194 66 10MB
German Pages 325 [328] Year 1976
Hauffe · Katalyse
Katalyse Ausgewählte Kapitel aus der Katalyse einfacher Reaktionen
herausgegeben von Karl Hauffe
W DE G_ Walter de Gruyter · Berlin · New York 1976
Herausgeber Professor Dr. Karl Hauffe, Institut für Physikalische Chemie der Universität Göttingen, Tammannstr. 6, D - 3 4 0 0 Göttingen Übersetzer des Kapitels 1 (R.M. Fristrom) Professor Dr. Heinz Georg Wagner, Institut für Physikalische Chemie der Universität Göttingen, Tammannstr. 6, D - 3 4 0 0 Göttingen Autoren Professor Dr. R.M. Fristrom, The Johns Hopkins University, Applied Physics Laboratory, Silver Spring, Maryland 20910, USA Professor Dr. Georg-Maria Schwab, Physikalisch-Chemisches Institut der Universität München, Sophienstr. 11, D - 8 0 0 0 München 2 Dr. Alfred
Viktor Willi, Am Barkenkamp 8, D - 2 0 8 1 Hasloh
Dr. Heinz Winkler, Max-Planck-Institut für Biophysikalische Chemie, D - 3 4 0 0 GöttingenNikolausberg
Dieses Buch enthält zahlreiche Abbildungen, Tabellen und Reaktionsschemata
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der Deutschen
Bibliothek
Katalyse: ausgew. Kap. aus d. Katalyse einfacher Reaktionen / hrsg. von Karl Hauffe. - 1. AuH. - Berlin, New York: de Gruyter, 1976. ISBN 3-11-004605-9 NE: Hauffe, Karl (Hrsg.)
© Copyright 1976 by Walter de Gruyter & Co., vormals G.J. Göschen'sche Verlagshandlung, J. Guttentag, Verlagsbuchhandlung Georg Reimer, Karl J. Trübner, Veit & Comp., Berlin 30. Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie der Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden. Printed in Germany. Satz: Composersatz Verena Boldin, Aachen. Druck: Karl Gerike, Berlin. Bindearbeiten: Lüderitz & Bauer, Buchgewerbe GmbH, Berlin.
Vorwort Durch die Vielfältigkeit der Erscheinungsformen und durch die komplexe Natur der Katalyse, ob in homogener oder heterogener Phase, wird das Auffinden der Mechanismen katalytischer Reaktionen außerordentlich erschwert und häufig unmöglich gemacht. Trotz dieses unerfreulichen Dilemmas werden nach wie vor große Anstrengungen unternommen, um durch Einsatz neuer Meßmethoden den Mechanismus katalytischer Prozesse zu erforschen und somit die Grundlage für das Verständnis katalytisch beschleunigter technischer Reaktionen zu schaffen. Neben der Berichterstattung in Monographien über gewisse Fortschritte auf Teilgebieten der Katalyse ist es empfehlenswert und nützlich, von Zeit zu Zeit über den Stand der Kenntnis und über die sich hieraus ergebenden neuen Probleme unter Ausklammerung theoretischer Details und spekulativer theoretischer Betrachtungen zu berichten. Eine Zusammenschau der vielfältigen katalytischen Phänomene, wie sie bei homogenen Reaktionen in der gasförmigen und flüssigen Phase oder an heterogenen Oberflächen ablaufen oder beim Ablauf von Enzymreaktionen maßgebend auftreten, wird erheblich erleichtert, wenn man zunächst überwiegend phänomenologisch den jeweiligen Reaktionsablauf an einigen ausgewählten charakteristischen Beispielen beschreibt. Aus diesem Grunde war es das Anliegen des Herausgebers, auf diesen Gebieten erfahrene Fachkollegen zu finden und diese zur Abfassung von Beiträgen zu gewinnen, die in allgemein verständlicher Form geschrieben vor allem für diesem Gebiet Fernerstehende verständlich und anregend sein sollen. In gleicher Weise sollen die Beiträge in diesem Buch auch jungen Studenten der Chemie, Biologie und Medizin Belehrung, Information und Anregung über katalytische Prozesse vermitteln. Das Kapitel über Katalyse in Flammen wurde unter der Mitwirkung von Heinz Georg Wagner, der auch freundlicherweise die deutsche Überarbeitung übernommen hat, von R.M. Fristrom verfaßt. Dieses Kapitel gibt einen leicht lesbaren Einblick in die Verbrennungsprozesse und in die katalytischen Reaktionen mittels Kettenverzweigung und Energieketten. Abschließend wird über die Flammen-Inhibierung und Flammenlöschung berichtet. Das sich anschließende Literaturverzeichnis, das am Ende des Buches zu finden ist, empfiehlt dem Leser ausgewählte zusammenfassende Darstellungen auf diesem Gebiet der Katalyse. Das folgende Kapitel, das mit homogener Katalyse bezeichnet wird, wurde von Alfred Viktor Willi geschrieben. Auch hier stand die phänomenologische Betrachtung der Reaktionstypen im Vordergrund des Interesses. Entsprechend der Sachkenntnis des Autors wurde an ausgewählten Beispielen die Säure-Basenkatalyse
VI
Vorwort
behandelt, ein ohne Zweifel wichtiges Gebiet der homogenen Katalyse in flüssiger Phase. Auch hier ist für das tiefere Eindringen in die Probleme ausgewählte Literatur von zusammenfassenden Darstellungen am Ende des Buches zu finden. Die Bearbeitung des Kapitels über heterogene Katalyse wurde von Georg-Maria Schwab übernommen, dem es gelungen ist, die wesentlichen Gesichtspunkte dieses umfangreichen Gebietes frei von allen theoretischen Komplikationen prägnant und auch für den Laien leicht verständlich und anregend geschrieben zu haben. An wenigen ausgewählten Beispielen sind die wesentlichen Phänomene in der heterogenen Katalyse erläutert. Jedes etwas tiefere Eingehen in die Reaktionsabläufe hätten den Umfang dieses Beitrages um ein Vielfaches vergrößert und dadurch den Überblick für den Nichtfachmann und den nicht fachkundigen Studenten erheblich eingeschränkt. Dieses Kapitel sollte daher für Studenten, die ein Gebiet der Naturwissenschaften studieren, nützlich sein. Auch hier wurden Literaturstellen einiger wichtiger zusammenfassender Berichte am Ende des Buches zusammengestellt. Das letzte und längste Kapitel behandelt die Enzymkatalyse, geschrieben von Heinz Winkler, einem Mitarbeiter aus der Schule von Manfred Eigen. Trotz der recht komplexen Natur dieser katalytischen Prozesse ist es dem Autor gelungen, die Zusammenhänge zwischen Struktur und Funktion des Enzymmoleküls einerseits und den Erscheinungsformen der Kinetik enzymkatalysierter Prozesse andererseits anschaulich und auch für den Nichtfachmann verständlich beschrieben zu haben. Der erheblich größere Umfang dieses Kapitels ist gerechtfertigt, wenn man bedenkt, daß hier ganz neue Probleme behandelt werden, wie z.B. die Prozeßsteuerung durch Regulationsphänomene, die an Regelkreise aus der Elektronik erinnern und wenn man bedenkt, daß über dieses Forschungsgebiet bisher zusammenfassend und allgemein verständlich geschrieben nur wenig in der Literatur zu finden ist. Zum Schluß wird auch über die Entstehung der Enzyme selbst berichtet. Gerade durch dieses Kapitel erhofft der Herausgeber, das Verständnis für ein hochaktuelles Teilgebiet der Katalyse zu erleichtern. Allen vier Beiträgen wurde, wie bereits erwähnt, wichtige, meist zusammenfassende Literatur angehängt, so daß der Leser durchaus in der Lage ist, sich in das eine oder andere ihn interessierende Teilgebiet einzuarbeiten. Es ist verständlich, daß ein in seinem Umfang begrenztes Buch mit dem Titel Katalyse natürlich nur über ausgewählte Teilgebiete der Katalyse berichten kann, so wie dies hier auch geschehen ist. Der Herausgeber hofft aber, daß er mit der Wahl der Teilgebiete der Katalyse bei den Lesern Anklang finden wird. Abschließend darf nicht unerwähnt bleiben, daß die Zusammenarbeit mit dem Verlag angenehm und großzügig war. Göttingen, Februar 1976
Karl Hauffe
Inhalt
Kapitel 1 Katalyse in Flammen (R.M. Fristrom)
1
1.1 Verbrennungsprozesse 1.1.1 Charakterisierung von Flammen 1.1.2 Die Gleichgewichtswerte 1.1.3 Flammengeschwindigkeit 1.1.4 Struktur der Flammen 1.1.5 Elementarprozesse in Flammen 1.2 Katalytische Prozesse in Flammen 1.2.1 Thermische Katalyse 1.2.2 Katalyse durch Kettenverzweigung 1.2.3 Katalyse durch Energieketten 1.2.4 Die Zündgrenzen von Sauerstoffflammen (Ein Beispiel für thermische Katalyse) 1.2.5 Katalyse durch Kettenverzweigung. Die C 0 - 0 2 Flamme mit Spuren H 2 1.3 Negative Katalyse — Flammeninhibierung und Flammenlöschung . 1.3.1 Inhibierung von C0-0 2 -H 2 -Flammen durch Br2 1.3.2 Rekombinations-Katalyse 1.3.2.1 Radikalabbau durch Metalle und ihre Salze . . . 1.3.3 Heterogene Inhibierung 1.4 Schlußbemerkung
3 5 6 7 9 11 13 13 14 15
20 24 25 28 29 30 31
Kapitel 2 Homogene Katalyse (A.V. Willi)
33
2.1 Einleitung 2.2 Die Wasserstoffionen-Übertragung 2.2.1 Stärke von Säuren und Basen 2.2.2 Die Energiebarriere der Wasserstoffionen-Übertragung . . . 2.3 Beispiel-Reaktionen für die Mechanismen der Säure-Base-Katalyse und ihre experimentelle Aufklärung 2.3.1 Die Hydrolyse von Acetalen als Beispiel für den Al-Mechanismus 2.3.1.1 Experimentelle Begründung des Mechanismus . . . 2.3.1.2 Die Volumenänderung bei der Bildung des Übergangszustandes
35 41 41 47
17
56 56 56 60
VIII
Inhalt
2.3.1.3 Die Wirkungsweise des Katalysators 2.3.2 Der A2-Mechanismus der sauren Esterhydrolyse . . . . 2.3.3 Die Al-Mechanismen der sauren Esterhydrolyse . . . . 2.3.3.1 Der A^ c l-Mechanismus 2.3.3.2 Der AAII-Mechanismus 2.3.4 Der A2+-Mechanismus bei der Hydrolyse ringförmiger Verbindungen mit Hetero-O-Atomen 2 . 3 . 5 Die Hydrolyse von Vinyläthern als Beispiel für den A - S E 2 Mechanismus 2.3.5.1 Kinetische Untersuchung der Hydrolyse von Vinyläthern 2.3.5.2 Allgemeine Säurekatalyse 2.3.5.3 Der Deuteriumoxid-Lösungsmittel-Isotopeneffekt . . 2.3.6 Weitere Beispiele für den A-SE2-Mechanismus 2.3.6.1 Wasser-Addition an Alkene 2.3.6.2 Elektrophile aromatische Substitution unter Eintritt von Η (und Abspaltung einer funktionellen Gruppe) 2.3.6.3 Hydrolyse von Orthoestern 2.3.7 Kinetik und Mechanismen basenkatalytischer Reaktionen 2.3.7.1 Allgemeines 2.3.7.2 Deprotonierung im vorgelagerten Gleichgewicht . . 2.3.7.3 Geschwindigkeitsbestimmende Ablösung des Wasserstoffions durch die Base 2.3.7.4 Basenkatalyse durch nucleophilen Angriff von OH . 2.4 Struktur und Mechanismus bei der Säure-Base-Katalyse . . . . 2.4.1 Mechanismen der Säurekatalyse 2.4.2 Mechanismen der Basenkatalyse 2.5 Weitere Arten von homogener Katalyse in Lösung 2.5.1 Nucleophile Katalyse 2.5.2 Katalyse durch Metallionen 2.5.3 Intramolekulare Katalyse 2.5.4 Polyfunktionelle Katalyse
63 63 68 68 71
95 96 98 98 102 106 106 107 109 110
Kapitel 3 Heterogene Katalyse (G.-M. Schwab)
113
3.1 Geschichtliches und Definition 3.2 Homogene und heterogene Katalyse 3.3 Zwischenverbindungen 3.3.1 Oberflächenverbindungen — Adsorption 3.4 Temperatur und Katalyse 3.5 Die Aktivierungsenergie 3.6 Katalyse und chemische Bindung 3.7 Spaltungen und Synthesen
115 120 122 123 130 135 138 143
72 75 75 77 81 85 85 88 90 93 93 94
Inhalt
IX
3.8 3.9 3.10 3.11 3.12
Redox-Reaktionen Halbleitende Katalysatoren Der aktivierte absorbierte Zustand Dehydratationen, Hydrolysen Mischkatalysatoren 3.12.1 Inverse Mischkatalysatoren 3.13 Katalyse in der Kernchemie
147 152 155 156 158 162 165
Kapitel 4 Enzymkatalyse (H. Winkler)
167
4.1 4.2 4.3
169 170 172 172 174 177 179 179 182 185 188
4.4
4.5
4.6
Einleitung Historischer Rückblick Einteilung und Nomenklatur der Enzyme 4.3.1 Übersicht der 6 Hauptgruppen (CBN, 1972) 4.3.2 Übersicht der Enzyme der Klasse 1 4.3.3 Trivialnamen Chemischer Aufbau und Struktur der Enzyme 4.4.1 Primärstruktur 4.4.2 Sekundärstruktur 4.4.3 Aufgabe der Seitenketten: Ausbildung der Tertiärstruktur. 4.4.4 Quartärstruktur 4.4.5 Über die Bedeutung der Coenzyme (Prosthetische Gruppen) 4.4.6 Zusammenhang von Struktur und Funktion der Proteine, diskutiert am Beispiel des Myoglobins und Hämoglobins . 4.4.6.1 Struktur 4.4.6.2 Funktion des Sauerstoffüberträger- und Sauerstoffspeichersystems Warum sind Enzyme so effektive Katalysatoren?. . . . . . 4.5.1 Enzymspezifische Erscheinungsformen der Katalyse . . . 4.5.2 Erscheinungsformen der „klassischen" Katalyse . . . . 4.5.2.1 Allgemeine Säure-Basen-Katalyse 4.5.2.2 Kovalente Katalyse 4.5.2.2.1 Nukleophile Katalyse 4.5.2.2.2 Elektrophile Katalyse . . . . . . . 4.5.3 Die Rolle von Metallionen in der Enzymkatalyse . . . Enzymkinetik 4.6.1 Die Geschwindigkeit enzymkatalysierter Reaktionen . . 4.6.1.1 Einfluß der Enzymkonzentration 4.6.1.2 Die pH-Wirkung 4.6.1.3 Temperaturabhängigkeit der Reaktionsgeschwindigkeit
189 198 199 201 204 204 205 206 208 209 212 213 217 220 220 221 222
X
4.7
4.8
Inhalt
4.6.1.4 Einfluß der Substratkonzentration 4.6.1.4.1 Gleichgewichtsbehandlung einer Enzymreaktion: Die Michaelis-Menten4.6.1.4.2 Dynamische Betrachtungsweise enzymatischer Reaktionen (Steady-State-Annahme nach Briggs-Haldane) 4.6.1.4.3 Reversible Reaktion mit einem Substrat 4.6.1.4.4 Auftreten mehrerer Zwischenzustände . 4.6.1.4.5 Reaktion mit mehreren Substraten . . 4.6.1.4.5.1 Geordneter Mechanismus (Ordered Mechanism) . . . 4.6.1.4.5.2 Ping-Pong-Mechanismus . . 4.6.1.4.5.3 Zufallsmechanismus (Random-Mechanism) . . . 4.6.1.5 Enzymhemmung (Inhibierung) 4.6.1.5.1 Hemmung durch Substratüberschuß . . 4.6.1.5.2 Kompetitive Hemmung 4.6.1.5.3 Nicht kompetitive Hemmung . . . . 4.6.1.5.4 Unkompetitive Hemmung 4.6.2 Experimentelle Methoden zur Ermittlung der Geschwindigkeit enzymkatalysierter Reaktionen 4.6.2.1 „Klassische" Methoden der Reaktionskinetik . . 4.6.2.2 Messung der Reaktionsgeschwindigkeit im Strömungsverfahren 4.6.2.3 Untersuchung extrem schneller Reaktionen mit Hilfe von Relaxationsmethoden Enzymsteuerung 4.7.1 Regulation der Umsatzrate durch Regeln der Katalysatorkonzentration 4.7.2 Steuerung des katalytischen Umsatzes durch Beeinflussung der Enzymaktivität 4.7.2.1 Inhibierung durch Rückkopplungseffekte (feedback Inhibition) 4.7.2.2 Aktivierung durch Effektoren (Allosterische Proteine) 4.7.3 Experimentelle Überprüfung der Steuerungsmodelle . . Molekulare Details der Enzymkatalyse 4.8.1 Lysozym 4.8.1.1 Chemische Zusammensetzung des Lysozymmoleküls 4.8.1.2 Dreidimensionaler Aufbau und Röntgenstrukturanalyse
224
228 230 233 234 236 237 239 241 241 241 242 243 244 244 245 247 250 251 252 252 253 256 259 259 260 260
Inhalt
XI
4.8.2
4.8.3
4.9
4.8.1.3 Mechanismus der Lysozymreaktion Chymotiypsin 4.8.2.1 Aufbau 4.8.2.2 Kinetik der Chymotrypsinkatalyse 4.8.2.3 Mechanismus der Chymotrypsinkatalyse . . . . Carboxypeptidase A 4.8.3.1 Funktion 4.8.3.2 Aufbau und Struktur 4.8.3.3 Katalyseschema
Entstehung der Enzyme (Proteinbiosynthese) 4.9.1 Aufbau, Struktur und Reduplikation der Gene . . . . 4.9.2 Der genetische Code 4.9.3 Mechanismus der Proteinbiosynthese 4.9.4 Steuerung der Proteinsynthese: Operon-Modell . . . . 4 . 1 0 Optimierung der enzymatischen Katalysemaschinerie durch evolutionäre Entwicklung 4.10.1 Evolution: Ein Drei-Stufen-Prozeß 4.10.2 Evolution der Proteine, demonstriert am „Stammbaum" der Gl ob ine 4.11 Zusammenfassung
262 267 268 268 270 272 272 273 275 278 278 282 283 286 289 289 290 293
Literatur
295
Register
305
1 Katalyse in Flammen R. M. Fristrom
1.1 Verbrennungsprozesse
Verbrennungsprozesse treten in vielerlei Formen auf. Eine zweckmäßige Klassifizierung zeigt Abb. 1.1, in der die Verbrennungsprozesse eingeteilt sind entsprechend ihrer Zeitabhängigkeit, des Ausgangszustandes von Brennstoff und Oxidationsmittel, der Dispersion der Reaktanden und dem Charakter des Strömungsfeldes: laminar, turbulent, Unter- oder Überschall. Man kann, mit kleinen Einschränkungen, sagen, daß die meisten Permutationen, die sich aus dieser Aufstellung ergeben, auch als Verbrennungssysteme praktisch beobachtet wurden (Abb. 1.1 a, 1.1 b, 1.1 c). Wachstum
zunehmend
stationär
abnehmend
Rückkopplung
positiv
neutral
negativ
Beispiele
Entzündung Explosion
Flammen Feuerungen in Öfen
Löschprozesse
Feuer (unkontrolliert) Abb. 1.1a: Klassifizierung von Verbrennungsvorgängen nach ihrer Zeitabhängigkeit —--^Strömung Zustand —
Laminar
Turbulent
Nahe Schall Überschall
vorgemischte Gase
Bunsen-Flamme
Gasfeuerung
Gasdetonation
nicht vorgemischte Gase
Diffusionsflamme
Gasfeuerung
Explosion geschichteter Gase in Gruben
Gas - Flüssig
Feuer von kleinen Brennstofflachen
Ölbrenner
Nebelexplosion
Gas - Fest
Kohlefeuerung
Kohlestaubbrenner
Staubexplosion
Flüssig - Flüssig
(selten)
Raketenmotor mit flüssigem Treibstoff
Explosion eines solchen Raketenmotors
Flüssig — Fest
(selten)
Ram-Jet Motor mit Treibstoff flüssig - fest
Dynamit-Explosion
Fest — Fest
Thermit
Treibstoff-Raketenmotor
Schießpulver
Abb. 1.1 b: Klassifizierung von Verbrennungsvorgängen nach Art der Strömung und des Aggregatzustands von Brennstoff und Oxidationsmittel
4
1 Katalyse in Flammen
1. Dispersion d C0 2 + Μ C0 2 + Μ
-» CO + Ο + Μ
(wobei Μ auch ein angeregtes Teilchen sein kann) Die beiden naheliegenden Reaktionen für den Eingriff von Wasserstoff sind der Abbau des CO durch OH CO + OH
-> C0 2 + Η
1.2 Katalytische Prozesse in Flammen
21
Abb. 1.9 a: Einfluß von Wasser auf die Flammengeschwindigkeit von Flammen in sorgfältig getrockneten CO-Luft-Flammen (am Anfang steigt die Flammengeschwindigkeit etwa linear mit der H , 0 Konzentration)
in Konkurrenz zur Reaktion CO + Ο + Μ
C0 2 + Μ
und die Reaktion von Η Atomen mit 0 2 Η + 02
OH + 0
in Konkurrenz zu CO + 0 2
C0 2 + Ο
und der Dissoziation von 0 2 . Von den beiden Reaktionen Η + 02
OH + Ο
CO + OH
C0 2 + Η
ist der langsamste Schritt die H-Atomreaktion. Diese Verzweigungsreaktion ist damit sehr wahrscheinlich der geschwindigkeitsbestimmende Schritt (Tab. 1.3). Er schließt einen der Reaktanden ein und ist verantwortlich für die Er-
22
1 Katalyse in Flammen
0,01
0.1 % zugesetztes H 2 oder
1.0 D2
Abb. 1.9 b: Einfluß von Wasserstoff und Deuterium auf die Flammengeschwindigkeit sorgfältig getrockneter C0-0 2 -Gemische. R.A. Strehlow et. al. J. Phys. ehem. 63, 989 (1959).
zeugung von Atomen und Radikalen in Systemen. Anhand der Geschwindigkeitskonstanten der verschiedenen Reaktionen erkennt man, daß für die zu erwartenden Konzentrationsverteilungen der Radikale die O-Atomreaktion langsam ist, verglichen mit dem Angriff des OH am CO. Sogar für H-Atom-Konzentrationen in der Größenordnung von ppm sollte der Weg über Η + 0 2 schnell sein, verglichen mit den konkurrierenden Reaktionswegen im wasserstofffreien System. Es ergibt sich damit folgender Mechanismus für die Verbrennung in wasserstoffhaltigen C0-0 2 Flammen: Verzweigung Η + 0 2 -»> OH + Ο Kettenfortpflanzung CO + OH -»- C0 2 + Η Rekombination CO + Ο + Μ -»- C0 2 + Μ Η + OH + Μ
H20 + Μ
H + H + M
H2 + Μ
O + O + M
->02+M
O + H + M
-*• OH + Μ
1.2 Katalytische Prozesse in Flammen
23
Neben der normalen Verbrennung von CO in Flammen gibt es ein Entzündungsgebiet, das „glow"-Gebiet genannt wird und das durch relativ langsamen Reaktionsablauf und schwache blaue Emission gekennzeichnet ist. Man nimmt an, daß es sich dabei um ein Beispiel für eine Energiekette handelt, die über angeregtes CO* [1, 3, 21] verläuft.
1.3 Negative Katalyse - Flammeninhibierung und Flammenlöschung
Selbstzündungsvorgänge, Zündgrenzen und die Ausbreitungsgeschwindigkeit von Flammen können durch Zugabe kleiner Mengen bestimmter Stoffe im Sinne negativer Katalyse stark beeinflußt werden. Am bekanntesten dürfte hier der Zusatz von Bleiverbindungen zum Benzin zur Unterdrückung des Klopfens im Motor sein, das durch Selbstzündung im noch unverbrannten Teil der Ladung hervorgerufen wird. Im allgemeinen ist es schwer, die Wirkung dieser Zusätze — auch Inhibitoren genannt — quantitativ zu erfassen. Eine Ausnahme bildet ihr Einfluß auf die Flammengeschwindigkeit. Hier kann der Inhibitoreinfluß direkt und quantitativ angegeben werden, indem man die Verminderung der Flammengeschwindigkeit als Funktion der Inhibitorkonzentration bestimmt. Eine zweckmäßige Größe zur Charakterisierung der Wirksamkeit eines Inhibitors ist der von Fristrom und Sawyer eingeführte [22] Inhibitorindex n. Er ist definiert als der Bruchteil der Änderung der Flammengeschwindigkeit ^ ^ dividiert durch das Verhältnis von InhibitorVo konzentration [I] bezogen auf den Sauerstoffverbrauch. [0 2 ], d.h. η = · Der 0 2 Verbrauch wurde gewählt wegen seiner Beziehung zur hauptsächlichen Verzweigungsreaktion (H + 0 2 -*• OH + 0). Dieser empirische Parameter ist nützlich zur Herstellung von Korrelationen [22]; man muß aber bedenken, daß der signifikante Parameter wahrscheinlich die Radikalkonzentration ist, die durch die Wechselwirkung zwischen Verzweigung und Rekombination bestimmt wird. Inhibitoren können entsprechend ihrer Wirksamkeit in Gruppen eingeteilt werden (s. Tab. 1.7). Einige Stoffe wirken nur physikalisch, durch Verdünnung und Erniedrigung der Temperatur. Andere sind wirksam, wenn ihre Konzentration in der Größenordnung der Brennstoffkonzentration liegt. Sie wirken als Radikalfänger, z.B. Η + CF3Br HBr + CF3. Hier wird im Reaktionsablauf das Η-Atom durch das rekationsträgere CF3 Radikal ersetzt; es handelt sich also um einen 1:1 Austausch. Andere Stoffe sind schon in Konzentrationen wirksam, die weit darunter liegen, wie z.B. Chromverbindungen, die Flammen schon bei ppm Konzentrationen inhibieren [10, 22]. Diese Stoffe müssen als Katalysatoren wirken, die selbst sehr schnell regeneriert werden.
1.3 Negative Katalyse - Flammeninhibierung und Flammenlöschung Tab. 1.7: Wirksamkeit von Inhibitoren für Kohlenwasserstoff - Luft -
25 Flammen
Inhibitor
Inhibitor Index η
Wahrscheinlicher Mechanismus
N2
0,2
Verdünnung
C0 2
0,3
Verschiebung des chemischen Gleichgewichts und Verdünnung
Brennstoff
20
Radikal Katalysator
CF3Br
10
Einfang von Radikalen
PC13
40
Radikal Katalysator
Fe(CO) s
150
Rekombinations-Katalysator
1.3.1 Inhibierung von CO-0 2 -H 2 -Flammen durch Br2 An diesem System kann gezeigt werden, wie positive und negative Katalyse einander entgegenwirken können. Gibt man zu Flammen von scharf getrockneter C0-0 2 Mischung trockenes Br2, so erniedrigt sich die Flammengeschwindigkeit etwa in der gleichen Weise wie bei Zugabe von N 2 oder C0 2 , es handelt sich also im wesentlichen um einen Verdünnungseffekt. Wird dem C0-0 2 Gemisch H 2 zugefugt, so erhöht sich die Flammengeschwindigkeit (s. Abb. 1.9 b). Wird nun jedoch Br2 zugefügt, tritt Inhibierung auf, die größer als reine physikalische Inhibierung aufgrund von Verdünnung ist. Brom greift offenbar in die Knallgaskette ein, denn einen ähnlichen Einfluß - eine Abnahme der Reaktionsgeschwindigkeit - beobachtet man auch bei der homogenen Knallgasreaktion, der Brom zugesetzt wird. Es ist naheliegend anzunehmen, daß Brom die H-Atomkonzentration reduziert und so in Konkurrenz zu 0 2 tritt: Η + ΒΓ2
HBr + Br
Η + HBr
Η 2 + Br
Da die Flammengeschwindigkeit etwa proportional zur Η Atomkonzentration ist (vergl. Abb. 1.10 für H2-Luft-Flammen), ergibt dies Reaktionsschema eine konsistente Erklärung der Beobachtungen. Eingehend untersucht wurde die Inhibitorwirkung von Halogenen in Kohlenwasserstoff-Luft-Flammen. Dabei zeigte sich, daß für ein gegebenes Halogen
26
1 Katalyse in Flammen 400
U» Ε υ t
300
UJ
ο Q
Ζ
o 200 (Λ Iii
Ο 10 ο ζ ζ
5 ιοο α: OD 0£ U >J
0
0
01
02
03
04
0.05
06
MOLENBRUCH
07
08
09
0.1
Η-ATOME
Abb. 1.10: Abhängigkeit der Flammengeschwindigkeit von H,-Luft-Flammen von der Η Atom Konzentration
die Wirksamkeit etwa proportional zur Konzentration des zugefügten Halogens und proportional der Zahl der Halogenatome in einem halogenierten Inhibitormolekül ist (Abb. 1.11). Methylbromid ist also halb so wirksam wie molekulares Brom und dies wiederum halb so wirksam wie CBr4 bei gleichen Konzentrationen. Zu höheren Konzentrationen hin kann die Wirksamkeit eher durch eine Wurzelabhängigkeit dargestellt werden. Die Wirksamkeit der Halogene als Inhibitor nimmt ab von Jod über Brom, Chlor nach Fluor [22, 24]. Messungen der Konzentrationsprofile in Flammen mit Halogenen ergaben, daß der Inhibitor die Reaktion des Brennstoffes (die mit „ausgeborgten" Radikalen abläuft) zu verzögern scheint und sie zu höheren Temperaturen hin verschiebt. Obwohl die integrierte Umsetzungsgeschwindigkeit in der Flamme geringer ist — wie das auch sein muß, wenn die Flammengeschwindigkeit kleiner ist — nimmt die maximale Reaktionsgeschwindigkeit zu. Die Ausdehnung der Hauptreaktionszone ist entsprechend verkleinert. Ein wichtiger Weg des Eingriffes von Halogenen bei der Flammeninhibierung ist das Abfangen von sehr reaktiven Radikalen. Alle Halogenverbindungen reagieren z.B. schnell mit Η-Atomen (s. Tab. 1.8) einige auch mit OH oder Ο Atomen und treten damit in Konkurrenz zu den Brennstoffen, deren Abbau verzögert wird.
27
1.3 Negative Katalyse - Flammeninhibieiung und Flammenlöschung
8 /cHBr3
-
-
6 in
-Χ-0Η2ΒΓ2
Ε ο ο2 χ
Br 2 CF 3 Br λ,
4
χ > Ό° Ό
W
—
CF 2 Br 2
Μ
9m
&
CH 2 BrCI CH 3 Br HBr
/ /
_
f
/
/
/
/
/
0
I 1
•
•
2
3
4
Zahl der B r - A t o m e pro Molekül Abb. 1.11: Einfluß der Bromkonzentration auf die Flammengeschwindigkeit v 0 . Aufgetradv0 gen ist -j^- gegen die Zahl der Br Atome im Inhibitor (x = Molenbruch des Br) nach H. Wise, W. Rosner und J. Miller ( 7 t h Symp. on Combustion, p. 175, 1959). Tab. 1.8: Aktivierungsenergien in kcal/mol für die Reaktionen von Η Atomen mit
H2
CH4
C2H6
CH 3 F
CH3CI
CH 3 Br
HBr
Br2
6,7
13
9,7
5,2
4,6
3,7
2,0
1,7
Dieser Effekt reicht jedoch nicht aus zur Deutung der Inhibitorwirkung. Insbesondere sind ja z.B. HCl und V4 Cl2 etwa genauso wirksam wie CH3C1. Eine zweite inhibierende Wirkung, die jod-, brom- oder chlorhaltige Verbindungen haben können, besteht in der Katalyse der Rekombination von Atomen und Radikalen. Da die Radikale in einer Flamme die Reaktionsgeschwindigkeit und die Flammengeschwindigkeit kontrollieren, ist die Höhe ihrer Konzentration wesentlich. Sie wird außer durch Diffusion durch die Kon-
28
1 Katalyse in Flammen
kurrenz zwischen der Verzweigungsreaktion Η + 0 2 -*• OH + Ο und den Dreierstoß-Rekombinationsreaktionen wie Η + OH + Μ u.a. bestimmt (s. Tab. 1.9). Zugabe von z.B. einer Bromverbindung bringt nach dem Radikaleinfang ein Br-Atom ins System, das fiir Η-Atome einen weiteren Rekombinationskanal öffnet. Das Br-Atom kann den Brennstoff direkt angreifen und HBr bilden, das wiederum Η-Atome verbraucht. Br + RH
-> R· + HBr
Η + HBr
H 2 + Br
Auch hier wird also ein sehr aktives Radikal durch ein weniger aktives, R', ersetzt. Dieser Reaktionsschritt schiebt sich beim Übergang von Chlor nach Jod zu höheren Temperaturen. Man kann damit erwarten, daß Brom-, Chlorund Jodverbindungen eine Wirksamkeit als Inhibitor haben, die das Mehrfache des 1:1 Radikaleinfangs beträgt. Dies wird auch gefunden [23]. Tab. 1.9: Dreierstoß-Rekombinationsreaktionen, die in vielen Verbrennungsprozessen wichtig sind
H+H
+M-»H2
+ M*
0 +O
+M-»02
+M*
Η + OH + Μ -*• H 2 0 + M* 1.3.2 R e k o m b i nations-Katalyse Ein weiterer möglicher Reaktionsschritt, der die Wirksamkeit von Cl, Br und 1 erhöhen kann, ist die direkte Rekombination Η + Br + Μ
HBr + Μ
die verglichen mit den anderen Rekombinationsreaktionen relativ schnell ablaufen und mit HBr + H, (OH) -*• H 2 (H 2 0) + Br zur Verminderung der Η und OH Konzentration beitragen kann. Es gibt Inhibitoren, die schon in Konzentrationen wirksam sind, die bei oder unterhalb der Radikalkonzentrationen in Flammen liegen. In solchen Fällen reicht der oben diskutierte Radikalfängermechanismus nicht zur Erklärung der Wirksamkeit aus, da er vereinfacht gesehen auf einem Austausch von reaktivem zu nichtreaktivem Radikal beruht. Vielmehr muß ein solcher Mechanismus die schnelle und wirksame Regeneration des Inhibitors einschließen, so daß ein und dasselbe Inhibitormolekül wiederholt eingreifen kann, z.B. als Dreierstoßpartner M, ohne weniger aktive Radikale zu erzeugen. Solche Reaktionen treten in Konkurrenz zu den normalerweise ablaufenden Dreierstoßrekombinationen, die in Tab. 1.9 zusammengestellt sind.
1.3 Negative Katalyse - Flammeninhibierung und Flammenlöschung
29
1.3.2.1 Radikalabbau durch Metalle und ihre Salze Außerordentlich starke katalytische Wirkung für Radikalabbau zeigen viele Metalle und ihre Salze in Flammen. Der Einfluß wird deutlich schon bei Molenbrüchen um 10"6. Sie katalysieren die Readikalrekombinationen mit Geschwindigkeiten, die die Stoßzahl um Faktoren bis 103 überschreiten (Abb. 1.12), die also als Reaktionsketten ablaufen müssen. Die meisten davon sind Übergangsmetallverbindungen mit mehreren Valenzzuständen, die stabile Oxide und Hydroxide in Flammen bilden. Ein Reaktionsschema, das zumindest einen Teil der Inhibitorwirkung solcher Komponenten erklären kann, ist [25]:
ZEIT ÜBER DER REAKTIONSZONE - m s Abb. 1.12: Durch Cr-Zusatz katalysierte Radikal-Rekombination an einer H 2 -0 2 -Flamme [25]
30
1 Katalyse in Flammen
MeOH + Η
MeO + H2
MeO + H 2 0
^ Me(OH)2
Me(OH)2 + Η
H 2 0 + MeOH
Außer Η-Atome können aber bei den wirksamen Inhibitoren mit mehreren Oxidationsstufen auch OH Radikale und Ο Atome in den Rekombinationsmechanismus eingreifen: Im Gegensatz zu der Inhibierung durch Halogene werden hier keine weniger reaktiven Radikale erzeugt, sondern es erfolgt echte Rekombination. Eine quantitative Vorstellung von der Wirksamkeit verschiedener Metalle auf die Rekombination, gemessen in den Abgasen von H 2 /0 2 /N 2 Flammen zeigt Tab. 1.10. Dort ist das Verhältnis der Geschwindigkeitskonstanten für den Abbau der Radikalkonzentration ohne Metallzusatz kohne und mit einem Zusatz der entsprechenden Metalle mit etwa einem ppm (k m jt) aufgetragen. In fast allen Fällen ist schon eine sehr deutliche Beschleunigung der Radikalrekombination durch diesen außerordentlich geringen Zusatz von Metallatomen sichtbar, d.h. die meisten müssen die Radikalrekombination um mehrere Größenordnungen besser katalysieren als das die üblichen Dreierstoßpartner wie H 2 , 0 2 , H 2 0 u.a. tun. Tab. 1.10: Katalytische Wirksamkeit von Metallen für Radikalrekombination. Angegeben ist (J c mit/' c ohne) Τ
=
I 8 6 0 K ; H 2 / O J / N 2 ; 3:
1:6
Metallkonzentration 10"4 Molprozent [25]
Na
Ca
Ba
Sr
Sn
Pb
Cr
Fe
U
1,04
1,25
1,75
1,35
1,60
1,10
2,80
1,2
1,82
Neben dieser homogenen Radikalrekombination muß aber auch die heterogene Rekombination berücksichtigt werden, die an der Oberfläche von Metalloxid- oder -hydroxid-Teilchen, die aus den Inhibitoren entstehen, abläuft.
1.3.3 Heterogene Inhibierung Oberflächen können wirksame Stoßpartner sein bei der Katalyse von Radikalrekombinationsreaktionen. Man nimmt an, daß dieser Mechanismus die Inhibitorwirkung von Alkalimetallverbindungen bestimmt, deren Wirksamkeit proportional zur Oberfläche des Pulvers zu sein scheint. Diese Interpretation wurde von Friedman gegeben, der darauf hinweist, daß Gasphasenreaktionen mit Konzentrationen, die durch Verdampfung bestimmt sind, die gleiche Abhängigkeit ihrer Wirkung zeigen würden.
1.4 Schlußbemerkung
Die hier gegebenen Erklärungen zeigen, daß man wohl qualitativ die Wirkung der Inhibitoren zu deuten vermag, daß aber eine quantiative Beschreibung ihres Eingreifens auf die gleichen Schwierigkeiten stößt, denen man bei der Behandlung von Flammen immer begegnet. Zur weiteren Erläuterung der Wirksamkeit von Inhibitoren seien hier noch zwei Effekte angesprochen: der Einfluß des Druckes auf die Inhibitorwirkung und der Übergang von Luft zu Sauerstoff als Oxidationsmittel. In Flammen, die bei sehr hohem Druck brennen, können Verzweigungsreaktionen keine wesentliche Rolle mehr spielen, da Rekombinationsreaktionen mit steigendem Druck zunehmend begünstigt werden. Gleichzeitig nimmt die Radikalkonzentration im Gleichgewicht im Verbrannten mit steigendem Druck ab. Die Ausbreitung der Flammen wird unter diesen Bedingungen im wesentlichen durch thermische Effekte beherrscht, denn auch einfache Kettenreaktionen stehen in direkter Konkurrenz zu den Dreierstoßrekombinationsreaktionen. In diesem Fall wird keiner der genannten Inhibitoren die Flammenausbreitung mehr beeinflussen können, abgesehen von der Wirkung der relativ kleinen Änderung der Transportgrößen. In Flammen, die bei sehr niedrigem Druck brennen, sind Rekombinationsreaktionen sehr viel langsamer als die Zweierstoßreaktionen, und im Verbrannten stellt sich eine hohe Radikalkonzentration ein, d.h. wenn in diesem Falle Inhibitoren Radikalrekombination bewirken, so hat das auf die Ausbreitung der Flamme keinen besonderen Einfluß mehr: Sowohl bei sehr niedrigem als auch bei sehr hohem Druck sollte die Wirksamkeit der Inhibitoren also abnehmen. Bisher vorliegende Messungen bestätigen, daß zu niedrigen Drucken hin die Inhibitorwirksamkeit abnimmt (siehe Abb. 1.13) und daß in den geprüften Fällen ein Maximum der antikatalytischen Wirkung in Abhängigkeit vom Druck (bei Flammen mit Luft als Oxidationsmittel nahe Normaldruck) existiert. Vergleicht man den Einfluß von Fe(CO)s in Abb. 1.13 für CH4-02-Flammen mit seiner Wirkung für Luft-Flammen (Tab. 1.7), dann erkennt man eine wesentlich geringere Wirksamkeit in der CH 4 -0 2 -Flaninie, die natürlich höhere Temperatur und wesentlich höhere Radikalkonzentrationen im Verbrannten aufweist. Grob läßt sich sagen, daß hier zur Störung der Flammenausbreitung (ähnlich wie bei niedrigem Druck) sehr viel mehr Radikale vernichtet werden müssen als in Luft-Flammen, damit eine merkliche Reduktion
32
1 Katalyse in Flammen
VOL% Fe (C0)5 Abb. 1.13: Einflufi von Fe(CO) s auf die Flammengeschwindigkeit von Methan-SauerstoffFlammen 110]
der Flammengeschwindigkeit auftritt. Auch diese Deutung muß aber aus den schon genannten Gründen qualitativ bleiben. Herrn K. Hoyermann danke ich für viele Diskussionen, Herrn H. Gg. Wagner für seine Mitwirkung bei der Abfassung und Übersetzung des Manuskriptes.
