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German Pages 395 [396] Year 2014
Roman Seidel Kant in Teheran
Welten des Islams – Worlds of Islam – Mondes de l‘Islam
Herausgegeben von der Schweizerischen Asiengesellschaft – Société Suisse-Asie Editorial Board Bettina Dennerlein Anke von Kügelgen Silvia Naef Maurus Reinkowski Ulrich Rudolph
Band 5
Roman Seidel
Kant in Teheran
Anfänge, Ansätze und Kontexte der Kantrezeption in Iran
Die vorliegende Arbeit wurde von der Philosophischen Fakultät der Universität Zürich im Herbstsemester 2011 auf Antrag von Prof. Dr. Ulrich Rudolph (hauptverantwortliche Betreuungsperson); Prof. Dr. Raji C. Steineck und Prof. Dr. Sabine Schmidtke (FU-Berlin) als Dissertation angenommen. Diese Arbeit wurde publiziert mit Unterstützung der Schweizerischen Akademie der Geistesund Sozialwissenschaften (SAGW).
ISBN 978-3-11-036375-3 e-ISBN (PDF) 978-3-11-036482-8 e-ISBN (EPUB) 978-3-11-039121-3 ISSN 1661-6278 Library of Congress Cataloging-in-Publication Data A CIP catalog record for this book has been applied for at the Library of Congress. Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2014 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/München/Boston Satz: Michael Peschke, Berlin Druck und Bindung: CPI books GmbH, Leck ♾ Gedruckt auf säurefreiem Papier Printed in Germany www.degruyter.com
Für Meiken, Marlin und Liva
Inhalt Vorwort XI 1 Einleitung 1 1.1 Motivation, Fragestellung, Ziele und Hypothesen 2 1.2 Einbettung in den Forschungskontext 3 1.3 Herangehensweise, Begrifflichkeiten, methodische Ausrichtung 6 1.4 Aufbau der Untersuchung und Auswahl der Texte 9 1.5 Anmerkungen zur Zitierweise und Transkription 11
I Voraussetzungen und Anfänge der Kantrezeption in Iran 2 2.1 2.2 2.2.1 2.2.2 2.2.3 2.3 2.4 2.4.1 2.4.2 2.5 2.5.1 2.5.2 2.5.3 2.6 2.6.1 2.6.2 2.6.3
Ideengeschichtlicher Kontext: Rezeption moderner westlicher Philosophie im Iran des 19. und 20. Jahrhunderts 17 Die Anfänge des Transfers moderner Wissenschaft von Europa in den Iran der frühen Qāǧāren-Zeit 17 Bildungsreformen nach europäischen Vorbildern 24 Amīr Kabīr 24 Dār al-Fonūn 26 Weitere Schulen und Bildungseinrichtungen 27 Rezeption und Transmission moderner westlicher Philosophie durch Protagonisten der Reformbewegung 29 Mollā Ṣadrā und islamische Philosophie im Iran des 19. Jahrhunderts 33 Islamische Philosophie in Teheran 33 Leben, Werk und Wirkung Mollā Ṣadrās 35 Erste Begegnung traditioneller islamisch-iranischer Philosophen mit der modernen westlichen Philosophie 42 Arthur Comte de Gobineau und die iranischen Philosophen 43 Die erste Übersetzung von Descartes Discours de la méthode 47 Europäische Philosophen im Werk einiger iranischer Philosophen des 19. Jahrhunderts 48 Kontexte der Rezeption moderner westlicher Philosophie im Iran des 20. Jahrhunderts 55 Konstitutionelle Bewegung und Nationalismus 55 Marxistische politische Bewegungen 57 Verwestlichung (Ġarbzadegī) und Rückkehr zum Selbst (bāzgašt be ḫīš) 59
VIII
Inhalt
3 3.1 3.1.1
Die iranische Kantrezeption im Überblick 64 Tendenzen der Kantrezeption 65 Philosophie in der Nachfolge Kants und die idealistische Kantrezeption 68 3.1.2 Neukantianismus 73 3.1.3 Metaphysische Kantrezeption 76 3.1.4 Analytische Kantrezeption 80 3.1.5 Philologisch-historische Kantforschung 82 3.1.6 Relevanz für die iranische Kantrezeption 85 3.2 Die Anfänge der Kantrezeption in Iran 86 3.2.1 Badīʿ al-Molk und François Jean-Marie Evellin 86 3.2.2 Erste Einführungen in die westliche Philosophiegeschichte und in das Denken Kants 88 3.2.3 Übersetzungen von philosophiegeschichtlichen Werken 92 3.3 Kantrezeption in der Islamischen Republik Iran 93 3.3.1 Impulsgeber der iranischen Kantrezeption 94 3.3.1.1 Mortażā Moṭahharī. Komparatistik als Apologetik 94 3.3.1.2 Mehdī Hāʾerī Yazdī. Komparatistik als kritische Adaption 99 3.3.1.3 Karīm Moǧtahedī – Der akademische Lehrer 105 3.3.2 Übersetzung der Werke Kants ins Persische 110 3.3.2.1 Mīr Šamsoddīn Adīb Solṭānī und die Übersetzung der Kritik der reinen Vernunft 116 3.3.2.2 Ḥadād ʿĀdels Übersetzung der Prolegomena 123 3.3.2.3 Die ersten Übersetzungen praktischer Schriften Kants 128 3.3.2.4 Manūčehr Ṣāneʿī Darrebīdīs Übertragungen praktischer Werke Kants 131 3.3.2.5 Weitere Übersetzungen 137 3.3.3 Zur gegenwärtigen Lage der Kantrezeption in Iran 139
II Ansätze und Kontexte der Kantrezeption in Iran 4 4.1 4.1.1 4.1.2 4.2 4.2.1
Metaphysik und Erkenntnis 149 Kontexte von Metaphysik und Metaphysikkritik 150 Bedeutung der Metaphysik bei Kant und in der islamischen Tradition 150 Kritik der Metaphysikkritik und das Primat der Ontologie in der zeitgenössischen islamischen Philosophie in Iran 153 Kritik des ontologischen Gottesbeweises 155 Einführung in die Thematik 155
Inhalt
IX
4.2.1.1 Gottesbeweis-Typologie 156 4.2.1.2 Anselm von Canterbury und Ibn Sīnā – Zwei Wegmarken in der Geschichte des Gottesbeweisdenkens 157 4.2.1.3 Der ontologische Beweis in der Kritik 168 4.2.2 Kritik der Kritik. Mehdī Ḥāʾerī Yazdī widerspricht Kant 171 4.2.2.1 Die Kantkritik im Kontext der Schriften Ḥāʾerīs 171 4.2.2.2 Sein als Prädikat? Zu Ḥāʾerīs Kritik an Kants Seinsverständnis 173 4.2.2.3 Logische und Reale Möglichkeit 184 4.3 Objekterkenntnis und synthetische Urteile a priori 191 4.3.1 Einleitung in die Problematik bei Kant 192 4.3.2 Kritik der Grundlagen der Objekterkenntnis bei Kant 197 4.3.2.1 Ḥoseyn Ġaffārīs Schrift Bar-rasī-ye mabādī-ye falsafe-ye naqqādī 197 4.3.2.2 Kritik der kantschen Objekterkenntnis: Ġaffārīs Argumentation 202 4.3.2.3 Diskussion im Kontext 219 4.3.3 Synthetische Urteile a priori und die kantsche Unterscheidung zwischen mathematischer und philosophischer Erkenntnis. Lārīǧānīs Borhān dar falsafe-ye Kānt 245 4.3.3.1 Lārīǧānīs Schriften zu Kant 245 4.3.3.2 Lārīǧānīs Argumentation 248 4.3.4 Ġaffārī und Lārīǧānī – Probleme und Potentiale komparativer Zugänge zu Kants Erkenntnislehre in Iran 257 5 5.1
Moral, Politik und Religion 259 Vorbemerkungen zur Bedeutung der praktischen Philosophie im Denken Kants 259 5.2 Iranische Zugänge zur praktischen Philosophie Kants 263 5.2.1 Kritiker der kantschen Moralphilosophie 264 5.2.2 Positionen zu Kants Philosophie der Moral und Politik 274 5.2.3 Positionen zu Kants Verhältnis zur Religion 282 5.3 Diskussionen des kantschen Freiheitsbegriffs 286 5.3.1 Kants Begriff der Freiheit im Kontext seiner praktischen Philosophie 287 5.3.2 Zwei Positionen zeitgenössischer iranischer Interpreten zur kantschen Freiheitsdiskussion (Manūčehr Ṣāneʿī Darrebīdī und Moḥammad Moḥammadreżāʾī) 289 5.3.3 Freie Willkür oder Autonomie innerhalb der Grenzen der Religion. Zwei Positionen aus dem zeitgenössischen religiös-politischen Diskurs in Iran 297 5.3.3.1 Meṣbāḥ Yazdī. Freiheit und Religion als Bedingung der Moral 298
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Inhalt
5.3.3.2 Moḥammad Moǧtahed Šabestarī. Freiheit und sittliche Autonomie als Bedingung für den Glauben 302 5.3.3.3 Diskussion der Positionen Meṣbāḥ Yazdīs und Moǧtahed Šabestarīs im Lichte der Religionsschrift Kants 313 6 6.1 6.2 6.3 6.4
7
Philosophie zwischen Staatsmacht und Zivilgesellschaft in Iran 320 Kantrezeption und das politische Establishment 322 Kantrezeption unter Reformdenkern und Liberalen 327 Ideologische Deutung der Ontologie 330 Kritik der Ideologischen Deutung und philosophische Lagerbildung 331 Resümee 335
8 Bibliographie 339 8.1 Chronologie der erwähnten Schriften Kants. Verwendete Ausgaben 339 8.2 Persische Übersetzungen von Werken Immanuel Kants in chronologischer Reihenfolge ihres Erscheinens in Iran 340 8.3 Persische Übersetzungen aus europäischen Sprachen von Werken über Kant 342 8.4 Abschlussarbeiten iranischer Hochschulabsolventen zu Kant 343 8.4.1 Abschlussarbeiten (Masterstufe) zur theoretischen Philosophie Kants und allgemeine Einführungen in sein Denken 343 8.4.2 Abschlussarbeiten (Masterstufe) zur praktischen Philosophie Kants 347 8.4.3 Doktorarbeiten zur theoretischen Philosophie Kants 349 8.4.4 Doktorarbeiten zur praktischen Philosophie Kants 350 8.5 Iranische Monographien und Sammelbände mit Kantschwerpunkt 350 8.6 Aufsätze iranischer Autoren zu Kant (Auswahl) 353 8.7 Sekundärliteratur 354 Personenregister 369 Sachregister 373 Register kantscher Termini 377
Vorwort Rezeption, das verstehende Aufnehmen, Aneignen und Weiterentwickeln von Werken anderer, ist eine Form der Begegnung. Immerhin kommt keine Künstlerin, keine Autorin, kein Denker im eigenen Schaffen ohne diese Bezüge zu anderen Kulturschaffenden aus. Im Prozess des Zusammentreffens verschiedener Erwartungs- und Verstehenshorizonte bewegt sich der Rezipient je nach Intention zwischen dem Versuch Neues zu schaffen oder Altes vor Neuem zu bewahren. Die vorliegende Studie zur Rezeption der Philosophie Immanuel Kants in Iran behandelt einen solchen Prozess der Begegnung, indem sie die vielfältigen Ansätze verschiedener Protagonisten und die Kontexte, in denen sie sich bewegen, in den Blick nimmt. Diese Studie – die überarbeitete Fassung meiner im Herbstsemester 2011 an der Philosophischen Fakultät der Universität Zürich eingereichten Doktorarbeit – ist aber auch selbst das Ergebnis eines solchen Prozesses vielfältiger Aneignungen, der ohne eine Vielzahl von Begegnungen mit Anderen nicht denkbar gewesen wäre. Im Anfang und noch bevor sich das Thema der Kantrezeption herauskristallisiert hatte, stand mein Anliegen in einer interdisziplinären Perspektive meine Studienschwerpunkte (Islamwissenschaft, Iranistik und Philosophie) in einem Projekt zu verbinden und so bewusst verschiedene Erwartungs- und Verstehenshorizonte zusammenzubringen. Ein Ansatzpunkt dafür schien mir der iranische Philosoph und islamische Gelehrte Mehdī Ḥāʾerī Yazdī zu sein, von dem es hieß, er sei sowohl in der Tradition der islamischen als auch der westlichen Philosophie zu Hause. Bei der Beschäftigung mit seinen Schriften stieß ich das erste Mal konkret auf die Kantdiskussion eines iranischen Denkers. Von dieser Diskussion und ihren Bedingungen fasziniert, stellte ich Ḥāʾerīs Kritik an Kants Kritik des ontologischen Gottesbeweises in den verschiedenen fachlichen Kontexten vor und war überrascht vom Interesse, das diesem Thema von Philosophen, Iranisten und Islamwissenschaftlern entgegengebracht wurde. Das ermutigte mich, mich auf den Weg zu machen, um für einige Jahre dem Phänomen der Kantrezeption in Iran nachzugehen. Diesen Weg hätte ich nicht bis zu Ende gehen können ohne die Hilfe, den Rat, den Beistand oder manchmal einfach nur die Präsenz von Menschen, die bereit waren mich ein Stück auf dem Weg zu begleiten. Ihnen allen möchte ich meinen Dank aussprechen. Zuallererst meinem Doktorvater Ulrich Rudolph (Universität Zürich). Unser erstes zufälliges Zusammentreffen auf dem Deutschen Orientalistentag in Freiburg im Jahr 2007 war für mich ein Glücksfall. Seit ich 2009 nach Zürich kam, hat er mich in meinem Vorhaben vorbehaltlos unterstützt, nicht zuletzt indem er schnell meine persönlichen Stärken und Schwächen erkannte, die richtigen Fragen zu stellen wusste und bei aller Besonnenheit stets einen Sinn
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Vorwort
auch für persönliche Anliegen hatte. Das wusste ich nicht nur in seiner Funktion als Betreuer, sondern auch in meiner Zeit als sein Assistent an der Abteilung für Islamwissenschaft des Asien-Orient-Instituts der Universität Zürich immer zu schätzen. Sabine Schmidtke (FU Berlin) hat meine Dissertation von Anfang an begleitet, bereits als der Themenschwerpunkt noch ein anderer war. Sie hat mich in der Wahl dieses Themas nachdrücklich bekräftigt und den Wechsel von Berlin nach Zürich unterstützt. Auch dann noch blieb sie meiner Arbeit verbunden und kam als externe Gutachterin im September 2011 zu meiner Doktoratsprüfung in die Schweiz. Raji C. Steineck (Universität Zürich), war in meiner Zeit als Stipendiat am UFSP Asien und Europa stets für mich ansprechbar und hat dankenswerter Weise das Zweitgutachten übernommen. Gudrun Krämer (FU Berlin) war mir im Studium nicht nur eine wichtige Lehrerin, sie half mir auch, durch ein langes persönliches Gespräch aus einer Schaffenskrise herauszukommen und mich neu zu orientieren. Auch Axel Havemann (FU Berlin) sei gedankt nicht zuletzt für ein sehr kurzfristig benötigtes Empfehlungsschreiben. Dank gilt zudem Rotraud Wieland (Universität Bamberg), die mich vor meiner Zürcher Zeit ins Bamberger Graduiertenkolleg „Anthropologische Grundlagen und Entwicklungen im Christentum und Islam“ aufnahm, was mir nicht nur eine finanzielle Absicherung, sondern auch entscheidende und bereichernde Begegnungen ermöglichte. An dieser Stelle möchte ich auch meinen Dank gegenüber einer Reihe von Wissenschaftlern in Teheran zum Ausdruck bringen, die sich in Forschung oder Lehre mit Kant beschäftigen und mir in zum Teil ausführlichen Gesprächen wichtige Hinweise auf Quellenmaterial und Einblicke – auch informeller Art – in den Stand der Kantforschung in Iran ermöglicht haben, die entscheidend zum Gelingen der Arbeit beitrugen. Zu diesen gehören Karīm Moǧtahedī (Universität Teheran); Ḥoseyn Ġaffārī (Universität Teheran); Šahīn Aʿvānī (Iranisches Institut für Philosophie); Moḥsen Kadīvar (Iranisches Institut für Philosophie); ʿAbdolkarīm Rašīdīyān (Šahīd Beheštī Universität Teheran); Manūčehr Ṣāneʿī Darrebīdī (Šahīd Beheštī Universität Teheran); ʿAlī Aṣġar Moṣleh (ʿAllāme Ṭabāṭabāʾī Universität Teheran); Sayyed Moḥammadreżā Ḥoseynī Beheštī (Universität Teheran/Nouorganon Institut); Ali Heydari (Nouorganoon Institut); der Dank gilt zudem den beiden Bibliothekarinnen des Iranischen Instituts für Philosophie Frau Ḫayyām und Frau Ṣamadī für die Unterstützung bei der Recherche vor Ort. Besonders hervorheben möchte ich meinen Dank an Maḥmūd ʿEbadiyān (ʿAllāme Ṭabāṭabāʾī Universität Teheran) und Abūlqāsem Ẕākerzāde (Šahīd Beheštī Universität Teheran), die beide kurze Zeit nach unserer Begegnung im Jahr 2008 verstorben sind, gerade die Gespräche mit ihnen sind mir umso lebhafter in Erinnerung geblieben. Die Hochschulstandorte Berlin, Bamberg, Teheran und Zürich waren in meiner Zeit als Doktorand nicht nur Orte des Forschens und Lernens, sondern
Vorwort
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auch – und nicht zuletzt – des Lebens und das deshalb, weil es dort Freunde, Verwandte und Kollegen gab, die allesamt für mich zur rechten Zeit am rechten Ort waren. Ihnen einzeln für jeweils das zu danken, was sie mir in jener Zeit gegeben haben, übersteigt den Rahmen dessen, was ich hier in wenigen Worten zum Ausdruck bringen kann. Namentlich nennen möchte ich aber noch einige Personen, die sich in verschiedenen Stadien der Arbeit die Zeit genommen haben, den Text oder Teile davon aufmerksam zu lesen und mir hilfreiches Feedback zu geben: Meiken Endruweit (Berlin) für unermüdliche Korrekturdurchgänge von Anfang an; Stefan Klingner (Dresden) für die kantianische Lektüre; Elena Lange (Zürich) für die symptomatische Lektüre; Ralph Weber (Zürich), für inspirierendes komparatistisches Know How; Patric Schaerer (Zürich), für Hilfe beim Entwirren des Transkriptionssalats; Sven Arnold, für motivierdnes Schreibcoaching; Anke von Kügelgen (Universität Bern) für die ausführlichen und sehr hilfreichen Anmerkungen nach dem Peer-Review, gedankt sei auch einem/einer weiteren anonymen Gutachter/in und schließlich Christina Lembrecht vom Verlag De Gruyter für die zuvorkommende und stets freundliche Zusammenarbeit bei der Verwirklichung der Buchversion. Mein dank gilt auch den Institutionen, die dieses Projekt finanziell unterstützt haben. Die DFG und der Universitäre Forschungsschwerpunkt ‚Asien und Europa’ der Universität Zürich haben mir nicht nur Stipendien bzw. ein Anstellung, sondern auch interdisziplinäre Forschungskontexte ermöglicht, deren Impulse für diese Arbeit und darüber hinaus für mich von unschätzbaren Wert waren. Der Schweizerischen Asiengesellschaft und der Schweizerischen Akademie der Geistes- und Sozialwissenschaften danke ich für die großzügige Übernahme des Druckkostenzuschusses. Zum Schluss möchte ich noch den Menschen danken, die für mich mehr sind als Begleiter auf einem Teil der Wegstrecke, an deren Ende dieses Buch steht. Sie sind es, die für mich nachhaltig prägen, was letztlich entscheidend ist: das Leben selbst, in dem diese Arbeit nur eine Episode darstellt. Zu allererst danke ich meinen Eltern Homa Seidel-Aprin und Ralf Seidel, die mein Studium bis zur Promotion stets mit reger Anteilnahme begleitet haben und mir mit Rat und Tat zur Seite standen. Sie sind es, die mir täglich vorlebten, was es bedeutet verschiedene Erfahrungs- und Verstehenshorizonte zusammenzuführen. Ohne sie wären nicht nur diese Arbeit sondern auch ich selbst nichts gewesen. Zuletzt und zugleich allen voran möchte ich meiner Frau Meiken Endruweit und meinen Töchtern Marlin und Liva danken für das Glück, dass sie in mein Leben getreten sind und es täglich lebenswert machen. Aber auch dafür, dass sie in den schwierigen Zeiten des Pendellebens für mich da waren, obwohl ich selbst gerade nicht stets zur rechten Zeit am rechten Ort zu sein vermochte. Wer diese Situation selbst kennt, weiß wie schwer das wiegt und was es denen abverlangt,
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Vorwort
die es dennoch mittragen. Nicht nur für mich, sondern auch für Euch drei war das zweifellos die größte Last, die diese Arbeit mit sich brachte. Umso dankbarer bin ich für jeden Tag, den es mit Euch gab, gibt und geben wird.
1 Einleitung Anlässlich des 200. Todestages von Immanuel Kant fanden um das Jahr 2004 weltweit unzählige Konferenzen und Veranstaltungen statt, auf denen die Bedeutung des Königsberger Philosophen gewürdigt und die Aktualität seines Werkes diskutiert wurden. Drei dieser Tagungen wurden mit internationaler Beteiligung in Teheran abgehalten1, was in der deutschsprachigen Presse nicht ohne Echo blieb.2 Derartige Begegnungen können für Intellektuelle und Forscher, die auf dem Gebiet der Philosophie tätig sind und zwischen denen in der Regel wenig Austausch besteht, eine Chance bieten, wechselseitige Verständigung zu suchen. Das Beispiel der Konferenz zum Welttag der Philosophie in Teheran vom November 2010 zeigt aber auch, dass die politischen Rahmenbedingungen einem wirklich freien Austausch oft im Wege stehen und Dialogveranstaltungen mitunter zu ideologischen Zwecken missbraucht werden können.3 Kant in Iran, das mag manchem vor dem Hintergrund der politischen Unterdrückung von kritischen Intellektuellen als Kuriosum erscheinen: Wie kann es sein, dass ausgerechnet im „Land der Ayatollahs“ dem Denker, dessen Werk und Wirken als Grundlage für jene freiheitliche und rechtsstaatliche Werteordnung verstanden werden, die wir so gern „westlich“ nennen, eine solche Bedeutung 1 Die erste Tagung wurde vom Institut für Philosophie der ʿAllāme Ṭabāṭabāʾī Universität in Teheran unter dem Titel „200 Years after Kant“ ausgerichtet. Die zweite Tagung wurde vom „Iranian Institute of Philosophy“ (Moʾassase-ye pažūhešī-ye ḥekmat va falsafe-ye Īrān) ausgerichtet und fand vom 18.–20. Dezember 2004 in Teheran statt, unter Beteiligung einiger namhafter europäischer Kantforscher wie Manfred Baum, Paul Guyer, Otfried Höffe und Sally Sedgwick. Die dritte Tagung wurde am 6./7. Februar unter dem Titel „Kant-Seminar. Peace through justice“ am Institute for Political and International Studies in Teheran unter Mitwirkung des Orient-Okzident-Forums der Universität Potsdam durchgeführt. 2 Zur ersten Tagung vgl. den Tagungsbericht von Claus Langbehn in: Frankfurter Allgemeine Zeitung 30.11.2004 (online auf der Seite Qantara.de http://www.qantara.de/webcom/show_article. php/_c-469/_nr-244/i.html letzter Zugriff 26.10.07). Zur zweiten Tagung vgl. den ausführlichen Bericht des Mitorganisators Otfried Höffe zu seinen Erfahrungen im Kontext der Tagung: „Wie mir Kant in Teheran begegnet ist“, in Frankfurter Allgemeine Zeitung, 19.06.2004 / Nr. 140, 39. Zur dritten Tagung vgl. Tagungsberichte von Hauke Brunkhorst, „Der Aristoteles des schiitischen Islam – Eindrücke von einem Kant-Seminar in Teheran“, in MenschenRechtsMagazin 74 Heft 1/2005, und von Carolin Emke in der Zeitschrift Der Spiegel vom 20.2.2005. Dazu Replik der Mitorganisatoren in SSIP-Mitteilungen 1, 2005, S. 8f. (online unter www.ssip-web.de/main/downloads/ika05-1.pdf letzter Zugriff 26.10.2007). 3 Zur Problematik des Welttages der Philosophie in Teheran vgl. Topa (2010). Vgl. auch die in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung veröffentlichte Begründung von Otfried Höffe, seine Teilnahme am Kongress abzusagen (Höffe (2010)), sowie den Kongressbericht samt persönlicher Begründung der Teilnahme in der gleichen Zeitung von Reinhard Brandt (2010). Allgemein zu den politischen Rahmenbedingungen der Philosophie in Iran näheres unten in Kapitel 6.
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Einleitung
zugemessen wird? Wer interessiert sich in Iran für Kant, warum und vor allem wie wird das Denken des Philosophen dort diskutiert? Diese Fragen werden umso dringlicher, wenn man erfährt, dass einige der namhaftesten Kantinterpreten und Übersetzer Irans zugleich hochrangige Angehörige des politischen Establishments sind. So ist etwa der Übersetzer von Kants Prolegomena, Ġolāmʿalī Ḥaddād ʿĀdel, der wissenschaftliche Leiter des Kongresses zum Welttag der Philosophie, nicht nur Philosophieprofessor an der Universität Teheran, sondern ehemals Parlamentspräsident der Islamischen Republik und enger Vertrauter des Revolutionsführers Ali Khamenei. Auch sein Nachfolger im Amt des Parlamentspräsidenten ʿAlī Lārīǧānī gehört dem konservativen Establishment an und ist zugleich ebenfalls Philosophieprofessor der Universität Teheran und Autor dreier Monographien über Kant. Wie hat man sich deren Zugang zu Kants Schriften vorzustellen? Müssen ihre Interpretationen und Übersetzungen nicht zwangläufig durchdrungen sein von der Ideologie der iranischen Machtelite? Welchen Einfluss mag umgekehrt Kants Denken auf ihr politisches Denken gehabt haben?4
1.1 Motivation, Fragestellung, Ziele und Hypothesen Die Kantrezeption in Iran ist ein spezielles Phänomen der Aneignung europäischer Philosophie in einem außereuropäischen geistesgeschichtlichen Kontext. Die Auseinandersetzung mit europäischem Denken ist in Iran, wie in anderen Regionen Asiens, ein zentraler Topos der neueren Geistesgeschichte und nicht selten auch der Diskurse um nationale, kulturelle und/oder religiöse Identität. Dabei reicht das Spektrum der Beurteilung „des europäischen Denkens“ von der Forderung der bedingungslosen Übernahme bis hin zur vehementen Ablehnung dessen, was als „europäisches Gedankengut“ verstanden wird. Die Philosophie Immanuel Kants gehört zweifellos zu den einflussreichsten Beispielen dieses geistigen Erbes. Auch in Iran gehört Kant heute zu den meistgelesenen Philosophen. Seine Ideen werden von einem breiten Spektrum von Denkern, Intellektuellen und religiösen Gelehrten in sehr unterschiedlicher Weise aufgenommen. Das primäre Ziel dieser Untersuchung ist es zu zeigen, welch unterschiedliche Zugänge es heute in Iran zum Denken des Königsbergers gibt, welche Aspekte seines Werkes von welchen intellektuellen Strömungen besonders diskutiert wurden, welches Erkenntnisinteresse die einzelnen Interpreten in ihrem Zugang leitet, auf welche geistige Traditionen sie sich selbst dabei stützen und ggf. wie sich die iranischen Zugänge im Kontext der internationalen Kantforschung verorten lassen. Es ist naheliegend, dass sich in Abhängigkeit vom geistigen oder 4 Vgl. dazu auch meinen Beitrag in der Süddeutschen Zeitung Seidel (2012a).
Einbettung in den Forschungskontext
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ideologischen Hintergrund unterschiedliche Bewertungen von und Zugänge zu Kant ergeben. Diese verständlich zu machen, ist ein wesentliches Anliegen dieser Studie. Kants Denken kam nicht völlig unvermittelt nach Iran, vielmehr wurde es zunächst meist indirekt und als Teil „der europäischen Tradition“ nach Iran überliefert. Eine konkrete Auseinandersetzung mit europäischer Philosophie beginnt in Iran im 19. Jahrhundert. Hier war es allerdings zunächst weder die Transzendentalphilosophie noch der Deutsche Idealismus, der von Iranern, die in Europa – vor allem in England, Frankreich aber auch Russland – ausgebildet wurden, rezipiert und diskutiert wurden. Vorherrschend waren positivistische und materialistische Strömungen, die im Kontext einer zunehmenden Bedeutung einzelner Wissenschaftsdisziplinen (insbesondere der Naturwissenschaften) vermittelt durch iranische Rezipienten das Bild des europäischen Denkens prägten. In Iran selbst herrschte zu jener Zeit eine sehr lebendige Strömung der islamischen Philosophie, die insbesondere in der Tradition Mollā Ṣadrās, eines Philosophen des 16. Jahrhunderts, stand. Die Rezeption der europäischen Philosophie im 19. Jahrhundert und die philosophische Tradition im Iran jener Zeit stellen den geistesgeschichtlichen Hintergrund dar, vor dem später eine konkrete Auseinandersetzung mit den Schriften Kants entstand. Eine zentrale Annahme meiner Untersuchung besteht darin, dass viele der heutigen Kantdeutungen in Iran stark von diesem Kontext geprägt sind. Daher ist es ein weiteres Ziel meiner Studie, diesen Hintergrund näher zu beleuchten, um eben diese Deutungen besser in den geistesgeschichtlichen Kontext einordnen zu können.
1.2 Einbettung in den Forschungskontext Neben dem Ziel, das Phänomen der iranischen Kantrezeption darzustellen und einzuordnen, hat die Untersuchung eine weitergehende Bedeutung für den Forschungskontext. Allgemein ist sie zwischen Orientforschung mit dem Schwerpunkt Geistes- und Ideengeschichte und historischer philosophischer Forschung positioniert. Es geht mir u. a. darum, mit dieser Untersuchung anhand eines konkreten Beispiels diese beiden Disziplinen enger aufeinander zu beziehen, wobei nicht zuletzt ein eurozentristisches Bild von Philosophiegeschichte insgesamt hinterfragt und philosophische Traditionen jenseits des europäischen und nordamerikanischen Raums als für die philosophische Forschung relevant eingestuft werden sollen. Dieses transdiziplinäre Anliegen erfordert in der Darstellung mitunter, dass Sachverhalte erläutert werden, die für einen der beiden Wissenschaftsbereiche als gängiges Grundlagenwissen gelten, im anderen aber keineswegs vorausgesetzt werden können.
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Einleitung
In meiner Untersuchung stütze ich mich auf eine Reihe von Forschungsfeldern. Forschungen zur Philosophiegeschichte in der islamischen Welt haben bereits zwei einschlägige Vorurteile, die in westlichen Werken zur allgemeinen Philosophiegeschichte zum Teil noch heute zu finden sind, als falsch herausgestellt. Erstens das Urteil, die Tradition der islamischen Philosophie, die zweifellos nachhaltig von antikem und hellenistischem Denken beeinflusst ist, habe lediglich das griechische Erbe kopiert und bewahrt, aber nicht selbstständig weiter entwickelt. Nicht nur allgemeine Überblicksdarstellungen zur Geschichte der islamischen Philosophie5 und einschlägige Einzelstudien, die Fragen der islamischen Philosophiegeschichte behandeln,6 sondern auch Untersuchungen zum Einfluss arabisch-islamischen Denkens auf die Philosophie des lateinischen Mittelalters haben erwiesen, dass dieses Urteil unhaltbar ist. Hinter diesem ersten Vorurteil steht nicht zuletzt ein selbstgerechtes Europabild, zu dem auch ein Exklusivanspruch auf die antike und spätantike Geistesgeschichte gehört. Dass aber diese Traditionen in gleicher Weise auch zu den Wurzeln der islamischen Geistesgeschichte gehören, und zwar nicht als fremdes Lehngut, sondern als indigener Bestandteil, gerät dabei aus dem Blick. So wie die Rezeption der antiken und hellenistischen Tradition zusammen mit der Rezeption der arabisch-islamischen Philosophie im lateinischen Mittelalter die Entwicklung der europäischen Geistesgeschichte geprägt hat, so prägte sie auch – auf eigene nicht weniger authentische Weise – die islamische. Vor diesem Hintergrund lässt sich dann auch die Rezeption „westlicher“ Philosophie nicht als Einfluss fremden Denkens, sondern als kreative Aneignung verstehen. Das zweite Vorurteil, die arabisch-islamische Philosophie ende mit Ibn Rušd (gest. 1198)7 und sei im Osten der islamischen Welt gar bereits durch al-Ġazālīs (gest. 1111)8 Kritik an der Philosophie zum Ende gekommen, muss ebenfalls als widerlegt gelten. Gerade im islamischen Osten gab es eine vielfältige philosophische Tradition, die sich in weite Teile der islamischen Welt verbreitet hat und vie5 Vgl. etwa Adamson/Taylor (2005); Nasr (2006); Corbin (1999); Rudolph (2004), ders. (2012). 6 Neuere Untersuchungen vgl. etwa Gutas (2002); Daiber (1999); Pourjavady (2011); Schmidtke (2000); Wisnovsky (2004). 7 Abū l-Walīd Ibn Rušd, Philosoph im andalusischen Spanien und später Nordafrika, der sich in Abgrenzung zu Ibn Sīnā (Avicenna), wieder stärker an den klassischen aristotelischen Lehren, wie der Substanzenlehre, orientiert und in Europa unter seinem latinisierten Namen Averroes vor allem durch seine auch im lateinischen Mittelalter sehr einflussreichen Aristoteleskommentare bekannt wurde. Einführend vgl. Rudolph (2004), 70-76. 8 Abū Ḥāmid al-Ġazālī, Theologe und Philosoph, der die aristotelisch inspirierten Doktrinen der islamischen Philosophen u.a. Ibn Sīnās insbesondere in seiner Schrift Taḥāfut al-falāsifa (Die Inkohärenz der Philosophen) mit philosophischen Argumenten zurückwies und sie zum Teil als Unglaube stigmatisierte.
Einbettung in den Forschungskontext
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lerorts bis heute lebendig ist. Inzwischen wird diese post-Avicennische Tradition der islamischen Philosophie mit ihrem immensen Quellenmaterial als bedeutender Teil der islamischen Philosophiegeschichte aufgearbeitet.9 Da viele Kantinterpreten in Iran in dieser Tradition stehen und etwa bestimmte Doktrinen Kants bspw. mit solchen Mollā Ṣadrās vergleichen, knüpft meine Arbeit an diese Forschung an, indem sie einerseits demonstriert, dass die islamische Philosophie, u.a. in der Tradition der „Schule von Isfahan“, nicht nur bis heute lebendig ist, sondern dass sich Vertreter dieser Tradition auch – teils konstruktiv-kritisch, teils apologetisch – mit der modernen europäischen Philosophie auseinandersetzen. Darüber hinaus sind Arbeiten, die den Transfer und die vielfältige Aneignung europäischen Denkens etwa im Kontext von Reformen der Administration oder des Bildungswesens in Iran behandeln, Anknüpfungspunkte meiner Untersuchung.10 Der Beitrag meiner Arbeit zu diesem Forschungsfeld besteht in der ausführlichen Behandlung eines konkreten, bisher nicht eingehend untersuchten Falles der Aneignung europäischer Philosophie in Iran. Aus der Kantforschung sind ebenfalls verschiedene Arbeiten für meine Untersuchung von Bedeutung. Hierzu zählen einerseits historische Abhandlungen, die sich mit verschiedenen Strömungen der Kantrezeption befassen, da mitunter manche dieser Strömungen für bestimmte Kantverständnisse oder Herangehensweisen seitens iranischer Interpreten bedeutsam sind.11 Andererseits gehören dazu Untersuchungen zu konkreten systematischen Fragen im Werk Kants, mit denen sich auch die zu analysierenden iranischen Kantinterpretationen beschäftigen.12 Da die Kantliteratur bekanntermaßen sehr umfangreich und vielfältig ist, konnte hier nur eine Auswahl herangezogen werden. Für Einblicke in verschiedene Positionen der Kantforschung zu speziellen Fragen habe ich mich vor allem auf Beiträge der Zeitschrift Kant-Studien gestützt.
9 Vgl. dazu etwa Rizvi (2007); Wisnovsky (2004). Wichtige Projekte in diesem Zusammenhang sind das Projekt Post-classical Islamic Philosophy Database Initiative (PIPDI) an der McGill Universität von Montreal sowie die an der FU-Berlin angesiedelte Research Unit Intellectual History in the Islamicate World. Der aktuelle Stand der Forschung wird zudem in der völlig neu bearbeiteten Edition des Ueberweg. Grundriss der Geschichte der Philosophie dargestellt werden, in der vier Bände (hg. Ulrich Rudolph) der Geschichte der Philosophie in der islamischen Welt von den Anfängen bis in die Gegenwart gewidmet sind, der erste Band erschien 2012, vgl. Rudolph (2012). 10 Wichtig hierzu Boroujerdi (1996); Heydary (2003); Moǧtahedī (1384/2005-6); Ringer (2001); Vahdat (2002). 11 Wichtige Literatur dazu Stolzenberg (2007); Schnädelbach (1983); Pascher (1997); Orth/ Holzhey (1994); Meyer (1995); Köhnke (1986); Heintel/Nagl (1981); Heidemann/Engelhard (2004); Beartschi (2004). 12 Etwa Sedgwick (2000); Sala (1987); ders. (1989); Pippin (1989); Funke (1976); Düsing (2002).
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Einleitung
Mein Beitrag zur Kantforschung besteht in der Diskussion der Rezeption des kantschen Denkens in einem von dieser bisher kaum zur Kenntnis genommenen geistesgeschichtlichen und ideologischen Kontext. Für die historische Kantforschung dürften die Erkenntnisse bezüglich der ersten Verbreitung von Kants Denken sowie zum Übersetzungs- und Auslegungsprozess seiner Schriften von Interesse sein. Im Hinblick auf einige systematische Fragestellungen, etwa zur Bedeutung der Metaphysik, zur Bedeutung der Seinsproblematik, zur Möglichkeit synthetischer Urteile a priori, den Bedingungen der Objekterkenntnis, sowie nicht zuletzt zu Fragen von Kants Moralbegründung und politischem Denken können die Analysen von Auslegungen iranischer Denker beispielhaft Aufschluss darüber geben, welche Wirkung das Denken des Königsbergers, je nach philosophischer oder ideologischer Ausrichtung seines Interpreten, entfalten kann. Insbesondere der Bezug zur Tradition der islamischen Philosophie dürfte hierbei im Rahmen der Kantforschung neue Perspektiven ermöglichen. Aber auch die in Iran herrschende Spannung zwischen liberalen und autoritären Auslegungen besonders im Feld der praktischen Philosophie könnte für Forscher, die sich vorwiegend für politische und ideologische Produktionsbedingungen der Philosophie interessieren, aufschlussreich sein. Insgesamt hat die Arbeit vor diesem Hintergrund zum Ziel, die europäische Geistesgeschichte nicht isoliert und in verengten territorialen Grenzen zu verorten, sondern ihre Rezeption und deren Auswirkung in einem nicht-europäischen geistesgeschichtlichen Kontext und in verschiedenen Argumentationszusammenhängen wahrzunehmen. Dies soll nicht zuletzt auch Rückfragen an das europäische Selbstverständnis im Umgang mit dem Erbe der Aufklärung anregen.
1.3 Herangehensweise, Begrifflichkeiten, methodische Ausrichtung Für eine Diskussion der Kantrezeption in Iran ist es ratsam, zunächst einige methodologische Überlegungen anzustellen und einige Schlüsselbegriffe insbesondere für das Philosophieverständnis verwendete Attribute zu klären. Termini wie z.B. „islamische“, „iranische“, „westliche“, „europäische“, „interkulturelle“, „historische“, „systematische“ oder „vergleichende“ Philosophie werden in meiner Arbeit immer wieder verwendet, sie können aber auch missverständlich sein, weshalb mein Verständnis derselben kurz erläutert werden soll. So ist im Zusammenhang mit der Beschäftigung mit außereuropäischem Denken immer wieder an prominenter Stelle die Rede von Kulturräumen, kulturellen Kontexten und Transkulturation von Wissen, die oft mit der Strömung der sog. „interkulturellen Philosophie“ zusammengebracht wird. Doch scheint mir
Herangehensweise, Begrifflichkeiten, methodische Ausrichtung
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der Begriff der Kultur wenig hilfreich und im Zweifelsfall sogar zu irreführend zu sein, um als Träger von Differenz im Zusammenhang mit Ideen zu fungieren. Einerseits ist es ohnehin schwierig, unterschiedliche Kulturräume klar voneinander zu unterscheiden, da es jeweils andere Ergebnisse geben wird, je nachdem nach welchen „kulturellen“ Gemeinsamkeiten und Unterschieden man sucht. „Eine Kultur“ ist also nicht zwingend kongruent mit einer Wissenstradition, und man hat mit der Unterscheidung von Kulturen somit wenig ausgesagt über Differenzen in Ideensystemen. Mindestens ebenso problematisch stellt sich mir die häufig verwendete Unterscheidung von philosophiegeschichtlichen Zusammenhängen in „Nationalkulturen“. Es scheint mir besonders im Kontext der Moderne äußerst problematisch von „nationalen Philosophien“ zu sprechen, etwa von „japanischer“, „iranischer“, „chinesischer“, „deutscher“ Philosophie etc., da es in der philosophischen Tradition innerhalb eines Sprachraums deutliche Unterschiede geben kann und somit unklar ist, was nun das signifikant „Nationale“ an dieser Tradition sein soll. Darüber hinaus sind philosophische Traditionen keineswegs an Kultur- oder Sprachräume gebunden, so dass letztlich die Gefahr besteht in kulturessentialistische Begründungsmuster zu verfallen, wenn man von „nationalen Philosophien“ spricht. Allerdings ist in der Literatur (insbesondere einem Teil meiner persischen Quellen) immer wieder von „iranischer Philosophie“ die Rede, so dass es mir notwendig erscheint, noch einmal zu reflektieren, wie mit derartigen Zuschreibungen umzugehen ist und was ich selbst meine, wenn ich von „iranischer Philosophie“ oder „iranischer Kantrezeption“ spreche. Wenn im Rahmen dieser Arbeit Begriffe wie „islamische Philosophie“ und „iranische Philosophie“ verwendet und ihr Verhältnis zu „westlicher“ bzw. „europäischer Philosophie“ thematisiert wird, so ist es wichtig zu betonen, dass mit islamischer Philosophie hier keineswegs eine von islamischen Glaubensdogmen oder Quellen abhängige Philosophie gemeint ist und dass manche ihrer Protagonisten auch anderen Religionen angehören. Deshalb wird in der Forschung meist in einem nicht ausschließenden Sinne von arabisch-islamischer Philosophie gesprochen, um sowohl nicht-islamische wie auch nicht-arabischsprachige Denker mit einzubeziehen. Analog dazu spreche ich in meinem Kontext häufig von iranischer oder iranisch-islamischer Philosophie. Gemeint ist damit eine Tradition der islamischen Philosophie, deren Protagonisten im Großraum Irans wirkten und auf Arabisch und/oder Persisch geschrieben haben bzw. heute ggf. auch auf Englisch oder einer in anderen europäischen Sprache publizieren. Nicht gemeint ist damit prinzipiell ein qualitativer Unterschied zu anderen Traditionen, auch wenn genau das von manch anderen Interpreten intendiert ist, was noch näher zu besprechen sein wird.13 Ebenso geht es mir auch bei den Bezeichnungen 13 Zum Hintergrund der Propagierung von nationalen Philosophien siehe vor allem Kap. 6.
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„westlich“ oder „europäisch“ vor allem um eine geographische Herkunftsbestimmung bestimmter Traditionen im Kontext der Ideengeschichte und nicht um eine qualitative oder inhaltliche Bestimmung. Sofern im Rahmen der Arbeit Texte oder Doktrinen der europäischen Philosophie in einen Zusammenhang mit solchen der islamischen Tradition gebracht werden, ziehe ich es vor, nicht von „interkultureller Philosophie“, sondern von einem „vergleichenden Ansatz“ in der Philosophie oder „philosophischer Komparatistik“ zu sprechen. Der Grund liegt für mich darin, dass es mir in diesen Zusammenhängen nicht um einen Vergleich von Philosophien als Kulturphänomene oder um einen vagen Vergleich der Kulturen geht, sondern darum, Argumente miteinander zu vergleichen. Zwar stehen die jeweiligen Argumente in einem ideengeschichtlichen Kontext, auf den ggf. auch zu verweisen ist, und es sei unbenommen, dass dieser Kontext durch gewisse kulturelle Einflüsse mitbestimmt ist. Doch wie bereits angesprochen scheint es mir etwas irreführend, ideengeschichtliche Überlieferungskomplexe mit Kulturen gleichzusetzen. Spricht man aber von Komparatistik, so können darüber hinaus auch Positionen miteinander verglichen werden, die gemeinhin „einer Kultur“, aber unterschiedlichen Denktraditionen zugehörig sind. Eine weitere Schwierigkeit ist der Zusammenhang zwischen historischer und systematischer Herangehensweise in der philosophischen Forschung. Nicht selten werden diese Perspektiven als miteinander unvereinbar dargestellt. In dieser Arbeit versuche ich dennoch, beide Perspektiven einzunehmen. Das scheint mir zumindest dann möglich, wenn man sie ihrer Intention nach möglichst voneinander unterscheidet. So betrifft – sehr vereinfacht ausgedrückt – die systematische Perspektive meiner Ansicht nach in der Regel eher das „Wie“ der Argumentation und die historische das „Warum“. Genauer, um den Kantinterpretationen, mit denen sich diese Arbeit beschäftigt, gerecht zu werden, beabsichtige ich einerseits den Aufbau der Argumentation mit Blick auf den jeweiligen Referenztext Kants, der im Zentrum der Diskussion steht, in Augenschein zu nehmen und zu fragen, inwieweit die Interpretation überzeugend erscheint bzw. inwiefern besondere Auffälligkeiten oder Brüche in der Argumentation auszumachen sind. Diese Perspektive verstehe ich als eher systematisch, sie betrifft das „Wie“ der Argumentation. Doch soll die Diskussion sich andererseits nicht allein mit dem Aufweis von Auffälligkeiten begnügen, sondern, um die jeweiligen Zugänge zu ihrem Recht kommen zu lassen, auch Intention und Kontext der Interpreten behandeln. Wenn etwa nach den Motiven eines Autors gefragt wird oder nach der Tradition, die sein Denken beeinflusst hat, handelt es sich meines Erachtens eher um eine historische Perspektive oder das „Warum“ der Argumentation. In den Diskussionen der Interpretationen sollen daher beide Perspektiven berücksich-
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tigt werden. Der erste Teil dieser Arbeit soll zudem den nötigen Hintergrund für die historische Perspektive liefern.
1.4 Aufbau der Untersuchung und Auswahl der Texte Nach der Einführung in die Thematik ist diese Studie in zwei Teile gegliedert, die auf Grund ihrer Anlage jeweils auf unterschiedlichen methodischen Grundlagen basieren. Der erste historisch-ideengeschichtliche Teil (Kap. 2/Kap. 3), der als Hintergrund für die Textanalyse gedacht ist, hat die Rekonstruktion der Transmission und Adaption von philosophischem Wissen im Iran des 19. und 20. Jahrhunderts im Fokus. Zunächst allgemein mit Blick auf die europäische und islamische Tradition und das Zusammentreffen dieser Traditionsstränge (Kap. 2) und schließlich hinsichtlich der Entwicklung der Rezeption des Denkens Immanuel Kants (Kap. 3). In Kapitel 2 wird auf Basis von einschlägigem Quellenmaterial, vor allem aber auf Grundlage vorhandener Forschungsarbeiten nachvollzogen, welche Themen europäischen Denkens von wem aufgenommen wurden und ggf. wie auf diese Adaption reagiert wurde. Auf diese Weise soll nachvollziehbar werden, was im betrachteten Zeitraum als „europäisches Denken“ in Iran verbreitet war. Ebenso wird mit der Tradition der islamischen Philosophie in Iran verfahren werden. Dieses Kapitel behandelt somit Rahmenbedingungen und Kontexte des Hauptteils der Arbeit. Eine Problematik der Darstellung betrifft die historische Aufarbeitung insbesondere der islamischen-philosophischen Tradition, da diese in weiten Teilen noch ein Forschungsdesiderat darstellt. Daher habe ich mich weitestgehend auf den Stand der Forschung verlassen und diesen ggf. kommentiert, da andernfalls ein eingehendes Quellenstudium nötig gewesen wäre, das nicht mehr im Rahmen dieser Untersuchung läge. Kapitel 3 geht nun dezidiert auf die Frage der Kantrezeption ein, indem es überblicksartig Voraussetzungen, Anfänge und erste Entwicklungen der iranischen Beschäftigung mit dem Denker aus Königsberg darstellt, den Übersetzungsprozess der kantschen Schriften nachzeichnet und die wichtigsten Quellen und Protagonisten vorstellt. Im zweiten Teil Ansätze und Kontexte der Kantrezeption in Iran werden, bezogen auf bestimmte systematische Fragestellungen im Werk Kants, die Interpretationen einzelner iranischer Denker zur theoretischen (Kap. 4) und zur praktischen (Kap. 5) Philosophie untersucht. Dafür werden für jeweils eine spezielle Thematik einzelne Denker ausgewählt, die für einen bestimmten Zugang exemplarisch sind oder diesen grundgelegt haben. Als generelles Auswahlkriterium der zu bearbeitenden Texte gilt die konkrete Auseinandersetzung mit den Schriften Kants. Zwar sind auch für eine Vielzahl von Intellektuellen in Iran bestimmte Aspekte von Kants Denken relevant, doch findet sich in ihren Publikationen keine
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unmittelbare Auseinandersetzung mit den Schriften Kants, so dass solche Werke nur in Ausnahmefällen – etwa im politischen Kontext – berücksichtigt werden. Darüberhinaus habe ich mich auf Texte beschränkt, deren Autoren im philosophischen und/oder intellektuellen Diskurs Irans bereits einen nachweisbaren Einfluss – etwa durch die Betreuung von Studierenden oder durch vielfältige Rezeption in der akademischen oder populärwissenschaftlichen Literatur in Iran – hinterlassen haben. Zudem haben die ausgewählten Denkerinnen und Denker in der Regel zumindest eine Monographie mit Kantschwerpunkt vorgelegt. In den beiden Kapiteln habe ich unterschiedliche Darstellungsformen gewählt. Kapitel 4 untersucht drei zentrale Fragestellungen in der Rezeption von Kants theoretischer Philosophie anhand jeweils eines exemplarischen Zungangs, um die jeweilige Argumentation möglichst im Detail nachzuzeichnen und zu diskutieren. Nach einem einführenden Abschnitt (4.1.) wird zunächst die Rezeption der kantschen Metaphysikkritik durch Mehdī Ḥāʾerī Yazdī untersucht, der sich als einer der ersten iranischen Denker konkret mit Kants Kritik des ontologischen Gottesbeweises, die Gegenstand der Transzendentalen Dialektik der Kritik der reinen Vernunft ist, auseinander gesetzt hat (4.2.). Als ebenfalls exemplarisch für die iranische Rezeption von Kants theoretischen Schriften können zwei im Ansatz verschiedene Diskussionen zu Fragen der Erkenntnistheorie angesehen werden, die Kant vor allem in der Transzendentalen Ästhetik und Analytik erörtert: Ḥoseyn Ġaffārīs kritische Evaluation der kantschen Analyse der Bedingungen der Objekterkenntnis und ʿAlī Lārīǧānīs Zugang zur Frage der Möglichkeit synthetischer Urteile a priori (4.3). Das Kapitel zur praktischen Philosophie (Kap. 5) hat im Vergleich dazu eher kursorischen Charakter. Dabei sind die Deutungen einer Reihe iranischer Kantinterpreten zu Kants Moralbegründung, seinem Freiheitsbegriff und seinem Religionsverständnis Gegenstand der Untersuchung. Ziel dieses Kapitels ist es, zunächst diverse Strömungen im Umgang mit Kants praktischem Denken zu charakterisieren (5.2) und anschließend jeweils zwei gegensätzliche Zugänge zu seinem Freiheitsbegriff und seinem Religionsverständnis vorzustellen (5.3). Ausgangspunkt der Untersuchung im zweiten Teil dieser Arbeit sind jeweils die Texte der iranischen Kantinterpreten. Nach einer allgemeinen Einführung in die jeweilige Problematik des kantschen Werks, auf das sich die Interpreten beziehen, wird die Darstellung und Deutung einzelner Interpreten nachvollzogen. Dabei war es mein Anliegen dem „principle of charity“ gerecht zu werden, also nach Möglichkeit zuerst die Argumentation zu ihrem Recht kommen zu lassen, bevor ich sie kommentiere oder ggf. kritisiere. Erst in einem nächsten Schritt wird die Argumentation dann auf Grundlage der Ergebnisse des ersten Teils sowie der philosophischen und/oder ideologischen Provenienz der ausgewählten Denker kontextualisiert, indem auch nach Motivation und Erkenntnisinteresse des Inter-
Anmerkungen zur Zitierweise und Transkription
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preten gefragt wird. Es geht mir also – auch wenn ich möglichst immer wieder Bezug auf die kantsche Referenzquelle nehme – nicht in erster Linie darum, richtige von falschen Interpretationen zu unterscheiden, sondern Intention und Kontext des jeweiligen Zugangs verständlich zu machen. Die Frage nach den Kontexten der iranischen Kantrezeption wird im abschließenden 6. Kapitel noch einmal aus einer weiteren Perspektive betrachtet, indem die Bedingungen der philosophischen Forschung und Lehre in Iran und das Verhältnis der Interpreten zum System der Islamischen Republik in den Blick genommen werden. Darin zeigt sich, dass die Ergebnisse einzelner Kantinterpretationen nicht nur durch historische Vorraussetzungen, die im ersten Teil der Untersuchung behandelt wurden, sondern auch durch aktuelle politische Voraussetzungen mitbestimmt sind. Dem Resümee (Kap. 7) folgt eine Bibliographie, die ich in verschiedene Abschnitte unterteilt habe, um einen besseren Überblick über die verschiedenen Arten von Quellen zu ermöglichen. 8.1 liefert zunächst eine Auflistung der Werke Kants und der in dieser Studie verwendeten Ausgaben. 8.2 stellt eine Liste von Werken Kants in persischer Übersetzung dar. 8.3 listet Werke über Kant auf, die aus einer europäischen Sprache ins Persische übertragen wurden. In 8.4. wird eine Liste von iranischen Hochschulschriften zu Kant (MA-Arbeiten und Dissertationen) aufgeführt, die an iranischen Universitäten bis zum Jahr 2008 eingereicht wurden. Einige dieser Schriften habe ich 2008 in Iran gesichtet, sie wurden in der Diskussion aber nicht berücksichtigt. Die Nennung von Titel und Betreuer der Arbeiten geben aber dennoch Aufschluss über Umfang und Trends der Kantrezeption an iranischen Hochschulen. Iranische Monographien und Sammelbände mit Kantschwerpunkt werden in 8.5 zusammengeführt. Von mir verwendete Aufsätze iranischer Autoren versammelt 8.6. Die Sekundärliteratur findet sich unter 8.7, wobei manche Werke iranischer Forscher sowohl hier als auch etwa unter 8.3–8.6 angeführt werden können, da ich sie ggf. sowohl als Primär- als auch als Sekundärquelle nutze.
1.5 Anmerkungen zur Zitierweise und Transkription Die Übersetzungen von Zitaten aus dem Persischen stammen von mir. Ergänzungen in [eckigen] Klammern innerhalb der Zitate stammen ebenfalls von mir, Hervorhebungen in den Zitaten hingegen entsprechen, wenn nicht anders angemerkt, dem Original. Zitate aus und Verweise auf Primär- und Sekundärquellen werden in den Anmerkungen mit der Nennung des Verfassers bzw. Herausgebers bzw. des Verfassers/Übersetzers und des Erscheinungsjahres der benutzten Quelle in (Klammern) wiedergegeben. Bei persischen Quellen wird in der Regel
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das Erscheinungsjahr nach dem persischen Sonnenjahr (heǧrī šamsī) und dem europäischen Kalender angegeben (also z. B. Kant/Adīb Solṭānī (1362/1983)). Sofern ein Erscheinungsjahr nach dem islamischen Mondkalender (heǧrī qamarī) angegeben ist, steht hinter dem Erscheinungsjahr das Kürzel (hq). Abweichend von der Zitierweise nach Verfasser und Jahr werden Zitate aus der Kritik der reinen Vernunft wie in der Kantliteratur üblich nach der Seitenzählung der ersten (1781 / A) und zweiten (1787 / B) Ausgabe nur mit Verweis auf die Ausgabe und die Seitenzahl ohne Verfasser und Jahr belegt (z. B. A 598f. / B 626f.). Andere Zitate aus dem Werke Kants werden in der Regel mit Kürzel des Werktitels nach der Zählung der Akademie Ausgabe (AA) angegeben. In einzelnen Fällen wird aber auch nach der Werkausgabe von Wilhelm Weischedel in zwölf Bänden (Frankfurt 1968) (Kant-W I – XII) bibliographiert. Verweise auf Artikel aus Nachschlagewerken werden mit dem Kürzel des Werkes und dem Titel des Eintrags angegeben. Die Umschrift der persischen Worte erfolgt im Wesentlichen nach den Regeln der Deutschen Morgenländischen Gesellschaft. Da der überwiegende Teil meiner Quellen in orientalischen Sprachen, allen voran die Schriften der iranischen Kantinterpreten, auf Persisch verfasst sind, folge ich in der Transkription in der Regel der persischen Aussprache. Kurzvokale werden daher entsprechend der persischen Phonetik transkribiert (also nicht i / u, sondern e / o). Ebenfalls der Phonetik des Persischen folgend ergeben sich folgende Abweichungen in der Transkription arabischer Konsonanten: ṯ = s̱; ḏ = ẕ; ḍ = ż. Das End-h entfällt (also taǧrobe anstatt taǧrobeh). In bestimmten Fällen wird von der Transkription nach der persischen Aussprache abgewichen. 1. Wenn es sich um arabische Sätze oder Phrasen aus arabischen oder persischen Texten handelt. 2. Wenn bestimmte Termini etwa der islamischen Philosophie allgemein, d. h. ohne Bezug zu einem konkreten persischen Text oder mit konkretem Bezug zu einem arabischen Text diskutiert werden. In manchen Fällen werden beide Schreibweisen, eine von beiden ggf. in Klammern angegeben. Dabei wird das „( “وw) als Konsonant im Arabischen bilabial mit „w“ im Persischen labiodental mit „v“ wiedergegeben. Termini in einer persischen Eżāfe-Verbindung werden in jedem Falle nach der persischen Aussprache wiedergegeben (also al-wuǧūd al-muṭlaq, aber voǧūd-e moṭlaq). Von der wissenschaftlichen Transkription ausgenommen sind Begriffe, für die sich eine deutsche Schreibweise eingebürgert hat (z. B. Koran, Scharia, Ayatollah) sowie Eigennamen von Personen der Zeitgeschichte (z. B. Mohammad Khatami, Ayatollah Khomeini), für die sich in den Medien bestimmte lateinische Umschriften durchgesetzt haben. Schließlich sei noch darauf hingewiesen, dass bestimmte philosophische Termini, besonders dann, wenn es sich um Übersetzungen kantscher Termini ins Persische handelt, in den folgenden Diskussionen iranischer Kantrezipienten
Anmerkungen zur Zitierweise und Transkription
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in Klammern hinter dem deutschen Wort stehen. Dabei handelt es sich immer um die Wortwahl des jeweiligen Interpreten, dessen Zugang gerade besprochen wird. Das führt dazu, dass es für bestimmte Begriffe in verschiedenen Diskussionen (ggf. auch in ein und derselben) verschiedene persische Synonyme geben kann. Darauf wird aber nur dann explizit verwiesen, wenn diese Differenz mir im Kontext einer spezifischen Deutung signifikant erscheint.
I Voraussetzungen und Anfänge der Kantrezeption in Iran
2 Ideengeschichtlicher Kontext: Rezeption moderner westlicher Philosophie im Iran des 19. und 20. Jahrhunderts Es dürfte weitgehend Konsens darüber herrschen, dass das Denken Immanuel Kants für die moderne Philosophie zu den wichtigsten Bezugspunkten gehört und dass Philosophen in der Nachfolge Kants, sei es in je unterschiedlicher Aneignung oder Kritik, selten an Kant vorbeikommen. In der Art und Weise der Kantrezeption, sei sie systematisch oder historisch, herrscht jedoch alles andere als Konsens. Die Rezeption nämlich findet immer in einem geistesgeschichtlichen Kontext statt, verschiedene intellektuelle Strömungen haben Kant jeweils auf ihre Weise aufgenommen. Wo Kant gelesen und auf ihn reagiert wurde, gab es – abhängig von Zeit und Ort – jeweils unterschiedliche Entwicklungen und Rahmenbedingungen in Gesellschaft und Wissenschaft. Das gilt für die Rezeption in Europa und Nordamerika ebenso wie in anderen Teilen der Welt. Kants Denken kam nicht völlig unvermittelt nach Iran, vielmehr steht die Rezeption der kantschen Philosophie in Iran auch in einem spezifischen Kontext, der sich insbesondere durch die sich intensivierenden Kontakte zwischen Iran und verschiedenen europäischen Ländern in der Neuzeit herausbildete. Diese Begegnung zwischen Iran und den verschiedenen Repräsentanten des „Westens“ stand, das mag wenig überraschen, zu Beginn vor allem unter militärischen und diplomatischen Vorzeichen. Darauf folgte allmählich die Auseinandersetzung mit den politischen und administrativen Konzepten, den technischen Errungenschaften, den naturwissenschaftlichen Erkenntnissen, die in Europa seinerzeit aktuell waren, bis schließlich deren philosophische Grundlagen immer mehr an Bedeutung gewannen und ebenfalls ins Zentrum der Rezeption rückten.
2.1 Die Anfänge des Transfers moderner Wissenschaft von Europa in den Iran der frühen Qāǧāren-Zeit Die jüngere Geschichte Irans ist spätestens seit Anfang des 19. Jahrhunderts stark von der beziehungsreichen Auseinandersetzung mit „dem Westen“ geprägt und der zunehmende Einfluss europäischer Kolonialmächte, zunächst vor allem Russlands und Englands, auf die Politik der von Āqā Moḥammad (gest. 1797) begründeten Qāǧāren-Dynastie markieren einen Wendepunkt in der neueren Geschichte Irans, an dem sich das Land allmählich zu einem modernen Natio-
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Ideengeschichtlicher Kontext
nalstaat entwickelte.14 Während unter der Regentschaft Āqā Moḥammads der Einfluss des Westens noch eher peripherer Natur war und der Regent große Erfolge in der Expansion und Konsolidierung seines Staatsgebiets erzielte, geriet sein Nachfolger Fatḥ ʿAlī Šāh (reg. 1797–1834) zunehmend unter militärischen und diplomatischen Druck. Im Nordwesten hatte das zaristische Russland 1801 das jüngst eroberte Georgien annektiert und bedrohte die transkaukasischen Nordprovinzen des iranischen Territoriums. Um der militärischen Überlegenheit Russlands zu begegnen, schloss Fatḥ ʿAlī Šāh wechselnde Bündnisse mit England und dem napoleonischen Frankreich, die damit jeweils eigene Interessen verfolgten.15 Die kriegerische Auseinandersetzung mit Russland an der Nordgrenze führte schließlich 1813 zum Vertrag von Golestān, in dem Russland große Teile der kaukasischen Provinzen zugesprochen wurden und es zudem das Recht erhielt, den persischen Thronfolger zu bestätigen. Außerdem erhielten russische Kaufleute Handelsprivilegien.16 Der zweite russisch-persische Grenzkrieg 14 Zur Etablierung der Qāǧāren-Dynastie und ihrer Bedeutung für die jüngere Geschichte Irans allgemein vgl. EI2 „Ḳādjār“ (Ann Lambton), Lambton (1988), insbes. 1–33 und Keddie (1999). 15 England hatte ein Interesse an Iran als Bündnispartner, um seine indischen Kolonien zu sichern, insbesondere als der südindische Regent Tipu Sultan (1753–1799) in der Provinz Mysore und der afghanische Fürst Shah Zamān (1793–1801) versuchten, Fatḥ ʿĀlī Šāh für eine Allianz gegen die britische Vorherrschaft in Indien zu gewinnen. Als England davon erfuhr, wurde im November 1800 Captain John Malcolm von der East Indian Company nach Teheran entsandt. In der Folge wurde der erste iranisch-englische Freundschaftsvertrag geschlossen, der u.a. sicherstellte, dass Iran nicht mit Šāh Zamān und Tipu Sultan paktierte und im Gegenzug Rüstungshilfe für den Fall einer Aggression seitens der Franzosen oder der Afghanen zusicherte (Text des Vertrages in englischer Fassung Hurewitz [1956], 68–70). Nachdem die unmittelbare Gefahr für England gebannt war, erlosch das Interesse an Iran vorerst. Frankreich hegte indes unter Napoleon Ambitionen, durch ein Bündnis mit bzw. Einfluss in Iran eine Landbrücke nach Indien in Aussicht zu haben und bemühte sich daher um diplomatische Beziehungen. Das Ergebnis war der am 4. Mai 1807 in Finkenstein geschlossene Freundschaftsvertrag zwischen Iran und Frankreich, in dem Frankreich Iran strategische Militärhilfe und Ausbilder zum Kampf gegen Russland zusicherte. (Text des Vertrages [engl.] in Hurewitz [1956], 77f.). Die französische Präsenz in Iran weckte wieder das britische Interesse an Iran und England drängte auf ein Ende der Zusammenarbeit mit Frankreich. Das Drängen erübrigte sich mit dem Abkommen von Tilsit (1807) zwischen Napoleon und Zar Alexander, in dem Napoleon u.a. den russischen Anspruch auf Georgien anerkannte. Es kam daraufhin zu einem erneuten Vertrag zwischen England und Iran, dessen endgültige Fassung im November 1814 vorlag (Text siehe Hurewitz [1956], 86–88). Einen guten kursorischen Überblick über die politischen Beziehungen und Interessen zwischen Iran, Russland, England und Frankreich in der frühen Qāǧāren-Zeit mit einschlägigen Quellenverweisen bietet Ekbal (1977), 13ff. 16 Im Zustandekommen dieses Vertrages zeigt sich der wachsende Einfluss europäischer Großmächte auf die Politik Irans. Während England nach dem Bündnis zwischen Russland und Frankreich großes Interesse an einer kriegerischen Auseinandersetzung zwischen Iran und Russland hatte, änderte sich das nach dem Angriff Napoleons auf Russland (1813) und England
Die Anfänge des Transfers moderner Wissenschaft von Europa in den Iran
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(1825–1828) führte mit dem Friedensvertrag von Torkmānčay, der den bis heute gültigen Grenzverlauf im Nordwesten Irans festlegte, zu weiteren Gebietsverlusten. Zudem musste Iran mit den im Vertrag enthaltenen Kapitulationen einer Reihe von Konzessionen zugunsten russischer Staatsbürger in Iran sowie weiteren politischen Zugeständnissen zustimmen.17 Zuvor hatte bereits England nach den Bemühungen von Sir John Malcom ein Handelsabkommen18 mit Iran erzielt, in dem Handelsprivilegien für britische Kaufleute vereinbart worden waren. Die Niederlage gegen Russland aber führte den Iranern ihre militärische und – damit verbunden – ihre technologische und politische Unterlegenheit sowie die wachsende Abhängigkeit von westlichen Großmächten vor Augen. Sie wurde daher als schwere Beeinträchtigung der staatlichen Souveränität wahrgenommen und markierte im Selbstverständnis Irans einen tiefen Einschnitt. Diese Erfahrungen waren der Auslöser für die ersten Diskussionen um Reformen des Militär- und Bildungswesens nach europäischem Vorbild. Initiator dieser Reformbestrebungen war Kronprinz ʿAbbās Mīrzā19, der als Gouverneur der Provinz Āẕarbayǧān unmittelbar in die militärische Auseinandersetzung sowie in die Verhandlungen mit Russland, England und Frankreich verwickelt war.20 Da sich Abbās Mīrzā bereits vor der Niederlage im ersten Krieg mit Russland der militärischen Schwäche bewusst war, entwickelte er ein gesteigertes Interesse daran, westliches, vor allem militärisches, Wissen nach Iran zu holen. Seit 1810 war er Bevollmächtigter für sämtliche außenpolitischen Angelegenheiten und drängte, unter Androhung des Abzugs sämtlicher britischer Militärberater und Generäle, Iran zu einem Frieden, der zuvor hätte unter günstigeren Bedingungen für Iran geschlossen werden können. Vgl. Hurewitz (1956), 84–86. 17 Es ist umstritten, ob sich Fatḥ ʿAlī Šāh unvernünftigerweise u.a. von schiitischen Geistlichen zu diesem Krieg hat drängen lassen oder ob es eine Reihe von naheliegenden Gründen sowie eine breite Basis für den Krieg gab. Das Interesse Russlands bestand offenbar darin, seinen Grenzverlauf nach Süden hin auszudehnen. Ekbal (1977) sieht daher den zaristischen Expansionsdrang als Hauptgrund für den Krieg. Er gibt zudem an, dass der Aufruf zum ǧihād gegen Russland durch die im Juni in Sulṭāniyye versammelten ʿulamāʾ nur die Spitze „der gewaltigen Massenbewegung, die zu dieser Zeit von den russisch besetzten Gebieten auf Persien selbst übergegriffen hatte“ (ebd. 40f.), darstellte. Auch scheinen die iranischen Truppen nicht von Anfang an hoffnungslos unterlegen gewesen zu sein. 18 Diese Handelsabkommen war Bestandteil des ersten „Freundschaftsvertrags“ zwischen Iran und England. 19 Vgl. EIr „ʿAbbās Mīrzā“ (H. Busse). 20 Mit dem nachgestellten Namenszusatz ,Mīrzā‘, den die männlichen Nachkommen von Fatḥ ʿAlī Šāhs trugen, wurde die Zugehörigkeit zu den Qāǧāren-Prinzen (šāhzāde) gekennzeichnet. Den Prinzen wurden im Regierungsapparat der Qāǧāren nicht selten Gouverneursposten zugeteilt. Der dem Namen vorangestellte Namenszusatz ,Mīrzā‘ hingegen bezeichnete vor allem Schreibkundige im Regierungsdienst, die allerdings auch zu verantwortungsvolleren Posten aufsteigen konnten. Vgl. Migeod (1990), 54–138.
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Ideengeschichtlicher Kontext
daher hatten bis zu seinem Tod im Jahre 1833 westliche Gesandtschaften ihren Sitz vorzugsweise in der aẕarbayǧānischen Provinzhauptstadt Tabrīz.21 ʿAbbās Mīrzas Reformwillen und seine diplomatischen Kontakte können somit als Ursache für die ersten Versuche eines Transfers modernen westlichen Wissens nach Iran verstanden werden. Diese Transferversuche wurden auf zweierlei Weise unternommen. Einerseits wurden mit französischen und englischen Gesandten Vereinbarungen getroffen, in denen die europäische Seite den Iranern die Entsendung von Militärexperten zusicherte. Diese technische Militärhilfe war aber jeweils, meist aufgrund wechselnder Bündnisverhältnisse zwischen den Großmächten England, Frankreich und Russland, nur von kurzer Dauer.22 Andererseits wurden auf Veranlassung des Kronprinzen einige Iraner aus dem Kreis seiner Höflinge mit einem staatlichen Stipendium nach England geschickt mit dem Auftrag, sich dort in den modernen Wissenschaften auszubilden. Die ersten beiden Iraner, die zum Studium nach Europa entsandt wurden, begleiteten Sir Harford Jones, den britischen Sonderbotschafter, im Jahr 1811 zurück nach England. Die zweite Gruppe von diesmal fünf Stipendiaten wurde vier Jahre später nach England geschickt.23
21 Vgl. Keddie (1988), 13; Fragner (1979), 13f. 22 Die Gesandtschaften in Iran bewirkten zudem, wenn auch auf anderer Ebene, eine Vermittlung von Iran nach Europa. Die meisten Gesandten nämlich verfassten Memoiren oder historische und fiktive Berichte über Iran, die zum Teil in den Heimatländern der Verfasser recht populär waren. Allerdings waren diese Schriften vornehmlich unterhaltender Natur und ihr Ziel war weniger ein Transfer iranischen Wissens nach Europa. In diesen Berichten werden auch Begegnungen der Verfasser mit ʿAbbās Mīrzā erwähnt. Vgl. dazu Moǧtahedī (1384/200565). Moǧtahedī betont in diesem Artikel, dass ʿAbbās Mīrzā zwar erste Reformversuche unternommen habe, aber insgesamt eine recht naive (sādelouḥ) Vorstellung von Fortschritt und Reformen vertreten habe, die letztlich nicht weit habe führen können. Darüber hinaus betont er die Bedeutung des Wesirs und Beraters des jungen Kronprinzen Mīrzā Bozorg Qāʾem Maqām Farahānī (gest. 1822) für dessen Reforminteresse und geistige Entwicklung. Ohne ihn, so Moǧtahedī, hätte dieser niemals eine derart hervorgehobene Bedeutung für die neuere Geschichte Irans erlangen können. Ebd. 94. 23 Zuvor hatte es bereits, von den Franzosen angeregt, Pläne gegeben, im Kontext der GardanneMission Studenten nach Frankreich zu schicken, durch das baldige Ende der Mission wurden diese Pläne nicht verwirklicht. Das Stipendium für England wurde nur zum Teil aus der Kasse des iranischen Staates gedeckt, ein größerer Teil wurde von britischer Seite getragen. Darin zeigt sich, dass es durchaus auch im britischen Interesse lag, Iraner im eigenen Land auszubilden, mit der Erwartung, sie später als enge Partner oder Handlanger für den britischen Einfluss in Iran gebrauchen zu können. Ähnliche Erwägungen standen zuvor auch hinter den unverwirklichten französischen Planungen. Dazu Ringer (2001), 26–29.
Die Anfänge des Transfers moderner Wissenschaft von Europa in den Iran
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Unter diesen ersten sieben Studenten24 ist Mīrzā Moḥammad Ṣāleḥ Šīrāzī für den Kontext der frühen Rezeption modernen westlichen Denkens in Iran von besonderer Bedeutung. Während nämlich die übrigen Entsandten ein technisches bzw. medizinisches Studium aufnahmen, schrieb er sich als erster Iraner an der University of Oxford ein und studierte Latein, Französisch, Geschichte und abendländische Philosophie. Zurück in Iran spielte Mīrzā Ṣāleḥ, der seine Erfahrungen in England in einem Reisebericht festhielt, eine bedeutende Rolle als Reformer am Hofe ʿAbbas Mīrzās.25 In seinem Reisebericht hatte Mīrzā Sāleḥ programmatisch verkündet, dass es ihm nicht darum gehe, lediglich Ungewöhnliches und Unterhaltendes aus England zu berichten, sondern die Ursachen für den enormen Fortschritt des Landes zu ergründen und für Iran nutzbar zu machen.26 Ohne explizit von einer „Rückständigkeit“ Irans zu sprechen, ein Topos der in späteren Schriften dominieren sollte, vertrat er die Ansicht, dass sich die Defizite, die es etwa im Militär und im Bildungssektor in Iran gebe, durch einen entschiedenen Willen zum Fortschritt (tarqqī) durch Reformen nach europäischem Muster beseitigen ließen, wobei er Russland, das er auf seiner Reise nach England kennengelernt hatte, als ein gelungenes Beispiel für einen solchen Reformprozess anführte. Somit wird Fortschritt durch Angleichung an den Westen bereits zu einem positiv besetzten Topos, der später von manchen iranischen Intellektuellen noch sehr viel radikaler formuliert werden sollte. Was Mīrzā Ṣāleḥ an England besonders beeindruckte, war neben seinen Sozial- und Bildungseinrichtungen insbesondere das politische System. Er zeigt sich begeistert von der parlamentarischen Verfassung Englands, das er „Land der Freiheit“ (velāyat-e āzādī) nennt und führt mit mašvarat-ḫāne als Erster einen Begriff für Parlament ins Persische ein.27 Mit seinem Lob für Parlamentarismus und Verfas24 Zu den übrigen Studenten, die sich jeweils in Geschützgießerei, Artilleriewesen, Ingenieurwesen, Pharmazie bzw. Medizin ausbilden lassen sollten, und ihren Positionen nach ihrer Rückkehr vgl. Fragner (1979), 14ff.; Ringer (2001), 27–34. 25 Zu Mīrzā Ṣāleḥ und seiner Bedeutung vgl. Farman Farmanyan (1968), 120–123, 144–146; Fragner (1979), 14–18; Ringer (2001), 28–37; 54–58. Fragner beurteilt Mīrzā Ṣāleḥs Bericht als frühestes Beispiel moderner persischer Erinnerungsliteratur. Nach Alavi erfreute sich dieser Bericht bis zur Zeit der Verfassungsbewegung großer Beliebtheit, was u.a. an der Vielzahl der vorhandenen Abschriften zu belegen sei, Alavi (1964), 24. Zur Bedeutung dieses Textes für die Entwicklung des Genres der Memoirenliteratur und der persischen Prosa allgemein vgl. Fragner (1979), 15–18. Einschlägig zu Mīrzā Ṣaleḥ in England Green (2011). 26 Farman Farmanyan (1968), 123; Ringer (2001), 54–58. 27 Mīrzā Ṣāleḥ war nicht der Erste, der in einem persischen Reisebericht über das politische System Englands berichtete, vor ihm hatte bereits Ṭāleb al-Musāvī aš-Šoštarī, der in Indien mit Geschichte und Gesellschaft der Briten bekannt wurde, in seinem 1798 verfassten Bericht Toḥfat al-ʿālam positiv davon berichtet. Dazu vgl. Faraman Farmanyan (1968), 133f. und Heydari (2003), 44–49.
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sung sowie mit seiner deutlichen Kritik an der Beteiligung der Geistlichkeit an der Regierung28, erweist sich Mīrzā Ṣāleḥ ebenfalls bereits als Vorläufer eines Reformdiskurses, der für Iran weitreichende Folge haben sollte. Darüber hinaus ist Mīrzā Ṣāleḥs Bedeutung nicht nur auf diese theoretischen Ausführungen beschränkt. Als er 1819 mit den übrigen Stipendiaten nach Iran zurückkehrte, hatte er eine Druckerpresse im Gepäck, deren Handhabung er in England neben seinen Studien erlernt hatte. Zwar war diese Presse, die in Tabriz zum Einsatz kam, nicht die erste in Iran, doch wirkte sich Mīrzā Ṣāleḥs Engagement positiv auf die allmähliche Etablierung eines Druckwesens in Iran aus. Im Sinne eines Verlagswesens fasste es allerdings erst später wirklich Fuß.29 Auch für die Einführung eines Zeitungswesens in Iran kann Mīrzā Ṣāleḥ durchaus als Pionier gelten. Bereits in seinem Reisebericht hatte er über den Nutzen von Zeitungen berichtet.30 Im Jahr 1837 gab er schließlich über einen Zeitraum von zwei Jahren die erste Zeitung Irans heraus, für die er nach der englischen Bezeichnung Newspaper die Lehnübersetzung kāġaz-e aḫbār (Nachrichtenblatt) einführte.31 Die Reformbestrebungen ʿAbbās Mīrzās, die auch unter der Bezeichnung Neẓām-e ǧadīd (Neue Ordnung) bekannt sind32, hatten vor allem ein Ziel: die militärische Stärke Irans durch die Aneignung technischer und administrativer Kenntnisse aus Europa zu erhöhen. Die Folge davon war nicht nur der Import von Militärgütern und scheinbar rein metakulturellem technischem Wissen. Durch das Studium im Ausland wurden die Studenten nicht nur mit der Sprache, sondern auch – was am Beispiel Mīrzā Ṣāleḥs besonders deutlich wird – mit der Kultur und Geistesgeschichte Europas vertraut, ein Wissen, das ebenfalls mit nach Iran gebracht wurde. Doch begann sich mit dem Einfluss europäischer Kultur durch das neẓām-e ǧadīd auch ein gewisses Unbehagen unter traditionellen, vor allem religiösen, Eliten zu regen. Das bezog sich zur Zeit ʿAbbās Mīrzās weniger auf geistesgeschichtliche Einflüsse, sondern vielmehr auf eher äußerliche Merkmale von „Europäisierung“ wie z.B. die Vorschriften, die das Erscheinungsbild der 28 Vgl. Mīrzā Ṣāleḥ Šīrāzī (1347/1968), 427. 29 Zu Mīrzā Ṣāleḥ und dem Druckwesen vgl. Farman Farmanyan (1968), 144–146; Ringer (2001), 34–37. 30 Ähnliches hatte bereits Šoštarī beschrieben. Vgl. Heydari (2003), 44–49. 31 Zu dieser ersten persischen Zeitung, die in Iran erschien vgl. Ādamīyat (1348/19693), 363f.; Āriyānpūr Bd. I (1372/1993-45), 234–237; Pistor-Hatam (1992), 48f.; die aus dem englischen entlehnte Bezeichnung für Zeitung Kāġaẕ-e aḫbār wurde später durch den älteren persischen Ausdruck rūznāme abgelöst, der noch heute gängig ist, vgl. Āriyānpūr Bd. I (1372/1993-45), 234f. 32 Möglicherweise übernahm ʿAbbās Mīrzā diese Bezeichnung von den Reformbestrebungen Sulṭān Selīm III im Osmanischen Reich, die er offenbar aufmerksam verfolgte. Zum Einfluss der Reformbewegung im Osmanischen Reich auf Iran allg. vgl. Pistor-Hatam (1992). Im Zusammenhang mit ʿAbbās Mīrzā ebd. 35–37.
