e d e u t e n d m i t falsch-schwören — „als unter denen, die vor Gericht schwören, und ein Teil dem andern lügt" (vgl. unten den Absatz über „schwören"!) —, während das in der KK.-Erklärung vorausgehende Wort „schwören" nach dem damaligen Sprachgebrauch als Synonym von „fluchen." anzusehen ist. Unter „ z a u b e r n " beim Namen Gottes verstand Luther die Gottes Namen freventlich mißbrauchende „weiße Kunst", nicht heidnisch-abergläubige Zauberei („schwarze Kunst"). Nun wird man sich freilich im U n t e r r i c h t mit solchen sprachlichen Erläuterungen und Feinheiten nicht unnötig lange aufhalten, sondern klar und einfach mit den Kindern besprechen, wie sich h e u t e u n t e r uns das „unnützlich führen" des Namens Gottes in gedankenlosen Redensarten oder überflüssigen Beteuerungen, das „fluchen", verfluchen und verwünschen, das meineidige oder sonstwie Gott zum

24

1. Hauptstück: Wie lebt ein Christ?

Zeugen anrufende „lügen und trügen" und —leider auch! — das Glauben an alles mögliche „zaubern" (Amuletts, Talismane, Schutztiere in Autos, Flugzeugen, Himmelsbriefe, Kettenbriefe, Gesundbeten, Besprechen usw.) breit macht und wie der Kampf gegen diese üblen Dinge und widergöttlichen Gewohnheiten von Jugend auf geübt und geführt werden muß. Inwieweit man dabei auf die S t r a f d r o h u n g der B i b e l : „Denn der Herr wird den nicht ungestraft lassen, der seinen Namen mißbraucht" zurückgreifen will, bleibe dem Einzelnen überlassen. Nur vergesse man nicht, daß dieser Zusatz erst nach Luthers Tod etwas verändert aus dem GK. in den K K . herübergenommen wurde und daß Luther selbst in der Erklärung des K K . mit keiner Silbe auf dies „ernstliche Dräuwort" (GK.) Bezug nimmt. Und auch im GK. bleiben ja Luthers Ausführungen nicht bei der menschlichen und göttlichen „Rute" stehen, soviel er auch dort davon schreibt, sondern dabei, daß es „die rechte Weise" sei, „Kinder wohl zu ziehen", wenn „man sie mit Gutem und L u s t kann gewöhnen"; so daß also nicht die sehr oft nicht für menschliche Augen tn die Erscheinung tretende göttliche Strafe der entscheidende Antrieb zur Vermeidung des Mißbrauchs sein soll, sondern die frohe Grundhaltung des 1. Gebotes und der positive Wille, Gott, wie dort mit dem Herzen, so hier mit dem Mund und aller Rede zu ehren. Man hat es ja so leicht, auch durch einen Vergleich mit dem Verhältnis der Kinder zu ihren E l t e r n den Schülern die Augen zu öffnen für die Ungeheuerlichkeit jedes gedankenlosen oder unfrommen Mißbrauchs des Gottesnamens. Ein rechtes Kind wird niemals den Namen seines Vaters oder seiner Mutter gedankenlos oder in schlechter Absicht aussprechen, erst recht nicht den Namen „Vater" und „Mutter" in stehenden Redewendungen zum Blitzableiter für Zorn- und Wutausbrüche und falsche Beteuerungen machen. Ebensowenig wird ein seine Eltern ehrendes und liebendes Kind es dulden, daß andere in schlechter und unwürdiger Weise über seine Eltern reden. Das gleiche gilt von Geschwistern und Freunden (Freundinnen). Und Gott gegenüber sollte es weniger gelten ? Wer würde es wagen, seinen Vater, seine Mutter, seinen Lehrer oder Pfarrer immer so zu rufen, wie Gott millionenfach zu Unrecht gerufen wird ? Und wer würde sich das gar von seinem eigenen Namen gefallen lassen ? Darum haben wir immer und immer wieder das 1. Gebot den Kindern ins Gewissen zu schieben, damit die Befolgung des 2. Gebotes ihnen zur Selbstverständlichkeit wird.

2. Gebot.

25

Wer Gott wirklich „über alle Dinge fürchtet, -liebt und vertraut", dem wird das Wort „ G o t t " so schwer und gewaltig und groß und heilig werden, daß er es niemals wieder, ohne wirklich an diesen Gott zu denken, über die Lippen bringen kann. Damit aber sind schon die Töne angeschlagen, die sich im zweiten Teil der Erklärung zu den jubelnd frommen Akkorden steigern; „sondern denselben in allen Nöten anrufen, beten, loben und danken". Luther folgert für sich im GK. diesen positiven Teil aus dem Wortlaut des Verbots auf Grund folgender Überlegung: „Darum schließt sich's nun selbst: Weil hier verboten ist, den heiligen Namen zur Lüge oder Untugend zu führen, daß wiederum geboten ist, ihn zur Wahrheit und allem Guten zu brauchen, als nämlich, so man recht schwört, wo es not ist und gefordert wird. Also auch, wenn man recht lehrt; ebenso, wenn man den Namen anruft in Nöten, lobt und dankt im Guten usw. Welches alles zuhauf gefaßt und geboten ist in dem Spruch Ps. 50: ,Rufe mich an zur Zeit der Not, so will ich dich erretten, so sollst du mich preisen!'" In unserem Unterricht werden wir ähnlich vorgehen können und von den Schülern alle die Fälle nennen lassen, wo wir selbstverständlicherweise und mit Recht Gottes Namen im Munde führen, um ihn dabei „seliglich" zu gebrauchen und zu heiligen, „wie das Vaterunser betet". Man wird gerade auf diesen zweiten Teil der Erklärung allen Nachdruck legen müssen, ohne deswegen hier unter allen Unständen eine ausführliche „Lehre vom Gebet" den Kinderfl. vorzusetzen. Vom Gebet ist ja nicht nur an dieser Stelle, sondern immer wieder bei allen Gelegenheiten zu sprechen, und wichtiger als alles Sprechen über das Gebet ist das Beten (und Singen!) selbst und alles, was sonst zur Geb e t s e r z i e h u n g und Gebetsgewöhnung gehört, so z. B. auch das, was Luther uns im GK. am Schluß der Erklärung noch vorhält: „Dazu dient auch, daß man sich gewöhne, täglich sich Gott zu befehlen mit Seele und Leib, Weib, Kind, Gesinde Und was wir haben für alle zufällige Not; daher auch das Benedicite, Gratias und andere Segen abends und morgens gekommen und geblieben sind. Ebenso die Kinderübung, daß man sich segne, wenn man etwas Ungeheures und Schreckliches sieht oder hört, und spreche: ,Herr Gott, behüte!', ,Hilf, lieber Herr Christel' oder dergleichen. Also auch wiederum, wenn jemand etwas Gutes unerwartet widerfährt, wie gering es auch ist, daß man spreche: ,Gott sei gelobt und gedankt!' oder ,Das hat mir Gott beschert' usw." Dabei vergesse man nicht, daß Luther „das

26

1. Hauptatück: Wie lebt ein Christ ?

Benedicite, Gratias und andere Segen abends und morgens" in feiner Verdeutschung als Morgen-, A b e n d - u n d T i s c h g e b e t e seinem KK. beigegeben hat, nicht als veraltete Kuiiosa, sondern im Interesse der Erhaltung der G e b e t s s i t t e zum Lernen und Gebrauchen in Schule und Haus für jedes neu heranwachsende Geschlecht. J a man gehe ruhig noch einen Schritt weiter und wende Luthers Mahnung zur r e c h t e n G e w ö h n u n g auch auf den e r s t e n Teil d e r G e b o t s e r k l ä r u n g an, nicht nur „daß man dia Kinder beizeiten angewöhne mit Warnen und Schrecken, Wehren und Strafen, daß sie sich scheuen vor Lügen und sonderlich Gottes Namen dazu führen", sondern auch, daß man sie lehre und anhalte sich vorzunehmen, ü b e r h a u p t n i c h t d a s Wort ¡„Gott" a u s z u s p r e c h e n , o h n e , wie wir oben sagten, d a b e i w i r k l i c h a n G o t t zu d e n k e n , UDd deshalb lieber statt der weit verbreiteten Ausrufe „Ach Gott", „Herr Gott", „Herr Jesses" usw. sich andere harmlose Äußerungen des nun einmal nicht von allen Menschen unterdrückbaren Unmuts anzugewöhnen wie etwa „Ach du liebe Zeit", „ 0 weh", „ 0 Schreck", „Zum Kuckuk noch einmal" und was dergleichen Möglichkeiten mehr sind. Hier ist im kleinen an einer wichtigen Stelle der Platz, die Bedeutung des rechten, ernst und genau gefaßten V o r s a t z e s erzieherisch auszuwerten. Man nehme diese Dinge nicht'zu leicht, „denn wo man sie so läßt hingehen, wird nichts Gutes daraus". Und vor allem überwache der L e h r e r sich s e l b s t auf das gewissenhafteste, damit ihm nicht i n irgendeiner Erregung ein Ausdruck entfährt, der all seine Belehrungen und schönen Beden über das 2. Gebot Lügen straft. Das gute Vorbild ist hier wie überall die Hauptsache! Und noch eine andere Sache mag hier anhangsweise besprochen werden, die ebenfalls Luther im GK. besonders beschäftigt hat. Es ist die Frage nach der Berechtigung oder Nichtberechtigung des S c h w ö r e n s , die um so eher auch in unserem Unterricht auftauchen wird, als infolge des oben erwähnten Bedeutungswandels von „schwören" die Katechismusschüler von sich aus meinen müssen, auch im Katechismus sei — wie in der Bergpredigt — das Schwören überhaupt verboten, bis sie erkennen, daß danebep durch die Worte „im Namen Gottes . . . lügen und trügen" lediglich der Falscheid verdammt wird. Wie aber sollen sie sich's dann zusammenreimen, daß in der Berg* p r e d i g t der E i d v e r b o t e n w i r d , im K K . a b e r nicht?*) *) Zum folgenden vgl. auch mein Buch: „Die Beigpredigt und die Gleichnisse im Unterricht" (Töpelmann, Berlin 1939) zu Matth. 6, 33—37, S. 36ff.

2. Gebot.

27

Luther hat sich selbstverständlich mit der Frage nach der Berechtigung des Eides, „damit sich viel Lehrer bekümmert haben", auch gebührend auseinandergesetzt, nur lautet sie für ihn so: „Warum im E v a n g e l i u m v e r b o t e n i s t zu schwören, so doch Christus, S t . P a u l u s und andere Heiligen oft geschworen haben ?" Seine Meinung ist „kürzlich diese": „Schwören soll man nicht zum Bösen, das ist, zur Lüge und wo es nicht not noch nütz ist, aber zum Guten und des N ä c h s t e n B e s s e r u n g soll man schwören. Denn es ist «in r e c h t gut Werk, dadurch G o t t gepriesen, die Wahrheit und R e c h t bestätigt, die Lüge zurückgeschlagen, die Leute zufrieden gebracht, Gehorsam geleistet und Hader vertragen wird; denn Gott kommt selbst da ins Mittel und scheidet Recht und Unrecht, Böses und Gutes voneinander." Für Luther ist also — neben dem „Lügen und Trügen" beim Namen Gottes — lediglich das unnütze und unnötige alltägliche Schwören Mißbrauch des Namen Gottes — wie letzten Endes ja auch für Jesus in der Bergpredigt! — nicht aber das pflichtmäßige, infolge der Schlechtigkeit und Sünde der Welt leider- immer noch bestehende und notwendige Schwören vor G e r i c h t , das für ihn sogar G o t t e s d i e n s t ist, weil es im Zeichen der E h r e G o t t e s und der B e s s e r u n g des N ä c h s t e n steht. Luther macht somit hier in tiefster Sinnerfassung der Botschaft J e s u ganz Ernst mit dem Doppelgebot der Gottes- und Nächstenliebe und stellt dies positiv-freie evangelische Prinzip über jede engherzige Gesetzlichkeit, die aus Jesu Sorge um Gottes Ehre toten Buchstabendienst machen möchte. Das werden auch die Kinder in unserem Unterricht begreifen, daß auf solche Weise Jesu eigentliches Anliegen in der Bergpredigt nicht umgebogen und nicht verdunkelt wird, weil er sich ja selbst dort gerade der menschlich-schlauen, Gott raffiniert aus dem Wege gehen wollenden, jüdischgesetzlichen Kasuistik entgegenstemmte, um zu-zeigen, daß man Gott nirgendwo und niemals entgehen kann. Und deshalb bleibt für uns die k l a r e F o r d e r u n g an unsere S c h ü l e r die: Im Alltagsleben die Wahrheit gesagt — J a = J a und Nein = Nein — und Gottes heiligen Namen aus dem Spiel gelassen, wo er nicht hingehört; wo es aber im Dienst der Wahrheit, des Rechts und des Friedens unter den Menschen „not ist und gefordert wird" (s. o. S. 25) zu schwören, da ruhig und fromm geschworen als Christ, der seinem Gott und seinem Heiland auch damit die Ehre geben und dienen und gehorsam sein will. Das Bekanntmachen mit der bei uns üblichen gerichtlichen Schwurformel wird dabei ebenso am Platze sein wie der Hinweis darauf, daß — end-

28

1. Hauptstück: Wie lebt ein Christ?

lieh und ganz im Sinn des 2. Gebots! — für ungläubige Menschen, denen der-Name Gottes doch nichts mehr bedeutet, eine zweite, nichtreligiöse Eidesformel eingeführt ist. (Wir haben vor Gericht jetzt nur noch den „Nacheid". Vor der Vernehmung weist der Kichter auf die Bedeutung des Eides hin. Nach erfolgter Aussage spricht er zunächst die „Eidesnorm" vor: „Sie schwören bei Gott, dem Allmächtigen und Allwissenden, daß Sie nach bestem Wissen die reine Wahrheit gesagt und nichts verschwiegen haben." Dann fordert er den zu Vereidigenden auf, die rechte Hand zu erheben und die „Eidesformel" nachzusprechen: „Ich schwöre es, so wahr mir Gott helfe." Dies ist der religiöse Eid. Wer in nichtreligiöser Form schwören will, muß das vorher erklären. Beim nichtreligiösen Eid bleiben in der Eidesnorm die Worte „bei Gott, dem Allmächtigen und Allwissenden" und in der Eidesformel der Zusatz „so wahr mir Gott helfe" fort. Beide Vereidigungsarten sind erst vom vollendeten 16. Lebensjahr ab möglich. Geistliche können in Ansehung dessen, was ihnen bei der Ausübung der Seelsorge anvertraut ist, die Aussage verweigern. Mennoniten und Quäker dürfen an Stelle des Eides die bei ihnen übliche Beteuerungsformel benutzen.) Daß im übrigen jeder Eid vor Gericht in christlicher Beurteilung ein Notbehelf ist, bleibt für jeden Christen dabei selbstverständlich. Im persönlichen Verkehr unter wahrhaftigen Christen hat der Eid keinen Platz. Damit ist auch hier das Wichtigste zum Sachverständnis und über, die Behandlungsmöglichkeiten des 2. Gebotes samt seiner Erklärung gesagt. Über die rein a l t t e s t a m e n t l i c h e Bedeutung des Gebots und die jüdisch-ängstliche Befolgung des Verbots (Nichtaussprechen des Gottesnamens „Jahve" = Jehova, Ersatz des Wortes „Gott" durch „Herr", „Himmel" u. dgl. bis in die Evangelien hinein, wo z. T. „Himmelreich" für „Gottesherrschaft" steht), kann man sich natürlich auch bei passender Gelegenheit vor interessierten Schülern verbreiten, nur ist das auch hier — wie beim 1. Gebot — nicht die Hauptsache und meistens wohl durch die Besprechung von Jesu Urteil über die Ausfluchtversuohe beim Schwören (s. o. Bergpredigt!) schon teilweise miterledigt. U n t e r r i c h t l i c h empfiehlt es sich, bei "diesem und den folgenden Geboten die S t o f f e r a r b e i t u n g für die negativ und positiv gefaßten Gebotserklärungen mit Hilfe der zweigeteilten W a n d t a f e l vorzunehmen, dabei zunächst das gesamte von den Schülern beigebrachte Material in Stichworten anzuschreiben, um zuletzt zu zeigen bzw.

3. Gebot.

finden zu lassen, wie Luthers Erklärungen nichts anderes sind als besonders treffende Zusammenfassungen unserer unterrichtlichen Ergebnisse. 3. Gebot. Den Übergang vom 2. zum 3. Gebot kann man, sofern man in dieser Reihenfolge vorgeht, herstellen entweder entsprechend dem oben auf Seite 14 angegebenen Schema: Herz — Wort — Tat, indem man die Frage nach dem rechten Tun zur Ehre Gottes stellen läßt und diese Frage zunächst im Sinn rechter Feiertagsheiligung (als Grundlage aller Lebensheiligung) zu beantworten unternimmt; oder indem man einfacher von der positiven Hälfte der 2. Gebotserklärimg her auf diejenigen Tage deutet, an denen das „Beten, Loben und Danken" nach altchristlichem Brauch in ganz besonderem Maße seine Stätte hat. Was dann die Frage der F e i e r t a g s h e i l i g u n g selbst betrifft, so hat Luther den gesamten mit diesem Ausdruck umschriebenen Problemkreis in seinem GK. so grundlegend behandelt und aufgehellt, daß wir nur seine dort gewiesenen Wege zu gehen brauchen, um auch in unserem Unterricht zum rechten Ziele zu gelangen. 1. Luther geht aus von der Worterklärung F e i e r t a g = R u h e t a g entsprechend dem verwandten deutschen Wort „Feierabend" und dem ursprünglich im Gebot stehenden jüdischen Wort „Sabbat" = Feiertag, Ruhetag. 2. Im Blick auf diesen a l t t e s t a m e n t l i c h e n S a b b a t und seine Einsetzung erklärt er dann: „Darum geht nun dies Gebot nach dem groben Verstand jins Christen n i c h t s an, denn es ein ganz äußerlich Ding ist, wie ändere Satzungen des Alten Testaments an sonderliche Weise, Person, Zeit und Stätte gebunden, welche nun durch Christum alle freigelassen sind." 3. In Fortsetzung des hier zuletzt angeschlagenen Gedankens von der „Freiheit eines Christenmenschen" sagt er dann weiterhin, „daß wir Feiertage halten nicht um der verständigen und gelehrten Christen willen, denn diese bedürfen's nirgend zu", „und zwar" — wie es später heißt — weil wir Christen eigentlich „sollen immerdar solchen F e i e r t a g halten, eitel heilig Ding treiben, das ist, täglich mit Gottes Wort umgehen und solches im Herzen und Mund umtragen".

30

1. Hauptstiick: Wie lebt ein Christ?

4. „Aber einen c h r i s t l i c h e n V e r s t a n d zu fassen für die Einfältigen, was Gott in diesem Gebot von uns fordert, so merke, daß wir Feiertage halten . . . e r s t l i c h a u c h u m l e i b l i c h e r U r s a c h u n d N o t d u r f t w i l l e n , welche die N a t u r (!) lehrt und fordert, für den gemeinen Haufen, Knechte und Mägde, so die ganze Woche ihrer Arbeit und Gewerbe gewartet, daß sie sich auch einen Tag einziehen, zu r u h e n und sich zu erquicken"; 5. „ d a n a c h allermeist darum, daß man an solchem Ruhetage (weil m a n s o n s t n i c h t d a z u k o m m e n k a n n ) Baum und Zeit nehme, des G o t t e s d i e n s t e s zu warten, also daß man zuhaufe komme, Gottes Wort zu hören und handeln, danach Gbtt loben, singen und beten". 6. Auch hier wird nochmals jede statutarisch-gesetzliche Auffassung als falsch und unter christlich abgewiesen: „ „Solches aber, (sage ich) -ist n i c h t a l s o a n Z e i t g e b u n d e n wie b e i d e n J u d e n , d a ß es müsse eben dieser oder jener Tag sein, denn es ist keiner an ihm selbst besser denn der andere." Allein die R ü c k s i c h t auf den „Haufen" und auf das H e r k o m m e n , d . h . auf die nun einmal im Christentum geltende S o n n t a g s s i t t e läßt an der Wahl des Sonntags festhalten. 7. C h r i s t l i c h e I n h a l t s f ü l l u n g eipes solchen Feiertags ist dann „das Predigtamt um des jungen Volks und armen Haufens willen; doch daß das Feiern nicht so enge gespannt werde, daß darum andere zufällige Arbeit (!), so man nicht umgehen kann, verboten wäre". 8. Der nächste Absatz des GK. bringt nach dieser allgemeinen Grundlegung und' Klarstellung eine weitere Steigerung durch die persönlich zugespitzte Frage, was es heißt: „Du sollst den Feiertag h e i l i g e n . " Luther schenkt uns hier jene wundervolle auf das „ D u " u n d auf das „ h e i l i g e n " abzielende Doppelantwort: „Den Feiertag heiligen heißt soviel als heilig halten. Was ist denn h e i l i g h a l t e n ? Nichts anderes, denn heilige Worte, Werke und Leben führen. Denn der Tag bedarf für sich selbst keines Heiligens nicht, denn er ist an ihm selbst heilig geschaffen; G o t t w i l l a b e r h a b e n , d a ß e r d i r h e i l i g sei. Also wird er d e i n e t h a l b e n heilig und unheilig, so d u heilig oder unheilig Ding daran treibst." 9. Sodann aber zeigt Luther in köstlichem Bilde, daß es zu solchem „ h e i l i g e n " nicht genüge, „daß man hinter dem Ofen sitze und keine grobe Arbeit tue, oder einen Kranz aufsetze und seine besten Kleider anziehe, sondern daß man G o t t e s W o r t handle und sich darin übe" „Denn feiern und müßig gehen können die XJnchristen auch wohl/® So wird G o t t e s W o r t die Größe, die den Feiertag überhaupt erst

3. Gebot.

31

zum christlichen Feiertag macht, oder anders ausgedrückt, durch die der christliche Feiertag ein heiliger Tag wird. „Denn das Wort Gottes ist das Heiligtum über alle Heiligtümer, ja das einzige, das wir Christen wissen und haben . . . Welche Stunde man nun Gottes Wort handelt, predigt, hört, liest oder bedenkt, so wird dadurch Person, Tag und Werk geheiligt, nicht des äußerlichen. Werks halben, sondern des Worts halben, so uns alle zu Heiligen macht." „Darum merke, daß die K r a f t und Macht dieses Gebots steht nicht im Feiern, sondern im Heiligen, also daß dieser Tag eine sonderliche heilige Übung habe. Denn andere Arbeit und Geschäfte heißen eigentlich nicht heilige Übungen, es sei denn der Mensch zuvor heilig. Hier aber muß ein solch Werk geschehen, dadurch ein Mensch selbst heilig werde, welches allein durch Gottes Wort geschieht, dazu denn gestiftet und geordnet sind Stätte, Zeit, Personen und der ganze äußerliche Gottesdienst, daß solches auch öffentlich im Schwang gehe." 10. Aus dieser Bestimmung christlicher Feiertagsheiligung ejrgibt sich dann auch, was als Übertretung des Gebots angesprochen werden muß. Luther zählt im GK. drei Gruppen von Leuten a u f , die „wider dies. Gebot sündigen": a) „Solche, die den Feiertag gröblich mißbrauchen und verunheiligen, als die um ihres Geizes oder Leichtfertigkeit willen Gottes Wort nachlassen zu hören, oder in Tabernen.(= Trinkstuben) liegen, toll und voll sind wie die Säue." b) „Der andere Haufe, so Gottes Wort hören als einen Tand und nur aus G&wohnheit zur Predigt und wieder herausgehen, und wenn das Jahr um ist, können sie heuer soviel als fern (= Vorm Jahr)." _c) „Die ekeln Geister, welche, wenn sie eine Predigt oder zwei gehört haben, sind" sie es s a t t und überdrüssig, als die es selbst wohl können und keines Meisters mehr bedürfen." Alle vorstehend aufgezählten Gesichtspunkte haben denn auch in unserem Unterricht zur Sprache zu kommen, um der Zusammenfassung des Ergebnisses in der Erklärung des KK. zuzusteuern. Wir Verden also zu handeln haben von dem Gegensatz zwischen jüdischer Sabbatfeier und christlicher Sonntags- bzw. Feiertagsheiligung; von •der unserer menschlichen „Natur" entsprechenden Notwendigkeit regelmäßiger Ruhetage und Feierstunden (nicht nur „für den gemeinen Haufen"!); von der christlichen Freiheit und von der Einordnung in christliche Sitte; von dem Unterschied zwischen bloßer Sonntagsruhe und christlicher Heiligung der Buhetage; von der zentralen Be-

32

1.-Hauptstück: Wie lebt ein Christ?

deutung des Wortes Gottes für all unser Leben (Matth. 4,4: „Der Mensch lebt nicht vom Brot allein, sondern von einem jeglichen Wort, das durch den Mund Gottes geht"). Hinzufügen kann man außerdem die Betrachtung von J e s u Stellung zum Sabbat Markus 2, 27f.: „Der Sabbat ist um des Menschen willen gemacht und nicht der Mensch um des Sabbats willen; so ist des Menschen Sohn ein Herr auch des Sabbats" und die sonstigen Äußerungen und Mahnungen der B i b e l über gottesdienstliche Feierstunden wie Psalm 26, 8: „Herr, ich habe lieb die Stätte deines Hauses und den Ort, da deine Ehre wohnet"; Matthäus 18, 20: ,,Wo zwei oder drei versammelt sind in meinem Namen, da bin ich mitten unter ihnen"; Kolosser 3, 16: „Lasset das Wort Christi unter euch reichlich wohnen in aller Weisheit; lehret und vermahnet euch selbst mit Psalmen und Lobgesängen und geistlichen, lieblichen Liedern und singet dem Herrn in eurem Herzen!"; Hebräer 10,25: „Wollet nicht verlassen unsere Versammlung, wie etliche pflegen, sondern einander ermahnen!"' Bei Begründung des heiligen Ruhetages aus dem Schluß der Schöpfungsgeschichte I. Mose 2, 2f. wird man die dort vorhandene naive Gottesvorstellung durch Lesen von J e s a j a 40,28: „Der Herr, der ewige Gott, der die Enden der Erde geschaffen hat, wird nicht müde noch matt" und von J o hannes 5 , 1 7 : „Mein Vater wirket bisher, und ich wirke auch" berichtigen. Auch die Tatsache und soziale Bedeutung des staatlichen Sonntagsschutzes darf man nicht zu würdigen unterlassen, ebensowenig an der vielfach anzutreffenden Rücksichtslosigkeit gegen die gottesdienstlichen Zeiten vorübergehen. Daneben werden diejenigen B e r u f e nicht unerwähnt bleiben, die im Dienste der andern regelmäßig oder häufig keine S o n n t a g s r u h e haben können: Die Hausfrauen und Hausmädchen, die Geistlichen samt Kirchendienern und Organisten, die Angestellten der Eisenbahn und anderer Verkehrsgesellschaften, die Arbeiter der Wasser-, Gagund Elektrizitätswerke, die Angehörigen der Gaststätten, die Polizei, die Schwestern, Pfleger und Ärzte usw. Selbstverständlich müssen neben dem Sonntag („Sonnentag", „Tag des Herrn") auch die übrigen F e i e r t a g e des Kirchenjahres Erwähnung und Erklärung finden, dazu die S o n n t a g s b r ä u c h e und F e s t « t a g s s i t t e n . In welchem Umfang das K i r c h e n j a h r selbst an dieser Stelle behandelt werden soll, ergibt sich aus der persönlichen Stoffverteilung. Jedenfalls kann es nicht oft genug in seinem tiefen Sinn den Kindern vor Augen geführt werden (vgl. Anhang 1: Die zeichne»

4. Gebot.

33

rische Darstellung des Kirchenjahres). Auch vom heimatlichen Gott e s h a u s und von der dort üblichen G o t t e s d i e n s t o r d n u n g wird man beim 3. Gebot, besonders natürlich in der Konfirmandenstunde, zu reden haben, und unser liebes, teures G e s a n g b u c h wird bei all diesen Besprechungen der treue Weggefährte und der unermüdliche Kantor unserer Kinder sein und bleiben. Schließlich wird man, wieder mit dem Gesangbuch in der Hand, die Sonn- und Feiertage auch abgesehen vom Gottesdienst als Tage der G o t t e s f r e u d e und der G o t t e s e h r e — und dazu gehört auch die N ä c h s t e n l i e b e ! — zu erfassen und zu erfüllen lehren. Dabei kann man die feinen L u d w i g - R i c h t e r - B i l d e r „Der Sonntag" betrachten und besprechen. Ü b e r g a n g von der e r s t e n zur zweiten „ T a f e l " . GK.: „ B i s h e r h a b e n wir die e r s t e n drei G e b o t e gelernt, d i e d a gegen G o t t g e r i c h t e t sind. Zum ersten, daß man ihm von ganzem Herzen vertraue, ihn fürchte und liebe in all unserm Leben. Zum andern, daß man seines heiligen Namens nicht mißbrauche zur Lüge noch einigem bösen Stücke, sondern zu Gottes Lob, Nutz und Seligkeit des Nächsten und seiner selbst. Zum dritten, daß man an der Feier und Ruhe Gottes Wort mit Fleiß handle und treibe, auf daß all unser Tun und Leben danach gehe. F o l g e n nun die a n d e r n s i e b e n , gegen u n s e r n N ä c h s t e n g e s t e l l t , unter welchen das erste und höchste ist: Du sollst deinen Vater und deine Mutter ehren." 4, Gebot. Besieht man sich den vorstehenden Schlußsatz von Luthers Überleitung zum 4. Gebot, so liegt es nahe, für die eigene Unterrichtsgestaltung diesen Gedanken so fruchtbar zu machen, daß man vom Begriff des N ä c h s t e n ausgehend die Kinder ihre Eltern sowohl verwandtschaftlich wie zeitlich-räumlich (im Blick auf das tägliche Zusammensein von Mutterleibe an) als die a l l e r n ä c h s t e n Nächsten nennen läßt. Sie stünden damit vor allen anderen Nächsten, und das 4. Gebot wäre solchermaßen mit Recht „das erste" von den „andern sieben, gegen unserfi Nächsten gestellt". Luther geht in der anschließenden Erklärung seines GK. jedoch von dem anderen Gedanken aus, wonach das 4. Gebot nicht nur das „erste", sondern auch das „ h ö c h s t e " a l l e r f o l g e n d e n G e b o t e ist. Er sieht die Eltern nicht so sehr zwischen uns und" den anderen Näch3 Wißmann, Katechismusunterlicht.

34

1. Hauptstück: Wie lebt ein Christ?

sten stellen, als vielmehr zwischen uns und Gott. Er schaut auf den „Vater- und Mutterstand" als S t a n d (s. o. S. 10.) und erkennt hier den allerhöchsten und allerehrenwertesten Stand dieser Welt „vor allen Ständen, die unter ihm sind", weil die „ E l t e r n an Gottes S t a t t " stehen und damit G o t t e s S t e l l v e r t r e t e r sind. „Denn Gott hat diesen Stand obenan gesetzt, ja, an seine Statt auf Erden gestellt." Auf diese Weise ist die doppelte Brüoke geschlagen, nicht nur zum 5.—10., sondern auch zum 1.—3. Gebot hin. Außerdem aber ist die Grundlage für die Erkenntnis dessen geschaffen, was als Hauptforderung des 4. Gebots vor uns und unseren Schülern steht, für das Verständnis des E h r e n s . In einzigartiger Schönheit schildert Luther in den Eingangssätzen seiner GK.-Erklärung dieses Dem-Elternstandseine-Ehre-geben im Unterschied von dem bloßen Lieben, das wir allen Menschen schuldig sind. „Denn gegen Brüder, Schwestern und den Nächsten insgemein befiehlt er nichts Höheres, denn sie zu lieben, also daß er Vater und Mutter scheidet und auszieht (=? ausnimmt) vor allen andern Personen auf Erden und neben sich setzt. D e n n es i s t viel ein höher Ding ehren denn l i e b e n , als das nicht allein die Liebe begreift, sondern auch eine Z u c h t , Demut und S c h e u , als gegen eine M a j e s t ä t , allda verborgen . . . Also daß man dem jungen Volk einbilde, ihre Eltern an Gottes Statt vor Augen zu halten und also zu denken, ob sie gleich gering, arm, gebrechlich und wunderlich seien, daß sie dennoch Vater und Mutter sind, von Gott gegeben. Des Wandels oder Fehls halben sind sie der Ehre nicht beraubt. Darum ist nicht anzusehen die Person, wie sie sind, sondern G o t t e s W i l l e , der es also s c h a f f t und o r d n e t . " So sind die Eltern, wie Luther im Hauptstück „Von der Taufe" im GK. nochmals ausführt, „geschmückt und angezogen mit der Majestät und Herrlichkeit Gottes. Das Gebot ist die güldene Kette, so er ( = Vater oder Mutter) am Halse trägt, ja die Krone auf seinem Haupt, die mir anzeigt, wie und warum man dies Fleisch und Blut ehren soll." Aus dieser Grunderkenntnis des gottgeordneten Elternstandes und der diesem Gottesstand gebührenden Ehre ergibt sich die dreifache Folgerung, diese Erkenntnis Wirklichkeit und Leben sein zu lassen in Gedanken, W o r t e n und W e r k e n : „So lerne nun zum ersten, was die Ehre gegen die Eltern heiße, in diesem Gebot gefordert, nämlich daß man sie vor allen Dingen herrlich und'wert h a l t e als den höchsten S_chatz auf Erden. Danach auch mit Worten sich züchtig gegen sie stelle, sie nicht übel anfahre, noch mit ihnen' poche noch

4. Gebot.

35

poltere, sondern lasse sie recht haben und schweige, ob sie gleich zuviel tun. Zum dritten auch mit Werken, das ist, mit Leib und Glut solche Ehre beweise, daß man ihnen diene, helfe und sie versorge, wenn sie alt, krank, gebrechlich oder arm sind, und solches alles nicht allein gern, sondern mit Demut und Ehrerbietung, als vor G o t t getan. Denn wer das weiß, wie er sie im Herzen halten soll, wird sie nicht lassen Not noch Hunger leiden, sondern über und neben sich setzen und ihnen mitteilen, was er hat und vermag." Die Gesinnung und die Verantwortung vof G o t t (1. Gebot!) ist auch hier damit Anfangs- und Endpunkt zugleich. Aus der oben entwickelten Grunderkenntnis ergibt sich sodann die weitere Einsicht?, daß E l t e r n d i e n s t = G o t t e s d i e n s t ist, und zwar der allererste und allereinfachste Gottesdienst auf dieser Welt. „Darum laßt uns einmal lernen um Gottes willen, daß das junge Volk, alle andern Dinge aus den Augen gesetzt, erstlich auf dies Gebot sehe, wenn sie Gott mit rechten guten Werken dienen wollen, daß sie tun, was Vater und Mutter, oder denen sie an ihrer Statt Untertan sind, heb ist." Außerdem ist dieser Elterndienst aber auch das beste und nächstliegendste gute Werk (s. o. S. 9 Punkt 3), das ich meinem Gott zu Ehren auf dieser- Erde tun kann. Ich brauche dazu weder ins Kloster zu gehen ('s. GK.!) noch mir andere große Sonderleistungen auszudenken (Matthäus 15, 1—9), sondern: „Soll ich gute und heilige Werke tun, so weiß ich je kein besseres, denn meinen Eltern alle Ehre und Gehorsam zu leisten, weil es Gott selbst geheißen hat; denn was Gott gebietet, muß viel und weit edler sein denn alles, was wir selbst mögen erdenken." Mit alledem ist wohl klar geworden, daß für Luther die Hauptsache und das Entscheidende beim 4. Gebot jene Grunderkenntnis von dem gottgeschaffenen Elternstand und der diesem Stand um Gottes willen gebührenden Ehre gewesen ist. Erst nach den breiten Ausführungen des GK. über diese Gottespflicht der Kinder erscheint als zweiter Beweggrund für rechtes Verhalten gegen die Eltern das Motiv der Dankb a r k e i t . „Dazu sind wir's ja auch schuldig vor der Welt, daß wir der Wohltat und allem Guten, so wir von den Eltern haben, dankbar seien." Auch dazu treibt uns Gottes Gebot, „daß ein jeglicher denke, was ihm die Eltern getan haben; so findet er, daß er Leib und Leben von ihnen, habe, dazu auch ernährt und aufgezogen sei, da er sonst hundertmal in seinem Unflat erstickt wäre . . . Wer das ansieht und 3«

36

1. Hauptstück: Wie lebt ein Christ?

bedenkt, der wird wohl angetrieben seinen Eltern alle Ehre tun und sie auf den Händen tragen, als durch die ihm Gott alles Gute getan hat." Ein dritter Anreiz, die Eltern zu ehren, ist für Luther im GK. die dem Gebot zugefügte „leibliche V e r h e i ß u n g " : „Auf daß du langes Leben habest im Lande, da du wohnest." Luther hat dieser Verheißung gegenüber nicht die Schwierigkeiten empfunden wie gar mancher unter uns, auch wenn er sie nicht von sich aus in den KK: aufgenommen hat. (Erst von 1540 ab wird sie dort von den Buchmachern mitgedruckt.) Er hat vielmehr aus dieser Verheißung die bedeutsamste Unterstreichung der W i c h t i g k e i t des Gebotes herausgelesen: „Da siehe selbst, wie großer Ernst es Gott sei über diesem Gebot, weil er nicht allein ausdrückt, daß es ihm angenehm sei, und daß er Freude und Lust darin habe, sondern daß es solle auch uns wohlgeraten und zum Besten gedeihen, daß wir ein sanftes, süßes Leben mögen haben mit allem Guten." Für die u n t e r r i c h t l i c h e B e h a n d l u n g werden wir uns diese Beurteilung der Verheißung durch Luther sehr genau merken, außerdem aber folgende Gesichtspunkte besonders beachten. Zunächst werden wir unseren Kindern zeigen, daß der alttestamentliche Zusatz: „Auf daß dir's wohlgehe und du lange lebest in dem Lande, das dir der Herr, dein Gott, gibt" (2. Mose 20 und 5. Mose 5) sich ursprünglich auf das ganze Volk Israel bezog und nicht auf den Einzelnen. Zweitens werden wir unsere Schüler darauf aufmerksam öiachen, daß Luther in seiner Erklärung des KK. die Verheißung mit keinem Wort erwähnt, ihr also — wir wissen: im Gegensatz zum GK.! — hier keinerlei entscheidende Bedeutung zumißt. Drittens werden wir grundsätzlich sagen müssen, daß das jüdische Schema: „Dem Guten geht es gut und dem Schlechten schlecht" äußerlich verstanden unterchristlich ist und von dem Buch Hiob, von Jesus und Paulus Lügen gestraft wird. Nur i n n e r e s Lebensglück und der Sonnenschein eines friedevollen, glücklichen Familienlebens kann allgemein als Segen der Gebotserfüllung verheißen werden, so etwa, wie es in dem Liede heißt: ,,Wohl solchem Haus, denn es gedeiht, die Eltern werden hoch erfreut, und ihren Kindern sieht man's an, wie Gott die Seinen segnen kann." (v. Pfeil.) Bleibt also nur noch übrig, von den „Herren" des KK. zu sprechen oder, wie es im GK. heißt, „von allerlei Gehorsam gegen Ober-

4. Gebot.

37

personen, die zu gebieten und zu regieren haben". Auch hier gibt der GK. die besten unterrichtlichen Hilfen ab. „Denn aus der Eltern Obrigkeit fließt und breitet sich aus alle andere. Denn wo ein Vater nicht allein vermag sein Kind aufzuziehen, nimmt er einen Schulmeister dazu, der es lehre; ist er zu schwach, so nimmt er seine Freunde oder Nachbarn zu Hilfe; geht er ab ( = stirbt er), so befiehlt er und übergibt das Regiment und Oberhand andern, die man dazu ordnet. Ebenso muß er auch Gesinde, Knechte und Mägde zum Hausregiment unter sich haben, also daß alle, die man Herren h e i ß t , an der E l t e r n S t a t t sind und von ihnen Kraft und Macht zu'regieren nehmen messen." „Was nun ein Kind Vater und Mutter schuldig ist, sind auch schuldig alle, die ins Hausregiment gefaßt sind", ebenso alle weltlichen Untertanen der weltlichen Obrigkeit und alle Christen der geistlichen." Was Luther in den letzten Absätzen des GK. dann noch über das Amt der Eltern und ihrer Stellvertreter schreibt, gehört nicht in den Unterricht vor Kindern; um so wichtiger ist es für alle Väter und Mütter und Erzieher, jene beherzigenswerten Mahnungen durchzulesen und zu befolgen. Mit den Kindern wird man statt dessen die dem KK. beigebundene H a u s t a f e l vornehmen und ihnen dort zeigen, wie aller Evangelischen Leben sich in diesen „heiligen Orden und Ständen" zu bewähren und zu erfüllen hat (s. o. S. 10 Punkt 4). Alles andere, was über die im GK. gezogenen Grundlinien hinaus unterrichtlich noch zu erarbeiten und zu ergänzen ist, ergibt sich in einem recht gefügten Unterricht auf diesem Hintergrund von selbst: Die Einzelausmalung dessen, was über das Wie des „Nicht-Verachtens noch Erzürnens" und über das Wie des „In-Ehren-Haltens, Dienens, Gehorchens, Lieb-und-wert-Haltens" zu sagen ist; das Heranziehen b i b l i s c h e r B e i s p i e l e (negative: Jakob: I. Mose 27; Absalom: II. Sam. 15; positive: Ruth: Ruth 1; Tobias: Tob. 5 . 1 0 . 1 1 ; Jesus: Luk. 2, 51) und sonstiger B e g l e i t e r z ä h l u n g e n und Gedichte (s.u.); der Hinweis auf J e s u unverkürzte Wertung dieses Gebotes (Mark, 7, 9—13) und auf die Tragik seines eigenen Gott-mehr-gehorchen-Müssens (Mark. 3, 31ff.); das Berücksichtigen schwieriger F ä l l e bei durch Elternschuld traurigen häuslichen Verhältnissen; das Ins-GewissenSchieben persönlichster E i n z e l v o r s ä t z e zu einer neuen Gebotserfüllung zu Hause und — im Unterricht; der Ausblick auf die Bedeutung des 4. Gebotes für die Zukunft und Gesittung unseres Volkes u. dgl. mehr.

38

1. Hauptstück: Wie lebt ein Christ? An B e g l e i t s t o f f e n seien folgende Geschichten und Gedichte hier abgedruckt: Das Tröglein. Von Caspari.