2 Homogene Katalyse Alfred V. Willi
2.1 Einleitung
Die Bildung von Äthylacetat aus Essigsäure und Alkohol, CH3COOH + C 2 H s OH
CH3COOC2Hs + H 2 0
verläuft selbst bei erhöhter Temperatur äußerst langsam. Wird jedoch eine verhältnismäßig kleine Menge konzentrierte Schwefelsäure zur Reaktionsmischung hinzugegeben, so tritt innerhalb weniger Stunden beträchtliche Esterbildung ein (ca. 2/3 des eingesetzten Materials). Dabei wird die Schwefelsäure selber nicht chemisch verändert, sie hat aber die Bildung des Esters herbeigeführt. Eine ähnliche Rolle spielen Schwefelsäure oder Salzsäure bei der hydrolytischen Spaltung von Rohrzucker (Saccharose) in Glucose und Fructose: H+ C 1 2 H 2 2 O„ + H 2 0 -*• C 6 H 1 2 0 6 + C 6 HI 2 0 6 D(+)-Saccharose D(+)-Glucose D(—)-Fructose Die Anwesenheit der Säure verursacht den Ablauf der Reaktion, obwohl dabei keine Säure verbraucht wird. Die Säure dient hier als „Katalysator", der den chemischen Umsatz in Gang bringt, scheinbar ohne selbst an ihm direkt beteiligt zu sein. Ein anderes Beispiel von Katalyse ist die Zündung von in Luft ausströmendem Wasserstoff durch Platin-Metall. Dabei bilden das Gas und das feste Metall verschiedene Phasen eines heterogenen Systems: Es handelt sich um „heterogene Katalyse". Die Herbeiführung der Esterbildung oder der Hydrolyse von Rohrzucker durch Mineralsäure findet dagegen in der gleichen Phase eines homogenen Systems statt: Es liegt also „homogene Katalyse" vor. Die Änderung der optischen Drehung der wäßrigen Lösung bei der Umwandlung von D(+)-Saccharose in eine äquimolare Mischung von D(+)-Glucose und D(—)-Fructose ermöglicht eine genaue Bestimmung des Umsatzgrades im reagierenden System. So war die im Jahre 1850 von Wilhelmy durchgeführte Untersuchung der Zeitgesetze der Rohrzucker-Inversion überhaupt das erste Beispiel einer kinetischen Untersuchung zur Bestimmung von Reaktionsgeschwindigkeitskonstanten. Es ist gleichzeitig das erste Beispiel des quantitativen Studiums einer säurekatalytischen Reaktion. Wilhelmy verfolgte die Änderung der optischen Drehung reagierender Rohrzucker-Lösungen als Funktion der Zeit. Aus seinen Messungen konnte er ableiten, daß für den
2 Homogene Katalyse
36
Verlauf der Konzentration C (in Molen pro liter) als Funktion der Zeit folgende Gleichung gilt: In C = In C 0 - kt
(1)
Der Logarithmus der Konzentration der Ausgangsverbindung sinkt also linear mit der Zeit, und zwar um so schneller, je höher der Zahlenwert der Konstante k ist. Ein solches Zeitgesetz ist mathematisch äquivalent mit der folgenden Reaktionsgeschwindigkeitsgleichung: - dC/dt = kC
(2)
Das Differential auf der linken Seite, die momentane chemische Reaktionsgeschwindigkeit, wird durch den folgenden Grenzübergang definiert: ν = -dC/dt = _ l i m C ( t + A t ) - C ( t ) Δί (At - 0)
=
_ U m Δ0
(3)
Δι
Darin bedeuten C(t + At) die Konzentration zur Zeit t + At und C(t) die Konzentration zur Zeit t. Durch bestimmte Integration von Gleichung (2) von t = 0 bis t und C = C 0 bis C erhält man nach Trennung der Variablen Gl. (1). GL (2) sagt aus, daß zu jeder Zeit die chemische Reaktionsgeschwindigkeit (= Geschwindigkeit des Verbrauchs der Ausgangsverbindung) der Konzentration der Ausgangsverbindung proportional ist. Aus Messungen, die bei verschiedenen Konzentrationen der zugefugten starken Säure durchgeführt werden, ergibt sich eine Proportionalität zwischen k und CJJ, der Konzentration der starken Säure: k = kHCH
(4)
Gleichung (4) entspricht der Reaktionsgeschwindigkeitsgleichung (5), in welcher der Deutlichkeit halber C durch Cg (Konzentration von Saccharose) ersetzt worden ist: ν = -dCs/dt = k H C s C
(5)
H
ν = kH [Saccharose] [H 3 0] +
(5a)
Die chemische Reaktionsgeschwindigkeit hängt also vom Produkt der Konzentrationen von Saccharose und starker Säure ab. Eine andere Schreibweise ist in Gleichung (5 a) wiedergegeben. Der gemeinsame Bestandteil der wäßrigen Lösungen aller starken Säuren ist das Wasserstoffion H + (oder genauer das Hydronium-Ion H 3 0 + ). Weitere Untersuchungen der Kinetik der Zuckerinversion und der Esterhydrolyse unter Verwendung verschiedener starker und schwacher Säuren als Katalysatoren sind von Ostwald durchgeführt worden. In allen Fällen hat
37
2.1 Einleitung
sich als typisches Merkmal der Säurekatalyse die Proportionalität zwischen Reaktionsgeschwindigkeit und Wasserstoffionenkonzentration ergeben. Im Sinne der von Ostwald begründeten Definition der Katalyse wird weiterhin gefordert, daß durch die Reaktion keine Säure verbraucht werden darf. Jedoch hängt der Verbrauch oder NichtVerbrauch von Säure davon ab, ob die Reaktionsprodukte stärkere Basen sind als das Lösungsmittel oder die Ausgangsverbindungen. Das ist aber nur von sekundärer Bedeutung und hat mit der eigentlichen Triebkraft der säurekatalytischen Reaktion, d.h. mit der Ursache für ihr Zustandekommen, im Allgemeinfall nichts zu tun. Untersuchungen der Kinetik der säurekatalytischen Veresterung und der säurekatalytischen Esterhydrolyse ergeben ebenfalls eine Gl. (5) entsprechende Abhängigkeit der Reaktionsgeschwindigkeit von der Wasserstoffionenkonzentration. Eine solche wird auch von Bredig und Fraenkel (1905) beim Studium der Zersetzung von Diazoessigester unter Bildung von Glykolsäureester und Stickstoff gefunden: N2CHCOOC2H5 + H 2 0
HOCH2COOC2Hs + N2
Da sich das Fortschreiten dieser Reaktion durch Messung des Volumens des entwickelten Stickstoffs bequem verfolgen läßt, wird die Messung der Geschwindigkeit dieser Reaktion als Methode zur Bestimmung der Wasserstoffionenkonzentration in der Lösung vorgeschlagen. Bredig und Fraenkel formulieren auch besonders klar die Idee der Bildung einer Zwischenstufe aus Substrat (Bezeichnung für die der Katalyse zugänglichen Ausgangsverbindung) und Katalysator. Danach bildet sich im Falle der säurekatalytischen Zersetzung von Diazoessigester durch Anlagerung eines Protons ein aliphatisches Diazonium-Ion als unstabile Zwischenstufe in sehr kleiner Konzentration: N2CHCOOC2Hs + H+ ^
+
N 2 -CH 2 COOC 2 H s
Das Diazonium-Ion in der wäßrigen Lösung zerfällt leicht unter Bildung der Reaktionsprodukte: +
N 2 -CH 2 COOC 2 H s + H 2 0
HOCH2COOC2Hs + N2 + H +
Im letzten Reaktionsschritt werden offenbar wieder Wasserstoffionen in Freiheit gesetzt. Dieser Mechanismus darf aufgrund späterer eingehender Untersuchungen als erwiesen gelten. In die gleiche Zeit fallen die Arbeiten von Lapworth (1904) über die Kinetik der Bromierung und Jodierung von Aceton, die als allererste Beispiele fur die kinetische Analyse organisch-chemischer Reaktionsmechanismen betrachtet
2 Homogene Katalyse
38
werden dürfen. Die Bromierung und die Jodierung von Aceton sind basenkatalysiert. Für die Reaktionsgeschwindigkeit gilt: ν = kß [Aceton] [Base] Der Zahlenwert von kß hängt von der als Katalysator benutzten Base ab; er ist aber der gleiche für die Bromierung und die Jodierung. Zudem kommt die Konzentration des Halogens in der Reaktionsgeschwindigkeitsgleichung gar nicht vor! Aus diesen experimentellen Resultaten kann man nur den Schluß ziehen, daß der eigentlichen Bromierung bzw. Jodierung eine andere Reaktion vorgelagert sein muß, in welcher zunächst eine Zwischenstufe gebildet wird, und zwar die gleiche für die Bromierung wie für die Jodierung. Die Zwischenstufe besitzt offenbar eine besonders hohe Reaktionsfähigkeit für den Umsatz mit Brom oder Jod. Langsam und geschwindigkeitsbestimmend für die Gesamtreaktion muß die Bildung der Zwischenstufe im vorgelagerten Teilschritt unter der Einwirkung der Base sein. Lapworth nahm zunächst an, daß es sich dabei um basenkatalytische Bildung der Enolform des Acetons handelt, da ja bekanntlich Enole ebenso wie andere Verbindungen mit CC-Doppelbindungen schnell mit Halogenen reagieren. Moderne Mesomerievorstellungen zeigen, daß das Anion des Acetons nur in einer Form existieren kann, die ein „Resonanzhybrid" einer Keto- und einer Enolstruktur darstellt:
» - ,,
C H 3 - C - CH2(->
|Ö|H
'
C H 3 - C = CH2
Die einfachste Annahme zur Natur des vorgelagerten Teilschrittes ist somit die Bildung des Anions des Acetons durch Protonenübertragung auf die Base. Eine direkte Bestätigung liefern mehr als 30 Jahre später von Reitz ausgeführte Experimente, in denen gezeigt wird, daß der basenkatalytische Austausch von Η-Isotopen im Aceton (mit schwerem Wasser im Lösungsmittel) ebenso schnell verläuft wie die Bromierung und die Jodierung. Aufgrund aller dieser experimentellen Tatsachen muß der Mechanismus der Bromierung oder Jodierung von Aceton folgendermaßen formuliert werden: CH3COCH3 + Base CH 3 COCH 2 (-) + X2
-> CH 3 COCH 2 (-) + BaseH+ CH 3 COCH 2 X + X -
(langsam) (schnell)
(X2 = Br2 oder J 2 ) Im Falle des H-Isotopenaustausches handelt es sich um den schnellen Folgeschritt: CH3COCH2(~) + D 2 0
CH 3 COCH 2 D + DO-
2.1 Einleitung
39
Nach Behandlung der Mechanismen der Säurekatalyse und der Basenkatalyse in den erwähnten Beispielen darf bereits eine Hypothese über die Wirkungsweise von Säurekatalyse und Basenkatalyse aufgestellt werden. Offenbar benötigt die direkte Abspaltung von N2 von Diazoessigester einen so hohen Betrag an Aktivierungsenergie, daß sie gar nicht beobachtbar ist. Die durch Protonierung des Substrates gebildete Zwischenstufe hat dagegen die Struktur eines unstabilen Diazonium-Ions, das bereits bei Zufuhrung von verhältnismäßig wenig Aktivierungsenergie zur Zersetzung gebracht werden kann. So eröffnet die Möglichkeit der Bildung der Zwischenstufe aus Substrat und Katalysator einen Reaktionsweg mit hinreichend kleiner Aktivierungsenergie, der ohne Anwesenheit des Katalysators nicht gangbar ist. In ähnlicher Weise kann die C-O-Bindung, die die Glucose- und die FructoseEinheit des Rohrzuckers zusammenhält, erst dann verhältnismäßig leicht gespalten werden, wenn das betreffende O-Atom ein Proton angelagert hat. Die positiv geladene Zwischenstufe zerfällt dann in ein positiv geladenes und ein neutrales Bruchstück. Eine solche Spaltung sollte weniger Energie benötigen als eine Spaltung in zwei entgegengesetzt geladene Ionen. Bei der Bromierung und der Jodierung von Aceton würde die direkte Substitution unter gleichzeitigem Bruch zweier kovalenter Bindungen und Bildung einer neuen kovalenten Bindung nicht nur die Zuführung eines ziemlich hohen Energiebetrages erfordern, sondern wäre auch noch äußerst unwahrscheinlich, da ja drei Vorgänge im gleichen Elementarschritt stattfinden sollen. Andererseits ist für die Ablösung eines C-gebundenen Protons in alphaStellung zur Carbonylgruppe durch eine Base die Aktivierungsenergie nicht unmäßig hoch. Das dabei entstehende Anion kann mit Leichtigkeit mit Br2 oder J 2 reagieren, so daß eine C-Hal-Bindung gebildet und eine Hal-Hal-Bindung gelöst wird. (Es findet „heterolytische" Spaltung des Halogens X2 in X+ und X - statt, indem X+ an das Carbanion gebunden und X - freigesetzt wird.) Die soeben diskutierten Beispiele betreffen säurekatalytische und basenkatalytische Reaktionen. In der Tat sind Säurekatalyse und Basenkatalyse die häufigsten Formen der homogenen Katalyse in Lösung. Sie werden daher im Mittelpunkt dieser Betrachtungen stehen. Wenn eine Verbindung die Fähigkeit besitzt, Komplexe mit Metallionen zu bilden, so können ihre Reaktionen metallionenkatalysiert sein. Dabei reagiert der Metallion-Komplex häufig in ähnlicher Weise wie die protonierte Zwischenstufe. Elektrophile Katalysatoren wie z.B. Bortrifluorid und Aluminiumchlorid zeigen ein ähnliches Verhalten wie Metallion-Katalysatoren, mit der Besonderheit, daß sie wegen ihrer hohen elektrophilen Reaktionsfähigkeit in wäßriger Lösung unbeständig sind. Sie sind bei einigen speziellen organischen
40
2 Homogene Katalyse
Reaktionen wirksam, deren Besprechung hier jedoch zu weit führen würde. Ebenso soll hier nicht auf solche katalytische Vorgänge eingegangen werden, an denen Redox-Reaktionen wesentlich beteiligt sind. Ein anderer Typ der homogenen Katalyse ist die nucleophile Katalyse. In ihrem wesentlichen Reaktionsschritt wird ein Atom des Substrates (jedoch kein Proton!) von einer nucleophilen Partikel angegriffen. Es ist bisweilen schwierig, zwischen Basenkatalyse und nucleophiler Katalyse zu unterscheiden. Besonders wirksam sind polyfunktionelle Katalysatoren, die gleichzeitig so wohl saure als auch basische oder nucleophile Gruppen enthalten und daher gleichzeitig mit mehreren Teilen des Substrates in Wechselwirkung treten können. Polyfunktionelle Katalyse dürfte bei der Wirkung der Enzyme von besonderer Bedeutung sein.
2.2 Die Wasserstoffionen-Übertragung
Säurekatalyse und Basenkatalyse sind die weitaus wichtigsten Formen der homogenen Katalyse. Einer der wesentlichen Teilschritte im Mechanismus einer säurekatalytischen oder basenkatalytischen Reaktion ist eine Wasserstoffionenübertragung. In der Einleitung wird die Hypothese erwähnt, nach der als Folge der Wasserstoffionenübertragung ein Reaktionsweg mit hinreichend niedriger Aktivierungsenergie eröffnet wird, der sonst nicht zur Verfügung steht. Somit muß eine allgemeine Behandlung des Themas Säure-Base-Katalyse mit einer ausfuhrlichen Diskussion des Wasserstoffionen-Übertragungsvorganges beginnen.
2.2.1 Stärke von Säuren und Basen Es wird hier am zweckmäßigsten die von Brönsted aufgestellte Definition für Säuren und Basen angewandt: Säuren sind Verbindungen, die Wasserstoffionen abgeben können; Basen sind Verbindungen, die Wasserstoffionen binden können. a) Basen Die stärkste in höheren Konzentrationen in wäßriger Lösung existenzfähige Base ist das Hydroxid-Ion. Noch stärkere Basen reagieren sofort mit dem Lösungsmittel unter Bildung von Hydroxid-Ion: Β + H20
BH + + O H -
(4)
In unveränderter Form können sie nur in sehr kleiner Gleichgewichtskonzentration in wäßriger Lösung vorhanden sein. Wichtige mittelstarke Basen in wäßriger Lösung sind Ammoniak und aliphatische Amine. Das Lösungsmittel Wasser ist bedeutend schwächer basisch, aber immer noch stark genug, um in die wäßrige Lösung hineingebrachte Wasserstoffionen (Protonen) praktisch vollständig zu binden unter Bildung des Hydronium-Ions H 3 0 + : H+ + H 2 0
H30+
(5)
Das Hydronium-Ion in wäßriger Lösung ist über Η-Bindungen mit 3 weiteren H 2 O-Molekülen in der ersten Sphäre solvatisiert. Die dadurch entstehende Partikel läßt sich durch die Formel H 3 0 + ( 0 H 2 ) 3 oder H 9 0 4 + beschreiben. Es existiert aber auch noch eine schwächere sekundäre und tertiäre Solvatation. Die drei Protonen der zentralen Partikel spielen jedoch eine beson-
2 Homogene Katalyse
42
dere Rolle in Gleichgewichten und Übergangszuständen der Wasserstoffionenübertragung. Dadurch erhält die abgekürzte Schreibweise H 3 0 + ihre Berechtigung. So ergibt sich aus Protonenresonanz-Messungen an Säurelösungen in H 2 0-D 2 0-Mischungen, daß das Isotopenaustauschgleichgewicht mit 2 gleichwertigen Protonen im Wasser und 3 gleichwertigen Protonen im HydroniumIon formuliert werden muß: 2 D 3 0 + + 3 H20 ^ 2 H30+ + 3 D20 + 2
[H 3 0 ]
3
+ 2
[D 2 0] / [D 3 0 ]
[H 2 0]
3
(6)
= L
(7)
Der Abkürzung halber wird anstelle von H 3 0 + häufig auch nur H + geschrieben. Also soll mit Bezug auf Reaktionen in wäßriger Lösung H + stets H 3 0 + bzw. das vollkommen hydratisierte Hydronium-Ion bedeuten, sofern nicht ausdrücklich etwas anderes erwähnt wird. Die Stärken von Säuren und Basen lassen sich mit Hilfe von Gleichgewichtskonstanten zahlenmäßig charakterisieren. Um verschiedene Skalen fur Basenstärken und Säurestärken zu vermeiden, ist es zweckmäßig, alle Gleichgewichtskonstanten von Säure-Base-Systemen als Aciditätskonstanten zu formulieren. So gilt für die Aciditätskonstante der zur Base Β konjugaten Säure BH+: BH+ + H 2 0 ^ Β + H 3 0 +
(8)
[Β] [H 3 0 + ]/[BH + ] = Κ
(9)
(Es ist üblich, die Aktivität des Lösungsmittels H 2 0 gleich 1 zu setzen.) pK = - l o g Κ
(10)
in Analogie zu pH = - log [H+]. Je höher der pK-Wert, desto stärker die Base Β und desto schwächer die Säure BH+. Die pK-Werte von Ammoniak und aliphatischen Aminen liegen in der Nähe von 10. Die zur Bildung des OH - -Ions führende Reakton muß folgendermaßen formuliert werden: 2 H 2 0 ^ H 3 0 + + OH~
(11)
Wenn man bei der Bildung der Gleichgewichtskonstante die Aktivität des Lösungsmittels gleich 1 setzt, so ergibt sich: [H 3 0 + ] [OH~] = Pyy
(12)
p i v = —log IV = 14
(13)
43
2.2 Die Wasserstoffionen-Übertragung
(In einer häufig gebrauchten anderen Formulierung wird vom Gleichgewicht H 2 0 ^ ff" + O H - ausgegangen und für die Konzentration von H 2 0 1000/18 = 55,5 gesetzt, so daß sich für IV der Wert 10*14/55,5 = ΙΟ"15-74 ergibt. Hierin steckt jedoch eine noch größere Willkür, da ja eigentlich Gleichung (11) angewandt werden sollte.) Für das Säure-Base-Paar H 3 0 + -H 2 0 schreibt man in Analogie zu den Gleichungen (8) und (9): H30+ + H20 ^ H20 + H30+
(14)
[H 2 0] [H 3 O + ]/[H 3 O + ] = [H 3 0 + ] / [H 3 0 + ] = K h y = 1
(15)
(Bisweilen wird inkonsequenterweise in Gleichung (15) für [H 2 0] = 55,5 gesetzt, so daß K},y = 55,5 resultiert. Beide Werte fur K^y, 1 und 55,5, beruhen auf einer gewissen Willkür. Der Autor möchte aber dem Wert K^y = 1 den Vorzug geben.) Die Basenstärken von Alkoholen liegen in der gleichen Größenordnung wie diejenige von Wasser. Äther sind dagegen schwächere Basen: Der pK-Wert von Diäthyläther liegt bei —3,6 (d.h. Κ = 10+3>6). Da die Einführung elektronenanziehender Substituenten die Basenstärke herabsetzt (Die Elektronenpaare stehen dann weniger gut zur Bindung von H+ zur Verfügung.), sind Acetale, Ketale, Carbonsäuren und Ester noch bedeutend schwächere Basen. b) Säuren Gewisse Verbindungen des Typs HA können in wäßriger Lösung ein Wasserstoffion auf das Lösungsmittel übertragen: HA + H 2 0 ^ H 3 0 + + A
(16)
Je stärker polar die H-A-Bindung ist, desto leichter tritt die Ionisation ein. Die Tendenz eines Atoms zur Anziehimg von Bindungselektronen („Elektronegativität") nimmt in jeder Reihe des Periodischen Systems von links nach rechts zu. Daher steigt die Stärke der Säuren in den Reihenfolgen CH4
NH3
H 2 0 «C HF und H 2 S
HCl.
Für die relativen Säurestärken der Hydride von Elementen der gleichen Gruppe (aber zu verschiedenen Perioden gehörig) sind neben der Elektronegativität andere Faktoren von höherer Bedeutung. So sind die Säuren am stärksten, bei deren Ionisation das größte Anion gebildet wird, da das elektrostatische Potential eines kugelförmigen Ions seinem Radius umgekehrt proportional ist. Es gelten die Reihenfolgen der Säurestärken: HF HCl HBr 1 und p2 > 1 oder pi > 1 und p2 > 1, dann muß d 2 V/dn 2 im ganzen Bereich von η = 0 bis η = 1 negativ sein, und damit sind hinreichende Bedingungen für das Vorhandensein eines Maximums erfüllt. Selbst wenn eines der beiden pj etwas kleiner als 1 ist, kann noch ein Maximum vorhanden sein, sofern das andere pj hinreichend groß ist. Man kann ferner zeigen, daß das Maximum und damit die Energiebarriere um so höher sein muß, je höher die Werte von p! und pz sind. So ergibt sich z.B. mit V! = V2 = 70 kcal aus p! = 1,0, P2 = 1,2: V m a x ^ 5 kcal, aus pi = P2 = 1,2: Vmax 9 kcal und aus p! = p2 = 1 , 5 : V m a x ~ 20 kcal. Es sind nun die Fragen zu beantworten, was die Exponenten p t und p2 bedeuten und wovon ihre Zahlenwerte abhängen. Wie erwähnt ist im Spezialfall mit pj = 1 die durch partielle Bindungsbildung freigesetzte Energie proportional der Bindungsordnung η bzw. 1 — n. Falls jedoch pj > 1, dann wird weniger Energie freigesetzt als der η bzw. 1 — η proportionale Anteil, denn nPi < η im Bereich 0 < η < 1. (Erst bei η = 1 erreicht nPi den Wert von n.) Je höher pj, desto kleiner ist nPi im Vergleich zu n. Der Unterschied ist am schwerwiegendsten bei kleinen Werten von n. Man muß alsö aufgrund von Gl. (23) erwarten, daß die partielle Bildung der neuen Bindung zunächst weniger Energie liefert, als für den gleichzeitigen partiellen Bruch der alten Bindung aufzuwenden ist. Für die beobachteten Unterschiede bei der ionischen Spaltung oder Bildung von OH-Bindungen einerseits und CH-Bindungen andererseits lassen sich die folgenden zwei Erklärungsmöglichkeiten heranziehen. 1. Eine CH-Bindung eines stabilen Moleküls ist in wäßriger Lösung gewöhnlich nicht über Η-Brücken solvatisiert. Zudem ist die Bindung nur wenig
51
2.2. Die Wasserstoffionen-Übertragung
polar. Bei Bildung einer partiellen Bindung zwischen H + und einem Car· banion muß ein Teil der durch kovalente Bindungsbildung freiwerdenden Energie zur Desolvatation der Ionen verwendet werden. Desolvatation spielt schon bei relativ großen Entfernungen der Ionen voneinander eine Rolle, da sich dann schon die elektrostatischen Felder entgegengesetzten Vorzeichens teilweise zu kompensieren beginnen, so daß die Polarisation des Lösungsmittels durch die Ionen abgeschwächt wird. Kovalente Wechselwirkung dagegen wird erst bei relativ kleinen Entfernungen merklich wirksam. Somit sind Werte von pj > 1 zu erwarten. Desolvatation tritt auch bei Bildung einer Bindung zwischen H + und einem Oxy-anion ein, jedoch in schwächerem Maße, da auch die vollständige OHBindung noch über Η-Brücken solvatisiert ist und das elektrostatische Feld ihres Dipolmomentes zudem einen polarisierenden Einfluß auf weitere Lösungsmittel-Moleküle ausübt. Ähnliche Überlegungen gelten für die Anlagerung von H + an eine O-Base, denn Ionen der Typen ROH 2 + und R 2 OH + sind auch über Η-Brücken solvatisiert. 2. Ein in (hinreichend basischer) wäßriger Lösung beständiges Carbanion enthält meistens ein Resonanzsystem, das sich über mehrere Atome erstreckt. Das gleiche trifft fast immer auch für eine elektrisch neutrale CBase zu. Das Elektronenpaar, an das sich H + anlagern kann, ist dann nur unvollständig beim reaktionsfähigen C-Atom lokalisiert. Bei partieller Bindungsbildung wird Energie frei, aber es muß gleichzeitig Delokalisationsenergie zugeführt werden, um das Elektronenpaar wieder am reagierenden C-Atom zu lokalisieren, damit die Bindungsbildung stattfinden kann. Der Lokalisationsvorgang ist erst dann ganz abgeschlossen, wenn die neue CH-Bindung vollständig gebildet ist. Solange die Bindungsordnung n, < 1 ist, muß die Energie, die beim partiellen Bindungsbildungsvorgang insgesamt freigesetzt wird, kleiner als njVj sein, was einem Wert von p, > 1 entspricht. (Das ist für den umgekehrten Vorgang nachgewiesen. So ist die kinetische Acidität von CH-Säuren (gemessen durch die Geschwindigkeit der H+-Übertragung auf O- oder N-Basen) schwächer, als aufgrund der Gleichgewichts-Acidität zu erwarten, da im Übergangszustand der H+-Übertragung das Carbanion noch nicht voll durch Resonanz stabilisiert ist.) Die Freie Energie der Reaktion XH + Y -*• X + HY (Transfer von H + ) beträgt (Abb. 2.2): AG = V, - V2 - RT ΙηίςΗχ/ςΗγ)
(26)
Der letzte Term auf der rechten Seite berücksichtigt die statistischen Faktoren. Darin bedeuten q H X die Anzahl gleichwertiger saurer Protonen in HX
2 Homogene Katalyse
52
und ς π γ die Anzahl gleichwertiger saurer Protonen in HY. Für die Freie Aktivierungsenergie gilt: AG* = V m a x - R T l n q n x
(27)
Es wird angenommen, daß die Werte von Vi und p t in Gl. (23), die zu einer bestimmten HX-Bindung gehören, bei Wechsel von Y unverändert bleiben, und daß die Werte von V2 und P2, die zu einer bestimmten HY-Bindung gehören, bei Wechsel von X unverändert bleiben. Zur Ermittlung von V!, V 2 , pi und p2 aus experimentellen Daten für AG und AG+ (bzw. V m a x ) stehen die Gleichungen (26), (23 a) und (24 a) zur Verfügung: V i O - n f t ) - V a (l-iOft = Vmax max -piViüP»
-1
+ P2V 2 (1—n) p 2 -1 = 0
(23 a) (24 a)
Es sind aber 5 Unbekannte vorhanden, nämlich die genannten 4 Größen und nmax. Eine Lösung ist also nur möglich, wenn ein Wertepaar Vj, p, schon bekannt ist. Eine grobe Schätzung ergibt 70 kcal für die Freie Energie der heterolytischen Spaltung von H 3 0 + in H 2 0 und H + in wäßriger Lösung. Ausgehend von diesem Wert erhält man für die H 2 0-H + -Bindung unter Berücksichtigung des statistischen Faktors: Vi = 70 kcal + RT In 3 = 70,65 kcal 2> Da die Reaktion H 2 0-H + + OH2 H 2 0 + H-OH2+ praktisch keine Energiebarriere besitzt, wird angenommen, daß pj = 1 für die H20-H+-Bindung. Damit ist ein Wertepaar vorhanden, das für die Betrachtung der Reaktion H 2 0-H + + Y ^ H 2 0 + HY bzw. H 2 0-H + + Y ^ H 2 0 + HY+ benötigt wird. Aus dem pK-Wert der Säure HY erhält man folgendermaßen [Anwendung von Gl. (27)] den Vj-Wert für die HY-Bindung: Vj = 70 kcal + 2,303 RT pK H Y + 2,303 RT log qjjy Die noch fehlenden Werte von p 2 und ergeben sich aus diesen Daten und V m a x (bzw. AG*) durch Kombination der Gleichungen (23 a) und (24 a). Auf diese Weise ermittelte Zahlenwerte von V 2 , P2 und r ^ ^ für verschiedene H+-Übertragungen von H 3 0 + auf Y in wäßriger Lösung sind in Tab. 2.3 zusammengefaßt. Die sich auf die Bildung von CH Bindungen (aus H + + CarDiese Korrektur m u ß angebracht werden, da die Differenz der Vj-Werte oder die Differenz Vmax-Vj wichtiger ist als die Absolutwerte.
53
2.2 Die Wasserstoffionen-Übertragung
banion oder C-Base) beziehenden p2-Werte sind alle wesentlich größer als 1, in einigen Fällen sogar in der Nähe von 2. Sie sind eindeutig von der besonderen Struktur von Y abhängig. Im nächsten Schritt können diese P2 -Werte als pi -Werte zur Beschreibung der Energiebarriere von Reaktionen des Typs R-H + B
-+ R
+ HB
bzw. R-H + Β
^ R
+ HB +
(oder die beiden anderen Möglichkeiten mit RH + auf der linken Seite) benutzt werden. V j und V 2 für diese Reaktionen sind wiederum bekannt, soTab. 2.3
K o e f f i z i e n t e n v o n Gl. ( 2 3 ) für die Energiebarrieren der H + -Übertragung v o n H 3 0 + a u f Y ( v o n H j O auf Y in N r . 35 und Nr. 3 6 )
Nr.
Y
V,
PJ
"max
kcal 1
(->CH2CN
104,75
1,309
0,883
2
( - >CH2COOH
103,35
1,337
0,863
3
(-)CH(CN)2
85,67
1,397
0,735
4
(-)CH(COOC2HS)2
88,51
1,478
0,725
5
(-)CH2COCH3
98,34
1,384
0,819
6
(-)CH(COOC2HS)COCH3
84,97
1,376
0,738
7
(-)CH(COCH3)2
82,68
1,535
0,665
8
(-)C(CH3)(COCH3)2
85,00
1,588
0,667
9
(-)CH(COC6HS)(COCH3)
83,22
1,526
0,672
10
( - ) C ( C H 3 ) (COOC2HS)COCH3
87.05
1,704
0,651
11
(-)CHCl(COCH3)
92,94
1,467
0,755
12
(-)CH(COCF3)(COCH3)
76,82
1,844
0,561
13
(-)CH2NO2
84,58
1,959
0,589
14
(-)CH(CH3)N02
82,14
2,105
0,555
15
(-)CHN02(C0CH3)
77,36
1,776
0,576
16
(-)CHN02(C00C2HS)
78,35
1,794
0,579
17
2,4,8-Trimethylazulen
71,07
1,797
0,524
18
1,3,5-Trimethoxybenzol
63,34
1,963
0,444
35
(-)OC-C6H5
97,30
1,168
0,676
36
(-)CH(CN)CH=CH-CH2CN
99,42
1,302
0,656
2 Homogene Katalyse
54
fern pK-Werte für RH und HB gemessen worden sind. In diesem Reaktionstyp bezieht sich P2 auf die zu bildende HB-Bindung. Wie aus Tab. 2.4 zu ersehen, liegen fast alle so erhaltenen P2-Werte (zu OH-Bindungen gehörig!) zwischen 0,89 und 1,09, also nahe bei 1. Das ist für OH-Bindungen zu erwarten, denn die Energiebarriere für H+-Übertragungen zwischen O-Basen ist bekanntlich sehr niedrig. (Die beiden Ausnahmen beziehen sich auf Reaktionen mit Nitromethan, die P2-Werte sind dort sogar kleiner als 0,89). Tab. 2.4: Koeffizienten von Gl. (23) für die Energiebarrieren von Reaktionen von CH-Säuren mit O-Basen
Reaktion
v,
Pl
kcal
v2
Pj
n
max
kcal
Aceton + CH3COO~
98,34
1,384
76,49
1,062
0,249
Aceton + OH~
98,34
1,384
89,51
1,087
0,375
3-Me-Acetylaceton + CH 3 COO~
85,00
1,588
76,49
1,048
0,395
Nitromethan + ClCH 2 COO"
84,58
1,959
73,90
0,759
0,362
Nitromethan + CH 3 COO~
84,58
1,959
76,49
0,816
0,398
Nitroaceton + Cl 2 CHCOO~
77,36
1,776
71,74
0,962
0,423
Nitroaceton + ClCH 2 COO~
77,36
1,776
73,84
0,963
0,440
Nitroaceton + C 6 H s COO~
77,36
1,776
75,81
0,956
0,454
Nitroaceton + CH 3 COO~
77,36
1,776
76,49
0,965
0,462
2-Me-Acetessigester + CljCHCOO"
87,05
1,704
72,02
0,893
0,324
2-Me-Acetessigester + CHjCOO"
87,05
1,704
76,49
0,911
0,362
2-Me-Acetessigester + (CH 3 ) 3 CCOO~
87,05
1,704
76,85
0,907
0,363
87,05
1,704
79,40
0,944
0,395
2
2-Me-Acetessigester + HP0 4 ~
Was die pj-Werte für CH-Bindungen betrifft, so ist ein sehr deutlicher Zusammenhang mit der Resonanz-Stabilisierung des Carbanions bzw. der C-Base zu erkennen: Je bedeutender die Resonanz im Carbanion bzw. in der CBase, desto höher ist p,. Der niedrigste vorkommende pj-Wert liegt bei 1,17 (Phenylacetylen). Danach scheint es so, als ob die Resonanz für das Zustandekommen von pj-Werten größer als 1 und damit für das Auftreten von hohen Energiebarrieren viel bedeutender ist als die Abwesenheit von Solvatation durch Η-Brücken bei CH-Säuren. Ist eine CH-Säure nur wenig durch eine resonanzfähige Gruppe aktiviert, dann ist auch ihre Gleichgewichts-Acidität gering; es kommt also sowohl ein
2.2 Die Wasserstoffionen-Übertragung
55
hoher Vj-Wert als auch ein niedriger pj-Wert vor. Die Energiebarriere ähnelt dann dem Extremfall, der in Abb. 2.1 a dargestellt ist. Zur Ablösung des Protons wird hier sehr viel Energie benötigt, aber bei der Übertragung des Protons von H 3 0 + auf die konjugate Base der CH-Säure ist nur ein kleiner Energieberg zu überwinden, so daß die Geschwindigkeitskonstante dann nicht viel tiefer liegt als die durch die Diffusionsgeschwindigkeit gegebene obere Grenze. Sehr aufschlußreich ist auch die Betrachtung der berechneten Werte der Bindungsordnung rimax (der zu spaltenden Bindung) im Maximum der Energiebarriere. (Tab. 2.3.) Je stärker basisch das Carbanion Y~ ist, desto höher ist die H 2 0- · · H+-Bindungsordnung und desto niedriger ist die H + · -C-Bindungsordnung, bei welcher der Übergangszustand erreicht wird. Dieses Ergebnis stimmt überein mit einem in den Abb. 2.1 a—c) angedeuteten, von Bell, Leffler und Hammond aufgestellten Postulat. Bei genauerer Betrachtung der Daten erkennt man allerdings, daß dieses Postulat keinen eindeutigen quantitativen Zusammenhang zwischen V2 — Vj und n m a x wiedergeben kann, da ja die Position des Energiemaximums auch noch von p! und p2 abhängt. Die hier behandelte Gleichung für die Energiebarriere darf nur als eine stark vereinfachte Formulierung des Problems betrachtet werden, die allerdings in den untersuchten Beispielen der Wirklichkeit sehr nahe zu kommen scheint. Vor allem bildet sie die Grundlage für ein anschauliches Modell. Es ist sehr einleuchtend, daß die Barriere um so höher sein muß, je höher die ρ,-Werte sind, und daß praktisch keine Barriere vorhanden sein kann, wenn die Zahlenwerte von pi und pj (wie für die OH-Bindungen) beide sehr nahe bei 1,00 liegen. Ebenso einleuchtend ist der Zusammenhang zwischen pj-Wert (für eine CH-Bindung) und der Resonanz-Stabilisierung der zugehörigen konjugaten Base.
2.3 Beispiel-Reaktionen für die Mechanismen der Säure-BaseKatalyse und ihre experimentelle Aufklärung
Für das Verständnis der treibenden Kräfte bei der Katalyse einer Reaktion ist es notwendig, den Mechanismus und den geschwindigkeitsbestimmenden Schritt zu kennen. Als Mechanismus bezeichnet man die Folge der Teilschritte der Reaktion, die auf dem Weg von den Ausgangsverbindungen zu den Produkten durchlaufen werden. Bei säurekatalytischen Reaktionen kennt man im wesentlichen drei verschiedene Typen von Mechanismen. Im folgenden werden fur jeden Typ praktische Beispiele gegeben. Von der vorhandenen experimentellen Information ausgehend werden dabei die Methoden erläutert, die bei der Aufklärung des Mechanismus und der Ermittlung des geschwindigkeitsbestimmenden Schrittes Anwendung finden. Es ist wichtig, zuerst die Begründung der Mechanismen durch die experimentellen Tatsachen zu geben. Erst danach wird es möglich sein, theoretische Diskussionen der Ursachen der Katalyse bei den betrachteten Reaktionstypen durchzuführen und daran anschließend Voraussagen über die Katalyse noch nicht untersuchter Reaktionen zu machen.
2.3.1 Die Hydrolyse von Acetalen als Beispiel für den A1 - Mechanismus 2.3.1.1 Experimentelle Begründung des Mechanismus Bei der Hydrolyse eines Acetals entstehen Aldehyd und Alkohol: RCH(OR') 2 + H 2 0 ^ RCHO + 2 R'OH Hier soll der sogenannte Normalfall betrachtet werden, in dem R' aliphatisch ist, wobei die beiden R' nicht unter Ringbildung miteinander verbunden sein sollen. Auch die meisten Ketale R j RjCCOR^ darf man dazurechnen.
2.3 Beispiel-Reaktionen für die Mechanismen der Säure-Base-Katalyse
57
Die Notwendigkeit der Anwesenheit von Säure als Katalysator bei der Bildung und Hydrolyse von Acetalen und Ketalen war bereits aus präparativen Arbeiten bekannt. Etwa im Jahre 1920 beginnend wurden von Skrabal und Mitarbeitern eingehende kinetische Untersuchungen durchgeführt. Wenige Jahre später befaßten sich auch Brönsted, Wynne-Jones und andere mit der Kinetik der Hydrolyse von Acetalen, Ketalen und Orthoestern. Es wurde die folgende Reaktionsgeschwindigkeitsgleichung gefunden: ν = kn [Acetal] · [H+] Aufgrund dieser Tatsache läßt sich bereits eine Hypothese aufstellen, nach der sich das Proton an ein O-Atom des Acetals unter Bildung eines Oxoniums-Ions anlagert. Dieses Oxonium-Ion kann die reaktionsfähige Zwischenstufe sein, die nach Spaltung in Hemiacetal RCH(OR') (OH) und R , + oder Spaltung in RCH^R 1 )* und R'OH in weiteren Teilschritten schließlich in die Produkte übergeht. Η
RCH (OR')(OH) + R' +
O-R' R-CH O-R'
RCH (OR')+ + R'OH
RCH (ORT + H 2 0 — - RCH(OR'HOH) + H+ Es war weiterhin experimentell festgestellt worden, daß die säurekatalytische Bildung und Hydrolyse von Hemiacetal RCH (OR') (OH) (meßbar durch Beobachtung des Verschwindens oder Entstehens der Aldehyd-Absorptionsbande im UV-Spektrum) viel schneller abläuft als der Übergang zwischen Hemiacetal und Acetal. (Hemiacetal wirtl ebenso wie Aldehyd von der Bisulfit-Titration erfaßt, Acetal dagegen nicht.) Der geschwindigkeitsbestimmende Schritt der Acetal-Hydrolyse muß also irgendwo im Übergang von Acetal zu Hemiacetal liegen. Die Frage nach der Position der Bindungsspaltung bei der Acetal-Hydrolyse war erst relativ spät auf experimentellem Wege geklärt worden. Bei der Hydrolyse von optisch aktivem D-2-Octylacetal entsteht D-2-Octanol mit unveränderter optischer Konfiguration (O'Gorman und Lucas, 1950). Eine Spaltung der Bindung zwischen 2-Octyl-Gruppe und O-Atom ist somit unwahrscheinlich, da sie zu Walden-Umkehrung oder zu Razemisierung führen kann. Eine eindeutige Antwort liefern Markierungsexperimente mit Hilfe des Sauerstoff-Isotops 1 8 0: Bei der Hydrolyse von Di-n-butylbenzal in Wasser, das H 2 1 8 0 als Tracer enthält, entsteht mit 1 8 0 markierter Benzaldehyd (Stasius, Sheppard und Bourns, 1956).
58
2 Homogene Katalyse
PhCH(OBu)2 + H 2 1 8 0
PhCH 18 0 + 2 BuOH
Die Bindungsspaltung findet also zwischen dem O-Atom und dem zentralen C-Atom statt, das nachher die CHO-Gruppe bildet (Spaltung in R C H f O R y und R'OH). Weitere Information über den Mechanismus liefern experimentelle Resultate zur Abhängigkeit der Geschwindigkeitskonstante von der Struktur der Ausgangsverbindung. Bei Diäthylacetalen bzw. Ketalen steigt die Reaktionsgeschwindigkeit in der Reihenfolge: CH 2 (OC 2 H s ) 2 · Produkte
(langsam)
ν = k„ [S · · · H-A] = K
[S]
[HA]
(37)
SHA
Ks HA i s t die Gleichgewichtskonstante für die Bildung von S · · · H-A. Jeder dieser drei Fälle a, b, oder c kann vorliegen, wenn allgemeine Säurekatalyse beobachtet wird. Eine Entscheidung zwischen den verschiedenen Möglichkeiten kann nur unter Zuhilfenahme weiterer Untersuchungsmethoden herbeigeführt werden. Für das Auftreten des Falles c) besteht bei Reaktionen in wäßriger Lösung wenig Wahrscheinlichkeit, da in diesen hauptsächlich Η-Brücken mit dem Lösungsmittel gebildet werden. Dementsprechend sind auch bis heute keine gesicherten Beispiele für den Fall c) bekannt. Was den Mechanismus der allgemeinen Säurekatalyse bei der Vinyläther-Hydrolyse anbetrifft, so sind die experimentellen Tatsachen zwanglos mit dem Fall a vereinbar. Es ist verständlich, daß bei der H+-Übertragung von H 3 0 + unter Bildung einer neuen CH-Bindung durch Delokalisierung des Doppelbindungs-Elektronenpaars eine Energiebarriere überwunden werden muß. Der Fall b darf ausgeschieden werden, denn in der Zwischenstufe CH 3 -CHOR) + ist (außer dem gerade angelagerten oder einem ihm gleichwertigen) kein Proton vorhanden, das hinreichend leicht abgelöst werden könnte und dessen Ablösung den Übergang in die Reaktionsprodukte erleichtern würde. Damit
2.3 Beispiel-Reaktionen für die Mechanismen der Säuie-Base-Katalyse
81
darf der folgende A-Sg 2-Mechanismus der Hydrolyse von Vinyläthern als vollkommen gesichert betrachtet werden: H 3 0 + + CH2=CHOR +
CH 3 - CHOR + H 2 0 CH 3 CH(OR)OH 2
+
CH 3 - + CHOR + H 2 0 CH 3 CH(OR)OH 2
+ H 2 0 ^ CH 3 CH(OR)OH + H 3 0
CH3CH(OR)OH + H 3 0 + CH 3 CH(OH)ORH + CH3CHOH+ + H 2 0
(langsam)
+
(schnell) +
- CH 3 CH(OH)ORH + + H 2 0
(schnell) (schneU)
CH3CH(OH)+ + ROH (verhältnismäßig schnell) ^ CH3CHO + H 3 0 +
(schnell)
Durch die Carbonium-Oxonium-Resonanz ist hier das im ersten Schritt gebildete protonierte Substrat stabiler als ein durch Protonierung eines Alkens entstehendes Carbonium-Ion und wird daher leichter gebildet. Die ^-Übertragung im ersten Schritt ist zwar langsam, doch führt sie zu einer strukturell geeigneten und hinreichend reaktionsfähigen Zwischenstufe. Auf der Fortsetzung des Reaktionsweges zu den Produkten hin sind nur noch relativ niedrige Energiebarrieren zu überwinden.
2.3.5.3 Der Deuteriumoxid-Lösungsmittel Isotopeneffekt Als weiteres wertvolles Hilfsmittel zur Feststellung der geschwindigkeitsbestimmenden Wasserstoffionen-Übertragung dient die Messung des D 2 0-Lösungsmittel-Isotopeneffektes. Dazu wird k^ durch kinetische Untersuchung der Reaktion in saurer H 2 0-Lösung und gleichzeitig kj) durch Untersuchung der gleichen Reaktion in saurer D 2 0-Lösung bestimmt, wobei im letzteren Fall auch deuterierte Säure als Katalysator zu verwenden ist. (Zwischen dem Wasser und der OH- oder NH-Säure findet in der Regel schneller H-Isotopenaustausch statt. Im Fall von CH-Säuren ist jedoch der Isotopenaustausch mit dem Lösungsmittel meist langsam und in vielen Fällen vernachlässigbar.) Als Isotopeneffekt bezeichnet man hier das Verhältnis der einander entsprechenden säurekatalytischen Geschwindigkeitskonstanten, kn/ko· Es handelt sich um einen primären Wasserstoff-Isotopeneffekt, da bei der Bildung des Übergangszustandes ein Wasserstoffion von seiner ursprünglichen Bindung gelöst wird. Von einer vollständigen Behandlung der Theorie der Isotopeneffekte soll hier abgesehen werden. Es ist zum qualitativen oder semi-quantitativen Verständnis des primären Wasserstoff-Isotopeneffektes ausreichend, die quantenmechanische Nullpunktsenergie zu betrachten, die den wichtigsten Beitrag für diesen liefert. Für die Frequenz der Streckschwingung der Bindung zwischen
82
2 Homogene Katalyse
zwei Atomen Α und Β gilt (soweit Kopplung mit Bewegungen anderer Bindungen vernachlässigt werden darf): f V ^ 2π mr
(38)
wobei m r die reduzierte Masse bedeutet: l/mr = l/mA + l/mB
(39)
Wenn es sich bei Β um ein H- oder D-Atom handelt, dessen Masse viel kleiner ist als diejenige von A, dann gilt annähernd m r m n bzw. m r « m ß . (Auch ist in einem solchen Fall die Kopplung mit Bewegungen anderer an A gebundener Atome von geringerem Einfluß auf die Frequenz.) Das Verhältnis der entsprechenden Schwingungen von an Α gebundenen H- und D-Atomen muß also gemäß Gl. (38) VRIvD ä V ^ W ^ D ä betragen. Nun befinden sich aufgrund der Quantenmechanik derartige Systeme auch bei sehr tiefen Temperaturen nie im Zustande völliger Ruhe (d.h. im Energieminimum), sondern fuhren immer zumindest die sogenannte Nullpunktsschwingung mit der Energie € aus. eo = i h *
(40)
Die Schwingungsquantenzahl ν beträgt hier 0. Weiterhin sind die folgenden höheren Schwingungszustände (höheren Quantenzahlen entsprechend) mit den Energien €y möglich: ev = h K v + - ^ ) ,
v
= 0,1,2,3,...
