Kapazitätsmechanismen zur Gewährleistung von Versorgungssicherheit vor dem Hintergrund einer CO2-neutralen Strom- und Gaswirtschaft [1 ed.] 9783428589197, 9783428189199

Die Bereitstellung der Energieversorgungssicherheit wandelte sich von einer staatlichen Aufgabe über die Liberalisierung

123 30 2MB

German Pages 370 [371] Year 2023

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Kapazitätsmechanismen zur Gewährleistung von Versorgungssicherheit vor dem Hintergrund einer CO2-neutralen Strom- und Gaswirtschaft [1 ed.]
 9783428589197, 9783428189199

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Schriftenreihe der Deutschen Universität für Verwaltungswissenschaften Speyer

Band 242

Kapazitätsmechanismen zur Gewährleistung von Versorgungssicherheit vor dem Hintergrund einer CO2-neutralen Strom- und Gaswirtschaft

Von Bettina Laurency

Duncker & Humblot · Berlin

BETTINA LAURENCY

Kapazitätsmechanismen zur Gewährleistung von Versorgungssicherheit vor dem Hintergrund einer CO2-neutralen Strom- und Gaswirtschaft

Schriftenreihe der Deutschen Universität für Verwaltungswissenschaften Speyer Band 242

Kapazitätsmechanismen zur Gewährleistung von Versorgungssicherheit vor dem Hintergrund einer CO2-neutralen Strom- und Gaswirtschaft

Von Bettina Laurency

Duncker & Humblot · Berlin

Die Deutsche Universität für Verwaltungswissenschaften Speyer hat diese Arbeit im Jahre 2022 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten

© 2023 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Satz: Klaus-Dieter Voigt, Berlin Druck: CPI books GmbH, Leck Printed in Germany

ISSN 2197-2842 ISBN 978-3-428-18919-9 (Print) ISBN 978-3-428-58919-7 (E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Jahr 2022 von der Deutschen Universität für Verwaltungswissenschaften Speyer als Dissertation angenommen. Mein ganz besonderer Dank gilt an erster Stelle meinem Doktorvater, Herrn Professor Dr. Dr. h.c. Andreas Knorr. Seine Betreuung mit unentbehrlichen konstruktiven Anregungen, Ideen und Empfehlungen haben diese Arbeit von Beginn an gefördert. Die von ihm geleiteten Seminare und der kontinuierliche, aufbauende und positiv gestaltete Austausch über die Jahre hinweg waren für mich ein stetiger Ansporn, diese Dissertation fertigzustellen. Meinen großen Dank möchte ich weiterhin Frau Professorin Dr. Linda Mory für die zügige Erstellung des Zweitgutachtens aussprechen sowie Frau Professorin Dr. Rahel Schomaker für die Übernahme der Leitung der Prüfungskommission im Rahmen der Disputation. Bei allen möchte ich mich insbesondere auch für die interessante und in angenehmer Atmosphäre stattgefundene Disputation bedanken. Auch möchte ich Frau Sylvie Knorr für ihren fortwährend ermutigenden Zuspruch sowie Herrn Dr. Klauspeter Strohm für die anhaltende und verständnisvolle Geduld bei der Fertigstellung der Arbeit meinen Dank aussprechen. Da ich diese Arbeit berufsbegleitend erstellt habe, danke ich ferner Herrn Ass. iur. Christian Finster für sein stetes Interesse und sein besonderes Verständnis für meine Situation sowie für die damit verbundene motivierende Unterstützung. Auch meinen Eltern danke ich an dieser Stelle sehr herzlich für ihren kontinuierlichen, verlässlichen und wichtigen Beistand, den ich jederzeit in Anspruch nehmen konnte. Ein besonders großer Dank jedoch gebührt meinem Ehemann Patrick, der beständig mir mit bestem Rat zur Seite stand, mich durch sehr viele intensive und inspirierende Gespräche in der Bewältigung der komplexen Arbeit sehr gefördert hat und mich auch in schwierigen Zeiten immer wieder motiviert und liebevoll unterstützt hat. Mannheim, im Mai 2023

Bettina Laurency

Inhaltsverzeichnis Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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A. Grundbegriffe – Marktdesign und Ziele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Marktdesign auf dem Energiemarkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Ziel der Versorgungssicherheit auf dem Energiemarkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Erwartungen an den Energiemarkt und deren Bedeutung für die Versorgungssicherheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Effizienz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Preisgünstigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Umweltverträglichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Verbraucherfreundlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Potenzielle Zielkonflikte in Bezug auf die Versorgungssicherheit . . . . . . IV. Institutionen der Versorgungssicherheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Energieversorgungsunternehmen am Strommarkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Energieversorgungsunternehmen am Gasmarkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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B. Grundlagen des Energiemarktes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Eigenschaften von Strom . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Strom als Sekundärenergie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Keine Speicherbarkeit von Strom . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Gleichzeitigkeit von Stromeinspeisung und Stromentnahme . . . . . . . . . . . 4. Homogenität von Strom . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Eigenschaften von Gas . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Gas als Primärenergieträger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Speicherbarkeit von Gas . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Gleichzeitigkeit der Einspeisung und Ausspeisung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Keine Homogenität von Gas . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Entwicklung des Energiemarkts zum Wettbewerbsmarkt: Liberalisierung . . 1. Energiewirtschaftsgesetz 1935: Staatliche Energieversorgung . . . . . . . . . 2. Öffnung des Energiemarktes zum Wettbewerbsmarkt . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Darstellung der Wertschöpfungsstufen im Energiemarkt . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Strommarkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Energieerzeugungs- und Energiegewinnungsmarkt . . . . . . . . . . . . . . . . b) Transport über Stromnetze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Stromhandel und Vertrieb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Gasmarkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Inhaltsverzeichnis a) b) c) d)

Import . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Transport im Gasmarkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Großhandel und Vertrieb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sonderrolle: Speicher auf dem Gasmarkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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C. Grundlagen zu Wettbewerb und Regulierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Wettbewerb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Wettbewerbsfunktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Systemtheoretische und wohlfahrtsökonomische Leitbilder . . . . . . . . . . . . II. Regulierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Regulierungsbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Regulierungsansätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Normative Theorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Positive Theorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Transaktionskostentheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Vorliegen eines korrekturbedürftigen Marktversagens . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Natürliche Monopole . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Öffentliche Güter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Asymmetrische Informationsverteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Externe Effekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Regulierung als Aufgabe der Daseinsvorsorge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Daseinsvorsorge in Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Frankreich: Service public . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Großbritannien: Universal service . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Dienstleistungen von allgemeinem Interesse in der Europäischen Union . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Zwischenfazit und Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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D. Versorgungssicherheit auf dem Energiemarkt zwischen Wettbewerb und Regulierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Wettbewerb durch Liberalisierung auf dem Energiemarkt . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Freier Marktzugang – Regulierung der Netzebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Freier Handel – Großhandel auf dem Energiemarkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Transparenz auf dem Großhandel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Marktdesign Strommarkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Grenzkostenorientiertes Wettbewerbsmodell mit Merit Order . . . . . . . b) Unvollkommenheiten im realen Energy Only-Market . . . . . . . . . . . . . . c) Stromhandel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Marktdesign Gasmarkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Zweivertragsmodell oder auch Entry Exit-System auf dem Gasmarkt . . b) Unvollkommenheiten im derzeitigen Marktdesign . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Inhaltsverzeichnis

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c) Gashandel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Regulierung und Transformation des Energiemarkts: Die Energiewende . . . 1. Umstellung des Erzeugungsmarkts auf erneuerbare Energien – Transformation der Erzeugungsebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Erzeugung aus erneuerbaren Energien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Verzicht auf Kohleenergie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Kohleenergie in Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Kohleenergie in der EU . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Reduzierung der Emissionen durch Zertifikatenhandel . . . . . . . . . . . . 2. Verzicht auf Atomenergie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Atomenergie in Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Atomenergie in der Europäischen Union . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Weitgehender Verzicht auf Fracking . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Forcierung der Power-To-Gas-Technologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Versorgungssicherheit auf dem Energiemarkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Allgemeine Definition der Energieversorgungssicherheit . . . . . . . . . . . . . 2. Verschiedene Aspekte der Versorgungssicherheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Technisch-physische Sichtweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Netzseitige und erzeugerseitige Versorgungssicherheit (Systemsicherheit und Ressourcenverfügbarkeit) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Zeitliche Dimension der Versorgungssicherheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Rechtliche Einordnung der Versorgungssicherheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Versorgungszuverlässigkeit in Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Strommarkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Gasmarkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Energieversorgungssicherheit im Kontext der Europäischen Union . . . . . a) Definition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) EU-weite Versorgungszuverlässigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Einordnung der Versorgungssicherheit im Kontext der Regulierung . . . . IV. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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E. Risiken für die Versorgungssicherheit auf dem Energiemarkt . . . . . . . . . . . . I. Risiken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Merit Order-Effekt an der Börse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Missing Money-Problem bei Kraftwerksbetreibern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Nicht ausreichende konventionelle Kraftwerke im Energiemarkt . . . . . . . 4. Nicht ausreichende Speicher im Energiemarkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Externe Effekte in Bezug auf die Versorgungssicherheit . . . . . . . . . . . . . . a) Versorgungslücken und Minderung der Systemsicherheit . . . . . . . . . . b) Anstieg der Stromkosten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Gefahr eines Marktzusammenbruchs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Inhaltsverzeichnis 6. Gefahr von Marktmacht auf dem Energiemarkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Marktmacht auf dem Strommarkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Marktmacht auf dem Gasmarkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Drohende Standortnachteile für Energieunternehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . 8. Verstärkte Importabhängigkeit – zusätzliches Risiko für den Gasmarkt . . II. Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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F. Träger der Versorgungssicherheit – Pflichten und Haftung . . . . . . . . . . . . . . . I. Staat als Träger der Versorgungssicherheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. EU als Träger der Versorgungssicherheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Öffentliche und private Unternehmen als Träger der Versorgungssicherheit . . 1. Definition Energieversorgungsunternehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Pflichten der Energieversorgungsunternehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Grundversorgungspflicht nach § 36 EnWG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Pflicht nach § 53a EnWG für Gasversorgungsunternehmen . . . . . . . . . c) Pflicht der Bilanzkreisverantwortlichen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Pflichten der Netzbetreiber im Energiemarkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Systemverantwortung der Netzbetreiber im Strommarkt . . . . . . . . bb) Systemverantwortung der Netzbetreiber im Gasmarkt . . . . . . . . . . cc) Netzausbaupflichten der Netzbetreiber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Verkehrssicherungspflichten der Netzbetreiber . . . . . . . . . . . . . . . . e) Pflichten der Kraftwerksbetreiber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . f) Pflichten der Betreiber von Gasspeicheranlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Haftung bei unzureichender Versorgungssicherheit im Energiemarkt . . . . . . 1. Haftung des Staates . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Haftung der öffentlichen und privaten Unternehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Haftung der Energieversorgungsunternehmen als Grundversorger . . . b) Haftung des Netzbetreibers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Weitergehende allgemein in der Rechtsordnung normierte Haftungsgrundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Deliktische Haftung der Energieversorgungsunternehmen . . . . . . . . . . b) Gefährdungshaftung für Energieversorgungsunternehmen . . . . . . . . . . aa) Haftung der Energieversorgungsunternehmen nach dem Haftpflichtgesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Haftung der Netzbetreiber nach dem ProduktHaftG . . . . . . . . . . . . 4. Zusammenfassung der Haftungsmodalitäten für Energieversorgungsunternehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Haftung bei Verschulden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Ausschluss der Haftung bei höherer Gewalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Ausschluss der Haftung bei Unzumutbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Zwischenfazit zu Pflichten und Haftung der Träger im Energiemarkt . . . . . .

206 206 207 211 211 212 213 214 215 216 218 221 221 223 223 225 225 226 226 227 227 230 230 231 232 233 236 236 236 237 239

Inhaltsverzeichnis G. Instrumente zur Gewährleistung von Versorgungssicherheit . . . . . . . . . . . . . I. Instrumente Strommarkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Kapazitätsmechanismen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Staatliche zentrale Modelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Strategische Reserve . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Zentraler umfassender Kapazitätsmarkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Fokussierter Kapazitätsmarkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Wettbewerbliche Modelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Dezentraler umfassender Leistungsmarkt (Zertifikatenmarkt) . . bb) Nachfrageorientierter Kapazitätsmechanismus . . . . . . . . . . . . . . . . c) Kapazitätsmechanismen als Beihilfengewährung . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Vorgaben der Elektrizitätsverordnung 2019 für Kapazitätsmechanismen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Umsetzung in Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Netzreserve . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Kapazitätsreserve . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Sicherheitsbereitschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . f) Umsetzung von Kapazitätsmechanismen auf EU-Ebene . . . . . . . . . . . g) Bewertung zu Kapazitätsmechanismen auf dem Strommarkt . . . . . . . 2. Systemsicherungsmaßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Netzbezogene Maßnahmen, § 13 Abs. 1 Nr. 1 EnWG . . . . . . . . . . . . . . b) Marktbezogene Maßnahmen nach § 13 Abs. 1 Nr. 2 EnWG . . . . . . . . aa) Regelenergiemarkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Abschaltbare Lasten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Engpassmanagement: Redispatch und Countertrading . . . . . . . . . dd) Notfallmaßnahmen nach § 13 Abs. 2 EnWG . . . . . . . . . . . . . . . . . ee) Einsatz besonderer netztechnischer Mittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Monitoringinstrumente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Vorratshaltung zur Sicherung der Energieversorgung . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Sicherheitsmaßnahmen nach der Infrastrukturrichtlinie für den Strommarkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Bewertung der Instrumente auf dem Strommarkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Instrumente Gasmarkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Kapazitätsmechanismen auf dem Gasmarkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Strategische Reserve . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Bevorratung in Speichern unter staatlicher Kontrolle . . . . . . . . . . . . . . c) Umsetzung einer Gasreserve auf EU-Ebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Bewertung der Kapazitätsmechanismen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Systemsicherungsmaßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Netzbezogene Maßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

11 243 243 243 244 245 248 250 251 252 255 256 262 264 266 268 270 271 279 284 286 287 287 289 290 293 294 295 296 297 297 298 298 298 301 304 306 308 310

12

Inhaltsverzeichnis b) Marktbezogene Maßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Einsatz von Ausgleichsleistungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Abschaltvereinbarungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Einsatz von Speichern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Notfallmaßnahmen nach § 16 Abs. 2 EnWG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Verknüpfung des Netzsicherheitsmanagements von Strom- und Gasnetzbetreibern durch § 16 Abs. 2a EnWG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Maßnahmen nach dem Energiesicherungsgesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Rechtsrahmen auf europäischer Ebene der Instrumente für den nationalen Gasmarkt nach der SoS-Verordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Bewertung der Systemsicherheitsmaßnahmen auf dem Gasmarkt . . . . . . .

H. Energiepolitische Handlungsempfehlungen für einen klimaneutralen und resilienten Strom- und Gasmarkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Ergebnisse der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Handlungsempfehlungen und Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Speicherreserve über die Fernleitungsnetzbetreiber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Flexible Speicherreserve . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Breitere Diversifizierung als Übergangslösungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Investition in LNG-Terminals . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Fracking . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Verzögerter Ausstieg aus der Nutzung von Kernenergie und Kohleenergie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

311 311 312 312 313 314 315 317 320 321 321 327 330 332 333 334 335 335

Literatur- und Quellenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 338 Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 368

Abkürzungsverzeichnis a. a. O. ABl. Abs. ACER AEUV a. F. Alt. Art. BAFA BDEW BDI BEE BET BGBl. BGH BKartA BMU BMWi BMWK bne BNetzA BT-Drs. BVEG BVerfG CO2 DAWI dena DVGW EEG EEX EG Elektrizitäts-RL 2019

am angegebenen Ort Amtsblatt Absatz Agency for Cooperation of the European Energy Regulators Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union alte Fassung Alternative Artikel Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft e.V. Bundesverband der Deutschen Industrie Bundesverband Erneuerbare Energie Büro für Energiewirtschaft und technische Planung GmbH Bundesgesetzblatt Bundesgerichtshof Bundeskartellamt Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Bundesministerium für Wirtschaft und Energie Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz Bundesverband neuer Energieanbieter Bundesnetzagentur Drucksache des Deutschen Bundestages Bundesverband Erdgas, Erdöl und Geoenergie e.V. Bundesverfassungsgericht Kohlenstoffdioxid Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse Deutsche Energie-Agentur Deutscher Verein des Gas- und Wasserfaches e.V. – Technischwissenschaftlicher Verein Erneuerbare-Energien-Gesetz European Energy Exchange AG Europäische Gemeinschaft Richtlinie (EU) 2019/944 des europäischen Parlaments und des Rates vom 05. Juni 2019 mit gemeinsamen Vorschriften für den Elektrizitätsbinnenmarkt und zur Änderung der Richtlinie 2012/27/EU, ABl. EU Nr. L 158, S. 125 vom 14. Juni 2019

14 Elektrizitäts-VO 2019

EltRl EltSV EnSIG ENTSO-E ENTSO-G EnWG EnZW EOM EPEX ET EU EuG EuGH EuZW EVU EWeRK EWG FAZ FNB GabiGas GasGVV GasNZV GasRL GasSV GEODE

GW GWB GWh H-Gas HPflG IEA i. S. d. i.V. m.

Abkürzungsverzeichnis Verordnung (EU) 2019/943 des europäischen Parlaments und des Rates vom 05. Juni 2019 über den Elektrizitätsbinnenmarkt, ABl. EU Nr. L 158, S. 54 vom 14. Juni 2019 Elektrizitätsbinnenmarktrichtlinie Richtlinie 2009/72/EG Elektrizitätssicherungsverordnung Gesetz zur Sicherung der Energieversorgung (Energiesicherungsgesetz 1975) European Network of Energy Transmission System Operators for Electricity European Network of Transmission System Operators for Gas Gesetz über die Elektrizitäts- und Gasversorgung (Energiewirtschaftsgesetz) Zeitschrift für das gesamte Recht der Energiewirtschaft Energy Only-Market European Power Exchange Energiewirtschaftliche Tagesfragen Europäische Union Gericht der Europäischen Union Gerichtshof der Europäischen Union Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht Energieversorgungsunternehmen Zeitschrift des Instituts für Energie- und Wettbewerbsrecht in der kommunalen Wirtschaft Vertrag zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft Frankfurter Allgemeine Zeitung Fernleitungsnetzbetreiber Festlegung in Sachen Ausgleichsleistung Gas (BK 7-08-002) Gasgrundversorgungsverordnung Verordnung über den Zugang zu Gasversorgungsnetzen (Gasnetzzugangsverordnung) Gasbinnenmarktrichtlinie Richtlinie 2009/73/EG Gassicherungsverordnung Groupement Européen des entreprises et Organismes de Distribution d’Énergie, EWIV (Europäischer Verband der unabhängigen Strom- und Gasverteilerunternehmen) Gigawatt Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen Gigawattstunde High calorific gas Haftpflichtgesetz International Energy Agency im Sinne des; im Sinne der in Verbindung mit

Abkürzungsverzeichnis JZ KOM KoV KVM L-Gas lit. LNG LTO m3 MGV MWh NJW N&R Ofgem OLG PEGAS ProdHaftG RL RLM SAIDI Slg. SLP StromNEV SWD TEHG TSO TWh UAbs. UBA ÜNB VDN vgl. VKU VNB VO WuW ZEuS ZfE ZNER

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Juristen Zeitung Kommission Kooperationsvereinbarung zwischen den Betreibern von in Deutschland gelegenen Gasversorgungsnetzen Koordinator des Versorgungssicherheitsmarktes Low calorific gas litera Liquefied Natrural Gas Long Term Options Kubikmeter Marktgebietsverantwortliche Megawattstunde Neue Juristische Wochenschrift Netzwirtschaften und Recht Office of Gas and Electricity Markets Oberlandesgericht Pan-European Gas Cooperation Produkthaftgesetz Richtlinie Registrierte Leistungsmessung System Average Interruption Duration Index Amtliche Entscheidungssammlung des EuGH und es Gerichts erster Instanz Standardlastprofil Verordnung über die Entgelte für den Zugang zu Elektrizitätsversorgungsnetzen (Stromnetzentgeltverordnung) Staff Working Document Treibhausgasemissionshandelsgesetz Transmission System Operator Terrawattstunden Unterabsatz Umweltbundesamt Übertragungsnetzbetreiber Verband der Netzbetreiber vergleiche Verband kommunaler Unternehmen e.V. Verteilnetzbetreiber Verordnung Wirtschaft und Wettbewerb Zeitschrift für europarechtliche Studien Zeitschrift für Energiewirtschaft Zeitschrift für Neues Energierecht

Einleitung Der deutsche Energiemarkt befindet sich derzeit in einer sehr prägnanten Transformationsphase.1 Zunächst ist mit dessen Liberalisierung, die bereits 1998 auf den Weg gebracht wurde und immer noch nicht vollständig abgeschlossen ist, eine Umstrukturierung von einer Monopolwirtschaft hin zu einem Wettbewerbsmarkt vorgenommen worden. Hieraus ergibt sich aber ein fortwährender Bedarf zur Regulierung des Energiemarkts, so vor dem Hintergrund des Bestehens von systemimmanenten Gefahrenpotenzialen für die Versorgungssicherheit und der hierzu komplementären Prämisse der staatlichen Daseinsvorsorge, die Bevölkerung mit Energie zu versorgen. Die danach folgende Neuerung, bezeichnet als Energiewende, ist gekennzeichnet durch den politisch motivierten Verzicht auf fossile Energieträger und auf die Kernenergie sowie durch die Förderung eines verstärkten Ausbaus der erneuerbaren Energien.2 Dabei wurde das bis dahin im Sinne von Liberalisierung und Wettbewerb im Vordergrund stehende Ziel eines möglichst niedrigen Preisniveaus zugunsten etwa des Umweltschutzes zunehmend relativiert. In diesem Zusammenhang ist die Energiewende damit der Auslöser für die derzeitige „Transformation des Energiesystems“ 3 mit ihren vielfältigen technologischen, ökonomischen und rechtlichen Implikationen.4 Sie sollen im Ergebnis eine Versorgung mit Energie bewirken, die nicht nur leistungsfähig und zuverlässig, sondern auch finanziell tragbar sowie umweltschonend und insbesondere klimaneutral ist. Im bisherigen System bildeten die regelbaren Kraftwerke, die sich auf konventionelle Energiequellen bezogen, so vor allem auf fossile Energieträger wie etwa Kohle, Gas aber auch Kernbrennstoffe (Kernenergie), die Basis der Stromerzeugung. Dabei konnte die Energieproduktion stets an der Stromnachfrage ausgerichtet werden. Nunmehr muss sich das System in verschiedenen Bereichen der 1 Diese Transformation wird als ähnlich tiefgreifend wie der Ausbau des Sozialstaats Ende der 1960er und Anfang der 70er Jahre angesehen; siehe Burgi, Regulierung, Investitionsfreiheit und technischer Fortschritt, in: Regulierung und Gemeinwohl, 2016, S. 143–175 (154). 2 Vgl. Hufendiek, in: Schwintowski et al., Handbuch Energiehandel, 2018, Rn. 144; das Ziel einer Dekarbonisierung der Energieerzeugung soll vor allem in Deutschland im Vordergrund stehen, vgl. ebenda. 3 BMWi, Versorgungssicherheit bei Erdgas Monitoring-Bericht nach § 51 EnWG 2019, S. 19. 4 Vgl. ebenda.

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Energieerzeugung neu orientieren, insoweit sich anpassungsfähig zu der stets anwachsenden und zudem volatilen Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien positionieren.5 Mithin übernehmen die regelbaren Kraftwerke verstärkt nur noch eine „Reservefunktion“.6 Sie müssen anpassungsfähig zu der stets anwachsenden und zudem volatilen Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien die richtige Position beziehen können. Dem liegt zugrunde, dass die erneuerbaren Energien zur tragenden Säule des Energiemarktes werden sollen. Zugleich ist hiermit verbunden, dass eine vormals zentrale Energieerzeugung abgelöst wird durch eine Energieerzeugung, die auf vielen verschiedenen dezentralen Erzeugern basiert.7 Bei dieser Umstrukturierung stellt sich insbesondere die Frage nach den Auswirkungen auf die Versorgungssicherheit im Energiemarkt. Zu deren Beantwortung ist es erforderlich, das derzeitige Marktdesign des Energiemarktes im Hinblick auf die Gewährleistung einer möglichst hohen Versorgungssicherheit auf den Prüfstand zu stellen und gegebenenfalls notwendig werdende Änderungen oder Anpassungen zu entwickeln. Die eingeleitete Liberalisierung beruhte vor allem auf der Umsetzung von europarechtlichen Vorgaben, die den Energiebinnenmarkt der EU maßgeblich fördern sollten. Für die Energiewende sind hingegen auch viele nationale (umwelt-)politische Entscheidungen maßgebend. So gilt Deutschland in der Europäischen Union zum Teil als Pionier der Energiepolitik, weil sich die deutsche Energiewende programmatisch durch den Verzicht auf Kernenergie und mit dem Ziel der Dekarbonisierung der Energieerzeugung exponiert. Viele Staaten in der Europäischen Union sind dem bisher nicht gleichermaßen gefolgt und werden möglicherweise auch gar nicht folgen wollen.8 Doch auch andere nationale Energiemärkte in der Europäischen Union befinden sich im (Klima-)Wandel und einer hauptsächlich auf umweltpolitischen Entscheidungen gestützten Umstrukturierung. Aber die rechtliche Steuerung in Bezug auf Kernfragen, wie etwa die Entscheidung über den Energiemix im jeweiligen Land, wird immer noch vom nationalen Gesetzgeber autark getroffen. Diese Konstellation besteht ungeachtet der Tatsache, dass die Europäische Union bereits seit dem Vertrag von Lissabon 20099 eine eigenständige Energiekompetenz nach Art. 194 Abs. 2 AEUV aufweisen kann. Hierbei ist zu beobachten, dass über 5

Vgl. BMWi, Ein Strommarkt für die Energiewende (Grünbuch), 2014, S. 14. Riewe, Versorgungssicherheit durch Kapazitätsmechanismen, 2016, S. 258. 7 Sogenannte Prosumer, die mehr Energie erzeugen, als sie für den eigenen Verbrauch benötigen; vgl. Demmig, Resilienz kritischer Infrastrukturen in „Smart Cities“ in Smart City – Made in Germany, 2020, S. 709–715 (710). 8 Siehe hierzu die Ausführungen in Kapitel D. II. 1. b) bb) und 2. b). 9 Vertrag von Lissabon zur Änderung des Vertrags über die Europäische Union und des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft, vom 17. Dezember 2007, ABl. EU Nr. C 306, S. 1 vom 17. Dezember 2007, konsolidierte Fassung zuletzt veröffentlicht in ABl. EU Nr. C 326, S. 1 vom 26. Oktober 2012. 6

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die Nutzung bestimmter Ressourcen und Energiequellen (etwa den Verzicht auf Atom- und Kohlestrom10 oder die Nutzung von Fracking11) sowie bezüglich des Vergütungssystems (Struktur des Marktsystems) in der Europäischen Union die Entscheidungen zum Teil diametral verlaufen. Dennoch bekräftigt die EU-Kommission immer wieder das Ziel eines EU-weiten Energiemarktes bzw. einer „Energieunion“.12 Aus diesen politischen Entscheidungen, die Energieträger zu beschränken, um mindestens eine Klimaneutralität sicherzustellen, resultieren (Neben-)wirkungen, vornehmlich in Bezug auf die Versorgungssicherheit. Hierbei stehen die politischen Entscheidungen nicht immer im Einklang mit ökonomischen Erwägungen. Dementsprechend stellt sich dann auch für den Energiemarkt der EU die Frage, in welchem Ausmaß die Versorgungssicherheit im Energiemarkt von den politischen Entscheidungen bestimmt wird und ob zu den derzeitigen und zukünftigen Bedingungen noch eine angemessene Versorgungssicherheit gewährleistet werden kann. Diese Arbeit befasst sich daher mit den Fragen, welche Instrumente bereits realisiert wurden und welche noch zu implementieren sind, um die Versorgungssicherheit umfassend und auf einem möglichst hohen Standard zu gewährleisten und auch, ob gegebenenfalls eine Neuinterpretation des Postulats der Versorgungssicherheit erforderlich ist. Das Hauptaugenmerk wird hierbei auf die Untersuchung der Versorgungssicherheit auf dem Strom- und Gasmarkt gerichtet, wobei diese zwingend vor dem Hintergrund einer CO2-neutralen Energieerzeugung zu erfolgen hat. Demzufolge sind auch die Instrumente der Förderung der erneuerbaren Energien in Einklang mit dem Postulat einer umfassenden Versorgungssicherheit zu bringen. Bei dieser Arbeit wird der Diskussionsstand bis einschließlich Januar 2022 berücksichtigt, so dass die aus dem völkerrechtswidrigen Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine am 24. Februar 2022 resultierenden politischen Entscheidungen, bezogen auf den Energiemarkt und hierbei insbesondere auf den Gasmarkt, nicht Gegenstand dieser Arbeit sind. Jedoch wird in der abschließenden Analyse und im Ausblick dieser Arbeit darauf eingegangen, wie die über die letzten Jahre kumulativ im Energiemarkt entstandenen Risiken durch den Ukraine-Krieg in besonderem Maße zutagegetreten sind. 10 Vgl. § 2 Abs. 2 des Gesetzes zur Reduzierung und zur Beendigung der Kohleverstromung und zur Änderung weiterer Gesetze (Kohleausstiegsgesetz) vom 08. August 2020, BGBl. I, S. 1818. 11 Die alternative Fördermethode Hydraulic Fracturing (hydraulische Frakturierung) ist in Deutschland bezüglich der unkonventionellen Gase verboten; nähere Ausführungen folgen hierzu in Kapitel D. II. 3. 12 Vgl. EU-Kommision, Mitteilung vom 25. Februar 2015, Rahmenstrategie für eine krisenfeste Energieunion mit einer zukunftsorientierten Klimaschutzstrategie, KOM (2015) 80 endg.

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Unabhängig von der Eskalation im Unkraine-Konflikt, stand im Fokus der politischen und wissenschaftlichen Diskussion über ein möglichst effektives und effizientes Marktdesign unter Gewährleistung eines möglichst hohen Niveaus an Versorgungssicherheit maßgeblich nur der Strommarkt.13 Im Zusammenhang mit bereits existierenden Instrumenten zur Sicherstellung der Versorgungssicherheit ist hierbei der Bedarf an zusätzlicher Flexibilität durch mögliche weitere Instrumente im Strommarkt verstärkt in den Mittelpunkt gerückt.14 Als Folge dessen wurden dann durch das Strommarktgesetz 201615 erstmalig sogenannte Kapazitätsmechanismen in diesem Markt eingeführt. Hierbei handelt es sich im weitesten Sinne um Mechanismen zur Flexibilisierung der Erzeugung und des Transports von Strom sowie der Stromversorgung zur Sicherstellung der Energieversorgung in Situationen, in denen versorgungsgefährdende politische Ziele über entsprechende Normsetzungen auf den Energieversorgungsmarkt einwirken.16 Aus dieser bisherigen Ausgestaltung der für die Energieversorgungssicherheit wichtigen Kapazitätsmechanismen haben sich nun bestimmte Lücken in den bisherigen Regelungen und Untersuchungen gezeigt, die für diese Arbeit von erheblicher Bedeutung sind und von daher erörtert und aufgearbeitet werden sollen. So wurde der Gasmarkt bislang nicht mit in die Überlegungen einbezogen. Entsprechend ist auch bei Identifizierung der auf den Forschungsgegenstand der auf Kapazitätsmechanismen fachbezogenen Fachliteratur aufgefallen, dass sich die jeweiligen Untersuchungen nahezu ausschließlich auf die Stromerzeugungsseite beziehen. Insofern soll mit dieser Arbeit der Untersuchungsfokus auf weitere Lösungsmöglichkeiten ausgeweitet und übergreifend auch auf den Gasmarkt gerichtet werden. Auch sollen Möglichkeiten einer effektiven Ausgestaltung und Weiterentwicklung von Kapazitätsmechanismen, darunter über verschiedene Instrumente, wie etwa Speicher und Sektorkopplung, untersucht werden. Hierbei sollen insbesondere verschiedene Wege zur Diversifizierung der Lieferquellen (Bezugsquellen) und zur Diversifizierung der Energieträger aufgezeigt werden. Darüber hinaus ist die für diese Untersuchung richtungsgebende Betrachtungsweise verwaltungswissenschaftlicher Natur. Mit der Verwaltungswissenschaft als einer „Querschnittswissenschaft“ 17 soll gegenüber einer klassisch rechtswissenschaftlichen Perspektive der Blick erweitert werden und – um der Komplexität des Themas gerecht zu werden – eine interdisziplinäre Analyse ermöglicht wer13 Auffallend ist etwa auch, dass die neuen Zielbestimmungen in § 1 Abs. 4 EnWG ausschließlich den Strommarkt betreffen und nicht den Gasmarkt. 14 Vgl. auch § 1a Abs. 3 Satz 1 EnWG, der die Flexibilisierung ausdrücklich nennt. 15 Gesetz zur Weiterentwicklung des Strommarktes (Strommarktgesetz) vom 26. Juli 2016, BGBl. I, S. 1786. 16 Vgl. Kapitel G. I. 1. zu den Kapazitätsmechanismen, insbesondere zu den verschiedenen Modellen. 17 Windoffer, Verwaltungswissenschaft: eine Einführung, 2020, S. 3 mit weiterem Verweis.

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den. Durch eine gleichermaßen angemessene Berücksichtigung von ökonomischen wie auch politischen Aspekten kann eine solche Analyse am ehesten das in dieser Arbeit formulierte Erkenntnisinteresse beantworten. So soll sie auch die notwendigen rechtlichen Vorgaben darlegen und über diese hinausgehend die Notwendigkeit einer sinnvollen Anwendung dieser Vorgaben, insbesondere im Hinblick auf die ökonomischen Implikationen einer Entscheidung zwischen staatlicher Aufgabenwahrnehmung und der Alternative einer Übertragung seiner Aufgaben auf die Privatwirtschaft, reflektieren. Die Einführung von Kapazitätsmechanismen und auch allgemein von Instrumenten, die der Versorgungssicherheit dienen sollen und durch staatliches Eingreifen in den Energiemarkt implementiert werden, wird in der bis Januar 2022 verfügbaren wissenschaftlichen Literatur mit einem bestehenden Marktversagen auf dem Energiemarkt begründet.18 Das Vorliegen von Marktversagen wird daher auch in dieser Arbeit unter Zugrundelegung der einschlägigen Regulierungstheorien kritisch untersucht. Dabei wird gezeigt, dass sicherlich Anhaltspunkte für ein Marktversagen in der unzureichenden Bereitstellung von Versorgungssicherheit vorliegen oder auch, dass sich bestimmte Sachverhalte als Marktversagensgründe subsumieren lassen. Die Legitimation und die politische Begründung für ein staatliches Tätigwerden werden hingegen aus der staatlichen Pflicht zur Daseinsvorsorge abgeleitet. Vor dem Hintergrund dieser konzeptionellen Dimension und erkenntnisleitenden Fragestellungen gliedert sich die Arbeit wie folgt: In Kapitel A. werden zunächst der Begriff, etwa das generelle Verständnis von Marktdesign sowie die unterschiedlichen Ziele, die der Energiemarkt zusammenführen soll, erläutert, wobei nach dem hiesigen Verständnis die Versorgungssicherheit als ein Hauptziel erörtert sowie das Verhältnis der einzelnen Ziele zueinander untersucht wird. Der strukturelle und spezifische Aufbau des Energiemarkts wird in Kapitel B. dargelegt, bevor dann in Kapitel C. die theoretischen Grundlagen von Wettbewerb und Regulierung im Energiemarkt sowie die hiermit jeweils einhergehenden standardmäßig vorhandenen Konfliktpotenziale behandelt werden. Dabei wird auch die wesentliche ökonomische Begründung für ein staatliches Eingreifen in den Energiemarkt, nämlich das Vorliegen eines Marktversagens, näher untersucht. In Kapitel D. wird ein notwendiger Überblick über die derzeitige wettbewerbliche Marktgestaltung im Strom- und Gasmarkt sowie über die bisherigen Regulierungsmaßnahmen gegeben und anhand dessen auch eine Einschätzung des 18 Bezogen auf den Strommarkt vgl. etwa Riewe, Versorgungssicherheit durch Kapazitätsmechanismen, 2016; Pompl, Kapazitätssicherung im europäisierten Stromwirtschaftsrecht, 2019, S. 3.

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Verhältnisses zwischen Wettbewerb und Regulierung, mithin bezogen auf den Einfluss und mögliche Auswirkungen von staatlichen Maßnahmen auf dem Energiemarkt, vorgenommen. Ferner werden die verschiedenen Dimensionen und Ausprägungen von Versorgungssicherheit auf dem Energiemarkt mit einer Schwerpunktsetzung auf der Systemsicherheit vorgestellt. Darüber hinaus wird eine aktuelle Bestandsaufnahme der derzeitigen Maßnahmen zur Gewährleistung von Versorgungssicherheit aufgezeigt, um sodann in Kapitel E. die aktuellen, mit der Energiewende einhergehenden, Risiken für die Versorgungssicherheit zu erörtern. In Kapitel F. wird anschließend der Frage nachgegangen, wer für die Sicherstellung der Versorgung verantwortlich ist und wer haftet, wenn die Versorgung tatsächlich nicht gewährleistet werden kann und dementsprechend das Risiko für einen Ausfall von Energie bzw. für eine unzureichende Versorgungssicherheit trägt. In Kapitel G. werden die verschiedenen Instrumentarien als Lösungsmöglichkeiten zur Sicherstellung der Versorgung im Strom- und Gasmarkt erörtert. Hierbei werden auch die bislang bereits implementierten Instrumente zur Sicherung der Versorgung, bezogen auf den Strom- und Gasmarkt, in ihrer Vielfalt analysiert. Seit dem Strommarktgesetz 2016 gehören auch Formen der oben genannten Kapazitätsmechanismen dazu. Dabei wird der Frage nachgegangen, ob gegebenenfalls der Einsatz von Kapazitätsmechanismen auf dem Gasmarkt etwa auch in anderer Gestaltung sinnvoll wäre. Schließlich wird ein EU-weiter Überblick über die bislang implementierten Kapazitätsmechanismen, deren ökonomische Zweckmäßigkeit und Potenzial sowie auch deren Kompatibilität mit den maßgeblichen Rechtsnormen dargestellt. In Kapitel H. sollen in einer abschließenden Analyse wirtschaftspolitische Handlungsempfehlungen zur Entwicklung aufgezeigt werden, auch unter Berücksichtigung von politischen Erwägungen, rechtlichen Anforderungen und ökonomischer Zweckmäßigkeit. Hierbei soll der Fokus besonders auf den Instrumenten im Gasmarkt, so etwa auf der Speicherreserve und deren Verbesserung liegen und zudem ein Ausblick auf einen möglichen EU-weiten Kapazitätsmechanismus gegeben werden. Hier soll auch Position bezogen werden, wie die angestrebte Diversifizierung der Energiequellen und der Energieträger (konventionelle und erneuerbare Energien) komparabel mit einer – und zwar insbesondere im Gasmarkt – herzustellenden Diversifizierung der Bezugsquellen und mit dem Einsatz von Mechanismen zur Gewährleistung von Versorgungssicherheit im Energiemarkt gehandhabt wird. Begründet wird dies mit der Erforderlichkeit eines – sozusagen – ,polyvalenten‘ Ansatzes, durch den der Erkenntnis Rechnung getragen werden kann, dass grundsätzlich an verschiedenen ,Stellschrauben‘ angesetzt werden muss, um das Ziel der oben definierten Versorgungssicherheit zu erreichen. In diesem Zusam-

Einleitung

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menhang wird auch untersucht, inwiefern Installationen von (temporären) Kapazitätsmechanismen auf dem Strommarkt Auswirkungen auf den Gasmarkt haben und somit insgesamt den Energiemarkt beeinflussen können. Darüber hinaus werden vor allem mit Fokus auf die Erzeugerebene diverse Flexibilitätsmechanismen betrachtet, wobei diese Untersuchung die Nachfrageseite nur am Rande berücksichtigen wird. Die hierbei aufzuzeigenden Interdependenzen zwischen den verschiedenen Maßnahmen und auch innerhalb der verschiedenen Ebenen auf dem Energiemarkt führen schließlich abschließend zu einer Konzeption, worin Handlungsempfehlungen die verschiedenen Lösungen entsprechend ihrer Bedeutung für die Versorgungssicherheit schwerpunktmäßig herausgearbeitet werden.

A. Grundbegriffe – Marktdesign und Ziele I. Marktdesign auf dem Energiemarkt Marktdesign bedeutet eine Ausgestaltung für die für einen Markt relevanten Institutionen1 zu finden, bei der die Anreize für die Marktteilnehmer so gesetzt werden, dass nicht nur die eigenen individuellen Interessen am Markt, sondern auch übergeordnete Interessen wie etwa die gesetzlich festgelegten energiepolitischen Ziele erreicht werden können.2 Für den Energiemarkt sind dies vor allem auch die in § 1 Energiewirtschaftsgesetz (EnWG) definierten Ziele, die zwar paritätisch nebeneinander stehen,3 aber nach hier vertretender Auffassung das Ziel der Versorgungssicherheit im Verhältnis zu den anderen genannten Gemeinwohlzielen nach wie vor am Wichtigsten sein sollte.4 Hier wird der Begriff Marktdesign insbesondere in der Diskussion um Kapazitätsmechanismen und mithin bei der Gewährleistung einer möglichst hohen Versorgungssicherheit im Kontext mit der Energiewende auf dem Energiemarkt verwendet. Vereinfacht ausgedrückt, besteht das Ziel darin, einen möglichst perfekten Marktzustand auf dem Energiemarkt herzustellen, in dessen Rahmen mit Hilfe von staatlichen Maßnahmen die energiepolitisch gesetzten Ziele erreicht werden. Es geht dabei immer auch um die Frage eines möglichst ausgewogenen Verhältnisses von Markt und Staat. Zu definieren ist daher zunächst, was genau einen Markt – und hier im Speziellen den Energiemarkt – ausmacht, welche Ziele erreicht werden sollen und wer die für diesen Markt relevanten Institutionen sind. In einem Markt werden aus ökonomischer Sicht Austauschprozesse betrieben, die sich aus dem Zusammentreffen von Marktakteuren – Anbieter und Nachfra1 Vgl. Ströbele et al., Energiewirtschaft – Einführung in Theorie und Politik, 2012, S. 94. 2 Vgl. Ockenfels, Marktdesign, in: Gabler Wirtschaftslexikon, 2018. Weitere übergeordnete Interessen können auch die effiziente Verteilung von Gütern, die Vermeidung von Markteintrittsbarrieren, die Maximierung der Erlöse oder der Effizienz sowie die Reduzierung von Kosten sein (vgl. ebenda; vgl. auch Cramton, Market Design: Harnessing Market Methods to improve Resource Allocation, 2010). 3 Theobald, in: Theobald/Kühling, Energierecht, 2022, § 1 EnWG, Rn. 8 mit Verweis auf BT-Drs. 806/96, S. 27. 4 „Gegenüber dem Ziel der Energieversorgungssicherheit müssen Umweltschutz und Erschwinglichkeit der Energiepreise im Konfliktfall zurücktreten. Art. 194 AEUV gebietet deshalb, dass alle sonstigen Rechtsgüter unter Wahrung des Prinzips der Energieversorgungssicherheit umgesetzt werden müssen“, Säcker, in: Säcker, Berliner Kommentar zum Energierecht, 2019, § 1 EnWG, Rn. 9.

I. Marktdesign auf dem Energiemarkt

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ger – ergeben, die jeweils unterschiedliche Interessen verfolgen. Ein charakteristisches Merkmal für den Markt ist daher zunächst ein „Allokationsmechanismus für Dienstleistungen und Produktion von Gütern“.5 In Deutschland ist die Entscheidung für einen Lenkungsmechanismus dabei unter Berücksichtigung des Steuerungsprinzips der sozialen Marktwirtschaft gefallen. Diese impliziert eine Wettbewerbsordnung, in der eine Marktkoordination grundsätzlich durch eine freie Preisbildung erfolgt, der Staat aber gemäß des in Art. 20 Abs. 1 GG postulierten Sozialstaatsprinzips zugleich darüber wacht, dass weiterhin ein menschenwürdiges Existenzminimum gewährleistet wird. Der Preis, der sich auf dem Markt bildet, ohne dass von dritter Seite Einfluss genommen wird, sondern der lediglich durch die Reaktion auf Angebot und Nachfrage („freier Marktpreis“) bestimmt wird, führt im Idealfall zu einem Marktgleichgewicht. Den Marktteilnehmern ist er daher eine maßgebliche Informationsquelle für ihr Verhalten.6 Generell gelten wie auf anderen Märkten die grundlegenden mikroökonomische Prinzipien,7 so dass der Preis durch Angebot und Nachfrage bestimmt wird, wobei die Grenzkosten8 dann, wenn der einzelne Marktteilnehmer das Marktgeschehen nicht beeinflussen kann (vollkommener Wettbewerb) identisch mit dem Preis sind.9 Dabei gibt es auf dem Energiemarkt einige Besonderheiten zu beachten,10 auf die dann in Kapitel B. und D. noch genauer eingegangen wird. So umfasst der Begriff der Energiewirtschaft nach einem weiten Verständnis die Herstellung und Verteilung von Energie, womit sämtliche verschiedene Energieträger11 inbegriffen sind und es unerheblich ist, ob die Energieversorgung leitungsgebunden erfolgt oder nicht.12 Nach einem engeren Verständnis, das auch

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Fetzer, Staat und Wettbewerb in dynamischen Märkten, 2013, S. 39. Vgl. Forner, Volkswirtschaftslehre, 2022, S. 178. 7 Zu den einzelnen Wettbewerbstheorien siehe Kapitel C. I. 8 Grenzkosten „sind die Kosten der Produktion einer zusätzlichen Outputeinheit; sie entsprechen grundsätzlich den variablen Kosten, also den mit der Stromproduktion verbundenen Betriebskosten (z. B. für Brennstoffe)“, Pompl, Kapazitätssicherung im europäisierten Stromwirtschaftsrecht, 2019, S. 15, Fn. 10 mit weiteren Verweisen. Im Gegensatz dazu entstehen „Fixkosten“, ohne dass es darauf ankommt, ob tatsächlich Strom erzeugt wird (exemplarisch sind die reinen Kosten der Investition), (siehe ebenda; Tietjen, Kapazitätsmärkte, 2012, S. 7 ff.). 9 Vgl. BKartA, Sektoruntersuchung Stromerzeugung/Stromgroßhandel, 2011, S. 38. 10 Vgl. Ockenfels, Strombörse und Marktmacht, 2007, ET, S. 44; Bundeskartellamt, Sektoruntersuchung Stromerzeugung/Stromgroßhandel, 2011, S. 38. 11 Sowohl Primärenergieträger, also „fossile Energieträger (wie Kohle, Öl, Erdgas), Kernbrennstoffe wie Uran als auch erneuerbare Energien (wie Wasserkraft, Wind- und Solarenergie, Erdwärme, Biomasse) und die Sekundärenergie (wie z. B. Elektrizität, Benzin)“ sind von diesem Begriff umfasst, Ziekow, Öffentliches Wirtschaftsrecht, 2016, § 15, Rn. 2. 12 Vgl. Ziekow, Öffentliches Wirtschaftsrecht, 2016, § 15, Rn. 2 mit weiteren Verweisen. Unter diesen Begriff fallen nicht nur Regelungen bezüglich der einzelnen Stufen der versorgungsrelevanten Wertschöpfungskette (siehe hierzu Kapitel B. IV.), sondern 6

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A. Grundbegriffe – Marktdesign und Ziele

dem EnWG zugrunde liegt, wird hierunter die leitungsgebundene Versorgung der Allgemeinheit mit Elektrizität und Gas gefasst.13 Dies wiederum erfordert für den Transport der Energie ein besonderes System, so die Energienetze für die Übertragung und Verteilung, und zwar von der Förderung oder Herstellung der Energie bis zum Verbrauch beim Endkunden.14 Die nachfolgende Erörterung der Versorgungssicherheitsproblematik richtet sich zwar schwerpunktmäßig auf dieses engere begriffliche Verständnis von Energiewirtschaft hin aus, soll aber nicht darauf beschränkt bleiben. Vielmehr sollen in dem Diskurs zur Problemlösung auch Alternativlösungen bedacht werden, die unabhängig von der Leitungsgebundenheit sind, etwa auch Speicheroptionen. Neben dieser Leitungsgebundenheit weist der Energiemarkt weitere Besonderheiten und hierdurch bedingte Standardpathologien auf, die noch näher zu erörtern sind.15 Die Entwicklung des Energiemarktes hat weitreichende Marktumstrukturierungen erfahren, und zwar hat er sich, ausgehend von einem staatlichen Angebotsmonopol, zu einem freien Wettbewerbsmarkt entwickelt.16 In diesem Zusammenhang ist auch auf Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG hinzuweisen, in dem geregelt ist, dass die konkurrierende Gesetzgebung sich auf das Recht der Energiewirtschaft erstreckt, so dass die Bundesländer keine Gesetze mehr erlassen dürften, sofern der Bund von seinem Recht zur Gesetzgebung Gebrauch macht. Von dem heutigen Grundkonzept eines freien Marktes ausgehend, soll der Wettbewerb im Vordergrund stehen, wobei der Begriff Design für eine notwendige staatliche Gestaltung steht, die auch gegebenenfalls Raum lässt für die Berücksichtigung marktfremder politischer Ziele, wie dem des Umwelt- oder Klimaschutzes. Unter Design ist daher in diesem Kontext die Entwicklung von Spielregeln für den Markt in Form einer regulatorischen Gestaltung des Energiemarktes zu verstehen. Die Gestaltung von Marktprozessen muss im Hinblick auf die zuvor festgelegten Ziele von Kohärenz geprägt sein und dabei möglichst geringe Transaktionskosten verursachen. So folgt eine wohlfahrtssteigernde Steuerung von Handelsaktivitäten aus der steten Verbesserung eines Marktes, insofern hierdurch die Transaktionskosten abnehmen, wohingegen diese Kosten maximiert werden, sofern die Handelsbeziehungen zwischen den Vertragspartnern bezüglich auch Maßnahmen zur Einsparung (EnEG) sowie zur Sicherung von Energie (EnSiG und ErdölBevG, § 50 EnWG). In Art. 74 Nr. 11 GG wird die Energiewirtschaft als Beispiel für einem dem Recht der Wirtschaft unterfallenden Bereich aufgeführt. 13 Vgl. § 1 Abs. 1 EnWG und § 3 Nr. 14 EnWG. 14 Vgl. Theobald, in: Theobald/Kühling, Energierecht, 2022, § 1 EnWG, Rn. 16; Kühling et al., Energierecht, 2022, S. 44, Rn. 63; Ziekow, Öffentliches Wirtschaftsrecht, 2016, § 15, Rn. 3. Das EnWG regelt ausschließlich die Versorgung mit demjenigen Gas, das über dieses Leitungssystem transportiert wird und behandelt daher nicht andere Transportsysteme wie Tankwagen oder Flaschengas etc. (vgl. Hellermann/Hermes, in: Britz et al., Energiewirtschaftsgesetz, 2015, § 1, Rn. 20). 15 Weitere Ausführungen hierzu finden sich in Kapitel D. I. 4. und 5. 16 Die genauere Darlegung in Bezug auf die Liberalisierung erfolgt in Kapitel B. III.

I. Marktdesign auf dem Energiemarkt

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der zu transferierenden Produkte, so etwa hinsichtlich Beschaffenheit und Preis, nicht detailliert genug festgelegt worden sind.17 In der energiepolitischen Debatte konzentrierten sich die Diskussionen zunächst nur auf das notwendige Design für den Strommarkt. Dies begann mit einer politischen Grundsatzentscheidung Mitte des Jahres 2011,18 die später auch vom Bundesverfassungsgericht bestätigt wurde:19 Nach der Nuklearkatastrophe am 11. März 2011 in Fukushima, ausgelöst durch ein schweres Erdbeben, das Tohoku-Erdbeben, und einen darauffolgenden schweren Tsunami,20 entschied sich der deutsche Gesetzgeber dafür, bis zum Jahr 2022 schrittweise zwölf GW Erzeugungsleistung aus Kernkraft vom Netz zu nehmen. Eine weitere Grundsatzentscheidung für eine CO2-neutrale Energiewirtschaft wurde auf europäischer Ebene durch das Pariser Klimaabkommen vom 12. Dezember 201621 und auf nationaler Ebene mit dem Klimaschutzplan von November 201622 getroffen. So stellten beide Vorhaben die Weichen für das Kohleausstiegsgesetz23, mit dem Ziel, die Kohlestromerzeugung in Deutschland zu beenden, und zwar bis zum Jahr 2038, idealerweise bis zum Jahr 2030 laut Koalitionsvertrag 2021.24 Das Bundesverfassungsgericht stellte mit Beschluss vom 24. März 2021 die unterbliebende Fortschreitung der nationalen Minderungsziele der Jahresemissionsmenge

17 Vgl. Ströbele et al., Energiewirtschaft – Einführung in Theorie und Politik, 2012, S. 94. 18 Vgl. BMWi, Der Weg zur Energie der Zukunft, Beschlüsse vom 06. Juni 2011; Theobald/Theobald, Grundzüge des Energiewirtschaftsrechts, 2013, S. 477. 19 BVerfG, Urteil vom 06. Dezember 2016 – 1 BvR 2821/11, 1 BvR 321/12, 1 BvR 1456/12. 20 Das Erdbeben war mit einer Stärke von 9,0 das viertschwerste Erdbeben, das je gemessen wurde. Dies fügte den Reaktorblöcken des Kernkraftwerks von Fukushima Daiichi bereits schwere Schäden zu. Es folgte ein Tsunami, der die Dieselgeneratoren (Not-Aggregate zur Kühlung) und die Wasser-Pumpen zerstörte, vgl. Bundesamt für Strahlenschutz, Die Katastrophe im Kernkraft Fukushima nach dem Seebeben vom 11. März 2011, 2012. 21 Übereinkommen von Paris vom 12. Dezember 2015, das nach der Ratifizierung von mindestens 55 Staaten am 04. November 2016 in Kraft trat, von der Bundesrepublik Deutschland in New York am 22. April 2016 unterzeichnet wurde, abgedruckt in: BT-Drs. 18/9650, S. 6 ff. Der deutsche Gesetzgeber hat diesem Übereinkommen mit Gesetz vom 28. September 2016 zugestimmt, siehe Gesetz zu dem Übereinkommen von Paris vom 12. Dezember 2015, BGBl. II, S. 1082; allgemein zum Abkommen und seinen Folgen, vgl. Ekardt, Das Paris-Abkommen zum globalen Klimaschutz, NVwZ 2016, S. 355–358. 22 Das Bundeskabinetts hat den Klimaschutzplan 2050 im November 2016 beschlossen, BMU, Klimaschutzplan 2050. 23 Gesetz zur Reduzierung und zur Beendigung der Kohleverstromung und zur Änderung weiterer Gesetze (Kohleausstiegsgesetz) vom 08. August 2020, BGBl. I, S. 1818. 24 Bundesregierung, Mehr Fortschritt wagen, Bündnis für Freiheit, Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit, Koalitionsvertrag 2021–2025 zwischen SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP, S. 5.

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A. Grundbegriffe – Marktdesign und Ziele

als insoweit nicht verfassungskonform fest,25 mithin unter Beachtung der Vorgaben des BVerfG das Klimaschutzgesetz mit der Novelle vom 18. August 2021 geändert wurde.26 Die Entscheidung der Bundesregierung am 21. Dezember 2018,27 das letzte Steinkohlebergwerk zu schließen, führte Deutschland in eine weitere Importabhängigkeit.28 Mit der Verabschiedung des Klimaschutzgesetzes vom 12. Dezember 201929 schaffte die Bundesregierung endgültig die Grundlage für die von ihr beabsichtigte klimafreundlichere Stromerzeugung. Bereits im September 2013 begann in Deutschland die Debatte um eine Einführung von Kapazitätsmechanismen, deren Ziel sein sollte, Anreize für zukünftig ausreichende Investitionen in die erforderlichen Kapazitäten zu generieren. Die Debatte über diese zentrale Fragestellung wurde zwischen den Beteiligten aus Strommarkt, Politik und Wissenschaft in Form eines Grün-Weißbuch-Prozesses geführt. Es wurden verschiedene Gutachten30 in Auftrag gegeben. Diese kamen zu dem Ergebnis, dass das derzeit bestehende, auf Stromeinspeisungen basierende Marktdesign mit einer freien Preisbildung und dementsprechend ohne regulatorische Eingriffe für Verbraucher und Erzeuger im Rahmen eines wettbewerblichen Marktmechanismus – einem sogenannten Energy Only-Markt31 – grundsätzlich geeignet ist, Versorgungssicherheit zu geringstmöglichen Kosten zu gewährleisten. Gleichzeitig müssten jedoch einige Anpassungen mit dem Ziel der Herbeiführung eines sogenannten Energy Only-Marktes 2.0 vorgenommen

25 BVerfG, Beschluss vom 24. März 2021 – 1 BvR 2656/18, 1 BvR 78/20, 1 BvR 96/20, 1 BvR 288/20, Rn. 248. Aufgrund dieses Beschlusses hat die Bundesregierung am 12. Juni 2021 das geänderte Klimaschutzgesetz vorgelegt, das der Bundestag am 24. Juni 2021 beschlossen und am 25. Juni 2021 den Bundesrat passiert hat, Gesetz zur Einführung eines Bundes-Klimaschutzgesetzes und zur Änderung weiterer Vorschriften vom 12. Dezember 2019, BGBl. I, S. 2513, das durch Art. 1 des Gesetzes vom 18. August 2021, BGBl. I, S. 3905 geändert worden ist. 26 Erstes Gesetz zur Änderung des Bundes-Klimaschutzgesetzes vom 18. August 2021, BGBl. I, S. 3905. 27 Vgl. Bundesregierung, Steinkohlebergbau ist Geschichte, 2018. 28 So ist Russland mit 52 % der Lieferungen zu dominant, vgl. Wetzel, Kann sich Deutschland das Aus von Kohle und Kernkraft jetzt noch leisten?, in: Die Welt vom 25. Februar 2022. 29 Gesetz zur Einführung eines Bundes-Klimaschutzgesetzes und zur Änderung weiterer Vorschriften vom 12. Dezember 2019, BGBl. I, S. 2513. 30 Vgl. die Gutachten, die im September 2013 von der damaligen Bundesregierung in Auftrag gegeben wurden: Frontier Economics/Consentec GmbH, Folgenabschätzung Kapazitätsmechanismen, 2014; r2b energy consulting GmbH, Endbericht Leitstudie Strommarkt, 2014; vgl. BMWi, Bericht des Kraftwerksforums an die Bundeskanzlerin und die Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten der Länder, 2013. 31 Unter dem Begriff Energy Only-Markt werden diejenigen Energiemärkte bezeichnet, in denen „ausschließlich tatsächlich produzierte Stromlieferungen (berechnet in MWh) gehandelt werden. Darunter fallen der Terminmarkt, der Day-Ahead Markt und der Intraday Markt“, Lange, Der Strommarkt 2.0 als Herausforderung für das Kartellrecht, WuW 2017, S. 434–440 (435); siehe hierzu im Einzelnen Kapitel D. I. 4.

I. Marktdesign auf dem Energiemarkt

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und die Option einer zusätzlichen Reservelösung geschaffen werden. Im Grünbuch des Bundeswirtschaftsministeriums von Oktober 201432 wurde demzufolge eine sogenannte Kapazitätsreserve vorgeschlagen, die die Stromversorgung zusätzlich zu den an den Strommärkten aktiven Erzeugungsanlagen absichern soll. Im nachfolgenden Weißbuch vom 03. Juli 201533 entschied sich das Bundeswirtschaftsministerium daher gegen das Modell eines Kapazitätsmarktes für Deutschland, dessen Vorhaltung von Erzeugungsleistung vergütet wird. Das bisherige Energiemarktsystem sollte stattdessen nur durch eine Kapazitätsreserve außerhalb des Energiemarkts abgesichert werden, wobei diese Kapazitätsreserve eine schwächere Form eines Kapazitätsmechanismus darstellt. Die einzelnen Modelle von Kapazitätsmechanismen werden in ihrer vielschichtigen Ausgestaltung näher in Kapitel G. untersucht.34 Mit der oben genannten Entscheidung für ein Konzept des Strommarkt 2.0, sollte es bei dem Energy Only-Markt bleiben.35 So wurde in Art. 1 des Strommarktgesetzes vom 26. Juli 201636 die in § 1 Abs. 4 Nr. 1 EnWG normierte Zielbestimmung der freien Preisbildung für Elektrizität durch wettbewerbliche Marktmechanismen explizit aufgenommen. Anpassungen sollten hierbei durch gezielte Korrekturen (Flexibilisierung von Erzeugung und Last) infolge technischer und wirtschaftlicher Änderungen erfolgen und für eine Transformationsphase ein Kapazitätsmechanismus in Form einer Kapazitätsreserve implementiert werden. Dies wurde in der Gesetzesbegründung als kostengünstiger gegenüber der Implementierung eines umfasserenden Kapazitätsmarktes angesehen. Zudem – so die Begründung – lasse dies auch mehr Raum für eine innovative Weiterentwicklung des Strommarktes bei stets gleichbleibender Gewährleistung einer ausreichenden Versorgungssicherheit.37

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Vgl. BMWi, Ein Strommarkt für die Energiewende (Grünbuch), 2014. Vgl. BMWi, Ein Strommarkt für die Energiewende (Weißbuch), 2015. Dieses Weißbuch entstand nach Auswertung von über 700 Stellungnahmen aus der Wirtschaft. 34 Für den Strommarkt werden die Modelle in Kapitel G. I. 1. und für den Gasmarkt werden die Modelle in Kapitel G. II. 1. untersucht. 35 Die Entscheidung wurde bereits im Frühjahr 2015 im Eckpunktepapier Strommarkt (2015, S. 1 ff.) kommuniziert und basiert auch auf der im Auftrag des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie erstellten Studie: Connect Energy Economics, Leitstudie Strommarkt 2015, S. 19 ff. Vgl. zum Grün-Weißbuch-Prozess (Stelter/Ipsen, Das Gesetz zur Weiterentwicklung des Strommarktes (Strommarktgesetz), EnWZ 2016, 483–489 (483 ff.); Kment, in: Kment, Energiewirtschaftsgesetz, 2019, § 1 Rn. 14; BT-Drs. 18/7317, 75; BMWi, Ein Strommarkt für die Energiewende (Weißbuch), 2015, S. 32, 38 und 60). 36 Gesetz zur Weiterentwicklung des Strommarktes (Strommarktgesetz) vom 26. Juli 2016, BGBl. I, S. 1786. 37 Vgl. Bundesregierung, Begründung Gesetzesentwurf Strommarktgesetz vom 20. Januar 2016, BT-Drs. 18/7317, S. 56. 33

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A. Grundbegriffe – Marktdesign und Ziele

II. Ziel der Versorgungssicherheit auf dem Energiemarkt Eine einheitliche Definition, die sämtliche Aspekte umfasst, was unter Versorgungssicherheit zu verstehen ist, existiert nicht.38 Nach der Definition in Art. 194 Abs. 1 lit. b AEUV ist die Energieversorgungssicherheit dann existent, und hiernach in der Europäischen Union gewährleistet, wenn das Angebot ausreicht, um die Nachfrage nach Energie fortwährend zu erfüllen.39 Allgemein lässt sich die Versorgungssicherheit definieren als die dauerhafte sowie nachhaltige, unterbrechungsfreie und permanente Versorgung der Wirtschaft sowie der Allgemeinheit (Gesamtbevölkerung).40 In den Mitgliedstaaten der EU wird der Begriff der Versorgungssicherheit jedoch unterschiedlich definiert. In Deutschland etwa wird der Begriff der Versorgung gemäß § 3 Nr. 36 EnWG definiert als „die Erzeugung oder Gewinnung von Energie zur Belieferung von Kunden, den Vertrieb von Energie an Kunden sowie den Betrieb eines Energieversorgungsnetzes.“ Hierdurch ist die energiewirtschaftliche Wertschöpfungskette umfassend einbezogen worden.41 In § 1 EnWG wird hingegen lediglich das Ziel einer Versorgungssicherheit als eine möglichst sichere, preisgünstige, verbraucherfreundliche, effiziente und umweltverträgliche Versorgung der Allgemeinheit mit Strom und Gas, beschrieben. Daher bestehen verschiedene Beschreibungen mit unterschiedlichen Schwerpunktsetzungen, zudem kann der Begriff Versorgungssicherheit in verschiedene Komponenten zerlegt oder auch aus verschiedenen Blickwinkeln betrachtet werden. Dies wird in Kapitel D. eingehend analysiert.42 Auch kann die Versorgungssicherheit im Energiemarkt in verschiedene Bereiche aufgeteilt werden. Unterschieden wird hier zwischen der erzeugerseitigen Versorgungssicherheit im Sinne einer „stets ausreichenden und ununterbrochenen Befriedigung der Nachfrage nach Energie“ 43 und der Systemsicherheit als technische Sicherheit. Diese Systemsicherheit soll zwar insbesondere die notwendige 38

Vgl. Theobald, in: Theobald/Kühling, Energierecht, 2022, § 1 EnWG, Rn. 17. Vgl. hierzu auch Ehricke/Hackländer, Europäische Energiepolitik auf der Grundlage der neuen Bestimmungen des Vertrags von Lissabon, ZEuS 2008, S. 579–600 (588); Nettesheim, in: Grabitz et al., Das Recht der Europäischen Union, 2022, Art. 194, Rn. 16. Die EU-Kommission hat die hohe Bedeutung der Versorgungssicherheit sowie notwendige Maßnahmen zur Erreichung dieses Ziels hervorgehoben (vgl. EU-Kommission, Mitteilung vom 13. November 2008, Zweite Überprüfung der Energiestrategie: EU-Aktionsplan für Energieversorgungssicherheit und -solidarität, KOM (2008) 781, endg., S. 11; EU-Kommission, Mitteilung vom 10. Januar 2007, Eine Energiepolitik für Europa, KOM (2007) 1 endg., S. 4, 12). 40 Vgl. Böckers et al., Vor- und Nachteile alternativer Kapazitätsmechanismen, 2012, S. 4 mit weiteren Nachweisen. 41 Vgl. Theobald, in: Theobald/Kühling, Energierecht 2022, § 1 EnWG, Rn. 16. 42 Siehe hierzu die Ausführungen in Kapitel D. II. 3. 43 Hellermann/Hermes, in: Britz et al., Energiewirtschaftsgesetz, 2015, § 1, Rn. 26. 39

II. Ziel der Versorgungssicherheit auf dem Energiemarkt

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Netzspannung gewährleisten, aber auch die technische Sicherheit der für die Erzeugung, den Transport und die Verteilung der Energie benötigten Anlagen. Hierdurch sollen die jeweils aktuellen Sicherheitsanforderungen der Anlagen gewährleistet werden, um einen Zusammenbruch des Energienetzes zu verhindern.44 Um diese Systemsicherheit – also die Funktionsfähigkeit dieser als kritische Infrastruktur geltenden Energienetze – im Sinne von Resilienz45 sicherzustellen, wurden diverse Instrumente im Energiemarkt implementiert.46 Dieser für Energieanlagen bedeutsame Aspekt der Energiesicherheit ist zuletzt auch durch die Nuklearkatastrophe von Fukushima im Jahr 2011 akut geworden.47 Durch die Energiewende ist die Bedeutung einer „Infrastruktursicherung“ 48 als Teil der Versorgungssicherheit mit dem Ziel eines optimalen Leistungsvermögens der Strom- und Gasnetze sowie der Erzeugungsanlagen in den Vordergrund gerückt. Sie rechtfertigt Investitionsmaßnahmen, und zwar nicht nur hinsichtlich des Netzausbaus, sondern auch bezüglich der Qualität des Materials. Diese Maßnahmen müssen zwingend getätigt und gegebenenfalls staatlich gefördert werden, um eine Störungsanfälligkeit weitestgehend zu minimieren.49 Hierbei tritt die früher vorherrschende Zielsetzung von Wettbewerb in den Hintergrund.50 So war der Begriff der Versorgungssicherheit zunächst noch eng mit dem Begriff Wettbewerb verbunden, weil die Investitionen in mehr Netze auch zugleich eine Forcierung von Wettbewerb darstellten. Hingegen ist die nun44 Sicherheit bedeutet auch Absicherung jeglicher Gefahren bei den Erzeugungs-, Transport- und Verteilungsanlagen, vgl. Theobald, in: Theobald/Kühling, Energierecht, 2022, § 1 EnWG, Rn. 18; Kment, in: Kment, Energiewirtschaftsgesetz, 2019, § 1, Rn. 4; dies bedeutet auch die Ungefährlichkeit dieser Anlagen für Menschen und Sachen, vgl. zur Definition von Sicherheit die Begründung der Bundesregierung zum Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung des Energiewirtschaftsrechts vom 23. März 1997, BT-Drs. 13/7274, S. 14. Zur technischen Sicherheit von Energieanlagen vgl. § 49 EnWG. 45 „Resilienz bedeutet, dass ein System fähig ist, bestimmten Ereignissen zu widerstehen bzw. darauf reagieren zu können und die Funktionsfähigkeit beizubehalten oder zumindest kurzfristig wiedererlangen zu können“, Demmig, Resilienz kritischer Infrastrukturen in Smart Cities, in: Smart City – Made in Germany, 2020, S. 709–715. 46 Eine ausführliche Darstellung zu den verschiedenen Systemsicherungsmaßnahmen erfolgt in Kapitel G. I. 2. und II. 2. 47 Vgl. Theobald, in: Theobald/Kühling, Energierecht, 2022, § 1 EnWG, Rn. 18. Die nukleare Katastrophe in Japan führte schließlich zum Ausstieg aus der Atomenergie, hierzu in Kapitel D. II. 2. 48 Burgi, Regulierung, Investitionsfreiheit und technischer Fortschritt, in: Regulierung und Gemeinwohl, 2016, S. 143–175 (154) mit weiterem Verweis. 49 Vgl. ebenda. „Neben der mengenmäßig ausreichenden Belieferung gehört als technischer Aspekt zudem ein einem bestimmten Standard entsprechender Netzbetrieb zur Sicherheit der Versorgung“, OLG Celle, Urteil vom 26. Januar 2017, Az.: 13 U 9/16; dass., Urteil vom 17. März 2016 – 13 U 141/15; BGH, Urteil vom 17. Dezember 2013, Az.: KZR 66/12. 50 Vgl. Burgi, Regulierung, Investitionsfreiheit und technischer Fortschritt, in: Regulierung und Gemeinwohl, 2016, S. 143–175 (154).

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A. Grundbegriffe – Marktdesign und Ziele

mehr bestehende Netzausbauverpflichtung in § 11 EnWG insbesondere deshalb verstärkt worden, um hierdurch die Systemsicherheit des Energienetzes zu verbessern. Eine erzeugerseitige Versorgungssicherheit ist demzufolge nur dann gegeben, wenn ein quantitativ ausreichendes Angebot an Energieerzeugung, also insbesondere Kraftwerksleistung, auch zu Spitzenlastzeiten des Energiebedarfs sichergestellt werden kann.51 Hiermit ist ebenfalls eine Ausfallsicherheit verbunden, da für einen hypothetischen Ausfall eines Kraftwerks oder sogar mehrerer Kraftwerke qualifizierte mögliche Kompensationsmaßnahmen bereits implementiert sein müssen.52 Die Versorgungssicherheit hat damit eine kollektive und eine individuelle Komponente, insofern mit der Zurverfügungstellung von Energie die Garantie sowohl für eine ausreichende Versorgung der Allgemeinheit (als Kollektiv) gegeben wird, als auch zeitgleich ebenso für den (privat nutzenden) Endkunden (Haushaltskunden).53 Somit sind beide Begriffe – die systemseitige und die erzeugerseitige Versorgungssicherheit – untrennbar miteinander verbunden. Dies bedeutet, sobald nicht genügend Erzeugungsleistung zur Verfügung steht, trotz eines sicheren Systems die Versorgung der Allgemeinheit nicht gewährleistet werden kann. Umgekehrt können ausreichende Energieressourcen allein die Versorgung nicht sicherstellen. Vielmehr können die Energieressourcen nur bei einem sicheren Transport und hinreichend vorhandenen Verteilungsanlagen, mithin nur durch ein sicheres System zum Endkunden geleitet werden.54 In Anbetracht dieser Sachlage wird nachfolgend die Energieversorgungssicherheit auch im Hinblick auf bestehende Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen der Stromversorgung und der Gasversorgung untersucht, zumal diese beiden Sektoren infolge der Umgestaltung des Energiesystems ebenfalls untrennbar miteinander verbunden sind.

51 Dass Sicherheit eine „mengenmäßig ausreichende Versorgung“ bedeutet, stellte auch schon die Bundesregierung fest, so in der Begründung zum Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung des Energiewirtschaftsrechts vom 08. November 1996, BT-Drs. 806/96, S. 28. Auf EU-Ebene stellte die EU-Kommission bereits fest, dass Versorgungssicherheit bedeute, dass sowohl im Elektrizitäts- als auch im Gassektor ausreichende Produktions- und Transportkapazitäten vorhanden sein müssen, um dem im Laufe des Jahres und entsprechend den jeweiligen Bedingungen veränderlichen Bedarf Rechnung zu tragen (vgl. EU-Kommission, Zweiter Benchmarkingbericht über die Vollendung des Elektrizitäts- und Erdgasbinnenmarktes vom 26. März 2004, S. 31; siehe hierzu Theobald, in: Theobald/Kühling, Energierecht, 2022, § 1 EnWG, Rn. 17). 52 Vgl. Kment, in: Kment, Energiewirtschaftsgesetz, 2019, § 1, Rn. 4. 53 Vgl. ebenda mit weiteren Verweisen Hellermann/Hermes, in: Britz et al., Energiewirtschaftsgesetz, 2015, § 1, Rn. 26. 54 Vgl. Riewe, Versorgungssicherheit durch Kapazitätsmechanismen, 2016, S. 112. Für den Strommarkt bedeute „sicher“ auch „sicher erreichbar“ (siehe Trieb/Hess, Wege zur regenerativen Stromversorgung, 2017, ET, S. 2–6 (3)).

III. Erwartungen an den Energiemarkt

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Nicht zuletzt ist eine weitere Sichtweise im Zusammenhang mit einer sicheren Versorgung angezeigt, und zwar die Sicherung und damit Entwicklung von dezentralen Versorgungsstrukturen im Sinne eines nationalen „Energiesockels“ zu einem europäischen „Energiesockel“.55 Somit sind im Hinblick auf die Importabhängigkeit der EU im Erdgasbereich56 vor allem die Bildung von eigenen Reserven sowie die Diversifizierung von Bezugsquellen ebenfalls ein bedeutsamer Faktor für die Gewährleistung der Versorgungssicherheit.

III. Erwartungen an den Energiemarkt und deren Bedeutung für die Versorgungssicherheit Neben der Gewährleistung der Versorgungssicherheit existieren allerdings weitere Ziele, die der Energiemarkt erfüllen soll. Diese bestehen in der Preisgünstigkeit und Umweltverträglichkeit sowie in der Verbraucherfreundlichkeit und Effizienz (zusammen auch als „Ziele-Fünfeck“ bezeichnet).57 Diese weiteren Ziele können in Konflikt treten zum Ziel der Versorgungssicherheit. Auf EU-Ebene wurden erstmalig längerfristig ausgerichtete Ziele im Jahr 1995 im „Weißbuch für eine Energiepolitik für die Europäische Union“ 58 festgelegt, gefolgt von einem Grünbuch „Hin zu einer europäischen Strategie für Energieversorgungssicherheit“ im Jahr 2000,59 in welchen folgende drei Hauptziele genannt wurden: Nachhaltigkeit, Wettbewerbsfähigkeit und Versorgungssicherheit. Im Vertrag von Lissabon 200960 wurde dem Thema Energie schließlich ein eigenes Kapitel gewidmet und mit Art. 194 AEUV entsprechende Ziele festgelegt. So wurde explizit das Funktionieren des Energiemarktes – die Energieversorgungssicherheit, die Förderung von Energieeffizienz und erneuerbaren Energiequellen, die Förderung der Interkonnektion der Energienetze – genannt und zugleich eine umfassende integrierte Klima- und Energiepolitik.61 55 Siehe Theobald, in: Theobald/Kühling, Energierecht, 2022, § 1 EnWG, Rn. 19 mit weiterem Verweis. 56 Und im Erdölbereich, vgl. Theobald, in: Theobald/Kühling, Energierecht, 2022, § 1 EnWG, Rn. 19. 57 Siehe Theobald, in: Theobald/Kühling, Energierecht, 2022, § 1, Rn. 4 und § 11, Rn. 13; auch als „Zwecke-Fünfeck“ bezeichnet, siehe Kment, in: Kment, Energiewirtschaftsgesetz, 2019, § 1, Rn. 1. 58 EU-Kommission, Eine Energiepolitik für die Europäische Union (Weißbuch) vom 13. Dezember 1995, KOM (95), 682 endg. 59 EU-Kommission, Hin zu einer europäischen Strategie für Energieversorgungssicherheit, KOM (2000), 769 endg. 60 Vertrag von Lissabon zur Änderung des Vertrags über die Europäische Union und des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft, vom 17. Dezember 2007, ABl. EU Nr. C 306, S. 1 vom 17. Dezember 2007, konsolidierte Fassung zuletzt veröffentlicht in ABl. EU Nr. C 326, S. 1 vom 26. Oktober 2012. 61 Zu den Zielen, insbesondere auch zur Energieversorgungssicherheit vgl. Europäischer Rat, Schlussfolgerungen zum Rahmen für die Klima- und Energiepolitik bis

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A. Grundbegriffe – Marktdesign und Ziele

Eine Abkehr des in Deutschland zunächst vorrangig bestehenden Anliegens, eine sichere und billige Versorgung mit Energie zu verwirklichen, hat mit den Regelungen des § 1 Abs. 1 EnWG sowie konkretisiert durch die, mit dem Strommarktgesetz und vorhergehenden Grünbuch-Weißbuch-Prozess eingefügten, vier Zielbestimmungen in § 1 Abs. 4 EnWG,62 stattgefunden. Nunmehr sind neben der Versorgungssicherheit die Wirtschaftlichkeit (Preisgünstigkeit), Verbraucherfreundlichkeit, Umweltverträglichkeit und die Effizienz zu gewährleisten. Alle Ziele müssen in einem möglichst flexiblen Marktdesign miteinander im Einklang stehen.63 In diesem Zusammenhang soll auch eine stärkere Integration des deutschen Energiemarktes in den europäischen Markt forciert werden.64 Diese intensive europäische Zusammenarbeit65 soll durch ausreichende Übertragungskapazitäten zwecks Stärkung des grenzüberschreitenden Stromhandels erreicht werden.66 Die zuvor genannten Ziele sollen nachfolgend im Einzelnen skizziert werden. 1. Effizienz Effizienz ist zunächst aus ökonomischer Sicht so zu verstehen, dass ein bestimmtes Ziel mit einem Minimum an Aufwand bzw. Ressourceneinsatz erreicht wird. Rechtlich handelt es sich um einen unbestimmten Begriff, da eine eindeutige Definition im Gesetz fehlt.67 Eine gesetzliche Definition existiert lediglich zu Energieeffizienzmaßnahmen, die in § 3 Nr. 15b EnWG definiert sind als: „Maßnahmen zur Verbesserung des Verhältnisses zwischen Energieaufwand und damit erzieltem Ergebnis im Bereich von Energieumwandlung, Energietransport 2030, Vermerk zur Tagung des Europäischen Rates am 23./24. Oktober 2014, SN 79/ 14, S. 8. Nach Art. 3 Abs. 2 EltRL 2009 und Art. 3 Abs. 2 GasRL 2009 sind mitgliedstaatliche Verpflichtungen für Unternehmen erlaubt, die sich auf Sicherheit, einschließlich Versorgungssicherheit, Regelmäßigkeit, Qualität und Preis der Versorgung sowie Umweltschutz, einschließlich Energieeffizienz, Energie aus erneuerbaren Quellen und Klimaschutz, beziehen können. 62 Durch das Strommarktgesetz wurden vier Zielbestimmungen in § 1 Abs. 4 EnWG eingefügt sowie die Grundsätze des Strommarktes in einem neuen § 1a Abs. 1 EnWG festgelegt. Zur Konkretisierung und eingehend auf das Verhältnis dieser Zielbestimmungen zu den Zielen in § 1 Abs. 1 EnWG, vgl. Kment, in: Kment, Energiewirtschaftsgesetz, 2019, § 1, Rn. 1 und 2. Die Zielbestimmungen stellen Konkretisierungen dar, die der Erreichung des Zwecks in § 1 Abs. 1 EnWG dienen sollen, wobei § 1 Abs. 1 EnWG als „Leitlinie unberührt bleibt“ (Theobald, in: Theobald/Kühling, Energierecht, 2022, § 1 EnWG, Rn. 49). 63 Vgl. BMWi, Ein Strommarkt für die Energiewende (Grünbuch), 2014, S. 6. 64 Vgl. ebenda, S. 33. 65 Nach § 1a Abs. 6 EnWG, der als Konkretisierung zu § 11 Abs. 4 Nr. 4 EnWG zu verstehen ist, soll auch insbesondere eine stärkere Zusammenarbeit mit den Anrainerstaaten (Norwegen und Schweden) erfolgen. 66 Siehe etwa BMWi, Umsetzungsplan für Deutschland nach Art. 20 Strombinnenmarktverordnung, 2021, S. 19. 67 Vgl. Kment, in: Kment, Energiewirtschaftsgesetz, 2019, § 1, Rn. 8.

III. Erwartungen an den Energiemarkt

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und Energienutzung.“ 68 Effizienzmaßnahmen können dabei auch das Ziel der Preisgünstigkeit verwirklichen, etwa wenn Kosten eingespart werden und auch die Abnehmer an diesen Einsparungen teilhaben können.69 Von Bedeutung ist hier auch die Kosteneffizienz der Energieversorgungsnetze.70 Der bislang nur langsam voranschreitende Ausbau von Übertragungs- und Verteilnetzen ist aufgrund wachsender Stromerzeugung aus regenerativen Energiequellen unzweifelhaft notwendig, muss aber auch volkswirtschaftlich effizient sein. Das heißt nicht, dass der Netzausbau nur vorangetrieben werden müsste um extra auch die „letzte Kilowattstunde“ zu erfassen.71 Solange aber der Netzausbau nicht im notwendigen Umfang erfolgt, müssen zur Überbrückung sogenannte Engpassmanagementmaßnahmen eingesetzt werden. Deren Kosten steigen seit Jahren und haben im Jahr 2018 die 800-Millionen-Euro-Grenze nunmehr überschritten.72 Unter Engpassmanagement sind alle Maßnahmen zu verstehen, die ein Netzbetreiber einsetzen kann, damit Netzengpässe, die zu Netzüberlastungen führen, vermieden oder schnellstmöglich behoben werden können.73 Insofern verlangt die Herbeiführung von Energieeffizienz auch die Einbeziehung von Flexibilitätsoptionen, insbesondere die Speichermöglichkeiten für Gas sowie die Einbeziehung des EU-weiten Strom – und Gashandels. Folglich ist die Energieeffizienz auch ein probates Instrument für die Erreichung der anderen Hauptziele Versorgungssicherheit und Preisgünstigkeit.74 Ein effizienter Einsatz von Primärenergieträgern, eine effiziente Energieumwandlung sowie ein effizienter Energietransport

68 Wurde auch 2005 (ebenso wie „nachhaltig“) in § 1 Abs. 2 EnWG aufgenommen. Ebenso die Definitionen in § 14 Abs. 2 und § 53 EnWG. 69 Vgl. Theobald, in: Theobald/Kühling, Energierecht, 2022, § 1 EnWG, Rn. 29. 70 Vgl. ebenda, Rn. 30 mit Verweis auf Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Arbeit vom 13. April 2005, BT-Drs. 15/5268, S. 116 und dem Hinweis, dass Kosteneffizienz als einziges Ziel der Effizienz in der Gesetzesbegründung aufgeführt ist. 71 Siehe Bundesregierung, Begründung Gesetzesentwurf Strommarktgesetz vom 20. Januar 2016, BT-Drs. 18/7317, S. 77; vgl. auch Kment, in: Kment, Energiewirtschaftsgesetz, 2019, § 1a, Rn. 10 mit weiteren Verweisen. 72 Die Kosten für das Redispatch mit Markt- und Netzreservekraftwerken lagen im Jahr 2018 bei rund 803 Mio. Euro, vgl. BNetzA/BKartA, Monitoringbericht, 2019, S. 10. Damit haben sich die Kosten fast verdoppelt im Vergleich zum Jahr 2015 mit ca. 412 Mio. Euro, vgl. BNetzA/BKartA, Monitoringbericht 2016, S. 7 und 99. Unter Redispatch ist entsprechend dem Wortsinn eine Änderung des Fahrplans (Dispatch) der Kraftwerksbetreiber zu verstehen. Durch die Änderung der vorliegenden Lastfluss- und Netzbelastungsberechnungen, die zu einem drohenden Engpass in einem Leitungsabschnitt im Netz führen, kann dies verhindert werden. Mithilfe der Redispatchmaßnahmen, mithin den Eingriffen in die Erzeugungsleistung von Kraftwerken wird durch (örtliche) Anpassung (Erhöhung oder Drosselung) der Einspeisung durch Kraftwerke vor bzw. hinter dem Engpass dieses Netzabschnitts das betroffene Leitungselement entlastet, vgl. Schiffer, 2019, S. 553/554. 73 Das Engpassmanagement wird im Kapitel G. I. 2. b) cc) erläutert. 74 Vgl. Theobald, in: Theobald/Kühling, Energierecht, 2022, § 1 EnWG, Rn. 30/31.

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A. Grundbegriffe – Marktdesign und Ziele

und eine effiziente Energieverteilung können mithin zu einer sicheren Versorgung beitragen, insofern auf diese Weise Versorgungsengpässe vermieden werden75 sowie Zielkonflikte zwischen Preisgünstigkeit und Umweltverträglichkeit erkannt und minimiert werden können.76 Auch der Effizienzbegriff auf EUEbene ist in diesem Sinne zu verstehen, mithin die Erreichung von Effizienz in Verbindung mit dem Ziel eines umweltverträglichen Energiesystems, welches ein Agieren auf lange Sicht und somit einen effizienten Umgang mit Ressourcen erfordert.77 2. Preisgünstigkeit Der zuvor seit dem Jahr 1935 verwendete Begriff „billig“ wurde im Jahr 1998 durch „preisgünstig“ ersetzt, wobei es sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff handelt. So ist immer eine Abgrenzung zu anderen Preisen, also ein Vergleich notwendig, mithin es eine Festlegung auf einen bestimmten „günstigen Preis“ nicht gibt.78 Die Preisgünstigkeit hat hierbei eine ökonomische, aber auch eine soziale Bedeutung und kann als Teil der Versorgungssicherheit verstanden werden. Der Energiebezug führt aber aus ökonomischer Sicht nur dann zu einer sicheren (zuverlässigen) Versorgung, wenn er überhaupt erschwinglich ist.79 Dieser finanziell tragbare Rahmen kann nicht auf eine Stufe mit Sozialverträglichkeit gestellt werden.80 Dementsprechend berechtigt eine mögliche Mittellosigkeit von Abnehmern (Endkunden) nicht etwa eine Quersubventionierung.81 Preisgünstigkeit bedeutet hierbei nicht, dass nur ein anderer Begriff für „billig“ gewählt worden ist, vielmehr wird hiermit auch das spezielle Arbeitspotenzial der EVU in den Blick genommen. Diese sollen in der Lage sein, für den Erhalt des Unternehmes notwendige Investitionen zu tätigen, so dass in dem vorgegebenen Ordnungsrahmen zum einen niedrige Kosten erreicht werden, zum anderen

75

Vgl. ebenda, Rn. 30. Vgl. Hellermann/Hermes, in: Britz et al., Energiewirtschaftsgesetz, 2015, § 1, Rn. 37. 77 Vgl. ebenda, Rn. 36; Theobald, in: Theobald/Kühling, Energierecht, 2022, § 1 EnWG, Rn. 31 mit Verweis auf BGH, Urteil vom 17. Dezember 2013, Az.: KZR 66/12; LG Dortmund, Urteil vom 28. Mai 2015, Az.: 16 O 98/14; OLG Düsseldorf, Urteil vom 23. Dezember 2015, Az.: VI-2 U (Kart) 4/15. Mit dem Clean-Energy-Paket wurde das Effizienzziel nunmehr auf 32,5 % bis 2030 erhöht, vgl. Art. 1 Abs. 1 sowie Erwägungsgründe 6 und 45 der EU-Richtlinie 2018/2002 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Dezember 2018 zur Änderung der Richtlinie 2012/27/EU zur Energieeffizienz, ABl. EU Nr. L 328, S. 210 vom 21. Dezember 2018. 78 Siehe Kment, in: Kment, Energiewirtschaftsgesetz, 2019, § 1, Rn. 5. 79 Vgl. Hellermann/Hermes, in: Britz et al., Energiewirtschaftsgesetz, 2015, § 1, Rn. 27. 80 Vgl. ebenda, Rn. 31. 81 Vgl. Kment, in: Kment, Energiewirtschaftsgesetz, 2019, § 1, Rn. 6; Theobald, in: Theobald/Kühling, Energierecht, 2022, § 1 EnWG, Rn. 24. 76

III. Erwartungen an den Energiemarkt

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aber auch nicht ausgeschlossen wird, dass ein, der Leistung adäquater, Erlös erzielt wird.82 Dies folgt aus der Annahme, dass durch einen funktionierenden Wettbewerb oder durch Preise, die durch Wettbewerb entstehen, dieses Ziel erreicht werden kann.83 Mögliche Zielkonflikte zwischen den Prizipien der Versorgungssicherheit und der Preisgünstigkeit entstehen dagegen vor allem dann, wenn durch die Notwendigkeit stets weiter zu tätigender Investitionen, die Versorgungssicherheit zwar bestehen bleibt oder auch gestärkt wird, aber der Energiebezug immer teurer wird. Hier lässt sich nicht ausschließen, dass mögliche falsche Investitionsanreize gesetzt werden, insbesondere auch aufgrund der Umrüstung des Energiesystems.84 Während mit der Liberalisierung des Energiemarktes der Strompreis zunächst gesunken ist, ist dieser ab dem Jahr 2000 für den Verbraucher kontinuierlich angestiegen, zumindest für den Privatkunden.85 Anders als der derzeitige Preisanstieg als Folge des gegenwärtigen Ukrainekrieges, beruhte dies bis Ende Februar 2022 jedoch nicht auf erhöhten Produktionskosten (zumal diese bis dahin gesunken waren), sondern vielmehr auf der Erhöhung der staatlichen Abgaben.86 Auch die Abhängigkeit von benötigten zentralen Rohstoffen und deren teils willkürliche Verknappung kann zu hohen Preisen führen.87

82 Vgl. Hellermann/Hermes, in: Britz et al., Energiewirtschaftsgesetz, 2015, § 1, Rn. 28; Theobald, in: Theobald/Kühling, Energierecht, 2022, § 1 EnWG, Rn. 23. 83 Vgl. Theobald, in: Theobald/Kühling, Energierecht, 2022, § 1 EnWG, Rn. 21. Dies wurde früher noch anders beurteilt: Preisgünstigkeit ist abhängig „vom Ordnungsrahmen der Energieversorgung.“ 1935 sollten „schädliche Auswirkungen des Wettbewerbs“ vermieden werden. Daher wurde die Preisgünstigkeit durch staatliche Instrumente sichergestellt (siehe Hellermann/Hermes, in: Britz et al., Energiewirtschaftsgesetz, 2015, § 1, Rn. 29). 84 Es werden gezielte Erweiterungen bezüglich des Aufnahmevermögens der Verbindungsleitungen zur Stärkung der Übertragungskapazitäten geboten sein, um die aktuell bestehenden Netzengpässe und loop flows zu beseitigen. Damit sollten auch die Engpassmanagement-Maßnahmen, deren Kosten in der gegenwärtigen Größenordnung konträr dem Erfordernis der Preisgünstigkeit sind, erfasst werden (vgl. Kment, in: Kment, Energiewirtschaftsgesetz, 2019, § 1a, Rn. 15). Zusätzlich zum Wettbewerb soll durch verbraucherschützende Vorgaben, wie etwa Preistransparenz und eine Vereinfachung des Lieferantenwechsels dieser Zweck erreicht werden. Die hoheitliche Regulierung der Netznutzungsentgelte gilt als besondere Ausprägung des Zwecks der Preisgünstigkeit (siehe Hellermann/Hermes, in: Britz et al., Energiewirtschaftsgesetz, 2015, § 1, Rn. 30). 85 Vgl. Heymann, Der Strommarkt 2.0 im Lichte des deutschen und europäischen Wettbewerbsrechts, 2019, S. 27–29 mit einer ausführlichen Darstellung zur Strompreisentwicklung seit der Liberalisierung. 86 Zum Anstieg der Stromkosten wird in Kapitel E. I. 5. b) ausgeführt. 87 Hierauf wird in Kapitel H. I. Bezug genommen.

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A. Grundbegriffe – Marktdesign und Ziele

3. Umweltverträglichkeit Mit der in § 1 Abs. 1 EnWG genannten Umweltverträglichkeit88 ist das in Art. 20a GG normierte Ziel bezüglich der Verantwortung gegenüber der künftigen Generation präzisiert worden. So wird dies auch als „Konkretisierung der Staatszielbestimmung des Art. 20a GG“ bewertet.89 Hiernach schützt der Staat die natürlichen Lebensgrundlagen und die Tiere im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung durch die Gesetzgebung und nach Maßgabe von Gesetz und Recht durch die vollziehende Gewalt und Rechtsprechung. Die genannte Umweltverträglichkeit wurde 1998 als Ziel in § 1 Abs. 1 EnWG mit aufgenommen, auch um das Gefahrenpotenzial für die Umwelt, die durch die Wettbewerbsöffnung entstehen könnte, zu verringern.90 Damit soll eine Energieversorgung erreicht werden, die darauf ausgerichtet ist, die Belastung der Umwelt möglichst gering zu halten, damit vorhandene Ressourcen nachhaltig nutzbar sind und demzufolge langfristig zur Verfügung stehen.91 Die Mitgliedstaaten einigten sich in diesem Zusammenhang erstmalig mit dem Klimapaket 200792 zunächst auf die sogenannten 20-20-20 Ziele: bis zum Jahr 2020 sollten die Treibhausgasemissionen um 20 % gegenüber dem Jahr 1990 reduziert werden, die Energieeffizienz sollte sich um 20 % erhöhen, mithin sollte der europäische Energieverbrauch um 20 % gesenkt werden und der Anteil der erneuerbaren Energien am Gesamtenergieverbrauch in Höhe von 20 % festgeschrieben werden. Diese Klimaschutzziele werden im Vertrag von Lissabon 88 Bereits seit dem Jahr 1998 ist dieses Ziel in § 1 EnWG festgelegt. Auf EU-Ebene galt früher Art. 3 Abs. 1 lit. l i.V. m. Art. 174 ff. EG; jetzt Art. 4 lit. e i.V. m. Art. 191 ff. AEUV und konkretisiert in Art. 7 Abs. 2 lit. c; 15 Abs. 3, 25 Abs. 4 EltRL 2009 und verfassungsrechtlich in Art. 20a GG. Die Definition der Umweltverträglichkeit lautet gemäß § 3 Nr. 33 EnWG: „dass die Energieversorgung den Erfordernissen eines nachhaltigen, insbesondere rationellen und sparsamen Umgangs mit Energie genügt, eine schonende und dauerhafte Nutzung von Ressourcen gewährleistet ist und die Umwelt möglichst wenig belastet wird, der Nutzung von Kraft-Wärme-Kopplung und erneuerbaren Energien kommt dabei besondere Bedeutung zu“. Der Begriff „nachhaltig“ wurde erst mit der Gesetzesänderung 2005 eingefügt. 89 Vgl. Kment, in: Kment, Energiewirtschaftsgesetz, 2019, § 1, Rn. 9. 90 Vgl. Hellermann/Hermes, in: Britz et al., Energiewirtschaftsgesetz, 2015, § 1, Rn. 3. 91 Vgl. Theobald, in: Theobald/Kühling, Energierecht, 2022, § 1 EnWG, Rn. 25 und 26. 92 EU-Kommission, Energiepolitik für Europa, vom 10. Januar 2007, KOM (2007), S. 1, endg. Zuvor veröffentlichte die EU-Kommission bereits ein Grünbuch (vgl. EUKommission, Eine europäische Strategie für nachhaltige, wettbewerbsfähige und sichere Energie, Grünbuch vom 08. März 2006, KOM (2006) 105 endg). Der Europäische Rat beschloss daraufhin die folgenden Ziele für den Energiemarkt: Begrenzung der Erderwärmung um 2 ëCelsius, Ziel der Versorgungssicherheit, Wahrung der Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Volkswirtschaften im Energiemarkt (siehe Europäischer Rat, Schlussfolgerungen zur Tagung des Europäischen Rates am 08. und 09. März 2007, 7224/1/07 REV 1, 2007, S. 11).

III. Erwartungen an den Energiemarkt

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200993 nochmals bekräftigt. Im Oktober 2014 verschärfte der Europäische Rat mit bindender Wirkung für die Europäische Union, jeweils bis zum Jahr 2030, zum einen die 20-20-20 Ziele, so dass nunmehr um 40 % der EU-internen Treibhausgasemissionen im Vergleich zum Jahr 1990 reduziert werden sollen, und zum anderen der Anteil der erneuerbaren Energien am Energieverbrauch von mindestens 27 % erreicht werden soll.94 Ferner soll die Energieeffizienz bis zum Jahr 2030 bei mindestens 27 % bis idealerweise 30 % liegen und sich ein Stromverbundziel von mindestens 15 % entwickeln. Schließlich wurde mit dem Klimapaket 2018 „Saubere Energie für Europäer“ (Clean-Energy-Paket)95 beschlossen, dass der Anteil der erneuerbaren Energien am Gesamtverbrauch für alle Sektoren bei 32 % liegen soll. Das Ziel der Europäischen Union, bis zum Jahr 2050 schließlich klimaneutral zu werden, erfordert nicht nur Kohlenstoffdioxid (CO2) einzusparen, vielmehr bedeutet Klimaneutralität, „dass die globale Durchschnittstemperatur unverändert bleibt“,96 mithin ein Gleichgewicht von Treibhausgasemissionen und Treibhausgasentfernung besteht.97 Die Europäische Kommission hat hierzu am 14. Juli 2021 ihr Paket reformierter Richtlinien und Verordnungen Fit for 55 vorgelegt, womit der European Green Deal transformiert werden soll. Ziel ist es, den Ausstoß von Treibhausgasen in der Europäischen Union bis zum Jahr 2030 um 55 % gegenüber dem Jahr 1990 zu verringern und die Klimaneutralität bis 2050 bewirken zu können.

93 Vertrag von Lissabon zur Änderung des Vertrags über die Europäische Union und des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft vom 17. Dezember 2007, ABl. EU Nr. C 306, S. 1 vom 17. Dezember 2007, konsolidierte Fassung zuletzt veröffentlicht in ABl. EU Nr. C 326, S. 1 vom 26. Oktober 2012. 94 Vgl. Europäischer Rat, Schlussfolgerungen zur Tagung des Europäischen Rates 23./24.Oktober 2014, S. 1 und 5. 95 Das Clean Energy Package for all Europeans wurde am 22. Mai 2019 verabschiedet und beinhaltet folgende Rechtsakte: Erneuerbare-Energien-Richtlinie (EU) 2018/ 2001, ABl. EU Nr. L 328, S. 82; Governance-Verordnung (EU) 2018/1999, ABl. EU Nr. L 328, S. 1; Energieeffizienz-Richtlinie (EU) 2018/2002, ABl. EU Nr. L 328, S. 210; Elektrizitätsbinnenmarkt-Verordnung (EU) 2019/943, ABl. EU Nr. L 158, S. 54; Strommarkt-Richtlinie (EU) 2019/944, ABl. EU Nr. L 158/125 vom 14. Juni 2019; Verordnung über eine Agentur für die Zusammenarbeit der Energieregulierungsbehörden (ACER-VO) (EU) 2019/942, ABl. EU Nr. L 158, S. 22; GebäudeeffizienzRichtlinie (EU) 2018/844, ABl. EU Nr. L 156, S. 75 und Risikovorsorge-Verordnung (EU) 2019/941, ABl. EU Nr. L 158, S. 1. 96 Vgl. Honegger et al., Klimaneutralität: Ein Konzept mit weitreichenden Implikationen, 2020, S. 10. Die Begriffe Klimaneutralität und Treibhausgasneutralität (net zero) werden etwa von der Europäischen Kommission an vielen Stellen synonym verwendet (vgl. ebenda, S. 16; Luhmann/Obergassel, Die Tücken der Kooperation von Kommunen und Ländern mit dem Bund – Klimaneutral im deutschen Föderalsystem, in: Die große Transformation in Wirtschaft und Gesellschaft, S. 61–64 (61), 2020). 97 Vgl. Honegger et al., Klimaneutralität: Ein Konzept mit weitreichenden Implikationen, 2020, S. 29.

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A. Grundbegriffe – Marktdesign und Ziele

Am 24. Juni 2021 verabschiedete das Parlament (bei Enthaltung Bulgariens) die finale Fassung des europäischen Klimagesetzes.98 In seinem Beschluss vom 24. März 2021 hat das Bundesverfassungsgericht explizit Teile des Bundes-Klimaschutzgesetzes (KSG) als nicht vereinbar mit dem Klimaschutzgebot des Art. 20a GG sowie dem Grundrechtsschutz zukünftiger Generationen wie folgt festgestellt: „Der Staat wäre weder in der Lage noch ist es allein seine Aufgabe, alle technologischen und sozialen Entwicklungen zur Ersetzung und Vermeidung von treibhausgasintensiven Prozessen und Produkten und des Ausbaus hierfür erforderlicher Strukturen selbst zu erbringen. Verfassungsrechtlich verpflichtet ist er aber, grundlegende Voraussetzungen und Anreize dafür zu schaffen, dass diese Entwicklungen einsetzen.“ 99 In Deutschland hat das Umweltenergierecht durch spezielle Gesetze, so das Kraft-Wärme-Kopplungs-Gesetz (KWKG), das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) und das Energieeinsparungsgesetz (EnEG) Form angenommen. Im Hinblick auf die Versorgungssicherheit sind insbesondere die ambitionierten Zielsetzungen des § 1 Abs. 1 EnWG100 und des § 1 Abs. 2 EEG entscheidend, wonach bis zum Jahr 2050 der Anteil der erneuerbaren Energien101 an der Stromversorgung auf 80 % steigen soll. Bedeutsam sind auch die einer umweltverträglichen Energieerzeugung immanenten drei Prinzipien: Das Einsparungsprinzip, das Prinzip der Belastungsminimierung und das Nachhaltigkeitsprinzip. Während das Einsparungsprinzip durch einen sparsamen und effektiven Umgang mit Energie zur Minderung der Schadstoffe beitragen soll, wird mit der Belastungsminimierung eine schonende Nutzung von Ressourcen angestrebt. Das Nachhaltigkeitsprinzip ist darauf gerichtet, dass die beteiligten Ökosysteme ihre Regenerationsfähigkeit bewahren können, insofern nur gewisse Ressourcenentnahmen ohne Schädigung erfolgen.102 Dementsprechend richtet sich der Appell auch an den

98 Mit der Zustimmung durch den Europäischen Rat am 28. Juni 2021 wurde das Annahmeverfahren abgeschlossen, die EU-Verordnung 2021/1119 trat am 09. Juli 2021 in Kraft, EU-Verordnung 2021/1119 des europäischen Parlaments und des Rates vom 30. Juni 2021 zur Schaffung des Rahmens für die Verwirklichung der Klimaneutralität und zur Änderung der Verordnungen (EG) Nr. 401/2009 und (EU) 2018/1999, Europäisches Klimagesetz, ABl. EU Nr. L 243, S. 1 vom 09. Juli 2021. 99 BVerfG, Beschluss vom 24. März 2021 – 1 BvR 2656/18, 1 BvR 78/20, 1 BvR 96/20, 1 BvR 288/20, Rn. 248. Aufgrund dieses Beschlusses hat die Bundesregierung am 12. Juni 2021 das geänderte Klimaschutzgesetz vorgelegt, das der Bundestag am 24. Juni 2021 beschlossen und das am 25. Juni 2021 den Bundesrat passiert hat; Bundesklimaschutzgesetz vom 12. Dezember 2019, BGBl. I, S. 2513, das durch Art. 1 des Gesetzes vom 18. August 2021 (BGBl. I, S. 3905) geändert worden ist. 100 EnWG-Novelle vom 26. Juli 2011, BGBl. I, S. 1554. 101 Die Definition von erneuerbaren Energien in § 3 Nr. 18b EnWG entspricht der Definition in § 3 Nr. 21 EEG 2017. 102 Vgl. Hellermann/Hermes, in: Britz et al., Energiewirtschaftsgesetz, 2015, § 1, Rn. 39 mit weiteren Verweisen.

III. Erwartungen an den Energiemarkt

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Verbraucher, rationell, effektiv, sparsam und somit umweltbewusst mit dem Einsatz der Energie umzugehen.103 Das Ziel der Umweltverträglichkeit soll auch durch eine Reduktion der Treibhausgasemissionen erreicht werden. So ist Deutschland bereits Ende des Jahres 2015 dem Pariser Klimaabkommen beigetreten, worin das Ziel der Begrenzung der Erderwärmung auf 1,5 ë bis 2 ëC vereinbart wurde. Hierdurch entstand die Verpflichtung, die Treibhausgasemissionen um mindestens 55 % gegenüber dem Jahr 1990 bis spätestens zum Jahr 2030 und schließlich bis zum Jahr 2050 um 80 bis 95 % gegenüber dem Jahr 1990 zu reduzieren.104 Für die Energiewirtschaft ist hierbei eine entsprechende Reduktion um 61 bis 62 % auf 175–183 Mio. Tonnen CO2 bis zum Jahr 2030 vorgesehen.105 Instrumente, mit denen dieses Ziel erreicht werden soll, sind der CO2-Zertifikatenhandel und die Entscheidung der Bundesregierung, bei der Energieerzeugung auf fossile Energieträger zu verzichten. Dementsprechend soll für das Erreichen des oben dargestellten Postulats der Versorgungssicherheit weder auf Kohle, noch auf Öl zurückgegriffen werden. Die Transformation des Energiemarkts, und hier insbesondere der Stromerzeugung, knüpft also ganz maßgeblich an das festgelegte Ziel der Umweltverträglichkeit an. 4. Verbraucherfreundlichkeit Das Ziel der Verbraucherfreundlichkeit106 kann auch dahingehend ausgelegt werden, dass hierdurch auch die zuvor genannten Ziele der Versorgungssicherheit, Preisgünstigkeit und Umweltverträglichkeit umfasst werden,107 und somit bereits durch deren Verwirklichung als überwiegend umgesetzt anzusehen ist.108 Ursprünglich wurde das Prinzip jedoch gesondert hervorgehoben, um negative Auswirkungen in Bezug auf Verbraucherinteressen, die durch die Öffnung des Energiemarktes hin zu einem Wettbewerbsmarkt entstehen können, zu vermeiden. Erforderlich erschien dies insbesondere aufgrund der hohen Bedeutung einer umfassenden Bereitstellung von Energie als einem Gut, das gleichmäßig für jeden Bürger verfügbar sein soll.109 Zugleich soll Verbraucherfreundlichkeit ins103

Vgl. Kment, in: Kment, Energiewirtschaftsgesetz, 2019, § 1, Rn. 10. Vgl. BMWi, Ein Strommarkt für die Energiewende (Grünbuch), 2014, S. 6; Gesetz zu dem Übereinkommen von Paris vom 28. September 2016, BGBl. II, S. 1082. 105 Vgl. Kommission, Abschlussbericht, 2019, S. 63; Däuper, Die Empfehlungen der Kohlekommission – Inhalte und juristische Fragestellungen, EnWZ, 2019, S. 153–159 (153). 106 In Art. 3 Abs. 5 EltRL 03, Art. 3 Abs. 3 Satz 4 GasRL 03 jeweils i.V. m. Anhang A wurde dieses Merkmal mit dem EnWG 2005, BT-Drs. umgesetzt und neu eingefügt. 107 Vgl. Hellermann/Hermes, in: Britz et al., Energiewirtschaftsgesetz, 2015, § 1, Rn. 32. 108 Vgl. Theobald, in: Theobald/Kühling, Energierecht, 2022, § 1 EnWG, Rn. 28. 109 Vgl. Hellermann/Hermes, in: Britz et al., Energiewirtschaftsgesetz, 2015, § 1, Rn. 32 mit weiteren Verweisen. 104

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A. Grundbegriffe – Marktdesign und Ziele

besondere durch Transparenzmaßnahmen (bezüglich Vertragsbedingungen, allgemeinen Informationen und Streitbeilegungsverfahren, einem leichteren Lieferantenwechsel und einer Stromkennzeichnung mit Informationen über die Herkunft der Elektrizität) geschaffen werden.110 5. Potenzielle Zielkonflikte in Bezug auf die Versorgungssicherheit Insgesamt betrachtet, kann sich hier ein Aufeinandertreffen ergeben von verschiedenen potenziell miteinander in Konflikt stehenden Erwartungen oder auch von konkurrierenden Zielsetzungen, die der Energiemarkt erfüllen soll.111 In welchem Konnex diese für den deutschen Energiemarkt zueinander stehen, ergibt sich nicht aus § 1 Abs. 1 EnWG.112 Auch sind etwaige notwendige Maßstäbe für Auslegungs-, Ermessens- oder Abwägungsentscheidungen, für die mit der soeben beschriebenen „Zielpluralität“ einhergehenden potenziellen Konflikte nicht vorgegeben.113 Es kann daher zunächst davon ausgegangen werden, dass kein Ziel vorrangig sein soll, sondern vielmehr eine Gleichstellung angenommen werden kann, die dann allerdings bei entgegengesetzten Motivationen oder Bedürfnissen bestmögliche, angemessene Kompromisse erfordert.114 Überdies soll der Zweck der ökologischen und nachhaltigen Energieversorgung bei Abkehr der Nutzung von fossilen Energieträgern sowie atomarer Energie, zugleich mit dem Bestreben nach Versorgungssicherheit, die volkswirtschaftlichen Kosten auf einem geringen Niveau halten.115

110 Durch das 3. EU-Richtlinien-Paket ist die Verbraucherfreundlichkeit noch mehr in den Vordergrund gerückt worden, so ist diese z. B. in den §§ 36 ff. und §§ 111a bis 111c (Beteiligtenrechte der Verbraucherverbände) des EnWG vom 26. Juli 2011, BGBl. I, S. 1554, geregelt worden, vgl. hierzu Hellermann/Hermes, in: Britz et al., Energiewirtschaftsgesetz, 2015, § 1, Rn. 33a. Der Verbraucherbegriff in § 3 Nr. 22 (Haushaltskunden) und § 3 Nr. 25 (Letztverbraucher) EnWG ist weiter gefasst als in § 13 BGB. Das Erfordernis der Transparenz des Energiemarktes ist auch durch § 1a Abs. 5 EnWG gesetzlich festgelegt. Verbraucher sollen transparente und aktuelle Stromdaten erhalten (siehe BMWi, Ein Strommarkt für die Energiewende (Weißbuch), 2015, S. 78). 111 Vgl. Hellermann/Hermes, in: Britz et al., Energiewirtschaftsgesetz, 2015, § 1, Rn. 41. 112 Vgl. ebenda. 113 Vgl. ebenda zu Zielkomplementarität, Zielneutralität und Zielkonkurrenz mit weiteren Verweisen. 114 Vgl. Kment, in: Kment, Energiewirtschaftsgesetz, 2019, § 1, Rn. 2 mit weiteren Verweisen; Begründung zum Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung des Energiewirtschaftsrechts vom 23. März 1997, BT-Drs. 13/7274, S. 14. Auch wird in allen Zielen ein „Berücksichtigungs- bzw. Optimierungsgebot“ gesehen (siehe Hellermann/Hermes, in: Britz et al., Energiewirtschaftsgesetz, 2015, § 1, Rn. 42 mit weiteren Verweisen). 115 Vgl. Theobald, in: Theobald/Kühling, Energierecht, 2022, § 1 EnWG, Rn. 50 mit Verweis auf Bundesregierung, Begründung Gesetzesentwurf Strommarktgesetz vom 20. Januar 2016, BT-Drs. 18/7317, S. 2.

III. Erwartungen an den Energiemarkt

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Dessen ungeachtet ist in der Praxis eine gewisse Zielabstufung zu erkennen. Von der zeitlichen Entwicklung aus betrachtet, lässt sich feststellen, dass sowohl die Versorgungssicherheit als auch die Preisgünstigkeit bereits von Beginn (im Jahr 1935) an als Ziel festgelegt waren, und erst später (im Jahr 1998) dann das Ziel der Umweltverträglichkeit hinzukam, so dass diesen drei Zielen ein besonderer Stellenwert in der Normierung zukommt. Wenn etwa die Versorgungssicherheit nur zu einem hohen Preis unter Einsatz von nicht allein umweltverträglichen Mitteln erreichbar wäre, so müsste dies gleichwohl umgesetzt werden. Allerdings ist auch der Versorgungssicherheit mit der Preiswürdigkeit eine Grenze gesetzt, insofern ein übermäßiges Bemühen um Sicherheit – und zwar im Sinne einer Optimierung der Sicherheit und nicht der Gewährleistung einer grundsätzlich notwendigen unterbrechungsfreien Versorgung – unproportional hohe Kosten hiermit verursachen und dementsprechend das Prinzip der Preisgünstigkeit aushebeln würde.116 Gleiches muss gelten, wenn die Kosten einer besseren Umweltverträglichkeit unverhältnismäßig hoch wären oder die Versorgungssicherheit darunter leiden würde. Dieses Verhältnis von Position und Gegenposition der fünf vorgenannten Ziele kann nur im Einzelfall unter Abwägung aller gewichtigen Komponenten entschieden werden, vor allem aber mit dem Ziel der steten Verbesserung.117 Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich vor diesem Hintergrund insbesondere mit den widerstreitenden Interessen und Risiken in Bezug auf die Versorgungssicherheit und hier vor allem mit den Auswirkungen der Energiewende auf die Versorgungssicherheit. Diese werden im Kapitel E. eingehend betrachtet.118 Von Bedeutung ist hier etwa der sogenannte Merit Order-Effekt,119 der durch staatliche Eingriffe in den Erzeugermarkt, wie insbesondere dem implementierten Einspeisevorrang für erneuerbare Energien (Einführung des Erneuerbaren-Energien-Gesetzes), entsteht. Auch wird dieser Effekt durch den Wegfall der Gratisallokation bei den Emissionsrechten im Zertifikatenhandel verstärkt. Negativ auf die Versorgungssicherheit wirken sich auch einige situative Faktoren aus, so das Abschalten von diversen Kernkraftwerken und Kohlekraftwerken oder eine unzu116 Vgl. Theobald, in: Theobald/Kühling, Energierecht, 2022, § 1 EnWG, Rn. 32 mit weiteren Verweisen. 117 Vgl. ebenda. 118 Die Risiken werden im Kapitel E. I. analysiert. 119 Der Merit Order-Effekt beschreibt generell das Entstehen einer Preisverschiebung durch den Einsatz von Kraftwerken mit geringen variablen Kosten. Durch die Berücksichtigung der erneuerbaren Energien mit Bevorzugung deren Stromerzeugung wird hierdurch aus konventionellen Anlagen erzeugter Strom verdrängt. Die Wirkung bei unveränderter Angebotskurve ist wie eine Absenkung der Nachfrage. Dies führt zu einer Verschiebung des Angebots und somit zu einer Preissenkung, vgl. Frauenhofer-Institut für System- und Innovationsforschung (ISI), Auswirkungen des Merit Order-Effektes auf Strompreise für Verbraucher, 2015, S. 3; vgl. Monopolkommission, Energie 2013: Wettbewerb in Zeiten der Energiewende, S. 126/127, Ziff. 217. Hierzu ausführlich in Kapitel E. I. 1.

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A. Grundbegriffe – Marktdesign und Ziele

reichende Übertragungskapazität in Nord-Süd-Richtung, die einen regionalen Versorgungsengpass bewirkt. Zu den exzeptionell tiefgreifenden Folgen für den Energiemarkt zählen zudem die fehlenden Investitionsanreize, die als sogenanntes Missing Money-Problem bezeichnet werden, wobei dieses Problem insbesondere in Bezug auf Gaskraftwerke und auch Speicher vorliegt.120 Wiederum bestehen auch Erwartungen, die einen Lösungsansatz verhindern können. Beispielsweise könnte der Netzausbau eine Entlastung (Nord-SüdStromtrassen) bringen, wobei diese Vorhaben aber zum Teil auf großen Widerstand bei den Bürgern in den betroffenen Regionen stoßen. Hierzu ist anzumerken, dass zwar in Bezug auf die Umweltverträglichkeit die Ziele konkret benannt sind und es konkrete Angaben gibt, in welchem Maß die erneuerbaren Energien ausgebaut und in welchem Umfang die Treibhausgase reduziert werden sollen, wohingegen an keiner Stelle eine Vorgabe existiert, in welchem Maß die Versorgungssicherheit zu gewährleisten ist. Es ist daher zu kritisieren, dass dieses Ziel weder qualifiziert noch quantifiziert wurde. Somit bedürfen die Versorgungssicherheit wie auch deren Bezahlbarkeit genaue Vorgaben für die konkrete Gesamtbewertung und die Prognostizierung.121

IV. Institutionen der Versorgungssicherheit Die sich aus der Energiewende ergebenden Bedingungen und die damit einhergehenden Risiken für die Versorgungssicherheit müssen bei negativer Auswirkung abgewehrt werden können. Hierbei ist zu prüfen, gegen welche der vielfältigen Risiken eine sogenannte Versicherung (Versicherung als Gegenbegriff zu Risiko) erfolgen kann.122 Es stellt sich weiterhin die Frage, wer für die Abwehr der Risiken und gleichzeitig für die Verwirklichung dieser Ziele verantwortlich ist und wer dafür haftet, wenn die Versorgungssicherheit nicht im gewünschten Umfang oder sogar in einem nicht ausreichenden Umfang gewährleistet wird. Im Mittelpunkt steht hierbei, dass aus der in Art. 20 GG enthaltenden Staatszielbestimmung der Sozialstaatlichkeit sowie dem gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichtsgebot aus Art. 109 Abs. 2 GG hergeleitet wird,123 dass dem Staat eine staatliche Gewährleistungsverantwortung124 oder auch Regulierungsverant120

Vgl. hierzu Kapitel E. I. 2., 3. und 4. Ebenso ist die Preisgünstigkeit nicht definiert, vgl. hierzu Kommission, Abschlussbericht, 2019, S. 36, Fn. 82 mit Verweis auf Bundesrechnungshof, Bericht an den Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestages nach § 88 Abs. 2 BHO über Maßnahmen zur Umsetzung der Energiewende durch das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie, Gz.: VIII 4 – 2016 – 0722, 2016. 122 Vgl. Lange, Werteorientiertes Management in der kommunalen Energieversorgung, 2016, S. 226. 123 Vgl. etwa Pröfrock, Energieversorgungssicherheit im Recht der Europäischen Union/Europäischen Gemeinschaften, 2007, S. 28. 124 Zur Gewährleistungsverantwortung wird in Kapitel F. I. ausgeführt. 121

IV. Institutionen der Versorgungssicherheit

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wortung zukommt.125 Die in § 1 EnWG enthaltene und auf das Allgemeinwohl hin ausgerichtete Zweckbestimmung des EnWG zum Wohl der Allgemeinheit oder auch die Einordnung der Energieversorgung als Daseinsvorsorge, bedeuten aber nicht, dass Energieversorgung zwingend als öffentliche Aufgabe von dem Staat oder von den staatlichen Institutionen unmittelbar umgesetzt werden muss.126 Vielmehr können Aufgaben der Daseinsvorsorge in Teilbereichen Institutionen der Privatwirtschaft übertragen werden.127 Der Staat kann also die Energieversorgung an die private Wirtschaft delegieren, die selbst nicht auf öffentlichen, staatlichen oder genossenschaftlichen Unternehmen beruht. Die entsprechenden rechtlichen Rahmenbedingungen für die Versorgung mit Energie gestaltet jedoch der Staat.128 Diese rechtliche Gestaltungs- und Delegationsmöglichkeit wurde in Deutschland dementsprechend umgesetzt. 1. Energieversorgungsunternehmen am Strommarkt Während es bei den Stromerzeugern etwa 80 Unternehmen gibt, gibt es auf der Übertragungsnetzebene in Deutschland lediglich vier Eigentümer, auch Transmission System Operator (TSO) genannt, nämlich Amprion GmbH, TenneT TSO GmbH, TransnetBW und 50Hertz Transmission GmbH.129 Auf der nachgelagerten Verteilnetzebene 130 sind etwa 900 Unternehmen als Distribution System Operator (DSO) tätig. Hierbei handelt es sich überwiegend um regionale und lokale Stromversorger, die meistens eigentumsrechtlich der jeweiligen Gemeinde zuzuordnen sind. Daneben agieren Verteilnetzbetreiber, die nicht selbst Eigentümer sind, vielmehr das Eigentum an den Netzen bei einem der vier soeben aufgeführten Großunternehmen verbleibt. Aber auch diese Netzbetreiber sind aufgrund bestehender Entflechtungsvorgaben (gesellschaftsrechtlich, organisatorisch und buchhalterisch) eigenständig.131 Außerdem gibt es etwa 55 Stromhändler und 1.280 Stromlieferanten.132 125 Vgl. Theobald/Theobald, Grundzüge des Energiewirtschaftsrechts, 2013, S. 364 mit weiterem Verweis. „Von einer Bereitstellungsaufgabe zu einer Gewährleistungsaufgabe.“ (Böske, Zur Ökonomie der Versorgungssicherheit in der Energiewirtschaft, 2007, S. 16). 126 Vgl. Theobald, in: Theobald/Kühling, Energierecht, 2022, § 1 EnWG, Rn. 15. 127 Vgl. Ziekow, Öffentliches Wirtschaftsrecht, 2016, § 13, Rn. 8. 128 Vgl. Kühling et al., Energierecht, 2022, S. 236, Rn. 4. 129 Siehe Schiffer, Energiemarkt Deutschland, 2019, S. 159/160. „Diese TSO betreiben die Übertragungsanlagen und sind für die Frequenz-Leistungsregelung des Höchstspannungsnetzes (Länge von rund 37.000 km) verantwortlich. Sie vermarkten ferner den von den Produzenten erneuerbarer Energien erzeugten EEG-Strom über die Börse und führen den physischen Energieaustausch mit in- und ausländischen Energieversorgern durch“ (ebenda). 130 Die Verteilnetzebene teilt sich auf in: Hochspannung: 86.300 km; Mittelspannung: 522.000 km und Niederspannung: 1.192.000 km, vgl. Schiffer, Energiemarkt Deutschland, 2019, S. 160. 131 Vgl. Schiffer, Energiemarkt Deutschland, 2019, S. 160.

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A. Grundbegriffe – Marktdesign und Ziele

Die Tätigkeit von Unternehmen in der deutschen Elektrizitätswirtschaft war vor der Liberalisierung größtenteils regional begrenzt. Diese Begrenzung ist nunmehr entfallen, so dass auf dem deutschen Strommarkt mehr als 1.000 Stromversorger tätig sind. Diese sind zum Teil sogar über Deutschland hinaus tätig, weshalb dies wiederum eine gewisse strukturelle Vielfältigkeit bedingt.133 2. Energieversorgungsunternehmen am Gasmarkt In Deutschland hat sich durch die Liberalisierung die Anzahl der Gasversorgungsunternehmen deutlich erhöht. So sind etwa zehn Unternehmen in der Erdgasförderung involviert, auch wenn der größte Anteil an Erdgas importiert wird.134 Diesen Import übernehmen inzwischen voneinander getrennte Handelsunternehmen, aktuell im Jahr 2019 waren es etwa 67 Handelsunternehmen, und 16 Fernleitungsnetzbetreiber.135 Daneben gibt es etwa 730 (häufig kommunale) Unternehmen auf der Verteilnetzebene sowie 930 Lieferanten auf der Vertriebsstufe.136 So können Letztverbraucher aus mehr als 50 verschiedenen Gaslieferanten wählen. Die Wettbewerbsintensität besteht in hohem Maße.137 Auch ist der Gasmarkt dezentral strukturiert.138 So gibt es rund 25 Unternehmen, die derzeit 47 Erdgasspeicher in Deutschland betreiben.139 Sämtliche Gasspeicher werden von privaten Unternehmen betrieben, wobei Wingas eine 100 %ige Tochterfirma des russischen Erdgasproduzenten Gazprom ist, in deren Eigentum im März 2014 auch einer der größten Speicher (Rehden) übergegangen ist, zudem Beteiligungen an mehreren Speicherbauprojekten bestehen.140

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Siehe ebenda, S. 161. Vgl. ebenda, S. 158/159. 134 Vgl. ebenda, S. 126. Die Zahl der Einzelhändler von Gas an Endkunden ist innerhalb der EU insbesondere in Deutschland stark gestiegen. 2020 hatte Deutschland mit 979 die höchste Anzahl von Einzelhändlern innerhalb der EU, vgl. Eurostat, Natural gas market indicators, 2022. 135 Siehe BNetzA/BKartA, Monitoringbericht, 2019, S. 347. 136 Siehe Schiffer, Energiemarkt Deutschland, 2019, S. 126. 137 Vgl. ebenda, BNetzA/BKartA, Monitoringbericht, 2019, S. 345. 138 Vgl. Schiffer, Energiemarkt Deutschland, 2019, S. 126. 139 Vgl. Die Fernleitungsnetzbetreiber, abrufbar unter: https://www.fnb-gas.de/gas infrastruktur/marktteilnehmer/speicherbetreiber/. 140 Vgl. Ennuschat, Erdgas in der deutschen Energiewende und europäischen Energieunion, NVwZ 2015, S. 1553–1559 (1558) mit Verweis auf Wetzel, Russen übernehmen wichtigsten deutschen Gasspeicher, in: Die Welt Online vom 11. März 2014; vgl. auch: BASF und Gazprom vollziehen Asset-Tausch auf BASF-Homepage und Der Spiegel Online vom 04. September 2015, BASF und Gazprom besiegeln Milliarden-Deal. Zum Speicherprojekt Katharina als Speicherprojekt von Gazprom und VNG Speicher (vgl. die eigene Homepage der UGS-katharina). Als Folge des Ukrainekrieges ist die BNetzA treuhänderisch eingesetz worden, vgl. Dimpfel, Wie sich der wichtigste Gasspeicher Deutschlands von Gazprom löst, in: Capital vom 06. Juni 2022. 133

B. Grundlagen des Energiemarktes Der Energiemarkt dient dazu, die Allgemeinheit mit Elektrizität und Gas zu versorgen.1 Genau genommen gibt es verschiedene Energiemärkte, die sich nach den einzelnen Energieträgern unterteilen lassen. Auch lässt er sich differenzieren in je einen Markt für den Energiegroßhandel, für die Systemdienstleistungen sowie für erneuerbare Energien.2 Ganz allgemein ist aber unter Energiemarkt ein Markt zu verstehen, auf dem die Energieversorgungsunternehmen die Versorgung mit leitungsgebundener Energie, folglich Elektrizität und Erdgas, übernehmen.

I. Eigenschaften von Strom 1. Strom als Sekundärenergie Strom ist aus physikalischer und elektrotechnischer Sicht „elektrische Energie“ 3 und eine sogenannte Sekundärenergie.4 Das bedeutet, dass Strom aus Primärenergieträgern, wie etwa Erdgas, Braun- und Steinkohle oder Wind, Sonne und Biogas gewonnen, wird. Es wird außerdem zwischen Endenergie und Nutzenergie unterschieden. Zunächst muss der Primärenergieträger umgewandelt werden, wodurch die Endenergie, die dem Verbraucher geliefert wird,5 entsteht, auch treten Umwandlungs- und Leitungsverluste ein. Die Nutzenergie6 bezeichnet sämtliche Bereiche der technischen Energie, die der Verbraucher mittels Einsatzes von elektrisch betriebener Geräte als Endenergie nutzen kann.7 1 Vgl. §§ 1 Abs. 1 und 3 Nr. 14 EnWG; Ziekow, Öffentliches Wirtschaftsrecht, 2016, § 15, Rn. 3. 2 Zum Marktdesign des Strommarktes als Energy Only-Market wird in Kapitel D. I. 4. ausgeführt. 3 In der Praxis und in der Literatur wird jedoch als Synonym „Strom“ verwendet, vgl. Strom und Gas 2007: Wettbewerbsdefizite und zögerliche Regulierung, BT-Drs. 16/7087, S. 47 ff. 4 Vgl. Monopolkommission, Strom und Gas 2011: Wettbewerbsentwicklung mit Licht und Schatten, S. 2011, S. 53, Ziff. 67. 5 Vgl. ebenda. 6 „Nutzenergie umfasst alle technischen Formen der Energie, welche der Verbraucher letztendlich benötigt, also Wärme, mechanische Energie, Licht, elektrische und magnetische Feldenergie (z. B. für Galvanik und Elektrolyse) und elektromagnetische Strahlung, um Energiedienstleistungen ausführen zu können. Nutzenergien müssen im Allgemeinen zum Zeitpunkt und am Ort des Bedarfs aus Endenergie mittels Energiewandlern erzeugt werden.“, Schiffer, Energiemarkt Deutschland, 2019, S. 552. 7 Vgl. Monopolkommission, Strom und Gas 2011: Wettbewerbsentwicklung mit Licht und Schatten, S. 53, Ziff. 67.

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B. Grundlagen des Energiemarktes

2. Keine Speicherbarkeit von Strom Elektrische Energie kann (bislang) nicht in größeren Mengen gelagert oder gespeichert werden.8 Auch geht die bisher technisch mögliche Speicherung, wie etwa mittels Batteriespeichern, in der Regel mit einem Energieverlust einher, der zusätzliche Kosten verursacht,9 wobei hiervon lediglich Wasserkraftwerke und Pumpspeicher ausgenommen werden können.10 Daher ist die Möglichkeit auf dem Strommarkt begrenzt, im Voraus (größere Mengen) Strom herzustellen und diesen erst zu einem späteren Zeitpunkt in das Stromnetz einzuspeisen. Es gibt jedoch Möglichkeiten Strom zu speichern, indem man diesen in andere Energieträger umwandelt.11 3. Gleichzeitigkeit von Stromeinspeisung und Stromentnahme Der physikalische Unterschied der Handelsware Strom zu den meisten anderen Handelswaren besteht darin, dass der Strom in dem Moment, in dem er erzeugt wird, prinzipiell auch verbraucht werden muss. Dies wird durch die zuvor erwähnte Nichtspeicherbarkeit verstärkt, so dass von den Kraftwerken die Elektrizität immer gleichzeitig mit der Nachfrage bereitgestellt werden muss.12 Der in das Verbundnetz eingespeiste Strom muss quantitativ mit dem ausgespeisten Strom übereinstimmen, um so das physikalische Angebot an Strom mit dem der physikalischen Nachfrage in einer stabilen Ausgeglichenheit zu halten.13 Eine grundlegende Entscheidung, um die Netzstabilität zu gewährleisten, ist die Festlegung, dass das europäische Stromleitungsnetz unabhängig von der Spannungsebene mit einer immer gleichbleibenden Frequenz von 50 Hz (inklusive eines Sicherheitswertes für eine zulässige Abweichung in Höhe von +/– 0,05 Hz) betrieben wird.14 Das Aufrechterhalten der Netzstabilität wird auch dadurch erschwert, dass der Stromverbrauch nicht gleichbleibend ist, sondern je nach Jahres-, Tages- und Uhrzeit stark schwankt, so dass mittels einer Netzsteuerung Erzeugung und Verbrauch im ständigen Gleichgewicht gehalten werden muss. Ebenso ist das Ausmaß der „Verlustenergie“ einzukalkulieren, die bei der Nutzung des Netzes entsteht.15 Daher ist es wichtig, dass die Kraftwerke auf der Angebotsseite planbar 8 Vgl. etwa Theobald, in: Schneider/Theobald, Recht der Energiewirtschaft, 2021, § 1 EnWG, Rn. 1 mit weiterem Verweis. 9 Vgl. Ockenfels, Strombörse und Marktmacht, 2007, ET, S. 44–58 (45). 10 Vgl. Theobald/Theobald, Grundzüge des Energiewirtschaftsrechts, 2013, S. 21. 11 Vgl. hierzu Kapitel D. II. 4. 12 Vgl. Theobald/Theobald, Grundzüge des Energiewirtschaftsrechts, 2013, S. 21. 13 Vgl. Monopolkommission, Strom und Gas 2011: Wettbewerbsentwicklung mit Licht und Schatten, S. 54, Ziff. 68. 14 Vgl. ebenda, S. 53 Ziff. 68. 15 Vgl. Kühling et al., Energierecht, 2022, S. 46, Rn. 69.

I. Eigenschaften von Strom

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nach einer „Kraftwerkseinsatzplanung“, dem sogenannten Dispatch, arbeiten, den die Kraftwerksbetreiber an die jeweiligen Übertragungsnetzbetreiber für den Folgetag melden und auf deren Grundlage die Netzbetreiber dann eine Lastflussberechnung (entspricht einer Berechnung der Netzbelastung) vornehmen können. Aus diesen, entsprechend dem zeitlichen Verlauf der bezogenen Energie (Strom oder Gas) sich ergebenden Lastprofils (auch sogenannte Lastkurve) eines Verbrauchers, wird die bezogene Leistung ermittelt.16 Die Netzbetreiber können hierbei Stromverbrauch und auch Stromangebotsschwankungen nahezu realistisch berechnen und damit den Kraftwerken mitteilen, wann diese wie viel Strom produzieren sollen. Weicht die Prognose der Netzbetreiber ab, müssen diese je nach Bedarf zur Nachsteuerung die Kraftwerke zuschalten oder abschalten.17 Hierbei werden insbesondere flexible Kraftwerke benötigt, die schnell reagieren können, wozu überwiegend Gaskraftwerke entsprechend befähigt sind. Diese kurzfristige Verlagerung des Einsatzes von Kraftwerken (Redispatch) wird benötigt, um eine drohende Überlastung eines bestimmten Leistungsabschnittes des Energienetzes abzuwenden und hierdurch im Ergebnis die Netze stabil zu halten.18 Um einen Zusammenbruch in den Netzteilen zu verhindern, weil das Gleichgewicht nicht gehalten werden kann, ist bezüglich der Nachfrageseite zur Stabilisierung der Übertragungsnetze die Verordnung zu abschaltbaren Lasten (AbLaV)19 ergangen. Wenn der physikalische Netzzustand nicht in anderer Weise stabilisiert werden kann, besteht hiernach die Möglichkeit (vorwiegend) stromintensive Industrieprozesse schnell temporär abzuschalten oder zu reduzieren (abschaltbare Lasten).20 Diese Ausregelung von Strom auf der Verbraucherseite, indem nicht jede Nachfrage bedient wird, erfolgt nach Maßgabe einer sogenannten Abschalthierarchie. Diese Vermeidung eines Ungleichgewichts dient zugleich der Versorgungssicherheit. Um die freie Entscheidung zur Abschaltung zu steigern, soll hierfür die zusätzliche Entschädigung gezahlt werden.21 Die erforderliche Gleichzeitigkeit von Stromeinspeisung und Stromentnahme gewinnt im Rahmen der Energiewende nun eine besondere Bedeutung, da der Einsatz erneuerbarer Energien noch nicht ausreichend regelbar ist. Hier muss in 16

Vgl. ebenda, S. 46, Rn. 68. Vgl. ebenda, S. 46, Rn. 69. 18 Vgl. zur Definition von Redispatch-Maßnahmen in Kapitel A., S. 35, Fn. 72; Fekete, Redispatch in Deutschland, 2021, S. 4. Die unterschiedlichen Formen dieser Maßnahmen werden im Kapitel G. I. 2. b) cc) erläutert. 19 Verordnung über Vereinbarungen zu abschaltbaren Lasten (AbLaV) vom 16. August 2016, BGBl. I, S. 1984, zuletzt geändert durch Art. 9 des Gesetzes vom 16. Juli 2021, BGBl. I, S. 3026. 20 Vgl. Monopolkommission, Energie 2013: Wettbewerb in Zeiten der Energiewende, S. 177, Ziff. 335. 21 Zu dem Instrument der abschaltbaren Lasten wird im Kapitel G. I. 2. b) bb) ausgeführt. 17

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B. Grundlagen des Energiemarktes

diesem herkömmlich berechneten Fahrplan der Kraftwerksbetreiber nunmehr immer häufiger kurzfristig durch den Übertragungsnetzbetreiber eingegriffen werden. So wurde auch in diesem Zusammenhang durch das Strommarktgesetz in § 1 Abs. 4 Nr. 2 EnWG explizit die Möglichkeit des jederzeitigen Ausgleichs von Angebot und Nachfrage nach Elektrizität festgelegt und die besondere Bedeutung des Merkmals der Gleichzeitigkeit für die Versorgungssicherheit betont.22 4. Homogenität von Strom Elektrische Energie ist rein physikalisch und unabhängig von dem Erzeugungsprozess betrachtet homogen.23 Solche homogenen Güter sind – ökonomisch betrachtet – auch gleichartige Güter, deren entscheidendes Merkmal der identische funktionale Nutzen des Gebrauchs und Verbrauchs ist und die wegen ihrer objektiven Gleichartigkeit somit vollumfänglich substituierbar sind. Dies wird grundsätzlich auch von den Nutzern (Endkunden) von Strom so gesehen, da für die Verbraucher der „Elektrische Energie aus der Steckdose“ 24 gleichwertig und für jeden Nachfrager in derselben Qualität angeboten wird und damit auch austauschbar ist (all electrons are identical).25 So erhält der Kunde folglich im freien Markt nicht den eventuell speziell gewünschten Strom von seinem beauftragten Lieferanten, sondern der Lieferant speist die bestimmte Strommenge an irgendeiner Stelle im Netz ein, während der Kunde zur gleichen Zeit die entsprechende Menge seinerseits entnimmt.26 Es gibt keine subjektiven Produktunterschiede, so dass es – zumindest bislang – für die reine Nutzung unerheblich ist, aus welchem Primärenergieträger der Strom erzeugt und welche Technologie zur Produktion eingesetzt wurde. Im Allgemeinen ist der Kaufabschluss für den Kunden nicht abhängig von einer bestimmten Person als Verkäufer.27 Sogar dann, wenn Verbraucher zu solchen Vertriebsunternehmen wechseln, die „grünen Strom“ anbieten, kann dieser bereits aus rein physikalischen Gründen noch nicht exakt diesem Letztverbraucher geliefert werden, so dass der Kunde aus seiner Steck22 Vgl. Bundesregierung, Begründung Gesetzesentwurf Strommarktgesetz vom 20. Januar 2016, BT-Drs. 18/7317, S. 75; vgl. Theobald, in: Theobald/Kühling, Energierecht, 2022, § 1 EnWG, Rn. 52; Kment, in: Kment, Energiewirtschaftsgesetz, 2019, § 1, Rn. 16; BMWi, Ein Strommarkt für die Energiewende (Weißbuch), 2015, S. 52. 23 Vgl. Nagel, Nachhaltige Strom- und Gasversorgung im Lichte des Wettbewerbsrechts, 2010, S. 25. 24 Monopolkommission, Strom und Gas 2011: Wettbewerbsentwicklung mit Licht und Schatten, S. 52, Ziff. 66. 25 Siehe Böske, Zur Ökonomie der Versorgungssicherheit in der Energiewirtschaft, 2007, S. 106, dort Fn. 292 mit weiterem Verweis. 26 Vgl. Monopolkommission, Strom und Gas 2009: Energiemärkte im Spannungsfeld von Politik und Wettbewerb, S. 45, Ziff. 33. 27 Vgl. BKartA, Sektoruntersuchung Stromerzeugung/Stromgroßhandel, 2011, S. 47; Böckers et al., Diskriminierende Gebotsbeschränkungen im deutschen Großhandelsmarkt für Strom, 2013, S. 22.

I. Eigenschaften von Strom

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dose keinen „grünen Strom“ erhält, selbst wenn er für diesen bezahlt hat.28 Der erzeugte Strom ist, sobald er in das Stromnetz gelangt, durchmischt und die Herkunft nicht erkennbar („Stromsee“ 29). Die Netzsteuerung des Stroms ist bislang auch nur innerhalb des jeweiligen Netzbereiches (so etwa bestimmte Ortsteile, Bezirke oder auch bei Großkunden) möglich.30 In Anbetracht dieser Tatsache der entfallenden Differenzierungen, etwa in zeitlicher, räumlicher und sachlicher Art sowie der Gleichzeitigkeit von Stromerzeugung und Stromverbrauch, ist weiterhin davon auszugehen, dass auch die Preisgestaltung identisch sein muss.31 So wird dies auch im sogenannten Gesetz des einheitlichen Preises (Law of one price)32 wiedergegeben. Dies gilt in jedem wettbewerblich organisierten Markt, und zwar losgelöst von Marktregeln und Marktsituationen.33 Diese beschriebene Austauschbarkeit von Strom, die ungeachtet von Nachfragepräferenzen besteht, wandelt sich jedoch unter dem Einfluss der Energiewende und den technologischen Entwicklungen immer mehr. So gewinnen die Unterschiede etwa in der Umweltverträglichkeit des zur Stromerzeugung verwendeten Primärenergieträgers, insbesondere des reinen Ökostroms, für den Verbraucher bei seiner Wahl des Produktes immer mehr an Bedeutung. Hierdurch wiederum wird dem Strom zunehmend ein heterogener Charakter verliehen.34 Auf diese Weise sind zur Berücksichtigung von bestimmten Wertvorstellungen bei den Kundenwünschen bereits Mechanismen entwickelt worden, die eine Differenzierung und einen Herkunftsnachweis des Stroms nötig machen, exemplarisch in Form sogenannter Grünstromzertifikate.35 Ebenso wird mittlerweile auch verstärkt auf verbraucherfreundliche Vertriebskriterien, etwa auf den Kundenservice des Energieversorgers, geachtet.36 28 Vgl. Monopolkommission, Strom und Gas 2011: Wettbewerbsentwicklung mit Licht und Schatten, S. 53, Ziff. 66. 29 Monopolkommission, Energie 2013: Wettbewerb in Zeiten der Energiewende, 2013, S. 152, Ziff. 280. 30 Vgl. Cramton/Ockenfels, Economics and Design of Capacity Markets for the Power Sector, ZfE 2012, S. 113–134 (116). 31 Vgl. BKartA, Sektoruntersuchung Stromerzeugung/Stromgroßhandel, 2011, S. 47. 32 Siehe Ockenfels, Strombörse und Marktmacht, 2007, ET, S. 44–58 (53); Hufendiek, in: Schwintowski et al., Handbuch Energiehandel, 2018, Rn. 11; siehe hierzu die Darstellung der Gleichgewichtstheorie innerhalb der Wettbewerbstheorien in Kapitel C. I. 2. 33 Vgl. Ockenfels, Strombörse und Marktmacht, 2007, ET, S. 44–58 (53). 34 Vgl. Monopolkommission, Strom und Gas 2011: Wettbewerbsentwicklung mit Licht und Schatten, S. 53, Ziff. 66; bei industriellen Stromkunden können die Nutzenunterschiede etwa aus Unterschieden in der Versorgungssicherheit begründet sein, vgl. Monopolkommission, Strom und Gas 2009: Energiemärkte im Spannungsfeld von Politik und Wettbewerb, S. 45, Ziff. 32. 35 Vgl. Monopolkommission, Energie 2013: Wettbewerb in Zeiten der Energiewende, 2013, S. 152, Ziff. 280. 36 Vgl. Monopolkommission, Strom und Gas 2011: Wettbewerbsentwicklung mit Licht und Schatten, S. 53, Ziff. 66.

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B. Grundlagen des Energiemarktes

II. Eigenschaften von Gas 1. Gas als Primärenergieträger Allgemein kann zunächst auf die Definition von Gas in § 3 Nr. 19a EnWG verwiesen werden, wonach unter „Gas“ zu verstehen ist: „Erdgas, Biogas, Flüssiggas im Rahmen der §§ 4 und 49 EnWG sowie, wenn sie in ein Gasversorgungsnetz eingespeist werden, Wasserstoff, der durch Wasserelektrolyse erzeugt worden ist, und synthetisch erzeugtes Methan, das durch wasserelektrolythisch erzeugten Wasserstoff und anschließende Methanisierung hergestellt worden ist.“ Im Unterschied zu Strom ist Gas ein Primärenergieträger, dessen Energie in ihrer ursprünglichen Form aus der Natur stammt. Gase existieren zum einen als konventionelle (Erd-)Gase in ihrer Eigenschaft als Naturgase, die je nach ihrer Zusammensetzung unterschiedlich zu klassifizieren sind. Erdgas wird zwar als der umweltfreundlichste fossile Energieträger mit hohem Nutzungsgrad angesehen.37 Jedoch führt insbesondere der Bezug des konventionellen Erdgases zu einer hohen Importabhängigkeit Deutschlands und der Europäischen Union gegenüber denjenigen Ländern, in denen sich die Förderquellen befinden.38 Hinzu kommt, dass die Beschaffung von Gas – auch aufgrund langer Transportwege – nicht flexibel ist.39 Vor diesem Hintergrund hat schließlich die Förderung zum anderen aus unkonventionellen Erdgasen immer mehr an Bedeutung gewonnen. Zu diesen unkonventionellen Gasen gehört das Shale Gas hier Schiefergas genannt, welches in Schiefer-, Ton- und Mergelgestein vorkommt. Außerdem gibt es das Flözgas aus Kohleflözgestein40 sowie Tight Gas, also Erdgas, das sich im dichten Sand- oder Kalkstein befindet.41 Sämtliche Vorkommen von unkonventionellen Erdgasen sind nicht einer Förderung durch Bohrung zugänglich, sondern bedürfen weiterer technischer Prozesse, so etwa die spezielle Art des Frackings.42 Weiterhin soll im Zusammenhang der Erzeugung von Energie durch erneuerbare Energien (sogenannte regenerative Primärenergieträger, hier insbesondere Biomasse, Solar- und Windenergie) sowie deren Umwandlung in Gas mit potenzieller Speicherung untersucht werden. So wird Biogas in Biogasanlagen durch 37 Die CO -Bilanz von Erdgas ist grundsätzlich niedriger als die von Steinkohle oder 2 Heizöl und variiert je nach Kraftwerkstechnik, vgl. Monopolkommission, Strom und Gas 2011: Wettbewerbsentwicklung mit Licht und Schatten, S. 70, Ziff. 110 mit weiteren Verweisen. 38 Vgl. Theobald/Theobald, Grundzüge des Energiewirtschaftsrechts, 2013, S. 22. 39 Vgl. Löschel et al., Energiewirtschaft, 2020, S. 248. 40 Vgl. ebenda, S. 223. 41 Vgl. Schiffer, Energiemarkt Deutschland, 2019, S. 558 und 559; Monopolkommission, Energie, 2011, S. 73 Ziff. 117. 42 Löschel et al., Energiewirtschaft, 2020, S. 240. Hierzu wird näher in Kapitel D. II. 3. ausgeführt.