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„Reform-Soldaten“ bestimmen sollten, insbesondere Uniformen europäischen Stils und das Abrasieren des Bartes. Derlei Maßnahmen wurden, weil sie besonders augenscheinlich in Kontrast zu einheimischen kulturellen oder religiösen Traditionen standen, als Zeichen der Entfremdung oder gar Abkehr von der Religion gedeutet.33 ʿAbbas Mīrzā versuchte daher auch, seine Neuerungen religiös zu legitimieren. Auch wenn es hierbei scheinbar nur um Äußerlichkeiten ging, so berührten sie doch das Thema der kulturellen Identität, das letztlich und mit der Zeit immer deutlicher die Auseinandersetzung mit dem Westen bestimmte. Später sollte die Frage nach einer Differenzierung zwischen äußerlicher und innerer Anpassung an Europa zu einem zentralen Topos werden. Im hier beschriebenen Kontext findet sich mit dem Widerstand gegen „Europäisierung“ im Zusammenhang mit Kleidungsvorschriften bereits ein Thema, das im späteren „Verwestlichungsdiskurs“ für reichlich Zündstoff sorgte. ʿAbbās Mīrzā konnte sein Reformvorhaben nicht wirklich erfolgreich umsetzen, dazu mag der Widerstand seitens traditioneller Eliten sowie die Rivalitäten um die Thronfolge insbesondere durch seinen älteren Halbbruder beigetragen haben, doch auch sein unerwartetes Ableben 1833, noch ein Jahr vor dem Tod seines Vaters, trug dazu bei. Dieses frühe Beispiel eines Transfers modernen Wissens von Europa nach Iran kann zwar noch nicht im engeren Sinne als Beginn der Rezeption moderner westlicher Philosophie in Iran verstanden werden, denn es wurden noch keine zeitgenössischen Philosophen Europas diskutiert und keine philosophisch relevanten Texte übersetzt, doch die frühe Qāǧāren-Zeit war in mancherlei Hinsicht ein Vorläufer und Wegbereiter. Durch den Austausch zwischen Iranern (Studenten) und Europäern (Beratern, Diplomaten) trat, zunächst im Kontext der Militärreform, auch das Bedürfnis nach neuen Formen der (Aus-)Bildung in den Vordergrund. Auch wenn diese zunächst allein praktischen Zwecken (Militär- und Verwaltungsoptimierung) dienen sollte, so war diese Bildung europäischen Stils nicht ohne jeden Bezugsrahmen, vielmehr gehörte sie in den geistesgeschichtlichen Kontext Europas. Die Studenten des neuen Wissens waren nicht selten von diesem Kontext ebenso positiv eingenommen wie vom technischen Wissen, das sie erlernen sollten und wurden so zu Vermittlern von beidem. Für die traditionellen Eliten mochte zwar das technische Wissen akzeptabel sein (auch das war nicht immer der Fall), doch dem kulturellen und geistigen Hintergrund, der aus Europa vermittelt wurde, standen sie skeptisch gegenüber. Aus dieser Kombination von Skepsis und Reformwillen entstand die einflussreiche Position, sich 33 Die Uniformen hatten keinerlei Anknüpfungspunkte an traditionelle Kleidung und das Rasieren des Bartes war, wenn auch nicht verboten, so doch nach traditionellem religiösen Rechtsempfinden verpönt. Zum Widerstand gegen die Reformbestrebungen unter ʿAbbās Mīrzā vgl. Ringer (2001), 37–44.
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bewusst für die Aneignung technischen Wissens und gegen die Aneignung kultureller Praktiken und geistiger Strömungen aus Europa einzusetzen. Moḥammad Šāh, der Sohn ʿAbbās Mīrzās, der nach Fatḥ ʿAlī Šāhs Tod im Jahr 1834 den Thron bestieg, versuchte im Prinzip, die Reformen seines Vaters fortzuführen. Auch er schickte wieder eine Reihe von Studenten nach Europa (diesmal nach Paris), doch empfand er offenbar die mögliche „Europäisierung“ der Entsandten als eine implizite Bedrohung, sodass er ihnen befahl, sich nicht über Europa zu informieren und sich nicht auf Aktivitäten einzulassen, die sie von ihrer Religion abbrächten, sondern sich ausschließlich ihren Studien zu widmen.34 Allerdings konnte mit dem Willen zu moderner Bildung westlichen Stils der allmähliche Einfluss moderner westlicher Ideen nicht verhindert werden; er wurde vielmehr, wenngleich indirekt, gefördert.
2.2 Bildungsreformen nach europäischen Vorbildern 2.2.1 Amīr Kabīr Eine zentrale Figur, die die Reform des iranischen Bildungswesens weiterführte, ist Amīr Kabīr (Mīrzā Taqī Ḫān, 1807–1851).35 Dieser war als Sohn eines Kochs im Dienste von Mīrzā Bozorg Qāʾem Maqām-e Farāhānī (gest. 1822)36, ebenfalls ein bedeutender Reformer sowie Wezir und Berater ʿAbbās Mīrzās, bereits in jungen Jahren in höhere administrative Positionen aufgestiegen und wurde dabei früh mit den Reformbestrebungen Qāʾem Maqāms und ʿAbbās Mīrzās vertraut. In seiner kurzen Amtszeit als Nāṣer ad-Dīn Šāhs Großwesir (1848–1851) setzte er eine Reihe von Reformen im staatlichen Verwaltungsapparat sowie im Gerichtswesen durch.37 Damit schaffte er sich allerdings eine Reihe von Widersachern, denn manche Mitglieder der Herrschaftselite sahen durch seine Maßnahmen ihren Einfluss auf die Regierung geschwächt. Unter den Geistlichen, die traditionell die Rechtsprechung und Bildung im Land dominierten, stießen seine Reformen ebenfalls auf Widerstand. Infolge einer Palastintrige wurde Amīr Kabīr schließ34 Vgl. Ringer (2001), 48f. 35 Zu Leben und Wirken siehe EIr „Amīr(-e) Kabīr“ (H. Algar); Pistor-Hatam (1992), 38–51. Eine umfassende Studie zu Amīr Kabīr und seiner Bedeutung für Iran hat Ferīdūn Ādamīyat (1348/19693) vorgelegt. 36 Qāʾem Maqām war nach der Inthronisierung von ʿAbbās Mīrzās Sohn Moḥmmad Šāh als dessen Premier tätig und versuchte die Reformbestrebungen ʿAbbās Mīrzās fortzuführen, bis Moḥammad Šāh ihn töten ließ. 37 Vgl. Ādamīyat (1348/19693), 261–343; EIr „Amīr(-e) Kabīr“ (H. Algar); Pistor-Hatam (1992), 42–44.
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lich abgesetzt und kurz darauf getötet. Während seiner Person von seinen Zeitgenossen offenbar wenig Bedeutung zugesprochen wurde, gilt er spätestens seit der Pahlavi-Ära bis heute als eines der bedeutendsten Symbole für die Modernisierung des Landes und wird nicht selten als Märtyrer im Kampf gegen die Rückständigkeit von Regierung und Gesellschaft stilisiert.38 Die zwei Projekte Amīr Kabīrs, die auch nach seinem Tod noch Bestand hatten und eine Weiterentwicklung der Reformbewegung ʿAbbās Mīrzās darstellen, sind für unseren Kontext von Bedeutung. Zum einen gelang es ihm, eine offizielle Zeitung zu etablieren, die, unter wechselnden Namen, weit länger erscheinen sollte als ihre von Mīrzā Sāleḥ herausgegebene Vorgängerin. Am 8. Februar 1851 erschien die erste Ausgabe dieser Zeitung, die anschließend unter dem Titel Rūznāme-ye waqāyeʿ-e ettefāqīye (Zeitung der aktuellen Ereignisse) wöchentlich herauskam. Das Blatt sollte sowohl dem Zweck dienen, der Öffentlichkeit amtliche Regierungsentscheidungen näherzubringen, als auch sie über Ereignisse und Entwicklungen im In- und Ausland in Kenntnis zu setzen. Es wurde sogar ein Übersetzerstab gebildet, der u.a. die Aufgabe hatte, Berichte aus europäischen Zeitschriften für das Blatt ins Persische zu übertragen. Durch ein obligatorisches Abonnement für Verwaltungsbeamte und durch öffentliches Vortragen der Zeitung sollte deren Verbreitung gewährleistet werden.39 Damit legte die von Amīr Kabīr begründete Zeitung in Stil und Form den Grundstein für die Entwicklung eines öffentlichen Pressewesens in Iran, das später noch durch eine oppositionelle, im Ausland ansässige Presse ergänzt werden sollte.
38 Als beispielhafter Beleg für die Bedeutung Amīr Kabīrs als Symbol im zeitgenössischen politischen Diskurs Irans zur Zeit Mohammad Khatamis mag ein Buch von ʿAlī Reżāqolī (1377/1998) dienen, das unter dem Titel „Ǧāmeʿešenāsī-ye noḫbekošī. Qāʾem Maqām, Amīr Kabīr, Mosaddeq. Taḥlīlī ǧāmeʿešenāḫtī-ye barḫī az rīšehā-ye tārīḫī-ye estebdād va ʿaqabmāndegī dar Īrān“ [Soziologie der Elitenliquidierung. Qāʾem Maqām, Amīr Kabīr, Moṣaddeq. Soziologische Analyse einiger historischer Wurzeln des Absolutismus und der Rückständigkeit in Iran] erschien. In diesem Buch, das innerhalb von drei Monaten neun Auflagen erzielte, wovon zumindest die letzte nach Verlagsangaben im Buch eine Stückzahl von 5500 enthielt, stellt der Autor am Beispiel der drei prominenten Premierminister Irans die These auf, dass Modernisierungs- und Liberalisierungsbestrebungen in Iran stets durch den Widerstand sowohl seitens des Herrschaftsapparates wie auch der Bevölkerung scheitern mussten. Natürlich wurden bei den Rezipienten dabei auch aktuelle tagespolitische Bezüge hergestellt. 39 Zu dieser Zeitung vgl. Ādamīyat (1348/19693), 362–371; Āriyānpūr Bd. I, (1372/1993-45), 237f.; Pistor-Hatam (1992), 48–51; Ringer (2001), 69f. Zum Übersetzerstab siehe auch Ādamīyat (1348/19693), 372–374. Zu weiteren Zeitungen, die bald darauf innerhalb Irans erschienen, vgl. Ārīyānpūr Bd. I (1372/1993-45), 238–249; Pistor-Hatam (1992), 169–174.
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2.2.2 Dār al-Fonūn Noch bedeutender für die Reform des Bildungswesens und den Transfer modernen westlichen Wissens nach Iran aber war die von Amīr Kabīr initiierte und 1851 nach europäischem Vorbild in Teheran gegründete weltliche Hochschule Dār al-Fonūn. Der Großwesir war ähnlich wie seine Vorgänger davon überzeugt, dass es für die Stärkung der staatlichen Souveränität und die Effizienzsteigerung der Regierung unbedingt notwendig sei, in den modernen Wissenschaften geschulte militärische und administrative Eliten heranzubilden. Zugleich aber war er sich auch der wachsenden Einflussnahme der Kolonialmächte auf Iran bewusst. Er empfand die Praxis, Studenten ins europäische Ausland zu schicken, nicht nur als auf die Dauer unpraktikabel, sondern, als alleinige Maßnahme, als zu riskant, da diese Studenten nicht mehr der direkten staatlichen Kontrolle unterstanden, sondern in den Einflussbereich der europäischen Kultur und politischen Interessen gerieten. Eine Hochschule nach westlichem Vorbild in Iran sollte Abhilfe schaffen. Da es aber kaum qualifizierte Lehrkräfte im Land gab, war man doch auf ausländische Hilfe angewiesen. So wurden in den Anfängen, um den Einfluss Englands, Frankreichs und Russlands zu umgehen, Dozenten vornehmlich aus Österreich und Italien ins Land geholt, die keinen diplomatischen Auftrag seitens ihrer Regierungen haben sollten und denen zudem die Einmischung in innere politische Angelegenheiten untersagt wurde.40 Mit der Zeit wurden sie durch iranische Absolventen, die z.T. selbst im Ausland studiert hatten, ersetzt.41 Als Lingua Franca am Dār al-Fonūn fungierte Französisch, da die rekrutierten ausländischen Lehrkräfte zunächst kein Persisch beherrschten und es unter den Iranern kaum solche gab, die sich Fremdsprachenkenntnisse in Italienisch und Deutsch angeeignet hatten. Zur Vermittlung der Lehrinhalte wurden, neben dem Unterricht in Fremdsprachen, eine Vielzahl europäischer (Lehr-)Bücher ins Persische übersetzt, von denen viele von den Lehrkräften eigens angefertigt und auf Persisch in der staatlichen Druckerei, die ebenfalls an die Schule angegliedert war, gedruckt wurden.42 Im Namen der Hochschule, in dem der Terminus fonūn für die neuen westlichen Wissenschaften stand, zeigt sich bereits die Intention, die Lehrinhalte deutlich von den traditionellen islamischen Wissenschaften, für die der Terminus ʿolūm (arab. ʿulūm) steht und die zur Domäne der religiösen Gelehrten gehörten, abzugrenzen. Das wiederum weckte den Unmut mancher Repräsentanten 40 Diese Politik der Isolierung der Lehrkräfte von der Diplomatie wurde allerdings nur in den ersten Jahren durchgehalten, vgl. Ringer (2001), 82f. 41 Ebd. 42 Vgl. EIr „Dar Al-Fonūn“; Ringer (2001), 75f. insbes. Anm. 38.
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der Geistlichkeit. Zwar stand die Schule nicht in unmittelbarer Konkurrenz zum traditionellen, religiösen Bildungswesen, schließlich handelte es sich nicht um ein flächendeckendes Projekt, sondern um eine staatliche Kaderschmiede, die zunächst allein dem Zweck diente, einen engen Personenkreis für den Militärund Verwaltungsdienst auszubilden. Doch empfanden manche gerade den elitären Charakter des Polytechnikums und die ausschließliche Lehre westlichen Wissens als eine Herabwürdigung des traditionellen Wissens und seiner Vertreter. Sie betrachteten die neuen Wissenschaften als unislamisch und sahen in der Schule einen Hort der Europäisierung und Entfremdung vom eigenen kulturellen Erbe. Amir Kabīr bereits versuchte, solchen Befürchtungen entgegenzutreten, indem er Nāṣer ad-Dīn Šāh gegenüber versicherte, dass die ʿolamā die Ersten sein würden, die ihre Söhne auf diese Schule würden schicken wollen.43 Dennoch sollte sich bewahrheiten, dass die Schule in der Tat nicht nur technisches Wissen vermittelte, sondern, als Nebenprodukt, auch europäische Kultur und politische Ideen verbreitete. Die Gründung des Dār al-Fonūn stellte eine bedeutende Innovation im iranischen Bildungssystem dar. Dennoch war diese Schule vorerst nur einer kleinen Elite aus Regierungskreisen vorbehalten. Einen etwas weiter reichenden Ansatz, neue Formen der Bildung in Iran insbesondere in der primären und allgemeinen Schulbildung zu etablieren, hatten bereits zu Beginn der Qāǧāren-Zeit vereinzelte Missionsschulen aus England und Frankreich unternommen, wobei besonders die französisch-katholischen Schulen nicht zuletzt das Ziel hatten, Muslime zu missionieren. Insbesondere für die Einführung der Mädchenbildung können diese Schulen als Vorreiter gelten. Da sie aber bis in die 1870er-Jahre nur vereinzelt auftraten, wurden sie von den islamischen Gelehrten offenbar nicht als unmittelbare Bedrohung ernst genommen, von der Regierung wurden sie sogar teilweise gefördert. Ihre größten Konkurrenten bestanden in den Missionsschulen der jeweils anderen Konfessionen.44
2.2.3 Weitere Schulen und Bildungseinrichtungen Größeren Widerstand seitens der traditionellen Bildungselite erfuhren die Rošdīye-Schulen, die von Mīrzā Hasan Rošdīye gegründet wurden. Dieser hatte als Sohn eines hochrangigen Geistlichen von Tabrīz in Beirut und Istanbul eine Reihe von neuen Bildungseinrichtungen für die Grundbildung kennengelernt und hatte es sich daraufhin zur Aufgabe gemacht, dem Analphabetismus in Iran zu 43 Ringer (2001), 107. 44 Zu den Missionsschulen vgl. Ringer (2001), 109–143.
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begegnen. Er tat dies, indem er das Alphabet durch neue an der Sprechpraxis der Alltagssprache orientierte Lehrmethoden vermittelte und nicht, wie an den traditionellen, meist von Geistlichen geführten, maktab-Schulen üblich, allein durch das Rezitieren religiöser Texte. Obwohl die erste dieser Schulen, die er außerhalb Irans in Erevan gegründet hatte, sehr großen Zuspruch fand und schließlich sogar das Interesse Nāṣer ad-Dīn Šāhs weckte, erlebte er enormen Widerstand seitens der Geistlichkeit, sodass die Schulen, die er vor allem in Tabrīz eröffnete, immer wieder auf Protest der Religionsgelehrten, die ihm vorwarfen, europäische, antiislamische Ideen verbreiten zu wollen, geschlossen wurden. Mit der Thronbesteigung Moẓaffar ad-Dīn Šahs aber erhielten diese neuen Schulen wieder staatliche Rückendeckung und eine Reihe neuer Schultypen, die z.T. auch die ärmere Bevölkerung als Zielgruppe hatte, wurden gegründet.45 Bedeutsam an der Gründung der Rošdīye-Schulen für die Reform des Bildungswesen ist einerseits die Tatsache, dass diese Schulen, anders als das Dār al-Fonūn, in direkter Konkurrenz zum traditionellen Schulsystem standen, und andererseits, dass sie nicht auf eine staatliche, sondern auf eine private Initiative zurückgingen. Dieses private Engagement im Bildungswesen wurde mit Beginn der Regentschaft Moẓaffar ad-Dīns durch die Gründung des Anǧoman-e maʿāref (Gesellschaft für Bildung) noch weiter forciert.46 Was die höhere Bildung anbelangt, so blieb das Dār al-Fonūn nicht die einzige Einrichtung. Wahrscheinlich bereits im Jahre 1875 wurde die Madrese-ye Neẓāmī als reine Militärakademie, die dem Kriegsministerium unterstellt war, gegründet, was u.a. zur Folge hatte, dass sich der Fächerkanon des Dār al-Fonūn von den militärischen Inhalten entfernte.47 Eine weitere folgenreiche Hochschulgründung war die Eröffnung der Madrese-ye ʿolūm-e siyāsī (Schule für Politische Wissenschaften)48, die ebenfalls, wie auch das Dār al-Fonūn, zunächst für die Ausbildung von Regierungsbeamten, in diesem Fall Diplomaten, vorgesehen war und dem Außenministerium unterstand. Der mit den Jahren erweiterte Fächerkanon macht deutlich, dass sich die Idee der Vermittlung moderner Wissenschaften aus Europa nicht mehr ausschließlich auf technisches, sprachliches und medizinisches Wissen beschränkte. Die Schule begann mit Kursen in Geschichte, Geografie, Französisch, internationalem und islamischem Recht (fiqh). Vonseiten der ʿolamāʾ 45 Zu den „neuen Schulen“ vgl. Ringer (2001), 155–162. 46 Zu den Schulgründungen des Anǧoman-e maʿāref vgl. Ringer (2001), 163–170; zur Gesellschaft selbst ebd. 187–206. 47 Vgl. Ringer (2001), 148–151. Gurney und Nabavi geben in EIr „Dār al-Fonūn“ das Jahr 1885 als Gründungsjahr an. 48 Zu Gründung und Bedeutung dieser Hochschule vgl. Ringer (2001), 170–173.
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allerdings wurde die Einbeziehung des islamischen Rechts in den Lehrplan äußerst kritisch gesehen, da sie die Lehre dieses Faches an einer europäisch geprägten Hochschule und zudem losgelöst vom sonstigen Kanon islamischer Wissenschaften als verfremdend betrachteten.49 Unter ihrem späteren Direktor Moḥammad ʿAlī Forūġī, der in der Pahlavi-Ära eine wichtige Rolle als Vermittler westlicher Philosophie spielen sollte, wurde der Lehrplan noch um die Fächer Wirtschaft, Rechnungswesen, persische und arabische Literatur, Mathematik, iranische und europäische Geschichte und politische Wissenschaften erweitert. Damit wurde die Vermittlung europäischer politischer Ideen, die bereits von frühen Reformern wie Mīrzā Ṣāleḥ als mindestens ebenso wichtige Errungenschaften vergleichbar dem modernen Ingenieur- oder Militärwesen angesehen wurden, auf einen staatlichen Lehrplan gesetzt. Aus den Absolventen des Polytechnikums Dār al-Fonūn, den übrigen neuen Hochschulen sowie den iranischen Absolventen europäischer Hochschulen entwickelte sich eine von den religiösen Bildungszentren weitgehend unabhängige Bildungselite. Diese neu entstandene „Intelligentsia“ (ʿoqalāʾ) bemühte sich vor allem um technologischen Fortschritt und politische Reformen in Iran. Viele von ihnen wurden führende Regierungsbeamte. Sie standen sowohl zu den religiösen Gelehrten (ʿolamāʾ), die traditionell die Wissenselite darstellten, in Opposition, indem sie ihnen etwa die alleinige Autorität in der Rechtsprechung streitig machten und sich für einen Rückzug der ʿolamāʾ aus Staatsangelegenheiten einsetzten, als auch zum Herrscherhaus, indem sie die bestehende Regierungsform kritisierten und z. T. für mehr Mitsprache des Volkes an der Herrschaft plädierten.
2.3 Rezeption und Transmission moderner westlicher Philosophie durch Protagonisten der Reformbewegung Da die Reformer der frühen Qāǧāren-Zeit entweder althergebrachte Machtstrukturen aufbrechen wollten oder im Verdacht standen, eine traditionelle kulturelle Identität zu unterminieren, hatten sie immer gegen Widerstände zu kämpfen. Charakteristisch für diese frühe Phase der Reformen des Bildungswesens und des Wissenstransfers ist zudem, dass sie vor allem aus dem Innern des Staatsapparates, wenn auch unter erschwerten Bedingungen, vorgenommen wurden. Aufgrund des inneren Widerstandes aber waren, wie die Beispiele ʿAbbās Mīrzās, Abulqāṣem Qāʾem Maqāms und Amīr Kabīrs zeigten, die Reformen meist nicht von Dauer und unterstanden zudem der Kontrolle der Herrschaftselite. Radikale
49 Vgl. Ringer (2001), 172.
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Kritik und die Forderung nach grundlegenden politischen und gesellschaftlichen Veränderungen wurden, wenn überhaupt, dabei eher am Rande artikuliert. In den späten 60er-Jahren des 19. Jahrhunderts trat eine neue Gruppe von Protagonisten des Reformdiskurses in Erscheinung. Diese standen überwiegend zumindest zeitweise in Opposition zum Regime in Teheran, doch agierten sie – ob als Diplomaten oder Dissidenten – vornehmlich aus dem Ausland, wo sie nicht nur dem direkten Zugriff der Regierung entzogen waren und somit ganz andere Möglichkeiten der Organisation und Meinungsäußerung hatten, sondern auch in einem speziellen kulturellen Umfeld lebten und durch das intellektuelle Leben und die Öffentlichkeit des Gastlandes beeinflusst wurden. Diese Reformer versuchten nun nicht mehr, kulturelle und intellektuelle Einflüsse des Westens von Iran fernzuhalten und möglichst nur westliche Technologie und strategisches sowie administratives Know-how zu importieren, vielmehr traten sie offen für eine Angleichung an Europa ein.50 Aus dem Reformdiskurs, in dem es zunächst darum ging, europäisches Staatsdenken und westliche Technologie für Iran nutzbar zu machen, entwickelte sich allmählich ein intellektueller Diskurs der Moderne. In diesem Diskurs stellte „der Westen“ – verkörpert zunächst durch die Kolonialmächte – hierbei das Gegenüber dar und die Vorstellung vom „Selbst“, vom „Eigenen“ wurde nun meist in Relation zu diesem „Anderen“ formuliert, wobei das Ideal zwischen völliger Abwehr alles Westlichen und größtmöglicher Assimilation oszillierte. Vor diesem Hindergrund werden die Bedeutung des geistesgeschichtlichen Kontexts und die Rezeption zeitgenössischer Philosophie erstmals deutlich erkennbar. Bis zu den Ereignissen um die Konstitutionelle Revolution (1905– 1909) und darüber hinaus war der Diskurs vom Gedanken der Reform des Justizund Regierungssystems geprägt. Das wiederum ging einher mit der Idee der Volkssouveränität und nicht zuletzt mit der Idee des Individuums als Träger von Autonomie und Subjektivität. Die Protagonisten dieses Reformdiskurses ließen sich durch die aktuellen intellektuellen und philosophischen Debatten in ihren Gastländern, die sie aufmerksam verfolgten und an denen sie mitunter sogar teilnahmen,51 inspirieren, was einen nachweislichen Einfluss auf ihr eigenes denkerisches Schaffen hatte.
50 Zu diesen Reformdenkern und ihrer Bedeutung gibt es eine Reihe von einschlägigen Untersuchungen. Genannt seien explizit folgende Monografien: Vahdat (2002), insbes. 27–61; Heydari (2003); Moǧtahedī (1384/2005-6), insbes. 131–308. 51 Bedeutendstes Beispiel ist hier der Disput zwischen Ernest Renan und al-Afġānī. Auch wenn al-Afġānī Renan in vielen Punkten beipflichtete, so wies er dessen auf einer im 19. Jahrhundert kursierenden Theorie der Rassen-Hierarchie basierende Kritik der islamischen Zivilisation zurückwies. Vgl. dazu Schäbler (2007), Heydari (2003), 122–139.
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Denker wie Mīrzā Malkum Ḫān (1833–1909), Mīrzā Āqā Ḫān Kermanī (1853– 1896), Mīrzā Fatḥʿali Aḫondzāde (1812–1878); Abdorraḥīm Ṭālebof (1832–1910) und nicht zuletzt Sayyed Ǧamāloddīn Asadābādī, bekannt als al-Afġānī (1838– 1897), sind die prominentesten Beispiele für eine je verschiedene Aneignung des modernen westlichen Denkens und dessen Vermittlung nach Iran.52 Dabei waren diese Reformdenker vor allem durch intellektuelle Strömungen wie Positivismus, Szientismus und Empirismus sowie die Bedeutung der Naturwissenschaften beeinflusst, die in ihren Gastländern – vor allem Frankreich, England und Russland – zu jener Zeit aktuell waren. In ihren Schriften nehmen sie daher explizit Bezug auf Denker wie John Locke, Francis Bacon, Montesquieu, Voltaire, Auguste Comte, Herbert Spencer und John Stuart Mill, deren Werke sie rezipierten und für ihre eigenen Schriften nutzbar machten. Wichtige Themen waren dabei die herausragende Bedeutung der Naturwissenschaften als notwendiges Komplementarium der Philosophie sowie die Betonung der Freiheit des Einzelnen als natürliche oder gottgegebene, in jedem Fall aber notwendige Eigenschaft des handelnden Menschen. Um diesem Begriff des Subjekts und der autonomen Position des Menschen terminologisch gerecht zu werden, führten sie Termini wie ādamiyyat („menschliche Subjektivität“/ Humanismus)53 oder manī (Selbstheit)54 ein und gaben damit der Erneuerung einer philosophischen Fachsprache im Persischen einen bedeutsamen Impetus.55 Indem sie sich für die Konzepte der Autonomie und der menschlichen Subjektivität starkmachten, argumentierten diese Reformdenker für eine Grundhaltung, die auch für Kants praktische Philosophie von zentraler Bedeutung ist. Dadurch könnte man sie in gewisser Weise als Wegbereiter der Rezeption dieses Aspektes der kantschen Philosophie betrachten. Zwar war Kants Denken selbst zu jener Zeit in Iran noch nicht verbreitet, doch das nicht zuletzt von Kant begründete Verständnis von Subjektivität lag durch die Rezeption anderer europäischer Denker auch ihren Vorstellung von Recht als von Menschen durch kritische Argumentation entwickelte Gesetze des Zusammenlebens zugrunde. In ihren Schriften maßen sie diesen Gesetzen mehr Bedeutung zu als dem religiösen Recht und ver52 Erwähnenswert ist sicherlich noch Afżal al-Molk Kermānī, der im Jahr 1902 die zweite persische Übersetzung von Descartes Discours de la Méthode von einer türkischen Vorlage anfertigte. Zu dieser Übersetzung vgl. Moǧtahedī (1384/2005-6), 201–212; Heydarī (2003), 75–81. Zur ersten Übersetzung unten 2.5.2. 53 Der Ausdruck wurde von Malkum Ḫān verwendet, vgl. dazu Vahdat (2002), 34f.; Heydari (2003), 102. 54 Diese positive Deutung des Ausdrucks, der im klassischen Persisch eher eine negative Konnotation (etwa Selbssucht) aufweist, geht auf Ṭālebof zurück, vgl. dazu Vahdat (2002), 49. 55 Zur Diskussion um die Strategie der adäquaten Übertragung moderner philosophischer Begrifflichkeit unten 3.3.2.
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banden damit zugleich konkrete Forderungen nach einer modernen Gerichtsbarkeit, einer Verfassung, die dem Volk die Souveränität zusprach und einem Parlament. Manche wurden zu Aktivisten in der Konstitutionellen Revolution. Diese Reformdenker waren es, die zu jener Zeit das Bild „der europäischen Philosophie“ in Iran prägten. Dabei entstanden ihre Diskussionen stets mit der Absicht, unmittelbar auf eine Reform des Staatsdenkens und Bildungswesens in Iran hinzuwirken. Somit handelt es sich nicht um systematische oder philosophiegeschichtliche Abhandlungen, sondern um populäre politisch engagierte Literatur. Das hatte zwar zur Folge, dass die europäischen Denker, auf die sie sich bezogen, nicht systematisch vorgestellt wurden, doch erreichten ihre Schriften dadurch eine große Öffentlichkeit, was für die Popularisierung europäischer Denker in Iran von großer Bedeutung war. Zudem äußerten sich diese Intellektuellen allesamt höchst kritisch gegenüber der traditionellen religiösen Wissensvermittlung und ihren Autoritäten und verbanden mit dieser Kritik die Forderung nach einer radikalen Reform der Religion, etwa indem sie, besonders im Rahmen der Rechtsprechung, für das Primat der Vernunft vor der Religion plädierten. Dabei bezogen sie sich durchaus selbst auf die islamische Tradition der Philosophie und versuchten sie in ihrem Sinne zu deuten. Die Art und Weise aber, in der die islamische Philosophie von den religiösen Gelehrten vertreten und gelehrt wurde, betrachteten sie als überholt.56 Manche der traditionellen islamischen Gelehrten in Iran sahen sich durch derartige Kritik zu Reaktionen herausgefordert, die meisten aber nahmen diese Denkströmungen, sofern sie sie überhaupt wahrnahmen, nicht besonders ernst, da sie außerhalb ihres Milieus situiert waren. Die Aktivisten und Reformdenker mochten in ihren Schriften den Eindruck vermitteln, und das war von manchen von ihnen durchaus gewollt, dass es im Iran jener Zeit keine eigene, d.h. vom Westen unabhängige, ernst zu nehmende intellektuelle Strömung mehr gab und dass die Beschäftigung mit der iranisch-islamischen Tradition nicht mehr zeitgemäß und letztlich nichts anderes sei, als die ewige Wiederholung überkommenen Wissens. Das aber täuscht über die Tatsache hinweg, dass es einerseits bereits im 19. Jahrhundert durchaus auch aufseiten traditioneller Gelehrter in Iran vereinzelt eine Auseinandersetzung mit der westlichen Philosophie gegeben hat und dass andererseits für die meisten von ihnen keine äußere Notwendigkeit bestand, sich intensiv mit dem europäischen Denken zu beschäftigen, denn die islamische Philosophie steckte nicht in einer Krise, vielmehr gab es zu jener Zeit, in der die Philosophie westlicher Prägung erst allmählich rezipiert wurde, seit Generatio56 Vgl. dazu etwa al-Afġānīs Aufsatz (favāʾed-e falsafe) in: Asadābādī (1312/1933), 134–148. Dazu auch Heydari (2003), 115–122. Eine englische Übersetzung dieses Textes hat Nikki Keddie angefertigt, vgl. Keddie (1969), 109-122.
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nen eine sehr lebendige philosophische Szene in Iran, die sich mit dem Beginn der Qāǧāren-Zeit allmählich auch in der neuen Hauptstadt Teheran etablierte.
2.4 Mollā Ṣadrā und islamische Philosophie im Iran des 19. Jahrhunderts 2.4.1 Islamische Philosophie in Teheran Der Begründer der Qāǧāren-Dynastie Āqā Moḥammad hatte kurz vor Beginn des 19. Jahrhunderts die Hauptstadt seines Reiches in den kleinen Ort Teheran nahe der traditionsreichen Stadt Rey verlagert. Auch wenn die Stadt erst unter Nāṣeroddīn Šāh zu einer wirklichen Metropole ausgebaut wurde, hatte bereits sein Vorgänger Fatḥ ʿAlī Šāh (reg. 1797–1834), Neffe und Nachfolger Āqā Moḥammads, ein Interesse daran, die Stadt nicht nur zum politischen und wirtschaftlichen Zentrum, sondern auch zu einem geistigen Zentrum Irans zu machen. Es wurden eine Reihe von Moscheen und an sie angegliederte traditionell-religiöse Bildungseinrichtungen, madrasas, gebaut, für die wiederum renommierte Lehrer rekrutiert werden sollten. So wurde Anfang der Zwanzigerjahre des 19. Jahrhunderts von Moḥammad Ḫān Marvī eine neue madrasa gegründet, für die Fatḥ ʿAlī Šāh den seinerzeit bedeutenden Isfahaner Philosophen Mollā ʿAlī Nūrī als Dozent (modarris) gewinnen wollte. Dieser lehnte aufgrund seines Alters und aus Verbundenheit zu seinen Studenten ab, schickte aber einen seiner besten Schüler Mollā ʿAbdollāh Zonūzī nach Teheran, der zu einem bedeutenden Lehrer jener Schule wurde und mit dem die in jener Zeit in Iran verbreitete philosophische Tradition auch in der Hauptstadt Einzug fand.57 Die philosophische Tradition im Iran jener Zeit ist vor allem mit dem Namen eines Denkers verbunden, der noch heute als die Integrationsfigur der islamischen Philosophie in Iran gefeiert wird: Ṣadr ad-Dīn aš-Šīrāzī bekannt als Mollā Ṣadrā (gest. 1640). Seine Leistung bestand nicht zuletzt darin, eine Reihe von divergierenden Strömungen innerhalb der islamischen Philosophie zu einem zusammenhängenden System synthetisiert zu haben. Diese Syntheseleistung wird in einem bestimmten ideologischen Kontext des heutigen Irans58 symbolisch überhöht, nicht zuletzt mit dem Ziel, eine authentisch iranische Tradition der islamischen Philosophie zu konstatieren. Diese Betrachtungsweise basiert auf der Annahme einer schematischen Unterscheidung einer östlichen Traditionsline der islamischen Philosophie 57 Zu den Anfängen der islamischen Philosophie in Teheran vgl. Nasr (2006), 237f. 58 Zu diesem Kontext unten 6.3 – 6.4.
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von der Philosophie im islamischen Westen (Maġreb und al-Andalus), die mit Ibn Rušd (Averroes) ihren Höhepunkt und gleichzeitig vorläufigen Endpunkt erreichte. Die „östliche Tradition“ wird demgegenüber dabei als die eigentlich Iranische verstanden.59 Die in etwa zeitgleich mit Averroes einsetzende philosophische Tradition des islamischen Ostens, die demgegenüber von manchen als die eigentliche iranische verstanden wird, wurde von Philosophen des Westens – und zwar des Westens der islamischen Welt wie auch Europas und Amerikas – weniger wahrgenommen, obwohl es sich dabei um eine bis heute vor allem in Iran, aber auch z.T. im Irak, der Türkei und Indien sehr lebendige Tradition handelt. Sie beginnt demnach mit Šīhāb ad-Dīn as-Suhrawardī (gest. 1191), der in Auseinandersetzung mit der peripatetischen Tradition (Ibn Sīnā) und der Mystik eine originelle Neuformulierung der Philosophie vornahm, die als Illuminationsphilosophie (ḥikmat al-išrāq) bekannt wurde und die er von Ibn Sīnā abgrenzt.60 In einem weiteren Zweig der östlichen Tradition unternahm Naṣīr ad-Dīn at-Ṭūsī (gest. 672/1274) wiederum eine nachhaltige Wiederbelebung der peripatetischen Philosophie Ibn Sīnās. Aus diesen beiden Strängen entwickelte sich die östliche Tradition der islamischen Philosophie weiter, indem sie zudem theologisches Denken ašʿaritischer und muʿtazilitischer Ausprägung, meist durch schiitische Denker vermittelt sowie die philosophische Mystik Ibn ʿArabīs (gest. 638/1240) mit integrierte. Dieser keineswegs lineare Verschmelzungsprozess kulminiert schließlich im Werk Mollā Ṣadrās, der damit neue Maßstäbe setzte und fortan die Richtung der auf Mīr Dāmād (gest. 1630) zurückgehenden „Schule von Isfahan“ bestimmte. Auch wenn Mollā Ṣadrā zweifellos von herausragender Bedeutung ist, so konnte er sich bei dieser Synthese auf eine Reihe von Vorläufern stützen, deren Leistung heute in seinem Schatten stehen, was auch daran liegen mag, dass der Zeitraum zwischen Naṣīr ad-Dīn at-Ṭūsī und der Schule von Isfahan (13. – 16.
59 Dass dieses Bild einer westlichen und einer östlichen Tradition der islamischen Philosophie bei genauerer Betrachtung der Überlieferungszusammenhänge nicht standhält und dass die Traditionsstränge, die als westlich und östlich konstatiert werden, durchlässiger waren – Mollā Ṣadrā etwa rezipierte auch Ibn Rušd – hat die neuere Forschung inzwischen gezeigt. Dieser Befund erhärtet sich, wenn man mit in Betracht zieht, dass philosophisches Denken auch in theologischen Texten tradiert und weiterentwickelt wurde. Auf diese für die Philosophiegeschichte in der islamischen Welt bedeutende Forschungsfrage kann hier allerdings nicht im Einzelnen eingegangen werden. Der III. Ueberweg-Band Philosophie in der Islamischen Welt. 13.-18. Jahrhundert (Hg. Ulrich Rudolph), der derzeit in Vorbereitung ist, wird diese Fragen u.a. beleuchten. 60 Erwähnenswert ist zudem, dass von manchen auch die Position vertreten wird, Ibn Sīnā habe neben seiner pripathetischen Lehre auch eine „östliche Philosophie“ vertreten, die er als sein eigentliches Denken betrachtet und von der aristotelischen Tradition unterschieden habe. Kritisch dazu Gutas (2002) und Gutas (1988), 115–131.
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Jahrhundert) bisher kaum erforscht ist. Aber auch die Zeit vom 17. bis zum 19. Jahrhundert ist bisher erst unzureichend untersucht worden. Daran knüpft sich auch die Frage, wie Mollā Ṣadrā zu solch überragender Bedeutung, die ihm heute und etwa seit Beginn der Qāǧāren-Zeit zukommt, für das geistesgeschichtliche Selbstverständnis Irans gelangen konnte. Im Iran des 19. Jahrhunderts, insbesondere in den philosophischen Kreisen Teherans, die nicht zuletzt auf Mollā ʿAbdollāh Zonūzī zurückgehen und deren erste Begegnung mit der neuzeitlichen Philosophie Europas uns hier interessiert, war Mollā Ṣadrās Denken bereits der maßgebliche Orientierungspunkt. Im heutigen Iran gilt das für weite Teile der traditionellen islamischen Philosophen weiterhin beinahe uneingeschränkt. Das wirkt sich auch auf bestimmte Zugänge zu Kant in Iran aus. Einige der islamischen Philosophen berufen sich in ihrer Auseinandersetzung mit Kant implizit oder explizit auf Mollā Ṣadrā oder unternehmen gar dezidiert Vergleiche zwischen beiden Denkern. Für das Verständnis dieser Zusammenhänge ist ein Einblick in sein Werk und Wirken daher hilfreich.
2.4.2 Leben, Werk und Wirkung Mollā Ṣadrās Mollā Ṣadrā ist im heutigen Iran nicht nur in akademischen oder philosophischen Zirkeln überaus populär, auch in der gebildeten Alltagskultur ist er sehr präsent. Man geht sicher nicht zu weit, wenn man behauptet, dass er als herausragendes identitätsstiftendes Symbol der jüngeren, als spezifisch iranisch gedeuteten Geistesgeschichte gehandelt wird. So gibt es nicht nur eine schier unüberschaubare Menge von in Iran entstandenen wissenschaftlichen Publikationen zu seinem Leben und Denken sowie ein einflussreiches Mollā Ṣadra Institut (Sadra Islamic Philosophy Research Institut/Boyād-e ḥekmat-e eslāmī-ye Ṣadrā) in Teheran, das eine wichtige Fachzeitschrift (Ḫeradnāme-ye Ṣadrā) herausgibt und zwei große internationale Mollā Ṣadrā-Tagungen organisierte, sondern auch eine Vielzahl an populären Darstellungen seines Lebens- und Denkweges, ob in Buchform oder als TV-Serie, die ein breites Publikum ansprechen.61 Fragen nach Mollā Ṣadrās Lebensweg, seine Einordnung in die Philosophiegeschichte seiner Zeit bis hin zu seiner symbolischen Überhöhung im zeitgenössischen Iran bieten ausreichend Stoff für eigene Untersuchungen.62 61 Vgl. Rizvi (2007), 179. 62 Eine Schwierigkeit für eine Rekonstruktion von Mollā Ṣadrās Biografie liegt im Mangel an ausführlicheren Darstellungen seines Lebens in biografischen oder historiografischen Quellen seiner Zeit. Die bisher bekannten Informationen finden sich vornehmlich in sehr disparatem Quellenmaterial. Die wichtigste Darstellung in einer europäischen Sprache, die sich diesem
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Mollā Ṣadrā kam als Muḥammad ibn Ibrāhīm ibn Yaḥyā al-Qawāmī aš-Šīrāzī und einziger Sohn eines Regierungsbeamten des Safaviden-Herrschers Šāh Ṭahmāsp (gest. 1576) im Jahre 1571 in Schiraz zur Welt. Der junge Šīrāzī wurde in eine Zeit geboren, in der sich der Anfang des 16. Jahrhunderts von den Safaviden erstmals seit der islamischen Eroberung auf iranischem Boden errichtete, einheitliche Staat bereits etabliert hatte. Die kulturell vielleicht bedeutsamste Neuerung der Safaviden war die Einführung des 12er-schiitischen Bekenntnisses als Staatsreligion und offizielle Rechtsschule, die die Identität Irans bis heute prägen und das geistige Leben nachhaltig beeinflussen sollte. Šīrāzī, der später unter den Ehrennamen Mollā Sadrā, Ṣadr ad-Dīn aš-Šīrāzī63 und Ṣadr al-Mutaʾallihīn64 bekannt wurde, war selbst 12er-Schiit. Seine Geburtsstadt Schiraz, als Stadt der Dichter des 13./14. Jahrhunderts mit seinen herausragenden Gestalten Saʿdī (1213/1219–1292) und Ḥāfez (1325–1389) weithin bekannt, war, was weniger bekannt ist, im späten 15. und frühen 16. Jahrhundert eines der wichtigsten Zentren philosophischer Gelehrsamkeit im islamischen Kulturraum, für das Sayyed Hossein Nasr die Bezeichnung „Schule von Schiraz“ prägte.65 Doch zu jener Zeit, als sich der junge Šīrāzī dem Studium der Philosophie zuwandte, hatte die Stadt allem Anschein nach bereits ihre Blütezeit der philosophischen Problem bewusst stellt, scheint mir Sajjad Rizvis Bio-Bibliografischer Essay „Mullā Ṣadrā Shīrāzī: His Life and Works and the Sources for Safavid Philosophie“ Rizvi (2007) zu sein, in dem er nicht nur eine umfangreiche Bibliografie des Denkers liefert, sondern auch einen Abriss zu seiner Biografie und zur Philosophie in der Safavidenzeit mit jeweils wichtigen Quellenhinweisen bietet. Als verlässlichste Darstellung von Leben und Werk in Persisch nennt Rizvi: Sayyed Moḥammad Ḫāmeneʾī: Mollā Ṣadrā: Zendegī, šaḫsīyat va maktab-e Ṣadr al-mutaʾallehīn, Teheran (1379/2000). 63 Der Titel Ṣadr ad-Dīn deutet auf eine hohe Anerkennung als Theologe hin. 64 Dieser Ehrenname ist abgeleitet vom Terminus taʾalluh, eine arabische Nachbildung des christlich-neuplatonischen Begriffs der Theosis, der die größtmögliche Annährung an Gott bezeichnet. Dieser Terminus wurde als ein Wesensmerkmal von Mollā Ṣadrās Philosophie und der nach ihr kommenden Tradition verstanden. Die Anhänger seiner Doktrin wurden mithin als mutaʾallihīn (Theosisten, auch Theosophen wird als Äquivalent verwendet) bezeichnet. Der Ehrentitel zeichnet Mollā Ṣadrā als Meister der Theosisten aus. Zum Begriff taʾalluh und dem Ehrentitel vgl. Rizvi (2007), 1 Anm. 2. 65 Zur Bedeutung der Schirazer Philosophen jener Zeit, deren wichtigste Vertreter sich, wie es bisher scheint, in zwei widerstreitende Gruppen ordnen lassen, nämlich einerseits Ǧalāl ad-Dīn ad-Dawānī (1426–1504) und seine Anhänger und andererseits Ṣadr ad-Dīn ad-Daštakī (1425–1498), dessen Sohn Ġiyāṯ ad-Dīn Manṣūr ad-Daštakī (1461–1542) und deren Anhänger, vgl. Pourjavady (2011), 1–44. Zu einigen doktrinären Streitigkeiten zwischen diesen beiden vgl. Pourjavady (2011), 74–105, jeweils mit ausführlichen Quellen- und Literaturhinweisen. Zur Problematik der Einteilung der philosophischen Tradition in Iran in „Schulen“, wie sie vor allem von Sayyed Ḥoseyn Nasr und Henri Corbin vorgenommen wurde. Vgl. Rizvi (2007), 139; Pourjavady (2011), 74.
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Lehre hinter sich, sodass er sich sein Wissen womöglich zunächst als Autodidakt aneignete.66 Mit etwa Anfang zwanzig ging der junge Gelehrte in die damalige Hauptstadt Qazwīn, wo er seinen wohl wichtigsten Lehrer Mīr Muḥammad Bāqir Astarābādī (gest. 1630), bekannt als Mīr Dāmād, fand.67 Dieser war zu jener Zeit als origineller Philosoph bekannt und zudem ein Vertrauter des Regenten Šāh Ṭahmāsp. Als dessen bedeutender Nachfolger Šāh ʿAbbās I. (reg. 1588–1629) gegen Ende des 16. Jahrhunderts die Hauptstadt nach Isfahan verlegte, nahmen auch Mīr Dāmād und sein Schüler Mollā Ṣadrā dort ihren Wohnsitz.68 Mit dem Umzug der beiden zukunftweisenden Denker wurde die neue Residenzstadt bald auch zu einem neuen bedeutenden Zentrum der Philosophie in Iran. Das bewog Seyyed Hossein Nasr und Henry Corbin dazu, gar von einer „Schule von Isfahan“ mit den beiden Denkern als deren „Begründer“ und „Vervollkommner“ zu sprechen. Sie steht symbolisch für einen Neuanfang der philosophischen Tradition und vor allem für eine Synthese verschiedener Strömungen. Mīr Dāmād wurde für seine umfangreiche Lehrtätigkeit in Isfahan sehr geschätzt, was ihm nicht zuletzt den Titel al-Muʿallim aṯ-ṯāliṯ („der dritte Lehrer“, nach Aristoteles und al-Farābī) einbrachte. Er verfasste eine Vielzahl von Schriften zur Philosophie, Theologie, Ḥadīṯ, Koranexegese und Recht, auch als Dichter tat er sich hervor. Bei ihm studierte Mollā Ṣadrā die wichtigsten Texte der philosophischen Tradition, u.a. die Werke Ibn Sīnās und der islamischen Peripatetiker, Schriften des Illuministen Suhrawardī sowie philosophische und theologische Werke Naṣīr ad-Dīn at-Ṭūsīs. Auf die Phase der Ausbildung und Lehre in Isfahan folgte für Mollā Ṣadrā eine Phase der Zurückgezogenheit, die einige Jahre andauerte und die er offenbar in der kleinen Ortschaft Kahak nahe der Pilgerstadt Qom in Askese und Kontemplation verbrachte und in der er seinen eigenen Aussagen zufolge einige wegweisende Einsichten hatte. Eine Reihe seiner bedeutendsten Werken, darunter sein Magnum Opus Die vier Reisen (al-Asfār al-arbaʿa), begann er dort zu verfassen. Um den Grund für seinen zeitweiligen Rückzug aus der Öffentlichkeit wird viel spekuliert. Die Forschung hat dazu bisher keine eindeutigen Ergebnisse und es gibt eine Reihe von Erzählungen zu dieser Episode seiner Biografie, die auch zu einer Mythenbildung um seine Person beigetragen haben. Offenbar, soviel scheint zumindest aus seinen Selbstzeugnissen hervorzugehen, sah er sich Anfeindungen seitens einer Reihe von Gelehrten ausgesetzt, die ihn zu seinem Rückzug veranlassten. Ob es sich dabei um doktrinäre Streitigkeiten handelte, die mit seinen 66 Vgl. Rizvi (2007), 7. 67 Zu Mīr Dāmād vgl. Dabashi (1375/1996b). 68 Das Jahr der Verlegung der Hauptstadt ist bisher nicht eindeutig belegt. Rizvi gibt an, dass Mīr Dāmād 1597 nach Isfahan ging, vgl. Rizvi (2007), 11.
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philosophischen und/oder theologischen Auffassungen zusammenhingen, ob er deshalb der Häresie bezichtigt wurde, ob er selbst bestimmte Autoritäten kritisiert oder angegriffen hatte oder ob sonstige politische, ideologische oder private Auseinandersetzungen dahinterstanden, bleibt vorerst ungeklärt, ebenso ob er aus Isfahan oder Schiraz „vertrieben“ wurde.69 Für ihn selbst scheint diese Phase des Rückzugs äußerst fruchtbar gewesen zu sein. Versehen mit neuen Einsichten, begann er wieder in der Öffentlichkeit aufzutreten und als Lehrer u.a. in Isfahan, Qom, Kašān und Schiraz tätig zu werden. Seine letzten Jahre verbrachte er in seiner Heimatstadt Schiraz, wo er als Lehrer und Leiter der neu gegründeten Madrese-ye Ḫān, einer Hochschule, die besonders auf die Lehre von Philosophie und Naturwissenschaften spezialisiert war, tätig war. In jener Zeit vollendete er während einer umfassenden Lehrtätigkeit, die offenbar neben Philosophie, Theologie und philosophischer Mystik auch Natur- und Rechtswissenschaften beinhaltete, eine Vielzahl seiner wichtigsten Werke.70 Als frommer Muslim, der das Reisen nicht scheute, unternahm er offenbar einige Pilgerreisen nach Mekka. Die Pilgerreisen könnten neben der Erfüllung der religiösen Pflicht auch dadurch motiviert gewesen sei, dass er auf dem Weg nach Mekka und vor Ort selbst mit einer Reihe von zeitgenössischen Denkern in Kontakt treten und eventuell für ihn relevante Texte finden konnte, doch bisher sind keine Berichte aus biografischen oder historiografischen Quellen bekannt, die darüber nähere Auskunft gäben. Auf seiner letzten Reise scheint er noch vor Erreichen des Reiseziels in Basra verstorben zu sein. Das genaue Todesjahr ist nicht eindeutig belegt, meist wird heute jedoch das Jahr 1050hq/1640-1 angegeben.71 Mollā Ṣadrās Œuvre ist sehr umfangreich. Es umfasst eine Reihe von Werken zur Metaphysik, zur Mystik und Theologie, Kommentare und Glossen zu wichtigen Werken der islamischen Philosophie, Kommentare zu einigen Koranversen sowie Gedichte.72 Sein zweifellos wichtigstes und umfangreichstes Werk ist sein Magnum Opus al-Ḥikma al-mutaʿālīya fī l-asfār al-ʿaqlīya al-arbaʿa (Transzendente Philosophie der vier Reisen des Intellekts) allgemein unter dem Kurztitel al-asfār oder al-Asfār al-arbaʿa (Die [vier] Reisen) bekannt, das er in einem Zeit69 Zur Problematik der Rekonstruktion dieser Episode seines Lebens vgl. Rizvi (2007), 31–36. 70 Zur Madrese-ye Ḫān und ihrem Kurrikulum vgl. Rizvi (2007), 23. 71 Zu Mollā Ṣadrās Pilgerreisen und zu seinem Todesjahr vgl. Rizvi (2007), 28–30. 72 Im Folgenden wird kursorisch nur auf die wichtigsten primär philosophischen Werke eingegangen. Eine umfangreiche Bibliografie von Werken Mollā Ṣadrās, die auch seine philosophischen Kommentarwerke, Korankommentare, mystische Schriften sowie kürzere literarische und philosophische Schriften mit einschließt und zudem frühere Bibliografien berücksichtigt sowie Verweise auf verschiedene Editionen und verfügbare Handschriften beinhaltet, liefert Rizvi (2007), 51–116.
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raum von 22 Jahren verfasste.73 Die vier Reisen entsprechen dabei in etwa jeweils einer Disziplin der Wissenschaften. Die erste Reise ist der Metaphysik gewidmet, hier werden die ontologischen Grundlagen seiner Philosophie behandelt, insbesondere seine Doktrin vom „Primat des Seins“ (aṣālat al-wuǧūd) vor der „Essenz“ (māhīya). Die zweite Reise ist der Physik, d.h. der Lehre von den Substanzen und Akzidenzien sowie einer Kritik der aristotelischen Kategorienlehre und einer Argumentation für eine platonische Formen- oder Ideenwelt (ʿālam al-miṯhāl) gewidmet. Die dritte Reise behandelt vor allem Fragen aus dem Bereich der Theologie wie etwa das Wesen Gottes, seine Attribute und Handlungen, sie beinhaltet auch einen bedeutenden Gottesbeweis, der als burhān aṣ-siddīqīn (Beweis der Aufrichtigen) bekannt wurde, sowie Abhandlungen zur Prophetie und Theodizé. Die vierte Reise behandelt Psychologie, also Seelenlehre, sowie Eschatologie, also die Bestimmung des Menschen. Eine Art Zusammenfassung seines Seinsdenkens liefert Mollā Ṣadrā in seinem Kitāb al-Mašāʿir (Buch der [ontologischen] Inspirationen)74. Im Gegensatz zu seinem sehr umfangreichen Hauptwerk ist dieses Werk sehr kurz, der arabische Text hat in der Edition von Corbin (1964) nur 70 Seiten. Die Schrift gliedert sich in acht Hauptabschnitte (hier mašāʿir genannt) unterschiedlicher Länge, die jeweils eine Doktrin von Mollā Ṣadrās Ontologie beinhalten, u.a. eine Diskussion des Konzepts des mentalen Seins (voǧūd-e ẕehnī), des Primat des Seins vor der Quiddität, den Lehrsatz „Alles Sein kommt von dem Einen“, über die Natur des Einen und seine Attribute.75 Ebenfalls ein wichtiges Werk ist sein aš-Šawāhid ar-rubūbīya fī l-manāhiǧ as-sulūkīya, in dem er eine neuplatonisch beeinflusste philosophische Theologie entfaltet, die zudem einen mystischen Charakter hat. Auch hier geht er von seinen ontologischen Doktrinen aus, behandelt außerdem Themen der Theologie wie die Natur des göttlichen Seins, Gottes Handeln, Schöpfung, Wiederauferstehung, das Jenseits sowie eine Diskussion der Seelenleere im 73 Die aktuelle kritische Edition in 9 Bänden wurde samt der Marginalien von Mollā Hādī Sabzevārī unter der Leitung des Vorsitzenden des SIPRI Sayyed Moḥammad Ḥāmeneʾī in den Jahren 2001–2005 angefertigt. Eine Übersetzung in eine europäische Sprache liegt bisher nicht vor. Es finden sich allerdings bereits einige Paraphrasen bei Horten (1913). Es gibt aber Übersetzungen ins Persische (eine unvollständige von Ǧavād Moṣleḥ, Teheran 1337/1958, 3 Bde., sowie eine vollständige von Moḥammad Ḫāǧavī, Teheran 1378/1999–1382/2003) und in Urdu (Sayyid Manāẓir Aḥsan Gīlānī [ed.], Hayderabad 1947). 74 Zum Titel und seiner Bedeutung sowie Übersetzung vgl. Corbin (1964), 42–44. 75 Das Werk liegt in verschiedenen Editionen vor, die sich alle an der Edition von Corbin (1964) orientieren, die zudem eine ausführliche Einleitung, Annotierungen sowie eine kommentierte persische Fassung von Badīʿ al-Molk Mīrzā ʿEmād ad-Doule enthält. Zudem gibt es eine englische Übersetzung von Parviz Morewedge The Metaphysics of Mullā Ṣadrā, New York 1992, sowie eine japanische von Toshihiko Izutsu (Tokyo 1993). Zu den Editionen und Manuskripten vgl. Rizvi (2007), 66–68.
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Kontext der Rückkehr der Seele zum Einen.76 Als weitere philosophische bzw. theologisch-philosophische Werke wären noch zu nennen: al-Ḥikma al-ʿAršīya [Weisheit des Throns]77, das sich mit schiitischer Eschatologie im Zusammenhang mit peripatetischer Metaphysik beschäftigt, sowie al-Mabdaʾ wa ʾl-maʿād, das sich wiederum den bei Mollā Ṣadrā zentralen philosophisch-theologischen Themen wie der Behandlung des Sein Gottes als dem Einen und der hier besonders von Ibn ʿArabī beeinflussten und mit vielen Koranreferenzen versehenen Diskussion der Rückkehr/Reise der Seele zum Einen widmet.78 Fragt man nach der zentralen Thematik, die Mollā Ṣadrās philosophische Reflexionen bestimmt und die in systematischer Hinsicht für sein Denken grundlegend ist, so ist es die Frage nach dem Sein (wuǧūd). Dabei gehört es zu seinen grundlegenden Ansichten, dass dem Sein in jeder Hinsicht systematische Priorität zukommt (aṣālat al-wuǧūd). Das Sein ist für ihn weder nur als Begriff (mafhūm) gedacht noch, wie etwa bei Suhrawardī und seinem Lehrer Mīr Dāmād, als sekundäre Eigenschaft, die den Essenzen (māhīyāt) der Dinge dann zukommt, wenn sie in reale Existenz treten. Für Mollā Ṣadrā ist das Sein selbst die allumfassende Realität. Mit dieser Annahme steht eine weitere Frage im Raum, denn das Sein als allumfassende Realität lässt sich als Einheit verstehen, diese Idee der Einheit des Seins (waḥdat al-wuǧūd) wird vor allem mit der Tradition des Mystiker-Philosophen Ibn ʿArabī (1240) assoziiert. Nun stellt sich die grundlegende Frage, wie Einheit und Vielfalt zusammengedacht werden müssen, insbesondere wenn man wie Mollā Ṣadrā das eine Sein als allumfassende Realität alles Seienden begreift. In diesem Zusammenhang kommt ein weiterer zentraler Gedanke seiner Ontologie ins Spiel. Es ist die Idee der Modulation des Seins (taškīk al-wuǧūd). Gemeint ist, dass den Seienden, den verschiedenen Entitäten, das Sein auf je verschiedene Weise zukommt. Von der begrifflichen Seite betrachtet könnte man also sagen, er verwendet „Sein“ als Begriff analog und nicht synonym. Ein prinzipieller Unterschied besteht zunächst einmal zwischen dem notwendigen Sein bzw. notwendig Seiendem (Gott) und dem kontingenten Sein/Seienden (der Schöpfung). Nur 76 Das Werk liegt in einer mehrfach aufgelegten unkritischen Edition von Sayyed Ǧalāl ad-Dīn Āštīyānī (Mashhad 1967) vor, die eine ausführliche Einleitung u.a. zur Entwicklung der Tradition Mollā Ṣadrās bis in 20. Jahrhundert besitzt, Šīrāzī (1386/20074), sowie in einer kritischen Edition von Sayyed Moṣṭafā Moḥqqeq Dāmād (Teheran 1382/2003). Zudem gibt es eine persische Übersetzung von Ǧawād Moṣleḥ (Teheran 1383/2004). 77 Das Werk liegt in einer Edition samt persischer Übersetzung von Āhanī (Isfahan 1340/1961) vor. Es gibt zudem eine englische Übersetzung von J.W. Morris The Wisdom of the Throne (Princeton 1981). Weitere bibliografische Angaben Rizvi (2007), 61–63. 78 Dieses Werk liegt in einer unkritischen Edition von Sayyed Ǧalāl ad-Dīn Āštīyānī (Teheran 1976) vor sowie in einer kritischen Edition von M. Dhabīhī und Ǧ. Šāhnaẓarī (2 Bde., Teheran 1381-2/2002-3). Weitere bibliografische Angaben vgl. Rizvi (2007), 63–65.
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das notwendige Sein ist absolut (muṭlaq) und vollkommen. Alles Übrige ist von diesem abhängig. Dennoch sind diese Seienden nicht gänzlich verschieden von dem einen Sein, sie sind vielmehr als Aspekte oder Anteile des einen Sein zu denken, das sich selbst entfaltet und damit die Vielheit der Schöpfung hervorbringt.79 Ausgehend von diesen Grundgedanken, die bereits auf Ibn Sīnā zurückgehen, entwickelt Mullā Ṣadrā ein komplexes ontologisches System, in dem er unterschiedlichste Aspekte des Seinsbegriffs diskutiert. Dazu gehört die Unterscheidung zwischen mentalem Sein (wuǧūd ḏihnī) und extra-mentalem Sein (wuǧūd ʿaynī) sowie die Frage nach dem Sein in der Sprache, als gesprochener Ausdruck (lafẓī) und der Frage der Prädikation (ḥaml), in der er die Position vertritt, dass der Begriff des Seins angesichts der Voraussetzung, dass es als moduliertes Sein verstanden werden muss, ein reales Prädikat ist, eine Doktrin, die im Kontext der zeitgenössischen Kantrezeption in Iran eine wichtige Rolle spielt.80 Eine weitere bedeutende Doktrin Mollā Ṣadrās besteht in dem Gedanken, dass alle Seienden, da sie unvollkommen und ganz und gar abhängig vom absoluten Sein sind, sich in einer „substanziellen Bewegung“ (ḥaraka ǧauharīya) befinden, die sie zum einen Sein, also Gott, streben lassen. Somit behandelt Mollā Ṣadrā im Kontext seiner Metaphysik des Seins zudem Fragen, die das Verhältnis von Gott und Welt sowie das der Geschöpfe untereinander betreffen. Welche Bedeutung und tatsächliche Verbreitung Denken und Werk Mollā Ṣadrās zu seinen Lebzeiten und in den folgenden gut 150 Jahren hatte und ob er als überragende philosophische Autorität anerkannt war oder ob sich Teile seines Denkens zunächst vor allem indirekt weiterverbreiteten und weiterentwickelten, müsste näher untersucht werden. Jedenfalls war er offenbar, anders als andere bekannte Gelehrte der Safavidenzeit, nicht bestrebt, durch strategische Bündnisse, etwa durch Einheiraten in eine bedeutende und einflussreiche Gelehrtenfamilie oder durch gezielte Heiratsarrangements seiner Kinder, eine Art Gelehrtendynastie zu begründen. Die Vermählung zweier seiner Töchter mit zwei seiner engsten Schüler scheint jedenfalls nicht dazu geführt zu haben, dass sich die Tradition Mollā Ṣadras über den Weg nachfolgender Schülergenerationen vervielfacht hat.81 Zweifellos wurden Mollā Ṣadrās Werke weiterhin gelesen, 79 Die Hauptpunkte von Mollā Ṣadrās Philosophie können hier nur angedeutet werden. Für einen kurzen Einblick vgl. Rudolph (2004), 102–104; für eine ausführliche Diskussion seines Denkens immer noch maßgeblich Rahman (1975); eine ebenfalls gründliche Studie, die sich insbesondere Ṣadrās Lehre von taškīk im Kontext seines Seinsdenkens widmet ist Rizvi (2009); einführend auch und vor allem wegen seiner vergleichenden Perspektive interessant Kamal (2006). 80 Zu dieser Diskussion bei Mollā Ṣadrā vgl. Rizvi (2009), 59–76, im Kontext der Kantrezeption in Iran siehe unten 4.2.2. 81 Vgl. Rizvi (2007), 21–22. Rahman (1975), 19–20.
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tradiert und kopiert, doch inwiefern und in welchem Ausmaße sie tatsächlich zu maßgeblichen Lehrbüchern in den religiösen Seminaren, an denen Philosophie gelehrt wurde, werden konnten, wie der einflussreiche Kenner der philosophischen Tradition in Iran Sayyed Ǧalāl ad-Dīn Āštīyānī annimmt82, ist noch nicht hinreichend erforscht.83
2.5 Erste Begegnung traditioneller islamisch-iranischer Philosophen mit der modernen westlichen Philosophie Den traditionellen Philosophen in der Qāǧāren-Zeit wird wahrscheinlich, besonders wenn sie in Teheran ansässig waren, nicht entgangen sein, dass es unter den in Europa ausgebildeten Regierungsbeamten und Reformern immer mehr Denker gab, die mit der Überzeugung, die iranisch-islamische Philosophie habe ausgedient und müsse durch eine neue Philosophie europäischer Prägung ersetzt werden, hervortraten. Einen regen Austausch oder Dialog zwischen diesen beiden Gruppen von Denkern scheint es zunächst nicht gegeben zu haben, vielmehr hat die Tatsache, dass Lehre und Entwicklung dieser beiden Traditionen in Iran weitgehend unabhängig voneinander vonstattenging, dazu geführt, dass sich die Disziplinen „islamische Philosophie“ (falsafe-ye eslāmī) und „westliche Philosophie“ (falsafe-ye ġarb) auch als akademische Lehrfächer getrennt voneinander etablierten. Jene europäisch geprägten Denker bezogen sich vielfach in erster Linie auf die islamische Tradition, die sie in ihrer eigenen Ausbildung mehr oder weniger gründlich studiert hatten, um sie zu relativieren bzw. umzudeuten, einer deutlichen Kritik zu unterziehen oder sich von ihr abzugrenzen. Dass sich traditionelle Philosophen umgekehrt auf die moderne europäische Tradition bezogen, war weniger üblich, dennoch gibt es Belege dafür, dass zumindest vereinzelt ein Wissen bezüglich der europäischen Philosophie in jene Kreise gelangte und dass sich manche dazu positionierten. Es ist nicht leicht zu rekonstruieren, worin dieses Wissen im Einzelnen bestand. Doch waren für solch einen Wissenstransfer, wie im Zusammenhang mit dem Dār al-Fonūn kurz angedeutet, 82 Āštiyānī (1386/2007), 87. 83 Für Einblicke in die Entwicklung der philosophischen Tradition Mollā Ṣadrās in Iran bis ins 19. Jahrhundert vgl. Einleitung zu Sayyed Ǧalāloddīn Āštiyānīs Edition von Mollā Ṣadrās ašŠawāhid ar-rubūbīya, Āštiyānī (1386/2007); Mohsen Kadīvars Einleitung zu dessen Edition von Āqā ʿAlī Ḥakīm Modarres Ṭehrānī az-Zonūzīs gesammelten Schriften, vgl. Kadivar (1378/19991), Ṣodūqī Sohās (1381/2002) Genealogie der Philosophen in Iran nach Mollā Ṣadrā, Seyyed Hossein Nasrs Kapitel „From the School of Isphahan to the School of Teheran“, aus einem seiner philosophiehistorischen Werke, Nasr (2006), 235–256; sowie Henry Corbins Ausführungen zu dieser Periode in seiner Geschichte der islamischen Philosophie, Corbin (1999), 467–496.
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nicht nur Iraner mit „Westerfahrung“ verantwortlich, sondern zu einem gewissen Grade auch Europäer in Iran. Europäische Gesandte oder Iranreisende, die bei ihren Aufenthalten Kontakte zur Bevölkerung suchten oder mit den Amts- und Würdenträgern Umgang pflegten, um anschließend ihre Erlebnisse aufzuschreiben, hatte es bereits zuvor gegeben. Doch ist hier ein Transfer des jeweils aktuellen europäischen Denkens nach Iran meines Wissens bisher nicht konkret nachgewiesen worden.
2.5.1 Arthur Comte de Gobineau und die iranischen Philosophen Einer der ersten Ansätze zu einem philosophischen Dialog und Wissenstransfer von Europa nach Iran wurde von einem französischen Diplomaten in Teheran angeregt. Joseph-Arthur Comte de Gobineau (1816–1882), kam erstmals im Jahre 1855 als Gesandter Frankreichs nach Teheran. Zu jener Zeit hatte er gerade ein mehrbändiges Werk Essai sur l’inégalité des races humaines beendet, das seine Rassentheorie erörtert, in der er von der Existenz einer vollkommenen nordischen „Urrasse“ ausgeht, der alle übrigen untergeordnet seien, und die Vermischung der Rassen als Nachteil für die Menschheit betrachtet.84 Neben seinen zweifelhaften Ideen zur „Rassenhygiene“ hatte er sich auch mit Sprache, Literatur und Denken des „Orients“ beschäftigt und Persisch gelernt, sodass er sich bei seiner ersten Ankunft in Iran bereits in der Landessprache verständigen konnte. Gobineau blieb bis 1858 als Sekretär der Gesandtschaft in Iran und verfasste anschließend seinen Reisebericht Trois ans en Asie, in dem er unter anderem seine Erlebnisse in Iran schildert. Gobineau war nicht der erste Europäer, der mit diplomatischer Mission nach Iran kam und seine Erlebnisse und Beobachtungen zu Papier brachte. Bereits im 17. Jahrhundert etwa unternahm Jean Chardin (1643–1713), nach seiner Emigration nach England (1681) auch als Sir John Chardin bekannt, mehrere Reisen nach Iran, Indien, in die Türkei und den Kaukasus und blieb insgesamt mehrere Jahre in Iran, wo er u.a. Umgang mit Shah ʿAbbās II. pflegte. In seinen Reisebeschreibungen liefert er auch einen Bericht über die islamische Philosophie in Iran zur Safaviden-Zeit.85 84 Vermutlich hat dieses Werk in der Übersetzung Karl Ludwig Schemanns auch das rassistische Denken der Nationalsozialisten stark beeinflusst. 85 Interessant ist dabei, dass er in diesem Bericht offenbar weder Mīr Dāmād noch Mollā Ṣadrā erwähnt, die beide erst gut ein Vierteljahrhundert zuvor verstorben waren und in Iran heute zu den bedeutendsten Philosophen jener Zeit und darüber hinaus gezählt werden. Das scheint die Annahme zu bekräftigen, dass Mollā Ṣadrā zu seinen Lebzeiten noch nicht die Bedeutung zu-
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Was aber Gobineaus Schriften über Iran86 für den Kontext der Ideengeschichte Irans im 19. Jahrhundert so bedeutsam macht, ist die Tatsache, dass er sich eingehend mit dem intellektuellen Umfeld, wie er es in Iran vorfand, beschäftigte und offenbar mit einer ganzen Reihe von Denkern unterschiedlicher Ausrichtungen Kontakte pflegte. Dabei ist vor allem die Schrift, die Gobineau nach seinem zweiten Aufenthalt in Teheran verfasste, wo er von 1861–1864 nun als oberster Gesandter tätig war, von herausragender Bedeutung. Das Werk Les Religiones et les philosophies dans l’Asie centrale (erschienen 1865) umfasst einerseits seine Schilderung der religiösen Bewegung des Babismus, die als eine Abspaltung vom 12er-schiitischen Islam zu jener Zeit in Iran schnell Anhänger fand, die sich bald der Verfolgung durch die Obrigkeit ausgesetzt sahen. Ein weiterer Schwerpunkt des Werkes liegt auf einer Darstellung aktueller philosophischer Strömungen in Iran. Diese Darstellung liest sich stellenweise wie ein Who-is-Who der Philosophie in Iran nach Mollā Ṣadrā und bietet daher einen wertvollen Einblick in die zeitgenössische philosophische Szene.87 Im Kapitel IV „Le soufysme. La philosophie“ gibt Gobineau seine eigene Beurteilung der Philosophie in Iran ab. So betont er die herausragende Bedeutung Mollā Ṣadrās für die Entwicklung der Philosophie in Iran,88 wobei er allerdings anmerkt, dass seine Originalität von den iranischen Philosophen, mit denen er Kontakt hatte, überschätzt werde, da seine Leistung nicht in der Entwicklung einer grundlegend neuen Philosophie bestehe („Presque tout ce qu’on cite ne consiste que dans des questions de methode ou porte sur des points secondaires“), sondern in der Wiederbelebung der philosophischen Tradition u.a. Ibn Sīnās. En réalité Moulla-Sadra n’est pas un inventeur, ni un créateur, c’est un restaurateur seulement, mais restaurateur de la grande philosophie asiatique [...] le vrai, l’incontestable mérite de Moulla-Sadra reste celui que j’ai indiqué plus haut: c’est d’avoir ranimé, rajeuni, pour le temps où ils vivait, la philosophie antique [...].89
gemessen wurde, die ihm spätestens ab dem 19. Jahrhundert bis heute zuteil wird. Zu Chardins Bericht über die Philosophie vgl. Moǧtahedī, Karīm (1384/2005-63). 86 Neben den im Text erwähnten Werken Gobineaus sind für den Kontext Iran noch folgende Werke von Bedeutung Histoire des Perses d’après des auteurs orientaux, Grec et Latins, Paris 1869; Ce qui se passe en Asie, Paris 1877. Hinzu kommen eine Reihe von Briefwechseln, in denen Gobineau von seinen Erfahrungen in Iran berichtet, vor allem Lettre persanes, 1958 (Briefe an seine Schwester) und Gobineau et le comte de Prokesch-Osten. Correspondance, 1933. 87 Vgl. in Gobineau (1928), 51–91. 88 Ebd. 66–73. 89 Ebd. 72f.
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Inwieweit Gobineau die Originalität tatsächlich einschätzen konnte, soll vorerst dahingestellt sein,90 auch ist nicht ganz klar, was er mit „la grande philosophie asiatique“ meint.91 Darüber hinaus aber urteilt Gobineau, dass in der Nachfolge Mollā Ṣadrās die Philosophie bis in die Gegenwart lebendig geblieben sei. Er führt eine Liste mit über 50 Philosophen an, die in mehreren Generationen nach Mollā Ṣadrā in Iran gewirkt habe sollen.92 Besonders interessant an Gobineaus Auseinandersetzung mit der Philosophie in Iran ist, dass er seinem Bericht zufolge nicht nur als Beobachter an philosophischen Debatten teilnahm, vielmehr war er – aus einer durchaus paternalistischen Haltung heraus – bestrebt, dem eigenen Verständnis nach „fördernd“ auf die Entwicklung der Philosophie in Iran einzuwirken, indem er manchen Vertretern philosophischer Kreise, die sich an ihn wandten, Einführungen in die zeitgenössische Philosophie Europas gab.93 Dabei kam er, wie er berichtet, zu dem Schluss, dass die Philosophie Descartes für diesen Zweck besser geeignet sei, als etwa das Denken Spinozas oder Hegels, für das sich die ihm bekannten Iraner allerdings mehr interessiert haben sollen. Das habe, wie Gobineau meinte, daran gelegen, dass diese beiden Denker dem in Iran und, wie er es ausdrückt, in Asien allgemein verbreiteten Denken ähnelten.94 Mais, toutefois, les deux hommes que les philosophes de ma connaissance ont la plus grande soif de connaître, c’est Spinosa [sic!] et Hegel; on le comprend sans peine. Ces deux esprits sont des esprits asiatiques et leurs théories touchent par tous les points aux doctrines connues et goûtées dans le pays du soleil. Il est vrai que, pour cette raison même, elles ne sauraient introduire là des éléments vraiment nouveaux.
90 Zu Gobineaus Beurteilung Mollā Ṣadrās vgl. auch Rizvi (2009), 4–6. 91 Diese seine Einschätzung weist auf ein interessantes Phänomen hin. Während noch knapp 200 Jahre zuvor Chardin in der gelehrten Öffentlichkeit offenbar nichts über Mollā Ṣadrā gehört hatte, ist der Philosoph in der Zwischenzeit zu der zentralen Identifikations- und Integrationsfigur der aktuellen Geistesgeschichte Irans avanciert. Allerdings kann der Umstand, das Chardin ihn nicht erwänte nicht allein belegen, dass Mollā Ṣadrā seinerzeit keine maßgebliche Rolle spielte. 92 Vgl. ebd. 73–86. Es gilt aber zu bedenken, dass seine Aufzählung und Kurzbeschreibung mancher Philosophen nicht als vollständig betrachtet werden kann und dass zudem auch die Bedeutung und Einschätzung der von ihm genannten Personen einer genaueren Überprüfung bedarf. Dass die betreffende Phase der Philosophiegeschichte Irans bisher noch nicht hinreichend erforscht ist, wurde bereits erwähnt. 93 Um welche Personen es sich dabei im einzelnen handelte geht aus seinem Werk nicht hervor. Siehe unten 2.5.3. 94 Gobineau (1928), 114.
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In einem Brief an seinen Freund Comte de Prokesch-Osten95 berichtet Gobineau, dass sich einige Iraner offenbar besonders für das Denken Spinozas und Kants interessierten.96 Zudem berichtet er, dass eben diese Iraner ihn darum gebeten haben, Descartes Discours de la methode für sie zu übersetzen, und zwar weil sie ganz allgemein wissen wollten, was es mit der europäischen Philosophie auf sich habe, weniger, um sie nachzuahmen. Gobineau entschied sich allem Anschein nach schließlich vor allem deshalb dafür, tatsächlich eine persische Übersetzung des Discours anfertigen zu lassen, weil er offenbar die Meinung vertrat, dass das Denken Descartes ganz und gar westlich bzw. europäisch sei und deshalb einen innovativen Einfluss auf die Philosophie in Iran würde ausüben können, nicht etwa, weil er selbst Anhänger der cartesianischen Philosophie war.97 Zuvor hatte Gobineau, wie er berichtet, in informellen Einführungen in die westliche Philosophie einige Kapitel aus dem Werk Descartes diskutiert, wobei er sich vom Interesse der Anwesenden Iraner beeindruckt zeigte und erwartete, dass insbesondere Descartes’ Lehrsatz ,Cogito, ergo sum‘ eine Wirkung auf das Denken iranischer Philosophen zeitigen würde, auch wenn sie ihn nicht so würden verstehen können, wie es die Europäer täten.98
95 Anton Graf Prokesch von Osten (1795–1876) war österreichischer Diplomat u.a. in Kairo und Istanbul und führte eine langjährige Korrespondenz mit Gobineau. 96 Vgl. Auszug aus diesem Brief in persischer Übersetzung bei Moǧtahedī (1384/2005-67), 134; Kadīvar (2005), 553. 97 Moǧtahedī weist in seinem Artikel über die erste persische Descartesübersetzung u.a. auf einen weiteren, zwei Monate später datierten, Brief Gobineaus an Comte de Prokesch-Osten hin, in dem er sich abschätzig über die Philosophie Descartes äußert. Moǧtahedī (1384/2005-67), 136. 98 Vgl. Gobineau (1928), 113–114. „J’ai donc procuré aux Persan le Discours sur la Méthode. Il m’a paru que, dans toute notre philosophie, rien ne pouvait avoir chance de produire des résultats plus singuliers parmi eux. Ils ne sont pas des gens à tomber dans les excès de la méthode expérimentale, et il n’y a pas d’apparence qu’on supprime jamais chez eux l’abus de l’induction. On n’en voit pas davantage qu’ils arrivent à tirer du cogito, ergo sum le partie modéré auquel les Européens ont la prétention de s’arrêter. En réalité, ils en feront probablement quelques chose, et, pour moi, je ne saurais oublier les séance dans lesquelles les cinq chapitres du chefd’œuvre de Descartes ont été communiqués à quelques hommes d’une vraie intelligence et d’une science hors linge. Ils en ont éprouvé une impression remarquable, et il n’est pas probable que cette impression s’efface sans résultats.“ Eine persische Fassung dieser Passage findet sich in Moǧtahedī (1384/2005-67), 135; eine deutsche Übersetzung aus dem Persischen bei Heydari (2003), 69–70.
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2.5.2 Die erste Übersetzung von Descartes Discours de la méthode Die von Gobineau initiierte Übersetzung des Discours de la methode ist die erste Übersetzung eines Werkes der neuzeitlichen europäischen Philosophie ins Persische.99 Auch wenn Gobineau sich selbst als Übersetzer oder zumindest als Urheber der Übersetzung darstellt, beauftragte er den jüdischen Gelehrten Mollā Lālāzār Hamadānī mit der Übertragung der Schrift.100 Da Gobineau offenbar selbst kaum Gelegenheit fand, ihm zu assistieren, stellte er ihm, wie Lālāzār selbst berichtet, einen anderen französischen Diplomaten, Emile Berney, vor, der ihm dabei behilflich war. Es bleibt aber unklar, wie es dazu kam, dass Gobineau Mollā Lālāzār als Übersetzer auswählte. Während Gobineau an einer Stelle seines Berichts dessen Namen erwähnt und ihn als klugen Rabbiner bezeichnet101, spricht er an anderer Stelle von einer Begegnung mit einem Juden, der mit ihm über Spinoza diskutierte und ihn zu seinem Erstaunen nach den Lehren Kants fragte, von dem dieser – dem Bericht zufolge – in Büchern gelesen haben soll, die aus Deutschland nach Bagdad gekommen waren.102 Ob es sich bei diesen beiden jüdischen Gelehrten um dieselbe Person handelt, ist ungewiss. Die persische Fassung des Discours erhielt den Titel „Ḥekmat-e Nāṣerī“ (Nāṣridische Weisheit), was darauf hindeutet, dass die Schrift Nāṣeroddīn Šāh zugeeignet wurde, sie erschien um das Jahr 1862 (1279 h.q.). Der gut 160 Seiten lange Text ist mit gelegentlichen Erläuterungen und einer fünfzehnseitigen Einleitung des Übersetzers versehen, in der dieser die Vorzüge der Philosophie als umfassendste Wissenschaft lobt, allgemein von der Nützlichkeit der Übersetzung neuerer philosophischer Werke aus Europa spricht und kurz erläutert, unter welchen Umständen es zur Übersetzung kam. Auf den letzten vier Seiten bietet sie eine knappe thematische Einführung in das Denken Descartes, die möglicherweise von Berney oder Gobineau angefertigt wurde. Zwar scheint Lālāzār eine gewisse philosophische Grundbildung besessen zu haben, doch war er allem Anschein nach weder hinreichend mit dem Französischen noch mit der philosophischen Terminologie im Persischen und Arabischen vertraut, sodass der Text und insbesondere die Fachausdrücke offenbar weitenteils sowohl für philoso99 Zu dieser ersten Übersetzung eines Textes moderner westlicher Philosophie ins Persische vgl. Moǧtahedī (1384/2005-67). Vgl. auch Heydari (2003), 68–74. Hierbei handelt es sich in weiten Teilen um eine deutsche Fassung einiger Passagen der Artikels von Moǧtahedī, wobei der Autor offenbar versäumt hat, auf die Quelle hinzuweisen. 100 „[...] j’ai traduit en persan, avec l’aide d’un savant rabbin, Moulla Lalazâr Hamâdany [sic!], le Discous sur la méthode de Descartes, que le roi Nasreddyn Shah a daigné faire publier.“ Gobineau (1928), 83. „J’ai donc procuré aux Persan le Discours sur la Méthode.“ Gobineau (1928), 113. 101 Gobineau (1928), 83. 102 Gobineau (1928), 52–53.