(41)
Bereits bei ν = 0 besteht somit ein nicht vernachlässigbarer Unterschied zwischen den Energien der gebundenen H- und D-Atome (s. Abb. 2.3), da sich ja die Schwingungsfrequenzen v^ und v^ stark voneinander unterscheiden: A6o=yh(^-^)
(42 a)
Zur Berechnung der Nullpunktsenergiedifferenz pro Mol ist mit der Loschmidtschen Zahl zu multiplizieren: ΔΕ 0 = N L Ae 0 = y N L h ( ^ H -
(42b)
Die Arbeiten zur Ablösung der beiden Isotopen von der gleichen Position einer bestimmten Verbindung (bis zum Erreichen des Übergangszustandes, s. Abb. 2.3) müssen sich um diese Differenz der Nullpunktsenergien voneinander unterscheiden. Da das Energieniveau für das schwerere Isotop tiefer
83
2.3 Beispiel-Reaktionen fiir die Mechanismen der Säure-Base-Katalyse
liegt, darf man erwarten, daß die D-Ablösung unter gleichen Bedingungen langsamer verläuft als die H-Ablösung Q p / l p > 1 ) . (Dabei ist es gleichgültig, ob der Wasserstoff als neutrales Atom oder als positives oder negatives Ion abgelöst wird.) Ein solcher „normaler" Isotopeneffekt kommt z.B. bei der Bildung von Enolat-Ion unter Einwirkung von Basen auf ein Keton vor (z.B. CH3COCH3 im Vergleich zu CD3COCD3). Die experimentellen Werte für die Differenzen der Freien Energien: AG d * - A G h + = RTln(k H /k D )
(43)
sind dabei etwas kleiner als die aus der CH-Streckschwingungsfrequenz berechnete Differenz der Nullpunktsenergien. (Bei diesem Beispiel liegt ein primärer Snösfraf-Isotopeneffekt vor.)
Abb. 2.3: Nullpunktsenergien gebundener H- und D-Atome.
Auch wenn ein Proton H+ (bzw. ein Deuteron D + ) im geschwindigkeitsbestimmenden Schritt einer A-Sg 2-Reaktion von H 3 0 + (bzw. D 3 0 + ) abgelöst wird und mit einem Substrat einen Übergangszustand bildet, dann ist ein normaler Isotopeneffekt mit k^/kp > 1 zu erwarten. Hier handelt es sich nun um den Lösungsmittel-Isotopeneffekt auf eine säure katalytische Reaktion. Im Falle der Mechanismen Al und A2 tritt die Wasserstoffionen-Übertragung vom Hydronium-Ion auf das Substrat in einem vorgelagerten Gleichgewicht ein. Es kommt also auf den Lösungsmittel-Isotopeneffekt auf das Gleichgewicht der Bildung von SH+ (bzw. SD+) an. Lösungsmittel-Isotopeneffekte auf Aciditätskonstanten von Säuren liegen normalerweise im Bereich von 1,8 bis 5, — in leichtem Wasser sind die Säuren also stärker als in schwerem Wasser. Soweit es sich KHA/KDA,
84
2 Homogene Katalyse
um elektrisch neutrale OH-Säuren handelt, sind diese Isotopeneffekte darauf zurückzuführen, daß bei der Reaktion: H30+ (D30+) + A-
HA (DA) + H 2 0 ( D 2 0 ) -
drei OH-Bindungen vom Wasser-Typ in solche vom Oxonium-Typ übergehen. Die OH-Streckschwingungsfrequenzen im Hydronium-Ion und folglich auch Nullpunktsenergien und Nullpunktsenergie-Differenzen sind nämlich kleiner als die entsprechenden Größen im Wasser. Somit sind die höheren Nullpunktsenergie-Differenzen der Verbindungen auf der linken Seite des Gleichgewichts maßgebend für die Richtung des Isotopeneffektes: HA in H 2 0 muß leichter dissoziieren als DA in D 2 0 . Entsprechenderweise gehen bei der Reaktion: SH + (SD + ) + H 2 0 ( D 2 0 ) ^ H 3 0 + ( D 3 0 + ) + S zwei OH-Bindungen vom Wasser-Typ in solche vom Oxonium-Typ über. Man darf hier annehmen, daß die OH-Bindung in einem Oxonium-Ion SH + derjenigen in H 3 0 + ähnelt. Auch hier muß K § h / K s d > 1 sein, wenn auch nicht so groß wie KHA/KDA bei neutralen Säuren. Immerhin ist ein Wert von KS Η/KS D = 2,3 für den O-protonierten 2,4,6-Trimethylbenzaldehyd gefunden worden.
Bei Al-Reaktionen und A2-Reaktionen gilt für die säurekatalytische Geschwindigkeitskonstante : KH = K I I , H / K S H
UND
K
D
=
K
II,D/KSD
(30)
Man darf annehmen, daß kjjjj ^ kjiD, d.h. daß der Isotopeneffekt auf den langsamen zweiten Schritt vernachlässigbar ist, soweit in diesem Schritt keine weitere Übertragung eines isotopensubstituierten Wasserstoffs stattfindet. Daher gilt für den D 2 0-Lösungsmittel-Isotopeneffekt in den Mechanismen A l und A2: k H / k D « K S d/Ksh- Aus K S H / K S D > 1 folgt dann: k H / k D < 1. Dieses Resultat steht deutlich im Gegensatz zu demjenigen für den A-Sg 2Mechanismus.
Bei der Hydrolyse von Äthylvinyläther wird k n / k p = 3 , 2 gefunden, wodurch der A-SE 2-Mechanismus erneut bestätigt wird. Tab. 2.10 enthält weitere Beispiele für den Lösungsmittel-Isotopeneffekt auf säurekatalytische Reaktionen verschiedener Mechanismen. Man erkennt, daß im allgemeinen die theoretischen Voraussagen gut erfüllt sind.
2.3 Beispiel-Reaktionen für die Mechanismen der Säure-Base-Katalyse
85
Tab. 2.10: DjO-Lösungsmittel-Isotopeneffekte bei säurekatalytischen Reaktionen in Wasser
Reaktion
Temp.
kH/ k D
Mechanismus
Hydrolyse von Dimethylacetal
25°
0,37
A 1
Rohrzucker-Inversion
25°
0,49
A 1
Hydrolyse von Methylacetat
25°
0,60
A 2
Hydrolyse von Acetamid
25°
0,69
A 2
Hydrolyse von Äthylenoxid
25°
0,45
A 2
Hydrolyse von Äthyldiazoacetat
25°
0,35
A 2
Bromierung von Aceton
25°
0,48
A 2
Hydrolyse von p-Nitrophenyldiazomethan
20°
2,5
A-S E 2
Wasser-Addition an Trimethyläthylen
30°
1,22
A-S E 2
Wasser-Addition an 1-Methyl-1-cyclopenten
30°
0,93
A-S E 2
Wasser-Addition an Isobuten
25°
1,45
A-S E 2
Wasser-Addition an 1 -Phenyl- 1,3-butadien
25°
2,97
A-Se2
Hydrolyse von Äthylvinyläther
25°
3,2
A-S E 2
Hydrolyse von 2-Chloräthylvinyläther
25°
2,5
A-S E 2
Tritium-Abspaltung von l,3,5-Trimethoxybenzol-2-t (erste Reaktionsstufe)
25°
3,6
A-S E 2
Decarboxylierung von 2,4-Dihydroxybenzoat-Ion
50°
1,76
A-S E 2
2.3.6 Weitere Beispiele für den A-SE2- Mechanismus
2.3.6.1 Wasser-Addition an Alkene Durch Einwirkung wäßriger Säurelösungen werden Alkene zu Alkoholen umgesetzt: R 2 C=CR 2 + H 2 0
R2CH-CR2OH
Die Geschwindigkeitsgleichung ν = k H [Alken] [ H 3 0 + ] ist in verdünnten Säurelösungen im allgemeinen gut erfüllt. Bei diesen Reaktionen sind jedoch die Verhältnisse weniger klar überschaubar, da zumindest
86
2 Homogene Katalyse
bei allen rein aliphatischen Alkenen ohne weitere funktionelle Gruppen in wäßriger Lösung keine allgemeine Säurekatalyse beobachtbar ist und der Lösungsmittel-Isotopeneffekt nahe bei 1 liegt (bisweilen sogar etwas tiefer). Daher war früher bisweilen angezweifelt worden, daß es sich hier auch um geschwindigkeitsbestimmende Wasserstoffionen-Übertragungen handelt. Was die Reaktionsfähigkeit anbetrifft, so werden Isobuten und Trimethyläthylen schon in verdünnten Säurelösungen zu tert-Butanol bzw. tert-Amylalkohol umgesetzt. Propen reagiert erst in 8 m Perchlorsäure mit bequem meßbarer Geschwindigkeit, Athen sogar erst in 12 m Perchlorsäure. Aus der Temperaturabhängigkeit der Geschwindigkeitskonstanten erhält man folgende Werte für die Aktivierungsenthalpie und die Aktivierungsentropie: WasserAddition an Isobuten: AH* = 21,1 kcal, AS* = - 8 cal/grad; Wasser-Addition an Trimethyläthylen: AH* = 22,2 kcal, AS* = - 5 cal/grad. Das Aktivierungsvolumen AV* ist bestimmt worden für die Wasseranlagerung an Propen (—9,6 cm 3 ) und an Isobuten (—11,5 cm 3 ) Sowohl die Werte von AV* als auch diejenigen von AS* schließen den AlMechanismus aus. Eine Entscheidung zwischen den Mechanismen-Typen A2 und A-Se2 ist aufgrund dieser Daten allein nicht möglich. Zur Prüfung, ob der Protonenanlagerungsschritt im Mechanismus der AlkenHydratation ein vorgelagertes Gleichgewicht darstellt, läßt sich folgende Methode anwenden: Trimethyläthylen wird mit 50 Mol% D 2 0-Lösung zur Reaktion -gebracht, die 1 m Salpetersäure enthält. Nach Ablauf einer Halbwertzeit wird das nicht umgesetzte Alken zurückgewonnen und auf infrarot-spektroskopischem Wege auf seinen D-Gehalt untersucht. Es zeigt sich, daß unter diesen Bedingungen keine nachweisbaren Mengen Deuterium im zurückgewonnenen Alken vorhanden sind. Danach kann die Addition von H + bzw. D + im ersten Schritt der Reaktion nicht umkehrbar sein. Sowohl aus Trimethyläthylen als auch aus 2-Methyl-l-buten entsteht bei der säurekatalytischen Wasser-Anlagerung tert-Amylalkohol praktisch als einziges Produkt. Wenn man von einem dieser beiden Alkene ausgeht und es in wäßriger Säurelösung reagieren läßt, so enthält nach 50-prozentigem Umsatz das Reaktionsgemisch keine nachweisbaren Mengen des anderen Isomeren. Mit einer zumindest teilweisen Umlagerung während des Ablaufs der Wasseranlagerungsreaktion wäre aber zu rechnen, wenn die Protonierung des Alkens unter Bildung eines Carboniumions eine vorgelagerte Gleichgewichtsstufe darstellen würde. Die Isomerisierung käme dann durch Ablösung eines anderen Protons vom Carboniumion zustande. Läge das Gleichgewicht der beiden Isomeren zufällig stark auf der Seite des eingesetzten Alkens, so müßte bei Einsatz des anderen Isomeren Umlagerung zu beobachten sein.
2.3 Beispiel-Reaktionen fur die Mechanismen der Säure-Base-Katalyse
87
CH 3 X
C C = CCHHCCHH3
+
CH2 XN
C-CH2CH3
CH3
Da aber tatsächlich keine merkliche Umlagerung parallel zur Alkohol-Bildung stattfindet, muß man den Schluß ziehen, daß die Carboniumion-Zwischenstufe viel schneller mit H 2 0 unter Produktbildung reagiert, als wieder ein Proton abspaltet. Diese Ergebnisse sprechen also für eine geschwindigkeitsbestimmende H+Übertragung von H 3 0 + auf das Alken im ersten Schritt, durch die eine Carboniumion-Zwischenstufe gebildet wird. Die Reaktion der Zwischenstufe mit H 2 0 verläuft als schneller Folgeschritt. Wenn auch allgemeine Säurekatalyse nicht beobachtet werden kann, so darf dieser A-SE 2-Mechanismus trotzdem nicht ausgeschlossen werden, denn es ist möglich, daß in diesen Beispielen die katalytischen Konstanten für allgemeine Säuren so klein sind, daß sie im Vergleich zur H 3 0 + -katalysierten Reaktion nicht merklich zur Gesamtgeschwindigkeit des Umsatzes beitragen können. Ein solcher Fall ist zu erwarten, wenn der Brönsted-a-Wert nahe bei 1 liegt, was auf einen Carboniumionähnlichen (und nicht Alken-ähnlichen!) Übergangszustand hinweist. Gerade ein solcher Übergangszustand, in welchem die H"t)bertragung von H 3 0 + auf das Alken sehr weit forgeschritten ist, muß für ein Beispiel mit einem äußerst schwach basischen Substrat zutreffen (s. Abschnitt 2.2). Zum Verständnis der für den Lösungsmittel-Isotopeneffekt erhaltenen Werte sind zwei Dinge zu berücksichtigen: Wenn im Übergangszustand des A-SE2Mechanismus die H+-Übertragung von H 3 0 + auf das Alken sehr weit fortgeschritten und somit die Bindung zwischen H 2 0 und H + weitgehend gelöst ist, dann sind zwei Hydronium-OH-Bindungen weitgehend wasserähnlich geworden. Da im Wasser die Nullpunktsenergien der OH- oder OD-Bindung weiter auseinanderliegen als im Hydronium-Ion, tragen sie hier einen Faktor kleiner als 1 zum Lösungsmittel-Isotopeneffekt bei. Weiterhin kann der pri-
88
2 Homogene Katalyse
märe Isotopeneffekt des übergehenden H + bzw. D + bedeutend kleiner als der Maximalwert sein und dem Wert 1 verhältnismäßig nahekommen, wenn der Übergangszustand stark unsymmetrisch — d.h. entweder ausgangsverbindungsähnlich oder produktähnlich ist. In der Tat entspricht ein produktähnlicher Übergangszustand den Erwartungen für die diskutierte Reaktion. Somit ist auch ein Wert von kn/kß bei 0,9 hier noch mit einem A-Sß 2-Mechanismus vereinbar.
2.3.6.2 Elektrophile aromatische Substitution unter Eintritt von Η (und Abspaltung einer funktionellen Gruppe) Der Isotopenaustausch von Wasserst offat omen am aromatischen Ring ist eine säurekatalytische Reaktion. Seine Kinetik läßt sich am besten untersuchen durch Verfolgung der Tritium-Abspaltung von aromatischen Verbindungen, die an einer bestimmten Position mit Tritium markiert sind. Als Beispiel sei die Detritierung von l,3,5-Trimethoxybenzol-2-t erwähnt.
OMe Die Geschwindigkeit des Tritium-Verlustes der aromatischen Verbindung in wäßriger Lösung ist proportional dem Produkt der Konzentrationen von H 3 0 + und Substrat. In Pufferlösungen kann allgemeine Säurekatalyse sehr gut festgestellt werden. Sie liefert hinreichende Evidenz für langsame und geschwindigkeitsbestimmende Wasserstoffionen-Übertragung. Die detaillierte Analyse der experimentellen Daten des Lösungsmittel-Isotopeneffektes und des Substrat-Isotopeneffektes (D statt Τ am aromatischen Ring), auf welche hier nicht näher eingegangen werden soll, bestätigt die langsame ^-Übertragung und zeigt außerdem, daß eine Zwischenstufe durchlaufen wird. In die-
2.3 Beispiel-Reaktionen für die Mechanismen der Säure-Base-Katalyse
89
ser sogenannten sigma-Komplex-Zwischenstufe wird eines der ursprünglichen π-Elektronenpaare des aromatischen Ringes zur Bindung des angelagerten Protons verwendet. Dabei geht das C-Atom, das gleichzeitig Η und Τ trägt, in die sp3-Konfiguration über. Der aromatische Ring enthält dann nur noch vier π-Elektronen, die zu fünf C-Atomen gehören, und trägt demzufolge eine positive Ladung. Im Fall des mono-protonierten 1,3,5-Triaminobenzols ist der sigma-Komplex in schwach saurer Lösung beständig, und das UV-Spektrum zeigt, daß tatsächlich C-Protonierung und nicht N-Protonierung vorliegt. Für die Decarboxylierung substituierter Salicylsäuren bei pH-Werten um 2 und höher gilt die Geschwindigkeitsgleichung: ν = kn [ArCOCT] [H 3 0 + ]. Im Beispiel des 4-Aminosalicylat-Ions läßt sich allgemeine Säurekatalyse durch Essigsäure, Anilinium-Ion und Pyridinium-Ion beobachten. Im Fall der H 3 0 + katalysierten Decarboxylierung von 2,4-Dihydroxybenzoat-Ion beträgt der Lösungsmittel-Isotopeneffekt kn/kß = 1,76. Ein Carboxyl-13C-Isotopeneffekt ist im erwähnten pH-Bereich (bei nicht zu hohen Pufferkonzentrationen) abwesend. Somit liegt auch hier hinreichende Evidenz für einen A-SE2-Mechanismus mit geschwindigkeitsbestimmender H+-Übertragung vor. (Weitere experimentelle Tatsachen bestätigen eindeutig das Durchlaufen der unstabilen sigma-Komplex-Zwischenstufe.) COCT
H
COO"
R In vielen Fällen ist im pH-Bereich um 2 und tiefer (bei den Salicylsäuren erst bei pH = 1 und tiefer) noch eine zusätzliche Reaktion zu beobachten, deren Geschwindigkeit dem Produkt der Konzentrationen von H 3 0 + und undissoziierter Säure HA proportional ist. Es gilt dann: ν
=
ku [A ][H 3 0 + ] + k{j A [HA][H 3 0 + ]
In der Zusatzreaktion bildet sich offenbar im langsamen Schritt der sigmaKomplex
2 Homogene Katalyse
90
Η
COOH
Λ! ! V R
Dieser spaltet erst nach Übergang seiner COOH-Gruppe in eine COO -Gruppe C0 2 ab. Es sei hier noch kurz erwähnt, daß bei Mineralsäure-Konzentrationen um 1 η und höher (pH = 0 oder tiefer) ein Wechsel des geschwindigkeitsbestimmenden Schrittes der Decarboxylierung eintritt, was durch Auftreten eines primären 13C-Isotopeneffektes (k 12 /k 13 = 1,03 bis 1,04) und Absinken des Lösungsmittel-Isotopeneffektes belegt wird. Infolge der hohen H+-Konzentration in der Lösung kann dann nur ein sehr kleiner Bruchteil der Konzentration des sigma-Komplexes mit COOH-Gruppe in den sigma-Komplex mit COO Gruppe überfuhrt werden. Dann wird die C02-Abspaltungsgeschwindigkeit klein im Vergleich zur Geschwindigkeit der Rückreaktion der sigma-Komplexe zu HA und A~ hin; d.h. die C0 2 -Abspaltung vom sigma-Komplex wird nun langsam und geschwindigkeitsbestimmend. Dadurch ändert sich dann auch die pH-Abhängigkeit der Reaktionsgeschwindigkeit.
2.3.6.3 Hydrolyse von Orthoestern Es ist zu erwarten, daß die Hydrolysen von Acetalen, Ketalen und Orthoestern über einen gemeinsamen allgemeinen Mechanismus verlaufen, wobei einander entsprechende Zwischenstufen vorkommen.
RCH (OR')
+H+^
/
RCH
Acetale
RCH (ORT + ROH ( w e i t e r e Schritte)
RCHO + H+ RC(0R') 3 Orthoester
R-C-O-R' OR'
R-CIOR'JJ + ROH (weitere Schritte)
RCOOR'
2.3 Beispiel-Reaktionen für die Mechanismen der Säure-Base-Katalyse
91
Allerdings kann je nach Substrat die Position des geschwindigkeitsbestimmenden Schrittes im Mechanismus verschieden sein. Bei der Hydrolyse von Acetalen ist gewöhnlich der zweite Schritt der langsame, es liegt also ein Al-Mechanismus vor. Die säurekatalytische Hydrolyse von Äthylorthoformiat verläuft 6 Zehnerpotenzen schneller als diejenige von Diäthylformal. Äthylorthocarbonat wird allerdings wieder langsamer hydrolysiert als Äthylorthoformiat.
Η Ν ' Η
OC2H5 N
-OC · 2·H5
Rel. Geschwindigkeit 1
C2H5O < H
OC2H5
Y ' X OC 2 H 5 CQ 10
>
C2H5O
OC2H5
-C 2 H 5 O^
Ν OC 2 H 5 ca 2 - 1 0 5
Eine Erhöhung von kn um 6 Zehnerpotenzen bei Ersatz eines Η durch OC2H5 ist im Fall eines Al-Mechanismus zu erwarten, denn das im langsamen Schritt entstehende Carbonium-Ion wird durch die einsamen Elektronenpaare der zusätzlichen C 2 H s O-Gruppe noch besser stabilisiert. Im Fall eines A2-Mechanismus wäre jedoch sterische Hinderung des Angriffs von H 2 0 durch die ziemlich große C 2 H s O-Gruppe zu erwarten. Im Fall einer geschwindigkeitsbestimmenden H+Übertragung (A-Sg 2-Me chanismus) wäre eine Erhöhung von k^ auch nicht zu erwarten, da ja Äthylorthoformiat schwächer basisch ist als Diäthylformal (elektronenanziehender induktiver Effekt des O-Atoms der Alkoxygruppe). Folglich darf der Al-Mechanismus auch für die Hydrolyse von Äthylorthoformiat als gesichert betrachtet werden. Der Wert von AV* (Tab. 2.5) ist ebenfalls mit dem Al-Mechanismus vereinbar. Die Werte der relativen Reaktionsgeschwindigkeiten deuten aber auf einen Wechsel des geschwindigkeitsbestimmenden Schrittes beim Übergang von Orthoformiat zu Orthocarbonat hin. Weiterhin ist bei der Hydrolyse von Äthylorthoacetat, Äthylorthopropionat und Äthylorthocarbonat in wäßriger Lösung allgemeine Säurekatalyse in eindeutiger Weise beobachtbar! Somit hat man die Wahl zwischen den Mechanismen-Typen A-Sg2 und A2. Trotz des Ersatzes von Η durch CH3 bzw. C 2 H S verlaufen die Reaktionen von Orthoacetat und Orthopropionat schneller als die Al-Hydrolyse von Orthoformiat. Es ist also keine sterische Hinderung wirksam. Damit darf auch in diesen beiden Beispielen ein A2-Mechanismus als ausgeschlossen betrachtet werden, und es bleibt nur der A-Sg 2-Mechanismus übrig. Die Geschwindigkeit der säurekatalytischen Hydrolyse von Äthylorthocarbonat ist in Gegenwart von 0,04 η NaJ ebenso groß wie in Gegenwart von
2 Homogene Katalyse
92
0,04 nNaC10 4 . Ein nucleophiler Angriff von J~ auf das protonierte Substrat findet somit nicht statt, folglich darf man auch einen Angriff des schwächer nucleophilen H20-Moleküls (A2-Mechanismus) ausschließen. Auch hier bleibt nur der A-Sg 2-Mechanismus übrig. Ein Lösungsmittel-Isotopeneffekt ist nur bei der säurekatalytischen Hydrolyse von Äthylorthocarbonat gemessen worden: kn/kp = 0,7. Ein solcher niedriger Wert ist bei einer geschwindigkeitsbestimmenden H+-Ubertragung möglich, sofern der Übergangszustand produktähnlich ist, was man bei diesem sehr schwach basischen Substrat durchaus erwarten darf (s. hierzu die entsprechende Diskussion bei der Wasser-Addition an Alkene). Eine weitere Möglichkeit der Diskussion des Mechanismus der OrthoesterHydrolyse beruht auf der Betrachtung der Geschwindigkeitskonstanten der Teilschritte und ihrer Wertbereiche. kj ku H 3 0 + + S ^ SH+ (+ H 2 0) -* weitere Zwischenstufen k.i
KSH = k,/k,
Werte für die Aciditätskonstanten der protonierten Substrate lassen sich abschätzen unter Benutzung bekannter Beziehungen zwischen Struktur und Basenstärke bei aliphatischen Verbindungen (Taft-Regel). Aufgrund der für den Al-Mechanismus gültigen Gl. (30) k H = kn/KsH
(30)
kann man aus diesen Ksn-Werten und den experimentellen Daten für kn geschätzte Werte für kn (= berechnen. Das ist in Tab. 2.11 ausgeführt. Tab. 2.11: Hydrolyse von Acetalen, Ketalen und Orthoestern. Geschätzte pK-Werte und Geschwindigkeitskonstanten der Teilschritte
Substrat
k
CH 3 CH(OC 2 H 5 ) 2
7,4
P K SH+ (ber.)
ku (ber.) is1 ]
kl (ber.) [s-'mol'l]
· 10"1
-5,2
5 1,2 · 10
6
(CH 3 )jC(OC 2 H 5 ) 2
1,99 · 10 3
-4,9
1,6 · 10"
1,2 · 10 6
HC(OCjH s ) 3
5,64 · 10 2
-6,8
3,5 · 10»
1,6 · 10 4
CH 3 C(OC i H 5 ) 3
2,21 · 10"
-6,5
7,0 · 10'°
3,1 · 10"
0 6 Η 5 αθ€ 2 Η 5 ) 3
3,36 · 10 s
-7,5
1,1 ·
10 10
3,1 · 10 3
CiOCjHjV
9,1
· 101
-8,4
2,4 · 10'°
4,0 · 10*
H (exper.) [s-1 mol-' 1]
· 10 s
2.3 Beispiel-Reaktionen für die Mechanismen der Säure-Base-Katalyse
93
Eine obere Grenze der möglichen Werte für kn ist gegeben durch die Geschwindigkeitskonstante einer diffusionsbestimmten Reaktion, die in der Größenordnung von 10 11 s' 1 liegt. Aber schon wenn der aus kn und Ksh berechnete Wert für kn dieser Grenze nahekommt, sind die Voraussetzungen für den Al-Mechanismus nicht mehr erfüllt. Die Geschwindigkeitskonstante k _ j der Rückreaktion von der Zwischenstufe SH+ muß ja entweder auch in der Nähe von 1-011 s"1 oder bei einem tieferen Wert liegen. Die Rückreaktion tritt dann entweder ebenso häufig wie — oder weniger häufig als die Vorwärts-Reaktion des 2. Schrittes ein, man kann also nicht mehr von einem vorgelagerten Gleichgewicht und einem langsamen und geschwindigkeitsbestimmenden 2. Schritt sprechen. Der 2. Schritt ist dann ja schnell und der 1. Schritt ist entweder teilweise oder ausschließlich geschwindigkeitsbestimmend; es handelt sich also um einen A-SE2-Mechanismus. Das betrifft die Beispiele der Hydrolysen von Äthylorthoacetat und Äthylorthocarbonat, möglicherweise auch von Äthylorthobenzoat (Tab. 2 . 1 1 ) . Andererseits kann man aus den geschätzten Werten für Ksh obere Grenzen für ki (= k.j/Ksjj) berechnen, indem man k j = 1 0 n s"1 (diffusionsbestimmte Reaktion) setzt. Diese sind ebenfalls in Tab. 2.11 enthalten. Im Fall von Äthylorthoacetat und Äthylorthocarbonat sind die experimentellen Werte für kn in der gleichen Größenordnung (wie verlangt etwas tiefer) wie die oberen Grenzen für kj. Dadurch wird eine einwandfreie zusätzliche Bestätigung des A-SE2-Mechanismus mit geschwindigkeitsbestimmenden 1. Schritt für diese beiden Beispiele geliefert.
2.3.7 Kinetik und Mechanismen basenkatalytischer Reaktionen 2.3.7.1 Allgemeines Bei basenkatalytischen Reaktionen wird eine reaktionsfähige Zwischenstufe entweder durch Abspaltung eines Wasserstoffions oder durch Anlagerung eines Hydroxidions gebildet. Diese Reaktionsschritte können als vorgelagertes Gleichgewicht vorkommen oder aber auch den langsamen und geschwindigkeitsbestimmenden Schritt bilden. Weiterhin kann sogar in manchen Fällen die Anlagerung von OH und Abspaltung einer anderen Partikel im gleichen Reaktionsschritt stattfinden. Was die Bezeichnungen dieser verschiedenen Mechanismen betrifft, so existiert bis heute leider kein einheitliches und konsequent durchgeführtes System einer Nomenklatur. Die von Ingold stammenden Bezeichnungen Al,
2 Homogene Katalyse
94
A2, B1 und B2 beziehen sich in erster Linie auf die Esterhydrolyse. Bei den Mechanismen-Typen Al und A2 reagieren die protonierten Formen der Ester, es handelt sich also um Säurekatalyse. Al und A2 haben genau die gleiche Bedeutung wie hier in den vorhergehenden Abschnitten definiert. Bei den Mechanismen-Typen B1 und B2 (nach Ingold) muß es sich jedoch nicht unbedingt um basenkatalytische Reaktionen handeln. Nach der Ingoldschen Bezeichnungsweise bedeutet das B, daß die basische, also unprotonierte (und undeprotonierte!) Form des Esters reagiert. Bei der Bl-Reaktion tritt unimolekularer Zerfall des Esters ein, es liegt also überhaupt keine Basenkatalyse vor. Die im gewöhnlichen Sprachgebrauch als basische Esterhydrolyse bezeichnete Reaktion ist eine B2-Reaktion mit nucleophilem Angriff von OH — auf das Estermolekül. Für eine Klassifizierung der verschiedenen Typen basenkatalytischer Reaktionen sind die Ingoldschen Bezeichnungen somit nicht brauchbar.
2.3.7.2 Deprotonierung im vorgelagerten Gleichgewicht Bei der basenkatalytischen Zersetzung von Diacetonalkohol und von N-Hydroxymethyl-Verbindungen wird das Wasserstoffion von einer alkoholischen OH-Gruppe abgespalten. Im ganzen sind diese Zersetzungsreaktionen langsam, und ihre Geschwindigkeiten sind mit konventionellen Methoden meßbar. Es gilt jeweils die Gleichung: ν = k 0 H [HS] [OH~]
(43)
Andererseits weiß man, daß Hydroxyverbindungen in hydroxylischen Lösungsmitteln den Wasserstoff schnell austauschen (Isotopenaustausch-Experimente). Folglich findet Deprotonierung durch die einwirkende Base im vorgelagerten Gleichgewicht statt. Erst ein späterer Reaktionsschritt ist geschwindigkeitsbestimmend. Zersetzung von Diacetonalkohol OH
|0|
CH 3 COCH 2 C-CH 3 + O H - ^ CH 3 COCH 2 C-CH 3 + H 2 0
ι
CH33
I
(schnell)
CH3
|Oi
ο
CH 3 COCH 2 C-CH 3 -»> CH 3 COCH 2 -N = N RCH=N( + )=^ _ ) bei der Protonierung. Je nach Substrat kann der Protonierungsschritt oder die Abspaltung von N2 im Folgeschritt geschwindigkeitsbestimmend sein.
2.4.2 Mechanismen der Basenkatalyse Wie im Abschn. 2.3.7 bereits vom Standpunkt der Mechanismen-Typen aus erwähnt, entsteht die reaktionsfähige Zwischenstufe einer basenkatalytischen Reaktion entweder durch Abspaltung von H + oder durch Anlagerung von OH - . Für das Verständnis der Zusammenhänge zwischen Struktur des Substrates und Mechanismus der Basenkatalyse ist es wesentlich, daß im Deprotonierungsschritt normalerweise eine reaktive nucleophile Partikel entsteht. Im Fall der Deprotonierung einer OH- oder NH-Bindung geht eine schwach
2.4 Struktur und Mechanismus bei der Säure-Base-Katalyse
103
nucleophile in eine stark nucleophile Partikel über. Es existieren also sehr viele Reaktionsmöglichkeiten je nach Gegenwart anderer Verbindungen. Ein besonders interessantes Beispiel für eine mit der Deprotonierung einer OH-Bindung beginnende Reaktionsfolge ist die basenkatalytische Bildung eines Epoxids. Hierbei tritt eine intramolekulare nucleophile Substitution ein: X-CH 2 CH 2 -OH + OH" X-CH2CH2-0" — -
X - C H 2 C H 2 - 0 " + H20 CH2-CH2+X" X 0
Der auf die Deprotonierung einer OH-Gruppe folgende Reaktionsschritt kann in anderen Beispielen die Umkehrung einer nucleophilen Addition an ein Carbonyl-C-Atom sein. Auf diese Weise kann ein Hydrat einer Carbonylverbindung oder ein Hemiacetal bzw. Hemiketal basenkatalytisch gespalten werden: R
OH
R V R
+ OH" ^ R
OR'
R
0®
R
0-R'
R'
0® + H20 0-R'
C = 0 + R'-O® RX
X
Befindet sich ferner ein Amid-N-Atom am mit der OH-Gruppe verbundenen C-Atom, so kann im Folgeschritt der Deprotonierung ein Imid-Anion abgespalten werden. Dieser Fall liegt vor bei der Zersetzung einer N-Hydroxymethyl-Verbindung (s. Abschn. 2.3.7.2). Es ist sogar möglich, daß im Folgeschritt der Deprotonierung einer OH-Gruppe eine CC-Bindung gespalten wird, nämlich dann, wenn das dabei entstehende Carbanion hinreichend durch Mesomerie stabilisiert ist. Ein Beispiel hierfür ist die ebenfalls bereits diskutierte Zersetzung von Diacetonalkohol (s. Abschn. 2.3.7.2), in deren zweitem Reaktionsschritt das mesomere Anion des Acetons gebildet wird. Amine sind schwächere Säuren als Alkohole, besitzen aber andererseits schon vor ihrer Deprotonierung einen stark nucleophilen Charakter. Somit sind ihre Reaktionen meist nicht basenkatalysiert. Eine Ausnahme bildet das Nitramid (s. Abschn. 2.3.7.3). Die Säurestärke von CH-Bindungen in Alkanen und ihren Derivaten ist äußerst gering. Eine Deprotonierung durch Basen ist nur dann von Bedeutung,
104
2 Homogene Katalyse
wenn stark aktivierende (elektronenanziehende) Gruppen vorhanden sind, wie z.B. im Chloroform. Das Anion des Chloroforms zerfällt in einer Reihe von Folgeschritten: HCC13 + OH"
^ CCI3
CC13~
+ H20
CC12
+ er
HCOO
+ H 2 0 + 2 C1
(mehrere Teilschritte)
+ H20 + 2 CF
(mehrere Teilschritte)
CC12
+ 3 OH
CC12
+ 2 OH~ -*• CO
Die Deprotonierung von CH-Bindungen in α-Stellung zu Carbonyl-, Sulfonyloder Nitrogruppen unter der Einwirkung starker Basen ist eine langsame Reaktion, die bis zur Einstellung eines Gleichgewichts abläuft, das häufig stark auf der Seite der Ausgangsverbindung liegt. Die Geschwindigkeit der Deprotonierung ist meßbar durch Verfolgung des H-Isotopenaustausches des Substrats mit einem hydroxylischen Lösungsmittel. Eine andere Möglichkeit der kinetischen Untersuchung beruht auf dem Abfangen des Carbanions durch eine Folgereaktion mit einem geeigneten, sehr aktiven Reagenz wie Brom oder Jod (Halogenierung von Ketonen, s. Abschn. I). Sofern die Konzentration beider Reaktionspartner hinreichend hoch ist, kann ein Carbanion auch an das C-Atom der Carbonylgruppe eines anderen Moleküls addiert werden. Synthetische Anwendungen hiervon sind die AldolKondensation und die Diacetonalkohol-Kondensation (s. Abschn. 2.3.7.2). Die Säurestärke von CH-Bindungen in α-Stellung zu Carbonsäureester- oder Nitril-Gruppen ist sehr klein (pK > 20), und Additionsreaktionen der entsprechenden Carbanionen müssen daher in Abwesenheit von Wasser (und so weit als möglich auch von hydroxylischen Lösungsmitteln) durchgeführt werden, um hinreichend hohe Konzentrationen des Carbanions zu erzeugen. Als Beispiel sei der Mechanismus der Ciaisen-Kondensation erwähnt: CH3COOR
+ RO-
~CH2COOR + CH3COOR
^
CH2COOR + ROH
-
CH 3 -C(0~)CH 2 C00R dR
OR Bis hierher scheint es sich um eine Katalyse im strengen Sinne der Definition zu handeln: Alkoxy-Ionen setzen die Reaktionsfolge in Gang und werden im dritten Schritt wieder in Freiheit gesetzt. Nun ist aber die CH-Bindung in 2-Stellung des Acetessigesters stärker sauer als Alkohol. Es tritt also noch ein Folgeschritt ein, der die Base wieder verbraucht:
2.4 Struktur und Mechanismus bei der Säure-Base-Katalyse
CH3COCH2COOR + RCT
105
CH 3 C0CÄC00R + ROH
Aus diesem Grunde ist es notwendig, die äquivalente Menge Natriumalkoxid hinzuzufügen. Andererseits wird gerade durch Überführung des Acetessigesters in die konjugate Base das Gleichgewicht zugunsten vollständigen Umsatzes verschoben. Eng verwandt mit dem Mechanismus der Claisen-Kondensation sind die Mechanismen der Perkin-Kondensation und der Knoevenagel-Kondensation. Ein Spezialfall einer durch Basen in Gang gesetzten Deprotonierung einer CH-Bindung liegt vor, wenn gleichzeitig eine nucleophile Partikel von einem benachbarten C-Atom abgespalten werden kann. XCR 2 CR 2 H + Β
CR2=CR2 + BH+ +
Bei einer solchen bimolekularen ß-Eliminationsreaktion (Mechanismus Ε 2) tritt heterolytische Spaltung der C-X- und der C-H-Bindung im gleichen Reaktionsschritt ein, ohne daß eine Zwischenstufe gebildet wird. Offenbar ist die Energiebarriere für diesen „konzertierten" Vorgang kleiner als die Barrieren, die auf den Wegen über die Carbanion-Zwischenstufe oder die Carboniumion-Zwischenstufe zu den Produkten hin zu überwinden sind.
2.5 Weitere Arten von homogener Katalyse in Lösung 2.5.1 Nucleophile Katalyse Bei der nucleophilen Katalyse wird eine reaktionsfähige Zwischenstufe durch Anlagerung einer nucleophilen Partikel (Teilchen mit einsamen Elektronenpaaren) an das Substrat gebildet. Als typische Beispiele seien folgende Reaktionen erwähnt: die Formiat-katalysierte Hydrolyse von Acetanhydrid, H C 0
CH 3 CO + HCOO" ^
CH3-C—Öl9
CH3CO
CH3COO
HC^
OH2 Υ 2
I
0+H
2
0
ΓΜ ΓΠ
H C 0
°
°
C H 3 - C = 0 + CH3COO"
OH
_ Θ -Η
H - C - O r ? = f
I CH3COO
I
_Θ
H-C—0Γ
I CH3COO
HCOOH + CH3COO"
die Pyridin-katalysierte Hydrolyse von Acetanhydrid, C H
5 5N+ ^
CH3CO )θ
+ C5H5N
CH3C0
CHj-C-Ol®
— -
CH 3 CO- + NC 5 H 5 +
CH3COO-
CH3COO
CH 3 CO- + NC 5 H 5 + H 2 0
(mehrere Schritte,-H + )
CH 3 COOH + C 5 H 5 N
und die Pyridin-katalysierte Hydrolyse von p-Nitrophenylacetat C5H5N+
I
CH 3 CO-OAr + C 5 H 5 N
-
CH
3
_
-C-OI®—^
CH 3 -CO- + NC 5 H 5 +
ArO~
OAr CH 3 CO- + NC 5 H 5 + H 2 0
-
(mehrere S c h r i t t e . - H + )
CH 3 COOH + C 5 H 5 N
In allen diesen Beispielen geht die erste Zwischenstufe durch Abspaltung einer anderen nucleophilen Partikel in eine zweite Zwischenstufe über, die
2.5 Weitere Arten von homogener Katalyse in Lösung
107
leichter (d.h. mit höherer Reaktionsgeschwindigkeit) hydrolysierbar ist als das Substrat. So ist das gemischte Anhydrid HCOO · OC-CH3 leichter spaltbar als Acetanhydrid (stärkere Elektronenakzeptor-Wirkung von HCOO). Infolge der positiven Ladung ist N-Acetylpyridinium-Ion reaktionsfähiger als das neutrale Anhydrid. Der Übergang in die leichter hydrolysierbare zweite Zwischenstufe ist aber nur dann möglich, wenn das Substrat eine leicht abspaltbare nucleophile Gruppe (in diesen Fällen CH3COO bzw. p-NOa-QFUO) enthält. Bei der Hydrolyse von Äthylacetat (abzuspaltende Gruppe OC 2 H s ) tritt keine nucleophile Katalyse auf, wohl aber bei der Hydrolyse von Phenylacetat und Äthylthiolacetat (CH3CO · SC2H5). Im Spezialfall der besonders wirksamen nucleophilen Katalyse durch Imidazol wird die Zwischenstufe durch Abspaltung eines Protons stabilisiert:
Η Η •
Η Die Konzentration des N-Acetylimidazols ist hoch genug für den UV-spektrophotometrischen Nachweis. In anderen Fällen sind die Konzentrationen der Zwischenstufen viel kleiner. Im Fall einer nucleophilen Katalyse durch Y (= RCOO", Pyridin, aliphatisches Amin oder Imidazol) gilt jeweils die Reaktionsgeschwindigkeitsgleichung: v = k 0 [S] + koH [S][OH~] + k Y [S][Y] Typisch ist das Bestehen einer Brönsted-Beziehung zwischen log ky und dem pK-Wert von Y als Base. Die Werte für die Koeffizienten β liegen dabei häufig viel höher als 1 (z.B. bei 1,6).
2.5.2 Katalyse durch Metallionen Die Geschwindigkeit der Decarboxylierung von Acetondicarbonsäure HOOC-CH2COCH2-COOH
C0 2 + CH3COCH2COOH
108
2 Homogene Katalyse
wird durch Übergangsmetallionen in der Lösung erhöht. Dies ist das erste Beispiel einer Katalyse durch Metallionen, das quantitativ untersucht worden ist: Es ergibt sich die Geschwindigkeitsgleichung ν = k H A [ H A - | + k A [A
] + kMA[A—|[Mn+]
Der höchste Wert für die katalytische Konstante kjnA wird im Fall des Ions C u ^ erhalten. Etwas weniger aktive Katalysatoren sind die Ionen Ni4-1", Zn ++ und Co**. Auch die Ionen La"1-1-1", A1+_H" und Be^ haben eine deutliche katalytische Wirkung. Es besteht eine lineare Beziehung zwischen log k^A bei dieser Reaktion und dem Logarithmus der Komplexbildungskonstante der gleichen Metallionen mit Malonat-Ion. Daher darf man annehmen, daß die reaktionsfähige Zwischenstufe bei der Metallion-katalysierten Decarboxylierung von Acetondiacarboxylat-Ion ein Chelat-Komplex mit einer Carboxylatgruppe und dem Carbonyl-O-Atom als Liganden ist: CH 2n
I
/CH2-COO"
X'
Mn+ Der elektronenanziehende Effekt des Metallions in diesem Komplex erleichtert den Bruch der Bindung zwischen der CH2-Gruppe und der freien COO Gruppe: cHrfi-CH2C0°" ?
cHri~ÜH® —
o - i
?
+
C02
In den Folgeschritten wird ein Proton aus der Lösung aufgenommen (unter Bildung der CH3-Gruppe) und der Komplex wieder dissoziiert. Katalyse durch Metallionen mit verhältnismäßig schwachem Komplexbildungsvermögen tritt bei der basischen Hydrolyse von Halbestern aliphatischer Dicarbonsäuren auf: ~OOC-(CH2)n-COOR + OH~ ->
OOC-(CH2)n-COO
+ ROH
Diese Reaktion wird durch Calcium- und Barium-Ionen beschleunigt. Aus dem Vorhandensein der Konzentration des betreffenden Metallions als Faktor in der Geschwindigkeitsgleichung folgt dessen Anwesenheit im Übergangszustand der Reaktion. Wahrscheinlich tritt bereits zu einem kleinen Teil Komplexbildung zwischen Substrat und Metallion ein. Die elektronenanziehende Wirkung des Metallions begünstigt dann den nucleophilen Angriff von OH~ auf das Carbonyl-C-Atom der Estergruppe - in ähnlicher Weise,
2.5 Weitere Arten von homogener Katalyse in Lösung
109
wie die Carbonyl-O-Protonierung den Angriff von H 2 0 auf das C-Atom erleichtert. Ester von Aminosäuren können relativ stabile Komplexe mit Übergangsmetallionen bilden. Auch hier tritt bei den Komplexen viel schneller Hydrolyse der Estergruppe ein als bei den freien Aminosäureestern. Es gilt die Geschwindigkeitsgleichung ν = k [Metallion-Substrat-Komplex] [OH~] Die Metallion-Komplexe der Aminosäureester werden ungefähr ebenso schnell hydrolysiert wie die N-protonierten Aminosäureester. Auch hier spielt die Komplexbildung mit dem Metallion eine ähnliche Rolle im Mechanismus wie die Protonierung des Substrates. Weiterhin existieren zahlreiche Beispiele der Katalyse anorganischer oder organischer Reaktionen durch Metallionen, in deren entscheidendem Schritt die Oxidationsstufe des Metallions geändert wird. Bei solchen Reaktionen spielen somit Redox-Vorgänge eine wesentliche Rolle. Die Behandlung der Mechanismen derartiger Reaktionen fällt daher in ein anderes Gebiet, und es würde zu weit fuhren, an dieser Stelle auch noch darauf näher einzugehen.