Ein Ehepaar hatte seinen alten Vater zu versorgen und sein kleines fünfjähriges Söhnchen zu erziehen. Der Vater wurde immer schwächer, seine Hände und Knie zitterten; er hörte und sah nicht viel und hatte keine Zähne mehr. Wenn er nun bei Tisch saß, konnte er den Löffel nicht mehr recht halten, schüttete die Suppe auf das Tischtuch, und es floß ihm auch wohl wieder etwas aus dem Munde. Sein Sohn und dessen Frau ekelten sich davor, und deswegen mußte sich der alte Großvater endlich hinter den Ofen in die Ecke setzen, und sie gaben ihm sein Essen in ein irdenes Schüsselchen und noch dazu nicht einmal satt, damit er recht auf die Suppe achthaben und nichts mehr verschütten sollte. Da sah er betrübt auf den Tisch, und die Augen wurden ihm naß. Einmal konnten seine zittrigen Hände auch das Schüsselchen nicht festhalten, es fiel zur Erde und zerbrach. Die junge Frau schalt, aber er sagte nichts und seufzte nur. Der junge Mann, sein Sohn, sagte auch nichts, aber er zimmerte jetzt dem Alten einen kleinen Trog aus Holz, daraus mußte er essen. — Über eine Weile sitzt das fünfjährige Söhnlein auf der Erde, hat ein Hölzlein in der Hand und schnitzt daran mit einem Messer. „Was macht denn da mein Jaköbchen Schönes T" fragte der Vater. ,,Ein Tröglein", antwortete das Jaköbchen, „ich mache auch ein Tröglein; daraus sollen Vater und Mutter essen, wenn ich einmal groß bin." — Da sahen Mann, und Frau eine Weile sich an, fingen endlich an zu weinen, holten den Großvater wieder an ihren Tisch und ließen ihn von nun an immer mitessen, sagten auch nichts, wenn er etwas verschüttete. Rittmeister Kurzhagen. Von P u s t k u c h e n . In dem Regiment des berühmten, von Friedrich dem Großen hochgeehrten Generals von Zieten stand ein Bittmeister, mit Namen Kurzhagen. Er war klug, tapfer und hatte ein kindliches Gemüt. Seine Eltern waren arme Landleute im Mecklenburgischen. Mit dem Verdienstorden auf der Brust rückte er nach Beendigung des Siebenjährigen Krieges in Parchim ein. Die Eltern waren von ihrem Dörfchen nach der Stadt gekommen, um ihren Sohn nach Jahren wiederzusehen, und erwarteten ihn auf dem Markte. Als er sie erkannte, sprang er rasch vom Pferde und umarmte sie unter Fr£udentränen. Bald darauf mußten sie zu ihm ziehen und aßen allezeit mit an seinem Tische, auch wenn er vornehme Gäste hatte. Einst spottete ein Offizier darüber, daß Bauern bei einem Bittmeister zu Tisch säßen. „Wie, sollte ich nicht die eisten Wohltäter meines Lebens dankbar achten}" war seine Antwort; „ehe ich des Königs Rittmeister wurde, war ich ihr Kind." Der General von Zieten hörte von diesem Vorfall und bat sich selbst nach einiger Zeit mit mehreren Vornehmen bei dem Rittmeister zu Gaste. Die

4. Gebot.

39

Eltern des letzteren wünschten diesesmal selbst, nicht am Tische zu erscheinen, weil sie sioh verlegen fühlen würden. Als man sich setzen wollte, fragte der General: „Aber Kurzhagen, wo sind Ihre Eltern? Ich denke, sie essen mit Ihneii am Tische?" Der Rittmeister lächelte und wußte nicht gleich zu antworten. Da stand Zieten auf und holte die Eltern selbst herbei; sj© mußten sich rechts und linlra an seine Seite setzen, und er unterhielt sich mit ihnen aufs freundlichste. Als man anfing, Gesundheiten auszubringen, nahm er sein Glas, stand auf und sprach: „Meine Herren! Es gilt dem Wohlergehen dieser braven Eltern eines verdienstvollen Sohnes, der es beweist, daß ein dankbarer Sohn mehr wert ist als ein hochmütiger Rittmeister!" Später fand der General Gelegenheit, dem König von der kindlichen Achtung zu erzählen, welche der Rittmeister seinen Eltern erwies, und Friedrich II. freute sich sehr darüber. Als Kurzhagen einst nach Berlin gekommen war, wurde er zur königlichen Tafel gezogen. „Hör' Er, Rittmeister", fragte der König, um seine Gesinnung zu erforschen, ,,von welchem Hause stammt Er denn eigentlich ? Wer sind Seine Eltern?" — „Ew. Majestät", antwortete Kurzhagen ohne Verlegenheit, „ich stamme aus einer Bauernhütte, und meine Eltern sind Bauersleute, mit denen ich das Glück teile, das ich Ew. Majestät verdanke." — ,,So ist es recht", sagte der König erfreut; „wer seine Eltern aohtet, der ist ein ehrenwerter Mann; wer sie geringschätzt, verdient nicht geboren zu sein."

Wenn du noch eine Mutter hast. Von K a u l i s c h . Wenn du noch eine Mutter hast, so danke Gott und sei zufrieden! Nicht allen auf dem Erdenrund ist dieses hohe Glück beschieden. Wenn du noch eine Mutter hast, so sollst du sie mit Liebe pflegen, daß sie dereinst ihr müdes Haupt im Frieden kann zur Ruhe legen. Sie hat vom ersten Tage an für dich gelebt mit bangen Sorgen; sie brachte abends dich zur Ruh' und weckte küssend dich am Morgen. Und warst du krank, sie pflegte dein, den sie mit tiefem Schmerz geboren, und gaben alle dich schon auf — die Mutter gab dich nicht verloren. Sie lehrte dich manch frommen Spruch, sie lehrte dich zuerst das Reden; sie faltete die Hände dein und lehrte dich zum Vater beten. Sie lenkte deinen Kindessinn, sie wachte über deine Jugend; der Mutter danke es allein, wenn du noch gehst den Pfad der Tugend. Und hast du keine Mutter mehr, und kannst du sie nicht mehr beglücken, so kannst du doch ihr frühes Grab mit frischen Blumenkränzen schmücken. Ein Muttergrab, ein heilig Grab! Für dich die ewig heil'ge Stelle! O, wende dich an diesen Ort, wenn dich umtost des Lebens Welle!

1. Hauptstück: Wie lebt ein Christ?

0 lieb', solang du lieben kannst. Von F r e i l i g r a t h . O lieb', solang du lieben kannst, o lieh', solang du lieben magst, die Stunde kommt, die Stunde kommt, wo du an Gräbern stehst und klagst. Und sorge, daß dein Herze glüh und Liebe hegt und Liebe trägt, solang ihm noch ein andres Herz in Liebe warm entgegenschlägt. Und wer dir seine Brust erschließt, o tu ihm, was du kannst, zulieb, und mach' ihm jede Stunde froh, und mach' ihm keine Stunde trüb. Und hüte deine Zunge wohl, bald ist ein böses Wort gesagt; o Gott, es war nicht bös gemeint - der andre aber geht und klagt. O lieb', solang du lieben kannst, o lieb', solang du lieben magst, die Stunde kommt, die Stunde kommt, wo du an Gräbern stehst und klagst. Dann kniest du nieder an der Gruft und birgst die Augen trüb' und naß — sie sehn den andern nimmermehr — ins lange, feuchte Kirchhofgras. Und sprichst: „O schau auf mich herab, der hier an deinem Grabe weint; vergib, daß ich gekränkt dich hab, o Gott, es war nicht bös gemeint." E r aber sieht und hört dich nicht, kommt nicht, daß du ihn froh umfängst; der Mund, der oft dich küßte, spricht nie wieder: „Ich vergab dir längst!" Er tat's, vergab dir lange schon, doch manche heiße Träne fiel um dich und um dein herbes Wort. Doch still, er ruht, er ist am Ziel.

5. Gebot.

41

5. Gebot. Ü b e r g a n g im G K . : „Wir haben nun ausgerichtet beide geistlich und weltlich Regiment, das ist, göttlich und väterliche Obrigkeit und Gehorsam. H i e r a b e r g e h e n w i r n u n a u s u n s e r m H a u s u n t e r d i e N a c h b a r n , zu lernen, wie wir untereinander leben sollen, ein jeglicher für sich selbst gegen seinen Nächsten", und zwar, wie wir oben auf S. 15 bereits gesehen haben, zunächst im Blick auf d a s Leben unseres Nächsten. Das e r s t e , was f ü r unseren Unterricht aus der dann folgenden Erklärung des GK. maßgebend sein muß, ist die Tatsache, daß Luther das alttestainentliche Verbot s o f o r t i m S i n n d e r B e r g p r e d i g t (Matthäus 5, 21 ff.) nimmt, „da es Christus' selbst auslegt und in eine Summa faßt, nämlich d a ß m a n n i c h t t ö t e n s o l l , w e d e r m i t H a n d , H e r z e n , M u n d , Z e i c h e n , G e b ä r d e n n o c h H i l f e u n d R a t . Darum ist darin jedermann verboten, zu z ü r n e n . . . " „Denn wo Totschlag verboten ist, da ist auch alle Ursache verboten, daher Totschlag entspringen mag. Denn mancher, ob er nicht tötet, so flucht er doch und wünscht, daß, wer es sollte am Halse haben, würde nicht weit laufen. Weil nun solches jedermann von Natur anhängt und in gemeinem Brauch ist, daß keiner etwas vom andern leiden will, so will Gott die W u r z e l u n d U r s p r u n g wegräumen, durch welche das Herz wider den Nächsten erbittert wird, und uns gewöhnen, daß wir allezeit dies Gebot vor Augen haben . . . " Diese Aufdeckung der ebenso sündigen Gesinnung und der Aufweis der gleichen Verdammnis für j e d e der von Jesus in der Bergpredigt und ähnlich hier von Luther aufgezählten Handlungen und Haltungen muß auch unserem Arbeitsweg mit unseren Kindern von vornherein die Richtung weisen.*) Das z w e i t e , was Luthers Ausführungen im GK. kennzeichnet, ist der Rückgang auf die hauptsächlichsten A n l ä s s e für solch unchristliches Verhalten, wie es im 5. Gebot verurteilt wird. Mit treffsicherer Menschen- und Lebenskenntnis nennt Luther den N e i d u n d d i e F e i n d s c h a f t u n s e r e r M i t m e n s c h e n als die Quelle allen Übels: „Daß wir unter viel Leuten leben müssen, die uns Leid tun, daß wir Ursache kriegen, ihnen feind zu sein; als, wenn dein Nachbar sieht, d a ß d u besser Haus und Hof, mehr Guts und Glücks von Gott hast denn er, so verdrießt's ihn, neidet dich und redet nicht Gutes von dir.— Also kriegst du viel Feinde durch des Teufels Anreizung, die dir kein * Zum Verständnis von Matth. 5, 21 ff. vgl. auch meine „Bergpredigt" (s. o. Anm. zu S. 26) S. 27 ff.

42

1. Hauptstück: Wie lebt ein Christ?

Gutes, weder leiblich noch geistlich, gönnen. Wenn man denn solche sieht, so will unser Herz wiederum wüten und bluten und sich rächen. Da hebt sich denn wieder Fluchen und Schlagen, daraus endlich Jammer und Mord folgt." „So steht nun dies Gebot darauf, daß niemand seinen Näohsten beleidige um irgendeines bösen Stücks willen, ob er's gleich höchlich verdiente." Damit ist d r i t t e n s festgestellt, daß für Luther dies Gebot „eigentlich gegen die g e r i c h t e t " ist, „so unsere F e i n d e s i n d " , „also daß ein Mensch lerne den Zorn stillen und ein geduldiges, sanftes Herz tragen, sonderlich gegen die, die ihm Ursache zu zürnen geben, daa ist, gegen die Feinde. — Darum ist die ganze Summa davon den Einfältigen aufs deutlichste einzubilden, was da heiße: nicht töten. Zum ersten, daß man niemand Leid tue, erstlich mit der Hand oder Tat; danach die Zunge nicht gebrauchen lasse, dazu zu reden oder zu raten; über das keinerlei Mittel oder Weise gebrauche noch bewillige, dadurch jemand möchte beleidigt werden; und endlich, daß daa Helte niemand feind sei, noch aus Zorn und Haß Böses gönne, also daß Leib und Seele unschuldig sei an jedermann, sonderlich aber an dem, der dir Böses wünscht und zufügt. Denn dem, der dir Gutes gönnt und tut. Böses tun, ist nicht menschlich, sondern teuflisch ( ! ) . " Daa gleiche gilt v i e r t e n s von der p o s i t i v - c h r i s t l i c h e n E r f ü l lung des G e b o t e s , die Luther in höchst eindrucksvoller und auch für unseren Unterricht vorbildlicher Weise an Hand von Matthäus 25, 41 ff. jedem einzelnen von uns vorhält: „Wenn du nun einen Nackten läßt gehen und könntest ihn kleiden, so hast, du ihn erfrieren laasen; siehst du jemand Hunger leiden und speist ihn nicht, so läßt du ihn Hungers sterben usw." „Darum heißt auch Gott billig die alle Mörder (!), so in Nöten und Gefahr Leibes und Lebens nicht raten noch helfen", insonderheit wieder ihren Feinden, „Denn daß wir Freunden Gutes tun, ist noch eine schlechte heidnische Tugend, wie Christus Matth, am 5. sagt." So haben wir von Luthers GK. für die u n t e r r i c h t l i c h e B e handlung des 5. Gebotes eine völlig klare Marschroute vorgezeichnet. Wir werden uns nach ihr zu richten haben, wie verschieden im einzelnen auch sich daa Bild unserer Stunden gestalten mag. Bei jüngeren Schülern wird man die Dinge einfacher und schlichter bringen müssen als bei älteren und bei Erwachsenen. Die christliche Einstellung darf aber nirgends verlorengehen. Wir werden also sowohl von diesem Gebot zu sprechen haben als von der „Ringmauer, Feste und Freiheit

5. Gebot.

43

gestellt um den Nächsten, daß man ihm kein Leid noch Schaden am Leibe tue" (Schutzgebot!) wie von den verschiedenen Arten des „Tötens" mit „Hand, Herz, Mund, Zeichen usw.", worin das „totärgern" und totwünschen (vgl. „fluchen" beim 2. Gebot) ja mit eingeschlossen ist; wir werden „Sanftmut und Geduld" auf der einen Seite und „Liebe und Wohltat" auf der anderen als die christlichen Herzens- und Lebenskräfte aufzuzeigen haben, die allein imstande sind, vor Zorn und dergleichen zu bewahren und das Gebot der Nächstenliebe zu erfüllen; wir werden dabei in Demut, Ohnmacht und Zuversicht immer wieder „zurückdenken des ersten Gebots, daß er unser Gott sei, das ist, uns helfen, beistehen und schützen wolle, auf daß er die'Lüst uns zu rächen dämpfe"; wir werden neben I. Mose 4,8—16 (Kains Mordtat: „Soll ich meines Bruders Hüter sein ?") und Matthäus 25,31—46 (Jüngstes Gericht) das Gleichnis vom barmherzigen Samariter nie zu erwähnen vergessen (Luk. 10, 25'—37) und auch aus ihm heraus und aus Matth. 5 Schluß .(vgl. Römer 12,17—21) unsere Schüler immer wieder hören lassen, daß Nächstenliebe auch vor dem Feind nicht haltmachen darf. Wir werden auf Grund all des Gesagten so klar und unerbittlich wie Luther feststellen, daß wir gerade vor diesem Gebote allzumal Sünder, d. h. allzumal „Mörder" sind und des Ruhms mangeln, den wir vor Gott haben sollten. Wir werden in solcher Selbsterkenntnis vor der heiligen Gottesforderung immer neu die Vorsätze fassen und fassen lassen, die uns auf dem Wege des Gehorsams Schritt für Schritt weitertreiben. Zu dem „helfen und fördern in allen Leibesnöten" rufen noch folgende B i b e l w o r t e auf: Jesaja 58, 7: „Brich dem Hungrigen dein Brot, und die, so im Elend sind, führe ins Haus!" Hebräer 13,16: „Wohlzutun und mitzuteilen vergesset nicht; denn solche Opfer gefallen Gott wohl." II. Korinther 9, 7: „Einen fröhlichen Geber hat Gott lieb." Gänzlich abwegig wäre es, beim 5. Gebot über Tier- und Pflanzenschutz oder über S e l b s t m o r d zu sprechen. Dagegen kann sich die Notwendigkeit ergeben, kurz auf die Frage der T o d e s s t r a f e und des Krieges einzugehen. Hinsichtlich der T o d e s s t r a f e sagt Luther gleich zu Beginn seiner Ausführungen im GK.: „Darum ist in diesem Gebot nicht eingezogen Gott und die Obrigkeit, noch die Macht genommen, so sie haben zu töten. Denn Gott hat sein Recht, Übeltäter zu strafen, der Obrigkeit

44

1. Hauptstück: Wie lebt ein Christ?

an der Eltern S t a t t befohlen, welche vorzeiten (als man in Mose liest) ihre Kinder selbst mußten vor Gericht stellen und zum Tode verurteilen. Derhalben, w a s h i e r v e r b o t e n i s t , i s t e i n e m g e g e n d e n andern v e r b o t e n und nicht der Obrigkeit." Über Recht und Unrecht des K r i e g e s äußert sich Luther im GK. nicht. Dafür geben uns seine beiden Schriften „Von weltlicher Obrigkeit, wie weit man ihr Gehorsam schuldig sei" (1523) und „Ob Kriegsleute auch in seligem Stand sein können" (1526) Einblick in seine Gedanken und Gesichtspunkte für eine christliche Besinnung über dies ernste und schwerwiegende Problem*). Luther scheidet scharf zwischen R e i c h G o t t e s und R e i c h d e r W e l t . Im Reich Gottes geht es um den Glauben, um das Evangelium, um die Gerechtigkeit vor Gott; hier regieren allein Gottes Wort, Christus und der Heilige Geist. Im Reich der Welt aber ist das Schwert von Gott eingesetzt, um Frieden zu erhalten, Sünde zu strafen, dem Bösen zu wehren und die Frommen zu schützen. Denn die Welt ist böse, in ihr herrscht die Sünde, nimmermehr kann sie als rein christlich beansprucht und behandelt werden. Darum sind in ihr Gesetz, Gewalt und Schwert nötig; auch der Krieg als Notwehr („Notkrieg") kann ebenso geboten sein wie die Bestrafung der Diebe, Mörder, Ehebrecher und sonstiger Unholde. Gewiß sind Kriege — und die beiden Weltkriege haben uns dafür neu und grauenvoll die Augen geöffnet — ein entsetzliches Unheil, und niemand wird nach ihnen noch leichten Herzens von einem Kriege sprechen oder gar zum Kriege raten. Aber nach L u t h e r s M e i n u n g kann unter Umständen Kriegführen das kleinere von zwei Übeln sein, wenn dadurch ein offenkundiges, zum Himmel schreiendes Unrecht oder eine verderbenbringende Gefahr abgewehrt werden soll. Dann m u ß die Obrigkeit (der Staat) in Verantwortung und Liebe zur Abwehr aufrufen, und der christliche Untertan m u ß im Gehorsam gegen die Obrigkeit (Rom. 13, 1—7; I. Petr. 2, 13 f.) zu Dienst und Opfer bereit sein. Solcher Schwertdienst zu Nutz und Not des Nächsten und des angeborenen Volkes ist in Luthers Augen ein „Werk der Liebe" und als solches genau so nötig im Reich der Welt wie etwa das Werk der Predigt im Reiche Gottes. Beides m u ß notfalls nebeneinander hergehen; beidem ist der Christ auf dieser armseligen Erde verhaftet und verpflichtet. *) Weimarer Ausgabe XI, 230 ff. und XIX, 618 ff. Beide Schriften sind mit einigen Kürzungen auch in Reklame Universal-Bibliothek Nr. 2445/6 gedruckt.

6. Gebot.

45

Wird und muß dieser unselige Schwebezustand immer bestehen bleiben ? Sind die K r i e g e gar nicht aus der W e l t zu s c h a f f e n ? Nun: Solange die Sünde auf der Erde Macht hat und nicht alle Menschen und alle Völker ganz christlich sind, werden auch Kriege nicht ganz vermeidbar sein. Aber unser, der Christen, t ä g l i c h e s G e b e t muß es sein, daß Gottes Reich dies Reich der Welt immer mehr durchdringe und schließlich ganz verschlinge. („Dein Name werde geheiligt! Dein R e i c h komme! Dein Wille geschehe auf Erden wie im Himmel!") Unser Ziel muß bleiben, daß „Güte und Treue einander begegnen, Gerechtigkeit und Friede sich küssen" (Psalm 85, 11). Dafür gilt es alle K r a f t einzusetzen, im kleinen und im großen, im persönlichen Leben wie in der Öffentlichkeit, vor allem aber in der Völker umspannenden und Völker versöhnenden A r b e i t der c h r i s t l i c h e n K i r c h e n . Diese heilige Aufgabe ist uns gestellt. Sie wollen wir ernst nehmen, wenn auch die letzte Erfüllung unserer Hoffnungen und Gebete ferst am Ende der Zeiten kommen wird, von Gott selbst her, nach Jesaja 2, 4 und Offbg. 21, 4. 6. Gebot. Wie beim 5. Gebot der GK. den festen christlichen Unterbau für den knappen Wortlaut des K K . abgibt, so führen uns auch Luthers Ausführungen über das 6. Gebot im GK. in diejenige Tiefe, aus der heraus die Erklärung des K K . in unserem Unterricht fließen muß, wenn sie quellklar der Jugend begegnen soll. Mit raschem Sprunge eilt Luther im GK. auf das f ü r uns Christen W e s e n t l i c h e zu. In der Gebotseinleitung stellt er zunächst auch das 6. Gebot in die Reihe der S c h u t z g e b o t e — des Nächsten „Ehegemahl" = „die nächste Person oder das nächste Gut nach seinem (eigenen) Leibe" —, weist danach kurz, als müsse er sich in etwas verbessern, den ursprünglichen Sinn des Verbots für die altjüdischen Verhältnisse nach, um dann — genau wie beim 5. Gebot — christlich ins Herz auch dieses Gebotes vorzustoßen, das da sei „ w i d e r a l l e U n k e n s c h h e i t g e s t e l l t , wie man siö nennen mag, und nicht äußerlich die Tat verboten, sondern auch a l l e r l e i U r s a c h e , R e i z u n g und M i t t e l , also daß H e r z , Mund und der g a n z e L e i b keusch sei, keinen Raum, Hilfe noch Rat zur Unkeuschheit gebe, und nicht allein das, sondern auch wehre, schütze und rette, wo die Gefahr und Not ist, und wiederum helfe und rate, daß sein Nächster bei Ehren bleibe." Es mutet an, als habe Luther diesen Satz zum 6. Gebot am selben Tage geschrieben wie die entsprechenden Aussagen zum 5. Gebot,

40

1. Hauptstück: Wie lebt ein Christ?

so ähnlieh und gleichlaufend ist hier alles bis ins Letzte hinein: Die sündige Tat und die sündige Gesinnung, das sündige Herz und der sündige Leib, das sündige Wort und der sündige Rat und daneben das „helfen und raten, daß unser Nächster bei Ehren bleibe. Denn wo d u solches nachlassest, so du könntest dafür sein, oder durch die Finger siehst, als ginge dich's nicht an, bist du ebensowohl schuldig als der Täter selbst. Also ist, aufs kürzeste zu fassen, so viel gefordert, d a ß ein jeglicher f ü r sich selbst keusch lebe u n d dem N ä c h s t e n a u c h d a z u h e l f e , also daß Gott durch dies Gebot eines jeglichen ehelich Gemahl will umschränkt und bewahrt haben, daß sich niemand daran vergreife." So wird aus dem T a t v e r b o t das G e s i n n u n g s g e b o t und aus dem Gesinnungsgebot das Gebot der N ä c h s t e n h i l f e , d . h . der Nächstenliebe, und der Schluß deutet noch einmal zurück auf die Forderung des Schutzgebotes, um in der Fortsetzung mehr zu sagen, als anfangs damit gesagt war. Denn für den Christen ist das Kennzeichen der Ehe ja nicht der Besitz des Ehegemahls, so wie etwa die Frau im altjüdischen Sinn Eigentum ihres Mannes war, sondern d i e E h e s e l b s t , die über den beiden Ehegatten steht, ist der Sinn der Ehe, die heilige Gottesordnung und der heilige Ehestand. So wird — christlich gesehen — nicht so sehr der eine Ehegatte, sondern d e r E h e s t a n d d u r c h d i e s G e b o t „ v e r w a h r t u n d b e s c h ü t z t . Da'him will er ihn auch von uns geehrt und also gehalten und geführt haben als einen g ö t t l i c h e n , sel i g e n S t a n d , weil er ihn erstlich vor allen andern eingesetzt hat und darum unterschiedlich Mann und Weib geschaffen (wie vor Augen) nicht zur Büberei, sondern daß sie sich zusammenhalten, fruchtbar seien, Kinder zeugen, nähren und aufziehen zu Gottes Ehren. Darum ihn auch Gott vor allen Ständen aufs reichlichste gesegnet hat." Wir können hier nicht im einzelnen auf das im GK. nun folgende Hohelied Luthers zum Preis des ehelichen Standes und (am Schluß dort) der ehelichen Liebe eingehen; das muß man im GK. selbst nachlesen, um Luthers Herzblut rauschen zu hören. Wir können für unseren Unterricht nur mit Luther aus alle dem dort zu Erwachsenen Gesagten die Folgerung ziehen, „daß man d a s j u n g e Volk dazu halte, daß sie L u s t z u m E h e s t a n d gewinnen und wissen, daß es ein seliger Stand und Gott gefällig ist; denn damit könnte man's mit der Zeit wiederum dahin bringen, daß er wieder zu seinen Ehren käme und des unflätigen, wüsten, unordentlichen Wesens weniger würde, so jetzt allenthalben in der Welt zu Zotten ( = wirr durcheinander) geht mit

6. Gebot.

47

öffentlicher Hurerei und andern schändlichen Lastern, so aus Verachtung des ehelichen Lebens gefolgt sind." Aufs Ganze des GK. gesehen hätten wir demnach in Unserem Unterricht folgende A u f g a b e zu lösen: 1. Der Jugend die christliche „Erfüllung" (Matthäus 5,17) des 6. Gebots — gegen sich selbst und gegen den Nächsten! — vorzuhalten und 2. dem heranwachsenden Geschlecht die christliche Ehe als „göttlichen, seligen Stand" vor Augen zu malen. Für beide Aufgabenkreise gibt uns der K K . geeignete Handhaben, indem die Erklärung sowohl für Verheiratete wie für Unverheiratete die erste Forderung erhebt (leider ohne Zufügung des im GK. so stark betonten Wortes „Gedanken" vor „Worten und Werken"!) und das Gebot selbst uns nötigt, über die Gottesördnung der Ehe auch mit unseren Schülern grundsätzlich zu sprechen. Wie das im einzelnen zu geschehen hat, ist ebenso sehr Sache eigener, reiner K l a r h e i t und des heiligen Ernstes diesem ganzen Gebiet gegenüber wie des rechten T a k t e s vor den verschiedenen Altersstufen und Geschlechtern und der unbedingt dazu gehörenden Vertrauensstellung, die der Erzieher sich errungen haben muß, bis er von diesen Dingen zur Jugend sprechen kann, bzw. die er sich wie durch nichts gerade hier erringen und festigen kann, wenn er rechtzeitig und offen und ehrfürchtig genug sich auch hierin als Mensch und Christ bekennt. Von wem die Jugend nicht spürt — und sie hat ein unendlich feines und richtiges Gefühl gerade hier — daß auch er sich mit vollstem Ernst und Gehorsam unter die unverbrüchliche Forderung des 6. Gebotes stellt, und wer dies nicht dadurch beweisen kann, daß er den rechten für das stumme Fragen der Jugend offenen Ton vor seinen Klassen Und Gruppen fjndet, der hat von vornherein verspielt. Der gehört auf die Seite der Riesenmasse von Erwachsenen, die der Jugend schaden, weil 6ie ihr nicht helfen können und den Weg nicht bereiten zu dem, was der heilige Gott des Lebens in diesem Gebot von ihr fordert. Denn wenn es von uns nicht gelten sollte, „daß ein jeglicher beide für sich selbst keusch lebe und dem Nächsten auch dazu helfe", von wem sollte es dann sonst noch gelten ? So kann nur aus dem eigenen, voll-bewußten Ja zu Gottes Willen vor und in der Ehe ein Unterricht erwachsen, der dem 6. Gebot und Luthers Erklärung gerecht wird. Was der einzelne im Einzelfall zu sagen hat, wird er wissen, wenn er Auge in Auge seinen Erziehungs-

48

1. Hauptstück: Wie lebt ein Christ?

befohlenen gegenüber steht. Er wird sie führen in heiliges L a n d , heraus aus der vielfachen Not halben Wissens und dumpfen Gewissens, heraus auch aus dem Schmutz der Gasse" und der Schwüle der Jugendgespräche und — Geheimnisse. Er wird sich Hilfe holen, wo er solche findet, nicht zuletzt in der klaren Luft der Bibel und in der nimmermüden Tiefe seines Gott verantwortlichen Gewissens. Er wird jeder Altersstufe das geben, was ihr nottut, und wird ihr vorenthalten, was sie noch nicht zu wissen braucht. Er wird solchermaßen „aufklären" nur insoweit, als er gleichzeitig mit jedem Wort die Kinder und die Jugendlichen fester bindet an Gott und sein heiliges Gebot. Er wird die Ehe als „Ordnung" und „Stand" gegenüber jeder modernen Erweichung und Zersetzung — natürlich auch zum Unterschied von katholisch-mönchischer Verachtung (s. GK.!) — hoch auf den Leuchter stellen und ebenso hoch den •ehrlichen Krampf um Reinheit und Reife bei allen, die noch im „Stand" der Unverheirateten stehen. Er wird dem jungen Geschlecht die Augen öffnen für das Gotteswunder des eigenen Leibes und für das Gottesgeschenk der elterlichen Ehe und wird ihnen Herz- und Entschlußkraft stählen, auszuharren und sich zu bereiten für die Gottesgnade des eigenen Ehestandes. Er wird Vater und Mutter, Freund und Berater, Arzt und Seelsorger in einem sein müssen und wird mit alledem doch nur seines Gottes und seines Heilandes Stimme sein wollen undfnur als Diener dieser Herren Gehör verlangen. Er wird die Wege ebnen, wo nur immer er kann, und wird Gottes Vaterhänden befehlen, was zu tun und zu erreichen ihm, dem Menschen, versagt ist. Bei solcher Einstellung wird die Behandlung des 6. Gebotes stets bedeutungsvoll und am Platze sein und trotz aller sachlichen und persönlichen Schwierigkeiten gelingen und des Segens nicht entbehren. Am größten sind die S c h w i e r i g k e i t e n natürlich vor jüngeren Kindern; je älter die Jugendlichen werden, um so dringlicher und leichter wird die Beziehung auf die Ehe werden. Vor den Jüngeren werden sich besonders zwei F r a g e n immer wieder dem Anfänger bei der Erstbehandlung des 6. Gebotes aufdrängen, nämlich 1. in welcher Weise man den E h e b r u c h als bereits für das kleinere Kind bedeutungsvoll ansprechen und behandeln soll, und 2. wie man jüngeren Schülern eindrücklich machen kann, daß die Forderung dieses Gebotes auch schon ihnen in ihrer Jugend etwas zu sagen hat.

6. Gebot.

49

Die Lösung der e r s t e n F r a g e ist m . E . am einfachsten damit gegeben, daß man — ausgehend von der alles Leben des Kindes umhegenden Wichtigkeit einer christlichen Ehe — die schrecklichen Folgen bedenken läßt, die die gebrochene ( = geschiedene, getrennte) Ehe für die Kinder dieser Ehe nach sich ziehen würde. „ W i e f u r c h t b a r w ä r e es, wenn euer Vater eurer Mutter untreu würde und sie verließe! Wo wolltet ihr bleiben ? Wie sollte es euch weiter gehen ?" Die z w e i t e F r a g e ist so leicht nicht zu beantworten, wenn man an die Altersstufen denkt, die noch vor der Reifezeit hegen. Man wird aber auch hier sich den Zugang zur Sache dadurch erleichtern können, daß man auf- die E h e als G e m e i n s c h a f t hinweist und sagt: „Ein jedes von euch wird sicher, wenn es einmal heiratet, nur einen netten, verträgüchen, ordentlichen und anständigen Menschen zum Ehegatten haben wollen. Dieses Ordentlich- und Anständigsein will aber von Jugend auf gelernt werden, sonst gelingt es später nicht. ,Jung gewöhnt — alt getan.' Wer als Junge und Mädel unverträglich und grob und lieblos und gemein und unanständig ist, wird es auch in der Ehe sein; den wird ein anständiges Mädel und ein anständiger Junge nicht heiraten wollen. Und darum, weil sich auch hierin und gerade hier ,früh üben muß, wer ein Meister werden will', darum gilt es schon in der Jugend, an dieses Gebot zu denken, und deshalb müßt ihr euch vornehmen, ordentliche, saubere, brave und reine Buben und Mädels zu bleiben, damit ihr dereinst ebensolche Männer und Frauen und Ehegatten werden könnt. Nur unter dieser Bedingung wird auch einmal eure Ehe glücklich sein können, ohne diese Vorbedingung wird sie ein Schrecken sein und die Hölle auf Erden." Ich habe bis jetzt immer gefunden, daß eine derartige, je nach dem Alter abgetönte Darstellung des Eindrucks nicht verfehlt, zumal hier auf die natürlichste Weise das heikle Gebiet des Sexuellen mit dem Gedanken an das gemeinsame Leben der Ehegatten in eins zusammengeschaut ist. Vor der reiferen Jugend werden dann Dinge beim Namen genannt Werden müssen, die Luther in den Text des K K . aufzunehmen weise und erzieherisch geschickt unterlassen hat: Ist doch bei ihm die Erklärung des 6. Gebots — neben der des ersten — die einzige, in der alle negativen Aussagen fehlen! Aber auch positiv müssen hier alle auf den Unterstufen vorbereitenden Zielweisungen ihre schimmernde und leuchtende Bekrönung finden. Um dem Anfänger für diese verschiedenen Notwendigkeiten die eigene Klärung zu erleichtern, seien zum Schluß nun noch einige B i b e l 4

W i ß m a n n , Katechismusunterricht.

60

1. Hauptstück: Wie lebt ein Christ?

stellen genannt, die Wegweisung und innere Hilfe geben können, sei es für sich selbst, sei es für die Besprechung mit den Kindern und Jugendlichen. Bibelworte für die unterrichtliche Behandlung des 6. Gebots. Vorbemerkung: Früher pflegte man, zumal vor jüngeren Kindern, beim Thema „Ehebruch" an die biblischen Geschichten von J o s e p h und P o t i p h a r s Weib (L Mose 39, 7ff.), von D a v i d und B a t h s e b a (II. Sam. 11) und von Herodes und H e r o d i a s (Mark. 6, 17 ff.) zu erinnern. Das war m. E. ebenso verfrüht wie schwierig und gefährlich. Auch der reiferen Jugend helfen diese Geschichten.nicht. Wichtiger als die biblischen Erzählungen vom Ehebruch — die übrigens auch von Luther im GK. mit keinem Wort berührt werden! — sind für uns die Mahnungen der B i b e l zur Herzenskeuschheit und zu geschlechtlicher Zucht. Für die unterrichtliche Verwendung auf den verschiedenen Altersstufen eignen sich vor allem folgende Verse: a) Herzensreinheit. Matthäus 5 , 8 : „Selig sind, die reines Herzens sind, denn sie werden Gott schauen." b) Mahnungen. Tobias 4 , 6 : „Dein Leben lang habe Gott vor Augen und im Herzen und hüte dich, daß du in keine Sünde willigst und tust wider Gottes Gebote." Prediger 11,9: „Freue dich, Jüngling, in deiner Jugend und laß dein Herz guter Dinge sein in deiner Jugend. Tue, was dein Herz lüstet und deinen Augen gefällt, und wisse, daß dich Gott um dies alles wird vor Gericht führen." I. Korinther 3,16: „Wisset ihr nicht, daß ihr Gottes Tempel seid und der Geist Gottes in euch wohnet ?" I. Korinther 6,19f.:. „Wisset ihr nicht, daß euer Leib ein Tempel des heiligen Geistes ist, der in euch ist*, welchen ihr habt von Gott, und seid nicht euer selbst ? Denn ihr seid teuer erkauft; darum so preiset Gott an eurem Leibe und in eurem Geiste, welche sind Gottes." Philipper 4, 8: „Was wahrhaftig ist, was ehrbar, .was gerecht, was keusch, was lieblich, was wohl lautet, ist etwa eine Tugend, ist etwa ein Lob, dem denket nach."

6. Gebot.

51

o) W a r n u n g e n vor s c h l e c h t e r G e s e l l s c h a f t . Sprüche 1,10: „Mein Kind, wenn dich die bösen Buben locken, so folge nicht." I. Korinther 1-5,33: „Lasset euch nicht verführen; böse Geschwätze verderben gute Sitten." d) A u f r u f z u m K a m p f . Sirach 21, 2: „Fliehe vor der Sünde wie vor einer Schlange, denn so du ihr zu nahe kommst, so sticht sie dich." Matthäus 5, 29f.: „Ärgert dich dein rechtes Auge, so reiß es aus und wirf's von dir. Es ist dir besser, daß eins deiner Glieder verderbe und nicht der ganze Leib in die Hölle geworfen werde. Ärgert dich deine rechte Hand, so hau sie ab und wirf sie von dir. Es ist dir besser, daß eins deiner Glieder verderbe und nicht der ganze Leib in die Hölle geworfen werde." Sprüche 2,7: „Er läßt's den Aufrichtigen gelingen." e) H i l f e des Gebets. Markus 14, 38: „Wachet und betet, daß ihr nicht in Versuchung (Matthäus 26,41: .Anfechtung') fallet! Der Geist ist willig; aber das Fleisch ist schwach." Psalm 63, 7: „Wenn ich mich zu Bette lege, so denke ich an dich; wenn ich erwache, so rede ich von dir." Psalm 139,1—3, 23, 24: „Herr, du erforschest mich und kennest mich. Ich sitze oder stehe auf, so weißt du es; du verstehest meine Gedanken von ferne. Ich gehe oder hege, so bist du um mich und siehest alle meine Wege . . . Erforsche mich, Gott, und erfahre mein Herz; prüfe mich und erfahre, wie ich's meine. Und siehe, ob ich auf bösem Wege bin, jind leite mich auf ewigem Wöge!" Sirach 22^-4—6: „Herr, Gott, Vater und Herr meines Lebens, behüte mich vor unzüchtigem Gesicht und wende von mir alle bösen Lüste f Laß mich nicht in Schlemmen und Unkeuschheit geraten und behüte mich vor unverschämtem Herzen!" Psalm 51,12: „Schaffe in mir, Gott, ein reines Herz und gib mir einen neuen, gewissen Geist." Das Vaterunser! „Führe mich nicht in Versuchung" (s. Erklärung der 6. Bitte); „Dein ist die Kraft." 4*

52

1. Hauptstück: Wie lebt ein Christ?

Liedgebete: „Ein reines Herz, Herr, schaff in mir, schleuß zu der Sünde Tor und Tür, vertreibe sie und laß nicht zu, daß sie in meinem Herzen ruh!" oder: ,,0 Gott, du frommer Gott, du Brunnquell guter Gaben, ohn' den nichts ist, was ist, von dem wir alles haben, gesunden Leib gib mir, und daß in solchem Leib ein unverletzte Seel und rein Gewissen bleib." oder: „Laß ein Mann mich werden, der voll Zucht und Art stark und tein auf Erden Seel und Leib bewahrt" u. a. m. f) Mit ä l t e r e n J u g e n d l i c h e n zu l e s e n . Mit männlichen: Römer 7,15—25; I. Kor. 9, 24—27; Gal. 5,13 bis 15 und 6, 7f. Mit weiblichen: Jesaja 3, 16—24; Sprüche 31, 10ff.; 1. Petrus 3, 3f. 7. Gebot. So schwierig das 6. Gebot vor der Jugend zu behandeln ist, so leicht das 7.; so nötig jenes, so wichtig dieses. Der Ü b e r g a n g des GK. vom 6. zum 7. Gebot wird sich freilich für unseren Jugendunterricht schlecht eignen. Wir werden nicht wie Luther auf das 6. Gebot zurückgreifen können — „nach deiner Person und ehelichem Gemahl ist zeitlich Gut das nächste" — sondern besser nur auf d a s 5.: D o r t wird das Leben des N ä c h s t e n b e s c h ü t z t , hier das E i g e n t u m . Und das deshalb, weil nach Luthers oben entwickelter Meinung im 6. Gebot eben n i c h t der Gemahl, sondern die E h e geschützt werden soll,' nicht etwas, was einem gehört und worüber man verfügt, sondern etwas, dem man selbst zugehört und das über einen verfügt, wenn man* verheiratet ist. Im übrigen werden wir jedoch nach dieser kleinen Abweichung die Winke des GK. wieder dankbar auch für unseren Unterricht fruchtbar machen, und das um so mehr, als gerade bei diesem Gebot GK. und KK. sich aufs innigste berühren. Läßt sich doch die „ S u m m a " des GK. entsprechend der Erklärung des K K . in folgenden Sätzen zusammenfassen: 1. W a s h e i ß t s t e h l e n ? „Stehlen heißt nichts anderes, denn eines andern Gut mit Unrecht zu sich bringen, damit kürzlich begriffen ist a l l e r l e i V o r t e i l m i t d e s N ä c h s t e n N a c h t e i l in a l l e r l e i Händeln."