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phisch gebildete Iraner wie auch aus der Perspektive der Philosophie Descartes unverständlich waren.103 Gobineaus Intention, der Philosophie in Iran durch diese Übersetzung neue Impulse zu geben, hat diese allerdings nicht erfüllt.104 Da es keine bekannten Reaktionen auf den Text gegeben hat, bleibt ungeklärt, von wem er überhaupt, und wenn, auf welche Weise rezipiert wurde. Die Gründe für die ausbleibende Wirkung mögen in der unzugänglichen Übersetzung liegen, außerdem wurde behauptet, dass eine Vielzahl von Exemplaren verbrannt worden seien. Dafür gibt es, wie es scheint, keine Belege, das Werk ist aber heute nur noch in wenigen Exemplaren vorhanden.105 Möglicherweise aber bestehen die Gründe für die ausbleibende Resonanz auch darin, dass es seinerzeit bei manchen islamischen Philosophen in Iran zwar eine allgemeine Neugier dafür gegeben haben mag, was europäische Philosophen zu Papier brachten, aber letztlich, abgesehen vom fehlenden Quellenzugang, ein ernsthaftes Interesse und die Bereitschaft fehlte, sich genauer mit ihr auseinanderzusetzen, da sie nicht wirklich erwarteten, etwas vorzufinden, was der eigenen philosophischen Tradition etwas entgegenzusetzen hatte oder diese zu ergänzen vermochte. Das jedenfalls lassen auch andere frühe Belege der Begegnung iranisch-islamischer Philosophen mit der westlichen Philosophie vermuten.
2.5.3 Europäische Philosophen im Werk einiger iranischer Philosophen des 19. Jahrhunderts Mit welchen Denkern Gobineau im Einzelnen tatsächlich Umgang pflegte und wer etwa an seinen Sitzungen zu Descartes Discours de la methode und den Fragerunden zur westlichen Philosophie teilnahm, lässt sich anhand seiner Darstellung nicht eindeutig belegen. Er spricht in höchsten Tönen von Mollā Ḥādī Sabzevārī106 als dem bedeutendsten lebenden Vertreter der islamischen Metaphysik nach Mollā Sadrā und lobt dessen Arbeitsmoral, indem er sie mit der von 103 Moǧtahedī (1384/2005-67), 137–140. Mir selbst lag diese Übersetzung nicht vor. 104 Moǧtahedī kommt in seinen Ausführungen zu dem Schluss, dass der Text als philosophische Quelle unbrauchbar sei und daher keinen Einfluss auf iranische Denker haben konnte. Heute sei er lediglich von historischem bzw. antiquarischem, nicht aber von ideengeschichtlichem Wert. Moǧtahedī (1384/2005-67), 140–141. 105 Moǧtahedī (1384/2005-67), 137. Vgl. auch ebd. Anm. 14. 106 Zu Sabzevārī, dessen Lehrwerke zur Philosophie Mollā Ṣadrās in Iran bis heute einflussreich sind vgl. Rizvi (2011). Vgl. auch den Beitrag von Fatemeh Fana zu Sabzevārī, der in dem von Reza Pourjavadi und Sabine Schmidtke vorbereiteten Band „The philosophical Traditions in Qajar Iran“ (Brill) voraussichtlich 2015 erscheinen soll. Das Manuskript liegt mir vor.
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Kant vergleicht.107 Doch scheint er Sabzevārī, der damals bereits über 70 Jahre alt war, nicht persönlich begegnet zu sein. Diejenige Person aus philosophischen Kreisen, zu der er offenbar engeren Kontakt hatte, war der Philosoph Āqā ʿAlī Ḥakīm Modarres Ṭehrānī az-Zonūzī (1818–1890), der zu seiner Zeit zu den bedeutendsten Vertretern der islamischen Philosophie in Iran zählte und eine zentrale Rolle in der Etablierung eines philosophischen Lehrbetriebs in Teheran spielte.108 Höchstwahrscheinlich hat Gobineau auch die Informationen für seine Aufzählung iranischer Denker einer Art Genealogie der iranischen Philosophen nach Mollā Ṣadrā entnommen, die Āqā ʿAlī eigens für ihn angefertigt haben soll.109 Gobineau soll ihn sogar eingeladen haben, mit ihm nach Paris zu gehen, um an der Sorbonne islamische Philosophie zu lehren, was er allerdings abgelehnt habe.110 Für den Kontext der ersten Begegnung traditioneller islamischer Philosophen mit der modernen westlichen Philosophie ist Āqā ʿAlī deshalb relevant, weil sich in seinem wichtigsten Werk Badāʾiʿ al-ḥikam, möglicherweise zum ersten Mal in einer Schrift eines iranischislamischen Philosophen, Hinweise auf die moderne westliche Philosophie einschließlich der Nennung einiger ihrer zentralen Vertreter finden. Dass Āqā ʿAlī seine Informationen über die westlichen Philosophen durch die Bekanntschaft mit Gobineau erhalten hat, ist wahrscheinlich, aber nicht belegt. Das Werk jedenfalls ist nicht unmittelbar aus der Begegnung zwischen Āqā ʿAlī und Gobineau entstanden, sondern stellt vielmehr das Ergebnis einer anderen intellektuellen Bekanntschaft dar. Es ist eine Sammlung von Erörterungen zu sieben philosophischen Fragen, die der Prinz Badīʿ al-Molk Mīrzā ʿEmād ad-Doule (etwa 1844–1895)111 u.a. an seinen Lehrer Āqā ʿAlī Ṭehrānī stellte. 107 Gobineau (1928), 81–83; 115. 108 Zu Āqā ʿAlī Ṭehrānī, Sohn des Mollā ʿAbdollāh Zonūzī vgl. Nasr (2006), 239–242; ausführlich zu Leben und Werk siehe Kadīvars Einleitung zu Zonūzīs gesammelten Werken, Kadīvar (1378/2000), 28–86. Zum Verhältnis Gobineau-Zonūzī ebd., 48–50. Teheran gehörte traditionell nicht zu den Zentren der philosophischen Lehre. Weit wichtiger waren etwa Isfahan und Schiraz. Nasr spricht in seiner Darstellung daher sogar von der Etablierung einer „Schule von Teheran“. Ob es Sinn macht, hier von einer distinkten philosophischen Schule zu sprechen, ist offen, doch die Bedeutung Āqā ʿAlīs für die philosophische Szene Teherans ist unbestritten. 109 Vgl. Gobineau (1928), 86. Kadīvar geht davon aus, dass dieser Text eigens für Gobineau bestimmt war, da dieser den Autografen, der heute zusammen mit anderen Nachlässen des Grafen in der Universitätsbibliothek Strasbourg liegt, mit nach Frankreich genommen habe. Vgl. Kadīvar (2005), 554. 110 Vgl. Kadīvar (2005), 554 (in dieser Fassung des Aufsatzes ist der Belegsatz korrupt, der Text wurde ein zweites Mal veröffentlicht in: Movaḥḥed [2007], 70–72 [hier findet sich die Belegstelle]). Vgl. auch Nasr (2006), 242. 111 Zu Prinz Badīʿ al-Molk vgl. knapp Moǧtahedī (1384/2005-613), 238–239. Eine deutsche Fassung dieser biografischen Angaben findet sich leider ohne Quellenverweis in Heydari (2003),
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Badīʿ al-Molk Mīrzā ʿEmād ad-Doule gehörte zu den Nachkommen Fatḥ ʿAlī Šahs und hatte als Qāǧāren-Prinz verschiedene Gouverneursposten inne.112 Zudem werden seine Gelehrsamkeit und seine Bibliothek hervorgehoben. Er gehörte nicht zuletzt aufgrund seiner persischen Übersetzung von Mollā Ṣadrās Kitāb al-Mašāʿir,113 die in Iran bis heute Verwendung findet, selbst zum Kreise der anerkannten iranischen Philosophen. Möglicherweise lernte auch er einige einschlägige westliche Denker und ihre Lehren in den Sitzungen Gobineaus kennen.114 Darüber hinaus ist aus einer Reihe von Briefen, die er an einen Freund versandte und die auf das Jahr 1889 datiert sind, bekannt, dass er über eine gewisse Kenntnis der französischen Sprache verfügte und offenbar sehr am Denken des französischen Philosophen François Jean-Marie Auguste Evellin (1835–1910) interessiert war.115 Darüber hinaus zeigt sich in der letzten der sieben Fragen, die Badīʿ al-Molk an Āqā ʿAlī Zonūzī stellt, dass er zumindest über eine allgemeine, wenn auch ungenaue, Vorstellung bestimmter Vertreter der westlichen Philosophie verfügte und daran interessiert war, sie mit der iranisch-islamischen Tradition zu vergleichen. In dieser siebten Frage unterscheidet Badīʿ al-Molk drei Gruppen von westlichen Gelehrten (ḥokamā-ye farang). Die erste Gruppe rückt er bewusst in die Nähe der einheimischen theologischen Tradition (mes̱l-e motakallemīn-e īn mamlakat/motakallemīn-e Īrān), wobei er zwar weder einzelne Vertreter noch eine spezielle Schule dieser iranischen Theologen nennt, doch eine Reihe von zentralen Dogmen auflistet, die angeblich von den einheimischen Theologen und der ersten Gruppe westlicher Denker geteilt werden. Dazu gehören der Glaube an einen ewigen und allwissenden Schöpfer (ḫāleqī qadīm va ʿalīm va abadī va azalī), der in der Vollkommenheit seiner Attribute besteht (moǧtameʿ-e ǧamīʿ-e 57–58. 112 Zum familiären Hintergrund Badīʿ al-Molks siehe Moǧtahedī (1384/2005-617). 113 Henry Corbin, der zur Edition von Badīʿ al-Molks Übersetzung eine Einführung verfasst hat, äußert sich lobend über seine philosophische Kompetenz und gibt auch an, dass er mit der westlichen Philosophie vertraut war. Vgl. Corbin (1964) . 114 Kadīvar jedenfalls mutmaßt, dass auch er zur Gruppe der iranischen Philosophen gehörte, die von Gobineau in die moderne westliche Philosophie eingeführt wurden. Er nennt aber keinen Beleg dafür. Vgl. Kadīvar (2005), 554. 115 In den Briefen bittet er mehrfach darum, ihm ein Buch des Autors zu beschaffen und zu schicken, dessen Titel er selbst, wie Moǧtahedī schriebt, mit Infini de temps et d’espace angab. Offenbar handelt es sich dabei um die Schrift Infini et quantité, étude sur le concept de l’infini en philosophie et dans les sciences. Aus den Briefen geht nicht hervor, ob er das Buch letztlich erhalten hat, doch scheint er über seinen Inhalt in groben Zügen informiert gewesen zu sein. Zu diesen Briefen und Badīʿ al-Molk Mīrzās Interesse an Evellin vgl. Moǧtahedī, (1384/2005-614). Zur Bedeutung dieses Interesses für die Rezeption westlicher Philosophie in Iran vgl. ebd. und unten 3.2.1.
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ṣefāt-e kamālīye), die Identität der Attribute mit dem Wesen des Schöpfers (ṣefāt ʿeyn-e ẕāt mīdānand), die Verantwortung der Menschen für ihre Taten (masʾūl dar aʿmāl) und die Welt als beste aller möglichen Welten (ʿālam rā behtarīn aqsām-e mumkin al-īǧād…). Zu den westlichen Philosophen dieser Gruppe rechnet er namentlich Descartes, Bacon, Leibnitz, Fénelon und Bossuet. Die zweite Gruppe glaube nicht an einen ewigen Schöpfer, sondern an die Ewigkeit von Energie/ Kraft (qovve) und Materie (mādde), die in untrennbarer Abhängigkeit voneinander für den Aufbau der Welt in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft sorgten. Zu dieser Gruppe rechnet er Kant und Fichte. Die dritte Gruppe wiederum glaube an ein einheitliches Sein, das in unterschiedlichen Manifestationen des Einen Seins in Erscheinung trete. Badīʿ al-Molk nennt hier namentlich keine Vertreter dieser Strömung, sondern gibt nur an, dass ihre Zahl gering sei.116 Badīʿ al-Molk gibt keine näheren Erläuterungen, wie er zu dieser Einteilung und Zuordnung der Namen kommt, sodass man letztlich nicht wirklich ergründen kann, auf welchen Annahmen und welchem tatsächlichen Vorwissen er seine Aussage gründet.117 Es scheint, dass er die erste Gruppe der eigenen Tradition grundsätzlich verwandt betrachtet, möglicherweise wollte er damit darauf hinweisen, dass nicht das gesamte aktuelle Denken in Europa mit der eigenen Tradition unvereinbar sei und dass daher prinzipielle Berührungsängste seitens der iranischen Gelehrten unbegründet seien. Die zweite Gruppe, die er offenbar als Atheisten und Materialisten ansieht, stellt er bewusst in Opposition zur ersten und damit, wie es scheint, auch in Opposition zum eigenen philosophischen Erbe. Es bleibt allerdings unklar, warum er ausgerechnet Kant und Fichte zu dieser Gruppe zählt. Möglicherweise, doch dafür gibt es keine Belege, hatte er von Kants Kritik des ontologischen Gottesbeweises und dessen Annahme gehört, dass der Mensch Gott nicht (bzw. nicht auf dem Wege der theoretischen Vernunft) erkennen/beweisen könne, sodass er ihn fälschlich als Atheisten einstufte. Auf welche europäische intellektuelle Strömung Badīʿ al-Molk mit der dritten Gruppe anspielt, macht er nicht eigens deutlich, es scheint aber – und die Antwort Zonūzīs scheint das zu bestätigen –, dass er hier auf eine Nähe zur Tradition Mollā Ṣadrās hindeuten wollte. Warum er dann aber keine Namen nennt
116 Die siebte Frage Badīʿ al-Molks findet sich in Āqā ʿAlī Ḥakīm Modarres Ṭehrānī az-Zonūzī (1314q), 276–277. In voller Länge abgedruckt ist diese Frage bei Moǧtahedī (1384/2005-613), 240; und Kadīvar (2005), 557–558. Eine deutsche Übersetzung findet sich bei Heydari (2003), 58–59. 117 Zur Bedeutung und Kontextualisierung der siebten Frage Badīʿ al-Molks vgl. auch Kadīvar (2005), 555–559; Moǧtahedī (1384/2005-613), einige Passagen dieses Aufsatzes finden sich in deutscher Übersetzung, auch hier ohne Quellenverweis, bei Heydari (2003), 56–63; Moǧtahedī (1384/2005-614).
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und diese Gruppe nicht besonders hervorhebt, ist unklar.118 Badīʿ al-Molks siebte Frage beschränkt sich auf die Nennung und Charakterisierung der drei Gruppen europäischer Denker und enthält darüber hinaus nicht noch eine konkrete Fragestellung. Insgesamt scheint er damit einen vorsichtigen Versuch zu unternehmen, einen Dialog zwischen der iranisch-islamischen und der modernen westlichen Tradition anzuregen, indem er das europäische Denken nicht allein als Gegensatz zur eigenen Tradition darstellt, sondern auch und besonders auf Gemeinsamkeiten abzielt, und das ohne dabei zu konstatieren, dass die eine Tradition der anderen vorausgehe. Āqā ʿAlī Ṭehrānīs Antwort, die er am Ende seines Spätwerkes Badāʾiʿ al-ḥikam auf Badīʿ al-Molks Frage gibt, ist im Vergleich zu den Antworten auf die übrigen Fragen des Prinzen sehr kurz. Sie zeigt vor allem zweierlei: Einerseits ist Āqā ʿAlī durchaus bereit, Badīʿ al-Molks Einladung zu einem Vergleich der europäischen und der islamischen intellektuellen Tradition anzunehmen, andererseits aber sind weder die Informationen, die er aus der Charakterisierung der drei Gruppen europäischer Denker erhält, noch sein eigenes Wissen über die westliche Philosophie ausreichend, um tatsächlich einen wirklichen Vergleich anzustellen. Vielmehr nimmt er die Charakterisierungen der drei Gruppen an, um sie konkret auf ihm bekannte Strömungen der theologischen und philosophischen Tradition zu beziehen. In seiner Stellungnahme zur ersten Gruppe entfällt der Bezug zur westlichen Tradition. Vielmehr beabsichtigt Āqā ʿAlī hier, Badīʿ al-Molks Aussage, die iranischen Theologen glaubten an die Identität der Attribute Gottes mit seinem Wesen, zu korrigieren. Nicht alle Theologen, so entnimmt man seiner Antwort, seien davon überzeugt und es habe diesbezüglich etwa zwischen den Ašʿariten, den Muʿtaziliten und anderen theologischen Schulen erhebliche Meinungsverschiedenheiten gegeben.119 Was die zweite Gruppe angeht, so vergleicht Āqā 118 Moǧtahedī (1384/2005-611), 241–242 gibt an, dass er ganz offensichtlich auf Spinoza und Hegel anspiele. Auch Gobineau (1928) hatte bereits berichtet, dass diese beiden Denker der iranischen Tradition besonders nahestünden, beide geben aber keine weitere Erklärungen oder Begründungen dafür ab. 119 Die Attributenlehre gehört zu den zentralsten Fragen der islamischen Theologie. Sie entstand aus folgender Problemstellung: Es gehört einhellig zu den Grundannahmen, dass es nur einen Gott geben kann und dass dieser nur als „Einer“ gedacht werden könne. Sobald man aber nach den Eigenschaften Gottes fragt, wie etwa Allmacht, Allwissenheit etc., entsteht das Problem, ob diese Eigenschaften als von Gott unabhängige Attribute oder gar Wesen bestehen, die zu seinem Wesen hinzutreten, was die Vorstellung von der Einheit Gottes relativiert, oder ob sie von Ewigkeit her Teil von Gottes Wesen bzw. in ihrer Gesamtheit mit ihm identisch sind, was wiederum die Frage nach dem Ursprung ihrer Verschiedenheit aufwirft. Für diese Problemstellung haben die verschiedenen Strömungen der islamischen Theologie sehr unterschiedliche Lösungen gefunden. Knapp und einführend zur Attributenlehre vgl. Berger (2010), 171-175. Detaillierter
Erste Begegnung traditioneller islamisch-iranischer Philosophen
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ʿAlī die Idee des Zusammenspiels von Kraft und Materie mit dem Verhältnis von Form und Materie in der peripatetischen Tradition,120 wobei er schließlich zu dem Schluss kommt, dass es den Peripatetikern auf Grundlage dieses Prinzips gelungen sei, die Existenz des „notwendig Seienden“, also die Existenz Gottes, zu beweisen. Damit umgeht er eine direkte Stellungnahme zur eigentlichen Charakterisierung, die Badīʿ al-Molk im Sinn hatte, die nämlich in der Leugnung eines Schöpfers und in der alleinigen Zurückführung der Welt auf Materie und Energie bestand. Hinsichtlich der dritten Gruppe, die an ein einheitliches Sein glaube, verweist Āqā ʿAlī auf seine vorangegangenen Ausführungen, die vor allem die Tradition Mollā Ṣadras zum Thema hatten, um darauf hinzuweisen, dass die Überzeugungen dieser dritten Gruppe westlicher Denker, eben dieser Tradition entspreche. Betrachtet man nun jene siebte Frage Badīʿ al-Molks und die Antworten Āqā ʿAlīs, so steht die Frage im Raum, aus was für einer Haltung heraus die beiden Denker den europäischen Philosophen begegneten. Was war ihr eigentliches Erkenntnisinteresse? Badīʿ al-Molk formuliert seine Frage als Aussagen über die europäische Philosophie, indem er die von ihm unterschiedenen drei Strömungen in den Kontext der iranisch-islamischen Tradition stellt. Er stellt sie weder als Innovation oder neues Denken dar, das die islamische Tradition abzulösen oder zu relativieren vermag, noch als Herausforderung, auf die die islamischen Philosophen adäquat zu reagieren hätten. Auch Āqā ʿAlī bezieht äußert nüchtern Stellung zu den Aussagen des Prinzen. Es hat den Anschein, dass sich beide darüber einig sind, dass das europäische Denken der eigenen Tradition nichts Wesentliches entgegenzusetzen oder hinzuzufügen habe. Selbst die Aussagen über die zweite Gruppe, die die Existenz des Schöpfers negiert, stellt Āqā ʿAlī in den Kontext der islamischen Überlieferung. Nicht sehr anders verhält es sich mit den Antworten, die Badīʿ al-Molk von einem anderen Lehrer bezüglich der westlichen Philosophen erhält.121 Zusammenfassend kann man festhalten, dass die erste Begegnung traditioneller iranischer Philosophen mit der modernen westlichen Philosophie einerseits zwar nicht unmittelbar zu einer eingehenderen Beschäftigung mit derselben oder gar einer Beeinflussung durch diese führte, doch genauso wenig führte sie zu einer kategorischen Ablehnung. Vielmehr ist jene Haltung, die in selbstbeam Beispiel der Doktrin Ibn Abī Ǧumhūr al-Aḥsāʾīs samt ideengeschichtlicher Einordnung und Verweisen vgl. Schmidtke (2000), 55-114. 120 Unter peripatetischer Tradition (maššāʾī) wird innerhalb der islamischen Philosophie insbesondere die Tradition al-Farābis und Ibn Sīnās, die sich an Aristoteles orientierten, verstanden. 121 Die Rede ist hier von ʿAlī Akbar Modarres Ḥakamī Yazdī. Zu dessen Antwort auf Badīʿ alMolks Frage vgl. Moǧtahedī (1384/2005), 265–288; Heydari (2003), 64–74.
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wusst kritischer Manier das europäische Denken in den Kontext der eigenen Tradition stellt, ein Wegbereiter auch für jene Strömung der Kantrezeption, die das Denken des Königsbergers an der Tradition der iranisch-islamischen Metaphysik misst. Daher kann man diese frühe Begegnung trotz der Überzeugung einer Überlegenheit der iranisch-islamischen Tradition als Vorläufer einer komparatistischen Beschäftigung mit der modernen westlichen Philosophie betrachten. Für die Qāǧāren-Zeit lassen sich ganz allgemein zwei unterschiedliche Zugänge zum modernen europäischen Denken ausmachen, die jeweils von einem anderen Erkenntnisinteresse getragen sind.122 Auf der einen Seite findet man Philosophen, die an der traditionellen Metaphysik iranisch-islamischer Prägung (Mollā Ṣadrā) orientiert sind und durch den Vergleich westlicher und islamischer Philosophie vornehmlich die Überlegenheit der eigenen Tradition bekräftigen wollen. Auf der anderen Seite stehen politisch engagierte und reformorientierte Intellektuelle, die mit der Einführung neuer, auch philosophischer, Grundlagen für politisches Denken, wie etwa Autonomie und Subjektivität, gesellschaftliche und politische Veränderungen bezwecken wollen und sich mitunter offen für eine Suspendierung der islamisch-philosophischen Tradition und deren weitgehende Ersetzung durch bestimmte Strömungen europäischer Philosophie einsetzen. Diese beiden Zugänge bilden die Pole, zwischen denen sich auch die Kantrezeption in Iran abspielt. Meist ist entweder die (nicht selten kritische) Rückbesinnung auf die eigenen Tradition im Vergleich zur westlichen oder eben ein gesellschaftliches oder politisches Engagement die zentrale Triebfeder für die Rezeption der westlichen Philosophie allgemein und der kantschen Philosophie im Besonderen, doch gibt es durchaus Abstufungen und Schattierungen zwischen den beiden Polen. Ein Großteil der Philosophen, die der Tradition der islamischen Philosophie verpflichtet sind, geht heute nicht mehr unbedarft und ohne nähere Kenntnis an einen Vergleich mit der westlichen Philosophie, auch sind sie zum Teil durchaus von politischem Engagement beseelt. Umgekehrt ist auch eine kategorische Ablehnung der oder Distanzierung von der iranischislamischen Philosophie keine Selbstverständlichkeit unter den verschiedenen Vertretern der westlichen Philosophie in Iran. Dass diese dennoch oft konkrete Vergleiche meiden mag man auch den politischen Rahmenbedingungen geschuldet sein.123
122 Vgl. auch Heydari (2003). 123 Dazu unten Kapitel 6.
Kontexte der Rezeption moderner westlicher Philosophie im Iran des 20. Jahrhunderts
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2.6 Kontexte der Rezeption moderner westlicher Philosophie im Iran des 20. Jahrhunderts 2.6.1 Konstitutionelle Bewegung und Nationalismus Die Entwicklung der Rezeption westlicher Philosophie im Kontext des politischen und intellektuellen Diskurses im 20. Jahrhundert schließt unmittelbar an die Diskussionen jener Reformdenker an, die Ende des 19. Jahrhunderts in Erscheinung traten. Diese fortgeführte Diskussion mündete schließlich in einer Protestbewegung, die als Konstitutionelle Revolution bekannt ist. Getragen von einer breiten Bevölkerungsschicht führte sie schließlich zu einer Verfassung, der Konstituierung des ersten Parlaments (maǧles) und letztlich zum Niedergang der Qāǧāren-Dynastie. Dass es zu dieser Bewegung kommen konnte, hat nicht zuletzt auch seine Ursachen in der Popularisierung des Reformdiskurses. Neben der Vielzahl an neu gegründeten Zeitschriften, die ein Forum für derartige Ideen und Diskussionen waren und zwar zum Teil im Ausland erschienen, aber auch in Iran gelesen wurden,124 wurde auch die Literatur und hier vor allem die neu aufkommende Prosaliteratur mit den Genres des fiktiven belehrenden Reiseberichtes oder des fiktiven Briefwechsels zum Träger und Verbreiter von Ideen.125 Verbreitung fanden diese Schriften besonders im Umkreis der sich um 1900 in Iran wieder verstärkt formierenden anǧoman-hā, Geheimgesellschaften, die sich gegen die Politik der Regierung wandten und aus denen sich der weltliche Teil der konstitutionellen Bewegung konstituierte, der sich mit den oppositionell gesinnten ʿulamāʾ verbünden sollte.126 Die intellektuellen Debatten um Subjektivität und das Recht zur Regelung des Zusammenlebens stand meist im Zeichen der Gemeinschaft, um derentwillen aus der Subjektivität des Einzelnen eine kollektive Subjektivität entwickelt werden sollte. Es war die Frage, was dieses kollektive Selbst auszeichne und wie es sich von andern abheben solle. Daraus entstand die Diskussion um die nationale Identität, eine Idee, die erst begrifflich gefasst werden musste.127 Hierbei kam man zu unterschiedlichen Ergebnissen. Während die einen sich auf das vor-
124 Beispiele sind etwa folgende Zeitschriften: Qānūn; ʿElm va Ǧahl; Aḫtar; Parvareš; Ṣorayyā; Habl al-Matīn. 125 Besonders prominent etwa der bereits erwähnte Aḫondzāde sowie Zeyn al-Ābedīn Marāqeʾi. 126 Zum intellektuellen Diskurs zur Zeit der konstitutionellen Bewegung vgl. Gheissari (1998), 24–39; Vahdat (2002), 61–67. Für die politischen Ereignisse vor allem Bayat (1991); Abrahamian (1982), 50–101. 127 Zur Frage der Begriffsäquivalente für Nation, Nationalist, Nationalität, Vaterland etc. im Kontext dieses Diskurses vgl. Gheissari (1998), 20.
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islamische Erbe stützten, war es für andere gerade der Islam, der das Kollektiv mit einer gemeinsamen Basis ausstattete. Dieser Diskurs um Reformen, nationale Identität und den Umgang mit dem Phänomen Moderne wurde einerseits durch die neue Bildungselite vorangetrieben, doch beteiligten sich auch politisch engagierte Geistliche, die mit unterschiedlichen Perspektiven die Rolle der Religion und der ʿulamāʾ für eine nationale Identität und die Reform des Staatswesen betonten. Die beiden im Kontext der konstitutionellen Bewegung wichtigsten Akteure sind Mīrzā Moḥammad Ḥussein Nāʾīnī (gest. 1927) und Sheiḫ Faẓlollāh Nūrī. Der muǧtahid Ḥoseyn Nāʾīnī engagierte sich aktiv für die Konstitutionelle Revolution in Iran. Für ihn gehörten Freiheit und Gleichheit zu den Hauptlehren des Islam, die letztlich auch der Grund für seine rasche Ausbreitung gewesen seien. Gott habe die Menschen als freie Subjekte geschaffen und daher widerspräche absolute Herrschaft dem Willen Gottes. Darüber hinaus seien auch von Menschen gemachte Gesetze kein Problem, da sie in die Ebene der Gesetze zweiter Ordnung fielen, die nach seiner islamischen Rechtsauffassung in den Bereich des Wandelbaren gehörten. Šeiḫ Faẓlollāh Nūrī hingegen, der sich zwar auch gegen den Despotismus der Qāǧāren und den zunehmenden Einfluss der Kolonialmächte wandte, war ein entschiednener Gegegner der Konstitutionalisten. Er hielt wiederum die Idee der Freiheit für eine Gefahr, die die Gläubigen vom rechten Weg abbringe. Für ihn war das Prinzip des Islam die Unterwerfung unter das göttliche Gesetz, und menschliche Gesetzgebung war nicht akzeptabel. Ihm ging es in gewisser Weise auch darum, die traditionelle Position der Geistlichkeit als Statthalter des Imams zu wahren, da nach schiitischer Vorstellung nur die fuqahāʾ berechtigt waren, göttliches Recht und damit Recht überhaupt auszulegen, eine Position, die mit dem Aufkommen der weltlichen Bildungselite und der konstitutionellen Bewegung infrage gestellt wurde. Nicht zuletzt aufgrund seiner Bemühungen wurde im Anhang zur Verfassung von 1906 dem Parlament ein Gremium von fünf Geistlichen übergeordnet, deren Aufgabe es sein sollte, alle verabschiedeten Gesetze auf ihre Vereinbarkeit mit dem Islam zu prüfen.128 Als 1911 das im Zuge der Konstitutionellen Revolution etablierte Parlament (maǧles-e šurā-ye mellī) zum wiederholten Male aufgelöst und die Pressefreiheit wieder zurückgenommen wurde, kam die konstitutionelle Bewegung zu ihrem Ende und die Verfassung wurde praktisch außer Kraft gesetzt. Die folgenden Jahre waren geprägt durch soziale und ökonomische Krisen im ganzen Land, eine Reihe von lokalen Unruhen und den wieder wachsenden Einfluss der Kolonialmächte, was zu einer weitgehenden Destabilisierung und dem drohenden Verlust 128 Zur Rolle von Nāʾīnī und Nūrī vgl. Vahdat (2002), 67–72. Zu Nāʾīnī auch Hajatpour (2002), 93–134.
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der nationalen Unabhängigkeit führte. Im intellektuellen Diskurs um die Modernisierung Irans verdrängte nun das Thema der nationalen Einheit (vaḥdat-e mellī) mehr und mehr die Diskussionen um Demokratie und die Rolle des einzelnen, engagierten Bürgers. Prominentes Beispiel für solch einen Perspektivenwechsel zeigt sich in den Schriften Seyyed Ḥasan Taqīzādes, der sich sowohl theoretisch als auch aktiv an der konstitutionellen Bewegung beteiligt hatte, in beiden Parlamenten als Abgeordneter vertreten war und nun nach dem Ende der zweiten maǧles im Berliner Exil die Zeitschrift Kāve gründete. Während Taqīzāde in einem Essay von 1906 noch von der Bedeutung des Einzelnen innerhalb eines selbstbestimmten Volkes sprach, für das ein zentrale Führungsfigur nicht nötig sei, so ist seine Zeitschrift von der Idee des Zentralstaats unter der Regie eines starken Regenten geprägt. Weniger Republikanismus als vielmehr ein von zentraler Stelle geordneter Nationalismus stand nun im Zentrum der Debatten. Eine Idee, die sowohl von Monarchisten wie auch von Sozialisten und Kommunisten geteilt wurde, wenn auch in unterschiedlicher Ausprägung. Die Rolle des Islam für den modernen Iran stand für sie kaum mehr zur Debatte, sondern vielmehr Modernisierung durch Europäisierung, womit in erster Linie die Adaption von Technologie, Wissenschaft und Bildung gemeint war. Darüber hinaus war dieser Nationalismusdiskurs auch von einer Glorifizierung der vorislamischen Vergangenheit geprägt, was sich u.a. in den Diskussionen um die „Bereinigung“ der persischen Sprache von Fremdelementen zeigte. Bestes Beispiel hierfür ist die von Moḥammad ʿAlī Ǧamālzāde – ebenfalls Autor der Zeitschrift Kāve – verfasste Erzählung Fārsī šekar ast (‚Persisch ist Zucker‘). Neben Kāve gab es noch eine Reihe weiterer Zeitschriften, die diesen Diskurs vorantrieben.129
2.6.2 Marxistische politische Bewegungen Von ebenfalls nicht zu unterschätzender Bedeutung für den sozio-politischen Diskurs in Iran ist die Rezeption marxistischen Denkens, die in engem Zusammenhang mit sozialistischen und marxistischen politischen Bewegungen steht, welche ebenfalls in der Zeit, in der die Qāǧāren-Dynastie verfiel und der nationalistische Diskurs stark wurde, zum Vorschein kamen. Diese Strömung führte zu einer Reihe von Gründungen verschiedener Organisationen und Parteien, von denen die wichtigste sicherlich die ḥezb-e tūde (Partei der Massen) ist, die 129 Vgl. Vahdat (2002), 77–83. Zu Taqīzāde und der Zeitschrift Kāve vgl. Epkenhans (2000); ders. (2005). Zu weiteren Publikationsorganen, die in jener Zeit den nationalistischen Diskurs mitbestimmten, sowie weiterer Intellektueller, wie etwa Maḥmūd Afšār, Irānšahr oder Ahmad Kasravi, auf die hier nicht weiter eingegangen wird, vgl. Vahdat (2002), 83–90.
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offiziell 1941 gegründet wurde. Zu dieser Zeit hatten sich erneut bereits wichtige politische Umwälzungen ereignet. Im Jahr 1921 begann der Aufstieg Reza Khans, der sich zunächst als General mit einem Putsch an die Spitze der Streitkräfte beförderte und daraufhin Verteidigungsminister unter Aḥmad Šāh wurde. Unter Reza Khan als Premierminister wurde 1925 schließlich die Qāǧāren-Dynastie abgesetzt und kurz darauf Reza Khan zum Schah gekrönt. Während das Jahr des Aufstiegs Reza Khans mit der durch ihn geführten Niederschlagung der sozialistischen Ǧangalī-Bewegung Mīrzā Koček Ḫāns und der Auflösung der kurzzeitig bestehenden unabhängigen Sowjetrepublik Gīlān zusammenfiel, so fiel seine quasi Absetzung durch die Alliierten, die in jenem Jahr im Zuge des Zweiten Weltkrieges und Hitlers Angriff auf die Sowjetunion den Norden Irans besetzten, mit der Gründung der Tude-Partei zusammen, die bis zu ihrem Verbot 1949 zu einem wichtigen offiziellen politischen Faktor wurde. Auch als unter Premierminister Mossadeq, Reza Schahs Nachfolger, sein Sohn Mohammad Reza Schah, im Exil weilte, war sie weiterhin ein wichtiger politischer Akteur. Das änderte sich erst, als nach dem durch die CIA unterstützten Putsch gegen Mossadeq Mohammad Reza wieder an die Macht kam und ihre Mitglieder sich massiver Verfolgung ausgesetzt sahen. Was die intellektuellen Debatten der verschiedenen marxistischen Gruppierungen angeht, so bewegten sie sich stets im Kontext der politischen Agitation. Dennoch gab es eine Reihe wichtiger Denker aus dem marxistischen Spektrum. Als eine Art Vordenker der Tude-Partei ist Taqī Arānī (1902–1940) zu nennen, der 1935, nach einem Studium in Berlin, die Zeitschrift Donyā (Welt) gründete und in einer Reihe von Artikeln und Büchern seine Ansichten u.a. bezüglich des dialektischen Materialismus und einer gerechten Gesellschaft diskutierte.130 Weitere wichtige Protagonisten der marxistischen Bewegung in Iran, die auch theoretische Abhandlungen verfassten, sind Eḥsān Ṭabarī, ʿAbdolḥossein Aqāʾī und vor allem Ḫalīl Mālekī (1901–1969), der sich von der Tude-Partei und vor allem deren Orientierung an dem Sowjetischen Kommunismus distanzierte und für einen eigenen sozialistischen Weg Irans, der auch dessen kulturelle und religiöse Eigenheiten berücksichtige, starkmachte und dafür eine eigene Partei die „Dritte Kraft“ (Nīrū-ye sevvom) gründete.131
130 Arānī wurde von Reza Schah inhaftiert und starb im Gefängnis. Zu Taqī Arānī vgl. Vahdat (2002), 95–98. 131 Zu Māleki vgl. Vahdat (2002), 109–113; Katouzian (2003a), 24–52.
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2.6.3 Verwestlichung (Ġarbzadegī) und Rückkehr zum Selbst (bāzgašt be ḫīš) Anfang der 60er-Jahre erhielt der Diskurs um Moderne und Identität einen neuen wichtigen Impuls durch einen Begriff, der sowohl unter den politisch engagierten Geistlichen als auch unter den weltlichen Intellektuellen bis zur Islamischen Revolution und darüber hinaus bis heute großen Anklang fand. Nachdem Ǧalāl Āl-e Aḥmad (1923–1969)132 im Herbst des Jahres 1962 sein Buch Ġarbzadegī („Westomanie/Verwestlichung“) veröffentlicht hatte, wurde seine Analyse der iranischen Gesellschaft und deren „Krankheit“ ġarbzadegī133 bald zu einem diskursbestimmenden Topos. Āl-e Aḥmad, der als Sohn eines lokal angesehenen Mollas zunächst selbst die Laufbahn eines schiitischen Geistlichen einschlug, sich dann aber für eine weltliche Ausbildung entschloss und 1943 vom Dār al-Fonūn graduierte, engagierte sich in den 40er- und 50er-Jahren in der sozialistischen Tude-Partei und später in der Abspaltung von der selben unter Ḫalīl Maleki. Mit dem Putsch Mohammad Reżā Schah endete auch für Āl-e Aḥmad die Zeit der organisierten politischen Aktivität und er wandte sich dem Schreiben zu.134 In Ġarbzadegī unterzieht Āl-e Aḥmad das Verständnis der jüngsten gesellschaftlichen Entwicklungen, angefangen von der Konstitutionellen Revolution bis hin zu Reżā Schahs Modernisierungsbestrebungen, einer fundamentalen Kritik, indem er die Anhänger und Protagonisten dieser Bewegung als willentliche oder unwillentliche Handlanger „des Westens“ beschreibt, dem es um nichts anderes gehe, als seine imperialistischen Machtbestrebungen weiter zu verwirklichen und die Länder des Ostens in einer sklavenhaften Abhängigkeit an sich zu binden. Āl-e Aḥmad unternimmt hier eine scharfe Dichotomisierung zwischen einem „wir“ und „die anderen“, einem „Osten/Orient“ (šarq) und einem „Westen“ (ġarb), wobei er den Ursprung dieser Zuschreibung nicht zuletzt „dem Westen“ selbst vorwirft: „(...) ‚Der Westen‘ ist, seitdem er uns (von der Ostküste des Mittelmeeres bis nach Indien) ‚Osten‘ nannte, aus seinem mittelalterlichen Winterschlaf erwacht.“135 Āl-e Aḥmad etabliert damit ein „Wir“, das durch eine Fremdzuschreibung bestimmt wird, doch geht es ihm weniger darum, diese Fremdzuschreibung zu analysieren, 132 Zur Biografie siehe: Mottahedeh (1987), 253–278; Dabashi (1993), 39–73. 133 Der Begriff ist verschiedentlich übersetzt worden, für englische Synonyme vgl. Gheissari (1998), 89. Das Suffix –zadegi bezeichnet in der Medizin den Zustand der Infektion, sodass man auch etwa „West-Infektion“ sagen könnte. Der Begriff „Verwestlichung“ drückt zwar in etwa aus, was mit ġarbzadegī gemeint ist, doch geht hierbei die Krankheitsmetaphorik verloren. Im Folgenden wird weiterhin der persische Begriff verwendet. Großgeschrieben wird auf das Buch von Āl-e Aḥmad verwiesen, kleingeschrieben auf den Begriff allgemein. 134 Zu verschiedenen literarischen Schaffensperioden siehe Dabashi (1993), 50–63; vgl. Mirsepassi (2000), 101–103 zur Deutung seiner Erzählung Sehtār. 135 Āl-e Aḥmad (1373/1995), 30.
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vielmehr unternimmt er seinerseits umgekehrt eine solche Zuschreibung.136 Der Westen als der andere ist nun nicht länger das Vorbild, an dem man sich orientieren kann, wenn man ihn nur richtig versteht, sondern er ist der Feind, der Antipode, von dem man sich absetzen, ja befreien muss. Das Attribut ġarbzade bezeichnet den Zustand einer Gesellschaft137 bzw. einer Person138, die auf oberflächliche Weise einen westlichen Lebensstil nachahmen. Doch während Sayyed Faḫroddīn Šādmān (1907–1967) bereits in den späten 40er-Jahren eine Person als fokolī „Psydomodernist“139 bezeichnet, die es nicht verstünde, den Westen (bei ihm vor allem Europa) richtig zu verstehen und zwischen seinen Errungenschaften und seinen Nachteilen zu unterscheiden140, so hat die Person, die als ġarbzade bezeichnet wird, in Āl-e Aḥmads Analyse durch die Abwendung von der eigenen Tradition und vom eigenen kulturellen Erbe ihre Identität verloren und ist nunmehr charakterlos (bī-šaḫsīyat/bī-eṣālat) geworden, zum reinen Konsumenten westlicher Produkte. In seiner Kritik geht es also nicht primär um das richtige Verstehen des Anderen und des daraus resultierenden praktischen Nutzens, sondern um die Abwendung des Verlusts der „eignen Identität“. Der Begriff ġarbzadegī wurde vom Philosophen Aḥmad Fardīd (1912–1994) geprägt.141 Fardīd verband mit den Begriff eine ontologische Größe, indem er „den Westen“ nicht als bloße Entität, sondern als eine Weltanschauung sah, in der bedingt durch eine radikale Subjekt-Objekt-Spaltung der menschliche Verstand – als erkennendes Subjekt – der Welt – als zuerkennendes Objekt – in herrschender Weise gegenüberstünde, was dem Orient als harmonisch-monistischer Weltanschauung widerspräche, die die eigentliche Einheit des Seins widerspiegele. Als deutliches Ergebnis dieser dualistischen Weltanschauung sieht Fardīd das ‚Weltverbrauchende Wesen‘ der Technik.142 Fardīd bezieht sich hier vor allem auf Martin Heideggers spätere Philosophie, in der dieser über das Weltverbrauchende Wesen der modernen Technik reflektiert. Damit führte Fardīd Heidegger in den intellektuellen Diskurs Irans ein. Bis heute steht Heidegger stellvertretend für einen antiwestlichen und antimodernen Diskurs, der insbesondere von Denkern wie Reżā Dāvarī-Ardakānī in Anlehnung an Fardīd und Āl-e Aḥmad weiter gepflegt und von weiten Kreisen des konservativen regimenahen 136 Mehrzad Boroujerdi geht näher auf diesen Umstand ein und spricht von einem umgekehrten Orientalismus („Orientalism in Revese“). Vgl. Boroujerdi (1996), 1–14; 52–76. 137 Vgl. Āl-e Aḥmad (1373/1995), 34f. 138 Vgl. ebd., 146. 139 Der Begriff ist eine persifizierte Form des Wortes faux-col (frz. Kragen) und soll so viel heißen wie Schlipsträger. Vgl. Boroujerdi (1996), 57 (Anm. 6). 140 Zu Šādmān siehe ebd., 54–63. 141 Vgl. dazu vor allem Gheissari (1998), 89 (Anm. 101); auch Boroujerdi (1996), 63–65. 142 Vgl. dazu Gheissari (1998), ebd.
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Establishments gestützt wird.143 Diese durch Heidegger inspirierte Technikkritik Fardīds greift Āl-e Aḥmad auf, wobei er deren ontologische Dimension unter einem politisch-ökonomischen Gesichtspunkt deutet. Den Mechanismus, durch den das Phänomen ġarbzadegī funktioniert, beschreibt er, indem er explizit auf Marx Bezug nimmt144, durch die Prinzipien des Marktes, indem er in einer weiteren Dichotomie Konsumenten und Produzenten unterscheidet. Der technologieentwickelnde Westen produziere die Maschine, von der der Orient als reiner Konsument abhängig werde. Dieses Phänomen nennt er māšīnīzm. Da es dem Wesen des Westens entspräche, durch den Export von Technologie Macht auszuüben, gelte es sich aus der Position des reinen Importeurs zu emanzipieren und selbst die Maschine herzustellen und sich nicht weiter von ihr abhängig machen zu lassen.145 Ġarbzadegī war also die kritische und polemische Zustandsbeschreibung der iranischen Gesellschaft, die durch die Abkehr vom eigenen kulturellen Erbe, durch die Nachahmung westlichen Lebensstils und durch den Import westlicher Technologie ihrer Identität und mit ihr ihrer Souveränität und Stärke verlustig gegangen war. Als Hauptverantwortliche für diese Misere macht Āl-e Aḥmad die Intellektuellen aus, die sich an westlicher Bildung als Alternative orientierten. In seinem Buch Dar Ḫedmat va ḫiyānat-e roušanfekrān („Über Verdienst und Verrat der Intellektuellen“) kritisiert er beispielsweise, dass diese anstatt vorhandene Bildungseinrichtungen zu reformieren, parallele Schulen gründeten und damit anstatt vorhandene intellektuelle Ressourcen zu bündeln, zwei Lager des Wissen gebildet hätten, die zueinander in Opposition stünden.146 In seinem Buch, das er bald nach den Ereignissen des von Khomeini geführten und blutig niedergeschlagenen Aufstands von 1963147 zu schreiben begann, macht er die Feststellung, dass immer, wenn weltliche Intellektuelle und geistliche Gelehrte gemein143 Dabei ist anzumerken, dass dieser Umgang mit Heidegger weniger von seinen hermeneutischen Überlegungen zur Daseinsanalyse ausgeht als sich vielmehr von einem verkürzten Blick auf Heideggers Technikkritik aus verselbstständigt. Die Frage der Heideggerrezeption in Iran ist ein äußerst wichtiges und komplexes Thema, das für das Verständnis der zeitgenössischen intellektuellen Strömungen von großer Bedeutung ist. In den 1990er-Jahren stand sie nach der Übersetzung von Poppers „Die offenen Gesellschaft und ihre Feinde“ durch Adīb Solṭānī zudem im Zeichen einer Auseinandersetzung zwischen Denkern, die sich wie Dāvarī auf Heidegger und solchen, die sich wie etwa Sorūš auf Popper bezogen. Vgl. dazu Boroujerdi (1993); vgl. dazu Boroujerdi (1996), 156–175. Ganǧī (2000a), 165–185; Mirsepassi (2011). Die Monografie Mirsepassis, auf deren Argumentation hier nicht näher eingegangen werden kann, widmet sich der Frage der Heideggerrezeption im politisch-intellektuellen Millieu. 144 Vgl. Āl-e Aḥmad (1373/1995), 26–27. 145 Vgl. ebd., 118f. 146 Vgl. Boroujerdi (1996), 91. 147 Vgl. dazu Moin (1999), 92–106; Mottahdeh (1987), 166ff.
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sam gegen Tyrannei aufgestanden seien, sie Erfolg gehabt hätten, während sie, sobald sie sich gegenüberstünden, scheiterten.148 Speziell wirft er ihnen vor, dass sie den Ereignissen im Juni 1963 kaum Aufmerksamkeit schenkten. Ein wirklicher Intellektueller, der sich dem Prinzip des roušanfekrī verschreibe, müsse sich auf seine kulturellen Wurzeln berufen. So unterscheidet er „indigene“ (būmī) oder „authentische“ (ḫodī) Intellektuelle von imperialistischen oder verwestlichten (ġarbzade) Intellektuellen.149 Man müsse sich also, so der Tenor in beiden Büchern, auf eine Rückkehr zum Selbst (bāzgašt be ḫīš) besinnen, um von der Krankheit ġarbzadegī geheilt zu werden. Dieses Selbst, die kulturellen Wurzeln, sieht Āl-e Aḥmad im schiitischen Islam begründet, hierbei ist es weniger der jenseitige Aspekt der Religion, der ihn interessiert, sondern die Religion als gesellschaftliches Phänomen, ihr religiös-ethischer Anspruch und der Drang zur Verwirklichung ihrer Ideale im Diesseits.150 Damit gelang es ihm, eine Sprache zu sprechen, die sowohl für weltliche Intellektuelle als auch für die politisch engagierte Geistlichkeit attraktiv war und nicht zuletzt eine bedeutende ideologische Grundlage für die Islamische Revolution darstellte. In ähnlicher Weise beeinflusste ein weiterer Intellektueller, ʿAlī Šarīʿatī, den vorrevolutionären Diskurs um die islamische Identität nachhaltig, indem er in seinen Schriften und vor allem seinen öffentlichen Reden der Debatte um Authentizität und Verwestlichung nicht zuletzt durch seine spezifische Rezeption von Denkern wie Sartre und Fanon neue Impulse gab.151 Abschließend sei noch auf einen Denker verwiesen, dessen Bedeutung insbesondere für den philosophischen Diskurs in Iran nicht zu unterschätzen ist. Gemeint ist der französische Orientalist und Philosoph Henry Corbin (1903–1978), der viele Jahre an der Universität Teheran, später auch am „Kaiserlichen Philosophie Institut“ (anǧoman-e šāhānšāhī-ye falsafe-ye Īrān), das unter der Leitung Sayyed Hossein Nasrs stand, so wie am Institut Français d’Iranologie in Teheran lehrte und dessen Arbeiten sowohl auf iranische wie europäische/amerikanische Philosophen, Religionswissenschaftler und Orientalisten großen Einfluss hatte. Es ist das Verdienst Corbins, einen neuen Blick auf die Geschichte der Philosophie in der islamischen Welt geworfen und mit dem Vorurteil aufgeräumt zu haben, die islamische Philosophie ende mit Ibn Rušd (gest. 1198), indem er eine Reihe von Schriften von bis dahin in der westlichen Forschung eher marginalisierter Denker, insbesondere von Šihābaddīn as-Suhrawardī (gest. 1191), edierte 148 Vgl. Boroujedi (1996), 92ff.; Mirsepassi (2000), 105ff. 149 Vgl. Vahdat (2002), 120. 150 Vgl. Mirsepassi (2000), 102 151 Vgl. dazu Dabashi (2008), 102–146; Vahdat (2002), 135–153; Gheissari (1998), 97–108; Boroujerdi (1996), 105–115.
Kontexte der Rezeption moderner westlicher Philosophie im Iran des 20. Jahrhunderts
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und auf das Fortleben der auf ihn zurückgehenden Tradition der „Schule der Illuministen“ (Ḥikmat al-išrāq) aufmerksam machte. Zugleich aber verband er mit seinen Arbeiten nicht allein ein ideengeschichtliches Interesse, sondern deutete sie gemäß seines eigenen esoterisch-mystischen Denkens, das er mit Ansätzen der Phänomenologie insbesondere Heideggers verband. Corbin, der Heidegger nicht nur persönlich kannte, sondern auch einige seiner Texte – z.B. „Was ist Metaphysik?“ und Auszüge aus „Sein und Zeit“ – erstmals ins Französische übersetzte, versuchte sein mystisches Denken mit Heideggers Daseinsanalyse zu verbinden und mit Rückgriff auf seine Deutung von Denkern aus der Tradition Ibn ʿArabīs, Suhrawardīs und Mollā Ṣadrās von ihrer diesseitigen, weltlichen Dimension („Sein zum Tode“) hin zu einer aufs Jenseits bzw. auf ein absolutes Sein hin orientierte Dimension zu transzendieren. Ob Corbins Heideggerdeutungen auch konkreten Einfluss auf die iranische Heideggerrezeption hatten und welche zeitgenössischen Denker in Iran seinen eigenen Zugang mit beeinflussten, ist indes unklar. Außer Frage steht aber, dass er mit einer Vielzahl von iranischen Denkern und Intellektuellen – wie etwa ʿAllāme Ṭabāṭabāʾī – in regem Gedankenaustausch stand und dass seine Deutungen von islamischen Denktraditionen, die er z.T. selbst für die Orientforschung zugänglich machte, lange Zeit den Blick auf diese Quellen bestimmten und auch in Iran einflussreich waren.152 Die Rezeption westlicher Philosophie im Iran des 19. und 20. Jahrhunderts stand, das kann man zusammenfassend festhalten, meist im Kontext spezieller religiös-politischer Diskurse. Das trifft allgemein auch auf die Adaption der Philosophie Immanuel Kants zu.153 Die Besonderheit besteht indes darin, dass anders als bei den meisten hier vorgestellten Zugängen zu westlichen Denkern, Kant nicht in gleicher Weise von einer speziellen politischen oder ideologischen Strömung vereinnahmt und von den übrigen vernachlässigt oder abgelehnt wurde. Für das Verständnis dieses Phänomens und der unterschiedlichen Zugangsweisen zu und Interessen an Kant, der im 20. Jahrhundert in Iran kein Unbekannter mehr war, ist zunächst die Frage zu klären, auf welchen Wegen seine Philosophie nach Iran vermittelt wurde und wie sich aus einer ersten Begegnung mit dem Denken des Königsbergers eine vielfältige Rezeption seiner Schriften entwickelte.
152 Zu Corbins Denken und Wirken in Iran vgl. für einen Überblick über Werk und akademische Vita Shayegāns Artikel in EIr; Landolt (1999); zu seinem Denken und Heideggerrezeption knapp Green (2005); kritisch zu Corbins Bedeutung vor allem im Kontext der Religionswissenschaft Wasserstrom (1999); für eine kurze kritische Beurteilung Corbins für den Kontext ideengeschichtlicher Forschung im Islam vgl. Gutas (2002), 16–19; Rizvi (2009), insbes. 6–11; Schmidtke (2003). 153 Dazu vor allem unten Kap. 6.
3 Die iranische Kantrezeption im Überblick Der im vorangegangenen Kapitel diskutierte ideengeschichtliche Überblick stellte den Kontext dar, in den die iranische Kantrezeption zu verortet und aus dem heraus sie zu verstehen ist. Was die iranische Rezeption des kantschen Denkens selbst betrifft, so scheinen mir drei Stadien des Phänomens von Bedeutung zu sein, denen im folgenden Kapitel jeweils ein Abschnitt gewidmet ist. Das erste Stadium „Tendenzen der westlichen Kantrezeption“ betrifft dabei selbst noch nicht unmittelbar den iranischen Kontext, sondern vielmehr die Tatsache, dass Kants Philosophie überhaupt einen Prozess der Rezeption und Adaption durchlaufen hat, der für die jeweils folgenden Generationen und intellektuellen Strömungen prägend war und somit auch Einfluss auf die spätere iranische Rezeption hatte. Schaut man aus der europäischen Perspektive auf die Rezeption europäischer Philosophie im außereuropäischen Raum, so scheint sich die Einsicht aufzudrängen, dass man zwangsläufig auf kulturbedingte Schwierigkeiten stoßen muss, da man es mit einem vom europäischen Horizont verschiedenen kulturellen Hintergrund zu tun hat. Bei den verschiedenen Formen der iranischen Kantrezeption handelt es sich demnach um verschiedene Aneignungen einer europäischen Denktradition, also um einen Wissenstransfer von Europa nach Iran. In einer solchen Perspektive aber gerät leicht aus dem Blick, dass es sich bei „der europäischen“ Kantrezeption ebenfalls um eine Vielzahl unterschiedlicher Aneignungen des kantischen Denkens handelt. Allzu leicht wird davon ausgegangen, dass die europäische Beschäftigung mit Kant authentischer ist als die außereuropäische, beispielsweise die iranische. Rezeptionen und Aneignungen sind aber immer auch Modifikationen oder sogar Weiterentwicklungen. Lenkt man den Blick also wieder nach Europa, so kann das zugleich in Erinnerung rufen, dass es keinen einheitlichen europäischen Zugang zu Kant gibt und die Frage nach der Authentizität, sofern sie überhaupt zu klären ist, sich nicht einfach an regionalen Grenzziehungen erörtern lässt. Für das Verständnis der iranischen Rezeption dient eine überblicksartige Darstellung verschiedener Tendenzen der westlichen Kantrezeption (3.1) als heuristisches Mittel für die ideengeschichtliche Einordnung der iranischen Zugänge. Das zweite Stadium nenne ich „die Anfänge der Kantrezeption in Iran“ (3.2). Dabei handelt es sich noch um einen mittelbaren Zugang zum Denken Immanuel Kants, da die jeweiligen Autoren, die in dieser Phase über Kants Philosophie schrieben, noch keinen direkten Zugriff auf kantsche Schriften hatten bzw. der Bezug zu den kantschen Referenztexten unklar ist. Zu den für diese Phase relevanten Publikationen gehören also jene Schriften in persischer Sprache, in denen ab Beginn des 20. Jahrhunderts in das Denken des Königsberger Philo-
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sophen eingeführt wurde, ohne dass konkret eine direkte Auseinandersetzung mit seinem Werk vorausgegangen war. Neben einem frühen sehr indirekten Beispiel der Rezeption kantschen Denkens (3.2.1) handelt es sich hierbei um erste allgemeine Einführungen in die Philosophie Kants, die in verschiedenem Umfang als Teile von Überblicksdarstellungen der europäischen Philosophiegeschichte erschienen (3.2.2). Diese Werke, die teilweise von Iranern verfasst, teilweise aus europäischen Sprachen ins Persische übertragen wurden, dienten dabei nicht nur dem Zweck, u.a. Kants Denken im Zusammenhang mit der europäischen Geistesgeschichte darzustellen, sie unternahmen auch erste Versuche, Begrifflichkeiten der modernen europäischen Philosophie systematisch ins Persische zu übertragen. Das dritte Stadium kann schließlich „konkrete Kantrezeption“ genannt werden (3.3). Es beginnt in etwa mit der Zeit der Islamischen Revolution, wobei diese – so viel sei vorweggenommen – zwar einen wichtigen Einfluss auf die Entwicklung dieser Phase der Rezeption hatte, diese aber nicht verursacht hat. In diesem Stadium spreche ich deswegen von „konkreter Rezeption“, weil es sich nun um eine unmittelbare Auseinandersetzung mit den Schriften Kants selbst handelt. Drei Aspekte, die für dieses dritte Stadium von Bedeutung sind, werden dabei betrachtet. Zunächst werden einige für die Kantrezeption in Iran wichtige Impulsgeber vorgestellt, die bestimmte Tendenzen der Rezeption maßgeblich beeinflusst haben (3.3.1). Es folgt ein Überblick über den Übersetzungsprozess der kantschen Schriften, in dem auch einige Probleme der verschiedenen Übersetzungsstrategien thematisiert werden (3.3.2). Den Abschluss macht ein kursorischer Blick auf die gegenwärtige Lage der Kantforschung in Iran, der anhand einer Übersicht von neueren Arbeiten zu Kant – seien sie auf Persisch verfasst oder aus europäischen Sprachen übersetzt – einen Eindruck vermittelt, welche Themen der Kantforschung gegenwärtig in Iran aktuell sind (3.3.3). Insgesamt dient dieses Kapitel dem Zweck der Orientierung über die intellektuelle Beschäftigung mit Kant in Iran in historischer Perspektive. Die Diskussion einzelner systematischer Fragen der Kantdeutung ist dabei noch nicht Gegenstand der Darstellung. Vielmehr werden vor allem wichtige Protagonisten und Werke und ihre Bedeutung für die Rezeption allgemein vorgestellt.
3.1 Tendenzen der Kantrezeption Die Kantrezeption in Europa und Nordamerika, die auch für die iranische Rezeption Voraussetzung ist, überblicksartig und doch umfassend darzustellen, wäre ein aufwändiges, wenngleich lohnendes Unternehmen, das einen Einstieg in die Kantforschung und eine brauchbare Orientierung für die inzwischen unüber-
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schaubare Kantliteratur liefern könnte.154 Für den Kontext dieser Untersuchung soll es genügen, die wichtigsten Strömungen dieses Rezeptionsprozesses kurz zu charakterisieren und ihre bedeutendsten Protagonisten zu nennen sowie auf weiterführende Literatur hinzuweisen, wobei der Fokus auf verschiedenen Strömungen der deutschsprachigen Kantrezeption liegt (3.1.2).155 Wenn dabei von Strömungen die Rede ist, so sind damit bestimmte systematische Zugänge gemeint, die naturgemäß nicht sämtliche konkreten Aneignungen umfassen können, aber jeweils eine Zeit lang eine bestimmende Richtung in der Kantauslegung vorgaben. Systematisch bedeutet im Zusammenhang der Auslegung philosophischer Texte vor allem, dass ein Interpret versucht, geleitet von einer Grundidee, einen zusammenhängenden Gedankengang aus einem Text herauszuarbeiten, um ihn in ein vorhandenes oder zu entwickelndes philosophisches System einzugliedern. Hierbei muss allerdings der Begriff des Systems in einem weiteren Sinne verstanden werden, nicht die Systematik eines Zugangs ist dafür ausschlaggebend, sondern die Verfolgung eines Grundgedankens.156 Was die Auslegung des Werkes Immanuel Kants anbelangt, so ist hierbei im deutschsprachigen Kontext in ungefährer zeitlicher Reihenfolge eine idealistische, eine nach-idealistische, eine neukantianische, eine ontologische bzw. metaphysische 154 Ausführlichere Studien, die einen fundierten historischen Überblick über die Kantrezeption in ihren verschiedenen Tendenzen von ihren Anfängen bis zur Gegenwart böten, gibt es meines Wissens nicht. Die meisten Studien zur Rezeptionsgeschichte sind einzelnen historischen Strömungen gewidmet. Einen sehr knappen und allgemeinen Überblick bieten Engelhard/Heidemann (2003), 2–7; Höffe (2007)7, 288–310. Allgemeine Philosophiegeschichten, die die europäische Philosophie im Ausgang des 18. und im 19. Jahrhundert beschreiben, bieten, da Philosophie nach Kant meist in Auseinandersetzung mit seinem Denken vollzogen wurde, meist auch einen Einblick in die Kantrezeption. Vgl. dazu Störing 1999. Der von Paul Natterer (2003) angefertigte „Systematische Kommentar zur Kritik der reinen Vernunft“ erhebt den Anspruch, die Kantliteratur seit 1945 weitgehend vollständig erfasst zu haben. Das Werk eignet sich aber nicht für einen historischen Überblick über die Kantrezeption nach 1945, da es das erklärte Ziel seines systematischen Zugangs ist, auf Grundlage einer interdisziplinären Forschungsbilanz, die die Disziplinen Kognitionspsychologie, formale Logik sowie allgemeine und spezielle Metaphysik berücksichtigt, eine vereinheitlichte kantische Theorie der Kognition (vgl. ebd. 5ff.) zur Darstellung zu bringen. 155 Die Unterteilung in eine deutschsprachige und eine nicht deutschsprachig Kantrezeption soll dabei zunächst als rein formale Untergliederung verstanden werden und keinesfalls einen authentischen und weniger authentischen Zugang suggerieren. Sicherlich ist insbesondere im 19. Jahrhundert die Beschäftigung mit Kant im deutschsprachigen Raum besonders intensiv und hat die Rezeption außerhalb dieses Sprachraums mit beeinflusst. Doch gibt es einerseits auch schon früh eigenständige Rezeptionen in anderen Sprachen und andererseits haben diese spätestens ab Mitte des 20. Jahrhunderts auch stark auf die deutsche Kantrezeption eingewirkt. Für die Kantdeutung(en) der Gegenwart ist eine solche Unterteilung daher nicht mehr zeitgemäß. 156 Zur Frage der „systematischen Interpretation“ vgl. Baertschi (2004), 17–19; Lehmann (1958).
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und eine analytische Kantrezeption zu unterscheiden.157 Alle genannten Strömungen der Kantrezeption haben ihren eigenen entwicklungsgeschichtlichen Kontext und sind abhängig von jeweils aktuellen Fragen und ggf. auch vom Stand der Kantforschung und Kantphilologie, die nicht zwingend mit der Kantrezeption identisch sind.158 Neben den verschiedenen systematischen Zugängen gibt es nämlich auch ein philologisch-entwicklungsgeschichtliches Interesse in der Kantforschung, das allerdings von den Trends der systematischen Zugänge nicht immer ganz unberührt blieb. Die kantsche Philosophie hatte diese Wege der Vermittlung und Adaption bereits durchlaufen, bevor es zu ihrer konkreten Rezeption in Iran kam. Für eine Darstellung der iranischen Kantrezeption stellt sich also die Frage, welcher Kant jeweils rezipiert wurde. Nicht in jedem Falle lässt sich das eindeutig klären. Dennoch wird man in manchen Fällen aus einer ideengeschichtlichen Perspektive ggf. feststellen, welche Lesarten der Werke Kants den iranischen Interpretationen und Kritiken an Kant zugrunde liegen. Doch selbst dann, wenn eine solche unmittelbare Beeinflussung vor dem Hintergrund einer bestimmten europäischen Strömung der Kantauslegung nicht nachweisbar ist, lassen sich die iranischen Zugänge mit Bezug auf bestimmte Auslegungsansätze mitunter besser erörtern oder diskutieren und so in den Gesamtkontext der Kantforschung einordnen. Darüberhinaus bieten diese europäischen Lesarten des kantschen Denkens eine Reihe von Anknüpfungspunkten für weiterführende Vergleiche mit iranischen Kantauslegungen.
157 Darüber hinaus könnte man sicherlich auch weitere Ansätze, etwa die marxistische Rezeption, nennen. Vgl. Heintel/Nagl (1981), 7–8. 158 Zur Abhängigkeit der Kantrezeption vom jeweiligen Stand der Kantforschung vgl. Hinske (1994). Hinske zeigt in seinem aufschlussreichen Artikel, dass die jeweiligen Strömungen der Kantrezeption (er bespricht kursorisch den Frühkantianismus [Zeitgenossen Kants], die idealistische Kantrezeption, den Neukantianismus und die metaphysisch-ontologische Kantrezeption) auf jeweils unterschiedlichen Voraussetzungen insbesondere hinsichtlich des Editionsstands der kantschen Werke basieren. Dabei mag er möglicherweise die Bedeutung der Kenntnis der Gesamtheit der kantschen Schriften inklusive Nachlass, Vorlesungen und Briefe für die Kantrezeption überbetonen, doch ein weiterer Hinweis scheint nicht minder bedeutsam: Er legt die Vermutung nahe, dass Kantrezipienten (insbesondere unter den Idealisten) oft nicht primär die Kantquellen selbst vor Augen haben, auch wenn stets auf das Kantwerk selbst verwiesen wird, sondern möglicherweise eine Kantliteratur oder bestimmte Kompendien, die jeweils ihre je eigene Perspektive hatten. Ebd. 37f.
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3.1.1 Philosophie in der Nachfolge Kants und die idealistische Kantrezeption Zu den bedeutendsten Strömungen der Philosophie in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts gehört neben dem Positivismus, der mit Auguste Comte und später John Stuart Mill und Herbert Spencer vor allem in Frankreich und England Verbreitung fand159, insbesondere der deutsche Idealismus. Während der Positivismus mit seinem antimetaphysisch gemeinten Diktum, dass man sich im Denken nur auf das positiv Gegebene stützen dürfe, gewissermaßen an eine Teillehre Kants anknüpft, nämlich, dass wirkliche Erkenntnis nur im Bereich der Erfahrung möglich sei und Wissenschaft damit auf das Reich der Erscheinungen beschränkt sein müsse, betont der Idealismus einen anderen Aspekt der kantschen Lehre, nämlich die Bedeutung des Bewusstseins, des schöpferisch-denkenden Ichs sowie das Prinzip der Freiheit.
Fichte und Kant Mit der idealistischen Kantrezeption verbinden sich vor allem die Namen Fichte, Schelling und Hegel. Die Philosophie Immanuel Kants, die bereits zu dessen Lebzeiten insbesondere in philosophischen Kreisen Deutschlands sehr kontrovers diskutiert, verworfen und affirmativ bestätigt wurde160, erfährt mit Kants Zeitgenossen Johann Gottlieb Fichte (1762–1814) eine kreative Weiterentwicklung, mit der der deutsche Idealismus seinen Anfang nimmt. Zu den wichtigsten Merkmalen der idealistischen Kantrezeption insgesamt gehört die Kritik an Kants Lehre von der Endlichkeit der Vernunft, die die Idealisten überwinden und damit metaphysische Erkenntnis, etwa durch die Betonung des Absoluten als einheitsstiftendes Prinzip, wieder möglich machen wollten. In seinen beiden Werken Über den Begriff der Wissenschaftslehre oder der sogenannten Philosophie und Grundlagen der gesamten Wissenschaftslehre (beide 1794) unterscheidet Fichte zwei Systeme, anhand derer der Philosoph die Welt und die Erfahrung bzw. Vorstellung derselben erklären kann. Ein System, das die Vorstellungen von den Dingen herleitet, ergibt nach Fichte eine Art Sensualismus oder Materialismus und wird von ihm polemisch als Dogmatismus bezeichnet, 159 Auf die Bedeutung dieser Strömung für die Rezeption westlicher Philosophie in Iran wurde bereits hingewiesen, siehe oben 2.3. 160 Zur frühen Rezeption Kants und der Verbreitung des sog. „Kantianismus“ an deutschen Universitäten vgl. Höffe (2007), 288–292; Förster (2008), 113–121. Zu den namhaften frühen Rezipienten gehören u.a. Friedrich Schiller (1759–1805), Carl Leonhard Reinhold (1757–1823) und Friedrich Heinrich Jacobi (1743–1819). Bekannte frühe Kritiker sind Moses Mendelssohn (1729– 1786) und Johann Georg Hamann (1730–1788), an diesen anknüpfend auch Johann Gottfried Herder.
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was impliziert, dass er diese Herangehensweise als nicht hinreichend begründet betrachtet. Dem Dogmatismus steht ein Idealismus entgegen, der die Dinge von den Vorstellungen her ableitet. Der Idealismus, für den sich Fichte ausspricht und den er auch als Wissenschaftslehre bezeichnet, wird von ihm transzendental genannt, da er in Anlehnung an Kants Idee der Transzendentalphilosophie bei der Reflexion der Bedingungen von Erkenntnis überhaupt ansetzt. Besonders zu Beginn seines Schaffens vertritt er die Ansicht, lediglich hinter dem Buchstaben von Kants Philosophie ihren Geist entdecken zu wollen. Tatsächlich geht er aber über sie hinaus.161 Als Kant sich öffentlich von seiner Wissenschaftslehre distanziert, erklärt er, dass die „Kantische Philosophie, wenn sie nicht genommen werden soll, wie wir sie nehmen, totaler Unsinn ist“.162 Der Idealismus Fichtescher Prägung ist als subjektiver Idealismus zu bezeichnen. Indem Fichte das Ich163 verabsolutiert, strebt er danach, den Dualismus zwischen Subjekt und Objekt im Subjekt aufzulösen. Nicht nur darf man im Denken nicht von den Dingen her auf die Erfahrung schließen, vielmehr lehnt er die Vorstellung von einem „Ding an sich“, das er als etwas, das von außerhalb des Bewusstseins auf den Menschen wirkt, interpretiert, ab. Er führt jegliche Erfahrung, auch die von etwas außerhalb des Ichs, auf das „Ich“ selbst zurück. Das Ich setzt sich zu sich selbst in ein Verhältnis, was durch den Satz „Ich bin Ich“ ausgedrückt wird. Dass das Ich aber auch etwas erkennt, was von ihm verschieden ist, erklärt Fichte damit, dass das „absolute Ich“ sich gewissermaßen in Welt („Nicht-Ich“) und Individualbewusstsein („Ich“) spaltet. Dadurch setzt sich das Ich bzw. das Subjekt auch zum „Nicht-Ich“ selbst in Beziehung. Die Dinge der Erfahrung werden erst durch den Erkenntnisakt konstituiert. Letztlich kann es nach Fichte keine Gegenstände, Dinge, Objekte geben, die bewusstseinsunabhängig sind, da man, so sein Bezug auf Kant, von Dingen oder Objekten erst nach der Syntheseleistung des Bewusstseins sprechen kann. Die Bedeutung von etwas Gegebenem außerhalb des Bewusstseins, das Kant etwa zu Beginn seiner Kritik der reinen Vernunft als notwendigen Ausgangspunkt aller Erfahrung beschreibt, wodurch die Sinne überhaupt erst affiziert werden, wird von Fichte marginalisiert. Der Weltbezug, grundgelegt im nach Fichte einzig voraussetzungslosem Tun, dem Selbstbezug des Ichs, vollzieht sich im Akt des Erkennens – also auf 161 In seiner „Ersten Einleitung in die Wissenschaftslehre“ (1897), ist Fichte bestrebt zu zeigen, dass Kants System in Wahrheit idealistisch sei, von seinen Interpreten aber fälschlich als dogmatisch gedeutet worden sei. Zu Fichtes Kantinterpretation vgl. Förster (2008), 113–163, insb. 130–144; Zöller (2000); Pippin (1989), 42–59; Düsing (2002), 89–110; 121–126. 162 So Fichte in einem Brief an Schelling vom 20.9.1799, zit. nach Engelhard/Heidemann (2004), 4. 163 Kant selbst verstand das Ich zunächst rein formal gemäß dem Satz „ich denke“ als logische oder transzendentale Einheit des Bewusstseins bzw. des Subjekts, das – selbst ohne Inhalt – alle Vorstellungen und Begriffe begleiten muss. Vgl. exemplarisch KrV A 382; B 404.
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der theoretischen Ebene – und im Handeln – also auf praktischer Ebene – gleichermaßen durch eine freie Tathandlung. Diese wird, an Stelle der Tatsache zum tragenden Einheitsprinzip seiner Philosophie. Damit universalisiert Fichte das Prinzip der Autonomie, das Kant auf die praktische Vernunft beschränkt hatte, und hebt letztlich die Unterscheidung zwischen theoretischer und praktischer Vernunft auf. Die Begründung der Freiheit und der Autonomie sind für Fichte auch die Hauptargumente, die für den Idealismus sprechen, denn würde man sich für den Dogmatismus entscheiden, und somit das Bewusstsein, das Ich, auf etwas außerhalb desselben zurückführen, so ließe sich die Freiheit oder Autonomie des Ichs nicht mehr begründen. Es ist damit freilich Kants praktische Philosophie, die Fichte als Ausgangspunkt und Maßstab seines Kantzugangs wählt.
Hegel und Kant Auch das Denken des prominentesten Vertreters des Deutschen Idealismus, Georg Wilhelm Friedrich Hegel (1770–1831), ist von einer tief greifenden Auseinandersetzung mit dem Werk Immanuel Kants geprägt.164 Auch wenn Hegel sein Denken als Vollendung einer Philosophie darstellt, die bei Kant lediglich ihren Anfang nahm und es vielfach den Anschein hat, als ginge es Hegel allein um eine Überwindung der kantschen Philosophie, so ist der Einfluss des Königsbergers auf Hegels Idealismus doch essenziell. In seinem Werk geht Hegel oft von einer kantischen Position aus, um sie in kritischer Auseinandersetzung zu überwinden oder weiterzuentwickeln. Das Verhältnis Hegels zu Kant ist zweifellos ein viel beachtetes Thema in der philosophischen Forschungsliteratur mit – je nach Perspektive – tendenzieller Neigung, Hegel als von Kant beeinflussten bzw. Kant überwindenden Denker darzustellen.165 Im Folgenden kann es um nicht mehr 164 Auf Schellings Kantrezeption wird hier nicht eigens eingegangen, auch wenn sie für die Entwicklung des Deutschen Idealismus, nicht zuletzt für Hegel selbst, maßgeblich war. Zur Bedeutung Schellings in diesem Zusammenhang vgl. Sedwick (2000); zu Schellings Kantrezeption und dessen Einfluss auf Hegel vgl. Pippin (1989), 60–88. 165 Die Literatur zum Thema „Kant und Hegel“ ist sehr umfangreich. Hier sei exemplarisch auf drei Monografien verwiesen. Martin Bondeli rekonstruiert in seiner Studie Der Kantianismus des jungen Hegel die Entwicklung von Hegels Auseinandersetzung mit Kant (insbesondere mit der Idee der praktischen Vernunft) vor seiner Jenaer Zeit, angefangen bei dessen Anlehnung an Kants Freiheits- und Moralitätsgedanken und seinen Ausführungen zur Vernunftreligion über eine Modifizierung der Postulatenlehre in Bezug auf Freiheit (nun als absolut selbstmächtige Vernunft) und Gott (nun nicht mehr eigentlich als Postulat, sondern als im höchsten Gut zu realisierendes Sittengesetz) bis hin zu den Anfängen eines den Subjekt-Objekt-Gegensatz überwindenden dialektischen Vereinigungsdenken (zusammen mit einem neuen Seinsdenken), das auch eine tendenzielle Abwertung der kantschen Philosophie als „Reflexionsphilosophie“ beinhaltet. Vgl. Bondeli (1997). Stark aus der Perspektive des systematischen Hegels beschäftigt
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gehen, als exemplarisch einige wenige zentrale Aspekte von Hegels Bezug zu Kant anzudeuten. Ein für den gesamten Idealismus zentrales Problem ist das Verhältnis von Subjekt und Objekt. Kant hatte hier neue Akzente gesetzt, indem er vor dem Hintergrund des Positionsstreits zwischen Rationalisten und Materialisten eine vermittelnde und zugleich neue Position vertrat. Das empirisch Gegebene ist eine notwendige Bedingung für jede Erkenntnis von etwas überhaupt (soweit das Zugeständnis an die Materialisten), doch zugleich ist es die Beschaffenheit des menschlichen Verstandes, der das zu erkennende Objekt überhaupt erst als solches konstituiert. Kant bezieht damit Subjekt und Objekt in einem engen reziproken Verhältnis aufeinander. Das Ergebnis ist, dass sich Erkenntnis letztlich aber nur auf die Erscheinungen beziehen kann, die durch die Objektkonstituierung hervortreten, nicht auf sogenannte „Dinge an sich“. Das wiederum erschien Hegel, wie zuvor bereits Fichte, als eine Schwäche. Auch dass der Dualismus von Subjekt und Objekt damit noch nicht aufgelöst wurde, sah Hegel als Defizit bei Kant. Er war bestrebt, dieses Verhältnis dialektisch weiterzudenken, um es schließlich im Absoluten aufzulösen. Das konstituierte Objekt wird dabei als das gedachte Subjekt bestimmt, indem sich das Subjekt selbst denkt.166 Hegel, für den Kants Begriff der Apperzeption167 einen wichtigen Ausgangspunkt seiner Reflexionen zur Bedeutung von Subjektivität darstellt, kritisiert an Kants Ansatz, dass dieser das „Ich“ bzw. das Selbstbewusstsein als rein formalen und inhaltsleeren Träger des Denkens oder der Begriffe begreife, eine Subjektivitätstheorie komme damit noch gar nicht in den Blick.168 Hegel will demgegenüber nicht nur eine Selbstbewusstseins- bzw. Subjektivitätstheorie entwickeln, die das „Ich“ zum Gegenstand hat, Bewusstsein soll darüber hinaus als Geist begriffen werden, der sich nicht nur im Einzelindividuum, etwa im Vorstellen oder Fühlen,
sich Michael Wladika in seiner umfangreichen Arbeit Kant in Hegels ‚Wissenschaft der Logik‘‚ mit Hegels späterer und konkreterer Kant-Kritik, vgl. Wladika (1995). Eine Studie, die wiederum besonders deutlich die positive Orientierung Hegels an Kants kritischer Philosophie hervorhebt, ist Robert B. Pippins Monografie Hegel’s Idealism. Vgl. Pippin (1989). 166 So jedenfalls erklärt Klaus Düsing diesen Gedankenvorgang. Vgl. Düsing (2002), 156. 167 Zu Hegels Rezeption und Umdeutung des Apperzeptionskonzepts vgl. Pippin (1989), insbes. 16–59. 168 In der Tat ist es die rein formale Einheit des Selbstbewusstseins als reine Apperzeption, auf die Kant als formale Bedingung jeglicher Objekterkenntnis hinaus will. Das Subjekt ist in diesem Kontext nicht einmal als Begriff gedacht, da sich Kant die Frage nach eine Theorie des Selbstbewusstseins an dieser Stelle gar nicht stellt. Vgl. KrV, Transzendentale Deduktion der reinen Verstandesbegriffe, (§§ 15–27) B129–B169. Dazu Düsing (2002), 154ff; auch Pippin (1989).
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sondern auch im kollektiven Handeln (Recht, Moralität) und schließlich im absoluten Wissen manifestiert.169 Eines der programmatischen Ziele Kants war es, mit der Vernunftkritik der Vernunft die Grenzen aufzuzeigen. Seine Unterscheidung von Erkennen und Denken, sollte gerade nachweisen, dass Erkenntnis jenseits des Bereichs möglicher (sinnlicher) Erfahrung nicht möglich ist. Denken könne man Objekte jenseits der Erfahrung sehr wohl. Erkenntnisse aber, die sich auf Objekte jenseits der Erfahrung beziehen, sind nach Kant Scheinerkenntnisse oder Spekulationen. Diesen scheinbar durch Kant diskreditierten Begriff der Spekulation wendet Hegel zu einem offen positiven Begriff, indem er ihn nicht mehr als von der Erkenntnis geschieden, sondern als ihre Voraussetzung versteht. Dabei meint Spekulation eben nicht abstraktes Denken jenseits der Realität, es sollte sich vielmehr gerade auf die Realität beziehen, indem sie Begriffe als konkret denkt. Die Begriffe sollten wieder mehr sein als bloße Verstandesbedingungen und Strukturen des Denkens, die Begriffe selbst sollten Wirklichkeitscharakter bekommen. Damit sollte es der Vernunft wieder möglich sein, das Absolute nicht nur zu denken, sondern auch zu erkennen, ihr sollten die Fesseln der kantischen Vernunftkritik abgenommen werden.170 Ein Anliegen, das – wie sich zeigen wird – für einen Teil der iranischen Kantinterpreten ebenfalls von erheblicher Bedeutung ist. Erwähnenswert im Zusammenhang mit der idealistischen Kantrezeption ist, dass es bereits zur Hochzeit des Deutschen Idealismus Denker gab, die sich bewusst und mitunter polemisch vom Idealismus absetzten. Arthur Schopenhauer (1788–1860) war sicher der schillerndste Zeitgenosse der Idealisten, der diesen mit vehementer Kritik und Polemik begegnete. In seinen Schriften war er stets bemüht, sich außerhalb des Idealismus zu positionieren und als Alternative anzubieten. Schopenhauers Denken schließt in zweierlei Hinsicht an die zeitgenössische Geistesgeschichte an. Einerseits ist es trotz der mitunter heftigen Polemik gegen den Idealismus diesem weit mehr verpflichtet als es vorgibt. Auch Schopenhauer teilt etwa die kantsche Unterscheidung zwischen Erkennen und Denken nicht, auch er sieht im Ich als Wille, ähnlich wie Fichte, den eigentlichen Zugang zur Welt und mit Schelling verbindet ihn die Betonung des Unbewussten, der produktiven Natur. Andererseits zeigt sich in Schopenhauers Werk, neben der Beeinflussung durch die indische Philosophie, insbesondere eine intensive und kritische Auseinandersetzung mit Kant. In Iran scheint dieser Zugang zu Kant, 169 Den Zusammenhang von Subjektivem, Objektivem und Absolutem entwickelt Hegel in seiner Phänomenologie des Geistes, vgl. programmatisch Hegels Einleitung zum Werk. 170 Hier sollte nur gezeigt werden, wie Hegel bestimmte kantische Ansätze umdeutet. Hegels Vorstellung des spekulativen Begriffs zu erläutern, würde an dieser Stelle zu weit führen, vgl. dazu nochmals die Einleitung zur Phänomenologie des Geistes.