2.5.3 Intramolekulare Katalyse Wenn das Substrat bereits die katalytische Gruppe enthält, dann kann intramolekulare Katalyse eintreten. Ein Beispiel hierfür ist die Jodierung des Anions der 5-Ketohexansäure: CH3COCH2 CH2 CH2COCT. Wie bei der Jodierung von Aceton ist der geschwindigkeitsbestimmende Schritt dieser Reaktion die Ablösung eines Protons von einer CH-Bindung, und zwar hier von einer in 4-Stellung. Die Geschwindigkeit der Jodierung der Anionen CH3CO(CH2)nCOO in wäßriger Lösung ohne Zusatz weiterer Basen oder Säuren weist fur η = 3 ein sehr hohes Maximum auf. Das läßt sich nur durch die Annahme erklären, daß das Proton dann nicht durch H 2 0 sondern durch die COO-Gruppe abgelöst wird, indem sich im Übergangszustand ein sechsgliedriger Ring bildet. 0
II
^CH 2V
CH3-C-CH
CH2
Es handelt sich also um eine intramolekulare Basenkatalyse.
2 Homogene Katalyse
110
Die Hydrolyse von Aspirin in annähernd neutraler Lösung ist ein Beispiel einer intramolekularen nucleophilen Katalyse. Dabei greift die COO -Gruppe in ortho-Stellung das Carbonyl-C-Atom unter Bildung einer Anhydrid-ähnlichen reaktionsfähigen Zwischenstufe an: II
II
_ Η
2.5.4 Polyfunktionelle Katalyse Ein polyfunktioneller Katalysator ist deshalb besonders wirksam, weil er zwei oder mehr reaktionsfähige Gruppen besitzt, die gleichzeitig mit verschiedenen Teilen des Substrat in Wechselwirkung treten können. Das wichtigste eingehend untersuchte Beispiel einer polyfunktionellen Katalyse ist die Mutarotation von Glucose unter der Einwirkung von 2-Hydroxypyridin. Die katalytische Wirkung einer 10"3 m Lösung von 2-Hydroxypyridin ist 7000 mal so stark wie diejenige einer Mischung von 10"3 m Pyridin und 10' 3 m Phenol. Es wird vermutet, daß hierbei im gleichen Reaktionsschritt Protonierung des Pyranose-O-Atoms (durch die saure Gruppe des Katalysators), Ablösung eines Protons von der Glucosid-OH-Gruppe (durch die basische Gruppe des Katalysators) und CO-Bindungsspaltung unter Ringöffnung eintritt. Die wichtigste Gruppe der polyfunktionellen Katalysatoren sind die Enzyme. Man darf annehmen, daß ein Enzym Gruppen enthält, die das Substrat an das Enzym binden (z.B. durch elektrostatische Wechselwirkung entgegengesetzter Ionenladungen, durch Wasserstoffbrücken oder auch durch Bildung einer Azomethin-Bindung), und andere Gruppen, die die entscheidende Protonen- oder Elektronenübertragung zwischen Katalysator und Substrat bewirken. Auf diese Weise wird die hohe Substrat-Spezifizität von Enzymen verständlich Im Fall der Bildung von Malat-Ion aus Fumarat-Ion unter der Einwirkung eines spezifischen Enzyms ist es nachgewiesen, daß das Enzym zwei positive Ionenladungen enthält, die elektrostatische Bindungen zu den beiden negativen Ladungen des Fumarat-Ions herstellt, und zumindest eine weitere Gruppe in der richtigen geometrischen Position für die Protonierung eines der doppelt gebundenen C-Atome.
2.5 Weitere Arten von homogener Katalyse in Lösung
111
COO" II c. O O C ^ ^H
+ h2O
Enzym
CH OH
— ν
I CH2 COO'
Vermutlich ist auch noch eine vierte Gruppe im Spiele, die gleichzeitig entweder H 2 0 oder OH~ auf das andere C-Atom überträgt.
3 Heterogene Katalyse G.-M. Schwab
3.1 Geschichtliches und Definition
Mit dem Wort Katalyse bezeichnen wir eine bestimmte Art von chemischen Reaktionen, ebenso wie wir auch von Zersetzungen, Oxydationen, Verbrennungen und manch anderen Arten stofflicher Veränderungsvorgänge sprechen. Das besondere Interesse an der Katalyse, das sich in dem fast ein Jahrhundert dauernden Studium ausdrückt und dem auch das vorliegende Buch sein Erscheinen verdankt, gründet sich in der Hauptsache auf zwei Umstände: Der eine ist begrifflicher, der andere technischer und biologischer Natur. Die begriffliche Bedeutung der Katalyse liegt in ihrer überraschenden Natur; während im allgemeinen in der Natur der Satz gilt: „Causa aequat effectum" oder: Die Ursache muß der Wirkung gleichkommen, sind katalytische Vorgänge von ganz anderer Natur: Schon dem Schöpfer des Energieerhaltungssatzes Julius Robert Mayer (1840) und dem Schöpfer der physikalischen Chemie, Wilhelm Ostwald (um 1900) war die folgende Unterscheidung klar: wenn z.B. aus Feuer in einer Dampfmaschine mechanische Energie erzeugt wird, so ist das eine einfache Verursachungskausalität: die Menge der aufgewandten Wärmeenergie — die Ursache — ist der Menge der geleisteten mechanischen Arbeit - der Wirkung — irgendwie äquivalent, steht zu ihr in einem Verhältnis zwar nicht der Gleichheit, jedoch der gleichen Größenordnung. Die genannten Autoren sprachen dann von „Verursachungskausalität". Ganz anders ist es aber, wenn z.B. der Druck auf den Abzugshebel eines Gewehrs einem Geschoß eine gewaltige Geschwindigkeit erteilt oder wenn das öffnen einer Schleuse von Hand gewaltige Wassermassen mit gewaltiger Geschwindigkeit herabschießen käßt. Hier besteht eine ähnliche quantitative Beziehung nicht; die manuelle Arbeit am Abzug oder am Schleusenrad ist verschwindend gering gegenüber der mechanischen Wirkung. In solchen Fällen spricht man von „Auslösungskausalität". Ursache im Sinne der Verursachungskausalität ist in unseren Beispielen die Explosivkraft der Gewehrladung bzw. die Menge und Höhenlage des Wassers. Diese Ursache kommt aber nicht zum Tragen, wenn nicht eine Auslösung durch eine beliebig geringe Zusatzursache erfolgt. Auf das Chemische übertragen bedeutet das etwa, daß bei einer Feuersbrunst in einem Bauernhof die Verursachungsursache die Brennbarkeit von Getreide und Heu ist, die Auslösungsursache aber das winzige Streichholz oder der Zigarettenstummel, also ein Vorgang von verschwindenden Ausmaßen gegenüber der Wirkung. Es gibt also Auslösungskausalität auch bei chemischen Vorgängen. Ein besonderer Fall von Auslösungskausalität ist nun der, daß
116
3 Heterogene Katalyse
die Auslösung eines chemischen Vorganges durch die Anwesenheit eines materiellen Stoffes erfolgt, wobei offen bleibt, ob dieser Stoff nur anwesend ist, also „nichts tut" oder ob er eine im Vergleich mit der Wirkung an sich kleine Auslösungsaktivität entfaltet, also ob z.B. die Entzündung von Knallgas durch Platin nur durch dessen Anwesenheit oder durch dessen abwechselnde Oxidation und Reduktion im kleinsten Umfange erfolgt. Die Auslösungskausalität durch Stoffe ist für den Beobachter vielfach so überraschend, für den Forscher so aufreizend, daß schon daraus die begriffliche Bedeutung der Katalyse und der Katalysatoren ersichtlich wird. Die andere Quelle der Bedeutung der Katalyse liegt in ihrem Vorkommen. Während noch vor 130 Jahren katalytische Erscheinungen selten waren und „entdeckt" werden mußten, stehen wir heute vor einer sehi großen Zahl von katalytischen Vorgängen, in der chemischen Industrie und dem Laboratorium einerseits, im lebenden tierischen und pflanzlichen Organismus andererseits. Es ist sogar schon gesagt worden, daß die katalytischen Reaktionen die Regel, die nichtkatalytischen aber die Ausnahme bilden. Für die Zellreaktionen gilt das sogar uneingeschränkt. Wegen dieser Verbreitung in Technik und Natur ist es also unerläßlich, daß man sich, um die Umwelt zu verstehen, mit Katalyse beschäftigen muß. Es muß hier erwähnt werden, daß ein großer Meister der technischen Katalyse, Mittasch, auf diese „philosophische", technische und biologische Bedeutung der Katalyse immer wieder in seinen Schriften hingewiesen hat. Der Leser wird aus dem Bisherigen bereits ungefähr entnommen haben, um welche Art von Vorgängen es sich bei der Katalyse handelt. Um der guten Ordnung willen wird aber jetzt gezeigt werden, aus welchen Beobachtungen der Begriff Katalyse hervorgegangen ist und zu welchen Definitionen die katalytische Erfahrung schließlich geführt hat. Es ist verständlich, daß eine Erscheinung, die so verbreitet ist, wie wir das von der Katalyse gesagt haben, auch schon im vorwissenschaftlichen Zeitalter in menschlichen Bereichen aufgetreten sein muß. Und in der Tat sind es lebensmitteltechnologische Verfahrensweisen, durch die der Mensch zuerst und auf kulturhistorisch sehr früher Stufe in Berührung mit der Katalyse kam: die Aufspaltung der Stärke in Traubenzucker und die Gärung des Traubenzuckers zu Alkohol und Kohlendioxid sind Vorgänge, die nur in Anwesenheit von bestimmten Stoffen verlaufen: die Stärkespaltung durch Diastase, einen organischen Eiweißstoff, der in den Keimlingen der Gerste vorkommt, die alkoholische Gärung durch Eiweißstoffe, die in der Hefe vorkommen; Wein und Bier sind die ältesten und die am weitesten verbreiteten Produkte katalytischer Reaktionen. Es mag diese alte Erfahrung der Notwendigkeit der Anwesenheit kleiner Mengen der Katalysatoren oder Fermente sein, die zu einem der merkwürdigsten Irrtümer des Mittelalters geführt hat: der Überzeugung, daß es Stoffe geben müsse, deren An-
3.1 Geschichtliches und Definition
117
Wesenheit unedle Metalle in Gold verwandelt. Natürlich spielte dabei Wunschdenken eine Rolle; aber daß ausgerechnet die Anwesenheit eines dritten Stoffes, des „Steins der Weisen", der weder das unedle Metall noch das Gold wäre, für das Ablaufen des erwünschten Vorgangs erforderlich sein sollte, ist eine überraschende Vorwegnähme späterer Erfahrungen, die allerdings nicht auf dem Gebiet der Elementumwandlung liegen. Aber die Erfahrungen, die schließlich zur wissenschaftlichen Erkenntnis der Katalyse, geführt haben, lagen natürlich in späterer Zeit, als nicht das Wunschdenken, sondern die naturwissenschaftliche Beobachtung der Vorgänge das Bild beherrschte, d.h. am Ende des 17. Jahrhunderts und der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts. Tab. 3.1 stellt die geschichtlich bedeutsamsten Entdeckungen dieser Art zusammen. Wir sehen, daß in der verhältnismäßig kurzen Spanne von 50 Jahren immerhin 12 Reaktionen mit ebenfalls zwölf verschiedenen Katalysatoren entdeckt worden sind (heutzutage werden natürlich in 50 Jahren mehr und wichtigere Dinge entdeckt; die letzten 50 Jahre brachten alle Kernreaktionen, die Atom-Energie und die künstliche Radioaktivität ans Licht). Damit war der Boden bereitet für die geschichtliche Tat des Berzelius, der zuerst mit genialem Blick das Gemeinsame in all diesen verschiedenen Erscheinungen in Lösungen, an Metallen und an Oxiden erkannte. Er schrieb 1835: „Es ist also erwiesen, daß viele . . . Körper sowohl in fester als in aufgelöster Form die Eigenschaft besitzen, auf zusammengesetzte Körper einen von der gewöhnlichen chemischen Verwandtschaft ganz verschiedenen Einfluß auszuüben, indem sie dabei in dem Körper eine Umsetzung der Bestandteile bewirken, ohne daß sie dabei mit ihren Bestandteilen notwendig selbst teilnehmen, wenn dies auch mitunter der Fall sein kann Ich werde (diese Wirkung) daher, um mich einer in der Chemie wohlbekannten Ableitung zu bedienen, die katalytische Kraft der Körper und die Zersetzung durch dieselbe Katalyse nennen. Die katalytische Kraft scheint eigentlich darin zu bestehen, daß Körper durch ihre bloße Gegenwart und nicht durch ihre Verwandtschaft die bei dieser Temperatur schlummernden Verwandtschaften zu erwecken vermögen " Die Verwendung des Ausdrucks „Kraft" hat zwar eine heftige Kontroverse mit dem Münchner Chemiker Liebig ausgelöst, doch müssen wir bedenken, daß damals der mechanische Kraftbegriff, wie ihn heute die Physik benutzt, noch gar nicht definiert war, ja, nicht einmal der Unterschied zwischen Kraft und Energie klar war. Wir kommen auf diese Unklarheit bald zurück. Jedenfalls ist durch die Worte des Berzellius eine ganz neue Art von chemischen Vorgängen ins Bewußtsein der Forscher gebracht worden.
3 Heterogene Katalyse
118 Tab. 3.1: Katalytische Entdeckungen vor Berzellius Nr.
Reaktion
Katalysator
Entdecker
Jahr
1
Stärke gibt Traubenzucker
Säure
Parmentier
1781
2
Säure und Alkohol geben Ester
Säure
Scheele
1782
3
Alkohol gibt Äthylen und Wasser
Tonerde
Priestley
1783
4
Alkohol gibt Äthylen und Wasser
Tonerde
Dieman et al. 1795
5
Alkohol gibt Kohle und Gas
Kupfer
Van Μ arum
1796
6
Ammoniak gibt Stickstoff und Wasserstoff
Glas
Davy
1803
7
Bleikammerprozefc, Schwefelsäure
Stickoxid
Desormes, Clement
1806
8
Ammoniak gibt Stickstoff und Wasserstoff
Eisen
Berthollet
1808
9
Stärke gibt Traubenzucker
Säure
Kirchhoff
1811
10
Ammoniak gibt Stickstoff und Wasserstoff
Eisen, Kupfer, Silber, Gold, Platin
Thinard
1813
11
Blausäure gibt Kohle, Stickstoff und Wasserstoff
Eisen
Gay-Lussac
1815
12
Methan verbrennt
Platin
Davy
1817
13
Hydroperoxid zerfällt
Thenard Silberoxid, Silber, Mangandioxid, Natronlauge
1818
14
Alkohol gibt Essigsäure
Platin
Döbereiner
1821
15
Wasserstoff verbrennt
Platin
Döbereiner
1823
16
Wasserstoff verbrennt
Iridium
Döbereiner
1831
Man sollte meinen, daß die neue Begriffsbildung sofort fruchtbar werden und eine lebhafte Bewegung in die Erforschung der Katalyse bringen würde. Aber interessanterweise war dies 6 0 Jahre lang nicht der Fall, und die Ursache lag darin, daß andere Gebiete der Wissenschaft noch nicht zu der Reife entwickelt waren, die ein Fortschreiten in der katalytischen Wissenschaft ermöglicht hätte. Was nämlich fehlte, war die neuere Kenntnis der Energieverhältnisse bei chemischen Vorgängen, die Erkenntnis des chemischen Gleichgewichts und der mit ihm allein meßbaren Affinität, vor allem die Kenntnis der Tatsache, daß die Reaktionsgeschwindigkeit keine unmittelbare Beziehung zum Gleichgewicht hat und kein Maß der Affinität ist. Erst nach Schaffung einer chemischen Thermodynamik durch van'tHoff, Horstmann und Clausius war es Wilhelm Ostwald 1895 möglich, eine hieb- und stichfeste Definition
3.1 Geschichtliches und Definition
119
eines Katalysators zu geben: „Ein Katalysator ist eine Substanz, die die Geschwindigkeit einer chemischen Reaktion verändert, ohne selbst in deren Endprodukten zu erscheinen". Der Nebensatz soll zum Ausdruck bringen, daß der Katalysator selbst weder vermehrt noch verbraucht wird. Das trifft für alle unsere 16 Beispiele in Tab. 3.1 zu. Der Hauptsatz soll betonen, daß der Katalysator für seine Anwesenheit nicht das chemische Gleichgewicht und nicht die Affinität der Reaktion, sondern lediglich die Geschwindigkeit in der Zeit verändert. Später hat Bredig 1909 den einschränkenden Nebensatz abgemildert, indem er auch Fälle noch als Katalyse bezeichnet, in denen die Menge des Katalysators sich zwar verändert, aber nicht in gesetzmäßig mit der Hauptreaktion verbundener Weise, z.B. durch Vergiftung, Ermüdung, Verdampfung o.ä. Noch später, als man mehr Kenntnis über die Teilvorgänge hatte, in denen der Katalysator in das Reaktionsgeschehen eintritt und wieder austritt, erklärte Abel sogar 1913: „Nicht Stoffe katalysieren, sondern Reaktionen katalysieren". Und die Biochemiker, voran der Nobel-Preisträger Richard Willstätter, beeindruckt von der verwirrenden Mannigfaltigkeit der Zellreaktionen, die durch eine ebenso große Mannigfaltigkeit organischer Katalysatoren gesteuert wird, glaubte den Satz „die die Geschwindigkeit einer chemischen Reaktion verändert" ersetzen zu dürfen oder zu müssen durch „die eine chemische Reaktion beschleunigt, verlangsamt oder hervorbringt". Dazu ist zu sagen, daß auch dann, wenn die Reaktion ohne den Katalysator überhaupt nicht meßbar verläuft, dennoch von einer Veränderung der Geschwindigkeit gesprochen werden kann, nämlich von der Veränderung von Null zu einem beobachtbaren Wert. Das Wichtige an all diesen Definitionsversuchen ist aber die schon von Ostwald klar ausgesprochene Tatsache, daß Katalyse nur eine Angelegenheit der Geschwindigkeit und nicht der Affinität der Reaktion ist. Doch genug von Definitionen, wir wollen uns jetzt dem berückenden Spiel der Mannigfaltigkeit katalytischer Erscheinungen hingeben!
3.2 Homogene und heterogene Katalyse
In Tab. 3.1 sind wahllos durcheinander, wie es die geschichtliche Entwicklung ergab, Katalysen aufgeführt, wie sie sich in einer Katalysator, reagierende Stoffe und Reaktionsprodukte enthaltenden Lösung vollziehen (laufende Nr.: 1, 2, 9), solche die im Gas- oder Dampfraum vor sich gehen, wobei der Katalysator ebenfalls ein Gas oder Dampf ist (7), und überwiegend solche, bei denen der Katalysator fest ist. Das reagierende System kann dabei gasförmig sein (3, 4, 5, 6, 8, 10, 11, 12, 15, 16), oder flüssig (13, 14). Siehe dazu Tab. 3.2. Tab. 3.2 Aggregat-Zustand bei der Katalyse Katalysator fest
Katalysator flüssig
fest
-
-
-
flüssig
13, 14
1, 2, 9
-
gasförmig
3, 4, 5 , 6 , 10, 11, 12, 15, 16
-
7
System
Die Zahlen entsprechen
den laufenden Nummern
Katalysator gasförmig
in Tab. 3.1.
Wie wir sehen, sind für die Anfänge der katalytischen Forschung nicht alle Felder dieser Tabelle mit Beispielen belegt. Heute kennen wir auch für die leeren Felder Beispiele: feste Katalysatoren für Festreaktionen können entweder Festkörper sein, die in feste reagierende Stoffe eingebaut sind; insbesondere in der Chemie der halbleitenden Stoffe kennen wir solche Einflüsse der Dotierung (Zusätze geringer Fremdstoffmengen) auf das Reaktionsvermögen, z.B. im Germanium. Sie können aber auch Festkörper sein, die anderen reaktionsfähigen Festkörpern beigemengt sind und deren Reaktionen nur dort, wo sich beide Körper berühren, beschleunigen können. Besonders häufig sind es die Reaktionsprodukte selbst, die diesen Einfluß ausüben; z.B. zerfällt Silberoxid rasch nur dort, wo es bereits gebildetes Silber berührt. Flüssige Katalysatoren von Festkörperreaktionen sind gewöhnlich Stoffe, in denen die reagierenden Festkörper eine gewisse Löslichkeit besitzen, insbesondere Wasser. So reagieren nasse oder feuchte Pulvermischungen oft rascher als trockene, weil die Reaktion über die verdünnten Lösungen erfolgt. Ähnlich wirken manchmal auch Gase, z.B. Schwefeldioxid auf die Zementbildung. Gasförmige Katalysatoren flüssiger Reaktionssysteme kennen wir eigentlich
3.2 Homogene und heterogene Katalyse
121
nicht, weil, wo ein Einfluß vorhanden ist, gewöhnlich das Gas in der Flüssigkeit gelöst ist. Flüssige Katalysatoren für Gasreaktionen sind ebenfalls nicht einwandfrei nachweisbar, weil in solchen Fällen die Anwesenheit des Katalysators als Dampf im Gasraum nicht auszuschließen ist (es gibt die nicht exakt bewiesene Behauptung, daß Ammoniak und Kohlendioxid nicht miteinander reagieren, wenn nicht Spuren von Wasser anwesend sind). Für den praktischen Zweck der Einteilung unseres Gebietes ist das folgende von Interesse: Auf der Diagonale der Tab. 3.2, die von links oben nach rechts unten verläuft, liegen Systeme, in denen sich Katalysator und Reaktionssystem in demselben Zustand, gegebenenfalls sogar in molekularer Mischung oder, wie der Physiker sagt, in einer Phase befinden. Wir bezeichnen diese Fälle als homogene Katalysen. Dies ist ein sehr großes Gebiet, das außer den theoretisch sehr vielseitigen und aufschlußreichen Gaskatalysen insbesondere die Reaktionen in wäßrigem Medium umfaßt, die mit oder ohne Reaktionsbeteiligung des Wassers verlaufen können. Hierher gehören neben manchen anderen die meisten der chemischen Umsetzungen in den Zellen des lebenden Organismus, aber auch viele technische Prozesse. Dieses Gebiet ist in den Kapiteln 2 und 4 dieses Bandes behandelt. Alle übrigen Fächer der Tabelle enthalten Systeme, in denen der Katalysator sich in einer anderen Phase befindet, als die reagierenden Stoffe des Systems. Wir nennen diese Prozesse logischerweise heterogene Katalysen. Gegenseitige Beeinflussung aber und damit auch katalytische Reaktion kann natürlich nur dort stattfinden, wo die Phasen sich berühren, also an Phasengrenzen. Diese können beweglich sein, wie zwischen Flüssigkeiten und Gasen oder zwischen zwei Flüssigkeiten, oder starr, wie überall dort, wo feste Phasen beteiligt sind, also in der 1. Spalte der Tab. 3.2. In diesen Fällen ist die katalytische Reaktion logischerweise auf den Ort der Phasengrenze, d.h. der festen Oberfläche beschränkt. Das theoretische Interesse solcher Prozesse, die wir auch topochemische (von τ σίτος, Ort) Katalysen nennen können, gründet sich auf die Tatsache, daß Transportvorgänge zu und von der Phasengrenze mit der chemischen Reaktion konkurrieren bzw. zusammenwirken, das praktische Interesse aber darauf, daß feste Katalysatoren den größten Teil der technischen Katalyse bestreiten. Wir sahen ja auch in Tab. 3.2, daß dieser Typ den größten Teil der eindrucksvollen frühen katalytischen Entdeckungen umfaßt. Wir wollen uns in dem vorliegenden Artikel insbesondere mit dieser wichtigsten Form der Katalyse beschäftigen.
3.3 Zwischenverbindungen
Des Berzelius „katalytische Kraft" war natürlich noch keine „Erklärung" der Reaktionsbeschleunigung, d.h. keine Theorie oder Darstellung des Mechanismus der Reaktionsbeschleunigung. Iiebig stellte ihr eine Theorie der Bewegungsübertragung, also einer Art mitschwingender Atome gegenüber. Aber auch dies gab keine neuen Informationen, ebensowenig wie Mitscherlich's rein phänomenologische Aussage, daß die bloße Berührung (Kontakt) Beschleunigung hervorbringe. Die erste nachprüfbare und nicht aus dem Rahmen der übrigen Chemie herausfallende Deutung gab Sabatier (ab 1896). Aufgrund umfangreicher Studien über die Katalyse in der organischen Chemie und nach zahlreichen Entdeckungen neuer Katalysen und Katalysatoren kam er zu der Überzeugung, daß, wie schon angedeutet, nicht die bloße Gegenwart des Katalysators wirkt, sondern seine Beteiligung am Reaktionsgeschehen, eine Beteiligung aber, die vollständig umkehrbar sein muß, so daß der Katalysator durch die Reaktion nicht verbraucht, sondern zurückgebildet wird. Wir wollen diesen Gedanken zunächst ziemlich allgemein ohne Bezug auf bestimmte Stoffe oder Beispiele überlegen. Man denke sich eine Reaktion des Typs: Α + Β ^ AB,
(1)
also eine Synthese. Das Gleichgewicht liege ganz auf der Seite der Verbindung AB, so daß die Rückreaktion (Spaltung der Verbindung) vernachlässigt werden kann. Man stelle sich ferner vor, daß die Synthese nur in Anwesenheit einer Katalysatormolekel Κ vor sich geht. Dann ist nach Sabatier folgende Folge von chemischen Teilprozessen denkbar: Α
+ Κ -»· AK
(2)
AK + Β -» AB + K.
(3)
Vorausgesetzt, daß jede der beiden Teilreaktionen (2) und ( 3 ) von Natur schneller ist, als die katalysatorfreie („spontane") Synthese (1), wird dann eine Beschleunigung durch die Anwesenheit oder besser die Beteiligung von Κ eintreten, und gleichzeitig sehen wir, daß die Menge von Κ sich durch die Synthese von AB nicht ändert, Κ also „in den Reaktionsprodukten nicht erscheint" und auch nicht verändert wird. Daß die beiden Teilreaktionen eine größere Geschwindigkeit besitzen, als die Spontanreaktion, das muß eben eine Eigenschaft eines geeigneten Katalysators sein; die Zwischenverbindung
123
3.3 Zwischenverbindungen
AK darf weder zu instabil sein, denn dann würde sie sich nur ungern und langsam bilden, noch darf sie zu stabil sein, denn dann würde sie mit Β nicht weiter reagieren, sondern liegenbleiben und Κ verbraucht werden, ohne AB zu bilden. Wir kennen zahlreiche Beispiele, in denen ein solcher Verlauf tatsächlich bewiesen werden kann. Eines der ältesten ist die Nr. 7 der Tab. 3.1, der „Bleikammerprozeß" zur Erzeugung von Schwefelsäure. Unter rigoroser Vereinfachung des Chemismus können wir ihn so darstellen: 2 S0 2 + 0 2
2 S0 3 .
(4)
S0 2 , Schwefeldioxid, ist das Röstprodukt des Schwefelkieses, S0 3 , Schwefeltrioxid, ist das Anhydrid der Schwefelsäure, das diese mit Wasser zusammen bildet. Katalysator ist ein Oxid des Stickstoffs, z.B. Stickoxid NO, und zwar nachweislich in folgender Weise: 0 2 + 2 NO 2 N0 2 + 2 S0 2
-> 2 N0 2 2 S0 3 + 2 NO.
(5) (6)
Wir sehen, daß die Analogie zu unserem Formelbeispiel vollkommen ist: 0 2 = A, NO = K, S0 2 = B, N0 2 = AK. In der Tat lassen sich N0 2 oder noch höhere Stickoxide im Reaktionsgemisch nachweisen. Die katalytische Wirkung des Stickoxids beruht einfach darauf, daß Reaktiofl (4) nicht oder doch sehr langsam verläuft, während sowohl (5) als auch (6) rasch, und während der Katalyse gleich rasch verlaufen. In ähnlicher Weise lassen sich sehr viele Reaktionen, insbesondere auch in homogener Phase, verstehen. In einem anderen Abschnitt dieses Bandes werden wir mehr davon hören. Was uns an dieser Stelle interessiert, ist die Frage, ob, inwieweit und in welcher Form die so fruchtbare Vorstellung der Zwischenverbindungen auch auf heterogene Katalysen, also reine Oberflächenvorgänge zutrifft.
3.3.1 Oberflächenverbindungen - Adsorption Es ist bekannt, daß Kohlenoxid CO durch Sauerstoff bei gewöhnlicher Temperatur nicht ohne weiteres oxidiert wird; sonst wäre es ja sehr einfach, Autoabgase zu entgiften, indem das Kohlenoxid zu dem ungiftigen Kohlendioxid oxydiert wird. Leider geht diese an sich freiwillige Reaktion nur vor sich, wenn Katalysatoren zugegen sind. Ein bei etwas erhöhter Temperatur wirksamer Katalysator ist Kupfer. Man könnte nun, entsprechend unserem vorigen Beispiel, auch hier einen Verlauf der Reaktion über Zwischenverbindungen postulieren, etwa so:
124
3 Heterogene Katalyse
2 CO + 0 2 2 Cu
+ 02
2 CuO + 2 CO
2 C0 2
(ganz langsam oder gar nicht)
-> 2 CuO 2 Cu + 2 C0 2 .
(0)
(1)
(2)
Reaktion (1) geht bei etwas erhöhter Temperatur tatsächlich vor sich, denn erwärmtes Kupfer läuft an der Luft an. Reaktion (2) geht bei ähnlichen Temperaturen ebenfalls ohne weiteres vor sich, und beide zusammen katalysieren so die Reaktion (0), wobei das Kupfer stets regeneriert wird, vorausgesetzt, daß Kohlenoxid im Überschuß dargeboten wird. Wir können also hier das Kupferoxid als eine Zwischenverbindung AK auffassen, ebenso wie im vorigen homogenen Falle das N0 2 . Die gedankliche Schwierigkeit ist nur, daß in der homogenen Gasreaktion die Zwischenverbindung überall im Gasraum sich bilden und weiter reagieren kann, weil sie in Form einzelner Molekeln vorhanden ist, während die heterogene Reaktion im Kupfer ja nur dort vor sich gehen kann, wo das feste Kupfer mit dem sauerstoffhaltigen Gase sich berührt, also in der Phasengrenze, d.h. der Kupferoberfläche. Was bedeutet nun ein nur in der Oberfläche vorhandenes Kupferoxid? Offenbar nicht, wie es die Formel CuO ausdrückt, eine Verbindung von 63 g Kupfer und 16 g Sauerstoff, sondern eine große Menge Kupfer, die nur an ihrer Oberfläche eine dünne, ja molekulare Schicht von CuO oder besser von Sauerstoff trägt. Wir nennen eine solche dünne Oberflächenschicht eine Adsorptionsschicht, und wenn sie, wie hier, durch chemische Bindungskräfte entsteht und zusammengehalten wird, eine Chemisorptionsschicht. Wir können sehr viele heterogene Katalysen durch solche Chemisorptionsschichten verstehen: Hydrierungen durch Wasserstoffschichten auf Platin, Nickel und anderen hydrierenden Metallen, Hydrolysen durch Wasserschichten oder Hydroxylschichten usw. In vielen Fällen lassen sich solche Schichten während der Reaktion sogar durch physikalische Methoden (Interferenzen oder spektroskopisch) nachweisen. Unsere katalytischen Zwischenverbindungen oder Chemisorptionsschichten fallen unter das viel breitere Gebiet der Adsorption, des Festhaltens von Fremdstoffen an der Oberfläche von Festkörpern. Wir müssen uns mit den Gesetzmäßigkeiten, die hier gelten, etwas befassen, um so zu verstehen, wie die Katalyse zustande kommt und welche Reaktionsgeschwindigkeiten dabei erreicht werden können. Zunächst ist es leicht, verständlich zu machen, daß überhaupt Stoffe an Oberflächen festgehalten werden. Daß überhaupt Festkörper und Flüssigkeiten existieren, kommt doch offenbar daher, daß zwischen den kleinsten Teilchen — Atomen oder Molekeln — Anziehungskräfte wirken, die das Ganze zusammenhalten. An der äußeren Oberfläche nun, wo der Zusammenhalt
3.3 Zwischenverbindungen
125
plötzlich unterbrochen ist, greifen diese Kräfte ins Leere, und jedes Teilchen, Molekel oder Atom, das in ihre Sphäre kommt, wird deshalb festgehalten. Die Kräfte, von denen wir hier sprechen, können physikalischer Natur sein, also elektrische Anziehungen, und dann sprechen wir von „Physisorption". Sie können aber auch 10 mal stärker sein, wenn sie auf Elektronenaustausch beruhen, also chemische Kräfte sind; dann sprechen wir von „Chemisorption". Das letztere ist offenbar der Fall, den wir oben für die katalytische Funktion von Zwischenverbindungen in Oberflächen herangezogen haben. Der einfachste Fall von Adsorption - gleichgültig, ob er physikalisch oder chemisch zu verstehen ist — wäre der von Langmuir postulierte: 1. Die Oberfläche des festen Körpers enthält eine abzählbare Anzahl von Plätzen, an denen eine Molekel gebunden werden kann, 2. nur an noch nicht besetzten Plätzen kann Adsorption stattfinden, 3. zwischen den absorbierten Molekeln wirken keine Kräfte, 4. die Adsorption fühlt zu einem Gleichgewicht. Unter diesen Voraussetzungen sind in jedem Augenblick die Geschwindigkeiten der Adsorption und der Desorption einander gleich, was wir folgendermaßen formulieren können: +
=k'P(l-t»
dt
dt Hier bedeutet Ρ den Gasdruck über der Oberfläche, ϋ den besetzten Teil der Plätze, k' und k" Konstanten. Setzen wir beide Ausdrücke einander gleich und lösen nach ϋ auf, so erhalten wir: · ρ
—
tf =
k" 1
k k' oder mit dem Adsorptionskoeffizienten b = — als Gleichgewichtskennzahl: k" * =
b P
1 + bP
Diese Gleichung beschreibt den Bruchteil der besetzten Plätze ϋ oder die Adsorptionsdichte als Funktion des überstehenden Druckes Ρ im Gleichgewicht, und zwar bei einer bestimmten Temperatur, denn b ist von der Temperatur abhängig. Die Gleichung heißt daher die Langmuir'sche Adsorptionsisotherme. Ihr typischer Verlauf ist in Abb. 3.1 wiedergegeben. Zwei Grenzfälle sind unterscheidbar:
3 Heterogene Katalyse
126
a) bP 2, die neben den Druckfunktionen stehen, bestimmen wir bei jeder Temperatur als „scheinbare Geschwindigkeitskonstanten". Unterwerfen wir sie nun der zeichnerischen Prozedur von Abb. 3.5, erhalten wir Ergebnisse ganz verschiedener Bedeutung: Der einfachste Fall ist der der 0. Ordnung: Hier ist die scheinbare Geschwindigkeitskonstante mit der wahren k identisch, und infolgedessen gibt unser ermittelter Ε-Wert direkt die „wahre Aktivierungs-Energie" an, d.h. die Energie, die eine adsorbierte Molekel noch aus dem Vorrat der Umgebung aufzunehmen hat, um zu der Schar der reaktionsfähigen Molekeln zu gehören. Anders ist es in den beiden anderen Fällen, wo die scheinbare Konstante noch Adsorptionskoeffizienten b enthält. Diese sind ihrerseits von der Temperatur abhängig, und wir müssen uns über deren Temperaturabhängigkeit klar werden, ehe wir weitergehen. Nach unseren Ableitungen war b zusammengesetzt aus der gleichzeitigen Adsorption und der Desorption, nämlich
Von diesen beiden Größen ist k' nahezu temperaturunabhängig, denn es gibt ja nur an, wieviel Molekeln je Sekunde die unbedeckte Oberfläche treffen. Diese Zahl hängt aber nur vom Druck ab, denn Druck ist nichts anderes als die Summe der Stöße auf die Oberfläche (eine geringe Abhängigkeit von k' von der Temperatur, die von der Zunahme der mittleren Geschwindigkeit herrührt, wollen wir in diesem Zusammenhang vernachlässigen). Anders k", das den Bruchteil der adsorbierten Molekeln betrifft, der in der Sekunde die
3 Heterogene Katalyse
136
bedeckte Oberfläche verläßt. Dazu ist Energie erforderlich, nämlich die Desorptionsenergie oder negative Adsorptionsenergie, die wir L nennen wollen. Es muß also gelten: log k" = log
- k I . R Τ
(k£ ist dabei die Frequenz der Schwingungen, die die adsorbierte Molekel senkrecht zur Oberfläche ausführt und die dann zum Erfolg der Desorption führen, wenn sie mindestens die Schwingungsenergie L aufbringen). Fassen wir alles zusammen, so erhalten wir: log kb = log k + log b = log k + log k' — log k" = logko -
ϊ ψ -
I + logk'-logkS+l
Andererseits ist aus unserem Diagramm nach Abb. 3.5 heraus l o g k b = l o g (kb)b -
^
h e i n h a i
R
-
Τ
und somit: Scheinbar
—
E^yaju.
L.
Das wichtige Ergebnis ist, daß die nach der Arrhenius-Auftragung ermittelte scheinbare Aktivierungsenergie sich von der wahren durch die Adsorptionsenergie des Reaktanten unterscheidet. Während die wahre Aktivierungs-Energie die Energie ist, die die absorbierte Molekel zugeführt erhalten muß, damit sie reagieren kann, ergibt die Differenz L die scheinbare Aktivierungsenergie, d.h. diejenige Energie, die insgesamt die freie Gasmolekel von den aktivierten adsorbierten Molekeln unterscheidet. Sie ist normalerweise immer noch positiv, aber es sind durchaus Fälle bekannt, bei denen sie negativ wird. Das bedeutet, daß mit steigender Temperatur zwar k wie gewöhnlich zunimmt, aber gleichzeitig wegen des fallenden b die Absorptionsdichte so stark abnimmt, daß auch die katalytische Reaktionsgeschwindigkeit abnimmt. Das ist z.B. bei Hydrierungen recht allgemein der Fall. Ganz entsprechend leitet man für die selbstgehemmte Reaktion ab: Scheinbar
^wahr
—
Lj +
L·}.
Der Term L2 rührt daher, daß außer der chemischen Aktivierungsenergie auch noch Energie aufgewandt werden muß, um das hemmende Reaktionsprodukt von der Oberfläche durch Desorption zu entfernen.
137
3.5 Die Aktivierungsenergie
\
\
\
\
\
J
\
ΔΗ
\
Υ
Bfrei
]
Abb. 3.6: Energiestufen eines katalytischen Reaktionssystems
Anschaulich kann man sich das Schicksal einer Molekel A, wenn an einem Katalysator die Reaktion A
Β
abläuft, in Abb. 3.6 klarmachen. Abszisse ist dabei die „Reaktionskoordinate", das ist entweder die Zeit während der Reaktion oder irgendein Atomabstand, der sich während der Reaktion von dem Abstand der betreffenden Atome der Molekel Α zu dem derselben Atome in der Molekel oder dem Molekelsystem Β verändert. Ordinate sind die Energien: Escheinbar i s t dabei nur für die Reaktion 1. Ordnung eingetragen; bei nullter Ordnung spielt L! keine Rolle, weil die Oberfläche bei allen Temperaturen fast vollständig bedeckt ist, bei Selbsthemmung kommt zum Tragen, weil nun durch Desorption von Β freie Oberflächenplätze geschaffen werden müssen. Eingetragen ist ferner die gesamte thermodynamische Reaktionswärme ΔΗ. Eingetragen ist weiter der Verlauf, den die Reaktion nehmen müßte, wenn sie ohne Katalysator und ohne Adsorption möglich wäre (gestrichelte Linie). Die dafür erforderliche Aktivierungsenergie Esp 0ntan ist sichtlich größer als die wahre oder scheinbare der Katalyse, und wir sehen daher die Funktion des Katalysators darin, daß er (im Regelfalle) die Aktivierungsenergie herabsetzt. Nach der Arrhenius'schen Gleichung muß dies eine exponentielle Erhöhung der Reaktionsgeschwindigkeit bedeuten. Der Grad der Herabsetzung, in der Abb. 3.6 mit L* bezeichnet, ist nichts anderes als die Adsorptionsenergie des aktivierten Zustandes (sofern dieser auf beiden Reaktionswegen annähernd der gleiche ist).
3.6 Katalyse und chemische Bindung Wenn eine Reaktion spontan, d.h. ohne Einwirkung eines Katalysators im freien Gasraum verlaufen soll, müssen offenbar bestimmte Bindungen der Ausgangsmolekel gespalten werden, damit die betreffenden Atome neue Bindungen eingehen können. Wenn z.B. die Reaktion 2 CO + 0 2 -» 2 C0 2 eintreten soll, muß offenbar die Molekel 0 2 gespalten werden, damit ihre Atome sich auf zwei CO-Molekeln verteilen können. Andererseits muß auch von der dreifachen Bindung in der CO-Molekel eine Valenz gespalten werden, damit die betreffenden Valenzelektronen für die Bindung des 0-Atoms verfügbar werden (wir werden diese strengen Bedingungen alsbald lockern). Bindungsspaltungen erfordern im allgemeinen Energien um 10 s cal/Mol. Die Spontanreaktion kann dann bei der Temperatur von 100000
275 C nur bei einem Bruchteil von e R · 548 = ίο- 40 aller Molekeln stattfinden, ist also praktisch unmeßbar langsam. Für dieselbe Reaktion an gängigen Katalysatoren, wie Nickeloxid oder Silber messen wir Ε = 20000 cal/Mol. Damit ergibt sich für dieselbe Temperatur von 275 °C ein Bruchteil reaktionsfähiger Molekeln von 10' 8 , also eine Beschleunigung durch den Katalysator um 10 32 ! Nun ist die Forderung einer vollständigen Bindungsspaltung in der Spontanreaktion zweifellos überspannt; es dürfte genügen, wenn die kritischen Bindungen so weit gelockert werden, daß ein Atomaustausch möglich wird. In der Tat erlaubt es die Quantenmechanik, daß bei der gegenseitigen Annäherung zweier Molekeln eine solche Lockerung der alten Bindungen durch „Vorwegnahme" der Bindungsenergie der neuen Bindungen stattfindet. Nehmen wir an, daß diese Lockerung bis auf die Hälfte, also spontane Aktivierungsenergien von etwa 50000 cal/Mol geht, so resultiert immer noch eine 50000
Beschleunigung auf e R " 5 4 8 = 10"20, also immer noch um den Faktor 10 20 ! So ist allgemein verständlich, daß durch Katalyse an sich unmeßbar langsame Reaktionen in den Bereich der Meßbarkeit rücken, was den eingangs geschilderten Streit zwischen „beschleunigen" und „hervorrufen" ausgelöst hat. Die konstatierte zusätzliche Bindungslockerung durch den Katalysator, d.h. durch Adsorption läßt sich nun aufgrund allgemeiner chemischer Tatsachen begründen. Die Gedankengänge, die dazu führen, sind teils mehr chemischer,
3.6 Katalyse und chemische Bindung
139
teils mehr physikalischer Natur. Natürlich besagen sie auf beiden Wegen dasselbe in einer verschiedenen Sprache, da sie sich ja auf dasselbe Objekt beziehen, nämlich die chemische Sorptionsbindung zwischen Katalysator und Reaktant.
Ο; 'cr> cOJ i_u
0
Abstand
Abb. 3.7: Molekulare und dissoziative Adsorption
In der Tat gibt es verschiedene Modelle der Chemisorption, die es verstehen lassen, daß die thermische Aktivierung des Reaktionssystems durch die Chemisorption erleichtert, also die Aktivierungsenergie erniedrigt wird. Da ist zunächst die dissoziative Adsorption. In Abb. 3.7 tragen wir für die Wasserstoffmolekel die potentielle Energie als Funktion des Abstandes von der (als Ebene angenommenen) Oberfläche auf. Kurve 1 gibt an, daß die Wasserstoffmolekel bei Annäherung an die Oberfläche zunächst schwach (flaches Minimum) angezogen wird, um im Minimum als physisorbierte Molekel liegenzubleiben. Kurve 2 hingegen zeigt, daß Wasserstoffatome durch die Anziehung nahe an die Oberfläche herankommen, in einem tiefen Minimum nahe der Oberfläche als chemisorbierte Atome liegen bleiben und erst bei übergroßer Annäherung abgestoßen werden. Dieser dissoziativ chemisorbierte Zustand, der mit einer geringen (Schnittpunkt!) oder gar keiner Aktivierungsenergie (k" kaum temperaturabhängig) erreichbar ist, ist natürlich für chemische Reaktionen des Wasserstoffs prädestiniert, weil die H-H-Bindung bereits gespalten ist. Der Vorgang dieser Chemisorption ist so zu denken, daß von rechts nach links zunächst Kurve 1 bis zum Schnittpunkt verfolgt wird, daß dann Dissoziation eintritt und vom Schnittpunkt an nach links Kurve 2 verfolgt wird.