II. Eigenschaften von Gas

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Prozesse der Vergärung von Biomasse oder Gülle erzeugt,43 wobei die verwendete Biomasse nach Maßgabe der Biomasseverordnung auszuwählen ist.44 Hauptsächlich wird Biogas zur Strom- und Wärmeerzeugung in Blockheizkraftwerken genutzt, insofern noch das Problem besteht, das Biogas entsprechend dem Niveau des fossilen Erdgases aufzubereiten (Kompatibilität des Biogases), um es sodann auch netzkompatibel in das Gasnetz einspeisen zu können.45 Auch ist aufgrund der Power-to-Gas-Technologie grundsätzlich der regenerativ erzeugte Strom in Gas umzuwandeln, jedoch ist dies derzeit wegen des durch die Mehrfachumwandlung entstehenden Energieverlustes noch nicht wirtschaftlich sinnvoll.46 2. Speicherbarkeit von Gas Gas hat den besonderen Vorteil, dass es gespeichert werden kann. Entscheidend hierbei ist, dass Gas unterschiedlich, nämlich in seinem jeweiligen Aggregatzustand, im flüssigen Zustand und auch gasförmig, speicherbar ist. Ebenso kann Gas in diversen Ausführungen von Speichern gespeichert werden, selbst das Erdgasnetz kann eine potenzielle Speicherung zulassen, je nachdem wie viel Gas aufgenommen wird (sogenannter Netzpuffer).47 Das Gasleitungsnetz soll zukünftig neben Erdgas und Biogas auch für die Speicherung von Wasserstoff sowie für das künstlich erzeugte Methan aus regenerativ erzeugtem Strom dienen.48 3. Gleichzeitigkeit der Einspeisung und Ausspeisung Im Gasmarkt müssen die Ein- und Ausspeisungen ebenfalls synchron aufeinander abgestimmt werden, um die Funktionstüchtigkeit des Leitungsnetzes aufrechtzuerhalten, so dass auch hier das Dispatching relevant ist. Dies ist jedoch im Vergleich zu Strom im Hinblick auf den beschriebenen Netzpuffereffekt deutlich anpassungsfähiger zu gestalten. Darüber hinaus können wegen der unterschiedlichen Arten der Speichermöglichkeiten Schwankungen einfacher ausgeglichen werden.49 43 Vgl. die Definition in § 3 Nr. 11 EEG 2021, wonach Biogas jedes Gas ist, das durch anaerobe Vergärung von Biomasse gewonnen wird. 44 Verordnung über die Erzeugung von Strom aus Biomasse (Biomasseverordnung – BiomasseV) vom 21. Juni 2001 (BGBl. I, S.1234), die zuletzt durch Art. 8 des Gesetzes vom 13. Oktober 2016 (BGBl. I, S. 2258) geändert worden ist. 45 Vgl. Löschel et al., Energiewirtschaft, 2020, S. 223; Kühling et al., Energierecht, 2022, S. 43, Rn. 62; zu Biogasen vgl. Monopolkommission, Strom und Gas 2011: Wettbewerbsentwicklung mit Licht und Schatten, S. 75, Ziff. 119. 46 Vgl. Schiffer, Energiemarkt Deutschland, 2019, S. 531. Weitere Ausführungen zur Power-to-Gas Technologie folgen in Kapitel D. II. 4. 47 Vgl. Kühling et al., Energierecht, 2022, S. 47, Rn. 70; die verschiedenen Speichermöglichkeiten werden in diesem Kapitel unter IV. 2. d) dargelegt. 48 Vgl. BMWK, Artikel Konventionelle Energieträger, Power-to-Gas, 2022. In Kapitel H. II. wird auf diese Potenziale noch einmal eingegangen. 49 Vgl. Kühling et al., Energierecht, 2022, S. 47, Rn. 70.

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B. Grundlagen des Energiemarktes

Beim Erdgasnetz muss – vergleichbar zur Spannung im Stromnetz – immer ein gleichbleibender Druck herrschen.50 Durch den Druck werden die Gasmoleküle in eine Richtung durch die Röhren gelenkt, wobei Druckverluste entstehen, die dann durch sogenannte Verdichterstationen wieder ausgeglichen werden.51 Allerdings ist bei der Netzsteuerung zu beachten, dass die verschiedenen Gasqualitäten nicht vermischt werden dürfen.52 4. Keine Homogenität von Gas Bei Erdgas53 handelt es sich entgegen dem Gut Strom schon aufgrund seiner physikalischen Eigenschaften nicht um ein vollkommen homogenes Gut.54 Dies ergibt sich daraus, dass das Erdgas je nach Ursprungsort und den jeweiligen geographischen Lagerstätten chemisch unterschiedlich zusammengesetzt ist55 und somit auch unterschiedliche Brennwerte hat.56 Abhängig von seinem Methangehalt wird Erdgas in Deutschland in die zwei verschiedenen Qualitätskategorien L-Gas (niedrigkalorisches L-Gas (low): bis max. 85 Vol. %) und H-Gas (hochkalorisches H-Gas (high): zwischen 88 und 99 Vol. %) eingeteilt.57 L-Gas stammt hierbei vornehmlich aus den Niederlanden und Norddeutschland, H-Gas aus dem norwegischen Teil der Nordsee oder Russland.58 Erdgas mit diesen beiden unterschiedlichen Qualitätskategorien kann grundsätzlich in seinem Einsatzbereich nicht ausgetauscht werden,59 insofern Gase dieser verschiedenen Qualitätskategorien nicht untereinander gemischt werden dürfen und daher zwingend getrennt

50 Etwa 80 bar maximal in Gasfernleitungsnetzen. In den Gasverteilnetzen herrscht grundsätzlich ein Druck in Höhe von 100 mbar bis zu einem bar, in den Niederdruckleitungen ist der Druck unter einem bar, vgl. Monopolkommission, Strom und Gas 2011: Wettbewerbsentwicklung mit Licht und Schatten, S. 76, Ziff. 122. 51 Vgl. Schiffer, Energiemarkt Deutschland, 2019, S. 130. 52 Vgl. Kühling et al., Energierecht, 2022, S. 47 Rn. 70; die verschiedenen Gasqualitäten werden in dem nachfolgenden Abschnitt (Nr. 4) erläutert. 53 Erdgas ist ein brennbares Naturgas, das in unterirdischen Lagerstätten vorkommt. Es ist ein Gemisch, das hauptsächlich aus Methan (ca. 75–99 % CH4) sowie anderen Kohlen- und Schwefelwasserstoffen besteht. Hinzukommen Stickstoff und Kohlendioxid, vgl. Löschel et al., Energiewirtschaft, 2020, S. 222. 54 Vgl. Nagel, Nachhaltige Strom- und Gasversorgung im Lichte des Wettbewerbsrechts, 2010, S. 25; Heuterkes/Janssen, Die Regulierung von Gas- und Strommärkten in Deutschland, 2008, S. 1. 55 Vgl. Löschel et al., Energiewirtschaft, S. 222. 56 Vgl. Heuterkes/Janssen, Die Regulierung von Gas- und Strommärkten in Deutschland, 2008, S. 1. 57 Vgl. Schiffer, Energiemarkt Deutschland, 2019, S. 544 und 548. 58 Vgl. Löschel et al., Energiewirtschaft, 2020, S. 222. 59 Vgl. Monopolkommission, Strom und Gas 2011: Wettbewerbsentwicklung mit Licht und Schatten, S. 72, Ziff. 114.

III. Entwicklung des Energiemarkts zum Wettbewerbsmarkt

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entsprechend der unterschiedlichen Gasqualitäten (L und H) jeweils über eigene Gasnetze zu transportieren sind.60

III. Entwicklung des Energiemarkts zum Wettbewerbsmarkt: Liberalisierung Wie bereits im Kapitel A. erwähnt, bedeutete die Liberalisierung durch die Umstrukturierung des Energiemarktes von einem staatlichen Monopol zu einem freien Wettbewerbsmarkt hin einen wichtigen Einschnitt. Für eine bessere Nachvollziehbarkeit der Strukturen des Energiemarktes sollen dieser Wandel und die Gründe hierfür nun in der gebotenen Kürze dargelegt werden. 1. Energiewirtschaftsgesetz 1935: Staatliche Energieversorgung Das Energiewirtschaftsgesetz (EnWG) trat erstmals im Jahr 1935 in Deutschland in Kraft61 und galt bis zum Jahr 1998 nahezu unverändert.62 Die Energiewirtschaft, also die Elektrizitäts- und Gasversorgung, standen zunächst unter Staatsaufsicht,63 in deren Rahmen eine Monopolversorgung existierte, bei der die Endverbraucher an den im jeweiligen Gebiet tätigen Versorger gebunden waren und die Verbraucher schließlich die Kosten für die Versorgung übernahmen. Der Staat hatte durch verschiedene Kontrollmechanismen und eine umfassende Investitionsaufsicht hierbei große Einflussmöglichkeiten.64 In § 4 EnWG bestand sowohl eine Genehmigungspflicht für die Aufnahme einer Versorgungstätigkeit als auch eine Pflicht zur Anzeige von Kraftwerksstillegungen, so dass der Staat die Möglichkeit hatte, entsprechende Tätigkeiten aus Gemeinwohlgründen gegebenenfalls zu untersagen.65 Dies entspricht bereits in etwa der heute in § 13b Abs. 1, S. 1 EnWG geltenden Anzeigepflicht einer Kraftwerksstillegung.66 Umge60 Vgl. Nagel, Nachhaltige Strom- und Gasversorgung im Lichte des Wettbewerbsrechts, 2010, S. 25; Kühling et al., Energierecht, 2022, S. 47, Rn. 70. „Den Kunden, die mit Gas einer geänderten Beschaffenheit versorgt werden sollen, kann erst nach einer Anpassung der Verbrauchsgeräte Gas des anderen Brennwertbereichs bereitgestellt werden.“ (Schiffer, Energiemarkt Deutschland, 2019, S. 140). Eine Marktraumumstellung der Gasnetze und der angeschlossenen Geräte an das H-Gas ist bis 2030 geplant, da die L-GasVorkommen in Deutschland und den Niederlanden versiegen (vgl. GASAG AG, Erdgas-Unterschiede: L-Gas und H-Gas im Vergleich, 2021). 61 Gesetz zur Förderung der Energiewirtschaft vom 13. Dezember 1935 (Energiewirtschaftsgesetz 1935 – EnWG 1935), RGBl. I, S. 1451. 62 Vgl. Danner, in: Theobald/Kühling, Energierecht, 2022, Einführung, Rn. 62. 63 Vgl. ebenda, Rn. 56 mit weiteren Verweisen. 64 Vgl. ebenda, Rn. 58. 65 Das Verfahren eines Stilllegungsverbots war in § 4 Abs. 2 EnWiG geregelt: „Der Reichswirtschaftsminister kann (. . .) die Stilllegung von Energieanlagen der Energieversorgungsunternehmen innerhalb einer Frist von einem Monat nach Eingang der Anzeige beanstanden. Beanstandete Vorhaben kann er innerhalb einer weiteren Frist von zwei

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B. Grundlagen des Energiemarktes

kehrt konnte aber auch die Beendigung einer Versorgungstätigkeit staatlich angeordnet werden.67 Die Energieversorgung ist hierbei in ihrer Geschichte stets auch durch politische Einflussnahme wesentlich geprägt worden.68 So spielte die dezentrale Struktur der Energieversorgung während des zweiten Weltkrieges eine entscheidende Rolle, insofern die Energieversorgung im ganzen Land lückenlos etabliert werden sollte, wobei dieses Vorgehen im Hinblick auf einen Krieg auch bezüglich der militärischen Anlagen von Vorteil sein sollte.69 So hätten zentrale Großkraftwerke etwa Ziele für Luftangriffe darstellen können,70 weshalb dezentral organisierte Versorgungsstrukturen als risikoärmer bewertet wurden. Auch das zu dieser Zeit im Vordergrund stehende energiewirtschaftliche Ziel, die Energieversorgung so sicher und preisgünstig wie möglich zu machen, wollte man durch eine möglichst dezentrale Energieversorgung erreichen. Insbesondere war die zum heutigen Verständnis sehr gegensätzliche Annahme, dass die Energieversorgung vor „volkswirtschaftlich schädigenden Auswirkungen des Wettbewerbs“ geschützt werden muss, prägend.71 Entscheidend war zudem, dass die Planung von Erzeugungsleistung und die Planung der Netze in einer Hand lagen, was dazu führte, dass ein neues Kraftwerk meist dort gebaut wurde, wo der größte Verbrauch vorhanden war. Dabei bestand auf den Strom- und Gasmärkten eine gefestigte Preisbildung auf der Basis langfristiger, kostenbasierter (Voll-)Versorgungsverträge.72

Monaten nach der Beanstandung untersagen, wenn Gründe des Gemeinwohls es erfordern.“ 66 Siehe hierzu in Kapitel F. III. 2. e). 67 Vgl. Danner, in: Theobald/Kühling, Energierecht, 2022, Einführung, Rn. 58. 68 Vgl. Theobald/Theobald, Grundzüge des Energiewirtschaftsrechts, 2013, S. 1. 69 Vgl. ebenda. 70 Deshalb konnte der Reichswirtschaftsminister Vorschriften und Anordnungen etwa für die Errichtung zusätzlicher Energieanlagen erlassen, soweit solche zur Sicherstellung der Landesverteidigung erforderlich waren, vgl. § 13 Abs. 1 EnWiG 1935 in der Fassung von 1978, RGBl. I, S. 1451. 71 Siehe Danner, in: Theobald/Kühling, Energierecht, 2022, Einführung, Rn. 57. Die Präambel zum EnWG 1935 lautete: „Um die Energiewirtschaft als wichtige Grundlage des wirtschaftlichen und sozialen Lebens im Zusammenwirken aller beteiligten Kräfte der Wirtschaft und der öffentlichen Gebietskörperschaften einheitlich zu führen und im Interesse des Gemeinwohls die Energiearten wirtschaftlich einzusetzen, den notwendigen öffentlichen Einfluss in allen Angelegenheiten der Energieversorgung zu sichern, volkswirtschaftlich schädliche Auswirkungen des Wettbewerbs zu verhindern, einen zweckmäßigen Ausgleich durch Verbundwirtschaft zu fördern und durch all dies die Energieversorgung so sicher und billig wie möglich zu gestalten, hat die Reichsregierung das folgende Gesetz beschlossen, das hiermit verkündet wird.“, EnWG 1935, RGBl. I, S. 1451. 72 Vgl. Löschel et al., Energiewirtschaft, 2020, S. 230.

III. Entwicklung des Energiemarkts zum Wettbewerbsmarkt

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2. Öffnung des Energiemarktes zum Wettbewerbsmarkt Das im Jahr 1998 in Kraft getretene Gesetz zur Neuregelung des Energiewirtschaftsgesetzes73 diente der Umsetzung der EG-Richtlinie aus dem Jahr 1996 zum Energiebinnenmarkt,74 mit der zunächst nur der Elektrizitätsmarkt, zwei Jahre später dann aber auch der Gasmarkt75 liberalisiert wurden. Liberalisierung bedeutet hierbei die Abschaffung des kartellrechtlichen Ausnahmebereichs für die „leitungsgebundene Energie“,76 also die Marktöffnung und die Bildung eines EU-weiten Binnenmarktes.77 Mit den beiden Beschleunigungsrichtlinien für den Elektrizitätsbinnenmarkt und für den Erdgasbinnenmarkt,78 jeweils vom 26. Juni 2003, wurde die Rechtsgrundlage in der Europäischen Union für die Einführung einer staatlichen Regulierung in der Elektrizitäts- bzw. Gaswirtschaft geschaffen.79 Ziel war es, einen freien Wettbewerb zu fördern, staatliche Einflüsse (Monopole und Exklusivrechte im Bereich des Exports und Imports von Strom und Gas) im Bereich des Netzes abzubauen und den Zugang für Dritte (Wettbewerber) zu der Netzinfrastruktur zu ermöglichen, um langfristig einen funktionierenden gemeinsamen Binnenmarkt für Strom und Gas herzustellen.80 Rechtlich wurden die Marktstrukturen in mehreren Schritten, insgesamt über zehn Jahre 73 Gesetz zur Neuregelung des Energiewirtschaftsrechts vom 28. April 1998, BGBl. I, S. 730. 74 Richtlinie 96/92/EG des Europäischen Parlaments und des Rates betreffend gemeinsame Vorschriften für den Elektrizitätsbinnenmarkt vom 19. Dezember 1996, ABl. EG Nr. L 27, S. 20 vom 30. Januar 1997. 75 Richtlinie 98/30/EG Erdgasbinnenmarkt, die mit der EnWG-Novelle 2003 in nationales Recht umgesetzt wurde. Die Aufhebung der kartellrechtlichen Ausnahmetatbestände erfolgte dabei bereits zum 29.04.1998 und die Einführung eines allgemeinen kartellrechtlichen Zugangsanspruchs zu den Leitungsnetzen bzw. den wesentlichen Infrastruktureinrichtungen im Rahmen der 6. Novelle zum 01. Januar 1999 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB). 76 Ritzau/Schuffelen, in: Zenke/Schäfer, Energiehandel in Europa, 2017, § 5, Rn. 6. 77 Vgl. Klotz, in: von der Groeben et al., Europäisches Unionsrecht, 2015, Art. 106 AEUV, Rn. 157. 78 Richtlinie 2003/55/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26.06. 2003 über gemeinsame Vorschriften für den Erdgasbinnenmarkt und zur Aufhebung der Richtlinie 98/30/EG (Erdgasbinnenmarkt-Richtlinie). Diese Richtlinie wurde durch Verordnung (EG) Nr. 1775/2005 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 28. September 2005 über die Bedingungen für den Zugang zu den Erdgasfernleitungsnetzen (Fernleitungsverordnung) ergänzt. 79 Vgl. Danner, in: Theobald/Kühling, Energierecht, 2022, Einführung vor § 1 EnWG, Rn. 53. 80 Vgl. Erwägungsgründe Nr. 1 und 2 der Richtlinie 1996/92/EG des Europäischen Parlaments und des Rates betreffend gemeinsame Vorschriften für den Elektrizitätsbinnenmarkt vom 19. Dezember 1996, ABl. EG Nr. L 27, S. 20 vom 30. Januar 1997; Erwägungsgründe Nr. 1 und 2 der Richtlinie (EG) 2009/72 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Juli 2009 über gemeinsame Vorschriften für den Elektrizitätsbinnenmarkt und zur Aufhebung der Richtlinie (EG) 2003/54, ABl. EU Nr. L 211, S. 55 vom 14. August 2009; EU-Kommission, Weißbuch – Eine Energiepolitik für die Europäische Union vom 13. Dezember 1995, KOM (1995) 682 endg., S. 2 ff.

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B. Grundlagen des Energiemarktes

hinweg, neu gestaltet. Dieser Prozess ist noch immer nicht gänzlich abgeschlossen. Dabei legte die Europäischen Union für jede einzelne Stufe dieser Neugestaltung ein Mindestmaß an Liberalisierung fest und überließ es darüber hinaus den Mitgliedstaaten auf nationaler Ebene, den Markt weitergehend zu öffnen. Als Folge der Liberalisierung wurde die integrierte Energieversorgung, also die einzelnen Marktstufen (Primärenergiebeschaffung, Stromerzeugung bzw. Gasimport sowie Netz und Vertrieb), schrittweise rechtlich und unternehmerisch getrennt (Unbundling) und somit in verschiedene Versorgungsstufen aufgespalten.81 So sollte eine Trennung vollzogen werden von Erzeugung und Vertrieb der Energie einerseits und dem Betrieb von Strom- und Gasnetzen andererseits. Dies machte es für die größeren Unternehmen – vor allem vertikal integrierten Unternehmen – erforderlich, eine von der Stromerzeugung unabhängige und ausschließlich zum Zwecke der Netzbetreibung agierende Netzgesellschaft zu gründen. Hierdurch sollte der Weg zur Schaffung von Wettbewerbsmärkten gefördert werden, und zwar im Einklang mit den EU-Vorgaben.82 Gleichzeitig wurden die Eigentümer des Netzes verpflichtet, auch Dritten die Nutzung dieses Netzes zu gewähren, um somit weiteren Wettbewerbern zu ermöglichen, ihre eigenen Kunden mit Strom zu beliefern. Als neues Geschäftsfeld kam im Jahr 1998 der Energiehandel dazu, wobei die Börse als Preisbildungsinstrument eingesetzt wurde. Aus der unmittelbaren staatlichen Kontrolle von Preisen entstand auf diese Weise eine mittelbare Kontrolle, insofern der Börsenhandel einer staatlichen Kontrolle unterliegt.83 Durch die Beschleunigungsrichtlinien Strom und Gas, die im EnWG mit Wirkung zum 13. Juli 2005 umgesetzt wurden, sollte die Liberalisierung schließlich noch stärker vorangetrieben werden. So war von da an die Einrichtung eines Regulators im Sinne einer staatlichen Kontrolle EU-weit verpflichtend. In Deutschland ist dies in Form der Bundesnetzagentur entsprechend umgesetzt worden.84

81 Vgl. Heinlein/Büsch, in: Theobald/Kühling, Energierecht, 2022, § 6, Rn. 6 und 7; vgl. auch Theobald/Theobald, Grundzüge des Energiewirtschaftsrechts, 2013, S. 14. Zum Teil werden die Marktstufen auch noch weiter untergliedert in 4 bzw. 5 Stufen: Erzeugung, Transport, Weiterverteilung, Vertrieb und Messung (vgl. Kühling et al., Energierecht, 2022, S. 20, Rn. 8) bzw. in 3 Stufen: Erzeugungsstufe, Distributionsstufe, Letztverbraucherstufe (vgl. Glaeve, Die Marktabgrenzung in der Elektrizitätswirtschaft, ZfE 2008, 120–126 (122); Riewe, Versorgungssicherheit durch Kapazitätsmechanismen, 2016, S. 78 mit weiteren Verweisen). 82 Vgl. Danner, in: Theobald/Kühling, Energierecht, 2022, Einführung vor § 1 EnWG, Rn. 53. 83 Gemäß § 48 Abs. 3 GWB wird der Grad der Transparenz, auch der Großhandelspreise, sowie der Grad und die Wirksamkeit der Marktöffnung und der Umfang des Wettbewerbs auf Großhandels- und Endkundenebene auf den Strom- und Gasmärkten sowie an Elektrizitäts- und Gasbörsen durch das Monitoring des Bundeskartellamts überwacht. Die Ergebnisse dieses Monitorings veröffentlicht das Bundeskartellamt zusammen mit der Bundesnetzagentur jährlich in einem Bericht. 84 Vgl. Ritzau/Schuffelen, in: Zenke/Schäfer, Energiehandel in Europa, 2017, § 5, Rn. 11.

IV. Darstellung der Wertschöpfungsstufen im Energiemarkt

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Mit dem zeitlich nachfolgenden Lissabon-Vertrag85 wurde schließlich eine sektorspezifische Gesetzgebungsbefugnis, der sogenannte Energietitel, in Art. 194 Abs. 2 AEUV etabliert86 und das dritte Binnenmarktpaket beschlossen.87

IV. Darstellung der Wertschöpfungsstufen im Energiemarkt Die einzelnen Marktstufen im Energiemarkt bestehen aus Import oder Erzeugung, Großhandel,88 Transport, Speicherung, Weiterverteilung und Vertrieb89 und zuletzt dem Messstellenbetrieb.90 Letzterer hat durch die Digitalisierung der Energiewende eine erhebliche Beschleunigung erfahren, zumal nunmehr eine Einführung von Messsystemen bis zum Jahr 2032 gesetzlich festgelegt wurde.91 Die Messstellenbetreiber können entweder als grundzuständiger Messstellenbetreiber durch den Netzbetreiber vor Ort oder als sogenannte dritter Messstellenbetreiber durch ein insoweit beauftragtes Unternehmen agieren. Sie sind verpflichtet, moderne und intelligente Messsysteme oder Einrichtungen gegen die

85 Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft, ABl. EU Nr. C 306, S. 1 vom 17. Dezember 2007, konsolidierte Fassung zuletzt veröffentlicht in ABl. EU Nr. C 326, S. 1 vom 26. Oktober 2012. 86 Auf diese findet das ordentliche Gesetzgebungsverfahren gemäß Art. 254 AEUV Anwendung. 87 Das dritte Binnenmarktpaket der Europäischen Union setzt sich aus den folgenden Rechtsakten zusammen: Richtlinie 2009/72/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Juli 2009 über gemeinsame Vorschriften für den Elektrizitätsbinnenmarkt und zur Aufhebung der Richtlinie 2003/54/EG, ABl. EG Nr. L 211 vom 14. August 2009, S. 55 (EltRl); Richtlinie 2009/73/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Juli 2009 über gemeinsame Vorschriften für den Erdgasbinnenmarkt und zur Aufhebung der Richtlinie 2003/55/EG, ABl. EG Nr. L 211 vom 13. Juli 2009 (GasRL); Verordnung (EG) Nr. 713/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Juli 2009 zur Gründung einer Agentur für die Zusammenarbeit der Energieregulierungsbehörden, ABl. EG Nr. L 211 vom 14. August 2009, S. 1; Verordnung Nr. 714/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Juli 2009 über Netzzugangsbedingungen für den grenzüberschreitenden Stromhandel und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1228/2003, ABl. EG Nr. L 211, S. 15 ff. vom 14. August 2009; Verordnung Nr. 715/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Juli 2009 über die Bedingungen für den Zugang zu den Erdgasfernleitungsnetzen und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1775/2003, ABl. EG Nr. L 2111, S. 36 vom 14. August 2009. 88 Beim Energiehandel unterscheidet man den Großhandel und den Einzelhandel, also den Vertrieb von Energie an den Endkunden, wobei beide Ebenen wiederum in Spot- und Terminmärkte unterteilt werden können, vgl. Glaeve, Die Marktabgrenzung in der Elektrizitätswirtschaft, ZfE 2008, 120–126 (122). 89 Vgl. Knorr/Smeets, Die Ordnung der deutschen Elektrizitätswirtschaft – heute, ORDO 2008, S. 265; Theobald/Theobald, Grundzüge des Energiewirtschaftsrechts, 2013, S. 14. 90 Vgl. Kühling et al., Energierecht, 2022, S. 20, Rn. 8. 91 Messstellenbetriebsgesetz (MsbG) vom 29. August 2016, BGBl. I, S. 2034; vgl. Schiffer, Energiemarkt Deutschland, 2019, S. 191 und 192.

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B. Grundlagen des Energiemarktes

vorhandenen konventionellen Stromzähler auszutauschen sowie die Übermittlung der abgelesenen Daten an Stromlieferanten und Netzbetreiber vorzunehmen.92 Dabei stehen die Marktstufen in einem engen Zusammenhang zueinander: Wird auf einer Marktstufe etwas geändert, so hat dies auch – zumindest mittelbare – Auswirkungen auf eine der anderen Wertschöpfungsstufen. Wird die Erzeugungsstufe reguliert, etwa durch die staatliche Förderung von erneuerbaren Energien, so kann dies ein Defizit in der allgemeinen Energieversorgung bewirken, wenn nicht gleichzeitig die Transportebene im angemessenen Maße ausgebaut wird. Auswirkungen auf der Handelsebene zeigen sich etwa in Form einer Erhöhung des Strompreises an der Börse. 1. Strommarkt a) Energieerzeugungs- und Energiegewinnungsmarkt Die Eigentümerstruktur, welche die Akteure auf der Erzeugungsebene umfasst, hat sich durch die Energiewende ebenfalls verändert. Während zuvor nur die großen Stromkonzerne in Bezug auf die konventionellen Energieträger beteiligt waren, so erfolgt im Zuge der Förderung von erneuerbaren Energien die Erzeugung nunmehr vermehrt in dezentralen Anlagen zumeist privater Anbieter. Deswegen hat sich auch die Anzahl der Akteure im Bereich der Energieerzeugung stark vergrößert.93 Die Energiegewinnung in Deutschland ist außer bei Strom rückläufig. Zuletzt ist diese im Jahr 2020 auf 3.396 Petajoule (PJ) gesunken.94 Aus diesen inländischen Ressourcen werden etwa 29 % des Primärenergieverbrauchs95 abgedeckt.96 Betrachtet man ausschließlich den deutschen Strommarkt, so kann zwar ein deutlicher Anstieg bei der Stromerzeugung seit dem Jahr 1991 verzeichnet werden,

92 Siehe § 3 Abs. 2 MsbG; vgl. hierzu Reck, in: Theobald/Kühling, Energierecht, 2022, § 3 MesbG, Rn. 40–55. 93 Vgl. Kungl, Die großen Stromkonzerne und die Energiewende, 2018, S. 13/14. 94 Im Vergleich zu 6.224 Petajoule im Jahr 1990, vgl. AG Energiebilanzen, Auswertungstabellen zur Energiebilanz Deutschland – Daten für die Jahre von 1990 bis 2020, Stand: September 2021. 95 Der Primärenergieverbrauch ergibt sich von der Entstehungsseite her als Summe aus der Gewinnung im Inland, den Bestandsveränderungen sowie dem Außenhandelssaldo abzüglich der Hochseebunkerungen. Der Primärenergieverbrauch lässt sich auch von der Verwendungsseite her ermitteln. Er errechnet sich dann als Summe aus dem Endenergieverbrauch, dem nichtenergetischen Verbrauch sowie dem Saldo in der Umwandlungsbilanz, Schiffer, Energiemarkt Deutschland, 2019, S. 553. 96 Vgl. UBA, Primärenergiegewinung und -importe vom 17. Januar 2022. Der Primärenergieverbrauch stieg im Jahr 2021 wieder an auf 12.193 Petajoule. Damit lag er 6 % über dem Zielwert für das Jahr 2020. Das Ziel der Bundesregierung ist, bis zum Jahr 2030 den Primärenergieverbrauch um 50 % gegenüber 2008 zu senken (vgl. hierzu UBA, Primärenergieverbrauch – Definition und Einflussfaktoren vom 25. März 2022).

IV. Darstellung der Wertschöpfungsstufen im Energiemarkt

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wobei aber seit dem Jahr 2019 die Produktion leicht zurückgegangen ist (insgesamt wurden 582,2 Milliarden kWh in 2021 und 601,9 Milliarden kWh im Jahr 2019 erzeugt).97 Hierbei stellen die erneuerbaren Energiequellen mit einem Anteil von 40,9 % im Jahr 2021 mittlerweile die wichtigsten Energiequellen dar.98 Hierdurch war Deutschland im Jahr 2021 erneut Netto-Stromexporteur mit insgesamt 17,4 TWh.99 Die wichtigsten Exportländer für in Deutschland produzierten Strom waren im Jahr 2019 Österreich, Polen und die Schweiz.100 In diesem Zusammenhang ist bemerkenswert, dass auch der Stromimport im Jahr 2021 im Vergleich zum Vorjahr auf 39,6 TWh (2020: 33,9 TWh) gestiegen ist.101 Hierbei war im Jahr 2021 auch auffällig, dass Deutschland etwa aus Frankreich und Schweden mehr Strom importierte, als es in diese Länder exportierte.102 b) Transport über Stromnetze Physikalisch gilt nach dem Kirchhoffschen Gesetz, dass Elektronen immer den Weg des geringsten Widerstandes nehmen.103 Das gesamte Stromnetz umfasst eine Länge von etwa 1,8 Millionen Kilometer104 und ist in vier Spannungsebenen

97 Nach BDEW, Stromerzeugung und -verbrauch in Deutschland, Stand: 10. Dezember 2021. 98 Nach BDEW, Stromerzeugung und -verbrauch in Deutschland, Stand: 10. Dezember 2021. „Die Leistung der erneuerbaren Energien hat sich damit gegenüber 2007 (35 GW) mehr als verdreifacht“ (Kommission, Abschlussbericht, 2019, S. 20). „Von der gesamten Erzeugungskapazität in Deutschland (215.846 Megawatt zum 31. Dezember 2017) entfallen 95 % auf Energieversorger und andere Betreiber (im Wesentlichen Betreiber von Erneuerbare-Energien-Anlagen) und 5 % auf die Industrie.“ (Schiffer, Energiemarkt Deutschland, 2019, S. 159/160). 99 Der Nettoexport ist im Vergleich zu 2020 (18,5 TWh) und 2019 (35,2 TWh) sowie 2018 (54,2 TWh) deutlich gesunken, BNetzA, Pressemitteilung vom 07. Januar 2022 zur Veröffentlichung der Daten zum Strommarkt 2021. Insgesamt importierte Deutschland in den vergangenen Jahren weniger Strom aus Nachbarländern, als es dorthin exportierte, weshalb der Stromaustauschsaldo seit dem Jahr 2003 negativ ist (AG Energiebilanzen, Auswertungstabellen zur Energiebilanz Deutschland – Daten für die Jahre von 1990 bis 2020, Stand: September 2021). 100 Der Stromaustauschsaldo Deutschlands betrug im Jahr 2021 –20,4 Terawattstunden. Deutschland exportierte 2021 rund 20 Terrawattstunden mehr, als es importierte, Statista, Stromaustauschsaldo Deutschlands in den Jahren 1990 bis 2021. 101 Vgl. BNetzA, Pressemitteilung vom 07. Januar 2022 zur Veröffentlichung der Daten zum Strommarkt 2021. 102 „Im Jahr 2021 betrug der physikalische Stromfluss in das deutsche Netz aus Frankreich rund 9,8 Mrd. KWh“, Statista, Deutscher Stromimport nach Ländern 2021, 2022. 103 Vgl. Theobald/Theobald, Grundzüge des Energiewirtschaftsrechts, 2013, S. 15. 104 Siehe Schiffer, Energiemarkt Deutschland, 2019, S. 224: 82,4 % des deutschen Stromnetzes ist unterirdisch verlegt (1.514.000 Kilometer) und 323.300 km wird oberirdisch durch Freileitungen abgedeckt.

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B. Grundlagen des Energiemarktes

aufgegliedert: Die Höchst-, Hoch-, Mittel- und Niederspannungsebene.105 Der Strom wird auf den unterschiedlichen Spannungsebenen durch Umspannwerke, die die verschiedenen Ebenen miteinander verbinden, transformiert und anschließend weitergeleitet.106 Das Stromnetz besteht aus vielen miteinander verbundenen Einzelnetzen, die in vier Regelzonen zusammengefasst sind, wobei jede Regelzone von jeweils einem Übertragungsnetzbetreiber (jeweils einer der vier Verbundunternehmen) geregelt wird.107 Der von den Kraftwerken erzeugte Strom wird mithilfe eines Transformators auf die jeweilige Spannung der Netzebenen umgewandelt und in das Netz eingespeist. Die Netzebene besteht aus Übertragungsnetzen und Verteilnetzen (daher auch Transport- und Verteilebene),108 auf die bezogen daher analog die Funktionen „Übertragung von Energie“ und „Verteilung von Energie“ unterschieden werden. Übertragung wird nach § 3 Nr. 32 EnWG definiert als der in den Übertragungsnetzen über größere Entfernungen stattfindende Transport von Energie auf einer Höchstspannungsebene mit sehr hoher Spannung und relativ geringen Energieverlusten (380 kV bzw. 220 kV). An diese Übertragungsnetze sind hauptsächlich Großkraftwerke (Kernkraftwerke, Stein- und Braunkohlekraftwerke) angeschlossen. Das nachgelagerte (lokale) Verteilnetz ist durch ein Umspannwerk an das Übertragungsnetz angeschlossen und besteht aus den drei Spannungsebenen, Hoch-, Mittel- und Niederspannungsebene.109 Die in § 3 Nr. 37 EnWG definierte Verteilung bezieht sich auf den regionalen und lokalen Transport der Energie zu den Kunden, wobei der Strom vom Einspeisepunkt zu Umspannstationen in der Nähe von Verbraucherzentren transportiert wird. Dort wird er in eine niedrigere Spannung transformiert und zur Versorgung der Kunden schließlich in die Verteilnetze eingespeist.110 Im Unterschied zum Gasmarkt erfolgt im Strommarkt eine dezentrale Einspeisung, die durch ein signifikant entwickeltes Leitungsnetz ermöglicht wird.111

105

Vgl. Theobald/Theobald, Grundzüge des Energiewirtschaftsrechts, 2013, S. 15. Vgl. ebenda. 107 Eine Regelzone ist ein geographisch festgelegter Verbund von Hoch- bzw. Höchstspannungsnetzen. Die Stabilität dieser Netze muss von den vier zuständigen Übertragungsnetzbetreibern (ÜNB) gewährleistet werden. Seit dem Jahr 2012 sind dies TenneT TSO GmbH, 50 Hertz Transmission GmbH, Ampiron GmbH und Transnet BW GmbH. Zu den Pflichten der ÜNB wird in Kapitel F. III. 2. ausgeführt. 108 Vgl. Monopolkommission, Strom und Gas 2011: Wettbewerbsentwicklung mit Licht und Schatten, S. 62, Ziff. 89. 109 Vgl. ebenda, S. 62, Ziff. 90. 110 Siehe ebenda. 111 Vgl. Wittinghofer, Das Verbot langfristiger Lieferverträge im deutschen Erdgasmarkt, 2008, S. 130. 106

IV. Darstellung der Wertschöpfungsstufen im Energiemarkt

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c) Stromhandel und Vertrieb Der Stromgroßhandel umfasst alle Handelsstufen mit Ausnahme der Belieferung von Endkunden, so dass deren Verbrauch keine Bedeutung hat.112 Zu unterscheiden ist zwischen dem Spotmarkt, auf dem kurzfristig Strommengen gehandelt werden und dem Terminmarkt für den Handel über einen längeren Zeitraum. Auf diese Weise stellt der Großhandel die Verbindung zum Vertrieb her, indem er die nötige Menge an Strom zur Verfügung stellt.113 Seit dem Jahr 1998 bedienen sich die Energieversorgungsunternehmen neuer Vertriebsstrategien, so dass etwa die großen Stromversorger nunmehr unter eigenen Strommarken wie zum Beispiel Yellow agieren.114 Auch können Anbieter für den Vertrieb Strom von unterschiedlichen Erzeugern oder Importeuren, folglich stets aus diversen voneinander unabhängigen Quellen beziehen. Hierbei werden individuelle Vertragsabschlüsse getätigt.115 Im Stromvertrieb besteht jedoch die Besonderheit, dass der Kostenaufwand, ausschließlich für die Energie im Verhältnis zu den sonstigen Kosten, die den Strompreis ausmachen, stets geringer wird, da der wesentliche Teil des Strompreises von der EEG-Umlage, Steuern und Netzentgelten dominiert wird. Die Höhe dieser Kostenbestandteile aus Abgaben und Kostenumlagen wird direkt oder indirekt politisch bestimmt. Somit sind trotz der gesunkenen Strompreise im Großhandel für die Endkunden letztlich die Preise gestiegen.116 Beim Vertrieb wird unterschieden zwischen dem Markt für leistungsgemessene Letztverbraucher, deren Verbrauch von elektrischer Energie durch eine registrierende Leistungsmessung erfasst wird (RLM-Kunden)117 und dem Markt für Verbraucher mit Standardlastprofilen, die nicht-leistungsgemessene Letztverbraucher (SLP-Kunden) sind. Bei diesen erfolgt eine Schätzung vorab und die Abrechnung nach der Jahresablesung.118 112 Dies ist die sogenannte Erzeugerpreisebene, vgl. Schiffer, Energiemarkt Deutschland, 2019, S. 394. 113 Vgl. Schiffer, Energiemarkt Deutschland, 2019, S. 161. 114 Vgl. hierzu ausführlich Schiffer, Energiemarkt Deutschland, 2019, S. 248; bis 15.01.2017 hieß das Unternehmen Yellow Strom. Die Yellow Strom GmbH ist ein 100prozentiges Tochterunternehmen der EnBW. 115 Vgl. Bruhn, in: Säcker, Berliner Kommentar zum Energierecht, 2019, Anhang A: Energiehandel und Energiehandelsvertäge einschließlich erlaubsnisrechtlicher Fragen, Rn. 22. 116 Vgl. Diem, in: Zenke/Schäfer, Energiehandel in Europa, 2017, § 13 Entwicklung der deutschen Energiemärkte, Rn. 61. Zur Erhöhung der Strompreise wird in Kapitel E. I. 5. b) ausgeführt. 117 Siehe De Wyl/Sotebeer, in: Schneider/Theobald, Recht der Energiewirtschaft, 2021, § 12 Recht der Energielieferverträge, Rn. 205. 118 Vgl. ebenda, § 12, Rn. 203. Vor der Neuregulierung der Energiemärkte war für die Stromversorger kein Vertrieb im eigentlichen Sinne notwendig. „Alle Zählpunkte des Versorgungsgebietes konnten und mussten von dem zuständigen Energieversorger beliefert werden und wurden kostenbasiert abgerechnet. Im Mittelpunkt der Bemühungen des Stromversorgers stand die Versorgungssicherheit, so dass ein technischer Blick-

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B. Grundlagen des Energiemarktes

2. Gasmarkt a) Import Auf dem deutschen Gasmarkt ist die inländische Erdgasproduktion seit dem Jahr 2004 rückläufig.119 So konnte der Inlandsverbrauch in Deutschland im Jahr 2020 nur zu 6 % durch die inländische Erdgasgewinnung gedeckt werden.120 Durch die hohe Importabhängigkeit kann wiederum die Versorgungssicherheit gefährdet werden.121 In der Europäischen Union erfolgt der Großteil der Importe aus Russland und Norwegen.122 Die aus diesen und anderen Ländern – wie zunehmend auch auch aus Norwegen – netto importierten Energiemengen (Nettoimport)123, insbesondere aus den Energieträgern Mineralöl, Gas, Steinkohle und Uran124, haben sich parallel zum Rückgang der eigenen Produktion in der Europäischen Union stark erhöht. Inzwischen deckt die Europäischen Union über die Hälfte ihres Energiebedarfs durch Energielieferungen aus Nicht-EU-Staaten.125 Diese Importabhängigkeit bezüglich des Erdgases resultiert daraus, dass sich dessen Weltreserven überwiegend in Russland, Iran und Katar sowie in Saudi Arabien und den Vereinigten Arabischen Emiraten befinden.126 Vor diesem Hintergrund erließ die EU-Kommission aus Sorge vor einer zunehmenden Abhängig-

winkel vorherrschte. Man dachte an Zählpunkte, nicht an Kunden“, Diem, Entwicklung der deutschen Energiemärkte, in: Zenke/Schäfer, Energiehandel in Europa, 2017, § 13, Rn. 57. 119 Vgl. BMWi, Bericht zum Stand und zur Entwicklung der Versorgungssicherheit im Bereich der Versorgung mit Erdgas, 2020, S. 11 und 14; BMWi, Versorgungssicherheit bei Erdgas Monitoring-Bericht nach § 51 EnWG 2019, S. 10. 120 Vgl. BMWi, Bericht zum Stand und zur Entwicklung der Versorgungssicherheit im Bereich der Versorgung mit Erdgas, 2020, S. 14. Im Vorjahr waren es 7,1 % (vgl. BMWi, Versorgungssicherheit bei Erdgas Monitoring-Bericht nach § 51 EnWG 2019, S. 10; EID Energie Informationsdienst GmBH, Untertage Gasspeicherung in Deutschland, EEK Ausgabe 11/2019, S. 415–420 (415)). 121 Vgl. BBH et al., Möglichkeiten zur Verbesserung der Gasversorgungssicherheit, 2015, S. 34. 122 Vgl. BpB, Energieimport der EU-28, 2019. In Europa wird vor allem in der Nordsee Erdgas gewonnen. Russland ist der stärkste Erdgaslieferant (vgl. Schiffer, Energiemarkt Deutschland, 2019, S. 376). 123 Um einen Überblick zu erhalten, muss der Nettoimport betrachtet werden. (Die Strommengen, die dem deutschen Markt aufgrund von Exporten nicht zur Verfügung stehen, werden abgezogen.), vgl. Gleave, Die Marktabgrenzung in der Elektrizitätswirtschaft, ZfE, 2008, S. 120–126 (122). 124 „Uran zur Kernenergienutzung wird zu 100 % eingeführt.“ „Ebenso wird Mineralöl vollständig aus dem Ausland bezogen“, UBA, Primärenergiegewinnung und -importe, 2022. 125 Mit Gazprom Export bis über 20 Jahre, teilweise über 2035 hinaus; mit Lieferanten aus Norwegen und den Niederlanden bestehen Verträge über 10 bis zu 20 Jahren; Schiffer, Energiemarkt Deutschland, 2019, S. 129. 126 Vgl. Löschel et al., Energiewirtschaft, 2020, S. 239/240; Steiner, Europas Abhängigkeit von russischem Gas, Die Welt vom 29. Januar 2020.

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keit der Europäischen Union von Erdgasimporten eine Verordnung zur Sicherung der Gasversorgung.127 Aber auch durch eine Neuexploration konventioneller Lagerstätten sowie durch die Förderung von Erdgas im Wege der unkonventionellen Fördermethoden (beispielsweise Fracking) können die Reserven der Erdgasenergiemengen vergrößert werden.128 Im Vergleich zu den Ländern der EU importiert Deutschland das meiste Erdgas und nimmt auch im Verbrauch den Spitzenplatz ein,129 wobei hier der Industriesektor den größten Anteil bezieht.130 Im Jahr 2019 ging die Prognose bereits dahin, dass Deutschland bei einer Importabhängigkeit von 72 % des Gesamtenergieverbrauchs, in den kommenden Jahren sowohl bei den Energieträgern Uran und Steinkohle als auch bei Erdöl und Erdgas in vollem Umfang von der Einfuhr dieser Rohstoffe aus dem Ausland abhängig sein wird.131 So lag die Erdgaseinfuhrmenge für Erdgas im Jahr 2020 bei 5.474 TJ.132 Aus Datenschutzgründen werden seit dem Jahr 2016 jedoch nicht mehr die Ursprungsländer der Importe im Einzelnen veröffentlicht.133 An Bedeutung gewinnt für die Europäische Union zunehmend der Import von verflüssigtem Gas, dem Liquified natural gas (LNG),134 das unter anderem aus Katar, Algerien, Nigeria, Norwegen, Russland und den Vereinigten Staaten per Schiff transportiert wird. Bisher haben die Mitgliedstaaten der Europäischen Union zu einem überwiegenden Teil pipelinegebundenes Erdgas und zu einem geringen Anteil verflüssigtes Gas (LNG) impor127 EU-Verordnung 2017/1938 des europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Oktober 2017 über Maßnahmen zur Gewährleistung der sicheren Gasversorgung und zur Aufhebung der EU-Verordnung Nr. 994/2010, ABl. EU Nr. L 280, S. 1 vom 28. Oktober 2017. 128 Vgl. Löschel et al., Energiewirtschaft, 2020, S. 241. 129 Vgl. BMWi, Bericht zum Stand und zur Entwicklung der Versorgungssicherheit im Bereich der Versorgung mit Erdgas, 2020, S. 8: Zu den größten Erdgasverbrauchern zählte im Jahr 2018 Deutschland mit 85 Mrd. m3 (2017 waren es noch 95,6 Mrd. m3) gefolgt vom Vereinigten Königreich mit 79,2 Mrd. m3 (2017 waren es 79,6 Mrd. m3) und Italien mit 69,2 Mrd. m3 (2017 waren es 75,2 Mrd. m3), zu den Vergleichszahlen 2017 siehe BMWi, Versorgungssicherheit bei Erdgas Monitoring-Bericht nach § 51 EnWG 2019, S. 7. 130 Vgl. BMWi, Bericht zum Stand und zur Entwicklung der Versorgungssicherheit im Bereich der Versorgung mit Erdgas, 2020, S. 8. 131 Vgl. UBA, Primärenergiegewinnung und -importe, 2022. Der Importanteil von Erdgas lag 2013 noch bei 86 %, vgl. BMWi, Die Energie der Zukunft, Erster Fortschrittsbericht zur Energiewende, 2014, S. 89. 132 AG Energiebilanzen e.V., Auswertungstabellen zur Energiebilanz – Daten für die Jahre von 1990 bis 2020, Stand: September 2021, 1.2. 133 Vgl. BMWi, Bericht zum Stand und zur Entwicklung der Versorgungssicherheit im Bereich der Versorgung mit Erdgas, 2020, S. 11. 134 LNG kann entstehen, da Methan, die Hauptkomponente von Erdgas, sich durch den Einsatz von Kälte verflüssigen lässt. Je nach Provenienz und genauer Zusammensetzung tritt Erdgas zwischen –161 ëC und –167 ëC in den flüssigen Zustand über, vgl. DVGW, Was ist Liquefied Gas (LNG)?; Schiffer, Energiemarkt Deutschland, 2019, S. 548.

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tiert.135 Der Import der LNG Gas-Menge erhöht sich insbesondere in den Ländern, die nicht direkt an die norwegische oder russische Produktion angebunden sind, wie etwa Spanien, Portugal oder Frankreich. In Deutschland ist das deutsche Gasnetz nur direkt mit LNG-Importterminals etwa in den Niederlanden (Rotterdam) verbunden. Um auch insoweit die Abhängigkeit etwa von russischem Erdgas zu verringern, wurden Pläne zum Ausbau der LNG-Infrastruktur zwar schon häufiger diskutiert, aber stets wieder verworfen.136 Insgesamt ist festzustellen, dass die Lücke zwischen steigendem Bedarf an Erdgas und starkem Rückgang an der Eigenproduktion sowie die damit einhergehende Importabhängigkeit immer größer geworden ist.137 b) Transport im Gasmarkt Es gibt für Gas verschiedene Transportmöglichkeiten. Vor allem in Deutschland erfolgt der Transport von Erdgas aber gemäß § 3 Nr. 19 EnWG über das Hochdruckfernleitungsnetz. Im Unterschied zum Strommarkt bestimmt hier die Importabhängigkeit die Marktstruktur und damit auch die Transportmöglichkeiten, insofern die importierten Gasmengen an nur wenigen Grenzübergangsstellen aus verschiedenen Pipelines in das deutsche Gasnetz eingespeist und von dort in die angrenzenden Netze verteilt werden.138 Vergleichbar mit den unterschiedlichen Spannungsstufen im Strombereich sind die unterschiedliche Druckstufen im Gassektor,139 damit die Gasmoleküle durch die Pipeline gelenkt werden.

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Vgl. Schiffer, Energiemarkt Deutschland, 2019, S. 130. Hierzu wird in Kapitel E. I. 8. ausgeführt und in Kapitel H. II. Bezug genommen. 137 Vgl. Steiner, Europas Abhängigkeit von russischem Gas, Die Welt vom 29. Januar 2020. 138 Aus Norwegen wird über drei Pipelines ca. 54 Mrd. m3 Gas importiert. Russisches Gas wird seit dem Jahr 1999 über die Jamal-Europa-Pipeline (33 Mrd. m3) und das Ukraine-Leitungssystem (Kapazität ca. 120 Mrd. m3) sowie über die Nord-Stream I Pipeline direkt aus Russland importiert. Weiterhin gibt es seit Ende 2014 (als Ersatz für die South-Stream-Route) die Turk Stream, die aus Russland über Griechenland auch die EU mit einer geplanten Kapazität von 15,75 Mrd. m3versorgen soll, siehe BMWi, Bericht zum Stand und zur Entwicklung der Versorgungssicherheit im Bereich der Versorgung mit Erdgas, 2020, S. 12 und 13. „Aufgrund der historisch zu erklärenden Unterschiede zwischen dem Aufbau des Übertragungs- und des Fernleitungsnetzes können die für den Strombereich entwickelten Grundsätze zur Verbundfahrweise der nationalen Stromversorgungsnetze nur eingeschränkt auf den Gastransport übertragen werden. Die Fernleitungsnetze sind weit weniger stark vermascht als die Übertragungsnetze. Unter den ursprünglich nahezu monopolistisch organisierten Marktbedingungen dienten sie lediglich der Verbindung einer (zumeist im Ausland gelegenen) Produktionsquelle mit einem Absatzgebiet“, Tüngler, in: Kment, Energiewirtschaftsgesetz, 2019, § 15 EnWG, Rn. 16. 139 Vgl. Theobald/Theobald, Grundzüge des Energiewirtschaftsrechts, 2013, S. 241. 136

IV. Darstellung der Wertschöpfungsstufen im Energiemarkt

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Die Lieferung des Gases an die Endkunden erfolgt in kommunalen Gasverteilungsnetzen, die meist aus Mitteldruckleitungen (100 mbar bis 1 bar) oder Niederdruckleitungen (unter 1 bar) bestehen. Allein das deutsche Gasnetz misst 490.000 km.140 Sofern Netze mit differierenden Druckstufen miteinander verbunden werden müssen, erfolgt dies über Grenzkopplungspunkte, sogenannte Druckregelanlagen.141 Beim Gastransport über größere Strecken durch Hochdruck-bzw. Fernleitungen (ab 1–200 bar) bedarf es, um einen fehlerhaften Druck etwa durch Rohr-Druckverluste zu vermeiden, zudem der Verdichtung in den Verdichterstationen.142 Demgegenüber kann der Transport von Gas unabhängig von Pipelines erfolgen, wenn das Erdgas durch Abkühlung auf eine Temperatur von –162 ëC in Tankern als verflüssigtes Gas (LNG) auf dem Seeweg transportiert und dann an Land wieder in speziellen Anlagen erwärmt und in gasförmigem Zustand in das Erdgasnetz eingespeist wird.143 c) Großhandel und Vertrieb Der Großhandel umfasst alle Handelsstufen der Erdgasbeschaffung mit Ausnahme der Belieferung von Endkunden. Das Produkt Gas kann – im Gegensatz zu Strom – unabhängig vom Netz gehandelt werden. So werden hier etwa Eigentumsrechte an Gasmengen an einem virtuellen Handelspunkt gehandelt. Dies bedeutet, ein fiktiver Lieferpunkt gestattet, – ohne dass eine Transportkapazität bestellt werden müsste – den Kauf und Verkauf von Gas.144 Ein physischer Wechsel des Gases zwischen Käufer und Verkäufer findet nicht statt. Auf der Vertriebs- bzw. Letztverbraucherstufe erfolgt der eigentliche Absatz der Energie, mithin die Versorgung von Industrie-, Gewerbe- und Haushaltskunden für den eigenen Verbrauch.145 Hier gilt im Unterschied zum Großhandel die gängige Form der Belieferung, indem ein Versorgungsunternehmen durch Vertrag einen Verbraucher (Endkunden) für einen festgelegten Zeitraum physisch mit Gas beliefert, das dann in vergleichsweise geringen Mengen über das Mittel- und Nie-

140 Vgl. BMWi, Bericht zum Stand und zur Entwicklung der Versorgungssicherheit im Bereich der Versorgung mit Erdgas, 2020, S. 19. „Davon entfallen über 90 % auf das Verteilnetz.“, Schiffer, Energiemarkt Deutschland, 2019, S. 144. 141 Siehe Monopolkommission, Strom und Gas 2011: Wettbewerbsentwicklung mit Licht und Schatten, S. 76, Ziff. 122. 142 Vgl. Schiffer, Energiemarkt Deutschland, 2019, S. 379 und 380. 143 Vgl. ebenda, S. 130. 144 Vgl. Lokau/Däuper, in: Zenke/Schäfer, Energiehandel in Europa, 2017, § 4, Rn. 38; Kühling et al., Energierecht, 2022, S. 125, Rn. 112. Hierzu im Einzelnen in Kapitel D. I. 5. 145 In Abgrenzung zum Großhandel vgl. Bruhn, in: Säcker, Berliner Kommentar zum Energierecht, 2019, Anhang A nach § 41 Rn. 23.

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B. Grundlagen des Energiemarktes

derdrucknetz transportiert wird.146 Die Vertriebsmarktstufe ist hierbei wiederum – wie im Strommarkt – in die zwei Einzelhandelsmärkte (leistungsgemessene und nicht-leistungsgemessene Sondervertragskunden) unterteilt.147 Zu den etwa 1.000 agierenden Gaslieferanten auf beiden Märkten gehören auch die Energiehändler, die das Gas eigenverantwortlich kaufen und dieses durch vertragliche Abmachungen mit den Endkunden an diese weiterveräußern sowie sich verpflichten, diese in Höhe der vereinbarten Menge zu beliefern.148 Somit kann hier von einer wettbewerblichen Marktstruktur ausgegangen werden.149 d) Sonderrolle: Speicher auf dem Gasmarkt Speichermöglichkeiten sind für das zukünftige Marktdesign im Energiemarkt relevant, insofern Speicher sich bei jeder Versorgungsstufe in der Gaswirtschaft integrieren lassen, variabel einsetzbar sind und somit verschiedene Funktionen übernehmen können. Diese bestehen etwa in der Spitzenlastabdeckung, also im Ausgleich zwischen konstanten Lieferungen oder Produktionsmengen und auftretenden Schwankungen beim Verbrauch. Auch können kurzfristige Störungen, etwa bei Lieferengpässen, behoben werden. Gemäß der Definition in § 3 Nr. 31 EnWG gilt als Speicheranlage nicht nur die betriebene Anlage zur Speicherung von Gas, sondern auch der zu Speicherzwecken genutzte Teil von LNG-Anlagen. Deutschland hat gute geologische Voraussetzungen, um Speicher zu errichten und verfügt demzufolge im EU-Vergleich über das größte Speichervolumen (vor Italien, Niederlanden, Frankreich und Österreich).150 Größere Speicher gibt es lediglich etwa in den USA, Russland und auch der Ukraine, so dass Deutschland hier international die viertgrößten Speicherkapazitäten aufweisen kann.151 Die maximale Speicherleistung wird auf insgesamt 80 Tage bemessen, wobei der tatsächliche Leistungsumfang unter anderem von dem Speicherfüllstand, der Ausspeichergeschwindigkeit und dem tatsächlich zu deckenden Bedarf abhängt.152 Diese Speicherleistung könnte sich noch um 2,5 Milliarden Kubikmeter erhöhen, wenn alle bislang geplanten Speicherprojekte realisiert werden, so dass

146 Vgl. Bruhn, in: Säcker, Berliner Kommentar zum Energierecht, 2019, Anhang A nach § 41, Rn. 25. 147 Vgl. Schiffer, Energiemarkt Deutschland, 2019, S. 147. 148 Vgl. Säcker, in: Säcker, Berliner Kommentar zum Energierecht, 2019, § 5 EnWG, Rn. 11. 149 Vgl. Schiffer, Energiemarkt Deutschland, 2019, S. 126 und 147. 150 Vgl. BMWi, Bericht zum Stand und zur Entwicklung der Versorgungssicherheit im Bereich der Versorgung mit Erdgas, 2020, S. 15 mit weiterem Verweis. 151 BVEG, Untergrund-Gasspeicher, Rückgrat der Energieversorgung, 2021. 152 Vgl. BMWi, Bericht zum Stand und zur Entwicklung der Versorgungssicherheit im Bereich der Versorgung mit Erdgas, 2020, S. 15.

IV. Darstellung der Wertschöpfungsstufen im Energiemarkt

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maximal eine „Arbeitsgaskapazität“ 153 von 26,5 Milliarden Kubikmetern verfügbar wäre.154 Bei alledem wird zwischen oberirdischen Speichern und Untertageerdgasspeicher, die wiederum in Poren- und Kavernenspeicher unterteilt werden, unterschieden.155 So wird Gas in kleineren Mengen in oberirdischen Speichern vorgehalten, die eingesetzt werden, um die Abweichungen der berechneten Nachfrage für den Zeitraum eines Tages auszugleichen.156 Von zentraler Bedeutung sind jedoch die Untertageerdgasspeicher (UGS), die die Speicherung der erheblichen Mengen durch Erdgasimporte bewältigen müssen.157 Hier wird Erdgas in Porenspeichern, etwa ehemaligen Erdöl- und Erdgaslagerstätten und in Aquiferspeichern, die sich durch sehr poröses Gestein auszeichnen, aufgenommen und eingelagert. Im Hinblick auf die Lagerfähigkeit einer erheblichen Menge an Gas und dem der jeweiligen Jahreszeit entsprechenden Bedarf ist dies für die Grundlastabdeckung nützlich. Porenspeicher werden bereits auf Grund ihrer Struktur von unterschiedlichen Fördermengen nicht so schnell beeinflusst wie etwa ein Kavernenspeicher.158 Ende des Jahres 2019 befanden sich 16 Porenspeicher mit einer Arbeitsgaskapazität von 8,6 Milliarden Kubikmetern in Betrieb.159 Der Hauptanteil der Speicherkapazitäten von Gas wird jedoch in Kavernenspeichern vorgehalten, auch um damit jahreszeitlich bedingte Schwankungen auszugleichen. Dies sind künstlich erzeugte Hohlräume, die unterirdisch in Salz-

153 „Als Arbeitsgas wird die Menge an Gas bezeichnet, die in einem Speicherzyklus maximal ein- und ausgelagert werden kann, während das Kissengas immer im Speicher verbleiben muss, um den erforderlichen minimalen Druck aufrecht zu erhalten. Dieses Gas kann dann nicht verkauft werden und wird daher auch bei den Statistiken über die maximalen Speicherkapazitäten nicht berücksichtigt.“, Drathen/Riemer, 10 Minuten Speicher: Sicher unter der Erde, in: Energie in 60 Minuten, 2011, S. 54–66 (57). 154 Vgl. BMWi, Bericht zum Stand und zur Entwicklung der Versorgungssicherheit im Bereich der Versorgung mit Erdgas, 2020, S. 16/17. Im Vorjahr wurde noch mit einer Erhöhung um 2,4 Mrd. auf insgesamt 27,7 Mrd. km geplant (siehe BMWi, Versorgungssicherheit bei Erdgas Monitoring-Bericht nach § 51 EnWG 2019, S. 15). 155 Vgl. BMWi, Bericht zum Stand und zur Entwicklung der Versorgungssicherheit im Bereich der Versorgung mit Erdgas, 2020, S. 15. 156 Vgl. Theobald/Theobald, Grundzüge des Energiewirtschaftsrechts, 2013, S. 21. 157 Vgl. EID Energie Informationsdienst GmBH, Untertage Gasspeicherung in Deutschland, EEK, 2019, S. 415–420 (415). 158 Vgl. LBEG Hannover, Untertage-Gasspeicherung in Deutschland, in: Erdöl, Erdgas, Kohle, Heft 11, 2014, S. 402–412 (404). Porenspeicher finden sich hauptsächlich in Nord-, Ost- und Süddeutschland; BMWi, Versorgungssicherheit bei Erdgas Monitoring-Bericht nach § 51 EnWG 2019, S. 14. „Bei Aquiferen (wird) Wasser in den Gesteinsschichten durch eingepresstes Gas verdrängt“ (Löschel et al., Energiewirtschaft, 2020, S. 248). 159 Siehe BMWi, Bericht zum Stand und zur Entwicklung der Versorgungssicherheit im Bereich der Versorgung mit Erdgas, 2020, S. 15.

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B. Grundlagen des Energiemarktes

stöcken gebohrt werden.160 So ist die Ein- und Ausspeicherleistung von Kavernenspeichern vergleichsweise höher als die von Porenspeichern, weshalb sie sich für den Ausgleich von kurzfristigen, innerhalb eines Tages auftretender Schwankungen und somit für zeitlich begrenzte Spitzenlastabdeckungen besser eignen. Sie werden, da ihr Einsatz eine hohe Flexibilität gewährleistet, aufgrund der kontinuierlichen Produktion als Handelsspeicher benötigt sowie zur Kompensation etwa von Lieferengpässen oder Nachfrageschwankungen.161 Ende 2019 befanden sich in Deutschland 31 Kavernenspeicher mit einer Arbeitsgaskapazität von 15,3 Milliarden Kubikmetern.162 Neben den oben genannten Möglichkeiten der Speicherung gibt es zwei weitere Alternativen, so in begrenztem Umfang Pumpspeicherkraftwerke,163 die aber durch entstehende Energieverluste zu einer Reduzierung des Wirkungsgrads auf ca. 65–85 % führen164 sowie Pipelines, die durch die Anpassung an den jeweiligen Druck geeignet sind, kleine Mengen an Gas kurzfristig zu speichern.165

160 Vgl. Schiffer, Energiemarkt Deutschland, 2019, S. 143; diese befinden sich hauptsächlich im norddeutschen Raum, vgl. BMWi, Bericht zum Stand und zur Entwicklung der Versorgungssicherheit im Bereich der Versorgung mit Erdgas, 2020, S. 15. 161 Vgl. Löschel et al., Energiewirtschaft, 2020, S. 249. 162 Vgl. BMWi, Bericht zum Stand und zur Entwicklung der Versorgungssicherheit im Bereich der Versorgung mit Erdgas, 2020, S. 15. 163 Vgl. Theobald/Theobald, Grundzüge des Energiewirtschaftsrechts, 2013, S. 533. 164 Vgl. Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestags, Vor- und Nachteile verschiedener Energiespeichersysteme, 2014, S. 14. 165 Vgl. Löschel et al., Energiewirtschaft, 2020, S. 249.

C. Grundlagen zu Wettbewerb und Regulierung Die Einführung von Kapazitätsmechanismen oder anderen Instrumenten zur Stärkung der Versorgungssicherheit wird mit einem möglichen Versagen des Energiemarktes und daher der Notwendigkeit eines ordnungspolitischen Eingreifens des Staates in das Marktgeschehen begründet.1 Vor der Liberalisierung war die leitungsgebundene Energieversorgung des Strom- und Gasmarktes als ordnungspolitischer Ausnahmebereich eingestuft worden. So war dieser Bereich ohne marktliche Abstimmungen und ohne wettbewerbliche Regelungen der staatlichen Steuerung unterworfen. Hierbei wurde der Gebietsschutz in Form von Demarkationsverträgen rechtlich geregelt.2 Seit der Liberalisierung existiert der Energiemarkt nunmehr als Wettbewerbsmarkt, auch wenn aufgrund der Besonderheiten einer Netzindustrie weiterhin vielfältige Ausnahmebereiche bestehen. Daher sind zunächst die ordnungsökonomischen Grundlagen, folglich die marktwirtschaftliche Ordnung als Referenzsystem und auch das staatliche Eingreifen als zu rechtfertigende Ausnahme zu skizzieren. In der Europäischen Union und auch in Deutschland ist die Entscheidung für eine Ordnungspolitik gefallen, die sich grundsätzlich am marktwirtschaftlichen System orientiert. Charakteristisch hierfür sind somit „private Verfügungsrechte an den Produktionsfaktoren, eine dezentrale Steuerung der ökonomischen Aktivitäten über den Markt“ 3 sowie keine staatliche Kontrolle der Marktteilnehmer, vielmehr obliegt deren Kontrolle dem Wettbewerb. Dem Staat verbleibt hierbei die Funktion, entsprechend der Wirtschaftsverfassung die Rahmenbedingungen für die Marktakteure zu bestimmen und auf deren strikte Befolgung zu achten.4 1 Vgl. etwa Erdmann, Kapazitäts-Mechanismus für konventionelle und intermittierende Elektrizität, in: Agora Energiewende, Brauchen wir einen Kapazitätsmarkt?, 2012, S. 5–7 (5). „Die Idee von Kapazitätsmechanismen stammt aus der anglo-amerikanischen Welt, wo die Elektrizitätsinfrastruktur notorisch unzureichend ist und traditionell unzuverlässig funktioniert. Hinzu kommt die bekannte Neigung von Behörden, die Zuständigkeit für immer neue Aufgaben an sich zu ziehen, weil dies mit persönlichem Machtzuwachs verbunden ist. Im Unterschied dazu werden in Kontinentaleuropa Kapazitätsmärkte als Folge des rapiden Ausbaus der intermittierenden Stromerzeugung aus regenerativen Quellen diskutiert.“ (Ebenda). 2 Vgl. Löwer, Veranlassung und Verantwortung bei der Energiewende, 2013, S. 7; Schulze, Liberalisierung von Netzindustrien, 2006, S. 8. „Demarkationsverträge waren bilaterale Verträge zwischen zwei Versorgungsunternehmen. Sie beinhalteten die Verpflichtung, nicht die Kunden des Vertragspartners unmittelbar zu beliefern“ (Löschel et al., Energiewirtschaft, 2020, S. 230). 3 Schulze, Liberalisierung von Netzindustrien, 2006, S. 7. 4 Vgl. Schulze, Liberalisierung von Netzindustrien, 2006, S. 7.

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C. Grundlagen zu Wettbewerb und Regulierung

Die staatliche Regulierung, die insoweit das grundsätzlich geltende Wettbewerbsprinzip außer Kraft setzt und durch eine direkte Kontrolle durch den Staat ersetzt, bildet hingegen prinzipiell die Ausnahme.5 Vor diesem Hintergrund ist zunächst zu untersuchen, was einen Wettbewerbsmarkt charakterisiert und was dieser, auch unter Zugrundelegung der wettbewerbspolitischen Leitbilder, zur Lösung der aktuellen Probleme auf dem Energiemarkt beitragen kann.

I. Wettbewerb Der Begriff des Wettbewerbs wird nicht einheitlich definiert,6 jedoch besteht Einigkeit insoweit, dass sich der Begriff auf Sachverhalte mit positiven Wirkungen bezieht und in diesem Sinne eine grundsätzlich angenommene Vorteilhaftigkeit von Marktlösungen zum Ausdruck bringt.7 Zunächst hat der Wettbewerb eine fundamentale Bedeutung als Ordnungsprinzip8 und ist essentieller Bestandteil der Wirtschaftsverfassung.9 Wettbewerb ist zunächst einmal schlechthin der Wettstreit zwischen diversen Marktakteuren innerhalb desselben relevanten Marktes.10 Über die verschiedenen Funktionen und Wirkungsweisen des Wettbewerbs werden seit jeher unterschiedliche Theorien bzw. Leitbilder vertreten, deren grundlegende Kenntnis für das Verständnis des liberalisierten Energiemarktes und der vielfältigen staatlichen Eingriffe erforderlich sind.11 1. Wettbewerbsfunktionen Angesichts der Tatsache, dass der Begriff des Wettbewerbs nicht klar und unmissverständlich definiert werden kann, nähert man sich diesem über die Ziele, 5

Vgl. Fetzer, Staat und Wettbewerb in dynamischen Märkten, 2013, S. 7. Vgl. Schmidt, Ordnungsökonomische Wettbewerbskonzepte, 2008, S. 226; Kerber/ Schwalbe, Münchener Kommentar zum Wettbewerbsrecht, 2020, 1. Teil Grundlagen, Rn. 35. 7 Vgl. etwa Fetzer, Staat und Wettbewerb in dynamischen Märkten, 2013, S. 40. „Das Marktergebnis ist bei vollständiger Konkurrenz für die Volkswirtschaft optimal“ (Seeliger, Energiepolitik, 2018, S. 49). Zur Theorie der vollkommenen Konkurrenz wird in diesem Kapitel unter II. 2. a) näher ausgeführt. 8 Siehe Kerber/Schwalbe, Münchener Kommentar zum Wettbewerbsrecht, 2020, 1. Teil Grundlagen, Rn. 34. 9 Siehe Schulze, Liberalisierung von Netzindustrien, 2006, S. 9 mit weiterem Verweis. Der Begriff „Wirtschaftsverfassung“ wurde u. a. von Walter Eucken (1891–1950) und anderen Vertretern der Freiburger Schule verwendet und bezeichnet ein eigenes Wirtschaftsverfassungs-Konzept (vgl. Winter/Sauerland, Wirtschaftsverfassung, in: Gabler-Wirtschaftslexikon, 2018). Hierunter ist ein „Teil einer allgemeinen Gemeinschaftsverfassung“, „insbesondere also der Staatsverfassung“ verstehen (Zacher, Aufgaben einer Theorie der Wirtschaftsverfassung, in: Wirtschaftsordnung und Rechtsordnung, Festschrift zum 70. Geburtstag von Franz Böhm, 1965, S. 75; vgl. auch Badura, Wirtschaftsverfassung und Wirtschaftsverwaltung, 2011, S. 2 ff.). 10 Vgl. Forner, Volkswirtschaftslehre, 2022, S. 136; Fritsch, Marktversagen und Wirtschaftspolitik, 2018, S. 13. 11 Diese staatlichen Eingriffe werden in Kapitel D. II. erörtert. 6

I. Wettbewerb

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die der Wettbewerb erreichen soll.12 Aus der Betrachtungsweise der Gesellschaftspolitik soll Wettbewerb die grundlegenden wirtschaftlichen Freiheitsrechte (Freiheit zur Aktivität und zum Wagnis) des Individuums sichern und damit als Ordnungsprinzip auch machtverhindernd bzw. neutralisierend wirken.13 Nach den Vertretern gesellschaftspolitischer Theorien wird als Maxime des Wettbewerbs die Freiheit als eine autarke Wertordnung angesehen, die, wie grundsätzlich beim Freiheitsbegriff, die eigenen Grenzen durch die Freiheit der anderen aufgezeigt bekommt.14 So soll Wettbewerb ein Prozess mit einer fortwährenden Abfolge von Vorstoß und Nachstoß sein, insofern auf eine Marktaktion eine nachahmende Reaktion folgt. Ziel ist hierbei, allen Marktteilnehmern Wahlmöglichkeiten zu verschaffen und so bei verbesserten Marktergebnissen vor der Ausnutzung wirtschaftlicher Macht zu schützen.15 Für die Produzenten bedeutet dies die Freiheit, wettbewerblich handeln und folglich Märkte ihrer Wahl nutzen zu können. Auf der anderen Seite erlangen hierdurch die Konsumenten die Freiheit zwischen verschiedenen Alternativen zu wählen.16 Aus dem Blickwinkel der Wirtschaftspolitik betrachtet, hat Wettbewerb hingegen die Wesensart eines Zwischenziels, insofern Wettbewerb als ein Mittel gewertet wird, mit dem gewissermaßen das Oberziel der Wirtschaftspolitik, nämlich die gesellschaftspolitische Wohlfahrtsmaximierung, erreicht werden kann.17 Wettbewerb ist demnach unentbehrlich und sorgt für eine bessere Versorgung der Nachfrager, als dies in einer Situation ohne Wettbewerb der Fall wäre. Die wirtschaftspolitischen Funktionen wettbewerblicher Marktprozesse stellen somit auf die ökonomische Effizienz ab. Diese sind in statische Funktionen, so die Ausrichtung des Angebots an den Konsumentenpräferenzen, die Allokationsfunktion und die Verteilungsfunktion im Sinne einer an der Marktleistung ausgerichteten gerechten Einkommensverteilung zu unterteilen. Ebenso sind sie in dynamische Funktionen so die Anpassungsflexibilität im Sinne einer permanenten Anpassung an sich ändernde Prozesse und die technische-organisatorische Fortschrittsfunktion, auch als Innovationsfunktion bezeichnet, einzuteilen.18 Die Allokationsfunktion wettbewerblicher Marktprozesse als optimale Faktorallokation umfasst den erfolgreichsten Einsatz und die optimale Verteilung 12

Vgl. Schulze, Liberalisierung von Netzindustrien, 2006, S. 19. Vgl. Knieps, Wettbewerbsökonomie, 2008, S. 4. 14 Vgl. ebenda, S. 4; so auch Art. 2 Abs. 1 GG. 15 Vgl. Bögelein, Ordnungspolitische Ausnahmebereiche, 1990, S. 71. 16 Vgl. Knieps, Wettbewerbsökonomie, 2008, S. 6 und 7. 17 Die sich bei funktionierendem Wettbewerb ergebende „Produzentenrente und Konsumentenrente“ bilden zusammen die ökonomische Wohlfahrt, anhand derer „die Effizienz von Märkten“ gemessen werden kann, siehe Seeliger, Energiepolitik, 2018, S. 48. 18 Vgl. Seeliger, Energiepolitik, 2018, S. 44; Kantzenbach hatte die im Folgenden dargelegten 5 grundlegenden Wettbewerbsfunktionen entwickelt, vgl. Seeliger, ebenda, S. 43 mit weiterem Verweis. 13

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C. Grundlagen zu Wettbewerb und Regulierung

knapper Produktionsressourcen auf alternativ zur Verwendung stehenden Produktionsmöglichkeiten von Gütern.19 Bei einer optimalen Faktorallokation etwa werden die den Produktionsprozess mitbestimmenden maßgeblichen Faktoren auf diejenigen Märkte gelenkt, bei denen die größte Nachfrage herrscht, wodurch wiederum der höchste Preis erzielt und somit ein maximaler Gewinn erwirtschaftet wird. Das bedeutet hier auch, dass die Herstellungstechniken rational optimiert eingesetzt werden müssen.20 So kann auch eine ideale Verknappung der Nachfrage als Anpassung dazu führen, dass ein bestmögliches Ergebnis erreicht wird. Exemplarisch hierfür ist, dass nicht ein Überangebot an Produkten entsteht und diese infolgedessen verschwendet würden. Wettbewerb bewirkt demzufolge eine optimale Allokation der Produktionsfaktoren auf die verschiedenartigen Verwendungsmöglichkeiten der einzelnen Sektoren und Produktionsstätten einer Volkswirtschaft. Hierbei wird das Ziel verfolgt, die Produktionsfaktoren am produktivsten einzusetzen im Hinblick darauf, wo sich die besten Chancen auf einen entsprechenden Absatz der hergestellten Güter befinden.21 Wettbewerb soll weiterhin eine sogenannte Verteilungsfunktion besitzen. Daraus folgt, dass durch Wettbewerb für eine leistungsgerechte Einkommensverteilung gesorgt wird. Die im Wettbewerb bezweckte Abhängigkeit beider Marktseiten sollen währenddessen voneinander aufrechterhalten bleiben. Hier richten sich Gewinne und Verluste nach dem jeweiligen Leistungspotenzial und den daraus ergebenden Produkten, wohingegen wirtschaftliche Marktmacht oder staatliche Interventionen nicht maßgebend sind.22 Folglich soll das Einkommen der Anbieter als Produzentenrente23 stets davon abhängen, was sie für ihr Produkt aufgrund der Marktverhältnisse tatsächlich erlangen, mithin welchen Betrag die Nachfrager bereit sind, dafür am Markt über den kalkulierten Betrag hinaus zu zahlen. Andererseits soll verhindert werden, dass sich ein Anbieter durch Ausnutzung seiner Marktmacht24 überzogene Einnahmen sichert (sogenannte Monopol-

19

Vgl. Forner, Volkswirtschaftslehre, 2022, S. 136/137. Vgl. Kerber, Wettbewerbspolitik, in: Vahlens Kompendium der Wirtschaftstheorie und Wirtschaftspolitik, 2007, S. 369–434 (372). 21 Vgl. Kerber, Wettbewerbspolitik, in: Vahlens Kompendium der Wirtschaftstheorie und Wirtschaftspolitik, 2007, S. 369–434 (372); Schulze, Liberalisierung von Netzindustrien, 2006, S. 28. 22 Vgl. Kerber, Wettbewerbspolitik, in: Vahlens Kompendium der Wirtschaftstheorie und Wirtschaftspolitik, 2007, S. 369–434 (372). 23 Auch wenn bestimmte Mengen für niedrigere Preise unterhalb der Grenzkosten verkauft werden, gilt der markträumende Preis. Die sich daraus ergebenden Handelsgewinne werden auch als Produzentenrente bezeichnet, vgl. Seeliger, Energiepolitik, 2018, S. 48. Die Produzentenrente ist eine ökonomische Rente, also ein Nettovorteil des Anbieters, wenn er für das Produkt den über den Mindestpreis liegenden Verkaufspreis erzielen kann (vgl. BpB, Produzentenrente, 2016). 24 Marktmacht hat ein Unternehmen dann, wenn es im Sinne einer Marktbeherrschung auf einem relevanten Markt agieren kann und daher dazu tendiert, Wettbewerb 20

I. Wettbewerb

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renten), die gerade nicht auf ein höheres Leistungsvermögen zurückzuführen sind. Bei Ausnutzung einer solchen Marktmacht wären Nachfrager mangels Alternativen dazu gezwungen, das Angebot des marktbeherrschenden Anbieters anzunehmen, was wiederum zu Wohlfahrtsverlusten führen würde. Eine umgekehrte Form des Missbrauchs von Marktmacht wäre es, wenn marktmächtige Nachfrager ihre Macht dahingehend ausnutzen würden, gegenüber Anbietern niedrigere Preise durchzusetzen, als bei funktionierendem Wettbewerb üblicherweise zu erzielen wären. Auch dies gilt es zu vermeiden. Als die wichtigste Wettbewerbsfunktion gelten die Anpassungs- und Fortschrittsfunktion. Diese zeigt den dynamischen Charakter des Wettbewerbs auf, der die Herbeiführung ökonomischer Anreize für die Nutzung des bestehenden Wissenstandes und vor allem für die Suche nach neuem Wissen in Form von technischen und organisatorischen Neuheiten und Fortschritten umfasst. Wettbewerb soll folglich einen permanenten Innovationsmechanismus auslösen und auf diese Weise gleichsam wie ein „Entdeckungsverfahren“ 25 zur Schaffung etwa neuer Absatz- und Beschaffungsmärkte, neuer Finanzierungsformen oder innovativer Vertriebswege entsprechend innovationsfördernd wirken.26 Dadurch, dass Unternehmen miteinander in einer Konkurrenzsituation stehen, ergibt sich ein starker Anreiz, bereits existierende Produkte zu verbessern oder auch neue Produkte zu entwickeln. Ebenso ist jedes Unternehmen bemüht, neue Produktionsmöglichkeiten zu erschließen27 und Arbeitsabläufe zu optimieren, so dass hierdurch auch höhere Gewinne erzielt werden können. Die Entwicklung von technischen Neuerungen ist aber auch teuer und mit besonderem Risiko verbunden. Einzelne Unternehmen stehen mithin unter dem Druck, von anderen möglicherweise überholt und gegebenfalls sogar von diesen aus dem Markt verdrängt zu werden, mithin sich selbst verbessern zu müssen. Auch vor diesem Hintergrund werden sie sich zu einer kontinuierlichen Erneuerung und maximalen Selbstoptimierung, etwa auch durch besonders effiziente und innovative Anpassungen an Marktveränderungen, veranlasst sehen.28

auf diesem relevanten Markt auszuschalten, vgl. Mecke, Marktmacht, in: Gabler Wirtschaftslexikon, 2018; vgl. zur Marktmacht auf den Energiemarkt die Ausführungen in Kapitel E. I. 6. 25 Fehling, Regulierung, Effizienz und Wettbewerb, in: Regulierung und Gemeinwohl, 2016, S. 46–69 (47) mit dem Verweis, dass dieser Begriff des Entdeckungsverfahrens insbesondere geprägt wurde von v. Hayek, Der Wettbewerb als Entdeckungsverfahren, in Freiburger Studien, 1969, S. 249 ff. 26 Vgl. Kerber, Wettbewerbspolitik, in: Vahlens Kompendium der Wirtschaftstheorie und Wirtschaftspolitik, 2007, S. 369–434 (372). 27 Vgl. Knieps, Wettbewerbsökonomie, 2008, S. 5. 28 Vgl. Knieps, Wettbewerbsökonomie, 2008, S. 5/6: „Wettbewerb hat die Verbesserung der statischen als auch dynamischen Effizienz zum Ziel.“

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C. Grundlagen zu Wettbewerb und Regulierung

2. Systemtheoretische und wohlfahrtsökonomische Leitbilder Leitbilder29 sind sowohl für eine bereits erfolgte Marktöffnung des Energiemarkts als auch für die erfolgten staatlichen Regulierungsmaßnahmen wesentlich. Anknüpfend an die bereits genannten Wettbewerbsfunktionen sind systemtheoretische Leitbilder der Wettbewerbspolitik von wohlfahrtsökonomischen zu unterscheiden30, zumal diese in ihrer Unterschiedlichkeit auch zu unterschiedlichen Handlungsempfehlungen an die Träger der Wettbewerbspolitik führen können. Dies ist nicht zuletzt auch wichtig für das Verständnis der nachfolgend in diesem Kapitel unter Punkt II. Ziffer 2. dargelegten Regulierungstheorien. Die systemtheoretischen Leitbilder stellen die Freiheitsfunktion des Wettbewerbs in den Vordergrund, insofern die Ergebnisse eines freien Wettbewerbs automatisch als ökonomisch vorteilhaft angesehen werden und zur Maximierung des gesellschaftlichen Wohlstands führen. Hiernach bewirkt Wettbewerb vor allem eine dynamische Effizienz, die nach einer bestimmten Phase auch zur Weiterentwicklung und Neugestaltung von Produkten führt, zumal der Wettbewerb unter Akteuren einen Anreiz für Investitionen und für innovative Veränderungen verschafft.31 Mit Beginn des klassischen Liberalismus wird die Freiheit als die größte Bedeutung für die ökonomischen Prinzipien von Anreiz, Steuerung und Kontrolle charaktersiert.32 Insbesondere der schottische Nationalökonom Adam Smith ist hierfür stellvertretend zu nennen, der eine Volkswirtschaft als System of Free Competition33 bezeichnet hat.34 Wettbewerbliche Marktprozesse sollen dezentral und ohne fremdes Diktat durchgeführt werden können. Sie sollen die Anbieter wie durch eine „unsichtbare Hand“ 35 dazu bringen, im Wettbewerb eigennützig zu handeln, um ihr Einkommen zu steigern, aber auch infolgedessen den Bedürfnissen der Nachfrager Rechnung zu tragen. Somit impliziert das Ziel der Ge-

29 Siehe hierzu Schmidt, Ordnungsökonomische Wettbewerbskonzepte, 2008, S. 217: „Die wettbewerbspolitischen Leitbilder stellen Konzeptionen für die Ausgestaltung der Wettbewerbspolitik dar, in denen die wettbewerbspolitischen Ziele definiert und zielkonforme Instrumente und Träger abgeleitet werden.“ 30 Vgl. Schmidt, Ordnungsökonomische Wettbewerbskonzepte, 2008, S. 217 und 218. 31 Vgl. Fetzer, Staat und Wettbewerb in dynamischen Märkten, 2013, S. 40/41 mit weiteren Verweisen; vgl. Fritsch, Marktversagen und Wirtschaftspolitik, 2018, S. 103. 32 Vgl. Schulze, Liberalisierung von Netzindustrien, 2006, S. 20. Es bestand ein „hohes Vertrauen in die Marktkräfte“ (Seeliger, Energiepolitik, 2018, S. 52). 33 Schulze, Liberalisierung von Netzindustrien, 2006, S. 20 mit weiteren Verweisen. 34 Siehe Schulze, Liberalisierung von Netzindustrien, 2006, S. 20 mit weiteren Verweisen. „Bereits Adam Smith (1776) hat den Wettbewerb zwischen den am Markt beteiligten Wirtschaftssubjekten als den entscheidenden Selbstssteuerungsmechanismus erkannt.“ (Knieps, Wettbewerbsökonomie, 2008, S. 67). 35 Vgl. Forner, Volkswirtschaftslehre, 2022, S. 108/109.

I. Wettbewerb

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winnmaximierung auf der Anbieterseite sehr wohl auch die Notwendigkeit, auf überhöhte Preise zu verzichten. Auf diese Weise soll ohne staatliche Eingriffe in die Wirtschaft das auf den eigenen Nutzen bedachte Agieren der Marktteilnehmer dem Wohl der Allgemeinheit dienen.36 Die Bestimmung wettbewerbsoptimalen Handelns ist weder wünschenswert noch erforderlich, da sich wettbewerbliche Marktprozesse weiterentwickeln. So führen die sehr komplexen Wechselwirkungen zwischen individuellen und wertneutralen Marktfaktoren dazu, dass die Marktmechanismen eine optimale Entfaltung der Volkswirtschaft erzeugen, ohne dass der Ablauf und die Marktergebnisse vorhersehbar sind.37 Die Aufgabe des Staates beschränkt sich darauf, Infrastrukturen bereitzustellen und „ordnungspolitische Spielregeln“ 38 zu schaffen, um so die Wettbewerbsfreiheit zu schützen.39 Weiterentwickelt wurde dieses Konzept der Wettbewerbsfreiheit (Neuklassik) insbesondere von Erich Hoppmann, der sich auch an den Arbeiten von Friedrich August von Hayek (Österreichische Schulen/Austrian School of Economics) orientierte.40 Nach wie vor steht hierbei die freiheitliche Komponente im Vordergrund, wobei der nicht durch Marktmachtpositionen beschränkte Wettbewerb als Suchund Entdeckungsverfahren41 beschrieben wird. Erst wenn bei den Marktteilnehmern ein Wettbewerbsgeist vorherrsche, mit dem neue und noch nicht erforschte Marktpotentiale immer wieder eruiert und nutzbar gemacht werden würden, könne der Wettbewerbsprozess schließlich zu ökonomischen Ergebnissen führen.42 Hierdurch entstünden neuartige Produkte oder kostengünstigere Herstellungsverfahren, die alternativ auch gleichzeitig auftreten können. Die Nachfrager wiederum könnten die angebotenen Alternativen prüfen und bewerten und nach ihren Bedürfnissen das beste Angebot wählen (sogenannte Konsumentensouveränität).43 Die Anbieter erhielten dann im Rahmen der Nachfrage eine Rückmeldung über die Präferenzen der Kunden. Als hierfür erfolgsentscheidend gilt die Handlungsfreiheit der konkurrierenden Anbieter, zwischen mehreren Alternativen wählen zu können, insofern sie auf verschiedenen Märkten agieren können. 36

Vgl. Fritsch, Marktversagen und Wirtschaftspolitik, 2018, S. 7. Vgl. ebenda, S. 14. 38 Knieps, Wettbewerbsökonomie, 2008, S. 3/4. 39 Adam Smith (1776) wird als Begründer eines entsprechenden „Konzepts wettbewerbspolitischer Ausnahmebereiche“ angesehen, in denen der Staat aufgrund von Marktversagen aktiv werden muss, siehe Knieps, Wettbewerbsökonomie, 2008, S. 67/ 68; vgl. auch Schulze, Liberalisierung von Netzindustrien, 2006, S. 21. 40 Siehe Seeliger, Energiepolitik, 2018, S. 55 mit weiterem Verweis. 41 Vgl. Fritsch, Marktversagen und Wirtschaftspolitik, 2018, S. 14; Seeliger, Energiepolitik, 2018, S. 55. 42 Vgl. Bögelein, Ordnungspolitische Ausnahmebereiche, 1990, S. 71 und 72 mit weiterem Verweis; vgl. auch Seeliger, Energiepolitik, 2018, S. 55. 43 Vgl. Schulze, Liberalisierung von Netzindustrien, 2006, S. 20. 37

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C. Grundlagen zu Wettbewerb und Regulierung

Zudem haben die Anbieter die Möglichkeit, über den Einsatz ihrer Aktionsparameter im Wettbewerb frei entscheiden zu können.44 Als Aufgabe der Wettbewerbspolitik wird angesehen, dass sie freiheitsbeschränkende Maßnahmen per se verbieten soll.45 Mithin sind auch willkürliche Wettbewerbsbeschränkungen durch den Staat nicht erwünscht.46 Die Freiheit sei von staatlicher Gewalt bedroht, indem die politisch handelnden Akteure in der Wettbewerbspolitik ihre eigenen Interessen rational gestalten wollten und dadurch auch nur privilegierte Sonderinteressen durchgesetzt würden.47 Der Wettbewerb selbst setze Sanktionen in Form von Gewinnanreizen bzw. Existenzbedrohungen. Wettbewerbsergebnisse ließen sich nicht voraussehen, sondern diese Vorhersagen wären nur ein „Anmaßung von Wissen“ 48, mithin nur vorgegebene Kenntnisse. Demgegenüber sei ein Marktmachttest relevant, der in einem echtem Marktgeschehen die Wettbewerbsintensität ermitteln könne.49 Dieser Theorie wird entgegengehalten, dass man nicht von einem gemeingültigen Wettbewerbsgeist der Marktteilnehmer ausgehen könne. Insofern werde nicht ausreichend berücksichtigt, dass mitunter latent vorhandene Neigungen bei Akteuren diese dazu verleiten könnten, den Wettbewerb zu ihren eigenen Gunsten zu beeinflussen und zu beschränken.50 Weiterhin sollte auch bedacht werden, ob diese Konsumenten (Nachfrager) sich tatsächlich ohne jegliche Beeinflussung von dritter Seite entscheiden können und außerdem, ob ihre Entscheidung dann auch in der von ihnen beabsichtigten Weise am Markt wahrgenommen und erfasst wird. Im Gegensatz zu den vorgenannten Leitbildern wird die Erreichung von ökonomischer Effizienz von den wohlfahrtsökonomisch orientierten Leitbildern der Wettbewerbpolitik in den Vordergrund gestellt. Diese Sichtweise findet sich in den in der neoklassischen Tradition stehenden Theorien (etwa den WorkabilityKonzepten der Harvard School) wieder.51 Bei alledem ist das Ziel bestimmend, den gesellschaftlichen Wohlstand im Sinne der materiellen Wohlfahrt zu maximieren, wohingegen das Freiheitsziel nicht erwähnt wird. Die Wohlfahrtsökonomie geht dabei von einem hypothetischen Soll-Zustand aus und knüpft damit an

44 Vgl. Seeliger, Energiepolitik, 2018, S. 55; Schulze, Liberalisierung von Netzindustrien, 2006, S. 25. 45 Vgl. Schmidt, Ordnungsökonomische Wettbewerbskonzepte, 2008, S. 221. 46 Vgl. Knieps, Wettbewerbsökonomie, 2008, S. 71. 47 Vgl. Schmidt, Ordnungsökonomische Wettbewerbskonzepte, 2008, S. 221 mit weiteren Verweisen. 48 Vgl. Schulze, Liberalisierung von Netzindustrien, 2006, S. 26 mit weiterem Verweis. 49 Vgl. Knieps, Wettbewerbsökonomie, 2008, S. 71. 50 Vgl. ebenda, S. 72. 51 Vgl. Seeliger, Energiepolitik, 2018, S. 53/54.

I. Wettbewerb

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statische Marktverhältnisse an, das bedeutet, dass diese zu einem bestimmten Zeitpunkt konstant vorhanden sind. Mit Hilfe der allgemeinen Gleichgewichtstheorie versuchten die Vertreter der neoklassischen Theorie52 die Bedingungen herauszufinden, die ein Gleichgewicht zwischen Einzelinteressen und Gemeininteresse bewirken können. Der als ein wettbewerbspolitisches Ideal verstandene Soll-Zustand ist jedoch nur bei vollständiger, also bestmöglicher Konkurrenz gegeben. Diese liegt dann vor, wenn bei der Umverteilung der Güter kein Individuum den Nutzen verbessern kann, ohne dass ein anderes Individuum in seinem Nutzen verschlechtert wird.53 Benannt nach ihrem ökonomischen Begründer wird diese maximale ökonomische Effizienz auch als Pareto-optimaler Zustand54 bezeichnet. Sie ist erreicht, wenn die drei folgenden Subkriterien erfüllt sind, so die Allokationseffizienz (eine volkswirtschaftlich bestmögliche Zuteilung der Ressourcen an die Marktteilnehmer, wobei ein Gleichgewichtszustand im Sinne des Pareto-optimalen Zustands gemeint ist),55 die Produktionseffizienz (die Zuteilung der Ressourcen soll gleichzeitig optimal sein, so dass im Wettbewerb der Marktteilnehmer die vorhandenen Ressourcen mit minimalem Einsatz zur Produktion der Güter verwendet werden) und letztlich die qualitative Effizienz erfüllt ist. Das bedeutet auch, dass insbesondere keine Größen- oder Verbundvorteile der Produktion oder auch keine externen Effekte vorliegen dürfen. Hierbei muss eine vollständige Transparenz aller Beteiligten auf dem Markt vorherrschen. Als Referenzmaßstab werden allein die Aktivitäten eines fiktiven Planers, der ausschließlich in bester Absicht handelt, herangezogen, was dazu führt, dass die Akteure keine Entscheidungs-, Handlungs- und Wahlfreiheiten mehr besitzen.56 Nicht geklärt ist aber, woher dieser fiktive Planer sein hierzu notwendiges Wissen nimmt.57 Mit diesem Ansatz wird letztlich in hypothetischer Weise ein Idealzustand beschworen, der aber auf realen Märkten, insbesondere auf dynamischen Märkten wie dem Energiemarkt niemals umfassend erfüllbar sein wird. Jede Abweichung von diesem idealtypischen Pareto-optimalen Zustand, wäre im Grunde genommen als ein Marktversagen zu interpretieren, so dass die statischen Merkmale 52 „Als neoklassische Nationalökonomen seien stellvertretend für alle Antoine-Augustin Cournot (1801–1877), Léon Walras (1834–1910), Alfred Marshall (1842–1924), William Stanley Jevons (1835–1882), Arthur Cecil Pigou (1877–1959) und Joan Robinson (1903–1983) erwähnt“, Schulze, Liberalisierung von Netzindustrien, 2006, S. 21. 53 Vgl. Fritsch, Marktversagen und Wirtschaftspolitik, 2018, S. 25–27. Die Tasache, dass die Anbieter den Preis nicht beeinflussen können, wird als „Mengenanpassungsoder Preisnehmerprinzip“ bezeichnet (siehe Seeliger, Energiepolitik, 2018, S. 46). 54 Nach Vilfredo Pareto (1848–1923) benannt, auch als „Pareto-Kriterium“ bezeichnet, siehe etwa Fritsch, Marktversagen und Wirtschaftspolitik, 2018, S. 24. 55 Siehe Fetzer, Staat und Wettbewerb in dynamischen Märkten, 2013, S. 40, Fn. 18. 56 Vgl. Schmidt, Ordnungsökonomische Wettbewerbskonzepte, 2008, S. 216 mit weiteren Verweisen. 57 Vgl. ebenda, mit weiteren Verweisen.

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C. Grundlagen zu Wettbewerb und Regulierung

dieser Theorie eines Wettbewerbsmarktes nur in einer auch in Zukunft nicht veränderbaren Volkswirtschaft möglich wären. Schon aus diesem Grund wird die allgemeine Gleichgewichtstheorie bereits als ungeeignet oder wirklichkeitsfremd dafür angesehen, theoretische Erklärungen wettbewerblicher Marktprozesse zu geben.58 Dies dürfte für eine Untersuchung von Wettbewerbspotentialen in Netzbereichen sogar in besonderem Maße zutreffen. Abgesehen hiervon sind aus dieser Theorie durchaus bedeutende Ideen gewonnen worden, so etwa zur Preisbildung durch das Zusammenspiel von Angebot und Nachfrage und idealen Marktformen sowie zu dem hohen Stellenwert der sozialen Wohlfahrt.59 Die neoklassische Theorie entwickelte sich schließlich mit dem Workable competition – Konzept 60 (Konzept des funktionsfähigen Wettbewerbs) weiter, worin die dynamische und innovative Funktion des Wettbewerbs wieder aufgenommen wird. Des Weiteren sollen die Defizite in der Darstellung zwischen dem idealtheoretischen Markt-Modell und dem des realen unvollkommenen Marktes (in denen weder Produzenten über vorgegebene Produktionsmöglichkeiten verfügen noch Bedürfnisse der Konsumenten starr sind) beseitigt werden.61 Alle Ansätze stellen auf ein „Marktstruktur-Marktverhalten-Marktergebnis-Paradigma“ ab und präferieren daher einen Wettbewerb, dessen Funktion normativ bestimmt wird.62 So haben sich diese genau aus den zuvor aufgezeigten Wettbewerbsfunktionen, mithin die an einen Wettbewerb gestellten Anforderungen, die dieser zu bewältigen hat, ergeben.63 Allerdings bleibt bei diesen Funktionen der Freiheitsaspekt (Wettbewerbsfreiheit, Handlungsfreiheit) unberücksichtigt, so dass nach wie vor die ökonomische Effizienz als vorrangig angesehen wird.64 Vertreter der Dilemmathese gehen daher hier von einem Zielkonflikt aus.65 58

Vgl. Seeliger, Energiepolitik, 2018, S. 49. Vgl. Schulze, Liberalisierung von Netzindustrien, 2006, S. 23. 60 Grundlegend wurde dieses „Leitbild des funktionsfähigen Wettbewerbs“ von John Maurice Clark (1884–1963) entwickelt, siehe Forner, Volkswirtschaftslehre, 2022, S. 138. Die Methodik von Kantzenbach hatte in Deutschland eine gewichtige Bedeutung, so seine Theorie des größtmöglichen Ausmaßes an Wettbewerb, die bei einem weiten Oligopol mit mäßiger Produktdifferenzierung und begrenzter Markttransparenz als optimale Marktstruktur bestehe (siehe Seeliger, Energiepolitik, 2018, S. 53 und 54 mit weiterem Verweis). 61 Vgl. Schulze, Liberalisierung von Netzindustrien, 2006, S. 27. 62 Siehe Schmidt, Ordnungsökonomische Wettbewerbskonzepte, 2008, S. 218; siehe auch Schulze, Liberalisierung von Netzindustrien, 2006, S. 27. 63 Vgl. Schulze, Liberalisierung von Netzindustrien, 2006, S. 29. Kritisch wird auch die Annahme gesehen, dass eine spezielle Marktstruktur überlegen sein soll, da „ein und dieselbe Marktstruktur unter komplexen Einflussfaktoren zu gänzlich unterschiedlichen Marktverhalten“ führen kann (ebenda). 64 Vgl. Seeliger, Energiepolitik, 2018, S. 54 und 55 mit weiteren Verweisen. 65 Vgl. Vorgrimler, Wettbewerbstheorie und stagnierende Märkte, 2000, S. 5. Im Gegensatz hierzu postuliert die Harmoniethese, dass eine Verbindung besteht zwischen der Freiheit, am Wettbewerb teilzunehmen und der ökonomischen Vorteilhaftigkeit, die aus diesem Wettbewerb entsteht (vgl. ebenda, S. 6). 59

I. Wettbewerb

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Ein weiterer Ansatz, der ebenfalls das Modell der vollständigen Konkurrenz als Referenznorm ansieht, zugleich jedoch die Ansätze des Workable competition ablehnt, ist die Chicago School of Antitrust.66 Als annähernd ausschließliche Intention der Wettbewerbspolitik wird hier die „Maximierung der allgemeinen Wohlfahrt“, definiert als „Konsumentenwohlfahrt“,67 erachtet. Daher sind Monopolstellungen nicht per se abzulehnen, sondern nur dann, wenn diese staatlich begründet und somit nicht bestreitbar sind. Soweit hierdurch die Freiheit des Wettbewerbs begrenzt wird, etwa durch ein strategisches Zusammenwirken der Produzenten bzw. Unternehmen, wird dies hingenommen.68 Einzige Aufgabe des Staates sei es, Kartelle zu verhindern, so dass die Notwendigkeit einer staatlichen Regulierung aus dieser Sicht gänzlich entfällt.69 Abgesehen von der Kritik an der Referenznorm der vollständigen Konkurrenz ist hier weiterhin kritisch zu beachten, dass unterschätzt wird, welche Probleme im Wettbewerb sich durch das staatlich tolerierte Zusammenwirken der Unternehmen ergeben können. Dies kann insofern zu einer Monopolstellung einer oder mehrerer Unternehmen führen, so etwa wenn neue Wettbewerber keinen Zutritt zu sogenannten Essential facilities (etwa Energienetzen) mehr erlangen.70 Der von Walter Eucken begründete Ordoliberalismus der Freiburger Schule71 weist auf die Gefahr hin, dass ein übermäßiges freiheitliches Verständnis und damit ein Zurückdrängen des Staates aus der Wirtschaftsverfassungspolitik dazu führen könnte, dass wirtschaftlich starke Marktakteure den Wettbewerb beschränken (vor allem durch Kartelle und Monopole).72 Er geht zwar davon aus, dass die Freiheitsfunktion des Wettbewerbs neue Sachverhalte entdecken kann, sieht aber auch eine Notwendigkeit, dass durch den Staat Ordnungsformen der Wirtschaft

66 Der Fähigste soll sich im freien Spiel der Kräfte durchsetzen (survival oft the fittest), vgl. Seeliger, Energiepolitik, 2018, S. 56. 67 Siehe Schmidt, Ordnungsökonomische Wettbewerbskonzepte, 2008, S. 219, vgl. auch Seeliger, Energiepolitik, 2018, S. 56. 68 Vgl. Schulze, Liberalisierung von Netzindustrien, 2006, S. 31 mit weiteren Verweisen. 69 Vgl. Seeliger, Energiepolitik, 2018, S. 54. 70 Vgl. Knieps, Wettbewerbsökonomie, 2008, S. 104. 71 Das deutsche Konzept des Ordoliberalismus, der durch die Freiburger Schule, insbesondere von Walter Eucken (1891–1950) in den 1930-er Jahren entwickelt wurde, war beeinflusst von einer Reminiszenz an den Grundgedanken des Liberalismus. Weiterer Verfechter dieser Theorie war Franz Böhm (1895–1977), der an dem Erlass des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB 1957) weitgehend mitgewirkt hatte, das seinen Ursprung in dieser Theorie hatte. Allerdings ist mit der 2. GWB-Novelle 1973 eine Abkehr von diesem prägenden Gedanken erfolgt, vgl. Schulze, Liberalisierung von Netzindustrien, 2006, S. 23/24. 72 Vgl. Knieps, Wettbewerbsökonomie, 2008, S. 69. Daher sollte nach dieser Ansicht der Staat Monopole enteignen dürfen. Der mit derart umfangreichen Kompetenzen versehene Staat wurde auch als „wohlwollender Diktator“ bezeichnet (siehe Seeliger, Energiepolitik, 2018, S. 53 mit weiterem Verweis).

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C. Grundlagen zu Wettbewerb und Regulierung

in passender Weise etabliert werden.73 So werden neben dem liberalen Gedanken auch Kernelemente der neoklassischen Theorien aufgegriffen. Zentrales Anliegen ist hierbei, dass der Staat sich zwar nicht in die Lenkung der Wirtschaftsprozesse einmischen soll, aber der Einfluss des Staates darauf gerichtet ist, den rechtlichen Rahmen zu gestalten, insofern hierdurch gerade die Wettbewerbsfreiheit gewahrt bleibt.74 Nach der Auffassung Walter Euckens sind folgende prägnante Kernprinzipien vom Staat zu beachten: Vom Staat sei zu erwarten, dass die von ihm festgelegten Rahmenbedingungen grundsätzlich einen ungestörten Zugang zum Markt zulassen. Nur so sei eine umfassende Konkurrenz möglich und ein freier Leistungswettbewerb garantiert.75 Diese ordoliberale Sicht wird deshalb positiv bewertet, weil sie die Funktionsvoraussetzungen der Wettbewerbsordnung umfassend würdigt und darüber hinaus davon ausgeht, dass Wettbewerb die wirtschaftliche Macht Einzelner begrenzt und somit zur wirtschaftlichen Freiheit aller Marktteilnehmer beiträgt.76 Demgegenüber würden wettbewerbsexterne Gemeinwohlziele (wie etwa Umweltschutz, Produktion Kollektivgüter) darüber hinaus eine explizite staatliche Intervention durch Regulierung benötigen.77 Unbeschadet der Kritik an den neoklassischen Grundgedanken, da diese nicht ausreichend begründet und auch nicht wettbewerbsökonomisch praktikabel sind, ist von der Allokationstheorie ein wesentlicher Einfluss ausgegangen, und zwar insbesondere im Hinblick auf die Netzindustrien.78 So werde durchaus ein „allokationstheoretisch begründetes Marktversagen bis heute als ein Referenzansatz zur Ableitung wirtschaftspolitischer Handlungsempfehlungen“ angesehen, mithin logische Rückschlüsse zu dieser Theorie gezogen.79 Insofern wird für den Energiemarkt als Netzindustrie vor allem ein solches Marktversagen als Begründung für politisches Handeln herangezogen, auch wenn dieses jeweils kritisch zu prüfen ist. Dies wird nachfolgend im Rahmen der Regulierung ausgeführt.

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Vgl. Seeliger, Energiepolitik, 2018, S. 52. Vgl. Seeliger, Energiepolitik, 2018, S. 52. „Einen typischen Anwendungsfall hierfür stellen natürliche Monopole dar, wie sie in Netzindustrien bei der Infrastruktur vorkommen“ (Schulze, Liberalisierung von Netzindustrien, 2006, S. 24, Fn. 77). 75 Vgl. Schulze, Liberalisierung von Netzindustrien, 2006, S. 23 mit weiteren Verweisen. 76 Vgl. Fehling, Regulierung, Effizienz und Wettbewerb, in: Regulierung und Gemeinwohl, 2016, S. 46–69 (58) mit weiteren Verweisen. 77 Vgl. ebenda, S. 46–69 (58 und 59). 78 Vgl. Schulze, Liberalisierung von Netzindustrien, 2006, S. 22. 79 Siehe Schulze, Liberalisierung von Netzindustrien, 2006, S. 22; vgl. Schmidt, Ordnungsökonomische Wettbewerbskonzepte, 2008, S. 209–236 (222). Dies zeigt sich nicht zuletzt in der Diskussion über den more economic approach in der europäischen Wettbewerbspolitik (vgl. ebenda, S. 224). 74

II. Regulierung

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II. Regulierung 1. Regulierungsbegriff Der Begriff Regulierung wird immer im Zusammenhang mit Marktstrukturen verwendet, so dass die Regulierung ihrer Begriffbestimmung nach stets im Konnex von staatlichen Eingriffen in das Marktgeschehen und freiem Wettbewerb zu sehen ist, mithin die Besonderheit dieser Verbindung die Kernfrage auslöst, wie Staat und Wettbewerb sich zueinander verhalten.80 Nach einem weiten Verständnis ist unter Regulierung zunächst jede Regelung, also jede staatliche Einflussnahme und Steuerung mit Instrumenten der klassischhoheitlichen Tätigkeiten auf einen bestimmten gesellschaftlichen Prozess zu verstehen.81 Im Sprachgebrauch der Sozialwissenschaften in Deutschland wird der Begriff seit den 1970er-Jahren oftmals als „regulative Politik“ beschrieben,82 wohingegen dem amerikanischen Begriff Social regulation, zu entnehmen ist, dass ein staatliches Eingreifen aufgrund sozialer und ökologischer Belange oder etwa aufgrund des Verbraucherschutzes gerechtfertigt sein kann.83 Ursprünglich stammt der Begriff aus der Volkswirtschaftslehre, und zwar in Anlehnung an das Prinzip der Economic regulation84. Hiernach ist Regulierung restriktiv auszulegen und umfasst als Begriff nur solche staatlichen (sektor- oder marktspezifischen) Eingriffe in Marktprozesse, die primär der Herstellung von Wettbewerb im Interesse des Gemeinwohls dienen,85 die Marktversagen blockieren, Zielkonflikte beseitigen können86 oder zur Erreichung von Zielen der Daseinsvorsorge beitragen sollen.87 Die staatliche Regulierung kann zugleich als ein typisches Instrument des Gewährleistungsstaates angesehen werden.88 Dabei ist die Umsetzung in der Europäischen Union vor allem im Kontext mit der Errichtung eines EU-Binnenmarktes von Bedeutung.89 80

Vgl. Fetzer, Staat und Wettbewerb in dynamischen Märkten, 2013, S. 10. Vgl. ebenda. 82 Siehe Ziekow, Öffentliches Wirtschaftsrecht, 2016, § 13, Rn. 1. 83 Vgl. Kühling, Sektorspezifische Regulierung in den Netzwirtschaften, 2004, S. 14. 84 Die ökonomische Theorie der Regulierung bezeichnet jegliche Einflussnahme auf bestimmten Märkten oder Wirtschaftszweigen, sei sie legislativer, administrativer oder fiskalischer Art, siehe Mehnert/Erbsland, Zum Begriff der Regulierung: Gegenstand, Träger und Methoden, 1993, ZEW S. 2 mit weiterem Verweis. 85 Vgl. Ruffert, in: Fehling/Ruffert, Regulierungsrecht, 2010, § 7, Rn. 58. 86 Vgl. Fetzer, Staat und Wettbewerb in dynamischen Märkten, 2013, S. 13 mit weiteren Verweisen. 87 Vgl. Krajewski, Daseinsvorsorge im deutschen Recht, in: Grundstrukturen des Rechts öffentlicher Dienstleistungen, 2011, § 6, S. 19. 88 Vgl. Ziekow, Öffentliches Wirtschaftsrecht, 2016, § 13, Rn. 8 mit weiterem Verweis. 89 Vgl. Gundel, Regulierung und Internationalisierung – insbesondere im Energiesektor, in: Regulierung und Gemeinwohl, 2016, S. 312–333 (312). 81

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C. Grundlagen zu Wettbewerb und Regulierung

Die Regulierung begrifflich enger zu fassen, erscheint sinnvoll, insofern sie andernfalls einem unabdingbaren Recht praktisch gleichkommen würde.90 Zwar ist Regulierung auch ein Rechtsbegriff,91 aber eine eindeutige Definition fehlt und somit auch eine unmissverständliche juristische Vorgehensweise.92 Erstmals – und auch nur zeitweise – rechtlich als Legaldefinition gesetzlich verankert war der Begriff in § 3 Nr. 13 des Telekommunikationsgesetzes aus dem Jahr 1996 (TKG).93 Hier wurde Regulierung als die „Steuerung von Telekommunikationsunternehmen“ durch hoheitliche Maßnahmen beschrieben, mit denen die im Telekommunikationsgesetz definierten Ziele erreicht werden sollten.94 Regulierung wird seither zwar nicht mehr gesetzlich definiert, aber als instrumentelles Mittel angesehen, mit dem sektorspezifische Ziele, darunter im Energiemarkt die Ziele des heutigen § 1 Abs. 2 EnWG,95 erreicht werden sollen.96 Abzugrenzen ist das Regulierungsrecht von der Ex post-Aufsicht durch das Kartellrecht. Während das Regulierungsrecht ex ante postuliert wird und daher von Anfang an regulatorische Vorgaben für die Marktteilnehmer vorgibt, etwa durch Festlegung allgemein gültiger Spielregeln für die Marktwirtschaft, kommt das Kartellrecht erst dann zum Zuge, wenn Marktteilnehmer den eigentlich funktionierenden Wettbewerbsmarkt für ihre eigenen Zwecke missbrauchen.97 2. Regulierungsansätze Im Folgenden sollen die prägnantesten Regulierungstheorien kurz skizziert werden. Während die normative Theorie, basierend auf den neoklassischen Ansätzen, von einem Idealzustand eines Marktes – dem wohlfahrtsökonomischen Standardmodell der vollständigen Konkurrenz – ausgeht, wird im Rahmen der

90 Vgl. Fuchs, Regulierung, Effizienz und Wettbewerb, in: Regulierung und Gemeinwohl, 2016, S. 13–45 (17, Fn. 11) mit weiteren Verweisen; Kühling, Sektorspezifische Regulierung in den Netzwirtschaften, 2004, S. 12, 14/15. 91 Vgl. Ziekow, Öffentliches Wirtschaftsrecht, 2016, § 13, Rn. 3. 92 Vgl. Fetzer, Staat und Wettbewerb in dynamischen Märkten, 2013, S. 12 mit weiteren Verweisen. 93 Telekommunikationsgesetz (TKG) vom 25. Juli 1996, BGBl. I, S. 1120. Hiernach waren unter Regulierung die Maßnahmen zu verstehen, „die zur Erreichung der in § 2 Abs. 2 genannten Ziele ergriffen werden und durch die das Verhalten von Telekommunikationsdienstleistungen, von Endeinrichtungen oder von Funkanlagen geregelt werden, sowie die Maßnahmen, die zur Sicherstellung einer effizienten und störungsfreien Nutzung von Frequenzen ergriffen werden.“ Diese Definition ist seit der Novellierung des Telekommunikationsgesetzes vom 22. Juni 2004, BGBl. I, S. 1190, entfallen. 94 Siehe Fetzer, Staat und Wettbewerb in dynamischen Märkten, 2013, S. 11. 95 Die einzelnen Ziele sind in Kapitel A. II. und III. dargelegt. 96 Vgl. Ziekow, Öffentliches Wirtschaftsrecht, 2016, § 13, Rn. 4 und 5. 97 Vgl. Knieps, Disaggregierte Regulierung in Netzsektoren: Normative und positive Theorie, 2007, S. 2.

II. Regulierung

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positiven Regulierungstheorie das tatsächliche Verhalten auf einem Markt untersucht.98 So sind die idealtypischen neoklassischen Modelle institutionenneutral. Hingegen widmen sich die Neue Institutionenökonomik und dementsprechend auch die positive Regulierungstheorie den realen Anreizmechanismen in Gesellschaften als Institutionen. Zugleich soll hierbei der Vorteil einer hierarchisch organisierten im Vergleich zu einer marktförmig strukturierten Koordination vermittelt werden.99 Ein weiterer maßgebender Unterschied zum neoklassischen Ansatz ist die Einbeziehung von Transaktionskosten, die im Rahmen der Transaktionskostentheorie als bedeutsame Ausprägung der neuen Institutionenökonomik behandelt werden. a) Normative Theorie Mit der normativen Theorie soll eine Begründung für staatliche Eingriffe gegeben werden. Dazu wird davon ausgegangen, dass diese aufgrund von Besonderheiten in einzelnen Marktsektoren bestehen und es schließlich notwendig machen, eine grundsätzlich gewünschte marktförmige Koordination durch eine staatliche Regulierung zu ersetzen.100 Sobald in diesen Sektoren statische oder dynamische Ineffizienzen in Form der Marktversagensgründe vorhanden sind und der Wettbewerb die oben dargestellten Funktionen nicht ausreichend sicherstellen kann, liegt dieser Theorie entsprechend auch eine Begründung für ein staatliches Eingreifen vor.101 Marktversagensgründe können etwa aufgrund des Vorliegens eines natürlichen Monopols, externer Effekte, asymmetrisch vorhandener bzw. unvollständiger Informationen102 oder auch der Ausnutzung von Marktmacht durch einzelne Unternehmen existieren.

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Vgl. ebenda, S. 1. Vgl. Schulze, Liberalisierung von Netzindustrien, 2006, S. 85. 100 Vgl. Fetzer, Staat und Wettbewerb in dynamischen Märkten, 2013, S. 38 und 176 mit weiteren Nachweisen; Knieps, Netzökonomie, 2007, S. 181 und 203. Normativ ist die Theorie deshalb, weil mit der Marktversagenstheorie „nicht zu erklären ist, wo der Staat handele, sondern vielmehr wo er handeln solle“ (Blankart, Öffentliche Finanzen in der Demokratie, 2011, S. 71). 101 Vgl. Fetzer, Staat und Wettbewerb in dynamischen Märkten, 2013, S. 38. Gestützt wird die Annahme, dass Marktversagen die normative Voraussetzung für Regulierung ist, etwa im Rahmen des § 10 Abs. 2 Satz 1 TKG a. F., der eben diese Marktversagensgründe beinhaltete. Regulierung kommt nur bei Märkten in Betracht, die durch beträchtliche und anhaltende, strukturell oder rechtlich bedingte, Marktzutrittsschranken gekennzeichnet sind, die längerfristig nicht zu wirksamem Wettbewerb tendieren und in denen die Anwendung des allgemeinen Wettbewerbsrechts allein nicht ausreicht, um einem Marktversagen entgegenzuwirken. Auf diese Kriterien des § 10 Abs. 2 Satz 1 TKG stützt sich z. B. auch das BVerwG, Urteil vom 12. Juni 2013, Az.: 6 C 10/12, NVwZ 2013, S. 1352–1360 (Rn. 25) (siehe hierzu Fetzer, Staat und Wettbewerb in dynamischen Märkten, 2013, S. 11). 102 Vgl. Ziekow, Öffentliches Wirtschaftsrecht, 2016, § 13, Rn. 7 mit weiterem Verweis. 99

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C. Grundlagen zu Wettbewerb und Regulierung

Regulatorische Eingriffe sind demnach neben der Struktur des Marktversagens immer dann notwendig, wenn sie im öffentlichen Interesse erforderlich sind,103 d.h. wenn das durch sie erreichbare Ziel, etwa das der Daseinsvorsorge, höherrangig ist.104 Ziel der Regulierung ist es, nicht nur ein aktuelles Marktversagen zu beseitigen, sondern die Gegebenheiten für ein zukünftiges Marktversagen oder Zielkonflikte auf einen Minimalwert herabzusetzen, um langfristig einen Markt ohne staatliches Eingreifen zu etablieren.105 Dieser Theorie wird entgegengehalten, dass es auf dem Modell der vollständigen Konkurrenz106 basiere und dementsprechend realitätsfern sei. So lasse sich etwa die Frage, ob denn wirklich ein Handlungsbedarf des Staates bestehe, eben nur aus einer Gegenüberstellung unterschiedlicher institutioneller Handlungsalternativen mit den wirklichen Marktgegebenheiten beantworten.107 Aus diesem Grund sollte auch nicht auf ein theoretisches Extrem, sondern auf die tatsächlichen Marktgegebenheiten abgehoben werden. Dieser Einwand ist insbesondere bei der Anwendung von Regulierungstheorien auf dem Energiemarkt zu beachten, weil gerade dieser Markt sich durch eine Vielzahl von Besonderheiten auszeichnet. b) Positive Theorie Die positive Theorie gehört zur Neuen Politischen Ökonomie und ist damit der Neuen Institutionenökonomik zuzuordnen. Im Gegensatz zur normativen Theorie wird mit ihr versucht, das Zustandekommen von bereits implementierten Regulierungsmaßnahmen in Märkten aus einer ex post-Sicht zu erklären.108 Mit dieser Theorie wird zwar nicht verneint, dass die von der normativen Theorie zugrunde gelegten Marktversagensgründe für ein Eingreifen des Staates vorliegen, jedoch werden auch Erklärungsbeiträge dafür geliefert, dass diese Marktversagensgründe nicht zwingend auch die ausschlaggebenden Gründe für die ergriffenen Regulierungsmaßnahmen waren.109 Dem Wettbewerbs- bzw. Marktversagen wird hier ein sogenanntes Staatsversagen gegenübergestellt.110 So würden die Akteure 103 Vgl. Fetzer, Staat und Wettbewerb in dynamischen Märkten, 2013, S. 13. Daher wurde sie zunächst auch als Public Interest Theory bezeichnet (siehe ebenda, S. 38, Fn. 8 mit weiterem Verweis). 104 Vgl. Fetzer, Staat und Wettbewerb in dynamischen Märkten, 2013, S. 180. 105 Vgl. ebenda, S. 177. 106 „Die Theorie geht vom Extremfall aus, dass Regulierung kostenlos sei und der Regulierer ohne Eigeninteressen handelt und insbesondere in der Lage ist, dieses Marktversagen vollständig zu korrigieren, so dass dem regulierten Unternehmen keine Monopolrenten verbleiben“, Knieps, Netzökonomie, 2007, S. 181. 107 Vgl. Knieps, Netzökonomie, 2007, S. 181 und 203. 108 Vgl. Fritsch, Marktversagen und Wirtschaftspolitik, 2018, S. 370; Knieps, Disaggregierte Regulierung in Netzsektoren: Normative und positive Theorie, 2007, S. 1– 21 (1). 109 Vgl. Fetzer, Staat und Wettbewerb in dynamischen Märkten, 2013, S. 54/55. 110 Vgl. Fritsch, Marktversagen und Wirtschaftspolitik, 2018, S. 375.

II. Regulierung

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eines jeweiligen Marktes, namentlich die Adressaten von Regulierung, aber auch die Gesetzgeber und auch die Regulierungsbehörden jeweils selbst eigene Interessen verfolgen.111 Entsprechend soll eine von der normativen Soll-Welt abweichende Realität erklärt werden. Demnach wird im Gegensatz zum Marktversagen eine suboptimale bzw. ineffiziente Marktallokation nicht durch Störungen im Markt selbst herbeigeführt, sondern durch äußere politische Entscheidungen im Sinne eines Staatsversagens.112 Die Neue Politische Ökonomie (NPÖ) hat in diesem Zusammenhang die Theorie des Rent-Seeking und die Capture-Theorie hervorgebracht,113 denen zufolge die zuständigen Regulierungsbehörden eigene Interessen verfolgen und entsprechend versuchen, Regulierungserfolge zu erzielen, um so ihre Daseinsberechtigung zu rechtfertigen oder auch zu sichern.114 Demgegenüber stehen die Regulierungsadressaten, die Regelungen zu ihren Gunsten erhalten möchten und daher versuchen, mit den Regulierungsbehörden zu kooperieren und diese in ihrem Sinne zu beeinflussen.115 Gemäß der Capture-Theorie werden die Regulierungsbehörden von den Regulierungsadressaten quasi gefesselt, um im Interesse der Regulierungsadressaten anstatt im Interesse der Allgemeinheit tätig zu sein.116 Berücksichtigt wird dabei, dass Regulierungsadressaten auf politischer Ebene tätig sind und ihren Einfluss dahingehend geltend machen können, dass für sie entsprechend günstige Gesetze erlassen werden.117 Dies könnte unter Umständen ineffiziente Regulierungsvorschriften bedingen, nämlich dann, wenn zu lange reguliert oder nur scheinbar reguliert wird, ohne das tatsächliche Problem aufzulösen.118 In der Folge würde dies nicht mehr zur gewünschten Beseitigung von Marktversagen führen, sondern vielmehr zum Gegenteil, nämlich zu „Regulie111 Vgl. Bauer, Die Energieversorgung zwischen Regulierungs- und Gewährleistungsstaat, 2014, S. 44. 112 Vgl. Kerber/Schwalbe, in: Münchener Kommentar zum Wettbewerbsrecht, 2020, 1. Teil Grundlagen, Rn 669; Knieps, Wettbewerbsökonomie, 2008, S. 96. 113 Vgl. Knieps, Netzökonomie, 2007, S. 182; die Capture-Theorie wurde von dem amerikanischem Ökonomen Stigler (1911–1991) im Jahr 1971 begründet, vgl. Stigler, The Theory of Economic Regulation, in: The Bell Journal of Economics and Management Science, 1971, Vol. 2 No. 1, S. 3–21. 114 Vgl. Fritsch, Marktversagen und Wirtschaftspolitik, 2018, S. 359. 115 Vgl. Bauer, Die Energieversorgung zwischen Regulierungs- und Gewährleistungsstaat, 2014, S. 44. 116 Vgl. ebenda, S. 44/45 mit weiterem Verweis; Fritsch, Marktversagen und Wirtschaftspolitik, 2018, S. 365. 117 Vgl. Baurmann, Übersetzung ökonomischer Macht in den Bereich der Politik: Rent Seeking, in: Held et al., Jahrbuch Normative und institutionelle Grundfragen der Ökonomik, 2008, S. 143–166 (145); Schulze, Liberalisierung von Netzindustrien, 2006, S. 81 mit weiterem Verweis. „Mit der Zeit werden die Regulierungsbehörden von der regulierten Industrie dominiert, die ursprünglichen gesetzlichen Regulierungsziele weichen einer Maximierung der Produzentenrente“ (Knieps, Netzökonomie, 2007, S. 185). 118 Vgl. Bauer, Die Energieversorgung zwischen Regulierungs- und Gewährleistungsstaat, 2014, S. 45 mit weiteren Verweisen.

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C. Grundlagen zu Wettbewerb und Regulierung

rungsversagen“ 119 bis hin zu einem regelrechten Staatsversagen120 oder Politikversagen. Nach der Theorie des Rent-Seeking121 hat das oben beschriebene Verhalten zur Folge, dass im Rahmen der Einflussnahme auf den politisch-bürokratischen Entscheidungsprozess das Sichern von – bezüglich der Marktleistung ungerechtfertigten – ökonomischen Vorteilen (Rent-Seeking)122 immer mehr in den Vordergrund rückt.123 Dies hat einen negativen Einfluss auf den Wettbewerbsmarkt, da der Wille zum Wettbewerb und das damit verbundene Gewinnstreben (ProfitSeeking) mit zunehmenden staatlichen Marktregulierungen verdrängt werden. Weiterhin ergibt sich hieraus die Gefahr, dass eine Regulierungshandlung eine weitere Regulierungsmaßnahme bzw. die Notwendigkeit weiterer Regulierung nach sich zieht. So besteht eine Parallele zu dem „Ölflecktheorem“,124 welches besagt, dass sich Funktionsstörungen im gesamten Markt ergeben können, wenn auch nur an einer Stelle im Wirtschaftssystem, etwa am Preis für ein bestimmtes Gut, staatlich reguliert wird.125 Systemwidrige staatliche Eingriffe implizierten fortwährende weitere Eingriffe in den Markt und weiteten diese in Richtung einer Verstaatlichung aus.126 Sofern eine Regulierungsmaßnahme in einem bestimmten Bereich aus wettbewerblicher Sicht sich als legitim und fachgerecht 119 Bauer, Die Energieversorgung zwischen Regulierungs- und Gewährleistungsstaat, 2014, S. 45. „Ineffizienz von Regulierung“ aufgrund der „Eigeninteressen der Akteure im Regulierungsprozess.“ (Ebenda, S. 45 mit weiteren Verweisen). 120 Es besteht zudem die Gefahr einer „Interventionsspirale“, vgl. Leschke, Regulierungstheorie aus ökonomischer Sicht, in: Fehling/Ruffert, Regulierungsrecht, 2010, § 6 Rn 17. 121 Vgl. Leschke, Regulierungstheorie aus ökonomischer Sicht, in: Fehling/Ruffert, Regulierungsrecht, 2010, § 6, Rn. 17. 122 Hierunter ist „eine Verwendung von Ressourcen, um Einkommen ohne produktive Gegenleistung zu erzielen, zu verstehen, siehe Baurmann, Übersetzung ökonomischer Macht in den Bereich der Politik: Rent Seeking, in: Held et al., Jahrbuch Normative und institutionelle Grundfragen der Ökonomik, 2008, S. 143–166 (144) mit weiterem Verweis; Leschke, Regulierungstheorie aus ökonomischer Sicht, in: Fehling/Ruffert, Regulierungsrecht, 2010, § 6, Rn. 17. 123 Siehe Schulze, Liberalisierung von Netzindustrien, 2006, S. 81. 124 Eucken, Grundsätze der Wirtschaftspolitik, 1990, S. 154 (Erstausgabe: 1952); bereits 1929 übte Ludwig von Mises (1881–1973) entsprechende Kritik, ohne jedoch das Wort „Ölfleck“ zu gebrauchen, vgl. Ludwig von Mises Kritik des Interventionismus – Verstaatlichung des Kredits? Erstausgabe: 1929, Reprograf. Nachdruck aus: Zeitschrift für Nationalökonomie, 1976. 125 Vgl. Offe, Das Dilemma der Gleichzeitigkeit. Demokratisierung und Marktwirtschaft in Osteuropa (1991), in: Übergänge: Vom Staatssozialismus zum demokratischen Kapitalismus, 2020, S. 59. 126 Vgl. Bechtold, Über Finanzmarktregulierung, Geldpolitik und Verbriefung, in: Zeitschrift für das gesamte Kreditwesen, 18/2016, S. 844–845 (844) auch mit Verweis auf Walter Eucken, der als Begründer des Ordoliberalismus bereits die Unterscheidung in „systemkonforme und systemwidrige staatliche Regulierungen“ vorgenommen hatte (siehe ebenda).

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etabliert hat, könnten anschließend schrittweise regulierende Maßnahmen auch auf weitere Segmente des Basisbereichs ausgedehnt werden und somit überhandnehmen.127 Für den Fall, dass zentrale staatliche Akteure und dezentrale Marktakteure aufeinandertreffen, besteht ferner die Gefahr einer asymmetrischen Information.128 So müssten staatliche Instanzen (etwa Regulierungsbehörden), für sich Wissen und Informationen zu Unrecht reklamieren, so dass es unweigerlich zu Informations- und Prognoseproblemen kommen wird. Dies ist insbesondere dann eine Gefahr, wenn der Regulierungsgegenstand (hier die Versorgungssicherheit) nicht – wie noch darzulegen ist – an einem klar definierten Maßstab zu ermitteln ist. Dadurch wird sowohl eine Bewertung der derzeitigen Marktprozesse als auch deren gegebenenfalls eintretende Verbesserung infolge von staatlicher Steuerung schwer und auch nur begrenzt einzuschätzen sein.129 c) Transaktionskostentheorie Markthandeln an sich bringt Kosten mit sich, aber auch staatliche Maßnahmen sind nie kostenlos.130 Die Bezeichnung „Transaktionskosten“ wurde im Rahmen der Neuen Institutionenökonomik durch die „Transaktionskostentheorie“ bestimmt.131 Hierunter sind alle Kosten zu erfassen, die sich durch die wirtschaftliche Tätigkeit des Handels ergeben, so etwa Informationskosten, Durchführungskosten oder Kontrollkosten.132 Hierbei wird angenommen, dass sich alle Marktteilnehmer zunächst nicht gemeinwohlorientiert, sondern angepasst agieren und nur auf den eigenen Vorteil bedacht, sich selbst vor opportunistischem Verhalten der anderen Marktteilnehmer absichern wollen. Um diese Kosten möglichst gering zu halten, werden bestimmte Institutionen geschaffen, wobei die Errichtung und Aufrechterhaltung oder auch Umstrukturierung dieser Institutionen wiederum zu Transaktionskosten führen.133 Diese Institutionen sind der Markt selbst, 127 Als Beispiel wird die Zugangsregulierung in der Netzindustrie genannt. Die Interventionsspirale sei nun auch bei der konventionellen Erzeugung angekommen. Es komme zudem zu immer weiteren Kostensteigerungen, siehe Mundt, Die Energiewende braucht Marktvertrauen, EnWZ 2013, S. 241–242; Schulze, Liberalisierung von Netzindustrien, 2006, S. 81. 128 Zum Problem der asymmetrischen Information wird in diesem Kapitel nachfolgend unter c) ausgeführt. 129 Vgl. Riewe, Versorgungssicherheit durch Kapazitätsmechanismen, 2016, S. 241 mit weiterem Verweis. 130 Vgl. Fritsch, Marktversagen und Wirtschaftspolitik, 2018, S. 75, 77; Bauer, Die Energieversorgung zwischen Regulierungs- und Gewährleistungsstaat, 2014, S. 47. 131 Diese Theorie stammt von Ronald Coase (1910–2013) und Oliver Williamson (1932–2020), vgl. Erlei, Mikroökonomik, in: Vahlens Kompendium der Wirtschaftstheorie und Wirtschaftspolitik, 2007, S. 1–139 (128). 132 Vgl. Forner, Volkswirtschaftslehre, 2022, S. 112. 133 Vgl. Bauer, Die Energieversorgung zwischen Regulierungs- und Gewährleistungsstaat, 2014, S. 46.

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sowie die Grundordnung im Sinne einer staatlichen oder politischen Ordnung,134 objektive Rechte (etwa Grundrechte) sowie subjektive Rechte, wie etwa vertragliche Ansprüche.135 Als Unterfall der Transaktionskosten lassen sich die Kosten für Lobbying zählen. Diese müssen aufgebracht werden, um etwa politische Aktivitäten für eine politische Entscheidungsfindung zu ermöglichen. Transaktionskosten können auch diejenigen Kosten sein, die aufgewendet werden müssen, um in einen Markt einzutreten oder diesen nutzen zu können (Markzutrittskosten).136 Grundsätzlich sind diese im Wettbewerbsmarkt unbedenklich, insofern sie grundsätzlich nur dann aufgebracht werden, wenn sie rentabel erscheinen.137 Brisant werden diese aber dann, wenn sie aufgrund von Regulierung entstehen und dadurch den Wettbewerb verfälschen. Diese Kosten, die beim Vollzug und bei der Fortentwicklung bestimmter Regulierungsmaßnahmen anfallen, führen keineswegs zwingend zu einem ökonomisch vorteilhaften Resultat, mithin müssen sie ihre Legitimation nachweisen.138 d) Zwischenfazit Als Referenznormen werden die dynamischen Markt- und Wettbewerbstheorien, sowie methodisch, die sogenannte vergleichende Institutionenanalyse139, den normativen Ansätzen vorgezogen. Hierbei können ausgehend vom Prinzip der Wettbewerbsfreiheit, die tatsächlichen Gegebenheiten auf dem schnelllebigen, häufig Änderungen unterworfenen Energiemarkt, besser widergespiegelt werden als eine rein statische Betrachtung der vollkommenen Konkurrenz.140 Es wird dabei geprüft, ob im konkreten Einzelfall ein alternativer Koordinationsmechanismus bessere Ergebnisse hervorbringen könnte als wettbewerblich organisierte Märkte, wobei abzuwägen ist, ob ein staatliches Eingreifen, welches ebenfalls Kosten impliziert, seinerseits Marktversagen hervorruft. Indessen sollen die durch die normative Theorie entwickelten Marktversagensgründe nicht als gegensätzliche, sondern vielmehr als eine hiermit im Zusammenhang zu betrachtende Theorie herangezogen werden.141 134

Vgl. ebenda. Vgl. ebenda, S. 46 mit weiterem Verweis. 136 Vgl. Fetzer, Staat und Wettbewerb in dynamischen Märkten, 2013, S. 42; Marktzutrittskosten können etwa Kosten der Investition in Produktionsanlagen, z. B. Kraftwerke sein. 137 Vgl. Fetzer, Staat und Wettbewerb in dynamischen Märkten, 2013, S. 42/43. 138 Vgl. ebenda, S. 43. 139 Nach Fehling gilt die Neue Institutionenökonomik als „Rückgrat“ für die Regulierungstheorie, siehe Fehling, Regulierung, Effizienz und Wettbewerb, in: Regulierung und Gemeinwohl, 2016, S. 46–69 (49 Fn. 13) mit weiteren Verweisen. 140 „Die ökonomische Theorie der Politik kann die realen politischen Prozesse besser erklären als die Theorie des Marktversagens“, Fritsch, Marktversagen und Wirtschaftspolitik, 2018, S. 370; vgl. auch Knieps, Disaggregierte Regulierung in Netzsektoren: Normative und positive Theorie, 2007, S. 1–21 (1). 141 Vgl. Fritsch, Marktversagen und Wirtschaftspolitik, 2018, S. 370. 135

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3. Vorliegen eines korrekturbedürftigen Marktversagens Der Begriff „Marktversagen“ bezieht sich auf einen Sachverhalt, der darin besteht, dass der Markt seine Koordination von Angebot und Nachfrage nicht (vollkommen) erfüllen kann und daher effiziente Ergebnisse allein aufgrund der Marktabläufe nicht zu erwarten sind.142 Staatliche Maßnahmen müssen unter bestimmten Umständen ein Versagen des Marktes korrigieren, da der Markt aus eigener Kraft kein effizientes Ergebnis hervorbringen kann.143 Als Marktversagensgründe anerkannt sind die korrekturbedürftigen Funktionsstörungen (Marktversagen) von wettbewerblichen Marktprozessen, mithin natürliche Monopole, öffentliche Güter, asymmetrische Informationsverteilung und technologische externe Effekte. a) Natürliche Monopole Ein natürliches Monopol ist durch zwei Eigenschaften charakterisiert. Zum einen weist es eine subadditive Kostenfunktion auf, was bedeutet, dass die vom Markt nachgefragte Menge von einem einzigen Anbieter zu niedrigeren Kosten produziert werden kann als von einer größeren Anzahl von Unternehmen.144 Es handelt sich hierbei ursächlich um bestimmte Techniken, die mit hohen Fixkosten für den Aufbau eines Konstruktes, so etwa die Verlegung von Gasleitungen, aber auch mit deren Wartung verbunden sind. Auf der anderen Seite fallen verhältnismäßig niedrige Betriebskosten an, so auch geringe Grenzkosten für die Bereitstellung zusätzlicher Produkte, beispielsweise wenn durch die bereits bestehenden Leitungen Gas zusätzlich durchgeführt wird.145 Zu beachten ist, dass Subadditivität potenziell auch bei steigenden Grenzkosten noch vorliegen kann, solange nicht ein marktzutrittsresistentes natürliches Monopol besteht. Zum anderen entstehen sogenannte versunkene Kosten (Sunk costs), also Investitionskosten der Produktion eines Produkts (beispielsweise ein Netz), die nicht rückgängig gemacht werden können.146 Um diese Kosten wieder zurückzu142 Vgl. Blankart, Öffentliche Finanzen in der Demokratie, 2011, S. 57; Fritsch, Marktversagen und Wirtschaftspolitik, 2018, S. 71; Leschke, Regulierungstheorie aus ökonomischer Sicht, in: Fehling/Ruffert, Regulierungsrecht, 2010, § 6, Rn. 24. 143 Vgl. Weyer, Regulierung, Investitionsfreiheit und technischer Fortschritt, in: Regulierung und Gemeinwohl, 2016, S. 176–218 (199). 144 Vgl. Fritsch, Marktversagen und Wirtschaftspolitik, 2018, S. 171/172. 145 Vgl. Varian, Grundzüge der Mikroökonomik, 2011, S. 503. 146 Vgl. Weyer, Regulierung, Investitionsfreiheit und technischer Fortschritt, in: Regulierung und Gemeinwohl, 2016, S. 176–218 (182) mit weiteren Verweisen; Leschke, Regulierungstheorie aus ökonomischer Sicht, in: Fehling/Ruffert, Regulierungsrecht, 2010, § 6, Rn. 55.

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erwirtschaften, müssten die Produzenten höhere Gewinne zu Lasten der Konsumenten durch Preiserhöhungen einplanen. Natürliche Monopole liegen vor allem bei wesentlichen Einrichtungen (Essential facilities)147 oder bei sogenannten Flaschenhals-Einrichtungen (Monopolistische Bottlenecks), wie etwa Energienetzen vor, ohne deren Nutzung ein Marktzutritt nicht möglich wäre.148 b) Öffentliche Güter In Abgrenzung zu einem privaten Gut bestehen bei einem öffentlichen Gut zwei Merkmale: Das eine ist die Nichtausschließbarkeit. Daraus folgt, dass kein Nutzer vom Gebrauch dieses Gutes ausgeschlossen werden kann. Das andere ist die Nichtrivalität. Das bedeutet, dass um die Nutzung dieses Gutes keine Rivalität herrscht, so dass beliebig viele Konsumenten bei der Nutzung des Gutes keine weiteren Kosten verursachen, mithin das öffentliche Gut nicht durch die Nutzung der Konsumenten des Gutes verknappt wird.149 Daraus ergibt sich, dass das mehrmalige Nutzen des Gutes durch beliebig viele Konsumenten die Qualität des Gutes nicht beeinträchtigt.150 Insgesamt gesehen ist der Konsum des Gutes nicht teilbar.151 Öffentliche Güter werden gemeinsam (kollektiv) genutzt.152 An diesen öffentlichen Gütern bestehen keine exklusiven Eigentumsrechte. Die private Bereitstellung dieser Güter wäre entweder nicht möglich oder mit unverhältnismäßig hohen Kosten verbunden. Dies führt dazu, dass der Beitrag jedes Einzelnen im Vergleich zum Beitrag aller Nachfrager zusammen verschwindend gering ist. Ein einzelner Konsument kann folglich ohne eine Gegenleistung das Gut konsumieren, sich also als Trittbrettfahrer (Free rider) verhalten.153 Keiner der Nutzer muss sich bereit erklären, 147

Knieps, Wettbewerbsökonomie, 2008, S. 104. Vgl. hierzu Knieps, Disaggregierte Regulierung in Netzsektoren: Normative und positive Theorie, 2007, S. 2/3. Die weiteren Ausführungen, bezogen auf den Energiemarkt, erfolgen in Kapitel D. I. 1. 149 Vgl. Fetzer, Staat und Wettbewerb in dynamischen Märkten, 2013, S. 49 mit weiteren Verweisen; Kühling, Sektorspezifische Regulierung in den Netzwirtschaften, 2004, S. 36 (dort Fn. 83). 150 Vgl. Blankart, Öffentliche Finanzen in der Demokratie, 2017, S. 48. 151 Vgl. Blankart, Öffentliche Finanzen in der Demokratie, 2017, S. 48. Beispiel für öffentliche Güter ist die Landesverteidigung (vgl. ebenda). Wegen der genannten Eigenschaften können schon keine Märkte für diese Güter entstehen (vgl. Knieps, Wettbewerbsökonomie, 2008, S. 4). 152 Private Güter hingegen haben grundsätzlich einen funktionierenden Markt und der Preis bildet sich bei Wettbewerb. Der Preis entspricht tendenziell den Grenzkosten, so dass sie individuell konsumierbare Güter sind, vgl. Blankart, Öffentliche Finanzen in der Demokratie, 2017, S. 49. 153 Vgl. Blankart, Öffentliche Finanzen in der Demokratie, 2017, S. 49. Dies wird auch als Trittbrettfahrerverhalten bezeichnet, siehe Fritsch, Marktversagen und Wirtschaftspolitik, 2018, S. 94. 148

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für das Gut zu bezahlen, ebenfalls können durch die nicht vorhandenen Ausschlussmöglichkeiten keine Preise gebildet werden. Daraus folgt, dass eine Bereitstellung dieser Güter nur in kollektiver oder staatlicher Regie erbracht werden kann,154 in deren Rahmen der Staat etwa Angebot und Nachfrage koordiniert. Auch die Finanzierung der öffentlichen Güter erfolgt im Gegensatz zu den privaten Gütern in kollektiver Weise, etwa durch Zugangsabgaben und Steuern. Dabei ist im Ergebnis entscheidend, dass die Summe der Kostenbeiträge gleich den (langfristigen) Grenzkosten ist oder sein sollte.155 In Abgrenzung zu einem reinen öffentlichen Gut gibt es sogenannte Mischgüter, bei denen eine der beiden oben genannten Merkmale öffentlicher Güter nicht gegeben ist. So besteht bei diesen sogenannten Mautgütern zwar Nichtrivalität, aber einzelne Konsumenten können durchaus von der Nutzung ausgeschlossen werden, mithin liegt das Gütermerkmal der Nichtausschließbarkeit nicht vor.156 Bei Allmendegütern hingegen kann zwar von der Nutzung dieser Güter niemand ausgeschlossen werden, jedoch besteht zwischen den einzelnen Nutzern Rivalität,157 die dazu führt, dass es bei diesen Gütern zu Nutzungsbeschränkungen kommen kann.158 c) Asymmetrische Informationsverteilung Informationsasymmetrien bedeuten, dass die für eine Transaktion wichtigen Informationen nicht im gleichen Umfang auf beiden Marktseiten verfügbar sind. Hierbei entsteht ein unerwünschtes Ungleichgewicht, wenn eine Seite nur unzureichende Informationen über Qualität, Nutzen und Preis eines Marktproduktes erhält.159 Drohendes Marktversagen könnte der Markt aufgrund dieser Asymmetrie etwa in Form eigener Recherchen durch Marktteilnehmer, der Einschaltung spezialisierter Dritter (sogenanntes Screening bzw. Signalling) oder durch die freiwillige Bereitstellung notwendiger Informationen (etwa durch Garantieversprechen) von Seiten der besser informierten Marktteilnehmer überwinden. Sollte er hierzu nicht in der Lage sein, eröffnet sich für den Staat die potenzielle

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Vgl. Fritsch, Marktversagen und Wirtschaftspolitik, 2018, S. 94. Vgl. Blankart, Öffentliche Finanzen in der Demokratie, 2017, S. 49. 156 Z. B. kann der Nutzer vom Konsum des Gutes bei Theatervorstellungen, Fußballstadien oder auch Autobahnen ausgeschlossen werden, siehe Blankart, Öffentliche Finanzen in der Demokratie, 2017, S. 50. 157 Vgl. Blankart, Öffentliche Finanzen in der Demokratie, 2011, S. 64. 158 In Bezug auf die Energieversorgungssicherheit wird zwar auch die Einordnung als öffentliches Gut diskutiert. Hier ist jedoch von einem meritorischen Gut auszugehen. Dies wird in Kapitel D. III. 6. erörtert. 159 Vgl. Knieps, Wettbewerbsökonomie, 2008, S. 12 und 13. 155

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Aufgabe, entweder bei der Informationsbeschaffung unterstützend oder durch die Vergabe direkter Beihilfen zur Risikoabsicherung tätig zu werden.160 d) Externe Effekte Ein externer Effekt liegt vor, wenn die Aktivität eines Marktteilnehmers, der eigenständig wirtschaftliche Entscheidungen trifft, positive oder negative Auswirkungen auf andere – an der Aktivität unbeteiligte – Wirtschaftssubjekte hat und diese Auswirkungen nicht in irgendeiner Form über den Markt abgegolten werden oder diese auch nicht in die Kosten-Nutzen-Berechnung des Akteurs internalisiert sind.161 Unter positiven externen Effekten sind Vorteile zu verstehen, die sich aus der Aktivität des einen Wirtschaftssubjekts ergeben, die für den Nutznießer des Vorteils keine Kosten auslösen.162 Diese für andere Wirtschaftssubjekte entstehenden Vorteile spiegeln sich dabei nicht im Preis der jeweiligen Produkte oder Leistungen wider, so dass sie bei der Entscheidung des Unternehmers über das Produktions- bzw. Leistungsniveau nicht in Rechnung gestellt werden.163 Dies kann zu einer volkswirtschaftlich suboptimalen Produktion, also einer Unterproduktion bestimmter Leistungen oder Güter führen, oder zu einer volkswirtschaftlich zu geringen Nachfrage.164 Negative externe Effekte hingegen sind auf der anderen Seite Nachteile für unbeteiligte Dritte, die hierfür keine Entschädigung erhalten und die in der Produktionsentscheidung nicht einkalkuliert worden sind.165 Dies sind insbesondere Aktivitäten (so industrielle Produktion von Gütern oder im Straßenverkehr) von Unternehmen, die die Umwelt mit Schadstoffen oder Lärm belasten.166 Die Folgen lösen eine volkswirtschaftlich suboptimale Überproduktion bzw. Übernachfrage aus.