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auch wenn sein Denken allgeimen durchaus rezipiert wird, für die Kantrezeption keine bedeutende Rolle zu spielen.171
3.1.2 Neukantianismus Eine Strömung, die sich schon in ihrer Selbstbezeichnung auf Kant beruft und für die eine Auseinandersetzung mit Kant zum Programm gehört, ist der sog. Neukantianismus. Doch ist diese Strömung in sich sehr divergent und es ist eigens ein Gegenstand philosophiegeschichtlicher Forschung zu erörtern, welche Denker ihr zuzurechnen sind, was das sie Vereinende ist und wie und warum sie sich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts im deutschsprachigen Raum besonders an den Universitäten nach anfänglichen Schwierigkeiten derart rasch ausgebreitet hat.172 Die Gründe, die diese Entwicklung erklären, sind vielschichtig, sicherlich spielt der sog. Zusammenbruch des Idealismus, der etwas überspitzt mit dem Todesdatum Hegels zusammengelegt wurde, eine wichtige Rolle. Und so ist den später als Neukantianer bezeichneten Philosophen u.a. gemein, dass sie den Idealismus überwinden wollten, indem sie sich dem Motto Otto Liebermanns „Also muss auf Kant zurückgegangen werden“ anschlossen, das er in seinem, mit der nachkantischen Philosophie abrechnenden Werk Kant und die Epigonen fugenhaft wiederholt. Allerdings ist, wie etwa Schnädelbach feststellt, das ‚Zurück zu Kant‘ durchaus kein Monopol der Neukantianer gewesen, auch Denker, die nicht in diese Kategorie gehören, sahen eine Notwendigkeit, sich Kant zuzuwenden.173 Darüber hinaus ist das Muster der Renaissance in jener auf die Blütezeit des Idealismus folgenden Periode der Neuorientierung der deutschsprachigen Philosophielandschaft durchaus auch auf andere Philosophen angewandt worden.174 Was den Neukantianern offenbar gelang, war eine Art Rehabilitierung der Philosophie als von den Einzelwissenschaften, deren Einfluss insbesondere 171 Zu Schopenhauers Kantrezeption vgl. insbes. die sehr übersichtliche, tendenziell von Schopenhauer aus argumentierende Arbeit von Walter Meyer Das Kantbild Schopenhauers. Meyer (1995). 172 Maßgeblich zur Entstehungsgeschichte des Neukantianismus insbesondere unter Berücksichtigung der politischen und sozialen Bedingungen der deutschen Universitätsphilosophie vgl. die detaillierte und materialreiche Studie von Köhnke (1986), u.a. die Ergebnisse dieser Studie zusammenfassend siehe auch Pascher (1997), insb. 19–49; zur Frage der Einheit des Neukantianismus vgl. ferner Orth (1994). 173 Vgl. Schnädelbach (1983), 134. 174 So waren diese Renaissancen etwa durch Neuaristotelismus, Neuthomismus, Neoleibnizianer, Neufichteaner, Neuhegelianer und Neomarxisten vertreten. Vgl. dazu Schnädelbach (1983), 122 und Anm. 327.
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durch die Konjunktur der materialistisch und positivistisch grundierten Naturwissenschaften zunahm, unabhängige und zugleich für diese grundlegende Wissenschaft. Denn genau die Stellung einer grundlegenden Wissenschaft schien der Philosophie als Disziplin nach dem Idealismus abhandengekommen zu sein, Wissenschaft schien nun zum Gegenmodell der Philosophie geworden zu sein, weshalb die Zeit nach Hegel auch als Identitätskrise der Philosophie bezeichnet wird.175 Ein Weg der Neukantianer, diese Rehabilitierung in den Zeiten eines materialistischen Wissenschaftsverständnisses zu erreichen, war, einen Schwerpunkt auf die Erkenntnistheorie zu legen, wofür sich Kants kritische Philosophie, insbesondere die Kritik der reinen Vernunft mit besonderer Berücksichtigung der Transzendentalen Analytik, anbot.176 Diese Herangehensweise war ein besonderes Charakteristikum der Marburger Schule des Neukantianismus, als deren Begründer Hermann Cohen (1831–1918) gilt.177 Auch wenn Cohen u.a. durch extensives Zitieren den Anspruch erhebt, sich eng an Kant zu orientieren, ist sein Vorgehen von Anfang an ein systematisches und weniger der Versuch einer historischen Rekonstruktion der Argumentation Kants.178 Er deutet, gefolgt von seinem Schüler Paul Natorp, Kants schwierigen Begriff des „Dings an sich“ als Grenzbegriff der Erfahrung in dem Sinne, dass er, vergleichbar mit Kants regulativen Ideen, den Erkennenden stets antreibe, sich an ihm zu orientieren und den Erkenntnisgehalt hinsichtlich eines Erscheinungsdings stetig zu erweitern. Dabei
175 Einen hervorragenden Einblick in die philosophischen Strömungen jener Zeit liefert, neben dem bereits erwähnten Köhnke (1986), Herbert Schnädelbachs sehr anschauliche Philosophiegeschichte Philosophie in Deutschland 1831–1933, vgl. Schnädelbach (1983), zur Frage des Bedeutungswandels von „Wissenschaft“ und ihrer Konsequenz für die Philosophie, vgl. ebd., 88–137. 176 Zum Begriff der „Rehabilitierung der Philosophie“ in Zeiten eines materialistisch und positivistisch geprägten Wissenschaftsverständnisses schreibt Schnädelbach: „Unter ‚Rehabilitierung der Philosophie‘ verstehe ich den Inbegriff der Versuche, die Philosophie dadurch neu zu begründen, daß man ihr in einem wissenschaftlichen Zeitalter einen von den Einzelwissenschaften unabhängigen Bereich von Aufgaben zuweist, durch deren Bearbeitung sie selbst als Wissenschaft auftreten kann.“ Ebd. 131. 177 Die geläufige Einteilung des Neukantianismus in eine Marburger und eine Südwestdeutsche Schule, täuscht leicht über die Tatsache hinweg, dass sich der Neukantianismus nicht in diesen beiden Hauptströmungen erschöpft und auch nicht mit ihren Gründungsvätern erst eigentlich einsetzt, auch wenn mit ihnen die Ausbreitung und der Einfluss des Neukantianismus beginnt. Es gab maßgebliche Vorläufer wie Hermann von Helmholtz, der sich als Naturwissenschaftler energisch gegen einen Abgesang auf die Philosophie als grundlegende Wissenschaft stemmte, Kuno Fischer, Rudolf Haym oder Friedrich Albert Lange, dem Vorgänger Cohens auf dem Marburger Lehrstuhl, der das kantsche Apriori als angeborene physiologische Erkenntnisdisposition des Menschen verstand. Zur Vorläufergeneration vgl. insbes. Köhnke (1986), 109–272. 178 Vgl. Malter (1994), 50f.; zu Cohens Vorgehen vgl. auch Köhnke (1986), 273.
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geht es nicht in erster Linie um die Möglichkeit und die Grenzen der Erfahrung überhaupt, sondern um die Methode im Sinne des Fortschritts wissenschaftlicher Erfahrung.179 In ähnlicher Weise am Fortschrittsgedanken der Wissenschaft orientiert, aber doch vom Ansatz der Marburger Schule verschieden, ist der realistische Ansatz Alois Riehls (1844–1924). In seinem Werk Der philosophische Kritizismus. Geschichte und System (1876–1887) geht Riehl von der realen Existenz von Gegenständen aus. Die Notwendigkeit ihrer subjektbezogenen Konstituierung tritt, anders als bei den Marburgern, in den Hintergrund. Für Riehl sind die erkennbaren Gegenstände Erscheinungen der Dinge, „die als Ding an sich gedacht und als Erscheinungen erkannt werden“.180 So scheint es, dass bei Riehl das Ding an sich die Stelle des Dings überhaupt einnimmt. Damit betont er die realistische Komponente in der theoretischen Philosophie Kants, vernachlässigt aber zugleich die idealistische, subjektabhängige, indem er etwa die in Kants Transzendentaler Ästhetik vorgenommene Erklärung von Raum und Zeit als Funktionen des Subjekts suspendiert. Seiner Meinung nach kommen der Wirklichkeit unabhängig vom Subjekt raum-zeitliche Bestimmungen zu. Dennoch grenzt er sich klar von dem im 19. Jahrhundert verbreiteten mechanischen Materialismus181 ab, der jedes mentale Phänomen auf rein materielle Prozesse zurückführt.182 Doch ist der Neukantianismus nicht allein auf methodologische, erkenntnistheoretische und an den Wissenschaften orientierte Ansätze zu reduzieren.183 Insbesondere die Südwestdeutsche Schule184 des Neukantianismus setzt hier andere Akzente. Die Transzendentalphilosophie Kants wird von dieser Spielart des Neukantianismus als Wertphilosophie, ja Wissenschaft von Werten gedeutet. Als Schlüsselfigur einer auf Werte begründeten Philosophie gilt Hermann Lotze (1817–1881)185. Sein Schüler Wilhelm Windelband war es, der als Gründungsva179 Vgl. Pascher (1997), 59f.; Malter (1994), 53. 180 Malter (1994), 49. 181 Diese Spielart des Materialismus, die auch polemisch als Vulgärmaterialismus bezeichnet wurde, ist nicht zuletzt von Marx und Engels kritisiert worden, die ihre Idee eines historischen Materialismus davon streng unterschieden. Insbesondere Ludwig Büchners Buch „Kraft und Stoff“ (1855) scheint diese Form des Materialismus popularisiert zu haben. Vgl. Schnädelbach (1983), 123f. 182 Zu Riehl vgl. knapp Malter (1994), 47–49; Pascher (1997), 67–69. 183 Selbst eine Reduzierung der Marburger Schule auf Methodologie und Erkenntnislehre wäre ungenau, da es auch in dieser Strömung Ausführungen zu Ethik und Ästhetik sowie zum Begriff der Kultur gibt. Vgl. Schnädelbach (1983), 135; Orth (1994), 16. 184 Zur Südwestdeutschen Schule vgl. hier Schnädelbach (1983), 219–225; Pascher (1997), 60– 67; Malter (1994), 54–57. 185 Zur Entwicklung der Wertephilosophie und der Bedeutung Hermann Lotzes vgl. Schnädelbach (1983), 197–218.
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ter der Südwestdeutschen Schule den Werte-Begriff in einen transzendentalphilosophischen Bezugsrahmen stellt und ihn somit zusamen mit dem Begriff der Geltung als Schlüsselbegriff für den Neukantianismus einführt.186 Es zeigt sich also, dass der Neukantianismus durchaus keinen einheitlichen Zugang zu Kant verkörpert, das Gemeinsame aller hier angesprochenen Spielarten dieser Strömung ist aber der Versuch, Philosophie durch Rückgriff auf Kant als Wissenschaft bzw. als für die Wissenschaft maßgebliche und methodologische Disziplin zu rehabilitieren. Das Interesse an Kants Metaphysikkritik bestand mehr in der Kritik der Metaphysik als in Kants Frage nach der Möglichkeit derselben.
3.1.3 Metaphysische Kantrezeption187 Bereits mit der Jahrhundertwende, spätestens aber nach dem Ersten Weltkrieg trat eine Tendenz in der philosophischen Landschaft auf, die sich gegen die seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts dominierende metaphysikkritische Haltung in der Philosophie wendete, der Schulphilosophie, insbesondere dem Neukantianismus, eine Überbetonung von Methode, Systematik und positivistischem Wissenschaftsverständnis vorwarf und eine Wiederbelebung der Metaphysik anstrebte,188 indem auf Kants Ziel, die Metaphysik als Wissenschaft möglich zu machen, hingewiesen wurde. Mit ausgelöst wurde solch eine Neuorientierung sowohl durch die politischen Erschütterungen dieses Krieges, die durch die Frage nach Sinn allgemein sowie den Bedingungen der Vernunft Kants politisches Denken wieder aktuell werden ließen, als auch durch eine zuneh186 Programmatisch für Windelbands Philosophieauffassung kann sein Werk Einleitung in die Philosophie, Tübingen 1914, genannt werden. 187 Zu den Anfängen der metaphysischen bzw. ontologischen Kantrezeption im deutschsprachigen Raum der 1920er-Jahre vgl. die Dissertation von Christian Baertschi (2004). Der Verfasser unterscheidet hier begrifflich und inhaltlich zwischen metaphysischer und ontologischer Kantinterpretation, wobei die Unterscheidung nicht ganz scharf ist. Als metaphysische Kantinterpretation versteht er in einem weiteren Sinne, also als Oberbegriff, sämtliche Zugänge, die sich entweder mit der metaphysica generalis oder Teilfragen der metaphysica specialis beschäftigen, in einem engeren Sinne Interpretationen aus dem Bereich der speziellen Metaphysik, also z.B. die Frage nach Gott oder der Unsterblichkeit. Ontologisch ist demnach eine Kantdeutung, wenn sie von Fragen der allgemeinen Metaphysik ausgeht, vgl. ders. 11–13. Allgemein zur metaphysischen Kantrezeption vgl. auch Gerhardt/Kaulbach (1979), 3–13. Funke (1976). Überblicksartig mit weiteren Literaturhinweisen auch zur neueren Forschung zur metaphysischen Kantrezeption vgl. Ficara 2006, insbes. 13–22. Einordnend in den Kontext der Philosophiegeschichte in Deutschland vgl. Schnädelbach (1983), 232–262. 188 Vgl. Baertschi (2004), 4–8.
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mende Bedeutung des Geschichtlichen in der Wissenschaft. Diese führte auch in der Kantrezeption dazu, dass die Kontinuität im Denken Kants sowohl zu seinen unmittelbaren Vorgängern, der philosophischen Tradition als Ganzer als auch zwischen vorkritischer und kritischer Phase, hervorgehoben wurde.189 Die Kritik an der Verengung Kants auf Erkenntnistheorie und die Hinwendung zu metaphysischen Fragen hatte außerdem zur Folge, dass die Beschäftigung mit der Transzendentalen Dialektik der Kritik der reinen Vernunft, die im Neukantianismus eher marginalisiert worden war, wieder an Bedeutung gewann. Die sogenannte metaphysische bzw. ontologische190 Wende in der Kantrezeption aber wird auf das Kant-Jubiläums-Jahr 1924 datiert, in dem u. a. in derselben Nummer der Kantstudien je ein Aufsatz von Nicolai Hartmann191 und Heinz Heimsoeth192 erschien und Max Wundt sein Buch Kant als Metaphysiker193 publizierte. Alle drei Autoren betonen auf ihre Weise metaphysische Grundlagen oder Motive der kantschen Transzendentalphilosophie und kritisieren, meist in polemischer Haltung gegen den Marburger Neukantianismus, eine Reduktion Kants auf Logik und Erkenntnistheorie. Auch wenn die verschiedenen Ansätze der metaphysischen Kantrezeption insgesamt ein erhellendes Vergleichsmoment für manche iranischen Zugänge zu Kant darstellen, seien hier exemplarisch vor allem zwei maßgebliche Vertreter dieser Strömung erwähnt. Nicolai Hartmanns (1882–1950)194 Zugang zu Kant ist dezidiert systematischen Charakters. Es geht ihm nicht darum, Kants Lehre richtig zu deuten oder ihn in seiner ideen- oder entwicklungsgeschichtlichen Dimension zu betrachten. Insgesamt bemängelt er, dass philosophiegeschichtliche Untersuchungen sich meist an der Darstellung der historischen Systementwürfe orientierten. Die 189 Vgl. Gerhardt/Kaulbach (1979), 3–4. Zur zunehmenden Bedeutung von Geschichtlichkeit vgl. Schnädelbach (1983), 51–87. 190 Von phänomenologischer Kantrezeption spricht man bei einem von Edmund Husserl beeinflussten Zugang zu Kant Auch Heideggers Zugang zu Kant, den ich hier der ontologischen Kantrezeption zurechne, kann als phänomenologische Kantdeutung verstanden. Zum Verhältnis von Phänomenologie und der Philosophie Kants vgl. Dahlstrom (2004), 100–125. Zum historischen Kontext insbes. 100–15. 191 Hartmann, Nicolai: „Diesseits von Idealismus und Realismus“, in Kantstudien 24 (1924), 160–206. 192 Heimsoeth, Heinz: „Die Metaphysischen Motive in der Ausbildung des kritischen Idealismus“, in Kantstudien 24 (1924), 121–159. Im gleichen Jahr erschien auch eine Monografie Heimsoeths zu Kant. Persönlichkeitsbewusstsein und Ding an sich in der Kantischen Philosophie, Königsberg 1924. 193 Wundt, Kant als Metaphysiker. Ein Beitrag zur Geschichte der deutschen Philosophie, Stuttgart 1924. 194 Zu den Ausführungen zu Nicolai Hartmanns Werk und Kantrezeption vgl. Baertschi (2004), 139–153; Schnädelbach (1983), 251–260.
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Systeme aber seien gerade nicht das Bleibende in der Geschichte der Philosophie, das seien vielmehr die wiederkehrenden Fragen und Probleme. Lege man sein Augenmerk einseitig auf die Systeme, so gerate allzu oft aus dem Blickfeld, dass sie manche Fragen und Probleme zwecks Systemkonformität verdrängt oder vereinfacht haben. Er selbst will sich daher, auch wenn sein Interesse an der Philosophiegeschichte systematisch ist, nicht als Systemdenker verstanden wissen, sondern als Problemdenker.195 In seinem Umgang mit Kant, dem er übrigens zugutehält, sowohl das System als auch die Probleme im Auge zu haben, versucht er vor allem einige von dessen zentralen Theoremen für seine eigene Lehre nutzbar zu machen.196 Diese wiederum versteht er als Ontologie, als Lehre vom realen Sein, und damit als erste Philosophie. Die Fragen der speziellen Metaphysik, die in den bisher betrachteten metaphysischen Kantzugängen sehr zentral waren, spielen für ihn keine besondere Rolle. An Kant kritisiert Hartmann, dass er in seiner Lehre von der Möglichkeit der Erkenntnis letztlich einen idealistischen Standpunkt einnehme, da Objekte nur als Objekte der Erkenntnis in Betracht kommen und das Problem des Subjekt-Objekt-Dualismus somit nur im Subjekt lösbar sei. Zwar bedürfe es einer zusammenführenden Instanz, doch sei diese nicht notwendigerweise das Subjekt. Die Frage nach dem an sich Seienden würde damit verdrängt. Hartmann vertritt gewissermaßen einen kritisch-realistischen Standpunkt, indem er darauf abzielt, den Gegenstand als unabhängig vom Erkenntnissubjekt zu rehabilitieren. Erkenntnis sei ganz allgemein und zuerst die Erkenntnis von an sich Seiendem, somit sei das Erkenntnisproblem ein metaphysisches Problem und ein Versuch, sich dieses Problems anzunehmen, laufe auf eine Metaphysik der Erkenntnis hinaus.197 So wie seit Kant Metaphysik ohne kritische bzw. transzendentale Erkenntnistheorie nicht möglich sei, so gelte das auch umgekehrt, ohne kritische Metaphysik keine Erkenntnistheorie, denn diese behandele stets die Erkenntnis eines Subjekts von etwas, das außerhalb desselben vorhanden ist, eines Objekts. Selbst wenn das, was erkannt werden kann, mit Kant Phänomen und damit subjektabhängig ist, so ändere das nichts an der Tatsache, dass eine Subjekt-ObjektRelation vorhanden ist, die er als eine reale Seinsrelation versteht. Ontologie hat damit wieder Vorrang vor Erkenntnistheorie. Den subjektivistischen Aspekt des
195 Zu Nicolai Hartmanns Kritik an Systemgeschichte vgl. Nicolai Hartmann, Der Philosophische Gedanke und seine Geschichte, 1936. 196 Die für seine ontologische Kantrezeption maßgeblichen Schriften Hartmanns: Hartmann, Nicolai: „Diesseits von Idealismus und Realismus“, in Kantstudien 24 (1924), 160–206; ders.: „Kant und die Philosophie unserer Tage“, in: ders.: Kleinere Schriften Bd. III, Berlin 1958, 339– 345 (ursprünglich: Kölnische Zeitung 1924). 197 Hartmann, Nicolai: Grundzüge einer Metaphysik der Erkenntnis, Berlin/Leipzig 1921.
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kantischen Verständnisses von Kritik, nach dem Kritik insbesondere auf einer Beachtung der Subjektprinzipien beruhen müsse, weist Hartmann zurück. Die bei Kant erst daraus folgende Unterscheidung zwischen Erscheinung und Ding an sich, versteht er hingegen als den eigentlichen Kern des kritischen Denkens. Die wahrscheinlich einflussreichste ontologische Interpretation Kants aber wird von Martin Heidegger unternommen, der die Kritik der reinen Vernunft als Wegbereiter seiner Fundamentalontologie deutet.198 Heidegger legt seine Deutung Kants insbesondere in seinem Buch Kant und das Problem der Metaphysik (1929) sowie in einer Reihe von Vorlesungen dar. Dabei versteht er transzendentale Erkenntnis als ontologische Erkenntnis, indem er argumentiert, dass es Kant bei seiner Untersuchung der Erkenntnis nicht primär um die Untersuchung der Erkenntnis von Gegenständen gehe, was Heidegger in seiner Terminologie mit dem Subjekt „Seiendes“ bzw. dem Attribut ontisch belegt, sondern um die Untersuchung der Erkenntnisart, was seinem Verständnis von Sein (ontologisch) gleichkomme. In der transzendentalen Erkenntnis werde der Gegenstand bzw. Seiendes in Richtung auf das Sein transzendiert, diese Erkenntnis aber sei wiederum an zeitliches bzw. geschichtliches Seiendes gebunden und deshalb endliche Erkenntnis. Heidegger deutet damit den Begriff des Transzendentalen im Sinne seiner Daseinsanalyse um, indem für ihn transzendental gerade das bezeichnet, was zur Transzendenz gehört.199 Um nun Kants transzendentale Erkenntnistheorie im Sinne seiner „Fundamentalontologie“, in der er das Sein als Grund des Denkens versteht, zu deuten, unternimmt er eine eigenwillige Deutung von Kants Unterscheidung der zwei Erkenntnisstämme – Sinnlichkeit und Verstand – des Menschen, indem er nach deren Wurzel sucht. Dabei beruft er sich auf Kant selbst, der in der Einleitung der KrV anmerkte, dass diese beiden Erkenntnisstämme „vielleicht aus einer gemeinschaftlichen, aber uns unbekannten Wurzel entspringen (…)“.200 Diesen Grund nun versucht Heidegger in Kants Diskussion der Erkenntnisvermögen ausfindig zu machen, indem er Kants programmatische Frage nach der Möglichkeit synthetischer Urteile a priori ontologisch in die Suche nach einem apriorischen, bzw. nach hermeneutischer Terminologie vorgängigen, Seinsverständnis umdeutet. Die Wurzel schließlich macht Heidegger in der transzendentalen Einbildungskraft aus, die letztlich in jenem vorgängigen Seinsverständnis bestehe. Insgesamt gibt Heidegger nicht vor, Kant textgetreu ausgelegt zu haben, vielmehr nimmt er für seine Deutung in Anspruch, das „Geschehen“ der kantschen Analyse aufzudecken. Letztlich sei Kant vor dem Schluss, dass die transzendentale Einbildungskraft, und damit Sinnlichkeit, die Wurzel der 198 Zu Heidegger Kantinterpretation vgl. Baertschi (2004), 154–188. 199 Vgl. Baertschi (2004), 161. 200 KrV A 19/B 29.
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Erkenntnis sei, zurückgeschreckt. Noch in der ersten Ausgaben der KrV habe er in der Transzendentalen Deduktion, in diese Richtung argumentiert, habe den Schluss auf die Wurzel in der transzendentalen Einbildungskraft zugunsten des Verstandes aufgegeben.201 Insgesamt bietet die metaphysische Kantrezeption eine Fülle von systematischen Anknüpfungspunkten zu den Ansätzen iranischer Kantinterpreten. Hartmanns Kantdeutung und sein Denken allgemein hatten in Iran bisher allerdings keinen maßgeblichen Einfluss, auch wenn seine Lehre eines metaphysischen Realismus durchaus Anklänge in manchen von Mollā Ṣadrā geprägten Kantdeutungen findet. Heidegger wiederum spielt in der Gegenwartsphilosophie Irans eine sehr wichtige Rolle, die ausreichend Stoff für eine eigene umfangreiche Untersuchung bietet.
3.1.4 Analytische Kantrezeption Unter den bedeutenden systematischen Zugängen zu Kant im 20. Jahrhundert sei zuletzt noch die analytische Kantrezeption genannt. Diese scheint zunächst vor allem in einer Abwendung von Kant und vor allem seinem transzendentalen Idealismus zu bestehen. Denn die Grundannahme des Idealismus, dass alles, was existiert, auf irgendeine Weise bewusstseinsabhängig ist, war den analytischen Philosophen auch in der transzendentalen Form, in der diese Bedingung des Idealismus „nur“ für die phänomenale Welt, die nach Kant einzig erkennbare, zutrifft, höchst suspekt. Die erste explizit positive analytische Rezeption wurde initiiert durch zwei einflussreiche Arbeiten von Peter Strawson. Nämlich zunächst durch das Werk Individuals (1959), in dem sich der Autor dem Projekt einer Analyse der allgemeinen Strukturen unseres Begriffssystems, die für die Identifizierung von Einzeldingen (individuals) maßgeblich sind, widmet. Dieses Unternehmen nennt Strawson auch etwas provokativ „deskriptive Metaphysik“. Provokant deshalb, weil sich analytische Philosophie explizit als antimetaphysisch verstand. Hatte sich der Autor bereits in diesem Werk auf Kant bezogen, so ist das zweite Werk The Bounds of Sense (1966) als analytischer Kommentar zur Kritik der reinen Vernunft gedacht. Der Tenor besteht nun darin, Transzendentalphilosophie nicht idealistisch zu deuten, sondern unter einer transzendentalen Analyse die Aufdeckung der semiotischen und linguistischen Grundbedingungen der Sprache zu verstehen, die als Zeichensystem, gemäß dem „linguistic turn“, auch für unser Denken und Erkennen grundlegend ist. Doch auch wenn 201 Vgl. Baertschi (2004), 183f.
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sich Strawson damit von den „Gründungsvätern“ der analytischen Philosophie wie Frege, Moore, Wittgenstein, Russel, Carnap und Quine abzusetzen scheint, so beläuft sich Kants Einfluss auf diese Denker durchaus nicht nur in einer Absatzbewegung, vielmehr scheinen, das legen einschlägige Studien nahe, einzelne Theoreme Kants auch in konstitutiver Weise Einfluss auf die analytische Philosophie genommen zu haben.202 Insgesamt gibt es bis heute innerhalb der analytischen Philosophie sowohl Positionen, die zentrale Lehren Kants widerlegen, als auch solche, die diese mit sprachanalytischen Grundsätzen vereinen wollen. So ist etwa die Frage, inwiefern Kants Einteilung von Urteilen in synthetische und analytische haltbar ist, umstritten. Quine etwa argumentiert in seinem 1951 erschienenen Aufsatz „Two Dogmas of Empiricism“, dass es sich bei dieser Unterscheidung um ein Dogma handele, das bei genauere Betrachtung nicht haltbar sei. Stephan Körner, der eine auch in Iran viel rezipierte Einführung in das Denken Kants verfasst hat, geht – ohne dabei Kant grundsätzlich widerlegen zu wollen – so weit zu argumentieren, dass Kant in seinem erkenntnistheoretischen Kernstück der KrV, der Transzendentalen Deduktion, letztlich nicht habe nachweisen können, dass die Ergebnisse der Deduktion, Kants Vorgabe entsprechend, tatsächlich synthetische Urteile a priori seien, vielmehr ergebe die Deduktion nur dann Sinn, wenn man sie als nicht triviale analytische Urteile betrachte.203 Auch Jonathan Bennet, der einen zweibändigen durchgängigen Kommentar zur KrV verfasst hat, geht zwar in einzelnen Punkten sehr kritisch mit Kants Denken um, ohne es rundweg abzulehnen.204 Andere Vertreter der analytischen Philosophie berufen sich auf die eine oder andere Weise auf Strawsons Ansatz, indem sie das Transzendentale nicht in erster Linie als gnoseologisches, sondern vielmehr als sprachanalytisches Problem betrachten und wie etwa Jaakko Hintikka nach den sprachlogischen Bedingungen transzendentaler Argumente fragen. Aus dieser Fragerichtung ist eine auch im deutschen Sprachraum einflussreiche Spielart der transzendentalen Philosophie hervorgegangen, die Transzendentalpragmatik, deren Anhänger eben diese Perspektive, nach den Bedingungen zu fragen, die im Urteilen immer schon implizit vorausgesetzt sind, zum Kern ihrer Lehre machen, um daraus nicht zuletzt auch eine spezielle Form der Diskursethik zu begründen. Diese vor allem von Karl Otto Apel vertretene Schule geht davon aus, dass man bestimmte Grundnormen in Form von transzendentalen Argumenten formulieren kann, die verbindlich sind, da deren Gültigkeit für jeden einsichtig 202 Vgl. Hanna (2001); Reed (2007). 203 „Wenn Kants Transzendentale Deduktion richtig ist, zeigt sie analytische Sätze auf, die keineswegs selbstverständlich sind.“ Körner (19802), 54f. Die englische Originalausgabe erschien 1955. 204 Vgl. Bennet (1966) und Bennet (1974).
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zu machen sei, indem man zeigt, dass man sich mit deren Ablehnung in argumentatorische Selbstwidersprüche verstrickt. Weniger der transzendentalpragmatische Ansatz als vielmehr die sprachanalytische Kritik an Kant werden in Iran vielfach rezipiert. Das mag zuallererst praktische nämlich sprachliche Gründe haben, da ein bedeutender Teil der englischsprachigen Kantliteratur auf die eine oder andere Weise von der analytischen Tradition geprägt ist und der Zugang zur westlichen Kantforschung vor allem über englischsprachige Publikationen läuft. Nicht in jedem Falle ist daher der Umstand mitreflektiert, dass es sich um eine spezifische Strömung der Kantinterpretation handelt. Ein speziellerer Grund sich auf diese Richtung zu stützen, mag für Teile der iranischen Kantinterpreten aber konkret an einer in Bezug auf die kantsche Erkenntnistheorie kritischen Haltung liegen.
3.1.5 Philologisch-historische Kantforschung Während die bisher dargestellten Phasen der systematischen Kantrezeption in dem Punkt übereinstimmten, dass sie Kant als Ausgangspunkt ihrer philosophischen Reflexionen ansahen, um letztlich durch Kritik und Deutung des kantschen Werks über Kant hinauszugehen, ist das Erkenntnisinteresse der philologischhistorischen Kantforschung ihrem Anspruch nach anders geartet. Das kantsche Denken soll dabei nicht Ausgangs-, sondern Endpunkt der Untersuchungen sein, denn es geht darum, Kants Werk in seiner historischen Entwicklung in den Blick zu nehmen. Dabei wird je nach Fragestellung entweder die Werkgeschichte oder die Vorgeschichte des kantschen Denkens thematisiert. Die werkgeschichtliche Perspektive bewirkte ein erstarkendes Interesse an den vorkritischen Schriften Kants, so wie an dessen Nachlass. Die vorgeschichtliche Perspektive wiederum versucht, die kantsche Philosophie in ihren ideengeschichtlichen Kontext einzuordnen und anhand verschiedener Beispiele zu zeigen, dass mit Kant zwar eine neue Ära der Philosophie angebrochen sein mag, dass sich dieser dafür aber auf eine Reihe von Vorarbeiten stützen konnte, die bei einer Überbetonung Kants als Erneuerer der Philosophie leicht aus dem Blick geraten, für Kant möglicherweise aber maßgeblich waren. Erste ernsthafte Ansätze zu einer historischen Kantforschung findet man bei den Neukantianern, wobei hier zunächst das historische Interesse dem systematischen untergeordnet zu sein scheint.205 Bereits zu Beginn zeichnen sich hier unterschiedliche Zugangsweisen ab. Cohen reklamierte für sich einen pro205 Zu den Anfängen der Kantphilologie und -historie im Neukantianismus vgl. Köhnke (1986), 367–388.
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blemgeschichtlichen Zugang, der die vorkritischen Schriften Kants nach ihrem Nutzen für das Verständnis des kritischen Idealismus Kants untersuchte, den er selbst vertrat.206 Mit diesem Zugang konkurriert der biografisch-entwicklungsgeschichtliche Ansatz Kuno Fischers, der von einer chronologischen Entwicklung der Theoreme in Kants Schriften ausging, ohne allerdings sein systematisches Interesse dem historischen unterzuordnen. Es folgten Arbeiten, die sich um mehr historische Distanz bemühten und zunehmend auch den philosophiegeschichtlichen Kontext, der auf Kant wirkte, mit in die Betrachtung einbezogen.207 Insbesondere die Arbeit von Benno Erdmann, in der dieser die bisherigen historischen Ansätze kritisch beleuchtet, hatte das Anliegen, sich nicht an aktuellen philosophischen Fragen der Zeit zu orientieren, sondern möglichst philologisch und streng historisch vorzugehen.208 Bereits in frühen Beispielen zeigen sich zwei Pole einer historischen Auseinandersetzung mit Kants Werk. Auf der einen Seite steht das Interesse an einer möglichst genauen Nachzeichnung der Genese von Kants Schriften. Zu diesem Zweck etwa schien es hilfreich, das Denken Kants in Phasen einzuteilen und die Texte, seien es einzelne Schriften, Briefe, Texte aus dem Nachlass oder auch Abschnitte und Passagen größerer Werke, diesen Phasen zuzuordnen.209 Dadurch sollte es auch möglich sein, Brüche oder Unstimmigkeiten in der Komposition einzelner Werke Kants zu erklären. Einzelne Forscher wie Norman Kemp-Smith glaubten, mit dieser Methode nachweisen zu können, dass Kant etwa die Kritik der reinen Vernunft durch mehr oder weniger lose Aneinanderreihung einzelner Textelemente auch aus zum Teil älteren eigenen Schriften verfasst habe.210 Auch wenn sich auf dem Weg dieser „quellenanalytischen Methode“ manche Unklarheiten klären lassen, besteht die Gefahr, durch die Zergliederung und „Atomisierung“ eines kantschen Textes den Blick für den Gesamtzusammenhang des kantschen Denkens aus dem Auge zu verlieren.211 Wenn aber auf der anderen 206 Die maßgebliche Schrift Cohens dazu: Die systematischen Begriffe in Kants vorkritischen Schriften nach ihrem Verhältnis zum kritischen Idealismus, Berlin 1872. 207 Dazu gehören etwa Friedrich Paulsen, Versuch einer Entwicklungsgeschichte der kantschen Erkenntnistheorie, Leipzig 1875; Alois Riehl, Der philosophische Kriticismus und seine Bedeutung für die positive Wissenschaft. I. Band: Geschichte und Methode des philosophischen Kriticismus, Leipzig 1876. 208 Vgl. Benno Erdmann, Martin Knutzen und seine Zeit. Ein Beitrag zur Geschichte der Wolffschen Schule u. insbes. zur Entwicklungsgeschichte Kants, Leipzig 1876. 209 Für solch einen Ansatz stehen etwa E. Adickes, Kant und das Ding an sich, Berlin 1924; ders. „Einleitung zum Handschriftlichen Nachlass“, Akademie Ausgabe XIV, 7–62; Vaihinger, H. Commentar zu Kants Kritik der reinen Vernunft, Stuttgart 1881–1892. 210 Vgl. Kemp-Smith, A Commentary to Kant’s Critique of Pure Reason, London 1918. 211 Dazu und zu einem weiteren Überblick zur historischen Kantauslegung vgl. Gerhardt/Kaulbach (1979), 14–23. Die Autoren benennen klar die Verdienste dieser Methode, mahnen aber: „Es
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Seite eben jener Blick für den Gesamtzusammenhang im Sinne eines problemgeschichtlichen Zugangs ins Zentrum der historischen Kantforschung rückt, kann es leicht geschehen, dass das historische Interesse einem bestimmten systematischen Zugang untergeordnet wird, der eben jenes Ganze repräsentieren soll. Historische und entwicklungsgeschichtliche Untersuchungen sind in der Kantliteratur seither weitverbreitet und bewegen sich, vereinfacht gesagt, je nach Erkenntnisinteresse des Interpreten zwischen den Polen einer systematisch motivierten, auf einen meist bestimmten Gesamtzusammenhang abzielenden Problemgeschichte und einer eher philologisch-quellenanalytisch orientierten Entwicklungsgeschichte. Abschließend seien nur zwei weitere Beispiele genannt. Einen entwicklungsgeschichtlichen Ansatz verfolgte in den 1960er-Jahren Joseph Schmucker, der nachzuweisen versuchte, dass die Argumentation in Kants Transzendentaler Dialektik sich in grundlegenden Teilen bereits in seinen vorkritischen Schriften wiederfindet, und somit zumindest vom Ansatz her älter ist als die ihr vorgeschaltete Analytik.212 Ludger Honnefelder213 und Norbert Hinske214 etwa beschäftigen sich u. a. mit der Vorgeschichte der Termini „transzendental“ und „Transzendentalphilosophie“. Während Honnefelder sich dabei besonders um die Vorgeschichte und eine gewisse Kontinuität auch über Kant hinaus bemüht, hat Hinske insbesondere die Entwicklungsgeschichte des Begriffs in Kants Werk im Blick, wobei er dabei drei Phasen unterscheidet.215 Norbert Hinske, der großen Wert darauf legt, zwischen einem an einem Gesamtzusammenhang orientierten, systematischen Kantianismus und einer als strenger Einzelwissenschaft verstandenen Kantforschung zu unterscheiden, ist zudem auch ein wichtiger Vertreter der Kantphilologie, der zudem bestrebt ist, den Zusammenhang zwischen Kantauslegung und dem Stand der Kantforschung, respektive dem Stand der Edition des Gesamtwerks, zu beleuchten.216 kann eben auch dazu führen, daß man dialektische Spannungen im kantschen Denken entwicklungsgeschichtlich sterilisiert, statt in ihnen wirksame Impulse zur Reproduktion des kantschen Gedankengangs wirksam werden zu lassen.“ Vgl. ebd. 15f. Zur Kritik an Kemp-Smith vgl. H.J. Paton (1929/1930). 212 Zu Schmuckers Ansatz vgl. Gerhardt/Kaulbach (1979), 20f.; Sala (1987). Sala selbst greift diesen Ansatz auf und nutzt ihn etwa in seiner Untersuchung zur Gottesfrage bei Kant, vgl. Sala (1989). 213 Vgl. Honnefelder (1990). 214 Vgl. Hinske (1970). 215 Vgl. Gerhardt/Kaulbach (1979), 21f. 216 Vgl. dazu Hinske (1994). In Hinskes Unterscheidung, in der er noch einmal zwischen Kantforschung und Kantphilologie differenziert, scheint der Kantianismus und die Philosophie als systematische Disziplin insgesamt nicht besonders gut wegzukommen: „Es geht in ihm [dem Kantianismus] ums Ganze – z. B. um das Ganze des menschlichen Daseins, um das Ganze der Erfahrung oder im das Ganze der Wirklichkeit schlechthin. Wie alle Philosophie hat er leicht
Tendenzen der Kantrezeption
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3.1.6 Relevanz für die iranische Kantrezeption Welche Relevanz nun hat dieser kursorische Streifzug durch die Rezeptionsgeschichte des kantschen Denkens im „Westen“? Was berechtigt dazu, diese gar als erstes Stadium der iranischen Kantrezeption zu bezeichnen? Zunächst einmal zeigt dieser Überblick ganz allgemein, dass Rezeption Geschichte hat, von bestimmten Kontexten, Interessen oder – was etwa das Beispiel der philologisch-historischen Kantforschung zeigte – auch vom Stand der Textüberlieferung abhängig ist. Natürlich handelt es sich bei den im vergangenen Überblick dargestellten Strömungen nicht um iranische Strömungen, auch wurden nicht einzelne von ihnen unmittelbar als dominierende Lehrmeinungen übernommen. Dennoch handelt es sich bei dieser Rezeptionsgeschichte, ähnlich wie beim im vorangegangenen Kapitel behandelten ideengeschichtlichen Kontext Irans, um eine Vorbedingung der iranischen Kantrezeption, die ohne diese Entwicklungen, die bereits vor der konkreten Rezeption in Iran außerhalb iranischen intellektuellen Milieus vonstattengingen, zweifellos anders verlaufen wäre. So wird sich beispielsweise zeigen, dass die frühe kritische Auseinandersetzung mit Kant durch islamische Denker sich vor allem auf einen Kant bezieht, der stark idealistisch gedeutet ist, während sie selbst zu Deutungen neigen, die gewisse Ähnlichkeiten zur deutschsprachigen metaphysischen Kantrezeption aufweisen, ohne dass dabei ein direkter Einfluss derselben offenkundig wäre. Deutlich ist hingegen der Einfluss bestimmter analytischer Kantdeutungen aus dem angelsächsischen Raum. So betrachtet kann man die Geschichte der europäischen Kantrezeption auch als Vorgeschichte der iranischen Kantrezeption begreifen. Dass die Wege der Vermittlung des kantschen Denkens nach Iran dabei mitunter sehr verschlungen sein können, zeigt ein sehr frühes Beispiel, das im Folgenden als eine Art Vorspiel zum Beginn der Kantrezeption in Iran behandelt wird.
etwas Gewagtes und Unsolides. Kantforschung und Kantphilologie dagegen sind eine Sache der strengen Einzelwissenschaft. Die Kantforschung beschäftigt sich z. B. mit Fragen der Biographie, der Entwicklungsgeschichte, der Textkommentierung, der Quellen- und Begriffsgeschichte usw. usw. Aufgabe der Kantphilologie ist die Bereitstellung gesicherter Texte. Selbstverständlich kann man die Kantphilologie auch als Unterabteilung der Kantforschung betrachten.“ Ebd., 32.
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3.2 Die Anfänge der Kantrezeption in Iran 3.2.1 Badīʿ al-Molk und François Jean-Marie Evellin Kant und sein Denken wurde in einem philosophischen Werke in persischer Sprache zum ersten Mal in den Fragen Badīʿ al-Molk Mīrzās erwähnt, die Āqā ʿAlī Zonūzī Tehrānī in seiner Schrift Badāʾīʿ al-ḥikam beantwortet. Badīʿ al-Molks Kenntnis von Kant kann, darauf wurde schon hingewiesen, nicht sehr groß gewesen sein, charakterisierte er ihn doch fälschlich einzig durch seine angebliche Zugehörigkeit zu einer Gruppe von Denkern, die die Existenz Gottes leugneten und die Welt, gemäß eines radikalen Materialismus eines Helvétius und La Mettrie, allein durch ein Zusammenspiel von Materie und Energie erklärten. Aus Zonūzīs Antwort kann man sogar nicht einmal erkennen, ob dieser überhaupt irgendeine Kenntnis von Kant gehabt hatte.217 So besehen kann man diese frühe Erwähnung nicht im eigentlichen Sinne als Beginn der iranischen Kantrezeption betrachten. Dennoch verbirgt sich hinter den Umständen dieser ersten Erwähnung Kants, wenn auch eher indirekt, ein bedeutsamer Impetus für eine sich erst später entwickelnde Richtung der Kantrezeption in Iran. Badīʿ al-Molk hatte sich nämlich, wie es scheint, nicht nur rein zufällig mit bestimmten Denkern der westlichen Philosophie beschäftigt. Er hatte sich beispielsweise, wie eine Reihe von Briefen an Ḥāǧǧ Ḥassan Amīn aż-Żarb (1837–1898)218 aus den Jahren 1888/9 (1306hq) deutlicht macht, nachhaltig bemüht, das 1880 erschienene Werk Infini et quantité, étude sur le concept de l‘infini en philosophie et dans les sciences von Francoise Jean-Marie Evellin (1835–1910) zu erhalten.219 Das scheint keineswegs im Widerspruch mit seiner ihm oben attestierten skeptischen Haltung gegenüber der modernen westlichen Philosophie zu stehen. Immerhin war das, was zu jener Zeit begann, als Errungenschaft westlichen Denkens unter iranischen Denkern Verbreitung zu finden, eine bestimmte Form des Positivismus, der von manchen gar im Sinne einer areligiösen bis antireligiösen Weltanschauung ausgelegt werden sollte. Diese 217 Vgl. Kadīvar (2005), 560–561. 218 Ḥājj-e Ḥassan Amīn aż-Żarb war Verwalter der staatlichen Münze unter Nāṣer-od-dīn Šāh und erfolgreicher Unternehmer, der einige Geschäftsreisen nach Europa unternahm. Vgl. EIr „Amīn aż-Żarb, Ḥājj Moḥammad-Ḥassan“, sowie Mahdavi (2011). 219 Die Bedeutung dieser Briefe für die moderne Ideengeschichte Irans hat Karīm Moǧtahedī in einem kurzen, aber meiner Ansicht nach wichtigen Aufsatz [Moǧtahedī (1384/2005-614)] besprochen, auf den sich diese Darstellung vor allem stützt. Was den Adressaten der Briefe betrifft, so nennt Moǧtahedī nur dessen Namen, sagt aber nichts weiter zu den näheren Umständen der Korrespondenz insgesamt. Er gibt an, die vier Briefe Badī al-Molks als Fotokopie von Asġar Maḥadvī erhalten zu haben. Einen bibliographischen Hinweis auf diese Brief gibt er leider nicht.
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Spielart des westlichen Denkens stand in Opposition zu den Doktrinen traditioneller iranisch-islamischer Philosophen. Evellin nun war wiederum Schüler von Charles Renouvier (1815–1903), mit dem Mitte der 50er-Jahre des 19. Jahrhunderts in Frankreich eine Gegenbewegung zum Positivismus à la Comte entstand, für die Kants kritische Philosophie eine zentrale Rolle spielte.220 Evellins Werk wiederum setzt sich in besonderer Weise mit den Antinomien in Kants KrV auseinander. Wie Renouvier vertritt er, anders als Kant, die Ansicht, dass der Verstand letztlich so konstituiert sei, dass er sich bei den Antinomien entweder für These oder Antithese entscheiden müsse. In Zusammenhang mit der ersten Antinomie, der Frage nach der räumlichen und zeitlichen Endlichkeit bzw. Unendlichkeit der Welt, optieren Renouvier und Evellin für die Endlichkeitsvariante.221 Es ist wahrscheinlich, dass Badīʿ al-Molk von dieser Gegenbewegung oder wenigstens von Evellin als Kritiker Comtes erfahren hat und zumindest in groben Zügen über das Denken Evellins informiert war, wenn auch nicht belegt ist, ob es ihm letztlich gelungen ist, das erwünschte Buch zu erhalten. Karīm Moǧtahedī folgert in seinem kurzen Beitrag zu Badīʿ al-Molk und Evellin, dass man anhand der Fragen, die Badīʿ al-Molk ein Jahr nach den erwähnten Briefen an Zonūzi stellte, annehmen könne, er habe sich bei diesen (Fragen 2–5) an den vier Antinomien Kants orientiert.222 Etwas unterbelichtet bleibt an Moǧtahedīs Beitrag, dass diese Antinomien, man denke an die Frage der Unendlichkeit der Welt oder der Kausalität, durchaus auch mit Blick auf die islamische Tradition formuliert sein können, wo sie ebenfalls eine zentrale Rolle spielen. Ein Einfluss durch Kant bzw. indirekt durch französische Kantdiskussionen ist also keineswegs zwingend. Dennoch ist die von Moǧtahedī aufgezeigt Parallele auffällig. Bemerkenswert ist dabei etwa, dass Badīʿ al-Molk in seiner 5. Frage auch auf die von Kant in der dritten Antinomie erörterte Doktrin der Kausalität durch Freiheit, die Kant in seiner praktischen Philosophie elaboriert, anzuspielen scheint.223 Auch wenn nicht nachweisbar ist, dass Badīʿ al-Molk hier von Evellin beeinflusst wurde, so ließe sich zumindest sein Interesse an dem Werk des französischen Kantinterpreten nachvollziehen. Vor diesem Hintergrund scheint es Moǧtahedī zufolge einleuchtend, Āqā ʿAlī Zonūzīs Badāʾiʿ al-ḥikam als vielleicht erstes Buch aus dem Kreise der traditio220 Knapp einführend zu Renouvier und seiner Bedeutung für den zeitgenössischen politischphilosophischen Diskurs in Frankreich vgl. Bonnet (2011), 105–117. Ausführlich mit Schwerpunkt auf der Bedeutung Renouviers als Theoretiker und Fürsprecher des Liberalismus vgl. Logue (1993) und Turlot (2003). Zur seiner theoretischen Philosophie vgl. Fedi (1998). 221 Zu Diskussion der Antinomien bei Renouvier vgl. Fedi (1998), 273–334. Zur ersten Antinomie ebd. 282–286. 222 Vgl. Moǧtahedī (1384/2005-614). 223 Vgl. Moǧtahedī (1384/2005-614), 251.
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nellen Philosophie in Iran zu betrachten, das einen komparatistischen Ansatz vertritt. Nicht wegen der 7. Frage des Prinzen und der knappen Antwort Zonūzīs allein, sondern vor allem, weil alle Fragen womöglich von Anfang an mit der Absicht eines Vergleichs zwischen einer europäischen Philosophie kantischer Prägung und der islamischen Philosophie von der Art Mollā Ṣadrās formuliert wurden. Möglicherweise konnte Badīʿ al-Molk selbst keinen direkten Bezug zwischen Kant und Evellin herstellen224 oder aber er hat Evellin mangels hinreichender Kenntnisse über das Denken Kants allein als Kantkritiker betrachtet, sodass er auf Kants Denken selbst nur unzureichend einging. Ganz offensichtlich jedoch gehört Badīʿ al-Molk zu den ersten Rezipienten moderner westlicher Philosophie in Iran, die nicht versuchten, sie gegen die Tradition der iranisch-islamischen Philosophie ins Feld zu führen bzw. die alte Tradition durch eine neue zu ersetzen. So ist es gut möglich, dass hier durch die Brille einer bestimmten Kantrezeption in Frankreich, die sich gegen den Positivismus stellte, erstmals ein Vorläufer einer bestimmten Kantrezeption in Iran in Erscheinung tritt, die versucht, bestimmte Strömungen westlicher Philosophie bzw. eine bestimmte Deutung von oder aber Kritik an Kant als Bestätigung der oder besser einer iranisch-islamischen Tradition der Philosophie heranzuziehen und gegen solche Strömungen – hier gegen den Positivismus – der westlichen Philosophie zu verteidigen, die scheinbar die eigene Tradition infrage stellen.225
3.2.2 Erste Einführungen in die westliche Philosophiegeschichte und in das Denken Kants Der eigentliche Beginn der Kantrezeption in Iran setzt ein mit den ersten ausführlicheren Überblicksdarstellungen und Einführungen in die westliche Philosophie, in denen das Denken des Königsberger Philosophen bereits eine wichtige bis hervorgehobene Stellung einnimmt. Eines der frühesten Werke dieser Art
224 Wie Moǧtahedī schildert, war ihm der genaue Titel des Buches wahrscheinlich nicht bekannt, das Werk Evellins unter dem Titel La Raison Pure Et Les Antinomies: Essai Critique Sur La Philosophie Kantienne aus dem Jahre 1907, das den Kantbezug noch deutlicher macht, war seiner Zeit noch nicht erschienen. 225 Um diesem höchst interessanten Hinweis nachzugehen und die These Moǧtahedīs zu erhärten, wäre es notwendig neben den vier genannten Briefen weitere Schriften und Nachlässe Badīʿ al-Molks auf diese Ansätze hin zu untersuchen bzw. zu erforschen, ob seine Ansätze aufgenommen wurden. Dafür bedürfte es einer eingehenden Sichtung von Quellen Qāǧārischer Autoren hinsichtlich philosophisch relevanter Passagen. Bis heute ist die philosophiegeschichtliche Aufarbeitung der Qāǧāren-Zeit ein Desiderat.
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wurde unter dem Titel Tārīḫ-e falāsafe (Geschichte der Philosophen) von Mīrzā Hādī Ḫān Ḥāʾerī (gest. 1359/1981) verfasst.226 Ein weiteres frühes Werk, das in die moderne Philosophie einführt, ist Abū l-Ḥasan Šaʿrānīs Falsafe-ye ūlā yā mā-baʿd-oṭ-ṭabīʿe. Moštamel bar mohemtarīn aqvāl-e falāsafe-ye orūpā dar elāhīyāt va taǧarrod-e nafs va taṭbīq-e eṣṭelāḥāt (Erste Philosophie oder die Metaphysik. Unter Einbeziehung der wichtigsten Positionen europäischer Philosophen hinsichtlich der Theologie, der Abstraktion der Seele und der Anwendung der Fachbegriffe), das 1316/1937 in Teheran erschien.227 An diesem Buch ist erkennbar, dass sein Autor über ein relativ solides Wissen bezüglich der modernen europäischen Philosophie verfügte. Mit seinem Werk beginnt zudem das bis heute hochaktuelle Projekt der Übertragung philosophischer Fachtermini aus europäischen Sprachen ins Persische. In seinen Ausführungen zur modernen Philosophie in Europa unterscheidet er vier Schulrichtungen: Šakkākān (Skeptizisten), taǧrobīyūn (Empiristen), mes̱ālīyūn (Idealisten) und ʿaqlgerāhā (Rationalisten). Kant scheint Šaʿrānī dabei allgemein den Idealisten zuzuordnen, doch er erkennt letztlich dessen Zwischenstellung zwischen Rationalisten und Empiristen, wenn er anführt: Aber Kant ist ausgewogener, indem er sagte, die Existenz der Außenwelt ist unbestreitbar (voǧūd-e ʿālem-e ḫāreǧī mosallam ast), denn solange etwas nicht existiert, kann es auch nicht in Erscheinung treten (tā čīzī mouǧūd nabāšad ẓāher nemišavad), aber seine Qualität (keyfīyat) und seine Zustände (aḥvāl) sind unbekannt.228
Des Weiteren zählt Šaʿrānī die Kategorien Kants auf: „Die Kategorien, die Kant der deutsche Philosoph, zusammenstellte, sind ihrer vier, von der jede jeweils drei Teile hat.“229 Außerdem thematisiert er Kants Unterscheidung zwischen analytischen und synthetischen Urteilen, wofür er die in der islamischen Philo226 Auf dieses Buch, das mir selbst nicht vorlag, macht Kadīvar in seinem Überblicksartikel zur Kantrezeption in Iran aufmerksam. Darin gibt er an, dass es offenbar vor Forūġīs Seyr-e Ḥekmat erschienen ist. Er macht selbst keine weiteren inhaltlichen Anmerkungen. Vgl. Kadīvar (2005), 562. 227 Vgl. Kadīvar (2005), 562–563. Auch dieses Werk lag mir leider nicht vor. 228 Šaʿrānī (1316/1937), 110, zitiert nach Kadīvar (2005), 563. 229 Für die Kategoriengruppe der Quantität und ihre Kategorien ‚Einheit‘, ‚Vielheit‘ und ‚Allheit‘ verwendet er die Begriffe kamm (vaḥdat, kas̱rat, maǧmūʿīyat), für Qualität und die Kategorien ‚Realität‘, ‚Negation‘ und ‚Limitation‘ keyf (vāqeʿīyat, manfībūdan, maḥdūdīyat), für die Kategorien der Relation nämlich ‚Inhärenz und Subsistenz‘, ‚Kausalität und Dependenz‘ und ‚Gemeinschaft‘ nennt er eżāfe (beyn-e ḥāl va maḥall, beyn-e ʿellat va maʿlūl, beyn-e feʿl va enfeʿāl) und schließlich für Modalität und die Kategorien ‚Möglichkeit/Unmöglichkeit‘, ‚Dasein/Nichtsein‘ und ‚Notwendigkeit/Zufälligkeit‘ ḥāl (emkān, voǧūd, voǧūb). ebd.
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sophie bekannten Termini ḥaml-e ūlā ẕātī und ḥaml-e šāyeʿ ṣanāʿī verwendet.230 Dieser implizit vergleichende Ansatz in der Wahl der Terminologie zeigt sich auch in seiner Verwendung zentraler erkenntnistheoretischer Begriffe aus dem islamisch-philosophischen Kontext wie ʿelm-e ḥożūrī (Erkenntnis durch Präsenz) und ʿelm-e ḥoṣūlī (Erkenntnis durch Repräsentation) im Zusammenhang mit Kant. Ein weiteres Thema, das Šaʿrānī diskutiert, ist die Gotteserkenntnis bei Kant. An einer Stelle gibt er an, Kant habe Gott nicht auf dem Wege der theoretischen Philosophie (ḥekmat-e naẓarī), sondern auf dem Wege der praktischen Philosophie (ḥekmat-e ʿamalī) bewiesen. An einer anderen Stelle interpretiert er Kants Herleitung eines sittlichen Bewusstseins des Menschen bzw. eines Sittengesetzes, das als Faktum besteht und nicht erst von Menschen gemacht wurde, als Beweis für die Existenz Gottes. Denn indem sich der Mensch bewusst werde, so Šeʿrānī, dass das Gesetz nicht von ihm gemacht wurde, müsse er erkennen, dass es vom ‚Notwendig Seienden‘ (wāǧib al-wuǧūd) erschaffen und dem Menschen eingegeben worden sei. Insgesamt stellt Šaʿrānīs Schrift damit einen Vorläufer für einen komparatistischen Zugang zum Denken Immanuel Kants dar, in dem bestimmte Konzepte der islamischen Philosophietradition auf Kants Werk adaptiert werden. Seine Deutung ist zudem insofern bemerkenswert, als dass der Autor anders als spätere Kantinterpreten wie etwa Ḥāʾerī Yazdī231 nicht Kants Kritik der theoretischen Gottesbeweise betont und kritisiert, sondern ausgehend von Kants praktischer Philosophie die Notwendigkeit der Existenz Gottes als beweisbar darstellt. In ungefähr die gleiche Zeit fällt ein Text von Mīrzā Hasan Ḫān Vos̱ūq adDoule, der unter dem letzten Regenten der Qāǧāren, Aḥmad Schah, als Finanzund Außenminister sowie in den Jahren 1916/1917 und 1918–1920 als Premierminister wirkte. Auch in der Pahlavi-Ära war er unter Reza Schah nochmals fürs Kabinett und als Berater tätig. Im Jahre 1315/1936 hielt er an der Theologischen Fakultät der Universität Teheran (damals dāneškade-ye maʿqūl va manqūl-e danešgāh-e Tehrān) einen Vortrag mit dem Titel Darbāre-ye Kānt va aqāʾed-e ū (Über Kant und Seine Lehrmeinungen), in dem er eine solide Einführung in das Leben und die zentralsten Doktrinen des Königsberges liefert. Vermutlich stützte sich Vos̱ūq, der fließend Französisch und Englisch sprach, für diese Darstellung auf eine einschlägige Einführung in Kants Denken, was u.a. die systematische Gliederung des Textes nahe legt, die den meisten Einführungen in Kants Denken folgt. Ob und wenn ja welche Sekundärquellen er verwendet hat, geht aus dem Text nicht hervor. Ob diese Schrift über den Vortragsanlass hinaus zu jener Zeit ein Echo fand, ist mir nicht bekannt. Eine lithografische Reproduktion findet sich 230 Vgl. ebd. Zur Verwendung dieser Begriffe für Kants analytische und synthetische Urteile in der iranischen Kantrezeption siehe unten 4.2. 231 Siehe dazu unten 4.2.2.
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in den Gesammelten Schriften Vos̱ūq ad-Doules.232 Ali Gheissari hat 2008 auf Basis dieser Vorlage eine von ihm neu edierte Fassung in der Zeitschrift Ketāb-e māh-e falsafe veröffentlicht.233 Die zweifellos bedeutendste frühe Einführung in die westliche Philosophie wurde ebenfalls von einem einflussreichen Politiker verfasst, der eine Ausbildung nach europäischem Vorbild genoss. Moḥammad ʿAlī Forūġīs (1877–1942), der wie Vos̱ūq ad-Doule ebenfalls verschiedene Ministerposten sowie die Position des Premiers unter dem letzten Qāǧāren-Schah Aḥmad und unter Reza Khan innehatte, verfasste mit der dreibändige Philosophiegeschichte Seyr-e ḥekmat dar orūpā (Entwicklung der Philosophie in Europa) ein Werk, das bis heute immer wieder aufgelegt wird und vielen Studierenden und Philosophieinteressierten als wichtige Orientierung und grundlegendes Nachschlagewerk dient. Es ist weitaus umfangreicher und von ganz anderer Art als das Werk Šaʿrānīs Philosophiegeschichte. Auf mehr als 800 Seiten behandeln die drei Bände die abendländische Philosophiegeschichte von den Vorsokratikern bis ins 20. Jahrhundert. Forūġī liefert in diesem Werk u. a. auch die dritte persische Übersetzung von Descartes Discours de la méthode. Jedem der drei Bände fügt er ein Glossar philosophischer Termini auf Französisch und Persisch an, das bis heute in Iran gebräuchlich ist und auch wenn einige Begriff inzwischen nicht mehr gängig sind, die philosophische Terminologie des Persischen maßgeblich mit beeinflusst haben dürfte.234 In der Einleitung seines Werkes gibt er an, dass er beabsichtigt habe, eine eigenständige Einführung in die europäische Philosophie und keine Übersetzung anzufertigen, um eine Sprache wählen zu können, die dem iranischen Leser eingängiger sei. Die Tatsache, dass sein Werk bis heute populär ist, scheint nahezulegen, dass ihm das auch gelang. Im zweiten Band von Seyr-e ḥekmat widmet er sich auf ca. 70 Seiten dem Denken Kants, womit er die umfangreichste selbstständige Einführung zu dessen Denken verfasste, die bis dahin angefertigt wurde.235
232 Maǧmūʿehaʾī az naẓm o nas̱r-e Vos̱ūq od-Doule bā pīšgoftār-e ʿAlī Vos̱ūq va enteḫāb va maqaddame-ye Pežmān Baḫtīyārī, be enżemām-e šarḥ-e ḥāl-e Vos̱ūq od-Doule be qalam-e Malek oš-Šoʿarāʾ Bahār, Tehran 1343 (2. Aufl.), 152–195. 233 Vos̱ūq od-Doule: „Darbāre-ye Kānt va aqāʾed-e ū“(ed. Ali Gheissari), in Ketāb-e māh-e falsafe, Nr. 12 (1387/2008), 9–25. 234 Vgl. dazu Kadīvar (2005). 235 Forūġī macht allerdings weder deutlich, welche Textausgaben noch welche Literatur er verwendet hat. Eine ausführliche Diskussion dieses Werkes und seiner Bedeutung für die Rezeption europäischer Philosophie liefert Moǧtahedī (1384/2005-618). Speziell zum Kantteil, angelehnt an den soeben erwähnten Aufsatz Moǧtahedīs vgl. Kadīvar (2005).
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3.2.3 Übersetzungen von philosophiegeschichtlichen Werken Ab Mitte des 20. Jahrhunderts wurden schließlich einige philosophiegeschichtliche Werke bzw. Auszüge aus solchen mit speziellem Bezug zu Kant aus europäischen Sprachen ins Persische übersetzt. Kāẓem ʿEmādī veröffentlichte im Jahr 1328/1949 seine Übersetzung eines Buches, das im Jahre 1941 von André Cressons in der von Émile Bréhier herausgegebenen Einführungsreihe „Philosophes“ unter dem Titel „Kant“ publiziert wurde. Diese Übersetzung, die den gleichen Titel trägt, ist damit das erste Buch in persischer Sprache, das sich speziell dem Denken des Königsbergers widmet. Wenige Jahre später (1336/1956) überträgt ʿAbbās Zaryāb-Ḫūʾī Will Durants The Story of Philosophy (Tārīḫ-e falsafe), dessen sechstes Kapitel sich auf ca. 50 Seiten der Philosophie Kants widmet, ins Persische. Ebenfalls von Bedeutung ist die Übersetzung von Bertrand Russels History of Western Philosophy (1945) die 1360/1981 unter dem Titel Tārīḫ-e falsafe-ye ġarb von Naǧaf Daryābandī vorgelegt wurde. ʿAlī Aṣġr Ḥalabīs Übersetzung von Albert E. Aveys Handbook in the History of Western Philosophy, 3500 BC to the Present (1954), die er zwischen 1358/1979 und 1362/1983 in drei Bänden unter dem Titel Seyr-e falsafe dar orūpā herausbrachte, geht in ihrem zweiten Band auf ca. 13 Seiten knapp auf Kants Leben und Denken ein. Aveys Werk, das wie der Titel bereits andeutet, im Prinzip die gesamte Ideengeschichte als Vorgeschichte der „Westlichen Philosophie“ erzählt, zeichnet sich weniger durch seinen genaue Analyse als durch seinen sehr umfassenden enzyklopädischen Charakter aus. In seiner Übersetzung bemüht sich Ḥalabī, Namen, Orte, Denkschulen und vor allem Begriffe meist nicht nur in Übersetzung, sondern in der Anmerkung mit ihrem englischen Äquivalent anzugeben. In einem im Anhang des dritten Bandes befindlichen ausführlichen, englischpersischen Glossar, das auch als Register fungiert, sind diese Synonyme auf 160 Seiten zusammengefasst. Das Werk konnte damit nicht zuletzt als Handbuch und Fachwörterbuch Verwendung finden. Während die Anfänge der Kantrezeption in Iran an der Schwelle des 20. Jahrhunderts bereits, wie das Beispiel Badīʿ al-Molks zeigte, mit einem, wenn auch indirekten komparatistischen Zugang zur europäischen Philosophie einsetzte, so setzte sie sich insbesondere in der Pahlavi-Ära im Rahmen von Einführungen in die europäische Philosophie fort. In diesem Kontext wurde Kant allmählich selbstverständlich als wesentlicher Bestandteil der Philosophiegeschichte betrachtet. Insgesamt aber bleiben diese Zugänge noch eher knapp und deskriptiv. Die genannten Werke, insbesondere Forūġīs Seyr ol-ḥekmat, wurden in Kreisen, in denen die Bildung nach europäischem Vorbild hochgehalten wurde, weithin gelesen. Doch auch von einigen traditionellen islamischen Gelehrten wurden sie rezipiert. Für sie dienten sie als Hauptquelle für ihre kritische Aus-
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einandersetzung mit „der europäischen Philosophie“. Diese komparatistischen Diskussionen, die für eine bestimmte Strömung der aktuellen Kantrezeption in Iran prägend werden sollten, setzten Mitte des 20. Jahrhunderts ein und markieren den Übergang zur konkreten Kantrezeption.
3.3 Kantrezeption in der Islamischen Republik Iran Eine intensivere Auseinandersetzung mit dem Denken Immanuel Kants, das, was ich die konkrete Kantrezeption nenne, entwickelte sich in Iran erst im Vorfeld der Islamischen Revolution. Die Früchte dieser Auseinandersetzung in Form von Publikationen wurden größtenteils sogar erst in den ersten Jahren der Islamischen Republik sichtbar. Erste Diskussionen bestimmter Doktrinen des Königsbergers wurden ebenso veröffentlicht wie erste Übersetzungen seiner Werke ins Persische, die einen direkteren Zugang zu seinem Denken ermöglichten. Sicherlich war es nicht die islamisch-revolutionäre Bewegung, die für Entwicklung der konkreten Kantrezeption in Iran ursächlich verantwortlich zu machen wäre, vielmehr handelte es sich zunächst vor allem um eine zeitliche Koinzidenz. Dennoch kann man konstatieren, dass eine spezifische Ausrichtung der Kantrezeption durch den Erfolg der Islamischen Revolution an Einfluss gewann. Es handelte sich dabei um einen komparatistischen Zugang, der kantsches Denken (neben dem Denken anderer westlicher Philosophen) mit der Tradition der islamischen Philosophie, insbesondere Mollā Ṣadrās in Verbindung brachte. In einem ersten Überblick in diesem Kapitel (3.3.1) werden zunächst zwei Denker vorgestellt, die diese Herangehensweise maßgeblich etablierten. Ein anderer Zugang zu Kant orientiert sich vornehmlich an der europäischen, später auch angelsächsischen Tradition der Kantforschung und legt weniger oder kein Gewicht auf den Vergleich mit der islamischen Tradition. Die Einführung eines einflussreichen Protagonisten dieser Strömung ist ebenfalls Gegenstand des ersten Überblicks. Mit der Übersetzung der Kritik der reinen Vernunft, erschienen ebenfalls kurz nach der Revolution, setzte der Prozess der Übertragung von Kants Schriften ins Persische ein. Damit verbunden ist auch das Ringen um die Übertragung kantscher Termini ins Persische. Der zweite Überblick (3.3.2) soll über diese Entwicklung Auskunft geben. Der letzte Abschnitt (3.3.3) schließlich gibt einen knappen Einblick in die gegenwärtige Lage der Kantforschung in Iran, weist auf einige wichtige Publikationen hin und begründet die Auswahl einzelner Werke und Autoren, die im zweiten Teil der Arbeit behandelt werden.
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3.3.1 Impulsgeber der iranischen Kantrezeption Der Überblick über die verschiedenen Tendenzen der Kantrezeption in Europa und Nordamerika hat gezeigt, dass bestimmte Strömungen der Deutung vielfach durch einzelne Werke oder Denker angestoßen werden, die in ihrem Zugang zu Kants Denken eine neue Perspektive einnehmen und durch ihren Zugang – nicht nur zu Kant – mitunter eine neue philosophische Tradition ins Leben riefen, man denke an den Deutschen Idealismus, den Neukantianismus, die Phänomenologie und die daraus hervorgetretene Ontologie der 1920er-Jahre sowie die Analytische Philosophie. Auch unter iranischen Denkern des 20. Jahrhunderts gab es einige Impulsgeber, die bestimmte Zugänge zu Kant in Iran maßgeblich beeinflussten. Bisher wäre es noch verfrüht, von einzelnen Denkschulen oder Traditionen zu sprechen, doch zumindest zwei unterschiedliche Grundhaltungen sind auszumachen, für die sich jeweils einige Gewährsleute finden lassen. Da ist auf der einen Seite ein komparatistischer Zugang zu den Werken Kants, der diese in den Kontext der islamischen Philosophie stellt. Dabei dient der Vergleich in der Regel dem Ziel, die Überlegenheit der „eigenen“ Tradition nachzuweisen. Damit steht die Komparatistik meist im Dienste einer Apologetik, die damit verbundene Kritik ist zum Teil durchaus vielschichtig und muss keineswegs eine kategorische Ablehnung des kantschen Denkens bedeuten. Vielleicht am einflussreichsten für diesen Zugang mag das Wirken Mortażā Moṭahharīs gewesen sein, nicht minder bedeutsam und zweifellos versierter, was die Kenntnis des kantschen Œuvres angeht, sind die Schriften Mehdī Ḥāʾerī Yazdīs. Auf der anderen Seite findet sich ein Zugang, der sich in erster Line an unterschiedlichen Ansätzen westlicher Kantforschung orientiert und der vor allem im Kontext der Herausbildung des Faches „westliche Philosophie“ an iranischen Universitäten von maßgeblicher Bedeutung war. Einer der wichtigsten Protagonisten dieses Zugangs ist sicherlich der inzwischen emeritierte Professor für westliche Philosophie an der Universität Teheran Karīm Moǧtahedī. Auch wenn die genannten Denker für die jeweiligen Zugänge nicht allein verantwortlich sind, so hatten bzw. haben sie – nicht zuletzt durch die Heranbildung einer Schülerschaft – einen großen Einfluss auf die philosophische Szene in Iran.
3.3.1.1 Mortażā Moṭahharī. Komparatistik als Apologetik Mortażā Moṭahharī (1920–1979) gehört zweifelsohne zu den bedeutendsten und einflussreichsten religiösen Intellektuellen Irans.236 Sein Denken und Wirken in 236 Zu Leben Werk und Wirken Mortażā Moṭahharīs vgl. Dabashi (20082), 147–215; Davari (2005), diese Monografie, verfasst von einem Schüler Moṭahharīs, gibt wertvolle Einblicke in das
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der Pahlavi-Ära hatte einen maßgeblichen Einfluss auf die religiöse Opposition im Vorfeld der Islamischen Revolution in Iran. Nach einer kurzen Studienzeit in Maschhad begann Moṭahharī seine intellektuelle Laufbahn in Qom, wo er islamisches Recht unter dem damaligen Großayatollah Borūǧerdī studierte und bald zu einem Schüler und engen Vertrauten Khomeinis wurde. Bei Khomeini lernte er nicht nur dessen religiös-politischen Ideen kennen, sondern studierte auch wichtige Schlüsseltexte der islamischen Philosophie, insbesondere die Werke Mollā Ṣadrās und seiner Kommentatoren. Einen weiteren wichtigen Lehrer in Qom fand er im religiösen Gelehrten und Philosophen ʿAllāme Ṭabāṭabāʾī,237 bei dem er nicht nur Ibn Sīnās Philosophie studierte, sondern auch dessen Vorlesung zur „Philosophie des Materialismus“ besuchte. Anfang der 1950er-Jahre ging er nach Teheran, wo er an der Theologischen Fakultät der Universität Teheran Philosophie unterrichtete und sich aktiv für die Propagierung eines politischen Islam engagierte. Teil dieses Engagements waren auch seine Aktivitäten in der Ḥoseynīye-ye eršād,238 eines im Jahre 1965 gegründeten religiös-politischen Vereins, in dem regelmäßig Diskussionskreise zu Islam, Politik und Gesellschaft veranstaltet wurden, die von Anfang an unzählige Menschen anzogen und damit, bis zu ihrer Schließung durch den Geheimdienst der Pahlavi-Regierung (SAVAK) im Jahre 1972, mit zur Mobilisierung für den Widerstand gegen das Schahregime beitrugen. Während und kurz nach der Revolution fungierte Moṭahharī als einer der Repräsentanten des sich im Exil befindenden Khomeinis und war Mitglied des Revolutionsrates. Am 1. Mai 1979, drei Monate nach dem Erfolg der Revolution, fiel er einem Anschlag der Forqān-Gruppe, einer paramilitärischen Guerillaorganisation, zum Opfer. Moṭahharī war aber nicht nur Lehrer und politischer Aktivist, er war auch publizistisch äußerst aktiv. Viele seiner Schriften basierten auf Vorträgen, Diskussionskreisen und Verschriftlichungen seiner Lehrveranstaltungen. Dabei deckt er ein sehr weitreichendes Themenspektrum ab, neben allgemeinen Publikationen zu islamischem Recht, Mystik, islamischer Geschichte und islamischer Philosophie, behandelte er auch speziellere Fragen, bekannt geworden sind etwa die Abhandlungen zu Frauenrechten im Islam oder zum Hiǧāb.239 Seine Werke intellektuelle Umfeld des Denkers; zu seinem philosophischen Positionen insbesondere seinem Verständnis des Subjektivitätsbegriffs vgl. Vahdat (2002),167–181. 237 Zu Ṭabāṭabāʾī vgl. Dabashi (2008), 273–323. 238 Eine Ḥusainīya ist eigentlich ein religiöser Versammlungsort, an dem im Trauermonat Muḥarram rituelle Trauerfeierlichkeiten im Gedenken an den dritten Imam der Schia Ḥusayn ibn ʿAlī sattfinden. Die Ḥoseinīye-ye eršād diente aber weniger traditionellen rituellen als vielmehr religiös-politischen Versammlungen. 239 Das Gesamtwerk Moṭahharīs, dessen Herausgabe sich der Teheraner Verlag Entešārāt-e Ṣadrā zur Hauptaufgabe gemacht hat, umfasst bisher über 20 umfangreiche Bände.
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zur islamischen Philosophie umfassen Schriften zu Ibn Sīnā, zur Geschichte der islamischen Philosophie und zu Mollā Ṣadrās Hauptwerk al-Asfār. Am einflussreichsten und auch für den Kontext der Kantrezeption am einschlägigsten ist aber das Werk Oṣūl-e falsafe va raveš-e reʾālīsm, dessen Haupttext zwar von ʿAllāmeh Ṭabāṭabāʾī stammt, das Moṭahharī aber nicht nur sukzessive in fünf Bänden herausgegeben, sondern auch mit Einführungen und einem umfangreichen Kommentar versehen hat, der ein Vielfaches der Textmenge des Haupttextes ausmacht.240 Der Haupttext Ṭabāṭabāʾīs geht auf dessen „Vorlesungen über die Philosophie des Materialismus“ zurück, an denen Moṭahharī engagiert teilnahm. Die Motivation, die hinter der Vorlesung und schließlich der Edition und Publikation von Oṣūl-e falsafe va raveš-e reʾālīsm steht, ist vielschichtig, sie erklärt sich nicht allein aus einem rein philosophischen Interesse, sondern ist vor allem politischer und ideologischer Natur. Es ging in der Vorlesung und dem daraus hervorgegangen Werk nicht allein darum, innerhalb eines philosophischen Gelehrtendiskurses die Richtigkeit bestimmter metaphysischer bzw. ontologischer Grundannahmen zu verteidigen, vielmehr ist sie konkret im Kontext der Abwehr gegen materialistisches Denken marxistischer Gruppierungen, insbesondere der Tude-Partei entstanden, das den Grundlagen einer islamische Gesellschaftsordnung entgegenzustehen schien. Zwar bemühten sich die iranischen Marxisten und Parteigenossen, sich nicht offen gegen religiöse bzw. islamische Überzeugungen zu positionieren, sondern versuchten im Gegenteil, indem sie in Verlautbarungen eine Übereinstimmung der Ziele der islamischen und der marxistischen Bewegung konstatierten, auch Geistliche für sich zu gewinnen, doch sahen die politisch orientierten Gelehrten im Gedankengut jener, verbunden mit ihrer wachsenden Popularität, eine Gefahr für den Islam. So machten es sich ʿAllāme Ṭabāṭabāʾī und Moṭahharī zur Aufgabe, dieser „Gefahr“ zu begegnen, indem sie sich nicht darauf beschränkten, die islamische Frömmigkeit und die Autorität religiöser Texte gegenüber einem materialistischen Denken zu behaupten, sondern sich bemühten, die philosophischen Grundlagen des Materialismus zu widerlegen. Darüber hinaus wollten sie darlegen, dass die eigene philosophische Tradition den Hauptströmungen der westlichen Philosophie argumentativ überlegen sei. Zwar wird das Werk Oṣūl-e falsafe meist als eine intellektuelle Abrechnung mit dem Materialismus verstanden, doch auch wenn dies der Anlass gewesen sein mag, so geht es weit darüber hinaus. Ṭabāṭābāʾī und Moṭahharī unterziehen eine Vielzahl einschlägiger Philosophen der europäischen Geistesgeschichte einer kritischen Prüfung,241 um in all ihren Ansätzen 240 Ṭabāṭabāʾī/ Moṭahharī (1386/200711). 241 Folgende westliche Denker werden u. a. von Ṭabāṭabāʾī und Moṭahharī kritisch diskutiert: Locke, Berkeley, Kant, Schopenhauer, William James, Nietzsche, Descartes, Hegel, Bergson,
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und ihren Lehren einen letztlich philosophisch nicht vertretbaren Idealismus oder zumindest eine epistemologisch unzureichend begründete Philosophie auszumachen. Dem stellen sie ein, wie sie es erklären, realistisches Denken gegenüber, das die erkenntnistheoretischen und ontologischen Probleme, die sie in der europäischen Philosophie ausmachen, vermeide und das sie in der islamischen Tradition, insbesondere in der Tradition Mollā Ṣadrās, verwirklicht sehen.242 Das Quellenmaterial, auf das sich Moṭahharī ebenso wie Ṭabāṭabāʾī, in seiner Kritik des „westlichen“ Denkens, bezieht, bestand dabei allerdings ausschließlich aus persischen, eventuell arabischen, Übersetzungen und Zusammenfassungen von Werken der europäischen Philosophie sowie auf Schriften und Pamphleten marxistischer Denker und Gruppierungen. So ist für die europäische Philosophie immer wieder Forūġīs Seyr-e ḥekmat dar orūpa die Textgrundlage. Für den dialektischen Materialismus dienen meist Schriften Taqī Arānīs als Basis. Das zeigt zwar einerseits, dass Moṭahharī ein vertiefender Zugang zum Denken europäischer Philosophen versperrt blieb. Es ist aber zumindest für den ideologischen Zweck hinreichend, denn es handelt sich dabei in der Regel auch genau um jene Schriften, die die europäische Philosophie allgemein und den Marxismus im Besonderen in Iran populär und für ein breites Publikum zugänglich machten.243 Während der Ursprungstext Ṭabāṭabāʾīs sich seinem Stil nach vornehmlich an die Seminaristen in Qom richtet – diese vor den „Gefahren“ des dialektischen Materialismus zu bewahren, war sein ursprüngliches Motiv –, so war es Moṭahharī, der mit seinem umfangreichen, sprachlich weniger exklusivgelehrten Kommentar das Werk für ein religiöses gebildetes Laienpublikum in den Städten populär machte.244 Moṭahharīs Engagement, die islamische Philosophie im Vergleich zu Ansätzen der „westlichen“ Philosophie als überlegen darzustellen, setzt sich auch in seiner Lehrtätigkeit in Teheran fort. Einschlägig sind hier insbesondere seine privaten Sitzungen, die er mit ausgewählten Studenten zu Sabzavārīs Šarḥ-e manẓūme – einem seinerzeit in Iran maßgeblichen Werk zur Philosophie Mollā Ṣadrās – durchführte. Die Mitschriften dieser Sitzungen wurden nach Moṭahharīs Tod unter dem Titel Šarḥ-e mabsūṭ-e manẓūme
Hume, Herbert Spencer, Engels, Marx, Comte. 242 Eine gute zusammenfassende Darstellung der Kritikpunkte Ṭabāṭabāʾīs und Moṭahharīs bietet Gösken (2008). 243 Moṭahharī geht in seiner Einleitung zu oṣūl-e falsafe sogar soweit, etwa den Schriften Taqī Arānīs insgesamt mehr Bedeutung zuzumessen als den Gründungstexten des Marxismus: „Dr. Erani has given dialectical materialism an expression much better than [those given] by Marx, Engels, Lenin, etc. Consequently his philosophical writings are superior to his predecessors.“ Moṭahharī in der Übersetzung bei Dabashi [1993], 153. 244 Vgl. Dabashi (2008), 283; Davari (2005), 24–29, 32–34.
