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German Pages [465] Year 2007
Karl Valentin • Sämtliche Werke Band 7: Autobiographisches und Vermischtes
Karl Valentin Sämtliche Werke in neun Bänden Herausgegeben auf der Grundlage der Nachlaßbestände des Theatermuseums der Universität zu Köln, des Stadtarchivs und der Stadtbibliothek München sowie des Nachlasses von Liesl Karlstadt von Helmut Bachmaier und Manfred Faust
Band 7
Piper München Zürich
Karl Valentin (1882-1948), genialer Komiker und philosophischer Wortakrobat, zählt zu den bekanntesten deutschen Bühnenkünstlern und Dramatikern.
Karl Valentin Karl Valentins Selbstbiographie Band 7 Autobiographisches und Vermischtes Herausgegeben von Stefan Henze und Andrea Heizmann in Zusammenarbeit mit Max Auer
ISBN 978-3-492-05047-0 Originalausgabe 1996 Sonderausgabe 2007 © Piper Verlag GmbH, München 2007 Umschlaggestaltung und Konzeption: R-M-E Roland Eschlbeck Umschlagabbildung: Valentin-Karlstadt-Musäum Frontispiz: Karl Valentin mit der Mutter um 1900, Stadtarchiv München Satz: Kösel, Kempten Druck und Bindung: Clausen & Bosse, Leck Printed in Germany mvw.piper.de
Inhalt Autobiographisches Karl Valentins Selbstbiographie 13 Wie ich Volkssänger wurde 14 Meine Komplexe 16 Karl Valentins Vater der Nockherbergregulierungs=Urheber! »Die haben aber natürlich gespielt!« 22 Teilnehmer meldet sich nicht 24 Gratulation zum Namenstag 25 Volksgarten »Zur Rosenau« 25 Sehr geehrte Herren und Damen und Kinder! 27 Bei Benz 28 Oh, Du mein Oesterreich! 31 Der leichtsinnige Kapellmeister 3 2 Fasching früher und heute 3 3 Karl Valentin und Liesl Karlstadt in Augsburg 34 Anklage v. K. V 3 5 Karl Valentin, als »Ritter der Damische« 36 Derjakl 38 [Ich bin ein Mensch, ...] 39 Meine Jugendstreiche 40 Das alte stürzt, es ändern sich die Zeiten 125 Hahaha - Unglücksfälle sind lustige Sachen 126 Was ich werden wollte! 126 2 Liter Eiter in der Lunge 127 Karl Valentin das Münchner Orginal 128
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Vermischtes Über die ehemalige Kunststadt München 155 Warum werden die Menschen von Fahrzeugen überfahren? Grammophongebrauchsanweisung 156
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Der Schellenbaum 158 An das Gesundheits-Amt 159 Anregung 160 Eine heildiche Anregung für Erfinder in der Klosettfabrikations=Jndustrie 162 Zum Wohle der Volksgemeinschaft 163 Anregungen 163 Bazillen Herde 164 [Komische Berufe] 165 Erste Fliegeralarmprobe in München 1913 166 »Flüssiges Brot« 167 Eine neue Entdeckung für solche, die gerne fliegen wollen und sich nicht fliegen trauen 168 Ich mische mich in die Nichteinmischung mitten hinein! 168 Die Brennessel 169 Kitsch! 171 Warum sind Optimisten die klügsten Leute 171 »Heiliger Abend« - abgesagt 172 Karl Valentin baut 174 Eine seltsame Sache 175 Die Friedenspfeife 177 Karl Valentin beschreibt den Frühling 177 Manches neu ... 179 Der eintausendneunhundertzweiundvierzigste Juni 181 Herbstvorschläge 183 Seifenschnee 184 Schamgefühl 187 Express 188 »Arche Noah« 189 Die guate alte Zeit! 195 Vom eigenen Willen 195 Rundfunkreportage (Kegelklub) 198 Prosit Neujahr! 201 Erster und letzter Krieg 202 Neue Witze 204 München und seine Vorstädte 207
Ein kleines Denkmal 209 »München wird wieder die reinlichste Stadt...« 210 Grundwasser 211 Warum kompliziert, wenn es einfach auch zu machen wäre 212 Nicht die Entdeckung, sondern die Entdreckung Münchens 212
Anzeigen und Lichtbilder Anzeigen 217 [Komische Anzeigen] 221 Wissen Sie schon? 224 Presse=Meldungen 225 Bilder berühmter Persönlichkeiten 226 Die 10 Gebote für Freikartenbesitzer! 242 Lustige Reklame 244 Neue Lichtbilder 253 [Einige Neuigkeiten] 260 München anno dazumal 261 Traueranzeige 263 Architekt »Sachlich« will München neu aufbauen
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Vorworte und Bruchstücke Vorwort [zu: Das Karl Valentin Buch] 271 Vorwort [zu: Allerlei Blödsinn/Brilliantfeuerwerk] Vorwort [zu: Valentiniaden] 273 Am Viktualienmarkt 273 Käs-Rede 275 Die landwirtschaftliche Schuldenregelung 276 [Verschiedene Vorhaben] 278 [Karl Valentin steht in München ...] 279 Telefon Kabine 280 Am Platzl zu München 280 [Anfrage] 282
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Anhang Editorische Notiz 285 Kommentar 289 Bibliographie 441 Zeittafel 448 Nachwort 449 Danksagung 465
Autobiographisches
Karl Valentins Selbstbiographie 8. Februar 1939.
Karl Valentin, Münchner Komiker, Sohn eines Ehepaares. Karl Valentin erlernte aus Gesundheitsrücksichten im Alter von 12 Jahren die Abnormität und zeigte nach reiflicher Überlegung Talent zum Zeitunglesen. Sein Hang zur Musik ist alltäglich. Am liebsten hört er zu, wenn er selbst spielt. Seine Leidenschaft ist das Stehlen, welches er sich jedoch vorsichtshalber, ohne je einmal gestohlen zu haben, sofort wieder abgewöhnte. Kaum den Kinderschuhen entwachsen, kauften ihm seine Eltern, größere. Im Winter trägt Karl Valentin absichtlich gern keine Strohhüte, trotzdem er durch jahrelanges Training in den Tropenländern dazu gezwungen war. Karl Valentins Eigenheiten sind eigen^ Sein neuester, gedachter Trick, sich während einer Hungerkur satt zu essen, wurde von vielen nachgemacht, aber - Original bleibt Original! - Seine letzte Errungenschaft, die Herausgabe eines Buches: Kleiner Leitfaden zum zweimaligen Wiederkäuen der einmaligen Nahrungsaufnahme des Menschen, wodurch also jedem Menschen pro Tag zwei Mahlzeiten erspart geblieben wären, wurde Valentin vom Verbände Deutscher Lebensmittel händler konfisziert. Karl Valentin hat die ganze Welt bereist, mit Ausnahme von Amerika, Asien, Afrika, Europa und sämtlicher anderer Länder. Auf seiner Orientreise, die er im Jahre 1992, vormittags zwi schen halb und dreiviertel 9 Uhr zu machen gedenkt, wird er sich beim Sultan Nachfolger als 1 iojähriger Mann vorstellen. Mit den Vorbereitungen der Empfangsfeierlichkeiten soll schon in der kommenden Woche begonnen werden. Etwas von den körperlichen Eigenschaften Karl Valentins zu schreiben, ist am Platze. Sein Körpergewicht ist unwichtig, seine Größe - länglich; sein Gang - beweglich; sein Charakter charakte ristisch; seine Haltung - lächerlich; und sein Hemd farbig.
Er lebt von der Unsinnfabrikation, wie die meisten seiner Mit menschen, — Reichstagsabgeordneter gedenkt er bei eventuellem Stellungswechsel immer werden zu können. Valentin leidet an Platzangst - er furchtet die Angst vor Plätzen, zum Beispiel Kost plätzen für eventuelle ledige oder uneheliche Kinder----- ! Finanziell will Karl Valentin seine Lage nicht schildern. Außer, vielleicht dem Finanzamt, und hier will er nichts verschweigen und nichts hinzufügen, so war ihm Gott helfe. Amen!
Wie ich Volkssänger wurde Falk und Fey, Möbeltranspörtgeschäft in der Münchner Vorstadt Au, Entenbachstraße 63 im ersten Stock links, dort erblickte ich, Valentin Ludwig Fey, das Licht der Welt. Mit vier Jahren absol vierte ich den Kindergarten, mit sechs Jahren steckte man mich widerspenstig in die Volksschule an der Klenzestraße. Meine Schulzeit war für mich eine siebenjährige Zuchthausstrafe, so gern ging ich in die Schule. Hierauf kam ich in die Lehre, in die Möbelschreinerei von Jos. Hallhuber in Haidhausen, und hobelte, sägte, leimte, nagelte - bis ich Geselle wurde. Als solcher verdien te ich mir dann fünf Jahre lang wöchentlich 20 bis 25 Mark. Nach dem ich auch noch bei verschiedenen anderen Münchner Schrei nermeistern Gastspiele gegeben habe, entwendete ich bei dem letzten Meister einen Nagel, schlug ihn in die Wand und hing an demselben das goldene Handwerk der Schreiner für immer auf. Ich fabrizierte mir selbst ein großes Orchestrion mit fast zwan zig Musikinstrumenten aller Art, welche ich durch eigenen Mecha nismus fast alle zu gleicher Zeit spielte. Mit diesem Musikapparat reiste ich in verschiedenen Städten Deutschlands und holte mir damit keine Lorbeeren. Arm wie eine Kirchenmaus kehrte ich mit meinem Musikapparat von der Fremde wieder heim und spielte im ehemaligen Esterhazykeller, ganz früher Hirschbräuhalle im Färbergraben allabendlich mit meinem Musikapparat und
bekam dafür eine Gage von fünfzig Pfennig pro Abend. In ei nem Anfall von einem Löwenbräubierriesenrausch zerstörte ich mit einem Holzhackel meinen ganzen komplizierten Musikappa rat. Nach dem Tode meines Vaters mußte meine Mutter unser schö nes Anwesen in der Au wegen Hypothekenlast so hergeben, daß uns beiden fast nichts mehr blieb. Sie übersiedelte in ihre Heimat nach Sachsen und ich stand als armer magerer Teufel allein in München, wohnte vier Jahre lang im Handwerksburschenkasino Gasthof Stubenvoll - Fremdenbett ä 30 Pfennig pro Nacht. Mein Brot verdiente ich mir während dieser Zeit mit Zither spielen und Sonntags ging ich mit einer Komikergesellschaft hin aus in die Provinz. Im Jahre 1907 standelte ich, besser gesagt, ich durfte nach einer Volkssängervorstellung im ehemaligen Bader wirt an der Dachauer Straße ein Stegreifsolo machen, erzählte eine Geschichte von einem Aquarium, spielte Zugharmonika und hatte mit diesen eigenartigen Originalvorträgen einen nicht voraus geahnten Erfolg. Jetzt bekam ich sofort ein Engagement im Frankfurter Hof, Schillerstraße (siehe Bild) und war dort mit meiner Originalnummer als Schwerer Reiter die Sensation. Meine wirtschaftliche Not hatte ein Ende. - Nach meinem Auftreten im Frankfurter Hof gastierte ich nebenbei noch im Simplizissimus, Serenissimus, Benz. 1911 lernte ich im Frankfurter Hof meine Partnerin Lisi Karl stadt kennen. Ich entdeckte ihr komisches Talent, und wie sie die ersten Jahre meine Schülerin war, so wurde sie später meine Mitarbeiterin und Mitverfasserin meiner Stücke. Mit ihr war es möglich, das bekannte Tirolerterzett »Alpenveilchen« mit Valen tin, Flemisch, Karlstadt herauszubringen, und alle, die es gesehen haben, werden sich gerne erinnern an das komische Bauerndeandl, das in höchst gschamiger Weise das Lied vom Edelweiß sang. 1915 übernahm ich die Direktion Wien-München im Hotel Wagner. Hier fabrizierte ich viele Einakter und Soloszenen, wie Theater in der Vorstadt, das lustige Tingel-Tangel usw.... Später folgten Engagements im Annenhof, Serenissimus, Kammerbrettl, Charivari (Hotel Germania) und Boccaccio, Benz, Monachia,.......
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1922 wurde ich von den Münchner Kammerspielen zu Nachtvor stellungen verpflichtet. Ein abendfüllendes Theaterstück »Die Raubritter vor Mün chen« war der Anlaß, daß ich auch von der Direktion des Schau spielhauses, des Münchner Theaters, des Kolosseums und zuletzt des Deutschen Theaters verpflichtet wurde. Auch nach Amerika sollte ich schon öfters. Aber ich klemme mich zu sehr an das Sprichwort: Komiker bleibe im Lande und nähre dich redlich. Max Reinhardt hat mich ebenfalls schon ein paarmal gerufen, aber i trau mi net. Nur nach Berlin getraute ich mich schon fünfmal, zuletzt im Winter 1929, zweimal war ich in Zürich, zweimal in Wien. Das Reisen habe ich nicht gern, denn ich habe eine große Angst vor jedem fremden Klima. Seit meinem zehnten Lebensjahr leide ich an Bronchialasthma. Schon eine Stunde in einem kleinen engen Eisenbahnabteil zu sitzen unter vielen Menschen, ist für mich furchtbar. Am liebsten würde ich in einem geräumigen Viehwagen, allein ohne jeden weiteren »Mitreisenden« fahren, denn da könnte ich dann ungeniert und pfundweise Asthmapulver inhalieren; und weil mich manche Leute sowieso ein »Viech« nen nen, wäre der Raum nicht gar so wunderlich! Heute mime ich im Kolosseum. Im Jahre 1926 ist mir ein Antrag vom Nationaltheater München gemacht worden. Ich sollte den Frosch spielen in dem Stück »Die Fledermaus«. Aber ich habe diesen dankend abgelehnt, denn ein altes Sprichwort heißt: Je höher man steigt, desto tiefer fällt man herunter----- und das will ich vermeiden.
Meine Komplexe Von Karl Valentin Berlin 1929.
Meinen Sie, ich habe keine Komplexe? Angefangen habe ich nicht als Schauspieler, ich wollt’ ja gar nicht zur Bühne, sondern trat als Musikaiclown mit einem von mir in dreijähriger Arbeit selbst konstruierten Orchestrion, auf welchem ich 30 Instrumente 16
imitierte, in München vors Publikum. Ich spielte ein Schlachten potpourri mit Händen, Füßen, mit dem Mund, mit der großen Zeh, mit dem Gesäß; der Apparat verlangte nämlich die Aus nützung sämtlicher Körperteile. Er wog acht Zentner und hatte nur einen großen Nachteil: Das Publikum war entsetzt darüber, sonst war er gut. In einem Anfall von Bierrausch, wie er sich in meiner Jugendzeit öfters ereignet hat - heute trinke ich ja kein Bier mehr (höchstens Münchener) - zerschmetterte ich die Klamotte mit einer Axt. Zweite Etappe: Ich wurde Zitherspieler in einem Teesalon in München und erhielt die Prominentengage von einer Rm. i(einer Mark) täglich. 30 Pfennige davon gingen für das Bett ab, das ich in einem Handwerksburschenkasino bezog. Aber ich will ja gar nicht meine Biographie schreiben, das ist ja langweilig. Ich will nur sagen, daß ich damals glücklicher war als heute, weil ich noch keine Komplexe hatte, noch nicht nervös war, weil ich die Welt leichter genommen hab’ als jetzt. Heute schätze ich die Welt nach meinem Befinden auf 7 Milliarden Zentner Schwere. Plötzlich bin ich Schauspieler geworden, warum, weiß ich selbst nit; mir scheint, es hat mich einer »entdeckt«, und von dem Moment an begann auch das Lampenfieber. Ich habe nämlich immer Angst, ob ich nicht steckenbleiben werde. Die Ursache liegt nicht darin, daß ich Angst vor dem Erfolg habe, sondern daß ich nie einen Text lerne. Ich mache mir meine Sachen immer erst auf den Proben zurecht. Die ersten acht Aufführungen hindurch ginge es ja noch ganz gut. Da ist mir die Sache neu, fes selt mich, und ich kann mich deshalb darauf konzentrieren. Dann aber, wenn es in die höheren Aufführungsziffern geht, wird’s mir wurscht (Weißwurscht, Blutwurscht oder Leberwurscht, je nach dem), dann ist mir alles egal, und ich fang’ an zu »improvisieren«, das ist viel lustiger. Wenn ich nicht meine brave Liesl hätt’, die auf alles eingeht, was sie noch nicht weiß, könnte jeden Tag das größ te Malheur auf der Bühne passieren. Außerdem habe ich noch einen lieblichen Angstkomplex. Wenn nämlich was auf der Bühne passiert, was nicht hingehört, wenn einem zum Beispiel eine Perücke herunterrutscht oder irgend was 17
Menschliches passiert (schließlich, die Angst wirkt auf jeden Men schen verschieden), da muß ich so lachen, daß ich mich nicht zurückhalten kann, dann ist es aus mit mir, der sonst über nichts lachen kann. Ein erzählter Witz reizt meine Lachmuskeln nicht, aber so etwas Improvisiertes, da bin ich machtlos, selbst wenn ich auf der Bühne stehe, und muß lachen, daß die Fetzen fliegen und alle anderen mitlachen müssen. Davor fürchte ich mich. Das ist ein Komplex aus der Schule, da habe ich auch immer lachen müs sen, wenn der Lehrer mich ernst angeschaut hat. Ein Glück, daß ich nicht zum Militär gekommen bin! Ich hätte herausbrüllen müssen, wenn ein Offizier zu mir gesagt hätte: »Was lachen Sie denn da?« Vielleicht würden die Leute weniger über mich lachen, wenn sie wüßten, wie mies ich meist beieinander bin, teils durch mein Asth ma, das mich quält, teils durch meine Zwangsvorstellungen; es ist eben die ewige G’schicht’ vom »Lache, Bajazzo!«, die sich in mei nem Leben abspielt. Auch sonst unterscheide ich mich von ande ren Schauspielern in verschiedenster Beziehung: Wenn die z. B. wissen, daß ein Prominenter im Theater sitzt, treten bei ihnen oft Hemmungen ein; bei mir da gerade nicht, im Gegenteil! Einmal im Operettentheater am Schiffbauerdamm kam am Abend eines Gastspiels aufgeregt der Direktor zu mir in die Garderobe und sagte mir: »Valentin - wer, glauben Sie, ist heute im Theater?« Auf mein Achselzucken nannte er mir den berühmtesten Kriti ker Berlins: »Wenn der nur fünf Zeilen gut über Sie schreibt, sind Sie ein gemachter Mann; wenn er Sie verreißt, sind Sie erledigt!« Ich erwiderte: »Na ja, deswegen gebe ich mir auch nicht mehr Mühe!« In meinem Kopf ging folgender Gedanke vor sich: Da ich doch so ungern auftrete, ist jetzt vielleicht der glückliche Moment ge kommen, daß ich durch eine schlechte Kritik endlich gezwungen sein werde, mit der Schauspielerei aufzuhören. Dann fang’ ich eben mein Möbelgeschäft wieder an, das ich früher mal betrieben habe. - Die Kritik fiel allerdings so aus, daß es nicht dazu kam. Ein Schauspieler, der seine Rolle herunterspricht, zehnmal oder 18
hundertmal, hat es viel leichter als ich; denn wenn er stecken bleibt, wird ihm einfach das vergessene Wort souffliert. Da ich aber meine Rolle jedesmal anders spiele und auch mit anderen Worten, so daß ich, wenn ich einmal schlecht aufgelegt bin, be stimmte Witze, die ich tags zuvor auf der Bühne gemacht habe, nicht mache, so ist es für die anderen ebenso schwer wie für mich, den Kontakt weiterzufinden. Weil ich keine Rolle studiere, kann ich auch nie einen Antrag annehmen, wie er mir erst vor einiger Zeit von Reinhardt wieder gestellt wurde, mich in ein fremdes Ensemble einzufügen. Ich habe schon geprobt wie andere Schau spieler. Aber da fällt mir immer nach einigen Malen was Besseres ein, was man sagen könnte, und dadurch komme ich nie zu einem Resultat. Ist das Theater leer, dann habe ich sonderbarerweise keine Komplexe (sprich: Hemmungen!). Ist es aber voll, dann muß ich immer denken, die Leute auf der Galerie würden den Text nicht verstehen, weil bei einem vollen Haus immer mehr Lärm herrscht. Auch fürchte ich, daß manche Leute die von mir be absichtigte Wirkung nicht erfassen. So passierte es mir einmal während meines schon erwähnten Gastspiels am Operettentheater am Schiffbauerdamm, daß die Frau eines Berliner Gastwirts, die mich von München her kannte, zu mir in die Garderobe kam und mir sagte: »Wissen Sie, Herr Valentin, ich war heute in der Vor stellung, aber ich muß offen gestehen, es hat mir nicht gefallen. Sie spielen da ein Vorstadtvariete. Aber ich weiß selbst genau, was Vorstadtvariete ist, denn ich habe dort meinen Mann kennen gelernt, und von den Athleten des Vorstadtvarietes werden immer bessere Sachen geboten, als Sie zeigen. Das ist doch nichts, daß Sie auf einem Dreirad fahren und dabei eine Kerze ausblasen! Und ihr Trompetenblasen hat mir auch nicht gefallen. Das darf Sie nicht beleidigen. Aber wenn man ein Abonnement auf die Oper hat, wie wir es uns glücklicherweise leisten können, da kann einem wirklich so was nicht mehr imponieren!« Die gute Frau hat die absichtliche Stümperhaftigkeit der Dar bietungen auf der Vorstadtbühne im Stück nicht begriffen. Ich war unglücklich darüber. Etwas Ähnliches ist mir in München mal passiert. Da habe ich 19
in dem einfachen Lokal, in dem ich auftrat, einen Schauflieger gespielt. Ein Flugapparat aus Pappe nahm die ganze, übrigens sehr kleine Bühne ein. Auf dem Programm hieß es: »Sturzflüge im Zuschauerraum! Eine unerhörte Sensation, noch nie dagewesen!« Wir mußten natürlich annehmen, es müsse sich jeder sagen, daß man mit diesem Pappeapparat in dem kleinen Saale, der kaum 150 Personen faßte, keine wirkliche Fliegerei durchführen könne. Ein fingierter Impresario stellte mich als Flugkünstler vor, schnall te mir den Fliegerhelm um, und ich wollte gerade das Pappe flugzeug besteigen, als ein ebenfalls fingierter Direktor mit einer aufgeklebten böhmischen Nase im Zuschauerraum aufsprang und nach der Bühne zu schrie: »Was glauben Sie denn? Sind Sie von Sinnen? Die Nummer ist mir doch von Ihnen als ganz gefahrlos geschildert worden, und nun wollen Sie in dem kleinen Zuschau erraum mit Ihrem Mordsapparat herumfliegen? Glauben Sie, ich lasse mir die ganzen Lüster herunterreißen? Vorhang zu!! Ich ge statte das auf keinen Fall!« Der Direktor war so komisch gekleidet und sprach so böhmisch, daß man sofort merken mußte, es war ein Spaß. Aber was wollen Sie, am anderen Tage besucht mich ein Herr in der Garderobe und erzählt mir folgenden Tatbestand: Er war nachmittags bei seinem Rechtsanwalt gewesen, und der hätte ihm berichtet, daß kurz vorher eine Klientin bei ihm gewesen sei, die gestern in meiner Vorstellung war. Sie erzählte dem Rechts anwalt, daß sie gehört habe, der Direktor habe mir plötzlich das Schaufliegen verboten, und die Dame wollte ihn darüber konsul tieren, ob ein Direktor wirklich das Recht habe, einem Artisten, der doch auf seinen Verdienst angewiesen war, die Vorführung seiner Nummer zu verbieten. Sie zahlte dem Rechtsanwalt sogar für die Konsultation! Übrigens war die Dame die Gattin eines Versicherungsdirektors... So weit geht die Primitivität des Publikums. Ein anderes Mal trat ich mit Liesl Karlstadt und mit noch einem Schauspieler als komisches Terzett auf. Wir spielten so falsch, daß es durch Mark und Bein ging, und begaben uns dann, was die Hauptszene war, in den Zuschauerraum, mit einem riesi 20
gen Blechteller abzusammeln und dabei unsere Späße zu machen. Ein Schauspieler, der den Direktor spielte, hatte die Aufgabe, uns das in komischer Weise zu verbieten: »Sie haben Ihre feste Gage, und da brauchen Sie nicht abzusammeln bei mir!« Fast jedesmal entstand eine Erregung beim Publikum; die Leute erkannten den Jux einfach nicht und mischten sich aufgeregt dazwischen, wieso man den armen Künstlern diesen kleinen Nebenverdienst verbie ten wolle. Man weiß eben nie, wie man es dem Publikum recht macht. Und da soll man keine Komplexe kriegen . . .
Karl Valentins Vater der Nockherbergregulierungs=Urheber! Ein sehr steiler, viel Unglück bringender Berg (genannt Nockher berg), der die Vorstadt Au mit Giesing verbindet, war 1895 das Auer Schmerzenskind. Der Stadtrat der Stadt München wollte von einer Regulierung nichts wissen. Der Berg war genau wie der heute noch bestehende steile, kurvige Harlachinger Berg beschaf fen. Da kam dem Herrn Valentin Fey (Vater von Karl Valentin) eine gute Idee und er sagte zu seinem Stammtischfreund, Herrn Magistratsrat Vierheilig, der natürlich auf seiner Seite war: »Woaßt was, Vierheilig, wir müssen was mach’n, daß die Herren vom Magistrat sich persönlich überzeugen können, was der Nockherberg für ein Verkehrshindernis ist.« Zu dieser Tat bot sich überraschend schnell Gelegenheit. Ein Magistratsrat war gestorben. - Die Beerdigung sollte nachmittags halb 3 Uhr statt finden. Von der Stadt aus gab es keinen anderen Weg zum Auer Friedhof als den steilen Nockherberg. Das war also das Wasser auf die Mühle, wie man zu sagen pflegt. Die vielen Fiaker und Magi stratschaisen mußten also am Tage der Beerdigung unbedingt den Nockherberg passieren und als der Tag gekommen war, konnten dieselben das nicht tun, weil -- mein Vater fast sämtliche Fuhr-
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werke von der Au und Giesing requiriert hatte, z. B. Möbelwägen, lange Baumwägen, die Latrinenreiniger mit der Dampfmaschine, Brauereiwägen, Kohlenfuhrwerke, Dienstmänner mit Zweiräder karren waren vertreten und fuhren ab mittags 2 Uhr den Berg auf und ab. Um halb 3 Uhr, schon kamen die ersten Chaisen mit den Trauergästen angefahren, aber halt stad, Vetter, es geht nicht, der Berg war vollgepfropft von lauter Fuhrwerken. Die Fuhrknechte schrieen aus Leibeskräften durcheinander - wüst - hot - wüah, wüst!!! Peitschen knallten in der Luft, alles blieb ineinander stecken. Die eleganten Kutscher auf den Magistratschaisen lenk ten und lenkten, aber umsonst, alles zwängte sich, alles schob sich ineinander, es war kein Durchkommen mehr, die Beerdigung soll te um halb 3 Uhr stattfinden, aber es war schon 3 Uhr, die Beerdi gung mußte im Friedhof hinausgeschoben werden, bis sich der furchtbare Knoten gelöst hatte und das war erst ungefähr um halb 4 Uhr möglich. Als die Magistratsräte nach der Beerdigung heim fuhren, sprach man mehr über den verhängnisvollen Nockherberg als über den Heimgegangenen. Der Plan wurde bald darauf im Stadtrat besprochen und genehmigt und ein Jahr darauf wurde der Nockherberg flacher gemacht und zwar so, wie er heute noch ist, dank der pfiffigen Idee meines Vaters.
»Die haben aber natürlich gespielt!« Noch nie hatten Theaterbesucher so etwas erlebt. In der Sing spielhalle im ehemaligen »Frankfurter Hof« in der Schillerstraße zu München war ich vor dem Krieg als Komiker engagiert. Ich forderte den Besitzer öfters auf, er möchte doch einmal eine neue Bühne bauen lassen, denn die gegenwärtige existierte schon seit 1870 und war nicht mehr der Zeit entsprechend. Nach vielem Zureden war er endlich dazu bereit, eine neue Bühne mit Vorhang, Dekoration, Podium und Beleuchtung anfertigen zu lassen.
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Diese schöne neue Bühne stand schon in der Werkstatt des Bühnenbauers. Der Hauptpunkt der Sache war aber, daß deshalb keine Vorstellung am Abend ausfallen durfte. Nach Schluß des Theaters, nachdem die Zuschauer das Lokal verlassen hatten, mußte sofort mit dem Abbruch der alten Bühne begonnen und die ganze Nacht durchgearbeitet werden, damit am anderen Abend die nächste Vorstellung schon auf der neuen Bühne vom Stapel laufen konnte. Da kam mir eine Idee. Also, nach Schluß der Vorstellung sollte mit dem Abbruch begonnen werden! Ja, dachte ich, warum denn nicht schon vor dem Publikum? Wir hatten als Schlußkomödie eine Bauernszene, bei der ein Bauer zu spät nach Hause kommt und von der Bäuerin eine Gardinenpredigt erhält. Der Bauer bekommt deshalb Streit mit seiner Frau, fängt an zu toben und schlägt mit den Fäusten auf den Tisch; sonst tat er nichts. Im Ernstfälle würde der Bauer vielleicht im Jähzorn die Möbeleinrichtung demolieren. Das könnte er doch eigentlich heute machen, dachte ich mir, denn die alte Bühne brauchen wir morgen sowieso nicht mehr. Gut, ich teilte meine Idee dem Bauern mit, sonst niemand, nicht einmal der Bäuerin, die am Abend die Szene spielen mußte. Am Abend wurde das übliche Programm heruntergespielt, und dann kam die Schlußkomödie mit der letzten Szene. Als die Gardinenpredigt der Bäuerin zu Ende war, ergriff der Bauer nicht bloß das Wort, sondern auch ein Beil und schrie: »Jetzt wirds mir aber amol zu dumm, Himmisapprament«, und ein wuchtiger Hieb zertrümmerte gleich die Zimmertüre, die natürlich nur aus Kulissenplatten und Leinwand bestand. Dann schrie er zum Fen ster hinaus: »Großknecht, da geh rei.« Ich erschien ebenfalls mit einem Beil - und nun ging es los. Alle, der Besitzer des »Frankfurter Hofes«, die Besitzerin, die Stammgäste, das Publikum und die Bäuerin - alle sperrten Augen und Mund auf, als die ganze Bühne vor ihren Augen in Trümmer zerfiel. Sogar die Podiumfiißbodenbretter rissen wir auf. Einige Gäste flohen aus dem Saal, weil sie glaubten, die Schauspieler wären wahnsinnig geworden. 23
Kopfschüttelnd verließen die Gäste die Singspielhalle und eini ge meinten: »Die haben aber natürlich gespielt Und am nächsten Abend spielten wir auf den neuen Brettern, die die Welt bedeuten.
Teilnehmer meldet sich nicht Die lustige Geschichte von dem selbst eingerichteten Fernspre cher verdient erzählt zu werden. Man konnte sich in jedem Schreibwarengeschäft um das Jahr 1895 einen Telephonapparat kaufen und die ganze Apparatur, zwei Pappschachteln mit Perga mentpapier bespannt und eine 10 Meter lange feine Schnur, koste te 20 Pfennige. Man hätte sich ja auf 10 Meter Entfernung auch ohne Telephon verständigen können. (Bitte, in einem modernen Betrieb sprechen heute die Menschen von Zimmer zu Zimmer per Telephon.) Wir Buben, ich und mein Freund Finkenzeller Schorsche, wollten gleich hoch hinaus und legten uns ein Spagattele phon von meiner Wohnung in der Entenbachstraße 63 bis in die Lilienstraße, also eine Strecke von ungefähr 500 Meter. Leitern wurden angelegt, Dächer wurden bestiegen, um den Leitungs draht vom Sender zum Empfänger zu legen. Ein Hof war zu Über spannen, in welchen wir uns nicht hineintrauten, aber ein eiserner Schraubenschlüssel sollte die Leitungstelephonschnur über den Hof befördern - ein Wurf - aber zu kurz, und ein Fenster klirrte. »Es Hundsbuam, es miserable, des war wieder der rotharete FeyBatzi; aber wart, wenn i di dawisch, dann kriagst Nuß (Prügel)!«, schrie der Nachbar den kleinen Telephonarbeitern nach! Unbe kümmert um die Glasscherben vollzog sich die Arbeit. Als das Telephonkabel gespannt war, wurden die Pappschachteln an die jeweiligen Endstationen, bei mir und ihm, am Fensterstock be festigt und das Telephon war fertig. Wer sollte zuerst hinein sprechen und wer sollte zuerst horchen, das war hier die Frage! Wahrscheinlich horchten wir nun beide oder wir sprachen beide, Extrahörer hat es hier nicht gegeben, an dem Pappschachtel-
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mikrophon wurde aber damals auch gehorcht und gesprochen wie an einem Sprachrohr. - Ich entschloß mich nun, meinem Freund Schorsche ohne Telephon aus voller Kehle hinüberzuschreien: »Schorsche, red du zuerst nei, dann horch i, ob der Telephon funk tioniert!« Darauf horchte ich----- keine Antwort! Wieder schrie ich hinüber: »Schorsche, red halt was nei, dann horch i----- !« Wieder kein Resultat. - Wiederum schrei ich hinüber: »Was is denn, Schorsche, so red halt amol was ins Telephon eini —!« Und der Schorschi schreit herüber: »I woaß ja net, was i neiredn soll!!!«
Gratulation zum Namenstag Am 25. August 1925 kaufte ich in einem Blumengeschäft einen herrlichen Blumenstock. Ich ging mit diesem Blumenstock in die Ludwigstraße und stellte denselben auf den Boden. Ein Herr, der dieses gesehen, kam auf mich zu, fragte mich und meinte, ob mir der kleine Blumenstock zu schwer ist. Hierauf erwiderte ich: Zu schwer ist mir der Blumenstock nicht, ich habe ihn nur auf die Straße hingestellt, um zu gratulieren, denn heute ist doch »Ludwig«.
Volksgarten »Zur Rosenau« 1936 sind es ungefähr 30 Jahre, daß der bei allen Münchnern so beliebte Volksgarten »zur Rosenau« in Schwabing seine Tore für immer schloß. Unter den Klängen großer Militärkapellen in Uni form wie Peupus, Keilbert, Högg, Fach etc. entwickelte sich unter sonnigen Plätzen und einem schattigen Kastanienwäldchen ein lustiges Treiben von jung und alt, in der öffentlichen Tanzremise drehte sich die tanzlustige Welt und ein bekannter Münchener 25
Ausdruck war damals gang und gäbe: »Wo gehst’n hi, Xade?« Xade: »Zum Linksumdrahn in d’Rosenau obi.« War die Rosenau auch nicht der Treffpunkt der oberen Zehn tausend, der sogenannten »haute volée«, so war aber das Familien publikum und hauptsächlich das Militär vertreten. Fast alle existie renden bayerischen Waffengattungen, d’ Leiber, de Schwaaren, d’ Ortillerie, d’ Schwulli, d’ Fuaßer etc., womit auf deutsch gesagt, das Leibregiment, die Schweren Reiter, die Artillerie, die Chevau legers und die Infanteristen gemeint waren, waren in der Rosenau zu finden. Aber niemals konnte man an einem Tisch mehrere Waffengattungen zugleich antreffen, denn unter denselben be stand ein nie zu schlichtender Haß, jede war der anderen ein Dorn im Auge, die Leiber haßten die Schweren, die Schweren konnten die Kanonenbläderer (Artillerie) nicht riechen, viel weniger sehen, die Schwolli hatten einen Mordsbug auf die Traina und die Fuaßer konnten die »Goasböckler« (Reitenden) nicht verknusen - kein Völkerbund hätte je eine Einigung zwischen diesen schaffen kön nen. Wehe dieser Köchin oder dem Herrschaftszimmermädchen, dem Soldatenliebchen, das es gewagt hätte, in Gegenwart ihres Galan, des Infanteristen Huber Michä, den nächsten Frasä (Fran çaise) mit einem Schwulli zu tanzen, wehe dieser Maid! Und der Infanterist Huber hub an zu sprechen: »Ja, du Naßl, hob de i in d’ Rosenau abagschleppt oder der greana Salatgigerl? Tua di fei no oamal vergessen, na hau i de mit der flachen Hand in Erdboden eini, daß de als Toda ausschaufeln müssen, do oadrahte Schlawinaschuxn, du gräusliche, und eahm wer i auf mei Seiteng’wehr spießen und als Steckerifisch brat’n.« Kein Sonn- und Feiertag verging, ohne daß sich in der Rosenau nicht etwas »gerührt« hätte; wie sich der Münchner damals statt »Rauferei« ausgedrückt hat. Aber trotzdem überragte doch die Gemütlichkeit alles andere. Das gute Bier der Vorkriegszeit trug natürlich wesentlich dazu bei. Angrenzend an den Wirtschafts garten befanden sich einige Schaustellungen, Karussells, Schiffs schaukeln und dergleichen. Die schrillen Orgeln der Schiffsschau keln und Karussells leierten damals die aktuellsten Sachen wie »Schaffner, lieber Schaffner« - »Ist denn kein Stuhl da« - »Mein 26
Herz, das ist ein Bienenhaus« - »Lebt denn meine Male noch« usw. - In meiner Erinnerung sehe ich noch einen Mann auf einem kleinen Podium stehen mit einem feinpolierten kleinen Kästchen, aus diesem führten ungefähr ein Dutzend zweimeterlange Gum mischläuche in die Ohren von einem halbdutzend Personen, es war dies die neueste Erfindung, der Edison-Phonograph. Er flü sterte jedem Interessenten um ein Zehneri das »Aufziehen der Schloßwache« diskret in die Ohren. — Heutzutage mußt du dieselbe durch den Lautsprecher anhören, ob du willst oder nicht. An schönen Sonn- und Feiertagen gab es Feuerwerke drunt in der Rosenau und weil ich als »Bua« anno 1895 aa scho drunt war und mir die Rosenau unvergeßlich blieb, schrieb ich vor zirka zehn Jahren ein Volksstück, betitelt »Brilliantfeuerwerk in der Rosenau«, welches wir zirka 400 Mal im Schauspielhaus, im Kolosseum und im Apollotheater in der Dachauerstraße zur Aufführung brachten. Ich habe schon seit Jah ren eine Verfilmung angeregt, aber immer ohne Erfolg; ich habe auch keine Hoffnung— vielleicht eine Berliner Firma!
Sehr geehrte Herren und Damen und Kinder! Der letzte Zeitungsartikel im »Münchner Kurier« gibt mir Anlaß, über folgendes eine Erklärung abzugeben. Seit einigen Jahren mühen sich einige Zeitungsschreiber, von mir erlauschte Witze in den verschiedenen Zeitungen und Zeitschriften abzudrucken, teils entnommen aus meinen Büchern oder aus Biertischgesprä chen. Dieses wäre an und für sich nicht das Schrecklichste. Aber daß man Witze von mir und über mich in die Zeitungen bringt, die nicht auf meinem Mist gewachsen sind, sondern aus Urgroß vaters Zeiten stammen, das ist natürlich eine Sache für sich. Die dümmsten, schlechtesten oder gleich gar gemeinen Witze, die die Runde machen, werden von manchen Journalisten kritiklos als von mir stammend bezeichnet und abgedruckt. Der Witz von der 27
Brieftaube, die zu Fuß gegangen ist, der Witz vom Lucki, den der Blitz derschlagen hat, was vorauszusehen war, weil der Lucki schon vor acht Tag so schlecht ausgschaut hat, - diese und andere alte Sachen sind nicht mein Erzeugnis - auch andere Menschen haben dank ihres gesunden Humors schon gute Witze gemacht. Ich kann in solchen Fällen nichts anderes tun, als jedem zuzu rufen: »Glaubt nicht alles, was in der Zeitung steht«. Und wenn Sie meine Witze lesen wollen, kaufen Sie dieses Buch.
Bei Benz 32 Jahre nach dem deutsch-französischen Kriege 1870/71, also im Jahre 1902, trat ich zum ersten Male bei Benz auf und gleich nach dem Auftreten sofort wieder ab. Mußte ich doch vor meinem Solo dem Herrn Besitzer Benz zuerst meine drei Vorträge vorsingen. Der Humorist Hermann Strebel war bei diesem Akt auch mit anwesend und als ich in meinem Zungenfertigkeitskouplet »Was man alles machen kann« - die Stelle passierte - »der Hafner macht den Hafen und das Kind, das macht hinein«, da schrie mich Direktor Benz an wie ein Feldwebel: »Was fällt Ihnen ein, bei meinem Elite-Publikum, solche Schweinereien usw.« Die anderen zwei Vorträge traute ich mir nun gar nicht mehr zu singen, denn ich hatte als Anfang schon das dezenteste herausgesucht. Es blieb also nur bei der Probe, aber ich war überglücklich, bei Benz wenigstens Probe gesungen zu haben, denn das war in der Münchner Artistenwelt schon ein Ereignis. Tatsächlich hatte das Haus Benz in ganz Deutschland einen Weltruf (alle ersten Kapa zitäten wie Karl Maxstadt, Papa Geis und die ersten Berliner Varietestars waren bei Benz engagiert). Im Jahre 1911 war ich abermals bei Benz engagiert und sollte da mit meiner neuesten Nummer als Schwerer Reiter mit dem Holzpferd ein einmonatliches Gastspiel geben. Bei den Proben am Nachmittag erblickte Papa Benz vor der Bühne meine große
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Trommel, die ich zum Auftreten benützte - er wäre beinahe aus der Haut geschlüpft - raus mit der großen Trommel aus meinem Haus, im Haus Benz eine große Trommel, das wäre ja eine Kata strophe. Die Trommel mußte weg. Zwischenzeit 1911-1919. Von 1919 bis heute - was wäre das Haus Benz ohne große Trommel, dem Symbol der Jazzmusik - aber so ändern sich die Zeiten. Zwei Monate lang sang und blies ich mit dem dicken Bombardon den Schweren Reiter zum allgemeinen Gaudium. Für 1. August 1914 war ich wieder bei Benz engagiert. Eine Revue »Im Lande der Kastanien« sollte einstudiert werden, meh rere Nachmittage wurde fest geprobt, bei der sechsten Szene, die im Parkett spielte, kam ich als spanischer Stierkämpfer auf einem Pferd aus Pappe geritten, zwei Pikkolos schlüpften in das Innere des Pferdes und trugen mich mit kühnen Sprüngen dem ebenso aus Pappe lebend dargestellten Stier entgegen - mitten im Kampfe ein Trommelwirbel aus der Ferne?... Wir unterbrachen die Probe und eilten auf die Straße, da stand, von einigen Passanten umge ben, ein Trommler, der den schaurigen Wirbel geschlagen hatte, und neben ihm ein Sergeant, der folgendes vorlas: »Im Namen Seiner Majestät, König LudwigIII. von Bayern - Frankreich hat heute an Deutschland den Krieg erklärt usw.« Schweigend gingen wir in das Haus zurück, die Probe war aus und acht Tage später gingen schon mindestens zehn Männer aus dem Hause Benz hin aus und sangen mit Blumen geschmückt: »Ich hatt’ einen Kamera den.« Vierzehn Tage nach Ausbruch des Krieges durfte, um den in der Heimat weilenden Artisten, Schauspielern usw. Verdienstmög lichkeit zu geben, wieder gespielt werden mit der Bedingung, zeit gemäße Darbietungen zu bringen. Jeder Theaterdirektor empfahl vaterländische, patriotische Darbietungen zu bringen. Auch ich mußte, obwohl es eigentlich von mir als Blödsinn-Interpret nie mand gewohnt war, auch ernste Sachen bringen, so unter anderem eine Kriegsmoritat. Der Erfolg war groß und zwei Monate sang ich als Komiker traurige, ernste Vorträge. Da kam wieder ein Be fehl von der Direktion, man soll den Humor walten lassen in schwerer Kriegszeit und die Menschen aufheitern mit lustigen Darbietungen und das war gut, haben wir es am besten erlebt, als 29
wir bei 120 Lazarettvorstellungen den kranken, verwundeten Sol daten mit unseren humoristischen Darbietungen gute Dienste ge leistet haben. Einige große Persönlichkeiten der Münchner Hof bühne trugen den kranken Soldaten blutige Schlachtgedichte vor und wir machten ihnen im Gegensatz, lustige, harmlose Späße vor, und da meinte ein Hauptmann im Marslazarett, indem er mir die Hand drückte: »Ihre Sachen sind die beste Medizin für unse re kranken Soldaten.« Noch etwas über Papa Benz selbst. - Ich ffug einmal seinen ältesten Oberkellner: Wie kommt es, daß Herr Benz einen Tag so überaus freundlich ist mit mir und am andern Tag schaut er mich gar nicht an? - Ja, sagte er, das richtet sich ganz nach dem Geschäft. - Er war das Gegenteil von Hans Gruß - wenn Herr Direktor Gruß im Deutschen Theater lächelnd und lieb in die Garderobe kam, wußten wir bestimmt, daß das Theater leer war. Tobte er aber auf der Bühne wie ein Wilder, war ausverkauft. Papa Benz war eine originelle Persönlichkeit, klein, dick, körper lich auf der Höhe, nur einen geistigen Defekt hatte er aufzuwei sen, er hatte den Umbaufimmel. - 30 Jahre lang wurde umgebaut, mal außen, mal innen, bald war die Bühne in der Ecke, dann wie der in der Mitte, bald spielte die Musikkapelle rechts der Bühne, dann wieder links davon, plötzlich wurde wieder vor der Bühne gespielt. Wenigstens spielten die Artisten und Künstler auf der Bühne und die Musik vor der Bühne, das war wenigstens noch normal, plötzlich trat eine neue Idee des Kabarettinhabers ein, die Musikkapelle spielte nun auf der Bühne und die Künstler traten im Zuschauerraum auf, die Zuschauer erhielten Seitenplätze. Der Zuschauerraum wurde so oft renoviert und umgebaut, daß die Geschäftsleute wie Maurer, Maler, Schreiner, Dekorateure usw. > vom Hause Benz allein eine Existenz hatten und ich rechne mit Bestimmtheit, wenn die Nachkommen heute dieses Geld auf einem Haufen beisammen hätten, was diese vielen Umbauten gekostet haben, so könnten diese als Privatiers wohlgemut in die Zukunft schauen.
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Oh, Du mein Oesterreich! Eine wahre Begebenheit, die ich im Jahre 1923 erlebt habe. Es war in den Jahren der Influationszeit - ein Stück Brot kostete in Deutschland ein Milliarde. - »Kinder« sprach man in Artisten kreisen »geht doch nach Oesterreich da könnt ihr Geld verdienen noch und noch«. Auch ich folgte diesem Ruf und schloss ein Engagement ab nach Wien Variete »Chat Noir« Mariahilfer strasse bei Direktor Mackoscheck. - Engagementdauer 1 Monat. Kaum hatten wir 3 Tage gastiert, kamen schon 2 Herren der Arti sten Organisation zu Direktor Mackoscheck und protestierten gegen unser Engagement. Valentin und Karlstadt dürfen nicht länger als 14 Tage in Oesterreich arbeiten, das sind Reichsdeut sche, wir haben in Oesterreich selbst genug arbeitslose Artisten u. s. w. Mein Direktor wies den Herren die Türe und sprach: »Der Valentin und die Karlstadt bleiben so lange bei mir als ich will, merken Sie sich das«. - Ich ging aber den 2 Herren nach und sagte ihnen folgendes: »Ich habe das Engagement in Wien ange nommen, weil es in Deutschland jetzt so miess ist und weil einmal seit Bestehen der Welt eure österreichische Krone glänzt, kamen wir auf 4 Wochen nach Oesterreich - und Sie wollen uns nach 14 Tagen ausweisen. - Wenn meine Direktion damit einverstan den ist, verlassen wir gerne dieses schöne Wien um Ihren Wunsch zu erfüllen, aber bemerken möchte ich noch, dass seit einem halben Jahrhundert in Deutschland Wiener Kellner, Wiener Frie seure und hauptsächlich Wiener Schauspieler ihr Geld verdienen - ich nenne nur einige Namen - Fritz Werner, Oesterreicher, 30 Jahre im Gärtnertheater, Josef Ludl, Oesterreicher, Josefine Glöckner, Oesterreicherin, Rudolf Seibold, Oesterreicher, 25 Jah re im Gärtnertheater in München u. s.w. u. s.w. Alle verdienten ihr Brot in Deutschland und wurden nicht nach 14 Tagen ausge wiesen weil sie Oesterreicher waren. Und wenn ich wieder daheim bin in Deutschland, dann werde ich all meinen österreichischen Freunderln erzählen, wie es uns bei den lieben feschen Oesterr[e]ichern ergangen ist.[«] 31
Der leichtsinnige Kapellmeister Ort der Handlung: Ein Münchner Biergarten im Jahre 1920
; .................... und es herrschte fröhliche Stimmung im Biergarten. Die Internationale, die programmgemäss aus voller Kehle von den Arbeitermassen abgesungen wurde, war soeben verklungen und das Musikprogramm zeigte als nächste Nummer ein Potpurri mit dem Titel »Musikalisches Allerlei«. Der Herr Kapellmeister hatte > dabei einen Leichtsinn begangen, der ihm bald sein Leben geko stet hätte, er hätte vorher das Potpurri durchsehen müssen. -Der Herr Kapellmeister klopft ab, das Potpurri beginnt mit einem schneidigen Marsch, dann folgen wieder Lieder »ich hab mein Herz in Heidelberg verloren [«], sogar der alte Schunkelwal zer sollte nicht fehlen, »denke Dir mein Liebchen« usw. und ähn lich beim Oktoberfest gröhlten alle mit - die Stimmung war sehr fröhlich - aber jedes Potpurri hat auch seine Schattenseiten, denn an diese fröhlichen Lieder reihte sich als vorletztes Lied ein ern steres und in die Ohren der Münchner Bolschewisten drangen die Töne »es braust ein Ruf wie Donnerhall, wie Schwertgeklirr und Wogenprall zum Rhein, zum deutschen deutschen Rhein, wer will des Stromes Hüter sein, Lieb Vaterland magst ruhig sein[«J - und hier war der Gipfel der Tragikomik erreicht, denn in ihrer fröhli chen Stimmung hatten die Spartakusgäste den Ernst des Liedes nicht erfasst, erst bei den Worten »lieb Vaterland« kam ihnen die Besinnung wieder und sie wurden alle »wach« wie der Münchner zu sagen pflegt. »Ja du Sauhund, hörst net glei auf mit dem Sche—lied, glei haun ma di oba vom Schammerl« ein Pfeifkonzert begann, Bierfilzerln sogar mit unserem täglichen Brot wurden nach dem Kapellmeister geworfen, einer ganz vorne am Musik pavillon schüttete einem Musiker seinen Bierrest ins Gesicht, der Kapellmeister entfloh durch die hintere Gartentüre, ebenfalls seine Musiker und das war ihr Glück, denn hätten sie noch das Schlusslied des Potpourris geblasen, nämlich »Deutschland über alles« lägen sie vielleicht heute alle im — »Massengrab«.
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Fasching früher und heute Carlo Valentino
O mei - war das ein trauriger Fasching, als ich noch jung war - so um 1890 Keine Konfetti, keine Watteballen, keine Papierbretschen, gar keine Juxartikel hat es damals gegeben. Wir tanzten am Ball nur harmlose Walzer - Schottisch - Mazurka - Polka und Française. Nach dem Tanzen führten wir unsere Tänzerinnen an ihren Tisch, machten harmlose Witze und dergleichen oder usw. usw. Ja! Hätten wir damals schon Papierkugeln besessen, wie besessen hätten wir da unseren Nachbarn einige hundert Stück an den Kopf geschmissen und ins Essen hinein oder in die Bier- und Weingläser, und hätte sich der humorlose Herr Nachbar darüber geärgert, hätten wir ihm noch eine Handvoll Konfetti in den ge rade geöffneten Mund geschüttet, daß er fast erstickt wäre. Ja, ja, die jetzige Faschingsgeneration hat es leicht mit der Unterhaltung. Einige »Nörgler« behaupten zwar, es wäre eine Ungezogenheit, fremden Menschen staubiges Papierzeug ins Gesicht zu schmei ßen, daß sie eine halbe Stunde nichts mehr sehen, aber ein Mensch, der Humor versteht, e/blickt eben gerade darin den Witz, wenn der andere am andern Tag zum Augenarzt gehen muß, um sich die Faschingsreste von der vergangenen »tollen Nacht« mit der Pinzette aus den Augäpfeln herausholen zu lassen. Wie humorhemmend sind solche Mitmenschen, die sich am Faschings dienstag sogar darüber aufhalten, wenn ihnen ein anderer mit einer Papierbretsche ins Gesicht schlägt. Ja, mit einem Eisenham mer wäre es schließlich kein Witz, aber mit einer Papierbretsche kann doch wirklich kein Schaden angerichtet werden, im höchsten Fall kann einem das Augenglas entzweigeschlagen werden, dann soll halt ein so kaprizierter Mensch an so einem Tag zu Hause bleiben. Daß der Münchener wirklich Humor besitzt, das sieht man all jährlich beim Faschingszug. Wie ausgelassen gebärdet er sich da bei, Heiterkeit und Fröhlichkeit kann er nicht zügeln. Und wenn auch Auswärtige behaupten, die Münchener benehmen sich beim 33
Karnevalszug genau so wie bei einem Leichenzug, das irritiert den Münchener nicht im geringsten, er läßt sich in seiner Gemütlich keit und in seinem angeborenen Humor nicht bändigen, denn er weiß, nur einmal im Jahr ist Fasching - und da will und muß er lustig sein —wenn’s ihm auch schwerfällt.
Karl Valentin und Liesl Karlstadt in Augsburg von Karl Valentin selber. 1940
Ich fahre sehr selten von München fort, weil ich nicht gern reise. - Warum ich nicht gern reise, darüber schwirren die verschie densten Gerüchte herum. Aber die genaue Ursache darüber weiss nur ich selbst. - Ich leide seit meinem 10. Lebensjahr an Asthma, Asthma auf deutsch übersetzt, heisst: ich kann nicht richtig schnaufen, schnaufen in deutsch übersetzt, heisst, ich atme schwer - Schweratmigkeit heisst asthmaleidend usw. - Jeder Asthmaleidende kann nur ein bestimmtes Klima vertragen, München meine Heimatstadt hat für mich das richtige Klima, da schnauf ich mich am leichtesten und darum wäre ich doch saudumm, wenn ich aus diesem Klima rausgehe und in ein anderes hineinginge. Da ich nun gehört habe, dass in Augsburg auch ein Klima ist, wollte ich eigentlich gar nicht hinüber, aber probeweise will ich es probieren und ist mir das Klima zu schlecht, fahre ich wieder nach München, tut mir das Augsburger Klima aber gut, bleibe ich immer in Augs burg - wenigstens 14 Tage lang. Aber des schaut so aus, als wie wenn wir Münchner Volkssänger, von denen es eigentlich nicht mehr allzuviele gibt, überhaupt bald aus München auswandern müssten, denn eine Singspielhalle, ein Variete, ein Cabarett nach dem andern schliesst in München seine Pforten für immer -27 altbekannte Vergnügungsstätten in wel chen Frl. Karlstadt und ich seit 25 Jahren gastiert haben----- sind heute leider nicht mehr.------Wo einst der Humor verzapft wurde, läuft heute der Film 34
oder es entstand eine Tankstelle usw.. Die 2 grössten Varietés äusser dem Deutschen Theater stehen seit mehreren Jahren ver staubt und verschollen da, nämlich das schöne Kolosseum und die Blumensäle. Und so sind wir eigentlich bald verpflichtet in die Ferne zu schweifen. — die alten Münchner Volkssänger Alois Hönle - Karl Flemisch - Otto Wenninger - Max Lampl spielen schon seit über 10 Jahren in Nürnberg weil sie in München keine Arbeitsstätte mehr gefunden haben. Und so ist es also mit der Münchner Gemütlichkeit nicht mehr so gestellt, wie man immer singt. Als das Varieté Kolosseum vor 3 Jahren für immer geschlos sen wurde, flüchteten wir uns in das noch übrig gebliebene Kaba rett Benz in Schwabing, wo wir 2 Jahre gastierten, aber auch hier war kein Bleiben, denn wegen Strassenverbreiterung wurde vor 14 Tagen das an der Strasse liegende Bühnengebäude abgebrochen. Das Cabarett wird in ein Cafe umgewandelt und wieder heisst es »wandern ach wandern« und nun sind wir im Deutschen Theater. Hoffentlich------- u. s. w.
Anklage v. K. V. München, den 25. Oktober 1940 Früher, und auch heute im dritten Reich hat jedermann das Recht, mich in der Presse lächerlich zu machen und mich in meinem Beruf als Komiker vor Millionen Lesern als talentlosen Humor krüppel hinzustellen. Alle Augenblicke erscheinen, seit ca. 20 Jahren, sogenannte Valentiniaden in den verschiedensten Zeitungen und Zeitschrif ten, teil[s] mit, teils ohne Bilder. Die idiotischsten Texte, noch dazu in einem haarsträubenden bayerischen Dialekt geschrieben, werden mir angedichtet und alle diese Anekdoten sind natürlich »•wahre Begebenheiten«. Seit Jahren sind alle Beschwerden fruchtlos. Die letzte Beschwer de ging durch Herrn Reichsleiter Amann, München, der mir in
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allen Lagen seinen Schutz angeboten hat. Er hat den Schriftleiter des Münchner Abendblattes, Herrn Fischer, der mich offen in der Zeitung als Affe abgebildet hatte, (siehe Pause) eine gehörige Rüge erteilt. Aber der Unfug geht ruhig weiter, und die Schriftleitung der Berliner Zeitung schrieb mir »....... aber im Allgemeinen hat eine Schriftleitung das Recht, ohne Kontrolle Artikel, in meinem Falle Valentiniaden, von wem sie auch eingeschickt seien, in ihrer Zeitung abzudrucken.« Gut - wenn jeder das Recht hat über einen anderen zu schreiben, dann habe ich auch das Recht und schreibe nun über bekannte Persönlichkeiten jeden Standes, aber im Ge gensatz zu meinen, ganz harmlose Anekdoten, natürlich unwahre Geschichten, gleich dem Herrn Schriftleiter Dr. Wahl, der diese scheussliche Anekdote in der Stuttgarter Illustrierten abgedruckt hat. Anekdote: Herr Schriftleiter Dr. Wahl kam eines Abends in seine Stammkneipe, Weinstube zur blauen Traube. Nach einem tüchti gen Weingelage entfernte er sich. Johlend ging es durch die Stras sen Stuttgarts, da frug ein des Weges kommender den Herrn Schriftleiter »Sagen Sie mal Herr Dr. Wahl, ist das da oben die Sonne oder der Mond?« Das kann ich Ihnen nicht sagen, mein Lieber, ich bin hier selbst fremd.
Karl Valentin, als »Ritter der Damische« »Damischer Ritter« - Diese Titulatur geht zurück bis ins Ende des 18 ten Jahrhunderts. - Wenn irgend jemand saudumm daher geredet hat, dem hat man dann gesagt, »Du bist a damischer Ritter«. Das Wort damisch hat aber mit Damen gar nichts zu tun. Wenn in Norddeutschland jemand saudumm daherreden würde, (was allerdings noch nicht vorgekommen ist), so würde man sagen: »Du dämlicher, oder du dussliger Ritter«. Woher das Wort da misch eigentlich stammt, ist nicht zu erforschen. Damisch heisst
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soviel wie blöd. Ich bin z. B. in meinem Privatleben nicht blöd, nur im Beruf. Mit der Blödheit habe ich mir schon viel Geld verdient und erspart und durch den Staat 1922 habe ich das Geld auf blöde Weise wieder verloren, (siehe Inflationszeit). Weil wir soeben von Blödsinn sprechen, eine kleine Episode! Fräulein Liesl Karlstadt und ich gastierten in einem Münchner Variete. Ein Orchester Musiker - ein Posaunist - sagte zu mir in spitziger Weise: »Sie haben es gut, Sie bekommen für ihren Blöd sinn, den Sie dem Publikum eine halbe Stunde lang vormachen, soviel Geld, als ich den ganzen Monat. [«] Ich sagte zu ihm: »Bis heute existiert noch kein Gesetz, dass ein Musiker keinen Komiker machen darf.« — Ich habe diesen Musiker nach einigen Jahren wieder gesehen, er bläst noch immer seine Posaune. Ja, ja, mit Blödsinn Geld verdienen ist nicht leicht. Wie das Bild zeigt, hat man mich als Ritter in Eisenblech gezeichnet, das wäre gar nicht nötig gewesen, denn ein Damischer Ritter (als ich) kann auch beruflich ohne Zivilkleidung einen Blödsinn zusammen reden und ich ersuche nun diejenigen Leser, die Freude am Blödsinn haben, weiter zu lesen und die andern, sollen hier zu lesen aufhören. Als im Jahre Karl der grosse noch ziemlich klein war, gründete am Gründonnerstag ein emaliger Junikäferldompteur eine Stern schnuppenzählerei mit bahafter Schränkung. Seine Frau ihr Mann gelernter Silberbechervergolder, erfand am andern Tag die Erfin dung zur Auffindung von Findelkindern. Aber es kam anders’ Friedlich sassen ein hunriger Königstiger und eine Schildkröte nebeneinander. Keines von den beiden hatte Mumm, sich gegenseitig zu zer fleischen. - Aber so ist das Leben, der Löwe lebt im Urwald und der Elefant im Freien und dann begann der Wirrwarr. Konrad stiess seiner lieben Mutter ein Glas Wasser in die Brust, heulend lief der Sturm davon, Ein Schrei des Entsetzens blieb an einem Gartenzaun hängen, die Turmuhr zeigte 15 Grad Kälte. Eine bejahrte Mutter zerbiss ihr frisches Kind aus Übermut und die Lerche, hoch in den Lüften sang das schöne Lied: Im tiefen Keller sitz ich hier.
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Der Jakl [Ein] Erlebnis von Karl Valentin. An einem Nachmittage sassen sie in der Fensterecke einer ver rauchten [?] gemütlichen Bierwirtschaft an einem alten, runden Ahorntisch: der Schankkellner, der Ortner Seppe, Der Pfeiffer Heini, und [...] der Fey Vale. Da knarrte die alte Wirtschaftstüre und herein kam der »Dompteur« der unter diesem Spitznamen hier kein Unbekannter war. Bei dem Wort »Dompteur« denkt man unwillkürlich an den Rachen einer wilden Bestie, wie Löwe, Tiger oder Panther. Hier handelte es sich jedoch um eine kleine zahme Turteltaube. Der »Dompteur« war so gross und kräftig, dass er wie kein anderer als Modell für eine Herkulesfigur gepasst hätte[.] Er sicherte seine existenz damit, Vorstellungen zu veranstalten in welchen eine klei ne Turteltaube sich in akrobatischen Kunststücken einem verehrlichen Puplikum zeigte, welches an diesem Nachmittage aus vier Personen bestand. Wie so häufig nahm er gleich uneingeladen an unserm Tisch Platz; aber heute war er besoffen und zwar so stark, dass man ihm eine Vorstellung mit der Turteltaube nicht mehr zutraute. Mit seinen dicken wuchtigen Pratzen hob er seinen kleinen gefiederten Künstler aus dem Korb, stellte einige Artistenrequisiten en miniature, die noch dazu sehr schmutzig waren, auf den Tisch, schob, ohne die Gäste zu fragen mit dem Unterarm die Bierkrüge beisei te, um so eine Manege für seine Darbietungen zu schaffen. »So Jald, nun zeig mal den Herrschaften schön was du alles kannst«, damit setzte er den Jakl auf eine Schaukel, dann auf eine Kugel, zuletzt produzierte sich die Taube noch auf einer Leiter, doch seine Kunst war nicht staunenerregend -[...] Minuten - län ger als [...] dauerte keines seiner Gastspiele. Dann steckte der Dompteur seinen Jakl wieder in den Korb, nahm einen vor Schmutz strotzenden Blechteller und lamentierte [?] [monoton]: »Ein kleines Trinkgeld für den Jakl«. Der Schankkellner, der der Vorstellung ebenfalls beigewohnt
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hatte, hatte auch [...] ein kleines Unglück bemerkt, das sich eben ereignet hatte und mit [...] Stimme sagte er zu dem »Dompteur« »Du! - Da schau hi’ - dein Jakl hast an Kopf ei’zwickt ins Körbe.« Das ganze Auditorium drehte die Köpfe nach der Unfallstelle und siehe - es war Tatsache, in seinem Rausch hatte der Domp teur mit dem Korbdeckel dem Jakl den Garaus gemacht. Es war [ein...] Zirkusdrama [...]. Der »Dompteur« der selbstverständlich in seinem Rausch die Wucht der Katastrophe nicht so schnell erfas[s]te wie wir, nahm den Leichnam in seine [...] Hände und starrte ihn an, dann gur gelte es langsam aus seiner Luftröhre heraus: J — — a —k—1! und sein Haupt mit dem langen filzigen Vollbart sank wie ein Leichentuch auf den toten Jakl. Es war eine seltsame Stimmung an dem Tisch, wo es sonst immer so lustig herging. Als sich der Riese wieder erhob, murmelte er ein zweitesmal: ..m-e-i Ja-k-1....... und Tränen rieselten aus seinen Augen und versickerten in seinem Vollbart. Die Kellnerin Centa friebel [?] machte dieser Trauerszene ein schnelles Ende, indem sie meinte »jetzt is a scho hi - tuan her nacha soll’n d’Riedl Muatta brat’n«[.] Und so geschah es auch. Nach einer Viertelstunde lag der gebratene Jakl mit Nisselsalat deko riert vor seinem »Dompteur« — und der »Herr« nahm ihn zu sich.
[Ich bin ein Mensch, ...] *943 Ich bin ein Mensch, der allem Liebesklamauk, wie Eifersucht, bocken, Liebesschwüren u. s.w... nicht verträgt, weder bei der Frau, noch bei einer Freundin. Ich bin als Vorstadtpflanze aufge wachsen und als Gentleman den Frauen gegenüber in hinterster Reihe gestanden. Ich habe auch nie Bildung mit dem Löffel geges sen, nur mit der Messerspitze. Ich bin kein direkter Rüpel, aber die Brennessel unter den Liebesblumen. 39
Motto: Was ein Häkchen werden will, krümmt sich bei Zeiten, natürlich habe ich mich auch sofort gekrümt, bis heute und jetzt bin ich ein alter Haken, der sich unmöglich noch grad biegen lässt[.] Und mutlos, wie eine Memme bin ich oft dem Blick oder einem Wort einer schönen Frau feige von dannen geflüchtet.
Meine Jugendstreiche Vorwort Auf vieles Anraten meiner Freunde und Bekannten habe ich mich beschlossen, meine, mir noch in Erinnerung gebliebenen Erleb nisse aus meiner Jugend-, Jünglings- und Mannszeit zu sammeln. Die tollen Streiche, die ich in meiner Jugend beging, haben sich fast alle in dem Anwesen Entenbachstrasse 63, - jetzt Zeppelin strasse 41 - im Hofe des Möbeltransportgeschäftes Falk & Fey, München, abgespielt, das meinem Vater gehörte. Dort habe ich eines Tages das Licht der Welt erblickt. Hochachtungsvollst Karl Valentin, Komiker gewesenes Kind.
Winterstreiche
’S Weiber ’zammbinden in der Christmette ist ein uralter Auer Brauch und soll schon aus dem sechzehnten' Jahrhundert stam men, - erzählen heute noch die alten Auer, eine Gaudi, wie das Geldbeutelwaschen am Aschermittwoch im Fischbrunnen am Marienplatz. Natürlich war das für uns Auerbuben ein Gfrett. Der Mutter wurde zu Hause ein Stück - ungefähr zehn Meter - vom Wasch strick abgeschnitten, im Hosenbein versteckt und um elf Uhr
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nachts trafen wir uns in der Christnacht bei irgend einem Kamera den. Um zwölf Uhr gingen wir, wie alle anderen Leute in die Mette, aber wir Buben drückten uns immer hinten herum bis zum Schluss. Dann nahm ich den Strick und drängte mich in einen Haufen alter Weiber. Das andere Ende des Strickes hielt ein Anderer von uns fest in der Hand und blieb standhaft auf seinem Platz stehen, bis ich wieder zu ihm kam; dann hatte ich mindestens schon zwanzig Wei berleut in meiner Schlinge. Am Schluss der Mette knüpften wir die zwei Enden zusammen und warteten nun, bis der Gottesdienst aus war und die Leute aus der Kirche gingen. Da hub auf einmal ein lei ses Schimpfen an, - die Frauen konnten nicht mehr auseinander und der ganze Pack wurde von der hinausströmenden Menge mit gezerrt bis auf die Treppe, worauf dann edeldenkende Herren und Damen den Strick aufknüpften und die Gefesselten befreiten. Nun ging erst das richtige Schimpfen los: »- de Saubazi ham uns zsammg’hängt, dene g’höreten Fünfundzwanzig auf den Nackaten!« - und die gschertesten Auer Kraftausdrücke verhalten in der kalten Weih nachtsnacht. - »Kyrie eleison!« -
Das Schönste im Winter war immer das Schlittenfahren am Isar berg. Von vier Uhr nachmittags an, - also nach Schulschluß, - bis zum Eintritt der Dunkelheit wurde gerodelt, die besseren Buben hatten Schlitten, die ärmeren nahmen gleich den Schulranzen. Der Berg war ziemlich lang und steil und es gab natürlich fort während Carambolagen und nicht selten Verunglückte. Mit Klei nem fängt man an und mit Großem hört man auf: ich holte mit noch einem ganzen Haufen Buben aus unserem Lagerplatz einen riesigen Pferdeschlitten. Mit großer Mühe und letzter Kraftan strengung wurde der schwere Koloß auf den Berg gezogen. Im Nu war er von zwanzig oder dreißig Buben besetzt, aber die Abfahrt ging nicht so leicht. Wer sollte uns über die Bergkante schieben? Wir konnten es doch nicht selbst, denn wir saßen ja alle auf dem Schlitten. Die Situation wurde sofort von den vorübergehenden Erwachsenen erfaßt und einige starke Männer schoben den voll besetzten Schlitten über die Bergkrempe hinaus, - aber schief! Der Schlitten überschlug sich ein paar Mal! Und dann war wieder
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einmal ein Wunder geschehen, dass es keinen von uns dapatzt hatte. Das Experiment wurde sofort wiederholt. Diesmal ging es richtig den Berg hinunter, aber leider zu weit: der Schlitten mach te, unten angekommen, an einem kleinen Hügel einen Sprung, als ob er von einer Skischanze spränge, und wir sassen bis über die Knie im Eiswasser. Wenn auch einer von uns am anderen Tag krank wurde, so bedeutete das kein Unglück, denn dann brauchte er nicht in die grausliche Schule zu gehen, das war ja noch schö ner, als das Schlittenfahren, wenigstens für mich. Ich hätte jedes Schulhaus niederbrennen können! Uebrigens möchte ich hier erwähnen, daß einmal, - es wird unge fähr 1892 gewesen sein, - die Wagner-Weinberger Buben von ihren Verwandten aus Norwegen drei Paar Ski geschenkt be kommen hatten und sie am Isarberg ausprobierten. Wir alle haben diese »Latten« angezogen und sind damit hinuntergerutscht. Aber nur einige Tage lang, denn wir waren nicht im Geringsten begei stert von dieser Neuheit. Wir lehnten alle dieses fremde Zeug ab und kehrten zu unseren Rodelschlitten zurück. Ich kann mich also rühmen, äusser den Weinbergerbuben einer der ersten Skifahrer in München gewesen zu sein. Bitte nachmachen!
Zum Wintersport gehörte auch das Fahren auf schwimmenden Eisschollen. Mit einer Stange ausgerüstet stiessen wir uns selbst vom Ufer los in die Isar und schwammen hinunter zur Isarlust. Hier ging es wegen der Schleussen nicht mehr weiter und wir mussten dann wieder zur Frauenhoferbrücke hinauf, uns neue Platten loslösen und wieder ging die Fahrt stromabwärts. Zer brach einmal eine Scholle während der Fahrt, so standen wir bis über die Knie im Wasser und es gab ein Mordshailoh, wenn wir dann auf das Eis eines anderen Buben hinaufstiegen, das selbst verständlich hernach wegen der doppelten Last nicht mehr schwamm, sondern mit allen beiden Fahrgästen absackte. Mit ge frorenen Hosen kamen wir abends nach Hause: »Mutter, i kon nix dafür, der Töne hat mi heut ins Gwasch einigstessen!« Aber die Mutter glaubte mir garnichts mehr und auch das war mir wurst.
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Einmal sind die Leute am Ufer des zugefrorenen Kleinhesseloher Sees zusammengelaufen und haben gelacht. Was gibts denn da? Ein Bub steht händeringend auf dem Eis, hilflos allein, die Schlittschuhe rutschen ihm immer wieder unter den Füssen weg, er purzelt wie ein Besoffener und jeder der Zuschauer denkt sich im Stillen, »der Bua gstellt sich schon ganz saudumm zum Schlitt schuhfahren.« Dieses Theater dauerte so einige Minuten. Plötz lich änderten sich die Gesichter der Zuschauer. Aus dem Lachen wurde ein Staunen. Denn der Bub machte plötzlich ein paar kunstvolle Schleifen, drehte sich in eine Acht und mit einem Ansprung auf den Spitzen der Schlittschuhe sauste er im Renn tempo über den See und entschwand den Blicken des enttäuschten Publikums, das mitten im Winter einem Aprilscherz zum Opfer gefallen war. Die Adresse des Aprilscherzfabrikanten war: Valentin Fey, Entenbachstrasse 63/I. Der zünftigste Sport aber war das sogenannte »Schwankeis fahren«. Diese Gaudi hängt natürlich vom Wetter ab und ist daher nur ganz selten möglich. Wenn nach starker Kälte plötzlich der Föhn kommt, so wird die Eisdecke in zwei bis drei Tagen sehr dünn und da gibt es dann manchmal, - aber nur an ganz tiefen Stellen eines Sees, - ein Schwankeis. Dazu müssen die Schlitt schuhfahrer stundenlang, immer im Gänsemarsch aneinanderhän gend, die gleiche Stelle passieren, bis das Eis bröckelt, sozusagen weich wird und »schwimmt«. An der »tiefen Gumpe«, unterhalb des Muffatwehrs, entstehen oft interessante Schwankeise und an Sonntagen war der Muffatwehrsteg voll von Zuschauern, wenn wir Buben über die Eiswellen huschten. Wird die Eisdecke wässe rig, so ist das ein Zeichen der Gefahr und es dürfen über das Schwankeis nur mehr einzelne Personen fahren, denn dann be kommt das Eis schon kleine Löcher und für einen normalen Fah rer ist es aus. Aber für uns begann jetzt erst das richtige Ver gnügen: »Wer traut sich noch umi fahrn?« hiess es. »Vale, lass di koan Drenza (Muttersöhnchen) hoasn, packs no moi, schnell gewagt, ist halb gewonnen!« - Und ich sauste über die ungefähr fünfzig Meter langen gefährlichen Stellen, hinter meinen Füssen 43
krachte und knirschte es unheimlich, meine Kameraden hinter mir drein. Gut angekommen, Applaus auf der Brücke und am anderen Ufer. Nach einigem Besinnen meinte der Ade, »Gehts wega, i packs no moü«, - startet, ich hinter ihm drein - ein Schrei der Buben und der Zuschauer auf der Brücke: das Schwankeis ist geplatzt! Und Ade unter der Eisdecke! Ich breche auch ein, kann mich aber noch halten, Bretter werden mir gereicht, ich bin ge rettet. Mein Kamerad Ade wurde am andern Tag als Leiche gebor gen. Er liegt im Ostfriedhof begraben. Er hatte sich den Tod ge holt und ich mir ein schweres Asthma, welches mir geblieben ist.
Knalleffekte
Ich wundere mich, dass ich heute noch am Leben bin. Denn was ich in meiner Jugend alles mit Pulver angestellt habe, ist enorm. Man konnte sich damals bei jedem Eisenhändler sogenanntes Böllerpul ver kaufen, das Paket zu sechzig Pfennig. Damit machten wir uns Feuerwerksfrösche, schoben sie heimlich angezündet irgend einem Bekannten in die Tasche und ergötzten uns dann über sein Er schrecken, wenn er nicht wusste, was in seinen Taschen auf einmal solch einen Krawall machte. Eine Rakete, selbstverständlich eigener Herstellung, die ich anzünden wollte, mochte absolut nicht bren nen. Als ich sie betrachtete, bekam ich plötzlich ihre ganze Ladung ins Gesicht, verbrannte mir aber dann nur die Augenbrauen. Äusser dem Schreck war ich wieder einmal noch gut weggekommen.
Eines Tages hatten wir die Installat[eu]re in unserem Anwesen. Wir machten uns aus einem Stück Wasserleitungsrohr eine regel rechte Bombe, füllten sie mit Pulver, nagelten sie auf ein Brett, befestigten einen dünn, zu einer Schnur geschnittenen Zünd schwamm daran, zündeten ihn an und stiessen den ganzen Appa rat unterhalb der Wittelsbacherbrücke in die Isar. Nichts Gutes ahnend, machten wir uns schleunigst aus dem Staub. Von dem Fussweg des Isarbettes aus warteten [wir] auf den Knall. »Auweh, nix is!« meinte der Kolb Heini, »da is höchstens d’Zündschnur nass word’n, - aa z’lang is, des werd erst weiter druntn krach’[n]!« 44
- so gingen die Meinungen auseinander und vergebens warteten wir au[f) den Knall. - Auf einmal------- ein Kanonenschuss! Die ganze Au hallte davon wider. Was war geschehen? Die Menschen auf der Strasse blieben einen Moment stumm stehen. »Da muß wo a Dampfkessel explodiert sei!« Wieder andere meinten: »So g’schossen wird doch in der Au nur frühmorgens im Juni bei der Frohnleichnamsprozession!« Nur wir sechs Buben wussten be stimmt, was es war. »Uuih!« sagte ich zu den Anderen, »iatzt derf ma [u]ns aba dünn macha!« Und mit leichenblassen Gesichtern zerstreuten wir uns in verschiedenen Richtungen heimwärts. Un sere letzten Worte waren nur mehr: »s’Mäü hoit’n, fei nix pfeifa, wers g’wen is!« Die Fraunhofer Brücke kurz nach dem Attentat schwarz von Menschen. Nach ungefähr drei Tagen suchten wir in der damals seichten Isar nach und fanden tatsächlich an der Explo sionsstelle die zer[r]issene Bombe. Das dicke Eisenrohr war durch die gewaltige Pulverladung in der Mitte aufgeschlitzt - zu unse rem grössten Glück. Denn wäre sie in Stücke zer[r]issen, hätte es vielleicht ein grosses Unglück gegeben. Aber ein altes Sprichwort heisst: Die Auer haben immer Glück. Zum Fischesprengen suchten wir uns eine alte Flasche, holten uns auf der Kalkinsel um fünf Pfennige ungelöschten Kalk und füllten das Gefäss halb damit voll. Oben wurde in den Kork ein Federkiel gesteckt, unten kam ein Ziegelstein daran. Dann wurde das Ganze an einer tiefen Stelle der Isar ins Wasser geworfen. Nach kurzer Zeit ein dumpfer Knall! Wasser sprudelt. Die Flasche war im Wasser ex plodiert und hatte eine ganze Anzahl Fische aufs Land geworfen, die wir dann heimtrugen. Aber wir mussten sehr vorsichtig sein. Denn das Fischesprengen wurde damals von der Polizei streng bestraft. Auch wenn wir Drachen steigen ließen, ging es nicht ohne Don ner und Blitz. Wir bauten uns die Luftsegler selbst aus Latten und Seidenpapier. Dann kauften wir uns bei dem Feuerwerker Hein rich Burg eine Portion Knallfrösche oder gleich ganz große Kano nenschläge und befestigten sie daran. Ausserdem kam an den Dra chenschwanz ein etwa dreissig Zentimeter langer Zündschwamm, 45
der beim Start angezündet wurde. Wenn der Drache eine Höhe von fünfzig bis achtzig Metern erreicht hatte, gab es einen furcht baren Krach und meistens riß alles dabei in Fetzen. Dann hieß es aber »Davonbretschen«, denn schon waren uns die »Greana«, die Gendarmen, auf den Fersen. Wenn wir dieses Mannöver abends ausfuhrten, ließen wir äusser dem Kanonenschlag noch ein paar brennende Lampions mit emporsteigen. Ein Knall! und alles war beim Teufel. Am liebsten hätten wir unseren Schullehrer auch noch dazu hingehängt, aber das war leider nicht möglich. Einmal bekam mein Vater vom Grafen Löwenstein in Traunstein, als Dank für einen gut ausgeführten Möbeltransport einen schö nen, wertvollen schwarzen jungen Seidenpudel geschenkt. Darob herrschte grosse Freude in unserem Hause. Aber nicht lange, nur zehn Minuten. Ich führte den Hund in den Hof, band ihn einen sogenannten Feuerwerksfrosch an den Schwanz und zünde te ihn an. Bum - Bum - Bum - Bum! Der Frosch krachte fünf oder sechs Mal furchtbar wie ein feuerspeiender Drachen. Der Pudel war dem Verfolgungswahn nahe, legte die Ohren hinter, raste zum Hof hinaus und ward nie mehr gesehen. Das war 1890. Bis heute ist er nicht wiedergekommen.