160 Es werden zwei Lösungsansätze unterschieden: „Property Rights-Ansatz“ und „Finanzielle Anreiz- und Sanktionsmechanismen“, siehe Schmidt/Schmidt, Europäische Wettbewerbspolitik und Beihilfenkontrolle, 2006, S. 210. 161 Vgl. Fritsch, Marktversagen und Wirtschaftspolitik, 2018, S. 84; Weyer, Regulierung, Investitionsfreiheit und technischer Fortschritt, in: Regulierung und Gemeinwohl, 2016, S. 176–218 (199) mit weiterem Verweis; Leschke, Regulierungstheorie aus ökonomischer Sicht, in: Fehling/Ruffert, Regulierungsrecht, 2010, § 6 Rn 25. 162 Vgl. Leschke, Regulierungstheorie aus ökonomischer Sicht, in: Fehling/Ruffert, Regulierungsrecht, 2010, § 6, Rn. 25. 163 Vgl. Schmidt/Schmidt, Europäische Wettbewerbspolitik und Beihilfenkontrolle, 2006, S. 210. 164 Vgl. Knieps, Wettbewerbsökonomie, 2008, S. 11. 165 Vgl. Schmidt/Schmidt, Europäische Wettbewerbspolitik und Beihilfenkontrolle, 2006, S. 210. 166 Vgl. Varian, Grundzüge der Mikroökonomik, 2011, S. 725 und 726.

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4. Regulierung als Aufgabe der Daseinsvorsorge Als Rechtfertigung für staatliches Handeln soll insbesondere die Gewährleistung der staatlichen Daseinsvorsorge untersucht werden. Der Begriff der Daseinsvorsorge bezieht sich aus Sicht der Politik auf Sachverhalte mit positiven Wirkungen auf die Grundversorgung der Bürger, wobei es Aufgabe des Staates ist, seinen Bürgern die als notwendig erachteten Mittel und Dienstleistungen zur Verfügung zu stellen.167 Dem politischen Eingriff liegt folglich ein Werturteil zugrunde, da gerade kein Marktversagen vorliegt. Es gibt aber auch in fast allen modernen Industriestaaten ähnliche sozialstaatliche Modelle, wenngleich auch unterschiedlicher Ausprägung.168 In den USA werden diese etwa als Universal service obligations bezeichnet, in Großbritannien als Public service in Frankreich als Service public oder auch Service d’interêt général. Diese Begriffe unterscheiden sich in den einzelnen Staaten primär in Bezug auf ihre Bedeutung sowie in der Form und dem Ausmaß der zu erbringenden Leistungen entsprechend der landestypischen Eigenarten.169 Dies schließt auch die speziellen Unterschiede in den rechtlichen Ausgestaltungen der Regelungen zur Daseinsvorsorge ein.170 Unter Berücksichtigung der zum Teil unterschiedlichen Begriffsverständnisse der Daseinsvorsorge und deren unterschiedlichen Maßnahmen bezüglich der Versorgungssicherheit, soll hier die jeweilige Auslegung des Begriffs der Daseinsvorsorge sowohl in Deutschland, England und Frankreich sowie in der Europäischen Union näher analysiert werden. a) Daseinsvorsorge in Deutschland Die Daseinsvorsorge ist Ausdruck einer unverkennbar deutschen Grundidee, basierend auf der Umgestaltung des liberalen Staates hin zum modernen Rechtsund Sozialstaat,171 unterdessen weniger von einem öffentlich negativ konnotierten Sozialstaat als vielmehr von einem sozialen Leistungsstaat auszugehen ist. Dieser Begriff der Daseinsvorsorge ist in Deutschland von dem Verwaltungsrechtler Ernst Forsthoff 1938 begründet worden in Ausweitung des bis dahin be167 Vgl. Knauff, Die wirtschaftliche Betätigung der öffentlichen Hand, in: Schmidt/ Wollenschläger, Kompendium öffentliches Wirtschaftsrecht, 2016, § 6, S. 233–272, Rn. 17. 168 Vgl. Knorr, Ökonomisierung der öffentlichen Verwaltung – einige grundsätzliche ordnungstheoretische Anmerkungen, 2005, S. 8. 169 Vgl. ebenda Knauff, Die Daseinsvorsorge im Vertrag von Lissabon, EuR, 2010, S. 725–745 (725). 170 Vgl. Knorr, Ökonomisierung der öffentlichen Verwaltung – einige grundsätzliche ordnungstheoretische Anmerkungen, 2005, S. 8 mit weiteren Verweisen. 171 Vgl. Pielow, Öffentliche Daseinsvorsorge zwischen „Markt“ und „Staat“, JuS 2006, S. 692–695 (692).

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stehenden Begriffs der Eingriffsverwaltung hin zur Leistungsverwaltung.172 Er bezieht sich auf „die Darbringung von Leistungen, auf welche der in die modernen massentümlichen Lebensformen verwiesene Mensch lebensnotwendig angewiesen ist“,173 ähnlich dem französischen Begriff des Service public.174 Rechtlich wird dieser unbestimmte Begriff in Deutschland aus dem Sozialstaatsprinzip nach Art. 20 Abs. 1 und 28 Abs. 1 GG abgeleitet.175 Weitere – verfassungsrechtliche – Anknüpfungspunkte sind die ausdrücklichen Regelungen in Art. 87e und f GG für die Bereiche Post, Telekommunikation und Eisenbahn, der Schutzwürde nach Art. 1 GG und der generellen Verpflichtung in Art. 100 GG, die Grundrechte umzusetzen und zu prüfen.176 Wenn also eine rechtliche Leistung für die Daseinsvorsorge bestimmt ist, ist dieses staatliche Agieren zunächst rechtlich gerechtfertigt.177 Diese Legitimation erfordert aber stets die weitere Rechtfertigung der Art der Finanzierung sowie eine Abwägung der verschiedenen Gemeinwohlbelange.178 Der Begriff der Daseinsvorsorge ist rechtlich gesehen ein unbestimmter Begriff,179 das bedeutet, dass der Gesetzgeber in den Gesetzen nicht alle Merkmale eindeutig festgelegt hat. Vielmehr wird er als Kollektivum für staatliche Leistungen, die im öffentlichen Interesse erbracht werden, angesehen.180 Demzufolge können allein aus dem Begriff weder konkrete Anordnungen ergehen noch direkte juristische Konsequenzen folgen. So wurde der Begriff auch als soziologischer Begriff gedeutet.181 172 Vgl. Bull, Daseinsvorsorge im Wandel der Staatsformen, Der Staat, 2008, S. 1–19 (2); Schwarze, Daseinsvorsorge im Lichte des europäischen Wettbewerbsrechts, EuZW 2001, S. 334–339 (335). 173 Bull, Daseinsvorsorge im Wandel der Staatsformen, Der Staat, 2008, S. 1–19 (3); vgl. Reichard/Schröter, Zur Organisation öffentlicher Aufgaben, 2013, S. 270; Neu, Daseinsvorsorge – Eine gesellschaftswissenschaftliche Annäherung, 2009, S. 9; Forsthoff, Die Verwaltung als Leistungsträger, 1938, S. 5; auszugsweiser Nachdruck unter: Die Daseinsvorsorge als Aufgabe der modernen Verwaltung, in: ders., Rechtsfragen der leistenden Verwaltung, 1959, S. 22. 174 Vgl. Bullinger, Französischer service public und deutsche Daseinsvorsorge, JZ 2003, S. 597–604 (599). 175 Vgl. Tschida, Die Systemverantwortung der Netzbetreiber, 2016, S. 23 mit weiteren Verweisen; Pielow, Öffentliche Daseinsvorsorge zwischen „Markt“ und „Staat“, JuS 2006, S. 692–695 (692). 176 Vgl. Tschida, Die Systemverantwortung der Netzbetreiber, 2016, S. 23 mit weiteren Verweisen. 177 Vgl. ebenda. 178 Vgl. ebenda. 179 Bull, Daseinsvorsorge im Wandel der Staatsformen, Der Staat, 2008, S. 1–19 (6). 180 Vgl. Knauff, Die wirtschaftliche Betätigung der öffentlichen Hand, in: Schmidt/ Wollenschläger, Kompendium öffentliches Wirtschaftsrecht, 2016, § 6, S. 233–272, Rn. 17; Tschida, Die Systemverantwortung der Netzbetreiber, 2016, S. 22 mit Verweis auf Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 2009, S. 53 (74). 181 Vgl. Bullinger, Französischer service public und deutsche Daseinsvorsorge, JZ 2003, S. 597–604 (601); Tschida, Die Systemverantwortung der Netzbetreiber, 2016, S. 22.

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Die Daseinsvorsorge umfasst nach heutigem Verständnis primär die Versorgung mit Infrastrukturgütern.182 Zu den Leistungen von Infrastrukturen gehören neben der Versorgung mit Energie – hier insbesondere die Strom- und Gaswirtschaft –, Wasserversorgung, Telekommunikation und Post, aber auch die Infrastrukturen im weitesten Sinne, wie etwa Finanzdienst- und Versicherungsleistungen, die Bereitstellung eines Bildungs- oder Ausbildungswesens sowie Bibliotheken, Kindergärten und Schwimmbäder.183 Das Verständnis der Daseinsvorsorge hat sich seit seiner Entstehung, als der Wettbewerb noch bedeutungslos war, stark gewandelt. Während die Daseinsvorsorge im sozialen Rechtsstaat des 20. Jahrhunderts geprägt war von dem Anspruch der Bevölkerung auf Güter und Dienstleistungen durch den Staat, mithin auf die soziale Aktivität des Staates als Leistungsträger,184 ist seit den 1990er Jahren die Erfüllung der Aufgaben des Staates in zunehmenden Maßen privaten Trägern selbstständiger Organisationen übertragen worden. Hierdurch werden die Pflicht des Staates zur Daseinsvorsorge und seine Gewährleistungsverantwortung nicht geschmälert,185 hingegen können die staatlich zu verantwortenden Leistungen durch einen Markt aufgrund des Wettbewerbs der privaten Träger in der Regel effektiver und effizient erbracht werden.186 Auch besteht ein sozialstaatliches Bedürfnis dahingehend, dass private Marktteilnehmer diese Aufgaben des Staates erfüllen, daber im Sinne des Gemeinwohls tätig werden und insofern autorisiert sind.187 Vor dem Hintergrund, dass der Staat die Erfüllung des Auftrags zur Daseinsvorsorge nicht zwingend selbst leisten muss, sondern privatwirtschaftlich agierenden Unternehmen übertragen kann, ist auch in diesem staatlichen Handeln zugleich eine Regulierung des Staates zu sehen. So kann der Staat in der Weise eingreifen, dass mit dem Handeln der pri182 Vgl. Knorr, Ökonomisierung der öffentlichen Verwaltung – einige grundsätzliche ordnungstheoretische Anmerkungen, 2005, S. 9. 183 Vgl. Mause, Daseinsvorsorge, in: Voigt, Handbuch Staat, 2018, S. 415–421 (415); Krajewski, Grundstrukturen des Rechts öffentlicher Dienstleistungen, 2011, S. 24 und 33. 184 Vgl. Warg, Der Grundversorger zwischen Wettbewerb und Gemeinwohl, 2019, S. 256 mit weiteren Verweisen. Broß, Daseinsvorsorge – Wettbewerb – Gemeinschaftsrecht, JZ 2003, S. 874–879 (876): „In allen Bereichen, in denen Daseinsvorsorge eine Ausprägung des Sozialstaatsprinzips des Grundgesetzes in Verbindung mit der Menschenwürde ist, darf kein Wettbewerb stattfinden.“ 185 Vgl. Pielow, Öffentliche Daseinsvorsorge zwischen „Markt“ und „Staat“, JuS 2006, S. 692–695 (693). Einigkeit besteht darin, dass der Staat, abgeleitet aus dem Sozialstaatprinzip und dem objektiven Schutzgehalt der Grundrechte, eine Gewährleistungsverantwortung innehat, vgl. hierzu Kapitel F. I. 186 Vgl. Rottmann et al., Zukunftsorientierte Daseinsvorsorge, ZBW 2019, S. 789– 794 (789 und 793). 187 Es wird zwischen staatlicher „Bereitstellung“ im Sinne einer Sicherstellung und der „Produktion“ der Güter unterschieden, siehe Mause, Daseinsvorsorge, in: Voigt, Handbuch Staat, 2018, S. 415–421 (417).

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vaten Unternehmen auch tatsächlich der Auftrag im Sinne der staatlichen Daseinsvorsorge erfüllt wird, mithin in staatlicher Verantwortung.188 Auf diesem Wege verbleibt dem Staat eine Regulierungsverantwortung.189 Aus rechtlicher Perspektive steht die Daseinsvorsorge über der Wirtschaftsverfassung,190 die den ordnungspolitischen Grundsatz: „offene Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb“ 191 verfolgt.192 Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts steht der Daseinsvorsorge Verfassungsrang zu, insofern sie die Infrastrukturbereiche, wie etwa die Energieversorgung, umfasst, die der einzelne Bürger für seine menschenwürdige Existenz unumgänglich benötigt.193 Auch ist etwa in § 50 Abs. 1 Wasserhaushaltsgesetz der Terminus der Daseinsvorsorge explizit genannt: „Die der Allgemeinheit dienende Wasserversorgung ist eine Aufgabe der Daseinsvorsorge.“ b) Frankreich: Service public Unter dem facettenreichen Begriff Service public werden in Frankreich nicht nur alle Leistungen erfasst, die im öffentlichen Interesse und durch öffentliche Dienste erbracht werden.194 So bezeichnet der Begriff zum einen die Funktion, zum Zweck der Erfüllung der allgemeinen wirtschaftlichen Interessen tätig zu werden und zum anderen die Verwaltung, etwa eine Organisation von Trägern der öffentlichen Verwaltung und der im öffentlichen Dienst Tätigen.195 188 Vgl. Stelkens, Regulierung wirtschaftlicher Tätigkeit als Form der Einbeziehung privatwirtschaftlicher Tätigkeit in die staatliche Daseinsvorsorge, in: Seok/Ziekow, Die Einbeziehung Privater in die Erfüllung öffentlicher Aufgaben, 2008, S. 77–96 (77). 189 Vgl. Tschida, Die Systemverantwortung der Netzbetreiber, 2016, S. 24 mit weiteren Verweisen; „Gewährleistungs-“ oder auch „Infrastrukturverantwortung“, siehe Schoch, Gewährleistungsverwaltung: Stärkung der Privatrechtsgesellschaft?, NVwZ 2008, S. 241–246 (242); Pielow, Öffentliche Daseinsvorsorge zwischen „Markt“ und „Staat“, JuS 2006, S. 692–695 (693). Wie diese Regulierungsverantwortung konkret für die Energieversorgung ausgeübt wird, wird in Kapitel F. III. dargestellt. 190 Vgl. Broß, Daseinsvorsorge – Wettbewerb – Gemeinschaftsrecht, JZ 2003, S. 874–879 (875). 191 Broß, Daseinsvorsorge – Wettbewerb – Gemeinschaftsrecht, JZ 2003, S. 874–879 (875) mit Verweis auf Art. 4 Abs. 2 EGV. 192 Daseinsvorsorge ist als Rechtsbegriff auch in die Gemeindeordnungen einiger deutscher Bundesländer, z. B. Baden-Württemberg, Bayern eingegangen, siehe hierzu Knorr, Ökonomisierung der öffentlichen Verwaltung – einige grundsätzliche ordnungstheoretische Anmerkungen, 2005, S. 9. 193 Vgl. Broß, Daseinsvorsorge – Wettbewerb – Gemeinschaftsrecht, JZ 2003, S. 874–879 (874); Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 20.03.1984, Az.: 1 BvL 28/82, BVerfGE 66, 248 (258). 194 Vgl. Nagel, Nachhaltige Strom- und Gasversorgung im Lichte des Wettbewerbsrechts, 2010, S. 65. 195 Vgl. Philipp, EU und Daseinsvorsorge, 2018, S. 41 mit weiterem Verweis; Celestine/Felsner, Öffentliche Unternehmen, Privatisierung und Service public, RIW 1997, S. 105–111 (105).

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Insbesondere ist der Service public auch Staatsziel, Ausdruck der Herstellung und Stärkung des nationalen Zusammenhalts sowie Ausdruck des Rechts des Bürgers, seinen Anspruch auf öffentliche Leistung gegen den Staat geltend machen zu können.196 Service public soll dem öffentlichen Interesse genauer gesagt dem Gemeinwohl (Intérêt général) dienen,197 wobei es bedeutsam ist, welches Anliegen der Bürger unabdingbar durch den Staat selbst erfüllt werden muss.198 Das Konzept des Service public umfasst dabei drei Prinzipien (auf Grundlage der Lois Rolland)199: So möchte das dynamische Element sicherstellen, dass sich der Begriff an zukünftige Umstände anpassen kann (Anpassung – Principe de l’adaption oder Principe de mutabilité). Außerdem soll gleichzeitig sichergestellt werden, dass die Leistungen zu jeder Zeit vom Staat erbracht werden (Kontinuität – Principe de la continuité). Auch sollen die Leistungen allen gleichermaßen zukommen (Gleichheit – Principe de l’égalité).200 Nach diesem Gleichheitsprinzip darf niemand benachteiligt werden, vergleichbare Situationen müssen gleichbehandelt werden. Die Leistungen des Service public sollen mithin laufend an den aktuellen Bedarf und an die tatsächlichen Umstände angepasst werden, ohne dass es eine Unterbrechung in der Erbringung dieser Leistungen geben darf.201 Ein Schwerpunkt des französischen Konzepts des Service public ist somit, Güter und Dienstleistungen dem Bürger gleichermaßen zukommen zu lassen, insofern jegliche Unterschiede bei Beschaffenheit und Kosten für den Endverbrauch den Geboten der Solidarität widersprechen würden und somit von Staats wegen als störend angesehen werden.202 So kann auch nur der Staat allein die Leistungen definieren, die nach seiner Auffassung zum Service public gehören.203

196 Vgl. Philipp, EU und Daseinsvorsorge, 2018, S. 55 mit weiterem Verweis; Celestine/Felsner, Öffentliche Unternehmen, Privatisierung und Service public, RIW 1997, S. 105–111 (105). 197 Vgl. Krajewski, Grundstrukturen des Rechts öffentlicher Dienstleistungen, 2011, S. 50. 198 Vgl. Philipp, EU und Daseinsvorsorge, 2018, S. 44 mit weiterem Verweis. 199 Vgl. Wernicke, in: Grabitz et al., Das Recht der Europäischen Union, 2022, Art. 14, Rn. 24; Philipp, EU und Daseinsvorsorge, 2018, S. 48/49 mit weiterem Verweisen; Krajewski, Grundstrukturen des Rechts öffentlicher Dienstleistungen, 2011, S. 47. 200 Vgl. Philipp, EU und Daseinsvorsorge, 2018, S. 48/49 mit weiterem Verweis; Krajewski, Grundstrukturen des Rechts öffentlicher Dienstleistungen, 2011, S. 47. 201 Vgl. Philipp, EU und Daseinsvorsorge, 2018, S. 49 mit weiterem Verweis. 202 Vgl. Böske, Zur Ökonomie der Versorgungssicherheit in der Energiewirtschaft, 2007, S. 12, der auch auf die Alternative zu monopolartigen Rahmenbedingungen durch Quersubventionierung auf die Möglichkeit der direkten oder indirekten Subventionierung durch den Staat hinweist, wie es bei der Förderung regenerativer Energien der Fall ist. 203 Vgl. Simon, Liberalisierung von Dienstleistungen der Daseinsvorsorge im WTOund EU-Recht, 2009, S. 15.

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C. Grundlagen zu Wettbewerb und Regulierung

Im Unterschied zum deutschen Modell kann – oder genauer gesagt, darf – in der Erbringung der Daseinsvorsorge der französischen Konzeption zufolge nur der Staat die Aufgabenerfüllung gewährleisten und nicht ein privates Unternehmen.204 Auch wenn der Staat nicht zwingend selbst tätig werden muss, verbleibt dem Staat in jedem Fall die Kontrolle bei den Ausführungen der beauftragten Unternehmen, etwa in Form einer juristische Person des öffentlichen Rechts oder einer dieser unterstehenden Privatperson.205 Im Unterschied zum deutschen Recht ist hierbei entscheidend, dass der Staat auch dazu noch die Möglichkeit hat (mit) zu bestimmen, wie dies etwa bei einer Kapitalgesellschaft, deren Eigener hauptsächlich der Staat ist, der Fall ist.206 Es handelt sich also um eine vom Konzept der deutschen Daseinsvorsorge abweichende Konzeption,207 auch wenn diese ebenso Ausdruck eines besonderen Teils der öffentlichen Leistungsverwaltung ist und die erfassten Gegenstände weitgehend übereinstimmen. Wie auch beim deutschen Konzept der Daseinsvorsorge, wird hiervon auch die Energieversorgung (soweit es um Gas und Elektrizität geht) umfasst.208 Der Unterschied zum deutschen Begriff liegt darin, dass der Begriff Service public ein zentraler Begriff des französischen Verwaltungsrechts ist,209 und zwar in einer Summe an komplexen Funktionen, wobei deren Bedeutung ausgeht von dem Verständnis der französischen Nation bezüglich Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit (Solidarität).210 Aufgrund dieses besonders ausgestalteten Rechtsinstituts des Service public sollen Einmischungen des Staates in wirtschaftliche Belange als notwendig und somit erlaubt angesehen werden.211 So ist der französische 204 Krajewski, Grundstrukturen des Rechts öffentlicher Dienstleistungen, 2011, S. 50; Simon, Liberalisierung von Dienstleistungen der Daseinsvorsorge im WTO- und EU-Recht, 2009, S. 15. 205 Vgl. Philipp, EU und Daseinsvorsorge, 2018, S. 43; Krajewski, Grundstrukturen des Rechts öffentlicher Dienstleistungen, 2011, S. 50. 206 Vgl. ebenda. 207 Vgl. Philipp, EU und Daseinsvorsorge, 2018, S. 54 mit weiterem Verweis. 208 Vgl. Krajewski, Grundstrukturen des Rechts öffentlicher Dienstleistungen, 2011, S. 52. Ein genauer Unterbegriff ist Services publics nationaux (siehe Philipp, EU und Daseinsvorsorge, 2018, S. 51). Die klassischen Hoheitsaufgaben (u. a. Verteidigung, Polizei, Justiz) sowie Leistungen, die zur Befriedigung der in der Verfassung garantierter wirtschaftlicher und sozialer Rechte dienen (etwa die Sozialversicherung und das Gesundheitswesen) sind von den Service public constitutionell erfasst (siehe hierzu Philipp, EU und Daseinsvorsorge, 2018, S. 53 mit weiteren Verweisen). 209 Zu den verschiedenen Definitionen siehe Philipp, EU und Daseinsvorsorge, 2018, S. 41, 42 und 55; weiterhin wird der Begriff in mehreren Artikeln der Verfassung genannt, vgl. mit einer genauen Auflistung der einzelnen Artikel Philipp, EU und Daseinsvorsorge, 2018, S. 45–48. 210 Vgl. Philipp, EU und Daseinsvorsorge, 2018, S. 55 mit weiteren Verweisen; Bullinger, Französischer Service public und deutsche Daseinsvorsorge, JZ 2003, S. 597– 604 (600 und 601). 211 Vgl. Philipp, EU und Daseinsvorsorge, 2018, S. 55 mit weiteren Verweisen.

II. Regulierung

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Staat der Auffassung, bei den Leistungen im Rahmen des Service public diese am besten garantieren zu können, mithin auch der Wettbewerb in diesen Bereichen zurückzustehen hat.212 Das Recht des Service public wird daher als vergleichsweise starr angesehen, zumal es sich schwerer den europarechtlichen Anforderungen anpassen kann.213 c) Großbritannien: Universal service Das britische Konzept des Universal- oder auch Public service ist insgesamt nicht vergleichbar mit dem ausgeprägten Modell öffentlicher Daseinsvorsorge in Deutschland und Frankreich. Im Vordergrund steht ein eher liberales Wettbewerbsmodell,214 in dem sich Ziele einer Grundversorgung finden. Dementsprechend herrscht die Auffassung vor, dass zweifelsfrei der Wettbewerbsmarkt und somit die privaten Träger für die Steuerung und Erfüllung der gemeinschaftlichen Interessen der Bürger garantieren können.215 Hierfür gelten die folgenden drei Grundregeln: Erstens nimmt der Staat nur eine Regulierung vor, die dem Wettbewerb dient. Im Übrigen belässt er es bei der Funktion der Aufsicht. Zweitens sollten Regulierungsmaßnahmen, soweit der Staats diese vornimmt, möglichst dezentral und an den Bedürfnissen des Marktes orientiert sein. Drittens soll der Markt flexibel reguliert werden, so dass sowohl Anbieter als auch Verbraucher sich auf wandelnde Verhältnisse und Konstellationen einstellen können. Dieses Konzept passt zu dem in Großbritannien existierenden Common Law-System, dem eine Trennung von Staat und Gesellschaft und dementsprechend eine Unterscheidung von privatem und öffentlichem Recht fremd ist.216 So gibt es im Common Law-System nicht die besondere Unterscheidung zwischen der Zivil- und der Verwaltungsgerichtsbarkeit, mithin auch nicht die klare Trennung von staatlichem und wirtschaftlichem Handeln. Der Begriff des Public service ist im Sinne eines selbstständigen Modells im britischen Rechtssystem nur von marginaler Bedeutung.217 Hintergrund dieses Systems ist nicht zuletzt die massive Liberalisierungspolitik in den 1980er Jahren, in deren Folge nahezu alle staatlichen Monopolunternehmen der britischen Versorgungswirtschaft der Daseinsvorsorge, insbesondere 212 Vgl. Knorr, Ökonomisierung der öffentlichen Verwaltung – einige grundsätzliche ordnungstheoretische Anmerkungen, 2005, S. 8 mit weiterem Verweis. 213 Vgl. Philipp, EU und Daseinsvorsorge, 2018, S. 56 mit weiteren Verweisen; Bullinger, Französischer Service public und deutsche Daseinsvorsorge, JZ 2003, S. 597– 604 (602). 214 Auch in den Niederlanden sei ein liberales Wettbewerbsmodell vorherrschend, siehe Schwarze, Daseinsvorsorge im Lichte des europäischen Wettbewerbsrechts, EuZW 2001, S. 334–339 (336). 215 Vgl. Simon, Liberalisierung von Dienstleistungen der Daseinsvorsorge im WTO/ EU-Recht, 2009, S. 25. 216 Vgl. ebenda, S. 26. 217 Vgl. ebenda, S. 27.

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C. Grundlagen zu Wettbewerb und Regulierung

der Gas- und Elektrizitätsversorgung, privatisiert worden sind.218 So erstreckt sich das britische Wettbewerbsrecht auf die Versorgungswirtschaft, vorausgesetzt hierdurch wird nicht die Bewältigung der zu erbringenden Leistungen verhindert.219 Beaufsichtigt wird dies durch die sektorspezifischen Regulierungskommissionen und den Director General of Fair Trading.220 d) Dienstleistungen von allgemeinem Interesse in der Europäischen Union Auf Ebene der Europäischen Union werden Leistungen der Daseinsvorsorge als „Dienstleistungen von allgemeinem Interesse“ bezeichnet, die die folgenden drei Bereiche umfassen: Nicht-wirtschaftliche Dienstleistungen, Sozialdienstleistungen von allgemeinem Interesse und Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse (kurz: DAWI).221 Der Begriff der DAWI ist zwar nicht einheitlich definiert,222 wird aber ausdrücklich in Art. 14 Satz 1 und Art. 106 Abs. 2 AEUV223 sowie in Art. 1 Protokoll Nr. 26 zum Lissabon-Vertrag224 und in Art. 36 Grundrechte Charta genannt.225 Mit Art. 14 AEUV wurde zudem eine 218 Hinzu kommen Wärme, Wasserversorgung, Telekommunikation, Postdienste und Eisenbahn, vgl. ebenda, S. 26. 219 Vgl. hierzu sec. 54 Competition Act von 1998 in Verbindung mit Anhang 10 (die so genannten Chapter I- und II-Verbote für Absprachen und Machtmissbrauch), zit. nach Simon, Liberalisierung von Dienstleistungen der Daseinsvorsorge im WTO/EURecht, 2009, S. 26. 220 Siehe Simon, Liberalisierung von Dienstleistungen der Daseinsvorsorge im WTO/ EU-Recht, 2009, S. 27. 221 Für den 1. Bereich gibt es keine spezifischen EU-Rechtsvorschriften, auch gelten nicht die allgemeinen Binnenmarkt- und Wettbewerbsvorschriften. Für den 2. Bereich gilt der Grundsatz der Solidarität. Die Leistungen des hier relevanten 3. Bereichs werden gegen Entgelt erbracht, die europäischen Binnenmarkt- und Wettbewerbsvorschriften sind grundsätzlich anwendbar, siehe Rottmann et al., Zukunftsorientierte Daseinsvorsorge, ZBW 2019, S. 789–794 (791/792). 222 Vgl. Krajewiski, Grundstrukturen des Rechts öffentlicher Dienstleistungen, 2011, S. 80; EU-Kommission, Leitfaden zur Anwendung der Vorschriften der EU über staatliche Beihilfen, öffentliche Aufträge und den Binnenmarkt auf Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse und insbesondere auf Sozialdienstleistungen von allgemeinem Interesse, 2013, SWD (2013) 53 endg., S. 20, Rn. 2. 223 Dieser entspricht dem früheren Art. 86 Abs. 2 EGV, siehe Knauff, Die Daseinsvorsorge im Vertrag von Lissabon, EuR, 2010, S. 725–745 (729). 224 Dem Protokoll (Nr. 26) über Dienste von allgemeinem Interesse zum Vertrag von Lissabon zur Änderung des Vertrags über die Europäische Union und des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft (ABl. EU Nr. C 306, S. 1 vom 17. Dezember 2007, konsolidierte Fassung zuletzt veröffentlicht in ABl. EU Nr. C 326, S. 1 vom 26. Oktober 2012) kommt gemäß Art. 51 EUV ebenso wie den Bestimmungen im AEU-Vertrag und Art. 36 GRC der Status von Primärrecht zu. Daher sind die dortigen Vorgaben in gleicher Weise zu beachten wie Art. 106 Abs. 2 AEUV. Für vertiefende Ausführungen hierzu, vgl. Knauff, Die Daseinsvorsorge im Vertrag von Lissabon, EuR, 2010, S. 725–745 (728 ff.). 225 Vgl. Rottmann et al., Zukunftsorientierte Daseinsvorsorge, ZBW 2019, S. 789– 794 (792/793). Zu dieser Nennung der Vorschriften vgl. auch Philipp, EU und Daseins-

II. Regulierung

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„Kompetenznorm“ für die EU angefügt, wonach diese ermächtigt ist, spezifische Regelungen im Bereich der Daseinsvorsorge zu treffen.226 Diese Bestimmung erfolgte auf französische Initiative hin, auch um Grundsätze des französischen Konzepts Service public im europäischen Recht festschreiben zu können.227 So sind Elemente des französischen Konzepts des Service public, wie etwa die Kontinuität, auch in der DAWI aufgenommen worden.228 Ebenso befinden sich in Art. 1 des Protokolls Nr. 26, der die DAWI präzisiert, Elemente der französischen Konzeption, darunter insbesondere der Wert der Gleichbehandlung. Bedeutsam ist hierbei aber, dass bei der Erbringung des Service public dem Staat eine tragende Rolle bei der Aufgabenerfüllung eingeräumt wird und dies zu einem Widerspruch mit der auf der EU-Ebene gewollten Wettbewerbsfreiheit führen könnte.229 Insoweit ist bereits in Art. 106 Abs. 2 AEUV klarstellend geregelt, dass die Wettbewerbsregeln auch für Unternehmen gelten, die mit DAWI betraut sind, „soweit die Anwendung dieser Vorschriften nicht die Erfüllung der ihnen übertragenden besonderen Aufgaben rechtlich oder tatsächlich verhindert“. Die EU-Kommission definierte diese Leistungen zunächst als „marktbezogene“ Leistungen, die im Interesse der Allgemeinheit erbracht und daher von den Mitgliedstaaten mit besonderen Gemeinwohlverpflichtungen verbunden werden.230 Seit Ende 2011 subsumiert die EU-Kommission nunmehr unter diesen Begriff „wirtschaftliche Tätigkeiten, die dem Allgemeinwohl dienen und ohne vorsorge, 2018, S. 16 mit weiteren Verweisen; Krajewiski, Grundstrukturen des Rechts öffentlicher Dienstleistungen, 2011, S. 79. 226 Vgl. Wernicke, in: Grabitz et al., Das Recht der Europäischen Union, 2022, Art. 14 AEUV, Rn. 52. 227 Vgl. Hatje, in: Schwarze et al., EU-Kommentar, 2019, Art. 14 AEUV, Rn. 1; „Kompromissformel“ zwischen Frankreich, Großbritannien und Niederlande, vgl. König/Paul, in: Streinz, EUV/AEUV, 2018, Art. 14 AEUV, Rn. 2 und 3. Dies wurde schon in Art. 16 des Vertrags von Amsterdam zur Änderung des Vertrags über die Europäische Union, der Verträge zur Gründung der europäischen Gemeinschaften sowie einiger damit zusammenhängender Rechtsakte aufgenommen, ABl. EU Nr. C 340, S. 1 vom 10. November 1997. 228 Vgl. Wernicke, in: Grabitz et al., Das Recht der Europäischen Union, 2022, Art. 106 AEUV, Rn. 40; EU-Kommission, Grünbuch zu Dienstleistungen von allgemeinem Interesse, KOM (2003) 270 endg., ABl. EU Nr. C 76, Rn. 11–13, 49, 55, 75 vom 25. März 2004; dies., Weißbuch zu Dienstleistungen von allgemeinem Interesse, KOM (2004) 374 endg., Rn 2.1 3.1–3.8; EU-Kommission, Leitfaden zur Anwendung der Vorschriften der EU über staatliche Beihilfen, öffentliche Aufträge und den Binnenmarkt auf Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse und insbesondere auf Sozialdienstleistungen von allgemeinem Interesse, 2013, SWD (2013) 53 endg., S. 26; Philipp, EU und Daseinsvorsorge, 2018, S. 58. 229 Vgl. Wernicke, in: Grabitz et al., Das Recht der Europäischen Union, 2022, Art. 106 AEUV, Rn. 39 und 50. 230 EU-Kommission, Grünbuch zu Dienstleistungen von allgemeinem Interesse, 2003, KOM (2003) 270 endg., S. 7; dies., Leistungen der Daseinsvorsorge in Europa, ABl. EU Nr. C 17, S. 4 (23) vom 19. Januar 2001; dies., Die Leistungen der Daseinsvorsorge in Europa, ABl. EU Nr. C 281, S. 3 (12) vom 26. September 1996.

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C. Grundlagen zu Wettbewerb und Regulierung

staatliche Eingriffe am Markt überhaupt nicht oder in Bezug auf Qualität, Sicherheit, Bezahlbarkeit, Gleichbehandlung oder universaler Zugang nur zu anderen Standards durchgeführt würden“.231 Es handelt sich nicht um einen starr festgelegten Begriff, sondern vielmehr entwickelt sich dieser fortwährend weiter, wobei die Kommission und das EuG, aber insbesondere die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshof prägend sind.232 Hiernach können die Mitgliedstaaten bestimmte Leistungen als Dienstleistung von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse definieren und haben diesbezüglich bis zu einem gewissen Grad einen Ermessenspielraum.233 Demzufolge kann eine Entscheidung der Mitgliedstaaten von den Gemeinschaftsorganen nur eingeschränkt auf Ermessensfehler hin überprüft werden.234 Hierbei ist zu beachten, dass die nationale Einordnung einer Aufgabe als Daseinsvorsorge nicht automatisch die entsprechenden Anforderungen an eine DAWI erfüllt.235 Als DAWI sind vorwiegend Leistungen der wichtigen netzgebundenen Wirtschaftsbereiche einzustufen (Verkehr, Post, Energie und Telekommunikation),236 wobei hier primär die flächendeckende Strom- und Gasversorgung relevant ist.237 Der EuGH entschied mit Urteil vom 23. Oktober 1997,238 dass die Leis231 EU-Kommission, Arbeitsdokument vom 29. April 2013, Leitfaden zur Anwendung der Vorschriften der EU über staatliche Beihilfen, öffentliche Aufträge und den Binnenmarkt auf Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse und insbesondere auf Sozialdienstleistungen von allgemeinem Interesse, SWD (2013) 53 endg., S. 20; dies., Mitteilung vom 20. Dezember 2011, Ein Qualitätsrahmen für Dienstleistungen von allgemeinem Interesse in Europa, KOM (2011), 900 endg., S. 4. 232 Hierbei ist auffallend, dass der Begriff immer in seiner Gesamtheit verwendet wird und nicht etwa in seine verschiedenen Begriffsbestandteile zerlegt wird, siehe Philipp, EU und Daseinsvorsorge, 2018, S. 19. 233 Vgl. Knauff, in: Schmidt/Wollenschläger, Kompendium Öffentliches Wirtschaftsrecht, 2016, § 6, Rn. 38; EU-Kommission, Die Leistungen der Daseinsvorsorge in Europa, ABl. EG Nr. C 17, S. 4 (21) vom 19. Januar 2001. 234 Vgl. EU-Kommission, Arbeitsdokument vom 29. April 2013, Leitfaden zur Anwendung der Vorschriften der EU über staatliche Beihilfen, öffentliche Aufträge und den Binnenmarkt auf Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse und insbesondere auf Sozialdienstleistungen von allgemeinem Interesse, SWD (2013) 53 endg., S. 22/23; Kühling, in: Streinz, EUV/AEUV, 2018, Art. 107, Rn. 43. Es ist damit „der Unionsgerichtsbarkeit und der EU-Kommission untersagt, ihre Beurteilungen an die Stelle der Beurteilungen der Mitgliedstaaten zu setzen“ (Cremer, in: Calliess/Ruffert, 2022, Art. 107 AEUV, Rn. 22 mit Verweis auf die Rechtsprechung des EuG, Urteil vom 12. Februar 2008, Rs. T-289/03 (BUPA/Kommission), Slg. 2008, II-00081, insbesondere Rn. 220–222, 266–270, 299–301). 235 Vgl. Philipp, EU und Daseinsvorsorge, 2018, S. 22 mit weiterem Verweis. 236 EU-Kommission, Mitteilung vom 12. Mai 2004, Weißbuch zu Dienstleistungen von allgemeinem Interesse, KOM (2004) 374 endg., S. 23; vgl. Knauff, in: Schmidt/ Wollenschläger, Kompendium Öffentliches Wirtschaftsrecht, 2016, § 6, Rn. 38. 237 EU-Kommission, Mitteilung vom 12. Mai 2004, Weißbuch zu Dienstleistungen von allgemeinem Interesse, KOM (2004) 374 endg., Rn. 41. 238 EuGH, Urteil vom 23. Oktober 1997, Rs. C-159/94 (Kommission/Frankreich), Slg. 1997, I-05815, Rn. 58.

II. Regulierung

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tungen im Energiebereich im allgemeinen wirtschaftlichen Interesse liegen und somit eine DAWI darstellen. Der Begriff der DAWI ist zudem eng verknüpft mit dem Beihilferecht, welches bei der Einführung bestimmter Instrumente, insbesondere der Kapazitätsmechanismen, zu prüfen ist – etwa im Rahmen der Überprüfung des Art. 107 Abs. 1 AEUV und der Frage, ob eine Zuwendung an ein Unternehmen eine genehmigungspflichtige Beihilfe darstellt. Unter den Begriff der Beihilfe und damit einer Begünstigung fallen jedoch nicht solche staatlichen Leistungen, die als Ausgleich für die Auferlegung von gemeinwirtschaftlichen Verpflichtungen, also für Leistungen der Daseinsvorsorge, gewährt werden.239 Dies wird anhand der vier sogenannten „Altmark-Kriterien“ geprüft, die der EuGH in seinem grundlegenden „Altmark-Trans-Urteil“ vom 24. Juli 2003 festgelegt hat und die kumulativ vorliegen müssen:240 – Das begünstigte Unternehmen muss de facto mit der Ausführung klar definierter gemeinwirtschaftlicher Obliegenheiten betraut worden sein,241 jedoch kann die Form des Rechts- oder Verwaltungsaktes frei gewählt werden.242 – Die Parameter, die der Ermittlung der Entschädigung zugrundegelegt werden, sind zuvor wertneutral, sachlich und transparent aufzustellen.243 – Der Ausgleich, den der Begünstigte erhält, darf nicht den Wert übersteigen, der nötig ist, so dass die Ausgaben der gemeinwirtschaftlichen Obliegenheiten

239 Vgl. Bär-Bouyssiere, in: Schwarze, EU-Kommentar, 2019, Art. 107 AEUV, Rn. 11; Cremer, in: Calliess/Ruffert, EUV/AUEV, 2016, Art. 107 AEUV, Rn. 17. 240 Vgl. Cremer, in: Calliess/Ruffert, EUV/AUEV, 2022, Art. 107 AEUV, Rn. 20; EuGH, Urteil vom 24. Juli 2003, Rs. C-280/00 (Altmark Trans), Slg. 2003, I-7747, Rn. 88–93; die Kriterien wurden dann durch die Freistellungsentscheidung der EUKommission (28. November 2005, ABl. EG Nr. L 312, S. 67 vom 29. November 2005) sowie durch das EuG (Urteil vom 12. Februar 2008, Rs. T-289/03 (BUPA/Kommission), Slg. 2008, II-00081), weiterentwickelt, in ihrer grundsätzlichen Bedeutung jedoch nicht verändert. 241 Vgl. Cremer, in: Calliess/Ruffert, EUV/AUEV, 2022, Art. 107 AEUV, Rn. 20; EuGH, Urteil vom 24. Juli 2003, Rs. C-280/00 (Altmark Trans), Slg. 2003, I-7747, Rn. 88–93 (89), nochmals klargestellt durch EuG, Urteil vom 12. Februar 2008, Rs. T289/03 (BUPA/Kommission), Slg. 2008, II-00081, Rn. 186. 242 Vgl. Cremer, in: Calliess/Ruffert, EUV/AUEV, 2022, Art. 107 AEUV, Rn. 20 mit weiteren Verweisen; vgl. Art. 4 der Entscheidung der Kommission vom 28. November 2005 über die Anwendung von Art. 86 Abs. 2 EG-Vertrag auf staatliche Beihilfen, die bestimmten, mit der Erbringung von Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse betrauten, Unternehmen als Ausgleich gewährt werden, ABl. EG Nr. L 312, S. 67 vom 29. November 2005; EuG, Urteil vom 12. Februar 2008, Rs. T289/03 (BUPA/Kommission), Slg. 2008, II-00081, Rn. 188 ff. 243 Vgl. Cremer, in: Calliess/Ruffert, EUV/AUEV, 2022, Art. 107 AEUV, Rn. 20 mit weiterem Verweis.

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C. Grundlagen zu Wettbewerb und Regulierung

hiermit übereinstimmen (Nettomehrkosten-Prinzip).244 Dabei sind die erzielten Einnahmen und ein angemessener Gewinn zu berücksichtigen. – Wenn kein Vergabeverfahren durchgeführt wird, aus dem das kostengünstigste Angebot hervorgeht, ist das Ausmaß der Entschädigung nach den fiktiven Kosten zu berechnen, die einem durchschnittlichen Unternehmen durch die Erledigung der gemeinwirtschaftlichen Verpflichtungen entstehen würden.245 Die finanziellen Instrumente, die der Versorgungssicherheit dienen sollen, müssen daher anhand des Beihilferechts und hier insbesondere der AltmarkTrans-Kriterien überprüft werden.

III. Zwischenfazit und Bewertung In Deutschland gilt die sogenannte „Soziale Marktwirtschaft“ und zwar ausgehend von dem in den Art. 20 Abs. 1 GG und 28 Abs. 1 GG verankerten Verfassungsauftrag des Sozialstaatsprinzips, die bezogen auf die Wirtschaftsordnung bestehende Wirtschaftspolitik. Während es zum einen die Verpflichtung des Staates ist, die Voraussetzungen eines unverfälschten Wettbewerbs zu garantieren, sollen zum anderen vom Staat auch Wettbewerbsverzerrungen und daraus entstehende unerwünschte Marktergebnisse revidiert werden.246 In der Europäischen Union ist ebenfalls die offene Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb ein Grundsatz der Wirtschaftspolitik gemäß Art. 119 und 120 AEUV,247 nunmehr mit dem Bestreben einer wettbewerbsorientierten Marktwirtschaft, die zugleich mit Leistungen in sozialer, kulturpolitischer und gesellschaftlicher Art verbunden wird. So kann auch thematisch gesehen ein Anstieg und eine Aufwertung der sozialen Ausrichtung diagnostiziert werden.248 Unabhängig von den einzelnen Wettbewerbstheorien und der kaum noch zu überblickenden Komplexität der tatsächlichen oder vermeintlichen regulatorischen Erfordernissen, ist dem regulatorischen Rahmen notwendigerweise als 244 Hier wird ein Vergleich gezogen zu einem „durchschnittlichen, gut geführten Unternehmen“. Die sich hieraus ergebenden Kosten werden auch als „hypothetische Nettomehrkosten“ bezeichnet, siehe Cremer, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, 2022, Art. 107 AEUV, Rn. 20. 245 Vgl. Ziekow, Öffentliches Wirtschaftsrecht, 2016, § 6, Rn. 25. Dies wird auch als „Effizienzkriterium bzw. benchmarking“ bezeichnet (siehe Cremer, in: Calliess/Ruffert, EUV/AUEV, 2022, Art. 107 AEUV, Rn. 20). 246 Vgl. Badura, Wirtschaftsverfassung und Wirtschaftsverwaltung, 2011, S. 3. 247 Zuvor bereits in Art. 4 Abs. 2 EG festgelegt. 248 Vgl. Lepsius, Regulierung in sozialpolitischer Perspektive, in: Regulierung und Gemeinwohl, 2016, S. 102–142 (112) mit weiteren Verweisen. So werden etwa die Ziele Verbraucherschutz, Versorgungssicherheit und Umweltschutz explizit in den Begründungserwägungen 46, 50 und 51 genannt in: EU-Richtlinie 2009/72/EG des europäischen Parlaments und des Rates vom 13.07.2009 über gemeinsame Vorschriften für den Elektrizitätsbinnenmarkt und zur Aufhebung der Richtlinie 2003/54/EG, ABl. EU Nr. L 211, S. 55 vom 14. August 2009.

III. Zwischenfazit und Bewertung

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kleinster gemeinsamer Nenner immanent, dass jeder staatliche Eingriff in den Wettbewerb einer Rechtfertigung bedarf.249 Mithin sind alle Regulierungsansätze erschöpfend abzuwägen auf Nutzen, Bedeutung, Verhältnismäßigkeit, so auch insbesondere im Hinblick auf die Kosten, die aus einer staatlichen Regulierung resultieren und dadurch den Markt verfälschen könnten. Wettbewerb soll folglich immer die Regel und die Regulierung eine Ausnahme darstellen, die zu rechtfertigen,250 ständig zu hinterfragen und optimalerweise auf ein Minimum zu reduzieren ist. Auch wenn von der Wirtschaftspolitik eine soziale Ausrichtung erwartet wird, darf der staatliche Eingriff in die Steuerung von Angebot und Nachfrage zugunsten ökologischer und auch sozialer, politisch gewünschter Erweiterung, die freiheitliche Wettbewerbsordnung nicht im Kern treffen. Vor diesem Hintergrund sollte es daher ein Ziel jeglicher Regulierung sein, Vorteile des Wettbewerbs möglichst umfassend zu realisieren,251 zugleich aber der Verpflichtung zur Leistung der gebotenen Versorgung nachzukommen.252 Marktversagen als das unzulängliche Funktionieren des marktlichen Koordinationsprinzips kann dabei etwa als zentrale Aufgabe von staatlicher Regulierung angesehen werden.253 In diesem Zusammenhang ist zunächst zu beachten, dass Marktversagen nicht in jedem Fall behoben werden muss.254 Insbesondere ist ein Eingreifen des Staates dann als redundant zu betrachten, wenn sich das Marktversagen über einen zu konzipierenden Marktmechanismus privater Wirtschaftseinheiten ebenfalls bewältigen lässt und dies zudem volkswirtschaftlich kostengünstiger ist.255 Für die Bewältigung von Marktversagen sollte ein realitätsnaher Ansatz favorisiert werden, in dessen Rahmen jede Beurteilung stets genau austariert werden muss, auch um zu verhindern, dass durch das staatliche Handeln etwa Informationsmängel auftreten, mit der Konsequenz, dass hierdurch wiederum Marktversagen ausgelöst werden kann.256 Im Hinblick auf die Gewährleistung von Versorgungssicherheit sind folglich im Sinne einer vergleichenden Institutionenanalyse das Wettbewerbsmodell und der Regulierungsansatz gegenüberzustellen. 249 Vgl. Fetzer, Staat und Wettbewerb in dynamischen Märkten, 2013, S. 42 mit weiterem Verweis. 250 Vgl. ebenda, S. 39. 251 Vgl. Burgi, Regulierung, Investitionsfreiheit und technischer Fortschritt, in: Regulierung und Gemeinwohl, 2016, S. 143–175 (154). 252 Vgl. Fetzer, Staat und Wettbewerb in dynamischen Märkten, 2013, S. 21; Fehling, Regulierung, Effizienz und Wettbewerb, in: Regulierung und Gemeinwohl, 2016, S. 46–69 (68). 253 Vgl. Berschin, Daseinsvorsorge durch Wettbewerb, 2000, S. 23 mit weiterem Verweis; Fritsch, Marktversagen und Wirtschaftspolitik, 2018, S. 76. 254 Vgl. Fritsch, Marktversagen und Wirtschaftspolitik, 2018, S. 57; Knieps, Wettbewerbsökonomie, 2008, S. 11. 255 Vgl. Fritsch, Marktversagen und Wirtschaftspolitik, 2018, S. 76/77. 256 Vgl. Berschin, Daseinsvorsorge durch Wettbewerb, 2000, S. 23.

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C. Grundlagen zu Wettbewerb und Regulierung

Mithin sollen Gemeinwohlziele im Rahmen der Möglichkeiten durch Wettbewerb erreicht werden, folglich regulatorisch in Marktprozesse eingepasst werden. Dies wird im Endeffekt jedoch nicht ökonomisch durch eine richtige Theorie erklärbar sein, sondern bleibt eine politische Entscheidung.257 Dabei liegen Anhaltspunkte für Marktversagensgründe auf dem mit Regulierungsmaßnahmen durchsetzten Energiemarkt sicherlich vor. Das gemeinwohlorientierte Ziel, eine umweltverträgliche Versorgung durch erneuerbare Energien herbeizuführen,258 wurde bereits durch Regulierungsmaßnahmen anvisiert. Betrachtet man jedoch ausschließlich das Ziel der Versorgungssicherheit, so erscheint deren Gewährleistung über die staatliche Daseinsvorsorge, anstatt dies über Marktversagensgründe zu rechtfertigen, plausibler. So kann die Gewährleistung der Versorgungssicherheit im Energiemarkt als Teilbereich der Daseinsvorsorge eingeordnet werden. Sie stellt damit eine Staatsaufgabe dar, so dass eine Regulierung des Energiesektors auch als Ausdruck der Pflicht des Staates zur Daseinsvorsorge anzusehen ist. Hierbei kann zwischen Wettbewerb und Daseinsvorsorge ein klassischer Zielkonflikt vorliegen. So wird etwa befürchtet, dass vor allem in der Energiewirtschaft Unternehmen finanzielle Mittel aufwenden, um Politikern attraktive Gegenleistungen für ein entsprechendes Entgegenkommen anbieten zu können und hierdurch die Gefahr einer unsachgemäßen Beeinflussung in diesem Sektor nicht ganz ausgeschlossen werden kann.259 Sicherlich sollte den Regulierungsbehörden unterstellt werden können, dass sie gewillt sind, vorrangig ihren gesetzlichen Auftrag zu erfüllen und somit durch Regulierungsmaßnahmen das Gemeinwohl zu steigern und sich nicht etwa von den Interessenverbänden der Unternehmen beeinflussen zulassen, die sich von wettbewerblichen Zwängen befreien wollen.260 Jedoch bleibt im Hinblick auf die sich empirisch wiederholt belegte Capture-Theorie eine gewisse Skepsis bestehen, etwa bezogen auf den Energiemarkt, wie die bisherigen auch zum Teil politisch motivierten staatlichen Eingriffe in der Vergangenheit zeigen.261 257 Vgl. Fehling, Regulierung, Effizienz und Wettbewerb, in: Regulierung und Gemeinwohl, 2016, S. 46–69 (63). 258 Vgl. Lepsius, Regulierung in sozialpolitischer Perspektive, in: Regulierung und Gemeinwohl, 2016, S. 102–142 (109). 259 So kommt es etwa vor, dass Politker nach Beendigung ihrer politischen Laufbahn einen Sitz im Vorstand oder Aufsichtsrat eines Energiekonzerns einnehmen. „Die großen deutschen Energiekonzerne stehen in dem Ruf auf diesem Gebiet besonders aktiv und erfolgreich zu sein.“, Bauer, Die Energieversorgung zwischen Regulierungs- und Gewährleistungsstaat, 2014, S. 45 mit weiterem Verweisen. 260 Vgl. Bauer, Die Energieversorgung zwischen Regulierungs- und Gewährleistungsstaat, 2014, S. 46. 261 „Das Argument des capture hat eine begrenzte Kraft im juristischen Diskurs. Demgegenüber ist für den Ökonomen die Annahme des benevolenten Staates ebenso naiv wie die Annahme, dass der Monopolist seine Monopolstellung auf dem Markt

III. Zwischenfazit und Bewertung

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Ein Vergleich zu anderen Mitgliedstaaten und der Europäischen Union in Bezug auf das Konzept der Daseinsvorsorge ist insofern aufschlussreich, dass das Ziel der Europäischen Union ein gemeinsamer Energiebinnenmarkt oder eine Energieunion sein soll, obgleich die Konzepte zur Daseinsvorsorge stark voneinander abweichen. Das in England vorherrschende sehr liberale Konzept kann gleichsam als Gegenpol des streng staatlichen Konzepts Frankreichs identifiziert werden, während das Konzept von Deutschland demgegenüber als ein Mittelweg angesehen werden kann. Wenn auch die Europäische Union geprägt ist vom französischen Begriff des Service public, tendiert sie bei dem Begriff der DAWI ebenfalls zu einer Kompromisslösung und überlässt daneben den Mitgliedstaaten weitgehend die konkrete Ausgestaltung. Der Zielkonflikt zwischen Wettbewerb und Daseinsvorsorge kommt hierbei vor allem durch das Beihilfenrecht zum Tragen. So weichen hier insbesondere in Bezug auf den Energiemarkt die in den jeweiligen Mitgliedstaaten erzielten Ergebnisse deutlich voneinander ab.262

nicht missbrauchen werde (Vaubel Institutional Competition (Fn. 23), S. 55. Doch auch Juristen rechnen damit, dass Regierende zeitweise oder teilweise eigennützig handeln.“, Peters, Wettbewerb von Rechtsordnungen, in: Gemeinwohl durch Wettbewerb, 2009, S. 9–56 (52). 262 Siehe hierzu die Ausführungen in Kapitel D. II. und in Kapitel G. I. 1. f).

D. Versorgungssicherheit auf dem Energiemarkt zwischen Wettbewerb und Regulierung I. Wettbewerb durch Liberalisierung auf dem Energiemarkt Wettbewerb auf dem Energiemarkt hatte zum Zeitpunkt des Entstehens des Energiewirtschaftsgesetzes (EnWiG) im Jahr 1935 noch eine negative Reputation. Wettbewerb war daher zu vermeiden, während er seit der Liberalisierung des Energiemarktes im Jahr 1998 zu einem der wichtigsten Ziele der Energiepolitik geworden ist. Dies resultiert aus der Überzeugung, dass durch Wettbewerb die effiziente und gerechteste Form einer Marktorganisation besteht und folglich Wettbewerbspreise grundsätzlich das Postulat der Preisgünstigkeit erfüllen.1 Ausgehend von den ökonomischen Grundlagen eines Wettbewerbsmarktes bestehen im Energiemarkt weitere besondere Anforderungen an den Preismechanismus. Die Steuerung von Angebot und Nachfrage wird nicht nur aufgrund der vorgenannten2 wirtschaftstheoretischen Sichtweisen, sondern insbesondere wegen der Voraussetzung der Gleichzeitigkeit von Angebot und Nachfrage bei Strom und Gas bedeutsam. Der Preismechanismus muss daher im Energiemarkt mehr leisten als in anderen Märkten. So sollte dieser Preismechanismus sowohl eine Vorhaltefunktion (langfristig muss genügend Erzeugungskapazität vorhanden sein) als auch eine Einsatzfunktion (die Erzeugungskapazität muss im jederzeitigen Gleichgewicht mit dem Verbrauch stehen) enthalten.3 Idealerweise sollte er daher sowohl Anreize für einen rentablen Anlagenbetrieb setzen als auch für Investitionen in Kapazitätsneubauten oder auch deren Ausbauten. Wesentliche Charakteriska eines solchen liberalen Marktes sind die Schaffung von Transparenz,4 der Abbau der Netz- und Marktzugangsbeschränkung, aber auch die Ermöglichung eines freien Handels mit der Einführung eines Börsenhandels. Der Wettbewerb auf dem Strom- und Gasmarkt hat teilweise eine unter1 Vgl. Theobald, in: Theobald/Kühling, Energierecht, 2022, § 1 EnWG, Rn. 21; Kment, in: Kment, Energiewirtschaftsgesetz, 2019, § 1, Rn. 5. Sowohl auf dem Gas- als auch Strommarkt haben bis 1998 Gebietsmonopole, also geschlossene Versorgungsgebiete, mit Demarkationsverträgen bestanden, vgl. Schiffer, Energiemarkt Deutschland, 2019, S. 175. 2 Siehe hierzu Kapitel C. I. 3 Für den Strommarkt vgl. BMWi, Ein Strommarkt für die Energiewende (Grünbuch), 2014, S. 6 und 14; Pompl, Kapazitätssicherung im europäisierten Stromwirtschaftsrecht, 2019, S. 15. 4 Vgl. Ruthig/Storr, Öffentliches Wirtschaftsrecht, 2020, Rn. 503.

I. Wettbewerb durch Liberalisierung auf dem Energiemarkt

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schiedliche Entwicklung genommen, weshalb auch auf solche Unterschiede eingegangen wird. 1. Freier Marktzugang – Regulierung der Netzebene Zur Verwirklichung der Liberalisierung der Strom- und Gasmärkte war es von zentraler Bedeutung, eine Nutzung der Netze nicht nur für die Eigentümer der Netze selbst, sondern auch für Dritte zu ermöglichen. Es ist nunmehr unbestritten, dass die Energieversorgung nicht als Ganzes ein natürliches Monopol darstellt, sodass in den Bereichen Erzeugung und Vertrieb sowie auch auf der Handelsebene Wettbewerb realisiert und ausgebaut werden kann.5 Die Leitungsgebundenheit von Strom und Gas bedingt sowohl im Strom- als auch im Gasmarkt eine individuelle Infrastruktur, infolgedessen für die Übertragung von Elektrizität und Gas ein jeweils individuell gestaltetes Netz notwendig ist.6 So wird ein Wettbewerb auf diesem Markt generell volkswirtschaftlich als nicht zweckmäßig angesehen, da zu befürchten ist, dass die Herstellung paralleler Leitungsnetze zu kostenintensiv ist oder nur mit höheren Durchschnittskosten und weniger Ertrag pro Anbieter erfolgen könnte, als dies von einem einzelnen Unternehmen gegeben wäre.7 Unbeschadet dessen ist die Option, ein neues Leitungsnetz zum Zweck des Wettbewerbs mit Netzbetreibern zu bauen, nicht ausgeschlossen. Diese Möglichkeit wurde auch bereits genutzt, wie das bekannteste Beispiel zeigt, und zwar die Herstellung des parallelen Gasnetzes (seit Beginn der 1990er Jahre) der ehemaligen WINGAS AG (heute GASCADE) zu den bereits bestehenden Leitungsnetzen.8 Auf der Netzebene im Energiemarkt kann insgesamt Marktversagen in Form eines natürlichen Monopols festgestellt werden, wobei diese Netze die Voraussetzungen eines monopolistischen Bottleneck (Flaschenhals) erfüllen.9 Die Energieversorgungsnetze gehören zur „ökonomischen Infrastruktur“,10 wobei der Ener5 Vgl. Bruhn, in: Säcker, Berliner Kommentar zum Energierecht, 2019, Anhang A nach § 41, Rn. 7; Löschel et al., Energiewirtschaft, 2020, S. 140. 6 Vgl. Fetzer, Staat und Wettbewerb in dynamischen Märkten, 2013, S. 361 mit weiteren Verweisen. 7 Vgl. Bruhn, in: Säcker, Berliner Kommentar zum Energierecht, 2019, Anhang A: Energiehandel und Energiehandelsverträge einschließlich erlaubnisrechtlicher Fragen, Rn. 7. 8 Vgl. ebenda, Rn. 7, Fn. 15. 9 In solchen Bereichen kann ein systematischer Missbrauch von Marktmacht eintreten, sofern nicht eine Regulierung vorgenommen wird. Für ein monopolitisches Bottleneck muss eine Kombination eines natürlichen Monopols und irreversibler Kosten vorliegen. Zu den konkreten Voraussetzungen und „Theorie monopolistischer Bottlenecks“ siehe hierzu Knieps, Disaggregierte Regulierung in Netzsektoren: Normative und positive Theorie, ZfE 2007, S. 229–236 (230). 10 Fetzer, Staat und Wettbewerb in dynamischen Märkten, 2013, S. 20 mit weiteren Verweisen.

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D. Versorgungssicherheit auf dem Energiemarkt

giesektor als eine sogenannte Netzwerkindustrie bezeichnet wird, da die wesentliche Infrastruktureinrichtung dieses Sektors aus physischen Netzwerken – den Energieversorgungsnetzen – besteht.11 Die Elektrizitätsnetzbetreiber und Gasnetzbetreiber stellen diese Netzinfrastruktur, die den Strom- oder Gasfluss von den Kraftwerken (Einspeisung) zu den Verbrauchern (Entnahme) ermöglicht, anderen Unternehmen zur Verfügung. Der Zugang zum Netz wird als Essential facility12 bezeichnet, insofern dieser Zugang zwingend erforderlich ist, um auf dem Markt der vor- und nachgelagerten Marktstufen (Erzeugung, Verteilung und Vertrieb) wirtschaftlich teilnehmen zu können.13 Kommunale Versorgungsunternehmen (Stadtwerke und Regionalunternehmen) kontrollieren dann die sogenannte letzte Meile, das Niederspannungsnetz, womit die Verbindung zu einem Großteil der Endverbraucher hergestellt wird.14 Um einen effektiven Wettbewerb auf den vor- oder nachgelagerten Erzeugungs- oder Verteilungsmärkten gestalten zu können, bedarf es daher zwingend der Regulierung der Netzebene in Form von einer Regulierung des Netzzugangs – geregelt in den §§ 17 ff. EnWG – sowie einer Regulierung des Netzbetriebs – geregelt in den §§ 11 ff. EnWG. Durch diese Regulierungsmaßnahmen sind die Netzbetreiber als Verantwortliche einer staatlichen Einrichtung verpflichtet, Dritten einen diskriminierungsfreien Zugang zu ihrem Netz gegen ein Entgelt zur Verfügung zu stellen. So wurde in § 20 EnWG das Netzzugangsrecht für Energieversorgungsunternehmen zur Infrastruktur eines Netzbetreibers gesetzlich bestimmt, mithin ein Netzzugangsanspruch konzipiert.15 Der staatliche Eingriff dieser Regelungen bezieht sich auf das unternehmerische Verhalten der in einem Markt befindlichen Unternehmen. Somit handelt es sich hierbei um eine Marktverhaltensregulierung. Im notwendigen Kontext hierzu steht die gebotene Kostenregelung für diesen Zugang, also die Entgeltregulierung nach den §§ 21 ff. EnWG. Andernfalls könnte der Netzinhaber die für die Nutzung zu entrichtenden Entgelte in einer Weise manipulieren, dass andere Unternehmen faktisch vom Netzzugang ausgeschlossen wären.16 Die Netzbetreiber können Investitions- und Betriebskosten für die Bereitstellung der Netzinfrastruktur für Dritte nach definierten Regeln auf die Netznutzer 11

Vgl. Fetzer, Staat und Wettbewerb in dynamischen Märkten, 2013, S. 21. Theobald/Theobald, Grundzüge des Energiewirtschaftsrechts, 2013, S. 30. 13 Vgl. Smeets/Knorr, Die Ordnung der deutschen Elektrizitätswirtschaft – heute, ORDO 2008, S. 263–285 (267). Siehe auch Löschel et al., Energiewirtschaft, 2020, S. 141, der eine Einschränkung für den Erdgastransport annimmt, „da es große Bereiche in Deutschland gibt, die von Gaspipelines mehrerer Unternehmen beliefert werden“. 14 „Einige dieser lokalen Unternehmen haben neben erheblicher lokaler Marktmacht als Inhaber einer Essential facility eine respektable Größe erreicht.“, Smeets/Knorr, Die Ordnung der deutschen Elektrizitätswirtschaft – heute, ORDO 2008, S. 263–285 (267). 15 Vgl. Theobald/Theobald, Grundzüge des Energiewirtschaftsrechts, 2013, S. 247. 16 Vgl. Fetzer, Staat und Wettbewerb in dynamischen Märkten, 2013, S. 232, Fn. 306. 12

I. Wettbewerb durch Liberalisierung auf dem Energiemarkt

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umlegen. Auch werden die Erlösobergrenzen festgelegt und dies durch die Regulierungsbehörden überwacht. Mit der seit dem Jahr 2009 geltenden Anreizregulierung, die einen hypothetischen effizienten Netzbetreiber als Maßstab nimmt, werden für die Netzbetreiber Erlösobergrenzen festgesetzt,17 die sich an den zu Beginn genehmigten Kosten orientieren und jährlich um einen bestimmten Prozentsatz reduziert werden.18 Diese Obergrenzen werden von der Bundesnetzagentur vorher festgelegt, ohne dass die individuellen Kosten dabei herangezogen werden. Somit sollen ein Anreiz und Bedingungen für Investitionen entstehen, die dem Wettbewerb annähernd entsprechen und in der Erwartung, dass diese Obergrenze nicht überschritten, darüber hinaus weitere zusätzliche Gewinne erzielt und gleichzeitig Überinvestitionen vermieden werden.19 Eine weitere Maßnahme in der liberalisierten Netzwirtschaft und eng mit dieser Marktzutrittsregelung verbunden ist die strukturelle Regulierungsmaßnahme20 des Unbundling (Entflechtung) auf der Grundlage der §§ 6 ff. EnWG,21 insofern hier insbesondere in vertikal strukturierte Unternehmen und deren Unternehmensorganisation eingegriffen wird. Primär werden durch die Vorgaben zur Entflechtung die verschiedenen Unternehmensbereiche Netzebene und Stromversorgung voneinander getrennt. Damit soll verhindert werden, dass in der netzgebundenen Industrie der Netzbetreiber seine eigenen oder die mit dem Konzern verbundenen Unternehmen begünstigt.22 2. Freier Handel – Großhandel auf dem Energiemarkt Der maßgebliche Schwerpunkt des liberalisierten Energiemarktes liegt auf dem Großhandel. Hier bilden sich die Energiepreise entsprechend Angebot und Nachfrage.23 Der Energiegroßhandel wurde durch die Liberalisierung innerhalb der Versorgungsstufen als ein neues Geschäftsfeld implementiert, insofern auch die Energiehändler, die weder über eigene Erzeugungskapazitäten und/oder ei17 Zur Bestimmung dieser Obergrenzen wird vor Beginn jeder Regulierungsperiode der bundesweite Effizienzvergleich durchgeführt. 18 Vgl. Löschel et al., Energiewirtschaft, 2020, S. 139. 19 Vgl. Schiffer, Energiemarkt Deutschland, 2019, S. 183 und 184; Ströbele et al., Energiewirtschaft-Einführung in Theorie und Politik, 2012, S. 180; Ruthig/Storr, Öffentliches Wirtschaftsrecht, 2020, Rn. 584; Weyer, Regulierung, Investitionsfreiheit und technischer Fortschritt, in: Regulierung und Gemeinwohl, 2016, S. 176–218 (200). 20 Unter „strukturellen Regulierungsmaßnahmen“ ist zu verstehen, dass in die Struktur des Unternehmens eingegriffen wird. Dies führt nach Ansicht von Fetzer regelmäßig zu einem Effizienzverlust. Weitere Kritik besteht darin, dass hierdurch die Wettbewerbssituation oft nicht hinreichend verbessert werde, siehe Fetzer, Staat und Wettbewerb in dynamischen Märkten, 2013, S. 183, 184 und 186 mit weiteren Verweisen. 21 Siehe hierzu die Ausführungen im Kapitel B. III. 2. 22 Vgl. Schiffer, Energiemarkt Deutschland, 2019, S. 152. 23 Vgl. ebenda, S. 134 und 394.

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D. Versorgungssicherheit auf dem Energiemarkt

gene Netze verfügen, am Handel teilnehmen können. So hat der Großhandel die Funktion eines Beschaffungs- und Absatzmarktes mit der essenziellen Bedeutung für die Preissignale, die er aussendet. Dies gilt insbesondere für den Börsenpreis, weil dieser für die Energieerzeuger nicht nur die Vermarktung ihrer Kapazitäten beeinflusst, sondern sich hieraus auch die ausschlaggebenden Anreize für weitere Investitionen entwickeln.24 Im Strom- und auch im Gashandel erfolgt die Vermarktung durch die Energieerzeugungsunternehmen auf dem Großhandelsmarkt über zwei unterschiedliche Vertriebswege.25 Während dies hauptsächlich noch über bilaterale mitteloder langfristige Verträge geschieht und zu einem geringeren Teil über die Börse, ist die Börse jedoch – ökonomisch betrachtet – die beste Alternative, den Preis durch Angebot und Nachfrage zu bestimmen. So wurde aus der unmittelbaren staatlichen Kontrolle durch die Implementierung der Börse eine mittelbare Kontrolle erreicht, indem der Handel an der Börse beaufsichtigt wird.26 Zwischen den Handelsteilnehmern und der Börse werden standardisierte Produkte direkt abgewickelt, zudem läuft der Handel hierbei vollständig anonym ab.27 3. Transparenz auf dem Großhandel Unter der Prämisse, dass eine freie Preisbildung vor allem eine umfassende Transparenz voraussetzt, ohne Manipulation durch einen Marktteilnehmer, mithin die einzelnen Gebote den Preis bestimmen und diese nicht willkürlich beeinflusst werden, wurde für den Energiegroßhandel die REMIT-Verordnung28 sowie die REMIT-Durchführungsverordnung29 erlassen. Sie sollen die Stabilität und die Transparenz des Energiegroßhandelsmarkts auf den europäischen Energiemärk24

Vgl. BMWi, Ein Strommarkt für die Energiewende (Grünbuch), 2014, S. 14; Süßenbacher et al., Kapazitätsmärkte und -mechanismen im internationalen Kontext, S. 1; Riewe, Versorgungssicherheit durch Kapazitätsmechanismen, 2016, S. 69. 25 Strom wird auch durch Systemdienstleistungen im Rahmen der Systemsicherungsmaßnahmen vertrieben. Diese Systemsicherungsmaßnahmen werden im Kapitel G. I. 2. (Strommarkt) und II. 2. (Gasmarkt) erörtert. 26 Vgl. Kühling et al., Energierecht, 2022, S. 20, Rn. 9; vgl. zur Aufsicht Paulun, Die Erfahrungen des deutschen Marktes, in: Zenke/Schäfer, Energiehandel in Europa, 2017, § 14, Rn. 14–22. 27 Vgl. Monopolkommission, Strom und Gas 2011: Wettbewerbsentwicklung mit Licht und Schatten, S. 61, Ziff. 85. 28 Verordnung (EU) 1227/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates über die Integrität und Transparenz des Energiegroßhandels (REMIT) vom 25. Oktober 2011, ABl. EU Nr. L 326, S. 1 vom 08. Dezember 2011. Aufgrund der unmittelbaren Rechtswirkung dieser Verordnung für die EU-Mitgliedstaaten müssen diese die Kontrolle der Durchsetzung wie auch der Sanktionierung von Verstößen sicherstellen. 29 Durchführungsverordnung (EU) 1348/2014 der Kommission vom 17. Dezember 2014 über die Datenmeldung gemäß Art. 8 Abs. 2 und 6 der Verordnung (EU) 1227/ 2011 des Europäischen Parlaments und des Rates über die Integrität und Transparenz des Energiegroßhandelsmarkts, ABl. EU Nr. L 363, S. 121 vom 18. Dezember 2014.

I. Wettbewerb durch Liberalisierung auf dem Energiemarkt

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ten gewährleisten, zudem insbesondere den Insiderhandel und die Marktmanipulation und somit den Marktmachtmissbrauch bekämpfen.30 Die Befolgung dieser Vorschriften wird von der EU-Behörde ACER kontrolliert,31 weswegen auch die an ACER zu meldenden Großhandelsdaten verbindlich festgelegt werden. So müssen beispielsweise von den Verträgen der Marktteilnehmer im Bereich des Energiegroßhandels die Einzelheiten etwa der Lieferung von Strom und Erdgas sowie deren Transport gemeldet werden.32 Für Deutschland ist die Bundesnetzagentur mit der Markttransparenzstelle für die Überwachung zuständig.33 4. Marktdesign Strommarkt Auf dem liberalisierten deutschen Strommarkt besteht seit dem Jahr 1998 das Konzept des Energy Only-Market.34 Ein Energy Only-Market bezeichnet einen Energiemarkt, in dem nur die tatsächlich verkaufte Energie sowie die nur damit verbundenen Systemdienstleistungen (wie etwa Regelenergieleistungen) vergütet werden, nicht aber das Vorhalten von Erzeugungskapazitäten, die nicht in das Netz eingespeist werden (Kraftwerksleistung).35 Basierend auf dem Strommarktgesetz 201636 wurde in § 1a Abs. 1 EnWG ausdrücklich gesetzlich bestimmt, dass der Preis für Elektrizität nach wettbewerb30 Vgl. Art. 3 und 5 der REMIT, ABl. EU L 326, S.1 vom 08. Dezember 2011; vgl. Zenke et al., in: Zenke/Schäfer, Energiehandel in Europa, 2017, § 9, Rn. 14. 31 Vgl. Erwägungsgrund Nr. 2 der Durchführungsverordnung (EU) 1348/2014, ABl. EU Nr. L 363, S. 121 vom 18. Dezember 2014. 32 Vgl. den Erwägungsgrund Nr. 3 und die Meldepflichten in Kapitel 2 der Durchführungsverordnung (EU) 1348/2014, ABl. EU Nr. L 363, S. 121 vom 18. Dezember 2014. 33 Vgl. § 47a Abs. 1 Satz 1 GWB. 34 Vgl. Tietjen, Kapazitätsmärkte, 2012, S. 8, Fn.7; Däuper/Voß, Rechtliche Ausgestaltungsmöglichkeiten von Kapazitätsmechanismen auf dem Stromerzeugungsmarkt, ZNER 2012, S. 119–123 (119). Überdies sei darauf hingewiesen, dass es sich genau genommen um mehrere Teilmärkte handelt: Zunächst gibt es den Großhandelsmarkt, der nachfolgend erörtert wird. Weiterhin gibt es den Markt für Systemdienstleistungen (vgl. hierzu Kapitel G. I. 2. (Strommarkt) und II. 2. (Gasmarkt)). Als ein dritter Markt kann der Markt für erneuerbare Energien angesehen werden (vgl. zu dieser Unterteilung Pompl, Kapazitätssicherung im europäisierten Stromwirtschaftsrecht, 2019, S. 17 ff.). 35 Vgl. Lange, Der Strommarkt 2.0 als Herausforderung für das Kartellrecht, WuW 2017, S. 434–440 (435); De Vries, Generation adequacy: Helping the market do its job, in: Utilities Policy 15, 2007, S. 20–35 (21). Versorgungssicherheit ist auf Energy OnlyMärkten „kein eigenes Produkt“ (siehe Müsgens/Peek, Sind Kapazitätsmärkte in Deutschland erforderlich?, ZNER 2011, S. 576–583 (577); vgl. Pompl, Kapazitätssicherung im europäisierten Stromwirtschaftsrecht, 2019, S. 15). „Arbeit umfasst die bereitgestellte Energie (man spricht dann von Kilowatt- oder Megawattstunde). Leistung beschreibt die Erzeugungskapazität und damit die Möglichkeit zur Energiebereitstellung (man spricht dann von Kilo- oder Megawatt)“, BMWi, Ein Strommarkt für die Energiewende (Grünbuch), 2014, S. 11). 36 Gesetz zur Weiterentwicklung des Strommarktes (Strommarktgesetz) vom 26. Juli 2016, BGBl. I, S. 1786.

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D. Versorgungssicherheit auf dem Energiemarkt

lichen Grundsätzen frei am Markt gebildet wird. Somit wurde die Systementscheidung gefällt, dass die Höhe der Preise für Elektrizität am Großhandelsmarkt keine regulatorischen Beschränkungen erfährt.37 Die Intention des Staates hinter dieser gesetzlichen Regelung war insbesondere die Steigerung der Planungs- und Investitionssicherheit für die Energieversorgungsunternehmen.38 a) Grenzkostenorientiertes Wettbewerbsmodell mit Merit Order Generell haben im Strommarkt dieselben ökonomischen Regeln ihre Gültigkeit wie auf anderen Wettbewerbsmärkten, so dass bei einem idealen Energy OnlyMarket vollkommener Wettbewerb herrschen würde,39 bei welchem der Preis den Grenzkosten entspricht.40 Zentrales Kriterium für einen idealtypischen Energy Only-Market in der Theorie ist daher die Bildung des Spotmarktpreises für Strom allein durch das Zusammenspiel von Angebot und Nachfrage, ohne dass der Staat regulierend eingreift.41 Damit ergibt sich für dieses Marktsystem die Möglichkeit permanenter moderater Strompreise, abgesehen von nur gelegentlichen Preisspitzen durch Kapazitätsengpässe.42 In einem Idealmodell eines Strommarktes müsste zu dem oben beschriebenen Grenzkostenmodell auf der Angebotsseite zusätzlich die Nachfrageseite beitra37 Vgl. Schiffer, Energiemarkt Deutschland, 2019, S. 191; BMWi, Ein Strommarkt für die Energiewende (Weißbuch), 2015, S. 33. 38 Vgl. Begründung zum Strommarktgesetz vom 20. Januar 2016, BT-Drs. 18/7317, S. 76; Kment, in: Kment, Energiewirtschaftsgesetz, 2019, § 1a, Rn. 4. 39 Vgl. Süßenbacher et al., Kapazitätsmärkte und -mechanismen im internationalen Kontext, S. 1 mit weiteren Verweisen. 40 Vgl. Reeg et al., Kapazitätsmechanismen als Rettungsschirm der Energiewende?, 2015, S. 11; BKartA, Sektoruntersuchung Stromerzeugung und -großhandel, 2011, S. 38; Müsgens/Peek, Sind Kapazitätsmärkte in Deutschland erforderlich?, ZNER 2011, S. 576–583 (577); vgl. Tietjen, Kapazitätsmärkte, 2012, S. 7 ff.; Ausfelder/Wagner, Wechselwirkungen im Energiesystem: Das EEG und das Europäische Emissionshandelssystem, 2015, ET, S. 41–44 (42); Schwintowski, Die Wirkweise des Preisbildungsmechanismus (Merit Order) an der EPEX, EWeRK 2010, S. 149. Hierbei sind nicht die langfristigen Grenzkosten sondern, „in einem reinen Energiemarkt sind vor allem die kurzfristigen Grenzkosten der Erzeugung angebotsrelevant“ (Süßenbacher et al., Kapazitätsmärkte und -mechanismen im internationalen Kontext, S. 2). Dies wird auch als „grenzkostenbasierter Preisbildungsmechanismus“ bezeichnet (Heymann, Der Strommarkt 2.0, 2019, S. 45). Vgl. zur Definition von Grenzkosten bereits Kapitel A. I. 41 Vgl. Süßenbacher et al., Kapazitätsmärkte und -mechanismen im internationalen Kontext, S. 1 mit Verweis auf die theoretischen Untersuchungen von Caramanis Caramnis et al., Optimal Spot Pricing: Practice and Theory, in: IEEE Transactions on Power Apparatus and Systems, 1982, S. 3234–3245. 42 „In other words, a pure energy-only market is characterized by moderate energy prices punctuated by occasional severe price spikes.“, Pfeifenberger et al., A Comparison of PJM’s RPM with Alternative Energy and Capacity Market Designs, 2009, S. 20.

I. Wettbewerb durch Liberalisierung auf dem Energiemarkt

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gen, um das optimale Niveau an Versorgungssicherheit zu erreichen. So könnte bei allen Kraftwerken eine Vollkostendeckung nur bei Knappheit erreicht werden. Daraus folgt, dass Elektrizität stärker nachgefragt wird als diese angeboten werden kann, auch als Scarcity Hours benannt.43 Das bedeutet, dass in diesem Fall der Markt zur Herstellung des Marktgleichgewichts über die Nachfrageseite geräumt werden müsste, mithin der Preis so lange ansteigt, bis die Nachfrager ihren Konsum reduzieren. Im Zuge dessen wird der Preis nicht mehr durch die Grenzkosten bestimmt, sondern durch die äußerste Zahlungsbereitschaft der Kunden (ausgedrückt durch den Value of Lost Load (VoLL)).44 So würden die Verbraucher mittels ihrer Zahlungsbereitschaft und auch Verbrauchsbereitschaft das optimale Niveau an Versorgungssicherheit in einer Volkswirtschaft bestimmen, ohne dass der Staat regulatorisch eingreifen müsste.45 Erfolgsentscheidend wäre hierfür, dass die Konsumenten ihren Stromkonsum der Strompreisentwicklung anpassen. Nicht zuletzt wäre es in einem idealtypischen Markt denkbar, dass diejenigen Konsumenten, deren Zahlungsbereitschaft für Strom begrenzt ist, dann vom Netz genommen werden, wenn dieses Preislimit überschritten wird. Die eigentliche Preisberechnung an der Strombörse richtet sich nach der Merit Order (engl. Reihenfolge der Leistung). Die Merit Order bestimmt die Einsatzreihenfolge der Kraftwerke, insofern alle verfügbaren Kraftwerke des Energiemarktes in aufsteigender Reihenfolge gemäß ihrer variablen Kosten, beginnend mit den niedrigsten Grenzkosten, Strom anbieten und dementsprechend eingesetzt werden, bis die aktuelle Nachfrage gedeckt ist.46 Die variablen Kosten47 implizieren die Beschaffungskosten der jeweiligen Brennstoffe und – nach Ein-

43 Vgl. Heuterkes/Janssen, Die Regulierung von Gas- und Strommärkten in Deutschland, 2008, S. 71 mit weiteren Verweisen; Pompl, Kapazitätssicherung im europäisierten Stromwirtschaftsrecht, 2019, S. 16. 44 Vgl. Reeg et al., Kapazitätsmechanismen als Rettungsschirm der Energiewende?, 2015, S. 11; bei dem VoLL handelt es sich um eine theoretische Größe, die die Zahlungsbereitschaft der Kunden zur Vermeidung von Versorgungsstörungen bzw. die erwarteten Kosten einer Versorgungsunterbrechung angibt, vgl. Pfeifenberger et al., A Comparison of PJM’s RPM with Alternative Energy and Capacity Market Designs, 2009, S. 21. 45 Vgl. Reeg et al., Kapazitätsmechanismen als Rettungsschirm der Energiewende?, 2015, S. 12; Heuterkes/Janssen, Die Regulierung von Gas- und Strommärkten in Deutschland, 2008, S. 69, 79 mit weiterem Verweis auf die Ausführungen von Caramnis et al., Optimal Spot Pricing: Practice and Theory, in: IEEE Transactions on Power Apparatus and Systems1982, S. 3234–3245; Pompl, Kapazitätssicherung im europäisierten Stromwirtschaftsrecht, 2019, S. 17; Pfeifenberger et al., A Comparison of PJM’s RPM with Alternative Energy and Capacity Market Designs, 2009, S. 20 und 21. 46 Vgl. Schiffer, Energiemarkt Deutschland, 2019, S. 394; Smeets/Knorr, Die Ordnung der deutschen Elektrizitätswirtschaft – heute, ORDO 2008, S. 263–285 (278). 47 Grenzkosten sind die variablen Durchschnittskosten, folglich bei Kraftwerken die Kosten für den Brennstoff, vgl. Schwintowski, Die Wirkweise des Preisbildungsmechanismus (Merit Order) an der EPEX, EWeRK 2010, S. 149; und seit 01.01.2005 auch die CO2-Zertifikatskosten, vgl. Schiffer, Energiemarkt Deutschland, 2019, S. 201.

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D. Versorgungssicherheit auf dem Energiemarkt

führung des EU-weiten Emissionshandelssystems ab dem Jahr 2005 – auch etwa den Preis für CO2-Zertifikate, da eine Entwertung dieser Zertifikate durch die Produktion von Strom eingetreten ist, sie also am CO2-Markt nicht weiter gehandelt werden können.48 Hierbei ist zu beachten, dass im Energiemarkt die Energie durch unterschiedliche Erzeugungsanlagen und Kraftwerkstypen (Grund-, Mittel- und SpitzenlastKraftwerke) produziert wird, wobei die Grenzkosten untereinander divergieren und entscheidend für deren Einsatzzeiten sind.49 Die kapitalintensiven Kraftwerke mit den niedrigsten Grenzkosten (niedrigsten Brennstoff- und CO2-Kosten), mithin die Grundlastkraftwerke, sind Braunkohle-, Kernkraft- und Laufwasserkraftwerke, deren Konkurrenzfähigkeit hierauf basiert.50 Diese werden zuerst eingesetzt und ganz links eingeordnet, insofern sie zum einen geringere variable Kosten im Vergleich zu anderen Kraftwerken haben und zum anderen unflexibel hinsichtlich des An- und Abfahrens sind. Hierdurch sind sie optimal dafür qualifiziert, dauerhaft an das Netz angeschlossen zu sein und in eben dieses permanent Strom einspeisen zu können.51 Unter der Voraussetzung, dass hierdurch nicht die gesamte Nachfrage erfasst werden kann, werden die weiteren Kraftwerke, so die Mittellastkraftwerke wie etwa Steinkohle-, Gas- und Dampfkraftwerke, mit entsprechend höheren Grenzkosten zugeschaltet. Hierbei sind zwar die variablen Kosten höher, jedoch ist ihre Handhabung aufgrund des schnelleren An- und Abfahrens flexibler. Sie können mithin bei Lastschwankungen eingesetzt werden, die sich über einen längeren Zeitraum erstrecken, wobei sie überwiegend an Arbeitstagen unter der Woche benötigt werden.52 Die größte Befähigung zur flexiblen Leistung haben die Spitzenlastkraftwerke, so die Gasturbinenkraftwerke und Speicherkraftwerke, da sie mithilfe ihres schnellen An- und Abfahrens am ehesten auf Lastveränderungen reagieren können, aber auch die höchsten variablen Kosten aufweisen.53 So ist die steigende Nachfrage entscheidend, wieviel zusätzliche Kraftwerke und entsprechend teure Kraftwerke in Anspruch genommen werden müssen. Im Zusammenhang mit der Energiewende besteht die Fokussierung auf den Spitzenlastkraftwerken, insbesondere Gas- und Dampfturbinenkraftwerke (GuD-Kraftwerk). Diese können 48 Vgl. Schiffer, Energiemarkt Deutschland, 2019, S. 201 und 395. Siehe zum Zertifikatenhandel in diesem Kapitel unter II. 1. c). 49 Vgl. Smeets/Knorr, Die Ordnung der deutschen Elektrizitätswirtschaft – heute, ORDO 2008, S. 263–285 (278). 50 Vgl. BKartA, Sektoruntersuchung Stromerzeugung und -großhandel, 2011, S. 40; Heymann, Der Strommarkt 2.0, 2019, S. 48, Fn. 63. 51 Mit Grundlast wird bei der Stromerzeugung der Anteil an der elektrischen Leistung in einem Versorgungsgebiet, welche andauernd benötigt wird, bezeichnet, vgl. https://www.energie-lexikon.info/grundlast.html, zuletzt abgerufen am 20.12.2020. 52 Vgl. BKartA, Sektoruntersuchung Stromerzeugung und -großhandel, 2011, S. 40. 53 Vgl. ebenda.

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begründet durch ihre Flexibilität, die kurzfristigen Forderungen des Angebots und der Nachfrage aufgrund des vermehrten Einsatzes von erneuerbaren Energien am ehesten bewältigen.54 Überdies sind sie emissionsärmer, insofern sie bei der Verbrennung im Gegensatz zu anderen fossilen Brennstoffen kaum Asche abgeben.55 Der für alle Kraftwerke einheitliche stündliche Marktpreis, auch der markträumende Preis genannt, ergibt sich mithin aus der Höhe der Erzeugungskosten desjenigen Kraftwerks, dessen Produktion als letztes gerade noch benötigt wird, um den Bedarf abzudecken.56 Dieses letzte und somit das teuerste Kraftwerk, wird als Grenzkraftwerk bezeichnet.57 Dieser Marktpreis wird allen Kraftwerksbetreibern gewährt, auch denjenigen, die unterhalb dieses Preises Strommengen angeboten haben und unabhängig von den hier verbleibenden variablen Kosten ihres jeweiligen Kraftwerks. Dies beruht darauf, dass die dann hier verbleibende Gewinnspanne benötigt wird, um die Fixkosten zu decken.58 Diese Preisbildung existiert vor dem Hintergrund, dass sowohl die Kapitalkosten als auch andere Fixkosten der einzusetzenden Kraftwerke nicht relevant sind, insofern diese Kosten unabhängig vom tatsächlichen Einsatz des Kraftwerks anfallen. Der Anlagenbetreiber wird daher motiviert sein, Strom so lange zu produzieren, bis der Ertrag aus dessen Verkauf höher ist als seine für das Kraftwerk aufzuwendenden laufenden Kosten.59 Daraus ergibt sich, dass grundsätzlich mit der Regel der Merit Order die teuersten Kraftwerke, die demnach nicht mehr zum Zuge kommen, vom Markt verdrängt werden. Während die verschiedenen Erzeugungsanlagen, so konventionelle Kraftwerke und auch Erneuerbaren-Energien-Anlagen im Energiemarkt Strom erzeugen und anbieten, bestimmt der Energieverbraucher durch seine Nachfrage die Netzbelastung (Last). Erzeugung und Last werden in der Leistungsbilanz unter Berücksichtigung der Jahreshöchstlast und der Kraftwerksverfügbarkeit gegenübergestellt.60

54 Vgl. Monopolkommission, Strom und Gas 2011: Wettbewerbsentwicklung mit Licht und Schatten, S. 70, Ziff. 109. 55 GuD-Kraftwerke haben etwa 60 % weniger CO -Ausstoß je produzierter Kwh 2 Nutzenergie gegenüber Kohlekraftwerken, vgl. Monopolkommission, Strom und Gas 2011: Wettbewerbsentwicklung mit Licht und Schatten, S. 70, Ziff. 110 mit weiteren Verweisen. 56 Vgl. Schiffer, Energiemarkt Deutschland, 2019, S. 394; Monopolkommission, Strom und Gas 2011: Wettbewerbsentwicklung mit Licht und Schatten, S. 58, Ziff. 79. 57 Vgl. Smeets/Knorr, Die Ordnung der deutschen Elektrizitätswirtschaft – heute, ORDO 2008, S. 263–285 (278); Schiffer, Energiemarkt Deutschland, 2019, S. 394. 58 Vgl. Schiffer, Energiemarkt Deutschland, 2019, S. 395. 59 Vgl. ebenda, S. 396. 60 Vgl. 50hertz et al., Bericht der deutschen Übertragungsnetzbetreiber zur Leistungsbilanz 2018–2022, 2020, S. 1–34 (4).

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b) Unvollkommenheiten im realen Energy Only-Market Noch hat sich das Idealmodell weltweit nicht realisieren können, insofern auf dem Strommarkt wesentliche, für das theoretische Modell essenziell gebotene Marktstrukturen, noch nicht verfügbar sind.61 So existiert ein Energy OnlyMarket etwa in den Ländern Großbritannien, Australien, Kanada, Kalifornien, deren damit verbundenen Problematiken vergleichbar sind mit denen des deutschen Energiemarktes, wie nachfolgend dargestellt werden soll.62 So ist das deutsche Strommarktdesign etwa in der Weise gestaltet, dass bestimmte staatliche regulatorische Maßnahmen postuliert werden, insofern, wie nachfolgend dargelegt, Unvollkommenheiten63 existieren.64 Somit kann bereits aus technischen, respektive physikalischen und auch ökonomischen Gründen ein idealtypischer Energiemarkt nicht konstituiert werden. Der Marktpreis auf dem Energiemarkt steigt korrespondierend mit der Nachfrage, wie auch sonst bei Wettbewerbsmärkten. Primär ergibt sich das Problem aber aus einer nur geringen Möglichkeit der Nachfrager, auf die Preisentwicklungen am Markt zu reagieren. Zudem ist aus ökonomischer Sicht die Wertschätzung der Versorgungssicherheit nur eingeschränkt messbar, da der zuvor genannte Value of Lost Load (VoLL) nur einen theoretischen Wert darstellt, der der Höhe nach nicht exakt berechenbar ist.65 Die unelastische Nachfrage66 basiert auf Informationsasymmetrien zwischen dem Großhandel und den Endverbrauchern. Dies ist primär auf die zwischen den 61 Vgl. Süßenbacher et al., Kapazitätsmärkte und -mechanismen im internationalen Kontext, S. 1. Ein „pure“ Energy only market existiert noch nicht, da der nötige Grad der Nachfrageflexibilität nicht besteht, siehe Pfeifenberger et al., A Comparison of PJM’s RPM with Alternative Energy and Capacity Market Designs, 2009, S. 21, Fn. 32. 62 Vgl. Pfeifenberger et al., A Comparison of PJM’s with Alternative Energy and Capacity Market Designs, 2009, S. 22, die die Probleme auf diesen Märkten untersuchen. 63 Vgl. Heuterkes/Janssen, Die Regulierung von Gas- und Strommärkten in Deutschland, 2008, S. 80. 64 Vgl. Böckers et al., Vor- und Nachteile alternativer Kapazitätsmechanismen, 2012, S. 11 ff. 65 Vgl. Tietjen, Kapazitätsmärkte, 2012, S. 8; Joskow, Competitive electricity Markets and Investment in new generating capacity, 2006, S. 1–74 (10, 19 ff.); Spees et al., Capacity Markets – Lessons learned from the first decade, in: Economics of Energy & Environmental Policy, 2013, S. 1–26 (6); Cramton/Stoft, The Convergence of market designs for adequate generating capacity, 2006, S. 1–71 (6 und 24). „The average VoLL tends to be at least in the $5,000/MWh to $10,000/MWh range“ (Pfeifenberger et al., A Comparison of PJM’s with Alternative Energy and Capacity Market Designs, 2009, S. 22). Schätzungen des VoLL sind schwierig und schwanken mitunter stark (vgl. ebenda, S. 22, Fn. 35). Vgl. zum VoLL ausführlich Böckers et al., Vor- und Nachteile alternativer Kapazitätsmechanismen, 2012, S. 7 ff. 66 Die Verbraucher auf der Nachfrageseite können gar nicht oder nur mit Verzögerung auf Preisschwankungen reagieren, vgl. Müsgens/Peek, Sind Kapazitätsmärkte in Deutschland erforderlich?, ZNER 2011, S. 576–583 (577, 578); Cramton/Ockenfels, Economics and Design of Capacity Markets for the Power Sector, 2012, ZfE, S. 113– 134 (116).

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beiden Beteiligten geschlossenen Verträge zurückzuführen, weil die Endkunden fast ausnahmslos den Abschluss längerfristiger Verträge mit Festpreisen für etwa ein Jahr im Voraus anstreben.67 Infolgedessen ist eine kontrollierte individuelle Abschaltung von einzelnen Kunden zu einem bestimmten Zeitpunkt zwar grundsätzlich technisch möglich, etwa wenn der betreffende Kunde in einen Zahlungsverzug gerät. Indes ist es sowohl aus wirtschaftlicher als auch aus rechtlicher Sicht ausgeschlossen, wahllos Kunden bei auftretender Knappheit für einige Stunden vom Netz abzuschalten, wenn ungeplante Stromausfälle zu befürchten sind. Es besteht Einigkeit, dass es zumindest derzeit noch kein unterschiedliches Niveau an Versorgungssicherheit für Kunden gibt, solange beispielsweise durch keine vertragliche Regelung legalisiert wird, dass nacheinander diejenigen Konsumenten vom Netz genommen werden, deren Zahlungsbereitschaft nur dem geringsten Preis entspricht.68 Die Maßnahmen mithilfe derer diese Störungen zu beheben sind, folgen einer gesetzlichen Priorisierung nach den Vorschriften der §§ 13 ff. EnWG.69 Aufgrund der Abschaltverordnung wird zunächst die verarbeitende Industrie abgeschaltet, die eine fortlaufende hohe Stromabnahme hat.70 Nicht zuletzt ist es aus ökonomischen Gründen wichtig, Energieanlagen so lange wie möglich am Netz zu halten, um rentabel wirtschaften zu können. Ein signifikantes Problem könnte für den Fall entstehen, dass auch auf der Angebotsseite die Stromerzeugung stagniert, nach dem die vorhandene Kapazitätsmenge aufgebraucht ist und somit auch eine erhöhte Nachfrage kein erhöhtes Angebot hervorbringen kann.71 Eine solche Konstellation würde dann in dieser Situation eine kurzfristige Störung des Preismechanismus auslösen und ein Gleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage wäre nicht mehr realisierbar.72 So kann in dieser Lage weder auf Speichermengen zurückgegriffen werden, noch können die Netzbetreiber einfach einzelne Haushalte, Unternehmen oder andere Endverbraucher vom Netz abschalten. In der Folge entwickelt sich ein Netz67 Vgl. BKartA, Sektoruntersuchung Stromerzeugung und -großhandel, 2011, S. 39; vgl. Monopolkommission, Strom und Gas 2011: Wettbewerbsentwicklung mit Licht und Schatten, S. 54, Ziff. 68; vgl. auch Süßenbacher et al., Kapazitätsmärkte und -mechanismen im internationalen Kontext, S. 3. 68 Vgl. Heuterkes/Janssen, Die Regulierung von Gas- und Strommärkten in Deutschland, 2008, S. 81. 69 Diese Systemsicherungsmaßnahmen werden im Kapitel G. unter I. 2. für den Strommarkt erörtert. Zu den abschaltbaren Lasten vgl. Kapitel G. I. 2. b) bb). 70 Es wird zwischen SOL (sofort, das heißt innerhalb einer Drittelsekunde) und SNL (schnell, das heißt in unter fünfzehn Minuten) abschaltbare Lasten unterschieden, vgl. Bertsch et al., Ausgangsbedingungen für die Vermarktung von Nachfrageflexibilität, 2019, S. 21. 71 Als Lösung hierfür bleibt dann die Möglichkeit, Strom aus Nachbarländern zu importieren. 72 Vgl. Cramton/Ockenfels, Economics and Design of Capacity Markets for the Power Sector, 2012, ZfE, S. 113–134 (116).

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ungleichgewicht, mit anderen Worten, das Netz bricht zumindest in Teilen zusammen.73 Überwiegend wird die Last durch das Angebot gelenkt, insofern der Stromverbrauch durch den zielgerichteten und planvollen Einsatz der Kraftwerke gesteuert werden kann, etwa auch indem einzelne Kraftwerke zu- oder abgeschaltet werden.74 Hiervon nicht betroffen sind hingegen Großabnehmer, etwa energieintensive Unternehmen, die in der Lage sind, den Strompreis zu kontrollieren. So haben sie üblicherweise gesondert gestaltete Verträge mit den Netz- oder Kraftwerksbetreibern respektive auch eigens für sie vorgesehene Vorrichtungen, zu dem Zweck, bei bestimmten Konstellationen der Marktpreise oder bei Versorgungsstörungen, den Stromverbrauch anzupassen oder zu beenden.75 Ausgehend von der Überlegung, eine ähnliche Problemlösung auch für die Nachfrageseite, mithin für den Durchschnittsverbraucher (Haushaltskunden), zu finden, wird eine Möglichkeit durch die Hilfe von Smart Meter76 gesehen, den eigenen Stromverbrauch zu begrenzen, aber auch im Rahmen der Abschaltverordnung77 einzelne Verbraucher (Endkunden) vom Netz nehmen zu können. Derzeit stehen solche Möglichkeiten nur in einem geringen Umfang zur Verfügung, insofern dies nur machbar wäre, wenn der Verbraucher Marktpreise in Echtzeit etwa über das Internet beobachten kann. Weiterhin ist kritisch anzuführen, dass die Mehrzahl der Enderbraucher (private Haushalte und kleinere Unternehmen) dieses Angebot noch nicht verwenden (wollen) und infolgedessen sie lediglich die jährlichen Informationen zur Entwicklung des Strompreises erlangen.

73 Vgl. Monopolkommission, Energie 2015: Ein wettbewerbliches Marktdesign für die Energiewende, S. 127, Ziff. 387; vgl. für den US-Energiemarkt Joskow, Competitive electricity Markets and Investment in new generating capacity, 2006, S. 1–74 (6). 74 Vgl. BKartA, Sektoruntersuchung Stromerzeugung und -großhandel, 2011, S. 39; Monopolkommission, Strom und Gas 2011: Wettbewerbsentwicklung mit Licht und Schatten, S. 53, Ziff. 68. 75 Vgl. Reeg et al., Kapazitätsmechanismen als Rettungsschirm der Energiewende?, 2015, S. 12; Müsgens/Peek, Sind Kapazitätsmärkte in Deutschland erforderlich?, ZNER 2011, S. 576–583 (579); vgl. für den US-Energiemarkt: Joskow, Competitive electricity Markets and Investment in new generating capacity, 2006, S. 1–74 (32 ff.). 76 Sogenannte Intelligente Messsysteme, vgl. hierzu Wimmer, Smart Meter, Plattform und Blockchain, EnWZ 2020, S. 387–392 (388). Dies ist die intelligente Messstelle beim Nutzer und damit ein wichtiges Instrument für den wechselseitigen Austausch von Informationen. Der Begriff selbst wird nicht im EnWG genannt, vgl. Spieker genannt Döhmann, Smart Home, Smart Grid, Smart Meter – digitale Konzepte und das Recht an Daten, in: Doleski, Herausforderung Utility 4.0, 2017, S. 285–300 (285 und 287). 77 Verordnung über Vereinbarungen zu abschaltbaren Lasten (AbLaV) vom 16. August 2016, BGBl. I, S. 1984, zuletzt geändert durch Art. 9 des Gesetzes vom 16. Juli 2021, BGBl. I, S. 3026.

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c) Stromhandel Der Begriff Stromhandel umfasst nicht direkt das Produkt Strom, vielmehr werden Bezugsrechte in Form einer vertraglichen Vereinbarung gehandelt, die für einen gewissen Zeitraum den Verbraucher berechtigen, Strom aus dem Netz zu entnehmen und gleichzeitig den Veräußerer des Bezugsrechts zu verpflichten, die vereinbarte Strommenge in das Netz einzuspeisen.78 Dies folgt explizit mit Blick auf die Beschaffenheit der elektrischen Energie, die aus physikalischen Gründen nicht als ein bestimmtes Produkt an einen bestimmten Endverbraucher transportiert werden kann.79 Die Lieferung von Strom bedeutet mithin den zeitgleichen Vorgang, dass der Energieerzeuger den Strom in das Netz einspeist und der Endkunde seinen jeweiligen Bedarf an Strom aus der insgesamt im Netz vorhandenen Strommenge entnimmt.80 Der Strommarkt ist in Preiszonen aufgeteilt, weshalb hier alle Stromerzeuger unabhängig von dem Standort ihrer Kapazitäten innerhalb des Marktes zueinander in den Wettbewerb treten können.81 Im Gebiet der Europäischen Union bestehen derzeit immer noch verschiedene Preiszonen, wobei die Grenzen der einzelnen Preiszonen aus historischen Gründen meist identisch mit den Staatsgrenzen sind. Demgegenüber existiert eine Ausnahme für Deutschland, das zusammen mit Luxemburg (und bis Oktober 2018 auch mit Österreich)82 eine gemeinsame Gebotszone mit einheitlichen Börsenpreisen und Marktverhältnissen bildete.83 Zentrales Anliegen und gemeinsames Ziel der Europäischen Union ist aber die Marktkopplung der verschiedenen Preiszonen und die Entwicklung eines alle Mitgliedstaaten der Europäischen Union umfassendes Mittel einer Preiskopplung, wonach die Strompreise berechnet werden können und das auch erlaubt, dass die grenzüberschreitenden Kapazitäten EU-weit zugeteilt und genutzt werden können.84 78 Vgl. Monopolkommission, Strom und Gas 2011: Wettbewerbsentwicklung mit Licht und Schatten, S. 60, Ziff. 81; Monopolkommission, Strom und Gas, 2009, S. 45 Ziff. 33 mit weiterem Verweis. 79 Vgl. ebenda. 80 Vgl. Monopolkommission, Strom und Gas 2009: Energiemärkte im Spannungsfeld von Politik und Wettbewerb, S. 45, Ziff. 33. 81 Vgl. Monopolkommission, Energie 2017: Gezielt vorgehen, Stückwerk vermeiden, S. 16, Ziff. 11. 82 Zum 01. Oktober 2018 wurde die Trennung von Österreich aus der deutsch-österreichischen Stromgebotszone vollzogen, vgl. hierzu BNetzA, Pressemitteilung vom 01. Oktober 2018; Die Entscheidung des Europäischen Gerichts vom 24. Oktober 2019, Rs. T-332/17, E-Control vs. ACER, lässt die Rechtmäßigkeit der Gebotszonentrennung offen. 83 Vgl. BKartA, Marktmachtbericht, 2019, S. 12; Schiffer, Energiemarkt Deutschland, 2019, S. 242. 84 Vgl. Schiffer, Energiemarkt Deutschland, 2019, S. 405.

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Der zentraleuropäische Spotmarkt für Energie, der European Power Exchange S.E. (kurz: EPEX) mit Sitz in Paris, ist von zentraler Bedeutung für den europäischen Strommarkt,85 da hier seit dem Jahr 2009 kurzfristig lieferbare Strommengen gehandelt werden, mithin also Kontrakte mit einer kurzfristigen Erfüllung (innerhalb einer Stunde des laufenden oder des kommenden Tages), geschlossen werden. Überdies können die Betreiber von Kraftwerken Strom für einzelne Stunden oder Stundenblöcke anbieten, die als Intraday-Geschäft oder auch Within Day-Kontrakt, somit für denselben Tag oder als Day ahead-Geschäfte oder auch Day-Kontrakt, Strom für den folgenden Tag, ausgehandelt werden. Hintergrund des Intraday-Handels ist, dass die gehandelten Strommengen unvorhergesehene Abweichungen von Verbrauchsprognosen und Fahrplänen ausgleichen sollen, wohingegen im Day ahead-Handel die Auktion für den Folgetag stattfindet. So sind die Händler nach Beendigung der Day ahead-Auktion in der Lage, im IntradayHandel innerhalb von kurzen Zeitdifferenzen umgehend mit Strom zu handeln. Die Day ahead-Preise können daher auch als ein wichtiger Indikator für den Strommarkt und die Großhandelspreise allgemein angesehen werden.86 Im Unterschied hierzu werden auf dem Terminmarkt der European Energy Exchange Power Derivates in Leipzig (kurz EPD), einer Tochtergesellschaft der EEX, die langfristigen Kontrakte bis zu sechs Jahre im Voraus abgeschlossen, die etwa Quartals- oder Jahreslieferungen einer bestimmten Strommenge betreffen.87 Grundsätzlich wird die langfristige Vertragsbindung vorteilhaft für die Vertragspartner sein, insofern diese vor möglichen Preisanstiegen geschützt sind, mithin also zu einem gewissen Grad Sicherheit für ihre Investitionen erlangen. Aber eine langfristige Vertragsbindung birgt auch Risiken in sich. So könnte etwa ein Vertragspartner, beispielsweise der Lieferant, insolvent werden. Mit Blick auf diese Risiken, insbesondere um den Kreditproblemen bestmöglich entgegensteuern zu können, wurde das OTC-Clearing an der Börse eingeführt. Hierdurch haben die Handelspartner die Möglichkeit, ihre außerbörslich getätigten Geschäfte für das Clearing und die Abwicklung im Clearinghaus registrieren zu lassen mit der Folge, dass dieses dann jeweils den Part des Vertragskontrahenten einnimmt.88

85 Dies ist ein paritätisches Unternehmen der Leipziger Energiebörse EEX und der französischen Börse Powernext SA, bei der alle Handelsaktivitäten am Spotmarkt dieser beiden Unternehmen zusammengeführt werden, vgl. Paulun, in: Zenke/Schäfer, 2017, § 14, Rn. 12; Heymann, Der Strommarkt 2.0, 2019, S. 45, Fn. 58; Pompl, Kapazitätssicherung im europäisierten Stromwirtschaftsrecht, 2019, S. 18. 86 Vgl. Kommission, Abschlussbericht, 2019, S. 32. 87 Vgl. Paulun, in: Zenke/Schäfer, Energiehandel in Europa, 2017, § 14, Rn. 36. 88 Vgl. Pilgram, in: Zenke/Schäfer, Energiehandel in Europa, 2017, § 20, Rn. 14.

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So wird bei den als Optionen bezeichnten Verträgen von einem Vertragspartner eine unbedingte Verpflichtung zum Kauf (Put) oder Verkauf (Call) von Strom zu einem festen Preis und festgelegten Terminen eingesetzt. Sein Vertragspartner wiederum muss das Geschäft nicht durchführen, da sein Risiko auf eine zu bezahlende Prämie begrenzt wird.89 Bei der Variante der als börsengehandelte Standardverträge (Futures) wird hingegen eine bestimmte Menge von einer vorab definierten Qualität zu einem festen Preis und zu einem späteren Zeitpunkt verkauft werden.90 Dies ist nicht zuletzt beachtlich, weil aufgrund dessen der Energy Only-Market gewissermaßen indirekt auch die reine Bereitstellung von Kraftwerksleistung vergütet, indem hier für einen bestimmten Termin die Zusage erfolgt, eine konkrete Strommenge zu liefern und sie auch zu diesem Zeitpunkt bereitstellen zu können. Die EEX hat sich unterdessen von einer ursprünglich „reinen Strombörse“ 91 zu einer EU-weiten Energiebörse weiterentwickelt, insofern sie nunmehr der Marktplatz für den Großhandel mit Strom, Emissionsrechten und Kohle ist.92 Des Weiteren wird der Stromhandel zu etwa zwei Drittel des gehandelten Volumens über mittel- oder langfristige Verträge auf dem sogenannten Over The Counter-Handelsmarkt (OTC-Markt) mit Energieversorgern abgewickelt.93 Hier sind bei der Ausgestaltung der Verträge für beide Marktseiten individuelle Vereinbarungen der Konditionen statthaft, so etwa betreffend die Spannungsebene und den Erfüllungsort (entspricht dem Ort der Stromentnahme aus dem Stromnetz). Mithin können bei den Over The Counter-Geschäften auch die einzelnen konkreten Risiken der Vertragspartner individuell berücksichtigt werden.94 Eine Ausnahme der Individualisierung besteht aber beim Preis. Dieser ist unabdingbar nach dem Börsenpreis bestimmt und folglich für alle Vertragspartner bindend, insofern eine Besserstellung durch den Handel an der Börse vermieden werden soll.95

89

Vgl. Schiffer, Energiemarkt Deutschland, 2019, S. 245. Vgl. ebenda. 91 Schiffer, Energiemarkt Deutschland, 2019, S. 246. 92 Vgl. Schiffer, Energiemarkt Deutschland, 2019, S. 246. 93 Vgl. ebenda, S. 241. 94 Vgl. ebenda, S. 553; Lokau/Däuper, in: Zenke/Schäfer, Energiehandel in Europa, 2017, § 4, Rn. 46. 95 Vgl. Monopolkommission, Strom und Gas 2011: Wettbewerbsentwicklung mit Licht und Schatten, S. 60, Ziff. 83; Kroneberg/Berg, in: Säcker, Berliner Kommentar zum Energierecht, 2019, § 22, Rn. 17, der eine Ausnahme annimmt, wenn im Falle eines knappen Angebots an der Börse im Rahmen einer Gesamtabwägung davon auszugehen ist, dass der Einkauf über die Börse zu unverhältnismäßig steigenden Börsenpreisen führen würde. 90

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D. Versorgungssicherheit auf dem Energiemarkt

5. Marktdesign Gasmarkt a) Zweivertragsmodell oder auch Entry Exit-System auf dem Gasmarkt Es gibt verschiedene Arten von Marktplätzen, auf denen Gas gehandelt wird. Während es beispielsweise in den USA physische Marktplätze, Hubs,96 gibt, bei denen verschiedene Pipelines aufeinandertreffen und die Gasmengen dort ausgetauscht werden können, ist dies in Deutschland nicht möglich, da ein vergleichbarer Verteilungsknoten auch aufgrund des dichten Netzes in Deutschland nicht existiert.97 Daher muss der Marktplatz virtuell gebildet werden, so dass in Deutschland seit dem 1. Oktober 2006 ein transaktionsunabhängiges Abrechnungssystem von Gastransportleistungen als Marktdesign, das sogenannte Zweivertragsmodell bzw. Entry Exit-System gilt,98 wodurch das zuvor angewendete Transportpfadmodell entfallen ist. Das entscheidende Kriterium dieser Neugestaltung, geregelt in § 20 Abs. 1b EnWG, ist, dass die Länge des Transportweges irrelevant ist, so auch für die Berechnung der hieraus entstehenden Kosten. So benötigt der Gaslieferant (Gashändler) für den Transport des Gases im Netz nur noch einen Einspeisevertrag (mit dem Netzbetreiber, in dessen Netz eine Einspeisung von Gas erfolgen soll) und einen Ausspeisevertrag (mit dem Netzbetreiber, aus dessen Netz die Entnahme von Gas erfolgen soll) über sämtliche eingespeisten und entnommenen Kapazitäten.99 Im Gegensatz dazu war der Gasversorger (Gashändler) bei dem zuvor geltenden Transportpfadmodell gezwungen, mit jedem beteiligten Netzbetreiber einen eigenen Durchleitungsvertrag zu schließen,100 demzufolge sich die Kosten erhöhten, die Transparenz abnahm und sich dies negativ auf den Wettbewerb auswirkte. Im Unterschied hierzu sind die Netzbetreiber entsprechend der gesetzlichen Regelung in § 20 Abs. 1b EnWG verpflichtet zu kooperieren, damit der Trans96 Vgl. Löschel et al., Energiewirtschaft, 2020, S. 250. Dieser Marktplatz wird von dem Hub-Betreiber überwacht, welcher hierfür Nutzungsentgelte erhält und gleichzeitig zur Sicherstellung eines diskriminierungsfreien Zugangs für alle Marktteilnehmer zum Hub verpflichtet ist (ebenda, S. 150/151). Einer der weltweit größten Hubs ist der USamerikanische Henry Hub in Louisiana, an dem insgesamt 14 Pipelines zusammentreffen“ (ebenda, S. 151). 97 Vgl. Löschel et al., Energiewirtschaft, 2020, S. 250. Die Marktpreise werden grundsätzlich an den verschiedenen Handels-Drehscheiben (Hubs oder virtuellen Punkte) ermittelt. Die bedeutendsten sind die National Balancing NBP (Großbritannien), TTF (Niederlande) sowie zunehmend auch NCG und Gaspool Deutschland (siehe Schiffer, Energiemarkt Deutschland, 2019, S. 383). 98 Vgl. Löschel et al., Energiewirtschaft, 2020, S. 250. 99 Vgl. ebenda, S. 251; Schiffer, Energiemarkt Deutschland, 2019, S. 139. 100 Vgl. De Wyl et al., in: Schneider/Theobald, Recht der Energiewirtschaft, 2021, § 17 Gesetzliche Anschlusspflicht und vertragliche Ausgestaltung der Netznutzung bei Strom und Gas, Rn. 250.

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port auch über mehrere, durch Netzkopplungspunkte miteinander verbundene, Netze ermöglicht werden kann. Dies umfasst auch die Verpflichtung, freie Leitungskapazitäten publik zu machen, Ein- und Ausspeisepunkte sowie deren Kapazitäten anzubieten und zusammenzuarbeiten, etwa bei der Berechnung der Kapazitäten oder sonstiger Versorgungsstandards. Diese verpflichtende Zusammenarbeit kann jedoch nur geltend gemacht werden, wenn diese technisch zu realisieren und auch wirtschaftlich tolerabel ist.101 So konnte sich das Entry Exit-System, anders als das deutschlandweit geltende distanzunabhängige Entgeltsystem im Stromsektor, bis jetzt noch nicht aufgrund technischer oder auch wirtschaftlich nicht zumutbarer Unzulänglichkeiten im gesamten deutschlandweiten Bereich etablieren. Der Gasmarkt wurde dagegen in einzelne Marktgebiete, den Bilanzierungszonen, aufgeteilt, in denen das Zweivertragsmodell anwendbar ist. Die Definition eines Marktgebietes ergibt sich aus § 20 Abs. 1 GasNZV. Hiernach bilden Fernleitungsnetzbetreiber Marktgebiete und für jedes derartige gebildete Marktgebiet ist ein Marktgebietsverantwortlicher zu bestellen.102 Innerhalb dieser Marktgebiete ist es grundsätzlich möglich, Gas aus einer beliebigen Bezugsquelle für einen beliebigen Abnehmer, auch für Letztverbraucher, bereitzustellen.103 Bezugsquellen sind die Grenz- und Marktgebietsübergangspunkte, die Speicher sowie die inländische Produktion. Jedes Marktgebiet besitzt einen sogenannten virtuellen Handelspunkt (VHP), der eine Nachbildung eines physischen Handelspunktes, mithin eine vertragliche Ausgestaltung, ist.104 Die Markteilnehmer handeln Eigentumsrechte an Gasmengen und können hierdurch Gas austauschen, ohne dass das Gas physisch durch verschiedene Pipelines weitergeleitet werden müsste.105 Ohne dass die exakten Gasflüsse bekannt sind, wird nur das Pipelinenetz beim Kauf bestimmt. So ist auch die Identität des eingespeisten mit dem ausgespeisten Gas nicht relevant.106 Entscheidend ist nur die gleiche Energiemenge sowie, dass die Gashändler zur wohlfahrtsoptimalen Allokation zuständig sind.107 Für den jeweiligen Netzbetreiber wiederum wird hierdurch die weiterzuleitende Menge des Gases von dem jeweiligen Einspeisepunkt zu Ausspeisepunkten kalkulierbar. Dieser verwaltet den physischen Gasfluss. Ziel und Aufgabe ist hierbei die bestmögliche Organisation des konkreten Leitungsnetzes.108 Welche Gasmengen tatsächlich notwen101

Vgl. Schiffer, Energiemarkt Deutschland, 2019, S. 153. Vgl. ebenda, S. 549. 103 Vgl. Monopolkommission, Energie 2017: Gezielt vorgehen, Stückwerk vermeiden, S. 16, Ziff. 11. 104 Vgl. Schiffer, Energiemarkt Deutschland, 2019, S. 135; Löschel et al., Energiewirtschaft, 2020, S. 251 und 254. 105 Vgl. Löschel et al., Energiewirtschaft, 2020, S. 251. 106 Vgl. ebenda, S. 251 und 254. 107 Vgl. Löschel et al., Energiewirtschaft, 2020, S. 252. 108 Vgl. ebenda. 102

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D. Versorgungssicherheit auf dem Energiemarkt

dig werden, bestimmt nicht der Gasnetzbetreiber, sondern der Bilanzkreisverantwortliche, der für die Aufstellung der benötigten Gasmenge zuständig und somit notwendiges Bindeglied zwischen Händlern und Netzbetreibern ist.109 Während zunächst in räumlicher Hinsicht noch mehrere kleinere Märkte vorhanden waren, wurden diese kontinuierlich reduziert sowie analog zur Gasqualität von den Fernleitungsnetzbetreibern festgelegt.110 Seit dem 01. Oktober 2011 war der Gasmarkt in zwei Marktgebiete aufgeteilt, für H-Gas und L-Gas.111 Damit sollte erreicht werden, dass allen Gasanbietern im Markt Wettbewerb ermöglicht wird, ohne dass es auf die jeweilige örtliche Lage der Kapazitäten ankommt.112 Entsprechend dieser beiden Gasqualitäten im deutschen Gasmarkt existierten die beiden Marktgebiete Net Connect Germany GmbH & Co KG (NCG) und Gaspool Balancing Services GmbH (GASPOOL). Jedes Marktgebiet war jeweils in fünf Regelzonen unterteilt deren Organisation jeweils einem Marktgebietsverantwortlichen oblag.113 Zunächst war die Zusammenlegung dieser beiden Marktgebiete zu einem gemeinsamen Marktgebiet bis zum 01. April 2022 vorgesehen, wurde dann aber bereits zum 01. Oktober 2021 mit dem gemeinsamen Marktgebiet Trading Hub Europe (THE) umgesetzt.114 Ab dem Jahr 2021 soll der Export von L-Gas-Kapazitäten aus den Niederlanden sukzessive bis zum Jahr 2029 verringert werden. So ist die Förderung von L-Gas in den Niederlanden eingeschränkt worden, nachdem vermutet wurde, dass hierdurch mehrfach Erdbeben entstanden sind.115 Einschließlich des in Deutschland produzierten Gases wurde mit diesem L-Gas der hiesige Bedarf an Gas zu etwa einem Drittel gedeckt.116 109

Vgl. ebenda, S. 253. Pro Marktgebiet gibt es einen Marktgebietsverantwortlichen, „der den Betrieb der virtuellen Handelspunkte, die Bilanzkreisabwicklung sowie die Beschaffung von Regelenergie zur Aufgabe hat“ (§ 20 Abs. 1 GasNZV), Theobald/Theobald, Grundzüge des Energiewirtschaftsrechts, 2013, S. 242. 111 Die Anzahl der Marktgebiete im deutschen Gasmarkt hat sich damit von 26 HGas und 15 L-Gas Marktgebieten im Jahr 2006 auf zunächst zwei Marktgebiete reduziert, Schiffer, Energiemarkt Deutschland, 2019, S. 139. 112 Vgl. Monopolkommission, Energie 2017: Gezielt vorgehen, Stückwerk vermeiden, S. 16, Ziff. 11. 113 Vgl. Löschel et al., Energiewirtschaft, 2020, S. 253; Schiffer, Energiemarkt Deutschland, 2019, S. 136 mit einer Auflistung der einzelnen Handelsteilnehmern. Dieser Marktgebietsverantwortliche ist in § 2 Nr. 11 GasNZV definiert als „die von den Fernleitungsnetzbetreibern bestimmte natürliche oder juristische Person, die in einem Marktgebiet Leistungen erbringt, die zur Verwirklichung einer effizienten Abwicklung des Gasnetzzugangs in einem Marktgebiet durch eine Person notwendig sind“. Der Marktgebietsverantwortliche war eine Kooperation der verschiedenen Fernleitungsnetzbetreiber: Net Connect Germany GmbH & Co KG (NCG) mit sechs Fernleitungsnetzbetreiber und Gaspool Balancing Services GmbH (GASPOOL). 114 Vgl. BNetzA/BKartA, Monitoringbericht, 2021, S. 403. 115 Vgl. Schiffer, Energiemarkt Deutschland, 2019, S. 141. 116 Vgl. BMWi, Versorgungssicherheit bei Erdgas Monitoring-Bericht nach § 51 EnWG 2019, S. 10. 110

I. Wettbewerb durch Liberalisierung auf dem Energiemarkt

129

Unter Berücksichtigung des Rückgangs in der L-Gas-Produktion aus deutschen Lagerstätten sollte eine Marktraumumstellung von L-Gas auf H-Gas erfolgen.117 Sämtliche bisher noch separat geführten Netze können danach ausnahmslos in einer einzigen Entry Exit-Zone bilanziert werden. Hintergrund für dieses Vorgehen ist, dass hierdurch der Wettbewerb und somit auch die Liquidität der Gasmärkte und auch die Versorgungssicherheit gesteigert werden sollen.118 Denn marktgebietsübergreifende Gastransporte werden durch transportpfadbedingte Probleme (mehrere Entry Exit-Entgelte)119 erschwert. Auch kann hierbei das Problem auftreten, dass die Übergangskapazitäten zu Engpässen und zu einer unterschiedlichen Preisgestaltung führen.120 Demgegenüber bedarf es bei einem einzigen Marktgebiet auch nur eines Bilanzkreisvertrages, den der Bilanzkreisverantwortliche mit einem Marktgebietsverantwortlichen schließen muss. b) Unvollkommenheiten im derzeitigen Marktdesign Durch das Zweivertragsmodell soll die Kapazitätsbuchung für den Transportkunden vereinfacht werden. Nun kann es hierbei zu physischen und vertraglichen Engpässen kommen, wobei technische, also physische Engpässe, etwa durch ein eingeschränktes Fassungsvermögen in einer Pipeline, selten eintreten.121 Hingegen können vertragliche Engpässe, die entstehen, wenn die gebuchten Kapazitäten nicht den tatsächlich nominierten Mengen entsprechen, vor allem aus ökonomischer Sicht problematisch sein. Wenn ein Marktteilnehmer die größtmögliche Menge an Kapazitäten für ein Jahr auch dann bucht, obwohl er im Endergebnis im Jahr nicht die gesamte Menge benötigt,122 bedeutet dies, dass derjenige, der zuerst Kapazitäten im größeren Umfang reserviert, diese Reservierung, auch ohne einen Aufpreis zahlen zu müssen, erhält.123 Gleichzeitig hat dies zur Folge, dass die gebuchten Kapazitäten für andere Marktteilnehmer nicht mehr verfügbar sind. Insofern wird nicht garantiert, dass ein Marktteilnehmer die tatsächlich be-

117

Vgl. Schiffer, Energiemarkt Deutschland, 2019, S. 141. BMWi, Referentenentwurf zur ersten Verordnung zur Änderung der Gasnetzzugangsverordnung vom 24. Mai 2017, S. 18. Die Bundesnetzagentur erwartet durch die Zusammenlegung mehr Transparenz und positive Auswirkungen auf dem Gasmarkt (siehe Bundesnetzagentur, Marktdialog zur Weiterentwicklung der deutschen Marktgebiete – Schlussfolgerungen, Stand 27. April 2017). Kritisch hiergegen Monopolkommission, Energie 2017: Gezielt vorgehen, Stückwerk vermeiden, S. 30, Ziff. 41. 119 Vgl. Schiffer, Energiemarkt Deutschland, 2019, S. 388. 120 Vgl. BNetzA, Marktdialog zur Weiterentwicklung der deutschen Marktgebiete – Schlussfolgerungen, 2017, S. 3; Monopolkommission, Energie 2017: Gezielt vorgehen, Stückwerk vermeiden, S. 30, Ziff. 41. 121 Vgl. Löschel et al., Energiewirtschaft, 2020, S. 254. 122 Vgl. ebenda. 123 Auch first-come-first-served-Verfahren genannt, siehe Löschel et al., Energiewirtschaft, 2020, S. 254. 118

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D. Versorgungssicherheit auf dem Energiemarkt

nötigte Kapazität, die für ihn folglich einen höheren Wert hat, auch erhält.124 Um diesem Problem entgegenzuwirken, wurden erstmals im Jahr 2011 Auktionsverfahren eingeführt.125 Seitdem werden auf der Primärkapazitätsplattform von Netzbetreibern die Kapazitäten, unterteilt in Tages-, Monats- und Jahreskapazitäten, auktioniert. Hiervon ist jedoch bereits eine erhebliche Kapazitätsmenge durch langfristige Verträge vergeben.126 Auch sind Take or Pay-Klauseln in klassischen Langfristverträgen problematisch, insofern sie den Käufer zur Abnahme eines feststehenden Kontingents verpflichten, unabhängig davon, ob er diese Menge auch tatsächlich benötigt.127 Im Gasmarkt ist mittlerweile durch die erwähnte Struktur der Fernleitungsnetze, die darauf ausgerichtet ist, den Wettbewerb auf dem Markt zu öffnen, eine Monopolstellung, die einen echten Wettbewerb entgegenstehen würde, zu verneinen. Allerdings ist zu konstatieren, dass ein Marktzugang zu den Fernleitungsnetzen nur sehr schwer oder auch nur von besonders leistungsstarken Unternehmen erfolgen kann.128 Dies beruht darauf, dass hohe Investitionen erforderlich sind, die sich gegebenenfalls bei einem Austritt aus dem Markt nicht amortisieren. Voraussetzung ist auch ein befähigtes, gut ausgebildetes in der Regel fest gebundenes Personal sowie eine dementsprechend ausgerichtete Organisation. Problematisch im Gasmarkt ist auch, dass durch die Konzentration auf nur wenige Förderländer, wie Russland, den Nahen Osten und Nordafrika, der Transport von Gas über sehr weite Strecken erfolgen muss, mithin hierdurch bereits erhebliche Investitionskosten in die Gasinfrastruktur entstehen.129 Durch diese nur schwach vorhandene „Angreifbarkeit des Marktes“ ist begründet, dass der Staat (hier durch die Bundesnetzagentur) intervenieren muss.130 Ungeachtet der dargestellten Vorteile der Spot- und Terminmärkte basiert der Bezug von Erdgas aus dem Ausland hauptsächlich auf Verträgen, die mit einer langen Laufzeit (meist auf zwanzig Jahre) zwischen den Lieferanten und den Gasversorgungsunternehmen, die sich auf dem nationalen Markt betätigen, abgeschlossen werden.131 124

Vgl. Löschel et al., Energiewirtschaft, 2020, S. 255. Vgl. ebenda. Hierzu hat die Bundesnetzagentur im Jahr 2011 Regelungen bzgl. der Kapazitätsbuchungen und dem Auktionsverfahren im Gassektor erlassen, siehe Beschluss zur Anpassung von Kapazitätsregelungen im Gassektor (KARLA Gas 1.1.) vom 14. August 2015, Az.: BK7-15-001. 126 Vgl. Löschel et al., Energiewirtschaft, 2020, S. 255. 127 Vgl. Monopolkommission, Strom und Gas 2011: Wettbewerbsentwicklung mit Licht und Schatten, S. 257, Ziff. 598; BMWi, Bericht zum Stand und zur Entwicklung der Versorgungssicherheit im Bereich der Versorgung mit Erdgas, 2020, S. 14. 128 Vgl. Löschel et al., Energiewirtschaft, 2020, S. 232 und 233. 129 Vgl. Schiffer, Energiemarkt Deutschland, 2019, S. 379. 130 Vgl. Löschel et al., Energiewirtschaft, 2020, S. 233. 131 Vgl. Schiffer, Energiemarkt Deutschland, 2019, S. 384. 125

I. Wettbewerb durch Liberalisierung auf dem Energiemarkt

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c) Gashandel Vor der Liberalisierung wurde überwiegend die Gaspreisbildung auf dem Wärmemarkt geprägt durch die Koppelung des Erdgases an das Erdöl. Allein dadurch, dass im Energiebereich Energieträger durch andere Energieträger – mit etwa teils vorteilhafteren Eigenschaften – ersetzt werden können, wie es sich etwa mit Erdöl und Erdgas verhält, hat diese Substitution Einfluss auf die Preisgestaltung unter den verschiedenen Energieträgern.132 So orientierte sich das Erdgasunternehmen preislich an den Mitbewerbern aus der Erdölwirtschaft.133 Das Prinzip des anlegbaren Preises ermöglichte somit die Preisgestaltung des Erdgaslieferanten in Anlehnung an den Erdölpreis unter Berücksichtigung der jeweiligen Eigenschaften (so etwa Vorteil des Gases durch Wegfall der Lagerung im Öltank oder im Gegenzug bei der Kalkulation der Kosten des Vertriebsnetzes).134 Begünstigt wurde diese Form der Preisbildung durch fehlende Markttransparenz und damit dominierender Marktkonzentration.135 Auch war der Vertrieb auf dem Gasmarkt bestimmt durch das Erfordernis langfristiger Investitionen, inklusive langfristiger Verträge und Kooperationen.136 Die Gaspreise waren daher weniger volatil als dies bei einer Preisbildung an der Börse möglich ist, somit konnte der Preis bei Änderung der Marktverhältnisse nicht flexibel reagieren, was wiederum die Wettbewerbsfähigkeit von Erdgas beeinträchtigte.137 Durch die Liberalisierung hat der Ölpreis als feste Orientierung schrittweise für den Gaspreis für den Endverbraucher an Bedeutung verloren.138 So bestehen mit der Entwicklung des Handels an den virtuellen Handelspunkten nunmehr zwei Preise für Gas. Dies sind zum einen der Marktpreis und zum anderen der Preis aus den ölpreisgebundenen langfristigen Gaslieferverträgen.139 Auch werden die Preise der Endkundenverträge transparenter ausgestaltet.140 Schließlich orientieren sich diese heute zumeist an standardisierten Handelsprodukten, wobei die Gasangebote auch die Risiken mit einkalkulieren. Dessen ungeachtet erfolgt

132

Vgl. ebenda, S. 382 und 383. Vgl. Schiffer, Energiemarkt Deutschland, 2019, S. 383. „Im Kraftwerksbereich steht Erdgas mit anderen Energieträgern wie Kohle im Wettbewerb“ (ebenda). Durch den Ausstieg aus der Kohleenergie steigt dementsprechend die Nachfrage nach Erdgas. 134 Vgl. ebenda, S. 383, 384 und 385 mit Formel der Gaspreisbildung. 135 Vgl. ebenda, S. 393. 136 Vgl. Diem, Entwicklung der deutschen Energiemärkte, in: Zenke/Schäfer, 2017, § 13, Rn. 58. 137 Vgl. Schiffer, Energiemarkt Deutschland, 2019, S. 394. 138 Vgl. ebenda, S. 383. 139 Vgl. Löschel et al., Energiewirtschaft, 2020, S. 234. 140 Vgl. Diem, Entwicklung der deutschen Energiemärkte, in: Zenke/Schäfer, 2017, § 13, Rn. 60. 133

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D. Versorgungssicherheit auf dem Energiemarkt

der Handel zum größten Teil immer noch über langfristige Lieferverträge mit ausländischen Vertragspartnern, so dass hier ein globaler Handel oder auch europaweiter Handel bereits verstärkt besteht. Die Auswirkung der Liberalisierung auf den Gasmarkt ergab zwar zunächst insgesamt geringere Preise auf den nachgelagerten Märkten.141 Aber die staatlichen Beeinträchtigungen (wie etwa Konzessionsabgaben, Gassteuer) führten auch zu einem wesentlichen Anstieg des Preises, wodurch die positive Wirkung der Liberalisierung auf dem Binnenmarkt wieder beseitigt worden ist.142 In Deutschland vollzieht sich der Erdgashandel seit dem 01. Januar 2020 ebenfalls über die EEX.143 Ähnlich dem Strommarkt existiert der Spotmarkt für kurzfristige Handelsgeschäfte. Im Unterschied zum Stromhandel werden hier neben dem Handel für den aktuellen Liefertag aber auch Verträge für das folgende Wochenende (Weekend-Kontrakt) im Voraus getätigt. Zudem ist der Handel stets durchgehend (24/7-Handel) möglich.144 Des Weiteren ist der Terminmarkt für längerfristige Handelsgeschäfte (etwa für Monate, quartalsweise oder auch Jahre) von Bedeutung. Dieser soll hauptsächlich Preisrisiken absichern und darüber hinaus die langfristige Gasbeschaffung ermöglichen.145 Verursacht durch die langfristigen Lieferverträge ist das Problem der unelastischen Nachfrage auf dem Gasmarkt stärker als auf dem Strommarkt ausgeprägt,146 insofern hier vermehrt Verträge mit Festpreisen über einen längeren Zeitraum abgeschlossen werden. Signalfunktionen des Preises aus dem Großhandel haben somit keine unmittelbar entscheidende Wirkung für den Endkunden. Tatsächlich wird daher nur die Versorgung mit Kapazitäten zu einem bestimmten Zeitpunkt, zu dem dann aber auch die notwendige Kapazität bereitstehen muss, vergütet.147

141

Vgl. Schiffer, Energiemarkt Deutschland, 2019, S. 394. Vgl. ebenda. 143 Powernext ist ein Tochterunternehmen der EEX, hatte eine eigene Gashandelsplattform seit 2013 über die PEGAS (Pan-European Gas Cooperation) betrieben, der den deutschen, französischen und niederländischen Handel vereinfachen sollte. Dieser Handel wurde nun zum 01. Januar 2020 in die EEX integriert, vgl. die Homepage der EEX. 144 Vgl. Schiffer, Energiemarkt Deutschland, 2019, S. 137. 145 Orientierungsgröße für bestimmte Kundengruppen ist weiterhin die Preisentwicklung der Substitutionsenergie Heizöl, vgl. Schiffer, Energiemarkt Deutschland, 2019, S. 382 und 383. 146 Das Problem der unelastischen Nachfrage wurde in diesem Kapitel unter I. 4. b) behandelt. 147 Zur grundsätzlichen Signalfunktion des Preises vgl. Piekenbrock, Signalfunktion des Preises, in: Gabler Wirtschaftslexikon, 2018. Zur Parallele zum Energy Only-Markt in diesem Kapitel unter I. 4. a). 142

II. Regulierung und Transformation des Energiemarkts

133

II. Regulierung und Transformation des Energiemarkts: Die Energiewende Wenngleich § 1a Abs. 1 EnWG explizit die freie Preisbildung betont, wird diese mittelbar insbesondere wegen regulatorischer Vorgaben teilweise beschränkt. So sollte nach § 1 Abs. 1 EnWG mit der Netzöffnung ein effektiver und unverfälschter Wettbewerb bei der Versorgung mit Elektrizität und Gas und ebenso auf lange Sicht ein leistungsstarker und zuverlässiger Betrieb von Energieversorgungsnetzen sichergestellt werden. Dies sollte gemäß § 1 Abs. 2 EnWG auch durch staatliches Eingreifen verwirklicht werden, mithin ist die Regulierung potenziell realisierbar und in § 1 Abs. 2 EnWG nach Umsetzung und Durchführung des Europäischen Gemeinschaftsrechts ab dem Jahr 2005 als Ziel benannt worden. Insgesamt ergeben sich hierdurch die Befugnisse des Staates, regulierend in den Energiemarkt, beschränkt auf die Netzbetriebe,148 einzugreifen, wobei eine Abwägung der unterschiedlichen Interessen zu beachten ist.149 Aufgrund der Besonderheiten der deutschen Energiewende, so der Ausstieg aus der Atomenergie, der Einführung von erneuerbaren Energien und dem Emissionshandel waren mittelbare regulatorische Vorgaben unausweichlich. Diese sollen im Folgenden kurz bewertet werden, insofern sie Auswirkungen auf die Versorgungssicherheit haben. 1. Umstellung des Erzeugungsmarkts auf erneuerbare Energien – Transformation der Erzeugungsebene Zentrales Anliegen der Förderung der erneuerbaren Energien sowie der Verzicht auf Primärenergieträger (etwa Kohle) ist die Optimierung der Umweltverträglichkeit.150 a) Erzeugung aus erneuerbaren Energien Die wesentliche Bedeutung der Energiewende und der regulatorische Rahmen der Förderung von erneuerbaren Energien, ergeben sich aus § 1 Abs. 1 des Erneuerbaren-Energien-Gesetz (EEG) 2021. Das Ziel des Gesetzes ist, „insbesondere im Interesse des Klima- und Umweltschutzes eine nachhaltige Entwicklung der Energieversorgung zu ermöglichen, die volkswirtschaftlichen Kosten der Energieversorgung auch durch die Einbeziehung langfristiger externer Effekte zu 148

Vgl. Kment, in: Kment, Energiewirtschaftsgesetz, 2019, § 1, Rn. 11. Vgl. Thomas, Regulierung in sozialpolitischer Perspektive, in: Regulierung und Gemeinwohl, 2016, S. 70–101 (72). Als Beispiel hierfür werden die Vorschriften der §§ 39 Abs. 1, 37 Abs. 3 Satz 2 (Grundversorgungspflicht), 18 (allgemeine Anschlusspflicht) sowie 46 EnWG (Abschluss Wegenutzeverträge) genannt, die jeweils auf § 1 Abs. 1 EnWG verweisen (siehe ebenda). 150 Vgl. Bettzüge, Zwischen Europa und Re-Regulierung – welcher Ordnungsrahmen für die Energiewende?, in: Löwer, Veranlassung und Verantwortung bei der Energiewende, 2013, S. 23–43 (23). 149

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D. Versorgungssicherheit auf dem Energiemarkt

verringern, fossile Energieressourcen zu schonen und die Weiterentwicklung von Technologien zur Erzeugung von Strom aus erneuerbaren Energien zu fördern“. 151 Um das Fördersystem des EEG152 bestmöglich zu gewährleisten, unterliegt die Handlungsweise festen Prinzipien.153 So werden nach dem Prinzip des Anschlussvorrangs Anlagen zur Erzeugung von Strom aus ausgewählten erneuerbaren Energien und aus Grubengas an die Stromversorgungsnetze vorrangig angeschlossen. Ferner sind die Netzbetreiber verpflichtet, diesen Strom aus erneuerbaren Energien vorrangig abzunehmen (§ 2 der Ausgleichsmechanismusverordnung),154 diesen zu übertragen und zu verteilen und schließlich nach dem Prinzip des Einspeisevorrangs an der Börse zu veräußern.155 Aus dieser Handlungsabfolge ergibt sich für die Anlagenbetreiber der erneuerbaren Energien die gesetzliche Einspeisevergütung, eine vom Marktpreis unabhängige garantierte Vergütung vom Netzbetreiber.156 Diese Vergütung wiederum wird über die EEGUmlage bestritten, die alle Stromverbraucher ihrem Anteil am Strombezug entsprechend zahlen.157 Auch ist der Umstand besonders hervorzuheben, dass diese Förderung rechtlich nicht als Beihilfe zu bewerten ist. So hat der EuGH in seinem Urteil vom 13. März 2001 eine Beihilfe mit dem Argument verneint, dass die Fördergelder nicht aus dem Staatshaushalt oder anderen staatlichen Mitteln finanziert werden.158 151 Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) vom 21. Juli 2014, BGBl. I, S. 1066, das zuletzt durch Art. 11 des Gesetzes vom 16. Juli 2021, BGBl. I, S. 3026, geändert worden ist. 152 Der Vorläufer des EEG war das Stromeinspeisegesetz 1991, hiernach folgte die erste Fassung des EEG: Gesetz für den Vorrang erneuerbarer Energien (EEG) im Jahr 2000. 153 Vgl. Hufendiek, in: Schwintowski et al., Handbuch Energiehandel, 2018, S. 58, Rn. 130. 154 Verordnung zur Weiterentwicklung des bundesweiten Ausgleichsmechanismus, Ausgleichsmechanismusverordnung (AusglMechV) vom 19. Juli 2009, BGBl. I, S. 2101. 155 Dieser gesetzlich geregelte Einspeisevorrang gegenüber Strom aus konventionellen Energieträgern ist seit dem EEG 2014 in § 11 EEG und in § 13 Abs. 3 Satz 1 EnWG gesetzlich verankert. 156 Vgl. Hufendiek, in: Schwintowski et al., Handbuch Energiehandel, 2018, S. 65, Rn. 147. 157 Diese „Überwälzung auf die Stromletztverbraucher“ als der Schluss des Ausgleichsmechanismus ist gesetzlich nicht geregelt. Die Kosten der Förderung der Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien sind von den Letztverbrauchern aufgrund vertraglicher Vereinbarungen zu tragen, siehe Lietz, in: Theobald/Kühling, Energierecht, 2022, EEG 2021, § 60, Rn. 22. 158 Vgl. zur Bewertung des Stromeinspeisegesetzes 1991: EuGH, Urteil vom 13. März 2001, Rs. C-379/98 (PreussenElektra), Slg. 2001, I-2099, Rn. 66. Auch das spätere EEG 2000 wurde nicht als Beihilfe bewertet, vgl. EU-Kommission, Beschluss vom 22. Mai 2002, C (2002) 1887 final, „Staatliche Beihilfe NN 27/2000 – Deutschland“. Bei der Überprüfung der Förderregelungen stehen das Primärrecht, insbesondere das Beihilfenrecht (Art. 107 ff. AEUV) und die Grundfreiheiten (Art. 34 ff. AEUV) im Vor-

II. Regulierung und Transformation des Energiemarkts

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Angesichts der Bedeutung eines marktbasierten Mechanismus wurde die sogenannte Direktvermarktung mit dem EEG 2009159 gesetzlich festgelegt, die die Betreiber von Erneuerbare-Energien-Anlagen berechtigte, ihren Strom an Dritte weiterzuverkaufen, so etwa an der Strombörse (Day ahead-Markt) zu veräußern und nicht zu den gesetzlich festgelegten Fördertarifen. Dieses Procedere mussten sie den Anschlussnetzbetreibern jeweils kalendermonatlich im Voraus ankündigen. So sollte eine vereinzelte spontane Inanspruchnahme, etwa bei günstiger Börsenprognose, vermieden werden.160 Mit dem EEG 2012161 sollte die Einbettung der erneuerbaren Energien in den Strommarkt und ihre Absatzförderung forciert werden. So wurde neben der Pflicht zur Direktvermarktung für nach dem 01. Januar 2014 in Betrieb genommene Anlagen auch das Marktprämienmodell festgelegt.162 Hiermit sollte eine höhere Akzeptanz der Direktvermarktung erreicht werden.163 Nach diesem Modell erhalten die Betreiber von Erneuerbaren-Energien-Anlagen zur Absicherung ihrer Vermarktungskosten nicht nur die garantierte Vergütung. Auch erhalten sie zudem eine Marktprämie als Förderkomponente und auch eine Managementprämie als pauschale Kostenerstattung, wenn etwa die Ausgleichsenergie fehlerhaft prognostiziert worden ist und hierdurch Kosten entstehen.164 Daraus folgt, dass für die Anlagenbetreiber, wenn sie den Strom an der Börse veräußern, sich die Verkaufserlöse erhöhen, aber die eigenen Managementkosten gering bleiben, mithin die Erzeuger motiviert werden, den Strom bei hohen Großhandelspreisen etwa zu Spitzenlastzeiten zu verkaufen.165 Die Marktprämie in dieser Ausgestaltung wird kritisch gesehen, insofern ein weiterer regulatorischer Eingriff das EEG-System fortlaufend komplexer werden dergrund. Die weiteren Ausführungen zur beihilferechtlichen Bewertung erfolgen in Kapitel G. I. 1. c). 159 Vgl. § 17 des Gesetzes zur Neuregelung des Rechts der erneuerbaren Energien im Strombereich und zur Änderung damit zusammenhängender Vorschriften (EEG 2009) vom 25. Oktober 2008, BGBl. I, S. 2074. Bereits im EEG 2004 wurde die Direktvermarktung genutzt, vgl. hierzu Ohms, in: Ohms, Recht der erneuerbaren Energien, 2014, Abschnitt D, Rn. 884. 160 Vgl. Ohms, in: Ohms, Recht der erneuerbaren Energien, 2014, Abschnitt D, Rn. 887. 161 Gesetz zur Neuregelung des Rechtsrahmens für die Förderung der Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien, Erneuerbare-Energien-Gesetz 2012 vom 28. Juli 2011, BGBl. I, S. 1634. 162 Aktuell ist dies in § 19 Abs. 1 Nr. 1 EEG 2017 geregelt. 163 Vgl. Ohms, in: Ohms, Recht der erneuerbaren Energien, 2014, Abschnitt D, Rn. 888. 164 Vgl. Fraktionen der CDU/CSU und FDP, Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung des Rechtsrahmens für die Förderung der Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien, BT-Drs. 17/6071 vom 06. Juni 2011, S. 45. 165 Vgl. Hermeier, in: Säcker, Berliner Kommentar zum Energierecht, 2018, EEG, § 20, Rn. 6.