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herausgegeben.245 Darin finden sich zahlreiche Vergleiche von Lehrmeinungen Mollā Ṣadrās mit solchen der „westlichen“ Philosophie. Die Teilnehmer diese Sitzungen, unter denen sich eine ganze Reihe von heute in Politik und Bildungssektor einflussreichen Personen befanden, gehörten zum engeren Schülerkreis Moṭahharīs. Zu ihnen gehörten auch ʿAlī Lārīǧānī246, Ġolāmʿalī Ḥaddād ʿĀdel247 und Ḥoseyn Ġaffārī.248 Insgesamt lässt sich Moṭahharīs Zugang zur „westlichen“ Philosophie im Sinne einer Komparatistik als Apologetik verstehen. Das Erkenntnisinteresse besteht ganz offenkundig in der Widerlegung. Auch seine Verweise auf die Philosophie Kants sind von dieser Haltung geprägt. So bezeichnet er Kants Erkenntnislehre als idealistisch, was für ihn in der Konsequenz auf einen Skeptizismus bezüglich der Außenwelt hinausläuft. Insbesondere Kants Lehre von den Kategorien als Eigenschaften des Verstandes und nicht der Außenwelt sind für ihn ein Beleg für Kants Skeptizismus, denn letztlich könne Kant ohne die Annahme einer als solcher erkennbaren Außenwelt auch nicht mehr begründen, wie Erfahrung, die auch für ihn durch Dinge verursacht werden müsse, zustande komme.249 Hierbei handelt es sich um ein bekanntes Argument, dass auch unter westlichen Kritikern vielfach gegen Kant erhoben wurde. Mit explizitem oder implizitem Bezug auf Moṭahharī wird es auch von späteren iranischen Kantinterpreten wie etwa Ḥoseyn Ġaffārī aufgegriffen und zum Teil mit Verweis auf westliche Kantliteratur weiter elaboriert.250 Auch zu Kants Moralbegründung äußert Moṭahharī sich kritisch. Zwar sei es korrekt, dass der Verstand die moralischen Pflichten erkenne, doch unterschlage Kant die Abhängigkeit des Verstandes von einer höheren absoluten Instanz. Auch dieses Argument wird in der späteren iranischen Kantrezeption ausgearbei-
245 Vgl. Moṭahharī (1386/20079/8). 246 Zu Lārīǧānī siehe unten 4.3.3 und 6.1. 247 Zu Ḥaddād ʿĀdel siehe unten 3.3.2.2 und 6.1. 248 Zu Ġaffārī siehe unten 4.3.2 und 6.1. 249 Vgl. zu diesem Argument bei Moṭahharī knapp Gösken (2008), 331f. Konkret zum Vergleich der Erkenntnislehre Moṭahharīs und Kants sind jüngst in Iran zwei Schriften von Masʿūd Omīd, einem Assistenzprofessor (ostādyār) an der Universität von Tabriz, erschienen, auf die in dieser Studie nicht nicht ausführlich eingegangen wird. Bei der ersten Schrift handelt es sich um eine Monografie mit dem Titel Moqāyase-ye maʿrefatšenāsī-ye Moṭahharī va Kānt [Vergleich der Erkenntnislehre Moṭahharīs und Kants], vgl. Omīd (1388/2009) sowie um einen Artikel zur gleichen Thematik, den der selbe Autor in der dritten Sondernummer, die die Zeitschrift Ketab-e māh-e falsafe im Sommer 2010 dem Denken Kants widmete, veröffentlicht hat, vgl. Omīd (1389/2010). 250 Zur einer Kritik an Kants Erkenntnislehre, die, wenn auch differenzierter, ähnlich vorgeht wie Moṭahharī siehe die Diskussion zur Kantinterpretation von Hoseyn Ġaffārī Kap. 4.3.2.
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tet.251 Moṭahharīs Zugang zu Kant diente, auch wenn er nicht auf einem Studium der Primärquellen beruht, für eine ganze Reihe von Kantinterpreten in Iran als Ausgangs- oder Bezugspunkt ihrer eigenen Beschäftigung mit dem Denken des Königsbergers.
3.3.1.2 Mehdī Hāʾerī Yazdī. Komparatistik als kritische Adaption Zu den Pionieren einer philosophischen Kantrezeption in Iran, die das Werk des Königsbergers im Kontext der Tradition der arabisch- bzw. iranisch-islamischen Philosophie betrachtet, gehört zweifelsohne Mehdī Ḥāʾerī Yazdī (1923–1999). Er war einer der ersten traditionellen, religiösen Gelehrten, die einen unmittelbaren Zugang zu zentralen Quellen aus der westlichen philosophischen Tradition hatten. Als Sohn des bedeutenden Gründers des theologischen Zentrums in Qom, ʿAbdolkarīm Ḥāʾerī Yazdī252, der seinerzeit mit zwei weiteren Geistlichen als höchste Autorität der Schia galt253, erfuhr Mehdī Ḥāʾerī zunächst eine klassische religiöse Ausbildung in Theologie (kalām) und islamischer Rechtslehre (fiqh), wobei er sich, wie er selbst angibt, in seinem Studium darüber hinaus ausgiebig mit der islamischen Philosophie befasste.254 Als Gesandter des Großayatollahs Borūǧerdī (gest. 1962) ging er Mitte der 1950er-Jahre nach Washington, wo er ein Studium der westlichen Philosophie begann. Mit Unterbrechungen lebte er dann gut 20 Jahre in den USA und Kanada. In dieser Zeit studierte er an den Universitäten Georgetown, Michigan, Harvard und Toronto. Dort promovierte er 1979 in Philosophie mit einer Arbeit zur islamischen Epistemologie.255 Diese Arbeit, wie 251 Zu Moṭahharīs Argument knapp Vahdat (2002), 171. Zur Kritik an Kants Moralbegründung siehe unter Kap. 5. 252 Zu ʿAbdolkarīm Ḥāʾerī Yazdī und der Gründung des theologischen Zentrums in Qom vgl. Heinz Halm, Die Schia, Darmstadt 1988, 152; ders. Die Schiiten, München 2005, 90f. 253 Anders als im sunnitischen Islam gibt es in der Hauptströmung der schiitischen Glaubensrichtung, der 12er-Schia, einen Klerus, der sich als Stellvertreter der Imame, der Nachkommen des Kalifen ʿAlī, und als Bewahrer und Interpreten des auf diese zurückgehenden religiösen Wissen verstehen. Innerhalb dieses Klerus hat sich mit der Zeit eine Hierarchie herausgebildet, an deren Spitze die „oberste Instanz der Nachahmung“ (marǧaʿ at-taqlīd) steht. Einführend zu Schia vgl. Heinz Halm, Die Schia, Darmstadt 1988; ders., Die Schiiten, München 2005; Wilfried Buchta, Schiiten, München 2004. 254 Zu Leben und Werk aus autobiografischer Sicht vgl. Mehdī Ḥāʾerī Yazdī „Philosophie – Suche nach der Wahrheit und dem Sein“, in: Islam im Dialog. Zeitschrift für den Dialog des Islam mit anderen Religionen. 1 (2002) 3, 32–60. Einführend aus „interkultureller“ Perspektive vgl. Hajatpour (2005). 255 Diese einzige englische Monografie Ḥāʾerīs ist inzwischen in der Reihe SUNY Series in Islam (Hg. Seyyed Hossein Nasr) erschienen. The Principles of Epistemology in Islamic Philosophy. Knowledge by Presence, New York 1992.
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auch die meisten seiner auf persisch verfassten Werke256, zeigen deutlich Ḥāʾerīs Anspruch, philosophische Fragen aus einer komparatistischen Perspektive, in der er islamische und westliche Philosophen in ein Verhältnis setzt, zu betrachten. Mehr noch als andere iranische Denker vor ihm, die sich zwar kritisch mit westlicher Philosophie vor dem Hintergrund der islamischen Tradition beschäftigten, ohne aber direkten Zugang zu den westlichen Quellen zu haben, brachte er dazu beste Voraussetzungen mit. Mit der islamisch-philosophischen Tradition hatte er sich in Qom und Teheran vertraut gemacht und in seinem Studium in den USA und Kanada beschäftigte er sich mit den zentralen Figuren der Philosophie der Antike und des Hellenismus insbesondere Aristoteles, Platon, Plotin und des lateinischen Mittelalters (Thomas von Aquin), außerdem las er René Descartes, David Hume, William James sowie wichtige Vertreter der analytischen Strömung wie Ludwig Wittgenstein, Bertrand Russel, G. E. Moore und seinen eigenen Lehrer William Frankena.
Ḥāʾerīs Philosophieverständnis Mehdī Ḥāʾerī Yazdī vertritt einen universellen Philosophiebegriff. Ihm gilt die Philosophie als Mutter aller Wissenschaften (ʿolūm). Darüber hinaus gilt sie ihm nicht nur als erste Wissenschaft, sie ist die Grundform des vernünftigen Denkens (taʿaqqol) überhaupt und gehört damit zu den Wesensmerkmalen des Menschen. Der Mensch als vernunftbegabtes Wesen strebt nach Wahrheit und Erkenntnis. Diese Wahrheitssuche (ḥaqīqatǧūʾī) ist, so Ḥāʾerī, Philosophie im eigentlichen Sinne. Die Krise der Philosophie bestehe darin, dass sie, nicht zuletzt unter dem Einfluss modernen westlichen Denkens, aus dem Kreise der Wissenschaften verbannt und die Wissenschaften auf rein sinnlich-empirische (maḥsūsāt) oder mathematische Gegenstände (riyāżīyāt) beschränkt worden sei. So ist es Ḥāʾerīs Anliegen, die Philosophie als Wissenschaft zu rehabilitieren und ihr ihre her256 Mehdī Hāʾerī Yazdī, Kāvešhā-ye ʿaql-e naẓarī. Teheran (1347/1969). [Untersuchungen der theoretischen Vernunft]. (Aktuelle Ausgabe: Teheran 1384/20054. Gesammelte Werke Bd. 2), ders., Heram-e hastī. Taḥlīlī az mabādī-ye hastīšenāsī-ye taṭbīqī. Teheran (1360/1981). [Pyramide des Seins. Analyse der Grundlagen vergleichender Ontologie]. (Aktuelle Ausgabe: Teheran 1385 / 20063. Gesammelte Werke Bd. 6), Metāfīzīk. Maǧmūʿe-ye maqālāt-e falsafī-manṭeqī. Teheran (1360/1981). [Metaphysik. Gesammelte philosophisch-logische Abhandlungen], ders., Safar-e nafs. Teheran 1980/2001 [Reise des Selbst. Vorlesungsmitschriften Hg. Abdollāh Nasrī], ders., Kāvešhā-ye ʿaql-e ʿamalī. Teheran (1347/1969). [Untersuchungen der praktischen Vernunft]. (Aktuelle Ausgabe: Teheran 1384/2005. Gesammelte Werke Bd.5 mit Revision des Autors), ders., Ḥekmat va ḥokūmat. [Weisheit und Herrschaft]. London (1995); Mehdi Ḥāʾerī Yazdī, Ǧostārhā-ye falsafe. Maǧmūʿe-ye maqālāt [Philosophische Untersuchungen. Gesammelte Abhandlungen], Teheran 1384 (2005).
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vorgehoben Stellung unter den Wissenschaften zurückzugeben. Denn ohne die Philosophie gingen alle übrigen Wissenschaften ihrer Grundlage verlustig. Sie ist somit nicht nur eine Wissenschaft unter vielen, sondern die Voraussetzung einer jeden Wissenschaft. Jede Wissensdisziplin nämlich hat, so Ḥāʾerī, einen Gegenstandsbereich, dessen Grundkomponenten als gegeben hingenommen und nicht weiter hinterfragt werden. Nach diesen Grundbestandteilen zu fragen, sei die Aufgabe der Philosophie. Diese Vorstellung von Philosophie scheint ihm in seiner Zeit alles andere als selbstverständlich erschienen zu sein, denn er stellt zweien seiner drei Monografien zur Metaphysik257 Einleitungen über Sinn und Gegenstand der Philosophie voran, die stark apologetische Züge tragen.258 Darin verteidigt er Sinn und Zweck der Philosophie gegen die Meinung, sie beschäftige sich nicht mit den für das Leben relevanten Dingen oder führe den Menschen gar vom rechten Weg des Propheten ab.259 Ḥāʾerī hält dem entgegen, dass niemand, der die Notwendigkeit der Philosophie leugne, sich sinnvoll auf den Verstand (ʿaql) berufen oder nach Wahrheit streben könne, da beides gleichermaßen zum Wesen der Philosophie sowie dem des Menschen gehöre. Die Philosophie zu leugnen, würde also auch bedeuten, den Menschen eines seiner Wesensmerkmale zu berauben.260 Philosophie hat demnach, so Ḥāʾerī, unmittelbar mit dem Menschen zu tun. Für ihn hat sie bzw. das Philosophieren die Vervollkommnung (estekmāl/kammāl) des Selbst respektive des Menschen zum Ziel, indem sie den Menschen als physische Existenz eine geistige Welt eröffne und die Wirklichkeit der Welt überhaupt erst begreifbar mache.261 Die Metaphysik wiederum ist die Grundlage allen Philosophierens. Ihr Gegenstand (moużūʿ) ist das Sein (voǧūd/hastī) bzw. allgemein „absolutes Sein“ (voǧūd-e moṭlaq), denn es ist, so führt Ḥāʾerī aus, keine Wissenschaft denkbar, die sich nicht in irgendeiner Weise mit etwas Seiendem (mouǧūd) auseinandersetzt. 257 Er handelt sich dabei um die drei folgenden Werke: Mehdī Ḥāʾerī Yazdī: ʿElm-e kollī, Teheran 1335/1956. Hier verwendete Ausgabe 1384/2005 (5. vom Autor überarbeitete Auflage). Ders., Kavešhā-ye ʿaql-e naẓarī, Teheran 1384/2005 (4. überarbeitet Auflage). Ders., Heram-e hastī. Taḥlīlī az mabādī-ye hastīšenāsī-ye taṭbīqī, Teheran 1360/1981-2. 258 Vgl. Ḥāʾerī (1335/1956), 1–18; ders. (1384/2005), 1–51. 259 Ḥāʾerī bezieht sich hier auf „ein aktuelles Buch“ (yekī az ketābhā-ye tāze), ohne nähere Auskunft zu Titel oder Autor zu geben. Diese bis heute besonders in dogmatisch-konservativen Kreisen von Religionsgelehrten und religiösen Laien verbreitete philosophie-skeptische oder gar feindliche Haltung ist keine Neuheit in der islamischen Geistesgeschichte, vgl. Griffel (2000). Dennoch wurde die Philosophie, trotz solcher polemischen Haltungen in Teilen der Gelehrsamkeit, kontinuierlich weiter gepflegt. Zu einer für den zeigenössischen iranischen Kontext relevanten philosophieskeptischen Strömung vgl. Rizvi (2012). 260 Ḥāʾerī (1335/1956), 1–9. 261 Ḥāʾerī (1335/1956), 11–13.
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Die Metaphysik aber ist die einzige voraussetzungslose Wissenschaft, da sich ihr Gegenstand, das Sein, in allgemeinem Sinne nicht auf etwas anderes zurückführen lässt und zugleich der allumfassendste Begriff ist.262 Aufgrund dieser besonderen Stellung der Metaphysik kommt es nicht selten vor, dass Ḥāʾerī die Begriffe Philosophie und Metaphysik synonym verwendet bzw. mit Philosophie im bestimmten Kontext Metaphysik meint. Für Metaphysik wiederum verwendet Ḥāʾerī folgende in der islamischen Philosophie mehr oder weniger gebräuchlichen Termini, die er ebenfalls als synonym (moterādef) versteht: elāhīyāt (Theologie), in Anlehnung an Aristoteles und Ibn Sīnā, ʿelm-e kollī/falsafe-ye kollī (universale Wissenschaft/Philosophie), ʿelm-e aʿlā bzw. šenāḫt-e bartar (höchste Wissenschaft), zudem verwendet er die Begriffe ontūlūžī bzw. hastīšenāsī (Ontologie). Ḥāʾerī versteht sich explizit als Vertreter der islamischen Philosophie.263.
Ḥāʾerīs Komparatistischer Ansatz Auch Ḥāʾerī verfolgt in einem Großteil seiner Werke einen komparatistischen Ansatz bei der Diskussion philosophischer Themen. Die Möglichkeit einer solchen vergleichenden Herangehensweise begründet er mit seinem universalen Philosophieverständnis. Da Philosophie im allgemein menschlichen Streben nach Wahrheit und Erkenntnis bestehe, seien philosophische Reflexionen unabhängig von ihrem kulturellen Kontext prinzipiell vergleichbar. Philosophie transzendiere kulturelle Verschiedenheiten und die Unterschiede, die sich auf Sprache, Art des Ausdrucks und Methoden beschränkten, seien nicht so grundlegend, dass ein gegenseitiger Austausch nicht möglich wäre. Gerade in der Aneignung der Methoden, dabei bezieht er sich vor allem auf die analytische Tradition, könne die islamische Philosophie sehr von der westlichen profitieren.264 Ḥāʾerīs fundierte Kenntnis bedeutender Ansätze der westlichen Philosophie, insbesondere aus dem angelsächsischen Raum, ermöglicht ihm, diese vergleichende Methode an vielen Stellen gewinnbringend umzusetzen.265 262 Ebd., 13–17. 263 Ḥāʾerī (1384/2005), 99. Prinzipiell wäre es angebracht, konkret Ḥāʾerīs Umgang mit den Traditionen durch Rückbezug auf die Primärquellen zu problematisieren, was allerdings eine für den hier gegebenen Kontext nicht zu bewältigende Aufgabe wäre. Das also, was im Folgenden, wenn auch in sehr allgemeiner Form, als Bestandteile der islamischen Philosophie präsentiert wird, ist als Ḥāʾerīs Darstellung dieser Tradition zu begreifen. Es wird hier keine Einordnung von Ḥāʾerīs Denken in die islamisch-philosophische Tradition unternommen. 264 Vgl. Ḥāʾerī (1360/1981)154; Ḥāʾerī (1384/2005), 306f. 265 Ein interessantes Beispiel dafür, ist Ḥāʾerīs Diskussion eines Paradoxes, das Bertrand Russel im Kontext seiner „Description Theory“ anführt und der Position Alexius Meinongs dazu. Vgl. Ḥāʾerī, (1360/1981), 68–94.
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Gegen diese selbstpostulierte transkulturelle Position allerdings nimmt Ḥāʾerī eine Haltung ein, die „westliches“ (ġarbī) und „islamisches“ (eslāmī) bzw. „östliches/orientalisches“ (šarqī)266 Denken (tafakkor/andīše) einander schematisch gegenüberstellt. Dabei werden für Ḥaʾerī kulturelle Unterscheidungen im Denken, auch wenn sie nicht kulturessenzialistisch begründet werden, doch wieder relevant und es offenbart sich ein zentraler polemischer Topos, der sich durch sämtliche seiner komparatistisch gehaltenen Schriften zieht und der den konstruktiv-vergleichenden Ansatz bisweilen überlagert. Die in Ḥaʾerīs Werk durchweg verwendete Gegenüberstellung von „westlicher“ und „islamischer“ Philosophie verschleiert meist die an sich selbstverständliche Tatsache, dass es innerhalb beider Traditionsblöcke eine Vielzahl von Differenzen bezüglich einzelner Themenbereichen gibt, und suggeriert eben doch eine grundsätzliche Verschiedenheit zwischen beiden Traditionen, die Ḥaʾerī durch seinen universalen Philosophieansatz eigentlich überwunden glaubte. Ein wenig verständlicher wird dieses Vorgehen, wenn man Ḥaʾerīs eigentliche Absicht des Vergleichs der Traditionen, wie er sie etwa in seiner Einleitung zu Kāvešhā-ye ʿaql-e naẓarī darlegt, in Augenschein nimmt. Es geht ihm nämlich nicht prinzipiell um einen Vergleich von einem neutralen Standpunkt aus, sondern darum, die islamisch-philosophische Tradition, die er auch „eigene“ oder „unsrige“ Philosophie (falsafe-ye mā) nennt, im Kontext der Moderne wieder zu beleben. Die Beschäftigung mit der westlichen Philosophie soll in erster Linie dazu dienen, die Tradition der islamischen Philosophie zu bereichern und zu stützen. Ḥāʾerī versucht daher vor allem westliche Ansätze, sofern er sie nicht ablehnt, in bereits bestehende Konzepte islamischer Philosophie zu integrieren und verfolgt dabei bewusst die Methode, Begriffe aus dem Bereich des westlichen Denkens durch bereits vorhandene Begriffe aus der islamischen Philosophie wiederzugeben.267 Mit dem von ihm häufig formulierten Anspruch, dass die „islamische“ bzw. „eigene“ Philosophie der „westlichen“ in manchen Punkten überlegen sei, positioniert er sich im Kontext des intellektuellen Diskurses in Iran aufseiten derer, die die eigene kulturelle Identität vor einer drohenden „Verwestlichung“ (ġarbzadegī) bewahren und ein kulturelles Selbstbewusstsein stärken wollten.268 In diesem Kontext kritisiert er ausdrücklich muslimische Denker, die sich in der Philosophie ausschließlich an westlichen Vorbildern orientierten und der islamischen Philosophie allenfalls eine historische Bedeutung zukommen ließen. Ḥāʾerī betont, dass er die Absicht habe, ein Bewusstsein für die Aktualität, Anschlussfähig266 Ḥāʾerī verwendet beide Begriffe synonym. 267 Ḥāʾerī (1384/2005), 39–43; 329 Anm. 1. 268 Zum Ġarbzadegī-Diskurs vgl. oben Kap. 2.6.3.
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keit und gar Überlegenheit der islamischen Philosophie zu schaffen, und nicht beabsichtige, andere philosophische Traditionen schlechtzureden. Dennoch unterläuft es ihm nicht selten, dass er allgemein gegen westliche Philosophen polemisiert, indem er sie und ihre „muslimischen Nachahmer“ etwa als „Möchtegernphilosophen“ (motafalsefān) bezeichnet oder grob verallgemeinernd „der westlichen Philosophie“ oder „allen westlichen Philosophen“ bestimmte Fehler zuschreibt, die die islamischen Philosophen vermieden hätten.269 Darüber hinaus unterscheidet er in polemisch-apologetischem Ton den wissenschaftlichen Stil des westlichen bzw. europäischem Denkens (sabk-e orūpāʾī) von dem des islamischen Denkens, indem er sagt, die Tatsache, dass in westlichen Abhandlungen „für jeden noch so kleinen Satz gleich Belegapparate konstruiert werden“,270 dürfe nicht dazu verleiten, dies auch für das islamische Denken zur Sitte zu machen oder gar den islamischen Philosophen im Nachhinein Unwissenschaftlichkeit vorzuwerfen, weil sie bestimmtes Gedankengut von Vorgängern übernommen haben, ohne dies kenntlich zu machen. Das sei nicht unwissenschaftlich, sondern habe mit dem unterschiedlichen wissenschaftlichen Stil zu tun.271 Die islamische am iǧtihād272 orientierte Methode der Wissenschaft (raveš-e taḥqīqī va eǧtehādī) gehe in vier Stufen vor: 1.) Erläuterung (šarḥ) von tradierten Positionen, 2.) Bestätigung (taqrīr) der Tradition, 3.) Dekonstruktion (taḫrīb) und 4.) Neubegründung (nousāzī). Beste Beispiele für diese Methode seien Ibn Sīnā, der den Aristotelismus bewahrt und neu begründet haben, Suhrawardī, der Gleiches für den Platonismus geleistet habe, und Mollā Ṣadrā, der beide Richtungen in einer neuen philosophischen Schule der ḥekmat-e motaʿālīye vereinigt habe. Leider sei dieser Stil nach Mollā Ṣadrā stagniert und nur selten über die beiden ersten Stadien hinausgekommen. Sabzavārī beispielsweise habe es in seinen Werken273 in unübertroffener Weise verstanden, die Philosophie Mollā Ṣadrās zu erläutern und zu bestätigen, doch seien seine Leistungen auf dem Gebiet der Dekonstruktion und Neubegründung äußerst dürftig (besiyār nāčīz). Wesentlich innovativer sei hingegen ʿAlī Modarres Zonūzī, der sich etwa in seinem Werk 269 Vgl. beispielhaft Ḥāʾerī (1384/2005), 2; 18; 102. 270 Vgl. Ḥāʾerī (1384/2005), 33. 271 Er führt konkret eine Kritik an Molla Sadra an, ohne aber Autor und Titel zu erwähnen. Möglicherweise handelt es sich um Ṣāleḥ Ḥāʾerī Māzandarānīs Werk Ḥekmat-e Bū ʿAlī, auf das Rizvi (2009), 133, hinweist. 272 Dieser Begriff (wörtl. das Sich-bemühen) ist ein Terminus technicus und zentrales Prinzip der islamischen Rechtswissenschaft (fiqh). Er bezeichnet die auf eigener Verstandesleistung beruhende Urteilsbemühung (eigentlich iǧtihād ar-raʾy). Übertragen lässt ich der Terminus auch auf andere Wissensbereiche anwenden. 273 Ḥāʾerī nennt folgende Titel Sabzawārīs: Ḥāšīye bar asfār-e arbaʿeh, Manẓūmeh, Šarḥ-e manẓūme.
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Badāʾiʿ al-ḥikam274 nicht allein mit der Erläuterung Mollā Ṣadrās begnügt habe, sondern auch versucht habe, neue Lösungen für bestimmte Probleme zu finden. So seien seine „Einteilung der Aspekte der Quiddität“ (taqsīmāt dar eʿtebārāt-e māhīyat) sowie seine Innovationen in den Themenbereichen der „körperlichen Wiederauferstehung“ (maʿād-e ǧesmānī), der „Prädikation“ (ḥaml) und der Identität (houhovīyat) wichtige Neuerungen in der Philosophie. Er selbst erhebe nicht den Anspruch, eine neue philosophische Denkschule begründet oder neue Prinzipien eingeführt zu haben, vielmehr habe er auf dem Weg der islamischen Methode versucht, sich nicht auf Erläuterung und Bestätigung zu beschränken und nicht vor Kritik an philosophischen Autoritäten, seien sie islamischer oder westlicher Herkunft, zurückzuschrecken. Ḥāʾerī versteht sein eigenes Denken also explizit als zeitgenössische Fortführung der islamisch-philosophischen Tradition. Dieser Stil sei auch eine Haltung der Bescheidenheit, da man mit ihm nicht gleich zu Beginn mit Neuerungen aufwarte und behaupte, eine neue Richtung in der Philosophie zu begründen, sondern die Tradition zu ihrem Recht kommen lasse.275 Der westlichen Philosophie wirft er vor, allzu voreilig durch die Einführung neuer Formen der Darstellung tradierte Schulen der Philosophie ablösen zu wollen. Vor diesem Hintergrund ist es geboten, bei Ḥāʾerīs Rezeption und Kritik westlicher Denker genau zwischen Polemik und konstruktiven Ansätzen zu unterscheiden, was aufgrund vielfacher Überschneidungen nicht immer einfach ist. Insgesamt aber unterscheidet sich sein Zugang zur westlichen Philosophie von dem Moṭahharīs durch eine weitaus genauere Quellenkenntnis und durch eine weniger rigorose Haltung in der Kritik.
3.3.1.3 Karīm Moǧtahedī – Der akademische Lehrer Die beiden Denker Moṭaharrī und Ḥāʾerī Yazdī hatten einen maßgeblichen Einfluss auf Kantinterpreten, die den Zugang zu Kants Schriften aus der Perspektive der islamischen Philosophie heraus suchen. Für sie steht der Vergleich der philosophischen Traditionen im Zentrum ihres Zugangs zu Kant, wobei es ihnen in der Regel um die Bewahrung der Integrität der islamischen Tradition geht, was zur Folge hat, dass ihr komparatistischer Ansatz bisweilen stark apologetische Züge trägt. Dieser Zugang über die „Komparatistik als Apologetik“ liegt einer der beiden Hauptströmungen der Kantrezeption in Iran zugrunde. Die andere 274 Zur Bedeutung dieses Werkes im Kontext der Rezeption westlicher Philosophie siehe oben Kap. 2.5.3. 275 Vgl. Ḥāʾerī (1384/2005), 29–36.
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Strömung orientiert sich eher selten bis gar nicht an der Tradition der islamischen Philosophie. Für die Protagonisten dieser Strömung ist in erster Linie die europäische, später auch die angelsächsische Tradition der Philosophie grundlegend. Auch diese Strömung hat eine Reihe von Impulsgebern, unter denen in den Anfängen sicherlich der bereits erwähnte ʿAlī Forūġī zu nennen ist. Für die konkrete Kantrezeption aber sind hier vor allem Denker von Bedeutung, die sich insbesondere als akademische Lehrer hervorgetan und damit eine nachfolgende Generation von Kantinterpreten mit beeinflusst haben. Neben Yaḥyā Mahdavī276 ist hier vor allem der inzwischen emeritierte Professor für Philosophie der Universität Teheran Karīm Moǧtahedī zu nennen. Moǧtahedī, geboren 1309/1930 in Tabrīz, begab sich bereits vor seinem Abitur zunächst in die französische Schweiz, wo er seine Französischkenntnisse vertiefte und die allgemeine Hochschulreife erlangte.277 Anschließend ging er nach Paris, um sich an der Sorbonne zum Philosophiestudium einzuschreiben, das er im Jahre 1958 bei Jean André Wahl mit einer Lizentiatsarbeit über die Transzendentale Analytik Kants abschloss. Im Anschluss daran wollte er weiter auf dem Gebiet der kantschen Philosophie forschen, doch bestand seitens der Universität das Interesse, dass er sich in seiner Dissertation einem islamisch-philosophischen Thema widmen möge. In diesem Zusammenhang nahm er Kontakt zu dem Orientalisten und Philosophen Henry Corbin278 auf, dem er Zeit seines Lebens verbunden bleiben sollte. Dieser schlug ihm schließlich vor, über den MystikerPhilosophen Afżal ad-Dīn Kāšānī279 (st. ca. 1213–1214) zu promovieren. Auch wenn Moǧtahedī sich insgesamt auf die westliche Tradition spezialisieren sollte, so ist ihm die islamische Tradition der Philosophie also durchaus nicht fremd. Doch anders als etwa für Moṭahharī oder Ḥāʾerī ist sie für ihn nicht Maßstab des philosophischen Denkens, vielmehr betrachtet er sie als einen wichtigen Teil der Philosophiegeschichte. Nach seiner Promotion im Jahre 1963 kehrte er nach Teheran zurück und bewarb sich schließlich erfolgreich auf eine Assistenz (ostādyār) am Institut für Philosophie der Universität Teheran, dem seinerzeit Yaḥyā Mahdavī vorstand. Bis zu seiner Emeritierung blieb er an diesem Institut, das er später auch zeitweise 276 Zu Mahdavī vgl. knapp Art. „Mahdavī, Yaḥyā“ in EIr. Ausführlich zu Leben und Werk (mit Interview, Erinnerungen und annotierter Bibliographie mit Werkbeschreibung vgl. die für Mahdavī herausgegebene Festschrift: Seyyed ʿArab/Moḥammad Ḫānī (1378/1999). 277 Die biografischen Angaben stützen sich auf ein ausführliches Interview mit Moǧtahedī, das in der ihm zugeeigneten Festschrift Dard-e falsafe, dars-e falsafe veröffentlicht wurde, vgl. Raʾīszāde/ʿAbbāsī/Hāšemī (1384/2005). Eine Würdigung seines Werkes findet sich zudem in Ketāb-e māh-e falsafe, Nr. 64 (1391/2013), 2–48. 278 Zu Corbin siehe oben Kap. 2.6.3. 279 Zu Kāšānī vgl. „Bābā Afżal“ in EIr.
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leiten sollte. Die einführenden Seminare zur Philosophie Kants, die er fortan regelmäßig anbot, gehörten bald zum festen Bestandteil des Curriculums. Unter Moǧtahedī wurde auch die zweite Doktorarbeit an einer iranischen Universität zu Kant angefertigt, es handelt sich um die mit einer ausführlichen Einleitung versehene Übersetzung der Prolegomena, die von Ġolāmʿalī Ḥaddād ʿĀdel im Jahre 1365/1986 verteidigt und zwei Jahre später veröffentlicht wurde.280 Moǧtahedīs Einführungskurse in die Philosophie Kants bildeten auch die Grundlage für seine Schrift Falsafe-ye naqqādī-ye Kānt (Die Kritische Philosophie Kants), die bis heute insbesondere von Studierenden der Philosophie in Iran viel verwendet wird.281
Philosophieverständnis – Bedeutung der Ideengeschichte Moǧtahedīs Philosophieverständnis zeichnet sich insbesondere durch einen dezidiert historischen Zugang aus. Zwar hat er unter anderem zum Denken Kants einige systematische Darstellungen allgemeiner Art vorgelegt,282 doch legt er stets Wert darauf, dass man Philosophie letztlich nur aus ihrem historischen Kontext heraus verstehen könne. Philosophische Forschung ist für ihn daher in erster Linie Ideengeschichte, vor diesem Hintergrund macht er, was die Bedeutung verschiedener Traditionen für die Philosophie anbelangt, keinen Unterschied zwischen islamischer oder westlicher, moderner, mittelalterlicher oder antiker Philosophie. Wichtig sei es aber, eine fundierte Kenntnis der historischen Zusammenhänge und Entwicklungen zu erlangen, das sei die Aufgabe der Forschung. Diese lasse aber nicht nur auf dem Gebiet der westlichen Philosophie in Iran zu wünschen übrig, auch was die islamisch-iranische Tradition anbelangt, sei man von einer fundierten Kenntnis noch weit entfernt. Er warnt in diesem Zusammenhang vor einem oberflächlichen (saṭḥī) und unbedarften Umgang mit der Tradition und davor, diese für gegeben und bekannt anzusehen. Das führe letztlich dazu, dass man sich auf eine verfälschte Tradition (sonnat-e kāẕeb) berufe, die statisch sei und auch im gegenwärtigen Denken zu einem verfälschten Zugang zur Philosophie führe. Unter denjenigen, die sich vor allem der modernen westlichen Philosophie zuwenden, sei wiederum eine Konsummentalität 280 Die erste Arbeit, eine Übersetzung der Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, wurde von Aḥmad Aḥmadī unter Yaḥyā Mahdavī angefertigt. Ḥaddād ʿĀdel ist inzwischen selbst Professor für Philosophie an der Universität Teheran und hat eine Reihe von „Masterarbeiten“ (pāyānnāmehā-ye kāršenāsī-ye aršad) und Doktorarbeiten zu Kant betreut, dazu unten Kap. 6 und Bibliographie 8.4. Zur Übersetzung Ḥaddād ʿĀdels siehe 3.3.2.2; zu Ḥaddād ʿĀdel im Kontext Politik und Philosophie siehe unten Kap. 6. 281 Zu Moǧatedīs Schriften mit Bezug zu Kant siehe Bibliographie. 282 Vgl. Moǧtahedī (1363/1984-5); Moǧtahedī (1386/2007).
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(farhang-e maṣraf) weit verbreitet, die darin bestehe, westliches Denken einfach nachzuahmen, ohne sich um dessen historische Bedingtheit und die Bedeutung für die eigene Tradition zu kümmern. Auch diese Haltung führe zu einer falschen Moderne (taǧaddod-e kāẕeb) und einem statischen Philosophieverständnis, das von einem lebendigen philosophischen Bewusstsein weit entfernt sei. Ein weiteres Problem, das Moǧtahedī „Nachahmern“ wie Gegnern der westlichen Philosophie gleichermaßen vorwirft, ist der Gebrauch von Fremdwörtern für Fachtermini im Persischen. Während die Nachahmer damit ein Spezialwissen vortäuschen wollten, das nur ihnen zugänglich sei, so verwendeten die Gegner dieselben Ausdrücke, um mithilfe des evozierten Unbehagens durch das Unvertraute ihrer Überzeugung, dass die westliche Philosophie gefährlich sei, Nachdruck zu verleihen. Demgegenüber sei es angebracht, persische oder arabische Ausdrücke zu gebrauchen. Zwar sei das Arabische auch eine Fremdsprache, dem Neupersischen aber viel näher und von der Bedeutung mit dem Lateinischen für europäische Sprachen vergleichbar. Dadurch könne man den Verfremdungseffekt vermeiden und das rezipierte europäische Denken besser in die eigene Tradition integrieren.283 Für Moǧtahedī macht es durchaus Sinn von einer einheimischen (būmī) Tradition zu sprechen, ja diese sogar zu betonen und zu pflegen, doch um das sinnvoll tun zu können, müsse man verschiedene Aspekte beachten, nämlich die historischen Entwicklungen im Kontext der islamischen Tradition, bei der Aneignung europäischer Philosophie ebenfalls deren Entwicklung im historischen Kontext und darüber hinaus auch den historischen Kontext der Rezeption westlichen Denkens in Iran, der letztlich Teil der eigenen Tradition sei. Nur wenn man all diese Aspekte beherzige und sein Verständnis der Traditionen immer wieder historisch überprüfe, könne man ein Bewusstsein für die eigene Tradition erlangen. Vor diesem Hintergrund erklärt sich auch, warum Moǧtahedī einerseits keine prinzipielle Unterscheidung zwischen moderner und traditioneller bzw. islamischer und westlicher Philosophie macht und dennoch von einer einheimischen Tradition spricht. Das grundlegende Prinzip der Ideengeschichte nämlich sei die Veränderung und Entwicklung, das betreffe die islamische Tradition und die Rezeption moderner westlicher Philosophie gleichermaßen. Der Gegensatz Tradition (sonnat) und Moderne (taǧaddod) löse sich auf, wenn man berücksichtige, dass taǧaddod (wörtlich „Erneuerung“) inhärenter Bestandteil von Tradition sei, da diese nur dann lebendig sei, wenn sie sich weiterentwickele, mithin erneuere. Die eigene Tradition zu pflegen und zu bewahren, bestehe daher nicht darin, sie vor neuen und fremden Einflüssen zu schützen, sondern vielmehr zu ergründen, welche Entwicklungen also Einflüsse von Neuem und Fremdem es in 283 Vgl. Raʾīszāde/ʿAbbāsī/Hāšemī (1384/2005), 32f.; Moǧtahedī (1385/2006-7), 307–311.
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ihr gegeben habe und wie man im Bewusstsein dessen aktuelle Einflüsse sinnvoll in die eigene Tradition integrieren könne. Dieses Prinzip der Entwicklung vergleicht er mit dem Konzept der „substanziellen Bewegung“ (ḥarrakt-e ǧouharī) Mollā Ṣadrās: Erneuerung (taǧaddod) ist ein Ausdruck substanzieller Bewegung, die als Bedingung jeder Art materiellen und geistigen Lebens gelten kann und offensichtlich verliert auch die Philosophie (…) ohne diese Bewegung ihre eigentliche Lebendigkeit und verfällt der Stagnation (rokūd), deren deutliche Merkmale die dauerhafte Wiederholung (tekrār-e omūr-e mokarrar) und die Furcht vor allem Unbekannten (nāšenāḫtehā)“ und insbesondere des neuen (ǧadīd) ist.284
Zwar hält Moǧtahedī an der Unterscheidung zwischen eigener (iranischer) und fremder Tradition fest, ohne allerdings zu erklären, nach welchen Parametern man das Eigene vom Fremden unterscheidet und was man letztlich als der eigenen Tradition zugehörig bestimmt, doch verfällt er dabei nicht dem Paradigma des Verwestlichungsdiskurses, sondern betrachtet die Möglichkeit und Wirklichkeit der Rezeption westlichen Denkens als Chance für die eigene Tradition. Was den Nutzen komparatistischer Studien anbelangt, so gibt er sich betont zurückhaltend. Eine wirklich durchdachte komparative Philosophie gebe es in Iran derzeit noch nicht (falsafe-ye taṭbīqī hanūz be ṣūrat-e ʿamīq maṭraḥ našode ast). Das liege weniger daran, dass die westliche Philosophie noch nicht hinreichend erforscht sei, als vielmehr daran, dass man selbst die eigene Tradition noch nicht genau genug kenne. Zwar kritisiert er in diesem Zusammenhang nicht explizit jene Komparatistik als Apologetik, doch es dürfte deutlich geworden sein, dass diese nach dem bisher Ausgeführten von Moǧtahedī nicht als durchdachte Komparatistik anerkannt werden kann, sondern eher dem Schema der statischen Gegenüberstellung von vermeintlich eindeutigen Traditionen zuzurechnen ist.285 Für die Kantrezeption in Iran spielte Moǧtahedīs Ansatz eine konstruktive Rolle. Denn es ist auffällig, dass sich sowohl Interpreten, die sich allein für die westliche Tradition interessieren, als auch solche, die den Einfluss westlichen Denkens in Iran im Kontext der islamischen Tradition betrachten, von Moǧtahedī inspirieren ließen. Die Betonung der Notwendigkeit, das europäische Denken in 284 Moǧtahedī (1385/2006-7), 8. 285 Vgl. das Interview mit Moǧtahedī in der Zeitschrift Pažūhešgarān dem Magazin des Institute for Humanities and Cultural Studies [pažūhešgāh-e ʿolūm-e ensānī va moṭāleʿāt-e farhangī], Eslāmzāde, Saʿīd (1386/2007), 31. Moǧtahedī selbst hat zu Kant eine komparatistische Arbeit vorgelegt, die sich dem Denken Duns Scotus und Kants im Vergleich aus der Sicht Heideggers widmet. Diese Arbeit, die mir leider nicht vorlag, dürfte den von Moǧtahedī vertretenen Zugang zur Komparatistik erhellen, vgl. Moǧtahedī (1376/1997).
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seinem historischen Kontext genauer zu untersuchen, und der Standpunkt, dass Erneuerung nicht im Widerspruch zu Tradition stehe, beförderte die Tendenz und die Akzeptanz vermehrt westliche Forschungsliteratur zu Kant, historischer wie systematischer Art, zu rezipieren. Die Betonung der Notwendigkeit der Pflege der eigenen Tradition kam jenen entgegen, die mit dem wachsenden Einfluss europäischer Philosophie um die Bedeutung der islamischen Tradition im iranischen Bildungswesen oder gar die Integrität einer iranisch-islamischen Kultur fürchteten. Moǧtahedīs Werk und seine Lehrtätigkeit konnte zu einer gewissen Annäherung der genannten Lager beitragen. Die Rolle des Philosophen als akademischer Lehrer ist für die Kantrezeption in Iran bis heute bedeutsam. Neben Moǧtahedī und in seiner Nachfolge wurde sie von einer Reihe weiterer Denker, wie beispielsweise Aḥmad Aḥmadī, Abolqāsem Ẕākerzāde, Maḥmūd ʿEbādīyān oder Mīr ʿAbdolḥoseyn Naqībzāde eingenommen.286
3.3.2 Übersetzung der Werke Kants ins Persische Ein Merkmal der konkreten Kantrezeption in Iran ist die intensivere und unmittelbare Auseinandersetzung mit den Schriften des Königsbergers. Sie begnügt sich nicht mehr ausschließlich mit einem Zugang zu Kants Denken über allgemeine Zusammenfassungen seiner Doktrinen. In der Folge entstanden immer mehr Werke, deren Interpretationen auf die Texte Kants selbst verweisen. Außerdem begann allmählich ein Prozess der Übersetzung der kantschen Werke ins Persische, der nicht nur den Zweck erfüllen sollte, Kants Werke einer persischsprachigen Leserschaft zugänglich zu machen, sondern vor allem die Aufgabe der adäquaten und möglichst konsistenten Übertragung der kantschen Begrifflichkeit zu meistern hatte.287 Diese Aufgabe war von Anbeginn an mit Schwierigkeiten allgemeiner wie spezifischer Art verbunden. Zu den allgemeinen Schwierigkeiten zählt die generelle Problematik der Übersetzung philosophischer Texte 286 Zu den hier genannten Denkern siehe unten Kap. 6. Zu ihrem konkreten Wirken vgl. auch die Liste der in Iran eingereichten Abschlussarbeiten und deren Betreuer (8.4). 287 Bei der im Folgenden vorgenommenen überblicksartigen Diskussion des Übersetzungsprozesses der kantschen Schriften ins Persische geht es mir nicht darum, das Phänomen der Übersetzung im Detail in den Blick zu nehmen. Weder soll und kann hier die Qualität der Übersetzungen beurteilt werden noch soll in dieser Arbeit eine Untersuchung der einzelnen Übersetzungen hinsichtlich ihrer verschiedenen sprachlichen Aspekte wie Stil, Syntax oder Wortwahl vorgenommen werden. Ich beschränke mich im Bereich der Lexik vor allem auf die Frage der Übertragung der kantschen Terminologie ins Persische. Andere Aspekte werden im Verlauf der Arbeit nur dann diskutiert, wenn sie eine Bedeutung für eine bestimmte Interpretation eines iranischen Kantrezipienten haben.
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wie auch das Phänomen, dass Kant seine Terminologie nicht stringent entwickelt und eindeutig festlegt hat, sondern verschiedene Ausdrücke für einen Begriff manchmal synonym verwendet, manchmal aber gerade voneinander abhebt, um unterschiedliche Aspekte eines Begriffs zu beleuchten.288 Zu den spezifischen Schwierigkeiten mag die Tatsache gehören, dass das Neupersische, anders etwa als das Arabische, nicht über eine, im Zuge einer jahrhundertealten ausgeprägten wissenschaftlichen Tradition entwickelte, philosophische Fachsprache verfügt. Zwar gab es immer wieder Perioden, in denen Philosophen aus dem iranisch-islamischen Kulturkreis ihre Werke neben Arabisch zum Teil auch auf Persisch verfassten – das vielleicht früheste Beispiel stammt von Ibn Sīnā – doch blieb Arabisch als Wissenschaftssprache, und damit auch Sprache der Philosophie, bis ins 19. Jahrhundert in Iran dominant.289 Auf dem Feld der Terminologie zeigt sich zudem in den persischen Texten vielfach, dass sie sich stark an die im Arabischen bereits vorhandene Terminologie anlehnt, indem viele Ausdrücke übernommen oder allenfalls persiziert werden.290 Allerdings bedeutet das Vorhandensein einer solchen philosophischen Fachsprache, wie etwa im Arabischen, keineswegs, dass die Übersetzung der Werke Kants unproblematisch wäre.291 Eine weitere spezifische Schwierigkeit, die arabische wie persische Übersetzungen gleichermaßen betreffen dürfte, ist die Tatsache, dass Kants Werke allgemein gesprochen zur Tradition der neuzeitlichen/ modernen Philosophie gehören, die sich inhaltlich wie auch hinsichtlich der Begrifflichkeit von der Tradition der antiken und hellenistischen Philosophie unterscheidet, die zunächst der Ausgangspunkt der Entwicklung einer philosophischen Fachsprache im islamischen Kulturraum war. Damit stehen die Übersetzer von Kant und anderen modernen Autoren vor der Schwierigkeit, dass sie zwar auf ein reiches – vor allem arabisches – philosophisches Vokabular zurückgreifen können, das aber philosophiegeschichtlich einer anderen Epoche zuge288 Zur Frage der uneinheitlichen Begrifflichkeit vgl. etwa Roelcke (1989). 289 Ibn Sīnās Dānešnāme-ye ʿalāʾī ist das früheste auf Neupersisch verfasste philosophische Werk, in dem der Autor versucht, für seine Philosophie eine persische Terminologie zu etablieren. Dazu und zur frühen philosophischen Terminologie auf Persisch – wenn auch nicht mehr auf dem neusten Stand, so immer noch instruktiv – vgl. Afnan (1964). Die Tatsache, dass das Arabische als Sprache der Philosophie dominierte, soll nicht suggerieren, dass die über die Jahrhunderte hinweg entstandenen philosophischen Werke auf Persisch ihrer Anzahl oder Bedeutung nach zu vernachlässigen sind, Nasr (1996) betont vielmehr, dass die Bedeutung dieser Texte für die Tradition der islamischen Philosophie gänzlich unterschätzt wurde. 290 Zwar ist das Neupersische generell, besonders was die Lexik betrifft, stark vom Arabischen beeinflusst, doch zeigt bspw. bereits Ibn Sīnā, dass für viele Fachbegriffe auch ursprünglich persische Synonyme verwendet werden können. Zur Rolle des Arabischen in der Entwicklung des Neupersischen vgl. Lazard (1995). 291 Zur Problematik der Übersetzung Kants ins Arabische vgl. Aly/Frey (2010).
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hörig und somit auch inhaltlich nicht ohne Weiteres auf die zu übertragenden Konzepte anwendbar ist. Vereinfacht ausgedrückt bieten sich demnach zwei Übersetzungsmethoden an: Entweder man bemüht sich, den in der Zielsprache vorhandenen Fundus philosophischer Termini, die selbstverständlich ihrerseits eine Entwicklung durchgemacht haben und keineswegs in ihrer Bedeutung eindeutig sind, möglichst adäquat auf die kantsche Begrifflichkeit anzuwenden oder man versucht das Übersetzungsproblem mit Hilfen von Wortneuschöpfungen oder Modifikationen zu lösen, um möglichst eindeutige Entsprechungen der kantschen Begriffe in der Zielsprache zu generieren. Beide Methoden, die sich selbstverständlich nicht ausschließen, haben ihre Vor- und Nachteile. Während der Rückgriff auf bereits vorhandene Ausdrücke den Vorteil hat, dass die verwendeten Termini dem philosophisch geschulten Leser bereits geläufig sind und somit Sinn transportieren und ggf. auch gezielt Assoziationen wecken, so kann im Zweifelsfall gerade dieses Vorwissen auch irreführend sein, weil der Leser damit Konzepte verbindet, die nicht dem entsprechen, was in der Ursprungssprache gemeint ist. Dieses Problem wiederum ergibt sich bei der Verwendung von Wortneuschöpfungen nicht, doch bergen diese ihrerseits das Problem, dass sie dem Leser zunächst fremd und künstlich erscheinen und sich als Termini erst einmal durchsetzen müssen. In beiden Fällen sind die genannten Probleme nicht grundsätzlicher Art. Einerseits nämlich ist es durchaus nichts Ungewöhnliches, dass dieselben Ausdrücke im Kontext unterschiedlicher philosophischer Systeme unterschiedliche Konzepte bezeichnen, und andererseits hat es auch immer wieder Wortneuschöpfungen gegeben, von denen sich manche durchsetzten und manche nicht. Die Kunst des Übersetzers liegt also weniger darin, die richtige Wahl zwischen der einen oder anderen Methode zu treffen, als vielmehr darin, in ihrer Umsetzung seine jeweilige Leserschaft ansprechen und überzeugen zu können, ohne sie durch unstimmige Assoziationen in die Irre zu führen. Was nun den Prozess der Übersetzungen der Werke Kants ins Persische anbelangt, so gibt es Beispiele für beide methodischen Zugänge zur Übertragung der kantschen Begrifflichkeit. Im Zusammenhang mit der ersten Methode fällt auf, dass die persischen Übersetzer in der Wahl der arabischen Termini für bestimmte Konzepte Kants mitunter andere Wege gingen als die arabischen Übersetzer. Als Beispiel mag hier vorweg der kantsche Begriff der „Anschauung“ dienen, der in der gängigen arabischen Übersetzung mit ḥads wiedergegeben wird,292 während 292 Vgl. Kant/Wahba (1988). In seiner Einleitung liefert der Übersetzer ein arabisch-deutsches Glossar mit einer Auswahl der wichtigsten kantsche Termini und seinen Übersetzungen, vgl. ebd. 13–17.
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sich im Persischen inzwischen der Ausdruck šohūd durchgesetzt hat. Beide Ausdrücke sind in der islamischen Geistesgeschichte durchaus geläufig, entstammen aber jeweils sehr unterschiedlichen Kontexten. So findet sich der Terminus ḥads etwa im Kontext der peripatetischen Philosophie Ibn Sīnās und bezeichnet dort so etwas wie ein intuitives Erkennen, womit allerdings gerade nicht, wie man meinen könnte, ein unmittelbares nicht rationales Erkennen unter Umgehung der etwa aus dem Organon des Aristoteles bekannten logischen Operationen gemeint ist, sondern vielmehr die Fähigkeit, diese viel schneller und müheloser als im Normalfall durchzuführen.293 Der Terminus šohūd hingegen entstammt dem Bereich der Mystik und bezeichnet dort in etwa eine „mystische Schau“. Beide Konzepte der islamischen Geistesgeschichte entsprechen nicht genau dem, was Kant unter dem Konzept der Anschauung verstand.294 Zu den ersten iranischen Kantinterpreten, die auch die Frage der adäquaten Übersetzungsmethode diskutierten, gehört Mehdī Ḥāʾerī Yazdī. Seine Übersetzungen von Passagen aus der KrV gehören nicht nur zu den ersten in persischer Sprache295, er kritisiert auch andere Übersetzungsversuche. Ḥāʾerī ist eindeutig ein Fürsprecher der ersten Methode. Da er sich selbst als Vertreter der islamischen philosophischen Tradition versteht, mag es für ihn auch durchaus naheliegend sein, bei der Übersetzung kantscher Konzepte nach passenden Äquivalenten in der islamischen Philosophie zu suchen. In der Einleitung zu seinem Werk Kāvešhā-ye ʿaql-e naẓarī vertritt er ausdrücklich den Standpunkt, dass die Sprache bei der Vermittlung eines philosophischen Sachverhaltes oder einer Tradition in einen anderen sprachlich-kulturellen Kontext, kein prinzipielles Hindernis darstelle. Er kritisiert also die Vorstellung von Inkommensurabilität, die seiner Meinung nach weitverbreitet ist. Das Problem bei der Übersetzung philosophischer Texte bestehe vielmehr in der mangelhaften Kenntnis der philosophischen Sprache bzw. der Terminologie in der Zielsprache aufseiten der Übersetzer. Es sei nämlich keineswegs ausreichend, die Quellsprache und die Zielsprache gut zu beherrschen. Um eine für Philosophen brauchbare Übersetzung zu schaffen, sei es vielmehr – etwa im Falle der KrV – notwendig, die „Sprache der europäischen Philosophie“ (zabān-e falsafe-ye orūpāʾī) in die „Sprache der islami293 Zum Konzept des ḥads bei Ibn Sīnā vgl. knapp Rudolph (2004), 52f.; Goichon (1938), 65f.; ausführlicher und mit einer Reihe von Belegstellen in Übersetzung Gutas (1988), 159–176. 294 Näheres zum Konzept der Anschauung, dessen Übertragung ins Persische und ihrer Diskussion im Kontext der iranischen Kantrezeption Kap. 4.3.2. 295 Passagen aus der Kritik der reinen Vernunft in Ḥāʾerīs Übersetzung finden sich in Ḥāʾerī (1384/20054), 203f [vgl. KrV B 626/7]; 204f.; 211 [vgl. KrV B 503]; 214; 215; 337f. [andere Übersetzungsversion von KrV B 626]; 340 [B 627]. Einige der Passagen, die Ḥāʾerī als Übersetzung angibt, scheinen teilweise eher Paraphrasen zu sein. Alle Übersetzungen basieren auf der englischen Übersetzung von Kemp Smith.
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schen Philosophie“ (zabān-e falsafe-ye eslāmī) zu übertragen.296 Damit suggeriert er eine gewisse Homogenität der Begrifflichkeit in den „Sprachen“ der europäischen respektive der islamischen Philosophie, die er nicht weiter problematisiert. Das erklärt sich teilweise aus seinem Ansatz philosophischer Komparatistik, in dem er aus der Perspektive seiner Vorstellung einer Tradition der islamischen Philosophie zwei scheinbar einheitliche Traditionsblöcke, den westlichen und den islamischen, gegenüberstellt, um in erster Linie zu überprüfen, inwieweit der westliche mit dem islamischen kompatibel bzw. in diesen integrierbar ist. Konkret kritisiert Ḥāʾerī die arabische Übersetzung der Kritik der reinen Vernunft von Aḥmad aš-Šībānī.297 Dieser habe genau jene Übertragung in die Sprache der islamischen Philosophie verfehlt, weshalb seine Übersetzung letztlich gänzlich unverständlich bleibe. Der Übersetzer habe sich offenbar nicht einmal die Mühe gemacht, einen Blick in ein Wortverzeichnis für islamische Logik und Philosophie zu werfen. Folglich habe er für eine Reihe von Kants Begriffen neue arabische Ausdrücke verwendet, die keine Entsprechung in der islamischen Terminologie hätten und zudem nicht einmal dem Sinn der kantschen Begriffe gerecht würden. So etwa übersetze er „Transzendentalphilosophie“298 mit maḏhab istišrāfī, obwohl es dafür eine Entsprechung in der islamischen Philosophie gebe, nämlich ḥekmat-e motaʿālīye. Für den Begriff der Antinomie verwende er den Ausdruck monāqeże-ye ʿaql-e moǧarrad,299 obwohl in der islamischen Philosophie masʾale-ye ǧadalī aṭ-ṭarafayn der gängige Terminus für Antinomie sei. Der arabische Ausdruck munāqaḍa, den Šībānī verwende, gehöre in den Kontext der Beweislogik (burhān), wo er einen Widerspruch anzeige, den Beweis selbst also für ungültig erklärt. Schlussfolgerungen, in denen ein Gegensatz Gültigkeit habe, sei aber die Lehre von den dialektischen Schlüssen (qīyās ǧadalī), somit führe Šībānīs Übersetzung in die Irre. Was nun die kantschen Antinomien betreffe, so finde sich die Diskussion der ersten Antinomie, von der Erschaffenheit oder Ewigkeit der Welt, im islamischen Kontext bereist bei Ibn Sīnā, der sie unter der
296 Ḥāʾerī Yazdī (1969a), 38–41. 297 Zu Šībānī und seiner Übersetzung der KrV vgl. Aly/Frey (2010). 298 Ḥāʿerī verweist hier auf den englischen Ausdruck „transcendentalism“, was etwas irreführend ist. Zwar kann mit dem Ausdruck auch die kantsche Transzendentalphilosophie gemeint sein, doch bezieht sich dieser Begriff und seine deutsche Entsprechung „Transzendentalismus“ eher auf eine im 19. Jahrhundert in den USA entstandene neuidealistische intellektuelle Strömung, die sich zwar auch auf Kant beruft, aber eben nicht mit seiner Transzendentalphilosophie gleichzusetzen ist. Ḥāʾerī verwendet „transcendentalism“ hier aber offensichtlich in der Bedeutung von „trancendental philosophy“. 299 Es ist auffällig, dass Ḥāʾerī hier eine persifizierte Schreibweise des arabischen Ausdrucks verwendet.
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Bezeichnung masʾale-ye ǧadalī aṭ-ṭarafayn abgehandelt habe. Somit wäre es angemessen gewesen, hätte sich der Übersetzer dieses Ausdrucks bedient.300 In Ḥāʾerīs Diskussion der Ansätze zur Übersetzung kantscher Termini ins Persische, die er im oben genannten Text nicht weiter ausführt, zeigen sich Vor- und Nachteile der von ihm präferierten Methode, nach Äquivalenten in der islamischen Philosophie zu suchen. Was etwa Hāʾerīs Diskussion der Übersetzung von „Transzendentalphilosophie“ betrifft, so legt er nicht weiter dar, was konkret an der Variante Šībānīs für „transzendental“ nämlich istišrāfī problematisch ist301, seine Variante für „Transzendentalphilosophie“ nämlich ḥekmat-e motaʿālīye jedenfalls ist ihrerseits keineswegs unproblematisch. Zwar findet sich in der Tat im Kontext der islamischen Philosophie eine Strömung, die so bezeichnet wird, nämlich die Philosophie Mollā Ṣadrās und seiner Anhänger, doch ist es höchst fragwürdig, ob man diese ohne Weiteres mit Kants Transzendentalphilosophie identifizieren kann. Vielmehr scheint hier der Begriff motaʿālī eher auf „transzendent“ zuzutreffen als auf transzendental. So wird Mollā Ṣadrās Schule auch als „trancendent philosophy“ übersetzt.302 Damit ist also Ḥāʾerīs Vorschlag nicht minder irreführend, da die wichtige kantsche Unterscheidung zwischen transzendent und transzendental hier nicht zu Geltung kommt. Was Ḥāʾerīs Beispiel des Begriffs der Antinomie betrifft, so ist sein Einwand gegen den Ausdruck munāqaḍa nachvollziehbar und sein Vorschlag masʾale-ye ǧadalī aṭ-ṭarafayn ist neben dem Ausdruck taʿāroż für Antinomie in der persischen Kantliteratur geläufig. In diesem Falle scheint die Verwendung eines Terminus aus der islamischen Philosophie gelungen.303 Es zeigt sich, dass beim Rückgriff auf eine islamisch-philosophische Terminologie durchaus Vorsicht geboten ist. In manchen Fällen mögen Begriffsneuschöpfungen zur Übertragung der kantschen Terminologie tatsächlich überflüssig sein, so ist etwa der Terminus mafhūm für „Begriff“ nicht nur geläufig, sondern auch unproblematisch, in anderen Fällen aber kann eine Einordnung westlicher Begriffe in die islamische Begrifflichkeit Konzepte miteinander identifizieren, die nicht identisch sind, sodass eine kritische Prüfung solcher Übertragungen im Einzelnen angebracht wäre.304
300 Ḥāʾerī Yazdī (1969a), 41–43. 301 Vgl. dazu Aly/Frey (2010), 550f. 302 So etwa von Mukammad Kamal, vgl. Kamal (2006). Dazu kritisch Rizvi (2009), 9/139 n.52. 303 Soweit ich sehe, ist der Ausdruck ǧadalī aṭ-ṭarafayn bei Ibn Sīnā zwar dem Sinne nach vorhanden, in dieser Form aber nicht geläufig, in der persischen Ibn Sīnā Literatur hingegen durchaus. 304 Einzelne terminologische Probleme werden in Kap. 4 näher behandelt.
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3.3.2.1 Mīr Šamsoddīn Adīb Solṭānī und die Übersetzung der Kritik der reinen Vernunft Im Großen und Ganzen hat sich die Methode, in der islamischen Tradition nach Äquivalenten für kantsche Begriffe zu suchen, für die Ḥāʾerī eintrat, bei der Übersetzung der Werke Kants ins Persische inzwischen durchgesetzt. Es gibt aber zumindest eine bedeutende Ausnahme, nämlich die Übersetzung der Kritik der reinen Vernunft von Mīr Šamsoddīn Adīb Solṭānī, die im Jahr 1362/1983 unter dem Titel Sanǧeš-e ḫerad-e nāb erschien. Dabei handelt es sich um die erste vollständige Übersetzung eines der Hauptwerke Kants ins Persische und es war bis 2012 die einzige vollständige Übersetzung dieses Werkes.305 Adīb Solṭānī präferiert eindeutig die zweite Methode bei der Übertragung der kantschen Terminologie und ist, insbesondere was Wortneuschöpfungen betrifft, äußerst innovativ und produktiv. Dabei geht er keineswegs willkürlich vor, sondern folgt einer speziellen Systematik. Mīr Šamsoddīn Adīb Solṭānī (geb. 1310/1931), der in seiner Geburtsstadt Teheran Medizin studierte und anschließend zum Studium der klinischen Psychologie einige Zeit in Wien verbrachte, gehört zweifellos zu den bedeutendsten und zugleich umstrittensten Übersetzern Irans. In seiner langjährigen Schaffenszeit hat er eine Vielzahl von bedeutenden Werken der Philosophie und Belletristik ins Persische übertragen und zwar jeweils aus den Originalsprachen306, dazu gehören neben der Kritik der reinen Vernunft auch Wittgensteins Tractatus, Aristoteles Organon, Shakespeares King Richard III und jüngst (2008) Hamlet. Adīb Solṭānī verfügt über außergewöhnlich weitreichende Sprachkenntnisse – neben Deutsch, Englisch, Französisch, Italienisch, Russisch und Arabisch beherrscht er Altgriechisch, Latein, Hebräisch sowie verschiedene mittel- und altiranische Sprachen, die er insbesondere bei seinen Übersetzungen philosophischer Texte etwa für die Heranziehung verschiedener Übersetzungsvarianten in unterschiedlichen Sprachen zum Einsatz bringt. In den Vorworten zu seinen Übersetzungen legt er jeweils ausführlich Rechenschaft über seinen Zugang zur Übersetzung im Allgemeinen und der jeweiligen Herangehensweise an den zu übersetzenden Text im Besonderen ab.
305 Eine Neuübersetzung durch Ḥaddād ʿĀdel wurde seit einigen Jahren angekündigt. Seit 2012 gibt es eine Neuübersetzung durch Behrūz Naẓarī s. u. 123f. 306 Allein das ist in Iran, mit seinem ausgesprochen produktiven Übersetzungsaufkommen, schon eine Besonderheit, denn ein Großteil der Werke der Weltliteratur werden nach englischen z. T. auch französischen Vorlagen übersetzt, hinzu kommt natürlich eine Vielzahl von Übersetzungen aus dem Arabischen.
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So ist auch das Vorwort zu seiner Übertragung der Kritik der reinen Vernunft,307 eigentlich eine ausführliche Einleitung, ein eindrückliches Dokument einer reflektierten und genauen Auseinandersetzung mit der eigenen Übersetzungsstrategie. Es gliedert sich in fünf Teile: Der erste Teil handelt über Kant und die Kritik der reinen Vernunft im Werkkontext,308 der zweite mit Abstand ausführlichste Teil enthält allgemeine wie spezifische Überlegungen zur Übersetzung ins Persische.309 Es folgt ein Teil zum Aufbau der KrV310 sowie allgemeine editorische Anmerkungen311 und Danksagungen.312 Im ersten Teil erläutert der Übersetzer die in der Kantforschung geläufige Unterteilung von Kants Werken in die „vorkritische Periode“ (doure-ye pīš-sanǧešī/pīš-sanǧešgerāne), die kritische Periode (doure-ye sanǧešī/sanǧešgerāne) und das Spätwerk (doure-ye farǧāmīn) und ordnet die wichtigsten Werke unter Nennung ihrer Originaltitel sowie z. T. deren Untersuchungsgegenstand in das Schema ein. Des Weiteren nennt er einige der wichtigsten Abweichungen zwischen der A- und B-Ausgabe und geht knapp auf die erste Rezeption und die Göttinger Rezension ein, die nicht zuletzt Anlass für die Abfassung der Prolegomena sowie der zweiten Fassung der Kritik war.313 Im zweiten Abschnitt der Einleitung erläutert Adīb Solṭānī die Grundlagen und Methoden seines Übersetzungsverständnisses. Dabei spricht er in einem allgemeinen Teil seiner Erläuterungen von zwei Grundsätzen (mabdaʾ-e ḥekmatī) 307 Kant/Adīb Solṭānī (1362/1983), VII–LXIX. 308 „1) Soḫanī čand dar bāre-ye Immanuel Kant va dar peyrāmūn-e Sanǧeš-e ḫerad-e nāb“, Kant/ Adīb Solṭānī (1362/1983), VII–XX. 309 „2) Darbāre-ye tarǧome-ye fārsī“, Kant/Adīb Solṭānī (1362/1983), XX–LXI. 310 „3) Negāh-e eǧmālī bar sāḫtemān-e Sanǧeš-e ḫerad-e nāb“, Kant/Adīb Solṭānī (1362/1983), LXII–LXVI. 311 „4) Čand nokte-ye fannī“, Kant/Adīb Solṭānī (1362/1983), LXVI–LXVIII. 312 „5) Ḫāheš va niyāyeš“, Kant/Adīb Solṭānī (1362/1983), LXVIII–LXIX. 313 Zwei Anmerkungen Adīb Solṭānīs sind zudem interessant. An einer Stelle erwähnt er eigens, dass sich Kant in seinen letzten Jahren für den Zarathustrismus interessiert habe und sich in zwei Werken auf Zarathustra beziehe, was womöglich, diese Vermutung entnimmt er dem Kommentar von Kemp Smith (1923), 609f.; 640, in Zusammenhang mit einer aus dem Französischen angefertigten deutschen Übersetzung des Avesta stehe, die 1776 erschien. Auf die Signifikanz dieser Bezugnahme geht Adīb Solṭānī indes nicht weiter ein. Vgl. Kant/Adīb Solṭānī (1380/1983), XII. Gegen Ende des ersten Teils seiner Einleitung ordnet der Übersetzer Kant der sogenannten „kühlen Philosophie“ (falsafe-ye sard) zu. Diese zeichne sich in erster Linie durch ihren nüchternen analytischen Stil und ihrem Hang zur mathematischen und logischen Denkweise aus, wohingegen die „warme Philosophie“ (falsafe-ye garm) einen eher literarischen Stil habe und sich durch ihr ideologisches oder zumindest gesellschaftliches Sendungsbewusstsein hervorhebe. Zwar könne man nicht alle Philosophen eindeutig diesen beiden Lagern zuordnen, doch gehöre Kant, mit gewisser Vorsicht, in das Lager der „kühlen Philosophen“ wie auch Aristoteles, Thomas von Aquin oder Wittgenstein, während etwa Platon, Augustinus oder Hegel der „warmen Philosophie angehöre“. Vgl. Kant/Adīb Solṭānī (1362/1983), XIX/XX.
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und sechs Prinzipien (aṣl), die er bei der Übersetzung berücksichtigt habe.314 Dem ersten Grundsatz zufolge ist der Übersetzer weder eigenständiger Interpret (motarǧem moǧtahed nīst) noch treuer Anhänger einer Lehre (moqalled ham nīst), daher müsse er sich in seiner Arbeit auf einen Weg der Mitte (miyāneravī) und eine Methode der Vorsicht (raveš-e moḥtāṭāne) besinnen, um weder revolutionären noch reaktionären Tendenzen im Denken zu verfallen, sondern beide miteinander in Einklang zu bringen (mībāyad ǧambehā-ye erteǧāʿī va enqelābī-ye ẕehn rā tarāzmandāne hamāhang sāḫt). Daraus folge auch die Haltung, dass man keine apodiktischen Meinungen hinsichtlich des Verständnisses bestimmter Doktrinen vertreten sollte, da man über die Wahrheit seiner Meinung keine Gewissheit haben könne. Dies Haltung gründe auf einer Art Agnostizismus, für den Adīb Solṭānī den Ausdruck „namidānamī“ (etwa: Prinzip des „Ich weiß es nicht“) setzt.315 Der zweite Grundsatz besteht in der Auffassung, dass der Übersetzer Sachwalter des „Äußeren“ ist (motarǧem maʾmūr-e ẓāher ast). Es könne nicht die Aufgabe des Übersetzers sein, nach dem inneren Sinn (bāṭen) eines Werkes oder dessen einzelner Aussagen zu suchen, um diesen vermeintlich erkannten Sinn in die andere Sprache zu übertragen. Vielmehr müsse er ganz der äußeren (sprachlichen) Form des Werkes verpflichtet sein, in welcher der Sinn eines Werkes in Erscheinung trete. In der Konsequenz folgert Adīb Solṭānī aus diesen beiden Grundsätzen der Übersetzungstätigkeit eine Reihe von Geboten für sein Herangehen an den kantschen Text. So dürfe er als Übersetzer niemals annehmen, er habe Kant wirklich verstanden, nur mit diesem gebotenen Zweifel könne er sich dem Text mit der größtmöglichen Unvoreingenommenheit und Genauigkeit widmen. Der Übersetzer müsse sich daher an der äußeren Form des Textes, etwa Wortstellung und Interpunktion, orientieren und diese möglichst beibehalten. Des Weiteren habe er sich bemüht, auch den Schreibstil Kants im Persischen nachzuahmen. Anmerkungen des Übersetzers im Text sollten zudem keinerlei Meinungen, Interpretationen oder Urteile über das Denken Kants, sondern ledig314 Vgl. Kant/Adīb Solṭānī (1362/1983), XX–XXXV. 315 Vgl. Kant/Adīb Solṭānī (1362/1983), XXII. Mit Agnostizismus meint Adīb Solṭānī hier offenkundig nicht die Frage der Möglichkeit der Gotteserkenntnis, sondern allgemein das Prinzip des Nichtwissens/Nichterkennenkönnens gemäß des griechischen Ursprungs des Wortes gebildet aus dem Verb γιγνώσκω (erkennen) und dem verneinenden Präfix α-. Diesen Weg der Mitte und der Haltung des Nichtwissens begründet Adīb Solṭānī nicht nur mit Verweis auf das Kleobulos von Lindos zugeschriebene Motto ἄριστον μέτρον (das Maß ist das Beste) und den Cartesianischen Zweifel, sondern auch mit einem aufwendigen Exkurs in die dreiwertige Logik (manṭeq-e se-arzešī), in der neben den aus der zweiwertigen Logik bekannten Werten „wahr“(w) und „falsch“ (f) auch der Wert des „unbestimmten“ (nāmoʿayyan) bzw. „unbekannten“ (nāmaʿlūm/ nādāneste/maǧhūl) (u) zum Tragen kommt. Vgl. Kant/Adīb Solṭānī (1362/1983), XXIV–XXX.
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lich technische oder editorische Hinweise enthalten, da mit der Übersetzung nur eine Wiedergabe (baznamūd) und keine kritische Prüfung (sanǧeš) bezweckt sei. Darüber hinaus sei es geboten, auch andere Übersetzungen des Textes für die eigene Übertragung vergleichend zu konsultieren und zu prüfen. Neben diesen Grundsätzen und den daraus folgenden Geboten nennt Adīb Solṭānī noch eine Reihe von Prinzipien, die er seiner Übersetzung zugrunde gelegt habe. Dazu gehört das Prinzip, sich insbesondere bei der Wortbildung, etwa im Hinblick auf Morpheme und Suffixe, an den Vorgaben des Persischen zu orientieren. Darüberhinaus habe er sich bei der Übertragung der Termini um einen größtmöglichen Isomorphismus bemüht, indem er für einen Terminus im Deutschen einen einzigen im Persischen zu setzen versuche (tanāẓor-e yek be yek andar miyān-e eṣṭelāḥhā-ye Kānt va eṣṭelāḥhā-ye fārsī).316 Dabei stoße man im Rahmen natürlicher Sprachen (zabānhā-ye ṭabīʿī) notgedrungen an Grenzen, weshalb er gelegentlich die Grenzen der natürlichen Sprache hin zur künstlichen überschritten habe. Ein weiteres Prinzip sei es, auch in der Übersetzung die Unterscheidung zwischen germanischer und lateinischer bzw. griechischer Herkunft von Ausdrücken kenntlich zu machen. Dies strebe er an, indem er in der Regel die Ausdrücke germanischen Ursprungs mit ursprünglich persischen (fārsī-ye sare) Ausdrücken und solche lateinischen bzw. griechischen Ursprungs mit arabisierten Ausdrücken wiederzugeben bestrebt sei. So habe er etwa „Welt“ mit „ǧahān“, „mundus“ aber mit „ʿālam“ wiedergegeben bzw. „zum Beispiel“ mit „barā-ye namūne“ und zum Exempel mit „barā-ye mes̱āl“. Allerdings gebe es auch einige Ausnahmen von dieser Regel. Schließlich habe er in der Regel Begriffe der klassischen oder scholastischen europäischen Philosophie mit im Persischen bekannten Ausdrücken wiedergegeben und Wortneuschöpfungen vor allem für Termini verwendet, die auf Kant zurückgehen bzw. von ihm in besonderer Weise gedeutet wurden.317 Neben diesen Regeln und Prinzipien diskutiert Adīb Solṭānī eine Reihe von spezifischen, vor allem sprachlichen, Schwierigkeiten, mit denen man bei der Übertragung der Kritik der reinen Vernunft konfrontiert sei. Dazu gehören ihm zufolge an erster Stelle die Problematik der Terminologie (eṣṭelāḥšenāsī) und deren Wiedergabe im Persischen, des Weiteren die Schwierigkeit der korrekten Bezugnahme von Pronomen auf das gemeinte Substantiv (gozāreš-e esmī-ye
316 Isomorphismus ist ein Konzept, das vor allem in der Mathematik gebräuchlich ist. Es handelt sich dabei um eine Abbildung, in der jedes Element eines Systems bzw. einer Ursprungsmenge auf genau ein Element eines anderen Systems bzw. einer Zielmenge übertragen wird, sodass eine Umkehrung ohne Bedeutungsverlust möglich ist. 317 Vgl. Kant/Adīb Solṭānī (1362/1983), XXXIV–XXXV.
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żamīrhā va żamīr-mānandhā),318 was nicht nur das Verständnis des Textes, sondern auch dessen korrekte Übersetzung verkompliziere. Zu gewissen Schwierigkeiten führe auch die Gewohnheit Kants, überaus lange und verschachtelte Sätze zu bilden (derāzī-ye bīš az ḥadd-e ǧomlehā). Die Komplexität des Textes erhöhe zudem das Risiko, eigene Übersetzungsfehler zu übersehen, etwa indem im Deutschen ähnlich klingende Worte verwechselt und daraufhin mit dem falschen Synonym im Persischen wiedergegeben werden. Hinzu kommen noch Probleme editorischer Natur, nämlich einerseits Abweichungen in einzelnen Details zwischen verschiedenen Editionen des Textes sowie andererseits die Frage der adäquaten Darstellung der A- und B-Versionen des Textes in der Übersetzung.319 Adīb Solṭānī erörtert in Bezug auf alle genannten Schwierigkeiten, auf welche Weise er ihnen begegnen möchte.320 Wie sich zeigen sollte, konnten sich die von ihm eingeführten persischen Ausdrücke für die kantsche Termini im Großen und Ganzen nicht durchsetzen. Einer der Gründe dafür lag sicherlich in seiner Grundhaltung zur Übersetzung, die sich prinzipiell nicht an den Bedürfnissen eines potenziellen Lesers orientierte. Adīb Solṭānī machte in seinem Vorwort deutlich, dass es nicht sein Ziel gewesen sei, einen besonders eingängigen Text zu produzieren. Auch seine an Walter Benjamins Ideal der Übersetzung erinnernde Haltung,321 der Übersetzer sei nicht beauftragt, den Sinn zu transportieren, sondern zuallererst der äußeren Form des Textes verpflichtet, da er sich des Sinns niemals sicher seien könne, war der Etablierung der Übersetzung vermutlich nicht förderlich. In dieses Bild passt auch, dass Adīb Solṭānī sich bei der Bildung von Synonymen für kantsche Termini nicht deren Integrierbarkeit in die natürlich Sprache zum Maßstab machte, sondern für eine nach seinen Vorstellungen akkurate Übertragung einschließlich der sprachlichen Form bewusst in Kauf nahm, Kunstwörter zu schaffen, die auf den persischen Leser befremdlich wirken konnten. Das hatte unter den Rezipienten zur Folge, dass seine Übersetzungsleistung zwar vielfach gewürdigt und sein sprachliches Wissen bewundert, doch seine Übersetzung mehrheitlich als unbrauchbar angesehen wurde.322 318 Auf diese Schwierigkeit habe auch Paton hingewiesen, vgl. Kant/Adīb Solṭānī (1380/1983), XLIV. Vgl. Paton (1961), 15. 319 Vgl. Kant/Adīb Solṭānī (1362/1983), XL–XLV. 320 Vgl. Kant/Adīb Solṭānī (1362/1983), XLVI–LIX: 321 Vgl. Benjamin (1992). 322 Zur Kritik an Adīb Solṭānīs Übersetzung vgl. Kadivar (2007), 89. Vgl. auch Kadivars Hinweis auf eine Kritik, die mir leider nicht vorlag: Hermes Būšahrīpūr: „Tarǧomeʾī nāmafhūm az ketāb-e Kānt“ [Eine unverständliche Übersetzung des Buches von Kant] in: Našr-e dāneš Vol. 4, Nr. 6, 1363/1984, 50–52. Diese Kritik an der Wortbildung vertraten die meisten der Kantinterpreten, die ich im Feb./März 2008 in Iran zu dieser Übersetzung befragte. Eine Ausnahme stellte aber der
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Ein weiterer Grund dafür, dass sich seine Übersetzung nicht etablierte, mag auch, zumindest zum Teil, den Umständen der Zeit verschuldet sein. So wurde Adīb Solṭānī nicht zuletzt auch vorgeworfen, er propagiere die Bereinigung des Persischen von fremden Einflüssen, insbesondere des Arabischen, und vertrete eine nationalistische Politik der reinen Sprache. Zwar ist der Vorwurf in dieser Form sicherlich überzogen, da Adīb Solṭānī deutlich macht, dass jedwede radikale Haltung in der Sprachpolitik kontraproduktiv sei und es beispielsweise keinen Sinn mache, geläufige Fremd- und Lehnwörter wieder zu verbannen. Doch was die Neubildung von Fachbegriffen angeht, tritt er deutlich für deren Bildung aus persischen Wortwurzeln ein. Damit steht er zumindest teilweise dem Projekt der unter Reza Schah 1934 gegründeten Akademie für Persische Sprache Farhangestān nahe, die sich auf ähnliche Weise um die Bildung einer neuen persischen Fachterminologie bemühte, dabei aber zeitweise tatsächlich eine radikale „Bereinigungspolitik“ vertrat.323 Es mag daher nicht verwundern, dass nach der Islamischen Revolution diese als nationalistisch eingestufte Tendenz zeitweise mit dem Bestreben gleichgesetzt wurde, zusammen mit dem Arabischen auch den islamischen Einfluss aus dem Persischen zu verbannen. Im philosophischen Kontext kommt noch hinzu, dass nun in der Bildungs- und Kulturpolitik Personen an die Macht kamen, die selbst einen islamischen Bildungshintergrund hatten und für die die Stellung und Bedeutung islamisch-philosophischer Tradition, zumindest in ihrer Lesart von derselben, prioritär war.324 War es für Adīb Solṭānī noch keine Frage gewesen, dass man für eine Vielzahl von kantschen Termini neue Ausdrücke im Persischen würde suchen müssen, so stellte sich für die islamisch geprägten Philosophen, so wie oben am Beispiel Ḥāʾerīs dargelegt, die Frage, ob wirklich neue Ausdrücke nötig waren oder ob diese nicht lediglich in der Tradition der islamischen Philosophie bereits vorhandene adäquate Termini ersetzten und eigentlich nur eine künstliche und erzwungene nationalistisch motivierte Bereinigungspolitik darstellten, ohne Rücksicht auf die und ohne ausreichende Kenntnis der philosophischen Tradition. Es ist schwer zu sagen, ob sich Adīb Solṭānīs Übersetzung unter anderen politischen Rahmenbedingungen eher hätte behaupten können. Der artifizielle Charakter seiner Wortneuschöpfungen wäre immerhin der gleiche geblieben. Zwar ist es durchaus nicht ausgeschlossen, dass sich eigens geschaffene Kunstwörter im alltäglichen oder wissenschaftlichen Gebrauch durchsetzen, viele der vom ehemals an der Šahīd Beheštī Universität lehrende und 2008 verstorbene Professor für westliche Philosophie Ẕākerzāde dar, der Adīb Solṭānīs Termini für adäquater hielt. 323 Vgl. Art. „Farhangestān“ in EIr. 324 Zur Frage der Kantrezeption bzw. allgemeiner der akademischen Philosophie in Iran im politischen Kontext vgl. unten Kap. 6.