Hundsg ’schicht ’n
Als ich jung war, haben die Hunde wegen mir Vieles durchmachen müssen. Später war es dann umgekehrt.... Vielleicht wollten sie mirs heimzahlen.... ? Da war zum Beispiel die Gaudi mit dem Schinkenknochen. Wie viele Köter aus der Au haben vergeblich danach geschnappt und ihn doch nicht bekommen! Wenn ein neuer Mensch zur Welt kommt, so kann er das nicht allein, denn dazu ist er viel zu unbeholfen. Er braucht also Hilf steilung. »Holt schnell die Frau Meier!« heisst es dann. Es geht also jemand zu ihr hin, sie schaut heraus und frägt bloß: »Wo hin?« Bei dem Geburtenrückgang von heute kommt es garnicht mehr so oft vor, dass einer an ihrer Glocke läutet. Wir hatten aber 46
so um 1895 herum reichen Kindersegen zu verzeichnen und da bimmelte das Geburtsglöcklein wenigstens jede Woche einmal in der Au. Wie es nun aber kam, dass die arme Frau [...] an einem Tag oft fünf oder sechs Mal herausgeklingelt wurde, daran war nicht so sehr der Wille der Auer zum Kind schuld, sondern der besagte Schinkenknochen, den wir Buben an den Griff der Heb ammenglocke gehängt hatten und nach dem jeder vorbeistreifen de Hund einen oder mehrere Schnapper gemacht hat. -
Der Rattenfänger von Hameln hat sich wahrscheinlich gewaltig darüber gefreut, dass ihm alle Ratten nachgelaufen sind. Weniger beglückt ist gewiß der Schreinergehilfe Schlegel von der Firma J. Hallhuber in Haidhausen, - zu der ich nach meiner Schulzeit in die Lehre gekommen war, - darüber gewesen, dass sich eines Tages mindestens zwanzig Hunde aller Rassen, Grössen und Aus führungen unentwegt an seine Spuren hefteten und nicht wankten und wichen, so sehr er auch sie zusammenschimpfen mochte. Die Ratten von Hameln waren von den sanften Flötentönen ihres Fängers bezaubert worden. Der Schreinergehilfe Schlegel jedoch hatte ein vollständig lautloses Lockmittel bei sich. Es war keiner lei Instrument, sondern nur ein kleines Schächtelchen voll Hunde haare, die ich unserem Hofhund »Lotte« an einer gewissen Stelle abgeschnitten hatte. Ein Lehrbub hatte das Zaubermittel dem Ge sellen in die Rocktaschen praktiziert und als der wackere Schwabe pünktlich auf den Schlag zwölf aus der Werkstatt auf die Strasse trat, lief, wie von einem Magneten angezogen, ein Hund nach dem anderen auf ihn zu und all seine Abwehr blieb vergebens. Den ganzen Weg von der Weißenburger Strasse 19 bis zum Wörthplatz und hinunter zum Gasthaus Waldherr, wohin er essen ging, kamen ihm die Hunde nach. Er schimpfte den ganzen Weg in seiner Heimatsprache: »Ihr Sauseckel, macht, daß’r zom Doifl kömmt!« Aber ohne dergleichen zu tun, folgte ihm die Hunde schar mit treu erhobenen Nasen und Schwoafn bis zur Türe der Wirtschaft. Und, - welch ein Schreck! - als er nach seinen zwei Stunden Mittagspause wieder aus der Gaststube trat, schnupperte ihm die ganze Köterherde noch immer erwartungsvoll entgegen
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und folgte ihm in langem Zuge feierlich bis zur Werkstätte. Ge liebter Leser dieser Zeilen, ich wünsche Dir, dass Du auch einmal so lachen kannst, wie wir damals gelacht haben!
Ein Freund von mir hatte einen langhaarigen, schneeweißen Zwergpintscher. Dieses Viech glich seinem Aussehen nach mehr einer Portion Putzbaumwolle, als einem Hund. Wenn der Pianist Josef Ortner zum Stammtisch des »Tritschvereins« in den Gasthof »Stubenvoll« kam, fehlte auch sein treuer Begleiter nicht und lag am Boden zwischen den Tischbeinen. Einmal gab es geschnittene Nudelsuppe, aber die meine war kochend heiß und von den längli chen dampfenden Nudeln blieben mir scho[n] beim ersten Löffel welche an den Lippen hängen. »Heiß!« schrie ich, »oha!« und wollte mir das verflixte Zeug schnell mit einer Serviette vom Mun de wegwischen. Es war aber keine am Tisch. Da sah ich den Hund am Boden, packte ihn und putzte mir damit den Mund ab. Das war im Jahre 1906, da wusste noch keiner etwas von Charlie Chaplin. -
Recht bös hätte ein kleines Abenteuer ausgehen können, das mir als achtzehnjährigem Burschen einmal in Neubayern am Inn in der Sommerfrische passierte, wo eine alte, schöne Burg steht. In der Bauernwirtschaft am Fusse des Schlossberges frug ich einen alten Briefträger, wann die Besichtigungszeit sei. »Ja, - meinte er, - eigentlich nur Dienstags und Freitags, aber wenn Sie den eiser nen Tbrriegel wegschieben, können Sie jederzeit hinein. Sie brau chen nur zwischen dem Gitter durchgreifen, es geht ganz leicht auf, und die zwei Hunde im Hof tun Ihnen nichts.« Ich hatte gerade Zeit und machte mich auf de[n] Weg. Oben standen schon zwei Fremde vor der Tür, ein Herr und eine Dame, und wollten gerade umkehren, wie sie das Schild von den Führungszeiten gele sen hatten. Aber ich verkündete ihnen stolz, daß man auch jetzt hinein könnte und griff zwischen die Gitterstangen. Im Nu fauch ten zwei gewaltige Hofhunde daher und fletschten uns die Zähne entgegen. Ich ließ mich nicht irre machen, berief mich auf die Wissenschaft des Briefträgers, daß die Bestien harmlos seien und wir gingen ohne Furcht in den Schloßhof, die Hunde knurrend 48
hinter uns drein. Als wir im Schloßinneren durch den ersten und zweiten Stock und alle Prunksäle gekommen waren, vernahmen wir auf einmal eine Stimme: »Holla, ist hier wer im Zimmer?« Und ein Lakai kam uns ganz verstört entgegen und rief: »Ja wie sind Sie denn hereingekommen, wer hat Ihnen denn das erlaubt?« Ich berief mich auf den Briefträger. »Um Gotteswillen!« war die Antwort, »und die Hunde? Das sind ganz scharfe, auf den Mann dressiert, und es ist ausgeschlossen, daß die Sie nicht zerfleischt ha ben!« Da bekamen wir nachträglich richtig das Zittern in die Knie. Nachdem die Biester angebunden waren, geleitete man uns wohl behalten hinaus. Auch die bissigsten Hunde tun einem nichts, wie sich hier wieder gezeigt hat, wenn man keine Angst vor ihnen hat.
Ein andermal hat mir mein Fahrrad das Leben gerettet. Von rechtswegen müsste ich ihm eine Rettungsmedaille kaufen und umhängen. Ich besuchte in Planegg den Theaterdirektor Josef Valle und wollte mein Rad vor dem Eingang seiner Villa stehen lassen, aber ein guter Geist flüsterte mir zu: »Nimm es mit hin ein!« Kaum war ich durch das Eisengitter in den Garten gekom men, als ein großer Wolfshund ohne Maulkorb zähnefletschend auf mich zugerannt kam. Er hätte mich gewiss zerrißen, wenn ich ihm nicht von jeder Seite, von der er mich anfallen wollte, mein Rad entgegen gehalten hätte. Er hat sich direkt in das Vehikel ver bissen. Nicht einmal die Haushälterin, die auf mein Schreien und das Gebrüll des Hundes hin herbeieilte, konnte das Tier bändigen und erst, als ein in der Nähe arbeitender Gärtner mit einem Prü gel herbeirannte und auf das wütende Tier einschlug, war es zu überwältigen. Mit einem Nervenschock verließ ich den Schau platz. Seitdem fände ich zehntausend Mark Hundesteuer im Jahr pro Exemplar nicht zu hoch. Gleichwohl habe ich immer einen Foxl gehabt. Zu Hause ist so ein kleiner Kerl immer brav, weil es in einer Wohnung keine Baumstämme und Laternenpfähle gibt. Aber unterwegs ....! Wel ches Herrchen zieht er da nicht auf jedem Spaziergang an minde stens zwanzig Bäume! Und du meinst jedesmal er muss, er muss 49
aber garnicht, er schnuppert nur und wiederholt dieses Manöver immer aufs Neue. Je nach Temperament lässt Du Dir das ein oder ein paar Dutzend Mal gefallen. Aber wenn er dann schliesslich auch noch die Leine im Handumdrehen ein paarmal um einen Stamm herumgewickelt hat, reißt auch Dir endlich der Gedulds faden, Du magst einfach nimmer und merkst plötzlich, daß Du in der Wut doch der Stärkere bist. »Jetzt bleibst amal da, Schinder hund mistiger, dei’ Schnuppern werd ma jetzt z’dumm!« Natürlich entrüstet sich sofort eine immer gerade in diesem Moment daherkommende Frau auf das Heftigste über Deine »Brutalität«. »Jetzt schau amal sowas an! Lassens doch den Hund an den Baum hin, wenn er muss, Sie sehn doch, dass er hinzieht!« Die Galle steigt Dir in die Höhe wie das Quecksilber im Thermometer bei Sonnenschein. »Kümmerns Eahna net um mein Hund, Tante!« schreist Du, »den kenn ich besser wie Sie! Der will nix macha, sondern nur schnuppern und wenn S’ des net glaubn, dann wer i s’Eahna beweisn!« Du lässt Deinen Foxl an den Baum und was tut er? Er schnuppert nicht, er tut endlich das, was ihm offenbar erst jetzt einfällt. »Hab ich net gsagt, dass er was machen muss!« hörst Du triumphierend und bist sprachlos über die Blamage. In solchen Augenblicken kann man auch ein noch so liebs Hundsviecherl vor Zorn zerreißen. Da büsst man als reifer Mann reichlich alles ab, was man vielleicht einstmals als unreifer Lausbub an den Hunde völkern seines Jugendparadieses gesündigt hat! Viechereien
Mit neun Jahren durfte ich mit den Eltern nach Darmstadt, in die Heimat meines Vaters reisen. Was ich dort alles angestellt habe, würde ein ganzes eigenes Buch füllen. Nur einige meiner Schand taten seien der Kürze halber gebeichtet. In meinem kindlichen Unverstand warf ich Katzen in die im Hofe befindliche Odelgrube, machte mit allen erdenklichen Mit teln die Hofhunde rebellisch, mähde mit der Sense die schönsten Gartenblumen und Rosenbeete ab, warf Fensterscheiben ein, kit zelte die Kühe mit Brennesseln [in] der Nase, kniff den Stallhasen
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und Ziegen Wäscheklammern in die Ohr[en] und öffnete trotz häufiger Warnung die Schweinestalltüre, weils verboten war. Und weil ich nichts lieber tat, als reiten, setzte ich mich gleich auf die erste beste Sau, hielt mich an ihren Ohren fest und dahin gings im sausenden »Fackeltrab«. Einen halben Tag hatten mein armer Onkel und sein Gesinde zu tun, um die Säue in der ganzen Umge bung zu suchen und wieder einzufangen. Mit Speck fängt man Mäuse, aber das[s] man mit harten Semmel brocken gewöhnliche Bauernenten fangen kann, weiß Mancher nicht. Wir Buben zogen dazu nach Steinhausen und im nahen En tenweiher und auf der Wiese warfen wir den leckeren Vögeln unse re Brocken hin, die an einer feinen, aber festen Schnur befestigt wa ren. Die Enten kamen angewackelt und verschlangen die Lockspeise. Aber als das Semmelstück im Entenmagen war, zogen es wir Buben wieder zum Halse heraus und die dummen »Ant’n« fraßen den glei chen Bissen drei-, vier- und fünfmal. Daß eine Ente gut schmeckt, weiß ich; aber dass sie so saudumm ist, habe ich nicht gewusst.
Mit Bierbrocken kann man Hühner fangen. Man nimmt eine Schüssel, tut weiche Brotstücke hinein, übergießt sie mit einem Liter Bier und stellt das Ganze in einen Hühnerhof. Das Geflügel macht sich darüber her und es dauert nicht lange, so purzelt alles wie besoffene Menschen durcheinander, legt sich auf den Rücken, gackert ganz närrisch dazu und fällt bei jedem Schritt auf die Nase. Das Schönste aber ist das »Schiagln«; wie so ein Huhn die Augen verdrehen kann, wenn es betrunken ist, ist zum Schreien. Wir haben uns off gebogen und halb totgelacht darüber. Zum Fledermäusefangen braucht man keinen Speck, son[d]ern ein Taschentuch, in das ein Stein eingewickelt ist. Wenn an Sommer abenden die Sonne untergegangen und gegen acht Uhr die Däm merung gekommen ist, begann bei uns die Fledermausjagd. Ein Bub musste mit zwei faustgrossen Steinen die Fledermäuse an locken, indem er damit klapperte. Noch heute ist mir unbekannt, warum die Fledermäuse in der Dämmerung auf dieses Stein5i
klopfen hin auf einmal daherschwirren, Ich weiss nur, dass es so war. Sobald sich so ein kleines Ungeheuer über unserem Hof sehen liess, warfen wir Buben unsere Sacktücher mit dem einge bundenen Stein etwa ein Stockwerk hoch in die Höhe und das Tier flog sofort darauf zu und packte die Leinwand mit Krallen und Zähnen. Der schwere Stein riß den Angreifer meistens sofort mit in die Tiefe und wir deckten am Boden schnell einen Hut dar über, - die Beute war gefangen. Vorsichtig griffen wir unter die Krempe, packten die Maus und steckten sie in einen bereitstehen den Käfig. Meistens liessen wir die Gefangenen später wieder aus. Nur hin und wieder haben wir dem Lehrer ein besonders schönes Exemplar mit in die Schule genommen, um uns einzuschmeicheln. Aber jedes Mal, wenn ich heute noch eine Ankündigung der un sterblichen Straußoperette lese, denke ich an meine Jugendzeit.
Da es in Deutschland keine Stierkämpfe gibt, veranstalteten wir oft in irgend einer Mauerecke unseres Anwesens, wo wir ein Spin nennetz fanden, ein Kreuzspinnenturnier. Wir fingen aus einem anderen Netz eine grosse Kreuzspinne und setzten sie in ein frem des. Das gab jedes Mal eine Sensation im Kleinen. Sobald der Fremdling das Netz berührt, das wir zum Kampfplatz ausersehen hatten, saust die Hausherrin aus ihrem Versteck blitzschnell auf den Eindringling los und dann beginnt ein erbitterter Kampf wo bei die grössere Spinne Sieger zu bleiben und die Schwächere aus ihrem Besitztum hinauszuschmeissen pflegt. Interessant wäre ein Kampf zwischen zwei gleich grossen Spinnen, denn hierbei kann ich mir weder Siegerin noch Besiegte vorstellen. Vielleicht könnte man solch ein Experiment verfilmen. Heute kann ich keiner Fliege mehr etwas zuleide tun und sähe ich einen Buben, der die zierlichen kleinen Spätzlein vom Baum schösse, im Eilschritt holte ich einen Schutzmann, um so einen gemeinen Wildschützen der gerechten Strafe zuzuführen. Und doch habe ich es selbst getan. Warum hat man als Kind von Natur aus nicht mehr Liebe zu Tieren?
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Auch von Hygiene wussten wir nichts. Aber es ist ja schliesslich doch interessant, was Kinder alles machen. Wir fingen mit der Hand Fliegen bis zu zehn Stück und oft noch mehr, warfen sie mit einer schnellen Bewegung in den offenen Mund, liessen sie darin herumkrabeln und erst, als wir das Gekitzel nicht mehr aushalten konnten, spuckten wir den ganzen Segen mit aller Wucht an die nächste Wand. Was müssten Sie mir heute bezahlen, wenn ich auch nur eine einzige Fliege in den Mund nehmen sollte.
Dafür habe ich einmal ganz unverhofft ein paar hundert Ameisen zwischen den Zähnen gehabt. Die armen Tierchen hatten sich eine Schaumrolle zur Wohnstätte ausgesucht, die ich mir einmal nichtsahnend bei einem kleinen Krämer um zehn Pfennige er stand. Das Wasser war mir schon im Munde zusammengelaufen und der Bissen, der mir im Munde stak, war entsprechend gross. Aber anstatt Schlagsahne zu schlürfen, musste ich Ameisen speien. Das war eine Ueberraschung....! Auf Fischraub gingen wir mit einer an einen Spazierstock ge bundenen spitzen Gabel aus an den rechten Isararm. [Die] soge nannten Mühlkoppen wurden mit diesem Instrument im seichten Wasser gestochen und dann auf irgend einer Isarinsel am Spiess gebraten. Das geschah in der Tracht der »Sie-Ochs!«-Indianer.
Auch später habe ich mich noch einmal im Angeln versucht. Eines Tages war ich in einer Villa am Starnberger See zu Gaste. Der Inhaber, ein Oberamtsrichter war ein leidenschaftlicher Angler, damals jedoch zufällig abwesend. Dafür stand seine Angel fangbe reit an einem Baum nahe dem Ufer, ich fühlte mich ganz allein und es gelüstete mich, auch einmal wieder zu angeln, wie ich es seit meiner Bubenzeit nicht mehr getan hatte. Also, schnell einen Wurm her! Kaum brachte ich es übers Herz, das lebendige Geschöpf auf den eisernen Haken zu Spiessen. Aber da bekannt lich Fische sonst nicht anbeissen, blieb mir nichts andres übrig. Ich warf die Angel ins Wasser und gleich darauf zappelte ein klei nes fingerlanges Ding an meiner Leine. Als ich es herauszog, sah 53
ich, dass dem armen Tier der Angelhaken durchs Auge gedrungen war. Da ist mir die ganze Lust vergangen. Ich machte mir die grössten Vorwürfe wegen meiner Grausamkeit und bat einen Gärtner im Nebenanwesen, mein armes Opfer sofort zu töten. Mit Tränen in den Augen, schwur ich mir selbst, keine Angel mehr anzurühren und solltest Du mich, lieber Leser, noch einmal angeln sehen, geb ich Dir das Recht, mich sofort ins Wasser zu werfen. Trotz dieses Schwures bin ich unschuldig noch einmal in den Ver dacht des Fischraubs gekommen. Meine Leidenschaft ist es, Frö sche, Salamander und ähnliches Viehzeug zu fangen und meinem künstlichen Weiher in Planegg einzuverleiben. Oberhalb der Grosshesseloher Eisenbahnbrücke stand ich einmal mit Gummi stiefeln, Netz und einer alten Konservenbüchse als Fangbehälter in einem Tümpel und fing Kaulquappen. Das Gewässer hatte einen Flächeninhalt von cirka fünf Quadratmetern, man konnte also leicht mit freiem Auge von einem Ufer zum anderen sehen. Doch mit einem polizeischem Wächter ist kein ewger Bund zu flechten! Ein grasgrüner Landgendarm, der nichts anderes zu tun hatte, erblickte in mir einen Fischräuber und wollte mir partout nicht glauben, dass ich nur auf Kaulquappenjagd war. Vielleicht konnte er auch richtige Fische nicht von diesen Froschlarven unter scheiden. Er schrieb mich auf und nach zwei Monaten bekam ich vom Amtsgericht in der Au eine Vorladung wegen Herumtreibens im Isarbett. Und wegen dieses Vergehens wurde ich von dem Amts richter auch grausam verurteilt und es nützte mir nichts, dass ich als Münchner Stadtbürger jaaus, jaein willig meine Steuern bezahlt hatte.
Die schönste Viecherei ist mir aber nicht zu Hause passiert, sondern in Wien. Da hat sich mir einmal ein richtiger Wiener Spatz eines Nachmittags auf die Lackschuhspitze gesetzt, als ich mit überge schlagenen Beinen auf einer Promenadenbank ausruhte, nur das[s] dieses Vogerl keinen Zettel im Schnabel trug. Wenn es in München gewesen wäre, in meiner Vaterstadt, in welcher ich seit Jahrzehnten sehr bekannt bin, hätte mich das nicht besonders überrascht.
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Der Schrecken der Au
»Da Fey-Bua kommt!« schrieen oft die Kinder und flüchteten pa nikartig in die Häuser oder in irgendeinen Schlupfwinkel. Warum ich es besonders auf Mädchen mit langen Zöpfen abgesehen hatte, , weiß ich nicht. Vielleicht weil sie besser zu fassen waren. Und wenn ich eine hatte, schlug ich ihr die Peitsche um die Waden bis sie hell aufschrie. »Muatta, der Fey-Bua hat mi g’haut!« Kam die Mama dann zu Hilfe, machte ich mich »dünne«. Heute wäre das alles nicht möglich: denn erstens haben die Mädchen keine Zöpfe mehr, sondern Bubiköpfe, zweitens keine Wadeln, sondern Stecken.
In unserem Hause wohnte ein städtischer Straßenbaumeister. Als er mit seiner Familie bei uns einzog, war ich sieben Jahre alt und freundete mich natürlich mit dem gleichaltrigen Ludwig sofort an. Aber schon nach vier Wochen ging unsere Freundschaft in die Brüche. Eines Morgens früh um sieben Uhr, ging ich hinauf und frug, ob der Ludwig schon aufgestanden sei. »Nein, der schläft noch.« »Darf ich zu ihm?« »Geh nur nei zu ihm und weck ihn auf!« sagte die Mutter. Leise schlich ich mich in die Kammer, kroch unter sein Bett und wartete so lange bis er aufstand. Als er den ersten Fuß herausstreckte, packte ich ihn fest mit beiden Hän den. Da hat der Ludwig geschrieen, wie wenn eine Sau abgesto chen wird. Seitdem war die Freundschaft aus. O selig, o selig, ein Kind noch zu sein! Bei mir hätte es heißen müssen: O traurig, o traurig, ein Flegel zu sein! Oder war es etwa eine Heldentat, einem braven Mädchen, das vorsichtig mit einem großen Milchtopf an unserem Hause vorbeiging und sorgfältig aufpaßte, daß es ja nichts verschütte, einen sogenannten Roßbolln in ihren Hafen zu werfen? Sie war die Tochter eines Baumeisters von der Entenbachstraße und darum war die Büberei meinen Eltern peinlicher als mir selbst. Mein Vater schüttelte den Kopf dazu und der Schullehrer diktierte mir eine Stunde Karzer. Es ist ja nur ein Pferdeapfel gewesen.
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Zum Steinschleudern nahmen wir einen langen Stock, der an einem Ende gespalten wurde, um den kirschengroßen Stein hin einzwängen zu können. Am anderen Ende schwangen wir den Prügel in der Wurfrichtung, der Stein löste sich mit Schwung und flog fünfzig oder gar hundert Meter weit. Nur war diese [Schleu der], wie sie ja bei allen wilden Volksstämmen in Gebrauch ist, nicht sehr treffsicher. Ganz genau konnte man dagegen mit der Schleudergabel zielen und treffen. Wir Buben machten uns so einen »Schleuderer«, wie wir es nannten, aus der Astgabel einer Haselnuß- oder Weidengerte. Daran wurden zwei doppelte Gum mischläuche gebunden, fünfzehn cm lang und durch ein Leder stück mit Spagat verbunden, in das der kirschgroße Stein hinein kam. Die Wirkung war oft gewaltig. Wenn man einem Menschen auf zwanzig Meter Entfernung auf den Kopf getroffen hätte, würde ihm der Stein bestimmt den Schädel zertrümmert haben. Dabei ist diese Waffe fast lautlos. Man hört das Pfeifen des Stei nes, aber niemand weiß, woher er kommt. Ich will heute noch wetten, daß ich mit einer solchen Schleuder auf zweihundert Meter Entfernung binnen zehn Minuten sämtliche Fenster eines vierstöckigen Hauses kaputschieße, ohne daß jemand weiß, wer es gemacht hat. Die Taschen voll Munition, sind wir Buben in den Isaranlagen auf hohe Bäume geklettert und haben von dort aus in der damals unbewohnten Schweren Reiter-Kaserne fast alle Fenster eingeschossen und niemand wußte, wer es war. Natürlich haben wir Saububen auch auf Katzen, Hunde und Hühner gezielt. Auch bei den bekannten Auer Schlachten traten die »Schleuderer« in Tätigkeit.
Auch als Höhlenforscher waren wir tätig. Am Isarabhang mündete ein alter Kanal, der das schmutzige Altwasser von der Au in den Fluß leitete. Mit hoch gekrempelten Hosenbeinen krochen wir zehn Buben barfuß in diesen stinkenden Höhlenrachen, jeder ein bren nendes Christbaumkerzl ip der Hand. Es war gar nicht ungefährlich, denn der schleimige, schlammige Steinboden ließ sich nur langsam begehen. Es zog eiskalt im Dunkel der unterirdischen Vorstadt Au und die Luft war zum Ersticken. Als wir einmal ungefähr zehn Minuten gegangen waren und uns unter der Erde in der Mitte der 56
Au befunden haben mögen, blies plötzlich ein starker Luftzug alle unsere Lichter aus. Wir machten sofort kehrt und im Finstern ging es wieder auf den Eingang zu. Todesangst überfiel uns. Atemlos hielt sich immer einer am anderen fest. Als wir glücklich wieder unter dem blauen Himmel standen, wischte sich jeder seine nassen Augen, denn wir hatten alle geweint; nur zugeben wollten wir es nicht.
Recht dumm hätte auch das »Messerln« ausgehen können. Mit einem Knicker wurden allerlei Wurffiguren gemacht. Soviel ich in Erinnerung behalten habe, hieß es: »Meter - Ober - eins zwei drei - fäusteln - schwaibeln - fingerln - eins zwei drei vier fünf- näseln köpfelts - achseuts - hupfata Has’ - Italiener - aus.« Oft flog dabei ein Messer in Kniee oder Waden eines Mitspielers, der dann laut aufschreiend nach Hause lief - und die anderen wie die wilde Jagd hinter ihm drein, jeder mit dem gleichen Ruf, »I war’s fei net!« Wenn man dasselbe Spiel mit Holz und Eisenstäben ausführte, hieß es »Pickeln«. Es war noch lustiger, aber sehr gefährlich. »Hütet euch vor den Gezeichneten«, lautet ein alter Volksspruch. In der Au hätte es heißen müssen: »Nehmt euch in Acht vor dem Fey Valentin, der euch für ewig zeichnen will.« Ungefähr dreißig Buben mußten daran glauben. Ein Möbelpacker hat es mir gelernt. Er war Matrose. Das richtige Tätowieren wird mit drei zusammen gebundenen Silbernadeln und vollständig giftfreier Tusche aus geführt. Ich nahm drei ganz gewöhnliche Nähnadeln, die ich mit Blumendraht zusammenband und steckte sie in eine Holzhülse. Als Farbe verwendete ich gewöhnliche Tusche, das Glas um zehn Pfen nige. Vorher zeichnete ich den Buben mit einem naßgemachten Tintenblei die Figuren, die ich stechen wollte, auf die Haut des inneren Unterarmes oder auf den Handrücken. Anker, Totenköpfe, Athletenkugeln, Ochsenköpfe und Herzen waren am beliebtesten. Wir brauchten zwei Mann zu dieser Prozedur. Einer spannte mit beiden Händen die Haut des Opfers und riß sie auf. Drei spitze Nadeln gossen ihre Tusche in das aufgerissene Fell und eine Wunde reihte sich an die andere, immer von links nach rechts.
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Nach jedem dritten Stich wurde mit einem dunkelweißen Buben taschentuch das Blut abgewischt, damit man die Zeichnung sehen konnte. Schon während der Operation schwollen Arme und Hände oft mächtig an. Mancher Halbfertige hatte bereits genug und meinte: »Vale, jetzt derfst aufhören, des tuat ja net schierle weah, mir gangst.« Der eine hielt es aus, der andere nicht. Ich selbst hatte mir zwei gekreuzte Schwerter in den Arm gestochen und bekam eine Stunde später Schüttelfrost und Wundfieber. Nach zehn Jahren ließ ich mir die ganze Herrlichkeit mit Milch ausstechen. Aber das war zehnmal schmerzhafter als das Hinein stechen. Mit den Jahren wird man empfindlicher. Daß damals von uns Buben keiner eine Blutvergiftung bekam, ist ein wahres Wunder. Beschwert hat sich auch niemand. Das haben wir vielmehr selber getan, wenn wir Bleistehlen gingen und schwerbeladen heimge schlichen sind. Außerhalb Haidhausen bei den zwei Gaszirkussen stand an den Bahnen um 1890 die Feuerstutzenschießstätte. Alle Sonntage wurde dort auf Scheiben geschossen. Das Blei blieb in dem zum Schutz dahinter aufgeworfenen Erdwall stecken. Nach dem Festschießen hatte der Zieler, der nebenbei Vereinsdiener war, das Vergnügen, das tagszuvor verschossene Blei auszugraben. Dann verkaufte er es und verschaffte sich damit einen kleinen Nebenverdienst. Die Schützen waren unsere Väter. Kaum hatten wir Buben von diesem Bleibergwerk gehört, dachten wir, was ein Anderer kann, können wir auch. Montags früh um sechs, als die Sonne gerade im Osten aufgegangen war, liefen wir leichten Schrittes dem schönen Sommertag entgegen nach Steinhausen. Mit alten Tischmessern entlockten wir der Erde das blaue Blei. Bald zogen uns die vollen Taschen den Buckel krumm, denn jeder von uns hatte ja zwanzig bis vierzig Pfund zu schleppen. So schli chen wir den langen Weg von Steinhausen nach München heim wärts. Vollständig »dahaut«, entluden wir uns in der Waschküche des Gartenhauses, wo im Ofen das Blei geschmolzen werden soll te. Heute freue ich mich noch über den Moment, als ich nach einer Stunde das Metall aus meinen Taschen klaubte und es mir mit einem Mal so leicht wurde, daß ich Angst bekam, in die Luft
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zu fliegen. Das Blei wurde geschmolzen und verkauft, das Geld vernascht. Und doch hat es nicht gelangt. Jedenfalls hatte ich ein mal meiner Mutter zwanzig Mark gestohlen, ein richtiges Gold stück. An diesem Nachmittag war ich der reichste Schüler der Klenzeschule. Vielleicht hat nicht einmal der Lehrer so viel dabei gehabt. Um vier Uhr nachmittags ging es wie der Wind zum Kon ditor Imhof, Ecke Frauenhofer- und Klenzestraße. Alle meine Busenfreunde waren dabei. Wir waren unserer zwanzig und für solchen Andrang war das Pförtlein der Konditorei viel zu schmal. Darum gingen immer nur fünf zusammen hinein; ich als der Geld mann voraus. Die Konditorsfrau traute kaum ihren Ohren, als ich um zwanzig Mark Schaumkuchen für uns alle verlangte. Wie die Wilden nahmen wir auf den weißlackierten, verschnörkelten Rokokostühlen Platz. Vor uns auf dem Tisch eine Prachttorte mit Schlagrahm. Aber vor lauter Gelächter und Herausplatzen kamen wir Buben über die Gaudi gar nicht zum Essen. Kaum hatte wie der einer einen Löffel Schlagrahm im Munde, lachten die anderen dermaßen, daß er sich verschluckte und den herrlichen Schaum wieder unter den Tisch spuckte. So ging es von einem zum anderen weiter, bis wir überhaupt nicht mehr konnten. Unfähig noch ein Wort herauszubringen, verließen wir die Konditorei und draußen auf der Gasse wären wir fast geplatzt vor lauter Lachen. Siebzehn Mark bekam ich heraus. Diese habe ich unter meinen Kameraden verteilt und ich machte sie dadurch alle zu reichen Leu ten, denn mehr als ein Zwanzgerl hatte ja sonst nie einer bei sich.
Drum fand sich immer ein Dummer, wenn es ans »Goldgraben« ging. Wir gruben in der Wiese ein kopfgroßes Loch, legten alles mögliche Zeug wie Taschenmesser, ein Pfennigstück, einen Hosenknopf, einen Apfel und was jeder sonst noch mit sich her umtrug hinein. Dann wurde vor den Augen des Neulings alles mit Erde zugeschüttet, bis das Loch voll war. Nun banden wir dem Goldgräber die Augen zu und er wurde von einem anderen Buben im weiten Kreise um das Loch geführt. Inzwischen hatte ein ande rer geschwind alles wieder ausgegraben und statt der Schätze Hundsdreck hineingeschüttet, dann alles wieder fein zugemacht. 59
Auf den Ruf »Goldgräber fang’s sucha o«, kroch das arme Opfer so lange auf der Wiese herum, bis er mit den Händen tief im Dreck steckte. Und dann wollte der Jubel kein Ende nehmen.
Auf der Wäscherwiese vor unserem Anwesen haben wir oft auch das »Blinde Schimmel Reiten« gespielt. Einer macht das Pferd, einer den Reiter, der dann am Schluß der Geprellte ist. Die Augen werden ihm verbunden und er bekommt einen Stecken in die Hand, der mit Dreck beschmiert ist, dessen Qualität der Buben phantasie überlassen bleibt. Einmal machte bei uns ein stolzer Jüngling aus der Realschule nichtsahnend mit. »Du«, sagten mei ne Kumpanen, »mir tun jetzt blinden Schimmel reiten und da laß ma an Fey Vale an Reiter machen. Wenn er dann d’Augen ver bunden hat, dann kriagt er an Stecka in d’Hand mit lauter Dreck. Und du machst das Pferd, wo der Vale drauf reiten muaß.« Der Feine war sofort bereit und bückte sich; ich setzte mich auf seinen Rücken und mit einem Taschentuch wurden mir die Augen ver bunden. Mit den Worten, »hier Reiter hast du deinen Reiterstab«, gab er mir den beschmutzten Stiel in die Hand, daß mir der »Let ten« zwischen den Fingern herausquoll. Mein Pferd wieherte aus vollem Halse vor Schadenfreude. Aber nicht lange - denn nun spielte ich meinen aufgesparten Trumpf endlich aus und schmier te dem Roß den stinkigen Brei ins Gesicht. Endresultat: Es waren wieder einmal zwei Stunden Karzer fällig. Einen, der den Deppen machte, brauchte man auch zum »Sum Sum - Spielen«. Drei Eingeweihte und der Neue stellen sich in ein Viereck zusammen und spannen ein Taschentuch, von dem jeder einen Zipfel in der Hand hält. Dann wird ein Stein auf die Leinwand gelegt und einer schreit immer »hopp«. Dazu wird an den vier Zip feln gleichmäßig gezogen, sodaß der Stein stets ein wenig in die Höhe schnellt. Alle singen dazu laut »sum, sum, sum, sum, sum« usw. und bemühen sich jedesmal den Stein höher zu treiben. Der Neue ist davon so gefesselt, daß er gewöhnlich erst zu spät merkt, daß er inzwischen von seinen Mitspielern »naßgemacht« wird.
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1894 hatte es ein furchtbares Hochwasser in München. Irgendwo im Isartal muß es einen kleinen Kramerstand vom Ufer mit gerissen haben, denn wir entdeckten nicht nur Baumstämme, Aste, Bretter und Balken, sondern auch eine Unmenge Nüsse in der braunen Sturmflut. Bei der Frauenhofer-Brücke, in einer kleinen Bucht des Isardammes, schwemmte es die Früchte so weit ans Ufer, daß wir Buben sie beinahe mit den Händen greifen konnten. Wie die Wilden waren wir dahinter her. Als mich einer beiseite drückte, gab ich ihm einen Renner, daß er kopfüber in die Isar stürz te. Aber ich erwischte ihn noch im letzten Moment am Ärmel und zog ihn wieder ans Land. Ich war zugleich Täter und Lebensretter.
Ein alter Auer Brauch war das »Ostereispecken«. Das Stadion dafür befand sich damals bei der Frau Heustätter am Mariahilfplatz vor der Auer Schule. Am Ostersonntag gingen wir Buben nicht zur Kirche, sondern zum »Oarspecka«. Jeder hatte seine drei bis sechs Oar mitgenommen oder bei der Krämerin um drei Pfen nige gekauft. Sie war eine siebzigjährige Frau und besaß nur noch zwei Vorderzähne, mit denen sie vor den Augen des Käufers, ihre Ostereier auf Härte ausprobierte. Darin war sie Spezialistin. Nur hartschalige Eier hielten es aus. Wer mit einem anderen specken wollte, hielt das Ei so in der Hand, daß es mit der Spitze knapp aus der Faust herausschaute. Dann wurde leicht aufeinander ge schlagen - und gewonnen hatte, wer die meisten fremden Eier kaputt machte. So konnte es kommen, daß der Besitzer eines besonders harten Eies alle Eier von dem gewann, der mit ihm speckte. Mein Freund Niederreither, den ich einstmals in seiner Schlafkammer erschreckt hatte, und ich kauften uns die weißen Porzellaneier, die die Bauern in den Hühnerstall legen, um die Hühner zum Legen anzuregen. Damit haben wir alle Rekorde geschlagen. Aber plötzlich erscholl der Ruf der empörten Auer Jugend: »De zwoa Batzi ham Gipsoar.« Wir nahmen die Beine unter die Arme und flohen - hinter uns die Meute. Aber trotz unseres Nurmilaufes wurden wir bald eingeholt. Nun schlugen die Anderen einen Rekord - aber nicht auf die Eier, sondern auf unse re Buckel. 61
Heit werd g’rafft! Der Kriegsruf »auf in den Kampf« wurde bei uns Auern ins Boa rische übersetzt. »Heit werd g’rafft«, hieß es und wenn man alle kleinen Plänkeleien dazu rechnen wollte, so hätten wir singen können »So raufen wir, so raufen wir, so raufen wir alle Tage!« Kinderkriege gibt es in der ganzen Welt und das Land muß erst noch entdeckt werden, wo die Jugend nicht Krieg spielt. Freilich waren die Schlachten zwischen den Auern und Haidhausern, den Sendlingern und Schwanthalerhöhern, den Giesingern und Wasserstraßlern schon nicht mehr kindlich. Wir Auer waren oft über zweihundert Buben, die Haidhauser hatten ein ebenso großes Heer; und wenn man bedenkt, daß wir mit ziemlichen Latten zugeschlagen haben, in deren Enden ein großer Nagel befestigt war, und daß auch Steinschleudern zur Bewaffnung gehörten, mit denen taubeneiergroße Kiesel auf den Feind geschossen wurden, dann kann man eine solche Schlacht kaum mehr als harmloses Kinderspiel ansehen. Später kämpften sogar sechzehn- bis acht zehnjährige Burschen mit und als zuguterletzt richtige Revolver schüsse fielen, von denen nie herauskam ob sie scharf oder mit Platzpatronen abgefeuert worden waren, machte die Polizei Schluß und die Kriege wurden einfach abgeschafft.
Von diesem Polizeiverbot blieben die kleineren Schlägereien ver schont. Als ich einmal mit dem Pfaller Gustl eine gute Viertel stunde lang raufte und so viel Prügel bekam wie noch nie in mei nem Leben, wäre ich direkt froh gewesen, wenn ein Polizist uns getrennt hätte. Es kam aber keiner und so mußte ich als Besiegter mit einem blauen Auge acht Tage lang zum Onkel Doktor. Einmal hatte ich beim Telephondrahtziehen über die Hausdächer ein Nachbarfenster eingeschmissen und dafür bekam ich vom älte sten Sohn des Friseurs in der Lilienstraße eine Ohrfeige. Weil er viel größer war als ich, blieb mir zu meiner Verteidigung nichts anderes übrig als ihm einen nagelneuen Ziegelstein an den Kopf zu werfen. Gott sei Dank traf ich ihn nur an der Achsel, sonst
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hätte er vielleicht das Zeitliche gesegnet. Seitdem bin ich ge spannt, ob sich nicht eines Tages herausstellt, daß ich meinen Stammbaum auf den biblischen David zurückführen kann, der den Riesen Goliath mit einem Stein besiegt hat. Übrigens habe ich im gleichen Hausgang, in dem mein Zwei kampf mit dem Friseurgehilfen stattfand, auch Bekanntschaft mit der kleinen siebenjährigen Mary Jrber gemacht, die mit ihrer noch kleineren Freundin Lily Mooshammer, einer jetzigen Gräfin Eulenberg, zweistimmig zu singen pflegte und von den Leuten, die durch den Tunnel gingen, oft ein paar Pfennige dafür bekam. Nach 1900 war die Jrber Mary Deutschlands größte Kabarettistin.
Ein sehr lustiges aber gefährliches Spiel war bei uns Buben das sogenannte »Bockstessen«. Man konnte es nicht auf der Straße, sondern nur auf einer Wiese ausführen. Mindestens drei Mann hoch waren dazu nötig: Einer, der keine Ahnung von der Sache hatte, der zweite, der sich hinter diesen Harmlosen, auf Knie und Ellebogen gestützt, lautlos zum Bock hergab und der dritte, der dem Ahnungslosen einen Stoß auf die Brust versetzte, daß dieser über den Bock ins Gras fiel. Mancher hätte sich dabei das Genick brechen können. Richtig lebensgefährlich wurde das Spiel aber erst dann, wenn zwanzig oder dreissig Buben auf der Wiese umeinanderwurlten, denn dann waren auch die Eingeweihten keinen Augenblick sicher, ob nicht hinter ihnen einer schnell heimlich still und leise gekrochen kam, über den sie alsbald darüberpurzeln sollten. Das Bockstessen gefiel uns so gut, daß wir mit der Zeit sogar alte Frauen, die zum Ratschen auf der Wiese standen, über den Bock warfen. Aber da mischte sich die Schulbehörde ein und aus war’s mit der Hinterfotzigkeit.
Vom Taucher auf der Oktoberfestwiese hatten wir abgeschaut, wie man Tauchversuche macht. Aber der Einfachheit halber gingen wir damit nicht ins Wasser, sondern in unser Strohmagazin. Mit ein wenig Phantasie, einem Gummischlauch und einem Blasebalg war die Taucherei dieselbe. Mein Freund Hager Emil und ich 63
wechselten ab. Einmal wühlte ich mich in das Strohgrab hinein, wobei ich den Gummischlauch im Mund stecken hatte, und wenn ich auf dem eigenartigen Meeresgrund herumhantierte, betätigte mein Freund fleißig den Blasebalg, daß es mir die Gesichtsbacken nur so auf- und zublähte. Es war kein schönes, aber ein interes santes Spiel und manchen Nachmittag, wenn uns nichts Besseres einfiel, spielten wir eben wieder Taucher. Als aber mein Freund Emil in dem Strohozean versank, hörte ich einmal mit Blasen sekundenlang auf und da ich wußte, daß er den Schlauch im Munde hatte, zog ich den Blasbalg heraus und goß in die Öffnung so eine Viertelflasche Terpentinöl, das dann meinem Freund in den Rachen floß. Selbstverständlich war zehn Minuten später wie der eine zünftige Rauferei fällig.
In der Schule war mir das Liebste die Pause, nicht etwa wegen des Frühstücks, sondern wegen der Gaudi. Zu deren Dämpfung war einer der scheinheiligen Musterschüler als Vertreter des Lehrers angestellt, die Ungezogenen aufzuschreiben. Aufgeblasen von sei ner Wichtigkeit stand er an der Tafel, die Kreide zwischen den Fingern und musterte seine Kameraden mit Argusaugen. Wenn dann die Pause vorbei war, prangten wieder unsere Namen da vorn, weiß auf schwarz: Fey, Mayer, Huber, Fischer usw. Weder im Fleiß noch in anderen Fächern bin ich jemals der Erste gewe sen, aber bestimmt immer auf der Tafel. Wenn dann der Lehrer die Klasse betrat, mußten wir Übeltäter vor dem Katheder er scheinen und »Tatzen« oder »Überg’legtef«] in Empfang neh men. Dabei sagte mir leise meine innere Stimme: »Wart nur, Schlawinerbua, spitznasata, no hat der letzte net g’schobn! Du kriegst no dein Hanf! - Wenn wir aus der Schule entlassen werden!« - Diesen Schwur habe ich gehalten. Nach dem Schluß gottesdienst in der Matthäuskirche in der Sonnenstraße stand ich schon auf der Lauer. Mit Adlerblicken spähte ich nach meinem Opfer, damit es mir ja nicht entkomme. Er mußte schon Lunte gerochen haben und drückte sich immer am Ausgang herum, damit er gleich entwischen konnte. Aber ich blieb auf der Hut und als die Kirchentüre sich nach dem Schlußgottesdienst öffnete hatte 64
ich ihn schon beim Kragen und nahm ihn auf der Treppe so vor, daß sein Gebetbuch in hohem Bogen davonflog. Dafür bekam ich von einigen Erwachsenen ein paar Ohrfeigen gratis, aber die spür te ich in meinem Rachedurst gar nicht. War das eine Wonne zu wissen, daß ich am anderen Tag nicht mehr in die Schule mußte!
Dann gings in die Schreinerlehre und an einem Sonntag hell und klar, einem selten schönen Tage, in den Wirtsgarten beim Radi wirt. Dort wimmelte es von Auer Friichtln im Durchschnittsalter von sechzehn bis achtzehn Jahren. An unserem Tisch saßen der Kolb Heini, der Finkenzeller Schorsche, da Dürr Toni, der Reiter Ade und da Fey Valle, alle in Gala beisammen; ich in einer tau bengrauen Hosen mit breiten schwarzen Nähten, zeamen, spitzi gen Lackschleich, Eckerlkrageh, blauseidenem Plastina-Krawattl, kurzem braunen Smoking und schmalkrempigem Gigerl-Strohstops - kurz gesagt, tausendmal fescher als die junge Generation von heute. Und ebensowenig fehlte es an Stoff zur Unterhaltung; wir waren vielseitig. Dös war no a Hetz und a Gaudi und jeder Tag und jede Nacht war halt immer zu kurz. Und wenns pfeilgrad am allerlustigsten war, dann gings meistens auf - so auch an dem besagten Sonntag. Ein junger Pflasterlehrbub saß in dem gleichen Sonntagsstaat am Tisch neben uns und sagte zur Kellnerin: »Jung frau! jonglier an Liter flüssigs Malz her zu mir.« Darüber, daß der kaum Fünfzehnjährige zur Kathi »Jungfrau« gesagt hat, hat er mir grasselt, wie wir damals statt geärgert gesagt haben. Ich koppte zu ihm hinüber »da muaßt scho no a paar Jahr in d’ Schui geh’ bis d’ woaßt was a Jungfrau is.« Fragend warf er mir die Blicke meiner Augen zu. »Ja, ja«, sagte ich, »i moan scho di, junger Mo!« Der stand auf, ging aber nicht auf mich zu, sondern irgendwo anders hin und tauchte plötzlich zu zweit mit seinem großen Bruder neben unserem Tisch wieder auf. Ich vernahm nur noch zwei Sätze: »Welchana hats denn gsagt?« Antwort: »Der mit dem Strohhut!« Dann hatte ich schon eine Riesenohrfeige drin und kollerte auf den Kies. Flugs erhob ich mich und was ich sah, war die Rückseite meiner fliehenden Freunde. Nach der ausgezeichne ten Qualität meiner Ohrfeige konnte ich ihnen diese Flucht auch 65
nicht verübeln. Am Nachhauseweg bekam ich von dem Kleinen hinterrücks noch einen tüchtigen Schlag, sodaß ich blutete wie eine Sau. Aber schon nach einigen Tagen war die Wunde wieder zugeheilt, denn mir Auer san zach. So ein Zirkus
Ach was gäbe ich dafür, wenn nur für einen Sonntagnachmittag meine Jugendzeit und der alte Zirkus Bavaria auf der Theresienwiese wieder käme! Mit dem Schlag drei Uhr bretschten wir Auer Buben eine Stunde vor Beginn hinaus, jeder mit einem Zwanzgerl bewaffnet. Zwei Schwierigkeiten waren zu überwinden. Einmal kostete ein Kinderbillet zwanzig Pfennig. Da wir aber schon halbe Lackln von vierzehn bis sechzehn Jahren waren, gingen wir vor der Kasse in die Kniebeuge und bemühten uns recht kindlich zu erscheinen. Meistens bekamen wir auf diese Weise anstandslos unsere Kinderkarte. Aber nun galt es die zweite Feuerprobe beim Billetabreisser, der im Zirkusgang stand. Bei dem half keine Knie beuge. Nur seine Laune und sein Pflichtgefühl hatte[n] zu bestim men, ob wir als Kinder oder als Erwachsene zu gelten hatten. War er schlecht gelaunt dann hiess es: »Machts, dass zum Teufi kemmts, ihr Schwindler, gleich gehts an d’Kasse und holts euch a anders Billet!« Dann hüben wir ein Flehen und Betteln an: »Bitt schön Herr Zirkusmann, lassens uns nei, mir habn bloss a Zwanz gerl dabei; mir san arme Kinder, da Vatta is krank, mir ham dahoam nix z’essen, d’Muatter is operiert worden.« Kurz, was es eben an Familienunglück gab, leierten wir in der Schnelligkeit herunter und wenn wir Glück hatten, erweichten wir damit das Herz des Bil leteurs und er liess uns hinein. Manchmal hatte er aber schlechte Laune. Dann konnte ihn kein Mitleid rühren. Seine Seele blieb hart wie Granit und wir mussten mit unsrem Zwanzgerl traurig wieder den Heimweg antreten. Dann wars mit dem Zirkus für heut nix. Alles wegen dem Sauhund, weil er des net glaubt hat, dass wir no Kinder san. Hatten wir aber einmal Glück dann bedeutete so eine Zirkusvorstellung das halbe Himmelreich. Mund und Nase offen hingen wir an der Galeriebrüstung und staunten über die tausend 66
Künste. Am meisten gefielen uns natürlich die Hans Kasperln, die Kugelläufer, die Jongleure und Akrobaten. Und am nächsten Tage wurde alles was wir sahen nach der Schule nachgemacht.
Einmal habe ich zu Hause alle Zirkuskunstreiter übertroffen. Un- < ser Rappe Maxi war sonst ein braves Pferd und ich schwang mich oft auf seinen breiten Rücken. Dazu kletterte ich zuerst an der Stallwand hoch und blieb oft stundenlang auf ihm sitzen. Einmal habe ich sogar meine Schulaufgaben dort oben gemacht. Aber eines Tages hatte der Maxi ein Furunkel auf dem Hals, von dem , ich nichts ahnte; und ausgerechnet an dieser Stelle fasste ich ihn kräftig in die Mähne. Natürlich brachte ich das brave Ross zur Verzweiflung. Aber je mehr es um sich schlug, desto fester krallte ich mich an der verhängnisvollen Stelle ein. Dabei schrie ich aus vollem Halse bis man mir zu Hilfe kam. Diesen Ritt habe ich bis heute nicht vergessen und wenn ich gezwungen wäre wieder ein mal einen Pferderücken zu besteigen, - sei es auch nur der eines hölzernen Jahrmarktkarusellpferdes - ich würde zuerst die Mähne auf Furunkeln untersuchen.
Öffentlich bin ich zum ersten Mal am Chinesischen Turm aufgetre ten. Das war 1885. Ich werde noch davon erzählen. Mein zweites Debüt fand im Gasthaus zur Lilienbrauerei in der Au anno 1890 statt. Dort tagte in der Lilienstrasse der Stammtisch meines Vaters. Lauter »Dreiquartelprivatiers« kamen da allabendlich zusammen. Der Niederreither Karl und ich wollten an einem Faschings dienstag meinen Vater überraschen. Wir hatten nämlich im Zirkus Bavaria auf der Theresienwiese zwei Clowns gesehen, die den alt bekannten Spass vom Tellschuss aufführten, wo der »junge Teil« immer den Apfel auffrisst, ehe der alte Teil seinen Meisterschuss anbringen kann. Für mich war die Kritik der Stammgäste ein be sonderer Ansporn, denn sie waren einmütig davon überzeugt noch keinen so saudumm schauen gesehen zu haben wie den Fey-Buam. 1895 waren Fallschirmabsprünge noch nicht Mode. Doch sind wir damals schon vom ersten Stock unseres Rückgebäudes auf eine
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alte Matratze in den Hof .gesprungen. Es hat tatsächlich ziemli cher Mut dazu gehört so einen Sprung zu riskieren. Trotz der wei chen Unterlage bekamen wir manche Verletzung und einmal stiess ich mich mit dem Unterkiefer so gegen die Knie, dass ich mir bei nahe die Zunge abgebissen hätte. Da kam einer von uns Buben auf die Idee mit dem Regenschirm abzuspringen; und nun wurde die Sache ungefährlicher. Jahre später erst hörten wir von dem Fall schirmspringer Lattemann, der bei dem grossen Gartenfest zu Gunsten der Pensionskasse des Gärtnertheaters im Maximilianskeller in Bogenhausen, wo heute das Prinzregententheater steht, aus einem Luftballon mit dem Fallschirm aus 500 m Höhe abge sprungen ist. Damit hatte er unseren Record gebrochen, denn wir sprangen nur fünf Meter. Wir waren dafür früher dran; er hat es uns bloss nachgemacht und das ist ja schliesslich keine Kunst.
Beim Karusellfahren war für uns Buben die Hauptsache das Ring ziehen. Wem es gelang, beim Vorbeipassieren aus einer blecher nen Hülse, in der sechs Ringe steckten, fünf eiserne und einer aus Messing, mit dem Zeigefinger den Goldring zu erwischen, der konnte ein paar Mal umsonst fahren. Das hing allerdings von der Gunst des Ringbuben ab, der vom Besitzer für den Ringziehappa rat engagiert war, denn für seine Freunde hielt er den »Goldenen« zurück. So wurde schon damals geschoben. Auch wenn es galt, in einer schönen Sommernacht irgendwo ein Feuerwerk abzubrennen - sei es im Bürgerbräu auf der Theresienwiese, in der Isarlust im Herzogpark, im Volksgarten Nymphen burg oder im Schleibinger-Keller an der Rosenheimerstrasse, so waren wir Buben schon am Nachmittag zur Stelle und schauten den Pyrotechnikern zu wie sie die Wiese pflanzten. Und wenn dann am Abend die Raketen zischten, die Feuerräder fauchten, die Bomben in der Luft platzten, da waren wir das lauteste Publikum auf den eintrittsfreien Plätzen, irgendwo auf einer Holzplanke. Einmal war ich so begeistert davon, dass ich mir in einer Buch handlung in der Theatinerstrasse das Buch »Die Kunstfeuerwer kerei« kaufte und anfing zu Hause Feuerwerk zu machen. Da wur
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den Pulver gekauft, Papierrollen geleimt und Chemiekalien zu rechtgerichtet, alles nach Rezept. Manche Feuerwerkskörper gingen schon während der Fabrika tion los; wunderbarerweise immer ohne Unglück. Leider ist es zu einem Programm pyrotechnischer Vorführungen in unserem Hof nie gekommen, denn vor lauter Probieren hat es bei uns so oft ge kracht, dass sich die Nachbarschaft an die Polizei wandte, die uns dann die Feuerwerkerei streng verboten hat. Und da es trotz der Dunkelheit beim Abbrennen nie zu Farbeneffekten, sondern nur zu Funken und Explosionen gekommen ist, sahen wir mit der Zeit ein, dass die Pyrotechnik doch nicht so einfach ist. Trotz aller Knallerei ist a[u]ch hierbei noch kein Meister vom Himmel gefallen. München hatte schon 1895 viele Radrennbahnen, eine im Volks garten in Nymphenburg, eine in Perlach, eine am Schyrenplatz in Giesing und eine vielleicht sogar in Milbertshofen. Fast jeden Sonntag war »Veluziped-Rennen«. Es gab auch schon Rennfahrer, wie Rabel Toni, Schildberger Hans, Fischer, Rucker, Oberberger, Opel, den späteren Direktor der Opel Auto-Werke. Heute vergöt tert unsere Jugend die Fussballer. Wir machten es genauso mit den Rennfahrern. Und als wir das erste Radi geschenkt bekamen, trainierten wir an Wochentagen heimlich am Schyrenplatz, wo die Rennbahn wegen Bankrott offen stand. Dort wurde in einem Tempo gejagt, dass ich mich heute noch wundere, dass wir nicht alle die galoppierende Schwindsucht bekommen haben. Die Ma nege hat eben doch eine mächtige Anziehungskraft, - und ganz besonders für mich. Das muss man mir auch später direkt angesehen haben. Als ich einmal mit Liesl Karlstadt in Wien gastierte, kamen wir auf einem Spaziergang an einem Trödlerladen vorbei. Der Komiker Karl Flemisch, der Schauspieler Otto Wenninger und meine Partnerin grinsten alle über das alte Geraffel, das der Tändler auf offener Strasse feil bot. Nur ich hatte einen grantigen Tag und machte ein bitteres Gesicht. Da kam der Trödler ausgerechnet auf mich zu, eine alte Klarinette in der Hand und meinte: »Gengas zua, kau
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fen’s mir doch dies Instrument ab, dös is was für Eahna, Sie san g’wiss a Zirkusclown.« Ich war platt. Mutterängste
Bist du auch so ein Unnütz gewesen, wie ich, lieber Leser? Schon als kleines zweijähriges Kind hatte ich eine Vorliebe fürs Hand werk. Mit Hammer und Nägeln machte ich poch, poch, poch. Aber leider hatte ich mir dazu nicht ein Stück Holz, sondern die fein polierten Renaissance-Möbel meiner Mutter ausgesucht. Oh, wie hat sie da die Hände gerungen! In der Markart-Zeit war doch die dicke Politur das Ein und Alles häuslicher Eleganz.
Einmal bin ich als Hosenmatz mit der Leiter auf einen von meines Vaters Möbelwägen geklettert, der gerade gestrichen wurde, und als ich oben auf dem runden Dach nicht weiter wusste, habe ich dann so lange geschrien bis mich die Mutter durchs Fenster wie der in die Stube holte. Seitdem hatte ich eine solche Vorliebe für Fensterbretter, dass ich immer gern darauf herumgestiegen bin, auch wenn sie nur mit dünnem Spagat aussen an der Hauswand befestigt waren. Mörderisch geschrien habe ich einmal in unserem Stiegenhaus als ich den Kopf zwischen die Geländerstäbe gesteckt hatte und weder vor noch zurück konnte. Wäre nicht gerade ein braver Handwerksmann mit seiner Säge zur Hand gewesen, der mich befreien half, so stäke ich vielleicht heute noch dort.
Meine arme Mutter hat wirklich viel mit mir auszustehen gehabt und ich konnte es doch auch später nicht lassen, ihr manchen Schreck einzujagen. Als ich Schreinerlehrling war, gab es in mei ner Werkstätte eine kleine Kreissäge. Das ist ein gefährliches Ding. Wie schnell ist da ein Finger weg, wenn man einen Moment nicht aufjpasst. Seitdem sie wusste, dass ich mit einem solchen Werkzeug zu tun hatte, konnte meine Mutter keine Kreissäge mehr summen hören. Natürlich wurde mir das mit der Zeit zu viel und ich beschloss, ihr einmal wirklich Angst zu machen. Ich tauchte ein Stückl Schwamm in die nussbraune Beize, nahm’s in
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die hohle Hand, lief nach Hause und schrie: »Muatta, hol schnell an Dokta, i bin in d’Kreissägn ’neikomma!« - dabei drückte ich das Schwämmchen zusammen, dass die Brühe nur so hervorquoll. Die arme Mutter muss vor Schreck farbenblind geworden sein. Sie sah sofort rot, statt braun, kreischte »um Gotteswillen«, und war einer Ohnmacht nahe. Aber da lachte ich schon und rief: »April aff!« Heute glaube ich freilich, dass nur ein Halbwüchsiger in den Flegeljahren auf die Idee kommen kann, physiologische Versuche über Farbenblindheit in der Schrecksekunde ausgerechnet mit sei ner eigenen Mama anzustellen.
Wie alle Kinder den schwachen Punkt ihrer Eltern sehr schnell heraus haben, so wusste ich auch gleich, was das Telefonieren mei ner Mutter für ein Graus war. Um keinen Preis war sie an den Apparat zu bringen. Nur wenn ihr nichts anderes übrig blieb, ging sie hin, wenn es klingelte, etwa wenn niemand zu Hause war, oder ich noch im Bett lag. Dann hörte ich ihr immer mit diebischer Freude zu. Trotz ihrer siebzig Jahre funktionierte ihr Gehör noch tadellos. Nur die Aufregung war daran schuld, wenn sie kaum etwas verstand. Jedes Gespräch kostete ihr einen Nervenschock und wenn es zu Ende war, musste sie sich immer sogleich nieder setzen und dann meinte sie in ihrem schönsten sächsisch, denn sie stammte aus Zittau: »Nä, Falendihn, ich bittsch um Himmelswilln verschon mich mit däm Zeuch! Ich bin doch viel zu alt und zittre schedes mal an Händen und Fiesn, wenn’s Dehlefohn leit. Ich geh’ ähmd enfach nich mähr hin!« Eines Tages rief mich ein Bekannter an, als ich gerade zur Türe hinaus bin. Ich höre es noch klingeln, kehre schnell wieder um; bis ich aber den zweiten Stock erreichte, die Türe aufgesperrt hatte und wieder hinein kam, war es schon zu spät. Freudestrahlend kam mir die Mutter gleich entgegen. »Noch geene M[i]nude warschde ford, da gings’s Dehlefon, ich sache >Falendihn hierIneedär is ehmd weggegang. Er gann heechstens graade zer Hausdihre nausgegang sein, sindsn denn nich begähehnd?Der Weizen hat dem Kaufmann einen Verdienst von 40,86% einge bracht und ist durch den Zwischenhandel mit 66% gestiegen im Preis.< »Richtig«, sagte der Herr Lehrer und dann war er eine Weile sprachlos, daß ausgerechnet ich diese schwere Rechnung gelöst hatte. »Bravo, Fey, das laß ich mir gefallen! Da nehmt euch ein Beispiel!« sagte er zu der ganzen Klasse. [»]Komm heraus an die Wandtafel und rechne diesen Dummköpfen die Rechnung vor!« »Auweh«, dachte ich, »jetzt wird es brenzlich.« Ich hatte doch keinen blassen Dunst davon, weil mir jede Hausaufgabe der bei uns wohnende Brauereibuchhalter Heinrich Schweiger anfertigte. Eine besondere Vorliebe besaß er für schwere Rechnungen. Ließ er mich einmal im Stich, so schrieb ich von irgend einem Mitschüler ab, denn das ganze Zeug interessierte mich einen Schmarrn. Nun stand ich mit der Kreide an der Wandtafel, wie der dumme Junge von Meißen aus dem Sächsischen Sprichwort. »Nun«, sagte der Lehrer, »Los damit!« und sprach mir die Aufgabe noch einmal vor: »Ein Kaufmann kaufte bei einem Müller 176 Zentner Weizen, den Dop pelzentner zu 32.— Mark. Der Müller hat für den Zentner beim Bauern 13.50 Mark bezahlt. Wenn nun ein Käufer des Weizens im Ganzen 3520.— Mark bezahlt, wieviel Prozent hat dann der Kauf mann verdient und um wieviel Prozent hat sich der Weizen durch den Zwischenhandel verteuert?« Ich stand da, wie versteinert. »Dahoam hab is scho kenna, Herr Lehrer; i hab d’ Ausrechnungen dahoam.« >Dann gehst nach Haus und holst sie!< »De hat d’Muatta glei verbrennt, wia i d’Rechnungen fertig g’habt hab.« Da fragte er die Schüler der Reihe nach durch - aber keiner hatte die Rech nung richtig; nur ich allein unter meinen fünfzig Klassenkamera den. Das ging dem Lehrer über die Hutschnur und er ist so grim mig geworden, daß ich zuguterletzt doch noch gestehen mußte, wer der »Gescheiteste« von allen war: unser Herr Schweiger.
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Mein Spezi, Emil Hager, war Schüler der Auer Schule; ich ging in die Klenzeschule. Frühmorgens trafen wir uns gewöhnlich vor unserem Haus. Einmal habe ich zu ihm gesagt: »Hast g’hört, Emile, heut schwänz ma d’Schui! Heut ham ma Rechnen und Rechtschreiben, dös hätt’ i net viel kanti (mag ich nicht). Woaßt was? Mir reibn uns s’Gsicht mit Mehl ei, dann schaugn ma recht blaß aus und dann meint mei Muatta und dei Muatta mir san krank, und dann brauch ma net in d’Schui geh. Nach achte werds uns dann wieder besser und dann dean ma wieda Ratzen fanga in unserm Stall.« Die Idee wurde sogleich wieder in die Tat umge setzt. Aber Emil hatte Pech, denn schon eine Viertelstunde nach Schulbeginn war bei ihm zu Hause der Schulpedell erschienen, der ihn wegen seiner chronischen Schwänzerei schon längst auf dem Strich hatte. Er entdeckte mit Basiliskenblick zu seiner Über raschung das abgefallene Mehl auf Emils Jacke, wo er doch ge kommen war, die Blässe des armen Kranken zu bedauern. Er führ te sofort den Sünder in die Schule, wogegen ich als armer Kranker Kamillentee trinken durfte. Als die Schule aus war, kam Emil zu mir und berichtete, daß er für den Mehlanstrich sechs zerme Tat zen gekriegt habe, wozu er meinte: »Do müss’ ma s’nächste Moi scho a andere Färb nehma; mit’m Meu (Mehl) is nix, dös foit oiwei ober.«
Die gleiche Glocke, die den Unterricht einläutete, bimmelte auch zur Pause. Aber da klang sie ganz anders, bedeutend herzlicher. Kaum war der Lehrer zur Türe draußen, da hub ein Spektakel an, wie nicht gescheit. Da wurde gest[r]itten und gerauft, Brotzeit getäuschelt, von Bank zu Bank gesprungen oder eine Schneeballschlafcht] geschlagen, wobei wir die Geschoße aus altem Schreib papier zusammenrollten. Dann ging es los. Aber das Unglück schreitet schnell. Einer hatte mir heimlich einen Ballen hingelegt, in dem er ein kleines, volles Tintenglas hineingewickelt hatte. Ich warf nichtsahnend das Geschoß meinem Mitschüler Georg Krögl an den Kopf, daß diesem das Blut herunterlief. Wer mich hinein gelegt hatte, war nicht zu ermitteln. Aber ich hatte eine Stunde Karzer weg und die Schule war aus. 77
Einmal zirpte während des Religionsunterrichtes plötzlich eine Gril le in unserem Schulzimmer. Alle lachten; ich blieb ganz ernst. Der Schullehrer schrie: »Wer hat eine Grille dabei?« Mein Nebenmann, eigentlich Nebenbub stand auf und sprach: »Herr Lehrer, der Fey hat a ganze Menagerie unter der Bank.« Dröhnendes Gelächter in der ganzen Klasse. Der Lehrer stieg vom Katheder herab und be sichtigte meinen Zoo. Da gab es Hummel und Ohrwurm, Haber geiß, Naßl, Heischreck, Russe, Spinne, [BJrotz, Leis, Kaulquappe, Schnecke, Mehlwurm, Schaben und Würmer - eine wahre Lust. Die Käfige waren meist aus ausgehöhlten, falschen Korken mit einem Gitter aus Stecknadeln davor, in eigener Fabrikation hergestellt.
Meine liebsten Stunden waren Singen, Zeichnen und Turnen. Lie ber hundertmal auf die Kletterstange, als einmal eine Rechnung ausrechnen. Der Mensch soll sich nicht mit einem Tier verglei chen; aber im Klettern hätte ich es fast mit einem Tier aufnehmen können. Wenn Darwin bei allen Zeitgenossen unrecht hat, bei mir hat er villeicht doch rechtgehabt. In unserem Turnsaal an der Ickstattstraße gab es dreißig Kletterstangen. Auf das Zeichen des Lehrers »los«, stürzten sich dreißig Buben darauf und in späte stens zehn Sekunden waren die besten Kletterer oben, während die schlechtesten nicht vom Fußboden wegkamen. Unter den Erstankömmlingen wurde nun »gerittelt« und nun waren ich und der Varietebesitzerssohn Wagerer die ersten. Nun wurde zwischen uns Beiden noch einmal gerittelt - und mit einem Meter Vorsprung war ich Sieger geworden. Ich war viel stolzer darauf, der beste Kletterer zu sein, als wenn ich der beste Rechner gewesen wäre.
Einmal hat mich ein Lehrer bald zum Krüppel geschlagen. Das Dreschen machte ihm immer solchen Spaß, daß er vor ein paar hundert Jahren bestimmt ein Folterknecht geworden wäre. Und dazu gab er noch Religionstunde. Ich war so verschlagen worden, sodaß ich von einem anderen Buben heimgeführt werden mußte. Mein Vater hätte diesen vorbildlichen Pädagogen noch am selben Ta[ge] zusammengehauen, wenn meine Mutter ihm nicht so gut zugeredet hätte. 78
Von der Klenzeschule kam ich in die Bürgerschule, die sich gegen über dem Hofbräuhaus am Platzl befand, im vierten Stock des Hauses, wo heute die Dachauer Bauernkapelle spielt. Vier Jahre bin ich hineingegangen. Was ich dort alles erlebt habe, würde wie der ein Buch für sich werden, oder wenigstens ein Büchlein. Eine Geschichte muß ich aber doch erzählen: Wir hatten unserem Pro fessor in seinen zugemachten Regenschirm, den er immer im Leh rerschrank in die Ecke stellte, lauter Papierschnitzel hineingefüllt. Beim Schulschluß um vier Uhr nachmittags goß es in Strömen. Da öffnete er den Schirm im Hausflur und erst als er das Regen dach über sich hielt, - denn er sah sehr schlecht - bemerkte er, was für ein Papierschnitzelsegen sich über ihn ergoß. - Solche Streiche hat ja jeder Bub begangen; und doch sind sie immer wieder lustig. Unter unseren Schulräumen waren im zweiten und dritten Stock Studentenverbindungen eingezogen und wir sahen die Musen söhne tagaus, tagein mit ihren zerhackten Gesichtern. Sie impo nierten uns dadurch so sehr, daß wir uns auch bald die Gesichter zerhackten, um Schmisse zu haben. Nur brauchten wir dazu keine Schlägermensur, sondern nur ganz gewöhnliche Nähnadeln oder unsere »Gluferln«, um unsere Rosenwangen damit zu zerkratzen. Ach, sind wir uns damals schneidig vorgekommen!
Von der Feuerwehr
Für uns Auerbuben war das Höchste die Feuerwehr. Wenn in der Au am Kirchturm die Feuerglocke läutete, war alles Andere Nebensache und mochten wir auch beim interessantesten Spiel sein. Naus ging’s zum Tempel, wo wir auch waren, und nüber zum Mariahilfplatz. Bevor die ersten freiwilligen Feuerwehrleute beim Spritzenhaus erschienen, waren wir schon da und haben uns er kundigt, wo’s brennt. »Grossfeuer in der Stearinkerzenfabrik Was sermann in der Frauenhoferstrasse«, hiess es. Jetzt steht dort das neue Postgebäude. »A fein, saust’s ummi.« Oft haben wir uns wäh rend der Fahrt hinten an die Spritzen oder Leiterwagen gehängt und waren uns dabei nicht der Gefahr bewusst, dass wir herunter79
fallen und vom nächstfolgenden Feuerwehrwagen überfahren wer den könnten. Es war nachts zehn Uhr. Der ganze Himmel stand voller Glut. Die Flammen züngelten bis in die Baaderstrasse, und noch weiter. Wann und wo es auch brennen mochte, war uns gleich. Wir sausten mit. Aber weil es eben nicht gar zu oft brann te, war ich fast entschlossen, unser eigenes Anwesen anzuzünden. An einem Nachmittag stand ich mit meinem Freund Oskar Vogl auf der Altane des Nachbargrundstückes und hatte schon das Streichholz zum Anzünden in der Hand. Unser Lager, worin zweihundert Zentner Stroh untergebracht, grenzte an das Nach baranwesen; es hatte eine Menge Astlöcher, durch welches das Stroh heraushing. So wäre es ein Leichtes gewesen, eine Brand stiftung zu riskieren. Durch die Warnung meines Freundes liess ich mich von diesem Vorhaben abbringen, warum weiss ich heute nicht mehr. Vielleicht hat der Geist des Trompeters von Säckingen eingegriffen: Es hat nicht sollen sein.
Mit Speck fängt man Mäuse und mit einem Feuerwehrhelm fängt man einen Buben, dem die Mandeln herausgeschnitten werden sollten. Das klingt sehr sonderbar und doch ist es so gewesen. Als zehnjähriger Bub kam ich aus den Halskrankheiten nicht mehr heraus. Darum schlug unser Arzt, Dr. Schwaiger, eine Mandel operation vor. Meine Eltern hatten nichts dagegen. Nur meinte mein Vater es würde nicht so leicht sein, bei mir den Eingriff aus zuführen. Der Arzt bat, mir nichts zu sagen, dann ginge es schon. Er käme einmal mit seinem Assistenten ganz unverhofft. Das hat er auch drei- oder viermal gemacht; aber ohne Erfolg, denn ich habe die Geschichte gespannt, vielleicht aus Instinkt. Wo ich den Dr. Schwaiger sah, habe ich Reissaus genommen. Aber eines Tages hat er mich doch vor sein Messer bekommen. Ich spielte mit meinen Kameraden im Hof. Da rief meine Mut ter aus dem Fenster: »Fohlndin!« Ich schaute zur Küche hinauf, und was sah ich? Einen blitzblanken Feuerwehrhelm. Das war der Speck. Ich flog über die Stiegen nur so hinauf. Meine Freude war unbeschreiblich. Mit dem Helm auf dem Kopfe, wollte ich gleich wieder zu meinen Kameraden. Aber - o weh, die Wohnungstüre 80
war zugesperrt. Noch immer ahnte ich nichts und lief ins Zimmer. Wer stand da? Dr. Schwaiger mit Assistent, Vater, Mutter und sogar unser Fuhrknecht, der Sepp. Er und mein Vater packte [n] mich und hoben mich auf einen Sessel. Die Mutter weinte. Ein Doktor steckte mir die Mundspange in den Rachen und die Exe kution ging vor sich. Die Schmerzen habe ich vor lauter Wut gar nicht bemerkt. Nur als mir das Blut aus dem Halse floss, da wein te ich. Aber die Mutter setzte mir nach der Operation den Feuer wehrhelm auf den Kopf und der hat die Wut und das Blut gestillt. Am Angang der Frühlingstrasse fanden in den Sommermonaten jeden Sonntag früh von acht bis zehn Uhr die Übungen der Feuer wehr statt. Mitten auf dem Übungsplatz stand ein vier Stock hoher Steigerturm. Am Schluss jeder Übung befestigten die Feuerwehr männer den Rettungsschlauch an dem Fenster der obersten Etage und die Auer Buben avancierten zu den in einem brennenden Hause in höchster Gefahr schwebenden Personen. So schnell, wie wir Lauser uns in den offenen Schlauch hineinwarfen, hätte es uns nie ein Erwachsener nachmachen können. Kaum waren wir herunten angekommen, rasten wir wie die wilde Jagd wieder hinauf; und es ging aufs Neue herunter, wieder hinauf, wieder herunter - tätärätä! Aus war’s mit dem Herunterrutschen! Die Übung war zu Ende - bis es am nächsten Sonntag wieder dasselbe gab. Schön war’s!
Als es in München noch keine städtische StrassenreinigungsGesellschaft gab, bestand die Vorschrift, dass jeder Hausbesitzer im Sommer seinen Teil der Strasse selbst spritzen und reinigen musste. Das ist manchem Hausbesitzer schwer gefallen, denn die Anschaffung eines Sprengschlauches von zehn bis zwanzig Meter Länge, war immer mit hohem Kostenaufwand verbunden. Und wenn sich auch mein Vater über die Ausgabe eines so teuren Gummischla[u]ches grün und blau ärgerte, so freuten wir Buben uns umso mehr. Nun hatten wir ja zum Feuerwehrspielen, statt bisher eines Strickes, sogar einen richtigen Schlauch, noch dazu mit einer Haspel. Eine Dampfspritze war auch vorhanden in Gestalt eines kleinen Handwagerls, auf dem ein alter Waschkessel 81
stand, in dessen Mitte ein ausgedientes Ofenrohr den Schornstein einer Dampffeuerspritze vorstellte. Auch Leitern, Helme und Trompeten gab es. Es brauchte nur noch zu brennen. Auch einen Turmwächter hatten wir. Das war ein Bub, der im zweiten Stock des Vorderhauses am Speicher zum Dachfenster herausschaute, in der Hand ein Stück Eisen an einer Schnur, auf das er mit einem Hammer schlug, um die Feuerglocke nachzuahmen. Sobald sie ertönte, rückten wir aus. In unserem eigenen Hof waren alle Vor städte vertreten - Haidhausen, Sendling, Schwabing. Und wenn es hiess: »In Giesing brennt es.« rasten wir schon wie närrisch fünf oder sechsmal im Hof herum und endlich kamen wir an das bren nende Haus. Das wurde von einem Buben eine Minute vor Er scheinen der Feuerwehr dadurch kenntlich gemacht, dass er schnell ein paar Bogen Zeitungspapier auf dem Wellblechdach unseres Waschhauses angezündet hat. Zum Angriff wurde »tätätä« geblasen, die Leitern angelegt, der Schlauch an die richtige Was serleitung angeschlossen, und wenn der Kommandant: »Aufdrahn! Wasser!« schrie, trat ich als begeisterter Spritzer in Tätigkeit. Und was ich alles angespritzt habe äusser dem Grossfeuer! Da müssen sie heute noch die Auer fragen. In die offenen Fenster un serer Hausinwohner habe ich den Wasserstrahl sausen lassen. Und hätte mir mein Vater nicht mit aller Strenge das Feuerwehrspielen mit dem richtigen Schlauch untersagt, so hätte sich aus der Feuer wehrspielerei noch eine ganz böse Sache entwickeln können.
Ebenso wie wir Auer Buben von der Feuerwehr begeistert waren, waren wir es auch von der Sanitätskolonne. Einen besonderen Ansporn erhielten wir durch den Tändlerladen von Lang in der Lilienstrasse. Dort gab es um zwanzig Pfennig weiss und blaue Sanitätsmützen zu kaufen, die von den Sanitätern abgelegt waren. Wir zimmerten uns selbst eine Tragbahre und richteten im Waschhaus eine Unfallstation ein. Die Mutter musste uns weisse Armbinden mit roten Kreuzen nähen. Nun brauchte man natür lich auch Verunglückte zum Tragen. Aber woher sollten wir sie nehmen und nicht stehlen? Ersatz war eine halbe Sache. Wir brauchten richtige Verletzte, welche bluteten. Aus diesem Dilem82
ma half uns wieder ein ungeheuerlich roher Gedanke. Auf der Wäschewiese vor unserem Haus streuten wir an bestimmten Spielplätzen zahllose Glasscherben. Die Kinder sollten beim Bar fussgehen sich diese eintreten. In dem Gras waren die Scherben auch nicht gut zu sehen. Und tatsächlich verging kaum ein Tag, ohne dass sich ein Bub oder ein Mädel den Fuss daran verletzte. Der Blutende wurde von uns Sanitätern mit der Tragbahre geholt und mit Hoffmannstropfen und Mullbinden in der Sanitätsstation behandelt. Einmal haben wir uns sogar eine Totenbahre gemacht, wie sie die Sanitäter zum gleichen Transport benützten. Aber da meinte meine Mutter, das ginge doch zu weit und wir machten dieses Möbel wieder Kaputt. Dazu hätten wir ja schliesslich auch Tote gebra[u]cht. Verletzte haben wir uns selbst gemacht. Aber so weit waren wir doch noch nicht fortgeschritten, dass wir uns lote zum Spielen angeschafft hätten.
In dem Kapitel vom Feuerwerk habe ich schon erzählt, wie gerne ich »gegogelt« habe, wie meine Mutter in ihrem heimatlichen Sächsisch das Spielen mit dem Feuer nannte. Diese Vorliebe habe ich auch später behalten. Das Gasthaus »zum Feuerhaus« war das Stammlokal der freiwilligen Feuerwehr. Und als dort eines Som mers im August noch die Faschingsgirlanden von der Zimmer decke hingen, meinte der Wirt Ludwig Greiner: »Vale, da hast morgen glei a Arbeit. De tuast morgn alle oba und tuast das verbrenna!« »Warum oba doa, des Zeug kemma doch glei drob’n verbrenna!« Damit nahm ich ein Streichholz, stieg auf den Tisch und zündete die dünnen Papiergirlanden an. Im Nu stand die ganze Zimmerdecke in Flammen. Die in der Wirtschaft anwesen den Feuerwehrleute hatten gleichfalls an dem Feuerzauber ihre helle Freude. Nach fünf Minuten war die Gefahr vorüber.