7. Gebot.

53

2. Wie s t e h t es damit in "der Welt ? „Das ist nun gar ein, weitläufig gemein L a s t e r , aber so wenig geachtet und wahrgenommen, daß es über die Maßen ist, also daß, wo man sie alle an Galgen henken sollte, was Diebe sind und doch nicht heißen wollen, sollte die Welt bald wüste werden und an Henkern und Galgen gebrechen." 3. Was muß also j e d e r m a n n wissen? „Darum wisse ein jeglicher, daß er schuldig ist bei Gottes Ungnaden, nicht allein seinem Nächsten keinen Schaden zu tun, noch seinen Vorteil zu entwenden, noch im Kauf oder irgendeinem Handel irgendwelche Untreue oder Tücke zu beweisen, sondern auch sein Gut treulich zu verwahren, seinen Nutzen zu verschaffen und fördern, sonderlich so er Geld, Lohn und Nahrung dafür nimmt." „Und kurz in eine Summa . . . zu fassen, ist dadurch v e r b o t e n , e r s t l i c h dem Nächsten Schaden und U n r e c h t zu tun (wie mancherlei Weise zu erdenken sind, Hab und Gut abzubrechen, zu verhindern und vorzuenthalten), auch solches nicht bewilligen noch gestatten, sondern wehren und vorkommen, und wiederum geboten,sein Gut zu fördern, bessern und, wo er Not l e i d e t , helfen, m i t t e i l e n , v o r s t r e c k e n beiden, Freunden und Feinden." Von den sonstigen Ausführungen des GK. sind unterrichtlich verwendbar die Beispiele von den ungetreuen Knechten, Mägden, Handwerksleuten, Arbeitern, Tagelöhnern, Händlern, Gastwirten, großen Junkern, ehrsamen frommen Bürgern usw., die man der heutigen Zeit entsprechend durch einige weitere Berufsgruppen vermehren könnte, ohne daß damit freilich die eigentliche Aufgabe unserer Unterweisung schon getroffen wäre. Haben wir doch vor unserer Jugend nicht über andere und nicht nur über die Erwachsenen zu sprechen, so wichtig das Vorführen solch abschreckender Beispiele zur Gewissensbildung auch sein kann, sondern zu den B u b e n und Mädels s e l b s t , um ihnen zu zeigen, was das Gebot von ihnen verlangt, wo ihre Gefahren und Versuchungen liegen und wie sie sich vornehmen sollen, ihrer Herr zu werden. Wenden wir uns nun aber in unserem Unterrichtsgespräch den Möglichkeiten einer Gebotsübertretung durch Jugendliche zu, so tut sich sofort eine neue Gefahr auf, die nämlich, daß es unseren Schülern — besonders den Jungens — oft das allergrößte Vergnügen bereitet, auf Grund eigenster Erfahrung oder an Hand dessen, was sie gehört oder gelesen haben, eine Fülle von Beispielen solch kleinerer oder größerer „Diebstähle", Gaunereien und Streiche aufzuzählen, ohne auch

54

1. Hauptstück: Wie lebt ein Christ?

nur im geringsten zunächst das Unrecht derartiger Handlungen in ihren Mienen und in ihrem Erzählen zum Ausdruck zu bringen. Im Gegenteil, eine spitzbübische Freude lacht oft genug aus ihren Augen und zeigt uns mehr wie deutlich, daß auch hier „das Dichten des mensch, liehen Herzens böse ist von Jugend auf" (I. Mose 8, 21). Aber gerade weil das so ist, weil Ichsucht, Selbstsucht, Habenwollen, Zerstörungstrieb, Schadenfreude, die Lust an gelungenen Streichen und was alles noch an solchen Allzumenschlichkeiten hier zu nennen wäre, überall vorauszusetzen sind, gilt es, mitten auf diesen Punkt den Angriff zu führen. Nicht etwa dadurch, daß man meint, es. unter keinen Umständen zu solcher Heiterkeit kommen lassen zu dürfen. Vielmehr dürfte es ganz gut sein, wenn es dazu kommt. Das gibt den besten Ausgangspunkt für eine tiefgrabende Besprechung und Weiterführung. Denn diese kann gerade bei der Heiterkeit einsetzen und dem Trieb, der zum Lachen und zu tausend Übertritten des Gebotes reizt, diesem ichsüchtigen und schadenfrohen Trieb des menschlichen Herzens, den Spiegel vorhalten, indem man zu der Schar der Lacher sagt: „Hört mal, die ihr so lacht: Wie wäre es, wenn man euch das antäte, worüber ihr jetzt so belustigt seid ? Wenn man die Gegenstände, die euch gehören, entzwei machte ? Wenn man die Sachen, die ihr verloren habt, behielte und nicht ablieferte ? Wenn man euer Eigentum, eure Wohnung, euer Haus so wenig sohonte ? Wenn man euch euer Obst aus dem Garten wegäße ? Wenn man eure Wiesen und Felder zerträte ? Wenn man euch die Fensterscheiben einwürfe ? Wenn man euch auf Gefahren für euer Hab und Gut, die man früher als ihr bemerkt hat, nicht aufmerksam machte ? Was würdet ihr dann über solches Verhalten denken und sagen ? Würdet ihr dann auch lachen und euch vergnügen ? — Darum, wie das Sprichwort aus dem T o b i a s b u c h (4,16) sagt: ,Was du nicht willst, daß man dir tu, das füg auch keinem andern zu!' Oder noch besser, wie J e s u s es in der goldenen Regel der Bergpredigt (Matthäus 7,12) ins positive wendet : .Alles nun, was ihr wollt, daß euch die Leute tun sollen, das tut ihr ihnen auch!'" Einer solchen Gedankenführung wird sich keiner unserer jungen Zuhörer entziehen können. Hier, wo die eigene S e l b s t s u c h t zum M a ß s t a b für das U n r e c h t genommen wird, werden Sie alle irgendwie getroffen und betroffen sein. Und diese Weisung wird auch von dem Einfachsten und Dümmsten begriffen und im Leben angewandt werden können. Denn was wir uns wünschen würden, wenn wir an

7. Gebot.

65

des andern Stelle wären, wie wir gern in seiner Lage unsere Sachen und unser Eigentum behandelt sähen, das weiß das Schulkind des ersten Schuljahres ebenso gut wie der größte Lausbub. Und damit werden die Kinder in ihrer eigenen Gaunerfreude für sich selbst die besten Richter und Lehrmeister. Und die beiden Bibelworte, die mit der Selbstsucht des Menschen so verblüffend deutlich rechnen, die sie so ernst und wirklich nehmen, wie man sie nur nehmen kann, werden zu Leitworten ihrer eigenen Uberwindung, werden zu Herolden der Nächstenliebe. Man braucht dann nur noch den Gedanken an den Nächsten so stark in den Vordergrund zu rücken, wie Luther das schon in den wenigen oben abgedruckten Sätzen des GK. tut, um alles, was überhaupt christlich über das 7. Gebot gesagt werden kann, zusammenzuhaben. Wenn man darüber hinaus den Kindern für den rechten Willenseinsatz und die nötige Willensübung zu den beiden vorgenannten Bibelworten „Was du nicht willst . . . " und „Alles, was ihr wollt . . . " noch die Mahnung aus dem Gleichnis von dem ungerechten Haushalter Lukas 16,10 mit auf den Weg gegeben hat: „Wer im Geringsten treu ist, der ist auch im Großen treu; und Wer im Geringsten unrecht ist, der ist auch im Großen unrecht", dann wird diese dreifache Losung für die jungen Menschen ein gutes Weggeleite in dieser Welt voll großer und kleiner Diebe sein können. Die herkömmlichen biblischen Beispiele (Jakob, Achan, Gleichnis von dem ungerechten Haushalter) sind entweder schief (Jakob) oder nur selten bekannt (Achan) oder zielen wie das Gleichnis nicht auf das Gebot und können deshalb -fortbleiben. Eher könnte man Arnos 8, 4—6 heranziehen; aber was fruchtet das Kindern ? Besser macht man sie mit einigen der vielen deutschen Sprichwörter zum 7. Gebot bekannt bzw. ruft die ihnen ins Gedächtnis zurück, um auch von dieser Seite den Ernst des Gebots und die Notwendigkeit frühster, peinlichster Gewöhnung (bis zum Verzicht auf das Naschen!) ins Gewissen zu schreiben (z. B.. Ehrlich währt am längsten! Wer lügt, der stiehlt! Gelegenheit macht Diebe! 'Unrecht Gut gedeihet nicht! Wie gewonnen, so zerronnen! Der Hehler ist so schlimm wie der Stehjer! Müßiggang ist aller Laster Anfang! Jung gewohnt, alt getan! Was ein Häkchen werden will, krümmt sich bei Zeiten! Wag Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr!). Damit sind die wichtigsten Gesichtspunkte für die Behandlung des 7. Gebots beim Namen genannt bis auf zwei Fragen, die noch der Besprechung harren. Die eine liegt in der Linie der Lutherschen Er-

56

1. Hauptstück: Wie lebt ein Christ 1

klärungen zum 4.—6. Gebot, sofern diese auf der letzten christlichen Höhe als Gesinnungsgebote erkannt worden waren (s. o, S. 34, 41 und 45, vgl. auch schon S. 12 Punkt 8); bei der andern handelt es sich darum, ob und inwieweit beim 7. Gebot noch näher auf das Eigentum und die A r b e i t eingegangen werden soll. Hinsichtlich der ersten Frage entdecken wir, -daß beim 7. Gebot ein entsprechender Hinweis sowohl im GK. wie im K K . fehlt. Wir fragen uns: Warum schweigt L u t h e r hier vom „Herzen" und von den „ G e d a n k e n " ? Machen sie den Menschen hier nicht genau so zum „Dieb" wie beim 5. Gebot zum „Mörder" und beim 6. zum „Hurer" ? Warum legt er beim 7. Gebot nicht den Nachdruck auf die Gedankensünde des Begehrens und Habenwollens ? Die nächstliegendste Antwort scheint die zu sein, daß vom Begehren und Gelüsten im 9. und 10. Gebot die Rede ist und daß deshalb beim 7. Gebot davon noch nicht gesprochen zu werden braucht. Wir werden jedoch bei Behandlung des 9. und 10. Gebotes sehen, daß ein solches Verständnis der beiden letzten Gebote nur zu einem, winzig kleinen Teile der Auffassung Luthers entspricht, so daß ein absichtliches Schweigen von der Gesinnung beim 7. Gebot nicht nachgewiesen werden kann. Auf jeden Fall möchte ich dringend r a t e n , u n t e r allen Umständen auch das 7. Gebot als Gesinnungsgebot zu fassen und zu zeigen, wie Wunsch, Lust, Geiz und Ichsucht nicht nur zwangsläufig zum Diebstahl hinführen, sondern selbst — in Parallele zu Jesu Bergpredigterklärung zum 5. und 6. Gebot — „Diebstahl", d. h. Sünde sind und wie umgekehrt nur die Nächstenliebe mit ihrem immer wachen Wächterblick die mütterliche Wurzel für alles „Helfen bessern und behüten" sein kann. Und deshalb, wenn auch Jesus selbst in der Bergpredigt nicht ausdrücklich neben dem 5. und 6. Gebot noch das 7. als Beispiel brachte, so nehme man ruhig zu den oben angegebenen drei Leitworten für die Gebotsbefolgung noch als viertes das Doppelwort Vom 6. Gebot aus Matthäus 5, 29f. hinzu: „Ärgert dich dein rechtes Auge, so reiß es aus und wirf's von dir. Es ist dir besser, daß eins deiner Glieder verderbe und nicht der ganze Leib in die Hölle geworfen werde. Ärgert dich deine rechte Hand, so hau sie ab und wirf sie von dir. Es ist dir besser, daß eins deiner Glieder verderbe und nicht der ganze Leib in die Hölle geworfen werde." Was tut's, daß dies Wort in Jesu Mund sich zunächst nur auf das geschlechtliche Begehren und nicht auf das diebische oder sonstwie besitzenwollende bezog ? Die Sache, d. h. das Begehren und das Habenwollen, ist in beiden Fällen doch

7, Gebot.

57

die gleiche. Auge und Hand sind beim 7. Gebot genau so wie beim 6. die Übeltäter als Einlaßtore der Versuchung und Ausführer der Tat; ja, für jüngere Schüler sind diese Sätze Jesu viel besser mit dem 7. Gebot zu verbinden als mit dem 6., bei dem sie ihnen dann, wenn sie älter geworden sind, ihre besondere Färbung und ihren neuen Ernst offenbaren mögen. Und außerdem: Wie fein lassen sich diese Jesuworte z. B. auch- mit Evas erster Sünde zusammenstellen (I. Mose 3, 6 : „Und das Weib s c h a u t e an, daß von dem Baum gut zu essen wäre und l i e b l i c h a n z u s e h e n , daß es ein lustiger Baum wäre, weil er klug machte, und nahm von der Frucht und aß und gab ihrem Manne auch davon und er aß!") und wie trefflich passen sie zu der eindrucksvollen Begleiterzählung „Auch ein Denkmal", die deshalb hier anschließend mitgedruckt werden soll. Vielleicht kann man in diesem Zusammenhange auch noch auf das — ursprünglich freilich in ganz andere Richtung gesprochene — Jesuwort M a t t h ä u s 16, 26 hinweisen: „Was hülfe es dem Menschen, wenn er die ganze Welt gewönne und nähme doch Schaden an seiner Seele V Aber wie man das auch halten und aus dem Unterricht herauswachsen lassen will — ohne in die Tiefen der Gesinnung hinunterzusteigen, kann das 7. Gebot seinen vollen, christlichen Sinn nicht entfalten. Die a n d e r e F r a g e , ob und in welchem Umfange man beim 7. Gebot noch eine b e s o n d e r e A u s s p r a c h e über das E i g e n t u m und über die A r b e i t als Gegenpol des Stehlens herbeiführen oder zulassen soll, dürfte durch die verschiedene Unterrichtsgestaltung des Einzelnen entschieden werden. N ö t i g ist eine ausführliche Aussprache über diese beiden Dinge gerade in Verbindung mit dem 7. Gebot n i c h t ; sie könnte dort doch nur einleitend oder anhangsweise erfolgen und ginge an dem Hauptinhalt des Gebotes inimer etwas vorbei. Besser wird man eine solche Besprechung auf dem Gleichnis von den anvertrauten Pfunden aufbauen oder auf dem Schluß der Erklärung des ersten Artikels. Auch ein Denkmal. Nach A. Bürklin. In einer Straße Berlins hatte ein Schlossermeister seine Werkstätte und in der Werkstätte sechs Gesellen und einen Lehrjungen. Das ist nun gerade nichts Besonderes, und in Berlin werden noch viele Schlosser sein mit Gesellen und Lehrjungen. In der Werkstatt des Meisters Martin aber war es etwas ganz Absonderliches. K a r l , der Lehrjunge, hatte nämlich seinen Platz gerade an einem Fenster, und auf der anderen Seite des Fensters, gerade vor seiner Nase

58

1. Hauptstück: Wie lebt ein Christi

war der Stand einer H ö k e r f r a u , die mehrere Körbe voll der schönsten, rotbäckigen Äpfel feil hatte. Karl durfte nur die Augen aufschlagen, so fielen sie auf die Äpfel, und er schlug sie oft auf. Wohl wußte er, daß man für einen Zehner drei der schönsten erwerben konnte, aber ein Zehner war für ihn, der noch nie einen Heller besessen hatte, ein unerreichbarer Schatz, und als wackerer Junge suchte er sich die Äpfel aus dem Kopfe zu schlagen. Mit heldenmütiger Selbstverleugnung machte er sich hinter einen alten Kirchenschlüssel, der den Bart verloren hatte, und feilte darauf los, als hätte er den Schlüssel Petri unter der Feile und ein paar hundert Seelen müßten vor der 'Himmelstür warten, bis der Schlüssel fertig sei. Nach zehn Minuten aber war's ihm gerade, als zöge ihn jemand am Schöpfe; er mußte aufschauen, er mochte wollen oder nicht, und seine Augen fielen wieder gerade auf die Äpfel, und sie schienen ihm noch rotbäckiger als vorhin. Und nicht genug, es kam auch des Nachbar» L e n c h e n die Straße herabgetrippelt und füllte ihr Körbchen mit den schönsten Äpfeln, und Lenchen selbst hatte rote Bäcklein wie ein Boisdorfer Apfel. Auch die Hökerin hatte rote Backen, das entdeckte er erst jetzt, und wahrhaftig, auch seinem Nebengesellen, dem H e i n r i c h , schimmerte es rot durch das von Ruß geschwärzte Gesicht'. Äpfel, Menschen, alles hatte rote Backen^ nur um ihn zu ärgern und zu quälen. Jetzt aber kam etwas, was dem Karl das Blut in das Gesicht trieb bis in die Schläfe hinauf. Der Schusterjunge F r i t z stand nämlich bei den Äpfelkörben. Karl und Fritz waren aber einander feind, weil Fritz behauptet hatte, ein Schlosser könne einem Schuster die Schuhriemen nicht lösen, eine Behauptung, die dem Fritz vom Karl eine Tracht Prügel eingetragen hatte. Und nun stand dieser Fritz vor den Äpfelkörben, warf dem Hökerweibe einen blanken Zehner in den Schoß, als hätte er über Tausende zu verfügen, las sich drei der schönsten Äpfel aus, und mit einem triumphierenden Blicke nach dem Fenster, hinter dem sein Feind mit einem Kirchenschlüssel sich abquälte, biß er in einen Apfel, daß dem Karl das Wasser im Munde zusammenlief. In diesem Augenblick rief Herr Martin: „Karl!" „Meister!" antwortete dieser und sah rasch nach seinem Lehrherrn hin. „Hier, trage das Schloß zum Herrn Geheimrat! Eine Empfehlung, und in einer Stunde werde ich selbst kommen, es anzuschlagen." Das ließ sich Karl nicht zweimal sagen; eilig rieb er sich mit dem Schurze den Ruß im Gesicht herum und rannte zur Tür hinaus, um den Fritz noch zu «rwisöhen. Die Wohnstube, durch die er gehen mußte, war leer; die Meisterin war auf dem Markte, und eben trollte er die Stube verlassen, da fiel sein Blick auf etwas, das seinen Lauf hemmte. Das Wandschränkchen des Meisters stand offen, das Wandschränkchen, in dem der Meister seine Geschäftsbücher und die Meisterin ihr Haushaltungsgeld aufzubewahren pflegten. Dem Knaben war's, als würge ihn einer an der Kehle, und er zitterte am ganzen Leibe. Dort lag, er s a h es ganz genau, ein kleines Häufchen Zehner. „Nimm eins!" flüsterte ihm die Versuchung zu, „die Meisterin merkt's nicht, und die Äpfel sind so saftig

7. Gebot.

59

und so schön rot." Karl warf einen Blick hinter sich, dann einen durchs Fenster — der Fritz biß eben seinen zweiten Apfel an —, und da war es geschehen! Mit einem Zehner in der Hand stürzte er auf die Straße hinaus, und die Jagd auf Fritz, der schleunigst Fersengeld gab, begann. Nach einer Viertelstunde leam Karl wieder zurück. Scheu und vorsichtig öffnete er die Stubentüre, und erschrocken blieb er auf der Schwelle stehen, da er den Meister erblickte, der in seinem Lehnstuhle am Fenster saß und mit den Fingern auf dem Fensterbrett trommelte." „Karl, komm' herein! Was bleibst du unter der Türe stehen?" „Ich . . . ich . . . eine schöne Empfehlung vom Herrn Geheimrat und . . . " „Schon gut", unterbrach der Meister den stotternden Jungen. „Was hast du denn vorhin mit dem Fritz gehabt?" „Ich . . . er schimpft immer über uns Schlosser, der Fritz, Hnd da . . . " „Und da hast du ihn durchgeprügelt ?" Karl nickte mit dem Kopfe. „Richtig", fuhr der Meister fort, „denn die Schlosser sind brave, rechtschaffene Leute, die darf man nicht schimpfen lassen, und die Schlosser sind e h r liche Leute. Du aber", rief der Meister mit erhobener Stimme und stand auf, „du aber bist kein ehrlicher Mcnsch, denn du hast deinen Meister bestohlen. Haben dir die Äpfel geschmeckt ? Du bist ein Dieb!. Pfui! Mich dauert nur deine arme Mutter! Marsch in die Werkstätte! Dort sollst du deine Prügel haben, und morgen früh packst du dein Bündel und dich selber!" Karl stand totenbleich vot seinem Meister. Er sagte nichts als: „Meine arme Mutter!", und zwei schwere Tränen bahnten sich je einen hellen Kanal über das rußige Gesicht. Dann schlich er still hinaus in die Werkstätte. Zehn Minuten später folgte ihm der Meister in Begleitung eines sehr bedenklich aussehenden Haselstockes. Mitten in der Werkstätte stand Karl mit einem schmerzverzogenen Gesicht, und seine rechte Hand war mit einem schmutzigen Tuche umwickelt. „Was soll das wieder ?" rief der Meister mit ausbrechendem Zorn und machte eine verdächtige Bewegung mit dem Stocke. „Was treibt der Bube für Possen ?" Der Junge sah den Meister mit überströmenden Augen an und deutete stumm auf seine umwickelte Hand. „Heinrich, sprich du!" wandte sich der Meister an den Gesellen, „was hat der Schlingel wieder getrieben?" „Ja, Meister", erwiderte der Geselle, „das ist eine sonderbare Geschichte. Vorhin kam Karl herein, ging langsam an die Feueresse, zog ein glühendes Eisen aus dem Feuer und brannte sich ein Loch in die Hand. Eine schreckliche Brandwunde! Es'riecht in der ganzen Werkstätte nach verbranntem Fleisch!" „Was?" rief Herr Martin erstaunt, „eine Brandwunde? Heraus mit der Sprache! Karl, Bursche, was ist's mit deiner Hand?" Der Junge schluchzte, daß es ihm Herzstöße gab: „Ein . . . ein D e n k m a l , Meister! Ich . . . ich hab' mir's hinein . . . gebrannt, daß ich mein Lebtag dran.

60

1. Hauptstück: Wie lebt ein Christ?

denke. 0 , nur . . . nur meiner Mutter nichts sagen! Ich werd'e gewiß nimmer tun!" Und der arme Junge hob wie beschwörend die verwundete Hand in die Höhe. Der Meister hatte erstaunt zugehört, und der Haselstock verschwand langsam hinter seinem Bücken und fiel zu Boden. In dem Gesichte des Meisters aber zuckte es wie Rührung. Er legte wohlwollend die Hand auf das Haupt des weinenden Jungen und sagte: „Karl, du brauchst dein Bündel nicht zu schnüren, ich werd's auch deiner Mutter nicht sagen; denn jetzt weiß ich, du wirst es nie mehr tun. Geh' zur Meisterin und laß dich verbinden!"

8. Gebot. Die Behandlung des 8. Gebotes im GK. ist eine der vielen unbekannten Kostbarkeiten, die dort ihren Dornröschenschlaf halten, während die herkömmliche Auslegungs- und Unterrichtspraxis ohne Ahnung davon ihre eigenen Straßen zieht. Das Lesen dieses Abschnitts ist ebensosehr ein persönlicher Genuß wie eine erschöpfende Umschreibung aller für eine christliche Behandlung in Frage kommender Hauptgedanken. Drucken wir also das Wichtigste davon ruhig hier ab, und schämen wir uns nicht, Luther so ausführlich zu Wort kommen zu lassen; besser als er können wir das alles doch nicht sagen. 1. Die S a c h e , um die es im 8. Gebot geht, wird im GK. im Überleitungssatz sofort klar herausgestellt: „Über unsern eigenen Leib, ehelich Gemahl und zeitlich Gut haben wir noch einen Schatz, nämlich E h r e u n d g u t G e r ü c h t , welches wir auch nicht entbehren können; denn es gilt nicht, unter den Leuten in öffentlicher Schande, von jedermann verachtet, zu leben." 2. „Der g r ö b s t e V e r s t a n d dieses Gebots" gilt vor „ ö f f e n t l i c h G e r i c h t " für „ f a l s c h e Z e u g e n " sowohl wie für „unsere Herren Juristen". 3. Aufs „ g e i s t l i c h e Gericht oder Regiment" gewendet haben „fromme Prediger und Christen" und „Gottes Wort aufs schändlichste und giftigste" unter den falschen Lästerungen und Verfolgungen zu leiden. 4. Die dritte Bedeutung des Gebotes, „so u n s a l l z u m a l b e l a n g t " , betrifft „alle S ü n d e d e r Z u n g e , dadurch man d e m N ä c h s t e n mag S c h a d e n tun oder nahe sein". „Daher gehört sonderlich das leidige schändliche Laster A f t e r r e d e n oder V e r l e u m d e n , damit uns der Teufel reitet, davon viel zu reden wäre; denn es ist eine gemeine schädliche Plage, daß jedermann lieber Böses denn Gutes von dem Nächsten hört sagen. Und wiewohl wir selbst so böse sind, daß

8. Gebot.

61

wir nicht leiden können, daß uns jemand ein bös Stück nachsage, sondern jeglicher gerne wollte, daß alle Welt Goldenes von ihm redete: doch können wir nicht hören, daß man das Beste von andern sage." 5. „Derhalben sollen wir merken, solche Untugend zu meiden, daß niemandem zugelassen ist, seinen Nächsten öffentlich zu verurteilen und zu strafen, ob er ihn gleich sieht sündigen . . . ; denn es ist gar ein großer U n t e r s c h i e d zwischen den zweien: S ü n d e richten und Sünde wissen. Wissen m a g s t du sie wohl, aber richten sollst du sie nicht. Sehen und hören kann ich wohl, daß mein Nächster sündigt, aber gegen andere nachzusagen habe ich keinen Befehl . . . Weißt du es aber, so tue nicht anders, denn mache a u s den Ohren ein Grab und scharre es zu, bis daß dir befohlen werde, Richter zu esin und von Amts wegen zu strafen." 6. „Das ist nichts anderes, denn G o t t in sein Gericht und Amt fallen, urteilen und strafen mit dem schärfsten Urteil . . . Wer sich solches untersteht vom Nächsten zu sagen, greift ebenso weit als Kaiser und alle Obrigkeit; denn ob du das Schwert nicht führst, so brauchst du doch deiner giftigen Zunge dem Nächsten zu Schand und Schaden." 7. „Sprichst du aber: ,Soll ich's denn nicht sagen, wenn es die Wahrheit i s t ? ' Antwort: Warum trägst du es nich't vor ordentliche R i c h t e r ? ,Ja, ich kann's nicht öffentlich bezeugen, so möchte man mir vielleicht übers Maul fahren und mich übel abweisen.' Ei, Lieber, riechst du den Braten ? Getraust du dich nicht vor geordneten Personen zu stehen und zu verantworten, so halte auch das Maul; weißt du es aber, so wisse es für dich, nicht für einen andern." 8. „Und S u m m a : Was heimlich ist, soll man heimlich bleiben lassen oder je heimlich strafen, wie wir hören werden (s. u. 10.). Darum, wo dir ein unnütz Maul vorkommt, das einen andern austrägt und verleumdet, so rede ihm frisch unter die Augen, daß er schamrot werde, so wird mancher das Maul halten, der sonst einen armen Menschen ins Geschrei bringt, daraus er schwerlich wieder kommen kann; denn Ehre und Glimpf ist bald genommen, aber nicht bald wieder gegeben." 9. Lediglich „ O b r i g k e i t , Vater und Mutter, ja auch B r ü d e r und Schwestern und sonst gute F r e u n d e " sind „untereinander schuldig, wo es not und nütze ist, Böses zu strafen". 10. „Das wäre aber die rechte Weise, wenn man die Ordnung nach dem Evangelium hielte M a t t h ä u s 18 (V. 15), da Christus spricht: ,Sündigt dein Bruder an dir, so gehe hin und s t r a f e ihn

62

1. Hauptstück: Wie lebt ein Christ?

zwischen ihm und dir allein! . . . Hört er dich, so hast du deinen Bruder gewonnen'." (Dazwischen im GK. köstliches Beispiel vom Herrn und Knecht!) 11. „Weiter l e h r t Christus: ,Will er dich aber nicht hören, so nimm noch einen oder zwei zu dir, auf daß alle Sache bestehe auf zweier oder dreier Zeugen Mund'; also daß man je mit dem selbst handle, den es belangt, und nicht hinter seinem Wissen ihm nachrede. Will aber solches nicht helfen, so trage es dann öffentlich vor die Gemeinde, es sei vor weltlichem oder geistlichem Gericht . . . So kann man ordentlich und recht dazu kommen, daß man dem Bösen wehrt oder b e s s e r t ; sonst, wenn man einen andern mit dem Maul umträgt durch alle Winkel und den Unflat rührt, wird niemand gebessert . . . " 12. „Das alles ist nun von heimlichen Sünden gesagt. Wo a b e r die Sünde ganz ö f f e n t l i c h i s t , daß Richter und jedermann wohl weiß, so kannst du ihn ohne alle Sünde meiden und fahren lassen, ala der sich selbst zuschanden gemacht hat, dazu auch öffentlich von ihm zeugen; denn was offenbar am Tage ist, da kann kein Afterreden noch falsch Richten oder Zeugen sein . . . Denn wo die Sünde öffentlich ist, soll auch billig öffentliche Strafe folgen, daß sich jedermann davor wisse zu hüten." 13. „Also haben wir nun die Summa und gemeinen Verstand von diesem Gebot, daß niemand seinem Nächsten, Freund und F e i n d , mit der Zunge schädlich sein noch Böses von ihm reden soll, Gott gebe, es sei währ oder erlogen, so es nicht aus. Befehl oder zur Besserung geschieht; sondern seine Zunge brauchen und dienen lassen, von j e d e r m a n n das B e s t e zu reden, des Nächsten Sünde und Gebrechen zudecken, entschuldigen und mit seiner Ehre beschönigen und schmücken." 14. „Ursache soll sein allermeist diese, so Christus im Evangelium anzieht und damit alle Gebote gegen den Nächsten will gefaßt haben: „Alles, was ihr wollt, daß euch die L e u t e tun sollen» das t u t ihr ihnen a u c h " (Matthäus 7,12, vgl. o. S. 64). 15. „Auch lehrt solches die Natur an unserm eigenen Leibe, wie St. Paulus I. Kor. 12 (V. 22 f.) sagt: ,Die Glieder des Leibes» so uns dünken die schwächsten zu sein, sind die nötigsten, und die uns dünken die unehrlichsten zu sein, denselben legen wir am meisten Ehre an, und die uns übel a n s t e h e n , die schmückt man am meisten' . . . Also sollen auch wir alle untereinander, was an unserm Nächsten unehrlich und gebrechlich ist, schmücken und mit allem, so

8. Gebot.

63

wir vermögen, zu seinen Ehren dienen, helfen und förderlich 8ein; und wiederum wehren, was ihm mag zu Unehren gereichen." 16. „Darum sind in diesem Gebot gar m ä c h t i g viel gute Werke g e f a ß t . . . Denn es ist nichts am und im Menschen, das mehr und weiter Gutes schaffen und Schaden tun kann in geistlichen- und weltlichen Sachen, denn die Zunge, so doch das kleinste und schwächste Glied ist." (Vgl. J a k o b u s 3, 5 und die ganze Stelle V. 2—12!) Mit dieser Gedankenreihe Luthers haben wir alles beisammen, was zum 8. Gebot ausgeführt werden muß, alles auch, was zum Verständnis der Worte des K K . dient. Wir sehen: .belügen" heißt bei Luther nicht „anlügen", sondern j e m a n d bei einem d r i t t e n „mit Lügen und Ü b e l r e d e n " (GK.) anschwärzen. „ v e r r a t e n " bedeutet: etwas, „was heimlich ist", weiter sagen (s. o. 5. und 8.). „ A f t e r r e d e r " sind nach dem GK. solche, „die es nicht bei dem Wissen bleiben lassen, sondern fortfahren und ins Gericht greifen, und wenn sie ein Stücklein von einem andern wissen, tragen sie es in alle Winkel, kitzeln und krauen sich, daß sie mögen eines andern Unlust rühren, wie die S ä u e , so sich im Kot wälzen und mit dem Rüssel darin wühlen". Dabei ist selbstverständlich, daß das alles hinter dem andern her geschieht, hinter seinem Rücken oder, wie Luther sagt (s. o. 11.), „hinter seinem Wissen", „bösen L e u m u n d m a c h e n " heißt: jemand „in der Leute Mund" absichtlich schlecht machen. Luther sagt dafür im GK« einfach „verleumden". „ f ä l s c h l i c h " entspricht nach dem GK. zunächst dem „falsch Zeugnis reden" des Gebotswortlautes (s. o. 2. und 3.) im Sinne bewußten „Lügens und Ubelredens", bedeutet weiterhin aber auch „alles, was man nicht, wie sich's gehört, beweisen kann" (s. o. 8.), und hat vielleicht (?), sofern man es zu allen vier Worten der Verbotshälfte beziehen will, entsprechend dem Hauptwort „Falschheit" den Nebengeschmack von falsch, boshaft und schadenfroh (s. o. 4.). N a c h unserem heutigen S p r a c h g e b r a u c h könnte man die vier A u s d r ü c k e durch „verleumden und v e r r a t e n " ersetzen und z u s a m m e n f a s s e n .

64

1. Hauptstück: Wie lebt ein Christ?

Die positive Seite der Gebotserklärung („sondern ihn entschuldigen, Gutes von ihm reden und alles zum Besten kehren") gibt aufs kürzeste die entsprechenden Ausführungen des GK. wieder und bedarf keiner weiteren Erläuterung. KK. wie GK. betonen somit den guten Namen und die E h r e als das zu schützende Gut, den N ä c h s t e n als den Menschen, der von Gott mit diesem Gebot geschützt werden soll, und die N ä c h s t e n l i e b e als des Gebotes Erfüllung. Der GK. zeigt an Hand von Matthäus 18, 15 f., wie diese Erfüllung in Christi Sinn vollkommen werden muß, und gibt durch die Benutzung von Matthäus 7,12, I. Kor. 12, 22f. und die Anspielung an Jakobus 3, 5 wertvolle unterrichtliche Hilfen, zu denen sich etwa noch folgende Sprüche aus dem AT. und NT. hinzugesellen könnten: Sprüche 22, 1: „Ein guter Ruf ist köstlicher denn großer Reichtum und Gunst besser denn Silber und Gold." Sirach 5, 16: „Sei nicht ein Ohrenbläser und verleumde nicht mit deiner Zunge!" Sirach 5, 17: „Ein Dieb ist ein schändlich Ding; aber ein Verleumder ist viel schändlicher." Sprüche 11, 13: „Ein Verleumder verrät, was er heimlich weiß; aber wer eines getreuen Herzens ist, verbirgt es." Sirach 28, 28: „Du verzäunest deine Güter mit Dornen; warum machst du nicht vielmehr deinem Munde Tür und Riegel ? Du wägest dein Gold und Silber ein; warum wägst du nicht auch deine Worte auf der Gpldwaage ?" Psalm 139, 4: „Siehe, es ist kein Wort auf meiner Zunge, das Du, Herr, nicht alles -wissest." Matthäus 12,,36: „Ich sage euch aber, daß die Menschen müssen Rechenschaft geben am jüngsten Gericht von einem jeglichen unnützen Wort, das sie geredet haben." Jakobus 3, 5: „Die Zunge ist ein klein Glied und richtet große Dinge an." Jakobus 3 , 8 : „Die Zunge kann kein Mensch zähmen, das unruhige Übel voll tödlichen Giftes." (Vgl. Vers 2—12!) Epheser 4 , 2 5 : „Leget die Lüge ab und redet die Wahrheit, ein jeglicher mit seinem Nächsten, sintemal wir untereinander Glieder sind." Matthäus 7,1—5: „Richtet nicht, auf daß ihr nicht gerichtet werdet" usw.

8. Gebot.

65

I. Korinther 1 3 , 6 : „Die Liebe freuet sich nicht der Ungerechtigkeit, sie freuet sich aber der Wahrheit." Matthäus 5 , 9 : „Selig sind die Friedensstifter, denn sie werden Gottes Kinder heißen." Sprüche 2 5 , 1 1 : „Ein Wort, geredet zu seiner Zeit, ist wie güldene Äpfel auf silbernen Schalen." B e i s p i e l g e s c h i c h t e n sind ebenfalls nicht schwer zu finden; das Leben selbst ist ja leider voller Beispiele. Aus der B i b e l wird man an die falschen Zeugen bei Naboth (I. Kön. 21, 13) und bei Jesu Verhör (Mark. 14, 56ff.) erinnern, dazu an das gemeine Verhalten Absaloms gegen seinen Vater (II. Sam. 15,1—6); positiv an Jesu Reden von und mit Zöllnern, Sündern, Ehebrechern. Eine feinsinnige und gedächtnishaftende Gleichniserzählung über die nie wiedergutzumachende Wirkung der Verleumdung ist nach Brentanos Gedicht „Verleumdung" unten angefügt. Schwierigkeiten wird das 8. Gebot im Unterricht also nicht bereiten. Und wie wichtig seine Behandlung auch schon bei der klatschsüchtigen Jugend ist, bedarf keines Nachweises. F r a g l i c h könnte höchstens noch sein, inwieweit man der katechetischen Tradition folgen und bei Gelegenheit dieses Gebotes a u s f ü h r l i c h über die L ü g e sprechen soll. An sich gibt das 8. Gebot dazu keinerlei Handhabe. Die Lüge gilt ihm und Luther natürlich auch als Unrecht, steht aber nicht für sich zur Debatte. Sie wird zwar beim Namen genannt, aber nur in bezug auf den Nächsten. N i c h t sie ist die Hauptsünde, s o n d e r n die L i e b l o s i g k e i t gegen den N ä c h s t e n , „das leidige, schändliche Laster Afterreden". Es liegt also kein Grund vor, beim 8. Gebot allgemein über die Lüge zu reden. Wer es trotzdem tun will, tue es, vergesse und vernachlässige darüber aber nicht den Hauptinhalt des Gebotes nach Luthers Erklärungen. Das gleiche gilt von der Behandlung der N o t l ü g e . Dieser Frage steht das 8. Gebot noch ferner als dem Problem der Lüge überhaupt. Kämpft es doch nur gegen das Lügen, das dem Nächsten Not macht, nicht gegen die Lüge, mittels derer man ihn — oder sich! — aus irgendeiner Not befreien will! Das 8. Gebot möchte dem Nächsten gegen die L ü g e helfen und ihn vor den Lügenmäulern retten — die Notlüge versucht die Rettung aus irgendeiner Gefahr d u r c h die Lüge. So f a l l e n 8. G e b o t und N o t l ü g e v ö l l i g a u s e i n a n d e r . Es müßte denn sein, daß man das Retten und Helfen des andern zum gemeinsamen Ausgangspunkt macht, wiewohl nicht immer der a n d e r e , 5 W i ß m a n n , Katechismusunterricht.

66

1. Hauptstück: Wie lebt ein Christ?

sondern vielfach das eigene Ich im Blickpunkt der Notlüge steht. Was den anderen, d. h. den Nächsten betrifft, so hat L u t h e r im Interesse des Nächsten die Nutzlüge im Fall wirklicher Not erlaubt, aber auch er schwankt in seiriem Urteil über die Notlüge. Nur zur Verhütung von Schaden und Schande, Tod, Mord und Sünde will er sie „als glückliche Täuschung" (WA. 27,12) gelten lassen. Die Weisungen Luthers dürften für die Behandlung dieser heiklen Frage auch für uns das beste sein, was sich darüber allgemein sagen läßt. Doch darf nicht übersehen werden, daß zwischen der Notlage eines wahrhaft gottgebundenen Gewissens, das durch „glückliche Täuschung" eine offenbare Sünde gegen Gottes Willen — z.B. gegen die zehn Gebote — und gegen den Nächsten verhüten will, und einer, wie der Volksmund sagt, die Lüge „jesuitisch" gebrauchenden Unwahrhaftigkeit oft nur eine haarscharfe Grenze ist. Auch die Forderung der Nächstenliebe kann gar zu leicht im Interesse allerübelster „Nächster" scheinheilig-raffiniert umgebogen werden. Vielleicht hilft gegen solch unberechtigte Verdrehungen am einfachsten die Formel: N o t l ü g e zur V e r h ü t u n g von U n r e c h t (Sünde) i s t e r l a u b t , zur V e r d e c k u n g von U n r e c h t (Sünde) n i c h t . Auf jeden Fall ist a l l e r h ö c h s t e G e w i s s e n s s c h ä r f u n g vonnöten, wenn man es unternimmt, auf diese schwierigen Fragen vor Kindern einzugehen. Der Fluch der Verleumdung. Nach dem Gedicht „Verleumdung" von Fritz Brentano. Ein reicher Kaufmann war von seinem ehemaligen Jugendfreund durch schlimme Verleumdungen zugrunde gerichtet worden. Verarmt und auf den Tod krank, lag er in seinem Bett. Als der Verleumder dies erfuhr, schlug ihm das Gewissen. Tag und Nacht fand er keine Ruhe mehr. Endlich überwand er sich, ging zu dem Schwerkranken hin und bot ihm all sein Gut, ja sogar sein Leben zur Sühne an. Um jeden Preis wollte er wieder" gut machen, was er verbrochen hatte. Der Kaufmann sah ihn lange ernst und schweigend an. Dann ergriff er sein Kopfkissen, reichte es ihm hin und sprach: „Nimm dies Kissen, steige damit auf den höchsten Turm der Stadt, schneide das Kissen auf und schüttle alle Federn hinaus in den Wind. Dann komm wieder zu mir!" Er tat es und kam zurück. Da sagte der Kranke: „Nun geh' hin und sammle alle Federn wieder ein, bis keine mehr fehlt!" Jetzt erkannte der andere, was sein ehemaliger Freund ihm mit diesem seltsamen Auftrag klarmachen wollte. Er brach zusammen und weinte bitterlich. Der Kaufmann aber fuhr fort: „Siehst du nun ein, was du mir angetan hast ? So wenig du die Daunen, die der Frühlingssturm in die Weite getragen hat, wieder greifen und sammeln kannst, so wenig vermagst du all deine Ver-

9. und 10. Gebot.

67

leumdungen und Lügen über mich wieder zurückzuholen. Sie sind von Mund zu Mund, von Haus zu Haus, von Straße zu Straße, von Stadt zu Stadt weiter geflogen, in die Nähe und in die Ferne, und haben ihr Vernichtungswerk besorgt. Kein Mensch kann sie jemals wieder alle auffinden und unschädlich machen. Deshalb, wenn du all deine Schätze und selbst dein Leben hingäbest, könntest du doch nimmer das wieder gut machen, was du mir durch deine Verleumdungen an Leib und Seele und an meiner Ehre verdorben und zerstört hast." Also sprach der Kaufmann, atmete noch einmal tief auf — und starb. E. W.