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Farhangestān eingeführten Fachwörter sind heute selbstverständlicher Bestandteil der Sprache, andere wiederum setzten sich nicht durch. Für den philosophischen Kontext aber hat Adīb Solṭānīs Herangehensweise und das Ideal der Isomorphie eine weitere Konsequenz. Auch in der Philosophie ist Begriffen eine gewisse natürliche Ambiguität zu eigen und zwar in systematischer wie auch in historischer Hinsicht. Sie sind, was im Übrigen auch Kant in der Transzendentalen Methodenlehre vertritt,325 nicht eindeutig definierbar. Zwar mag es eine Position der Vorsicht sein, wenn man sich, aus begründeter Skepsis gegenüber der eigenen Sinndeutung, bei der Übersetzung an der äußeren Form des Textes orientiert und für jeden Ausdruck der Quellsprache genau einen in der Zielsprache sucht, doch läuft man damit Gefahr, eine Unmenge an teilweise synonymen Ausdrücken schaffen zu müssen, denn, so könnte man fragen, ist es in jedem Falle angebracht, die selben Ausdrücke bei verschiedenen Autoren zu verwenden? Selbst bei Autoren einer Sprache ist das fraglich, wenn man sich aber nur an der äußeren Form orientiert und die Methode auf verschiedene Autoren der selben Sprache anwendet, dann legt man für die Zielsprache gewissermaßen die Sprachgeschichte oder Terminologiegeschichte der Quellsprache zugrunde. Wie aber entscheidet man sich bei der Übersetzung aus verschiedenen Sprachen für einen eindeutigen Terminus? Die Spannung zwischen Kunstsprache und natürlicher Sprache scheint mir daher in Adīb Solṭānīs Ansatz nicht aufgelöst. Die Schwierigkeit scheint mir aber weniger darin zu bestehen, dass seine Übersetzung und seine Terminologie unzugänglich wären, das sind sie nämlich keineswegs. Vielmehr macht er zumindest im Glossar deutlich, wie er die Begriffe bildet, und nennt zudem Synonyme aus natürlichen Sprachen (darunter Persisch und Arabisch). Die Frage ist eher, welchen Anwendungswert seine Begrifflichkeit über den Kontext der Übersetzung der kantschen Philosophie hinaus für die philosophische Forschung hätte entfalten können, denn in diesem weiteren Kontext kommt zwangsläufig die Frage auf, wie sich diese neuen Begriffe zu bereits vorhandenen Termini verhalten, inwiefern sie etwa zu diesen in Konkurrenz treten oder sie sinnvoll hätten ergänzen können. Adīb Solṭānīs Übersetzung der Kritik der reinen Vernunft steht am Anfang des Übersetzungsprozesses der kantschen Schriften ins Persische. Sie stellt nicht nur für die Kantrezeption, sondern auch für den Versuch, die philosophische Sprache im Persischen zu erneuern, eine Pionierleistung dar. Zwar wird immer noch auf sie verwiesen, doch wird sie von den meisten iranischen Kantinterpreten mit dem Verweis auf ihre schwer zugängliche künstliche Sprache kaum mehr verwendet. Eine Neuübersetzung unter dem in Iran heute gängigen Titel der Schrift Naqd-e ʿAql-e maḥż erschien jüngst im Jahr 2012. Sie wurde von Behrūz Naẓarī angefer325 Vgl. A 727/B755 – A 732/B760.
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tigt. Leider enthält sie, ganz entgegen der Übersetzung von Adīb Solṭānī keinerlei Einleitung des Übersetzers. Als Übersetzungsgrundlage wurde die Englische Übersetzung von Guyer/Wood angegeben. Der Anmerkungsapparat dieser Englischen Übersetzung wurde aber wie es scheint nicht berücksichtigt. Der vielleicht bedeutsamste Unterschied zu Adīb Solṭānīs Version besteht in der Übertragung der kantschen Termini. Diese hat Naẓarī weitgehend durch die in der iranischen Kantliteratur heute gebräuchlichen, vornehmlich aus dem Kontext der arabischislamischen Philosophie stammenden Termini wiedergegeben.326
3.3.2.2 Ḥadād ʿĀdels Übersetzung der Prolegomena Als Textgrundlage für Kants theoretische Philosophie wurde Adīb Solṭānīs Übersetzung etwa ab den 1990er Jahren weitestgehend abgelöst durch die nach einer englischen Vorlage angefertigten Übersetzung der Prolegomena, die im Jahre 1367/1988 unter dem Titel Tamhīdāt: Moqaddameʾī barāye har mā-baʿd-oṭṭabīʿe-ye āyande ke be ʿonvān-e yek ʿelm ʿarże šavad erschien. Kants Schrift Prolegomena zu einer jeden künftigen Metaphysik, die als Wissenschaft wird auftreten können erschien 1783, also zwei Jahre nach der Veröffentlichung der ersten Auflage der Kritik der reinen Vernunft. Sie beinhaltet keine gänzlich neue Doktrin oder grundsätzliche Erweiterung der Theorie, die Kant in der Kritik vertrat, sondern hatte vielmehr die Aufgabe, die Theoriestücke der Kritik in knapperer und übersichtlicherer Form zur Darstellung zu bringen. Dabei bediente sich Kant, wie er in seiner Vorrede darlegt, einer von der Kritik abweichenden Darstellungsform. Er erläutert, dass er in den Prolegomena die analytische bzw. regressive Methode angewandt habe, die das zu Untersuchende, also das in der Kritik Erwiesene, bereits voraussetzt und dann zergliedert, während er in der Kritik die synthetische Methode angewandt habe, indem er von der reinen Sinnlichkeit bis zur reinen Vernunft die einzelnen Elemente der Erkenntnis aufeinander aufbauend diskutiert und ihren Zusammenhang dargelegt habe.327 Zur neuen Perspektive gehört auch, dass Kant in dieser Schrift die Möglichkeit einer Metaphysik als Wissenschaft besonders hervorhebt und die seiner Meinung nach dafür notwendige Demonstration der Möglichkeit synthetischer Urteile a priori in der Metaphysik. Veranlasst sah sich Kant zu dieser Schrift nicht zuletzt durch eine kritische Rezension, die als die Göttinger Rezension in der Kantliteratur bekannt ist und die verkürzt gesagt dem Verfasser der KrV vorwarf, zwar von einem höheren Idealismus zu sprechen, letztlich aber doch auf einen Idealismus 326 Vgl. Kant/Naẓari (1390/2012). Von dieser Übersetzung habe ich erst nach Fertigstellung des Manuskripts erfahren. Ich danke Ali Gheissari für den Hinweis. 327 Vgl. Prol. § 5, Anm. 1; vgl. auch Prol. Einleitung von Pollok (2001), XVf.
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hinauslaufe, in dem die Welt überhaupt nichts als Erscheinung sei. Diese Kritik, die offenkundig der kantschen Intention zuwiderlief, wollte Kant nicht unbeantwortet lassen. Daher sah er sich veranlasst, seine Gedanken noch einmal darzulegen. Die Prolegomena waren damit auch eine Art Vorarbeit zu seiner Überarbeitung der Kritik für die zweite Auflage.328 Der Übersetzer Ġolāmʿalī Ḥaddād ʿĀdel329 begründet im Vorwort zu seiner Übersetzung allgemein die Notwendigkeit der Übertragung der kantschen Schriften ins Persische damit, dass sie nicht nur den Zugang zum Denken Kants für Philosophieinteressierte eröffnen, die der Lektüre europäischer Sprachen nicht mächtig sind, sondern dass diese vor allem eine „kulturelle Pflicht“ (żarūrat-e farhangī) darstelle, die das Persische als Sprache der Philosophie lebendig halte und sie für zeitgenössische philosophische Diskurse anschlussfähig mache.330 Auch über seine Textbasis und seine Übersetzungsmethode gibt Ḥaddād ʿĀdel in der Einleitung zum Werk Auskunft. So gibt er nicht nur an, dass er die Übersetzung von Peter G. Lucas331 seiner eigenen Übersetzung zugrunde legt, sondern auch, dass er, bis auf eine Ausnahme, alle übrigen englischen Fassungen332 sowie eine französische333 und eine arabische334 zum Vergleich herangezogen habe. Er begründet die Wahl seiner Textgrundlage damit, dass es sich bei der Lucas-Fassung nicht nur um die seinerzeit aktuellste Neuübersetzung handele, sondern dass diese gegenüber den anderen Übersetzungen den Vorteil habe, dass sie sich um akkurate Texttreue gegenüber dem Original bemühe und weder Sätze vereinfache noch sprachlich begründete Kürzungen oder Ergänzungen vornehme.335 Zudem habe der Übersetzer eine editorische Unstimmigkeit in der deutschen Ausgabe336 erkannt und durch Textumstellungen korrigiert.337 328 Zur Bedeutung und Entstehungsgeschichte der Prolegomena vgl. die Einleitung zur Meiner Ausgabe (Philosophische Bibliothek 540), Pollok (2001), IX–XLIX. 329 Zu Person und Werk siehe unten Kap. 6. 330 Kant/Ḥaddād ʿĀdel (1367/1988-9), 2. [Vorwort]. 331 Prolegomena to any future metaphysics, Peter G. Lucas (trans.), Manchester 1953. [2nd 1959; 3rd 1962; 4th 1966; 5th 1971]. 332 Folgende Übersetzer führt er auf: John Richardson; John P. Mahaffy/John H. Bernard; Ernest Belfort Bax; Paul Carus; Lewis White Beck; James W. Ellington. 333 Prolegomenes a toute Metaphysique future, trad. J. Gibelin, Paris 1974. 334 Muqaddama li-kull mītāfīzīqā muqbila yumkin an taṣīr ʿilman. Tarǧama Nāzilī Ismāʿīl Ḥusayn. Dār al-kitāb al-ʿarabī li-ṭ-ṭibāʿa wa-n-našr. al-Qāhira. [Kairo] 1967. 335 Vgl. dazu auch A. C. Ewings Rezension in: Philosophy, Vol. 30, No. 112 (Jan. 1955), p. 74. 336 Ḥaddād ʿĀdel gibt nicht an, welche Ausgabe von Lucas benutzte. 337 Dabei handelt es sich um eine Passage, die in früheren Ausgaben unter § 4 erschien, die aber inhaltlich § 2 zuzuordnen ist. Auf diesen Editionsfehler, der offenbar durch eine Vertauschung von Manuskriptseiten zustande kam, machte bereits Vaihinger aufmerksam. Vgl. dazu Pollok (2001), XXX.
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Bei seiner eigenen Übersetzung nach der Vorlage von Lucas habe er prinzipiell jegliche Form von „freier Übersetzung“ bzw. „sinngemäßer Übersetzung“ vermieden, dazu habe er sich bemüht, weder ein Wort der englischen Vorlage unübersetzt zu lassen noch der Übersetzung ein Wort hinzuzufügen, das keine Entsprechung in der Vorlage finde. Redewendungen habe er möglichst wortgetreu übertragen und nicht durch persische Redewendungen wiedergegeben, die Ähnliches zum Ausdruck brächten. Wo immer es ihm nützlich erschienen sei, habe er für bestimmte Termini in den Anmerkungen die englische Entsprechung angegeben, stellenweise habe er dem Text in den Anmerkungen auch Erläuterungen zum besseren Verständnis beigefügt. Bei der Übersetzung der kantschen Termini verfolge er das Prinzip, so weit als möglich keine neu geschaffenen Ausdrücke zu verwenden, sondern sich der Termini zu bedienen, die in der philosophischen Sprache des Persischen geläufig sind, bzw. sich auf den terminologischen Fundus der islamischen Philosophie zu stützen, was der gängigen Praxis an der geisteswissenschaftlichen Fakultät der Universität Teheran entspreche. Zum Teil habe er auch Fremdwörter übernommen.338 Darüber hinaus merkt er an, dass es gänzlich unangebracht sei, die ohnehin komplizierte Thematik des kantschen Werkes durch die Verwendung gänzlich ungebräuchlicher (nāmaʾnūs) Ausdrücke unnötig weiter zu erschweren.339 Diese Anmerkung ist eindeutig als Seitenhieb auf Adīb Solṭānīs Übersetzung zu verstehen. Insgesamt fällt auf, dass Ḥaddād ʿĀdel in seiner gesamten Einleitung Adīb Solṭānīs Übersetzung mit keinem einzigen – nicht einmal kritischen – Wort erwähnt. Dass sein Zugang zur Übersetzung der Schriften Kants zumindest, was die Übertragung der Terminologie angeht, sich grundsätzlich von Adīb Solṭānīs Zugang unterscheidet, ist mehr als deutlich. Es ist vermutlich auch nicht weit hergeholt, wenn man annimmt, dass es die Intention des Übersetzers war, durch die Veröffentlichung der bereits einige Jahre zuvor im Rahmen seiner Dissertation angefertigten Übertragung der Prolegomena Adīb Solṭānīs Übersetzung der Kritik als Textgrundlage und Zugang zur theoretischen Philosophie Kants zu ersetzen. Dennoch gibt es auch Parallelen zwischen beiden Übersetzungszugängen, so haben beide Übersetzer etwa den Anspruch, möglichst wortgetreu vorzugehen, nicht zu paraphrasieren oder komplizierte verschachtelte Sätze, etwa durch Fragmentierung, zu vereinfachen. Ḥaddād ʿĀdels Übersetzung verfügt neben einer ausführlichen Einleitung auch über ein Englisch-Persisches und ein Persisch-Englisches Glossar kantscher Termini im Anhang in Form einer Wortliste, die auf Angabe von Synonymen, Erläuterungen oder Belegstellen verzichtet und jedem englischen Terminus, bis 338 Kant/Ḥaddād ʿĀdel (1367/1988-9), 40–45 [Einleitung]. 339 Kant/Ḥaddād ʿĀdel (1367/1988-9), 44.
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auf sehr wenige Ausnahmen, immer genau einen persischen Ausdruck zuordnet und umgekehrt. Die Einleitung der Übersetzung besteht aus mehreren Teilen. Im ersten Teil geht Ḥaddād ʿĀdel in einer thematischen Einführung auf Kants Leben und sein Verständnis von Metaphysik ein.340 Es folgen die Erläuterungen zu seinem Übersetzungszugang,341 ein kürzerer Abschnitt zur Entstehungsgeschichte der Prolegomena und Kants Erläuterung zum Zweck der Schrift im Vergleich mit der Kritik342 sowie ein Abschnitt, der mit „Wegleitung zur Lektüre“ (rāhnamā-ye moṭālaʿe) übertitelt ist und aus mehreren Teilen besteht. In einem ersten Teil nimmt der Übersetzer einen strukturellen Vergleich der Prolegomena und der Kritik vor, in dem er u. a. auf die unterschiedlichen Argumentationsmethoden343 beider Schriften eingeht und anhand einer tabellarischen Gegenüberstellung die einzelnen Abschnitte der Prolegomena mit den ihnen inhaltlich korrespondierenden Abschnitten der Kritik vergleicht.344 In einem zweiten Teil „System des kritischen bzw. transzendentalen Idealismus“ (neẓām-e īdeʾālīsm-e enteqādī yā esteʿlāʾī) stellt er überblicksartig Schlüsselbegriffe und dazugehörige Konzepte systematisch in tabellarischer Form dar.345 Im letzten Teil findet sich eine Inhaltsangabe der Schrift in Form einer 17-seitigen Paraphrase, welche die einzelnen Abschnitte sukzessive zusammenfasst.346 Die Übersetzung selbst347 scheint, das hat der stichprobenartige Vergleich einzelner Abschnitte des Originals mit der Übersetzung Ḥaddād ʿĀdels ergeben, weitgehend dem Anspruch des Übersetzers auf wortgetreue Übertragung gerecht zu werden. Das sich diese Übersetzung letztlich als persische Textgrundlage für den Zugang zu Kants theoretischer Philosophie durchsetzte, mag verschiedene Gründe haben. Sicherlich ist die Wortwahl und Terminologie Ḥaddād ʿĀdels für persischsprachige Leser vertrauter; zudem sind viele Termini, die der Übersetzer verwendet, bereits aus der islamischen Tradition bekannt und allein deshalb insbesondere für Leser mit islamischem Bildungshintergrund eingängiger. Auch der geringere Umfang des Werkes mag dazu beigetragen haben. Dennoch gibt es nach wie vor Interpreten, die die Übersetzung Adīb Solṭānīs entweder bevorzugen oder zumindest konsultieren und ihre Begrifflichkeit verwenden, sei es auch 340 „Šarḥ-e ḥāl-e Kānt“ vgl. Kant/Ḥaddād ʿĀdel (1367/1988-9), 4f.; „Naẓar-e Kānt darbāre-ye mābaʿd-oṭ-ṭabīʿe“ vgl. Kant/Ḥaddād ʿĀdel (1367/1988-9), 6–39. 341 „Toużīḥātī darbāre-e tarǧome-e tamhīdāt“, vgl. Kant/Ḥaddād ʿĀdel (1367/1988-9), 40–48. 342 Ġaraż-e Kānt az taʾlīf-e tamhīdāt, Kant/Ḥaddād ʿĀdel (1367/1988-9), 49–52. 343 Kant/Ḥaddād ʿĀdel (1367/1988-9), 50f; 54f. 344 Kant/Ḥaddād ʿĀdel (1367/1988-9), 51–59. 345 Kant/Ḥaddād ʿĀdel (1367/1988-9), 60–63. 346 „Fehrest-e tafṣīlī-ye tamhīdāt“, Kant/Ḥaddād ʿĀdel (1367/1988-9), 63–79. 347 Kant/Ḥaddād ʿĀdel (1367/1988-9), 83–242.
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nur ergänzend in Klammern hinter den heute gebräuchlichen persischen Ausdrücken für kantsche Termini.348 Erwähnenswert im Zusammenhang mit Ḥaddād ʿĀdels Übersetzertätigkeit in Sachen Kant ist noch die Tatsache, dass er neben der Übertragung der Prolegomena noch eine weitere Übersetzung publiziert hat, die sich mit Kants theoretischer Philosophie befasst. Es handelt sich dabei um eine konzise Einführung in die Kritik der reinen Vernunft, die der dänische Philosoph Justus Hartnack im Jahr 1965 unter dem Titel Kants erkendelseteori in Koppenhangen veröffentlichte und die zwei Jahre später in einer von M. Holmes Hartshorne angefertigten englischen Übersetzung in New York unter dem Titel Kant’s theory of knowledge. An introduction to the Critique of Pure Reason erschien. Diese englische Version der Schrift, die Ḥaddād ʿĀdel nach eigenen Angaben auch als Textbuch für den Hochschulunterricht an der Universität Teheran verwendet, fungierte als Vorlage für eine Übersetzung, die er im Jahr 1997 unter dem Titel Naẓarīye-ye maʿrefat dar falsafe-ye Kānt veröffentlichte. Auffällig ist, dass im selben Jahr eine weitere Übersetzung dieser Schrift von einem Schüler Ḥaddāds, ʿAlī Ḥaqqī, mit dem Titel Naẓarīye-ye šenāḫt-e Kānt erschien. Diese Übersetzung hatte Ḥaqqī als „Masterarbeit“ (pāyānnāme-ye kāršenāsī-ye aršad) im Jahr 1989 bei Ḥaddād ʿĀdel eingereicht. Im knappen Vorwort zu seiner Übersetzung erwähnt er zwar das Jahr der ursprünglichen Fertigstellung und erklärt, dass sich die Veröffentlichung nach dem Wunsch einer Überarbeitung durch den Verleger hinausgezögert hat und dass er der Übersetzung des Buches von Hartnack noch eine Übersetzung eines Aufsatzes von Geoffrey James Warnock anfügte. Die Tatsache aber, dass er die Übersetzung von Hartnacks Werk bei Ḥaddād ʿĀdel als Abschlussarbeit anfertigte, erwähnt er nicht.349 348 Jüngst warb der Publizist und Übersetzer ʿAbdolʿalī Dastġeyb in einem Aufsatz für die Vorzüge der Wortwahl Adīb Solṭānīs hinsichtlich einiger kantscher Termini. Vgl. Dastġeyb (2010). Mūsā Akramī (1384/2005) etwa verwendet in vielen Fällen die Variante Adīb Solṭānīs und setzt die heute gängigen Ausdrücke in Klammern dazu. 349 Hartnack/Ḥaqqī (2007, 2. Auflage), 3–4. Der bekannten islamischen Intellektuellen und iranischen Dissidenten ʿAbdolkarīm Sorūš zweifelte daher in einer Anmerkung eines jüngst erschienenen Beitrags, in dem er sich vor allem kritisch mit dem regimenahen Theoretiker und Philosophen Reżā Dāvarī auseinandersetzte, die Authentizität der Übersetzung Ḥaddāds an. Sorūš vermutet, dass Ḥaddād die Übersetzung seines Schülers Ḥaqqī unter seinem Namen veröffentlichte. [Vgl. Sorūš (1391/2012), Anm. 2 (Onlinefassung www.rahesabz.net/story/61741/ Zugriff 27.3.2013).] Ḥaddād ʿĀdel reagierte auf diesen Plagiatsvorwurf, indem er in einem Beitrag versuchte, diese Vorwürfe zu entkräften. Einerseits präsentiert er einige Passagen aus der englischen Vorlage und vergleicht sie mit beiden Übersetzungsvarianten, wobei zumindest in diesen Beispielen einige Abweichungen der beiden Versionen voneinander deutlich sind. Des Weiteren erläutert er seine Version der Umstände, die zu dieser Doppelübersetzung führten. Er habe Ḥaqqī ermutigt, seine Übersetzung zu veröffentlichen, als das nach einigen Jahren nicht
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3.3.2.3 Die ersten Übersetzungen praktischer Schriften Kants Die Übersetzungen der Kritik und der Prolegomena, die zwei der Hauptwerke des Königsbergers für persischsprachige Leser verfügbar machen, gehören zu den beiden ersten vollständigen Übersetzungen von Kants Schriften. Neben diesen beiden Werken fällt aber auch eine weniger zentrale Schrift Kants in diese frühe Periode der Übersetzungen. Es handelt sich um die Übersetzung der Vorlesung Über Pädagogik, die erstmals im Jahr 1362/1983-4, also im selben Jahr wie die Kritik der reinen Vernunft in der Übersetzung von Ġolām Ḥoseyn Šokūhī in Teheran erschien. Šokūhī (geb. 1305/1926) studierte nach einem Abschluss in persischer Literatur der Universität Teheran, in den Jahren 1336–1340/1957–1961 an der Universität Genf Erziehungswissenschaften u. a. bei Jean Piaget. Nach seiner Rückkehr nach Teheran war er einige Zeit in der Abteilung für Erziehungswesen des Kulturministeriums sowie an verschiedenen Universitäten Irans als Professor für Erziehungswissenschaften tätig, nach der Islamischen Revolution bekleidete er den Posten des ersten Erziehungsministers (vazīr-e āmūzeš va parvareš) der Islamischen Republik, von dem er aber vorzeitig zurücktrat. Nach einem weiteren Forschungsaufenthalt in Genf am UNESCO-Institut für Pädagogik, kehrte er nach Iran zurück, wo er nach offiziellen Angaben aufgrund der schlechten Luftverhältnisse in Teheran nicht in der Hauptstadt, sondern an der Universität von Birjand, der Provinzhauptstadt seiner Heimatprovinz Süd-Chorasan, als Professor für
geschehen sei, habe er seine eigene handschriftliche Übersetzung seinem Verleger gegeben, um deren Veröffentlichung zu veranlassen. Die Übersetzung Ḥaqqīs habe er dafür nicht verwendet, geschweige denn kopiert und leicht abgeändert. Auch zitiert er einen Brief ʿAlī Ḥaqqīs, in dem dieser ihm versichert, keinerlei Anschuldigungen gegen ihn zu hegen, sondern vielmehr Ḥaddāds Version des Vorgangs zu stützen, was er in einem erneuten Vorwort seiner Übersetzung auch zur Sprache bringen werde [Vgl. dazu Ḥaddād ʿĀdel (2013)]. In der 3. Auflage seiner Übersetzung, die 1387/2008 inzwischen beim Teheraner Hermes Verlag erschienen ist, verweist Ḥaddād zudem auf die Übersetzung Ḥaqqīs und die Tatsache, dass dieser sie als Abschlussarbeit bei ihm eingereicht hat. (Hartnack/Ḥaddād ʿĀdel (1386/2007 3. Auflage). Ḥaddāds Verteidigung wirkt anbetracht der Vergleichspassagen und des Verweises auf den Brief von Ḥaqqī durchaus plausibel. Sorūš aber reagiert seinerseits auf diese Verteidigung, indem er nun in einer ausführlichen Replik andere Passagen aus beiden Übersetzungen vergleicht, bei denen die Ähnlichkeit augenfällig ist. Zudem gibt er an, sowohl von Ḥaqqī als auch von anderen Personen explizit den Plagiatsvorwurf vernommen zu haben. Zwar bezweifelt er nicht direkt die Authentizität des Briefens von Ḥaqqī, wohl aber die Tatsache, dass er unter den gegebenen politischen Umständen in einer öffentlichen Stellungnahme seine Meinung frei hätte äußern können. [Vgl. Sorūš (1392/2013). (http://rahesabz.net/story/68179) Zugriff 8.4.2013]. So lassen sich die Zweifel an Ḥaddāds Urheberschaft dieser Übersetzung – nicht zuletzt eingedenk seines erheblichen politischen Einflusses – nicht restlos ausräumen aber auch nicht definitiv bestätigen. Zum Zusammenhang von Wissenschaftsbetrieb und Politik in Iran siehe unten Kap. 6.
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Pädagogik tätig war. Aufgrund seiner Verdienste für sein Fach wird er auch „Vater der Erziehungswissenschaften Irans“ genannt.350 Die Schrift Über Pädagogik gehört zweifellos nicht zum Hauptgegenstand der Kantforschung, auch in Iran wurde die Übersetzung lange Zeit weniger im Kontext der philosophischen Kantstudien als vielmehr im Kontext der Erziehungswissenschaften rezipiert.351 Der ersten Auflage seiner Übersetzung liegt, wie Šokūhī in seinem Vorwort zur vierten Auflage erläutert, die 4. Auflage (1981) der englischen Übersetzung von Annette Churton aus dem Jahre 1960352 zugrunde. Für die dritte Auflage entschied er sich für eine Neuübersetzung nach der französischen Übersetzung von A. Philonenko ‚Réflexions sur l‘éducation‘ aus dem Jahre 1989. Diese Neuübersetzung beinhaltet auch eine Übersetzung der Einleitung Philonenkos. Sie erschien zuletzt 1374/1996 in vierter Auflage. In der Einleitung gibt der Übersetzer eine sehr allgemeine Einführung in wichtige Grundprinzipien der kantschen Philosophie und gibt Auskunft über die Textgrundlage seiner Übersetzung. Der Haupttext ist zudem mit einem umfangreichen Anmerkungsapparat versehen, von denen die meisten und ausführlichsten Anmerkungen von Philonenko stammen, in denen dieser insbesondere erläuternde Querverweise auf die und Zitate aus der Kantliteratur und Werken der Pädagogik anführt und einige ideengeschichtliche Hintergründe vor allem im Kontext der Pädagogik erhellt. Hinzu kommen einige Anmerkungen, die von Churton und solche, die von Šokūhī selbst stammen. Im Anhang verfügt die Übersetzung über ein Deutsch-FranzösischEnglisch-Persisches Glossar einiger ausgewählter Termini sowie über ein Register. Während, neben der Schrift Über Pädagogik, die ersten Übersetzungen den theoretischen Schriften Kants galten, so folgen ab den 1990er-Jahren und verstärkt noch seit der Jahrtausendwende einige Übersetzungen von Kants wichtigsten Schriften zur praktischen Philosophie. Den Anfang machte die Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, die 1369/1991 in Teheran unter dem Titel Bonyād-e mā-baʿd-oṭ-ṭabīʿe-ye aḫlāq (goftārī dar ḥekmat-e kardār) erschien. Die Übersetzung dieser kleinen, aber bedeutenden Schrift Kants, in der dieser sein Prinzip des „uneingeschränkt Guten“ (der gute Wille), den „kategorischen Imperativ“ sowie den Begriff der Freiheit als notwendige Grundlage des Willens vernünftiger Wesen erstmals ausformuliert, wurde
350 Biografische Angaben zu Ġolām Ḥoseyn Šokūhī vgl. Rūznāme-ye Īrān, Nr. 3510 (8.9.1385), 11. 351 So taucht die Übersetzung in der Bibliografie Moḥsen Kadīvars zu Kant etwa gar nicht auf. Vgl. Kadīvar (2007), 96–100. 352 Ann Arbor Paperbacks, Michigan.
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zunächst von Ḥamīd ʿEnāyat (1932–1982) in Angriff genommen.353 ʿEnāyat, ein iranischer Intellektueller und Kritiker sowohl der westlichen Romantisierung des Orients als auch des iranischen Verwestlichungsdiskurses (ġarbzadegī), der u. a. auch Werke von David Hume, Aristoteles (Politeia) und Hegel ins Persische übertrug, konnte seine Übersetzung der Grundlegung vor seinem plötzlichen Tod 1982 nicht mehr abschließen.354 Ali Gheissari, Experte für zeitgenössische Ideengeschichte Irans, der bis heute regelmäßig u.a. zu Kant auf Persisch publiziert,355 nahm sich des Manuskripts an, vollendete die Übersetzung und versah sie mit einer Einleitung, Anmerkungen und einem Glossar.356 Kants berühmte Gelegenheitsschrift Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung erschien in den 90er-Jahren gleich in zwei Versionen. 1370/1991 veröffentlichte Homāyūn Fūlādpūr seine Übersetzung in der Zeitschrift Kelk unter dem Titel Roušangarī čīst? Dar pāsoḫ-e yek porseš. Fünf Jahre später erschien die Übertragung Sīrūs Ārīnpūrs unter dem Titel Dar pāsoḫ be porseš roušangarī čīst? in einem Sammelband.357 Kurz darauf folgte die Übersetzung eines weiteren Hauptwerkes Kants, nämlich der Kritik der Urteilskraft. ʿAbdolkarīm Rašīdīyān, Professor für „westliche Philosophie“ an der Teheraner Šahīd Beheštī Universität, publizierte seine Übersetzung der Schrift, der er eine deutsche, eine englische und eine französische Ausgabe zugrunde legte,358 im Jahre 1377/1998-9 unter dem Titel Naqd-e 353 Erwähnenswert ist an dieser Stelle, dass bereits vor der Publikation der Übersetzung von ʿEnāyat/Gheissari zwei Übersetzungen der Grundlegung angefertigt wurden. In beiden Fällen handelt es sich um Hochschulschriften, die meines Wissens nicht veröffentlicht wurden (siehe Bibliographie der Hochschulschriften 8.4). Von Bedeutung ist vor allem die Übersetzung von Aḥmad Aḥmadī, die dieser als erste Doktorarbeit, die an einer iranischen Universität eingereicht wurde, angefertigt hat. Vgl. Aḥmadī (1358/1979). Ein Jahr darauf wurde eine Übersetzung als Masterarbeit (pāyānnāme-ye kāršenāsī-ye aršad) angefertigt vgl. Ǧalālī, Aḥmad (1359/1980). Beide Arbeiten konnte ich nicht einsehen, so dass auch keine Aussage über Vollständigkeit und Qualität gemacht werden kann. 354 Zu ʿEnāyat vgl. Boroujerdi (1996), 140–147. 355 Gheissari schreibt u.a. regelmäßig Beiträge zur Zeitschrift Ketāb-e mah-e falsafe. Vgl. unten 8.6 Gheissari (1388/2010). 356 Gheissari gibt in seinem Vorwort keine detailierten Angaben zu seiner Übersetzungsstrategie, legt aber Rechenschaft darüber ab, wie er mit dem handschriftlichen Manuskript ʿEnāyats, das seinen Aussagen zufolge etwa 2/3 des Textes der Grundlegung bereits in Übersetzung erhielt, umgegangen ist, welche Vorlagen ʿEnāyat verwendete und welche er selbst in Ergänzung zusätzlich heranzog. Vgl. Kant/ʿEnāyat/Qeyṣarī (1369/1990), I-IX. 357 „Roušangarī čīst? Dar pāsoḫ-e yek porseš“, Übers. Homāyūn Fūlādpūr, in: Kelk 22, 1370 Teheran; „Dar pāsoḫ be porseš roušangarī čīst?“, Übers. Sīrūs Ārīnpūr, In: Roušangarī čīst? naẓarīyehā va taʿrīfhā, Teheran (Āgāh) 1376/1997-8. 358 Nach den Angaben des Übersetzers handelt es sich um folgende Ausgaben: I. Kant: Kritik der Urteilskraft, hrsg. von Gerhard Lehmann, Reclam Stuttgart, 1986; Critique of Judgement,
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qovve-ye ḥokm. In der Einleitung359 zu seiner Übersetzung macht er keine Angaben zu seiner Übersetzungsstrategie oder zum Stand der Übersetzungen der kantschen Schriften ins Persische, sondern gibt stattdessen eine thematische Einführung zur Stellung der dritten Kritik im Kontext der kantschen Philosophie. Im Anhang verfügt seine Übersetzung über ein Persisch-Deutsch/Englisch/Französisches und ein Deutsch/Englisch/Französisch-Persisches Glossar.
3.3.2.4 Manūčehr Ṣāneʿī Darrebīdīs Übertragungen praktischer Werke Kants Zu den derzeit produktivsten Übersetzern kantscher Werke in Iran gehört der ebenfalls an der Teheraner Šahīd Beheštī Universität lehrende Professor für „westliche Philosophie“ Manūčehr Ṣāneʿī Darrebīdī. Er hat seit 1999 vier Übersetzungen von kantschen Schriften sowie eine Übersetzung samt ausführlichem Kommentar360 und eine Monografie361 zu Kant vorgelegt. Die erste in dieser Reihe von Übersetzungen ist die Übertragung einer Edition von Vorlesungen über Ethik, die Kant ab 1770 mit Beginn seiner Professur für Metaphysik und Logik in Königsberg gehalten hat.362 Die Edition dieser Vorlesungen, die seiner Übersetzung zugrunde liegt, wurde 1924 von Paul Menzer auf Basis einiger erhaltener Vorlesungsmitschriften unter dem Titel Eine Vorlesung Kants über Ethik veröffentlicht.363 Dass Ṣāneʿī sich ausgerechnet diese Schrift, die nicht aus Kants Feder selbst stammt, sondern auf Mitschriften beruht und zudem Kants frühem Denken zugehörig ist, zur Überset-
transl., with an introduction by J.H. Bernhard, Hafner Publishing Co. New York / London 1968; Critique de la faculté de juger, trad. par A. Philonenko, Librairie philosophiques J. Vrin, 1974 3ème edition. 359 Kant/Rašīdīyān (1377/1998-9), 11–51. 360 Sāneʿī Darrebīdī (1384/2005-6b). 361 Sāneʿī Darrebīdī (1384/2005-6a). 362 Ein chronologischer Überblick über sämtliche Vorlesungen Kants findet sich auf der Webseite des Kant-Archives der Universität Marburg: www.uni-marburg.de/kant/webseitn/gt_v_ tab.htm (zuletzt 9.11.2010). 363 Eine Vorlesung Kants über Ethik. Im Auftrage der Kantgesellschaft hrsg. von Paul Menzer, Berlin 1924 (neu hrsg. v. Gerd Gerhardt unter dem Titel Eine Vorlesung über Ethik, Frankfurt/M.2 1991 [19901]); zur Edition und Textgrundlage vgl. Vorwort, ebd.; der von Gerhard Lehmann (1974–1979) herausgegebene Bd. 27 enthält in seiner 4. Abteilung eine neue Edition der Vorlesungsmitschriften über Ethik, die aber offenbar Menzers Edition nicht maßgeblich verbessern konnte, zur Kritik an dieser Edition vgl. Schwaiger (2000). Inzwischen ist auch eine weitere Edition erschienen, die von Werner Stark (2004) mit einer Einleitung von Manfred Kuehn unter dem Titel Vorlesung zur Moralphilosophie veröffentlicht wurde, zur Textgeschichte und Edition vgl. Nachwort von Stark, in Kant/Stark (2004), 371–407. Ṣāneʿī selbst gibt in seinem Vorwort auch einen knappen Einblick in die Textgeschichte, der sich am Vorwort von Menzer orientiert, Kant/ Ṣāneʿī (1378/1999), 5–6.
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zung auswählt, ist bemerkenswert, insbesondere da zu jenem Zeitpunkt zentrale Werke der praktischen Philosophie Kants wie etwa die Kritik der praktischen Vernunft oder die Metaphysik der Sitten noch nicht auf Persisch vorlagen. Die Vorlesung Über Ethik ist in der Kantforschung vor allem von historischem Interesse, da man mit ihrer Hilfe eine Entwicklung in Kants Moralphilosophie nachvollziehen kann.364 Als Quelle für einen allgemeinen Zugang zu Kants praktischer Philosophie scheint die Schrift zunächst nicht unbedingt einschlägig. Ṣāneʿī begründet die Notwendigkeit der Übersetzung dieser Schrift nicht explizit, doch macht er in seinem Vorwort deutlich, dass er sie als eines von mehreren Gliedern innerhalb des praktischen Denkens Kants versteht, das er beabsichtigt, in der iranischen Kantrezeption als Ganzes stärker in den Vordergrund zu bringen. So nennt er insgesamt sechs Werke, die für ihn den Hauptkorpus von Kants praktischer Philosophie darstellen und von denen bisher nur die Grundlegung zur Metaphysik der Sitten in Übersetzung vorliege. Die übrigen Werke (er nennt die Kritik der praktischen Vernunft, Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft, Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre, Metaphysische Anfangsgründe der Tugendlehre (hier führt er die beiden Teile Metaphysik der Sitten separat auf), und die Vorlesung über Ethik) waren bis dato noch unübersetzt. Ṣāneʿīs Projekt bestand darin, diese insgesamt ins Persische zu übertragen. Er begründet dieses Vorhaben nicht nur damit, dass diese in der iranischen Kantrezeption bisher noch unzureichend berücksichtigt wurden, sondern vor allem damit, dass er erst in Kants praktischen Schriften dessen Philosophie verwirklicht sehe, wohingegen die erste Kritik eher eine Art Propädeutikum darstelle, das die Grenzen und Möglichkeiten der Vernunft auslote.365 In seinem Vorwort bietet Ṣāneʿī indes keine thematische oder ideengeschichtliche Einführung in die Schrift.366 Im Vorwort zur zweiten Auflage der Übersetzung liefert er allerdings einige Erläuterungen zu seinem Vorgehen bei der Übertragung philosophischer Termini, zu denen er sich nach einigen kritischen Äußerungen hinsichtlich seiner Übersetzungsweise seitens einiger Kollegen veranlasst sah.367 Dabei spricht er vier Punkte an, von denen insbesondere die ersten beiden von Bedeutung sind. Der erste Punkt betrifft die Übersetzung der Ausdrücke „Subjekt“ und „Objekt“ bzw. „subjektiv“ und „objektiv“. Ṣāneʿī kritisiert die vielfach zu findende Übersetzung von Subjekt mit dem Ausdruck 364 Vgl. dazu Einleitung von Manfred Kühn in Kant/Stark (2004), VII–XXXV. 365 Vgl. Kant/Ṣāneʿī (1378/1999), 7–8. Zum Zusammenhang zwischen Kants theoretischer und praktischer Philosophie siehe unten Kap. V. 366 Diese liefert er an anderer Stelle in Form eines Zeitschriftenbeitrages, in dem er die einzelnen Abschnitte paraphrasiert und kurz erläutert. Vgl. Ṣāneʿī (o.J.), 142–155. 367 Vgl. Kant/Ṣāneʿī (1378/1999) [Zweite Auflage 1380/2001], 9–12.
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ẕehn, der im Persischen/Arabischen (ḏihn) in der Regel für ein mentales Subjekt steht bzw. das, was man im Englischen im Allgemeinen unter „mind“ versteht. Es entspricht demnach eher dem, was in der kantschen Terminologie „Erkenntnisvermögen“ oder allgemeiner „Gemüt“ bedeutet. Somit scheint diese Übersetzung in der Tat etwas irreführend. Ṣāneʿī merkt zu Recht an, dass es sich beim kantschen „Subjekt“ vor allem um den „Vollzieher der Erkenntnis“ (fāʿel-e edrāk/ fāʿel-e šenāḫt) handelt. Allerdings hängen die Ausdrücke „Gemüt“, „Erkenntnisvermögen“ und „Subjekt“ – wie auch weitere Ausdrücke z.B. „Bewusstsein“, „Apperzeption“, „Ich“ – ihrer Bedeutung nach eng miteinander zusammen.368 Zwar kann man diese Ausdrücke begrifflich dahingehend unterscheiden, indem man etwa „Gemüt“ und „Erkenntnisvermögen“ als dem „Subjekt“ zugehörig versteht, doch werden diese Ausdrücke in bestimmten Zusammenhängen von Kant auch synonym gebraucht, somit wäre eine Übersetzung von „Subjekt“ durch ẕehn auch zu rechtfertigen, wobei dann die Übersetzung der übrigen Ausdrücke, sofern sie als Termini verwendet werden, noch festzulegen wäre. Ṣāneʿī begründet seine Übersetzungsvariante aber vor allem damit, dass er im Begriff des Subjekts jenes aktive Moment im Erkenntnisvermögen des erkennenden Subjekts für maßgeblich hält.369 Ein Moment, das mit dem Ausdruck ẕehn im Persischen nicht vermittelt werde, da es vielmehr das Moment der Innerlichkeit der Person (ǧambe-ye bāṭenī-ye šaḫṣ-e ensān) in Opposition zur „Äußeren Wirklichkeit“ (vāqeʿīyathā-ye ḫāreǧī) in den Vordergrund stelle. Diese Argumentation ist interessant und nicht unberechtigt. In der Tat spielt dieses aktive Moment bereits in Kants theoretischer Philosophie, in der es u. a. um die Frage des Erkenntnisvermögens geht, eine bedeutende Rolle, was sich vor allem im Konzept der „Spontaneität“ des Verstandes (in Opposition zur Rezeptivität der Sinnlichkeit) zeigt, welche die Fähigkeit bezeichnet, Vorstellungen aktiv zu erzeugen. Noch bedeutender wird jenes aktive Moment dann in Kants praktischer Philosophie. Ṣāneʿī liegt also nicht falsch, wenn er dieses Moment hervorhebt, es ist aber zugleich auch eine Interpretation des Subjektbegriffs, die sich mit seinem Zugang zu Kant als primär praktischem Denker deckt. Die Übersetzung von „Objekt“ mit dem Ausdruck ʿeyn, den man vielleicht im philosophischen Kontext am besten mit „das Konkrete“ wiedergeben könnte, kritisiert er ebenfalls. Sein Argument besteht vor allem darin, dass dieser Ausdruck einerseits im Arabischen und Persischen allzu vieldeutig sei, andererseits 368 Zum lexikatischen und systematischen Zusammenhang einiger dieser Termini in der KrV vgl. Roelke (1989). 369 Ṣāneʿī bezieht sich hier, auch wenn er es nicht eigens erwähnt, offenkundig nicht auf die Bedeutung von Subjekt in Opposition zu Prädikat, was einen anderen Kontext betrifft. In diesem Falle wird „Subjekt“ mit moużūʿ wiedergegeben.
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die Übersetzung von „objektiv-subjektiv“ mit „ʿeynī-ẕehnī“ nach sich zöge, was im Persischen letztlich gleichbedeutend mit „wirklich – nicht-wirklich“ (vāqeʿīġeyr-e vāqeʿī) sei. Er schlägt daher vor „Objekt“ mit „motaʿalleq-e edrāk“ wiederzugeben, einem Ausdruck, den er selbst nicht näher erläutert. Er ließe sich in etwa mit „was auf das Erkenntnisvermögen bezogen ist“ oder gar „was vom Erkenntnisvermögen abhängt“ übersetzen. Diese Bedeutung wäre in der Tat sehr von einem allgemein realistischen Verständnis von „Objekt“ oder „Gegenstand“ als ein subjektunabhängiges, an sich seiendes Ding der Außenwelt verschieden und würde einen zentralen Aspekt von Kants transzendentalphilosophischem Verständnis des Objektbegriffs hervorheben. Auch findet sich diese Übersetzungsvariante neben ʿeyn und šeyʾ (Ding) für Objekt bereits in der persischen Kantliteratur.370 Für „objektiv“ und „subjektiv“ schlägt Ṣāneʿī die Termini borūn ẕehnī und darūn ẕehnī vor. Das mag zunächst verwundern, da er sich doch zuvor gegen die Variante ẕehn als Übersetzung für Subjekt gewandt hatte, doch macht er deutlich, dass er damit zum Ausdruck bringen will, dass es sich in einem Falle um etwas „Innermentales“ (darūn ẕehnī) und im anderen Falle um etwas „Außermentales“ (borūn ẕehnī) handelt. Ob es sich bei dem, was Kant unter „objektiv“ versteht, in jeder Hinsicht (und nicht nur in empirischer) um etwas Außermentales handelt, sei zunächst einmal dahingestellt. Einleuchtend aber erscheint, dass Ṣāneʿī darauf besteht, dass mit der Unterscheidung „objektiv-subjektiv“ bei Kant nicht die Unterscheidung „wirklich – nicht-wirklich“ gemeint sein kann. Insgesamt verdeutlichen diese Überlegungen Ṣāneʿīs die Komplexität der Übertragung der kantschen Begrifflichkeit, insbesondere wenn man zugleich bemüht ist, in den zu findenden persischen Synonymen bereits semantisch einen Sinn zu vermitteln, der das von Kant Gemeinte trifft. Es handelt sich dabei gerade um jene Schwierigkeiten der Sinnübertragung, die Adīb Solṭānī etwa in seiner Herangehensweise bewusst zu vermeiden suchte. Ein weiterer Punkt den Ṣāneʿī bezüglich der Übertragung von Termini in seinem Vorwort anspricht, bezeichnet eher ein linguistisches Problem. Es betrifft den Fall von Attributen, die im Suffix mit dem Kompositum -log-isch gebildet werden. In diesem Falle (analog dazu im Englischen -log-ical) falle die Bedeutung von -log im Sinne von „Lehre“ weg. So sei mit „ontologisch“ letztlich nicht „die Lehre vom Sein betreffend“ gemeint, sondern unmittelbar „das Sein betreffend“. Daher sei es auch nicht korrekt, „ontologisch“ mit hastīšenāḫtī bzw. hastīšenāsāne zu übersetzen, sondern mit voǧūdī, da damit direkt auf das Sein und nicht auf die Lehre vom Sein verwiesen werde. Der Sache nach trifft Ṣāneʿīs Kritik sicherlich zu, doch könnte man auch argumentieren, dass mit der Übersetzung hastīšenāḫtī bzw. hastīšenāsāne die Form des deutschen Ausdrucks nachgeahmt wird, ohne damit die Bedeutung 370 Vgl. dazu und zum Objektbegriff bei Kant und seiner Rezeption in Iran unten Kap. 4.3.2.
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zwangsläufig zu verstellen. Darüber hinaus mögen diese beiden Varianten den Vorteil haben, dass das persische Wort für „Sein“ hastī, das eine Ableitung von der persischen Verbform hast (existiert) ist, in der Übersetzung für „ontologisch“ anstelle des arabischen Ausdrucks wuǧūd Verwendung finden kann, was ohne die Erweiterung etwa durch šenāḫt nur durch eine ungebräuchliche doppelte Verwendung der Relativendung -ī in der Form hastīʾī möglich wäre.371 Zur Übersetzung von Kants Vorlesung über Ethik sei noch erwähnt, dass der Übersetzer anmerkt, die von Menzer herausgegebene deutsche Ausgabe zugrunde gelegt und mit der 1931 von Louis Infeld angefertigten englischen Fassung verglichen zu haben. Den Text der Übersetzung selbst ergänzt Ṣāneʿī mit gelegentlichen Anmerkungen, in denen er für einige persische Termini die deutschen Originalbegriffe angibt. Im Anhang findet sich zudem ein vierseitiges Deutsch-Englisch-Persisches Glossar, das allerdings keinerlei alphabetischer oder systematischer Ordnung folgt. Der Übersetzung der Vorlesung folgen, allesamt veröffentlicht im Jahr 1380/2001, aus der Feder Ṣāneʿīs, wie angekündigt, die Übersetzung der Religionsschrift372 und der Metaphysik der Sitten deren Teile in zwei separaten Bänden erscheinen.373 Die Textgrundlage seiner Übersetzung legt Ṣāneʿī in diesem Falle nicht offen, er folgt aber im Text der Seitenzählung der Akademieausgabe. In seiner Einleitung zur Übersetzung der Metaphysischen Anfangsgründe der Rechtslehre gibt er zunächst eine historische Einführung zum Begriff des „Naturrechts“ (ḥoqūq-e ṭabīʿī), womit Rechte gemeint sind, die dem Menschen von Natur aus zukommen und sich damit vom positiven bzw. statuarischen Recht unterscheiden.374 Kants Rechtslehre basiert auf der Annahme solch natürlicher Rechtsansprüche, die für ihn „auf lauter Prinzipien a priori beruhen“375 und die, soll das positive Recht gültig sein, nicht durch den Willen des Gesetzgebers verletzt werden dürfen. Auf diesen Grundlagen, zu denen insbesondere die Begründung des Freiheitsrechts gehört, das Kant als das einzige angeborene Recht bezeichnet, 371 Zur Verwendung der Ausdrücke hastī bzw. wuǧūd für Sein vgl. Morewedge (1972). Ṣāneʿī kritisiert darüber hinaus auch die Verwendung des Suffixes -āne. Es sei im gegebenen Kontext unangebracht, da es im Persischen auf eine Ähnlichkeit verweise, somit würde etwa ravānšenāsāne streng genommen „der Psychologie ähnlich“ bedeuten. 372 Kant/Ṣāneʿī (1380/2001a) unter dem Titel Dīn dar maḥdūde-ye aql tanhā. 373 Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre vgl. Kant/Ṣāneʿī (1380/2001b) unter dem Titel Mā-baʿd-oṭ-ṭabīʿe-ye aḫlāq. Ǧeld-e avval: mabānī-ye mā-baʿd-oṭ-ṭabīʿī-ye taʿlīm-e ḥaqq (falsafe-ye ḥoqūq); Metaphysische Anfangsgründe der Tugendlehre vgl. Kant/Ṣāneʿī (1380/2001c) unter dem Titel Mā-baʿd-oṭ-ṭabīʿe-ye aḫlāq. Ǧeld-e dovvom: mā-baʿd-oṭ-ṭabīʿī-ye taʿlīm-e fażīlat (falsafe-ye fażīlat). 374 vgl. Kant/Ṣāneʿī (1380/2001b), 5–25. 375 Kant MSR (vgl. Kant-Werke in 12 Bänden, Bd. 8, S. 345).
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geht er in der Metaphysik der Sitten vor allem in der Einleitung zur Rechtslehre ein, während er in der Rechtslehre selbst vor allem die Prinzipien eines positiven Rechtssystems ausarbeitet, Prinzipien also, denen die äußere, d. h. juridische, und nicht die ethische Gesetzgebung gerecht werden muss. Ṣāneʿī geht auf diese Zusammenhänge sowie die Einteilung der äußeren Rechte in Kants System der Rechtslehre im zweiten Teil seiner Einleitung ein.376 Das System der „inneren Gesetzgebung“ und der „inneren Pflichten“, der ethischen Gesetze also, die gerade nicht durch äußere Gesetzgebungen erzwungen werden können, behandelt Kant im zweiten Teil der Metaphysik der Sitten, der Tugendlehre. In seiner Einleitung zur Übersetzung der Tugendlehre liefert Ṣāneʿī einige historische Reflexionen zu den Begriffen „Moral“ (aḫlāq), „Tugend“ (fażīlat) und ihrem Verhältnis zur „Glückseligkeit“ (saʿādat), um die Schrift Kants ideengeschichtlich zu kontextualisieren.377 Außerdem gibt er an einer Stelle an, dass er besonders mit der ausführlichen Einleitung Kants zu dieser Schrift, was Begrifflichkeit und Syntax angehe, mitunter Schwierigkeit gehabt und gerade deshalb nicht selten die englische Übersetzung zu Rate gezogen habe. Dabei sei er in vielen Fällen mit der Deutung der Übersetzung nicht einverstanden gewesen, was er jeweils in Anmerkungen im Text dargelegt habe.378 Mit dem Werk Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft (erschienen 1793) übertrug Ṣāneʿī eine weitere wichtige Spätschrift der praktischen Philosophie Kants, die seinerzeit für eine heftige Kontroverse sorgte, da sie letztlich den Autoritätsanspruch der Kirche in der Frage der Religion kritisierte, was dem Königsberger nicht zuletzt sogar ein Zensurdekret, der sog. „Königlichen Kabinettsorder von 1794“, bescherte.379 Ṣāneʿī stellt auch dieser Übersetzung eine kontextualisierende historische Einleitung voran, in der er u. a. kursorisch den Wandel des Religionsbegriffs im Kontext der Aufklärung diskutiert380 und einen Überblick über Struktur und Inhalt der Religionsschrift bietet.381 Die Kontroversen und politischen Implikationen, die das Buch zu Kants Lebzeiten verursachte, behandelt er indes nicht. Zudem macht er auch für diese Übersetzung keine Angaben zur Textbasis, gibt aber, wie schon bei der Metaphysik der Sitten, die Seitenzählung der Akademieausgabe in den Marginalien an.
376 Kant/Ṣāneʿī (1380/2001b), 25–33. 377 Kant/Ṣāneʿī (1380/2001c), 5–26. 378 Kant/Ṣāneʿī (1380/2001c), 13. Er gibt allerdings nicht an, auf welche Übersetzung er sich bezieht. 379 Dazu unten Kap. 6. 380 Kant/Ṣāneʿī (1380/2001d), 9–28. 381 Kant/Ṣāneʿī (1380/2001d), 29–38.
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Ebenfalls zu den Übersetzungsleistungen Ṣāneʿīs gehört die Übertragung einer kleinen Schrift Kants, nämlich dem Traktat Idee zu einer allgemeinen Geschichte in weltbürgerlicher Absicht (1784). Es handelt sich dabei um die erste seiner dezidiert geschichtsphilosophischen Schriften, die zwar dem Umfang nach einen eher geringen Teil seines Werkes ausmachen, aber doch als Kants Beitrag zur Geschichtsphilosophie Erwähnung finden.382 Die Übersetzung dieser Abhandlung hatte Ṣāneʿī, wie er im Vorwort anmerkt, bereits einige Jahre zuvor in der Zeitschrift Falsafe veröffentlicht.383 Das nun als Buch veröffentlichte Werk besteht in einem ersten Teil aus der Übersetzung der Schrift384 und im zweiten Teil aus einem ausführlichen Kommentar, in dem Ṣāneʿī Kants Schrift Absatz für Absatz erläutert und dem er, wie der Publikation selbst, den Titel Rošd-e ʿaql (Entwicklung der Vernunft) gibt.
3.3.2.5 Weitere Übersetzungen Die Übersetzung von Kants Kritik der praktischen Vernunft indes wurde von Inšāʾallāh Raḥmatī angefertigt und erschien im Jahre 1384/2005. Raḥmatī hält sich in seiner Einleitung sehr kurz. Auf knappen zwei Seiten gibt er einige allgemeine Informationen zum Werkkontext der zweiten Kritik und ihrem Verhältnis zur ersten Kritik Kants, etwa, dass in der KpV der Begriff von Gott, dessen Unerkennbarkeit Kant in der KrV bewiesen hatte, inhaltlich positiv bestimmt werde.385 Des Weiteren gibt er in sehr allgemeiner Formulierung an, dass er bemüht gewesen sei, einen gut lesbaren persischen Text zu erstellen, der den Zugang zu Kants Schrift erleichtern und nicht durch eine unzugängliche Sprache erschweren solle. Dabei habe er sich, was Sprache und Terminologie betreffe, an der gängigen zeitgenössischen philosophischen Prosa orientiert386 und nur in wenigen Ausnahmefällen nicht geläufige Ausdrücke verwendet.387 Zudem gibt der Übersetzer an, welche Texte er seiner Übersetzung zugrunde legte. Dabei handelt es sich um drei englische Übersetzungen (von Thomas Kingsmill, Mary J. Gregor und 382 Als weitere geschichtsphilosophische Schriften Kants können der zwei Jahre später erschienene Aufsatz Muthmaßlicher Anfang der Menschengeschichte (1786) und Der Streit der Fakultäten (1798) betrachtet werden. 383 Kant/Ṣāneʿī (1384/2005), 7. Der Autor gibt an dieser Stelle keine Quellenangabe. In Ṣāneʿī (1378/2000) gibt er an, dass diese Übersetzung in Heft 6 erschien. 384 Kant/Ṣāneʿī (1384/2005), 9–28. Die Textgrundlage legt er dabei nicht offen. 385 Kant/Raḥmatī (1384/2005), 5–7. 386 „Saʿī šode ast tā matn-e tarǧome motanāseb bā nas̱r-e falsafī-ye maʿmūl dar dourān-e konūnī bāšad va az eṣṭelāḥātī ke dar miyān-e ahl-e falsafe va asātīd va dānešǧūyān-e īn rešte motadāvel ast, estefāde šavad.“ Kant/Raḥmatī (1384/2005), 7f. 387 Kant/Raḥmatī (1384/2005), 7f.
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Lewis White Beck) und die arabische Übersetzung von Aḥmad Šībānī.388 Im Text wird die Paginierung der Akademieausgabe angegeben, zudem verfügt die Übersetzung über ein Register der Termini und Personen. Noch zu erwähnen sind zwei weitere Übersetzungen späterer Schriften Kants. Zum einen handelt es sich dabei um Kants Entwurf einer Staatsphilosophie, die auf der Idee eines Völkerbundes basiert, die Schrift Zum ewigen Frieden. Sie erschien 1380/2001-2 in der Übersetzung von Moḥammad Ṣobūrī unter dem Titel Ṣolḥ-e pāydār.389 Zum anderen um die Schrift Über eine Entdeckung, nach der alle neue Kritik der reinen Vernunft durch eine ältere entbehrlich gemacht werden soll (erscheinen 1790 gleichzeitig mit der Kritik der Urteilskraft). Hierbei handelt es sich um die einzige Erwiderung auf Kritiken seiner Widersacher, die Kant in Form einer Streitschrift unternahm.390 Die Erwiderung richtet sich insbesondere gegen den Hallenser Philosophieprofessor Johann August Eberhard (1739–1809), einem Vertreter der Leibniz-Wolffschen Schule, der vor allem in dem von ihm Ende 1788 gegründeten Philosophischen Magazin die kantsche Philosophie heftig kritisierte. U. a. etwa stellte er die Kohärenz von Kants zentraler erkenntnistheoretischer Annahme der Möglichkeit synthetischer Urteil a priori grundsätzlich infrage.391 Diese Streitschrift wurde 1973 von Henry E. Allison ins Englische übertragen und mit einem ausführlichen Kommentar versehen.392 Diese englische Fassung diente als Vorlage für die 1383/2004 erschienene persische Übersetzung von Mehdī Ẕākerī.393 Gut 30 Jahre nach der Islamischen Revolution in Iran sind damit heute, wenn auch nicht alle bedeutenden, so doch die wichtigsten Werke Immanuel Kants in persischer Sprache zugänglich. Insbesondere was den Zugang zu Kants Denken für die gebildete Öffentlichkeit und vor allem Studierende der Philosophie oder benachbarter Fächer betrifft, hat sich damit in den vergangenen 10 Jahren, in
388 Naqd al-ʿaql al-ʿamalī. Naqalahū ilā-l-ʿarabīya: Aḥmad aš–Šībānī. Dār al–yaqẓa al–ʿarabīya. Bayrūt, 1966. 389 Kant/Ṣobūrī (1380/2001-2). Diese Übersetzung lag mir leider nicht vor. 390 Ansonsten finden sich derartige unmittelbare Erwiderungen auf Kritik vor allem in Kants Briefen. 391 Zur Eberhard-Kontoverse vgl. Gawlina (1996). 392 Henry E. Allison: The Kant-Eberhard controversy. An English translation together with supplementary materials and a historical-analytic introduction of Immanuel Kant’s ‘On a discovery according to which any new critique of pure reason has been made superfluous by an earlier one, Baltimore/London, 1973. 393 Kant/Allison/Ẕākerī (1383/2004). Auch diese Ausgabe lag mir nicht vor, doch wird sie von Ġaffārī (2007) im Zusammenhang seiner Diskussion der Problematik synthetischer Urteile a priori bei Kant sehr ausführlich zitiert. Siehe dazu unten Kap. 4.3.2.
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denen die meisten Werke in Übersetzung erschienen, die Lage deutlich verbessert, denn inzwischen werden diese Übersetzungen vielfach als Textgrundlage für Lehrveranstaltungen an den philosophischen Instituten verwendet. Die Qualität der einzelnen Übersetzungen war hier nicht Gegenstand der Darstellung. Für eine Einschätzung der Wahrnehmung der Qualität verschiedener Kantübersetzungen, wäre es zweifellos interessant, eine kritische Evaluierung derselben im inneriranischen Diskurs in den Blick zu nehmen, doch gibt es meines Wissens keine Studie, die eine solche Evaluierung in größerem Umfang durchführt.394 Inwiefern sich die aktuellen Übersetzungen halten werden, kann noch nicht entschieden werden. Das Beispiel Adīb Ṣolṭānīs und die jüngste Neuübersetzung der KrV jedoch zeigen, dass sich, ganz allgemein gesprochen, der Übersetzungsstil, der für neue Termini neu geschaffene Ausdrücke sucht, nicht durchgesetzt hat. Zwar orientieren sich die übrigen Übersetzungen an der gegebenen philosophischen Sprache im Persischen, die vor allem durch die Terminologie der arabischislamischen Philosophie geprägt ist, doch bleibt offen, ob manche übersetzten Termini nicht mit dem Fortschreiten der Kantinterpretation durch neue Varianten verdrängt werden.
3.3.3 Zur gegenwärtigen Lage der Kantrezeption in Iran Immanuel Kant gehört heute, auch wenn sein Denken erst verhältnismäßig spät, ab Mitte des 20. Jahrhunderts, ernsthaft rezipiert wurde, zu den am meisten gelesenen Philosophen in Iran überhaupt.395 Im Fach „westliche Philosophie“ gehören seine Schriften zum festen Bestandteil des Curriculums, aber auch im Kontext der zeitgenössischen islamischen Philosophie wird er intensiv rezipiert und sein Denken im Kontext der islamischen Tradition der Philosophie diskutiert. Während noch im Vorfeld der Islamischen Revolution der Zugang zu seiner Philosophie vor allem aus zweiter Hand – über allgemeine Einführungen zur europäischen Philosophie – erflogte und er vielfach im Kontext einer allgemei394 Neben den vielfachen kritischen aber in der Regel meist nicht elaborierten Anmerkungen zur Übersetzungen von Adīb Solṭānī habe ich lediglich eine Kritik an Ṣāneʿīs Übersetzung der Metaphysischen Anfangsgründe der Tugendlehre gefunden, die einzelne Passagen der Übersetzung im Vergleich mit den korrespondierenden Passagen des deutschen (!) Originals genauer in Augenschein nimmt und dabei zu der Einschätzung gelangt, dass eine Reihe der Übersetzungen problematisch sind. Vgl. Moslemī (2010). 395 Diese Einschätzung vertreten die meisten der in der Einleitung erwähnten Wissenschaftler, mit denen ich im Feb./März 2008 in Teheran Gespräche führte. Zwei Artikel geben zudem knapp aber instruktiv Einblicke in die Entwicklung der Kantrzeption in Iran vgl. Kadīvar (2005); Paya/ Shahi (2010).
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nen Beurteilung der westlichen Philosophie als ganze behandelt wurde, hat sich die Situation seit Beginn der 90er Jahre und vermehrt noch seit der Jahrtausendwende erheblich gewandelt. Zur umfangreichen Übersetzungsleistung gehört neben der Übertragung seiner Werke auch eine stetig wachsende Zahl an aus europäischen Sprachen übersetzter Kantliteratur, von denen manche in Iran als Standardwerke zu Kants Philosophie gelten und insbesondere im Studium als Basisliteratur dienen. Explizit erwähnt seien hier vor allem zwei Übersetzungen, die auch zu den frühsten Übersetzungen in der Phase der konkreten Kantrezeption gehören. Bei der ersten handelt es sich um ein Kapitel über Kant aus dem sechsten Band von Frederick Charles Coplestons neunbändiger Philosophiegeschichte The History of Philosophy (1946-74), das Manūčehr Bozorgmehr 1360/1981 auf Persisch unter dem Titel Kānt als eigenständiges Buch veröffentlichte.396 Die zweite ist eine Einführung in die Philosophie Kants, die im Jahre 1955 von einem der analytischen Schule nahen stehenden Philosophen Stephan Körner veröffentlicht wurde. Diese trägt ebenfalls den einfachen Titel Kānt und wurde von einem der bedeutendsten Übersetzer philosophischer Werke in Iran ʿEzzatollāh Fūlādvand 1367/1988 ins Persische übertragen und mit einer 125seitigen Einleitung des Übersetzers, die selbst eine Einführung in die Philosophie Kants darstellt, publiziert.397 Neben diesen beiden bis heute prominenten Übersetzungen gibt es noch eine Reihe weiterer Übertragungen von allgemeinen Einführungen in Kants Philosophie.398 Auffällig ist, dass es sich dabei zwar in der Regel um Übersetzungen aus dem Englischen handelt, deren Autoren aber durchaus nicht ausschließlich in der angelsächsischen Tradition verortet sind. Erwähnenswert ist etwa die Übersetzung einer kurzen Einführung des französischen Philosophen jüdischrumänischer Herkunft Lucien Goldmann399 oder die Übersetzung eines ebenfalls knappen Zugangs zur Kritischen Philosophie Kants von Gilles Deleuze.400 Auch eine Übersetzung der Kanteinführung von Karl Jaspers ist hier zu nennen.401
396 Coplestone/Bozorgmehr (1360). 397 Körner/Fūlādvand (1367/1988). 398 Rauch/Dastġeyb (1386/2007); Scruton/Pāyā (1383/2004), diese Einführung enthält auch ein Vorwort des Autors zur persischen Ausgabe. 399 Goldmann/Bābāʾī (1381/2002). Goldmann, der 1913 in Bukarest geboren wurde, lehrte die meiste Zeit in Paris, er promovierte in Zürich bei Karl Dürr mit einer Arbeit über Kant. 400 Deleuze/ Vāʿeẓī (1386/2007). Dieses Werk ist genau genommen mehr als eine einfache Einführung in Kants philosophische Hauptwerke. Es ist vielmehr der Versuch einen systematischen Zusammenhang der drei Kritiken konzise herauszuarbeiten. Vgl. dazu die Besprechung Meerbote (1986). 401 Jaspers/Naqībzāde (1372/1993)
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Doch beschränken sich Übersetzungen von Kantliteratur nicht allein auf Überblickswerke, auch einführende Monographien zu einzelnen Aspekten des kantschen Denkens wurden ins Persische übertragen. Im Bereich der kantschen Erkenntnistheorie einschlägig ist etwa die Übertragung eines Werkes von Justus Hartnack, auf das bereits hingewiesen wurde.402 Für die praktische Philosophie seien hier genannt: Roger J. Sullivans An Introduction to Kant’s Ethics, das von Fūlādvand übertragen anhand von Kants Grundlegung in seine Moralphilosophie einführt, sowie Bruce Aunes Kant’s Theory of Morals, das in einer Übersetzung von Āl-e Būye eine kantkritische Einführung in die Thematik auf Persisch zugänglich macht.403 Zudem gibt es einige Kommentare zu den Hauptwerken Kants, die in Übersetzung vorliegen.404 Die Phase der konkreten Kantrezeption zeichnet sich darüber hinaus nicht zu letzt dadurch aus, dass es seit den 1980er Jahren zunehmend eigenständige Werke gibt, die allgemein in das Denken Kants einführen. Eine der ersten dieser Publikationen ist Karīm Moǧtahedīs bereits erwähnte Schrift Falsafe-ye naqqādī-ye Kānt (Kants Kritische Philosophie), ein Buch das bis heute viel gelesen wird. Auf gut 120 Seiten liefert der Autor eine solide Einführung in die zentralen Fragen von Kants ersten beiden Kritiken.405 Nur ein Jahr darauf folgt eine ebenfalls bis heute viel verwendete umfangreiche Einführung von Mīr ʿAbdolḥoseyn Naqībzāde mit dem programmatischen Titel Falsafe-ye Kānt. Bīdārī az ḫāb-e dogmātīsm (Die Philosophie Kants. Erweckung aus dem dogmatischen Schlummer). Neben der Vielzahl von längeren zitierten Passagen aus den Werken Kants in persischer Übersetzung, die der Autor in seine Diskussion einflicht, zeichnet sich dieses Werk zudem dadurch aus, dass es Kants Denken auch in seinen ideengeschichtlichen Kontext einordnet.406 In ähnlicher Weise tun das auch zwei weitere wichtige Publikationen. Ḫorāsānī-Šaraf führt bereits 1975 in seinem Buch Az Brūnū tā Kānt (Von Bruno bis Kant) nach kursorischen Einführungen in das Denken von Philosophen wie Giordano Bruno, Thomas Hobbes, Descartes, Leibniz und Hume auf den Königsberger Philosophen als Höhepunkt der Philosophie der Aufklärung hin, wobei er diesem über die Hälfte des Buches widmet und auf gut 200 Seiten, 402 Hartnack/Ḥaddād ʿĀdel (1386/2007); Hartnack/Ḥaqqī (1386/2007). Zur aktuellen Diskussion über diese beiden Übersetzungen siehe oben 3.3.2.2. 403 Sullivan/Fūlādvand (1380/2001), für eine Besprechung des Originals vgl. van der Linden (1997); Aune/Āl-e Būye (1381/2002), für eine Besprechung des Originals vgl. Albrecht (1981). 404 Zur Kritik der reinen Vernunft: Ludwig/Afšārī (1387/2008), hierbei handelt es sich um eine Übersetzung aus dem Deutschen; Zu Prolegomena Apel/Beheštī (1375/1996), ebenfalls aus dem deutschen Original; Zur Grundlegung zur Metaphysik der Sitten Ross/Kamālīnežād (1385/2007); sowie bereits erwähnt Sullivan/Fūlādvand (1380/2001). 405 Moǧtahedī (1363/1984). 406 Naqībzāde (1364/1985).
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ebenfalls mit langen übersetzen Passagen eine umfassende zum Teil kritische Einführung in sein Denken liefert.407 Der 2008 verstorbene Ẕākerzāde wiederum nimmt in seinem Werk Īdeʾālīsm-e ālmānī (Deutscher Idealismus) Kant als Ausgangspunkt, um – wie der Titel nahe legt – in die nachkantische Strömung des Deutschen Idealismus einzuführen. 408 Ebenfalls zu nennen ist ein jüngeres Werk von Moǧtahedī, Afkār-e Kānt (Das Denken Kants), das – sehr viel detaillierter als die bereits genannte Einführung – eine Art entwicklungsgeschichtliche Darstellung von Kants Werk bietet.409 Die Zahl der Publikationen iranischer Autoren zu Kant ist seither deutlich angewachsen. Sie beschränken sich nicht mehr allein auf allgemein einführende Literatur, es gibt inzwischen auch einige Arbeiten zu Aspekten der kantschen Philosophie, die nicht eines der Hauptthemen seines Werkes betreffen, beispielsweise eine Monographie zur Pädagogik410 oder zur Geschichtsphilosophie,411 auch eine Arbeit zur Kantdeutung Heideggers ist erschienen.412 Die meisten Veröffentlichungen aber behandeln Aspekte der Erkenntnislehre oder die Metaphysikkritik mit besonderem Fokus auf Kants Kritik der Gottesbeweise einerseits, sowie die Moralphilosophie und daran anschließend die politischen Philosophie und Religionsphilosophie andererseits.413 Besonders in den jüngeren Publikationen ist dabei ein zunehmendes Interesse erkennbar, Anschluss an die internationale Kantforschung zu gewinnen. Das zeigt sich darin, dass vermehrt auf einschlägige europäischsprachige Publikationen zu Kant Bezug genommen bzw. deren Ansätze besprochen und damit dem philosophischen Diskurs in Iran zugänglich gemacht werden.
407 Ḫorāsānī-Šaraf (1354/1975). Leider finden sich in der mir vorliegenden Ausgabe keine genauen Literaturhinweise. Die Übersetzung scheint vom Autor selbst zu stammen. Womöglich hat er eine deutsche Originalausgabe verwendet, immerhin nennt er oft die deutschen Synonyme kantischer Termini. Die Übersetzung ist wie es scheint allerdings an einigen Stellen ungenau bzw. es scheint sich eher um Paraphrasen zu handeln. Eine genauere Prüfung der übersetzten Passagen wurde hier allerdings nicht vorgenommen. 408 ; Ẕākerzāde, (1388/2009). 409 Moǧtahedī (1386/2007). 410 Māhrūzāde (1379/2000-1). 411 Ṣāneʿī Darrebīdī (1384/2005-6b). 412 ʿAbdolkarīmī (1381/2002-3). 413 Die in diesem Zusammenhang einschlägigen Titel werden hier nicht einzeln aufgeführt, verwiesen sei auf deren Nennung und ggf. Besprechung in den folgenden Kapiteln sowie auf die Bibliographie 8.5/8.6. Einen sehr nützlichen Überblick über die wichtigsten iranischen Publikationen zu Kant findet sich zudem in den Bibliographien Sādāt Pūrbaḫš (1388/2010a); dies. (1388/2010b).
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Neben den bereits in der Einleitung erwähnten Konferenzen zu Kant, die mit internationaler Beteiligung in Teheran stattfanden,414 liefert etwa die Zeitschrift Ketāb-e māh-e falsafe, die im Jahr 2010 drei Sonderhefte (vīženāme) zur Kantforschung im In- und Ausland herausgegeben hat, den derzeit vielleicht eindrücklichsten Beleg für die Aktualität der kantschen Philosophie in Iran.415 Nicht alle einschlägigen Monographien oder gar Artikel zu Kant, die seit der Islamischen Revolution bis heute erschienen sind, können sinnvoller Weise hier einzeln erwähnt, geschweige denn behandelt werden. Die Diskussion, die im folgenden zweiten Teil der Arbeit „Ansätze der Kantrezeption“ vorgenommen wird, muss sich beispielhaft auf einzelne Zugänge zu Kants Denken stützen, die für bestimmte vorherrschende Strömungen der iranischen Kantrezeption exemplarisch sind. Insgesamt aber konnte der Überblick in diesem Kapitel verdeutlichen, dass die Kantrezeption, auch wenn sie im Bereich spezialisierter Diskussionen zu einzelnen Themen der Kantforschung erst in den Anfängen steht, inzwischen längst kein Randphänomen in der philosophischen Landschaft Irans mehr darstellt und sich besonders in den letzten Jahren schnell weiterentwickelt hat.
414 Vgl. dazu die Tagungsbände mit Beiträgen auf Englisch und Persisch Gorūh-e falsafeh, dānešgāh-e ʿAllāmeh Ṭabāṭabāʾī [Hrsg.] (1383/2004-5) und Movaḥed, Żīyā [Ed.] (2007). 415 Die Zeitschrift wird vom dem Ministerium für Kultur und Islamische Führung (Vezārat-e farhang va eršād-e eslāmī) angegliederten „Haus des Buches“ (ḫāne-ye ketāb) herausgegeben. Es handelt sich dabei um ein monatlich erscheinendes Informations- und Rezensionsorgan, das auch zu anderen Fachgebieten in ähnlicher Form erscheint und einerseits Neuerscheinung im In- und Ausland in längeren Rezensionsartikel, kürzeren Rezensionen oder Buchanzeigen bespricht und andererseits aktuelle Trends der einheimischen Forschung zum jeweiligen Fachgebiet durch Essays von bzw. Interviews oder Gesprächskreisen mit iranischen Forschern darstellen will. Ketāb-e māh-e falsafe widmet sich der „islamischen“ und der „westlichen“ Philosophie gleichermaßen. Meist haben die Hefte einen Schwerpunkt zu einem Thema oder einem Denker sowie einen allgemeinen Teil. Gelegentlich gibt es Sondernummern, die ausschließlich einem Denker gewidmet sind. Kant ist, seitdem die Zeitschrift in dieser Form erscheint (1386/2007; zuvor wurden die Themengebiete Philosophie und Literatur in einer Zeitschrift behandelt), der einzige Denker, dem innerhalb nur eines Jahres drei Sonderhefte gewidmet wurden, es handelt sich um folgende Ausgaben: Nr. 30 (Esfand 1389/März 2010); Nr. 31 (Farvardīn 1389/April 2010); Nr. 36 (Šahrivar 1389/September 2010). Eine systematische Auswertung dieser drei Sondernummern, die zeitlich nach dem von mir hier hauptsächlich behandelten Quellenkorpus (bis 2010) erschienen, wurde hier nicht vorgenommen, einzelne Beiträge aber wurden von mir in dieser Arbeit verwendet.
II Ansätze und Kontexte der Kantrezeption in Iran
Ein genauerer Einblick in die verschiedenen Ansätze des Zugangs zur kantschen Philosophie in Iran, setzt einen genaueren Blick in konkrete Texte und ihre Argumentationszusammenhänge voraus. Das sollen die folgenden Diskussionen einzelner Kantinterpreten leisten. Bei der Auswahl der zu diskutierenden Kantliteratur konnte es nicht darum gehen, die Gesamtheit der in der iranischen Kantliteratur behandelten Themen widerzuspiegeln bzw. alle kantschen Schriften, die in der iranischen Kantrezeption behandelt wurden, zu berücksichtigen. So werden etwa die vorkritischen Schriften, die bisher in Iran kaum rezipiert wurden, auch in der Diskussion weitestgehend ausgespart. Zudem wird auch nicht auf die Rezeption der Kritik der Urteilskraft eingegangen, die zwar in persischer Übersetzung vorliegt, zu der es aber bisher kaum spezielle Abhandlungen auf Persisch gibt. Im Zentrum des Kapitels zur theoretischen Philosophie stehen Zugänge zur Kritik der reinen Vernunft und den Prolegomena, im Zentrum des Kapitels zur praktischen Philosophie solche die sich vor allem mit der Kritik der praktischen Vernunft, der Grundlegung zur Metaphysik der Sitten und der Religionsschrift beschäftigen. Ziel ist es anhand textnaher Analyse einen Eindruck von den Argumentationsstrategien einzelner iranischer Kantrezipienten zur vermitteln, dafür werde ich in diesen Untersuchungen zunächst den Argumentationshergang darstellen und anschließend kontextualisieren. Für den Kontext der Metaphysikkritik wird Ḥāʾerī Yazdīs Diskussion zu Kants Kritik des ontologischen Gottesbeweises, die zu einer der frühesten Diskussionen dieses Themas in Iran gehört, Gegenstand der Untersuchung sein. Bei der Frage der Erkenntnislehre werden zwei Diskussionen behandelt, die auf je eigene Weise für den iranischen Kontext exemplarisch sind. Der Fokus liegt dabei auf einer kritischen Diskussion zur Frage der Objekterkenntnis die ergänzt wird durch eine speziellere Diskussion zur Bedeutung der synthetischen Urteile a priori. Für Diskussionen zur praktischen Philosophie werden zunächst kursorisch einige Werke zur einzelnen Themenfeldern – Moralbegründung, politische Philosophie, Religion – vorgestellt. Darauf folgt eine Diskussion verschiedener Zugänge zum kantschen Freiheitsbegriff und dessen Konsequenz für die Religion.
4 Metaphysik und Erkenntnis Das Kaptitel zur theoretischen Philosophie ist mit „Metaphysik und Erkenntnis“ übertitelt. Diese beiden Begriffe stehen stellvertretend für die Themenschwerpunkte der beiden Hauptteile der Kritik der reinen Vernunft, denn während in der „Ästhetik“ und „Analytik“ die Bedingungen der Möglichkeit der Erkenntnis im Mittelpunkt stehen, so ist es in der „Dialektik“ die Kritik der dogmatischen Metaphysik. Beide Teile stehen zwar in einem engen systematischen Zusammenhang, werden aber, was auch der Überblick über Tendenzen der Kantrezeption gezeigt hat, in der Kantliteratur nicht selten getrennt voneinander behandelt. Gleiches ist auch für die iranische Kantliteratur nachweisbar. So finden sich auf der einen Seite Schriften, die sich mit Kants Metaphysikkritik insbesondere der Gottesbeweisproblematik beschäftigen und sich dabei auf die Transzendentale Dialektik beziehen, auf der anderen Seite gibt es Abhandlungen, die der Frage der Objekterkenntnis und der Möglichkeit synthetischer Urteile a priori nachgehen, wobei sie vor allem Passagen der Ästhetik, der Analytik und entsprechende Abschnitte aus den Prolegomena diskutieren. Das vorliegende Kapitel diskutiert daher, nach einem allgemeinen Abschnitt zur Bedeutung der Metaphysik bei Kant und in der heutigen iranisch-islamischen Philosophie (4.1.), zunächst die Auseinandersetzung Ḥāʾerī Yazdīs mit Kants Kritik des ontologischen Gottesbeweises (4.2.). Der Grund dafür, diese Thematik zuerst zu behandeln, obwohl sie nach systematischen Gesichtspunkten und orientiert an der Struktur der Kritik der reinen Vernunft der Erkenntnislehre eigentlich nachgeordnet ist, liegt vor allem darin, dass diese Diskussion zu den ersten kritischen Auseinandersetzungen mit Kants Denken in Iran gehört und bis heute in der iranischen Kantliteratur hoch aktuell ist. Im anschließenden Abschnitt (4.3.) werden neuere Diskussionen der Erkenntnisfrage bei Kant diskutiert. Dabei geht es in einem Falle um die Problematik der Möglichkeit synthetischer Urteile a priori und im anderen Fall um die Kritik der Grundlagen der Objekterkenntnis bei Kant. Auch in diesem Abschnitt steht jeweils die Diskussion eines Kantinterpreten exemplarisch im Mittelpunkt der Diskussion. Für die Frage der Objekterkenntnis wird eine Monographie von Ḥoseyn Ġaffārī, Professor für Philosophie der Universität Teheran, Gegenstand der Analyse sein. Auch wenn diese Schrift letztlich auf eine Diskussion der Frage nach der Möglichkeit synthetischer Urteile a priori hinaus läuft und sich daher auch für eine Diskussion dieser Problematik eignen würde, ist gerade die Diskussion zur Frage der Objekterkenntnis, die der Autor im ersten Teil seiner Abhandlung bietet, für den iranischen Kontext besonders aufschlussreich. Für die Diskussion der synthetischen Urteile gehe ich stattdessen auf einen Text von Alī Lārīǧānī ein, der einen etwas anderen Schwerpunkt setzt als Ġaffārī.
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Metaphysik und Erkenntnis
Der allgemeinen Literaturlage nach zu urteilen scheinen diese beiden miteinander zusammenhängenden Fragen neben der Diskussion zu den Gottesbeweisen die gegenwärtige Kantinterpretation in Iran zu bestimmen. Doch gibt es darüber hinaus durchaus weitere Themen aus dem Bereich der theoretischen Philosophie Kants, zu denen einzelne Arbeiten vorliegen, etwa Auseinandersetzungen mit dem Begriff der Subjektivität mit Bezug auf Kant416 oder eine umfangreiche Studie zum Begriff der Kausalität bei Kant.417 Zudem gibt es aktuelle Arbeiten, die sich der Erkenntnislehre Kants explizit in vergleichender Perspektive widmen.418 Es wäre lohnenswert auch diese Werke im Einzelnen zu behandeln. Eine Miteinbeziehung weiterer Schriften würde aber den Rahmen einer detaillierten Diskussion jeweils einzelner exemplarischer Schriften weit überschreiten, weshalb sie hier nicht weiter berücksichtigt wurden.