Einmal hatte mein Ofen keine Zugkraft mehr. Ich liess schnell mein en Hafner kommen. Warum der Mann so heisst, kann ich mir heute noch nicht erklären. Denn wenn ich einen Hafen hätte, der undicht geworden ist, müsste ich ja einen Hafner und nicht einen Spengler kommen lassen, um ihn zu löten. Und darum 83
müsste der Hafner eigentlich Ofner heissen. Aber ich will keine ne gative Kritik üben. Der Hafner kam, riss das ganze Eingeweide des Schürloches auseinander, zündete eine kleine Kerze an und leuch tete damit im Ofenloch herum. Wie ich das gesehen habe, sagte ich zu dem Hafner; »Sie, gaukelns net mit offenem Licht in dem Ofen herum. Geb’ns ja Obacht, dass Sie mir nichts anbrennen!«
Anrüchiges
Böller haben gekracht. Vom Kirchturm schmetterten Trompeten in die Nacht. Aus den eisernen Fackelständern, die dutzendweise auf dem Mariahilfplatz aufgestellt waren, loderten dunkelgelbe Flammen zum Himmel empor. Denn eines der größten Feste, das die Münchener Au jemals erlebte, - wahrscheinlich handelte es sich um das so und so vieljährige Bestehen dieser denkwürdigen Vorstadt, oder so etwas Ähnliches, - wurde gefeiert. An der Sei tenwand der Auer Kirche stand eine vielköpfige Musikkapelle mit einer großen Trommel. Und neben diesem Monstrum wollte ich einen Platz haben, denn ich wollte es ganz genau sehen, nicht nur hören. Aber der ganze Platz war so voller Menschen und nochmals Menschen, - ich glaube ganz München war da. Wie hätte ich kleiner Knirps diese Massen in Bewegung setzen sollen? Da kam mir eine Idee: Schnell eine Flasche Schwefel-Ammonium! Das ist das stinkigste Zeug der Welt. Es riecht nicht nach Hyazinthen, sondern nach Abort. Dieses starke Mittel kannte ich gut von zu Hause, wo wir [es] im Geschäft flaschenweise zur Desin fektion der Möbelwagen gegen Ungeziefer brauchten. Also, ich holte eiligst eine ganze Flasche davon und wickelte sie in ein paar Zeitungen ein, rannte wieder hinüber auf den Festplatz, zwängte mich durch die Menschenmassen bis zur großen Trommel und führ te hier das in diesem Falle nicht geruchlose, sondern geruchvolle Attentat durch. Hinter meinem Rücken goß ich den ganzen Inhalt meiner Flasche an die Wand. Die Wirkung war furchtbar. Mit Mur meln begann es. Dann mischte sich in das Lachen der Menge schon erbostes Schimpfen: »Ja, was ist denn des?« Mehr bekam ich nicht mit. Mir dämmerte plötzlich, was ich angestellt hatte. Ich machte 84
mich schleunigst aus dem Staube, besser gesagt aus dem Gestank, und schlich mich heim ins Bett. Anderen Tags war ich ein eifriger, aber eisern schweigender Zuhörer aller Erzählungen von der Kata strophe. Der ganze Mariahilfplatz soll in der Tat eine ganze Stunde gestunken haben wie die Pest. Aus dem von mir verwandten Quan tum von einem Liter der Essenz hätte man ja auch mindestens drei hundert kleine Gasstinkbomben herstellen können, wie man sie früher in Scherzartikelgeschäften kaufen konnte. Ein Täter wurde nie ermittelt. Warum? Gesehen hat’s keiner, nur gerochen. Unser verlockender Schwefel-Ammoniumvorrat hat mir öfters ähnliche gute Dienste geleistet. So haben wir im Fasching des Jah res 1899 zu Hause einen Möbelwagen dekoriert zum Faschings umzug. Tische, Stühle und ein Bierfaß kamen hinein. Wir selbst saßen als Bauern maskiert darinnen. Und das Ganze hieß: »Gast haus zum stinkenden Alisi«. Mit diesem Fahrzeug reihten wir uns in den großen Faschingszug ein. An sich war dies Alles gar keine besondere Attraktion. Aber die Hauptsache kam erst. Wir wollten unserem Firmenschild alle Ehre machen und darum hatten wir für eine Vorrichtung gesorgt, durch die während der ganzen Fahrt Schwefel-Ammonium auslief und seine furchtbare Wirkung in Münchens Straßen zeigte. Der Wagen stank tatsächlich drei Stunden gegen den Wind, wie die Bauern sagen. Sogar die Presse protestierte gegen unseren Einfall. In einer Münchener Zeitung konnte man lesen: »Unter den gelungenen Karnevalsfahrzeugen befand sich auch am Schluß ein Wagen, eine Bauernwirtschaft darstellend, der auf irgend eine Art einen bestialischen Geruch verbreitete. Von einem guten Witz kann hier keine Rede sein. Es war schon mehr ein grober Unfug. Das Festkommitee sollte beim Zusammenstellen eines Maskenzuges besser vorhefr] seine Nase hineinstecken, um derartige Auswüchse in einem Faschingstreiben zu verhindern, usw., usw.« Mit einer Klistierspritze ist der heilsame Zweck der Erleichterung verbunden. Das setzt allerdings vorraus, daß die Ladung in das Innere des Menschen gerichtet wird. Nach außen, beziehungs-
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weise auf fremde, lebende Personen angewendet, vermag das In strument lediglich Unheil zu stiften. Anfangs verwendete ich als Munition reines Leitungswasser. Da sich aber der Strahl, der harmlose Straßenpassanten traf, immer nur von einem Fenster des Falk & Fey-Hauses aus ergoß, war es nicht schwer den Täter zu ermitteln. Das Spiel wurde nur so lange fortgesetzt, bis die Mutter die Klistierspritze versteckte. Aber findig, wie ein echter Lausbub eben ist, kundschaftete ich sie bald wieder aus, denn inzwischen war ich auf einen neuen Gedanken gekommen. Wiederum wählte ich einen Sonntag hell und klar zur Aus führung des Anschlages. Schon am Morgen saßen in der Kothmüllerwirtschaft allerhand Leute beim Frühschoppen. Sie hatten sogar schon etwas über den Durst getrunken. Sie waren sehr laut, was mich als Hausbesitzerssohn und Nachbar sehr ärgerte. Aber Rache ist nicht unsüß. Soeben hatte ich meine geliebte Klistierspritze wie der aus meinem Versteck befreit. Diesmal zog ich aber kein reines Wasser, sondern mindestens einen Viertelliter reines SchwefelAmmonium ein. Dann legte ich eine Leiter an unser Rückgebäude, kroch heimlicfh] auf das Dach der Kegelbahn, die den Wirtshaus garten abschloß, und spritzte meine übelriechende Ladung unter die Gäste. Einen hatte ich sogar mitten auf den Kopf getroffen. Schnell war ich wieder verschwunden, - gesehen hatte mich niemand. Mit ahnungsloser Unschuldsmiene wartete ich auf die Dinge, die da kommen sollten. Und sie kamen. Mindestens dreißig Personenf:] Fuhrleute, Maurer und Auer Lukis. Vollzählig zogen sämtliche Bespritzte zornentbrannt in unseren Hof ein, und hüben ein wahres Haberfeldtreiben gegen mich an: »Sau bande, [d]reckate! das war niemand anders, als der rote Fey-Batzi! Er hat uns a Odelwasser nüberg’schütt! Holt’s ihn runter von der Wohnung! Na derschlag’n man den Hundsbuben!« Unglück seligerweise reinigte unser Knecht Josef Neuberger zufällig gerade den Stall und hatte eben den Deckel der Düngergrube offen ste hen. Das bestärkte die wütende Menge in ihrem Verdacht, daß sie mit unverfälschtem Odelwasser überschüttet worden sei. Und sie fielen über den armen Knecht her, der von meinem Attentat nicht die geringste Ahnung hatte. Um ein Haar wäre es zu einer wüsten
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Schlägerei gekommen. Ich stand mit einem großen geladenen Armeerevolver hinter unserer Wohnungstüre im Oberstock und hatte den festen Vorsatz, den Ersten niederzuschießen, der hinein will. Hinter mir rang die arme Mutter ihre Hände; aber auch sie ahnte nicht, was geschehen war. Bald darauf zog die feindliche Horde ab, nicht ohne unserem Knecht versichert zu haben: »D[aw]ischen wenn wir ihn halt tun, d’Löffel reiß ma eahm raus.« Am Nachmittag sollte ein großes Fest im Volksgarten Nymphen burg sein, auf das ich mich schon die ganze Woche gefreut hatte. Aber nun fehlte mir doch die Schneid. Vor lauter Angst um meine zwei »Löffel«, habe ich mich an diesem Sonntag nicht mehr au[s] dem Haus getraut.
Wenn mein Vater Verstopfung hatte, wurde Pfarrer Kneipps Wühlhubertee, Stärke III geholt. Es ist das Bitterste vom Bitter sten. Bittere Mandeln sind einfach Sacharin dagegen. Mein Er zeuger dachte sich, Übel muß eben Übel vertreiben. Mit Todes verachtung nahm er einen Schluck. Er brachte ihn auch hinunter. Aber eine Minute später spie er bereits wie ein Gerberhund alles auf den Fußboden, was er bei der letzten Mahlzeit zu sich genom men hatte. Das ungewohnte Geräusch lockte mich an. Ich mußte doch sehen, was Vater zugestoßen war. Aber angesichts dieser Be scherung spie ich ebenfalls unverzüglich wie ein Reiher. Das wie derum rief meine Mutter auf den Plan. Sie eilte besorgt herbei, konnte aber ihrem Schicksal ebenso wenig entgehen, wie wir bei den Männer. Zuletzt erschien die Magd auf der Bild- oder besser gesagt auf der Speifläche und entrichtete ohne Zögern, aber offen bar ebenso unfreiwillig, wie ihre Vorgänger, den gleichen Tribut an Kneipps wahrhaft unfehlbares Mittel. Ein solches Speien im Quartett habe ich seitdem nicht wieder erlebt.
Immerhin hatte ich mit meinen Patent-Pralinen eigener Erfin dung noch öfters Wirkung der gleichen Prägnanz und Vehemenz erzielen können, wenn ich es darauf angelegt hätte. Ich hatte mir nämlich überlegt, daß man durchaus nicht nur auf die übl[iche] Likörfiillung, ja nicht einmal auf die in Spielwarengeschäften für 87
Juxzwecke erhältlichen Gutln mit Sägspäne- oder Essigfüllung zu rückgreifen brauche, sondern, daß man es auch einmal mit Leber tran versuchen könnte. Also ließ ich mir bei einem bekannten Konditor welche machen. Die Wirkung war eine so katastrophale, daß sie alle Erwartungen übertraf. Im Märzenkeller-Hotel Stadt Wien stellte ich einen Karton auf den Tisch und schon sagte die Kassiererin, die mich bediente: »A, kann ich mir da ein S[t]ück nehmen?« »Selbstverständlich«, beeilte ich mich zu versichern, und flugs hatte das Fräulein schon eins in den Mund gesteckt. Aber ebenso schnei spie sie das ganze Zeug wieder aus, wobei ihr nicht nur das corpus delicti, sondern auch ihr ganzes Mittagsmahl aus dem Gesicht fiel. Mein originelles Mittel hat nicht ein einziges Mal versagt und ist mir dutzendweis geglückt. Es war wirklich zum Kotzen, in des Wortes wörtlichster Bedeutung. Einmal hatte es auch mich erwischt. Da habe ich einen Gestank erlebt, daß mir selber das erste Kindsmus hochkam, wie noch nie. Es muß eben doch eine ausgleichende Gerechtigkeit geben............ Man hätte an das schöne Lied denken können »In der Sommer nacht, in der Sommernacht, wo so süß die Lüfte wehn.« [immer hin war es heller Tag, als ich mit meinem Freunde, dem Pianisten Lorenz Fischer, einmal in der Nähe des Isartalbahnhofes im Walde spazieren ging. Plötzlich stieg uns ein Lüftchen in die Nase, daß wir mit den Nüstern zu schnüffeln begannen, wie nicht gescheit. Wir fragten uns, ob die Pest ausgebrochen sei, vorausgesetzt, daß sie stinkt, wie das Sprichwort sagt. Im faustischen Drang nach Gewißheit, gingen wir der Seuche entgegen. Nach kaum hundert Metern kamen wir an eine Wald lichtung. Und dort bot sich uns Entsetzliches. In der tropischen Sonnenhitze lagen hier mindestens zehn große Kisten voll von verdorbenem Limburger Käse auf dem Rasen. Wie Lava aus einem feuerspeienden Berg, quoll die flüssige »Letten« zwischen den Kistenbrettern hervor und überzog Gras und Kraut mit eklem Schleim. Millionen von Fliegen saßen und schwirrten auf der dampfenden Masse umher. Es war ein in seiner Schrecklichkeit großartiger und unvergeßlicher Augenblick für Augen und Nasen. Seitdem fällt es mir schwer, Limburger Käse noch als Nahrungs-
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mittel zu betrachten. Selbst in mei[nen] schwersten Alpträumen verfolgt mich sein fürchterlicher Duft noch heutigentags. Lumpereien
Es spukt! Es geht um! So hieß es 1896 einmal in der Au. In der Asamstraße waren in einer Wohnung Kohlenstückchen durchs Zimmer geflogen, ohne daß jemand anwesend war. Ein Pfarrer wurde geholt und besprengte alles mit Weihwasser. Nach ein paar Tagen kam die Sache auf. Ein kleines Mädchen hatte aus einem Versteck Kohlenbrocken geworfen. Natürlich war das für uns Auer Buben eine Anregung. Eines Tages hängte ich in unserer Küche alle möglichen Ge schirre auf Herd und Tisch mit feinen, fast unsichtbaren Zwirns fäden aneinander, die ich quer durch den Raum spannte, dann holte ich das Fräulein Florian, das neben uns wohnte und eine sehr fromme Person war. Als ich ihr sagte, daß es bei uns spukt, meinte sie, man müsse sofort den Pfarrer holen. Aber das tat ich nicht, sondern ging zu Frau Tesar, einer anderen Hausgenossin. Sie war beherzt und voller Schneid und meinte: »Wo spukt’s? Des möcht’ i sehng! Des is ja a Unsinn und Geister gibt’s überhaupts koane.« Festen Schrittes betrat sie die dämmrige Küche. Aber kaum berührte sie die vielen Fäden, fing das Geschirr an lebendig zu werden. Mit einem Aufschrei stürzte sie aus der Gespenster kammer. Gleich wurde die Wahrheit alsbald ruchbar. Immerhin hatte ich die Genugtuung zu wissen, wieviele Erwachsene noch so dumm sind und an Geister glauben, worüber ich mich mit meinen fünfzehn Jahren schon weit erhaben glaubte. Mit meinem Respekt vor den Erwachsenen war es niemals weit her. Zu uns kam öfters ein Tapezierermeister aus der Lilienstraße, der unsere Möbelwagen auspolstern mußte. Er war besonders stolz auf seinen Panama-Strohhut. Behutsam legte er das Pracht stück während seiner Arbeit in einen kleinen Handwagen auf dem Hof und stieg in den Möbelwagen. Neben seiner Kopfbedeckung hatte er zufällig ein Paket kleiner Tapezierernägel und einen 89
Hammer liegen lassen. Kaum hatte ich das heraus, als ich anfing die Hutkrempe ringsherum auf den Wagen festzunageln. Einen Stift neben den anderen schlug ich akkurat und gründlich ein. Dann verzog ich mich in den dritten Stock des Vorderhauses, wo ich am Stiegenfenster meinen Beobachtungsposten bezog. Endlich kam der Meister aus dem Möbelwagen gekrochen, zwirbelte sich gravitätisch seinen Schnurbart in die Höhe, zog die Joppe an und ergriff mit schwungvoll fester Hand seinen Panama, von dem er allerdings nur den Kopf in der Hand hatte, denn [...] war dank der vielen Nägel am Rand haften geblieben. Mein armer Vater mußte einen neuen Hut kaufen; aber er hatte dazu gelacht wie immer, wenn ich etwas angestellt hatte. Meine Mutter freilich schimpfte mich aus; aber das hielt mich nicht ab, mich auf eine neue Lumperei zu besinnen. Eines Tages fanden wir in einem Möbelwagen ein altes Reh gehörn; und da wir wußten, daß der Herr Altenschöpfer, ein pen sionierter Eisenbahnoberkontrolleur mit Vollbart, Kontrabaß organ und ständiger schlechter Laune, der in unserem Haus wohnte, und daher von mir viel auszustehen hatte, - besonders ratterten wir mit Höllengepolter unter seinem Fenster mit einem Handwageri vorbei, wenn er nach dem Essen sein Mittagsschläf chen hielt, - solche »Jagderinnerungen« sammelte, sannen wir auf einen Streich. Wir gruben in der Wagenremise in den ungepfla sterten Boden ein knietiefes Loch, füllten es mit weichem, dünnen Straßendreck, deckten darüber eine alte Glasscheibe, bedeckten sie mit Sand und die Grube war nicht mehr zu sehen. Nun hingen wir das Rehgehörn an die Holzwand vor die Falle. Ich rief Herrn Altenschöpfer, er möchte sich die Trophäe holen. Er stürzte her bei und streckte beide Hände nach ihr aus. Aber da brach das Glas und er versank in dem Schmutz der Grube. Geschimpft hat er ja nicht schlecht. Aber uns Buben hat er doch nicht erwischt, denn wir versteckten uns in einer Höhle auf dem Heuboden, die nach allen Streichen unser sicherster Schlupfwinkel war.
Abends um sechs mußte ich alle Tage meinem Vater im Maßkrug 90
Bier holen beim nahen Wirt »Zur goldenen Ente«. Einmal war ich den ganzen Nachmittag an der Isar beim Fischen, und vom Auer Kirchturm schlug es schon sieben, als ich nichts Gutes ahnend nach Hause schlich. Auf einmal sah ich den Niedermeier Ludwig, einen Kameraden von mir, mit unserem vollen Maßkrug daherkommen. Sogleich ffug ich ihn ängstlich: »Hast du meim Vater s’Bier g’holt?« »Ja«, meinte er, »geh’ nur grad net hoam, dei Vater is grimmi.« Aber ich nahm meinem Freund den Maßkrug aus der Hand, tat einen kräftigen Schluck und versetzte: »Sagst zu meim Vata, i hab amal davon trunken, weil i so Durst g’habt hab.« Der Ludwig ging, wie ich ihm befohlen hatte, nicht ohne Staunen über meine Tollkühnheit, richtete die Botschaft aus und eine halbe Stunde später begab ich mich ins elterliche Heim. Mein Vater sah sich selbst nicht mehr ähnlich und hatte die Gebärden eines feuer speienden Drachen angenommen. »Ja, da bist du ja, Mistbua ausgschamta! Den ganzen Nachmittag gehst net hoam, s’Bier muaß mir a anderer holen und na laßt du mir an schöna Gruaß ausrich ten, daß du vom Bier g’suffa hast!« Mehr habe ich nicht verstan den, weil ich mich bereits wieder vom Elternhaus entfernt hatte, bis mein Erzeuger ins Wirtshaus ging. Meine Mutter aber meinte: »Nee, ach Goddchen, nee, das war aber ooch e freches Schdiggche von dir! Der Babba war richdch beese uff dich!«
Einmal hatten wir in unserem Stall nach längerer Jagd eine große Ratte erlegt, so groß wie eine junge Katze. Wir wickelten sie in fei nes Seidenpapier und legten sie vor dem Hause auf den Fußweg, als sei es ein Paket, das irgend jemand verloren hatte. Dann versteckten wir uns hinter der Ecke und lauerten auf den glücklichen Finder. Aber diesmal konnten wir unseres Streiches selbst nicht froh werden. Ausgerechnet heute kam als Erste eine in der ganzen Au bekannte, nervenleidende Frau daher; und der Schreck, daß gerade diese Unglückliche dies Paket finden würde, fuhr uns in die Glieder. Aber zum Zurückholen war es schon zu spät. Voller Freude lief das arme Wesen auf das Paket zu, machte es auf, und ließ es mit einem furcht baren Schrei gleich wieder fallen. Wir rissen aus wie die Windsbraut und es war uns recht jämmerlich zumute über unsere Heldentat.
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Nicht immer muß es Frechheit oder Leichtsinn sein, auch aus Übermut ist uns manch toller Streich gelungen. Einmal hing ich alle Möbelwägen, die in unserer Remise standen, mit Ketten zusammen. Als am nächsten Morgen der Fuhrknecht einspannte, zog er nicht nur das erste Fahrzeug mit, sondern auch die anderen vier Stück. Da aber bekanntlich kein Möbelwagen auf Schienen läuft wie die Eisenbahn, nahm jedes Vehikel seine eigene Richtung und gleich krachte das Gebälk, daß es nur so eine Art hatte. Da merkte der Fuhrmann die Bescherung. Aber es war zu spät, - und auf den Übeltäter brauchte er sich auch nicht lang besinnen, son dern wußte gleich: »Des hat wieder der Bua g’macht.«
Ein technisch höchst wirkungsvolles Spielzeug war das sogenann te Feuerholz. Seinen Namen hatte es davon, daß man einem Nichtsahnenden, dem man es in die Hand gab, weismachte, daß es heiß werde, wenn man längere Zeit mit der Fingerspitze darauf drückte. Natürlich stimmte das nicht, sondern statt der Hitze ent sandte der Apparat eine feine Nadelspitze in den Finger desjeni gen, der ihn darauf hielt. Ob dieses herrliche Kinderspiel aus der Nürnberger Folterkammer stammt, weiß ich nicht genau, möchte es aber fast annehmen. In der Lilienstraße am Kreuzplatz war ein Bäckerladen. So oft mich der Weg dort vorbei führte, schrie ich immer zur Ladentüre hinein: »Bäckerpatz’n. Kannst ma s’Loch auskratz’n!« Damit meinte ich ein Nasenloch. Dieses Manöver wiederholte ich oft mehrmals am Tag, und die Bäckerin, der Meister und die Gesellen hatten eine Sauwut auf mich und schworen mir Rache, sofern sie mich einmal erwischen würden. Dieser Erfolg feuerte mich erst recht an. Einmal hatte ich wieder auf Zehenspitzen mich an der Häuserfront entlang zum Laden geschlichen und aus Lei beskräften meinen Spruch geschrieen, worauf ich wie der Wind um die Hausecke sauste; aber zum Unglück dem Bäckermeister direkt mit dem Kopf in den Bauch. Der Schreck verschlug ihm
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den Atem - und bis er wieder zu sich kam, war ich schon ver schwunden. Von da an habe ich mich noch mehr vorgesehen.
Unter unseren Nationalspeisen, als da sind Bärendreck, Süßholz, Oblatenabfall, Waffelbruch und Minzenkugeln, waren die soge nannten »eßbaren Gummischlangen« sehr beliebt. Sie hatten eine hellrosa Farbe. Daher waren sie [wejniger zum Vernaschen will kommen, als wegen des Ekels, den wir damit unwissenden Men schen einflößen konnten. Wir rissen die Speise in der Mitte aus einander, machten sie naß, steckten jedes der beiden Enden in ein Nasenloch und ließen sie lustig herunterbaumeln. Ich kann ver sichern, daß es eine wirklichkeitsgetreuere Nachahmung der soge nannten Rotzglocken nicht gibt. Wenn wir an den Leuten vorbei kamen, schleckten wir mit der Zunge an den Gummischlangen und ergötzten uns an dem Abscheu der Zuschauer. Voller Stolz quittierten wir den Zuruf: »Ihr Drecksäu!« und ließen uns den Gummi besser schmecken.
Die seltenste Briefmarke ist die schwarze Einser. Sie kostete 1894 achtzehn Mark. Heute ist ihr Katalogpreis in die Hunderte gestie gen. Fast jeder von uns Schulbuben war Briefmarkensammler, und mit Bayern zuerst komplett zu sein, war Ehrensache. Freilich fehl te stets die schwarze Einser, denn ihr Preis war unerschwinglich. Am Isartor waren in einem Zeitungskiosk Briefmarken ausgestellt und darunter auch die berühmte, seltene Marke, die wir alle so gern gehabt hätten. Auf dem Schulweg blieben wir jedesmal vor der Rarität hinter dem Fenster stehen und nichts entging unserem Scharfblick. Unter jeder Marke stand mit Bleistift klein geschrie ben der Preis, unter der Einser eine 18 und dahinter Punkt, Strich. Manchmal war statt des Zeitungshändlers eine ganz alte Frau, wahrscheinlich seine Mutter, anwesend. Das brachte mich auf einen Gedanken. Da der Preis unter den Marken so klein ge schrieben, die Frau aber schon sehr alt war, würde sie wahr scheinlich schlechte Augen haben, und vielleicht könnte ich ihr darum die schwarze Einser abluc[hs]en. An einem Nachmittag ging ich nach der Schule allein zu ihrem Stand, nachdem ich mich 93
überzeugt hatte, daß der Händler nicht da war. Wie ein gelernter Unschuldsengel sagte ich: »Bitt’ schön, i kriag dö Briefmarken um achtzehn Pfennig«, und legte achtzehn Pfennige hin. Die Frau nahm den ganzen Bogen mit den vielen Marken vom Fenster und schon hatte ich meinen Finger auf der Preisauszeichnung. Sie konnte nur die Achtzehn lesen, Strich und Punkt deckte ich zu. Aber ich hatte nicht bedacht, daß die alte Frau eine Riesenlupe nahm und sofort sagte: »Na, Kloaner, dö kost net achtzehn Pfennig, sondern achtzehn Mark.« Mein erster Betrugsversuch war schmählich gescheitert. Im Katechismus steht geschrieben: Du sollst nicht stehlen! Wenn ich mich an dieses Gebot gehalten hätte, hätte ich mir eine riesige Ohrfeige erspart. Denn ich hatte gemeint, daß man es mit einem kleinen Stückchen Eis nicht so genau nehmen brauche. Der Eis fuhrmann war anderer Meinung, und er schrieb damals in der Weißenburgerstraße vor dem Gasthaus »Zur Stadt Orleans« eine so kräftige Handschrift, daß mir bis heute zur Erinnerung ein Gehördefekt geblieben ist.
Einmal bekam ich einen neuen Freund, der Lehrling in einem elektrotechnischen Geschäft war. Das kam mir gerade recht, denn nun konnte ich Lumpereien, von denen ich stets einen Vorrat im Kopf hatte, elektrisch betreiben. Glühlampen wurden gekauft, Akkumulatoren, Induktor, Elektrisiermaschinen gebastelt und Pulverminen in der Isar elektrisch durch Fernzündung ausgelöst. Kurz, das elektrische Zeitalter war über uns hereingebrochen. Eines Tages machten wir einen großen Induktor mit Staniolpapier, hefteten an mehrere Messingtürschnallen feine Haardrähte, die wir in unsere Station, in meine Werkstätte wieder zurückleiteten. Mein bewanderter Freund schüttete an der Türe Wasser auf wegen der Erdleitung; der Kontakt war eine grobe Feile, welche an dem Induktor befestigt war; den anderen Draht hatte ich in der Hand; als Stromquelle diente ein Acht-Volt-Akkumulator. Nun lauerten wir auf den ersten, der die Türklinke in die Hand nahm. 94
Die Mutter, die gerade vom Einkäufen kam, wurde aus Nächsten liebe verschont, obgleich sie daran gewesen wäre, ließ aber, da sie von unserer Gaunerei nichts wußte, die Türe offen stehen. Ich eilte gleich durch den langen Hof, um sie wieder zu schließen, hatte aber nicht daran gedacht, daß mein elektrischer Freund, ein großer Bazi war. Ich bekam ein paar ordentliche elektrische Schläge dabei, daß ich meinte, ich müsse vor Schmerz zusammen brechen. Wütend ging ich in die Sendestation zurück und wollte meinem Freund eine gehörige »stieren«. Aber dann fiel mir ein, daß ich mich ja mit gleicher Waffe an ihm rächen konnte, und ich machte gute Miene zum bösen Spiel. Wir brauchten nicht lange auf der Lauer liegen, denn schon kam der Briefträger: Er greift nach dem Türgriff - ein Schrei! Sämtliche Briefe fallen zur Erde. Der Arme hatte in einer Sekunde so viele elektrische Schläge er halten, als auf der Feile Rillen waren. Er war wie vom Blitz getrof fen, ahnte aber nicht, woher der Segen kam, denn unser Draht war so fein wie ein Haar und daher nicht zu sehen. Wir schlossen die Türe wieder, aber diesmal isoliert mit einem fünffach zusammen gelegten Taschentuch und spähten nach einem neuen Opfer aus. Der Tesar Fritzi, ein kleiner Bub mit acht Jahren, erhielt drei Fei lenrippenschläge, die vollkommen genügten, ihm einen heftigen Schrei zu entlocken. Wir haben den armen Kerl auch noch ein andermal als Ver suchskaninchen mißbraucht. Unter irgend einem Vorwand wußten wir ihm eine kleine Messingkette um den Fuß zu zaubern und ließen ihn dann seine Beine in das Springbrunnen-Bassin hinein hängen, um zu sehen, wie lange er im eiskalten Wasser aushalten könne. Der Fritzi tat arglos was ihm befohlen wurde. Aber kaum hatte er den ersten Fuß im Wasser, als er sich schon vor Schmer zen krümmte, denn wir hatten ja das Wasser elektrisch geladen. Schleunigst zogen wir ihn heraus und waren froh, daß er keinen Schaden genommen hatte. Dafür haben wir lebendige Frösche richtig elektrisiert. Und was wir sonst alles mit dem elektrischen Strom angestellt haben, weiß ich gar nicht mehr.
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Lehrbubenstreiche
»Handwerk hat einen goldenen Boden«, hat mein Vater gemeint, als er mich nach der Schulzeit zu einem Schreinermeister in die ; Lehre gab. Er hieß Hallhuber und hatte seine Werkstatt in der Weißenburgerstraße 28. Wenn wir da Samstag abends sechs Uhr, denn so lange wurde gearbeitet, auf die wöchentliche Lohnzah lung warteten, machten wir drei Lehrbuben allerlei Gaudi, um den sechs Schreinergehilfen die Zeit zu vertreiben. Ich hatte es > dabei besonders wichtig; ich läutete gegenüber an den Haustür glocken und wir freuten uns diebisch, wenn die Leute zum Fenster hinausschimpften. Da ging am Bürgersteig gegenüber mit aufge drehtem Schnurbart, vor Würde platzend, ein Gendarm langsa men Schrittes vorbei, und noch dazu einer, der in ganz Haidhau sen am meisten gefürchtet war. Ich warf mich in die Brust und sagte zu den Gesellen: »Dem pfeif ich jetzt eins!« Ich nahm mei nen Finger ins Maul, blitzschnell ertönte ein schriller Pfiff, wie von einer jungen Lokomotive und gleich darauf hatte ich die Hand wieder in den Hosentaschen, als wäre nichts geschehen. Dies Manöver wiederholte ich öfters. Aber als ich wieder einmal den Finger in den Mund steckte, drehte sich das Auge des Geset zes mit ungeahnter Behendigkeit blitzschnell um, und nun wußte er, wer ihm gepfiffen hatte. Spornstreich kam er über die Straße auf mich zu und schimpfte mich vor den Gesellen so zusammen, daß ich zitterte wie Espenlaub. Ein ganz gemeiner Saubengel sei ich, schrie er, und da hatte er auch vollkommen recht. Ein andermal besichtigte unser Meister samstags nach Feierabend die zusammengeräumte We[r]kstatt in welcher sich nur noch die beiden Lehrbuben Valentin Fey und Michael Maurer befanden. Am Wochenende hatten wir immer zum Samstag vormittag den frisch abgekochten Kölner Leim in den dafür bestimmten Blech hafen zu schütten, damit er abends gesülzt war und in Würfel geschnitten werden konnte. Das hatten wir in der Frühe vergessen und erst spät am Nachmittag nachgeholt. Trotzdem hatte dieser Leim schon nach zehn Minuten eine Haut bekommen, wie die 96
Milch, wenn sie abgekocht ist, sodaß man nicht sehen konnte, ob der Leim schon hart oder noch weich war. Der Meister, der sich jeden Samstag abend in seinen Verein begab, hatte sich dafür schon in höchste Gala geworfen. Natürlich meinte er, daß der Kölner Leim schon fest geworden sei, und fuhr mit der Hand in den Leimhafen, um seine Härte zu prüfen. Da er aber keinen Widerstand fand, geriet er unfreiwillig tief in den Topf hinein, bis auf den Boden. Sein Ärmel und sein feiner Sonntagsanzug waren erbärmlich zugerichtet. »Michel! Valentin! Ihr Saububen! Warum habt ihr mir nicht gesagt, daß das Zeug noch weich ist! Gleich wischt ihr mir den Batz ab!« Wir mußten nun dem Meister mit Holzspachteln die zähe Schmiere abkratzen, durften aber dabei nicht lachen. Ich sage Ihnen, uns hätte es beinahe zerissen!
Wenn unser Werkmeister Schwarzfischer bei der Brotzeit eine resche Semmel zuerst »zerdätschte«, indem er sie mit den Fingern zusammendrückte und dann ins Maul schob und herunterbiß, lief mir immer das Wasser im Mund zusammen. Denn wenn man jemandem zusieht, dem es schmeckt, bekommt man Appetit. Und weil man die Untugenden des lieben Nächsten leichter annimmt, als seine Tugenden, machte ichs bei der nächsten Brotzeit genau so. Aber mir erging es anders. Ich biß nicht bloß die Semmel mit ten entzwei, sondern auch einen riesigen Küchenschwaben, der sich beim Bäcker in den Teig geflüchtet hatte! Prost Mahlzeit! Seit dieser Zeit seziere ich jede Semmel in Atome. Aber die Vergeltungließ nicht aufsich warten. Kaum war der Werk führer in den Holzschuppen nebenan gegangen, um etwas auszu messen, sannen wir Lehrlinge auf Rache. Der Alois Greger und ich nahmen einen Pappendeckel her, bogen ihn in der Mitte zu einer Rin ne zusammen und füllten Werkstattstaub und Sägspäne hinein. Dann klemmten wir die Schmutzbombe so in die Werkstattüre, daß der nächste Eintretende die ganze Ladung auf den Kopfbekommen muß te. Andächtig warteten sämtliche Gesellen und Lehrbuben auf die sen Moment der Genugtuung. Aber im letzten Augenblick trat statt des Werkmeisters der Prinzipal selbst ein-und die ganze Ladung fiel aufden Falschen. Der Richtige erblickte nur, was ihm gegolten hätte. 97
Nachdem mein Vater durchaus kein Feind des Alkohols war, hatte er wieder einmal einen Riesenrausch persönlich mit nach Hause gebracht. Meine gute Mutter war bei solchen Anlässen immer sehr betrübt und ich als Sohn kam dabei meistens ziemlich in Wut, denn unser Familienoberhaupt war im dritten Rauschstadium nicht gera de liebenswürdig. Ich beschloß daher, den ihm so schädlichen Alko hol mit der Zeit eigenhändig auszurotten und begann mit einer Fla sche Zwetschgenwasser von Vaters Lieblingsmarke, die ich aus unserem häuslichen Keller entführte. Dort vertilgten mein Freund Josef Dönzl und ich in nicht ganz fünfzehn Minuten dieses schädli che Feuerwasser. Mit einer brennenden Petroleumlampe stieg ich noch über die Stiege in den ersten Stock und meine letzten Worte waren: »Wos da Vata ko, konn i a!« Dann wurde ich bewußtlos ins Bett gelegt und soll nach Aussage meiner Mutter nur durch die Hilfe des Arztes am anderen Tage wieder zum Leben erwacht sein. Mein Freund hingegen ist mit diesem schweren Rausch noch aufs Rad gestiegen und auf die Schwanthalerhöhe nach Hause gefahren. Dann erging es ihm wie mir. Auch er ist einen Tag bewußtlos im Bett gelegen. Mein Racheakt aber war gelungen, und das Sprich wort sagt: Der Apfel fällt nicht weit vom Baum. Überhaupt habe ich mit dem Spiritus immer Glück gehabt. Wieviele Menschen sind zum Beispiel schon dadurch verunglückt, daß sie in unverzeihlichem Leichtsinn, wie es in der Zeitung heißt, Spi ritus in den Ofen nachgeschüttet haben. Wenn ich an meine Lehr zeit denke, frage ich mich immer, wie das kommt; ob es früher an einer anderen Sorte Spiritus gelegen hat? Jedenfalls habe ich in meinen drei Schreinerlehrjahren mindestens zwanzig Mal aus einer großen Korbflasche Spiritus in die Flammen geschüttet, und nie ist etwas passiert. Wir hatten sogar einen Gesellen, der Feuer spucken konnte. Aber das habe ich nur einmal probiert, mit Petroleum. Es war schrecklich, aber beileibe nicht wegen der Feuersgefahr, son dern wegen dem üblen Geschmack. Stundenlang hat es mich hin terher gewürgt. Einen Gehilfen hatten wir, der konnte ein Maß Bier auf einen Schluck austrinken. Auch das habe ich probiert und war darauf drei Tage krank. Während unserer Brotzeit wurde
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»Bock geschlagen«. Da sausten kräftige Gesellenfäuste auf mein zartes Rückenende hernieder, daß ich oft kaum gehen konnte. Aber was a rechter Lehrbua is, Der halt was aus. [Eine] der schwierigsten Arbeiten des Schreinerhandwerkes ist das Fournieren. Wir nahmen große, heißgemachte Zinktafeln dazu, und mancher Arbeiter hat sich dabei schon richtige Brandwunden zugezogen. Mit einem Gesellen, namens Schlegel, dem Schwa be [n], dem ich einmal die sämtlichen Hundescharen Haidhausens an die Fersen geheftet hatte, wie sich der Leser erinnern wird, war ich eines Tages dabei, eine solche heiße Zinkplatte vom Ofen abzu heben. Aber sie war dermaßen glühend, daß sie mich sogar durch die dicken Lederhandschuhe sengte, sodaß ich sie gleich wieder fal len ließ. Das brachte meinen Arbeitskollegen so aus der Fassung, daß er auch ausließ und mir voller Wut einen Stoß auf die Brust gab, sodaß ich in die Hobelspankiste fiel. Zornentbrannt kroch ich heraus, vergaß völlig, daß ich Lehrling und er Gehilfe war, ergriff ein Stemmeisen von der Hobelbank und holte aus, um es Herrn Schlegel in die Brust zu rennen. Da sprang im letzten Moment ein anderer Geselle herbei, faßte mich am Arm und hat damit vielleicht meinen ersten und einzigen Mord verhindert. Der wackere Schwa be aber forcht si nit, und packte mich gewaltig, hob mich in die Luft und warf mich wie einen Fetzen abermals in eine Kiste. Vielleicht hätte er mich mit seinen Fußtritten nun seinerseits zerdätscht, wenn nicht die anderen Gesellen dazwischengesprungen wären. Das goldene Handwerk hat auch seine Schattenseiten. Denn das Unglück schreitet schnell. Noch schneller aber sauste der Bretterwagen hinunter, auf dem wir zwei Schreinerbuben saßen und den Tod vor Augen hatten. Zum Glück war während dieser Wahnsinnsfahrt kein Fuhrwerk und keine Straßenbahn zu sehen. Unser Fahrzeug hatte sich zufällig in den Straßenbahn schienen verfangen und sein Tempo wurde dadurch noch mehr beschleunigt. Wie die wilde Jagd brausten wir vom Bürgerkeller den Berg hinunter bis zum Ende der ersten Isarbrücke, wo heute
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der neue Museumsbau auf der Kohleninsel steht. Wäre gerade eine Trambahn gekommen, hätte meine Lehrzeit und sonstige glanzvolle Laufbahn ein vorschnelles Ende genommen. Aber mein Schutzengel hat auch diesmal seine Schuldigkeit getan. Alle Sonntage kamen wir junge Bürscherl im Kaffee »Reichshof« auf der Wörtherstraße beim Billiardspielen zusammen. Einmal kam ich absichtlich eine Stunde früher als die Anderen, um sämtliche Quejujes mit Juckpulver zu präparieren. Nur mein eigenes ver schonte ich, Dafür streute ich meinen Juckstaub auch auf den Rand des Billiardtisches. Mit ernster Unschuldsmiene harrte ich dann der Dinge, die da kommen sollten. Meine Freunde erschienen; es wurde Kaffee getrunken und dann konnte das Spiel beginnen. Es dauerte nicht lange. Einer nach dem Andern legte seinen Stab hin, denn es konnte keiner mehr vor Jucken spielen. Der Attentäter wurde bald ermittelt und künftig ging jedem Spiel eine hochnotpeinliche Untersuchung voraus; denn ein gebranntes Kind scheut das Feuer. Herzens Lust
Damals war das Gigerltum große Mode. »Gigerl sein, Das ist fein, Gigerl kann nicht jeder sein!« sang die ganze Welt und trug weite Hosen, spitze Schuhe, kurzes Sakko, Knopfstieferi, hohe Eckenkragen, dicken Stock, steifen Hut mit flacher Krempe, Zickzackfrisur - und wie die Alten sungen, so zwitscherten die Jungen. Piekfein schlichen wir Auer alle Sonntage zur Tanzmusi beim »Stadtwirt«, zum Linksumadrahn und zur »Frassähs«. Ich kann es mit Sicherheit behaupten, daß die damaligen Tänze mehr Leben in die Bude brachten, als das heu tige Tango-, Foxtrott- und Rumba-Gewerkel. Ein Glück, daß ich damals jung war und es heute nicht mehr zu sein brauche.
Mein erstes Schäferstündchen freilich habe ich verschlafen. Als ich sechzehnJahre alt war, hatte ich ein Verhältnis mit einem Mädchen 100
in genau dem gleichen Alter und weil wir zusammen zweiunddreißig Lenze zählten, glaubte ich bereits längst majorenn zu sein. Wir wähl ten zu unserem mitternächtige [n] Rendezvous einen Möbelwagen. »Und milde sang die Nachtigall Ein Liedchen in die Nacht: Die Liebe, ja die Liebe Ist einen Himmelsmacht.« Aber ehe sie wieder ausgesungen hatte, lagen wir schon in Mor pheus Armen und als am frühen Morgen die Hähne krähten und unser Fuhrmann den Möbelwagen anspannte, fuhr er uns Sieben schläfer ahnungslos zum Hof hinaus. Nun war aber der poltern de Möbelwagen beileibe keine Luxusequipage und rüttelte uns schnellstens wach. Allmählich dämmerte es mir, in welch peinliche Situation wir gekommen waren. In der Entenbachstraße bei der Isarbrücke, wo heute das Müllersche Volksbad steht, ließ ich meine Angebetete zum Möbelwagen hinaus und bald kroch ich hinterher. Ob uns jemand gesehen hat, weiß ich nicht. Denn wir haben beide unsere Augen nicht vom Boden weggebracht, als wir jedes einzeln der heimatlichen Klause zuschlichen, sosehr schämten wir uns.
Immerhin, gänzlich unempfänglich für weibliche Reize war ich durch diese Jugendsünde keineswegs geworden. Im Hause meines Meisters Hallhuber mußten wir Lehrlinge alle Tage Brennholz machen in seinem Keller. Neben unserem Hause war eine Droge rie mit großer Kundschaft. Und wenn wir Lehrlinge zum Keller fenster hinaus gen Himmel schauen wollten, wie das Wetter wird, stand oft gerade irgend ein dummes Frauenzimmer auf dem eiser nen Rost davor und versperrte uns die ganze Aussicht, sodaß wir den Himmel ganz vergaßen. Einst liebte ich ein Mädchen und auch das Gegenteil war der Fall: sie liebte mich wieder. Aber nicht etwa weil ich eine so ausgespro chene Schönheit gewesen wäre, sondern weil ich so ein Gaudi bursch war. Sie schwärmte für jede Viecherei. So bald sie mich nur sah, lachte sie schon. Und was ich auch mit ihr anfangen mochte sie lachte immer. Gelacht hat sie sogar, als ich ihr einmal ihren
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neuen Strohhut so unsanft auf einen Kleiderhaken stülpte, daß der ganze Kopf hinausflog und das ganze Prachtstück zerfetzte. Kurz um, sie verstand Spaß, wenn es auch eine Sachbeschädigung war. Dennoch habe ich sie nicht geheiratet und kurz darauf ging sie mit einem Kapellmeister in die Schweiz durch, sodaß ich mir ein anderes Mädchen zum Lachen suchen mußte.
Geheiratet habe ich dann trotzdem. Und wenn meine gute Frau nicht so oft über mich gelacht hätte, hätte sie weiß Gott nichts von mir gehabt! Als wir einmal in Starnberg dem »Nordexpress« ent stiegen waren, ging ich schnell noch einmal zu unserem Abteil zurück und schaute zum Fenster hinein. Mein Weib frug mich: »Was ist los?« »Nichts ist los, ich habe nur vorsichtshalber in das Coupé hineingeschaut, ob ich auch wirklich ausgestiegen bin!« Schon seit meiner Kindheit, als ich zehn Jahre alt war, hatte ich für dicke Frauen etwas übrig. Warum, weiß ich nicht. Wenn mich meine Onkel und Tanten im Scherz fragten: »No, Valentin, wen heiratest denn du einmal?«, gab ich prompt zur Antwort zurück, >eine ganz dicke Frau!< Diese Leidenschaft ist mir glücklicherweise geblieben, denn noch heute nach fünfzig Jahren habe ich den glei chen Geschmack. Für mich geht die Schönheit einer Frau erst mit zwei Zentnern an. - Es ist mir neulich passiert, daß ich einer Dame, die ich näher zu kennen glaubte, ziemlich frech auf offener Straße mit flacher Hand auf das Rückgebäude klopfte, wozu ich meinte »Grüß Gott Frau N.!« Aber irren ist menschlich. Es war nämlich leider gar nicht die Frau N., sondern mir eine gänzlich Unbekann te. Sie sah nur von rückwärts der Frau N. so ähnlich wie ein Ei dem andern. Natürlich habe ich mich tausendmal entschuldigt. Aber wer glaubt einem in solchem Fall schon die Verwechslung? Und wenn ich Ihnen versichere, daß mir das Ganze schrecklich peinlich war, werden Sie wenigstens nicht daran zweifeln?
Dafür habe ich ein anderes Mal zum Fasching mich mit einem buchstäblichen undurchdringlichen Keuschheitspanzer umgürtet. Es hatte geheißen: »Der Maskenball der Kammerspiele findet im 102
Deutschen Theater statt - die originellste Maske erhält eine Prä mie von Hundert Mark!« Dieses Geld spürte ich schon in meiner Brusttasche: denn das originellste Maskenkostüm hatte ich - einen Taucheranzug. Als Taucher ist doch sicher noch niemand auf den Maskenball gegan gen. Und ich ging. Aber es wurde eine Enttäuschung. Was für eine Arbeit es ist, einen Taucheranzug anzuziehen, das weiß nur ein Taucher. Eine volle Stunde arbeiteten zwei Personen an mir, bis der Taucheranzug, der aus einem Stück gearbeitet ist, endlich saß. Zum Halsloch muß der ganze Körper bis auf den Kopf hineingesteckt werden und als dies geschehen war, setzte man mir den Helm auf, der mit einem Schraubenschlüssel an den Metallring des Halsauslaufes befestigt wurde. Man hängte mir noch verschiedene schwere Luftapparate um, zog mir außerdem noch dreißig Pfund schwere Bleisohlenschuhe an und ich stand fix und fertig als Tiefseetaucher [in] der Garderobe des Deutschen Theaters. Im dritten Stock! Daß wir zum Anziehen eine Garderobe im dritten Stock wähl ten, war an sich schon eine Viecherei. Ich wette, Sie würden heute noch gerne fünf Mark pro Person bezahlen, wenn sie nur diesem Lustspiel, betitelt »Der Taucher im Stiegenhaus« zusehen könn ten. So wie ich im Innern des Anzuges geflucht habe, so sehr haben meine beiden Begleiter in der Außenwelt gelacht. Glücklich kam ich ins Parterre, stieß an allen Ecken und Enden an und war - endlich - im Tanzsaal angekommen. Aber welch ein Mal heur! Die Polonaise, deren Krönung die Maskenprämierung bilde te, war schon längst vorbei; man tanzte bereits den dritten Walzer. Aber daß ich in meiner zwei Zentner schweren Rüstung im Walzer tempo dahinschwebte, konnte kein Mensch von mir verlangen. Tieftraurig und in Schweiß gebadet, verließ ich mit meinen beiden Führern den Tanzsaal. Aber nun kommt erst das Denkwür dige an der ganzen Geschichte. Sonst hat ein Tauche[r] immer in die Tiefe zu steigen. Ich aber mußte hingegen in die Höhe und zwar hatte ich wieder die unter dem Dach gelegene Garderobe zu erklimmen. Kein Mensch, nicht einmal ich selber, hat daran gedacht, daß 103
ich mich doch ebenso gut im Erdgeschoß hätte ausziehen können. Aber dieser gute Gedanke kam mir erst, als wir bereits glücklich im dritten Stock wieder angelangt waren. Und nun dauerte es abermals eine gute halbe Stunde, bis man mich unter Aufbietung der allerletzten Kraftreserven, unter Äch zen, Stöhnen und Schimpfen aus dem Gummischlund heraus geschält hatte. Erschöpft, zerknittert und ermattet saß ich da, schnappte nach Luft und in meinem Innern brach sich die Über zeugung Bahn, daß ein Taucher nur ins Wasser gehört, aber nicht in einen Ballsaal.
Musikalisches
Trotz der schönen Lehrjahre in der Werkstatt meines Meisters Hallhuber, stand es mir nicht in den Sternen geschrieben, daß die Schreinerei mein einziger Lebensinhalt bleiben sollte. Sie hat mir zwar allzeit großen Spaß gemacht und ist mir bis ins Alter eines meiner liebsten Steckenpferde geblieben. Aber schon als kleiner Bub hatte ich eine stille Liebe zur Musik. Da war einmal im Kindergarten an der Ohlmüllerstraße ein Maifest geplant und schon Wochen vorher begannen die Proben dafür. Neben den bekannten Schlagern »Ringel ringel reihe, D’Weißwürst san so teuer, etc.« sollten auch Instrumental-Soli zum Vortrag kömmen. Unter den dreißig Kindern suchte man die zehn begabtesten aus und breite te die Instrumente, die sie spielen sollten zur freien Wahl auf einem Tisch vor ihnen aus. Da [...] sich Geige, Trommel, Pfeife, Ratsche und Glockenspiel. Sogar ein paar schöne, kleine, glänzen de Messingtschinellen waren dabei und hatten es mir besonders angetan. Ich stürzte mich gleich darauf und bettelte: »Fräulein, gelns, die derf i spieln, gelns?« Und ich bekam sie auch. Dann wurde ein Kreis gemacht, der Solist stand mit seinem Instrument in der Mitte wie bei der Heilsarmee und alle sangen: »Es steht in unserm Kreise ein kleiner Mann, Der hat ein klein Trompetchen, seht ihn nur an. 104
Bitte blas uns doch ein Lied Und wir singen alle mit: Tra la la la la la la la la la la.« Dann mußte jeder kleine Künstler sein Solo zum Besten geben und der ganze Kreis klatschte dazu in die Hand. Bei den Proben habe ich jedesmal brav gespielt. Aber wie dann das richtige Fest kam, das im Englischen Garten beim Chinesischen Turm statt fand, und alle ihre Sache vorzüglich machten, - moanas i hätt mögn? Net ums Verrecken hätt i mögn. Warum, weiß ich heut noch nicht. Mit den Tschinellen wars also nichts. Die Musi hab i deshalb nicht etwa aufgebn. Einmal hatte mein Vater mit einem großen Möbel transport nach auswärts ein besonders gutes Geschäft gemacht. Darum wollte er mir und meinen Freunden auch eine Freude machen. So kaufte er uns im Spielwarengeschäft Obletter einen ganzen Haufen Instrumente; Bombardon, Trompete, Posaune, W[a]ldhorn, Flöte, Klarinette, Tschinellen, alles aus Pappe, wun derbar goldbronziert, fast wie echte Instrumente. Wir hatten eine Mordsgaudi und zogen in der Au von einem Laden zum anderen und überall wurde ein Ständchen geblasen. Aber leider dauerte die Herrlichkeit nicht lange, denn die zarten Kartonwerkzeuge hielten unseren rohen Umgangsformen nicht stand, sondern gingen nur zu bald aus dem Leim. Darum trachtete ich nach einer echten Messingtrompete; und mit diesem Wunsch hätte ich meine Mutter bald irrsinnig gemacht. Auf der Auer Dult hatte ich an einem Verkaufsstand ein Signal horn entdeckt. Es sollte drei Mark kosten. Ich war davon wie hyp notisiert und lief heim: »Muatta, Muatta, gib ma drei Mark, auf da Duid is a. Trompetn, a echte, de muaß i kriagn, tua drei Mark hera!« Aber die Gute war von diesem Wunsch gar nicht begei stert, denn drei Mark waren im Jahr 1890 recht viel Geld; auch dachte sie gleich an den Spektakel, den der Bua mit einer richtigen Trompete machen würde. Ich war schwer enttäuscht, aber weit davon entfernt den Kampf aufzugeben. Spornstreichs lief ich wie-
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der hinüber zur Dult, frug die Frau, ob ich die Trompete nicht probieren darf: »Denn die Mutter hat gsagt, wenn i oan Ton raus bring, dann kaufts ma die Trompetn.« Da bekam ich das Ziel mei ner Wünsche in die Hand, aber es blieb stumm, so sehr ich mich auch anstrengte. Es war eben doch keine Papiertrompete, in die man hineinsingen mußte. Schweren Herzens gab ich das herrliche Ding wieder zurück und lief wieder heim: »Muatta, Muatta, jetzt hat mi die Frau die Trompetn probieren lassen; i hab glei a Lied drauf blasn; a fein gehts, gib mir halt drei Mark, bittschön, gib mir drei Mark; na brauchst mir auf Weihnachten nichts kaffa.« >Neenur geene Drombede, das däde en scheen Ver druß in dr gansn Nachbarschafd gähm mit dem Geblase.< «Na, Muatta, i blas ja ganz leis.« >Nee, nischd isses, de grichsd geene und wenn de dich uffh Gobb schdellsd!< Wieder lief ich hinüber zur Dult: »Sie Frau, datn ses um zwoa Mark a hergebn?« >Nein, drei Mark kosts, wir haben feste Preisen Alles Betteln half nichts; sie ging nicht herunter. Ich wieder heim. Nein! Wieder auf die Dult. So ging es hin und her. Als gar nichts mehr half, probierte ichs mit dem Heulen. Schluchzend schrie ich: »I woaß scho, Muatta, mögn tuast mi nimmer, sonst dast ma scho die Trompetn kaffa, da Vatta tat mas sofort kaffa, wenn er da war, weil der mi vui liaber mag, als wie du.« Es half. Auch meine Mutter konnte ihr Kind nicht weinen sehen. Ich bekam meine Trompete. Aber nur einen Tag. Dann war sie verschwunden. Auf Nimmerwiedersehen! Wohin weiß ich heute noch nicht. Ich hatte nämlich diesen einen Tag nicht nur unsere Hausgenossen, sondern auch die gesamte Nachbarschaft, einschließlich aller Hunde und Katzen durch mein Üben vollkommen zur Verzweiflung gebracht. - Aber meine Man doline durfte ich behalten. Besonders gern setzte ich mich hoch oben in den Ka[s]tanienbaum unseres Gartens und hier bin ich mit meinem Gezirpe den Leuten auch nicht auf die Nerven gefallen. Auch eine Zither bekam ich, und Unterricht bei meinem Lehrer Ignaz Heppner. Nach der Stunde pflegte er sich immer die frisch gestopfte Pfeife anzuzünden. Ich hatte ihn sehr gerne und auch
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das Zitherspielen machte mir viel Spaß. Aber dennoch konnte ich mir eines Tages nicht verkneifen, ihm ungefähr zehn abgebro chene Zündholzköpfchen in seinen Pfeifenkopf zu schmuggeln. Nichtsahnend entzündete er die Bombe und - Pfumü! flog der Tabak aus dem Pfeifenkopf. Mein Attentat war gelungen. Viele Jahre später, - die Zither war längst mein Lieblingsinstru ment geworden, - hat es noch einmal einen richtigen Knall ge geben, als ich beim Spielen war. Damals wohnte vier Jahre lang der Humorist Weiß Ferdi als Zimmerherr bei uns in der Kanal straße 16. Ich besaß einen zierlichen, kleinen Revolver, den Griff mit Perlmutter eingelegt, der mit sechs scharfen Patronen geladen war. Dieses Mordwerkzeug lag zufällig auf dem Tisch, als ich auf der Zither dem Kollegen ein Couplet vorspielte. Beim Zuhören nahm er in Gedanken die Pistole in die Hand und dachte, er hätte es mit einem Briefbeschwerer zu tun oder mit einer anderen Nippsache. Als er mich fragte, ob es ein echter Revolver sei, mur melte ich zwar ein »freili« in den Bart, aber das hat er wahr scheinlich überhört und - schon krachte ein Schuß der mir am Arm vorbeiging. Die Kugel drang tief in die Mauer ein.
1898 eröffnete ein gewisser Strebl, der jedoch im Volksmund nur unter seinem Lieblingsausdruck »da feit si nix« bekannt war, Münchens erstes Automatenrestaurant. Nach der Losung, bediene dich selbst, konnte man für zehn Pfennige allerlei Leckerbissen haben. Aber nicht nur für leibliche, sondern auch für musikalische Genüsse war gesorgt. In einem Nebenzimmer gab es etwa zwanzig verschiedene Musikautomaten, Orchestrions, Spieldosen, elektri sche Klaviere und dergleichen. Ihre Neuheit gab allen diesen Herrlichkeiten einen ganz besonderen Reiz. Wir Jünglinge konn ten die Sonntage kaum erwarten und unser nächstes Rend[e]zvous im Automatenrestaurant. Mein Haupttrick war, jedesmal ein Zehnerl in das elektrische Klavier einzuwerfen, wenn ein anderer Gast eine andere Musik spielen lassen wollte, sodaß es immer zu greu lichen Dissonanzen kam und der erwartete Kunstgenuß empfind lich gestört wurde. 107
Als ich einmal gar kein Geld mehr hatte, und mein Reichtum kaum mehr von dem einer Kirchenmaus zu unterscheiden war, setzte ich mich aber in meiner besten Kluft mit Monokel abends ins Restaurant »Feuerhaus« am Oberanger. Der Wirt Ludwig Greiner war mein Freund und gab mir Kredit. Da kam ein Wie ner Zitherspieler herein, der sich auf der Durchreise befand. »Wigerl« engagierte ihn gleich für den ganzen Abend und setzte ihn an meinen Tisch. »Da hockens Eahna her, da sitzt der Graf von Plem Plem; da könnens Sekt grad gnua saufa, wenns eahm was vorspuin.« Der Künstler packte gleich sein Instrument aus, das mehr Dreck als Sfajiten aufwies und begann mit seinen Wie ner Liedern. Alles an ihm war mi[e]s, sein Gesang, sein Zitherspiel und offenbar auch seine Intelligenz. Nachdem ich mich als Graf Eulenburg vorgestellt hatte, ließ ich in einer alten Sektflasche gewöhnliche Brauselimonade kalts[t]ellen und spielte zum größten Gaudium der anderen Gäste einen Grafen mit allen Schikanen. Meine musikalischen Wünsche erfüllte er lückenlos und dazu ver leibte er sich sechs Glas Limonade statt Sekt ein, wovon er tat sächlich besoffen wurde. Vielleicht kam es aber auch nur von der suggestiven Kraft, mit der ich ihm einen Betrunkenen vormimte. Zum Schluß übergab ich ihm noch einen Scheck über hundert Mark auf die Ramersdorfer Vizinalbank. Hoffentlich hat er ihn eingelöst bekommen.
Später habe ich noch viele andere Instrumente gespielt: Geige, Fagott, Flöte, Klarinette, Waldhorn, die verschiedenen Trompe ten, Posaune und Bombardon. 1920 machte ich damit und mit meinen Freunden hin und wieder Ausflüge ins Isartal, nach Dei senhofen, nach Pasing oder in die besonders beliebte Waldrestau ration Alt-Stadelheim. Nach dem Konzert ging es mit Musik auf den Heimweg. Einmal hatten wir auf dem Giesinger Bahnhof unseren Marsch zu Ende gespielt und waren gerade im Begriff unsere Instrumente einzupacken, als ein feiner Herr im Hut und Mantel auf uns zukam und folgende Ansprache hielt: »Ich danke ihnen schön, meine Herren für das wunderbare Ständchen. Es hat gewiß meiner Tochter gegolten, die morgen ihre Verlobung 108
feiert.« >Na, nawir kennen ihre Tochter ja gar net, wir blasen ja nur zu unserem Privatvergnügen.< »Ach so«, meinte der Herr, »da hätte ich die Herrn Privatmusiker bald beleidigt. Ich wollte ihnen soeben fünfzig Mark überreichen.« Er hielt sie tatsächlich in der geschlossenen Hand. »Entschuldigen sie vielmals; guten Abend, meine Herren.« Damit drehte er sich um und kehrte in sein Haus zurück. Wie wir da dumm geschaut haben! Theaterblut
Schon in meinen Kindesadern ist es gerieselt, unterirdisch sozu sagen. Aber immer von Zeit zu Zeit hat es sich Luft gemacht. Sogar den Faust von Goethe haben wir gespielt, und zwar in einem Möbelwagen, den wir in unserem Hof als Bühne eingerich tet hatten. Aus alten Kisten und losen Brettern wurden dann ein paar Bänke davor aufgestellt. Ich spielte die Hexe. Nach einem Marionettentheater-Heftchen wurden die Rollen verteilt. Das Stück dauerte zwölf Minuten. Bengalische Zündhölzchen, die Schachtel zu fünf Pfennige erzielten traumhafte Beleuchtungs effekte. Der Eintritt pro Person betrug auf dem Sperrsitz fünf, auf dem ersten Platz drei, der Galerie einen Pfennig und Kinder die Hälfte. Ich glaube nicht, daß die Vorstellung mehr wert war. Das Zuschauen im Kasperltheater auf der Auer Dult war ja sehr schön, aber noch lieber haben wir selbst gespielt. Wir erbettelten uns von unserem Wirt alte Bierstöpseln, stibitzten der Mutter aus ihrem Fleckkorb ein paar alte Stoffreste und fabrizierten uns die Puppen selbst. Ebenso bastelten wir uns ein Theater zusammen und dann gab es Gastspiele an allen Ecken und Enden der Au. Das Eintrittsgeld wurde unter den Spielern verteilt und dafür beim Kramer eine Schleckerei gekauft. Und wenn mich heute jemand fragt, ob das damals eine herrliche Zeit war, dann sage ich ohne mich zu besinnen aus tiefstem Herzensgründe »ja«.
Im »Hoftheater Falk & Fey« haben wir tatsächlich den »Frei schütz« nach einem Marionettenbuch gespielt. Ein stolzer Dauer-
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anschlag verkündete es der Auer Mitwelt. In der Scene des Kugel gießens wäre ich beinahe erstickt. Ich sollte auf ein Stichwort einen sogenannten Feuerspeier von unten durch ein Loch im Büh nenboden stecken, um das höllische Feuer zu markieren, über dem der Hexenkessel hängt. Aber es hat nicht sollen sein. Ich zündete den Zün[d]schwamm unter der Bühne an, aber ehe ich das Loch im Finstern finden konnte, fing das Zeug schon zu sprühen an und entwickelte einen solchen Rauch unter dem niedrigen Podium, daß ich mehr Pech und Schwefel einatmete, als ich es je wieder erleben werde, selbst wenn ich in die Hölle käme. Als ich ungefähr vierzehn Jahre alt war, durfte ich einmal mit mei nem Zitherlehrer das Kolosseum in München besuchen. Dort trat damals der Gesangshumorist Karl Maxstadt auf, ein besonderer Liebling des Münchner Publikums. Ich war so begeistert von ihm, daß ich beschloß, die Schreinerei an den Nagel zu hängen und in seine Fußstapfen zu treten. Bei Max Hieber kaufte ich mir gleich die Sammlung der Couplets von Karl Maxstadt und übte fleißig. Schon mit neunzehn Jahren trat ich in Vereinen auf und später bildete ich mich sogar auf einer Variete-Schule fort, die von Kapellmeister Otto Lehmann, L. Grimm und Hermann Strebel geleitet wurde, um ein richtiger Variete-Humorist wie mein Vor bild Karl Maxstadt zu werden. Nach einigen Monaten verschaffte man mir ein Engagement in Nürnberg im Variete-Zeughaus und so stand ich im Oktober 1902 zum erstenmal auf einer richtigen Büh ne. Freilich erhielt ich statt der Stargage eines Maxstadt nur 180 Mark. Und mit dem Fürstenhotelzimmer, von dem ich geträumt hatte, war es auch nichts. Ich bekam dafür ein Dachkämmerchen, worin das Wasser von der Decke aufs Bett tropfte und sich sämtliche Ratten und Mäuse von Nürnberg, ein Stelldichein zu geben pflegten.
Später konstruierte und baute ich mir selbst ein Orchestrion, wel ches fast zwanzig Musikinstrumente aller Art enthielt, die ich durch einen selbsterftmdenen Mechanismus nahezu gleichzeitig spielen lassen konnte. Damit fuhr ich zur Stadt und war auch ein mal in Halle im Konzerthaus Bratwurstglöckl engagiert. An einem 110
Sonntag lud mich morgens das Küchenpersonal zum Bratklopfen ein. Dabei standen wir zu fünft um einen riesigen, massiven Holz klotz und schlugen mit schweren, runden Holzhämmern im Takte nacheinander wie die Scheunendrescher auf die rohen Fleisch klumpen, denn hier wurde alle Tage Brat geklopft. Es diente zu tausend Paar Regensburger Würsten, denn Regensburger mit Kartoffelsalat war in diesem Hause das Spezialgericht. Ein junger Metzger aus Nürnberg, der etwa zweiundzwanzig Jahre alt war, fabrizierte täglich diese Würste. Die meiste Zeit aber war er besoffen und während wir anderen tüchtig Brat klopften, strich er immer die herumspritzenden Fleischteile, die an der Wand hän gen blieben mit dem Finger wieder herunter und warf sie auf den Hackstock wieder zurück ins Brät. Das Schlachthaus war ein altes Kellergewölbe und an den Wänden hingen Dutzende langer, schleimiger Weinbergschnecken. Wieviele davon mochte der besoffene Wurstmacher im Laufe der Jahre schon in seinem Dusel in die Wurstmasse gemischt haben? Jedenfalls habe ich es seit die sem Erlebnis niemals mehr übers Herz gebracht, das Spezial gericht Regensburger mit Kartoffelsalat mir einzuverleiben.
Aber meine erste Tournée war ein böser Mißerfolg. Arm wie eine Kirchenmaus, fuhr ich eines Tages wieder nach München zurück. Den Apparat hatte ich bei einem Berliner Spediteur als Pfand ste hen lassen müssen, weil ich meine Frachtspesen von Nürnberg nach Berlin nicht hatte bezahlen können. In der Heimat fand ich eine mitleidige Seele in dem Münchner Weinwirt Eberl vom Esterhazykeller am Färbergraben, der früheren Hirschbräuhaile. Dieser freundliche Wirt hatte sich bereit erklärt, dem Berliner Spediteur die offene Frachtrechnung von zwanzig Mark zu bezah len und auch den Transport nach München zu übernehmen, wenn ich mit meinem Apparat in seinem Lokal auftreten wolle. Ich war einverstanden. Das Orchestri[o]n sollte als Frachtgut geschickt werden, sodaß mit einer Transportdauer von zehn bis zwölf Tagen immer zu rechnen war. Aber während dieser Zeit mußte ich doch auch leben. Und so verdiente ich mir meinen Lebensunterhalt im gleichen Lokal durch Zitherspielen. Dafür erhielt ich das Mittagiii
essen und jeden Tag fünfzig Pfennige. Außerdem durfte ich bei den Gästen sammeln. Das war leichter gesagt als getan, denn es waren ganz selten Gäste da. Nur am Sonntagvormittag waren es etwa zehn. Ich war damals zu jeder Viecherei und zu allen Schand taten aufgelegt. Aber mit einem Teller von Tisch zu Tisch zu gehen, ging mir doch mächtig gegen den Strich. Eine zweite mit leidige Seele, die Weinkassierin Fanny, sammelte daher für mich, denn sonst wäre ich alle Tage nur mit einem Fuchzgerl heimge gangen. Und sie ließ mir so lange keine Ruhe: »Viel mehr datns kriagn, wanns selber sammelten!« - bis ich ihren Rat eines Sonn tags befolgte, schweren Herzens ihren Teller nahm und auf den ersten, besten Gast zusteuerte. Kaum hatte ich mühsam mein »darf ich bitten für die Musik« gestottert, als er mich schon anfuhr: »Waas, ja können denn Sie net noch frecher sein, in der Au dräust hams des grösste Haus und zu mir armen Schlucker kommfens] mit am Teller zum Sammeln. Da schau her, sie san net unrecht.« Ich Unglücksrabe hatte einen Auer Nachbarn erwischt, der mich noch als gutsituierten Bürgerssohn in der Firma meines Vaters gekannt hatte. Nach diesem Pech setzte ich mich seelisch zerschmfejttert wieder an meine Zither und die Fanny sammelte weiter für mich Kupfer und Nickel.
Nach dem Tode meines Vaters hatte meine Mutter längst unser schönes Anwesen in der Au wegen seiner Hypothekenlast so billig hergeben müssen, dass uns beiden fast nichts mehr blieb. Sie über siedelte nach Sachsen in ihre Heimat, ich aber stand als armer, magerer Teufel allein in München. Aber ich liess den Mut nicht sinken, so lausig es mir auch gehen wollte. Ich ging in ein Blu mengeschäft, kaufte mir um eine gefljiehene Mark künstliche Pal menblätter, erbat mir in einem Seifenladen einen leeren Schmier seifenkübel, suchte einen alten Besenstiel aus dem Keller und fabrizierte eine künstliche Palme, wie sie in Kamerun nicht schö ner wachsen. Unter meinen Bekannten fand ich gleich einen Käu fer, der mir dafür fünf Mark bezahlte. Die vier Mark Reinverdienst waren der Grundstein zu einer Fabrik. Ich kaufte mir sofort für vier Mark Blätter, Kübel zu zehn Pfennige, vier Besenstiele, die 112
ich nach einem Tag in vier fertige Palmen verwandelt hatte. In der Gastwirtschaft zum »Feuerhaus«, wo ich sie stehen hatte, wurden sie mir gleich von Bekannten abgekauft und so ging es lustig weiter. Material hätte ich ja genug gehabt, aber wo sollte ich die K[ä]ufer hernehmen, wenn mein Freundeskreis erschöpft war? Fremden Leuten eine Offerte zu machen, schien mir der Gipfel der Vermessenheit; und so bin ich kein Palmenfabrikant gewor den, sondern war nach einer Woche schon wieder bankrott und ging auf die Suche nach einer anderen Existenz.
Erste Bühnenabenteuer Der bekannte Varietehumorist Oskar Huber nahm mich bald darauf mit auf ein Sondergastspiel nach Westerham bei Holz kirchen. Es sollte im Nebenzimmer des Gasthofes »Zur Post« stattfinden, wo ein Marmorindustrieller sein fünfundzwanzig jähriges Geschäftsjubileum feierte. Äusser den Angestellten seiner Fabrik hatte er auch die Bauern eingeladen und sie waren seiner Aufforderung mit ihren Hackelstecken und Lederhosen gefolgt. Der Beginn war auf acht Uhr festgesetzt und die Festgäste harrten begierig der Dinge, die da kommen sollten. Eine Bühne war nirgends zu finden, aber wenigstens ein Podium für [den] Vor tragskünstler, der übrigens am nächsten Abend im Leipziger Kristallpalast auftreten sollte, mußte doch aufzutreiben sein. Gei stesgegenwärtig rettete der Kommerzienrat die Situation, indem er eine Maggikiste auf den Boden stellen ließ. Oskar Huber fragte nach dem Klavierspieler zum Begleiten seiner Vorträge. »Jessas, an Klavierspieler braucht ma ja a«, stöhnte der Gastgeber, nahm uns beim Ärmel und schleifte uns zum Schullehrer. Dem stellte er uns umständlich vor und versuchte ihm begreiflich zu machen, daß er als Begleiter aushelfen solle. Es sei sehr eilig und es sei gleich acht Uhr und alles wartete schon auf den Münchner Künst ler. Wir sollten nun gleich anfangen zu probieren. Daraufhin ent fernte er sich wieder, denn er hatte als Festleiter noch die Hände voll zu tun. Der arme Schulmeister war aus allen Wolken gefallen und begriff erst nach langen Auseinandersetzungen, was Oskar
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Huber von ihm wollte. »Das ist ja ganz einfach«, meinte er und zeigte dem Schulmeister seine Coupletnoten, »Das kann jeder vom Blatt spielen.« >Ja, des glaub i scho, daß des einfach ist, aber ich bin Wagnerianer und etwas anderes als Wagnermusik spiel ich nicht.< Damit wies der Herr Lehrer auf die Büste seines Meisters über seinem Klavier. Als wir noch hin und her redeten, erschien plötzlich wieder der Kommerzienrat und erklärte schwitzend wir könnten aufhören mit Probieren, denn es sei ja im Festsaal gar kein Klavier da. Wir schauten uns alle an und sagten gar nichts. Aber der Jubilar hatte noch keine Ruhe. »Dann müssens eben ohne Musikbegleitung singen«, bedeutete er Herrn Huber und trieb uns aus der guten Stube des ländlichen Wagnerianers hinaus zurück ins Gasthaus in das Schlafzimmer der Wirtseheleute. Hier berieten wir weiter. Huber erklärte, ohne Musikbegleitung gin[g]e es auf keinen Fall. Das brachte den Kommerzienrat völlig außer Rand und Band. Endlich mischte ich mich ein und sagte, ich könnte Herrn Huber schon begleiten, wenn ich eine Zither hätte. »Ja, a Zither is glei do, nehmen die Herrn glei Platz, i hols glei selber.« Damit verschwand der Geschäftige abermals. Wir Beide blieben allein in dem dörflichen Schlafgemach zurück und hörten das Gemurre der Geladenen aus dem Nebenzimmer. »Ofanga, auf geht’s, laßt’n aussi den Komiker!« Nach fünfzehn langen Minuten erschien der Jubilar mit einem schwarzen Kasten, den er aufs Bett warf. »So, jetzt ham mas«, schnaufte er erleichtert. Dann öffnete er die zwei Messinghäkchen - aber der Kasten hatte in der Mitte auch ein Schloß und das war abgesperrt. »Herrschaftseiten!« Die Gäste pfiffen schon mit den Fingern, weil wir nicht anfingen. Wer hat einen kleinen Schlüssel? Alles suchte - der Wirt, die Frau Wirtin, die Köchin, der Herr Humorist, ich, der Herr Kommer zienrat. Sämtlich kleine Schlüssel wurden probiert. Alles verge bens. Und unten pfiffen die Bauern. »Jetzt wird mas z’dumm«, rief endlich der Fabrikant, holte sein Messer heraus aus dem Hosensack, packte den Zitherkasten und brach ihn auf. Aber eine Zither war nicht darinnen. Es wurde noch viel geredet und ver handelt. Aber wir hatten vor Lachen nichts mehr davon gehört, bis ein zweites Mal zum Zithereigentümer geschickt wurde und das 114
Instrument endlich zur Stelle war. Dann gab es eine schnelle Probe und es ging auf die Kistenbretter. So eine Gaudi, wie vor dem leeren Zitherkasten haben wir aber in der ganzen Vorstellung nicht gehabt.
Dafür habe ich aber ein anderes Mal jemandem mit meinem < Zitherkasten einen gewaltigen Schrecken eingejagt. Noch wäh rend der Tournée mit meinem Orchestrion in Bernburg an der Saale war es. Ich konnte mein Logis nicht bezahlen. Ein Kollege ein schrecklich nervöser Mensch war so liebenswürdig und bot mir ein Nachtlager in seinem Zimmer an, wo noch ein Bett frei > stand. Ich nahm die Einladung dankend an; aber nur einmal und nicht wieder. Ich durfte mich nicht rühren. Alles, was ich an an ständigen Geräuschen von mir gab, wie Niesen, Husten, Schnackler, Schneuzen, löste bei ihm einen Nervenanfall aus. Er tobte und schimpfte über den geringsten Lärm in dem Zimmer zum Gott erbarmen. Aber außerdem war ich ja noch ein Asthmatiker und mein Atmen war stets mit einem pfeifenden Geräusch verbunden, was ihn völlig auf die Palme brachte. Er hat allen Ernstes verlangt, ich solle nicht mehr atmen, - also ersticken. Um aber dieses asth matische Pfeifen zu beseitigen, mußte ich mit einem kleinen Inha lator inhalieren. Das war aber wiederum mit einem Geräusch ver bunden und ließ ihn erst recht nicht schlafen. Voll bittern Grames erklärte er mir: »Wenn ich das geahnt hätte, hätte ich Sie nicht eingeladen; Sie verderben einem ja die ganze Nachtruhe!« Ich war tief zerknirscht über solchen Edelmut und hielt mich eine halbe Stunde mäuschenstill, sodaß mein empfindlicher Gastgeber tat sächlich eingeschlafen ist und ich mit. Plötzlich erwachten wir von einem kanonenschlag ähnlichen Krach. Wir fuhren vom Bette auf und machten Licht. Mein Zitherkasten war umgefallen. Ich hatte ihn vor dem Schlafengehen an die Bettstatt angelehnt. Geschlafen haben wir in dieser Nacht alle beide nicht mehr.
Als Mitglied des Zitherklubs »Nix G’naus«, trat ich als Salon humorist anläßlich eines Stiftungsfestes im Theatersaal der ehe maligen Klosterbrauerei im Lehel auf. In einem überlangen, tau bengrauen Gehrock sang ich die Couplets »Der Königsmord in
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Serbien«, »Giron und Luise«. Ich hatte großen Erfolg. Wie jeder Solist, mußte ich später auch noch in einer Komödie mitwirken, die unter dem Titel »Der Bauer vom Land« den Abend beschlie ßen sollte. Es war eine recht unappetitliche Rolle, die nicht jeder Schauspieler übernehmen würde. Der Bauer war ich. Mit einem geschwollenen Backen komme ich zum Bader. Der setzt mich in seinen Sessel und sagt: »Ja, mei, Huberbauer, Du hast ja a Mordszahng’schwür, des muaß i Dir aufdruckn, na is a Ruah mit’m Zähntweh.« Er nahm seine zwei Pratzen und drückt mit aller Gewalt auf den geschwollenen Backen. »Aaaah!« rief ich. >Sojetzt is auf,< und damit rinnt mir eine glasige, gelbe mit Blut gemischte Masse aus dem Munde, ein Anblick, von dem das halbe Publikum einen Brechreiz bekam. Die Geschichte war aber gar nicht so tragisch, denn die ekelerregende Substanz bestand aus einem rohen Hühnerei, welches ich mit der Schale vor dem Auf tritt in den Mund nehmen mußte. Nur das Blut war richtig. Als mir der Bader das Ei im Munde zerdrückte, brachte er mir mit der Eierschale eine beträchtliche Schnittwunde bei, die heftig blutete. Der Erfolg des Auftrittes war so gewaltig, daß die Scene ein Jahr später nicht mehr wiederholt zu werden brauchte. Im Jahre 1907 durfte ich nach einer Volkssänger-Vorstellung beim Baderwirt an der Dachauerstraße ein St[eg]reifsol[o] machen. Da erzählte ich eine saudumme Geschichte von meinem Aquarium und hatte damit einen solchen Erfolg, daß dies die erste von mei nen Repertoirenummern werden sollte, von denen ich nun schon über vierhundert selbst verfaßt habe.
Auch mit dem Komiker Karl Flemisch trat ich oft gemeinsam auf. Als Dacapo brachten wir einmal das Duett, das allbekannt war, von Karl Moor. Einer kommt heraus, verbeugt sich und sagt: [»]Wir erlauben uns einen Dialog vorzutragen aus den Räubern von Schiller, Karl Moor und sein alter Vater.« Der Vater kommt herein, setzt sich auf einen Stuhl, stützt die Hand auf den Tisch, hält sich den Kopf und mimt einen Kranken. Dann tritt Karl Moor auf: »Mein Vater, Du hier? Ist Dir denn nicht wohl?« Der
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Vater erwidert: >Ja, mein Sohn, Du hast ganz recht, mir ist nicht wohl.< Darauf der Sohn ad spectatores: »Sehr geehrtes Publikum! Wegen Unwohlseins meines Vaters kann die Vorstellung leider nicht stattfinden.« Darauf gehen beide ab. Schon vierzehn Tage hatten wir dieses lustige, wenn auch alte Stückchen fröhlich als Dacapo gespielt, als ich wieder einen Einfall hatte. Ich spielte nämlich den Vater. Als ich nun zu sagen hatte: »Ja, mein Sohn, Du hast recht, mir ist nicht wohl«, versetzte ich im Gegenteil: »Nein, mein Sohn, Du irrst Dich; mir ist ausnahmsweise sehr wohl.« Karl Flemisch wechselte die Farbe und alle Stammgäste, die das Pro gramm schon kannten, schrieen vor Lachen. Verzweifelt suchte mein Partner die Situation zu retten: »Vater, Dir ist doch wirklich nicht wohl!« Aber ich hatte kein Mitleid, sondern versicherte erneut, daß es mir ausnehmend wohl sei. Da gab er auf und verließ fluchend die Bühne. Den Rest der Scene haben wir dann in der Garderobe allein gespielt.