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D. Versorgungssicherheit auf dem Energiemarkt

lässt, aber nicht effektiv genug zur Marktintegration beiträgt. So ist der gesamtwirtschaftliche Effekt zweifelhaft, zudem dieser mit hohen Zusatzkosten behaftet ist. So wird die Auswirkung niedriger Großhandelspreise, die durch die Einspeisevergütung und den Einspeisevorrang entstanden sind, hierdurch nicht aufgehoben.166 Mit diesen Neuerungen war aber auch explizit die Erwartung verbunden, dass sich die erneuerbaren Energien im Strommarkt leichter integrieren lassen.167 Durch das EEG 2014168 wurde das Modell der Direktvermarktung auf die Weise geändert, dass das frühere Regel-Ausnahme-Verhältnis zwischen Einspeisevergütung und geförderter Direktvermarktung umgekehrt und für Neuanlagen verpflichtend eingeführt wurde.169 Infolgedessen ist ein genereller Anspruch auf die Abnahme des EEG-Stroms gegen Zahlung der Einspeisevergütung für Neuanlagen entfallen.170 Politischer Handlungsbedarf für die Reform im Jahr 2014 wurde auch aufgrund des Beihilfeverfahrens der EU-Kommission zum EEG 2012171 und der Leitlinien der EU-Kommission über staatliche Umweltschutz- und Energiebeihilfen 2014–2020172 gesehen. Unter Verwendung dieser Leitlinien, als eine interne Verwaltungsvorschrift der EU-Kommission, werden die beihilferechtlichen Vorgaben für die Förderung regenerativer Erzeugungstechnologien durch die Mitgliedstaaten bestimmt. Mit Blick auf diese geforderte wettbewerbliche Ausrichtung der Förderung fand mit dem am 08. Juli 2016 beschlossenen EEG 2017173 ein Paradigmen166 So werde die „Effizienz der Förderung der erneuerbaren Energien durch das Marktprämienmodell nicht grundlegend verbessert“, Gawel/Purkus, Markt- und Systemintegration erneuerbare Energien: Probleme der Marktprämie nach EEG 2012, ZUR 2012, S. 587–596 (594). 167 Vgl. Fraktionen der CDU/CSU und FDP, Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung des Rechtsrahmens für die Förderung der Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien, BT-Drs. 17/6071 vom 06. Juni 2011, S. 45; Heymann, Der Strommarkt 2.0, 2019, S. 61. 168 Gesetz zur grundlegenden Reform des Erneuerbaren-Energien-Gesetzes und zur Änderung weiterer Bestimmungen des Energiewirtschaftsgesetzes vom 21. Juli 2014, BGBl. I, S. 1066. 169 Vgl. §§ 2 Abs. 2, 19 Abs. 1 EEG 2014. 170 Dies gilt für sämtliche Anlagen, die ab dem 01. August 2014 in Betrieb genommen wurden mit einer Leistung von mehr als 500 kW und für Anlagen mit einer Leistung von mehr als 100 kW ab dem 01. Januar 2016. Hiervon ausgenommen sind lediglich die Bestandsanlagen, vgl. § 100 Abs. 1 Nr. 6 i.V. m. § 37 Abs. 2 EEG 2014. 171 EuGH, Urteil vom 13. März 2001, Rs. C-379/98 (PreussenElektra), Slg. 2001, I2099. 172 EU-Kommission, Mitteilung vom 28. Juni 2014, Leitlinien für staatliche Umweltschutz- und Energiebeihilfen 2014–2020, ABl. EU Nr. C 200, S. 1 vom 28. Juni 2014. 173 Gesetz zur Einführung von Ausschreibungen für Strom aus erneuerbaren Energien und zu weiteren Änderungen des Rechts der erneuerbaren Energien vom 13. Oktober 2016, BGBl. I, S. 2258.

II. Regulierung und Transformation des Energiemarkts

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wechsel statt. Als Folge dessen wurden die Rahmenbedingungen der Förderung umgestellt von einer bisher staatlich festgelegten Höhe der Vergütung der Erzeugung von Strom aus erneuerbaren Energien zu einer nunmehr maßgeblichen Ermittlung des Preises mithilfe eines wettbewerblichen Ausschreibungsverfahrens.174 Die Teilnahme der erneuerbaren Energien am Wettbewerb war mithin ein zentrales Anliegen, stellt aber große Herausforderungen an eine leistungsfähige Netzinfrastruktur. Dieser Förderungsgrundsatz selbst soll indessen beibehalten werden. Zudem werden von dem Gesetz bereits einige Anlagentypen von der Ausschreibungspflicht befreit.175 Weil der Preismechanismus im Hinblick auf eine noch nicht genügende Wettbewerbsfähigkeit der erneuerbaren Energien nicht die erforderliche Wirkung zeigt, ist die weitere staatliche Förderung der erneuerbaren Energien unverzichtbar.176 In der Gesamtheit wird die Energiepolitik der Mitgliedstaaten, insbesondere wegen des Ziels, einen höheren Anteil der erneuerbaren Energien am Energiemix zu sichern, von den Entscheidungen der Europäischen Union zum Klimaschutz beeinflusst.177 So schrieb die Europäische Union erstmals mit Art. 16 Abs. 2b) der Erneuerbaren-Energien-Richtlinie178 den vorrangigen Anschluss von Anlagen der erneuerbaren Energien vor. Hierdurch sollte die Erweiterung und Fortentwicklung der Stromnetze in Kooperation mit dem Ausbau der erneuerbaren Energien erfolgen, um deren Teilhabe an dem allgemeinen Elektrizitätsversorgungssystem zu begünstigen. Auch sollte mittelbar durch Abnahme- und Vergütungsgarantie die Motivation intensiviert werden. Folglich wird auch auf EU-Ebene auf eine wettbewerbliche Vermarktung erneuerbarer Energien abge-

174 Vgl. Boemke, Die Regelungen des EEG 2017 im Überblick, NVwZ 2017, S. 1–7 (6). Der Ursprung für das Ausschreibungsverfahren liegt unmittelbar in den Umweltschutz- und Energiebeihilfen 2014–2020 der EU-Kommission. 175 Windenergieanlagen an Land und Solaranlagen mit einer installierten Leistung bis 750 kW sind ausgenommen und erhalten wie bisher die gesetzliche Einspeisevergütung, vgl. § 22 Abs. 2 Satz 2 und Abs. 3 Satz 2 EEG 2017. 176 So auch Pompl, Kapazitätssicherung im europäisierten Stromwirtschaftsrecht, 2019, S. 24. 177 Insbesondere ist ein verstärkter Einfluss der Europäischen Kommission über das Beihilferecht erkennbar, vgl. Boemke, Die Regelungen des EEG 2017 im Überblick, NVwZ 2017, S. 1–7 (1); vgl. u. a. auch EU-Kommission, Mitteilung vom 10. Januar 2007, Eine Energiepolitik für Europa, KOM (2007) 1 endg.; EU-Kommission, Mitteilung vom 08. März 2011, Fahrplan für den Übergang zu einer wettbewerbsfähigen CO2armen Wirtschaft bis 2050, KOM (2011) 112 endg., sowie EU-Kommission, Mitteilung vom 22. Januar 2014, Ein Rahmen für die Klima- und Energiepolitik im Zeitraum 2020–2030, KOM (2014), 15 endg. 178 Richtlinie 2009/28/EG des Europäischen Parlaments und des Rates zur Förderung der Nutzung von Energie aus erneuerbaren Quellen und zur Änderung und anschließenden Aufhebung der Richtlinien 2001/77/EG und 2003/30/EG vom 23. April 2009, ABl. EU Nr. L 140, S. 16 vom 05. Juni 2009.

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stellt.179 Dennoch wird bis jetzt die staatliche Förderung als maßgeblich angesehen. Das Ziel der Erhöhung des Anteils erneuerbarer Energien am Gesamtenergiemix in der Europäischen Union auf 32 % bis zum Jahr 2030, demonstriert die fortwährende herausragende Bedeutung der erneuerbaren Energien.180 Indessen haben die Mitgliedstaaten die genannten EU-Vorgaben in divergierender Weise in nationales Recht transformiert.181 Zum 01. Januar 2021 trat das EEG 2021182 in Kraft, mit dem die Ziele zum Ausbau, insbesondere betreffend die Anlagen der Windenergie und der Photovoltaik, signifikant angehoben wurden, unterdessen einige Aspekte des Gesetzes noch vorbehaltlich der Genehmigung durch die EU-Kommission stehen.183 b) Verzicht auf Kohleenergie aa) Kohleenergie in Deutschland In dem Abschlussbericht vom 26. Januar 2019184 hat die von der Bundesregierung eingesetzte Kommission „Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung“, für einen Kohleausstieg plädiert, insofern nur hierdurch die vereinbarten Ziele des Pariser Klimaschutzabkommens eingehalten werden könnten.185 Unter Beachtung dieser Empfehlungen ist das „Kohleausstiegsgesetz“ am 14. August 2020 in Kraft getreten.186 Relevant ist neben weiteren Bestandteilen vorwiegend das 179 Siehe bereits EU-Kommission, Mitteilung vom 06. Juni 2012, Erneuerbare Energien: Ein wichtiger Faktor auf dem europäischen Energiemarkt, KOM (2012) 271 endg., insbesondere S. 4. 180 Vgl. hierzu im Rahmen des Clean Energy Package for all Europeans vom 22. Mai 2019 die Erneuerbaren-Energien-Richtlinie (EU) 2018/2001, ABl. EU Nr. L 328, S. 82 vom 21. Dezember 2018, berichtigt durch ABl. EU Nr. L 311, S. 11 vom 25. September 2020. 181 Ein verbindliches Ziel zum Ausbau der erneuerbaren Energien haben etwa Österreich, Irland, Belgien, Portugal, Frankreich und Dänemark festgelegt. Estland, Finnland, Italien, Litauen und Slowenien halten ein solches Ziel nur für möglich, vgl. Geden/Fischer, Moving Targets: die Verhandlungen über die Energie- und Klimapolitik-Ziele der EU nach 2020, 2014, S. 17. 182 Gesetz zur Änderung des Erneuerbare-Energien-Gesetzes und weiterer energierechtlicher Vorschriften vom 21. Dezember 2020, BGBl. I, S. 3138. 183 Vgl. Kather, Bundestag/Bundesrat: EEG 2021 mit einigen Anpassungen beschlossen, IR 2021, S. 12–14 (12). 184 Kommission, Abschlussbericht, 2019. 185 Vgl. Kommission, Abschlussbericht, 2019, S. 30 mit Verweis auf verschiedene Studien. Ohne zusätzliche Maßnahmen wird davon ausgegangen, dass die Energiewirtschaft ihr Sektorziel bis 2030 (175 bis 183 Mio. t CO2) mit hoher Wahrscheinlichkeit verfehlt, ebenda, S. 72; vgl. auch Däuper, Die Empfehlungen der Kohlekommission, EnWZ 2019, S. 153–159 (153) mit weiterem Verweis. 186 Gesetz zur Reduzierung und zur Beendigung der Kohleverstromung und zur Änderung weiterer Gesetze (Kohleausstiegsgesetz) vom 08. August 2020, BGBl. I, S. 1818.

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neue „Kohleverstromungsbeendigungsgesetz“. Vorgesehen ist hierbei die Verstromung von Stein- und Braunkohle schrittweise bis zum Jahr 2030 zu reduzieren.187 Angestrebt ist ferner die Stilllegung des letzten Kohlekraftwerks spätestens im Jahr 2038, vorzugsweise aber bis zum Jahr 2035.188 In der Zwischenzeit sollen in den Jahren 2026, 2029 und 2032 die Auswirkungen des schrittweisen Ausstiegs wie etwa die Erreichung der Klimaziele, die Entwicklung der Strompreise und der Versorgungssicherheit eingehend geprüft und bei Bedarf nachjustiert werden.189 Immerhin haben Kohlekraftwerke im Jahr 2018 etwa 35 % und im Jahr 2019 insgesamt etwa 30 % der Stromerzeugung in Deutschland abgedeckt.190

187 So sollte bis zum Jahr 2022 eine Leistung der Kohlekraftwerke auf 15 GW Steinkohle und 15 GW Braunkohle reduziert werden, so dass über 10 GW weniger im Vergleich zur heute installierten Leistung von rund 42 GW besteht. Nach einer bis 2030 stufenweisen Reduzierung soll im Ergebnis eine Leistung von 8 GW Steinkohle und 9 GW Braunkohle erreicht werden. Die Kommission hatte eine deutlich stärkere Reduzierung vorgeschlagen: Bis 2030 sollten nur noch 17 GW (9 GW Braunkohle, 8 GW Steinkohle) von derzeit ca. 45 GW Kohlekraftwerkskapazitäten am Netz bleiben, vgl. Kommission, Abschlussbericht, 2019, S. 73. 188 Dieses Abschlussdatum hatte auch bereits die Kohlekommission anvisiert: 2038 als Enddatum für die Kohleverstromung, allerdings mit einer sog. Öffnungsklausel, vgl. Kommission, Abschlussbericht, 2019, S. 75. 189 Die Kommission hatte die Jahre 2023, 2026 und 2029 vorgeschlagen, vgl. Kommission, Abschlussbericht, 2019, S. 73; Däuper, Die Empfehlungen der Kohlekommission, EnWZ 2019, S. 153–159 (154). Die beschlossenen Daten des Kohleausstiegs wurden jedoch seit Beginn des Angriffskrieges auf die Ukraine am 24. Februar 2022 im Hinblick auf drohende Lieferengpässe von russichem Gas und Öl erneut kontrovers diskutiert. So wurde das angestrebte Datum 2030 der Reduzierung und dann der endgültigen Beendigung der Kohleenergieförderung nunmehr wieder zur Disposition gestellt. Insoweit wurde vonseiten der Regierung aus pragmatischen Gründen nicht ausgeschlossen, Kohlekraftwerke in Reserve zu halten oder aber sie überdies in Betrieb zu nehmen. In dieser exorbitanten Krise sei es angemnessen, sich auf eigene Energiequellen stützen zu können, gerade im Hinblick darauf, dass die Versorgungssicherheit oberste Priorität habe. Mithin müsse insoweit die angestrebte klimaneutrale Energiepolitik kurzfristig von nachgeordneter Bedeutung sein (vgl. Geinitz/Löhr, Nicht mehr ganz so grün, FAZ Nr. 58 vom 10. März 2022, S. 24). Erwartungsgemäß wird diese Haltung von dem Bundesverband der Braunkohle und RWE unterstützt (vgl. Bünder, Kohle statt Russen-Gas, FAZ Nr. 57 vom 09. März 2022, S. 17); Evonik, „Deutschlands sechstgrößter Chemiekonzern“ plant ein „firmeneigenes Steinkohlekraftwerk“ weiterlaufen zu lassen, welches den „Großteil des Stroms“ für die Anlagen zur Verfügung stellt und „eigentlich im April 2022 abgestellt werden sollte.“ Die ursprünglich geplante Inbetriebnahme zweier neuer Gaskraftwerke würde damit zunächst verschoben. „Der Umstieg auf die Kohle“ würde laut Evonik „im Jahr so viel Gas einsparen, wie Russland an einem Tag durch die Nord-Stream-1-Pipeline nach Europa liefert,“ (siehe Bartz et al., Projekt Eiszeit, Der Spiegel Nr. 14 vom 02. April 2022, S. 12–16 (15/16). 190 Vgl. Statistisches Bundesamt, Bruttostromerzeugung in Deutschland für 2019 bis 2021, Stand: Juli 2022.

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bb) Kohleenergie in der EU Auf EU-Ebene wurde beschlossen, dass Kohlekraftwerke ab einem bestimmten Wert an CO2-Ausstoß ab dem Jahr 2025 nicht mehr subventioniert werden.191 Die Kohleverstromung ist in allen EU-Ländern, die Kohlekraftwerke betreiben, rückläufig, und zwar insgesamt um 24 %.192 So reduzierte sich im Jahr 2019 verglichen mit dem Jahr 2018 EU-weit die Braunkohleverstromung um 16 % und die Stromerzeugung von Steinkohlekraftwerken um 32 %.193 Unterdessen haben allein die Länder Deutschland, Spanien, die Niederlande, das Vereinigte Königreich und Italien insgesamt etwa 80 % des Rückgangs in der Steinkohleverstromung bewerkstelligt.194 Sicherlich sind die europäischen Ziele, einen Rückgang von 150 GW auf 105 GW im Zeitraum 2016 bis 2025 und darüber hinaus auf 55 GW bis 2030195 zu verwirklichen, für einige Mitgliedstaaten beschwerlicher zu erreichen. So baten etwa Polen und Ungarn ihnen mehr Zeit zuzubilligen, insofern in ihrem Energiemix der Kohleanteil einen weit höheren Anteil aufweist.196

191 Mit dem Paket „Saubere Energie für alle Europäer“ hat die EU-Kommission in Art. 22, Abs. 4b der Verordnung 2019/943 des europäischen Parlaments und des Rates vom 05. Juni 2019 über den Elektrizitätsbinnenmarkt (Elektrizitäts-VO), ABl. EU Nr. L 158, S. 54 vom 14. Juni 2019 festgelegt, dass spätestens ab dem 01. Juli 2025 für eine Erzeugungskapazität, die vor dem 04. Juli 2019 die kommerziellen Erzeugung aufgenommen hat, und die Emissionen von mehr als 550 g CO2 aus fossilen Brennstoffen je kWh Elektrizität und mehr als 350 kg CO2 aus fossilen Brennstoffen im Jahresdurchschnitt je installierter Kilowatt Leistung elektrisch (kWe) ausstößt, im Rahmen eines Kapazitätsmechanismus weder Zahlungen getätigt werden noch dürfen ihr gegenüber Verpflichtungen für künftige Zahlungen eingegangen werden. 192 Dies entspricht 150 Terawattstunden, siehe Agora Energiewende, Die Treibhausgasemissionen der Kraftwerke in der EU sanken 2019 so stark wie noch nie zuvor, Pressemitteilung vom 05. Februar 2020. 193 Vgl. Agora Energiewende/Sandbag, The European Power Sector in 2019, 2020, S. 23. 194 Vgl. Agora Energiewende, Die Treibhausgasemissionen der Kraftwerke in der EU sanken 2019 so stark wie noch nie zuvor, Pressemitteilung vom 05. Februar 2020. 195 Vgl. Kommission, Abschlussbericht, 2019, S. 46 mit weiterem Verweis. 196 Vgl. Fritz/Kalnoky, Der gespaltene Kontinent, in: Die Welt vom 14. Januar 2020. So werden die für Polen geltenden Subventionsverträge, die vor 2020 abgeschlossen wurden, noch nach 2025 weiterlaufen dürfen (vgl. Röhlig, Die EU beschließt endlich den Kohleausstieg – aber schenkt einem Land eine Ausnahme, in: Der Spiegel, 27. Dezember 2018). Im September 2020 hat die polnische Regierung beschlossen, bis zum Jahr 2049 alle Kohlebergwerke zu schließen (vgl. FAZ vom 25. September 2020, Polen beschließt Ende der Kohlebergwerke). Großbritannien indessen hat bereits erstmals im Jahr 2017 für einen Tag vollständig und im Jahr 2020 für zwei Monate ohne Strom aus Kohlekraftwerken auskommen können, wobei sich dies durch den EU-Austritt des Vereinigten Königreichs am 31. Januar 2020 in seiner Bedeutung relativiert (vgl. Götze, Lockdown für die Kohle, in: Der Spiegel vom 11. Juni 2020; Hecking, Die Briten brauche keine Kohle, in: Der Spiegel vom 22. April 2017).

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In der Gesamtheit bewertet die EU-Kommission Kohle aber als eine gewichtige Komponente des Energiemixes im Hinblick einer verringerten Abhängigkeit von Erdöl und von Alternativlösungen durch neue Technologien wie Carbon Capture and Storage (CCS, Abscheidung von CO2 und Speicherung), die es zu fördern gilt mit dem Ziel, eine klimaverträgliche und ökologische Nutzung der Kohle zu erreichen.197 c) Reduzierung der Emissionen durch Zertifikatenhandel Ein weiteres Instrument zur Erreichung der Klimaschutzziele ist der Treibhausgas-Emissionshandel, der am 01. Januar 2005 in der Europäischen Union198 als marktbasierter Flexibilitätsmechanismus aufgrund der Richtlinie 2003/87/EG (Emissionshandel-Richtlinie) 199 eingeführt wurde. Diese wurde später durch die Richtlinie 2018/410 des Europäischen Parlaments und des Rates, in Kraft seit 08. April 2018, ersetzt.200 In Deutschland ist die rechtliche Umsetzung durch das Treibhausgas-Emissionshandelsgesetz (TEHG)201 erfolgt und aufgrund dieser EU-Richtlinie 2018/410 durch das Gesetz zur Anpassung der Rechtsgrundlagen für die Fortentwicklung des europäischen Emissionshandels vom 18. Januar 2019 novelliert worden.202 Während zum einen die Zielsetzung war, die Verringerung von Treibhausgasen, vor allem auch aus ökonomisch sinnvoller Sicht, voranzutreiben und hierfür Anreize zu setzen, sollte zugleich die im Rahmen des Kyoto-Protokolls203 197 Vgl. EU-Kommssion, The grand plan für carbon capture, in: research eu results magazine No 64, Juli 2017 sowie die Internetseite der EU-Kommission zu Carbon Capture, Use and Storage. 198 Das Emissionshandelssystem umfasst 31 Länder: neben allen 28 EU-Ländern auch Island, Liechtenstein und Norwegen, vgl. EU-Kommission, Emissionshandelssystem (EU-EHS). 199 Richtlinie (EG) 2003/87 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Oktober 2003 über ein System für den Handel mit Treibhausgasemissionszertifikaten in der Gemeinschaft und zur Änderung der Richtlinie (EG) 96/61 des Rates, ABl. EU Nr. L 275, S. 32 vom 25. Oktober 2003. 200 Richtlinie (EU) 2018/410 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. März 2018 zur Änderung der Richtlinie (EG) 2003/87 zwecks Unterstützung kosteneffizienter Emissionsreduktionen und zur Förderung von Investitionen mit geringem CO2-Ausstoß und des Beschlusses (EU) 2015/1814, ABl. EU Nr. L 76, S. 3 vom 19. März 2018. 201 Gesetz über den Handel mit Berechtigungen zur Emission von Treibhausgasen (Treibhausgas-Emissionshandelsgesetz – TEHG), vom 21. Juli 2011, BGBl. I, S. 1475 zuletzt geändert durch Art. 2G vom 08. August 2020, BGBl. I, S. 1818 (1848), ursprüngliche Fassung vom 08. Juli 2004, BGBl. I, S. 1578. 202 Gesetz zur Anpassung der Rechtsgrundlagen für die Fortentwicklung des Europäischen Emissionshandels vom 18. Januar 2019, BGBl. I, S. 37. 203 Das Kyoto-Protokoll ist benannt nach dem Ort der Konferenz Kyoto in Japan und wurde am 11. Dezember 1997 als Zusatzprotokoll zur Ausgestaltung der Klimarahmenkonvention (UNFCCC) der Vereinten Nationen mit dem Ziel des Klimaschutzes beschlossen.

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eingegangenen Klimaschutzverpflichtungen204 eingehalten und damit der Klimawandel wirksamer bekämpft werden.205 Der EU-Emissionshandel beruht auf dem Prinzip des Cap and Trade. So werden EU-weit die Emissionen aller energieintensiven Industrien und der Energiewirtschaft erfasst und hiernach pro Jahr die Obergrenze (Cap) für den Ausstoß an Emissionen aller emissionshandelspflichtigen Anlagen festgelegt.206 Mit dieser Festlegung wurden allerdings nur ca. die Hälfte aller (Treibhausgas-)Emissionen der EU erfasst.207 Eine dieser Obergrenze angepasste Menge an Berechtigungen in Form von Emissionszertifikaten werden an die Betreiber der emissionspflichtigen Anlagen ausgegeben, wobei sukzessive diese Menge an Emissionsberechtigungen niedriger sein soll als die erwartbaren Emissionen. Festgelegt ist hierbei, dass pro emittierter Tonne Treibhausgas ein Zertifikat gebraucht wird.208 Die Emissionszertifikate sind auf dem Markt frei handelbar (Trade), das bedeutet, dass die Betreiber die nicht benötigten Zertifikate veräußern und gegebenenfalls zusätzliche Zertifikate erwerben können. So kann sich am Markt der Preis für ein Zertifikat erhöhen und Anreize schaffen, in Technologien oder auch in Maßnahmen zu investieren, die weniger CO2 ausstoßen.209 Im Rahmen des Emissionshandels waren verschiedene Zuteilungsperioden eingeplant, so dass die jeweiligen Marktbedingungen aktuell flexibel berücksichtigt wurden, vor allem unter Einbeziehung von klimabedingten Schwankungen.210

204 Die EU hat sich im Rahmen des Kyoto-Protokolls sowie in der Entscheidung 2002/358/EC vom 25. April 2002, ABl. EU Nr. L 130, S. 1 vom 15. Mai 2002, zur Lastenteilungsvereinbarung verpflichtet, ihre Treibhausgasemissionen im Zeitraum 2008– 2012 um 8 % gegenüber dem Jahr 1990 zu reduzieren. Deutschland hat im Rahmen der EU-Lastenteilung zugesagt, mit einer Reduktion seiner Treibhausgasemissionen um 21 % dazu beizutragen, vgl. Weinreich/Marr, Handel gegen Klimawandel – Überblick und ausgewählte Rechtsfragen zum neuen Emissionshandelssystem, NJW 2005, S. 1078–1084 (1078, Fn. 2). 205 Vgl. Weinreich/Marr, Handel gegen Klimawandel – Überblick und ausgewählte Rechtsfragen zum neuen Emissionshandelssystem, NJW 2005, S. 1078–1084 (1078). 206 Vgl. Zenke/Dessau, in: Schneider/Theobald, Recht der Energiewirtschaft, 2021, § 14, Handel: Energie, Finanzinstrumente und CO2-Zertifikate, Rn. 158 und 162; Weinreich/Marr, Handel gegen Klimawandel – Überblick und ausgewählte Rechtsfragen zum neuen Emissionshandelssystem, NJW 2005, S. 1078–1084 (1081). 207 Vgl. BMWk, Wie funktioniert eigentlich der Europäische Emissionshandel?, in: Energiewende direkt, 2020. 208 Sofern keine Berechtigung besteht, sind 100 A pro emittierter Tonne CO zu zah2 len. Weitere Sanktionsmöglichkeiten bestehen nach den §§ 29–31 TEHG, vgl. Zenke/ Vollmer, in: Theobald/Kühling, Energierecht, 2022, Abschnitt 118. Emissionshandel, Rn. 107, 108. 209 Vgl. Zenke/Dessau, in: Schneider/Theobald, Recht der Energiewirtschaft, 2021, § 14 Handel: Energie, Finanzinstrumente und CO2-Zertifikate, Rn. 150 und 162. 210 Vgl. Theobald/Theobald, Grundzüge des Energiewirtschaftsrecht, 2013, S. 617 und 618.

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Die Pilotphase umfasste die Jahre von 2005 bis 2007, die zweite Phase die Jahre 2008 bis 2012. Die Umsetzung des essenziellen Ziels, die Treibhausgasemissionen wirksam zu verringern, sollte bestmöglich und ohne betriebswirtschaftliche Belastungen gewährleistet werden, insofern die Emissionszertifikate zunächst kostenlos ausgegeben wurden.211 So hatte insbesondere in dieser Phase der Emissionshandel auch negative Auswirkungen auf die Zusammensetzung des Kraftwerkparks.212 Während in den ersten und zweiten Zuteilungsperioden die Emissionszertifikate von den einzelnen Mitgliedstaaten ausgegeben worden sind, erfolgt dies seit der dritten Handelsperiode (2013–2020) durch den Kommissar für Klimaschutz der EU-Kommission. Im Emissionshandel stellte sich seit dem Jahr 2009, vor allem wegen der Weltwirtschaftskrise 2008/2009213 ein übermäßiges Plus an Zertifikaten ein,214 was dazu führte, dass der Abgabepreis zum Jahresende 2013 weniger als zehn Euro betrug.215 So wurde in der dritten Zuteilungsphase das Backloading als sofortige Maßnahme von der EU-Kommission durchgeführt, indem 900 Millionen Zertifikate zurückgehalten und deren Versteigerung auf die Jahre 2019 bis 2020 verlegt wurde.216 Allein hierdurch konnte der Überschuss 2015 auf rund 1,78 Milliarden Emissionsberechtigungen verringert werden.217 Indessen wurde durch diese Verschiebung die Gesamtmenge an Zertifikaten für die dritte Phase nicht verändert.

211 Vgl. Kohls, in: Theobald/Kühling, Energierecht, 2022, Abschnitt 130: Planung und Zulassung von Energieanlagen, Rn. 96. 212 Vgl. Schiffer, Energiemarkt Deutschland, 2019, S. 400; Tietjen, Kapazitätsmärkte, 2012, S. 9. Bis Januar 2013 kam es deshalb zu Mehrerlösen für Kraftwerksbetreiber, den sogenannten Windfall Profits, folglich einem Zufallsgewinn aufgrund der kostenfreien Zertifikat-Zuteilung, der wie ein „Investitionskostenzuschuss“ wirkte. Von einem Windfall-Profit spricht man, wenn ein unvorhergesehener, nicht eingeplanter bzw. nicht einplanbarer Gewinn entsteht (vgl. Krämer, Windfall-Profit, in: Gabler Wirtschaftslexikon, 2018). 213 Ausgelöst durch die Insolvenz der Investmentbank Lehman Brothers im November 2008. 214 Vgl. EU-Kommission, Strukturelle Reform des EU-Emissionshandelssystems, 2021; Heymann, Der Strommarkt 2.0, 2019, S. 62; Bundscherer/Lietz, Emissionshandel soll effektiver werden: Endlich echter Klimaschutz, vom 24. April 2019 in: Legal Tribune Online. 215 Vgl. Bundscherer/Lietz, Emissionshandel soll effektiver werden: Endlich echter Klimaschutz, in: Legal Tribune Online vom 24. April 2019; EU-Kommission, Strukturelle Reform des EU-Emissionshandelssystems, 2021. 216 Vgl. Kohls, in: Theobald/Kühling, Energierecht, 2022, Abschnitt 130: Planung und Zulassung von Energieanlagen, Rn. 97; Grundlage für das Backloading war die EU-Verordnung Nr. 176/2014 der Kommission vom 25. Februar 2014 zur Änderung der EU-Verordnung Nr. 1031/2010 insbesondere zur Festlegung der im Zeitraum 2013– 2020 zu versteigernden Mengen Treibhausgasemissionszertifikate, ABl. EU Nr. L 56, S. 11 vom 26. Februar 2014. 217 Vgl. EU-Kommission, Strukturelle Reform des EU-Emissionshandelssystems, 2021.

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Für die langfristige Problembewältigung wurde als Reform eine Marktstabilitätsreserve (MSR) konzipiert, die mit Wirkung zum Januar 2019 einsatzbereit war.218 Mit dieser soll in jährlicher Anpassung an den Emissionshandelsmarkt der Überschuss an Zertifikaten dem Markt entzogen und der Reserve zugeführt werden, mithin das Gleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage hergestellt werden.219 Eine weitere Reform des Emissionshandels in der vierten Handelsperiode, beginnend am 01. Januar 2021 bis zum Jahr 2030, dient insbesondere zwei strukturellen Zielen. So soll die Preisgestaltung im Energiehandel unterstützt werden, indem die jährliche Gesamtmenge der verfügbaren Zertifikate im Emissionshandel um einen linearen Reduktionsfaktor von 2,2 % (anstatt bisher um 1,74 %) reduziert wird und gleichermaßen sollen überzählige Zertifikate verringert und auch die Reserve limitiert werden.220 Damit soll der Abbau der überschüssigen frei verfügbaren Zertifikate in einer wesentlich kürzeren Zeit erreicht werden. Ab 2021 sollen überdies Emissionszertifikate in Höhe der durch den beschriebenen Kohleausstieg zusätzlich eingesparten CO2-Menge gelöscht werden.221 So sollte neben diesem Sinn des Einsparungspotenzials auch verhindert werden, dass die Akteure in anderen europäischen Ländern, die am Emissionshandelssystem teilnehmen, günstiger zusätzlich vorhandene Zertifikate kaufen können, wodurch im Ergebnis die Emissionen wieder zunehmen und damit der sogenannte Wasserbetteffekt hervorgerufen wird.222 Gleichzeitig soll die Wettbewerbsfähigkeit der energieintensiven Industrie gewährleistet werden, so etwa vor bestehender Konkurrenz von den nicht vom Emissionshandel betroffenen ausländischen Unternehmen und auch vor Abwanderung von Unternehmen ins Ausland zur Vermeidung der strengen Klimaschutzauflagen. Um ein derartiges Carbon Leakage-Risiko223 zu vermeiden, gesteht die 218 Beschluss des europäischen Parlaments und des Rates vom 06. Oktober 2015 über die Einrichtung und Anwendung einer Marktstabilitätsreserve für das System für den Handel mit Treibhausgasemissionszertifikaten in der Union und zur Änderung der Richtlinie 2003/87/EG, ABl. EU Nr. L 264/1 vom 09. Oktober 2015. 219 Vgl. Erwägungsgrund 5 des Beschlusses 2015/1814 vom 06. Oktober 2015, ebenda. So sind auch die zunächst nur zurückgehaltenen 900 Mio. Zertifikate nicht mehr versteigert, sondern im Jahr 2020 direkt in diese Reserve überführt worden, vgl. Erwägungsgrund 8 des Beschlusses 2015/1814 vom 06. Oktober 2015, ebenda. 220 Vgl. EU-Kommission, Emissionshandelssystem (EU-EHS). 221 Vgl. Kommission, Abschlussbericht, 2019, S. 15 und 65. 222 Der „Wasserbetteffekt“ tritt dann ein, wenn die in einem Mitgliedsstaat nicht mehr benötigten Zertifikate in anderen Mitgliedstaaten zu höheren Emissionen führen, vgl. Däuper, Die Empfehlungen der Kohlekommission, EnWZ 2019, S. 153–159 (154); Edenhofer et al., Optionen für eine CO2-Preisreform, 2019, S. 35; vgl. auch BMWk, Europäischer Emissionshandel – wichtig für die Energiewende, 2022. 223 Zu deutsch: „Kohlenstoff-Leck-Risiko“, Bundscherer/Lietz, Emissionshandel soll effektiver werden: Endlich echter Klimaschutz, in: Legal Tribune Online vom 24. April 2019.

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Emissionshandel-Richtlinie grundsätzlich auch eine kostenlose Zuteilung von Zertifikaten zu. Entsprechend einer offiziellen Carbon Leakage-List der EUKommission werden die Industrieunternehmen, die diesem Risiko in besonderem Maße ausgesetzt sind, erfasst.224 Der Kohleausstieg wird jedoch die nationalen Emissionen erst nach 2030 absenken, so dass kritisch gesehen wird, ob auch hierfür die jetzigen Festlegungen in Bezug auf die Löschungen ausreichen.225 2. Verzicht auf Atomenergie a) Atomenergie in Deutschland Das deutsche Atomgesetz (AtG) trat nach der Verzichtserklärung der Bundesrepublik Deutschland bezüglich der Atomwaffen in der ursprünglichen Fassung vom 23. Dezember 1959 am 01. Januar 1960 in Kraft. Während zunächst die Nutzung der Kernenergie unter der Prämisse einer sauberen und effizienten Stromversorgung forciert wurde, im Speziellen auch durch die Ölkrise im Jahr 1973, erhob sich ab Mitte der 1970er Jahren Widerstand in der Öffentlichkeit. Auslöser war das Bewusstsein eines erheblichen Gefahrenpotenzials, etwa der nicht beherrschbaren Nuklearkatastrophe, wie dies im April 1986 durch die atomare Katastrophe in Tschnernobyl offenbar wurde. So trat entsprechend dem ausgehandelten Atomkonsens mit der Novellierung des Atomgesetzes im Jahr 2002 an dessen Stelle das sogenannte Atom-Ausstiegsgesetz. Durch dieses Gesetz sollte die Kernenergienutzung aufgrund mehrerer Vorgaben, etwa keine weiteren Atomkraftwerke zu bauen und die Regellaufzeit bestehender Kraftwerke abzukürzen, beendet werden.226 Nach der Bundestagswahl im Jahr 2009 wurde dies durch die Novellierung im Jahr 2010 dahingehend modifiziert, dass die Betriebszeiten der Atomkraftwerke um acht beziehungsweise vierzehn Jahre verlängert wurden.227 Begründet wurde dies auch mit dem Argument, dass die Kern-

224 Vgl. EU-Kommission, Beschluss vom 27. Oktober 2014 zur Festlegung eines Verzeichnisses der Sektoren und Teilsektoren, von denen angenommen wird, dass sie im Zeitraum 2015–2019 einem erheblichen Risiko einer Verlagerung von CO2-Emissionen ausgesetzt sind, gemäß der Richtlinie 2003/87/EG des Europäischen Parlaments und Rates, Az.: C (2014)/7809, ABl. EU Nr. L 308, S. 114 vom 29. Oktober 2014. 225 Vgl. Edenhofer et al., Optionen für eine CO -Preisreform, 2019, S. 36. 2 226 Vgl. die Zweckbestimmung in § 1 Nr. 1 Atomgesetz vom 15. Juli 1985, BGBl. I, S. 1565, das zuletzt durch Art. 3 des Gesetzes vom 07. Dezember 2020, BGBl. I, S. 2760, geändert worden ist. 227 11. Gesetz zur Änderung des Atomgesetzes vom 08. Dezember 2010, BGBl. I, S. 1814 vom 13. Dezember 2010. Den damals 17 in Betrieb befindlichen Kernkraftwerken wurden gemäß § 7 Abs. 1 und dem Anhang 3 zum Atomgesetz zusätzliche Elektrizitätsmengen zugewiesen.

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energie als „Brückentechnologie“ 228 noch unverzichtbar sei bei dem gleichwohl in hohem Maße gebotenen Ausbau der erneuerbaren Energien. Ausgelöst durch die Nuklearkatastrophe am 11. März 2011 in Fukushima,229 verbunden mit der Erkenntnis eines unabsehbaren Restrisikos bei der Energiegewinnung aus Atomkraft, änderte die Bundesregierung schlagartig ihre Planung. So wurde zunächst ein dreimonatiges Moratorium für den Betrieb der deutschen Atomkraftwerke angeordnet und danach ein neues Konzept der Energiepolitik verabschiedet.230 Hierbei wurde der Schwerpunkt auf die rasche Beendigung der Kernenergienutzung bis Ende des Jahres 2022 gelegt und gleichzeitig sollte der verstärkte Ausbau von erneuerbaren Energien betrieben werden.231 Dieser direkte Eingriff des Staates intendierte hierbei nicht, mehr Wettbewerb zu erzeugen und auch nicht primär die Umgestaltung des Energiemarkts durch erneuerbare Energien. Von vorrangiger Bedeutung war es vielmehr, die von den Atomkraftwerken ausgehenden existenziellen Risiken zu eliminieren. Infolgedessen wurden in der Novellierung des AtG 2013232 die zuvor gewährten Zusatzverstromungen wieder abgeschafft und weiterhin für alle in Deutschland befindlichen Kernkraftwerksblöcke verbindliche Abschalttermine bestimmt mit dem Ziel, die Betriebsgenehmigungen der noch bestehenden Atomkraftwerke sukzessive zu beenden.233 Aufgrund der Besonderheiten dieses strategischen Vorgehens haben verschiedene Betreiber von Atomkraftwerken234 Verfassungsbeschwerde beim Bundesverfassungsgericht eingelegt mit dem Hinweis, in ihren Grundrechten (Schutz des Eigentums, Art. 14 Abs. 1 Grundgesetz) verletzt worden zu sein. Hierüber hat das Bundesverfassungsgericht mit Urteil vom 06. Dezember 2016235 die in der 13. AtG-Novelle festgelegten Regelungen zur Änderung der Laufzeiten der Atomkraftwerke, mit228 BMWi/BMU, Energiekonzept für eine umweltschonende, zuverlässige und bezahlbare Energieversorgung, 2010, S. 4, 14, 15; Kritisch zur Laufzeitverlängerung vgl. Däuper et al., Die Zustimmungsbedürftigkeit einer Laufzeitverlängerung für den Betrieb von Kernkraftwerken nach Art. 87c GG, ZNER 2010, S. 451–455. 229 Es handelte sich um das viertschwerste Erdbeben mit einer Stärke von 9,0. Hierdurch wurden die Reaktorblöcke des Kernkraftwerks von Fukushima Daiichi schwer beschädigt. Es folgte ein Tsunami, der die Dieselgeneratoren (Not-Aggregate zur Kühlung) und die Wasser-Pumpen zerstörte, vgl. Bundesamt für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung, Fukushima am 11. März 2011: Der katastrophale Unfall und seine Folgen, 2022. 230 Vgl. BMWi, Der Weg zur Energie der Zukunft, Beschlüsse vom 06. Juni 2011; Theobald/Theobald, Grundzüge des Energiewirtschaftsrechts, 2013, S. 477. 231 Vgl. Theobald/Theobald, Grundzüge des Energiewirtschaftsrechts, 2013, S. 477. 232 13. AtG-Novelle, Gesetz zur Änderung des Atomgesetzes. 233 „Bis zum Jahr 2023 sollen ca. 20 GW weniger Kapazitäten am Netz sein“, Tietjen, Kapazitätsmärkte, 2012, S. 9. 234 Dies waren die Kraftwerksbetreiber E.ON Kernkraft GmbH (E.ON), RWE Power AG (RWE), Kernkraft Krümmel GmbH und Vo. oHG (Krümmel) und Vattenfall Europe Nuklear Energy GmbH (Vattenfall). 235 „Atomausstieg weitgehend verfassungsgemäß“, BVerfG, Urteil vom 06. Dezember 2016, Az.: 1 BvR 2821/11, 1 BvR 321/12, 1 BvR 1456/12, ZUR 2017, S. 161–174.

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hin die Beschleunigung des Atomausstiegs zwar nicht als eine Enteignung nach Art. 14 Abs. 3 GG angesehen, ebenso nicht den grundsätzlich vorgesehenen Verzicht auf Atomenergie. Im Endeffekt wird aber die Gesetzesverletzung nach Art. 14 Abs. 1 GG in der Außerachtlassung von Ausgleichsregelungen gesehen, insofern die zuvor zugebilligten, nunmehr aber nicht mehr verstromungsfähigen Restverstromungsmengen gegenstandlos wurden, mithin das Vertrauen der Unternehmer, Investitionen tätigen zu können, nicht berücksichtigt worden war. Dementsprechend wurde in der 16. AtG-Novelle vom 23. Mai 2018 in Erfüllung der vom Bundesverfassungsgericht auferlegten Nachbesserung eine Neuregelung der Entschädigung für die Betreiber der betroffenen Atomkraftwerke bewilligt.236 Allerdings hat das Bundesverfassungsgericht mit Beschluss vom 29. September 2020 insoweit auch dieses Gesetz für unzureichend erklärt, und den Gesetzgeber zur Neuregelung verpflichtet.237 Infolge der Umsetzung des beschlosseenen Atomausstieges sollen die letzten drei Reaktoren im Jahr 2022 abgeschaltet werden.238 b) Atomenergie in der Europäischen Union Die Europäische Atomgemeinschaft (heute Euratom), gegründet am 25. März 1957 durch die sogenannten Römischen Verträge239, ist eine supranationale Organisation, die auch nach dem Vertrag von Lissabon240 weiterhin eigenständig 236 Vgl. Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestags, Sachstand zur Umsetzung des Urteils des Bundesverfassungsgerichts vom 06. Dezember 2016, 1 BvR 2821/ 11, 1 BvR 1456/12, 1 BvR 321/12, 2018, S. 12. 237 Das BVerfG hat die 16. AtG-Novelle, die den Grundrechtsverstoß der 13. AtGNovelle beheben sollte (aber nicht in Kraft getreten ist), für unzureichend erklärt, BVerfG, Beschluss vom 29. September 2020, Az.: 1 BvR 1550/19; vgl. Göken, BVerfG zum Atomausstieg: Entschädigungsregelung für Energieunternehmen „unzumutbar“, in: Legal Tribune Online vom 12. November 2020. 238 Das Atomkraftwerk Philippsburg 2 wurde am 31. Dezember 2019 abgeschaltet. Im Jahr 2019 haben die insgesamt noch sieben angeschlossenen Kernkraftwerke 75,1 Mrd. kWh Strom (brutto) erzeugt. Dies entspricht einem Anteil in Höhe von 12,4 % an der Brutto-Stromerzeugung in Deutschland. Drei weitere Atomkraftwerke werden im Jahr 2021 und zuletzt drei Reaktoren im Jahr 2022 abgeschaltet werden. Die Brutto-Stromerzeugung in Deutschland lag insgesamt bei 604,1 Mrd. kWh. Im Vergleich zum Jahr 2018 ist der Anteil der Kernenergie gestiegen, denn im Jahr 2018 lag er bei 12 % von 635,6 Mrd. kWh. Die Erzeugung aus Kernkraftwerken ist insgesamt seit dem Jahr 2013 abnehmend (vgl. BNetzA/BKartA, Monitoringbericht, 2019, S. 64 und 65). 239 Vertrag zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) und der Europäischen Atomgemeinschaft (EAG) vom 25. März 1957, in Kraft seit 01. Januar 1958. Die sechs Gründerstaaten der Römischen Verträge sind Frankreich, Italien, Belgien, Luxemburg, Niederlande und Deutschland. 240 Vertrag von Lissabon zur Änderung des Vertrags über die Europäische Union und des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft, ABl. EU Nr. C 306, S. 1 vom 17. Dezember 2007, konsolidierte Fassung zuletzt veröffentlicht in ABl. EU Nr. C 326, S. 1 vom 26. Oktober 2012.

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mit eigener Rechtspersönlichkeit geblieben ist. Indes ist sie aber Bestandteil der Europäischen Union, insofern sie strukturell an deren sämtlichen gemeinsamen Organen angeschlossen ist.241 Nach dem Euratom-Vertrag242, der in seinen wesentlichen Bestimmungen nicht entscheidend geändert worden ist, ist die Nutzung der Kernenergie begrenzt auf die zivile und friedliche Nutzung.243 Die Aufgabe innerhalb des gemeinsamen Marktes für Kernenergie ist, neben der Förderung der Forschung und der Sicherheitsüberwachung, auch die Versorgungssicherheit und die Versorgungsunabhängigkeit244 der Energieversorgung aller EU-Länder anzustreben. Demgegenüber hat die EU-Kommission mittlerweile selbst mit einer eigenen Energiestrategie entscheidende Ziele in der Energiepolitik vorgegeben, insofern die Energieversorgung relativ breit diversifiziert sein soll und der sogenannte Energiemix in den Verantwortungsbereich der einzelnen Mitgliedstaaten fällt. Von der EU-Kommission wird Kernenergie als CO2-arme Energiequelle – ohne beabsichtigte Investitionen in erneuerbare Energien minimieren zu wollen – akzeptiert und deren CO2-Emissionen mindestens gleichwertig, wenn nicht sogar niedriger als die CO2-Emissionen aus erneuerbaren Energien angesehen.245 Voraussetzungen dieser Akzeptanz entsprechend Art. 10 Abs. 2 der Taxonomie-Verordnung vom 18. Juni 2020,246 sind unterdessen an strenge Auflagen für Sicherheit und Umweltschutz, auch betreffend die Abfallentsorgung geknüpft.247 241

Vgl. Weerth, Euratom, in: Gabler Wirtschaftslexikon, 2018. Vertrag zur Gründung der Europäischen Atomgemeinschaft vom 25. März 1957, konsolidierte Fassung veröffentlicht im ABl. EU Nr. C 327, S. 1 vom 26. Oktober 2012. 243 Vgl. Präambel: „In dem Bewusstsein, dass die Kernenergie eine unentbehrliche Hilfsquelle für die Entwicklung und Belebung der Wirtschaft und für den friedlichen Fortschritt darstellt, . . .“ 244 Vgl. Präambel und Art. 1 „zur Hebung der Lebenshaltung in den Mitgliedstaaten (. . .)“ und Art. 2d) „für regelmäßige und gerechte Versorgung aller Benutzer der Gemeinschaft mit Erzen und Kernbrennstoffen Sorge zu tragen“, Vertrag zur Gründung der Europäischen Atomgemeinschaft vom 25. März 1957, konsolidierte Fassung veröffentlicht im ABl. EU Nr. C 327, S. 1 vom 26. Oktober 2012. 245 Vgl. EU-Kommission, Fragen und Antworten zum ergänzenden delegierten Rechtsakt zur EU-Klimataxonomie für bestimmte Kernenergie- und Gastätigkeiten vom 02. Februar 2022. Dies deckt sich mit den Standpunkten des Weltklimarates PCC, der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit OFCD, Wirtschaftskommission der Vereinten Nationen für Europa, vgl. ebenda; vgl. auch von Altenbockum, Wie die Verteidung, so die Energie, FAZ vom 01. April 2022, S. 1. 246 EU-Verordnung 2020/852 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 18. Juni 2020 über die Einrichtung eines Rahmens zur Erleichterung nachhaltiger Investitionen und zur Änderung der EU-Verordnung 2019/2088, ABl. EU Nr. L 198, S. 13 vom 22. Juni 2020. Durch die Taxonomie-VO wurde der Rahmen für die Festlegung der EU-Taxonomie für ökologisch nachhaltige Wirtschaftstätigkeiten geschaffen. Hiernach sollten diese Wirtschaftstätigkeiten den technischen Bewertungskriterien entsprechen, die in delegierten Rechtsakten der Kommission festgelegt werden. Ergänzend wurden zwei delegierte Rechtsakte erlassen: Delegierte EU-Verordnung 2021/2139 vom 04. Juni 2021 zur Ergänzung der EU-Verordnung 2020/852 des Europäischen Parlaments und des Rates durch Festlegung der technischen Bewertungskriterien, anhand derer be242

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Kritik wird insbesondere nach deutscher Auffassung insofern geübt, dass die Förderung der Kernenergie – insbesondere vor dem Hintergrund des Ausstiegs Deutschlands aus der Förderung – nicht mehr zum aktuellen Energiemarktdesign passt und somit ein Ausstieg aus der Atomgemeinschaft konsequent wäre. In Deutschland und Österreich wurde dieser Ausstieg zwar mehrfach gefordert, zuletzt in Österreich mit einem Volksbegehren im Jahr 2020,248 ist jedoch rechtlich umstritten. So wird vertreten, dass ein Ausstieg aus Euratom auch einen Austritt aus der Europäischen Union notwendig machen würde.249 Wie die Konstellation in anderen Ländern zeigt, ist der Weiterbetrieb eines Atomkraftwerks durchaus rentabel, so haben etwa Frankreich und USA die Lizenzen vieler Atomkraftwerke für weitere 60 Jahre verlängert.250 Insbesondere Frankreich gilt als Befürworter von Kernenergie, deren Anteil am französischen stimmt wird, unter welchen Bedingungen davon auszugehen ist, dass eine Wirtschaftstätigkeit einen wesentlichen Beitrag zum Klimaschutz oder zur Anpassung an den Klimawandel leistet, und anhand derer bestimmt wird, ob diese Wirtschaftstätigkeit erhebliche Beeinträchtigungen eines der übrigen Umweltziele vermeidet, ABl. EU Nr. L 442, S. 1 vom 09. Dezember 2021 und Delegierte Verordnung (EU) 2021/2178 der Kommission vom 6. Juli 2021 zur Ergänzung der Verordnung (EU) 2020/852 des Europäischen Parlaments und des Rates durch Festlegung des Inhalts und der Darstellung der Informationen, die von Unternehmen, die unter Art. 19a oder Art. 29a der Richtlinie 2013/34/EU fallen, in Bezug auf ökologisch nachhaltige Wirtschaftstätigkeiten offenzulegen sind, und durch Festlegung der Methode, anhand derer die Einhaltung dieser Offenlegungspflicht zu gewährleisten ist, ABl. EU Nr. L 443, S. 1 (9) vom 10. Dezember 2021. 247 Vgl. EU-Kommission, EU-Taxonomie: Kommission leitet Expertenkonsultation zu ergänzendem delegierten Rechtsakt über bestimmte Kernenergie- und Gastätigkeiten ein, Pressemitteilung vom 01. Januar 2022, IP/22/2. In ihrem die Taxonomie-Verordnung ergänzenden delegierten Rechtsakt zur Klimataxonomie vom 02. Februar 2022 nimmt die EU-Kommission bestimmte Kernenergie- und Gastätigkeiten in die Kategorie von Übergangstätigkeiten gemäß Art. 10 Abs. 2 der Taxonomie-Verordnung auf. Hierunter sind Tätigkeiten zu verstehen, für die es noch keine technologisch und wirtschaftlich machbare CO2-arme Alternativen gibt, die aber unter strengen Auflagen eine wichtige Rolle beim Übergang zu einer klimaneutralen Wirtschaft im Einklang mit den Klimazielen und Verpflichtungen der EU spielen, ohne dabei Investitionen in erneuerbare Energien zu verdrängen (Europäische Kommission, Delegierte Verordnung (EU) der Kommission vom 09. März 2022 zur Änderung der Delegierten Verordnung (EU) 2021/2139) in Bezug auf Wirtschaftstätigkeiten in bestimmten Energiesektoren und der Delegierten Verordnung (EU) 2021/2178 in Bezug auf besondere Offenlegungspflichten für diese Wirtschaftstätigkeiten, Az.: C (2022), 631 endg. 248 Vgl. Parlament Österreich: Volksbegehren „EURATOM-Ausstieg Österreichs“ vom 03. September 2020, 347 der Beilagen zu den stenographischen Protokollen des Nationalrates XXVII.GP. 249 Vgl. Der Standard, Verfassungsexperten: Ausstieg aus Euratom nur bei EU-Austritt, vom 01. März 2011. 250 Vgl. Sauer, Grüner Strom schlägt Atomstrom, in: Tagesspiegel Background vom 04. Juni 2019. In den Ländern Türkei, Ägypten oder Vereinigten Arabischen Emiraten wird auf Atomenergie gesetzt, da diese die kostengünstigste Stromversorgung darstellt. Die meisten Bauvorhaben für Atomkraftwerke werden in den Ländern China, Indien und Russland geplant. Auffallend ist, dass diese alle von Staatsunternehmen betrieben werden; vgl. ebenda.

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Energiemix sich auf 70 % beläuft, somit die größte Intensität und eine besonders hohe Dichte an Kernkraftwerken in der Europäischen Union erreicht.251 So wird etwa in Frankreich der seit Dezember 2007 im Bau befindliche Neubau des Atomkraftwerks Flamanville 3, wenn auch mit Verzögerungen, errichtet,252 ebenso das Kernkraftwerk Olkiluoto in Finnland und Hinkley Point C in Großbritannien, für welches die EU-Kommission eine Beihilfe genehmigt hat.253 Dies ist von dem EuG durch Urteil vom 12. Juli 2018 bestätigt worden.254 In Finnland wird die Kernenergie befürwortet,255 mit der Begründung Atomkraft sei so lange als sogenannte Brückentechnologie Teil des Energiemixes, bis die erneuerbaren Energien die fossilen Energieträger ablösen könnten. Die Risiken seien miteinander ins Verhältnis zu setzen. Die Kernkraft produziert Energie auf sehr effiziente Weise.256 Der bereits erlassene Beschluss gegen Kernkraft in Schweden, das einen Ausstieg bis zum Jahr 2000, dann verlängert bis zum Jahr 2010 vorgesehen hatte, wurde inzwischen ganz aufgehoben. Auch Belgien beabsichtigte im Jahr 2015 aus der Kernenergienutzung auszusteigen, hat dies nun aber auf das Jahr 2025 verschoben.257 Sicherlich sind die Vorteile einer Nutzung der Kernenergie bei der Stromerzeugung offenkundig, insofern bei der Stromproduktion kaum Treibhausgase freigesetzt werden und sie damit als klimafreundlich gilt. Andererseits gründet sich der Verzicht auf Atomkraft folgerichtig vorwiegend auf den Risiken, die wegen des Ausmaßes einer gefährlichen Störung von Atomkraftwerken sowie wegen des Problems der sicheren Lagerung von Atommüll, mit bisher noch ungewissen Folgen verbunden sind. Eine Rentabilität scheint gerade im Hinblick auf die hohen Investitionskosten, den hohen Sicherheitsanforderungen mit möglichen 251 Vgl. Záboji, Unabhängiger dank Atomkraft, FAZ Nr. 58 vom 10. März 22, S. 20; Meister, Frankreichs zerplatzter Atom-Traum, in: Die Welt vom 20. Juni 2020. 252 Die Kosten für den Bau haben sich auf 12,7 Mrd. Euro erhöht und die Inbetriebnahme wurde von urprünglich Ende 2022 auf Mitte 2023 verschoben, vgl. Der Spiegel, Atomreaktor in Flamanville läuft noch später an, vom 12. Januar 2022. 253 Vgl. EU-Kommission, Beschluss (EU) 2015/658 vom 08. Oktober 2014 über die vom Vereinigten Königreich geplante staatliche Beihilfe, SA. 34947 (2013/C) (ex 2013/N) zugunsten des Kernkraftwerks Hinkley Point C, Az.: C (2014) 7142, ABl. EU Nr. L 109, S. 44 vom 28. April 2015. 254 Das EuG hat die Nichtigkeitsklage der Republik Österreich gegen die Entscheidung abgewiesen, vgl. EuG, Urteil vom 12. Juli 2018, Rs.: T-356/15. 255 Vgl. Geinitz, Kernkraft ist eine gute Option für Deutschland – Interview mit dem Generaldirektor von Foratom Yves Desbazeille, FAZ vom 08. März 2022, S. 18. 256 Vgl. Meyer, Strahlend grüne Zukunft? Warum Finnland auf Atomkraft setzt, ZDF vom 17. März 2021. 257 Vgl. Geinitz, Kernkraft ist eine gute Option für Deutschland – Interview mit dem Generaldirektor von Foratom Yves Desbazeille, FAZ vom 08. März 2022, S. 18. Dies erfolgte aber bevor die SicherheitsRL in Kraft getreten ist, so dass die dort geforderten strengen Auflagen noch nicht erfüllt sein mussten, vgl. ebenda.

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Haftungsrisiken und auch wegen der strikten Ablehnung, zunächst aus volkswirtschaftlicher Sicht nicht gegeben zu sein. 3. Weitgehender Verzicht auf Fracking Eine potenzielle Erhöhung der Primärenergiegewinnung wird mit der Gewinnung von Gas mittels der Fracking-Technologie erreicht. Auch in Deutschland sind Erdöl und Erdgas in nicht konventionellen Lagerstätten existent, mithin ist die Erschließung etwa von Gas durch Tiefbohrungen mit Erweiterung vorhandener Risse im Gestein oder auch künstlich erzeugten Spaltungen möglich, aber vor allem politisch umstritten. Allerdings wird das „konventionelle“ Fracking seit den 1960er Jahren praktiziert,258 jedoch sind auch hier die gesetzlichen Vorgaben streng geregelt. Mit dem „Gesetz zur Änderung wasser- und naturschutzrechtlicher Vorschriften zur Untersagung und zur Risikominimierung bei den Verfahren der FrackingTechnologie“ sind u. a. Änderungen im Wasserhaushaltsgesetz (WHG)259 mit Wirkung zum 11. Februar 2017 in Kraft getreten.260 So wird das erlaubte konventionelle Fracking unter Auflagen gemäß § 9 Abs. 2 Nr. 3 i.V. m. § 13a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 WHG zugelassen.261 Hingegen ist das unkonventionelle Fracking zur kommerziellen Verwendung gesetzlich verboten.262 Das bedeutet, dass diese 258 Vgl. Weiss, in: Theobald/Kühling, Planung/Zulassung von Energieanlagen 137. Das Bergrecht und seine energiewirtschaftlichen Bezüge, 2021, Rn. 144 und 145; abhängig von der Art des Speichergesteins (z. B. Sandstein, Karbonatreservoire und Tonstein) und der Permeabilität (Durchlässigkeit) werden verschiedene Typen unterschieden; vgl. Ennuschat, Erdgas in der deutschen Energiewende und Europäischen Energieunion, NVwZ 2015, S. 1553–1559 (1556). Die konventionelle Fördermethode von Erdgas, die lediglich durch eine Bohrung das Gas „in einer großen unterirdischen Blase“ freisetzt, kann auch in Deutschland praktiziert werden. „Diese Blase wird durch eine Bohrung angestochen und das Gas tritt aus“ (ebenda). 259 Gesetz zur Änderung wasser- und naturschutzrechtlicher Vorschriften zur Untersagung und zur Risikominimierung bei den Verfahren der Fracking-Technologie vom 04. August 2016, BGBl. I, S. 1972. 260 Zum Regelungspaket gehört auch noch das Gesetz zur Ausdehnung der Bergschadenhaftung auf den Bohrlochbergbau und Kavernen vom 04. August 2016, BGBl. I, S. 1962; sowie die Verordnung zur Einführung von Umweltverträglichkeitsprüfungen und über bergbauliche Anforderungen beim Einsatz der Fracking-Technologie und Tiefbohrungen vom 04. August 2016, BGBl. I, S. 1957. 261 Fracking ist nach § 13a Abs. 1 Satz 1, Nr. 2 z. B. verboten in Wasserschutz- und Heilquellenschutzgebieten und in Einzugsgebieten einer Wasserentnahmestelle für die öffentliche Wasserversorgung. Konventionelles Fracking wird nur erlaubt, wenn die eingesetzten Mittel nicht oder aber lediglich schwach wassergefährdend sind, siehe Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestags, Erdgas- und Erdölförderung, insbesondere Fracking und Gewässerschutz, 2018, S. 4. 262 Vgl. Monopolkommission, Strom und Gas 2011: Wettbewerbsentwicklung mit Licht und Schatten, S. 73; Ennuschat, NVwZ 2015, S. 1553–1559 (1556); mit Verweis auf BMWi, Monotoring-Bericht nach § 51 EnWG zur Versorgungssicherheit bei Erdgas, Juli 2014, 10.

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Fracking-Technik im Schiefer-, Mergel-, Ton- und Kohleflözgestein grundsätzlich nicht durchgeführt werden darf, gemäß (§ 13a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 WHG).263 Bei der Technik des unkonventionellen Frackings erfolgt die Gewinnung von Tight Gas264, das im Gestein mit sehr geringer Durchlässigkeit eingeschlossen ist, indem über Tiefbohrungen unter hohem Wasserdruck das Gestein aufgebrochen wird, so dass das Gas entströmen kann.265 In Deutschland sind Vorkommen dieser unkonventionellen Erdgaslagerstätten an bestimmten Standorten vorhanden, so dass nach heutiger Technologie förderbare Mengen bis zum Jahr 2030 auf 320 Milliarden Kubikmeter Erdgas allein aus Schiefergesteinen in einer Tieflage von 1.000 bis 5.000 Metern266 prognostiziert werden.267 Hypothetisch gesehen könnte Deutschland sich mit Erdgas annähernd 24 Jahre durch die Erschließung dieser Gasvorkommen versorgen.268 In den USA werden derzeit 80 % des Erdgases durch die Fracking-Methode gewonnen.269 Hierdurch wurden in den letzten zehn Jahren eine weitgehende Reduzierung der Energieimporte und eine vermehrte Unabhängigkeit ermöglicht. Zudem exportieren die USA mittlerweile Erdgas weltweit führend.270 Infolgedessen sind in den USA die Gaspreise „niedriger als in Europa“.271 Die von den amerikanischen Regierungen seit vielen Jahrzehnten verfolgte Unabhängigkeit von Energieimporten ist aufgrund der Fracking-Technologie vom Prinzip her 263 Die noch im Entwurf enthaltende Einschränkung, dass das Verbot oberhalb einer Tiefe von 3.000 m gilt (§ 13a I Nr. 1 WHG-E) wurde nicht übernommen, BT-Drs. 18/ 4713. Mangels Befristung gilt das Verbot über das Jahr 2021 hinaus (vgl. Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestags, Überprüfungsklausel zum Verbot des sog. unkonventionellen Frackings im Wasserhaushaltsgesetz, 2021, S. 2). 264 Tight Gas deshalb, da sie „fest“ in den Gesteinsporen von dichtem Gestein gespeichert sind, siehe hierzu auch Kapitel B. II. 1. 265 Vgl. Ennuschat, Erdgas in der deutschen Energiewende und Europäischen Energieunion, NVwZ 2015, S. 1553–1559 (1556). 266 Vgl. BMWi, Versorgungssicherheit bei Erdgas Monitoring-Bericht nach § 51 EnWG 2019, S. 6: „323 Billionen Kubikmeter der weltweiten Erdgasressourcen sind daher konventionelles Erdgas.“ 267 Vgl. Weiss, in: Theobald/Kühling, Planung/Zulassung von Energieanlagen 137. Das Bergrecht und seine energiewirtschaftlichen Bezüge, 2021, Rn. 144 und 145; Giesberts/Kastelec, Das Regelungspaket zum Fracking, NVwZ 2017, S. 360–367 (362). 268 Vgl. Giesberts/Kastelec, Das Regelungspaket zum Fracking, NVwZ 2017, S. 360–367 (362); UBA, Fracking zur Schiefergasförderung, 2014, S. 3 und 4. 269 Vor allem hätten die USA infolge der Fracking-Technologie ihre eigene Ölproduktion in den vergangenen Jahren um vier Mio. Barrel (159 Liter) pro Tag erhöht, vgl. Die Zeit, USA produzieren so viel Öl wie noch nie, 07. Juni 2014. 270 Vgl. Giesberts/Kastelec, Das Regelungspaket zum Fracking, NVwZ 2017, S. 360–367 (362). 271 Schiffer, Energiemarkt Deutschland, 2019, S. 378. Bereits im März überstieg der Gaspreis im EU-Großhandel den Preis in den USA um ein zehnfaches. Stand Juli 2022 kostet eine MWh 173 A in der EU und in den USA nur 22 A (vgl. Kotlyarova, Warum sind Gaspreise in Europa achtmal so hoch wie in den USA? Wer profitiert davon?, in: Berliner Zeitung vom 12. Juli 2022).

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weitestgehend erreicht worden. Die gänzliche Unabhängigkeit von Gas- und Ölimporten scheint insoweit auch greifbar zu sein.272 Das in Deutschland unkonventionelle Fracking wird wegen der eingesetzten chemischen Mittel und des hohen Wasserdrucks, die das Grundwasser verseuchen, nicht erlaubt.273 Aber auch das Risiko, durch künstliche Sprengungen stärkere Erdbeben hervorzurufen, führten aus umweltpolitischer Sicht zu der bestehenden Ablehnung.274 So enthielt der Koalitionsvertrag vom 27. November 2013 die Feststellung, dass die Fracking-Technologie der unkonventionellen Erdgasgewinnung „mit erheblichem Risikopotential“ für Trinkwasser und Gesundheit verbunden ist.275 In der Fachliteratur wurden neben dem Risiko der Schäden des Grundwassers und der Oberflächengewässer auch die potentielle Erdbebenbedrohung als bedrohlich angesehen.276 Eine unabhängige Expertenkommission277 berichtet jährlich dem Bundestag über unkonventionelle Fracking-Vorhaben. Hierbei wird auch auf die Erfahrungen anderer Länder wie den USA, Kanada und Australien hingewiesen etwa für deren Gewinnung von Kohlenwasserstoffe durch die Fracking-Technologie.278 Im Bericht aus dem Jahr 2021 wurde dargelegt, dass die behaupteten Umweltrisiken des Frackings nur durch passgenaue Handhabung und gründliche Überwachung der Maßnahmen zu minimieren seien, vorausgesetzt, dass zuvor die anvisierten lokalen Standorte einer besonderen Prüfung auf ihre Geeignetheit unterzogen werden.279 Gegen den vorgelegten Bericht wird vorgebracht, dass hierdurch ausreichende Erkenntnisse für eine Neubewertung des Verbots nicht geliefert worden seien.280

272 „1973 gründete Nixon das Project Independece als Antwort auf das OPEC-Ölembargo, mit dem die USA von anderen Ländern bzgl. Energie komplett unabhängig sein sollte.“, Pflüger, Resilienz in der Energiewirtschaft, 2013, ET, S. 30. 273 Vgl. Pflüger, Resilienz in der Energiewirtschaft, 2013, ET, S. 30. 274 Vgl. Weiss, in: Theobald/Kühling, Planung/Zulassung von Energieanlagen 137. Das Bergrecht und seine energiewirtschaftlichen Bezüge, 2021, Rn. 144 und 145. 275 Vgl. Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD, 18. Legislaturperiode, Deutschlands Zukunft gestalten, vom 27. November 2013, S. 44. 276 Vgl. Schütte/Winkler, Aktuelle Entwicklungen im Bundesumweltrecht, ZUR 2021, S. 638–642 (639). 277 Diese besteht aus sechs Sachverständigen und hat ihre Arbeit am 16. Mai 2019 aufgenommen, die u. a. gem. § 13a Abs. 6 WHG die Durchführung von Erprobungsmaßnahmen zur wissenschaftlichen Erforschung der Umweltauswirkungen (§ 13a Abs. 2 WHG) oberhalb von 3.000 m begleitet. 278 Vgl. Schütte/Winkler, Aktuelle Entwicklungen im Bundesumweltrecht, ZUR 2021, S. 638–642 (639). 279 Vgl. Expertenkommission Fracking, Bericht, 2021, S. 3 und 21. 280 Vgl. Wissenschaftliche Dienste des Bundestages, Kurzinformation Überprüfungsklausel zum Verbot des sog. unkonventionellen Frackings im Wasserhaushaltsgesetz, 2021, S. 2 und 3.

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D. Versorgungssicherheit auf dem Energiemarkt

Welche Schäden für das Klima durch die möglichen Methanverluste beim Gasfracking auftreten können, ist nicht ausreichend untersucht. Nach den bisherigen Forschungen ist zu vermuten, dass diese deutlich zu niedrig bewertet worden sind. So waren laut einer Studie, die im Jahr 2018 im Fachmagazin Science veröffentlicht wurde, die offiziell gemeldeten Gaslecks in den USA 60 % höher als nach den Meldungen der US-Umweltbehörde. Nach Messungen der US-Umweltorganisation Environmental Defense Fund strömen in den USA etwa 1,4 Millionen Tonnen Gas an Förderstätten aus.281 Ein weiterer Nachteil des Frackings besteht in dem aufwändigen Verfahren, das einen erheblichen Energieeinsatz verlangt und hohe Produktionskosten verursacht, zumal in Deutschland durch die Einhaltung der gesetzlichen Auflagen weitere Kosten verursacht werden. Das Nutzen-Kosten-Verhältnis bezüglich der zu gewinnenden Menge an Gas wird bei der Abwägung der Umweltrisiken daher derzeit als nicht positiv eingeschätzt.282 4. Forcierung der Power-To-Gas-Technologie Mit der forcierten Gewinnung von Strom aus erneuerbaren Energien, insbesondere beim durch Windkraftanlagen erzeugten Strom, ist der Nachteil verbunden, dass die an den Standorten erzeugten überschüssigen Mengen nicht über weite Strecken transportiert werden können. Dies ist vor allem auf die nur schleppende Errichtung von Stromtrassen (etwa von Norddeutschland in den Süden) zurückzuführen sowie auf die mangelnde Speicherbarkeit des Stroms. Diese Herausforderung einer effizienten Nutzung des Stroms kann mit der Umwandlung des Stroms in Gas bewältigt werden, insofern das Verfahren Power-To-Gas als zentrales Kopplungsinstrument zwischen Strom- und Gasinfrastruktur gilt. So wird „der Wasserstoff durch Elektrolyse mit erneuerbarem Strom gewonnen und das verwendete Kohlenstoffdioxid aus der Atmosphäre gefiltert oder bei der Verbrennung von Biomasse abgeschieden.“ 283 Mithilfe dieses elektrochemischen Verfahrens wird der Strom in ein synthetisches Gas, das ebenfalls als treibhausgasneutral gilt, transformiert. Durch diese Technologie kann der Strom aus erneuerbaren Energien als Gas sowohl gespeichert als auch in den vorhandenen Gasleitungen transportiert werden.284

281 Vgl. Götze, Was ist klimaschädlicher: Pipeline- oder Flüssiggas?, in: Der Spiegel vom 17. Januar 2021. 282 Vgl. Thuß, Deutschland, ein Solarmärchen?, 2017, S. 148; Giesberts/Kastelec, Das Regelungspaket zum Fracking, NVwZ 2017, S. 360–367 (367). 283 Holz et al., Zukunft des europäischen Energiesystems: Die Zeichen stehen auf Strom, DIW Wochenbericht, 2022, S. 75–82 (78). 284 Vgl. Aireg et al., Ein Markteinführungsprogramm für Power to X-Technologien, 2019, S. 5.

III. Versorgungssicherheit auf dem Energiemarkt

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Auch die Bundesregierung hat in ihrem Klimaschutzplan für die kommenden Decaden festgelegt, anstelle des fossilen Energieträgers Erdgas das aus erneuerbaren Energiequellen gewonnene, mithin CO2-neutrale Gas einzusetzen.285 Für dieses Ziel bietet das Power-To-Gas-Verfahren bereits die technische Lösung.286 Die Förderung der derzeit noch bestehenden mangelnden Wirtschaftlichkeit und folglich nicht vorhandenen Wettbewerbsfähigkeit, muss daher verstärkt vorangetrieben werden. Die Europäische Kommission plant in ihrer „EU-Methanstrategie von 2020“ 287, dass eine Reduktion der Methanemissionen bis zum Jahr 2030 um 35–37 % im Vergleich zum Jahr 2005 erreicht wird, wobei die Energiewirtschaft im Mittelpunkt steht, auch wenn nur 19 % der Methanemissionen auf den Energiesektor zurückgehen.288 Ziel dieser EU-Methanstrategie ist auch die beschleunigte Marktentwicklung für Biogas oder Biomethan im Rahmen der Anpassung der Gasbinnenmarktregeln.289

III. Versorgungssicherheit auf dem Energiemarkt 1. Allgemeine Definition der Energieversorgungssicherheit Bei der Versorgungssicherheit wird als wesentlich die Zuverlässigkeit (Unterbrechungsfreiheit) der Versorgung angesehen.290 So ist auch der englische Begriff Reliability, im Sinne einer Verlässlichkeit des Energiesystems, zu verstehen.291 Auch hat die Bundesregierung davon abgesehen, die zuverlässige Bereitstellung von Primärenergieträgern autonom zu definieren.292 In seinem Bericht aus dem Jahr 2019 hatte das Bundeswirtschaftsministerium die Versorgungssicherheit dann als gewährleistet angesehen, wenn eine „angemessene“ Deckung des Strombedarfs besteht und wenn die Nachfrage mit den verfügbaren Betriebsmitteln zur Bereitstellung und Verteilung von Elektrizität „mit sehr hoher Wahr285 Vgl. Bundesregierung, Erdgasinfrastruktur in Deutschland und der EU, Antwort auf Kleine Anfrage vom 14. März 2017, Drs. 18/11518, S. 2. 286 Bislang existieren 35 Anlagen in Deutschland, vgl. hierzu DVGW, Übersicht der Power-To-Gas-Projekte in Deutschland. 287 EU-Kommission, Mitteilung vom 14. Oktober 2020, Über eine EU-Strategie zur Verringerung der Methanemissionen, KOM (2020), 663 endg. 288 Vgl. ebenda, S. 2. 289 Vgl. ebenda, S. 9. 290 Vgl. Monopolkommission, Energie 2013: Wettbewerb in Zeiten der Energiewende, S. 112, Ziff. 181 und 182; Kommission, Abschlussbericht, 2019, S. 43. 291 Vgl. Böske, Zur Ökonomie der Versorgungssicherheit in der Energiewirtschaft, 2007, S. 24. 292 Vgl. Bundesregierung, Versorgungssicherheit mit Elektrizität, Drs. 19/6242, 2018, S. 1.

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D. Versorgungssicherheit auf dem Energiemarkt

scheinlichkeit“ 293 gedeckt werden kann. Hingegen ist für die Bundesregierung die Versorgungssicherheit dann generell gewährleistet, „wenn mit ausreichender Wahrscheinlichkeit die Nachfrage mit den verfügbaren Betriebsmitteln aus Bereitstellung und Verteilung durch ein Angebot in gleicher Höhe gedeckt werden kann“.294 Insgesamt impliziert der Begriff der Versorgungssicherheit die gesamte Wertschöpfungskette der Energiewirtschaft, so die Verfügbarkeit von (Primär-)Energieträgern, deren Erzeugung oder Beschaffung, den Transport (Netze, Speicheranlagen), den Handel, Vertrieb und Verbrauch, bis hin zur Gewährleistung der Stabilität des Systems.295 2. Verschiedene Aspekte der Versorgungssicherheit Die Versorgungssicherheit weist mithin unterschiedliche, miteinander im Kontext stehende kritische Bereiche auf,296 so zunächst eine technisch-physische Betrachtungsweise, sodann, insbesondere im Hinblick auf die vorliegende Thematik, die Erzeugungssicherheit und den Aspekt der Systemsicherheit297 sowie eine zeitliche – etwa eine kurzfristige oder langfristige – Perspektive.298 Der rechtliche Problemkreis bezieht sich auf die Frage, wer und in welchem Umfang Verantwortung dafür tragen muss, die Versorgungssicherheit sicherzustellen. a) Technisch-physische Sichtweise Unter dem technischen Aspekt ist zunächst die Garantie der technischen Sicherheit der Energieanlagen, also auf die technische Integrität und ferner auf die 293 BMWi, Versorgungssicherheit bei Erdgas Monitoring-Bericht nach § 51 EnWG 2019, S. 2 und 7. 294 Bundesregierung, Versorgungssicherheit mit Elektrizität, Drs. 19/6242, 2018, S. 1. 295 Vgl. Kommission, Abschlussbericht, 2019, S. 43; BMWi, Versorgungssicherheit bei Erdgas, Monitoring-Bericht nach § 51 EnWG 2019, S. 2 und 7; Riewe, Versorgungssicherheit durch Kapazitätsmechanismen, 2016, S. 104; Schulte-Beckhausen, in: Theobald/Kühling, Energierecht, 2022, Einführung, Rn. 18. 296 Vgl. Monopolkommission, Energie 2015: Ein wettbewerbliches Marktdesign für die Energiewende, S. 7, Rn. K 20. 297 Zunächst wurde eine Unterteilung in „Betriebssicherheit der Netze“ (Art. 4) und in „Erhaltung des Gleichgewichts zwischen Angebot und Nachfrage“ (Art. 5) in der Richtlinie 2005/89/EG vom 18. Januar 2006, ABl. EU Nr. L 33, S. 22 vom 04. Februar 2006, über Maßnahmen zur Gewährleistung der Sicherheit der Elektrizitätsversorgung und von Infrastrukturinvestitionen vorgenommen. Diese wurde aufgehoben durch die Verordnung (EU) 2019/94 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. Juni 2019 über die Risikovorsorge im Elektrizitätssektor, ABl. EU Nr. L 158, S. 1 vom 14. Juni 2019. Nunmehr wird die Betriebssicherheit des Übertragungsnetzes in Art. 11 erwähnt und es wird eine Unterscheidung in Art. 5 Abs. 2 vorgenommen in: Angemessenheit des Systems, Systemsicherheit und die Sicherheit der Brennstoffversorgung. 298 Vgl. Böckers et al., Vor- und Nachteile alternativer Kapazitätsmechanismen, 2012, S. 5.

III. Versorgungssicherheit auf dem Energiemarkt

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konstante Nutzbarkeit der (erforderlichen) Energiemengen für den Endnutzer (Endenergiemengen) im physikalischen Sinne zu verstehen.299 Die Energieanlagen sind entsprechend § 49 Abs. 1 EnWG nach den allgemein anerkannten Regeln der Technik, somit nach allen wissenschaftlichen, fachlichen und erfahrungsgemäßen Standards errichtet. Diese bezieht sich auf die Sicherheit von Personen in Form der Unfallvermeidung, dem Schutz der Funktion der Maschinen und Anlagen. Im Englischen wird dies durch die Begriffe Safety und Security unterschieden.300 Unter einem physischen Aspekt ist die permanente physische Disponibilität der Energie zu verstehen, um eine zumindest ausreichende Verfügbarkeit an Kapazitäten zu erreichen,301 damit hierdurch der Energiebedarf kontinuierlich gedeckt werden kann. Diese Definition inkludiert indessen nur das Vorhandensein von Kapazitäten in einer Menge, die den Anforderungen der Versorgungssicherheit noch entspricht. Jedoch benantwortet sie nicht die Frage, was eine optimale Versorgungssicherheit verkörpern muss und wie dieses Optimum von Staats wegen, etwa durch ordnungspolitisches Eingreifen des Staates oder auch durch die Energiewirtschaft im Wettbewerb sichergestellt, mithin wie eine effiziente Allokation von Angebot und Nachfrage erreicht werden kann.302 Wesentlich ist eine langfristige, ausreichende Ressourcenverfügbarkeit, etwa von Öl und Erdgas, die aus einer rein räumlichen Perspektive gegeben sein muss.303 So beschreiben die Begriffe der Energy Security oder auch Security Of Supply die ausreichende Verfügbarkeit von Energieressourcen, vor allem auch im Kontext einer Energiepolitik, mit dem Ziel der Erreichung nationaler Sicherheit.304 Im Zuge dessen wurden zahlreiche Modelle entwickelt, die im Hinblick darauf, dass der Bestand der Rohstoffe begrenzt ist, die entsprechenden Prognosen in Relation zur Entwicklung der Energiewirtschaft liefern sollen.305 Hierbei

299 Vgl. Theobald, in: Theobald/Kühling, Energierecht, 2022, § 1 EnWG, Rn. 18; König, in: Säcker, Kommentar zum Energierecht, 2019, § 11 EnWG, Rn. 21. „Der Vorteil einer klaren Trennung zwischen technischer Definition und dem folgenden ökonomischen Konzept liegt in der Möglichkeit einer verbesserten Differenzierung von politischen Zielen und deren Beurteilung sowie der ökonomischen Bewertung von Maßnahmen im Bereich der Versorgungssicherheit“, so Böske, Zur Ökonomie der Versorgungssicherheit in der Energiewirtschaft, 2007, S. 28 und 29. 300 Vgl. Böske, Zur Ökonomie der Versorgungssicherheit in der Energiewirtschaft, 2007, S. 19, Fn. 51 mit weiterem Verweis. 301 Vgl. ebenda, S. 27. 302 Vgl. ebenda. 303 Vgl. Böske, Zur Ökonomie der Versorgungssicherheit in der Energiewirtschaft, 2007, S. 9 mit weiterem Verweis. 304 Vgl. ebenda, S. 8 ff., mit weiteren Ausführungen zum Begriffsverständnis während des 2.Weltkrieges und der 70er Jahre (Ölkrisen). 305 Hierzu näher Böske, Zur Ökonomie der Versorgungssicherheit in der Energiewirtschaft, 2007, S. 10. Zur Darstellung des Hotelling-Modells als zentrales Modell der Res-

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D. Versorgungssicherheit auf dem Energiemarkt

wird speziell thematisiert, wie die Energiesicherheit durch einen wettbewerblichen Markt zumindest ausreichend erfüllt werden kann.306 Die Energiesicherheit wurde zunehmend als eine internationale Aufgabe gesehen. So wurde zur effektiven Abwehr von Versorgungskrisen die International Energy Agency (IEA) mit Hauptsitz in Paris 1974 gegründet.307 b) Netzseitige und erzeugerseitige Versorgungssicherheit (Systemsicherheit und Ressourcenverfügbarkeit) Für die Interpretation der Versorgungssicherheit ist zu beachten, dass ausreichende Kapazitäten für ein jederzeit vorhandenes Gleichgewicht zur Verfügung stehen müssen, jedoch keine Reduzierung auf nur genügend Ressourcen vorgenommen werden kann. Dies ergibt sich aus der Differenzierung in Kraftwerkskapazitäten und in Übertragungsnetzkapazitäten, so dass auch die entsprechenden Transportwege, um diese Ressourcen zum Verbraucher zu liefern, bei der Angebotsseite vorhanden sein müssen. Die Verfügbarkeit einer ausreichenden Menge an Erzeugungskapazitäten (Generation Adequacy) und an Transportkapazitäten (Transmission Network Adequacy) ist somit von ausschlaggebender Bedeutung.308 Der Begriff der Systemsicherheit, auch als System security bezeichnet, bezieht sich generell auf die Netzebene, insofern eine fundamentale und eigenständige Sicherung der Energienetze für den Transport existent sein muss. Dies bedeutet auch, dass das Energiemarktsystem, insbesondere das Energienetz, in der Lage ist, plötzlichen Ausfällen standhalten zu können.309 Durchweg dient die Betriebssicherheit der Abwehr von kurzfristigen unerwarteten Ungleichgewichten. So ist es insbesondere im Strommarkt essenziell, die Spannung des Netzes dauerhaft bei einer Frequenz von 50 Hertz zu halten, um sourcenökonomik zur Nutzung nicht erneuerbarer Ressourcen, vgl. Löschel et al., Energiewirtschaft, 2020, S. 43 ff. mit weiteren Nachweisen. 306 Vgl. Böske, Zur Ökonomie der Versorgungssicherheit in der Energiewirtschaft, 2007, S. 11 mit weiterem Verweis. 307 Die IEA ist eine Kooperationsplattform zur Erforschung, Planung und Einsatz von Technologien, überdies ist die Agentur in Besitz einer strategischen Reserve von Erdöl, um potientielle, überraschende Engpässe in der Versorgung insoweit auszugleichen, vgl. IEA, Homepage der IEA, Mission. 308 Vgl. Böske, Zur Ökonomie der Versorgungssicherheit in der Energiewirtschaft, 2007, S. 24, Fn. 62. Dies wird als „die langfristige Angemessenheit der Versorgungsinfrastruktur (in der englischsprachigen Literatur als Adequacy) bezeichnet“ (siehe Reeg et al., Kapazitätsmechanismen als Rettungsschirm der Energiewende?, 2015, S. 7 mit weiteren Verweisen). 309 Vgl. Böske, Zur Ökonomie der Versorgungssicherheit in der Energiewirtschaft, 2007, S. 24 mit weiteren Verweisen; Böckers et al., Vor- und Nachteile alternativer Kapazitätsmechanismen, 2012, S. 5; Ecke et al., Ein zukunftsfähiges Energiemarktdesign für Deutschland, 2013, S. 40.

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etwa Netzungleichgewichte zwischen Stromeinspeisung und Verbrauch, die eine regionale Unterversorgung zur Folge haben können, zu eliminieren.310 Erfolgsentscheidend für die Steuerung dieser Systemsicherheit ist der kurzfristige Ausgleich der Abweichungen durch den Kraftwerkspark in Form von Ausgleichsund Regelenergie, der ad hoc zu bewältigen sein muss. Dieser Ausgleich bezieht sich daher weitestgehend auf die kurzfristige Regelung der Versorgungssicherheit.311 Indessen muss auch langfristig das Gleichgewicht zwischen Erzeugung und hohen unerwarteten Lasten ausführbar und zu gewährleisten sein.312 Die Resilienz im Zusammenhang mit der Energiesicherheit ist damit ein „Schlüsselbegriff“ 313 und gerade mit Blick auf die Netzsicherheit relevant. So soll mit der N-1-Sicherheit bei den prognostizierten maximalen Übertragungsund Versorgungsaufgaben die Netzsicherheit auch bei einem etwaigen Ausfall eines der Bestandteile, so etwa bezüglich eines Transformators oder eines Stromkreises noch gewährleistet bleiben.314 Die Bezeichnung N-1 resultiert daraus, dass auch bei Ausfall einer Komponente die Sicherheit noch garantiert ist, somit der Transport der gesamten Kapazitäten noch bewältigt werden kann.315 Auf diese Weise sollen Stromausfälle, sogenannte Blackouts, die bisher aufgrund von Systemsicherheitsproblemen aufgetreten sind, vermieden werden. So stellt insbesondere für den Strommarkt die Aufrechterhaltung der Frequenz und der Spannung auf einem gleichbleibenden Level einen Schwerpunkt der Versorgungssicherheit dar.316

310 Vgl. Böckers et al., Vor- und Nachteile alternativer Kapazitätsmechanismen, 2012, S. 5; Reeg et al., Kapazitätsmechanismen als Rettungsschirm der Energiewende?, 2015, S. 7 mit weiteren Verweisen. 311 Vgl. Böske, Zur Ökonomie der Versorgungssicherheit in der Energiewirtschaft, 2007, S. 24; Reeg et al., Kapazitätsmechanismen als Rettungsschirm der Energiewende?, 2015, S. 7 mit weiteren Verweisen. 312 Vgl. Böckers et al., Vor- und Nachteile alternativer Kapazitätsmechanismen, 2012, S. 6. 313 Pflüger, Resilienz – Schlüsselwort der Energiesicherheit, in: ET, 2013, S. 30–33 (32), vgl. Demmig, Resilienz kritischer Infrastrukturen in Smart Cities, in: Smart CityMade in Germany, 2020, S. 709–715. 314 Vgl. Sötebier, in: Britz et al., Energiewirtschaftsgesetz, 2015, § 13, Rn. 9 mit weiterem Verweis. Der Begriff der Netzsicherheit ist eng verknüpft mit N-1 Sicherheit, vgl. Riewe, Versorgungssicherheit durch Kapazitätsmechanismen, 2016, S. 349. Vgl. in diesem Zusammenhang auch EU-Kommission, Verordnung (EU) 2017/2195 vom 23. November 2017 zur Festlegung einer Leitlinie über den Systemausgleich im Elektrizitätsversorgungssystem, ABl. EU L 312, S. 6 vom 28. November 2017. 315 Vgl. Bundesregierung, Versorgungssicherheit mit Elektrizität, Drs. 19/6242, 2018, S. 1. 316 Diese Systemsicherungsmaßnahmen für den Strommarkt werden im Kapitel G. I. 2. erörtert.

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D. Versorgungssicherheit auf dem Energiemarkt

Die angebotsseitige Versorgungssicherheit bedarf neben der Bereitstellung ausreichender Kapazitäten zudem eine jederzeitige Gewährleistung der Lastdeckung, sodass ein angemessenes Gleichgewicht auch bei erheblich unvorhergesehenen Lasten garantiert werden kann.317 Hinsichtlich des Gasmarktes als Primärenergiemarkt, entsprechen die Erzeugungskapazitäten den Abbau-, Produktions- und Aufbereitungskapazitäten, wobei sich dies auf die langfristige Versorgungssicherheit bezieht.318 Die Ressourcenverfügbarkeit umfasst mithin auch die langfristige Fähigkeit der Versorgungsinfrastruktur. Das bedeutet, dass die Erzeugungsmenge in der Weise sicherzustellen ist, dass auch Lasten bei extremer Anforderung den Erwartungen gerecht werden und erfüllt werden können, dies selbst dann, wenn potentielle Schwankungen der Nachfrage auszugleichen sind.319 Im Englischen wird diese essentielle Kompetenz mit dem Oberbegriff Supply Adequacy bezeichnet, mithin also die Bereitstellung ausreichender Infrastrukturkapazitäten. So wird auch ein Schwerpunkt auf die Investitionstätigkeit gelegt.320 Weiterhin sind wesentliche Faktoren für die Versorgungssicherheit die geographischen Gegebenheiten sowie der Zugang zu Primärenergieressourcen. Zwingend ist somit bei der Beschaffung von Energieträgern sicherzustellen, dass auch Lieferunterbrechungen einkalkuliert werden, um Knappheiten bei der Gasversorgung der Letztverbraucher vorzubeugen, zumal nur ein eingeschränkter Zugang zu Gasquellen besteht.321 c) Zeitliche Dimension der Versorgungssicherheit Sodann ist eine Unterscheidung zwischen der kurzfristigen und der langfristigen Verfügbarkeit von Kapazitäten (kurzfristig gewährleistete Versorgungssicherheit und langfristig gewährleistete Versorgungssicherheit) zu treffen, insofern die

317 Vgl. Böckers et al., Vor- und Nachteile alternativer Kapazitätsmechanismen, 2012, S. 5/6; Reeg et al., Kapazitätsmechanismen als Rettungsschirm der Energiewende?, 2015, S. 7 mit weiteren Verweisen; Böske, Zur Ökonomie der Versorgungssicherheit in der Energiewirtschaft, 2007, S. 25; EU-Kommission, Generation Adequacy in the internal electricity market – guidance on public interventions, Arbeitsdokument vom 05. November 2013 – SWD (2013) 438 endg.; Ecke et al., Ein zukunftsfähiges Energiemarktdesign für Deutschland, 2013, S. 40. 318 Vgl. Böske, Zur Ökonomie der Versorgungssicherheit in der Energiewirtschaft, 2007, S. 24. 319 Vgl. Reeg et al., Kapazitätsmechanismen als Rettungsschirm der Energiewende?, 2015, S. 7 mit weiteren Verweisen. 320 Vgl. Böske, Zur Ökonomie der Versorgungssicherheit in der Energiewirtschaft, 2007, S. 24 mit weiteren Verweisen. 321 Vgl. Reeg et al., Kapazitätsmechanismen als Rettungsschirm der Energiewende?, 2015, S. 7.

III. Versorgungssicherheit auf dem Energiemarkt

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zeitliche Dimension eine grundlegende Relevanz bei der Auswahl der zur Störungsbeseitigung notwendigen Maßnahmen hat.322 Die kurzfristige Verfügbarkeit wird auch mit den Begriffen Reliability of energy supply oder auch Security of delivery of energy resources bezeichnet.323 Hierunter werden kurzfristige Ungleichgewichte zwischen Stromeinspeisung und -verbrauch, so auch Netzungleichgewichte mit regionaler Unterversorgung, verstanden. Auf diese Weise sollte mit dem gerade aktuell verfügbaren Stromsystem stets auch die Nachfrage bedient werden können, ohne dass Ausfälle entstehen, sodass Angebot und Nachfrage stets übereinstimmen.324 Daraus resultiert zudem, dass die zuvor beschriebene Systemsicherheit insbesondere mit einer kurzfristigen Versorgungssicherheit verknüpft ist,325 zu deren Sicherstellung vielzählige regulatorische Instrumente, sogenannte Systemdienstleistungen, aufgegriffen werden können.326 Demgegenüber hat die langfristige Versorgungssicherheit das Ziel, für einen längeren Zeitraum nachhaltig ausreichend Kapazitäten sowohl auf der Netz- als auch auf Kraftwerksebene bereitstellen zu können. Bezeichnet wird sie daher als Security of energy supply.327 Auch wird auf diese Weise angestrebt, langfristig ein generelles Gleichgewicht zwischen Erzeugung und hohen unerwarteten Lasten zu erhalten. Die Versorgungssicherheit, ökonomisch interpretiert, setzt demgegenüber voraus, dass nicht nur notwendige Investitionen, insbesondere in Reservekapazitäten, sondern auch Wartungsarbeiten oder Reparaturen effizient und effektiv erfolgen und hierfür die erforderlichen Geldmittel zur Verfügung gestellt werden.328 Das bedeutet auch, dass keine Fehlinvestitionen gefördert werden dürfen. Ziel ist mithin eine umfassende Versorgungssicherheit, die allen Ansprüchen gerecht wird. 322 Vgl. Böckers et al., Vor- und Nachteile alternativer Kapazitätsmechanismen, 2012, S. 5. Eine sichere Stromversorgung liegt vor, wenn bestimmte Grenzwerte nicht überschritten werden. Sicherheit, im mathematischen Sinne, sei die Wahrscheinlichkeit „eins“. Die Kriterien „Häufigkeit und Dauer der Unterbrechung und unterbrochene Leistung“ könne man in einer einzigen Kenngröße zusammenfassen: „Nicht zeitgerecht gelieferte Energie.“ (siehe Steger et al., Die Regulierung elektrischer Netze, 2008, S. 244, Anhang A). 323 Vgl. Böske, Zur Ökonomie der Versorgungssicherheit in der Energiewirtschaft, 2007, S. 25 mit weiteren Verweisen. 324 Vgl. Nicolosi, Notwendigkeit und Ausgestaltungsmöglichkeiten eines Kapazitätsmechanismus für Deutschland, 2012, S. 25. 325 Vgl. Böske, Zur Ökonomie der Versorgungssicherheit in der Energiewirtschaft, 2007, S. 24. 326 Diese Systemsicherungsmaßnahmen werden im Kapitel G. I. 2. (Strommarkt) und II. 2. (Gasmarkt) erörtert. 327 Böske, Zur Ökonomie der Versorgungssicherheit in der Energiewirtschaft, 2007, S. 25. 328 Vgl. Hellermann/Hermes, in: Britz et al., Energiewirtschaftsgesetz, 2015, § 1, Rn. 26; mit weiteren Verweisen.

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D. Versorgungssicherheit auf dem Energiemarkt

Hierfür müssen nicht nur genügend Anreize für Investoren bestehen, sondern auch zugleich der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit eingehalten werden. 3. Rechtliche Einordnung der Versorgungssicherheit Eine weitere Komponente der Versorgungssicherheit ist deren Relevanz aus rechtlicher Sicht. So hat das Bundesverfassungsgericht in mehreren Urteilen die besondere Tragweite der Energieversorgung für die Allgemeinheit hervorgehoben. Bereits in seinem Beschluss im Jahr 1971329 (,Erdölbevorratungspflicht‘) hat das Bundesverfassungsgericht prägnant verdeutlicht, dass „die Sicherstellung der Energieversorgung ein Gemeinschaftsinteresse höchsten Ranges“ sei, wobei „die ständige Verfügbarkeit ausreichender Energiemengen eine entscheidende Voraussetzung für die Funktionsfähigkeit der gesamten Wirtschaft“ sei und somit „ein absolutes Gemeinschaftsgut“ vorliege. In einem weiteren wegweisenden Beschluss vom 11. Oktober 1994 (,Kohlepfennig‘), in welchem explizit die Stromversorgung thematisiert wird, stellt das Bundesverfassungsgericht bildhaft fest, dass „das Interesse an einer Stromversorgung heute so allgemein ist wie das Interesse am täglichen Brot“.330 Ferner macht das Bundesverfassungsgericht bereits in seinem Beschluss vom 20. März 1984331 darauf aufmerksam, dass die Sicherheit der Energieversorgung eine öffentliche Aufgabe von größter Bedeutung ist, deren Leistungsfähigkeit unentbehrlich für die „Sicherung einer menschenwürdigen Existenz“ des Bürgers ist und deshalb diese dem Bereich der Daseinsvorsorge zugeordnet wird. Die gesetzliche Grundlage für die Bewertung der Versorgungssicherheit, bezogen auf den Energiemarkt, wird in Art. 20 Abs. 1 und Art. 28 Abs. 1 GG (Sozialstaatsprinzip) und Art. 109 Abs. 2 GG (Verantwortung für das gesamtwirtschaftliche Gleichgewicht) gesehen,332 infolgedessen die Versorgungssicherheit 329 BVerfG, Erdölbevorratungspflicht, Beschluss vom 16. März 1971, BVerfGE 30, 292 (311, 323 f.), NJW 1971, 1255 (1258); mit Verweis auf BVerfG, Beschluss vom 18. Dezember 1968, BVerfGE 25,1 (16) f., NJW 1969, 499 (500); Beschluss vom 17. Juli 1961, BVerfGE 13, 97 (107). 330 BVerfG, Kohlepfennig, Beschluss vom 11. Oktober 1994, Az.: 2 BvR 633/86, Rn. 1–96 (93), BVerfGE 91, 186–207 (206); BVerfG, Erdölbevorratungspflicht, Beschluss vom 16. März 1971, BVerfGE 30, 292 (311, 323 f.); vgl. dazu Weiss, in: Theobald/Kühling, Energierecht, 2022, Das Bergrecht und seine energiewirtschaftlichen Bezüge, Rn. 29. 331 BVerfG, Enteignung zugunsten der Energieversorgung, Beschluss vom 20. März 1984, Az.: 1 BvL 28/82, BVerfGE 66, 248 (258), NJW 1984, S. 1872 (1873); bestätigt durch BVerfG, Garzweiler II, Urteil vom 17. Dezember 2013, Az.: 1 BvR 3139/08 1 und BvR 3386/08, Rn. 286, BVerfGE 134, 242–357 (338). „Energieversorgung als Bereich der Daseinsvorsorge“ (Theobald/Theobald, Grundzüge des Energiewirtschaftsrechts, 2013, S. 2). 332 Vgl. Riewe, Versorgungssicherheit durch Kapazitätsmechanismen, 2016, S. 123 mit weiteren Verweisen; Denninger, Gebot der Aufrechterhaltung der Kernenergienutzung aufgrund höherrangigen Rechts?, in: Verfassungsrechtliche Fragen des Ausstiegs aus der Nutzung der Kernenergie zur Stromerzeugung, 2000, S. 17–40 (22 und 23).

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als „ein eigenständiges, objektiv-rechtliches Verfassungsgut“ beurteilt wird.333 Hier besteht gleichermaßen die sozialstaatliche Notwendigkeit einer bedarfsdeckenden und kontinuierlichen Energieversorgung und die Notwendigkeit einer angemessenen und erschwinglichen Energieversorgung.334 Auch bedeutsam sind in diesem Zusammenhang die Art. 1 und Art. 2 Abs. 2 GG, insofern dem Gesetzgeber durch das so definierte Verfassungsgut der Versorgungssicherheit Schutzpflichten im Sinne der Sicherung eines Existenzminimums bis zu einem gewissen Grad auferlegt worden sind.335 Zusammenfassend stellt sich die Versorgungssicherheit somit in Bezug auf die Energieversorgung als ein Gut dar, das von erheblichem Gewicht für alle Bürger ist, dessen Gewährleistung als staatliche Aufgabe der Daseinsvorsorge gilt und das zudem auch der berechtigten Regulierung durch hoheitliches Handeln bedarf.336 So ist nach der bereits zuvor zitierten ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts die Gewährleistung einer sicheren und zuverlässigen Energieversorgung eine öffentliche Verpflichtung im Interesse des Gemeinwohls, die dem Staat gemäß den maßgeblichen Gesetzen obliegt.337 4. Versorgungszuverlässigkeit in Deutschland Von essentieller Bedeutung für den Verbraucher ist die Versorgungszuverlässigkeit. Dies bedeutet die Beständigkeit der Versorgungssicherheit, insofern keine ungeplanten Unterbrechungen für den Letztverbraucher zu erwarten sind. Vielmehr muss dieser auch bei unvorhergesehenen Ereignissen, so etwa bei Wettereinflüssen oder bei Störungen durch Bauarbeiten auf eine weiterhin zuverlässige Netzverbindung vertrauen können.338 In Verbindung hierzu steht der sogenannte System Average Interruption Duration Index (SAIDI-Wert), mithilfe dessen die „durchschnittliche Dauer der Ver333 Siehe Riewe, Versorgungssicherheit durch Kapazitätsmechanismen, 2016, S. 123 mit weiteren Verweisen; Schneehain, Der Atomausstieg: Eine Analyse aus verfassungsund verwaltungsrechtlicher Sicht, 2005, S. 168. 334 Vgl. Riewe, Versorgungssicherheit durch Kapazitätsmechanismen, 2016, S. 123 mit weiteren Verweisen. Diese Verpflichtung für eine ausreichende und gesicherte Energieversorgung wurde auch im Rahmen der Beendigung der Kernenergienutzung herangezogen, vgl. Schneehain, Der Atomausstieg: Eine Analyse aus verfassungs- und verwaltungsrechtlicher Sicht, 2005, S. 168. 335 Vgl. Riewe, Versorgungssicherheit durch Kapazitätsmechanismen, 2016, S. 123. 336 Vgl. Hellermann/Hermes, in: Britz et al., Energiewirtschaftsgesetz, 2015, § 1 EnWG, Rn. 32a; Ausführungen zur Daseinsvorsorge in Kapitel C. II. 4. 337 Vgl. BVerfG, Beschluss vom 20. März 1984, Az.: 1 BvL 28/82, BVerfGE 66, 248 (258), NJW 1984, S. 1872 (1873); vgl. Riewe, Versorgungssicherheit durch Kapazitätsmechanismen, 2016, S. 124 mit weiteren Verweisen. Die konkrete Erfüllung und Umsetzung dieser staatlichen Aufgabe wird in Kapitel F. dargestellt. 338 Vgl. Kommission, Abschlussbericht, 2019, S. 43 mit weiteren Verweisen.

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sorgungsunterbrechung für Nieder- und Mittelspannung“ des jeweiligen an das Netz angeschlossenen Letztverbrauchers innerhalb eines Jahres ermittelt werden kann.339 Hierbei werden Versorgungsunterbrechungen mit einer Dauer von mehr als drei Minuten vermerkt, jedoch keine kürzeren Unterbrechungen.340 Auch werden nur ungeplante Unterbrechungen erfasst, somit nicht geplante Unterbrechungen der Netzbetreiber und auch nicht Unterbrechungen aufgrund von höherer Gewalt.341 In diesem Zusammenhang besteht für alle Strom- und Gasnetzbetreiber gemäß § 52 EnWG die Verpflichtung der Bundesnetzagentur, bis zum 30. April eines jeden Jahres über die in ihrem Netz im vorhergehenden Jahr aufgetretenen Versorgungsunterbrechungen zu berichten. Aus diesen vorgelegten Ermittlungen errechnet die Bundesnetzagentur seit 2006 den SAIDI-Wert.342 a) Strommarkt Aufgrund der Analysen zum SAIDI-Wert kann das derzeitige Versorgungssicherheitsniveau in Deutschland im Vergleich zu dem internationelen Niveau343 bisher bemerkenswert hoch eingeschätzt werden. So betrug die durchschnittliche Zeitspanne der Versorgungsunterbrechung je Kunde für Strom im Jahr 2020 nur 10,73 Minuten. Sie ist damit, bezogen auf die Gesamtdauer, der geringste Wert seit der erstmaligen Erhebung für das Jahr 2006344 und liegt dementsprechend auch unter dem Mittelwert von 14,05 Minuten für die Zeit vom Jahr 2010 bis zum Jahr 2020.345 Dies ist auf geringere Ausfälle im Jahr 2020 durch Extremwetterereignisse zurückzuführen.346 Auch wenn die Anzahl an Versorgungsunter339 Siehe BNetzA/BKartA, Monitoringbericht, 2021, S. 144; vgl. Kommission, Abschlussbericht, 2019, S. 43. 340 Diese werden jedoch in der Störungsstatistik des Forum Netztechnik/Netzbetrieb im VDE erfasst, Bundesregierung, Versorgungssicherheit mit Elektrizität, Drs. 19/6242, 2018, S. 2. 341 Es werden nur solche Unterbrechungen einberechnet, die auf atmosphärische Einwirkungen (Gewitter, Sturm, Eis, Hochwasser), Einwirkungen Dritter, Rückwirkungen, also Störungen aus anderen vor- oder nachgelagerten Netzen (oder aus der Anlage eines Letztverbrauchers oder aufgrund einer Störung bei einem einspeisenden Kraftwerk) oder andere Störungen im Bereich des Netzbetreibers zurückzuführen sind, vgl. BNetzA/ BKartA, Monitoringbericht, 2021, S. 144. 342 Bundesregierung, Versorgungssicherheit mit Elektrizität, Drs. 19/6242, 2018, S. 3. 343 Die SAIDI-Werte innerhalb der EU werden in diesem Kapitel unter b) dargestellt. 344 Vgl. BNetzA/BKartA, Monitoringbericht, 2021, S. 145; BNetzA/BKartA, Monitoringbericht, 2020, S. 133. 345 Vgl. BNetzA/BKartA, Monitoringbericht, 2021, S. 145. 346 Im Jahr 2019 lag der Wert bei 12,20 Minuten; im Jahr 2018 bei 13,91 Minuten und im Jahr 2017 lag der SAIDI-Wert sogar bei 15,14 Minuten, vgl. BNetzA/BKartA, Monitoringbericht, 2021, S. 145.

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brechungen im Vergleich zum Vorjahr gestiegen ist,347 ist dennoch nach Aussage von Bundesnetzagentur und Bundeskartellamt „ein maßgeblicher Einfluss der Energiewende und der damit einhergehenden steigenden dezentraleren, kleinteiligeren und gleichzeitig lastferneren Erzeugungsstruktur auf die Versorgungsqualität [. . .] auch für das Berichtsjahr 2020 nicht zu erkennen“.348 Derzeit bestehen am Energiemarkt noch Überkapazitäten, die die kurzfristigen Ausfälle überbrücken können.349 Diese werden jedoch aufgrund der Besonderheiten der energiepolitischen Entwicklung, so auch mit dem Abschalten der letzten Kernkraftwerke Ende des Jahres 2022, ab dem Jahr 2023 rückläufig sein, zumal gleichzeitig ein Rückgang von Kapazitäten in den Nachbarländern, wie etwa Belgien, zu erwarten ist.350 Die Konsequenz hierbei ist die bedarfsgerechte Stromproduktion am Markt zu beobachten und zu bewerten.351 b) Gasmarkt Der festgestellte SAIDI-Wert im Gasmarkt ist im Vergleich zu dem im Strommarkt deutlich besser platziert, insofern dieser im Jahr 2020 bei 1,09 Minuten lag, also noch unter dem Mittelwert von 1,22 Minuten der letzten zehn Jahre von 2010 bis 2020.352 Allerdings wurden auch niedrigere Werte gemessen, etwa für das Jahr 2019 von unter einer Minute (0,98 Minuten)353 und für das Jahr 2018 sogar von nur 0,48 Minuten.354 Der höchste Wert lag für das Jahr 2014 bei 16,8 Minuten. Diese Unterbrechung war indessen auf eine am 23. Oktober 2014 eingetretene Explosion zurückzuführen, die die Erdgasleitung Rhein-Main für 35 Stunden außer Betrieb setzte.355 Aber auch unter Einbeziehung dieses Vorfalls war zu 99,996 % die Gasversorgung gesichert.356 347 Im Jahr 2019 waren es 159.826 und im Jahr 2020 waren es 162.224 Versorgungsunterbrechungen, ebenda, Monitoringbericht, 2020, S. 133 und Monitoringbericht, 2021, S. 144. 348 BNetzA/BKartA, Monitoringbericht, 2021, S. 145. 349 Vgl. Kommission, Abschlussbericht, 2019, S. 45 mit Verweis auf Maurer, Monitoring der Versorgungssicherheit am Strommarkt – Analyse für 2020–2030 im Auftrag des BMWi, 2018; Böckers et al., Vor- und Nachteile alternativer Kapazitätsmechanismen, 2012, S. 5. 350 Vgl. Kommission, Abschlussbericht, 2019, S. 45 mit weiterem Verweis. 351 Vgl. Kommission, Abschlussbericht, 2019, S. 44. 352 Vgl. BNetzA/BKartA, Monitoringbericht, 2021, S. 389. 353 Ebenda. 354 Vgl. BNetzA/BKartA, Monitoringbericht, 2019, S. 396. 355 Dieser Vorfall hatte aber nach Aussage der Bundesnetzagentur und des Bundeskartellamts keine bundesweite Verschlechterung der Versorgungssicherheit zur Folge, da ohne diesen Unfall der SAIDI-Wert bei ca.1,3 Minuten gewesen wäre und nur wegen des Unfalls der SAIDI-Wert auf 16,8 Minuten anstieg, siehe BNetzA/BKartA, Monitoringbericht, 2015, S. 243. Deshalb wird der Wert für das Jahr 2014 nun auch nur noch i. H. v. 1,26 Minuten für die Errechnung des Mittelwerts einbezogen, vgl. BNetzA/ BKartA, Monitoringbericht, 2021, S. 389.

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Während also festgestellt werden kann, dass die gegenwärtige Gasversorgung in Deutschland technisch qualitativ in hohem Maße vorhanden ist,357 ist im Gegensatz hierzu ungewiss und daher diskussionsbedürftig, inwiefern die langfristige Gasversorgungssicherheit nachhaltig gewährleistet werden kann. 5. Energieversorgungssicherheit im Kontext der Europäischen Union a) Definition Die Gewährleistung der Energieversorgungssicherheit in der Europäischen Union ist seit dem Vertrag von Lissabon358 erstmals primärrechtlich explizit in Art. 194 Abs. 1 lit. b AEUV genannt worden. Sie ist hiernach in der Union gewährleistet, „wenn die Nachfrage nach Energie allgemein, über die Breite der verwandten Energiearten und kontinuierlich befriedigt werden kann“.359 In den Erwägungsgründen der Richtlinie 2009/72/EG wird sekundärrechtlich „die Sicherheit der Energieversorgung“ als „ein Kernelement der öffentlichen Sicherheit“ bezeichnet, welches „daher bereits von Natur aus direkt verbunden mit dem effizienten Funktionieren des Elektrizitätsbinnenmarktes und der Integration der isolierten Strommärkte der Mitgliedstaaten ist“.360 In der aktuellen Risikovorsorge-Verordnung Strom361 des europäicschen Parlaments und Rates werden „die voraussichtlich nicht bedienbare Last in GWh/ Jahr“ und die „Unterbrechungserwartung in Stunden/Jahr“ als zwei Indikatoren für Stromversorgungssicherheit festgelegt.362 Die Stromversorgungssicherheit 356

Vgl. BNetzA/BKartA, Monitoringbericht, 2015, S. 243. Vgl. Monopolkommission, Energie 2015: Ein wettbewerbliches Marktdesign für die Energiewende, S. 59, Ziff. 132; BMWi, Versorgungssicherheit bei Erdgas Monitoring-Bericht nach § 51 EnWG 2019, S. 24. 358 Vertrag von Lissabon zur Änderung des Vertrags über die Europäische Union und des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft, ABl. EU Nr. C 306, S. 1 vom 17. Dezember 2007, konsolidierte Fassung zuletzt veröffentlicht in ABl. EU Nr. C 326, S. 1 vom 26. Oktober 2012. 359 Nettesheim, in: Grabitz et al., Das Recht der Europäischen Union, 2022, Art. 194, Rn. 16; vgl. Ehricke/Hackländer, Europäische Energiepolitik auf der Grundlage der neuen Bestimmungen des Vertrags von Lissabon, ZEuS 2008, S. 579–600 (588); Riewe, Versorgungssicherheit durch Kapazitätsmechanismen, 2016, S. 135. 360 Erwägungsgrund 25 der Richtlinie 2009/72/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Juli 2009 über gemeinsame Vorschriften für den Elektrizitätsbinnenmarkt und zur Aufhebung der Richtlinie 2003/54/EG, ABl. EG Nr. L 211 vom 14. August 2009. 361 Verordnung 2019/941 des europäischen Parlaments und des Rates vom 05. Juni 2019 über die Risikovorsorge im Elektrizitätssektor und zur Aufhebung der Richtlinie 2005/89/EG (Risikovorsorge-Verordnung Strom), ABl. EU Nr. L 158, S. 1 vom 14. Juni 2019. 362 Vgl. Erwägungsgrund Nr. 12 der Risikovorsorge-Verordnung Strom, ABl. EU Nr. L 158, S. 1 (3) vom 14. Juni 2019. 357

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wiederum ist nach Art. 2 Nr. 1 dieser Verordnung definiert als „die Fähigkeit eines Stromsystems, die Stromversorgung der Kunden auf einem klar von dem betreffenden Mitgliedstaat definierten Leistungsniveau sicherzustellen.“ Während die Adäquanz der Ressourcen auf europäischer Ebene nunmehr explizit hervorgehoben wird, soll zugleich sichergestellt werden, dass die jeweiligen Mitgliedstaaten ihre Entscheidungen über einen möglichen Investitionsbedarf transparent und auf einer gemeinsam vereinbarten Grundlage treffen.363 Bedeutungsgleich mit dem Strommarkt wird auch für den Gasmarkt auf EUEbene gemäß Art. 2 Nr. 32 der Richtlinie 2009/73/EG die Versorgungssicherheit als die Sicherheit der Versorgung mit Erdgas, so die jederzeitige Verfügbarkeit von Energiemengen als auch der Aspekt der Betriebssicherheit, so die reine Sicherheit der Energieanlagen, verstanden.364 Indem auch zwischen Systemsicherheit und einer angemessenen Bedarfsdeckung unterschieden wird, sind beide Elemente der Versorgungssicherheit als Merkmale langfristiger, erzeugungsseitiger Versorgungssicherheit auch auf der Ebene der europäischen Union stabil etabliert und garantiert worden. Auch in den Entscheidungen des EuGH ist das Kriterium der Versorgungssicherheit und deren Relevanz stets im Zusammenhang mit den Grundfreiheiten sichtbar, so auch in dem Urteil vom 10. Juli 1984 Campus-Oil.365 Hierbei wird der in Art. 36 AEUV enthaltene Begriff „Sicherheit“ dahingehend ausgelegt, dass in diesem Rahmen zur Stabilität der eigenen Energieerzeugung der Mitgliedstaaten und der permanenten Aktivierung oder Steigerung deren Versorgung mitgliedstaatlicher Instruktionen, etwa Beschränkungen des Warenverkehrs – hier Abnahme von einer Mindestmenge von Erdölerzeugnissen – erteilt werden können.366 363 Vgl. Erwägungsgrund Nr. 17 der Risikovorsorge-Verordnung Strom, ABl. EU Nr. L 158, S. 1 (4) vom 14. Juni 2019. In der vorherigen Richtlinie 2005/89/EG vom 18. Januar 2006, ABl. EU Nr. L 33, S. 22 vom 04. Februar 2006, war noch in Art. 2 c) die Betriebssicherheit des Netzes als der unterbrechungsfreie Betrieb des Übertragungsund gegebenenfalls des Verteilungsnetzes unter vorhersehbaren Bedingungen definiert. Weiterhin war in Art. 2 lit d) das „Gleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage“ als „die Deckung des vorhersehbaren Bedarfs der Endverbraucher an Elektrizität, ohne dass Maßnahmen zur Senkung des Verbrauchs durchgesetzt werden müssen“ definiert worden. 364 Auf diese Begriffsbestimmung wird auch in der aktuellen Verordnung (EU) 2017/ 1938 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Oktober 2017 über Maßnahmen zur Gewährleistung der sicheren Gasversorgung und zur Aufhebung der Verordnung (EU) Nr. 994/2010 in Art. 2 Nr. 1 verwiesen, ABl. EU Nr. L 280, S. 1 vom 28. Oktober 2017. 365 EuGH, Urteil vom 10. Juli 1984, Rs. C-72/83 (Campus Oil), Slg. 1984, 2727, Rn. 35; vgl. dazu Gundel, in: Theobald/Kühling, 2022, Europäisches Energierecht, Rn. 28. 366 Vgl. Riewe, Versorgungssicherheit durch Kapazitätsmechanismen, 2016, S. 138 mit weiteren Verweisen; EuGH, Urteil vom 13. Dezember 1990, Rs. C-347/88 (Kom-

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b) EU-weite Versorgungszuverlässigkeit Der analysierte SAIDI-Wert lag etwa in Frankreich im Jahr 2016 bei 48,70 Minuten pro Netzkunde im Strombereich.367 Ein Vergleich dieses Wertes ist allerdings aufgrund der unterschiedlichen Berechnungsweise nur eingeschränkt möglich. Hierbei ist jedoch zu erwähnen, dass ergebnisentscheidend für das Monitoring der Versorgungssicherheit in den einzelnen Mitgliedstaaten nur eine rein nationale Sicht war. So wurde das Monitoring der Versorgungssicherheit ganz bewusst auf den „heimischen Markt“ 368 eingegrenzt. So war der Fokus bezüglich der nationalen Leistungsbilanz lediglich auf die als gesichert verfügbare angenommene Erzeugungsleistung der erwartbaren Jahreshöchstlast gerichtet. Hierbei blieb die in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union installierte Leistung explizit unberücksichtigt.369 Bei dieser Vorgehensweise besteht aber die Gefahr einer ungenauen Analyse infolge der Nichtbeachtung der „grenzüberschreitenden Stromflüsse“, die im europäischen Binnenmarkt existieren. Somit war eine EU-weite Anschauungsweise unumgänglich. Eine verlässliche Analyse der Versorgungssicherheit ist daher nur bei einer detaillierteren Einbeziehung dieser Stromflüsse erreichbar.370 So wurde in Deutschland in der Begründung zum Strommarktgesetz festgelegt, dass das Monitoring der Versorgungssicherheit nunmehr im Kontext der europäischen Strommärkte betrachtet wird.371 Es habe sich etwa gezeigt, dass sich

mission/Griechenland), Slg. 1990, I-4747 und Urteil vom 25. Oktober 2001, Rs. C-398/ 98 (Kommission/Griechenland), Slg. 2001, I-7915, jeweils mit Verweis auf EuGH, Urteil vom 10. Juli 1984, Rs. C-72/83 (Campus Oil), Slg. 1984, 2727. 367 Vgl. Wissenschaftlicher Dienst des Bundestages, Kurzinformation Ungeplante Unterbrechungen der Stromversorgung in Deutschland, Frankreich und Belgien in den Jahren 2015 und 2016, WD 5-3000-131/18, vom 26. November 2018, S. 1; Landtag von Baden-Württemberg, Drucksache 16/6524 vom 04. Juli 2019, S. 3; Council of European Energy Regulators (CEER), 6th Cheer Benchmarking Report on the quality of electricity and gas supply, 2016. In Großbritannien, das damals noch Mitglied der EU war, waren in diesem Jahr 38,4 Minuten festgestellt worden. 368 Reeg et al., Kapazitätsmechanismen als Rettungsschirm der Energiewende?, 2015, S. 7; siehe hierzu § 51 Abs. 2 EnWG in der Fassung gültig bis 31. Dezember 2016 durch VO vom 31. August 2015, BGBl. I, S. 1474. 369 Siehe BMWi, Versorgungssicherheit Elektrizität, 2014, S. 15, vgl. zu den Gründen des damaligen „status quo“ Riewe, Versorgungssicherheit durch Kapazitätsmechanismen, 2016, S. 115, der für ein länderübergreifendes Monitoring plädiert, vgl. S. 116 ff. mit weiteren Verweisen. 370 Siehe BMWi, Versorgungssicherheit Elektrizität, 2019, S. 21. Derzeit existieren in Deutschland sogenannte Interkonnektoren im Umfang von ca. 30 GW mit dem Ziel der Steigerung auf ca. 35 GW bis 2030. 371 Vgl. Bundestag, Begründung zum Strommarktgesetz vom 20. Januar 2016, BTDrs. 18/7317, S. 3 mit Verweis u. a. auf den ersten Versorgungssicherheitsbericht des Pentalateralen Energie-Forums, der erstmals die gemeinsamen Erzeugungskapazitäten

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im EU-weiten Markt Lastspitzen besser ausgleichen und Erzeugungskapazitäten besser verteilen lassen und infolgedessen die Gewährleistung der Versorgungssicherheit kostengünstiger und insgesamt effizienter bewerkstelligt werden kann.372 Nunmehr betrifft das Monitoring das heutige und zukünftige Verhältnis zwischen Angebot und Nachfrage gemäß § 51 Abs. 2 EnWG für den Gasmarkt, bezogen auf den deutschen und den internationalen Markt sowie gemäß § 51 Abs. 3 EnWG für den Strommarkt, bezogen auf die europäischen Strommärkte mit Auswirkungen auf das Gebiet Deutschlands.373 Bedeutende Aspekte bei der Versorgungssicherheit sind die internationalen Beziehungen und die damit verbundenen potenziellen Beeinträchtigungen, etwa bei der Einfuhr, denen bereits mit präventiven Maßnahmen entgegengewirkt werden muss.374 Insbesondere die in Kapitel B.375 dargestellte hohe Importabhängigkeit des nationalen und auch Eu-weiten Gasmarktes signalisiert das Risiko eines technisch bedingten oder politisch motivierten Ausfalls von Grenzübertragungspunkten (GÜP). Ein erstmals hierzu im Jahr 2014 von der Europäischen Kommission durchgeführter sogenannter Stresstest des europäischen Gassektors kam zu dem Ergebnis, dass eine langfristige Versorgungsunterbrechung, so etwa aus politischen Gründen, von bedeutender Relevanz für den europäischen Gasmarkt wäre.376 Eine EU-weite Analyse aus dem Jahr 2017 des Verbundes der Fernleitungsnetzbetreiber für Erdgas (ENTSO-G) zur Versorgungssicherheit auf dem Erdgasmarkt stellte zwar eine Resilienz des Systems fest, jedoch auch Defizite bei der regionalen Kooperation in Europa. Immerhin wurde aber dennoch eine existierende Erdgasversorgungssicherheit derzeit und für die nahe Zukunft angenommen.377 im Strommarkt untersucht, siehe Pentalateralen Energy Forum, Generation Adequacy Assessment, 2015. 372 Vgl. BMWi, Versorgungssicherheit Elektrizität, 2019, S. 21. So auch bereits BMWi, Ein Strommarkt für die Energiewende (Weißbuch), 2015, S. 19. 373 Vgl. § 51 Abs. 2 und 3 EnWG in der Fassung aufgrund des Gesetzes zur Änderung der Bestimmungen zur Stromerzeugung aus Kraft-Wärme-Kopplung und zur Eigenversorgung vom 22. Dezember 2016, BGBl. I, S. 3106. 374 Vgl. Danner, in: Theobald/Kühling, Energierecht, 2022, Einführung, Rn. 11. 375 Kapitel B. IV. 2. a). 376 Konkret wurde hier die Unterbrechung der Gastransitroute durch die Ukraine sowie die Unterbrechung aller russischen Gaslieferungen nach Europa für einen Zeitraum von einem Monat und von sechs Monaten (September bis Februar) modelliert. Von den Auswirkungen seien die östlichen Mitgliedstaaten und die Länder der Energiegemeinschaft Südosteuropa am stärksten betroffenen, vgl. EU-Kommission, Mitteilung vom 02. März 2015 über die kurzfristige Krisenfestigkeit des europäischen Gassystems, KOM (2014) 654 endg., S. 20. 377 Vgl. Neumann et al., Erdgasversorgung: Weitere Ostsee-Pipeline ist überflüssig, DIW Wochenbericht Berlin, Vol. 85, 2018, S. 589–597 (594); ENTSOG, Union-wide simulation of gas supply and infrastructure disruption scenarios (SoS simulation), 2017.

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D. Versorgungssicherheit auf dem Energiemarkt

6. Einordnung der Versorgungssicherheit im Kontext der Regulierung Nach der im Kapitel C.378 genannten ökonomischen Definition eines öffentlichen Gutes ist die Energieversorgungssicherheit nicht als ein öffentliches Gut einzuordnen. Zwar wird die Annahme, Versorgungssicherheit als ein öffentliches Gut zu definieren,379 damit begründet, dass deren Sicherstellung dem Staat obliegt,380 und auch, dass zum einen kein Verbraucher bereits aus rein technischer Sicht von der Nutzung von Energie ausgeschlossen werden darf, somit eine Ausschließbarkeit nicht vorliegen könne.381 Zum anderen sei eine Unteilbarkeit des Gutes gegeben, da es allen Kunden gleichermaßen gestattet sei, an der Energieversorgung ohne gegenseitige Beeinträchtigung teilzunehmen. Ebenso würde eine Unterbrechung oder ein vollständiger Ausfall der Strom- oder Gaslieferungen alle Bezieher, unabhängig davon, ob sie ihrer Zahlungsverpflichtung nachgekommen sind, in gleichem Maße beeinträchtigen. Auch könne, gerade bei der bisher auf dem Energiemarkt vorherrschenden unelastischen Nachfrage, die Versorgungssicherheit nicht durch individuelles Verhalten des Verbrauchers, so etwa durch mangelnde Zahlungsbereitschaft im Niveau beeinflusst werden.382 378

Siehe in Kapitel C. II. 3. b). Vgl. Ecke et al., Ein zukunftsfähiges Energiemarktdesign für Deutschland, 2013, S. 40; vgl. auch Pompl, Kapazitätssicherung im europäisierten Stromwirtschaftsrecht, 2019, S. 30 und 31 mit weiteren Verweisen. Versorgungssicherheit sei zumindest bei unelastischer Nachfrage ein öffentliches Gut (vgl. Elberg et al., Ein umfassender Kapazitätsmarkt: Ein Markt für Versorgungssicherheitsverträge, in: Agora, Kapazitätsmarkt oder strategische Reserve, 2013, S. 37–50 (39)). „Viele Regierungen haben Versorgungssicherheit als öffentliches Gut anerkannt“ (Gottstein/Skillings, Über Kapazitätsmärkte hinausdenken: Flexibilität als Kernelement, in: Agora, Kapazitätsmarkt oder strategische Reserve, 2013, S. 15–26 (20)). „Versorgungssicherheit ist ein eigenständiges Gut“ (Löschel et al., Energiewirtschaft, 2020, S. 15); vgl. auch Cramton/Ockenfels, Economics and Design of Capacity Markets for the Power Sector, ZfE 2012, S. 113–134 (116)). „Bei Investitionen in die ausreichende Verfügbarkeit von Kapazitäten handle es sich um ein öffentliches Gut (. . .)“ (Böske, Zur Ökonomie der Versorgungssicherheit in der Energiewirtschaft, 2007, S. 105). Zur Definition eines öffentlichen Guts vgl. Kapitel C. II. 3. b). 380 Vgl. Elberg et al., Untersuchungen zu einem zukunftsfähigen Strommarktdesign, 2012, S. 8 und 56. 381 Vgl. Ecke et al., Ein zukunftsfähiges Energiemarktdesign für Deutschland, 2013, S. 40; Elberg et al., Untersuchungen zu einem zukunftsfähigen Strommarktdesign, 2012, S. 8; Elberg et al., Ein umfassender Kapazitätsmarkt: Ein Markt für Versorgungssicherheitsverträge, in: Agora, Kapazitätsmarkt oder strategische Reserve, 2013, S. 37–50 (37); Pompl, Kapazitätssicherung im europäisierten Stromwirtschaftsrecht, 2019, S. 31. 382 Vgl. Elberg et al., Untersuchungen zu einem zukunftsfähigen Strommarktdesign, 2012, S. 8; Elberg et al., Ein umfassender Kapazitätsmarkt: Ein Markt für Versorgungssicherheitsverträge, in: Agora, Kapazitätsmarkt oder strategische Reserve, 2013, S. 37– 50 (37); Matthes et al., Die Leistungsfähigkeit des Energy-Only-Marktes und die aktuellen Kapazitätsmarkt-Vorschläge in der Diskussion, 2015, S. 22/23, die i. E. ein Allmendegut „zumindest aber die Einordnung als meritorisches Gut“ bejahen; vgl. auch Pompl, Kapazitätssicherung im europäisierten Stromwirtschaftsrecht, 2019, S. 31 mit weiteren Verweisen. 379

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Dieser Auffassung steht entgegen, dass die langfristige erzeugungsseitige Versorgungssicherheit rein ökonomisch als privates Gut einzuordnen wäre, zudem ist eine Ausschließbarkeit des Nutzers technisch möglich, wie die Regelungen der Abschaltverordnung zeigen. Es ist aber politisch grundsätzlich nicht erwünscht, dass Nutzer ausgeschlossen werden, sondern vielmehr soll die Versorgungssicherheit aus Gründen der Daseinsvorsorge staatlich bereitgestellt werden. In Bezug auf die Energieversorgungssicherheit liegt somit ein meritorisches Gut vor. Bei meritorischen Gütern wird unterstellt, dass bei ihnen auch die Voraussetzungen (Ausschließbarkeit und Rivalität) des Marktes vorhanden sind. Jedoch verdienen sie es, in einem höheren Ausmaß präsentiert zu werden, als es sich aus dem Markt ergäbe, auch mangels der im Vergleich potenziell zu geringen Nachfrage. Dies folgt aus „übergeordneten“, das Gemeinwohl betreffenden Gründen, mithin sie nicht entscheidend abhängig sind von einer Konsumentenentscheidung des Kunden (Konsumentensouveränität).383 Letztlich ist das Ausschlussprinzip auf nahezu jedes Gut zu verwenden, insofern hierfür maßgebend für Art und Umfang der Anwendung des Prinzips, so auch ob ein vollständiger Ausschluss in Betracht kommt „in der Praxis die diesbezüglichen Vorstellungen von Staatsbürgern und Politikern sowie insbesondere auch die mit der Anwendung des Ausschlussprinzips verbundenen Kosten“ sind.384 Überdies fehlt für die Definition ,öffentliches Gut‘ das Merkmal der ,Nichtrivalität‘. Dies ist hier nicht gegeben, insofern bei vermehrter und gesteigerter gleichzeitiger Nutzung und Nachfrage die Versorgungsqualität abnimmt und als Folge dessen das Gut Versorgungssicherheit insgesamt gefährdet wird, bis hin zu einem „Blackout“, sofern das Energieangebot völlig aufgebraucht ist. Im Hinblick auf die Komplexität der Versorgungssicherheit sollen auch deren unterschiedliche Facetten in die regulatorische Beurteilung einbezogen werden.385 So besteht bei der Systemsicherheit eine politisch nicht erwünschte Nichtausschließbarkeit, insofern sämtlichen Nutzern der Energie gleichermaßen ein umfassendes sicheres System zur Verfügung stehen soll. Die Energienutzer konkurrieren zudem um die Systemsicherheit. Es besteht somit Rivalität, insofern bei stärkerer und gleichzeitiger Inanspruchnahme des Netzes die Systemsicherheit bis hin zu einem Zusammenbruch an Qualität verliert. Die Systemsicherheit respektive die netzseitige Versorgungssicherheit ist infolgedessen ebenfalls als meritorisches Gut einzuordnen.386 383

Vgl. Blankart, Öffentliche Finanzen in der Demokratie, 2011, S. 70. Vgl. Fritsch, Marktversagen und Wirtschaftspolitik, 2018, S. 81. 385 So auch Riewe, Versorgungssicherheit durch Kapazitätsmechanismen, 2016, S. 201. 386 Versorgungssicherheit sei „zumindest als meritorisches Gut einzuordnen“, Matthes et al., Die Leistungsfähigkeit des Energy Only-Marktes und die aktuellen Kapazi384

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D. Versorgungssicherheit auf dem Energiemarkt

Gleichermaßen ist dies auch für die erzeugungsseitige Versorgungssicherheit zu beurteilen. So existiert im Hinblick auf die Zurverfügungstellung ausreichender Ressourcen nur eine politisch nicht erwünschte Nichtausschließbarkeit, so dass diese als privates Gut einzuordnen wäre.387 Mittlerweile ist diese Ausschließbarkeit in gewissen Umfang sogar erwünscht, in dessen Rahmen den jeweiligen Konsumenten ermöglicht wird, auf Knappheitssituationen zu reagieren (etwa durch Smart Meter etc.), somit sich die Nutzer selbst vom Konsum ausgrenzen können.388 Dies belegt, dass rein technisch die eigene Ausgrenzung von der grundsätzlichen Nutzung der Ressourcen sehr wohl möglich ist. Jedoch besteht auch hier eine Rivalität zwischen den Konsumenten, die sich in Knappheitssituationen widerspiegelt. So führt die gesteigerte Inanspruchnahme der Ressourcen zu Knappheitssituationen, die bei wiederholten Malen die Rivalität zwischen den Konsumenten potenziert. Hieraus resultiert, dass auch die erzeugerseitige Versorgungssicherheit respektive die beschriebene Versorgungszuverlässigkeit als ein meritorisches Gut einzuordnen ist.

IV. Zwischenergebnis Im Verlauf der Liberalisierung orientiert sich der Fokus der Regulierung zunehmend an einer dynamischen Effizienz des Marktes, so dass insbesondere mehr die für den Energiemarkt wichtigen Innovationen und Investitionen im Vordergrund stehen.389 Es kann daher festgestellt werden, dass bei der netzwirtschaftlichen Regulierung die Verwirklichung wettbewerblicher Prozesse zunehmend an Bedeutung

tätsmarkt-Vorschläge in der Diskussion, 2015, S. 23 und 88. Für nicht leistungsgemessene Verbraucher sei die Versorgungssicherheit als ein „unreines öffentliches Gut“ bzw. sog. Allemende-Gut zu werten (siehe Müsgens/Peek, Sind Kapazitätsmärkte in Deutschland erforderlich?, ZNER 2011, S. 576–583 (579)). Nach Riewe kann die Systemsicherheit die Eigenschaften eines öffentlichen Gutes aufweisen (siehe Riewe, Versorgungssicherheit durch Kapazitätsmechanismen, 2016, S. 201). 387 Die langfristige, erzeugungsseitige Versorgungssicherheit wird als privates Gut eingeordnet, vgl. etwa Riewe, Versorgungssicherheit durch Kapazitätsmechanismen, 2016, S. 201. 388 Vgl. Müsgens/Peek, Sind Kapazitätsmärkte in Deutschland erforderlich?, ZNER 2011, S. 576–583 (579). Nach Riewe ist „das bestehende Bilanzkreis- und Ausgleichsenergiesystem“ zuständig, den Verbrauch des „nicht leistungsgemessenen Endkunden“ nach genormten, exakten Vorgaben festzustellen und dementsprechend dessen Nachfrage anzugleichen. Auf diese Weise können „auch in Knappheitssituationen“ indirekt die Kosten dieses Konsumenten ermittelt werden (siehe Riewe; Versorgungssicherheit durch Kapazitätsmechanismen, 2016, S. 201/202). 389 Vgl. Böckers et al., Vor- und Nachteile alternativer Kapazitätsmechanismen, 2012, S. 1; Reeg et al., Kapazitätsmechanismen als Rettungsschirm der Energiewende?, 2015, S. 31.

IV. Zwischenergebnis

173

gewann,390 während die Umstrukturierung des Erzeugungsparks (also die in diesem Kapitel unter Abschnitt II. aufgeführten Maßnahmen) nicht dem Wettbewerb dienen sollten, sondern zuvorderst umweltpolitischen (so die erneuerbaren Energien) und sicherheitstechnischen Belangen (so der Ausstieg aus Atomenergie). Die staatlichen Eingriffe in die Verwendung der Energieträger strukturieren die Erzeugerebene im erheblichen Maße um und führen damit zu einer bedeutsamen Transformation des gesamten Energiemarktes. Dies ist zunächst von § 1 EnWG gedeckt, jedoch sollten aus rechtspolitischer Sicht die umweltpolitischen Zielvorgaben den ergebnisoffenen Wettbewerbsprozess nicht zu stark überlagern391 und insbesondere nicht die Versorgungssicherheit gefährden. Eine Tendenz in Richtung einer stärker an Markt und Wettbewerb orientierten Ausrichtung, etwa im Bereich der erneuerbaren Energien, ist zwar zu erkennen. So sind die Maßnahmen zum Teil wettbewerbsfördernd im Sinne einer Vielfalt der Akteure (insbesondere EEG 2017).392 Jedoch bleibt es im Ergebnis bei einer staatliche Vorrangregelung für erneuerbare Energien und somit bei einer staatlichen Steuerung, die einen erheblichen Eingriff in den Wettbewerbsmarkt darstellt. Die kurzfristige Versorgungssicherheit ist nach derzeitigem Stand auf einem hohen Niveau in Deutschland. Hierbei fällt auf, dass der SAIDI-Wert im Gasmarkt wesentlich niedriger als im Strommarkt ist, womit hier eine noch höhere (kurzfristige) Systemsicherheit festgestellt werden kann. Innerhalb des EU-weiten Strommarktes ist Deutschland in Bezug auf die Systemsicherheit führend.393 Mengenmäßig ausreichende Energieversorgung bedingt das Vorhandensein ausreichend dimensionierter Erzeugungs-, Transport- und Verteilungsanlagen, insofern die Angemessenheit der Ressourcenverfügbarkeit als eine notwendige Voraussetzung der Netzstabilität einzuordnen ist.394 Daher ist eine vollkommene Abgrenzung zwischen Systemsicherheit und erzeugungsseitiger Versorgungssicherheit nicht möglich und nicht sinnvoll.395

390 Vgl. Fuchs, Regulierung, Effizienz und Wettbewerb, in: Regulierung und Gemeinwohl, 2016, S. 13–45 (13). 391 Vgl. Thomas, Regulierung in sozialpolitischer Perspektive, in: Regulierung und Gemeinwohl, 2016, S. 70–101 (101). 392 Vgl. Heymann, Der Strommarkt 2.0, 2019, S. 88. 393 Vgl. etwa BMWi, Bericht zum Stand und zur Entwicklung der Versorgungssicherheit im Bereich der Versorgung mit Erdgas, 2020, S. 24. 394 Vgl. Böske, Zur Ökonomie der Versorgungssicherheit in der Energiewirtschaft, 2007, S. 25. 395 So auch Riewe, Versorgungssicherheit durch Kapazitätsmechanismen, 2016, S. 112; „Obviously, operating reliability and resource adequacy considerations are interdependent.“, Joskow, Supply Security in Competitive Electricity and Natural Gas Markets, 2005, S. 7.