9. und 10. Gebot. Luther behandelt im GK. das 9. u n d 10. G e b o t a l s E i n h e i t ; erst im K K . reißt er beide auseinander. Wir folgen seinem Ansatz im GK., nehmen zunächst die zwei Gebote zusammen und fragen uns nach ihrem besonderen, gemeinsamen Inhalt. Ähnlich wie beim 3. und 6. Gebot arbeitet Luther zuerst den urs p r ü n g l i c h j ü d i s c h e n V e r s t a n d der beiden Gebote heraus, um von dieser Grundlage her ihre andersartige Bedeutung für uns Christen klarzustellen. Nach Luthers Meinung legten schon die Juden das 9. und 10. Gebot „ n i c h t aus von K e u s c h h e i t und D i e b s t a h l , weil davon droben (d. h. im 6. und 7. Gebot) genug verboten ist", sondern in dem Sinn, „daß niemand dem andern das Seine, als Weib, Gesinde, Haus und Hof, Acker, Wiesen, Vieh, d e n k e und v o r n e h m e an sich zu bringen, auch mit g u t e m S c h e i n und Behelf, doch mit des Nächsten Schaden. Denn droben im siebenten Gebot ist die Untugend verboten, da man fremdes Gut zu sich reißt oder dem Nächsten vorenthält, dazu man kein Recht haben kann. Hier aber ist auch gewehrt, dem Nächsten nichts abzuspannen, a b m a n g l e i c h m i t E h r e n vor der Welt d a z u k o m m e n k a n n , daß dich niemand zeihen noch tadeln darf, als habest du es mit Unrecht erobert." Eine z w e i t e G e d a n k e n r e i h e legt dann den Nachdruck ganz und gar auf das B e g e h r e n ; sie lautet: „Also lassen wir diese Gebote bleiben in dem gemeinen Verstand, daß erstlich geboten sei, daß man des Nächsten Schaden nicht b e g e h r e , auch nicht dazu helfe noch Ursache gebe, sondern ihm gönne und lasse, was er hat, dazu fördere und erhalte, was ihm zu Nutz und Dienst geschehen mag, wie wir wollen uns getan haben. Also daß es s o n d e r l i c h wider die A b g u n s t u n d den leidigen Gpiz gestellt sei, auf daß Gott die U r s a c h e und Wurzel aus dem Wege räume, daher alles entspringt, dadurch man dem Nächsten Schaden tut; darum er's auch deutlich mit den Worten setzt: 5*

68

1. Hauptstück: Wie lebt ein Christ?

, Du sollst nicht begehren' usw. Denn er will vornehmlich d a s Herz rein haben, wiewohl wir's, solange wir hier leben, nicht dahin bringen können . . . " Die d r i t t e Z u s a m m e n f a s s u n g ist in dem „Beschluß der zehn Gebote" enthalten. Wir lesen dort beim Überbück über sämtliche Gebote, daß es in den beiden letzten darauf ankomme, nicht d a s „ R e c h t " des N ä c h s t e n a n z u t a s t e n , „ob du gleich Raum und Ursache dazu hättest und dich kein Mensch darum strafe". Es liegt auf der Hand, daß diese Auslegung auf die erste oben angeführte zurücklenkt und ihr neues Gewicht verschafft. Damit dürfte der H a u p t g e d a n k e L u t h e r s im G K . nicht das Begehren an sich, sondern d a s scheinheilige Begehren gewesen sein und d a z u das „ A b s p a n n e n " , das mit aller „Gescheitheit und Vorsicht." und allem „ S c h e i n des R e c h t e n " sich z. B. bei „Erbfall" und „gemeinen Kaufhändeln" an dem Besitz des Nächsten bereichert oder ihm „seinen Knecht oder Dienstmagd abspannt und entfremdet". „Darum ist dies letzte Gebot (gemeint ist das 9. und 10.!) nicht für die bösen Buben vor der Welt, sondern eben für die Frömmsten gestellt, die da wollen gelobt sein, redliche und aufrichtige Leute heißen, als die wider die vorigen Gebote nichts verschulden . . . " Im Blick auf diese heuchlerische Gemeinheit und diese mit der Maske des Rechts und der Frömmigkeit einhergehende Ichsucht, „Abgunst" und Gaunerei betont Luther die Notwendigkeit des reinen Herzens, „auf daß Gott die Ursache und Wurzel aus dem Wege räume, daher alles entspringt, dadurch man dem Nächsten Schaden tut". Solcher Rückgang auf die „Ursache und Wurzel" der Gesinnung ist aber nichts grundsätzlich Neues, sondern etwas, das, wie wir sahen, bereits bei Besprechung der früheren Gebote (s. o. S. 34,41, 45) genau so angeklungen hatte, nur mit dem Unterschied, daß jetzt, beim Schluß der Gebote und verursacht durch den Verbotstext „Du sollst nicht begehren", davon noch einmal mit besonderem Nachdruck die Rede ist. Aber nicht dies „Begehren" ist das Neue und Eigenartige an dem 9. und 10. Gebot, sondern die Scheinheiligkeit und H i n t e r l i s t der bösen Absicht und der bösen Tat; nicht die Feststellung; daß hier allgemein von der Wichtigkeit der Gedanken gesprochen wird, sondern das Bloßstellen der raffinierten Sündigkeit eines nach außen hin ehrenwerten, wohlanständigen Verhaltens. Diese Erkenntnis findet ihre Bestätigung in dem Wortlaut der Erk l ä r u n g e n des K K . , wo von dem „Begehren" überhaupt nicht mehr

9. und 10. Gebot.

69

gesprochen wird, dafür um so klarer und unmißverständlicher von der „ L i s t " und dem „Schein des R e c h t s " und von dem solche Falschheit einschließenden „Abspannen, Abdringen und Abwendigmachen". So wäre also die Formel von dem „Schein des Rechts" der eine Leitgedanke für die unterrichtliche Behandlung des 9. und 10. Gebotes; der andere ergibt sich aus dem E i n z e l i n h a l t der beiden Gebote. Dieser wiederum, ist bestimmt durch den biblischen Wortlaut von II. Mose 20, Vers 17, wonach das 9. Gebot das Gelüsten nach des Nächsten Haus vorwegnimmt, während in der zweiten Fassung des Dekalogs V. Mose 5, Vers 18 das Begehren des Weibes des Nächsten vorangestellt wird. Luther hält sich an II. Mose 20. So handelt das 9. Gebot von dem Haus als V ä t e r e r b e , während wir beim 10. Gebot an alles, was im Hause l e b t , denken müssen: an F a milie, Hausgesinde und V i e h , also an die A r b e i t s k r ä f t e und gehilfen des Bauern. Damit haben wir gleichzeitig eine zweite Abgrenzung gegenüber dem 7. Gebot, das es ja in erster Linie mit dem toten Inventar zu tun hat, und gegenüber dem 6., das nur an die Frau denkt, nicht an die Menschen, die sonst noch zum Haushalt gehören. Aus alledem ergibt sich R e c h t und Grenze einer Besprechung des 9. und 10. Gebotes im U n t e r r i c h t . B e r e c h t i g t und notwendig ist die Behandlung dieser Gebote deshalb, weil sie gegenüber dem 6. und 7. Gebot zweifellos Neues bringen: die Abwehr scheinheiliger Intrigen durch den Aufruf zum Schutz des Rechtes des Nächsten hin* sichtlich seiner Heimat, seines Vätererbes, seines Familienlebens seiner Arbeit, seines häuslichen Glückes und seines häuslichen Friedens. Ihre Grenzen hat die Betrachtung der beiden Schlußgebote vor Kindern darin, daß Haus, Erbe, Weib, Gesinde und Vieh noch n i c h t G e g e n s t a n d k i n d l i c h e n Begehrens sind, m. a. W. daß diese Gebote als Schutzgebote zwischen Erwachsene gestellt sind und nicht zwischen Kinder. Dazu kommt, daß die Ausführungen der beiden Gebote und ihrer lutherschen Erklärungen heutzutage in der Hauptsache — bis auf die Worte „Weib" und „Gesinde" — nur noch für das flache Land gelten und S t a d t k i n d e r n u n a n s c h a u l i c h und unaktuell geworden sind. Außerdem ist hier wie dort der P a t r i a r c h a lismus L u t h e r s überholt und ebenso die e i n s e i t i g e Auffassung des E h e - und D i e n s t v e r h ä l t n i s s e s , weshalb das 10. Gebot,'wenn es bis ins letzte hinein christlich ernst genommen werden soll, wechselseitig verstanden werden muß, also nicht nur lauten darf: „Du sollst

70

1. Hauptetüfk: Wie lebt ein Christ?

nicht begehren deines Nächsten Weib, Knecht, Magd usw.", sondern ebenso: „Du sollst nicht begehren deines Nächsten Mann!" und „Du sollst nicht begehren deines Nächsten Arbeitsplatz und Verdienststeile!" Angesichts all dieser Schwierigkeiten wird man sich im Unterricht in der Hauptsache darauf beschränken, die oben angedeuteten Grundlinien klar und einfach herauszuarbeiten. Um die Beziehung zum Leben herzustellen, wird man sodann in ländlichen Verhältnissen seine Hauptaufgabe darin sehen, zur Ehrfurcht vor der Heiligkeit des Vätererbes auch dem Nachbar gegenüber zu erziehen, in Stadt und Land gemeinsam die Gewissen zu schärfen zum Abscheu vor aller hinterhältigen Gemeinheit frommen Betruges und absichtlichen Abspenstigmachens von Dienstpersonal, Angestellten usw. P o s i t i v wiid man mit Luthers GK. den Finger darauf legen, daß ein Christ sich beizeiten .und im kleinen daran gewöhnen muß, dem andern zu „gönnen, was ihm Gott beschert hat", und — wie bei allen Geboten — daran erinnern, daß solches „Gönnen", „Fördern und Erhalten" nur herauswachsen kann aus einer reinen, immer neu zu erbittenden Nächstenliebe. Im übrigen wird man sehr deutlich sagen müssen, daß die6e Gebote ihre volle Bedeutung erst gewinnen können, wenn die Kinder erwachsen sein werden, und daß sie deshalb eben für diese Z u k u n f t , d.h. mit Rücksicht auf das spätere Leben der Kinder, behandelt und auswendig gelernt werden. Wen es dann noch zur Veranschaulichung der oben dargelegten Grundzüge nach biblischen Beispielen verlangt, der findet für das 9. Gebot in der Geschichte von J a k o b und E s a u (I. Mose 27) und vor allem in der von N a b o t h s Weinberg (I. Kön. 21) und für das 10. Gebot in der ruchlosen B e s i t z e r g r e i f u n g B a t h s e b a s durch D a v i d (II. Sam. 11) die bekannten Paradebeispiele, die hier allerdings am Platze sind, um die Schurkigkeit eines derartigen Verhaltens recht abschreckend vor Augen zu malen. Beschluß der zehn Gebote. I. Im GK. Der zu großen Teilen über die Maßen schöne Beschluß der zehn Gebote im GK. bringt 1. den wundervollen Hinweis darauf, daß wir hier in den zehn Geboten „den rechten Born und Röhre" haben, „aus und in welchen quellen und gehen muß alles, was g u t e Werke heißen sollen, also daß außer den zehn Geboten kein Werk und Wesen gut und gottge-

Beschluß der zehn Gebote.

71

fällig sein kann, es sei so groß und köstlich vor der Welt, wie es wolle" (vgl. auch o. S. 9, Punkt 3). Dabei entdecken wir. 2. eine feinsinnige Unterstreichung der bei der Einzelbehandlung der Gebote betonten notwendigen christlichen Gesinnung und Grundhaltung wie „Sanftmut, Geduld und Liebe gegen Feinde, Keuschheit, Wohltat usw. und was solche Stücke mit sich bringen". 3. Eng verbunden mit der Bemerkung von den guten Werken steht die andere von dem rechten S t e h e n im S t a n d (s. o. S. 9f., Punkt 3 und 4). 4. Darauf folgt der Zusatz „ I c h , der Herr, dein G o t t , bin ein eifriger Gott . . . " , den Luther ausführlich bereits beim 1. Gebot besprochen hatte, den er jetzt aber noch einmal bringt, weil er „doch um aller Gebote willen gesetzt" sei. Er enthält für ihn „ein zornig Drohwort und freundliche Verheißung, uns zu schrecken und zu warnen, dazu zu locken und reizen, auf daß man sein Wort als einen göttlichen Ernst annehme und groß achte, weil er selbst ausdrückt, wie groß ihm daran gelegen sei Damit er will gefordert haben, daß sie alle aus solchem Herzen gehen, das alleine Gott f ü r c h t e t und vor Augen hat und aus solcher Furcht alles läßt, das wider seinen Willen ist, auf daß es ihn nicht erzürne, und dagegen auch ihm allein v e r t r a u t und ihm zuliebe tut, was er haben will, weil er sich so freundlich als ein Vater hören läßt und uns alle Gnade und Gutes anbietet." 5. Mit diesen letzten Worten ist die Rückwendung zum 1. Gebot vollzogen, das ja auch nichts anderes forderte als: „Du sollst mich als deinen einigen rechten Gott fürchten, lieben und mir vertrauen." Auf dies 1. Gebot ist damit alles hier gestellt. „Denn wo ein solches Herz gegen Gott ist, das hat dieses und alle andern erfüllt." Darum „soll nun das erste Gebot leuchten und seinen Glanz geben in die andern alle", weil es ja der Reif ist, um den der ganze „Kranz" der zehn Gebote geflochten ist, oder — mit dem anderen Bilde ausgedrückt — weil „das erste Gebot das Haupt und Quellborn ist, so durch die andern alle geht, und wiederum alle sich zurückziehen und hangen an diesem, daß Ende und Anfang alles ineinandergeknüpft und -gebunden ist" (s. o. S. 13, Punkt 10). 6. Dies alles „ist nütz und not, dem jungen Volk immer vorzuhalten, vermahnen und erinnern", daß es „der hohen Majestät Gebote sind, der mit solchem Ernst drüber hält", damit man es von Jugend auf „ohne Unterlaß vor Augen und in stetem Gedächtnis habe.

72

1. Hauptstück: Wie lebt ein Christ?

in alle unserm Tun und Wesen treibe, und ein jeglicher lasse es seine tägliche Übung sein . . . " II. Von diesem Beschluß der zehn Gebote im GK. unterscheidet sich in charakteristischer Weise der des KK. Er bringt von den sechs vorstehend aufgezählten Gedankengruppen n u r den unter 4. angeführten Doppelzusatz von dem „ e i f r i g e n G o t t " , der über die, so ihn hassen, die Sünde der Väter heimsucht an den Kindern bis ins dritte und vierte Glied und denen, die ihn lieben und seine Gebote halten, wohltut in tausend Glied; dazu noch Luthers E r k l ä r u n g : „Gott dräuet, zu strafen alle, die diese Gebote übertreten. Darum sollen wir uns f ü r c h t e n vor seinem Zorn und nicht wider solche Gebote tun. Er verheißet aber Gnade und alles Gute allen, die solche Gebote halten. Darum sollen wir ihn auch l i e b e n und v e r t r a u e n und gerne tun nach seinen Geboten." Für die u n t e r r i c h t l i c h e B e h a n d l u n g gilt es zunächst festzustellen, daß — genau wie bei allen Geboten vorher — ein beachtenswerter U n t e r s c h i e d besteht z w i s c h e n d e m B i b e l t e x t u n d d e r v o n L u t h e r z u g e f ü g t e n E r k l ä r u n g . Der einfache Wortverstand der B i b e l handelt lediglich von der G o t t e s s t r a f e und dem G o t t e s l o h n , der für die Sünde und Guttat der Väter noch die kommenden Geschlechter treffen soll, während L u t h e r in seiner Erklärung darüber nachsinnt, wozu diese Drohung und Verheißung u n s ermahnen will: „ D a r u m s o l l e n wir uns fürchten vor seinem Zorn und n i c h t w i d e r s o l c h e G e b o t e t u n . . . D a r u m s o l l e n w i r ihn auch lieben und vertrauen und g e r n e t u n n a c h s e i n e n G e b o t e n . " Drohung und Verheißung werden also für Luther zu M o t i v e n f ü r die E r f ü l l u n g d e r G e b o t e , und die Hauptsache ist nicht mehr die Gottesdrohung und -Verheißung, sondern der A u f r u f z u m G e h o r s a m u n d z u r nimmermüden Tat. Dies und die offenkundige Beziehung auf das 1. Gebot wird älteren Schülern und Erwachsenen leicht eingehen. Zwei E i n w ä n d e werden aber bei Besprechung des Gebotsbeschlusses immer wieder erhoben werden: zum ersten der Einwand, d a ß d i e h i e r a n g e k ü n d i g t e n Strafen und Verheißungen offensichtlich gar nicht immer e i n t r e f f e n . Wie oft geht es den Frommen nicht „gut", und wie oft ist von einer „Bestrafung" des Gottlosen während seines Lebens nichts zu merken! Solchen Beobachtungen und Meinungsäußerungen gegenüber werden wir so deutlich und nachdrücklich wie möglich darauf hinzuweisen haben, daß in Übereinstimmung mit dem Buche Hiob

Beschluß der zehn Gebote.

73

und den entscheidenden Stellen des Neuen Testamentes (z. B. Matthäus 26, 39; 10, 38; Römer 8, 28. 35 ff.) Gottes Wille sich nicht nach Art eines menschlich-irdischen Rechenschemas auswirkt und daß außerdem Gottes „Strafe", „Gnade und alles Gute" niemals nur äußerlich erwartet werden dürfen. Mag Luther im GK. aus volkspädagogischen Gründen jene äußerlichen Saiten noch so stark angeschlagen haben, wir müssen an d i e s e m P u n k t e ü b e r i h n h i n a u s g e h e n und der W i r k l i c h k e i t des L e b e n s und der E i n s i c h t u n s e r e s c h r i s t l i c h e n Gewissens die E h r e g e b e n . Das erfordert die Wahrhaftigkeit und der Blick auf Jesu, der Apostel und vieler Frommer Lebensweg. Kann doch die größte „Strafe" für uns nichts Irdisches oder Zeitliches sein, sondern die Nacht der Gottesferne, und der größte „Lohn" nur — Gott selbst. Wie P a u l G e r h a r d t singt („Die güldne Sonne", Vers 10): „Willst du mir geben, womit mein Leben ich kann ernähren, so laß mich hören allzeit im Herzen dies heilige Wort: Gott ist das Größte, das Schönste, das Beste, Gott ist das Süßte und Allergewißte, aus allen Schätzen der edelste Hort." Der zweite Vorwurf ist der, daß es doch fürchterlich und von G o t t u n g e r e c h t und l i e b l o s s e i , die S ü n d e der V ä t e r h e i m z u s u c h e n an den K i n d e r n bis ins dritte und vierte Glied und denen wohlzutun, die es gar nicht selbst verdient haben. Was haben wir da zu entgegnen ? Nun zunächst können wir für den K K . diesen Vorwurf dadurch vollkommen entkräfte^, daß wir unseren Schülern zeigen, wie L u t h e r gerade j e n e A n s t o ß e r r e g e n d e n S t e l l e n des b i b l i s c h e n S a t z e s in s e i n e r E r k l ä r u n g b e i s e i t e g e l a s s e n h a t , wie er im K K . gar nicht mehr von Kindern und Kindeskindern spricht, sondern lediglich von den Leuten, die s e l b s t die Gebote übertreten oder halten. D i e s e soll Gottes Strafe oder Gnade treffen, nicht die anderen. Aber wir brauchen gar nicht so radikal mit dem Bibeltext zu brechen wie Luther. Wir können die ewige Wahrheit des Bibelwortes auch unseren Schülern aufgehen lassen, ohne dem Vorwurf, Gott wolle hier Ungerechtes, Nahrung zu geben. Wir müssen nur das herauszulesen uns bemühen, was auch heute ewig wirksam gilt: die u n e r s c h ü t t e r l i c h e G o t t e s o r d n u n g , derzufolge menschliche Sünde immer Unheil nach sich zieht und menschlicher Gehorsam gegen Gott immer Segen wirkt, auch über die Geschlechter der Lebenden hinaus. An Beispielen und Belegen für die unaufhebbare Wirksamkeit dieses Gottesgesetzes fehlt es ja in der Geschichte der Menschheit und unserer Tage nicht, man denke nur an die verheerenden Folgen der T r u n k s u c h t und

74

1. Haupt stück: Wie lebt ein Christ?

der U n s i t t l i c h k e i t (Geschlechtskrankheiten)! Und weil das so ist, unwiderruflich so ist und so bleibt, weil das nach Gottes Willen im Wesen der Sünde liegt, daß sie Unsegen wirken muß, weil das n i c h t U n g e r e c h t i g k e i t G o t t e s gegen die Nachkommen der Menschen ist, sondern der Fluch der Sünde, d.h. die Schuld der Vorfahren an ihren eigenen Kindern und Enkeln, darum sollen wir die Sünde hassen und Gott gehorsam sein, darum sollen wir nach Luthers Worten „uns fürchten vor seinem Zorn und nicht wider solche Gebote tun". Diesen Aufruf zur V e r a n t w o r t u n g vor dem E i g e n g e s c h l e c h t angesichts der ewigen Gottesgesetze von Sündenfluch und Segenswirken gilt es im Unterricht herauszuarbeiten und in Verbindung damit den immer neuen Aufruf zum Gehorsam gegen die zehn Gebote als gegen die treuen Gotteswächter, die vor der Sünde bewahren helfen wollen. Dies beides muß uns und unseren Schülern zur Hauptsache des Beschlusses werden, vor der alle sonstigen Einwände mit ihrer falschen Fragestellung bedeutungslos werden und in sich zusammenfallen. Damit wäre Sinn und Zielrichtung des Gebotsbeschlusses im K K . für uns und unseren Unterricht nach allen Seiten hin klargestellt, und wir , hätten in Luthers Fußtapfen die Besprechung der zehn Gebote ihrem Ende zugeführt. Für einen G e s a m t ü b e r b l i c k und l e t z t e n Abschluß dürfte sich empfehlen, die im KK. noch nicht zur Geltung gekommenen übrigen Gedanken des GK.-Schlusses fruchtbar zu machen (s. o. S. 70f.) und die anderen noch verbleibenden Gesichtspunkte auszuwerten, die wir in unserer „Grundlegung" auf S. 9ff. vorwegnehmend aufgezählt hatten. An B i b e l w o r t e n zur Zusammenfassung der zehn Gebote bieten sich an: Matthäus 22,37—40: „Du sollst lieben Gott, deinen Herrn, von ganzem Herzen, von ganzer Seele und von ganzem Gemüte. Dies ist das vornehmste und größte Gebot. Das andere aber ist dem gleich: Du sollst deinen Nächsten lieben als dich selbst. In diesen zweien Geboten hanget das ganze Gesetz und die Propheten." I. Joh. 4,16. 18—21: „Gott ist Liebe; und wer in der Liebe bleibet, der bleibet in Gott und Gott in ihm. — Furcht ist nicht in der Liebe, sondern die völlige Liebe treibet die Furcht aus; denn die Furcht hat Pein. Wer sich aber fürchtet, der ist nicht völlig in der Liebe. Lasset uns ihn lieben, denn er hat uns zuerst geliebet. So jemand

Beschluß der zehn Gebote.

75

spricht: ,Ich liebe Gott', und hasset seinen Bruder, der ist ein Lügner. Denn wer seinen Bruder nicht liebet, den er siehet, wie kann er Gott lieben, den er nicht siehet ? Und dies Gebot haben wir von ihm, daß, wer Gott liebet, daß der auch seinen Bruder liebe." L J o h . 5, 3 : „Das ist die Liebe zu Gott, daß wir seine Gebote halten; und seine Gebote sind nicht schwer." I . T i m . 1 , 5 : „Die Hauptsumme des Gebotes ist Liebe von reinem Herzen und von gutem Gewissen und von ungefärbtem Glauben." Römer 13,8—10: „Seid niemand nichts schuldig, denn daß ihr euch untereinander liebet; denn wer den andern hebet, der hat das Gesetz erfüllet. Denn das da gesagt ist: ,Du sollst nicht ehebrechen, du sollst nicht töten, du sollst nicht stehlen, du sollst nicht falsch Zeugnis geben, dich soll nichts gelüsten', und so ein andres Gebot mehr ist, das wird in diesem Wort zusammengefasset: ,Du sollst deinen Nächsten lieben als dich selbst.' Die Liebe tut dem Nächsten nichts Böses. So ist nun die Liebe des Gesetzes Erfüllung." Matth. 7, 12: „Alles nun, was ihr wollt, daß euch die Leute tun sollen, das tut ihr ihnen auch; das ist das Gesetz und die Propheten." Lukas 11, 28: „Selig sind, die das Wort'Gottes hören und bewahren." J a k . 1, 22: „Seid aber Täter des Worts und nicht Hörer allein, dadurch ihr euch selbst betrüget." J o h . 1 3 , 1 7 : „So ihr solches wisset: Selig seid ihr, so ihr's t u t ! "

II. Was glaubt ein Christ? 2. Hauptstück: Die drei Artikel des christlichen Glaubens. A. Grundlegung. 1. Das Apostolikum als Zusammenfassung des Evangeliums der Bibel. Für Luther umschließt das in seinen Anfängen in das 2./3. Jahrhundert zurückreichende und im 4./5. Jahrhundert endgültig formulierte „Apostolische Glaubensbekenntnis" die ganze Heilsbotschaft der Bibel. „Das ganze E v a n g e l i u m ist im Symbol e n t h a l t e n " (WA. 11, 48). „Wie eine Biene den Honig aus mancherlei schönen, lustigen Blümlein zusammenzieht, also ist dies Symbol . . . aus der ganzen Schrift fein kurz gefasset für die Kinder und einfältigen Christen" (WA. 41, 275). „Siehe, dahast du das ganze g ö t t l i c h e Wesen, W i l l e n und Werk mit ganz kurzen und doch reichen Worten aüfs allerfeinste abgemalt, darin all unsere Weisheit steht . . . " (GK., 3. Art.). 2. Luthers Einteilung des Glanbensbekenntnisses in drei Artikel statt in zwölf. Die mittelalterlich-katholische Kirche hatte das Apostolikum in zwölf Artikel eingeteilt. Luther kehrte zur ursprünglichen Dreiteilung zurück. Seine diesbezügliche Bemerkung im GK. lautet: „Aufs erste hat man bisher den Glauben geteilt in zwölf Artikel . . . Aber d a ß man's aufs l e i c h t e s t e und e i n f ä l t i g s t e fassen k ö n n t e , wie eS für die Kinder zu lehren ist, wollen wir den ganzen Glauben kürzlich fassen in d r e i H a u p t a r t i k e l nach den drei Personen der Gotth e i t , dahin alles, was wir glauben, gerichtet ist, also daß der erste Artikel, von Gott dem Vater, erkläre die Schöpfung, der andere, von dem Sohn, die Erlösung, der dritte, von dem Heiligen Geist, die Heiligung." Dieser Rückgang auf den frühchristlichen Dreiklang des römischen Taüfbekenntnisses (vgl. auch Matthäus 28,19 und II. Korinther 13,13) im Gegensatz zu der noch heute in dem katholischen Einheitskatechismus für Deutschland vorgeschriebenen Zwölfzählung verdient auch unseren Schülern im Unterricht gebührend bekanntgemacht

Die drei Artikel: Grundlegung.

77

zu werden. Uns selbst wird wichtig dabei sein, daß Luther sich, wie der vorstehende Satz aus dem GK. beweist, zur Dreiteilung sowohl aus sachlichen wie insbesondere aus pädagogischen Erwägungen heraus entschloß. 3. Der dreifache Inhalt des Glaubensbekenntnisses. O b j e k t des Glaubens sind nach obiger GK.-Aussage also zunächst die „drei Personen der G o t t h e i t " , d. h. Gott der Vater, Christus der Sohn und der Heilige Geist; außerdem aber die Werke dieser drei Personen: die Schöpfung, die Erlösung und die Heiligung (s. auch die KK.-Überschriften!). „Als wäre der Glaube aufs allerkürzeste in so viel Worte gefaßt: Ich glaube an Gott Vater, der mich geschaffen hat; ich glaube an Gott den Sohn, der mich erlöst hat; ich glaube an den Heiligen Geist, der mich heilig macht: Ein Gott und ein Glaube, aber drei Personen, darum auch drei Artikel oder Bekenntnisse." Weil es nun aber „ein Gott" und „ein Glaube" ist, könnten wir ohne das trinitarische Schema den Gesamtinhalt der drei Artikel unter Vorwegnahme der Ergebnisse unserer Einzelbesprechung auch so zusammenfassen, daß wir sagen: Die drei Artikel bezeugen erstens unseren dreifachen Glauben an G o t t ; zweitens unseren Glauben an das von ihm vollbrachte und gewollte Werk der Schöpfung, Erlösung und Heiligung; d r i t t e n s gleichzeitig damit den Glauben, daß G o t t h i n t e r der Welt, hinter Jesus Christus und hinter der Kirche steht; v i e r t e n s erinnern sie uns an G o t t e s Geschenk: an die Welt und unser Leben, an Jesus Christus und unsere Erlesimg, an die christliche Kirche und unseren Glauben bzw. unsere Heiligung. Daß eine derartige Inhaltsbestimmimg sich mit Luthers eigener Meinung deckt, beweisen gelegentliche Inhaltszusammenfassungen des GK. im Verlauf der Artikelerklärungen. So heißt es am Schluß des 1. Artikels: „Denn da sehen wir, wie sich dpr V a t e r uns gegeben hat samt allen Kreaturen und uns aufs allerreichlichste in diesem Leben versorgt, ohne daß er uns sonst auch mit unaussprechlichen ewigen Gütern durch seinen Sohn und Heiligen Geist überschüttet, wie wir hören werden." Am Anfang des 2. Artikels fährt dann Luther entsprechend fort: „Hier lernen wir die andere Person der Gottheit kennen, daß wir sehen, was wir über die vorigen zeitlichen Güter von Gott haben, nämlich, wie er sich ganz und gar ausgeschüttet hat und

78

2. Hauptstück: Was glaubt ein Christ?

nichts behalten, das er nicht uns gegeben habe." Und gegen Ende des 3. Artikels überblickt er noch einmal das ganze Bekenntnis und sagt: „Hier . . . hast du es alles aufs allerreichste; denn da hat er selbst offenbart und aufgetan den tiefsten Abgrund seines väterlichen Herzens und eitel unaussprechlicher Liebe in allen drei Artikeln. Denn er hat uns eben dazu geschaffen, daß er uns erlöste und heiligte, und überdas, daß er uns alles gegeben und eingetan hatte, was im Himmel und auf Erden ist, hat er uns auch seinen Sohn und Heiligen Geist gegeben, durch welche er uns zu sich brächte." 4. Die persönliche Zuspitzung von Luthers Erklärungen. Alle unter 3. aufgezählten Glaubensinhalte sind nun aber nach Luthers Erklärungen nur dann f ü r mich von Belang, wenn sie von m i r im Glauben anerkannt und auf m i c h im Glauben bezogen werden. Diese persönliche Zuspitzung von Luthers Aussagen kann nicht entscheidend genug von Anfang an betont werden. Er macht damit aus dem altehrwürdigen, in sakralen Formen jahrhundertelang erstarrten Tauf-, Glaubens- und Kirchenbekenntnis sein p e r s ö n l i c h e s G l a u b e n s b e k e n n t n i s , indem er die im Symbol objektiv festgestellten und aufgezählten Heils Wahrheiten auf s i c h bezieht, auf sein Leben anwendet und diesen ichbezogenen Gehalt zusammenfaßt in die drei wuchtigen Sätze: „Ich glaube an Gott Vater, der m i c h geschaffen hat; ich glaube an Gott den Sohn, der m i c h erlöst hat; ich glaube an den Heiligen Geist, der mich heilig macht" (GK.), oder mit den Worten des K K . wiederholt: „Ich glaube, daß m i c h Gott geschaffen h a t . . . " ; „Ich glaube, daß Jesus Christus... sei m e i n Herr, der mich . e r l ö s t hat . . . " ; „Ich glaube, daß i c h nicht . . . kommen kann, sondern der Heilige Geist hat mich . . . berufen . . . " So wie Luther in den Erklärungen der zehn Gebote das „Du sollst" umbog in das persönlich bekennende „Wir sollen Gott fürchten und lieben, daß wir . . . " , so eignet er sich dgs „Wir" des altkirchlichen Bekenntnisses an durch das „Ich" seiner Erklärungen. Und dieses „Ich" schiebt er dann unausweichlich jedem einzelnen Leser und Bekenner seines Katechismus zu. Er weiß, warum. Genügt es doch beim Glauben nicht, sich hinter das „Wir" des gemeinschaftlichen Bekenntnisses zu verstecken, vielmehr geht es hier um die allerletzte, allerpersönlichste Entscheidung vor der Frage: Glaubst du, oder glaubst du nicht ? So hat Luther s e i n e n Glauben in den Erklärungen der Artikel niedergelegt, und wir werden ihm dafür danken, daß er uns

Die drei Artikel: Grundlegung.

79

dadurch einen Weg gewiesen und Möglichkeiten gezeigt hat, wie das altkirchliche Bekenntnis auch unser Bekenntnis werden kann, so wie es durch die Erklärungen sein Bekenntnis geworden ist. 5. Die praktisch-religiöse Abzweckung von Luthers Erklärungen. Mit der persönlichen Zuspitzung von Luthers Auslegung hängt aufs engste zusammen die praktische Abzweckung seiner Artikelerklärungen. Alles T h e o r e t i s c h - D o g m a t i s c h e i s t hier beiseite gelassen zugunsten dessen, was das fromme Leben des Gläubigen an jubelndem Aufblick, dankbarem Bekenntnis und frohem Tatgeiöbnis enthalten und bezeugen muß. Nicht um theologische Begriffe geht es Luther, sondern um lebendigen Glauben. Darum fehlen ebenso alle Auslassungen über Trinitäts- und Zweinaturenlehre, über den „rechtfertigenden Glauben", die „Wiedergeburt" und die „Erbsünde", über das „Wesen Gottes", das „Verdienst Christi" und die „Person des Heiligen Geistes". Nur was Gott mir im 1., 2. und 3. Artikel geschenkt hat und schenken will und was ich ihm dafür „zu danken und zu loben und dafür zu dienen und gehorsam au sein schuldig bin", ist von Wichtigkeit. Das Leben steht in Frage, n i c h t die Theologie; der Glaube, n i c h t das Dogma. 6. Die Aussagen der Artikel und ihrer Erklärungen als Aussagen des G l a u b e n s . Umgekehrt muß aber auch dies noch einmal besonders hervorgehoben werden, daß alles, was in den drei Artikeln und in ihren Erklärungen an Aussagen erscheint, nur verstanden werden darf als vom Glauben her gesagt. Wir haben es beim zweiten Hauptstück — wie bei allen anderen — n i c h t mit beweisbaren oder imbeweisbaren Sätzen zu tun, n i c h t mit natur- oder geisteswissenschaftlichen Ergebnissen, n i c h t mit allgemein menschlichen Erkenntnissen, n i c h t mit Aussagen gelehrten Verstandes und Zeugnissen größerer oder kleinerer Klugheit — wir haben es lediglich zu tun mit Aussagen des Glaubens und dürfen in keiner Minute unseres Unterrichts so tun, als ob das anders wäre; dürfen nie unsere Kinder und uns vergessen lassen, daß nur christlich-evangelischer Glaube so sprechen kann und sonst niemand auf der ganzen weiten Welt; dürfen nie übersehen, daß die Artikel und Luthers Erklärungen im Schatten der beiden kleinen Worte stehen, die ihren Eingang bilden und die immer von neuem nur das eine kund tun wollen, was es heißt zu sagen: „Ich g l a u b e . "

80

2. Hauptstück: Was glaubt ein Christ?

Denn nur „durch den Glauben merken wir, daß die Welt durch Gottes Wort fertig ist; daß alles, was man sieht, aus nichts geworden ist" (Hebräer 11, 3). Und was hier vom 1. Artikel gesagt ist, gilt erst recht in entsprechender Abwandlung vom 2. und 3. Artikel. 7. Das Wesen des „Glaubens" nach Luthers Erklärungen. Was aber ist nun dieser „Glaube", der in den drei Artikeln und in Luthers persönlichen Erklärungen sein Zeugnis gefunden hat ? Die Antwort auf diese wichtige Frage kann nur aus dem Wortlaut von Luthers Erklärungen gegeben werden, nicht auf Grund irgendeines vorgefaßten Glaubensbegriffes. Aus dem GK. und dem KK, aber wird folgendes deutlich: a) O b j e k t des Glaubens sind die Heilstatsachen der Schöpfung, Erlösung und Heiligung oder, anders gesagt, die G o t t e s t a t e n und Gottesgeschenke, von denen die Artikel und ihre Erklärungen Kunde geben (s. o. 3.). Objekt ist die „historia historiarum" („die Geschichte aller Geschichte"), wie Luther sich einmal ausgedrückt hat, d.h. die Gottesgeschichte dieser Welt, meines Lebens, Jesu Christi und der ganzen Christenheit. Und weil diese Objekte des Glaubens der Sache nach so fest umrissen sind und so deutlich heineingestellt in den Ablauf dieser Welt, darum ist der Glaube selbst zunächst nichts anderes als1 ein Bezugnehmen auf diese geschichtlichen Wirklichkeiten im Sinne des Fürwahrhaltens, des J a s a g e n s und der Anerkennung, so daß ich also in solchem Verstände mitzubekennen hätte, daß Gott die Welt und uxich geschaffen hat, daß Jesus Christus zu unserem Heil geschickt ist, daß Gott auch über seinen Tod hinaus in der Christenheit wirkt, oder, wie es im GK. bei den einzelnen Artikeln heißt, „daß ich Gottes Geschöpf bin", „daß Jesus Christus sei mein Herr geworden", „daß mich der Heilige Geist heilig macht". Dieser Glaube, daß hinter der sichtbaren Welt, hinter Jesus Christus, hinter der Christenheit 'und hinter meinem Leben Gott stand und steht, dieser Glaube, daß in der Geschichte der Welt, der Menschheit und Jesu Christi Dinge geschehen sind, die für mich heute noch ihre entscheidende Bedeutung haben, jene D a ß - S ä t z e in Luthers GK. und KK. beweisen zur Genüge, daß.der Glaube bei Luther ohne Fürwahrhalten nicht zu denken ist. b) Dies Fürwahrhalten ist freilich ein Fürwahrhalten besonderer Art. Es gehört dazu und ist darin eingeschlossen immer auch jenes Ausdeuten der geschichtlichen Tatsachen-, von dem deshalb

Die drei Artikel: Grundlegung.

81

oben schon mit die Rede war. Die sichtbare Welt, mein Leben, Jesus Christus und die christliche Kirche werden v o n d e m G l a u b e n ged e u t e t als Taten und Werke Gottes. Irdische und geschichtliche, von allen Menschen zu sehende Wirklichkeiten werden auf Gott bezogen und von Gott hergeleitet. Durch die Tatsachen dieser Welt blickt das Auge des Glaubens hindurch auf das dahinter stehende Walten Gottes, und so werden diese unbestreitbaren Fakta zu Transp a r e n t e n der e w i g e n G o t t e s g ü t e . c) Mit diesem ausdeutend-fürwahrhaltenden Glauben Hand in Hand geht dann noch das andere, was gewöhnlich an erster Stelle genannt zu werden pflegt, das V e r t r a u e n auf diesen Gott, der durch die Zeichen der Welt hindurch zu uns redet. Und zwar ist es ein Vertrauen d r e i f a c h e r Art, das die V e r g a n g e n h e i t , G e g e n w a r t und Z u k u n f t gleicherweise umspannt. Bezieht der Glaubende doch nicht nur die Tatsachen der Vergangenheit vertrauensvoll auf sich; er weiß sich ihretwegen auch in der Gegenwart in der Hut des Vaters geborgen und traut aus demselben Grunde auch für die Zukunft darauf, daß Gott ihn in seinem Leben und Glauben erhalten, beschirmen und zum ewigen Leben führen werde. Es ist ein Vertrauen ähnlicher Art, wie es in den herrlichen Eingangssätzen des GK. zum 1. Gebot (s. o. S. 18) angeklungen hatte, nur daß jetzt deutlich wird, daß es ohne die Garantien der Frohbotschaft des zweiten Hauptstücks keine Berechtigung und keinen Sinn hat. Wir können also auch hieraus ersehen, wie dem Vertrauen das Fürwahrhalten zugrunde liegen muß. Wie sollte ich auch vertrauen können, wenn ich nichts habe und nichts weiß, worauf ich vertrauen kann ? Ich muß glauben, daß Gott ist, ehe ich ihm vertrauen kann; ich muß glauben, daß Jesus Christus von Gott gesandt ist, ehe ich ihm gehorsam sein kann; ich muß glauben, daß Gott auch heute uns durch seines Geistes Wehen regieren will, ehe ich mich dessen getrösten kann. d) Als viertes Moment des Glaubens wäre dann noch der Gehors a m zu nennen, der in jedem Fürwahrhalten, Ausdeuten und Vertrauen zum Ausdruck kommt. Denn jenes Fürwahrhalten, Anerkennen und auf sich Beziehen ist von Gott und dem Glauben her gesehen nur tatgewordener Gehorsam vor dem Angebot der Gottesgüte. Wollen doch die Artikel uns nach den Worten des GK. immer wieder vortragen „alles, was wir von Gott erwarten und empfangen müssen" (Einleitung des 2. Hauptstücks), „daß wir daran spüren und sehen sein väterlich Herz und überschwengliche Liebe gegen uns" (1. Artikel), „wie 6 W i ß m a n n , Katechismusunterricht.

82

2. Hauptstück: Was glaubt ein Christ?

er sich ganz und gar ausgeschüttet hat und nichts behalten, das er nicht uns gegeben habe" (2. Artikel), „den tiefsten Abgrund seines väterlichen Herzens und eitel unaussprechlicher Liebe" (3. Artikel). Diesem Liebes willen Gottes gegenüber gilt es genau so zu gehorchen wie dem fordernden Willen Gottes in den zehn Geboten. Und wenn der Gehorsam sich hier mehr im Glauben und Vertrauen zeigt und dort mehr im Handeln und Tun, so ist es beidemal doch derselbe Gehorsam des Glaubens, det im Glauben und Tun auf Gottes Willen achtet und seinem Angebot und seiner Forderung in gleicher Weise folgsam ist. Daß Luther dann am Schluß seiner Erklärungen zum 1. Artikel jene Gehorsamstat der zehn Gebote aus der Gehorsamstat des Glaubens der drei Artikel herauswachsen läßt — „des alles ich ihm zu danken und tu loben und dafür zu dienen und gehorsam zu sein schuldig bin" (KK.), „iwie er durch die zehn Gebote fordert und befohlen hat" (GK.) —, beweist nur, daß er über die Tatsache des doppelten Gehorsams hinaus der gegenseitigen Beziehung der beiden Gehorsamsarten nachdenkt, nicht aber, daß für ihn das Glauben der drei Artikel selbst etwa kein Gehorsam wäre. 8. Das Verhältnis des 2. Hauptstücks zu den zehn Geboten. Die Beziehung zwischen dem 2. und 1. Hauptstück besteht nun aber für Luther nicht nur — wie eben unter 7. Schluß angedeutet — darin, daß der Gehorsam gegen die zehn Gebote aus der D a n k b a r k e i t des Glaubens der drei A r t i k e l herausgeboren werden muß, Sie zeigt sich daneben noch in einer anderen Richtung, die jene Bedeutung des 2. Hauptstücks für das 1. noch einmal unterstreicht. Soll doch nach der Einleitung des GK. zum 2. Hauptstück die Botschaft der drei A r t i k e l uns „dazu dienen, daß wir dasselbe tun können, so wir l a u t der zehn Gebote tun sollen. Denn sie (d. h. die zehn Gebote) sind . . . so hoch gestellt, daß aller Menschen Vermögen viel zu gering und schwach ist, dieselben zu halten. Darum ist dies Stück ja so nötig als jenes zu lernen, daß man wisse, wie man dazu komme, woher und wodurch solche Kraft zu nehmen sei. Denn so wir könnten aus eigenen Kräften die zehn Gebote halten, wie sie zu halten sind, bedürften wir nichts weiter, weder Glauben noch Vaterunser." Es ist dasselbe, was Luther am Schluß des 3. Artikels zusammenfassend mit folgenden Worten auseinandersetzt: „Aus dem siehst du nun, daß der Glaube gar viel eine andere Lehre ist denn die zehn Gebote; denn diese lehrt wohl, was wir tun sollen, jene aber sagt, was

Unterrichtliche Behandlung der drei Artikel.