Mein Filmpech Die Münchener haben es wahrscheinlich längst vergessen, daß ich in ihren Mauern der erste Filmunternehmer Bayerns war. Denn das erste Filmatelier mit künstlichem Licht habe ich schon 1912 in München eingerichtet. Ich ließ mir aus Frankfurt die soeben neu erfundenen Jupiter-Filmscheinwerfer kommen, fünf Stück an der Zahl. Sie kosteten ein paar tausend Mark. Fünfhundert Mark mußte ich anzahlen, den Rest in W[e]chseln die jeden Monat fäl lig wurden. In einem Käselager des Kaufmanns Bernbichler in der Pfisterstraße im Rückgebäude direkt am Platzl neben dem Hof bräuhaus, entstand also Münchens erstes Filmatelier. All mein sauer erspartes Geld steckte ich hinein, um ein Film-Großindu strieller zu werden. Aber nach sechs Monaten war ich schon ret tungslos verkracht. Das erste, was gekracht hat und zwar gleich am ersten Tag waren die fünf nagelneuen Jupiterlampen. Ich packte sie eigenhändig aus und stellte sie tadellos ausgerichtet in Reih und Glied nebeneinander. Wie ich mich ihres Anblicks freute, erblickte ich am Boden meines Ateliers ein langes, altes Brett, das
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meinen Schönheitssinn störte. [I]ch packte es an einem Ende und hob es auf. Aber schon war das Unglück geschehen. Der erste Scheinwerfer schwankte und fiel auf den zweiten, der zweite auf den dritten, der dritte auf den vierten und der vierte auf den fünf ten - bis sie alle zerschmettert auf dem Steinfußboden lagen. Denn ich hatte die Lampen zufällig auf das gleiche Brett gestellt. Mein erster Stummfilm hieß »Valentins Hochzeit«. Darin ging es schon ziemlich wild zu. Später habe ich mit Pete[r] Ostermeier den Film »Der Schreibtisch« gemacht. Darin bekam ich in der Maske eines Büroschreibers ein Stehpult geliefert. Aber es war mir zu hoch. Ich nahm eine Säge und machte die Füße kürzer. Leider hatte ich sie nicht alle in gleicher Höhe abgeschnitten und das Pult wackelte. Ich muß also den zu langen Fuß wieder kürzer machen. Aber in der Eile erwische ich den falschen und schneide den ohnehin kürzeren noch kürzer. So schneide und schneide ich bis aus dem Stehpult nur noch ein Sitzpult geworden ist. Als die ses aber nun wiederum wackelt, schneide ich die Beine noch kür zer, bis ich nicht mehr mit dem Stuhl darunter Platz habe, sondern mich auf den Boden setze und in den Boden ein Loch machen muß, um meine langen Beine hindurch zu stecken. Und nun kann ich endlich anfangen zu schreiben.
Später habe ich sogar Münchens erstes Freilicht-Atelier auf einer grünen Wiese gegenüber dem Ostfriedhof aufgebaut. Dann haben wir im Kriege, wieder mit Peter Ostermeier, einen Streifen »Erb sen mit Speck« gedreht, der mir in besonders fürchterlicher Erinnerunfg] geblieben ist, denn seitdem kann ich auch dieses Gericht nicht mehr riechen. Ich hatte einen neuen Lehrer in einer Dorf schule zu spielen und wurde in dieser Eigenschaft von den Bauern reihum eingeladen. Sie hatten sich irgendwie in die Vorstellung verrannt, daß mein Leibgericht Erbsen mit Speck sein sollte. Das gab es nun jeden Tag eine ganze Woche lang für mich. Auch in der Zeit des ersten Weltkrieges war es gar nicht so einfach, ein ordentliches Bauerngeräuchertes herbeizuschaffen. Aber schon am dritten Tage, als ich das Gericht wieder aufgewärmt vorgesetzt 118
bekam, konnte ich kaum mehr einen Löffel davon hinunterwür gen. Diese Quälerei hatte eine volle Woche gedauert. Aber wie gesagt, dieses Leibgericht kann mir seitdem gestohlen werden. Einmal sollte ich bei einer Filmaufnahme aus einem Frisörladen hinausgeschmissen werden. Voller Dreck saß ich auf dem Straßen pflaster und hunderte von Neugierigen, die sich damals eine Film aufnahme keinesfalls entgehen lassen wollten, standen um den Schauplatz herum. Da es eine Freilichtaufnahme war, mußten wir auf die liebe Sonne warten. Und die hatte sich eben schamhaft hinter eine Wolke verkrochen, als wir sie am notwendigsten brauchten. Wir mußten also warten bis sie wieder kam und einige Minuten später, flog ich wieder erneut zum Frisörladen hinaus. Aber auch die spaßige Wolke schob sich wieder vor die Sonne und mit der Aufnahme war es abermals Essig. Wir mußten diese weni gen Meter Aufnahme vier- oder fünfmal wiederholen. Ich war das vom Film ja schon gewöhnt. Aber viel mehr als die neckische Wolke ärgerten mich die Saububen, die jedesmal schrieen »Uh, jetzt hot ers wieder net kenna, jetzt muaß er’s nochmal machen!«, wenn der Regisseur bat »Nochmal, Herr Valentin!« Filme ansehen ist wirklich angenehmer, als Filme fabrizieren. 1921 wurde ich einmal während einer Filmaufnahme vor vielen tausend Menschen auf dem Oktoberfest zwanzig Meter hoch in die Luft gezogen. Dabei wurde ich übrigens völlig unfachgemäß in einen schmalen Riemen geschnallt und mit einem Flaschenzug hochgezogen. Obgleich ich nur fünfundfünfzig Kilo wog, schnitt mir der schmale Riemen derart in meine Eingeweide, daß ich hin unterschrie »ich halt’s nicht mehr aus!« Aber darauf nimmt man im Film keine Rücksicht. Es wurde weiter gedreht, als sei nichts geschehen. Mir traten vor Schmerz fast die Augen aus den Höh len. Und nun mußte sich noch meine Partnerin Liesl Karlstadt an meine Füße hängen, und wurde gleichfalls einige Meter zusam men mit mir in die Höhe gehißt. Fast ohnmächtig wurde ich in ein Auto gehoben und konnte nur mehr die Worte stammeln »Nie mehr filmen, mir gangst!« Aber bekanntlich heilt die Zeit alle
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Wunden und ich habe trotzdem noch manchen Filmstreifen ge dreht. »Der Sonderling« war mein letzter stummer Film. Und dann folgten noch eine ganze Menge Tonfilme: »Orchesterpro be«, »Im Photoatelier«, »Theaterbesuch«, »Das verhängnisvolle Geigensolo« und viele andere. Sogar in zwei abendfüllenden Spielfilmen haben wir mitgewirkt, meine Partnerin Liesl Karlstadt und ich. »Donner, Blitz und Sonnenschein« und »Kirschen in Nachbars Garten« waren ihre Titel.
Leider sind meine letzten Tonfilme »Musik zu Zweien«, »Bitt steller«, »Die Erbschaft« und »Der Antennendraht« noch nicht einmal uraufgeführt worden. Die Filmgewaltigen des Dritten Rei ches haben aus ihnen Elendstendenz herausgeschmeckt, die ihnen nicht behagte. Nachdem so viele unserer Häuser in Schutt und Asche gesunken sind, dürfte freilich kein Grund mehr vorhanden sein, meine letzten Filme dem deutschen Publikum vorzuenthal ten. Aber, wer weiß, wohin die Zelluloidstreifen inzwischen gera ten sind....... Manchmal bin ich wirklich recht traurig darüber, daß es mir nie gelungen ist, einen wirklich begabten Regisseur für meine Film ideen zu finden. So lange möchte ich noch wenigstens leben, bis ich die »Rosenau« und die »Raubritter von München« im Film für die Nachwelt festgehalten habe. Die Liesl Schon vor dem ersten Weltkrieg habe ich sie kennengelernt. Sie trat mit mir zusammen im »Frankfurter Hof« auf. Etwas später bewahrte ich sie vor einer Tourne, die gerade für St. Petersburg zusammengestellt werden sollte. Wir haben dann eifrig geprobt und bekamen dann unser erstes gemeinsames [Ejngagement im Hotel Wagner in der Sonnenstraße, wo wir mit dem bekannten Tiroler Terzett »Alpenveilchen« herauskamen. Seitdem sind wir über dreißig Jahre lang immer gemeinsam aufgetreten. Wieviel Spaß haben wir da oft zusammen gehabt!
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Einmal kaufte sich meine Partnerin am Viktualienmarkt ein Pfund Zwetschgen. Wir stiegen dann zusammen in die Straßenbahn, taten aber so, als ob wir uns nicht kennten. Auf einmal sprach sie mich an: »Da schauens her, Herr Nachbar, da habe ich mir auf dem Markt soeben Birnen kaufen wollen. Nun hat sich die Obst- : frau geirrt und hat mir statt Birnen Apfel gegeben.« >Oh mei, Fräuleindes sind doch keine Apfel, des sind so eine Art Aprikosen.< »Ach woher«, sagt sie, »Aprikosen habe ich ja gar nicht verlangt.« >Wissensich bin zwar a schlechter Obstkenner, vielleichts sans Ananas oder Bananen, aber dazu san sie mir wieder zu kurz.< Sie darauf: »Ach was, Bana nen sinds auf keinen Fall; jetzt weiß ichs, Stachelbeeren sinds.« >NaSie Frau, jetzt wis sen wirs, was es ist - a Kartoffelsalate Sie wurde starr, sie hat mir einen Blick zugeworfen, der mir noch heute unvergeßlich ist. Ein andermal haben wir uns in der Linie Zwei zwischen der Galerie- und Theresienstraße wie folgt unterhalten: Schaffner (zu Valentin): Wo fahren S’ denn hin? Valentin (zur Liesl): Wo fahrn mir denn hin? Liesl: No, nach Nymphenburg, du woaß es doch! Valentin (nach einer Pause): So, nach Nymphenburg. (Sinnend.) Geht da koa Autostraßen naus? Liesl: Geh, sei doch stad. So an Unsinn. Sei doch stad vor die Leit. Valentin (leicht gekränkt): Warum soll jetzt da koa Autostraßn 121
nausgehn. Gehn ja wo anders hin aa Autostraßn. (Pause.) I hab no nie a Autostraßn gsehng. Lisl: Na fahrn ma halt amal naus, nach Tegernsee oder Holz kirchen, na kannst as aa sehng. Valentin: Nach Tegernsee? Bis nach Tegernsee? Aber i will ja gar net viel sehng von der Autostraßn. A kloans Stückl langat mir scho. Bloß an Meter ungefähr.
Als Fräulein Karlstadt einmal sehr böse auf einen Direktor war und mich frug, was sie machen solle, habe ich ihr gesagt: »Den telefonierst jetzt an und schimpfst ihn recht zam; aber laß dich falsch verbinden, dann hört ers nicht.« Als wir einmal im Wiener Variete Olympia gastierten, dirigierte eines Tages auch Generalmusikdirektor Hans Knappertsbusch im »Konzerthaus«; und weil wir ihn aus München gut kannten und er wußte, daß wir auch in Wien waren, verehrte er uns zu seinem Konzert zwei Ehrenkarten. Es war ein Brahmsabend! Ich sagte zur Karlstadt: »Du, der überschätzt uns! - Von der Musi wem mir net vui versteh, - aber hingeh müss ma unbedingt, sonst is er beleidigt.« Der Abend kam und wir beide saßen im Parkett, zehnte Reihe, Mitte. Hundertzwanzig Mann Musiker! - Es ging los. - Wir horchten. - Nach zehn Minuten Horchen sagte ich zur Karlstadt leise: »Du, i glaub, des is no gar net ’s Konzert - dö stimma no allaweil eahnane Instrumente.« - >1 glaub aaAba, daß er zum Stimma dirigiert, des gibts doch net!< Als sich jedoch der Herr Generalmusikdirek tor nach dem ersten Teil tief verbeugte, waren wir uns beide im Klaren, daß das schon zur Brahmsmusik gehört hatte. Minuten lang anhaltender Applaus setzte ein. Anstandshalber haben wir natürlich fest mitgeklatscht, aber nur weil es die andern auch taten. Dann kam die zweite, dritte und vierte Abteilung. - Wir saßen wie auf Kohlen. Ich sagte zur Karlstadt: [»JDu, geh mal! Des kunnt ja no a Stund dauern!« - >Naa, gehn derf ma net, sunst is
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uns der Herr Generalmusikdirektor beleidigt*, sagte die Karlstadt. - - Wir ahnten, daß uns zur Brahmsmusik die erforderlichen Vor kenntnisse fehlten, besonders mir. Außer meiner Bildungslücke für klassische Musik leide ich auch noch an Asthma und habe deshalb immer einen kleinen Glas inhalator in der Tasche, den ich bei Atemnot so zirka alle Viertel stunden anwende, indem ich mir die Medizin mit einem MiniaturGummiballen in die Nase einpumpe. Dabei hält man mit der linken Hand den Apparat und mit der rechten drückt man den Gummi so zehn bis zwanzigmal zusammen. Dadurch faucht die medizinische Flüssigkeit aus dem Glasröhrchen in die Nase. Lei der ist dieser Vorgang aber niemals ganz ohne Geräusch zu be werkstelligen. An unserem Brahmsabend hatte der Gummi verhängnivollerweise außerdem noch eine schadhafte Stelle, einen kleinen Riß. Beim Zusammendrücken quietschte es jedesmal und das war mir sehr peinlich, da die neben, vor und hinter mir sitzen den Damen und Herren diese Töne offenbar auf eine andere Ursache zurückführten, denn nach jedem Geräusch des Apparates warfen mir die Umsitzenden entrüstete, wütende Blicke zu. Der Liesl Karlstadt war das genau so peinlich, da in solchen Situatio nen die Theaterbesucher mitunter falschen Verdacht schöpfen. Es war furchtbar - besonders, wenn man in der Mitte sitzt und es ein Ding der Unmöglichkeit ist, den Saal vor Beendigung des Kon zertes zu verlassen. Also blieben wir. Abgesehen von allem anderen wirkt klassische Musik auf den kleinen Mann meistens einschläfernd, besonders minutenlanges Geigengewinsel. Die künstliche Wachhaltung unserer vier Augen deckel verursachte uns Tantalusqualen und ich sagte wiederholt zur Karlstadt: »Stoß mi fei, im Fall i einschlafa tua!« - worauf sie jedesmal erwiderte: >Aber du mi aa!< - Meine Ansicht ist: man sollte jedesmal bei so einem klassischen Abend zur Erholung des kleinen Mannes einen schönen Strauß-Walzer, den Tölzer Schüt zenmarsch oder das Glühwürmchenidyll von Paul Lin[c]ke dazwi schen spielen, dann wäre das Ganze leichter zum ertragen. Da alles einmal ein Ende nimmt, so hörte auch dieser Brahms abend endlich auf. Nach Schluß des Konzertes wurde der Herr 123
Generalmusikdirektor mindestens zwanzig Minuten lang heraus geklatscht. Wir klatschten auch mit. Anderntags bedankten wir uns brieflich für die zwei Ehrenkarten und für den schönen Abend. Allerdings meinten wir alle beide unter uns, daß wir am Mün chener Oktoberfest in der Bräurosl bei der fünfundvierzig Mann starken Blechmusi schönere Abende verlebt haben. Da hättens uns sehen sollen, wie wir applaudiert haben! Das ist uns von Herzen gekommen! Einmal haben wir sogar ein junges Leben gerettet. Wir gingen am Viktualienmarkt in der Nähe der Heiligengeistkirche. Es war spät in der Nacht so gegen zwei Uhr. Plötzlich hörten wir ein eigen artiges, unheimliches Wimmern und dachten gleich, es käme von einem eingesperrten Kinde, vielleicht aus der Fleischhalle neben an. Aber es kam von unten. Endlich hörten wir die Töne an einem großen Kanaldeckel am deutlichsten. Wir hüben ihn mit aller Kraft auf, dann noch einen zweiten, leuchteten hinein und sahen nun in dem Schacht, unter dem der Pfisterbach vorbeifließt, eine Katze an der senkrechten Wand hängen. Sie hatte sich in ihrer Todesangst dort festgekrallt. Meine Partnerin legte sich gleich auf das Straßenpflaster, ich hielt [sie] an den Füßen, sie ließ sich hin unter bis sie das arme Tier von [der] Wand wegreißen und heim tragen konnte. Mit aller Liebe hat [sie] es gepflegt. Sie war halt ein guter Kerl! Uber all diesen Erinnerungen, lieber Leser, habe ich mich un versehens so verplaudert, daß ich aus meinen »Jugendstreichen« eigentlich schon längst in meine Lebenserinnerungen hineingera ten bin. Wievieles wäre da noch zu berichten! Ob ich noch einmal dazu komme, sie aufzuschreiben?
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Das alte stürzt, es ändern sich die Zeiten Und auch unsere Stadt ist fast nicht mehr. Gewiss ist es für die alten Münchner schauerlich und München hat auch durch den Verlust der altbewährten Kultursehenswürdigkeiten, seine Anzie hungskraft für immer verloren. Wenn auch die meissten Münch ner nie in eine Pinakothek, Glyptothek, Maximilianeum und son stigen Museums hingegangen sind, nur die Fremden aus aller Welt, waren die Besucher. Ja, ja, liebe alte Münchner, jetzt bewahrheitet sich das Sprichwort, wenn man etwas verloren hat, erkennt man erst den Wert«, — Ein alter Mann, kam an einem Sonntagvormittag io Uhr in die Akademie der Wissenschaft in der Neuhauserstrasse (heute eine Trümmerstätte), der Portier kannte diesen, lief gleich zum Direktor: »Herr Direktor, der erste Münchner!« Der Direktor begrüsste freudig den alten Mann, mit den Worten: »Das ist aber ein grosses Ereignis, dass auch ein Münchner unsere Akademie besucht«. »Na, na«, sagte dieser, »i hoi nur an Hausmoasta o, weil mir in’s Hofbräuhaus zum Maihock gena.[«]----------Im Stadtmuseum (Maillingersammlung) am Jakobsplatz, haben oft verschiedene Ausstellungen über Altmünchen stattgefunden - bei 20 Pfennig Eintritt, war der Besuch so gering, dass die Leute des Museums oft den Kopf schüttelten. Ich habe im Gasthaus »Drei Rosen« am Rindermarfkt] im Jahre 1925 eine Ausstellung veran staltet, »Münchner Humor«, in dieser stellte ich über 2000 Orginalfotos alter Münchner Volkssänger zur Schau, auch Bilder der ehemaligen Münchner Singspielhallen. Bei 14 Tagen Ausstel lungsdauer, bei 20 Pfennig Eintritt, hatten sich 452 Besucher eingeftmden. - »Valentin«, hat einer zu mir gesagt »des host net richtig g’macht, statt dene Buidl von Alt München, häst a paar alte Boxerhandschuah vom Schmeling Maxe, oder an alten Hausschuah von der Greta Garbo ausstell’n soll’n, dann war a G’schäft ganga!«
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Hahaha - Unglücksfälle sind lustige Sachen Dass man sich nicht nur im Variete, im Kabarett, im Zirkus köst lich amüsiert sondern auch bei schweren Unglücksfällen, das kann Ihnen ein Münchner Komiker beweisen, der uns folgende wahr heitsgemässe Tatsachen erzählt: Ungefähr in einer Zeitspanne von io Jahren hatte ich Gelegen heit bei meinen Vorträgen viele Menschen kennen zu lernen, die bei den tollsten Spässen auf der Bühne mit dem bittersten Gesicht zuhören, weil sie keinen Sinn für Humor haben, während ich im Gegenteil bei traurigen Begebenheiten, bei denen ich zufällig Zeuge war, die fröhlichsten Gesichter sah - z. B.: In der Nähe der Grosshesseloher Brücke auf einer Sandbank lagen zwei Leichen und viele Menschen standen um dieselbefn] gruppiert, als ich mich dem Schauplatz näherte, schrie mir ein junger Mann mit lachen dem Gesicht entgegen: »Valentin, da schau her, über de zwoa konnst a Couplet machaf.]«
Was ich werden wollte! Artikel für die Welt am Sonntag. Schon als io jähriger Knabe, als ich noch sehr jung war, machte mir die kommende Zukunft Berufsgedanken, Mit 7 Jahren schon, als ich noch saudumm war, wollte ich Bleisoldat werden, mit 10 Jahren Robinson, dann folgten lauter eigenartige Berufe wie Kanalräumer mit Wasserstiefel - Feuerwehrmann - Schäfflertanz Reifschwinger - Blitzableitersetzer - Taucher und mit 15 Jahren, ich höre selbst und staune heute noch zurück Frauenarzt.----Und was ist aus mir geworden? Volkssänger und stellenloser Film komiker!
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2 Liter Eiter in der Lunge Eine wahre Begebenheit beim Wunderdoktor. Als schweren Asthmatiker schickte man mich, da alle anderen Mittel versagten, zum Wunderdoktor Namens N. N. in N. N. Dieser berühmte Mann ist im Stande aus mitgebrachtem UrinyWe Krankheit zu erkennen. Nun, dachte ich mir, warum soll er nicht Asthma erkennen. Frühmorgens machte ich mich auf den Weg zum Ostbahnhof. Der Vorortszug stand schon bereit, ich stieg ein und auch andere stiegen ein. In auffälliger Weise hatte fast jeder von den Fahrgästen ein kleines in Papier gewickeltes Päckchen dabei. Der Form nach zu schliessen waren es Fläschchen, wie das meine auch. Aha! dachte ich, das sind auch Patienten, die zum Wunderdoktor fahren, was sich auch beim Aussteigen im Dorf bahnhof bestätigte. Beim Wunderdoktor selbst. - Sämtliche Wartezimmer 4 oder 5 an der Zahl, waren schon überfüllt. Jeder hatte seine Nummer be kommen, auch ich, und dieser Nummer nach hatte ich das Glück, in 2 Stunden zum Wunderdoktor eingelassen zu werden, denn es war ja »Hochbetrieb« wie immer. Endlich war es so weit, daß mich der Doktor empfing. Er nahm mir gleich das Fläschchen aus der Hand und besah es durch das Licht. Ja, sagte er zu mir, indem er seine Brille auf die Stirn schob, »Mei liaber Mo, in eahnera Lunga schaut’s bös aus, Sie ham seit 15 Jahr mindestens 2 Liter Eiter in Ihra Lunga drinn und dös muass raus, da hams an Zettel, gehns in die NN. Apothek’n und holn’s ihna die Medizin und in 8 Tag kommas wieda. Pfüat Gott - der Nächste, wenn ich bitten darf. —« Traurig verliess ich mit meinen 2 Liter Eiter das Dorf N. N. und fuhr wieder nach München zu meinem Hausarzt, den ich sofort aufsuchte, um ihm mitzuteilen, dass ich 2 Liter Eiter in der Brust habe. Mein Haus arzt sagte: Wenn Sie wieder zu dem Wunderdoktor kommen, sagen Sie bitte einen schönen Gruss von mir und genau so, wie Sie nach seinen Angaben 2 Liter Eiter in den Lungen haben, so hätte er 2 Liter Eiter im Hirn, nur mit dem Unterschied, dass Ihre
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2 Liter Eiter in den Lungen raus müssten, aber seine 2 Liter Eiter müssten fernerhin im Hirn bleiben, damit er auch fernerhin so saudumm daherreden kann. Der alte Wunderdoktor N. N. hat noch bis 1932 seine Praxis ausgeübt, er ist als reicher Mann gestorben. Die Urindiagnose betreibt heute, ein junger Dr. der Sohn, oder Schwiegersohn? Das Geschäft floriert heute 1947 genau so [eine Zeile unleserlich] Ein bekannter Münchner Arzt, machte sich mal den Spaß, und schickte durch einen Boten dem Wunderdoktor N. N. den Urin von einem 1 jährigen Kind, mit der Erklärung, es sei der Urin sei ner alten 80 jährigen Mutter die wegen Ihrem [.. .Jzustand leider nicht mehr selber zu ihm kommen kann, und er müßte i[h]m doch mitteilen, ob [der] alten Frau noch zu helfen sei - die Diagnose lautete - [...] ganze Lunge wegen Altersschwäche dem Verfall nahe - Kommen überflüssig! -
Karl Valentin das Münchner Orginal (Zusammengestellt von Lisi Karlstadt)
Vorwort:
In der guten alten Zeit war unsere liebe Münchner Stadt reich an Originalen. Gestalten wie Krenkel, ewiger Hochzeiter, Finessen Sepperl, Kapellmeister Sulzbeck usw. waren damals stadtbekannte Persön lichkeiten. Unsere heutige Generation kann sich an diese Zeiten kaum mehr erinnern, aber manch alter Münchner denkt heute noch zurück an die lustigen Episoden und originellen »Helden taten« dieser eigenartigen humorvollen Menschen. Sie waren in der Stadt überall zu finden, auf der Strasse, im Bräuhaus, im Hof garten und am Marktplatz. Auch trieben sie ihr Unwesen nicht nur mit Freunden und Bekannten, sondern wagten sich auch an 128
manche Fremden - ob arm gekleidet oder reich - an manchen Bürger oder hohen Herrn der Stadt - kurzum - vor ihren Scher zen war niemand sicher. Jetzt leben wir in einer anderen Zeit. Das ehemalige München mit seinen lustigen kleinen Winkeln und Gässchen ist fast ver schwunden; an unseren grossen Strassen und Plätzen gehen die Menschen fremd vorüber und ein Finessen-Sepperl der an jeder Ecke stehen bleibt und erzählen will, wäre heute ein Verkehrshin dernis. Und doch wäre es traurig um München bestellt, wenn seine berühmte Gemütlichkeit ganz verschwunden wäre, wenn es keinen goldenen Humor mehr gäbe, der uns über so vieles hin weghilft. In unserer ernsten Lebensperiode freuen wir uns dop pelt, doch noch einige waschechte Münchner mit Humor und besonderer Originalität zu besitzen und einer von diesen Ur münchnern ist Karl Valentin der Münchner Original Komiker.
Karl Valentin, geboren in der Au, also eine echte »Vorstadt-Pflanze« hat es in seiner Vaterstadt zu grossem Namen und Ansehen gebracht. Er liebt seine Münchner Stadt aufrichtig und wahr und beson ders ist ihm seine Heimat »Au« ans Herz gewachsen. Karl Valen tin ist ein durchaus origineller Mensch, der geborene Komiker. Er ist kein Fratzenschneider, kein Schablonen-Couplet Sänger, son dern ein von der Natur mit Mutterwitz ausgestattetes Wesen. Glücklicherweise hat er eine unglückliche Figur - er ist dünn und lang. Er ist nicht nur auf der Bühne komisch, sondern er macht Witze von früh Morgens bis spät Abends - wird nie müde dabei - und hätte man seine Witze alle gesammelt, die er im Cafe, auf der Strassenbahn oder sonst äusser seiner beruflichen Tätig keit losgelassen, wäre uns ein grosser Schatz von Humor erhalten geblieben und tausende Schlager von ihm sind ohne seines Wis sens schon in die verschiedensten Witzblätter gewandert. Aus peinlichen Momenten befreit er sich schlagfertig mit einem blödsinnigen Witz und viele haben sogar behauptet, mit dem »Valentin« könnte man kein vernünftiges Wort reden. 129
Seine Popularität ist ihm auch manchmal schon zuwider ge worden. Wo er nur immer geht und steht - in allen Lokalen, kurz wenn er aus dem Hause geht, wird er angesprochen. Da wiederholen sich den ganzen Tag immer ein und dieselben Fragen: Herr Valentin wie gehts? Wo spielen Sie denn jetzt? So! Wo is denn dös? Was machts Asthma? Wie alt san Sie eigentlich? Wo wohnens denn? Und so geht es fort. Hat er nun den einen alles beantwortet, kommt einige Minuten darauf ein anderer und ffägt dasselbe. Jetzt wurde es ihm einmal zu dumm und um dieses Antwort geben zu vermeiden, liess er sich Zettel drucken, enthaltend sei nen Lebenslauf und sämtliche Fragen die an ihn täglich gerichtet wurden. Jedem der ihn ansprach gab er so einen Zettel und sagte, da steht alles drauf, dann brauch ich net so viel reden - Servus! Bekannt ist er fast allen Münchnern den grossen und kleinen, fast alle lachen über ihn und alle haben ihn gerne. Natürlich gibt es auch wieder Menschen, die seine Eigenart und sein Wesen weniger verstehen - aber die Geschmäcker sind verschieden und schliesslich - allen Leuten zu gefallen, das ist eine Kunst, der sogar der beste »Komiker« nicht gewachsen ist. Mit folgenden gesammelten und zusammengestellten »Valen tin-Witzen« glaube ich bestimmt, seinen Anhängern und Vereh rern eine kleine Freude zu machen.
Karl Valentin der Humorist und die versteckten Witzmacher. Wer Karl Valentin schon gehört hat und ihn kennt, der weiss, dass seine Komik wie sein Humor vor allem im allgemeinen Menschlichen und hier wieder im Naiven wurzeln. Nie aber ist Valentin Satiriker und am allerwenigsten auf politischem Gebiet. Und deshalb ist (Valentin) es auch Unsinn, Valentin politische Witze in den Mund zu legen, zu denen er innerlich keinerlei Beziehung hat. Die also schon aus diesem Grunde gar nicht von ihm stammen können. Da es aber immer schon Leute gegeben hat, die sich nicht trauen, für die Scherze die sie erzählen auch 130
einzustehen, so schieben sie die Verantwortung dafür gewöhnlich einem in der Oeffentlichkeit bekannten Humoristen oder Komi ker zu. Auch Valentin leidet unter solchen Witzemachern und ver wahrt sich mit Recht in aller Form dagegen.
Valentiniade! Valentin sitzt im Hofbräuhaus - ein Herr kommt auf ihn zu und jammert ihm vor, dass sein Geschäft nicht gut gehe, er bräuchte halt einen kleinen Nebenverdienst. Valentin: Ich weiss Ihnen einen Nebenverdienst, da denkens Ihnen einen recht saublöden Witz aus, über den kein Mensch lachen kann, den schreibens auf, schickens denselben in eine Zeitung und schreibens dazu: »Neueste Valentiniade«. Dann kriegens schon a paar Markt Herr: Ja darf i denn dös machen, wenn der Witz gar nicht von Ihnen is? Valentin: Warum nicht? Diese Valentiniaden sind ja alle nicht von mir und heissen doch »Valentiniaden«!
In einem mondänen Tanzlokal wird gefragt wie es ihm hier gefällt - ganz schön, sagt er, bis auf die Musik, - no ja, Musik ist heute nicht mehr modern, man tanzt nach irgend einem Lärm. Ein Kollege, der über Valentin geschimpft hat, kommt zu ihm. So, sagt Valentin habs schon erfahren, dass Du über mich geschimpft hast, das ist der Dank, dass ich Dir vielleicht einmal ioo - Mark leihe.
Valentin: putzt mit seinem Taschentuch an seinem Rockärmel umständlich herum. Lisl Karlstadt sagt: Das kann man net wegputzen, das ist ja ein Lochj.j Valentin: Mit Benzin gehts schon raus!
Ein Garderobenbesucher findet seine Kravatte in Unordnung und fragt Valentin: Bitte kann ich in ihren Spiegel hineinschau en? Valentin: Natürlich - aber rausschaun müssens wieder hernach.
Zur Winterszeit hatte ein junger Bekannter von ihm Hochzeit. Alle erdenklichen Hochzeitsgeschenjke] schwirrten ins Haus, dar unter ein grosses, sehr schweres Paket, von einem Dienstmann gebracht, mit Anhängekarte: Bitte nicht zu nahe an den Ofen stel len, da es sonst zerlauft. Gruss Karl Valentin. Was enthielt das Paket? Einen frisch gefertigten Schneemann.
Beim Rechtsanwalt sitzt er am Schreibtisch gegenüber dem Anwalt und erklärte ihm einen Streitfall. Rasch bringt der Anwalt mittels Bleistift die Notizen zu Papier - doch da verschreibt er sich und sucht vergeblich nach einem Radiergummi. Bitte, sagt Valentin, da kann ich aushelfen, hebt sein langes Bein auf den Schreibtisch und zum grössten Erstaunen des Anwalts radiert er mit seinem Gummiabsatz den Schreibfehler aus. Ein Freund begrüsst Valentin auf der Strasse. Valentin lüftet den Hut und sagt: »Grüss Gott, wie gehts?« Bekomm i heut net amal a Hand, fragt der Freund [.] Valentin: Freili, da hast alle zwoa, da kannst dir eine raussuchen davon. Als im Zirkus der Löwenbändiger den Käfig betritt und von einem schauerlichen Gebrüll seiner Löwen begrüsst wird, sagt Valentin: »Neigehn tät ich auch - aber wahrscheinlich nicht mehr raus.«
Valentin: Also Sie sind a im Krieg g’wesen? B.: Freilich, Sie auch? Valentin: Natürlich, - aber wundern tuts mich, dass wir uns da drauss net g’sehn ham. B2
Er sieht einen Jongleur arbeiten - Donnerwetter sagt er, das ist ja ein Tausendsassa - im Moment gelingt dem Jongleur ein Trick nicht, zwei Bälle fallen auf den Boden - Valentin: wollte sagen ein 999 sassa.
Einer, der ihn absichtlich ärgerte, bekam von ihm folgende Dro hung zu hören: Die erste Ohrfeigenmaschine die erfunden wird, gehört an Ihnen ausprobiert.
Er hörte von einem Unglücksfall, dass ein Metzger tot in seiner Wurstkammer aufgefunden wurde. Das ist ganz klar, sagte Valen tin, da wird die Tür zugfalln sein und er konnte nicht mehr raus, dann ist er drinn verhungert, weil er seine eigenen Würst net essen hat mögn. Karl Valentin macht Besuch. - »Wollen Sie sich die Hände waschen?« frägt ihn der Gastgeber. Nur eine vielleicht, antwortet Valentin, die andere ist noch sauber.
Valentin behauptet, der Holzhändler im Rückgebäude hätte einen Seehund - weil er immer hört, wenn der Hund sein Fressen bekommt, wie der Holzhändler sagt: Sä Hund, friss! Einem bekannten Herrn, dem er schon lange Zeit Antwort auf einen Brief schuldig war, schrieb er nach mehrmaligen Drängen des Anderen einen Brief folgenden Inhalts: Sehr geehrter Herr----------------- ! Ich beschliesse nun mein Schreiben, lasse [n] Sie auch recht bald etwas von Ihnen hören. Es wünscht Ihnen Hochachtungsvollst Karl Valentin. Ins Kaffeehaus wenn er kommt, wird er natürlich auch gleich überall erkannt. Wenn sehr viele Tische noch unbesetzt sind und alles fast leer ist, frägt er: Bitt schön, wo ist denn da noch ein Platz frei - Dann staubt er mit seinem Taschentuch den Kleiderhaken säuberlich ab und hängt seinen Hut drauf.
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Wenn der Kellner sagt: Ja, wenn Sie nicht wissen, was Sie wol len, dann stell ich Ihnen halt an Kaffee her. Freilich, sagt Valentin, weil wenns’n herlegen, läuft er ja raus. ; Frägt ihn der Kellner: Was für ein Mantel gehört Ihnen Herr Valentin? Sagt er meistens: Der mit die zwei Aermel. Einmal vergass er seinen Spazierstock. Er wollte ihn holen. - Wie > schaut er denn aus, ffug der Kellner? Eine längliche Facon hat er, sagt Valentin.
Ober: Woher wissen Sie so bestimmt, dass Sie 4 Brötchen geges sen haben? Valentin: Ich hab mir auf jede Semmel vorher einen Bleistift strich gemacht.
Herr Valentin können Sie mir vielleicht sagen, wieviel Uhr es ist? Hörns doch auf mit der ewigen Fragerei, Sie ham mich doch schon vorige Woch amal g’fragt. Valentin ging in der Kanalstrasse zu einem Friseur. Dort war ein neuer Gehilfe angestellt, der den Valentin noch nicht kannte. Der Friseur sagte, bitte [.] Valentin setzt sich hin und frägt ganz ernst wie immer, den neuen Gehilfen: Könen Sie rote Haare schneiden? Worauf der Friseur leise lächelnd aber etwas schüchtern meinte: Gewiss, die Farbe spielt keine Rolle.
Valentin und seine Tochter gehen auf der Strasse. Da sagt seine Tochter zu ihm: Du sch[a]u amal, ist die Frau die vor uns geht nicht die Frau Müller? Valentin: Nein, nein, ausgeschlossen[.] Tochter: Aber von rüc[k]wärts sieht sie ihr ganz (ähnlich) gleich, Valentin: Vielleicht ist Sies nur von rückwärts.
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Valentin hatte Besuch in seiner Wohnung. Am Mittagstisch stan den verschiedene Speisen und Valentin meinte zu einer Dame: Aber bitte, gnädige Frau, greifen Sie zu! Nein, meinte die Dame, ich danke, ich habe heute keinen Appetit. Ja, sagt Valentin darauf, dann sind Sie ja »unappetitlich«. Valentin war zur Sylvesterfeier 1938 im Kabarett Bonboniere ein geladen. Bald nach Jahreswechsel frug ein Gast den Valentin: Bitte wieviel Uhr haben wir jetzt? Valentin sah auf die Uhr und sagte: 10 Minuten über 1938! Valentin: Die Zugspitze ist 2000 Meter hochf.j Karlstadt: Nein, das stimmt nicht, dieselbe ist 3000 Meter hochf.] Valentin: Nein, 2000 Meter ist sie hoch[.J Karlstadt: Ich weiss es bestimmt, 3000 Meter ist sie hoch[.] Valentin: Ja wann warst denn Du oben? Karlstadt: Vor ungefähr 4 Jahren[.] Valentin: Ja das ist was anders, ich war erst vor 4 Wochen droben. Valentin: Ist der Herr Geheimrat zuhause? Mädchen: Leider nein - wenn Sie eine Viertelstunde früher gekommen wären, hätten sie ihn noch getroffen. Valentin: Danke schön, dann gehe ich wieder und komme dann Morgen eine Viertelstunde früher.
Am Weihnachtstag frug ihn jemand: Herr Valentin, was ham denn sie zu Weihnachten kriegt? Ein Furunkel, sagt er schlagfertig. Valentin trägt seine Schuhe zum Schuster um sie doppeln zu las sen. Wie kommt das, sagt der Schuster, dass ihr linker Absatz viel besser abgetreten ist als der rechte? - Ja sagt Valentin, vielleicht bin ich mit dem linken weiter gegangen, als wie mit dem rechten.
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Valentin geht mit über die Brust gekreuzten Armen über die Strasse. Bekannter: Ja wie kommen denn Sie daher? Valentin: Ja ich war krank und da hat mir der Arzt gesagt, wenn ; ich das erste Mal ausgeh, muss ich mich recht halten.
Verkäufer: Einen Hut wünschen Sie, welche Facon bitte? Valentin: Aussen schwarz [und] innen hohl. . In der Vogelausstellung ist ein ganz seltsamer Stieglitz, der fliegt nie höher, trotz ungeschnittener Flügel, als höchstens 50 cm, sagte Valentin. B.: Das ist doch ein Unsinn, das kann man doch unmöglich fest stellen. Valentin: Natürlich im Vogelhaus, in dem er drinn ist.
Als er einmal gefragt wurde, ob er auch singen kann, meinte er: Freilich, ich hab ja das singen gelernt auf einer »Singer-Maschi ne«. - Früher, sagte er, hab ich sogar an Tenor g’habt, jetzt hab ich aber an Militärpass kriegt.
Als das Haus der Deutschen Kunst eröffnet wurde, war Valentin gleich am ersten Tag unter den Besuchern. Der Portier sagte zu ihm - Gell Herr Valentin, das ist doch wunderbar gebaut, wie g’fallt’s Ihna denn? Gut, sagt Valentin, bloss frisch renoviert g’hörets amal! -
Einem Bettler der an einer Strassenecke stand und dem er 10 Pfennige schenkte ersuchte er, ihm eine Quittung über den Betrag auszustellen. In einem Buchbinderladen verlangt er einen Abreisskalender weil er in acht Tagen abreisen will. Harns die heutige Zeitung schon gelesen frägt er jemand. - Nein - Also was es für dumme Leute gibt, ein Baumeister hat beim
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Haus-Abbrechen statt oben unten ang’fangt - jetzt ist ihm natür lich alles eingefallen. Dös hätt er sich aber denken können.
Wenn ihm ein Bekannter aus einem Etui eine Zigarre oder Ziga rette anbietet, nimmt er dankend an und sagt »nehmens ihnen auch eine!« Als er einmal zu spät in die Probe kam, sagte er: Ich hab mich halt nach der Uhr in der Trambahn drin gricht - und die ist g’standen. Ach geh, sagt ein Kollege, die Uhr in der Trambahn kann doch nicht stehn, die wird ja g’fahrn. Ja sagt Valentin, ich hab ja an einer Haltestelle drauf g’schaut.
Steht er auf der Plattform und sieht innen im vollbesetzten Wagen einen Bekannten sitzen, dann schreit er hinein: Herr----------an schöna Gruss soll ich Ihnen ausrichten vom Zahnarzt und ihr Gebiss wird erst am Samstag fertig, weil er die Goldhackerin an der Seite noch nicht hing’macht hat. Ist er gezwungen umzusteigen, dann frägt er den Schaffner, ob man mit der Fahrkarte auch in eine Droschke umsteigen kann?
Zu einen Bekannten sagte Valentin: Sehns, jetzt war ich drei Jahr Komikerlehrbub und jetzt weil ich bei der Komikerei bin, g’freuts mi nimmer. Ich hätt überhaupt viel mehr Talent zu einem Kommisär - denn jedesmal wenn ich am Abend fortgeh »Komm i sähr spät heim«. Sogar, wenn er krank im Bett liegt hat er Humor -! Wenn ihn der Arzt untersucht und klopft ihn ab sagt er »herein«! -
Valentin geht in ein Familienbad. Zwei Damen steigen eben ins Wasser. Schaun Sie, sagt ein Herr zu ihm, die jüngere Dame hat eine Figur wie eine Elfe. Valentin: Die ältere aber ist schon mehr halbe zwölfe. -
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Valentin sitzt mit einem sehr reichen Mann beisammen und sagt: Wollen wir nicht doch [ijrgendwo hingehen? Nein leider kann ich nicht, sagt der Reiche, ich habe heute kein Geld bei mir. Valentin: Das kommt mir grad so vor, als ob ein Kaminkehrer ; kein’ Kamin dabei hätte. Valentin: verlangt eine Zigarre zu 50 Pfennig. Ober: Ja rauchen Sie heute gleich eine so teure? Valentin: Ich rauch jetzt nur mehr teure Zigarren, weil ich mir . gestern an einer 12 Pfennig Zigarre die Finger verbrannt habe. Als Liesl Karlstadt einen Brief nach Berlin in den Kasten wirft, atmet Valentin erleichtert auf, bin i froh, dass i der Brief net bin, wegen der weiten Reise. Er sucht ein Notenblatt - er findet es nicht - das muss ich verlegt haben, ich bin der reinste Verleger.
Valentin: Habt ihr g’hört, sagt er - dass gestern meinen Nach barn in Planegg draussen der Schlag getroffen hat? B: Der Herzschlag? Valentin: Nein, der Taubenschlag. Als er über den Bauernhof ging, ist der Taubenschlag runterg’falln und hat ihn troffen. Im alten Kammerspieltheater hat es einmal nachts gebrannt. Haben Sie den Brand gesehen, frägt ihn anderntags der Brand inspektor? Nein, ich hab ihn gerochen, ich war Nasenzeuge.
Er erzählte, dass er sein Landshaus vergrössern liess. B: So, von einem Baumeister? Valentin: Nein, von einem Photographen[.] Einmal sagte er ganz nachdenklich: Ich möchte nicht bei mir engagiert sein, wenn ich Direktor wäre.
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Wie geht’s Herr Valentin, frägt ein Arzt? Danke, ich bin immer gesund, äusser ich bin krank. Wenn Sie frech werden, sagt Valentin, zu jemand, dann werde ich mir erlauben sie zu beohrfeigen.
Herr: Wie stehts mit der Gesundheit Herr Valentin? Harns immer noch so stark Asthma? Valentin: Gott sei Dank - ich möchts auch gar nicht anbringen! Herr: Ja wieso denn? Valentin: Ja, weil ich noch so viel Asthma Medizin daheim hab, was tat ich denn sonst damit? Gespräche mit Valentin Ein Herr: Grüss Gott, Herr Valentin! Valentin: Servus! Wer san jetzt Sie? Herr: Kennas mi nimmer? Valentin: San Sie net der Herr, der vor 8 Jahren mit der Elektri schen durch die Bahnhofstrass’ g’fahrn is?
Vom Bezirkskommando von der Musterung kommend, frug ihn einer: No, Herr Valentin, wie is d’Musterung ausg’fall’n? Darauf antwortet er K.V.Ü! Was, sagt der Fremde, Sie sind K.V.? Nein, sagt er, so heisse ich K.V Wenn man meinen Namen abkürzt. (K-V-Kriegsverwendungsfähig) Ein Zweiter frug ihn auch nach seinem Militär-Verhältnis. Was sind denn Sie? Valentin sagt: Landsturm II mit Schokolad-Waffe! Ein anderer Bekannter sagt auf der Strasse »Grüss Gott Herr Valentin - no - geb’ns ma halt d’Hand«. Valentin gibts ihm und sagt: da ham sie’s, aber krieg’n muss ich’s wieder.
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Ein Herr erzählt ihm, dass seine Frau bereits zweimal von einem Auto überfahren wurde. Valentin: So, ist die so leicht zum überfahren? Valentin kommt eben von der Vorstellung, da trifft er einen Bekannten. Sie Valentin schreit der, ich weiss einen neuen guten Witz, das muss ich Ihnen erzählen. Valentin: Hörns ma auf, ich bin froh, wenn ich koane Witz hör, dös is grad so, als wann ma an Schreiner nach Feierabend noch ein Brett schenkt.
Valentin: Ich weiss nicht, wie das kommt, ich bin in letzter Zeit immer so erkältet. B: Schlafen Sie vielleicht bei offenem Fenster? Valentin: Nein, bei offenem Mund. Valentin: telefoniert mit einem Bekannten und sagt: vielleicht lei hen Sie mir ihren Wagen. Bek.: (versteht ihn nicht) Was Magen? Valentin: Nein, Wagen[.] Bek.: Ich verstehe nicht[.] Valentin: Wagen - Wagen - ich buchstabiere - W - wie Wa gen - a wie der zweite Buchstabe von Wagen - g - wie der drit te - e wie der vierte - n - wie der fünfte Buchstabe von Wagen.
Ein Verehrer von Karl Valentin wünscht sich ein Bild von ihm und frägt: Bitte wann bekomme ich dasselbe von Ihnen? Valentin: In kurzer Bälde. Vor de Wanzen hab ich an direkten Abscheu, die mag ich nicht amal streicheln. Vater unser eines echten Münchners----- .... unser tägliches Bier gib uns heute. Für solche Leute wie z. Beispiel meine Kinder ist das nicht geeignet;
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Lehrer zum kl. Maxi: Warum hast Du Deine Hausaufgabe nicht gemacht? Maxl: Ich kann keine Hausaufgabe mehr machen. Lehrer: Warum nicht? Maxl: Wir wohnen jetzt in einer Villa. Ein Schwimmer erzählt, dass er nach ununterbrochenem zwei stündigen Schwimmen so geschwitzt hat, dass er ganz nass war, als er aus dem Wasser stieg. Gerichtszeitung: Die Falschmünzerwerkstätte wurde von den Kri minalbeamten gründlich untersucht, aber es war weder Werkzeug noch Material zu finden, nur ein »Scheinwerfer«.
Es war einmal ein Auto das konnte infolge Motordefektes nicht mehr weiter, da kam ein anderes Auto und schleppte es heim..... Es war einmal ein Flugzeug, das konnte infolge Motordefekts auch nicht mehr weiter, da kam ein anderes Flugzeug........... Als Valentin von dem neuen Flugzeug »Fiama« hörte, das ohne Bemannung über den Ozean fliegen wird und von einem be stimmten Ort aus vom Erfinder durch elektrische Wellen betrie ben wird, sagt er freudig: Ja da trauert ich mich a mitfliegen, weil man da nicht dabei sein braucht.
»Denn unser Fähnlein ist weis und blau« (In der Stadtratsitzung) Meine Herren Stadträte, ich bin fest davon überzeugt, wenn unsere Münchner Strassenbahnwagen statt »weiss-blau« das schö ne Rot erhalten wie unsere Briefkasten und Postautos, dann ist die letzte Erinnerung an die ehemalige bayerische Hauptstadt voll ständig entfernt. 2. Stadtrat: Ja aber bei schönen Wetter der weiss-blaue Him mel? 3. Stadtrat: Ha Kleinigkeit, der könnte, sooft er sich am Hori 141
zont zei[g]t, durch einige Flugzeuge mit Vernebelungs-Appara ten beseitigt werden. Wissen Sie schon--------; Dass Die Stadt München einem Abreisskalender gleicht? Wieso? Beide reisst man ab. Der Eine glaubt an seinen Glauben, glaubt aber in Wirklichkeit an > seinen Glauben nicht, weil er glaubt, der Glaube an welchen er glaubt, ist nicht der richtige Glaube. Ja so ändern sich die Zeiten, die Menschen sind asgebinoierter ge worden, sie begreifen allmählich, welche Wichtigkeit in sich ver; birgt, allzu schnell ein Wirrwarr von Kleinigkeiten zu besitzen, deren Ursache sie selbst sind. Auch die inkurnikste Ansicht, der jetzt lebenden Menschen, kann ein Stillstehen der breiten Masse unbeirrt in sich bürgen, ohne reginöse Perplexerscheinungen in ein sicheres Vorhandensein quittieren könne. Die Menschheit ist • skingtingstiefer geworden, sie singen ein Prosit der Gemütlichkeit und lasse sich dabei Zähne plombieren. Die Kunst wollen sie nicht mehr anerkennen. Sie gehen her, lassen Riesensteinblöcke an ir gend einem Platze abladen und heissen das Abgeladene »Denkmal«.
Mei Alte hat kürzlich Apfelstrudel gemacht, is ihr der Teig zerris sen, dann hat sie den Teig mit der Nähmaschine wieder zusammen nähen wollen. Kellner: (im Restaurant beim kassieren) Gnädige Frau haben eine Kalbsbrust? Fr. B[a]ronin: (entsetzt) Was erlauben Sie sich für Frechheiten? Kellner: ich meine, gespeisst!
Mann und Frau feiern in großer Gesellschaft silberne Hochzeit. Am Ende der Feierlichkeiten entsteht eine Rauferei unter den Anwesenden. Der Mann ist empört, schlägt mit der Hand empört
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auf den Tisch und schreit: »Es ist doch zum Kotzen, jedesmal wenn wir silberne Hochzeit feiern, wird zum Schluss gerauft. [«] A: B: A: B: A:
Weisst Du an wen mich der Herr Röger erinnert? Nein, an wen denn? An Herrn Preisingerf.J Wieso an Herrn Preisinger? Der war doch auch Metzger.
Valentin besucht einen Kranken. Im Verlauf des Gespräches sagt er: Jetzt fällt mir was ein, ich soll Dir auch von meiner Frau was wünschen, jetzt weiss i aber nimmer was? Beide denken eine Weile nach, dann sagt der Kranke: »Vielleicht gute Besserung?« Ja, sagt, Valentin, das wär mir jetzt nimmer eing’falln. A: Was ist denn heute für ein Tag? B: Donnerstag! A:Ja[.] B: Das ist aber nett von dem Donnerstag, dass er heute ist. Mann: Siehst net, Alte, dass ich auf der rechten Seite etwas höher bin? Frau: Wieso? Mann: Ich hab nur einen Pantoffel an!
Ich hab aufgehört zu rauchen, aber ich fang bald wieder an, mit dem aufhören, aufzuhören. A: Vielleicht holen Sie mich mit Ihrem Auto ab? Valentin: Ich habe selbst kein Auto, nicht einmal eine Strassen bahn. Herr: Die Claude-Lorrainstrasse in München ist gestohlen wor den. Valentin: Kein Wunder, sie heisst auch so verführerisch »Klau die Lorrainstrf«].
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Jetzt besuche ich Sie einmal in Ihrer Wohnung, beteuerte ein Bekannter. Valentin: Ah, Sie san ja a Sprüchmacher, Sie komma doch wie der net, vor an halben Jahr hams ma schon ihm Besuch ver sprochen, seit der Zeit hab ich d’Wohnungstür auflassen und komma sans net.
In einem Gasthaus sitzt der Komiker Karl Valentin und bei ihm ein anderer Herr, der in einer illustrierten Zeitung Bilder von dem berühmten Tenor Benjamino Gigli betrachtet; Als er damit fertig ist, zeigt er die Zeitung Valentin und meint: »Da schauns her, die ser grosse Sänger in seiner Glanzrolle, und sogar sel[b]st gezeich net.« No, meinte Valentin, das ist ja gar nicht so zum Staunen wenn am [al] a Mensch so schön singen kann wie der dann muss er unbedingt a a wenig zeichnen können. A: Sehen Sie, das ist hier eine alte Fotographie aus meiner Jugend zeit, das Bild ist allerdings schon sehr vergilbt, ich bin kaum mehr drauf zu sehen. B: Ich habe auch ein solches Bild, aber eines aus meiner aller frühesten Jugend, da bin ich überhaupt gar nicht drauf, nur meine Mutter. Valentin trifft einen jungen Mann auf der Strasse. Servus, sagt er, wie gehts immer? (er schaut ihn dabei so eigenartig an) Sagen Sie, haben Sie nicht früher einen so grossen weissen Vollbart getra gen? Der Herr: Niemals! S, sagt Valentin, dann hab ich sie mit dem heiligen Nikolo ver wechselt.
Ein ganz alter Mann kommt im Cafe zu ihm an den Tisch und begrüsst ihn. Valentin kennt ihn nicht. Ich bin doch der alte Niedermeier, dös is schon so lang her, dass mir s’letzte Mal beieinander war’n. T44
Valentin: Ja, jetzt woass ichs schon - o mei, is dös lang her und da heissen Sie noch immer Niedermeier?
Mein Gott, wenn ich so dran denke, wie ich in der Fremde war, immer und immer auf der Reise, ich war Reisender, ich hab mit Reisnägel gehandelt, da hab ich mir a schönes Geld verdient. Ich hab die Reisnägel selber fabriziert. Ich hab mir auf der Reise die Nägel wachsen lassen, in der nächsten Station hab ich’s weg geschnitten und dann als Reisnägel verkauft. Den einzigen den ich g’sehn hab, dös war ich - und den hätt ich net g’sehn, wenn ich kein Spiegel dabei g’habt hätt!
Ein Motorradfahrer führ mit seinem Motorrad in München an das Max Denkmal, glücklicherweise ohne Schaden zu nehmen. Seine Frau sagte zu ihm »Max denk mal«[.J Wenn di[r] etwas passiert wäre, daher der Name »Maxdenkmal«! Gastwirt zu Valentin: Ich hab heut noch net g’heuizt, die Kohlen san noch net da. Valentin: Dann hängens a paar Bierwärmer ins Lokal, a bisserl wärmer wird’s doch.
Als der grosse Festzug (Festzug zum Tage der Deutschen Kunst) stattfand, lud ein Hausbesitzer Valentin ein und bot ihm einen schönen Fensterplatz an. Wie immer kam aber Valentin statt um 2 Uhr erst um 3 Uhr, alle Fenster waren von Gästen belegt, sodass er keinen Platz mehr finden konnte. Dass’s aber auch net früher kommen sind meinte der Hausbesitzer, dann hättens doch einen schönen Platz bekommen. - A, meinte Valentin, das macht nix, ich komm halt dann morgen um eine Stunde früher. Dienstmädchen zur gnädigen Frau: Der gnädige Herr soll doch um 10 Uhr zur Verhandlung im Amtsgericht sein, er schläft aber noch, soll ich ihn wecken? Frau: Fragen Sie ihn doch selbst ob sie ihn wecken sollen.
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Die Geschmäcker sind eben »verschieden« — Ja genau so wie tote Leute.
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A: Haben Sie den grossen neuen Riesenelefanten in unserem Zoo gesehen? B: Nein, er soll ja unglaublich gross sein[.] A: Er ist wirklich so gross, man kann ihn auf einmal gar nicht sehen, man muss direkt öfters in den Zoo gehen und ihn anschauen.
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Wenn ich besoffen bin, geh ich mir selber aus dem Weg. Lehrer (zum Schüler der beim Rechtschreiben Riesenelefanten klein geschri[e]ben hat) Ausgerechnet das Wort Riesenelefant schreibst Du mit kleinem r, das ist ja ein prima Fehler! Valentin sass im Jahre 1928 mit seiner Partnerin Liesl Karlstadt in einem Berliner Restaurant am Zoo - im »Löfenbräu«. Wir be stellten uns einen Kalbsbraten, in dessen Sauce er etwa 20 Stück Fliegen erblickte. Ihn schüttelete es ab, rief den Ober her und sprach zu diesem »na alles was recht ist, Herr Ober, aber in einem so feinen Restaurant Fliegen in der Soss, das ist doch die Höhe. ------- Wat - Fliejen, ne — det sind keene Fliejen, det sin Rosinen. Was, sagte er, in einer Kalbsbratensauce süsse Rosinen?? - da wärn mir ja tatsächlich d’Flieg’n lieber. Spielt Ihre Frau Klavier auch? B: Sehr wenig, nur wenn Sie abstaubt.
Vater liest Zeitung - daher der Name: Fatalist! Gipfel der Dressur: Dompteuer Rassasaschi hat einem Froschlaich das Seiltanzen gelernt.
Kalauer: Was ist das Gegenteil von einer Frisur? - Eine Glatze nein eine Abandsur.
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Frau: Du suchst Dein Rad? Mann: Ja! Frau: Das steht in der Kammer[.] Mann: Selbstverständlich, ich weiss, es ist doch mein Kammerad.
Hätte das Volkstheater billig kaufen können, hab aber keinen Platz dafür.
Ein Betrunkener ist was ekliges, aber das widerlichste ist, wenn sich ein Nüchterner einen Rausch ansauft. Val.: Sie Herr Gastwirt, schaltens doch amal den Radio ein! Wirt: Dös is kein Radio, dös is ja unser Ventilatorf.] Val.: Schaltens den nur ein, den hör ich lieber als wie den Radio.
Ich hab mir selber einen Brief geschrieben, weil ich aber schon gewusst habe was in den Brief steht, war ich nicht überrascht. Im Film-Atelier: Der Regisseur: Aber bitte Fräulein Karlstadt, sprechen Sie doch etwas hochdeutscher, nicht so viel im bayerischen Dialekt[.J Karlstadt: Es ist sehr schwer. Wo bleibt da unsere Technik? Warum erfindet man nicht einen elektrischen Dialekt Umfor mer? Man spricht da irgend einen Dialekt in den Umformer und hochdeutsch kommt die Sprache heraus.
A: Wo sind denn die Häuser teurer, in der Stadt oder auf dem Land? B: Das kommt auf’s Gewicht an. Das Gegenteil von Herbst ist Fraubst!
Zimmervermieterin zu Valentin: Ja das Zimmer können Sie haben, es kostet pro Monat 40.- Mark. Valentin: Ja ist recht, ich bin aber nicht allein massgebend, ich muss erst meine Freundin fragen, oder mit meiner Freundin H7
herkommen, dass Sie das Zimmer sieht, oder könnten Sie mir das Zimmer mitgeben zum herzeigen, ich bring es Ihnen mor gen wieder.
Eine wahre Begebenheit: als Karl Valentin im Jahre 1929 im Kolosseum sein Gastspiel begann, entspann sich nach den ersten Tagen zwischen Karl Valentin und der Frau Direktor folgender Dialog: Valentin: No, Frau Direktor, was sag’ns zu unserm Erfolg, seit 3 Tag immer vollbesetzt und lauter gutes Publikum? Worauf die Frau Direktor antwortet: Ja, Sie glaubens nicht, nach der Vorstellung sag’n die Leut’ allgemein, dass das Essen, b’sonders der Niernbraten bei uns so guat ist, wie sonst nirgends. Valentins Antwort war kurz und bündig: Warum stellns dann kein Niernbraten auf die Bühne, Frau Direktor?
Mit Mädl erschossen.
Kap.: Hab’ ich’s Ihnen schon g’sagt, meine Herren, - der Musiker, der vor zwei Jahren amal bei uns war, - der kleine dicke, - hat sich mit seinem Mädl erschossen!?! Val.: Dös gibt’s net, dös kann net sein!!! Kap.: Wieso gibt’s dös net?? Val.: Weil’s dös auf der ganzen Welt net gibt!! Kap.: Ja, - wieso denn nicht?? Val.: Weil man sich mit einem Mädl nicht erschiessen kann!----nur mit einem Revolver!----------A. zu B. Was haben Sie jetzt grad gemacht? Sie sind eben noch da gesessen und sind plötzlich aufgestanden — B. : Jawohl! Ist das was Unrechtes? A: Jawohl, Sie sind ein Teil des Volkes — das ist Volksaufstand!!
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Schwester schaut gut aus!
Valentin zum Kapellmeister: Sie, - Ihre Schwester schaut aber jetzt gut aus! Herr Kapellmeister! Kapellm.: Ja, - die hat sich wieder g’macht! - der geht’s wieder ganz gut----- Kenen Sie meine Schwester?-----Val.: Nein! Kap.: Wie können’s dann sagen, dass s’ gut ausschaut?? Val.: Ja, der Alfons glaub i kenns! Alfons: Ah - woher, i kenns’ a net!!----Kap.: Was reden Sie dann für einen Mist daher?!? — Val.: Ja, - i hab mi auf den verlassen, - i hab g’meint, der muass sie kenna! Richter: Sie haben den Kläger einen Ochs genannt und deshalb ist er beleidigtf.] Angekl.: Nein, ich habe ihn keinen Ochs genannt ich habe nur zu ihm gesagt Sie Ochs[.] Richter: Nun ja Sie geben es doch zu, dass Sie »Sie Ochs« zu ihm gesagt haben [.] Angekl.: Nein, ich hab zu ihm gesagt »Sie Ochs«[.j Richter: Zum Donnerwetter noch einmal, Sie sagten doch gera de im Moment dass Sie »Sie Ochs« zu ihm sagten [.] Angekl.: Aber bitte Herr Richter fallen Sie mir doch nicht immer ins Wort, lassen Sie mir doch den Satz aussagen: ich sagte zu dem Kläger, »Sie Ochs [Ijndianer sind ausgestorben«.
Cello mit Kunstdünger einreiben, wird a Bassgeig’n drauss.
Wie können Sie mit dem schmierigen Rock [rujmlaufen? - I geh ja ganz langsam[.] Das Wett aus- und anziehen[.J Gesellschaftsspiel v. Karl Valentin.
Wegen Kartenspiel so viel verloren, könnt eine Reise machen bis nach Nymphenburg.
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Meine Braut treu - halb drei viertel über zwei[.] Weiss geschminkten echten Neger auf der Bühne abschminken (Komödie) Beruf verwechselt - Schwindeier werden sollenf.]
Der Namenstag geht nachts 12 Uhr an - dann hams von 12-9 Uhr gar nichts gewusst vom [NJamenstag? Das Mädl ist eine Hübschheit! Laut schneuzen mit Trompetenmundstück (Komödie Vorstadt Theater)
A. Sind Sie wirklich so farbenblind? B. Natürlich, ich kann z. B. die gewöhnlichen Donnerstage nicht vom Gründonnerstag unterscheiden. A. Woher kommen denn am See manchmal so viele Wellen? B. Das kommt daher, weil sich die Fische so furchtbar erkältet haben im Wasser, jetzt haben sie so einen starken Husten. Valentin: (kommt in ein Werkzeuggeschäft und kauft sich einen Meterstab, er schaut den Meterstab misstrauisch an und sagt zum Verkäufer) Ich bekomme noch so einen Meterstab. Verk.: Genügt Ihnen denn einer nicht? Valentin: Doch, den zweiten bra[u]che ich nur um den ersten damit zu messen ob der auch wirklich 1 Meter lang ist.
Zwergfell - Liliputanerfell Fabel. Eine Sau kam in die Polizei. Sie wollte, da es ihr infolge der Schwarzschlächterei während des Krieges zu brenzlich geworden ist, ins Ausland reisen und zwar Nordpol, da es dort noch einiger massen neutral zu sein schien. Um diese weite Reise zu machen,
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wurde ihr am Passamt ein Pass ausgestellt. Nun hatte die Sau einen Pass, war also eine Passau. Und daher soll der Name der bekannten Stadt Passau stammen.
Arzt: Wo haben Sie denn die Hauptschmerzen? Am Rücken oder an den Füssen? Patient: Ja, Herr Doktor, dös is aber doch a ganz saudumme Frag! D’Hauptschmerzen kann i doch niemals an die Füss ha ben! Arzt: Warum denn nicht? Patient: Ja, wir haben doch schon in der Schul’ g’lernt, dass das Haupt des Menschen der Kopf ist. A: Ja, Herr Nachbar, der General Mackensen ist schon 91 Jahre alt; da sieht man halt: ein echter Soldat! Daher das hohe Alter. B: Wieso? In Schlesien lebt eine Frau, die ist schon 106 Jahre alt und war noch nie Soldat. A: Woher kommen manchmal die Wellen im Starnberger See? B: Wenn das Wasser recht kalt ist, erkälten sich die Fische und müs sen sehr viel husten; durch die Erschütterung des Wassers ent stehen dann an der Oberfläche des Sees diese kleinen Wellen. A: Schnell einen Minimax; diesen kleinen Brand können wir selbst löschen! B: Den Minimax hab ich nicht gefunden; hier haben Sie einen Bogen Papier[.] A: Mit dem Papier kann ich doch nicht löschen! B: Doch! - es ist ja Löschpapier!
A: Ich habe dem Museum ein wertvolles Bild gestiftet und dafür habe ich vom Stadtrat ein Ehrendiplom bekommen. B: So, ich habe erst kürzlich gelesen: da hat einer etwas gestiftet, der hat vom Staatsanwalt 2 Jahre Gefängnis bekommen. A: Ja, was hat denn der gestiftet? B: Einen Brand; er war Brandstifter!
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A: Alles kann man, wenn man will! B: das ist nicht wahr —, Sie können Butter auf die Semmel strei chen, aber niemals die Semmel auf die Butter.
: Frau Meier zu Frau Huber: »Denken’s Ihnen nur, mei Tochter hat vor 6 Tagen entbunden!« Frau Huber etwas schwerhörig: »So, so, richten’s einen recht schföjnen Gruss aus und sie soll vorsichtig sein, dass sie kein Rückfall kriegt!« Nachwort. Die hier niedergeschriebenen Witze sind natürlich nur ein kleiner Bruchteil aus Valentins »Blödsinn-Fabrik«, wer aber noch grösse re Mengen davon aufnehmen kann und will - muss ihn selbst sehen und hören. Ich hoffe daher, alle Besitzer dieses kleinen Büchleins haben sich beim Lesen desselben gut unterhalten. Motto: Es freut sich’s Herz und das Gemüt wo die Blume des Blödsinns blüht. Lisi K[a]rlstadt Münchner Humoristin und langjährige Partnerin Karl Valentins.
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Vermischtes
Über die ehemalige Kunststadt München München nochmal zu einer Kunststadt zu machen, ist eine Kunst, die niemand kann. München wird »amerikanisiert«. Der Anfang hat schon begonnen. Die jungen Münchner wollen es ja nicht mehr anders; sie haben kein Interesse mehr an der Originalität ihrer Münchnerstadt. Ob alte bayrische Volkssitten und Gebräu che noch bestehen oder abgeschafft werden, läßt sie kalt. Im Theater wird bis zum Ekel Expressionismus gespielt. Modern amerikanische Radaumusik lockt zu perversen Tänzen - die deut schen Nationaltänze dienen nur mehr dem Spottgelächter. Die Bildhauerkunst scheint verboten zu sein - heute ladet man an irgendeinem Platz schwere Steine ab - und nennt sie dann — Denkmäler. Eingerahmte Farbenpatzen nennt man Gemälde, und zu Defregger und Grützner sagt man Kitsch. Und wer heute behauptet, »München sei noch Kunststadt«, der ist auch mit Schuld daran - daß es keine mehr ist. Motto: Wie die Alten sungen, so zwitschern - nicht mehr - die Jungen.
Warum werden die Menschen von Fahrzeugen überfahren? Tausende von Menschen arbeiten auf der Welt täglich daran, neue Fahrzeuge zu erfinden, die immer schneller auf dem Erdboden dahin rasen. (Weil es ja bekanntlich auf der Welt sehr pressiert.) Aber es hat den Anschein, daß kein Einziger von diesen geschei ten Menschen einmal daran denkt, ein Fahrzeug zu erfinden, mit welchem kein Mensch mehr überfahren werden kann. Unter Uberfahrenwerden verstehe ich jetzt natürlich nur das, was man »überfahren« heißt. Also: Wenn die - Räder - eines Fahrzeuges, 155
über einen menschlichen Körper darüber weg fahren, und eine Verletzung oder den Tod des Überfahrenen zur Folge haben. Nehmen wir einmal die gefährlichsten Fahrzeuge ins Auge; das vierräder Luxusauto und das Lastauto. Meine Hauptfrage über dieses weltwichtige Problem ist die: Müssen von einem Fahrzeug die Räder sichtbar sein - und wa rum -??? Die elektrische Straßenbahn hat, gewitzigt durch trauri ge Erfahrungen, die Anhängewagen seit ungefähr 8 Jahren mit Verschalbrettern versehen und seit dieser Zeit ist auch nicht einer unter die Räder gekommen, darum - weil eben keiner hinein kommen konnte, da die Verschalbretter fast den Boden streifen. Beim Motorwagen der elektrischen Straßenbahn hat man eine patentierte Fangvorrichtung angebracht, aber nicht zum allgemei nen Vorteil; wenn man auch allerdings nicht unter die Räder kom men kann, so hat man doch das traurige Vergnügen, erdrückt zu werden, wenn das komplizierte Fangnetz nicht funktioniert oder zu spät bedient wird. Nun kommt das Tragikomische: Bei sehr vie len Technikern, Ingenieuren, kurzum Fachleuten habe ich dieses Thema angeschnitten und überall habe ich nur eine Antwort erhalten. Man höre und staune: Wie würde denn das ausschauen, wenn die Räder von jedem Fahrzeug vollständig verdeckt wären und die Karosserien bis zum Boden reichen würden. Also meine Herrschaften. - Nur deshalb vielleicht, weil ein Auto nicht mehr fesch aussehen würde, müssen alljährlich Tausende von Men schen ihr Leben lassen!
Grammophongebrauchsanweisung Text von Karl Valentin.
Vorwort: Meine Damen und Herrn! Wenn Sie sich eine neue Näh maschine oder einen Staubsauger kaufen, dann bekommen Sie in dem betreffende[n] Geschäft eine gedruckte Gebrauchsanweisung dazu. Wenn Sie sich aber einen Grammophon kaufen, dann ist
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eine gedruckte Gebrauchsanweisung überflüssig, weil ein Gram mophon der einzige Gegenstand auf der Welt ist, der selbst spre chen kann. Einen Moment, der Grammophon hat das Wort: Gestatte mir, dass ich mich vorstelle. Mein Name ist Grammo phon, Grammola, Sprechmaschine oder wie Du mich heissen willst, das ist mir wurscht. Jch möchte hier denjenigen, die noch nicht wissen wie man eine Sprechmaschine behandelt, meine eige ne Gebrauchsanweisung sagen. Nachdem Du mich in irgend einem Geschäft gekauft und hof fentlich auch bezahlt, und gut nachhause gebracht hast, stellst Du mich bitte in Deiner Wohnung in irgend einen würdigen Raum aber bitte, ja nicht in’s W-C -. Nachdem ich aus Holz bin, darfst Du mich begreiflicherweise nicht neben einen heissen Ofen stellen, da sonst mein ganzer Kör per aus dem Leim geht. Wenn Du mich zu hören wünschtst, dann stecke mir die Kurbel in das Loch, welches sich bei mir an der Rückwand befindet, und ziehst mich damit auf. Jst dies mit Vor sicht geschehen, legst du mir eine gute Schallplatte auf meinen Rücken. Über dem Drehteller, an einem beweglichem Arm, befindet sich die Membrane. Diese Membrane besteht aus M-e-m-b-r-a-n-e. Jn dieselbe steckst Du mir eine Grammophonnadel, aber bitte ja keine gebrauchte, oder gar einen verrosteten Nagel, sondern stets eine neue Nadel. Dann lässt du das Werk anlaufen und setzt die Membrane sanft auf die Schallplatte und zwar am [äujssern Rande, ja nicht in die Mitte, denn sonst würde ich von hinten anfangen. Sobald nun die Platte spielt, brauchst Du nichts mehr zu tun, als zu horchen und zwar so lange, bis Du nichts mehr hörst. Hörst Du also nichts mehr, kannst Du zwar trotzdem weiter horchen so lange Du willst, aber wie gesagt, es ist sinnlos. Weil wir gerade vom Horchen sprechen, will ich Dir einen guten Rat geben. Hor che nur am Grammophon, niemals an der Wand. Das alte Sprich wort heisst: »Der Horcher an der Wand, hört seine eig’ne Schänd« - aber - der Horcher am Grammophon, hört meinen schönen Ton. Lieber Grammophonbesitzer, es freut mich riesig, wenn ich bei Dir gut aufgehoben bin, behandle mich also gut, gib mir zur rich
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tigen Zeit meine Nahrung, welche aus feinem Maschinenöl be steht und - solltest Du meiner einmal überdrüssig werden, dann verkaufe mich an irgend einen anderen, an einen Grammophon liebenden Menschen. Nur wirf mich nicht in eine Speicherecke. Sei mir aber zum Schluss noch ein wenig dankbar, dass ich Dir durch mein Können manche langweilige Stunde in Deinem Leben verscheucht habe. Aber.... Undank ist der Welt Lohn.. dereinst wird es mir bei Dir genau so gehen, wie es so vielen meiner Grammophonkolle gen schon ergangen ist.... auch mich wird einst bei Dir.......... der Gerichtsvollzieher holen.
Der Schellenbaum Selbst der unmusikalischste Mensch kann dieses Musikinstru ment, genannt »Schellenbaum« erlernen, denn der Schellenbaum braucht nur getragen zu werden, dann spielt er - vielmehr es läu ten die Glocken (1933). Im Detail: Das unterste hier auf dem Bilde ist der Schellen baumträger selbst, ein Militär-»Musiker« in grauer Galauniform mit Stahlhelm und Glacehandschuhen, die Hände in zackiger Stellung. Vor dem Leibriemen des Soldaten befindet sich eine Schellenbaumtraghülse aus ia Lackleder, in der Hülse steckt der untere Teil des Schellenbaumes, anschliessend kommt die grosse hochglanzvernickelte Glocke, an deren unterem Rande sich ein halbes Dutzend kleine Zierglöckchen befinden und ebenso viele feuervergoldete Sterne (besserer Christbaumschmuck). Ueber der reich mit Ornamenten verzierten Glocke, die wegen ihrer Grösse dem Soldaten beim Vorwärtsgehen die Aussicht versperrt, befindet sich quer zum Schellenbaumstock ein grosser Messingarm, echt vergoldet, mit zwei Reichsadlerköpfen, von denen jeder einen rie sigen, schwarz-weiss-rot farbenen Rossschweif im Schnabel hält. An diesem grossen Messingarm hängen wieder 6 kleine Zierglöck158
lein zwischen 8 zierlichen Sternlein. Oben auf dem Messingarm steckt ein Messingknopf über dem ein grosser, strahlenförmiger 8 zackiger Stern sich erhebt, in dessen Mitte sich das erste complete Hoheitszeichen, Reichsadler mit Hackenkreuz, befindet. Noch höher trägt der Schellenbaum die Reichsstandarte aus weis ser Damastseide, umsäumt von echten Goldfransen und vier goldnen Reichssta[n]dartenquasten. Der Reichsadler, diesmal ohne Hackenkreuz, dafür rankt sich um denselben, in grüner Seide gestickt, das Eichenlaub ohne Schwerter. - Man hat nun den Ein druck »höher geht’s nimmer!« Aber nein! Nun prangt erst ober der Standarte der goldene Lorbeerkranz mit dem Symbol: das Hackenkreuz, und noch höher, auf diesem goldenen Lorbeerkranz sitzt der Reichsadler, der in seinem Schnabel die unter dem Lor beerkranz befindliche Standarte trägt. - Ob sich ober dem Adler noch weitere militärische Prunkeffekten befinden, entzieht sich unserer Kenntnis, anzunehmen ist jedoch, dass der Pressefotograf Herr Peters eine Platte mit entsprechendem Hochformat nicht zur Verfügung hatte. Der Schellenbaum soll für die demnächst geplante grosse Kitschausstellung als Hauptattraktionsschauobjekt bestimmt worden sein.
An das Gesundheits-Amt Wenn auch unser Deutschland was Reinlichkeit und Volkshygienie betrifft für die ganze Welt als Vorbild gilt, so sind doch einige ganz krasse Zustände an Unreinlichkeit zu kritisieren und es ist kaum fassbar, dass diese Zustände, vom klaren Menschenverstand aus betrachtet, von Anfang an bestanden haben. Punkt I: In jeder öffentlichen Gaststätte, stehen auf den Tischen offene Brotkörbchen mit allerlei Bäckereien zum angreifen, an spucken, anniesen und anhusten tagelang bereit (Siehe Artikel »Die Semmel« v. Karl Valentin) Punkt II: Obwohl schon oft polizeilich gerügt - wird heute noch 159
in den Wurstwaren Verkaufsstätten von der Verkäuferin bedient und kassiert in einer Person. Das liebe Geld, sei es in Form von Münzen oder Papier ist das unreinlichste Material von der ganzen Welt. Ein Beispiel: Nehmen wir ein Geldstück, sagen wir einen io—Markschein, der im Jahre 1926 in nagelneuem Zustand aus der Münzstätte kommt. Durch wie viel schmutzige Hände macht der seinen Weg bis er wieder von der Bank ein gezogen wird. Mancher wandert durch Millionen von Händen, ohne nur einmal gereinigt zu werden. Wie viele Billionen von Krankheitserregern, Bazillen und Bakterien können an einem solchen Schein haften? Kommen doch diese Geldscheine in alle Hände, in solche von Kranken und Gesunden. Eine Wurstverkäuferin schneidet soeben eine feine Servelat, Salami oder dergleichen in Blätter (bitte sehen Sie einmal zu)[.J Die Verkäuferin, die vor dem Wurstschneiden von der vorher bedienten Kundschaft solch schmutziges Geld in den Händen hatte, berührt, nachdem sie noch so und so viel bedient, die nun Ihnen gehörigen Wurstscheiben oder Scheibenblätter. - Oder kann sie sich nach jedem Geld anfassen die Finger waschenj?] [DJas ist nicht durchführbar. - Aber im kleinsten Geschäft kann eine Person die Waren abgeben und eine zweite Person die Kasse übernehmen. Das ist schon möglich. Bei ganzen Wurst waren ist das gleichgültig. Aber jeder Volksgenosse ist nicht in der Lage sich eine ganze Salami um 2 oder 3 Mark zu kaufen. Bei Hühnereier z. B. spielt dies auch keine Rolle, denn keiner is[s] t die Eier mit der Schale.
Anregung Die gestreifte Klammer im Anzug. - Jeder Kraftfahrer der seinen Kraftwagen oder ein Kraftrad besitzt, sollte an seinem Anzug an sichtbarer Stelle ein kleines Erkennungszeichen tragen müssen, so ähnlich wie das Parteiabzeichen. Dasselbe bräuchte nicht durch 160
eine Nadel angehakt werden, sondern es müsste diese eine kleine Klammer sein (siehe Zeichnung) die man mit einem Griff in den Stoff des Anzuges einklemmen kann, wie das ähnlich bei den Hosenklammern der Radfahrer der Fall ist. Jede Bedienungsper son in einer Gaststätte oder der Besitzer selbst erkennt an dem Zeichen, dass der Gast vor seiner Gaststätte seinen Wagen hat oder sein Motorrad und beim Verabreichen von Alkohol das Mass nicht überschreiten darf. Das Tragen des Abzeichens müsste genau der Vorschrift unterliegen wie das ständige Mitführen der Auto papiere. Beispiel: Tagtäglich kann man in Gaststätten hören »Ja wenn i dös gwusst hätt, dass der a Auto drauss stehn hat, hätt i ihm koa Bier mehr bracht. [«] Die Unfallstatistik zeigt in München hauptsächlich während der Starkbier-Saison und während des Ok toberfestes erschreckende Steigerungen. Sinnlos betrunken lässt man den Wagenbesitzer sein Fahrzeug besteigen, erst wenn das Unglück geschehen kommt die Wissenschaft und konstatiert dass der Fahrer zu viel Alkohol in sich hatte. Durch das Tragen der kleinen Klammer könnte man aber doch vor dem Unglück ein greifen. Eine wahre Begebenheit als Beispiel. Ich sass in einer kleinen Gaststätte im Unteranger. 4 Transportarbeiter kamen herein, setz ten sich an einen Tisch und bestellten sich Bier, jeder eine Halbe, dann die 2. die 3. die 4. und da es sehr heiss war die 5. Halbe. In einer Zeitspanne von kaum einer Stunde waren die 4 Arbeiter tatsächlich alle besoffen. Wankend verliessen sie die Gaststätte, der Wirt und die Kellnerin folgten ihnen auf die Strasse und waren erstaunt, dass unter den 4 Gästen auch der Wagenlenker dabei war. Im Zick-Zack ging die Fahrt los, der Wirt, die Kellne rin und ich schauten in grosser Erregung dem Lastfuhrwerk nach bis es in die Tegernseerstrasse zum Oberanger einbog. Ja, sagte die Kellnerin, wenn i dös gewusst hätt, was für einer der Chauffeur gwesen war, dem hätt i koane 5 Halbe geb’n. Ja - hätte derjenige ein sichtbares Zeichen gehabt, dann hätte die Kellnerin das gewusstj.J
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Eine heikliche Anregung für Erfinder in der Klosettfabrikations=Jndustrie Täglich laufen hunderte von Erfindungen in den Patentbüros im Jn und Auslande ein. - Es ist nun eine heikle Sache, eine Anre gung für Erfinder zu geben, die ein Thema behandelt, von der man nicht gerne spricht, weil es sich zwar um etwas ganz mensch liches, aber sehr Unästhetisches handelt. Jch spreche nun mit dem Leser per Du, weil es mir leichter fällt. Jst es nicht eine peinliche Angelegenheit, wenn Du, und sei es das feinste Etablissement, Hotel, Theater, Restaurant oder auch Privat, auf das Klosett musst und hinterlässt du beim Weggehen aus demselben ein von Dir Erzeugtes nicht gerade »Nach Veil chen duftendes Klima« und draussen vor der Klosetttüre wartet schon Dein Nachfolger. Wie schämst Du Dich, wenn Du das Klosett verlassen hast, über Deine duftende Hinterlassenschaft und wie peinlich ist es erst Deinem Nachfolger, der gezwungen ist, nach Dir diese Par fümkajüte auf einige Zeit benützen zu müssen. Jst dir nicht einmal an dem bekannten Örtchen die Jdee aufgetaucht, warum erfindet man nicht irgend etwas, was diese fatalen Gerüche im Moment der »Ausströmung« gleich entfernt. Die menschliche Ausschei dungsmasse kann man sofort mit Wasser wegspülen, warum nicht auch das »Gas«. Heute im Zeichen der Technik (Ventilatoren, Exhaustoren, Ent staubungsturbinen u. s.w.) wäre es doch etwas Leichtes irgend einen kleinen billigen Luftabsauger herzustellen, welcher in dem Moment in Funktion tritt, wenn der Mensch auf dem Klosettsitz Platz genommen hat. Alles weitere Überflüssig. Erfinder an die Arbeit!