4.1 Kontexte von Metaphysik und Metaphysikkritik 4.1.1 Bedeutung der Metaphysik bei Kant und in der islamischen Tradition Das Verhältnis des kantschen Denkens zur Metaphysik ist ein viel diskutiertes Thema. Kants kritische Haltung zur überlieferten Schulmetaphysik, die er als spekulative oder dogmatische Metaphysik bzw. Dogmatismus verstand, da sie an der Möglichkeit a priorischer Erkenntnis von Dingen jenseits möglicher Erfahrung festhielt, ohne die Bedingungen der Möglichkeit der Erkenntnis zu erhellen, zeigt sich in besonderem Maße in der Transzendentalen Dialektik der Kritik der reinen Vernunft. In diesem Teil der KrV ist es Kants Anliegen, die Unausweichlichkeit metaphysischer Spekulationen durch die Vernunft aufzuzeigen und zugleich nachzuweisen, dass die Ergebnisse dieser Spekulationen sich als bloßer Schein enttarnen lassen. Diese Metaphysikkritik zielt in erster Line auf die Unmöglichkeit der Erkenntnis von Dingen jenseits der Erfahrung ab, nicht auf deren Denkunmöglichkeit. Vielmehr betont Kant ausdrücklich die Notwendigkeit solcher für den Verstand nicht erkennbaren Vernunftbegriffe als regulative Ideen. Dennoch wog das Diktum der Unmöglichkeit solch metaphysischer Erkenntnis schwer und 416 Dazu Ḫātamī (2004). 417 Zu diesem Thema hat Reżā Baḫšāyeš eine umfangreiche Studie vorgelegt. Vgl. Baḫšāyeš (1387/2008). 418 Einschlägig etwa ist Masʿūd Omīds jüngst erschienene Monographie zu einem Vergleich der Erkenntnislehren von Moṭahharī und Kant, Omīd (1388/2009), diese Arbeit, die mir erst seit kurzem vorliegt, konnte nicht mehr systematisch berücksichtigt werden. Die Arbeit von Šarīzāde (1381/2002), der einen Vergleich zwischen den sog. sekundären Intelligibila (maʿqūlāte-ye s̱ānīye) bei Mollā Ṣadrā und den Kategorien bei Kant vornimmt, war mir bisher nicht zugänglich.
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veranlasste machen Zeitgenossen, Kants Ausführungen als einen prinzipiellen Generalangriff auf die Metaphysik, als deren Dekonstruktion auf ganzer Linie zu verstehen.419 Insbesondere Kants Abstreiten möglicher Gotteserkenntnis auf dem Weg der reinen Vernunft rief vielfach Kritik hervor und bewog etwa Moses Mendelssohn dazu, Kant im Zuge seiner Verteidigung des ontologischen Gottesbeweises mit dem berühmt gewordenen Attribut „der Alleszermalmende“ zu belegen.420 Doch dass es offenbar keineswegs Kants Anliegen war, die Metaphysik als ganze zu zermalmen, sondern sie auf eine neue Grundlage zu stellen, zeigt sich nicht nur in der Tatsache, dass Kant in der Transzendentalen Dialektik den aus metaphysischen Spekulationen entstanden Vernunftbegriffen eine wichtige Rolle in seiner Transzendentalphilosophie zuweist, sondern auch darin, dass er den Begriff der Metaphysik immer noch programmatisch gebraucht. Im Bereich der theoretischen Philosophie etwa spricht Kant davon, die Metaphysik als Wissenschaft begründen zu wollen, was bereits der Titel seines Werkes Prolegomena zu einer jeden Metaphysik, die als Wissenschaft wird auftreten können nahe legt, im Bereich der praktischen Philosophie geht es ihm nicht zuletzt um eine Grundlegung der Metaphysik der Sitten. Das Spannungsverhältnis zwischen Metaphysikkritik und Metaphysikreform im Werke Kants wurde jedenfalls in der Forschung kontrovers diskutiert, und weder die metaphysikskeptische Rezeption etwa des Neukantianismus noch die metaphysische Kantrezeption etwa der 20er Jahre des 20. Jahrhunderts sind ohne Widerspruch geblieben. Für die Frage nach Art und Bedeutung der kantschen Metaphysikkritik ist zuallererst auch die Frage nach dem Gegenstand jener Metaphysik zu klären, die kritisch zu prüfen Kant sich zur Aufgabe machte. Bekanntermaßen wird die Bezeichnung zunächst mit dem Titel eines der Hauptwerke Aristoteles’ assoziiert. Die darin verhandelten Fragen sind aber bereits zum Teil älteren Datums. Gefragt wird hier nach den ersten Gründen und letzten Zwecken alles Seienden. Es geht dabei entweder um die Frage nach Sinn und Gehalt von Sein an sich (metaphysica generalis oder Ontologie) oder um die Frage des Zusammenhangs eines höchsten Seienden mit allem anderen Seienden (metaphysica specialis oder Theologie). Der Begriff des Seins und sein Bedeutungsumfang gehören also zu den zentralen Gegenständen der Metaphysik. Daraus leiten sich weitere Fragen nach der Entstehung und Zusammensetzung der Welt und der Möglichkeit ihrer Erkenntnis ab, wie sie sich etwa in den Konzepten der Universalien oder der Emanation stellen.
419 Zur frühen Kritik an Kants Metaphysikkritik vg. knapp Höffe (2007), 288-291. 420 Diese Bezeichnung findet sich in Mendelssohns Werk Morgenstunden oder Vorlesungen über das Daseyn Gottes.
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Das Erbe der antiken (vor allem aristotelischen) und spätantiken (vor allem neuplatonisch beeinflussten) Tradition wurde bekanntermaßen in der Frühphase der islamischen Philosophie von arabisch-persischen Philosophen aufgegriffen und mit ihm nicht zuletzt auch die zentrale Bedeutung des Seinsbegriffs. Was die Übertragung des Begriffs „Sein“ – bzw. der griechischer Termini wie „einai“ und „on“ – ins Arabische und die Herausbildung einer philosophischen Terminologie anbelangt, so war sie nicht nur konzeptuell sondern bereits auf linguistischer Ebene mit Schwierigkeiten verbunden, da „sein“ im Arabischen nicht in vergleichbarer Weise als Hilfsverb gebräuchlich ist.421 Verschiedene Varianten zur adäquaten Widergabe des Begriffs wurden erprobt. Bei Abū Yaʿqūb al-Kindī422 (ca. 800-870), dem Pionier der arabisch-islamischen Philosophie, finden sich noch drei konkurrierende Termini nämlich annīya423, huwīya424 und ays425 für den Begriff, die er offenbar synonym gebrauchte, also nicht um jeweils unterschiedliche Aspekte des Seinsbegriffs abzudecken. Letztlich setzte sich der Terminus wuǧūd durch – gebildet als Verbalnomen aus den Radikalen w-ǧ-d, was in seiner verbalen Grundform „etwas (vor-)finden“ bzw. passivisch „gefunden werden“ / reflexiv „sich (be-)finden“, „existieren“ bedeutet – ohne allerdings andere Termini gänzlich zu verdrängen. Was die Ontologie (auch in der Bedeutung der metaphysica specialis) in der islamischen Philosophie anbelangt, so hat Ibn Sīnā mit zwei systematischen Unterscheidungen Maßstäbe gesetzt. Ausgehend von der Feststellung, dass es Existierendes auf der Welt gibt, diese existierenden Dinge aber nicht aus sich selbst heraus (in diesem Sinne notwendig) existieren, also durch etwas anderes in die Existenz gebracht wurden, schloss er, dass es neben diesen möglichen Seienden (mumkin al-wuǧūd) auch ein notwendig Seiendes (wāǧib al-wuǧūd) geben müsse, von dem alle kontingenten Seinsdinge abhängig sind.426 Desweiteren 421 Zur Herausbildung einer wissenschaftlichen und speziell philosophischen Fachsprache mit einer Vielzahl von Quellenverweisen vgl. Endress (1982-1992), 3: 3-23. Zur Seinsterminologie ebd. 3: 20-23. 422 Allgemein zu al-Kindī vgl. Adamson (2005), 32-51, Rudolph (2004), 15-21. Zur Seinsterminologie bei al-Kindī vgl. Adamson (2002). 423 Zur Etymologie des Terminus gibt es unterschiedliche Auffassungen, Adamson plädiert für die Herleitung von Endress, der den Terminus als ein Abstraktum gebildet durch Substantivierung von arab. anna im Sinne von „dass“ erklärt. Vgl. Adamson (2002), 3. 424 Der Terminus wurde von al-Kindī offenbar noch nicht in der Bedeutung von „Selbst-Sein“ „Identität“ gebraucht. Vgl. Adamson (2002), 3f. 425 Diese Abstraktumbildung wurde von Kindī , so Adamson (2002) mit Bezug auf Endress, durch die Aufspaltung des Wortes laysa „ist nicht“ in la „nicht“ und ays „ist“ gebildet. Vgl. Adamson (2002), 5. 426 Zur Dichotomie wāǧib al-wuǧūd und mumkin al-wuǧūd bei Ibn Sīnā vgl. knapp Rudolph (2004), 45-49; ausführlich dazu insbesondere aus ideengeschichtlicher Perspektive Wisnovski (2003), 197-263.
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akzentuierte er die systematische Dichotomie von Sein / Existenz (wuǧūd) und Essenz (māhīya), die fortan im Kontext der islamischen Philosophie eine maßgebliche Doktrin darstellte.427 Diese Unterscheidung wurde in der Nachfolge Ibn Sīnās zu einer einflussreichen und viel diskutierten Doktrin im Kontext der islamischen Philosophie. Es gab, sei es in Abgrenzung oder Anlehnung an ihn, fortan eine Vielzahl weiterer Entwicklungen, Differenzierungen und Kontroversen im Bereich der Ontologie, so wurde etwa die Frage der Unterscheidung zwischen realer Existenz (wuǧūd ʿaynī) und mentaler Existenz (wuǧūd ḏihnī) in diversen Diskussionen hervorgehoben.428 Für den Kontext dieser Arbeit sei hier nur noch auf Mollā Ṣadrā und seine Seinsterminologie verwiesen, dessen Diskussion von Wirklichkeit und Begriff des Seins, sowie seine Adaption der Doktrin von den verschienen Granden des Seins für die zeitgenössische islamische Philosophie in Iran bedeutsam sind.429
4.1.2 Kritik der Metaphysikkritik und das Primat der Ontologie in der zeitgenössischen islamischen Philosophie in Iran Die zentrale Bedeutung der Seinsphilosophie mag ein Grund dafür sein, dass islamischen Philosophen in Iran, weil sie im europäischen Denken vielfach eine metaphysikfeindliche Stoßrichtung ausmachten, der zunehmenden Verbreitung europäischer Einflüsse im iranischen Bildungswesen kritisch gegenüber standen. Zur Verteidigung der Metaphysik als Grundlage der Philosophie und der Wissenschaften überhaupt griffen sie dabei auf Mollā Ṣadrās Ontologie zurück. Eine solche Verteidigung in großem Stile ist zweifelsohne ʿAllāmeh Ṭabāṭabāʾīs und Morteżā Moṭahharīs Oṣūl-e falsafe va raveš-e reʾālīsm, auf die bereits hingewiesen wurde. Auch Mehdī Ḥāʾerī Yazdī nimmt eine kritische Position gegenüber der westlichen Philosophie ein. Bei Ḥāʾerī, dessen Kenntnis der westlichen Denker, mit denen er sich kritisch auseinander setzte, weit genauer war als die Kenntnis 427 Für die wuǧūd-māhīya-Dichotomie allgemein vgl. Nasr (1989); Morwedge (1972). Es ist weithin bekannt, dass diese und andere Ansätze Ibn Sīnās die Philosophie des lateinischen Mittelalters – durch Denker wie Albertus Magnus, Thomas von Aquin, Heinrich von Gent und Duns Scotus – nachhaltig beeinflussen sollten. Für die Übersetzung der Werke Ibn Sīnās und anderer islamischer Philosophen ins Lateinische vgl. Burnett (2005), für die Rezeption Ibn Sīnās vgl. div. Beiträge in Hasse/Bertolacci (2011). 428 Für diese und weitere wichtige Entwicklungen der Ontologie im Iran des 15. und 16. Jahrhundert vor Mollā Ṣadrā vgl. Pourjavadi (2011), insb. 74-105. 429 Auf seine ontologischen Grundpositionen wurde bereits kurz verwiesen, vgl. oben 2.2.4.
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ʿAllāme Ṭabāṭabāʾīs und Mortażā Moṭahharīs, war es weniger die Abwehr gegen den Marxismus, die ihn zu seiner Kritik bewog, immerhin war er, als er seine Kritik formulierte, anders als Moṭahharī nicht unmittelbar in ideologische Debatten in Iran verstrickt, sondern hielt sich in den 1950er und 60er Jahren lange Zeit zwecks Studium in Nordamerika auf. Inwiefern er Kenntnis von Oṣūl-e falsafe va raveš-e reʾālīsm hatte, ist unklar. Er selbst gibt an, wenig über Moṭahharīs philosophische Aktivitäten gewusst zu haben.430 Zwar ist es schwer vorstellbar, dass Ḥāʾerī ein so einflussreiches Werk wie Oṣūl-e falsafe gänzlich unbekannt war, durchaus denkbar ist aber, dass er seine Kritik unabhängig von Ṭabāṭabāʾī und Moṭahharī formulierte, zumal er zu jener Zeit sehr viel direkteren Zugang zu den westlichen Quellen hatte als Moṭahharī. Einer der Hauptvorwürfe Ḥāʾerīs gegen das moderne westliche Denken besteht darin, dass es die Metaphysik als Grundlage der Philosophie aus dem Kreise der Wissenschaften verbannt und die Wissenschaften auf rein sinnlichempirische (maḥsūsāt) oder mathematische Gegenstände (riyāżīyāt) beschränkt habe. Für diese Diskreditierung der Metaphysik macht er vor allem zwei Gründe aus. Zum einen herrsche in der westlichen Welt die Vorstellung vor, dass sich die Philosophie evolutionär von der Ontologie über die Epistemologie und Logik hin zur Sprachphilosophie entwickelt habe und die Metaphysik damit überholt und irrelevant geworden sei. Ḥāʾerī kritisiert, dass es unzulässig sei, die Evolutionstheorie, die sich auf die Vervollkommnung der lebendigen Natur beziehe, auf das Denken zu übertragen und damit die Philosophie zu darwinisieren. Entwicklung in der Philosophie sei nicht mit Evolution gleichzusetzen. Zwar würden immer wieder neue Methoden eingeführt, doch könnten sie keine neue Philosophie begründen, welche die alte ablöse oder überflüssig mache. Der Gegenstandsbereich der Metaphysik jedenfalls ändere sich nicht, nur die Methoden seiner Erforschung, somit bleibe sie prinzipiell die grundlegendste aller Wissenschaften.431 Ein anderer Grund bestehe in dem Missverständnis, dass sich Metaphysik allein mit Dingen befasse, die jenseits der Natur lägen und insofern keinen Bezug zu den „Naturwissenschaften“ habe. Dieses Missverständnis wiederum habe in einem falschen Verständnis des Begriffs des „absoluten Seins“ seine Ursache. Denn die „westliche Philosophie“ verstehe das Sein als rein abstrakten (moǧarrad) Begriff, der keinen Bezug zu Sinnesdingen habe. Während sich die Wissenschaften vornehmlich mit dem Sein der Natur beschäftigten, habe die Metaphysik eben gerade nicht die Natur im Blick. Die islamischen Philosophen aber verstünden das Sein keineswegs nur als abstrakten sondern als allumfassenden und realen Begriff (mafhūm-e wāqeʿī wa ḥaqīqī), der auf alles Existierende 430 Ḥāʾerī/Lajevardi (2001), 99f. 431 Ḥāʾerī (1347/1969a), 8-12.
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zutreffe. Alles, was existiert, hat demnach „absolutes Sein“. Zwar sei es richtig, dass die Metaphysik bei den allgemeinsten und abstraktesten mentalen Begriffen (ʿomūmītarīn va moǧarradtarīn mafāhīm-e ẕehnī) ansetze, doch seien diese Begriffe ursprünglich aus den Partikularien (ǧozʾīyāt), den vielfältigen Wirklichkeiten (wāqeʿīyathā) abgeleitet, indem sich daraus zunächst partikulare Formen im Geist (ṣūrathā-ye ǧozʾī-ye ẕehn) ableiteten, die durch Abstraktion zu allgemeinen Begriffen wurden. Diese abstrakten Begriffe, die zwar keine unmittelbare Relation mehr zu den bestimmten Partikularien haben, von denen sie abgeleitet wurden, sind gerade durch ihre Abstraktion auf alle oder viele Partikularien anwendbar. Das „absolute Sein“ als der umfassendste Begriff bezieht sich demnach auf alle Dinge, seien sie empirisch oder rein mental, und zwar insofern es sie als Seiende auszeichne. Metaphysik ist also die Wissenschaft von allem, was ist.432 Inwieweit Ḥāʾerīs Darstellung der Ableitung der Begriffe aus den Partikularien, wie er behauptet, für die islamische Philosophie paradigmatisch ist, sei hier zunächst dahingestellt. Für diesen Kontext ist vielmehr wichtig, dass Ḥāʾerī die metaphysische Tradition der islamischen Philosophie für gültig und für alle philosophischen Fragen relevant hält. Zu den zentralsten Prinzipien dieser Tradition gehört die Beweisbarkeit eines absoluten Notwendig Seienden, von dem alles kontingente Sein abhängig ist. Kants Kritik der rationalen Gottesbeweise, allen voran des ontologischen, stellt diese Beweisbarkeit grundsätzlich in Frage. Vor diesem Hintergrund ist es nicht verwunderlich, dass sich Ḥāʾerīs Kantdiskussion besonders auf die Widerlegung der kantschen Kritik der Gottesbeweise konzentriert. Die Kritik Kants an den theoretischen Gottesbeweisen stellt einen wichtigen Wendepunkt in der langen Tradition des Gottesbeweisdenkens dar und ist vor diesem Hintergrund zu verstehen. Der folgende Abschnitt soll daher zunächst allgemeine Einblicke in die Gottesbeweisprobelmatik gewähren, bevor ich mich der Kritik Ḥāʾerīs an Kants Kritik zu wende.
4.2 Kritik des ontologischen Gottesbeweises 4.2.1 Einführung in die Thematik Aus der Tendenz alles Seiende auf eine letzte, selbst nicht mehr verursachte Ursache zurückzuführen, es durch einen letzten Grund oder eine Letztbegründung zu erklären, ergibt sich die Frage der speziellen Metaphysik nach der Existenz eines alles Seiende begründenden bzw. verursachenden Ursprungs: Gott. Bei 432 Ḥāʾerī (1347/1969a), 12-25; 101-107.
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den Versuchen, die Notwendigkeit dieses Ursprungs zu beweisen, handelt es sich um Spielarten oder Typen eines philosophischen Gottesbeweises, geht es doch zunächst allein darum, dem Letztbegründungsgedanken gerecht zu werden, und nicht darum, den Gott einer bestimmten Tradition mit bestimmten Eigenschaften zu beweisen. Für eine solche Perspektive mag ein philosophischer Beweis zwar notwendige Vorbedingung sein, er ist aber nicht hinreichend, da er noch nichts darüber aussagt, wie beschaffen dieser Gott, an den geglaubt werden soll, ist, welche Attribute ihm zu kommen oder gar welche Botschaft er für die Menschen bereit hält, all das sind Fragen der Theologie. Die philosophische Frage nach dem letzten Grund kann auf verschiedene Weise, mit je unterschiedlichem Erkenntnisinteresse gestellt werden. Fragt man nach dem Grund dafür, dass wir überhaupt Dinge in der Welt erkennen können, so liegt ein erkenntnistheoretisches (gnoseologisches) Interesse vor. Eine moralische Letztbegründung geht der Frage nach, warum wir uns als Menschen überhaupt als moralische Wesen verstehen und moralisch handeln sollen. Ein ontologisches Erkenntnisinteresse schließlich liegt dann vor, wenn nach dem letzten Grund allen Seins gefragt wird. Um zur Diskussion der iranischen Kantinterpreten, die sich mit Kants Gottesbeweiskritik auseinandersetzten, hinzuführen werden im Folgenden nach einem knappen Überblick über die gängige Typologie der Gottesbeweise in der gebotenen Kürze zwei für unsere Diskussion bedeutsame Argumentationen für die Existenz Gottes vorgestellt: Das ontologische Argument Anselm von Canterburys (1033-1109), das ein wichtiger Ausgangspunkt für die abendländische Tradition ist, und ein Aspekt des Arguments Ibn Sīnās (ca. 980-1037), der für die islamische Tradition einschlägig ist.
4.2.1.1 Gottesbeweis-Typologie Ganz allgemein und vereinfacht kann man zwei Grundtypen des Beweises unterscheiden. Einen, der auf vorhandene oder zumindest als vorhanden postulierte Strukturen in der Welt zurückgreift (a posteriori), und einen, der beansprucht, Gott allein aus Prinzipien des Denkens zu beweisen (a priori). Bei diesen Grundformen und ihren Untergruppen handelt es sich um Idealtypen. Die folgende schematische Darstellung ist daher weder vollständig noch handelt es sich jeweils um im Einzelnen nachvollzogene Schritte der Beweisführung. Sie soll lediglich eine Vorstellung davon vermitteln, worauf sich die unterschiedlichen Beweisansätze stützen, zudem gibt es in den konkreten Beweisunternehmungen in der Geschichte durchaus auch Mischformen beider Grundtypen sowie der Untergruppen. Außerdem ist zu bedenken, dass die einzelnen Beweise jeweils in
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einem bestimmten geistesgeschichtlichen Kontext verfasst wurden, der seinerseits auf die Form (Formulierung) Einfluss genommen hat. Dem ersten Grundtypus entsprechen Spielarten des kosmologischen und des teleologischen Gottesbeweises. Der kosmologische Beweis geht dabei von Gegebenem in der Welt aus, um davon auf dessen Ursprung zu schließen. Dabei kommen verschiedene Argumentationsfiguren zum Tragen, die sich zum Teil ähneln und auch in Kombination auftreten. Ein Argument etwa geht von der Bewegung aus. Ein weiteres Argument, das auch das kausale Argument genannt wird, bezieht sich auf das Ursache-Wirkungs-Prinzip. Das Kontingenz-Argument geht von dem Unterschied zwischen Möglichem und Notwendigem aus. Das Argument der Gradation (Stufenbeweis) geht davon aus, dass die Beschaffenheit von Dingen in der Welt in unterschiedlicher Intensität vorkommt. Der teleologische Beweis beruft sich auf die Ordnungsstrukturen des Kosmos, die daraus erklärt werden, dass es einen schaffenden Verstand geben muss, der ähnlich wie der menschliche Verstand sein Handeln, die Schöpfung zweckorientiert gestaltet hat. Der ontologische Beweis, der dem apriorischen Grundtypus entspricht, nimmt anders als die bisher genannten Typen, seinen Ausgang nicht in weltlich Gegebenem, um Gott zu beweisen, sondern geht, vereinfacht gesagt, vom Begriff Gottes aus, um von ihm notwendig auf dessen Existenz zu schließen. Es ist vor allem dieser Typ des Gottesbeweises, dessen Widerlegung Kant als vordringlich galt und der in der abendländischen Tradition erstmals von Anselm von Canterbury ausformuliert wurde.
4.2.1.2 Anselm von Canterbury und Ibn Sīnā – Zwei Wegmarken in der Geschichte des Gottesbeweisdenkens Darstellungen zur Geschichte des Gottesbeweisdenkens433 beginnen gemeinhin mit der Diskussion des Beweises von Anselm von Canterbury. Das lässt sich aber weniger aus historischen Gesichtspunkten heraus rechtfertigen, denn er war zweifellos nicht der erste Denker, von dem ein systematisch durchgeführter Gottesbeweis dokumentiert ist. Frühe (Vor-) Formen finden sich etwa im Kontext der griechischen Philosophie bereits bei den Vorsokratikern, unter denen es solche gab, die den letzten Grund allen Seins nicht aus einem Teil des Kosmos zu erklären suchten, sondern entweder aus der Gesamtheit des Kosmos oder aus einem
433 Für allgemeine Überblicksdarstellungen vgl. etwa Henrich (1960); Röd (1992); Bromand/ Kreis (2011).
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außerhalb desselben liegenden Prinzips.434 Nach Platon, für den die Idee des Guten nicht nur Grund aller übrigen Ideen sondern auch Grund ihrer selbst ist, findet sich bei Aristoteles mit seinem Konzept des unbewegten Bewegers eine paradigmatische Form des Beweises einer ersten Ursache der Welt. Auffällig aus ideengeschichtlicher Sicht ist zudem, dass sich die meisten historischen Darstellungen des Gottesbeweises auf die „abendländische“ Tradition beschränken. Wobei die klassischen Vorläufer wie selbstverständlich als Vorläufer dieser Tradition betrachtet werden. Außereuropäische Überlieferungen kommen in der Regel nicht vor. Das ist nicht nur für den Kontext einer Studie zur Kantrezeption in Iran, für die die Tradition der islamischen Philosophie ebenso relevant ist wie die europäische, ein Manko sondern auch für die Geschichte des Gottesbeweisdenkens allgemein. Denn beide Traditionsstränge – der europä ische und der islamische - haben gleichermaßen ihre Ursprünge in der antiken und spätantiken Philosophie und haben sich immer wieder auch gegenseitig beeinflusst. Anselms Argument an den Anfang solcher Darstellungen zu setzen, hat aber dennoch eine Berechtigung, nicht aus Gründen der Chronologie, sondern, weil sein Argument als Prototyp eines rein apriorischen Beweises angesehen werden kann. Auf Anselms Beweis wird – und das gilt auch für den iranischen Kontext – bei Diskussionen des Gottesbeweises immer wieder Bezug genommen, weshalb er zweifellos einen Höhepunkt in der Geschichte dieser Frage darstellt.
Anselm von Canterbury (1033–1109) Bevor Anselm 1093 zum Erzbischof von Canterbury ernannt wurde, wirkte er als Prior und Leiter der Klosterschule später als Abt des Benediktinerklosters Bec in der Normandie.435 In dieser Zeit entwickelte er seinen berühmten Beweis der Existenz Gottes, den Kant später den „ontologischen“ nennen sollte und der ihn zu einer zentralen Figur der mittelalterlichen Philosophie werden ließ.436 Es steht außer Frage, dass Anselm seinen Beweis aus einer Position des Glaubens heraus formulierte: Es ging ihm darum, bestimmte Glaubensdoktrinen als wahr heraus434 Beispiele dafür sind etwa Anaximander, der mit seinem „apeiron“ eine Ursubstanz postulierte; Pythagoras, der die Zahl zum obersten Prinzip erklärte; Heraklit, für den das Werden als Prinzip des Seins galt oder Parmenides, der dem gegenüber das Prinzip des Sein als unbeweglichen unwandelbaren Grund des Kosmos ansah. 435 Zu Anselms Leben und Werk vgl. Evans (2004); Schönberger (2004), 11-21; 161f. (Zeittafel). 436 Auch wenn Anselm als Philosoph in erster Linie mit jenem Gottesbeweis in Verbindung gebracht wird, der bis heute kontrovers diskutiert wird, war dieses Argument keinesfalls seine einzige philosophische Leistung. Für einen Einblick in Anselm philosophisches Denken insgesamt vgl. Davies/Leftow (2004).
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zustellen. Was aber sein Projekt der Glaubensvergewisserung auszeichnete, war der Anspruch, in der Argumentation gerade nicht auf die christliche Überlieferung zurückzugreifen, sondern die Einsicht in den Glauben allein aus rationalen Prinzipien herzuleiten. Zu Beginn solcher Reflexionen gilt es zunächst, die Notwendigkeit der Existenz Gottes zu begründen, um daran anschießend weitere Glaubensinhalte etwa göttliche Attribute zu erörtern. Sein erstes Werk, in dem er bereits dieses Projekt entfaltete, ist unter dem Titel Monologion bekannt. 437 Gleich zu Beginn des Werkes hält Anselm fest, dass man sich von der Existenz einer „höchsten Natur“, die sich selbst genügt und von der alles Übrige, das ist, abhängt, allein durch die Vernunft (sola ratione) überzeugen könne. Im Fortgang seiner Schrift argumentiert Anselm mit einer Art Verkettung verschiedener Formen des Stufenbeweises. Dabei geht er zunächst von der Idee des Guten aus, die in unterschiedlicher Abstufung in den Dingen vorzufinden sei, nach denen der Mensch strebe. Um einer solchen Stufenfolge Sinn zu verleihen, müsse man, verkürzt gesagt, von einem höchsten Guten ausgehen. Es folgt ein ähnlicher Stufengedanke in Bezug auf das Sein der Dinge. Das Sein sei gleichfalls hierarchisch angeordnet. An der Spitze stehe jenes Seiende, das allein ein „durch sich selbst Seiendes“ (per se esse) sei. Ein solches Sein ist nach Anselm mehr (maius) als eins, das durch anderes (per aliud) ist. Letztlich hänge also jedes andere Seiende von dem Seienden ab, das „allein am meisten und höchsten von allem ist“ (quod solum maxime et summe omnium est).438 Dieser hier natürlich nur bruchstückhaft dargestellte Beweis entspricht Anselms Anspruch, sich allein auf rationale Prinzipien zu berufen. Er geht dabei, entsprechend der induktiven Methode des kosmologischen Beweises, von Gegebenem in der Welt aus, dem menschlichen Streben nach etwa oder einer angenommenen Rangordnung der Dinge. Diese Form des Beweises befriedigte Anselm allerdings nicht. In seinem zweiten Werk Proslogion kommt er im Vorwort auf sein Unbehagen zu sprechen. Die Verkettung vieler Beweise, die immer auf Gegebenes zurückgreifen, sah er offenbar als Schwäche an, so dass ihn der Gedanke umtrieb, „ob sich nicht vielleicht ein Argument finden ließe, das zu seinem Beweis keines anderen als sich selbst bedarf und das allein hinreichend ist, um mit einem Beweis zu stützen, dass Gott wahrhaft ist …“.439 Diesen „einen Beweis“, das unum argumentum, formulierte Anselm in Kap. 2-4 seines Proslogion. Das Werk mit dem Titel „Ansprache“ ist der Form nach wie ein Gebet oder eine Anrede an Gott gehalten, in die argumentative Passagen eingefügt sind. Den Ausgangspunkt dieses Beweises 437 Zum Gottesbeweis im Monologion vgl. knapp Hiltscher (2008), 23, Schönberger (2004), 4056. 438 Anselm, Monologion Kap. 1-3. 439 Anselm Proslogion, prooemium.
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bildet ein Gottesbegriff, aus dem heraus Gottes Existenz abgeleitet werden soll. Dabei handelt es sich nicht um ein inhaltlich gefülltes Gottesbild, das als solches bereits Rückschlüsse auf eine in der Überlieferung enthaltene Gotteslehre zuließe. Es geht zunächst nur um einen Begriff, der sein notwendiges Sein impliziert. Die Formel, die Anselm seinem Beweis zu Grunde legt, lautet folgendermaßen: „Und zwar glauben wir, dass Du etwas bist, über das hinaus Vollkommeneres / Größeres nicht gedacht werden kann.“ (et quidem credimus te esse aliquid quo nihil maius cogitari possit). Anselms Absicht war es u. a. mit dieser Formel einen Begriff vorzuschlagen, der unabhängig von der religiösen Gesinnung allgemeine Zustimmung würde erfahren können. Es handelt sich also um einen Begriff, den Anselm zunächst weder weiter begründet noch seine Schlüssigkeit nachweist. Vielmehr setzt er ihn als gemeinsame Basis in einem fiktiven Streitgespräch zwischen einem Gläubigen und einem Ungläubigen, wie er es in seinem Proslogion darstellt, als unmittelbar einsichtig voraus. Anders als es die alleinige Fokussierung auf den Existenzbeweis Anselms suggerieren mag, ging es diesem durchaus nicht nur darum, diesen abstrakten Gott zu beweisen. Wie der weitere Verlauf des Textes zeigt, ist dieser Beweis Ausgangspunkt für folgende rationale Begründungen weiterer Glaubensvorstellungen, die für das Christentum von zentraler Bedeutung sind. Auch geht es Anselm, wie es scheint, nicht darum, seinen Glauben durch den Beweis für sich zu bestätigen. Wie das Eingangskapitel des Werkes zeigt, macht er seinen Glauben nicht vom Gelingen des Beweises abhängig. So jedenfalls beteuert er gegen Ende des ersten Kapitels des Proslogion, auf das sogleich der berühmte Beweis folgt. Das sollte aber nicht zu dem Umkehrschluss führen, dass Anselm nicht wirklich einen ernst gemeinten Beweisanspruch vertreten habe, sondern es ihm – der religiösen gebethaften Form nach zu urteilen – einzig um eine Anrufung seines Gottes, um ein Bekenntnis zu diesem gegangen sei.440 Um der Argumentation Anselms zu folgen, ist es hilfreich, den Beweis in einer Reihe von Schritten zu paraphrasieren, so wie es in der Literatur auf unterschiedliche Weise vielfach unternommen wurde.441 Dabei sollen die Argumentationsschritte möglichst nahe am Text erfolgen, weshalb auf eine Vereinfachung von Anselms Gottesformel sowie interpretatorische Umschreibungen möglichst verzichtet wird.
440 Gegen diese Lesart, die den Beweischarakter zugunsten der Anrufung Gottes zurücknimmt, wie sie etwa von Karl Barth vertreten wurde, wendet sich Kurt Flasch mit Verweis auf die Beweisstruktur und die Bedeutung der Gaunilo-Debatte. Vgl. seine Einleitung zu Anselm/Gaunilo (1989), insbes. 11-26. 441 Vgl. bspw. Müller (2001), 46-50; 61-64.
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Anselms Argument In Proslogion II ist der erwähnte Gottesbegriff Ausgangspunkt des Arguments: 1) „Etwas, worüber hinaus größeres nicht gedacht werden kann“. Diese Formel versteht Anselm als einen Begriff, dem auch jemand zustimmen kann, der Gottes Existenz verneint. 2) Vernimmt der Gottesleugner diesen Gottesbegriff, so kann er ihn also nachvollziehen bzw. er versteht ihn (intelligit). 3) Somit existiert der Begriff auch für den Gottesleugner zumindest in seinem Verstande. 4) Von diesem „Etwas, worüber hinaus größeres nicht gedacht werden kann“, kann aber auch gedacht werden, dass es zudem in Wirklichkeit existiert. 5) Etwas aber, das im Verstand und in Wirklichkeit existiert, ist, so Anselms Überzeugung/Prämisse, mehr als etwas, das allein im Verstand existiert. 6) Demnach aber wäre „Etwas, worüber hinaus größeres nicht gedacht werden kann“, sofern es nur im Verstande existierte, weniger als ein eben solches Etwas, das zudem auch in Wirklichkeit existiert. 7) Dann aber könne man ein „Etwas, worüber hinaus größeres nicht gedacht werden kann“, wenn es nur im Verstand existiert, nicht als solches bezeichnen: Der Begriff wäre ein Widerspruch in sich. In Proslogion III bekräftigt Anselm seinen Gedanken, indem er zudem nachweisen will, dass auch die Nicht-Existenz von „Etwas, worüber hinaus größeres nicht gedacht werden kann“, nicht gedacht werden kann. 1) Man könne sich vorstellen, dass es etwas gibt, dessen Nichtsein nicht gedacht werden kann. 2) Ein solches gedachtes Sein wäre aber größer als ein Seiendes, dessen Nicht-Existenz gedacht werden kann. 3) Könnte aber ein „Etwas, worüber hinaus größeres nicht gedacht werden kann“, als nicht seiend gedacht werden, so entstünde hier wiederum ein Widerspruch, da dann eben doch größeres gedacht werden könnte. 5) Somit ist nach Anselms Überzeugung nicht nur bewiesen, dass aus dem Begriff „Etwas, worüber hinaus größeres nicht gedacht werden kann“, nicht nur seine wirkliche Existenz zu folgern ist, sondern dass diese auch als notwendig anzusehen ist. Anselms Argument hat bereits früh Widerspruch erfahren. Nicht wenigen Denkern erschien Anselms Vorgehen als eine Art logischer Trick mit dessen Hilfe er letztlich von der Ebene der Logik auf die Ebene der Wirklichkeit springe. Es gibt im Einzelnen eine ganze Reihe von Widersprüchen, die gegen Anselms Argument angeführt wurden, doch für den Zweck dieser Darstellung ist es nicht nötig, sie hier zu diskutieren. Es sei aber noch angemerkt, dass die ersten Einwände bereits zu Anselms Lebzeiten erhoben wurden. Es handelt sich dabei um die Kritik des Mönches Gaunilo, auf die Anselm selbst reagierte, um sein Argument zu verteidigen ja es an manchen Stellen zu erläutern. Diese Kontoverse, die als Anselm-Gaunilo-Debatte bekannt ist, gehört somit eng zum Text des Beweises im Proslogion. Nicht zuletzt deshalb, weil es Anslem selbst war, der ausdrücklich anordnete, man möge jeder Abschrift seines Werkes auch diese Debatte beifügen.
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Neben seiner erläuternden Funktion macht Anselm in seiner Replik auch seinen Beweisanspruch unmissverständlich klar.442 Unabhängig davon, ob man Anselms Beweis als geglückt oder misslungen betrachten mag, ist es sein Verdienst in die Debatte über die Möglichkeiten Gottes Existenz zu beweisen, ein Argument eingeführt zu haben, das nicht sinnlich Gegebenes als Beweisgrundlage heranzieht, sondern einen rational konstruierten Begriff. Die Bedeutung von Anselms Gottesbeweis ist also kaum zu überschätzen, das verdeutlicht die bis heute anhaltende Diskussion seines Arguments, aus einem Denkkonstrukt notwendige Existenz abzuleiten – wohlgemerkt nicht aus irgendeinem Denkkonstrukt, sondern einem Begriff der speziell für den Nachweis notwendiger Existenz konstruiert wurde. Kurt Flasch ist also durchaus beizupflichten, wenn er schreibt: „Der Anselmianische Beweis ist die entschiedenste Nagelprobe auf die Kraft des reinen Denkens: Läßt sich, ja oder nein, aus einer reinen Denkbestimmung – wie der des Über das hinaus Vollkommeneres nicht gedacht werden kann – Realität gewinnen, ohne weitere Absicherung aus Erfahrung?“443 Dieses philosophische Problem hat seit Anselm eine ganze Reihe von Denkern umgetrieben. Sie haben dabei Anselms Beweis verteidigt, kritisiert, widerlegt oder modifiziert. Im Mittelalter sind etwa Bonaventura (1221-1274) und Duns Scotus (1266-1308) zu den wichtigen Vertreter des anselmianischen Arguments zu zählen. Sein wichtigster Kritiker nach Gaunilo ist vielleicht Thomas von Aquin (1225-1274). Eine der bedeutendsten Reformulierungen des anselmianischen Arguments wurde von René Descartes unternommen, dessen Name stellvertretend für den frühneuzeitlichen Beginn des modernen Rationalismus steht und mit dem auch ein neuer Abschnitt in der Geschichte des ontologischen Gottesbeweises beginnt. Auf Descartes Reformulierung kann hier nicht im Detail eingegangen werden,444 nur einige wichtige Unterschiede zu Anselms Beweis seien hier erwähnt.
442 Zur Bedeutung der Gaunilo-Debatte vgl. Kurt Flaschs Einleitung in Anselm/Gaunilo (1989), 7-48. Hiltscher ist anders als Flasch der Meinung, dass diese Debatte eher dem Missverständnis des Arguments Vorschub geleistet habe, wobei anzumerken ist, dass Hiltscher selbst mit einem systematisch-interpretatorischem Interesse an den Beweis Anslems herangeht, also ein bestimmtes Verständnis des Beweises im Sinn hat. Vgl. Hiltscher (2006), 59-85. 443 Vgl. Kurt Flaschs Einleitung in Anselm/Gaunilo (1989), 16. 444 Descates formuliert seinen Beweis in seinen Meditationen dort in der 3. und 5. Meditation vgl. Descartes (2004), 127-149; 177-199. Für Explikationen der dem descartschen Beweis zugrunde liegenden Ideenlehre vgl. Hiltscher (2006), 86-106; ders. (2008) 41-45; Kemmerling (2005), 21-92; Schmidt (2009), 49-61. Zum systematischen Zusammenhang von Gottesbeweis und Gewissheit der Wahrnehmungsinhalte vgl. Schmidt (2009), 90-109; Röd (1992), 61-66. Zu einer einflussrei-
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1.) Descartes geht es in seinem Gottesbeweis von Anfang an um ein Erkenntnisproblem, das überhaupt den Kern seiner Philosophie darstellt. Hier ist bereits sein originärer Standpunkt, dass man sich zunächst nur des eigenen Ichs gewiss sein kann. Um die sichere Erkenntnis einer vom Ich unabhängigen Realität sicher zu stellen, benötigt er den Gottesbeweis. 2.) Bei diesem Beweis schließt Descartes gemäß seiner Erkenntnismetaphysik zunächst auf subjektunabhängige Ideen, von denen die Idee Gottes (als einzige) wirkliches Sein beinhaltet und somit den Brückenschlag zur Wirklichkeit vollzieht. 3.) Bei Descartes Gottesbegriff der den Ausgangspukt der Beweisführungen darstellt geht Descartes offenbar sowohl von einem Begriff des ens perfectissimum als auch des ens necessarium aus. Das notwendige Sein (ens necessarium) ist in einer Variante des Beweises – der für manche Interpreten erst der vollständige Beweis Descartes ist445 – der eigentliche Gottesbegriff bzw. der Begriff, der den des höchst Vollkommenen (ens perfectissimum) erst begründet. 4.) Bei Descartes Beweis scheint es sich in letzter Konsequenz stets um ein Zusammenspiel zwischen ontologischem und kosmologischem Beweis zu handeln. Denn fragt man, wovon der Begriff des Notwendigen abhängt bzw. woraus er sich herleitet, so kann man folgern: Aus der letzten Ursache der endlichen Dinge. Damit aber wären wir beim kosmologischen Beweis angelangt, der streng genommen von Seiendem in der Welt ausgeht, also nicht rein a priori ohne Anschauung auskommt.
chen Kritik an Descartes durch Johannes Caterus (1590-1655) und einer Modifikation des Beweises durch Descartes als Reaktion auf die Einwände vgl. Cramer (1996). 445 Das Argument, dass sich bei Descartes letztlich zwei Formen des ontologischen Beweises finden, von denen die erste auf das ens perfectissimum zurückgeht (und das letztlich das Argument des Anselm ist) und die zweite, die Descartes letztlich als sein eigentliches Argument habe gelten lassen, aber auf das ens necessarium, geht auf Dieter Henrich (vgl ders. (1960), 1-22) zurück. Es wurde von Konrad Cramer in seinem Aufsatz, Cramer (1996), aufgegriffen und vertiefend erläutert. Auch Hiltscher (2006) / (2008) schließt sich diesem Argument an, demzufolge der eigentliche cartesianische (ontologische) Gottesbeweis erst in der Antwort an Caterus und nicht bereits in der 5. Meditation (wo er noch weitgehend die Form des Anselmianischen habe) ausformuliert wurde. Cramer gelingt es zudem auf überzeugende Weise darzulegen, dass Descartes in seiner Antwort auf Caterus nicht den bereits von Thomas (siehe unten) vorgebrachten „logischen Einwand“ zu widerlegen sucht, sondern vielmehr eben diesen logischen Einwand umdeutet, um ihm dann zuzustimmen. Dieser von Cramer semantischer Einwand genannte Einwand, bemängelt an Anselms Beweis nicht den scheinbar unzulässigen Übergang vom Begriff des höchstvollkommenen Gottes zu dessen Existenz, sondern wendet sich „gegen die Voraussetzung, daß es sich bei dem sprachlichen Ausdruck, der der Konstruktion dieses Übergangs zugrunde gelegt wird, nicht um einen bloßen Namen, sondern um einen solchen handelt, dem eine wahre Idee (idea vera) korrespondiert.“ (Cramer (1996), 151. Diesem Einwand stimme er schließlich zu, um sein Argument von dem des Anselm, das er ablehnt, zu unterscheiden. Wolfgang Röd (1992), 68/69, vertritt demgegenüber eine andere These.
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Dieses Zusammenspiel zweier Beweistypen sowie die hier am Beispiel Anselms und Descartes gezeigte Tatsache der Modifikation einzelner Beweisschritte nach Einwänden von zeitgenössischen Kritikern zeigt, dass es sich bei den verschiedenen Unternehmen unterschiedlicher Denker oft um Mischformen und Abwandlungen idealtypischer Beweisansätze handelte. Insbesondere der Zusammenhang zwischen ontologischem und kosmologischem Beweis spielt auch nach Descartes immer wieder eine Rolle, sei es affirmativ etwa bei Leibniz, der sich beider Beweistypen bediente, oder in der Kritik der Beweise etwa durch Hume oder Kant, der letztlich für einen jeden kosmologischen Beweis den ontologischen als Bedingung voraussetzte.
Ein Gottesbeweis der islamischen Tradition: Ibn Sīnās Burhān aṣ-ṣiddīqīn Eine solche Kombination aus kosmologischem und ontologischem Argument lässt sich bereits bei einem weitaus früheren Beweis nachweisen, der zeitlich noch vor dem Anselms liegt. Ein Beweis, der trotz seiner ideengeschichtlichen Bedeutung in den meisten „westlichen“ Darstellungen zum Gottesbeweisdenken fehlt, obwohl bekannt ist, dass einige Theoreme, die diesem Beweis zu Grunde liegen, für Denker des Lateinischen Mittelalters prägend waren.446 Die Rede ist hier von Ibn Sīnās Beweis Gottes als des „in sich notwendig Seienden“ (wāǧib al-wuǧūd fī nafsihī/fī ḏātihī).447 In diesem Beweis, der auch als Burhān aṣ-ṣiddīqīn (Beweis der Wahrheitsliebenden) bekannt ist, geht Ibn Sīnā von zwei für sein metaphysisches Denken zentralen Doktrinen aus, erstens der Unterscheidung zwischen „notwendig Seiendem“ und „möglich (kontingenten) Seiendem“ und zweitens von der ontologischen Unterscheidung zwischen Sein (wuǧūd) und Essenz (māhīya). Diese beiden Doktrinen stehen in seinem Gottesbeweis, der zentraler Bestandteil seiner Seinslehre ist, in systematischem Zusammenhang. Den Gottesbeweis führt Ibn Sīnā in verschiedenen Versionen in seinem Werk. Eine dieser Versionen findet sich in seinem Spätwerk den al-Išārāt wa-t-tanbīhāt
446 Zum Einfluss der arabisch-islamischen Philosophie auf die Philosophie des Lateinischen Mittelalters allgemein vgl. Burnett (2005), 370-404. Zum Einfluss Ibn Sīnās auf diese vgl. etwa div. Beiträge aus Hasse/Bertolacci (2011). 447 Zu Ibn Sīnās Beweis knapp aber instruktiv Rudolph (2004), 46-49; konzise und aufschlussreich in seinem Verhältnis zum kalām ders. (1997); ausführlich mit Stellenverweisen bei Ibn Sīnā sowie Verweisen auf weiterführende Literatur vgl. Mayer (2001). Mayer diskutiert diverse Deutungsansätze aus der Literatur und gibt zudem an, dass die Einteilung in jene drei Beweistypen, die insbesondere Kant anwendet, nicht hinreichend ist, um alle Beweise zu erfassen (ibd. 19-20), was er an Ibn Sīnās Beweis darlegt, indem er auf jene Verbindung von ontologischem und kosmologischem Argument hinweist.
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(Hinweise und Mahnungen, entstanden ca. 1030-1034).448 Dort beginnt Ibn Sīnā seine Argumentation wie folgt: Remark. Every existent, if you look at it in itself (min ḥaythu dhatihi), not looking at anything else, is either such that existence {al-wuǧūd} is necessary for it in itself (fī nafsihi), or it is not. If [its existence] is necessary then it is God (al-Ḥaqq) in Himself, the Necessarily Existent in Itself {al-wāǧibu wuǧūduhu min ḏātihi} – namely, ‘the Self-Subsistent’ (al-Qayyūm). If it is not necessary, then it cannot be said that it is impossible in itself after it has been presupposed to exist. Rather, if a condition were attached in respect of its essence, such as the condition of the absence of its cause, it would become impossible; or [if a condition were attached in respect of its essence] such as the condition of the existence of its cause, it would become necessary. If a condition is not attached to it – neither the occurrence of a cause nor its absence – then a third thing is left over for it in respect of it essence. Namely, contingency (imkān). And it is, in respect of its essence, a thing which is neither necessary nor impossible. Thus every existent is either necessarily existent in itself or contingently existent in itself.449
Mit dieser Passage beginnt Ibn Sīnā seinen Beweisgang gemäß dem Typus eines ontologischen Beweises, also ausgehend vom Begriff des Seins. Das geht allerdings aus dem hier wiedergegebenen Zitat nicht unmissverständlich hervor. Es stellt sich vielmehr zunächst die Frage, inwiefern das „Sein“ (wuǧūd) von dem Ibn Sīnā spricht als ein apriorischer oder aposteriorischer Begriff zu verstehen ist. Das klärt sich mit dem Hinweis darauf, dass „Sein“ für ihn zu den prima intelligibilia gehört. Mithin zu jenen Begriffen, die dem Verstand (Intellekt) a priori – zumindest als Disposition – gegeben sind, also unabhängig von der Erfahrung, etwa durch die Sinneswahrnehmung. Damit ist zunächst klar, dass „Sein“ für Ibn Sīnā ein apriorischer Begriff ist. Nun ist aber noch zu klären, ob er ihn in seinem Argument – in der oben zitierten Passage, bzw. in seinem Argumentationshergang allgemein – auch als solchen verwendet und nur aus dem Begriff heraus auf die Existenz Gottes schließt. Zunächst einmal zeigt sich in dieser Passage die erwähnte begriffliche Dichotomie des „Seins“ in „notwendig Seiendes“ und „kontingent Seiendes“. Von dieser Unterscheidung ausgehend schließt Ibn Sīnā durch 448 Mayer diskutiert den avicennischen Gottesbeweis anhand dieser Version des Argumentationsgangs, sie findet sich in der 4. Abteilung (namaṭ) des Werkes, dort in den Abschnitten (faṣl) 9-15. Vgl. Ibn Sīnā (1383/2004) 3:26-38. Er nimmt aber zur nähren Erläuterung auch Bezug auf Parallelstellen in anderen Werken. 449 Diese Übersetzung stammt von Meyer (2001), 22;Ergänzungen in {} von mir. Für arabisch vgl. Ibn Sīnā (1383/2004) 3:26-27.
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die genauere Begriffbestimmung von „Sein“ a priori und unmittelbar auf die Existenz Gottes: „If [its existence] is necessary then it is God (al-Ḥaqq) in Himself, the Necessarily Existent in Itself – namely, ‚the Self-Subsistent’ (al Qayyūm).“ Die Begründung für diesen Schluss bleibt Ibn Sīnā aber in der obigen Passage schuldig. Ansätze dazu finden sich aber, wie Mayer aufzeigt, an anderer Stelle in seinem Werk etwa in an-Naǧāt wo er die Notwendigkeit eines „Für sich Notwendigen Seienden“ mit Blick auf die Seinsdichotomie wie folgt erklärt: The Necessarily Existent is that existent which when hypothesized as nonexistent, an absurdity occurs thereby (ʿaraḍa minhu muḥāl), while the contingently existent is that which when hypothesized as nonexistent or as existent no absurdity occurs thereby.450
Damit verwendet er ein Argument, das für den ontologischen Beweis exemplarisch ist: Der Begriff Gottes soll so beschaffen (konstruiert) sein, dass die Leugnung der Existenz zu einem Begriffswiderspruch führt, was wiederum die reale Existenz des Begriffs untermauern soll. Mit dem Begriff des „Durch sich selbst notwendig Seienden“, geht Ibn Sīnā in seinem Beweis also von einem apriorischen Gottesbegriff aus. Mit der Verwendung der Bezeichnung al-Qayyūm, der [durch sich] Beständige,451 als koranisches Synonym für Gott scheint er gerade diesen Charakter des Gottesbegriffs hervorheben zu wollen. Dass Ibn Sīnā eine apriorische Erkenntnis Gottes vorrangig zu sein scheint, macht der letzte Abschnitt der 4. Abteilung (namaṭ ar-rābiʿ) deutlich.452 Hier unterscheidet Ibn Sīnā zwischen zwei Herangehensweisen an die Gotteserkenntnis, was er mit Verweis auf eine andere Koranstelle Q 41:53 illustriert.453 Die eine Herangehensweise nennt er dabei Ḥukm li-qawm, Urteil(sweise) des (einfachen) Volkes. Dieses benötigt – das legt die Sure und resümierend der erste Teil von Vers 53 dar, den Ibn Sīnā hier zitiert – deutliche Zeichen, die die Existenz des einen Gottes bestätigen: „Wir werden ihnen unsere Zeichen zeigen, überall in der Welt und in ihnen selbst, bis ihnen klar geworden ist, dass er die Wahrheit [dass es Gott] ist.“454 Die andere Herangehenswiese ist „die Urteils(weise) der Wahrheitsliebenden“ (Ḥukm li ṣ-Ṣiddīqīn). Für diese sind „äußere“ Zeichen, die die Existenz Gottes beweisen sollen gar nicht nötig, weshalb auf sie die Aussage des zweiten Teils von Q 41:53 zutrifft: „Reicht es denn nicht aus für deinen Herrn, dass er über alle Dinge Zeuge ist?“
450 Vgl. Mayer (2001), 24. 451 Q 2:255 452 Vgl. Ibn Sīnā (1383/2004), 3: 79. 453 Diese Sure ist insgesamt für die koranische Gottesbeweisfrage signifikant. 454 Q 41;53 (Übersetzung Bobzin (2010); Ergänzung in [] von mir.)
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Diese Zeugenschaft deutet Ibn Sīnā hier im Sinne eines apriorischen Beweisansatzes, es sind demnach nicht eigentlich die Dinge, die die Existenz Gottes bezeugen, vielmehr ist es – vom Gottesbegriff her gedacht – Gott selbst, der Seine Existenz und damit – als deren Ursache – die Existenz aller Dinge bezeugt. Dies ist der Ansatz der „Wahrheitsliebenden“, von denen er sagt, es seien „diejenigen, die den Nachweis durch Ihn [aus Ihm selbst heraus] und nicht auf Ihn hinführend erbringen“ (yastašhidūna bihī, lā ʿalayhi).455 Hierin zeigt sich also, dass Ibn Sīnā explizit zwischen einem kosmologischen und einem apriorischen Argument unterscheidet, wobei er dem apriorischen an dieser Stelle den Vorzug gibt. Den kosmologischen Ansatz schreibt er dabei Theologen (mutakallimūn) zu, die von der Schöpfung der Körper und der Akzidenzien auf die Existenz Gottes schließen, sowie den Naturphilosophen (al-ḥukamāʾ aṭ-ṭabīʿīyūn), die von der Existenz der Bewegung auf den Beweger (muḥarrik) schließen. Die Metaphysiker hingegen schlössen von der Betrachtung des Seins ausgehend (bi n-naẓar fi-l-wuǧūd) auf den Notwendig Seienden.456 Wenn im Zusammenhang mit Ibn Sīnās Gottesbeweis vom Burhān aṣ-Ṣiddīqīn (Beweis der Wahrheitsliebenden) die Rede ist, dann ist damit eben dieser Bezug auf den apriorischen Beweisansatz gemeint. Wie Mayer darlegt, ist es in der Forschung indes umstritten, ob entweder dieser Ansatz nicht letztlich doch auch aposteriorischer Voraussetzungen bedarf – damit also auf einen kosmologischen Beweis hinaus läuft, oder ob Ibn Sīnās Beweis insgesamt ein ontologischer Beweis ist. Folgt man – wie Mayer in seiner Diskussion – dem Beweisgang in den Išārāt, dann ergibt sich, wie oben dargestellt, recht deutlich der Eindruck, dass Ibn Sīnā von einem apriorischen Ansatz ausgeht. Doch der Beweis endet nicht mit der Analyse des Seinsbegriffs und der Unterteilung in notwendiges und kontingentes Sein, woraus der Gottesbegriff hergeleitet wird. Die tatsächliche Existenz und – so könnte man sagen – nicht nur die begriffliche Kohärenz der notwendigen Existenz Gottes, versucht Ibn Sīnā im Fortgang der Argumentation zu beweisen, indem er nun doch wieder von der, seiner Ansicht nach, unbezweifelbaren Existenz der Dinge in der Welt ausgeht. Die Notwendigkeit der Existenz dieser Dinge kann, gemäß der Seinsdichotomie, letztlich nicht durch die Dinge selbst gegeben sein, sondern nur durch eine erste Ursache, das an sich notwendig Seiende. Dieser Teil der Argumentation nimmt, wie Mayer in seiner Diskussion darlegt, den größten Teil der Argumentation Ibn Sīnās ein:
455 Vgl. dazu Mayer (2001), 24-25. 456 Vgl. Ibn Sīnā (1383/2004), 3: 79.
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So throughout the rest of the proof Ibn Sina sets to one side the argument for God which simply uses the idea of necessity of existence, and instead tries to show in considerable detail that contingent existence can by no means stand alone, and presupposes the Necessary cosmological argument.457
In diesem kosmologischen Teil der Argumentation geht es Ibn Sīnā aber nicht allein darum, die Notwendigkeit der Existenz Gottes zu beweisen, sondern im Einzelnen die Art der Abhängigkeit der kontingenten Dinge vom „an sich notwendig Seienden“ darzulegen. Das Sein selbst aber und mit Ihm seine Einteilung in notwendiges und mögliches Sein, bleibt a priori erkennbar. Erst beide Teile des Arguments, der ontologische und der kosmologisch, bilden den ganzen Beweis. „He appears simply to use ‘necessity of existence’, posited initially in intellectu, and then affirmed in re – on pain of contradiction.”458 Doch scheint die Tatsache, dass der kosmologische Teil den Großteil des Arguments ausmacht, nicht dafür zu sprechen, dass der apriorische Teil zu vernachlässigen wäre, vielmehr bildet er den Ausgangspunkt der Argumentation und ist somit für den Beweis essentiell. Bei Ibn Sīnās Beweis also handelt es sich ähnlich wie bei Descartes um eine Kombination aus Kosmologischen und Ontologischem Beweis. Der Ausgangspunkt ist dabei nicht ein ens perfectissimum sondern ein ens necessarium, eine Variante, die sich auch bei Descartes Beweis finden lässt. Dieser systematische Zusammenhang von ontologischem und kosmologischem Argument spielt auch bei Mehdī Ḥāʾerī Yazdīs u.a. auf Mollā Ṣadrā basierender Kritik an Kants Kritik der Gottesbeweise eine wichtige Rolle.
4.2.1.3 Der ontologische Beweis in der Kritik Auf den ersten Blick mag Ibn Sīnās Gottesbeweis mit dem religiösen Schöpfungsgedanken konform gehen. Es gibt eine erste Ursache, das Notwendig Seiende, die in einem (immerwährenden?) Schöpfungsakt alles kontingent Seiende erschafft. Doch hat Ibn Sīnās Begriff vom Notwendig Seienden eine Konsequenz, die zu dieser Schöpfungsvorstellung, der creatio ex nihilo, im Widerspruch steht. Nach dem islamischen streng monotheistischen Dogma des tauḥīd (der absoluten Einheit Gottes) kann nur Gott allein von Ewigkeit her bestehen. Nach Ibn Sīnā aber folgt aus der Notwendigkeit der Existenz Gottes auch, dass alles von ihm bewirkte notwendig an seine Existenz gebunden ist. Da nun aber, so Ibn Sīnās Argumentation, eine notwendige Wirkung von ihrer Ursache untrennbar ist,
457 Mayer (2001), 25. Für Details und Diskussion dieses Teils der Argumentation Ibn Sīnās vgl. ebd. 25-39. 458 Mayer (2001), 37.
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also nicht erst nach der Existenz der Ursache konsekutiv in die Existenz getreten sein kann, muss auch die Welt, als ganze, bereits von Ewigkeit her bestehen. Die daraus folgende Doktrin von der Ewigkeit der Welt stand für viele Theologen in unzulässigem Widerspruch mit dem monotheistischen Schöpfungsgedanken, wie sie etwa im Koran beschrieben werden.459 Ibn Sīnās Doktrin stand daher bald unter heftiger Kritik. Einer seiner bedeutendsten Kritiker, al-Ġazālī (gest. 1111), bezeichnete sie in seiner berühmten Streitschrift Tahāfut al-falāsifa (Die Inkohärenz der Philosophen) als Unglauben. Er begründet dabei ihre Unstimmigkeit – verkürzt gesagt – mit dem Argument, dass die Welt aus lauter in der Zeit geschaffenen Dingen bestehe und somit selbst geschaffen und nicht ewig sein muss. Zudem wäre, setzte man die Ewigkeit der Welt voraus, der Beweis einer Ursache derselben weder möglich noch nötig. Ġazālī geht in seinem Gottesbeweis vom kosmologischen Argument aus: die zeitlichen und kontingenten Dinge in der Welt müssen in der Zeit verursacht, mehr noch vom Nicht-Sein ins sein gebracht worden sein. Dass impliziert einen (fortwährenden) Schöpfungsakt. Der somit eines Schöpfers, also Gott, bedarf.460 Diese hier nur angedeutete Ausführung des kosmologischen Arguments durch al-Ġazālī, die von der Schöpfung (Entstehung der Dinge in der Zeit) auf Gott schließt, wird in der zeitgenössischen westlichen Literatur zum Gottesbeweisdenken meist als kalām-Beweis bzw. kalām-Argument erwähnt.461 Dabei wird bedauerlicherweise meist nur sehr knapp, wenn überhaupt, auf Ġazālīs Schriften eingegangen, was für eine genauere ideengeschichtliche Einordnung und ein Verständnis der Argumentationszusammenhänge aber unabdingbar wäre. Es ist also insbesondere die Konsequenz des apriorischen oder ontologischen Teils von Ibn Sīnās Argument, das von einem ens necessarium oder wāǧib al-wuǧūd fi nafsihī ausging, die von al-Ġazālī zurückgewiesen wurde. Auch das klassische ontologische Argument, das von al-Ġazālīs Zeitgenossen Anselm von Canterbury formuliert wurde, stand, wie oben gezeigt, bereits zu dessen Lebzeit in der Kritik. Später im Lateinischen Mittelalter war es ebenfalls keineswegs unangefochten. Einer seiner bedeutendsten Kritiker war Thomas von Aquin. Dieser setzte sich in mindestens zwei seiner Schriften, der Summa contra gentiles („Summe gegen die Heiden“) und der Summa theologiae („Summe der Theologie“) eingehend mit den Gottesbeweisen auseinander. Dabei erörterte er fünf Wege, die Existenz 459 Vgl. Rudolph (2004), 47. 460 Etwas ausführlicher zum Gottesbeweis Ġazālīs vgl. Goodman (1971a), ders. (1971b). Zum Verhältnis von Ibn Sīnās und al-Ġazālīs Argument vgl. Rudolph (1997). 461 Vgl. z.B. Hiltscher (2008), 123. Bromand/Kreis (2011), 502-510; Craig (2011). Craig liefert in diesem Beitrag immerhin auf einer knappen Seite Verweise auf al-Ġazālīs Argument in seinem Kitāb al-Iqtiṣād fī l-iʿtiqād selbst. Vgl. ebd. 564f.
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Gottes zu beweisen. Letztlich handelt es sich dabei um eine Systematisierung der verschiedenen Formen des kosmologischen Beweises und des teleologischen Beweises. Den Beweis Anselms aber sieht Thomas nicht als einen gangbaren Weg, weshalb er ihn in seiner Behandlung der Gottesbeweise zurückweist. Dabei gibt er zunächst an, dass Anselms Gottesbegriff „worüber hinaus nichts Größeres gedacht werden kann“ durchaus nicht für jeden als Begriff von Gott bekannt sein muss, d. h. dieser Begriff müsse erst einmal als gültiger Gottesbegriff eingeführt werden. Doch sein eigentliches Argument gegen Anselm besteht darin, dass er selbst dann, wenn Anselms Wesensbegriff verstanden worden sei, aus diesem mit Notwendigkeit nur folgen würde, dass „Gott in der Vernunft“ (in intellectu) sein müsse, nicht aber notwendigerweise auch in der Wirklichkeit.462 Wieder zu neuer Aktualität gelangte der ontologische Beweis mit Leibniz und im Rationalismus der Wolffschen Schule, in welcher der Begriff als Hauptmittel der Erkenntnis im Zentrum stand. In genau diesem geistesgeschichtlichen Kontext wiederum ist Kants Kritik zu verorten. So ist es auch nicht Anselm, auf den sich Kant mit seiner Kritik des ontologischen Beweises bezieht, den er übrigens selbst erstmals so bezeichnet. Grund für diese Bennenung war die Tatsache, dass er die Bezeichnung „Beweis a priori“ für seinen eigenen Gottesbeweis reservieren wollte, den er in seiner für die Gottesfrage bedeutenden vorkritischen Schrift Der einzig mögliche Beweisgrund zu einer Demonstration des Daseins Gottes darzulegen beabsichtigte. Dass er diesen „ontologisch“ nannte ist dabei keineswegs selbstverständlich. Genau genommen könnte man auch argumentieren, dass die Bezeichnung „ontologischer Beweis“ besser auf den kosmologischen Beweis zutrifft, da dieser eben vom Seienden ausgeht. Kant entscheidet sich aber offenbar für diese Bezeichnung, da der Beweis, der a priori aus bloßen Begriffen geführt wird, der Ontologie nach Wolffschem Verständnis entspricht, die die Lehre vom Sein a priori aus reinen Begriffen entwickelt.463 In der Transzendentalen Dialektik der Kritik der reinen Vernunft unterzieht Kant im dritten Hauptstück mit dem Titel „Das Ideal der reinen Vernunft“ die rationale Theologie, die er als spekulativ einstuft, einer fundamentalen Kritik, deren Ergebnis es ist, dass keiner der von der rationalen Theologie angebotenen Beweiswege – weder der ontologische, noch der kosmologische, noch auch der teleologische – die Existenz Gottes nachweisen könne und dass Gott mithin nicht erkannt werden kann. Den ontologischen Beweis, den Kant als den grundlegendsten aller drei möglichen Beweisarten betrachtet, diskutiert er im vierten Abschnitt des dritten Hauptstückes „Von der Unmöglichkeit eines ontologischen Beweises
462 Vgl. Thomas von Aquin (1974), 34-39 (Summa contra gentiles I 11). 463 Vgl. zu diesem Hintergrund Sala (1990), 274f.
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vom Dasein Gottes“.464 Dieser Abschnitt enthält 14 Absätze, die sich wie folgt gliedern lassen: Abs. 1-5 erörtert den Begriff eines absolut notwendigen Wesens, Abs. 6/7/13 unternimmt eine kritische Diskussion des Schlusses von einem denknotwendigen Begriff eines höchstvollkommenen notwendigen Wesens auf seine tatsächliche Existenz, anhand der Distinktion zwischen logischer und realer Möglichkeit und Abs. 8-12 erörtert die Kritik des Beweises anhand der Lehre „Sein ist kein reales Prädikat“.465 Diese grundsätzlichen Einwände, die Kant gegen die Möglichkeit eines ontologischen Gottesbeweises, ja der Möglichkeit der Gotteserkenntnis überhaupt, ins Feld führt, stellen in der Geschichte des Gottesbeweisdenkens einen bedeutenden Wendepunkt dar. Alle auf Kant folgenden Diskussionen der Thematik nehmen, sei es in kritischer oder affirmativer Weise, Bezug auf Kants Argumentation. Die Grundlinien dieser kantschen Argumentation und die Reaktion auf dieselbe, die Mehdī Ḥāʾerī Yazdī als einer der ersten konkreten iranischen Kantinterpreten unternimmt, ist Gegenstand des folgenden Kapitels.
4.2.2 Kritik der Kritik. Mehdī Ḥāʾerī Yazdī widerspricht Kant Mehdī Ḥāʾerī Yazdī bezieht in seinen Schriften, in denen er im Kontext konkreter Fragestellungen dezidiert Positionen westlicher Philosophie mit solchen der islamischen philosophischen Tradition vergleicht, kritisch Position gegenüber Kants Widerlegung des ontologischen Gottesbeweises. Kants Diskussion der Gottesbeweise stellt für Ḥāʾerī in doppelter Hinsicht eine Herausforderung dar. Erstens sieht er sich durch Kants „Degradierung“ des Seins herausgefordert, da das Sein für Ḥāʾerī sowohl den universellsten Begriff als auch, im Sinne Mollā Ṣadrās, die umfassendste Realität darstellt. Zweitens gehört es zu den zentralen Dogmen der von Ḥāʾerī vertretenen Ontologie, dass es ein höchstes, absolutes Sein geben muss, das notwendig ist und von dem alles übrige „nur“ kontingente Sein abhängig ist. Dass dieses absolute Sein, das als Gott verstanden wird, nicht beweisbar sein soll, ist für Ḥāʾerī ebenfalls nicht hinnehmbar.
4.2.2.1 Die Kantkritik im Kontext der Schriften Ḥāʾerīs Ḥāʾerīs ontologische Reflexionen bilden nicht nur den Großteil seines Werkes, sie sind auch stets Ausgangspunkt seiner Überlegungen und Positionen in den Bereichen der Erkenntnistheorie und der praktischen Philosophie. Ḥāʾerīs Diskussion von Kants Gottesbeweiskritik findet sich vor allem eingebettet in den 464 A 592 / B 620 – A 602 / B 630. 465 In dieser Einteilung der Absätze folge ich Sala (1990), 278.
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Kontext zweier seiner wichtigsten Schriften zur theoretischen Philosophie. Im Werk Kāvešhā-ye aql-e naẓarī geht der Autor an zwei Stellen ausführlich auf Kants Kritik ein: zunächst im 10. Kapitel des Werkes mit der Überschrift „Aqsām-e voǧūd“ (Einteilung des Seins), in dem er seine Aufgliederung des Seins in voǧūd-e nafsī/voǧūd-e maḥmūlī; voǧūd-e rābetī/nāʿetī und voǧūd-e rābeṭ in Zusammenhang mit der Thematik der Prädikation in verschiedenen, aussagelogischen Urteilen (einfachen oder zusammengesetzten) diskutiert.466 Der letzte Abschnitt des Kapitels „Baḥs̱-e taṭbīqī dar voǧūd-e rābeṭ“ (Vergleichende Untersuchungen des „Seins als Kopula“) ist einem Vergleich der kantschen Seinsauffassung mit ontologischen Doktrinen gewidmet, die Ḥāʾerī als repräsentativ für die islamische Philosophie versteht. Er diskutiert sieben Kritikpunkte an Kants Position aus Sicht der islamischen Philosophie467 sowie fünf Gemeinsamkeiten.468 In diesem Abschnitt finden sich auch Übersetzungen einschlägiger Abschnitte aus der KrV, die offenbar auf der englischen Übersetzung von Kemp Smith beruhen469 und die vermutlich von Ḥāʾerī selbst stammen. Kapitel 13 des Werkes mit dem Titel „Ḫodāšenāsī-ye taṭbīqī: Dalīl-e hastī bar hastī-ye ḫodā“ (Komparative Theologie: Der ontologische Beweis für das Dasein Gottes)470 hat zum Ziel, die Notwendigkeit der Aussage „Gott existiert“ auf dem Weg einer vergleichenden Untersuchung nachzuweisen, indem Ḥāʾerī den Zugang der islamischen Philosophie zur Problematik des Gottesbeweises bzw. das, was er die „Methode der islamischen Philosophie“ (raveš-e falsafe-ye eslāmī) nennt, mit der „Methode der westlichen Philosophie“ (raveš-e falsafe-ye ġarb) kontrastiert. In diesem Kapitel diskutiert Ḥāʾerī die Doktrinen von Anselm, Thomas von Aquin, Descartes, Kant und Russel unter Rückgriff auf Ansätze von Ibn Sīnā, Naṣīr ad-Dīn aṭ-Ṭūsī, Mollā Ṣadrā und Molla Hādī Sabzawārī. Die Diskussion von Kants Kritik des ontologischen Gottesbeweises nimmt auch hier eine prominente Stellung ein.471 Das zweite Werk Ḥāʾerīs, in dem der Autor Kants Kritik des ontologischen Gottesbeweises diskutiert, ist seine Schrift Heram-e hastī. Taḥlīlī az mabādī-ye hastīšenāsī-ye taṭbīqī (Pyramide des Seins. Untersuchung der Grundlagen komparativer Ontologie). Dieses Werk, das aus einer Reihe von Vorlesungsskripten kompiliert ist, die auf eine 1359/1980 am Iranischen Institut für Philosophie (Anǧoman-e ḥekmat va falsafe-ye Īrān) gehaltene Lehrveranstaltung zurückge-
466 Ḥāʾerī (1347/1969a), 185-217. 467 Ḥāʾerī (1347/1969a), 205-210. 468 Ḥāʾerī (1347/1969a), 210-217. 469 Ḥāʾerī gibt folgende Quelle an: Immanuel Kant, Critique of Pure Reason, translated by Norman K. Smith, London, MacMillan 1958. Vgl. Ḥāʾerī (1347/1969a), 204 Anm. 1. 470 Ḥāʾerī (1347/1969a), 297-369. 471 Ḥāʾerī (1347/1969a), 328-49; 363-66
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hen, widmet sich in zwölf Kapiteln dem Versuch, eine Theorie des Seins (voǧūd/ hastī) zu formulieren, in der das Sein als Ganzes in Begriff (mafhūm) und Wirklichkeit/Realität (ḥaqīqat) zugleich als unteilbare Einheit (vaḥdat) und Vielfalt (kas̱rat) verstanden werden kann, indem sich beide Aspekte des Seins gegenseitig bedingen.472 Dazu bedient sich Ḥāʾerī in Anlehnung an Mollā Ṣadrā des Konzepts des taškīk al-wuǧūd, der Äquivozität des Seins, nach der das Sein – verkürzt ausgedrückt – den Dingen auf je unterschiedliche Weise zukommt. Das Schema einer Seinspyramide, an deren Spitze das „notwendig Seiende“ steht, das alles kontingente Sein bedingt, soll diesem Ansatz Rechnung tragen. In seinen Untersuchungen unternimmt Ḥāʾerī eine Reihe von Vergleichen zwischen islamischem und westlichem Seinsdenken. Die Bezugnahme auf Kant ist auch hier wieder von zentraler Bedeutung. Neben einigen kürzeren Passagen473 ist das siebte Kapitel Ontūlūžī-ye Kānt va epistemūlūžī (Die Ontologie Kants und die Epistemologie) der vergleichenden Kritik an Kants Seinsverständnis gewidmet.474 Der dritte für den Kontext der Kantkritik Ḥāʾerīs wichtige Text ist sein Aufsatz Ḫodā dar falsafe-ye Kānt (Gott in der Philosophie Kants)475. Dieser Text ist von besonderer Bedeutung, da der Autor, anders als in den beiden zuvor genannten Schriften, in denen er sich vornehmlich auf Kants Kritik des ontologischen Gottesbeweises in der „Dialektik“ der KrV bezieht, hier explizit Bezug nimmt auf die zwar in der KrV angelegten, aber erst in der KpV und der Religionsschrift formulierten Postulatenlehre Kants, in der Kant Gott neben der Unsterblichkeit der Seele und der Freiheit als „Postulate der reinen praktischen Vernunft“ versteht.
4.2.2.2 Sein als Prädikat? Zu Ḥāʾerīs Kritik an Kants Seinsverständnis Kants Widerlegung des ontologischen Gottesbeweises unternimmt eine kritische Diskussion der Begriffe Gottes als höchstvollkommenes bzw. allerrealstes Wesen sowie als absolut notwendiges Wesen. Ein zentraler Strang der Argumentation 472 Die erste Auflage erschien 1360/1981, hier verwendet wurde die zweite Auflage von 1361/1982. Im Rahmen der vom Iranian Institute of Philosophy (Moʾassase-ye pažūhešī-ye ḥekmat va falsafeye Īrān) unternommen Gesamtausgabe von Ḥāʾerīs Schriften erschien das Werk als Band 6 neu ediert und mit leichten Veränderungen, auch einiger Termini, in dritter Auflage 1385/2006. 473 Ḥāʾerī (1360/1981c), 17-21(Kap. 1); 27-37 (Kap. 2); 53-59 (Kap. 3 Abschnitt „Īrād be naẓarīye-ye Kānt“ [Einwand gegen die Theorie Kants]); 68-72 (Kap. 3). 474 Ḥāʾerī (1360/1981c), 154-172. 475 Der Text wurde zuerst veröffentlicht in der Aufsatzsammlung Ḥāʾerī (1360/1981): Metāfīzīk. Maǧmūʿe-ye maqālāt-e falsafī-manṭeqī. Teheran. [Metaphysik. Gesammelte philosophisch-logische Abhandlungen]. Teheran, 75-100. Neu ediert erschien der Text abermals im siebten Band der gesammelten Werke: Mehdi Ḥāʾerī Yazdī, Ǧostārhā-ye falsafe. Maǧmūʿe-ye maqālāt, Teheran 1384(2005), 86-107.
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kritisiert den Schluss, dass sich aus einem denkmöglichen Begriff eines höchstvollkommenen notwendigen Wesens auf seine tatsächliche Existenz schließen lässt. Zu dieser Argumentationslinie gesellt sich noch eine weitere, in der Kant argumentiert, dass Sein kein reales Prädikat sei und somit per se nicht Teil des Gottesbegriffs sein könne. Es ist diese Argumentationslinie, an der Ḥāʾerīs Kritik zunächst ansetzt. Stein des Anstoßes und Ausgangspunkt für seine Kritik an Kants Argumentation liefert eine einschlägige Passage, in der Kant die Bedeutung des Seins stark einschränkt: Sein ist offenbar kein reales Prädikat, d. i. ein Begriff von irgendetwas, was zu dem Begriffe eines Dinges hinzukommen könne. Es ist bloß die Position eines Dinges oder gewisser Bestimmungen an sich selbst. Im logischen Gebrauche ist es lediglich die Copula eines Urteils. Der Satz: Gott ist allmächtig, enthält zwei Begriffe, die ihre Objekte haben: Gott und Allmacht; das Wörtchen: ist, ist nicht noch ein Prädikat oben ein, sondern nur das, was das Prädikat beziehungsweise aufs Subjekt setzt. Nehme ich nun das Subjekt (Gott) mit allen seinen Prädikaten [...] zusammen, und sage: Gott ist [...] so setze ich kein neues Prädikat zum Begriffe von Gott, sondern nur das Subjekt an sich selbst mit allen seinen Prädikaten und zwar den Gegenstand in Beziehung auf meinen Begriff. Beide müssen genau einerlei enthalten, und es kann daher zu dem Begriffe, der bloß die Möglichkeit ausdrückt, darum daß ich dessen Gegenstand als schlechthin gegeben [...] denke, nichts weiter hinzukommen. Und so enthält das Wirkliche nicht mehr als das bloß Mögliche.476
Kants Argument besagt an dieser Stelle, dass das Sein kein reales Prädikat sein kann, weil es den Begriff von Etwas nicht erweitert. Der Begriff von Etwas bleibt demnach unverändert, egal, ob ihm aktuell ein Objekt in der Wirklichkeit entspricht oder nicht. Ḥāʾerī assoziiert dieses Verhältnis von Begriff – er verwendet hier den arabisch-persischen Ausdruck mafhūm – und Gegenstand/Objekt (meṣdāq) mit dem Verhältnis von Sein (vojūd) und Quiddität (māhīyat). Das zeigt sich bereits in den beiden Übersetzungsvarianten dieser Passage, die Ḥāʾerī in den beiden genannten Kapiteln von Kāvešhā-ye ʿaql-e naẓarī bietet, in denen er Kants Gottesbeweiskritik diskutiert.477 In der ersten Variante etwa gibt Ḥāʾerī den ersten Satz des oben zitierten Abschnittes rückübersetzt ins Deutsche wie folgt wieder: Es ist offenkundig, dass Sein (voǧūd) kein reales Prädikat (maḥmūlī ḥaqīqī) ist, in dem Sinne, dass Sein gerade keine spezifische Quiddität (māhiyatī ḫāṣ) unter den Quidditäten (māhīyāt) und Begriffen (mafāhīm) sein kann, um etwa mit einer anderen Quiddität eine Verbindung einzugehen und eine Erweiterung darin verursachen zu können.478 476 A 598f. / B 626f. 477 Die erste Variante findet sich in Ḥāʾerī (1347/1969a), 203f.; die zweite Variante ebd. 337f. 478 ”آشکارا معلوم است که وجود محمولی حقیقی نیست بدین معنی که وجود ماهیتی خاص از ماهیات و مفاهیم نیست تا “.بتواند با ماهیت دیگری ترکیب شود و افزایشی در آن ایجاد کند Ḥāʾerī (1347/1969a), 203f.
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Es fällt auf, dass Ḥāʾerī hier die Termini „Begriff“ (mafhūm) und „Quiddität“ (māhīyat) synonym gebraucht. In der Diskussion dieser Passage, wie auch in einer Vielzahl anderer Passagen seiner Schriften, geht er auf das Verhältnis der beiden Termini mafhūm und māhīyat nicht weiter ein, so dass es den Anschein hat, Ḥāʾerī betrachte sie als prinzipiell identisch. Im Kant-Kapitel von Heram-e hastī aber erläutert er gleich zu Beginn, wie er diese Termini unterscheidet.479 Gemäß der „islamischen Logik“ (manṭeq-e eslāmī) nämlich müsse man wie folgt unterscheiden: Quidditäten seien Begriffe von Dingen unabhängig von ihrer aktuellen Existenz gedacht (māhīyat min ḥayṯu hīya hīya), doch gebe es auch abstrakte Begriffe, denen auch potentiell kein Gegenstand in der Wirklichkeit entspreche.480 Einem abstrakten Begriff (mafhūm-e entezāʿī) wie etwa dem relationalen Begriff (mafhūm-e eżāfī) des „Sich unterhalb von etwas befinden“ (taḥtīyat) entspreche auch potentiell keine konkrete Entsprechung (meṣdāq) in der Wirklichkeit, vielmehr stelle er in diesem Falle ein Verhältnis zwischen zwei Dingen dar. Dennoch seien solche Begriffe, auch wenn sie nicht unmittelbar einem Gegenstand entsprächen, letztlich aus der Wirklichkeit abgeleitet.481 Ähnliches gelte auch für den allgemeinen Begriff des Seins (mafhūm-e kollī-ye voǧūd), denn dem „Sein des Tisches“ etwa entspreche als Begriff auch kein eigenständiger Gegenstand „Sein des Tisches“, sondern eben ein wirklicher Tisch. Sofern aber, wie bei dem von Kant thematisierten Erkenntnisproblem, ein wenigstens potentielles Verhältnis von Begriff und Gegenstand zur Debatte steht, geht Ḥāʾerī davon aus, dass es sich letztlich um die gleiche Problematik handelt, die in der islamischen Tradition der Philosophie mit dem Begriffspaar māhīyawuǧūd verhandelt wird, sodass er seine Schlussfolgerungen aus dieser Debatte unmittelbar auf Kants Seinsdiskussion in der Dialektik der KrV anwenden kann. Ḥāʾerī vertritt in dieser innerhalb der islamischen Philosophie kontrovers diskutierten Thematik die Position, dass die Quiddität, also das, wodurch offenbar wird, was eine bestimmte Entität ist, nicht auch das Sein enthalten könne. Das Sein sei also nicht Teil der „Was-heit“, sondern trete vielmehr zu ihr hinzu, wobei nur das Sein als umfassende Wirklichkeit den Quidditäten Realität verleihe, der Quiddität gegenüber also Vorrang genieße.482 Daran anknüpfend stimmt Ḥāʾerī 479 Vgl. Ḥāʾerī (1360/1981c), 154-157. 480 ”ولی هر چیزی که ماهیت من حیث هی هی یعنی ماهیتی که خالی از وجود و عدم باشد و صرف ماهیب باشد که “. این چونین ماهیتی صرف مفهوم است٬’حیثیت اطالقیه‛ گویند و ال موجود و ال معدوم است Ḥāʾerī (1360/1981c), 155. 481 “.) و یا منشأ انتزاع حقیقی در جارج...( ”بنابر این (مفهومی انتزاعی) باید یک حقیقتی در خارج داشته باشد Ḥāʾerī (1360/1981c), 156. 482 Gemeint ist hier die Doktrin iṣālat al-wuǧūd. Allgemein zum Verhältnis von Sein und Quiddität in der islamischen Philosophie vgl. Nasr (1989), 409-428. Bei Mullā Ṣadrā vgl. Rizvi (2009), 97-101. Zu Ḥāʾerīs Diskussion dieser Debatte siehe oben 3.3.1.2.