83

uns Gott tue und gebe Darum macht jene Lehre noch keinen Christen, denn es bleibt noch immer Gottes Zorn und Ungnade über uns, weil wir's nicht halten können, was Gott von uns fordert; aber diese bringt eitel Gnade, macht uns fromm und Gott angenehm. Denn durch diese Erkenntnis kriegen wir Lust und Liebe zu allen Geboten Gottes, w e i l wir h i e r s e h e n , wie s i c h G o t t ganz und gar mit allem was er hat und vermag, u n s g i b t zu H i l f e u n d S t e u e r , d i e z e h n G e b o t e z u h a l t e n , der Vater alle Kreaturen, Christus alle seine Werke, der Heilige Geist alle seine Gaben." 9. Das Verhältnis der drei Artikel untereinander. Luther hat im GK. nicht nur über das Verhältnis des 2. Hauptstücks zum 1. nachgesonnen, sondern auch über das der drei Artikel zueinander. Und zwar begegnen uns z w e i B l i c k r i c h t u n g e n . Die eine läuft vom 1. Artikel über den 2. zum 3., die andere rückwärts vom 3. über den 2. zum 1. Die erste Gedankenreihe sieht als Ziel der Schöpfung Gottes die Erlösung und Heiligung: „Denn er hat uns eben dazu geschaffen, daß er uns erlöste und heiligte." Die andere weiß den Glauben der ersten Artikel abhängig von dem Inhalt der jeweils folgenden: „Denn wir könnten nimpiermehr dazu kommen, daß wir des Vaters Huld und Gnade erkennten, ohne durch den Herrn Christum, der ein Spiegel ist des. väterlichen Herzens, außer welchem wir nichts sehen denn einen zornigen und schrecklichen Richter; von Christo aber könnten wir auch nichts wissen, wo es nicht durch den Heiligen Geist offenbart wäre." (GK., Ende des 3. Artikels.)

B. Unterrichtliche Behandlung der drei Artikel. I. A l l g e m e i n e V o r b e i h e r k n n g e n . 1. Arbeitsschulmäßiger Zugang zu den drei Artikeln. Der arbeitsunterrichtliche Zugang zum Inhalt des Glaubensbekenntnisses ergibt sich aus unserer zweiten Grundfrage: W a s g l a u b t e i n C h r i s t ? Von dieser Frage her werden wir unsere Schüler die wichtigsten, ihnen bereits bekannten, Aussagen unseres Glaubens an Gott und Jesus Christus zusammentragen lassen, u m dann weiter mit ihnen zu den besonderen Aussagen des altkirchlichen Glaubensbekenntnisses vorzudringen. Angesichts der verschiedenen Formulierung der von den Kindern beigebrachten Glaubensäußerungen wird sich die Frage erheben, ob es denn nicht zweckmäßig und wünschenswert 6»

84

2. Hauptstück: Was glaubt ein Christ ?

sei, eine einheitliche Glaubenszusammenfassung zu besitzen. Man kann erzählen, daß dieser Wunsch und diese Notwendigkeit bereits von der jungen christlichen Kirche in den ersten Jahrhunderten empfunden wurde und daß aus diesem Bedürfnis heraus das alte Glaubensbekenntnis als Taufbekenntnis entstanden ist. Man kann auch von der Frage nach dem Quellort des christlichen Glaubensinhaltes, von der Bibel, ausgehen und von hier aus seine Schüler nachempfinden lassen, wie angebracht es doch ist; die wichtigsten Glaubensaüssagen der Heiligen Schrift kurz umreißen zu kömien. Man kann auf besonders feierliche Handlungen wie Taufe, Konfirmation, • Gottesdienste u. ä. hinweisen, wo solche kurzen, allgemein gültigen Glaubenszusammenfassungen nötig und am Platze sind. Man wird andererseits im Blick auf das hohe Alter des sogenannten „Apostolikums" Verständnis für die Tatsache finden, daß Luther die Notwendigkeit empfand, den Inhalt jenes alten Glaubensbekenntnisses seiner Zeit neu zu erklären und zu umschreiben. Und man wird sich von da aus ohne weiteres der Aufgabe gegenübersehen, nun ebenso den Sinngehalt des lutherschen Und des altkirchlichen Glaubensbekenntnisses zu entdecken, für unsere Zeit und unser Leben anzuwenden und damit diese alten Glaubensworte zum Aufruf für unseren eigenen Glauben werden zu lassen. Über das Wesen des Glaubens ausführlich zu Beginn des 2. Hauptstücks zu sprechen, dürfte sich nicht empfehlen. Man kann das, was wir uns oben unter A 7 klar machten und was man in seinen Grundzügen (nur!) auch den Jugendlichen zeigen muß, nicht aus dem Nichts heraus vor den Kindern entwickeln, sondern erst während der Besprechung der drei Artikel oder noch besser am Schluß bei einem Gesamtrückblick auf alles Erarbeitete. Wenn es zu Beginn der Aussprache zu einer Verhandlung über das Wesen evangelischen Glaubens kommt, so kann man die Schüler an die ihnen bekannte E r k l ä rung des 1. Gebotes erinnern, wo der Glaube als „Fürchten, Lieben und Vertrauen" auseinandergelegt war. Man hat dann wenigstens die Anknüpfung an das „Vertrauen" und muß die anderen Momente des Fürwahrhältens, Ausdeutens, Auf-sich-Beziehens und Gehorchens nach und nach hinzufügen. 2. Unterrichtliche Folgerungen aus der Eigenart Von Luthers Erklärungen. Bei einer solch arbeitsschulmäßigen Einstellung verlangen die Erklärungen Luthers kraft ihrer Eigenart ganz besondere Arbeitsmittel

Untemchtliche Behandlung der drei Artikel.

85

und Arbeitswege. Erkennt man nämlich die „Erklärungen" als das, was sie von Hause aus sind: als p e r s ö n l i c h s t e Zeugnisse des Ref o r m a t o r s und jubelnde Ergüsse seines frommen Herzens, so wird man sie zunächst einmal in L u t h e r s eigenes Leben — und zwar in das 46. Jahr dieses Lebens! — hineinstellen und sie von da her zu verstehen suchen. Man wird zu diesem Zweck Bilder und Geschichten aus seinem Leben zur Veranschaulichung heranziehen und nicht zuletzt die Glaubenszeugnisse seiner Lieder, um von ihnen her das Verständnis der Glaubenserklärungen voll zu erschließen und so vielfältig wie möglich zu beleuchten. J a , man wird die „Erklärungen" der drei Artikel selbst als Glaubenslieder unseres L u t h e r anzuschauen lehren, als herrliche Preisgesänge der dreifach ewigen Gottesgütp, als prachtvolle Dichtungen, deren Schmelz, Melodie und Rhythmus ebenso notwendig gefühlt, gefunden und aufgenommen werden müssen wie die große Sache, von der hier in überschwänglicher Weise Zeugnis abgelegt wird. Man wird infolgedessen das Seziermesser philologischer und theologischer Kleinklauberei fortwerfen und durch sinnvoll-schönes Einzelaufsagen, durch Chorsprechen und Sprechcböre und auf den Höhepunkten durch gemeinsames Beten der Sätze Luthers die Kinder etwas ahnen und spüren lassen von der Größe und Tiefe dieser reifen Glaubenserkenntnis, die Luther uns und unserer Kirche in seinen „Erklärungen" geschenkt hat. 3. Stoffbeschränkung als Haupterfordernis einer kindes- (jugend-) gemäßen Behandlung der drei Artikel. Mit dem unter 2. Gesagten hängt aufs engste zusammen die Forderung einer B e s c h r ä n k u n g auf das W i c h t i g s t e und Wesentl i c h s t e , die gerade bei dem 2. Hauptstück im Gegensatz zu den breiten Darbietungen der meisten Vorbereitungsbücher nicht scharf genug erhoben werden kann. Luther hat uns auch hier die rechten Wege gewiesen. Schon rein äußerlich fällt auf, daß in seinem GK. die Behandlung der drei Artikel weit weniger Raum einnimmt als etwa die der zehn Gebote. Solche Kürze begründet Luther beim 1. Artikel mit den Worten: „Für die Gelehrten und die etwas läuftig ( = fortgeschritten) sind, kann man die Artikel alle drei weit ausstreichen und teilen in so viel Stücke, als es Worte sind. Aber jetzt f ü r die j u n g e n S c h ü l e r sei genug, das N ö t i g s t e a n z u z e i g e n . " Beim 2. Artikel heißt es entsprechend: „Diese einzelnen S t ü c k e alle sonderlich h e r a u s z u s t r e i c h e n , gehört nicht in die kurze K i n d e r p r e d i g t ,

86

2. Hauptstück: Was glaubt ein Christ?

sondern in die großen Predigten übet das ganze Jahr . . . " Und der 3. Artikel schließt mit der zusammenfassenden Betrachtung: „Das sei jetzt genug vom Glauben, e i n e n G r u n d z u l e g e n f ü r d i e E i n f ä l t i g e n , d a ß m a n sie n i c h t ü b e r l a d e , auf daß sie, wenn sie die Summa davon verstehen, danach selbst weiter nachtrachten, und was sie in der Schrift lernen, hierher ziehen und immerdar in reicherem Verstand zunehmen und wachsen." Aus solcher Grundüberlegung heraus wird man auch das, was wir oben (S. 82) über das Verhältnis des 2. Hauptstücks zu den zehn Geboten ausführten, nieht in seinem vollen Umfang Kindern vorsetzen. Man wird die Linie vom Schluß der ersten Artikelerklärung zu den zehn Geboten ziehen, nicht aber die von den zehn Geboten zu den drei Artikeln. Die letzte Tiefe solch christlicher Einsieht erschließt sich noch nicht dem Kinde; dazu bedarf es erst des Bruches der Reifejahre und der Glaübenserfahrung des Erwachsenen. Wir dürfen wohl auch hier Luther recht geben, wenn er meint (GK., Einleitung zum 2. Hauptstück): „Ehe man solchen Nutz und Not des Glaubens ausstreicht, ist genug erstlich für die gar Einfältigen, daß sie den Glauben an ihm selbst fassen und verstehen lernen."

4. Technische Hilfen für den Unterricht im 2. Hauptstück. Um den Kindern den Zugang zu dem Wortlaut der drei Artikel und ihrer Erklärungen so leicht wie möglich zu machen, empfiehlt es sich, auf Grund psychologischer Überlegungen alle Hilfen zu benutzen, die sich für eine sachlich-richtige und leichte Einprägung anbieten. Von dem sinnvoll-rhythmischen L a u t s p r e c h e n und der damit durchs G e h ö r vermittelten Hilfe war schon oben die Rede. Hinzu gesellen sich die visuellen und manuellen Möglichkeiten: Die v i s u e l l e n in Gestalt guter, strophisch und in Zweifarbendruck abgesetzter K a t e c h i s m u s a u s g a b e n und in Form der s. Z. von E g e r besorgten K a t e c h i s m u s w a n d t a f e l n ; die m a n u e l l e n durch selbständig s c h ö n e s S c h r e i b e n u n d V e r z i e r e n der Luthererklärungen und ihrer altkirchlichen Vorlagen durch die Schüler, wozu der Lehrer auf der Wandtafel Vorbild und Anregung geben mag. Auch die Verwendung passender W a n d - u n d H a n d b i l d e r zur Vertiefung des Sachanspruchs der Glaubensartikel kann hier schon erwähnt werden, ohne ihrer Einzelaufführung weiter unten vorzugreifen.

1. Artikel.

87

5. Steigerung der Schwierigkeiten beim 2. und 3. Artikel. Ehe wir uns der Einzelbehandlung der drei Artikel zuwenden, bedarf eine Tatsache noch kurier Erwähnung, die dem erfahrenen Lehrer nicht unbekannt ist, weil er sie in hartem Ringen und in mancher Not kennenlernte, auf die der unerfahrene Anfänger deshalb von vornherein aufmerksam gemacht werden muß, damit er nicht enttäuscht und flügellahm verzagt, wenn er sein Vorwärtsschreiten durch Widerstände plötzlich gehemmt sieht. Es handelt sich um die nicht wegzuleugnende Tatsache, daß die u n t e r r i c h t l i c h e n Schwierigkeiten von A r t i k e l zu A r t i k e l wachsen, nicht nur wegen des Inhalts der Artikel selbst, sondern ebenso wegen gewisser Eigentümlichkeiten der Erklärungen Luthers. Und zwar betreffen diese Schwierigkeiten sowohl das reine Sachverständnis wie die Aufgabe, dies Sachverständnis kindesgemäß umzuprägen und in eine unseren Schülern entsprechende unterrichtliche Form umzugießen. Es läßt sich deshalb nicht umgehen, daß unsere diesbezüglichen Untersuchungen auf den folgenden Seiten beim 2. und erst recht beim 3. Artikel weitläufiger sein werden als beim 1., was nicht bedeuten soll,, daß deshalb auch der Unterricht im 2. und 3. Artikel mehr Zeit beanspruchen müßte. Im Gegenteil, unsere gründlichen Überlegungen sollen uns dazu dienen, den K i n d e r n die S a c h e so leicht und klar wie möglich zu machen. Nur etwas anderes darf und muß aus der Feststellung, daß der 2. und 3. Artikel schwerer zu behandeln sind als der 1., gefolgert werden, daß man nämlich n i c h t mit dem 2. und 3. A r t i k e l anfangen darf, sondern mit dem 1. beginnen muß, und daß außerdem der 2. und 3. Artikel so s p ä t wie möglich behandelt werden sollten. Denn darüber dürfte kein Streit herrschen, daß die nicht zu umgehende. Besprechung der Artikel vor der Konfirmation nicht der Endpunkt der ^Durchnahme" sein können, sondern daß diese fortgesetzt und ergänzt werden muß, wo immer sich in der pfarramtlichen Tätigkeit eine Möglichkeit dazu bietet. „Denn wir haben doch täglich, solange wir hier leben, daran zu predigen und zu lernen" (GK., Schluß des 2. HaUptatücks). II. E i n z e l b e h a n d l u n g der drei G l a u b e n s a r t i k e l . 1. Artikel. 1. Arbeitsunterrichtlicher Zugang zum 1. Artikel. Luther versucht i m G K . eine innere Verbindung zwischen den zehn Geboten und dem 1. Artikel dadurch herzustellen, daß er — man möchte

88

2. Hauptstück: Was glaubt ein Christ?

sagen „arbeitsunterrichtlich" — die Frage erhebt bzw. sie erheben hört: Was ist denn das für ein G o t t , von dem in den zehn Geboten immerzu die Rede war ? „Denn weil die zehn Gebote haben vorgehalten, man solle nicht mehr denn einen Gott haben, möchte man nun fragen: Wäs ist denn Gott für ein Mann ? Was tut er ? Wie kann man ihn preisen oder abmalen und beschreiben, daß man ihn kenne ? Das lehrt nun dieser und folgende Artikel, also daß der Glaube nichts anderes ist denn eine Antwort und Bekenntnis der Christen, a'uf das erste Gebot gestellt. Als wenn man ein junges Kind fragte: Lieber, was hast du für einen Gott, was weißt du von ihm ? daß es könnte sagen: Das ist mein Gott, zum ersten der Vater, der Himmel und Erden geschaffen hat; außer diesem einigen halte ich nichts für Gott, denn sonst keiner ist, der Himmel und Erden schaffen könnte." Daneben bleibt die andere, unserer Gesamtschau zugrunde hegende, Hauptfragestellung offen: Was glaubt ein Christ? Nun ist unseren Kindern auf der Stufe des Katechismusunterrichts Gott keine unbekannte Größe mehr. Sie haben bereits ganz bestimmte Vorstellungen von ihm und ganz- bestimmte Einstellungen zu ihm. Sie kennen biblische Geschichten, die von ihm berichten, und Lieder des Gesangbuchs, die von ihm singen. Sie wissen von dem Glauben der Gottesmänner und von dem Gottesglauben und der Gottesbotschaft unseres Herrn Jesus und werden leicht und gern das alles zusammentragen und zu Bausteinen eines christlichen Glaubensbekenntnisses ordnend aufschichten. Ganz von selbst wird sich auf diese Weise der Hauptinhalt des 1. Artikels und vieles von dem, was Luther in seiner Erklärung dazu schrieb, zusammenfinden. 2. Der Glaube an den Schöpfergott. Luther setzt in seiner Erklärung bei der letzten Aussage des 1. Artikels: „Schöpfer Himmels und der Erden" ein und stellt auch im weiteren Verlauf, wie wir sehen werden, die Reihenfolge der Artikelworte auf den Kopf. Auch für den Unterricht wird sich am leichtesten von der Frage nach dem Schöpfergott ausgehen lassen, sei es nun im Bück auf die Schöpfung der Welt oder söi es im Sinn Luthers, der im GK. sofort weiten fragt: „Was ist's nun gesagt oder was meinst du mit dem Wort: ,Ich glaube an Gott Vater allmächtigen, Schöpfer' usw. ? Antwort: Das meine und glaube ich, daß ich Gottes Geschöpf bin." Bei der Aussprache über Gott als „Schöpfer Himmels und der E r d e n " werden die Kinder selbst wieder den ersten Schöpfungs-

1. Artikel.

89

bericht der B i b e l hervorholen, und man wird ihnen helfen, diesen Bericht als das klassische Glaubensbekenntnis des Alten Testamentes zum Schöpfergott zu erkennen und zu verehren. Man wird vielleicht auch noch den zweiten Schöpfungsbericht I. Mose 2 , 4 ff. mit ihnen besprechen, jedenfalls aber I. Mose 8, 22 („Solange die Erde steht, soll nicht aufhören ") und die anderen herrlichen Glaubenszeugnisse der Bibel wie Hiob 38—39, Psalm 19,1—7, Psalm 8,1—10 und vor allem den Preisgesang des 104. Psalms. Daneben wird man die vielen schönen Lob- und Danklieder unseres Gesangbuchs herbeirufen, soweit sie Gottes Schöpfung verherrlichen und rühmen, und wird sie mit den Kindern singen, damit es aus allen Herzen herausklingt : „Gott ist mein Lied! Er ist der Gott der Stärke; groß ist sein Nam', und groß sind seine Werke, und alle Himmel sein Gebiet." Die Wunder der S c h ö p f u n g selbst zu betrachten und den Kindern zu erschließen, bereitet keine Mühe, sondern eitel Freude. Ob wir bei der Tier- oder Pflanzenwelt einsetzen, bei den Wundern des Erdballs oder den Riesenwundern des Weltalls, überall werden unsere Kinder ganz Ohr sein, und das Staunen und die Ehrfurcht werden auf leisen Sohlen rasch in ihren jungen Herzen Einzug halten. Einige Zahlen und Mitteilungen aus der Welt unseres Sonnensystems und des gestirnten Himmels über uns: Sonne = 150 Millionen km von uns entfernt; sie ist P/imillionenmal so groß wie die Erde. Ein Schnellzug würde 200 Jahre dorthin brauchen; das Sonnenlicht benötigt 8 % Minuten zu uns. — Unendlich viel Sterne sind Hunderte, Tausende und Millionen „Lichtjahre" weit von uns entfernt. (Ein „Lichtjahr" = die Zeit, die das Licht in einem Jahr zurücklegt = rund 10 Billionen km = 10000000000000 km.) Milchstraße = unvorstellbare Anhäufung von vielen Millionen von Sternen und Sonnensystemen. — Sonne rast mit 57 km Geschwindigkeit in der Sekunde durch den Weltenraum; Erde umkreist die Sonne dabei mit 30 km in der Sekunde usw. Daneben: Wunder der Tierwelt, von den größten bis zu den kleinsten Tieren. Bienen- und Ameisenstaat. Leben im Wassertropfen. Kampf ums Dasein. Unfaßbare Fülle und überwältigende Schönheit der Pflanzenwelt! Betrachte die kleinste, winzigste Blüte. Fortpflanzung. Blühen, Keifen, Welken. Ewiger Kreislauf.

Ahnlich leicht ist es, mit Luther G o t t als unseren S c h ö p f e r zu schildern und ahnen zu lassen. Die Wunder des m e n s c h l i c h e n L e i b e s und der menschlichen S e e l e , auf die Luther im K K . und GK. mit

90

2. Hauptstück: Was glaubt ein Christ?

geschickt gewählten Beispielen hindeutet, sind alle Tage neu und auch dem schlichtesten Schüler so verständlich und naheliegend, daß unter dem Eindruck ihrer Besprechung und Vergegenwärtigimg das Bekenntnis und der Dank zum Schöpfergott dem unverdorbenen Kinde unmittelbares Bedürfnis sein wird. An einzelnen B i b e l w o r t e n kommen für diesen Abschnitt noch in Frage: Psalm 90, 2: „Ehe denn die Berge wurden und die Erde und die Welt geschaffen wurden, bist du, Gott, von Ewigkeit zu Ewigkeit." Psalm 14, 1: „Die Toren sprechen in ihrem Herzen: ,Es ist kein Gott.' Sie taugen nichts und sind ein Greuel mit ihrem Wesen." Hebr. 3 , 4 : „Ein jegliches Haus wird von jemand bereitet; der aber alles bereitet hat, das ist Gott." Weish. Sal. 13,3: „Der aller Schönheit Meister ist, hat solches alles geschaffen." 3. Der Glaube, daß Gott mich/„erhält". Zum Glauben an Gott, den Schöpfer meines Lebens, rechnet Luther im GK. hinzu den Glauben, daß Gott mir das von ihm geschenkte Leben „ohne U n t e r l a ß e r h ä l t " durch Darreichung alles dessen, was wir Menschen zum Leben brauchen, als da ist „Essen und Trinken, Kleider, Nahrung, Weib und Kind, Gesinde, Haus und Hof usw., dazu alle Kreaturen zu Nutz und Notdurft des Lebens dienen läßt, Sonne, Mond und Sterne am Himmel, Tag und Nacht, Luft, Feuer, Wasser, Erde und was sie trägt und vermag, Vögel, Fische, Tiere, Getreide und allerlei Gewächs; ebenso was mehr leibliche und zeitliche Güter sind', gut Regiment, Friede, Sicherheit, also daß man aus diesem Artikel lerne, daß unser keiner das Leben noch alles, was jetzt erzählt ist und erzählt mag werden, von ihm selbst hat noch erhalten kann, wie klein und gering es ist; denn es alles gefaßt ist in das Wort Schöpfer." Daß Luther entsprechend der Überschrift des 2. Hauptstücks im KK. („Der Glaube, wie ein H a u s v a t e r denselbigen seinem Gesinde aufs einfältigste fürhalten soll") bei der Aufzählung seiner Erklärung den verheirateten Landmann bzw. den Ackerbau treibenden kleinbürgerlichen Hausbesitzer sprechen läßt und daß wir und unsere S c h ü l e r dipse Aussagen umdenken und in unser bzw. ihr Leben übersetzen müssen („Eltern und Geschwister" für „Weib und Kind";

1. Artikel.

91

„Wohnung und Unterkunft" für „Haus und Hof"), wird unseren Kindern nicht so große Mühe bereiten wie manchem voreingenommenen Theologen oder Pädagogen, der wegen jener „unkindlichen" Worte Bedenken trägt, Luthers Bekenntnis auswendig lernen zu lassen. Daß andererseits auch „Kleider und Schuhe, Essen und Trinken, Haus und Hof" usw. auf G o t t z u r ü c k g e f ü h r t werden, wird ebenfalls keine Schwierigkeiten machen, denn das kann schließlich auch noch der naturfernste. Stadtjunge einsehen: „Es geht durch unsere Hände, kommt aber her von Gott." Wie Luther j a auch schon beim 1. Gebot im GK. schrieb: „Denn ob uns gleich sonst viel Gutes von Menschen widerfährt, so h e i ß t es doch alles von G o t t e m p f a n g e n , was man durch seinen Befehl und Ordnung empfängt. Denn unsere Eltern und alle Obrigkeit, dazu ein jeglicher gegen seinen Nächsten, haben den Befehl, daß sie uns allerlei Gutes tun sollen, also daß wir's nicht von ihnen, sondern durch sie von Gott •empfangen. Denn die K r e a turen sind nur die H a n d , R ö h r a und M i t t e l , d a d u r c h G o t t alles g i b t , wie er der Mutter Brüste und Milch gibt, dem Kinde zu reichen, Korn und allerlei GewäcHs aus der Erde zur Nahrung, welcher Güter keine Kreatur keines selbst machen kann," Woraus Luther beim 1. Artikel die Folgerung zieht: „Hier wäre nun viel zu sagen, wenn man's sollte ausstreichen, wie wenig ihrer sind, die diesen Artikel glauben. Denn wir gehen alle drüber hin, hören's und sagen's, sehen aber und bedenken nicht, was uns die Worte vortragen; denn wo wir's von Herzen glaubten, würden wir auch danach tun und nicht so stolz einhergehen, trotzen und uns brüsten, als hätten wir das Leben, Reichtum, Gewalt und Ehre usw. von uns selbst . . . " 4. Der Glaube, daß Gott mich „reichlich und täglich versorget". Die Worte „mit aller Notdurft und Nahrung dieses Leibes und Lebens reichlich und täglich versorget" enthalten für die unterrichtliche Behandlung ein e r s t e s , schweres P r o b l e m . Erhebt sich doch unwillkürlich die Frage, o*b es denn wirklich für alle Menschen zutrifft, daß sie „mit a l l e r Notdurft . . . r e i c h l i c h und t ä g l i c h " von Gott versorget werden. Haben diese Worte Luthers wirklich noch ihr Recht angesichts der großen K r i s e n und N ö t e der G e g e n w a r t \ Vor allem gilt es, den W o r t s i n n von Luthers Aussagen recht zu verstehen und genau zu erklären, insbesondere die Bedeutting der Ausdrücke „Notdurft" und „reichlich". „ N o t d u r f t " bezeichnet zu-

92

2. Hauptstück: Was glaubt ein Christ?

nächst nichts anderes als das, was wir zum Leben unbedingt nötig haben; und „ r e i c h l i c h " bedeutet nicht reich oder übermäßig viel, sondern ausreichend, hinreichend, so daß es reicht. Aber stimmt denn unser Satz auch mit solchem Sinn ? Haben wirklich alle Menschen täglich genug von dem, was man zum Leben braucht ? L u t h e r hat es jedenfalls so von sich im Rückblick auf sein Leben bekannt, obwohl er in seiner Jugend und späterhin wahrhaftig nicht immer im Überfluß gelebt hatte, und wir spüren an dieser Stelle besonders stark die Sonnenaugen seines Glaubens, der immer nur das Beste sieht und überall, und sei es im Geringsten, noch Gottes reiche Güte entdeckt. Und unsere S c h ü l e r ? Hat es nicht auch bei ihnen bis zu diesem Tage, bis zu dieser Stunde, wo wir mit ihnen über Luthers Worte sprechen, gereicht ? Müssen sie nicht auch für sich wie wir für uns Luthers Bekenntnis mitbekennen? Aber die anderen in Not b e f i n d l i c h e n , die A r b e i t s l o s e n und in Notwohnungen Eingepferchten, die Kriegshin,terbliebenen und K r i e g s g e s c h ä d i g t e n , die S o z i a l r e n t n e r und. H i l f s b e d ü r f t i g e n — wie steht es mit ihnen ? Können auch sie freudigen Herzens mit Luther sprechen, daß sie trotz aller ihrer Not und all ihres Elends immer noch „reichlich und täglich versorgt" gewesen sind? Nun sicherlich: Die meisten von ihnen können und müssen es. Denn die Notlage dieser Hunderttausende und Millionen ist dank der weitgreifenden öffentlichen, kirchlichen und privaten Fürsorge nicht immer so groß, wie das Schlagwort es hinausschreit. Aber wo sie doch groß ist ? Wo doch wirkliche Not herrscht, unerbittliche Not ? Hat da Gott versagt ? Hat da Luther unrecht ? Ich glaube, wir sind verpflichtet zu sagen: G o t t h a t n i c h t v e r s a g t ; versagt haben lediglich die Menschen, die Gott, dem gütigen Geber aller Gaben, nicht gehorsam waren und sich der Not ihrer Nächsten in Staat, Gemeinde, Kirche und Nachbarschaft nicht so angenommen haben, wie es nach Gottes und Jesu Willen hätte geschehen müssen. Gott will, daß alle Menschen „mit aller Notdurft und Nahrung dieses Leibes und Lebens reichlich und täglich versorget" werden. Er will es so und hat uns dazu alles zur Verfügung gestellt, was nötig ist. Er reicht es aus dem vollen Born seiner Güte Tag für Tag und Jahr für Jahr der gesamten Menschheit immer von neuem dar. Er will, daß sie es teilt und weiterreicht dahin, wo es am nötigsten ist. Wenn dals die Menschheit dann aber nicht tut ? Wenn sie durch Kriege und Kriegsfolgen, durch wirtschaftliche Kämpfe und wirtschaftliches Versagen, durch den raffiniertesten Konkurrenzkampf aller

1. Artikel.

93

gegen alle sich selbst Not schafft ? Wenn sie die Not vergrößert, anstatt sie zu heben ? Ist dann Gott noch schuld ? Oder ist nicht die menschliche Sünde schuld ? Die Ichsucht ? Der Mangel an Nächstenliebe und Hilfsbereitschaft ? Ich glaube, wir alle und auch unsere Schüler sehen schnell ein, welche Antwort hier zu geben ist. Aber — auch dies alles zugegeben — was helfen solche Überlegungen d e n j e n i g e n , die nun einmal in j e n e n Nöten drinstecken ? Und können wir ihnen die Worte des Glaubensbekenntnisses „mit aller Notdurft und Nahrung . . . " zumuten ? Nun, „zumuten" können wir sie ihnen sicher nicht, im Gegenteil, wir werden verstehen, wenn diese Worte jenen Menschen nicht leicht von den Lippen kommen, sondern schwer, furchtbar schwer, vielleicht überhaupt nicht. J a , wir werden sogar verstehen, wenn jene Menschen verbittert werden und anfangen, Gott zu hassen und zu fluchen, weil sie — in falscher Schau der Dinge — ihm die Schuld geben anstatt ihren Mitmenschen. Wir werden das alles verstehen und werden daraus für uns die Folgerung ziehen, den Fluch unserer Mitschuld zu brechen und in unserem ganzen Leben zu helfen, wo wir nur immer helfen können, damit wir nicht im Sinne Jesu und der Erklärung zum 5. Gebot zu „Mördern" werden an unseren Brüdern und Schwestern, die unter die Räuber gefallen sind. Und wenn wir selbst einmal in solche Not g e r a t e n ? Was dann ? Nun, dann muß es sich zeigen, ob wir wirklich Christen sind, dann muß es sich beweisen, daß wir zu scheiden wissen zwischen dem, was Gott tut, und dem, was die armseligen, schuldbeladenen Menschen tun.. Dann werden wir uns hineinfinden müssen in unser Los, Opfer menschlicher Sünde zu sein; werden unser Kreuz tragen und an Gottes Liebeswillen nicht verzweifeln; werden Gott danken für alles, was uns noch geblieben ist (I. Tim. 6, 6: „Es ist aber ein großer Gewinn, wer gottselig ist und lässet sich genügen"; vgl. auch Matth. 6, 34: „Darum sorget nicht für den andern Morgen . . . ! " ) ; werden der Güte und Barmherzigkeit Gottes gedenken, die alle Tage neu sind (Klagelieder 3, 22—25); werden überzeugt sein, daß denen, die Gott lieben, alle Dinge zum besten dienen müssen (Römer 8, 28); werden Gott allezeit unseres Herzens Trost und Teil sein lassen, auch wenn uns Leib und Speie verschmachten wollen (Psalm 73, 26); werden mit alledem das Dennoch unseres Glaubens (Psalm 73, 23) in die Waagschale werfen, aller irdischen Not und Sorge zum Trotz.

94

2. Hauptstück: Was glaubt ein Christ?

5. Der Glaube, daß Gott mich „wider alle Fährlichkeit beschirmet und vor allem Übel behütet und bewahret". In diesem Satz liegt d i e z w e i t e S c h w i e r i g k e i t für die Besprechung von Luthers Erklärung vor, über die wir uns ebenso wie über die vorhergehende klar sein müssen, um in unserem Unterricht nicht Schiffbruch zu leiden bzw. um mit unserem Unterricht durch oberflächliche Schönrederei kein Unheil anzurichten. Auch hier sehen wir uns sofort der Frage gegenüber: S t i m m t d e n n d a s , was h i e r g e s a g t i s t ? Gilt das wirklich ? Auch heute noch ? Für mich und meine Schüler ? Scheint nicht der Wortlaut dieses Satzes der Erfahrung ins Gesicht, zu schlagen, wonach „Fährlichkeit" und „Übel" doch allen Menschen mehr oder .weniger zuteil werden ? Die Kritik solcher Fragestellung wird sehr bald auch von unseren Schülern kommen, wenn sie nachzudenken und zu fragen gewöhnt sind, und wir müssen uns rüsten, derartigen Einwänden zu begegnen. Das erste, sachlich Notwendige ist auch hier wie bei dem Sätzchen „mit aller N o t d u r f t . . . " die R i c h t i g s t e l l u n g des W o r t v e r s t a n des. Was meint eigentlich Luther mit den Worten „wider alle Fährlichkeit beschirmet und vor allem Übel behütet und bewahret" bzw. mit der Aussage des GK., „daß Gott, der Vater, . . . täglich vor allem Übel und Unglück uns behütet und beschützt, allerlei Fährlichkeit und Unglück abwendet" ? Meint er damit, daß wir Menschen niemals in Gefahr und Unglück kommen ? Doch sicher nicht! Er spricht ja von „beschirmen" und „behüten". Das Wort „ b e s c h i r m e n " zeigt uns deutlich, wie der Satz gemeint ist. Beschirmen kommt von S c h i r m . Wenn jemand mit einem Schirm im Regen geht, hört deshalb der Regen noch lange nicht auf; er wird auch trotz dös Schirmes etwas naß werden. Aber der Regen s c h a d e t ihm nicht ernstlich; er hat einen S c h u t z , unter dem er sich auch in den Regen wagen kann. Und ähnlich steht es mit dem „ H u t " , von dem das Wort „behüten" abgeleitet ist. Es ist klar — und auch L u t h e r s e i g e n e s L e b e n spricht dafür eine deutliche Sprache —: Der Satz „wider alle Fährlichkeit beschirmet " meint nicht, daß uns Christen auf der Welt überhaupt kein Übel und keine Gefahr begegnen werden, sondern er. will zum Ausdruck bringen, daß Gott uns allen Gefahren zum Trotz und in allem Übel „behüten und bewahren" wolle. Es ist derselbe Glaube, wie ihn der Anfang des 91. P s a l m s („Wer unter dem Schirm des Höchsten sitzet . . . " ) und Vers 4 des 23. Paalitis bekennt („und ob ich schon wanderte im f i n s t e r n T a l . . . " ) , der Glaube, aus dem

1. Artikel.

95

heraus Paulus Römer 8, 35ff. und I I . K o r i n t h e r 12, 9f. schrieb, der Glaube, von dem unsere Vertrauenslieder im Gesangbuch singen und sagen, der Glaube, mit dem unser Herr J e s u s nach. Gethsemane und ans Kreuz gegangen ist. Um die innere Hilfe handelt es sich, die Gott uns durch unseren Gottesglauben schenkt, nicht um eine äußere, durch die etwa „alle Fährlichkeit" und „alles Übel" ohne weiteres abgewendet werden könnte. Aber freilich, das muß doch zugestanden werden: Luthers Satz „wider alle Fährlichkeit . . . " hat einen von solchen Überlegungen unbeschwerten Schwung. Er ist mit einer G l a u b e n s k ü h n h e i t sondergleichen gesprochen, der gegenüber sioh unsere Bedenken kleinlich und unwesentlich ausnehmen, mit einer Glaubenskraft, die für solche Unterscheidungen zwischen äußerer und innerer Hilfe weder Zeit noch Raum hat. Luther wollte hier nicht vom Segen des Kreuzes, sondern von der frohen Zuversicht, die wir zürn Schöpfergott haben sollen, Zeugnis ablegen (vgl. auch Psalm 121!). Aber wenn auch die Weckung dieses frohgemuten Zutrauens eine Hauptaufgabe unseres Religionsunterrichtes ist, so dürfen wir doch den Fragen, die die Wirklichkeit des Lebens uns und unseren Schülern stellt, nicht aus dem Wege gehen, sondern haben die Pflicht, der Jugend Führer zu sein mitten durch solche Schwierigkeiten hindurch. Dazu gehört natürlich auch, daß wir die Kinder sich daran erinnern lassen, wie^sie selbst entsprechend Luthers voll klingendem Bekenntnis schon oft genug in ihrem jungen Leben vor und in mancherlei Gefahr und Not (Krankheit usw.) beschirmt, behütet und bewahrt geblieben sind. Es gehört aber ebenso dazu, daß wir ihnen sehr ernsthaft zeigen, wie Not und Unglück s e l b s t v e r s t ä n d l i c h auch im Leben aller Frommen erscheinen (Hiob! Paulus! Luther! Jesus!); wie Gottes Wege oft genug uns nicht gefallen, wie er uns dann nicht selten „ein verborgener Gott" ist (Jesaja 45,15), dessen Gedanken anders sind denn unsere Gedanken und dessen Wege höher denn unsere Wege (Jesaja 55, 8f.); wie der Glaube deshalb auch nicht meint, der Not entfliehen zu können, sondern wie er in der Not sich seines Gottes getröstet und mit seinem Gott über die Not siegt und sie zum Segen zwingt (I. Mose 32, 27: „Ich lasse dich nicht, du segnest mich denn"; Psalm 68, 20: „Gelobet sei der Herr täglich. Gott legt uns eine Last auf; aber er hilft uns auch"; Matth. 11,28: „Kommet her zu mir, alle, die ihr mühselig und beladen seid; ich will euch erquicken"; Römer 8, 28: „Wir wissen,daß denen,die Gott heben,alle Dinge zum besten dienen").

96

2. Hauptstück: Was glaubt ein Christ?

Es dürfte sich in diesem Zusammenhang auch ganz von selbst ergeben, mit unseren jungen Zuhörern über die v e r s c h i e d e n e n A r t e n , U r s a c h e n u n d D e u t u n g e n d e s L e i d e s zu sprechen (Leid als Folge der Sünde, Strafleid, Erziehungsleid, Prüfungsleid usw.). Aber das „ G e h e i m n i s des L e i d e n s " wird auch hier das letzte Wort behalten oder, noch besser, d e r G l a u b e , der auch hinter dem Leid Gott sieht, der trotz allem Leid bei Gott bleibt (Psalm 73, 23ff.), d e r d e n n o c h g l a u b t , daß Gott die Liebe ist, und der ihm deshalb ebenso vertrauensvoll die Zukunft überläßt, wie er für alle Führung und Bewahrung der Vergangenheit sich demütig dankbar weiß. 6. Der Glaube -an „Gott, den Vater, den Allmächtigen". In alle dem, wovon wir bei den letzten Punkten sprachen, beweist und zeigt sich nach Luthers Deutung der ersten Worte des Glaubensbekenntnisses Gott a l s „ein f r e u n d l i c h e r V a t e r " (GK.; dementsprechend im KK.: „und das alles aus lauter v ä t e r l i c h e r , göttlicher Güte und Barmherzigkeit"), der alles kann, was er will, weil er die Macht dazu hat, und der alles will, was uns zum besten dient, weil er die Liebe ist. „Derhtolben sollen wir diesen Artikel täglich üben, einbilden und uns erinnern in allem, was uns vor Augen kommt und Gutes widerfährt, und wo wir aus Nöten oder Fährlichkeit kommen, wie uns Gott solches alles gibt und tut, daß wir daran spüren und sehen sein v ä t e r l i c h H e r z und überschwengliche Liebe gegen uns" (GK., Schluß des 1. Artikels). 7. Der Glaube an die u n v e r d i e n t e „göttliche Güte und Barmherzigkeit". Diese Liebe Gottes aber ist u n v e r d i e n t . Keiner von uns hat sie „verdient", auch nicht unsere Kinder. Das spüren und wissen sie selbst; wir brauchen sie nur an die großen, ernsten Forderungen der zehn Gebote zu gemahnen, wie wir die mit ihnen besprochen haben. Da werden sie wohl alle mit eingestehen, daß wir allzumal Sünder sind und des Ruhmes mangeln, den wir vor Gott haben sollten (Börner 3,, 23); dann wird wohl keiner besser sein wollen als Luther, der von sich so erschütternd bekennt („Aus tiefer Not"): „. . • denn so Du willst das sehen an, was Sünd und Unrecht ist getan; wer kann, Herr, vor Dir bleiben ?