140
3 Heterogene Katalyse
Dies ist das einfachste und augenfälligste Beispiel einer Aktivierungserleichterung durch Chemisorption. Andere Beispiele können ähnlich verstanden werden, z.B. die Adsorption einer Äthylenmolekel in Form der zwei Radikale C 2 H 3 und H, wobei in dem C 2 H 3 die Doppelbindung geöffnet oder wenigstens gelockert ist, oder die Adsorption einer Doppel- oder Dreifachbindung an einem komplexbildenden Oberflächenatom der Übergangsmetalle, wobei Elektronenpaare der intramolekularen Bindung an unbesetzten d-Bahnen des Oberflächenatoms anteilig werden. Auch Wasserstoffbrücken zwischen organischen Alkoholen und katalysierenden Hydroxiden können die Aktivierung erleichtern, wenn es sich um Reaktionen handelt, bei denen eine Wasserstoffverschiebung nötig ist, denn die Protonen in Wasserstoffbrücken sind leicht verschieblich. Alle diese chemischen Überlegungen, auf die wir bei einzelnen Beispielen noch zurückkommen werden, kommen also darauf hinaus, daß durch die Schließung der Chemisorptionsbindung die vorher schon in den reagierenden Molekeln vorhandenen Bindungen gelockert werden. Dieses Prinzip läßt sich nun sehr allgemein physikalisch begründen, wenn wir auf die Auffassung zurückgreifen, daß die Chemisorption letzten Endes darauf hinauskommt, daß die Anziehungskräfte den Festkörper zusammenhalten, in der Oberfläche ungesättigt sind und dort als freie Valenzen wirken. Wir können also ein Oberflächenatom des Katalysators wie ein freies Atom ansehen. Nun lehren uns quantenmechanische Überlegungen, die wir hier nicht wiedergeben können, daß bei Annäherung eines freien Atoms an eine Molekel sehr wenig Energie angewendet werden muß (etwa 7 % der Bindungsenergie der Molekel), damit eine Wechselwirkung zwischen Atom und Molekel stattfindet, und daß gleichzeitig die Bindung innerhalb der Molekel gelockert wird. Abb. 3.8 gibt diese Verhältnisse schematisch wieder. X sei das Atom (Katalysator-Oberflächen-Atom), das im Zuge der Adsorption immer näher an die Molekel YZ herankommt. Der obere Teil des Bildes gibt den Ausgangszustand in sehr großer Entfernung zwischen X und YZ wieder, der mittlere Teil den Endzustand der Chemisorption, wo X sich dem Y erheblich genähert hat und dabei die Bindung zwischen Y und Ζ sehr gelockert und der intramolekulare Abstand vergrößert ist. Der unterste Teil der Abb. 3.8 zeigt die Wechselwirkung Α zwischen X und Y, die im großen Abstand 0 ist, dann zunächst negativ wird (Abstoßung), um schließlich in eine Anziehung (Chemisorptionsbindung) überzugehen. Gleichzeitig wird die Wechselwirkung Β in YZ, die zunächst stark war, bei Annäherung von X immer schwächer. Ungefähr in der Nähe des Schnittpunktes ist der Zustand der Chemisorption zu denken, in dem X sich der Molekel erheblich genähert hat, ohne daß dabei viel Energie gegenüber dem Ausgangszustand aufgewendet worden wäre, während die Bindung Β stark gelockert ist.
3.6 Katalyse und chemische Bindung
1
α
,
141
,
o
o o ο χ
ο γ
ο ζ
Diese Lockerung der Bindungen in den chemisorbierten Molekeln läßt sich experimentell tatsächlich nachweisen: die thermischen Valenzschwingungen solcher Bindungen müssen weicher, d.h. langsamer geworden sein, und in der Tat findet man im infraroten Spektrum adsorbierter Molekeln oft eine Verschiebung zu niedrigen Frequenzen (längeren Wellen) hin. Wenn diese Lockerung der Bindungen, die man auch oft irreführend Aktivierung durch den Katalysator genannt hat, vollzogen ist, muß den adsorbierten Molekeln noch die thermische Aktivierungsenergie zugeführt werden, die erforderlich ist, um denjenigen Zustand zu schaffen, der zum Endprodukt durchreagieren kann. Sie ist um L* (Abb. 3.6) geringer als ohne die Chemisorption, denn L* ist ja gerade die Abnahme der Bindungsfestigkeit in der Ausgangsmolekel. Der aktivierte absorbierte Zustand muß so beschaffen sein, daß er die Atome in solchen Abständen voneinander enthält, die in etwa dem Zustand des Reaktionsproduktes entsprechen oder doch in einer solchen Anordnung, daß sie von beiden Seiten (Abb. 3.6) erreicht werden kann. Dies ist nur möglich, wenn der Molekel Schwingungsenergie zugeführt wird, und zwar gerade soviel, wie für die beabsichtigte Abstandsänderung erforderlich ist. Diese Schwingungsenergie wird umso geringer sein, der Katalysator also umso besser, je mehr die Bindungsverhältnisse in der chemisorbierten Molekel die angestrebten Abstände begünstigen. Wir werden an vielen Beispielen sehen, daß eine solche Einstellung der Bindungsverhältnisse oft mit einer Übertragung von Elektronen aus der Molekel an den Katalysator oder umgekehrt erreicht wird. Man muß sich dabei nicht vorstellen, daß Chemisorption, Schwingungsanregung und Elektronenübertritt drei nacheinander ablaufende
142
3 Heterogene Katalyse
getrennte Vorgänge sind. Wir haben schon das Beispiel einer dissoziativen Chemisorption kennengelernt, wo das nicht der Fall ist, und die Kinetik gibt heute schon Hinweise darauf, daß auch die Chemisorption geschwindigkeitsbestimmend sein kann, wenn sie gleichzeitig den in Abstand und Bindungen günstigsten Adsorptionszustand herstellt. Unsere bisherigen Überlegungen bilden keineswegs etwas, was man „die Theorie der Katalyse" nennen könnte. Eine solche gibt es nicht und kann es nicht geben, da die Erscheingungsformen, die unter dem Sammelbegriff Katalyse zusammengefaßt wurden, so verschieden sind, daß für jeden Fall oder doch für jede Gruppe von Fällen wieder neue grundsätzliche Überlegungen angestellt werden müssen, die in den oben vorgezeichneten Rahmen fallen. Wir werden im folgenden einige wichtige Gruppen von katalytischen Reaktionen einzeln besprechen, insbesondere im Hinblick darauf, zu verstehen, warum für bestimmte Katalysen gerade bestimmte Katalysatoren und welche erforderlich sind.
3.7 Spaltungen und Synthesen
Als erstes Beispiel sei die berühmte Synthese des Ammoniaks aus Stickstoff und Wasserstoff betrachtet, also die Reaktion N2 + 3 H 2
2 NH 3 .
Wegen der Wichtigkeit der Bindung des Luftstickstoffs für die landwirtschaftliche Düngung und die stickstoffhaltigen Schieß- und Sprengstoffe hatte schon Faraday (1825) versucht, diese Reaktion an Katalysatoren durchzuführen, aber, wie wir heute wissen, mußte er erfolglos bleiben, weil das Gleichgewicht dieser Reaktion auf der linken Seite liegt. Erst Nernst und Haber fanden, daß bei möglichst tiefer Temperatur (daher Katalyse erforderlich) und hohem Druck sich merkliche Ausbeuten an Ammoniak erzielen lassen. Bosch und Mittasch schufen dann zu Anfang unseres Jahrhunderts die technische Ammoniak-Synthese, indem sie die Apparatur und einen wirksamen Katalysator entwickelten. Der Katalysator ist Eisen in besonderer Form, und unsere Aufgabe hier ist, zu untersuchen, warum gerade Eisen. Ehe besondere Schwierigkeit der Ammoniaksynthese liegt natürlich darin, daß in ihr die außerordentliche starke dreifache Bindung zwischen den Stickstoffatomen aufgespalten werden muß. Der Katalysator muß daher außer der Fähigkeit, Wasserstoff (dissoziativ) zu binden, insbesondere Stickstoff chemisorbieren und möglichst dissoziativ chemisorbieren können. Betrachten wir nun die Elektronenkonfiguration des Eisenatoms, so stellen wir fest, daß in einer äußeren Schale von „Valenzelektronen" zwei Elektronen vorhanden sind und weiter innen in der „3d-Schale" 6 Elektronen und 4 freie, unbesetzte Plätze oder Bahnen. Im festen Metall verschmelzen die beiden Valenzelektronen zu einem teilweise besetzten Band, und ebenso die 6 d-Elektronen. Beide Bänder überlappen sich. Abb. 3.9 gibt, etwa analog zu Abb. 3.2 diese Elektronenverteilung wieder. Schraffiert sind diesmal die besetzten von den insgesamt möglichen Zuständen. Man kann sich nun leicht vorstellen, daß gerade das gleichzeitige Vorhandensein von beweglichen Valenzelektronen und von Elektronenlücken das Eisen für die Ammoniak-Katalyse prädestiniert. Die Vorstellung wäre etwa die folgende: Wasserstoff kann jetzt dissoziativ demisorbiert werden, denn das Wasserstoffatom besteht aus einem Proton und einem Elektron. Das Elektron kann die Elektronenlücken im 3 d-Band auffüllen, während das Proton wegen seiner Kleinheit zwischen den Eisenatomen Platz findet. Stickstoff aber kann unter Aufnahme der 4s-Elektronen als negatives Ion chemisorbiert werden, denn Eisen bildet ja auch feste
144
3 Heterogene Katalyse
Abb. 3.9: Elektronenbänder der Übergangsmetalle
Nitride, in denen der Stickstoff das negative Ion bildet. Die beiden Chemisorptionszustände sind offenbar imstande, ohne erhebliche Aktivierungsenergie miteinander zu reagieren, und wenn doch eine Aktivierungsenergie von 11 kcal/Mol beobachtet wird, kann sie im Sinne von Abb. 3.7 (Energiebukkel im Schnittpunkt) als der Chemisorption zugehörig interpretiert werden. So nett diese Erklärung auch ist, hat sie doch Schwierigkeiten. Einmal erklärt sie nicht, warum nicht auch Nickel und Kobalt, Platin und Palladium Ammoniak-Katalysatoren sind, für die dieselben Voraussetzungen zutreffen, wohl aber Chrom. Umd zweitens gibt es einen Befund, der der besprochenen Auffassung direkt widerspricht. Man kann nämlich während der Katalyse durch starke elektrische Felder aus dem Katalysator Eisenatome mit den an ihnen klebenden chemisorbierten Atomen zusammen abreißen und die chemische Zusammensetzung dieser zusammengesetzten Teilchen im Massenspektrometer untersuchen. Man findet dabei Teilchen wie FeN 2 H, FeN 2 H 3 , FeN 4 H und so weiter, aber nie Teilchen, die einzelne Stickstoffatome enthalten. Damit fällt die Vorstellung von der dissoziativen Stickstoff-Chemisorption. Was nun? Es hat sich zeigen lassen, daß nur eine bestimmte Flächenart des Eisenkristalls, die sogenannte Oktaederfläche, die Synthese katalysiert. In dieser liegen die Eisenatome nebeneinander in Dreiecksanordnung, wie die Orangen auf dem Obststand. Theoretische Rechnungen haben nun erwiesen, daß in den Zwickeln zwischen drei solchen Eisenatomen (Abb. 3.10) eine ganze Stickstoffmolekel nicht nur gerade Platz hat, sondern mit starken Kräften unter Lockerung ihrer eigenen inneren Bindung festgehalten werden kann. Eine solche gelockerte Molekel ist natürlich dem Angriff der in Zwischengitterplätzen befindlichen Wasserstoffatome ausgesetzt, ohne daß ihre innere Bindung eher gelöst wird, als die Ammoniakbindung stattgefunden hat. Mit
145
3.7 Spaltungen und Synthesen
Abb. 3.10: Molekulare Chemisorption von Stickstoff auf Eisen
Chrom geht die Rechnung ebenso auf, nicht aber für die übrigen genannten Metalle. Natürlich kann das Ammoniak nicht in einem Elementarakt entstehen, sondern die Wasserstoffatome werden wahrscheinlich nacheinander angelagert. Ähnliches dürfte auch für die bei geringem Druck bevorzugte Ammoniakspaltung gelten; auch hier werden zunächst NH2 und NH entstehen. In welchem Stadium schließlich zwei Stickstoffatome miteinander verbunden werden, ob zunächst N 2 H entsteht oder ob der letzte Schritt 2 NH - N2 + H2 ist, ist noch unbekannt. Auf die besondere Herstellung eines aktiven Eisenkatalysators und die Gründe dafür werden wir später zurückkommen. Eine andere Spaltungsreaktion, die ebenfalls große Bedeutung namentlich für die Herstellung von Benzin aus Erdöl hat und überdies ein anderes Prinzip der Katalyse illustriert, ist die Krackung langkettiger Kohlenwasserstoffe, also eine Reaktion nach dem Typ C
nH2n + 2
C
mH2m + 2
+
C
n - m H 2 n - 2m >
wobei ein gesättigter und ein ungesättigter Kohlenwasserstoff von kleinerer Kettenlänge entstehen. Diese Reaktionen werden, wie Houdry fand, hauptsächlich durch Aluminiumsilikat von der Zusammensetzung A1 2 0 3 + nSi0 2
(n = 15 bis 30)
katalysiert. Es hat viele Mühe gemacht, diese Tatsache zu verstehen. Aufschluß gibt der Befund, daß diese Katalysatoren stark saure Eigenschaften haben; sie können einerseits aus dem Wasser Hydroxylionen aufnehmen und andererseits wasserfreie Basen wie NH3 oder Pyridin stark adsorbieren. Struk-
146
3 Heterogene Katalyse
turuntersuchungen und Infrarotspektren haben nun ergeben, daß an den Oberflächen dieser Präparate zweierlei saure Stellen vorliegen: einerseits Hydroxylgruppen, die Protonen abspalten können und daher Broensted-Säuren sind, und andererseits Aluminiumionen, die nur mit drei Sauerstoffionen umgeben sind statt der beim Silicium vorliegenden vier und die daher ein Elektronenpaar aufnehmen können — Lewis-Säuren. Beide Arten von Stellen können nun negative Ladungen in Form von Elektronenpaaren aus dem Reaktanten aufnehmen und diesen an einem bestimmten Kohlenstoffatom positiv aufladen. In dem entstandenen Carboniumion fehlen in der Umgebung des positivierten Kohlenstoffatoms Valenzelektronen, und die benachbarten Bindungen sind gelockert. Mit geringer Aktivierungsenergie tritt dann an einer dieser Bindungen die Spaltung ein. Hier ist also die Bindungslockerung durch eine Übertragung von Elektronenpaaren vom Reaktanten an den Katalysator bei der Chemisorption eingetreten. Natürlich müssen die Elektronen in einem späteren Stadium der Reaktion aus dem Katalysator zurückkehren, damit dieser reaktionsbereit bleibt. Daher ist es günstig, wenn er auch Elektronen liefernde Zentren enthält, z.B. ein Elektronenleiter ist. Einbau von Kationen höherer Ladung erzeugt wegen der Elektroneutralität solche „quasifreien Elektronen", wie wir noch sehen werden, und verbessert daher den KrackKatalysator. Solche Carboniumionen sind Zwischenstufen für sehr viele Katalysen organischer Verbindungen, wie sie in einem anderen Artikel dieses Bandes dargestellt werden, nicht nur in der heterogenen Katalyse, sondern auch in Lösungen. Solche Reaktionen bilden die Grundlage der gesamten Industrie organischer Verbindungen auf der Basis des Erdöls, der sogenannten Petrochemie.
3.8 Redox-Reaktionen
Die Rolle der Elektronen in der Katalyse ist jedoch noch erheblich mannigfaltiger, und das ist auch verständlich, da ja die chemische Bindung zwischen Atomen durch Elektronen vermittelt wird. In den organischen Spaltungsreaktionen haben wir den Übertritt von Elektronenpaaren als maßgebend erkannt und damit einen Zusammenhang mit der sauren Natur des Katalysators. Anders ist es, wenn es sich um den Übertritt einzelner Elektronen zum oder vom Katalysator handelt. Solche Vorgänge (ohne Katalyse) sind z.B. Fe 2+
Fe 3+ + e~
(Oxidation)
2 J~
J2 + 2 e"
(Oxidation)
Cu
2+
+ e"
H 2 0 2 + 2e'
Cu
+
(Reduktion)
H 2 0 + O 2 - (Reduktion)
Sie haben nichts mit der sauren Reaktion eines Stoffes zu tun, bei der immer Paare von Elektronen ausgetauscht werden (auch bei Broensted-Säuren gilt das, weil ein Proton immer ein Elektronenpaar zu seiner Bindung beansprucht). Redoxreaktionen bedeuten den Austausch einzelner Elektronen. Es ist also zu erwarten, daß auch bei der Katalyse solcher Reaktionen die elektronischen Eigenschaften der reagierenden Molekel sowie des Katalysators eine Rolle spielen werden. Diese Vermutung ist recht alt; es war schon lange aufgefallen, daß z.B. Metalle, die zu einem Wertigkeitswechsel befähigt sind, in der obigen Aufstellung Eisen und Kupfer, auch Katalysatoren mannigfaltiger Redoxreaktionen sind. Bewiesen konnte aber diese Auffassung erst werden, als genauere Kenntnisse über die elektronische Struktur der Molekeln sowie der katalysierenden Festkörper vorlagen, also im zweiten Drittel unseres Jahrhunderts. Im allgemeinen hat es dabei zu nichts geführt, wenn man einfach katalytische Wirkung oder Aktivierungsenergie verschiedener Elemente miteinander verglichen hat, denn bei solchen Vergleichen ändern sich außer dem elektronischen auch immer andere Faktoren, wie Gittertyp, Gitterdimensionen, chemische Affinität usw. Ein Erfolg war erst zu verzeichnen, als man zu erkennen begann, daß es die Möglichkeit gibt, alle diese Faktoren konstant zu halten und nur den elektronischen Faktor nach Wunsch zu verändern. Dann ist es nämlich möglich, gesetzmäßige Beziehungen zwischen diesem und der Katalyse herzustellen. Das Mittel dazu ist allgemein die „Dotierung". Sowohl Metalle wie Halbleiter lassen sich schon durch sehr geringe (bei Metallen weniger als 1 %, bei
148
3 Heterogene Katalyse
Halbleitern sogar weniger als 1 ppm) Zusätze in ihren elektronischen Eigenschaften verändern, ohne daß Gitter oder chemische Eigenschaften merklich verändert werden. Wenn wir zunächst von Metallen sprechen, haben wir schon in Abb. 3.9 gesehen, daß die erlaubten Elektronenzustände in Bändern zusammengefaßt sind. Diese Bänder sind teils besetzt, teils leer. Es gibt also Elektronen in bestimmten Zuständen und Zustände ohne Elektronen. Für die Metalle Kupfer, Silber und Gold ist das 3 s- bzw. 4 s- bzw. 5 s-Band gerade halb gefüllt. Denn Ν Atome eines solchen Metalls haben gerade Ν freie oder Valenz- oder Leitfähigkeits-Elektronen, während das Band 2 Ν Zustände enthält (wegen der doppelten Möglichkeit der Spin-Einstellung). Wenn wir nun zu diesen Metallen kleine Mengen eines anderen Metalles zulegieren, das mehr als nur ein Valenzelektron besitzt (z.B. Zink, Zinn, Cadmium), so vermehren wir damit die Zahl der besetzten Zustände und vermindern die Zahl der leeren Zustände — vorausgesetzt, daß das zugesetzte Metall das Grundmetall von seinen Gitterplätzen verdrängt, daß sich das Gitter nicht verändert (homogene oder alpha-Legierungen) und daß die Menge gering bleibt. Man kann so Legierungsreihen steigender Elektronenkonzentrationen herstellen und diese als Katalysatoren benutzen. Die Testreaktion, die man dabei untersucht, braucht keinerlei technische Bedeutung zu haben, sie muß nur ganz eindeutig laufen, von nullter Ordnung sein, damit die wahre Aktivierungsenergie gemessen werden kann, und eine Redoxreaktion sein. Bis jetzt hat sich hier die Dehydrierung der Ameisensäure, also die Reaktion HCOOH
C0 2 + H2
bewährt. Man mißt nun an allen diesen Legierungen die wahre Aktivierungsenergie dieser Reaktion in der beschriebenen Weise und versucht, Zusammenhänge festzustellen. Der Zusammenhang läßt sich formelmäßig ausdrücken in der Form q = qo + a x ( n - l ) 2 . q ist dabei die gemessene Aktivierungsenergie, qo diejenige des reinen Grundmetalls, η die Zahl der Valenzelektronen des Zusatzmetalls, χ seine Konzentration in Atomen je Gesamtzahl der Atome und α eine Konstante, die je nach der relativen Stellung der Metalle in Periodensystem der Elemente wechselt. Wir sehen, daß bei jedem Zusatz die Aktivierungsenergie zunimmt (daß der Katalysator also vergiftet wird) und daß diese Zunahme nicht nur mit der Konzentration, sondern auch mit der Wertigkeit (Elektronenzahl) der Zusatzmetalle wächst. Von Interesse ist nun, daß ganz dieselbe Gleichung
3.8 Redox-Reaktionen
149
auch für den spezifischen elektrischen Widerstand ρ derselben Legierungen bei einer Vergleichstemperatur gilt, wenn man q durch ρ und % durch p 0 ersetzt. Nun wissen wir, daß die elektrische Leitfähigkeit dadurch zustandekommt, daß Elektronen aus den höchsten (energiereichsten) besetzten Zuständen in die tiefsten unbesetzten Zustände übergehen, weil sie ja kinetische Energie aus dem elektrischen Feld gewinnen. Die Zunahme des Widerstandes bei Zunahme der Elektronenkonzentration kann daher nur von der Abnahme der unbesetzten Zustände herkommen. Wenn wir ein analoges Verhalten der Aktivierungsenergie und des Widerstandes, also der Katalyse und der Leitfähigkeit feststellen, bedeutet das offenbar, daß auch für die Katalyse die imbesetzten Zustände maßgebend sind, sozusagen den Katalysator im Katalysator bilden. Dies läßt sich leicht verstehen: Wir haben schon bei der Ammoniaksynthese vorweggenommen, daß der Wasserstoff an Metallen in der Weise adsorbiert wird, daß seine Elektronen in unbesetzte Zustände (damals waren es die 4d-Zustände des Eisens) eintreten, während die Protonen im Zwischengitter Platz finden. Wenn ein solcher Vorgang den aktivierenden Schritt unserer Reaktion darstellt, ist es ohne weiteres verständlich, daß die unbesetzten s-Zustände des Kupfer, Silbers und Goldes die Reaktion erleichtern und die thermische Aktivierungsenergie senken müssen. Im Übergangszustand sind also Elektronen des reagierenden Stoffes in unbesetzte Zustände des Katalysators übergegangen. Dasselbe Verhalten wurde auch bei anderen Reaktionen, wenn auch an einer geringen Zahl von Beispielen, festgestellt, nämlich an der Dehydrierung von Alkoholen und an der Hydrierung des Äthylens. Wir können also schließen, daß Reaktionen, in denen Wasserstoff mobilisiert wird, das sind Hydrierungen und Dehydrierungen, dieses Verhalten zeigen. Wir bezeichnen sie daher als Donator-Reaktionen. Es muß sich um Stoffe handeln, die leicht Elektronen abgeben, also Reduktionsmittel sind und niedere Ionisierungsenergien besitzen. Auch das Kohlenmonoxid zeigt oft dasselbe Verhalten. Die Befunde wurden bald auf andere Verhältnisse erweitert. Während wir soeben nur mit unbesetzten s-Zuständen (Valenzelektronenzuständen) zu tun hatten, zeigte sich bald, daß der Gesichtspunkt der Katalyse von Donatorreaktionen durch unbesetzte Zustände sich auch auf die d-Lücken der Übergangselemente übertragen läßt: Nickel ist ein guter Hydrierungs- und Dehydrierungskatalysator, weil es entsprechend Abb. 3.9 nicht nur 4s-Elektronen, sondern auch eine Lücke von nicht ganz einem Elektron in der 3 d-Schale hat. Wenn nun zum Nickel kleine Mengen von Kupfer zugesetzt werden (beide bilden Mischkristalle) das eine voll aufgefüllte 3 d-Schale, aber ein 4 s-Elek-
150
3 Heterogene Katalyse
tron besitzt, so füllt dieses die d-Lücke des Nickels auf, und die katalytische Wirkung auf die Dehydrierungsreaktionen nimmt ab. An demselben Beispiel wurde auch ein zweiter wichtiger Zusammenhang festgestellt. Setzt man nämlich zum Kupfer geringe Mengen von Nickel zu, so werden andere Reaktionen gehemmt, insbesondere die Zersetzung von Hydroperoxid 2H 2 0 2
2H20 + (V
Hier sind die s-Elektronen des Kupfers in die 3 d-Lücken des Nickels „hineingefallen", und die Besetzung des 4s-Bandes hat abgenommen. Da gleichzeitig die Hydroperoxidzersetzung abgenommen hat, müssen wir schließen, daß hier nicht die freien, sondern die besetzten Zustände die Katalyse bewirken, daß also Elektronen des Katalysators für die aktivierende Chemisorption erforderlich sind. Solche Reaktionen müssen wir „Akzeptor-Reaktionen" nennen, und es ist allgemein so, daß Reaktionen, in denen Sauerstoff mobilisiert wird, diesen Charakter zeigen. Das ist deshalb plausibel, weil die Sauerstoffatome und auch die Sauerstoffmolekel eine erhebliche Elektronenaffinität besitzen. Bevor wir weitergehen, sei darauf hingewiesen, daß natürlich die Elektronenladung, die vom Katalysator auf den Akzeptor oder vom Donator auf den Katalysator während der Chemisorption und/oder Aktivierung übergegangen ist, in einem zweiten Schritt der Reaktion wieder zurückkehren muß, damit der Katalysator nach Abschluß der katalytischen Reaktion unverändert ist und wieder tätig werden kann. Da dieser zweite Schritt — der Übergang aus dem aktivierten adsorbierten Zwischenzustand (s. Abb. 3.6) in den Endzustand — keine Energie erfordert, sondern solche abgibt und daher temperaturunabhängig und sehr schnell ist, kann über ihn nichts quantitatives ausgesagt werden. Oft ist er mit der Desorption des Endprodukts verknüpft, und wenn dieses hemmt, kann sogar etwas über diesen Schritt ausgesagt werden. Wir können hier nicht näher darauf eingehen. Wir haben bisher nur solche Fälle betrachtet, in denen eine kleine Zugabe eines fremden Metalls zu dem Grundmetall dessen Elektronenaufbau und damit katalytische Wirkung verändert hat. Was geschieht aber, wenn der Zusatz so groß wird, daß ein neuer Kristall, eine sogenannte intermetallische Verbindung entsteht? Glücklicherweise gibt es eine Reihe von Metallpaaren, bei denen wir nicht nur über die bei verschiedenen Mengenverhältnissen auftretenden intermetallischen Phasen informiert sind, sondern aufgrund von elektrischen und magnetischen Messungen in Verbindung mit der modernen Metalltheorie auch über die Besetzung der Elektronenzustände bzw. -Bänder. Man kann also Verbindungen verschiedener Zusammensetzung, die aus den-
3.8 Redox-Reaktionen
151
selben Metallen in verschiedenen Verhältnissen bestehen, miteinander sinnvoll vergleichen, während wir früher feststellten, daß ein solcher Vergleich verschiedener Elemente untereinander nicht zu brauchbaren Ergebnissen fuhrt. Es sind eine ganze Anzahl solcher Systeme mit der Ameisensäure-Spaltung untersucht worden, und es hat sich durchweg gezeigt, daß der Gesichtspunkt der Elektronenübertragung von einer Donatormolekel auf den Katalysator auch auf intermetallische Verbindungen zutrifft. Je größer der Besetzungsgrad eines Leitfähigkeitsbandes und je geringer die Zahl der unbesetzten Zustände ist, umso höher ist die Aktivierungsenergie und umso schlechter die Katalyse. Eine Gruppe von Legierungen besonderen Gittertyps und besonders hoher Elektronenbesetzung zeichnet sich durch ein Maximum der Aktivierungsenergie bei einer bestimmten Elektronenkonzentration (Zusammensetzung) aus. (Es sei übrigens erwähnt, daß vom Standpunkt einer strengeren Theorie aus nicht so sehr die Zahl der unbesetzten Zustände maßgebend ist, als vielmehr die Zustandsdichte (Ordinate in Abb. 3.9) an der Grenze zwischen besetzten und unbesetzten Zuständen, was aber gewöhnlich auf dasselbe hinauskommt).
3.9 Halbleitende Katalysatoren
Nicht alle festen Körper sind aber Metalle, und auch nicht alle heterogenen Katalysatoren sind Metalle. Es ist also zu prüfen, ob der Gesichtspunkt der Donator- und Akzeptor-Reaktionen auch auf Redoxreaktionen an nichtmetallischen Katalysatoren zutrifft. Nach dem bisherigen Konzept müßten wir dann über die elektronische Konstitution solcher Festkörper informiert sein. Wenn sie Isolatoren sind, ist dies leider nur in beschränktem Maße möglich, indem durch Anlegen von elektrischen Feldern etwas über die Beweglichkeit der gebundenen Elektronen um ihre Plätze (Polarisation) erfahren werden kann, eine Information, die schwerlich etwas mit dem Eingriff in die Bindung innerhalb adsorbierter Molekeln zu tun hat (die Aufnahme oder Abgabe ganzer Elektronenpaare bei sauren oder basischen Katalysatoren, die wir ja schon berührt haben, ist bei Redoxreaktionen nicht von Belang, weil sie nicht mit Oxidation oder Reduktion verbunden ist). Es gibt aber eine Gruppe von nichtmetallischen Festkörpern, bei denen die Elektronenstruktur gut bekannt ist, sogar etwas besser als bei Metallen, und das sind die sogenannten „Halbleiter". Es sind dies Kristalle oder kristalline Festkörper, in denen zwei Energiebänder übereinanderliegen, ohne sich zu überlappen, ein unteres, energieärmeres, das alle Elektronen der chemischen Bindungen und der Ionenladungen innerhalb des Stoffes enthält, das sogenannte Valenz- oder Grundband, (G. in Abb. 3.11). Dieses Band ist ganz gefüllt, seine Elektronen können nicht aus einem angelegten Feld Energie aufnehmen und in höhere Zustände übergehen, weil ja diese schon besetzt sind.
ZE
±t η
Ρ
Abb. 3.11: Bändermodell von Halbleitern
3.9 Halbleitende Katalysatoren
153
Die Elektronen im Grundband sind also unbeweglich, es hat keine Leitfähigkeit. In erheblichen Abstand darüber befindet sich ein weiteres Band von erlaubten Elektronenzuständen, die aber alle unbesetzt sind (wir erinnern uns, daß im Metall in dem gleichen Band besetzte und leere Zustände vorlagen). Dies ist das sogenannte Leitungsband — L in Abb. 3.11. Beim Belichten oder Erwärmen, und nur dann, können nun einzelne Elektronen die Lücke oder „verbotene Zone" überspringen im Sinne des Pfeils links in Abb. 3.11. Dabei entsteht ein Elektron im Leitungsband, das beweglich ist, weil es die ganze Breite dieses Bandes zum Besetzen freier Zustände zur Verfügung hat. Gleichzeitig entsteht im Valenzband eine Lücke, ein sogenanntes positives Loch oder Defektelektron ©, das ebenfalls beweglich ist, weil ein anderes Elektron seinen Platz einnehmen und woanders ein Loch hinterlassen kann. Das Loch im Valenzband und das Elektron im Leitungsband erteilen beide dem Halbleiter eine Leitfähigkeit, aber nur beim Erwärmen oder Belichten. Wir sprechen dann von Eigenleitung oder Photoleitung. Für die Katalyseforschung ist nun von Bedeutung, daß bei Halbleitern ähnlich wie bei Metallen, aber mit viel größerer Empfindlichkeit, Leitfähigkeit durch Dotierung hervorgebracht werden kann. Nehmen wir an, wir ersetzen einige Bausteine des Kristalls durch fremde Atome oder Verbindungen, die Elektronen-Donatoren sind, also beim Erwärmen leicht Elektronen abgeben. Sie geben sie natürlich an das Leitungsband ab, denn nur dieses enthält freie Zustände. Die „leichte" Abgabe bedeutet, daß das Elektron in dem Zusatz sich in der verbotenen Zone dicht unter dem Leitungsband befinden wird (D in der Mitte von Abb. 3.11). Schon bei geringer Erwärmung (geringer Energieabstand vom Leitungsband), geht diese Abgabe vor sich. Wiederum erhält es ein leitendes Elektron, die positive Ladung bleibt aber diesmal an dem „Donator" lokalisiert, und wir erhalten reine Elektronenleitung oder n-Leitung (n = negativ). Umgekehrt ist es möglich, Elektronenakzeptoren einzubauen, die leicht ein Elektron aus dem Valenzband aufnehmen — Α in Abb. 3.11. Beim Erwärmen tritt jetzt ein Elektron aus dem Valenzband in den Akzeptorterm, wo es lokalisiert bleibt, und es entsteht ein bewegliches positives Loch im Valenzband, wir erhalten reine p-Leitung (p = positiv). Tab. 3.2 gibt uns nun an, welche Halbleiter mit welchen Zusätzen (weniger als 1 %) dotiert und so zu Leitern gemacht werden können, und führt Halbleiter auf, die nicht ganz umgestimmt werden können, bei denen jedoch wenigstens eine Verminderung des n- oder p-Charakters erzielt werden kann. In allen diesen Fällen und noch in mehreren anderen ist es nun möglich gewesen, experimentell nachzuweisen, daß sich Elektronen im Leitungsband verhalten
3 Heterogene Katalyse
154 Tab. 3.2: Halbleiter und ihie Dotierung
n-Verminderung
p-Verminderung
Grundmaterial
n-Dotierung
p-Dotierung
Germanium
Arsen
Indium
-
-
Silicium
Phosphor
Gallium
-
-
Gallium-Arsenid
Arsen, Antimon
Gallium, Indium
-
-
ZnO
Ga203
-
Li20
-
NiO
-
Li20
-
wie im Leitband der Metalle, d.h. die Aktivierungsenergie von Akzeptorreaktionen herabsetzen und von Donatorreaktionen erhöhen, sowie daß Defektelektronen im Grundband sich verhalten wie unbesetzte Zustände in Metallen, also die Aktivierungsenergie von Donatorreaktionen herabsetzen und die von Akzeptorreaktionen erhöhen. Derselbe Stoff (Germanium oder Silicium) verhält sich also als Katalysator einer bestimmten Redoxreaktion ganz verschieden, je nachdem, mit welchem Zusatz er dotiert worden ist. Die Unterschiede in den Aktivierungsenergien bewegen sich in der Größenordnung von 10 kcal/Mol, was etwa die Hälfte des größeren der beiden Beträge ausmacht. In einzelnen wurde untersucht: die Zersetzung von Ameisensäure, die Dehydrierung von Alkoholen und die Hydrierung des Äthylens, auch Donatorreaktionen an Germanium, Silicium und Gallium-Arsenid, die Oxidation von Kohlenoxid an Zinkoxid und Nickeloxid, wobei sie an Zinkoxid mit Sauerstoff als Akzeptor, an Nickeloxid mit Kohlenoxid als Donator abläuft, die Hydroperoxid-Zersetzung an Aluminium-Antimonid und manches andere. Besonders interessant ist die Reaktion 2 S0 2 + 0 2
2 S0 3 an Chromoxid.
Dieses Oxid läßt sich durch verschiedene Zusätze sowohl nach η wie nach ρ dotieren, und die Aktivierungsenergie der Reaktion steigt bei n-Dotierung und fällt bei p-Dotierung, was sie als Donator-Reaktion ausweist. Der Donator ist natürlich das S0 2 . Damit ist bewiesen,' daß der Elektronenübertritt zum und vom Katalysator eine wesentliche Rolle bei der Katalyse von Redoxreaktionen spielt, ein Gesichtspunkt, der sicherlich bei der Aufsuchung der geeigneten Katalysatoren für technische Reaktionen beachtet werden muß, der aber natürlich nicht auf Reaktionen anderen Typs, Synthesen, Isomerisierungen (De-) Hydratisierungen usw. angewandt werden darf.
3.10 Der aktivierte adsorbierte Zustand
In allen diesen Befunden ist übrigens kein Argument dafür zu finden, daß die Chemisorption vor oder nach der Aktivierung eine Ionosorption sein muß, daß also H 2 als H + , CO als CO + oder 0 2 als 0 2 ~ und S 0 2 als S 0 2 + an dem geladenen Katalysator adsorbiert ist. Der Elektronenübertritt kann ebensogut bedeuten, daß Elektronen des Reaktanten an den unbesetzten Zuständen des Katalysators anteilig werden und so eine koordinative Bindung erzeugen bzw. daß bewegliche Elektronen des Katalysators an Orbitalen des Reaktanten anteilig werden. So gesehen unterscheidet sich die heterogene Katalyse in nichts von homogenen Katalysen, bei denen oft eine Komplexbildung der Aktivierung vorangeht oder an ihr beteiligt ist, wenn z.B. Komplexe mit katalysierenden Übergangsmetallen gebildet werden oder wenn Kohlenoxid in Carbonyl-artiger Bindung an Reaktionen teilnimmt. Es muß in diesem Zusammenhang noch auf eine viel diskutierte Frage eingegangen werden: Die Leitfähigkeit eines Metalles, die Elektronenkonzentration, n- oder p-Charakter eines Halbleiters sind ja Volumeneigenschaften, was sich schon in der Annahme von „Bändern" auswirkt, in denen der Energiewert als ortsunabhängig über das ganze Volumen des Festkörpers angenommen wird. Über die Störung, die diese Bänder in der Begrenzung des Festkörpers, also an der Oberfläche, erleiden, sagt die Theorie, wie wir sie bisher angewandt hatten, nichts aus. Die Katalyse aber ist eindeutig eine reine Oberflächeneigenschaft, denn Chemisorption kann natürlich nur an der Oberfläche stattfinden. Ist es berechtigt, den Oberflächen dieselben elektronischen Eigenschaften zuzuschreiben, wie sie im Volumen gemessen werden? Sicherlich nicht! Gerade wenn man die Chemisorption nicht als reine Ionosorption auffaßt, sondern kovalente Oberflächenbindungen zuläßt, hat man mit den in den freien Raum hinausragenden Orbitalen der Oberflächenatome des Katalysators zu rechnen. Das Verhalten des Katalysators gegenüber Donatoren und Akzeptoren wird dann wesentlich davon abhängen, ob die aus der Oberfläche herausragenden Orbitale besetzt oder leer sind. Die angeführten Befunde deuten nun darauf hin, daß diese Frage ihrerseits durch die Volumeneigenschaften bestimmt wird. Wenn das Volumen reich an freien oder quasifreien Elektronen ist, so verhält sich die Katalyse so, wie wenn die Oberflächenorbitale besetzt sind, und wenn das Volumen arm an Elektronen ist wegen freier Leitfähigkeitsterme, d-Lücken oder positiver Löcher, dann deutet das katalytische Verhalten auf unbesetzte Oberflächenorbitale hin.
3.11 Dehydratationen, Hydrolysen
Wir haben schon darauf hingewiesen, daß der elektronische Gesichtspunkt nicht auf Reaktionen angewandt werden darf, die grundsätzlich nicht elektronischer Natur sind. Einige solcher Reaktionen haben wir bereits kennengelernt. Es sei jetzt noch eine Gruppe besprochen, bei der weder Elektronenpaare noch Elektronen ausgetauscht werden, sondern Protonen. Es sind dies Reaktionen an Oberflächen, an denen das Wasser teilnimmt. Schon bei den Krackreaktionen haben wir von einem bestimmten Bild einer oxidischen Oberfläche Gebrauch gemacht, in dem die Anwesenheit von Hydroxylgruppen an nicht völlig entwässerten Oxidflächen angenommen wird, und wir haben auch erwähnt, daß diese tatsächlich spektroskopisch nachgewiesen werden können. Zwei solcher Hydroxylionen können nun unter Austritt von Wasser ein Sauerstoffanion bilden gemäß 2 OH~
H20 + 02~,
was weder eine Redoxreaktion noch eine Änderung der chemischen Natur der Oberfläche bedeutet, die ohnehin beide Arten von Anionen aufweist. Ein einer Hydrolyse zugängliches Substrat kann nun dieses Wasser aufnehmen. Umgekehrt kann die Reaktion auch von rechts nach links verlaufen, wenn ein Reaktant anwesend ist, der Wasser abspalten kann, wie etwa Alkohol. Wir haben dann die Reaktion C 2 H s OH + 0 2 ~ -v C 2 H4 + 2 O H - , und wenn das Verhältnis von OH-Ionen und O-Ionen sich stets entsprechend der Temperatur und der Gaszusammensetzung wiederherstellt, ist das eine reine Katalyse. Was dabei im Grund vor sich gegangen ist, ist ein Austausch von Protonen zwischen dem Katalysator und dem Reaktanten, was sich durch Verwendung von Isotopen auch nachweisen läßt. Dieser chemisch-stöchiometrischen Beschreibung steht die mechanistisch-modellmäßige Beschreibung gegenüber, die einen adsorbierten Zustand annimmt, wie er durch Abb. 3.12 gekennzeichnet sei. Das Wesentliche an diesem Modell ist die Wasserstoffbrücke, die durch die punktierten Linien angedeutet ist. Wasserstoffbrücken sind schwache chemische Bindungen, in denen ein Proton sich zwischen zwei kleinen Atomen (Sauerstoff oder Stickstoff) befindet; mit dem einem ist es durch eine echte chemische Bindung verbunden, mit dem anderen durch eine schwächere Wechselwirkung, die im wesentlichen elektrostatischer Natur ist. In unserem Modell besteht eine solche
3.11 D e h y d r a t i o n e n , Hydrolysen
157
(HR)
(H/^TH) I
® Abb. 3.12: Zwischenzustand der Dehydratation von Alkoholen
Brücke einerseits zwischen der Hydroxylgruppe des Alkohols und einem O 2 -Ion des Katalysators, andererseits zwischen einer Hydroxylgruppe des Katalysators und einem Sauerstoffatom des Reaktanten. Wichtig ist nun, daß Protonen in Wasserstoffbrücken leicht ihren Platz zwischen den beiden Nachbaratomen wechseln können; Ο Η und OH sind also vertauchbar; wenn nun Wasser austritt und das Η aus HR an eines der Katalysator-Sauerstoffatome tritt, ist Äthylen entstanden, und der Katalysator hat sich in seiner Oberflächenzusammensetzung nicht geändert.