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Bestätigung Endesunterzeichneter verp[flüchtet sich, Herrn Karl Valentin-Fey an dem Fabrikationsartikel (Clo=Vaku[u]m) bei einer eventl. Aus wertung mit einem kleinen Prozentsatz zu beteiligen.
Zum Wohle der Volksgemeinschaft Polizei Organe jetzt auf die Wiese. Aufjeden Parkplatz Schutzleute. Jeder Wiesengast, der das Volksfest verlässt und sein Auto be steigt, muss bevor er seinen Kraftwagen betritt, kontrolliert werden ob er nüchtern ist. Wenn ja, kann er fahren - wenn nein - wird sein Wagen über Nacht blockiert, eine Kraftdroschke wird geholt, die die besoffene Gesellschaft mit einem nüchternen Fahrer nach hause bringt. Auf diese Weise werden während des Volksfestes zum mindesten ioo Verkehrsunfälle von vorneherein ausgeschal tet. Nach dem Unglück den Alkoholbefund des Kraftfahrers fest zustellen, hat keinen Sinn. Also Vorher'. Einer aus dem Volke, der zwar nichts zu sagen hat, aber es gut meint.
Anregungen Ein Metzgermesser frisch mit dem Stahl gewetzt, dessen Schneide mit dem Mikroskop besehen so aussieht. Diese feinen spitzigen Eisenteilchen kommen durch das Fleisch in den menschlichen Körper, können diese nicht Unheil anrichten?
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Statt unleserliche Schriften zu erfinden, wäre es viel nützlicher einmal ein Reinigungswerk in unserem Adressbuch vorzunehmen. - Nur ein Beispiel: Der Name Schönfeld - Schönfeldt - Schoen feld - Schoenfeldt - oder Meier - Maier - Mayer - Meir - Mayr siehe Adressbuch [.] Unterschriften: Wer kann die Unterschriften lesen? (Preisrätsel) Der Zeppelin braucht zu 13000 Kilometer 4’/2 Tage - eine Schne[c]ke würde dieselbe Strecke in 371 Jahren zurücklegen. Bitte nachrechnen. Schnecke legt in einer Stunde 4 Meter zurück[.]
Quäle nie ein Tier zum Scherz - und deshalb stellen wir braven Menschen den armen kleinen Mäuslein solche Fallenf.]
3 Wellen im Strassenpflaster und jegliches schnelle Ueberqueren der Strassenkreuzungen wäre für alle Fahrzeuge unmöglich!)]
Bazillen Herde von Karl Valentin. Jahrelang liegt in diesen Kellerlichtungen metertief der Morast, der Morast, der von der Strasse täglich von den Gehsteigen aus in die Kellerlichtungen hineingekehrt wird. Dieser Schmutz be steht aus Staub, Sand - Papierresten - Hundekot - Hundeurin etc. wird von den Regenmassen durchnässt und verfault. Fast jeder Strassenpassant, wenn er schon aus Anstand nicht auf die Strasse spuckt, dann spuckt er in irgend eine Kellerlichtung. Dass haupt sächlich Kranke ausspucken ist ja logisch und so entsteh[t] in so einer Kellerlichtung mit der Zeit eine ganze Bakterienzucht.
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[Komische Berufe]
Seidenraupendompteur Wasserstoffzuschneider Gewerbescheinheiliger Nabelbruch-Kontrolleur Erdbebensammler Schlafpulverkanonier Sauerkrautbetrachter Himbeerinspektor Schmetterlingfischer Vitaminsortierer Birnbaum-Gymnastiker Regentropfenzähler Lampenschirmbeobachter dreifach.doppel tiefschwarz. Plattfuss-Statist Keuchhustenbezähmer Kirchturmverleiher Leistenbruchnäherin Zeitfunkversäumer Heiterkeitsapostel Humorservierer Witzentgegenschleuderer Unterhaltungsadministrant Fröhlichkeitsinhaber Lustbesitzer Andreas Papp, pensionierter Barfussgänger Benedikt Whagh, Hundesteuerberater Josef Nelke, Zuschauer Korbinian Holzapfel, Passant Sepp Schwarz, Fussgänger Karl Mann, Mann ohne Bedeutung Frau Josefine Gwand, geborene Anzug
Erste Fliegeralarmprobe in München 1913
Ungefähr ein Jahr vor dem Weltkrieg 1914 beauftragte der Stadt rat eine grosse Münchener Elektrofirma, eine elektrische Sirene auf das Dach des neuen Rathauses in Aufstellung zu bringen, die bei einem eventuellen Fliegerangriff auf München durch aufund abheulen, die Bevölkerung zur Vorsicht mahnen sollte. - Die Firma führte den Auftrag aus, die Sirene wurde auf das Dach montiert und an irgend einem Tag stand in den Münchener Neu esten Nachrichten und allen anderen Zeitungen zu lesen: »Mor gen Mittag 12 Uhr ist der erste Probealarm der neu aufgestellten Sirene!« — Die Probe fand statt - aber der erwartete Erfolg blieb aus, das Ding war nicht wie die Stadträte vermuteten, in ganz München zu hören, nur am Marienplatz und im innersten Zen trum und da kaum hörbar. Die Elektrofirma wurde vom Stadtrat gerügt, für die mangelhafte Ausführung der Alarmanlage, musste die »kindische Sirene« wieder vom Rathaus entfernen und musste obendrein den Spott der Münchener Bevölkerung einstecken, die Witzblätter taten das ihrige dazu. Einen grossen Artikel brachte der Schriftsteller Richard Braunbeck, der in höchstgelungener Weise die missglückte Alarmanlage in der Münchener Zeitung schilderte. Uber diesen Hohnartikel war der Ingenieur der Elek trofirma eingeschnappt, wie man so sagt. Der Herr Elektroinge nieur sah zwar von einer Beleidigungsklage ab, lud aber den Herrn Richard Braunbeck ein, in seine Fabrik zu kommen. Braunbeck kam, der Herr Ingenieur schimpfte den Herrn Schriftsteller nicht, bot ihm sogar eine Zigarre an und führte ihn in die Fabrikhallen, um ihm den ganzen Betrieb zu zeigen. Herr Braunbeck betrachtet alles mit grossem Interesse, Dynamos, Riesenschwungräder, Akku mulatorenanlagen. Hier, sagte der Ingenieur zu ihm: »In diesem kleinen Raum befindet sich ein Elektromotor, welcher an der Seite, hier mit dem Hebel eingeschaltet wird. Ich schalte nun ein und wenn Sie nun genau obacht geben, so hören Sie, ein leises Summen!« -- Ein furchtbar ohrenbetäubender Lärm setzte ein,
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Herr Braunbeck hielt sich die Ohren zu und verliess fluchtartig den Raum. Der Herr Ingenieur schaltete die Maschine wieder aus, ging hinaus zu dem vor Schreck zitternden Herrn Braunbeck und meinte: »Nun, haben Sie das Ding gehört?« - »I glaub schon, i muass glei zum Ohraarzt geha, i moi, mir hätts meine zwoi Trommelfälla z’rissa«. Da sagte spöttisch der Herr Ingenieur: »Mein lieber Herr Braunbeck, was Sie da gehört haben, das ist dieselbe Sirene, die Sie am Marienplatz in München nicht gehört haben!« — »Rache ist süss!«
»Flüssiges Brot« Es gibt immer noch Leute die behaupten und es ganz gewiss wis sen, dass das Bier der Vorkriegszeit »besser war, als das jetzige«. »Da war halt noch was drin« sagt der Herr Huaba, [»Jaber in der jetzigen Dividendenbrüah, is ja lauter chemisch G’lump drinn.[«J Aber diese vielen Herren Huber, Fischer, Meier und wie sie alle heissen, lassen sich von Bierfachleuten, welche da sind Bierbrauer, Mälzer usw. absolut nicht belehren, dass das auf keinen Fall der Fall ist. Das Bier, ob Münchner, Berliner oder Auswärtiges besteht nur aus Wasser, Malz und Hopfen und sonst nichts. Nur zur Auf bewahrung muss dem Bier prozentual Natron zugefügt werden. Schlechte, minderwertige Biere können nur entstehen, durch schlechte Gerste oder schlechten Hopfen, sogar das Wasser kann die Güte des Bieres beeinträchtigen. Auch die Zubereitung des Bieres, zu kurzes Lagern usw. ist oft der Grund dass das Bier nicht so ist wie es sein soll. Aber das Rezept bleibt immer das selbe Wasser - Malz - und Hopfen. Einige ganz Gescheite wissen es sogar ganz bestimmt, dass in die Stark-Biere »Salvator, Bock etc.« Hutzeln und Zibeben, hin einkommen, Syrup, Honig Sacharin und dergleichen. Diesen ganz Gescheiten diene zur Aufklärung, dass alles dies nur Märchen sind, das Starkbier wird eben dadurch stärker, dass es eben stärker
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eingebraut ist. Genau wie beim Kaffee; je mehr Kaffebohnen man zum Kaffee nimmt, desto stärker wird er, je weniger, desto dünner (Siehe Dünnbier und Starkbier).
Eine neue Entdeckung für solche, die gerne fliegen wollen und sich nicht fliegen trauen Wer ist schon mit einem Aeroplan geflogen? Karl Valentin hat per Zufall eine Entdeckung gemacht. - Er kaufte sich bei einem Tändler einen grossen Wandspiegel i Meter 50 lang und 70 breit; nahm sich gleich eine offene Aut[o]droschke und legte den Spiegel wagrecht in das Auto und zwar so, dass der Spiegel gegen den Himmel gerichtet war. Unterm Fahren schaute er in den Spiegel hinein und er hatte genau die optische Täuschung, als ob er in einem Flugzeug hoch in den Lüften schweben würde.
Ich mische mich in die Nichteinmischung mitten hinein! Unausgesetzt treibt der am Horizont des Weltalls sich zeigende Gedanke der ganzen Menschheit, daß sich ein Problem, welches dazu geeignet ist, Formen anzunehmen, die einen Konflikt, sei es über die Kolonialfrage oder der Wille, der sich seinen kommen den Geschlechtern des Fernen Ostens nähert. Immer und immer wieder haben wir die gleichen Erscheinungen: Was vor Tausenden von Jahren, sei es nun die Zeit einer Emanzipation der alten Grie chen oder ergründen wir die Vorzeit amerikanischen Strebens, so spricht die Zeit ein deutliches Wort, ohne daß das Merkwürdigste im Zeitraum der Phantasie den geringsten Zweifel aufkommen
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läßt. Ob ein Zustandekommen oben erwähnter Weltanschauungen von so schwerwiegender Bedeutung ist, um Vorteile, wie sie die Inder damals gezeigt haben, in die Praxis umzusetzen, muß be zweifelt werden. - So tragen wir es geduldig; und solange ein Volk aus Ost oder West, Süd oder Nord Repontionen erhält, spielt der Urwald dabei keine nennenswerte Rolle, denn nur der allgemeine Wille kann nach Lage der Vernunft ersetzt werden, und so wird sich die Meinung der ganzen Welt zerschlagen, wenn die Einigkeit Spuren hinterläßt, die nur dazu die Nerven des Volkes beunruhi gen. Wenn Lumiotto, der einzige Mann, der schon vor Beginn seine Worte zusammenfaßte und sich in Äußerungen verstieg, einen Regierungsabschnitt verhüllt, dann treten wir der Sache näher, aber wir werden niemals daran zweifeln, daß demgegenüber keine Absicht bestanden hat, neutral zu bleiben. Schauen wir zurück: die Vergangenheit ist unser wahrhaftigster Zeuge; wenn die Zügel der Vernunft sich lockern, wenn der Sinn für alles ver lorengeht, so sollen sich diejenigen, die schuldbeladen, selbst prü fen, denn ein einiges Volk, denken Sie dabei an das Land der Versionen, an das Land des Kulturismuses. Ja, leere Redensarten, Phrasen usw. damit, womit sich viele ereifern könnten, in Ver bindung mit den einfachsten Mitteln Wege zu bilden, die solche Banalitäten ein für allemal aus der Welt schaffen, Nichtein mischung zu dumidizieren.
Die Brennessel Wenn man dieses Wort liest, denkt man sofort an eine Brennessel. Die Brennessel gehört nicht zu den Säugetieren, sondern zu den Pflanzen. Ein uralter Brauch ist, aus Brennesseln Tee zu bereiten, den sogenannten Brennesseltee, welcher auch zum Trinken ver wendet wird. Heute verwendet man die Brennessel zum Lesen. Früher wuchs die Brennessel, heute erscheint sie (im Verlag Eher, München - Berlin). Die Heilwirkung des Brennesseltees ist natür-
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lieh nur vom Kochen der Pflanze Brennessel zu erwarten, nicht von der Zeitung Brennessel. Nicht die Damen, sondern richtige Gänse essen die Brennessel sehr gern und erblicken in dieser einen Leckerbissen. Ob sich die Gänse beim Fressen von Brennesseln Zunge, Schlund, Magen, Gedärme und Gansloch verbrennen, ist noch nicht erwiesen. Die Rose hat Dornen und sticht, die Brenn nessel dagegen brennt auch trotzdem: Hätte die Rose keine Dor nen, könnte sie nicht stechen; was sind das für botanische Wider sprüche! Aus Brennesselfasern hat man schon Stoffe erzeugt und Damenreizwäsche für die Damenwelt fabriziert. Symbolisch wirkt die Brennessel - wenn man schon einen Künstler mit Lorbeer kränzen ehrt, müßte man eigentlich einen Feuerwehrmann bei sei nem Feuerwehrjubiläum mit einem Kranz aus Brennesseln ehren. Ich selbst habe die Brennessel als Mittel gegen Diebstahl ange wendet. Folgendes gebe ich kund: Ich habe in der Nähe der Stadt ein kleines Landhaus, drumrum einen großen Riesenblumengar ten mit allen erdenklichen, wunderbaren Blumen, welche nicht künstlich, sondern wirklich sind. Mein Garten steht in farbiger Pracht. Aber weil die Blumen so schön waren, haben mir die Men schen immer wieder Blumen abgerissen. Nun kam mir die glück liche Idee: ich pflanzte keine Blumen mehr, sondern nur mehr Brennesseln. Die Pracht ist zwar verschwunden, aber die Stehlerei hat ein Ende genommen. Daß ich mir durch diese Erwägung die Mißgunst sämtlicher Blumengärtner zugezogen habe, weiß ich; aber ich habe die Polizei (Abteilung Blumendiebstähle) entlastet. Und das ist eine gute Tat. Sollte ich des Anblicks der Brennesseln überdrüssig werden, pflanze ich Disteln, und an Stelle meiner wachsamen Hunde kommen Igel in meinen Garten, dazu noch Stachelbeersträucher, und statt der Legbüchsen lasse ich ständig die Dunggrube von meinem Anwesen offen. Was sollte dann noch in meinem Garten gestohlen werden können? Mir können alle Diebe gestohlen werden. Im übrigen will ich meine Ruhe und meine Brennessel haben; denn wie sagt der Dichter?: »Kein Schnee und kein Eisen kann brennen so heiß, wie brennende Nes sel und indischer Reis.« Hiermit wäre alles Notwendige gesagt.
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Kitsch! Man lacht heute über die Kitschlieder aus »der guten altn Zeit«. Bitte horchen sie heute am Radio, hören sie heute etwas anderes? — Fast jedes moderne Lied, jeder Chanson, jeder Sänger, jede Sängerin und Dieseuse, besingt heute immer noch, das sogenann te Thema der Liebe, nur mit dem Unterschied, heute in Synko pen, früher sang man schön einschmeichelnde Melodien. »Zwei dunkle Augen, ein purpurner Mund, sind all mein Glück zu jeder Stund ...« usw., hört man denn heute etwas anderes? - Hören Sie doch am Radio - ohne Sterne, ohne deine weichen Hände, ohne dein ist mein Herz - du bist der Traum meiner Nächte — ohne dich kann ich nicht selig sein - und in deinem Kuss will ich ertrin ken — kann denn Liebe Sünde sein? ... unsw., alle Tanzschlager von der Liebe, es ist zum Kotzen — und da spottet man über ver gangene Zeiten und lächelt über damaligen Kitsch. - Ich lächle heute.
Warum sind Optimisten die klügsten Leute Wenn zur wissenschaftlichen Abhandlung von Opti- und Pes simismus ein nur geringer Abstand in ein, oder besser gesagt, vergleichswidrigen Weise einschneidende Bedingungen gezogen werden sollen, so könnte man in Verlegenheiten absoluter Ein deutigkeitsformen einen Vergleich von eminenten Störungen cha rakteristischer Persönlichkeiten geben, wie dieselben schon in Urformen geistiger Kapazitätskuriositäten mehr oder weniger Bedeutung zum Ausdruck gebracht haben, ohne eine Weltumsich tigkeitsparallele in vollem Einklang von Individualitätszirkulatio nen der Zentralstätte der menschlichen Gesinnungsprinzipien den Einschlag in höhere Dimensionen seitens der Struktur männlicher und weiblicher Wesen zu demitieren. Spinozza und Nietzsche
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waren schon der konträren Meinung, daß Strahlen der ausgedehn ten Zellenstaathormone keinerlei Anhalt geben, die Gehirn- und Seelengleichheiten gleichgeschalteter Pygmäen von Spannungs zentralen einer Wechselwirkung unterliegt, die bei Pessimisten und Optimisten zu Tage treten und eine Klugheit bei den einen wie bei den anderen Charakterindividuen in Erscheinung treten lassen, die die Wissenschaft von heute immer vor ein unlösliches Problem stellen. Und so kann man nun ruhig annehmen, daß das Problem zur Erforschung, ob Optimismus die Schlußforderung zur Klugheit bindet, als gelöst und zwar als ungelöst erscheint.
»Heiliger Abend« - abgesagt Das Weihnachtsfest ist wieder vorbei. - Das Christkindl hat einem Kind mehr, dem andern weniger und manchen Kindern gar nichts gebracht, weil letztere die Enkelkinder eines Hypochonders sind. Für einen hypochondrischen Vater (Hypochondrie heißt Über ängstlichkeit!) oder eine solche Mutter ist es schwer, eine richtige Art Spielzeug zu finden, weil solche Eltern in jedem Spielzeug eine Gefahr für die Kinder befürchten. So ein Hypochondervater bin ich auch. Ich wollte meinen Enkelkindern Schi kaufen, aber die Kinder könnten damit stürzen und sich die Genicke brechen. - Gummibälle dagegen wären gefahrlos - oh, nein! Gummibälle kollern auf dem schmutzigen Boden umher; Bazillen, Bakterien, wie gesagt: sämtliche Krankheitserreger bleiben daran haften, wandern von den Kinderhänden zum Mund, und infektiöse Kin derkrankheiten, wie Scharlach, Masern - Altersschwäche u. dgl. sind die Folge - also: keine Gummibälle. Eine Kindereisenbahn? Nein - die geheizte Dampflokomotive könnte unter die Bettlade fahren, könnte umfallen, der Spiritus auslaufen, das Bett zu bren nen anfangen, das Zimmer auch, die Kinder ebenso auch, und das Unglück wäre geschehen. - Bleisoldaten sind schon ganz ausge schlossen, denn von Bleivergiftung hat man schon viel gehört. -
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Ein Steinbaukasten kommt schon gar nicht in Frage; wie leicht kommen die Kinder in Streit, werfen sich gegenseitig einen Stein an die Schläfe, man denke an David und den Riesen-Goliath. Ein Farbenkasten ist harmlos, aber beim Malen von grünen Bäumen verwendet man grüne Farben. Grün setzt Grünspan an, Grünspan ist Gift - also wieder eine Gefahr für die Kinder. Geduldspiele sind für Kinder wiederum nicht zu empfehlen, da den Kindern schon in jungen Jahren die Geduld reißen kann, und ein nervöses Leiden ist unausbleiblich. - Papierdrachen zwin gen die Kinder zum Spielen im Freien - frische Luft ist den Kin dern gesund - aber wenn der Drache in der Luft fliegt, schauen die Kinder nach oben, laufen schließlich in ein daherrasendes Auto hinein und kommen unter die Räder. - Eine Flobertpistole - um Gottes Willen, Schußwaffen in Kinderhänden, davor wird immer gewarnt. - Trommeln und Trompeten sind an sich harmlos, aber da machen die Kinder wieder zuviel Lärm - die Hausinwohner beschweren sich - die Eltern bekommen mit diesen Streit - Ge richtsverhandlung, von wegen Beleidigung, bleibt nicht aus; also Trommeln und Trompeten auch nicht das richtige. - Badehosen für den Sommer zum Baden? Die Kinder gehen zum Baden und könnten da ertrinken. Eine Zimmerschaukel? Strick reißt - Hais und Beinbruch. - Kleine farbige Schusser aus Stein, zum Kugeln sehr gefährlich. Die Kinder verschlucken oft aus Übermut solche Kugeln, der Arzt kuriert auf Gallensteine - und wer ist schuld? Die unvernünftigen Eltern. - Also gut, kein Spielzeug zur Besche rung, sondern nur ein Weihnachtsbaum mit brennenden Kerzen. Halt! Soeben fällt mir eine Zeitungsnotiz ein: Am HL Abend ent stand in der Bahnhofstraße Nummer 13 ein Zimmerbrand. Eine zu nahe an der Fenstergardine brennende Kerze entzündete die selbe, griff mit rasender Schnelligkeit um sich, und im Nu standen die Fenstervorhänge nebst Bris-bis in hellen Flammen. Die sofort herbeieilende Feuerwehr bekämpfte mit zwei Schlauchlagen die drohende Gefahr. Statt der Bescherung kam also die Feuerwehr ins Haus. Dann lieber auch keinen Weihnachtsbaum wegen Feuersgefahr. - Ich muß es selbst sagen: Der Hl. Abend war zwar mies, aber - gefahrlos. 173
Karl Valentin baut Es liebt die Welt, das Strahlende zu schwärzen und das Erhabene in den Staub zu ziehn. Und recht hat er gehabt, der Schiller. Was ist man ohne Haus? Nichts! Nicht einmal ein Hausherr; darum gehe hin und lasse dir eins bauen! Aber wohin? - auf den Boden, versteht sich von selbst - auf deutschen Boden, versteht sich von noch viel selbster. Nach dem schönen Walzer von Fetras »Schlös ser, die im Monde liegen« - möchte ich handeln. Mein Haus soll im Monde liegen, aber nur bei Nacht, am Tag nur in der Sonne, schon wegen der Bäder. Selbstverständlich würde ich mir statt einem Haus ein Schloß bauen - aber ein Schloß ist größer als ein Haus, braucht man auch mehr Baumaterial. Ich erkundigte mich beim Bauamt, und der Oberbaurat meinte: »Sie können Baumate rial haben, soviel Sie wollen, schon genehmigt, aber nur zu einem Luftschloß.« Aber Luftschlösser sind heute sehr gefährlich, wegen der vielen Flieger. Also Luftschloß kommt nicht in Frage, trotz Materialangebot. Also ein Haus - aber wo? - irgendwo halte ich es am passendsten. Nun ja, der Platz wird sich finden, vielleicht leichter als das Baumaterial. Ist Zement- und Ziegelnot, dann ein Holzhaus - ist Holznot, dann ein Lehmhaus, ist Lehmnot, dann nur kein Lebkuchenhaus wie die Besitzerin des Knusperhäuschens aus der Operette »Hänselein und Gretelein«. Nun ja, es ist ja auch ganz egal, aus was ein Haus gebaut ist, sondern aus wie es gebaut wird. Modem\ Ich träume von einem zweistöckigen Wolkenkrat zerchen, innen hohl, außen hoch, um den Wolkenkratzer herum einen Garten, in den Garten nur Kaktusse, Disteln und Brenn nesseln zur Ersparung eines Hofhundes. Und in unserem Garten soll es sonnig werden. Außer unseren Wehrpflanzen, wie Schwert lilien, Stechapfelkraut, Brennesseln, Dornen und Disteln zum Schutze gegen Einbrecher soll auch das Leben sprießen, und in den Garten stecken wir eine lange Stange, und auf der Stange befestigen wir ein Starenhäuschen. In das Häuschen bohren wir ein Loch, durch das Loch stecken wir Stroh ins Häuschen, eine kleine Sitzgelegenheit vor das Loch. Das ganze Anwesen wird
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nun so gedreht, daß das Loch gen Osten ist, oben ist ein kleiner Zettel: »Willkommen Braut und Bräutigam - fanget an!« Und ist das Starenpärchen fleißig, und bekommt das Starenmütterchen acht Junge, bekommt es von uns eine Belohnung in Form einer kleinen Kreuzspinne. Mein Ideal wäre ein Haus mit vier Sonnen seiten. Die Idee ist nicht neu, aber zu teuer. Ein Dresdener Archi tekt hat 1925 ein drehbares Glaskugelhaus erfunden, fünfstöckig, i Million teuer. Ich denke mir das meine viel, viel kleiner, so wie ein Jahrmarkskarussell, ringsum gebogenes Glas und statt der Holzpferde und -schwäne Zimmer, Küche, Bad und Kammer, in der Mitte statt der Drehorgel Zentralheizung. Das Haus müßte vor allen Gefahren geschützt werden. Vom Hochwasser, deshalb die Keller als Schiff gebaut (siehe Arche Noah), bei Erdbeben, Speicherräume sind aus Ballonstoff. Durch einen Druck werden 50 Flaschen Wasserstoff (Helium) in die Speicherräume geblasen, der Speicher füllt sich und hebt das Haus in die Luft, so lange, bis das Erdbeben vorüber ist. Gegen Feuer ist es durch Versicherung und Minimax geschützt. Man kann sein Haus gegen alles schützen - nur nicht gegen den gefräßigen Eisensaurus.
Eine seltsame Sache Eine Kleidermacherin, ein junges Mädchen von 25 Jahren, wurde gerade um die Weihnachtszeit in der sie mit Arbeit überhäuft war, krank. Uebelsein, Erbrechen, Mattigkeit in allen Gliedern etc. quälten sie. Sobald sie aber ins Freie kam, wurde ihr besser und hatte sie viel in der Stadt zu tun, war also längere Zeit äusser Haus, so kam sie gesund und froh heim, das ging einige Tage so fort. Als es immer ärger wurde, ging sie zum Arzt und erklärte dem Doktor, das Furchtbarste an dem sie zur Zeit leide, sei der furchtbar süssliche Geruch in der Nase. Sobald dieser Geruch sich bemerkbar mache folge hierauf sofort Uebelsein und Erbrechen. Der Arzt dachte sofort an eine »Stinknase« und behandelte sie mit 175
Höhensonne. Das Mädchen ging heim, zu Hause angekommen setzte sie sich sofort an seine Nähmaschine, es wurde ihr wieder übel und das Erbrechen ging los wie alle Tage. Die Mutter des Mädchens war nicht immer in demselben Zimmer, wäre es dieser auch immer übel gewesen, hätte man meinen können, in dem Zimmer sei etwas nicht in Ordnung, eine Gasausströmung oder dergleichen. Nur die Tochter bekam sobald sie sich zur Arbeit setzte, diesen furchtbaren Zustand. Sie magerte sichtlich ab, konn te wegen des furchtbaren Geruchs, den sie stets in der Nase hatte, nichts mehr essen und trinken als Tee und einige süsse Sachen. Sie selbst meinte, sie hätte den Eindruck, als ob sie von innen heraus verfaule. Nun nahm sie Abführmittel ein, aber der Körper war schon zu schwach und statt der erhofften Wirkung traten Ohn machtsanfälle ein. Aber trotz allem musste sie doch arbeiten, denn Weihnachten stand vor der Tür und das arme Ding sass alle Tage an der Maschine bis spät in die Nacht. Da stockte plötzlich die Maschine - das auch noch - soviel Arbeit - zum Sterben krank, die Maschine hatte auch viel gearbeitet die Zeit her und verlangte nach Oel - aussen in alle Schmierlöcher muss Oel getropft, auch innen das Werk muss geölt werden. Dazu muss man aber die Maschine umkippen was die Nähmaschinistin auch tat - in dem Moment war das Rätsel und die Ursache ihrer wochenlangen Krankheit enthüllt - in dem Oelbehälter, welcher sich unter dem Werk jeder Maschine befindet um das Tropfen des Oels zu ver hindern, war auf irgendeine Weise eine Maus gekrochen und darin verendet und verwest. Der Leichengeruch war so stark, dass Kun den die Näherin aufmerksam machten, sie solle doch zum Arzt gehen, sie rieche dermassen, dass es niemand in ihrer Nähe aus halten könne. Die Leiche wurde entfernt, die Näherin ist wieder gesund, die Weihnachtsarbeiten sind geliefert und alles ist wieder in bester Ordnung.
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Die Friedenspfeife v. Karl Valentin Lange vor dem Umschein einer verkrümten Nacht, sassen sie zusammen. Wolkenlos ballten sich weisse Nebelschwaden zuhauf. Es kargte an diesem und jenem - So aber ist es. - Wenn der Mensch sich selbst abgibt, dann wird sein Sein betrübt durch seine gewollte Selbstbejahung. - Aber lasst sie alle elendidieren und lasst diese kopflosen alle wieder behaupten. Eines Nachts werden die Hexen nicht zum Ziele kommen, sondern das Ziel kommt zu ihnen. Und wenn Aafa und Ufa sich zürnend und tobend in die Augen muscheln schreien, liegt Afuu auf dem satten Rasen und raucht die Friedenspfeife.
Karl Valentin beschreibt den Frühling »Tut mir leid«, sagte darauf Karl Valentin, »aber ausgerechnet über den Frühling weiß ich fast gar nichts. Denn, daß es im Früh ling wieder wärmer wird, als es im Winter war, weiß heute jeder gebildete Mensch. Vom Herbst z. B. wüßte ich bedeutend mehr, da gab es auf dem Oktoberfest ein prima Märzenbier, Brathendeln am Spieß, aber das war ja alles im Herbst, während mein Artikel ja nur über den Frühling gehn darf.« Also der Frühling ist die Jahreszeit der Liebe. Ich hab’ zum Bei spiel im Frühling meine Frau kennengelernt, aber wenn ich mei Frau im Herbst kennengelernt hätte, wär’s noch früh genug gewe sen. Im Frühling 1892 hat der Hausmeister Joseph Huber, Zeppelin str. 63, seine Stelle als Hausmeister gekündigt - aber was hat denn das mit dem Frühling zu tun? wird der Leser dieses Artikels fra 177
gen; ich kann es auch niemand verdenken, aber der Herr Schrift leiter will absolut den Frühling beschrieben haben - na also: Das Nächstliegende über den Frühling sind natürlich die Früh lingslieder - eines der schönsten heißt: Frühling ist’s, die Blumen blühen wieder - das ist aber nicht wahr, im Botanischen Garten, in den Gewächshäusern, blühen die Blümen das ganze Jahr - aber wenn man das Lied umändern würde und würde statt Frühling singen: »Gewächshaus ist’s: die Blumen blühen immer« - so klingt das nicht so sonnig und dann abgesehen davon, wann die Blumen blühen, ist doch nicht wichtig, die Haupt sache ist, daß sie blühen. Irgend etwas müssen doch die Blumen auch tun, denn dafür sind sie Blumen, sonst wären sie ja nicht wert, daß sie die Sonne bescheint. Und gerade die Sonne ist wieder das Wich tigste am Wachstum, wichtiger noch als der Blumentopf. Denn ohne Blumentopf kann eine Pflanze gedeihen und wachsen aber ohne Sonne nicht - das sehen wir an den Blumen, die im Freien wachsen. - Stellen Sie sich das vor, wenn jede Blume, die im Freien wächst, einen Topf haben müßte, das ginge in die Billionen Töpfe. Um beim Frühling zu bleiben. Es gibt auch Blumen, welche im Herbst blühen. Die sogenannte Herbstzeitlose enthält Gift, das sogenannte Kolchizin - Zigaretten enthalten auch Gift, das Niko tin, welches, in großen Mengen geraucht, schädlich auf den Orga nismus einwirkt. Den Rauchern, die täglich 50 Zigaretten rau chen, möge das zur Warnung dienen. Es wäre vorteilhaft, wenn sich jeder Raucher das Rauchen langsam abgewöhnen würde, viel leicht jedes Jahr eine Zigarette weniger rauchen, denn es kann vielleicht einmal eine Zeit kommen, in der er pro Tag nur 3 Ziga retten zu kaufen bekommt. Schon wieder bin ich vom Frühling abgekommen. Wir Mün chener haben sogar eine Frühlingstraße. Es kann jedermann den Versuch machen, durch die vier Jahreszeiten zu schreiten. Er geht von der Frühlingstraße hinaus zur Herbststraße - von da aus in die Sonnenstraße und von hier aus durch die Vorstadt Au nach Gie sing in die Winterstraße, von da aus kann er dann noch in die Senefelderstraße gehen, aber nur, wenn er will (des Menschen Wille ist sein Himmelreich), Eintritt 5 Mark. Ich möchte Ihnen
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noch eine ganz schlüpfrige Sache schildern, was ich mit vier Mädchen im Undosabad erlebte, aber es hat ja keinen Sinn, weil sich das im Sommer ereignet hat, und mein Artikel soll nur vom Frühling handeln - also wieder zum Frühling, der Frühling wächst mir schon bald zum Hals heraus. Den Jüngling vergleicht man mit dem Frühling - warum? Der Frühling ist die treibende Kraft der Natur, der Schöpfung - alles sprießt empor, auch beim Jüngling, äußert sich - wenn - also Es gibt ein Theaterstück, in welchem bei einem Jüngling - das Stück heißt - »Frühlingserwachen«. Aus was besteht denn eigentlich der Frühling? Nach wis senschaftlichen Forschungen aus acht Buchstaben: F-r-ü-h1-i-n-gDer Frühling hat die Eigenschaft, daß er auch wandert, - er soll auch schon öfters in Wien gewesen sein, was ein altes Wiener Lied durch den Refrain bekundet: »Der Frühling ist wieder in Wien.« - Daß der Frühling einen Vornamen hat, ist auch nicht allbekannt, er heißt nämlich Lorenz - abgekürzt »Lenz« es ist erhebend, wenn Hildach in seinem Gesang jubiliert: Laßt klingen die Glocken, fern und nah, sie so-o-llen frohlocken, der L-e-e-e-enz ist da! Soviel über den Lorenz Frühling - was werde ich in der nächsten Nummer schreiben müssen? Ich hätte ein Thema, Herr Schrift leiter: »Friede auf Erden« oder ist das noch zu früh?
Manches neu ... von Karl Valentin
»Alles neu macht der Mai! « - So heißt ein altes Lied - aber stim men tut das nicht. - anstatt alles neu macht der Mai, müßte man 179
eigentlich sagen »Manches neu macht der Mai«, z. B. das dürre Gras vom vergangenen Herbst macht der Mai wieder neu. - Die verdorrten Bäume und Sträucher macht er auch wieder neu; aber ein altes Hausdach, wo es im Herbst im vergangenen Jahr ’neigeregnet hat, das macht der Mai nicht neu; - das muß schon der Dachdecker neu machen oder reparieren. Mei Alte daheim (also meine Frau) macht der Mai auch nicht neu, im Gegenteil - jedes Jahr im Mai wird’s noch älter. Alles neu macht der Mai - oder bringt der Mai; hoffentlich bringt er uns nicht wieder neue Steuern! Die alten genügen uns vollkommen. Wenn man schon vom Mai spricht, darf man auch das alte Sprichwort nicht außer Acht lassen: »Mairegen macht, daß man größer wird!« - Manche haben dieses Sprichwort beherzigt. Besonders kleine Leute; Liliputaner haben sich vom Mairegen stundenlang anregnen lassen -- größer sind’s nicht word’n — aber naß. Dann gibt es auch im Mai (in Friedenszeiten!) einen sogenann ten »Maiwein« - der schmeckt sehr gut. Ein Gast frug einmal in einer Weinkneipe den Wirt, warum der Maiwein eigentlich »Mai«wein heißt. Der Wirt erklärte dem Gast: »Sehr einfach, weil der Maiwein mit dem Mai getrunken wird.f«] (Auf münchnerisch sagt man statt Mund, »Mai«.) In Kalau sagte einmal einer zum anderen: »Kannst Du mir ein Lied nennen, in dem das Wort Mai vorkommt?« Da sagte der andere: »Mai Mutterl war a Weanerin!« Wenn man schon, wie ich, vom Schriftleiter der »Münchener Feldpost« gezwungen wird, nur über den Mai zu schreiben, so muß man eben alles hersuchen, was mit dem »Mai« zusammen hängt. Und so komme ich nun auch auf den »Maibaum« zu spre chen. Das Symbol vom Mai ist der sogenannte »Maibaum«. - Ein alter Volksbrauch, der auf dem Lande heute noch besteht. Eine längliche Stange, entweder bedeutend höher oder kürzer als genau zwanzig Meter, wird in den heimatlichen Boden eingegraben. Das dicke Ende kommt nach unten, das dünne nach oben. Dann muß ein schwindelfreier Malergehilfe mit sogenannten Kletter- oder 180
Steigeisen hinaufsteigen und diesen hohen Maibaum mit Ölfarbe in den jeweiligen Landesfarben bemalen. - Der Maler muß aber oben am Gipfel mit der Malerei beginnen und herunterzumalen, weil, wenn er unten zu malen anfängt und malt hinauf, so kann er, wenn er am Gipfel oben angelangt ist, nicht mehr herunter, da er ja sonst die ganze Malerei wieder verwischen würde. - Oder der Maler müßte eben solange auf dem Gipfel bleiben (mehrere Tage), bis die Farbe trocken ist. Im Mai wäre das ja eventl. möglich aber im Januar - unmöglich.
Der eintausendneunhundert zweiundvierzigste Juni -Januar - Februar - März - April - Mai - so hießen die Monate, die in diesem Jahre schon an uns vorübergeflossen sind. Statt die sen fünf Stück Monaten ist nun der Frühling eingetreten. Daß er kommt, war sicher; nur wie er kommt, weiß immer niemand. Die amtliche Wetterwarte weiß es schon, nur der halbamtliche Wetterbericht stimmt nicht immer ganz genau; er stimmt schon auch fast genau, aber so genau wie der amtliche kann er ja nicht stimmen, denn wenn er so stimmen würde wie der amtliche Be richt, dann bräuchte man ja keinen amtlichen, sondern nur einen halbamtlichen. - Private Wetterprophezeiungen gibt es ja auch in Fülle und Hülle. Vieles weiß man ja selbst. Von dem vergange nen Monat Mai wußte z. B. jeder, so wie ich auch, daß der Monat Mai »Wonnemonat« heißt. Der Mai brachte uns also viel Wonne, und eine richtige Wonne ist auch nicht zu verachten. Mir persön lich wären ja Zigaretten lieber gewesen! Zigaretten und Wonne dazu, wäre mir natürlich noch erwünschter gewesen. Der Juni bringt uns, wie bekannt, statt der Wonne den Sommer. Derselbe geht aber erst am 21. Juni an, weil er den Frühling ablöst. - Die Ablösung sieht man natürlich nicht, weil es nachts 181
12 Uhr finster ist; es sei denn, es schiene der Vollmond. Selbst dann würde man diese Jahreszeitenablösung nicht sehen, weil gerade so etwas etwas Unsichtbares ist. Der Sommer trifft auch ganz pünktlich am 21. Juni ein; auch wenn es, wie es oft ist, noch kalt ist. Eine alte Bauernregel aus einem alten Kalender findet hier seine Bestätigung: Ist es im Juni heiß oder kalt, Stehn viele Bäume im Tannenwald, Tuen keine Bäume im Walde stehn, Ist von dem Wald keine Spur zu sehn. Den Übergang von dem Frühling auf den Sommer in der Nacht vom 21. Juni merkt man nicht plötzlich an der Temperatur, son dern nur an den menschlichen Einrichtungen, z. B.: Aufstellung von Anlagebänken im Freien, Abstellung der Dampfheizungen in allen öffentlichen Betrieben, wie Hotels, Restaurants, Theater etc. Der Hotelheizer hat z. B. von seinem Direktor den strengen Befehl, am 21. Juni, nachts 12 Uhr (also bei Eintritt der warmen Jahreszeit), sofort die Dampfheizung abzustellen; selbst wenn es die Gäste im Juni noch ab und zu friert. Aber kann denn da der Herr Direktor was dafür, daß der Sommer ausgerechnet am 21. Juni beginnt? Im Juni beginnt auch die Baderei in den Bädern. Für diejenigen, die nicht schwimmen können, genügt zu Hause eine mit Wasser gefüllte Badewanne. Für Schwimmer ist die Badewanne nicht geeignet! Aber auch Nichtschwimmer können im Freien ein Bad nehmen - ein Sonnenbad. Im Sonnenbad kann man nicht unter gehn, weil es nicht tief ist; im Sonnenbad ist noch kein Mensch untergegangen - im Gegenteil: Die Sonne selbst geht unter, wenn es Abend wird. Daß es beim Baden im Freien zweierlei Nässen gibt, wissen viele nicht; aber ich habe etwas Ähnliches erlebt: Ich badete ein mal im Starnberger See - der See liegt im Freien, das ist all bekannt. Ich schwamm in den See hinaus, plötzlich fing es bald zu regnen an. Regenschirm hatte ich keinen dabei - was war die Folge - ich wurde zweierlei naß; durch das Seewasser und durch das Regenwasser. Wegen dem Regen schwomm ich sehr schnell an 182
das Ufer hinaus; durch diese Anstrengung schwitzte ich furchtbar. Der Schweiß rann mir am Körper empor: Der Schweiß ist auch etwas Flüssiges, genau wie das Seewasser und das Regenwasser, und hiemit so war ich dreierlei naß. Und wer so was Unsinniges schreibt, den nannte man früher im Volksmunde - einen »damischen Ritter« - wie solcher im Bilde hier zu sehen ist.
Herbstvorschläge Von Karl Valentin
Es wird Herbst, die Blätter fallen, und die Reben werden reif oder: Warum wächst bei uns in Bayern kein Wein! Berge hätten wir genügend, aber keine Weinberge - nur Schneeberge. Wenn man diesen Schnee, der auf unseren Bergen liegt, in Flaschen abfüllen würde und lagern täte, entstände daraus Wasser, welches wir ge genwärtig in gewaltigen Mengen zu unserem bayerischen Dünn bier benötigen. Genau so, wie der Rheinländer aus seinen Wein bergen Nutzen zieht, genau so ziehen wir Bayern aus unseren Schneebergen Nutzen. Wir haben auch das Recht, auf unseren Bergen Schi zu fahren, was auf einem Weinberg unmöglich wäre. Ich hätte eine gute Idee: Den Schnee auf den Bergen weg räumen und dafür Wein pflanzen. Leider gibt es zur Zeit keine Schneeräumer, da dieselben eingerückt sind. Aber ich glaube, es hätte doch keinen Sinn, dies zu tun, denn setzen wir den Fall, es wäre gerade Weinernte und würde zirka acht Tage lang schneien, so daß der Schnee meterhoch tief auf den Bergen läge, so müßten sich diese Erntearbeiter sofort auf Schneeräumer umstellen und den Schnee aus den Weintraubenreben heraus schaufeln. Daß aber durch die schweren eisernen Schneeschaufeln Millionen von Trau ben ruiniert werden würden, liegt klar auf dem Fuß, vielmehr auf der Hand. Man sieht hieraus ganz deutlich, daß man auch da und hie keine gute Idee haben kann. t83
Den Schnee auf den Bergen zu entfernen, hätte auch noch andere Nachteile, z. B. die Berge liegen meterhoch voll Schnee, plötzlich scheint die Sonne - es wird warm. Der Schnee schmilzt zu flüssigem Wasser und läuft von den Bergen herunter in die Gebirgsbäche. In denselben gibt es Fische. Diese dienen als Nah rungsmittel für die Menschen. Wenn wir nun, nach meiner oben erwähnten Idee, den ganzen Schnee von unseren bayerischen Ber gen wegräumen würden, gäbe es keine Gebirgsbäche. Hätten wir nun keine Gebirgsbäche, gäbe es auch in denselben keine Fische. Wir haben auch zur Zeit sehr selten Fische zu essen, infolgedessen müssen wir fast keinen Schnee auf den Bergen haben. Dann könn te man vielleicht doch Wein pflanzen! Leider ginge uns auf diese Weise, wie schon erwähnt, das Wasser verloren, welches wir zu unserem Dünnbier benötigen. Es steht nun die Frage offen: Sollen wir nun den Schnee auf unseren bayerischen Bergen liegen lassen - oder wegräumen?
Seifenschnee Von Karl Valentin Jeder Mensch, der sich am Abend niederlegt, soll am andern Tag in der Früh wieder aufstehen, das hat man schon in der Schule gelernt, und das macht auch der Herr Meier so. Um Verwechs lungen zu vermeiden, sei hier erwähnt, daß nicht der Meier mit a i, sondern mit e i gemeint ist. Meier stand eines Morgens auf, wusch sich, da rutschte ihm die Toilettenseife aus der Hand, fiel auf den Boden und rutschte (wie immer) von hier aus noch unter die Waschkommode. Er holte die Seife unter der Waschkommode hervor, die Seife ist aber am Boden schmutzig geworden, er wollte nun die schmut zige Seife mit Seife abwaschen, das war aber nicht möglich, weil er keine zweite Seife hatte; da wusch er die Seife, ohne Seife, also nur mit Wasser ab.
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Dann wusch er sich das Gesicht - da läutete sein Telefon, er nahm schnell das Handtuch und trocknete sich auf dem Weg zum Telefon fluchend das Gesicht ab. Mit dem Handtuch blieb Herr Meier an der Zimmertürklinke hängen und stieß dabei weitere Flüche aus - der erste Fluch Himmel-Herrgott-Sakr....... usw. wurde ja schon beim Herabfallen der Seife ausgestoßen. Mit halb nassem Gesicht führte Herr Meier ein unwichtiges Gespräch. Einer Hausinwohnerin, die einen Stock höher wohnt, soll Herr Meier ausrichten, daß ihr Mann statt um 12 Uhr erst um 1 Uhr zum Essen kommt. Hierauf folgten wieder Fluchworte, aber erst, als Herr Meier das Höhrrohr auf die Telefongabel gelegt hatte. Sein nasses Gesicht ist inzwischen ohne Handtuchbenützung auch trocken geworden - er ging voll Grimm in den dritten Stock hinauf und verkündigte der Frau die Botschaft, daß ihr Mann heute nicht um 12 Uhr, sondern um 1 Uhr zum Essen heim kommt. Ernsten Schrittes ging Herr Meier wieder in seine Wohnung zurück - sich ans Kinn greifend bemerkte er, daß er heute noch gar nicht rasiert sei. Er seifte sich ein, und als er vor Seifenschaum strotzte, läutete es. - Himmel-Herrgott-Sakr....... ausgerechnet unterm Rasieren - die Post ist da! Der Geldbriefträger brachte Herrn Meier 50 Mark. Da ärgerte sich Herr Meier ob seines Flu ches, und er frohlockte und jauchzte, als er die Postanweisung unterschrieb und die 50 Mark empfing. - Auf baldiges Wieder sehen rief Herr Meier dem Geldbriefträger zu - worauf Meiers Wohnungstür ins Schloß fiel. Schneeflocken? - Es schneit in Meiers Wohnung - nein!, der Seifenschaum in Meiers Gesicht ist eingetrocknet und fliegt als Schneeflocken umher. Meier seifte sich abermals ein. Als er wieder eingeseift war, bimmelte schon wieder die Woh nungsglocke. »Himmel-Herrgott-Sakr .......usw.« Wütend sprang Herr Meier auf und öffnete die Wohnungstüre. - Ah!, schon wie der der Geldbriefträger - ha, ha! »Meinen Bleistift habe ich bei Ihnen liegen lassen - seufzte der Postbote - da liegt er ja - danke!, ich bin die letzte Zeit sehr ver 185
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geßlich - das passiert mir so oft, daß ich meinen Bleistift liegen lasse, man wird halt älter, und mit dem Alter kommt auch langsam die Vergeßlichkeit, - meine Mutter ist schon bald 80 Jahre, belehrt der Postbote den Herrn Meier, aber auch sehr vergeßlich -, ich nehme an, ich habe die Vergeßlichkeit von meiner Mutter geerbt. Mein Vater lebt nicht mehr, der war eigentlich weniger vergeßlich.« Herr Meier meinte dann, das sei nicht so tragisch mit der Ver geßlichkeit. Kritisch würde es nur dann, wenn Sie jetzt vergessen würden, daß Sie heute noch etwas anderes zu tun haben, als bei mir hier zu ratschen. - Er hatte Herrn Meier sofort verstanden, und zog von hinnen. Der langen Erzählung halber über die Vergeßlichkeit hatte sich in Meiers Gesicht wieder ein Schneeflockengestöber gebildet, und zum dritten Male seifte sich Meier ein. Gut eingeseift ist halb rasiert - Himmel-Herrgott-Sakr......., wo ist denn jetzt mein Ra sierapparat? - Nach langem Suchen hat er ihn gefunden, aber die Seife in Meiers Gesicht war nun zum 4. Male eingetrocknet! Schluß für heute -, schrie Herr Meier, ich rasiere mich morgen. Brrrrrrrrr, Telefon hat geläutet! —! Hier Meier! — Wer? — Lotte! — wie?, du bist soeben hier angekommen? - Wie geht es dir? — Ich komme auf die Bahn hinaus, ich muß dich sehen!, in 20 Minuten bin ich draußen - ich freue mich kindisch, dich wie der zu sehen - einstweilen alles Gute, in 20 Minuten. Nun aber schnell rasieren, meint Herr Meier, - Lotte ist da! meine heimliche Berliner Pflanze -, da muß ich ja doppelt glatt rasiert sein. Meier seifte sich wieder ein. Schnell eine neue Rasierklinge in den Apparat - auch! .... Himmel-Herrgott-Sakr....... usw. - hefti ge Schnittwunde am linken Zeigefinger. - Die Wunde klafft -, der Schmerz tut weh - das rote Blut rieselt - Blutspuren überall Himmel-Herrgott-Sakr....... ! Seit Jahren steht die Hausapotheke immer auf dem Koffer in der Kammer, heute, weil ich mich in den Finger geschnitten habe, ist nichts zu finden, jammert Herr Meier. Die Wunde blutet -, die Zeit vergeht -,20 Minuten bis zur Lotte - ich sehe schwarz. Meiers Dienstmädchen kommt zur Tür herein - Himmel-Herr 186
gott-Sakr... usw., Erna schreit Herr Meier, wo ist die Haus apotheke?, wo ist Leukoplast? »Die gnädige Frau hat alles in den Urlaub mitgenommen!« Himmel-Herrgott-Sakr....... ! Dienstmädchen bringt ein Isolierband - »Geht auch«, - her damit! - Inzwischen ist die Seife in Meiers Gesicht zum 5. Male eingetrocknet. Die Zeit ist knapp, Lotte liebt mich auch unrasiert, - flux aus dem Haus. - Begrüßung am Bahnhof - Lotte stellt vor: Mein Mann - Otto Neumann - ich - seine Gattin! Ich habe inzwischen geheiratet - da bist du wohl überrascht? Ja, das bin ich, warum hast du mir das nicht gleich am Telefon gesagt, sprach Meier? Ja, mein lieber, ehemaliger Freund, du hast mich ja nicht ausspre chen lassen - und schicksalsmäßig verabschiedete sich Meier von dem jungen Ehepaar, und trat den Heimweg an. Niedergeschmettert und unrasiert, ging er zu dem nächsten Friseur, Meier erzählte dem Friseur, daß er sich heute vormittag schon fünfmal eingeseift hatte, und fünfmal trocknete der Schaum in seinem Gesicht ein, weil immer was dazwischen kam. Der Fri seur schmunzelte heimlich, seifte Herrn Meier tüchtig ein und meinte, - ein vernünftiger Mann rasiert sich eben nicht selbst, der geht in einen Friseursalon, da kommt so etwas nicht vor - plötz lich - Fliegeralarm!!! Meier eilte in den Luftschutzkeller. In der Aufregung vergaß Meier, die Seife von seinem Gesicht zu entfernen, und somit ist sie ihm zum sechsten Male eingetrocknet. Ja, ja, ein Vollbart hat doch seine Vorteile!
Schamgefühl Text von Karl Valentin - Mai 43
Eine alte, sehr fromme Bäuerin auf dem Lande klagt seit längerer Zeit über Schmerzen im Unterleib. - Der Bauer meint: »Ja mei, 187
Kathi, da muasst halt doch amal in d’stadt eini fahr’n zu an Dokta, da werd’ nix anders übrig bleib’n« und schweren Herzens, färt die Bäuerin am andern Tag zu einem Doktor. Als sie wieder zuhause ankam frug sie der Bauer. »Na, was hat denn der Dokta g’sagt?« »Ja, mei« sagt d’Bäuerin, »a Salb’n hat er mir verschrieb’n, da sollt i mir s’Handglenk damit einreib’n.« -- S’H[a]ndglenk«? -- sagt der Bauer, - »ja, d’Schmerzen hast doch im Unterleib« »Freili, hab i d’Schmerz’n im Unterleib« sagt d’Bäuerin, »I hab aber g’sagt, zum Dokta, »An der Hand hab’ i d’Schmerz’n, denn wenn i g’sagt hätt’ am Unterleib, dann hät’ i mich sicher vor dem Dokta nackert ausziag’n müass’n.[«]
Express Text v. Karl Valentin - Juni 43 Express heisst »schnell« - und schnell heisst - mir pressiert es und wenn es einem pressiert, so hat man es eilig - und »eilig« heisst wieder »geschwind« - und geschwind wollte ich mir in der Nähe des Hauptbahnhofes München, vor Abfahrt meines Zuges noch eine Tasse Kaffee kaufen: »Bohnenkaffee«, denn es war ja anno dazumal im Jahre 1937. An einer Strassenecke schillerte mir ein silbernes Schild ent gegen »Express-Kaffee«. Flux hinein - hingesessen - Ober! schnell eine Tasse Kaffee - aber der Ober hat meinen Ruf scheint es nicht gehört, denn im »Express-Kaffee« fauchten, zischten und dampf ten zwei vernickelte Dampfkessel, die auf dem Buffet standen, die Maschinistinnen, die diese beiden Expressdampfkaffelokomobilen bedienten, - drehten Wechsel auf und zu, schoben leere Kaffetassen hin und her, drehten an Rädern herum und ich hätte stun denlang Lust g[e]habt, zuzuschauen, wenn ich Zeit gehabt hätte. Meiner Schätzung nach, hatte ich den Ober cirka 10 Mal gerufen »Ober, schnell eine Tasse Kaffee; ich muss zum Zug!« Und eben sooft erhielt ich das Echo »Sofort mein Herr!« -- Zwei Express-
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dampfmaschinen und nur ein Ober! So ein Betrieb kann nicht funktionieren - eher zwei Ober und [n]ur ein Expressdampfkessel. - »Ober« rief ich, ich habe höchste Zeit - und endlich stand nun die erwünschte Tasse Kaffee vor mir auf dem Marmortischchen. Aber nun war es zu spät. Den Expresskaffe schnell auf einen Schluck hinunterzuschütten, war unmöglich, denn dieser sprudel te noch vor Heissigkeit. - Ich hätte ja nochmal io Minuten warten müssen, im Kaffe »Express« bis der Expresskaffee trinkhaft ge wesen wäre. Ich zappelte vor Nervosität beim Zahlen des nicht getrunkenen Expresskaffee’s und nahm mir aber trotzdem noch einige Minuten Zeit, die ich noch übrig hatte, dem Ober zu erklären, dass das kein »Expresskaffeehaus«, sondern ein »Güter zugkaffeehaus« ist. Aber, Gottseidank gibt es in München doch noch einige »wirkliche Expresskaffehäuser«. Um nur eines zu nennen: Das alte Kaffee Gröber am Viktualienmarkt; da geht man hinein, - setzt sich nieder - schon kommt eine Kaffeekellnerin mit zwei grossen Kannen auf dich zu - fünf, sechs, leere Kaffee tassen stehen schon auf dem Tisch bereit - sie frägt Dich: »Hell oder dunkel«, - schüttet Dir die Milch und den Kaffee zugleich in die Tasse, wie Du Dir gewünscht hast und alles das in einer Zeit von wenigen Sekunden.----- Das ist Tempo!!! - Und auf dem Firmenschild dieses Geschäftes steht nur mit einfachen Buch staben: (Kaffee Gröber, gegründet 18..)
»Arche Noah« Von Karl Valentin.
In Meyers Konversationslexikon, Band A, Seite 703 - (Schilderung der Arche Noah) -. Ein Mennonit, namens Peter Jansen, in Hoorn (Holland) liess im Jahre 1609 eine, nach der überlieferten Darstel lung der Biblischen Geschichte gebaute Arche von Stapel laufen, und Silberschlag suchte den mathematischen Beweis zu führen,
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dass die Arche Noah zur Aufnahme aller ihrer Bewohner, nebst der nötigen Nahrung usw. geeignet gewesen wäre.
Dieser Zweifel kostete diesem Holländer eine eminente Summe Geld. Hätte dieser Mann sich vor diesem teuren historischen Experiment mit einem Zoologen oder, noch besser, mit dem Besitzer eines zoologischen Gartens in Verbindung gesetzt, so würden diese Herren dem Herrn Jansen von diesem Experiment entschieden abgeraten haben. Ohne den Wundern, Legenden, Fabeln usw. ihre Berechtigung zu nehmen, möchte doch jeder denkende Mensch in Sache der Arche Noah einmal das Technische erklärt wissen, ob es denn möglich war, etwa eine Million Tierarten, von jeder ein Paar (männlich und weiblich), also zusammen zwei Millionen Tiere in einem Schiff unterzubringen, welches 220 Tage, also sieben Monate auf dem Meere geschwommen ist. Nach wissenschaft lichem Standpunkt existieren tatsächlich auf der Erde etwa eine Million Tierarten (ohne die Fische). Wie gross die Arche Noah war, hierüber gibt die Biblische Geschichte im Alten Testament Auskunft - denn es steht geschrieben: Gott sprach zu Noah »Baue Dir eine Arche aus Holz! Mache verschiedene Kammern darein und bestreiche sie innen und aussen mit Pech! Dreihundert Ellen soll sie lang sein (eine Elle war damals 75 cm), fünfzig breit und dreissig hoch. Oben mache ein Fenster in die Arche und mitten in die Seite eine Tür. Denn sieh, ich will eine grosse Wasserflut her einbrechen lassen über die ganze Erde. Alles, was Leben und Odem hat unter dem Himmel, soll umkommen. Mit Dir aber will ich einen Freundschaftsbund schliessen. Du sollst in die Arche gehen mit Deinen Söhnen, mit Deinem Weibe und mit den Wei bern Deiner Söhne. Von jeder Art der Tiere, - von den vierfüs sigen, den Vögeln und allen anderen Tieren, nimm ein Paar mit in die Arche, dass sie am Leben bleiben! Auch Speisen aller Art nimm mit, Dir und ihnen zur Nahrung!« Und Noah tat, wie ihm Gott befohlen, und baute dieses grosse Holzschiff. Dann regnete es 40 Tage und 40 Nächte - das Wasser wuchs und hob die Arche empor und dieselbe schwamm nun auf 190
dem Gewässer einher. 220 Tage (etwa sieben Monate) war Noah mit allen Tieren in der Arche, dann liess Noah die bekannte Taube fliegen, die einen Ölzweig brachte. Die Sintflut nahm ihr Ende und Noah entstieg der Arche mit seiner Familie. Auch alle Tiere Vieh - Vögel und Gewürm kamen wieder auf das trockene Land. Genau wie dem Holländer Mennoniten Jansen gab auch mir diese Arche Noah, wie vielleicht auch schon vielen anderen, Zweifel darüber, denn es ist mir unerklärlich, wie so etwas möglich gewe sen sein soll, denn wenn der Noah die Tiere, die es vor der Sint flut auf der Welt gegeben hat, in die Arche Noah verladen hat, dann muss er doch zuerst alle diese Tiere eingefangen haben. Der Instinkt, den jedes Tier nachweislich besitzt, kann doch nicht so gross gewesen sein, dass diese selbst zur Arche Noah herbeiström ten. Wie lange hätte denn das gedauert, man denke hier nur an den Regenwurm oder an eine Schnecke. Eine Schnecke kann nicht strömen, nur kriechen. Bei Schwalben und Möwen, die alljährlich von einem Erdteil zum anderen fliegen, ist mir das glaubhaft. Trotz des Instinktes wäre ein blödes Kalb oder eine dumme Gans nie von selbst zur Einschiffung in die Arche gekommen. Also muss der Noah mit seiner Familie auf der ganzen Welt die Tiere zusammengefangen haben, und zwar von den vorsintflut lichen Riesensaurussen, von denen einer fünfmal grösser war als der grösste Elefant der Urzeit bis hinunter zum kleinsten Tier, dem Floh. Von den Tieren, die noch kleiner sind als die Flöhe, die man nur unter dem Mikroskop wahrnehmen kann - aber auch Tiere sind -, soll hier gar nicht die Rede sein. Ich habe das Bild vor mir liegen aus der Biblischen Geschichte, von der Einschif fung, wie die Tiere paarweise über die Landungsbrücke schreiten. Wie stark muss dieses Holzbrett gewesen sein, wenn über dassel be ein Paar Saurusse - ein Paar Elefanten - ein Paar Walrösser ein Paar Nilpferde usw. gegangen sind. All die vielen grossen und kleinen Vögel sind wahrscheinlich zur Archentüre hineingeflogen und nicht zu Fuss gegangen. Ich erinnere mich an einen alten Witz über die Arche Noah: »Da sprach der Elefant zum Floh drück doch nicht so.«
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Das schwierigste aber von allem muss doch für den Noah die Erkenntnis und Feststellung des Geschlechtes aller dieser Tiere gewesen sein, von jeder Gattung ein Paar, also Männchen und Weibchen. Die Fische blieben von der Sintflut verschont. Diese konnten nicht ersaufen, weil dieselben nur im Wasser existieren können, die mussten wahrscheinlich nach der Sintflut daran glau ben, als sie auf dem Trockenen lagen. Die wildesten Bestien sind bekanntlich die schwarzen Panther, von diesen ein Paar einzufan gen, bei diesem Gedanken läuft es selbst einem Tierwärter eines zoologischen Gartens eiskalt über den Rücken, aber Noah hat es anscheinend doch fertig gebracht. Bei der Einschiffung aller Tiere musste nun darauf geachtet werden, dass nicht z. B. hinter den Schnecken zwei Renntiere kamen, denn erstere kriechen ganz langsam und letztere rennen. Nun steht man wieder vor einem neuen Rätsel: Wie viele Käfige mussten in der Arche bereit gewesen sein, um diese eine Million Tierarten unterzubringen? Jedes Paar Tiere musste doch seinen eigenen Käfig haben. Abgesehen von den fast unzählichen riesen grossen Käfigen der Elefanten - Giraffen- Saurusse- und winzig kleine^] Käfigen z. B. der zwei Ameisen, musste doch Noah auf die Verpflegung der Tiere auch noch gefasst sein. Ein Elefant frisst täglich einen halben Zentner Heu - ein Paar Elefanten also einen Zentner. 220 Tage, also über ein halbes Jahr waren die Tiere in der Arche, also musste der Noah allein schon für die zwei Ele fanten 220 Zentner Heu mitnehmen. Ein vorsintflutlicher Saurus soll fünfmal so viel gefressen haben wie ein Elefant, mir scheint, der Noah hätte mindestens noch zehn Archen in der gleichen Grösse bloss für Futter mitnehmen müssen. Dann kommt noch dazu, dass jede Tiergattung eine andere Nahrung zu sich nimmt, das Rhinozeros frisst jedenfalls etwas anderes als ein Papagei. Der Floh z. B. lebt nur von Menschenblut. Um die zwei Flöhe zu er nähren, hätte der Noah im Flohkäfig schlafen müssen. Der Storch lebt nur von Fröschen. Täglich frisst ein Storch, laut Erkundi gung, etwa 20 Frösche. Zwei Störche fressen 40 Frösche, 22omal 40 Frösche sind 8800 Frösche. 8800 Frösche mussten also auch mitgenommen werden zur Fütterung der zwei Störche. Nun frisst 192
aber ein Frosch mindestens täglich hundert Fliegen, zwei Frösche, also ein Paar, fressen 200 Fliegen. 220 Tage waren die Frösche in der Arche, sie benötigten also 2 2omal 200 Fliegen = 44000 Flie gen, die der Noah vor der Einschiffung fangen musste. 44000 Fliegen brauchen aber in 220 Tagen auch täglich ihre Nahrung, mit Ausnahme der zwei Eintagsfliegen, die nur 1 Tag Nahrung benötigen, weil sie nur einen Tag leben. Die vielen Tiere mussten aber, äusser den Schlangen, täglich zweimal gefüttert werden. In einem grossen zoologischen Garten sind mindestens 30 Angestellte für etwa 1000 Tiere ständig be schäftigt. Die zwei Millionen Tiere in der Arche musste aber nur die Familie Noah betreuen. Dazu hatte die Frau Noah noch ihre Hausarbeit zu verrichten, musste kochen, flicken, putzen usw. Wie mussten erst die Nerven der Familie Noah beschaffen gewesen sein, wenn sie dieses Gebrüll, Geschreih, Gewieher, Geschnatter, Gezische, Geheul, Geblöke, Gekreisch, Gezwitscher, Gefauche, Gebell, Geknurr und Gemecker (damals wurde also auch schon gemeckert) 220 Tage lang anzuhören hatte. Äusser der Fütterung mussten doch auch die zehnmal hunderttausend Käfige gesäubert werden. Von dem Quantum dieser Abfälle kann man sich einen Begriff machen, wenn man bedenkt, dass, wie schon erwähnt, ein vorsintflutlicher Riesensaurus täglich fünf Zentner Heu gefressen hat. Zu all dem musste der Noah an die richtige Placierung der Käfige und Tiere gedacht haben. Hätte er z. B. alle kleinen und leichten Tiere auf die eine Seite placiert und auf die andere die grossen und schweren Tiere, wäre die Arche sicher umgekippt. Nun kommt das Hauptkapitel in dieser Richtung, dass sich ein Teil dieser Tiere im Zeitraum eines halben Jahres ganz gewaltig fortpflanzt, man denke hier nur an Ratten und Mäuse. Aber Noah durfte ja doch nur ein Paar von jeder Gattung in der Arche halten. Ein weiteres Problem war die Beleuchtung im Innert dieses Schif fes, man überlege sich, dass sich doch in diesem Riesenschiff nur ein Fenster befand. Also muss es doch fast stockfinster gewesen sein, denn dass es früher noch kein elektrisches Licht gab, wissen wir. Da es damals nur offenes Feuer zur Beleuchtung gegeben hat, war das eine sehr feuergefährliche Angelegenheit, man denke an J93
die hunderttausend Zentner von Heu und Stroh. Dann die Luft in diesem Riesenschiff, die diese zwei Millionen Tiere verbreiteten. Ein Beispiel: Ich besuchte einmal die Tierschau eines Zirkusses. Die ganze Schau bestand aus ca. 50 Tieren. Trotz moderner Ent lüftungsanlage, Ventilatoren, Exhaustoren, war die Luft in dieser Raubtierhalle so beissend, dass mir nach einer Viertelstunde die Augen tränten.
Als nun alle Tiere in der Arche Noah untergebracht waren, wurde die Arche geschlossen. Sie schwamm nun 220 Tage auf dem Was ser. Als die Arche wieder auf trockenem Boden stand, verliessen die Tiere das Schiff und zogen wieder lustig in die Welt hinaus.
Es gäbe noch viele Punkte, die die Unterbringung dieser Riesen massen von Tieren in diesem Schiff, Arche Noah genannt, als unmöglich erscheinen lassen. Nur das Buch »Die Bayrische Bibel«, welches man in jedem Buchverlag zu kaufen bekommt, in welchem das ganze Alte Testament in humoristischer Aufmachung geschildert ist und in einer Illustration sogar den Vater Noah mit Fernrohr und Regenschirm auf der schwimmenden Arche zeigt, gab mir den Anlass, meine Nachgrübelei denkenden Menschen zu übermitteln, ohne mich irgendeinem Spott zu nähern. Gedanken sind zollfrei - auch bei Kindern, denn der kleine achtjährige Maxi wollte es z. B. nicht glauben, dass der Storch die kleinen Kinder bringt, und deshalb fragte er eines Tages seine Mutter, ganz nach denklich gestimmt, ob denn der Storch mit seinem spitzigen Schnabel den Kindern nicht wehe tut, das wäre doch eher eine Arbeit für ein Känguruh, denn das könnte doch in seinem Trag säckchen die Kinder viel sicherer und behutsamer zur Mutter bringen. Mit dieser Nachgrübelei war der kleine Maxi der Wahr heit schon etwas näher gerückt. Wenn schon Kinder über man ches, was ihnen nicht erklärlich ist, nachsinnen - kann man es dann Erwachsenen Übelnehmen? Motto: Es wundert einen heutzutage, wenn sich jemand über Wun der von damals nicht wundert.
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Die guate alte Zeit! Es gibt in unsern zwanzigsten Jahrhundert immer und immer wie der Menschen, die ein Loblied auf »die guate alte Zeit« loslassen: »Ja, in der guaten alten Zeit, da war’s halt no’ schön!« - Diese sie bengescheiten Menschen können ja leicht schwätzen, weil sie doch in dieser Zeit noch nicht gelebt haben; man sollte diesen Leuten mal einen Einblick in die Kriegsarchive gewähren, da könnten sie dann nachblättern, über »die gute alte Zeit«. Allein schon die Tat sache, dass ein Krieg früher dreissig Jahre gedauert hat, müsste genügen, diese Frevler vom Gegenteil zu überzeugen. Heute erscheint diesen Meckerern ein Krieg von fast fünf Jahren schon zu lang und wenn diese Schwärmer »der guten alten Zeit« erst über die Kriegsmethoden und Kriegsgreueln aus früheren Jahr hunderten unterrichtet wären, dann würde Ihnen schon klar wer den, dass »in der guten alten Zeit« nur der Irrsinn unter den Völ kern geherrscht hat. Ganze Ortschaften wurden niedergebrannt; Klöster und Kirchen wurden ein Raub der Flammen; die Zivil bevölkerung, deren Hab und Gut vernichtet wurde, war der Ver zweiflung nahe. Nicht selten kam es vor, dass sogar einige Klostermönche lebendig eingemauert wurden, deren Skelette man vor Jahrhunderten erst ausgegraben hat. - Dass der Irrsinn soweit stieg, dass man in Belagerungszuständen von den Zinnen mancher Ritterburg auf den Feind sogar siedendes Pech geschüttet hat, müsste das alberne Geschwätz von »der guten alten Zeit« für immer verstummen lassen.
Vom eigenen Willen Von Karl Valentin 1944. In 6 Tagen hat Gott, der grosse Baumeister, die Welt erschaffen, aber ohne Häuser. Letztere wurden durch die kleinen Baumeister
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geschaffen, aber nicht in 6 Tagen, sondern in wieder vielen Tau senden von Jahren. Dann veranstalteten die Menschen Kriege und die Wohnstätten wurden zerschossen oder verbrannt. Dann baute man wieder neue, aber festere Häuser. Die zerschoss man beim nächsten Krieg auch wieder und so ging das weiter bis zum heuti gen Tag. Die Baumeister sammelten aber in der langen Zeit Er fahrungen und bauten die neuen Wohnstätten aus Eisenbeton. Aber auch diese Beton- und Stfajhlbauten fielen durch die neuen, modernen Kriegswaffen zusammen wie Kartenhäuser. Weil es aber immer und immer wieder heisst, solange es Menschen gibt sind Kriege unvermeidlich, nun wissen die Baumeister nicht mehr, was man in Zukunft für Häuser bauen soll. Gar keine Häuser mehr bauen, wäre für die Zukunft am sichersten, denn keine Häu ser könnte man nicht mehr umschiessen. Aber die Menschen brauchen doch nach jedem Kriege wieder Wohnungen und da kamen nun alle Baumeister der Welt zu der einzigen, richtigen Lösung, die Wohnstätten unterirdisch, also mindestens 20 Meter unter der Erdoberfläche einzurichten. Stellen sie sich nach dieser Art Berlin vor. Was würde da oben in Berlin für eine Bewegungs freiheit für alle Fahrzeuge, Autos, Radfahrer usw. Kein Verkehr schutzmann mehr nötig. Alle weiteren Vorteile und Misstände kann sich der Leser selbst ausdenken. 20 Meter unterirdisch können auch während des Krieges Tag und Nacht alle Räume beleuchtet sein - Fenster braucht man nicht verdunkeln, weil es unten keine Fenster mehr gibt - Im jetzigen Krieg - sofortige Ver dunkelung - aus ist es mit der Herrlichkeit, oder besser gesagt Helligkeit - Hunderte von Jahren haben sich die Erfinder das Hirn zermartert, wie man Städte taghell beleuchten kann - end lich ist es gelungen - Bums!, kommt der Krieg - Licht aus! Fast über der ganzen Welt herrscht wieder Finsternis, vor der Erschaf fung der Welt war es auch finster, nur der Geist Gottes schwebte über den Wassern. Und Gott sprach: »Es werde Licht!« Und es ward Licht. Würde der liebe Gott dieselben Worte heute sagen, würde er sich wegen Verdunklungsvorschriften strafbar machen. Da aber der liebe Gott wie jeder König und Kaiser über den irdi schen Gesetzen steht, könnte er es riskieren. Dass er sich nicht 196
streng an die Verdunklungsvorschriften hält, sieht man schon dar aus, dass er zeitweise den Vollmond scheinen lässt. Als Herrgott könnte er ja sogar in der Nacht die Sonne scheinen l[a]ssen, aber er will den astronomischen Wissenschaften keinen Strich durch die Rechnung machen. - Klar ist, dass sich der liebe Gott über vieles ärgert, was die Menschen alles für dummes Zeug treiben auf der Welt, die er so schön gestaltet hat. Schauen sie sich nur einmal in München den schönen englischen Garten an, wie der ausschaut. Zwanzigmeter hohe Bäume liegen von Bomben zerfetzt wirr durcheinander. Wie kommen die Menschen dazu, dem Herrgott seine Sachen so zu zerstören. Wir Menschen sollen uns doch über die herrlichen Bäume freuen und wenn wir Holz brauchen, erlaubt er uns sogar die Bäume abzuschneiden, damit wir im Winter Holz zum einheizen bekommen. Aber »Forstfrevel« brauchen wir doch nicht treiben mit dem Eigentum vom lieben Gott. Aber das alles sind Ausweitungen des Krieges. Aber warum sind die Menschen so böse aufeinander und führen immer wieder gegenseitig Krieg? In der Bibel steht geschrieben: »Gott schuf den Menschen nach seinem Ebenbild«. Nun also! Dann müssten wir Menschen doch alle gut sein, denn Gott heisst doch gut. Hierauf erwidert der christliche Glaube: »Gott gab den Menschen den freien Willen«. Das war ein Fehler. Das hätte Gott nicht tun sollen, und deshalb tut nun jeder was er will. Und jetzt ärgert sich der liebe Gott darüber, aber schuld ist er selber. Wie wäre es schön auf der Welt, wenn jeder Mensch kei nen freien Willen hätte und nur das tun würde, was der liebe Gott will. Die Menschen, die dann Krieg führen wollten, könnten das nicht mehr tun, weil Gott gegen den Krieg ist, was aus dem himmlischen Zitat, »Ehre sei Gott in der Höhe und Friede den Menschen auf Erden« deutlich hervorgeht. Die Frage bleibt dem nach offen, ob Gott wirklich dem Menschen einen freien Willen gegeben hat. Zu was für einer Zeit muss denn das gewesen sein? Doch nur bei der Erschaffung der ersten Menschen, also im Para dies bei Adam und Eva, denn mit diesen beiden hat der liebe Gott persönlich verhandelt. Und nun sind wir wieder bei dem alten Thema, bei der historischen »Apfelbeisserei«. Hier sprach Gott: 197
»Von allen Bäumen im Garten dürft ihr essen, nur nicht von dem Baum mitten im Garten«. Aber ausgerechnet von diesem Baum wollten die ersten Menschen essen. Also hier nimmt man an, dass der Ursprung vom freien Willen zu suchen ist. - Nach alten Ur kunden soll die Eva die Triebfeder gewesen sein, denn sie wollte und der Adam wollte auch. Das war ein fortwährendes hin und her, sollten sie oder sollten sie nicht in den verbotenen Apfel beis sen. Da machte der liebe Gott der Streiterei ein Ende und sprach: »Ich gebe euch nun den freien Willen, dann kann jeder von euch beiden tun was er will«. Das haben natürlich beide sofort aus genützt und beide haben das Verbot überschritten und haben mit hin gewollt. Dieser freie Wille hat sich dann fortgepflanzt bis zum heutigen Tage, denn dass wir alle von Adam und Eva abstammen, dürfte heute niemand mehr bezweifeln. Hätte[n] Adam und Eva damals keinen freien Willen gehabt, hätten sie nicht von dem ver botenen Baume gegessen und hätten sich nicht fortpflanzen kön nen. Die beiden wären ohne Nachkommen gestorben und die Welt wäre heute noch ohne Menschen. Ohne Menschen gäbe es auch keine Kriege. - Also, wer trägt die Schuld an allen Krie gen? Die [ejrsten Menschen, Adam und Eva, nur wegen einem Apfel. Also: »Nieder mit den Äpfeln! Nieder mit dem freien Wil len. [«]
Rundfunkreportage (Kegelklub) Potz Karl Valentin. Meine Damen und Herren! Mit dem Gongschlag zuerst die Ge naue Zeit: - In 72 Sekungen ist es genau 26 Uhr - in 30 Sek — 20 Sek — 10 — 5, 4, 3, 2, (Gongschlag) — das war 26 Uhr. Wir übertragen jetzt die Rede des Vereinsvorstandes des Kegel klubs »Alle Neune« im Nebenzimmer des Gasthauses »Zur gol denen Ente« in der Lilienstr. Wir haben mit dem Mikrophon im
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Nebenzimmer Aufstellung genommen. Die Eingangstüre, welche das Gastzimmer mit dem Nebenzimmer trennt, ist im matten Grün von einigen Tannenzweigen geziert. Die 35 Vereinsmit glieder haben mit ihren Frauen im Nebenzimmer bereits ihre Plätze eingenommen. - Nahe neben mir steht der Gastwirt, Herr Sebastian Meier und zündet sich soeben seine Virginia an - und die Kellnerin Frl. Zenzi hat noch alle Hände voll zu tun, um die bereits Anwesenden mit Speisen und Getränken zu versorgen. Die 3 Mann starke Vereinskapelle, bestehend aus Klavier, CTrompete und Schlagzeug, hat in der Ecke Platz genommen, um beim Erscheinen des ersten Vorstandes, Herrn Mathias Hinter huber, ihre Weisen erklingen zu lassen. - Das Nebenzimmer selbst ist geschmackvoll und doch deskret mit bunten Papierguirlanden behängt und gibt dem Ganzen eine feierliche Prägung. Die Wir tin, Frau Resi Meier, tritt soeben von der Küche kommend zur Türe herein und verkündet geheimnisvoll »Jezt kimmt er«. Schon erklingt - wie Sie hören - der Einzugsmarsch. (Musik »Mein Herz, das ist ein Bienenhaus«). - Die Gäste erheben sich von ihren Sitzen, der Vorstand tritt ein und nimmt an seinem für ihn bestimmten Platz Platz - neben ihm sitzt der 2. Vorstand Georg Neumeier und seine Gattin, rechts von ihm der Schriftführer und der Kassier des Kegelklubs »Alle Neune«. Der Gastwirt dreht mit sicherer Hand den elektrischen Schalter, der sich an der Wand befindet, um den Ventilator einzuschalten, der nach einigen Minu ten den sich im Lokal bereits angesammelten Tabakrauch entfernt. - Soeben erhebt sich der 1. Vorstand von seinem Stuhl - die seriö se Gestalt, die breiten Schultern verraten uns, dass hier ein Mann des Volkes sein schweres Amt ausführt und in uneigennütziger Weise sich dessen bewusst ist, seinen Vereinsbrüdern zu dienen im wahrsten Sinne des Wortes. - Es spricht der Vorstand. (Handglocke Klingklingling)---------
Meine lieben Gäste und Gästinnen! Wenn ich heute das Wort ergreife, so halte ich es für meine Pflicht, einer Sache näher zu treten, die Ihnen und uns, und für
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alle Zukunft, ein Prob [le] m von schwerwiegender Bedeutung zu bleiben scheint. Gewiss haben wir nicht die volle Gewissheit, was in Anbetracht einer Zerklauberei der ewig unmöglich erscheinen den Begleiterscheinungen in sich vereinigt, denn gerade hier, bie ten sich die einschneidenden Bedingungen, die von vorneherein, ein für allemal ausgemerzt werden müssen. Die Vergangenheit, hat uns gezeigt, dass gerade in diesem Punkte, gesündigt wurde, schon aus dem Grunde, weil ein Zusammenkommen jener wichti gen Vereinsversammlungen, stets verschwiegen wurde. Wir haben uns mehr denn je, über diese Kleinigkeiten immuniert, und haben in Sachen herumgewühlt, statt uns zu sagen »Freunde, geht ans Werk« greift zu und ihr werdet es nicht bereuen. Glauben Sie nicht meine Herren, o bewahre, schauen Sie sich selbst ins Gesicht, und Sie sehen ihre eigenen Masken - herunter damit. Nein, fühlen Sie sich nicht dazu genötigt, denken Sie an das Problem der Paragraphenzertrümmerung, denken Sie an die Worte des Sokrates »Femina, Femimina, monstrum Vivat Concenbinatum - O eleonoris caus veni vini vici.« Meine Herren, Schatten der Gegenwart möchte ich verpflanzen, wie Minderwer tigkeiten, welche nur zu deutlich aufgerollt werden, wenn uns die Zeit nicht selbst den Stempel des Daseins auf die Stirne drückt. Aber wenn wir der Einsicht näher treten, so werden die Neben stehenden, die Schäden und Nutzen am eigenen Leibe verspüren, denn zu heiss, wurde noch keine Suppe gegessen, und wenn, dann verbrennen sich die den Schnabel, die sich mit den bittersten Ent täuschungen selbst am Ufer der Vernunft ins Lächerliche gezogen haben. Es ist nicht gleichgültig, ob ich sage ich bin, oder ich wer de, nein, meine Herren, Zufälligkeiten und Abdrosselungen eige ner Anschauungen, haben sich noch nie zu einer Konservierung von Gedanken verbinden lassen. Wehe dem, der sich selbst, wehe dem, dem derjenige nur das ist, was wir uns von diesem erwartet haben. - Selbst ist die Frau! Meine Herren! Wenn uns die Beson nenheit, uns von unseren Sorgen, deren wenige ein verblendendes Spiel in uns gesetzt, zum Zwecke des Mittels, also alle für einen. Wir können nicht das gute Gewissen [m]it derselben Resignation verknüpfen, der unserem Standpunkt von vorneherein gegenüber200
stand. Wenn wir in lückenloser Vergangenheit eine Parallele ziehen, wenn wir uns vergegenwärtigen, dass nur Trotz und ein Gegenspiel von weittragender Bedeutung ein Resultat fördert, und damit nie wiederkehrende Gelegenheitsfinumen erzielt werden können, und wir hiermit unser Gewissen nicht unnötig belasten, dass eine Voraussagung eventueller Submissionsschwierigkeiten einen spontanen jegliche Inspirationen, die durch Sicherungen seitens kollektiver Kongresserörterungen ausgerottet werden. Es gab eine Zeit und diese Zeit lässt sich Zeit, denn im Zeitabschnitte dieses Zeitabschnittes wird die Zeit kommen, die wir zeitlebens nie vergessen werden. Und sollte es also am kommenden Sonntag schlechtes Wetter werden, so müssen wir unser Stiftungsfest----------- auf den nächsten Sonntag---------------- verschieben. (Bravo! Applaus!) Sie hörten die Übertragung der Vereinsrede des Vorstandes des Kegelklubs »Alle Achte« - Verzeihung, ich korrigiere »Alle Neune«.