1. Artikel.

97

Bei Dir gilt nichts denn Gnad und Gunst, die Sünde zu vergeben; es ist doch, unser Tun umsonst auch in dem besten Leben; vor Dir niemand sich rühmen kann; des muß Dich fürchten jedermann und Deiner Gnaden leben." Dann werden sie alle demütig mitbekennen: Führwahr, wir sind zu gering aller Barmherzigkeit und Treue, die Gott an uns getan hat (I. Mose 32, 11). 8. Der Dank des Glaubens. „Hieraus will sich's nun selbst schließen und folgen: Weil uns das alles, so wir vermögen, dazu was im Himmel und auf Erden ist, täglich von Gott gegeben, erhalten und bewahrt wird,so sind wir j a schuldig, ihn darum ohne Unterlaß zu lieben, loben und danken, und kürzlich, ihm ganz und gar damit zu dienen, wie er durch die zehn Gebote fordert und befohlen h a t " ( G K . ; vgl. K K . : „des a l l e s i c h i h m zu d a n k e n u n d zu l o b e n u n d d a f ü r zu d i e n e n u n d g e h o r s a m zu s e i n s c h u l d i g b i n " ) . Ein Dank also soll es sein durch die Tat des Gehorsams (s. o. S. 82 A 7/8); ein Danken „mit Herzen, Mund und Händen"; mit Dankliedern, Dankpsalmen und täglichen Dankgebeten (beachte Luthers Gebete im Anhang des K K . ! ) ; ein Danken durch rechten Gebrauch aller Gaben; durch Heiligung des Leibes, durch Andacht beim Essen, durch Dienst zu Nutzen des Nächsten; ein tägliches Dankeschönsagen und Gott Dienen, wie es auch das wundersame Gesangbuchlied „Herzlich lieb hab ich dich" im 2. Vers zum Ausdruck bringt: „ E s ist j a dein Geschenk und Gab mein Leib und Seel und was ich herb in diesem armen Leben; damit ich's brauch zum Lobe dein, zu Nutz und Dienst des Nächsten mein, wollst deine Gnad mir geben! . . . " Vergleiche hierzu auch Psalm 92, 2 f . : „Das ist ein köstlich Ding, dem Herrn danken und lobsingen deinem Namen, du Höchster; des Morgens deine Gnade und des Nachts deine Wahrheit verkündigen." 7

W i ß m a n n , Katechismusunterricht.

98

2. Hauptstück: Was glaubt ein Christ?

Psalm 103, l f . : „Lobe den Herrn, meine Seele, und was in mir ist seinen heiligen Namen! Lobe den Herrn, meine Seele, und vergiß nicht, was er dir Gutes getan hat." Psalm 118,1: „Danket dem Herrn, denn er ist freundlich, und seine Güte währet ewiglich." 9. Zusammenfassung. „Also haben wir aufs kürzeste die Meinung dieses Artikels, soviel den Einfältigen erstlich not ist zu lernen, beide (1) was wir von G o t t haben und empfangen und (2) was wir dafür schuldig s i n d " (GK., Schluß des 1. Artikels). Diese klare, schlichte Zweiteilung der Luthererklärung muß auch unseren Kindern unermüdlich deutlich gemacht werden, sie muß ihnen genau so in Fleisch und Blut übergehen und im Gedächtnis haften wie die gesamte Längslinie: „Ich glaube, daß mich Gott geschaffen hat . . . und noch erhält . . . und das alles aus-lauter väterlicher göttlicher Güte und Barmherzigkeit, ohne all mein Verdienst und Würdigkeit des alles ich ihm zu danken und zu loben und dafür zu dienen und gehorsam zu sein schuldig bin." Das heißt für uns Evangelische „glauben an Gott, den Vater, den Allmächtigen, Schöpfer Himmels und der Erden". Das ist für uns der Sinn des 1. Artikels. 2. Artikel. 1, Arbeitsunterrichtlicher Zugang zum 2. Artikel. Den Übergang vom 1. zum 2. Artikel kann man mit L u t h e r durch den Gedanken an die in beiden Artikeln bezeugten göttlichen Güter und Gaben herstellen: „Da sehen wir, wie sich der Vater uns gegeben hat samt' allen Kreaturen und uns aufs allerreichlichste in diesem Leben versorgt, ohne daß er uns sonst auch mit unaussprechlichen ewigen Gütern durch seinen Sohn und Heiligen Geist überschüttet, wie wir hören werden." „Hier lernen wir die andere Person der Gottheit kennen, daß wir sehen, was wir über die vorigen zeitlichen Güter von Gott haben, nämlich wie er sich ganz und gar ausgeschüttet hat und nichts behalten, das er uns nicht gegeben habe" (GK., Schluß des 1. und Anfang des 2. Artikels). Eine andere Möglichkeit des Übergangs ist die, darauf hinzuweisen, daß wir den G o t t - V a t e r - G l a u b e n des 1. Artikels niemand anders verdanken als Jesus Chriitus.

2. Artikel.

99

Der leichteste arbeitsunterrichtliche Zugang liegt jedoch in unserer, Luthers Anregungen folgenden, G r u n d f r a g e s t e l l u n g : „Was g l a u b t ein C h r i s t ? " beschlossen. Denn auf diese Frage werden unsere Schüler sofort auch auf J e s u s Christus hinweisen als auf den, der für uns Christen neben Gott im Mittelpunkt unseres Glaubens steht. So ist von jedem Zugangsweg her Jesus Christus unserer Aussprache als Thema gestellt, und es gilt, im Unterricht zu versuchen, von dieser allgemeinsten Themastellung aus die rechte, kindesgemäße Überleitung zum Wortlaut des 2. Artikels und der Erklärung Luthers ausfindig zu machen. Am natürlichsten und leichtesten wird das möglich sein, wenn man weiter fragt: Was wißt ihr denn bereits von Jesus Christus ? Welches sind die Hauptdaten seines Lebens ? Was tat er ? Wie wirkte er ? Was wollte er ? Wie stellte er sich zu den Menschen seiner Zeit, und wie stellten die sich zu ihm ? Was hielten seine Jünger von ihm und was seine Gegner ? Wie nannten ihn die einen und wie die anderen ? Wie war es nach seinem Tode ? Was glaubte man da von Jesus ? usw. usw. Mit solchen und ähnlichen Fragen hat man in aller Kürze das ganze im 2. Artikel aneinandergereihte und von Luther in seiner Erklärung zusammengeschlossene Material beisammen und befindet sich mitten in der Verhandlung über das, worum es dem 2. Artikel und Luther geht. 2. Bemerkungen zum Wortverständnis des 2. Artikels. Der zweite Teil des altkirchlichen Glaubensbekenntnisses bringt in lapidarer Kürze die Heilstatsachen um Jesus Christus, beginnend mit seiner Geburt und endigend mit seiner Wiederkunft zum Jüngsten Gericht. Für die unterrichtliche Behandlung ergeben sich besondere Schwierigkeiten aus dem Wortverständnis der Wendungen „empf a n g e n vom Heiligen Geist", „geboren a u s der J u n g f r a u M a r i a " und „ n i e d e r g e f a h r e n zur Hölle". Denn abgesehen von der Tatsache, daß viele Theologen den Glauben an die Jungfrauengeburt nicht teilen können, ist das Besprechen der Worte „ e m p f a n gen vom H«iligen Geist" und die B e t o n u n g des Wortes „Jungfrau" vor Kindern im Durchschnittsalter der Katechismusunterweisung eine sexualpädagogisch höchst fatale Angelegenheit. Ich für mich persönlich habe diese Schwierigkeit dadurch zu umgehen versucht, daß ich bei jüngeren Kindern auf den Begriff „ J u n g f r a u " überhaupt nicht näher eingegangen bin oder nur in der Weise, daß ich sagte: Mit dem Wort „Jungfrau" soll ausgedrückt werden, daß Maria eine junge Frau 7»

100

2. Hauptstück: Was glaubt ein Christ ?

war und bis dahin noch kein Kindlein hatte, daß Jesus also ihr erstes Söhnchen war, und daß ich mir die unverhüllte Besprechung des Problems der Jungfrauengeburt für später vorbehalten habe. Die anderen Worte „empfangen vom Heiligen Geiste" habe ich vor jüngeren Schülern stets so umgebogen, daß ich entweder an Jesu Taufe erinnerte und sagte, die Wendung „empfangen vom Heiligen Geiste" bedeute nichts anderes, als daß Jesus von Gott den Heiligen Geist empfangen habe, oder daß ich ausführte, daß er mit Gottes Willen, d. h. auf Veranlassung des „Geistes Gottes" iij diese Welt geschickt worden sei. Auf späterer Altersstufe, wenn man über die Jungfrauengeburt sprechen kann, wird man dann auch solche Verlegenheitserklärungen richtigstellen. Leichter ist vor Kindern die Deutung und Erklärung der Worte „niedergefahren zur Hölle". Man kann sie in verschiedener Weise verständlich- machen: a) Als Antwort christlichen Glaubens auf die bange Frage der Urgepieinden: Was wird aus unseren verstorbenen Toten, aus unseren Angehörigen, die vor dem Kommen Jesu und vor der Predigt, des Evangeliums sterben mußten ? Werden sie auch das Himmelreich ererben oder nicht ? Auf diese Frage gab der christliche Glaube mit den Worten „niedergefahren zur Hölle", d. h. niedergefahren zur Unterwelt, zum Totenreich, auf griechisch zum Hades, hebräisch gesprochen zur Scheöl, die Glaubensantwort: Ja, sie werden Miterben des ewigen Lebens sein, denn Christus hat in den Tagen zwischen Tod und Auferstehung auch ihnen die Frohbotschaft des Heils gebracht. — b) In gleicher Weise waren die Worte „niedergefahren zur Hölle" Antwort auf die Frage nach dem Ergehen der früheren Geschlechter, etwa der Frommen des Alten Testamentes oder der sonstigen Menschheit; vgl. I. Petrus 3,19f. und 4, 6. (Zu a und b bietet das im Anhang beigefügte Bild „Christus in der Hölle" von S a s c h a Schneider eine sehr wirksame und Jugendliche stark pakkende Veranschaulichung.) — c) Drittens aber können die Worte „niedergefahren zur Hölle" auch im Gegensatz zu gewissen gnostischen Lehren von dem Scheintod Christi, d. h. von der Auffahrt des „Christus" zu Gott vor der Kreuzigung des Menschen Jesu, als Unterstreichung der Worte „gelitten, gestorben und begraben" aufgefaßt werden in dem Sinn, daß Jesus wirklich und nicht nur scheinbar gestorben war. — d) L u t h e r sah in der Höllenfahrt den endgültigen Sieg Christi über die Hölle, d. h. über den Höllenfürst, den Teufel (WA.37,63; vgl. auch hierzu das vorher erwähnte Sascha-Schneider-Bild!).

2. Artikel.

10L

Alle übrigen Aussagen des Glaubensbekenntnisses über Jesus Christus bereiten im Unterricht keine Schwierigkeiten; sie sind den Kindern von früher her geläufig und werden -in der Regel von ihnen bei der Frage nach dem, was sie von Jesus bereits wissen, schon "beigebracht worden sein. Das einzig Seltsame, was den Kindern auffallen wird, die Tatsache, daß d a s L e b e n u n d W i r k e n J e s u im Glaubensbekenntnis g a r n i c h t e r w ä h n t wird, verliert sehr schnell den Charakter des Absonderlichen dadurch, daß wir unsere Schüler an unsere eigene heutige Gewohnheit, das Leben großer Männer lediglich durch die Daten ihrer Geburt und ihres Todes zu umreißen, erinnern, und außerdem dadurch, daß in solch knappem Glaubensbekenntnis n u r die a l l e - r w i c h t i g s t e n A n g a b e n über Jesus nötig und am Platze waren. Um für d i e s o n s t i g e u n t e r r i c h t l i c h e B e h a n d l u n g des 2. Artikels noch einen Wink zu geben, möchte ich entsprechend den Vorbemerkungen auf S. 84 (unter B 1 1 ) vorschlagen, gerade bei dem 2. Artikel den ursprünglichen Gebrauch des Glaubensbekenntnisses a l s T a u f b e k e n n t n i s im Unterricht auszuwerten und fruchtbar zu machen. Das kann entweder durch Besprechung von Apg. 8, 26—39 geschehen (Taufe des Kämmerers aus dem Mohrenlande; vgl. besonders Vers 37, Schluß!); oder indem man an Hand von Katakombenbildern e i n e c h r i s t l i c h e T a u f e i n der r ö m i s c h e n U r g e m e i n d e , auf die unser Glaubensbekenntnis in seinen Anfängen j a wohl zurückgeht, den Kindern vor Augen malt. Damit wäre gleichzeitig ein geeigneter Rahmen geschaffen, um die im Eingang des Artikels aufgezählten W ü r d e b e z e i c h n u n g e n J e s u ( „ C h r i s t u s , G o t t e s e i n g e b o r e n e r S o h n , u n s e r H e r r " ) unseren Schülern dadurch bedeutsam zu machen, daß wir sie anschaulich und geschichtlich lebendig vor ihnen erstehen lassen. Von der Frage ausgehend : Was kamen wohl damals für Leute zur Taufe ? Aus welchen Religionen kamen sie her ? wird man den Kindern zeigen können, wie d r e i e r l e i A r t e n v o n T ä u f l i n g e n für die frühchristlichen Gemeinden zu unterscheiden waren: 1. g e b o r e n e J u d e n , 2. e h e m a l i g e H e i d e n , 3. K i n d e r c h r i s t l i c h e r E l t e r n . Für alle drei Arten von Täuflingen mußte das Taufbekenntnis diejenige Würdebezeichnung Jesu enthalten, die den Voraussetzungen der betreffenden Herkunft des Täuflings gerecht wurde, indem sie die entgegenstehenden Aussagen seiner bisherigen Religion aufhob. Nun wissen unsere Schüler, daß die J u d e n auf den „ M e s s i a s " , d. h. griechisch auf den „Christus" = den „Gesalbten" warteten und daß die Christen un'd diejenigen

102

2. Hauptetück: Was glaubt ein Christ ?

Juden, die Christ werden wollten, bekannten und bekennen mußten, daß in Jesus dieser „Messias", d. h. dieser „Christus", dieser Gottgesalbte, bereits erschienen sei, weshalb man nun nicht mehr aiif einen anderen „Messias" zu hoffen brauchte. Ebenso ist es an Hand von geeigneten griechischen und römischen Götterbildern und Mythen leicht zu zeigen, wie die damaligen Heiden, also die Griechen, Römer und Vorderasiaten, an viele Götter und „ G ö t t e r s ö h n e " glaubten und wie das christliche Taufbekenntnis diesen vielen Göttern im 1. Artikel den einen Gott-Vater entgegenstellte und im 2. Artikel den vielen „Göttersöhnen" Jesus Christus als den „einziggeborenen Gottessohn" (Luther übersetzt „eingeboren" statt „einziggeboren"), d. h. als den „einzigen", der den Titel „Gottessohn" zu Recht verdiente. Was schließlich die dritte Gruppe, die K i n d e r christlicher E l t e r n , betrifft, so genügte für sie, die von Jugend auf bereits von dem „ H e r r n " Jesus gehört hatten, als Bezeichnung die allgemein-christliche Formel „unser H e r r " , um sich mit der ganzen Gemeinde zu dem gemeinsamen Bekenntnis zu Jesus zusammenzuschließen*). 3. Hauptanliegen von Luthers Erklärung. Hat man in vorstehender Weise die Würdetitel „Christus, Gottes eingeborener Sohn, unser Herr" den Bändern für die Entstehungszeit des Glaubensbekenntnisses geschichtlich verständlich gemacht, so ist es von da aus nur ein kleiner Schritt weiter zu Luther, der in seiner Erklärung von jenen drei Würdebezeichnungen den einen Titel „ H e r r " herausgriff und die Worte „daß Jesus Christus . . . sei mein H e r r " in den Mittelpunkt seines ganzen Bekenntnisses stellte. Diesem Vorbild Luthers haben auch wir in unserem Unterricht zu folgen. Auch für uns und unsere Schüler muß Jesus heute in erster L i n i e der „ H e r r " sein und nicht der jüdisch verstandene „Messias" oder der so leicht theologisch-dogmatisch belastete „Gottessohn". Aber Hoch in einer anderen Hinsicht verdient dieser geniale Zugriff Luthers, mit dein er den gesamten Rieseninhalt des 2. Artikels in das eine Wörtlein „Herr" hineinzwang, besondere Erwähnung. Waren doch die anderen Aussagen wie „seinen eingeborenen Sohn", „empfangen vom Heiligen Geiste", „geboren von der Jungfrau Maria" für *) Ich fuße hier bewußt und dankbar auf Anregungen, die lnein hochverehrter Lehrer auf dem Friedbeiger Predigeraeminar, der nachmalige Prälat der Hessischen Landeskirche, D. Dr. Dr. Diehl, uns Kandidaten in seiner praktisch zufassenden Art seinerzeit mit auf den Weg gab.

2. Artikel.

103

Luther nicht nebensächlich. Im. Gegenteil, ganz in Übereinstimmung mit dem überlieferten Dogma der katholischen Kirche, die bis heute das sogenannte „Nicänum" als Glaubensbekenntnis in der Messe verankert hat, teilte er den Glauben an die Gottessohnschaft Jesu und den an die Jungfrauengeburt in vollem Umfang aus ganzem Herzen (vgl. auch Augustana, Artikel I und III). Aber das bemerkenswerte ist nun dies, daß Luther diese Glaubensaussagen nicht in den Mittelpunkt seiner Erklärung stellte, daß er nicht daran hängen blieb.; daß er im Hauptsatz n i c h t sagte: Ich glaube, daß Jesus Christus Gottes eingeborener Sohn ist; daß er n i c h t sagte: Ich glaube, daß Jesus Christu» vom Heiligen Geist empfangen und jungfräulich geboren ist; sondern daß er die in Übereinstimmung mit dem altkirchlichen Dogma stehende Aussage „wahrhaftiger Gott, vom Vater in Ewigkeit geboren, und auch wahrhaftiger Mensch, von der Jrmgfrau Maria geboren" als eine ihm selbstverständliche Sache in Parenthese stellte und das ganze Schwergewicht seiner Hauptaussage auf die Wendung legte: „Ich glaube, daß .Jesus Christus . . . sei mein Herr." „ H e r r " freilich verstanden in einem anderen Sinn, als wir ihn gewöhnlich mit dem Begriff „Herr" zu verbinden pflegen. Luther meint beim 2. Artikel mit dem „Herren" Jesus stets den E r l ö s e r Christus. Die Wendung des KK. „ . . . sei mein Herr" ist unabtrennlich von dem nachfolgenden Satz „der mich verlorenen und verdammten Menschen e r l ö s e t h a t , erworben und gewonnen von allen Sünden, vom Tod und von der Gewalt des Teufels". Wer dafür noch nach einer besonderen Bestätigung sucht, erhält diese aufs genaueste in mehrfacher Wiederholung aus dem GK. Dort lesen wir gleich zu Anfang: „Dieser Artikel ist nun sehr reich und weit; aber daß wir's auch kurz und kindlich handeln, wollen wir ein W o r t vor uns nehmen und darin die ganze Summa davon fassen, nämlich daß man hieraus lerne, wiö w i r e r l ö s t s i n d , und soll stehen auf diesen Worten: ,An Jesum Christum, unsem H e r r n . ' — Wenn man nun fragt: Was glaubst du im andern Artikel von Jesu Christo ? antworte aufs kürzeste: Ich glaube, daß Jesus Christus, wahrhaftiger Gottessohn, sei mein Herr geworden. W a s i s t n u n d a s : E i n H e r r w e r d e n ? D a s i s t ' s , d a ß er m i c h e r l ö s t h a t von Sünden, vom Teufel, vom Tode und allem Unglück." Und späterhin heißt es noch einmal: „Das sei nun d i e S u m m a d i e s e s A r t i k e l s , d a ß d a s W ö r t l e i n H e r r a u f s e i n f ä l t i g s t e so v i e l h e i ß e a l s e i n E r l ö s e r , das ist, der uns vom Teufel zu Gott, vom Tode zum Leben, von der Sünde zur Gerechtigkeit gebracht hat und dabei er-

104

2. Hauptstück: Was glaubt ein Christ?

hält. Die Stücke aber, so nacheinander in diesem Artikel folgen, tun nichts anderes, denn daß sie solche Erlösung erklären und ausdrücken, wie und wodurch sie geschehen sei, das ist, was es ihn gekostet und was er daran gewendet und gewagt hat, daß er uns gewönne und zu seiner H e r r s c h a f t brächte". 4. Der unterrichtliche Weg für die Behandlung von Luthers Erklärung. Aus dieser Tatsache, daß Christus von Luther in der Hauptsache als der E r l ö s e r gesehen wird, ergeben sich nun für die unterrichtliche Behandlung nicht wegzuleugnende S c h w i e r i g k e i t e n . Wir stehen vor der ernsten Frage: W i e sollen wir v o r J u g e n d l i c h e n v o n dieser Erlösung durch Jesus Christus reden ? L u t h e r setzt uns und unseren Schülern im GK. und K K . zunächst die altkirchliche Erlösungslehre vor; dann aber schreibt er im GK.: „ D i e s e einzelnen Stücke alle sonderlich herauszustreichen g e h ö r t nicht in die kurze K i n d e r p r e d i g t , sondern in die großen Predigten über das ganze Jahr." Solcher Mahnung Luthers folgend, schlage ich deshalb vor, im Unterricht über den 2. Artikel alle schwierigen theologischen Gedankengänge über die Erlösungslehre ganz beiseite zu lassen, um unter Berücksichtigung des Bekenntnischarakters von Luthers Erklärung (s. o. S. 78 A 4) das herauszuarbeiten, was im Munde der K i n d e r heute schon ihr Bekenntnis sein kann. D e r u n t e r r i c h t l i c h e W e g dazu ist nicht schwer. Man fange nur nicht hinten an, sondern vorne. Man zeige den Kindern zunächst bzw. lasse es sie selbst finden und erarbeiten, wie Jesus schon zu seinen L e b z e i t e n nichts anderes wellte, als die Menschen „erlösen von allen Sünden, vom Tod und von der Gewalt des Teufels"; zeige weiterhin, wie P a u l u s , L u t h e r , P a u l Gerhardt und alle Frommen in Christus den großen Befreier ihres Lebens fanden, und rufe von da aus dann die K i n d e r selbst in die Entscheidung, ob Christus oder jene drei „Tyrannen und Stockmeister" die „Herren" ihres ei genen Lebens sein sollen und ob auch sie sich von Christus frei machen lassen wollen von allen widergöttlichen Gewalten, die um ihr junges Leben und um ihre Seele kämpfen. 5. Jesus Christus als Herr und Erlöser zu seinen Lebzeiten. Es wird nicht schwer sein, aus den Kinderantworten über Jesus (s. 1.) die für eine Besprechung von Luthers Erklärung wichtigsten Aussagen herauszuheben und für alles folgende bereitzustellen. So

2. Artikel.

105

gaben nach meinen Notizen bei einem Lehrversuch eines Studenten Kinder des 7. Schuljahres auf nachstehende Fragen folgende Antworten: Was tat Jesus ? Er predigte, heilte, heilte Seelen, hat die Liebe in die Welt g e b r a c h t , tat Wunder usw. Worüber predigte er ? Uber Nächstenliebe, B u ß e , darüber, daß G o t t der Vater, d. h. die Liebe ist, von der Sündenvergebung usw. Wozu tat er Wunder? Damit man ihn erkenne und an ihn glaube; um Gottes Kraft und Macht zu zeigen, um den Menschen zu helfen. Wovon wollten die Menschen geholfen haben? Von Krankheit, Tod, Not, Mangel usw. Wovon wollte Jesus außerdem noch den Menschen ganz besonders helfen ? {z. B. dem Gichtbrüchigen ? der Sünderin ? dem Zachäus ? dem dankbaren Samariter ? denkt an das Gleichnis vom verlorenen Sohn!). Von den Sünden. — Man hat auf diese Weise, wenn man geschickt passende biblische Geschichten bzw. Stellen der Evangelien heranzieht, sofort eine ganze Fülle von Unterlagen, auf Grund deren leicht herausgearbeitet werden kann, daß Jesus vor allen Dingen die Menschen von der Sünde frei machen (Markus 2, 17) und zu Gott hinführen wollte. Dabei kann man natürlich den D r e i k l a n g von L u t h e r s E r klärung „Sünde, Tod und T e u f e l " mitschwingen lassen, indem die Sünde unter dem Gesichtspunkt der Sündenschuld, der Tod unter dem der Todesangst und der Teufel unter dem der Versuchung betrachtet wird. Von der Sündenschuld machte Jesus die Menschen frei durch seine nimmermüde Predigt von der Sündenvergebung und durch seine überströmende Liebe zu den Verlorenen und Verstoßenen; von der Todesangst durch die Verkündigung der ewigen G o t t e s l i e b e ; von der Versuchung und der Übermacht der Sünde durch seinen Aufruf zu Kampf, Gehorsam und Sieg in seinem Namen und in seiner Nachfolge. Man blättere nur einmal die Seiten der Biblischen Geschichte bzw. der Evangelien mit seinen. Schülern durch, und man wird im Nu eine Masse von Beispielen für diese dreifache Tatsache beisammen haben, daß Jesus Christus ein „Erlöser" von „Sünde, Tod und Teufel" sein wollte und daß er wegen dieser hundertfachen Lebenshilfe als „Herr" (bzw. „lieber Meister", „Sohn Gottes", „Sohn Davids", „Sohn des lebendigen Gottes") von den einen verehrt — und als „Freund der Zöllner und Sünder", Verführer, Gotteslästerer von den anderen gehaßt wurde.

106

2. Hauptstück: Was glaubt ein Christ ?

6. Jesus Christus als Herr und Erlöser des Paulus. So verlockend es ist, nach der Schilderung der Erlösertätigkeit Jesu zu seinen Lebzeiten den Apostel P a u l u s als Beispiel eines durch den auferstandenen Christus sich erlöst wissenden Menschen den Kindern vor Augen zu führen, so heikel und s c h w i e r i g ist diese Aufgabe. Nicht als ob man ihr deswegen aus dem Wege gehen sollte! Man kann ruhig vor Dreizehn- und Vierzehnjährigen von Paulus reden, und gerade als Sprungbrett zu Luther verdient dieser Apostel in unserem Katechismusunterricht gebührende Berücksichtigung. Aber es gilt, immer darauf zu achten, daß wir es nur mit Kindern und Jugendlichen zu tun haben, und wenn schon Luther für diese v e r e i n f a c h t werden muß, so erst recht Paulus. Darum rate ich, nach entsprechenden Vorbemerkungen über des Apostels Leben, auf Grund geeigneter Briefstellen ein kurzfes Bekenntnis des Paulus zusammenzustellen, woraus die Kinder schlicht und ihrem Fassungsvermögen entsprechend herauslesen mögen, wie auch Paulus sich von Sündenschuld, Todesangst und Versuchungsmacht durch seinen Herrn Jesus Christus befreit weiß. Für ein solches, den Kindern verständliches B e k e n n t n i s d e s P a u l u s i n W o r t e n s e i n e r B r i e f e kommen z. B. in Betracht: a) I. Tim. 1,15: „Das ist gewißlich wahr und ein teuer wertes Wort, daß Christus Jesus kommen ist in die Welt, die Sünder selig zu machen, unter welchen ich der vornehmste bin." (Die Stelle mag zunächst einmal ruhig als „paulinisch" gelten.) b) II. Tim. l j 10: „Unser Heiland Jesus Christus hat dem Tode die Macht genommen und das Leben und ein unvergänglich Wesen ans Licht gebracht durch das Evangelium." (Ebenso wie a.) c) Kol. 1,12—14: „Danksaget dem Vater, der uns tüchtig gemacht hat zu dem Erbteil der Heiligen im Licht; welcher uns errettet hat von der Obrigkeit der Finsternis und hat uns versetzt in das Reich seines lieben Sohnes, an welchem wir haben die Erlösung durch sein Blut, die Vergebung der Sünden." d) Römer 3, 23f.: „Es ist hie kein Unterschied; sie sind allzumal Sünder und mangeln des Ruhmes, den sie bei Gott haben sollten; und werden ohne Verdienst gerecht aus seiner Gnade durch die Erlösung, so durch Christum Jesum geschehen ist." e) Römer 7,18—25a: „Denn ich weiß, daß in mir, das ist in meinem Fleische, wohnet nichts Gutes . . . Ich elender Mensch! Wer wird

2. Artikel.

107

mich erlösen von dem Leibe dieses Todes ? Ich danke Gott durch Jesüm Christum, unsern Herrn." f) Römer 14,7—9: „Denn unser keiner lebet ihm selber, und keiner stirbet ihm selber. Leben wir, so leben wir dem Herrn; sterben wir, so sterben wir dem Herrn. DarumL wir leben oder sterben, so sind wir des Herrn. Denn dazu ist Christus auch gestorben und auferstanden und wieder lebendig worden, daß er über Tote und Lebendige Herr sei." g) II. Kor, 5,15 und 17: „Christus ist darum für alle gestorben, auf daß die, so da leben, hinfort nicht ihnen selbst leben, sondern dem, der für sie gestorben und auferstanden ist. — Darum, ist jemand in Christo, so ist er eine neue Kreatur; das Alte ist vergangen, siehe, es ist alles neu worden." Bei Besprechung und Durcharbeitung dieser Stellen ergeben a und b das gemeinsame Thema, c und d die Feststellung des gleichen Sachverhalts für alle, e das persönliche Bekenntnis des Paulus, f und g eine Parallele zu Luthers „auf daß ich sein eigen sei " 7. Jesus Christus als Herr und Erlöser Luthers. Haben wir auf solche Weise Paulus den Kindern als Erlösten Jesu Christi vor Augen gemalt, so gilt es nun, dasselbe in umfassenderem Maße auch mit Luther zu tun. L u t h e r als der E r l ö s t e J e s u Christi in B i l d e r n aus seinem Leben, in Zeugnissen seiner Li-eder, im Hochgesang seines B e k e n n t n i s s e s zum 2. A r t i k e l muß das H e r z s t ü c k unserer ganzen u n t e r r i c h t l i c h e n Bemühungen werden. Hier ist für jeden einzelnen unter uns der Platz, seine unterrichtlichen- Fähigkeiten, seine Gestaltungskraft, sein schöpferisches Geschick zu beweisen; hier haben wir die Probe darauf abzulegen, ob wir unser Wissen um diese Dinge — das nötig ist! — in die rechten Formen zu gießen imstande sind, damit unsere Schüler unter« dem lebendigen Eindruck von Luthers Persönlichkeit, Leben und Glauben etwas ahnen von dem ungeheueren Umbruch, den Jesus Christus in seiner Seele verursachte. Es gilt deshalb zunächst, eine D a r s t e l l u n g bzw. Wiederholung von L u t h e r s innerer E n t w i c k l u n g zu geben bis hin zum Erwachen seiner reformatorischen Erkenntnis im Kloster. Dazu bietet jedes kirchengeschichtliche Lehrbuch und jede Beschreibung von Luthers Leben Stoff in Hülle und Fülle. Hier gilt es, zuzugreifen und den Erklärungsworten „mich verlorenen und verdammten Sünder" ihre ur-

108

2. Hauptstück: Was glaubt ein Christ?

sprüngliche Farbe zu geben, das Herausgerissenwerden aus Sündenqual, Todesangst und Teufelsringen zu schildern, Jesus Christus als Luthers Tröster, Retter und Befreier erscheinen zu lassen, die Bibel als die heilige Botschafterin dieses Heilandes vorzuführen und das Evangelium von der Sündenvergebung als das Licht in der Finsternis seiner Glaubensnacht aufleuchten zu lassen. Dazu gehören dann weiter R ü t h e r s Lieder als die beredtesten Zeugen dieses Kämpfens und Ringens, dieser Not und Qual, dieses Suchens und Findens, dieses Verzweifeins und Begnadetwerdens, dieses neuen, unbeschreiblichen Seligseins: Das alte, von Luther um- und weitergedichtete „Mitten wir im Leben sind mit dem Tod umfangen" als düstere Untermalung zu allem folgenden, das den 130. Psalm umprägende „Aus tiefer Not schrei ich zu dir" als Notschrei und Tröstung aus der Klosterzelle und das jubelnd einherstürmende „Nun freut euch, lieben Christen gemein" als.den herrlichen Sieges-Froh-Gesang des erlösten Christen mit der w örtlich an die Artikelerklärung gemahnenden Rückschau in Vers 2, seinem Gedenken an die ehemalige Verzweiflung in Vers 3 Schluß und seinem Aufblick zu Gottes und Christi großer Gnadentat in den übrigen Versen. Unverständliche, für die Kinder zu schwere Wendungen lasse man dabei ruhig auf sich beruhen, greife das Verständliche heraus, lasse die schönsten Verse lernen und singe mit seinen Schülern die wuchtigen, zum Inhalt der Lieder ss tiefflich passenden Melodien, damit sie von diesen Melodien nicht mehr loskommen und auch dadurch Text und Glaubenszeugnis Luthers anfangen, ihre Seelen mitschwingen, zu lassen. Wenn das geschehen ist, d a n n ist der Zeitpunkt gekommen, auch L u t h e r s E r k l ä r u n g herbeizurufen als Zusammenfassung, Bestätigung und Krönung alles zuvor mit den Schülern Erarbeiteten. Dann wird es keine Mühe mehr machen; den großen Hauptgedanken auch dieses „Christusliedes" und Christusbekenntnisses die Kinder unmittelbar spüren zu lassen, voran den granitenen Satz: „Ich glaube, daß Jesus Christus... sei mein Herr, der m i c h . . . erlöset h a t . » . , auf daß ich sein eigen sei . . . " Dann sind „Sünde, Tod und Teufel" keine unbekannten Größen mehr, dann haben die Worte „mich verlorenen und verdammten Sünder" ihren festen Platz in Luthers Leben, dann ist keine Silbe mehr darüber zu verlieren, daß hier L u t h e r s Glaubensb e k e n n t n i s vorliegt und zunächst noch nicht das der Kinder, dann ist die unmittelbare Beziehung gegeben zu allen sonstigen Liedern und Aussagen Luthers, dann stehen auch diese Katechismussätze mitten

2. Artikel.

109

in seinem Leben und Wirken als Reformator, dann stehen sie so vor den Kindern, wie allein sie vor ihnen stehen dürfen und können. Was danach noch an Schwierigkeiten und Dunkelheiten im Wortlaut der E r k l ä r u n g übriggeblieben ist, mag entweder vorerst unbesprochen bleiben oder kann leicht so weit aufgehellt werden, wie es vor Kindern möglich und für unsere Zwecke nötig ist. Alles im ursprünglich lutherischen Sinn klarzustellen, ist n i c h t angebracht. Es genügt, den Kampf Jesu Christi mit den drei Tyrannen Sünde, Tod und Teufel und seinen Sieg über sie zunächst rein als Kampf und Sieg in Luthers Leben schauen zu lassen und zu zeigen, wie L u t h e r sich dessen getröstete, daß durch Kreuz, Blut, Leiden, Sterben und Auferstehen Christi jene teuflischen Gewalten vernichtet sind (vgl. dazu im Anhang das S a s c h a - S c h n e i d e r - B i l d „Es ist v o l l b r a c h t " ) . Es genügt, den Schülern eindrücklich klar zu machen, wie Luther von der Stunde an, wo ihm diese selige Gewißheit aufgegangen war, sein ganzes Leben diesem Jesus Christus weihte, wie er bis zu den letzten Atemzügen seines Lebens „sein eigen" war in der unerschütterlichen Zuversicht, auch in Ewigkeit ,,iü seinem Reich unter ihm zu leben und ihm zu dienen in ewiger Gerechtigkeit, Unschuld und Seligkeit". 8. Jesus' Christus als Herr und Erlöser in den Liedern unseres Gesangbuches. Neben Luther steht eine „Wolke von Zeugen" in Gestalt der Dichter unserer Gesangbuchlieder, die mit ihren Liedern Luther nachbekennen: „Ich glaube, daß Jesus Christus . . . sei mein Herr, der mich verlorenen und verdammten Menschen erlöset hat . . . , auf daß ich sein eigen sei . . . " J a , man kann wohl sagen: Ein großer Teil der Lieder unserer Gesangbücher ist gar nichts anderes als eine Variation jenes Grundmotivs von Luthers Erklärung. Ob das nun die Lieder der (nach dem hessischen Gesangbuch zitierten) Abteilung „Glaube und Rechtfertigung" sind oder sinnverwandte aus der Abteilung „Lobund Danklieder"; ob wir an die Passionslieder denken oder an solche der Weihnachtszeit (Luther: „Vom Himmel hoch", „Gelobet seist du, Jesus Christ"; Paul Gerhardt: „Fröhlich soll mein Herze springen", „Ich steh an deiner Krippe hier"); ob wir Lieder frohen Osterglaubens meinen (Luther: „Christ lag in Todesbanden") oder solche getroster Sterbezuversicht; ob man die Lieder von der „Nachfolge Christi" den Worten „auf daß ich sein eigen sei usw." entsprechen lassen will

110

2. Hauptstück: Was glaubt ein Christ?

oder lieber Gesänge aus der Abteilung „Friede und Freude" (vgl. K K . „in ewiger . . . Seligkeit") und einige wenige der Gruppe ".Gericht und Ewigkeit" — immer und überall liegen dieselben Leitgedanken von Luthers Erklärung zugrunde, immer und überall die Bezeugung desselben Glaubens durch die Christussänger späterer Jahrhunderte. J e nach der persönlichen Vorliebe für den Diohter oder die Lieder, je nach der Reife der Kinder, je nach der Zeit des Kirchenjahres wird man aussuchen und den oder jenen Vers, dieses oder jenes Lied singen und durchs Singen lernen lassen, oder wird aus verschiedenen Liedern eines einzelnen Dichters, etwa Paul Gerhardts, dessen besonderes Glaubensleben die Kinder anschauen lassen, so wie Luthers Leben aus seinen Liedern ihnen entgegenklang. Auf diese Weise wird in Fortsetzung der -unter 5. und 6. angeführten früheren Glaubenszeugnisse Luthers Glaubensbekenntnis zur allgemeineren Gültigkeit erhoben und durch die andere Ausdrucksweise, durch immer neue Bilder und Melodien dem kindlichen Fassungsvermögen vertrauter und geläufiger. 9. Jesus Christus als Herr und Erlöser in der bildenden Kunst. Wie die fromme Dichtkunst, so hat auch die Malerei das Thema Jesus Christus zu allen Zeiten und auf allerlei Weise behandelt, und besonders haben die Aussagengruppen des 2. Artikels „geboren von der Jungfrau Maria", „gelitten unter Pontius Pilatus, gekreuzigt, gestorben und begraben" in vielen Hunderten und Tausenden von Gemälden und Drucken ihren Ausdruck und wechselnden Niederschlag gefunden. Auch diese Weihnachts-- und K r e u z i g u n g s b i l d e r , zumal die unserer klassischen und gegenwärtig-bedeutenden Künstler, werden in unserem Katechismusunterricht über den 2. Artikel gut Verwendung finden können, sei es nun in handlichen Wiedergaben oder im Lichtbild mit Hilfe von Stehfilmstreifen oder Episkop. Daneben sei auf zwei B e i s p i e l e verwiesen, wo an Hand billiger großer Wandbilder die Kerngedanken von Luthers Erklärung eine besonders feine Veranschaulichung finden können, und das sind D ü r e r s „Ritter, Tod und Teufel" und R e t h e l s „Der Tod als Freund". a) Van Dürers „ R i t t e r , Tod und T e u f e l " hat der Verlag „Der praktische Schulmann" (Stuttgart-O, Pfizerstr. 5—7) im Format 64x92 für 3 bzw. 4 RM eine schöne Wiedergabe herausgebracht, die sich kein Pfarrer und Lehrer bei Besprechung von Luthers Erklärung entgehen lassen sollte (abgedruckt im Bildanhang!). Hier ist Luthers

2. Artikel.

111

Glaubensbekenntnis mit Dürers Augen geschaut: Der tapfere, fromme Ritter, der keine Furcht hat vor Tod und Teufel, dem sie nichts anhaben können wegen seines festen Gottes- und Christusglaubens (siehe Luthers „Ein feste Burg . . . " ) , ein Christenmeüsch sonder Fehl und Tadel, so wie es Luther alle Tage seines Lebens war nicht nur auf der Heise nach Worms zum Reichstag und nach Wittenberg zu den Schwärmern — und wie es Paul Gerhardt in seinem Lied „Warum sollt' ich mich denn grämen" so treffend zu Dürers Bild besungen hat: „Unverzagt und ohne Grauen soll ein Christ, wo. er ist, stets sich lassen schauen; wollt ihn auch der Tod aufreiben, soll der Mut dennoch gut und fein stille bleiben." b) In einem besonders klaren Druck hat zu denselben Bedingungen der Verlag „Der praktische Schulmann" auch den Holzschnitt von R e t h e l „Der Tod als F r e u n d " herausgegeben, der ebenfalls die Besprechung von Luthers Glaubensbekenntnis fein unterstützen bzw. abschließen kann (siehe den Abdruck im Anhang!). Auch hier ist der Christusglaube als Sieger über Todesangst und Sündenschrecken dargestellt. Der Crucifixus an der Wand und die aufgeschlagene Bibel, die gefalteten Hände des alten Türmers und sein friedevolles Antlitz legen davon beredtes Zeugnis ab. Nur wird man das vom Verlag „Der praktische Schulmann" unter das Bild gedruckte Gedicht abschneiden oder überkleben und statt dessen dem Türmer eins unserer evangelischen Christus- und Sterbelieder in den Mund legen: So etwa das Lied „Christus, der ist mein Leben und Sterben mein Gewinn" oder „Jesus, meine Zuversicht und mein Heiland, ist im Leben" oder den Vers aus „ 0 Haupt voll Blut und Wunden": „Wenn ich einmal soll scheiden, so scheide nicht von mir". 10. Jesus Christus als Herr und Erlöser unserer Kinder. Wenn auf die vorstehende Weise die Erlösungsbotschaff und die Erlöserherrschaft Jesu Christi im Leben der Christen aller Jahrhunderte vor den Augen der Kinder Gestalt gewonnen hat, ist die Stunde gekommen, aueh ihr Leben unter diese Botschaft zu stellen und zu

112

2. Hauptstück: Was glaubt ein Christ?

zeigen, in welchen Stücken Luthers Bekenntnis auch das Bekenntnis ihres jungen Lebens werden muß. Worauf es a n k o m m t , i s t v i m L a u f e der v o r a n g e g a n g e n e n S t u n d e n klar g e w o r d e n : J e s u s C h r i s t u s soll vor ihnen als der „Herr" stehen, der auch für sie alle gewissensängstigende und lebensvernichtende Macht von „Sünde, Tod und Teufel" zerbrochen hat, der sie dadurch frei g e m a c h t h a t u n d i m m e r neu f r e i m a c h e n will von dem Fluch der Schuld, von der Angst vor dem Tode, von dem Zwang der Versuchung, und zwar: v o n der S ü n d e n s c h u l d durch die trostreiche Verkündigung der vergebenden Gnade des himmlischen Vaters, v o n der T o d e s a n g s t durch seine Botschaft von der e w i g e n Liebe Gottes, v o n der Macht der V e r s u c h u n g durch seine Predigt von dem Gehorsam gegen den, der allein Herr und Helfer ist im Himmel und auf Erden. (Vgl. dazu die entsprechenden Vaterunserbitten 5—7.) So sollen auch sie bekennen können, daß J e s u s C h r i s t u s i h r „Erlöser" sei, der auch sie „vom Teufel zu Gött, vom Tode zum Leben, von der Sünde zur Gerechtigkeit gebracht hat" (GK.) und bringen will, der als der „Herr des Lebens, der Gerechtigkeit, alles Gutes und aller Seligkeit" an die Stelle „jener Tyrannen und Stockmeister" getreten ist, der uns „als sein Eigentum unter seinen Schirm und Schutz genommen" hat, „daß er uns regiere durch seine Gerechtigkeit, Weisheit, Gewalt, Leben und Seligkeit", oder wie es im KK. ausgedrückt ist, damit wir „sein eigen" seien „und in seinem Reiche unter ihm leben und ihm dienen in ewiger Gerechtigkeit, Unschuld und Seligkeit". „ S e i n eigen" habe dabei für unsere Schüler den Sinn der Verpflichtung und der Zugehörigkeit, des Beanspruchtwerdens und Gehorchenwollens, des zur Nachfolge und zum Dienst Bereitseins. „ S e i n R e i c h " sei für die Kinder nicht rein jenseitig gefaßt, sondern werde angesehen als die gegenwärtige Herrschaft Christi über uns in diesem Leben und gerade in dieser Welt (vgl. die ersten Verse des Liedes „Jesus Christus herrscht als König"). „ G e r e c h t i g k e i t und U n s c h u l d " ist für feie nicht passiv und nicht im Sinne der Reohtfijrtigungslehre zu verstehen, sondern kindlich gerade umgekehrt als aktives Verhalten, als Tat des Menschen, als Haltung und Dank vor Gott, als Gehorsam gegen seine Gebote und Forderungen, als Ziel des Wollens, als Norm und Inhalt von Christi Verkündigung, als das, was ihn zum Vorbild unseres Lebens macht. Auch „ S e l i g k e i t " darf nicht nur als das Glück der Ewigkeit

2. Artikel.

113

genommen werden, sondern als das Glück der Nachfolge und des Dienstes, das schon jetzt beginnt, als die innere Seligkeit des Gotteskindes und die Herzensfreude aller Christusjünger. Die Hauptsache bleibt bei alledem die tiefinnerliehe Erkenntnis, d a ß J e s u s C h r i s t u s ihr H e r r sei, der sie e r l ö s e t h a t ( = erl ö s e n will), a u f d a ß sie s e i n e i g e n s e i e n u n d i n s e i n e m R e i c h u n t e r ihm leben und ihm dienen. Damit ist dann gleichzeitig auch für das Gedächtnis eine P a r a l l e l e z u r E r k l ä r u n g d e s 1. A r t i k e l s gegeben, wo ja auch zuerst von dem die Rede war, „was wir von Gott haben und empfangen", und danach von dem, „was wir dafür schuldig sind" (s. o. S. 98). War dort gefordert, Gott „zu loben und zu danken und ihm zu dienen und gehorsam zu sein", so erklärt der 2. Artikel uns für schuldig, Christus zu „dienen in Gerechtigkeit, Unschuld und Seligkeit". Hier wie dort stehen die Güter und Gaben Gottes vor uns, die „zeitlichen" Güter dort, die „ewigen" hier; hier wie dort gilt es zu danken und zu loben durch die Tat des Lebens. Beim 1. Artikel hatte Luther selbst die z e h n G e b o t e genannt als den Inbegriff dessen, was Gott von uns an Dienst, und Dank erwartet; hier könnte man mit demselben Recht auf die B e r g p r e d i g t hinweisen, die als das „neue Gebot" unseres Herrn Jesus Christus „in seinem Reiche" Geltung und Erfüllung erheischt. Verlangt doch. Jesus selbst dort, nicht nur „Herr, Herr" zu sagen, sondern den Willen zu tun seines Vaters im Himmel (Matthäus 7, 21). Daneben mögen freilich auch hier — wie beim Schluß des 1. Artikels — die W o r t e d e s D a n k e n s u n d L o b e n s und das G e l ö b n i s d e r T r e u e aufwachen in den L i e d e r n u n s e r e s G e s a n g b u c h e s . Dafür bieten sich zunächst einige Strophen von- Passionsliedern an, so die Schlußstrophe aus Chr. F. Gellerts Lied „Herr, stärke mich, Dein Leiden zu bedenken": „Du liebtest mich; ich will Dich wieder lieben und stets mit Freuden Deinen Willen üben. 0 gib Du, Herr, zu diesem heiigen Werke mir Kraft und Stärke!" Ebenso die beiden letzten Strophen von Paul Gerhards „Ein Lämmlein geht und trägt . . . " mit dem herzinnigen Gelübde: „Mein Lebetage will ich Dich aus meinem Sinn nicht lassen . . . " und „Ich will von Deiner Lieblichkeit bei Nacht und Tage singen . . . " . Schließlich auch die Dank- und Lobstrophe aus „O Haupt voll Blut und Wunden": „Ich danke Dir von Herzen, o Jesu, liebster Freund, für Deines Todes Schmerzen, da Du's so gut gemeint. Ach, gib, daß ich mich halte zu Dir und Deiner Treu, und 8 W i ß m a n n , Katechismusunterricht.