3.12 Mischkatalysatoren
Ein charaktistischer Zug der technischen Chemie überhaupt, der bei der Katalyse ganz besonders hervortritt, ist, daß oft technische Entwicklung eines Verfahrens der vollständigen Erschließung des Verständnisses durch die wissenschaftliche Forschung vorauseilt. Fast alle Forschungsergebnisse, die wir im Vorstehenden auseinandergesetzt haben, waren noch unbekannt, als schon große Fabriken synthetisches Ammoniak, Motorentreibstoffe, Kunststoff-Zwischenprodukte katalytisch herstellten. Nun werden in der Technik alle diese Produkte nicht mit reinen chemischen Substanzen als Katalysatoren hergestellt, sondern fast ausnahmslos mit Mischkatalysatoren, d.h. Katalysatoren, die aus mehreren Feststoffen bestehen, die nicht etwa in einem Mischkristall gemeinsam eingebaut sind, sondern auch in einem heterogenen Gemisch nebeneinander vorliegen. Daß dies günstig ist, ist eine reine Erfahrungstatsache, die die Entwicklung der technischen Katalyse überhaupt erst ermöglicht hat, die aber lange Zeit völlig unverstanden geblieben ist. IT
m
Abb. 3.13: Mischkatalysatoren
Um genauer zu definieren, wovon wir sprechen, sei Abb. 3.13 gezeichnet. Ordinate ist hier die katalytische Wirkung, z.B. ausgedrückt durch die Wirksamkeit k bei einer gewissen Temperatur, Abszisse die Zusammensetzung des Katalysators aus einer wirksameren Komponente Α und einer weniger wirksamen Komponente B. Die Linie I gibt an, was wir erwarten, wenn die beiden Katalysatoren auf die betrachtete Reaktion so einwirken, als ob sie voneinander nichts wüßten, also additiv. Das ist ein häufiger, uninteressanter Fall. II deutet an, was geschieht, wenn ein Zusatz von Β die Wirkung von Α zunichte macht, also Vergiftung. In heterogenen Gemengen ist das nur
3.12 Mischkatalysatoren
159
vorstellbar, wenn Β die Oberfläche von Α aus geometrischen Gründen bedeckt oder wenn Β das Produkt von Α durch eine weitere katalytische Reaktion zerstört. Kurve III wird gelten, wenn die Wirkung von Α unverändert bleibt, obwohl sein Beitrag zur Zusammensetzung des Katalysators abnimmt. Das ist leicht denkbar, wenn Α sich in dünner Schicht auf Β ausbreitet und so auch in kleiner Menge die gesamte Oberfläche ausmacht. Das ist das Prinzip, nach dem viele technische Trägerkatalysatoren hergestellt werden, insbesondere wenn A ein kostbares Metall, etwa ein Edelmetall ist, das man nicht als unwirksame Masse im Kern der Katalysatorkörner verschwenden will. Beispiele sind etwa das Nickel der Fetthydrierung, das auf Tonerde aufgetragen ist, der Platinasbest, die Palladiumkohle. Wir sprechen dann von reiner Trägerwirkung. Was aber besonders überraschend ist und was tatsächlich in der Technik hundertfach realisiert ist, ist Kurve IV. Hier hat die Mischung eine höhere Wirksamkeit als der Summe der Wirkungen der beiden Komponenten entspricht, die beiden Komponenten verstärken sich gegenseitig. Man spricht dann von einem Verstärker- oder Promotoreffekt. Dieser kann in einigen Fällen ähnlich verstanden werden, wie der Trägereffekt der Kurve III, dann nämlich, wenn die katalytische Wirkung der Komponente Α während des Gebrauchs des Katalysators einer allmählichen Verminderung unterliegt, z.B. durch Oberflächenverminderung durch Rekristallisation oder Sinterung. Aus vielen kleinen Kristallen mit großer Gesamtoberfläche werden dann wenige größere Kristalle in kleinerer Gesamtoberfläche. Diese Sinterung kann durch die Anwesenheit der Komponente Β vermindert werden, wenn diese die Teilchen von Α voneinander räumlich trennt; nach einiger Zeit des Gebrauchs ist dann die Komponente Α der Mischung wirksamer als die gleiche Menge im reinen Zustand es wegen Sinterung wäre. Das ist der Fall des AmmoniakKatalysators, von dem wir als „eine besondere Form von Eisen" gesprochen haben. Man reduziert zu seiner Darstellung nämlich ein Fe 3 0 4 , das in fester Lösung kleine Mengen Al 2 0 3 enthält. Das Ergebnis sind kleine Eisenkristalle, zwischen denen sich dünne Häutchen von A1 2 0 3 befinden, die das Zusammenwachsen der Eisenkristalle verhindern (reines Eisen ist ebenfalls aktiv, aber nur eine Stunde lang). Dieser Effekt, der auf eine Stabilisierung der Sekundärstruktur hinausläuft, ist als „strukturelle Verstärkung" bekannt. Bezeichnend für ihn ist, daß die Aktivierungsenergie der Reaktion, weil für die Komponente Α charakteristisch, durch die Anwesenheit Β nicht verändert wird. Daneben sind aber andere Fälle bekannt, die sich dadurch unterscheiden, daß offensichtlich an der Berührungsfläche beider Komponenten neue Reaktionen stattfinden, die von keiner der beiden Komponenten allein katalysiert werden können. Ein wichtiges Beispiel dieser Art ist das in der ErdölIndustrie verbreitete „Platforming", dessen Katalysator ein heterogenes Ge-
160
3 Heterogene Katalyse
menge von Platin und Aluminiumsilikat ist. Während das Aluminiumsilikat in der schon beschriebenen Weise die Spaltung großer Kohlenwasserstoffmolekeln in kleinere bewirkt, hat das Platin auf die Spaltstücke eine hydrierende, dehydrierende und isomerisierende Wirkung, so daß hier Produkte entstehen, die von keiner der beiden Komponenten allein hervorgebracht werden könnten. Wir sprechen dann von „bifunktionellen Katalysatoren". In ihnen ist offenbar ein Übergehen der Zwischenprodukte von der Oberfläche der einen Phase auf diejenige der anderen notwendig; je feiner die beiden gemischt sind, umso besser wird sich die Kombination auswirken, und dies ist das Kennzeichen der bifunktionellen Katalyse. Es gibt aber auch ganz einfache und unmittelbar verlaufende Katalysen, bei denen ein Verstärkereffekt auftritt, ohne daß er auf die beiden besprochenen Arten verstanden werden kann. So kann die Reaktion zwischen Kohlenoxid und Wasserstoff durch Wahl geeigneter Mischungen, die sogar vier Komponenten und mehr enthalten, in verschiedener Richtung gelenkt werden: Es können Kohlenwasserstoffe, Alkohole, Säuren, Methan, Methanol entstehen, je nach der gewählten Katalysatormischung. Solche Fälle sind dadurch gekennzeichnet, daß nicht nur die Wirkung der Mischung vergrößert, sondern auch die Aktivierungsenergie verkleinert ist, verglichen mit der aktiveren der beiden Komponenten. Hier muß also tatsächlich in der Berührungsfläche eine neue Reaktion stattgefunden haben. Wir sprechen dann von „Synergetischer Verstärkung". Ebenso wie früher die katalytische Wirkung von Feststoffen allgemein nicht verstanden werden konnte, so konnte auch die Beschleunigung einer Katalyse von Α durch die Anwesenheit von Β nicht verstanden werden, ehe die Natur der chemischen Bindungen näher bekannt war. Wir haben gesehen, daß die Anwendung dieser Kenntnisse gerade bei katalytischen Redoxreaktionen zu beträchtlichen Einsichten in die Natur der Vorgänge geführt hat. Es liegt also nahe, auch die synergetische Verstärkung durch elektronische Effekte deuten zu wollen. Wenn die einfache Katalyse auf einen Ladungsübergang zwischen Katalysator und Reaktanten zurückgeführt werden konnte, sollte es vielleicht möglich sein, auch die synergetische Mischkatalyse durch einen Ladungsübergang zwischen den Komponenten des Katalysators zu verstehen. Metalle auf Trägern, etwa Platin auf Asbest oder Aluminiumoxid zeigen oft neben der strukturellen Verstärkung auch eine synergetische, und es wäre wichtig, diese technisch bedeutsamen Fälle theoretisch zu verstehen. Zweckmäßig geht man dazu von einer aktiven Komponente aus, die auf einem katalytisch unwirksamen Träger aufgetragen ist, der aber eine synergetische Verstärkung hervorbringt. Die Fragestellung ist dann, ob eine Dotierung des Trägers in der einen oder anderen Richtung eine Veränderung der Aktivierungsenergie der Reaktion erzeugt. Diese Frage konnte tatsächlich in vie-
3.12 Mischkatalysatoren
161
len Fällen bejaht werden; obgleich der Träger selbst katalytisch für die betrachtete Reaktion ganz unwirksam ist, kann doch durch seine Dotierung der auf ihm aufgetragene Katalysator verändert werden. So kann man Aluminiumoxid, das ein η-Leiter ist, in der Richtung auf stärkere oder geringere Elektronenleitung dotieren und auf diesen Träger Metalle, wie Nickel oder Silber, aufdampfen. Für die Dehydrierung der Ameisensäure ist das Aluminiumoxid ganz unwirksam; trotzdem wird die Aktivierungsenergie der Metalle für die Ameisensäurespaltung durch Dotierung des Trägers in der Richtung verringerter Elektronenleitung erheblich, bis auf den dritten Teil, herabgesetzt. Ähnliches erreicht man für die Äthylenhydrierung am Nickel durch Vermischen des Nickels mit mehr oder weniger dotiertem Zinkoxid, für die Ameisensäurespaltung durch Auftragen von Süber auf p- oder n-dotiertes Siliciumcarbid. Der Katalysator reagiert also, als wenn man nicht den Träger, sondern ihn selbst dotiert hätte. Hieraus folgt, daß die elektronische Struktur des Katalysators von der des Trägers beeinflußt wird. In der Tat ist dies auch theoretisch vorstellbar. Wenn der halbleitende Träger η-Leiter ist, befinden sich einige Elektronen im Leitungsband, die Hauptmenge im Valenzband. Die mittlere Energie der obersten Elektronen (Abb. 3.11) liegt dann oberhalb der Mitte der verbotenen Zone. Wenn der Träger dagegen ein p-Leiter ist, liegt diese Energie, die sogenannte Fermi-Energie, unterhalb der Mitte der verbotenen Zone. Die entsprechende Energie für das katalysierende Metall kennen wir bereits: sie ist die Grenze zwischen dem besetzten und dem unbesetzten Teü des Leitfähigkeitsbandes. Wenn nun beide Phasen, Katalysator und Träger, in leitenden Kontakt kommen, müssen sich die Fermi-Energien ausgleichen, indem aus dem Festkörper mit der höheren Fermi-Energie Elektronen in denjenigen mit der tieferen Energie abfließen. Wenn also der Träger p-dotiert ist, also eine niedrige Fermi-Energie hat, entnimmt er Elektronen aus dem Katalysator-Metall, und dieses wird elektronenärmer, also für Donator-Reaktionen wirksamer, und wenn der Träger η-dotiert ist, spendet er dem Metall Elektronen und macht es ungeeignet für Donator-Reaktionen. Die Aktivierungsenergie der Reaktion am Katalysatormetall hängt also indirekt von der Dotierung des Trägers ab. Man kann das auch so ausdrücken, daß das System Reaktant-Katalysator-Träger ein Gleichrichter ist. Bei einer Donator-Reaktion wird durch die Anwesenheit eines p-dotierten Trägers der Elektronenfluß vom Reaktanten zum Katalysator, der ja die Aktivierungsenergie bestimmt, erleichtert. Voraussetzung ist natürlich, daß die Menge des Metalls so gering ist, daß diejenigen Elektronen, die in den Halbleiter abfließen — und es sind nur wenige, weil sie ein hemmendes Feld im Halbleiter aufbauen — genügen, um die Fermigrenze des Metalls merkbar zu senken. Und in der Tat handelt es sich bei allen besprochenen Beispielen um kleine Mengen des Me-
162
3 Heterogene Katalyse
talis, die als dünne Schichten oder kleine Partikeln neben einer überwiegenden Menge des dotierten Trägers vorliegen. Jedenfalls ist durch diese Befunde eine Möglichkeit gegeben, die geheimnisvollen katalytischen Eigenschaften von Festkörper-Phasengrenzen und insbesondere die Wirkung von metallischen Trägerkatalysatoren wenigstens für Redoxreaktionen zu verstehen.
3.12.1 Inverse Mischkatalysatoren Die Größe des Effektes ist aber dennoch überraschend aus zwei Gründen: Einmal haben die Metalle eine erhebliche elektrische Leitfähigkeit, so daß innerhalb der Metallschicht kein elektrisches Potential aufgebaut werden kann und sich daher der Elektronen saugende oder treibende Einfluß des Halbleiters über die ganze Tiefe des Metalls und sein ganzes Volumen ausdehnen muß, was ihn natürlich an Intensität verkleinert. Zum zweiten aber ist die Elektronenzahl je Volumeneinheit im Metall von der gleichen Größenordnung wie die Atomzahl, d.h. ungefähr 1021 cm"3. Im Halbleiter hingegen ist die Zahl der freien Elektronen oder Defektelektronen, die durch Erwärmen, Belichten oder Dotieren erzeugt werden können, höchstens 1 Promille davon, und es muß doch überraschen, daß die zahlreichen Elektronen des Metalles so empfindlich auf die energetische Veränderung der wenigen Elektronen des Halbleiters reagieren. Aussichtsreicher scheint es zu sein, die ganze Anordnung umzukehren und einen halbleitenden Katalysator in dünner Schicht auf einem (entsprechend dotierten) Metall aufzutragen. Nicht nur setzt man dann die wenigen Elektronen des halbleitenden Katalysators dem Einfluß der großen Elektronenschar des Metalles aus, man hat überdies den Vorteil, daß durch den Übertritt von Elektronen ein Oberflächenpotential im Halbleiter aufgebaut wird, das wegen der geringen Leitfähigkeit des Halbleiters sich über eine zwar erhebliche Tiefe von der Oberfläche aus ins Innere erstreckt, aber jedenfalls nicht die ganze anwesende Katalysatormenge erfaßt. Dies sei etwas genauer auseinandergesetzt. Nehmen wir an, die Fermienergie des metallischen Trägers sei höher als diejenige des halbleitenden Katalysators, so werden Elektronen in den Halbleiter eintreten und in der Nähe der Berührungsfläche ein negatives Potential erzeugen. Gegen das Innere des Halbleiters hin klingt dieses Potential allmählich ab. Die Folge davon ist, daß in einer Randschicht, deren Dicke von der Differenz der Fermienergien der getrennten Phasen sowie von der Leitfähigkeit des Halbleiters abhängt und 10' 3 bis 10"5 cm beträgt, die Bänder, Leitband und Grundband, nach unten verbogen sind, während die Fermienergien sich ausgeglichen haben (Abb. 3.14). Diese Bandverbiegung wird keinen Einfluß auf die katalytische Aktivierungsenergie haben, wenn der größte Teil der ka-
163
3 . 1 2 Mischkatalysatoren
L
Fermi- Potential
6
Metoll
Halbierter
Abb. 3.14: Inverser Mischkatalysator im Bändermodell
talysierenden Oberfläche weit von der Grenzfläche Metall-Halbleiter entfernt ist, weil, wie die Abb. 3.14 zeigt, in großer Entfernung die Bandstruktur des Halbleiters unverändert geblieben ist. Wenn aber der Halbleiter nur eine dünne Schicht auf dem Metall bildet oder wenn er aus kleinen Teilchen besteht, deren ganze Ausdehnung innerhalb der Randschicht liegt, muß sich die Veränderung auch katalytisch bemerkbar machen. Dort ist ja das Ferminiveau nahe an das Leitungsband gerückt, und damit herrschen dort die Verhältnisse wie in einem n-dotiertenPräparat.EsmüssenalsoDonator-Reaktionenerschwertund Akzeptor-Reaktionenerleichtert sein. Nun ist bekannt, daß die Oxidation von Kohlenoxid an dem p-Halbleiter Nickeloxid eine Donator-Reaktion ist, die eine scheinbare Aktivierungsenergie von 16 kcal/Mol besitzt. Wenn aber das Nickeloxid in dünner Schicht auf Silber· oder Goldfolie aufgetragen ist, hängt diese Aktivierungsenergie von der Schichtdicke des NiO ab. Bei Schichtdicken über 10"5 cm beträgt sie immer noch 16 kcal/Mol, darunter aber steigt sie stark an und erreicht bei 10"6 cm Werte um 46 kcal/Mol. Genau das aber war zu erwarten, wenn tatsächlich die besprochene Bandverbiegung eintritt und die Aktivierungsenergie der Donator-Reaktion von dem Abstand zwischen Fermipotential und Leitungsbandunterkante abhängt. Wenn man andererseits eine 10"6 cm dünne Schicht von Fe 2 0 3 auf Silber erzeugt und diese als Katalysator für die Oxidation von Schwefeldioxid benutzt, so kann man von dem anderen die Aktivierungsenergie bestimmenden Faktor, der Elektronenkonzentration bzw. Austrittsarbeit des Silbers Gebrauch machen. Ohne Silber beträgt die Aktivierungsenergie der Reaktion 31 kcal/Mol, auf der Silberunterlage aber nur noch 24 kcal/Mol. Wenn durch Zulegierung von Palladium das Silber elektronenärmer gemacht wird, liegt sie
164
3 Heterogene Katalyse
zwischen diesen Werten, wenn es aber durch Zulegieren von Quecksilber elektronenreicher gemacht wird, fällt sie bis auf 7 kcal/Mol. Damit ist nicht nur bewiesen, daß die Austrittsarbeit des Silbers die Aktivierungsenergie des Eisenoxids beeinflußt hat, sondern auch, daß die Reaktion hier eine Akzeptor-Reaktion ist (Wir erinnern uns, daß sie an Chromoxid als DonatorReaktion ablief. Dies hängt damit zusammen, daß Chromoxid leicht oxydierbar, Eisenoxid aber leicht reduzierbar ist und daß der Schritt der Elektronenrückkehr leicht und schnell sein muß). Wenn drittens Silberpulver mit Zinkoxid gemischt wird, so verlaufen die Reaktionen CH3OH + 0 2 -> CO + 2H 2 0 und CH3OH
CO + 2H 2
an der Pulvermischung rascher und mit kleinerer Aktivierungsenergie als an Zinkoxid allein (und an Silber allein). Alle diese Systeme stellen das Gegenteil des gebräuchlichen Mischkatalysators Metall auf Halbleiter dar, nämlich Halbleiter auf metallischen Trägern. Daher rührt die Bezeichnung dieser Systeme als „Inverse Mischkatalysatoren". Die erzielten Effekte, gemessen an der Änderung der Aktivierungsenergie, sind zumeist mindestens doppelt so groß, wie bei normalen Trägerkatalysatoren, was wir ja auch anfangs schon wegen der Unterschiede in Elektronenkonzentration und Leitfähigkeit erwartet hatten. Es sei nicht unerwähnt, daß der Elektronenübertritt zwischen Metall und Halbleiter außer durch diese chemischen Beobachtungen auch durch direkte Messungen von Sperrwiderständen und von Leitfähigkeitsänderungen bewiesen worden ist. Es ist zuzugeben, daß das Problem der Mischkatalyse durch diese Beobachtungen und Überlegungen zunächst nur für Redoxreaktionen gelöst worden ist. Für andere Reaktionen, etwa Säure-Basen-Katalysen oder Protonenaustauschkatalysen können vorläufig nur vermutungsweise analoge Mechanismen aufgestellt werden, bei denen ein Austausch von Elektronenpaaren oder von Protonen zwischen den festen Phasen angenommen werden müßte. Jedenfalls haben solche Untersuchungen nicht nur theoretischen Wert, sondern sie dürften auch geeignet sein, die Lücke zwischen der technischen Entwicklung der Katalyse und ihrer wissenschaftlichen Erforschung zunehmend zu schließen und damit neue Wege zur gezielten Schaffung guter Katalysatoren zu eröffnen.
3.13 Katalyse in der Kernchemie
Wir haben im Vorstehenden gesehen, wie die Katalyse, insbesondere die hetereogene Katalyse, ein „Drama in Akten" ist, d.h. über Zwischenstufen oder Zwischenverbindungen verläuft, die gewöhnlich in der Oberfläche entstehen und vergehen. Nun kennen wir eine Art von „chemischen Reaktionen", die ebenso wie in der „gewöhnlichen Chemie" stoffliche Veränderungen umfassen, sich aber in dem Kern der Atome vollziehen. Diese Reaktionen sind allgemein unter dem Namen „Kernchemie", „natürliche und künstliche Radioaktivität" oder „Elementumwandlung" bekannt geworden. Die gewöhnliche Katalyse, wie wir sie bisher betrachtet haben, ist hier natürlich nicht möglich, weil die Kerne keine Verbindungen untereinander bilden und weil andererseits die Temperatur wegen der gegenüber der thermischen ungeheuer viel größeren Energien keine Rolle spielt. Erst bei Temperaturen in der Größenordnung 108 ist zu erwarten, daß die Aktivierungsenergie aufgebracht werden kann, die die gegenseitige Abstoßung der positiv geladenen Kerne überwindet. Die Bestrebungen, solche Temperaturen zu erreichen, sind überall im vollen Gange. Die erstrebte Reaktion, die die beste Ausnutzung der Kernenergie ermöglichen würde, ist: 4} Η
->SHe + 2 j e +
oder 2\Ό
2He
Daß eine solche Kernverschmelzung in einem Elementarakt erfolgt, ist sehr unwahrscheinlich, und so hat man sich Wege ausgedacht, in denen solche Reaktionen über Zwischenstufen, ähnlich einer gewöhnlichen chemischen Reaktion, verlaufen sollen, Zwischenstufen, die natürlich keine Zwischenverbindungen, sondern Zwischenkerne sind, z.B. }H + t 2 C
-> ?3N
?3N
- f 3 C + Je +
}H + i3C
- ?4N
?4N + }H -
?sO
?50
?SN + ie +
}H + ?5Ν Summe: 4 }H
-
?2C + lUe |He + 2l0e+
166
3 Heterogene Katalyse
Die obere Zahl links vom chemischen Symbol bedeutet dabei die Ordnungszahl, die untere die Massenzahl des Kerns, ist das Positron, das positive Elektron. Wenn nun diese Vorgänge nicht im freien Gasraum eines Plasmas oder eines Fixsterns homogen vor sich gehen würden, sondern an festen Oberflächen verliefen, dann hätten wir auch hier eine heterogene Katalyse vor uns, allerdings eine solche, bei der von den Eigenschaften des Festkörpers nicht die des Gitters und seiner Oberfläche, sondern lediglich diejenigen seiner Atomkerne eine Rolle spielen würden, denn die Kernenergien sind größenordnungsmäßig größer als alle Kräfte, die innerhalb der Kristallgitter wirken. Eine Übertragung der für die heterogenen Katalysen erkannten Regelmäßigkeiten auf Kernreaktionen ist also nicht ohne weiteres denkbar.
4 Enzymkatalyse Heinz Winkler
4.1 Einleitung
Nach Ostwald (1891) gilt derjenige Stoff als idealer Katalysator, der, ohne selbst bei der Reaktion eine bleibende Umwandlung zu erfahren, die Geschwindigkeit einer chemischen Umsetzung vergrößert. In den meisten Lehrbüchern finden wir weiter die 1933 von Mittasch eingeführten Begriffe der homogenen und heterogenen Katalyse: Wenn der Katalysator molekulardispers gelöst in der gleichen Phase eines homogenen Systems vorliegt (z.B. die Mineralsäure bei der Hydrolyse des Rohrzuckers) spricht man von homogener Katalyse. Befinden sich jedoch, wie z.B. bei der Zündung von in Luft ausströmenden Wasserstoff durch Platinmetall, der Katalysator (Platinmetall = feste Phase) und die Reaktanten (hier Wasserstoff und der Luftsauerstoff = gasförmig) in verschiedenen Phasen, liegt heterogene Katalyse vor. Beim Versuch, den Begriff „Enzymkatalyse" entsprechend einzuordnen, geraten wir aber in Schwierigkeit. Einerseits ist der Katalysator (hier ein biologisches Makromolekül, Enzym genannt) selbst kolloiddispers gelöst, andererseits werden die Reaktanten jedoch an der Oberfläche dieses Makromoleküls angelagert. Die Reaktionspartner werden dann in vielen Fällen durch eine räumliche Umstrukturierung des Enzyms in eine innere „Tasche" des Moleküls eingelagert, und nach der Umsetzung zum Produkt durch eine erneute strukturelle Umwandlung aus dem Enzym-Produkt-Komplex in die freie Lösung entlassen. Seit wir mit Hilfe neuerer Untersuchungsmethoden auch die „Feinstruktur" komplexer Reaktionsmechanismen auflösen können, zeigte sich, daß Enzyme regelbare Katalysatoren darstellen: Durch ganz bestimmte Regelmechanismen, die später noch ausführlicher besprochen werden sollen, kann der Katalysator bei Bedarf aktiviert werden, um nach getaner Arbeit wieder abgeschaltet zu werden. Wenn wir dann noch bedenken, daß viele Biokatalysatoren, die oft lebenswichtige Reaktionen im Stoffwechselkreislauf katalysieren, nicht in freier Lösung, sondern an Zellmembranen gebunden ihre „Arbeit" verrichten, bekommen wir eine Vorahnung von der unerhörten Komplexität dieser „molekularen Maschinen".
4.2 Historischer Rückblick
Das Phänomen der Katalyse chemischer Reaktionen durch biologische Makromoleküle war bereits Ende des 18. Jahrhunderts bekannt: In den Jahren zwischen 1779 und 1784 legten Antoine Lavoisiers grundlegende kalorimetrische Untersuchungen über die Verbrennung und Atmung in lebenden Zellen den Grundstein zu einem intensiven Studium des Stoffwechsels. 1835 fand Berzelius, daß Diastase, eine aus Kartoffeln gewonnene Verbindung, die hydrolytische Spaltung von Stärke katalysiert, und postulierte daraufhin, daß alle Bestandteile lebenden Gewerbes „in vivo" durch katalytische Reaktionen erzeugt werden. Etwa zur gleichen Zeit erkannte Theodor Schwann die alkoholische Gärung als einen durch Hefezellen katalysierten Vorgang. Daraufhin wurden die in einer lebenden Zelle vorkommenden Biokatalysatoren „Fermente" genannt, während 1878 Kühne für die in den Verdauungssäften in Lösung befindlichen, quasi „nicht im Zellverband organisierten Katalysatoren" den Begriff „Enzyme" (griech.: in Hefe) prägte. Louis Pasteur fand Mikroorganismen, die verschiedene Typen von Gärungsreaktionen katalysierten, darunter auch solche, die in sauerstoff-freier Atmosphäre ablaufen, und stellte die Begriffe von aeroben und anaeroben Organismen einander gegenüber. Er postulierte, daß nur lebende Organismen, die sich während der Katalyse vermehren, und durch Hitze abgetötet werden (Pasteurisieren) katalytisch wirksam sein können. Justus v. Liebig hingegen wies nach, daß ein Extrakt von Bittermandeln (Emulsin), der zweifellos keinerlei Lebewesen enthielt, die Hydrolyse von Amygdalin zu Benzaldehyd, Glukose und Blausäure katalysiert. 1897 zeigte Eduard Buchner in bahnbrechenden Arbeiten, daß auch Hefeextrakte (also zellfreie Lösungen) die alkoholische Gärung von Zucker zu Alkohol und Kohlendioxid bewirken können. Mit diesen Experimenten konnte er zweierlei beweisen: Erstens nämlich, daß die Gärung auch ohne Beteiligung lebender Zellen erfolgen kann — damit war Pasteurs Postulat widerlegt — und zweitens, daß eine Unterscheidung zwischen Ferment und Enzym überflüssig ist. Beide Worte werden seither synonym für katalytisch wirksame Eiweißstoffe verwendet. Der Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts brachte eine Fülle von wichtigen Arbeiten in vielen Laboratorien der Welt, welche die meisten der biochemischen Katalysezyklen (engl, „biochemical pathways") wenigstens teilweise erklärten. Stellvertretend für viele sei die Aufklärung des Stoffwechsels mit seinen vielen katalysierten Teilreaktionen durch Harden und Young sowie
4.2 Historischer Rückblick
171
Embden und Meyerhof genannt. Für das Problem der Gärung klärte Warburg die Rolle von „Kofaktoren", das sind Substanzen, die ein Enzym zur Erlangung seiner vollen katalytischen Aktivität benötigt, auf. Krebs untersuchte den oxidativen Stoffwechsel von Kohlenhydraten. Im Jahre 1926 gab es eine Sensation für alle am Problem „Enzym und Katalyse" Interessierten. Sumner zog den Schluß, daß alle Enzyme chemisch gesehen Proteine, d.h. Polypeptide, sind. Daraufhin begann eine Periode der Isolierung, Aufreinigung und Untersuchung vieler Enzyme, die Aufschluß über chemische Zusammensetzung, Sequenz und schließlich auch der räumlichen Struktur erbrachten. Unendlich viel Entwicklungsarbeit auf dem Gebiete der biochemischen Analytik, der Röntgenstrukturanalyse und der Elektronenmikroskopie mußte zur Erreichung dieses Ziels geleistet werden. Und schließlich galt es nach Reindarstellung, Charakterisierung und Strukturaufklärung auch zu einem Verständnis der Wirkungsweise der Enzyme zu gelangen. Wenn wir verstehen wollen, wie diese „molekularen Maschinen des Lebens" — wie man die Enzyme mit gutem Recht bezeichnen kann — funktionieren, ist es nicht genug, zu wissen, wie sie konstruiert sind. Wir müssen vielmehr versuchen, auch die dynamischen Eigenschaften zu erforschen, wir müssen sie bei ihrer „Arbeit" beobachten. So ist in den letzten Jahren die „dynamische Biochemie" entstanden, die — Hand in Hand mit den statischen Methoden der Strukturforschung - versucht, Kinetik und Mechanismen der Enzymreaktionen aufzuklären und dadurch Aufschluß darüber zu erbringen, was wir letztlich „Leben" nennen.
4.3 Einteilung und Nomenklatur der Enzyme
Es gibt verschiedene Klassen von Enzymen, die jeweils ganz spezifisch einen bestimmten Reaktionstyp katalysieren. Daher werden sie nach einem Vorschlag der „Commission on Biochemical Nomenclature" (CBN) der Int. Union of Biochemistry (IUB) entsprechend ihrer Wirkungsweise in sechs Hauptgruppen eingeordnet. Im Namen kommt sowohl die zu katalysierende Reaktion, wie auch die Art des Substrats bzw. Coenzyms zum Ausdruck. Mit der Endung -ase werden nur einfache Enzyme bezeichnet, während für katalytische Ketten, die aus mehreren Enzymen bestehen (Enzymkaskaden), das Wort „System" angeführt wird, z.B. Fettsäuresynthetase-System oder Pyruvatdehydrogenase-System. Im „Laborjargon" gibt es allerdings neben der offiziellen Enzymklassifikation (EC-Nomenklatur) auch viele Trivialnamen, z.B. Glutamatdehydrogenase für das in der systematischen Nomenklatur „EC 1.4.1.3. L-Glutamat: NAD(P) oxidoreductase (desaminierend)" bezeichnete Enzym.
4.3.1 Übersicht der 6 Hauptgruppen (CBN, 1972) Im einzelnen werden den sechs Hauptgruppen folgende Enzymklassen zugeordnet: 1. Oxidoreduktasen katalysieren Oxidations-Reduktionsprozesse. Als Wasserstoffakzeptor dienen die Coenzyme NAD+ und NADF1", aber auch molekularer Sauerstoff und verschiedene Cytochrome. Zu dieser Gruppe gehören z.B. Dehydrogenasen, Oxydasen, Reduktasen, Transhydrogenasen oder Hydroxylasen. 2. Transferasen katalysieren Gruppenübertragungsreaktionen, z.B. die Übertragung von Methyl-, Acyl-, Carboxyl-, Amino- sowie Phosphatgruppen. 3. Hydrolasen spalten hydrolytisch chemische Bindungen, z.B. Ester-, Glykosyl-, Peptid-, Amid- oder Phosphatbindungen (Trivialnamen sind z.B. Esterasen, Glykosidasen, Peptidasen, Amidasen oder Phosphatasen). 4. Lyasen katalysieren die Anlagerung bestimmter Gruppen an Doppelbindungen oder umgekehrt die Abspaltung von Gruppen unter Ausbildung einer Doppelbindung (z.B. -C-C-, -C-O- oder -C-N-Bindungen). Bei der Spaltung werden H 2 0 , C0 2 , aber auch größere Reste wie Acetyl-CoA freigesetzt. (Trivialnamen: Aldolasen, Decarboxylasen, . . .)
4.3 Einteilung und Nomenklatur der Enzyme
173
5. Isomerasen katalysieren Isomerisierungsprozesse, z.B. Racemisierung (Racemasen) oder Epimerisierung (Epimerasen), aber auch intramolekulare Redoxprozesse (z.B. die Glucose-6-phosphat-Isomerase), Verschiebungen von Doppelbindungen sowie auch den Ortswechsel von Phosphatgruppen und dgl. 6. Ligasen (Synthetasen) katalysieren die Kondensation zweier Substratmoleküle unter Ausbildung neuer C-O, C-S, C-N oder C-C-Bindungen (z.B. Tryptophan-Synthetase, t-RNS-Synthetasen, Acetyl-CoA-Synthetasen, CTP-Synthetasen oder Pyruvatcarboxylase), wobei die Energie zu diesem Prozeß durch eine gleichzeitig erfolgende Spaltung von Nukleosidtriphosphaten geliefert wird. Jede der sechs Hauptgruppen ist wiederum in Unterklassen und Unter-Unterklassen (engl, sub-sub-classes) aufgeteilt. Durch diese erneute Unterteilung ist es z.B. möglich, die Art des verwendeten Coenzyms, eventuelle Isomerisierungsvorgänge oder die Natur der zu hydrolysierenden Bindung exakt zu beschreiben. Die Numerierung der Enzyme wird nach folgenden Gesichtspunkten vorgenommen: 1. Die erste Zahl gibt an, zu welcher der sechs Hauptgruppen das Enzym gehört. 2. Die zweite Ziffer bedeutet die Unterklasse (sub-class). 3. Die dritte Ziffer bedeutet die Unter-Unterklasse (sub-sub-class). 4. Die vierte Ziffer bedeutet die jeweilige Seriennummer des Enzyms in der Unter-Unterklasse. Zum besseren Verständnis der Art der Unterteilungen sollen die Enzyme der ersten Hauptgruppe im Anschluß genauer beschrieben werden, wobei die Darstellung aller übrigen fünf Klassen ähnlich ausführlich gehalten ist. Enzyme der Klasse 1 (Oxidoreduktasen) katalysieren Redoxprozesse. Das zu oxidierende Substrat wird als Wasserstoffdonor angesehen, während als Wasserstoffakzeptor („oxidierendes Agens") u.a. die Coenzyme NAD+, NADP + , molekularer Sauerstoff oder die verschiedenen Cytochrome (im Aufbau dem Myoglobin ähnliche Proteine, welche in Redoxketten die Funktion eines Elektronen-Carriers haben) dienen. Die Codenummern bedeuten im Falle der Oxidoreduktasen: 1. Die erste Zahl gibt die Zugehörigkeit zur Klasse der Oxidoreduktasen an (1). 2. Die zweite Zahl zeigt an, welche chemische Gruppe des Substrates (Wasserstoffdonors) oxidiert wird: 1 bedeutet eine CH-OH-Gruppe, 2 eine Aldehydgruppe usw. bis 1.17 (vgl. Tab. 4.1).
4 Enzymkatalyse
174
3. Die dritte Zahl symbolisiert die Art des beteiligten Wasserstoffakzeptors: 1 steht für NAD(P) + , 2 für Cytochrom, 3 für molekularen Sauerstoff, 4 für ein Disulfid, 5 für ein Chinon oder ähnliche Verbindungen usw. Die Zahl 99 wurde willkürlich zur Kennzeichnung des Falles ausgewählt, daß der tatsächliche Akzeptor noch unbekannt ist. In diesem Falle soll allerdings das Wort „Akzeptor" in Klammern hinzugefugt werden. Z.B. ist die Bernsteinsäuredehydrogenase mit noch unbekanntem Akzeptor das erste Enzym der Unter-Unterklasse 99, der Unterklasse 3 der Hauptgruppe 1: EC. 1.3. 99. 1. Bernsteinsäure: (Akzeptor) oxidoreduktase. 4. Wie schon aus dem unter Punkt 3 Gesagten hervorgeht, ist die vierte Zahl die Seriennummer des Enzyms in der entsprechenden Unter-Unterklasse.
4.3.2 Übersicht der Enzyme der Klasse 1 1. Oxidoreduktasen 1.1
1.2
Wirken 1.1.1 1.1.2 1.1.3
1.1.99
Mit anderen Akzeptoren
Wirken 1.2.1 1.2.2 1.2.3 1.2.4 1.2.7
auf Aldehyd- oder Ketogruppen von Donoren Mit NAD+ oder NADP+ als Akzeptor Mit Cytochrom als Akzeptor Mit Sauerstoff als Akzeptor Mit einer Disulfidverbindung als Akzeptor Mit einem Eisen-Schwefel-haltigen Protein als Akzeptor
1.2.99 1.3
auf eine CH-OH-Gruppe von Donoren Mit NAD+ oder NADP+ als Akzeptor Mit Cytochrom als Akzeptor Mit Sauerstoff als Akzeptor
Wirken 1.3.1 1.3.2 1.3.3
Mit anderen Akzeptoren auf die -CH-CH-Gruppe von Donoren Mit NAD+ oder NADP+ als Akzeptor Mit Cytochrom als Akzeptor Mit Sauerstoff als Akzeptor
4.3 Einteilung und Nomenklatur der Enzyme
1.4
1.3.7
Mit einem Eisen-Schwefel-haltigen Protein als Akzeptor
1.3.99
Mit anderen Akzeptoren
Wirken 1.4.1 1.4.3 1.4.4
1.4.99 1.5
Wirken 1.6.1 1.6.2 1.6.4 1.6.5 1.6.6 1.6.7
1.6.99 1.7
Mit anderen Akzeptoren
Wirken auf die -CH-NH-Gruppe von Donoren 1.5.1 Mit NAD+ oder NADP+ als Akzeptor 1.5.3 Mit Sauerstoff als Akzeptor
1.5.99 1.6
auf die -CH-NH2-Gruppe von Donoren Mit NAD+ oder NADP+ als Akzeptor Mit Sauerstoff als Akzeptor Mit einer Disulfidverbindung als Akzeptor
Mit anderen Akzeptoren auf NADH oder NADPH Mit NAD+ oder NADP+ als Akzeptor Mit Cytochrom als Akzeptor Mit einer Disulfidverbindung als Akzeptor Mit Chinon oder ähnl. Verbindung als Akzeptor Mit einer Stickstoffhaltigen Gruppe als Akzeptor Mit einem Eisen-Schwefel-haltigem Protein als Akzeptor
Mit anderen Akzeptoren
Wirken auf andere Stickstoffhaltige Verbindungen als Donoren 1.7.2 Mit Cytochrom als Akzeptor 1.7.3 Mit Sauerstoff als Akzeptor
1.7.99
Mit anderen Akzeptoren
1.8
Wirken auf eine Schwefelhaltige Gruppe von Donoren
1.9
Wirken auf eine Hämgruppe von Donoren
175
176
4 Enzymkatalyse
1.10 Wirken auf Diphenole und verwandte Substanzen als Donoren 1.11 Wirken auf Wasserstoffperoxid als Akzeptor 1.12 Wirken auf Wasserstoff als Donor 1.13 Wirken auf einzelne Donoren, wobei molekularer Sauerstoff eingebaut wird (Oxygenasen)
1.13.11 Mit Einbau zweier Sauerstoffatome 1.13.12 Mit Einbau eines Sauerstoffatoms (innere Monooxygenasen oder innere Oxidasen mit gemischter Funktion)
1.13.99 Sonstige (erfordert weitere Charakterisierung) 1.14 Wirkt auf gepaarte Donoren, wobei molekularer Sauerstoff eingebaut wird
1.14.11 Mit 2-Oxyglutarat als einem Donor und Einbau je eines Sauerstoffatoms in beide Donoren 1.14.12 Mit NADH oder NADPH als einem Donor und Einbau von zwei Säuerst offat omen in einem Donor 1.14.14 Mit reduziertem Flavin oder Flavoprotein als einem Donor und Einbau eines Sauerstoffatoms 1.14.15 Mit einem reduzierten Eisen-Schwefel-haltigen Protein als einem Donor und Einbau eines Sauerstoffatoms 1.14.16 Mit reduziertem Pteridin als einem Donor und Einbau eines Sauerstoffatoms 1.14.17 Mit Ascorbat als einem Donor und Einbau eines Sauerstoffatoms 1.14.18 Mit einer anderen Verbindung als einem Donor und Einbau eines Sauerstoffatoms
1.14.99 Sonstige (erfordert weitere Charakterisierung) 1.15 Wirkt auf Peroxid-Radikale als Akzeptor
4.3 Einteilung und Nomenklatur der Enzyme
177
1.16 Oxidierende Metallionen 1.16.3 Mit Sauerstoff als Akzeptor 1.17 Wirkt auf -CH 2 -Gruppen 1.17.1 Mit NAD + oder NADP + als Akzeptor 1.17.4 Mit einer Disulfidverbindung als Akzeptor Stellvertretend für die große Zahl an Enzymen der ersten Klasse soll die Nomenklatur anhand dreier im Zuckerstoffwechsel wichtiger Umsetzungen erläutert werden: z.B. katalysiert die Alkoholdehydrogenase als 1. Enzym der Untergruppe 1.1.1 = E.C. 1.1.1.1 folgenden Prozeß: Alkohol + NAD+ ^ Aldehyd oder Keton + NADH + H + Die Glukose-6-phosphat Dehydrogenase ist das 49. Enzym in der Untergruppe 1.1.1 (E.C. 1.1.1.49) und spielt eine wichtige Rolle im Zuckerabbau. Sie katalysiert die Reaktion D-Glukose-6-phosphat + NADP+ ^ D-Glukono-6 -lakton-6-phosphat + NADPH + H + Enzyme der 3. Unterklasse der 1. Unterklasse der 1. Klasse, das ist 1.1.3, verwenden molekularen Sauerstoff ( 0 2 ) als Akzeptor, wie z.B. die Glukoseoxidase (E.C. 1.1.3.4) als 4. Enzym in dieser Untergruppe: j3-D-Glukose + 0 2 - D-Glukono-5-lakton + H 2 0 2 Als weiteres Beispiel kann die schon eingangs erwähnte Katalase als 6. Enzym der Untergruppe 1.11.1 (= E. C. 1.11.1.6 = Wasserstoffperoxid-Wasserstoffperoxid-Oxidoreduktase) dienen, welche H 2 0 2 als Akzeptor einsetzt. H202 + H202 ^ 2 H20 + 0 2 Anhand dieser Beispiele sollten sowohl die oft verwirrende Mannigfaltigkeit enzymkatalysierter Reaktionen wie aber auch die exakt-deskriptiven Eigenschaften und die Leistungsfähigkeit der neuen Nomenklatur aufgezeigt werden. Eine ausführlichere Beschreibung ist nur in Sachbüchern zu finden und würde weit über den Rahmen dieses Artikels hinausgehen.
4.3.3 Trivialnamen Einige Kategorien von Enzymen treten besonders häufig in Erscheinung, und ihre Trivialnamen informieren teils über die Art des Substrates, teils beschreiben sie die Art der katalysierten Reaktionen. 1. Dehydrogenasen katalysieren die Dehydrierung ihrer Substrate, wobei der Wasserstoff meistens auf NAD + oder NADP+ übertragen wird.
178
4 Enzymkatalyse
2. Oxidasen katalysieren die Oxidation ihrer Substrate, wobei molekularer Sauerstoff als Elektronenakzeptor dient. 3. Durch Hydroxylasen wird unter Verwendung von molekularem Sauerstoff als 0 2 -Donor eine Hydroxyl(-OH)gruppe in das Substratmolekül eingeführt. 4. Oxygenasen beschleunigen bei gleichzeitiger oxidativer Spaltung einer C-CBindung den Einbau von molekularem Sauerstoff in das Substrat. 5. Kinasen katalysieren die Übertragung einer Phosphatgruppe von ATP oder gelegentlich von anderen Triphosphaten auf ihr Substrat. 6. Thiokinasen katalysieren bei gleichzeitiger Spaltung von ATP die Bildung von Thioestern aus Carbonsäureestern. 7. Phosphatasen bewirken eine hydrolytische Spaltung von Estern der Phosphorsäure. 8. Phosphorylasen phosphorylieren (d.h. übertragen Phosphorsäurereste auf) glykosidische Bindungen. 9. Transferasen übertragen bestimmte Gruppen zwischen zwei Substraten. So wird z.B. ein Essigsäurerest durch Transacetylasen oder eine Carboxylgruppe durch Transcarboxylasen übertragen. 10. Mutasen katalysieren den Übergang einer Phosphatgruppe von einer Hydroxylgruppe zu einer anderen innerhalb des gleichen Substratmoleküls. 11. Synthetasen verknüpfen bei gleichzeitiger Spaltung von Triphosphat (meist ATP) zwei Substratmoleküle.