E. Risiken für die Versorgungssicherheit auf dem Energiemarkt Die zuvor dargestellten Maßnahmen und Eingriffe in den Energiemarkt haben diesen nicht nur transformiert, sondern bedeuten auch Folgewirkungen sowie Risiken, die ihrerseits zu einer mangelnden Versorgungssicherheit führen können.

I. Risiken Ein Risiko liegt dann vor, wenn die Gefahr besteht, dass unter Umständen, auch mit nur geringer Wahrscheinlichkeit, eine Entscheidung nicht zu dem erwarteten Erfolg führt, sondern ein Schaden eintritt oder zumindest aber ein erhoffter Nutzen entfällt.1 Sobald Unsicherheitsfaktoren hinzukommen, muss die Möglichkeit des Eintritts eines nicht gewünschten Ereignisses anhand bestehender Kenntnisse und bisheriger Erfahrungen prognostiziert werden.2 Das bedeutet, dass die hierbei zu treffenden Entscheidungen zwangsläufig von Unsicherheit geprägt sind. Für die Versorgungssicherheit auf dem Energiemarkt gibt es Risiken unterschiedlicher Art.3 So können etwa ökologische Risiken bestehen, sofern CO2Emissionen nicht weiter akzeptabel werden oder aber Risiken technischer Art, die etwa durch ungünstiges Wetter oder Umweltkatastrophen die Systemsicherheit beeinträchtigen können.4 Der Schwerpunkt soll hier auf den ökonomischen und auf den regulatorischen Risiken liegen, die durch eine mangelnde Erschließung von Ressourcen wegen 1

Vgl. Ekardt, Theorie der Nachhaltigkeit, 2021, S. 325. Vgl. Lange, Werteorientiertes Management in der kommunalen Energieversorgung, 2016, S. 218. 3 Risiken, die auch bereits in der Vergangenheit eingetreten sind, wie etwa zeitgleicher Ausfall einiger Kraftwerke oder die aus nachvollziehbaren Gründen eintreten können, so etwa „Dunkelflauten“ aufgrund der volatilen Stromerzeugung erneuerbarer Energien, sind bekannt. Deshalb können und müssen sie auch in die Kalkulation bei Investitionsentscheidungen mit einbezogen werden. Hierauf können dann auch Bewertungen zur Versorgungssicherheit gestützt werden. Nicht einplanbar hingegen sind Risiken, deren Eintritt unwahrscheinlich ist, da dergleichen in der Vergangenheit nicht oder sehr selten aufgetreten ist, mithin Risiken, die nicht realistisch taxiert werden können sondern gänzlich unvorhersehbar sind, vgl. BMWi, Monitoringbericht zur Versorgungssicherheit im Bereich der leitungsgebundenen Versorgung mit Elektrizität, 2019, S. 8. 4 Unterteilung nach Böske, Zur Ökonomie der Versorgungssicherheit in der Energiewirtschaft, 2007, S. 25 und 26. 2

I. Risiken

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fehlender Preissignale und damit verbunden, durch fehlende Investitionsanreize entstehen. Hierdurch würde für die Marktakteure etwa ein rechtzeitiger Kapazitätsausbau unterbleiben, insofern es wesentlich ist, ob die Marktakteure in der Lage sind vorauszusehen, ob und gegebenenfalls, welche Ereignisse zu welchem Zeitpunkt oder auch in welcher Form, eintreten, die ihre Entscheidungen wesentlich beeinflussen können.5 Auch sind vor allem für den Gasmarkt die politischen Risiken zu nennen, die bei einem Zusammenbruch der Importmöglichkeiten, etwa aufgrund eines Embargos oder durch politische Konflikte, entstehen und damit die Versorgungssicherheit gefährden können. 1. Merit Order-Effekt an der Börse Wie in Kapitel D.6 dargelegt, führt der beschriebene Mechanismus der Merit Order dazu, dass die teuersten Kraftwerke, die nicht mehr abgerufen werden, vom Markt verdrängt werden. Dieser Effekt hat dann unerwünschte Folgen, wenn auch diejenigen Kraftwerke aus dem Markt gedrängt werden, die eigentlich noch zur Sicherstellung der Versorgung benötigt werden. Bei einem Kraftwerk entstehen die (kurzfristigen) variablen Kosten für Brennstoff, CO2-Zertifikate und sonstige Betriebsmittel, die nur dann anfallen, wenn ein Kraftwerk Strom produziert. Die langfristigen Kosten umfassen hingegen Fixkosten, die die Ausgaben für den Kraftwerksbau, umgelegt auf die geplante Lebensdauer, widerspiegeln.7 Bei den erneuerbaren Energien sind die variablen Kosten äußerst gering, insofern sie kein CO2 ausstoßen und auch keine Brennstoffe benötigen.8 Also erhalten sie in der Merit Order als erste Anlagen den Zuschlag (Must Run-Kapazitäten).9 Auch spiegeln diese Grenzkosten hier nicht die gesamten Kosten wider, weil erst die staatlichen Förderungsmaßnahmen durch das EEG diese vollständigen Kosten decken.10 Anders gesagt, wird Strom aus erneuerbaren Energien auch dann eingespeist, wenn diese im Vergleich zu anderen Erzeugungstechnologien höhere Grenzkosten aufweisen. Erneuerbare Energien können zwar kurzfristig eingesetzt werden, sofern die Wetterlage dies zulässt. Allerdings wäre die Ver5 Vgl. auch R2B et al., Definition und Monitoring der Versorgungssicherheit an den europäischen Strommärkten, im Auftrag des BMWi, 2019, Einleitung und S. 76. 6 Siehe in Kapitel D. I. 4. a). 7 Vgl. Hufendiek, in: Schwintowski et al., Handbuch Energiehandel, 2018, S. 14, Rn. 17/18. 8 Vgl. Heymann, Der Strommarkt 2.0, 2019, S. 63. 9 Vgl. Löschel et al., Energiewirtschaft, 2020, S. 335; Monopolkommission, Strom und Gas 2011: Wettbewerbsentwicklung mit Licht und Schatten, S. 60, Ziff. 80; Reeg et al., Kapazitätsmechanismen als Rettungsschirm der Energiewende?, 2015, S. 29. 10 Vgl. Kommission, Abschlussbericht, 2019, S. 33, Fn. 63.

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E. Risiken für die Versorgungssicherheit auf dem Energiemarkt

marktung ohne die vorrangige Einspeisung problematischer, dies insbesondere im Hinblick auf die Erzeugung von Strom durch Photovoltaik- und Windkraftanlagen, die naturgemäß aufgrund des Wettereinflusses wechselnde Leistungen erbringen.11 So hat die Bevorzugung der erneuerbaren Energien zur Konsequenz, dass eine Verlagerung der Merit Order nach rechts erfolgt. Auch wird damit die Nachfrage nach Strom gedeckt, weshalb die Nachfrage nach Strom aus konventionellen Energiequellen zu Spitzenlastzeiten verringert bzw. verdrängt wird.12 Dieser Effekt ist grundsätzlich auch politisch gewünscht, insofern hierdurch vor allem der Einsatz der Gaskraftwerke zugunsten der erneuerbaren Energien verändert wird, aber auch zugunsten der Kohlekraftwerke, weil diese niedrigere Grenzkosten als Gaskraftwerke haben und somit eher noch zum Einsatz kommen. Im Zuge dessen sinkt auch der sogenannte markträumende Börsenpreis am Großhandelsmarkt.13 Dieser strompreissenkende Mechanismus an der Börse wird als Merit Order-Effekt bezeichnet.14 Er verstärkt sich noch bei hoher Nachfrage, so bei Nachfragespitzen, etwa morgens, mittags, abends.15 Hingegen ist zu Niedriglastzeiten der Rückgang des Marktpreises wesentlich geringer. 2. Missing Money-Problem bei Kraftwerksbetreibern Der Merit Order-Effekt führt dazu, dass die Kraftwerksbetreiber die für eine Kostendeckung notwendigen Preise nicht mehr erzielen können.16 Der Börsenpreis ist zu niedrig und daher sind auch klimafreundliche konventionelle Kraftwerke nicht mehr ausreichend rentabel.17 Die Kraftwerksbetreiber haben zudem zum jetzigen Zeitpunkt keine, oder zu wenig Anreize, um in neue Kraftwerke 11

Vgl. Tietjen, Kapazitätsmärkte, 2012, S. 10. Vgl. BDEW, Erneuerbare Energien und das EEG: Zahlen, Fakten, Grafiken, 2015, S. 58 ff.; Tietjen, Kapazitätsmärkte, 2012, S. 10; Heymann, Der Strommarkt 2.0, 2019, S. 63 und 64. 13 Vgl. Hufendiek, in: Schwintowski et al., Handbuch Energiehandel, 2018, S. 66, Rn. 147. 14 Vgl. Monopolkommission, Energie 2013: Wettbewerb in Zeiten der Energiewende, S. 125, Ziff. 217; Heymann, Der Strommarkt 2.0, 2019, S. 63 mit weiteren Verweisen; Monopolkommission, Strom und Gas 2011: Wettbewerbsentwicklung mit Licht und Schatten, S. 60, Ziff. 80. 15 Vgl. Tietjen, Kapazitätsmärkte, 2012, S. 10, insbesondere unter Hinweis auf die Photovoltaikanlagen. 16 Vgl. Hufendiek, in: Schwintowski et al., Handbuch Energiehandel, 2018, S. 15, Rn. 19; Heymann, Der Strommarkt 2.0, 2019, S. 64. 17 So sank der Großhandelspreis im Jahr 2013 bis zum Jahr 2016 fortdauernd, seit dem Jahr 2016 (September 2017: 36 Euro/MWh) steigt er wieder auf 56 Euro/MWh. Dieser Anstieg ist vor allem durch den gestiegenen Preis für CO2-Emissionszertifikate ausgelöst worden, aber auch durch die gestiegenen Brennstoffpreise, vgl. Kommission, Abschlussbericht, 2019, S. 27. 12

I. Risiken

177

investieren zu können. Diese fehlenden Investitionsanreize werden als Missing Money-Problem bezeichnet.18 Eine weitere Auswirkung hierdurch ist ein Preiseffekt,19 nachdem keine Vollkostendeckung für die Kraftwerke mehr möglich ist sowie ein Abdrängungseffekt, zumal diese Kraftwerke zu geringe Vollaststunden aufweisen und insofern aus dem Markt gedrängt werden können.20 Kraftwerksinvestitionen sind als hochspezifisch und versunken anzusehen.21 Sie verursachen zudem hohe Fixkosten, insbesondere in Bezug auf flexible Gaskraftwerke. Ein zusätzlicher Kostenfaktor besteht auch darin, dass bei der Errichtung von Gaskraftwerken die Vorbereitung von der Planung bis zur Abnahme geraume Zeit in Anspruch nimmt. Bis zur Inbetriebnahme eines Gaskraftwerks vergehen daher mehrere, schätzungsweise bis sieben Jahre.22 Sofern als Standort für den Neubau nicht derjenige gewählt werden kann, an dem zuvor bereits ein Kraftwerk bestand, kommen weitere längere Zeitabschnitte, etwa für Genehmigungsverfahren einschließlich eventueller Rechtswegbeschreitungen, hinzu.23 Hierbei entstehen dem Kraftwerksbetreiber Fixkosten, die um rentabel wirtschaften zu können, am Markt erst wieder amortisiert werden müssen. Ob ein Kraftwerk zum Einsatz kommt oder nicht, wird – wie bereits ausgeführt – nach Maßgabe der Merit Order, aber nicht durch diese langfristigen Kosten bestimmt. Entscheidend sind die variablen Kosten. So kann ein Kraftwerksbetreiber auch dann, wenn der Strompreis lediglich gering über den variablen Kosten liegt, wenigstens durch diese seine Fixkosten partiell decken.24 18 Vgl. Hufendiek, in: Schwintowski et al., Handbuch Energiehandel, 2018, S. 15, Rn. 19 und S. 21, Rn. 33; Cramton/Stoft, The Convergence of market designs for adequate generating capacity, 2006, S. 1–71 (8), die das Problem wie folgt definieren: „(. . .) when generating capacity is adequate, electricity prices are too low to pay for adequate capacity“; Monopolkommission, Energie 2013: Wettbewerb in Zeiten der Energiewende, S. 189, Ziff. 372; Dieser Begriff wurde geprägt von Joskow, Competitive Electricity Markets and Investment in New Generating Capacity, MIT, 2006, S. 1–74 (59), der empirische Untersuchungen in Bezug auf den US-Strommarkt durchführte und zum Ergebnis kam, dass ausreichend hohe Preisspitzen bislang nicht durch einen Energy Only-Markt generiert worden sind. 19 Vgl. Haucap, Braucht Deutschland einen Kapazitätsmarkt für eine sichere Stromversorgung?, 2013, S. 1–12 (6). 20 Vgl. ebenda, S. 1–12 (6); Cramton et al., Capacity Market Fundamentals, in: Economics of Energy & Environmental Policy, 2013, S. 14. 21 Vgl. Monopolkommission, Energie 2015: Ein wettbewerbliches Marktdesign für die Energiewende, S. 60 Ziff. 139. 22 Nach Müsgens/Peek wären zwei bis sechs Jahre nur für den Bau einzuplanen, vgl. Müsgens/Peek, Sind Kapazitätsmärkte in Deutschland erforderlich?, ZNER 2011, S. 576–583 (577). 23 Die Kommission empfiehlt als Maßnahme die Beschleunigung der Genehmigungsverfahren für neue Gaskraftwerke, vgl. Kommission, Abschlussbericht, 2019, S. 68. 24 Vgl. Tietjen, Kapazitätsmärkte, 2012, S. 7.

178

E. Risiken für die Versorgungssicherheit auf dem Energiemarkt

So gesehen sind die Kraftwerksinvestitionen versunkene Kosten (Sunk Costs) oder auch Stranded Investments25, insofern sie nicht in die Preisbestimmung für den Strom einfließen und daher auch nicht zurück erwirtschaftet werden können.26 Dies zeigt sich vor allem dadurch, dass der Staat einseitig grundlegende Entscheidungen27 treffen kann, die den Kraftwerkspark beeinflussen. Die Kraftwerksbetreiber sind somit bei Kraftwerksinvestitionen abhängig von den Entscheidungen des Regulierers, also des Staates. Das bedeutet, dass dieser die Art der Energie festlegen, so etwa, wie geschehen, einseitig den Ausstieg aus der Atomkraft beschließen kann. Diese Entwertung der bisherigen Investitionen in Kraftwerke wird auch als Hold Up (Raubüberfall) bezeichnet.28 In diesem Problemfeld der fehlenden Investitionsanreize wird infolgedessen abstrakt die grundsätzliche Fähigkeit des Systems, ausreichend Energie in geforderter Versorgungsqualität bereitzustellen, in dieser Arbeit thematisiert. Der Schwerpunkt wird hierbei auf die Erreichbarkeit und Verfügbarmachung ausreichender Infrastrukturkapazitäten, so insbesondere der Investitionstätigkeit, gelegt.29 3. Nicht ausreichende konventionelle Kraftwerke im Energiemarkt Wie zuvor in Kapitel B. ausgeführt, wird die Nachfrage der Verbraucher nach elektrischer Leistung (Last) ständig von dem Zusammenspiel der Leistungen aller Erzeuger abgesichert. Entscheidender Faktor bei der Einbindung der Stromerzeugung durch erneuerbare Energien ist hierbei die sogenannte Residuallast.30 Diese bezeichnet die Lücke, die zwischen der Leistung der durch die erneuerbaren Energien (EEG-Kapazitäten) gedeckten Nachfrage am Erzeugungsmarkt und

25 Riewe, Versorgungssicherheit durch Kapazitätsmechanismen, 2016, S. 191 mit weiterem Verweis. 26 Vgl. Höffler, Können wir auf einen Kapazitätsmechanismus wirklich verzichten?, in: Agora Energiewende, Auf dem Weg zum neuen Strommarktdesign, 2014, S. 13–15 (14). 27 Wie etwa der Ausstieg aus der Nutzung der Kern- und Kohleenergie und die Umstellung auf erneuerbare Energien, vgl. hierzu in Kapitel D. II. 28 Vgl. Fritsch, Marktversagen und Wirtschaftspolitik, 2018, S. 12 und 258 ff., insbesondere 259; Riewe, Versorgungssicherheit durch Kapazitätsmechanismen, 2016, S. 191 mit weiteren Verweisen. 29 Im Elektrizitätsmarkt ist „die ausreichende grundsätzliche Lieferfähigkeit (adequacy)“ von dem Vorhandensein „angemessener Erzeugungs- (generation adequacy) und Transportkapazitäten (transmission/network adequacy)“ abhängig. Auf dem Erdgasmarkt sind statt Erzeugungskapazitäten vielmehr Abbau-, Produktions- und Aufbereitungskapazitäten notwendig, siehe Böske, Zur Ökonomie der Versorgungssicherheit in der Energiewirtschaft, 2007, S. 24, Fn. 62. 30 Vgl. Kobe/Schuster, Zusammenhang zwischen Residuallast und Börsenpreis beim Zubau volatiler erneuerbarer Energiequellen, 2018, ET, S. 76–77 (76); BMWi, Ein Strommarkt für die Energiewende (Grünbuch), 2014, S. 15.

I. Risiken

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der verbleibenden Nachfrage an Kapazitäten am Erzeugungsmarkt (erforderliche Spitzenlast) entsteht.31 Diese verbleibende Differenz aus der erforderlichen Spitzenlast und der Leistung der erneuerbaren Energien, muss durch die konventionellen Kraftwerke (Mittel- und Grundlastkraftwerke) geschlossen werden,32 wobei Investitionssignale für diese Kraftwerke, wie bereits dargestellt, fehlen. Bedeutsam ist in diesem Zusammenhang mit der Residuallast auch der Börsenpreis, der eigentlich durch die erneuerbaren Energien immer niedriger wird. Durch die Regelung im Erneuerbare-Energien-Gesetz wird dieser günstige Börsenpreis jedoch nicht an den Verbraucher oder den Endkunden weitergegeben, so dass die Differenz zwischen Einkaufspreis an der Strombörse und der fixen EEG-Einspeisevergütung immer größer wird. Diese Differenz zahlen die Verbraucher über die EEG-Umlage.33 Andererseits kann auf diese konventionellen Kraftwerke derzeit zur Aufrechterhaltung der Versorgungssicherheit nicht verzichtet werden, somit gilt es deren schleichenden Marktaustritt zu verhindern.34 Dies ergibt sich daraus, dass sie dringend benötigt werden, um die nach derzeitigem Stand der Technologie zwangsläufig volatile Produktionsleistung aus erneuerbaren Energien auszugleichen. Bekanntermaßen kann die Leistung aus erneuerbaren Energien zumindest derzeit noch nicht flächendeckend, sondern nur punktuell erzeugt werden. Dies hat zur Folge, dass zu manchen Zeiten eine Überproduktion stattfindet, die, da wegen des mangelhaften Netzausbaus nicht transportabel, nicht zielgerichtet eingesetzt werden kann und zu anderen Zeiten ein Produktionsmangel herrscht.35 So hat insbesondere in Bayern im Jahr 2020 der Strom aus Kernkraftwerken den höchsten Anteil an der Energieerzeugung, der nun zum Ende des Jahres 2022 vollständig wegfallen soll.36 Wenn auch die Photovoltaik im Süden stark genutzt wird, erfolgt der Ausbau der erneuerbaren Energien deutlicher im Nor31

Vgl. BMWi, Ein Strommarkt für die Energiewende (Grünbuch), 2014, S. 15. Vgl. Kobe/Schuster, Zusammenhang zwischen Residuallast und Börsenpreis beim Zubau volatiler erneuerbarer Energiequellen, 2018, ET, S. 76–77 (76). 33 Vgl. ebenda, S. 76–77 (77). Zu den EEG-Förderregelungen siehe Kapitel D. II. 1. a). 34 Vgl. BMWi, Bericht des Kraftwerksforums an die Bundeskanzlerin und die Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten der Länder, 2013, S. 6. Stromerzeuger haben im Jahr 2013 bereits 26 Kraftwerksblöcke bei der BNetzA zur Stilllegung angemeldet. Es ging hierbei um eine Gesamtleistung von 6.735 Megawatt (vgl. Handelsblatt, Versorger wollen 26 Kraftwerksblöcke stilllegen, vom 08. Oktober 2013). 35 Vgl. Kobe/Schuster, Zusammenhang zwischen Residuallast und Börsenpreis beim Zubau volatiler erneuerbarer Energiequellen, 2018, ET, S. 76–77 (76). 36 „Die Kernenergie bleibt mit einer Stromerzeugung von 20.821 GWh und einem Anteil von 27,5 % insgesamt erzeugungstärkster Energieträger“, Bayrisches Landesamt für Statistik, Gegen den Deutschlandtrend: Bayrische Stromerzeugung steigt auf 75,7 Terrawattstunden im Jahr 2020, 2021. 32

180

E. Risiken für die Versorgungssicherheit auf dem Energiemarkt

den als im Süden, da der Norden insbesondere von der relativ wirtschaftlichen Windkraftenergie inzwischen profitiert.37 Der Ausbau des Übertragungs- und des Verteilungsnetzes zwischen Nord- und Süddeutschland, würde diese Schwankungen zwar regulieren können, schreitet aber nur schleppend voran. Insofern ist die Bereitstellung von genügend sogenannten Backup-Kapazitäten für eine Regelleistung notwendig. Diese können bei Bedarf zugeschaltet werden, um so eine sichere Stromversorgung zu jedem Zeitpunkt zu gewährleisten. Für diese Aufgabe, Lastspitzen abzufedern, sind insbesondere Gaskraftwerke dank ihrer flexiblen Steuerbarkeit, geeignet. Auch wird durch den Ausstieg aus der Kohleenergie zwangsläufig die Inanspruchnahme der übrigen Kraftwerke verstärkt werden. Zudem besteht die Gefahr, infolge eines grenzüberschreitenden Stromaustausches auf in Nachbarländern noch vorhandene Kohle- oder Kernkraftwerke zurückgreifen zu müssen. 4. Nicht ausreichende Speicher im Energiemarkt Von dem Missing Money-Problem sind ebenfalls die Speicherbetreiber auf dem Gasmarkt betroffen, insofern die Nachfrage an Speichern faktisch rückläufig ist.38 Seit dem Jahr 2014 wurden insgesamt sieben Untertageerdgasspeicher (zwei hiervon nur partiell) stillgelegt.39 Auch wenn sich Ende des Jahres 2019 noch insgesamt 47 Untertagespeicher (31 Kavernenspeicher und 16 Porenspeicher) in Betrieb befanden,40 liegt dies nur daran, dass zwischenzeitlich Speicher zugebaut wurden und daher durch die Inbetriebnahme der neuen Speicher die Reduzierung von Speicherkapazitäten abgemildert worden ist. Die Arbeitsgaskapazität hat sich jedoch insgesamt verringert: Sie beträgt im Jahr 2019 8,6 Milliarden Kubikmeter. Dies sind 0,4 Milliarden Kubikmeter weniger als zum Vorjahr

37

Vgl. Posser, in: Kment, Energiewirtschaftsgesetz, 2019, § 12a, Rn. 2. Vgl. BBH et al., Möglichkeiten zur Verbesserung der Gasversorgungssicherheit, 2015, S. 43. 39 Vgl. Initiative Gasspeicher, Gasspeicherstandorte in Deutschland, Stand: Januar 2020: Im Jahr 2014 hat Storengy den Speicher Reitbrock aus dem Markt genommen, weiterhin wurde der Porenspeicher Kalle von RWE Gasspeicher zum 01. April 2016 (mit Arbeitsgasvolumen von 215 Mio. m3) stillgelegt (vgl. BBH et al., Möglichkeiten zur Verbesserung der Gasversorgungssicherheit, 2015, S. 43). Überdies legte VNG den Poren-Erdgasspeicher in Kirchheilingen mit einem Arbeitsgasvolumen von 190 Mio. m3 still, GASAG AG hat den Aquiferspeicher in Berlin stillgelegt (mit einem Arbeitsgasvolumen von 1,6 Mrd. kWh) (vgl. BMWi, Versorgungssicherheit bei Erdgas MonitoringBericht nach § 51 EnWG 2019, S. 14). Zum 01. April 2017 wurde der Speicher Thann von Gas Storage mit einem Arbeitsgasvolumen von 250 Mio. m3 sowie der VNG-Speicher in Bernburg nach über 40 Jahren Betriebszeit stillgelegt (vgl. VNG-Gasspeicher GmbH, Presseinformation vom 17. Februar 2017). 40 Vgl. BMWi, Bericht zum Stand und zur Entwicklung der Versorgungssicherheit im Bereich der Versorgung mit Erdgas, 2020, S. 15. 38

I. Risiken

181

(2018).41 Im Jahr 2011 lag bei 47 Untertagespeichern, die im Betrieb waren, eine maximale Arbeitsgaskapazität von sogar rund 21 Milliarden Kubikmeter vor.42 Das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie evaluiert seit dem Jahr 2017 die maximale Speicherkapazität als ausreichend für die Dauer von durchschnittlich 80 Tagen. Hierbei verweist es nach wie vor auf die evidente Einschränkung, dass bekanntlich die tatsächliche Reichweite der Speicher von einer Vielzahl verschiedener Bedingungen wie etwa vom Speicherfüllstand, der Ausspeichergeschwindigkeit und dem tatsächlich zu deckenden Bedarf, abhänge.43 In Großbritannien wurde im Juni 2017 der Erdgasspeicher Rough, mit dem rund 10 % der Nachfrage nach Erdgas in Großbritannien gedeckt werden konnte, vom britischen Energieversorger Centrica dauerhaft geschlossen.44 Diese Anlage hätte aufgrund seiner bereits langen Lebensdauer umfassend modernisiert werden müssen, was aber aufgrund der schlechten Rentabilitätsaussichten im Speichergeschäft nicht erfolgte.45 Es verbleiben derzeit in Großbritannien noch acht kleinere Speicherstandorte.46 Deutschland weist in der Europäischen Union mit einer Installation von 24 % des Speichervolumens der Europäischen Union insoweit die höchste Speicherkapazität auf, danach folgen die Niederlande, Frankreich und Österreich.47 Andererseits sind die Betreiber von Erdgasspeicheranlagen in diesen Ländern nicht verpflichtet, die Stilllegung von diesen Speicheranlagen anzuzeigen, wie dies etwa in § 13b EnWG für Anlagen zur Erzeugung oder Speicherung von elektrischer Energie mit einer Nennleistung ab zehn MW gemäß § 13a EnWG n. F. verbindlich geregelt wurde. So gesehen wird ihr Marktaustritt daher nicht entsprechend überwacht oder reglementiert. Für die mangelnde Rentabilität von Speichern sind mehrere Gründe ausschlaggebend. Insbesondere sind die sogenannten Winter-Sommer-Spreads bedeutsam. Hierbei bezieht sich Spread allgemein auf die Differenz zweier Preise oder Kurse.48 Die bestehende Preisspanne zwischen den Sommer- und Wintermonaten 41

Vgl. ebenda. Vgl. BMWi, Versorgungssicherheit bei Erdgas, 2011, S. 14. 43 Vgl. BMWi, Bericht zum Stand und zur Entwicklung der Versorgungssicherheit im Bereich der Versorgung mit Erdgas, 2020, S. 15, vgl. die wortgleichen Ausführungen in BMWi, Versorgungssicherheit bei Erdgas Monitoring-Bericht nach § 51 EnWG 2019, S. 14; BMWi, Versorgungssicherheit bei Erdgas, 2017, S. 15. 44 Vgl. Nikiforov/Hackemesser, Die Schlacht um Europas Gasmarkt, 2018, S. 115 mit weiterem Verweis. 45 Vgl. ebenda, S. 114. 46 Vgl. Zeitung für kommunale Wirtschaft, Gasmarkt künftig ohne britischen Speicher Rough, vom 28. Juni 2017. 47 Vgl. BMWi, Bericht zum Stand und zur Entwicklung der Versorgungssicherheit im Bereich der Versorgung mit Erdgas, 2020, S. 15. 48 Vgl. Schiffer, Energiemarkt Deutschland, 2019, S. 557. 42

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E. Risiken für die Versorgungssicherheit auf dem Energiemarkt

kann sich hier zu Ungunsten von Speicherbetreibern auswirken. Wenn etwa im Frühjahr die Gasspeicher nach der Entnahme im Winter niedrige Füllstände aufweisen, müssen die Speicherbetreiber Kapazitäten einkaufen und je niedriger die Füllstände sind, desto höher ist die Nachfrage der Speicherbetreiber nach Kapazitäten und demzufolge sind auch die zu zahlenden Preise für sie höher. So kam es Anfang des Speicherjahres 2018/19 zu einer besonders hohen Nachfrage auf den EU-weiten Gasmärkten, korrespondierend mit einem eingeschränkten Angebot der Kraftwerke. Dadurch entwickelte sich unvorhergesehen auf dem Gasmarkt ein Spitzentagespreis von knapp 70 Euro/MWh in Deutschland, unterdessen die Speicheranlagen insgesamt zu knapp über 14 % entleert wurden.49 Die Gasspeicher waren zum 30. Januar 2022 zu 36,88 % befüllt und damit deutlich unter den durchschnittlichen Füllständen der vergangenen Jahre zu diesem Zeitpunkt.50 Dieser Effekt resultiert fast ausschließlich aus dem auffallend niedrigen Füllstand derjenigen Speicher, die dem Betreiber Gazprom zuzuordnen sind. Andere Marktakteure haben große Mengen Gas gespeichert, obwohl die Entwicklung des Gaspreises in diesem Jahr keine großen Anreize zur Speicherung setzte. Nicht nur in Europa, sondern weltweit sind die Gaspreise stark gestiegen. Die Bundesnetzagentur und das Bundeskartellamt sahen im Jahr 2021 in den erhöhten Preisen „kein Anzeichen für eine mangelnde Versorgungssicherheit“, insofern „diese niedrigen Füllstände vor allem die zunehmende Verzahnung des europäischen Gasmarkts mit den weltweiten Gasmärkten widerspiegeln“ würden.51 Während zu Beginn des Winters 2015/16 die deutschen Speicher durchgängig niedrigere Füllstände aufwiesen, zeigte sich im Jahr 2021, dass der niedrige Gesamtfüllstand vor allem auf den niedrigen Füllstand des Speichers Rehden (Betreiber des Speichers war die Astora GmbH) zurückgeht.52 Dieser wies im Jahr 2021 einen Füllstand von knapp 9,5 % auf (zeitweise war der Speicher bis auf 4,5 % seines Arbeitsgasvolumens entleert). Dieser niedrige Füllstand des größten deutschen Erdgasspeichers, Rehden, mit einem Arbeitsgasvolumen von knapp 20 % des gesamten deutschen Arbeitsgasvolumens,53 wirkt sich dementspre49 Vgl. BNetzA/BKartA, Monitoringbericht, 2018, S. 361. Zum 01. November 2019 hatte sich der Füllstand der Speicher wieder auf 99 % bewegt (im Vorjahr zu 87 %) (siehe BNetzA/BKartA, Monitoringbericht 2019, S. 373). 50 Vgl. Tagesschau, Gasreserven unter kritischer Marke, vom 01. Februar 2022 mit Verweis auf die Daten des europäischen Verbands der Gasinfrastruktur-Betreiber GIE (Gas Infrastructure Europe). 51 BNetzA/BKartA, Monitoringbericht, 2021, S. 6 und 361; diese Einschätzung kann aufgrund des Angriffskrieges in der Ukraine insoweit nicht mehr aufrechterhalten werden. 52 Vgl. BNetzA/BKartA, Monitoringbericht, 2021, S. 362. 53 Das Arbeitsgasvolumen des Speichers Rehden liegt bei 43,68 TWh, das Gesamtarbeitsgasvolumen in Deutschland liegt bei 230,35 TWh, siehe BNetzA/BKartA, Monitoringbericht, 2021, S. 362.

I. Risiken

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chend auf den verfügbaren Gesamtfüllstand der Speicher aus. Erschwerend kam hinzu, dass der an das deutsche Netz angeschlossene Speicher Haidach, der sich auf österreichischem Staatsgebiet befindet, ebenfalls einen niedrigen Füllstand aufwies.54 „Alle anderen Speicher waren“, bezogen auf den Zeitpunkt des Berichts der Bundesnetzagentur und des Bundeskartellamts im Dezember 2021, „gut befüllt.“ „Das bedeutete auch, dass es regionale Alternativen für die angesprochenen Speicher gegeben hatte, die gut befüllt waren.“ 55 So standen für Rehden unter anderem die Kavernenfelder in Jemgum, Etzel und Epe zur Verfügung und für den Speicher Haidach die Speicher 7Fields, Bierwang und Breitbrunn.56 Die zuvor aufgezeigte Preisdifferenz, der sogenannte Sommer-Winter-Spread, ist der eigentliche Ertragsindikator für Gasspeicher. Hierdurch wird der Handelswert des Gasspeichers bestimmt. Allerdings wird es der wichtigen Rolle der Gasspeicher nicht gerecht, diesen lediglich auf der Ebene der Vermarktung des Handelswertes zu beschränken, zumal die Speicherbetreiber bereits weniger Erlöse bei einem höheren Bedarf an Speicherkapazitäten erzielen können. Die zwei weiteren der insgesamt drei Funktionen des Gasspeichers57 werden hingegen trotz ihrer hohen Bedeutung nicht vergütet. Dies betrifft zum einen den sogenannten Versicherungswert (Wert für die Versorgungssicherheit).58 Bislang herrschte die Überzeugung vor, dass aufgrund des liquiden europäischen Erdgasmarkts auch bei erhöhter Gasnachfrage die notwendigen Mengen über den Markt zu beziehen sind. Aus diesem Grund wurde auch kein Bedarf für eine langfristige Absicherung mittels der Speicher gesehen.59 Zum anderen erfolgt auch für den sogenannten Systemwert (Wert und Bedeutung des Gasspeichers für das Transportnetz) keine Vergütung an die Speicherbetreiber. Indessen kann ein leistungsfähiger Gasspeicher erhebliche Kosten einsparen durch die Vermeidung eines übermäßigen Netzausbaus sowie durch die optimale Nutzung des vorhandenen Netzes.60

54 Vgl. BNetzA/BKartA, Monitoringbericht, 2021, S. 362. Der Anteil der Astora GmbH liegt bei rund 56,2 %, der Gazprom-Anteil hingegen nur bei 2,0 % (vgl. ebenda). 55 BNetzA/BKartA, Monitoringbericht, 2021, S. 362. 56 Vgl. BNetzA/BKartA, Monitoringbericht, 2021, S. 362. Dieser Bericht wurde im März 2022 aktualisiert, trifft allerdings diesbezüglich noch dieselbe Aussage. Zu den Entwicklungen infolge den Ukraine-Krieges im Februar 2022 wird im Kapitel H. im Ausblick Bezug genommen. 57 Vgl. BBH et al., Möglichkeiten zur Verbesserung der Gasversorgungssicherheit, 2015, S. 40 und 41. 58 Vgl. BBH et al., Möglichkeiten zur Verbesserung der Gasversorgungssicherheit, 2015, S. 40 mit weiterem Verweis und S. 43. 59 Vgl. ebenda. 60 Vgl. ebenda, S. 40 mit weiterem Verweis.

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E. Risiken für die Versorgungssicherheit auf dem Energiemarkt

Fokussiert auf die Gewährleistung der nationalen Versorgungssicherheit wird sich der Einfluss von Speichern gerade im Hinblick auf die Abhängigkeit von Energieimporten weiterhin erhöhen.61 So hat der Bundesrat auch die Bedeutung der Gasspeicher für die Gasversorgungssicherheit in einem Entschließungsantrag festgestellt.62 Nicht nur, dass Gasspeicher im Winter regional einen wesentlichen Teil des benötigten Erdgases zur Verfügung stellen, sondern es könne mithilfe von Gasspeichern auch ein erheblicher Anteil der Kosten für einen ansonsten notwendigen Netzausbau eingespart werden. Hinzu komme, dass erneuerbare Gase (zum Beispiel Wasserstoff oder synthetisches Methan), die aus erneuerbar produziertem Strom umgewandelt worden seien, in Gasspeichern langfristig gespeichert werden können. Somit kann der Gas- und Strombedarf ganzjährig gedeckt werden.63 Zudem ist es nicht ausreichend, nur den durchschnittlichen Füllstand aller deutschen Speicher zu berücksichtigen, insofern bei den Speichern die örtliche Komponente eine große Rolle spielt. Schließlich werden die Speicher regional eingesetzt und können nur in einem gewissen Umkreis wirtschaftlich für eine Absicherung sorgen. Somit muss entscheidend sein, zu welchem Zeitpunkt der durchschnittliche Füllstand verfügbar ist, und ob diese Verfügbarkeit in den Regionen besteht, in denen ein Engpass zu erwarten ist.64 Unter diesen Aspekten ist es dringend erforderlich, dafür zu sorgen, dass den Gasspeichern eine verstärkte Investitionsbereitschaft ermöglicht wird,65 auch und vor allem, damit die Versorgungssicherheit stabilisiert und gestärkt wird. 5. Externe Effekte in Bezug auf die Versorgungssicherheit a) Versorgungslücken und Minderung der Systemsicherheit Wie bereits zuvor in diesem Kapitel unter Punkt I. 3. dargelegt, besteht bezüglich der Produktion und auch insbesondere der genannten Förderung von erneuerbaren Energien ein negativer externer Effekt für die Versorgungssicherheit. Dieser besteht darin, dass die erneuerbaren Energien bereits von sich aus geringe Grenzkosten haben und durch die staatliche Förderung ihr Einsatz verstärkt wird.

61 Vgl. BMWi, Bericht zum Stand und zur Entwicklung der Versorgungssicherheit im Bereich der Versorgung mit Erdgas, 2020, S. 15. 62 Vgl. Bundesrat, Beschluss zur Verordnung zur Verbesserung der Rahmenbedingungen für den Aufbau der LNG-Infrastruktur in Deutschland vom 07. Juni 2019, BRDrs. 138/19. 63 Vgl. Bundesrat, Verordnung zur Verbesserung der Rahmenbedingungen für den Aufbau der LNG-Infrastruktur in Deutschland vom 07. Juni 2019, BR-Drs. 138/19. 64 Vgl. v. Drathen/Riemer, 10 Minuten Speicher: Sicher unter der Erde, in: Energie in 60 Minuten, 2011, S. 54–66 (59). 65 Vgl. ebenda.

I. Risiken

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Infolgedessen werden die Kraftwerke mit höheren Grenzkosten aus der Merit Order gedrängt. Insofern gehen notwendige Kapazitäten dem Markt verloren, so dass für die Versorgungssicherheit dann keine konventionellen Kraftwerke mehr als Ausgleich für die nicht genügenden Kapazitäten der erneuerbaren Energien zur Verfügung stehen. In der Hauptsache aber entsteht ein beträchtlicher externer Effekt in der Volatilität der erneuerbaren Energien, wobei die Versorgungssicherheit ersichtlich in Bezug auf die Systemsicherheit betroffen wird.66 Durch diese Volatilität werden schließlich häufiger Engpässe in den Übertragungs- und Verteilnetzen erzeugt. Demzufolge wird das notwendige Gleichgewicht der Spannung im Stromnetz gestört, sodass die Netzbetreiber gezwungen sind, um die Systemsicherheit bestmöglich wiederherzustellen, netzstabilisierende Maßnahmen (Regelenergie und insbesondere Redispatch) zu ergreifen. Dies wiederum verursacht zusätzliche Kosten.67 b) Anstieg der Stromkosten Die Kosten für die genannten netzstabilisierende Maßnahmen, hierbei insbesondere Redispatch, entsprechen nicht den Kosten der Einspeisevergütung, die für die erneuerbaren Energien gezahlt wird.68 Für das gesamte Engpassmanagement (Redispatch, Einspeisemanagement, Netzreserve) sind die Kosten von 0,8 Mrd. Euro im Jahr 2016 auf 1,2 Mrd. Euro im Jahr 2019 angestiegen, wobei sich die Kosten für Redispatchmaßnahmen mehr als verdoppelt haben.69 Trotz der Novellierungen des EEG70 bewirkt das ausdifferenzierte Förderinstrumentarium für erneuerbare Energien, dass immer noch zu viel Strom aus erneuerbaren Energien produziert wird.71 Dieser überschüssige Strom kann dann im Endeffekt nur an andere ausländische Netzbetreiber oder Energieunternehmer abgegeben werden, inklusive der Entrichtung eines Entgelts hierfür, weshalb insoweit ein sogenannter negativer Preis entsteht.72 66

Vgl. Riewe, Versorgungssicherheit durch Kapazitätsmechanismen, 2016, S. 258. Vgl. Löschel et al., Energiewirtschaft, 2020, S. 359 (zusätzliche Systemkosten). 68 Vgl. Riewe, Versorgungssicherheit durch Kapazitätsmechanismen, 2016, S. 258. Insbesondere steigen die Kosten aufgrund der Entschädigungsansprüche der Anlagenbetreiber aufgrund des Einspeisemanagement stetig an: 2019: 709,5 Mio. Euro, 2018: 635,4 Mio. Euro, 2017: 610 Mio Euro, 2016: 373 Mio Euro; BNetzA/BKartA, Quartalsberichte 2017 und 2019. 69 Hierbei entfielen 292 Mio. Euro auf Redispatch, 709,5 Mio. Euro auf Einspeisemanagement und 198,7 Mio. Euro auf die Netzreserve, vgl. zu diesen Daten: BNetzA, Quartalsbericht Netz- und Systemsicherheit – Gesamtes Jahr 2019, S. 4, 5 und 9. 70 Hierzu wird in Kapitel D. II. 1. a) näher ausgeführt. 71 2019 wurden knapp 2,8 % der erneuerbaren Energien abgeregelt, BNetzA, Quartalsbericht Netz- und Systemsicherheit – Gesamtes Jahr 2019, siehe dort Fn. 54. 72 Vgl. Schiffer, Energiemarkt Deutschland, 2019, S. 299; Hufendiek, in: Schwintowski et al., Handbuch Energiehandel, 2018, S. 66, Rn. 147; Kobe/Schuster, Zusammen67

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E. Risiken für die Versorgungssicherheit auf dem Energiemarkt

So muss grundsätzlich zwischen dem Preis, der auf der Erzeugerebene im Großhandel entsteht und dem Preis für den Letztverbraucher unterschieden werden. Auch wenn diese beiden Preise in unmittelbarem Zusammenhang stehen, können sie sich aber in unterschiedliche Richtungen entwickeln. Dies ergibt sich daraus, dass die vorrangige Vermarktung der erneuerbaren Energien am Spotmarkt der EEX-Strombörse mit dem hieraus resultierenden Merit Order-Effekt73 auch einen erheblichen Anstieg der Differenzkosten bewirkt.74 Schließlich werden diejenigen Kosten, die für den Aufwand an die Betreiber der ErneuerbarenEnergien-Anlagen gezahlt werden und zwar nach Abzug des Gewinns an der Börse (feste Vergütung), sodann als sogenannte EEG-Umlage (Ausgleichsmechanismus des EEG) dem Letztverbraucher aufgebürdet.75 Das EEG-Fördersystem sieht bekanntlich vor, dass die Höhe der garantierten Vergütungen, die an die Anlagenbetreiber für den produzierten Strom aus erneuerbaren Energien auszuzahlen sind, am Markt erwirtschaftet werden muss. Wenn dies nicht über den Großhandel erfolgen kann, gibt es dann keine staatliche Förderung, um eine gegebenenfalls entstehende Kostenlücke kompensieren zu können. Im Umkehrschluss hierzu bedeutet dies, dass die geringen Erlöse aus der Vermarktung regenerativen Stroms an der Spotbörse und der dortige Rückgang der Großhandelspreise am börslichen Spotmarkt gleichzeitig einen hohen Anstieg der Differenzkosten bewirken.76 Infolge des Anstiegs der Differenzkosten stieg daher auch die EEG-Umlage vom Jahr 2008 in Höhe von 0,97 Cent/kWh auf 6,500 Cent/kWh im Jahr 2021.77 Sie ist damit der größte Kostenfaktor beim Strompreis für den Verbraucher.78 Soweit es den Strompreis für den Letztverbraucher betrifft, gibt es eine marktliche oder anders gesagt, eine wettbewerbliche Komponente, in der Kosten der Stromerzeugung (Strombeschaffung und Vertrieb) zu etwa 21 % enthalten sind.

hang zwischen Residuallast und Börsenpreis beim Zubau volatiler erneuerbarer Energiequellen, 2018, ET, S. 76–77 (76). 73 „Der Merit Order-Effekt bedeutet, dass es durch den vermehrten Einsatz von erneuerbaren Energien zu einer Senkung der Strompreise kommen kann, da erneuerbare Kraftwerke variable Stromkosten nahe Null haben.“, Löschel et al., Energiewirtschaft, 2020, S. 360. 74 Vgl. Mayer/Burger, Kurzstudie zur historischen Entwicklung der EEG-Umlage, 2014, S. 3. 75 Vgl. Heymann, Der Strommarkt 2.0, 2019, S. 66. 76 Vgl. Hufendiek, in: Schwintowski et al., Handbuch Energiehandel, 2018, S. 66, Rn. 147; Heymann, Der Strommarkt 2.0, 2019, S. 66; Pflaum/Egeler, Smartes System für die Energiewende – der Übertragungsnetzbetreiber in der digitalen Zukunft, in: Dolesky, Herausforderung Utility 4.0, 2017, S. 149–179 (157 und 158). 77 Vgl. BNetzA, EEG-Umlage 2021. Im Jahr 2020 war sie noch höher und betrug 6,756 Cent/kWh; vgl. BNetzA, EEG-Umlage 2020. 78 Vgl. Mayer/Burger, Kurzstudie zur historischen Entwicklung der EEG-Umlage, 2014, S. 4: EEG-Umlage in Cent/kWH: 2000: 0,19, 2008: 1,12, 2012: 3,59, 2014: 6,24.

I. Risiken

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Hinzu kommen noch die Kosten der staatlichen Komponenten, etwa Steuern, Abgaben, Umlagen mit knapp 54 % und den Netzentgelten zu 25 %.79 In Deutschland stieg der Strompreis seit dem Jahr 2000 beständig an. Im Jahr 2020 liegt er nunmehr bei 31,94 Cent/kWh.80 Das hat zur Folge, dass in Deutschland der Strompreis für Letztverbraucher für private Haushalte inklusive Steuern und Abgaben im Vergleich zu den anderen Ländern innerhalb der Europäischen Union seit Ende des Jahres 2017 am höchsten ist.81 An zweiter Stelle folgt Dänemark. In der Europäischen Union beträgt der durchschnittliche Strompreis 20,5 Cent/kWh.82 Dieser im europäischen und gesamten Vergleich hohe Strompreisaufschlag wird durch den Kohleausstieg vermutlich noch verstärkt werden.83 c) Gefahr eines Marktzusammenbruchs Der Zugang zu Strom und Gas gehört wie in Kapitel C.84 dargelegt, zur Daseinsvorsorge. Er muss somit allen Konsumenten ermöglicht werden. Angebot und Nachfrage sollten möglichst im Gleichgewicht stehen. So können durch überhöhte Nachfrage im Energiemarkt sämtliche Verbraucher betroffen werden. Dies ist anders als in einem sonstigen Verbrauchsfall, insofern dort nur diejenigen Kunden, die nicht mehr das nachgefragte Produkt erhalten, wenn ihre Nachfrage das Angebot übersteigt, tangiert werden. Im Energiemarkt jedoch ist die Lieferung, sofern eine erhöhte Nachfrage einem verminderten Angebot gegenübersteht, für alle Konsumenten eingeschränkt. Im ungünstigsten Fall kann dies bis hin zu einem Marktzusammenbruch führen.85 Es können hier somit externe Effekte auftreten, wenn etwa das eigene Konsumverhalten der Kunden (Entnahme von zu viel Strom) negative Auswirkungen auf andere Kunden (Dritte) hat, denen hierdurch ein Wohlfahrtsverlust entsteht.

79 Vgl. Kommission, Abschlussbericht, 2019, S. 36; BMWi, Die Energie der Zukunft, 2018, S. 114 und 115 mit Bezug auf das Jahr 2016. 80 Vgl. Destatis, Haushalte zahlen im 1. HJ 2020 durchschnittlich 31,94 Cent je kWh Strom, Pressemitteilung Nr. 417 vom 22. Oktober 2020. In der Zeit von 2000 bis 2014 sind die Strompreise für Haushalte um 92 % und für Großverbraucher um 76 % gestiegen, vgl. Heymann, Der Strommarkt 2.0, 2019, S. 28 mit Verweis auf Destatis, Pressemitteilung Nr. 354 vom 09. Oktober 2014. 81 Vgl. Strom-Report, Strompreise in Europa 2020; Die Welt, Strompreise haben sich seit 2000 fast verdoppelt, vom 09. Oktober 2014. 82 Vgl. Strompreise in Europa 2020. 83 Vgl. Kommission, Abschlussbericht, 2019, S. 76. Diese Darstellung betrifft die Situation vor dem Angriffskrieg auf die Ukraine. Die durch den Krieg verursachte Knappheit und der dadurch entstandene Preisanstieg wird hier nicht berücksichtigt. 84 Siehe in Kapitel C. II. 4. 85 Vgl. Cramton/Ockenfels, Economics and Design of Capacity Markets for the Power Sector, 2012, ZfE, S. 113–134 (116): Blackout.

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E. Risiken für die Versorgungssicherheit auf dem Energiemarkt

Ein hierdurch möglicherweise bedingter Stromausfall hat unterschiedlich starke Auswirkungen auf die Haushaltskunden und die Industriekunden, insofern eine „Heterogenität der Kunden“ 86 vorliegt, die beachtet werden muss. Weiterhin sind die Nutzeinbußen im Allgemeinen schwer einzuschätzen.87 So können bei Industriekunden die mit einem Ausfall verbundenen Schäden erfahrungsgemäß möglicherweise kalkulierbar sein.88 Zu bedenken ist aber auch, dass etwa bei Krankenhäusern und ähnlichen Gesundheitseinrichtungen Schätzungen problematisch sind und Schäden infolge von Stromausfällen in solchen Einrichtungen grundsätzlich nicht erhebbar sind. Hierbei wird mit dem Hinweis auf den Wert eines Lebens argumentiert.89 Zusätzlich ist der Faktor Zeit von großer Bedeutung. Relevant ist dieser zum einen hinsichtlich der Uhrzeit, insofern Stromausfälle zwischen 8 Uhr und 20 Uhr Industriekunden stärker betreffen als Haushaltskunden, zum anderen bezüglich der Häufigkeit und Dauer eines Stromausfalls. Ein zwar kurzer, aber häufig auftretender Stromausfall ist für Produktionsstätten mit langen Anfahrtszeiten der Kraftwerke folgenschwerer als dies auf den Haushaltskunden zutrifft, wenn etwa lediglich dessen Haushaltsgeräte kurzfristig ausfallen, selbst wenn dies häufiger vorkommt. Ein weiterer Aspekt zur Berechnung des VoLL ist auch die Möglichkeit einer Antizipation der Abschaltung von Energie. Zu der ersten Kategorie gehören solche Stromkunden, die bereits aus sachlichen Gründen selbst zur Vorsorge verpflichtet sind, so etwa Krankenhäuser, Atomkraftwerke sowie solche Unternehmen oder Institutionen, die aufgrund ihrer betrieblichen Ausrichtung (etwa computergesteuerten Maschinen und Anlagen) notwendigerweise einen Energieausfall wenigstens kurzfristig bewältigen müssen. Weiterhin unterfallen dieser Kategorie diejenigen Unternehmen, die vorausschauend bereits separate Verträge etwa mit Energieversorgungsunternehmen oder Netzbetreibern getroffen haben.90 86

Böckers et al., Vor- und Nachteile alternativer Kapazitätsmechanismen, 2012, S. 7. Dies deshalb, weil der Marktpreis bei einem Blackout nahe Null liegt, vgl. Cramton/Ockenfels, Economics and Design of Capacity Markets for the Power Sector, 2012, ZfE, S. 113–134 (120); siehe auch die in Kapitel D. I. 4. b) beschriebene VoLL-Problematik und unelastische Nachfrage. 88 Vgl. Reeg et al., Kapazitätsmechanismen als Rettungsschirm der Energiewende?, 2015, S. 31; Böckers et al., Vor- und Nachteile alternativer Kapazitätsmechanismen, 2012, S. 7. 89 Vgl. Erwägungsgründe Nr. 10 und 11 der Empfehlung (EU) 2021/1749 der Kommission vom 28. September 2021 zum Thema „Energieffizienz an erster Stelle: von den Grundsätzen zur Praxis“ – Leitlinien und Beispiele zur Umsetzung bei der Entscheidungsfindung im Energiesektor und darüber hinaus, ABl. EU Nr. L 350, S. 9 vom 04. Oktober 2021; Böckers et al., Vor- und Nachteile alternativer Kapazitätsmechanismen, 2012, S. 7. 90 Vgl. Böckers et al., Vor- und Nachteile alternativer Kapazitätsmechanismen, 2012, S. 7. 87

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Zu der zweiten Kategorie werden diejenigen Stromkunden gerechnet, die sich generell vorausblickend absichern könnten, dies jedoch in der Regel nicht in Anspruch nehmen. Dies gründet sich zum einen darauf, dass ein Stromausfall in den überwiegenden Staaten als sehr unwahrscheinlich angesehen wird und auch de facto nur minimal auftritt. Zum anderen wird der Vorsorgeaufwand als zu aufwendig beurteilt.91 Es wird zudem die These vertreten, dass ein etwaiger Marktzusammenbruch verhindert werden könnte mittels Reaktion der Verbraucher auf die Preise. Das bedeutet, dass der Preis so lange steigen müsste, bis er die Zahlungsbereitschaft einiger Verbraucher übertreffen würde und daraufhin die Nachfrage von einigen Verbrauchern sich abschwächten, mithin die Gesamtnachfrage unter dem Angebot bleiben könnte.92 Diese Überlegungen zur Steuerung von Angebot und Nachfrage sind allerdings kritisch zu sehen, insofern Zweifel angebracht sind, ob genügend Endkunden bei extrem kalter Witterung tatsächlich lieber auf teueren Strom verzichten als auf ihre Gesundheit zu achten. Nach weiterer Meinung könnten externe Effekte auch auf der Angebotsseite entstehen, insofern Unternehmen auf der Angebotsseite zusätzliche Kraftwerke bauen und damit zusätzliche Erzeugungs- oder Transportkapazitäten installieren könnten. Hierdurch würde automatisch die vollumfängliche Kapazität des gesamten Energiemarktes erhöht und auch allen Nachfragern zu Gute kommen.93 Diese rein theoretischen Überlegungen dürften als nicht praktikabel und realitätsfern anzusehen sein, wenn auch ein positiver externer Effekt für die Verbraucher angenommen werden könnte, weil sie als sogenannte Trittbrettfahrer, ohne zusätzliche Kosten zu entrichten, von einer höheren Versorgungssicherheit profitieren könnten.94 Gleichzeitig entstünde ein negativer externer Effekt bei ausbleibender Entlohnung für diejenigen Unternehmen, die in zusätzliche Kapazitäten investieren.95

91

Vgl. ebenda, S. 8. Vgl. Cramton/Ockenfels, Economics and Design of Capacity Markets for the Power Sector, 2012, ZfE, S. 113–134 (116). 93 Vgl. Böske, Zur Ökonomie der Versorgungssicherheit in der Energiewirtschaft, 2007, S. 105; Pompl, Kapazitätssicherung im europäisierten Stromwirtschaftsrecht, 2019, S. 32 mit weiteren Verweisen; vgl. Cramton/Ockenfels, Economics and Design of Capacity Markets for the Power Sector, 2012, ZfE, S. 113–134 (117); de Vries, Securing the public interest in electricity markets, 2004, S. 69. 94 Vgl. Böske, Zur Ökonomie der Versorgungssicherheit in der Energiewirtschaft, 2007, S. 105 mit weiteren Verweisen; Pompl, Kapazitätssicherung im europäisierten Stromwirtschaftsrecht, 2019, S. 32. 95 Vgl. Pompl, Kapazitätssicherung im europäisierten Stromwirtschaftsrecht, 2019, S. 32 mit weiteren Verweisen. Vgl. Cramton/Ockenfels, Economics and Design of Capacity Markets for the Power Sector, 2012, ZfE, S. 113–134 (117); de Vries, Securing the public interest in electricity markets, 2004, S. 69. 92

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E. Risiken für die Versorgungssicherheit auf dem Energiemarkt

6. Gefahr von Marktmacht auf dem Energiemarkt Die zuvor beschriebene Transformation der Erzeugerebene gibt Anlass dazu, die Auswirkung, und zwar auch künftiger Art, auf eine eventuell auf dem Energiemarkt vorliegende Marktmacht zu prüfen, auch insofern sich in dieser Hinsicht Risiken für die Versorgungssicherheit ergeben. a) Marktmacht auf dem Strommarkt Mögliche Folgen eines nicht funktionierenden Energy Only-Marktes könnte die missbräuchliche Ausübung von Marktmacht sein.96 Dieser Ansicht der Monopolkommission folgt auch das Bundeskartellamt und fordert, dass die Entwicklung der Marktmachtverhältnisse aufgrund des Atomausstiegs und des Kohleausstiegs weiterhin genau zu beobachten sind.97 So wird es ein Problem sein, beurteilen zu können, ob Knappheit tatsächlich vorherrscht, etwa bei zu geringer Windstärke oder fehlender Sonneneinstrahlung und weiterhin, ob tatsächlich zu wenig konventionelle Kraftwerke am Markt eingesetzt werden können oder ob die Knappheit künstlich hervorgerufen wird in dem Bestreben, höhere Preise zu erzielen. Knappheitssituationen bezeichnen erst einmal solche Marktsituationen, in denen jedes einzelne betriebsbereite Kraftwerk gebraucht und eingesetzt wird.98 So gesehen sind Knappheitssituationen und die daraus resultierenden „Knappheitspreise“,99 sogar notwendig, etwa damit sich Kraftwerke im Rahmen des beschriebenen Marktsystems basierend auf der Merit Order rentieren können.100 Die überhöhten Preise können in diesen Fällen auch akzeptiert werden. Nicht zuläs-

96 „Marktbeherrschende Unternehmen können ihre Marktmacht missbrauchen, wobei dieser Missbrauch Verhaltensweisen bezeichnet, die einem Unternehmen nur aufgrund seiner Marktmacht möglich sind und bei wirksamem Wettbewerb nicht möglich wären. Diese Verhaltensweise behindern oder benachteiligen andere Unternehmen. Das Bundeskartellamt übt insofern die Missbrauchsaufsicht aus, um zu verhindern, dass marktbeherrschende Unternehmen ihre Marktmacht manipulativ ausnutzen“, Monopolkommission, Energie 2015: Ein wettbewerbliches Marktdesign für die Energiewende, S. 139, Ziff. 428. Grundsätzlich herrscht in Deutschland eine pluralistische Struktur mit einer Vielzahl von Unternehmen. Demgegenüber wurde in fünf Mitgliedsstaaten der EU, darunter Frankreich und Italien, 90 % des Stromverbrauchs an Letztverbraucher von jeweils nur einem einzigen Unternehmen erbracht (vgl. Schiffer, Energiemarkt Deutschland, 2019, S. 177). 97 Vgl. BKartA, Marktmachtbericht, 2019, S. 3. 98 Vgl. Elberg et al., Ein umfassender Kapazitätsmarkt: Ein Markt für Versorgungssicherheitsverträge, in: Agora, Kapazitätsmarkt oder strategische Reserve, 2013, S. 37– 50 (37). 99 Höffler, Können wir auf einen Kapazitätsmechanismus wirklich verzichten?, in: Agora Energiewende, Auf dem Weg zum neuen Strommarktdesign, 2014, S. 13–15 (14). 100 Vgl. ebenda, S. 13–15 (15).

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sig ist jedoch der Versuch eines einzelnen Unternehmens, eine Manipulation des Marktpreises im genannten Sinn herbeizuführen. Veranlasst durch eine originär vorliegende Intransparenz auf dem Energiemarkt besteht zudem die Gefahr, dass eine solche Ausnutzung unerkannt bleibt. So könnten in Knappheitssituationen selbst kleine Anbieter über Marktmacht verfügen.101 Zum einen müsste das Unternehmen andere Wettbewerber nicht fürchten, weil schließlich keine freien Kapazitäten mehr verfügbar sind. Zum anderen müssten diese Anbieter auch keine Sorge der Abwanderung zu anderen Kunden haben, insofern aufgrund der beschriebenen fehlenden Nachfrageelastizität kein Nachfragerückgang der Verbraucher eintreten wird, selbst wenn sich der Energiepreis erhöhen würde.102 Wie bereits beschrieben,103 bestehen besondere Eigenarten des Strommarkts (fehlende Speicherbarkeit von Strom sowie unelastische Nachfrage) und eine besondere Bedeutung der Versorgungssicherheit (Systemsicherheit) auf dem Energiemarkt. Infolgedessen kann hier nicht – wie bei anderen Märkten – die Menge an Marktanteilen eines Unternehmens darüber Aufschluss geben, ob ein Unternehmen über Marktmacht verfügt.104 So sind einzelne Knappheitssituationen für das Vorliegen von Marktmacht nicht aussagekräftig genug, zumal hierdurch vorerst nur die tatsächliche Knappheit von Kapazität reflektiert wird.105 Auszugehen ist von dem Vorliegen einer Marktbeherrschung für den Strommarkt erst dann, wie das Bundeskartellamt annimmt, wenn ein Unternehmen in einer erkennbar bedeutenden Größenordnung pro Jahr und Stunden Strom bereitstellt und insoweit zur Sicherung der Nachfrage unentbehrlich ist.106 Für den Fall, dass ein Unternehmen marktbeherrschend ist, wird diesem Unternehmen kartellrechtlich nach Art. 102 AEUV und den §§ 19, 29 GWB untersagt, diese Marktmacht zu missbrauchen. Ein solcher Missbrauch würde dann vorliegen, wenn etwa verfügbare Erzeugungskapazitäten, und diese dann in erheblichem Umfang, physisch/technisch zurückgehalten werden, so dass eine künstliche Verknappung eintritt. Hierdurch würde sich die Merit Order nach rechts verschieben und der Börsenpreis sich erhöhen. Dieselbe Auswirkung hätte eine 101

Vgl. ebenda, S. 13–15 (14). Vgl. Elberg et al., Untersuchungen zu einem zukunftsfähigen Strommarktdesign, 2012, S. 9. 103 Siehe in Kapitel B. I. 104 Vgl. Bundeskartellamt, Marktmachtbericht 2019, S. 2; Monopolkommission, Strom und Gas 2011: Wettbewerbsentwicklung mit Licht und Schatten, S. 18, Ziff. 11. 105 Vgl. Böckers et al., Vor- und Nachteile alternativer Kapazitätsmechanismen, 2012, S. 14. 106 Vgl. Mundt, Auf einem Kapazitätsmarkt könnte Marktmacht wieder zum Thema werden, 2015, ET, S. 36 und 37 (37). Hierbei wird auf den sogenannten Residual Supply Index (RSI) zurückgegriffen (siehe Bundeskartellamt, Marktmachtbericht, 2019, S. 2). 102

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E. Risiken für die Versorgungssicherheit auf dem Energiemarkt

finanzielle Kapazitätszurückhaltung, wenn also die Anbieter für ihre Strommengen einen überhöhten Preis verlangen würden.107 In diesem Fall wäre eine direkte und eine indirekte Preismanipulation möglich. Bei der direkten Manipulation werden die Preise in der Weise angehoben, dass sie über die Grenzkosten und auch über den Preis hinausgehen, der sich durch die Knappheit ergibt. So könnte diese Manipulation etwa bei der Börse über den Bereich der potenziellen Grenzlastkraftwerke oder aber in bilateralen Verhandlungen durch die Ausübung von Verhandlungsmacht auftreten. Hingegen ist eine indirekte Manipulation durch das Zurückhalten von Kapazitäten möglich, wobei dies aber nur von einem marktmächtigen Teilnehmer mit einem breit angelegten Kraftwerksportfolio geschehen könnte oder auch durch ein koordiniertes Verhalten von mehreren Marktteilnehmern.108 In diesen beiden Fällen wird jeweils der Preis für Strommengen an der Börse künstlich in die Höhe getrieben und die Strommengen dann oberhalb der Grenzkosten (Mark-up) angeboten. So ist die Folge einer missbräuchlichen Ausnutzung der Marktmacht jeweils, dass die Angebotsmenge reduziert wird, und dadurch der Preis steigt, also künstlich überhöhte Preise vorliegen.109 Diese Gefahr existiert nicht nur im Energy Only-Market, sondern ist aufgrund des Auftretens kurzfristig erhöhter Nachfrage den Strommärkten immanent.110 Zu berücksichtigen ist aber, dass das Verbot, Preise oberhalb der Grenzkosten zu verlangen (Mark-up-Verbot) ausdrücklich nur für marktbeherrschende Unternehmen gilt,111 insofern „nicht-marktbeherrschende Unternehmen in ihrer Preissetzung – auch in Knappheitssituationen – keinerlei Einschränkungen unterliegen und daher unbegrenzt hohe Preise ansetzen können“.112

107 Vgl. Monopolkommission, Strom und Gas 2011: Wettbewerbsentwicklung mit Licht und Schatten, S. 18, Ziff. 12. 108 „Dementsprechend hat auch die Europäische Kommission die finanzielle Kapazitätszurückhaltung mit dem Ziel der Beeinflussung des Börsenpreises als missbräuchlich erachtet, sich im Übrigen aber einer expliziten Stellungnahme zur Zulässigkeit von Mark-ups enthalten“, BKartA, Sektoruntersuchung Stromerzeugung und -großhandel, 2011, S. 192. 109 Vgl. Mundt, Auf einem Kapazitätsmarkt könnte Marktmacht wieder zum Thema werden, 2015, ET, S. 36/37 (37); vgl. BKartA, Sektoruntersuchung Stromerzeugung und -großhandel, 2011, S. 194; Höffler, Können wir auf einen Kapazitätsmechanismus wirklich verzichten?, in: Agora Energiewende, Auf dem Weg zum neuen Strommarktdesign, 2014, S. 13–15 (14 und 15); Monopolkommission, Strom und Gas 2011: Wettbewerbsentwicklung mit Licht und Schatten, S. 18, Ziff. 12. 110 Vgl. Böckers et al., Vor- und Nachteile alternativer Kapazitätsmechanismen, 2012, S. 14. 111 Vgl. Kment, in: Kment, Energiewirtschaftsgesetz, 2019, § 1, Rn. 15; BNetzA/ BKartA, Monitoringbericht, 2016, S. 389. 112 Mundt, Auf einem Kapazitätsmarkt könnte Marktmacht wieder zum Thema werden, 2015, ET, S. 36/37 (36).

I. Risiken

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Des Weiteren gibt es selbst für marktbeherrschende Unternehmen von dem vorgenannten Mark-up-Verbot Ausnahmen, so etwa, wenn ein Unternehmen nachweisen kann, dass ein entsprechendes Mark-up erforderlich ist, damit Einnahmen erzielt werden können, die seine gesamten Durchschnittskosten decken. Jedoch müssen sich diese auf das Gesamtangebot an Kraftwerken (Kraftwerksportfolio) beziehen.113 So hat das Bundeskartellamt erklärt, dass ein Preisaufschlag auf die Grenzkosten oder auch eine Zurückhaltung von Kapazität nur dann als gerechtfertigt angesehen werden kann, wenn dem marktbeherrschenden Unternehmen andernfalls keine Möglichkeit verbleibt, diese gesamten Durchschnittskosten zu erwirtschaften.114 Demzufolge stellt die kartellrechtliche Missbrauchsaufsicht auch keine implizite Preisobergrenze dar, auch werden somit Anreize für Investitionen im Strommarkt nicht geschwächt. Das Bundeskartellamt und die Bundesnetzagentur haben in dem am 27. September 2019 veröffentlichen „Leitfaden für die kartellrechtliche und energiegroßhandelsrechtliche Missbrauchsaufsicht im Bereich Stromerzeugung/-großhandel“ 115 konkrete Situationen definiert, wann von einem kartellrechtlich missbräuchlichen Handeln eines Erzeugungsunternehmens auszugehen ist, das seine Kapazitäten mit Mark-Ups über den spezifischen Grenzkosten vermarktet. Bereits im Jahr 2008 hatte die EU-Kommission ein Missbrauchsverfahren gegen das Unternehmen E.ON wegen des Verdachts auf Kapazitätszurückhaltung eingeleitet, dieses aber im Wege einer Verpflichtungsentscheidung wieder eingestellt, nachdem E.ON zugesagt hatte, 5.000 MW ihrer Erzeugungskapazitäten und auch ihr Übertragungsnetz zu verkaufen.116 Es erfolgten noch weitere Verfahren gegen die Unternehmen RWE, Vattenfall und EnBW, die aber im Oktober 2009 formlos eingestellt wurden.117 Im Hinblick darauf, dass das Stromgroßhandelspreisniveau im November 2008 weit über dem Niveau des Jahres 2007 lag, obwohl die Rohstoffpreise zurückgegangen waren, leitete das Bundeskartellamt im Jahr 2009 eine Sektoruntersuchung im Stromgroßhandel und der Stromerzeugung ein. In diesem Zusammenhang wurden strukturelle Defizite des Erstabsatzmarktes in Kombination mit einer unverändert hohen Konzentration und deshalb marktbeherrschenden Stellung der Unternehmen RWE, E.ON, Vattenfall und EnBW (Angebotsoligopol) festgestellt. Diese Position der genannten Unternehmen hätte es ihnen zwar ermöglicht, sich marktbeherrschend unter Ausschluss der anderen Wettbewerber am Markt zu 113

Vgl. BKartA, Sektoruntersuchung Stromerzeugung und -großhandel, 2011, S. 195. Vgl. ebenda. 115 BNetzA/BKartA, Leitfaden für die kartellrechtliche und energiegroßhandelsrechtliche Missbrauchsaufsicht im Bereich Stromerzeugung/-großhandel, 2019. 116 Vgl. EU-Kommission, Zusammenfassung der Entscheidung vom 26. November 2008, ABl. EU Nr. C 36, S. 8 vom 13. Februar 2009. 117 Vgl. Heymann, Der Strommarkt 2.0, 2019, S. 52. 114

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E. Risiken für die Versorgungssicherheit auf dem Energiemarkt

verhalten.118 Aber es wurde kein missbräuchliches Verhalten, also keine physische und/oder finanzielle Kapazitätszurückhaltung im konkreten technischen und wirtschaftlichen Kraftwerkseinsatz festgestellt.119 Auch weitere missbräuchliche Auffälligkeiten ergeben sich bislang nicht. So war es zwar für die auf Empfehlung des Bundeskartellamts implementierte Markttransparenzstelle120 möglich, die Daten der Stromerzeugungs- und Stromgroßhandelsmärkte, die die Preisbildungsprozesse auf den Strommärkten beeinflussen, zu erheben.121 Hieraus haben sich jedoch weder im Einsatz der Kraftwerke noch in der Preisbildung des Marktsegments planmäßige Besonderheiten oder Regelwidrigkeiten gezeigt.122 Hierzu legte das Bundeskartellamt im Dezember 2019 den ersten selbstständigen Marktmachtbericht vor.123 Aus diesem Bericht ergibt sich, dass RWE bereits in einer nicht unerheblichen Anzahl von Stunden unverzichtbar für die Deckung der Stromnachfrage tätig war, jedoch weniger als 5 % der Stunden, also weniger als 438 Stunden im Jahr, und insofern noch nicht in einem marktbeherrschenden Umfang, agierte.124 Auch wurde die von der Europäischen Kommission125 und auch vom Bundeskartellamt 118 Hierbei hat das Bundeskartellamt in der Sektoruntersuchung Stromerzeugung/ Stromgroßhandel eine marktbeherrschende Stellung eines Stromerzeugers erst dann vermutet, wenn dieser in mind. 5 % der Stunden eines Jahres (d.h. mind. 438 Stunden) unverzichtbar für die Deckung der Stromnachfrage ist, wobei diese Einordnung nach wie vor gilt, vgl. BNetzA/BKartA, Leitfaden für die kartellrechtliche und energiegroßhandelsrechtliche Missbrauchsaufsicht im Bereich Stromerzeugung/-großhandel, 2019, S. 18, Ziff. 49; BKartA, Sektoruntersuchung Stromerzeugung und -großhandel, 2011, S. 106 ff. Die Monopolkommission kritisiert zum Teil die Vorgehensweise bei der Analyse und schlägt selbst Methoden vor (vgl. Monopolkommission, Strom und Gas 2011: Wettbewerbsentwicklung mit Licht und Schatten, S. 18 und 19, Ziff. 14). 119 Vgl. BKartA, Sektoruntersuchung Stromerzeugung und -großhandel, 2011, S. 121; Monopolkommission, Strom und Gas 2011: Wettbewerbsentwicklung mit Licht und Schatten, S. 18, Ziff. 12 und 13. 120 Gesetz zur Errichtung einer Markttransparenzstelle für den Großhandel mit Strom und Gas, Markttransparenzstellengesetz („MarktTrStromG“) vom 05. Dezember 2012, BGBl. I, S. 2403. Weiterhin wurde ein neues Kapitel in das GWB mit den §§ 47a ff. eingefügt. 121 Vgl. BKartA, Sektoruntersuchung Stromerzeugung und -großhandel, 2011, S. 31 f., 284 ff. 122 Vgl. Heymann, Der Strommarkt 2.0, 2019, S. 55. 123 Vgl. Bundeskartellamt, Marktmachtbericht, 2019. Dieser Bericht deckt den Zeitraum vom 1. Oktober 2018 bis einschließlich 30. September 2019 ab. Er ist auf der durch das Strommarktgesetz neu eingeführten gesetzlichen Grundlage, § 53 Abs. 3 Satz 2 EnWG, entstanden, ist jedoch nicht rechtlich verbindlich und soll den Erzeugungsunternehmen auf dem Strommarkt nur eine Orientierung verschaffen, ob sie marktbeherrschend im Sinne von § 18 GWB bzw. Art. 102 AEUV sind, siehe Bundestag, Begründung zum Strommarktgesetz vom 20. Januar 2016, BT-Drs. 18/7317, S. 134. 124 Vgl. Bundeskartellamt, Marktmachtbericht, 2019, S. 52, Ziff. 134. 125 Vgl. EU-Kommission, Mergers: Commission approves RWE’s acquisition of E:ON electricity genration assets, Pressemitteilung vom 26. Februar 2019, IP/19/1432 – Case M.8870 – E.ON/Innogy.

I. Risiken

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genehmigte Transaktion, wonach RWE 16,67 % der Anteile an E.ON erworben hatte, als nicht maßgeblich angesehen.126 RWE ist dennoch der dominante Anbieter, erst weit danach gefolgt von zunächst EnBW dann LEAG.127 Nach Ansicht des Bundeskartellamts könnten aber schon geringfügige Änderungen dazu führen, dass RWE eine marktbeherrschende Stellung einnimmt. Dies sei dann zu befürchten, wenn es mit Vollzug des Atomausstiegs Ende des Jahres 2022 und des Kohleausstiegs zu einer Verknappung der Kapazitäten kommen und sich korrespondierend hiermit auch der Umfang der Stromimporte erhöhen würde.128 Im Ganzen gesehen hat aber nach der Ansicht des Bundeskartellamts die Marktmacht einzelner Unternehmen seit dem Jahr 2011 abgenommen.129 So ist der Anteil der Erzeugungskapazitäten der vier größten Erzeuger ebenso wie ihre Einspeisemenge rückläufig.130 Auch wurde mithilfe der Entflechtungsvorgaben131 eine Abhilfe insofern geschaffen, als durch die Entflechtung jetzt bereits ein Kraftwerk ein selbständiges Unternehmen ist. Dies hat zur Folge, dass viele eigenständige Unternehmen entstanden. So konnte für das Jahr 2018 ein leichter Rückgang der Marktkonzentration festgestellt werden.132 Nach dem damaligenn Stand ist daher nicht von einer Marktmacht eines oder mehrerer Unternehmen auf dem Stromerzeugungsmarkt auszugehen. Dem kommt zugute, dass die Stromerzeugungskapazitäten die Nachfrage noch übersteigen, mithin der Bedarf ohne weiteres in Deutschland und in Europa gesichert ist.133 Diese Ausgangssituation erschwert eine missbräuchliche Eskalation der Strompreise. Lediglich eine Drosselung der hohen Kapazitäten könnte wieder zu Preisspitzen führen.134

126 Vgl. BKartA, Marktmachtbericht, 2019, S. 5 und 6 mit Verweis auf BKartA, FB vom 31. Mai 2019, B8–28/19, S. 8 f. – RWE/E.ON, vgl. auch BKartA, Pressemitteilung vom 26. Februar 2019. 127 Vgl. BKartA, Marktmachtbericht, 2019, S. 52, Ziff. 134. 128 Vgl. ebenda, S. 52, Ziff. 136. 129 Vgl. Mundt, Kartellrechtsaufsicht im Strommarkt 2.0, in: themen-magazin.de, vom 10. März 2017. 130 Monopolkommission, Strom und Gas 2011: Wettbewerbsentwicklung mit Licht und Schatten, S. 18, Ziff. 12. 131 Die Entflechtungsvorgaben im Rahmen der Liberalisierung werden in Kapitel B. III. dargelegt. 132 Vgl. BNetzA/BKartA, Monitoringbericht, 2019, S. 9. Der aggregierte Marktanteil der fünf absatzstärksten Unternehmen auf dem deutschen Stromabsatzmarkt lag im Jahr 2018, auf das deutsche Marktgebiet bezogen, bei 73,9 %. Im Vorjahr lag der Marktanteil noch bei 75,5 %, siehe ebenda, S. 9 und 47. 133 Vgl. BNetzA/BKartA, Monitoringbericht, 2019, S. 49. Dies ist eine ex post-Betrachtung. Auf die Auswirkungen des Angriffskrieges auf die Ukraine soll hier nicht eingegangen werden. 134 Vgl. Mundt, Auf einem Kapazitätsmarkt könnte Marktmacht wieder zum Thema werden, 2015, ET, S. 36/37 (36); Mohr, in: Säcker, Berliner Kommentar zum Energierecht, 2019, § 29 GWB, Rn. 2c.

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E. Risiken für die Versorgungssicherheit auf dem Energiemarkt

Nunmehr ist durch das Konzept „Strommarkt 2.0“ im Strommarktgesetz135 festgelegt, dass sich Kapazitäten ausschließlich über Marktpreise nach wettbewerblichen Grundsätzen refinanzieren, mithin eine regulatorische Begrenzung in Form einer Preisobergrenze nicht stattfinden soll. Auf dem Endkundenmarkt hingegen ist das Risiko einer marktbeherrschenden Stellung geringer. Hier erfolgt eine Berechnung der Marktanteile. Im Jahr 2018 lagen die „aggregierten Marktanteile der vier absatzstärksten Unternehmen für die Belieferung der RLM-Kunden“ bei 24,4 %. Infolgedessen wird hierdurch der in § 18 Abs. 4 und 6 GWB bestimmte Schwellenwert nicht erreicht, der eine marktbeherrschende Position vermuten lässt.136 Für die Belieferung von Kunden mit Standardlastprofil betrug im Jahr 2018 der Marktanteil auf dem bundesweiten Markt 35,8 %.137 Um einer Marktkonzentration vorzubeugen, empfahl das Bundeskartellamt bereits im Jahr 2011 die verstärkte Marktintegration von Strom aus erneuerbaren Energien.138 Für das Berichtsjahr 2018 konnten das Bundeskartellamt und die Bundesnetzagentur nun als Folge feststellen, dass ein „gestiegener Anteil der Stromnachfrage bereits mit der Einspeisung durch erneuerbare Energien gedeckt“ wurde.139 Hierdurch wird verdeutlicht, dass die Umstellung auf die Energieträger der erneuerbaren Energien das gesamte Energiesystem einerseits komplexer und problematischer macht, andererseits aber die Marktmacht einzelner Marktteilnehmer durch Absatz von Strom aus erneuerbaren Energien sogar abgeschwächt werden kann.140 Eine Diversifizierung im Bereich der Energieträger kann somit gerade ein sogenanntes Klumpenrisiko verringern oder auch verhindern.141 Dieses Risiko ergibt sich durch die Abhängigkeit der Kunden von nur wenigen Marktteil135 Gesetz zur Weiterentwicklung des Strommarktes (Strommarktgesetz) vom 26. Juli 2016, BGBl. I, S. 1786. 136 Siehe BNetzA/BKartA, Monitoringbericht, 2019, S. 51. Nach § 18 Abs. 4 GWB wird vermutet, dass ein Unternehmen marktbeherrschend ist, wenn es einen Marktanteil von mind. 40 % hat. Für eine Gesamtheit von Unternehmen wird nach § 18 Abs. 6 GWB eine Marktbeherrschung bei einem Marktanteil von 50 % angenommen. 137 Vgl. BNetzA/BKartA, Monitoringbericht, 2019, S. 51. Nach dem Bundeskartellamt wird zwischen Abnehmern unterschieden, deren Verbrauch auf Basis einer registrierenden Leistungsmessung (RLM-Kunden) erfasst wird, wobei dies meist industrielle oder gewerbliche Großverbraucher sind. Zum anderen betrifft dies Kunden mit Standardlastprofil (SLP-Kunden), in der Regel Haushaltskunden (vgl. ebenda und die Definition von RLM- und SLP-Kunden im Kapitel B. IV. 1. c). 138 Vgl. BKartA, Sektoruntersuchung Stromerzeugung und -großhandel, 2011, S. 32/ 33, 294 ff. 139 Vgl. BNetzA/BKartA, Monitoringbericht 2019, S. 49. 140 Vgl. ebenda. 141 Vgl. Willisegger, Schutz kritischer Infrastrukturen, in: Hunziker/Meissner, Ganzheitliches Chancen- und Risikomanagement, 2018, S. 60–88 (66); Pilgram, in: Schwintowski et al., Handbuch Energiehandel, 2018, S. 346, Rn. 89.

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nehmern, so durch die Konzentration auf wenige Energiekonzerne und Energiezulieferer. Unter diesem Gesichtspunkt könnte eine Diversifizierung der Ressourcen oder der Energieträger auch positive Wirkungen entfalten und so zu einer Energieversorgungssicherheit sogar mitbeitragen.142 b) Marktmacht auf dem Gasmarkt Inwieweit Marktmacht auf dem Gasmarkt vorliegt, wird im Vergleich zum Strommarkt nach anderen Faktoren bemessen. Als Anhaltspunkt für die Intensität der Unternehmenskonzentration wird auf das Arbeitsgasvolumen an Untertagespeichern (Poren-, Kavernenspeicher) abgestellt.143 Neben Deutschland als zusammenhängender räumlicher Markt werden auch zwei in Österreich befindliche Speicher in die Berechnung miteinbezogen.144 Hierbei werden die Marktanteile anhand der Speicherkapazitäten (maximal nutzbares Arbeitsgasvolumen) bemessen. In diesem Zusammenhang konnte eine starke Konzentration der Arbeitsgasvolumen bei den Untertageerdgasspeichern festgestellt werden.145 Insgesamt aber werden die traditionellen Geschäftsfelder der Erdgasunternehmen, so Import, Weiterverteilung oder Belieferung von Endkunden, immer häufiger zusammengelegt. Schon im Jahr 2015 wurde festgestellt, dass sich demzufolge auch die Marktmacht mit steigender Tendenz auf ausländische Gasproduzenten etwa Statoil oder Gazprom überträgt.146 Aufgrund der naturgemäßen Konzentration der Gaslagerstätten auf nur einige wenige Orte sind die klassischen Anbieter von Pipeline-Gas überschaubar, weswegen Marktmacht durch die Möglichkeit der Preisbestimmung dieser wenigen Anbieter wahrscheinlicher wird.147 So setzen 142 Vgl. Willisegger, Schutz kritischer Infrastrukturen, in: Hunziker/Meissner, Ganzheitliches Chancen- und Risikomanagement, 2018, S. 60–88 (66). 143 „Das Bundeskartellamt geht von einem bundesweiten Erdgasgroßhandelsmarkt aus und grenzt diesen nicht mehr netzbezogen oder marktgebietsbezogen ab“, BNetzA/ BKartA, Monitoringbericht 2019, S. 354; ebenso bereits im Monitoringbericht 2017, S. 283 und im Monitoringbericht 2015, S. 245. 144 Vgl. BNetzA/BKartA, Monitoringbericht 2021, S. 334. Dies sind die Speicher Haidach und 7Fields, da diese in Grenznähe zu Deutschland gelegen sind und diese mittelbar oder unmittelbar an die deutschen Gasnetze angeschlossen sind. Insgesamt wurden Angaben von 23 juristischen Personen in die Betrachtung mit einbezogen, im Vorjahr waren dies 25, jedoch haben 2 Speicherbetreiber im Berichtsjahr die Vermarktung der Gasspeicher beendet (vgl. ebenda, S. 348). 145 Im Vergleich zum Vorjahr 2017 ist diese geringfügig gesunken: Zum Stichtag am 31. Dezember 2018 verfügten die Untertageerdgasspeicher über ein maximal nutzbares Arbeitsgasvolumen in Höhe von rund 296,4 TWh (im Jahr 2017: 299,0 TWh), „Das aggregierte Arbeitsgasvolumen der Unternehmen mit den größten Speicherkapazitäten betrug zuletzt zum 31. Dezember 2018 rund 198,9 TWh (im Vorjahr: 204,7 TWh)“, BNetzA/BKartA, Monitoringbericht 2019, S. 355. 146 „So setzen etwa Statiol und Gazpprom ihr Erdgas direkt an den virtuellen Handelspunkten und nicht mehr an der deutschen Grenze ab“, Mundt, Auf einem Kapazitätsmarkt könnte Marktmacht wieder zum Thema werden, 2015, ET, S. 36/37 (37). 147 Vgl. Schiffer, Energiemarkt Deutschland, 2019, S. 382.

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E. Risiken für die Versorgungssicherheit auf dem Energiemarkt

diese Anbieter Erdgas immer öfter unmittelbar an den sogenannten virtuellen Handelspunkten und nicht an der deutschen Grenze ein. Dies führt zu Nachteilen der Importeure, insofern sie bei dem weiteren Export des Gases wiederum Netzentgelte entrichten müssen und zwar für die abermalige Grenzüberschreitung bei der Aus- und Einspeisung, mithin dann die folgende Veräußerung des Gases ins Ausland beeinträchtigt wird.148 Gleichermaßen wie beim Strommarkt wird auch hier auf dem Gasendkundenmarkt die Marktkonzentration der absatzstärksten Unternehmen beurteilt. Entscheidend ist, dass auch hier der im Sinne des § 18 Abs. 6 GWB bestimmte Schwellenwert, der eine Marktbeherrschung vermuten lässt, nicht erreicht wird.149 7. Drohende Standortnachteile für Energieunternehmen Eine weitere Erhöhung der Strompreise wirkt sich nicht nur negativ auf Stromverbraucher aus, sondern kann auch für Energieunternehmen zu erheblichen Wettbewerbsnachteilen im internationalen Vergleich führen. So ist für die Unternehmen insbesondere der Großhandelspreis auch ein Indikator dafür, inwieweit sie der Konkurrenz gewachsen sind, somit in welcher Weise sie im europäischen bzw. globalen Beziehungsrahmen wettbewerbsfähig sind. Zum einen versuchen die Unternehmen bereits aus eigenem Profitabilitätsinteresse heraus die Versorgung der Bevölkerung mit den von ihnen bereitgestellten Produkten im höchsten Maße sicherzustellen. Folglich kann der Bau von Kraftwerken und der Netzausbau auch grundsätzlich auf kommunale und privatwirtschaftliche Unternehmen übertragen werden.150 Zum anderen sind jedoch durch die Maßnahmen der Liberalisierung sowohl die Kosten als auch das Preisniveau gestiegen und damit der Druck auf die Marktteilnehmer.151 Mit der Öffnung des Marktes auch hin zu einem europäischen Energiemarkt besteht das Risiko, dass der Betrieb eines Kraftwerks in andere europäische oder auch außereuropäische Länder zur Produktion verlagert wird, und zwar aus Kostengründen, da dort günstiger und somit profitabler produziert werden kann. So würden die damit aufgezeigten Risiken noch verstärkt werden, insofern sich die Anzahl der Marktteilnehmer im deutschen und gegebenenfalls im europäischen Energiemarkt verringert. Infolgedessen könnte die Bonität des Energiemarktes beein148 Vgl. Mundt, Auf einem Kapazitätsmarkt könnte Marktmacht wieder zum Thema werden, 2015, ET, S. 36 und 37 (37). 149 So hatten im Jahr 2018 diese im Bereich der SLP-Kunden 23 % und im Bereich der RLM-Kunden 31 % der Marktanteile, vgl. Bundeskartellamt/Bundesnetzagentur, Monitoringbericht 2019, S. 357; Mohr, in: Säcker, Berliner Kommentar zum Energierecht, 2019, § 29 GWB, Rn. 2b. 150 Zur Gewährleistungsverantwortung ausführlich in Kapitel F. III. 151 Vgl. Scholz/Schuler, in: Schwintowski et al., Handbuch Energiehandel, 2018, S. 450, Rn. 61.

I. Risiken

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trächtigt werden und als Folge hiervon wiederum für die verbleibenden Energieunternehmen die Gefahr erhöhen, an Kreditwürdigkeit einzubüßen.152 Diesen Umständen entsprechend wäre durch die abträgliche Preisgestaltung auch die Investitionssicherheit der Unternehmen negativ betroffen. Eine solche Verlagerung von Unternehmen ins Ausland würde etwa für den deutschen Markt negative Konsequenzen haben, da dann nicht genügend Anbieter von Kapazitäten vorhanden sind. Dies wiederum würde nachteilige Folgen für die Versorgungssicherheit bedeuten. Hinsichtlich der Preisgestaltung sind des Weiteren die einzelnen Kostenbestandteile zu analysieren. Hier ergibt sich, dass über die Hälfte der Kosten auf den staatlichen, regulatorischen Eingriffen basieren.153 Für die industriellen Verbraucher (ohne Eigenerzeugungsanlagen) ist der durchschnittliche Strompreis in den Jahren von 1998 bis 2018 um 84 % und im Vergleich zum Jahr 2000 sogar um 184 % angestiegen.154 8. Verstärkte Importabhängigkeit – zusätzliches Risiko für den Gasmarkt Darüber hinaus ergeben sich für den Gasmarkt weitere Probleme aufgrund der allgemein sehr hohen Importabhängigkeit155 und hieraus resultierend der Gefahr einer potenziell drohenden Lieferunterbrechung. Erwägungen hierzu sind in einer Studie des Energiewirtschaftlichen Instituts an der Universität zu Köln (EWI) 2014156 und zuletzt im Jahr 2019 in einer Studie, bezogen auf die EU,157 angestellt worden. So wird darauf hingewiesen, dass in Deutschland die Versorgung 152 Obwohl ein hohes Wirtschaftswachstum besteht, ist eine „schwache Investitionstätigkeit der stromintensiven Industrie in Deutschland“ zu erkennen, siehe Kommission, Abschlussbericht, 2019, S. 36 mit weiteren Verweisen, u. a. auf das Statistische Bundesamt 2017. 153 Aktuell setzt sich der Strompreis aus 52 % Steuern, Abgaben, Umlagen und zu 48 % aus Strombeschaffung, Netzentgelten, Vertrieb zusammen. Für kleinere Unternehmen mit weniger (steuerlichen) Entlastungen sind die Belastungen noch höher. Im EUVergleich sind die Strompreise für letztere Gruppe am dritthöchsten (nach Großbritannien und SK) ohne Steuern und Abgaben läge der Strompreis im Mittelfeld im EU-Vergleich, vgl. Kommission, Abschlussbericht, 2019, S. 41. 154 Vgl. Kommission, Abschlussbericht, 2019, S. 40 mit Verweis auf Eurostat: Preise Elektrizität für Nicht-Haushaltskunde, ab 2007 – halbjährliche Daten (Online-Datencode nrg_pc_205). 155 Vgl. Monopolkommission, Energie 2015: Ein wettbewerbliches Marktdesign für die Energiewende, S. 60, Ziff. 139. 156 Vgl. ebenda, S. 60, Ziff. 138 mit Verweis auf EWI, An Embargo of Russian Gas and Securitiy of Supply in Europe vom 6. Oktober 2014. 157 Vgl. Schulte et al., The Trilateral Gas Talks – What would an interruption of Russian gas exports via Ukraine mean for EU consumers?, EWI 2019, S. 10 ff. Hier wird ein Lieferstopp von 3 Monaten unterstellt, der durch Speicherkapazitäten und LNG-Gas aufgefangen werden könnte, bei einem noch moderaten Anstieg der Gaspreise.

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E. Risiken für die Versorgungssicherheit auf dem Energiemarkt

mit Gas lediglich fünf Monate gewährleistet sei, sollte es zu einem Gasembargo kommen.158 Daher ist eine Reduzierung der Importrisiken von Primärenergieträgern unerlässlich sowie die bilanzielle Selbstverwaltung zur Erfüllung des Bedarfs zu forcieren.159 Aus ökonomischer Sicht würde eine Lieferunterbrechung zu erheblichen volkswirtschaftlichen Schäden führen, insofern wegen des nur begrenzten Zugriffs auf Gasquellen ein Mangel der Gasversorgung der Letztverbraucher aufkommen könnte.160 Auch würde eine erhöhte Nachfrage eine Verknappung auslösen.161 So verringerte sich durch die Weltwirtschaftskrise in den Jahren 2008/2009162 die Nachfrage an Gaskapazitäten,163 was auch auf die Reduzierung der industriellen Produktion zurückzuführen ist. Infolgedessen bestand ein Überangebot an Kapazitäten, korrespondierend mit einem starken Preisrückgang an den Spotund Terminmärkten der Gasmärkte.164 Hinzu kam, dass die Implementierung eines wirtschaftlichen Verfahrens der Gasförderung aus Schiefergestein (Shalegas) in den USA vorangetrieben und in Europa etwa auch die Fortentwicklung der Infrastruktur für Flüssigerdgas (LNG) gefördert wurde.165 Ab dem Jahr 2014 erhöhte sich die Nachfrage nach dem Einsatz von Gaskraftwerken infolge der deutlichen Besserung der wirtschaftlichen Lage.166 Risiken, die sich durch nicht einschätzbare Fortentwicklung des Marktes ergeben, wirken sich insbesondere für die Akteure des Gasmarkts belastend aus. So müssen die Beteiligten Planungen für ihre „hochspezifischen Investitionen“

158 Allerdings wird in der Studie des EWI aus dem Jahr 2014 zudem darauf verwiesen, dass wegen der großen Abhängigkeit von russischem Gas in Deutschland ein Embargo auch eine wirtschaftlich erhebliche Auswirkung auf den Exporteur Gazprom hätte, insofern dessen monatliche Einkünfte sich zwischen vier und fünf Mrd. Euro verringern würden, vgl. Monopolkommission, Energie 2015: Ein wettbewerbliches Marktdesign für die Energiewende, S. 60, Ziff. 138. 159 Vgl. Reeg et al., Kapazitätsmechanismen als Rettungsschirm der Energiewende?, 2015, S. 7. 160 Der „Bedarf an Gaskapazitäten steigt in der EU“, aber der „Rückgang der EUGasproduktion ist nicht aufzuhalten“, Steiner, Europas Abhängigkeit von russischem Gas, in: Die Welt vom 29. Januar 2019. Weiterhin ist Erdgas nur schwer substituierbar (vgl. Monopolkommission, Energie 2015: Ein wettbewerbliches Marktdesign für die Energiewende, S. 60, Ziff. 139). 161 Vgl. BBH et al., Möglichkeiten zur Verbesserung der Gasversorgungssicherheit, 2015, S. 32. 162 Ausgelöst durch die Insolvenz der Investmentbank Lehman/Brothers im November 2008. 163 Vgl. Schiffer, Energiemarkt Deutschland, 2019, S. 383. 164 Vgl. ebenda. 165 Vgl. ebenda. 166 Vgl. Steiner, Europas Abhängigkeit von russischem Gas, in: Die Welt vom 29. Januar 2019. Ein weiterer Grund ist der Ausstieg aus der Kohleverstromung vgl. ebenda.

I. Risiken

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langfristig vornehmen und sind daher hauptsächlich von Risiken wirtschaftlicher Art, aber auch von Risiken bei dem Einsatz von Technologien sowie politischen Risiken betroffen.167 So bestehen etwa Vorlaufzeiten für Investitionen von mehreren Jahren168 und generell zusätzliche Anforderungen für den Bau von Gaskraftwerken, so etwa erhöhte Stickstoffoxidanforderungen für Gasturbinen.169 Das durch Gasleitungen importierte Gas war auf dem Weltmarkt deutlich preiswerter als das umgewandelte Flüssiggas (LNG).170 Nachdem vorrangig etwa in Australien und den Vereinigten Staaten die Intensität des Verflüssigungsprozesses und des Aufnahmevermögens deutlich angestiegen ist, ist auch für die Europäische Union der Import lohnend. Potenziell käme mithin eine weitere Verfügbarkeit an Energie von 32 Milliarden Kubikmetern in Betracht.171 Im Jahr 2020 bezog Europa bereits LNG-Lieferungen aus Russland, Katar, USA, Nigeria und Algerien172 als zweitgrößter LNG-Importeur nach Japan. Bis zum Jahr 2023 wird eine Steigerung der weltweiten Exportkapazitäten um 30 % anvisiert.173 Die EU-Kommission forderte schon im Jahr 2016 transparente und marktbasierte Kapazitätszuweisungsmechanismen unter Wettbewerbsbedingungen zu schaffen und an gesicherten LNG-Terminals diesen auch Geltung zu verschaffen, mit dem Ziel auf diese Weise neue Marktteilnehmer und Märkte zu erschließen.174 So könnten etwa Gespräche mit Australien zum Thema LNG aufgenommen werden und mit potenziellen Lieferanten kooperiert werden.175 167

Vgl. Löschel et al., Energiewirtschaft, 2020, S. 245. Vgl. Löschel et al., Energiewirtschaft, 2020, S. 244 und 245; Kommission, Abschlussbericht, 2019, S. 34; Schiffer, Energiemarkt Deutschland, 2019, S. 222 betont die kurzen Errichtungszeiten bei Gaskraftwerken als Vorteil ggü. Kohle- und Atomkraftwerken. 169 EU-Kommission, Durchführungsbeschluss 2017/1442 vom 31. Juli 2017 über Schlussfolgerungen zu den besten verfügbaren Technischen (BVT) gemäß der Richtlinie 2010/75/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24.11.2010 für Großfeuerungsanlagen, ABl. EU Nr. L 212, S. 1 vom 17. August 2017. 170 Bis zu einer Entfernung von circa 3.000 Kilometern ist dies grundsätzlich wirtschaftlicher als der Transport des LNG, vgl. BNetzA/BKartA, Monitoringbericht, 2021, S. 364. 171 Vgl. EU-Kommission, Mitteilung vom 16. Februar 2016, Eine EU-Strategie für Flüssigerdgas und die Speicherung von Gas, KOM (2016) 49 endg., S. 12; Schultz, Europa droht jahrelange Gasknappheit, in: Der Spiegel vom 01. Februar 2022. 172 Vgl. BMWi, Bericht zum Stand und zur Entwicklung der Versorgungssicherheit im Bereich der Versorgung mit Erdgas 2020, S. 13; BMWi, Versorgungssicherheit bei Erdgas Monitoring-Bericht nach § 51 EnWG 2019, S. 10. 173 Vgl. BMWi, Versorgungssicherheit bei Erdgas Monitoring-Bericht nach § 51 EnWG 2019, S. 6. 174 Vgl. EU-Kommission, Mitteilung vom 16. Februar 2016, Eine EU-Strategie für Flüssigerdgas und die Speicherung von Gas, KOM (2016) 49 endg., S. 9. 175 Vgl. ebenda, S. 12. Im Jahr 2016 wurden weltweit 346,6 Mrd. m3 Erdgas in verflüssigter Form (LNG) gehandelt, der globale Handel mit LNG zum Vorjahr ist um 6,5 % gestiegen, die USA wurde vom LNG-Importeur zum LNG-Exporteur (vgl. BMWi, 168

202

E. Risiken für die Versorgungssicherheit auf dem Energiemarkt

Australien ist insoweit von Interesse, weil mit dem Floating Liquefied Natural Gas (FLNG) eine weiterentwickelete Methode der Verflüssigung von Gas angewendet wird. So kann Erdgas von Erdgaslagerstätten, die sich entfernt der Küste auf See befinden, insofern erschlossen werden, dass sie schon an Ort und Stelle verflüssigt und auf Schiffen gelagert werden. Erstmalig begann die Prelude FLNG im Juni 2019, LNG mit dieser Vorgehensweise zu produzieren.176 Nachteilig bei dieser Technik ist der hohe Kostenaufwand.177 Auch wenn Deutschland der Nutzung von LNG nicht ablehnend gegenübersteht, wurde dennoch versäumt, LNG-Terminals zu bauen, die, auch um die Versorgungssicherheit zu erhöhen, einen ungestörten Zugriff auf das LNG ermöglichen. So hat Deutschland keine andere Wahl, als Zugänge zu LNG-Terminals etwa in Belgien oder in den Niederlanden in Anspruch zu nehmen.178 Die von der Bundesregierung im Jahr 2018 geplante Errichtung einer LNGInfrastruktur179 mit Standorten für LNG-Terminals in Brunsbüttel, Rostock, Stade und Wilhelmshaven, ist entgegen der beabsichtigten Fertigstellung bislang noch nicht umgesetzt worden.180

II. Bewertung In der Gesamtbetrachtung bleibt festzustellen, dass auf dem Energiemarkt verschiedenartige Risiken für die Gewährleistung der Versorgungssicherheit bestehen, wenn auch diese Risiken nicht bei allen Problemfeldern denselben Grad

Versorgungssicherheit bei Erdgas Monitoring-Bericht nach § 51 EnWG 2019, S. 6; BMWi, Bericht zum Stand und zur Entwicklung der Versorgungssicherheit im Bereich der Versorgung mit Erdgas 2020, S. 6). 176 Browse Basin, 475 km nordöstlich von Broome, Westaustralien. 177 Durch die hohen LNG-Preise steigen auch die Erdgaspreise auf den europäischen Gasmärkten, vgl. BNetzA/BKartA, Monitoringbericht, 2021, S. 363. 178 Vgl. BMWi, Bericht zum Stand und zur Entwicklung der Versorgungssicherheit im Bereich der Versorgung mit Erdgas 2020, S. 13; BMWi, Versorgungssicherheit bei Erdgas Monitoring-Bericht nach § 51 EnWG 2019, S. 38. 179 Vgl. Bundesregierung, Ein neuer Aufbruch für Europa – Eine neue Dynamik für Deutschland – Ein neuer Zusammenhalt für unser Land, Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD, 19. Legislaturperiode, 2018, S. 73. Der Bundesrat stimmte dann 2019 der Verabschiedung einer LNG-Verordnung zu, mit der unter anderem die regulatorischen Rahmenbedingungen hinsichtlich Finanzierbarkeit der Anschlussbedingungen der LNG-Terminals an die deutsche Gasinfrastruktur geschaffen werden (vgl. Bundesrat, Beschluss zur Verordnung zur Verbesserung der Rahmenbedingungen für den Aufbau der LNG-Infrastruktur in Deutschland, vom 07. Juni 2019, BR-Drs. 138/19, S. 1). 180 Vgl. BMWi, Versorgungssicherheit bei Erdgas Monitoring-Bericht nach § 51 EnWG 2019, S. 12. Als Folge des Angriffskrieges gegen die Ukraine sollen nunmehr verstärkt Brunsbüttel und Wilhelmshaven als Standorte aufgebaut werden (vgl. BMWi, FAQ-Liste LNG-Terminal in Deutschland, 2022).

II. Bewertung

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der Abweichung des angenommenen Ergebniswertes eines bestimmten beabsichtigten Ereignisses haben. So entwickelt sich der Risikowert aus einer Assoziation eines erwarteten Eintritts mit den möglicherweise hieraus resultierenden schädigenden Folgen eines Ereignisses.181 Im Hinblick auf die Versorgungssicherheit als die langfristige immerwährende Sicherung der Versorgung als Daseinsvorsorge ist jede negative Schwankung oder Abweichung von einem zu Beginn des Unternehmenskonzeptes festgelegten Wert für den Leistungsumfang (Planwert) ein Risiko. Der durch die Liberalisierung statuierte Wettbewerb auf dem Energiemarkt steht nicht mit der Versorgungssicherheit im Widerspruch, im Gegenteil kann diese durch den Wettbewerb grundsätzlich verbessert werden. Voraussetzung ist hierfür aber nicht nur ein fairer Wettbewerb, sondern auch die explizite Berücksichtigung, dass durch die staatlichen Regulierungsmaßnahmen insbesondere diejenigen mit dem Ziel der gewünschten politischen Korrekturen marktspezifischer Art in den Wettbewerb nicht kontraproduktiv auf die Versorgungssicherheit wirken. Zentrales Anliegen muss hierbei mithin sein, eine Bündelung ökologischer Interessen, politisch motivierter Entscheidungen sowie der ökonomischen Wirkungen in Einklang zu bringen. So stellen der beabsichtigte Ausstieg aus der Kernenergie (bis spätestens zum Jahr 2022), der Kohleausstieg (bis spätestens zum Jahr 2038)182 und der verstärkte Ausbau der erneuerbaren Energien eine erhebliche Herausforderung dar, zumal die Weiterentwicklung der Energiesysteme, hier vor allem auch der Netzausbau, noch nicht genügend fortgeschritten ist.183 Problembehaftet ist die Art und Weise der Gewährleistung von Systemsicherheit. Maßgeblich hierbei ist, dass zur Abwendung der Notsituation nicht nur weiterhin konventionelle Kraftwerke eingesetzt werden. So ist es wegen der besonderen Relevanz von Gasspeichern auch unentbehrlich, ihre entsprechende Bereitstellung und den erforderlichen Füllstand permanent zu gewährleisten.184 Des Weiteren sind die für den erwartbaren Energiekonsum nötigen Erzeugungskapazitäten und die belastungsfähigen Regelungsmechanismen sicherzustellen. 181 Vgl. Lange, Werteorientiertes Management in der kommunalen Energieversorgung, 2016, S. 218. 182 Die Überlegungen der Regierungen im Hinblick auf einen späteren Zeitpunkt für den Ausstieg aus der Kohleverstromung aufgrund des Angriffskrieges auf die Ukraine werden im Kapitel H. aufgegriffen. 183 Vgl. Kommission, Abschlussbericht, 2019, S. 45; spätestens im Jahr 2022 werden die letzten drei Reaktoren abgeschaltet, vgl. BMU, Atomkraftwerke in Deutschland – Abschaltung der noch betriebenen Reaktoren gemäß Atomgesetz, 2020. 184 Vgl. BBH et al., Möglichkeiten zur Verbesserung der Gasversorgungssicherheit, 2015, S. 32.

204

E. Risiken für die Versorgungssicherheit auf dem Energiemarkt

Für die Investitionssicherheit besteht die Priorität, störungssichere und vertrauenswürdige Investitionssignale auch für die Zukunft einzukalkulieren, um so die Planungssicherheit für die Unternehmen sicherzustellen und auch verbindlich zu garantieren. Dies bedeutet auch, dass die Verlässlichkeit nur bei entsprechenden politischen Entscheidungen, die zudem in wirtschaftlich effektiven und angemessenen Zeiträumen umgesetzt werden können, gegeben ist. Nicht zuletzt muss der Aspekt des Schutzes und der Sicherheit von Energieanlagen beachtet werden, insofern unzulässige, schädliche Eingriffe Dritter von außen verhindert werden müssen. Vor allem für den Gasmarkt sind hier die geopolitischen Risiken von Bedeutung, die etwa aufgrund eines Embargos oder auch politischer Konflikte entstehen und so die Versorgungssicherheit gefährden können. Auch wenn die energiepolitische Lage derzeit die Versorgungssicherheit nicht in Frage stellt, vielmehr diese auf „hohem Niveau“ gesehen wird,185 müssen für die Zukunft diese dargelegten Risiken im Fokus des politischen und unternehmerischen Handelns mit bestmöglicher Steuerungsfunktion bleiben, damit ein effizient hohes Niveau der Versorgungssicherheit weiterhin eingehalten und garantiert werden kann.186 Aufgrund der Besonderheit der Risiken und ihrer möglichen Berechenbarkeit ist den Akteuren auf dem Energiemarkt bei ihren Investitionsentscheidungen die Planbarkeit der Risiken nur bis zu einem bestimmten Grad leistbar. So können sie wohl weitgehend bekannte und einschätzbare Risiken einkalkulieren, wie etwa „Dunkelflauten“, also über längere Zeiten geringere Stromeinspeisung aus Windkraft- und Solaranlagen oder auch den gleichzeitigen Ausfall mehrerer Kraftwerke. Diese evidenzbasierten Planungen versagen aber bei völlig unvorhersehbaren Risiken, wie etwa nicht absehbare politische Krisen, die in einem Lieferembargo münden. Diese würden ihre Kalkulationsmöglichkeit überfordern,187 auf deren möglicherweise folgenschwere Auswirkungen sie betriebsbedingt dennoch reagieren müssten. Zudem ist davon auszugehen, dass eine Versicherung für den Eintritt völlig unkalkulierbarer Ereignisse nicht abgeschlossen werden kann.188 Ein planvolles politisches Vorgehen ist daher insbesondere bei solchen 185 Vgl. Bundesregierung, Versorgungssicherheit mit Elektrizität, 2018, BT-Drs. 19/ 6242, S. 4. 186 Diese Risiken haben sich aufgrund des Ukraine-Krieges schneller realisiert, als dies offenbar vorhersehbar war. Dies wird in Kapitel H. thematisiert. 187 Vgl. R2B et al., Definition und Monitoring der Versorgungssicherheit an den europäischen Strommärkten, im Auftrag des BMWi, 2019, S. 76; BMWi, Monitoringbericht zur Versorgungssicherheit im Bereich der leitungsgebundenen Versorgung mit Elektrizität, 2019, S. 8. 188 Ob beispielsweise die Androhungen Russlands, die Gaslieferungen anlässlich des Ukrainekrieges einzustellen so unverhersehbar waren, ist zu bezweifeln. Dies wird in Kapitel H. noch aufgegriffen.

II. Bewertung

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genannten politischen Risiken wichtig. Hierbei ist auch in Bezug auf die Schadenshöhe das Schadensrisiko bei den einzelnen Energieträgern abzuwägen. Unbestreitbar dürfte die Schadenshöhe bei Schäden aufgrund der Atomenergie (etwa durch eine schwere Explosion eines Atomkraftwerkes ausgelöster „Supergau“) am höchsten sein. Auch dürfte die Schädenshöhe aufgrund von Schäden in Verbindung mit Kohlekraftwerken höher einzustufen sein als die in Verbindung mit modernen Gaskraftwerken. Dies folgt gerade aus der erheblich höheren Kohlenstoffdioxid-Belastung. Auch ist der generelle Einsatz von Kohlekraft als Energieressource risikobehafterter in Bezug auf die Schadstoffbelastung der Umwelt als der im Vergleich niedrigere CO2-Ausstoß bei Gaskraftwerken. Die geringste Schadenshöhe ist schließlich in Verbindung mit erneuerbaren Energien und deren Anlagen einzuschätzen. Jedoch sind auch bei erneuerbaren Energien insbesondere Windkraftanlagen größere Schäden im Hinblick auf Materialermüdung und Eingriffe in die Natur nicht ausgeschlossen. Die Vorsorge und Bewältigung dieser extremen Risiken lösen politischen Handlungsbedarf aus. Sie sind folglich der staatlichen Risikovorsorge zuzuordnen.189

189 Vgl. BMWi, Monitoringbericht zur Versorgungssicherheit im Bereich der leitungsgebundenen Versorgung mit Elektrizität, 2019, S. 8. Im nachfolgenden Kapitel F. I.–III. wird auf diese Verantwortungsteilung näher eingegangen.

F. Träger der Versorgungssicherheit – Pflichten und Haftung I. Staat als Träger der Versorgungssicherheit Gemäß Art. 74 Nr. 11 GG steht in Deutschland dem Bund die Gesetzgebungskompetenz im Rahmen der konkurrierenden Gesetzgebung für den Bereich der Energie und der Kernenergie zu. Die staatliche Verantwortung als verfassungsrechtlich verankerte Pflicht wird aus dem Sozialstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 1 und aus Art. 28 Abs. 1 GG, soweit es die Länder und Kommunen betrifft, weiterhin aus Art. 109 Abs. 2 GG, bezogen auf die EU, abgeleitet.1 Wie bereits dargelegt,2 muss der Staat die Energieversorgung nicht selbst erfüllen. Vielmehr kann der Staat seiner Pflicht der staatlichen Gewährleistungsverantwortung oder Regulierungsverantwortung3 dadurch hinreichend nachkommen, dass er die Energieversorgung privaten Unternehmen oder Anbietern überträgt und für jene entsprechende Vorgaben und Regelungen nach geltendem Recht erstellt,4 die sicherstellen, dass die Energieversorgung lückenlos und zu vertretbaren Preisen erbracht wird.5 Zu diesen Vorgaben zählt ebenso, dass die rechtlichen Voraussetzungen für einen funktionierenden Wettbewerb geschaffen wurden.6 Dies ist etwa Ende der 1990er Jahre im Rahmen der Liberalisierung der Strom- und Gasmärkte infolge der Umsetzung der Strom- und Gasrichtlinie der EU realisiert worden,7 im Zuge dessen die deutsche Energiewirtschaft fortan privatwirtschaftlich organisiert war. Hierfür ist die Erwartung ausschlaggebend, dass ein funktionierender Wettbewerb im Energiemarkt eher zu einer effizienten Energieversorgung führt,

1 Vgl. Lippert, Die „Energiewende“ – zu den rechtlichen Voraussetzungen eines Energieumbaus im Konsens, 2012, ET, S. 48–56 (51). 2 Siehe hierzu die Ausführungen in Kapitel C. II. 4. a). 3 Vgl. Theobald/Theobald, Grundzüge des Energiewirtschaftsrechts, 2013, S. 364; Böske, Zur Ökonomie der Versorgungssicherheit in der Energiewirtschaft, 2007, S. 16. 4 Vgl. Kühling et al., Energierecht, 2022, S. 236, Rn. 4. 5 Vgl. Pröfrock, Energieversorgungssicherheit im Recht der europäischen Union/Europäischen Gemeinschaften, 2007, S. 29; Tschida, Die Systemverantwortung der Netzbetreiber, 2016, S. 24; Schoch, Gewährleistungsverwaltung: Stärkung der Privatrechtsgesellschaft?, NVwZ 2008, S. 241–247 (242 und 245). 6 Etwa durch Schaffung einer Wettbewerbsordnung, vgl. Schiffer, Energiemarkt Deutschland, 2019, S. 12. 7 Vgl. Kühling et al., Energierecht, 2022, S. 236, Rn. 1 mit weiteren Verweisen, vgl. hierzu die Ausführungen in Kapitel B. III.

II. EU als Träger der Versorgungssicherheit

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als wenn diese in den ausschließlich staatlichen Aufgabenbereich fiele.8 Zur Gewährleistung der Versorgungssicherheit obliegt dem Staat die Aufsicht und der Schutz des Wettbewerbs durch regulierenden Eingriff bei Vorliegen eines Marktversagens, ebenso die Beachtung des Gemeinwohls.9 So wird er ein durch Regulierung als zentrales Steuerungsinstrument gewährleistender Staat.10

II. EU als Träger der Versorgungssicherheit Mit Art. 194 AEUV besteht seit dem 01. Dezember 2009 (Vertrag von Lissabon) ein eigener EU-Energiekompetenztitel, mit mitgliedstaatlichem Vorbehalt, mithin eine Ermächtigungsnorm für die EU-Energiepolitik. Explizit wird in Art. 194 Abs. 1 lit. b AEUV klargestellt, dass die Energiepolitik der Union „im Geiste der Solidarität zwischen den Mitgliedstaaten im Rahmen der Verwirklichung oder des Funktionierens des Binnenmarktes und unter Berücksichtigung der Notwendigkeit der Erhaltung und Verbesserung der Umwelt“ das Ziel verfolgt „Gewährleistung der Energieversorgung in der Union“.11 Dies bedeutet zunächst, dass ihr grundsätzlich die Gewährleistungsverantwortung zusteht.12 Wenn auch die EU-Energiepolitik in zunehmendem Maße an Bedeutung und Macht gewinnt und die Mitgliedstaaten dementsprechend in ihrer Ausgestaltung begrenzt werden,13 ist hier als Regulativ in Art. 194 Abs. 2 UAbs. 2 AEUV der mitgliedstaatliche Vorbehalt, die sogenannte Souveränitätsklausel, eingefügt worden.14

8 Vgl. Schiffer, Energiemarkt Deutschland, 2019, S. 21; „Dem Markt wird eine stärkere Rolle bei der Bereitstellung der Güter zugebilligt“, Böske, Zur Ökonomie der Versorgungssicherheit in der Energiewirtschaft, 2007, S. 16. 9 Vgl. Ziekow, Öffentliches Wirtschaftsrecht, 2016, § 13, Rn. 7. „Voraussetzung einer wettbewerbsrechtlichen Maßnahme ist das Vorliegen einer Marktstörung; allerdings ist der Begriff der Marktstörung weit auszulegen und beinhaltet nicht nur Fälle allokativen Marktversagens, sondern auch distributive Störungen des Wettbewerbsergebnisses“ (Calliess, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, 2022, Art. 194, Rn. 11). 10 Siehe Tschida, Die Systemverantwortung der Netzbetreiber, 2016, S. 24 und 25 mit weiteren Verweisen; Schoch, Gewährleistungsverwaltung: Stärkung der Privatrechtsgesellschaft?, NVwZ 2008, S. 241–247 (245); Ruffert, in: Fehling/Ruffert, Regulierungsrecht, 2010, § 7, Rn. 31. 11 Schmidt-Preuß, Einwirkungen des EU-Energierechts auf den nationalen Bereich, in: Regulierung in der Energiewirtschaft, Kapitel 10, S. 115–127 (118, Rn. 6). 12 Vgl. Riewe, Versorgungssicherheit durch Kapazitätsmechanismen, 2016, S. 136 mit weiterem Verweis; Nettesheim, Das Energiekapitel im Vertrag von Lissabon, JZ 2010, S. 19–25 (22). 13 Vgl. Schmidt-Preuß, Einwirkungen des EU-Energierechts auf den nationalen Bereich, in: Regulierung in der Energiewirtschaft, Kapitel 10, S. 115–127 (118, Rn. 5). 14 Vgl. Schmidt-Preuß, Einwirkungen des EU-Energierechts auf den nationalen Bereich, in: Regulierung in der Energiewirtschaft, 2016, Kapitel 10, S. 115–127 (119, Rn. 9). „Nach richtiger Auffassung führt die Bestimmung zu keiner Erweiterung der Kompetenzen“ (Hiersbrunner, in: Schwarze et al., EU-Kommentar, 2019, Art. 194, Rn. 6).

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F. Träger der Versorgungssicherheit – Pflichten und Haftung

Das Ziel der Europäischen Union, auf primärrechtlicher Ebene im Sinne eines koordinierten Binnenmarktkonzeptes die Sicherstellung der Energieversorgung zu gewährleisten, ist im Hinblick darauf, dass das Subsidiaritätsprinzip Anwendung findet, nicht umfassend.15 Art. 194 Abs. 2 UAbs. 2 AEUV fasst diese Vorbehalte in drei gewichtige Bereiche zusammen. So haben die Mitgliedstaaten das Recht, selbst festzulegen, unter welchen Voraussetzungen sie ihre Energieressourcen etwa in Bezug auf die Energieträger bevorzugt fördern oder nutzen wollen,16 indessen haben sie aber auch die Pflicht, für eine sichere Energieversorgung zu sorgen.17 Weiterhin bleibt den einzelnen Mitgliedstaaten die Wahl zwischen verschiedenen Energiequellen überlassen; folglich ist der sogenannte Energiemix, etwa der Stromerzeugungsmix, Angelegenheit der einzelnen Mitgliedstaaten. Auch in Deutschland wird mittels der Grenzkoppelungspunkte der in den Nachbarländern, so Frankreich, etwa durch Kohleenergie erzeugter Strom genutzt.18 Auch wenn einzelne Mitgliedstaaten etwa weiterhin Kohlenergie fördern und nutzen, ergibt sich hieraus nicht zwangsläufig, dass das vorgegebene einheitliche

15 Grundsätzlich gilt: „Im Bereich der konkurrierenden Zuständigkeiten können nach Art. 2 Abs. 2, S. 1 AEUV sowohl die Mitgliedstaaten als auch die Union tätig werden. Jedoch verlieren die Mitgliedstaaten ihre Kompetenz, sofern und soweit die Union ihre Zuständigkeit ausgeübt hat (Art. 2 Abs. 2, S. 2 AEUV), vgl. Nettesheim, in: Grabitz et al., Das Recht der Europäischen Union, 2022, Art. 2, Rn. 25. In Bezug auf Art. 194 AEUV gilt jedoch einschränkend: „Die Frage, wann Unionsrecht einen Politikbereich inhaltlich so ausgestaltet hat, dass für die Mitgliedstaaten eine Sperrwirkung entsteht, ist unionsrechtlich bislang mangels Existenz eines derartigen Kompetenztyps im geltenden Recht noch ungeklärt“ (ders., Art. 194, Rn. 34). Die Kompetenz habe überwiegend deklaratorischen Charakter (vgl. Kahl, Die Kompetenzen der EU in der Energiepolitik nach Lissabon, EuR 2009, S. 601–622 (610)). 16 Siehe hierzu auch Art. 5 Abs. 1 der EU-Richtlinie 2018/2001 des europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Dezember 2018 zur Förderung der Nutzung von Energie aus erneuerbaren Quellen, ABl. EU Nr. L 328, S. 82 vom 21. Dezember 2018: „Die Mitgliedstaaten haben das Recht, gemäß den Art. 7 bis 13 dieser Richtlinie zu entscheiden, in welchem Umfang sie die in einem anderen Mitgliedstaat produzierte Elektrizität aus erneuerbaren Quellen fördern. Die Mitgliedstaaten können die Teilnahme an Förderregelungen für Elektrizität aus erneuerbaren Quellen jedoch unter den in diesem Artikel festgelegten Bedingungen für Produzenten mit Sitz in anderen Mitgliedstaaten öffnen.“ Zuvor war in Art. 3 Abs. 3 der EU-Richtlinie 2009/28/EG vom 23. April 2009 zur Förderung der Nutzung von Energie aus erneuerbaren Quellen, ABl. EU Nr. L 140, S. 16 vom 05. Mai 2009 geregelt: „Unbeschadet der Art. 87 und 88 des Vertrags haben die Mitgliedstaaten das Recht, gemäß den Art. 5 bis 11 dieser Richtlinie zu entscheiden, in welchem Umfang sie die in einem anderen Mitgliedstaat erzeugte Energie aus erneuerbaren Quellen fördern wollen.“ 17 Vgl. Schmidt-Preuß, Einwirkungen des EU-Energierechts auf den nationalen Bereich, in: Regulierung in der Energiewirtschaft, 2016, Kapitel 10, S. 115–127 (119, Rn. 10). 18 Vgl. Schmidt-Preuß, Einwirkungen des EU-Energierechts auf den nationalen Bereich, in: Regulierung in der Energiewirtschaft, 2016, Kapitel 10, S. 115–127 (119, Rn. 11).

II. EU als Träger der Versorgungssicherheit

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Binnenmarktziel einer CO2-neutralen Versorgung gefährdet ist, solange die europäischen Vorgaben für eine CO2-neutralen Energieversorgung vorschriftsmäßig eingehalten werden. Voraussetzung hierbei ist, dass alle Emissionsquellen in den zuvor dargestellten EU-Emissionszertifikatehandel einbezogen werden, so dass dann der dahinterstehende Energiemix einzelner Mitgliedstaaten nur unbedeutend ist.19 Soweit auch etwa Kontroversen bestehen, insofern einige Mitgliedstaaten die Atomenergie abschaffen wollen, während andere Mitgliedstaaten weiterhin von der Subventionierung der Atomkraft durch die Europäische Union profitieren,20 ist in diesem Zusammenhang darauf hinzuweisen, dass die friedliche Nutzung der Kernenergie abschließend im EURATOM-Vertrag21 geregelt ist, so dass Art. 194 AEUV insoweit nicht entscheidend ist.22 Bei der Umsetzung der energiepolitischen Ziele ist das in Art. 194 Abs. 1 AEUV explizit enthaltene Gebot entscheidend „im Geiste der Solidarität zwischen den Mitgliedstaaten“ Rücksicht auf die nationalstaatlichen Besonderheiten und die dortigen Gemeinwohlbelange zu nehmen. Dies wird in der Rechtsprechung des EuGH sichtbar, der immer erneut eine rein nationale Ausgestaltung durch zwingende Erfordernisse des Umweltschutzes als gerechtfertigt ansieht.23 Dies zeigt sich auch in dem dritten Bereich des Vorbehalts nach Art. 194 Abs. 2 UAbs. 2, wonach die Mitgliedstaaten die allgemeine Struktur ihrer Energieversorgung bestimmen können. Für das angestrebte Ziel der Europäischen Kommission, die Europäische Union bis zum Jahr 2050 klimaneutral zu stellen und auch die innerhalb der Mitgliedstaaten unterschiedlich verwendeten Energieträger zu berücksichtigen, ist der regulatorische Rahmen der Taxonomie von Bedeutung.24 19

Siehe zum Zertifikatenhandel die Ausführungen in Kapitel D. II. 1. c). Vgl. Nettesheim, in: Grabitz et al., Das Recht der Europäischen Union, 2022, Art. 194, Rn. 43. 21 Vertrag zur Gründung der Europäischen Atomgemeinschaft vom 25. März 1957, konsolidierte Fassung veröffentlicht im ABl. EU Nr. C 327, S. 1 vom 26. Oktober 2012; vgl. hierzu Kapitel D. II. 2. b). 22 Vgl. Schmidt-Preuß, Einwirkungen des EU-Energierechts auf den nationalen Bereich, in: Regulierung in der Energiewirtschaft, 2016, Kapitel 10, S. 115–127 (117, Rn. 4). 23 So sah etwa der EuGH keine Pflicht zur Erstreckung der Ökostromfördersysteme auf in anderen Mitgliedstaaten erzeugten Strom, vgl. EuGH, Urteil vom 01. Juli 2014, Rs. C-573/12 (Ålands Vindkraft AB/Energimyndigheten), ZUR 2014, S. 553–562 (562); Schwintowski, Ålands – War’s das?, EWerk 2014, 302–304 (302). 24 Hierin werden, durch wissenschaftliche Gutachten abgesichert, Energietätigkeiten nach bestimmten Kriterien benannt, die mit Blick auf die angestrebte Klimaneutralität den Mitgliedstaaten ermöglichen sollen, diese mit ihrem unterschiedlichen Energiemix zu erreichen. Der ergänzende delegierte Rechtsakt ist von der EU-Kommission im Januar 2022 eingeleitet worden (vgl. EU-Kommission, Pressemitteilung vom 01. Januar 2022, EU-Taxonomie: Kommission leitet Expertenkonsultation zu ergänzendem delegierten Rechtsakt über bestimmte Kernenergie- und Gastätigkeiten ein, IP/22/2, siehe auch die Ausführungen in Kapitel D. II. 2. b). 20

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F. Träger der Versorgungssicherheit – Pflichten und Haftung

Die Europäische Union macht daher auch keinerlei Vorgaben, in welcher Form und mit welchen Mitteln die Aufgabe der Daseinsvorsorge (DAWI) von den einzelnen Mitgliedstaaten erbracht werden muss. Infolgedessen erstrecken sich die Vorgaben nur darauf, dass der Staat diese zu gewährleisten hat und dass die entsprechenden erforderlichen Dienste tatsächlich geleistet werden. So kann der Staat eigenständig entscheiden, ob er selbst die Erfüllungsverantwortung trägt oder diese auf private Unternehmen delegiert.25 Die Berechtigung des Staates, private Unternehmen mit der Ausführung von DAWI zu betrauen, wird deutlich für die Stromversorgung in Art. 9 Abs. 2 der Richtlinie für den Elektrizitätsbinnenmarkt 26 sowie identisch für die Gasversorgung in Art. 3 Abs. 2 der Richtlinie für den Erdgasbinnenmarkt,27 der als Brücke zu den primärrechtlichen Vorschriften der Art. 14 und 106 Abs. 2 AEUV bezeichnet werden kann. Hiernach haben die Mitgliedstaaten Spielräume in der Gestaltung bzgl. regulatorischer Vorgaben sowie der finanziellen Steuerung, insofern den Elektrizitäts- oder auch Gasversorgungsunternehmen die Verpflichtung bezüglich der Leistung und Erhaltung der Versorgungssicherheit auferlegt wurden. Sie sind aber an das Wettbewerbsrecht, hier insbesondere das EU-Beihilfenrecht, und die Grundfreiheiten gebunden,28 damit nicht einzelne Akteure in wettbewerbswidriger oder diskriminierender Weise bevorzugt werden sollen. Die Europäische Union ist somit zwar auch Träger der Versorgungssicherheit, allein nicht umfassend, aufgrund der Mitgliedstaaten – wie dargelegt – verbleibenden maßgeblichen Optionen die Gewährleistung der Versorgungssicherheit selbst zu gestalten.

25 Vgl. Nagel, Nachhaltige Strom- und Gasversorgung im Lichte des Wettbewerbsrechts, 2010, S. 67. 26 Richtlinie 2019/944 des europäischen Parlaments und des Rates vom 05. Juni 2019 mit gemeinsamen Vorschriften für den Elektrizitätsbinnenmarkt und zur Änderung der Richtlinie 2012/27/EU, ABl. EU Nr. L 158, S. 125 vom 14. Juni 2019; vorher Art. 3 Abs. 2 der Richtlinie 2009/72/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Juli 2009 über gemeinsame Vorschriften für den Elektrizitätsbinnenmarkt und zur Aufhebung der Richtlinie 2003/54/EG, ABl. EU Nr. L 211, S. 55 vom 14. August 2009. 27 Richtlinie 2009/73/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Juli 2009 über gemeinsame Vorschriften für den Erdgasbinnenmarkt und zur Aufhebung der Richtlinie 2003/55/EG, ABl. EU Nr. L 211, S. 94 vom 14. August 2009, zuletzt geändert durch die Richtlinie 2019/692 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. April 2019 zur Änderung der Richtlinie 2009/73/EG über gemeinsame Vorschriften für den Erdgasbinnenmarkt, ABl. EU Nr. L 117, S. 1 vom 03. Mai 2019. 28 Vgl. Nettesheim, Das Energiekapitel im Vertrag von Lissabon, JZ 2010, S. 19–25 (22).

III. Öffentliche und private Unternehmen

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III. Öffentliche und private Unternehmen als Träger der Versorgungssicherheit Die von dem Staat nicht selbst vorzunehmende Gewährleistung der Energieversorgungssicherheit ist in Deutschland auf öffentliche29 und private Unternehmen übertragen worden, wobei sich aber die Unternehmensstrukturen in den einzelnen Teilmärkten auch bei Berücksichtigung der Rahmenbedingungen stark unterscheiden. Während der Bund und auch einzelne Bundesländer in den 1980er und 1990er Jahren verstärkt ihre Beteiligungen an Energieunternehmen verkauft hatten,30 ist dies zwischenzeitlich teils revidiert worden.31 Auch stieg insbesondere ab dem Jahr 2003 bei den Städten und Kommunen die Anzahl an öffentlichen Energieversorgungsunternehmen.32 Sofern ausländische Staaten zum Teil an deutschen Unternehmen beteiligt sind, haben für sie dieselben Rahmenbedingungen, so auch Wettbewerbsregeln, wie für rein private Unternehmen Gültigkeit in Anbetracht der in Deutschland bestehenden marktwirtschaftlichen Ordnung. Gegenwärtig befinden sich im Elektrizitäts- und im Gasmarkt mehr als 1.000 private und öffentliche Energieversorgungsunternehmen.33 1. Definition Energieversorgungsunternehmen Energieversorgungsunternehmen (EVU), vereinfacht ausgedrückt Energieversorger, üben eine energiewirtschaftliche Tätigkeit aus, so etwa beliefern sie Haushalte und Industrie mit elektrischer Energie, Gas oder Fernwärme.34 Gemäß der Legaldefinition des Begriffs Energieversorgungsunternehmen in § 3 Nr. 18 EnWG sind diese „natürliche oder juristische Personen, die Energie an andere liefern, ein Energieversorgungsnetz betreiben oder an einem Energieversorgungsnetz als Eigentümer Verfügungsbefugnis besitzen; der Betrieb einer Kunden29 Öffentliche Unternehmen können öffentlich-rechtliche Unternehmen oder privatrechtlich organisierte Unternehmen sein, die im mehrheitlichen oder vollen Eigentum des Staates stehen, vgl. Proeller/Krause, in: Gabler Wirtschaftslexikon, 2018. 30 Vgl. Schiffer, Energiemarkt Deutschland, 2019, S. 22. 31 „Zum Beispiel hat 2010 das Land Baden-Württemberg den 45 % Anteil an EnBW vom französischen Energieversorger EdF für 4,7 Mrd. A gekauft.“ „Das niederländische Staatsunternehmen TenneT hat am 01. Januar 2010 von E.ON deren deutsches Höchstspannungsnetz erworben,“ Schiffer, Energiemarkt Deutschland, 2019, S. 22. Schon 2018 hat der Bund 20 % über die Kreditbank für Wiederaufbau (KfW) an 50Hertz erworben, um so den Einstieg eines chinesischen Investors zu verhindern (vgl. Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages, Fragen zur Beteiligung des Bundes an Übertragungsnetzbetreibern vor dem Hintergrund der Bundesbedarfsplanung, 2020, S. 8). 32 Vgl. Schiffer, Energiemarkt Deutschland, 2019, S. 23. 33 Vgl. ebenda, S. 18. 34 Vgl. Schex, in: Kment, Energiewirtschaftsgesetz, 2019, § 3, Rn. 38; die Energieversorgungsunternehmen können privatrechtlich, aber auch als Eigenbetrieb öffentlichrechtlich organisiert sein, siehe Theobald, in: Theobald/Kühling, Energierecht, 2022, § 3, Rn. 141.

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anlage oder einer Kundenanlage zur betrieblichen Eigenversorgung macht den Betreiber nicht zum Energieversorgungsunternehmen“. Explizit wird in § 2 Abs. 1 EnWG deutlich ausgedrückt, dass die Energieversorgungsunternehmen im Rahmen der Vorschriften dieses Gesetzes zu einer Versorgung im Sinne des § 1 Abs. 1 EnWG verpflichtet sind. Dies bedeutet die Obliegenheit, zum Betrieb von Netzen, ebenso zum Fördern oder Erzeugen von Energie und auch zur Lieferung von Energie, um so einer öffentlichen Grundversorgung nachzukommen, mithin privat und gewerbliche Endkunden zu versorgen. Eine Lieferung von Strom und Gas zwecks Eigenversorgung kann nicht die Eigenschaft eines Energieversorgungsunternehmens begründen. So ist in § 3 Nr. 18, 1. Var. EnWG klargestellt, dass die Belieferung von Strom und Gas an Dritte erfolgen muss.35 Soweit im Sinne der Alt. 3 des § 3 EnWG Energieversorgungsunternehmen auch Stromhändler36 sein können, besteht keine umfassende Versorgungsverpflichtung, wie man nach § 2 Abs. 1 EnWG etwa vermuten könnte, insofern die nachfolgend dargestellten Regelungen der Systemverantwortung nur an die Unternehmen gerichtet ist, die ein Netz betreiben. Hingegen können im überwiegend gemeindlichen Bereich die Versorgungsbetriebe, die als sogenannte Regiebetriebe organisiert sind, mithin keine eigene Rechtsfähigkeit haben, auch Energieversorgungsunternehmen im Sinne des § 3 Nr. 18 EnWG sein, sofern sie immerhin über eine eigenständige Einflussnahme verfügen.37 2. Pflichten der Energieversorgungsunternehmen Die in § 2 Abs. 1 i.V. m. § 1 Abs. 1 EnWG erwähnte grundsätzliche Allgemeinwohlverpflichtung der Energieversorgungsunternehmen in Deutschland eine möglichst sichere Energieversorgung der Bevölkerung zu bewerkstelligen,38 umfasst gemäß § 3 Nr. 36 EnWG alle Wertschöpfungsebenen, und zwar Erzeugung und Gewinnung von Energie, Transport, Handel, Vertrieb und Speicherbetreiber, indessen die Versorgungspflicht auf die leitungsgebundene Energieversorgung begrenzt ist.39

35 Die Lieferung von Strom und Gas zwischen Betrieben, die demselben Unternehmen angehören, ist keine Energieversorgung i. S. d. EnWG, vgl. Theobald, in: Theobald/ Kühling, Energierecht, 2022, § 3, Rn. 148. 36 Vgl. Kment, in: Kment, Energiewirtschaftsgesetz, 2019, § 2, Rn. 4 mit weiterem Verweis. 37 Vgl. Theobald, in: Theobald/Kühling, Energierecht, 2022, § 3, Rn. 144. 38 Vgl. Kment, in: Kment, Energiewirtschaftsgesetz, 2019, § 2, Rn. 5: „die Regelung erschöpft sich inhaltlich in einem Appell an die Energieversorgungsunternehmen, ohne eine gesetzliche Bindungswirkung zu entfalten“. 39 Vgl. Kment, in: Kment, Energiewirtschaftsgesetz, 2019, § 2, Rn. 4.

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a) Grundversorgungspflicht nach § 36 EnWG Die in § 36 EnWG normierte Grundversorgungspflicht des Energieversorgers, der in der Grundversorgung tätig ist, gegenüber dem Haushaltskunden nach § 3 Nr. 22 EnWG,40 ist Ausdruck und nachträgliche Korrektur der Gewährleistung der Versorgungssicherheit im liberalisierten Energiemarkt als eine öffentliche Aufgabe in der Zielkonzeption einer Daseinsvorsorge.41 Nach der Legaldefinition in § 36 Abs. 2 Satz 1 EnWG ist der Grundversorger dasjenige Energieversorgungsunternehmen, das – örtlich dominant – die meisten Haushaltskunden in einem Netzgebiet der allgemeinen Versorgung beliefert. Der Grundversorger schließt die zur Durchführung erforderlichen Verträge mit den Netzbetreibern und organisiert die Bereitstellung und den Transport des Stroms zum Kunden.42 Die Pflicht zur Energielieferung ist hierbei im Sinne einer tatsächlichen Versorgung des Haushaltskunden mit Energie43 zu verstehen, insofern der Grundversorger dem Kontrahierungszwang zugunsten des Haushaltskunden unterliegt, den er zu angemessenen Preisen beliefern muss.44 Mit § 36 EnWG wurden die europarechtlichen Vorgaben des Art. 3 Abs. 3, Satz 1 der Elektrizitätsbinnenmarktrichtlinie 45 und des Art. 3 Abs. 3 Satz 1 der Gasbinnenmarktrichtlinie 46 umgesetzt.47 40 Es sind von der Grundversorgung nicht alle Letztverbraucher (§ 3 Nr. 25 EnWG), sondern nur Haushaltskunden nach § 3 Nr. 22 EnWG erfasst, vgl. Rasbach, in: Kment, Energiewirtschaftsgesetz, 2019, § 36, Rn. 11. 41 Vgl. Kühling et al., Energierecht, 2022, S. 213, Rn. 3; Rasbach, in: Kment, Energiewirtschaftsgesetz, 2019, § 36, Rn. 2 und 6. Kritisch und als rechtlich unzulässig bewertet Warg die Grundversorgungspflicht (vgl. Warg, Grundversorger zwischen Wettbewerb und Gemeinwohl, 2019, S. 31 ff.). Siehe zum Begriff der Daseinsvorsorge die ausführliche Darstellung in Kapitel C. II. 4. 42 § 6 Abs. 1 Satz 1 GVV. 43 Nach § 3 Nr. 14 EnWG umfasst Energie „Elektrizität und Gas, soweit sie zur leitungsgebundenen Energieversorgung verwendet werden“. 44 Der Haushaltskunde hat daher einen Anspruch auf Abschluss eines Versorgungsvertrages, vgl. Rasbach, in: Kment, Energiewirtschaftsgesetz, 2019, § 36 EnWG, Rn. 10; siehe auch Heinlein/Weitenberg, in: Theobald/Kühling, Energierecht, 2022, § 36 EnWG, Rn. 7. Die nähere Ausgestaltung ist in den StromGVV bzw. GasGVV geregelt (vgl. Säcker, in: Säcker, Berliner Kommentar zum Energierecht, 2019, § 5 EnWG, Rn. 10). 45 Der aktuelle Art. 27 Abs. 1 der Richtlinie 2019/944/EU mit gemeinsamen Vorschriften für den Elektrizitätsbinnenmarkt vom 05. Juni 2019, ABl. EU Nr. L 158, S. 125 vom 14. Juni 2019 fordert von den Mitgliedstaaten eine Versorgung aller Haushaltskunden mit Elektrizität einer bestimmten Qualität zu wettbewerbsfähigen, leicht und eindeutig vergleichbaren sowie transparenten und diskriminierungsfreien Preisen; zuvor in Art. 3 Abs. 3, Satz 1 Richtlinie 2009/72/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Juli 2009 über gemeinsame Vorschriften für den Elektrizitätsbinnenmarkt und zur Aufhebung der Richtlinie 2003/54/EG (EltRl), ABl. EU Nr. L 211, S. 55 vom 14. August 2009.

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Zur Bedeutung der Grundversorgung nach § 36 EnWG steht in direktem Zusammenhang die in § 38 EnWG festgelegte Ersatzversorgung. Hiernach soll die Versorgung auch derjenigen Letztverbraucher mit Strom oder Gas sichergestellt werden, die Energie beziehen, ohne dass der Bezug einer Lieferung zugeordnet werden kann, die mithin ausnahmsweise keinen regulären Vertrag über die Lieferung abgeschlossen haben.48 b) Pflicht nach § 53a EnWG für Gasversorgungsunternehmen Über die nach § 36 EnWG bestehende Grundversorgungspflicht hinaus, haben nach § 53a EnWG49 Gasversorgungsunternehmen50 die weitere Verpflichtung, auch in kritischen Situationen die Versorgung mit Gas zu gewährleisten. Dies betrifft den Kundenkreis der Haushaltskunden oder der Betreiber von gasbetriebenen Fernwärmeanlagen soweit diese Haushaltskunden beliefern. Mit besonderen Situationen im Sinne der Vorschrift sind aufgrund der Verweisung in § 53 Satz 1 EnWG mindestens die Fallkonstellationen in Art. 6 Abs. 1 der EU-Verordnung über Maßnahmen zur Gewährleistung der sicheren Gasversorgung (sogenannte SoS-Verordnung51) erfasst. Diese betreffen Maßnahmen bei extremen 46 In der Richtlinie 2009/73/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Juli 2009 über gemeinsame Vorschriften für den Erdgasbinnenmarkt und zur Aufhebung der Richtlinie 2003/55/EG, ABl. EU Nr. L 211, S. 94 vom 14. August 2009, werden demgegenüber der Schutz der Endkunden durch geeignete Maßnahmen sowie das Ziel eines angemessenen Schutzes für Schutzbedürftige als Erstes genannt, was die Richtlinie 2003/54/EG (EltRl) erst später in Art. 3 Abs. 7 aufgreift. 47 Vgl. Begründung der Bundesregierung zu § 36, Bundestag, Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Neuregelung des Energiewirtschaftsrechts, Drs. 15/3917 vom 14. Oktober 2004, S. 66. 48 Die Notwendigkeit dieser sog. Auffangbelieferung ist erst im Zuge der Liberalisierung entstanden, vgl. Rasbach, in: Kment, Energiewirtschaftsgesetz, 2019, § 38 EnWG, Rn 1. 49 Mit § 53a EnWG wurde Art. 8 Abs. 1 der Verordnung (EU) 994/2010 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Oktober 2010 über Maßnahmen zur Gewährleistung der sicheren Erdgasversorgung und zur Aufhebung der Richtlinie 2004/ 67/EG, des Rates, ABl. EU Nr. L 295, S. 1 vom 12. November 2010 umgesetzt. Dies ist jetzt in Art. 6 Abs. 1 der Verordnung (EU) 2017/1938 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Oktober 2017 über Maßnahmen zur Gewährleistung der sicheren Gasversorgung und zur Aufhebung der Verordnung (EU) Nr. 994/2010, ABl. EU Nr. L 280, S. 10 vom 28. Oktober 2017, geregelt. 50 Dies umfasst nicht nur die Lieferanten von Gas, sondern auch die Netzbetreiber, auf deren Mitwirkung die Lieferanten bei der Umsetzung der Maßnahmen angewiesen sind, vgl. Thole/Dietzel, Versorgungssicherheit Gas, EnWZ 2013, 543–547 (546). Daher kann man aus Sicht der Netzbetreiber § 53a EnWG auch als Konkretisierung der Pflichten aus §§ 16, 16a EnWG der Netzbetreiber ansehen, so Däuper, in: Theobald/Kühling, Energierecht, 2022, § 53a EnWG, Rn. 11. 51 Verordnung (EU) 2017/1938 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Oktober 2017 über Maßnahmen zur Gewährleistung der sicheren Gasversorgung und zur Aufhebung der Verordnung (EU) Nr. 994/2010, ABl. EU Nr. L 280, S. 1 vom 28. Oktober 2017.