114

2. Hauptstück: Was glaubt ein Christ?

wenn ich nun erkalte, in Dir mein Ende sei." Dazu gesellen sich die vielen anderen Bekenntnisse zu Jesus i n Konfirmationsliedern oder solchen der Jesusliebe und Jesusnachfolge, so z. B. „Bei Dir, Jesus, will ich bleiben", „Mir nach, spricht Christus, unser Held", „Jesus, hilf siegen, Du Fürgte des Lebens", „Ein reinea Herz, Herr, schaff' in mir", „Meinem Jesum laß ich nicht", „Ich will Dich lieben, meine Stärke", „Halt im Gedächtnis Jesum Christ" usw. Auch durch diese Lieder sollen sich unsere Schüler ins Herze hineinsingen, d a ß Jesus Christus ihr Herr sei und sie sein eigen werden wollen, wie Philipp S p i t t a es ihnen vorgesungen h a t : „Bei Dir, Jesu, will ich bleiben, stets in Deinem Dienste stehn; nichts soll mich von Dir vertreiben, Deine Wege will ich gehn . . . " 3. A r t i k e l . 1. Übergang v o m 2. zum 3. Artikel. Wenn wir wie beim 1. und 2. Artikel die Frage nach dem Übergang vom 2. zum 3. Artikel stellen, so sehen wir uns der seltsamen Tatsache gegenüber, daß im GK. ein solcher Übergang zu Beginn des 3. Artikels fehlt. Nur an zwei Stellen innerhalb der Artikelerklärung finden wir den Gedanken einer inhaltlichen Verbindung, einmal zu Beginn des zweiten Absatzes: „ D e n n w e d e r d u n o c h i c h k ö n n t e n je etwas von Christo wissen noch an ihn glauben u n d i h n z u m H e r r n k r i e g e n , wo es n i c h t d u r c h d i e P r e d i g t d e s E v a n g e l i u m s v o n d e m H e i l i g e n G e i s t w ü r d e a n g e t r a g e n und u n s in den Busen geschenkt", und dann gegen Schluß, wo es im Hinblick auf alle drei Artikel heißt.: „Denn wir könnten . . . nimmermehr dazu kommen, daß wir des Vaters Huld und Gnade erkennten, ohne durch den Herrn Christum, der ein Spiegel ist des väterlichen Herzens, außer welchem wir nichts sehen denn einen zornigen und schrecklichen Richter; v o n C h r i s t o a b e r k ö n n t e n w i r a u c h n i c h t s w i s s e n , w o e s nicht durch den Heiligen Geist offenbart wäre." Dieser zuletzt aufgewiesenen Beziehung zwischen dem 3. und 2. Artikel-entspricht der A n f a n g s s a t z d e r E r k l ä r u n g i m K K . : „ I c h glaube, daß ich nicht aus eigener Vernunft noch K r a f t a n J e s u m C h r i s t u m , m e i n e n H e r r n , g l a u b e n oder zu ihm kommen kann, sondern d e r H e i l i g e G e i s t h a t mich durch das Evangelium beru-

3. Artikel.

115

f e n . . . " D a m i t w i r d d e r G l a u b e a n J e s u s C h r i s t u s zu d e m K e t t e n g l i e d , d a s d e n 2. u n d 3. A r t i k e l z u s a m m e n b i n d e t . Wie kommt es aber, daß Luther von diesem Verbindungsglied nicht auch am Anfang des GK. redet, sondern dort unvermittelt mit der „Heiligung" und dem „Heiligen Geiste" einsetzt ? Warum hören wir dort gar nichts von jenem Glauben, mit dem die Erklärung des K K . anhebt ? Wir spüren, hier liegen Unausgeglichenheiten vor, die sich bei näherem Eingehen auf den Artikelwortlaut und auf Luthers Erklärungen im GK. und KK. noch weiter steigern werden. 2. Fehlende Einheitlichkeit im Inhalt des 3. Artikels. Der erste Eindruck von dem Inhalt des 3. Artikels ist der eines bunten Vielerlei und einer sich daraus ergebenden mangelnden Geschlossenheit. Der 3. Artikel steht damit völlig im Gegensatz zu seinen beiden Vorgängern. Dort begegneten uns die klaren und einheitlichen Aussagen über Gott und Christus, hier finden wir eine unvermittelt aneinander gereihte Aufzählung von sechs verschiedenen Gegenständen, deren Zusammengehörigkeit und Wechselbeziehung nicht ohne weiteres ersichtlich ist. Soll der Heilige Geist die beherrschende Aussage sein, und fiteilen die folgenden fünf Stücke nur seine Wirkungen und Gaben dar ? Und wenn das so ist: In welcher Weise wirkt sich der Heilige Geist hier aus ? Oder beziehen sich die letzten drei Glieder „Vergebung der Sünden, Auferstehung des Fleisches und ein ewiges Leben" gar nicht nur auf den 3. Artikel, sondern auf die. vorausgegangene Gesamtheit des Glaubensbekenntnisses ? Oder ist die Beziehung der einzelnen Aussagen untereinander nöch anders ? Wie faßt der GK. die Sache auf und wie der KK. ? 3. Gedankenführung im GK. Luther stellt im GK. den Gesamtinhalt des 3» Artikels zunächst unter den Gesichtspunkt der „ H e i l i g u n g " . „Diesen Artikel kann ich nicht besser örtern ( = überschreiben) denn von der Heiligung, daß dadurch der Heilige Geist mit seinem Amt ausgedrückt und abgemalt wterde, nämlich daß er heilig macht." Zu diesem Heiligen sind all die Stücke nötig, die neben dem Heiligen Geist noch im alten Bekenntnis aufgezählt sind. „Also r i c h t e t d e r H e i l i g e G e i s t d i e H e i l i g u n g a u s durch die folgenden Stücke, das ist, durch die Gemeinde der Heiligen oder christlichen Kirche, Vergebung der Sünden, Auferstehung des Fleisches und das ewige Leben, das ist, daß er uns erstlich führt 8*

116

2. Hauptstück: Was glaubt ein Christ ?

in seine heilige Gemeinde und in der Kirche Schoß legt, dadurch er uns predigt und uns zu Christo bringt." „Darum ist das Heiligen nichts anderes denn zu dem Herrn Christo bringen." Nach einer zweiten ähnlichen Zusammenfassung (s. GK.) folgt dann noch eine Einzelbesprechung der Ausdrücke „Kirche", „Gemeinschaft der Heiligen", „Vergebung der Sünden" und „Auferstehung des Fleisches", weil diese Stücke „für die Einfältigen nicht so gar klar sind"(!). Die einheitliche Linie, die sich auch aus diesen Einzelerklärungen herausschält, ist die, daß hier die W i r k u n g s s t ä t t e n des H e i l i g e n G e i s t e s u n d die M i t t e l , Wege u n d S t a t i o n e n d e r H e i l i g u n g genannt sind, die damit auch in diesen Schlußausführungen des GK. das beherrschende Thema bleibt. 4. Zwiespältigkeit der Artikelerklärung im KK. Die unter 3. skizzierte einheitliche Linienführung des GK. wird nun im KK. durchbrochen durch die stärkere Betonung des unter 1. bereits angeführten Gesichtspunktes des G l a u b e n s . Man halte sich nur den Wortlaut der Erklärung vor, um das einzusehen: „Ich glaube, daß ich nicht . . . g l a u b e n . . . kann, sondern der Heilige Geist hat mich . . . im rechten G l a u b e n geheiligt und erhalten; gleichwie er die ganze Christenheit . . . erhält im rechten einigen G l a u b e n ; in welcher Christenheit er mir und allen G l ä u b i g e n alle Sünden . . . vergibt . . . und mir samt allen G l ä u b i g e n in Christo ein ewiges Leben geben wird . . . " Von „ H e i l i g u n g " ist in der ganzen Erklärung n u r zweim a l die Rede: Das eine Mal in charakteristischer Verbindung mit dem „Glauben": „im rechten G l a u b e n g e h e i l i g e t und erhalten", das andere Mal ohne Bezugnahme auf den Glauben in der Aufzählung „beruft, sammelt, erleuchtet, h e i l i g e t " usw. Es l a u f e n in d e r E r k l ä r u n g des K K . also zwei L i n i e n n e b e n e i n a n d e r h e r , die L i n i e des G l a u b e n s u n d die L i n i e d e r H e i l i g u n g , woraus sich für uns sofort die weitere Frage erhebt: Welche Aussagen der Erklärung und des Artikels beziehen sich auf den Glauben und welche auf die Heiligung ? Was ist mit dieser gemeint und was mit jenem ? 5. Die Linie des Glaubens im KK. und GK. a) Klar ist erstlich, daß der G l a u b e — gemeint ist in der Hauptsache der Glaube an Jesus Christus und an die durch ihn vollbrachte Erlösung — als W i r k u n g des H e i l i g e n G e i s t e s angesehen wird, m. a. W. als Geschenk Gottes und nicht als etwas, worüber der Mensch

3. Artikel.

117

seinerseits verfügen könnte. Der KK. hebt mit dieser Aussage, „daß ich nicht aus eigener Vernunft noch Kraft an Jesum Christum, meinen Herrn, glauben oder zu ihm kommen kann" an, und der GK. bringt dazu bedeutsame Parallelen; so die schon oben abgedruckte: „Denn weder du noch ich könnten je etwas von Christo wissen noch an ihn glauben und ihn zum Herrn kriegen, wo es nicht durch die Predigt des Evangeliums von dem Heiligen Geist würde angetragen und uns in den Busen geschenkt." b) D e r H e i l i g e G e i s t l e h r t d i e s e n G l a u b e n n u n a b e r d u r c h d a s W o r t d e s E v a n g e l i u m s ; vgl. K K . : „Der Heilige Geist hat mich d u r c h d a s E v a n g e l i u m berufen" und den obigen Satz aus dem GK., der folgende Fortsetzung hat: „Das Wesk ist geschehen und ausgerichtet, denn Christus hat uns den Schatz erworben . . . Daß nun solcher Schatz nicht begraben bliebe, sondern angelegt und genossen würde, hat Gott d a s W o r t ausgehen und verkündigen lassen, darin den Heiligen Geist gegeben, uns solchen Schatz und Erlösung heimzubringen und zuzueignen." „Darum glauben wir an den, der uns täglich herzuholt d u r c h d a s W o r t und den Glauben gibt, mehrt und stärkt durch dasselbe W o r t . " c) Dies W o r t des E v a n g e l i u m s — so fährt der GK. im Unterschied zum KK. fort — i s t d e r c h r i s t l i c h e n K i r c h e , d . h . d e r c h r i s t l i c h e n G e m e i n d e anvertraut. „Denn zum ersten hat er * e i n e s o n d e r l i c h e G e m e i n d e in d e r W e l t , welche ist die Mutter, so einen jeglichen Christen zeugt und trägt durch das Wort Gottes, welches er offenbart und treibt." Dieser Gemeinde bin auch ioh „ein Stück und Glied, aller Güter, so sie hat, teilhaftig und Mitgenosse, durch den Heiligen Geist dahin gebracht und eingeleibt dadurch, daß ich Gottes Wort gehört habe und noch höre, welches ist der Anfang hineinzukommen''. d) Neben diesem äußeren Wirken des Heiligen Geistes durch das der Gemeinde anvertraute und in der Gemeinde gepredigte Wort des Evangeliums geht einher die i n n e r e W i r k u n g s w e i s e d e s H e i l i g e n G e i s t e s , der uns Menschen „ m i t s e i n e n G a b e n e r l e u c h t e t " oder, wie Luther im GK. sagt, der „die H e r z e n e r l e u c h t e t und anzündet, daß sie es fassen, annehmen, daran hängen und dabei bleihen. Denn wo er's nicht predigen läßt und im H e r z e n e r w e c k t , daß man's faßt, da ist's verloren". (Vgl. auch die entsprechenden Verse aus L u t h e r s P f i n g s t l i e d e r n : „Du heiliges L i c h t , edler Hort, laß uns

118

2. Hauptstück: Was glaubt ein Christ?

l e u c h t e n des Lebens Wort und lehr Gott uns recht erkennen, von Herzen Vater ihn nennen" und „Du wertes L i c h t , gib uns deinen S c h e i n , lehr uns Jesum Christ kennen allein" usw.) e) Gleichzeitig ist damit zum Ausdruck gebracht, daß der Heilige Geist diesen durch Predigt und innere Erleuchtung geweckten Glauben durch das in der Christenheit verwaltete Wort allezeit „ e r h ä l t " ; vgl. die Worte im KK.: „im rechten Glauben geheiliget und e r h a l t e n " . f) Was vom einzelnen Christeil hinsichtlich seines Glaubens gilt, gilt in gleicher Weise für die ganze Christenheit: „Gleichwie er die ganze Christenheit auf Erden beruft, sammelt, erleuchtet, heiliget und bei Jesu Christo erhält im rechten einigen Glauben." g) Damit scheint die Linie des Glaubens zu ihrem Ende geführt zu sein. Sie umschließt die Artikelaussagen: „Ich glaube an den Heiligen Geist, eine Heilige christliche Kirche, die Gemeine der Heiligen" und die erste Erklärungshälfte bis zu den Worten „im rechten einigen Glauben". Ihre Grundpfeiler sind: der Heilige Geist, das Wort, die Gemeinde und die innere Erleuchtung. Durch sie wird der Glaube ermöglicht, geweckt, geschenkt und erhalten. Esjst alles glatt und ohne Anstoß bis auf den kleinen Schönheitsfehler, daß in der Erklärung des KK. (s. c) die christliche Gemeinde in ihrer Eigenschaft als Hüterin des Evangeliums nicht ausdrücklich genannt wird. E i n e Schwierigkeit verbleibt indessen beim Blick auf den zweiten Teil der Artikel- und Erklärungsaussagen. Auch die „Vergebung der Sünden", die „Auferstehung des Fleisches" und „ein ewiges Leben" sind ja I n h a l t e c h r i s t l i c h e n Glaubens, sind bereits in der Erklärung des 2. Artikels mitbezeugt, also in den Glauben an die Erlösung durch Christum miteingeschlossen. Wozu werden sie dann aber hier im 3. Artikel noch- einmal genannt ? Legt sich nicht die Vermutung nahe, daß diese Stücke eine allgemeine Schlußzusammenfassung des ganzen Glaubensbekenntnisses darstellen? Oder will Luther mit dem auf die letzten Artikelworte bezogenen Best seiner Erklärung „in welcher Christenheit..." bis „ . . . ein ewiges Leben geben wird" die Linie des Glaubens fortsetzen, etwa so, daß er hier eine Art Nachtrag zu dem Inhalt des Glaubens gibt entsprechend dem GK., wo ja auch beim Übergang zum Schlußteil zu lesen steht: „Danach weiter glauben wir, daß wir in der Christenheit haben Vergebung der Sünden" usw. ? Hört die Linie des Glaubens demnach in der Mitte des Artikels und nach dem zweiten Drittel der Erklärung

3. Artikel.

119

auf, oder geht sie bis zu beider Ende weiter ? Und wo bleibt die Linie der Heiligung, wenn die Linie des Glaubens bis zum Schluß der Erklärung durchgeführt werden muß ? 6. Die Linie der Heiligung im GK. und K K . a) Der GK. setzt betont, wie wir oben unter 3. schon sahen, mit der Linie der Heiligung ein. Der Heilige Geist ist der „Heiligmacher", die Heiligung selbst wird nach der Schlußzusammenfassung des ersten Absatzes ausgerichtet „durch die Gemeinde der Heiligen oder christliche Kirche, Vergebung der Sünden, Auferstehung des Fleisches und das ewige Leben, das ist, daß er uns erstlich führt in seine heilige Gemeinde und in der Kirche Schoß legt, dadurch er uns predigt und uns zu Christo bringt". Hieraus ist zweierlei ersichtlich: L, daß eindeutig „Vergebung der Sünden, Auferstehung des Fleisches und ein ewiges Leben" auf die Heiligung bezogen sind, und 2., daß auch die Predigt in der Gemeinde und das „Zu-Christo-bripgen", d. h. also das, was nach Punkt 5 unserer Überlegungen wesentlich zur Linie des Glaubens gehörte, als ein Stück des Heiligungsprozesses angeschaut wird. Damit wird der Glaube, genauer die Ermöglichung des Glaubens durch die Verkündigung der christlichen Kirche, das ZumGlauben-kommen und das Im-Glauben-erhalten-werden selbst zu einem Teil der Heiligung, und zwar zu einem sehr wichtigen Teil, wie denn Luther im KK. sagen kann, der Heilige Geist habe ihn „im rechten Glauben geheiligt und erhalten". b) Am Anfang der Heiligung steht also die Tatsache, daß der Heilige Geist „uns erstlich führt in seine heilige Gemeinde und in der Kirche Schoß legt, dadurch er uns predigt und uns zu Christo bringt". Damit ist aber die Linie der Heiligung erst begonnen und noch nicht zu Ende geführt. Der vollen Heiligung steht unsere Sünde im Wege, weshalb zur Kirche und zum Glauben die Sündenvergebung hinzukommen muß, die „durch die heiligen Sakramente und Absolution, dazu alliertei Trostsprüche des Evangeliums" in der Kirche verkündigt wird. „Denn wiewohl Gottes Gnade durch Christum erworben ist und die Heiligkeit durch den Heiligen Geist gemacht, durch Gottes Wort in der Vereinigung der christlichen Kirche, so sind wir doch nimmer ohne Sünde unsers Fleisches halben, so wir noch am Halse tragen. — Darum ist alles in der Christenheit dazu geordnet, daß man da täglich eitel Vergebung der Sünden durchs Wort und

120

2. Hauptstück: Was glaubt ein Christ?

Zeichen hole, unser Gewissen zu trösten und aufzurichten, solange wir hier leben. Also macht der Heilige Geist, daß, ob wir gleich Sünde h&ben, doch sie uns nicht schaden kann, weil wir in der Christenheit sind, da eitel Vergebung der Sünden ist, beide, daß uns Gott vergibt und wir untereinander vergeben; tragen und aufhelfen. — Außer der Christenheit aber, da das Evangelium nicht ist, ist auch keine Vergebung, wie auch keine Heiligkeit da sein kann." c) Aber auch trotz der Sündenvergebung und der durch sie und den wachsenden Glauben bewirkten Erhöhung unserer „Heiligkeit" bleibt diese auf Erden dank unserer Leiblichkeit und Sündigkeit immer nur eine unvollkommene Sache. Des Christen Blick ist deshalb nach Luther auf die Ewigkeit gerichtet, wo nach Ablegung dieses Erdenleibes Auferstehung und ewiges Leben uns zu voller Heiligkeit führen werden. „Indes aber, weil die Heiligkeit angefangen ist lind täglich zunimmt, warten wir, daß unser Fleisch hingerichtet und mit allem Unflat verscharrt werde, aber herrlich hervorkomme und auferstehe zu ganzer und völliger Heiligkeit in einem neuen e wiggn Leben. Denn jetzt bleiben wir halb und halb rein und heilig, auf daß der Heilige Geist immer an uns arbeite durch das Wort und täglich Vergebung austeile bis in jenes Leben, da nicht mehr Vergebung wird sein, sondern ganz und gar reine und heilige Menschen, voller Frömmigkeit und Gerechtigkeit, entnommen und ledig von Sünde, Tod und allem Unglück, in einem neuen unsterblichen und verklärtem Leibe." d) Zusammenfassend kann man also über die Heiligung sagen: „Siehe, das alles soll des Heiligen Geistes Amt und Werk sein, daß er auf Erden die Heiligkeit anfange und täglich mehre durch die zwei Stücke: christliche Kirche und Vergebung der Sünden. Wenn wir aber verwesen, wird er's ganz auf einen Augenblick vollführen und uns ewig dabei erhalten durch die letzten zwei", nämlich durch Auferstehung des Fleisches und ein ewiges Leben. Die aufsteigende L i n i e der Heiligung i s t k l a r : Im Irdischen fängt sie an — in die E w i g k e i t mündet sie ein. Kirche und Predigt des Evangeliums sind ihre Voraussetzungen, Glaube ist ihr Anfang, Sündenvergebung ihre lebenslängliche Grundbedingung, Auferstehung und ewiges Leben ihre Vollendung. Sünde und Fleisch sind ihre Widersacher hienieden, wodurch zu dem religiösen Moment der Heiligung im Glauben das s i t t l i c h e Moment der Heiligung des Lebens hinzutritt und stellenweise sogar den Vorrang hat. Die Linie der Heiligung

3. Artikel.

121

umfaßt alle Aussagen des 3. Artikels, umschließt im GK. und K K . auch die Linie des Glaubens, verläßt diese dann im GK. bei den mehr ethisch gewandten Schlußaussagen über die „Vergebung der Sünden, Auferstehung des Fleisches und ein ewiges Leben", während die diesbezüglichen Avisführungen im KK. („in welcher Christenheit . . . geben wird") es offen lassen, ob hier noch von der „Heiligung" im Sinne des GK. gesprochen werden soll oder nicht. 7. Unterrichtliche Folgerungen aus dem Erklärungsaufbau des GK. und KK. Aua der durch unsere vorstehenden Untersuchungen gewonnenen Schau auf Luthers Erklärungen im GK. und KK. ergeben sich nun die verschiedensten Möglichkeiten für einen dem U n t e r r i c h t zugrunde zu legenden Gesamtplan der Behandlung des 3. Artikels. a) Der Ausgang von der Frage nach dem Glauben legt sich uns durch den Eingang von Luthers Erklärung im KK. nahe (s. o. 1.). Die Verbindung der drei Artikel untereinander wäre dann die, daß man sagt: Von Gott wissen wir durch Jesum Christum; von Jesus Christus durch den „Heiligen Geist" oder, kindlicher gesprochen (s. u. 8.), durch die Botschaft der christlichen Kirche. Der 3. Artikel enthielte dann die Antwort auf die a r b e i t s u n t e r r i c h t l i c h zu erhebende Frage: Woher wissen wir überhaupt etwas von J e s u s ? Zur Beantwortung dieser Frage wäre als Mutterboden unseres Glaubens zu nennen die christliche Taufe und die christliche Erziehung, die christliche Umgebung (Eltern, Paten, Lehrer, Pfarrer, christliche Bekannte und Verwandte, christliche Gemeinde) und die christliche Verkündigung in Elternhaus, Schule, Konfirmandenstunde und Kirche. Es wäre zu zeigen, wie diese Verkündigung nur ermöglicht würde durch die christliche Uberlieferung des Evangeliums bzw. der Bibel durch alle Jahrhunderte bis auf den heutigen Tag. Es wäre weiter darauf hinzuweisen, wie diese Überlieferung herausgeboren wurde aus dem, Glauben der Jünger und der Apostel und wie dieser Glaube seinerseits nach Jesu Tod in wunderbarer Weise neu geweckt und gestärkt wurde durch das Pfingstfest in Jerusalem. Wir hätten auf diese Weise den Weg v o m K i n d e rückwärts bis z u r U r c h r i s t e n h e i t einzuschlagen, hätten die Linie des Glaubens von heute bis damals zurückzuverfolgen und das Wirken j e n e s P f i n g s t g e i s t e s umgekehrt von

122

2. Hauptstück: WaS glaubt ein Christ?

damals bis zur Gegenwart. Wir hätten dann entsprechend der Fortsetzung von Luthers Erklärung zu zeigen, daß das, was für den einzelnen gilt, natürlich auch bei allen anderen Christen ebenso ist, und müßten zuletzt noch in irgendeiner Weise auf Sündenvergebung, Ajiferstehung und ewiges Leben zu sprechen kommen, sei es im Sinne einer Ergänzung und Zusammenfassung des Glaubensinhalts des 2. und 1. Artikels, sei es im Rahmen der Heiligung (s. c), sei es um noch die restlichen Heil^güter aufzuzählen (d). b) Will man den 3. Artikel unter den Gesichtspunkt der Heiligung stellen, so bedarf es einer anderen Anknüpfung an den 2. und 1. Artikel. Auch die ist möglich, wenn man z . B . an die Schlußworte der vorangegangenen Erklärungen denkt: „auf daß ich sein eigen sei und in seinem Reich unter ihm lebe und ihm diene" usw. bzw. „des alles ich . . . zu dienen und gehorsam zu sein schuldig bin", und die Frage erheben läßt: Wie komme ich dazu, so heilig, so Gott wohlgefällig und Christo gehorsam eu leben, wie es diese beiden Erklärungsschlüsse {im Sinn unserer Auslegung auf S. 97f. und 112ff.) von uns fordern ? Die Antwort müßte dann gemäß dem GK. lauten: Mit Hilfe des „Heiligen Geistes", der mich „heilig macht". Dabei wäre freilich sofort die ändere Schwierigkeit vorhanden, diesen „Heiligen Geist" als unbekannte Größe einzuführen, was nach unserem Vorschlag (s. u. 8. a und d) Kindern dadurch mundgerecht und verständlich gemacht werden kann, daß man für den „Heiligen Geist" G o t t einsetzt und sagt: I c h werde h e i l i g , i n d e m G o t t mir dazu h i l f t , und Gott hilft mir dazu, indem er mir den rechten, christlichen, „heiligen" Geist in mein Herz hinein schenkt, um mein Leben' dadurch zu regieren (s. u. 9. a). Sind auf diese Weise die Klippen der Eingangsfragestellung glücklich umschifft, so kann man mit Hilfe des GK. sein LTnterrichtsschifflein gut nach dem Kurs der Heiligung weiter fahren lassen, muß sich nur darüber klar sein, daß dann zu dieser „Heiligung" auch die Heiligung im rechten Glauben gehört, was die Gefahr in sich schließt, daß der Glaube bzw. das Zuin-Glauben-kommen etwas stiefmütterlich behandelt wird und durch die Unterstellung unter den Oberbegriff der Heiligung im Gegensatz zu Luthers Erklärung im KK. leicht etwas zu kurz kommt. c) Der beste und für den gewöhnlichen Katechismusunterricht empfehlenswerteste Weg dürfte deshalb der sein, sowohl vom Glauben wie von der Heiligung zu sprechen,

3. Artikel.

123

d.h. also für die zwei ersten Drittel von Luthers Erklärung den Weg dea Glaubens zu gehen (a) und diesen für das letzte Drittel in den Weg der Heiligung (sittlich verstanden!) einmünden zu lassen. Damit käme man auch am einfachsten über den offenkundigen Sprung in Luthers Erklärung hinweg (s. o. 4.) und hätte außerdem in dem Schema der zuvor behandelten E r k l ä r u n g e n z u m 1. u n d 2. A r t i k e l e i n e b e d e u t s a m e P a r a l l e l e , wie sie in dieser Beleuchtung anscheinend noch gar nicht gesehen -und darum auch kaum unterrichtlich ausgewertet worden ist. Ich denke an die Zweiteilung jener beiden ersten Erklärungen nach den Gesichtspunkten 1. was uns Gott gegeben hat und 2. was wir dafür schuldig sind (s. a. S. 98 und 113), oder anders ausgedrückt, 1. was dem G l a u b e n dargereicht wird und 2. was wir aus Dankbarkeit dafür zu t u n haben. Denn die Worte „des alles ich ihm zu dienen und gehorsam zu sein schuldig b i n " und die anderen „auf daß ich sein eigen sei und in seinem Reiche unter ihm lebe und ihm diene" usw. sind doch a u c h Aufforderungen zur L e b e n s h e i l i g u n g . E s ist also a u c h i n d e r E r k l ä r u n g d e s 1. u n d 2. A r t i k e l s d i e Z w e i t e i l u n g 1. G l a u b e u n d 2. H e i l i g u n g anzutreffen. Und die Erklärung des 3. Artikels hätte hinter diese b e i d e n Aussagereihen insofern den Schlußpunkt zu setzen, daß sie auf die b e i d e n unter a und b angeführten Eingangsfragestellungen: W i e k o m m e i c h zu s o l c h e m G l a u b e n ? u n d : W i e k o m m e i c h zu s o l c h e r H e i l i g u n g ? bzw.: Wie komme ich über meine offenkundige Nicht-Heiligung, über meine Sünde hinweg? die D o p p e l a n t w o r t bereit hielte: D a d u r c h , d a ß G o t t m i r d i e s e n G l a u b e n s c h e n k t u n d m i r durch Vergebung der Sünden, Auferstehung des Leibes und ewiges Leben zu i m m e r v o l l k o m m e n e r e r H e i l i g u n g v e r h e l f e n will. Eine derartige Behandlungsweise kann dann durch folgende Z e i c h n u n g der aufwärtssteigenden L i n i e d e r H e i l i g u n g an der Tafel Stütze und Veranschaulichung erhalten:

Trauung -jKonfirmation f Taufe t Geburt

Tod f

.SV

124

2. Hauptstück: Was glaubt ein Christ?

d) Eine weitere Möglichkeit wäre die, von Gott auszugehen und nach den Geschenken der Schöpfung und unseres Lebens (1. Artikel), Jesu Christi und unserer Erlösung (2. Artikel) nun auch die christliche K i r c h e und unseren Glauben als seine Gaben zu schildern und erkennen zu lassen (s. o. S. 77, Punkt 3, mittlerer Absatz). Diese Weise h a l t e ich neben der unter c genannten f ü r die geeignetste; hier hat man von Anfang an mit seinen Schülern festen Boden unter den Füßen, hält dauernd die Ich-Beziehung zur Sache aufrecht und wird gleichzeitig den letzten Intentionen der Glaubensaussage des 3. Artikels und Luthers gerecht (s. o. S. 79 Punkt 6). 8. Einzelfragen und •Schwierigkeiten bei der Behandlung des 3. Artikels. a) „ I c h glaube an den Heiligen G e i s t . " Das, was im streng theologischen Sinn der „Heilige Geist" bedeutet, ist kindlichem F a s s u n g s v e r m ö g e n unzugänglich. Wir müssen hier — genau wie bei Besprechung der „Erlösimg" im 2. Artikel — für unsere Schüler A b s t r i c h e machen und von „Heiligem Geist" vor ihnen so reden, daß sie zunächst einmal ein Vorverständnis von der Sache erhalten, das sie in ihrem jetzigen Leben trifft, für sie im Augenblick von Bedeutung werden kann und dabei doch schon die Keime für ein späteres, reiferes und richtigeres Verständnis in sich trägt. Ausscheiden müssen deshalb alle t r i n i t a r i s c h e n S p e k u l a tionen, die neben Gott und Christus von der „Person" des „Heiligen Geistes" sprechen, was nicht einmal Luther im GK. zu tun wagte. Aber auch L u t h e r s für Erwachsene so bildhafte und geeignete Bezeichnung des Heiligen Geistes als des „ H e i l i g m a c h e r s " ist wegen der auch hier zutage tretenden Personifikation in der Jugendunterweisung nicht brauchbar. Jede derartige P e r s o n i f i z i e r u n g läuft Gefahr, die Kinder sich den „Heiligen Geist" zu personhaft und irgend-, wie gestaltet vorzustellen, den Traum von dem Heiligen Geist als der T a u b e (Jesu Taufe) oder dergleichen weiterzuträumen, das allergeistigste Wirken Gottes zu verdinglichen und zu vermenschlichen, also die Kinder gerade auf den Weg zu stoßen, der von dem Punkt weg führt, wo allein vom „Heiligen Geist" gesprochen werden könnte. Auf den A r t i k e l w o r t l a u t gesehen — von Luthers Erklärung haben wir weiter unten noch zu sprechen (s. c und d) — wird der „Heilige Geist" am besten und am einfachsten

3. Artikel.

125

entweder als der Geist Gottes verstanden, der in dem, was als christliche Kirche im Lauf der Jahrhunderte geworden ist, sich auswirkt, der hinter diesem Lebensstrom steht und ihm den Fluß durch die Jahrhunderte gab, oder als der Geist J e s u Christi, der über dessen Tod hinaus in der Christenheit immer neu Gestalt gewann bis auf den heutigen Tag. Wenn so unsere Schüler bei dem Anfang des 3. Artikels an Gottes und Christi geistiges Wirkeö in den beiden letzten Jahrtausenden denken, dann und nur dann sind auch die Voraussetzungen für einen Glauben gegeben, der trotz aller Menschlichkeiten und Unzulänglichkeiten innerhalb dessen, was je und je christliche Kirche- war und ist, glauben kann, daß Gott hier am Werke ist und G o t t e s Wille in der Welt geschieht. G o t t ist es, der uns dies dritte große Geschenk, die christliche Kirche, darreicht, in die wir hineingeboren und hineingetauft sind; Gott ist es, der sie durch das Kommen Jesu Christi und durch das Fortwirken des Christusgeistes ermöglicht und ins Leben gerufen hat; G o t t ist es, der in der Kirche Vergebung der Sünden verkündigen und darleben läßt; Gott ist es, der uns auf ein ewiges Leben bei ihm hoffen heißt. Das alles ist für die Kinder G o t t , Gottes heiliges Walten und Wirken, G o t t e s Wunsch, Wille und Geschenk — von „Heiligem Geist" hier zu reden, verdunkelt nur für unsere Schüler den Sachverhalt, macht ihnen das alles mißverständlich, verleidet sie zum bloßen Nachschwätzen und — zerstört damit gerade das Pflänzlein des Glaubens, das der „Heilige Geist" in ihnen wachsen lassen möchte. Man sage den Kindern also offen, sie sollten bei dem „Heiligen Geist" an G o t t (Joh. 4 , 2 4 : „Gott ist Geist"!) und sein Wirken in der Christenheit denken, dann hilft man ihnen und führt sie dahin, wohin auch der 3. Artikel und Luthers Erklärung sie im letzten Grunde leiten wollen. b) „ . . . eine heilige, c h r i s t l i c h « K i r c h e , die Gemeine der Heiligen." Luther hat sich im GK. besonders darum gemüht, „für die Einfältigen" ein rechtes Sachverständnis der Worte von der „einen heiligen christlichen Kirche" und der „Gemeine der Heiligen" darzubieten. Anstößig war ihm nicht so sehr das lateinische Wörtlein catholicam, das er der damaligen Überlieferung folgend mit „christlich" übersetzte — der heutige katholische Einheitskatechismus sagt dafür „katholisch" —, als vielmehr der mißverständliche Ausdruck „ K i r c h e " und die landläufige Verdeutschung des Zusatzes „ G e m e i n s c h a f t der

126

2. Hauptstück: Was glaubt ein Christ?

Heiligen". Statt „Kirche" sollte ea „auf recht deutsch und unsere Muttersprache heißen: eine christliche Gemeinde oder Sammlung oder aufs allerbeste und klarste: e i n e h e i l i g e C h r i s t e n h e i t " ; und statt dem herkömmlichen „ G e m e i n s c h a f t der Heiligen" schlägt er vor „eine G e m e i n d e der Heiligen, das ist, eine Gemeinde, darin eitel Heilige*) sind, oder noch klarer: e i n e h e i l i g e G e m e i n d e " . I m übrigen sieht er in den Worten „Gemeinschaft der Heiligen" nichts anderes denn „die Glosse oder Auslegung, da jemand hat wollen deuten, was die christliche Kirche heiße". Wir hätten also bei der Doppelwendung des Artikels zu denken an die eine heilige Christenheit, d. h. an die große ünd unsichtbare eine heilige Gemeinde der Gläubigen aller Welt, wie denn Luther selbst in jener unvergleichlich schönen Stelle des GK. zusammenfaßt: „Das ist aber die Meinung und Summa von diesem Zusatz: Ich glaube, daß da sei ein heiliges Häuflein und Gemeinde auf Erden eitler Heiligen, unter e i n e m Haupt Christo, durch den Heiligen Geist zusammenberufen in e i n e m Glauben, Sinn und Verstand, mit mancherlei Gaben, doch einträchtig in der Liebe, ohne Rotten und Spaltung. Derselben bin ich auch ein Stück und Glied, aller Güter, so sie hat, teilhaftig und Mitgenosse, durch den Heiligen Geist dahin gebracht und eingeleibt dadürch, daß ich Gottes Wort gehört habe und noch höre, welches ist der Anfang hineinzukommen." Diese -Meinung Luthers sollten wir auch in unserem Unterricht mehr beachten, als es vielfach geschieht; seine ausgezeichneten Winke sollten wir uns gerade vor Kindern nicht entgehen lassen. Zumal dann, wenn wir auch an den 3. Artikel mit der Frage nach dem Geschenk Gottes für uns herangehen (s. o. 8.d), ist der schlichte Hinweis auf die Tatsache der „Christenheit" und das Vorhandensein der „christlichen Gemeinde" in der Welt viel leichter und wirklichkeitsnäher als der steife, für Kinder ob der Zerspalteriheit der Christenheit in die v i e l e n „Kirchen" schwer zugängliche Ausdruck von der „einen heiligen christlichen K i r c h e " . A u c h d i e E r k l ä r u n g d e s K K . s p r i c h t j a n i r gends von der „Kirche", sondern n u r von der „Christenheit" bzw. von der „ganzen Christenheit auf Erden 1 ' und von „allen Gläubigen", die diese „ganze Christenheit" darstellen. Dazu stimmt die klassische Formulierung der A u g u s t a n a „Von der Kirche" in Artikel 7: „Es wird gelehrt, daß alle Zeit müsse eine heilige christliche Kirche sein und bleiben, welche ist die Versammlung aller Glaubigen, *) Zum neutestamentlichen Verständnis von „Die Heiligen" vgl. Apg. 9, 13 und 32; I. Kor. 1, 2; II. Kor. 1,1.