4.4 Chemischer Aufbau und Struktur der Enzyme 4.4.1 Primärstruktur Enzyme sind hochmolekulare Polymere, die, wie fast alle biologischen Makromoleküle nur aus wenigen Grundbausteinen bestehen. Ihren essentiellen Bestandteil bilden die 20 sogenannten natürlichen L-Aminosäuren, das sind bifunktionelle organische Säuren, die mindestens eine basische Amino- und eine die Säurefunktion repräsentierende Carboxylgruppe enthalten. Die pKWerte der Aminogruppen liegen bei 10, die der sauren Gruppen zwischen 2 und 3, so daß Aminosäuren in wäßriger Lösung von physiologischem pHWert 7) als dipolare Ionen, auch Zwitterionen genannt, vorliegen. In Tab. 4.1 sind die Strukturformeln der biologisch wichtigsten Aminosäuren, zusammen mit den entsprechenden pK-Werten und pl (Isoelektrischer Punkt) zusammengestellt. Wenn man eine Aminosäure durch Titration mit Lauge aus saurem in basisches Milieu bringt, wird ein pH-Wert durchlaufen, bei dem die elektrische Nettoladung gleich Null ist. Experimentell ist dieser sogenannte „Isoelektrische Punkt" als der pH-Wert definiert, bei dem die Aminosäure in einem angelegten äußeren elektrischen Feld nicht mehr wandert. Bei den biologisch wichtigen Aminosäuren sitzt eine Aminogruppe immer in α-Stellung zur Carboxylgruppe, d.h. an dem der Säuregruppe benachbarten Kohlenstoffatom. Der mit R bezeichnete Rest stellt im einfachsten Fall (= Glycin) ein Wasserstoffatom dar, kann aber auch als kettenförmige oder ringförmige organische Verbindung ausgebildet sein. Die Amino- und Carboxylgruppe zweier verschiedener Aminosäuren können unter Wasserabspaltung miteinander reagieren. Dadurch werden diese unter Ausbildung der sogenannten Peptidbindungen zu langen kettenförmigen Strukturen verknüpft, verlieren dabei allerdings bis auf etwaige, in Seitengruppen vorhandene Amino- oder Carboxylgruppen ihre Basen- bzw. Säurefunktion (vgl. Abb. 4.1). Die Reihenfolge der Aminosäuren im Polymer nennt man Aminosäuresequenz oder Primärstruktur. Je nach Anzahl der Bausteine spricht man von Di-, Tri-, Oligo- bzw. Polypetiden (2, 3, . . . 10 bis etwa 35), während noch längere Polymere heterogener Zusammensetzung als „Proteine" bezeichnet werden. Polypeptide haben Molekulargewichte bis etwa 5000, während manche Proteine bis zu mehreren Millionen erreichen. Derart große Moleküle sind aber meistens aus mehreren Untereinheiten aufgebaut, die ihrerseits Molekulargewichte bis zu einigen Hunderttausend aufweisen. Vielfach erhebt sich die
180
4 Enzymkatalyse
Tab. 4 . 1 : Strukturformeln, pK- und pl-Werte biologisch wichtiger Aminosäuren H3N-CH-COO" I CH,
H3N—CH-COO"
Glycin (Gly)
Alanin (Ala)
Valin (Val)
Leucin (Leu)
p K s = 2.34,9.6 p l =5.97
p K s = 2.35,9.69 p l =6.02
p K s = 2.32,9.62 pl =5.97
p K s = 2.36,9.6 p l =5.98
H
H3N-CH-COO" I CH, I OH
H
H3N-CH-COO" I ch2 I COO"
Isoleucin(Ile)
Serin (Ser)
Threonin(Thr)
Asparaginsäure(Asp)
pK s =2.36.9.68 p l =6.02
p K s = 2.21,9.15, >12 pl =5.68
pKg= 2.63,10.43· •12 p l =6.53
p K s = 2.09(a), 3.86(ß) 9.82 pl =2.97
H3N—CH—COO" I C H ,L 1 1
H J3 N - C| H - C O O "
H J3 N — C H — C O O " |
ch2
ch2 j
ch2 I COO
ch2 I
H3N-CH-COO J 1 ch2 1 ' ch2 1 CH, 1 ch2 1
HaN-CHj-COO"
3 J
N-CH-C00" I HC—CH3 I CH2 I 1 CH3
o^
C
"nh
2
CH3
3
CH3
N—CH-COO" I /CH Ctf3 OH
O*
C n
*nh
2
H
3
N-CH-COO" I CH, I xCH CH3 "CH3
nh3
Asparagin(Asn)
Glutaminsäure(Glu)
Glutamin (Gin)
Lysin (Lys)
p K s = 2.02,8.8 ·< 1 (amido) p l =5.41
p K s = 2.19(a), 4.25(γ) 9.67 pl =3.22
pKg= 2.17,9.13 « 1 (amido) pl =5.65
pKs=2.18.8.95(a) 10.53(E) pl =9.74
181
4.4 Chemischer Aufbau und Strukur der Enzyme
H3N —CH—COO"
H,N—CH—COO"
H 3 N—CH-COO"
CH 2
CH,1
CH;
I
I
c=
CH I 2 CH 2
I HN
I
CH I Ν
H2N
'CH
HC
.CH
I
Η
NH I
HC
II
H
NH
Arginin (Arg)
Histidin (His)
Phenylalanin (Phe)
p K s = 2.17.9.0A (α) 12.48 (guanidino) pl =10.76
p K s = 1.82.6.0 (Im).9.17
pK s=1.83.9.13
pl =7.58
pl
=5.98
H3N—CH—COO"
H3N-CH-COO
CH,
CH2
H
c-
C ^ C H
I
I
I
^
HC I HC^
C I
I
CH II CH
hc^C^CH Η
Η
OH Tyrosin (Tyr)
Tryptophan (Trp)
p K s = 2.2,9.11 (a),10.07(phenol-0H-) pl = 5.65
pK s = 2.38 9.39 pl =5.88
H2N-CH-COO" / \ CH2 CH 2 CH 2
H3N-CH-COO"
H 3 N-CH—COO"
CH 2
CH2
SH
CH2
I I
I I I
s I
CH, Prolin (Pro)
Cystein(Cys)
Methionin (Met)
p K s = 1.99.10.6 p l =6.10
pKg= 1.71,8.33(-SH),10.78 (
fc
χ Ο η k. ο U ιι
ι J. ' ° o >>o £ ΙΛΓ Q. Ο QU> C ΙΛ o a> Ο -c "5 -c CL < Q. ι LT)
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ω
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C .2
ι
Ιτ, ε
χ C £ Ο ζ, ο Γ-- σ ι ^ Φ Ξ C
c ? § 2« S £ LI T Φ Ί CT ο ρ φ SZ α Ε ο ^
198
4 Enzymkatalyse
NH / CO H ? N V
•
Η
Y
1
CH2-CH2-CH2-CH2-CH~ I
Protein
0 Μ
HOvAyCHj-O-P-OH RL
"
=
CH 3Χ
NΙ
Ν
'V-H2O; ^
^
O H OH
NH | j
•
--
CO R1-C=N-CH2-CH2-CH2-CH2-CH"~PR0TE'N Η
NH l CO
Reaktionsschema 4.2: Schiffbasenbildung aus einer Oxoverbindung und der e-Aminogruppe eines Lysins des Proteins
Unterscheidung zwischen Substrat und Coenzym schwierig, da beide während des enzymatischen Prozesses chemisch verändert werden. Der Kofaktor wird jedoch am Ende der katalytischen Umsetzung oft durch angekoppelte enzymatische Reaktionen wieder regeneriert, und kann erneut in den Katalysevorgang eingreifen. Darüberhinaus geht auch bei komplexen Reaktionsmechanismen die Bindung des Coenzyms immer der Substratbindung voraus (vgl. auch Kap. 4.6.1.4.5, S. 234: Mehrsubstratreaktionen).
4.4.6 Zusammenhang von Struktur und Funktion der Proteine diskutiert am Beispiel des Myoglobins und Hämoglobins Der Zusammenhang zwischen Primär-, Sekundär-, Tertiär-, Quartärstruktur, sowie Coenzymen einerseits und biologischer Aktivität andererseits soll am Beispiel der Sauerstoffübertragung im lebenden Organismus durch das Myoglobin bzw. Hämoglobin etwas ausfuhrlicher demonstriert werden. Beide Proteine sind eigentlich nur „Enzyme honoris causa", d.h. sie spielen im Organismus eher die Rolle eines Sauerstoffcontainers bzw. Sauerrstoffcarriers, als die eines Katalysators; sie stellen aber die ersten, gut untersuchten biologischen Makromoleküle dar, von denen wir umfassende Kenntnis über die Zusammenhänge zwischen Struktur und Funktion besitzen. Für die detaillierte
4.4 Chemischer Aufbau und Struktur der Enzyme
199
Aufklärung der Struktur beider respiratorischen Proteine mit Hilfe der Röntgenstrukturanalyse wurden M. Perutz und J.C. Kendrew im Jahre 1962 mit dem Nobelpreis für Chemie ausgezeichnet. Im Blut von Vertebraten sind pro mm 3 etwa 5 Billionen rote Blutzellen (Erythrocyten) vorhanden, von denen jede ca. 280 Millionen Moleküle Hämoglobin enthält. Es ist Aufgabe des Hämoglobins, in den Lungen mit Hilfe seiner prosthetischen Gruppe, der sogenannten „Hämgruppe" molekularen Sauerstoff zu binden, und im Blutstrom zu transportieren. Der Bestimmungsort des Sauerstofftransports ist das Gewebe der Muskeln. Das dort lokalisierte Myoglobin übernimmt den Sauerstoff und speichert ihn, bis er für den Verbrennungsvorgang im Stoffwechsel benötigt wird. Daher wird das Hämoglobin oft als Sauerstoffuberträger (Carrier) das Myoglobin hingegen als Sauerstoffspeicher (Container) bezeichnet. Am Rückweg vom Muskelgewebe zu den Lungen nimmt das Hämoglobin das als Verbrennungsprodukt anfallende Kohlendioxid mit, um Säurebildung im Gewebe zu verhindern. Das Kohlendioxid wird allerdings durch freie Aminogruppen des Proteinmoleküls und nicht an der Hämgruppe gebunden. Das mit Sauerstoff beladene Hämoglobinmolekül wird als Oxyhämoglobin, der sauerstoff-freie Carrier hingegen als Deoxyhämoglobin bezeichnet.
4.4.6.1 Struktur Myoglobin besteht aus einer einzigen Polypeptidkette von 153 Aminosäureresten mit einem Molekulargewicht von 17500 und der ein Eisenatom tragenden Hämgruppe. Seine Struktur ist durch gegenüber anderen Proteinen relativ hohen a-Helixgehalt (77 %) sowie ein völliges Fehlen von Disulfidbrücken oder freien -SH-Gruppen ausgezeichnet. Die Hämgruppe, deren Metallion den Sauerstoff rein koordinativ bindet, ist fast vollständig in der Polypeptidkette eingebettet. 132 von den 153 Aminosäureestern bilden Teile von 8a-helikalen Segmenten, die ganz eng um die Hämgruppe gefaltet sind, vergleichbar einer Tasche oder einem Käfig, in der sich die sauerstoffbindende Gruppe befindet. Außerdem zeigen die unpolaren Gruppen der Aminosäurereste ins Innere dieses Käfigs; sie schaffen eine hydrophobe Umgebung für das zweiwertige Eisen, welches auf diese Weise vor einer Oxidation geschützt wird. Die Giftigkeit des Ferricyanids beruht z.B. darauf, daß das Eisen von der zwei- zur dreiwertigen Stufe oxidiert wird, und die Hämgruppen von Myoglobinen oder Hämoglobinen mit 3-wertigem Eisen (auch Metmyoglobin bzw. Methämoglobine genannt) vermögen keinen Sauerstoff mehr zu binden. Die Hämgruppe, die übrigens auch bei anderen Enzymen, die Redox-Prozesse katalysieren (wie Cytochrom c, Katalase oder Peroxidase), gefunden wird, ist ein Derivat des Porphyrins. Abb. 4.8 zeigt die chemische Zusammensetzung
200
4 Enzymkatalyse
dieser für die Aktivität essentiellen Gruppe, die ähnlich wie Benzol eine ungesättigte Ringverbindung mit vielen delokalisierten π-Elektronensystemen darstellt. Das Hämoglobinmolekül (Molekulargewicht 64500) ist aus 4 Polypeptidketten (Untereinheiten) aufgebaut, die ihrerseits je eine, das Eisenatom tragende Hämgruppe besitzen und dem Myoglobin sehr ähnlich sind. Jeweils zwei der vier Untereinheiten sind identisch und werden als α- (141 AS-Reste) bzw. ß-Ketten (146 AS-Reste) bezeichnet. Die „Formel" des Hämoglobins wird daher auch oft mit a 2 ßi angegeben. Während der Sauerstoffaufnahme ändert das Hämoglobin-Molekül seine Struktur: Der Abstand der ß-Ketten wird um 7 Ä kleiner, d.h. die Lage der ß-Ketten ändert sich innerhalb der Quartärstruktur, ohne daß die TertärstrukProteini^^/
HoC
Li
Kl
Lrw
» r
Abb. 4.8: Strukturformel der Hämgruppe im Oxyhämoglobin
201
4 . 4 Chemischer Aufbau und Struktur der E n z y m e
tur selbst nennenswert geändert wird. Das Eisenatom wird wie in anorganischen Komplexverbindungen oktaedrisch koordiniert gebunden. Vier der freien Elektronenpaare der sechs Koordinationspartner kommen von vier Stickstoffatomen des Porphyrinrings und ein fünftes von einem Ringstickstoff der Imidazolgruppe des Histidin 87. Dieses Histidin wird seinerseits durch verschiedene Wasserstoffbrücken in einer bestimmten Lage fixiert, um die Aufnahme des sechsten Liganden, nämlich des freien Elektronenpaares des zu bindenden Sauerstoffs zu erleichtern. Die Hämgruppe selbst ist also keinesfalls kovalent an das Proteingerüst (Apoprotein) gebunden, sondern nur koordinativ über diesen Komplex. Sie kann als intensiv gefärbte prosthetische Gruppe sowohl in Myoglobin, wie auch in Hämoglobin z.B. durch Behandlung mit Salzsäure in Aceton relativ leicht vom Holoprotein unter Bildung des farblosen Apoproteins (Globin) abgespalten werden. Durch Neutralisieren der Säure gelingt es jedoch ohne Schwierigkeiten, den Kofaktor wieder in das Globin einzufügen und man erhält dann wieder ein voll aktives Proteinmolekül. Analog zum Sauerstoff vermögen beide Globine auch Kohlenmonoxid, allerdings mit etwa 325 mal größerer Affinität zu binden. Aus dieser Tatsache erklärt sich die hohe Giftigkeit des Kohlenmonoxids, welches den Sauerstoff von seinem Bindungsplatz verdrängt.
4.4.6.2 Funktion des Sauerstoff Überträger- und Sauerstoff speichersystems Der Carrier Hämoglobin zeichnet sich bei normalem Angebot an Sauerstoff durch eine hohe Affinität zum Substrat aus, jedoch verringert sich infolge kooperativen Bindungsverhaltens die zur Proteinsättigung erforderliche Menge sowohl bei geringerem Substratangebot als auch bei erniedrigtem pH-Wert (vgl. Kurven 1—5 in Abb. 4.9). Sauerstoff partialdruck im Muskel
in der Lunge
100 T
100
p02(mmHg)
120
140
Abb. 4.9: Sauerstoff-B indungskurven des Myoglobins bzw. des Hämoglobins bei verschiedenen pH-Werten („Bohreffekt")
202
4 Enzymkatalyse
Am Ziel des Transportes im Muskel angelangt, bewirkt der dort vorhandene, gegenüber der Lunge leicht abgesunkene pH-Wert eine verringerte Affinität des Carriers für Sauerstoff und erleichtert dadurch die Abgabe des Substrates aus dem Carriermolekül ins Gewebe. Dieser spezielle Effekt des Hämoglobinmoleküls, bei niedrigem pH leichter Sauerstoff abzugeben, wird nach seinem Entdecker auch „Bohr-Effekt" genannt. Darüberhinaus besitzt das Hämoglobin die Fähigkeit, das als Verbrennungsrückstand" im Gewebe anfallende Kohlendioxid zu binden und aus dem Gewebe weg in die Lungen zurückzutransportieren, wo es über den Atmungstrakt aus dem Körper geschafft wird. Damit wird gleichzeitig ein zu starkes Absinken des pH-Wertes im Gewebe und eine damit verbundene Übersäuerung verhindert. Der Sauerstoffspeicher Myoglobin hingegen zeigt unter Bedingungen, bei denen der Carrier Hämoglobin sein Substrat leicht abgibt, hohe Affinität für den Sauerstoff, so daß dieser vom Gewebe aufgenommen wird (vgl. Kurve 5 bzw. Mb in Abb. 4.9). Die Reaktionsgleichung entspricht der einer einfachen Ligandenbindung: Mb + 0 , - Mb0 2
Κ =
[Mb0 2 ] [Mb] [ 0 2 ]
Durch Einführen des Sättigungsgrades y = [Mb0 2 ]/([Mb] + [Mb0 2 ]), folglich (1 - y ) = [Mb]/([Mb] + [Mb0 2 ]), und des Partialdruckes des Sauerstoffs p 0 2 (in mmHg) anstelle der Konzentrationen in die Massenwirkungsgleichung erhalten wir: „ y . Κ · P02 Κ = — — - bzw.: y = (1 — y) · p 0 2 ' ' 1+ Κ·ρ02 Aus einer Auftragung des Sättigungsgrades y gegen den Partialdruck des Sauerstoffs erhält man eine hyperbelformige Abhängigkeit der Bindung (vgl. Abb. 4.9 links). Messungen der „Overall-Kinetik" der Sauerstoffbindung von Myoglobin nach Michaelis und Menten ergeben in einer Auftragung der Geschwindigkeit (v) gegen die Substratkonzentration (S) eine ganz analoge hyperbelformige Abhängigkeit (vgl. Kap. 4.6.1.4.1, S. 224 Enzymkinetik). Beim Hämoglobin jedoch, das aus mehreren Untereinheiten besteht, die alle je ein Substratmolekül binden können, verändert die Bindung des ersten Liganden die Affinität der übrigen Sauerstoffbindungsstellen an den restlichen Untereinheiten, und man beobachtet das Auftreten eines kooperativen Bindungsverhaltens. Diese Kooperativität hat s-förmige anstatt hyperbelformige Bindungskruven zur Folge und bedeutet in diesem Falle, daß das Hämoglobin bei niedriger Sauerstoffkonzentration relativ geringe Affinität für Sauerstoff aufweist, die aber mit zunehmender Sättigung zu höheren Werten anwächst. Die Substratbindung erfordert nunmehr die Aufstellung von Bezie-
4.4 Chemischer Aufbau und Struktur der Enzyme
203
hungen, die höherer als erster Ordnung bezüglich der Sauerstoffkonzentration sind: g
=
Κ · p02n
[HbQ 2 ] [Hb][02]n
DZW
-
Υ
1 + Κ · p02n
Das tatsächlich beobachtete Bindungsverhalten wird allerdings nur dann von letzterer Gleichung - der sogenannten „Hill-Gleichung" - korrekt beschrieben, wenn man den Wert des „Hill-Koeffizienten" η rein empirisch mit ca. 2,8 annimmt. Daraus folgt die sigmoide Form der Bindungskurven — im Gegensatz zum Myoglobin, wo mit η = 1 eine hyperbelförmige Abhängigkeit gefunden wird — welche unter Berücksichtigung des Bohreffektes (Tendenz bei fallendem pH-Wert leichter Sauerstoff abzugeben) als Kurven 1, 2, 3, 4,5 in Abb. 4.9 dargestellt ist. Analoges Verhalten spiegelt sich auch in der „Over-all" Kinetik (d.i. die Kinetik des Gesamtprozesses ohne Berücksichtigung der individuellen Elementarschritte) nach Michaelis und Menten wider. Eine Auftragung der gemessenen Reaktionsgeschwindigkeit gegen die Substratkonzentration ergibt ebenfalls eine „sigmoidale Kennlinie" anstelle einer hyperbelförmigen beim Myoglobin: Die Reaktionsgeschwindigkeit ν steigt mit zunehmender Substratkonzentration zunächst nur langsam an, wird aber nach Überwindung einer gewissen „Verzögerungsphase (engl, lag period) immer schneller und erreicht schließlich den Plateauwert der Maximalgeschwindigkeit V m (vgl. Abb. 4.9). Zusammenfassend bleibt festzustellen, daß das erste Sauerstoffatom sehr langsam an die Hämgruppe bindet, das zweite und dritte hingegen immer besser, während das letztere einige hundertmal schneller als das erste Substratmolekül gebunden wird. Die Schlußfolgerung, die wir daraus zu ziehen haben ist, daß das „tetramere" Hämoglobinmolekül infolge seines kooperativen Bindungsverhaltens in einer sauerstoffarmen Umgebung mehr Sauerstoff abgeben kann, als das „monomere" Myoglobin mit seiner hyperbolischen „Kennlinie". Wir begegnen hier zum ersten Male einem „regelbaren" Protein bzw. dem Prozeß der Steuerung biologischer Makromoleküle, wie sie bei vielen Enzymen, die eine wichtige Rolle bei der Regulation des Stoffwechsels spielen, zu finden ist (vgl. auch Kap. 4.7, S. 250 Enzymsteuerung).
4.5 Warum sind Enzyme so effektive Katalysatoren? 4.5.1 Enzymspezifische Erscheinungsformen der Katalyse Bei Betrachtung des Mechanismus einer katalysierten Reaktion erhebt sich immer wieder die Frage nach der Natur des Übergangszustandes, sowie der im Laufe der Reaktion auftretenden Zwischenzustände. Bei enzymkatalysierten Reaktionen ist diese Fragestellung eng mit dem Problem der Struktur des „aktiven Zentrums" des Makromoleküls verknüpft, an dem die Substrate gebunden und umgesetzt werden. Es ist daher eine der ersten Aufgaben des Enzymchemikers, durch chemische Abbaumethoden und darauffolgende Analyse die Aminosäurereste des Proteins, die am katalytischen Prozeß irgendwie beteiligt sind, zu identifizieren und ihre Sequenz festzustellen (Aufklärung der Primärstruktur). Weiters muß die räumliche Anordnung der Aminosäurereste bestimmt werden (Sekundär- bzw. Tertiärstruktur, z.B. durch Röntgenstrukturanalyse). Erst dann kann ein Modell der Katalyse entwickelt werden, welches alle zur Verfügung stehende Information über Art und räumliche Anordnung der wirksamen Gruppen in Einklang mit den (zumeist kinetischen) Meßdaten bringt. Bei genauerer Betrachtung enzymkatalysierter Reaktionen fällt ein Punkt besonders ins Gewicht: Auf der Seite des Katalysators finden wir, daß das native Enzymmolekül fast immer sehr viel größer als die umzusetzende Verbindung ist. Die Chemie der Katalyse wird aber nur durch einen Bruchteil der im Verband des Makromoleküls vorhandenen Aminosäuren beeinflußt, nämlich derjenigen, die im „aktiven Zentrum" lokalisiert sind. Besonders häufig treten die Seitenketten von Histidin, Serin, Cystein, Asparagin, Glutaminsäure oder Lysin im katalytischen Prozeß in Erscheinung. Auf der einen Seite finden wir also ein Riesenmolekül mit einer Fülle von Aminosäuren, von denen aber nur einige wenige direkt am katalytischen Prozeß teilnehmen. Auf der anderen Seite scheiterten aber bisher alle Versuche, einen Katalysator derselben katalytischen Güte wie ein vollständiges Enzymmolekül synthetisch aufzubauen, der eben nur aus dem „aktiven Zentrum" des Proteins besteht. Es gibt wohl Reaktionen, die durch kleinere Oligopeptide oder auch durch das Coenzym allein katalysiert werden, jedoch sind die Umsatzraten vergleichbarer Reaktionen, wenn sie von „richtigen" Enzymen katalysiert werden, um mehrere Zehnerpotenzen höher.
4.5 Warum sind Enzyme so effektive Katalysatoren
205
Es war nach detaillierten Untersuchungen über Proteine evident, daß keine „vis Vitalis" oder wie immer anders geartete geheimnisvolle Kräfte, wie man sie noch im 19. Jahrhundert zur Erklärung der außerordentlichen katalytischen Wirksamkeit von Enzymen suchte, notwendig ist. Unsere Biokatalysatoren bedienen sich durchaus der Möglichkeiten der „klassischen" Katalyse, wie sie in anderen Kapiteln dieses Buches beschrieben sind (vgl. z.B. die Beiträge über homogene und heterogene Katalyse). Nukleophile, elektrophile, allgemeine Säure-Basen- und intramolekulare Katalyse kann in äußerst effektiver Weise von verschiedenen im Proteinmolekül zwar lokal fixierten, aber chemisch reaktiven Seitengruppen der Aminosäuren ausgeübt werden. Darauf soll im Anschluß noch ausführlicher eingegangen werden. Darüberhinaus werden aber, wenn das Substrat einmal an richtiger Stelle (d.h. im „aktiven Zentrum") gebunden ist, die Reaktionsabstände stark verkürzt, weil durch Konformationsänderungen innerhalb des Proteinmoleküls die katalytisch wirksamen Gruppen in engen Kontakt mit den Reaktanten gebracht werden können. Nach neueren Vorstellungen müssen wir hier zwischen verschiedenen Effekten unterscheiden, die aber alle der räumlichen Struktur des riesigen Katalysatormoleküls zuzuschreiben sind. Der „Orientierungseffekt" (engl, orientation effect) sorgt dafür, daß das Substrat in eine für die Reaktion günstige räumliche Lage gebracht wird, während der Nachbarschaftseffekt (engl, proximity effect) für möglichst große Annäherung der Reaktionspartner aneinander (kurze Reaktionsabstände) und damit hohe Reaktionsgeschwindigkeit verantwortlich ist. Ähnliche reaktionsgeschwindigkeits-erhöhende Effekte beobachtete man schon früher bei einigen Reaktionen zweiter Ordnung in flüssigen Phasen, die zwischen Eiskristallen eingeschlossen waren. Katalyse durch Verzerrung (engl, distortion) einer Bindung im Substratmolekül ist ebenfalls ein auf die Struktureigenschaften des Proteins zurückzuführendes Phänomen, welches in Modellversuchen ein Anwachsen der Geschwindigkeitskonstanten um mehrere Zehnerpotenzen bewirkte. Untersuchungen der von Pferdeleber-Esterase katalysierten Hydrolyse von m-Hydroxybenzoesäureestern verschiedener Kettenlänge zeigten, daß offenbar die mit der Kettenlänge der Substratanalogen anwachsende Bindungsenergie dazu verwendet wird, Spannungen in der Esterbindung zu erzeugen, wobei die Gleichgewichtskonstante unverändert bleibt, die katalytische Umsatzrate V m jedoch stark ansteigt.
4.5.2 Erscheinungsformen der „klassischen" Katalyse Neben diesen nur bei ganz bestimmten Katalysatormolekülen (z.B. Enzymen) auftretenden Arten der Katalyse finden wir natürlich auch die „klassischen"
4 Enzymkatalyse
206
Erscheinungsformen der Katalyse, wie allgemeine Säure-Basen-Katalyse sowie kovalente Katalyse. Diese Katalyseformen werden in anderen Kapiteln dieses Buches ausführlich besprochen, so daß auf sie hier nur soweit eingegangen werden soll, als sie in unmittelbarem Zusammenhang mit enzymatischen Reaktionen stehen.
4.5.2.1 Allgemeine Säure-Basen-Katalyse Diese Art der Katalyse tritt in der organischen Chemie sehr häufig auf und wird meist in verschiedene Unterklassen aufgeteilt: Wenn die Reaktionsgeschwindigkeit ausschließlich von der Konzentration freier Hydroniumionen ( H 3 0 + ) oder Hydroxylionen (OH) abhängt, spricht man von „spezifischer Säure"- oder „spezifischer Basenkatalyse". Reaktionen hingegen, die von der Konzentration aller in Lösung anwesenden Säuren bzw. Basen beeinflußt werden, unterliegen einer „allgemeinen Säure-Basenkatalyse". Im Ausdruck für die tatsächlich beobachtete Reaktionsgeschwindigkeitskonstante k k a t steht die Summe aller katalytischen Beiträge kkat = Κ + kH 3 o + [H 3 0+] + k 0 H - [OH~] + p [ S ] + jE k j [Β]
(1)
wobei der Term k 0 Katalyse durch Lösungsmittelmoleküle sowie intramolekulare Katalyse, k n 3 o + [H 3 0 + ] spezifische Säurekatalyse, k 0 H " [ O H - ] spezifische Basenkatalyse und £ k^ [S] + Σ k® [B] die Summen aller Katalyseerscheinungen durch in Lösung anwesende allgemeine Säuren bzw. Basen bedeuten. Enzyme besitzen in ihrem Eiweißgerüst viele Aminosäuren mit Seitenketten, die eine Funktion im Sinne allgemeiner Säure-Basenkatalysatoren erfüllen können, und in vielen biologischen Reaktionen spielt der Transfer von Protonen von, oder zum, oder auch innerhalb des Substratmoleküls eine wichtige Rolle (vgl. Kap. 4.8, S. 259 Molekulare Details der Enzymkatalyse, Beispiel Lysozym). Z.B. sind die Seitenketten der Aminosäuren Arginin, Asparaginsäure, Glutaminsäure, Histidin und Tyrosin jeweils ausgesprochen saurer bzw. basischer Natur und liegen je nach pH-Wert der Lösung oder der Umgebung in mehr oder weniger ionisierten Zuständen vor. Daher rührt auch das ausgeprägte „glokkenförmige" Profil der pH-Abhängigkeit enzymkatalysierter Reaktionen (vgl. Kap. 4.6.1.2, S. 221 Enzymkinetik: Die pH-Wirkung bzw. pK-Werte in Tab. 4.1, S. 180). Wir wissen relativ wenig über die pH-Werte innerhalb eines Proteinmoleküls, die in den hydrophoben „Taschen" sicherlich sehr verschieden von der Au-
4.5 Warum sind Enzyme so effektive Katalysatoren?
207
ßenlösung sind. Aber dennoch bringt die Tatsache, daß die maximale katalytische Aktivität vieler Enzyme um pH = 7 liegt (wo ja bekanntlich die Konzentration an und OH~ gleich niedrig, nämlich ΙΟ"7 Μ ist, nach einem Blick auf Gl. (1) deutlich zum Ausdruck, daß bei enzymatischen Reaktionen die allgemeine Säure-Basenkatalyse und eventuell noch intramolekulare Katalyse eine wichtige Rolle spielen. Die Qualität der verschiedenen Reste, im Sinne allgemeiner Säure-Basenkatalysatoren wirksam zu werden, kann durch das Brönsted'sche Katalysegesetz beschrieben werden: k s = G S · (K)»
(2)
(3) ks und kg in Gl. (2) bzw. (3) sind die katalytischen Konstanten fur Säurebzw. Basenkatalyse, während Κ die Dissoziationskonstante des eine Säurefunktion tragenden Katalysators oder die der konjugierten Säure des basischen Katalysators darstellt. Gs, Gß, α und β sind Konstanten, die von Reaktionssystem, Lösungsmittel sowie Temperatur abhängen, α und β werden als „Brönsted"-Exponenten bezeichnet und sind charakteristische Größen, die die Beeinflußbarkeit des Reaktionssystems durch allgemeine Säure-Basenkatalyse wiedergeben. Sie können durch Auftragen des log k A gegen den pK-Wert als Steigung der Geraden ermittelt werden, wenn Gl. (2) und (3) in der logarithmischen Form angewendet werden: log ks = log Gs - a pK
(4)
log kß = log Gß + β pK
(5)
α und β sind positive Größen, die zwischen 0 und 1 liegen, und große a oder 0-Werte weisen auf starke allgemeine Säure- oder Basenkatalyse hin. Neuere Untersuchungen enzymkatalysierter Reaktionen gaben Anlaß zu einer höchst attraktiven Hypothese zur Erklärung der hohen Effizienz der enzymatischen Katalyse: Da ein Enzymmolekül sehr viele Aminosäuren mit katalytisch wirksamen Resten besitzt, können nach dieser Hypothese gleichzeitig mehrere derartige Gruppen im Sinne einer gesteigerten allgemeinen Säure-Basenkatalyse (engl, concerted general acid-base catalysis) katalytisch wirksam werden (vgl. Kap. 4.8.1.3, S. 262 „Molekulare Details der Enzymkatalyse", Beispiel Lysozym). Eine weitere wichtige Frage bezüglich des geschwindigkeitsbestimmenden Schrittes und damit für die katalytische Effizienz einer allgemeinen Säure oder Base ist, wie schnell eigentlich ein Proton von einer katalytisch aktiven Gruppe am Protein auf das Substrat oder vice
208
4 Enzymkatalyse
versa übertragen wird, z.B. SH + Β ^ B H ^ + s ( - ) . Durch Einführung der Relaxationstechnik (vgl. Kap. 4.6.2.3) konnten zum ersten Male derartige Prozesse direkt meßtechnisch verfolgt und registriert werden. Aus diesen Messungen folgte, daß optimale Bedingungen für die Enzymkatalyse vorliegen, wenn die Basenstärke der Base etwa gleich der Säurestärke der konjugierten Säure ist, d.h. wenn der pK$ um 7 herum liegt. Von allen möglichen Kandidaten für gute allgemeine Säure-Basenkatalysatoren, die im Protein vorhanden sind, erfüllt die Imidazolgruppe von Histidin am besten diese Anforderung. Und tatsächlich spielt die Seitengruppe von Histidin bei vielen Enzymen eine wichtige katalytische Rolle (vgl. Kap. 4.8.2). Die optimale Geschwindigkeit einer katalysierten Protonenübertragung liegt bei pH 7 bei etwa 103 s"1; dieser Wert ist nahezu identisch mit der Wechselzahl (Turnover number) vieler Enzyme, bei denen Protonenübertragungsreaktionen im Katalysemechanismus eine Rolle spielen. Die Tatsache, daß der enzymatische Gesamtprozeß aber noch zusätzlich durch nucleophile, elektrophile sowie intramolekulare Katalyse beschleunigt wird, sowie Identität von Wechselzahl und Geschwindigkeit des ^-transfers, läßt den Schluß zu, daß die Protonenübertragung den geschwindigkeitsbestimmenden Schritt in derartigen Reaktionen darstellt. Ein wichtiges Unterscheidungsmerkmal zwischen homogener Katalyse und enzymatischer Katalyse in wäßriger Lösung wäre also, daß im Falle der Enzymkatalyse der Vorgang des Spaltens oder die Neubildung einer Bindung rascher abläuft als die Protonenübertragung. Weiters behindern bei „normaler" homogener Katalyse, die nach einem intermolekular erfolgenden nucleophilen oder electrophilen Angriff ablaufen soll, sowohl entropische Faktoren (als Folge der translatorischen oder Rotationsfreiheitsgrade der Reaktanten) als auch eine Wechselwirkung der angreifenden reaktiven Gruppen mit dem Lösungsmittel die Annäherung an den Reaktionsort. Bei der enzymatischen Katalyse hingegen sind alle an der Reaktion beteiligten Gruppen räumlich optimal gruppiert (d.h. infolge der Ausbildung eines Enzym-Substrat-Komplexes lokal fixiert und möglichst benachbart: proximity effect), so daß sowohl entropische als auch Lösungsmitteleffekte bedeutungslos sind. Auf diese Weise können die Elementarschritte der katalytischen Reaktionsfolge viel rascher ablaufen als eine Sequenz isolierter Schritte, so daß im Endeffekt die Enzymkatalyse oft um mehrere Zehnerpotenzen wirksamer als die „normale" homogene Katalyse ist.
4.5.2.2 Kovalente Katalyse Charakteristisches Merkmal der kovalenten Katalyse ist die Ausbildung einer kovalenten Bindung zwischen Substrat und Katalysator. Der Katalysator
4.5 Warum sind Enzyme so effektive Katalysatoren?
209
kann im Verlauf des Katalyseprozesses das Substrat entweder nukleophil oder elektrophil angreifen, wobei er im ersten Fall ein Elektronenpaar an das Substrat abgibt, im zweiten Fall jedoch ein Elektronenpaar vom Substrat aufnimmt. Unter den Aminosäure-Bausteinen der Proteine besitzen etwa sieben Seitenketten nukleophilen Charakter, während als Kandidaten für elektrophile Katalyse nur die protonierten konjugierten Säuren der nukleophilen Basen zur Verfügung stehen. Vom Proteinmolekül selbst ist also eigentlich nur nukleophile Katalyse zu erwarten, während Beiträge zum gesamten katalytischen Vorgang durch elektrophile Katalyse von einigen Coenzymen oder von Protein-gebundenen Metallkationen kommen.
4.5.2.2.1 Nukleophile Katalyse Eine nukleophile Gruppe (nukleophil = einen Kern, d.h. eine positive Ladung liebend) ist durch die Tendenz, ein Elektronenpaar an einen entsprechenden Elektronenpaarakzeptor abzugeben, charakterisiert und wird nach dem Physikochemiker Lewis auch als „Lewis-Base" bezeichnet. Wenn der Katalysator in einem die Geschwindigkeit der Bruttoreaktion bestimmenden Schritt ein Elektronenpaar an sein Substrat abgibt, sprechen wir von nukleophiler Katalyse, und als Maß für seine Fähigkeit, als nukleophiler Katalysator zu wirken, wird daher seine „Lewis-Basenstärke" herangezogen. Modelluntersuchungen von Jencks und Mitarbeitern zeigten, daß nukleophile Reaktivität in den meisten Fällen parallel mit der Basizität des nukleophil angreifenden Agens (in unserem Fall des Katalysators) geht. Es wurden aber auch Ausnahmen von dieser Regel gefunden, die sich durch die Annahme von sterischen sowie Lösungsmitteleffekten (im Enzym z.B. die hydrophoben Regionen; vgl. Kap. 4.4, S. 186 Aufbau und Struktur der Enzyme) und dem Überwiegen innerer allgemeiner Säure-Basenkatalyse erklären lassen. Einige Enzym-Seitengruppen, wie z.B. die Sulfhydrilgruppe des Cystein, die Imidazolgruppe des Histidin, das Hydroxylanion der Aminosäure Serin oder das Carboxylatanion der Glutaminsäure zeigen starke nukleophile Tendenz (d.h. sie wollen ihr freies Elektronenpaar gerne abgeben) und sind daher gute nukleophile Katalysatoren (vgl. Kap. 4.8, S. 259 „Molekulare Details der Enzymkatalyse", Beispiel Chymotrypsin bzw. Carboxypeptidase A). Cystein spielt z.B. eine wichtige Rolle bei den durch Papain, Triosephosphatdehydrogenase und Ficin katalysierten Acylierungsreaktionen. Reaktionszwischenzustände, die aus Phosphohistidin-Enzymkomplexen bestehen, konnten bei der Succinat-Thiokinase oder bei der enzymatischen Phosphat-Übertragung von Phosphoenolpyruvat (PEP) auf Hexosen nachgewiesen werden. Weiter fand man, daß Vitamin-B-6-(Pyridoxal und Pyridoxalphosphat)-abhängige Enzyme diesen aldehydischen Kofaktor bei gleichzeitiger Abspaltung von
210
4 Enzymkatalyse
Wasser als Schiffbase an eine e-Aminogruppe von Lysin binden (vgl. Abb. 4.10):
NH I CC *0I R,-C. Η
H2N V
+
1
Γ^ΓΤΤΤ; CH9-CH9-CH9 - CH-,-CHZ__roA^!ri NH \ :
Hs R1
HO γ Λ γ 0 Η 2 - 0 - Ρ - 0 Η Λ
CH3
Ν
ß
OH NH
/ Ν 'γ h 2 O;
ι
-
CO ~ — Protein R l - CI= N - C H 2 - C H 2 - C H 2 - C H 2 - C ,H L
Η
L
C
NH ΖΖΙΓΖΓ"
Abb. 4.10: Bildung einer Schiffbase zwischen dem Coenzym Pyridoxal-5'-phosphat und der e-Aminogruppe eines Lysins des Apoenzyms
Vitamin-B-6-abhängige Enzyme katalysieren in erster Linie Umsetzungen von Aminosäuren. Die dabei auftretenden Umsetzungen sind allerdings sehr unterschiedlicher Natur, wie z.B. die Eliminierung von Seitenketten einer Aminosäure (einfachster Fall Serin ->· Glycin, Reaktion a) in Abb. 4.11), Decarboxylierungsreaktionen (Decarboxylases Reaktion b ) ) oder Übertragung von Aminogruppen auf das Coenzym (Transaminasen, Reaktion c ) ) . Durch die stark elektronenanziehende Wirkung des positiv geladenen Pyrindinringstickstoff-Atoms bildet sich aus der Schiffbase nach Abspaltung eines Restes R (a), von C0 2 (b) oder eines Protons (c) ein mesomerer Zustand aus, der sich als gutes Nukleophil erweist (vgl. Abb. 4.11) und die darauffolgenden mannigfaltigen Reaktionen ermöglicht. Der Kofaktor liegt aber seinerseits bereits als Schiffbase mit dem aktiven Zentrum des Enzyms verknüpft vor und reagiert mit der umzusetzenden Aminosäure nach Art einer Transiminierung (Trans-Schiffisierung) viel rascher, als es etwa freies Pyridoxal-5-phosphat könnte.
211
4.5 Warum sind Enzyme so effektive Katalysatoren?
Η ι R-C-COO" "Transschif©-0-CH
R-C-COO" NH,
Enzym - C o e n z y m Schittsche Base
Aminosäure
-fisierung
© - Ο - Ο ^ γ ^ Ο Η
•
H2N-CH2
k-JL Ν CH3 Η Schiffsche a) R * b) C 0 2 c) H *
Base
Eliminierung Decarboxylierung Transaminierung
nukleophiler mesomerer Zwischenzustand
,000' H2C Η Ν V
Η •H20 Η N
0 c*
Ss • Ν Η
H2C Hy Ν Verkürzte Aminosäure
a-Ketosäure
Abb. 4.11: Formelschema der Pyridoxal-5-phosphat-katalysierten Umsetzungen von Aminosäuren (nach P. Karlson)
4 Enzymkatalyse
212
Ein weiteres Beispiel für nukleophile Katalyse ist die durch die Imidazolgruppe eines Histidinrestes katalysierte Acylgruppenübertragung, die unter Ausbildung eines Acyl-Imidazolzwischenzustandes abläuft (vgl. Kap. 4.8.2, Beispiel Chymotrypsin): (/Protein o II R-C-X
t=(
• :N
NH ^
( % Protein ο Ν r=( R - C - N + N H + X" Proteiη
'V-Jf Ο R-C-Y
• Ν
NH
Reaktionsschema 4.3: Nukleophile Katalyse bei der Acylgruppenübertragung (aus Mahler-Cordes)
Zusammenfassend kann gesagt werden, daß diejenigen Gruppen geeignete Kandidaten für nukleophile Katalyse darstellen, die zunächst eine höhere Affinität zum Substrat zeigen als der eigentliche Akzeptor, während umgekehrt der Enzym-Substrat-Zwischenzustand noch höhere Reaktivität gegenüber dem eigentlichen Akzeptor aufweist als das Substrat. Weiter müssen bei Überlegungen für die Effektivität der nukleophilen Katalyse alle diejenigen Reste berücksichtigt werden, die beim jeweiligen pH der Lösung, in der die Reaktion ablaufen soll, unprotoniert sind. Dieser Anteil α ergibt sich aus folgender Beziehung, in der Ks die Säure-Dissoziationskonstante darstellt: Ks Ks + [ H + ] Es müssen z.B. bei genauerem Vergleich zweier nukleophil-wirksamer Aminosäuregruppen, der e-Aminogruppe von Lysin ( p K = 10,53) und der Imidazolgruppe von Histidin ( p K = 6,0) sowohl die relative Basenstärke (zum Ausdruck gebracht durch den p K ) als auch der Anteil der unprotonierten Spezies berücksichtigt werden. Bei pH = 7 sind 90,91 % der Imidazolstickstoffe unprotoniert, während nur ca. 0,3 % ) der e-Aminogruppe des Lysins als Base vorliegt.
4.5.2.2.2 Elektrophile Katalyse Der wesentliche Reaktionsschritt bei der „elektrophilen Katalyse" besteht in der Abspaltung eines Elektronenpaares vom Substrat durch das als Elektronenpaarakzeptor wirkende Katalysatormolekül. Man könnte diese Art der
4.5 Warum sind Enzyme so effektive Katalysatoren
213
Katalyse auch als umgekehrten Vorgang der nukleophilen Katalyse bezeichnen. In der enzymatischen Katalyse sind hauptsächlich Metallionen, Kofaktoren oder protonierte Schiff sehe Basen als elektrophiles Agens wirksam. R=Enzym
N·/ Ν i
0
11
c
CHJ ^ C H 2 - C O 2 H * R N H 2 ^ C H ^ Η
TN
R
11
CR-V
CH^
OJ
" V 7 CH3-C=CH2
7
— •
CH3-C=CH2*CO2
Β
H R
Ν ^
0
H R V
-
0
/0
^CH2-C
II C CH^ ^CH3
0 Η,Ο
1 C »RNHZ CH^ ^CH3
Reaktionsschema 4 . 4 : Elektrophile Katalyse durch protonierte Schiffbasen, gezeigt am Beispiel der Decarboxylierung der Acetessigsäure durch die Acetessigsäuredecarboxylase (aus Mahler-Cordes)
Protonierte Schiff sehe Basen können sogar als eine Art Elektronenspeicher (engl, electron sink) dienen, wie z.B. bei der Decarboxylierung der Acetessigsäure durch die Acetessigsäure-Decarboxylase. Das Substrat wird durch die e-Aminogruppe eines Lysinrestes R als protonierte Schiffsche Base gebunden, deren protonierter Stickstoff starke elektrophile Eigenschaften aufweist; nach intramolekularen Elektronenverschiebungen im Enzym-Substratkomplex wird schließlich eine C0 2 -Gruppe abgespalten. In einem darauffolgenden Reaktionsschritt wird durch eine Elektronenumlagerung die typische Schiffbasenstruktur (Aldimidgruppierung) wieder hergestellt und hydrolytisch zu Aceton und Enzym zersetzt, welches erneut in den Reaktionszyklus eingreifen kann. In ganz ähnlicher Weise katalysiert Aldolase die Zersetzung von Diacetonalkohol (vgl. Reaktionsschema 4.4).
4.5.3 Die Rolle von Metallionen in der Enzymkatalyse Die für enzymatische Reaktionen wichtigsten Metallionen sind Cu 2 + , Zn 2 + , F e 2 + , Co 2 + , Ni 2 + , Ca 2+ , Mg2*, Na+ und K*. Etwa ein Viertel aller bislang bekannten Enzyme besitzt ein in der Tertiärstruktur eingebautes Metallion
214
4 Enzymkatalyse
(Metalloenzyme) oder benötigt wenigstens zur Erlangung der vollen katalytischen Aktivität die Anwesenheit von Metallionen (Metallaktivierte Enzyme). Metallaktivierte Enzyme zeigen relativ schwache Affinität zum Metallion, bilden aber ebenso wie Metalloenzyme, in denen das Metallion fest gebunden ist, im Übergangszustand einen ternären 1:1:1 Enzym-Metallion-Substrat-Komplex aus. Von grundlegender Bedeutung für die Wirkungsweise derartiger Katalysatorsysteme ist folgende molekulare Eigenschaft: Metallionen sind elektrophile Komponenten, d.h. sie zeigen erhebliche Tendenz, ein Elektronenpaar unter Ausbildung einer σ-Bindung an sich zu ziehen und können daher auch als Lewis-Säuren bezeichnet werden. Da sie in neutraler Lösung oft in höherem Oxidationszustand als +1 (wie z.B. das Proton) vorliegen und demnach mehr als ein Elektronenpaar in ihre freien Orbitale (unter Ausbildung von π-Bindungen) aufnehmen können, könnte man sie auch als polyfunktionelle Säuren bezeichnen. Sie sind besonders effektiv wirksam, wenn Substrat und aktives Zentrum negativ geladen sind. Durch die ganz spezifische Geometrie im ausgebildeten E-M-S-Komplex werden die Reaktanten in einer fiir die Reaktion besonders geeigneten Position fixiert und dadurch auch deren stereochemischer Ablauf kontrolliert. Viele Kinasen, Lyasen oder Carboxylases (z.B. die Pyruvat-Carboxylase) bedienen sich des aktivierenden, elektronenanziehenden Effektes von Metallionen (wobei diese entweder als Metalloenzym oder nur als M-E-S-Komplex eines metallaktivierten Enzyms vorliegen können). Ein weiteres Beispiel, bei dem das Substrat direkt an das elektrophile Metallatom gebunden wird, haben wir bei den sauerstoffbindenden Proteinen Hämoglobin und Myoglobin schon genauer kennengelernt (vgl. Kap. 4.4.6). In ähnlicher Weise verwenden auch die Carboxypeptidasen, verschiedene Synthetases die Xylose-Isomerase und Aldolase Metallionen als „elektrophiles Agens" bei der Katalyse (vgl. Kap. 4.8.3.3, S. 275 Molekulare Details der Enzymkatalyse, Beispiel Carboxypeptidase A). D-Xylose-Isomerase katalysiert die Umlagerung von D-Xylose (6-Ring) zu D-Xylulose (5-Ringsystem) (vgl. Abb. 4.12).