Prosit Neujahr! Von Karl Valentin Prosit Neujahr! - da läuft mir gleich die Leber über, wenn i dös schon hör. - Eigentlich soll einem ja die Galle überlaufen, aber Galle haben wir keine mehr. Die Galle ist schon seit 1939 so oft übergelaufen, dass wir gar keine mehr haben. Alles Gute zum Neuen Jahr! Das haben die Leut sich jedes Jahr gewunschen, und was aus dieser Wünscherei geworden ist, das haben wir ja gesehen! Die Reichen werfen in der Sylvesternacht um zwölf Uhr ihre lee ren Sektgläser an die Wand, denn »Scherben bedeuten ja Glück« ... danach müssten wir jetzt in Glück strahlen, denn wir haben ja nun genug Scherben gehabt, - in München und in ganz Deutsch land! Manche Familien tun in der Sylvesternacht Bleigiessen und haben aus dem gegossenen Bleiklumpen lauter Glück ersehen.
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Und weil es anders gekommen ist, haben jetzt diese Bleigiesser die Ausrede, es ist halt a schlechts Blei gewesen. Das Neujahranschiessen ist derselbe Unfug und gehört ganz ausgerottet. Nach meiner Ansicht ist es auch vollkommen über flüssig, denn ich glaube, es hat genug gekracht bei uns. In der Syl vesternacht hat man Punsch gemacht aus Wein, Sekt Zitronen und Orangen. Heuer können wir auch einen Punsch brauen, aus Kar toffeln und Gelberüben, wenn auch das Aroma ein anderes ist, aber saufen kann man ihn doch. In Friedenszeiten haben sich in der Sylvesternacht Jüngling und Jungfrau die Hände gereicht zum ewigen Bund und wenn sie am anderen Tag wieder nüchtern waren, haben sie den ewigen Bund sofort gelöst. Ich habe schon oft über das Wort »Alter« nachgegrübelt. Ein Mensch z. B. kann verschiedene Alter haben, der eine wird nur einen Tag alt wie z. B. bei den Tieren die Eintagsfliege, der andere Mensch kann über achtzig Jahre alt werden. Nur das Jahr, wird immer nur ein Jahr alt. Es beginnt am i. Januar und am 31. Dezember, ist es aus. Wenn das beim Menschen auch so wäre, gäbe es keine Erwach senen. Wenn es keine Erwachsenen gäbe, gäbe es keine Kinder, weil die Kinder aus den Erwachsenen entstehen, - es sei denn, die Geschichte mit dem Storch beruht auf Wahrheit. Dann sind na türlich die Erwachsenen - im Volksmund Eltern genannt - eben falls überflüssig. - Im neuen Jahr heißts schaufeln und hoffentlich beginnt im Herbst wieder eine neue Schießerei - aber diesmal nicht mehr von oben, sondern in den Schießbuden, auf dem Okto berfest, auf das sich heute [...] jeder Münchner freut. - [...]
Erster und letzter Krieg Seit es Menschen gibt, gibt es Kriege, sagte irgend einmal einst wer. Dann müssen also Adam und Eva im Paradies mitsammen Krieg geführt haben, denn das waren die ersten Menschen. Wahr scheinlich hat es außer der blöden »Apfelbeißerei« bei diesen bei-
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den sowieso nicht ganz gestimmt. Und die zwei haben es doch so schön gehabt im Paradies. Das reinste Paradies, dieses Paradies! Warum haben die beiden nicht im Frieden gelebt? Weil sie nicht zufrieden waren —. Der Adam hat g’sagt: »Das Paradies gehört mir —« und die Eva hat g’sagt: »Mir ghört’s!« Jeder von den zweien wollte regieren. Schon war der Friede gestört. Also: Krieg! - Ob einer gegen einen, oder Millionen gegen Mil lionen - Krieg ist Krieg. Also: Adam und Eva, die Erfinder des Krieges.----- Warum haben die beiden nicht den ewigen Frieden erfunden? Vielleicht war den beiden der Friede zu langweilig also: Krieg! Das war natürlich nur ein winziger Krieg gegen die später kommenden. Die zwei haben sich damals wahrscheinlich nur mit Kokosnüssen beworfen, denn Ferngeschütze gab es damals noch nicht, hätten auch keinen Sinn gehabt, weil beide immer zu nah aneinander gestanden sind, denn man weiß heute noch nicht einmal, wieviel Tagwerk das Paradies groß war. Nun haben aber bekanntlich Adam und Eva zwei Kinder bekommen, den Max und den Moritz - Verzeihung! - ich wollte sagen, den Kain und den Abel. Daß sich diese beiden gegenseitig nicht rie chen konnten, geht schon daraus hervor, daß der Kain den Abel erschlagen hat. - Und warum hat er ihn erschlagen? Sehr einfach: er hätte ihn vielleicht erschossen, wenn es damals schon ein Ge wehr gegeben hätte, es hat aber keines gegeben, und hätte es eines gegeben, hätte er nicht schießen können, weil es noch keine Munition gab, denn das Pulver wurde erst viele tausend Jahre spä ter durch Berchtold Schwarz erfunden. - Solange hätte natürlich der Herr Kain mit seinem ungeladenen Gewehr niemals warten können, weil der Abel inzwischen an Altersschwäche sowieso gestorben wäre. Warum hat eigentlich der Kain den Abel erschla gen? — Sein Vater also, der Adam, hat zu seinen zwei Söhnen gesagt: »So, Abel, du übernimmst jetzt im Paradies die Landwirt schaft, die Ökonomie, tust fleißig ackern, säen und mähen, und du Kain, übernimmst das kaufmännische Fach, lernst nebenbei Stenographie und Schreibmaschine und vertreibst dann die Lan desfrüchte, damit Geld ins Haus kommt!« - Der Kain war aber von Haus aus etwas müde - erblich belastet vom Vater - kein
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Freund der Arbeit und haßte seinen Bruder Abel deshalb, weil die ser die Arbeit liebte. Abel war brav und Kain war böse. - Schon sind beide Brüder auf Kriegsfuß gestanden, - es folgte eine kleine Schlacht im Nahkampf. Beide hatten noch keine militärische Ausbildung genossen, und mit einem gewöhnlichen Prügel aus prima Eichenholz hat Kain seinen Bruder Abel getötet. - Kain hatte gesiegt. - Um dem Kriegsgericht nicht in die Hände zu fal len, verließ Kain meuchlings das Paradies, zog in die weite Welt hinaus, und mit der Herrlichkeit war’s - aus, denn er heiratete dann. - Er bekam Kinder, die Kinder heirateten später auch, beka men auch Kinder - diese Auchkinder bekamen auch wieder Kin der, und so ging die Kinderei weiter bis zum heutigen Tage. Die männlichen Kinder, und zwar alle, die das zwanzigste Lebensjahr erreicht hatten, mußten bis 1938 zum Militär und wurden Kämp fer des letzten Weltkrieges bis 1945. - Der erste Krieg war also vor 7000 Jahren und der letzte 1945 (hoffentlich!). Kain war also der erste Kriegsverbrecher auf Erden, und hätte es damals schon ein Nürnberg gegeben, müßte er heute genau so zur Verantwor tung herangezogen werden, wie seine Nachfolger des letzten Krie ges.
Neue Witze Das Wunder
Auf einer Wiese in Sendling ist heute noch ein grosser Bomben trichter zu sehen. Unten im Trichter scharren zwei Hühner. So ein Wunder, dass die zwei Hühner bei dem damaligen Bomben einschlag am Leben geblieben sind. Die Dauerstellung Im Völkischen Beobachter 1939 war eine Annonce zu lesen mit folgendem Inhalt:
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»Schriftsetzer gesucht zum Druck von Lebensmittelkarten evtl. Dauerstellung.« Gott sei Dank war die Prophezeiung nicht richtig. Oder sollte gemeint gewesen sein, dass nicht der Krieg, sondern die Lebens mittelknappheit ein Dauerzustand bleiben wird?
Kriegs-Erklärung »Solange es Menschen gibt, wird es Kriege geben!« Wenn schon dann wenigstens keinen blutigen Krieg mehr! - Fort mit Bomben und Granaten!!!! Nehmen wir einen kommenden Krieg an z. B. zwischen diesem Land und jenem Land, geführt nach der neuen Methode: Ein lan ges dickes Drahtseil in Länge von iooo. Metern - wird nach der Kriegserklärung halb ins eine - halb ins andere Flachland gelegt. Hierauf werden von den beiden kriegführenden Parteien, sagen wir je iooo der stärksten Sportsmänner ausgesucht. Die beiden Generalstäbe stehen auf der Schiedsrichtertribüne und geben durch ein Zeichen den Beginn des kriegerischen Tauziehens be kannt. Keine Blutstropfen — nur Schweisstropfen — werden bei die sem Kriege fliessen!!! Und hat nun eine feindliche Partei ihren Gegner in ihr Land gezogen, so hat dieselbe iooo Gefangene gemacht und somit den Krieg gewonnen. Der besiegte Gegner zahlt die Auslösungssum me (je nach Uebereinkommen) für seine Gefangenen. Gesunde frohe Menschen kehren vom Kriege heim...! Also — macht aus den kommenden Kriegen grosse Sportfeste zum Heile der ganzen Menschheit. Kragenknopf und Uhrenzeiger
Ich habe mich ja schon furchtbar geärgert! Heute nicht, nein jah relang schon. Nicht, dass Sie glauben wegen Familienangelegen heiten - nein - nur über meinen Kragenknopf. Sehen Sie, man muss ihn ja haben, den Kragenknopf, man ist ja direkt auf ihn 205
angewiesen, auf den Kragenknopf. Wenn man bedenkt, was an einem Kragenknopf alles dranhängt: der Kragen, die Hemdbrust, die Krawatte usw. Bitte, stellen Sie sich einmal einen feinen Herrn ohne Kragen knopf vor, wie der .daherkommt. Was nützt da ein feiner Zylinder, wenn man keinen Kragenknopf hat? Rutscht ja alles herunter! Den einzigen Menschen, den ich mir ohne Kragenknopf vor stellen kann das ist ein Matrose, aber es kann doch nicht jeder Matrose sein, da müsste ja jeder Mensch ein Schiff haben und aus serdem hat nicht jeder Matrose ein Schiff! Dasselbe ists mit dem Kaffee. Stellen Sie sich mal einen Kaffee ohne Tasse vor! Man kann ihn doch nicht aus der Kaffeemühle trinken! Oder - einen Tisch ohne Füsse - da braucht man ja überhaupt keinen Tisch, da kann man sich ja gleich auf den Boden setzen. Dasselbe ists mit einer Uhr ohne Zeiger. Schauen Sie, ich lauf z. Zt. schon jahrelang herum mit einer Uhr ohne Zeiger; die hat doch gar keinen Wert! Eine Uhr ist sie natür lich auch so - Sie werden doch nicht behaupten, dass es ein Papa gei ist? Ich könnte sie zum Uhrmacher geben, aber in dem Mo ment, wo ich sie zum Uhrmacher gebe, hab ich gar keine, also ists doch gescheidter, wenn ich wenigstens die hab, wenn sie auch nicht geht; das weiss ich ja sowieso - sie kann ja auch nicht gehen ohne Zeiger. Das heisst gehen kann sie schon - innen - aber sie zeigt es nicht an, drum hat auch die ganze Uhr keinen Wert. Ich trage ja die Uhr nur wegen der Kette, was will man denn sonst mit einer Uhrkette anfangen, das sagt ja schon das Wort: Uhrkette! Das ist doch selbstverständlich, dass da eine Uhr dran sein muss, ich kann doch keinen Hund hinhängen! Dann wärs je eine Hun dekette. Und wer wird einen Hund in die Westentasche hinein schieben? Niemand. Ich halte ja eine Uhr für überflüssig[.] Sehen Sie, ich wohne ganz nah beim Rathaus. Jeden Morgen wenn ich ins Geschäft gehe, da schau ich auf die Rathausuhr hinauf, wieviel Uhr es ist, und da merke ich mirs gleich für den ganzen Tag und nütze meine Uhr nicht so ab! Die heutigen Uhren gehen noch eher, aber früher wars fad mit
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den Sonnenuhren. Keine Sonne - Keine Uhr! Da ist mir ja die meinige ohne Zeiger lieber, da ist man doch wenigstens nicht auf die Sonnen angewiesen, bloss auf die Zeiger und Zeiger kann man schliesslich machen lassen, wenn man sie braucht. Das wäre ja traurig, wenn man nicht ohne Uhren leben könnte! Der Uhrmacher, ja, der kann nicht ohne Uhren leben, bei dem ists Geschäftssache. Glauben Sie, dass ein Uhrmacher, wenn er wissen will, wie spät es ist, auf alle tausend Uhren hinschaut, die er in sei nem Laden hängen hat? Er denkt nicht daran, er schaut nur auf eine, die anderen verkauft er an die Leute, die eine Uhr brauchen; einer der keine Uhr braucht, der kauft sich ja sowieso keine. Aber, wie gesagt, es hat keinen Zweck, dass ich die Uhr reparie ren lasse: schliesslich stiehlt sie mir noch einer, dann hat der eine gehende Uhr und ich bin jahrelang mit der kaputten rumgelaufen! Drum lass ich sie lieber so, wenn sie dann wirklich einer stiehlt, dann kann sich der damit ärgern!-------
München und seine Vorstädte Über München zu schreiben, fällt mir nicht schwer, nachdem ich ja geborener Münchner bin. Was meine Borung, besser gesagt, meine Geburt betrifft, so möchte ich vorausschicken, daß ich mir über das Wort »geboren« schon oft Gedanken gemacht habe. Be kanntlich benützt man zum Bohren einen Bohrer. Bohrt aber nun z. B. ein Schreiner in ein Stück Holz ein Loch - was kommt her aus? Holzspäne. — Der Schreiner bohrt aber nicht das Loch um Holzspäne zu bekommen, sondern er bohrt, damit er ein Loch erhält. Geboren hat er dieses Loch nicht, sondern er hat das Loch gebohrt. Es handelte sich also dabei um eine Bohrung, nicht um eine Geburt. Geburt wäre hier nur am Platze, wenn der Schreiner das Loch buren, statt bohren würde. Was hat also diese Bohrerei für eine Erklärung, wenn ein Kind zur Welt kommt? Ich erlaube mir, zu wissen, daß es Zangengeburten gibt. Der Geburtshelfer
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benützt in diesem Falle eine Zange - aber niemals einen Bohrer. Bei der Verwendung eines Bohrers würde er ohne Zweifel in das Kind im Mutterleibe ein Loch bohren und das Kind käme mit einem Loch zur Welt. Aber ob nun mit oder ohne Loch, in Mün chen selbst bin ich nicht geboren, wenigstens nicht in der Altstadt, sondern in der Vorstadt Au. Schon wieder haben wir hier ein Wort, welches ich genau erklären möchte. Was heißt Au? - Es ist dies nur eine Abkürzung von auweh, die zweite Silbe von auweh heißt weh - v. weh - die Mehrzahl ist wehen. Was sind Wehen? Und schon wieder sind wir bei der Geburt eines Menschen an gelangt. Wehen sind schmerzhaft. Der Schmerzensschrei ist be kanntlich auweh. Eine Mutter hat vor der Geburt Wehen, die Wehen tun weh, der Schmerzensschrei ist au - und noch keine Mutter wird in dieser Situation statt Au - Giesing oder Haidhau sen geschrien haben. Nun steht weiter die Frage offen: Was hat die Vorstadt Au mit weh zu tun? - Die Au - Mehrzahl Auen »Über Felder, über Auen zog ich leichten Schritt’s dahin.« Die Auen sind also freie Flächen, unbebaute Gegenden und man nimmt an, daß die Au in der Vorzeit unbebaut war. Die Vorstadt Au soll die älteste Vorstadt von München sein, und es ist urkund lich nachgewiesen, daß im Jahre noo nur einige kleine Häuser dort gestanden sind, und wenn in einigen Jahrzehnten die Trüm mer und Ruinen unseres unseligen Krieges weggeräumt sind, dann schaut die Au heute 1947 genau wieder so aus, wie im 11. Jahr hundert. - Ob die Au aus den Auen ihren Namen erhalten, ist höchstwahrscheinlich. Diese Auen lagen rechts der Isar und man nennt dieselben heute noch die Isarauen. Die Isar trennt die Alt stadt von der Vorstadt Au. Über diese Isar wurde eine Brücke gebaut, unter der die Isar durchfließt. Aber einigemal kam ein solch gewaltiges Hochwasser, daß die Isar nicht nur unter der Brücke, sondern auch über die Brücke floß. Die Brückenjoche konnten das viele Wasser nicht aufnehmen, und deshalb baute man eine zweite Isarbrücke. Diese zwei Brücken münden in die Zweibrückenstraße ein und aus. Die Isar liegt im Bett - im Isar bett. Die Isar ist ein Fluß. Wäre die Isar dreimal breiter, wäre sie ein Strom. Dann wäre sie bei unserer heutigen Stromknappheit 208
nützlicher als ein Fluß. Besser gesagt, wir bräuchten heute einen Überfluß an Strom. Häufig ist im Isarfluß so wenig Wasser vor handen, daß wir mit dieser Wasserkraft nur den Strom für eine Glühlampe erzeugen können. Aber hier setzt bei Stromknappheit das Elektrizitätswerk ein und liefert den Strom zu Hunderttausen den von Glühlampen. Aber nur - wenn wir Kohlen haben. Haben wir kein Isarwasser und keine Kohlen - sitzen wir nicht auf dem Trockenen, sondern im Finstern. Die Au gehört heute, wie so vie les, der Vergangenheit an. Aber ich bin selig, an diesem Ort gebo ren zu sein. Und wieder bin ich zum Schluß bei der Bohrerei angelangt.
Ein kleines Denkmal Ein Fremder auf dem Stachus - der soeben über ein Stück Eisen rohr stolpert, das io cm lang und 8 cm im Durchmesser mitten auf dem Trottoir aus dem Boden emporragt und über das schätzungs weise seit 2 und '/2 Jahren (in Worten: zwei und einhalb Jahren) auf diesem verkehrsreichem Platze ca. iooooo Menschen gestol pert, hingefallen oder sich die Schuhe zerstossen haben - dieser Fremde frägt den zufällig vorbeigehenden Komiker a. D. Karl Valentin, warum dieses Hindernis nicht entfernt würde, worauf dieser antwortet: »Dös Eisenrohr steht unter Denkmalschutz dös bleibt zur Erinnerung dort; dös war scheins amal die Zulei tung zu einer ehmaligen Gaslatern’ aus dem Jahre 1860, die beim letzten Fliegerangriff 1945 zum Vorschein kemma is.« P. S. Sollten Sie, lieber Herr Werner Friedmann, den Artikel brin gen, freut es mich, wenn nicht, liegt mir auch nichts daran, denn Sie haben mich ja seit einem Jahr vollkommen »hergschenkt«, was ich ja als echter Münchner auch nicht anders verdient habe. Es würde mich freuen, wenn Sie am Stachus ebenfalls über das Rohr stolpern würden, allerdings ohne sich zu verletzen. Die Wut allein 209
würde Sie veranlassen den Artikel zu veröffentlichen. Beiliegend auch ein Schallplattenverzeichnis: auch da bin ich »hergschenkt«, da es alter Münchner Humor ist. Hurrah die neue mondäne Zeit! Mit einigen Grüssen, K.V
»München wird wieder die reinlichste Stadt...« Zu diesem Artikel schreibt uns ein Leser: Ein altes Sprichwort heisst: »das Geld liegt auf der Strasse.« Tatsächlich hat einmal ein vifer Geschäftsmann gewöhnlichen Strassenstaub gesammelt, hat denselben ohne jede Zutat in kleine Blechdosen gefüllt, mit dem Aufdruck: »Blitzblank - zum Putzen aller Metalle!«, und er verdiente damit viel Geld, denn der Roh stoff Strassenstaub kostete ihm keinen Pfennig. Ein anderer geriebener Geschäftsmann fertigte fabrikmässig Massenartikel wie Puppenköpfe, Spielzeug, kleine Pappschachteln u.s.w. aus Papiermache. Papiermache ist eine Masse aus Altpapier und Kleister oder Leim. Zu jener Zeit herrschte wie heute grosser Papiermangel, aber sein Betrieb ging trotzdem weiter. Ausgerüstet mit einem kleinen Wägelchen, einem Kübel Wasser und einem Kratzeisen ging er von Haus zu Haus und kratzte mit dem Eisen die alten, seit Jahrzehnten an die Häuser angeklebten Plakate Bekanntmachungen, auch alte Wahlplakate (!) von den Mauern und dabei wurde auch der alte Kleister abgeschabt - füllte alles in einen Behälter und fuhr den Rohstoff heim. Zwei Fliegen auf einen Schlag: er hatte Betriebstoff gewonnen und die Häuser der Stadt wurden dadurch von diesen unschönen, scheckigen Schmutzflecken befreit. In München könnte heute nach derselben Methode eine solche Papiermachefabrik ohne Rohstoffmangel gegründet werden 210
auch Historiker könnten noch auf ihre Rechnung kommen. An der Mauer einer Eisenbahnbrücke in der Nähe des Isartalbahn hofes kleben heute noch Reste vom Circus Wulff 1897. Damals waren die Menschen noch für Sauberkeit, aber wenn damals die Bekanntmachungen aus der Zeit des 30jährigen Krieges und den Kreuzzügen noch an den Mauern hingen, dann war es dasselbe wie heute. -
Grundwasser Einige Tiefbauingenieure haben festgestellt, dass sich in Städten, wie z. B. München, deren Hauptwasserrohre durch Kriegseinwir kung zerstört sind, katastrophale Auswirkungen zeigen könnten. Ein Fünftel - laut Zeitungsbericht - unserer täglichen Wasser menge aus dem Mangfallgebiet fliesst aus den defekten Wasser rohren aus. Die Bruchstellen, die sich durchwegs tief unter den Schuttmassen befinden, können vielleicht erst in Jahrzehnten frei gelegt werden. In München werden laut Aufstellung des städti schen Wasseramtes ... Hektoliter verbraucht, ein Fünftel davon, das sind ... entrinnt täglich aus den Bruchstellen der Rohre. Man fragt sich nur, wo kommt dieses Wasser hin? Es versickert in den Boden und diese kolossalen Wassermengen sind ein solcher Zusatz zu unserem Grundwasser, dass die Erdmassen, auf denen unsere Stadt aufgebaut ist, dermassen erweicht werden, dass man annehmen kann, unsere Häuser verlören mit der Zeit ihren festen Grund und stürzten in einigen Jahren alle zusammen. Der Laie wird nun die Frage stellen, wo und wie tief unter dem Boden beginnt nun das Grundwasser? Beinahe komisch mutet es einem an, wenn man an unsere Stadtbäche und vor allem an das Isarbett denkt, ist unter der Isar auch Grundwasser? Das Isar wasser müsste doch auch schon seit dem tausendjährigen Bestehen der Stadt, unseren münchner Boden durchgeweicht haben, es sei denn, das Isarbett wäre betoniert. Es wäre doch interessant, über 211
dieses Thema von den Herrn des Wasserbauamtes Näheres zu erfahren. Hat jede Stadt Grundwasser und wo ist in Venedig das Grundwasser? -
Warum kompliziert, wenn es einfach auch zu machen wäre Oder
Wieviele Menschen müssen sich noch von der bekannten Selbst mörderbrücke in Grosshesselohe herunterstürzen, bevor man ein Stacheldrahtgeländer derart anbringt, dass das nicht mehr möglich ist. Mit 5000.-- Mark wäre evtl, diesem Uebelstand abzuhelfen. Wenn auch ein Lebensüberdrüssiger sicher eine andere Möglich keit sich zu töten findet, so hat doch der Staat die Gelegenheit dazu beseitigt.
Nicht die Entdeckung, sondern die Entdreckung Münchens Karl Valentin, ehemaliger Entdeckungs-Geheimrat der Stadt München, schreibt folgende Abhandlung: München war vor den beiden Weltkriegen eine der saubersten Städte der Welt, heute ist München das gerade Gegenteil davon. Man komme mir nicht mit der Ausrede: die Ruinen und Schutt massen könnten in Jahrzehnten nicht weggeräumt werden - nein! von den Ruinen und dem Häuserschutt soll auch gar keine Rede sein, das ist der verlorene Krieg - sondern von den Ueberbleibseln an Dreck. Es ist vor einiger Zeit ein Artikel erschienen, worin es heisst, 212
dass München wieder die sauberste Stadt werden soll - und das sei hier gemeint, nicht die Beseitigung von Ruinen und Häuserschutt. Schauen Sie einmal unsere Anlagen an, die keine Kriegsverhee rungen aufzuweisen haben, und unsere Strassen und Plätze, nur Dreck in allen Ecken. Manche Menschen, ob Ausländer oder Ein heimische, werfen, was man nicht mehr braucht, auf die Strasse, seien es Gehwege oder die Strassenbahn, es ist ganz egal. Schauen Sie sich einmal unsere Gehsteige an, nicht von schönen Steinpfla stern oder Asphalt soll hier die Rede sein, aber die Löcher, die in verkehrsreichen Strassen und auf Gehsteigen schon 3 Jahre offen stehen, könnte man wenigstens mit einigen Schaufeln Sand zufül len. Zahllose Kanaldeckel oder Kanalöffhungen selbst, ohne jeden Deckel, durch die oft hunderte von Passanten gefährdet sind, wer den nicht instand gesetzt, Pflastersteine und Betonblöcke liegen auf dem Trottoir, Eisenschi [ejnen oder Blechtafeln ragen oft meterlang aus den Ruinen in die Gehbahn und niemand kümmert sich darum.
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Anzeigen und Lichtbilder
Anzeigen Wer leiht einem jungen Sänger ein altes Lied zum Singen?
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Bekanntmachung Der Preisabbau in Deutschland findet nicht wie irrtümlich gemeldet im Jahre 1931 sondern überhaupt, niemals statt Der deutsche Staat
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Der Dichter des Strassenbahnversleinfs]:
Am Ziel der Fahrt den alten Schein Ins Kästchen bei der Tür wirf rein
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An die Münchner Bevölkerung Da ich in der Volksschule im »Rechtsschreiben« stehts einen »Vierer« hatte, nehme ich den furchtbaren Schreibfehler post mit Bedauern zurük, und werde es in Post umändern. Architekt der modernen Postbauten Tegernseerland u. Fraunhoferstr.
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Bekanntmachung Durch die ständigen Mißerfolge sehen wir uns gezwungen das Wetter nicht mehr voraus zu sagen, sondern unter Garantie fest[zu]stellen
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wie dasselbe am Tage vorher gewesen ist. Verbund der Wettervoraussager Allen unseren Freunden und Bekannten die traurige Nachricht daß wir beim ersten Anblick des neuen Bibliothekbaus (auf der Kohleninsel) in starren Trübsinn verfallen sind Die kunstliebenden Einwohner Münchens
Beeilen Sie sich heute um 4 Uhr Fütterung sämtlicher Maultiere im Zool. Garten Hellabrunn
Wissen Sie schon? ... daß der Münchner lieber ins Deutsche Museum, statt ins Hof bräuhaus geht?
... daß der Krieg 1870/71 um 29 Jahre kürzer war als der Dreißig jährige? ... daß Ferdinand von Miller die Bavaria für eine Pflanze ange sehen hat. Warum? Weil er dieselbe gegossen hat! ... daß München heute 76 Kinos hat gegen gar keine vor 100 Jahren?
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... daß mancher seine eigenen Fingernägel zum Fressen gern hat? ... daß man ein weiches Ei nicht als Zahnstocher benützen soll?
... daß gewöhnliches Zeitungspapier praktischer ist als steifes Packpapier? ... daß Pfingsten vor Ostern kommt, wenn man den Kalender von hinten liest?
Presse=Meldungen München: In der hiesigen Sendestation in der Arnulfstraße geriet vor einigen Tagen eine Angestellte mit dem Kopf in die Radio wellen. Die Wellen verfingen sich in der Frisur des Mädchens. Die Hörer von München und Umgebung beschweren sich seither über dauernde Störungen, welche nach Aussage des Sachverständigen darin bestehen, daß sich die Radiowellen mit den Dauerwellen des Mädchens verbunden haben. Die Störung kann nur dadurch beho ben werden, wenn das Mädchen mit den Dauerwellen auf dauernd entlassen wird.
Breslau: Auf noch nicht unaufgeklärte Weise entstand heute im Warenhaus Schund in der Berliner Straße ein Schadenfeuer, wel ches von der Feuerwehr in 2% Minuten bekämpft wurde. Dem Feuer fielen einige Teppiche, eine Streichholzschachtel und ein an der Wand hängender Feuerlösch=Apparat zum Opfer.
New York: Einen wahren Triumph in der Geschichte der Historik vollbrachte das New Yorker Staatsarchiv, indem es einige, vom Zeppelin überflogene Meereswellen in Gummisäcke fassen ließ, um dieselben zum Andenken an die erste Ozeanfahrt der Nach welt zu erhalten. 225
Pforzheim: Der Stadtrat von Pforzheim hat einem langjährigen Wunsche der Bevölkerung Rechnung tragend, sich dahin ent schlossen, den peinlichen Namen der Stadt Pforzheim dadurch abzuändern, daß die erste Silbe in Ton umgewandelt und somit die Stadt nun den besser klingenden Namen »Tonheim« erhält.
Rosenheim: Das Ministerium hat den Neubau einer Innbrücke genehmigt. Die Brücke soll aus hartem Beton hergestellt werden und soll nicht vom südlichen zum nördlichen, sondern vom nörd lichen zum südlichen Ufer gebaut werden. München: Von den Einwohnern der Blumenstraße erging an den hiesigen Magistrat eine Eingabe um Verlegung des großen Hoch hauses, des Wolkenkratzers an der Blumenstraße. Sie begründen ihre Eingabe damit, daß bei Sonnenschein die ganze Straße und Umgebung im tiefsten Schatten stehe. München: Hundebaden in der Isar verboten. Die Polizei gibt bekannt, zu dieser Maßregel gezwungen zu sein, da beim Baden die Hunde sehr viel Haare verlieren, die in großen Mengen isar abwärts getrieben werden, in die Donau und von dort ins Schwar ze Meer. Dort verfangen sie sich in den Schiffsschrauben und beschweren außerordentlich das Fortkommen der Dampfer.
Regensburg: Bei einer Fahnenweihe des Sportvereins Regensburg kam es zwischen Mitgliedern und einer Horde achtjähriger Schuljungen zu schweren Ausschreitungen, wobei der sechsjährige Schneidermeisterssohn Moritz Huber eine Ohrfeige erhielt. Das Überfallkommando brauchte nicht alarmiert zu werden.
Bilder berühmter Persönlichkeiten Wir zeigen Ihnen jetzt eine Lichtbilderserie von Münchener Ori ginalen, stadtbekannten Persönlichkeiten und Sonderlingen. Die 226
Originale jüngerer Zeit werden Sie zum Teil selbst kennen, an schliessend daran folgen dann diejenigen Originale, die früher gelebt haben und zwar bis zum 17. Jahrhundert zurück. Karl Valentin hat zur Zeit die reichhaltigste Sammlung in dieser Art, da aber immer noch einige Bilder fehlen, werden die Herr schaften gebeten, die im Besitze derartiger Bilder sind, dieselben zu Reproduktionszwecken zur Verfügung zu stellen. Wir bringen als erstes: (s. Lichtbild)
1. ) Das Taubenweiberl: Eine kleine alte Frau, welche sämtliche Münchener Stadttauben auf ihre Kosten fütterte. Das Futter trug sie in einem grossen Sack. Bei ihrem Ruf: Dauwi-Dauwi, erschienen sofort ihre Pfleglinge. 2. ) Der »Kunst«-Maler Lenbach: bekannt durch seine Zeichnerei im Hofbräuhaus. Ein medizini sches Rätsel. Derselbe ist immun für alle Bakterien und Bazillen, denn er frisst und säuft alles, was die Gäste im Hofbräuhaus übrig lassen. 3. ) Der Wasserbeschwörer: Ein sonderbarer Kauz - er holt in seinen hohl gehaltenen Händen an irgend einem öffentlichen Brunnen Wasser, geht an das Isar ufer, nächst dem Maximilianeum, schüttet dasselbe in die Isar und spricht dazu eine Zauberformel, damit das Hochwasser der Stadt München keinen Schaden zufüge. Dieses Manöver treibt er - täg lich - schon mindestens 8-10 Jahre lang.
4. ) Hamansegger: der Mann mit der Reitpeitsche, rotem Frack und Zylinder. All jährlich beim Oktoberfest ist er vor dem Gabriel-Hypodrom der Anreisser. 5. ) Karl Schwach: der Mann, der seine eigene Nase in den Mund nehmen kann. Nachahmung nicht zu empfehlen.
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6. ) Die Schlüsselfrau: in der Blumenstrasse betreibt sie den Verkauf von altem verroste tem Gelump. 7. ) Die Frau mit dem Vollbart: Sie war sehr stolz auf ihre »Manneszierde« und setzte sich in den Sommermonaten immer in öffentlichen Anlagen auf eine Bank, wo sie sich am meisten beobachtet glaubte. Dabei rauchte sie ge mütlich eine lange Pfeife.
8. ) Der Zwickermann: so genannt, weil er einen alten Zwicker auf der untersten Nasen spitze trägt, bei Nichtgebrauch hinterm Ohr. Seine Existenz ist das Hausieren von Zeitungen. 9. ) Heinrich Bauderer: (Musikalienhändler im Rosental) Er war ein ganz derber, echter Münchner, mit dem goldenen Herz; aber wehe dem, der ihn in seinem Laden dumm anredete! Ohne ein Wort zu sagen, kroch er hinter seiner Ladenpudel hervor, machte die Ladentüre auf und warf den Kunden zur Türe heraus. 10. ) Joseph Mitterer: (Volksdichter - war von Beruf Beamter u. sehr bekannt in alpinen Kreisen) Er trank täglich seine 5-6 Mass Bier, rauchte seine 10 Virginia dazu und starb im Alter von 90 Jahren. 11. ) Der Kuckuck: Erst vor einigen Jahren verstorbener Zeitungshausierer. War eine stadtbekannte Persönlichkeit. Machte sich in jedem Gastlokal bemerkbar durch seinen Ruf: »Kuckuck«. 12. ) Die Herzlfrau: Sie hausierte am Oktoberfest, Salvatorkeller am Nockherberg, im Hofbräuhaus und auf sonst üblichen Volksfesten ihre Lebkuchen in Herzform. An lustigen Sprüchen fehlte es ihr nicht beim Ver kauf ihrer Waren.
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iß.) Tom Pirle (Der Verächter des Todes) Der Mann vom Oktoberfest, der sich alle Tage fünf- bis sechsmal beerdigen liess und heute noch lebt.
14. ) Ferstl: (Der bekannte Donisl-Wirt am Marienplatz) Er war ein Virtuose im Weisswurstmachen. Er und seine Gattin hatten zusammen das stattliche Gewicht von nahezu 6 Zentnern. 15. ) Der narrische Maxi: Spielte Ziehharmonika und ist mitsamt derselben in betrunkenem Zustand in einem Schneehaufen erfroren.
16. ) Kathi Kobus: (Die Gründerin der bekannten Künstlerkneipe »Simplizissimus« in der Türkenstrasse) Sie hatte stets ein weiches Herz für arme Künstler und war eine beliebte Persönlichkeit in ihrem eigenen Unternehmen.
17. ) Karl Gabriel: (der bedeutendste Schausteller) Der König der Münchner Oktoberfeste. Motto: Er hat uns die wilden Völker nähergebracht. Er war protestantisch und liegt im Münchner Ostfriedhof begraben.
18. ) Der Fernrohrmann: (am Stachus) Dort stand er von Mittag bis Mitternacht mit seinem Fernrohr. Er war der erst[e] »Gell-Sager« in München. Wer um 10 Pfennig in sein Fernrohr hineinsah, dem gab er die astronomische Erklärung dazu: »Hier sehen Sie den Mond - gell!« [»]Die weisse Scheibe um den Mond ist der Hof des Mondes - gell!« [»JNeben dem Mond sehen Sie den Abendstern - gell!« Derselbe ist 3 Millionen Kilometer von dem Mond entfernt - gell! Durch das Wandern des Mondes sehen Sie im Fernrohr jetzt nur mehr die Hälfte des Mondes - gell! usw. Dieses »Gell-sagen« hat sich bis zum heu tigen Tag epidemieartig fortgepflanzt, dass manche Menschen bei jedem dritten Wort schon bald »gell« sagen. Man kann es schon bald als »Gellseuche« bezeichnen.
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19- ) Der Parade-Bretzen-General: Ebenfalls ein Münchner Original, sein Ruf: »Parrrrade-Brrrretzn gefällig?« hat ihn zum reichen Mann gemacht. Die Inflation 1921 hat ihm den Reichtum wieder genommen.
20. ) Kugler: (Kartoffelhändler - Buttermelcherstrasse) Ihm raubte die Inflationszeit 1923 sein ganzes Vermögen und dieser Verlust raubte ihm seinen Verstand - wie so manchem. Harmlos, geistesgestört, sammelte er zu seinem weiteren Fort kommen alles, was er auf der Strasse fand zusammen und fuhr die sen Unrat zu seiner Behausung, da er die fixe Idee hatte, dass das alles noch einen Wert bekomme in einer wiederkehrenden Infla tionszeit. 21. ) Wurzelsepp Nr. 2: (Den richtigen Wurzelsepp bringen wir später, dieser ist nur eine Copie zum Original) Er gehört ebenso zu den Münchner Originalen in letzter Zeit. 22. ) Professor »Grössenwahn«: Er ist ständiger Stammgast im sogenannten Cafe »Grössenwahn« in der Theresienstrasse. Von vormittags bis spät am Abend sitzt er im benannten Cafe und beschreibt die ganze Marmorplatte voll winziger Zahlen. Er lebt unter den ärmlichsten Verhältnissen, trotzdem er ein grosser Mathematiker ist. 23. ) Daniel: (Kunstmaler) Er war ein ganz guter Maler, aber ein noch besserer Biervertilger. Im alten Spatenbräu in der Neuhauserstrasse war er mindestens 30 Jahre lang täglicher Stammgast. Er trank dort täglich seine 20- 25 Liter Bier, rauchte dazu unausgesetzt Österreicher Virginia und lebt heute noch. 24. ) Der Federlmann: an der Kreuzstrasse. Hatte seinen Namen dadurch bekommen, dass er alle Taubenfedern, die er am Boden liegen sah, sammelte mit der Begründung, das sei ein Gruß für ihn vom heiligen Geist.
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Er war Naturheilkundiger und hatte in der Kreuzstrasse einen kleinen Laden in dem er Heilkräuter verkaufte.
25. ) Reiter Fanny: die letzte Münchner Harfinistin. Spielte viele Jahre im Gasthaus »Zum Donisl« am Marienplatz.
26. ) Richard Braunbeck: (Schriftsteller und Mitarbeiter vieler Münchner Zeitungen) Er glossierte in Gedichtform und Prosa Münchner Geschehnisse in beissender Art; er ist ein hervorragender Krüglredner gewesen, hat sich nun aber - infolge seines Alters - zurückgezogen und lebt heute noch im Bürgerheim in Nymphenburg. 27. ) Der Fischberger Jackl: (eine kleine, drollige Persönlichkeit) Er hatte figürlich das Aussehen eines zehnjährigen Knaben; er hatte aber einen grossen roten Schnurrbart und war schon 50 Jahre alt. Karl Valentin verwendete ihn auf der Bühne zu seinem Stück: »Die Raubritter von München«, wo er immer wieder mit der Wache herausmarschierte. Viele Münchner werden sich daran noch erinnern. 28. ) Haag Heinrich: (Der Gummimensch) Er war Beamter im Münchner Magistrat. Er hatte eine sogenann te Gummihaut. Die verlockendsten Anträge von Schaustellern des In- und Auslandes lehnte er ab. Einmal absolvierte er ein halb jähriges Gastspiel in Amerika. Täglich zehn Vorstellungen waren zu grosse Strapazen und er hatte die Nase voll, obwohl er ein schönes Kapital mit nach Hause brachte. Wissenschaftlich intejrejssant ist dies, dass er heiratet. Sein erstes Kind war ein Mädchen mit normaler Hautbeschaffenheit. Sein zweites Kind war ein Knabe und hatte vom Vater die Gummihaut »geerbt«.
29. ) Alois Seelos: (Athlet) Stemmte mit zwei Händen 3 Zentner 20 Pfund in die Höhe. Sein Bierrekord ist bis heute noch ungebrochen. Er trank einmal
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gelegentlich einer Wette hintereinander in 12 Stunden 52 Liter Bier. 30. ) Amthor Fritz: War ungefähr in den Jahren 1895-1913 der Liebling von Mün chen. Er verstand es als Volkssänger sich in die Herzen der Münch ner hineinzusingen. 31. ) Motschmann, der letzte Hochradfahrer: Er »raste« noch im Jahre 1924 durch die Münchner Strassen im 15 Kilometertempo.
32. ) Der »De läge Maxe«: Er soll ein lediges Kind gewesen sein von einem verstorbenen bayerischen König. 33. ) Der Neuhauser Heilige: Er lebte in dem Wahn, er sei heilig gesprochen, verkündete eine neue Religion, wurde aber von Leuten, denen er seine Weisheit offenbarte, nur ausgelacht.
34. ) Der Neuschwansteinsänger Wacker Toni: Zu einer alten Gitarre mit Spagatt bespannt sang er Alpenlieder. Das berühmte »Neuschwanstein-stolze Feste - König Ludwigs Aufenthalt« dürfte vielen Münchnern noch in den Ohren klingen. Im Hirschgarten Nymphenburg gab er viele Gastspiele. 35. ) Hermann Strebel - Feit sie nix: war ein echter Münchner, hatte das erste Automatrestaurant in den Jahren 1896 in der Bayerstrasse. Sein Geleitspruch war stets: Da feit sie nix! Diesem verdankte er seinen Spitznamen »Der Herr feit sie nix«! 36. ) Lang Schorschl: (Der bekannte und beliebte OktoberfestWirt) Er war ein ausgezeichneter Festarrancheur und war um 1897 rum 232
Pächter des grossen Münchner-Kindel-Kellers am Rosenheimer berg, gegenüber dem Bürgerbräukeller. (Heute Cenovisfabrik) 37. ) Strasser Sepp: Der Gründer der bekannten Münchner Strasser-Herren-Abende. Seine Vorträge: »Schweinernes ohne Kraut« kamen nur in Her rengesellschaft in Frage. 38. ) Hugo Oertel: (Einer der unternehmungslustigsten Männer Münchner Vergnügungsstätten wie Varite, »Blumensäle« usw. und des unvergesslichen »Volksgartens« in Nymphenburg, an den die alten Münchner noch mit Sehnsucht denken) Motto: So etwas kommt nicht wieder! 39. ) Franz Adelmeier: Er bestieg zum posten Geburtstag des Prinzregenten Luitpold die höchsten Kirchentürme Münchens von aussen und heftete überall eine weissblaue Fahne an das Turmkreuz. Dies tat er nicht nur aus Anlass des Geburtstages sondern auch deshalb, um bei der Feuer wehr als Steiger Anstellung zu finden, die er auch dann bekam. Aber schon nach einem halben Jahr starb er nicht durch einen Unfall bei seinem gefährlichen Beruf, sondern an einer sonstigen Krankheit.
40. ) Held Hansl: Der Reklame-Mensch. Was man ihm auch schenkte, heftete er an seine Kleider und ging damit durch die Münchner Strassen. Die Polizei gestattete seine Maskerade, er war ein harmloser Irrer. 41. ) Maler Diefenbach: war ein berühmter Maler und ein noch berühmterer Vegetarianer. Er ging stets barfuss in Sandalen und mit einem einfachen Hemd bekleidet, ebenso seine Familie. Er soll sogar wirklich Gras gefres sen haben. Trotzdem musste er eigentlich frühzeitig in dasselbe hineinbeissen.
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42. ) Jacob Peupus: (Leibregimentskapellmeister, im Volksmunde »Der Peupus Jackl« genannt) Er war ein berühmter Kapellmeister und fuhr im Jahre 1898 mit seiner Leibregimentskapelle nach Amerika und feierte da drü ben Triumphe. Gleichzeitig war er auch ein guter FrühschoppenStammgast im Ratskeller und bei der Standmusik am Marienplatz und auf der Feldherrnhalle unterm dirigieren so sehr schwankte, dass das Publikum es merkte und meinte: »Heut’ war der Peupus Jackl vor der Parade wieder zu lang im Ratskeller«!.
43. ) Pappa Kern: Der bekannte Wirt vom Kaffee Metropol am Frauenplatz. Der beste Frühschoppen-Veranstalter in der Zeit 1877-1890. 44. ) Zschaschka: der bekannte Klarinettist und Mitarbeiter von dem vorher gezeig ten Pappa Kern. 45. ) Der Sägfeiler am Isartor: (Näheres unbekannt) 46. ) Der Sägfeiler (am Sendlingertor) Er hatte noch vor zirka 15 Jahren dort seine Arbeitsstätte. Vor ungefähr 50 Jahren sollte das Sendlingertor abgebrochen werden aber der Denkmalschutz war stärker und es blieb uns Gott sei Dank bis heute erhalten als ein Stück »Alt München!«]. Damals coursierte der Witz »Das Sendlingertor kann ja nicht abgebrochen werden, weil der Sägfeiler vom Sendlingertor einen unkündbaren Vertrag hat«. 47. ) Der fahrende Sägfeiler: von der Au. Ebenfalls ein grosses Original. 1895 baute er sich selbst ein Dreirad und das war eine Sensation, als er mit seiner Maschine im 5-Kilometer-Tempo durch die Münchner Strassen fuhr. Er hatte äusser einem chronischen Schnapsrausch auch einen ebensolchen Schnupftabakrausch, denn er schnupfte nicht weniger als täglich 74 Pfund »Schmalzler«.
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48. ) Der Stiefelputzer am Karlstor: Ein lustiger alter Mann, der sich durch allerlei Tagesneuigkeiten seine Stammkundschaft festhielt; sein »Laden« war unter dem nördlichen Karlstor. 49. ) Der Uhrmacher am Karlstor: Er arbeitete gut und sehr billig. Hatte seine Stammkundschaft. Viele Jahrzehnte betrieb er sein Geschäft unter dem Karlstor. 50. ) Lorenz Kerrn: (Der Wirt von der »Kerrn’s Sängerhalle« am Bavariaring) Er war zugleich Komiker. Als Geschäftsreklame fuhr er des öfte ren mit seinem Hochrad durch die Stadt München zur allgemei nen Heiterkeit. Eine drastische Wirkung bekam die Sache da durch noch, dass neben ihm auf einem ganz kleinen Zweirad ein Zwerg fuhr, ein Mitglied von seiner Gesellschaft mit dem er all abendlich komische Duette sang.
51. ) Papa Geis: Er war ebenfalls einer der populärsten Humoristen in München um diese Zeit; allerdings von ganz anderer Prägung. Er machte auf der Bühne den Eindruck eines Pfarrers. Selten ging er auf Gastspielreisen. Fast immer war er in München tätig und sein Hauptwirkungsfeld war in der Singspielhalle im Hotel Oberpollinger in der Neuhauserstrasse. Heute Kaufhaus Oberpollinger! Er war in München so populär, dass Prinzregent Luitpold mit ihm eiferte. Wenn er auf der Strasse ging, grüsste ihn fast jeder »Grüss Gott, Papa Geis«. Und jedesmal dankte er hutabnehmend. Es musste ihm abends der Arm weh getan haben davon. Papa Geis veranstaltete unzählige Wohltätigkeitsvorstellungen für die Armen der Stadt München. Denkmal hat er zwar keines dafür bekommen; nur eine Strasse benannte man nach seinem Namen. Besser doch als garnichts! 52. ) Karl Maxstadt: Nun folgen drei ganz bekannte Persönlichkeiten des goldenen 235
Münchner Humors aus vergangener Zeit! Der erste ist, wie Sie hier im Bilde sehen, der beste Gesangshumorist Deutschlands aus der Zeit 1890-1914. Karl Maxstadt war ein geborener Münchner. Er war einer der pro duktivsten Humoristen dieser Zeit. Im In- und Auslande feierte er wahre Triumphe. Wo Karl Maxstadt gastierte, waren ausverkaufte Häuser. Er erzielte für die damalige Zeit die riesige Monatsgage von 3000 Mk. Dafür sang er allabendlich 3-4 Couplets----- aber wie! Viele Humoristen dieser Zeit kopierten ihn, aber es blieb nur bei der Kopie, denn einen Karl Maxstadt gab es eben nur einmal. Er wurde durch sein Können steinreich, aber die Inflationszeit 1923 raubte ihm wieder sein ganzes Vermögen und er starb als armer Mann. Eine Strasse in München und eine in Garmisch wurde nach ihm benannt. 53. ) Andreas Welsch: (Er war der dritte Komiker im Bunde dieser Zeit) Er war mehr Bauerndarsteller! Bis zu seinem 60. Jahre trat er immer noch als Bauernbursche auf. Er war der Verfasser vieler Bauernstücke und Komödien, von denen heute noch im Platzl bei den Dachauer Bauern solche noch zur Aufführung gelangen. Sein Hauptschlager war damals das noch heute bekannte philosophi sche Schnaderhüpfl: »Wia der Schimmi war am Leb’n - ham’s eam nix z’Fress’n geb’n - wir er nach tod is’ g’wen, ham’s eam an Schippi Heu naufgeb’n - net, dass d’Leut sag’n, - z’weg’n der Not is’ der Schimmi tod«. Eine Strasse in München wurde nach ihm benannt. 54. ) Hauser Lenz (genannt der Millionenbauer) Über diesen Mann könnte man tatsächlich Bücher schreiben! Er besaß um das Jahr 1895 ehi Vermögen in bar und Immobilien von 40 Millionen Mark. Von Ismaning bis herunter nach Perlach gehörten ihm alle Grundstücke, die er von seinem Vater geerbt hatte. Er konnte seine täglichen Zinsen von fast 2000 Mark kaum verbrauchen und trieb sein Geldverschwenden so weit, dass er sich hie und da mit 1000 Markscheinen seine Havannazigarren an
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zündete. Er liess auf seine Kosten in den Gaststätten in denen er viel verkehrte - aus Geldprotzerei - manchmal den Fussboden mit Campagner herauswaschen. Er fuhr den 6 spännigen Wagen des Prinzregenten Luitpold öfters 8 spännig vor, was damals gesetz widrig war. Er erlaubte sich trotzdem solche Spässe, da Geldstra fen bei ihm ja nicht wirkten. In Kunstausstellungen zerschnitt er oft die wertvollsten Bilder mit seinem stehenden Messer und sagte zu seinem ihn stets begleitenden Sekretär: »Schreib an Scheck raus, damit sich der Kunstausstellungsdirektor wieder a neu’s malen lassen kann«! Ob das Bild nun iooooo Mark gekostet hat oder mehr, war ihm ganz wurscht. Sein Wahlspruch war stets: »An Hauser Lenz kon koaner wechs’ln«! Er wurde dann unter Couratell gestellt. Im Jahre 1911, bei einer Grippeepidemie die auch ihn erfasste, wollte er durch Alkohol die Grippe verscheuchen, trank eine halbe Flasche Cognak auf einmal aus und starb daran an Herzlähmung. 55. ) Der Balsam-Bene: War Hausierer mit Wunderbalsam in Gast- und Kaffeehäusern. Sein Wunderbalsam war nach seiner Aussage ein Universalheil mittel für alle Krankheiten - bei Mondsucht, Geldbeutelschwind sucht, Eifersucht, Heimweh und Faulheit. Er stand ständig unter Alkohol. 56. ) Mina Hupf: (Eine alte Bettlerin aus der Au) Sie war ein bitterböses - ständig unter Alkohol stehendes Weib, der sogar die Gendarmen aus dem Weg gingen, wenn sie der Mina Hupf begegneten. Die Gassenbuben schrieen hinter ihr drein: »Mina Hupf’« (die noch dazu einen hölzernen Stelzfuss hatte). Des öfteren schnallte sie ihren Stelzfuss schnell ab und warf ihn zwischen die Kinder hinein. Dann hupfte sie auf einem Fuss und holte sich den Holzfuss wieder zurück. 57. ) August Schichtl: Uber diesen Mann könnte man tagelang erzählen. Er war ein Volkshumorist 1. Klasse. Die ihn nicht kannten, sind zu bedauern
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und die ihn noch gehört und gesehen haben, können nur sagen: »So ein Unikum kommt nur selten zur Welt«.
58. ) August Schichtl: (in Zivil)
59. ) Steurer Hans: (Bayerischer Herkules) Er hatte eine tierische Kraft und galt jahrzehntelang als der stärk ste Mann Deutschlands. Ein 6 Zentner schwerer Stein mit einem Eisenring liegt heute noch im Gasthof zum Metzgerbräu. Den selben hob Steurer Hans mit dem kleinen Finger einige Zenti meter in die Höhe. Bis heute hat nur einer diese Kraftleistung nachgemacht aber nur mit dem Mittelfinger. In der Tegernseerlandstrasse Nr. ... besteht heute noch das Gasthaus »Zum Steurer Hans«, woselbst er zugleich Gastwirt war.
60. ) Die zwei ältesten Kellnerinnen im Hofbräuhaus: welche zusammen das stattliche Quantum von 20 Litern auf ein mal zu tragen vermochten. 61. ) Der »Schmalznudlbauer«: Derselbe fuhr in der Zeit von 1880-1900 alle 14 Tage von seinem Dorf in die Stadt hinein mit zwei riesigen Handkörben voll Schmalznudeln. In den Strassen offerierte er durch den Ruf: »Der Schmalznudlbauer is’ da« seine Ware. Seine fast zwei Faust gros sen Nudeln, aus schneeweissem Mehl, die vor Schmalz trieften, das Stück zu 10 Pfennig, fanden riesigen Absatz. 62. ) Joseph Fischer: (Der erste Langstreckenfahrer auf dem Zwei rad, mit dem ersten Luftreifen »Pneumathik« genannt) Im Jahre 1893 fuhr er mit seinem Rad von München bis Mailand und zurück. Jedenfalls für die damalige Zeit eine enorme Lei stung. 63. ) Robl Taddy: (Der berühmteste Rennfahrer Deutschlands 1895-1905) Aber als das Flugzeu[g] erfunden wurde, [gjing er vom Radsport
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zum Flugsport über und kaufte sich trotz Warnung seiner Freun de (Sportsfreunde) um sein erradeltes Vermögen einen Aeroplan, wie man damals eine Flugmaschine nannte und schon bei einem seiner ersten Flüge stürzte er tödlich ab. Im Ostfriedhof in Mün chen liegt der grosse Sportsmann begraben. 64. ) Michael Schottenhammel: der bekannte älteste Münchener Oktoberfestwirt. 65. ) Benni Huss: Ein Auer Original, das ständig unter Alkohol stand. 66. ) Der Sailer-Wastl: Ein Künstler in seinem Fach als Sailer. Er fertigte sogar für die Königin Schuhe aus farbigem Spagat, was ihm keiner nachmachte. Diese künstlerische Tätigkeit konnte er aber nur im nüchternen Zustande ausüben; man musste ihn während diesen Arbeiten in ein Zimmer einsperren bis er die Arbeit vollendet hatte. Darnach verfiel er wieder dem Alkohol. Er hatte keine Wohnstätte, wenn es Nacht wurde, machte er vor der Polizei solange Spektakel, bis man ihn hereinholte, am andern Morgen liess man ihn wieder laufen. 67. ) Der Pfui-Teifi-Professor: Ein geborener Nürnberger, tatsächlich ein ehemaliger Professor, der......................... Harmlos geistesgestört, war er jahrzehntelang ein Objekt des Spottes von Alt und Jung. Wer hinter ihm aus spuckte mit den Worten: »Pfui Teifi«, der musste schnell ver schwinden, wenn er nicht vom Professor auf offener Strasse beschimpft werden wollte. 68. ) Das »Trambahnpfeiferi«: Dieses Bild stammt aus dem Jahre 1895 von Kunstmaler Greiner. Der Trambahnpfeiferl=Mann war ein alter pensionierter Pferde bahnkutscher, welcher 1895 mit erhobener Hand an irgend einer Haltestelle der Pferdebahn stand und Ankunft und Abfahrt durch ein Trillerpfeiferi bekannt gab.
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69. ) Wurzl-Sepp: Ein alter Tiroler, der mit seinem selbstgebrannten Enzianschnaps und mit seinem einen Meter im Durchmesser grossen Riesenhut, besonders während des Oktoberfestes eine aufsehenerregende Ge stalt gewesen ist. 70. ) Papa Schmifd]: (War der Gründer vom Münchner Marionet tentheater)
71. ) Rahmerimann: Lebte Anfang des 18. Jahrhunderts. War bekannt durch seinen Ausspruch: »Sie kaffa do nix - Sie kaffa do nix - Sie kaffa do nix! [«] Durch diese falsche Suggestion machte er fast gar kein Geschäft. 72. ) Doctor Sigl: (Der Redakteur der Zeitschrift »des Bayerischen Vaterlandes«) Er war ein scharfer Redakteur. Er nahm sich kein Blatt vor den Mund und das kostete ihn viele Geld- und Freiheitsstrafen. Nähe res von ihm zu sagen ist heute nicht am Platze. Viele wissen, wer und was er war. 73. ) Sulzbeck: (Kapellmeister) Er war Bassgeiger im alten Hofbräuhaus am Platzl so um das Jahr 1850-60. Er hatte eine so grosse lange, rote, mit Warzen besetzte Nase, die beim Spielen immer hin und her baumelte. Der ehema lige berühmte Professor Nussbaum kaufte ihm seine Nase bei Leb zeiten schon um 500 Mark ab. Diesen Betrag setzte er in kurzer Zeit in Bier um und man kann ruhig sagen, er versoff somit seine eigene Nase. Dieses Couriosum von einem Gesichtsvorsprung befindet sich heute noch in der Anatomie in Spiritus ausgestellt. 74. ) Ringeis: (Professor der unentdeckten Wissenschaften) So nannte ihn der Volksmund. Er soll, wo er auch gesehen wurde, ob er auf der Strasse ging oder in einem Wirtshaus sass, immer ganz vertieft in einem Buch gelesen haben. 240
75. ) Adele Spitzeder: Um das Jahr 1880 rum hatte sie in München in der Karlstrasse eine Volksbank. Sie bezahlte so enorme Zinsen, dass jeder ver nünftige Mensch vorher schon einen Bankkrach voraussah. Be sonders die Landbevölkerung hatte grosses Vertrauen auf die Spitzeder Bank, da die Besitzerin unter dem Deckmantel der Frömmigkeit ihr sauberes Geschäft ausübte. Mit ihren Geldsäcken kamen die Bauern aus allen Gegenden Bayerns um damit die hohen Zinsen zu ernten. Plötzlich krachte die Bank zusammen und die Geldgierigen hatten das Nachsehen. Es war für die dama ligen Witzblätter ungeheures Material und mehr alte Münchner sind heute noch Besitzer von schaurigen Bilderbögen und Flug blätter aus dieser Zeit.
76. ) Der Krenkl: Wohl die bekannteste Persönlichkeit Altmünchens. Eigentlich ein geborener Landshuter (17. Nov. 1780). War Lohnkutscher von Beruf. Sein Haus stand an der Bayerstrasse, Ecke Schillerstrasse. Er wurde in Stuttgart am 26. April 1860 im Theater tödlich vom Schlag getroffen. Er verkörperte den Typ des Urbayern mit »echt goldenem Münchener Herzen«. Seine originellen Einfälle, die alle von derber Gradheit zeugten, geben in tausend Variationen Kunde von dem nicht nur im Volke, sondern auch bei Fürstlichkeiten beliebten Manne. 77. ) Der erste Hochradfahrer Münchens: (Name unbekannt) Dem Bilde nach hat es nicht den Anschein, dass er wegen Schnell fahren sich je eine polizeiliche Strafe zugezogen hat. Heute lacht man über so etwas, aber zu jener Zeit staunte man genau so als wie heute über eine technische Neuigkeit.
78. ) Joseph Schweiger: (Ehemaliger Theaterdirektor des Schwei gertheaters in der Au) Das Theater - eine alte Holzhütte - befand sich noch im Jahre 1860 an der Stelle des heutigen Museumskino in der Au; gegen über des Müllerschen Volksbades am Gasteigberg. Das zwjejite 241
Schw[e]igertheater stand an der Stelle des heutigen Varite’s Kolos seum in der Müllerstrasse. 79. ) Flinserl-Schlager:
80. ) Der ewige Hochzeiter: Ein gutmütiger Narr, stets sauber aber altmodisch gekleidet. Jahr aus - jahrein mit einem Blumenstrauss (den er sich am Obst- und Krautmarkt unentgeltlich verschaffte) im Knopfloch. War in alle weiblichen Wesen bis über die Ohren verliebt und machte jeder einen Heiratsantrag. 81. ) Finessen-Sepperl: war eigentlich Erfinder der Münchener Stadtpost, da er die Lie besbriefe gegen kleines Entgelt beförderte. Seine beste Kund schaft waren die Kellnerinnen. Sein Wahlspruch lautete: »Nix Gwiss woass ma nöd«!
82. ) Hofnarr Prangeri: Wohl das berühmteste Altmünchner Original zur Zeit des Kurfür sten und Max I. War Hoforchestermitglied und privilegierter Hof narr. Er ist 1810 gestorben. Sein Bild hängt im Nationalmuseum und seine lustigen tollen Streiche, die in die Hunderte gehen, wer den heute noch neben den Krenkelwitzen gerne erzählt.
Die 10 Gebote für Freikartenbesitzer! 1. Du sollst nicht mehr wie eine, höchstens 2 »Freikarten« ver langen und dafür dankbar sein.
2. Du sollst auch mit »Freikarten« zufrieden sein, selbst wenn es ein Galerierückplatz ist.
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3- Du sollst, wenn du schon eine »Freikarte« erhalten hast, Dich nicht wegen der städischen Lustbarkeitssteuer aufregen, die ja nicht dem Theaterdirektor, sondern der Stadt zufliesst.
4. Du sollst, wenn Du eine »Freikarte« hast, nicht über das Pro gramm schimpfen und kritisieren, selbst wenn Du das betref fende Stück schon einmal gesehen hast oder das Programm nicht nach Deinem Geschmack ist. Denn darauf passt das Sprichwort: Einem geschenkten Gaul schaut man nicht ins Maul. 5. Du sollst Dich auf Deinem »Freiplatz« im Theater ruhig und anständig benehmen, genau so wie die anderen, die ihren vol len Preis für die Karte bezahlt haben.
6. Du sollst es glauben, dass statistisch nachgewiesen ist, dass die jenigen die im Theater keinen Eintritt bezahlen, die grössten Nörgler sind. 7. Du sollst, wenn Du schon im Th [e] ater einen »Freiplatz« bekommen hast, dich insofern dankbar zeigen, dass Du das Theater empfiehlst, selbst wenn es Dir nicht gefallen hat. 8. Du sollst wissen, dass dieser Brauch mit den »Freikarten« eigentlich nur beim Theater existiert, oder bekommst Du vielleicht wenn Du zu einem Bäcker gehst, ein Freibrot? 9. Du sollst eigentlich gar keine »Freikarten« verlangen, denn es heisst auch ein alter Spruch: »Leben und leben lassen«.
10. Du sollst Dich als »Freikartenbesitzer« zum Applaudieren sogar verpflichtet fühlen, selbst wenn es Dir nicht gefällt.
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Lustige Reklame v. K. Valentin [für das Kabarett Wien-München]
Trotz Regen-Wind-Hitze-Kälte wimmelts in Wien-München Hotel Wagner täglich von Menschen. Warum? Sehr einfach - weil man solche Sachen zu Hause nicht hat. Sie haben zuhause höch stens ein Grammophon oder ein Radio. Sie haben vielleicht zu Hause einen Sohn der Zither spielt, Sie können selber ein Lied chen pfeifen, Ihre ganze Familie kann zuhause saudumm daher reden aber nicht in dem Masse wie gegenwärtig Valentin-Karl stadt. Also bitte lassen Sie zuhause alles liegen und stehen und gehen Sie alle abends ins Wien-München, das ist das vernünftigste was Sie tun können, vorausgesetzt, dass Sie noch eine Vernunft haben. Die Direktion.
Bekanntmachung: Da »Wien-München« an der Sonnenstrasse die täglich anströmenden Menschenmassen nicht mehr fassen kann, sieht sich die Direktion gezwungen nur mehr so viel Eintritts karten abzugeben als Plätze vorhanden sind. Die Direktion.
Die oberbayerische Fachzeitung schreibt: Trotz der 78 Tonfilm theater ist »Wien-München« an der Sonnenstrasse täglich bis auf den vorletzten Platz überfüllt. Hieraus ist zu entnehmen, dass das gegenwärtige Programm nur in »Wien-München« zu sehen ist. . Kapelle Graf, prickelnde Musik (kein Lautsprecher) Karl Valentin und Liesl Karlstadt. - Alles lacht - alles lächelt. Kommen Sie übermorgen - morgen leider schon wieder ausverkauft. Die Direktion. : Hoher Besuch. Gestern stattete der Oberbürgermeister James Bimbambo (Mittelindien) aus dem Stamme Aka-Aka »Wien-Mün244
chen« einen Besuch ab. Die niedrigen Eintrittspreise und das viele Gebotene konnte der hohe Herr nicht auf einmal fassen und will er noch einen Tag in München bleiben um nochmals ins »WienMünchen« zu gehen. Das einzige was ihm nicht gefiel war die hohe Lustbarkeitssteuer in unserer traurigen Zeit. Er zeigte sich dadurch dankbar, dass er nach Schluss der Vorstellung der Musik kapelle, Karl Valentin und Liesl Karlstadt statt Orden zwei Bana nen zur Verteilung überreichte. Die Direktion. Der Polizeibericht vom 12. 13. 68 schreibt: Trotz wiederholter Warnung waren in »Wien-München« zur gestrigen Abendvorstellung statt 400 Personen 26000 Personen, also rund 25600 Personen mehr als »Wien-München« fasst. Es entstand dadurch eine solche Ueberfüllung, dass die Seitenwände des Theatersaales einstürzten. Die Saaldecken samt Plafond blie ben zum grossen Glück an den im Saal aufgehängten Bogenlam pen hängen. Die im Theater anwesenden Zuschauer waren von dem Programm derart begeistert, dass sie von den ganzen Vor kommnissen nichts bemerkten.
Adam und Eva waren damals im Paradies und blieben auch darin, denn es soll herrlich gewesen sein - warum blieben sie darin? Weil es damals noch nichts anderes gegeben hat - hätte »Wien-Mün chen« schon bestanden, wären sie sicher nur in »Wien-München« zu finden gewesen, denn da ist es bekanntlich noch herrlicher.
Text zu »Schallplatten-Jllustration«. - Von Karl Valentin. Zivilbild. 20 Neuaufnahmen von Karl Valentin und Liesl Karlstadt.
2924 Im Schallplattengeschäft. - Eine äusserst ulkige Szene. Karl Valentin will sich in einem Schallplattengeschäft Platten kaufen. Die Verkäuferin - Liesl Karlstadt - lässt dem Käufer
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verschiedene Platten vorspielen, bis er sich zu einer billigen, von Herrschaften abgelegten Platte entschliesst.
2927 Ich bin eine Sprechmaschine. - Ebenfalls eine Schallplatten neuheit von Karl Valentin. Jedes Gramola oder Grammphon spricht persönlich eine eigene Gebrauchsanweisung mit einem vielsagenden Schlussatz, der in jeder Gesellschaft den Grammophonbesitzer in eine grosse Verlegenheit bringtf.]
2923 Valentin singt und lacht selbst dazu. - Um nicht in Verlegen heit zu kommen, dass bei dieser Parodie über das alte Volks lied niemand lacht, lacht er gleich selber nach jeder Strophe. Wie er das macht, soll Ihnen diese Schallplatte verraten. 2921 Der Zufall. - Ein von Blödsinn strotzender Dialog zwischen einem Kapellmeister und einem Musiker, dargestellt von Karl Valentin und Liesl Karlstadt. Die Kritik schreibt: Der Zufall ist die lustigste und natürlichste Schallplatte der Gegenwart. 2925 Das Aquarium. - Hier schildert Karl Valentin in seiner ihm eigenen Erzählungsart, wie aus seinem Aquarium ein Fisch herausgefallen ist. Wie - wo und warum -? erfahren Sie durch die Schallplatte. 2921 Eine ■waschechte Münchner Obsthausiererin, von Liesl Karl stadt. - Ein Beweis für den Humor der Platte ist, dass dieser Vortrag, der im Jahre 1919 zum erstenmal aufgenommen wurde, heute noch so verlangt wird, dass die Homocord gesellschaft Berlin eine Obsthausiererinplatte nach neue stem Aufnahmeverfahren nochmal anfertigen liess.
2919 Liesl Karlstadt als Ratschkathl. - Eine Hausfrau und Mutter klagt hier ihr Leid. Um die überaus komische Wirkung noch zu erhöhen, bitte diese [Pljatte sehr schnell laufen zu lassen.
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2922 Valentin geht mit seiner Mutter ins Theater. - Ueber d[ie]se Platte werden Sie lachen - lachen - lachen............... ! 2926 Karl Valentin singt die Uhr von Löwe. - Viele Komiker und Varietehumoristen haben sich seit Jahren mit fremden Federn geschmückt und Karl Valentins »UHR VON LOEWE« unberechtigt zum Vortrag gebracht. Auf dieser Platte hören Sie das Original vom AUTOR selbst vorgetragen. 2924 Beim Taucher auf dem Oktoberfest. - Eine lustige Begebenheit auf dem Volksfest mit tragischem Ende.
2928 Karl Valentin beim Feuerwerk. - Bei Veranstaltung eines Feuerwerks frägt Karl Valentin in höchst saudummer Weise seinen neben ihm stehenden Nachbarn um »Unmögli ches«^] Das Feuerwerk selbst ist fabelhaft aufgenommen, Sie hören zischen und krachen der Raketen.
2919 Uebertragung aus der Hölle. - Achtung - Achtung! Hier deut sche Stunde Bayern, Wellenlänge fünfundsiebzig Trillionen .......... Und schon sind Sie zum erstenmal mit der Hölle verbunden. Sie hören den leibhaftigen »LUZIFER« selbst sprechen. Bitte nicht fürchten - Neuheit auf dem Gebiete der Schallplattenkunst. 2988 Radlerpech. - Ein tägliches Vorkommnis in der Grosstadt. Personen: Ein Radfahrer - eine Frau - ein Schutzmann ein Zeuge und Neugierige wie immer. Die Platte ist so natürlich aufgenommen, dass man sogar den Schutzmann schreiben hört.
2927 Der hohle Zahn. - Jeder Mensch, der Zähne bekommen hat, oder einmal gehabt hat, wird diesen Schmerz zu würdigen wissen. Ausführliches über Zahnschmerzen entweder Kon versationslexikon Band »Z« oder Homocord Schallplatte Nr. 2927 247
2920 Karl Valentin als Feuerwehrtrompeter. - Bei einem Brand hat er ein falsches Signal geblasen und zwar statt »zum An griff« - »Gefahr vorüber« - Die Feuerwehr rückte natürlich ab und das brennende Gebäude ist tadellos verbrannt. Die Platte ist sehr warm zu empfehlen, weil es sich doch um Feuer handelt.
2925 Blödsinn ist Trumpf. - Es freuet Herz sich und Gemüt Wo die Blume des Blödsinns blüht.
2922 Liesl Karlstadt singt chinesisch. - Diese Platte ist nicht zu emp fehlen ................. kaufen Sie dieselbe JA nicht......... äusser Sie lernen zuerst perfekt chinesisch. 2920 Der komische Salat. - Es gibt italienischen Salat - es gibt rus sischen Salat - aber von einem komischen Salat kann Ihnen nur Liesl Karlstadt ein Lied singen.
2923 Liesl Karlstadt als Ausruferin beim Volksfest. - Zutritt, Zutritt meine Herrschaften - hier sehen Sie die Riesendame Fräu lein Lilly Wiesi - So schreit Liesl Karlstadt. Näheres auf der Schallplatte.
2926 Ein verrücktes Märchen. - Moderner Expressionismus auf der Schallplatte............ Nur für Erwachsene! Auch für Kinder geeignet. Vorwort [zu Homocord Schallplatten]
Von K. Valentin München 192p
............... und ich wiederhole nochmal, bevor sie sich Konfetti, Ostereier, Kopfwehpulver, Christbäume, Sockenhalter u.s.w. kaufen[,] kaufen Sie sich lieber einige Homocord Schallplatten von Karl Valentin und Liesl Karlstadt das Stück zu Dreimarkfunfzig-
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pfennige. Bei Abnahme von ioooo Stück eine Schallplatte gratis Homocord Schallplatten sind an ihrer runden dunkelschwarzen Form erkenntlich. Homocord Schallplatten sollen in keinem Haushalt fehlen. Kluge Ha[u]sfrauen spielen nur Homocord Schallplatten.?????
Einige Anerkennungsschreiben: .......... Teile Ihnen ergebenst mit, dass ich mit Ihren Schallplatten von Karl Valentin und Liesl Karlstadt sehr zufrieden bin. Bitte senden Sie mir sofort noch 5000 Stück per Nachnahme. Benedikt Horchgern Berlin a. d. Elbe. ;;;;;; Ihre Homocord Schallplatten haben in meiner Familie grosse Freude erweckt. Leider haben wir keinen Apparat, um die Platten spielen zu lassen. N. N.
............... Teile Ihnen mit, dass ich jeden Menschen vor dem Ankauf Ihrer Valentin-Karlstadt Platten warne, Seit drei Tagen muss ich das Bett hüten, da ich mich über Valentin Karlstadt Plat ten krank gelacht habe -. Ich wünsche mir selbst gute Besserung und baldige Genesung. Otto Empfindlich Ruhr an d. Essen Reklame: Schwurgericht »Wien-München«
Ein seltener Fall - ein alter Mann namens Peter Zellner ist ange klagt seine Ehefrau misshandelt zu haben. Er bittet den Amtsrich ter um Ehescheidung aus einem ganz besonderen Grund. Die Frau des Angeklagten, eine geborene Wienerin (60 Jahre alt) wim mert vor dem Richter, dass ihr ihr Mann dieses Scheusal während des Mittagessens die Suppenschüssel samt den geschnittenen Nudeln auf das Haupt schlug. - Der nächste Zeuge, der Sohn des Angeklagten Karl Zellner (siebzehn Jahre alt, ein echtes Münch ner Pflanzeri [)] war Zeuge dieses Familienzwistes und wird von 249
dem Richter gerügt, er möchte im Gerichtssaal sein »Käppi« abnehmen, worauf der Junge dem Richter entgegenhält »Sie ham ja auch eahna Käppi auf«. Er berichtet nun, dass sein Vater tat sächlich während des Mittagessens aufgegangen ist wie die Mor gensonne und verrät weiter, dass der Zimmerherr Herr Hermann Schulze aus Magdeburg (45 Jahre alt) auch bei dieser Gaudi anwe send war und als Zeuge vernommen werden sollte, was auch geschieht. Als aber der letzte Zeuge, die Milchgeschäftsinhaberin Amalie Schnell aus Haidhausen, ein sogenanntes »Milzl« vor Gericht erscheint und mit beispielloser Zungenfertigkeit vor dem Richter ihre Meinung vertritt, da verstummen die Worte der Staatsgewalt und der Gerichtssaal verwandelt sich in einen Milch laden. Die Zeugen sind nun alle vernommen und der Angeklagte Zellner erscheint nun nochmals vor dem Richter und dieser trägt, nun in energischer Weise, nach dem Ehescheidungsgrund. Um zu wissen, warum sich der Angeklagte von seiner Frau scheiden las sen will - müssen Sie nach Wien-München kommen, wo gegen wärtig Liesl Karlstadt als Verwandlungskünstlerin auftritt, wobei sie den Angeklagten und sämtliche Zeugen in schauspielerischer Höchstleistung darstellt. Des grossen Erfolges wegen wird diese neue Komödie von Karl Valentin auch im Monat------------- auf geführt. [für Valentin-Zeitung)
............. Sie sind schon so alt und haben die Karl Valentin=Zeitung noch nicht gelesen? Schämen Sie sich!! Hier im Lokal können Sie dieselbe schnell noch kaufen, bevor sie konfisdiert wird. Anerkennungsschreiben über die Karl Valentm=Zeitung:
.............durch das Lesen der Valentin=Zeitung bin ich total ver blödet; jeder soll diese Zeitung lesen! ............ Warne jeden vor Ankauf der Valentin=Zeitung. Habe 250
mich krank gelacht. Muß Bett hüten. Wünsche mir selbst gute Besserung. Otto Empfindlich, Ruhr a. d. Essen. ............ Bevor Sie sich Konfetti, Ostereier, Kopfwehpulver, Christbäume, Sockenhalter usw. kaufen, kaufen Sie sich doch lieber die Karl Valentin=Zeitung, dann ham Sie sie....... ............ Hast Du die V.=Z. im Haus, geht das »Schmunzeln« nie mals aus. ............ Teile Ihnen ergebenst mit, daß ich mit Ihrer Karl Valentin=Zeitung vom September 1935 sehr zufrieden bin. Bitte senden Sie mir sofert noch 5000 Stück per Nach nahme. Benedikt Ilesgern, Berlin a/Elbe. Ja! . . . Hätte der selige David damals dem Riesen Goliath statt einem harten Stein eine Valentin=Zeitung an den Kopf geworfen, hätte dieser nur gelacht, statt geweint. Der Preis der neuen Valentin=Zeitung wurde von 20 Mark auf 20 Pfennig herabgesetzt, daher der hohe Absatz. [für Brilliantfeuenverk] Der Preis des neuen Karl Valentin Buches »Brilliantfeuerwerk« wurde von 50.- Mark auf 3. Mark 80 herab gesetzt, daher der hohe Absatz Zu haben bei Hugendubel, Salvatorstr. 18
.......... Teile Ihnen ergebenst mit, dass ich mit Ihrem Karl Valentin Buch »Brilliantfeuerwerk« sehr zufrieden bin. Bitte senden Sie mir sofort 5000 Stück per Nachnahme. Benedikt Ilesgern, Berlin a/Elbe Zu haben bei Hugendubel, Salvatorstr. 18
(Weitere Anerkennungsschreiben) und Uhrteile 25r
........................... Ihr Karl Valentin Buch »Brilliantfeuerwerk« hat mir sehr viel Freude erweckt. Leider kann ich dasselbe zur Zeit nicht lesen, da sich meine Brille in Reperatur befindet, zu haben bei Hugendubel, Salvatorstr. 18 Durch das Lesen des neuen Karl Valentin Buches »Brilliantfeuerwerk« bin ich total verblödet, jeder sollte dieses Buch lesen. Zu haben bei Hugendubel, Salvatorstr. 18
Also Sie haben Ihrem Prinzipal nur 3 Mark 80 aus der Ladenkasse gestohlen, was wollten Sie denn mit diesem kleinen Betrag anfangen? »Ich wollte mir nur das neue KarlValentin Buch »Brilliantfeuerwerk« bei Hugendubel, Salvatorstr. 18 kaufen.« Frau Meier: Ja wir haben uns einen Papagei gekauft^] Frau Huber: Kann er sprechen auch? Frau Meier: Nur einen Satz[.j Frau Huber: Wahrscheinlich »Lora ist brav?« Frau Meier: Nein, er sagt den ganzen Tag »geht zu Hugendubel in die Salvatorstrasse und kauft »das neue Buch« Brilliantfeuer werk von Karl Valentin.«
Theile Ihnen mit, dass ich jeden vor dem An[ka]uf Ihres neuen Karl Valentin-Buches »Brilliantfeuerwerk« warne, denn seit 3 Tagen muss ich das Bett hüten, da ich durch das Lesen Ihres Buches total verblödet
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bin. Ich wünsche mir selbst gute Besserung und baldige Genesung. Otto Empfindlich Ruhr an der Essen. Zu haben bei Hugendubel, Salvatorstr. 18
Bevor Sie sich Konfetti, Ostereier, Kopfwehpulver, Christbäume, Sockenhalter usw. kaufen, kaufen Sie sich doch lieber das neue »Karl Valentin Buch - Brilliantfeuerwerk« bei Hugendubel, Salvatorstr. 18 Lehrer in der Schule: »Dass Du nicht gewusst hast um wieviel Uhr der 30 jährige Krieg begonnen hat, kann ich begreifen, aber dass Du nicht gewusst hast, dass das neue Karl Valentin Buch »Brilliantfeuer werk« bei Hugendubel schon erschienen ist, das kann ich Dir nicht verzeihen, dafür sollst Du büssen müssen.