3. Artikel.

127

bei welchen das Evangelium rein gepredigt und die heiligen Sakramente laut des Evangelii gereicht werden." Von hier aus wäre dann zu dem zweiten Gedanken überzuleiten, daß diese C h r i s t e n h e i t , diese „heilige Gemeinde" von Jesus her nicht nur eine „Versammlung" und „Gemeinschaft" aller Gläubigen ist, sondern ebenso die M u t t e r a l l e r G l ä u b i g e n . „Denn zum ersten hat er eine sonderliche Gemeinde in der Welt, welche ist die M u t t e r , so einen jeglichen Christen zeugt und trägt durch das Wort Gottes, welches er offenbart und treibt, die Herzen erleuchtet und anzündet, daß sie es fassen, annehmen, daran hangen ui;d dabei bleiben." Auch diesen Gedanken, der in der Erklärung des KK. weniger hervortritt, werden wir in unserem Unterricht gerade bei Besprechung des Anfangs von Luthers Erklärung (s. u. c) gern aufgreifen und möglichst im Wortlaut des GK. unseren Kindern zur Kenntnis geben. Die k o n k r e t e n L a n d e s k i r c h e n u n d K i r c h e n g e m e i n d e n u n serer H e i m a t hätten in dieser großen Christenheit der Welt dann ihren besonderen, geschichtlich gewordenen Platz und ihre besondere, gottgewollte Aufgabe und wären im e n g e r e n S i n n als die M u t t e r u n s e r e s G l a u b e n s zu erkennen, zu ehren und zu lieben, so wie die e v a n g e l i s c h e Kirche der Welt nach unserem evangelischen Glauben das Gefäß ist, in dem das Wirken Gottes und Christi und die Botschaft des Evangeliums am wenigsten menschlich gehemmt und beeinträchtigt werden soll. c) „ I c h g l a u b e , d a ß i c h n i c h t a u s e i g e n e r V e r n u n f t n o c h K r a f t a n J e s u m C h r i s t u m , m e i n e n H e r r n , g l a u b e n o d e r zu ihm kommen k a n n , s o n d e r n der Heilige G e i s t . . . " Die g r ö ß t e S c h w i e r i g k e i t bietet der Erklärungsanfang, sobald wir ihn auf unsere Schüler selbst beziehen wollen. Als B e k e n n t n i s L u t h e r s davon, wie er im Kloster einst zum Glauben kam, sind diese Worte eher unseren Kindern zu vermitteln. Da kann man fein, ähnlich wie bei der Erklärung des 2. Artikels (s. o. S. 107f.): Luthers Not und Seelenkämpfe heranziehen, da kann man zeigen, wie er mit all seinem Ringen und Denken, mit all seinem Verstand und all seiner „Vernunft", mit allem Einsatz von Willen und „ K r a f t " zu keinem Ziele kam, bis ihm durch Staupitzens Hinweis vor dem „Evangelium" der Bibel ein Licht aufging, bis es ihn innerlich „erleuchtete", bis es wie Gottes Stimme ihn „zum rechten Glauben" „berief" und ihn wie durch „Heiligen Geistes" Kraft in ein neues, seliges Glaubensleben hineintauchte und darin fortan „erhielt". Von L u t h e r ist das alles gut und recht-

128

2. Hauptstück: Was glaubt ein Christ ?

schaffen zu sagen — und muß in dieser Weise unseren Schülern veranschaulicht werden —, für unsere K i n d e r selbst aber e x i s t i e r t die F r a g e s t e l l u n g des E r k l ä r u n g s e i n g a n g s ü b e r h a u p t n i c h t , weil dieser Gegensatz zwischen „ ö l a u b e " , „ V e r n u n f t " und „ K r a f t " in ihnen noch gar n i c h t aufgebrochen ist. Bei unseren 13- und 14jährigen Schülern liegen Glaube und Ichsein noch weithin friedlich nebeneinander, ist der eigene Wille und die eigene Kraft das Festeste, worauf man baut und womit gerade die Ernsten und Ehrlichen unter ihnen auch in ihrem Christsein vorwärtskommen wollen. Die Einsicht in die Ohnmacht dieser Kraft, in das Versagen und Unvermögen des eigenen Willens, die Erkenntnis der Kluft zwischen Glaube und Vernunft kommt ja bei ihnen erst später, frühestens dann, wenn wir sie aus. unserem Konfirmandenunterricht entlassen! Was machen wir aber dann mit dem Anfang von Luthers Erklärung ? Sollen wir uns damit begnügen, jene Worte als Luthers Bekenntnis vor den Kindern aufzurollen ? Nun, so gewiß das unsere erste und nötigste Aufgabe sein muß, so gewiß ist es, daß wir entsprechend unserem Vorgehen bei der Erklärung zum 2. Artikel (s. o. S. U l f . , Punkt 10) daneben auch noch die Beziehung auf das Leben der Kinder herzustellen verpflichtet sind. Die Frage erhebt sich deshalb hier wie dort: In welchem Sinn kann das K i n d von sich a u s s p r e chen: „ I c h glaube, daß ich n i c h t aus eigener Vernunft noch. K r a f t an J e s u m Christum, meinen H e r r n , glauben oder zu ihm kommen k a n n ? " Die Antwort ist nicht schwer. Wir haben sie oben schon unter 7. a und gelegentlich unserer Bemerkungen über die Bedeutung der christlichen Kirche' (8.b) gegeben. Das Kind kann und muß zunächst von sich aus bekennen: Ohne G o t t e s Geschenk der C h r i s t e n h e i t , ohne diesen in der Welt seit Jesu Erdenwandel lebendigen Christusgeist, ohne diesen christlichen Lebensstrom, der mich seit meiner Geburt umspült und trägt, ohne diesen christlichen Unterricht, ohne die Bibel, ohne das Evangelium, ohne diese ganze Gottesführung der Welt und meines Lebens h ä t t e ich nie etwas von J e s u s gehört undhätte also auch nie von mir aus zum Glauben an Jesum Christum kommen können. Das muß für Kinder einstweilen genügen, und das k a n n für Kinder zunächst auch genügen, denn auch damit bekennen sie mit Luther, daß G o t t sie zum Glauben hat kommen lassen und nicht sie selbst; daß es n i c h t ihr Verdienst ist, sondern Gottes Geschenk und Gnade; daß nicht sie das gemacht haben, sondern des lebendigen

3. Artikel.

129

Gottes geistiges Walten von Jesus Christus her bis zu ihnen hin. Soweit können und müssen wir unsere Schüler auch im Katechismusunterricht führen, auf diese Weise können wir sie schon da Luthers Erklärung verstehen lehren, solchermaßen können wir dann auch ihre Dankbarkeit für dies alles — wie für die Gaben des 1. und 2. Artikels — in ihren Herzen wecken und aufklingen lassen. W a s s p ä t e r k o m m t , muß s p ä t e r e n t s c h i e d e n werden. Das spätere Auseinanderbrechen von Glauben und Wissen, die spätere Auflehnung gegen Gott, der spätere Kampf mit der „Hure Vernunft", die spätere Einsicht in die Ohnmacht eigener Kraft, kurzum die späteren Zweifel, Nöte, Kämpfe, Krisen können wir nicht vorwegnehmen, auch nicht in der Theorie und gerade nicht in der Theorie. Die kommen, wenn die Zeit dafür reif ist, d. h. sie kommen, wenn G o t t es will und wie Gott es geordnet hat. Und wenn sie kommen, dann müssen sie von unseren Schülern durchgekämpft werden, dann muß von ihnen — wie der 1. und 2. Artikel — so auch der 3. Artikel neu „gelernt" und verstanden werden. Dann steht das/alles neu zur Frage. Dann verlangt das alles neu Entscheidung. Dann wird sich zu zeigen haben, ob sie G o t t oder sich selbst die Ehre und das letzte Wort lassen, oder richtiger gesagt: Dann wird sich zeigen, ob „der Heilige Geist", d. h. ob G o t t ihnen auch dann ihren Glauben wiederschenkt, so wie er ihnen als Kindern ihn erstmalig geschenkt hatte. Dieses „Dann" und „Ob" aber liegt in der Zukunft, verschlossen vor unseren Augen, verschlossen für unsere Möglichkeiten, offen nur für unser Hoffen und offen allein, unserem stillen, den Kindern verborgenen Gebet. d) „ . . . der H e i l i g e Geist h a t mich . . . b e r u f e n , . . . erleuchtet, . . . geheiligt und erhalten; g l e i c h w i e er die ganze Christenheit . . . b e r u f t , sammelt, erleuchtet und erhält im rechten einigen Glauben; in welcher Christenheit er mir und allen Gläubigen täglich alle Sünden reichlich v e r g i b t usw." Handelte es sich unter c um eine letzte, in der Tiefe der Sache liegende Schwierigkeit, so bei den hier aufgeführten Aussagen Luthers um die für Kinder schwer faßliche Tatsache, daß von Luther zum S u b j e k t all d i e s e r S ä t z e der H e i l i g e Geist gemacht worden ist. Wie sollen wir Kindern das verständlich und begreiflich machen ? B e s o n d e r s a n s t ö ß i g ist ja die dritte Aussagenreihe, wonach der H e i l i g e Geist S ü n d e n v e r g i b t , auferwecken wird und das ewige Leben schenken soll. Immer wieder fragen unsere Schüler: Seit wann tut denn das der Heilige Geist und nicht G o t t ? In der Tat, man wird 6 W i ß m a n n , Katechismnsunterricht.

130

2. Hauptstück: Was glaubt ein Christ?

diese theologische K ü h n h e i t L u t h e r s Kindern nur dadurch schmackhaft machen können, daß man sie gerade hier — wie schon ähnlich unter a) Schluß — anhält, bei Luthers Aussagen vom „Heiligen Geist" an G o t t zu denken, und daß man sich nicht scheut zu erklären, es sei schade, daß Luther und der 3. Artikel hier immer vom „Geist" redeten, wo dieselbe S a c h e doch viel einfacher und untheologischer mit G o t t hätte bezeichnet werden können. c) „Auferstehung des F l e i s c h e s . " Eine letzte Schwierigkeit für Lehrer und Schüler liegt in der Artikelaussage „Auferstehung des F l e i s c h e s " . Auch hier hat sich Luther im GK. besonders geäußert. „Daß aber hier steht: Auferstehung des Fleisches, ist auch n i c h t wohl deutsch geredet. Denn wo wir Deutschen F l e i s c h hören, denken wir nicht weiter denn in die Scherren ( = Fleischbank). Auf recht deutsch aber würden wir also reden: Auferstehung des Leibes oder L e i c h n a m s ; doch liegt nicht große Macht dran, so man nur die Worte recht versteht." Aber auch diese „Worte" Luthers aus seinem GK. müssen „recht verstanden" werden. Luther will damit keineswegs eine körperliche Auferstehung ablehnen, er will nur einem falschen Verständnis von „Fleisch" wehren. Die Auferstehung denkt L u t h e r ganz realistisch. Er betont die Identität des verstorbenen und auferstandenen Leibes, wobei er hervorhebt, daß das Verweste „wieder kommen soll und lebendig werden". Dem auferstandenen Leibe ist daher nicht nur Menschenart und geschlechtliche Bestimmtheit eigen, sondern auch die einzelnen Körperteile, „Gesicht, Augen, Nase, Bauch, Bein, Arm", „Fleisch, Blut und Gliedmaß", „Haar, Hand, Finger, Zunge, Maul, Zähne"; nur das scheidet aus, „was sich auf dies Leben bezieht", nämlich" Fortpflanzung, Nahrung und Wachstum; wir sind dann alle „in vollkommenem Alter". Gegen die Verfechter einer nur geistlichen Auferstehung der Toten beruft er sich auf den 3. Artikel, der von der körperlichen Auferstehung rede. Wenn Paulus I. Kor. 15, 50 Fleisch und Blut vom Reiche Gottes ausschließt, meine er damit „die Sucht und das Böse, die von Adam her kommen in Fleisch und Blut, Sünde, böse Lust, Tod". Denen, die daraus schließen möchten, daß das Fleisch nicht auferstehen werde, hält er die Frage entgegen: „Ist Christus denn nicht Fleisch und Blut ?"*) *) Johannes Meyer: Historischer Kommentar zu Luthers Kleinem Katechismus, Gütersloh 1929, S. 352. Die lateinischen Stellen sind von mir übersetzt, die Quellenangaben weggelassen.

3. Artikel.

Man wird sich dem Wortlaut des Artikels von der „Auferstehung des Fleisches" und der hier vorgetragenen Auffassung Luthers gegenüber zu entscheiden haben, ob man im Unterricht L u t h e r s GK. folgen will oder dem Apostel P a u l u s mit seiner Vertretung einer „geistlichen Auferstehung" (I. Korinther 15, 42—53, vgl. I I . Kor. 5 , 1 und Philipper 3, 21) und J e s u s mit seinem viel zu wenig beachteten Wort M a r k u s 12,25, wo alle irdisch-menschlich-geschlechtlichen Vorstellungen abgelehnt werden und nur gesagt wird, die Auferstandenen würden sein „wie die Engel im Himmel". (Vgl. auch das "Bild von M a t t h ä u s 1 3 , 4 3 : „Dann werden die Gerechten l e u c h t e n wie die S o n n e in ihres Vaters Reich.") Die E r k l ä r u n g des K K . hat sich glücklicherweise n i c h t auf das Wort „ F l e i s c h " festgelegt. Darum steht auch von hier aus die Möglichkeit offen, die Artikelaussage von der „Auferstehung des Fleisches" kritisch zu beleuchten und ihre ursprünglich entweder antignostisch bedingte oder auf die allgemeine 'Totenerweckung vor dem Gericht bezogene Verengerung aufzuweisen. 9. Sonstige Hilfen für die Behandlung des 3. Artikels. a) F ü r den A n f a n g der E r k l ä r u n g kann — besonders bei reiferer Jugend — herangezogen werden: Matth. 16,17 (Jesu Antwort auf das Bekenntnis des Petrus in V. 16): „Fleisch und Blut hat dir das nicht offenbart, sondern mein Vater im Himmel." J o h . 3 , 8 : „Der Wind ( = Geist) blaset (wehet), wo er will, und du hörest sein Sausen wohl; aber du weißt nicht, von wannen er kommt und wohin er fähret. Also ist ein jeglicher, der aus dem Geist geboren i s t " (vgl. überhaupt das ganze Nikodemusgespräch!); ebenso das ursprünglich freilich anders gemeinte Zeugnis Johannes des Täufers: J o h . 3, 27: „Ein Mensch kann nichts nehmen, es werde ihm denn gegeben vom Himmel." Außerdem käme in Betracht die in die letzte Glaubenstiefe vorstoßende Mahnung Pauli: Phil. 2, 1 2 f . : „Schaffet, daß ihr selig werdet, mit Furcht und Zittern. Denn Gott ist's, der in euch wirket beides, das Wollen und das Vollbringen, nach seinem Wohlgefallen" und das Jesuswort des Johannesevangeliums: J o h . 1 5 , 5 : „Ohne mich könnt ihr nichts tun." 9*

132

2. Hauptstück: Was glaubt ein Christ?

b) Für die Berufung durch das Evangelium ist vor allem die klassische Stelle im Römerbrief zu vergleichen: Römer 10,14 und 17: „Wie sollen sie aber anrufen, an den sie nicht glauben ? Wie sollen sie aber glauben, von dem sie nichts gehört haben ? Wie sollen sie aber hören ohne Prediger ? .... So kommt der Glaube aus der Predigt, die Predigt aber durch das Wort Gottes." c) Bei der Heiligung kann man den „Heiligen Geist" als den spezifisch christlichen Geist charakterisieren, wie er in der Geschichte der Christenheit und im Leben frommer Christen stets Gestalt gewonnen hat und wie er nach Gottes und Christi Willen auch in uns und unseren Schülern lebendig werden soll. Zum Leitwort für eine derartige Behandlungsweise kann sehr fein das Wort II. Tim. 1, 7 dienen: ,,Gott hat uns nicht gegeben den Geist der Furcht, sondern der K r a f t und der Liebe und der Zucht." Es ist dann nicht schwer, schon an Hand der Worte und Schilderungen des Neuen Testaments diesen dreifachen Geist der Kraft, der Liebe und der Zucht unseren Schülern anschaulich, eindrücklich, behältlich und für ihr eigenes Leben wichtig zu machen. Den Ausgangspunkt könnte abgeben ein kurzer Hinweis auf den Geist der Furcht, der nach der Gefangennahme und Hinrichtung Jesu die Jünger beseelte und der erst durch das Pfingstwunder wich: Markus 14,50: Die Jünger fliehen; Markus 16,8: Die Frauen fürchten sich; Joh. 20,19: Man hält die Türen verschlossen; Apg. 2,4. 11; 4, 8. 31: An Pfingsten und späterhin predigen die Apostel. Den Geist der K r a f t verheißt Christus seinen Jüngern in Apg. 1, 8: „Ihr werdet die Kraft des Heiligen Geistes empfangen . . . und werdet meine Zeugen sein . . . " Von der Erfüllung dieser Verheißung berichtet Apg. 4, 33: „Und mit großer Kraft gaben die Apostel Zeugnis von der Auferstehung des Herrn Jesu." Vgl. daneben die ganze Missionsarbeit des Apostels Paulus und sein Selbstzeugnis Römer 15, 18 f. : „durch Kraft des Geistes Gottes"; I. Korinther 2,4: „Reden... in Beweisung des Geistes und der Kraft"; II. Kor. 4, 7ff.: „die überschwengliche Kraft Gottes"; II. Kor. 6,4—10: „in der Kraft Gottes*' (7); II. Kor. 12, 9f.: „Meine Kraft ist in dem Schwachen mächtig"; I. Thess. 1, 5f.: „in der Kraft und in dem Heiligen Geist". Den Geist der Liebe bezeugen bzw. fordern Apg. 2, 42ff.; 4,32, 34ff.: „Der Menge der Gläubigen war ein Herz und' eine Seele" usw.;

3. Artikel.

133

Gal. 5, 22: „Die Frucht des Geistes ist Liebe, Freude, Friede, Geduld, Freundlichkeit, Gütigkeit, Glaube (bzw. Treue), Sanftmut, Keuschheit"; Eph. 5 , 9 : „Die Frucht des Geistes ist allerlei Gütigkeit und Gerechtigkeit und Wahrheit"; Eph. 4,1—3: „So ermahne nun euch ich, . . . daß ihr wandelt . . . mit aller Demut und Sanftmut, mit Geduld, und vertraget einer den andern in der Liebe, und seid fleißig zu halten die Einigkeit im Geist durch das Band des Friedens." Außerdem Römer 12, 9ff., I. Kor. 13, Kol. 3, 12ff. usw. Als Beispiel für den Geist der Zucht kann man die Geschichte von Ananias und Sapphira (Apg. 5, 1—11) verwenden, sowohl negativ hinsichtlich der Lüge und Selbstsucht der beiden als Gegenteil christlicher Selbstzucht wie positiv im Blick auf die Zuchtübung durch die Apostel. Dazu kommen die Mahnungen des Apostels P a u l u s : Gal. 5, 16ff.: „Wandelt im Geist, so werdet ihr die Lüste des Fleisches nicht vollbringen" usw.; I. Kor. 3, 16f.: „Wisset ihr nicht, daß ihr Gottes Tempel seid und der Geist Gottes in euch wohnet?" usw.; I. Kor. 6,19f.: „Wisset ihr nicht, daß euer Leib ein Tempel des Heiligen Geistes ist . . . ?" usw.; I. Thess. 4 , 3 : „Das ist der Wille Gottes: Eure Heiligung"; I. Thess. 4, 7: „Denn Gott hat uns nicht berufen zur Unreinigkeit, sondern zur Heiligung"; I. Thess. 5, 23f.: „Er aber, der Gott des Friedens, heilige euch durch und durch, und euer Geist ganz samt Seele und Leib müsse bewahret werden unsträflich auf die Zukunft unseres Herrn Jesu Christi. Getreu ist er, der euch rufet, er wird's auch tun." Vgl. auch das ganze Kapitel 2 des Titusbriefes! d) Will man die Linie des Glaubens und der Heiligung von der Urgemeinde weiterziehen bis zur Gegenwart, so kann man — ähnlich wie unter c — das Wort von dem Geist der Kraft und der Liebe und der Zucht sehr fein auch auf die G e s a m t g e s c h i c h t e der Christenh e i t anwenden. Vor allem wird man dabei natürlich an L u t h e r denken, an sein Loskommen von der Angst im Kloster (s. 2. Artikel!), an sein furchtloses Stehen vor Menschen, Kaiser und Reichstag, an seine Kraft des Glaubens, Kämpfens und Verkündigens, an seine Lindigkeit und Liebe, an seine eiserne Zucht gegen sich selbst. Dasselbe war« dann auch an Hand der Lebensgeschichte der a n d e r e n Refor-

134

2. Hauptstück: Was glaubt ein Christ?

m a t o r e n zu schildern. Den Geist der Furchtlosigkeit kann man außerdem belegen durch die M ä r t y r e r aller Jahrhunderte bis zu denen der jüngsten Vergangenheit (Quellen vorlesen!); den der Liebe durch die Gründer, Helfer und Helferinnen der I n n e r e n M i s s i o n ; den der Zucht durch die markigen Vorbilder treuen, keuschen, straffen, sittenreinen christlichen Lebens. Dazu müßten Schilderungen aus der Arbeit der Ä u ß e r e n M i s s i o n kommen, wo all das zusammenströmt. Auch Erzählungen aus der Geschichte der engeren und weiteren Heim a t hätten hier ihre Stelle zu finden, Bilder von Glaubenszeugen, großen Persönlichkeiten, Werken und Anstalten christlicher Liebestätigkeit, und schließlich wäre das alltäglich-gegenwärtige L e b e n u n s e r e r G e m e i n d e n und ihrer Glieder bis hin zu dem unserer Kind e r auf diesen Geist der Kraft, der Liebe und der Zucht zu prüfen. e) Aus d e m G e s a n g b u c h werden vor allem die Lieder der Abteilungen „Pfingsten", „Kirche" („Mission"), „Wort Gottes" („Konfirmation") und „Heiligung" unseren Unterricht über Luthers Erklärung zum 3. Artikel durchklingen, daneben beim Schlußteil noch die von der Sündenvergebung handelnden Lieder aus der Gruppe „Glaube und Rechtfertigung" und die „Sterbelieder" mit dem Ausblick auf die „Ewigkeit". Man wird seine Schüler anhalten, selbst passende Verse und Lieder aufzusuchen und zum Singen vorzuschlagen, und wird persönlich in gewissenhafter Berücksichtigung der Schülerreife und der Liederschwierigkeit aus der Fülle von Möglichkeiten das Beste und Kernigste heranziehen, ohne zu übersehen, daß all diese Lieder selbst A u s s t r a h l u n g e n jenes Geistes des Glaubens u n d d e r H e i l i g u n g s i n d , von dem sie jubilierend und klingend Zeugnis ablegen. f) Neben den Schilderungen wahrhaft geisterfüllten Lebens dürfen die B i l d e r u n d K u n s t w e r k e unserer evangelischen Künstler nicht vergessen werden, die auch das Wirken und Schaffen christlichen Geistes verherrlichen wollen. Hierher gehören zunächst I l l u s t r a t i o n e n zu den großen Geisteserfahrungen und Geistestaten der Geschichte, beginnend mit Darstellungen vom ersten Pfingstfest in Jerusalem und schließlich in unsere Zeit hinein, wo Abbildungen von den Werken der Inneren Mission u. dgl. stets dankbares Interesse bei den Schülern finden und warme Anregung vermitteln. Daneben käme eine B i l d e r s c h a u der noch vorhandenen oder zerstörten c h r i s t l i c h e n K i r c h e n u n s e r e r H e i m a t in Betracht und

3. Artikel.

133

ebenso eine Einführung in die ü b r i g e k i r c h l i c h e K u n s t (Ausstattung des Kirchenraums, Paramentik, kirchliche Geräte usw.)*. III. A b s c h l u ß des 3. A r t i k e l s u n d des 2.

Hauptstücks.

Luther beschließt im GK. den 3. Artikel mit einer R ü c k s c h a u auf d a s g a n z e 2. H a u p t s t ü c k . Auch wir werden in unserem Unterricht ähnlich verfahren. Es würde also in der Schlußaussprache mit den Schülern noch das herauszuarbeiten sein, was wir in unserer Vorschau auf den I n h a l t der d r e i A r t i k e l (S. 77, Punkt 3) und in unserer Überlegung über das V e r h ä l t n i s der A r t i k e l z u e i n a n d e r (S. 83, Punkt 9) vorwegnehmend unter Berücksichtigung des GK. zusammengestellt hatten (vgl. auch die Ü b e r g ä n g e vom 1. zum 2. Artikel auf S. 98 und vom 2. zum 3. auf S. 114), ferner das dort (S. 79f. unter 6. und 7.) über den G l a u b e n Ausgesagte. Außerdem wäre neben dem Hinweis auf den g l e i c h e n A u f b a u d e r 1. u n d 2. E r k l ä r u n g (siehe S. 123) noch an gewisse E i n z e l ü b e r e i n s t i m m u n g e n zu erinnern, so z. B. an das parallele „ e r h a l t e n " in der Erklärung des 1. und 3. Artikels, dort von unserem äußerlichen Leben, hier von unserem Glaubensleben ausgesagt, und an das gleichmäßige Auslaufen der Erklärungen des 2. und 3. Artikels in den Gedanken an die E w i g k e i t (2. Art. : „und in seinem Reiche unter ihm lebe und ihm diene in ewiger Gerechtigkeit, Unschuld und Seligkeit"; 3. Art.: „in Christus ein ewiges Leben geben wird"). Daß daneben L u t h e r s E r k l ä r u n g d e s 3. A r t i k e l s in i h r e m A b s c h l u ß von d e m S c h e m a d e r v o r a n g e g a n g e n e n E r k l ä r u n gen so a u f f a l l e n d a b w e i c h t , indem sie k e i n e A u f f o r d e r u n g z u m T u n enthält, während der Erklärungsschluß des -1. Artikels doch das „Dienen und Gehorsam-sein" der zehn Gebote verlangte (s*. o. S. 97) und der Schluß der zweiten Erklärung uns an das „Dienen" der Bergpredigt gemahnte (s. S. 113), kommt nicht von ungefähr. Einmal ist ja der g a n z e 3. A r t i k e l , zumal im Verständnis von Luthers Erklärung, eine e i n z i g e , g r o ß e K u n d g e b u n g f ü r d a s Geg e n t e i l m e n s c h l i c h e n T u n s , für das nämlich, was a n u n s ges c h e h e n m u ß , damit das Glaubensleben der 1. und 2. Erklärung in uns zur Tat und Wirklichkeit kommen kann. Und dann — wie s o l l t e *) Leider verbieten es die augenblicklichen Nachkriegsverhältnisse, nähere Hinweise auf geeignete Einzeldrucke und Bildmappen, Verlage und Werkstätten zu geben, wie das in der ersten Auflage unseres Buches möglich war. Hier muß ein jeder zunächst selbst neu suchen und sammeln.

136

Abschloß des 3. Artikels und des 2. Hauptstücks.

denn ein etwaiger Schluß der 3. E r k l ä r u n g aussehen, wenn wir ihn uns in Analogie zu den Schlußermahnungen der anderen Erklärungen hinzudenken wollten ? Könnte -auch hier, wo doch alles auf das „nicht aus eigener Vernunft noch Kraft" abgestimmt ist, von Dienen und Gehorchen die Rede sein ? Doch wohl kaum. Höchstens von „Danken und Loben" für das Hineingeborensein in die christliche Gemeinde und für die Gnadengüter des Evangeliums usw. — ob aber auch von Loben und Danken für unseren „Glauben" und unsere „Heiligung" ? Sind wir und unsere Schüler darin alle schon so fest und bewährt, daß wir dafür eitel „danken und loben" könnten ? Ich denke, hier müssen wir „alle vor Gott die Federn niederschlagen" (GK., 5. Bitte) und erkennen, daß nur eines an den Schluß des 3. Artikels gehören könnte: Nicht das „Dienen und Gehorsam-sein", nicht das „Danken und Loben", sondern allein das B e t e n und F l e h e n , daß Gott der Herr uns den Glauben und die Heiligkeit schenke,- die er denen, die ihn darum bitten, zu geben verheißen hat (Lukas 11, 13). Die ernste Bitte „Komm, Heiliger G e i s t ! " , wie sie die vielen inbrünstigen Pfingstlieder — die ja meistens Pfingstgebete sind — vortragen, müßte den Abschluß der Erklärung des 3. Artikels bilden; das gläubige Beien: „Ich glaube, lieber Herr, hilf meinem U n g l a u b e n ! " (Mark. 9, 24) müßte das letzte Wort behalten. Weil aber solches B e t e n Sache des Vaterunsers ist, das Luther im 3. Hauptstück auf die drei Artikel folgen läßt, und weil dies Vaterunser als notwendige Ergänzung nicht nur der zehn Gebote und des Glaubensbekenntnisses (s. u.), sondern gerade auch des 3. Artikels hinzukommen muß, deshalb brauchte Luther in seiner Erklärung des 3. Artikels das Beten nicht besonders zu erwähnen und zu fordern, zumal seine ganze Erklärung selbst ja nichts anderes ist als ein demütigdankbar-gläubig-freudig-hoffnungsvolles Gebet mit dem „Amen" der Unterschrift: „Das ist gewißlich vahr."

III. Wie betet ein Christ? 3. Hauptstück: Da» Vaterunser. A. Allgemeine Vorbemerkungen. 1. Übergang vom 1. und 2. Hauptstück zum Vaterunser nach dem GK. „Wir haben nun gehört, was man tun und glauben soll, darin das beste und seligste Leben steht. Folgt nun das dritte Stück, wie man beten soll. Denn weil es mit uns also getan ist, daß kein Mensch die zehn Gebote vollkommen halten kann, ob er gleich angefangen hat zu glauben, und sich der Teufel mit aller Gewalt samt der Welt und unserm eigenen- Fleisch dawider sperrt, ist nichts so not, denn daß man Gott immerdar in den Ohren liege, rufe und b i t t e , daß er den Glauben und E r f ü l l u n g der zehn Gebote uns gebe, e r h a l t e und mehre und alles, was uns im Weg liegt und daran hindert, hinwegräume. Daß wir aber wüßten, was und wie wir beten sollen, hat uns unser Herr Christus selbst Weise und Worte gelehrt, wie wir sehen werden." Wir finden in diesen Eingangsworten Luthers die Bestätigung unserer Schlußbemerkungen zum 2. Hauptstück. Für Luther ist das Vaterunser eine notwendige Ergänzung zu den zehn Geböten und zum Glauben. Auch der Inhalt des Vaterunsers ist vom 1. und 2. Hauptstück her für ihn bestimmt. Man könnte seine Meinung darüber kurz so zusammenfassen: I m Vaterunser b i t t e n wir G o t t um das, was er im 1. H a u p t s t ü c k von uns fordert und was aus seiner Hand zu empfangen wir im 2. H a u p t s t ü c k bekennen. Bei dieser Grundauffassung werden auch die einzelnen Bitten des Vaterunsers auf die zehn Gebote und Glaubensartikel zurückzugreifen haben, wie wir weiter unten an Hand von Luthers Erklärungen hören werden. 2. Die einleitenden Ausführungen über das Beten im GK. Ehe Luther im GK. mit der Einzelbesprechung des Vaterunsers beginnt, handelt er einige Seiten lang allgemein „Vom G e b e t " . Er meint: „Ehe wir das Vaterunser nacheinander erklären, ist wohl am nötigsten, vorher die Leute zu vermahnen und reizen zum G e b e t ,

138

3. Hauptstück: Wie betet ein Christi

wie auch Christus und die Apostel getan haben, und soll nämlich das erste sein, daß man wisse, wie wir um Gottes Gebots willen schuldig sind zu beten." Dies „Gottes Gebot" ist f ü r Luther das 2. G e b o t . „Denn so haben wir gehört im andern Gebot: ,Du sollst Gottes Namen nicht unnützlich führen', daß darin g e f o r d e r t werde, den heiligen Namen preisen und in aller Not anrufen, oder beten. Denn anrufen ist nichts anderes denn beten, also daß es streng und ernstlich geboten ist, so hoch als alle andern Gebote." „Also soll ein jeglicher, was er auch zu bitten hat, immer vor Gott kommen mit dem Gehorsam dieses Gebots." Neben dies Gehorsam fordernde Gottes wort des 2. Gebots (in L u t h e r s Verständnis!) stellt der GK. außerdem d i e g ö t t l i c h e n V e r h e i ß u n g e n d e r H e i l i g e n S c h r i f t , um zum Beten aufzurufen: „Zum andern soll uns desto mehr treiben und reizen, daß Gott auch eine Verheißung dazu getan und zugesagt hat, daß es soll ja und gewiß sein, was wir bitten; wie er spricht im 50. P s a l m : ,Rufe-mich an zur Zeit der Not, so will ich dich erretten'; und Christus im Evangelium M a t t h ä u s 7: ,Bittet, so wird euch gegeben usw.; denn ein jeglicher, wer da bittet, der empfängt.' Solches sollte je unser Herz erwecken und anzünden, mit Lust und Liebe zu beten, weil er mit seinem Wort bezeugt, daß ihm unser Gebet herzlich wohlgefalle, dazu gewißlich erhört und gewährt sein soll, auf daß wir's nicht verachten noch in den Wind schlagen und auf ungewiß bitten." Ein d r i t t e r B e w e g g r u n d z u m B e t e n sollte nach Luthers Meinung die Tatsache sein, d a ß G o t t u n s d u r c h J e s u s C h r i s t u s d e n W o r t l a u t d e s V a t e r u n s e r s s e l b s t g e s c h e n k t h a t : „Über das soll uns auch locken und ziehen, daß Gott neben dem Gebot und Verheißung zuvorkommt und selbst die Worte und Weise stellt und uns in den Mund legt, wie und was wir beten sollen, auf daß wir sehen, wie herzlich er sich unserer Not annimmt, und je nicht daran zweifeln, daß ihm solch Gebet gefällig sei . . . Darum ist auf Erden kein edler Gebet zu finden denn das tägliche Vaterunser, weil es solch trefflich Zeugnis hat, daß es Gott herzlich gerne hört, dafür wir nicht der Welt Gut sollten nehmen." E i n v i e r t e r A n s t o ß z u m B e t e n des Vaterunsers liegt für Luther darin, daß wir in dem Vaterunser „sehen und bedenken d i e N o t , s o u n s d r i n g e n u n d z w i n g e n s o l l , ohne Unterlaß zu beten". Denn „wo ein recht Gebet sein soll, da muß ein Ernst sein, daß man seine Not fühle, und solche Not, die uns drückt u n d treibt zu rufen und zu

Das Vaterunser: Allgemeine Vorbemerkungen.

139

schreien . . . Die Not aber, so uns beide für uns und jedermann anliegen soll, wirst du reichlich genug im Vaterunser finden; darum soll es auch dazu dienen, daß man sich derselben daraus erinnere, sie betrachte und zu Herzen nehme, auf daß wir nicht laß werden zu beten." Nach kurzen Bemerkungen über die Notwendigkeit der Gebetserziehung (s. u. 6. III) fügt Luther dann noch als l e t z t e n Grund für das Beten den hinzu, daß dem T e u f e l gegenüber „all unser Schirm und Schutz allein im Gebete steht". F ü r uns erhebt sich dem allem gegenüber die F r a g e : Sollen auch wir so unsere J u g e n d zum Gebet mahnen oder sollen wir es anders t u n ? Und wie gewinnen wir in unserem Unt e r r i c h t den Zugang zum Vaterunser? Vom 2. Gebot her, oder woher sonst ? 3. Arbeitsunterrichtlicher Zugang zum Vaterunser. Es dürfte — auch im Blick auf die entsprechende Haltung Luthers bei der Erklärung der zehn Gebote (s. unsere Auslegung dazu S. 11, Punkt 7) klar sein, daß in der vorstehend skizzierten Einführung des Gif. zum Vaterunser mit ihrem Drohungs- und Verheißungsmotiv Nachwirkungen der Visitationserfahrungen und volkspädagogische Gesichtspunkte zutage treten, die für unseren heutigen Vaterunserunterricht keineswegs mehr stichhaltig und allein ausschlaggebend sein können. Auch dürfte es uns schwer fallen, Luthers positiv-ergänzende Erklärung des 2. Gebots mit dem Gottes wort der Bibel auf eine Stufe zu stellen und als Gottes Gebot anzusehen, dem gegenüber unbedingter, gesetzlicher Gehorsam am Platze sein müßte. Wir werden als evangelische Christen nicht bei den zehn Geboten, sondern bei der Bergpredigt Weisung suchen, wenn sich in unseren Stunden die Frage erhebt: Wie b e t e t ein C h r i s t ? und: Warum b e t e t ein Christ? Und diese Frage wird sich erheben, ja muß sich in einem christlichen Unterricht erheben, sei es am Schluß der drei Artikel (s. o. S. 136), sei es bei Luthers Erklärung zum 2. Gebot, sei es wo immer sonst. Wie wir beten, zeigt Jesus im Vaterunser; warum wir beten müssen, sagten uns unsere Schlußüberlegungen zu den drei Artikeln und Luthers Übergang zum Vaterunser im GK. J e s u s hat sich über die Frage: Warum beten ? nicht ausgesprochen. Für ihn ist das Gebet Selbstverständlichkeit, ebenso selbstverständlich wie Gott oder der Glaube an ihn. Mit diesem G o t t muß er reden — wie sollte es anders sein ! Ohne Beten wäre sein Leben, undenkbar (Mark. 1,35; 6,46; 14, 32ff.;

140

3. Hauptstück: Wie betet ein Christ ?

Luk. 5,16; 6,12; 9, 29; 11,1). So steht das Beten selbst für ihn nicht zur Debatte; nur gegen das falsche Beten wendet er sich in der Bergpredigt {Matth. 6,5ff.), und für das rechte Beten will er uns im Vaterunser die Augen öffnen. 4. Vorschau auf den Gesamtinhalt des Vaterunsers. Nach Luther ist in den „sieben Artikeln oder Bitten" des Vaterunsers „nacheinander gefaßt alle Not, so uns ohne Utiterlaß belangt, und eine jegliche so groß, daß sie uns treiben sollte, unser Leben lang daran zu bitten". Luther selbst hat in der Reihenfolge, wie diese „Not" in den verschiedenen Bitten genannt wird, je und je eine g a n z b e s t i m m t e O r d n u n g erkannt. In der zweiten Reihe seiner Katechismuspredigten von 1528 unterscheidet er drei Gruppen von "Gebetsanliegen: „Die G o t t betreffen, d i c h und den N ä c h s t e n " (WA. 30, 1,50). Außerdem unterscheidet er g e i s t l i c h e und l e i b l i c h e Nöte (\VA. 32,421). I m GK. sieht Luther in den drei ersten Bitten „die Not, so G o t t s e l b s t betrifft" (Schluß der 3. Bitte: „Siehe, also haben wir aufs einfältigste in diesen drei Stücken die Not, so Gott selbst betrifft, doch alles um unsertwillen"), in der 4. Bitte „den armen Brotkorb, u n s e r e s Leibes und zeitlichen Lebens Notdurft", in der 5. Bitte u n s e r e S ü n d e , in der 6. die V e r s u c h u n g e n und in der 7. den „Hauptfeind", den „ T e u f e l " , und alles „Unglück",, das von ihm kommt. Die A n r e d e des Vaterunsers ist im GK. nicht besprochen, das A m e n findet eine kurze Erklärung, die S c h l u ß d o x o l o g i e „denn dein ist das Reich" usw. fehlt im GK. und in den Ausgaben des KK. zu Luthers Lebzeiten entsprechend dem katholischen Herkommen ganz. Wir werden uns nach der Einzelbesprechung der Bitten und Erklärungen zu fragen haben, welche Ordnung wir im Vaterunser unseren Kindern zeigen wollen, wie für sie die Bitten am besten zueinander gehören und welche Rolle die Anrede und der Lobpreis des Schlusses in ihrem, will sagen: in u n s e r e m Beten zu spielen haben. 5. Vorschau auf Luthers Erklärungen im KK. und GK. Die Auslegung Luthers zum Vaterunser im KK. unterscheidet sich schon rein äußerlich von der des 1. und 2. Hauptstückes dadurch, daß die Erklärungen zu den ersten vier Bitten D o p p e l er k l ä r u n g e n sind mit den zwei Fragen: „Was ist das ?" und „Wie geschieht das ?" bzw. bei der 4. Bitte „Was ist das ?" und „Was heißt denn täglich Brot ?" Außerdem ist festzustellen, daß die meisten Erklärungen zum Vater-

Das Vaterunser: Allgemeine Vorbemerkungen.

141

unser im Gegensatz zu denen der zehn Gebote eine größere Länge und manche Unausgeglichenheit und Unkindlichkeit im Ausdruck aufweisen. Man führt diesen zwiefachen Sachverhalt zurück 1. auf Luthers Anlehnung an eine durchs ganze Mittelalter weit verbreitete Tradition bei der Formulierung der ersten Erklärungen zu den ersten Bitten („Was ist das ?") und 2. auf eine allzu große Eile bei der Herausgabe der dritten Katechismustafel. Es dürfte keinen Pfarrer und Lehrer geben, dem diese Eigentümlichkeiten der Vaterunsererklärungen im Unterricht nicht schon erhebliche Schwierigkeiten gemacht hätten, und kein Kind, das, gezwungen, sie a l l e zu l e r n e n , davon nicht die schrecklichsten Erinnerungen mit sich herumtrüge. Sicherlich werden wir alle es auf das lebhafteste bedauern, daß Luther ausgerechnet bei dem zartesten und empfindsamsten Stück des Katechismus, bei dem Gebet des, Vaterunsers, nicht durchweg auf der schlichten Höhenlage blieb und die gedächtnishaftende Sprachgewalt entfaltete wie bei den früheren Katechismuserklärungen. Einige Sätze wie die zur Anrede, zur 4. und 6. Bitte und die drei ersten Teilerklärungen machen davon eine rühmliche Ausnahme. Alles übrige ist zu lang, für Kinder zu umständlich, durch das Nebeneinander zweier Erklärungen zu kompliziert, nicht behältlich, nicht eindrucksvolle genug und belastet mit alledem das Vaterunser als Gebet mehr, als uns für eine Anweisung zum Beten des Vaterunsers lieb sein kann. Im Gegensatz zu den Erklärungen des K K . sind die A u s f ü h r u n g e n des G J L beim Vaterunser im allgemeinen von b e s o n d e r e r S c h ö n h e i t und Eindrücklichkeit. Sie sind aufs ganze gesehen so wohlgelungen, daß wir sie a