H0\ /Η
Μ Η
®
HO*, ι ^H
,0H
Abb. 4.12: Umlagerung der D-Xylose zu D-Xylulose. (A.S. Mildvan und J.A. Rose, Feder, Proc. 28, 5 3 4 ( 1 9 6 9 ) )
4.5 Warum sind Enzyme so effektive Katalysatoren?
215
Ein Mn^-Ion bewirkt den elektrophilen Charakter des Protons (Η*), welches unter Ausbildung des Cis-En-Diols abgespalten wird und es erleichtert, den glycosidischen 6-Ring durch die Einfuhrung einer Spannung über ein Vierringchelat zu öffnen. Seine Rolle ist im Reaktionsschema 4.5 wiedergegeben. Η
Η
JL
H,
E-B:
Reaktionsschema 4.5: Elektrophile Katalyse durch M n + + b e i der durch D-Xylose-Isomeraase katalysierten Umlagerung der D-Xylose zu D-Xylulose. (aus A.S. Mildvan und J.A. Rose, Feder. Proc. 28, 534 (1969)) 0 II Ρ I
R-O-P I 101
oder:
0 II Ρ I
Öl® :0H-
Mg A - 0 0
0 II R-O-P
0
p-oi
••oh 2
θ
•0" ©
Mg^
R = Reaktionsschema 4.6: Elektrophile Katalyse durch Mg"1"1" bei der Hydrolyse von ATP. (M. Cohn und T.R. Hughes Jr., J.B.C. 237, 176 (1962). H. Diebler, M. Eigen und G.G. Hammes, Z. Naturf. 15b, 5951 (I960))
216
4 Enzymkatalyse
Ein weiteres Beispiel elektrophiler Katalyse bei enzymatischen Reaktionen ist die Hydrolyse von energiereichen Triphosphaten, die bei vielen biochemischen Prozessen als Energielieferant dient. Die dabei frei werdende Energie beträgt bei pH 7 und 37° C in der Zelle etwa -10 kcal/Mol. Das Metallion (in diesem Falle das Mg*"1") ist wiederum im E-M-S-Komplex gebunden und zeigt stark elektrophile Tendenz, während das freie Elektronenpaar des Sauerstoffatoms des Wassers an zwei verschiedenen Phosphoratomen angreifen kann (vgl. Reaktionsschema 4.6). R bezeichnet dabei den Adenin-Zucker (= Adenosin-)Rest.
4.6 Enzymkinetik
Enzymkatalysierte Reaktionen umfassen fast ausschließlich Umsetzungen von Verbindungen, die aus den Elementen Kohlenstoff, Wasserstoff, Sauerstoff, Stickstoff, Phosphor und Schwefel aufgebaut sind. Formal sind sie als „normale" katalysierte Reaktionen anzusehen, die den Gesetzen der klassischen Reaktionskinetik folgen. Die Konzentration der Endprodukte wächst mit der Zeit auf Kosten der Ausgangsstoffe, während die Katalysatorkonzentration praktisch unverändert bleibt. Im Wesentlichen beruht die Wirkung des Katalysators auf einer Herabsetzung der freien Aktivierungsenergie der betreffenden Reaktion: Z.B. wird bei der Spaltung von Wasserstoffperoxid in Wasserstoff und Sauerstoff durch das Enzym Katalase die Aktivierungsenergie der Reaktion um 12500 cal/Mol herabgesetzt, und zwar von 18000 cal/Mol bei der unkatalysierten auf 5500 cal/Mol bei der enzymkatalysierten Reaktion. Eine ausfuhrliche Diskussion der thermodynamischen und reaktionskinetischen Grundlagen der Katalyse ist im Kapitel „Heterogene Katalyse" dieses Buches zu finden. In diesem Beitrag sollen daher nur einige für enzymatische Reaktionen besonders charakteristische Gesichtspunkte näher betrachtet werden. Da Enzyme für ihr Substrat äußerst hohe Spezifität aufweisen, müssen wir annehmen, daß es für jede enzymkatalysierte Reaktion einen eigenen Biokatalysator gibt. In Praxis bedeutet das große Reinheit der Produkte bzw. keine unerwünschten Nebenprodukte. Natürlich haben biologische Makromoleküle als Katalysatoren für großtechnische Anwendungen auch Nachteile: Enzyme sind relativ teuer und in der Handhabung sehr empfindlich (sie sind z.B. nur in begrenztem Temperaturbereich oder pH-Bereich stabil). Ihre eigentliche Bedeutung liegt aber in der Katalyse vieler unserer Lebensvorgänge, deren rationeller und effektiver Ablauf erst durch Enzymkatalyse ermöglicht wird. Als Maß für den Wirkungsgrad des molekularen Katalysators wird die sogenannte Wechselzahl (engl. Turnover number) angesehen, welche die Anzahl von Substratmolekülen angibt, die in der Minute pro aktives Zentrum des Enzymmoleküls zum Produkt umgesetzt werden. Sie kann experimentell durch Messen der Geschwindigkeit der katalysierten Reaktion unter exakt definierten Standardbedingungen wie bestimmter pH, Temperatur, Ionenstärke etc. ermittelt werden, und liegt für die meisten Enzyme zwischen ca. 100 bis mehrere Millionen pro Minute.
218
4 Enzymkatalyse
Ein paar Zahlenbeispiele sollen zeigen, wie unvorstellbar hoch in manchen Fällen die Umsatzrate einiger Enzyme ist, d.h. wie effektiv sie als Katalysatoren sind: Tab. 4.3: Wechselzahlen einiger Enzyme Enzym
Wechselzahlen (pro Minute)
Lysozym DNA-Polymerase I Chymotrypsin /3-Galactosidase Hexokinase Lactat-Dehydrogenase Penicillinase Acetylcholinesterase Katalase (Leber) A 5 -3-Ketosteroid-Isomerase Kohlensäure-Anhydratase (Carboanhydrase) c
30 900 6000 12500 20000 60000 120000 1500000 5000000 17100000 36000000
In Tab. 4.4 werden einige in der Enzymologie oft verwendete Begriffe definiert, wie sie 1961 von der „Commission on Enzymes" der „International Union of Biochemistry" empfohlen wurden. Neuere Empfehlungen der „Commission on Biochemical Nomenclature" zum Begriff „Enzymeinheit" (die sich aber allgemein noch nicht durchgesetzt haben) berücksichtigen, daß der Ausdruck „Enzymmenge" im Sinne des chemischen Konzeptes von der Menge an Substanz nicht immer exakt definiert ist, da viele Biokatalysatoren bezüglich der chemischen Identität (Sequenz) bzw. ihres Molekulargewichtes noch nicht hinreichend gut charakterisiert sind. Die Kommission schlägt daher folgende Änderungen der derzeit bestehenden Begriffe der Enzymaktivität vor: 1. Das Konzept der Enzymeinheit, verbunden mit dem Begriff Enzymmenge als physikalisch Undefinierte Einheit soll aufgegeben werden. 2. Enzymaktivität soll als die Umsatzrate (Reaktionsgeschwindigkeit) eines Substrates definiert werden, die als Folge von Katalyse durch ein Enzym auftritt. Diese neue Aktivitätseinheit soll katal (kat.) genannt werden und stellt den Betrag an Aktivität dar, der ein Mol Substrat pro Sekunde umsetzt. Da diese Einheit in der Praxis meist viel zu groß ist, kann die Aktivität auch in microkatals (μ kat), nanokatals (n kat) oder picokatals (p kat)
219
4.6 Enzymkinetik Tab. 4.4: Definition einiger in der Enzymologie häufig verwendeter Begriffe 1 Enzymeinheit (U)
= Enzymmenge, die unter Standardbedingungen pro Minute die Umsetzung von 1 μΜοΙ (ΙΟ"6 Mol) Substrat katalysiert
1 Milli-Einheit (mU)
= 1/1000 υ
Spezifische Enzymaktivität (U/mg)
= Enzymeinheit /mg Protein
Molare Enzymaktivität
= Enzymeinheit/Mol Enzym
Volumenaktivität (U/ml)
= Enzymeinheit/ml Enzymlösung (z.B. Plasma oder Serum)
Gesamte enzymat. Akt.
= Spez. Aktivität · Gesamtproteinmenge = Gesamtzahl der Enzymeinheiten
Katalytische Konstante
= Moleküle Substrat/Min. und Molekül reines Enzym
Wechselzahl
= katalyt. Konstante/Anzahl der aktiven Zentren im reinen Enzym
(Turnover number = catalytic centre activity)
= Substratmoleküle/Min./Molekül reines Enzym/Anzahl der aktiven Zentren im Enzym
Reinheit des Enzyms bei Anreicherung (enrichment)
spez. Akt. des reinen Enzyms
spez. Akt. des n'ten Reinigungsschrittes
Ausbeute (yield, recovery)
ges. Enzymaktivität (Schritt n) Gesamtaktivität des reinen Referenzenzyms
Isoenzyme: (Isozyme)
= Multimolekulare Enzymformen innerhalb derselben Spezies, welche die gleiche Reaktion katalysieren, sich jedoch in ihrem Aufbau (Sequenz) und daher ihren physikalisch-chemischen Eigenschaften (z.B. elektrophoretisch) unterscheiden.
entsprechend der Reaktionsgeschwindigkeit von Mikromolen, Nanomolen oder Picomolen pro Sekunde angegeben werden. Zwischen der früheren Enzymaktivität (U), wie sie in Tab. 4.4 definiert ist und katals besteht folgende Beziehung: 1 kat = 1 mol/s = 60 mol/min = 60 · 10 6 μΜοΙ/min = 6 · 10 7 U oder 1 U - 1 uMol/min - — uMol/s = — ukat = 16,67 η kat.
60
60
220
4 Enzymkatalyse
3. Die spezifische Aktivität einer Enzympräparation wird in kat bzw. μ kat pro Kilogramm Protein (μ kat/kg) angegeben. 4. Die molare Aktivität wird in katals pro Mol Enzym ausgedrückt. 5. Volumenaktivität wird in μ kat/1 Enzymlösung angegeben.
4.6.1 Die Geschwindigkeit enzymkatalysierter Reaktionen Die Geschwindigkeit enzymkatalysierter Reaktionen ist im wesentlichen von der Enzymkonzentration, der Substratkonzentration, dem pH-Wert, der Temperatur sowie der Anwesenheit von Aktivatoren sowie Inhibitoren abhängig. Der Einfluß der Substratkonzentration oder Inhibitorkonzentration auf die Reaktionsgeschwindigkeit stellt eines der Kernprobleme der Enzymkinetik dar, und soll am Schluß dieses Kapitels relativ ausführlich diskutiert werden.
4.6.1.1 Einfluß der Enzymkonzentration Unter vorgegebenen Bedingungen ist die Umsatzrate enzymatischer Reaktionen der Enzymkonzentration proportional, d.h. zwei Moleküle Enzym setzen doppelt soviel Substrat um wie ein einzelnes: ν = k · [E], ν
Aktivierung
reines Enzym
— Inhibierung
LEI Abb. 4.13: Abhängigkeit der Reaktionsgeschwindigkeit enzymkatalysierter Reaktionen von der Enzymkonzentration
221
4.6 Enzymkinetik
Eine Auftragung der Enzymkonzentration gegen die gemessene Reaktionsgeschwindigkeit ergibt eine durch den Ursprung des Koordinatensystem verlaufende Gerade (vgl. Abb. 4.13). Negative Abweichungen von dieser Geraden deuten auf Inhibierung des Enzyms (z.B. durch Verunreinigung mit Inhibitoren, Schwermetallen oder Proteinasen, die das Enzym zersetzen), im Verhältnis zur Enzymmenge zu geringe Konzentrationen an Coenzym (vgl. Kap. 4.4.5) oder auf verbrauchtes Substrat hin, können aber auch im Mechanismus selbst begründet sein (vgl. negative feed back, Kap. 4.7.2.1). Positive Abweichungen hingegen lassen auf die Anwesenheit von Aktivatoren (vgl. Kap. 4.7, S. 253 Enzymsteuerung) schließen.
4.6.1.2 Die pH-Wirkung Die Aktivität der meisten Enzyme zeigt eine ausgeprägte pH-Abhängigkeit, die in vielen Fällen die Form einer Glockenkurve besitzt, manchmal aber auch asymmetrisch ist (vgl. Abb. 4.14). Dieses Verhalten entsteht durch eine Überlagerung verschiedener Effekte, die teils auf die Eiweißeigenschaften des Katalysators, teils aber auch auf den Ionisierungsgrad von Coenzym oder Substraten zurückzuführen sind.
Papain ^ο 100 LJ
/
/ /-Pepsin
>
-—•7^··^;
\ \
\
\
/-ß-Frukto-
/
/
sldase
/
//
//
/ /
.
\
\
\
\
/
,
,
V—Katalase
< ID >
50
UJ Od
10
Abb. 4 . 1 4 : pH-Abhängigkeit der Aktivität einiger E n z y m e
pH
222
4 Enzymkatalyse
Proteine sind infolge ihres makromolekularen Aufbaus als polymerisierte Aminosäuren nur in einem beschränkten pH-Bereich stabil und denaturieren bei Überschreiten der pH-Grenzen ins Saure oder Basische mehr oder weniger stark (vgl. Kap. 4.4, S. 187 Aufbau der Enzyme). Parallel mit der Zerstörung der Proteinstruktur im Denaturierungsprozeß geht eine Abnahme der enzymatischen Aktivität. Dieser Verlust der katalytischen Fähigkeiten durch extreme pHWerte ist meist irreversibel. Für das Auftreten eines pH-Optimums zeichnen aber auch die Ladungszustände verschiedener ionisierbarer Gruppen im „aktiven Zentrum" des Enzymmoleküls einerseits, und die der direkt am Bindungsprozeß beteiligten funktionellen Gruppen des Substratmoleküls andererseits verantwortlich. Einer Verringerung der Affinität bei pH-Änderungen versucht man aber wenigstens teilweise durch Erhöhung der Substratkonzentrationen zu begegnen, so daß das Enzym unter allen Bedingungen mit Substrat gesättigt vorliegt. Das pH-Optimum wird darüberhinaus von der Gegenwart verschiedener Begleitstoffe, wie z.B. den Pufferionen beeinflußt. Viele Enzyme zeigen in Boratpuffer andere pH-Optima als in Tris- oder Phosphatpuffer. Dieser Effekt kann durch den elektrostatischen Einfluß der Pufferionen bzw. sogar deren Bindung an das aktive Zentrum des Proteinmoleküls erklärt werden. Aus all dem eben Angeführten wird deutlich, daß es infolge der komplizierten Wechselwirkungen nicht ohne weiteres möglich ist, die pH-Abhängigkeit der Enzymaktivität als besonders charakteristisch für ein bestimmtes Enzym anzusehen, bzw. daraus Rückschlüsse auf den Mechanismus der enzymatischen Reaktion zu ziehen. Die Affinität des Enzyms zum Substrat ist ebenfalls pH-abhängig, und zwar nimmt man an, daß sowohl Enzym als auch Substrat nur in einem ganz bestimmten ionisierten Zustand miteinander reagieren können.
4.6.1.3 Temperaturabhängigkeit der Reaktionsgeschwindigkeit Die Temperaturabhängigkeit der Geschwindigkeit enzymkatalysierter Reaktionen zeigt im allgemeinen folgendes, in Abb. 4.15 wiedergegebenes Verhalten. Ihr liegen zwei verschiedene, einander entgegengesetzt wirkende Effekte zugrunde, von denen der negativ wirksame auf die Eiweißnatur des Katalysatormoleküls, der positiv wirksame hingegen auf den „klassischen" Aktivierungseffekt der Temperatur auf die Reaktionsgeschwindigkeit zurückzuführen ist.
4 . 6 Enzymkinetik
223
Abb. 4 . 1 5 : Temperaturabhängigkeit der Aktivität vieler Enzyme
Die räumliche Struktur des Proteins wird durch Erhöhen der Temperatur labilisiert bzw. kann bei Überschreiten einer gewissen Temperaturgrenze sogar völlig zerstört werden (Hitzedenaturierung, vgl. Kap. 4.4, S. 187 Aufbau und Struktur der Enzyme). Dieser Denaturierungsprozeß hat, ähnlich wie der durch extreme pH-Werte, ein Absinken der enzymatischen Aktivität bis zur vollständigen Inaktivität zur Folge. Durch langsames, vorsichtiges Abkühlen der Enzymlösungen ist es jedoch manchmal möglich, die aktive Enzymstruktur wenigstens teilweise wieder herzustellen (renaturieren). Die weitaus größte Zahl aller Proteine denaturiert bei Erhöhen der Temperatur über 40—50 0 C, es gibt jedoch auch Enzyme gewisser thermophiler Bakterien (z.B. die a-Amylase E.C. 3.2.1.1 aus Bacillus Stearothermophilus), die nach 1-stündigem Erhitzen auf 90°C erst 10% Aktivitätsverlust aufweisen. Das klassische Beispiel für ein „kochfestes" Enzym ist die Adenylat-Kinase (E. C. 2.7.4.3), die trotz längerem Erhitzen auf 100°C bei pH 1 vollständig aktiv bleibt. Auf der anderen Seite führt jede Temperaturerhöhung zu einem Anwachsen der Reaktionsgeschwindigkeit, welches auf die Abhängigkeit der Geschwindigkeitskonstanten k von der Temperatur zurückzuführen ist und in der empirischen Arrhenius-Beziehung zum Ausdruckt kommt: Für jede Änderung der freien Aktivierungsenergie um 1,4 kcal ändert sich die Reaktionsgeschwindigkeit bei Zimmertemperatur um einen Faktor 10. Quantitativ wird die Temperaturabhängigkeit der Reaktionsgeschwindigkeiten außer in der empirischen „Arrhenius-Gleichung" von der „Theorie der absoluten Reaktionsge-
224
4 Enzymkatalyse
schwindigkeiten" von Eyring formuliert; diese werden aber in anderen Kapiteln dieses Buches beschrieben, so daß darauf hier nicht näher eingegangen werden muß. Die Kombination beider Effekte führt zum Auftreten eines Temperaturoptimums, welches enzymkatalysierte Reaktionen von anderen, z.B. durch anorganische Katalysatoren beschleunigten Reaktionen unterscheidet.
4.6.1.4 Einfluß der Substratkonzentration 4.6.1.4.1 Gleichgewichtsbehandlung einer Enzymreaktion: Die Michaelis-Menten-Gleichung Ein wichtiger Teilschritt im Verlauf des gesamten Katalyseprozesses ist die Bindung des Substrates durch das Enzym unter Ausbildung eines EnzymSubstrat-Komplexes. In diesem Komplex werden unter anderem bestimmte Bindungen im Substrat gelockert, die an der Reaktion beteiligten Gruppenin eine für den Katalysevorgang optimale räumliche Anordnung gebracht, und anschließend wird im Verlauf der Katalyse ein aktivierter, reaktionsfähiger Übergangszustand erreicht. Abb. 4.16 zeigt schematisch das Energieprofil einer Enzymreaktion bzw. der dabei auftretenden einzelnen Zwischenzustände (engl, intermediates).
Abb. 4.16: Energiediagramm einer enzymkatalysierten Reaktion. An den mit 1 bzw. 2 bezeichneten Punkten liegen kleine Energiebarrieren vor (aus A.L. Lehninger)
4.6 Enzymkinetik
225
Ε und S bilden zunächst einen losen Komplex ES, der sich in den aktivierten Komplex ES* umwandelt. Aus dem aktivierten Komplex heraus wird das Produkt (P) gebildet, das aber nach wie vom Enzym gebunden als Komplexverbindung vorliegt (EP). In einem letzten Schritt endlich wird das Produkt aus dem E-P-Komplex in die freie Lösung entlassen und das Enzym kann mit neuem Substrat beladen werden. Es kehrt unverändert in den Katalysekreislauf zurück. Bereits 1902 entwickelte Henri derartige Vorstellungen und 1913 formulierten Michaelis und Menten ihr Konzept von einem kurzlebigen Enzym-Substrat-Komplex, der nach Umsetzung des Substrates wieder in das Enzym und die Endprodukte zerfällt. Sie untersuchten die Geschwindigkeit der durch das Enzym Invertase katalysierten Hydrolyse von Rohrzuk ker (Rohrzuckerinversion) und fanden eine lineare Abhängigkeit der Umsatzrate von der Enzymkonzentration, während Erhöhen der Substratkonzentration nach anfänglicher Zunahme der Reaktionsgeschwindigkeit zu einem Plateauwert führte. Nach ihrer Vorstellung sind die in einer reversiblen Reaktion erfolgende Bindung des Substrates an das Enzym (E) und dessen daran anschließender, in einem irreversiblen Reaktionsschritt vollzogene Umsatz zum Produkt (P), als separate Reaktionsschritte anzusehen. φ
(2)
Ε + S
k
2!
ES
® Ε + Ρ
Wir wollen zunächst den ersten Reaktionsschritt (1 ^ 2) untersuchen und für unsere weiteren Betrachtungen von der Dissoziationskonstanten Κ des Enzym-Substratkomplexes ausgehen:
k,2
[ES]
wobei [E] und [S] die Konzentrationen an freiem Enzym bzw. Substrat darstellen. Da die freie Enzymkonzentration [E] aber eine zusammengesetzte Größe ist, die aus der Differenz der Gesamtkonzentration an Enzym [Εχ] und dem im Enzym-Substratkomplex gebundenen Enzym [ES] besteht (E = E j — ES), muß Gl. (1) erweitert werden. Wir setzen dabei sehr hohe Substratkonzentrationen voraus, so daß Sf r e j = Stotai = S κ
=
[ET - ES] • [S] [ES]
=
[ET] . [S] _ [ES] · [S] [ES]
[ES]
oder umgeformt: ι
[es] - ΚIMI5L + [S]
Ο)
226
4 Enzymkatalyse
Im zweiten Reaktionsschritt Q) -*• Ο , der definitionsgemäß sehr langsam erfolgen soll, (und daher die Geschwindigkeit der Gesamtreaktion bestimmt) zerfällt der Enzym-Substratkomplex unter Bildung des Produktes und Rückbildung des freien Enzyms: ES
"
Ε + Ρ
Da die Geschwindigkeit dieses Schrittes (k23) geschwindigkeitsbestimmend sein soll, kann sie daher der des Gesamtvorganges gleichgesetzt werden: ν = k 23 · [ES]
(4)
oder für ES aus Gl. (3) eingesetzt: _ . [ET] [S] ν = k 23 · Κ + [S] Bei sehr hoher 'Substratkonzentration ([S] V = k 23 · [ET] = Vmaximal = V m
(5) K) vereinfacht sich Gl. (5) zu (6)
V m ist die höchste in einer derartigen Reaktion erreichbare Reaktionsgeschwindigkeit, die nur bei Sättigung des Enzyms mit Substrat auftritt. Wenn wir nun in Gl. (5) für k 23 · [Εχ] = V m einsetzen, erhält diese folgende Gestalt: _ VmJS] ν = Km + [S]
(7)
wobei wir die vereinfachenden Annahmen der Michaelis-Menten-Theorie (schnell eingestelltes Gleichgewicht der Reaktion zwischen Enzym und Substrat zum Enzym-Substrat-Komplex, [S] Κ sowie k 23 geschwindigkeitsbestimmend) durch den Index Μ am Κ = Km symbolisieren. Km wäre unter diesen Voraussetzungen die Gleichgewichtskonstante des E-S-Komplexes. Gl. (7) wird meist als Michaelis-Menten-Gleichung bezeichnet, und eine Auftragung der gemessenen Reaktionsgeschwindigkeit ν gegen die Substratkonzentration [S] ergibt eine Hyperbel, aus deren Verlauf V m als Sättigungswert, γ —Si als Anfangssteigung (aus der Extrapolation [S] 0) und Km selbst aus K M γ dem Schnittpunkt der Linien von V m und —S±- ermittelt werden kann (vgl. Km Abb. 4.17). Wie weiter unschwer gezeigt werden kann, ist Km numerisch gleich der Substratkonzentration, bei der die Reaktionsgeschwindigkeit ν gleich der halben V maximalen Reaktionsgeschwindigkeit ν = —Si- ist.
4.6 Enzymkinetik
227
Abb. 4.17: Abhängigkeit der Geschwindigkeit einer enzymkatalysierten Reaktion von der Substratkonzentration (L. Michaelis und M.L. Menten, Biochem. Z. 49, 3 3 3 (1913))
Durch Einsetzen in Gl. (7) folgt: ν =
Vm * [S]
Vm
K M + [S]
2
1 _ [S] 2 K M + [S]
(8
(9)
Km + [S] = 2 [S]
(10)
K M = [S]
(11)
Nach dieser einfachen Methode wird Km häufig bestimmt. Zweckmäßiger kann Km nach einer 1934 von Lineweaver und Burk vorgeschlagenen Methode ermittelt werden, bei der die reziproke Form der Michaelis-Menten-Gleichung als Grundlage dient:
228
4 Enzymkatalyse
Abb. 4.18: Lineweaver-Burk-Auftragung einer enzymatischen Reaktion entsprechend der Theorie von Michaelis-Menten (H. Lineweaver und D. Burk, JACS 56, 6 5 8 ( 1 9 3 4 ) )
In einer in Abb. 4.18 gezeigten Auftragung der reziproken gemessenen Reaktionsgeschwindigkeit gegen den Kehrwert der Substratkonzentration erhält ν man eine Gerade mit 1/V m als Ordinatenabschnitt —— als Steigung, sowie ι als negative Abzisse. %n K
M
Wir müssen uns aber darüber im klaren sein, daß die auf diese Weise ermittelte Konstante Km eigentlich eine dynamische Größe von komplexer Bedeutung ist und nur unter den vereinfachenden Annahmen der Michaelis-MentenTheorie als Dissoziationskonstante Κ des Enzym-Substrat-Komplexes angesehen werden kann, nämlich dann, wenn der E-S-Komplex sich im Gleichgewicht befindet, [S] Κ ist und wenn der zweite Reaktionsschritt — charakterisiert durch k 23 - sehr langsam gegenüber der Bildung des Enzym-Substrat-Komplexes abläuft. Diese Voraussetzung ist jedoch in vielen Fällen nicht erfüllt. \ 4.6.1.4.2 Dynamische Betrachtungsweise enzymatischer Reaktionen (Steady-State-Annahme nach Briggs-Haidane) Briggs und Haidane behandelten daher das Problem enzymkatalysierter Reaktionen auf dynamischer Basis, und zwar betrachteten sie den ES-Komplex
4 . 6 Enzymkinetik
229
als stationären Zustand (engl.: steady state = Fließgleichgewicht), d.h. ein Zustand, dessen Bildungs- und Zerfallsgeschwindigkeit gleich sind und dessen Konzentration daher konstant ist: ^ dt
= 0
(13)
Die Bildungs- und Zerfallgeschwindigkeiten für ES sind VBUd. = ^
bzw.
= k12 [E] [S]
dt
vzerf. = - ^ ^ dt
(14)
= k 2 1 [ES] + k 2 3 [ES]
(15)
und daher die Nettoreaktionsgeschwindigkeit, die sowohl Bildung als auch Zerfall von ES berücksichtigt: ^
dt
= Vßiidung - vzerfall = k 1 2 [E] [S] -
Im stationären Zustand ist aber
dt
[ES] (k 2 1 + k 2 3 )
(16)
= 0; daraus folgt
k 1 2 [E] [S] = [ES] (k 2 1 + k 2 3 ) und da [E] = [E T ] - [ES] ,lt &
k21 + k23
_ ([Εχ] - [ES]) · [S]
k12 [ES] =
_ [Er] · [S]
[ES]
[ES]
[ET] · 1[S] J k23
[ES] - [S] [ES] (19)
1 TJ k21
(17)
+ [S]
K12 und da definitionsgemäß [ E— t ] —[S] ν = k 2 3 · [ES] = k 2 3 · — k21 + k23 kl] Bei sehr hoher Substratkonzentration ist V m = k 2 3 [E T ]
(20) + [S]
1^21 k12
^23
I ο :0 2> Ε -tu S =
ο
Τ3 α>
(Λ
9Ε Η κ
5< Ν
CO
c c rn u ω ÖO ωW _ 00 . 6
υ
3 Ό
C
ö m ω
ω
Β C D die Gene auf dem Genom in der gleichen Reihenfolge nebeneinander angeordnet, in der später die Enzyme hintereinandergeschaltet wirksam sind.
4 . 9 Entstehung der Enzyme (Proteinbiosynthese)
Inaktiver Komplex
Induktor
Repressor
287
Enzyme
Abb. 4 . 4 2 : Operon-Modell von F. Jacob und J. Monod zur Steuerung der Proteinbiosynthese (aus M. Eigen und R. Winkler: Ludus Vitalis, Mannheimer Forum 7 3 / 7 4 , Boehringer GmbH, Mannheim, 1974)
Unmittelbar vor dem Strukturgen (Z) für das Enzym Ej der Synthesekette Ε,-Ε^ ist das sogenannte Operatorgen (O) angeordnet, welches zusammen mit dem auf dem Genom noch weiter vorne befindlichen Regulatorgen (i) für die Regelung der Enzymsynthese verantwortlich ist. Diese funktionelle genetische Einheit der Strukturgene zusammen mit dem Operatorgen wird auch als „Operon" bezeichnet. Im Regulatorgen ist der Bauplan für ein ganz besonderes Proteinmolekül, den sogenannten „Repressor", codiert. Durch Einwirkung des aktiven Repressors auf das Operatorgen wird die
288
4 Enzymkatalyse
Transkription der Strukturgene blockiert und damit die Enzymsynthese unterbunden (Repression). Gewisse, oftmals niedermolekulare Substanzen, die man auch als Induktoren bezeichnet, können den Repressor inaktivieren. Wird z.B. dem Kulturmedium der Zelle eine Substanz zugesetzt, die als Induktor wirksam ist (z.B. im Falle der Stärkeabbauenden Bakterien Stärke), tritt eine Wechselwirkung dieses Induktors mit dem Repressor ein (R + I = RI). Der daraufhin entstehende InduktorRepressor-Komplex ist inaktiv, d.h. nicht mehr in der Lage, das Operatorgen wirksam zu blockieren, und die Enzymsynthese der Enzyme Ε! — E3 setzt wieder ein (Induktion). Für die Aufstellung des Operon-Modells und die darauffolgende experimentelle Bestätigung am Lac-Operon von E. coli für die ß-Galactosidase wurden J. Monod und F. Jacob 1965 mit dem Nobelpreis für Medizin ausgezeichnet. Vom Standpunkt der Steuerung der katalytischen Aktivität von Enzymen ist die Regulation durch Induktion bzw. Repression der Enzymsynthese freilich nur als eine Art „grobe" und langsame Regelung anzusehen, da sie infolge der Neusynthese des Repressors und der erst daraufhin erfolgenden Repression einige Zeit benötigt. Für den Fall, daß plötzlich Nachfrage nach gewissen Enzymen besteht, muß es aber zweifellos eine andere Art der Regelung geben: Es würde z.B. einem Reiter wenig helfen, wenn sein Pferd erst beim Anspornen erkennt, daß es zuckerabbauende Enzyme produzieren muß, um die Energie für den Sprung über ein Hindernis zu gewinnen. Wir haben jedoch bereits im Kapitel über Enzymsteuerung (vgl. S. 253) eine äußerst effektive Methode zur schnellen Regulation der Enzymaktivität bei den „allosterischen" Proteinen kennengelernt, welche durch meist niedermolekulare „Effektormoleküle" innerhalb kürzester Zeit entweder aktiviert oder inaktiviert werden können. Derartige Konformationsänderungen geschehen oft in wenigen Bruchteilen von Sekunden und konnten mit Hilfe von Relaxationsmethoden zum ersten Male direkt gemessen werden (vgl. Kap. 4.6.2.3, S. 247 „Experimentelle Methoden").
4.10 Optimierung der enzymatischen Katalysemaschinerie durch evolutionäre Entwicklung 4.10.1 Evolution: Ein Drei - Stufen - Prozeß Wir gehen heute von der Voraussetzung aus, daß sich alle Erscheinungsformen unseres Lebens von sehr viel einfacheren, primitiveren Organismen ableiten. In der Biologie gibt es viele augenfällige Beweise für eine stattgefundene Entwicklung, z.B. zweifelt heute niemand mehr ernsthaft an einem gemeinsamen Vorfahren von Mensch und Tier. Nach Darwin ist „Selektion" das Grundprinzip der Entwicklung der belebten Natur, d.h., daß nur die jeweils Stärksten und Tüchtigsten „überlebten" (Survival of the Fittest). Die Evolution könnte nach Μ. Eigen in drei Stufen abgelaufen sein: 1. In der Periode der „chemischen Evolution" entstand aus Atomen oder kleinen Molekülen wie C, 0 2 , N 2 , P, S, H 2 , H 2 0, NH 3 , CH 4 , CO, C0 2 , HCN etc. der Vorrat an biologischen Makromolekülen, wie Aminosäuren, Purin- und Pyrimidinbasen oder Zuckern unter Einwirkung von Licht, thermischer und elektrischer Energie (z.B. Blitzentladung). In dieser Phase bildeten sich auch „Urenzyme" und „Urnukleinsäuren" gleichzeitig aus. Damit erübrigt sich auch die beliebte Frage, was wohl zuerst existierte, das Protein oder die Nukleinsäure, die eigentlich nur eine moderne Version des alten Rätsels „War zuerst die Henne oder das Ei?" darstellt. 2. Die zweite Phase der Evolution, die als die eigentliche Entwicklungsperiode des Lebens angesehen werden kann, wird von Eigen als „Selbstorganisation der biologischen Makromoleküle" bezeichnet. In ihr ereignete sich die Kompartimentierung (Zusammenschließung) der verschiedenen Makromoleküle zu primitiven, aber bereits selbstreproduzierenden, aus Proteinen und Nukleinsäuren bestehenden Einheiten, die als Vorläufer der heute noch existierenden, primitiven Einzeller gelten können („Hyperzyklen"). 3. Als dritter Abschnitt der Evolution (Biologische Evolution) wird die Entwicklung der heutigen Lebewesen aus den in der zweiten Phase gebildeten primitiven Einzellern angesehen.
290
4 Enzymkatalyse
4.10.2 Evolution der Proteine, demonstriert am „Stammbaum" der Globine Experimentell ist es heute möglich, verschiedene Schritte einer solchen Evolution im Autoklaven etc. (Phase 1) bzw. im Reagenzglas (Phase 2) nachzuvollziehen. Bezüglich Phase 3 sind wir durch vergleichende Untersuchungen an Heteroenzymen (d.s. gleiche Enzyme verschiedener Herkunft) in der Lage, evolutionäre Verbesserungen festzustellen. Z.B. zeigen Myoglobin und die einzelnen Hämoglobinketten identische räumliche Faltung. Es gibt jedoch Unterschiede in der Primärstruktur bzw. Aminosäurezusammensetzung, die auf Mutationen (genetische Veränderungen) in den einzelnen Genen zurückzuführen sind. Mutation innerhalb eines Genes bedeutet Änderung der Basenzusammensetzung im Triplettcode durch irgendwelche äußere (z.B. chemische oder strahlenchemische) Einflüsse und hat den Einbau einer „falschen" Aminosäure ins Protein zur Folge. Dieses wird dadurch entweder zu einem besseren oder schlechteren Katalysator, und der den Biokatalysator benötigende Organismus wird dadurch evolutionär verbessert oder kann letztlich aussterben (Survival of the Fittest!). Darüberhinaus kann sich ein Gen evolutionär so verändern, daß es z.B. allmählich mehr und mehr den Bauplan eines Sauerstoff-Carriers beinhaltet, während sich das ursprünglich codierte Protein besser als Sauerstoffspeicher eignete. Ein gutes Beispiel für die evolutionäre Adaption an verschiedene Lebensgewohnheiten stellt der Myoglobingehalt des Herzmuskels dar: Der am Land lebende Hund kommt mit einem Gehalt von 0,5 % des Sauerstoffcontainers aus, während bei der Robbe ein Myoglobingehalt von 7,7 % ein großes Sauerstoffspeichervermögen und damit langes Tauchen ermöglicht. Irgendwann in ferner Vergangenheit besaßen die Vorfahren von Wal, Pferd und Menschen nur ein einziges sauerstoffübertragendes Hämoprotein, das wahrscheinlich dem Myoglobin sehr ähnlich war. Dieses Protein wurde durch ein ganz bestimmtes Gen codiert, welches sich zufällig einmal verdoppelte. Ein Lebewesen mit 2 Genen, die das gleiche Protein codieren, hat aber bessere Überlebenschancen, denn es besitzt eine genetische „Reserve", falls eines der beiden Gene weitermutiert wird. Das Gen für die Produktion von Hämoglobin verdoppelte sich später abermals, und die Zweigstücke codierten die Produktion von a- und (3-Ketten. Später wurden dann 4 Ketten (zwei α- und zwei 0-Ketten) codiert. Diese erneute Genmutation muß sich aber ereignet haben, ehe sich die Linie der primitiven „Neunaugen" (engl.: lamprey) von uns abtrennte, da das Neunauge nur ein aus einer einzigen Polypeptidkette aufgebautes Hämoglobin besitzt. Höhere Fische hingegen, wie z.B. Karpfen, besitzen das übliche, aus 4 Ketten bestehende a 2 fti-Hämoglobin.
4.10 Optimierung der enzymatischen Katalysemaschinerie
291
Noch später teilte sich das /3-Gen in ein ß- und γ-Gen, und erst nach diesem Zeitpunkt schied sich die Linie der Primaten von den übrigen Säugetieren. Zu einem noch späteren Zeitpunkt teilte sich das 0-Gen abermals zu einem ß- und δ-Gen. Als vorläufiges Endresultat dieser Evolutionsprozesse gibt es im Menschen vier Hämoproteine, die für ganz bestimmte Zwecke optimal adapiert sind: Das monomere Myoglobin dient als Sauerstoffspeicher im Gewebe; beim Erwachsenen hat der Sauerstoff-Carrier Hämoglobin (Hb A) die Tetrameren-Struktur a 2 ft > während im Fötus ein spezielles a 2 72-Hämoglobin eine den Umständen entsprechend erhöhte Sauerstoffaffinität aufweist (Hb F). Die Funktion des erst kürzlich entdeckten a 2 δ2-Hämoglobins (Hb A 2 ) ist noch nicht hinreichend bekannt; es weist bessere Sauerstoffbindungseigenschaften als das normale a 2 ft-Hb auf und könnte eventuell dessen evolutionären Nachfolger darstellen. Die Evolution der Globine kann durch zwischen den einzelnen Spezies vergleichende Sequenzanalyse bewiesen werden und führte zur Aufstellung folgenden ,,Stammbaumes" dieser Proteine (vgl. Abb. 4.43):
4 Enzymkatalyse
292
Wal
•HÄMOGLOBIN f — Mensch— N Pferd Mensch Pferd
Mb
r
Mb Myoglobin
δ
β
β
Hb Hämoglobin
Urglobin " Abb. 4 . 4 3 :
„ S t a m m b a u m " der Globine (aus R . E . Dickerson und I. Geis)
4.11 Zusammenfassung
Wir haben im Verlauf dieser Abhandlung versucht, alle zum Verständnis der Biokatalyse notwendigen Zusammenhänge zwischen Struktur und Funktion des Enzymmoleküls einerseits sowie der Dynamik enzymkatalysierter Prozesse andererseits zu beschreiben. Eine ausführliche Diskussion der neuen Nomenklatur enzymkatalysierter Reaktionen ergab einen Überblick über Art und Mannigfaltigkeit der Biokatalysatoren bzw. der von ihnen katalysierten Reaktionen. Anschließend lernten wir den chemischen Aufbau und die Struktur der Enzyme kennen, und diskutierten am Beispiel des Myoglobins und Hämoglobins die komplexen Zusammenhänge zwischen Struktur und Funktion von Proteinen. Darüberhinaus beschäftigten wir uns mit den Reaktionsmechanismen und Erscheinungsformen der Enzymkatalyse sowie der Kinetik enzymkatalysierter Prozesse und besprachen neu entwickelte experimentelle Methoden zur Messung der Geschwindigkeit biokatalytischer Vorgänge. Wir konnten dabei einen Einblick in die im Ablauf des Katalyseprozesses auftretenden Zwischenzustände bzw. die ihnen zugrundeliegenden Elementarschritte gewinnen. Da Enzyme viele lebenswichtige Stoffwechselvorgänge katalysieren, müssen sie aus Gründen eines möglichst ökonomischen Energiehaushaltes des Körpers regelbar sein. Diese Regulationsphänomene erinnerten uns vielfach an Regelkreise aus der Elektronik. Die Zusammenfassung aller experimenteller Daten aus der Sequenzanalyse, Röntgenstrukturanalyse und kinetischen Untersuchungen gestattet es, in vielen Fällen einen Reaktionsmechanismus aufzustellen, der den Katalysevorgang auch auf Molekülebene quantitativ beschreibt. Am Beispiel gut untersuchter Enzymsysteme wurde besonders deutlich, daß die enzymatische Katalyse der „klassischen" Katalyse bezüglich Effizienz und Geschwindigkeit infolge „konzertierten" Zusammenwirkens verschiedener enzymspezifischer und „klassischer" katalytischer Beiträge überlegen ist. Zum Schluß setzten wir uns mit der Synthese der Biokatalysatoren auseinander und verfolgten anhand des „Stammbaumes" der Globine die im Verlaufe der Evolution beobachtbare Adaption von primitiven Urenzymen zu optimal arbeitenden „molekularen" Maschinen.
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Namenregister
Abel, Ε. 119 Aksnes, G. 65 Arrhenius, S. 133, 223 Bauich, D. 15 Beadle, G.W. 278 Bell, R.P. 55 Bergman, J. 274 Berthollet, C. 118 Berzelius, J. 117, 122 Blow, D.M. 268 Bourns, A.N. 57 Bredig, G. 37 Briggs, G.E. 228 Brönsted, I. 41, 57, 78, 146 Burk, D. 227 Changeux, J.P. 254 Clement, J. 118 Coleman, J.E. 277 Cordes, E.H. 2 1 1 , 2 1 4 , 2 3 5 , 2 3 6 , 2 3 8 Corey, R.B. 182 Crick, F.C.H. 278 Cunningham, L. 269 Darwin, CH. R. 289 Davy, Η. 118 Deiman, J.R. 118 Desormes, Ch. 118 Dickerson, R.E. 182, 266, 271, 274, 292 Döbereiner, J. 118 Drysdale, D. 15
Gutfreund, H. 269 Haidane, J.B.S. 228 Hammond, G.S. 55 Hartley, B.S. 268, 269 Hartridge, H. 245 Hartsuck, J.A. 276 Hinshelwood, C. 127 van t'Hoff, J.H. 247 Houdry, E. 145 Ingold, C.K. 93 Jacob, F. 286 ff Jencks, W.P. 209 Johnston, H.S. 48 Jones, G.W. 19 Kaskan, W. 18 Kauzmann, W. 186 Keil, B. 268 Kendrew, J.C. 198 Kilby, B.A. 269 Kirchhoff, G. 118 Kondratiev, V.N. 15 Koshland, D.E. 257, 275
Egerton, A.C. 19 Eigen, M. 47, 232, 246, 255, 283, 285, 287, 289 Eley, D. 127 Eyring, H. 224
Langmuir, I. 125, 129 Lapworth, A. 37 Leffler, J.E. 55 Lehninger, A.L. 184, 224 Lewis, G. 146 Lewis, G.N. 209 Lineweaver, H. 227 Lipscomb, W.N. 276 Lloyd, A. 15 Long, F.A. 74 Lucas, H.J. 57
Fermi, E. 161 f Fischer, E. 190, 265 Fleming, A. 259 Fraenkel, G. 64 Fraenkel, W. 37 Friedemann, R. 30 Fristrom, R.M. 15, 24 Fruton, J.S. 274
Mahler, H.R. 211, 214, 235, 236, 328 van Marum, M. 118 Mayer, J.R. 115 Menten, M.L. 225, 227 Michaelis, LM. 225, 227 Mildvan, A.S. 215 Miller, J. 27 Mittasch, A. 116
Gay-Lussac, L.-J. 118 Geis, J. 182, 266, 271, 274, 292
Monod, J. 254, 257, 286, 287, 288 O'Gorman, J.M. 57
308 Ostwald, W.
Namenregister 36,37,115,118
Parmentier 118 Pauling, L. 182 Perutz, Μ. 198 Pfleiderer, G. 279, 280, 281 Phillips, D.C. 260, 261, 263, 264 Polanyi, M. 64 Priestley, J. 118 Pritchard, J.G. 74 Prue, J.E. 65 R a p o p o r t , S.M. 183 Reitz, O. 38 Rideal, E. 127 Rose, J.A. 215 Rosner, W. 27 R o u g h t o n , F.L.W. 245 Salton, M.R.J. 263 Sawyer, R. 24 Schwarzenbach, G. 44 Scheele, K. 118 Scott, G.S. 19 Sheppard, W.A. 57 Skrabal, A. 57 Stahmann, M.A. 274
Stasius, F. 5 7 Strehlow, R.A. 22 Sturtevant, J.M. 269 Sumner, J.B. 171 Szabo, A. 64 Thabet, S.K. 19 T a t u m , E.L. 278 Th