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Temperaturen, einer außergewöhnlich hohen temporären Gasnachfrage sowie bei einem Ausfall der größten einzelnen Gasinfrastruktur bei durchschnittlichen Winterbedingungen. Zusätzlich enthält § 53a Satz 2 EnWG die Verpflichtung zur Sicherstellung der Versorgung des geschützten Kundenkreises „im Falle einer teilweisen Unterbrechung der Versorgung mit Erdgas oder im Falle außergewöhnlich hoher Gasnachfrage“, wobei die zu ergreifenden möglichen Maßnahmen hauptsächlich den Anhängen II und III der SoS-Verordnung zu entnehmen sind.52 c) Pflicht der Bilanzkreisverantwortlichen Den Bilanzkreisverantwortlichen,53 die ein Energieversorger oder auch Energiehändler sein können, kommt sowohl im Strom- als auch im Gasmarkt für die Gewährleistung der Versorgungssicherheit eine besondere Bedeutung zu, insofern sie verpflichtet sind, die Energiemengen in den von ihnen bewirtschafteten Bilanzkreisen stets im Gleichgewicht zu halten.54 Ein Bilanzkreis je Regelzone gemäß § 3 Nr. 10a EnWG in Verbindung mit § 4 StromNZV, ist das sogenannte virtuelle Strommengenkonto, auf dem die Stromhandelsmengen und die abgenommenen Strommengen dargestellt sind.55 Es obliegt mithin den Bilanzkreisverantwortlichen, hierbei Einspeisung und Verbrauch stets im Gleichgewicht zu halten, so dass die Einhaltung der üblichen Netzfrequenz von 50 Hertz gewährleistet wird.56 Die Akteure des Bilanzkreissystems im Strommarkt sind der Bilanzkreisverantwortliche, der Übertragungsnetzbetreiber und der Verteilnetzbetreiber. Die Vorgaben für das Bilanzierungssystem im Strommarkt sind in den §§ 4, 5 und 26 StromNZV geregelt und werden durch den jeweiligen Bilanzkreisvertrag zwischen Bilanzkreisverantwortlichen und dem Übertragungsnetzbetreiber gemäß § 26 Abs. 1 StromNZV konkretisiert.57 So besteht eine Pflicht des Bilanzkreisverantwortlichen gemäß § 5 Abs. 4 Satz 2 StromNZV i.V. m. dem Bilanzkreisvertrag, die Prognose viertelstündlich

52 Die Instrumente werden im Kapitel G. I. (Strommarkt) und II. (Gasmarkt) dargestellt. 53 § 4 Abs. 2 StromNZV; vgl. Kühling et al., Energierecht, 2022, S. 120, Rn. 99. 54 Vgl. Lange, Der Strommarkt 2.0 als Herausforderung für das Kartellrecht, WuW 2017, S. 434–440 (438). 55 Vgl. ebenda. Für jede der vier Regelzonen im Strommarkt ist daher ein Bilanzkreis zu beantragen, vgl. Monopolkommission, Strom und Gas 2011: Wettbewerbsentwicklung mit Licht und Schatten, S. 54, Ziff. 68. 56 Vgl. Sötebier, in: Britz et al., Energiewirtschaftsrecht, 2015, § 13, Rn. 85. 57 Die Legaldefinition des Bilanzkreisvertrags ist in § 26 Abs. 1 StromNZV enthalten. Hiernach bezieht sich dieser auf die Führung, Abwicklung und Abrechnung von Bilanzkreisen.

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abzugeben und seit dem 15. Januar 2020 die Energiemenge in den letzten fünfzehn Minuten vor dem Erfüllungszeitraum ausgeglichen zu bewirtschaften.58 Der Bilanzkreisverantwortliche muss dann bei Abweichungen von länger als vier Viertelstunden, einschließlich der Viertelstunde, in der der Ausfall aufgetreten ist, eine Ausgleichszahlung leisten, vgl. § 5 Abs. 4 Satz 2 StromNZV. Diese Ausgleichszahlung kann bereits als eine Art Strafzahlung für den Bilanzkreisverantwortlichen gewertet werden und sollte daher den Bilanzkreisverantwortlichen motivieren, die Höhe der Erzeugungsleistung und den Verbrauch im Gleichgewicht zu halten.59 Im Gasmarkt ist der Bilanzkreisverantwortliche dem Marktgebietsverantwortlichen60 nach § 2 Nr. 5 GasNZV in Verbindung mit dem Bilanzkreisvertrag gemäß § 3 GasNZV für die Abwicklung und die Ausgeglichenheit der Bilanzkreise verantwortlich. Erfolgsentscheidend für die präzise Erstellung des zu erwartenden Bedarfs ist die täglich möglichst genaue Lastgangprognose nach einem den Regeln entsprechenden Austausch von Energiedaten bezüglich der benötigten und zu bestellenden Gasmenge für den jeweiligen nächsten Tag.61 Dies stellt eine große Herausforderung, insbesondere in Bezug auf die erneuerbaren Energien, an das Bilanzkreismanagement dar.62 Jedoch können geringe Ungenauigkeiten in der Prognose durch sogenannte Ausgleichenergie korrigiert werden, insofern hierdurch am Gastag die Differenz zwischen Ein- und Ausspeisung (entspricht der Differenz zwischen Nominierung und Allokation) kompensiert werden kann. Dagegen ist der Bilanzkreisverantwortliche bei einer erheblichen Abweichung des Bedarfs von der Prognose verpflichtet, die entstandenen Kosten zu übernehmen.63 Je präziser die Prognosen somit ausfallen, desto geringer ist der Bedarf an Regelenergie, mithin erhöht sich hierdurch das Maß an Versorgungssicherheit. d) Pflichten der Netzbetreiber im Energiemarkt Die Hauptpflicht der Betreiber von Energieversorgungsnetzen im Sinne des § 3 Nr. 16 EnWG und in den hierauf ergangenen Rechtsverordnungen (GasNZV, 58

Vgl. BNetzA, Beschluss vom 11. Dezember 2019, Az.: BK 6-19-212. Vgl. BMWi, Ein Strommarkt für die Energiewende (Grünbuch), 2014, S. 11. 60 Vgl. zum Begriff des Marktgebietsverantwortlichen § 2 Nr. 11 GasNZV und die Ausführungen in Kapitel D. I. 5. a). 61 Seit 2008 erfolgt aufgrund der Regelungen in GABi Gas die Bilanzierung auf täglicher Basis, von 06:00 Uhr bis 05:59 Uhr des Folgetages, vgl. BNetzA, Beschluss vom 28. Mai 2008, Az.: BK 7-08-002. 62 Vgl. Linderkamp et al., Der Umbau des elektrischen Energieversorgungssystems – Implikationen für die Versicherungswirtschaft, VersR 2014, S. 1050–1060 (1054 und 1060). 63 Vgl. BMWi, Ein Strommarkt für die Energiewende (Grünbuch), 2014, S. 11; vgl. § 5 Abs. 4 Satz 2 StromNZV. 59

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StromNZV, NAV/NDAV) bezieht sich auf die Bereitstellung der Strom- und Gasnetze mit der Maßgabe, diese sicher, zuverlässig, leistungsfähig und diskriminierungsfrei zu betreiben, § 11 Abs. 1 Satz 1 EnWG. Dies bedeutet auch, dass sie das Netz warten und bedarfsgerecht optimieren, verstärken und ausbauen müssen, soweit ihnen dies wirtschaftlich zumutbar ist. Präzisiert wird diese dem Netzbetreiber obliegende Verantwortlichkeit für ein funktionsfähiges Netz durch § 11 Abs. 1a EnWG. Aufgrund der Ermächtigung in § 11 Abs. 1a, Satz 2 EnWG hat die Bundesnetzagentur in Zusammenarbeit mit dem Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) hierfür einen Katalog von Sicherheitsanforderungen erstellt und veröffentlicht.64 Solange die in diesem Katalog enthaltenen Vorschriften eingehalten und vom Netzbetreiber dokumentiert werden, gilt nach § 11 Abs. 1a Satz 3 EnWG die Vermutung, dass ein angemessener Schutz des Betriebs eines Energieversorgungsnetzes besteht.65 Die allgemeine Aufgabenbeschreibung für Fernleitungsnetzbetreiber im Gasmarkt ist nicht derart ausführlich geregelt wie im Strommarkt. Grund ist die geringere Verzahnung des Gastransportnetzes im Vergleich zum Stromnetz und ein verstärkter Wettbewerb mit anderen Energieträgern um Substitutionen.66 Die Pflichten der Netzbetreiber im Gasmarkt sind in §§ 15 und 16 EnWG für den Fernleitungsnetzbetreiber geregelt und nach § 16a EnWG durch entsprechenden Hinweis hierauf auch für den Verteilnetzbetreiber. Zudem besteht eine netzbetreiberübergreifende Zusammenarbeitspflicht aller Gasnetzbetreiber nach § 20 Abs. 1b Satz 6 EnWG oder § 8 Abs. 6 GasNZV. Einen eigenen Stand nimmt im Gasmarkt der Marktgebietsverantwortliche ein. Die bis zum 01. Juni 2021 auf dem deutschen Gasmarkt tätigen zwei Marktgebietsverantwortlichen67 haben gemeinsam mit den Fernleitungsnetzbetreibern durch die Zusammenlegung der Marktgebietskooperationen ein einziges Marktgebiet (Trading Hub Europe). Ziel ist, die Wettbewerbslage auf dem deutschen Gasmarkt zu verbessern, die Bilanzkreisbetreiber zu entlasten und so die Versorgungssicherheit zu optimieren. 64

Vgl. BNetzA, IT-Sicherheitskatalog gem. § 11 Abs. 1a EnwG, 2015. Mit § 11 Abs. 1b EnWG werden auch Betreiber von Energieanlagen, die als kritische Infrastruktur nach der BSI-Krisenverordnung an ein Energieversorgungsnetz angeschlossen sind, verpflichtet, Sicherheitsmaßnahmen zu ergreifen, die mit den Sicherheitsstandards der Netzbetreiber abgestimmt sein müssen. Hierfür wurde ein IT-Sicherheitskatalog erstellt, vgl. BNetzA, IT-Sicherheitskatalog gem. § 11 Abs. 1b EnWG, 2018. 66 Vgl. Tüngler, in: Kment, § 15, Rn. 2 mit Verweis auf die Bundesregierung, die in der Begründung ihres Entwurfs zum Zweiten Gesetz zur Neuregelung des Energiewirtschaftsrechts vom 14. Oktober 2004, BT-Drs. 15/3917, 58 explizit hierauf hingewiesen habe. 67 Diese zwei Marktgebietsverantwortlichen waren: GASPOOL Balancing Services und NetConnect Germany. 65

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aa) Systemverantwortung der Netzbetreiber im Strommarkt Die §§ 12 und 13 EnWG enthalten spezielle Pflichten für die Übertragungsnetzbetreiber im Strommarkt, wohingegen in § 14 EnWG die Pflichten der Verteilnetzbetreiber geregelt sind. Während der Übertragungsnetzbetreiber für die überregionalen Übertragungsnetze zuständig ist, ist der Verteilnetzbetreiber zuständig für die regionalen und lokalen Verteilnetze. Den Übertragungsnetzbetreibern68 obliegt unter Beachtung ihrer jeweiligen Systemverantwortung nach § 12 Abs. 1 EnWG die Gewährleistung einer hinreichenden Übertragungskapazität,69 mithin ein sicheres, zuverlässiges und leistungsstarkes Netz bereitzustellen sowie zu gewährleisten, dass der Strom sicher und auf der Höchstspannungsebene zu den Verteilnetzen übertragen und weitergeleitet wird. Mittels dieser entsprechend sichergestellten Übertragungskapazität des Netzes trägt der Übertragungsnetzbetreiber in seiner Regelzone dazu bei, den Systembetrieb zentral zu gewährleisten und insoweit für ein effizientes Niveau der Versorgungssicherheit zu sorgen.70 Zu dieser Systemverantwortung gilt es physikalisch wie auch finanziell einen Systemausgleich zu schaffen, insofern die Erzeugungsquellen (hauptsächlich der Einsatz der Kraftwerke) mit der schwankenden Nachfrage unter Berücksichtigung der verfügbaren Netzkapazitäten aufeinander abgestimmt werden. Hierbei wird diese Steuerungsfunktion der Ein- und Ausspeisung bestmöglich gewährleistet durch entsprechend kurzfristiges Zu- oder Abschalten flexibler Kraftwerke sowie durch das Bereitstellen von Ausgleichsleistungen.71 Relevant hierbei ist die weitere Pflicht, Regelenergie vorzuhalten,72 zumeist etwa aus eigens hierfür bereitgehaltenen Kraftwerken, die ihre Produktion sehr kurzfristig erhöhen oder senken können. Dem Übertragungsnetzbetreiber obliegt ferner die finanzielle Abwicklung der bei Minder- bzw. Mehreinspeisung zu leistenden Zahlungen oder anfallenden Vergütungen. Außerdem ist es im Verantwortungsbereich der Übertragungsnetzbetreiber, aufgrund ihrer Verantwortlichkeit für die Übereinstimmung von Einspeisung und Verbrauch, die Maßnahmen des Bilanzkreisverantwortlichen zu beaufsichtigen.73

68 Seit 2012 sind dies TenneT TSO GmbH, 50 Hertz Transmission GmbH, Ampiron GmbH und Transnet BW GmbH, vgl. auch Kapitel B. IV. 1. b). 69 Vgl. Tüngler, in: Kment, Energiewirtschaftsgesetz, 2019, § 12, Rn. 5. 70 Vgl. Steger et al., Die Regulierung elektrischer Netze, 2008, S. 88; „Der Verantwortungsbereich des Übertragungsnetzbetreibers bezieht sich auf die Regelzone insgesamt, d.h. einschließlich der dem Übertragungsnetz nachgelagerten Netzebenen“, Tüngler, in: Kment, Energiewirtschaftsgesetz, 2019, § 12, Rn. 19. 71 Vgl. Tüngler, in: Kment, Energiewirtschaftsgesetz, 2019, § 12, Rn. 20. 72 Vgl. ebenda § 12, Rn. 26. 73 Vgl. Hilpert, Die Systemverantwortung der Übertragungsnetzbetreiber im Strommarkt 2.0, 2018, S. 110.

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Der Netzbetreiber hat die ihm obliegende Systempflicht nach Maßgabe der §§ 13, 13a bis e EnWG zu erfüllen, so etwa nach § 13b Abs. 2 EnWG nach Anzeige einer Stilllegung von Kraftwerken, diese auf ihre Systemrelevanz von Kraftwerken hin zu überprüfen. Nach § 12 Abs. 3 EnWG sind die Übertragungsnetzbetreiber zudem zuständig dafür, in Ausübung ihrer Pflichten, geeignete technische Anlagen, etwa Anlagen zur Erzeugung von Strom aus erneuerbaren Energien, Grubengas und aus KraftWärme-Kopplung einzusetzen. Folglich kann die gewünschte Erhöhung des Einsatzes von erneuerbaren Energien in der Elektrizitätsversorgung erreicht werden.74 Vor dem Hintergrund einer hierdurch gefährdeten Systemstabilität des Elektrizitätsversorgungsnetzes, wurde entsprechend § 12 Abs. 3a EnWG hierfür die Systemstabilitätsverordnung75 erlassen. Grundsätzlich sind den Übertragungsnetzbetreibern von den in § 12 Abs. 4 Ziffer 1–7 EnWG bestimmten Personen sämtliche für den sicheren Netzbetrieb erforderlichen Informationen bereitzustellen. Weiterhin muss der Übertragungsnetzbetreiber technische Vorgaben einhalten, die sich etwa auch aus dem Transmission Code (letzte Fassung von 2007) ergeben hatten.76 Seit dem Strommarktgesetz vom 26. Juli 201677 und den damit verbundenen Neuerungen bezüglich der Systempflichten nach den §§ 13 ff. EnWG ergibt sich durch den nunmehr ausdrücklichen Verweis in § 14 EnWG auf die §§ 12 und 13 bis 13c EnWG und den auf der Grundlage des § 13a Abs. 3 EnWG erlassenen Rechtsverordnungen, dass die Verteilnetzbetreiber, definiert in § 3 Nr. 3 EnWG, nach § 14 EnWG bezüglich ihres Verteilnetzes ebenso wie die Übertragungsnetzbetreiber für deren Übertragungsnetz den gleichen Rechten und Pflichten unterliegen, „im Hinblick auf systemrelevante Anlagen zur Erzeugung oder Speicherung von elektrischer Energie“.78 Diese Pflichten beziehen sich auf diejenigen,

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Vgl. Tüngler, in: Kment, Energiewirtschaftsgesetz, 2019, § 12, Rn. 38. Vgl. Verordnung zur Gewährleistung der technischen Sicherheit und Systemstabilität des Elektrizitätsversorgungsnetzes vom 20. Juli 2012, BGBl. I, S. 1635, zuletzt geändert durch Art. 2 der Verordnung vom 14. September 2016, BGBl. I, S. 2147. 76 Die Übertragungsnetzbetreiber hatten zuvor die Vorgaben nach dem Transmission Code 2007 (mit Anhängen). Diese rechtlich unverbindliche Regelung wurde durch Präqualifikationskriterien sukzessive ersetzt. In diesem Zusammenhang sind die Regelungen auf EU-Ebene bedeutsam, wie etwa durch die Verordnung (EU) 2017/1485 zur Festlegung einer Leitlinie für den Übertragungsnetzbetrieb vom 02. August 2017, ABl. EU Nr. L 220, S. 1 vom 25. August 2017 und die Verordnung (EU) 2017/2195 zur Festlegung einer Leitlinie über den Systemausgleich im Elektrizitätsversorgungssystem vom 23. November 2017, ABl. EU Nr. L 312, S. 6 vom 28. November 2017, vgl. hierzu auch Hilpert, Die Systemverantwortung der Übertragungsnetzbetreiber im Strommarkt 2.0, 2018, S. 46. 77 Gesetz zur Weiterentwicklung des Strommarktes (Strommarktgesetz) vom 26. Juli 2016, BGBl. I, S. 1786. 78 Tüngler, in: Kment, Energiewirtschaftsgesetz, 2019, § 14, Rn. 3 und 13. 75

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die im Rahmen ihrer Verteilungsaufgaben und der darin gegebenen Verantwortlichkeit für die Sicherheit und Zuverlässigkeit der Elektrizitätsversorgung im lokalen Netz gegeben sind.79 So ist der Verteilnetzbetreiber insbesondere entsprechend § 13b Abs. 2 EnWG dafür verantwortlich, dass die Systemrelevanz eines Kraftwerks für sein Verteilnetz überprüft wird. Dies ist deshalb sinnvoll, da er aufgrund seiner Nähe zum Kraftwerk die Systemrelevanz und mithin den akuten Handlungsbedarf am besten, besser auch als der Übertragungsnetzbetreiber, identifizieren kann.80 Indessen können die genannten Pflichten für den Übertragungsnetzbetreiber nicht in allen Bereichen kongruierend auf den Verteilnetzbetreiber übertragen werden, insofern der Verteilnetzbetreiber eingeschränkt für seinen jeweiligen Zuständigkeitsbereich verantwortlich ist. Des Weiteren befindet sich nur insoweit die Systemverantwortung nicht bereits bei dem Übertragungsnetzbetreiber. So ist etwa der Verteilnetzbetreiber nicht für den Einsatz von Regelenergie zuständig. Diese fällt in den alleinigen Aufgabenbereich des Übertragungsnetzbetreibers. Hier bestehen für den Verteilnetzbetreiber Möglichkeiten der Verbindung zu den Verteilnetzen, um auf diese Weise in seinem Netzgebiet die Spannungshaltung zu gewährleisten.81 Während bei Notfallmaßnahmen des Übertragungsnetzbetreibers dieser auf eine Umsetzung der Netzbetreiber der nachgelagerten Netze angewiesen ist,82 damit diese Maßnahmen wirksam sind und möglichst geringe Auswirkungen auf die Elektrizitätsversorgung haben, ist der Verteilnetzbetreiber nach § 14 Abs. 1c EnWG zur Mitwirkung und Unterstützung verpflichtet, soweit dieses erforderlich ist. Hierbei ist das Vorliegen der Erforderlichkeit von den Verteilnetzbetreibern selbst abzuwägen und daher auch zu verantworten.83

79 Vgl. ebenda § 14, Rn. 16 mit Verweis auf die Begründung des Gesetzesentwurfs der Bundesregierung eines Zweiten Gesetzes zur Neuregelung des Energiewirtschaftsrechts, BT-Drs. 15/3917, 57. 80 Vgl. Tüngler, in: Kment, Energiewirtschaftsgesetz, 2019, § 14, Rn. 18. 81 Vgl. Hartmann/Weise, in: Theobald/Kühling, Energierecht, 2022, § 14 EnWG, Rn. 11. Hierfür hatte der Verteilnetzbetreiber zuvor die Mittel nach dem Distribution Code Version 2007, der mittlerweile jedoch aufgehoben ist. Numehr gilt nach § 19 Abs. 4 EnWG, dass die Betreiber von Elektrizitätsversorgungsnetzen gemeinsam allgemein technische Mindestanforderungen erstellen. Der Verband der Elektrotechnik Elektronik Informationstechnik e.V. wird als beauftragte Stelle bestimmt, um die allgemeinen technischen Mindestanforderungen zu verabschieden, siehe § 19 Abs. 4 Satz 2 Nr. 1–3 EnWG. 82 Vgl. Tüngler, in: Kment, Energiewirtschaftsgesetz, 2019, § 14, Rn. 26. 83 Vgl. ebenda § 14, Rn. 27; gemäß § 14 Abs. 1c letzter Halbsatz EnWG sind die §§ 12–13c EnWG entsprechend anwendbar, mithin auch die zu § 13 EnWG herausgearbeiteten Grundprinzipien bezüglich einer Abwägung.

III. Öffentliche und private Unternehmen

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bb) Systemverantwortung der Netzbetreiber im Gasmarkt Auch im Gasmarkt obliegt den Fernleitungsnetzbetreibern nach § 16 Abs. 1 EnWG eine den Übertragungsnetzbetreibern annähernd vergleichbare Systemverantwortung dahingehend, netzbezogene und marktbezogene Maßnahmen zu ergreifen, um Störungen oder Gefährdungen der Fernleitungsnetze zu verhindern oder zu beseitigen. Die Verteilnetzbetreiber im Gasmarkt tragen ebenso wie die Verteilnetzbetreiber im Strommarkt keine generelle Systemverantwortung, sondern gemäß § 16a EnWG in Verbindung mit §§ 15 und 16 EnWG eine entsprechende Verantwortung, für die Sicherheit und Zuverlässigkeit in ihrem Netz zu sorgen. Ein Merkmal der Systemverantwortung ist auch in der Möglichkeit einer Steuerung von vertraglichen Abschaltverordnungen bei Letztverbrauchern nach § 14b EnWG zu sehen. Dadurch kann zum Zweck der Netzentlastung ein reduziertes Entgelt zugunsten des Letztverbrauchers berechnet werden. Hierdurch können die nach § 16 Abs. 1 Nr. 2 EnWG getroffenen Maßnahmen der Netzbetreiber effektiver durchgesetzt werden. cc) Netzausbaupflichten der Netzbetreiber Mit den zuvor dargestellten regulatorischen Änderungen im Energiemarkt, insbesondere der Erzeugungsstruktur (Wandel von konventionellen Energieträgern zu erneuerbaren Energien) haben sich Erzeugungsstandorte und Bedarfsstandorte voneinander getrennt. Hierdurch ist wiederum die besondere Notwendigkeit der gezielten Weiterentwicklung im Hinblick auf das Übertragungs- und auch das Verteilnetz entstanden.84 Die Pflicht zum Ausbau des Übertragungsnetzes hat sich zuletzt durch das Strommarktgesetz erweitert. Es geht sogar zum Teil über die europäischen Vorgaben durch das dritte Energiebinnenmarktpaket bezüglich der §§ 12a und 12b EnWG hinaus.85 So ist der Übertragungsnetzbetreiber nach § 12a Abs. 1 EnWG verpflichtet, alle zwei Jahre einen gemeinsamen sogenannten Szenariorahmen als Grundlage für die Erarbeitung eines Netzentwicklungsplans nach § 12b EnWG sowie eines Offshore-Netzentwicklungsplans nach § 17b EnWG zu erstellen und diesen Netzentwicklungsplan nach § 12b EnWG der Bundesnetzagentur zur Be84

Vgl. Posser, in: Kment, Energiewirtschaftsgesetz, 2019, § 12a, Rn. 2. Bei den §§ 12a und 12b EnWG handelt es sich um die Umsetzung der Vorgaben des 3. Energiebinnenmarktpakets, wobei Art. 22 der Richtlinie 2009/72/EG nur die Erstellung eines Netzentwicklungsplans vorsah und keinen zuvor zu erstellenden Szenariorahmen, vgl. Weyer, Regulierung, Investitionsfreiheit und technischer Fortschritt, in: Regulierung und Gemeinwohl, 2016, S. 176–218 (206/207) mit Verweis darauf, dass die ersten Ansätze hierfür bereits das Energieleitungsausbaugesetz (EnLAG) aus 2009 beinhaltete. 85

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F. Träger der Versorgungssicherheit – Pflichten und Haftung

stätigung vorzulegen. Darüber hinaus ist er verantwortlich für die Umsetzung der in § 12a bis d EnWG genannten Pflichten. Im Hinblick auf die vermehrten staatlichen Eingriffsmöglichkeiten im Rahmen der Regulierung wird die autarke Entscheidung des Unternehmens und auch die eigene Verantwortlichkeit, in welchem Umfang und Zeitmaß der Netzausbau betrieben wird, erkennbar zurückgestuft.86 Ziel ist es eine effektive Bedarfsoptimierung des Netzes zu erreichen.87 Auch wenn hierbei eine verstärkte Einbindung von staatlichen Stellen vorgeschrieben ist,88 kann eine staatliche Investitionslenkung auf der Netzebene nur bedingt erwartet werden, insofern hier das privatwirtschaftliche Unternehmen über Art und Umfang einer Investition bestimmt.89 Durch die beschriebenen Verpflichtungen beim Bau der Übertragungsnetze und der damit gekoppelten Pflicht, das Netz systemsicher zu halten, ist aber eine „Investitionsverpflichtungsverantwortung“ 90 der Übertragungsnetzbetreiber zu erkennen. Der Verteilnetzbetreiber hat im Rahmen des Netzausbaus vorrangig Berichtspflichten über den Netzzustand und die Netzausbaudaten der Verteilnetze. Nach § 14 Abs. 1b EnWG obliegen ihm auch spezielle Berichtspflichten gegenüber der Regulierungsbehörde.91 Die Pflichten der Netzbetreiber sind breit diversifiziert. Auch nach dem EEG für den Ausbau erneuerbarer Energien obliegt ihnen eine weitere Pflicht im Verhältnis zu Anlagenbetreibern (etwa auch Eigenversorger), deren Rechtspflichten im EEG grundsätzlich festgelegt sind, ohne dass es eines Einspeisevertrages oder einer sonstigen vertraglichen Ausgestaltung bedarf. So wird etwa in § 12 Abs. 1 und 2 EEG explizit bestimmt, dass die Netzbetreiber auf Verlangen der Einspeisewilligen ihre Netze optimieren müssen, um den Strom aus erneuerbaren Energien vorrangig abnehmen zu können sowie etwa nach §§ 19 und 20 EEG die gesetzlich geregelten Zahlungen zu erbringen. Die Pflichten der Fernleitungsnetzbetreiber nach § 11 EnWG werden durch §§ 15, 15a EnWG konkretisiert. So haben sie nach § 15 Abs. 1 EnWG für ein sicheres und zuverlässiges Gasversorgungsnetzsystem zu sorgen und nach § 15a Abs. 1 EnWG in jedem geraden Kalenderjahr, erstmals zum 1. April 2016, einen gemeinsamen nationalen Netzentwicklungsplan zu erstellen. Dieser ist der Regulierungsbehörde vorzulegen und muss alle wirksamen Maßnahmen, etwa zur bedarfsgerechten Optimierung des Netzes enthalten. Aufgrund dessen soll mittels 86

Vgl. Posser, in: Kment, Energiewirtschaftsgesetz, 2019, § 12a, Rn. 3. Vgl. ebenda. 88 Vgl. ebenda. 89 Vgl. Baur, Der Regulator, Befugnisse, Kontrollen – Einige Überlegungen zum künftigen Regulierungsrecht, ZNER 2004, S. 318–325 (322). 90 Posser, in: Kment, Energiewirtschaftsgesetz, 2019, § 12a, Rn. 3. 91 Vgl. Tüngler, in: Kment, Energiewirtschaftsgesetz, 2019, § 14, Rn. 5. 87

III. Öffentliche und private Unternehmen

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koordinierter Netzausbauplanung eine maximale Versorgungssicherheit gewährleistet werden. dd) Verkehrssicherungspflichten der Netzbetreiber Im Grundsatz ergeben sich derartige Pflichten bereits aus § 11 Abs. 1 EnWG. Hiernach ist bestimmt, dass die Netzbetreiber das Netz zu warten, mithin alle Schutzmaßnahmen bezüglich der ordnungsgemäßen Verlegung und Wartung der Leitungen zu treffen haben. Konkretisiert wird die Verkehrssicherungspflicht durch das technische Regelwerk.92 Das Ausmaß der den Netzbetreibern obliegenden Verkehrssicherungspflichten ist wiederholt durch die Rechtsprechung präzisiert worden,93 so etwa bei der Auswahl der Materialien für den Netzanschluss darauf zu achten, dass ein dauerhaft verkehrssicherer Betrieb ermöglicht wird.94 Nach § 16 Abs. 3 Satz 1 und 2 Netzanschlussverordnung ist der Netzbetreiber verpflichtet, Spannung und die Frequenz zur Gewährleistung der regelrechten Funktionen von Haushaltsgeräten unverändert zu gewährleisten.95 Die Aufrechterhaltung der erforderlichen Netzspannung und Frequenz erfolgt jedoch im Rahmen des europäischen Verbundnetzes. Somit ist der einzelne Netzbetreiber auf eine Kooperation mit den anderen Netzbetreibern in der Europäischen Union angewiesen. e) Pflichten der Kraftwerksbetreiber Die Energieversorgungsunternehmen setzen Kraftwerke ein, um ihrer Verpflichtung zur Daseinsvorsorge nachkommen zu können.96 Während die zuvor dargestellte gesetzlich festgelegte Systemverantwortung der jeweiligen Netzbetreiber sich etwa darauf beschränkt, die Erforderlichkeit einer Abregelung im Rahmen von Redispatch oder Abschaltverordnung zu prüfen und zu beschließen, ist die Umsetzung einer derartigen Anordnung im Verantwortungsbereich der Kraftwerksbetreiber.97 92 Wie etwa die DIN-Normen oder technische Regeln, so bei Gas aufgrund der Deutschen Vereinigung des Gas- und Wasserfaches e.V. (DVGW) und bei elektrischen Anlagen die des Verbandes der Elektrotechnik, Elektronik, Informationstechnik e.V. (VDE), bei deren Einhaltung die Vermutungsregel des § 49 Abs. 2 EnWG zugunsten des Netzbetreibers greift, vgl. hierzu Bartsch/vom Wege, Die Haftung des Netzbetreibers, EnWZ 2014, S. 152–158 (153). 93 So etwa mit Urteil des LG Karlsruhe vom 14. Juni 2013, Az.: 6 O 310/12, BeckRS 2013, 10817. 94 Vgl. LG Karlsruhe, Urteil vom 14. Juni 2013, Az.: 6 O 310/12, BeckRS 2013, 10817. 95 Vgl. Linderkamp et al., Der Umbau des elektrischen Energieversorgungssystems – Implikationen für die Versicherungswirtschaft, VersR 2014, S. 1050–1060 (1056). 96 Vgl. Ruttloff, Redispatch und „angemessene Vergütung“ – Präjudizien für den Strommarkt 2.0?, NVwZ 2015, S. 1086–1093 (1089). 97 Vgl. Ruttloff, Redispatch und „angemessene Vergütung“ – Präjudizien für den Strommarkt 2.0?, NVwZ 2015, S. 1086–1093 (1090): „Zwei-Ebenen-Indienstnahme“:

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F. Träger der Versorgungssicherheit – Pflichten und Haftung

Diese Mitwirkungspflicht der Kraftwerksbetreiber dient nicht nur vordergründig dem Interesse des Übertragungsnetzbetreibers. Im Endeffekt übernehmen die Kraftwerksbetreiber hier die Aufgabe, für die Netzstabilität zu sorgen und damit auch für die Erfüllung der öffentlichen Aufgaben zur Versorgungssicherheit. Die den Kraftwerksbetreibern im Rahmen des Redispatch von den Netzbetreibern vorgegebenen Maßnahmen bezüglich einer etwaigen Drosselung der Energieerzeugung erfordern gleichzeitig die Beachtung der Verhältnismäßigkeit. So ist eine solche Maßnahme daraufhin zu prüfen, ob sie einem legitimen Zweck dient, der zwar grundsätzlich in der Regelung des § 13 EnWG auf Sicherung des Elektrizitätsversorgungssystems als gegeben angesehen wird, wenngleich hierbei von den Netzbetreibern zwingend die Rangfolge der Systemsicherungsmaßnahmen einzuhalten ist.98 Weiterhin ist der Eingriff dem Kraftwerksbetreiber nur zumutbar, wenn er gemäß § 15 EnWG angemessen hierfür entschädigt wird.99 So darf insbesondere keine Gefährdung seiner Existenz eintreten.100 Hinsichtlich der Ausgestaltung der Erstattungskosten steht der Bundesnetzagentur gemäß § 13j EnWG die Festlegungskompetenz zu. Bei dieser Regelungspraxis wird in Kauf genommen, dass bei dem Kraftwerksbetreiber nicht alle zuzurechnenden Kosten im Einzelfall berücksichtigt werden. Dies ist insofern kritisch für den Fall, wenn Netzengpässe (oder die betroffenen Netzelemente) gehäuft in denselben Gebieten auftreten und damit insbesondere durch die Redispatch-Maßnahmen dieselben Kraftwerksbetreiber nachteilig betroffen sind.101 Darüber hinaus sind die Betreiber sogenannter systemrelevanter Kraftwerke für die Betriebsbereitschaft ihrer Kraftwerke verantwortlich, wenn der Netzbetreiber im Rahmen des § 13b EnWG festgestellt hat, dass andere Maßnahmen zur Abwendung der Gefährdung oder Störung des Elektrizitätsversorgungssystems nicht verfügbar sind. Zwar ist diese Verpflichtung von zentraler Bedeutung im Rahmen der Kapazitätsmechanismen. Demgegenüber wird dies von den Unternehmen als kritisch angesehen, insofern ihnen kein angemessener Ausgleich gezahlt wird.

1. Ebene: Übertragungsnetzbetreiber aus Verpflichtung § 11 EnWG, 2. Ebene: Kraftwerksbetreiber aus § 13, 13a EnWG. 98 Vgl. Bundestag, Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung des Energiewirtschaftsrechts, BT-Drs. 15/3917 vom 14. Oktober 2004, S. 57; BNetzA, Leitfaden zum Einspeisemanagement Version 3.0, 2018. Vgl. zu den Maßnahmen und der entsprechenden Rangfolge in Kapitel G. I. 2. für den Strommarkt und II. 2. für den Gasmarkt. 99 Vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 28. April 2015, Az.: VI-3 Kart. 331/12 (V), BeckRS 2015, 11708, Ziff. 251. 100 Vgl. Ruttloff, Redispatch und „angemessene Vergütung“ – Präjudizien für den Strommarkt 2.0?, NVwZ 2015, S. 1086–1093 (1091); BVerfG, Beschluss vom 16. März 1971, Az.: 1 BVR 52, 665, 667, 745/66, NJW 1971, S. 1255–1261 (1260). 101 Vgl. Stelter/Ipsen, Das Gesetz zur Weiterentwicklung des Strommarktes (Strommarktgesetz), EnWZ, 2016, S. 483–489 (485); Ruttloff, Redispatch und „angemessene Vergütung“ – Präjudizien für den Strommarkt 2.0?, NVwZ 2015, S. 1086–1093 (1088).

IV. Haftung bei unzureichender Versorgungssicherheit im Energiemarkt

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Eine spezielle Verantwortung besteht für Kraftwerksbetreiber, sofern ein Verbot zur endgültigen Stilllegung nach § 13b Abs. 5 Satz 1 EnWG ausgesprochen wurde. Sie sind verpflichtet, nach den Anforderungen des Übertragungsnetzbetreibers und dessen angeforderten Sicherheitsmaßnahmen ihr Kraftwerk weiter zu betreiben (§ 7 Abs. 1 NetzResV). Weiterhin ist der entsprechende Kraftwerksbetreiber nach § 13b Abs. 5 S. 11 EnWG verpflichtet, das Kraftwerk in einem einsatzfähigen Zustand zu halten, es sei denn, dies wäre nicht durchführbar, sei es aus technischen oder auch aus rechtlichen Gründen. Für diese Verfahrensweise, die als „Zwangsbewirtschaftung“ 102 angesehen werden kann, kann der betroffene Kraftwerksbetreiber gegenüber dem zuständigen Übertragungsnetzbetreiber gemäß § 13c EnWG eine ihm zustehende angemessene Vergütung verlangen.103 f) Pflichten der Betreiber von Gasspeicheranlagen Betreiber von Speicheranlagen sind nach der Legaldefinition des § 3 Nr. 9 EnWG verpflichtet, Erdgas zu speichern und den (fehlerfreien) Betrieb der Speicheranlage (Legaldefinition in § 3 Nr. 31 EnWG) im Rahmen der gesetzlichen Vorgaben zu verantworten. Ähnlich wie Netzbetreiber sind sie nach § 28 EnWG verpflichtet, anderen Marktteilnehmer den Zugang zu ihren Speichern zu gewähren. Während früher die Entwicklung von Gasspeichern in einem engen Zusammenhang mit dem Ausbau der Fernleitungsnetze stand, wurden diese Strukturen im Rahmen der Liberalisierung, insbesondere durch die entsprechenden Entflechtungsvorschriften der Europäischen Union, aufgegeben, so dass beides nun unabhängig voneinander bestehen kann. Dies hat zur Folge, dass nicht mehr die Netzbetreiber, sondern die Betreiber der Speicheranlagen für die erforderliche Vorhaltung von Gasmengen verantwortlich sind, mithin in diesem Rahmen für die Gewährleistung der Versorgungssicherheit zu sorgen haben.104

IV. Haftung bei unzureichender Versorgungssicherheit im Energiemarkt Im Hinblick auf die Komplexität der Haftungsregeln sollen im folgenden Abschnitt die für die hier interessierende Problematik relevanten Aspekte dargestellt werden. 102

Tüngler, in: Kment, Energiewirtschaftsgesetz, 2019, § 13b, Rn. 30. Vgl. Tüngler, in: Kment, Energiewirtschaftsgesetz, 2019, § 13b, Rn. 30. 104 Speicherbetereiber sind verpflichtet Erdgas zu speichern, hatten jedoch seinerzeit noch keine allgemeine Bevorratungspflicht, vgl. Thole/Dietzel, Versorgungssicherheit Gas, EnWZ 2013, S. 543–547 (543); von Lewinski/Bews, Gasspeicherregulierung, IR 2013, S. 243–251 (250); Lokau/Däuper, in: Zenke/Schäfer, Energiehandel, 2017, § 4, Rn. 29. Vor dem Hintergrund des Angriffskrieges auf die Ukraine wurde dies nun neu bewertet. 103

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F. Träger der Versorgungssicherheit – Pflichten und Haftung

1. Haftung des Staates Der Staat als Souverän trägt die originäre Gewährleistungsverantwortung, die öffentliche Aufgabe der flächendeckenden Energieversorgung zu erfüllen.105 Wie bereits dargestellt, ist der Staat auch als Garant jedoch nicht verpflichtet, die entsprechende öffentliche Aufgabe der Daseinsvorsorge selbst zu übernehmen, vielmehr genügt er dieser, wenn die Bereitstellung einer flächendeckenden Energieversorgung, etwa durch öffentliche oder private Anbieter garantiert und insofern die Gewährleistung verantwortet wird.106 Infolgedessen kann der Staat seine Haftung in gewisser Weise verlagern, indem er sorgfältig und fehlerfrei die Unternehmen, an die er die Aufgaben delegiert sowie deren Ausführungskompetenz überprüft. Mithin kann er seine Gewährleistungspflicht von seiner Erfüllungspflicht trennen.107 Die Gewährleistung eines Mindestniveaus wird hierbei etwa in der Verpflichtung zur Grundversorgung nach § 36 EnWG explizit geregelt. Vor diesem Hintergrund ist ein regulatorischer Rahmen unabdingbar, der die vielfältigen Pflichten und insbesondere die verschiedenen Haftungsmodalitäten der privaten und der staatlichen Akteure festlegt. Indessen bleibt eine „Letztverantwortung“ 108 beim Staat, die er nicht weiter übertragen kann. Auch ist hierbei zu berücksichtigen, dass er diese nationale Letztverantwortung aufgrund der dargestellten Kompetenzverteilung nicht an eine gleichsam übergeordnete europäische Trägerverantwortung abgeben oder sich auf eine solche berufen kann. Somit ist er innerhalb der bereits dargestellten vorgenommenen Kompetenzverteilung allein verantwortlich. 2. Haftung der öffentlichen und privaten Unternehmen Werden die auf die öffentlichen und privaten Energieversorgungsunternehmen übertragenen Pflichten von diesen nur unzureichend erfüllt, kann dies bei Ausfall von Energielieferungen und damit verbundenen Schäden eine Haftung zur Folge haben, so nach den allgemeinen Haftungsregeln im Rahmen der Deliktshaftung sowie der Gefährdungshaftung. So sind insbesondere die speziellen Haftungsgrundlagen für Grundversorger und Netzbetreiber hervorzuheben. 105 Vgl. Bauer, Die Energieversorgung zwischen Regulierungs- und Gewährleistungsstaat, 2014, S. 65; vgl. Ziekow, Öffentliches Wirtschaftsrecht, 2016, § 13, Rn. 8. 106 Vgl. Ziekow, Öffentliches Wirtschaftsrecht, 2016, § 13, Rn. 8; Schoch, Gewährleistungsverwaltung: Stärkung der Privatrechtsgesellschaft?, NVwZ 2008, S. 241–247 (244). 107 Vgl. Ziekow, Öffentliches Wirtschaftsrecht, 2016, § 13, Rn. 8; Schoch, Gewährleistungsverwaltung: Stärkung der Privatrechtsgesellschaft?, NVwZ 2008, S. 241–247 (242). 108 Ziekow, Öffentliches Wirtschaftsrecht, 2016, § 13, Rn. 10; vgl. Bauer, Die Energieversorgung zwischen Regulierungs- und Gewährleistungsstaat, 2014, S. 65, hier „staatliche Letztverantwortung“ genannt.

IV. Haftung bei unzureichender Versorgungssicherheit im Energiemarkt

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a) Haftung der Energieversorgungsunternehmen als Grundversorger Bei Versorgungsunregelmäßigkeiten für das Energieversorgungsunternehmen nach § 6 Abs. 3 Satz 1 Stromgrundversorgungsverordnung (StromGVV)109 bzw. Gasgrundversorgungsverordnung (GasGVV)110 ist eine Haftung aus dem Vertragsverhältnis grundsätzlich ausgeschlossen. Dies gilt jedoch nur solange, wie kein Verstoß gegen eigene Pflichten gegeben ist, so gegen Voraussetzungen der Versorgungseinstellungen nach §§ 19–21 StromGVV/GasGVV. Dennoch bleiben auch hier die allgemeinen vertraglichen Haftungsregeln des Zivilrechts bestehen.111 Sofern anstelle eines Grundversorgungsvertrages etwa ein sogenannter All-inclusive-Vertrag112 mit dem Endkunden abgeschlossen wird, haftet das Grundversorgungsunternehmen bei Versorgungsunregelmäßigkeiten. Es kann sich hierbei nicht auf die Haftungsbeschränkung nach § 6 Abs. 3 StromGVV/GasGVV berufen. Aber das Energieversorgungsunternehmen hat die Möglichkeit, seine Haftungsrisiken vertraglich in den AGBs zu begrenzen.113 b) Haftung des Netzbetreibers Angesichts der vielfältigen Pflichten, die den Netzbetreibern im Strom- und Gasmarkt gemäß § 11 Abs. 1 EnWG auferlegt sind, können unbeschadet der 109 Verordnung über Allgemeine Bedingungen für die Grundversorgung von Haushaltskunden und die Ersatzversorgung mit Elektrizität aus dem Niederspannungsnetz vom 26. Oktober 2006, BGBl. I, S. 2391, zuletzt durch Art. 4 der Verordnung vom 14. März 2019, BGBl. I, S. 333, geändert. 110 Verordnung über Allgemeine Bedingungen für die Grundversorgung von Haushaltskunden und die Ersatzversorgung mit Gas aus dem Niederdrucknetz vom 26. Oktober 2006, BGBl. I, S. 2391, 2396, zuletzt durch Art. 5 des Gesetzes vom 19. Juli 2022 (BGBl. I, S. 1214) geändert. 111 Es finden die Regeln des allgemeinen Zivilrechts sowie die Stromgrundversorgungsverordnung bzw. Gasgrundversorgungsverordnung Anwendung, vgl. Heinlein/ Weitenberg, in: Theobald/Kühling, Energierecht, 2022, § 36 EnWG, Rn. 22. Bei dem Grundversorgungsvertrag nach § 6 Abs. 1 Satz 1 Gas GVV bzw. § 6 Abs. 1 Satz 1 StromGVV besteht eine vertragliche Beziehung des Haushaltskunden allein mit dem Grundversorger als Lieferant. 112 Hierbei schließt der Kunde einen Vertrag außerhalb der Grundversorgung mit einem Lieferanten (das kann, muss aber nicht das örtliche EVU sein), der neben der reinen Energielieferung von Strom auch die Netznutzung zur Verfügung stellt, sich mithin verbindlich dem Kunden gegenüber verpflichtet, sowohl den Strom bereitzustellen als auch diesen zu transportieren, vgl. Unberath/Fricke, Vertrag und Haftung nach der Liberalisierung des Strommarktes – Privatautonomie Gestaltung im regulierten Schuldrecht, NJW 2007, S. 3601–3606 (3604). 113 Vgl. Hartmann/Blumenthal-Barby, in: Theobald/Kühling, Energierecht, 2022, § 18 NAV, Rn. 3. Der BGH hat entschieden, dass typische Haftungsbeschränkungsklauseln in den AGB der Energieversorger für Sonderkunden gemäß § 307 BGB unbedenklich sind, vgl. BGH, Urteil vom 25. Februar 1998, Az.: VIII ZR 276-96, NJW 1998, S. 1640–1645 (1645).

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grundsätzlichen Einhaltung dieser Pflichten Schäden auftreten, die durch sonstige Störungen ausgelöst werden.114 So können Einwirkungen von außen, etwa Unwetter, ursächlich für die Abweichung der vorgeschriebenen Netzspannung sein.115 Die Haftung der Netzbetreiber basiert auf § 18 der Verordnung über Allgemeine Bedingungen für den Netzanschluss und dessen Nutzung für die Elektrizitätsversorgung in Niederspannung (NAV). Gleichlautend ist die Haftungslage in § 18 der Verordnung über Allgemeine Bedingungen für den Netzanschluss und dessen Nutzung für die Gasversorgung in Niederdruck (NDAV)116 festgelegt. So haftet der Netzbetreiber bei Vorliegen eines Grundversorgungsvertrages gegenüber den Stromkunden aus dem gesetzlichen Anschlussverhältnis des Endkunden gemäß § 3 Abs. 3 Satz 3 NAV/NDAV i.V. m. § 18 NAV/NDAV. Indem die Haftung bei einem Grundversorgungsvertrag i. S. d. § 6 Abs. 3 StromGVV und GasGVV, soweit es den Netzbetrieb betrifft, dem Netzbetreiber zugeordnet wird, wird die gesetzliche Aufteilung der jeweiligen Verantwortungsbereiche betont. Hier ist der Netzbetreiber stets für die Netzzuverlässigkeit verantwortlich.117 Auf diese Weise haftet der Netzbetreiber gegenüber dem Endkunden gemäß § 3 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 NAV/NDAV aus einem gesetzlichen Anschlussnutzungsverhältnis auch dann, wenn der Endkunde keinen Grundversorgungsvertrag, sondern einen sogenannten All-inclusive-Vertrag oder einen von dem Vertragsverhältnis mit dem Energieversorgungsunternehmen getrennten Vertrag118 abgeschlossen hat. In der Regel tritt eine Haftung aber nicht für die „Kurzunterbrechungen“ 119, etwa Unterbrechungen der Stromversorgung unter drei Minuten ein. Diese werden als tolerabel für den Anschlussnutzer angesehen.120 114

Vgl. Tüngler, in: Kment, Energiewirtschaftsgesetz, 2019, § 11, Rn. 85. Vgl. Linderkamp et al., Der Umbau des elektrischen Energieversorgungssystems – Implikationen für die Versicherungswirtschaft, VersR 2014, S. 1050–1060 (1056). 116 NAV und NDAV wurden aufgrund der Verordnungsermächtigung in § 18 Abs. 3 EnWG erlassen. 117 Vgl. Unberath/Fricke, Vertrag und Haftung nach der Liberalisierung des Strommarktes – Privatautonomie Gestaltung im regulierten Schuldrecht, NJW 2007, S. 3601– 3606 (3604); Hartmann/Blumenthal-Barby, in: Theobald/Kühling, Energierecht, 2022, § 18 NAV, Rn. 21; Ishyna, Haftung für Gasversorgungsstörungen, 2019, S. 229. 118 Der Endkunde schließt dann einen Vertrag mit dem Netzbetreiber über den Transport der Energie und einen zweiten Vertrag mit dem Lieferanten über die Bereitstellung der Energie, vgl. Unberath/Fricke, Vertrag und Haftung nach der Liberalisierung des Strommarktes – Privatautonomie Gestaltung im regulierten Schuldrecht, NJW 2007, S. 3601–3606 (3602). 119 Linderkamp et al., Der Umbau des elektrischen Energieversorgungssystems – Implikationen für die Versicherungswirtschaft, VersR 2014, S. 1050–1060 (1056 und 1057) mit weiterem Verweis. 120 Vgl. ebenda. 115

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Soweit eine Haftung für durch Unterbrechungen oder Unregelmäßigkeiten in der Anschluss- und Netznutzung verursachte Schäden vorliegt, wird gemäß § 18 Abs. 1 Nr. 1 NAV/NDAV bei Vermögensschäden und § 18 Abs. 1 Nr. 2 NAV/ NDAV bei Sachschäden widerlegbar vermutet, dass Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit gegeben sind. Dabei wird nach § 18 Abs. 1 Satz 2 NAV/NDAV bei Vermögensschäden die Haftung für sonstige Fahrlässigkeit ausgeschlossen, mithin ist das in der Regel die leichte Fahrlässigkeit. Folge ist eine entsprechende Haftung durch den Netzbetreiber. § 25a StromNZV verweist auf eine entsprechende Anwendung des § 18 NAV/NDAV.121 Diese Vorschriften der NAV und NDAV gelten kraft Gesetzes nur gegenüber den Netznutzern (auch Lieferanten) mit Anschlussnutzungsvertrag für das Netz der allgemeinen Versorgung i. S. d. § 18 EnWG (Niederspannungs- bzw. Niederdruckbereich), nicht jedoch gegenüber Anschlussnehmern sowie Anschlussnutzern, die Energie in höheren Spannungsebenen oder Druckstufen entnehmen. In diesem Fall ist die Regelung des § 18 NAV/NDAV daher nur durch Vertrag umzusetzen. Mit der gesetzlich normierten verstärkten Haftung der Netzbetreiber nach § 18 NAV/NDAV wird erreicht, dass die Netzbetreiber stärker in die Verantwortung zur Beseitigung von Versorgungsstörungen im Netzbereich genommen werden. Der Netzbetreiber ist verpflichtet, dem Anschlussnutzer den einwandfreien Bezug von Strom oder Gas, auch wenn er nicht deren Anbieter oder Versorger ist, zu ermöglichen. Mithin ist das ordnungsgemäße Funktionieren des Netzes notwendigerweise allein von ihm zu leisten.122 Die Haftung der Netzbetreiber für Vermögensschäden ist andererseits nach Maßgabe des § 18 Abs. 2 NAV/NDAV auf Haftungshöchstsummen begrenzt. Hierbei sollte vor allem den Besonderheiten der leitungsgebundenen Energieversorgung und den damit verbundenen Herausforderungen mit einem hohen unkalkulierbaren Risiko für unvorhersehbare Schäden Rechnung getragen werden.123 121 Durch § 25a StromNZV ist sichergestellt, dass „unabhängig von der schuldrechtlichen Ausgestaltung der Rechtsbeziehungen im Interessendreieck zwischen Letztverbraucher, Netzbetreiber und Energielieferant sowie der jeweiligen Ursache der Versorgungsstörung einheitliche Maßstäbe für die Haftung des Netzbetreibers gelten“, vgl. die Begründung zur Verordnung zum Erlass von Regelungen des Netzanschlusses von Letztverbrauchern in Niederspannung und Niederdruck vom 26. Mai 2006, BR-Drs. 367/06, S. 73. 122 Vgl. Hartmann/Blumenthal-Barby, in: Theobald/Kühling, Energierecht, 2022, § 18 NAV, Rn. 2 mit Verweis auf die Begründung des ursprünglichen Entwurfs der Bundesregierung zur VO N(D)AV vom 26. Mai 2006, BR-Drs. 367/06, S. 54 ff. 123 Vgl. die Begründung zur Verordnung zum Erlass von Regelungen des Netzanschlusses von Letztverbrauchern in Niederspannung und Niederdruck vom 26. Mai 2006, BR-Drs. 367/06, S. 54 und 55: „Die Stromerzeugung im Verbundsystem, die weitgehende Vermaschung des Leitungsnetzes, die einem hochtechnisierten Versorgungssystem immanente besondere Störanfälligkeit und die vielfältigen Verwendungs-

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Während einerseits in Betracht gezogen werden muss, dass Netzbetreiber ihre kostenintensiven Versicherungen auf die Netzentgelte aufschlagen, besteht auf der anderen Seite das politische Bestreben, ein angemessenes Äquivalent zwischen dem Interesse des Endkunden an einer möglichst umfassenden Schadensregulierung durch den Netzbetreiber und dem allgemeinen Interesse an niedrigen Netzentgelten zu erreichen.124 3. Weitergehende allgemein in der Rechtsordnung normierte Haftungsgrundlagen a) Deliktische Haftung der Energieversorgungsunternehmen Im Grundsatz sind auch allgemeine Haftungstatbestände auf alle Energieversorgungsunternehmen anwendbar, so etwa eine sich aus § 823 Abs. 1 BGB ergebende deliktische Haftung, sofern sie durch ihr Verhalten vorsätzlich oder fahrlässig das Leben, den Körper, die Gesundheit, die Freiheit, das Eigentum oder ein sonstiges Recht – hier des Anschlussnutzers – widerrechtlich verletzen. In Betracht kommen hier insbesondere Verletzungen, die infolge von Störfällen in der Netzinfrastruktur, etwa durch Stromausfall oder Gasmangel eingetreten sind und Schäden an der körperlichen Unversehrtheit oder auch am Eigentum verursacht haben.125 Im Falle einer deliktischen Haftung sind sämtliche Personen- und Sachschäden zu ersetzen, wobei eine Haftungshöchstgrenze nicht vorgegeben ist. Nicht erfasst von dieser Haftung werden jedoch Vermögensschäden und auch Folgeschäden, exemplarisch hierfür ist ein entgangener Gewinn, insofern eine durch die Netzstörung beschädigte Sache von dem Endkunden nicht mehr verwertet werden kann und ihm dadurch ein für gewöhnlich erzielbarer Gewinn entgangen ist.126 Dieser könnte allenfalls als ein Teil des Sachschadens nach § 252 BGB erstattet werden. Eine Haftung des Netzbetreibers wegen eines im Netz eingetretenen Störfalls besteht im Allgemeinen nicht bei betriebsbedingten Folgeschäden. Wenn etwa Betriebsangehörige wegen der Störung ihre Arbeit nicht leisten können, gleichwohl aber (so § 615 Satz 1 BGB) der Arbeitgeber weiter ihren Arbeitslohn zah-

zwecke der Elektrizität können auch weiterhin dazu führen, dass bereits geringstes menschliches Versagen kaum übersehbare Schadensfolgen auslösen kann.“ 124 Vgl. Hartmann/Blumenthal-Barby, in: Theobald/Kühling, Energierecht, 2022, § 18 NAV, Rn. 3. 125 Vgl. Bartsch/vom Wege, Die Haftung des Netzbetreibers, EnWZ 2014, S. 152– 158 (153). 126 Vgl. Steger et al., Die Regulierung elektrischer Netze, 2008, S. 94 und 95.

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len muss oder aber Betriebskunden nicht rechtzeitig bestellte Waren erhalten können und insoweit Verzugsschaden fällig wird,127 richten sich die durch Störfälle verursachten Versorgungsunterbrechungen nicht gegen den Gewerbebetrieb selbst. Sie sind somit keine betriebsbezogenen Folgeschäden.128 In die Erwägung einer Haftung kann auch die deliktische Haftung gemäß § 823 Abs. 2 BGB einbezogen werden, sofern durch den Störfall ein Schutzgesetz verletzt wird. Hier käme etwa § 53a EnWG129 oder § 6 Abs. 1 EnWG in Betracht.130 Sofern der Netzbetreiber seinen Pflichten nach § 12 EEG nicht nachkommt und eine mangelhafte oder fehlerhaft verspätete Bereitstellung der technischen Anforderungen nach § 9 EEG vorliegt, trifft ihn gemäß § 13 EEG die Ersatzpflicht für den hierdurch eingetretenen Schaden, es sei denn, er kann sich exkulpieren. So sind die Netzbetreiber auch nicht verantwortlich, wenn das öffentliche Stromnetz gänzlich ausfällt oder etwa durch Sturm und Unwetter Schäden entstehen.131 b) Gefährdungshaftung für Energieversorgungsunternehmen Eine Gefährdungshaftung basiert auf der Überlegung, dass auch dann eine Ersatzpflicht für Schäden bestehen muss, die durch eine Tätigkeit oder sonstiges Wirken in einem Gefahrenbereich entstanden sind. Diese Tätigkeiten erfolgen zwar rechtmäßig und setzen auch grundsätzlich kein Verschulden voraus, sind aber potenziell für die anderen mit Gefahren verbunden. Die für eine Gefährdungshaftung normierten Bereiche betreffen die Unternehmen von Energie- und auch Kernenergieanlagen, aber auch Netzbetreiber. Deren Betrieb wird wegen der technischen und wirtschaftlichen Vorteile für die Allgemeinheit nach dem geltenden Recht erlaubt, auch wenn sie Schäden an Personen, und auch der Umwelt hervorrufen können. So ist der materiell begünstigte Betreiber, der den Gefahrenbereich dominiert, ersatzpflichtig, mithin der Geschädigte den Schaden nicht ohne Ausgleich hinnehmen muss.

127

Vgl. ebenda, S. 94. Vgl. ebenda, S. 94. 129 Mit der Begründung, dass § 53a EnWG „nicht allein dem Schutz der Allgemeinheit, sondern demjenigen des einzelnen Haushaltskunden dient“, Däuper, in: Theobald/ Kühling, Energierecht, 2022, § 53a EnWG, Rn. 20. 130 Vgl. Schreiber/Salmen, Die allgemeine Haftung von Netzbetreiber und -eigentümer, RdE 2017, 62–68 (67, Fn. 75) mit weiteren Verweisen. Weiterhin käme § 836 BGB in Betracht, da das im § 836 BGB genannte „Werk“ auch Anlagen für die Erzeugung, Leitung oder Nutzung von elektrischer Energie miteinschließt (vgl. ebenda, S. 68). 131 Linderkamp et al., Der Umbau des elektrischen Energieversorgungssystems – Implikationen für die Versicherungswirtschaft, VersR 2014, S. 1050–1060 (1057). 128

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F. Träger der Versorgungssicherheit – Pflichten und Haftung

Für den Inhaber einer Anlage wie etwa Erzeugungsanlagen und Gasturbinen kommt eine Haftung nach dem Umwelthaftungsgesetz (UmweltHaftG)132 in Frage, nicht hingegen für einen Netzbetreiber, insofern Strom- und Gasversorgungsnetze gemäß § 1 UmweltHaftG i.V. m. Anlage 1 nicht vom Anwendungsbereich erfasst sind. Denkbar ist aber eine verschuldensunabhängige Haftung von Energieversorgungsunternehmen, wie etwa Netzbetreibern nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 Umweltschadensgesetz (USchadG)133 in Verbindung mit Anlage 1 (Ziffer 1), wenn etwa durch austretendes Gas ein Umweltschaden oder die unmittelbare Gefahr eines Umweltschadens im Sinne des § 2 USchadG verursacht würde. Erhebliches Gewicht bei der Haftung der Energieversorgungsunternehmen, insbesondere Netzbetreibern, kommt den Haftungsregeln nach dem Haftpflichtgesetz (HPflG)134 und nach dem Produkthaftgesetz (ProdHaftG) zu.135 aa) Haftung der Energieversorgungsunternehmen nach dem Haftpflichtgesetz Im Haftpflichtgesetz (HPflG) ist die Gefährdungshaftung von Unternehmen normiert, geschützt werden Leib, Leben und Eigentum. So haften nach § 2 HPflG die Betreiber sogenannter gefährlicher Anlagen, mit denen in Stromleitungs- oder Rohrleitungsanlagen explizit aufgeführt gefährlichen Gütern – wie Elektrizität, Gasen, Dämpfen oder Flüssigkeiten transportiert werden und entweder durch die Wirkung dieser genannten Erzeugnisse (Wirkungshaftung) oder aber durch den fehlerhaften Zustand der Anlage das schädigende Ereignis hervorgerufen wird (Zustandshaftung). Nach der Rechtsprechung des BGH136 kann der Inhaber einer Anlage, so etwa der Betreiber eines Energieversorgungsnetzes, sein, aber auch der Besitzer oder Eigentümer, der über die unmittelbare Herrschaft über die Anlage verfügt, der mithin in der Lage ist, das fehlerfreie Funktionieren der Anlage zu garantieren.137 132 Umwelthaftungsgesetz vom 10. Dezember 1990, BGBl. I, S. 2634, zuletzt geändert durch Art. 6 vom 17. Juli 2017, BGBl. I, S. 2421. 133 Gesetz über die Vermeidung und Sanierung von Umweltschäden (Umweltschadensgesetz – USchadG) vom 10. Mai 2007, BGBl. I, S. 666, zuletzt geändert durch Art. 4 des Gesetzes vom 4. August 2016, BGBl. I, S. 1972. 134 Haftpflichtgesetz vom 04. Januar 1978 (BGBl. I, S. 145), zuletzt geändert durch Art. 9 vom 17. Juli 2017, BGBl. I, S. 2421 135 Gesetz über die Haftung für fehlerhafte Produkte vom 15. Dezember 1989, BGBl. I, S. 2198. 136 BGH, Urteil vom 07. Februar 2008, Az.: III ZR 307/05, NJW-RR 2008, 771, Ziff. 17 und 19; vgl. auch Schreiber/Salmen, Die allgemeine Haftung von Netzbetreiber und -eigentümer, RdE 2017, S. 62–68 (63) mit weiteren Verweisen auf BT-Drs. 8/108, S. 12 ff. und weitere Urteile. 137 Vgl. Schreiber/Salmen, Die allgemeine Haftung von Netzbetreiber und -eigentümer, RdE 2017, S. 62–68 (63) mit weiteren Verweisen.

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Sofern dieser Betreiber der Anlage diese zur Zeit der Schadensverursachung nicht ordnungsgemäß betrieben hat und somit der Schadenseintritt hierauf zurückzuführen ist, tritt die Zustandshaftung allein aus diesem Grund ein, ohne dass es auf die Wirkungen der gefährlichen Güter (Erzeugnisse) ankommt.138 Während bei der sogenannten Wirkungshaftung die Störungen im Strommarkt bereits aufgrund der Gefährlichkeit einer Stromleitung an sich ausgelöst werden, so etwa durch Kurzschlüsse139 und im Gasmarkt durch eine Explosion infolge von Gewalteinwirkungen oder undichten Stellen in Gasleitungen,140 ist demgegenüber bei einem gänzlichen Ausfall des Stroms oder des Gases, etwa durch sogenannte höhere Gewalt, keine Wirkung der Elektrizität oder Gas als solche gegeben.141 Grundsätzlich ist bei dieser Gefährdungshaftung gemäß § 1 Abs. 2 HPflG mithin eine Ersatzpflicht bei Eintritt des Schadens durch höhere Gewalt ausgeschlossen. Daneben gibt es weitere Ausschlussgründe, etwa wenn ein Energieverbrauchsgerät selbst defekt war und hierdurch der Schaden herbeigeführt wurde. Für Gesundheitsschäden ist eine gesonderte Regelung möglich.142 Hingegen ist es einem Betreiber untersagt, einen gänzlichen Haftungsausschluss oder eine Haftungsbeschränkung gegenüber privaten Nutzern für Personenschäden zu vereinbaren oder festzulegen.143 bb) Haftung der Netzbetreiber nach dem ProduktHaftG Elektrizität wird explizit als ein Produkt in § 2 ProdHaftG genannt, Gas hingegen ist unter den dortigen Begriff „bewegliche Sache“ zu subsumieren,144 wohin138 Hingegen gilt eine Anlage als ordnungsgemäß, soweit sie den anerkannten Regeln der Technik entspricht und unversehrt ist; vgl. die Legaldefinition in § 2 Abs. 1 Satz 3 HaftPflG. Wobei wiederum das technische Regelwerk von VDE und DVGW relevant ist. Es gilt auch hier die Vermutung nach § 11 Abs. 1a und § 49 Abs. 2 EnWG, so dass bei Einhaltung dieser Regelwerke die Gefährdungshaftung entfällt, vgl. Bartsch/vom Wege, Die Haftung des Netzbetreibers, EnWZ 2014, S. 152–158 (154). 139 Vgl. de Wyl et al., in: Schneider/Theobald, Recht der Energiewirtschaft, 2021, § 17 Gesetzliche Anschlusspflicht und vertragliche Ausgestaltung der Netznutzung bei Strom und Gas, Rn. 103; Schreiber/Salmen, Die allgemeine Haftung von Netzbetreiber und -eigentümer, RdE 2017, S. 62–68 (64). 140 Vgl. Schreiber/Salmen, Die allgemeine Haftung von Netzbetreiber und -eigentümer, RdE 2017, S. 62–68 (64). 141 In Bezug auf Strom vgl. Schreiber/Salmen, Die allgemeine Haftung von Netzbetreiber und -eigentümer, RdE 2017, S. 62–68 (64) mit Verweis auf LG Karlsruhe, Urteil vom 20. Juni 2012, Az.: 8 O 19/12, BeckRS 2013, S. 10817; dasselbe muss auch für Gas gelten; Steger et al., Die Regulierung elektrischer Netze, 2008, S. 94 mit weiterem Verweis. 142 Die Ausschlussgründe sind in § 2 Abs. 3 Nr. 1–3 HPflG genannt, vgl. hierzu auch Bartsch/vom Wege, Die Haftung des Netzbetreibers, EnWZ 2014, S. 152–158 (154). 143 Vgl. § 7 HPflG. Die Haftungshöchstgrenzen sind in §§ 9 und 10 HPflG normiert. 144 Vgl. BGH, Urteil vom 25. Februar 2014, Az.: VI ZR 144/13; de Wyl et al., in: Schneider/Theobald, Recht der Energiewirtschaft, 2021, § 17 Gesetzliche Anschluss-

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gegen der Netzbetreiber die Herstellereigenschaft nur erlangt, wenn er i. S. d. § 4 ProdHaftG auf die Beschaffenheit des Produkts einwirken kann, so etwa durch ein Mischen von Gas oder eine Transformation von Elektrizität.145 Insoweit hat der Bundesgerichtshof die Herstellereigenschaft eines Netzbetreibers i. S. d. § 4 Abs. 1 S. 1 ProdHaftG bejaht, insofern bei dieser Transformation des Stroms auf eine andere Spannungsebene146 hierdurch sich das Produkt in einer grundlegenden Weise verändert hat. Hinzukommt, dass erst das Transformieren des Stroms diesen für die elektrischen Verbrauchsgeräte des Endkunden verwendungsfähig macht.147 Ein Fehler liegt nach der Legaldefinition in § 3 ProfHaftG vor, wenn berechtigte Sicherheitserwartungen durch das Produkt nicht erfüllt werden. Konkretisiert wird dies hinsichtlich der Elektrizität in § 16 Abs. 3 NAV. So obliegt dem Netzbetreiber insbesondere die Spannung und die Frequenz gleichbleibend zu halten und somit den einwandfreien Betrieb üblicher Geräte zu sichern. Sinngemäß hat daher der Bundesgerichtshof eine Überspannung als Fehler des Produktes Elektrizität i. S. d. § 3 ProdHaftG angesehen.148 Gleichermaßen wird in § 16 Abs. 2 NDAV bestimmt: „Der Netzbetreiber hat Brennwert und Druck möglichst gleichbleibend zu halten. Allgemein übliche Gasgeräte müssen einwandfrei betrieben werden können.“ Somit ist das Sicherheitskriterium bei dem Produkthaftungsgesetz das entscheidende Element. Allerdings besteht auch hier bei einem gänzlichen Stromausfall über eine bereits dargelegte Haftung des Netzbetreibers nach § 18 NAV/NDAV hinaus keine Haftung nach dem ProdHaftG, insofern ausgebliebener Strom nicht als ein Produkt i. S. d. § 2 Abs. 1 ProdHaftG verstanden werden kann.149

pflicht und vertragliche Ausgestaltung der Netznutzung bei Strom und Gas, Rn. 105; Bartsch/vom Wege, Die Haftung des Netzbetreibers, EnWZ 2014, S. 152–158 (154). 145 Vgl. Bartsch/vom Wege, Die Haftung des Netzbetreibers, EnWZ 2014, S. 152– 158 (155) mit Verweis auf BGH, Urteil vom 25. Februar 2014, Az.: VI ZR 144/13; de Wyl et al., in: Schneider/Theobald, Recht der Energiewirtschaft, 2021, § 17 Gesetzliche Anschlusspflicht und vertragliche Ausgestaltung der Netznutzung bei Strom und Gas, Rn. 107. 146 Transformation auf die Niederspannungsebene (ca. 230 V) für die Netzanschlüsse von Letztverbrauchern, BGH, Urteil vom 25. Februar 2014, Az.: VI ZR 144/13. 147 Vgl. BGH, Urteil vom 25. Februar 2014, Az.: VI ZR 144/13. 148 „Die Ursache für die Überspannung lag in der Unterbrechung von zwei sog. PEBLeitern, über die das Haus des Klägers mit der Erdungsanlage verbunden war,“ Bartsch/vom Wege, Die Haftung des Netzbetreibers, EnWZ 2014, S. 152–158 (155) mit Verweis auf BGH, Urteil vom 25. Februar 2014, Az.: VI ZR 144/13. 149 Zumindest nach herrschender Meinung, vgl. Hack, Energie-Contracting, 2015, Rn. 293. Denn bei einem Stromausfall erfolge die Beeinträchtigung der Integrationssphäre gerade nicht durch den Strom, sondern weil dieser als Leistung ausbleibt, so Oechsler, Die Haftung des Niederspannungsnetzbetreibers nach dem Produkthaftgesetz, NJW 2014, S. 2080–2083 (2081).

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Von den in § 1 Abs. 2 Nr. 1–5 ProdHaftG geregelten Haftungsausschlüssen ist aufgrund der Besonderheiten des Produkts Elektrizität der Haftungsausschluss nach § 1 Abs. 2 Nr. 2 ProdHaftG relevant, so wenn nach den Umständen davon auszugehen ist, dass das Produkt den Fehler, der den Schaden verursacht hat, noch nicht hatte, als der Hersteller es in den Verkehr brachte. Als maßgeblichen Zeitpunkt für das „in den Verkehr bringen“ hat der BGH das Verlassen des Produkts Elektrizität aus dem Netz des Netzbetreibers bzw. aus seinem Organisationsbereich angesehen.150 Daraus ergibt sich der Zeitpunkt der Belieferung über den Netzanschluss an den Endkunden und demnach erst bei der Übergabe an den Anschlussnutzer. Folgerichtig bedeutet dies eine Haftung des Netzbetreibers aufgrund der vorgenommenen Transformation als Hersteller nach dem ProdHaftG bis zum Anschlussnutzer, auch wenn er die Umspannung korrekt vorgenommen hat.151 Hinsichtlich einer grundsätzlich möglichen Haftung nach dem ProdHaftG des Netzbetreibers im Gasmarkt muss im jeweiligen Einzelfall untersucht werden, ob der Netzbetreiber in seiner Eigenschaft als Hersteller das „in den Verkehr bringen“ des fehlerhaften Produktes zu verantworten hat.152 Die Ausgestaltung der Haftungsmodalitäten ist im ProdHaftG sehr dezidiert vorgenommen worden.153 Eindeutig untersagt und damit nichtig sind nach § 14 ProdHaftG jegliche Vereinbarungen (oder sonstige Bestimmungen des Herstellers), die die Ersatzpflicht des Herstellers beschränken oder ausschließen.154 Demzufolge sind auch die Haftungsbegrenzungen des § 18 NAV/NDAV im Rahmen des § 1 Abs. 1 S. 1 ProdHaftG nicht anwendbar.155 Dieser im ProdHaftG weitgehenden Gefährdungshaftung des Schädigers steht in der Praxis jedoch das Problem der Durchsetzbarkeit gegenüber, insofern dem 150

Vgl. BGH, Urteil vom 25. Februar 2014, Az.: VI ZR 144/13, Ziff. 17. Vgl. Der Energieblog, Uferlose Haftung für Netzbetreiber? vom 07. März 2014 mit Verweis auf BGH, Urteil vom 25. Februar 2014, Az.: VI ZR 144/13. 152 Vgl. Bartsch/vom Wege, Die Haftung des Netzbetreibers, EnWZ 2014, S. 152– 158 (155). 153 So bestehen bei Sachschäden keine Höchstgrenzen, nach § 11 ProdHaftG ist der Geschädigte aber zu einer Selbstbeteiligung in Höhe von 500 Euro verpflichtet. Für Personenschäden ist die Haftung auf insgesamt 5 Mio. Euro für alle Geschädigten begrenzt, indessen ist nach § 6 Abs. 1 ProdHaftG bei einem etwaigen Mitverschulden des Geschädigten eine Haftungsminderung in Anwendung des § 254 BGB möglich. 154 Da aber vertragliche Vereinbarungen zulässig sind, kann insoweit im Innenverhältnis eine Rückgriffsmöglichkeit bestehen, mithin die eigentliche Produkthaftung ein anderer tragen. So kann der Eigentümer der Netze, die ein vertraglich verbundener Netzbetreiber betreibt, diesen im Innenverhältnis potenziell mit seiner eigenen Produkthaftung belasten, vgl. Schreiber/Salmen, Die allgemeine Haftung von Netzbetreiber und -eigentümer, RdE 2017, 62–68 (65). 155 Vgl. BGH, Urteil vom 25. Februar 2014, Az.: VI ZR 144/13, Ziff. 5; Linderkamp et al., Der Umbau des elektrischen Energieversorgungssystems – Implikationen für die Versicherungswirtschaft, VersR 2014, S. 1050–1060 (1056). 151

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Geschädigten gemäß § 1 Abs. 4 ProdHaftG die volle Beweislast obliegt. Dies gilt für die Schadenshöhe eines Fehlers sowie für die Kausalität, mithin muss der konkrete Schaden durch eben dieses fehlerhafte Produkt Elektrizität verursacht worden sein. Auf der anderen Seite wird die Haftung des Strom- und Gasnetzbetreibers nach dem Produkthaftungsgesetz als zu unbeschränkt und damit grenzenlos kritisiert.156 4. Zusammenfassung der Haftungsmodalitäten für Energieversorgungsunternehmen a) Haftung bei Verschulden Grundsätzlich besteht bei einer vertraglichen oder auch deliktischen Haftung der Energieversorgungsunternehmen für Versorgungsunregelmäßigkeiten nur eine sogenannte Verschuldenshaftung, insofern ein objektiv pflichtwidriges und subjektiv vorwerfbares Verhalten des Unternehmens vorliegen muss. Nach § 276 BGB ist ein Verschulden bei vorsätzlichem oder fahrlässigem Verhalten gegeben, auch wird gemäß § 280 Abs. 1 S. 2 BGB ein Verschulden des Unternehmens bei einem bestehenden Vertrag vermutet. Wenn aber der Netzbetreiber insgesamt das technische Regelwerk einhält sowie keine Instandhaltungs- und Wartungsfehler feststellbar sind, kann eine Pflichtverletzung aufgrund der Vermutung des § 11 Abs. 1a bzw. des § 49 Abs. 2 EnWG nicht angenommen werden, zumindest liegt dann die Beweislast für ein Verschulden beim Geschädigten.157 b) Ausschluss der Haftung bei höherer Gewalt Ein wichtiger Aspekt bei der Haftung sind die Einwirkungen von außerhalb, die den Schaden verursachen, die weder im Verantwortungsbereich des Unternehmensinhabers liegen noch von sonstigen Verfügungsberechtigten zu verantworten sind und somit zu einem Haftungsausschluss führen. So liegt nach der Rechtsprechung des BGH höhere Gewalt vor bei einem betriebsfremden, von außen durch elementare Naturkräfte oder durch Handlungen dritter Personen herbeigeführtes Ereignis, welches nicht voraussehbar sowie technisch und wirtschaftlich nicht abwendbar war.158 Dies kann etwa bei Schnee-

156 Vgl. Bartsch/vom Wege, Die Haftung des Netzbetreibers, EnWZ 2014, S. 152– 158 (158). 157 Vgl. Bartsch/vom Wege, Die Haftung des Netzbetreibers, EnWZ 2014, S. 152– 158 (153). 158 Vgl. BGH, Urteil vom 22. April 2004, Az.: III ZR 108/03, NJW 2005, S. 1185.

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sturm oder Unwetter zur Beschädigung von Strommasten führen, wodurch etwa das Mittel- und Niederspannungsnetz nicht versorgt sind.159 Auch könnte bei einem technisch bedingten oder politisch motivierten Ausfall von Importlieferungen ein Fall höherer Gewalt angenommen werden. So werden in § 54 der Kooperationsvereinbarung zwischen den Betreibern von in Deutschland gelegenen Gasversorgungsnetzen (KoVXI)160 als Regelbeispiele etwa Naturkatastrophen, terroristische Angriffe und dadurch bedingter Stromausfall genannt. In § 6 Abs. 2 Nr. 3 GasGVV bzw. StromGVV ist normiert, dass der Grundversorger in diesen Fällen von seiner Erfüllungspflicht zur Versorgung befreit ist. In der Praxis wird mithin bereits vertraglich das Ruhen der Lieferpflicht in Fällen bei höherer Gewalt vereinbart.161 Bezüglich der Netzbetreiber befindet sich dieser Haftungsausschluss explizit in § 16 Abs. 1 S. 2 NAV/NDAV. Auch kann im Allgemeinen ein Lieferstopp aufgrund eines staatlichen Embargos als „höhere Gewalt“ eingestuft werden. Problematisch hierbei ist aber, ob dies nicht vorausschauend durch die Energieversorgungsunternehmen hätte verhindert werden können, etwa durch gesteigerte Vorhaltung von Speicherleistung.162 Nicht unter den Begriff „höhere Gewalt“ zu subsumieren ist hierbei ein durch etwa außergewöhnliche Kälte ausgelöster stark potenzierter Verbrauch. Dies gilt auch, wenn etwa Transportrechte eingeschränkt oder unterbrochen werden oder ein sonstiges Problem oder Ereignis vorliegt, das ein beteiligtes Gasleitungssystem betrifft und es sich hierbei um keinen Transportausfall handelt.163 c) Ausschluss der Haftung bei Unzumutbarkeit Eingebunden in die Haftungsproblematik ist die Frage nach der Grenze des Zumutbaren, als Folge dessen bei deren Überschreitung eine Haftung entfällt. Diese Grenze, die eine Präzisierung des Verhältnismäßigkeitsprinzips ist,164 fördert im Endeffekt die langfristige Versorgungssicherheit, insofern die Sicherstellung einer leistungsstarken Versorgung für die verpflichteten Unternehmen wirtschaftlich auch realisierbar sein muss. Jedoch bedarf der unbestimmte Rechtsbegriff Zumutbarkeit jeweils der Prüfung, ob und in welchem Umfang eine solche wirtschaftlich noch zu bejahen ist.165 159 Vgl. LG Münster, Urteil vom 29. Mai 2007, Az.: 9 S 210/06, IR 2007, 184; siehe auch LG Essen, Urteil vom 04. Mai 2007, Az.: 3 O 48/06, NJW 2007, S. 2787. 160 Vgl. § 54 der Kooperationsvereinbarung zwischen den Betreibern von in Deutschland gelegenen Gasversorgungsnetzen KoVXI, Änderungsfassung vom 31. März 2020, Inkrafttreten am 01. Oktober 2020. 161 Vgl. BBH et al., Möglichkeiten zur Verbesserung der Gasversorgungssicherheit, 2015, S. 54. 162 Vgl. ebenda, S. 57. 163 Vgl. ebenda, S. 59. 164 Vgl. Heinlein/Weitenberg, in: Theobald/Kühling, Energierecht, 2022, § 36, Rn. 72. 165 Vgl. Däuper, in: Theobald/Kühling, Energierecht, 2022, § 53a EnWG, Rn. 17.

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F. Träger der Versorgungssicherheit – Pflichten und Haftung

Gesetzlich ist die Grenze der Zumutbarkeit hinsichtlich bestimmter Pflichten der bei den Energieversorgungsunternehmen übertragenen Daseinsvorsorge normiert, so in §§ 11 Abs. 1 S. 1, 20 Abs. 1b S. 5, 36 Abs. 1 S. 2 und 53a S. 2 EnWG. Zudem sieht § 11 Abs. 4 EnWG vor, in Rechtsverordnungen über die Regelung von Vertrags- und sonstigen Rechtsverhältnissen auch Regelungen zur Haftung der Betreiber mit Blick auf die Zumutbarkeit von Energieversorgungsnetzen aufgrund einer Unterbrechung oder bei Unregelmäßigkeiten in der Energieversorgung zu begrenzen. So kann die Haftung auf Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit beschränkt werden (§ 11 Abs. 4 Satz 2 EnWG).166 Auch ein vollständiger Haftungsausschluss ist denkbar im Zusammenhang mit den Systempflichten nach den §§ 13 Abs. 2, 13b Abs. 5, 13f Abs. 1 EnWG, auch in Verbindung mit §§ 14, 16 Abs. 2, 2a, 16a EnWG. Hiermit sollen unzumutbare wirtschaftliche Risiken vermieden werden.167 Insgesamt geht das Bestreben dahin, eine angemessene und ausgewogene Lösung zwischen dem gesetzlich vorgesehenen Anspruch einer erfolgsversprechenden Leistung und den wirtschaftlichen Auswirkungen auf das Unternehmen zu finden.168 Sofern etwa im konkreten Fall die Existenz des betroffenen Unternehmens bedroht ist, dürfte die Grenze der Zumutbarkeit überschritten sein.169 Die Beweislast hierzu trägt allerdings der Unternehmer, der sich darauf beruft. Auch ist in der Rechtsprechung das Ausmaß der den Netzbetreibern obliegenden (Verkehrssicherungs-)Pflichten präzisiert worden. So ist etwa eine nicht anlassbezogene, regelmäßige und generelle Kontrollpflicht aller erdverlegten Stromkabel als wirtschaftlich nicht zumutbar anzusehen.170 166 Zur Absicherung der erforderlichen Investitionen können auch Haftungsregelungen als Instrumente zählen, vgl. Erwägungsgrund Nr. 45 der Richtlinie 2009/73/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Juli 2009 über gemeinsame Vorschriften für den Erdgasbinnenmarkt und zur Aufhebung der Richtlinie 2003/55/EG, ABl. EU Nr. L 211, S. 94 vom 14. August 2009, zuletzt geändert durch die Richtlinie 2019/ 692 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. April 2019 zur Änderung der Richtlinie 2009/73/EG über gemeinsame Vorschriften für den Erdgasbinnenmarkt, ABl. EU Nr. L 117, S. 1 vom 03. Mai 2019 sowie Erwägungsgrund Nr. 28 Richtlinie 2019/ 944 des europäischen Parlaments und des Rates vom 05. Juni 2019 mit gemeinsamen Vorschriften für den Elektrizitätsbinnenmarkt und zur Änderung der Richtlinie 2012/ 27/EU, ABl. EU Nr. L 158, S. 125 vom 14. Juni 2019. 167 Einschränkungen bestehen nach § 7 Abs. 1 EEG, nach dem der Netzbetreiber die Erfüllung der Verpflichtungen nicht vom Abschluss eines Vertrages abhängig machen darf. 168 Vgl. Bartsch/vom Wege, Die Haftung des Netzbetreibers, EnWZ 2014, S. 152– 158 (156). 169 Vgl. Görisch, in: Kment, Energiewirtschaftsgesetz, 2019, § 53a, Rn. 5. 170 Nach der Rechtsprechung sei eine regelmäßige Sichtkontrolle bzw. die Durchführung von Kontrollmessungen aller erdverlegten Stromkabel ein zu hoher Kosten- und Personalaufwand, der eine exorbitante Erhöhung der Strompreise zur Folge hätte und damit unzumutbar ist, vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 08. Mai 2013, Az.: 11 U 145/ 12, BeckRS 2013, 10045; LG Hagen, Urteil vom 26. Januar 2012, Az.: 7 S 71/09

V. Zwischenfazit zu Pflichten und Haftung der Träger im Energiemarkt

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V. Zwischenfazit zu Pflichten und Haftung der Träger im Energiemarkt Während mit Art. 194 AEUV ein eigener EU-Kompetenztitel zur Gewährleistung der Energieversorgung besteht, verbleibt aber den Mitgliedstaaten im Hinblick auf die sogenannte Souveränitätsklausel des Art. 194 Abs. 2 UAbs. 2 AEUV das Recht – entsprechend den Vorgaben der Europäischen Union – die Ausgestaltung ihrer Daseinsvorsorge selbst zu bestimmen. So sind mit dem Begriff der DAWI auch keine Vorgaben im Hinblick auf den Träger oder auch auf bestimmte Rechts- oder Organisationsformen verknüpft.171 Damit einhergehend existieren in den einzelnen Mitgliedstaaten unterschiedliche Ausprägungen.172 So sieht beispielsweise Frankreich den Staat weitgehend selbst in der Pflicht, die Versorgungssicherheit erfolgsentscheidend erfüllen zu können. In Deutschland hingegen ist der Staat der Überzeugung, dass die ihm obliegenden Pflicht der Gewährleistungserfüllung nicht von ihm zu bewältigen ist. Vielmehr kann gerade im Hinblick auf das Sozialstaatsprinzip durch Verlagerung der Erfüllung auf öffentliche wie private Unternehmen in einem funktionierenden Wettbewerb marktpolitisch ein effizientes Niveau der Versorgungssicherheit erreicht und beibehalten werden. Seiner Stellung als Garant der Versorgungssicherheit genügt es, mit gesetzlichen Regelungen und Regulierungsmaßnahmen die Leistung der Unternehmen zu lenken, zu überwachen und zu optimieren. Jedoch ist durch die in den letzten Jahren erweiterten Bemühungen um Beteiligung an Energieversorgungsunternehmen zu erkennen, dass eine Rückbesinnung des Staates auf verstärktes Mitspracherecht mit hierdurch entsprechend erlangter Aufsicht bewirkt werden oder auch eigene aktive Beeinflussung erreicht werden soll. Die in Deutschland eingesetzten Regulierungsmaßnahmen führen aus ökonomischer Sicht eine mittelbare staatliche Investitionslenkung herbei, insofern wirtschaftliche Anreize gesetzt werden, so dass die Unternehmen hierbei in eine ökonomisch bestimmte, politisch gewünschte Richtung gelenkt werden.173 Demgegenüber bedarf eine unmittelbare staatliche Investitionslenkung als Eingriff in das Marktverhalten der Unternehmen einer Legitimation durch die sogenannten Gemeinwohlbelange,174 so wie hier in der Gewährleistung einer umfassenden Energieversorgungssicherheit.175 BeckRS 2012, 10456; LG Karlsruhe, Urteil vom 14. Juni 2013, Az.: 6 O 310/12 BeckRs 2013, S. 10817. 171 Vgl. Rottmann et al., Zukunftsorientierte Daseinsvorsorge, ZBW 2019, S. 789– 794 (794). 172 Vgl. Pielow, Öffentliche Daseinsvorsorge zwischen „Markt“ und „Staat“, JuS 2006, S. 692–695 (694). 173 Dies wird auch als „influenzierende Wirtschaftslenkung“ bezeichnet, siehe Baur, Der Regulator, Befugnisse, Kontrollen – Einige Überlegungen zum künftigen Regulierungsrecht, ZNER 2004, S. 318–325 (322). 174 Vgl. Tschida, Die Systemverantwortung der Netzbetreiber, 2016, S. 17.

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F. Träger der Versorgungssicherheit – Pflichten und Haftung

Auf dem Gasmarkt besteht das zusätzliche Problem, dass gerade auf den, für die Versorgungssicherheit zwei wichtigsten Ebenen (Import und Speicher), ausländische Unternehmen den Markt weitgehend beherrschen. So ist die staatliche Erfüllungsverantwortung hier – zumindest zum Teil – von ausländischen Unternehmen abhängig, insofern zum einen eine hohe Importabhängigkeit besteht und zum anderen ausländische Investoren zugleich auch Inhaber wichtiger Speicheranlagen sind. Die Übertragung der staatlichen Gewährleistungsverantwortung für die Energieversorgungssicherheit ist hierbei breit diversifiziert, so erstreckt sie sich in Form einer Verantwortungsteilung auf viele verschiedene Träger entlang der gesamten Wertschöpfungsstufen. Dies bewirkt mit dem Übergang der Erfüllungspflichten eine Verantwortungsverlagerung und deren folgerichtigen Verpflichtung, eine engmaschige Zusammenzuarbeit herzustellen. So sind die einzelnen Bereiche im Energiemarkt in zunehmendem Maße miteinander verzahnt und verstärkt voneinander abhängig. Wenn auch das Delegieren der Verantwortung aus ökonomischer und sozialpolitischer Sicht effektiv ist, deuten sich bei dem Problem der Haftung, durch verschiedene stets die Haftung erweiternde Gesetze und Verordnungen, bemerkenswerte Schwierigkeiten an. So werden Kraftwerksbetreiber insbesondere durch die dargestellte Zwangsbewirtschaftung verstärkt in die Pflicht genommen. Infolgedessen ist die hohe Verantwortlichkeit und damit verbundene umfangreiche Haftung der Übertragungsnetzbetreiber offenkundig. Aufgrund der volatilen Einspeisung durch die erneuerbaren Energien müssen sie immer flexibler auf die durch die Volatilität entstehenden Spannungsschwankungen reagieren, damit diese nicht Schäden bei den Anschlussnehmern auslösen. Schließlich müssten dann die Netzbetreiber dafür haften. Die im Rahmen der Versorgungssicherheit bestehenden Verantwortungsbereiche der Übertragungsnetzbetreiber wurden zuletzt durch das Strommarktgesetz176 durch einen umfangreichen Maßnahmenkatalog erweitert, infolgedessen die Ein-

175 Aus diesem Grund ist auch ein Eingriff in die Berufsfreiheit aus Art. 12 GG und auch in die Eigentumsgarantie aus Art 14 GG etwa bei Redispatch-Maßnahmen gerechtfertigt, vgl. Tschida, Die Systemverantwortung der Netzbetreiber, 2016, S. 17 mit weiteren Verweisen. „Wenn die berufsbezogene Nutzung eines Eigentumsgegenstands in Rede steht, ist Berufsfreiheit auch hier neben der Eigentumsgarantie anzuwenden. Über Ausmaß und Format der entsprechenden Entscheidung muss der Eigentümer selbstständig in eigener Verantwortung entscheiden dürfen“, siehe Ruttloff, Redispatch und „angemessene Vergütung“ – Präjudizien für den Strommarkt 2.0?, NVwZ 2015, S. 1086– 1093 (1089) mit Verweis auf BVerfG, Beschluss vom 20. März 1984, Az.: 1 BvL 28/82, NJW 1984, S. 1872. 176 Gesetz zur Weiterentwicklung des Strommarktes (Strommarktgesetz) vom 26. Juli 2016, BGBl. I, S. 1786.

V. Zwischenfazit zu Pflichten und Haftung der Träger im Energiemarkt

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griffs- und Einflussmöglichkeiten in eine Wertschöpfungsebene, nämlich dem vorgelagerten Erzeugungsmarkt, stärker geworden sind. In diesem Zusammenhang ist insbesondere eine gegenüber dem Übertragungsnetzbetreiber nicht nur vergleichbare, sondern eine verstärkte Haftung mit entsprechenden höheren Haftungsrisiken des Verteilnetzbetreibers festzustellen. So wird der Verteilnetzbetreiber eher als Hersteller im Sinne des Produkthaftgesetzes angesehen werden als der Übertragungsnetzbetreiber, der gegebenenfalls tatsächlich nur den Strom durch das Netz durchleitet.177 Im Hinblick auf die bestehende Gefährdungshaftung, die sowohl für die Stromals auch die Gasnetzbetreiber das Risiko einer Haftung erheblich potenziert, ist es kritisch, die Balance zwischen den für den Verbraucher sowie gesamtwirtschaftlich gesehenen erfolgsversprechenden Netzausbau und der (ausufernden) nahezu grenzenlosen Haftung des Netzbetreibers zu finden. Wenn dem auch eine schwer zu erbringende Beweislast des Verbrauchers gegenübersteht, muss jedenfalls eine haftungsbedingte extrem hohe Versicherung unterbunden bleiben. Schließlich ist nicht auszuschließen, dass die erhöhte Versicherungsprämie auf die Strom- bzw. Gaspreise aufgeschlagen werden, was letztlich zum Nachteil des Verbrauchers ist. In der Konsequenz ist somit festzustellen, dass sich der Staat mit einer maximal ausgefeilten Verlagerung der Erfüllungspflichten auf die Unternehmen weitestgehend aus einer Haftung zurückgezogen hat. Trotz des vielschichtigen und detailreichen Regelwerks der Pflichten und Haftungsgrundlagen ist ein weiterer Aspekt der Haftung hervorzuheben, im Hinblick darauf, dass bei Eintreten eines sogenannten vollkommenen Blackouts keine Regelung greifen würde. Vielmehr ist davon auszugehen, dass sich der Staat exkulpieren könnte aufgrund seiner auf die genannten Träger übertragenen Aufgaben. Die privaten oder öffentlichen Träger könnten sich wohl in einem solchen Fall auf höhere Gewalt berufen oder etwa auf ein ihnen unzumutbares Risiko. Auch wäre die Gefährdungshaftung bedeutungslos, insofern der ausgefallene und mithin nicht ausreichend vorhandene Strom oder auch Gas von dieser nicht erfasst wird. Weiterhin ist bemerkenswert, dass eine explizite Verantwortung für Betreiber von Speicheranlagen nicht existiert. Neben der allgemeinen vertraglichen und verschuldensabhängigen Haftung gegenüber ihren Vertragspartnern, etwa Lieferanten, besteht keine Systemverantwortung wie etwa vergleichbar für die Netzbetreiber. Auch bestand (ex-post gesehen)178 trotz der seit längerem bestehenden

177 178

führt.

Vgl. BGH, Urteil vom 25. Februar 2014, Az.: VI ZR 144/13, Ziff. 17. Vor dem Hintergrund des Ukrainekrieges wird hierzu in Kapitel G. und H. ausge-

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F. Träger der Versorgungssicherheit – Pflichten und Haftung

Forderung keine gesetzliche Vorhaltungspflicht im Sinne einer strategischen Vorsorgepflicht nach dem Muster der Erdölbevorratungspflicht.179 Bei Vorliegen eines derartigen Szenarios verbleibt beim Staat demnach eine Auffangverantwortung, die er nicht mehr delegieren kann. Insofern muss das weitere Ziel des Staates sein, entsprechende Instrumente zu implementieren, die selbst dann noch die Versorgungssicherheit gewährleisten können. In diesem Zusammenhang muss berücksichtigt werden, dass die nationale Verantwortung zur Gewährleistung im eigenen Mitgliedstaat besteht und nicht auf EU-Ebene übertragen werden kann. So liegt die Herausforderung bei jedem Mitgliedstaat, zweifelos darin einen europäischen Energiebinnenmarkt zu fördern, aber das Risiko einer mangelnden Versorgungssicherheit selbst abzusichern. Die Fragestellung nach einer sich für den Staat ergebenden, nicht mehr übertragbaren Haftung endet wohl in der Problematik des sehr schwierigen Nachweises einer etwaigen Vorwerfbarkeit und vor allem der probaten Durchsetzbarkeit im Hinblick auf die Autorität und Regierungsgewalt des Staates.

179 „Eine entsprechende unmittelbare Systemverantwortung für die übrigen Marktbeteiligten, wie Gaslieferanten, Letztverbraucher oder – angesichts der jüngsten Versorgungskrise und einer Diskussion um die Speicherfüllstände im Fokus – Speicherbetreiber besteht nicht“, Thole/Dietzel, Versorgungssicherheit Gas, EnWZ 2013, S. 543–547 (543), vgl. auch von Lewinski/Bews, Gasspeicherregulierung, IR 2013, S. 243–251 (250); Lokau/Däuper, in: Zenke/Schäfer, Energiehandel, 2017, § 4, Rn. 29.

G. Instrumente zur Gewährleistung von Versorgungssicherheit Die Aufgabe des Staates zur Daseinsvorsorge und deren Gewährleistung ist, wie zuvor dargestellt, durch verschiedene gesetzliche Regelungen auch privaten Trägern auferlegt worden. Hierdurch sind diese verpflichtet, zur Gewährleistung der Versorgungssicherheit beizutragen. Hierbei soll die Analyse schwerpunktmäßig zunächst auf Kapazitätsmechanismen gerichtet werden als zusätzliche und zum Teil in deutschen als auch in europäischen Energiemärkten bereits eingeführten Instrumenten zur Gewährleistung der Versorgungssicherheit. Ausgehend davon, dass die verschiedenen Modelle von Kapazitätsmechanismen für den Strommarkt entwickelt worden sind, werden diese zunächst bezogen auf den Strommarkt wiedergegeben und beurteilt.

I. Instrumente Strommarkt 1. Kapazitätsmechanismen Wichtigstes Merkmal von Kapazitätsmechanismen ist eine ergänzende Vergütung als Investitionsanreiz für Anbieter von Kraftwerksleistung in die Bereithaltung von installierter Kapazität sowie bereitgehaltener Kapazität, unabhängig von der konkreten Einspeisung dieser Leistung in den Markt.1 Kapazitätsmechanismen schließen somit sämtliche sogenannte Mechanismen ein, die die Bereitstellung (Vorhaltung) der Leistungen, die die Versorgungssicherheit garantieren können. Sie wirken mithin als Investitionssteuerung.2 Infolgedessen sind sie nicht ausschließlich auf Märkte beschränkt. Die verschiedenen Empfehlungen für Kapazitätsmechanismen 3 erstrecken sich von einer bloßen Ergänzung des Energy Only-Marktes bis hin zu einer umfassen1 Vgl. Heuterkes, Die Regulierung von Gas- und Strommärkten in Deutschland, 2008, S. 83. 2 Vgl. Monopolkommission, Energie 2017: Gezielt vorgehen, Stückwerk vermeiden, S. 31, Ziff. 44; EU-Kommission, Sektoruntersuchung Stromkapazitätsmechanismen, Abschlussbericht, 2016, S. 2; Schulte et al., Diskussion zukünftiger Herausforderungen von Versorgungssicherheit im Strommarkt 2.0, 2020, S. 39. 3 Vgl. die Gutachten, die im September 2013 von der damaligen Bundesregierung in Auftrag gegeben wurden: Frontier Economics/Consentec GmbH, Folgenabschätzung Kapazitätsmechanismen, 2014; r2b energy consulting GmbH, Endbericht Leitstudie Strommarkt, 2014; vgl. auch BMWi, Bericht des Kraftwerksforums an die Bundeskanzlerin und die Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten der Länder, 2013.

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G. Instrumente zur Gewährleistung von Versorgungssicherheit

den Umgestaltung des Energiemarkts. Zu differenzieren ist zunächst zwischen staatlichen und wettbewerblichen Modellen. Die staatlichen Modelle wiederum können in preisbasierte Modelle unterteilt werden, insofern der Staat vorab den Preis für eine bestimmte Menge Kapazität festlegt oder aber in mengenbasierte Modelle, indem die Menge der benötigten Kapazität vorab kontingentiert wird.4 Konträr hierzu soll auf der Basis der Vorschläge für wettbewerbliche Modelle ein Kapazitätsmarkt implementiert werden, so dass die Entscheidung über Menge und Kosten der Kapazität vom Markt bestimmt wird.5 In die letztgenannten wettbewerblichen Modelle ist genau genommen auch das Demand Side-Management (DSM) einzubeziehen, mithin Maßnahmen, die bei der Steuerung der Nachfrageseite und bei der Speicherung von Strom ansetzen. Darüber hinaus sollen nach anderen Überlegungen bereits existierende Mechanismen für die Anforderungen der Energiewende weiterentwickelt oder aber umgestaltet werden. So etwa soll dem Bilanzkreisverantwortlichen eine stärkere Systemverantwortung übertragen werden (Verpflichtung oder Anreiz zur Einstellung erneuerbarer Energien in den Bilanzkreis),6 sowie der bereits existierende Regelenergiemarkt ausgeweitet werden.7 a) Staatliche zentrale Modelle Das maßgebende Anliegen der staatlichen Modelle ist es, eine zuvor ermittelte Kapazität an Erzeugungsleistung für einen bestimmten Zeitraum sichern zu können. Durch einen sogenannten Koordinator sind alle teilnehmenden Kraftwerke verpflichtet, betriebsbereit zur Verfügung zu stehen. Die Bedingungen für die Teilnahme an dem Modell können variieren, so dass etwa diese auf Neuanlagen beschränkt werden oder aber bestimmte Voraussetzungen an die Anlagen bzgl. Effizienz, Emissionen, Flexibilität oder des Standortes geknüpft werden. Die den Kraftwerksbetreibern für die Bereithaltung entrichteten Kapazitätsentgelte werden in der Regel jährlich auf die Stromkunden umgelegt.

4 Vgl. die Übersicht bei Süßenbacher et al., Kapazitätsmärkte und -mechanismen im internationalen Kontext, IEWT 2011, S. 3. 5 Süßenbacher et al., Kapazitätsmärkte und -mechanismen im internationalen Kontext, IEWT 2011, S. 3. 6 Vgl. GEODE, Stellungnahme zur Weiterentwicklung des Erneuerbare-EnergienGesetzes und zu der Diskussion um die Einführung eines neuen Strommarktdesigns, 2013; GEODE, Report Gemeinsamer Strommarkt für Deutschland und Europa, 2015. 7 Vgl. Heim, Ein Regelenergiemarkt-Plus als Kapazitätsmechanismus, 2015, ET, S. 22 und 23.

I. Instrumente Strommarkt

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aa) Strategische Reserve Im Modell der strategischen Reserve8 wird eine bestimmte – zuvor von einer staatlichen Stelle festgelegte – Menge an Kraftwerksleistung als Reserve für eventuelle Engpasssituationen betriebsbereit gehalten, damit auf diese im Fall einer Unterversorgung zurückgegriffen werden kann.9 Ziel ist es, Stromausfälle aufgrund ausreichender aktiver Kapazität zu vermeiden, gleichzeitig aber das bestehende wettbewerbliche Marktdesign zu erhalten.10 Mithin soll kein zusätzlicher Markt kreiert werden, vielmehr in einem vom bisherigen Energy OnlyMarket unabhängigen System eine staatliche Reserve, und zwar als „Sicherheitsnetz“ 11, vorgehalten werden. So wird auch die Stilllegung von Bestandskraftwerken vermieden und die Versorgungssicherheit erhöht. Eine strategische Reserve kann in der Weise ausgestaltet werden, dass ein zentraler Koordinator die Kapazitäten durch langfristige (bilaterale) Lieferverträge mit Erzeugungsunternehmen12 oder aber über eine (zentrale) Ausschreibung erlangt.13 Hierbei wird die zuletzt genannte Alternative durchweg favorisiert.14 Indem der Koordinator die gewünschte Menge an Reservekapazität bestimmt, können die Marktteilnehmer im Wettbewerb entscheiden, zu welchem Preis sie eine bestimmte Kapazitätsmenge zu veräußern bereit sind („zentrale Mengensteuerung“).15 8 Die Theorie zur strategischen Reserve geht zurück auf de Vries, Securing the public interest in electricity generation markets, 2004, S. 111–112. 9 Vgl. Süßenbacher et al., Kapazitätsmärkte und -mechanismen im internationalen Kontext, IEWT 2011, S. 7. 10 Vgl. Siegmeier, Kapazitätsinstrumente in einem von erneuerbaren Energien geprägten Stromsystem, 2011, WP-EM-45, S. 12 11 BMU et al., Märkte stärken, Versorgung sichern, 2013, S. 7, 8, 11; Consentec/ Frontier economics, Folgenabschätzung Kapazitätsmechanismen, 2014, S. 1, 21, 184. 12 Vgl. Süßenbacher et al., Kapazitätsmärkte und -mechanismen im internationalen Kontext, IEWT 2011, S. 7 und 8; Siegmeier, Kapazitätsinstrumente in einem von erneuerbaren Energien geprägten Stromsystem, 2011, WP-EM-45, S. 12. 13 Vgl. Süßenbacher et al., Kapazitätsmärkte und -mechanismen im internationalen Kontext, IEWT 2011, S. 9. Alternativ käme auch Leasing oder Erwerb vom Übertragungsnetzbetreiber in Betracht (vgl. ebenda, S. 8). „Sinnvoller wäre es, dass die Übertragungsnetzbetreiber eine „Strategische Stromreserve“ von einer begrenzten Zahl an Reservekraftwerken unter Vertrag nehmen und bereithalten.“ (Mundt, in: Süddeutsche Zeitung vom 08. März 2014, S. 24). 14 BMU et al., Märkte stärken, Versorgung sichern, 2013, S. 13; Consentec, Praktikabel umsetzbare Ausgestaltung einer strategischen Reserve, 2012, S. 3/4. Diese wird etwa in Frankreich verwendet (vgl. Süßenbacher et al., Kapazitätsmärkte und -mechanismen im internationalen Kontext, IEWT 2011, S. 9). 15 Siehe Consentec/Frontier economics, Folgenabschätzung Kapazitätsmechanismen, 2014, S. 34. Hier liegt die Erwartungshaltung zugrunde, dass „Kapazitätsauktionen“ gegenüber den „Kapazitätszahlungen“ der Vorzug gegeben werden sollte, im Hinblick darauf, dass hierdurch grundsätzlich vorteilhafte Resultate zu erreichen sind (vgl. Böckers et al., Vor- und Nachteile alternativer Kapazitätsmechanismen, 2012, S. 138).

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G. Instrumente zur Gewährleistung von Versorgungssicherheit

So soll nach dem Modell des Bundesverbandes der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW)16 die zentrale öffentliche Ausschreibung für die Kapazitäten von Bestands- aber auch von Neuanlagen gelten (umfassende Reserve).17 Die Berechnung der benötigten Menge an Reservekapazität erfolgt jedes Jahr für einen Zeitraum von fünf Jahren unter Einbeziehung der EU-weit verfügbaren Kapazitäten über einen Monitoringprozess von Seiten der Übertragungsnetzbetreiber und der Bundesnetzagentur.18 Als effektives Auktionsdesign wird Descending Clock Auction (Rückwärtsauktion) eingeschätzt,19 mithin ein mehrstufiges Verfahren, das mit einem hohen Startpreis beginnt. Den Teilnehmern der Auktion obliegt es nunmehr, eine Menge an Kapazitäten für diesen Preis anzubieten. Nachfolgend wird in den weiteren Runden der Kapazitätspreis sukzessive abgesenkt, im Zuge dessen können die Anbieter erneut eine Kapazitätsmenge anbieten. So werden Kapazitätspreis und die Kapazitätsmengen in mehreren Durchgängen sukzessive in ein Mengen- und Preisverhältnis gebracht, bis die anvisierte Zielmenge erreicht ist.20 Unterdessen können die vertraglich für die strategische Reserve gebundenen Kapazitäten im regulären Energiemarkt nicht mehr eingesetzt werden. Dies gilt sowohl im Großhandelsmarkt als auch im Regelenergiemarkt (No way back-Regelung).21 Der Rückgriff auf die Kapazitäten der strategischen Reserve ist nicht nur aus versorgungstechnischen Gründen unentbehrlich, um eine zu geringe, die Versorgungssicherheit gefährdende Kapazitätsmenge am Markt aufzufangen.22 Viel16 Das Modell der strategischen Reserve wurde ausgearbeitet für den deutschen Energiemarkt von der Consentec GmbH im Auftrag des BDEW, woraufhin der BDEW dieses zunächst als Übergangslösung im Rahmen der Diskussion um Kapazitätsmechanismen vorschlug, vgl. Consentec, Praktikabel umsetzbare Ausgestaltung einer strategischen Reserve, 2012. Die Idee wurde in einem Fachdialog mit dem Bundesverband Erneuerbare Energien, dem BMU sowie verschiedenen Wissenschaftlern spezifiziert, vgl. BMU et al., Märkte stärken, Versorgung sichern, 2013. 17 Das Kraftwerk muss bei niedrigen Kosten im Stand-by-Betrieb gehalten und schnell hochgefahren werden können. Alle Kraftwerke, die die technischen Anforderungen eines Reservekraftwerks erfüllen, sollten teilnahmeberechtigt sein, vgl. Böckers et al., Vor- und Nachteile alternativer Kapazitätsmechanismen, 2012, S. 138. 18 Vgl. BMU et al., Märkte stärken, Versorgung sichern, 2013, S. 12. 19 Vgl. Consentec, Praktikabel umsetzbare Ausgestaltung einer strategischen Reserve, 2012, S. 17; BMU et al., Märkte stärken, Versorgung sichern, 2013, S. 11, Fn. 9. 20 Vgl. Elberg et al., Untersuchungen zu einem zukunftsfähigen Strommarktdesign, 2012, S. 57; Consentec, Praktikabel umsetzbare Ausgestaltung einer strategischen Reserve, 2012, S. 17. 21 Vgl. r2b energy consulting GmbH, Endbericht Leitstudie Strommarkt, 2014, S. 93 und 157; Consentec/Frontier economics, Folgenabschätzung Kapazitätsmechanismen, 2014, S. 144. 22 Die Kapazitäten werden – wie bei der bereits im deutschen Strommarkt implementierten strategischen Reserve, gegen ein Entgelt abgerufen, wobei dieser Preis nicht zu niedrig gewählt werden sollte, da sich dann der Anreiz auf die Strategische Reserve verlagern würde, vgl. Süßenbacher et al., Kapazitätsmärkte und -mechanismen im inter-

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mehr ist er auch aus ökonomischen Gründen bedeutsam. Etwa dann, wenn der Preis am Großhandelsmarkt in einer bestimmten Höhe das Signal dafür aussendet, dass die Nachfrage nicht vollständig gedeckt werden kann, mithin ohne Nachfragereduzierung eine Markträumung nicht erfolgen kann.23 Insoweit genügt es, durch den Einsatz von Kapazitäten aus der strategischen Reserve diese Markträumung herbeizuführen. Korrespondierend zu diesem „Einsatzpreis“ 24 kann dies die Wirkung eines künstlichen Price Cap, d. h. einer Preisobergrenze haben,25 die zu einer Stabilisierung und besseren Prognostizierbarkeit des Börsenpreises sowie der Erlöse der Erzeugungsunternehmen führen soll. Den finanziellen Ausgleich für die angebotene Reserveleistung erlangen die Kraftwerksbetreiber in Form eines Leistungspreises (für die Vorhaltung von Energie) und eines Arbeitspreises (bei Einsatz der strategischen Reserve auf Grundlage der tatsächlichen Betriebskosten).26 Infolgedessen werden die durch den Einsatz der Reservekapazitäten entstehenden Kosten, so die Zahlungen an die Kraftwerksbetreiber, auf die Verbraucher umgelegt, etwa durch eine Umlage, die über die Netzentgelte erhoben wird.27 nationalen Kontext, IEWT 2011, S. 8. Dient die strategische Reserve als Backup-System, sollte der Preis gemäß der Theorie des reinen Energiemarktes auf den durchschnittlichen VoLL gesetzt werden (so Süßenbacher, ebenda). Eine Entlohnung auf dem VoLLNiveau bewirkt, dass „in diesen Zeiten absoluter Kapazitätsknappheit das dementsprechende Preisniveau induziert“ wird. Der Einsatzzeitpunkt kann dabei administrativ festgelegt werden. „Das heißt, dem Markt wird unterstellt, die Knappheitssituation nicht adäquat abzubilden“ (siehe Böckers et al., Vor- und Nachteile alternativer Kapazitätsmechanismen, 2012, S. 139). 23 Vgl. Süßenbacher et al., Kapazitätsmärkte und -mechanismen im internationalen Kontext, IEWT 2011, S. 8. 24 Siehe Consentec/Frontier economics, Folgenabschätzung Kapazitätsmechanismen, 2014, S. 126/127 und 144. 25 Vgl. Consentec, Praktikabel umsetzbare Ausgestaltung einer strategischen Reserve, 2012, S. 9. Eine Vergütung in Höhe der Grenzkosten würde einer Kostenregulierung entsprechen und sei damit schwer umzusetzen. Denn dadurch würde für Anbieter in der strategischen Reserve der Anreiz bestehen, höhere (verzerrte) Grenzkosten anzugeben. Daher muss (wie bei der Regelenergie) nicht nur der Leistungs-, sondern auch der Arbeitspreis ein Entscheidungskriterium bei der Auswahl der Reservekapazitäten sein (siehe Böckers et al., Vor- und Nachteile alternativer Kapazitätsmechanismen, 2012, S. 140 mit weiterem Nachweis). „Die (rein technische) Preisobergrenze müsste weiter angehoben werde, so dass Preise in Knappheitssituationen bis zum Durchschnitt des gesamtgesellschaftlichen VoLL ansteigen könnten. Dadurch könnten Spitzenlastkraftwerke ggf. ihre Fixkosten decken, Stromnachfrager hätten den Anreiz, Last abzuwerfen, sodass Knappheitssituationen marktlich abgebildet und gelöst würden.“ (Haucap, Braucht Deutschland einen Kapazitätsmarkt für eine sichere Stromversorgung?, 2013, S. 10). „Die Erzeuger (sind) nicht mehr auf zufällige Preisspitzen angewiesen, um ihre Vollkosten zu erwirtschaften“ (Süßenbacher et al., Kapazitätsmärkte und -mechanismen im internationalen Kontext, IEWT 2011, S. 6). 26 Vgl. BMU et al., Märkte stärken, Versorgung sichern, 2013, S. 12 und 13. 27 Vgl. r2b energy consulting GmbH, Endbericht Leitstudie Strommarkt, 2014, S. 87; BMU et al., Märkte stärken, Versorgung sichern, 2013, S. 13. Wobei hier zu den

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G. Instrumente zur Gewährleistung von Versorgungssicherheit

So wäre in der konkreten Ausgestaltung denkbar, dass die vier Übertragungsnetzbetreiber die Aufgabe des zentralen Koordinators übernehmen und die Verträge über die Reserveleistung mit den jeweiligen Kraftwerksbetreibern abschließen. Hierbei sollten die Übertragungsnetzbetreiber der lückenlosen Kontrolle des Bundeswirtschaftsministeriums und der Bundesnetzagentur unterstehen.28 bb) Zentraler umfassender Kapazitätsmarkt Konträr zum Modell der strategischen Reserve wird bei dem zentralen umfassenden Kapazitätsmarkt der gesamte Strommarkt umstrukturiert, insofern ein zum Terminmarkt komplementärer Markt für Versorgungssicherheitsverträge implementiert wird.29 Hierbei bestimmt ein „Koordinator des Versorgungssicherheitsmarktes“ (KVM) als zentrale Instanz zunächst die benötigte Kapazitätsmenge für einen Zeitraum von fünf bis sieben Jahren und kontrahiert diese Kapazitätsmenge im Rahmen eines Auktionsverfahrens.30 Der Kapazitätsmarkt wird deshalb als umfassend bezeichnet, da an diesem Verfahren grundsätzlich alle Betreiber von Erzeugungsanlagen – mit Ausnahme von Anlagen erneuerbarer Energien – teilnehmen müssen, die in der Lage sind, in Knappheitssituationen31 sicher zur Verfügung stehende Leistung anzubieten.32 Jedoch nehmen die Kraftwerksbetreiber, die ihre KapaziKosten nur der Leistungspreis zählt, da der Arbeitspreis, sofern dieser anfallen sollte, durch die vermehrten Einnahmen am Strommarkt schon mehr als ausgeglichen wird. „Diese höheren Erlöse werden an die ÜNB weitergegeben und senken damit die umzulegenden Kosten der strategischen Reserve“ (ebenda). 28 Vgl. BMU et al., Märkte stärken, Versorgung sichern, 2013, S. 10. 29 Das Energiewirtschaftliche Institut an der Universität zu Köln (EWI) hat im Auftrag des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie (BMWi) das Modell der Versorgungssicherheitsverträge entwickelt, vgl. Elberg et al., Untersuchungen zu einem zukunftsfähigen Strommarktdesign, 2012. Hierin wurden Überlegungen des Konzepts der Reliability Contracts, welche von Cramton/Ockenfels 2011 vorgestellt wurden, übernommen (vgl. ebenda, S. 55, Fn. 49 und Elberg et al., Ein umfassender Kapazitätsmarkt: Ein Markt für Versorgungssicherheitsverträge, in: Agora, Kapazitätsmarkt oder strategische Reserve, 2013, S. 37–50 (38) mit Verweis auf: Cramton/Ockenfels, Economics and Design of Capacity Markets for the Power Sector, in: ZfE, 2012, S. 113–134. 30 Vgl. Consentec/Frontier economics, Folgenabschätzung Kapazitätsmechanismen, 2014, S. 40. Die Auktion soll ebenfalls als Descending-Clock-Auction ablaufen (siehe ebenda, S. 40 und Elberg et al., Untersuchungen zu einem zukunftsfähigen Strommarktdesign, 2012, S. 56 und 57). 31 Knappheitssituationen werden definiert als „Zeiträume, in denen der Spotmarktpreis ein bestimmtes Preisniveau, den Ausübungspreis, übersteigt“, Elberg et al., Untersuchungen zu einem zukunftsfähigen Strommarktdesign, 2012, S. 55. 32 Andernfalls müsste die Anlage stillgelegt werden, vgl. Elberg et al., Untersuchungen zu einem zukunftsfähigen Strommarktdesign, 2012, S. 58. Es findet aber ein „Präqualifikationsprozess“ statt (siehe ebenda, S. 113). Zum Teil wird die verpflichtende Teilnahme auch auf Bestandsanlagen beschränkt, Neuanlagen können hingegen auf „freiwilliger Basis entsprechend ihrer sicher verfügbaren Leistung teilnehmern“ (Consentec/Frontier economics, Folgenabschätzung Kapazitätsmechanismen, 2014, S. 40).

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täten in der Auktion versteigern, zugleich weiterhin an dem regulären Stromgroßhandel teil.33 Die oben genannte zentrale Instanz34 schließt mit denjenigen Kraftwerksbetreibern, die in der Auktion den Zuschlag erhalten haben, einen Versorgungssicherheitsvertrag, der die zwei Komponenten einer Kapazitätsverpflichtung und einer Verfügbarkeitsoption enthält.35 Mithin besteht die Verpflichtung der Betreiber der Kraftwerke, unter Androhung einer Strafzahlung für den Fall der Nichterfüllung, die vereinbarte Kapazitätsmenge für den vertraglich vereinbarten Zeitraum vorzuhalten.36 Zum anderen ist die zentrale Instanz verpflichtet, eine angemessene Kapazitätsprämie zu entrichten.37 Dies kann durch eine potenzielle Verfügbarkeitsoption erweitert werden, insofern es den Anlagenbetreibern obliegt, der zentralen Instanz die Differenz zu zahlen, die entsteht, wenn der aktuelle Spotmarktpreis den vertraglich ausgehandelten Auslösungspreis übersteigt.38 Die finanziellen Leistungen der zentralen Instanz an die Kraftwerksbetreiber dürfen auch hier dem Verbraucher auferlegt werden, etwa in Form einer Umlage durch Erhöhung der Netzentgelte.39 33 Vgl. Consentec/Frontier economics, Folgenabschätzung Kapazitätsmechanismen, 2014, S. 39. 34 In Deutschland könnte dies eine neu zu errichtende behördliche Institution sein, ggf. mit Unterstützung der BNetzA, der Übertragungsnetzbetreiber und der Strombörse, vgl. Elberg et al., Untersuchungen zu einem zukunftsfähigen Strommarktdesign, 2012, S. 113, 130. Die Alternative wäre ein Joint Venture der Übertragungsnetzbetreiber und anderen Erzeugern oder die EEX (siehe Böckers et al., Vor- und Nachteile alternativer Kapazitätsmechanismen, 2012, S. 117). Der KVM ist die „Verrechnungsstelle zwischen Stromerzeugern und Stromlieferanten“ (Elberg et al., Ein umfassender Kapazitätsmarkt: Ein Markt für Versorgungssicherheitsverträge, in: Agora, Kapazitätsmarkt oder strategische Reserve, 2013, S. 37–50 (42, Fn. 10)). 35 Bei der Laufzeit dieser Verträge kann zwischen Alt- und Neuanlagen unterschieden und die Verträge bis zu 15 Jahren (Neuanlagen) abgeschlossen werden, vgl. Elberg et al., Untersuchungen zu einem zukunftsfähigen Strommarktdesign, 2012, S. 58. 36 Vgl. Elberg et al., Untersuchungen zu einem zukunftsfähigen Strommarktdesign, 2012, S. 59. 37 Vgl. Held/Voß, Zentral vs. Nachfrageorientiert – Welches Strommarktdesign ist rechtlich zulässig?, EnWZ 2013, S. 243–248 (244). 38 Vgl. Held/Voß, Zentral vs. Nachfrageorientiert – Welches Strommarktdesign ist rechtlich zulässig?, EnWZ 2013, S. 243–248 (244); Elberg et al., Untersuchungen zu einem zukunftsfähigen Strommarktdesign, 2012, S. 56. „Damit tritt die zentrale Stelle auch als Nachfrager (am Markt) in der Auktion für Versorgungssicherheitsverträge auf“ (Höffler, Zehn Fragen und Antworten zum umfassenden Kapazitätsmarkt in Form von Versorgungssicherheitsverträgen, in: Agora, Strommarktdesign im Vergleich: Ausgestaltungsoptionen eines Kapazitätsmarkts, 2013, S. 5–7 (5)). 39 Vgl. Elberg et al., Untersuchungen zu einem zukunftsfähigen Strommarktdesign, 2012, S. 62. Die zentrale Stelle verrechnet die Zahlungen mit den Kosten, die durch die Kapazitätszahlungen an die Kraftwerksbetreiber entstanden sind, so dass ein evtl. Überschuss an die Lieferanten der Letztverbraucher weitergegeben werden kann (vgl. Elberg et al., Ein umfassender Kapazitätsmarkt: Ein Markt für Versorgungssicherheitsverträge, in: Agora, Kapazitätsmarkt oder strategische Reserve, 2013, S. 37–50 (39 und 43)).

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G. Instrumente zur Gewährleistung von Versorgungssicherheit

cc) Fokussierter Kapazitätsmarkt 2012 wurde im Auftrag der Umweltstiftung WWF Deutschland ein weiteres Modell konzipiert,40 indes einige Parallelen zu dem Modell des umfassenden Kapazitätsmarkts zu erkennen sind. So schreibt auch hier ein zentraler Koordinator41 den Bedarf an Kapazitätsmengen aus, legt dabei auch den Bedarf für notwendige Neubauten fest und schließt einen Vertrag mit den Anlagenbetreibern, die ihre Kapazitäten weiterhin am regulären Stromgroßhandel anbieten können. Jedoch müssen sie Strafzahlungen leisten, wenn sie ihrer Verpflichtung aus dem Vertrag nicht nachkommen.42 Ein relevanter Unterschied zum umfassenden Kapazitätsmechanismus besteht hingegen darin, dass eine Segmentierung in verschiedene Märkte und teilnahmeberechtigte Kraftwerke stattfindet.43 So ist allein den Kraftwerken, die spezielle, zuvor festgelegte Kriterien, wie etwa umwelttechnische Voraussetzungen, Laufzeiten und Einsatzschnelligkeit, erfüllen, gestattet, an den Ausschreibungsverfahren (genauer gesagt an der Auktion für Neubauten sowie an der davon getrennten Auktion für stilllegungsbedrohte Kraftwerke), teilzunehmen. Bei Bestandsanlagen besteht die Relevanz des Nachweises darin, dass in einem zuvor bestimmten Zeitraum weniger als 2.000 Vollaststunden am Strommarkt benötigt wurden, mithin ihnen infolgedessen eine Stilllegung ohne einen solchen Kapazitätsmarkt droht. Andererseits sind sie zugleich aufgrund technologischer Merkmale essenziell für die Versorgungssicherheit.44 So ist der Betreiber von Neuanlagen zur Teilnahme am Kapazitätsmarkt nur dann berechtigt, falls er in der Lage ist, bereits bei Vertragsschluss mit der staatlichen Stelle mittels einer dokumentierten 40 Vgl. Matthes et al., Fokussierte Kapazitätsmärkte, 2012. Die LBD Beratungsgesellschaft mbH empfiehlt einen sogenannten „Langfrist-Termin-Kapazitätsmarktmechanismus“, der selektiv und lokal wirken soll (siehe LBD Beratungsgesellschaft mbH, Energiewirtschaftliche Erfordernisse zur Ausgestaltung des Marktdesigns für einen Kapazitätsmarkt Strom, 2011, insbesondere S. 8 und 71). Das EWI Köln verglich dann in einer Clearing-Studie für das BMWi das Modell des fokussierten Kapazitätsmarkts mit dem eigenen Vorschlag eines umfassenden Kapazitätsmarkts (vgl. Growitsch, ClearingStudie Kapazitätsmärkte, 2013). 41 Im Modell als „zuständige Stelle“ bezeichnet. Ähnlich wie bei einem umfassenden Kapazitätsmarkt könnte dies z. B. ein Zusammenschluss der ÜNB sein. Dieser übernimmt alle regulatorischen Maßnahmen in diesem Modell und unterliegt der Aufsicht z. B. der BNetzA, vgl. Matthes et al., Fokussierte Kapazitätsmärkte. Ein neues Marktdesign für den Übergang zu einem neuen Energiesystem, in: Agora, Kapazitätsmarkt oder strategische Reserve, 2013, S. 51–64 (57). 42 Vgl. Consentec/Frontier economics, Folgenabschätzung Kapazitätsmechanismen, 2014, S. 42. 43 Vgl. Matthes et al., Fokussierte Kapazitätsmärkte. Ein neues Marktdesign für den Übergang zu einem neuen Energiesystem, in: Agora, Kapazitätsmarkt oder strategische Reserve, 2013, S. 51–64 (53 und 54). 44 Vgl. Matthes et al., Fokussierte Kapazitätsmärkte, 2012, S. 23. Dies betrifft „stilllegungsbedrohte“ Erzeugungsanlagen (siehe Consentec/Frontier economics, Folgenabschätzung Kapazitätsmechanismen, 2014, S. 42).

I. Instrumente Strommarkt

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Bestätigung einen Rechtsanspruch auf Errichtung des Kraftwerks auf einem bestimmten Grundstück zu belegen. Hinzu kommt die Beibringung aller öffentlichrechtlichen Genehmigungen.45 Hierdurch soll ein Lock in-Effekt, so die neue Errichtung von CO2-Anlagen, vermieden werden.46 Ein weiteres Charakteristikum dieses Modells besteht darin, dass es auch Kraftwerken aus dem Ausland erlaubt sein muss, an der Auktion der Neuanlagen teilzunehmen und Gebote abzugeben, insofern diese mit der Präqualifikation etwa in Bezug auf Standortbedingungen übereinstimmen.47 Basierend auf diesem Modell wird in der Studie für den Bundesverband Neuer Energieanbieter e.V. (bne),48 demgegenüber empfohlen, gleichermaßen die Ausschreibungen auf Neubauten, auf sogenannte Retrofits49 und auf Demand Side-Maßnahmen zu erweitern sowie den Kapazitätsmarkt über den deutschen Strommarkt hinaus auch auf die Strommärkte der Länder Schweiz, Österreich, Frankreich, Belgien, Niederlande, Italien und Großbritannien zu erstrecken auch um innerhalb dieser Gebiete einen Stromaustausch zu ermöglichen.50 Hinsichtlich der Vergütung für die Kraftwerksbetreiber ist für die auktionierte Kapazitätsmenge ein Einheitspreis vorgesehen, indes mit unterschiedlicher Vertragsdauer für Betreiber von Bestands- und Neuanlagen.51 b) Wettbewerbliche Modelle Die Modelle der wettbewerblich ausgestalteten Kapazitätsmechanismen 52 enthalten als wesentliches Kriterium, dass nicht eine zentrale Stelle den notwendigen Bedarf an gesicherter Kapazität festlegt, sondern der Markt selbst hierfür 45

Vgl. Matthes et al., Fokussierte Kapazitätsmärkte, 2012, S. 59/60. Vgl. Matthes et al., Fokussierte Kapazitätsmärkte. Ein neues Marktdesign für den Übergang zu einem neuen Energiesystem, in: Agora, Kapazitätsmarkt oder strategische Reserve, 2013, S. 51–64 (53). 47 Vgl. Matthes et al., Fokussierte Kapazitätsmärkte, 2012, S. 81. 48 Siehe Achner et al., Kapazitätsmarkt, 2011. 49 Unter Retrofit werden hier Maßnahmen verstanden, die die technische Lebensdauer von Bestandsanlagen verlängern können. Diese seien nach Ansicht der BET GmbH schneller als ein Neubau einer Erzeugungsanlage zu realisieren, vgl. Achner et al., Kapazitätsmarkt, 2011, S. 38. 50 Vgl. Achner et al., Kapazitätsmarkt, 2011, S. 2, 35, 40. 51 Dies wird auch als Uniform-Pricing-Regel bezeichnet. Bei stilllegungsbedrohten Anlagen werden die fixen Betriebskosten veranschlagt, siehe Consentec/Frontier economics, Folgenabschätzung Kapazitätsmechanismen, 2014, S. 43. 52 Ecke et al., Ein zukunftsfähiges Energiemarktdesign für Deutschland, 2013. Dies ist das Modell des BET und enervis im Auftrag des VKU. Siehe auch das GEODE-Modell, vgl. GEODE, Stellungnahme zur Weiterentwicklung des Erneuerbaren EnergienGesetzes und zu der Diskussion um die Einführung eines neuen Strommarktdesigns, 2013; vgl. GEODE, Report Gemeinsamer Strommarkt für Deutschland und Europa, 2015. 46

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G. Instrumente zur Gewährleistung von Versorgungssicherheit

verantwortlich ist. So soll die Menge der benötigten Kapazität, der Preis für die Vorhaltung der Kapazität- und deren Beschaffung dezentral erfolgen. Einer zentralen Stelle soll lediglich die Aufgabe der Vorhaltung einer zusätzlichen „Sicherheitsreserve“ 53 und nur die der Überwachung der Einhaltung der gesetzlichen Regeln obliegen.54 aa) Dezentraler umfassender Leistungsmarkt (Zertifikatenmarkt) Das Modell des dezentralen und umfassenden Leistungsmarktes55 geht von dem Gedanken aus, dass ein effizientes Niveau der Versorgungssicherheit in Form von handelbaren Zertifikaten (Versorgungssicherheitsnachweisen/VSN) in Form von Kilowatt56 erreicht werden kann. Ausgangsbasis ist, dass die Versorgungssicherheit neben dem derzeitigen Energy Only-Market auf einem Leistungsmarkt als Produkt in Gestalt von handelbaren Zertifikaten implementiert und gehandelt wird.57 Zum einen garantieren die Energieerzeuger – sowohl Bestandskraftwerke als auch neue Kraftwerke und lastseitige Maßnahmen sind umfasst58 – mit diesen ausgegebenen Zertifikaten für die Vorhaltung von Kapazität in der angegebenen Höhe.59 Zum anderen wird den Stromverbrauchern (Großkunden, Händlern und Energievertriebe) durch den Kauf dieser Zertifikate in dem Umfang, in dem sie den Strom beziehen möchten, dieser verbindlich hierdurch zugesichert.60 Mithin wird die Versorgungssicherheit als standardisiertes und frei handelbares Produkt mit freier Preisbildung gebildet. Gesicherte Leistung ist somit die (planbare) Option über einen vorab festgelegten Zeitraum auch 53 Ecke et al., Ein zukunftsfähiges Energiemarktdesign für Deutschland, 2013, S. 78, 82, 102. 54 Die Aufsicht könnte etwa die Bundesnetzagentur, ACER und die Markttransparenzstelle übernehmen, siehe BDEW, Ausgestaltung eines dezentralen Leistungsmarktes, 2013, S. 14. 55 Zunächst wurde diese von enervis und BET im Auftrag des Verbandes kommunaler Unternehmen (VKU) in ihrem Gutachten zum integrierten Energiemarktdesign entwickelt, vgl. Ecke et al., Ein zukunftsfähiges Energiemarktdesign für Deutschland, 2013; Ecke et al., Ein Leistungsmarkt mit dezentraler Nachfrage, in: Agora, Kapazitätsmarkt oder strategische Reserve, 2013. Vgl. auch BDEW, Ausgestaltung eines dezentralen Leistungsmarktes, 2013. 56 Vgl. BDEW, Ausgestaltung eines dezentralen Leistungsmarkts, 2013, S. 4. 57 Vgl. Ecke et al., Ein Leistungsmarkt mit dezentraler Nachfrage, in: Agora, Kapazitätsmarkt oder strategische Reserve, 2013, S. 65–76 (69). 58 Vgl. BDEW, Ausgestaltung eines dezentralen Leistungsmarkts, 2013, S. 11. 59 Vgl. Consentec/Frontier economics, Folgenabschätzung Kapazitätsmechanismen, 2014, S. 30. 60 Vgl. ebenda, S. 36. Der Normalfall ist, dass der Stromverbraucher mit gesicherter Leistung versorgt wird, eine gesonderte Beauftragung muss hierfür nicht erfolgen. Die Stromverbraucher können aber den eigenen Bedarf senken und dann weniger Leistungszertifikate erwerben, vgl. Ecke et al., Ein zukunftsfähiges Energiemarktdesign für Deutschland, 2013, S. 88.

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bei Stromknappheit, diesen zur Verfügung zu haben. Diese Verfügbarkeit (A/ MW) wird somit im Ergebnis durch die Leistungszertifikate unabhängig von den eigentlichen Kosten der Stromerzeugung (A/MWh) separiert.61 Um etwaige Prognosefehler der Marktakteure hinsichtlich der Leistungsvorhaltung ausgleichen zu können, wird eine weitere Sicherheitsreserve installiert,62 die abgerufen werden kann, wenn entweder das Angebot nicht vertragsgemäß eingehalten werden kann oder aber der Stromverbrauch der Verbraucher steigt. Von entscheidender Bedeutung bei diesem Modellentwurf ist die Verpflichtung zu hundertprozentiger Direktvermarktung von Strom aus erneuerbaren Energien.63 Hierzu sind auch ausländische Anbieter verpflichtet, für die dieselben Bedingungen gelten, so die „Verfügbarkeit der Anlagen und die Sicherstellung der grenzüberschreitenden Transportkapazität“.64 Auch können die Betreiber der Erzeugungsanlagen wählen, in welchem Land, vorausgesetzt dieses verfügt über einen Kapazitätsmarkt, sie Versorgungssicherheitsnachweise (bis zur Kapazitätsgrenze der Grenzkuppelstellen) anbieten möchten.65 Aufgrund der Komplexität dieses Modells werden die bisherigen Aufgaben der Vertriebsstufe (Beschaffung von Strom und dessen Umstrukturierung in Endprodukte) zusätzlich ausgebaut. Dies geschieht etwa bei der Abwicklung der Leistungszertifikate einschließlich der damit verbundenen Anforderung, die vertraglichen und technischen Voraussetzungen für diese sogenannte gesicherte Leistung zu schaffen.66 Auch soll damit die Kopplung mit Demand Side-Maßnahmen67 realisiert werden. Mithin übt die Vertriebsstufe gleichsam die Funktion einer „Transformationsstufe“ 68 aus. Mittels der Vermarktung der Zertifikate erschließt sich zusätzlich zum Energy Only-Market eine neue Möglichkeit für die Kraftwerksbetreiber Einnahmen zu 61 Vgl. Ecke et al., Ein zukunftsfähiges Energiemarktdesign für Deutschland, 2013, S. 69. 62 Vgl. ebenda, S. 102 ff. Dies könnte z. B. die bereits eingeführte Strategische Reserve sein, die weiter genutzt wird, siehe BDEW, Ausgestaltung eines dezentralen Leistungsmarktes, 2013, S. 16. 63 Vgl. Ecke et al., Ein zukunftsfähiges Energiemarktdesign für Deutschland, 2013, S. 70. 64 Consentec/Frontier economics, Folgenabschätzung Kapazitätsmechanismen, 2014, S. 37/38. 65 Vgl. BDEW, Ausgestaltung eines dezentralen Leistungsmarkts, 2013, S. 7 und 19. 66 Vgl. Ecke et al., Ein zukunftsfähiges Energiemarktdesign für Deutschland, 2013, S. 82. 67 Vgl. Monopolkommission, Energie 2013: Wettbewerb in Zeiten der Energiewende, S.196, Ziff. 388. 68 Ecke et al., Ein Leistungsmarkt mit dezentraler Nachfrage, in: Agora, Kapazitätsmarkt oder strategische Reserve, 2013, S. 65–76 (70).

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erzielen, mit dem Ergebnis einer vollumfänglichen Deckungsmöglichkeit ihrer Kosten.69 Zugleich wird offengelegt, in welchem Umfang die Verbraucher für die gesicherte Leistung gegenüber einer ungesicherten Erzeugung bereit sind zu zahlen.70 Nicht zuletzt ist wichtig für den Anbieter, dass er die gebotene Leistungsvorhaltung mit eigenen Anlagen oder aber über Verträge mit fremden Anlagen absichern kann,71 bevor er als Ausgleich seiner Minderproduktion die (zentrale) Sicherheitsreserve in Anspruch nehmen und die anfallenden Kosten tragen muss (Pönale).72 Ebenso ist der Verbraucher (etwa ein Lieferant) zu einer Strafzahlung verpflichtet, sollte sein Anspruch über die durch Zertifikate erworbene Leistung hinausgehen, zumal diese Zahlung wegen der beabsichtigten Sanktionswirkung über den Marktpreisen der Leistungszertifikate liegen sollte,73 mithin die Motivation, ausreichend Zertifikate zu erwerben, gesteigert werden soll.74 Eine vermittelnde Komponente hat zudem die Funktion der zentralen Stelle, die die Eignung der Anbieter prüft und bejahendenfalls ihnen die Leistungszertifikate kostenfrei ausgibt.75 So soll sie auch den Umfang der „Sicherheitsreserve“ überwachen, etwa bei einem notwendigen Ausgleich von Prognosefehlern der Marktakteure.76 Erfolgsentscheidend für den Leistungsmarkt ist ein hierdurch bestehendes Gleichgewicht zwischen einer von den Verbrauchern gewünschten Nachfrage und einer tatsächlich auf dem Markt vorhandenen, verfügbaren Erzeugungskapazität, die hier wiederum dem Kunden jedenfalls im Rahmen der zuvor erworbenen Leistungszertifikate eine Lieferung verschafft und insoweit die Versorgungssicherheit garantiert.77 Ein weiterer Aspekt ist für die Zukunft einkalkuliert, inso69 Vgl. Ecke et al., Ein zukunftsfähiges Energiemarktdesign für Deutschland, 2013, S. 15. 70 Vgl. ebenda, S. 31, 40, 68. 71 Vgl. BDEW, Ausgestaltung eines dezentralen Leistungsmarkts, 2013, S. 12. 72 Vgl. Ecke et al., Ein zukunftsfähiges Energiemarktdesign für Deutschland, 2013, S. 91, 102/103. 73 Die Pönale sollte der ÜNB erhalten, da er einen erhöhten Regelenergieaufwand hat, wenn der VSN-Anbieter nicht erzeugen kann. Durch die Zahlung der Pönale findet auch ein Ausgleich bei den Netzentgelten statt, so dass der Endkunde niedrigere Netzentgelte zahlen muss, vgl. BDEW, Ausgestaltung eines dezentralen Leistungsmarktes, 2013, S. 13. 74 Vgl. Consentec/Frontier economics, Folgenabschätzung Kapazitätsmechanismen, 2014, S. 36. 75 Vgl. Ecke et al., Ein Leistungsmarkt mit dezentraler Nachfrage, in: Agora, Kapazitätsmarkt oder strategische Reserve, 2013, S. 65–76 (69); Ecke et al., Ein zukunftsfähiges Energiemarktdesign für Deutschland, 2013, S. 111. 76 Vgl. Ecke et al., Ein zukunftsfähiges Energiemarktdesign für Deutschland, 2013, S. 82, 114. 77 Vgl. Ecke et al., Ein Leistungsmarkt mit dezentraler Nachfrage, in: Agora, Kapazitätsmarkt oder strategische Reserve, 2013, S. 65–76 (73).

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fern die Verbraucher Demand Side-Maßnahmen zur Senkung ihres Strombedarfs nutzen werden, falls hierdurch erreicht werden kann, den Erwerb zusätzlicher Leistungszertifikate zu mindern.78 Hervorzuheben ist abschließend noch die angestrebte Direktvermarktung von erneuerbaren Energien mit der Perspektive, dass hiermit die bislang gesetzlich festgelegte Mindestvergütung für die erneuerbaren Energien vollständig negiert und aufgehoben wird. bb) Nachfrageorientierter Kapazitätsmechanismus Zwei weitere Varianten eines dezentralen Kapazitätsmechanismus sind durch GEODE79 und die Technische Universität Berlin80 entwickelt worden, bei denen jeweils durch den Markt selbst das Produkt Leistungsvorhaltung oder Reservekapazität entstehen soll und hierdurch eine Direktvermarktung der Produkte die Nachfrage nach sicherer und einsatzbarer Backup-Kapazität erhöht ist.81 Dies impliziert etwa die Verpflichtung der Nachfrager, sich mit ausreichenden Versorgungssicherheitsnachweisen auszustatten.82 In der ersten Variante sind die Bilanzkreisverantwortlichen Anknüpfungspunkt. So ist es deren Aufgabe, Speicherprodukte flexibel einsetzbare Backup-Kapazität oder Kombi-Produkte (Zusammenschluss von EEG-Anlage und konventioneller Anlage) nachzufragen und Abschaltvereinbarungen mit Betreibern von Erneuerbare-Energien-Anlagen zu schließen. Hinsichtlich der Nachfrageseite könnten etwa unterbrechbare Stromlieferverträge mit Endkunden die Steuerung der Nachfrage optimieren.83 Die zweite Variante sieht vor, einen Kapazitätsmarkt ausschließlich für erneuerbare Energien einzuführen, bei dem alle Anlagenbetreiber verpflichtet sind, ihren 78 Ausführlich zu einer Anpassung des Preismechanismus, bei dem die Preisobergrenze durch den VoLL ersetzt wird „VoLL-Bepreisung“, siehe Böckers et al., Vor- und Nachteile alternativer Kapazitätsmechanismen, 2012, S. 133 ff. Zur Problematik der Bestimmung des VoLL siehe Kapitel D. I. 4. b). 79 Vgl. GEODE, Stellungnahme zur Weiterentwicklung des Erneuerbaren EnergienGesetzes und zu der Diskussion um die Einführung eines neuen Strommarktdesigns, 2013, S. 14 ff.; GEODE, Report Gemeinsamer Strommarkt für Deutschland und Europa, 2015. 80 Erdmann, Kapazitäts-Mechanismus für konventionelle und intermittierende Elektrizität, in: Agora Energiewende, Brauchen wir einen Kapazitätsmarkt?, 2012, S. 5–7. 81 Vgl. GEODE, Stellungnahme zur Weiterentwicklung des Erneuerbaren EnergienGesetzes und zu der Diskussion um die Einführung eines neuen Strommarktdesigns, 2013, S. 15/16; GEODE, Report Gemeinsamer Strommarkt für Deutschland und Europa, 2015, S. 9. 82 Vgl. Held/Voß, Zentral vs. Nachfrageorientiert – Welches Strommarktdesign ist rechtlich zulässig?, EnWZ 2013, S. 243–248 (244). 83 Vgl. GEODE, Report Gemeinsamer Strommarkt für Deutschland und Europa, 2015, S. 11.

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aus erneuerbaren Energien erzeugten Strom direkt zu vermarkten, mithin die vollständige Integration der erneuerbaren Energien in das Marktsystem zu ermöglichen.84 Hintergrund ist die Annahme, dass die in Kapitel D.85 dargestellte staatliche Förderung der erneuerbaren Energien hauptsächlich für das Missing Money-Problem verantwortlich ist. In dieser Modellvariante werden den Anlagenbetreibern selbst die Prognose- und Ausgleichspflichten übertragen, um die Schwankungen bei erneuerbaren Energien auszugleichen. Diese tragen somit auch die wettbewerblichen Risiken. Den Bilanzkreisverantwortlichen würde es dann verstärkt obliegen, neue Kapazitätsprodukte zu beziehen, um auf diese Weise die aus Wind- und Sonne zwangsläufig wechselhaft erzeugten Energien zu kompensieren.86 Vorgesehen ist ferner, bei Verfehlung der Ausbauziele eine gesetzliche Einführung von Zwangsquoten für Strom aus erneuerbaren Energien einzuführen.87 c) Kapazitätsmechanismen als Beihilfengewährung Der Preismechanismus, im Besonderen die Vergütung für die Bereitstellung der gesicherten Leistung bei den staatlichen zentralen Modellen, hat eine wesentliche Bedeutung als energiepolitisches Steuerungselement, insofern hierdurch der Kontext zu einer selektiven Begünstigung nach EU-Beihilfenrecht besteht. Mangels einer eigenen Definition der Beihilfe im AEUV wird hierzu Art. 107 Abs. 1 AEUV herangezogen: „Soweit in den Verträgen nicht etwas anderes bestimmt ist, sind staatliche oder aus staatlichen Mitteln gewährte Beihilfen gleich welcher Art, die durch die Begünstigung bestimmter Unternehmen oder Produktionszweige den Wettbewerb verfälschen oder zu verfälschen drohen, mit dem Binnenmarkt unvereinbar, soweit sie den Handel zwischen den Mitgliedstaaten beeinträchtigen.“ Somit gilt grundsätzlich, dass Beihilfen verhindert und nur ausnahmsweise für zulässig erklärt werden sollen, damit der faire Wettbewerb im europäischen Binnenmarkt gewährleistet wird, mithin aus ökonomischer Sicht jede Beihilfenge84 Vgl. GEODE, Stellungnahme zur Weiterentwicklung des Erneuerbaren-EnergienGesetzes und zu der Diskussion um die Einführung eines neuen Strommarktdesigns, 2013, S. 15/16; Held/Voß, Zentral vs. Nachfrageorientiert – Welches Strommarktdesign ist rechtlich zulässig?, EnWZ 2013, S. 243–248 (244). 85 Kapitel D. II. 1. a). 86 Vgl. GEODE, Stellungnahme zur Weiterentwicklung des Erneuerbaren-EnergienGesetzes und zu der Diskussion um die Einführung eines neuen Strommarktdesigns, 2013, S. 16; Erdmann, Kapazitäts-Mechanismus für konventionelle und intermittierende Elektrizität, in: Agora Energiewende, Brauchen wir einen Kapazitätsmarkt?, 2012, S. 5–7 (7). 87 Die Höhe der „Zwangsquote“ würde § 1 Abs. 2 EEG (i. d. F. von 2012) entsprechen, siehe Erdmann, Kapazitäts-Mechanismus für konventionelle und intermittierende Elektrizität, in: Agora Energiewende, Brauchen wir einen Kapazitätsmarkt?, 2012, S. 5–7 (7).