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Gesuche um Gehaltskürzungen nimmt auf Wunsch jede Firma mit Freuden entgegen. Der Arbeitgeberverband Wahres Sprichwort aus der guten alten Zeit - bis 1923: »Spare in der Jugend - dann hast Du im Mter-Inflationsscheine.{Spagat< = Schnur (nach Ringseis, S. 257). 24,20 Entenbachstraße 63] Vgl. o. 290 (14,16). 24,24 eiserner] Fehlt in D1. 24,27b Fey-Batzi] D1 ergänzt: »(Karl Valentin)«.
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Gratulation zum Namenstag Textüberlieferung D1 Valentin-Zeitung. Hg. v. Karl Valentin u. Liesl Karlstadt, München (Selbstverlag der Herausgeber) 1935, S.4. D2 Karl Valentin, Brilliantfeuerwerk, München (Paul Hugendubel Ver lag) 1938, S. 68. Textgrundlage: D2. Entstehung Vermutlich 1935 anläßlich der Publikation von D‘.
Stellenkommentar 25,13 Gratulation zum Namenstag} D': »Gratulation. Eine wahre Bege benheit.«
Volksgarten »Zur Rosenau« Textüberlieferung D1 Münchner Neueste Nachrichten, Nr. 157 v. 13.6.1937. D2 Karl Valentin, Brilliantfeuerwerk, München (Paul Hugendubel Ver lag) i938> S.9-13. D3 Die Jugend (München), Nr. 29 (1939), S. 566. Textgrundlage: D3. Entstehung Vermutlich (Vgl. Textanfang) 1936. Dem entspräche auch der Hinweis »schrieb ich vor zirka zehn Jahren ein Volksstück, betitelt >Brilliantfeuerwerk in der Rosenau33 Wogg] Max Högg, kgl. Musikdirektor. 25,33 Fach] Adolf Fach, kgl. Obermusikmeister in der Marsfeldkaserne. 26,8 die Schweren Reiter] S.o. 292 (15,20). 2Ö,8f. Chevaulegers] Leichte (ungepanzerte) Reiter. 26,12 nie zu schlichtender Haß] D1: »nie zu schlichtende Rivalität«.
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26,13 die Leiber haßten die Schilleren] D1: »die Leiber wollten von den Schwären nichts wissen«. 26.15 Traina] Für den Nachschub sorgende Truppe (frz. >train< = Troß, Heeresfuhrwesen). 2 6,16 ff. - kein Völkerbund hätte je eine Einigung zwischen diesen schaffen kön nen. ] Fehlt in D'. 26,22 hub an zu sprechen] D‘: »hätte ihr folgendes laut zugeflüstert«. 26.22 Naßl] Bayer.: ordinäre, schlampige Frau (nach Aman, S. 103 bzw. S. 26). 26.23 Salatgigerl] Geck; vgl. das Couplet »Das kleine Gigerl!« (Sämtliche Werke, Bd. 2, S. 25f.). 26,25 oadrahte] Bayer.: gewiefte, auch: zwielichtige. 26,25ff. do oadrahte...hrat'n.«] Fehlt in D1. 26,25b Schlawinaschuxn] Flittchen, Hure. 26,27 Steckerifisch] An einem Stecken aufgespießter, gebratener Fisch (Spezialität auf dem Oktoberfest). 26,29b statt »Rauferei«] Fehlt in D'. 26,31 der Vorkriegszeit] Fehlt in D'. 26,36 »Schaffner, lieber Schaffner«] Komponist nicht ermittelt. 26,36 »Ist denn kein Stuhl da«] »... für meine Hulda?«, Text und Musik von Wilhelm Wolff, der um 1900 zahlreiche humoristische Couplets ver faßte. 26,36b »Mein Herz, das ist ein Bienenhaus«] Gemeint ist das in der Verto nung durch Hugo Baschab (keine Lebensdaten ermittelt) zum Schlager gewordene Gedicht »Mein Herz ist wie ein Bienenhaus« (Titel: »Wei sel«) von Karl Simrock (geb. am 28.8.1802 in Bonn, gest. am 18.7.1876 ebda.). 27,1 »Lebt denn meine Male noch«] Komponist nicht ermittelt. 27.6 Edison-Phonograph] Vgl. die Szene, Rep. Nr. 167, »Jm Schallplatten laden« (Sämtliche Werke, Bd. 3, S. 56-65). 27.7 Interessenten] D‘: »Musikliebhaber«. 27,7b »Aufziehen der Schloßwache«] Urheber nicht ermittelt. 27.15 Schauspielhaus] S.o. 293 (15,35). 27,15 Kolosseum] S.o. 293 (16,5). 27,15 Apollotheater] Variete und Volkssängerbühne (Dachauer Straße 19), die mit K.V.s »Im Photoatelier« am 3.4.1929 den Betrieb einstellte; vgl. Münz, S.9Öff. 27,18 - vielleicht eine Berliner Firma!] Fehlt in D1.
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Sehr geehrte Herren und Damen und Kinder! Textüberlieferung D1 Karl Valentin, Brilliantfeuerwerk, München (Paul Hugendubel Ver lag) 1938, S. 7. Textgrundlage: D'. Entstehung Vermutlich 1938 anläßlich der Publikation von D'.
Stellenkommentar 27,25 Der letzte Zeitungsartikel im »Münchner Kurier«} K.V wehrte sich wiederholt, jedoch ohne Erfolg, gegen angebliche »Valentiniaden«, die in verschiedenen Zeitungen und Zeitschriften erschienen; vgl. Brief vom 1.2.1939 an Reichspresseleiter Max Amann (Sämtliche Werke, Bd. 6, S.131-133). 28,1 Lucki] S. u. 323 (86,25).
Bei Benz Textüberlieferung T1 Typoskript im Nachlaß, Theaterwissenschaftliche Sammlung KölnWahn: Repertoire Nr. 247; Mappe XII (Au 11 750). T2 Typoskript aus dem Bestand des Rechtsvertreters der Erben Valen tins, Rechtsanwalt Gunter Fette, München. D‘ Nicht identifizierte Druckfassung (enthalten im Liesl-KarlstadtNachlaß). D2 Karl Valentin, Brilliantfeuerwerk, München (Paul Hugendubel Ver lag) 1938, S. 121-125. Textgrundlage: D2. Entstehung In T',D' (vgl. 29,4h) findet sich die Angabe: »bis heute 1935«.
Stellenkommentar 28,12 Bei Benz] D2 erläutert in einer Fußnote: »Bekannte Kleinkunst bühne in München«. D' hat den Untertitel: »Von Karl Valentin«. Zu Papa Benz s. o. 292 (15,23). 28,16 1902] In T' handschriftlich korrigiert in: »1908«. 28,19 Der Humorist] T‘: »Mein damaliger Lehrmeister«. 28,19 Strebel] Hermann Strebel (geb. am 18.12.1877 in Mühldorf/Inn, gest. am 5.12.1949 in München). Laut Berti [Böheim] Valentin, S. 19, besuchte K.V. ab dem 22.5.1902 die Variete-Schule Strebel. Münz (KWD), S. 316, gibt als Ausbildungsdauer drei Monate an und lokalisiert die Schule in der Münchner Hochbrückenstraße. Nach Pemsel, S. 183, ist
300
»ein offizieller Beleg für die Existenz dieser Schule [...] heute nicht mehr auffindbar«; vgl. Brief vom 5.10.1902 an die Eltern (Sämtliche Werke, Bd. 6, S. 11 f.). 28,2of. »Was man alles machen kann«] Couplet, Rep. Nr.81 (Sämtliche Werke, Bd. 2, S.66f.). 28,31 Karl Maxstadt] Von Valentin selbst als wichtigstes Vorbild bezeich neter Volkssänger (geb. am 1.9.1853 in Lahr/Schwarzwald, gest. am 14.1.1930 in München); vgl. Lutz, S. 30-34. 28.31 Papa Geis] Jakob Geis (geb. am 27.12.1840 in Athen, gest. am 3.3.1908 in München), Münchner Volkssänger; vgl. Lutz, S. 19-23. 28,34 neuesten Nummer als Schwerer Reiter] S. Sämtliche Werke, Bd. 2, S. 72-77. 29,4f. Von 1919 bis heute] T‘,D‘: »Von 1919 bis heute 1935«. 29,8 ...zum allgemeinen Gaudium.] In T' folgt: »Es kommt aber hie und da vor, dass Gäste, besonders >AlkoholdurchseuchteKomiker< nicht gewachsen ist.«] Textgrundlage: T1. Variante: T2/T5.
Einzelne Witze v. Karl Valentin A:
(Zu seiner Frau - im Zimmer nebenan) »Wenn ich Dir schon zum dritten Mal rufe, dann kannst Du mir
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wenigstens eine Antwort geben! Du kannst doch sagen, ich bin da, oder ich bin fortgegangen!«
A:
»So, Du gehst jetzt zu dem kranken Mann hinüber und sagst, wenn er wieder gesund ist, soll er wieder in’s Geschäft kommen; soll er aber inzwischen gestorben sein, so sage ihm, er braucht überhaupt nicht mehr zu kommen!«
Wenn zwei sich lieben, so ist das ein Zeichen, dass sie keinen Dritten dazu brauchen. A: B: A: B: A: B:
Was ist denn los, dass soviel Leute dastehen? Eine Frau soll was verloren haben. Was hat denn die Frau verloren? Das kann sie nicht sagen. Wieso? Weil sie das Bewusstsein ver[l]oren hat.
A: B: A:
Grüss Gott! Wo kommst du denn her? Vom Zoologischen Garten. Vom Zoologischen Garten? Schon wieder vom Zoologischen Gar ten? Gestern warst Du doch auch schon droben - hast Du zu mir gesagt. Ja, morgen geh ich wahrscheinlich auch wieder hin! Da is’ nämlich ein Elefant droben, ein Riesenelefant! Der is’ sooo gross, den kann man auf einmal gar [njicht sehen. Da muss ma öfters nauf geh’n.
B:
Wirklich existierender Witz!
Nicht nur Tabak, sondern auch Hunde werden anscheinend geraucht; denn im alten südlichen Friedhof in München steht an einer Tafel geschrieben: »Das Rauchen und mitnehmen von Hunden ist polizeilich verboten.«
Karlstadt: Ja, Ja, der Rembrandt, das war ein grosser Maler. Valentin: Wieso! war ein grosser Maler, hat der sei Malerei aufgege ben? Karlstadt: Ich mein, er war ein grosser Maler bei Lebzeiten. Valentin: Is er g’storben? Karlstadt: Ja der Maler Rembrandt ist doch schon im 16. Jahrhundert g’storb’n, also vor cirka 400 Jahren.
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Valentin: So so - der is g’storb’n. — Nein, das stimmt nicht, - das is noch keine 14 Tag her, hab’ ich wo a Bild von ihm ausg’stellt gesehn.-----
Entstehung Vermutlich 1940 (vgl. 151,14). Der Text ist kein eigenständiges Werk K.V.S, sondern eine von Liesl Karlstadt angefertigte Anekdoten- und Witzesammlung. Der biographische Gehalt und die von K.V zugeteilte Repertoirenummer rechtfertigen jedoch die Aufnahme in den vorliegen den Band. - Im Liesl-Karlstadt-Nachlaß sind unter der Rep. Nr. 152 »Einzelne Witze aus dem Vorstadttheater von Karl Valentin -1914- « enthalten; dabei handelt es sich um Pointen aus dem Stück »Theater in der Vorstadt« (Sämtliche Werke, Bd. 5). - In verschiedenen Publikationen K.V.s finden sich eingestreute Witze, die im Anschluß an den Kommentar zu T2/Ts dargeboten werden. Die Quelle wird jeweils in Klammern ange geben. Auf einen Kommentar wird verzichtet. Stellenkommentar 128.20 Karl Valentin das Münchner Orginal] Uber dem Titel steht der handschriftliche Zusatz: »Einzelne Witze v. Karl Valentin«. 128,2Öf. unsere liebe Münchner Stadt reich an Originalen] Vgl. »Bilder berühmter Persönlichkeiten« (vorliegender Band, S. 226-242). 128,28 Krenkel] S.u. 424 (241,15). 128,28 ewiger Hochzeiter] S.u. 424 (242,6). 128.28 Finessen Sepperl] S.u. 424 (242,13). 128.29 Kapellmeister Sulzheck] S. u. 424 (240,23). 129,36 kein vernünftiges Wort reden.] In D1 folgt hier die Passage: »Karl Valentin hat die ganze Welt bereist, ... Mit den Vorbereitungen der Emp fangsfeierlichkeiten soll schon in der kommenden Woche begonnen wer den.« (»Karl Valentins Selbstbiographie«; vorliegender Band, S. 13). i3O,7f. Wo wohnens denn?] Eine vollständige Liste aller Wohnungen K.V.s bietet Freilinger-Valentin, S. 173. 130,32f. politische Witze] Zum politischen Valentin vgl. Bachmaier 1994 sowie Sämtliche Werke, Bd. 1, Nachwort, S. 302 ff. 131,15 »Neueste Valentiniade«] Vgl. »Anklage v. K.V.« (vorliegender Band, S. 35 f.). 133.22 Sä] Bayer, im Sinne von: Da schau! Da hast du es! (nach Ringseis, S.223). 135,7 Kabarett Bonboniere] Vgl. o. 355. 136,18 f. »Singer-Maschine« ] Nähmaschine der »Singer Co.« (New York; gegr. 1873). 136.22 Haus der Deutschen Kunst] 1937 auf Initiative Hitlers eröffnetes Museum (Prinzregentenstraße 1); vgl. Adam, S. 93 f. 138,25 Im alten Kammerspieltheater] Vgl. o. 293 (15,35). 139.21 Musterung] Wegen seines lebenslangen Asthmaleidens war K.V.
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für den Militärdienst untauglich, obgleich eine erste Musterung 1904 noch ergeben hatte: »Landsturm mit Waffe«. I4I>27 »Denn unser Fähnlein ist weis und blau«} Anspielung auf das Cou plet »Und unser Fähnelein is weiß und blau« von Weiß Ferdi; vgl. o. 325 (107,9 fr.). 141,28 Stadtratsitzung} Vgl. die Szene, Rep. Nr. 146, »Eine fidele Münch ner Stadtratssitzung anno dazumal« (Sämtliche Werke, Bd. 3, S. 47-51). 142,13 Ja so ändern sich die Zeiten,...} Vgl. o. 360 (125,1). 142,2° ein Prosit der Gemütlichkeit} Musikalischer Trinkspruch (1901) von Georg Kunoth (geb. am 17.2.1863 in Bremen, gest. am 9.9.1927 in Wiesbaden); vgl. das gleichnamige Couplet (Sämtliche Werke, Bd. 2, S. 54f.). 142,22f. Sie gehen her,... und heissen das Abgeladene »Denkmal«.} Es folgt der Zusatz: »in Zeitschrift Zwiebelfisch erschienen 1932)«. Vgl. »Uber die ehemalige Kunststadt München« (vorliegender Band, S. 155). 142,34 silberne Hochzeit} Vgl. den Dialog, Rep. Nr. 285, »Die silberne Hochzeitsfeier« (Sämtliche Werke, Bd. 4). 143,33 Claude-Lorrainstrasse} Straße im Stadtteil Au, benannt nach einem ffz. Maler des i7.Jhds. 144,10 Benjamino Gigli} Beniamino Gigli (geb. am 20.3.1890 in Recanati, gest. am 30.11.1957 in Rom), 1914-1955 weltweit gefeierter Opern- und Konzertsänger. 145,15 Max Denkmal} Denkmal König Max II. (Maximilianstraße), 1875 entworfen von Kaspar Zumbusch. 145,24 Festzug zum Tage der Deutschen Kunst} Das »Haus der Deutschen Kunst« veranstaltete 1937-1944 »Große Deutsche Kunstausstellun gen«, die von einem zunehmend pompösen Rahmenprogramm - u.a. ein Festzug mit Wagen und Masken - begleitet wurden; vgl. Adam, S. 112 ff. 146,18 Berliner Restaurant am Zoo - im »Löfenbräu«} 1869/75 ’m Zuge der Errichtung der Tierhäuser angelegter Restaurationsbetrieb mit mehreren Sälen, Pavillons, Bier- und Weinschänken etc., der nach weiteren Ausbau ten 1909/10 über 30000 Plätze verfügte und als größte gastronomische Anlage der Welt galt; vgl. Täubrich, S. 2i2f. 148,6 Kolosseum} S.o. 293 (16,5). 148,17ff. Mit Mädl erschossen... Schwester schaut gut aus!} Diese Wort wechsel finden sich auch im Stück, Rep. Nr. 52, »Theater in der Vor stadt« (Sämtliche Werke, Bd. 5). 149,36 Nymphenhurg} Vgl. o. 320 (68,27f.). 151,14h General Mackensen ist schon 91 Jahre alt} August von Mackensen (geb. am 6.12.1849 nahe Wittenberg, gest. am 8.11.1945 in Burghorn bei Celle), General des Ersten Weltkriegs und prominenter Anhänger des
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NS-Regimes. Das von K.V genannte Alter läßt auf eine Entstehung des Textes im Jahre 1940 schließen. 152,17 dieses kleinen Büchleins} Offensichtlich war eine eigenständige Publikation des Textes vorgesehen, zu der es aber in den folgenden Kriegsjahren nicht kam.
T’/T5 362 Einzelne Witze] Handschriftlich korrigiert, ursprünglich: »Neue Witze«. 363 im alten südlichen Friedhof] 1563 als Pest- und Armenfriedhof angelegt (zwischen Thalkirchner Str. und Pestalozzistraße). 363 der Maler Rembrandt ist doch schon im 16. Jahrhundert g'storb’n] Rem brandt Harmensz van Rijn (geb. am 15.7.1606 in Leiden, gest. am 4.10.1669 in Amsterdam).
Druckfassungen zusätzlicher Witze und Anekdoten:
A. : So, so, Sie haben von den letzten Erdstößen gar nichts bemerkt? B. : Gar nichts — ich bin nämlich Flieger. (Valentin-Zeitung. Hg. v. Karl Valentin u. Liesl Karlstadt, München [Selbstverlag der Herausgeber] 1935, S. 1; Karl Valentin, Brilliantfeuer werk, München [Paul Hugendubel Verlag] 1938, S. 118)
Original=Valentin=Witze gesammelt von Liesl Karlstadt
Der Dichter Otto Ehrhart schickte Herrn Valentin aus Verehrung sein Buch »Das sterbende Moor« mit einer schönen Wdmung. Valentin bedankte sich einige Tage darauf in folgender Weise: »Sehr geehrter Herr Ehrhart! Ich danke schön für das schöne Buch, habe aber leider keine Zeit, dasselbe zu lesen, schicken Sie mir doch bitte ein »gelesenes« Buch.[«] Herr zu Valentin: Warum sind Sie denn gar so blaß? - Valentin: Blaß? Ich bin doch nicht blaß, ja als Kind war ich blaß! Da war ich so blaß, daß mich meine Eltern nur mit der Schneebrille anschauen haben können.
Valentin sitzt in einem Restaurant am Tisch — ein Herr fragt ihn, ob das auch wirklich Salz sei in dem Streuglas und nicht etwa Streu zucker. —
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Valentin: »Selbstverständlich ist es Salz, das seh’n Sie doch schon an der Farbe.«
Valentin (zu einem Bekannten)-. »Ich hab zu Hause einen Kanarienvogel, der ist schon 40 Jahre alt.« — Bekannter: »Schmarrn, das kann nicht sein, Sie lügen, ein Kanarienvogel wird höchstens 15 Jahre alt.« - Valentin: »Der meine ist 40 Jahre alt, 10 Jahre war er lebendig und 30 Jahre ist er schon ausgestopft, sind zusammen 40 Jahre.« Valentin schreibt von Berlin aus seinem Freund: Berlin, den 12. Dezem ber 1928. Mein lieber Freund! Sei so gut und schicke mir aus München i Pfund frisch gefallenen Schnee, die Berliner glauben mir nicht, daß es in München schon schneit. Schreibe aber auf das Postpaket nauf »Vor Wärme schützen!«. Ein berühmter Zeichner sagte einmal zu Valentin, er könne alles zeich nen. — So, so, sagte Valentin, dann zeichnen Sie mir mal ein Stück Aluminium.
Verkäufer: Dieser Rennwagen ist nur zu empfehlen; mit dieser Maschine können Sie die wahnsinnige Geschwindigkeit von 200 Kilometer errei chen. Käufer: Das wäre alles gut und schön, wenn nur die Sitzgelegenheit nicht gar so kompliziert wäre, das Einsteigen geht ja noch, aber wie kommt man dann aus diesem Loch wieder heraus? Verkäufer: Bei einem 2OO=Kilometer=Tempo ist nur das Einsteigen nötig, das Aussteigen besorgen meistens die Sanitäter.... (Valentin-Zeitung, S. zf.) »Ja, Herr Nachbar, wenn Sie so fortsaufen, verliern Sie noch Ihm ganzen Verstand...« »Moanas? - ... Dös war aber trauri - do derfat i nach meiner Berechnung höchstens no oamoi trinka...« (Valentin-Zeitung, S. 4)
Der Hausschlüssel Karl Valentin sitzt in später Abendstunde mit einem Bekannten in einem Restaurant. Plötzlich bemerkt der Bekannte, daß er seine Schlüssel ver gessen hat. Darauf sagt Valentin: »Da nehmens die meinigen, ich geh’ heut sowieso net heim!« (Valentin-Zeitung, S. 8; Brilliantfeuerwerk, S. 106)
Die Rechnung Eine Dame beauftragte einen Schreinermeister, er möchte in ihrer Woh nung eine Zimmertüre neu anfertigen. Nach drei Tagen aber überlegte sich’s die Dame wieder anders, stellte an die Stelle der Tür einen Kleider schrank, und fand nun die Anfertigung der bereits bestellten Türe über flüssig. Sie teilte dem Schreinermeister dieses mit, aber es war bereits zu spät, denn der Schreinermeister hatte mit der Arbeit schon begonnen. Die Dame einigte sich mit dem Schreinermeister, ihm die bereits gehab ten Auslagen zu bezahlen und bekam von ihm eine Rechnung gestellt, fol genden Inhalts: Eine neue Zimmertüre nicht gemacht... iö.-Mark Dankend erhalten Schreinermeister F. Schwarz. (Brilliantfeuerwerk, S. 105)
Eine Frau wurde von einer giftigen Fliege im Gesicht gestochen. Der ganze Kopf schwillt furchtbar an, und der Doktor meint: Die Blutvergif tung ist so weit vorgeschritten, daß ihr Leben nur mehr durch Abnahme des Kopfes gerettet werden könnte.
Aus der guten alten Zeit: Hauptmann (zum Soldaten, der seinen Kameraden mit dem Kopf über ein Feldfeuer hält)-. Ja mei liaber Hinterhuber, was treibst Du denn mit dem Mann? Hinterhuber: Er hat a Bleikugel im Kopf drin stecka und im Lazarett bringa sie s’ net raus, jetzt schmelz ich s’ ihm raus. A. Gestern habe ich Sie mit einer Dame gesehen, Herr Valentin, wer war denn das? Valentin: Das war meine ehemalige Zukünftige. (Karl Valentin, Valentiniaden, Hugendubel Verlag, München 1941, S. jof.)
Daß ein Berg nicht immer oben und ein Tal nicht immer unten ist, kann Valentin folgendermaßen beweisen: Er steht oben am Petersturm, um sich München einmal von der Vogelperspektive anzusehen. Wo ist denn da das Petersbergl, fragt er den Turmwächter? Da unten liegt es, deutet der ihm an. Ein andermal geht er durch das Tal, er schaut in einen geöffneten Kanalschacht hinunter und sieht einen Arbeiter unten stehen. Sie bitt schön, wo ist denn das Tal? Da oben, tönt die Stimme aus dem Schacht. .
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Einen Musiker fragt er, was ist ein Kreuz? Musiker: G-Dur. Valentin: Und zwei Kreuze? Musiker: D-Dur. Valentin: Und drei Kreuze? Musiker: A-Dur. Valentin: Und vier Kreuze: Musiker: E-Dur. Valentin: und ioo Kreuze? Musiker: ? Valentin: Ein Friedhof.
Ein kleiner Dackel mit riesig langen Ohren spaziert an ihm vorüber. Valentin schüttelt den Kopf - der Hund ist vielleicht zwei Jahre alt und d’Ohrwascheln mindestens zwölf Jahr. Er hatte eine kleine schwarze Hauskatze, an der hing er mit größter Liebe. Eines Tages lief sie auf und davon. Das war eine Suche nach der Katze. Und einen Jammer, sagt er, habe ich, einen direkten Katzenjam mer. (Valentiniaden, S. 88 ff.)
Uber die ehemalige Kunststadt München Textüberlieferung T' Typoskript im Nachlaß, Theaterwissenschaftliche Sammlung KölnWahn: Repertoire Nr. 156; Mappe VII (Au 11 750). T2 Typoskript im Nachlaß, R.Piper Verlag, München: Repertoire Nr. I5Gnade< soll es bringen.« D1 ergänzt: »Schön und gut - aber die Kinder wollen doch was zum Spie len!« 173.13 Flobertpistole] Kleinkalibrige Handfeuerwaffe, nach Nicolas Flobert (geb. 1819 in Paris, gest. 1894 in Gagny). 173,22 Schusser] Bayer.: Murmeln (nach Ringseis, S. 247). 173,31 Bris-bis] Recte: brise-bise, frz.: Scheibengardine, Fensterschutz (gegen Zugluft). T2 378 Weihnachtszeit] T4 ergänzt: »aufgenommen 13.12.45«. 378 Vierjahresplan] 1936 ausgerufenes Programm der nat.-soz., rüstungs orientierten Wirtschaft. 379 Umtauschzentrale] Am 11.7.1945 eröffnete die US-Militärverwaltung am Münchner Reichenbachplatz eine offizielle Tauschzentrale, wo Güter des täglichen Gebrauchs getauscht werden konnten; vgl. das Couplet, Rep. Nr. 372, »Umtauschstelle« (Sämtliche Werke, Bd. 2, S. 182 ff.).
Karl Valentin baut Textüberlieferung T1 Typoskript im Nachlaß, Theaterwissenschaftliche Sammlung KölnWahn: Repertoire Nr. 240; Mappe XII (Au 11 750). T2 Typoskript im Nachlaß, R.Piper Verlag, München: Repertoire Nr. 240. D' Münchener Mosaik, 2. Jg., H.4, April 1939, S. 161. Textgrundlage: D1. Entstehung Vermutlich 1939 anläßlich der Publikation von D'.
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Stellenkommentar 174.1 Karl Valentin baut] T', T2: »Ich baue mir ein Haus«. 174.4 h Es liebt die Welt, das Strahlende zu schwärzen und das Erhabene in den Staub zu ziehn ] Zitat aus Schillers Gedicht »Das Mädchen von Orle ans« (1801). 174,9h »Schlösser, die im Monde liegen«] Lied für Sopran aus Paul Linckes Operette »Frau Luna« (1898); K.V verwechselte dieses Lied offensicht lich mit dem populären Walzer »Mondnacht auf der Alster« von Oscar Fetras (Pseudonym für: Otto Faster; geb. am 16.2.1854 m Hamburg, gest. am ii.1.1931 ebda.). 174,24 Operette »Elänselein und Gretelein«] Gemeint ist wohl die populäre Märchenoper »Hänsel und Gretel« (1893) von Engelbert Humperdinck (geb. am 1.9.1854 in Siegburg, gest. am 27.9.1921 in Neustrelitz). 175.2 fanget an!] Zitat aus Richard Wagners »Die Meistersinger von Nürnberg« (1868). 175.5 Kreuzspinne] Anspielung auf das NS-»Mutterkreuz«. 175.6 h Ein Dresdener Architekt hat 1925 ein drehbares Glaskugelhaus erfun den] Gemeint ist der Architekt Peter Birkenholz (geb. am 30.7.1876 in Elberfeld, gest. 1961 in München [?]), der 1927/28 in Dresden (Ausstel lung »Die technische Stadt«) das erste Kugelhaus der Welt (30 m hoch, 5 Etagen) erbaute. Die avantgardistische Konstruktion wurde 1939 auf Veranlassung der NS-Regierung abgerissen. 175,13 (siehe Arche Noah)] Vgl. vorliegender Band, S. 189-194. 175,19 gefräßigen Eisensaurus] Vgl. »Architekt Sachlich« (vorliegender Band, S. 264-268). - In T‘ folgt handschriftlich: »den Bagger« und die Zeichnung eines Baggers, der ein Haus abreißt.
Eine seltsame Sache Textüberlieferung T’ Typoskript im Nachlaß, Theaterwissenschaftliche Sammlung KölnWahn: Repertoire Nr. 242; Mappe XII (Au 11 750). T2 Typoskript im Nachlaß, R.Piper Verlag, München: Repertoire Nr. 242T3 Typoskript im Liesl-Karlstadt-Nachlaß, München: Repertoire Nr. 242. Textgrundlage: T‘.
Entstehung Vermutlich um 1940.
Stellenkommentar 175,36 »Stinknase« ] Ozaena, d. i. ein krankhafter Schwund der Nasen schleimhaut, der mit der Bildung abstoßend riechender Beläge einhergeht.
3»!
Die Friedenspfeife Textüberlieferung T1 Typoskript im Nachlaß, Theaterwissenschaftliche Sammlung KölnWahn: Repertoire Nr. 244; Mappe XII (Au 11 750). T2 Typoskript im Nachlaß, R.Piper Verlag, München: Repertoire Nr. 244. T3 Typoskript im Liesl-Karlstadt-Nachlaß, München: Repertoire Nr. 244. Textgrundlage: T'.
Entstehung Vermutlich um 1940. Quellen Vgl. o. 375 (»Ich mische mich...«).
Karl Valentin beschreibt den Frühling Textüberlieferung T‘ Typoskript im Nachlaß, Theaterwissenschaftliche Sammlung KölnWahn: Repertoire Nr. 209; Mappe X (Au 11 750). T2 Typoskript im Nachlaß, R.Piper Verlag, München: Repertoire Nr. 209. T3 Typoskript im Liesl-Karlstadt-Nachlaß, München: Repertoire Nr. 209. D1 Münchener Feldpost (5. Ausgabe) vom 1.3.1942, S. 7. Textgrundlage: D'.
Entstehung T‘,T2,T3 tragen das Datum: »3. Febr.1942«. Stellenkommentar 177,23 »Tut mir leid«, sagte darauf Karl Valentin...] In D1 ist vorangestellt: »Die Schriftleitung der >Münchener Feldpost« hat den bekannten Mün chener Humoristen Karl Valentin gebeten, für die Märznummer einen frühlingsmäßigen Beitrag zu schreiben.« In T',T2,T3 ist vorangestellt: »Von der Schriftleitung der Münchner Feldpostzeitung wurde mir nahe gelegt, ich soll einen lustigen Artikel schreiben für die M.F.Z. Und zwar über das Thema »Der Frühling«. 178,5 Frühling ist’s, die Blumen blühen wieder] Das »Fliederlied«, op. 83, von Bela Zerkovitz aus dem Jahre 1911. 178,21 Kolchizin] Dient in sehr kleinen Dosen als Heilmittel gegen Gicht und Rheumatismus, 1819 von P.J. Pelletier und J. B. Caventou aus dem Samen der Herbstzeitlose gewonnen. 178,35 Senefelderstraße] Anspielung auf das Bordell in der Senefelder-
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Straße 5 im ehemaligen Hotel National in der unmittelbaren Nähe des Hauptbahnhofs; vgl. die Briefe Nr. 172 und Nr. 188 (Sämtliche Werke, Bd. 6, S. 166 bzw. S. 183). 179,2 Undosahad] Das Münchner Adreßbuch 1907, III.Teil, S. 15, nennt die »Undosa-Bad Starnberg G.m.b.H. Ludwigstr.2«; bis heute ist das Undosa-Strandbad in Starnberg in Betrieb. 179,10 »Frühlingserwachen«] Tragödie (1906) von Frank Wedekind. i79,iöf. »Der Frühling ist wieder in JFi'ew«] Ungenaues Zitat aus dem Wienerlied »Im Prater blüh’n wieder die Bäume« von Robert Stolz, worin es heißt: »denn Frühling ist wieder in Wien!« (Text: Kurt Robitschek). 179.19 Hildach] Eugen Hildach (geb. am 20.11.1849 in Wittenberge/Elbe, gest. am 29.7.1924 in Berlin), Konzertsänger und Komponist zahlreicher populärer Salonlieder. i79,24f. Herr Schriftleiter] Laut Impressum der Münchener Feldpost: Dr. Michael Bäuml; vgl. Brief K.V.s vom 15.1.1945 an Paul Giesler (Sämtliche Werke, Bd. 6, S. 195).
Manches neu... 'Iextüberlieferung T' Typoskript im Nachlaß, Theaterwissenschaftliche Sammlung KölnWahn: Repertoire Nr. 217; Mappe X (Au 11 750). T2 Typoskript im Nachlaß, Theaterwissenschaftliche Sammlung KölnWahn: Repertoire Nr. 217; Mappe X (Au 11 750). T! Typoskript im Nachlaß, R.Piper Verlag, München: Repertoire Nr. 2I7T4 Typoskript im Liesl-Karlstadt-Nachlaß, München: Repertoire Nr. 217. D' Münchener Feldpost (7. Ausgabe) vom 1.5.1942, S. 7. Textgrundlage: D1. Entstehung T',T2,T3 tragen das Datum: »20. April 1942«.
Stellenkommentar 179,31 Manches neu... ] T’,T2,T3,T4: »Alles neu macht der Mai«. r79»35 »Alles neu macht der Mai!«] Gedicht von Hermann Adam von Kamp (geb. am 15.9.1796 in Ruhrort, gest. am 26.11.1867 >n Mülheim a d. Ruhr) mit dem Titel »Der Mai« (1829), das nach einer alten Volks weise (»Hänschen klein«) gesungen wird. 180.19 »Maiwein«] Auch: »Maibowle« (aus Weißwein, Sekt und Wald meister).
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i8o,2Ö »Mai Mutterl war a Weanerin!«] Wienerlied von Ludwig Gruber (geb. am 13.7.1874 in Wien, gest. am 17.7.1964 ebda.). 180,27!. Schriftleiter der »Münchener Feldpost«] S. o. 383 (179,24f.).
Der eintausendneunhundertzweiundvierzigste Juni Textüberlieferung T1 Typoskript im Nachlaß, Theaterwissenschaftliche Sammlung KölnWahn: Repertoire Nr. 335; Mappe XVI (Au 11 750). T2 Typoskript im Nachlaß, Theaterwissenschaftliche Sammlung KölnWahn: Repertoire Nr. 335a; Mappe XVI (Au 11 750). T3 Typoskript im Nachlaß, R.Piper Verlag, München: Repertoire Nr. 335T4 Typoskript im Nachlaß, R.Piper Verlag, München: Repertoire Nr. 335[a]. D1 Münchener Feldpost (8. Ausgabe) vom 1.6.1942, S. 7. Textgrundlage: D‘.
Entstehung T',T3 tragen das Datum: »Mai 1942«. T2,T4 tragen das Datum: »1946«. Stellenkommentar i8i,i4f. Der eintausendneunhundertzweiundvierzigste Juni] T2,T4: »Der eintausendneunhundertsechsundvierzigste April«. 181,18 April - Mai -] Fehlt in T2,T4. 181,20 fünf] T2,T4: »drei«. i8i,28f. vergangenen] T2,T4: »kommenden«. 183,5fr. Und wer so was Unsinniges schreibt... ] Diese Schlußpassage lautet in T2,T4: »und alles was sie jetzt gelesen haben, war nicht Ernst sondern Spass.« 183,6! einen »damischen Ritter« - wie solcher im Bilde hier zu sehen ist. ] Vgl. o. 311 (36,26 u. 37,14). - In T' folgt der handschriftliche Zusatz: »(Nachdruck verboten) alle Rechte auch für Rundfunk vorbehalten - die Schriftleitung. - «
Herbstvorschläge Textüberlieferung T1 Typoskript im Nachlaß, Theaterwissenschaftliche Sammlung KölnWahn: Repertoire Nr. 339; Mappe XVI (Au 11 750). T2 Typoskript im Nachlaß, Theaterwissenschaftliche Sammlung KölnWahn: Repertoire Nr. 339; Mappe XVI (Au 11 750). T3 Typoskript im Liesl-Karlstadt-Nachlaß, München: Repertoire Nr. 339-
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D1 Münchener Feldpost (n. Ausgabe) vom 1.9.1942, S. 11. Textgrundlage: D1. Entstehung Laut Untertitel von T',T2,T3: »1942«.
Stellenkommentar 183,11 Herbstvorschläge] T‘,T2,T3: »Der Herbst«. 183,2of. Dünnbier] Vgl. »Flüssiges Brot« (vorliegender Band, S. 167f.).
Seifenschnee Textüberlieferung T1 Typoskript im Nachlaß, Theaterwissenschaftliche Sammlung KölnWahn: Repertoire Nr. 340; Mappe XVI (Au 11 750). T2 Typoskript im Nachlaß, Theaterwissenschaftliche Sammlung KölnWahn: Repertoire Nr. 340; Mappe XVI (Au 11 750). T3 Typoskript im Nachlaß, Theaterwissenschafdiche Sammlung KölnWahn: Repertoire Nr. 340; Mappe XVI (Au 11 750). T4 Typoskript im Liesl-Karlstadt-Nachlaß, München: Repertoire Nr. 34°T5 Typoskript im Liesl-Karlstadt-Nachlaß, München: Repertoire Nr. 340. D1 Münchener Feldpost (13. Ausgabe) vom 1.11.1942, S. 13. Textgrundlage: D'.
Variante: T'.
Der Selbstrasierer (oder es schneit) Im Kriegsjahr 1945, habe ich mich einmal gewaschen - gewaschen habe ich mich ja öfters, fast alle Tage - es ist so eine dumme Angewohnheit von mir. Ich wasch mich in der früh, wenn ich auch nicht schmutzig bin, der Kaminkehrer muss sich ja alle Tag wasch’n, weil der ja alle Tag’ schmut zig ist, äusser Sonntag, wenn er nicht arbeitet, da wäscht er sich aber auch, weil er’s so g’wohnt is’ von de Wochentag her. Einmal beim Wasch’n is mir was passiert, is mir z’Soafa aus der Hand grutscht und am Bod’n nunterg’falln, auf unserm dreckigen Fuassbod’n is d’Soafa voll Schmutz worn, de dreckige Soafa hab i dann mit a andern Soafa abwaschn wollen, i hab aber bloss oa Stückl Soafa ghabt, dann hab i de Soafa nur mit gewöhnlichem Wasser abgwasch’n. Nach dem Wasch’n wollt i mi abrocknen. I [njimm’s Handtuach in d’Hand, da laut mei Telefon, i lauf zum Telefon ins andere Zimmer, sag »Valentin hier, wer drübn« - a »wer drauss - a wer dort woll i fragn«. »Herr Westermayer? - was soll ich tun?
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Zu Ihrer Frau im vierten Stock nauflaufa und ihr ausricht’n, dass sie heit net um 12 Uhr, sondern um halb eins zum Essen heimkomma - is scho recht, einen Moment. [«] - I lauf glei mit’m nassn G’sicht in vierten Stock nauf zu seiner Frau und hab’s der Frau Westermayer ausgricht, - lauf wie der runter und sag d’Frau hat gsagt »is scho recht« »nichts zu danken, Herr Westermayer«. I häng wieder ein, wie ich Weggehen will, bleib i mit’m Handtuach am Telefonapparat hänga, wirf de ganz Musi vom Schreibtisch runter, s’ Hörrohr is in der Mitt’n abbrocha, alles nur des halb, weil der Herr Westermayer heit a halbe Stund’ später zum Essen hoamkommt. - Abtrocknen hab i mi nimmer braucht, weil mei’ G’sicht von dera Umanandarennerei alloa trockn wor’n is’. Dann habe ich mich rasiert, - rasiern wolln. I soaf mi ei, wia i s’Gsicht voll Soafaschaum hab, laut mei Wohnungsglock’n, ja denk i mir, was für aa Sauhund laut denn jetzt grad, wo i s’Gsicht voller Soafaschaum hab, i lauf glei naus, mach auf - wer steht drauss - der Geldbrieftrager - also koa Sauhund -. Hundert Mark kriagn’s Herr Valentin, so, ... hier sind hundert Mark, bitte hier unterschreiben, .. so... danke .... da hams a Mark Trinkgeld, so pfiat eahna Gott und kommas bald wieder. - Entschuldigen’s vielmals hat der Herr Geldbrieftrager gsagt, dass i eahna grad unterm rasieren gstört hab - macht nix sag i, um hundert Mark kann ma si’ scho störn lassn, dann is er ganga. So? Die ganze Angelegenheit hat nur aa paar Minuten dauert. Nur is mir in dieser kurzen Zeit der Soafaschaum im Gsicht trockn worn, i soafte mich wieder neu ein, kaum hab ich s’Gsicht wieder voll Soafa schaum, - lauts scho wieder. - Ja Himmi-kruzi usw. usw. wer kimmt denn jetzt scho wieder? Lauf wieder naus, mach auf — a! wieder der Herr Geldbrieftrager, dös lasst sich hörn - desmal bring i eahna nix, aber holn möcht i was. Mein Bleistift hab i vorher liegn lassn, da liegt er ja, ham mas scho wieda. Und dann hat sich der Herr Geldbriefträger wieder vielmals entschuldigt, dass er mich halt zum zweitenmal unterm Rasieren gstört hat und hat mir halt vorgjammert, dass er die letzte Zeit unterm Krieg so vergesslich wordn is usw. usw. und dann is er ganga. - Durch diese Rederei, is mir z’Soafa im Gsicht zum zwoatenmal eintrocknet - macht nix hab i mir denkt und hab mich zum drittenmal eigsoaft, dann wollt ich mich rasieren, find i mein Rasierapparat net, gfluacht hab i, an heiligen Antonius hab i angrufh, er soll mir suacha helfn, nach zehn Minutn hab i’n gfundn. In diesen 10 Minuten ist mir mei Soafa im Gsicht zum drittenmoa eintrocknet. - Schluss hab i mir denkt, i mag nimmer, i geh zum Friseur und lass mich rasiern. In einer Viertelstunde drauf bin i scho beim Friseur gsessn, - diesem habe ich erzählt, dass i mi heut scho dreimal ei gsoaft hab und jedesmal, wenn ich mei Gsicht voll Soafaschaum ghabt hab, bin ich gstört wor’n. - Ja hat der Frieseur gsagt, das kommt davon. Ein vernünftiger Mann rasiert sich nicht selber, der geht zu seinem Fri seur, da kommt so etwas nicht vor. Der Friseur nimmt seinen Pinsel und
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sei Sofahaferl in d’ Hand und soafat mich ein. Kaum hab i s’Gsicht wie der voll Schaum - ertönt Fliegeralarm (Sirene), Fliegeralarm..... ! Alles in den Luftschutzkeller, so is’ recht, mit’m Gsicht voller Soafaschaum sitz i a halbe Stund im Luftschutzkeller. Endlich ist Entmannung - a Verzeihung - Entwarnung. Lebensfroh verliess ich wieder den Friseurladen und von dieser Zeit an beneidete ich jeden Mann, der einen Vollbart trägt. Der Soafaschaum war mir persönlich zum 4. mal in meinem Gsicht einge trocknet, und hätte ich damals nicht sicher gewußt, daß der Krieg nicht ewig dauern kann, hätte ich mir einen Vollbart wachsen lassen. Entstehung T4 trägt das Datum: »Oktober 1942«. Im Text der Variante wird das »Kriegsjahr 1945« (T'/T2) bzw. das »letzte Kriegsjahr 1945« (T3/T5) genannt. T3/T5 stellt im Vergleich zu T'/T2 eine dialektal gemäßigte Fas sung dar. Stellenkommentar 184,20 Seifenschnee} T4: »Es schneit«. 184,27 Meier mit a z] Vgl. o. 373 (164,4).
T‘ 385 Der Selbstrasierer (oder es schneit)} T3,T5: »Gut eingseift - ist halb rasiert«. 387 Der Soafaschaum war mir persönlich zum 4.mal...Vollbart wachsen las sen. ] Handschriftlicher Zusatz.
Schamgefühl Textüberlieferung T' Typoskript im Nachlaß, Theaterwissenschaftliche Sammlung KölnWahn: Repertoire Nr. 346; Mappe XVI (Au 11 750). T2 Typoskript im Nachlaß, R.Piper Verlag, München: Repertoire Nr. 346. T3 Typoskript im Liesl-Karlstadt-Nachlaß, München: Repertoire Nr. 346. Textgrundlage: T'. Entstehung T',T2,T3 tragen das Datum: »Mai 43«.
Express Textüberlieferung T1 Typoskript im Nachlaß, Theaterwissenschaftliche Sammlung KölnWahn: Repertoire Nr. 283; Mappe XIII (Au 11 750).
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T1 Typoskript im Nachlaß, R.Piper Verlag, München: Repertoire Nr. 283. T3 Typoskript im Liesl-Karlstadt-Nachlaß, München: Repertoire Nr. 283. Textgrundlage: T’. Entstehung T‘,T2,T3 tragen das Datum: »Juni 43«. Stellenkommentar 189,15 Das alte Kaffee Gröber am Viktualienmarkt} 1845-92 am Viktuali enmarkt 10, dann bis zum Zweiten Weltkrieg in der Frauenstraße 6 gele genes Café; vgl. Bauer/Graf/Münz, S.póf.
»Arche Noah« Textüberlieferung T1 Typoskript im Nachlaß, Theaterwissenschaftliche Sammlung KölnWahn: Repertoire Nr. 357; Mappe XVII (Au 11 750). T! Typoskript im Nachlaß, Theaterwissenschaftliche Sammlung KölnWahn: Repertoire Nr. 357; Mappe XVII (Au 11 750). T3 Typoskript im Nachlaß, R.Piper Verlag, München: Repertoire Nr. 357T4 Typoskript im Liesl-Karlstadt-Nachlaß, München: Repertoire Nr. 357Textgrundlage: T'. Entstehung T2 trägt den handschriftlichen Zusatz: »v. K.Valentin 1944«.
Quellen K.V. selbst nennt »Die Bayrische Bibel«. Dabei handelt es sich um: Josef Benzinger, Die bairische Bibel, Erfurt 1932 (»Arche Noah«: S. 79-94; die von K.V. beschriebene Illustration findet sich auf S. 87). Benzinger brachte bekannte biblische Geschichten in die Form humoristischer Balladen im bayerischen Dialekt. - Die Kritik an der Arche-Noah-Erzählung (Genesis 6-9) hat eine lange Tradition. Bekannt wurde u. a. die Polemik Hermann Samuel Reimarus’ (Apologie oder Schutzschrift für die vernünftigen Ver ehrer Gottes, i. Band, 2. Buch, 1. Kap., §§ ioff.; 1735-1760). Zur Ge schichte der Arche-Noah-Forschung vgl. Balsiger/Sellier.
Stellenkommentar 189,28 »Arche Noah«] Handschriftlich korrigiert, ursprünglich: »Men schen, Tiere und Wunder«, darüber das handschriftliche und ebenfalls gestrichene: »Zweifel an der Arche Noah«. T2 trägt den Titel: »Zweifel an der Arche Noah«, darüber die handschriftlichen Zusätze: »Orig =
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Menschen, Tiere und Wunder« und »vgl. Brief v. Tiergarten!« T2 hat den Untertitel: »Eine Nachgrübelei, v. K.Valentin 1944«. 189.32 Meyers Konversationslexikon, Band A, Seite 703] K.V. zitiert weitge hend korrekt aus: Meyers Großes Konversations-Lexikon, Erster Band, Leipzig und Wien 1908 (6. Aufl.), S. 703. 189.33 Mennonit, namens Peter Jansen} Vgl. Balsiger/Sellier, S. 157: »1604 ließ der holländische Kaufherr Peter Jansen in Hoorn ein Schiff mit den Maßen 36 x 6 x 3,6 Meter bauen - also in etwa maßstabgerecht mit der Arche. Es erwies sich als hervorragend zur Lastenbeförderung geeignet.« 189,36 Silberschlag} Johann Esaias Silberschlag, Geogonie der Heiligen Schrift, 3 Bde., Berlin 1780-83. 190,23 eine Elle war damals 7$ cm} Die Elle als biblisches Längenmaß betrug etwa 46 cm, die Groß-Elle (nach 2 Chronik 3,3) etwa 52 cm. 192,i7f. Jedes Paar Tiere musste doch seinen eigenen Käfig haben.} T2,T4 ergänzen: »Nach eingezogenen Erkundigungen beherbergen alle deut schen zoologischen Gärten zusammen einige Tausend Tierarten.« i92,34ff. Zwei Störche fressen 40 Frösche...} Zu K.V.s Vorliebe für komi sche Zahlenspiele vgl. u.a. den Monolog, Rep. Nr. 137, »Zwangsvorstel lungen« (Sämtliche Werke, Bd. 1, S. 103 ff.); vgl. auch die berühmte Briefszene (III,4) in Nestroys »Lumpazivagabundus« (1833). 193,7 weil sie nur einen Tag leben} T2,T4 ergänzen: »und somit in der Sache Noah der Käfig 219 Tage leer stand.« 193,17!. (damals wurde also auch schon gemeckert)} In der NS-Propaganda wie auch in der Umgangssprache wurde jede Kritik an der schlechten Versorgungs- oder Kriegslage als »Meckerei« verhöhnt, in einzelnen Fäl len sogar gemäß »Heimtückegesetz« von Sondergerichten mit KZ-Haft oder dem Tode bestraft; vgl. Gamm, S. 53 f., und Maser, S. 147-157. 194,6! die Augen tränten.} In T2,T4 folgt: »Ein weiteres Problem. Kro kodile, Nilpferde etc., ebenso die Saurusse sind und waren halb Landund Wassertiere, welche in Gefangenschaft nur existieren können, wenn sich in den Käfigen grosse Wasserbassins befinden. Man stelle sich wieder die Grösse eines solchen Bassins vor in welchem ein Riesensaurus in Länge von 20 Metern umhergeschwommen ist. Der arme Noah musste also an alles denken, denn er hatte doch in zoologischen Sachen noch keine Erfahrung. Für einen Zoodirektor wäre die Organisation sicher leichter gewesen.« 194,12 wieder lustig in die Welt hinaus.} In T2,T4 folgt: »Nur die Familie Noah soll noch lange Zeit in der Arche verblieben sein, denn nach einer alten Urkunde soll es im Innern der Arche unbeschreiblich ausgesehen haben, was ja auch leicht erklärlich ist.----- Zehn Jahre lang soll die Arche gelüftet worden sein. Aber wie dem es auch sei! — Wir Gläubigen glau ben an die Sintflut, nur die Herren Zoologen und die Direktoren der zoo-
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logischen Gärten stehen heute der Sache noch misstrauisch gegenüber und geben auch nicht zu, dass der Glaube selig macht. Aber diesen Her ren müsste man eben eintrichtern, dass es wahrscheinlich in früheren Zei ten — doch Wunder gegeben haben muss.« 194,17 jedem. Buchverlag] T',T4: »jedem christlichen Buchverlag«. 194,35 f. über Wunder von damals nicht wundert. ] Es folgt in T’ der hand schriftliche Zusatz: »Lieber Herr Dr.Hausenstein - wenn Sie Interesse haben an meinen neuen Sachen, bin ich gern bereit Ihnen mehr zur Ansicht zu senden[.] mit herzlichem Gruß an Sie und werte Familie Ihr Karl Valentin[.J Bitte Empfang bestätigen - Tel. 899io7[.] Bitte nach 8 oder 14 Tagen wieder an mich zurück«. In T! findet sich stattdessen der handschriftliche Zusatz: »bitte abschreiben und mir wieder zu schicken Anbei Freikouvert«. Auf dem letzten Blatt von T4 findet sich der Adressenaufkleber: »Zoologische Sammlung/des Bayer. Staates/München 2/Neuhauser Straße 5 i/Fernsprecher 13 070«, darüber in Valentins Handschrift: »- Professor Krieg [?] -«.
Die guate alte Zeit! Textüberlieferung T' Typoskript im Nachlaß, Theaterwissenschaftliche Sammlung KölnWahn: Repertoire Nr. 359; Mappe XVII (Au 11 750). T2 Typoskript im Nachlaß, R.Piper Verlag, München: Repertoire Nr. 359T3 Typoskript im Liesl-Karlstadt-Nachlaß, München: Repertoire Nr. 359Textgrundlage: T‘.
Entstehung Die Formulierung »ein Krieg von fast fünf Jahren« deutet auf das Jahr 1944. Quellen In zahlreichen Texten verherrlicht K.V. selbst die »gute, alte Zeit«, die für ihn mit dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs endete; vgl. etwa das Couplet, Rep. Nr. in, »Mein Muenchen« (Sämtliche Werke, Bd. 2, S. 193-196. Vgl. auch Bachmaier 1995, Nachwort.
Stellenkommentar 195,1 Die guate alte Zeit!] T3: »Ja! Ja!... die guate alte Zeit!« 195,11 Krieg... dreissig Jahre] Vgl. die Szene, Rep. Nr. 183, »Der Dreissigjaehrige Krieg« (Sämtliche Werke, Bd. 3, S. 98ff.). 195,13 Meckerern] S. o. 389 (193,17f.).
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Vom eigenen Willen Textüberlieferung T1 Typoskript im Nachlaß, Theaterwissenschaftliche Sammlung KölnWahn: Repertoire Nr. 361; Mappe XVII (Au 11 750). T2 Typoskript im Nachlaß, R.Piper Verlag, München: Repertoire Nr. 361T3 Typoskript im Liesl-Karlstadt-Nachlaß, München: Repertoire Nr. 361. Textgrundlage: T'.
Entstehung Laut Untertitel: 1944. Quellen Die Frage nach der Freiheit bzw. Notwendigkeit des Willens und Han delns gehört zum klassischen Bestand der Philosophie. Die von K.V. vor genommene Reduktion des Bösen auf die Freiheit des einzelnen ist die traditionelle Lösung des sog. Theodizeeproblems (Verträglichkeit der Güte Gottes mit dem Elend der Welt). Prominentester Vertreter dieser Lösung ist Gottfried Wilhelm Leibniz (»Theodizee«; 1710). Stellenkommentar 197,5 f. ¿ass swb der Hebe Gott über vieles ärgert] Vgl. das Couplet, Rep. Nr. 197, »Der Herrgott schaut oft von oben runter« (Sämtliche Werke, Bd. 2, S. 175f.). 197,7 f. Schauen sie sich.. .wie der ausschaut. ] Fehlt in T2.
Rundfunkreportage (Kegelklub) Textüberlieferung T1 Typoskript im Nachlaß, Theaterwissenschaftliche Sammlung KölnWahn: Repertoire Nr. 376; Mappe XVIII (Au 11 750). T2 Typoskript im Nachlaß, Theaterwissenschaftliche Sammlung KölnWahn: Repertoire Nr. 376; Mappe XVIII (Au 11 750). T3 Typoskript im Nachlaß, Theaterwissenschaftliche Sammlung KölnWahn: Repertoire Nr. 414; Mappe XIX (Au 11 750). T4 Typoskript im Nachlaß, R.Piper Verlag, München: Repertoire Nr. 376. Textgrundlage: T‘.
Entstehung T1 weist neben dem Titel den handschriftlichen Zusatz »R.F. [Rund funk?] 22.11.45« auf- Die Rede des Vorstands, als Rep. Nr.414 (T3) auch gesondert überliefert, ist weitgehend identisch mit dem Monolog, Rep. Nr. 260, »Vereinsrede« (Sämtliche Werke, Bd. 1, S. i39f.) von 1937.
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Stellenkommentar 198,26 Rundfunkreportage] Vgl. den Dialog, Rep. Nr. 405, »Funk-Repor tage« (Sämdiche Werke, Bd.4), wo ebenfalls eine Belanglosigkeit (eine Grubenentleerung) zur »Sensation« einer massenmedialen Berichterstat tung wird. 198,35f. »Zur goldenen Ente«] Vgl. o. 323 (91,1). 199,17b »Mein Herz, das ist ein Bienenhaus«] S.o. 299 (26,36^). 199,33 Meine lieben Gäste und Gästinnenl] Vgl. o. 311 (37,21).
Prosit Neujahr! Textiiberlieferung T1 Typoskript im Nachlaß, Theaterwissenschaftliche Sammlung KölnWahn: Repertoire Nr. 380; Mappe XVIII (Au 11750). T2 Typoskript im Nachlaß, Theaterwissenschaftliche Sammlung KölnWahn: Repertoire Nr. 380; Mappe XVIII (Au 11750). Textgrundlage: T1. Entstehung T1 hat am oberen Rand den handschriftlichen Zusatz: »aufgenommen am 12.12.45«, T2 hat an gleicher Stelle den handschriftlichen Zusatz: »aufge nommen 23.12.45«. Bei Berswordt findet sich allerdings kein Nachweis.
Stellenkommentar 201,27 seit 1939] Handschriftlich korrigiert, ursprünglich wie in T2: »seit 12 Jahren«. 201,31 Reichen] Handschriftlich korrigiert, ursprünglich wie in T2: »Grosskopfeten«. 201,36 lauter Glück ersehen] Handschriftlich korrigiert, ursprünglich wie in T2: »manchmal den Sieg Deutschlands rausgefunden«. 202,3 ist derselbe] Handschriftlich korrigiert, ursprünglich wie in T2: »ist trotz Verbot genau derselbe«. 202,10 Jungfrau die] Handschriftlich korrigiert, ursprünglich wie in T2: »Jungfrau besoffen die«. 202,12 sofort gelöst. ] Ursprünglich folgte wie in T2: »Ja ja, schon Goethe hat gesagt >Es liebt die Welt das Strahlende zu schwärzen und das Erha bene in den Staub zu ziehens Was das mit dem Sylvester zu tun hat, ist mir heute noch nicht klar.« 202,22fr. ebenfalls überflüssig.-] Ursprünglich folgte wie in T2: »Wenn es also, angenommen nur einjährige Kinder gäbe auf der Welt, wäre es nie zu einem Militarismus gekommen, obwohl es in der ganzen Welt bekannt war, dass die Deutschen, bes. die Preussen, schon mit Pickelhaube und Säbel auf die Welt kommen. Die preussischen Mütter, brauchen also jetzt auf solche schmerzhaften Geburten keine Angst mehr haben, denn dass
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eine solche Geburt mit Säbel und spitzigem Helm keine Kleinigkeit war, versteht sich doch von selbst.« 202,23 heißts schaufeln] Handschriftlich korrigiert, ursprünglich wie in T2: »wollen wir nicht mehr schiessen, sondern schaufeln«. Zum Wieder aufbau Münchens nach 1945 vgl. Bauer 1983 sowie Prinz. 202,23-26 und hoffentlich... Münchner freut. -] Handschriftlich korri giert, ursprünglich endete der Text wie in T2: »und wenn dann 6 Jahre mehr geschaufelt als geschossen wurde, dann wird z.B. unsere Münchner Stadt befreit sein von den Trümmern der Schiesserei und auf den vielen freien Plätzen der Stadt München baut man wieder Kasernen - Verzei hung - ich korrigiere - Wohnungen, aber diesmal der Sicherheit halber nur mehr unterirdisch. - Prosit Neujahr!«
Erster und letzter Krieg Textüberlieferung T1 Typoskript im Nachlaß, Theaterwissenschaftliche Sammlung KölnWahn: Repertoire Nr. 141a; Mappe VII (Au 11 750). T2 Typoskript im Nachlaß, Theaterwissenschaftliche Sammlung KölnWahn: Repertoire Nr. 141b; Mappe VII (Au 11 750). T3 Typoskript im Nachlaß, Theaterwissenschaftliche Sammlung KölnWahn: Repertoire Nr. 141c; Mappe VII (Au 11 750). T* Typoskript im Nachlaß, R.Piper Verlag, München: Repertoire Nr. i4i[c]. T5 Typoskript im Liesl-Karlstadt-Nachlaß, München: Repertoire Nr. 210 [=i4ib]. T6 Typoskript im Liesl-Karlstadt-Nachlaß, München: Repertoire Nr. 210 [=i4ia], D1 Münchener Feldpost (25. Ausgabe) vom 1.11.1943, S. 10. D2 Der Simpl, H.9, August 1946, S. 104. Textgrundlage: D2. Variante: D'.
Die Kriege Von Karl Valentin
Seit es Menschen gibt, gibt es Kriege, sagte irgend einmal einst wer. Dann müssen also Adam und Eva im Paradies schon mitsammen Krieg geführt haben, denn das waren die ersten Menschen. Wahrscheinlich hat es außer der blöden »Apfelbeißerei« bei diesen beiden sowieso nicht ganz gestimmt. Und die zwei haben es doch so schön gehabt im Paradies; »das
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reinste Paradies«, dieses Paradies. Warum haben die beiden nicht im Frieden gelebt? Weil sie nicht zufrieden waren - der Adam hat gesagt: Das Paradies gehört mir - und die Eva hat gesagt, mir gehört’s! Jeder von den zweien wollte regieren; schon war der Friede gestört. - Also: Krieg! Ob einer gegen einen - oder Millionen gegen Millionen - Krieg ist Krieg. Also, Adam und Eva, die Erfinder des Krieges.— Warum haben die beiden nicht den ewigen Frieden erfunden? Vielleicht war den beiden der Friede zu langweilig. - Also: Krieg! Das war natürlich nur ein winziger Krieg gegen die später kommen den. Die zwei haben sich wahrscheinlich damals nur mit Kokosnüssen beworfen, denn Ferngeschütze gab es damals noch nicht, hätten auch keinen Sinn gehabt, weil die beiden immer zu nah aneinander gestanden sind; denn man weiß heute noch nicht einmal, wieviel Tagwerk das Para dies groß war. - Nun haben aber bekanntlich Adam und Eva zwei Kin der bekommen: den Max und den Moritz - Verzeihung! - ich wollte sagen, den Kain und den Abel. Daß sich diese beiden nicht riechen konnten, geht schon daraus hervor, daß der Kain den Abel erschlagen hat - und warum hat er ihn erschlagen - sehr einfach - er hätte ihn viel leicht erschossen, wenn es damals schon ein Gewehr gegeben hätte. Es hat aber keines gegeben, und hätte es eines gegeben, hätte er nicht schießen können, weil es noch keine Munition gab; denn das Pulver wurde erst viele tausend Jahre später durch Bertold Schwarz erfunden. So lange hätte natürlich der Herr Kain mit seinem ungeladenen Gewehr niemals warten können, weil der Abel inzwischen an Altersschwäche sowieso gestorben wäre. Er hätte sich aber in der langen Wartezeit mit seinem langen Bart, der ihm unbedingt gewachsen wäre, an einem Baum aufhängen können. Warum hat eigentlich der Kain den Abel erschlagen? Sein Vater also, der Adam, hat zu seinen zwei Söhnen gesagt: »So, Abel, du übernimmst jetzt im Paradies die Landwirtschaft - also die Ökonomie, tust fleißig ackern, säen und mähen, und du, Kain, übernimmst das kaufmännische Fach, lernst nebenbei Stenographie und Schreibmaschine und vertreibst dann die Landesfrüchte, damit Geld ins Haus kommt!« Der Kain war aber von Haus aus etwas müde - kein Freund der Arbeit und haßte seinen Bruder Abel deshalb, weil dieser die Arbeit liebte. Abel war brav und Kain war böse. Schon sind beide Brüder auf Kriegsfuß gestanden; es folgte eine kleine Schlacht im Nahkampf. Beide hatten noch keine militärische Ausbildung genossen, und mit einem gewöhnlichen Prügel aus prima Eichenholz hat Kain seinen Bruder Abel getötet. Kain hatte gesiegt. Um der Justiz nicht in die Hände zu fallen, verließ Kain meuchlings das Paradies, zog in die weite Welt hinaus, und mit der Herr lichkeit war’s aus, denn er heiratete dann. Er bekam Kinder, die Kinder heirateten später auch, bekamen auch Kinder - diese Auchkinder beka-
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men auch wieder Kinder, und so ging die Kinderei weiter bis zum heuti gen Tag. Daß es außer weißen Völkern auch farbige Völkerstämme gibt, ist wohl jedem bekannt. Woher stammen z. B. die schwarzen Menschen? Sehr ein fach! Irgendeine Mutter der weißen Rasse ist vielleicht einmal in geseg neten Umständen einem Kaminkehrer begegnet und an ihm erschrocken und gebar ein dunkelschwarzes Kind (ohne Leiter!). Dieses nannte man Neger oder Mohr. Diese Mohrenneger haben sich auch wieder vermehrt, bekamen auch Kinder, diese Kinder wieder Kinder usw.... Eine andere Mutter hat vielleicht in gesegneten Umständen an Gelbsucht gelitten; die gelbe Farbe ist auf die Leibesfrucht übergegangen, das Kind wurde sozu sagen im Mutterleibe gefärbt (eine billige Färberei!), kam mit gelber Hautfarbe zur Welt, und dieses nannte man Chinese. Die Chinesen vermehrten sich dank ihres Fleißes und ihrer Ausdauer, und zwar so rapid, daß sie heute eine Produktionsrekordziffer von über 400 Millionen Chinesen aufweisen können. Sogar Rothäuter gibt es, nur von blauen Menschen hat man noch nichts gehört - außer den Besoffe nen. Als nun die ganzen Menschenrassen die Erde belebten, begann der Wirrwarr. Jede Rasse wollte nun regieren, und hieraus entstand nun Haß, Wut, Zorn, Groll, Hader, Zank, Neid und Streit. Endresultat: Krieg. Und keiner hat es leicht auf dieser Welt! Alle wollen in Frieden leben. Der Wille wäre also vorhanden - aaaber meteres imuniosis abs capriti veniero delepretta... sagt der Lateiner; zu deutsch: »Entweder du bleibst drauß’ oder du gehst eina.« Im Jahre fünfzehnhundertsoundsoviel hat, wie schon am Anfang mei nes Aufsatzes erwähnt, Bertold Schwarz das Schießpulver erfunden, und es dauerte nicht lange, da jagte dieses Pulver in irgendeinem früheren Krieg aus dem Schlund einer Kanone die erste Kugel dem Feind entge gen. Diese grausame Kriegswaffe empörte einen Zivilisten derart, daß er dagegen Stellung nahm und als Zivilist eine Zivilisation ins Leben rief. Er fand viele Anhänger, bis sich dieselbe in ganz Europa verbreitete. Leider gibt es heute noch auf der Welt Erdteile, in welchen Negerstämme, also »wilde« Rassen, leben und von einer Zivilisation unberührt geblieben sind. Solche brachte Karl Gabriel, der bekannte Großschausteller, des öftern nach Europa, wo wir dieselben auf Volksfesten für 20 Pfennig Ein tritt zu sehen bekamen. Wir haben sie heute noch lebhaft in Erinnerung, die Karawane der Aka-Aka-Neger, dann das Aschantidorf u. dgl. mehr. Unter wildem Kriegsgeheul und Zähnefletschen und monotonem Trommelgeklimper schwangen sie ihre Holzkeulen, schossen Pfeile durch die Luft und droh ten sich gegenseitig mit langen, spitzigen Lanzen aus Bambusrohr. Aber auch die ’wilden Völker werden sich dereinst in die Weltzivilisation eingliedern müssen.
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Entstehung T'/T6 tragen das Datum: »13.2.42«, T5 trägt das Datum »Oktober 43« (in T2 handschriftlich korrigiert in: »Oktober 1945«), T3/T4 sind laut Untertitel 1946 entstanden. Vgl. auch den thematisch verwandten Monolog, Rep. Nr. 141, »Karl Valentin und die Weltpolitik« (Sämtliche Werke, Bd. 1, S. ii2f.), der vor 1926 entstanden sein dürfte. Ferner liegt ein Beitrag K.V.s für die NS-Satirezeitschrift »Die Brennessel« (vom 12.1.1937) vor, worin er Sequenzen des Monologs, Rep. Nr. 141, unter dem Titel »Kriegs-Erklärung« zu einer stark gekürzten Fassung zusam menfügte.
Stellenkommentar 202,33 Seit es Menschen gibt, gibt es Kriege] Zu den herausragenden Ver tretern dieser Auffassung gehört der englische Philosoph Thomas Hobbes, der in seiner Schrift »De Cive« (1647) den »Krieg aller gegen alle« als natürlichen (vorbürgerlichen) Zustand verstand. 203,26 Berchtold Schwarz] Berthold der Schwarze, Mönch (i4-Jhd.), legendärer europäischer Erfinder des Schwarzpulvers. D1 394 Er hätte sich aber in der langen Wartezeit... aufhängen können.] Dieser Satz fehlt in T', T6. 395 meteres imuniosis... oder du gehst eina.«] T1, T6: »es heisst nicht >Auf auf zum Frieden zum Frieden sind wir geboren[Das Magazin< (1947) hat mich gebeten, etwas über München zu schreiben. Ich bin gerne bereit, dieses zu tuen, und es fällt mir auch nicht schwer nachdem ich ja geborener Münchner bin.-« 207,27 benützt man zum Bohren einen Bohrer.] T',T2,T3 ergänzen: »Um Petroleum zu bekommen, müssen erst Bohrtürme geschaffen werden in welchen sich ein Riesenbohrer befindet, welcher ein tiefes Loch in die Erde bohrt, aus welchem dann das Petroleum herauskommt —« 208,4h Aber ob nun mit oder ohne Loch, in München selbst] T',T2,T3: »Es wäre hier betreffs der >Bohrerei< noch manches zu erwägen, aber ich will wieder auf das eigentliche Thema, >München< zurückkommen. In Mün chen selbst«. 208,17 »Über Felder, über Auen zog ich leichten Schritt’s dahin.«] Gemeint ist die Arie »Durch die Wälder, durch die Auen/Zog ich leichten Muts
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dahin« aus dem Ersten Akt von Carl Maria von Webers »Freischütz« (1821). 208,20 Au soll die älteste Vorstadt von München sein] Laut Hollweck, S. 17, ist die Au erstmals für das Jahr 1289 beurkundet. 208,25 Ob die Au aus den Auen ihren Namen erhalten] Ursprünglich war die Au ein Bach-, Wald- und Wiesengelände. 208.30 Hochwasser] Vgl. den Monolog, Rep. Nr. 135, »Hochwasser« (Sämtliche Werke, Bd. 1, S. 101 ff.). 209,8f. wie so vieles, der Vergangenheit an.] T‘,T2,T3 ergänzen: »Dass die bedeutendsten Maler unzählige Bilder von derselben geschaffen haben, ist ein Beweis von der einstigen Schönheit der Vorstadt Au.«
Ein kleines Denkmal Textüberlieferung T1 Typoskript im Nachlaß, Theaterwissenschaftliche Sammlung KölnWahn: Repertoire Nr. 407; Mappe XIX (Au 11 750). T2 Typoskript im Nachlaß, R.Piper Verlag, München: Repertoire Nr. 407. Textgrundlage: T'. Entstehung Nach dem Zweiten Weltkrieg (»beim letzten Fliegerangriff 1945«).
Stellenkommentar 209.31 Werner Friedmann] Journalist und Verleger (geb. am 12.5.1909 in Berlin, gest. am 23.4.1969 in München), 1945 Mitherausgeber der »Süd deutschen Zeitung«.
»München wird wieder die reinlichste Stadt...« Textüberlieferung T1 Typoskript im Nachlaß, Theaterwissenschaftliche Sammlung KölnWahn: Repertoire Nr. 408; Mappe XIX (Au 11 750). T2 Typoskript im Nachlaß, R.Piper Verlag, München: Repertoire Nr. 408. Textgrundlage: T'. Entstehung Nach dem Zweiten Weltkrieg.
Stellenkommentar 210,16 vifer] Bayer.: pfiffiger, schlauer (nach Schmeller II, Sp.864).
398
Grundwasser Textüberlieferung T1 Typoskript im Nachlaß, Theaterwissenschaftliche Sammlung KölnWahn: Artikel-Manuskripte (Au 11751). Textgrundlage: T'.
Entstehung Nach dem Zweiten Weltkrieg. Stellenkommentar 211.17 Ein Fünftel} Laut Information der Stadtwerke München (Haupt abteilung Wasserversorgung) verursachten die Luftangriffe der Alliier ten rund 2000 Rohrbrüche. Bei Kriegsende versickerten über 40% (= 120000 m3 täglich) des gewonnenen Trinkwassers nutzlos im Boden. 211.18 Mangfallgebiet} Ab 1883 konnte das Wasser aus dem Quellgebiet des Mangfalltales über eine »Hochquellwasserleitung« in das Münchner Leitungsnetz eingespeist werden; vgl. Angermair, S. 3 i6f.
Warum kompliziert, wenn es einfach auch zu machen wäre Textüberlieferung T' Typoskript im Nachlaß, Theaterwissenschaftliche Sammlung KölnWahn: Artikel-Manuskripte (Au 11 751). Textgrundlage: T'. Entstehung Nach dem Zweiten Weltkrieg.
Stellenkommentar 212,12h Selbstmörderbrücke in Grosshesselohe} S.o. 317 (54,13).
Nicht die Entdeckung, sondern die Entdreckung Münchens Textüberlieferung T' Typoskript im Nachlaß, Theaterwissenschaftliche Sammlung KölnWahn: Artikel-Manuskripte (Au 11 751). Textgrundlage: T'.
Entstehung Nach dem Zweiten Weltkrieg.
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Anzeigen Textüberlieferung T1 Typoskript im Nachlaß, Theaterwissenschaftliche Sammlung KölnWahn: Repertoire Nr. 51; Mappe II (Au 11 750). T2 Typoskript im Nachlaß, Theaterwissenschaftliche Sammlung KölnWahn: Repertoire Nr. 51; Mappe II (Au 11 750). T3 Typoskript im Nachlaß, R.Piper Verlag, München: Repertoire Nr. 51T4 Typoskript im Liesl-Karlstadt-Nachlaß, München: Repertoire Nr. 51Ts Typoskript im Liesl-Karlstadt-Nachlaß, München: Repertoire Nr. 51T6 Typoskript im Liesl-Karlstadt-Nachlaß, München: Repertoire Nr.
5 1T7 Typoskript im Liesl-Karlstadt-Nachlaß, München: Repertoire Nr. 82. D‘ Nicht identifizierte Druckfassung [überliefert im Bestand des Rechtsvertreters der Erben Valentins, Rechtsanwalt Gunter Fette, München.] D2 Karl Valentin, Valentiniaden, Paul Hugendubel Verlag, München 1941,8.157-165. Textgrundlage: D2. Variante: T'/'U.
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Die Grundsteinlegung zum neuen Waschhaus in der Ickstattstrasse 152/0 findet nicht, wi[e] irrtümlich gemeldet, am Vormittag, sondern am Freitag statt. - Tribünenplätze sind noch zu haben in der Maximbar am Karlsplatz (Sakristei)
Mondfinsternis: Bei der letzten Mondfinsternis war der Andrang zur Bogenhauser Sternwarte so gross, dass sich die Direktion genötigt sah, die Mondfinsternis einige Nächte zu verlängern! Neueste Errungenschaft! Von unsehbarer Tragweite! Keine Nahrungs mittel mehr nötig! Ganze Volksmassen werden von Hypnotiseuren auf einmal und für immer gespeist! Alle ziehen gesättigt von dannen! Kein Besteck mehr nötig! Keine Abnützung der Zähne! Institut für hypnoti sche Massenspeisung G.m.b.H.
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Neue Steuern. Ab Februar soll in ganz Deutschland die Atem-Steuer ein geführt werden. Leute mit kurzem und schweren Atem, Asthmatiker etc. bekommen Steuerermässigung. - Finanzamt. Bekanntmachung: Wer mehr Geld hat, als er hat, hat es im Finanzamt zu melden. Hat er nicht mehr als er hat, hat er es auch zu melden. Nur, wenn er genau so viel hat, als ein anderer hat, der gar keins hat, hat er Steuerfreiheit.
----- und so sprachen anno dazumal (1913) die alten Deutschen zu Mün chen: »So kann’s nimmer lang weiter geh’n! 1 Mass 24 Pfg. 3 Weisswürst 30 Pfg.
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Wo kann man sich am besten konzentrieren??? Im Konzentrationslager Dachau!! [T’/T6 enthält ferner 41 Anzeigen aus der Textgrundlage D2.]
T'/T2/T7 enthalten folgende zusätzliche Anzeige: 6 Stück wenig gebrauchte Dampfnudeln (Anschaffungspreis 80 Pfg.) sind weit unter Preis abzugeben. Zu sprechen am Samstag zwischen 8-7 Uhr Trambahnhaltestelle. Eglfing. A.Axzsssz.
T4 enthält folgende zusätzliche Anzeigen: Schönheitsmilch »Jdäl« macht jedes Gesicht schön, weich und jugend frisch. Jdäl vor (Junges Bild) und nach (Altes Bild) Gebrauch. Zu haben bei A. Lengdrem, Alteisenhändler.
Keine Seife mehr nötig! Jedermann wasche seine Hände in Unschuld. Fröhliche Weihnachten (Dazu Osterbild)
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Ts enthält folgende zusätzliche Anzeige:
Alter berühmter Kunstmaler 70 Jahre alt, sucht Stelle irgendwelcher Art. Entstehung K.V. erfand ab 1914 »komische Anzeigen« (siehe Untertitel T3/T6), die er ab 1928 teilweise auch als »komische Lichtbilder« präsentierte bzw. ver lieh. Im Liesl-Karlstadt-Nachlaß ist ein Werbeprospekt für »Karl Valentin’s Lichtbilder-Verleih München 22, Mariannenplatz 4 [dort wohnte K.V 1934-1941]« enthalten, ferner vorgedruckte Bestellscheine, Lieferund Vertragsbedingungen etc. Vgl. auch Briefe vom 20.10.1942 und vom 14.1.1943 (Sämtliche Werke, Bd. 6, S. 181 f., S. 186 f.).