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währung einen erheblichen Eingriff in den Wettbewerb bedeutet, der einer Rechtfertigung bedarf. So haben sich bei der Konkretisierung der Auslegung, basierend auf der Rechtsprechungspraxis des EuGHs88 und der konkretisierenden Rechtsakte der EU-Kommission89 fünf objektive Kriterien herausgebildet, bei deren kumulativen Vorliegen eine staatliche Maßnahme als Beihilfe zu qualifizieren ist: – Erstens muss die Beihilfe mittelbar oder unmittelbar aus staatlichen Mitteln gewährleistet werden und sie muss dem Staat zuzurechnen sein,90 unterdessen es ausreichend ist, wenn die Vergünstigung durch eine vom Staat benannte oder errichtete öffentliche oder private Einrichtung geleistet wird.91 Folglich werden im weitesten Sinne staatliche Ressourcen transferiert, sobald eine potenzielle Inanspruchnahme den staatlichen Haushalt beeinflussen kann und Mittel für eine eventuelle Zahlungsverpflichtung bereitgehalten werden müssen.92 Hingegen fehlt das Merkmal „staatlich“, wenn die Zahlungen nicht zu Lasten des Staatshaushalts, sondern aus privater Quelle finanziert wurden.93 – Zweitens muss eine Begünstigung gewährt werden für Unternehmen oder Produktionszweige, folglich mehrere Unternehmen oder Branchen, die eine „wirtschaftliche Tätigkeit“ ausüben.94 Unerheblich ist dagegen die Rechtsform des Begünstigten oder ob dieser einen Profit erzielt.95 So können zwar nicht Privatkunden, aber öffentliche Unternehmen Begünstigter der Beihilfe sein.96 Der EuGH legt für eine Begünstigung einen über den der Subvention hinausgehenden Beihilfebegriff zugrunde,97 der sich sowohl auf die Gewährung positiver Leistungen (Zuschüsse) als auch auf alle übrigen Maßnahmen bezieht, 88 Vgl. EuGH, Urteil vom 24. Juli 2003, Rs. C-280/00 (Altmark Trans), Slg. 2003, I-7747, Rn. 75; EuGH, Urteil vom 15. Juli 2004, Rs. C-345/02 (Pearle), Slg. 2004, I-7139, Rn. 33; EuGH, Urteil vom 03. März 2005, Rs. C-172/03 (Heiser), Slg. 2005, I-1627, Rn. 27; EuGH, Urteil vom 18. Februar 2016, Rs. C-446/14 P (Deutschland/ Kommission), EuZW 2016, S. 305–308 (306, Rn. 22). 89 Vgl. EU-Kommission, Bekanntmachung der Kommission zum Begriff der staatlichen Beihilfe im Sinne des Art. 107 Abs. 1 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union, ABl. EU Nr. C 262, S. 1 vom 19. Juli 2016. 90 Vgl. Ziekow, Öffentliches Wirtschaftsrecht, 2016, § 6, Rn. 19 mit weiteren Verweisen. 91 Ruthig/Storr, Öffentliches Wirtschaftsrecht, 2020, Rn. 917 mit Verweis auf EuGH, Urteil vom 07. Mai 1998, Rs. C-52/97 (Viscido), Slg. 1998 I-02629, Rn. 13. 92 Vgl. Ziekow, Öffentliches Wirtschaftsrecht, 2016, § 6, Rn. 19. 93 Vgl. ebenda. 94 Vgl. Ruthig/Storr, Öffentliches Wirtschaftsrecht, 2020, Rn. 907; Ziekow, Öffentliches Wirtschaftsrecht, 2016, § 6, Rn. 32. 95 Vgl. Ruthig/Storr, Öffentliches Wirtschaftsrecht, 2020, Rn. 917. 96 Vgl. ebenda Rn. 926. 97 Vgl. etwa EuGH, Urteil vom 03. März 2005, Rs. C-172/03 (Heiser), Slg. 2005, I-1627, Rn. 36; vgl. hierzu Ziekow, Öffentliches Wirtschaftsrecht, 2016, § 6, Rn. 23 mit weiteren Nachweisen.

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G. Instrumente zur Gewährleistung von Versorgungssicherheit

die die üblicherweise zu tragenden Belastungen eines Unternehmens mindern.98 Demgegenüber besteht bei einer marktgerechten Gegenleistung des Unternehmens keine Begünstigung, so etwa, wenn ein hypothetischer privater Investor den gleichen Gegenwert erbringen würde (Private Investor Test)99, es sei denn, dieser Investor würde den in Rede stehenden wirtschaftlichen Vorteil dem Unternehmen nicht oder allenfalls zu anderen, ungünstigeren Konditionen gewähren.100 – Drittens muss die staatliche Maßnahme selektiv wirken, mithin bestimmte Unternehmen gegenüber anderen begünstigen, die sich untereinander in einer jeweils vergleichbaren Zielsetzung befinden.101 – Viertens muss die staatliche Maßnahme geeignet sein, den Wettbewerb zu verfälschen oder zumindest zu verfälschen drohen, so dass hierdurch die Stellung des Begünstigten auf dem „sachlich und räumlich relevanten Markt“ zulasten anderer Unternehmen, die mit diesem im Wettbewerb stehen, verbessert oder gestärkt wird.102 Nach häufig vertretener Meinung103 genügen bereits die drei zuvor genannten Voraussetzungen, um in den meisten Fällen mindestens eine Bedrohung des funktionierenden Wettbewerbs anzunehmen. – Eng verbunden mit diesem Merkmal ist das fünfte Kriterium, wonach die staatliche Maßnahme den Handel zwischen den Mitgliedstaaten beeinträchtigt, somit als Folge eine Verfälschung des Wettbewerbs auch eine Beeinträchtigung des Handels eintritt. Bei beiden Aspekten wird nicht vorausgesetzt, dass

98 So auch die EU-Kommission, Bekanntmachung der Kommission zum Begriff der staatlichen Beihilfe im Sinne des Art. 107 Abs. 1 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union vom 19. Juli 2016, ABl. EU Nr. C 262, S. 1 vom 19. Juli 2016, Rn. 115. 99 Ruthig/Storr, Öffentliches Wirtschaftsrecht, 2020, Rn. 913 mit weiteren Verweisen. 100 Vgl. EU-Kommission, Bekanntmachung der Kommission zum Begriff der staatlichen Beihilfe im Sinne des Art. 107 Abs. 1 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union vom 19. Juli 2016, ABl. EU Nr. C 262, S. 1 vom 19. Juli 2016, Rn. 74 und 75. 101 Vgl. Cremer, in: Calliess/Ruffert, 2022, Art. 107 AEUV, Rn. 31; der EuGH unterscheidet zudem in seinen neueren Entscheidungen zwischen materieller und geographischer Selektivität, vgl. Ziekow, Öffentliches Wirtschaftsrecht, 2016, § 6, Rn. 35 mit Verweis auf EuGH Urteil vom 15. Juni 2006, Rs.: C 393/04 (Air Liquide), Slg. 2006, I5293, Rn. 31. 102 Vgl. Cremer, in: Calliess/Ruffert, 2022, Art. 107 AEUV, Rn. 35; zur Definition siehe EU-Kommission, Bekanntmachung der Kommission über die Definition des relevanten Marktes im Sinne des Wettbewerbsrechts der Gemeinschaft, ABl. EU Nr. C 372, S. 5 vom 09. Dezember 1997; Ruthig/Storr, Öffentliches Wirtschaftsrecht, 2020, Rn. 930/931; Ziekow, Öffentliches Wirtschaftsrecht, 2016, § 6, Rn. 36 mit weiteren Verweisen. 103 Vgl. Cremer, in: Calliess/Ruffert, 2022, Art. 107 AEUV, Rn. 35 mit weiteren Verweisen.

I. Instrumente Strommarkt

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die Verfälschung und die Beeinträchtigung des Handels innerhalb der Union spürbar oder erheblich sind.104 Eine Besonderheit stellen hierbei die De minimis-Beihilfen dar.105 Diese erfüllen zwar die Voraussetzungen einer Beihilfe. Dennoch sieht die EU-Kommission wegen deren geringen Bedeutung keine Beeinträchtigung des Handels zwischen den Mitgliedstaaten. Vielmehr hat sie diese für mit dem Gemeinsamen Markt vereinbar erklärt, aber sich das Recht vorbehalten, die Durchführung dieser Maßnahme zu kontrollieren.106 Im Hinblick auf die große Bedeutung der Kapazitätsmechanismen entfalten die De minimis-Beihilfen jedenfalls keine Relevanz. Sofern eine staatliche Finanzierungsmaßnahme, etwa ein Fördersystem für Kapazitäten, als Beihilfe eingestuft wird, sind genaue Vorschriften einzuhalten. So ist diese vor der Gewährung gemäß Art. 108 AEUV zu notifizieren und darf erst nach der beihilfenrechtlichen Genehmigung durch die EU-Kommission durchgeführt werden (sogenanntes Durchführungsverbot gemäß Art. 108 Abs. 3 Satz 4 AEUV).107 Bereits im Jahr 2012 zeigte sich die EU-Kommission der Einführung von nationalen Kapazitätsmechanismen skeptisch gegenüber, insbesondere in der Annahme, dass diese in jedem Fall als staatliche Beihilfe einzustufen seien.108 So, wenn schwerpunktmäßig auf eine vollständige Integration der Energienetze und -systeme sowie der Öffnung der Energiemärkte als Voraussetzung für den Übergang zu einer CO2-armen Wirtschaft mit gleichzeitiger Aufrechterhaltung der Energieversorgungssicherheit zu geringstmöglichen Kosten abzustellen sei.109 Im 104

Vgl. Ziekow, Öffentliches Wirtschaftsrecht, 2016, § 6, Rn. 36. Vgl. EU-Kommission, Verordnung (EU) Nr. 1407/2013 vom 18. Dezember 2013 über die Anwendung der Art. 107 und 108 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union auf De minimis-Beihilfen, ABl. EU Nr. L 352, S. 1 vom 24. Dezember 2013 (De minimis-Verordnung). Ergänzend gibt es sektorspezifische De minimis-Verordnungen sowie die De minimis-Verordnung für Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse, EU-Kommission, Verordnung (EU) Nr. 360/2012 vom 25. April 2012 über die Anwendung der Art. 107 und 108 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union auf De minimis-Beihilfen an Unternehmen, die Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse erbringen, ABl. EU Nr. L 114, S. 8 vom 26. April 2012. 106 Siehe hierzu Art. 6 Abs. 5 der De minimis-Verordnung. 107 Im Notifizierungsverfahren überprüft die EU-Kommission, ob es sich um eine unzulässige Beihilfe gemäß Art. 107 Abs. 1 AEUV handelt und hiernach, ob diese ausnahmsweise gemäß Art. 107 Abs. 2 oder Abs. 3 AEUV als mit dem Binnenmarkt vereinbar angesehen und daher freigestellt werden kann. 108 Vgl. EU-Kommission, Mitteilung vom 15. November 2012, Ein funktionierender Energiebinnenmarkt, KOM (2012) 663 endg., S. 18. 109 Bereits in ihrer vorherigen Mitteilung im Jahr 2011 hob die EU-Kommission darauf ab, dass der europäische Binnenmarkt die beste Lösung für eine Dekarbonisierung sei. Es werde eine europäische Strategie verfolgt, um Ineffizienzen von rein nationalparallelen Systemen zu vermeiden, vgl. EU-Kommission, Mitteilung vom 15. Dezember 2011, Energiefahrplan 2050, KOM (2011) 885 endg., S. 4. 105

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G. Instrumente zur Gewährleistung von Versorgungssicherheit

Jahr 2013 veröffentlichte die EU-Kommission erstmalig Merkmale zur Bewertung staatlicher Interventionen in Bezug auf Korrekturen von Marktversagen.110 Hierbei wurde eine Rechtfertigung staatlicher Intervention nur für den Fall einer konkreten Identifikation des Marktversagens bejaht. Des Weiteren wird betont, dass zunächst bereits vorgenommene Interventionen zu einem Marktversagen geführt haben könnten, mithin diese beseitigt werden müssten, bevor eine Einführung von Kapazitätsmechanismen evaluiert werden kann.111 Eine Weiterentwicklung der Voraussetzungen für genehmigungsfähige Kapazitätsmechanismen, die als Beihilfe mit Art. 107 Abs. 3 lit. c) AEUV vereinbar sind, basierte auf den Leitlinien zu Umweltschutz- und Energiebeihilfen 2014– 2020.112 Hierin wird gefordert, dass auch durch den Import von Strom aus Nachbarregionen Abhilfe nicht möglich ist, außerdem eine zeitliche Begrenzung der Förderung, die sich wiederum nicht auf Kraftwerke mit hohem CO2-Ausstoß (etwa Kohlekraftwerke) beziehen darf. Überdies soll sowohl eine stärkere grenzüberschreitende Zusammenarbeit der Übertragungsnetzbetreiber (ENTSO-E) erfolgen. Zudem soll jede auf die Finanzierung einer staatlichen Beihilfe ausgerichtete Abgabe mit Art. 30 (Warenverkehrsfreiheit) und Art. 110 AEUV (inländische Abgaben) im Einklang stehen.113 Die EU-Kommission leitete am 29. April 2015 eine Sektoruntersuchung114 bzgl. elf Mitgliedstaaten (Belgien, Dänemark, Deutschland, Frankreich, Irland, Italien, Kroatien, Polen, Portugal, Schweden und Spanien) zu insgesamt 35 Kapazitätsmechanismen ein, letztlich mit dem Ziel der Feststellung, ob Kapazitätsmechanismen mit den oben genannten Leitlinien für staatliche Umweltschutz- und Energiebeihilfen in Einklang stehen können.

110 Vgl. EU-Kommission, Mitteilung vom 5. November 2013, Vollendung des Elektrizitätsbinnenmarktes und optimale Nutzung staatlicher Interventionen, KOM (2013) 7243 endg., S. 5. 111 Vgl. ebenda, S. 12 ff. 112 EU-Kommission, Mitteilung vom 28. Juni 2014, Leitlinien für staatliche Umweltschutz- und Energiebeihilfen 2014–2020, ABl. EU Nr. C 200, S. 1 vom 28. Juni 2014. Am 21. Dezember 2021 hat die EU-Kommission die neuen Leitlinien für staatliche Klima-, Umweltschutz- und Energiebeihilfen gebilligt (siehe Mitteilung der EU-Kommission, Leitlinien für staatliche Umweltschutz- und Energiebeihilfen 2022, ABl. EU Nr. C/80, S. 1 vom 18. Februar 2022). Leitlinien sind keine verbindlichen Rechtsakte im Sinne des Art. 288 Abs. 1 bis 4 AEUV, sondern eine Art interne Verwaltungsvorschrift der EU-Kommission. 113 Vgl. EU-Kommission, Mitteilung vom 28. Juni 2014, Leitlinien für staatliche Umweltschutz- und Energiebeihilfen 2014–2020, ABl. EU Nr. 200, S. 1 (12, Rn. 29) vom 28. Juni 2014. 114 Vgl. EU-Kommission, Beschluss 29. April 2015, Einleitung einer Untersuchung zu Kapazitätsmechanismen im Stromsektor nach Art. 20a der Verordnung (EG) Nr. 659/1999 des Rates vom 22. März 1999, KOM (2015) 2814 endg.

I. Instrumente Strommarkt

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In dem Abschlussbericht115 zur Sektoruntersuchung zeigte sich die EU-Kommission weiterhin skeptisch gegenüber der Einführung von Kapazitätsmechanismen, insofern als eine Bevorzugung bestimmter Erzeuger oder Technologien, verbunden mit einem Aufbau unnötiger Barrieren für den grenzüberschreitenden Stromfluss, problembildend sei. Wichtig sei daher die Prüfung der Kriterien „Notwendigkeit, Zielgerichtetheit und Kosteneffizienz“, aber auch die Einhaltung der Kriterien für die Anerkennung von Kapazitätsmechanismen entsprechend den Leitlinien für staatliche Umweltschutz- und Energiebeihilfen 2014– 2020. In diesem Zusammenhang übte die EU-Kommission Kritik gegenüber den einzelnen Mitgliedstaaten. Dies geschah unter dem Aspekt, dass die vorgenommenen Prüfungen der Versorgungssicherheit in wirtschaftlicher und technischer Hinsicht, somit die bislang vorgeschlagenen Kapazitätsmechanismen weder auf einem wirtschaftlich gerechtfertigten Ziel der Versorgungssicherheit basierte noch die technische Erforderlichkeit hinreichend geprüft wurde. Hierbei sei erkennbar, dass in vielen Mitgliedstaaten ein Markt- bzw. Regulierungsversagen zwar bestätigt werden könne.116 Deren Beseitigung sei aber nicht allein durch Kapazitätsmechanismen, sondern insbesondere durch gezielte Marktreformen zu beseitigen, wie etwa durch Abschaffung von Preisobergrenzen, eine stärkere Integration von Demand Side-Maßnahmen und auch durch Berücksichtigung eines realen Nutzungsgrades der Netze.117 Immerhin billigte die EU-Kommission später die Förderung derjenigen Kapazitätsmechanismen, die dem Energiebinnenmarkt dienlich sind, im Hinblick darauf, dass anhand eines EU-weiten harmonisierten Rahmens die nationale Energieversorgung und die Fähigkeit zur Nachfragedeckung eingeschätzt werden kann.118 Unbeschadet ihrer Ansicht, dass zwar die perspektivische Gefahr einer unzureichenden Versorgung durch die vorhandenen Erzeugungskapazitäten besteht, sieht die EU-Kommission es als unumgänglich an, weitere Reformen des Strommarktes in den meisten Mitgliedstaaten durchzuführen.119 115 EU-Kommission, Abschlussbericht vom 30. November 2016, Sektoruntersuchung über Kapazitätsmechanismen, SWD (2016) 385. Das Ergebnis zur Sektoruntersuchung ist in Ergänzung des EU-Energiepakets „Saubere Energie für alle Europäer“ am 30. November 2016 KOM (2016) 752 endg. veröffentlicht worden. 116 Ebenda, S. 5, ohne jedoch konkret die Mitgliedstaaten zu benennen, bei denen dies festgestellt wurde. 117 Ebenda, S. 8. Mit anderen Worten: Ein Kapazitätsmechanismus sollte kein Ersatz für Marktreformen sein. 118 Vgl. EU-Kommission, Abschlussbericht vom 30. November 2016, Sektoruntersuchung über Kapazitätsmechanismen, SWD (2016) 385, S. 8 ff. Bislang wurden aber in insgesamt sechs Mitgliedstaaten (Deutschland, Frankreich, Belgien, Polen, Italien, Irland) diese Beihilfen, zum Teil unter bestimmten Bedingungen, genehmigt, siehe hierzu in diesem Kapitel, Abschnitt I., Nr. f). 119 Vgl. EU-Kommission, Abschlussbericht zur Sektoruntersuchung über Kapazitätsmechanismen vom 30. November 2016, COM (2016) 752 final, S. 8 und 21.

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G. Instrumente zur Gewährleistung von Versorgungssicherheit

So seien für effiziente Kapazitätsmechanismen drei Kriterien zu beachten:120 – Erstens käme bei langfristigen Ungleichgewichten bzgl. der Stromerzeugung ein marktweiter Mechanismus, hingegen bei kurzfristigen Problemen ein Übergangsmodell wie die strategische Reserve in Betracht. Für ein nur begrenztes Gebiet könnten Engpässe mithilfe „besserer Stromnetzverbindungen“ 121 sowie einer ausgewogenen geografischen Abgrenzung der Gebotszonen gelöst werden. – Zweitens bedürfe es der Beachtung der Preisgünstigkeit, insofern mit einer Vergütung für die Reservekapazität in einem wettbewerblichen Preisbildungsverfahren mit offenen Teilnahmekriterien, und nicht durch Festsetzung in einem Verwaltungsverfahren, die Gefahr einer zu hohen Vergütung vermieden werden könne. – Drittens solle ein Kapazitätsmechanismus allen Arten von Kapazitätsanbietern, auch ausdrücklich ausländischen Anbietern aus anderen Mitgliedstaaten, zugänglich sein. So können hierdurch Anreize für Investitionen ausgeweitet und die (nationalen) Systemkosten gesenkt werden. Weiterhin besteht neben diesen Vorgaben die Möglichkeit des Rückgriffs auf Art. 106 Abs. 2 AEUV, da hier ein Rechtfertigungsgrund für Maßnahmen zur Sicherung der Versorgung bei öffentlichen Unternehmen besteht. Hiervon wurde jedoch aus rechtspraktischen Erwägungen noch kein Gebrauch gemacht.122 d) Vorgaben der Elektrizitätsverordnung 2019 für Kapazitätsmechanismen In der EU-Verordnung 2019/943 (Elektrizitäts-VO 2019)123 sind die wichtigsten Grundsätze des neu gestalteten Elektrizitätsmarkts festgelegt, die ab dem 01. Januar 2020 gelten.124 Im Zusammenhang mit dieser Verordnung steht die

120 Vgl. EU-Kommission, Abschlussbericht zur Sektoruntersuchung über Kapazitätsmechanismen vom 30. November 2016, COM (2016) 752 final, S. 21–23. 121 Siehe EU-Kommission, Abschlussbericht zur Sektoruntersuchung über Kapazitätsmechanismen vom 30. November 2016, COM (2016) 752 final, S. 15. 122 Vgl. Pompl, Kapazitätssicherung im europäisierten Stromwirtschaftsrecht, 2019, S. 348. Für eine ausführliche Darstellung des Art. 106 AEUV in Bezug auf Kapazitätsmechanismen, vgl. Grotelüschen, Art. 106 Abs. 1 AEUV und die Einführung von Kapazitätsmechanismen im deutschen Strommarkt, 2017. 123 Verordnung (EU) 2019/943 des europäischen Parlaments und des Rates vom 05. Juni 2019 über den Elektrizitätsbinnenmarkt, ABl. EU Nr. L 158, S. 54 vom 14. Juni 2019 (im Folgenden: Elektrizitäts-VO 2019). 124 Sowohl die Richtlinie als auch die Verordnung wurden im Rahmen des EU-Gesetzespakets „Saubere Energie für alle Europäer“ erlassen, Clean Energy for all Europeans, das sogenannte Winterpaket 2016 wird erläutert in der o. g. Mitteilung vom 30. November 2016, Saubere Energie für alle Europäer, KOM (2016) 860 endg.

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Richtlinie 2019/944 (Elektrizitäts-RL 2019),125 die in Art. 8 Vorgaben für ein Genehmigungsverfahren für neue Kapazitäten enthält.126 Die Bedeutung des Art. 8 der Elektrizitäts-RL 2019 dürfte jedoch gering sein, da nunmehr erstmals die Elektrizitäts-VO 2019 EU-weit verbindliche Vorgaben für Kapazitätsmechanismen enthält. Zentrales Anliegen ist hierbei, die bislang bestehenden unterschiedlichen Kapazitätsmechanismen der einzelnen Mitgliedstaaten zu einer einheitlichen Teilhabe und Kooperation zusammenzuführen. Folglich ist hierdurch ein neues Element zur Bewältigung der in der Europäischen Union bestehenden Differenzen bei Binnenmarkt und Umweltrecht installiert worden.127 Im Rahmen dieser Elektrizitäts-VO 2019 wird in Art. 2 Ziff. 22 der Kapazitätsmechanismus nunmehr definiert als „eine vorübergehende Maßnahme zur Erreichung des notwendigen Maßes an Angemessenheit der Ressourcen, in deren Rahmen Ressourcen für ihre Verfügbarkeit vergütet werden, mit Ausnahme von Systemdienstleistungen betreffenden Maßnahmen oder Engpassmanagement“, der gemäß Art. 21 Abs. 1 Elektrizitäts-VO 2019 ausdrücklich nur als „letztes Mittel“ zu implementieren ist. Die Vorgaben für Kapazitätsmechanismen sind in Kapitel 4 (Art. 20 bis 27) der Elektrizitäts-VO 2019 geregelt, allgemeine Grundsätze in Art. 21 Elektrizitäts-VO 2019 und konkrete Gestaltungsgrundsätze in Art. 22 Elektrizitäts-VO 2019. Eindeutige Priorisierung erlangt das Modell der strategischen Reserve, die nach Art. 21 Abs. 4 Elektrizitäts-VO 2019 vorrangig einzusetzen ist. So kann nur bei nicht ausreichender Leistung (aus Sicht des Mitgliedstaates) eine Implementierung anderer Versionen von Kapazitätsmechanismen, gestattet werden. Dies stellt die Mitgliedstaaten vor diverse Herausforderungen, insofern es ihnen obliegt, einleitend bestehende Marktversagensgründe aufzudecken, eine in Bezug auf die Angemessenheit der Ressourcen konkrete Abschätzung vorzunehmen128 und auch einen sogenannten Zuverlässigkeitsstandard zu erfüllen.129 Wei125 Richtlinie (EU) 2019/944 des europäischen Parlaments und des Rates vom 05. Juni 2019 mit gemeinsamen Vorschriften für den Elektrizitätsbinnenmarkt und zur Änderung der Richtlinie 2012/27/EU, ABl. EU Nr. L 158, S. 125 vom 14. Juni 2019. 126 Zuvor waren die Vorgaben für ein Genehmigungsverfahren in Art. 7 der Elektrizitätsbinnenmarktrichtlinie 2009/72/EG (EltRl) vom 13. Juli 2009, ABl. EU Nr. L 211, S. 55 vom 14. August 2009, geregelt, die für die rechtliche Bewertung von Kapazitätsmechanismen herangezogen wurden, vgl. etwa Däuper/Voß, Rechtliche Ausgestaltungsmöglichkeiten von Kapazitätsmechanismen auf dem Stromerzeugungsmarkt, ZNER 2012, S. 119–123 (120 ff.). Die Vorschrift des Art. 8 der o. g. Elektrizitätsbinnenmarktrichtlinie 2009 zur „Ausschreibung neuer Kapazitäten“ ist hingegen entfallen. 127 Vgl. Gundel, in: Theobald/Kühling, Energierecht, 2022, Europäisches Energierecht, Rn. 73 und 73b. 128 Die Vorgaben zu einer Abschätzung der Angemessenheit auf nationaler Ebene sind in Art. 24 Elektrizitäts-VO 2019 geregelt; die Vorgaben für die Abschätzung der Angemessenheit der Ressourcen auf europäischer Ebene, die jährlich durch ENTSO

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terhin besteht die Pflicht des Mitgliedstaats im Rahmen des beihilferechtlichen Genehmigungsverfahrens einen sogenannten Umsetzungsplan inklusive eines Zeitplans zu erstellen. Die Auflage ist hierbei, Maßnahmen zur Beseitigung dieses Marktversagens unter Berücksichtigung der in Art. 20 Abs. 3a bis g Elektrizitäts-VO 2019 genannten Kriterien zu entwickeln und sodann zu veröffentlichen. Erst nach Stellungnahme der EU-Kommission130 hierzu und nach Durchführung einer umfassenden Studie durch die Mitgliedstaaten zu möglichen Auswirkungen dieser Mechanismen, auch auf die Nachbarstaaten, sowie anschließender Unbedenklichkeit bei der Abschätzung der Angemessenheit der Ressourcen, kann ein Kapazitätsmarkt gebilligt und eingeführt werden. Von Relevanz ist ferner die zeitliche Begrenzung auf die Höchstdauer von zehn Jahren131 und außerdem die Anordnung, dass der Kapazitätsmechanismus nur für die Dauer einer unzureichenden Angemessenheit der Ressourcen implementiert wird. Unter diesen Voraussetzungen dürfen neue Verträge mit Kapazitätsanbietern geschlossen werden. Sobald etwa in drei aufeinanderfolgenden Jahren keine neuen Vertragsabschlüsse getätigt werden, ist der Kapazitätsmechanismus abzuschaffen.132 Darüber hinaus sind zur Förderung umweltschonender Kraftwerke in Art. 22 Abs. 4 Elektrizitäts-VO 2019 exakte CO2-Emissionsgrenzwerte vorgeschrieben, folglich sind CO2-intensive Kraftwerke von Kapazitätsmechanismen ausgeschlossen.133 e) Umsetzung in Deutschland Die nach dem ursprünglichen Art. 8 der Richtlinie 2009/72/EG postulierten Forderungen sind als höherrangiges Recht in nationales Recht, und zwar in § 53 EnWG umgesetzt worden.134 Hiernach konnte die Bundesregierung, sofern neue (Strom) erfolgt, sind in in Art. 23 Elektrizitäts-VO 2019 geregelt. Nach § 63 Abs. 2 Satz 2 EnWG hat das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie einmalig zum 31. Oktober 2020 einen solchen Bericht zu veröffentlichen. 129 Dieser Zuverlässigkeitsstandard ist in Art. 25 Elektrizitäts-VO 2019 geregelt. 130 Vgl. Art. 21 Abs. 5 Elektrizitäts-VO 2019. 131 Vgl. Art. 21 Abs. 8 Elektrizitäts-VO 2019. 132 Vgl. Art. 21 Abs. 6 und 7 Elektrizitäts-VO 2019. 133 So dürfen neue Kraftwerke und fünf Jahre nach 2025 alle Anlagen nur Zahlungen erhalten, die weniger als 550 Gramm CO2-Ausstoß pro kWh aufweisen. Vgl. auch den Erwägungsgrund Nr. 4 der Elektrizitäts-VO 2019. Siehe hierzu Goldberg, in: Greb/ Boewe, BeckOK EEG, EEG 2017 Vorbemerkungen, Rn. 82. Bedenken werden aber insofern geäußert, dass es, zumindest bis zu Beginn des Jahres 2026 möglich ist, bestehende Kohlekraftwerke mit Kapazitätszahlungen zu fördern (vgl. ebenda Rn. 83). 134 Hierbei ist rechtlich umstritten, ob in § 53 EnWG eine vollständige Umsetzung des Art. 8 der Elektrizitäts-RL 2009 stattgefunden hatte, obwohl dies in der Gesetzesbegründung bejaht wird, vgl. Begründung der Bundesregierung zu § 53, Bundestag, Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Neuregelung des Energiewirtschaftsrechts, Drs. 15/ 3917 vom 14. Oktober 2004, S. 68, bezogen auf die Art. 6 u. 7 der vorherigen Richtlinie 2003/54/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2003 über gemeinsame Vorschriften für den Elektrizitätsmarkt und zur Aufhebung der Richtlinie 96/92/EG, ABl. EU Nr. L 176 vom 15. Juli 2003. Allerdings enthält § 53 EnWG keine

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Erzeugungskapazitäten erforderlich sind, etwa ein Ausschreibungsverfahren unter Einhaltung der geforderten Kriterien durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates vornehmen. Art. 8 wurde zwar auch in der Elektrizitäts-RL 2019135 übernommen, eine praktische Umsetzung ist indes noch nicht erfolgt.136 So enthält § 53 EnWG selbst keine Vorgaben, denen etwa hinsichtlich Transparenz und Diskriminierungsfreiheit bei Kapazitätsmechanismen besondere Relevanz zukommt.137 Andererseits ist die Vorschrift insofern noch von Bedeutung, da sich im Wege der Auslegung der Bezeichnung „Ausschreibung“ 138 ergibt, dass auch „die Bundesrepublik selbst als Auftraggeberin verfahrensbeteiligt ist“, womit der „wettbewerblichen Vergabe von Leistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse gemäß Art. 106 Abs. 2 AEUV vorbildlich Rechnung getragen werden könnte“.139 Nach einhelliger Meinung hätten aber weder die Kapazitäts- und Klimareserveverordnung noch die Reservekraftwerksverordnung auf § 53 EnWG gestützt werden können, insofern die Netzreserve, wie im Folgenden ausgeführt wird, aus bereits vorhandenen Erzeugungskapazitäten besteht140 und eine konkrete Gefährdungslage notwendig ist.141 So wurden durch das Strommarktgesetz142 die bereits zuvor auf vertraglicher Ebene bestehende Netzreserve und die neu geschaffene Kapazitätsreserve innerRegelung eines speziellen (objektiven, transparenten und diskriminierungsfreien) Genehmigungsverfahrens (vgl. Däuper, in: Theobald/Kühling, Energierecht, 2022, § 53, Rn. 2). Auch besteht das Problem, ob ausschließlich auf der Grundlage einer Verordnung mit dem Ziel einer Ausschreibung von Kapazitäten bereits eine ausreichende Rechtsgrundlage für den Erlass einer Kapazitätsreserve angesehen werden kann (vgl. ebenda, § 53, Rn. 4). 135 Zuvor waren diese Regelungen in Art. 7 und 8 der Richtlinie 2009/72/EG (EltRl) vom 13. Juli 2009, ABl. EU Nr. L 211, S. 55 vom 14. August 2009, enthalten. 136 Bezogen auf die Umsetzung in § 53 EnWG vgl. Däuper, in: Theobald/Kühling, Energierecht, 2022, § 53, Rn. 3; Däuper/Voß, Rechtliche Ausgestaltungsmöglichkeiten von Kapazitätsmechanismen auf dem Stromerzeugungsmarkt, ZNER 2012, S. 119–123 (121). 137 Vgl. Bourwieg, in: Britz et al., Energiewirtschaftsrecht, 2015, § 53 EnWG, Rn. 8. 138 Etwa anstelle von „Vergabe“, wie in den §§ 97 ff. GWB und § 61 TKG. Diese Ansicht vertritt Görisch, in: Kment, Energiewirtschaftsgesetz, 2019 § 53, Rn. 4 mit Verweis auf die entsprechende Begriffsverwendung in §§ 30 HGrG, 55 BHO sowie auf die Formulierung in Art. 8 Abs. 3, UAbs. 3 Elektrizitätsrichtlinie 2009: „Auftragsvergabe“. 139 Siehe Görisch, in: Kment, Energiewirtschaftsgesetz, 2019 § 53, Rn. 4. 140 Vgl. Däuper, in: Theobald/Kühling, Energierecht, 2022, § 53, Rn. 5. 141 Vgl. Görisch, in: Kment, Energiewirtschaftsgesetz, 2019 § 53, Rn. 1; Preuß, Die Vereinbarkeit von Kapazitätsmechanismen mit der Warenverkehrsfreiheit, dem europäischen Beihilfenrecht und dem Energiebinnenmarkt, 2017, S. 145. Daher diente § 13b Abs. 1 Nr. 2 EnWG als Grundlage für die Reservekraftverordnung. 142 Gesetz zur Weiterentwicklung des Strommarktes (Strommarktgesetz) vom 26. Juli 2016, BGBl. I, 2016, S. 1786.

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halb der Systemverantwortung des Übertragungsnetzbetreibers als zusätzliche Reserven im Sinne des § 13 Abs. 1 Nr. 3 EnWG festgelegt.143 Die Kapazitätsreserve soll – wie die Regelenergie – erst nach Abschluss aller Marktgeschäfte aktiviert werden.144 Weiterhin wurde als ein zusätzliches Notfallinstrument eine Sicherheitsbereitschaft für Braunkohlekraftwerke eingeführt, die allerdings hauptsächlich dem Klimaziel aus § 1 Abs. 1 EnWG dienen soll, indem sämtliche Braunkohlekraftwerke stillgelegt und langfristig aus dem Energiemarkt genommen werden sollen. aa) Netzreserve Die Netzreserve ist in § 13d Abs. 1 EnWG definiert und dient als zusätzliches Instrument145 im Rahmen des Redispatch der Gewährleistung des Elektrizitätsversorgungssystems bei Engpässen.146 Sie agiert nunmehr anstelle der zuvor bestehenden „Winterreserve“, die erstmalig von der Bundesnetzagentur zur Überbrückung möglicher Engpässe – vor allem in Süddeutschland – Ende 2011/2012 implementiert wurde.147 Hierbei werden die Übertragungsnetzbetreiber verpflichtet, Anlagen selbst vorzuhalten, um Netzengpässe zu überwinden und auf diese Weise die Netzspannung wieder aufbauen zu können. Außerdem werden auch die

143 Bundestag, Begründung zum Strommarktgesetz vom 20. Januar 2016, BT-Drs. 18/7317, S. 58 und 80. 144 Siehe § 24 KapResV; vgl. BMWi, Ein Strommarkt für die Energiewende (Weißbuch), 2015, S. 81; BMWi, Ein Strommarkt für die Energiewende (Grünbuch), 2014, S. 52. 145 Vgl. Monopolkommission, Energie 2013: Wettbewerb in Zeiten der Energiewende, S. 204, Ziff. 403. 146 Vgl. Ruttloff/Strauch, Besondere netztechnische Betriebsmittel nach § 11 Abs. 3 EnWG, EnWZ 2018, S. 247–254 (252). 147 Zur Überbrückung möglicher Engpässe hatte die BNetzA Ende 2011/2012 erstmals eine „Winterreserve“ eingeführt aufgrund der kritischen Lage der Systemsicherheit in Süddeutschland, vgl. BNetzA, Bericht zum Zustand der leitungsgebundenen Energieversorgung im Winter 2011/12, S. 14 und 42; in Abstimmung mit der BNetzA schlossen Übertragungsnetzbetreiber mit Kraftwerksbetreibern individuell Verträge über Reservekraftwerkskapazitäten (in Höhe von 2 GW). Auf Grundlage des damaligen § 13b Abs. 1 und 2 EnWG, der durch Art. 1 Nr. 10 des Gesetzes vom 20. Dezember 2012 (vgl. Drittes Gesetz zur Neuregelung energiewirtschaftlicher Vorschriften vom 20. Dezember 2012, BGBl. I, S. 2730) eingefügt worden war, wurde die bis zum 31. Dezember 2017 befristete Reservekraftwerksverordnung (ResKV) erlassen, vgl. Verordnung zur Regelung des Verfahrens der Beschaffung einer Netzreserve sowie zur Regelung des Umgangs mit geplanten Stilllegungen von Energieerzeugungsanlagen zur Gewährleistung der Sicherheit und Zuverlässigkeit des Elektrizitätsversorgungssystems vom 27. Juni 2013, BGBl. I, S. 1947. Sie wurde mit dem Strommarktgesetz in „Netzreserveverordnung“ unter gleichzeitiger Aufhebung ihrer Befristung umbenannt in „Verordnung zur Regelung der Beschaffung und Vorhaltung von Anlagen in der Netzreserve (NetzResV) vom 27. Juni 2013, BGBl. I, S. 1947, die zuletzt durch Art. 4 des Gesetzes vom 22. Dezember 2016, BGBl. I, S. 3106, geändert worden ist.

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Betreiber von Anlagen angewiesen, etwaige geplante Stilllegungen dem Übertragungsnetzbetreiber und der Bundesnetzagentur zwölf Monate zuvor anzuzeigen (vgl. § 13b Abs. 1 EnWG). Dies gibt dem Übertragungsnetzbetreiber die Möglichkeit, die Fortführung des Betriebs der Anlage anzuordnen, sofern seiner Ansicht nach andernfalls die Versorgungssicherheit gefährdet wäre. Ein als systemrelevant eingestuftes Kraftwerk mit mehr als 10 MW wird dann Teil der Netzreserve. Das zeitliche Konzept sieht vor, dass die Übertragungsnetzbetreiber für den von ihnen gemeinsam durch Übernahme der jährlichen Systemanalyse ermittelten konkreten Bedarf (§ 3 Abs. 2 NetzResV) in Abstimmung mit und nach Bestätigung durch die Bundesnetzagentur ein sogenanntes „Interessenbekundungsverfahren“ gemäß § 4 NetzResV durchführen. Hierdurch werden die zuvor ermittelten Anforderungen veröffentlicht,148 sodann können die Übertragungsnetzbetreiber mit den interessierten Anlagenbetreibern bis spätestens zum 15. September des Jahres einen Vertrag über die Nutzung der Anlage für die Netzreserve schließen.149 Der Bedarf an Kapazität in der Netzreserve wird gemäß § 3 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 NetzResV von der Bundesnetzagentur jährlich geschätzt,150 wobei sich dieser Bedarf in den letzten Jahren von etwa 3.000 MW für den Winter 2014/ 2015 auf zuletzt 6.500 MW für den Winter 2020/2021 mehr als verdoppelt hat.151 Grundsätzlich zulässig ist auch ein Vertragsabschluss mit ausländischen Kraftwerken aus dem europäischen Energiebinnenmarkt und der Schweiz, unter der 148 Die Anlage muss die Voraussetzungen des § 5 Abs. 2 NetzResV erfüllen, d.h. insbesondere systemrelevant i. S. d. § 13b Abs. 2 Satz 2 EnWG sein. Dies ist der Fall, „wenn ihre Stilllegung mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu einer nicht unerheblichen Gefährdung oder Störung der Sicherheit oder Zuverlässigkeit des Elektrizitätsversorgungssystems führen würde und diese Gefährdung oder Störung nicht durch andere angemessene Maßnahmen beseitigt werden kann.“ 149 Gemäß § 4 Abs. 3 NetzResV bis zum 15. September eines Jahres für das kommende bzw. bis zum 15. Dezember für das übernächste Winterhalbjahr. Die Vertragsdauer kann gemäß § 5 Abs. 1 Satz 3 NetzResV bis zu 24 Monaten, in begründeten Fällen auch länger betragen. 150 Diese Schätzung soll bis zum Abschluss wichtiger Netzausbauvorhaben gelten. Daher wurde auch die Befristung der bisherigen Netzreserve zum 31. Dezember 2017 aufgehoben und die Verordnung gem. Art. 6 des Strommarktgesetzes verlängert. Nach § 63 Abs. 2a Satz 2 EnWG evaluiert das BMWi bis zum 31. Dezember 2022, ob eine Fortgeltung der Regelungen nach Satz 1 und der Netzreserveverordnung über den 31. Dezember 2023 hinaus zur Gewährleistung der Versorgungssicherheit notwendig ist. 151 Die Leistung der Netzreserve 2014/2015 betrug 3.024 MW für den Winter 2014/ 2015 und 6.596 MW für den Winter 2020/2021, vgl. BNetzA, Bericht Feststellung des Bedarfs an Netzreserve für den Winter 2020/2021 sowie das Jahr 2023/2024, 2021, S. 13; für den Winter 2021/2022 wird ein Bedarf in Höhe von 5.670 MW festgestellt, vgl. ebenda, S. 3. Vgl. zu den Kosten in Höhe von 198,7 Mio. Euro für die Netzreserve im Jahr 2019 Kapitel E. I. 5. b).

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G. Instrumente zur Gewährleistung von Versorgungssicherheit

Voraussetzung einer vergleichbaren technischen Eignung bezüglich Technik, Sicherheit und Preisgünstigkeit.152 Bei der Realisierung dieses Ablaufplans kommt dem Übertragungsnetzbetreiber eine entscheidende operative Rolle zu, wohingegen die Bundesnetzagentur lediglich eine Kontroll- und Überwachungsfunktion innehat. Als Ausgleich dafür, dass die Anlagenbetreiber unrentable Kraftwerke am Markt behalten, erhalten diese eine „angemessene Vergütung“ gemäß § 6 NetzResV, die die Kosten der Inbetriebhaltung umfasst, jedoch nicht die Kosten, die auch im Fall einer Stilllegung angefallen wären.153 Von großer Relevanz bei der Vorhaltung unrentabler Kraftwerke am Markt ist zunächst die vertragliche Verpflichtung derjenigen teilnehmenden Anlagenbetreiber, dass sie das entsprechende Kraftwerk bis zur endgültigen Stilllegung nicht mehr im Strommarkt einsetzen dürfen (No way back-Regelung154). Hingegen hat der Betreiber einer nur vorläufig stillgelegten und systemrelevanten Anlage eine Wartefrist von nunmehr 24 Monaten.155 Wird die Anlage hiernach wieder am Strommarkt eingesetzt, „muss der Restwert der investierten Vorteile der Betriebsbereitschaftsauslagen zurückerstattet werden“,156 um zu verhindern, dass es zu Wettbewerbsverzerrungen kommt.157 Die Netzreserve ist inzwischen durch die EU-Kommisson beihilferechtlich genehmigt worden.158 bb) Kapazitätsreserve Die in § 13e EnWG159 eingeführte unbefristete160 Kapazitätsreserve, deren Vorhaltung den Übertragungsnetzbetreibern obliegt, dient im Fall einer Gefähr152

Vgl. § 5 Abs. 1 Satz 2 und § 5 Abs. 3 NetzResV. Vgl. § 6 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 NetzResV. 154 Vgl. Consentec, Praktikabel umsetzbare Ausgestaltung einer Strategischen Reserve, 2013, S. 13; vgl. § 5 Abs. 2 Nr. 2 NetzResV. 155 Vgl. § 13b Abs. 4 Satz 3 EnWG. 156 Laux, Die Notwendigkeit einer Kapazitätsreserve zur Gewährleistung der Versorgungssicherheit sowie deren europa- und verfassungsrechtliche Zulässigkeit, 2016, S. 84. 157 Auf diese Weise soll auch sichergestellt werden, dass nur die Kraftwerke gefördert werden, die ohne einen Beistand des Staates dem Markt abhandenkommen würden, vgl. Consentec, Praktikabel umsetzbare Ausgestaltung einer Strategischen Reserve, 2013, S. 13. 158 Vgl. EU-Kommission, Beschluss vom 20. Dezember 2016, C (2016) 8742 endg., Staatliche Beihilfe, SA. 42955 (2016/N-2) – Deutschland (Netzreserve). 159 Verordnung zur Regelung des Verfahrens der Beschaffung, des Einsatzes und der Abrechnung einer Kapazitätsreserve (Kapazitätsreservekraftverordnung – KapResV) vom 28. Januar 2019, BGBl. I, S. 56, durch Art. 1 der Verordnung vom 16. Oktober 2020, BGBl. I, S. 2202 geändert. § 13h EnWG beinhaltet die Verordnungsermächtigung zum Erlass einer Kapazitätsreservekraftverordnung. 160 Die Geltung dieser Kapazitätsreserve wurde nicht befristet, um die Stromversorgung auch nach dem endgültigen Ausstieg aus der Kernenergie und nach erfolgter 153

I. Instrumente Strommarkt

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dung oder Störung der Sicherheit oder Versorgungszuverlässigkeit des Elektrizitätsversorgungssystems dem Ausgleich der Leistungsbilanzdefizite, insofern die Steuerung von Angebot (Stromeinspeisung) und Nachfrage (Stromentnahme), über den regulären Markt nicht mehr erreichbar ist.161 Die Konstituierung der Kapazitätsreserve wird mittels Ausschreibung von den Übertragungsnetzbetreibern bewerkstelligt.162 Aus diesem Ausschreibungsverfahren ist sodann die Höhe der Vergütung der Kraftwerksbetreiber ersichtlich. Von grundlegender Bedeutung ist hierbei, dass der Umfang der Einspeisungen bei Einsatz der Reserve in einer Notfallsituation nicht vorhersehbar ist, so dass die Kostenanteile für den Übertragungsnetzbetreiber nicht beeinflussbar sind und von daher auch nicht der Anreizregulierung unterfallen. Infolgedessen kann der Netzbetreiber die tatsächlich entstandenen Kosten unter Abzug der Erlöse auf die Netzentgelte aufschlagen.163 Somit gilt, dass bei Einsatz der Reserve in einer Notfallsituation die Kosten nach Maßgabe des sogenannten Verursacherprinzips auf diejenigen Stromlieferanten, die ihre Lieferpflichten nicht im gebotenen Umfang erfüllen und dadurch den Einsatz mit verursacht hatten, entsprechend ihrem Anteil die Gesamtkosten der Reserve finanzieren müssen. Die Kraftwerksbetreiber erhalten dann die Kosten der konkreten Einspeisung der Strommenge erstattet.164 Weiterhin unterliegen die an der Kapazitätsreserve teilnehmenden Kraftwerke dem Rückkehrverbot in den Markt und dem Vermarktungsverbot, insofern die Betreiber die Kapazitäten nicht außerhalb der Reserve anbieten dürfen, zudem sie nach Ablauf des Einsatzes in der Reserve zur Stilllegung der Kraftwerke verpflichtet sind.165 Auch ist es nach § 13d Abs. 2 Satz 1 EnWG Anlagen, die bereits Teil der Netzreserve sind, gestattet, an dem Beschaffungsverfahren für die Kapazitätsreserve teilzunehmen, unterdessen diese beiden Reserven aufeinander abzustimmen sind.166

Marktbereinigung durch den Abbau bestehender Überkapazitäten abzusichern, vgl. Bundestag, Begründung zum Strommarktgesetz vom 20. Januar 2016, BT-Drs. 18/7317, S. 74. 161 Vgl. Ruttloff/Strauch, Besondere netztechnische Betriebsmittel nach § 11 Abs. 3 EnWG, EnWZ 2018, S. 247–254 (250); Stelter/Ipsen, Das Gesetz zur Weiterentwicklung des Strommarktes (Strommarktgesetz), EnWZ 2016, S. 483–488 (486). 162 Vgl. § 13e Abs. 2 EnWG, § 6 der Kapazitätsreservekraftverordnung. 163 Vgl. Stelter/Ipsen, Das Gesetz zur Weiterentwicklung des Strommarktes (Strommarktgesetz), EnWZ 2016, S. 483–488 (486). 164 Vgl. § 19 KapResV. 165 Vgl. § 3 Abs. 2 Satz 1 KapResV. 166 Vgl. hierzu § 20 KapResV.

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G. Instrumente zur Gewährleistung von Versorgungssicherheit

De facto ist somit diese Kapazitätsreserve im Sinne eines Modells einer strategischen Reserve zur Sicherung des Strommarktes umgesetzt worden,167 sowie von der Europäischen Kommission mit Beschluss vom 07. Februar 2018 beihilferechtlich genehmigt worden.168 Entsprechend dieser Vorgaben sind für die Kapazitätsreserve drei Erbringungszeiträume von jeweils zwei Jahren ab dem 01. Oktober 2019 bis zum Jahr 2025 vorgesehen,169 mit einer Bewertungsanalyse jeweils nach Ablauf von zwei Jahren, im Zuge dessen bei der beschafften Menge Marktentwicklungen berücksichtigt werden können. Im oben genannten Beschluss vom 07. Februar 2018 wird ausdrücklich hervorgehoben, dass zum einen der Mechanismus erst nach Ausschöpfung aller marktbasierten Lösungen für Knappheitsprobleme genutzt wird und zum anderen für die Teilnahme der Anbieter von Reservekapazitäten die gleichen Vorbedingungen gelten, mithin eine Wettbewerbsverzerrung nicht besteht.170 cc) Sicherheitsbereitschaft Im Gegensatz zu den beiden vorgenannten Instrumenten hat die Sicherheitsbereitschaft gemäß § 13g EnWG nicht die Qualifikation einer zusätzlichen Reserve im Sinne des § 13 Abs. 1 Nr. 3 EnWG, insofern diese Reserve nur als sogenannte Ultima ratio der Stromversorgung – und zwar im Rahmen der Elektrizitätssicherungsverordnung (EltSV)171 – in Anspruch genommen werden kann. Mithin muss sie das unbedingt erforderliche (letzte) Mittel sein, um eine Gefährdung oder Störung des Elektrizitätsversorgungssystems zu beseitigen und den lebens167 Dies entspricht auch der konkreten Empfehlung der Monopolkommission, die eine „kleine strategische Kapazitätsreserve“ befristet auf 10 Jahre empfiehlt und „bei einer tatsächlich zu beobachtenden Fehlfunktion des Strommarktes, die sich in einer Inanspruchnahme der Reserve zeigen würde“, die Schaffung eines „umfassenden Kapazitätsmarkts“, siehe Monopolkommission, Energie 2015: Ein wettbewerbliches Marktdesign für die Energiewende, S.173. 168 Vgl. EU-Kommission, Beschluss vom 07. Februar 2018 über die Beihilferegelung, SA. 45852 – 2017/C (ex 2017/N) Deutschlands zur Errichtung einer Kapazitätsreserve, C 2018, 612 endg. Im Rahmen des Prüfverfahrens mussten jedoch Anpassungen des Modells vorgenommen werden. Dies betraf die Methode der Berechnung der Erforderlichkeit und die Größe der Kapazitätsreserve, die auf 2 GW begrenzt wurde. Weiterhin wurden die Voraussetzungen für die Teilnahme von Anbietern regelbarer Lasten geschaffen. 169 Siehe in diesem Kapitel unter I. 1. c) die beihilferechtliche Bewertung der Europäischen Kommission. 170 Vgl. EU-Kommission, Beschluss vom 07. Februar 2018 über die Beihilferegelung, SA. 45852 – 2017/C (ex 2017/N) Deutschlands zur Errichtung einer Kapazitätsreserve, C 2018, 612 endg., Ziff. 74 und 136. 171 Verordnung zur Sicherung der Elektrizitätsversorgung in einer Versorgungskrise (Elektrizitätssicherungsverordnung – EltSV) vom 26. April 1982, BGBl. I, S. 514, die zuletzt durch Art. 7 des Gesetzes vom 26. Juli 2016, BGBl. I, S. 1786, geändert worden ist.

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wichtigen Bedarf an Elektrizität zu decken (§ 13g Abs. 2 EnWG i.V. m. § 1 Abs. 6 der EltSV). Als Ziel der endgültigen Stilllegung wurde zunächst der 01. Dezember 2029 festgelegt,172 jedoch wurde dieses Ziel nunmehr auf den 01. Oktober 2023 vorgezogen.173 Neben dem sich unmittelbar aus § 13g Abs. 7 EnWG ergebenden Anspruch der Betreiber der stillzulegenden Anlagen gegen den Übertragungsnetzbetreiber auf Vergütung der entgangenen Erlöse, die sie andernfalls am Strommarkt erhalten hätten, steht ihnen zusätzlich eine Entschädigungszahlung für bestimmte Kosten, die während der vorläufigen Stilllegung anfallen, zu (§ 13g Abs. 5 und 6 EnWG). Daraus folgt, dass die Kraftwerksbetreiber weder wirtschaftliche Einbußen erleiden noch besser als bei einer planmäßigen Teilnahme im Strommarkt gestellt werden.174 Die Übertragungsnetzbetreiber wiederum sind legitimiert, die geleisteten Zahlungen über die Netzentgelte dem Stromkunden aufzuerlegen. Dies ist wirtschaftlich akzeptabel, insofern hierdurch der Vorteil einer höheren Versorgungssicherheit erlangt wird, auch wenn die Sicherheitsbereitschaft primär dem Klimaschutzziel dient. Die Europäische Kommission bewertete mit Beschluss vom 27. Mai 2016 die Sicherheitsbereitschaft als vereinbar mit dem Binnenmarkt. Zum einen trägt die Stilllegung wesentlich zum gemeinsamen Ziel, die CO2 Emissionen zu senken, bei und zum anderen sind keine erheblichen Auswirkungen auf den Wettbewerb und Handel zu befürchten.175 f) Umsetzung von Kapazitätsmechanismen auf EU-Ebene Erstmalig hatte die EU-Kommission in ihrer Entscheidung zu Kapazitätsmechanismen „Irland/Kommission“ vom 16. Dezember 2003 den dortigen konstru-

172 Nach § 13 g Abs. 9 Satz 2 EnWG in der Fassung aufgrund der 11. Zuständigkeitsanpassungsverordnung vom 19. Juni 2020, BGBl. I, S. 1328, in Kraft getreten am 27. Juni 2020. Zuvor jedoch war eine Befristung bis zum Winterhalbjahr 2020/2021 vorgesehen, vgl. Bundestag, Begründung zum Strommarktgesetz vom 20. Januar 2016, BT-Drs. 18/7317, S. 74. 173 Vgl. die Stilllegungstermine für die einzelnen Kraftwerke bzw. Kraftwerksblöcke in § 13g Abs. 1 EnWG. 174 Diese Vergütungen sind im Wesentlichen vorab durch § 13g EnWG gesetzlich festgelegt, so dass die Netzbetreiber diese nicht beeinflussen und daher diese im Rahmen der Netzentgelte auf den Stromkunden umlegen können, vgl. Bundestag, Begründung zum Strommarktgesetz vom 20. Januar 2016, BT-Drs. 18/7317, S. 110. 175 Vgl. EU-Kommission, Entscheidung vom 27. Mai 2016, staatliche Beihilfe, SA. 42536, C (2016) 3124 final, Rn. 52 ff. – Deutschland Stilllegung deutscher Braunkohlekraftwerksblöcke.

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G. Instrumente zur Gewährleistung von Versorgungssicherheit

ierten Kapazitätsmechanismus bewertet und infolgedessen hierzu mögliche Kriterien für einen Kapazitätsmechanismus aufgestellt.176 Eine Einstufung als Beihilfe wurde zu dieser Zeit der Bewertung als nicht gegeben angesehen. Zwar kann generell das Vorhalten von Kapazitäten zur Sicherung des ständigen Strombedarfs zu jeder Zeit des Jahres, mithin auch zu Spitzenlastzeiten, folglich die erzeugungsseitige Versorgungssicherheit, als eine DAWI angesehen werden.177 Jedoch wurde in der Entscheidung der EU-Kommission die Erfüllung dreier zusätzlicher Kriterien verlangt, um die Kapazitätsvorhaltung als DAWI einstufen zu können.178 So liege die besondere Bedeutung darin, dass ein Kapazitätsmechanismus nur den Auftrag als Ultima Ratio hat. Die Entwicklung einer geeigneten Infrastruktur für Interkonnektoren zu anderen Mitgliedstaaten sei immer vorrangig und schließlich seien Marktverzerrungen zu vermeiden.179 Folglich ist eine eindeutige Differenzierung zwischen denjenigen Kapazitäten, deren Bereitstellung dem Markt von sich aus möglich ist und denjenigen, die für einen erhöhten Bedarf spontan unerlässlich sind, vorzunehmen.180 Indessen hat die Europäische Kommission in Korrektur dieser ersten Entscheidung, und zwar im Zusammenhang mit einem Reformpaket zur Verwirklichung eines integrierten Strombinnenmarktes für Irland und Nordirland181 mit Beschluss vom 24. November 2017 fortan den geplanten marktweiten Kapazitätsmechanismus mit Auktionsverfahren für Irland und Nordirland als Beihilfe ein-

176 Vgl. EU-Kommission, Entscheidung vom 16. Dezember 2003, C (2003) 4488 endg. – State Aid N 475/2003 Ireland Public Service Obligation in respect of new electricity generation capacity for security of supply. 177 Vgl. Pompl, Kapazitätssicherung im europäischen Stromwirtschaftsrecht, 2019, S. 94. 178 „The Commission considers that the measures undertaken by the Irish authorities in order to ensure an adequate security of supply must be understood as an imposing on generators an obligation of general economic interest which consits in bringing to the Irish electricity grid new electricity reserve generation capacity in order to be sure to be able to meet the electricity demand in the future at any time of the year, including in peak periods“, EU-Kommission, Entscheidung vom 16. Dezember 2003, C (2003) 4488 endg. – State Aid N 475/2003 Ireland Public Service Obligation in respect of new electricity generation capacity for security of supply, Rn. 22 und 28. Hierbei hat sich die EU-Kommission auf die Erwägungsgründe 23 und 26 (ebenda, Rn. 25) sowie auf Art. 3 Abs. 2 der RL 2003/54/EG, der identisch in der heutigen EltRl 2009/72/EG vom 13. Juli 2009 enthalten ist, bezogen, ebenda, Rn. 26. 179 Vgl. EU-Kommission, Entscheidung vom 16. Dezember 2003, C (2003) 4488 endg. – State Aid N 475/2003 Ireland Public Service Obligation in respect of new electricity generation capacity for security of supply, Rn. 32/33. 180 Vgl. EU-Kommission, Entscheidung vom 16. Dezember 2003, C (2003) 4488 endg. – State Aid N 475/2003 Ireland Public Service Obligation in respect of new electricity generation capacity for security of supply, Rn. 38. 181 The Integrated Single Electrity Market-Project, vgl. die Homepage der SEMO und der Eirgrid Group.

I. Instrumente Strommarkt

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gestuft. Dennoch hat sie diesen nach Art. 108 AEUV genehmigt, da durch eine Marktanalyse dessen Notwendigkeit nachgewiesen wurde.182 Im Zuge der Entwicklung eines Kapazitätsmechanismus in Großbritannien wurde von der Europäischen Kommission mit Beschluss vom 23. Juli 2014 ein solcher auf der Grundlage der Leitlinien für staatliche Umweltschutz- und Energiebeihilfen umfassend geprüft. Die Genehmigung des marktweiten Kapazitätsmechanismus, der Teil einer umfassenden Reform des britischen Strommarktes183 war, umfasste eine Laufzeit von zehn Jahren.184 Die Notwendigkeit dieses Kapazitätsmechanismus basierte auf der Erwartung eines kritischen Engpasses von Erzeugungskapazitäten in Großbritannien in den Jahren 2017/18. So hatte sich im Jahr 2014 das Vereinigte Königreich dahingehend erklärt, dass es für die Zeit nach den Jahren 2016/2017 eine rückläufige Entwicklung der Kapazitätsmargen bis Anfang der 2020er Jahre erwarte. Diese Prognose basierte auf der Stromkapazitätsbewertung von Ofgem185 aus dem Jahr 2013 sowie den Untersuchungen des britischen Ministeriums für Energie und Klimawandel (DECC).186 Ein Kapazitätsmarkt sei daher notwendig, um den „Zuverlässigkeitsstandard von drei Stunden Lastunterdeckungserwartung“ 187 sicherzustellen. Die Abwicklung des Auktionsverfahrens obliegt dem britischen Netzbetreiber im jährlichen Turnus. Die Teilnahme an dem Auktionsverfahren ist sowohl Anbietern bereits bestehender oder auch geplanter Kraftwerkskapazitäten als auch Stromspeicher-Betreibern und Anbietern von Lastmanagement gestattet, unterdessen die Höhe der auszuschreibenden Menge mit den Netzbetreibern abge182 Vgl. EU-Kommission, Beschluss vom 24. November 2017 – State Aid No. 44464 (2017/N) – Ireland Irish Capacity Mechanism, ABl. EU Nr. C 121, S. 2 vom 06. April 2018 und State Aid No. 44465 (2017/N) – Vereinigtes Königreich-Northern Ireland, ABl. EU Nr. C 121, S. 3 vom 06. April 2018. Um den Anreiz zu verstärken, die staatlich finanzierten Kapazitäten ausschließlich nur in Knappheitssituationen auf dem Markt anzubieten, besteht die Verpflichtung der Kraftwerksbetreiber, einen Teil der erhaltenen staatlichen Beihilfen zurückzuzahlen, sobald der Strompreis 500 Euro/MWh übersteigt, vgl. EU-Kommission, State aid: Commission approves joint capacity mechanism for Ireland and Northern Ireland Pressemitteilung vom 24. November 2017, IP/17/ 4944. 183 Zu dieser Reform gehörten weitere Fördermaßnahmen, wie etwa der Ausgleich für indirekte Kosten der CO2-Preisuntergrenze und die geplante Unterstützung für den Bau und Betrieb eines neuen Kernkraftwerks in Hinkley Point in Somerset, vgl. EUKommission, Staatliche Beihilfen: EU-Kommission genehmigt britische Beihilferegelung zur Stromerzeugung, Pressemitteilung vom 23. Juli 2014, IP/14/865. 184 EU-Kommission, Beschluss vom 23. Juli 2014, SA. 35980 (2014/N-2), – Electricity Rarket reform – Capacity Market, ABl. EU Nr. C 248. S. 5. 185 Office of Gas and Electricity Markets (Ofgem) ist die staatlich geführte Regulierungsbehörde in Großbritannien. 186 EU-Kommission, Beschluss vom 24. Oktober 2019 – C (2019) 7610, SA. 35980/ C, ABl. EU Nr. L70, S. 20 (Ziff. 100) vom 06. März 2020 – Vereinigtes Königreich – Strommarktreform: Kapazitätsmechanismus. 187 Vgl. ebenda, Ziff. 102.

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stimmt wird. Die Vertragsdauer zwischen der staatlichen Stelle und den einzelnen Anbietern variiert zwischen fünfzehn Jahren mit Anbietern von Neuanlagen und einem Jahr mit anderen Anbietern. Die Höhe der Zahlungen an die Kraftwerksbetreiber wird in einer Auktion festgelegt und sodann als Abgabe auf die Endkunden umgelegt.188 Dieser ursprüngliche Beschluss der EU-Kommission wurde jedoch durch das Gericht der Europäischen Union (EuG) am 15. November 2018 für nichtig erklärt,189 bedingt dadurch, dass einige Faktoren des Kapazitätsmarktes nicht ausreichend untersucht worden seien. Auf das Rechtsmittel der EU-Kommission hin gegen dieses Urteil hat der EuGH das Urteil des EuG mit Urteil vom 02. September 2021 aufgehoben.190 Parallel hierzu leitete die EU-Kommission das förmliche Prüfverfahren nach Art. 108 Abs. 2 AEUV ein,191 das mit der Feststellung endete, dass es sich zwar um eine Beihilfe handele, diese aber nach Art. 107 Abs. 3c AEUV mit dem Binnenmarkt vereinbar sei. Schließlich wurde mit Beschluss vom 24. Oktober 2019 der britische Kapazitätsmarkt für einen Zeitraum von höchstens zehn Jahren ab dem 16. Dezember 2014192 genehmigt. In Anbetracht des Austritts von Großbritannien aus der Europäischen Union, ist dieser Beschluss nur solange gültig wie das Unionsrecht für das Vereinigte Königreich gilt.193 Dem Kapazitätsmechanismus in Irland ähnelt etwa auch der Kapazitätsmechanismus in Italien.194 So wurde dort zur Abwendung einer Gefährdung der Versorgungssicherheit ein umfassender zentraler Kapazitätsmarkt beschlossen. Im Hinblick auf das unzweifelhaft vorliegende und prognostizierte Risiko für die Versorgungssicherheit aufgrund der im Jahr 2017 drohenden Stilllegung von Kraftwerken mit einem Umfang von sechs Gigawatt, ist die Genehmigung von der EU-Kommission zuerst durch Beschluss vom 07. Februar 2018 erteilt wor188 EU-Kommission, Staatliche Beihilfen: EU-Kommission genehmigt britische Beihilferegelung zur Stromerzeugung, Pressemitteilung vom 23. Juli 2014, IP/14/865. 189 Vgl. EuG, Urteil vom 15. November 2018, Rs. T-793/14 (Tempus Energy Ltd u. a. Kommission), BeckRS 2018, 28553, Rn. 268. 190 Vgl. EuGH, Urteil vom 02. September 2021, Rs. C-57/19 P (Tempus Energy Ltd u. a. Kommission), EuZW 2021, S. 1035–1049. 191 Vgl. EU-Kommission, Staatliche Beihilfe, SA. 35980 (2018/NN) – Strommarktreform: Kapazitätsmechanismus, Aufforderung zur Stellungnahme nach Art. 108 Abs. 2 AEUV, ABl. EU Nr. C 109, S. 3 vom 22. März 2019. 192 EU-Kommission, Beschluss vom 24. Oktober 2019, ABl. EU Nr. L 70, S. 1 vom 06. März 2020, Staatliche Beihilfe, SA. 35980-2019/C. 193 Siehe Abkommen über den Austritt des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland aus der Europäischen Union und der Europäischen Atomgemeinschaft, ABl. EU Nr. C 384, S. 1 vom 12. November 2019; EU-Kommission, Beschluss vom 24. Oktober 2019, ABl. EU Nr. L 70, S. 1 vom 06. März 2020, Staatliche Beihilfe, SA. 35980-2019/C. 194 Vgl. Elberg et al., Untersuchungen zu einem zukunftsfähigen Strommarktdesign, 2012, S. 144.

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den.195 Die Genehmigung war indes an die Bedingung geknüpft, zusätzliche Marktreformen, wie etwa die Modernisierung des nationalen Übertragungsnetzes und die Investition in grenzüberschreitende Übertragungskapazitäten, vorzunehmen. Nach Umsetzung dieser Vorgaben und der Einführung einer CO2-Obergrenze wurde der Kapazitätsmarkt schließlich am 14. Juni 2019 zugelassen.196 Vergleichbar den Vorgaben des Kapazitätsmechanismus in Irland/Nordirland aus dem Jahr 2017 sind die subventionierten Kraftwerksbetreiber gehalten, de facto die Kapazitäten nur in Knappheitssituationen auf dem Markt anzubieten. Sollten sie dem zuwiderhandeln, sind sie ebenfalls zur Rückzahlung der erhaltenen Subventionen verpflichtet. Wichtig ist auch die Beschränkung der Teilnehmer auf Anbieter aus benachbarten EU-Mitgliedstaaten. Weiterhin wurde das Modell der strategischen Reserve zunächst auch in Polen umgesetzt.197 Polen erhielt jedoch die Genehmigung von der Europäischen Kommission für einen Kapazitätsmarkt mit Beschluss vom 07. Februar 2018198 für die Dauer von zehn Jahren. Indes war dieser unter der Bedingung weiterer Vorgaben erteilt worden. Diese betrafen die Durchführung von Marktreformen, etwa die Erhöhung der bisherigen Obergrenze der Strompreise auf dem Spotmarkt, die Überarbeitung der Vorschriften bezüglich der Beschaffung der Reservekapazitäten und Regelenergie sowie die Einführung eines Preisbildungsmechanismus zur Stärkung der Preissignale in Knappheitssituationen. Auch sollten weitere Anreize für regelbare Lasten und emissionsarme Technologien für den schrittweisen Übergang zu einem umweltfreundlicheren Energiemix gesetzt werden.199 In Belgien erfolgte zunächst die Umsetzung einer strategischen Reserve, die mit Beschluss der EU-Kommission vom 07. Februar 2018 genehmigt wurde, jedoch nur für die Dauer von fünf Jahren („fünf aufeinanderfolgende Winter“), und zwar ab dem Winter 2017/2018.200 Hierbei wurde als ausreichend gewertet, dass Belgien nachgewiesen hatte, dass der „Eintritt eines bestimmten Ereignisses“ zwar eher unwahrscheinlich sei, aber im Ernstfall eine fatale Tragweite für die 195 Vgl. EU-Kommission, Beschluss vom 07. Februar 2018, ABl. EU Nr. C 158, S. 1 vom 04. Mai 2018, Staatliche Beihilfe, SA. 42011 (2017/N). 196 EU-Kommission, Beschluss vom 14. Juni 2019, ABl. EU Nr. C 286, S. 1 vom 23. August 2019, SA. 53821 (2019/N). Die Einführung der CO2-Grenze führt dazu, dass Öl- und Kohlekraftwerke vom Kapazitätsmarkt ausgeschlossen sind, vgl. PuglPichler et al., Kapazitätsmechanismen in Europa – Rechtlicher Rahmen und Stand der Umsetzung, 2020, S. 8. 197 Vgl. Elberg et al., Untersuchungen zu einem zukunftsfähigen Strommarktdesign, 2012, S. 144. 198 EU-Kommission, Beschluss vom 07. Februar 2018, SA. 46100 (2017/N), ABl. EU Nr. C/462, S. 1 vom 21. Dezember 2018. 199 Vgl. EU-Kommission, Beschluss vom 07. Februar 2018, SA. 46100 (2017/N), ABl. EU Nr. C/462, S. 1 vom 21. Dezember 2018. 200 Vgl. EU-Kommission, Beschluss vom 07. Februar 2018, SA. 48648 (2017/NN), ABl. EU Nr. C/121, S. 11 vom 06. April 2018.

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Versorgungssicherheit hätte. Exemplarisch wurde auf den Winter 2016/2017 hingewiesen, als ein Kraftwerk in Belgien und zur selben Zeit neun Kernreaktoren in Frankreich nicht mehr funktionsfähig waren. Für die Durchführung der strategischen Reserve wurde ebenfalls ein wettbewerbliches Verfahren (Auktion) gewählt. Dem Übertragungsnetzbetreiber wurde der Umfang der benötigten Reservekapazitäten zur Entscheidung überlassen. Ebenso war er auch für den Abschluss der Verträge mit den Anbietern der Reservekapazität, bezogen auf eine einjährige Laufzeit verantwortlich. Diese Strategische Reserve ist nunmehr durch einen marktweiten Kapazitätsmechanismus ersetzt worden, der mit Beschluss der EU-Kommission vom 27. August 2021 nach den Beihilfevorschriften genehmigt worden ist. Hierbei entscheidungserheblich war auch die geplante Abschaltung der belgischen Kernkraftwerke bis zum Jahr 2025.201 Zugleich enthält dieser Beschluss die erste Genehmigung eines Kapazitätsmechanismus nach Inkrafttreten der neuen Verordnung über den Elektrizitätsbinnenmarkt. 202 Nach Auffassung der EU-Kommission ist dieser Kapazitätsmechanismus auf das erforderliche Maß beschränkt, mithin die Beihilfe in ihrem geplanten Umfang angemessen. In die Erwägungen wurde einbezogen, dass die vorgenommene Bewertung der Angemessenheit der Ressourcen mit der von der Agentur für die Zusammenarbeit der Energieregulierungsbehörden (ACER) im Oktober 2020 genehmigten EU-weiten Methode für die Evaluierung der Ressourcen übereinstimmt.203 Besonderheiten der Ausgestaltung eines dezentralen Kapazitätsmechanismus bestehen in Frankreich, insofern der Strommarkt durch das Gesetz „NOME“ 204 im Jahr 2011 durch einen dezentralen Kapazitätsmechanismus umgestaltet werden sollte.205 Dies ergibt sich aus Art. 6 NOME, wonach jeder Elektrizitätsversorger für die Versorgungssicherheit seiner Kunden die Verantwortung trägt. Folglich besteht für diesen eine Versorgungsverpflichtung, die dementsprechend von dem nationalen Netzbetreiber Réseau de Transport d’Electricité (RTE) im Jahr 2011 umgesetzt wurde.206 Somit bestimmt Art. 6 NOME, alle in Kontinentalfrankreich angesiedelten Erzeugungs- oder DSM-Kapazitäten zu zertifizieren 201 Vgl. EU-Kommission, Beschluss vom 27. August 2021, SA. 54915 (2019/N) – Kapazitätsmechanismus – Aufforderung zur Stellungnahme nach Art. 108 Abs. 2 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union, ABl. EU Nr. C 346, S. 27 vom 16. Oktober 2020. 202 Zu den neuen Vorgaben der EU-Stromverordnung siehe in diesem Kapitel unter I. 1. d). 203 Vgl. EU-Kommission, Beschluss vom 27. August 2021, ABl. EU Nr. C 346, S. 27 (35 ff.) vom 16. Oktober 2020. 204 Gesetz zur Neuorganisation des französischen Strommarktes vom 07. Dezember 2010: Loi sur la nouvelle des marchés d´électricité – NOME (Gesetz Nr. 2010-1488) mit dem die Richtlinie 2009/72/EG (EltRl) zum „dritten Energiepaket“ in französisches Recht umgesetzt wurde. 205 Vgl. Elberg et al., Untersuchungen zu einem zukunftsfähigen Strommarktdesign, 2012, S. 144. 206 Vgl. ebenda.

I. Instrumente Strommarkt

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und diese dem Handel zur Verfügung zu stellen, indessen hier als Ausnahme die Nutzung von Eigentümern zur Erfüllung eigener Kapazitätsverpflichtungen zugelassen ist.207 Das Ziel, mit diesem Mechanismus ein effektives Instrument zu schaffen, erfordert mehrere Maßnahmen: Zunächst wird der Kapazitätsbedarf auf der Grundlage von Bedarfsprognosen und einer Sicherheitsmarge mit einer Vorlaufzeit von vier Jahren vor dem Lieferzeitraum zentral festgelegt.208 Hieraus kann der Versorger die verbindliche Bereitstellungsmenge entnehmen, die sich gemäß dem Anteil des Kunden ermitteln lässt, wobei die Spitzenlast des entsprechenden Jahres für die Bewertung mit herangezogen wird. Ein weiterer Zahlungsbetrag, der einer Rate entspricht, dient der Absicherung. In dem anschließend folgenden „Zertifizierungsvertrag“, der zwischen Kapazitätsbetreiber und Netzbetreiber abgeschlossen wird, werden die entsprechenden Modalitäten betreffend die Kapazitäten festgelegt. Auch können die Kapazitätsverpflichtungen nach der Zertifizierung sowohl über eigene Erzeugungs- oder Nachfragekapazitäten als auch mit Zertifikaten, die sie von Dritten erwerben, eingehalten werden.209 Somit dürfte dieses Modell als ein Hybrid der Kapazitätsmechanismen anzusehen sein, mithin ein zwischen einem zentralen umfassenden und einem dezentralen umfassenden Kapazitätsmechanismus. So ist diese Version dem vom BDEW und VKU vorgeschlagenen Modell vergleichbar.210 Im Jahr 2015 wurden im Prüfverfahren der Europäischen Kommission Änderungen postuliert, nach deren Erfüllung am 08. November 2016 ein marktweiter Kapazitätsmechanismus als Beihilfe genehmigt wurde.211 Zu diesem Kapazitätsmechanismus haben alle Kapazitätsanbieter Zugang und erhalten infolgedessen Zertifikate für ihre verfügbaren Kapazitäten, unterdessen die Zertifikate auf öffentlichen Auktionen gehandelt werden. Diese unerlässlichen Korrekturen bezogen sich zum einen auf die Laufzeit der Zertifikate. Diese beträgt nunmehr sieben Jahre anstelle des zuvor festgelegten Zeitraums von einem Jahr, sofern nachgewiesen kann, dass die neuen Kapazitä207

Vgl. ebenda, S. 145. Vgl. Pugl-Pichler et al., Kapazitätsmechanismen in Europa – Rechtlicher Rahmen und Stand der Umsetzung, 2020, S. 12; Schulte et al., Diskussion zukünftiger Herausforderungen von Versorgungssicherheit im Strommarkt 2.0, 2020, S. 47. 209 Vgl. Elberg et al., Untersuchungen zu einem zukunftsfähigen Strommarktdesign, 2012, S. 144. 210 Vgl. Frontier Economics/Consentec, Folgenabschätzung Kapazitätsmechanismen, 2014, S. 7, Fn. 5. Bei dieser Modellvariante „wird die Gesamtnachfrage nach Leistungszertifikaten zentral festgelegt, die Beschaffung erfolgt jedoch weiterhin dezentral durch Vertriebe“, ebenda. 211 Vgl. EU-Kommission, Beschluss vom 08. November 2016 – SA. 39621 2015/C, ABl. EU Nr. L 83, S. 116 vom 29. März 2017. 208

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ten „wettbewerbsfähiger“ als die schon existenten Kapazitäten sind.212 Ziel ist hierbei die Erlangung einer noch höheren Investitionssicherheit, in Folge dessen neue Kraftwerksbetreiber ohne Schwierigkeiten am Markt teilhaben können. Diese neuen Kapazitäten sollen mit einer Vorlaufzeit von vier Jahren in einer öffentlichen Auktion gebunden werden.213 Zum anderen liegt diesem Kapazitätsmechanismus erstmals die Bedingung zugrunde, auch ausländische Kapazitäten explizit einzubeziehen und zu vergüten.214 Hierbei soll eine mögliche Marktmanipulation durch Abgleich der Kapazitätsangaben von Anbietern mit historischen Daten unterbunden werden, ebenso der Versuch der Manipulation, weniger Zertifikate anzubieten, um den Preis in die Höhe zu treiben. Des Weiteren ist die französische Energieregulierungsbehörde verpflichtet, den Mechanismus jährlich zu überprüfen. Mit Beschluss vom 07. Februar 2018 genehmigte die EU-Kommission zudem die Einführung einer Lastmanagementregelung, befristet auf einen Zeitraum vom Jahr 2018 bis zum Jahr 2023, als nachfrageseitige Steuerung. Indem die Verbraucher (Haushaltskunden und Industriekunden) temporär mit einer entsprechenden Vergütung keinen oder nur wenig Strom beziehen, wenn dieser knapp ist, ermöglicht diese Steuerung ein besonders zügiges Handeln der Stromanbieter. Hierdurch kann als umweltfreundlicher Aspekt der Bau weiterer konventioneller Kraftwerke verhindert werden.215 In dem vorgenannten Beschluss hebt die EU-Kommission auf besondere Kriterien ab. So müssen die Maßnahmen zeitlich begrenzt sowie erforderlich sein wegen des bestehenden Risikos für die Versorgungssicherheit bei voraussichtlich kaltem Winter mit extremen Lastspitzen. Durch regelmäßige Ausschreibungen von vorab festgelegten Obergrenzen für die Vergütung der Nachfrager und den Ausschluss der teuersten Gebote bei Auktionen können die Kosten geringgehalten werden.216 Insoweit ist diese Lastmanagementregelung als mit den EU-Beihilfevorschriften vereinbar und förderungswürdig angesehen worden. Für Österreich hat die Europäische Kommission mit Beschluss vom 28. Juni 2021 eine weiterführende Netzreserve bis zum Ende des Jahres 2025 genehmigt. 212 EU-Kommission, Staatliche Beihilfen: Kommission genehmigt überarbeiteten marktweiten Kapazitätsmechanismus in Frankreich, Pressemitteilung vom 08. November 2016, IP/16/3620. 213 EU-Kommission, Beschluss vom 08. November 2016, SA. 39621 2015/C, ABl. EU Nr. L 83, S. 116 (Ziff. 132) vom 29. März 2017. 214 Vgl. EU-Kommission, Beschluss vom 08. November 2016, SA. 39621 2015/C, ABl. EU Nr. L 83, S. 116 (Ziff. 119) vom 29. März 2017. 215 Vgl. EU-Kommission, Beschluss vom 07. Februar 2018, SA. 48490 (2017/N), ABl. EU Nr. C 256, S. 1 vom 20. Juli 2018. 216 Wegen der Verpflichtung zur Umweltverträglichkeit ist etwa der Einsatz von Dieselgeneratoren nicht erlaubt, vgl. EU-Kommission, Beschluss vom 07. Februar 2018, SA. 48490 (2017/N), ABl. EU Nr. C 256, S. 1 vom 20. Juli 2018.

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Dies geschah unter dem Aspekt, dass Österreich laut seinem Aktionsplan, der weitreichende Investitionen in die Netzinfrastruktur vorsieht, die Netzreserve nur als vorübergehendes Instrument für die Versorgungssicherheit implementieren will. An dieser Netzreserve können auch deutsche Kraftwerke und ausländische Kraftwerke partizipieren.217 g) Bewertung zu Kapazitätsmechanismen auf dem Strommarkt Intention und Relevanz aller Modelle der Kapazitätsmechanismen basieren auf dem unverzichtbaren Handlungsbedarf, die Gefährdung der Versorgungssicherheit bei mangelnden Kapazitäten in einem optimalen Rahmen zu beseitigen. Indessen sind die Vorgaben der EU-Kommission, etwa Einklang mit dem EU-Binnenmarkt, Beibehaltung des Energy Only-Market ohne Gefahr von Eingriffen, die das Marktdesign verzerren sowie die Beteiligung ausländischer Marktteilnehmer entsprechend den Maßgaben technischer Möglichkeiten einzuhalten. Letzteres ist explizit bei der Erteilung der Genehmigungen von über die strategische Reserve hinausgehenden Kapazitätsmärkten durch die EU-Kommission postuliert, aber im Hinblick auf nationale Ziele nicht umfassend realisiert worden.218 Dem konzipierten Modell der strategischen Reserve ähnelt die in Deutschland vorgenommene Umsetzung. Diese soll eine Ergänzung sein, aber nicht zu einem umfassenden Umbau des Marktsystems führen. Die strategische Reserve219 wird als „Brückenlösung“ 220 oder auch „Rückfalllösung“ 221 auf der Grundlage der Hypothese befürwortet,222 dass ein ausschlaggebender Misserfolg des Energy 217 EU-Kommission, Beschluss Austrian network reserve vom 28. Juni 2021, SA. 52263, ABl. EU Nr. C 511, S. 1 vom 17. Dezember 2021. 218 Vgl. Pompl, Kapazitätssicherung im europäischen Stromwirtschaftsrecht, 2019, S. 347. 219 Die Theorie zur strategischen Reserve geht zurück auf de Vries, Securing the public interest in electricity markets, 2004, S. 69. 220 Consentec, Praktikabel umsetzbare Ausgestaltung einer strategischen Reserve, 2012, S. 2, 5. 221 Siegmeier, Kapazitätsinstrumente in einem von erneuerbaren Energien geprägten Stromsystem, 2011, WP-EM-45, S.12. 222 Vgl. BMU et al., Märkte stärken, Versorgung sichern, 2013; Beckers/Hoffrichter, Eine (institutionen-)ökonomische Analyse grundsätzlicher aktueller Fragen bezüglich des institutionellen Strommarktdesigns im Bereich der Erzeugung, EnWZ 2014, S. 57– 63 (59); Nicolosi, Notwendigkeit und Ausgestaltungsmöglichkeiten eines Kapazitätsmechanismus für Deutschland, 2012, S. 31; Consentec, Praktikabel umsetzbare Ausgestaltung einer strategischen Reserve, 2012, S. 3. Die strategische Reserve als „Notfallmechanismus“ (Süßenbacher et al., Kapazitätsmärkte und -mechanismen im internationalen Kontext, IEWT 2011, S. 10). Böckers et al. befürworteten bereits im Jahr 2012 eine Ergänzung des bestehenden Marktsystems um eine „Kaltreserve für Notfälle“, zumindest dürften die Kosten geringer sein, als bei einer Einführung eines vollständigen Kapazitätsmarktes. Ob dies aber tatsächlich notwendig wird, sollte erst nach einer Entscheidung auf europäischer Ebene für Deutschland entschieden werden, siehe Böckers et al., Braucht Deutschland einen Kapazitätsmarkt für Kraftwerke?, 2012, S. 1, 145.

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G. Instrumente zur Gewährleistung von Versorgungssicherheit

Only-Markts nicht zu erwarten ist.223 Zudem kann die strategische Reserve leicht auf benachbarte Märkte der EU-Mitgliedstaaten erweitert werden oder auch in eine europäische Reserve transformiert werden224 und gleichermaßen ein effizientes Niveau der Versorgungssicherheit gewährleisten.225 Positiv ist daher zu bewerten, dass die strategische Reserve den geringsten Eingriff in das bestehende Marktdesign verwirklicht,226 und im Vergleich zu den anderen umfassenden Kapazitätsmärkten schnell und kostengünstig implementiert werden,227 aber auch ebenso problemlos beendet werden kann.228 Des Weiteren bliebe die Rentabilität von Altanlagen aufrechterhalten, unterdessen auch eine kurzfristige Kontrahierung von Alt- und Neubauten zu befürworten sei.229 Angesichts des von vornherein gewählten Konzeptes einer Übergangslösung entfällt auch die postulierte Einbeziehung der ausländischen Marktteilnehmer.230 An der Ausgestaltung der strategischen Reserve wird aus wettbewerbspolitischer Sicht der stark regulatorische Ansatz kritisch gesehen. So sind die vier Übertragungsnetzbetreiber, die zudem einen bedeutenden Freiraum bei der Aus-

223 Vgl. Monopolkommission, Energie 2013: Wettbewerb in Zeiten der Energiewende, S. 198, Ziff. 393; Nicolosi, Notwendigkeit und Ausgestaltungsmöglichkeiten eines Kapazitätsmechanismus für Deutschland, 2012, S. 31. Zumindest derzeit sei „die Notwendigkeit einer Einführung eines Kapazitätsmarkts nicht erkennbar“ (Böckers et al., Vor- und Nachteile alternativer Kapazitätsmechanismen, 2012, S. 150 und 151). 224 Vgl. BMU et al., Märkte stärken, Versorgung sichern, 2013, S. 15 und 16. 225 Jedenfalls bei „Kapazitätszahlungen über einen Zeitraum von z. B. 10 Jahren“, siehe Süßenbacher et al., Kapazitätsmärkte und -mechanismen im internationalen Kontext, IEWT 2011, S. 6. 226 Vgl. Monopolkommission, Energie 2013: Wettbewerb in Zeiten der Energiewende, S. 198, Ziff. 393; so auch Süßenbacher et al., Kapazitätsmärkte und -mechanismen im internationalen Kontext, IEWT 2011, S. 7. 227 Vgl. BMU et al., Märkte stärken, Versorgung sichern, 2013, S. 15. 228 Vgl. Monopolkommission, Energie 2013: Wettbewerb in Zeiten der Energiewende, S. 198, Ziff. 393; Leprich et al., Kompassstudie Marktdesign, 2012, S. 35; BMU et al., Märkte stärken, Versorgung sichern, 2013, S. 15; Nicolosi, Notwendigkeit und Ausgestaltungsmöglichkeiten eines Kapazitätsmechanismus für Deutschland, 2012, S. 31. Die Kosten dürften zumindest geringer sein, als die eines Kapazitätsmarktes (siehe Böckers et al., Vor- und Nachteile alternativer Kapazitätsmechanismen, 2012, S. 145/146). 229 So befürwortete die Monopolkommission eine kurzfristige kleine strategische Reserve aus Bestands- und Neubaukraftwerken, die bei einem hohen Auslösungspreis einsetzt, um den bestehenden Markt so gering wie möglich zu beeinflussen. Sollte sich ein späteres Kapazitätsproblem ergeben, könnte die strategische Reserve in ein System mit Kapazitätsmärkten geplant werden, vgl. Monopolkommission, Energie 2013: Wettbewerb in Zeiten der Energiewende, S. 208, Ziff. 413. Ob allerdings mit der Strategische Reserve eine ausreichende Gesamtkapazität langfristig sichergestellt werden kann, wird u. a. von der Monopolkommission in Frage gestellt (vgl. ebenda, S. 200, Ziff. 395). 230 Vgl. Pompl, Kapazitätssicherung im europäischen Stromwirtschaftsrecht, 2019, S. 348.

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wahl der Anbieter hätten,231 zwar privatrechtlich organisierte Unternehmen. Jedoch nehmen sie, insofern immer stärker mit hoheitlichen Befugnissen versehen, öffentliche Aufgaben wahr. Demnach können sie etwa nach eigener Prüfung einen Kraftwerksbetreiber dazu verpflichten, eine Anlage betriebsbereit zu halten. Dergestalt wird einem privaten Unternehmen hierdurch gesetzlich ermöglicht, gleichsam wie eine Behörde, einen anderen privaten Unternehmer bindend zu etwas zu verpflichten.232 Weiterhin wird kritisch angeführt, dass die „rein administrativ“ 233 bestimmte Reservemenge nahezu einer „Zwangsbewirtschaftung“ 234 gleichkomme, mithin verfassungsrechtlich bedenklich sei.235 So könnten die gewährten Zugriffs- und Nutzungsmöglichkeiten der Erzeugungsanlagen für den systemverantwortlichen Übertragungsnetzbetreiber mit der nach Art. 14 Abs. 1 Grundgesetz grundrechtlich geschützten Eigentumsfreiheit in Konflikt geraten. Schließlich kann diese Beschneidung im Zuge der Mitverantwortlichkeit für die Systemsicherheit der Übertragungsnetzbetreiber revidiert werden.236 Ein weiteres Gefahrenpotenzial bietet die Aufspaltung der Kapazitäten in zwei Märkte, insofern die Kraftwerke, die an der strategischen Reserve teilnehmen, verpflichtend nicht mehr für den regulären Spotmarkt zur Verfügung stehen.237 Die latent vorhandene Gefahr, die beschaffte Reservekapazität nicht bestimmungsgemäß einzusetzen, sondern mit dem Ziel, doppelte Renditen zu erlangen,238 könne nur durch erhebliche Kontrolle vermieden werden.239

231 Wobei die Monopolkommission dies auch als notwendig ansieht, da sehr spezifische Anforderungen an die Kraftwerke bestehen, vgl. Monopolkommission, Energie 2013: Wettbewerb in Zeiten der Energiewende, S. 205, Ziff. 406. 232 Vgl. Wolfers/Wollenschläger, Zwang zum Erhalt von Kraftwerken, N&R 2013, S. 251–256 (253 f.). Die Ausübung hoheitlicher Befugnisse bedarf grundsätzlich einer Rückbindung an das Parlament und die ihm verantwortliche Regierung. Deshalb müssen Private, wenn sie mit hoheitlichen Befugnissen betraut werden, vom Bundestag „beliehen“ werden,“ Wolfers/Wollenschläger, Zwang zum Erhalt von Kraftwerken, N&R 2013, S. 251–256 (254, 256); anders hierzu: Pompl, Kapazitätssicherung im europäischen Stromwirtschaftsrecht, 2019, S. 305. 233 Böckers et al., Vor- und Nachteile alternativer Kapazitätsmechanismen, 2012, S. 140. 234 Wolfers/Wollenschläger, Zwang zum Erhalt von Kraftwerken, N&R 2013, S. 251– 256 (252). 235 Vgl. Wolfers/Wollenschläger, Betreiber unrentabler Kraftwerke kommen in die Zwangsjacke, FAZ vom 02. September 2013. 236 Vgl. Pompl, Kapazitätssicherung im europäischen Stromwirtschaftsrecht, 2019, S. 351. 237 „Verschiebung von Spitzenlastkapazitäten in den Reservemarkt“, Böckers et al., Vor- und Nachteile alternativer Kapazitätsmechanismen, 2012, S. 140. 238 Vgl. Monopolkommission, Energie 2013: Wettbewerb in Zeiten der Energiewende, S. 196 und 197, Ziff. 389. 239 Vgl. Wolfers/Wollenschläger, Zwang zum Erhalt von Kraftwerken, N&R 2013, S. 251–256 (254).

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G. Instrumente zur Gewährleistung von Versorgungssicherheit

Im besonderen Maße kritisch anzumerken ist der von vornherein festzulegende Auslösungspreis, insofern bei zu niedriger Preisgestaltung für die Kraftwerke kaum Anreize bestehen, im regulären Fahrplan (Dispatch) teilzunehmen. Sie würden somit vermehrt in die strategische Reserve übergehen,240 mit der Folge, dass die Kraftwerke aus der Reserve häufiger zum Einsatz kämen, ohne dass andere ökonomisch wünschenswertere Maßnahmen, wie etwa DSM-Maßnahmen, gefördert werden.241 Hingegen kommen bei einem zu hoch angesetzten Auslösungspreis die Kraftwerke in der strategischen Reserve seltener zum Einsatz. Infolgedessen würde ein Stillstand der dortigen Kraftwerke eintreten ebenso ihr potenzieller Einsatz, so dass in den beiden Konstellationen des unrichtigen Auslösungspreises die Gefahr eines ineffizienten Einsatzes der Ressourcen besteht.242 So besteht die Gefahr einer Marktverzerrung durch höhere Anreize der Kapazitätszahlung als die tatsächliche Erzielung der Erlöse auf dem Großhandelsmarkt, die wiederum eine Verschiebung von Spitzenlastkraftwerken in den Reservemarkt zur Folge hätte, mithin letztendlich aus einer strategischen Reserve ein verkappter Kapazitätsmarkt entstehen würde.243 Ob indessen das Modell eines zentralen Kapazitätsmarktes in seiner komplexen Strukturierung eine effiziente Versorgungssicherheit gewährleisten kann ohne nachteilige Auswirkungen auf einen funktionierenden Wettbewerb, ist ebenso unsicher. Wenn der Wettbewerb einseitig auf dem Angebotsmarkt zentralisiert wird, könnte er sich zulasten der Nachfrageseite verschieben. Verbunden hiermit besteht die Gefahr, dass das Leistungsvermögen von DSM oder auch der Flexibilisierung von Kraft-Wärme-Kopplungs-Anlagen, nicht in dem erforderlichen Umfang berücksichtigt wird,244 so dass diesen die Teilnahme an einem wettbewerblichen Auktionsverfahren versagt oder aber erschwert würde. Dies würde mit den Anforderungen der Europäischen Kommission kollidieren.245 240 Vgl. Elberg et al., Untersuchungen zu einem zukunftsfähigen Strommarktdesign, 2012, S. 55; Böckers et al., Vor- und Nachteile alternativer Kapazitätsmechanismen, 2012, S. 140. 241 Vgl. Monopolkommission, Energie 2013: Wettbewerb in Zeiten der Energiewende, S. 199, Ziff. 394. 242 Der Auslösungspreis sollte daher immer über den Grenzkosten des letzten Kraftwerks in der Merit Order am Energy Only-Market liegen, vgl. Schulte et al., Diskussion zukünftiger Herausforderungen von Versorgungssicherheit im Strommarkt 2.0, 2020, S. 42; Monopolkommission, Energie 2013: Wettbewerb in Zeiten der Energiewende, S. 198 und 199, Ziff. 394. 243 Vgl. Maurer, Die strategische Reserve, in: Agora, Kapazitätsmarkt oder strategische Reserve, 2013, S. 27–35 (33). 244 Vgl. Inagendo GmbH, Funktionsweise und Nebenwirkungen von Kapazitätsmechanismen, 2013, S. 14. Denn das EWI bezweifelt die Leistung von DSM und wertet sie im Präqualifikationsverfahren mit einem Korrekturfaktor ab (vgl. Elberg et al., Untersuchungen zu einem zukunftsfähigen Strommarktdesign, 2012, S. 121 und 122). 245 Vgl. EU-Kommission, Mitteilung vom 15. November 2012, Ein funktionierender Energiebinnenmarkt, KOM (2012) 663 endg., S. 17.

I. Instrumente Strommarkt

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Kritisch angeführt werden hierbei das Auftreten zu niedriger Preissignale auf dem Spotmarkt mit der Folge fehlender Investitionsanreize für das Angebotsverhalten von Kraftwerken, mithin der bisherige Preismechanismus am Wettbewerbsmarkt auch nicht verbessert werden würde. Ein weiterer Kritikpunkt betrifft die schwierige Aufgabe insbesondere der kleineren Anbieter (Investoren), den Bedarf von bis zu sieben Jahren in einem dynamischen Markt abzuschätzen und damit die Preisentwicklung sowohl in dem Spot- als auch dem Kapazitätsmarkt, voraussehen zu müssen. Kritisch ist aber auch die Integration der Stromimporte zu bewerten. So muss nicht nur der Umfang der Kapazität, sondern auch die Teilnahme der ausländischen Akteure und deren Verlässlichkeit identifiziert werden.246 Wie bei der strategischen Reserve besteht auch auf dem zentralen Kapazitätsmarkt das Problem, die Höhe des Auslösungspreises zutreffend festzulegen. Ideal wäre er in der Festlegung einer Höhe, die den Bedarf zwischen Bestand und den etwa benötigten Neubauten erfassen könnte,247 unterdessen dies mangels sicherer Prognose nicht zu erwarten ist, somit – wie dargelegt – das wohl aber zu dem potenziellen Risiko eines nicht effektiven Einsatzes führt. Positiv wird hingegen angeführt, dass die Ausübung von Marktmacht bei Kapazitätsmärkten durch die Verpflichtung der Anbieter, sogenannte Verfügbarkeitsoptionen abzuschließen, restriktiert wird, insofern der Preis nicht strategisch über den Ausübungspreis dieser Verfügbarkeitsoption erhöht werden kann.248 Damit einhergehend kommt dem freien Marktzutritt für Neuanlagen eine wichtige Bedeutung zu,249 ebenso die Teilnahmeverpflichtungen bei Bietbeschränkungen (Gebotsbeschränkungen) für Bestandskraftwerke.

246 Vgl. Inagendo GmbH, Funktionsweise und Nebenwirkungen von Kapazitätsmechanismen, 2013, S. 12. 247 Vgl. ebenda, S. 13. Es wird aber angenommen, dass sich die Preise bei einer einheitlichen Auktion längerfristig eher „an den notwendigen Kapazitätszahlungen für Neuanlagen“ orientieren werden, was einen „relativ hohen Preis“ ergeben wird („Preiseffekt“), Matthes et al., Fokussierte Kapazitätsmärkte. Ein neues Marktdesign für den Übergang zu einem neuen Energiesystem, in: Agora, Kapazitätsmarkt oder strategische Reserve, 2013, S. 51–64 (62). 248 Vgl. Höffler, Zehn Fragen und Antworten zum umfassenden Kapazitätsmarkt in Form von Versorgungssicherheitsverträgen, in: Agora Energiewende, Strommarktdesign im Vergleich: Ausgestaltungsoptionen eines Kapazitätsmarkts, 2013, S. 5–7 (7). „In Abhängigkeit von der konkreten und tatsächlich realisierbaren Ausgestaltung des Preismechanismus ist die Möglichkeit einer ineffizienten Überkompensation der Anlagenbetreiber allerdings nicht auszuschließen“ (Monopolkommission, Energie 2013: Wettbewerb in Zeiten der Energiewende, 197, Ziff. 389.) 249 Vgl. Elberg et al., Ein umfassender Kapazitätsmarkt: Ein Markt für Versorgungssicherheitsverträge, in: Agora, Kapazitätsmarkt oder strategische Reserve, 2013, S. 37– 50 (41).

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G. Instrumente zur Gewährleistung von Versorgungssicherheit

Im Vergleich zu den zuvor bewerteten staatlichen Modellen sind bei den wettbewerblichen Modellen weniger einschneidende Positionierungen konzipiert. So ist mit dem nachfrageorientierten Modell, insbesondere bei der nur auf die erneuerbaren Energien bezogenen Ausgestaltung, der geringste Eingriff in den bestehenden Strommarkt verbunden. Ein Modell, das die Nachfrageseite in die Verantwortung nimmt und dem Verbraucher überlässt, für seine Versorgungssicherheit zu sorgen, impliziert aber das Risiko des Staates, seiner Gewährleistungsverantwortung nicht im benötigten Umfang nachzukommen. Auch im Modellentwurf für einen dezentralen Zertifikatenmarkt sollen sich vorrangig neue Produkte im Wettbewerb durchsetzen, folglich regulatorische Eingriffe nur bei mangelndem Funktionieren des Marktes vorgesehen sind. So ist bei dieser dezentralen Ausgestaltung das entscheidende Element die den Marktakteuren zur Verfügung stehende individuelle Bewertung und Handhabung aller Optionen,250 in deren Konsequenz die Innovationsfunktion des Wettbewerbs effizient gesteigert wird, gewiss auch im Interesse des Endkunden.251 2. Systemsicherungsmaßnahmen Eine sichere und zuverlässige Elektrizitätsversorgung setzt voraus, dass die Transportkapazität des Stromnetzes nicht überlastet wird. Ein Netzengpass liegt demnach vor, wenn der Transportbedarf die vorhandene Transportkapazität in den Übertragungs- oder Verteilnetzen übersteigt.252 Zentrale Bedeutung als Instrument für die Gewährleistung der Elektrizitätsversorgung hat wie in der gesetzlichen Regelung des § 1a Abs. 2 EnWG 2016253 erstmals ausdrücklich festgelegt wurde, das Bilanzkreis- und Ausgleichsenergiesystem. Aus diesem Grund ist das entscheidende Element im fortentwickelten Strommarkt die Bilanzkreistreue, die mittels ordnungsgemäßer Bewirtschaftung der Bilanzkreise erreicht werden soll, womit den Bilanzkreisverantwortlichen grundsätzlich obliegt, diese auszugleichen.254 So ist der Bilanzkreis als virtuelles Strommengenkonto255 im Idealfall 250 Vgl. Ecke et al., Ein Leistungsmarkt mit dezentraler Nachfrage, in: Agora, Kapazitätsmarkt oder strategische Reserve, 2013, S. 65–76 (67). 251 Vgl. Herrmann, Zehn Fragen und Antworten zum dezentralen Leistungsmarkt, in: Agora, Energiewende, Strommarktdesign im Vergleich: Ausgestaltungsoptionen eines Kapazitätsmarkts, 2013, S. 15–19 (19). 252 Vgl. Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestags, Versorgungssicherheit im Energiebereich in der Gesetzgebung, 2021, S. 7. 253 Gesetz zur Weiterentwicklung des Strommarktes (Strommarktgesetz) vom 26. Juli 2016, BGBl. I, S. 1786. 254 Vgl. Bundestag, Begründung zum Strommarktgesetz vom 20. Januar 2016, BTDrs. 18/7317, S. 76. § 1a Abs. 2 EnWG lautet: „Das Bilanzkreis- und Ausgleichsenergiesystem hat eine zentrale Bedeutung für die Gewährleistung der Elektrizitätsversorgungssicherheit. Daher sollen die Bilanzkreistreue der Bilanzkreisverantwortlichen und eine ordnungsmäße Bewirtschaftung der Bilanzkreise sichergestellt werden.“ Das Bi-

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im Gleichgewicht zu saldieren, vorausgesetzt die Einspeisemenge des Stroms entspricht der Ausspeisemenge.256 Sofern indessen Abweichungen zwischen den prognostizierten und den tatsächlich Strommengen auftreten, wird folglich die sogenannte Ausgleichsenergie bilanziert und deren Kosten den Bilanzkreisverantwortlichen auferlegt. So erhält er bei erhöhter Einspeisung einen niedrigeren als den aktuellen Marktpreis oder aber er zahlt bei einer zu niedrigen Einspeisung einen über den Marktpreis liegenden Preis. Mithin besteht hierdurch ein Anreiz für die Bilanzkreisverantwortlichen, möglichst den Idealfall der Saldierung herbeizuführen.257 Auf europäischer Ebene wird auf der Basis des Network Code258 die Organisation des Bilanzkreismanagements der Übertragungsnetzbetreiber in der Europäischen Union geregelt. Die Maßnahmen sind dann zu ergreifen, wenn eine Gefährdung oder Störung im Sinne des § 13 Abs. 4 EnWG vorliegt: „Eine Gefährdung der Sicherheit oder Zuverlässigkeit des Elektrizitätsversorgungssystems in der jeweiligen Regelzone liegt vor, wenn örtliche Ausfälle des Übertragungsnetzes oder kurzfristige Netzengpässe zu besorgen sind oder zu besorgen ist, dass die Haltung von Frequenz, Spannung oder Stabilität durch die Betreiber von Übertragungsnetzen nicht im erforderlichen Maße gewährleistet werden kann.“ Ein weiteres Instrumentarium zur Gewährleistung der Versorgungssicherheit sind die zur Verfügung stehenden Maßnahmen nach §§ 13, 13a–c, 15 und 16 EnWG, unterdessen diese in einer verpflichtenden Abfolge festgelegt sind.259 So haben präventive Maßnahmen durchweg Priorität, hiervon wiederum netzbezogene vor marktbezogenen Maßnahmen,260 indes bei Letzteren wiederum eine ex-

lanzkreissystem wurde auch in den §§ 13 Abs. 5 S. 2, 16 Abs. 3 Satz 2 EnWG aufgenommen. 255 Vgl. Monopolkommission, Strom und Gas 2011: Wettbewerbsentwicklung mit Licht und Schatten, S. 105, Ziff. 188. So gehört auch die Aufgabe des Bilanzkreisverantwortlichen, eine stabile Ausgeglichenheit von Ein- und Ausspeisungen herzustellen zu den besonders bedeutenden Pflichten, wie auch die Verpflichtung des ÜNB, Abweichungen in der Bilanz zu nivellieren (vgl. Neveling/Schönrock, in: Zenke/Schäfer, Energiehandel in Europa, 2017, § 25, Rn. 79 und 80). 256 Vgl. Lange, Der Strommarkt 2.0 als Herausforderung für das Kartellrecht, WuW 2017, S. 434–440 (438). 257 Vgl. ebenda. 258 ENTSO, Network Code – a guideline on electricity balancing, Commission Regulation (EU) 2017/2195 vom 23. November 2017. 259 Vgl. Bundestag, Begründung zum Strommarktgesetz vom 20. Januar 2016, BTDrs. 18/7317, S. 85; Ruttloff, Redispatch und „angemessene Vergütung“ – Präjudizien für den Strommarkt 2.0?, NVwZ 2015, 1086–1093 (1090). Diese Maßnahmen richten sich nach der Notwendigkeit des Netzes, nicht hingegen nach dem Bedarf des Marktes (vgl. Tüngler, in: Kment, Energiewirtschaftsrecht, 2019, § 13, Fn. 24). 260 Siehe hierzu die folgenden Ausführungen in diesem Abschnitt unter Nr. a) und b).

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G. Instrumente zur Gewährleistung von Versorgungssicherheit

akte Rangordnung besteht.261 Kurative Maßnahmen, wie etwa der kurative Redispatch oder das Wiederherstellen eines tatsächlich ausgefallenen Betriebsmittels zur Wiederherstellung der N-1-Sicherheit hingegen sind zu vermeiden. Diesem Stufensystem liegt mithin implizit die Maxime zugrunde, dass nicht allein aus Kostengründen ein (günstigeres) Redispatch262 der teureren Regelenergie (beides marktbezogene Produkte zur Behebung von Netzengpässen) vorgezogen werden darf.263 a) Netzbezogene Maßnahmen, § 13 Abs. 1 Nr. 1 EnWG Auf dem niedrigsten Level innerhalb des Stufensystems befinden sich die netzbezogenen Maßnahmen, die als sogenannte interne Maßnahmen der Übertragungsnetzbetreiber den technischen Netzbetrieb betreffen und keinerlei direkte Auswirkungen auf die Rechte der Netznutzer haben,264 somit den geringsten Eingriff erzeugen. Mögliche netzbezogene Maßnahmen waren exemplarisch im Transmission Code (letzte Fassung aus dem Jahr 2007) für Übertragungsnetzbetreiber,265 den Statuten, in dem die vier Übertragungsnetzbetreiber die Zugangsbedingungen zum deutschen Stromnetz verständigt haben, aufgeführt. So werden hier etwa Topologiemaßnahmen erfasst, sogenannte den Lastfluss verändernde Netzschaltungen zur Entlastung des Netzes an überlasteten Stellen.266 Weiterhin ist in diesem Rahmen die temporäre zu hohe Einstellung der Spannungswerte möglich, inso-

261 Vgl. Bundestag, Begründung zum Strommarktgesetz vom 20. Januar 2016, BTDrs. 18/7317, S. 85; Ruttloff/Strauch, Besondere netztechnische Betriebsmittel nach § 11 Abs. 3 EnWG, EnWZ 2018, S. 247–254 (249). 262 Zur Definition Redispatch vgl. Kapitel A. I. und zu den weiteren Formen des Redispatch in diesem Kapitel unter I. 2. b) cc). 263 Vgl. Ruttloff, Redispatch und „angemessene Vergütung“ – Präjudizien für den Strommarkt 2.0?, NVwZ 2015, S. 1086–1093 (1092). 264 Vgl. Sötebier, in: Britz et al., Energiewirtschaftsrecht, 2015, § 13, Rn. 23; Tüngler, in: Kment, Energiewirtschaftsrecht, 2019, § 13, Rn. 27. 265 Diese Vorgaben nach dem Transmission Code 2007 waren rechtlich unverbindliche Regelungen und wurden durch Präqualifikationskriterien sukzessive ersetzt. In diesem Zusammenhang sind die Regelungen auf EU-Ebene bedeutsam, wie etwa durch die Verordnung (EU) 2017/1485 zur Festlegung einer Leitlinie für den Übertragungsnetzbetrieb vom 02. August 2017, ABl. EU Nr. L 220, S. 1 vom 25. August 2017 und die Verordnung (EU) 2017/2195 zur Festlegung einer Leitlinie über den Systemausgleich im Elektrizitätsversorgungssystem vom 23. November 2017, ABl. EU Nr. L 312, S. 6 vom 28. November 2017, vgl. hierzu auch Hilpert, Die Systemverantwortung der Übertragungsnetzbetreiber im Strommarkt 2.0, 2018, S. 46. 266 Vgl. Tüngler, in: Kment, Energiewirtschaftsrecht, 2019, § 13, Rn. 27. Diesbezüglich ist ggf. eine Abstimmung mit benachbarten Netzbereichen erforderlich (vgl. Hartmann/Weise, in: Theobald/Kühling, Energierecht, 2022, § 13, Rn. 17).

I. Instrumente Strommarkt

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fern eine noch vertretbare Inanspruchnahme der Betriebsmittel unter Beachtung der allgemein anerkannten Regeln der Technik erfolgt.267 b) Marktbezogene Maßnahmen nach § 13 Abs. 1 Nr. 2 EnWG Im Gegensatz zu den netzbezogenen Maßnahmen wirken sich marktbezogene Maßnahmen gemäß § 13 Abs. 1 Nr. 2 EnWG im Sinne eines präventiven Engpassmanagements auf die Netzkunden aus.268 Voraussetzung ist, dass von ihnen durch entsprechende vertragliche Vereinbarungen eine Vergütung für diese Maßnahmen verlangt wird, um ein netzdienliches Verhalten auszulösen.269 So wird das Stromnetz insoweit entlastet, wenn die Stromausspeisungen der Stromeinspeisungen wechselseitig angeglichen werden.270 aa) Regelenergiemarkt Während die Ausgleichsenergie die bilanzielle Ausgeglichenheit regelt, dient die Regelenergie als Instrument für den realen Stromfluss, mithin der Gewährleistung der Balance des Stromnetzes.271 So gerantiert der Regelenergiemarkt als ein eigenständiger Markt neben dem regulären Großhandelsmarkt die Beschaffung der Regelenergie gemäß § 22 Abs. 1 Satz 1 EnWG in Verbindung mit § 6 StromNZV durch ein transparentes, diskriminierungsfreies und marktorientiertes Beschaffungsverfahren für die einzelnen Regelenergiearten.272 Auf dem Regelenergiemarkt wird im Unterschied zum Großhandelsmarkt nicht nur die Erbringung (Arbeitspreis) sondern auch bereits die Vorhaltung der Regelenergie (Leistungspreis) vergütet.273 Der Einsatz der Regelenergie dient, mit positiver Wirkung auf die kurzfristige Versorgungssicherheit, dem unverzüglichen Ausgleich von Netzschwankungen, wenn etwa das Angebot (prognostizierter Strom) nicht mit der Nachfrage (tatsächlicher Strombedarf) der vorab definierten Fahrpläne übereinstimmt.274 267 Vgl. Hartmann/Weise, in Theobald/Kühling, Energierecht, § 13, Rn. 17; König, in: Säcker, Berliner Kommentar zum Energierecht, 2019, § 13, Rn. 21. Hierbei werden „möglichst hohe Spannungswerte eingestellt, um die Übertragungsnetzkapazität des Netzes zu erhöhen“ (Tschida, Die Systemverantwortung der Netzbetreiber, 2016, S. 61). 268 Vgl. Tüngler, in: Kment, Energiewirtschaftsrecht, 2019, § 13, Rn. 28. 269 Vgl. Sötebier, in: Britz et al., Energiewirtschaftsrecht, 2015, § 13, Rn. 28. 270 Vgl. Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestags, Versorgungssicherheit im Energiebereich in der Gesetzgebung, 2021, S. 8. 271 § 2 Nr. 9 StromNZV: „diejenige Energie, die zum Ausgleich von Leistungsungleichgewichten in der jeweiligen Regelzone eingesetzt wird“. 272 Vgl. § 22 EnWG. 273 Vgl. Sötebier, in: Britz et al., Energiewirtschaftsrecht, 2015, § 13, Rn. 88. 274 Vgl. Hartmann/Weise, in: Theobald/Kühling, Energierecht, 2022, § 13, Rn. 20; Schiffer, Energiemarkt Deutschland, 2019, S. 554; Sötebier, in: Britz et al., Energiewirt-

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G. Instrumente zur Gewährleistung von Versorgungssicherheit

Indessen werden hierdurch nicht die Letztverbraucher beliefert und auch keine Anreize für Kraftwerksbetreiber für Investitionen in neue Kraftwerke gesetzt, auch ist die Planungssicherheit folglich nicht erhöht. Die Anbieter von Regelenergie, die pro Regelzone, mithin für ein abgegrenztes geographisches Gebiet, eingesetzt wird, sind hauptsächlich konventionelle Kraftwerke und Pumpspeicherkraftwerke, nach der Erweiterung durch das Strommarktgesetz275 nun auch flexible Anbieter276 und Erneuerbare-Energien-Anlagen. Unbeschadet dessen gilt für alle Übertragungsnetzbetreiber nach § 22 Abs. 2 Satz 1 EnWG ein Ausschreibungsverfahren mithilfe einer gemeinsamen Internetplattform. Darüber hinaus besteht gemäß § 22 Abs. 2 Satz 4 EnWG ein Kooperationsgebot mit dem Ziel, einen möglichst effizienten Einsatz von Regelenergie zu erreichen respektive ein kontraproduktives gegensätzliches Handeln zu vermeiden.277 Mit welcher Schnelligkeit Regelenergie zur Behebung von Leistungsbilanzstörungen eingesetzt werden kann, ergibt sich aus drei Kategorien: So ist die Primärregelleistung innerhalb von wenigen Sekunden im Gebiet der ENTSO-E (European Network of Transmission System Operators for Electricity) aktivierbar, und zwar lokal bei den involvierten Kraftwerken.278 Die Sekundärregelleistung dient hingegen der Ablösung der Primärregelleistung und ist innerhalb von zehn Minuten einsetzbar,279 die Tertiärenergie (oder auch Minutenreserve genannt) wird subsidiär innerhalb von einer Viertelstunde bei länger andauernden (maximal eine Stunde) Störungen aktiviert.280 Im weiteren Verlauf der Störung (etwa bei einem Kraftwerksausfall) ist der Verursacher dieser Störung selbst verantwortlich für die entsprechende Anpassung der Fahrpläne.281 Des Weiteren wird differenziert nach positiver Regelenergie, wenn die Leistung aufgrund höherer Erzeugung oder geringerem Verbrauch beigebracht sowie schaftsrecht, 2015, § 13, Rn. 85; Ruttloff/Strauch, Besondere netztechnische Betriebsmittel nach § 11 Abs. 3 EnWG, EnWZ 2018, S. 247–254 (250); Tschida, Die Systemverantwortung der Netzbetreiber, 2016, S. 62. 275 Gesetz zur Weiterentwicklung des Strommarktes (Strommarktgesetz) vom 26. Juli 2016, BGBl. I, S. 1786. 276 Vgl. § 26a StromNZV. 277 Vgl. Kühling et al., Energierecht, 2022, S. 121, Rn. 103. 278 Vgl. Schiffer, Energiemarkt Deutschland, 2019, S. 554; Definition in § 2 Nr. 8 StromNZV. 279 Definition in § 2 Nr. 10 StromNZV; vgl. Schiffer, Energiemarkt Deutschland, 2019, S. 554. 280 Definition in § 2 Nr. 6 StromNZV; zu den drei Arten der Regelenergie, vgl. TransmissionCode2007, Netz- und Systemregeln der deutschen ÜNB, Anhang A1, S. 27 und 28. 281 Vgl. Schiffer, Energiemarkt Deutschland, 2019, S. 554; gemäß § 5 Abs. 4 Satz 2 StromNZV der Bilanzkreisverantwortliche; Kroneberg/Berg, in: Säcker, Berliner Kommentar zum Energierecht, 2019, § 22 EnWG, Rn. 33.

I. Instrumente Strommarkt

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negativer Regelenergie, wenn die Leistung durch geringere Erzeugung oder höherem Verbrauch erbracht wird.282 bb) Abschaltbare Lasten Unabhängig von einem Eingreifen in den Prozess der Stromerzeugung besteht als eine weitere marktbezogene Option nach § 13 Abs. 1a EnWG das Ab- und Zuschalten von Lasten.283 Unterdessen sind abschaltbare Lasten insbesondere im Strommarkt von Bedeutung, so für Verbraucher mit größerem Bedarf an Elektrizität, maßgeblich Industriebetriebe, die mittels des direkten Anschlusses an das Übertragungsnetz durch den Übertragungsnetzbetreiber steuerbar sind. Die Übertragungsnetzbetreiber können in die Fahrweise von Kraftwerken und Speicheranlagen durch kurzfristiges Abschalten oder Verringern ihrer Stromnachfrage eingreifen. Ziel ist hierbei, Energiedefizite auszugleichen und Übertragungsnetze zu stabilisieren, um hierdurch deren Gefährdung zu vermeiden. So soll eine flexible Nachfrage begünstigt werden.284 Erfolgsentscheidend ist zudem der Standort des entsprechenden Kraftwerks, insofern es dicht genug bei dem auszugleichenden Engpass angesiedelt sein muss, um das Spannungsdefizit effektiv beseitigen zu können.285 Entsprechend der Bedeutung des Instruments der Abschaltung, auch zur Förderung der Versorgungssicherheit,286 enthält die Verordnung über Vereinbarungen zu abschaltbaren Lasten (AbLaV) von Dezember 2012, novelliert im Jahr 2016287 die Voraussetzung für die Nutzung von abschaltbaren Leistungen von Unternehmen sowie deren Leistungsvergütung. 282

Vgl. BMWi, Ein Strommarkt für die Energiewende (Grünbuch), 2014, S. 11. Unter abschaltbaren Lasten sind hier stromintensive Letztverbraucher (Industrieprozesse) zu verstehen, die aufgrund vertraglicher Vereinbarung kurzfristig regelbar sind, mithin kurzzeitig eingeschränkt oder auch deaktiviert werden können. Dies dient der Abwendung einer Störung oder Gefährdung des Netzes, mithin der Aufrechterhaltung der Systemstabilität, vgl. Monopolkommission, Energie 2013: Wettbewerb in Zeiten der Energiewende, S. 177, Ziff. 335; § 2 Nr. 1 der Verordnung über Vereinbarungen zu abschaltbaren Lasten (AbLaV) vom 16. August 2016, BGBl. I, S. 1984, zuletzt geändert durch Art. 9 des Gesetzes vom 16. Juli 2021, BGBl. I, S. 3026. 284 Vgl. König, Die Vergütung abschaltbarer Lasten, EnWZ 2013, S. 201–205 (201): „Alternative zu Eingriffen in die Stromerzeugung“. 285 Vgl. Ruttloff/Strauch, Besondere netztechnische Betriebsmittel nach § 11 Abs. 3 EnWG, EnWZ 2018, S. 247–254 (250); Tschida, Die Systemverantwortung der Netzbetreiber, 2016, S. 65. 286 Abschaltbare Lasten sind gegenüber den zuschaltbaren Lasten vorrangig, insofern sie besser steuerbar sind, vgl. Sötebier, in: Britz et al., Energiewirtschaftsrecht, 2015, § 13, Rn. 73; Ruttloff/Strauch, Besondere netztechnische Betriebsmittel nach § 11 Abs. 3 EnWG, EnWZ 2018, S. 247–254 (250). 287 Verordnung über Vereinbarungen zu abschaltbaren Lasten (AbLaV) von 16. August 2016, BGBl. I, S. 1984, zuletzt geändert durch Art. 9 des Gesetzes vom 16. Juli 2021, BGBl. I, S. 3026. 283

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G. Instrumente zur Gewährleistung von Versorgungssicherheit

Indem die Europäische Kommission Abschaltregelungen als sogenannte Lastmanagement-Regelungen auch zu den Kapazitätsmechanismen zählt, da Kapazitäten bei einer Versorgungsstörung bereitgestellt werden, wurde die novellierte AbLaV als eine mit dem Binnenmarkt zu vereinbarende, staatliche Beihilfe, klassifiziert.288 Unterdessen obliegt den Übertragungsnetzbetreibern auch bei dieser marktbezogenen Maßnahme die Durchführung eines diskriminierungsfreien und transparenten Ausschreibungsverfahrens.289 Im Endeffekt ist dieses Instrument für die Versorgungssicherheit positiv zu bewerten, indem etwa keine Kosten für eine Vorhaltung von Kapazitäten entstehen, vielmehr dieses Instrument nur im tatsächlichen Bedarfsfall zum Einsatz kommt. Ein Problem könnte aber zum einen durch den Einsatz immer derselben Kraftwerke entstehen, zum anderen darin, dass hauptsächlich energieintensive Letztverbraucher bei den entsprechenden Maßnahmen involviert sind. Daher könnte sich ein potenzielles Risiko für einen unerwünschten externen Effekt ergeben, folglich die Gefahr einer mittelbaren Subvention energieintensiver Unternehmen entstehen.290 cc) Engpassmanagement: Redispatch und Countertrading Die Intention der Ermächtigung der Übertragungsnetzbetreiber nach § 13 Abs. 1 Nr. 2, § 13a Abs. 1 S. 1 EnWG in Verbindung mit § 15 StromNZV, zeitweise in die Fahrpläne der Kraftwerke (Dispatch) einzugreifen und deren Einspeiseverhalten zu beeinflussen (Redispatch),291 besteht darin, bestimmte Leitungsabschnitte des Energienetzes vor einer Überlastung zu schützen.292 Hierdurch soll die Systemstabilität gewährleistet werden und somit zur Sicherung der Versorgung beitragen. Zwingend erforderlich wird das Eingreifen, wenn insbesondere aufgrund der fluktuierenden Einspeisung durch Strom aus erneuerbaren Energien sich Nachfrage und Angebot des Stroms temporär nicht decken.293 Im Gegensatz etwa zu Maßnahmen nach der Abschaltverordnung wird indessen nur 288 Vgl. EU-Kommission, Staatliche Beihilfe vom 24. Oktober 2016, C (2016) 6765 final, SA. 43735 (2016/N) – Deutschland-AbLaV-Regelung. 289 Siehe § 8 Abs. 1 AbLaV. Zudem müssen Präqualifikationskriterien gem. § 9 AbLaV nachgewiesen werden. 290 Vgl. König, in: Säcker, Berliner Kommentar zum Energierecht, 2019, § 13 EnWG, Rn. 60; siehe hierzu die Ausführungen zu externen Effekten in Kapitel C. II. 3. d). 291 Zur Definition Redispatch vgl. Kapitel A. I. Zu unterscheiden ist zwischen dem strombedingten Redispatch, das kurzfristig auftretende Überlastungen in Netzbetriebsmitteln (etwa Leitungen) verhindern soll und dem spannungsbedingten Redispatch, der die Spannung in einem betroffenen Netzgebiet durch zusätzlich bereitgestellte Blindleistung aufrechterhalten soll (vgl. Fekete, Redispatch in Deutschland, 2021, S. 3). 292 Vgl. Stelter/Ipsen, Das Gesetz zur Weiterentwicklung des Strommarktes (Strommarktgesetz), EnWZ 2016, S. 483–488 (485); Fekete, Redispatch in Deutschland, 2021, S. 3. 293 Vgl. Holznagel, Beschleunigter Stromleitungsausbau im gestuften Verfahren – ein Abschied auf Raten?, ZUR 2020, S. 515–521 (515).

I. Instrumente Strommarkt

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die lokale Zuteilung der Einspeisung geändert, nicht aber die Menge der eingespeisten Energieleistung.294 Während die Eingriffe zunächst nur auf vertraglichen Vereinbarungen basierten, erwiesen sich diese jedoch im Hinblick auf die deutliche Erhöhung der Redispatch-Einsätze nach dem Atomausstieg in Süddeutschland als nicht praktikabel, insofern die Kraftwerksbetreiber mit teils überzogenen Forderungen kontrahieren wollten.295 Demzufolge wurden dann alle Kraftwerksbetreiber mit einer Nennleistung ab einhundert Kilowatt gemäß § 13a Abs. 1 Nr. 2 EnWG296 gesetzlich verpflichtet, gegen eine angemessene Vergütung den entsprechenden Anforderungen des Übertragungsnetzbetreibers auf Anpassung der Einspeiseleistung nachzukommen.297 Wie bereits in Kapitel E. dargestellt, potenziert der Merit Order-Effekt Redispatch-Maßnahmen, deren hohe Kosten wiederum die Kosten des Energiebezugs ansteigen lassen.298 Die regulatorischen Anforderungen an die Anlagenbetreiber bedeuten zugleich einen erheblichen Eingriff in ihre Nutzungsrechte. War zunächst die Auslegung der angemessenen Vergütung nach § 13 Abs. 1b EnWG zwischen der Bundesnetzagentur und den Unternehmen streitig, ist nunmehr die Erstattung geregelt.299 So besteht die Maßgabe, dass die Betreiber einer Anlage durch den Ein294

Vgl. Fekete, Redispatch in Deutschland, 2021, S. 3. Vgl. Ruttloff, Redispatch und „angemessene Vergütung“ – Präjudizien für den Strommarkt 2.0?, NVwZ 2015, S. 1086–1093 (1087) mit weiteren Verweisen. 296 Da sie sowohl als Zwangsmaßnahme als auch marktbezogen wirkt, wird ihr ein „zwitterhafter Charakter“ zugeschrieben, vgl. Sötebier, in: Britz et al., Energiewirtschaftsrecht, 2015, § 13, Rn. 39. 297 Vgl. Ruttloff, Redispatch und „angemessene Vergütung“ – Präjudizien für den Strommarkt 2.0?, NVwZ 2015, S. 1086–1093 (1090); Riewe, Versorgungssicherheit durch Kapazitätsmechanismen, 2016, S. 354 mit weiterem Verweis; Sötebier, in: Britz et al., Energiewirtschaftsrecht, 2015, § 13, Rn. 41. 298 Siehe hierzu in Kapitel E. I. 5. b); vgl. Holznagel, Beschleunigter Stromleitungsausbau im gestuften Verfahren – ein Abschied auf Raten?, ZUR 2020, S. 515–521 (515). Zudem waren auch Netzbetreiber durch das Einspeisemanagement finanziell betroffen, da sie gem. § 15 Abs. 1 EEG 2017 verschuldensunabhängig verpflichtet waren, den betroffenen Anlagenbetreibern eine Entschädigung in Höhe von 95 % des entgangenen Gewinns zu zahlen. Nach § 15 Abs. 1 EEG 2021 soll die Höhe der Entschädigung dem Vergütungsverlust entsprechen. 299 Zunächst sah die Bundesnetzagentur einen Aufwendungsersatz als ausreichend an, vgl. Bundesnetzagentur, Beschluss vom 30. Oktober 2012, Az.: BK8-12-019, dies wurde vom OLG Düsseldorf, Beschluss vom 28. April 2015, Az.: VI-3 Kart. 332/12 (V), VI-3 Kart. 331/12 (V), VI-3 357/12 (V) aufgehoben. Die erneute Festlegung der Bundesnetzagentur erfolgte auf der Grundlage von § 13a Abs. 2 und 5 EnWG mit Beschluss vom 10. Oktober 2018, Az.: BK8-18/0007-A, der mit Entscheidung des OLG Düsseldorf vom 12. August 2020 gerügt wurde. Nunmehr hat die Bundesnetzagentur mit Beschluss vom 19. Mai 2021, Az.: BK8-18/0007-A nach Vergleichsverhandlungen die Entscheidung über die Vergütung auf Grundlage von freiwilligen Selbstverpflichtungen der ÜNB getroffen. Zu den Einzelheiten bzgl. des Rechtsstreits bis zum Jahr 2018 um eine angemessene Vergütung und den Details zur Redispatch-Kostenfestlegung 295

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G. Instrumente zur Gewährleistung von Versorgungssicherheit

satz wirtschaftlich weder besser noch schlechter gestellt werden dürfen. Auch sollte hierdurch die unerwünschte Motivation verhindert werden, in bestimmten Situationen anstatt die einsatzbereite Regelenergie einzusetzen, vorzugsweise auf die Redispatch-Kapazitäten zurückzugreifen.300 Von Relevanz ist in diesem Zusammenhang das am 17. Mai 2019 in Kraft getretene Netzausbaubeschleunigungsgesetz (NABEG)301 mit neuen Vorgaben, deren Umsetzung von den Netzbetreibern zum 21. Oktober 2021 zu bewerkstelligen war.302 Zentrales Anliegen ist hierbei, ein effizienteres Engpassmanagement zu erreichen, insofern Rahmenbedingungen für ein einheitliches Redispatch nach den §§ 13, 13a und 14 EnWG (Redispatch 2.0) geschaffen wird, die die bestehenden Regelungen erweitern und den außerordentlich gestiegenen Kosten entgegenwirken. So wird ab dem 01. Oktober 2021 mittels Absenkung des Schwellenwerts aus § 13a Abs. 1 EnWG auf einhundert KW die Anzahl der Redispatchanlagen, auf die die Übertragungsnetzbetreiber Zugriff haben, signifikant erhöht. Auch werden nicht nur wie bislang konventionelle Kraftwerke von Redispatch-Maßnahmen betroffen sein, vielmehr sind ab dem 01. Oktober 2021 auch Anlagen der erneuerbaren Energien und Kraft-Wärme-Kopplungs-Anlagen (KWK-Anlagen) zur Teilnahme verpflichtet.303 Wurden zuvor nur die konventionellen Kraftwerke im Rahmen des Einspeisemanagements einbezogen, werden nunmehr die dezentralen Anlagen der erneuerbaren Energien, die näher am Netzengpass liegen und somit dadurch zielgenauer den Netzengpass auflösen können, miterfasst. Unterdessen entfällt für den Bilanzkreisverantwortlichen der höhere Aufwand bei der Bilanzierung. Ausgelöst durch die intensive Zunahme der erneuerbaren Energien, mit der der Netzausbau nicht nachkommen konnte, hat sich in der Vergangenheit letztlich der Ausnahmefall des Eingreifens durch Redispatch zum Regelfall entwickelt.304 siehe den Exkurs in Heymann, Der Strommarkt 2.0 im Lichte des europäischen und deutschen (Wettbewerbs) Rechts, 2019, S. 71. 300 Redispatch und Regelenergie sind „unterschiedliche Energieprodukte“, jedoch könnte die unterschiedliche Bepreisung durch einen stärker marktorientierten Ansatz, etwa Ausschreibungsverfahren, angenähert werden, siehe Ruttloff, Redispatch und „angemessene Vergütung“ – Präjudizien für den Strommarkt 2.0?, NVwZ 2015, S. 1086– 1093 (1092). 301 Gesetz zur Beschleunigung des Energieleitungsausbaus vom 13. Mai 2019, BGBl. I, S. 706. Hierdurch sollen Genehmigungsverfahren für Neubau, Verstärkung und Optimierung von Stromleitungen vereinfacht und beschleunigt werden. 302 Art. 25 Abs. 2 des Gesetzes zur Beschleunigung des Energieleitungsausbaus vom 13. Mai 2019, BGBl. I, S. 706. 303 Vgl. zur Umsetzung BDEW, Branchenlösung Redispatch 2.0, 2020. 304 Vgl. Pflaum/Egeler, Smartes System für die Energiewende – der Übertragungsnetzbetreiber in der digitalen Zukunft, in: Dolesky, Herausforderung Utility 4.0, 2017, S. 149–179 (157 und 158).

I. Instrumente Strommarkt

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Dies sollte mit dem neuen Gesetz korrigiert werden. Während in Deutschland mit der Einführung des NABEG ein reguliertes Redispatch unerlässlich zur möglichst effizienten Beseitigung lokaler oder regionaler Engpässe ist, werden in einigen Ländern stärker marktbasierte Ansätze bevorzugt, so präferiert etwa auch die Europäische Union in dem Clean Energy Package305 marktbasierte Verfahren. Eine weitere marktbezogene Maßnahme zur Auflösung der kurzfristigen Engpässe, ist das Countertrading, bei dem durch gezielten Stromkauf und -verkauf an Handelsbörsen Lastflüsse ausgelöst werden, insofern die betroffenen Leitungen entlastet werden.306 Problematisch ist hierbei indes, dass diese Stromhandelsgeschäfte für Regelzonen getätigt werden und somit dem Einfluss der Netzbetreiber auf die Auswahl der Anlagen entzogen sind. Auch hierdurch bedingt wird die Entlastung weniger oft als mit den zuvor dargestellten Maßnahmen herbeigeführt.307 Vorausgesetzt, die verfügbaren Übertragungs- und Verteilnetzbetreiber erreichen mit netz- und marktbezogenen Maßnahmen nicht den gewünschten Erfolg der Entlastung, sind die Betreiber nach § 15 Abs. 2 StromNZV verpflichtet, die verfügbaren Leistungskapazitäten nach marktorientierten Verfahren diskriminierungsfrei zu bewirtschaften. dd) Notfallmaßnahmen nach § 13 Abs. 2 EnWG Unter der Voraussetzung, dass abschaltbare Lasten und Regelenergie als marktbezogene Maßnahmen bei Störungen, so etwa bei drohenden Netzzusammenbrüchen, nicht in der Lage sind, diese zu beseitigen, sind die Übertragungsnetzbetreiber gemäß § 13 Abs. 2 EnWG berechtigt, sogenannte Lastenabwürfe vorzunehmen. Zwingend geboten ist für die Übertragungsnetzbetreiber daher, sämtliche Maßnahmen nach § 13 Abs. 1 EnWG zunächst durchzuführen und nur im Falle des Versagens die Notfallmaßnahmen vorzunehmen. Basierend auf der gesetzlichen Legitimation sind hierbei vertragliche Abmachungen irrelevant, mit305 Das Clean Energy Package for all Europeans wurde am 22. Mai 2019 verabschiedet und beinhaltet folgende Rechtsakte: Erneuerbare-Energien-Richtlinie (EU) 2018/ 2001, ABl. EU Nr. L 328, S. 82; Governance-Verordnung (EU) 2018/1999, ABl. EU Nr. L 328, S. 1; Energieeffizienz-Richtlinie (EU) 2018/2002, ABl. EU Nr. L 328, S. 210; Elektrizitätsbinnenmarkt-Verordnung (EU) 2019/943, ABl. EU Nr. L 158, S. 54; Strommarkt-Richtlinie (EU) 2019/944, ABl. EU Nr. L 158/125 vom 14. Juni 2019; Verordnung über eine Agentur für die Zusammenarbeit der Energieregulierungsbehörden (ACER-VO) (EU) 2019/942, ABl. EU Nr. L 158, S. 22; GebäudeeffizienzRichtlinie (EU) 2018/844, ABl. EU Nr. L 156, S. 75 und Risikovorsorge-Verordnung (EU) 2019/941, ABl. EU Nr. L 158, S. 1; siehe hierzu Kapitel A. III. 3. 306 Vgl. König, in: Säcker, Berliner Kommentar zum Energierecht, 2019, § 13, Rn. 64. 307 Vgl. ebenda Rn. 65.

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G. Instrumente zur Gewährleistung von Versorgungssicherheit

hin auch gegen den Willen der Anlagenbetreiber Stromabnahmen in ihren Regelzonen vorzunehmen.308 Die Übertragungsnetzbetreiber sind auch berechtigt, den gesetzlichen Einspeisevorrang von EEG-Anlagen außer Kraft zu setzen und diese Anlagen entsprechend abzuregeln, so § 14 EEG 2017, was durch § 14 EEG 2021 mehr Anlagen betreffen wird. Nicht zuletzt im Hinblick auf die Versorgungssicherheit ist anzunehmen, dass die Fälle der sogenannten ungeplanten Lastenabwürfe sich in einem minimalen Bereich bewegen.309 ee) Einsatz besonderer netztechnischer Mittel Im Gegensatz zu den Instrumenten für präventive Zwecke standen dem Übertragungsnetzbetreiber nach § 11 Abs. 3 EnWG a. F.310 besondere netztechnische Mittel (so etwa Erzeugungsanlagen) zu kurzfristigen Einsätzen zur Verfügung. Indessen bestand die Besonderheit, dass diese Mittel ausschließlich zu kurativen Zwecken bei bereits eingetretenen Störungen durch Fehler im System vorgehalten werden.311 Infolgedessen sollte der Übertragungsnetzbetreiber hierdurch nach einem tatsächlich eingetretenen örtlichen Ausfall zu einem zügigen Wiederaufbau des sicheren Betriebszustands des Netzes imstande sein.312 Nach § 34 Abs. 8a Anreizregulierungsverordnung ist für besondere netztechnische Betriebsmittel § 118 Abs. 33 EnWG (Übergangsregelung) anzuwenden.

308 Vgl. Riewe, Versorgungssicherheit durch Kapazitätsmechanismen, 2016, S. 356. „Die Anpassung von Stromeinspeisungen ist ein gesetzliches Erzeugungsmanagement, die Anpassung von Stromabnahmen ist ein gesetzliches Lastmanagement.“ (König, in: Säcker, Berliner Kommentar zum Energierecht, 2019, § 13, Rn. 82). Bei Stromtransiten wird von einem liefernden zu einem empfangenden Bilanzkreis, die jeweils in verschiedenen Regelzonen liegen, Elektrizität übertragen (siehe ebenda). Diese Maßnahmen werden auch als Zwangsmaßnahmen bezeichnet (vgl. Tschida, Die Systemverantwortung der Netzbetreiber, 2016, S. 72). 309 Vgl. Feicht, Kleine Anfrage betr.: Schaden für Wirtschaft und Industrie durch Lastabwürfe vom 30. April 2019, BT-Drs. 19/9307, S. 8. 310 § 11 Abs. 3 EnWG a. F. wurde aufgehoben durch das Gesetz vom 16. Juli 2021, BGBl. I, S. 3026. Hiernach gilt, dass für besondere netztechnische Betriebsmittel, für die bis zum 30. November 2020 ein Vergabeverfahren begonnen wurde, § 11 Abs. 3 in der bis zum 27. Juli 2021 geltenden Fassung anzuwenden ist. Satz 1 ist auch anzuwenden, wenn ein bereits vor dem 30. November 2020 begonnenes Vergabeverfahren aufgrund rechtskräftiger Entscheidung nach dem 30. November 2020 neu durchgeführt werden muss. Erst 2017 wurde § 11 Abs. 3 EnWG a. F. als Ersatz für den vorherigen § 13k EnWG „Netzstabilitätsanlagen“ durch das Gesetz zur Modernisierung der Netzentgeltstruktur (Netzentgeltmodernisierungsgesetz) vom 17. Juli 2017, BGBl. I, S. 2503, eingeführt. Hiernach konnten die ÜNB ohne vorherige Ausschreibung selbst Erzeugungsanlagen neu errichten und dann auch betreiben. 311 Vgl. Ruttloff/Strauch, Besondere netztechnische Betriebsmittel nach § 11 Abs. 3 EnWG, EnWZ 2018, S. 247–254 (253). 312 Vgl. Bundestag, Beschlussempfehlung und Bericht zum Entwurf des Netzentgeltmodernisierungsgesetz vom 28. Juni 2017, BT-Drs. 18/12999, S. 16.

I. Instrumente Strommarkt

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Die Übertragungsnetzbetreiber hatten bei der Errichtung neuer Anlagen einen weiten Beurteilungsspielraum, so dass ihnen nur oblag, sicherzustellen, dass die Anlage für die kurzfristige Abrufbarkeit geeignet ist.313 Die besonderen netztechnischen Betriebsmittel sollten zehn Jahre vorgehalten werden, um auch nach Fertigstellung der Höchstspannungsgleichstrom-Projekte ausreichend „netzstützende Redundanzen“ 314 zur Verfügung zu haben.315 Auf Grundlage dieser Vorschrift wurde ein einziges erdgasbefeuertes neues Kraftwerk (Irsching Block 6) in Süddeutschland mit einer Leistung von dreihundert Megawatt gebaut, die Betriebnahme war für Oktober 2022 geplant.316 Diese Vorschrift des § 11 Abs. 3 EnWG a. F. ist im Hinblick darauf, dass die Kernkraftwerke bis zum Jahr 2022 (Atom-Moratorium vom 14. März 2011) abgeschaltet werden sollten, eingefügt worden. Dementsprechend wurde diese Vorschrift auch kritisch bewertet.317 3. Monitoringinstrumente Ausgehend von der dem Staat obliegenden Gewährleistungsverantwortung für die Versorgungssicherheit wird den Überwachungspflichten insofern Genüge getan, als die Bundesnetzagentur in Abstimmung mit dem Bundesministerium für Wirtschaft und Energie fortlaufend ein Monitoring der Versorgungssicherheit für den Bereich der Versorgung mit Erdgas und dem Bereich der Versorgung der Elektrizität nach § 51 Abs. 2 bis 4 EnWG durchführt. Hierdurch kann sie auf potenziell erkennbare Gefahren für die Versorgungssicherheit sofort reagieren.318 Dies beruht auf wahrscheinlichkeitsbasierten Analysen, indessen diese aufgrund § 51 Abs. 4 EnWG auch die Auswirkungen der europäischen Strommärkte auf den nationalen Markt einbeziehen. 313 Vgl. Bundestag, Beschlussempfehlung und Bericht zum Entwurf des Netzentgeltmodernisierungsgesetz vom 28. Juni 2017, BT-Drs. 18/12999, S. 17. § 11 Abs. 3 EnWG a. F. sah keine Kontrollmöglichkeit durch die Bundesnetzagentur vor. Weiterhin gab es keine Legaldefinition, siehe Ruttloff/Strauch, Besondere netztechnische Betriebsmittel nach § 11 Abs. 3 EnWG, EnWZ 2018, S. 247–254 (253); „Ursprünglich sollten hierunter vor allem neue Gaskraftwerke in Bayern und Baden-Württemberg fallen“, ebenda. 314 Vgl. Nußbaum, Kleine Anfrage zu Kosten und Betrieb von besonderen netztechnischen Betriebsmitteln vom 20. Juni 2019, BT-Drs. 19/10728, S. 3. 315 Vgl. ebenda. 316 Vgl. Nußbaum, Kleine Anfrage zu Kosten und Betrieb von besonderen netztechnischen Betriebsmitteln vom 20. Juni 2019, BT-Drs. 19/10728, S. 3; vgl. die Infos zum Bauprojekt der uniper energy, Irsching 6. 317 Vgl. Ruttloff/Strauch, Besondere netztechnische Betriebsmittel nach § 11 Abs. 3 EnWG, EnWZ 2018, S. 247–254 (251). 318 Vgl. Gundel, in: Theobald/Kühling, Energierecht, 2022, Europäisches Energierecht, Rn. 70.

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G. Instrumente zur Gewährleistung von Versorgungssicherheit

Weiterhin werden zum Stand und zur Entwicklung der Versorgungssicherheit verschiedene Berichte herangezogen, zu denen etwa gemäß § 63 Abs. 1 EnWG die Bundesregierung, nach § 63 Abs. 2 und 2a EnWG zusätzlich zu § 63 Abs. 1 EnWG das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie sowie nach § 63 Abs. 2 S. 1, Abs. 3 bis Abs. 4 EnWG die Bundesnetzagentur319 verpflichtet sind, sowie nach § 63 Abs. 5 EnWG das Statistische Bundesamt gegenüber der Europäischen Kommission. 4. Vorratshaltung zur Sicherung der Energieversorgung Eine potenzielle Maßnahme zur Sicherstellung der Energieversorgung ist in § 50 Nr. 1 EnWG vorgesehen, insofern das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie durch Rechtsverordnung ermächtigt wird, mit Zustimmung des Bundesrates Vorschriften mit dem Ziel der Brennstoffbevorratung zu erlassen. So können Anlagenbetreiber, deren Kraftwerke, eine elektrische Nennleistung von mindestens einhundert Megawatt aufweisen, zur Bevorratung von fossilen Brennstoffen, etwa Kohle oder Mineralöl bei der Erzeugung von Strom verpflichtet werden. Indessen muss die Bevorratung jeweils mit der erforderlichen Menge der Abgabepflichten oder auch des eigenen Bedarfs für die Dauer von 30 Tagen korrespondieren. Abgesehen davon, dass diese Ermächtigung bisher noch nicht zum Einsatz gekommen ist,320 dürfte angesichts der Regelungen der §§ 13 ff. und des im Jahr 1975 in Kraft getretenen Gesetz zur Sicherung der Energieversorgung (EnSiG) die Bedeutung eher gering sein.321 Auch gilt dies nicht für Kraftwerksbetreiber von Atomkraftwerken, für Betreiber von Erneuerbare-Energien-Anlagen322 und auch nicht für Betreiber von Gasspeichern nach § 3 Nr. 9 EnWG.323 319 Die Bundesnetzagentur hatte erstmals bis zum 31. Oktober 2021, danach mindestens alle zwei Jahre, die Pflicht, einen Bericht zum Stand und der Entwicklung der Versorgungssicherheit sowohl im Bereich der Versorgung mit Erdgas als auch im Bereich der Versorgung mit Elektrizität zu erstellen. 320 Vgl. Groß/Wagenführ, in: BeckOK EnWG, 2022, § 50, Rn. 3; Boos, in: Theobald/Kühling, Energierecht, 2022, § 50, Rn 5. Die Vorschrift wurde ursprünglich als § 14 (später § 17) durch das Gesetz zur Änderung energierechtlicher Vorschriften vom 19. Dezember 1977 zur innerstaatlichen Umsetzung der Richtlinie 75/339/EWG vom 20. Mai 1975 (Bevorratungsrichtlinie) in das EnWG 1935 aufgenommen und seither fast unverändert beibehalten (vgl. König, in: Säcker, Berliner Kommentar zum Energierecht, 2019, § 50, Rn. 2). 321 Vgl. Görisch, in: Kment, Energiewirtschaftsgesetz, 2019 § 50, Rn. 1. 322 Vgl. Bourwieg, in: Britz et al., Energiewirtschaftsrecht, 2015, § 50, EnWG, Rn. 4. 323 Die Betreiber der Speicheranlagen für Erdgas i. S. v. § 3 Nr. 9 EnWG sind von den EVU nach § 3 Nr. 18 EnWG zu unterscheiden. Daraus wird geschlossen, dass sie nicht zur Vorratshaltung nach § 50 Nr. 1 EnWG verpflichtet sind, möglicherweise aber dann, wenn sie als integrierte EVU mit einem eigenen Gasspeicherbetrieb agieren. Schließlich soll die Bevorratungspflicht im Wesentlichen nur auf Energieträger im Kraftwerk selbst bzw. in den eigenen Anlagen des EVU begrenzt werden, vgl. Boos, in: Theobald/Kühling, Energierecht, 2022, § 50, Rn. 12.

I. Instrumente Strommarkt

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5. Sicherheitsmaßnahmen nach der Infrastrukturrichtlinie für den Strommarkt Die Europäische Kommission hatte bereits im Jahr 2004 ein eigenständiges Gesetzgebungspaket zur Versorgungssicherheit vorgelegt.324 Kern des Pakets war der Vorschlag der Richtlinie „über Maßnahmen zur Gewährleistung der Sicherheit der Elektrizitätsversorgung und von Infrastrukturinvestitionen“ (Infrastrukturrichtlinie), die am 18. Januar 2006 in Kraft trat.325 Ersetzt wurde diese aufgrund der in Kapitel E. dargelegten tiefgreifenden Transformation des Energiemarktes am 5. Juni 2019 durch die Verordnung über die Risikovorsorge im Elektrizitätssektor (Risikovorsorge-Verordnung),326 die die Prävention und die Bewältigung von Stromversorgungskrisen zum Gegenstand hat.327 Ein umfassendes Konzept für die Energieversorgungssicherheit der Union wird insofern erreicht, als auch mit der Richtlinie 2008/114/EG des Rates328 ein weiteres Verfahren vorgesehen ist. Hierdurch soll die Sicherheit ausgewiesener europäischer kritischer Infrastrukturen, einschließlich bestimmter Strominfrastrukturen, verbessert werden.329 Die Effektivität dieser Maßnahmen ist jedoch begrenzt auf den Eintritt einer Stromversorgungskrise, mithin nur im Falle einer nach Art. 2 Nr. 9 der Risikovorsorge-Verordnung bestehenden oder drohenden Situation, insofern eine im Sinne der Vorgaben der Mitgliedstaaten und der Beschreibung in ihren Risikovorsorgeplänen erhebliche Stromknappheit oder eine Unmöglichkeit, Kunden mit Strom zu versorgen, vorliegt. 6. Bewertung der Instrumente auf dem Strommarkt Auf dem Strommarkt sind eine beträchtliche Zahl an Instrumenten vorhanden, die aber hauptsächlich nur die Steuerung der kurzfristigen Versorgungssicherheit (Systemsicherheit) anvisieren, nicht aber die langfristige Versorgungssicherheit. 324 Vgl. EU-Kommission, Mitteilung vom 07. Juli 2004, Energieinfrastruktur und Versorgungssicherheit, KOM (2003), 743 endg. 325 Richtlinie 2005/89/EG des europäischen Parlaments und des Rates vom 18. Januar 2006 über Maßnahmen zur Gewährleistung der Sicherheit der Elektrizitätsversorgung und von Infrastrukturinvestitionen, ABl. EU Nr. L 33, S. 22 vom 04. Februar 2006. 326 Verordnung 2019/941 des europäischen Parlaments und des Rates vom 05. Juni 2019 über die Risikovorsorge im Elektrizitätssektor und zur Aufhebung der Richtlinie 2005/89/EG (Risikovorsorge-Verordnung Strom), ABl. EU Nr. L 158, S. 1 vom 14. Juni 2019, vgl. hierzu Kapitel E. I. 327 Erwägungsgrund 4 der Risikovorsorge-Verordnung Strom, a. a. O., S. 2. 328 Richtlinie 2008/114/EG des Rates vom 08. Dezember 2008 über die Ermittlung und Ausweisung europäischer kritischer Infrastrukturen und die Bewertung der Notwendigkeit, ihren Schutz zu verbessern, ABl. EU Nr. L 345, S. 75 vom 23. Dezember 2008. 329 Erwägungsgrund 8 der Risikovorsorge-Verordnung Strom, a. a. O., S. 2.

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G. Instrumente zur Gewährleistung von Versorgungssicherheit

Der Regelenergiemarkt ist somit nicht mit den potenziellen Kapazitätsmechanismen vergleichbar. Der Staat hat durch die Förderung der erneuerbaren Energien und dem gleichzeitigen Verzicht auf fossile Energieträger wie Kernenergie und Kohleenergie selbst eine Knappheit in der Versorgung herbeigeführt. Die bisherigen Regulierungsmaßnahmen, insbesondere der Netz- und Kapazitätsreserve als erneute staatliche Eingriffe in den Wettbewerbsmarkt sollen nun diese Versorgungssicherheit wieder herstellen. Dies kann aber noch nicht als ausreichend bewertet werden.

II. Instrumente Gasmarkt Eine Besonderheit für die Gasversorgung findet sich zunächst in der Regelung des § 53 EnWG, insofern das darin geregelte Instrument der Ausschreibung neuer Erzeugungskapazitäten bei Gefährdung der Versorgungssicherheit allein auf den Elektrizitätsbereich fokussiert ist, ungeachtet des allgemeinen Regelungswortlauts des § 1 EnWG. Dies ist aus der amtlichen Überschrift wie auch aus der Gesetzessystematik und Entstehungsgeschichte zu interpretieren.330 1. Kapazitätsmechanismen auf dem Gasmarkt Vor dem Hintergrund des verstärkten Ausbaus der erneuerbaren Energien und des in Angriff genommenen kurzfristigen Ausstiegs aus der Atom- und Kohleenergie werden aber auch Kapazitätsmechanismen auf dem Gasmarkt elementare Bedeutung haben, insofern eine noch größere Lücke bei der Versorgungsleistung bestehen wird. So wurden für den Gasmarkt zwei Modelle eines Kapazitätsmechanismus entwickelt, deren Mechanismus nicht ausschließlich für die Versorgungslücken im Gasmarkt eingesetzt werden sollten, sondern diese weiterzuentwickeln und für die Behebung der Versorgungsengpässe im Strommarkt oder auch im gesamten Energiemarkt anzuwenden sind. a) Strategische Reserve Wie bei der auf dem Strommarkt bereits implementierten strategischen Reserve, ist auch hier die Kernaussage dieser Konzeption, bestimmte Mengen an Gas vorzuhalten, die dauerhaft dem Markt entzogen werden und nur im Fall einer vorab zu definierenden Knappheitssituation zum Einsatz kommen.331

330

Vgl. Görisch, in: Kment, Energiewirtschaftsgesetz, 2019 § 53, Rn. 2. Vgl. EU-Kommission, Mitteilung 16. Februar 2016, Eine EU-Strategie für Flüssigerdgas und die Speicherung von Gas vom 16. Februar 2016, KOM (2016) 49 endg., S. 11. 331

II. Instrumente Gasmarkt

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Im Unterschied zu den sogenannten strategischen Ölvorräten332 wurde eine vergleichbare Pflichtbevorratung von Gas in Deutschland, mithin eine strategische Speicherstätte, noch nicht implementiert. Politischer Handlungsbedarf insoweit wurde, sowohl von der Wirtschaft333 als auch der Forschung334 eindringlich angemahnt.335 Die unbestreitbare Notwendigkeit einer strategische Gasreserve mit Pflichtbevorratung besteht, auch um die Abhängigkeit etwa von den teilweise schwankenden oder niedrigen Gasflüssen aus politisch unsicheren Ländern, etwa aus Russland, zu verhindern. So haben bislang die Speicherbetreiberunternehmen selbst über die Füllstände entschieden, dadurch war aber zuletzt möglich, dass die Speicher systematisch entleert wurden.336 Auch war es früher noch möglich, dass die Händler die Speicherkapazitäten buchen konnten, diese aber nicht genutzt haben. Die Verwaltung der Speicher, der Umfang der Einspeisung und Entnahme von Gas, ebenso die Haftung für nicht ausreichend gespeichertes Gas kann unterschiedlichen Organisationsformen unterliegen. Denkbar wäre, insoweit ähnlich der Erdölreserve, die Gründung eines „Gasbevorratungsverbandes“ als eine Körperschaft des öffentlichen Rechts, die dann für den Aufbau der strategischen Reserve verantwortlich ist und in der die Importeure und Produzenten als Pflichtmitglieder agieren. Hierbei würden die Kosten der Bevorratung entsprechend ihren Mitgliederbeiträgen umgelegt werden.337

332 Mittels der Ölvorräte wird für die Dauer von neunzig Tagen in Deutschland eine Mindestreserve vorgehalten, um den Bedarf in Notfällen decken zu können. 333 Der Spiegel vom 26. Januar 2022, RWE-Chef befürwortet staatlich kontrollierte Gasreserve. 334 So wird auch gefordert, die an Gazprom verkauften Gasspeicher zurückzukaufen und im Extremfall zu verstaatlichen. Zumindest müsse eine staatliche Aufsicht installiert werden. Aktuell wurde diese Forderung in Anbetracht des Angriffskrieges in der Ukraine noch stärker erhoben, um insoweit den ausländischen (Nicht Eu-Mitgliedern) keinen entscheidenden Zugriff auf die Gasspeicher zu ermöglichen, Kemfert, Die Gasversorgung ist in diesem Winter gesichert, aber Deutschland hat viele Fehler gemacht, DIW, Statement vom 27. Januar 2022. 335 EU-Kommission, Abfederung der Energiepreise: EU-Kommission schlägt gemeinsame Gasbeschaffung und Verpflichtung zur Mindestbevorratung vor, Pressemitteilung vom 23. März 2022, IP/22/1936. 336 Gazprom hält mehr als ein Drittel aller deutschen Gasspeicher, darunter Astora. Sie waren alle Ende 2021/Anfang 2022 fast leer. Der Füllstand in Rehden lag bei drei %. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck ging davon aus, dass die Speicher „systematisch entleert“ wurden, um die Gaspreise strategisch nach oben zu treiben und Druck zu erzeugen, vgl. Kinkartz, Nationale Gasreserve? Gibt es nicht!, Deutsche Welle vom 01. März 2022. 337 Vgl. BBH et al., Möglichkeiten zur Verbesserung der Gasversorgungssicherheit, 2015, S. 19.

300

G. Instrumente zur Gewährleistung von Versorgungssicherheit

Es besteht die Möglichkeit der Gründung eines Erdgasbevorratungsverbands durch ein spezielles Bundesgesetz, orientiert an dem schon existierenden Erdölbevorratungsgesetz, wofür die Zuständigkeit des Bundes gemäß Art. 72 Abs. 1 und Abs. 2, Art. 74 Abs. Nr. 11 GG besteht. Alternativ wurde bereits erwogen, das Energiesicherungsgesetz als rechtliche Grundlage für Modelle der Energiespeicherung heranzuziehen.338 So könnte man auf der Grundlage des § 1 Abs. 1 Nr. 1 EnSiG eine entsprechende Verordnung erlassen, die die Pflicht, etwa der Fernleitungsnetzbetreiber, zur Vorhaltung von Gasreserven regelt, wobei die Bundesnetzagentur die Einhaltung dieser Verpflichtung überwacht. Im Hinblick darauf, dass die Aufgabe der Bewirtschaftung mit größerem Umfang steigen wird, kann der vorgeschlagene Erdgasbevorratungsverband dann sinnvoller sein. Dies gilt insbesondere, wenn eine langfristige Implementierung für etwa länger andauernde Risiken vorgehalten werden oder die Speicherreserve zu weiteren Zwecken genutzt werden kann. Auch wäre dies sinnvoll, wenn die Befüllung von klimaneutralem Gas dauerhaft in den Markt implementiert wird. Zwar könnte bei einer solchen Organisation der fehlende kurzfristige Zugriff auf die Speicherkapazitäten nachteilig sein.339 Jedoch soll mithilfe des staatlichen Speichers vor allem die langfristige Versorgungssicherheit gewährleisten werden und andere Instrumente, wie etwa die Regelenergie, für den akuten und somit kurzfristigen Einsatz bereits zur Verfügung stehen. Realisierbar wäre die Organisation auch durch die Fernleitungsnetzbetreiber, insofern die Gasreserve durch die Beschaffung von Speicherkapazitäten (etwa durch Ausschreibung) gebildet werden, in Speichern die Gasmengen vorgehalten und von den Fernleitungsnetzbetreibern eines Marktgebietes verwaltet werden können. Diese zusätzlichen Kapazitäten wären dann etwa als weitere Art der internen Regelenergie einzusetzen.340 Auch könnten für diese Kapazitäten ein Teil der bereits vorhandenen Speicher im Umfang der benötigten Vorhaltung einer bestimmten Menge an Gaskapazitäten und deren Lagerung eingesetzt werden. Bedenken hiergegen ergeben sich aus dem kaum zu bewältigenden Aufwand für die Fernleitungsnetzbetreiber bei steigendem Umfang der Reserve.341 Die Kosten für die reine Vorhaltung der Speicherleistung als strategische Reserve müssten den Importeuren und Produzenten adäquat erstattet werden.

338 Vgl. Schulte-Beckhausen, in: Theobald/Kühling, Energierecht, 2022, EnergieSicherG, Einleitung, Rn. 12. 339 Vgl. BBH et al., Möglichkeiten zur Verbesserung der Gasversorgungssicherheit, 2015, S. 20. 340 Vgl. ebenda. 341 Vgl. ebenda, S. 206.

II. Instrumente Gasmarkt

301

Die Verpflichtung der Fernleitungsnetzbetreiber würde nicht gegen die Entflechtungsvorgaben, Unbundling, gemäß § 6 ff. EnWG verstoßen.342 Diese Pflichtmitgliedschaft ist auch verhältnismäßig, da die Sicherung und Verbesserung der Versorgungssicherheit mit Erdgas nicht mit einem milderen Mittel zu erreichen ist. Eine andere Möglichkeit ist auch, dass der Staat selbst die Vorratshaltung übernimmt. Hierdurch würden aber nicht weniger Kosten entstehen, mithin kann kein milderes Mittel angenommen werden.343 Je nachdem, in welchem Umfang die Versorgungssicherheit zu gewährleisten ist, welche politischen Konflikte zu berücksichtigen sind, vorwiegend aber in der Summe der Problemkonstellationen der Energiewende,344 sind nach der Entschließung des Bundesrats345 voraussichtlich jährliche Kosten in Höhe von etwa einer Milliarde Euro zu erwarten. Dies folgt daraus, dass für einen längeren Zeitraum (so neunzig Tage) Gasreserven bei einem politisch bedingten Wegfall von Importen, insbesondere russischer Liefermengen, vorgehalten werden sollten. Diese Kosten der Vorhaltung würden sich auf schätzungsweise 379 Millionen Euro jährlich reduzieren, soweit eine Absicherung bei extremer Kälte uneingeschränkt für etwa sieben Tage Bestand haben soll.346 b) Bevorratung in Speichern unter staatlicher Kontrolle Basierend auf der Erkenntnis, dass die Versorgungssicherheit auf dem Gassektor maßgeblich von der Funktionsweise der Speicher bestimmt wird, ist die Gewährleistung ausreichender Speicherfüllstände auch für unvorhergesehene Notfälle, erforderlichenfalls über einen längeren Zeitraum, von zentraler Bedeutung. Als eine potenzielle Lösung hierfür wird die verpflichtende Nutzung der Speicher (Speicherverpflichtung) angesehen, die vom Staat selbst beherrscht werden kann und für die der Staat verantwortlich ist, indessen die Ausgestaltung dieser Speicherverpflichtung differieren kann.347 So könnten die Speicherverpflichtungen sich auf bestimmte Zeiträume (etwa die Wintermonate) oder Zeitpunkte beziehen, ebenso eine Auswahl hinsichtlich der teilnehmenden Unternehmen, etwa 342 Siehe hierzu Kapitel B. III. 2. Auch wird vertreten, dass die Pflichtgemeinschaft für Produzenten und Importeure keinen grundrechtswidrigen Eingriff im Sinn des Art. 19 Abs. 3 GG in die Grundrechte der betroffenen Unternehmen darstelle (vgl. BBH et al., Möglichkeiten zur Verbesserung der Gasversorgungssicherheit, 2015, S. 181). 343 Vgl. BBH et al., Möglichkeiten zur Verbesserung der Gasversorgungssicherheit, 2015, S. 182. 344 Vgl. ebenda, S. 20. 345 Vgl. Bundesrat, Beitrag der Erdgasspeicher zur deutschen Energieversorgung dauerhaft sichern, Entschließung vom 11. Juli 2014, BR-Drs. 243/14. 346 Siehe BBH et al., Möglichkeiten zur Verbesserung der Gasversorgungssicherheit, 2015, S. 21. 347 Vgl. ebenda, S. 213.

302

G. Instrumente zur Gewährleistung von Versorgungssicherheit

Begrenzung der Anzahl oder Dispositionen über Lieferanten oder Importeure getroffen werden.348 Im Gegensatz zur strategischen Reserve wird diese Maßnahme nicht außerhalb des Marktes implementiert, folglich sie in das Marktgeschehen eingreift, insofern es den Marktteilnehmern obliegt, ein Mindestmaß an Gas zur Sicherung bestimmter Mindestfüllstände einzuspeichern und vorrätig zu halten.349 Favorisiert wird in der im Auftrag des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie angefertigten Studie350 die Verpflichtung der Bilanzkreisverantwortlichen, die wiederum der Kontrolle durch die Marktgebietsverantwortlichen unterliegen.351 Aufgrund der Besonderheiten des deutschen Gasmarktes würde hierbei der geringfügigste Eingriff in die Struktur erfolgen. Noch besteht jedoch das Problem, dass grundsätzlich die Speicherkapazitäten im Gasmarkt bereits (vertraglich) gebunden sind, so dass bei diesem Modell der Speicherverpflichtung eine kurzfristige Implementierung nicht realisierbar wäre. So hat bereits die Europäische Kommission mit Hinweis auf diese Problematik generell strengere Bedingungen für die Speicherung von Gas zur Gewährleistung der Versorgungssicherheit angemahnt.352 Folgerichtig ist auch bei diesem Modell die Höhe der Kosten abhängig von den konkreten Szenarien der Absicherung. So ergeben sich etwa Anfangsinvestitionen in Höhe von ca. 563 Millionen Euro, wenn Speicherverpflichtungen einen Speicherfüllstand für eine „kürzere Extremkälte von sieben Tagen“ 353 abdecken sollte. Hingegen könnten sich bei einem länger andauernden Ausfall eines wesentlichen Grenzübergangspunktes, kombiniert mit einer extremen Kälteperiode, oder aber einem Ausfall (etwa vier Wochen) eines wichtigen Gasbezugslands die Kosten bereits auf 1,7 Milliarden Euro summieren.354 Bei dieser Preisbildung ist generell nicht zwischen Bezugsländern differenziert worden, somit ist auch ein kritischer politisch motivierter Ausfall eines Bezugslandes, so etwa Russland, nicht in die Kalkulation miteinbezogen worden.

348

Vgl. ebenda, S. 213 und 214. Vgl. EU-Kommission, Mitteilung 16. Februar 2016, Eine EU-Strategie für Flüssigerdgas und die Speicherung von Gas vom 16. Februar 2016, KOM (2016) 49 endg. 350 BBH et al., Möglichkeiten zur Verbesserung der Gasversorgungssicherheit, 2015. 351 Vgl. ebenda, S. 214 und 215. 352 EU-Kommission, Mitteilung 16. Februar 2016, Eine EU-Strategie für Flüssigerdgas und die Speicherung von Gas vom 16. Februar 2016, KOM (2016) 49 endg., S. 11 mit Verweis auf Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über Maßnahmen zur Gewährleistung der sicheren Erdgasversorgung und zur Aufhebung der Verordnung (EU) Nr. 994/2010 des Rates. 353 BBH et al., Möglichkeiten zur Verbesserung der Gasversorgungssicherheit, 2015, S. 22. 354 Vgl. ebenda, S. 23. 349

II. Instrumente Gasmarkt

303

In Deutschland wäre, wie bereits dargelegt, eine derartige Bevorratung nach § 50 Nr. 1 EnWG rechtlich möglich,355 indes bisher diese Ermächtigung noch nicht in Anspruch genommen worden ist,356 auch wird in Anbetracht der Regelungen der §§ 13 ff. und EnSiG die Bedeutung als eher gering angesehen.357 Diese Ermächtigungsgrundlage ist vor dem Hintergrund der Mineralölversorgungskrise in den Jahren 1973/1974 zu sehen, deren Bewältigung innerhalb der damaligen europäischen Gemeinschaft durch Bevorratung angestrebt worden war. Die Bevorratungsrichtlinie wurde am 20. Dezember 1986 mit der Entschließung des Europäischen Rates wieder abgeschafft in der Annahme keine weiteren Krisensituationen bei Primärenergieträgern befürchten zu müssen.358 Bezüglich des Gasmarkts ist eine Verpflichtung nach § 50 Abs. 1b EnWG nur für Energieversorgungsunternehmen (Erzeuger), die Gas aus ,Flüssiggas‘ gewinnen, vorgesehen.359 Grund hierfür ist, dass ,Flüssiggas‘ ein erheblich geringeres Volumen im Vergleich zu Erdgas (1:600)360 aufweist, mithin ökonomisch vergleichsweise kostengünstig gespeichert werden kann.361 Aus § 50 Abs. 1a EnWG kann eine Verpflichtung zur Bevorratung aus Erdgas hergeleitet werden.362 Während der Umfang einer Bevorratungspflicht gemäß § 50 Nr. 1 EnWG einen Zeitraum von 30 Tagen vorsieht, wäre dieser, sofern erforderlich,363 anzupas355 Die Vorschrift wurde ursprünglich als § 14 (später § 17) durch das Gesetz zur Änderung energierechtlicher Vorschriften vom 19. Dezember 1977 zur innerstaatlichen Umsetzung der Richtlinie 75/339/EWG vom 20. Mai 1975 (Bevorratungsrichtlinie) in das EnWG 1935 aufgenommen und seither fast unverändert beibehalten, vgl. König, in: Säcker, Berliner Kommentar zum Energierecht, 2019, § 50, Rn. 2. § 50 EnWG gehört zum Bereich des Energiesicherungsrechts. Überschneidungen bestehen dementsprechend zu dem im Jahr 1975 in Kraft getretenen „Gesetz zur Sicherung der Energieversorgung (vgl. Boos, in: Theobald/Kühling, Energierecht, 2021, § 50 EnWG, Rn. 4; siehe hierzu in diesem Kapitel unter I. 4. 356 Vgl. Boos, in: Theobald/Kühling, Energierecht, 2022, § 50, Rn. 5. 357 Vgl. Görisch, in: Kment, Energiewirtschaftsgesetz, 2019 § 50, Rn. 1. 358 Vgl. König, in: Säcker, Berliner Kommentar zum Energierecht, 2019, § 50, Rn. 2; die aufgrund von § 14 EnWG 1935 erlassene Rechtsverordnung über die Brennstoffbevorratung von Kraftwerken vom 11. Februar 1981 wurde ebenfalls aufgehoben, und zwar mit der Begründung, dass eine Bevorratung zur Gewährleistung der Versorgungssicherheit nicht mehr notwendig und für den Wettbewerb sogar eher schädlich sei, vgl. ebenda. 359 Vgl. ebenda, § 50, Rn. 5. Soweit sich § 50 auf die Vorratshaltung von ,Flüssiggas‘ erstreckt, dient die Vorschrift auch der Umsetzung der Richtlinie 2004/67 über Maßnahmen zur Gewährleistung der sicheren Erdgasversorgung (Erdgassicherheitsrichtlinie), vgl. ebenda, § 50, Rn. 3. 360 LNG macht nur ein Sechshundertstel des Volumens von gasförmigem Erdgas aus, siehe BMWi, Schlaglichter der Wirtschaftspolitik, 2019, S. 34. 361 Vgl. Görisch, in: Kment, Energiewirtschaftsgesetz, 2019 § 50, Rn. 2. 362 Vgl. Boos, in: Theobald/Kühling, Energierecht, 2022, § 50, Rn. 15. 363 Vgl. Bourwieg, in: Britz et al., Energiewirtschaftsrecht, 2015, § 50 EnWG, Rn. 5 und 6.

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G. Instrumente zur Gewährleistung von Versorgungssicherheit

sen an Rechtsakte der EU zur Mindestbevorratung mit Brennstoffen,364 folglich wäre hierfür keine Änderung durch den Gesetzgeber erforderlich.365 Auch wenn § 50 EnWG nicht benennt, wer die Rechtsverordnung ausführen soll, ist davon auszugehen, dass dies nach § 54 Abs. 3 EnWG die Bundesnetzagentur übernehmen müsste, die für die Sicherheit der Erdgasversorgung in Deutschland zuständig ist, etwa deren Umfang und deren Einhaltung sowie Entscheidungen über die Anträge der Befreiung und Freigabe.366 Der Bundesrat hat bereits in seiner Entschließung vom 11. Juli 2014367 die Bundesregierung aufgefordert, eine nationale Erdgasreserve mit einer Reichweite von 45 Tagen einzurichten.368 Für beide alternativ vorgeschlagenen Implementierungen einer staatlichen Reserve über die Verpflichtung der Fernleitungsnetzbetreiber oder eines staatlich eingerichteten Gasbevorratungsverband ergeben sich keine rechtlichen Bedenken. c) Umsetzung einer Gasreserve auf EU-Ebene Bislang ist die Implementierung einer strategischen Reserve auf europäischer Ebene noch nicht erfolgt, wenn auch die Europäische Kommission in ihrem Vorschlag zur Änderung der EU-Verordnung 2017/1983 diese aktuell gefordert hat. So sollen nach Art. 2 Nr. 28 der EU-Verordnung „strategische Vorräte“ in der Weise definiert werden: „Gas, das Fernleitungsnetzbetreiber ausschließlich für die Ausübung ihrer Funktion als Fernleitungsnetzbetreiber und für die Zwecke der Versorgungssicherheit erwerben, verwalten und speichern. Als Teil der strategischen Gasvorräte gespeichertes Gas darf nur eingesetzt werden, wenn dies erforderlich ist, um das Netz im Einklang mit Art. 35 unter sicheren und zuverlässigen Bedingungen im Betrieb zu halten oder wenn gemäß Art. 11 der Verord-

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§ 50 Nr. 3 EnWG. Vgl. Boos, in: Theobald/Kühling, Energierecht, 2022, § 50, Rn. 23. 366 Sie kann sich dabei der Befugnisse i. R. d. behördlichen Verfahrens nach den §§ 65 ff. bedienen, um die erforderlichen Auskünfte einzuholen, Betriebsgrundstücke und Geschäftsräume zu betreten und Unterlagen einzusehen, vgl. König, in: Säcker, Berliner Kommentar zum Energierecht, 2019, § 50, Rn. 10. 367 Vgl. Bundesrat, Beitrag der Erdgasspeicher zur deutschen Energieversorgung dauerhaft sichern, Entschließung vom 11. Juli 2014, BR-Drs. 243/14. 368 Von der Installierung eines Erdgasbevorratungsverbands ist jedoch abgesehen worden. Vielmehr soll es dem Marktgebietsverantwortlichen obliegen, für die stufenweise Füllung der Gasspeicher zu sorgen. Die verpflichtende Befüllung der Speicher wird mit der Maßgabe festgelegt, dass diese zum 1. Oktober zu 80 %, zum 1. November zu 90 % und am 1. Februar zu 40 % erfolgt, vgl. Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Energiewirtschaftsgesetzes zur Einführung von Füllstandsvorgaben für Gasspeicheranlagen, BT-Drs. 20/1024 vom 15. März 2022; siehe hierzu die Ausführungen in Kapitel H. 365

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nung ein Notfall ausgerufen wurde, und darf ansonsten nicht auf den Gasgroßhandelsmärkten verkauft werden.“ 369 Während Italien und Ungarn ein strategisches Speicherkonzept etabliert haben,370 womit Italien etwa mehr als vierzehn Milliarden Kubikmeter Gas speichert und hiervon fünf Milliarden Kubikmeter als strategische Reserve eingeplant werden,371 sind in der Europäischen Union noch nicht weitere Umsetzungen erfolgt. So hat im Hinblick auf die steigenden Gaspreise die spanische Regierung unlängst als gemeinsame Vorgehensweise der Mitgliedstaaten vorgeschlagen, Verhandlungen mit den Lieferanten aufzunehmen, mit dem Ziel, dass dies zu einem entscheidenden Erfolg für alle EU-Staaten führen könnte.372 Denkbar ist eine EU-weite Ausweitung einer Reserve, die eine EU-weite Organisation bzw. ein EU-weiter Erdgasbevorratungsverband verwalten würde. Dadurch wird ein nationaler Alleingang verhindert. Die Kosten könnten entsprechend der Inanspruchnahme dieser Reserve auf die einzelnen Mitgliedstaaten umgelegt werden. Europarechtlich gibt es bislang noch keine Regelung in der SoS-Verordnung 2017 über die Einrichtung einer nationalen Erdgasreserve, jedoch wird im aktuellen Vorschlag der EU-Kommission eine Ausgestaltung über die Verpflichtung der Fernleitungsnetzbetreiber zur Vorhaltung einer strategischen Reserve favorisiert.373 Ein Vorteil der Förderung der Speicherebene ist, dass die Investition in Speicher sowohl national als auch EU-weit umgesetzt werden kann, ohne dass dies in die staateneigene Kompetenz eingreift, den Energiemix selbst festzulegen, Art. 194 Abs. 2 AEUV. Ein solches Eingreifen sollte vermieden werden, da eindeutiges Einvernehmen besteht, dass jeder Mitgliedstaat für sich selbst auf nationaler Ebene über die Nutzung, etwa auch der Atomenergie, entscheiden kann,

369 EU-Kommission, Vorschlag vom 15. Dezember 2021 für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über die Binnenmärkte für erneuerbare Gase und Erdgas sowie für Wasserstoff (Neufassung), KOM (2021) 804 endg., S. 107 und 108. 370 Vgl. BBH et al., Möglichkeiten zur Verbesserung der Gasversorgungssicherheit, 2015, S. 45. 371 Vgl. Schultz, Europa droht jahrelange Gasknappheit, in: Der Spiegel vom 01. Februar 2022. 372 Vgl. Der Spiegel vom 01. Oktober 2021, EU sollte gemeinsam Gas einkaufen. 373 Die EU-Kommission hat aber am 08. März 2022 angekündigt, dass Gasspeicheranlagen in der Europäischen Union bis zum 01. November 2022 zu mindestens 80 % befüllt sein müssten und hierzu ein entsprechender Gesetzgebungsvorschlag auf den Weg gebracht werde. Überdies will die EU-Kommission festlegen, dass eine Zertifizierung der Betreiber von Speicheranlagen verpflichtend wird, vgl. EU-Kommission, Mitteilung vom 23. März 2022, Versorgungssicherheit und erschwingliche Energiepreise: Optionen für Sofortmaßnahmen und zur Vorbereitung auf den nächsten Winter, KOM (2022) 138 endg.

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G. Instrumente zur Gewährleistung von Versorgungssicherheit

und dies wird sich auch zukünftig nicht ändern.374 Da die Speicher aber für unterschiedliche Primärenergiequellen genutzt werden können, kann nach wie vor jeder Mitgliedstaat selbst entscheiden, welche Quellen verwendet werden sollen. Durch eine EU-weite Zusammenarbeit wird auch eine Abschottung zwischen den einzelnen Mitgliedstaaten vermieden und es könnten sich Investitionskosten, so etwa in Gasspeicher, ausgeglichener verteilen lassen. Nach Auffassung der EU-Kommission sollten die Regulierungsbehörden daher Betreiber der Speicheranlagen unterstützen, neue Dienstleistungen zu entwickeln und anzubieten, die auf Sekundärmärkten gehandelt werden können, ohne dass die Grenzen der Mitgliedstaaten ein Hindernis darstellen. Indem die Speicherbetreiber zueinander in Wettbewerb stehen, sind wirtschaftlich effiziente Vereinbarungen in der Vertragsgestaltung optimalerweise zu erreichen. Um diese kosteneffizienten Vereinbarungen realisieren zu können, sollte den Wettbewerbsregeln somit konsequent Geltung verschafft werden, ebenso geboten ist eine bessere Vernetzung der regionalen Märkte (Mitgliedstaaten).375 Die Warenverkehrsfreiheit wird hierdurch nicht betroffen, insofern es sich lediglich „um diskriminierungsfreie Verkaufsregelungen, welche die Modalitäten des Absatzes ausländischer Waren im Inland“ bestimmen, und nicht eine Veränderung des Produktes bewirken, handelt, wobei die Positionen und Pflichten bei beiden Seiten („Produzenten wie Importeur“) gleichermaßen vorhanden sind.376 Eine Beihilfe im Sinne des Art. 107 AEUV ist mit der Finanzierung über die Netzentgelte als eine zwar nicht direkt aus staatlichen Mitteln, aber als eine mittelbare Zuwendung einzuordnen, da diese Mittel unter staatlicher Kontrolle stehen. Denn die Netzentgeltsystematik, die Einbeziehung der Kosten für Versorgungssicherheitsmaßnahmen sowie die Prüfung der Kostenpositionen beruht auf Gesetz und unterliegt behördlicher Kontrolle. Die Beihilfe kann jedoch über Art. 106 Abs. 2 AEUV gerechtfertigt werden, da die Betrauung der Fernleitungsnetzbetreiber mit der Gewährleistung der Versorgungssicherheit als Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse (DAWI) einzustufen ist. d) Bewertung der Kapazitätsmechanismen Mit Ausnahme der genannten beiden Länder, Italien und Ungarn, ist die praktische Umsetzung einer strategischen Reserve oder der Speicherverpflichtung auf dem Gasmarkt unbeschadet der bestehenden Studie des Bundesministeriums für 374 Vgl. EU-Kommission, Mitteilung vom 09. April 2019, Eine effiziente und demokratischere Beschlussfassung in der Energie- und Klimapolitik der EU, KOM (2019) 177 endg., S. 10. 375 Vgl. EU-Kommission, Mitteilung 16. Februar 2016, Eine EU-Strategie für Flüssigerdgas und die Speicherung von Gas, KOM (2016) 49 endg., S. 10. 376 Siehe BBH et al., Möglichkeiten zur Verbesserung der Gasversorgungssicherheit, 2015, S. 182 mit weiterem Verweis.

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Wirtschaft und Energie377 sowie der weiteren oben genannten Modellen bisher noch nicht erfolgt. Dies geschah auch aus der Überlegung heraus, dass das Niveau der Versorgungssicherheit als ausreichend vorhanden zu bewerten sei. Andererseits wird aktuell wieder in zunehmendem Maße auch für den Gasmarkt die Errichtung einer strategischen Reserve im Sinne einer staatlich kontrollierten, unabhängigen Reserve angesichts ihrer Relevanz explizit gefordert.378 Die Vorteilhaftigkeit eines solchen Instruments besteht auch darin, die Anreize für Investoren zu verstärken, in Speicheranlagen zu investieren. Überdies können Versorgungslücken bei langfristigen Notfällen nivelliert oder aber beseitigt werden, somit ist eine deutliche Erhöhung der Versorgungssicherheit zu erreichen. Überlegenswert ist bei der strategischen Reserve indes, dass diese nicht überdimensioniert werden sollte, mithin Kosten für die Zukunft ökonomisch einzukalkulieren sind. Dies setzt aber voraus, dass im tatsächlichen Krisenfall noch weitere Instrumente (wie etwa die nachfolgend dargestellten Systemsicherungsmaßnahmen) aktiviert werden können. Verstärkt wurde dementsprechend das Engpassmanagement gemäß § 16 Abs. 1 Nr. 2 EnWG für die Systemsicherheit ausgeweitet, mithin das Kontrahierungsvolumen der Vorsorgeprodukte auf Grundlage der genannten Studie379 als einer die Versorgungssicherheit begünstigende Maßnahme.380 Von den beiden Marktgebietsverantwortlichen (GasPool und NetConnect) ist insoweit eine Umsetzung zum 01. Januar 2019 erfolgt.381 Auch auf dem Gasmarkt existieren nun sogenannte Long Term Options (LTO), deren Anbieter Gasspeicherkapazitäten mit entsprechenden Gasmengen ausschließlich für Knappheitssituationen vorhalten, hierfür einen Leistungspreis für die Vorhaltung und einen Arbeitspreis bei tatsächlichem Einsatz der Regelenergie erhalten,382 somit auf diese Weise der Versorgungssicherheit dienen. Indessen

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BBH et al., Möglichkeiten zur Verbesserung der Gasversorgungssicherheit, 2015. Vgl. Der Spiegel, RWE-Chef befürwortet staatlich kontrollierte Gasreserve, vom 26. Januar 2022; Kemfert, Die Gasversorgung ist in diesem Winter gesichert, aber Deutschland hat viele Fehler gemacht, DIW, Statement vom 27. Januar 2022. 379 BBH et al., Möglichkeiten zur Verbesserung der Gasversorgungssicherheit, 2015. 380 Vgl. BMWi, Maßnahmen zur weiteren Steigerung der Erdgasversorgungssicherheit, Eckpunktepapier vom 16. Dezember 2015, S. 1–3. 381 GasPool/NetConnect, Umsetzung des BMWi Eckpunktepapiers ab 01. Januar 2019, vom 30. Juli 2018. 382 Vgl. Trading Hub Europe GmBH, Regelenergiebericht nach GaBi Gas 2.0, 2021, S. 29; dies wird im Regelenergiemarkt auf der letzten Stufe der Abrufreihenfolge für Regelenergie (MOL 4) bereitgestellt und ist Bestandteil des jetzigen Engpassmanagements gemäß § 16 Abs. 1 Nr. 2 EnWG, vgl. in diesem Kapitel nachfolgend unter 2. b). Für LTO wurden im Dezember 2021 5 GWh für 50 Mio Euro bezahlt, vgl. Geinitz, GasVersorgung Deutschlands, Bröckelt die „Moskau-Connection“?, FAZ vom 26. Januar 2022. 378

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ist hierbei die staatliche Kontrolle, folglich die Beherrschbarkeit der Maßnahme, eingeschränkt. 2. Systemsicherungsmaßnahmen Die Systemverantwortung für die Gasnetze, deren Ausbau gemäß §§ 15a und 15b EnWG entsprechend den Anforderungen einer angestrebten Gewährleistung der Versorgungssicherheit zu koordinieren ist, ist gemäß §§ 15, 16 und 16a EnWG die Pflicht der Gasnetzbetreiber. So ist die fundamentale Aufgabe der Fernleitungsnetzbetreiber, täglich mittels ausgeglichener operativer Netzsteuerung das Gleichgewicht zwischen Einspeisung und Entnahme des Netzes herzustellen. Im besonderen Maße erfolgsentscheidend ist hierbei auch im Gasmarkt das Bilanzkreissystem, mithin einen möglichst präzisen Ausgleich von Angebot (Einspeisung von Gasmengen) und Nachfrage (Ausspeisung von Gasmengen) zu erzielen. Ziel ist es, dass bei präzisen Prognosen der Gasmengen nur ein geringer Bedarf an Regelenergie besteht.383 Die Anwendung der insoweit zur Verfügung stehenden Maßnahmen, wie etwa der Einsatz der Netzpuffer, der Einkauf externer Regelenergie und weitere netz- und marktbezogene Instrumente dienen der Vermeidung eines Engpasses im täglichen Normalbetrieb, ohne dass die Sicherheit des Gasversorgungssystems in seiner Funktion eingeschränkt oder beschädigt zu werden droht. Ebenso existieren konkrete Umsetzungshilfen, die seit dem Jahr 2014 im Leitfaden Krisenvorsorge beschrieben werden, der nach § 3 Nr. 1 lit. f KOV XII als Anlage zur Kooperationsvereinbarung gilt.384 Im Gegensatz zu der oben genannten Regeltätigkeit des Fernleitungsnetzbetreibers im Normalbetrieb,385 erhält die Nutzung von netz- und marktbezogenen Maßnahmen unter den Bedingungen und Rechtsfolgen der §§ 16 und 16a EnWG ihre Relevanz erst bei der Störung oder Gefährdung des Gasversorgungssystems in dem jeweiligen Netz.386 Folglich sind auch dann erst die in der Kooperationsvereinbarung und in dem Leitfaden Krisenvorsorge Gas ausgehandelten Verfahrensregeln maßgeblich. Dementsprechend sind, unbeschadet der oben genannten generellen Verpflichtung der Netzbetreiber in Deutschland bei einer Gefährdung oder Störung der Sicherheit oder Zuverlässigkeit des Gasversorgungssystems, von den Fernleitungsnetzbetreibern explizit die Vorschriften gemäß §§ 15, 16, 16a und 49ff. EnWG anzuwenden. Die Fernleitungsnetzbetreiber sind mithin zu marktbasierten Maßnahmen, ohne dass von Staats wegen eingegriffen werden müsste, legitimiert, so nach § 16 383 384 385 386

Siehe hierzu Kapitel F. III. 2. c). Vgl. BDEW et al., Leitfaden Krisenvorsorge Gas, 2021. Vgl. Hartung, in: BeckOK EnWG, 2022, § 16, Rn. 15. Vgl. BDEW et al., Leitfaden Krisenvorsorge Gas, 2021, S. 13.

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Abs. 1 Nr. 1 EnWG zu netzbezogenen Maßnahmen und nach § 16 Abs. 1 Nr. 2 EnWG zu marktbezogenen Maßnahmen. Eine hierzu korrespondierende Obliegenheit besteht gemäß § 16a EnWG für die Verteilnetzbetreiber. Um ein effizientes Niveau der operativen Netzsteuerung zur Beseitigung von Störungen zu erreichen, sind Organisationsmaßnahmen zwischen betroffenen Netzbetreibern und anderen Marktakteuren im Einzelnen zu koordinieren und zu kommunizieren.387 So besteht bereits seit dem Jahr 2005 die Kooperationspflicht nach § 20 Abs. 1b EnWG einschließlich einer jährlich zu aktualisierenden Kooperationsvereinbarung. Für die Netzbetreiber besteht aktuell nach der Kooperationsvereinbarung Nr. 12 (KoVXII)388 etwa die verpflichtende Einigung über die Abwicklung des Netzzugangs zu den Gasversorgungsnetzen. So muss der Transportkunde nur einen Ein- und einen Ausspeisevertrag abschließen, auch wenn er Gas über mehrere Netzkopplungspunkte transportieren will.389 Sollten diese Maßnahmen gemäß § 16 Abs. 1 Nr. 1 und 2 EnWG zur Abwendung der Störung oder Gefährdung nicht ausreichen, sind die Fernleitungsnetzbetreiber, sobald sie den Engpass identifiziert haben, zu weiteren Maßnahmen nach § 16 Abs. 2 in Verbindung mit § 15 Abs. 1 EnWG berechtigt und verpflichtet.390 Für die Verteilnetzbetreiber besteht diese Verpflichtung gemäß § 16a EnWG.391 In etwa vergleichbar sind sie mit den Maßnahmen nach § 13 EnWG, das in ein Stufensystem von netzbezogenen und marktbezogenen Maßnahmen auf einer ersten Stufe aufgeteilt ist. Aus der Struktur des § 16 EnWG ist indes nicht zu induzieren, dass die Stufung zwischen Abs. 1 und Abs. 2 zwingend zunächst Maßnahmen nach Abs. 1 erfordert. Die Fernleitungsnetzbetreiber sind in der Lage, infolge ihrer bisherigen Erfahrungen zu prognostizieren, dass die Maßnahmen nach Abs. 1 die Störung oder die Gefährdung der Sicherheit des Gasversorgungssystems nicht rechtzeitig und effektiv beheben können.392 Unter dieser Voraussetzung wird die gewissenhafte ex ante Einschätzung der Fernleitungsnetzbetreiber, dass allein durch Notfallmaßnahmen gemäß § 16 Abs. 2 EnWG die Störung verhindert werden kann, als maßgeblich akzeptiert.393 Diese Begriffe der Gefährdung oder Störung bezüglich der Zuverlässigkeit des Gasversorgungssystems sind hierfür speziell nicht definiert. Von daher ist die 387

Vgl. Hartung, in: BeckOK EnWG, 2022, § 16, Rn. 4. Kooperationsvereinbarung zwischen den Betreibern von in Deutschland gelegenen Gasversorgungsnetzen, 2021. 389 Siehe hierzu Kapitel D. I. 5. a). 390 Siehe hierzu Kapitel F. III. 2. d) bb). 391 Vgl. BDEW et al., Leitfaden Krisenvorsorge Gas, 2021, S. 21. 392 Vgl. ebenda, S. 14; Hartung, in: BeckOK EnWG, 2022, § 16, Rn. 28 mit weiterem Verweis. 393 Vgl. Hartung, in: BeckOK EnWG, 2022, § 16, Rn. 24. 388

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G. Instrumente zur Gewährleistung von Versorgungssicherheit

Definition in § 13 Abs. 4 EnWG analog anzuwenden, indem von Gesetzes wegen beide Vorschriften gleichgerichtet interpretiert werden sollen.394 So ist von einer Gefährdung der Sicherheit des Gasversorgungssystems oder ihrer Störung auszugehen, wenn etwa unerwünschte Effekte in einem signifikanten Ausmaß zu befürchten sind. Dies betrifft etwa technische Konstellationen, Überspeisung von Netzen oder des Marktgebiets, durch Überschreiten oder auch Unterschreiten des Maximal- oder Minimaldrucks, sowie eine Gasmangellage, die zu erheblichen Versorgungsausfällen, Netzengpässen oder auch Schäden an technischen Anlagen führen könnten.395 Indes wirkt sich im Unterschied zu einem Stromausfall eine großflächige Gasmangellage auf private Haushalte nicht als ein plötzlicher Vorgang aus, insofern Erdgasleitungen und Erdgasspeicher (in Abhängigkeit des Füllstands) bei Lieferausfällen im Erdgasnetz zunächst als Puffer relevant sind.396 Explizit zu berücksichtigen ist damit einhergehend auch, dass die Maßnahmen je nach Netzauslastung, Gasflüssen, Kundenanlagen und -verhalten in ihrer Auswirkung divergierend sein können, mithin eine Abschaltreihenfolge anders als im Stromnetz (wegen der Besonderheit der Moleküle im Gasnetz) nicht ex ante bestimmt werden kann.397 a) Netzbezogene Maßnahmen Die den Fernleitungsnetzbetreibern zur Disposition stehenden netzbezogenen Instrumente der ersten Stufe des § 16 Abs. 1 Nr. 1 EnWG beziehen sich auf technische Maßnahmen zur Netzsteuerung des Fernleitungsnetzes.398 Dies betrifft etwa die Verwendung von Netzflexibilitäten als interne Regelenergie,399 die Nutzung von Netzschaltungen, Fahrwegsänderungen oder auch interne Gasmengen-

394 Vgl. Bundestag, Entwurf eines zweiten Gesetzes zur Neuregelung des Energiewirtschaftsrechts, Drucksache 15/3917, 2004, S. 58 zu § 16. Siehe den Wortlaut der Definition in diesem Kapitel unter I. 2. 395 Vgl. Hartung, in: BeckOK EnWG, 2022, § 16, Rn. 20. 396 Vgl. BMWi, Notfallplan Gas für die Bundesrepublik Deutschland, 2019, S. 29 (Abschnitt 10.2). 397 Vgl. Hartung, in: BeckOK EnWG, 2022, § 16, Rn. 25. 398 „Netzschaltungen im Bereich der Gasversorgungsnetze beziehen sich auf die Druckerhöhung oder -verringerung sowie auf das Schließen oder Öffnen von Rohrleitungen“, Tüngler, in: Kment, Energiewirtschaftsrecht, 2019, § 16 EnWG, Rn. 9. 399 Diese ist in § 27 Abs. 1 Satz 3 GasNZV legaldefiniert als: „1. Nutzung der Speicherfähigkeit des Netzes, 2. Einsatz des Teils von Anlagen zur Speicherung von Gas i. S. d. 3 Nr. 31 EnWG, der ausschließlich Betreibern von Leitungsnetzen bei der Wahrnehmung ihrer Aufgaben vorbehalten ist (netzzugehöriger Speicher) und der der Regulierungsbehörde vom Netzbetreiber angezeigt worden ist und 3. Nutzung der Speicherfähigkeit der an das betroffene Netz angrenzenden Netze sowie netzzugehöriger Speicher in anderen Netzen innerhalb und außerhalb des Marktgebiets.“

II. Instrumente Gasmarkt

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verlagerungen zwischen Netzbetreibern nach Absprache, auch über ausländische Netze.400 Insoweit gehört hierzu etwa auch die Aufforderung an nachgelagerte Verteilnetzbetreiber, unterbrechbare Kapazitätsverträge zu unterbrechen.401 Charakteristisch ist hierbei zudem, dass gleichermaßen weder ein Eingriff in das Marktgeschehen erfolgt noch der Netznutzer einbezogen wird.402 b) Marktbezogene Maßnahmen Im Kontext der marktbezogenen Maßnahmen gemäß § 16 Abs. 1 Nr. 2 EnWG i.V. m. § 15 Abs. 1 EnWG hingegen sind als Regelbeispiele explizit genannt der Einsatz von Ausgleichsleistungen nach § 3 Nr. 1 EnWG, Abschaltvereinbarungen und Einsatz von nicht netzzugehörigen Speichern, mithin bei diesen Maßnahmen wieder in das Marktgeschehen eingegriffen wird. aa) Einsatz von Ausgleichsleistungen Der von dem Marktgebietsverantwortlichen vorrangige Einsatz der internen Regelenergie dient dem Ausgleich von kurzfristigen Schwankungen, insofern die „Netzpuffer“ 403 dem Gasleitungsnetz bereits immanent sind und hierdurch flexibel geringfügige Differenzen innerhalb eines Bilanzkreises zwischen Einspeiseund Ausspeiseleistung ausgeglichen werden können.404 Sollten die Probleme mithilfe der internen Regelenergie nicht behoben werden können, wird als weitere Maßnahme die externe Regelenergie genutzt, infolgedessen der Marktgebietsverantwortliche, ähnlich wie im Strommarkt, Gasmengen über die Börse oder über Ausschreibungsplattformen von Anbietern wie Produzenten oder Gasspeichern beibringen muss.405 Vergleichbar mit der Merit Order

400 Vgl. BDEW et al., Leitfaden Krisenvorsorge Gas, 2021, S. 13; Hartung, in: BeckOK EnWG, 2022, § 16, Rn. 30 und 31. 401 Vgl. Bourwieg, in: Britz et al., Energiewirtschaftsrecht, 2015, § 16 EnWG, Rn. 6; dies wurde etwa notwendig im Februar 2012, vgl. Bundesnetzagentur, Bericht zum Zustand der leitungsgebundenen Energieversorgung im Winter 2011/2012, 2012, S. 86. 402 Vgl. Bourwieg, in: Britz et al., Energiewirtschaftsrecht, 2015, § 16 EnWG, Rn. 6. 403 Kühling et al., Energierecht, 2022, S. 47, Rn. 70. Dies wird auch als „Netzpufferung“ bezeichnet (siehe BMWi, Versorgungssicherheit bei Erdgas Monitoring-Bericht nach § 51 EnWG 2019, S. 16; vgl. Ennuschat, Erdgas in der deutschen Energiewende und europäischen Energiunion, NVwZ 2015, S. 1553–1559 (1558)). 404 Diese Flexibilität besteht bzgl. mehrerer Prozentpunkte. Dies bedeutet einen erheblichen Unterschied zu Stromnetzen. Größere Ausfälle aufgrund großer Abweichungen zwischen Ein- und Ausspeisung sind bislang noch nicht vorgekommen, vgl. Löschel et al., Energiewirtschaft, 2020, S. 256. 405 Vgl. Löschel et al., Energiewirtschaft, 2020, S. 256.

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G. Instrumente zur Gewährleistung von Versorgungssicherheit

im Strommarkt, sind auch hier gemäß einer Merit Order-Liste (MOL) die verschiedenen Ränge 1–4 der MOL zu befolgen.406 bb) Abschaltvereinbarungen Als weitere marktbezogene Maßnahme wird den Fernleitungsnetzbetreibern die Möglichkeit der vertraglichen Regelungen über eine Abschaltung gemäß § 16 Abs. 1 Nr. 2 EnWG eröffnet. Hierfür können gemäß § 11 Abs. 1 S. 1 GasNZV „unterbrechbare“ Transportverträge als Abschaltmaßnahme eingesetzt werden. Indem diese Abschaltungen noch durch eine zusätzliche Anreizfunktion für den Abnehmer verstärkt werden, können Engpässe im vorgelagerten Netz vermieden werden. So sind die Verteilnetzbetreiber befugt, mit Letztverbrauchern unter Beachtung des Verbots einer Ungleichbehandlung eine vertragliche Abschaltvereinbarung zu treffen, im Zuge dessen die Letztverbraucher nur ein reduziertes Netzentgelt entrichten. Die Höhe des reduzierten Netzentgelts bemisst sich nach der Wahrscheinlichkeit einer tatsächlichen Abschaltung. Kritisch anzumerken ist in diesem Zusammenhang, dass diese Verordnungsermächtigung in § 14b Satz 5 EnWG bislang noch nicht in Anspruch genommen worden ist,407 mithin im Unterschied zum Strommarkt konkretisierende Vorgaben für den Gasmarkt fehlen.408 cc) Einsatz von Speichern Eine weitere marktbezogene Maßnahme nach § 16 Abs. 1 Nr. 2 EnWG ist der Einsatz von Speichern. Hierbei ist dem Fernleitungsbetreiber eine Entkopplung der Produktion von dem Verbrauch des Gases möglich, demzufolge dieses Instrument die Versorgungssicherheit in besonderem Maße fördern kann.409 Unerlässlich ist hierbei, dass für die marktbezogenen Maßnahmen nicht Speicher verwendet werden, die im Besitz – wenn auch nur teilweise – eines Fernleitungsnetzbetreibers sind, insofern dessen Speicher bereits den oben genannten netzbezogenen Maßnahmen dienen sollen. Demgemäß kämen hier etwa Speicheranlagen eines Gasversorgungsunternehmens zum Einsatz.410 So werden ge406 Vgl. Trading Hub Europe GmbH, Regelenergiebericht nach GaBi Gas 2.0, 2021, S. 12 ff. 407 Vgl. Schnurre, in: BeckOK EnWG, 2022, § 14b, Rn. 18. 408 Des Weiteren hat die Bundesnetzagentur mit Beschluss vom 25. März 2020 – BK7-19-037 das gemeinsame Konzept der Fernleitungsnetzbetreiber für ein Überbuchungs- und Rückkaufsystem (unter Auflagen wie u. a. des Verbots einer Preisobergrenze) als weiteres marktbasiertes Instrument für zusätzliche Kapazitäten in einem deutschlandweiten Marktgebiet genehmigt. 409 Vgl. Löschel et al., Energiewirtschaft, 2020, S. 248; Lokau/Däuper, in: Zenke/ Schäfer, Energiehandel in Europa, 2017, § 4, Rn. 29. 410 Vgl. Tüngler, in: Kment, Energiewirtschaftsgesetz, 2019, § 16, Rn. 11; vgl. auch § 3 Nr. 31 EnWG.

II. Instrumente Gasmarkt

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gen unvorhergesehene Nachfrageschwankungen oder Preisspitzen zur kurzfristigen Absicherung meistens kleinere und oberirdische Übertage-Speicher, hingegen für bedeutendere Schwankungen Untertagespeicher benutzt.411 Nicht zuletzt wichtig ist auch der Einsatz von Speichern, um abrupt auftretende Beeinträchtigungen durch den Import, die Produktion, oder den Transport ausgleichen zu können.412 c) Notfallmaßnahmen nach § 16 Abs. 2 EnWG Unter der Voraussetzung, dass die netz- oder marktbezogenen Maßnahmen nach § 16 Abs. 1 EnWG nicht geeignet sind, die Gefährdung oder Störung umfassend oder früh genug abwenden zu können, obliegt es den Fernleitungsnetzbetreibern, die sogenannten Notfallmaßnahmen des § 16 Abs. 2 in Verbindung mit § 15 Abs. 1 EnWG wirksam einzusetzen. So sind sie unter der Beachtung der präzisen Vorgaben des § 16 Abs. 2a EnWG berechtigt und verpflichtet, sämtliche Gasein- und ausspeisungen und Gastransporte den Erfordernissen eines sicheren und zuverlässigen Betriebs der Netze in ihren Netzen anzupassen oder diese Anpassung zu verlangen. Während daraus folgt, dass diese Anpassungen auch im Kontext zu den Verbindungen mit anderen Netzen, sowohl im innerstaatlichen als auch internationalen Zusammenschluss, zu berücksichtigen und auszuführen sind,413 ermöglicht somit § 16 Abs. 2 EnWG auch Maßnahmen, die gegen den Willen der Betroffenen bei der akuten Störungs- oder Gefährdungslage durchgesetzt werden können. Die damit einhergehende Obliegenheit der Fernleitungsnetzbetreiber bezieht sich bei einer erforderlichen Anpassung von Gasein- und Gasausspeisungen darauf, die von diesen Maßnahmen betroffenen Fernleitungs- oder Verteilnetzbetreiber und Gashändler nach Maßgabe aller Möglichkeiten vorab zu informieren und die notwendigen Informationen bereitzustellen. Diese Verpflichtung besteht auch für die Verteilnetzbetreiber von Gasanlagen gemäß § 16a EnWG. Bei der adäquaten Umsetzung der Notfallmaßnahmen nach § 16 Abs. 2 EnWG im Verteilernetz ist darauf zu achten, dass vorrangig nicht geschützte Letztverbraucher zu kürzen sind, unterdessen eine bestimmte bereits zuvor eingeplante Abfolge einzuhalten ist, desgleichen unter Vermeidung einer Diskriminierung. Die Definition des geschützten Kunden ergibt sich aus den Vorgaben der EUVerordnung 2017/1938 über Maßnahmen zur Gewährleistung der sicheren Gas411

Vgl. Kühling et al., Energierecht, 2022, S. 47, Rn. 70. Vgl. Ennuschat, Erdgas in der deutschen Energiewende und europäischen Energieunion, NVwZ 2015, S. 1553–1559 (1558) mit Verweis auf BMWi, Monotoringbericht zur Versorgungssicherheit bei Erdgas, 2014, S. 11. 413 Vgl. Hartung, in: BeckOK EnWG, 2022, § 16, Rn. 34. 412

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G. Instrumente zur Gewährleistung von Versorgungssicherheit

versorgung (SoS-Verordnung)414 konkretisiert durch das „Gesetz zur Umsetzung unionsrechtlicher Vorgaben und zur Regelung reiner Wasserstoffnetze im Energiewirtschaftsrecht“.415 Darunter fallen auch die systemrelevanten Gaskraftwerke gemäß § 16 Abs. 2a EnWG, jedoch nur mit der Einschränkung, dass noch keine Folgenabwägung mit dem Resultat einer Anweisung durch den Übertragungsnetzbetreiber gegenüber dem Fernleitungsnetzbetreiber zustande gekommen ist. Erst mit dieser Anweisung des Übertragungsnetzbetreibers, der das alleinige Entscheidungsrecht hat, gegenüber dem Fernleitungsnetzbetreiber, wird die Reihenfolge insoweit geändert, dass die Lieferungen an systemrelevante Kraftwerke nach den nicht geschützten Kunden, aber vor den geschützten Letztverbrauchern zu kürzen sind.416 Mithin sind Beschneidungen der Liefermengen an Letztverbraucher zuletzt auszuführen,417 insofern § 53a EnWG für diesen Kreis die Versorgungen in hohem Maße sicherstellt. d) Verknüpfung des Netzsicherheitsmanagements von Strom- und Gasnetzbetreibern durch § 16 Abs. 2a EnWG Der regulatorische Rahmen des sich aus § 16 Abs. 1 und 2 EnWG ergebenden Rangverhältnisses ist durch den, mit der EnWG-Novelle 2012 eingefügten § 16 Abs. 2a EnWG, vorgegeben worden. Hintergrund war der Versorgungsengpass im Februar 2012.418 Aus dem Erfordernis der Versorgungssicherheit dürfte unumgänglich sein, dass systemrelevante Gaskraftwerke gegenüber anderen Gasverbrauchern, mit Ausnahme der geschützten Kunden nach § 53a EnWG, bevorrechtigt werden. So sind hierbei nach Maßgabe der Bestimmung in § 16 Abs. 2a, S. 1 EnWG potenzielle Konsequenzen für die Sicherheit und Zuverlässigkeit des Elektrizitätsversorgungssystems zu bedenken, die sich aus den Übertragungsnetzbetreibern gemäß § 15 Abs. 2 EnWG bereitzustellenden Informationen ergeben.419

414 Verordnung 2017/1938 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Oktober 2017 über Maßnahmen zur Gewährleistung der sicheren Gasversorgung und zur Aufhebung der Verordnung (EU) Nr. 994/2010 (SoS-Verordnung), ABl. EU Nr. L 280, S. 1 vom 28. Oktober 2017; vgl. auch Hartung, in: BeckOK EnWG, 2022, § 16, Rn. 41. 415 Gesetz zur Umsetzung unionsrechtlicher Vorgaben und zur Regelung reiner Wasserstoffnetze im Energiewirtschaftsrecht vom 16. Juli 2021, BGBl. I, S. 3026. 416 Vgl. BDEW et al., Leitfaden Krisenvorsorge Gas, 2021, S. 14; Hartung, in: BeckOK EnWG, 2022, § 16, Rn. 45. 417 Vgl. Hartung, in: BeckOK EnWG, 2022, § 16, Rn. 46. 418 Vgl. BMWI, Bericht nach § 63 Abs. 2a EnWG zur Wirksamkeit und Notwendigkeit der Maßnahmen nach den §§ 13 Abs. 1a und 1b, 13a–c und 16 Abs. 2a EnWG, 2014, S. 8 und 11. 419 Vgl. Bourwieg, in: Britz et al., Energiewirtschaftsrecht, 2015, § 16, Rn. 15.

II. Instrumente Gasmarkt

315

Im Hinblick auf die Versorgungssicherheit im Gasversorgungssystem bei gleich geeigneten Maßnahmen sind stets diejenigen Maßnahmen zu ergreifen, deren Auswirkungen die Sicherheit und Zuverlässigkeit des Elektrizitätsversorgungssystems am wenigsten beeinträchtigt. Die entscheidende Abgrenzung ergibt sich aus der konkreten Prioritätsanordnung in den folgenden Sätzen 2 bis 4 des § 16 Abs. 2 EnWG, insofern der Gasbezug eines gemäß § 13f EnWG systemrelevanten Gaskraftwerks von dem Betreiber eines Fernleitungsnetzes durch eine marktbezogene Maßnahme nach § 16 Abs. 1 Nr. 1 gem. § 16 Abs. 2a, Satz 2 nicht eingeschränkt werden darf. Dies setzt voraus, dass der Betreiber des betroffenen Übertragungsnetzes die weitere Gasversorgung der Anlage gegenüber dem Fernleitungsnetzbetreiber anweist, mithin die vertraglichen Regelungen zur Abschaltung dieser Anlagen insoweit als gegenstandslos zu betrachten sind. Somit werden systemrelevante Gaskraftwerke im Endergebnis den Abnehmern mit nicht unterbrechbaren Transportkapazitäten gleichgestellt. 420 Wenn auch im Fall von Notfallmaßnahmen der Gasbezug einer solchen Anlage nach der Bestimmung des § 16 Abs. 2a, S. 3 EnWG begrenzt werden kann, ist dieses aber im Hinblick auf andere Maßnahmen nach § 16 Abs. 2 EnWG nachrangig. So ist hierfür bei einem systemrelevanten Gaskraftwerk die Anweisung der Betreiber des betroffenen Übertragungsnetzes mit folgender Maßgabe zulässig, die er einzuhalten hat. Das bedeutet, dass er zuvor „alle verfügbaren netzund marktbezogenen Maßnahmen nach § 13 Abs. 1 ausgeschöpft hat und eine Abwägung der Folgen weiterer Anpassungen von Stromeinspeisungen und Stromabnahmen im Rahmen von Maßnahmen nach § 13 Abs. 2 mit den Folgen weiterer Anpassungen von Gaseinspeisungen und Gasausspeisungen im Rahmen von Maßnahmen nach § 16 Abs. 2 eine entsprechende Anweisung angemessen erscheinen lassen.“ Infolgedessen obliegt dem Übertragungsnetzbetreiber die detailgenaue Prüfung und Berücksichtigung möglicher nachteiliger Folgen von Notfallmaßnahmen, bevor diese sowohl im Strom- als auch im Gasversorgungssystem durchgeführt werden.421 3. Maßnahmen nach dem Energiesicherungsgesetz Mit dem Gesetz zur Sicherung der Energieversorgung (Energiesicherungsgesetz 1975 – EnSiG)422 ist der Staat legitimiert, zur Abwendung einer Versorgungskrise weitere Maßnahmen zu ergreifen, insofern er gezielte Versorgungsnotmaßnahmen erlassen kann. 420

Vgl. Tüngler, in: Kment, Energiewirtschaftsgesetz, 2019, § 16, Rn. 16. Vgl. ebenda Rn. 14–18; BMWi, Bericht nach § 63 Abs. 2a EnWG zur Wirksamkeit und Notwendigkeit der Maßnahmen nach den §§ 13 Abs. 1a und 1b, 13a–c und 16 Abs. 2a EnWG, 2014, S. 11. 422 Gesetz zur Sicherung der Energieversorgung (Energiesicherungsgesetz 1975) vom 20. Dezember 1974, BGBl. I, S. 3681, das zuletzt durch Art. 86 des Gesetzes vom 10. August 2021, BGBl. I, S. 3436, geändert worden ist. 421

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G. Instrumente zur Gewährleistung von Versorgungssicherheit

Auslöser zum Erlass des „Gesetzes zur Sicherung der Energieversorgung bei Gefährdung oder Störung der Einfuhren von Mineralöl oder Erdgas“ (Energiesicherungsgesetz)423 im Jahr 1973 war das Ölembargo der OPEC-Länder gegen die westlichen Industrienationen als Reaktion auf deren Unterstützung Israels beim Jom-Kippur-Krieg im Nahen Osten im Jahr 1973 und der damit verbundenen Ölknappheit in Deutschland.424 Dieses Energiesicherungsgesetz vom 9. November 1973, gemäß dessen § 20 S. 2 befristet bis 4. Dezember 1974, wurde als Sofortmaßnahme als Notstandsgesetz erlassen. Ungeachtet der fristgemäßen Beendigung dieses Gesetzes bestand weiterhin das gewichtige Anliegen, bei Energieversorgungsstörungen ein Instrument für ein Eingreifen des Staates zu erhalten. Dementsprechend wurde am 20. Dezember 1974 das Gesetz zur Sicherung der Energieversorgung (Energiesicherungsgesetz 1975 – EnSiG)425 erlassen, das nach Aufhebung der zunächst vorgesehenen Befristung weiterhin gilt. So wurde aufgrund dieses Gesetzes die Verordnung zur Sicherung der Gasversorgung in einer Versorgungskrise (Gassicherungsverordnung – GasSV)426 erlassen. Hierin werden die Regelungen für den Gasmarkt präzisiert, indem jeden Monat etwa über die Bundesregierung für den Fall einer unmittelbaren Gefährdung für die Versorgung nach § 1 Abs. 1 oder des § 2 Abs. 3 des EnSiG diese durch Verordnung feststellen und wirksame Instrumente zur Gefahrenabwehr vorsehen kann. Hiermit sollen überregionale öffentliche Interessen bei der Versorgung sowie die unerlässliche Kooperation sämtlicher Beteiligter gewährleistet werden. Die Bundesnetzagentur427 ist ermächtigt, als zuständige Behörde zu veranlassen, dass die Unternehmen bestehende Verträge ändern oder neue Verträge abschließen, auch Privathaushalte sowie Verbraucher können zu einem sparsamen Verbrauch angehalten werden. So soll auch auf überregionalen Ebenen ein Ausgleich von Interessen und Bedürfnissen der Beteiligten herbeigeführt werden.428 Auch wenn hierdurch Regelungen etwa bei Gasversorgungsanlagen mit überregionaler Bedeutung durchführbar werden können, bleibt die Vorhaltung von Gasmengen als Vorbeugemaßnahme in Krisenzeiten hiervon unberührt. Nicht zu-

423 Gesetz zur Sicherung der Energieversorgung bei Gefährdung oder Störung der Einfuhren von Mineralöl oder Erdgas vom 09. November 1973, BGBl. I, S. 1585. 424 Vgl. BpB, 09. November 1973; Handelsblatt, Als das schwarze Gold aufhörte zu fließen, vom 17. Oktober 2013. 425 Gesetz zur Sicherung der Energieversorgung (Energiesicherungsgesetz 1975) vom 20. Dezember 1974, BGBl. I, S. 3681, das zuletzt durch Art. 86 des Gesetzes vom 10. August 2021, BGBl. I, S. 3436, geändert worden ist. 426 Verordnung zur Sicherung der Gasversorgung in einer Versorgungskrise (Gassicherungsverordnung – GasSV) vom 26. April 1982, BGBl. I, S. 517, zuletzt durch Art. 3 Abs. 48 des Gesetzes vom 07. Juli 2005, BGBl. I, S. 1970, geändert. 427 Die Bundesnetzagentur fungiert nach § 4 Abs. 3 EnSiG als Bundeslastverteiler. 428 Vgl. BMWi, Notfallplan Gas für die Bundesrepublik Deutschland, 2019, S. 14.

II. Instrumente Gasmarkt

317

letzt ist gemäß § 11 EnSiG aufgrund einer erlassenen Rechtsverordnung oder Maßnahme rechtlich das Merkmal einer Enteignung gegeben.429 4. Rechtsrahmen auf europäischer Ebene der Instrumente für den nationalen Gasmarkt nach der SoS-Verordnung430 Erfolgsentscheidend für ein krisenresistentes europäisches Gassicherungssystem und für die Gewährleistung einer Gasversorgungssicherheit ist ein ungestört und problemlos funktionierender Gasbinnenmarkt. Auf diese Weise kann mit der Einbettung der Mitgliedstaaten die Sicherheit der Gasversorgung in der gesamten europäischen Union optimal garantiert werden sowie die potenzielle Schadenseinwirkung bei einzelnen Mitgliedstaaten minimiert oder auch kompensiert werden. Zur Optimierung dieser Zielvorstellung ist die novellierte Verordnung zur Gewährleistung der Erdgasversorgungssicherheit auf EU-Ebene über Maßnahmen zur Gewährleistung der sicheren Gasversorgung, die SoS-Verordnung, erlassen worden.431 So wird in der Verordnung zu den Gründen und Erwägungen vorab auf die bereits vorangegangene Verordnung aus dem Jahr 2010 auf EU-Ebene verwiesen,432 zugleich aber auch festgestellt, dass insbesondere die „Möglichkeiten effizienter und kostengünstiger Maßnahmen mittels regionaler Zusammenarbeit noch nicht voll ausgeschöpft“ 433 worden sind, ebenso der Leitgedanke der Solidarität verfestigt werden müsse.434 Mithin enthält die SoS-Verordnung, die unmittelbar und in allen Teilen verbindlich für jeden Mitgliedstaat gilt, einen umfassenden Maßnahmenkatalog sowie verpflichtende Definitionen von Pflichten und Befugnissen der verschiedenen Verantwortungsbereiche, einschließlich Begriffsbestimmungen (Art. 2 SoS429 Vgl. BBH et al., Möglichkeiten zur Verbesserung der Gasversorgungssicherheit, 2015, S. 53. 430 Verordnung 2017/1938 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Oktober 2017 über Maßnahmen zur Gewährleistung der sicheren Gasversorgung und zur Aufhebung der Verordnung (EU) Nr. 994/2010 (SoS-Verordnung), ABl. EU Nr. L 280, S. 1 vom 28. Oktober 2017. 431 SoS-Verordnung, a. a. O.; im Rahmen der Entwicklung der überarbeiteten SoSVerordnung hat die EU-Kommission im Jahr 2014 einen sog. Stresstest durchgeführt und am 16. Februar 2016 ein umfassendes Paket mit Vorschlägen zum Thema Versorgungssicherheit auf dem Gasmarkt veröffentlicht, vgl. EU-Kommission, Mitteilung vom 16. Oktober 2014, Über die kurzfristige Krisenfestigkeit des europäischen Gassystems – Vorkehrungen für den Fall einer Unterbrechung der Gaslieferungen aus dem Osten im Herbst und Winter 2014/2015, KOM (2014) 654 endg., insbesondere S. 22 ff. 432 Erwägungsgrund 4 der SoS-Verordnung, a. a. O., S. 2. 433 Erwägungsgrund 9 der SoS-Verordnung, a. a. O., S. 2. 434 Erwägungsgrund 10 der SoS-Verordnung, a. a. O., S. 3.

318

G. Instrumente zur Gewährleistung von Versorgungssicherheit

Verordnung), so etwa die Definition des geschützten Kunden in Art. 2 Nr. 5 SoSVerordnung. Dieser Schutz der betroffenen Kunden ist in Art. 6 SoS-Verordnung bezüglich der Gewährleistung des statuierten Gasversorgungstandards explizit hervorgehoben, insofern Maßnahmen zur Sicherstellung der Gasversorgung „geschützter Kunden des Mitgliedstaats“ in bestimmten Situationen zu ergreifen sind.435 So etwa ist nach Art. 6 Abs. 1c SoS-Verordnung die Gasversorgung über 30 Tage durch den Gasversorger zu gewährleisten, indes die den Erdgasunternehmen auferlegten Verpflichtungen weder diskriminierend noch unangemessen belastend sein dürfen. Weiterhin wichtig ist die in Art. 11 SoS-Verordnung geregelte Verpflichtung einer national zu implementierenden dreistufigen Klassifizierung im Falle einer Versorgungskrise in Frühwarn-, Alarm- und Notfallstufe, unterdessen Maßnahmen der beiden ersten Stufen nur die Gasunternehmen betrifft. Dem Bundesministerium für Wirtschaft und Energie ist hingegen ausschließlich die letzte Stufe hoheitlicher Eingriffe vorbehalten.436 Im Kontext hierzu ist die Vorgabe gemäß Art. 8 SoS-Verordnung, nationale Präventions- und Notfallpläne aufzustellen, deren Inhalt gemäß Art. 9 und 10 der Verordnung einschließlich der Anhänge VI und VII vorgeschrieben wird, indes in Bezug auf die genaue Konkretisierung die Mitgliedstaaten Gestaltungsrechte haben. Dementsprechend ist eine Umsetzung durch die Bundesregierung in der Erstellung des Notfallplans437 und des Präventionsplans438 erfolgt, insofern hierbei die wesentlichen Rahmenbedingungen der Verordnung, so etwa bezüglich der geschützten Kunden, des Krisen – und Notfallmanagements umgesetzt worden sind. Besondere Bedeutung erlangen drei Maßnahmen in der SoS-Verordnung, die erstmalig zur Erhöhung der Krisenbewältigung und der Gasversorgungssicherheit postuliert worden sind: So ist ein zentrales Anliegen das Kooperationsgebot nach Art. 12 SoS-Verordnung, dass eine Koordinierungsgruppe Gas gebildet wird, die alle regionalen, nationalen und unionsweiten Szenarien und Maßnahmen für eine effektive Bekämpfung eines regionalen oder aber unionsweiten Notfalls koordinieren, sogenannte Risikogruppen. Diese beobachten die relevanten Hauptversorgungsrouten der Erdgasversorgung und ermöglichen ein effektives, regionales Zusammenwirken, auch können sie grenzüberschreitende Vorgehensweisen oder Vereinbarungen zur Erhöhung der Sicherheit bewirken.

435

Siehe hierzu bereits in Kapitel F. III. 2. b). Vgl. Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestags, Versorgungssicherheit im Energiebereich in der Gesetzgebung, 2021, S. 12. 437 Vgl. BMWi, Notfallplan Gas für die Bundesrepublik Deutschland, 2019. 438 Vgl. BMWi, Präventionsplan Gas für die Bundesrepublik Deutschland, 2019. 436

II. Instrumente Gasmarkt

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Als eine weitere zentrale Komponente ist das Prinzip der Solidarität der Mitgliedstaaten in Art. 13 SoS-Verordnung definiert worden. Hierbei soll grundsätzlich sichergestellt werden, dass in Notsituationen die Vorsorge von geschützten Kunden des unmittelbar angrenzenden Mitgliedstaats garantiert wird. Der geschützte Kunde ist in Art. 2 Nr. 5 der SoS-Verordnung definiert und umfasst in jedem Fall „einen Haushaltskunden, der an ein Erdgasverteilernetz angeschlossen ist“.439 Der Mitgliedstaat kann aber auch zusätzlich die in Art. 2 Nr. 5a–c genannten Fallgruppen als „geschützte Kunden“ definieren. In § 53a Nr. 1–3 EnWG ist der „geschützte Kunde“ jedoch über den Haushaltskunden hinaus definiert worden. So wurden etwa in den Begriff des geschützten Kunden grundlegende soziale Dienste im Sinne von Art. 2 Nr. 4 der SoS-Verordnung (z. B. Krankenhäuser) und auch Fernwärmeanlagen aufgenommen.440 Mithin ist solidarisch die Versorgung von Privathaushalten und Gesundheits-, Not- und Sicherheitsdiensten in einer Krisensituation zu sichern,441 unterdessen Deutschland durch acht unmittelbar angrenzende Mitgliedstaaten und durch das über die Schweiz mittelbar angebundene Italien besonders betroffen ist.442 Diese Solidaritätsverpflichtung wird indes gemäß Art. 13 restriktiert, insofern eine Solidaritätsmaßnahme nur als letztes Mittel und erst nach Ausschöpfung sämtlicher eigener Mittel des ersuchenden Staates angewendet werden kann. Im Kontext hierzu sind als weiterhin wesentliche Komponenten weitreichende Informationspflichten und deren Transparenz in Art. 14 SoS-Verordnung implementiert worden. So sind bei Gaslieferverträgen, die mindestens 28 % des jeweiligen Gasabsatzes betragen, die betroffenen Vertragsparteien zur Offenlegung gegenüber der zuständigen Behörde443 verpflichtet. Hierdurch wird diese die potenziellen Risiken durch eine Risikobewertung frühzeitig erkennen können. Auch für den Fall einer breit diversifizierten Gasversorgung kommt dieser Maßnahme eine zentrale Bedeutung zu, etwa für die Unternehmen, die Verträge über weit mehr als 28 % des jeweiligen Gasabsatzes mit russischen Vertragspartnern halten.

439

Art. 2 Nr. 5 SoS-Verordnung, a. a. O. Vgl. die genaue Definition in § 53a EnWG. 441 Sobald die Versorgung von Privathaushalten und Gesundheits-, Not- und Sicherheitsdiensten in einer Krisensituation zu sichern ist, muss der Nachbarstaat „aus Solidarität“ die Gaszufuhr an seine „nicht-geschützten Kunden“ unterbrechen (lassen), vgl. Art. 13 Abs. 1 Satz 1 SoS-Verordnung. 442 Fernleitungsnetzbetreiber Gas e.V., Rechtsrahmen für eine sichere Versorgung mit Erdgas. 443 In einer länderübergreifenden Krisenmanagementübung „LÜKEX“ am 18./ 29. Dezember 2018 ist im Ergebnis festzustellen, dass diese neuen Maßnahmen gut funktionieren, vgl. BMWi, Notfallplan Gas für die Bundesrepublik Deutschland, 2019, S. 19 ff. 440

320

G. Instrumente zur Gewährleistung von Versorgungssicherheit

5. Bewertung der Systemsicherheitsmaßnahmen auf dem Gasmarkt Auch wenn die deutsche Gasversorgung bisher als relativ breit diversifiziert angesehen worden ist, stellt das Problem der Lieferungen die Versorgungssicherheit mittels Gases vor eine große Herausforderung. Dies ergibt sich nicht nur im Hinblick auf die bedenkliche Abhängigkeit von instabilen Lieferanten wie etwa Russland sondern auch im Hinblick auf den bisher noch nicht hinreichend engagierten Ausbau der Instrumente zur Sicherung der Versorgung.444 Indes wird die Notwendigkeit des staatlichen Eingreifens mit dem Ziel der Sicherstellung einer hinreichenden Versorgung zunehmend nicht mehr in Zweifel gezogen. Gefordert wird aber auch die Dimension des politischen Handelns und damit verknüpft des staatlichen Eingriffs zielsicher und fehlerfrei weiterhin zu identifizieren. Eine besondere legitimierende Bedeutung erhält das staatliche Vorgehen unter dem Aspekt der Versorgungssicherheit durch die SoS-Verordnung445, insofern ein maximales Maß an Gewährleistung der Versorgungssicherheit durch weitreichende Regulierung auf europäischer Ebene implementiert worden ist. Dies geschah mit dem Ziel der Umsetzung und damit folgend der Nivellierung der festgelegten Maßnahmen innerhalb der nationalen Mitgliedstaaten, mithin ein optimales gemeinsamen interaktives Handeln zu erreichen. So werden auch durch die wechselseitige Informationspflichten und das Solidaritätsprinzip potenzielle Beeinträchtigungen des mitgliedstaatlichen Leistungsvermögens minimiert, desgleichen deren wettbewerbliche Diskriminierung.446

444 Wenn auch aufgrund der im Februar 2022 aufgetretenen politischen Krisensituation nunmehr zügig eine Bevorratung für eine langfristige Versorgung mittels Speicher unter staatlicher Kontrolle implementiert werden soll, siehe hierzu im nachfolgenden Kapitel H. 445 SoS-Verordnung, a. a. O. 446 Vgl. Pompl, Kapazitätssicherung im europäischen Stromwirtschaftsrecht, 2019, S. 350.

H. Energiepolitische Handlungsempfehlungen für einen klimaneutralen und resilienten Strom- und Gasmarkt I. Ergebnisse der Untersuchung ,Energieversorgungssicherheit‘ wird häufig als öffentliches Gut, insbesondere im Rahmen der Diskussion um die Einführung von Kapazitätsmechanismen, bezeichnet, ist aber ökonomisch nicht als ein solches einzuordnen. Vielmehr liegt ökonomisch gesehen ein meritorisches Gut vor. So ist eine Ausschließbarkeit technisch durchaus möglich und etwa auch das Instrument der Abschaltverordnung wird sowohl im Strom- als auch im Gasmarkt eingesetzt. Jedoch wird es politisch als nicht wünschenswert angesehen, dass sämtliche Verbraucher oder auch nur einzelne Verbraucher ohne vorherige Vereinbarung abgeschaltet werden. Die vielfältigen staatlichen Eingriffe auf dem Energiemarkt in Bezug auf die Versorgungssicherheit, so die Implementierung einer strategischen Reserve oder auch der Abschaltverordnung werden daher nicht mit einem Marktversagen des durch die Liberalisierung geschaffenen wettbewerblichen Energiemarkts begründet. Das schließt nicht aus, dass in einigen Bereichen, wie den Netzbereichen, Marktversagen im Energiemarkt, insbesondere im Strom- und Gasmarkt charakteristisch ist.1 Gerechtfertigt werden diese Eingriffe vielmehr mit der sich aus der staatlichen Pflicht zur Daseinsvorsorge ergebenden Notwendigkeit einen regulatorischen Rahmen zu schaffen. Wenn auch eine rechtliche Legitimation für diese staatlichen Maßnahmen besteht, bedeutet dies indes nicht, dass diese ohne Weiteres im Einklang mit der ökonomischen Eignung stehen. Nicht zuletzt zeigt die Einordnung der Versorgungssicherheit als meritorisches Gut auch das Problem des Zusammenwirkens gerade im Hinblick auf die angestrebte Klimaneutralität (CO2Neutralität). Insofern sind alle EU-Mitgliedsländer darauf bedacht, das Potenzial ihrer Wirtschaftskraft zu optimieren, diese derzeit aber grundsätzlich mit dem Einsatz der fossilen Energieträger verflochten ist und somit hiervon abhängig ist. Folglich verläuft dies konträr zu den ambitionierten klimapolitischen Zielen.2 Die auch politisch motivierten Entscheidungen, wie der Ausbau der erneuerbaren Energien, der Verzicht auf Nutzung der Kernkraftenergie und deren Beendi1

Vgl. hierzu die Ausführungen in Kapitel D. I. 1. Vgl. Honegger et al., Klimaneutralität: ein Konzept mit weitreichenden Implikationen, 2020, S. 14. 2

322

H. Energiepolitische Handlungsempfehlungen

gung bis zum Jahr 2022 sowie die Abschaltung der Kohlekraftwerke bis zum Jahr 2030 sind unter dem Aspekt und dem Ziel einer langfristig zu erreichenden Klimaneutralität getroffen worden. Für Deutschland wurde hierdurch eine besonders problematische Situation offenkundig. Derzeit gehören Braun- und Steinkohle noch zu den wichtigsten Energieträgern in der Stromproduktion. Eine weitere, um eine gewisse Zeit verlängerte Nutzung der noch betriebenen drei Atomkraftwerke wird strikt abgelehnt, ebenso Fracking, und der Bau von LNG-Terminals ist verzögert worden. Hinzu kommt, dass innerhalb der Europäischen Union die Akzeptanz der Energieträger, insbesondere der Kernenergie, unterschiedlich ausfällt. Abgesehen von der begründeten Relevanz dieses Ausstiegs aus umweltpolitischen Gründen, sind ausgehend von der Gefahr eines unvermuteten Engpasses von Energielieferungen Bedenken angebracht, inwieweit es politisch verantwortungsbewusst ist, auf Energieträger zu verzichten, ohne bereits gleichwertig gesicherte Alternativen zur Verfügung zu haben. Die hierdurch für die Versorgungssicherheit entstandenen Risiken haben sich zudem realisiert. So musste bereits mit weiteren staatlichen Maßnahmen auf dem Strommarkt, so etwa durch die Einführung einer strategischen Reserve und den Abschaltungsverboten von Kraftwerken, der Volatilität der erneuerbaren Energien und den damit verbundenen Engpässen entgegengewirkt werden. Dennoch wird der Ausbau der erneuerbaren Energien noch stärker forciert und vor allem politisch als optimale Lösung für eine nachhaltige und unabhängige Energiepolitik beworben3, zumal nunmehr ausdrücklich gesetzlich festgelegt wird, dass die Nutzung von erneuerbaren Energien „im überragenden öffentlichen Interesse liegt und der öffentlichen Sicherheit dient“.4 Nach dem derzeitigem Stand der Technik ist aber nicht absehbar, wann – oder ob überhaupt – eine ausschließlich mit erneuerbaren Energien vollumfassende Energieversorgung (24/7/365) möglich sein wird und somit den anvisierten Zweck erfüllen kann. Im Grundsatz ist hier ein externer Effekt für die Versorgungssicherheit festzustellen, indem Lücken in der Versorgung durch die Verdrängung fossiler Erzeugungsleistung entstehen, mithin die bestehende Volatilität der erneuerbaren Energien unweigerlich mit kostenintensiven Maßnahmen kompensiert werden müssen. Voraussetzung hierbei ist zudem, dass dies technisch überhaupt leistbar ist. So lange insbesondere keine effiziente Speichermöglichkeit des Stroms erkennbar ist, wird man vermutlich noch Jahrzehnte auf Backup-Kapazitäten angewiesen sein. Auf diese Weise kann sogar ein Weg in die nächste Abhängigkeit geebnet werden. Somit können diese externen Effekte nur durch Abfedern der

3

Bundesfinanzminister Lindner prägte den Begriff „Freiheitsenergien“. Vgl. Bundesregierung, Entwurf eines Gesetzes zu Sofortmaßnahmen für einen beschleunigten Ausbau der erneuerbaren Energien und weiteren Maßnahmen im Stromsektor, BT-Drs. 20/1630 vom 02. Mai 2022, S. 2. 4

I. Ergebnisse der Untersuchung

323

Volatilitätswirkung beseitigt werden. Die staatlichen Eingriffe mit dem Ziel der Förderung der erneuerbaren Energien sowie die Zahlungen an Kraftwerke, um deren Verbleib im Markt zu sichern, sind als eine staatliche Investitionslenkung zu klassifizieren, die sich primär auf das Ziel des Umweltschutzes konzentriert. So ist eine direkte Investitionslenkung in Form von Ge- und Verboten mit festen Prinzipien sowie Auflagen (Einspeisevorrang/Abnahmezwang), etwa in Form der verschiedenen erneuerbaren Energien-Förderregeln, vor allem als gesetzlicher Fördermechanismus des EEG festzustellen. Für den Gasmarkt haben die politischen Entscheidungen, etwa das Verbot der Anwendung der Frackingtechnologie von unkonventionellem Gas und die zögerliche Förderung eines Baus von LNG-Terminals, bewirkt, dass die Importabhängigkeit von Gas noch gesteigert wurde, anstatt diese zu verringern. Die für die Versorgungssicherheit entscheidenden Bezugsquellen auf dem Gasmarkt wurden auch in Deutschland trotz dieser bestehenden hohen Importabhängigkeit kontinuierlich als „breit diversifiziert“ bezeichnet,5 indessen auch die Europäische Union die Diversifizierung der Erdgasversorgung – berechtigterweise – als ein wichtiges Ziel betont.6 Dennoch ist vor dem Hintergrund der Ukrainekrise deutlich geworden, dass die Umsetzung eher nicht Realität geworden ist. So hat auch die nationale Diversifizierungsstrategie, durch den Bau der Nord Stream2 einen weiteren Pipelinestrang zu erhalten, das Gegenteil bewirkt, insofern die Abhängigkeit von Russland als Hauptimporteur für Deutschland und Europa noch weiter gestiegen ist und letztlich – aufgrund des Angriffskrieges gegen die Ukraine – die Pipeline Nord Stream 2 nicht betrieben wird. Wenn auch die Konzentration der Gaslagerstätten auf nur wenige Orte und auf klassische Anbieter von Pipeline-Gas zwar nicht zu einer Feststellung von Marktmacht dieser Anbieter führte, dürfte jedoch das Risiko, dass ein Anbieter, so etwa Gazprom, der sowohl auf Importebene als auch auf der Speicherebene, etwa durch Tochterunternehmen, vertreten ist, einem tatsächlichen Wettbewerb auf dem Energiemarkt entgegenstehen. Ersichtlich ist die durch die Liberalisierung eingeführte Entflechtung auf dem Gasmarkt in diesem Punkt nicht genügend umgesetzt, wenn nicht sogar mithilfe staatlicher Genehmigung ignoriert worden.

5 Bemerkenswert ist, dass das BMWK noch 2020 den Erdgasbezug Deutschlands als im Vergleich zu anderen europäischen Ländern, sowohl was Lieferländer als auch -routen betrifft, als „relativ breit diversifiziert“ bezeichnete, vgl. BMWi, Bericht zum Stand und zur Entwicklung der Versorgungssicherheit im Bereich der Versorgung mit Erdgas, 2020, S. 12. Obgleich – wie ausgeführt – etwa 90 % der Gaslieferungen aus Russland stammt und zudem die Speicher im Eigentum des russischen Unternehmens Gazprom stehen (siehe Kapitel E. I. 4.). 6 Vgl. EU-Kommission, Mitteilung vom 16. Februar 2016, Eine EU-Strategie für Flüssigerdgas und die Speicherung von Gas, KOM (2016) 49 endg., S. 2.

324

H. Energiepolitische Handlungsempfehlungen

Auch die bereits im Jahr 2014 als notwendig erkannten staatlichen Eingriffe für Investitionsanreize in Gasspeicher wurden nicht in Angriff genommen.7 So sollte keinerlei Regulierung der Speicherebene in Deutschland erfolgen, damit sich der Speichermarkt im Wettbewerb entwickeln kann, aber auch vor dem Hintergrund, dass Speicher nicht zu den Essential facilities gehören,8 da sie im Wettbewerb untereinander sowie zu anderen nicht regulierten Flexibilitätsinstrumenten stehen. Insbesondere im Hinblick auf die Gewährleistung der Versorgungssicherheit in Deutschland wurde der Einfluss von Speichern gerade angesichts der Abhängigkeit von Energieimporten stets hervorgehoben. Diese Bedeutung von Speichern hat sich nun noch weiter verstärkt.9 Die bereits vorhandenen Speicher sind als eine Stärke für Deutschland zu bewerten, so die Verteilung und die Anzahl der Speicher einen erheblichen Vorteil im EU-weiten und sogar im internationalen Vergleich darstellt. Zudem kann ein leistungsfähiger Gasspeicher erhebliche Kosten einsparen, insofern ein übermäßiger Netzausbau vermieden werden kann.10 Erst vor der drohenden Importproblematik aufgrund des Angriffskrieges gegen die Ukraine wurde eine Verpflichtung zur Vorhaltung von Mindestfüllständen der Speicher implementiert als eine Form der bereits seit dem Jahr 2014 geforderten staatlichen Speicherreserve. Dies wiederum erfolgte jedoch zu einem Zeitpunkt, als kaum noch Gas vorhanden war, welches hätte gespeichert werden können. Für den Gasmarkt wird die Problematik der Gasreserve, so ob eine ähnliche Investitionslenkung durch eine strategische Gasreserve sinnvoll wäre oder ob etwa der Staat sogar selbst investieren müsste, derzeit grundsätzlich noch ambivalent diskutiert. Hier ist bei allen Instrumenten zwischen dem Ziel der kurzund der langfristigen Versorgungssicherheit sowie zwischen der Systemsicherheit und der erzeugerseitigen Versorgungssicherheit zu differenzieren.11 Auf Basis der Ereignisse der Ukrainekrise ist bewusst gemacht worden, dass sich das vorhandene Risikopotential in erheblicher Weise realisiert hat und dass ein langjähriges fehlerhaftes Risikomanagement offengelegt worden ist. Dieses fehlerhafte Risikomanagement kann somit auch als Staatsversagen charakterisiert werden. In Bezug auf Kapazitätsmechanismen ist als Fazit festzustellen, dass deren wesentliche Idee die zusätzliche Vergütung von installierter und vorgehaltener Kapazität ist und sie die Steigerung von Investitionsanreizen im Energiesektor anstreben, im Zuge dessen die Versorgungssicherheit wesentlich stabilisiert und

7

Siehe in Kapitel E. I. 4. Kapitel C. II. 3. a). 9 Vgl. BMWi, Versorgungssicherheit bei Erdgas Monitoring-Bericht nach § 51 EnWG 2019, S. 14. Siehe hierzu in Kapitel E. I. 4. 10 Siehe Kapitel E. I. 4. 11 Siehe in Kapitel D. III. zu den unterschiedlichen Dimensionen der Versorgungssicherheit. 8

I. Ergebnisse der Untersuchung

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optimiert werden kann. So soll der Staat Anreize für Investitionen setzen mit dem Ziel, eine erfolgreiche, insbesondere langfristige Versorgungssicherheit zu erreichen. Die Frage, ob eine derartige staatliche Lenkung der unternehmerischen Investitionen notwendig ist, ist für einige Instrumente auf dem Strommarkt zustimmend beantwortet worden, so etwa für die Netz- und Kapazitätsreserve auf dem Strommarkt.12 Dies sollte jedoch nicht als Ersatz des Wettbewerbsmarkts angesehen werden. Darüber hinaus bedürfen diese Instrumente noch einer Optimierung. Anfänglich wurde die Umsetzung von Kapazitätsmechanismen noch mit Skepsis betrachtet. In den letzten Jahren sind die verschiedenen Modelle jedoch verstärkt in den Fokus gerückt. Kapazitätsmechanismen können, sofern sie innerhalb der Europäischen Union aufeinander abgestimmt und planvoll eingesetzt werden, durchaus energiepolitisch effektiv und ökonomisch effizient sein. Gegenwärtig zeichnet sich aber eine eher fragmentarische Umsetzung ab. So sind in den verschiedenen EU-Ländern ganz unterschiedliche Formen von Kapazitätsmechanismen installiert worden. Hierbei zeigt sich, dass einige EU-Länder, etwa Frankreich, mit einer strategischen Reserve – wie auch Deutschland – begonnen haben und anschließend das Modell eines umfassenden Kapazitätsmechanismus bevorzugt haben. Unter der Prämisse einer staatlichen Investitionslenkung sind aber auch Bedenken angebracht, inwieweit die Bestrebungen der Unternehmen in ihrer Effizienz und wettbewerblichen Orientierung hiervon negativ beeinflusst werden könnten. So werden durch spezielle Steuerbefreiungen oder partielle steuerliche Privilegien im Energiesektor für energieintensive Unternehmen Motivation und Attraktivität in „energieeffizientere Produktionsprozesse“ mit entsprechenden Anlagevermögen in diesen Sektoren zu investieren, deutlich reduziert. Demzufolge führen hierdurch bedingte Ungleichmäßigkeiten der Wettbewerbsbedingungen zu partiellen Verfälschungen und systematischen Abweichungen der Wirtschaftszweige.13 Im Rahmen des Ziele-Fünfecks14 der EU-Mitgliedstaaten wird vertreten, dass alle fünf Ziele gleichberechtigt nebeneinanderstehen sollen oder auch, dass der Versorgungsicherheit der Vorrang vor anderen Zielen eingeräumt wird. In den Hintergrund rückt jedoch das maßgebliche Ziel der Effizienz, welches auch in der gesetzlichen Auflistung erst nach preisgünstig und umweltfreundlich genannt wird. Die eingesetzten (staatlichen) Mittel, mithin die Kosten für das Engpassmanagement, im Verhältnis zu dem erreichten Nutzen, mithin die Vermeidung von Stör-und/oder Ausfällen der Energieversorgung, erzielen kein effizientes Ergebnis. Auch wenn der SAIDI-Wert als Indikator für ein hohes Versorgungs12

Siehe in Kapitel G. I. 1. e) aa) und bb). Vgl. Mitteilung vom 09. April 2019, Eine effiziente und demokratischere Beschlussfassung in der Energie- und Klimapolitik der EU, KOM (2019) 177 endg., S. 5. 14 Siehe hierzu Kapitel A. III. 13

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H. Energiepolitische Handlungsempfehlungen

niveau, sowohl im Strommarkt als auch im Gasmarkt im EU-weiten Vergleich hoch ist, so sind doch etwa die Kosten für das Engpassmanagement, einschließlich der anfallenden Umlagen, wesentlicher Grund für die Strompreissteigerung seit der Liberalisierung.15 Zudem lässt sich nicht ausschließen, dass bei unvorhergesehenen Lieferengpässen die bisher erzielten Werte deutlich sinken werden. Die politischen Entscheidungen sind jeweils geprägt von der Reaktion auf eine akute Gefahrenlage oder auf ein akut erwartbares Risiko. Das Ziel der Effizienz kann aber nur erreicht werden, wenn dieses mit möglichst geringem Aufwand und geringen Kosten, gelingt. Hier entsteht auch ein bedeutender Zielkonflikt zwischen einer umfassenden Versorgungssicherheit und einem resilienten Energiesystem sowie der kurzfristigen Effizienz, da zunächst sämtliche Sicherheitsmaßnahmen Kosten verursachen.16 Dies erfordert in Anbetracht des Ziels, die Länder der Europäischen Union klimaneutral zu gestalten, die Beurteilung der schwierigen ordnungspolitischen Frage, welche Instrumente vor allem langfristig Investitionsanreize bewirken und zwar gleichermaßen aus Sicht der staatlichen Institutionen wie mit Blick auf die Rolle des Marktes. Denn hinsichtlich der kurzfristigen Versorgungssicherheit funktionieren die Anreize durch den Markt und werden durch vielfältige Instrumente unterstützt, wenn auch die gebotenen netzbezogenen Anreize (Allokationssignale) für die Stromeinspeisung gerade im Kontext zu den anvisierten Klimazielen ausgebaut werden sollten.17 Sämtliche Anreize müssen effektiv, mithin genügend Erzeugungsleistung garantieren können und zugleich effizient sein, mithin unter Beachtung – respektive Minimierung – des Kostenrisikos fungieren. Beide überdies sollen mit den Zielen der Klimaneutralität übereinstimmen. Zu bedenken ist, dass aus der staatlichen Verantwortung heraus jegliche verbleibende Gefährdung der Versorgungssicherheit zu vermeiden ist. Somit ist es folgerichtig, sich für ein risikovermeidendes Konzept zu entscheiden und die Regulierung dann auch als Ersatz für eine ausbleibende „wettbewerbliche Steuerung der netzwirtschaftlichen Investitions- und Preispolitik“ anzuwenden.18 Sicherlich hat die Erreichung des Ziels einer langfristigen Versorgungssicherheit eine entscheidende Relevanz gegenüber anderen energiepolitischen Zielen in der Energiewirtschaft. Jedoch muss hier gleichermaßen bei der Planung von Investitionsanreizen der Fokus auf eine CO2-neutrale Strom- und Gaswirtschaft gerichtet sein. Mithin ist es notwendig, staatliche Anreize, aber auch staatliche Investitionen, im Kontext der Klimaneutralität auf ihre Effizienz hin zu überprü-

15

Siehe hierzu Kapitel B. III. Vgl. hierzu auch Renn, Das Energiesystem resilient gestalten, in: Schriftenreihe Energiesysteme der Zukunft, 2017, S. 8. 17 Siehe hierzu die Darstellung der Klimaziele in Kapitel A. II. und III. 18 Siehe Steger et al., Die Regulierung elektrischer Netze, 2008, S. 97. 16

II. Handlungsempfehlungen und Ausblick

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fen. So sollten Klimaneutralität, Versorgungssicherheit und Bezahlbarkeit in ihrer Bedeutsamkeit vorzugsweise komparabel sein.

II. Handlungsempfehlungen und Ausblick Im Hinblick auf die Komplexität des Energiemarkts und der genannten Risiken kann die Versorgungssicherheit langfristig nur mit einem breitgefächerten Einsatz ökonomisch effizienter Maßnahmen19 gewährleistet werden, mithin bedarf die Lösung eines polyvalenten Ansatzes. Das bestehende Instrumentarium zur Gewährleistung der Versorgungssicherheit ist daher zunächst effektiver und effizienter zu gestalten, bevor weitere Instrumente ohne größere Bedeutung hinzukommen. Hinsichtlich der Forderung nach einer Ausweitung ökonomischer Flexibilitätsmechanismen ist zunächst Achtsamkeit und Vernunft geboten. So erscheint es ratsam, die Flexibilitätsmechanismen hinsichtlich ihres Designs und ihrer tatsächlichen Wirksamkeit erst zu optimieren, bevor sie ausgeweitet werden. Flexibilität allein wird nicht ausreichen, indessen wären einheitliche staatliche Vorgaben für die Unternehmen, um diesen Planungssicherheit zu geben hilfreicher. So sollte zweifelsfrei vermieden werden, dass die bislang im Energiemarkt häufiger auftretende Hold up-Problematik sich ausweitet. Dies hätte langfristig die Folge einer Abwanderung der privatwirtschaftlichen Unternehmen, mithin würde dies zu einer Schwächung der nationalen Wirtschaft führen. Dies wiederum würde unweigerlich eine Reduktion der Energieversorgungssicherheit nach sich ziehen. Dementsprechend kann nur die Empfehlung gegeben werden, nicht allein die Nachhaltigkeit der Energieversorgung, sondern auch die Nachhaltigkeit der staatlichen Maßnahmen im Blick zu behalten. Dies bedeutet auch, wegweisend bei allen staatlichen Maßnahmen die langfristigen Auswirkungen einzelner Instrumente zu berücksichtigen. Sicherlich sind hierbei Zielkonflikte zwischen der Sicherstellung einer umfassenden Versorgung und etwa der Preisgünstigkeit oder auch der Verwirklichung der Klimaneutralität unvermeidbar. Erst recht sind daher die politischen Entscheidungsträger gefordert, die langfristig optimalen Prioritäten zu setzen. Im Rahmen dieser Abwägung sollte die Resilienz des Energiesystems und damit verbunden die Energieversorgungssicherheit besonders hoch eingestuft werden. Insgesamt gesehen muss im Hinblick auf die Gewährleistung einer langfristigen, umfassenden Versorgungssicherheit und vor dem Hintergrund der ehrgeizigen Ziele der Klimapolitik nicht nur die Zusammensetzung des Strommixes geändert werden, auch die Diversifizierung der Energieträger ist unabdingbar. Bei der Umstellung auf erneuerbare Energien sollte zudem nicht außer Acht gelassen werden, dass nicht nur die Verknappung der benötigten zentralen Rohstoffe, wie

19

Vgl. Pflüger, Resilienz in der Energiewirtschaft, 2013, ET, S. 30–33 (32).

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etwa Gas und Öl und auch die ausbleibende Importmöglichkeit zu einem Preisanstieg führen können. Vielmehr sind auch die benötigten speziellen Metalle für die Förderung der Energiewende (etwa Materialen für die Herstellung von Windrädern) von dem Preisanstieg betroffen. Eine frühzeitige Identifizierung dieser Bedrohung ist für ein resilientes Versorgungssystem daher unerlässlich.20 Für ein zukünftiges klimaneutrales und zugleich resilientes Energiemarktsystem sind daher zwei wesentliche Säulen hervorzuheben: Die Energiespeicherung und die Elektrifizierung, mit dem Ziel der Dekarbonisierung. Im Hinblick auf die Elektrifizierung wird in Zukunft die Elektrizität auf der Erzeugerebene immer mehr an Bedeutung gewinnen, und zwar für die Diversifizierung der Energieträger durch Umwandlung und damit Herstellung klimaneutraler Energieträger, wie etwa grünen Wasserstoff, auch als indirekte Elektrifizierung bezeichnet.21 Demzufolge sollte die in Kapitel D.22 beschriebene Powerto-Gas-Technologie verstärkt durch staatliche Anreize gefördert werden, um auf diese Weise speicherfähiges Gas herstellen zu können. Die bislang traditionell erforderliche Gleichzeitigkeit von Stromzuführung und Stromentnahme kann dadurch minimiert werden. So kann der Strom, umgewandelt zu speicherfähigem Gas, in das Gasnetz eingespeist und an einem anderen Ort wieder zurückgewandelt werden. In diesem Zusammenhang gewinnt die Sektorenkopplung, mithin die Verzahnung von Strom- und Gasmarkt, an Bedeutung. So wird im Hinblick auf die Energiespeicherung für die Erzeugungsebene die Speicher- und Netzebene des Gasmarktes bedeutender, da hier das größere Speicherpotenzial vorhanden ist. Grundsätzlich ist auch im Strommarkt die Speicherung mittels Batterien zwar möglich, aber nach der derzeitigen Analyse ist die Erbringung von Regelenergie aus privaten Batteriespeichern aufgrund der Transaktionskosten sehr kostenintensiv.23 Überdies herrscht ein ausgeprägter Wettbewerb im Bereich der Regelenergieerbringung, so dass sich Investitionen in Batteriespeichern nicht durch die Markterlöse auf dem Regelenergiemarkt amortisieren können, mithin mit wettbewerblichen Marktmechanismen Batteriespeicher nicht rentabel sind.24 Durch die ausbleibende ökonomische Rentabilität ist auch ihre Förderung nicht effizient. Zudem sind marktnah betriebene Pumpspeicherkraftwerke in Deutschland aus geographischen Gründen und mangels hinreichener Kapazitäten kaum realisierbar.

20 Vgl. hierzu auch Renn, Das Energiesystem resilient gestalten, in: Schriftenreihe Energiesysteme der Zukunft, 2017, S. 3. 21 Vgl. Holz et al., Zukunft des europäischen Energiesystems: Die Zeichen stehen auf Strom, DIW Wochenbericht, 2022, S. 75–82 (78). 22 Vgl. Kapitel D. II. 4. 23 Vgl. BNetzA, Regelungen zu Stromspeichern im deutschen Strommarkt, 2021, S. 18. 24 Vgl. ebenda.

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Wichtig ist auch, die bereits zu erkennende Abkehr von einem zentral gesteuerten Energiemarkt hin zu einem dezentralen System weiter zu beobachten. Die Einspeisung von dezentral erzeugtem Strom hat den Vorteil, dass die Nutzung vorgelagerter Netz- oder Umspannebenen vermieden wird, mithin Kosten für deren Nutzung nicht entstehen.25 Die Versorgungssicherheit kann aufgrund der vielen entstandenen dezentralen Erzeugungsanlagen jedoch nur dann gewährleistet werden, sofern auch entsprechende Speichersysteme sowie die Steuerung der Erzeugungsanlagen und der Speicher dezentral möglich sind. Für eine konkrete Umsetzung könnte die Maxime „Erdgas als Brückentechnologie“ 26 auf Gasspeicher ausgedehnt werden. Über viele Jahre lag im Gasmarkt für die Absicherung der Versorgungssicherheit der Fokus auf den systemrelevanten Gaskraftwerken. Diese können als regelbare Erzeugungsanlagen Kapazitäten vorhalten und anbieten, die zur Absicherung von Engpasssituationen erforderlich sind. Daneben gibt es auf dem Gasmarkt Mechanismen, wie etwa Abschaltvereinbarungen, also unterbrechbare Lieferverträge zu günstigen Konditionen mit Letztverbrauchern. Das Hauptaugenmerk sollte hier auf die besondere Relevanz der Gasspeicher gerichtet werden, die den Eckpfeiler der Energiewende bilden. Ein Schwerpunkt sollte hierbei sowohl auf der effizienten Nutzung der Speicherleistung als auch auf der effizienten Nutzung des Erdgasnetzes liegen. Neben der Diversifizierung der Energieträger, der Bezugsquellen und der Importinfrastruktur, insbesondere durch den Aufbau einer LNG-Lieferstruktur sowie der Förderung des Netzausbaus, könnte auf diese Weise das derzeit hohe Versorgungssicherheitsniveau auf dem Energiemarkt gehalten werden. EU-übergreifende Mechanismen, wie etwa eine Ausweitung der strategischen Reserve oder ein EU-weiter Kapazitätsmechanismus für die Speicherreserve auf dem Gasmarkt bedürfen weiterer effizienter Ausgestaltung. Dies würde auch zu einer Risikominimierung führen und bereits auf der Importebene eine bessere Kooperation der Mitgliedstaaten ergeben mit der Folge, dass die importierten Energiemengen besser verteilt werden. Zu empfehlen ist ferner, eine feste Rangfolge (mit einem Zeitplan über mindestens zehn Jahre) der wichtigsten Instrumente, die in den nächsten Jahren implementiert werden sollen, zu erstellen und dies im Rahmen einer Kosten-Nutzen-Analyse abzuwägen. Hierdurch würde gleichzeitig Planungssicherheit für die Unternehmen erreicht werden, allerdings sollte dem Preismechanismus weitestgehend Raum gelassen werden. Auch sollten langfristig wirksame Maßnahmen 25 Gemäß § 24 Satz 5 EnWG können die Betreiber dezentraler Anlagen eine Erstattung für die vermiedene Netznutzung eingesparter Entgelte für den Netzzugang in den vorgelagerten Netzebenen erhalten. 26 BMWi, Monotoring-Bericht nach § 51 EnWG zur Versorgungssicherheit bei Erdgas, 2014, S. 2.

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mit dem Ziel einer langfristigen Investitionssteuerung implementiert werden. Ersichtlich scheinen Maßnahmen mit lediglich kurzfristiger Wirkungsdauer, wie etwa eine staatliche Obergrenze auf zu hohe Energiepreise, wegen der daraus resultierenden Fehlallokation langfristig nicht zielführend zu sein. Ferner ist eine angemessene Risikoaufteilung zwischen Staat und Unternehmen zu gewährleisten, um potenzielle Fehlanreize daraus vermeiden zu können. Hingegen sind pauschale finanzielle Anreize daher nicht vorzunehmen mangels ökonomischer Effizienz. 1. Speicherreserve über die Fernleitungsnetzbetreiber Die Importabhängigkeit von Rohstoffen wird für Deutschland, aber auch EUweit, fortbestehen und nur durch die genannten Möglichkeiten diversifiziert und dadurch gemildert werden. Die Diversifizierung der Energieträger ist langfristig möglich, dennoch müssen erhebliche benötigte Verbrauchsmengen, die bislang durch klimaschädliche fossile Energieträger zur Verfügung gestellt wurden, ersetzt werden. Speicherressourcen hingegen implizieren eine Funktions- und Leistungsfähigkeit, die insbesondere in Deutschland auch aufgrund der Vielzahl von Speichern sinnvoll genutzt werden kann. Um aber Investitionen der Speicherebene voranbringen zu können, müssen die richtigen Anreize gesetzt werden. So sollte eine staatlich geförderte strategische Reserve sich nicht auf – zum Teil veraltete – Kraftwerke im Strommarkt, die hierdurch zwangsweise am Markt gehalten werden, beziehen. Vielmehr sollten moderne Speicher, insbesondere Gasspeicher, gebaut bzw. effizient genutzt werden. Das dargestellte drohende Missing Money-Problem27 bei Speicherbetreibern kann nur durch eine Anreizförderung für das Vorhalten von Gaskapazitäten gelöst werden. Eine EU-weite organisierte Speicherreserve ist bei der flexiblen Reserve, die am Markt durch die Unternehmen angeboten wird, durchführbar und auch sinnvoll. Zu beachten ist hierbei aber, dass die Gasspeicherkapazitäten in der Europäischen Union in den letzten zehn Jahren zwar erheblich gestiegen sind, es zwischenzeitlich sogar ein „Überangebot an Speicherkapazitäten“ 28 in einigen Bereichen gab, jedoch die Verfügbarkeit und Art der Speicherinfrastruktur in der Europäischen Union erheblich variieren.29 Unter diesem Aspekt ist die europaweite Ausrichtung einer Speicherreserve zwar langfristig potenziell sinnvoll, 27 Vgl. EU-Kommission, Mitteilung 16. Februar 2016, Eine EU-Strategie für Flüssigerdgas und die Speicherung von Gas, KOM (2016) 49 endg., S. 10/11 mit weiterem Verweis; BBH et al., Möglichkeiten zur Verbesserung der Gasversorgungssicherheit, 2015, S. 40 mit weiterem Verweis. Siehe hierzu Kapitel E. I. 2. 28 Däuper, in: Theobald/Kühling, Energierecht, 2022, § 28 EnWG Rn. 4. 29 EU-Kommission, Mitteilung 16. Februar 2016, Eine EU-Strategie für Flüssigerdgas und die Speicherung von Gas, KOM (2016) 49 endg., S. 5.

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müsste aber aufgrund der weitaus größeren Speicherreserven in Deutschland gegenüber den Nachbarländern gut überdacht werden. Ein sinnvoller Lösungsansatz könnte dahin gehen, dass in Deutschland die Fernleitungsnetzbetreiber und der Marktgebietsverantwortliche die Speicherreserve selbst aufbauen. So hätten sie die Möglichkeit, an den bisherigen und neuen Speichern Eigentum zu erwerben, dies könnte zu einer potenziell größeren Zugriffssicherheit verhelfen.30 Voraussetzung sollte jedoch sein, dass, abhängig von dem jeweiligen Speicherbetreiber, dessen Eignung vorab von der Bundesnetzagentur geprüft werden müsste. Hierbei müsste anhand diskriminierungsfreier Kriterien sichergestellt werden, dass eine Wiederholung des Verkaufs eines Speichers an ein Unternehmen, das gleichzeitig auf der Importebene tätig ist, nicht mehr geschehen kann.31 Die Möglichkeit zur Übertragung von Speicherreserven auf den Fernleitungsnetzbetreiber besteht bereits bislang in Form einer vertraglichen Lösung (siehe § 16 Abs. 1 Nr. 2 EnWG) und entspricht dem derzeitigen Regulierungssystem, insofern die Fernleitungsnetzbetreiber die Systemverantwortung tragen. Fernleitungsnetzbetreiber bewirtschaften bereits Speicherkapazitäten und gliedern diese mit der Bundesnetzagentur in das Netz ein, so sind netzzugehörige Speicher ausdrücklich in der Gasnetzzugangsverordnung erwähnt.32 Aus diesem Grund ließe sich die Verpflichtung der Fernleitungsnetzbetreiber daher problemlos zum Aufbau und zur Verwaltung einer umfangreichen Reserve erweitern. Entsprechende Kostenregelungen auf der Entgeltseite in der Gasnetzentgeltverordnung müssten implementiert werden. Hierdurch könnte die Versorgungsverantwortung nach § 53a EnWG ergänzt werden.33 Nachdem die Fernleitungsnetzbetreiber nach § 15a EnWG den Netzentwicklungsplan aufstellen, könnte in diesem Zusammenhang weiterhin die Berechnung gemeinsamer Versorgungssicherheitsszenarien integriert werden.34 Zudem sollte eine Pflicht zur koordinierten Planung der strategischen Reserve über den Prozess des Netzentwicklungsplans implementiert werden. Die Alternative, dass nur eine Buchung der Kapazitäten bei Speicherbetreibern durch die Fernleitungsnetzbetreiber erfolgt, erscheint politisch zu riskant. Auch kann dann das Risiko bestehen, dass der Speicherbetreiber etwa insolvent wird und somit nicht mehr leistungsfähig ist. Sobald aber die Fernleitungsnetzbetrei30 Vgl. BBH et al., Möglichkeiten zur Verbesserung der Gasversorgungssicherheit, 2015, S. 190. 31 Vgl. hierzu die Ausführungen Kapitel F. III. 2. f). 32 Siehe zur rechtlichen Vereinbarkeit die Ausführungen in Kapitel G. II. 1. 33 Vgl. BBH et al., Möglichkeiten zur Verbesserung der Gasversorgungssicherheit, 2015, S. 189. 34 Vgl. ebenda.

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ber selbst entscheiden können, wann ein Notfall vorliegt, sind sie auch in der Lage, schneller zu reagieren und eine Freigabe der Reserven zu ermöglichen. Zuvor müssen verständlicherweise einheitlich vorab definierte Kriterien für das Vorliegen eines Notfalls festgelegt werden. Auch sollte ein abgestimmtes Vorgehen der Fernleitungsnetzbetreiber zukünftig aufgrund der erfolgten Zusammenlegung der Marktgebiete noch einfacher umzusetzen sein. Als zusätzliche Ergänzung könnte das Modell des dezentralen umfassenden Leistungsmarkts35 hinsichtlich der Komponente der „Versorgungssicherheitsnachweise“ entsprechend für die Fernleitungsnetzbetreiber weiterentwickelt werden. Durch Zertifikate garantieren die Fernleitungsnetzbetreiber die Vorhaltung einer bestimmten Menge an Kapazität in der angegebenen Höhe. Sollte nur eine niedrigere Menge angeboten werden können, ist eine Strafzahlung fällig. Diese Zertifikate ließen sich mit dem Instrument der Abschaltverordnung kombinieren, und zwar derart, dass etwa ein Industrieunternehmen Speicherleistung beim Fernleitungsnetzbetreiber in Form eines Zertifikats erwirbt und, sobald die Leistung des Zertifikats aufgebraucht ist, dieses Industrieunternehmen vom Netz abgeschaltet werden kann. Auf diese Weise könnte Versorgungssicherheit zu einem handelbaren Produkt werden. 2. Flexible Speicherreserve Für die Absicherung der kurzfristigen Versorgungssicherheit bietet sich an, auf dem Gasmarkt eine flexible Speicherreserve zu implementieren, die einem kurzfristigen Ausgleich schwankender Verbräuche der Abnehmer dient. Ziel der flexiblen Speicherreserve ist die Einführung von Versorgungsprodukten, die auf eine möglicherweise plötzlich eintretende, aber kurzfristige Störung der Versorgungssicherheit in Form der Systemsicherheit ausgerichtet sind, wie etwa die genannten Regelenergieprodukte auf dem Gasmarkt,36 bei dem ein Zugriff auf Speicherkapazitäten im Notfall geregelt wurde. Die bereits erfolgte Einführung der Long Term Options gehen in diese Richtung einer Regelenergiereserve zur Absicherung der Gasnetze. Zu beachten ist jedoch, dass die Ausschreibung von Gasmengen, die von Marktteilnehmern in Gasspeichern vorgehalten und bei Abruf zur Verfügung gestellt werden können, in das reguläre Marktgeschehen implementiert werden müssen. Um einen Abruf von gespeicherter Leistung in den Markt zu integrieren, müssen Anreize gesetzt werden, mit dem Ziel, dass der Abruf der Leistung von einem Speicher wirtschaftlich günstiger ist als der Abruf der Leistung eines klimaschädlichen Kraftwerks wie etwa eines Kohlekraftwerks. 35 Das Modell des dezentralen umfassenden Leistungsmarkts wird in Kapitel G. I. 1. b) aa) dargestellt. 36 Siehe hierzu Kapitel G. II. 2. b) aa).

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Es ist daher anzuraten, die Gasmengen in Form einer flexiblen Speicherreserve permanent in den Markt zu integrieren, hierfür rentabel zu machen und auch am Markt einzusetzen, so dass die Speicherleistungen jederzeit für die Netzbetreiber und den Marktgebietsverantwortlichen abrufbar sind. Dies erfordert eine Integration von Speichern in das Marktdesign, so in der Einsatzreihenfolge der Kraftwerke am Markt (Merit Order), so dass Speicherkapazitäten in der Einsatzreihenfolge weiter nach vorn (links) rücken. So wird der Absatz der Speicherleistungen aus der flexiblen Reserve am Markt rentabler als der Absatz von Energie von konventionellen Energieerzeugern. Die zukünftige CO2-neutrale Merit Order würde dann langfristig nur noch aus erneuerbaren Energien, Speichern und – noch für einen Übergangszeitraum – aus konventionellen Gaskraftwerken bestehen. Um einen schnelleren Zugriff auf die Speicherleistungen zu erhalten, sollten die einzelnen Speicheranlagen dezentral errichtet werden, so dass hierbei die regionalen Besonderheiten beim Energiebedarf berücksichtigt werden können. Diese flexible Reserve ist kompatibel mit dem Flexibilisierungsinstrument der Abschaltverordnung auf dem Gasmarkt (§ 14b EnWG), da Abschaltvereinbarungen insbesondere für diejenigen Kunden (etwa Industrieunternehmen) machbar sind, die entweder ihren Energiebedarf mit unterschiedlichen Energieträgern decken, so dass sie nicht allein auf Gas angewiesen sind oder aber die Möglichkeit der Speicherung haben. Somit sind sie in der Lage, eine gewisse Zeit über ihren Bedarf an Energie zu disponieren.37 Die Ausgestaltung einer flexiblen Reserve sollte generell nicht rein national ausgerichtet sein, sondern EU-weit oder zumindest in einem Verbund mehrerer Nachbarländer vorgenommen werden, um möglichst viele Speicherkapazitäten effizient nutzen zu können. 3. Breitere Diversifizierung als Übergangslösungen Insgesamt gesehen muss im Hinblick auf die ehrgeizigen Ziele der Klimapolitik nicht nur die Zusammensetzung des Strommixes anhaltend geändert werden, vielmehr ist die Diversifizierung der Energieträger unabdingbar. Für eine Diversität der Bezugsquellen und der Importverträge ist der Abschluss von Lieferverträgen mit anderen Lieferländern, etwa auch Katar, möglich. Grundsätzlich geben hierbei zwar langfristige Importlieferverträge eine Sicherheit, andererseits verstärken sie auch eine Abhängigkeit und können daher – wie am Beispiel Russlands zu sehen ist – einer langfristigen Versorgungssicherheit entgegenwirken.38

37

Vgl. Missling, in: Theobald/Kühling, Energierecht, 2022, § 14a EnWG, Rn. 13. Vgl. BMWi, Bericht zum Stand und zur Entwicklung der Versorgungssicherheit im Bereich der Versorgung mit Erdgas, 2020, S. 14. 38

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H. Energiepolitische Handlungsempfehlungen

Die politische Entscheidung, auf zwei wesentliche Energieträger, so die Kernenergie und die Kohleenergie, zu verzichten und gleichzeitig andere Technologien, die die heimische Produktion fördern könnten, abzulehnen, ist zumindest für eine Übergangszeit nicht ohne weiteres akzeptabel. So sollte zur Erleichterung des Übergangs zu einem klimaneutralen Energiemarkt eine der im Folgenden dargelegten Optionen für diese Übergangszeit gewählt werden. Bei diesen Überlegungen ist auch hinsichtlich der beträchtlichen Gefahren, die von den Energieträgern ausgehen, zu bedenken, dass grundsätzlich nicht sämtliche Risiken ausgeschlossen werden können. Auch wenn von bestimmten Technologien besondere Gefahren ausgehen, etwa der Atomenergie, sind letztlich jegliche konventionelle Energien Gefahren ausgesetzt oder verursachen Schadensfälle. So können nicht nur Atomkraftwerke, sondern auch größere Gasspeicher Ziel terroristischer Angriffe werden, selbst Windräder können Gefahren auslösen, auch bezüglich der Umwelt oder des Naturschutzes. a) Investition in LNG-Terminals Vor dem Hintergrund des Angriffskrieges auf die Ukraine wurde der Bau von LNG-Terminals im Frühjahr ad hoc forciert. Die Investition in diese LNG-Terminals war bereits schon Jahre zuvor in der politischen Diskussion. Sie wurde aus Kostengründen und im Vertrauen darauf, dass Russland als Hauptimporteur verlässlich ist, nicht weiterverfolgt. Die Diversifizierung und Absicherung der Lieferketten sowie der Ausbau zusätzlicher Infrastrukturen wie etwa LNG-Terminals oder zukünftig auch Floating Storage and Regasification Units (FSRU) sollte dringend umgesetzt werden. Auch hinsichtlich der Klimaneutralität ist dies ein akzeptables Übergangsinstrument, insofern im Vergleich etwa zu Kohlekraftwerken weit weniger CO2 produziert wird. Nachteilig ist demgegenüber, dass LNG insbesondere aus den Vereinigten Staaten mit der in Deutschland verbotenen Fracking-Methode gewonnen wird. Hinzukommt, dass ein höherer Preis als bei regulärem Erdgas zu zahlen ist. Für die langfristige Zielerreichung könnten diese LNG-Terminals aber auch für Wasserstoff genutzt werden. Die Herstellung von Wasserstoff oder synthetischem Gas ist kostenintensiv und durch die Umwandlung mit Verlusten verbunden.39 Es handelt sich somit um eine sehr langfristige Option. Für diese Vorhaben benötigen die Unternehmen jedoch Investitionssicherheit, so dass Anreize und staatliche Förderungen auf diese Projekte gelenkt werden müssen.40 39 Vgl. Holz et al., Zukunft des europäischen Energiesystems: Die Zeichen stehen auf Strom, DIW Wochenbericht, 2022, S. 75–82 (78/79). 40 Vgl. BDEW, Deutsche Energiewirtschaft: Verantwortung für Versorgungssicherheit, 2022.

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In diesem Zusammenhang ist als negativer Effekt darauf hinzuweisen, dass die diskutierte Preisregulierung dahingehend, dass der Gaseinkaufspreis in Europa bis zu einer bestimmten Obergrenze gedeckelt wird, sich negativ auf die Importe von LNG auswirken würde, insofern diese dann nicht bezogen werden könnten. Eine Preisregulierung würde mithin, infolge von daraus resultierenden Fehlallokationen, einer Diversifizierung entgegenstehen. Dies ist auch für den Strommarkt bereits als eine zu einschneidende Regulierungsmaßnahme abgelehnt worden.41 b) Fracking Möglicherweise könnte man auch für eine Übergangszeit die Frackingtechnologie gezielt einsetzen. Diese Technologie hat in den Vereinigten Staaten zu einer weitgehenden Unabhängigkeit von Erdgas geführt. In Deutschland zeigt sich jedoch erheblicher Widerstand aufgrund der nicht absehbaren Schäden für die Umwelt. Die Zielerreichung wäre also nur hinsichtlich der Versorgungssicherheit, nicht aber hinsichtlich des allgemeinen Umweltschutzes möglich. Von einem ähnlichen regen Ausbau des Frackings kann in Deutschland bereits wegen der strikten Ablehnung und auch der beträchtlichen Förderungskosten nicht ausgegangen werden. Unterdessen könnte sich wegen des reichlich vorhandenen Potenzials des deutschen Schiefergases, dessen Förderung technisch möglich ist, eine deutliche Stärkung der Energieversorgung ergeben.42 Die Forderung, Erdgas als Energieträger stärker in den Fokus zu nehmen, wird auch von BDI, BDEW und der EU-Kommission zustimmend geteilt, insofern weisen sie darauf hin, dass Erdgas durchaus als „Brückentechnologie der Energiewende“ bewertet werden kann. So wäre eine Zielerreichung sowohl im Hinblick auf die Versorgungssicherheit durch Reduzierung der Importabhängigkeit43 aber auch eingeschränkt hinsichtlich der Klimaneutralität möglich, insofern Schiefergas zumindest anteilig die CO2-intensivere Kohle ersetzen und somit zu Emissionsminderungen beitragen könnte.44 c) Verzögerter Ausstieg aus der Nutzung von Kernenergie und Kohleenergie Im Rahmen einer Diversifizierung der Energieträger könnte auch Kohle- und Kernenergie in Deutschland ergänzend zu dem beschleunigten Ausbau von er41

Vgl. hierzu Kapitel E. I. 6. a). Vgl. Giesberts/Kastelec, Das Regelungspaket zum Fracking, NVwZ 2017, S. 360– 367 (362); UBA, Fracking zur Schiefergasförderung, 2014, S. 3. So sollen die Kosten nur für eine Probebohrung nach Branchenangaben schon 20 bis 30 Mio. Euro betragen (siehe Giesberts/Kastelec, Das Regelungspaket zum Fracking, NVwZ 2017, S. 360–367 (Fn. 23 mit weiterem Verweis)). 43 Vgl. Thuß, Deutschland, ein Solarmärchen?, 2017, S. 143. 44 Vgl. ebenda. 42

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H. Energiepolitische Handlungsempfehlungen

neuerbaren Energien, zumindest für eine ausreichende Übergangszeit in Erwägung gezogen werden. Hierbei könnte auch die Abhängigkeit von Steinkohlelieferanten reduziert werden.45 Die Infragestellung eines beschleunigten Kohleausstiegs zur Überbrückung eines kurzfristigen Versorgungsengpasses wäre zudem neben der Unabhängigkeit von Energielieferungen aus Kostengründen sinnvoll, bevor man Steinkohle oder noch größere Mengen Gas aus anderen Ländern importiert. Nicht zuletzt die strikten Sicherheitsauflagen sind es, die die Bundesregierung in Deutschland gegen eine Laufzeitverlängerung der drei noch bis Ende 2022 im Betrieb befindlichen Atomkraftwerke (Standorte Bayern, Baden-Württemberg, Niedersachsen) argumentativ anführt, mit dem Hinweis darauf, dass die Prüfung und Umsetzung der Sicherheitsstandards erhebliche Zeit beanspruche, somit ohnehin keine kurzfristige Lösung darstellen könne. Unter der Prämisse einer gewünschten Aufrechterhaltung der Versorgungssicherheit im Sinne einer ständigen Verfügbarkeit von Strom, wäre es für die Diversifizierung der Energieträger naheliegend, den Betrieb der drei Konvoi-Anlagen Isar 2, Emsland und Neckarwestheim, aufrechtzuerhalten. Uran könnte in vielen Ländern, etwa auch in Australien und Kanada, beschafft werden, so dass keine Abhängigkeit von nur einem Bezugsland entstehen würde. Langfristig gesehen wären die Bauten wegen der grundsätzlichen Absage an die Kernenergie nicht effektiv. So würden sich wegen dieser Ablehnung staatliche Anreize für die Unternehmen kaum rentieren, mithin sich private Unternehmen hierauf nicht einlassen. Hier kommt sehr deutlich die Hold up-Problematik zum Tragen,46 insofern es schwierig ist, spezifische Aufwendungen für Kraftwerke zu tätigen, wenn aber die langfristige politische Entscheidung nicht abschätzbar ist. Als Ausblick kann auf Basis der Ereignisse des Angriffskrieges gegen die Ukraine im Februar 2022 reflektiert werden, dass ad hoc im Schnellverfahren politische Entscheidungen zu weiteren tiefgreifenden staatlichen Eingriffen in den Energiemarkt getroffen wurden. So wurde mit dem Gasspeichergesetz schließlich im April 2022 eine Form der seit Jahren geforderten Speicherreserve auf dem Gasmarkt in Deutschland implementiert.47 Hierbei wurde nicht die Gründung eines Erdgasbevorratungsverbands gewählt, sondern dem Marktgebietsverantwortlichen (Trading Hub Europe GmbH) die Verpflichtung auferlegt, die Gasspeicher sukzessive zu füllen. Dies soll nach sogenannten Füllstandsvor45 So besteht bei den Lieferungen aus den anderen Bezugsländern Entwicklungspotenzial, so insbesondere etwa derzeit im Falle der USA mit siebzehn Prozent, Australien mit nur dreizehn Prozent und Kolumbien nur mit fünf Prozent, vgl. Wetzel, Kann sich Deutschland das Aus von Kohle und Kernkraft jetzt noch leisten?, in: Die Welt vom 25. Februar 2022. 46 Siehe hierzu Kapitel E. I. 2. 47 Vgl. BMWk, Gasspeichergesetz, Versorgungssicherheit durch volle Gasspeicher.

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gaben erfolgen, die einen Füllstand der Speicher zum 01. Oktober von 80 %, zum 01. November von 90 % und zum 01. Februar von 40 % vorsehen.48 Die Entscheidung ist bei der Speicherreserve zugunsten des Marktes ausgefallen, flankiert durch ein staatliches Monitoring, regelmäßige Berichtspflichten sowie Anreiz- und Sanktionsinstrumenten. Die Speicherkapazitäten sind dem Markt damit nicht dauerhaft entzogen, sondern es wurde den Marktteilnehmern auferlegt, eine bestimmte Mindestmenge an Gaskapazitäten zu bestimmten Zeitpunkten vorzuhalten.49 Die Informationspflichten über die Füllstände der jeweiligen Speicher und über die jeweilige Menge, die abgerufen wurde, sind ein wichtiges Instrument für die Transparenz, so um dadurch eine Verschleierung über das tatsächliche Speichervolumen und damit Informationsasymmetrien vorzubeugen. Auch wenn nun ein weiteres durchaus sinnvolles, wenn auch verbesserungswürdiges Instrument zur Sicherung der Versorgung eingeführt worden ist, bleibt erfolgsentscheidend, dass die permanenten Probleme im System des heutigen Energiemarkts effektiv und effizient, vor allem aber auch dauerhaft gelöst werden.

48 Die Füllstandsvorgaben beziehen sich auf den prozentualen Teil des Arbeitsgasvolumens. 49 Die gilt ähnlich für den Ölmarkt, indem die Internationale Energie Agentur (IEA) einen Schlüssel festlegt, nach dem bestimmte Ölmengen zur Krisenvorsorge zu bestimmten Zeitpunkten vorgehalten werden müssen, vgl. Drathen/Riemer, 10 Minuten Speicher: Sicher unter der Erde, in: Energie in 60 Minuten, 2011, S. 54–66 (61). Seit Februar 2022 wird dies von der EU auch für den Gasmarkt vorgesehen, vgl. Kafsack/ Hauser, EU-Mindestvorgaben für Speicher, FAZ vom 05. März 2022, S. 20.

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Stichwortverzeichnis Allmendegut 94 Arbeitspreis 247 f., 287, 307 Atomenergie 31, 133, 145, 147, 149, 173, 205, 209, 305, 334, siehe auch Kernenergie Backup-Kapazität 180, 247, 255, 322 Beihilfe 94, 105, 134, 150, 256 ff., 272 ff., 290, 306 Bilanzkreis 215 ff., 244, 284 ff., 294, 311 Bilanzkreisverantwortlicher 128, 215 ff., 244, 255 f., 284, 285 Blackout 159, 171, 188, 241 Carbon Leakage-Risiko 144 Clean Energy Package 39, 138, 293 DAWI – Begriff 102 ff., 109, 239 – Betrauung (betrauen) 210, 306 – Kapazitätsvorhaltung als DAWI 272 Demand Side Management 244 Descending Clock Auction 246, 248 Dispatch 35, 49, 53, 282, 290 Effekte, externe 79, 85, 91, 94, 133, 184, 187, 189, 290, 322 Einsatzfunktion 110 Einsatzreihenfolge 333 Einspeisemanagement 185 Einspeisevorrang 43, 134, 136, 294, 323 Energieversorgungssicherheit 20, 24, 30, 33, 93, 155, 166, 170 f., 197, 239, 259, 297, 321, 327 Energiewende 17 f., 22, 24, 31, 43, 44, 49, 51, 59 f., 118, 133, 165, 244, 301, 328 f., 335

Energy Only-Markt 28 f., 115 f., 120, 125, 177, 190, 192, 243, 245, 252, 253, 279 Entflechtung siehe Unbundling Entry Exit-System 126, 127 Erdgasversorgungssicherheit siehe Gasversorgungssicherheit Erneuerbare Energien 18, 22, 25, 38 ff., 40, 43 ff., 47, 49, 60 f., 108, 133 ff., 146, 148, 150, 154, 173 ff., 176, 178 f., 184 ff., 196, 203, 205, 219, 221, 222, 240, 244, 255 f., 290, 298, 322 f., 327, 333 – Direktvermarktung 135 ff., 253, 255 – EEG-Umlage 63, 134, 179, 186 – Einspeisevorrang 134, 136, 294, 323 – Fördersystem des EEG 134, 186 – Marktintegration 131, 196 Flexibilisierung 20, 29, 282, 333 Fracking 19, 52, 65, 151 ff., 322 f., 334 f. Gasversorgungssicherheit 166, 169, 317, 318 Generation Adequacy 158, 178 Gewährleistungsverantwortung 44, 97, 206 f., 226, 240, 295 Grenzkraftwerk 119 Großhandelsmarkt 114 ff., 176, 247, 287 Hold up 178, 327, 336 Interkonnektoren 272 Kapazitätsmechanismus/Kapazitätsmechanismen 20 ff., 71, 140, 224, 244, 251 ff., 259 ff., 264 ff., 271 ff., 290, 298, 306, 321, 324 f., 329

Stichwortverzeichnis – Implementierung in der EU 271 ff. – Implementierung in Deutschland 264 ff. – Investitionssteuerung 243 – Ziel 28 f. Kapazitätsreserve 268 Kernenergie 17 f., 64, 145 ff., 163, 179, 206, 209, 231, 268, 298, 322, 335, 336, siehe auch Atomenergie Klimaschutzgesetz 28, 40 Kohlepfennig-Beschluss 162 Kollektivgüter 82 Lastmanagement 273, 278 Law of one price 51 Leitlinien für Umweltschutz und Energiebeihilfen 136, 260 f., 273 Leitungsgebundenheit 26 Liberalisierung 17, 18, 37, 46, 55, 57, 58, 71, 101, 110 ff., 172, 198, 203, 206, 225, 321, 323, 326 LNG-Terminal 201 f., 322 f., 334 Marktdesign 18, 20 f., 24 ff., 68, 115, 120, 126, 129, 245, 279, 280, 333 Marktintegration 136, 196 Marktmacht 74 f., 77 f., 85, 111 f., 115, 190 ff., 195 ff., 283 Merit Order 43, 116 f., 119, 177, 185, 190 f., 282, 311 f., 333 Merit Order-Effekt 175 f.,186, 291 Meritorisches Gut 170 ff., 321 Missing Money-Problem 44, 176 f., 180, 256, 330 Monopol, natürliches 91, 111 N-1-Sicherheit 159, 286 Nachfrage, unelastische 120, 170, 191 Netzfrequenz 215 Netzreserve 185, 265 ff., 278 f. Notfallmaßnahmen 220, 293, 313, 315 Öffentliches Gut 93, 170 f., 321

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Pareto-Optimaler Zustand 79 Power-to-Gas 53, 154 f., 328 Preismechanismus 110, 121, 137, 255 f., 283, 329 Price Cap 247 Private Investor Test 258 Redispatch 35, 49, 185, 223 f., 240, 266, 286, 290 ff. Regelenergie 115, 159, 185, 216, 218, 220, 246, 247, 254, 266, 275, 287 ff., 292 f., 300, 308, 310 f., 328, 332 Regelenergiemarkt 246, 287 ff., 298, 307, 328 Regulierung 17, 21 f., 57, 71 ff., 83 ff., 89, 133 ff. – der Netzebene 111 ff. – Preisregulierung 335 Regulierungsverantwortung 44 Regulierungsversagen 261 Reservekraftwerke 35, 245 Residuallast 179 Resilienz 31, 159, 169, 327 Ressourcenverfügbarkeit 158 Risiko 22, 44, 75, 125, 145, 153, 169, 174, 196, 198 f., 203, 205, 229, 241 f., 274, 278, 283, 284, 290, 319, 323 f., 326, 329 ff. Scarcity Hours 117 Sicherheitsbereitschaft 270 f. Smart Meter 122, 172 Speicher 44, 46, 48, 53, 68 ff., 127, 180 ff., 197, 203, 225, 240, 273, 289, 296, 299 ff., 304 ff., 310 ff., 320, 323 f., 328 ff., 336, 337 Speicherreserve 22, 300, 324, 329 ff., 337 Stranded Investments 178 Strategische Reserve 158, 245 ff., 262 f., 270, 275 f., 279 ff., 298 ff., 302, 304 ff., 321 f., 324 f., 329 ff. Strommarktdesign siehe Marktdesign Sunk Costs 91, 178

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Stichwortverzeichnis

Systemsicherheit 22, 30 ff., 156, 158, 159, 161, 167, 171, 173, 184 f., 191, 281, 297, 307, 320, 324, 332 Systemverantwortung 218, 220 f., 223, 241, 242, 244, 266, 308, 331 Transmission Network Adequacy 158, 178 Trittbrettfahrer 92, 189 Ultima ratio 270, 272 Umweltschutz 17, 24, 34, 82, 106, 133, 148, 323, 335 Unbundling 58, 113, 301 Value of Lost Load 117, 120, 188, 247 Verpflichtung, gemeinwirtschaftliche siehe DAWI Versorgungssicherheit 17 ff., 20, 23 ff., 30, 33, 36 ff., 44 ff., 50, 64 ff., 89, 93, 95, 106, 108, 110 ff., 155, 166, 170 f., 197, 239, 259, 297, 321, 327 – Aspekte 156 ff. – Generation Adequacy 158, 178 – N-1-Sicherheit 159, 286

– Transmission Network Adequacy 158, 178 – Ziel 30 ff. VoLL siehe Value of Lost Load Vorhaltefunktion 110 Warenverkehrsfreiheit 260, 306 Wertschöpfungsstufen 59 ff., 240 Wettbewerb 25 f., 37, 57 f., 71 ff., 83, 85, 88, 90, 97 f., 101, 106 ff., 123, 126, 128, 130, 133, 137, 146, 157, 173, 203, 206 f., 239, 245, 257 f., 271, 282, 284, 306, 323 f., 328 – Begriff 72 – Chicago School of Antitrust 81 – Gleichgewichtstheorie 79 – Klassischer Liberalismus 76 ff. – Ordoliberalismus 81 f. – Workable competition Konzept 80 Zertifikatenmarkt 252, 284 Zielkonflikte 36 f., 42 ff., 80, 83, 86, 108 f., 326 f.