410
Stellenkommentar 217,1 Anzeigen] T1: »Humoristische Zeitungsannoncen«, T!,T7: »Alte Zeitungsannoncen«, T4: »Alte Lichtreklame«, T5: »Neue Zeitungs annoncen«. D1: »Humoristische Zeitungsannoncen zum Totlachen«. In D1 folgt die Anweisung: »Vortragender erscheint auf der Bühne mit einem Zeitungsblatt und liest die komischen Annoncen aus demselben vor.« 217.17 Eglfing] S.u. 412. 218,22 »Schinderfetzen«] Bayer. >Fetzen< = schlampige, liederliche Frau (nach Aman, S. 57); >Schinder-< ist eine Verstärkung (ebda., S. 121). 219.9 Gärtnertheater] S.o. 319 (68,9). 219,22b Kleinhesseloher See] S.o. 316 (43,if.). 219,29 Lacki] S.o. 319 (66,14). 220,7 Damischen] S.o. 311 (36,26). 220.17 Deutschen Museum] S.o. 324 (100,1). 220,31 Schwartling] Bayer.: schweres Brett (nach Ringseis, S. 249). 221.10 militärfrei] vom Militärdienst befreit. T3 401 Brockensammlung] 1891 von F. v. Bodelschwingh in Bethel eingeführte soziale Einrichtung, bei der Arbeitslose und Behinderte ausgemusterte Haushaltsgeräte sammeln, reparieren und an Arme billig weitergeben (vgl. Joh 6,i2f.). Brockensammlungen fanden in zahlreichen dt. Städten mit Erfolg statt. 401 Sidol] Marke eines gängigen Putzmittels der dreißiger Jahre. 402 Stadelheim] Münchner Stadtteil und Name des dort 1894 erbauten Gefängnisses. 402 Münchner Strassenbahn... weibl. Dienstpersonal] Vgl. das Couplet, Rep. Nr. 79, »Moritat Margareta bei der Straßenbahn« (Sämtliche Werke, Bd.2, S. 113-117). 405 »Teure Heimat«] Vielleicht das gleichnamige Volkslied, das in der Männerchor-Fassung von Fritz Neuert (geb. am 15.10.1866 bei Heidel berg, gest. am 6.8.1923 in Pforzheim) sehr populär wurde; zu Max Hieber s. o. 326 (110,17). 405 Ich küsse Ihre Hand Madam] Tangolied (1928) von Ralph Erwin (Pseudonym für: Erwin Vogel; gest. 1945). 406 Ecke-Herm- und Knöbelstrasse] Heute nicht mehr bestehende Kreu zung (keine stadtgeschichtlichen Besonderheiten). 406 Tschabiglappi] Vermutlich eine Verballhornung von frz. >chapeau claque< = zusammenklappbarer Zylinderhut. 406 Kollosseums] S.o. 293 (16,5). 406 M.N.N. ] Münchner Neueste Nachrichten. 407 »das Herz«, welches... verloren wurde. -Heidelberg] S.o. 305 (32,13 f.).
411
407 Teligadessen-Geschäft Dalimeier] Der erste urkundliche Nachweis des Münchner Delikatessen-Geschäftes Alois Dallmayr (Dienerstr. 14-15) stammt von 1700. 408 Nachhilfestunden im »Meckern«] S.o. 389 (193,17h). 409 Europa-Briefmarken] Die ersten Briefmarken mit »Europa«-Aufdruck erschienen erst 1956. 409 Senefelderstr.Nr. 5] S.o. 382 (178,35). 409 Buchdruckerei...] Vgl. vorliegender Bd., S. 204 b T'/T2/T7 410 Eglfing] Anspielung auf die »Kreisirrenanstalt Eglfing« (1905 eröff net).
[Komische Anzeigen] Textüberlieferung T1 Typoskript im Nachlaß, Theatermuseum Köln-Wahn: Ideen und Notizen (Au 11754). Textgrundlage: T1.
Entstehung Laut Untertitel: 1930. Stellenkommentar 222.8 Stadtratsitzungen ] Vgl. die Szene, Rep. Nr. 146, »Eine fidele Münchner Stadtratssitzung anno dazumal« (Sämtliche Werke, Bd. 3, S. 47-51). 222,12 N. Sachlich] Vgl. »Architekt »Sachlich« will München neu aufbau en« (vorliegender Band, S. 264-268). 222,25E Sternwarte Bogenhausen] Laut Hollweck, S. 75, 1816/17 errich tet. 223,1 f. Spezial Haus für »Dru[c]ksachen«] Daneben Zeichnung eines öffentlichen Toilettenhäuschens. 223,15f. Am Ziel der Fahrt den alten Schein/lns Kästchen bei der Tür wirf rein] Laut Auskunft der »Freunde des Münchner Trambahnmuseums e.V«, München, stammen diese Verse aus dem Couplet »Spring nicht auf - Spring nicht ab!«, das in den dreißiger Jahren auf dem Münchner Studentenbrettl »Die weiß-blaue Drehorgel« aufgefiihrt wurde. 223.19 Eg/jfirag] S.o. 223,27 es in Post umändem. ] Hier schreibt K.V. das Wort »Post« in veral teter Zierschrift. 224.9 neuen Bibliothekbaus] Gemeint ist der Bibliotheksbau am Deutschen Museum, der 1932 fertiggestellt wurde (Grundsteinlegung 1928). 224.19 Hellabrunn] Am 1.8.1911 war der Tierpark Hellabrunn in Thal
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kirchen eröffnet worden. Während der Inflationszeit verfiel er und mußte 1923 schließen. 1928 wurde er wiedereröffhet.
Wissen Sie schon? Textüberlieferung T1 Typoskript im Nachlaß, Theaterwissenschaftliche Sammlung KölnWahn: Repertoire Nr. 216; Mappe X (Au 11 750). T2 Typoskript im Nachlaß, Theaterwissenschaftliche Sammlung KölnWahn: Repertoire Nr. 216a; Mappe X (Au 11750). T3 Typoskript im Nachlaß, Theaterwissenschaftliche Sammlung KölnWahn: Repertoire Nr. 216b; Mappe X (Au 11 750). T* Typoskript im Nachlaß, R.Piper Verlag, München: Repertoire Nr. 216. T5 Typoskript im Nachlaß, R.Piper Verlag, München: Repertoire Nr. 5 1T5 Typoskript im Liesl-Karlstadt-Nachlaß, München: Repertoir Nr. 216. T7 Typoskript im Liesl-Karlstadt-Nachlaß, München: Repertoire Nr. 5ID' Valentin-Zeitung. Hg. v. Karl Valentin u. Liesl Karlstadt, München (Selbstverlag der Herausgeber) 1935, S. 5. D2 Karl Valentin, Brilliantfeuerwerk, München (Paul Hugendubel Ver lag) i938> S. 78. Textgrundlage: D2.
In T' sind folgende zusätzliche Fragen enthalten:
... ... ... ... ... ... ...
... ... ...
dass Kartoffelsalat nicht als Gurgelwasser verwendet werden kann? dass jeder Jüngling beim Tanzen einen Kas redet? dass es Ueberzieher für »Herren« ohne Aermel gibt? dass die Welt nur ohne Menschen schön wäre? dass ein Erdstoss mit einem Magenkopperer zu vergleichen ist? dass ein alter Professor nur mehr seinen Schirm stehen lassen kann? dass wir trotz der guten Zeit nichts Schlimmes mehr zu erwarten haben? dass eine Riesenschlange auf der rechten Seite genau so lang ist wie auf der linken? dass eine getrocknete Ananas Anatrocken heisst? dass niemand weiss, ob kein Nichtraucher, der nicht raucht ein Rau cher ist oder ein Nichtraucher? dass man bei einem Leistenbruch ein Bruchband trägt, welch letzter bei einem »Ehebruch« zwecklos wäre.
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dass man aus 3 Liter Wasserstoff keine Windhose machen kann? dass ein Schuhmacher selbstgemachte Schuhe tragen kann, aber dass ein Schweinemetzger niemals selbstgemachte Würste isst? ob ein Schwein weiss, dass es ein Sch[w]ein ist? dass wir trotz der schlechten Zeit nichts Gutes mehr zu erwarten haben? dass das aussteigen aus dem Zeppelin Luftschiff während der Fahrt verboten ist? dass manche deutsche Frau lieber zuhause bleibt, als sich in französi scher Mode auf der Strasse zu zeigen? dass es eine Art Läuse gibt, die sich in Filzschuhen einnisten? dass die Haustüre nicht zu den Haustieren gehört? dass die Brillenschlange die gefährlichste, dagegen die Luftschlange die harmloseste Schlange der Welt ist? dass das Lied: »die Vögeln im Walde« nicht mehr gesungen werden darf? dass mancher nicht weiss, was er wissen soll, obwohl er schon viel weiss und es selbst unbewusst nicht gewusst hat. dass derjenige Schreiner, der Schrankfächer macht, bei der Schrank fächerfachschaft sein muss? dass der nicht verbotene Motorradlärm den verbotenen Autohupen lärm übertöntp] einmal ist keinmal, aber keinmal ist nicht einmal[?] ob sich ein abergläubischer Mensch an einem Freitag 13.000.- Mark schenken lässt? dass eine Maus niemals in ihr eigenes Loch schlüpfen kann? dass die Stadt München einem Abreisskalender gleicht? - Wieso? Beide reisst man ab. wie ein Bisfufzgerlhering entsteht? - Wenn man einen Bismarck hering in der Mitte auseinander teilt. Sie verkälten sich wenn Sie ihren Wintermantel schon im Februar versetzen.
In T5 sind folgende zusätzliche Fragen enthalten:
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dass die Redouten zur Bildung der Menschheit gehören? Denn auf den Redouten werden viele Menschen gebildet. dass echter Bohnenkaffee beliebter ist, als Malzkaffeeersatz? dass es noch niemals einen viereckigen Zirkus gegeben hat? dass die Münchner die Berliner nicht so recht von Herzen lieb haben? dass es zu Adam- und Evas-Zeiten noch kein Adressbuch gab?
4H
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dass mehrere Schweine keine Meerschweine sind? dass eine gebratene Gans »seltner« ist als Kartoffeln? dass es äusser einem Herzschlag auch einen Taubenschlag gibt?
Entstehung Laut handschriftlichem Zusatz auf T1: 1931. Die Verwendung des Begriffs >Fachschaft< in T‘ deutet jedoch auf eine Entstehung nach 1933.
Stellenkommentar 224,32 Ferdinand von Miller] Bedeutender Erzgießer (geb. am 18.10.1813 in Fürstenfeldbruck, gest. am 11.2.1887 *n München); zur »Bavaria« vgl. o. 324 (98,17). 224,35 München heute 76 Kinos] Wolf/Kurowski, S. 95, nennen 73 Kinos für das Jahr 1930.
T1 413 Magenkopperer] Bayer.: Rülpser (nach Ringseis, S. 154). 414 Schrankfacherfachschäft] In der NS-Terminologie bezeichnete »Fachschaft* eine Unterorganisation aller zu einer Berufsgruppe Gehöri gen.
PressexMeldungen Textüberlieferung T' Typoskript im Nachlaß, Theaterwissenschaftliche Sammlung KölnWahn: Repertoire Nr. 161; Mappe VIII (Au 11 750). T2 Typoskript im Nachlaß, Theaterwissenschaftliche Sammlung KölnWahn: Repertoire Nr. 161; Mappe VIII (Au 11750). T3 Typoskript im Nachlaß, Theaterwissenschaftliche Sammlung KölnWahn: Repertoire Nr. 161a; Mappe VIII (Au 11 750). T4 Typoskript im Nachlaß, R.Piper Verlag, München: Repertoire Nr. 161. Ts Typoskript im Liesl-Karlstadt-Nachlaß, München: Repertoire Nr. 161. T5 Typoskript im Liesl-Karlstadt-Nachlaß, München: Repertoire Nr. 161. T7 Typoskript aus dem Bestand des Rechtsvertreters der Erben Valen tins, Rechtsanwalt Gunter Fette, München. D' Karl Valentin, Valentiniaden, Paul Hugendubel Verlag, München 1941, S. 154-156. Textgrundlage: D‘.
4T5
Variante T’.
Pressemeldungen Sie hören nun die neuesten Pressemeldungen in Kürze. Zuerst die Wet tervorhersage für die nächsten Jahre. Wetterlage: Einzelne Regenschauer zwischen Harlaching und Deissenhofen - vorübergehend Aufheiterung im bayrischen Landtag; dann wieder trübe. Vorhersage für die kommen den Monate in Bayern: »Entsetzlich«. - Es folgen die neuesten Meldun gen in Kürze: Kanada: Die Kaffeeernte in Kanada beträgt 5 Millionen Tonnen zum Import nach Deutschland; aber trotzdem ist bei uns »Kana da«. - Laut Meldungen der M.N.Z. wird die neue Betonbrücke über die Iller bei Gunzenhausen nicht vom linken zum rechten, sondern vom rechten zum linken Ufer gebaut werden. - München: Das von unbekann ter Seite ausgebreitete Gerücht, im Kleinhesselohersee seien sechs Unter seeboote gesichtet worden, ist von halbamtlicher Seite dementiert wor den. - Ingolstadt: König Joseph der Zwoate von Ingolstadt ist zurück getreten, wohin er getreten ist, ist noch nicht bekannt. - Olching an der Olche: Eine epochemachende Entdeckung ist dem Chemiker Alois Bliefentranz gelungen; nach wochenlangem Studium ist er imstande, aus gewöhnlicher Steinkohle Roggenbrot zu erzeugen, aber durch die z. Zt. herrschende Kohlenknappheit ist mit der Herstellung von Roggenbrot nicht zu rechnen, wodurch die Erfindung als sinnlos zu erachten ist. — Nachrichten aus Deutschland - Pforzheim: Der peinliche Städtename »Pforzheim« soll auf Anregung des Bürgermeisters der Stadt Pforzheim eine Abänderung erfahren, indem die erste Silbe in Wegfall kommt, und die Stadt von nun an nur mehr »Heim« genannt werden soll. - München: Nach Ansicht einiger führender Persönlichkeiten sind betreffs Abschaf fung des Schwarzen Marktes weiter Vorschläge gemacht worden. Die beste Lösung wäre die, jeder Schwarzhändler müsste eine weisse Armbin de tragen mit einem schwarzen Punkt; die Polizei hätte dadurch einen leichten Standpunkt, die Schwarzhändler sofort zu erkennen. Derjenige Schwarzhändler, der dieses Zeichen verweigert, müsste mit einer Geld strafe bis zu 50 Mk. bestraft werden. - München: Heute sind es genau 100 Jahre, dass dem Packträger Wimmer, München, Kanalstrasse sein Zweirä derkarren gestohlen wurde. Der Verdacht fiel damals auf einen preisge krönten Taschendieb. Aber im Verlauf der Verhandlung hat sich heraus gestellt, dass der Packträger Wimmer, im betrunkenen Zustand seinen eigenen Zweiräderkarren sich selbst gestohlen hat; da er dem Bestohlenen dadurch keinen Schaden zugefugt hat, wurde er freigesprochen. - Mün chen: Wie die Süddeutsche Abendausgabe meldet, verunglückte der fünf-
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jährige Sohn des Kunstmalermeisters Obermeier. Der Kleine spielte auf der Strasse. Die Räder eines Autos gingen dem Knaben über beide Hände. Er kam wie durch ein Wunder ohne jegliche Verletzung davon, da es sich um ein kleines Kinderauto handelte. Deutschland: Die Neugründungen in Deutschland nehmen in letzter Zeit so rapid überhand, dass sich die Regierungen Deutschlands dazu ent schlossen haben, mit weiteren Gründungen Schluss zu machen. Äusser einer Gründung, zur Bekämpfung von Neugründungen jeder Art besteht kein Grund mehr, neue Gründungen zu gründen. Heidelberg: Medizinisches Rätsel: Der Student, der im Jahre 1930 in einer lauen Sommernacht sein Herz in Heidelberg verloren hat, ist kürz lich gestorben. [Er] hat es niemehr gefunden und lebte von 1930 bis 1947 »herzlos«. München: Der bekannte Schauspieler »Wilf Dom« ersucht uns bekannt zu geben, dass er mit dem »Regensburger Dom« nicht identisch ist. Italien: Bei Ausgrabungen im alten Rom, wurde in der Nähe des Kolos seums, das versteinerte Gerippe des seit 3000 Jahren vermissten Mannes gefunden, der im dortigen Kolosseum, zu Kaiser Neros Zeiten, als Platz anweiser angestellt war. Die an der Leiche vorgenommenen Wiederbele bungsversuche blieben leider erfolglos. Neapel: Nach neuesten Meldungen, soll der Vesuv wieder in Tätigkeit getreten sein. Er raucht schon wieder. »Oh, der Glückliche«! Starnberg: Am kommenden Sonntag findet im Starnbergersee ein inter nationales Karpfenrennnen statt. Der See ist während dieser Veranstal tung für Fussgänger gesperrt. Miesbach: Bei dem Landwirt, Joseph Gerstenmeier, soll laut Denameldung eine Hausdurchsuchung stattgefunden haben. Gerstenmeier wurde von Nachbarn denunziert, einen grösseren Vorrat von Gerste nicht abge liefert zu haben. Joseph Gerstenmeier konnte aber nachweisen, dass er seine Gerste bis auf die seines Namens abgegeben hat. Diese Gerste abzu liefern, sei er nicht verpflichtet, da er sonst statt »Gerstenmeier« nur mehr »Meier« hiesse. Bremerhafen: Fischzuteilung: Zwei Zentner Heringe kommen in der nächsten Woche in Europa zur Verteilung. Wieviele Heringe dabei auf den Kopf der Bevölkerung Europas treffen, ist schwer festzustellen. Schluss der Pressemeldungen: Nochmals die genaue Zeit: Mit dem Gongschlag ist es genau fünf Minuten über dreiviertel über Halbe vorbei. Hier ist Radio München, angeschlossen Radio Nürnberger Lebkuchen auf gleicher Wellenlänge. Es folgt nun der Sportbericht von Josep Mirkaier. T3 enthält folgende zusätzliche »Pressemeldungen«:
Berlin. Der Reichstag ist heute Vormittag 10 Uhr nicht zusammen
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gekommen, da er vor wenigen Tagen aufgelöst wurde. Die Sitze sind leer und werden bis zur Wiedereröffnung vom Schreinermeister Werner frisch aufpoliert. München: Die an verschiedenen Häusern der Altstadt noch klebenden zerfetzten und beschmutzten Flugzettel aus der Revolutionszeit 1919 konnten bisher wegen Mangel an Arbeitskräften nicht entfernt werden. Trotzdem beträgt die Ziffer der Arbeitslosen in München nahezu 50 Tau send. München: Die Feuerpolizei hat für Theater und Varietee eine neue Vor schrift erlassen. Von heute ab dürfen die Schauspieler und Artisten nur mehr in Asbestkostümen auftreten. Die Kulissen müssen aus Panzerblech hergestellt werden. Sämtliche Fenster und Notausgänge müssen während der Vorstellung Sommer und Winter geöffnet sein. Jeder Besucher bekommt an der Kasse einen kleinen Minimaxapparat mit der Eintrittskar te in die Hand gedrückt. Feuerpolizeiliche Ausnahmen gelten nur beim Oktoberfest. Riesenzelte für 4000 Personen brauchen nur mit 4 Eingängen versehen werden, Tannenguirlanden können in ausgetrocknetem Zustande 14 Tage lang hängen bleiben, das Rauchen ist selbstverständlich in den Holzbuden erlaubt. In der Karnevalszeit dürfen sämtliche grossen und kleinen Tanzlokale zentnerweise mit Papierdekoration behängt werden.
T6 enthält folgende zusätzliche »Pressemeldungen«: Nach neuesten Meldungen des Bezirkvereins ist das Schlittschuhlaufen auf dem Stadtparksee vom 1. Mai bis 1.August untersagt. Nach neuester Verordnung dürfen Schulkinder welche das 40. Lebens jahr überschritten haben, nicht mehr in Veteranen Vereinen als Ehren mitglieder aufgenommen werden. Im zoologischen Garten in München wurde ein neuartiges Tier gezüchtet. Zu Versuchszwecken liess der bekannte Zoologieprofessor Herr Max Uebersinn einen männlichen Vogel Strauss mit einer Riesen schildkröte paaren. Man ist auf die Geburt des jungen Schildkrötenstraus ses sehr gespannt.
T7 enthält folgende zusätzliche »Pressemeldungen«:
Berlin - Männer und Frauen die sich im Besitz eines Bandwurms befin den, haben denselben ab 1. Januar 1977 zu versteuern. - Bandwürmer unter 20 Meter Länge fallen nicht unter das neue Steuergesetz. Polizeibericht: - Der Polizeibericht meldet über das uralte 100 jährige Volkslied: (gesungen) »in einem Kühlen Grunde, da geht ein Mühlenrad -
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mein Liebchen ist verschwunden, das dort gewöhnet hat. [«] Nach dem Polizeibericht ist das in dem Lied verschwundene Mädchen bis heute noch nicht aufgefunden worden. Nähere Mitteilungen über den Aufent haltsort dieses Mädchens an Polizeidirjejktion Zimmer Nr. 13 erbeten. Augsburg - Verkehrsunfall glimpflich abgelaufen. Der jüngste Sohn der Hebammereibesitzerseheleute Meierhofer kam beim Spiel unter die Vor derräder eines Wagens. Die Räder gingen dem bedauernswerten Jungen über die Zehen der rechten Hand. Der Knabe kam mit dem Schrecken davon, da es nur ein Kinderwagen war. Amerikanische Erfindung! - Ein bekannter amerikanischer Erfinder hat nach jahrelangen Versuchen Zugluft in Metallkessel gesammelt. Durch besonders konstruierte Apparate wurde diese ungesunde Zugluft filtriert und iooomal verstärkt, so dass man dieselbe statt Pferden und Motoren, zum ziehen von Fahrzeugen aller Art verwenden kann. Berlin. - Keine Kleider mehr nötig. - Ein namhafter Hypnotiseur hat an mehreren Personen, Männern und Frauen hypnotische Versuche gemacht, die alle von Erfolg waren. Er hypnotisierte den betreffenden Personen Anzüge an den Körper. Die Hypnotiesierten, die völlig nackt auf der Strasse gingen, bildeten sich natürlich ein, vollständig gekleidet zu sein. Diese rohstoffsparende Erfindung wurde zum Patent angemeldet. Somit wäre der Nachrichtendienst beendet. Nun die genaue Zeit. Mit dem Gongschlag wird es 27 Uhr. - Bam - 72 Uhr ah 27 Uhr wollte ich sagen. Um 39 Uhr hören Sie den Zeitfunk. Gute Nacht auf Wiederhören. Vergessen Sie nicht, Ihre monatlichen Rundfunkgebühren zu erden Verzeihung - zu bezahlen, wollte ich sagen.
Entstehung T6 ist laut Untertitel 1937, T7 ist laut Untertitel 1939 entstanden. Die Variante T1 nennt im Text die Jahreszahl »1947«. Stellenkommentar 226,13f. Hochhauses] 1929 fertiggestellt; s. Weyerer, S 35 fT1 417 sein Herz in Heidelberg verloren] S.o. 305 (32,13f.). 417 Will Dom] Will Dohm, Schauspieler (geb. am 8.4.1897 in Köln, gest. am 28.11.1948 in München). 417 Denameldung] Meldung der »Deutschen Nachrichten-Agentur«. 417 Mirkaier] Joseph Kirmaier, populärer Sport-Journalist.
T* 418 Feuerpolizei] Vgl. Sämtliche Werke, Bd.6, S.4Öff.
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T7 418 in einem Kühlen Grunde, da geht ein Mühlenrad} Lied (um 1814) von Friedrich Glück (geb. am 27.9.1797, nach anderen Quellen: 23.9.1793 in Oberensingen/Württ., gest. am 1.10.1840 in Schornbach/Württ.) auf ein Gedicht von Joseph von Eichendorff; vgl. die Schallplattenaufhahme vom 14.6.1928 (Berswordt, S. 304).
Bilder berühmter Persönlichkeiten Textüberlieferung T1 Typoskript im Nachlaß, Theaterwissenschaftliche Sammlung KölnWahn: Repertoire Nr. 164; Mappe VIII (Au 11 750). T2 Typoskript im Nachlaß, R.Piper Verlag, München: Repertoire Nr. 164. T3 Typoskript im Liesl-Karlstadt-Nachlaß, München: Repertoire Nr. 164. T* Typoskript im Liesl-Karlstadt-Nachlaß, München: Repertoire Nr. 164. Textgrundlage: T3.
Entstehung Vermutlich Mitte der dreißiger Jahre. Vom Zeitungshausierer »Kuckuck« (gest. 1929) heißt es im Text, er sei »erst vor einigen Jahren verstorben«. Quellen Das literarische Motiv des >Sonderlings< ist bereits in der antiken Komö die nachweisbar; es ist immer Anzeichen für eine gesellschaftliche Krise, der Sonderling tritt nach Frenzei, S. 643, »als literarisches Motiv [...] erst dann voll in Erscheinung, wenn die gesellschaftlichen Normen nicht mehr als einzig gültig anerkannt werden, und bekommt seine positiven Akzente im Zuge einer Sozialkritik, die eine prästabilisierte Disharmonie von Individuum und Gesellschaft konstatiert und den abseitigen dem nor malen Menschentyp vorzieht.« - Eine Übersicht über die Sonderlinge der Münchner Stadtgeschichte bietet der von Hannes König heraus gegebene, z. T. auf Valentins Sammlung rekurrierende Band »G’spassige Leut« (s. Bibliographie), auf den im Stellenkommentar verwiesen wird.
Stellenkommentar 227,4 die reichhaltigste Sammlung] Zum Sammler K.V. vgl. Glasmeier, S. 69-83. 227,10 Taubemveiberl] Therese Schedlbauer (geb. am 12.10.1853 in Scherleithen bei Hengersberg, gest. am 30.8.1940 in München); vgl. G’spassige Leut, S. 146 ff. 227,15 »Kunst«-Maler Lenbach] Franz Xaver Mandlinger, genannt der
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»Hofbräuhaus-Lenbach« (geb. i868, gest. am 4.4.1945 in München); vgl. G’spassige Leut, S. 53-56. 227,21 Wasserbeschwörer] Keine Lebensdaten ermittelt. 227,29 Hamansegger] Gemeint ist der »Herrenreiter« Franz Halmanseger (geb. 1884, gest. 1962); vgl. G’spassige Leut, S.48f. 227,31 Gabriel-Hypodrom] Der Schausteller Carl Gabriel (s. o. 328 [117,21]) präsentierte ab 1902 das »Hypodrom«, eine Kombination von Pferdereitbahn und Gaststätte; s. Das Oktoberfest, S. 335f. 227,34 Karl Schwach] Keine Lebensdaten ermittelt. 228.1 Schlüsselfrau] Thekla Foag (geb. am 10.6.1868 in München, gest. am 21.1.1942 ebda.); vgl. G’spassige Leut, S. 137. 228.5 Pfau mit dem Vollbart] Maria Baier (keine Lebensdaten ermittelt); vgl. G’spassige Leut, S. 25. 228,11 Zwickermann] Keine Lebensdaten ermittelt. 228,16 Heinrich Bauderer] Musikalienhändler und Hg. der Volkssänger hefte »Münch’ner Blut« (geb. am 21.5.1867, gest. am 31.12.1941); vgl. Laturell, S. 2 5f. 228,19 Ladenpudel] Ladnbudl, bayer.: Ladentisch (nach Ringseis, S. 160). 228.23 Joseph Mitterer] Dialektdichter (keine Lebensdaten ermittelt), Verfasser von: G’spaßige Gschichtn. Gedichte in bayerischer und tiroler Mundart, München 1927. 228,27 Kuckuck] Karl Neher (geb. 1855, gest. am 22.2.1929 in München); vgl. G’spassige Leut, S. 89 f. 228,32ff. Herzlfrau...Tom Pirle] Keine Lebensdaten ermittelt. 229.5 Porstl] Georg Ferstl (keine Lebensdaten ermittelt); zum »Donisl« vgl. Bauer/Graf/Münz, S. 41. 229,9 narrische Maxi] Max Wörl (geb. am 19.3.1855 in Fürstenfeldbruck, gest. am 11.11.1921 in München); vgl. G’spassige Leut, S-94f. 229,13 Kathi Kobus] Wirtin (geb. am 7.10.1854 in Traunstein, gest. am 7.8.1929 in München); zum »Simplicissimus« vgl. Bauer/Graf/Münz, S. 24of. 229,18 Karl Gabriel] S. o. 229.23 Fernrohrmann] Heinrich Haas (geb. 1874, gest. am 13.9.1929 in München); vgl. G’spassige Leut, S. 13-16. 229,25 »Gell-Sager«] Vgl. den Dialog, Rep. Nr. 271, »Üble Angewohn heiten. Die Gell-Seuche« (Sämtliche Werke, Bd. 4). 230.1 Parade-Bretzen-General] Brezenverkäufer Hoffmann (gest. 1933); vgl. G’spassige Leut, S. 4. 230.6 Kugler] Münchner Adreßbuch 1907, I.Teil, S. 288, nennt einen Friedrich Kugler, Kartoffelhändler, Oberer Anger 24. 230,15 Wurzelsepp Nr. 2] Keine Lebensdaten ermittelt, zum »richtigen« Wurzelsepp vgl. G’spassige Leut, S. 160.
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230,19 Professor »Grössenwahn« ] Keine Lebensdaten ermittelt, zum Lokal vgl. Bauer/Graf/Münz, S. 239. 230,26 Daniel: (Kunstmaler)] Keine Lebensdaten ermittelt. 230.33 Federlmann] Drogeriebesitzer Werner (geb. 1853); vgl. G’spassige Leut, S. 101-104. 231.4 Reiter Fanny] Keine Lebensdaten ermittelt. 231.8 Richard Braunbeck] S.o. 374(166,22). 231.11 Krüglredner] »entspricht dem Büttenredner im Fasching« (nach Ringseis, S. 158). 231.15 Fischberger Jackl] Vgl. die Abb. in KVVD, S. 53, und in Sämtliche Werke, Bd. 8, Bildteil, Abb. II. 231,23 Haag Heinrich (Der Gummimensch)] Keine Lebensdaten ermittelt; vgl. G’spassige Leut, S.42. 231.34 Alois Seelos] Keine Lebensdaten ermittelt. 232.4 Amthor Fritz] Volkssänger (keine Lebensdaten ermittelt); vgl. Lutz, S.27. 232.9 Motschmann ] Keine Lebensdaten ermittelt. 232,13 »De läge Maxe«] Keine Lebensdaten ermittelt. T‘: »Der >De la Groa Maxec Ist ein, oder soll ein lediges Kind sein von einem verstorbe nen bayerischen König. Näheres darüber erfahren Sie in der Baaderstras se«. 232,17ff. Neuhauser Heilige...Wacker Toni] Keine Lebensdaten ermit telt. 232,24h »Neuschwanstein-stolze Feste...«] Das »Neuschwansteinlied« von Josef S. Doisl. 232,28 Hermann Strebel...Automatrestaurant] Gemeint ist wohl Georg Strebl; vgl. o. 326 (107,22). 232.34 Lang Schorschl] Georg Lang, Münchner Gastwirt; vgl. Das Okto berfest, S. 315 ff. Zum »Münchner-Kindl-Keller« und der Nährmittelfa brik »Cenovis« vgl. a. Bauer/Graf/Münz, S. 217. 233.4 Strasser Sepp] Keine Lebensdaten ermitttelt. 233.9 Hugo Oertel] Keine Lebensdaten ermittelt; vgl. a. o. 319 (66,9). 233.15 Franz Adelmeier] Keine Lebensdaten ermittelt. 233,25 Held Hansl] Hans Held (keine Lebensdaten ermittelt); vgl. G’spas sige Leut, S. 123. 233,30 Maler Diefenbach] Karl Wilhelm Diefenbach, genannt der »Kohl rabiapostel« (geb. am 24.2.1851 in Hadamar, Hessen, gest. am 13.12.1913 auf Gapri); vgl. G’spassige Leut, S. 7 7 ff. 234,1 Jacob Peupus] S.o. 298 (25,33). 234.11 Pappa Kem] Johann Stefan Kern (geb. 1845, gest. im Nov. 1911); vgl. Lutz, S. 13 ff., sowie G’spassige Leut, S. 70ff. 234.15 Zschaschka] Anton Zaska (gest. 1932), Kapellmeister bei Pappa Kern; vgl. Lutz, S. 14 ff.
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234.19 Sägfeiler am Isartor] Der Sägen- und Messerschleifer Deschermayer (keine Lebensdaten ermittelt); vgl. G’spassige Leut, S. 124. 234,21 Sägfeiler (am Sendlingertor)] Keine Lebensdaten ermittelt. 234,30 Der fahrende Sägfeiler] Sägfeiler Robl (geb. 1850 in Schwimmbach [Bez.-Amt Straubing], gest. am 4.3.1917 in München); vgl. G’spassige Leut, S. 125 ff. 235,1 Stiefelputzer am Karlstor] Xaver Mayer (geb. am 26.10.1840 in Dünzelbach, gest. am 4.8.1920 in München); vgl. G’spassige Leut, S. 140. 235.6 Uhrmacher am Karlstor] Möglicherweise meint K.V hier ebenfalls den Stiefelputzer Xaver Mayer, der als gelernter Uhrmacher »nebenbe ruflich« Uhren reparierte; vgl. G’spassige Leut, S. 140. 235.10 Lorenz Kerm] Volkssänger Lorenz Kern (keine Lebensdaten ermittelt). 235.19 Papa Geir] Jakob Geis (s.o. 301 [28,31]), bedeutender Münchner Volkssänger; vgl. Lutz, S. 19-23. 235,35 Karl Maxstadt] S.o. 301 (28,31). 236,16 Andreas Welsch] »Anderl« Welsch (geb. am 28.11.1842 in Unter biberg bei München, gest. am 24.8.1906 in München); vgl. Lutz, S. 16-19. 236,29 Hauser Lenz] Lorenz Hauser (geb. am 9.5.1869 in Neuhausen, gest. am 15.7.1918 ebda.). 237,18 Balsam-Bene] Keine Lebensdaten ermittelt. 237,25 Mina Hupf] Keine Lebensdaten ermittelt; vgl. G’spassige Leut, S.98. 237.34 August Schichtl] Der Schausteller Michael August Schichtl (geb. am 22.10.1851 in München, gest. am 18.2.1911 ebda.) prägte mit seinem »Zaubertheater« von 1872 bis zu seinem Tode das Oktoberfest; vgl. die Szene, Rep. Nr. 392I, »Beim Schichtl auf der Oktoberwies’n« (Sämtliche Werke, Bd. 3, S. 167ff.). 238.6 Steurer Hans] Hans Steyrer (geb. am 24.6.1849 in Allach, gest. am 25.8.1906); vgl. G’spassige Leut, S. 142ff., sowie Bauer/Graf/Münz, S.45, S. 224, und Das Oktoberfest, S. 260f. 238.20 »Schmalznudlhauer«] Keine Lebensdaten ermittelt. 238,28 Joseph Fischer] (Geb. am 20.1.1865 ’n Cham, gest. am 3.3.1953 in München); s. Gronen/Lemke, S. 129. 238.34 Robl Taddy] Thaddäus Robl (geb. am 22.10.1877 in München, gest. am 18.6.1910 in Stettin); s. Gronen/Lemke, S. 189. 239.7 Michael Schottenhammel] recte: -hamel. Seit 1867 Oktoberfestwirt (geb. 1838, gest. 1912); vgl. Das Oktoberfest, S. 261 f. - In T’.T^T4 folgt eine weitere »Persönlichkeit«: »Haase: Der bekannte Wirt des Münchner Volksgartens zur Rosenau in der Schleissheimerstrasse.« 239.10 Benni Huss] Keine Lebensdaten ermittelt.
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239.13 Sailer-Wastl] Seiler Wastl (keine Lebensdaten ermittelt); vgl. G’spassige Leut, S. 128. 239.23 Pfui-Teifi-Professor] Keine Lebensdaten ermittelt. 239,3t »Trambahnpfeiferi«} Ignaz Lumberger (geb. 1855t?), gest. am 25.9.1903); vgl. G’spassige Leut, S. 149. Zu Greiner s.o. 295 (17,20). 240.1 Wurzl-Sepp] Vgl. o. 421 (230,15). 240,7 Papa Schmi[d]] Joseph Leonhard Schmid (geb. am 29.1.1822 in Amberg, gest. am 18.5.1912 in München); vgl. Hollweck, S. 115. 240,10 Rahmerimann] Eduard Bachmayer (geb. am 19.11.1839 *n Mün chen, gest. am 20.2.1883 ebda.), Konditor, der nach dem Zusammenbruch seines Geschäftes mit kleinen Bilderrahmen hausierte; vgl. G’spassige Leut, S. u8ff. 240,16 Doctor Sigl] Johann Baptist Sigl, Journalist und Politiker (geb. am 27.3.1839 in Ascholthausen, gest. am 9.1.1902 in München), 1869 Grün der und Herausgeber des konservativen »Bayerischen Vaterland«. 240.23 Sulzbeck] Josef Sulzbeck (geb. 1767 in München, gest. 1845); vgl. G’spassige Leut, S. 62-66. 240,27 Nussbaum] Joh. Nep. von Nußbaum (geb. 1829, gest. 1890), be rühmter Münchner Chirurg. 240,33 Ringeis] Keine Lebensdaten ermittelt; vgl. G’spassige Leut, S. iiöf. 241.1 Adele Spitzeder] Hochstaplerin (geb. am 9.11.1832 in Berlin, gest. am 27.10.1895), 1873 zu drei Jahren Zuchthaus verurteilt. 241,15 Krenkl] Franz Xaver Krenkl (geb. am 17.11.1780 in Landshut, gest. am 23.4.1860 in Stuttgart), Pferdehändler und Lohnkutscher; vgl. Das Oktoberfest, S. 131-134, sowie G’spassige Leut, S. 81-87. 241,32 Joseph Schweiger] Theaterleiter (gest. 1847); vgl. Köhl. 242,4 Flinserl-Schlager] Michael Liebwerth (gest. 1888); vgl. G’spassige Leut, S. 22: »Seinen Namen hatte er von den Flinserln, die er herstellte. Das waren kleine Plättchen, die die Frauen zum Schmuck an die Riegel hauben nähten.« 242,6 ewige Hochzeiter] Gest. 1846; vgl. G’spassige Leut, S. 52. 242.13 Finessen-Sepperl] Josef Huber (geb. 1763, gest. am 26.4.1829); vgl. G’spassige Leut, S. 16-19. 242,19 Hofnarr Prangeri] Georg Pranger (gest. am 4.11.1820); vgl. G’spassige Leut, S. 57ff.
Die 10 Gebote für Freikartenbesitzer! Textüberlieferung T1 Typoskript im Nachlaß, Theaterwissenschaftliche Sammlung KölnWahn: Repertoire Nr. 208; Mappe X (Au 11 750). T1 Typoskript im Liesl-Karlstadt-Nachlaß, München: Rep. Nr. 208.
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D1 Nicht identifizierte Druckfassung [überliefert im Kölner und im Piper-Nachlaß] Textgrundlage: T1.
Entstehung Vermutlich um 1940. Vgl. auch Valentins Antwort auf eine Bitte um Theaterfreikarten von 1938 (Sämtliche Werke, Bd.6, S. 130).
Lustige Reklame Textüberlieferung T1 Typoskript im Nachlaß, Theaterwissenschaftliche Sammlung KölnWahn: Repertoire Nr. 234; Mappe XI (Au 11 750). T2 Typoskript im Nachlaß, R.Piper Verlag, München: Repertoire Nr. 234T3 Typoskript im Liesl-Karlstadt-Nachlaß, München: Repertoire Nr. 234. T* Typoskript aus dem Bestand des Rechtsvertreters der Erben Valen tins, Rechtsanwalt Gunter Fette, München. Textgrundlage: T'.
Entstehung Von 1928 bis 1938. Die Reklametexte werden in der Reihenfolge wieder gegeben, in der die Texte entstanden sind, auf die sie sich beziehen. Die Illustrationen zur Reklame für das 1938 erschienene Buch »Brilliantfeuer werk« stammen von Karl Arnold (geb. am 1.4.1883 in Neustadt bei Coburg, gest. am 29.11.1953 in München). Arnold war Redakteur und Zeichner der 1896 in München gegründeten politisch-satirischen Wochenschrift »Simplicissismus«.
Stellenkommentar 244,7b Wien-München Hotel Wagner] S.o. 292 (i5,32f.). 245,32 20 Neuaufnahmen] Vgl. Berswordt. 248,28 Homocord Schallplatten] Vgl. Berswordt, S. 302, und S. 306 (Abbil dungen von Werbeprospekten). 249,26 Schwurgericht] S. das Stück, Rep. Nr. 169, »Ehescheidung vor Gericht« (Sämtliche Werke, Bd. 5), das 1933 im »Wien-München« urauf geführt wurde.
Neue Lichtbilder Textüberlieferung T1 Typoskript im Nachlaß, Theaterwissenschaftliche Sammlung KölnWahn: Repertoire Nr. 51a; Mappe II (Au 11750).
425
T2 Typoskript im Nachlaß, R.Piper Verlag, München: Repertoire Nr. 51a. Textgrundlage: T‘. Entstehung Laut Untertitel: 1942.
Stellenkommentar 254.18 »Im Brater blühn wieder die Bäume«] »Im Prater blühn wieder die Bäume«, Wienerlied, op. 247, von Robert Stolz (geb. am 25.8.1880 in Graz, gest. am 27.6.1975 in Berlin); vgl.o. 383 (179,i6f.). 254,20 Olching] Handschriftlich korrigiert, ursprünglich: »Berlin«. 255.7 Inflationsscheine] S.o. 356. 255,33 Schnaderhüpfl] Paarreimige Neck- und Stegreifverse, vermutlich benannt nach den »Schnitterhüpfln«, den früher nach der Ernte üblichen Tänzen mit Scherz- und Spottliedern; vgl. Werner, S. 151 f. Aus Valentins Werk vgl. die Couplets, Rep. 6 u. 7a/b, »D’Sennerin auf der Alm«, »Die schöne Zilli«, »A Mädchen vom Land« (Sämtliche Werke, Bd. 2, S. 58-61). 256,25 Städtische Strassenbahn!!!] Daneben befindet sich die Zeichnung eines Strassenbahnwagens. 257.1 Lasst den Kopf nicht hängen!!] Daneben befindet sich die Zeichnung eines Mannes mit hängendem Kopf (unterschrieben »Vorher«) und mit angebundener Holzleiste (unterschrieben »Nachher«). Vgl. a. das gleich namige Lied aus Paul Linckes Operette »Frau Luna« (1898). 257,6 In vielen Geschäften gibt esjetzt... ] Es folgt die Zeichnung eines lee ren Diarahmens. 257.8 einmal ist Keinmal] Es folgt die Zeichnung einer Guillotine. 257.18 »Alles neu, macht der Mai«] S.o. 383 (179,35). 257,24 »Es ist ein Brauch von Alters her«] »... / Wer Sorgen hat, hat auch Likör«, aus »Die fromme Helene« (1872) von Wdhelm Busch. Daneben befindet sich die Zeichnung einer Likörflasche. 257,35 Schonet Eure Schuhe!!!] Daneben befindet sich die Zeichnung eines Mannes, der auf den Händen geht. 260.2 Siehe Zeichnung.] Nicht überliefert; vgl. »Architekt >Sachlich< will München neu aufbauen« (vorliegender Band, S. 264-268).
[Einige Neuigkeiten] Textüberlieferung T‘ Typoskript im Nachlaß, Theaterwissenschaftliche Sammlung KölnWahn: Artikel-Manuskripte (Au 11 751). Textgrundlage: T1.
426
Entstehung Die Rede vom »vergangenen Jahr«, in dem der zweite Geburtstag von Valentins Enkeltochter Anneliese (s.u.) gefeiert wurde, deutet auf das Jahr 1942 als Entstehungsjahr. Stellenkommmentar 260,14 RAchsrundfunkzeitung] Die Zeitschrift »Reichrundfunk« erschien nicht in München, sondern in Dessau bzw. Berlin, und zwar vom 30.3.1941 bis zum Oktober 1944. Herausgeberin war die »Reichs-Rund funk GmbH«. Ein Beitrag K.Vs ist nicht nachweisbar. Die von K.V genannten Namen wurden nicht verifiziert. 261,9 Anneliese] Anneliese Fey, legit. Böheim, verehelichte Koburger und Kühn (geb. 1939), ist die Tochter von K.Vs zweiter Tochter Berta (s. o. 356); vgl. den Familienstammbaum bei Freilinger-Valentin, S. 202f. Ihren zweiten Geburtstag hatte Anneliese also 1941.
München anno dazumal Textüberlieferung T' Typoskript im Nachlaß, Theaterwissenschaftliche Sammlung KölnWahn: Repertoire Nr. 134; Mappe VI (Au 11 750). T2 Typoskript im Nachlaß, R.Piper Verlag, München: Repertoire Nr. 134. T3 Typoskript im Liesl-Karlstadt-Nachlaß, München: Repertoire Nr. B4Textgrundlage: T’.
Variante T3.
Alt-Münchner-Foto-Sammlung von K. Valentin
Konzerthaus 1880 - »Kleiner Rosengarten« in der Sonnenstrasse heute Emelka-Filmhaus -
Singspielhalle Wien-München - Hotel Wagner, Sonnenstrasse, jetzt Hotel »Sonnenhof« (Mack) - Karl Valentin auf der Bühne 1930 Isarlust - heute Alpines Museum 1896
August Schichtl Bude auf dem Oktoberfest.
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Apollo-Theater, Dachauerstrasse, Hotel Münchner Hof besteht heute noch 1943!
Theatersaal Variete Monachia 1898. »Das Aquarium« - Grosse Sehenswürdigkeiten München 1885, Färber graben - in dem Hause in dem sich heute die Münchner Neuesten Nach richten befinden.
»Bambergerhof Variete« München, Neuhauserstrasse, auf der Bühne der Welsch Anderl! 1888 - Fotokopie (jetzt Hotel Bambergerhof)
August Schichtl Bude im Oktoberfest 1895 (linke Hälfte (rechte Hälfte fehlt?) »Hotel Achatz« am Dultplatz 1890 - täglich Komikervorstellungen heute Kaffee »Neue Börse« -
»Bockkeller« am Frauenplatz 1895 München, Kellerlokal, täglich Früh schoppen von Pappa Kern. -
»Volksgarten« Nymphenburg 1896, das grösste Vergnügungs-Etablisse ment Bayerns - So etwas kommt nicht wieder Im Vordergründe die Dampftrambahn Hotel Drei Löwen München, Schillerstrasse - Singspielhalle der Komi kergesellschaft - Hans Albrecht 1912 - jetzt Hospiz Volksgarten zur Rosenau 1895, Schleissheimerstrasse München mit Kapelle Peuppus (Leibregiment) Tanzhaus »Orpheum« 1895 in der Sonnenstrasse, abgebrannt im Jahre 1899 München.
Innenansicht von Zirkus Wulf, München am Isartorplatz 1888 Marienplatz zu München 1895 Hofbräuhaus-Hof 1895
Englisches Kaffee am Dultplatz 1885, (heute Bernheimerhaus) Hotel Oberpollinger 1860 München, Neuhauserstrasse
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Eröffnungsfeier des Künstlerhauses am Lenbachplatz (Jahreszahl unbe kannt) Gäste: Kunstmaler Lenbach Kunstmaler Deffreger Pappa Geis, München Marienplatz 1852 mit dem alten Rathausturm, München
Diese Quermauer stand im Jahre 1860 noch zwischen alten Rathausbogen und der Heilig-Geist-Kirche im Thal Gasthaus »Zum roten Thurm« an der Isarbrücke 1889
Das Thal in München 1858 - Auf der rechten Seite noch eine alte Huf schmiede. Der Viktualienmarkt vom Petersturm aus gesehen im Jahre 1858, Mün chen Im Hintergrund das ganze Gärtnerplatzviertel noch ohne Häuser
Der Zentral-Bahnhof 1870 in München
Wachparade am Marienplatz 1870 - Die Soldaten noch mit Raupenhel men
Kohleninsel mit städt. Arbeitsamt und alte Stern-Reiter Kaserne - am rechten Isararm- heute steht dort das »Deutsche Museum«. Gasthaus »Zum Ketteri« Obermeierstrasse 2 an der Isar München, 1880 Alte Häuser an der Stelle des Künstlerhauses am Lenbachplatz 1895
Marienplatz-Landschaftsgebäude, heute altes Rathaus Fischbrunnen noch ohne Figuren. Der ganz alte Hofbräuhaushof am Platzl. Nach einem alten Gemälde aus dem Jahre 1840.
Singspielhalle »Unterpollinger«, Sendlingerstr. - gegenüber der Münchner-Neuesten-Nachrichten 1880.
Marienplatz-Prozession im Jahre 1875.
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Die älteste Fotographie meiner Sammlung aus dem Jahre 1851. Die Feuerwerkinsel auf der Praterinsel - heute »Alpines Museum« an der Isar zwischen Ludwigs- und Maximiliansbrücke.
Gasthaus zum »Grünen Baum« an der Isar München 1887.
Die Schrannenhalle in der Blumenstrasse 1870. Abgebrannt im Jahre 1931. Das alte Hofbräuhaus 1860 am Platzl in München.
Hotel-Restaurant »Frankfurter Hof«, München, Schillerstrasse 49 am Hauptbahnhof Bockkel[l]er im Kaffee »Metropol« am Frauenplatz 1888. Mit Pappa Kerns Frühschoppen Konzerte.
Kaufingerstrasse München - rechts Färbergraben 1888. Marienplatz am Thaleingang, rechts die alten Kaufläden.
Am Stachus, zu München 1880 mit Karlsthor. Der alte Sterngarten 1875, heute Kaufhaus »Hertie«. Aquarell, da eine Fotographie nicht zu bekommen ist.
Ein altes Münchner-Kaffeehaus am Viktualienmarkt. Restaurant Sankt Peter Eingang Rindermarkt 1888. Marienplatz zu München. Marienplatz München mit Petersbergl 1862.
An der Isar zwischen Ludwigs- und Maximiliansbrücke- rechts in der Ecke Restaurant »Isarlust«, in der Mitte der Wasserschleusen-Steg. Auf dem mit X bezeichneten Baum steht seit....... die Lukaskirche, Mün chen.
II. Kraft- und Arbeitsmaschinen-Ausstellung München 1898 von der Rei chenbachbrücke aus gesehen.
Ausstellung auf der Kohleninsel 1899 München an der Ludwigsbrücke.
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Ausstellung auf der Kohleninsel München 1899 von der Erhardtstr. aus gesehen. Ausstellung auf der Kohleninsel 1899 München »Vergnügungs-Park.« Ausstellung auf der Kohleninsel 1899 München, - Ausstellungs-Garten mit Fontaine.
Rechter Isararm - rechts die alte Entenbachstrasse (jetzt Zeppelinstr.) links auf der ehemaligen Kohleninsel steht heute (1943) das »Deutsche Museum«.
Stereobilder Das Thai. Im Hintergründe noch mit dem ganz alten Rathausturm. Der Viktualienmarkt-, hatte um das Jahr 1860 doch ein ganz anderes Aus sehen wie heute.
Dultplatz: Im Hintergründe die Theatinerkirche. - An Stelle der alten Häuser - vor der Kirche - steht das heutige Kaffee Luitpold. Rechts der Turm der alten Salvatorkirche.
Neuhauserstrasse mit dem Hotel Oberpollinger: in dem der berühmte Pappa Geis in seiner Singspielhalle seine täglichen Vorstellungen abhielt. Heute Kaufhaus Oberpollinger. Die Neuhauserstrasse mit Karlsthor: Dieselbe hatte damals noch einen ganz kleinstädtischen Charakter. Die Praterinsel mit dem Pratertheater: - Hier steht heute die Essigfabric von Riemerschmied. Die damalige Feuerwerkinsel an der Isar: Hier steht heute das Alpine Mu seum.
Ein zweiter Blick von den Gasteig-Anlagen: auf die damalige Gewerbeaus stellung (1888) an der Isar. Blick von den Gasteiganlagen auf die Isar: Im Hintergründe die Wasserstras se mit den kleinen Häuschen und dem bekannten Gasthof zum Ketteri, an dessen Stelle heute die Lukaskirche steht.
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Petersturm: Die letzten zwei Turmwächter auf dem Peterturm um das Jahr 1890. Der Marienplatz: Im Hintergründe - im heutigen Jubelier-Tomashaus, Ecke Kaufingerstrasse - befand sich die Hauptwache. Die Maxburg: noch einstöckig - am Dultplatz (heute Lenbachplatz)
Marienplatz: Mit Fischbrunnen, noch ohne Figuren. Das Haus hinter dem Fischbrunnen ist das alte Landschaftsgebäude - heute das alte Rathaus am Marienplatz.
Am Karlsplatz: Wenn nicht im Hintergründe der Glaspalast sichtbar wäre, würde sich mit dem Bild niemand zurecht finden. An Stelle des grossen Hauses links i.d. Ecke steht heute der Justizpalast. Am Stachus: (heute Karlsplatz) Wo heute das Hotel Königshof steht, befand sich damals das Hotel Belle-vue. Der Dultplatz: (Heute Lenbachplatz) Hinter den zwei, am Platze stehen den Personen, steht heute das Künstlerhaus.
Das alte Hofbräuhaus: Eine ganz seltene Aufnahme - Orginalfotographie Daneben noch das angrenzende Sudhaus, weil seinerzeit das Bier gleich im Hofbräuhaus selbst gebraut wurde. Heute wird das Bier im Hofbräu hauskeller in der Wienerstrasse erzeugt. Der alte Hofbräuhaushof: Derselbe, nach einem noch älteren Gemälde reproduktiert. Der alte Hofbräuhaushof: um das Jahr 1880. - Damals sollte es nach einer alten Sage noch besseres Bier gegeben haben, als heute. Da es zu dieser Zeit noch keine Photographie gegeben hat, müssen wir mit der Repro duktion eines alten Gemäldes vorlieb nehmen. -
Das Zollhaus in der Bayerstrasse: An dieser Stelle befindet sich heute der Holzkirchner Bahnhof. Äusser einigen Kleinen Anwesen, stand noch kein Haus in der Bayerstrasse. Schrannenhalle: (an der Blumenstrasse) Blick in den Innenraum Abgebrannt in dem Jahre 1931.
Der Königsplatz: (von damals) Im Hintergründe die Propyläen. 43 2
Thal-. (Blick vom Petersturm in das Thal) Links unten sehen Sie noch die Brücke, über den sogenannten Kailbach, an der Einmündung der heuti gen Hochbrückenstrasse.
Das Gärtnerplatzviertel: Bestand damals meist aus Gärtneranwesen. Daher sein Name: Turnverein Jahn: Die erste Turnhalle Münchens. Sie stand an der Stelle, in der Nähe des heutigen Variete-Kolosseum’s in der Jahnstrasse.
Oktoberfest: 1859 - Ein Königszelt und zwei Bierbuden und einige Karusell waren das ganze Oktoberfest. - Im Hintergrund das Krankenhaus links der Isar - war das einzige Haus in der heutigen Lindwurmstrasse. Der Glaspalast: innen - während einer Blumenausstellung. Der ehemalige Glaspalast: mit Botanischen Garten. Die Sonnenstrasse: am Sendlingerthorplatz.
Der Sendlingerthorplatz: Im Zeichen des Verkehrs. Noch ohne Spring brunnen.
Eine Schnellzuglokomotive: Aus der damaligen Zeit. Der Lokomotivführer hatte noch kein Häuschen über sich und war dem Zug im Zug ausgesetzt. Höchstgeschwindigkeit war 20 Kilometer. Ein Radfahrer hätte ihn schön begleiten können. Central-Bahnhof: (heute der Hauptbahnhof) hat sich wie Sie am Bilde ersehen können, gewaltig geändert.
Das Thal: zeigt hier - auf der rechten Seite - noch eine Hufschmiede, mitten in der Stadt. Der Viktualienmarkt: hatte ein völlig anderes Aussehen, wie heute. Die Bäume, die sie hinter der Häuserreihe sehen, standen in der heutigen Rumfordstrasse.
Vorstadt Au: (An der Isar.)
Sendlingerstrasse: Mit Sendlingerthor - von innen. Rechts ein alter Gumpbrunnen.
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Das Angerthor: in der Blumenstrasse- befand sich da, wo heute das Hoch haus steht. Das Isartor-, mit dem schönen Gemälde »Einzug Kaiser Friedrichs von Bayern.« Der Hauptbahnhof-. Für die damalige Einwohnerzahl von iooooo war er gross genug. Odeonsplatz-, vor der Feldherrnhalle, hat sich äusser der Gasbeleuchtung und dem regen Verkehr nicht wesentlich geändert.
Das Angerthor: (von der Stadtseite aus gesehen) Im Hintergrund die Mül lerstrasse. Entstehung Nach dem Zweiten Weltkrieg. In der - offenbar schon früher angelegten - Sammlung T3 findet sich die Wendung »heute noch 1943«. Zu Valen tins Alt-Münchner Sammlung s. Bauer 1982; zum Sammler K.V. vgl. Glasmeier, S. 69-83.
Stellenkommentar (Anmerkung: Auf die Kommentierung der in der Variante T3 genannten Münchner Sehenswürdigkeiten wurde verzichtet.) 26i,2Öff. An einem Sonntag vormittag...] Vgl. »Das alte stürzt, es ändern sich die Zeiten« (vorliegender Band, S. 125). 261,2Öf. Deutsche Museum] Vgl. o. 324(100,1). 261,35 Stadtmuseum] S.o. 360 (125,22). 262.4 Max Schmeling] S.o. 357. 262.5 Greta Garbo] S.o. 360 (125,34). 262,14b Architekt namens Sachlichkeit] Vgl. u. 435. 262.16 Altmiinchner originellen Persönlichkeiten] »Bilder berühmter Per sönlichkeiten« (vorliegender Band, S. 226-242). 262.28 Solang der alte Peter] S.o. 308. 262.29 '»Der Petersturm«] S.o. 355. 262,33 Glücklich wt...] S.o. 355. 263.17 Atombombenkrieg] Vgl. den Dialog, Rep. Nr. 386, »Zwei Frauen unterhalten sich über die Atombombe« (Sämtliche Werke, Bd. 4). 263,23f. - in aller Ewigkeit Amen!] Auf einem weiteren Blatt folgt der handschriftliche Zusatz »Alt-Münchner Stadt-Beschreibung (siehe Licht bilder)«.
434
Traueranzeige Textüberlieferung T‘ Typoskript im Nachlaß, Theaterwissenschaftliche Sammlung KölnWahn: Artikel-Manuskripte (Au n 751). Textgrundlage: T'.
Entstehung Nach dem Zweiten Weltkrieg.
Architekt »Sachlich« will München neu aufbauen Textüberlieferung T1 Typoskript im Nachlaß, Theaterwissenschaftliche Sammlung KölnWahn: Mappe »Architekt Sachlich«. Textgrundlage: T1. Entstehung Das zugrunde liegende Couplet, Rep. Nr. 174, »Architekt Sachlich« (Sämtliche Werke, Bd. 2, S. 141-144) stammt von 1938. Die hier wieder gegebene Lichtbilder-Fassung ist laut Untertitel 1947 entstanden. Die »Lichtbilder« stammen (vgl. Schulte, S. 29) von Ludwig Greiner (s. o. 295 li7,zo]).
Anmerkung: Zu den genannten Sehenswürdigkeiten s. Stellenkommentar »Architekt Sachlich« (Sämtliche Werke, Bd. 2, S. 325ff.).
Vorwort [zu: Das Karl Valentin Buch] Textüberlieferung T1 Typoskript im Nachlaß, Theaterwissenschaftliche Sammlung KölnWahn: Repertoire Nr. 245; Mappe XII (Au 11 750). T' Typoskript im Nachlaß, R.Piper Verlag, München: Repertoire Nr. 245. T3 Typoskript im Liesl-Karlstadt-Nachlaß, München: Repertoire Nr. 245D' Das Karl Valentin Buch. Erstes und einziges Bilderbuch von Karl Valentin über ihn und Lisi Karlstadt. Mit Vorwort und ernsthafter Lebensbeschreibung und Bildunterschriften von ihm selbst, sowie zwei Aufsätzen von Tim Klein und Wilhelm Hausenstein, München (Knorr & Hirth) 1932, S. 5h Textgrundlage: D1.
Entstehung Vermutlich 1931 anläßlich der Publikation von D1. Das T1 beigelegte Blatt »ZUM VORWORT...« (s.u.) trägt das Datum »1930«.
435
Stellenkommentar 271,1 Vorwort] T',T2,T3: »Feierliche Eröffnung des Karl Valentin-Bil derbuches. Ein Bericht statt einer Vorrede«. 271,22 sinnige] T’,T2,T3: »zum Umschlagen verschlagene«. 271,25h »Heilsei dem Tag...«] Ensemble aus Albert Lortzings Oper »Zar und Zimmermann« (1837). 271,27 in die Luft.] T',T2,T3: »und viele Flieger schlugen Freudenpur zelbäume.« 271,32h verließ die Volksmenge den Festplatz...] In T‘,T3 folgt auf einem beigelegten Blatt: »ZUM VORWORT........... 1930 Wenn dem verehrlichen Leser meines Buches ein Witz bekannt vorkommt, den er in irgend einem Witzblatt oder einer Zeitung schon einmal gelesen hat, so kann ich mit gutem Gewissen sagen, dass ich den Witz noch nicht veröffentlicht habe. Aber es könnte interessant sein zu wissen, dass der Vortragskünstler und sächsische Dichter Hans Reimann mein ganzes Repertoire 8 Tage zur alleinigen Verfügung bekam, betreffs Verlag eines Karl Valentin-Buches. (Anekdote von >für Lieferanten ist der Eingang im RückgebäudeReinReindl< = (rechteckiges) Back- oder Bratgefäß (nach Ringseis, S. 213). 274,6 Büchseimadamen] Ringseis, S. 51: »Frau, die sozusagen auf die Spar büchse angewiesen ist, aber dennoch renommieren will«. 274,14 Flugga] Bayer.: leichtlebige weibliche Person, Flittchen (nach Ringseis, S. 89 f.). 274,16 Hennakrei’] Bayer.: Hühnerkralle. 274,16 dadappt] Bayer, im Sinne von: ungeschickt angefaßt (vgl. Schmeller I, Sp. 612). 274,18 ausg'schamte] Bayer.: unverschämte (nach Ringseis, S. 42). 274.18 Trankhafa] Bayer.: Gefäß für Schweinefutter (nach Aman, S.48, auch als Beleidigung für eine ungepflegte Frau). 274.19 schialiger] Bayer.: häßlicher; vgl. Ringseis, S. 231. 274,29 Kuttlerhalle] Vermutlich der 1878 in Betrieb genommene Schlachthof an der Zenettistraße, der 1900 um eine Kuttlerei und ein Kesselhaus erweitert wurde. 274,36 Stemgarten] Wirtschaft »Zum Sterngarten«, Bahnhofplatz 7. 275,1 f. Kaufhaus Tietz] Kaufhaus Hermann Tietz (Hertie), 1905 am Bahnhofplatz 7 eröffnet. Liesl Karlstadt wurde dort 1910 oder 1911 als Verkäuferin eingestellt. 275.4 d’Rosenau] S.o. 298 (25,27). 275.5 Orpheum] Tanzlokal (Sonnenstraße 12).
Käs-Rede Textüberlieferung T' Typoskript im Nachlaß, Theatermuseum Köln-Wahn: Unvollendete Manuskripte/Exposes, (Au 11753). Textgrundlage: T'.
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Entstehung Vermutlich um 1920 im Zusammenhang mit anderen Narren- und Unsinnsreden wie Rep. Nr. 114, »Die neue Villa« (Sämtliche Werke, Bd. 1, S. 94ff.); die Hinweise auf die »Ersatzlebensmittel« rücken den Text in die Nähe des um 1918 entstandenen Couplets, Rep. Nr. 89, »Ver schiedene Träume« (Sämtliche Werke, Bd. 2, S. 125!.). Stellenkommentar 275.24 Münchner Schäfflertanz] S.o. 361 (126,30). 275,35f. baden im nahen silbernen Bächlein die Forellen.] Vielleicht eine Anspielung auf Franz Schuberts Lied »Die Forelle« nach einem Gedicht (1782) von Christian Friedrich Daniel Schubart. 276,2 f. »Im tiefen Keller sitz ich hier«] S.o. 311 (37,35 f.).
Die landwirtschaftliche Schuldenregelung Textüberlieferung T1 Typoskript im Nachlaß, Theaterwissenschaftliche Sammlung KölnWahn: Artikel-Manuskripte (Au 11751). Textgrundlage: T'.
Entstehung Das Typoskript ist handschriftlich überschrieben: »Amtlicher Teil Bayerischer Regierungsanzeiger v. 21. August 1935 von Assessor Hans Wallinger«. (Als etwaige Vorlage nicht verifiziert.) Quellen Die volksfeme Bürokraten- und Politiker-Sprache reizt K.V mehrmals zur Parodie: vgl. »Ich mische mich in die Nichteinmischung mitten hin ein!« (vorliegender Band, S. i68f.), sowie die Monologe, Rep. Nr. 73, »Unpolitische Rede«, Rep. Nr. 141, »Karl Valentin und die Weltpolitik«, Rep. Nr. 142, »Auf dem Marienplatz« (Sämtliche Werke, Bd. 1, S.45, S. 112, S. 115).
[Verschiedene Vorhaben] Textüberlieferung T1 Typoskript im Nachlaß, Theatermuseum Köln-Wahn: Ideen und Notizen (Au 11754). Textgrundlage: T1.
Entstehung Laut Untertitel: »14.X.45«.
Stellenkommentar 278.25 »Platzl«] Vgl. o. 322 (79,3).
438
278,26 Stereoskopbilder} S.o. 431. 278,28 »Ritterspelunke«} S.o. 291 (14,35) und Sämtliche Werke, Bd. 3, S. 268 (Entstehung »Die Ahnfrau«). 278,30 Ausstellungen] Vgl. Glasmeier, S.69-83.
[Karl Valentin steht in München...] Textüberlieferung T1 Typoskript im Nachlaß, Theaterwissenschaftliche Sammlung KölnWahn: Artikel-Manuskripte (Au 11751). Textgrundlage: T1.
Entstehung Der Hinweis auf den seit zwei Jahren »schwer beschädigten Isarturm« deutet auf das Jahr 1946 als Entstehungsjahr (das Isartor wurde 1944 bei Luftangriffen weitgehend zerstört). Stellenkommentar 279,5 Isarturm} Vgl. o. 324 (93,24). 279,12 Waffenabgabestelle} Am 9.7.1945 verlangt die US-Militärregierung unter Androhung der Todesstrafe die Abgabe aller Waffen bis zum 15.7.; vgl. Schattenhofer, S. 62 u.passim. 279,32 Strassenumbenennung} Am 25.6.1945 verfugt die US-Militärregie rung die Umbenennung aller Straßen und Plätze, die nach Personen und Motiven des Dritten Reiches benannt sind; vgl. Schattenhofer, S.60 u.passim. 279,35 Hess-Strasse} Der »Stellvertreter des Führers« Rudolf Heß flog am 10.5.1941 eigenmächtig (?) allein in einem Jagdflugzeug nach Schott land, um mit den Briten über Hitlers Lebensraum-Politik zu verhandeln. Heß wurde dort allerdings lediglich als Kriegsgefangener behandelt und in der deutschen Presse als »Geisteskranker« diskreditiert. Die Heßstraße in Schwabing ist jedoch nach einer Malerfamilie benannt.
Telefon Kabine Textüberlieferung T1 Manuskript im Nachlaß, Theatermuseum Köln-Wahn: Ideen und Notizen (Au 11754). Textgrundlage: T1. Entstehung 1947 oder 1948.
Stellenkommentar 280,17 Telefon Kabine} Über dem Text befindet sich die Zeichnung einer Telefonkabine, ferner der handschriftliche Zusatz am linken Manuskript
439
rand: »Telefon Arbeiter fragen« - Zum Telefon-Motiv bei K.V. s. o. 320 6)-
Am Platzl zu München Textüberlieferung T‘ Manuskript im Nachlaß, Theatermuseum Köln-Wahn: Unvollendete Manuskripte/Exposes (Au 11753). Textgrundlage: T'. Entstehung Laut Untertitel: 1948. Die ohnehin schwer leserliche Handschrift ist auf einem beschädigten (Tintenfleck) Blatt überliefert.
Stellenkommentar 280,31 Gaudeamus digitur] »Gaudeamus igitur«, Studentenlied (Halle t78i). 280,34 gewohnt] Eine vollständige Liste aller Wohnungen K.V.s bietet Freilinger-Valentin, S. 173. 281,1 Lieblingsplatten] Möglicherweise machte K.V. auch im Hofbräuhaus Schallplattenaufhahmen, Berswordt nennt als Aufhahmeorte Paulaner bräu, Kollosseum, Hotel Wagner. 281,4f. Solangda drunt am Platzl...] S.o. 308. 281,8f. »Studentenhäuser«] Vgl. Hollweck, S. i25f. 281,16 Pfisterhof] Vgl. o. 329 (124,19). 281,22 Caffe Orlando] Orlando di Lasso (Platzl 4), seit 1898 eines der wichtigsten Münchner Theater-Cafes. 1945-52 von der US-Besatzung beschlagnahmt; vgl. Bauer/Graf/Münz, S.Ö4f.
[Anfrage] Textüberlieferung T1 Manuskript im Nachlaß, Theatermuseum Köln-Wahn: Ideen und Notizen (Au 11754). Textgrundlage: T1. Entstehung Vermutlich in den dreißiger Jahren. In fremder Handschrift findet sich der Zusatz »Berghammer«. Die Autorschaft Valentins kann nicht als gesi chert gelten.
44°
Bibliographie i. Werkausgaben und Dokumentensammlungen
Original-Vorträge von Karl Valentin. Münchner Komiker (Selbstverlag), München um 1916 (Bestand Monacensia, Karl Valentin Musäum). Karl Valentin, Allerlei Blödsinn, München um 1920. Karl Valentin, Originalvorträge, München 1926. Liesl Karlstadt, Original-Vorträge von Karl Valentin, München 1926. Karl Valentin und Liesl Karlstadt auf Homochord-Electro-Schallplatten. Ein lustiges Bilderbuch. Mit Beiträgen von Kurt Pinthus und Tim Klein, Berlin 1931. Das Karl Valentin Buch = Das Karl Valentin Buch. Erstes und einziges Bilderbuch von Karl Valentin über ihn und Lisi Karlstadt. Mit Vorwort und ernsthafter Lebensbeschreibung und Bilderunterschriften von ihm selbst, sowie zwei Aufsätzen von Tim Klein und Wilhelm Hausenstein, München 1932. Valentin-Zeitung, hg. v. Karl Valentin u. Liesl Karlstadt, München (Selbstverlag der Herausgeber) 1935. Karl Valentin, Brilliantfeuerwerk. Mit Zeichnungen von Karl Arnold, München 1938. Valentiniaden. Ein buntes Durcheinander von Karl Valentin. Mit vielen lustigen Zeichnungen von Fr. Bilek, München 1941. Karl Valentin’s Lachkabinett. Acht Stegreifkomödien. Hg. v. Gerhard Palimann, München 1950. Karl Valentin, Der Knabe Karl. Jugendstreiche. Hg. v. Gerhard Palimann, Berlin 1951. Karl Valentins Panoptikum. Neun Stegreifkomödien. Hg. v. Gerhard Palimann, München 1952. Karl Valentin’s Gesammelte Werke. Mit 28 Abbildungen, München 1972 (10. Aufl.; zuerst 1961). Karl Valentin, Sturzflüge im Zuschauerraum. Der Gesammelten Werke anderer Teil. Hg. v. Michael Schulte. Mit einem Vorwort von Kurt Horwitz, München 1969. Karl Valentin - Fundsachen I-IV. Hg. v. Münchner Filmzentrum - Freun de des Münchner Filmmuseums e.V, München 1976-1982. K.Vs Filme = Karl Valentins Filme. Alle 29 Filme, 12 Fragmente, 344 Bil der, Texte, Filmographie. Hg. v. Michael Schulte und Peter Syr, Mün chen, Zürich 1978 (Neuausgabe 1989, mit einem Nachwort von Hel mut Bachmaier).
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Münz = Geschriebenes von und an Karl Valentin. Eine Materialiensamm lung 1903 bis 1948. Hg. v. Erwin und Elisabeth Münz, München 1978. Das Valentin-Buch. Von und über Karl Valentin in Texten und Bildern. Hg. v. Michael Schulte, München, Zürich 1984. Karl Valentin, Gesammelte Werke in einem Band. Hg. v. Michael Schul te, München 1990 (4. Aufl.; zuerst 1985). Karl Valentin, Mögen hätt ich schon wollen, aber dürfen hab ich mich nicht getraut! Das Beste aus seinem Werk. Hg. und mit einem Nach wort v. Helmut Bachmaier, München, Zürich 1990. KRIS = Kurzer Rede langer Sinn. Texte von und über Karl Valentin. Hg. v. Helmut Bachmaier, München, Zürich 1990. Karl Valentin, Sämtliche Werke, Bd.ö: Briefe. Hg. v. Gerhard Gönner, München 1991. Karl Valentin, Sämtliche Werke, Bd. 1: Monologe und Soloszenen. Hg. v. Helmut Bachmaier u. Dieter Wöhrle, München 1992. Karl Valentins Lach-Musäum. Mit einem »Interview auf dem Parnaß« hg. v. Horst Drescher, Leipzig 1992 (3. Aufl.). Karl Valentin, Buchbinder Wanninger. Sprachclownerien und Grotesken. Hg. v. Helmut Bachmaier, Stuttgart 1993. Karl Valentin. Eine Bildbiographie von Matthias Biskupek, Leipzig 1993. Karl Valentin, Sämtliche Werke, Bd. 2: Couplets. Hg. v. Helmut Bach maier u. Stefan Henze, München 1994. Karl Valentin, Sämtliche Werke, Bd. 3: Szenen. Hg. v. Helmut Bachmaier u. Stefan Henze, München 1995. Karl Valentin, Sämtliche Werke, Bd. 8: Filme und Filmprojekte. Hg. v. Helmut Bachmaier u. Klaus Gronenborn, München 1995.
2. Dokumentationen und Sekundärliteratur zum Kommentar
2.1 Zitierte Literatur Adam = Peter Adam, Kunst im Dritten Reich, Hamburg 1992. Aman = Reinhold Aman, Bayrisch-österreichisches Schimpfwörterbuch. Lexikon der Schimpfwörter, München 1972. Angermair = Elisabeth Angermair, München als süddeutsche Metropole Die Organisation des Großstadtausbaus 1870-1914. In: Bauer 1992, a.a.O., S. 307-335. Bachmaier = Helmut Bachmaier, Kommentare zum Nachlaß. Textbestand und Kommentierungsbeispiele der neuen kritischen Gesamtausgabe der Werke Karl Valentins. In: KRIS, a.a.O., S. 221-242. Bachmaier 1994 = K.V., I sag gar nix. Dös wird man doch noch sagen dür
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fen! Politische Sketche. Hg. u. mit einem Nachwort v. Helmut Bachmaier, München 1994. Bachmaier 1995 = K.V., Die alten Rittersleut. Szenen und Couplets. Hg. u. mit einem Nachwort v. Helmut Bachmaier, München 1995. Bachmaier 1996 = K.V., Senkrechter Kurvenflug im horizontalen Dreieck. Tücken der Technik. Techniksatiren. Hg. u. mit einem Nachwort v. Helmut Bachmaier, München 1996. Balsiger/Sellier = Dave Balsiger/Charles E.Sellier jr., Die Arche Noah. Schicksal der Menschheit am Ararat, Wien/Düsseldorf 1979. Bauer 1982 = Richard Bauer, Das alte München. Photographien 18551912 gesammelt von Karl Valentin, München 1982. Bauer 1983 = Richard Bauer, Ruinen Jahre, Bilder aus dem zerstörten München 1945-1949, München 1983. Bauer 1988 = Prinzregentenzeit, München und die Münchner in Fotogra fien. Ausgew. u. erl. v. Richard Bauer, München 1988. Bauer 1992 = Richard Bauer (Hg.), Geschichte der Stadt München, Mün chen 1992. Bauer/Graf/Münz = Zu Gast im alten München. Erinnerungen an Hotels, Wirtschaften und Cafés. Eingel. u. hg. v. Richard Bauer. Bearb. v. Eva Maria Graf und Erwin Münz, München 1982. Berning = Cornelia Berning, Vom »Abstammungsnachweis« zum »Zuchtwart«, Vokabular des Nationalsozialismus, Berlin 1964. Berswordt = Eberhard von Berswordt, Discographie. In: KWD, a.a.O., S. 302-310. Berti [Böheim] Valentin = Bert [Böheim] Valentin, »Du bleibst da, und zwar sofort!«. Mein Vater Karl Valentin, München 1972 (2. Aufl.; zuerst I971)Das Karl Valentin Buch = Das Karl Valentin Buch. Erstes und einziges Bilderbuch von Karl Valentin über ihn und Lisi Karlstadt. Mit Vorwort und ernsthafter Lebensbeschreibung und Bildunterschriften von ihm selbst, sowie zwei Aufsätzen von Tim Klein und Wilhelm Hausenstein, München 1932. Das Oktoberfest = Ausstellungskatalog. Das Oktoberfest. 175 Jahr Bayeri scher Nationalrausch, München 1985. Fette = Gunter Fette, Karl Valentin und die Rechtslage. In: KRIS, a.a.O., S. 191-214. Freilinger-Valentin = Gisela Freilinger-Valentin, Karl Valentins Pechmarie. Eine Tochter erinnert sich. Bearb. u. hg. v. Max Auer, Pfaffenhofen 1988. Frenzei = Elisabeth Frenzei, Motive der Weltliteratur, Art. >Sonderlingbedeutsam< auszeichnet und in Zusammenhang bringt, andere hingegen (die >unbedeutendenbedeutsamer< Erlebnisse wird am Ende zum bedeutsamen Zusammenhang des ganzen Lebens. Der Autobiograph ist demnach Sinnsucher und Sinnstifter in einer Person. Die Selektion der Erlebnisse wird dabei keineswegs dem Zufall überlassen, sie steht viel mehr unter einer leitenden Idee. Bei Augustinus - so Diltheys Beispiel ist die leitende Idee die religiöse Bekehrung: Alle älteren Erlebnisse wer den vom Autobiographen als Vorgeschichte, alle jüngeren Erlebnisse als Folge der Hinwendung zu Gott interpretiert. Karl Valentins autobiographisches Schreiben besteht zum größten Teil aus den Jugendstreichen. Deren leitende Idee scheint auf den ersten Blick nur >der heimtückische Angrifft zu sein. Berücksichtigt man, daß Valentin diese Erinnerungen erst am Ende seiner Karriere zusammengestellt hat, so drängt sich der Verdacht auf, der Komiker betrachte Heimtücke als einen Wesenszug seiner lebenslang dargebotenen Komik und die Jugend streiche als deren adäquate Vorgeschichte. In der Tat wird Valentins Komik immer wieder als anarchistisch und subversiv beschrieben. Seine Jugendstreiche als Rechtfertigung eines anarchistischen Lebenslaufes zu interpretieren, ist insofern begründet, da die Rechtfertigung zu den tradi tionellen Motiven und Motivationen autobiographischen Schreibens zählt. Bekanntlich förderte in der deutschen Literaturgeschichte der Pie tismus mit seinem Gebot, das Glaubensleben vor der Gemeinde zu recht fertigen, das Entstehen großer Autobiographien. Doch sowohl für die Werke Johann Heinrich Jung-Stillings, Karl Philipp Moritz’, Ulrich Bräkers als auch für Valentins »Erinnerungen« gilt: Eine Autobiographie ist als subjektive Deutung des eigenen Lebens ein literarischer Text und kein »authentisches« Lebensprotokoll. Der dokumentarische Gehalt der eigenen Lebenszeichnung wird schon durch die Versuchung des Autors relativiert, der Nachwelt das vorteilhafteste Selbstbildnis zu überliefern. Die beste Möglichkeit zu Selbststilisierung und Legendenbildung bie tet zweifelsohne die Autobiographie. Entsprechend haben wir es auch bei dem Held der Jugendstreiche vor allem mit dem heranwachsenden
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Münchner Bühnenkomiker Karl Valentin und weniger mit dem hessisch sächsischen Spediteurssohn Valentin Ludwig Fey zu tun. Daß Held und Autor der Jugendstreiche nicht identisch sind, wird deutlich, wenn man das Briefwerk zum Vergleich heranzieht. Besonders auffällig sind die Divergenzen zwischen den Darstellungen der »Vaterstadt« München. In den Jugendstreichen bemüht sich Karl Valentin, als »echtes Auer Früchd« zu erscheinen, mit ausgeprägtem Heimatsinn, eingebettet in den Jahres kreis des regionalen Brauchtums. In Passagen wie der folgenden erscheint München geradezu als Idyll: »Die schönste Viecherei ist mir aber nicht zu Hause passiert, sondern in Wien. Da hat sich mir einmal ein richtiger Wiener Spatz eines Nach mittags auf die Lackschuhspitze gesetzt, als ich mit übergeschlagenen Bei nen auf einer Promenadenbank ausruhte, nur das[s] dieses Vogerl keinen Zettel im Schnabel trug. Wenn es in München gewesen wäre, in meiner Vaterstadt, in welcher ich seit Jahrzehnten sehr bekannt bin, hätte mich das nicht besonders überrascht.« (vorliegender Band, S. 54)
Ganz anders liest sich Valentins Verhältnis zu München und den Münch nern in einem nur wenige Jahre später verfaßten Brief vom 28.10.1947 an den Volkssänger Kiem Pauli:
»Ich habe meinen lieben Bayern und speziell meine lieben Münchner genau kennen gelernt. Alle anderen mit Ausnahme der Eskimos und Indi aner haben mehr Interesse an mir als meine >Landsleutespät