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Kant in einem Punkt seiner Argumentation ausdrücklich zu, nämlich darin, dass das Sein kein Prädikat im Sinne eines Erweiterungsprädikats (mafhūm-e afzāyande/enżemāmī) sein könne, denn der Begriff bzw. die Quiddität werde durch die Existenz in der Wirklichkeit tatsächlich nicht erweitert.483 Soweit sieht Ḥāʾerī eine Übereinstimmung zwischen Kants Argument und „der islamischen Philosophie“ wie er sie darstellt. Doch diese Übereinstimmung führt Ḥāʾerī keineswegs zu einer Annahme des kantschen Urteils, Sein sei kein reales Prädikat (maḥmūl-e ḥaqīqī), vielmehr diskutiert er in den hier relevanten Texten eine Reihe von Argumenten, die er gegen Kants Argument ins Felde führt. Sie tauchen in unterschiedlicher Form und Detailliertheit mehrfach auf. Insgesamt lassen sich mindestens drei zentrale Kritikpunkte in Ḥāʾerīs Argumentation zusammenfassen: 1.) Für Kant sei das Sein nur Kopula; 2.) Kant übersehe, dass das Sein in einem bestimmten Sinne durchaus als reales Prädikat gelten kann; 3.) Die isolierte Annahme von Sein als Kopula mache keinen Sinn, sie müsse letztlich Sein als Prädikat implizieren. Im Folgenden soll vor allem der erste Punkt genauer diskutiert werden.
Kant versteht Sein nur als Kopula Weil Kant das Sein nicht als reales Prädikat gelten lasse, reduziere er es allein auf die Funktion der Kopula. Diese Reduktion aber sei ein Fehler, da er damit wichtige Differenzierungen des Seinsbegriffs ignoriere.484 Als Kopula fungiere das Sein, so führt Ḥāʾerī aus, aber lediglich in dreistelligen Sätzen (qażāyā-ye s̱olās̱īye) bzw. zusammengesetzten Urteilen (qażāyā-ye morakkabe), in denen es eine Beziehung/Verbindung (rābeṭe/taʿalloq) zwischen Subjekt (moużūʿ) und Prädikat (maḥmūl) herstelle, wie etwa in dem Satz ‚Aḥmad ṭabīb ast’ (Ahmad ist Arzt). In diesen Urteilen sei das Sein als reine Kopula (voǧūd-e rābeṭ-e maḥż) zu verstehen, sodass Ḥāʾerī für diese Form des Seins auch – abgeleitet vom persischen Verb „ast“ („er/sie/es ist“) – den Terminus astī einführt. Das „Sein als Kopula“ bestehe niemals unabhängig von Subjekt und Prädikat und sei nicht einmal unabhängig von etwas zu denken (mostaqellan taʿqqol namīšavad). Es sei daher genau genommen nicht eigenständiges Sein (voǧūd-e mostaqell), sondern allein Verhältnis (nesbat) bzw. Relation (eżāfe) von etwas zu etwas. Ganz anders aber verhalte es sich mit dem Sein in zweistelligen Sätzen (qażāyā-ye s̱onāʾīye) bzw. einfachen Urteilen (qażāyā-ye basīṭe). In solchen binären Sätzen, wie etwa ‚Aḥmad hast’ (Ahmad existiert), werde allein nach 483 Vgl. Ḥāʾerī (1360/1981c), 17f.; 34f.; 159; ders., (1347/1969a), 333f. 484 Diesen Kritikpunkt diskutiert Ḥāʾerī in seinen Schriften an verschiedenen Stellen vgl. u. a. Ḥāʾerī (1347/1969a), 203-211; 328ff; Ḥāʾerī (1360/1981c), 17ff.; 30ff.; 160ff.
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der Existenz des Subjekts gefragt und nicht noch nach weiteren Eigenschaften des Subjekts, weshalb man sie als einfache Urteile bezeichne. In diesen Urteilen sei das Sein selbst Prädikat, daher spricht Ḥaʾerī auch vom „prädikativen Sein“ (voǧūd-e mahmūlī) bzw. vom Unterschied von astī zu hastī. Je nach Kontext verwendet Ḥāʾerī auch die Termini voǧūd-e nafsī be-ẕ-ẕāt bzw. einfach voǧūd-e nafsī485 oder auch absolutes Sein (voǧūd-e moṭlaq) im Gegensatz zu bedingtem Sein (voǧūd-e moqayyad).486 Neben diesen beiden Formen des Seins führt Ḥāʾerī noch eine weitere an, die quasi eine Mischform aus beiden darstellt. Er nennt sie voǧūd-e rābeṭī oder voǧūd-e nāʿetī. Es handle sich hierbei um eine Art des Seins, die im Geist (ẕehn) unabhängig existieren könne, in der Außenwelt aber nur durch ein Subjekt. Akzidenzien (aʿrāż) gehören zu dieser Kategorie des Seins. Wenn man sie abstrakt im Geiste betrachte, wie z. B. in dem Satz „sefīdī hast“, dann ordne man ihnen ein prädikatives Sein zu, und sie bräuchten kein ‚Seinsmedium‘ (ẓarf-e voǧūdī). Wenn man im genannten Beispiel von „dem Weiß“ spreche und dabei auf einen weißen Körper deute, dann meine man das Weiß unabhängig vom Körper. So gesehen hat „Weiß“ ein absolutes bzw. unabhängiges oder prädikatives Sein. Zugleich ist das Weiß in der Außenwelt ohne einen Körper nicht existent, somit ist es in der Realität, in Concreto (fi-l-ʿeyn), wie in dem Satz „dieser Körper ist weiß“, abhängiges Sein.487 Diese Unterteilung des Seins (taqsīm-e voǧūd) gehört zu den zentralsten begrifflichen Differenzierungen in Ḥāʾerīs Schriften, die er immer wieder als Ausgangspunkt für weitere Überlegungen – sei es im Bereich der Ontologie, der Erkenntnistheorie oder der praktischen Philosophie – voraussetzt.488 Kant aber, 485 Ḥāʾerī (1360/1981c), 24ff; Ḥāʾerī (1347/1969a), 185ff. 486 Vgl. etwa Ḥāʾerī (1384/20055), 79-82. Ḥāʾerī verwendet eine ganze Reihe unterschiedlicher Bezeichnungen für die Unterteilung des Seinsbegriffs, die er mehr oder weniger synonym gebraucht, inwiefern die unterschiedlichen Bezeichnungen auf jeweils verschiedene Aspekte der Unterteilung des Seinsbegriffs hinweisen sollen, ist im einzelnen nicht immer unmittelbar zu klären. Soweit ich sehe, diskutiert er jedenfalls diese unterschiedlichen Termini nicht kontrastiv im Zusammenhang, sondern beschränkt sich letztlich auf die Grundunterscheidung Kopula ‑ prädikatives Sein. Natürlich hat diese Unterscheidung in seinem Werk noch weiterführende Konsequenzen, auf die hier nicht näher eingegangen wird. 487 Dieser Aspekt des Seinsbegriffs sei, so Ḥāʾerī, auf eine Innovation von Molla Ṣadrā und Mīr Dāmād zurückzuführen vgl. Ḥāʾerī (1360/1981c), 26. Die Doppelschichtigkeit des voǧūd-e rābeṭī deutet Ḥāʾerī auch im Begriffspaar hastī-ye ẕehnī und hastī-ye ʿeynī an, die insbesondere für dessen epistemologische Reflexionen von Bedeutung sind (ebd. 9-12; 25-27). Zur Seinsterminologie im Kontext der Erkenntnistheorie vgl. auch die Anmerkungen Ḥāʾerīs zu seiner Übersetzung von Mollā Ṣadrās at-Taṣawwur wa at-taṣdīq Ḥāʾerī (13612/1982). 488 In seinen Schriften geht Ḥāʾerī mehrfach einführend auf die Unterteilung des Seins ein. Vgl. Ḥāʾerī (1347/1969a), 185-195; Ḥāʾerī (1360/1981c), 2-21; 24-29; Mit besonderer Hervorhebung der Termini astī-hastī Ḥāʾerī (1995), 1-7. Die Einführung der aus der persischen Grammatik hergelei-
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so kritisiert Ḥāʾerī, ignoriere diese unterschiedlichen Aspekte des Seins und die Unterscheidung zwischen einfachen und zusammengesetzten Urteilen. Er stelle auch die einfachen Urteile letztlich als zusammengesetzte dar, indem er in einem Existenzialsatz der Form „x ist“ das Sein nicht als reales Prädikat, sondern als Relation zwischen dem Begriff mit all seinen Prädikaten und dessen Gegenstand in der Welt verstehe, etwa in der Form „x ist dieser Gegenstand“. Kant verstehe demnach das Sein auch im Existenzialsatz nur als Kopula. Doch der Gegenstand sei, so Ḥāʾerī, nichts anderes als die Aktualisierung des Begriffs in der Wirklichkeit, also nichts anderes als das konkrete Sein (voǧūd-e ʿeynī) des Begriffs. Im weiteren Verlauf seiner Argumentation gegen dieses Verständnis der Kopula Behauptung versucht Ḥāʾerī darzulegen, warum es nicht trägt und warum Kant auf Grundlage seines Ansatzes in einen Widerspruch geraten musste. Dabei wirft er ihm mangelnde begriffliche Differenzierung in der Kategorisierung verschiedener Formen von Urteilen vor, die mit eben jener Unterscheidung zwischen einfachen und zusammengesetzten Urteilen zusammenhängt. Dabei könne die islamische Philosophie – er bezieht sich an dieser Stelle wieder auf Mollā Ṣadrā – Abhilfe schaffen. Im Unterschied zu zusammengesetzten Urteilen nämlich komme in einfachen Urteilen eine spezielle Form der Prädikation zum Tragen, die man nicht, wie Kant es tue, auf eine der Formen von Prädikation in zusammengesetzten Urteilen reduzieren könne. Die Verbindung (tarkīb/nesbat) nämlich, die Subjekt und Prädikat durch die Prädikation in zweistelligen Urteilen eingingen, sei von gänzlich anderer Natur als in dreistelligen Urteilen. Bei dreistelligen / zusammengesetzten Urteilen handelt es sich zunächst um die Verbindung eines Begriffs/einer Quiddität mit einem Begriff/einer Quiddität, also um eine Prädikation auf Begriffsebene. Wenn einem Subjekt durch Prädikation in einem dreistelligen Urteil ein Prädikat hinzugeführt wird, so handelt es sich nach Ḥāʾerī um ein „verbindendes Verhältnis“ (nesbat-e rabṭīye).489 Ein solches Verhältnis zwischen Subjekt und Prädikat trete entweder in einem analytischen Urteil (qażīye-ye taḥlīlī) oder einem synthetischen Urteil (qażīye-ye tarkībī/taʾlīfī)490 auf.491 Hier nimmt Ḥāʾerī explizit Bezug auf die kantsche Einteilung von Urteilen.492 Ein analytisches Urteil, so erläutert Ḥāʾerī den kantschen Terminus, zeichne sich teten terminologischen Unterscheidung astī und hastī versteht Ḥāʾerī als eine seiner stärksten Errungenschaften (vgl. Ḥāʾerī (1984/2005), 383), wobei er sich bei ihrer Herleitung auch explizit auf al-Fārābī bezieht ebd. 383-384; Ḥāʾerī, (1995), 3. 489 Ḥāʾerī (1360/1981c), 24; 70. 490 Ḥāʾerī verwendet beide Varianten des Terminus synonym. 491 Vgl. Ḥāʾerī (1360/1981c), 27 492 Vgl. Ḥāʾerī (1360/1981c), 27; 164f. Der Begriff qażīye-ye tarkībī „synthetisches Urteil“ ist nicht zu verwechseln mit dem Begriff qażīye-ye morakkabe. Dieser nämlich bezeichnet dreistellige Urteile der Form „x ist y“.
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dadurch aus, dass das Prädikat bereits im Begriff des Subjekts enthalten sei, es sich also aus dem Subjekt selbst ableiten lasse. Letztlich lassen sich dabei Subjekt und Prädikat auf ein Verhältnis der Identität reduzieren. Das Urteil „der Mensch ist ein vernunftbegabtes Lebewesen“ etwa könne man auch ausdrücken, indem man beide Begriffe gleichsetzt. So werde dem Begriff nichts hinzugefügt und das Urteil sei nichts als eine ausführliche Beschreibung (tafṣīl) des Begriffs selbst. Eine Begriffserweiterung könne, so stimmt Ḥāʾerī Kant zu, nur in einem synthetischen Urteil stattfinden. Das Prädikat, das nicht im Subjekt bereits enthalten bzw. aus diesem abgeleitet werden kann, werde dem Begriff des Subjekts hinzugefügt. Beide, Prädikat und Subjekt, sind sowohl im Bewusstsein als auch in der Wirklichkeit unabhängig voneinander vorstellbar. Ein solches begriffserweiterndes Verhältnis von Prädikat und Subjekt bezeichnet Ḥāʾerī als „erweiternde Verknüpfung“ (tarkīb-e enżemāmī). Vielfach spricht er auch vom Prinzip des īn az ānī, was man etwa mit „dieses durch jenes“ wiedergeben könnte. Diese „erweiternde Verknüpfung“ trete nur in zusammengesetzten bzw. dreistelligen Urteilen auf, da sie der Kopula als Bindeglied bedarf.493 Diese kantsche Unterscheidung von analytischen und synthetischen Urteilen habe eine Entsprechung in der islamischen Philosophie.494 Mollā Ṣadrā etwa unterscheide zwei verschiedene Typen von Prädikation (ḥaml). Die erste Form ist eine apriorische (ḥaml-e ūlā ẕātī), die sich dadurch auszeichne, dass Subjekt und Prädikat im Begriff letztlich identisch seien. Dies entspreche genau dem analytischen Urteil Kants. Die andere Form des Urteils werde nach Mollā Ṣadrā ḥaml-e šāyeʿ ṣanāʿī genannt. Was Kant als synthetisches Urteil bezeichne, entspreche dieser Kategorie.495 Anders verhalte es sich bei zweistelligen Urteilen, den Existenzialurteilen der Form „x ist/existiert“. Bei diesen könne das Verhältnis von Subjekt und Prädikat keinesfalls eine erweiternde Verknüpfung darstellen, denn das würde eine Begriffserweiterung bedeuten. Die Verbindung von Subjekt und Prädikat finde hier gar nicht auf der Begriffsebene statt, vielmehr handle es sich um eine Verbindung von Quiddität (māhīyat) und Sein (voǧūd) oder konkreter ausgedrückt von Begriff (mafhūm) und Gegenstand (konkreter Entsprechung) (meṣdāq) bzw. Einzelding (fard). Demnach könne es sich ebenfalls nicht um ein analytisches 493 Vgl. Ḥāʾerī (1360/1981c), 27, 34; Ḥāʾerī (1347/1969a), 208, 342f. 494 Vgl. Ḥāʾerī (1360/1981c), 94/164-166; Ḥāʾerī (1347/1969a), 232-238; 299; 336; 344-49. 495 Vgl. dazu auch Hajatpour (2005), 47-54. Die Identifikation der Termini nimmt Ḥāʾerī mehrfach vor, vgl. etwa Ḥāʾerī (1360/1981c), 164f.; Ḥāʾerī (1347/1969a), 71. Diese unterschiedlichen Arten der Prädikation bei Mollā Ṣadrā diskutiert Ḥāʾerī an mehren Stellen meist aber nicht ausführlich. Er gibt auch einige Passagen aus den Werken Mollā Ṣadrās in Übersetzung oder Paraphrase wieder, in denen die Arten der Prädikation diskutiert werden, so etwa Ḥāʾerī (1347/1969a), 232-234; 236; 347f.
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Urteil handeln. Existenzialurteile sind, darin stimmt Ḥāʾerī mit Kant überein, synthetische Urteile, da das Sein nicht Bestandteil des Begriffs sei. Daher ist das Verhältnis von Subjekt und Prädikat, wenn auch keine begriffserweiternde Verknüpfung (tarkīb-e enżemāmī) dennoch zumindest im Bewusstsein (dar ẕehn) eine Zusammenfügung von Quiddität und Sein. Doch in der Wirklichkeit, in der Welt außerhalb des Bewusstseins (dar ḫāreǧ az ẕehn), bildeten beide eine untrennbare Einheit (etteḥād) nach dem Prinzip der Identität (īnhamānī). In der Wirklichkeit gebe es nur den einen Gegenstand, der als solcher nichts anderes als die Verwirklichung (taḥaqqoq) des Begriffs/der Quiddität ist. Der Begriff und sein Gegenstand sind in der Wirklichkeit ein und dasselbe, nur im Bewusstsein lassen sich beide voneinander trennen. Das Spezielle der zweistelligen Existenzialsätze bestehe gerade darin, dass das Verhältnis von Subjekt und Prädikat im oben beschriebenen Sinne eine Verküpfung als Einheit (tarkīb-e etteḥādī) darstelle und eben nicht eine begriffserweiternde Verknüpfung (tarkīb-e enżemāmī).496 Kants Problem bestehe nun darin, dass er, da er diesen essentiellen Unterschied zwischen der Prädikation in einfachen und in zusammengesetzten Urteilen nicht erkannt habe, Schwierigkeiten habe, mit dem Phänomen der Existenzialsätze adäquat umzugehen bzw. sie widerspruchsfrei seinem Schema von Urteilen zuzuordnen. Da es sich bei Existenzialurteilen offensichtlich um synthetische Urteile handle und er diese nur als begriffserweiternde Urteile nach dem Schema „dieses als jenes“ (īn az ānī) kenne, wie es ausschliesslich in zusammengesetzten Urteilen vorkomme, sehe er nur die Möglichkeit, den Existenzialsatz als ein zusammengesetztes Urteil darzustellen. Kant ersetze dabei „prädikatives Sein“ (voǧūd-e mahmūlī) in Existenzialsätzen durch Gegenstand (mesdāq) und dränge das Sein damit in die Funktion der Kopula. Damit stelle er aber das Verhältnis von Begriff und Gegenstand so dar, als ob es sich, wie in dem Verhältnis von Beschriebenem (mouṣūf) und Attribut (ṣefat), um zwei voneinander unabhängige Entitäten handle, die erst durch die Prädikation in ein Verhältnis treten. Doch anders als bei begriffserweiternden synthetischen Urteilen üblich sei hier das Subjekt eine mentale und das Prädikat eine extra-mentale, d.h. wirkliche Entität, eine Verknüpfung also, die nach anderem Muster funktioniere, denn der Gegenstand / das Einzelding ist niemals unabhängig vom Begriff denkbar. Dies außer Acht lassend gerate er aber in ein Dilemma, denn entweder müsse Kant, wie in seinem berühmten Hundert-Taler-Beispiel auf der Identität von Subjekt und Prädikat beharren. Dann jedoch müsse er dem Schema der Verknüpfung als Einheit (tarkīb-e etteḥādī) zustimmen, in dem Sein nicht als zwei unabhängige Entitäten verknüpfende Kopula auftreten könne. Oder aber er halte an dem dreistelligen Schema der erweiternden Verknüpfung fest - dann hingegen könne 496 Vgl. Ḥāʾerī (1347/1969a), 345.
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es sich nicht um ein Verhältnis der Identität handeln. Mit anderen Worten: es bliebe unklar, ob im Falle der Existenzialsätze das Sein nun Kopula sei oder nicht bzw. ob es nun erweiternd, mithin reales Prädikat sei oder nicht. Somit ende die Umformung von zweistelligen Urteilen in dreistellige und die Behauptung, Sein sei kein reales Prädikat sondern lediglich Kopula, in einem Widerspruch.497
Erweiterung des Wissens und Existenzannahme Im Folgenden seien hier auch noch kurz die beiden anderen Kritikpunkte erwähnt, die Ḥāʾerī hinsichtlich des kantschen Arguments gegen die Gottesbeweise formuliert. So ist Ḥāʾerī mit Kant zwar darin einer Meinung, dass „sein“ einen Begriff nicht erweitere: Auf einer anderen Ebene aber, so wendet Ḥāʾerī daraufhin ein, finde durchaus eine Erweiterung statt. Sein und Quiddität seien, auch wenn das Sein nicht Bestandteil der Quiddität sei, zwar in Wirklichkeit untrennbar, im Denken aber, also in der Reflexion über wirklich Seiendes, trete das Sein zur Quiddität hinzu. Es erweitere damit, so sein Argument, zwar nicht den Begriff, aber doch das Wissen über den Begriff nämlich um die Tatsache, dass er existiert, ihm also ein Objekt in der Welt entspricht. Diese Erweiterung des Wissens von Etwas mache das Sein schließlich doch zu einem realen Prädikat. Somit sei Kant zu widersprechen, wenn er aussagen wolle, dass das Sein in keiner Weise als reales, sondern bloß als logisches bzw. grammatisches Prädikat zum Begriff hinzutreten könne.498 Darüber hinaus betont Ḥāʾerī, dass die isolierte Annahme von Sein als Kopula keinen Sinn ergebe. Vielmehr müsse man erkennen, dass eine Kopula immer auf „prädikatives Sein“ hindeute, denn mit der Annahme einer Kopula stehe immer die Frage im Raum, was dieses „Sein als Kopula“ überhaupt verbindet. Ohne zumindest die hypothetische „Annahme der Existenz“ (farż-e vojūd) von Subjekt und Prädikat mache weder die Kopula noch das Urteil überhaupt Sinn. Demzufolge sei „prädikatives Sein“ nicht nur in einfachen Sätzen der Form „x ist“ vorhanden, sondern werde auch in zusammengesetzten Urteilen der Form „x ist y“ vorausgesetzt.499
Diskussion im Kontext In Ḥāʾerīs Kritik an Kants Seinsauffassung finden sich einige Auffälligkeiten sowie einige interessante Ansätze, die Ḥāʾerī zwar gegen Kant ins Feld führt, die 497 Vgl. Ḥāʾerī (1347/1969a), 236-246. 498 Vgl. Ḥāʾerī (1360/1981c)18f.; 35f.; ders. (1347/1969a), 211f; 334f. 499 Vgl. . Ḥāʾerī (1360/1981c), 68; 159f.
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sich aber im Lichte des Gesamtkontexts der „Kritik der reinen Vernunft“ auch mit Kant weiterdenken lassen. Eine Auffälligkeit etwa betrifft Ḥāʾerīs zentralen Kritikpunkt, nämlich dass Kant das Sein nicht als „reales Prädikat“ (mahmūl-e haqīqī) gelten lasse, wenn man ihn im Kontext der KrV betrachtet. Ḥāʾerī ist zwar mit Kant der Meinung, dass das Sein kein „Erweiterungsprädikat“ sein könne. Es könne aber gleichwohl ein „reales Prädikat“ sein, das sich allgemein durch die Vermehrung des Wissens über das Subjekt und nicht nur durch die Erweiterung des Begriffs auszeichne. Doch Kant meint mit „realem Prädikat“ offenkundig nichts anderes als eben diese Erweiterung des Begriffs. Das Reale bzw. Realität gehört für Kant zur Gruppe der Qualitätskategorien und bedeutet zunächst „das, was eine Sache ausmacht“ also das „Was-Sein“ bzw. Essenz.500 Davon ist die Modalkategorie der Wirklichkeit bzw. Existenz zu unterscheiden. Demnach sagt Kant mit seinem apodiktisch klingenden Urteil, Sein sei kein reales Prädikat, zunächst nur, dass es den Begriff von Etwas nicht erweitert, nicht, dass es nichts Sinnvolles über Etwas aussagt. Auch Ḥāʾerīs Vorwurf, Kant verstehe „Sein“ ausschließlich als Kopula, ist mit Blick auf den Argumentationszusammenhang der Kritik, ja sogar die Passage selbst, auf die Ḥāʾerī sich bezieht, zu relativieren. Dort spricht Kant nämlich davon, dass „Sein“ die Kopula eines Urteils, aber auch die „Position eines Dings“ sein kann. Doch wird dieser positive Aspekt des Seins in der Passage zum ontologischen Gottesbeweis von Kant eher marginalisiert, indem er sagt, es sei „bloß die Position eines Dinges“ bzw. „lediglich die Copula eines Urteils“501 und die Frage, was das Sein über Etwas tatsächlich aussagen kann, nicht weiter ausformuliert. Somit ist Ḥāʾerīs Kritik, Kant betrachte das Sein nur noch als Kopula, indem er auch in Existenzialsätzen das Sein als Bindeglied nämlich zwischen Subjekt (mit all seinen Prädikaten) und Gegenstand betrachte, zwar naheliegend, aber nicht ganz korrekt, da die Rolle des Seins als Position eben von der Rolle des Seins als Kopula verschieden ist. Allerdings wird die Bedeutung des „Seins als Position“ von Kant im hier relevanten textlichen Kontext alles andere als hinreichend erklärt. Somit weist Ḥāʾerī zu Recht darauf hin, dass das Sein zwar den Begriff bzw. die Essenz von Etwas nicht zu erweitern vermag, worauf Kant hier vor allem abzielte, wohl aber das Wissen von dem Etwas, nämlich um die Tatsache, dass es existiert. Somit ist
500 Vgl. Kant, Kritik der reinen Vernunft, B 106; B 608-611. Der Begriff der Realität ist damit nicht hinreichend erklärt, da er von Kant in verschiedenen Kontexten unterschiedlich gebraucht wird. Es soll hier lediglich auf die Unterscheidung zwischen Wirklichkeit und Realität hingewiesen werden. Zu Realität vgl. auch Kant, Kritik der reinen Vernunft, B 207 – B 218. 501 Kant, Kritik der reinen Vernunft, A 598 / B626 (Hervorhebungen R.S.).
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zunächst auch Ḥāʾerīs Vorwurf, Kant leugne das prädikative Sein im Existenzialsatz und ersetze es durch „Gegenstand“, nicht von der Hand zu weisen. Die Tatsache, dass manche Aspekte des Seinsbegriffs, etwa die Bedeutung des Seins als Position, im 3. Hauptstück der Transzendentalen Dialektik unterbelichtet sind und von Kant nicht explizit an seine Transzendentale Erkenntnislehre aus dem ersten Teil der Kritik angebunden werden, lässt sich ggf. mit Hilfe des entwicklungs-geschichtlichen Ansatzes der Kantforschung erklären. Demnach ist die Dialektik nämlich zeitlich vor der Transzendentalen Ästhetik und der Transzendentalen Analytik entstanden, in denen Kant erst sein Projekt einer Transzendentalphilosophie entfaltete.502 Ḥāʾerīs Hinweis wiederum, dass auch in zusammengesetzten Sätzen mit „realem Prädikat“ der Form „x ist y“ über die Kopula hinaus prädikatives Sein vorausgesetzt bzw. mitgedacht werde, weist gewisse Ähnlichkeiten mit Ansätzen der ontologischen Kantrezeption auf. So kommen die von Ḥāʾerī erwähnten Aspekte in der einen oder anderen Weise doch zur Geltung, wenn man die „Rolle des Seins als Position“ bzw. als „absolute Setzun“ im Gesamtkontext des Werkes betrachtet. Ein Beispiel für eine solche Deutung findet sich etwa bei Heidegger.503 Daran anknüpfend argumentiert auch der in der Tradition der Heideggerschen Kantauslegung stehende Hardy Neumann,504 dass das Sein mit Kant durchaus als Prädikat – und zwar nicht bloß als ein logisches oder semantisches – zu betrachten sei. Es fungiere als Prädikat 2. Stufe bzw. Prädikatenprädikat / Begriffsprädikat, indem es „nicht von den Dingen selbst, sondern von dem Gedanken, den wir von den Dingen haben, ausgesagt wird.“505 Dieses mit dem Prädikat 2. Stufe über‑den‑Begriff‑Hinausgehen deutet Kant in seiner Kritik am ontologischen Gottesbeweis selbst an.506 Dass das Sein das Wissen von Etwas im Geiste (dar ẕehn) erweitere, liegt Ḥāʾerīs Gedankengang nahe. Auch die von Ḥāʾerī erwähnte Vorstellung, dass das Sein bzw. Dasein eines Dings vorausgesetzt wird, erhält im Kontext der Transzendentalphilosophie eine zentrale Bedeutung. Denn für Kants Erkenntnislehre sind nicht nur Anschauungen, sondern auch Begriffe, speziell die Vorstellung eines Gegenstandes überhaupt, Möglichkeitsbedingungen der Objekterkenntnis. Zumindest im Sinne der 502 Vgl. Sala (1989), 213-223. 503 Vgl. Heidegger (1976), 445-480. 504 Vgl. Neumann (2006), insb. 252-359. 505 Neumann (2006), 269f. Das entspricht einer von Kant bereits im Beweisgrund angeführten Aussage über das Dasein. Vgl. Kant, Beweisgrund AK II, 72. Das Argument, dass es sich hier um ein Prädikat 2. Stufe handelt, geht im Übrigen nicht auf die ontologische Kantrezeption, sondern auf Frege zurück. Auch unter Vertretern der analytischen Philosophie wird die an Kant anknüpfende Diskussion zum Sein als Prädikat kontrovers diskutiert. 506 Kant, Kritik der reinen Vernunft, A 601 / B629 Zitat auf S. 187.
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ontologischen Kantauslegung entspricht dieses Voraussetzen des Seins (farż-e voǧūd) etwa dem, was Neumann als Vor-Stellung charakterisiert. Verkürzt gesagt sei zwar in einem a posteriorischen Sinne der Gegenstand selbst Voraussetzung dafür, dass er erkennbar sei. Im a priorischen Sinne aber ermöglicht die Vorstellung zuallererst, dass Sinnesdaten in einer synthetischen Erkenntnis als Gegenstand überhaupt erst erkannt werden können. Die Vorstellung bringe zwar nicht den Gegenstand selbst hervor, aber seine Gegenständigkeit bzw. seine Disposition, als Gegenstand erkannt zu werden, also seine Erkennbarkeit überhaupt. Diese Gegenständigkeit, die mit einem transzendentalen Gedankenprädikat ausgesagt werde, sei somit nicht eigentlich Eigenschaft des erkannten Objekts, sondern des erkennenden Subjekts. Existenz ist Neumann zufolge für Kant ohne diesen subjektiven Akt der Vorstellung nicht möglich.507 Dass es irgendetwas jenseits des Bewusstseins gibt, das die wahrgenommenen Sinnesdaten erzeugt, ist demnach unabhängig vom Subjekt gültig, dass es aber den Gegenstand A als Gegenstand A geben kann, setzt ein erkennendes Bewusstsein voraus. Inwiefern Ḥāʾerī dieser transzendentalphilosophischen Deutung nahesteht, müsste anhand seiner Ausführungen zur Erkenntnistheorie näher erörtert werden. Nur soviel ist bis hierhin deutlich, dass auch für ihn das „Sein als Bewusstseinsinhalt“ (voǧūd-e ẕehnī) die Erkenntnis von „äußerem Sein“ (voǧūd-e ḫāreǧī) überhaupt erst ermöglicht.508 Dass es aber für Ḥāʾerī auch den Gegenstand konstituiert, ist eher fraglich.
4.2.2.3 Logische und Reale Möglichkeit Kommen wir nun von der Frage nach der Bedeutung des Seins zur Frage der Beweisbarkeit des Seins von Gott. Es ist Ḥāʾerīs Anliegen, Kants grundsätzlicher Kritik an der Möglichkeit, das Sein Gottes zu beweisen, entgegenzutreten. Kants erstes Argument gegen den ontologischen Gottesbeweis bestand darin, dass er Sein nicht als reales Prädikat gelten ließ.509 Wenn das so ist, dann kann Sein auch nicht im Begriff von Gott enthalten sein. Kants zweites Argument besagt, dass, selbst wenn man annimmt, Sein sei im Begriff von Gott mitgedacht, man daraus immer noch nicht sein wirkliches Dasein folgern könne. Denn: Sein als notwendiger Bestandteil des Begriffs von Gott wäre dann Teil eines analytischen Urteils der Form „Gott ist existent“. Auf der Begriffsebene ließe sich – vorausgesetzt, es handelt sich dabei tatsächlich um ein analytisches Urteil – das Sein Gottes nicht leugnen - genauso wie man in dem analytischen Urteil „ein Dreieck hat drei Winkel“ die drei Winkel nicht leugnen kann, ohne einen Widerspruch im 507 Vgl. Kant, KrV, A 92/B 124 – A 94/B 126; Neumann (2006), 306-312. 508 Vgl. u.a. Ḥāʾerī (1347/1969a), 219-297. 509 Vgl. KrV A 598 – A 601 / B 626 – 629. dazu Sala, Kant und die Frage nach Gott, 286-295.
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Begriff des Dreiecks hervorzurufen. Doch, so Kants Argumentation, aus der logischen Notwendigkeit der drei Winkel für das Dreieck folgt nicht die Existenz der drei Winkel. Diese existieren nur unter der Bedingung, dass ein Dreieck aktuell gegeben ist. Denn, so Kant, die Notwendigkeit eines Urteils ist nicht gleichbedeutend mit der „Notwendigkeit der Sachen“.510 Auf den Satz „Gott ist existent“ übertragen bedeutet das, dass die notwendige Existenz Gottes nur unter der Bedingung gegeben ist, dass er existiert. Das aber ist Kant zufolge kein Beweis, sondern lediglich eine Tautologie. Es ist somit, so der Schluss aus Kants hier verkürzt dargestellter Argumentation, nicht möglich, die Existenz Gottes aus dessen Begriff zu beweisen. Jeder Existenzialsatz ist synthetisch, so argumentiert Kant weiter. In einem synthetischen Satz aber kann man das Prädikat verneinen, ohne dass ein Widerspruch im Begriff entstünde.511 Ḥāʾerī stimmt Kant in dem Punkt zu, dass man aus einem analytischen Urteil keine Seinsnotwendigkeit für die Wirklichkeit folgern könne. Auch in der islamischen Philosophie gelte, so Ḥāʾerī verallgemeinernd, dass „essentielle Notwendigkeit“ (żarūrat-e ẕātī), also eine Notwendigkeit, die in Urteilen das notwendige Verhältnis von Begriffen aufzeigt, nicht die Notwendigkeit der Existenz des Begriffs zur Folge hat.512 Die von Kant vorgenommene Unterscheidung zwischen analytischen und synthetischen Urteilen greift auch Ḥāʾerī auf, wobei er allerdings betont, dass diese in der islamischen Tradition seit Mollā Ṣadrā (gest. 1640) bereits hinlänglich bekannt sei.513 Inwiefern die Identifizierung kantscher Termini mit solchen Mollā Ṣadrās gerechtfertigt ist, müsste genauer geprüft werden. Wichtig ist für unseren Kontext, dass Ḥāʾerī die Unmöglichkeit eines notwendigen Schlusses aus einem analytischen Urteil auch durch die islamische Tradition, als dessen Vertreter er sich versteht, gedeckt sieht. Demnach kritisiere Kant zu Recht die Gottesbeweise von Anselm und Descartes, die, wie Ḥāʾerī urteilt, ebenfalls versuchten, Gottes notwendige Existenz allein aus seinem Begriff abzuleiten.514 Ḥāʾerīs Kritik an Kant setzt an einer anderen Stelle an. Existenzialsätze sind synthetisch, soweit stimmt Ḥāʾerī Kant zu. Doch Kants Annahme, dass Existenz nur a posteriori, d. h. durch die Erfahrung beweisbar sei,515 also nur die Existenz von Objekten der Sinne, widerspricht er. Da Gott nicht zum Bereich des sinnlich Wahrnehmbaren gehöre, könne auf Grundlage von Kants Prämissen seine Existenz auch nicht bewiesen werden. An diesen Prämissen nun kritisiert Ḥāʾerī 510 Vgl. KrV A 593 – A 598 / B 621 – B 626. 511 Vgl. KrV A 596 / B 624 – A 598 / B 626. 512 Vgl. Ḥāʾerī (1347/1969a), 331f., insbes. Anm. 2. 513 Vgl. Ḥāʾerī (1347/1969a), 336f.; Ḥāʾerī (1360/1981c), 164-167. 514 Vgl. Ḥāʾerī (1347/1969a), 364f. 515 Vgl. Kant, KrV, A 601 / B 629.
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folgendes: Erstens beschränke Kant von vornherein die Seinserkenntnis auf den Bereich der Erfahrung und schließe damit andere Seinsbereiche aus.516 Zweitens begehe Kant zudem den Fehler, dass er im Falle des hypothetischen Existenznachweises von Gott genauso verfahre wie bei einem kontingenten Ding, nämlich durch den Bezug eines Gegenstandes der sinnlichen Welt auf den Begriff mit all seinen Prädikaten. Dies aber könne im Falle Gottes ohnehin nicht gelingen, da Gott eben kein Gegenstand der sinnlichen Welt sei. Kant übersehe hierbei, dass im Falle Gottes die Gegenüberstellung von Begriff und Gegenstand bzw. von Quiddität und Sein gar nicht angezeigt sei. Die Darstellung eines Existenzialsatzes in der Form „Dieses Subjekt/dieser Begriff ist dieser Gegenstand“ wäre im Falle Gottes nur dann korrekt, wenn Gott wie jedes kontingente Seiende eine Verbindung aus voǧūd und māhīyat sei. Doch das treffe auf Gott nicht zu, denn für Gott als dem notwendig Seienden gelte, dass sein Sein und seine Quiddität identisch sind bzw. sein Sein durch „ewige Notwendigkeit“ (żarūrat-e azalī) seiner Quiddität feststeht.517 Nach Ḥāʾerī ist die Seinserkenntnis in einem synthetischen Urteil nicht notwendig von der Erfahrung abhängig. Das Prädikat ist demnach in einem synthetischen Urteil nicht zwingend als Akzidenz zu verstehen, das nur durch die Erfahrung belegbar sei. In diesem Zusammenhang verwendet Ḥāʾerī den Begriff der „essentiellen Akzidenz“ (ʿaraż-e ẕātī). Bei diesen Akzidenzien handelt es sich um solche, die nicht inhärenter Bestandteil eines Begriffs sind, aber diesem essentiell und nicht willkürlich zukommen. Daraus ergebe sich eine Form von synthetischen Urteilen, die zugleich essentiell und nicht erst durch die Erfahrung belegbar seien. Diese Form von Urteilen habe Kant – und die westliche Philosophie allgemein – nicht in Betracht gezogen.518 Hier muss man allerdings gleich kritisch einhaken, denn diese Urteile mit essentiellen Akzidenzien erinnern doch sehr stark an die für die kantische Philosophie zentrale Idee von synthetischen Urteilen a priori. Es wäre zu fragen, ob Ḥāʾerī tatsächlich etwas anderes meint oder ob er dieses überaus wichtige Konzept Kants unter den Tisch fallen lässt. Anders jedenfalls als später Ġaffārī oder Lārīǧānī thematisiert er diese Form der Urteile bei Kant nicht explizit. Die Möglichkeit eines Gottesbeweises versucht Ḥāʾerī in einer Art Kombination aus ontologischem Beweis und Kontingenzbeweis anzudeuten, indem er auf 516 Vgl. Ḥāʾerī (1360/1981c), 20f.; Ḥāʾerī (1360/1981a), 75-100, hier 86. 517 Vgl. Ḥāʾerī (1347/1969a), 215-217. Dieser Begriff der „ewigen Notwendigkeit“, den Ḥāʾerī von „essentieller“ bzw. „logischer“ Notwendigkeit unterscheidet, ist ein für sein Verständnis des Seins Gottes zentraler Begriff, den er aber meiner Ansicht nach nicht hinreichend erklärt. Vgl. dazu etwa 297-303. 518 Vgl. Ḥāʾerī (1347/1969a), 346-349; Ḥāʾerī (1360/1981c), 166-168.
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das Konzept der synthetischen Urteile mit essentiellen Akzidenzien zurückgreift. Dieser Gedankengang Ḥāʾerīs soll im Folgenden kurz skizziert werden. 1.) Mit Ibn Sīnā ist Seiendes in notwendig Seiendes und kontingent Seiendes zu unterteilen. 2.) Der Begriff von Gott lässt sich durch das notwendig Seiende charakterisieren, womit aber die wirkliche Existenz Gottes noch nicht bewiesen ist, sondern auf der Begriffsebene in einem analytischen Urteil die Stimmigkeit des Gottesbegriffs als notwendig Seiendes belegt werden soll. 3.) Um Gottes wirkliche Existenz zu beweisen, müsse man das kontingente Sein in Betracht ziehen. Für jedes kontingente Sein, das a posteriori nachweisbar ist, gelte, dass es letztlich durch das notwendig Seiende verursacht wurde. 4.) Dieser Aspekt der Abhängigkeit sei zwar im Begriff des jeweiligen Seienden nicht enthalten und man könne es daher unabhängig vom notwendigen Sein definieren, doch komme 5.) jedem Seienden dieser Aspekt essentiell und ohne die Notwendigkeit der Erfahrung zu. 6.) Wenn es also überhaupt Seiendes gebe, dann muss es auch das notwendig Seiende geben.519
Diskussion im Kontext Unabhängig von der Frage, inwieweit diese Argumentationsskizze stichhaltig ist, zeigt Ḥāʾerīs Kritik an Kants Widerlegung des ontologischen Gottesbeweises, dass beide Denker von sehr unterschiedlichen Seinsverständnissen ausgehen. Ḥāʾerīs Kritik, Kant könne sich in der Seinsfrage nicht vom Empirischen lösen, ist nicht unbegründet, denn in der Tat ist die Vorstellung von Existenz für Kant stets mit etwas Dinglichem bzw. Gegenständlichem verbunden und das basiert ihm zufolge immer auf sinnlich gegebenem „Rohmaterial“.520 Unser Begriff von einem Gegenstande mag also enthalten, was und wie viel er wolle, so müssen wir doch aus ihm heraus, um diesem die Existenz zu erteilen. Bei Gegenständen der Sinne geschieht das durch den Zusammenhang mit irgend einer meiner Wahrnehmungen nach empirischen Gesetzen; aber für Objekte des reinen Denkens ist ganz und gar kein Mittel, ihr Dasein zu erkennen, weil es gänzlich a priori erkannt werden müßte, unser Bewußtsein aller Existenz aber (es sei durch Wahrnehmung unmittelbar, oder durch Schlüsse, die etwas mit der Wahrnehmung verknüpfen,) gehöret ganz und gar zur Einheit der Erfahrung, und eine Existenz außer diesem Felde kann zwar nicht schlechterdings für unmöglich erachtet werden, sie ist aber eine Voraussetzung, die wir durch nichts rechtfertigen können.
519 Vgl. Ḥāʾerī (1360/1981c), 169-171. 520 Vgl. Kant, KrV A 601 / B629.
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Es ist daher nicht abwegig, wenn Ḥāʾerī argumentiert, dass es nicht weiter verwunderlich sei, wenn Kant mit dem Versuch, Gottes Existenz unter den sinnlich wahrnehmbaren Dingen ausfindig zu machen, scheitere. Da Gott, wie Kant selbst zugebe, nicht zur Welt der sinnlichen Erfahrung gehöre, sei es folglich auch unangebracht, beim Versuch, seine Existenz zu beweisen, genauso vorzugehen wie bei kontingenten Seinsdingen. Doch welche Schlüsse kann man daraus resümierend für das Seinsverständnis ziehen, welche für den Begriff von Gott? Das unterschiedliche Seinsverständnis mag auch mit dem unterschiedlichen Erkenntnisinteresse der beiden Denker zusammenhängen. Für Kant ist das Sein mit Gegenständen der Erfahrung verknüpft, da es ihm in seiner theoretischen Philosophie u. a. um die Frage nach den Bedingungen der Möglichkeit der Erkenntnis von sinnlichen Data als Gegenstände der Erfahrung geht. Diese können für ihn jenseits der Erfahrung gar nicht existieren.521 Er kommt daher folgerichtig zu dem Schluss, dass Gottes Existenz nicht erkennbar ist, womit er seine Existenz weder für unmöglich erachtet noch die Sinnhaftigkeit der Idee Gottes verwirft, vielmehr führt er diese als zentralen Vernunftbegriff in seiner praktischen Philosophie ein. Mit Kants Seinsauffassung hingegen muss man gerade darauf bestehen, dass aus der Notwendigkeit der Idee nicht auch die Erkennbarkeit oder Beweisbarkeit der Existenz Gottes folgen kann. So scheint es im Rahmen von Kants Erkenntnistheorie unumgänglich, das Sein auf den Bereich möglicher empirischer Anschauungen zu beschränken, um dadurch die Grenzen des Erkenntnisvermögens zu bestimmen. Für Kant besteht ein unauflöslicher Zusammenhang zwischen Existenz und Empirie. Existent oder seiend ist demnach das, was dem Bewusstsein gegenüber steht. Es ist etwas Äußeres, dass Erfahrung überhaupt erst ermöglicht. Besonders deutlich macht Kant diesen Punkt in einem Einschub der B‑Auflage im Abschnitt „Die Postulate des empirischen Denkens überhaupt“, der mit „Widerlegung des Idealismus“ übertitelt ist.522 Dass wir Dinge erkennen können, ja überhaupt dass wir Vorstellungen von Dingen haben können, setzt die Existenz von Dingen voraus, die nicht mit unseren mentalen Zuständen identisch sind, sondern diese mit-hervorrufen. Dabei macht Kant deutlich, dass nicht jede anschauliche Vorstellung äußerer Dinge deren Existenz impliziert, denn die Einbildungskraft kann durchaus auch ohne die Existenz der Dinge Vorstellungen derselben hervorrufen, doch auch Träume und Wahnvorstellungen etc. sind nur möglich durch die Reproduktion 521 Vgl. KrV A 492f. / B 521. 522 B 274 – B 279. Dieser Einschub in der zweiten Auflage [B] ist offenkundig dadurch motiviert, den Vorwürfen sein „transzendentaler Idealismus“ sei letztlich nichts anderes als ein absoluter Idealismus entgegenzutreten. Zum Abschnitt „Widerlegung des Idealismus“ in der KrV vgl. Guyer (1998), 308-319.
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ehemaliger äußerer Wahrnehmung. Existenz oder Sein reserviert Kant nun für jenes Äußere, das die Erfahrung ermöglicht. Allein aus Begriffen ist ein Existenznachweis nicht möglich.523 Sein und Begriff steht daher für Kant in einer gewissen Opposition. Für Ḥāʾerī hat das Sein einen weitaus universaleren Charakter. Es ist ihm zufolge gerade nicht auf äußere Erfahrungsgegenstände beschränkt. Daher kann auch Begriffen als Bewusstseinsinhalten Sein zukommen. Ḥāʾerī bezieht sich hierbei auf ein im Kontext der Erkenntnislehre Mollā Ṣadrās zentrales Konzept, das der „mentalen Existenz“ (al-wuǧūd aḏ-ḏihnī / pers. voǧūd-e ẕehnī).524 Es handelt sich dabei um die Existenz bestimmter Formen im Geiste, die äußeren Formen entsprechen und deren Erkenntnis erst ermöglichen. Ausgehend von diesen Formen kann man das Sein von Extramentalem erkennen. Es kommt dabei den Dingen der Sinnenwelt wie auch den metaphysischen Entitäten als Indikator ihrer Wirklichkeit zu, wenn auch auf jeweils unterschiedliche Weise. Somit wäre es für Ḥāʾerī nicht abwegig, den Satz „Gott existiert“ als synthetisches Urteil a priori aufzufassen, denn so könnte man seine Position folgendermaßen umreißen: 1.) Das Urteil „Gott existiert“ ist, wie jedes Existenzialurteil synthetisch. 2.) Zwar ist die Existenz auch Teil des Begriffs von Gott, doch kann man daraus, darin stimmte Ḥāʾerī Kants Kritik zu, nicht unmittelbar die tatsächliche Existenz ableiten. Diese muss man vielmehr durch einen Beweisschritt begründen, der außerhalb des Begriffes ansetzt. 3.) Damit wäre das Urteil synthetisch, denn es erweitert zwar nicht den Begriff, aber das Wissen über den Begriff Gottes, nämlich dass er nicht nur ein Begriff ist, sondern auch tatsächlich existiert. 4.) Das würde weiterhin belegen, dass das Sein auch ein reales Prädikat ist. 5.) Das Urteil ist zudem a priori, da der Existenznachweis nicht empirisch nachgewiesen werden kann, sondern aus Prinzipien das Denkens. Zwar setzt der Nachweis bei den kontingenten Seienden an, doch kann man von diesen nicht empirisch auf ein notwendig Seiendes schließen, vielmehr ist die Abhängigkeit eines jeden kontingenten Seienden vom notwendig Seiendem eine Eigenschaft, die diesen a priori zu kommt. Also handelt es sich, so könnte man mit Ḥāʾerī argumentieren, beim Urteil „Gott existiert“ um ein synthetisches Urteil a priori. Aus einer kantischen Perspektive kann dieses Argument deshalb nicht überzeugen, weil seine gesamte Erkenntnislehre auf der Notwendigkeit von empirischen Anschauungen für den Nachweis von Seiendem aufbaut. Alles andere sind 523 Vgl. A 227 / B 279: „So kann die Notwendigkeit der Existenz, niemals aus Begriffen, sondern jederzeit nur aus der Verknüpfung mit demjenigen, was wahrgenommen wird, nach allgemeinen Gesetzen der Erfahrung erkannt werden können.“ 524 Vgl. dazu etwa Rahman (1975), 215ff. Zu Ḥāʾerīs Diskussion von voǧūd-e ẕehnī vgl. Ḥāʾerī (1347/1969b), 219-267.
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reine begriffliche Überlegungen und Spekulationen der Vernunft, aber keine Existenznachweise. Dennoch, und das ist hinreichend bekannt, hält es Kant durchaus für angemessen, für die Denknotwendigkeit der Idee von Gott zu argumentieren und zwar, um die reine Moralität zu begründen. Dieser sog. „moralische Gottesbeweis“ Kants ist, solange man sich an die Unterscheidung zwischen Erkennen und Denken hält, aber streng genommen auch kein Existenznachweis.525 Die Diskussionen um Kants Kritik des ontologischen Gottesbeweises, die Ḥāʾerī angeregt hat, sind in Iran nach wie vor hoch aktuell und werden, ob mit oder ohne Bezug auf Ḥāʾerī, bis heute weiter geführt. So gibt es eine Reihe von Publikationen, die die Gottesbeweisthematik, auch mit Fokus auf Kants Kritik, in Zusammenhang mit dem Gottesbeweis Ibn Sīnās oder dem „Burhān aṣ-siddiqīn“ genannten Beweis Mollā Ṣadrās diskutieren.526 Dabei fällt auf, dass zumindest die Autoren, die sich explizit mit Kants Gottesbeweiskritik in der Kritik der reinen Vernunft auseinandersetzen, allesamt eine Kritik des kantschen Arguments im Auge haben. Auch in der westlichen philosophischen Literatur werden die Gottesbeweisthematik und das Für und Wider der kantschen Kritik bis heute kontrovers diskutiert - sei es aus historischem527 oder aus systematischem Interesse, mit Blick auf die Ontologie,528 um die Möglichkeit eines ersten bzw. höchsten Prinzips alles Seienden zu begründen oder aus epistemologischen Überlegungen, um eine notwendige Bedingung der Wirklichkeitserkenntnis zu erörtern,529 wobei sich diese Perspektiven keineswegs ausschließen. Es zeigt sich also, das sei hier nur angedeutet, dass sich die philosophische Gottesbeweisfrage mit Kants fundamentaler und höchst einflussreicher Kritik in zeitgenössischen philosophischen Diskussionen keinesfalls erledigt hat. Ein Vergleich von Argumenten aus der iranischen Diskussion mit Positionen aus der westlichen Literatur zum Thema könnte vor diesem Hintergrund ein vielversprechender Ansatzpunkt für weiterführende detailliertere Studien sein.530 525 Zum „Moralischen Gottesbeweis“ bei Kant vgl. Sala (1990), 365-455. 526 Vgl. Akbarīyān (1379/2000); Ayatollahy (1384/2005); dazu Rez. von Muhtaroglu (2008); Vāʿeẓī (1384/2005). 527 Vgl. etwa Henrich (1960); Röd (1992); Harrelson, Kevin J. (2009); 528 Ein zeitgenössisches Beispiel, das mit sehr ähnlichen Argumenten wie Ḥāʾerī versucht, den ontologischen Gottesbeweis als synthetisch a priorischen Beweis gegen u. a. die Kritik Kants zu rehabilitieren, bietet die umfängliche Abhandlung des Liechtensteiner Philosophen Josef Seifert. Vgl. Seifert (1996). Für den hier besprochenen Kontext siehe insbes. ebd., 152-194; 437-500; 623-625. Vgl. desweiteren Dombrowski, (2006). 529 Vgl. etwa Schmidt (2009); Henrich (1960); Hiltscher (2006); Hiltscher (2008) 530 Ein Ansatz zu solch vergleichenden Untersuchungen bot ein Workshop, der unter dem Titel „Proofs for the Existence of God. Contexts – Structures – Relevence“ von der Theologischen Fak-
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4.3 Objekterkenntnis und synthetische Urteile a priori Die im Folgenden vorgestellten und diskutierten Zugänge von Ḥoseyn Ġaffārī und ʿAlī Lārīǧānī zur theoretischen Philosophie Kants behandeln dezidiert erkenntnistheoretische Fragen. Beide stehen in der Tradition Mortażā Moṭahharīs, die bis heute weite Teile der theoretischen Kantrezeption in Iran dominiert. Das gilt insbesondere für den Zugang am Institut für Philosophie der Universität Teheran, wo bisher auch die meisten Abschlussarbeiten zu diesem Aspekt des kantschen Denkens angefertigt wurden.531 Ḥoseyn Ġaffārī, der seit Beginn der 1990er Jahre akademische Mitglied des Instituts für Philosophie der Universität Teheran ist, dem er zwischenzeitlich auch vorstand, gehörte zu jenem Schülerkreis Moṭahharīs, mit dem dieser in privaten Sitzungen Sabzavārīs Šarḥ-e manẓūme las und auch mit kritischen Bezügen zur westlichen Philosophie interpretierte.532 Mitte der 1990er Jahre promovierte er mit einer kritischen Untersuchung zu Kants Transzendentaler Ästhetik an der Universität Teheran bei Aḥmad Aḥmadī und Ġolāmʿalī Ḥaddād ʿĀdel.533 Inzwischen hat er selbt eine ganze Reihe von Abschlussarbeiten zu Kants theoretischer Philosophie betreut. ʿAlī Lārīǧānī gehört zu jenen Kantinterpreten, die nicht nur auf wissenschaftlichem, sondern auch auf politischem Feld sehr aktiv sind, was in anderem Kontext thematisiert wird.534 Für diesen Zusammenhang aber genügt es vorerst zu erwähnen, dass er ebenfalls eine Professur für Philosophie an der Universität Teheran innehat und ebenso wie Ġaffārī Schüler Moṭahharīs war, der zugleich sein Schwiegervater ist. Beide Denker beschäftigen sich in ihren Schriften ausschließlich mit Kants theoretischer Philosophie, wobei sie, was im folgenden Abschnitt demonstriert werden soll, zwar an ihren Lehrer anknüpfen, dabei aber unterschiedliche Wege beschreiten. Die im Folgenden behandelte Monografie von Ḥoseyn Ġaffārī beabsichtigt, sich konkret Kants Behandlung der Frage nach der Möglichkeit synthetischer Urteile a priori zu widmen. Insgesamt steht sie im weiteren Kontext einer kritischen Evaluation der kantschen Erkenntnislehre überhaupt. Als Hinführung zu seiner Diskussion der synthetischen Urteile a priori bietet Ġaffārī eine Diskussion einiger Prinzipien von Kants Lehre der Objekterkenntnis. Da mir diese für seinen
tultät der Universität Innsbruck gemeinsam mit dem in Qom „Imam Khomeini Education and Reasearch Institute“ im Jahre 2007 in Innsbruck veranstaltet wurde. Vgl. Kanzian/Legenhausen (2008). 531 Vgl. dazu Liste der Abschlussarbeiten iranischen Hochschulabsolventen zu Kant 8.4. 532 Siehe dazu oben 3.3.1.1. 533 Siehe 8.4. Ġaffārī (1374/1995) 534 Siehe unten Kap. 6.
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Zugang zu Kants theoretischem Denken besonders aufschlussreich erscheinen, werden sie im Folgenden ausführlich diskutiert. Der anschließende Abschnitt wird dann die Frage der synthetischen Urteile am Beispiel von ʿAlī Lārīǧānīs Zugang behandeln. Dabei werde ich jeweils zuerst auf den konkreten Werkkontext eingehen, in dem die Diskussion steht, um anschließend deren Argumentationsgang darzustellen. Darauf folgt jeweils eine Diskussion der Zugänge, die verschiedene Kontexte beleuchtet, indem ich einerseits stets einen Rückbezug auf die kantschen Referenzquellen, in der Regel KrV und Prolegomena, vornehme. Darüber hinaus werde ich Verweise auf die islamische Tradition behandeln sowie vereinzelt Bezüge zu Diskussionen der westlichen Kantforschung herstellen, sei es weil sie von den jeweiligen iranischen Interpreten selbst vorgenommen wurden, sei es weil sie mir für die Diskussion der iranischen Interpretationen aus systematischer Perspektive hilfreich erschienen.
4.3.1 Einleitung in die Problematik bei Kant Mit der Diskussion iranischer Zugänge zur Frage der Objekterkenntnis und zur Problematik synthetischer Urteile a priori bei Kant kommen wir im Kontext der theoretischen Philosophie von der Transzendentalen Dialektik, genauer ihrem dritten Hauptstück, zu einer der Ausgangsfragen der Kritik der reinen Vernunft. Kant diskutiert die Bedeutung der synthetischen Urteile a priori zunächst in seiner Einleitung zur Kritik der reinen Vernunft (A1/B1–A11/B24) bzw. in den ersten Paragrafen der Prolegomena (§§ 1–3). Diese Diskussion hat auf den ersten Blick allein einführenden Charakter und zieht man in Betracht, dass der Terminus als solcher an keiner Stelle des Werkes so gehäuft auftritt wie in den genannten Passagen, so könnte man den Schluss ziehen, dass er für Kant nur als Vorbereitung weitergehender Fragen eingeführt und im Kontext der Einleitung hinreichend geklärt wurde. Auch wenn man gezielt nach Literatur zu diesem Begriff sucht, so wird in erster Linie diese Passage besprochen. Doch tatsächlich hat der Begriff eine sehr weitreichende, ja zentrale Bedeutung für das gesamte Projekt seiner theoretischen Philosophie, was aus jenen Textstellen auch deutlich zu entnehmen ist, und steht in engem Zusammenhang mit der Frage, wie Erkennen überhaupt möglich ist.
Definition der synthetischen Urteile a priori Kant nimmt bezogen auf die Art und Weise, in der Wissen ausgedrückt werden kann, eine bis heute einflussreiche doppelte disjunktive Einteilung vor. Einerseits spricht er davon, dass Erkenntnisse entweder a priori oder a posteriori seien
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können, andererseits sagt er, dass Urteile bzw. Aussagesätze entweder analytisch oder synthetisch sind. Unter einer Erkenntnis a priori versteht er eine Erkenntnis, die ohne Rückgriff auf die Erfahrung erlangt wurde, was er auch reine Vernunfterkenntnis nennt. Eine Erkenntnis a posteriori stützt sich demgegenüber auf die Erfahrung, ist also Erfahrungserkenntnis. Kennzeichen der reinen apriorischen Erkenntnis ist, abgesehen von ihrer Erfahrungsunabhängigkeit, dass sie den Anspruch auf unbeschränkte Allgemeinheit sowie auf strenge Notwendigkeit vertritt.535 Die zweite Unterteilung, die der Urteilsarten, erklärt Kant wie folgt: Ein analytisches Urteil ist ein solches, in dem das Prädikat bereits „versteckterweise“ im Subjekt enthalten ist, wie in der Aussage: „Der Kreis ist rund.“ Das Prädikat führt also zu keiner Erkenntniserweiterung bezüglich des Subjekts, denn dass der Kreis rund ist, ist im Begriff des Kreises bereits enthalten. Eine Verneinung des Urteils wäre demnach ein Selbstwiderspruch. Ein solches analytisches Urteil erweitert den Begriff des Subjekts nicht, sondern erläutert ihn nur, weshalb Kant auch von Erläuterungsurteilen spricht. Demgegenüber ist das Kennzeichen eines synthetischen Urteils, eben gerade die Erweiterung des Begriffs, das im Subjekt liegt. „Der Kreis ist rot“ wäre eine solches synthetisches Urteil, da die Eigenschaft ‚rot‘ nicht im Begriff des Kreises enthalten ist. Das Urteil erweitert also den Begriff, Kant nennt es somit auch Erweiterungsurteil.536 Aus den beiden Begriffspaaren537 „a priori – a posteriori“ und „analytisch – synthetisch“ ergeben sich vier Kombinationsmöglichkeiten, von denen zwei unmittelbar einleuchten, eine in sich widersprüchlich ist und damit von vornherein ausscheidet und eine denkmöglich, aber erläuterungsbedürftig ist. Analytische Urteile sind ihrem Begriff nach a priori gültig, denn der Nachweis, dass eine Eigenschaft Bestandteil eines Begriffes ist, kann als notwendiges und allgemeingültiges Urteil nur auf dem Wege der Vernunft aus dem Begriff abgeleitet werden, ein Rückgriff auf die Erfahrung kann das Urteil zwar bestätigen, nicht aber seine Notwendigkeit und Allgemeingültigkeit beweisen. Damit sind analytische Urteile a posteriori begrifflich unmöglich. Ebenfalls direkt einleuchtend sind synthetische Urteile a posteriori, denn dass die Erweiterung unseres Wissens über Etwas durch Erfahrung geschieht, ist ein bekanntes und unstrittiges Phänomen. So bleiben noch synthetische Urteile a priori übrig. Es handelt sich dem Begriff nach um Urteile, in denen das Prädikat nicht Teil des Subjekts selbst ist, es also eine Erweiterung bewirkt, und das ohne dass sich die Begründung dieses Satzes auf die Erfahrung stützt. Es ist demnach möglich, zu Erkenntnissen über die Welt 535 KrV, B3–B10. 536 KrV, B10–14. 537 Zur Herkunft der Aufteilung vgl. Patzig (1976), 18f.
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und deren Strukturen zu gelangen, das Wissen zu erweitern, ohne für diese Erkenntnis neue, aus der Erfahrung gewonnene Informationen zu benötigen. Das mag erstaunen, besonders wenn man sich klarmacht, dass Kant zu Beginn seiner Einleitung davon spricht, dass es keinen Zweifel daran geben könne, „daß alle unsere Erkenntnis mit der Erfahrung anfange“ (B1). Damit macht er in Sachen der Erkenntnistheorie ein deutliches Zugeständnis an die Empiristen. Doch indem Kant wenige Zeilen später deutlich macht, dass dieser zeitliche Anfang in der Erfahrung nicht prinzipiell der Ursprung der Erkenntnis sein muss, zeigt, worum es Kant in seinem Ansatz geht: einen Mittelweg zu beschreiten zwischen Empirismus und Rationalismus.
Bedeutung der synthetischen Urteile a priori bei Kant Was nun den Typus der synthetischen Urteile a priori für Kant so bedeutend macht wird deutlich, wenn man sich vor Augen führt, was das eigentliche Anliegen der Kritik der reinen Vernunft bzw. von Kants theoretischer Philosophie insgesamt ist. Es handelt sich um eine Kritik, eine Grenzbestimmung der Möglichkeiten und Fähigkeiten der Vernunft. Zu welcher Art Erkenntnis kann die Vernunft aus sich selbst heraus gelangen und was sind dafür die Voraussetzungen bzw. „Bedingungen der Möglichkeit“? Sollte sie und damit die Philosophie bzw. die Metaphysik, die auf der Vernunft als primärem bzw. einzigem Erkenntnismittel beruht, tatsächlich in der Lage sein, allein durch rationale Reflexion zu wirklichen Erkenntnissen, also zu einer Wissenserweiterung über Aspekte der Wirklichkeit zu gelangen, dann und nur dann wäre sie als eigenständige Wissenschaft anzusehen. Anders ausgedrückt: sollte es synthetische Urteile a priori nicht geben, dann wäre Philosophie auf den Bereich der Logik zu beschränken, in der das Wissen über die Welt allenfalls erläutert (analytisch), nicht aber erweitert (synthetisch) wird. Wissenserweiterung wäre dann nur in den Erfahrungswissenschaften möglich. Somit wird die Frage nach der Existenz synthetischer Urteile a priori, wie Willi Stegmüller es ausdrückte538, zur Schicksalsfrage der Philosophie. Kant selbst lässt allerdings keinen Zweifel daran, dass er von der Existenz solcher Urteile überzeugt ist. Ihn beschäftigt eher die Frage, was die Bedingungen ihrer Möglichkeit sind. Diese Frage, „Wie sind synthetische Urteile a priori möglich?“, entpuppt sich damit nicht nur als eine einleitende, sondern vielmehr als eine Grundfrage der Kritik der reinen Vernunft überhaupt. Noch deutlicher zeigt sich die zentrale Stellung dieser Frage in den Prolegomena, die Kants zweite Fassung der Kritik stark beeinflusste.539 Um den Nachweis zu erbringen, 538 Vgl. Patzig (1976), Anm. 6. 539 Vgl. dazu Pollok (2001).
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dass es solche Urteile gibt, verallgemeinert er den Geltungsbereich der apriorischen Erkenntnis zunächst auf die theoretischen Wissenschaften überhaupt. So behandelt er die Frage nach der Existenz synthetischer Urteile a priori zunächst im Rahmen der Geometrie bzw. Mathematik unter der Frage: „Wie ist reine Mathematik möglich?“ Anschließend wendet er sich der Naturwissenschaft zu. Erst danach stellt er, nachdem für ihn die Existenz der synthetischen Urteilen a priori und deren Möglichkeit in Mathematik und Naturwissenschaft erwiesen ist, die Frage: „Wie ist Metaphysik als Wissenschaft möglich?“ Die Beantwortung der Frage nach den synthetischen Urteilen a priori besteht letztlich in den Ausführungen der Transzendentalen Ästhetik und der Transzendentalen Analytik zusammen. Das zeigt noch einmal die zentrale Bedeutung der synthetischen Urteilen a priori für die theoretische Philosophie Kants.540 Wie Kant nun vorgeht, um die Voraussetzungen für die Existenz von synthetischen Urteilen a priori insgesamt und für die Metaphysik im Besonderen zu beweisen, würde also eine Zusammenfassung eines Großteils seiner theoretischen Philosophie bedeuten. Das kann und muss an dieser Stelle nicht geleistet werden. Nur so viel sei vor der Diskussion der ausgewählten iranischen Zugänge in aller elliptischer Kürze gesagt: Er beginnt, indem er in der Transzendentalen Ästhetik Raum und Zeit als reine Vorstellungen a priori erweist, die als solche nicht Eigenschaften der Dinge, sondern konstante Grundkonstitutionen des menschlichen Erkenntnisapparates sind. Dieser gliedert sich nach Kant in die beiden Stämme Sinnlichkeit und Verstand auf. Raum und Zeit sind keine Begriffe, die dem Verstand angehören, sondern reine Anschauungsformen, die der Sinnlichkeit angehören und die dafür sorgen, dass mit den Anschauungen dem Verstand überhaupt Gegenstände als „Anschauungsmaterial“ gegeben sind. Daraus leitet er ab, dass synthetische Urteile a priori in der Geometrie mithin der Mathematik möglich sind. Denn mit der Gegebenheit von reinen Anschauungsformen lassen sich Prinzipien der Verhältnishaftigkeit a priori begründen. In der Analytik widmet sich Kant dann dem Verstand und der Deduktion reiner Verstandesbegriffe (Kategorien), die zusammen mit der durch die reinen Anschauungsformen gegebenen Anschauungen Gegenstandserkenntnis erst ermöglichen. Genauer – und dafür wäre selbstverständlich eine ausführlichere Explikation vonnöten – erst durch Anschauungsformen und Kategorien sowie die damit verbundenen Prinzipien (Axiome der Anschauung, Antizipationen der Wahrnehmung, Analogien der Erfahrung, Postulate des empirischen Denkens überhaupt) wird das Gegebene überhaupt zum Gegenstand menschlicher Erkenntnis. Damit – und darin besteht die sogenannte kopernikanische Wende der Denkungsart – sind für die Objekterkenntnis noch vor jeder Erfah540 KrV, B14–24.
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rung im Subjekt vorhandene Bedingungen der Erkenntnis vonnöten.541 Synthetische Urteile a priori sind deshalb möglich, weil sich selbst über Dinge der Erfahrungswelt, unter Rückgriff auf die bereits gegebenen und notwendigen Anschauungsformen und Verstandeskategorien, a priori Aussagen über die Welt machen lassen. Diese Frage steht daher in systematischem Zusammenhang mit dem Problem der Objekterkenntnis.
Erste Auseinandersetzung mit der Thematik in Iran Bereits mit den ersten einführenden Werken zu Kant in Iran wurde – das liegt nun wegen deren zentraler Bedeutung auf der Hand – auch in die Thematik der synthetischen Urteile a priori eingeführt. Dem Charakter dieser Werke entsprechend handelt es sich dabei weniger um ausführliche Diskussionen oder gar Kritik. Was diese Werke aber neben einer ersten Erörterung zu leisten hatten, war eine Übertragung der Terminologie, die, wie in vielen anderen Bereichen der Philosophie, alles andere als einheitlich ist. Auch hier zeigen sich unterschiedliche Ansätze, etwa in der Übernahme von aus der islamischen Tradition gebräuchlicher Ausdrücke. Bis heute werden viele dieser Varianten in der Literatur synonym verwendet.542 Eine der frühesten iranischen Diskussionen der kantschen Unterscheidung der Urteile in synthetische und analytische findet sich bei Ḥāʾerī Yazdī.543 Allerdings wird diese Problematik von ihm in einem weiteren Kontext, nämlich der Kritik des ontologischen Gottesbeweises, diskutiert und als Frage nicht systematisch ins Zentrum seine Untersuchung gestellt, auch spricht er nicht explizit das Phänomen der synthetischen Urteile a priori an. Dennoch ist seine Diskussion, in der er, darauf wurde im vorangegangenen Kapitel bereits verwiesen, die kantsche Unterscheidung der Urteile mit der Einteilung der Prädikation bei Mollā Ṣadrā vergleicht, auch für spätere Kantrezipienten in Iran von Bedeutung.
541 „Was Gegenstände betrifft, so fern sie bloß durch Vernunft und zwar notwendig gedacht, die aber (so wenigstens, wie die Vernunft sie denkt) gar nicht in der Erfahrung gegeben werden können, so werden die Versuche, sie zu denken (denn denken müssen sie sich doch lassen), hernach einen herrlichen Probierstein desjenigen abgeben, was wir als die veränderte Methode der Denkungsart annehmen, daß wir nämlich von den Dingen nur das a priori erkennen, was wir selbst in sie legen.“ KrV, B XVIII. 542 Für die drei Bestandteile des Ausdrucks „synthetisches Urteil a priori“ werden hauptsächlich folgende Synonyme verwendet, aus denen sich die Varianten zusammensetzen: synthetisch – taʾlīfī / tarkībī; Urteil – ḥokm / qażīye / gozāre; a priori – pīšīnī / avvalī / moqaddam bar taǧrobe / mā- taqaddama. 543 Siehe oben 4.2.2.2.
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4.3.2 Kritik der Grundlagen der Objekterkenntnis bei Kant 4.3.2.1 Ḥoseyn Ġaffārīs Schrift Bar-rasī-ye mabādī-ye falsafe-ye naqqādī Die Monografie, in der sich Ḥoseyn Ġaffārī der Problematik synthetischer Urteile a priori bei Kant widmet, trägt den Titel Bar-rasī-ye enteqādī va taṭbīqī-e falsafe-ye naẓarī-ye Kant. Baḫš-e naḫost: bar-rasī-ye mabādī-ye falsafe-ye naqqādī va baḥs̱ī dar māhīyat va emkān-e qażāyā-ye tarkībī-pīšīnī (Kritische und vergleichende Untersuchung der theoretischen Philosophie Kants. Erster Teil: Untersuchung der Grundlagen der kritischen Philosophie sowie Diskussion der Beschaffenheit und der Möglichkeit synthetischer Urteile a priori). Wie Ġaffārī in seiner Einleitung erklärt, handelt es sich bei dieser Schrift um den ersten Band einer Reihe von sechs kritischen Detailstudien zu Kants theoretischer Philosophie, die er sukzessive zu verwirklichen und zu veröffentlichen gedenke. Dabei beabsichtigt der Autor nach dem Schema der KrV vorzugehen, d. h. diese unter Berücksichtigung anderer Schriften Kapitel für Kapitel zur behandeln. In diesem ersten Band legt er das Hauptgewicht seiner Textanalysen auf die Einleitung der Kritik, der zweite Band, der sich der Transzendentalen Ästhetik widmet, sollte unmittelbar im Anschluss erscheinen, die übrigen Bände seien in Vorbereitung.544 Ziel dieses Unternehmens sei es, sich bei der Suche nach einer einheitlichen Philosophie für die Menschheit (dastyābī be falsafe-ye vāḥed barā-ye nouʿ-e bašar), einer philosophia perennis, auf den vielleicht bedeutendsten Philosophen des Westens zu beziehen und zugleich eine Analyse seines Denkens vorzulegen, indem alle wichtigen Aspekte desselben untersucht werden. Zudem strebt er mit seinem komparatistischen Ansatz explizit eine besondere Hervorhebung der islamischen Philosophie an.545 Die Monografie wurde im Jahr 2009 als Buch des Jahres der Islamischen Republik Irans ausgezeichnet.546 Das Werk gliedert sich in eine Einleitung547 und vier Kapitel sowie einen Anhang (żamīme), in dem der Autor eine eigene Übersetzung des Vorworts zur zweiten Auflage der KrV vorlegt. Die Übersetzung des Vorworts soll, so Ġaffārī, die Aufgabe der Einführung in Kants Programm mit dessen eigenen Worten übernehmen, da es sich einerseits wegen seines vergleichenden Charakters auch 544 Ġaffārī (2007), 18. Bisher ist meines Wissens erst der erste Band erschienen. Beim zweiten Band könnte es sich dem Titel nach um seine Doktorarbeit (oder eine überarbeitete Fassung derselben) handeln, die Ġaffārī 1374/1995 an der Universität Teheran unter dem Titel Naqd va barrasī-ye taṭbīqī-ye falsafe-ye naẓarī-ye Kānt (baḫš-e ḥessīyāt) [Kritik und Untersuchung der theoretischen Philosophie Kants (Abschnitt Ästhetik)] eingereicht hat. Siehe unten 8.4. Ġaffārī (1374/1995). 545 Ġaffārī (2007), 13/14. 546 Für Ġaffārīs Rede zum Anlass der Auszeichnung vgl. Ġaffārī (1388/2010). 547 Ġaffārī (2007), 13–25.
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an Vertreter der islamischen Philosophie richte. Weil es sich bei diesem Werk andererseits aber um eine Detailstudie zu Kant handele, was eine grundlegende Kenntnis des Werks voraussetze, solle das Werk nicht mit einer Einführung in das Denkens Kants belastet werden. In seiner Einleitung begründet Ġaffārī den Schwerpunkt des ersten Bandes damit, dass die Möglichkeit der synthetischen Urteile a priori bei Kant ein Prüfstein (mallāk) seiner gesamten kritischen Philosophie darstelle und daher eine kleinteilige (ǧoz be ǧoz) Untersuchung dieser Problematik die Beweiskraft seines Ansatzes prüfen solle. Das Attribut „kritisch“ zu seiner Untersuchung solle dabei aber keinesfalls eine Voreingenommenheit zu Kant zum Ausdruck bringen.548 Des Weiteren erläutert der Autor sein Verständnis von „vergleichender Philosophie“ (falsafe-ye taṭbīqī). Es sei, so Ġaffārī, ein falsches Verständnis, wenn man diese lediglich als eine Art intellektuelle Weltreise (ǧahāngardī-ye ʿaqlī) verstehe. Wichtiger sei es, dass man von einem philosophischen Realismus ausgehe, der die Einheit der Philosophie (yegānegī-ye falsafe dar beyn-e bašar) voraussetze. Denn das letzte Wort habe der logische Beweis, letztlich gehe es darum, verschiedene Zugänge zum gleichen Untersuchungsgegenstand nach Maßgabe der Vernunft zu vergleichen. Der größte Fehler dabei sei, nur nach allgemeinen Ähnlichkeiten Ausschau zu halten. Das Ergebnis einer sachgerechten vergleichenden Philosophie, könne jahrhundertealte kulturelle und intellektuelle Verzerrungen und Abweichungen (kaǧravīhā va enḥerāf-e farhangī va fekrī) auflösen. Die islamische Philosophie gehöre zwar zu den reichsten intellektuellen Traditionen der muslimischen Welt überhaupt, doch bedürfe sie der vergleichenden Studien, um ihr reiches Erbe für aktuelle Fragen der Menschen von heute zu öffnen.549 Am Ende seiner Einleitung stellt Ġaffārī die Hauptquellen seiner Studie vor. Bei der Kritik der reinen Vernunft habe er die drei englischen Übersetzungen des Werkes von Max Müller, Michael John und Norman Kemp Smith, die er den anderen beiden vorziehe, verwendet. Auch die persische Übersetzung von Adīb Ṣoltānī habe er mit Rückbezug auf die englischen Versionen zu Rate gezogen. Alle Zitate aus der KrV seien aber seine eigenen Übersetzungen. Was die Prolegomena angehe, so habe ihm die Verwendung der „trefflichen“ Übersetzung von Ḥaddād ʿĀdel genügt. Zu den Sekundärquellen merkt er an, dass die Literaturlage überschaubar sei, er selbst habe über vierzig Schriften bearbeitet. Seine Hauptreferenzen aber seien vor allem jene Kommentarwerke, die die gesamte Kritik behandelten. Für ihn am maßgeblichsten sei der Kommentar von Kemp Smith, dessen Übersetzung in den Augen Ġaffārīs nicht nur makellos ist (bī naqṣ), sondern dessen Kommentar auch zumindest unter den englischsprachigen der wichtigste sei. Allgemein hebe dessen Autor die Bedeu548 Ġaffārī (2007), 14–16. 549 Ġaffārī (2007), 16–18.
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tung der KrV hervor, zeige aber im Einzelnen eine Vielzahl von Unstimmigkeiten. Unumstritten sei auch seine These von der mosaikartigen Zusammenstellung des Werkes durch Kant.550 Der umfangreichste Kommentar, zum ersten Teil der Kritik stamme von Paton.551 Dieser sei ein Verteidiger Kants gewesen. Ewings A Short Commentary on Kant’s „Critique of Pure Reason“ sei insbesondere für fortgeschrittene Studenten der kantschen Philosophie geeignet. Ġaffārī gibt an, er habe ihn bereits zu großen Teilen übersetzt, kommentiert und eine Veröffentlichung geplant.552 Zuletzt nennt der Autor noch die Kommentare Jonathan Bennets zu Kants Analytik und zur Dialektik.553 Sein Werk sei insbesondere deshalb von Interesse, weil es eine dezidiert kritische Haltung zu Kant einnehme. Insgesamt fällt auf, dass Ġaffārī sich vor allem an Gesamtkommentaren zur Kritik der reinen Vernunft orientiert, Studien zu Einzelfragen berücksichtigt er kaum. Im ersten Kapitel Darbāre-ye ketāb-e naqd (Über das Buch der Kritik)554 erläutert der Autor den Aufbau der Schrift und geht auf die im Titel verwendeten Zentralbegriffe (Kritik – naqd/naqqādī; rein – maḥż; Vernunft – ʿaql) ein. Zum Schluss betont er noch einmal mit Verweis auf Ewing und Paton den Charakter des Buches als eine Zusammenstellung von mitunter widersprüchlichen Fragmenten. Ein ausführliches Zitat von Kemp Smith zur Patchwork-These und der Komposition des Werkes aus Texten, die Kant in den Jahren 1769–1780 verfasst habe, unterstreicht diese Sicht. Um diesen Umstand auszugleichen, so Ġaffārī mit Bezug auf Kemp Smith, habe Kant in der „Architektonik der reinen Vernunft“ den Versuch einer Systematisierung unternommen. Das zweite Kapitel Ǧāygāh-e naqd dar neẓām-e fekrī-ye Kānt (Die Stellung der Kritik im intellektuellen System Kants)555 geht allgemein auf die Bedeutung der KrV im Kontext der drei kantschen Kritiken ein. Darin erklärt Ġaffārī unter anderem, dass die Metaphysik, wenn auch nicht in der KrV, so doch im Gesamtkontext der Kritiken eine positive Rolle spiele. Mit einem langen Zitat aus dem Beginn der Einleitung von Kemp Smith’ Kommentar556 stellt er die Frage, warum die positive Einstellung zur Metaphysik in der KpV für die Frage der Möglichkeit
550 Gemeint ist die sog. Patchwork-These, mit der insbesondere Kemp Smith in seinem kritischen Kommentar hervorgetreten ist. 551 Zu Herbert James Paton und seinem Kommentar vgl. Walsh (1970). 552 Inzwischen ist das Werk in der Übersetzung von Esmāʿīl Saʿādatī Ḫamse erschienen. Vgl Ewing/ Saʿādatī Ḫamse (1388/2009). 553 vgl. Bennet (1966); ders. (1974). 554 Ġaffārī (2007), 29–41. 555 Ġaffārī (2007), 45–59. 556 Ġaffārī (2007), 38–40. Vgl. Kemp Smith (1918), xix-xxi.
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der Metaphysik in der Nachfolge Kants – so die Meinung Kemp Smith’ – keine besondere Wirkung gehabt habe. Kemp Smith habe die Frage offengelassen. Ġaffārī versucht sich an einer Antwort, die für seine allgemeine Haltung zur theoretischen Philosophie Kants äußerst erhellend ist.557 Es liege nicht an der Überzeugungskraft der inneren Kohärenz der KrV, die etwa diese negative Einstellung bezüglich der Metaphysik gegenüber der positiven in der KpV in der Nachfolge Kants begünstig habe. Vielmehr könne von Kohärenz in Bezug auf die KrV überhaupt keine Rede sein. Ġaffārī geht sogar so weit zu behaupten, es handele sich bei Kants theoretischer Philosophie um das inkonsistenteste philosophische System der westlichen Welt.558 Neben der Transzendentalen Ästhetik sei die Dialektik der KrV der schwächste Teil des gesamten Werkes. Zudem gebe es keinen Punkt in der Argumentation Kants, der nicht sogar von seinen Anhängern selbst kritisiert worden sei. Der Grund für die allgemein ablehnende Haltung zur Metaphysik könne daher nicht aus der Überzeugungskraft des Werkes selbst heraus erklärt werden. Vielmehr sei Kant mit seiner Philosophie konform gegangen mit einer Art Zeitgeist, in dem die Selbstbestimmung und die Befolgung der Triebseele sowie die Befreiung und Lossagung von jeglicher Dimension der Transzendenz zum Durchbruch gekommen sei. Hätte Kant sich mit gleicher Inbrunst der Verteidigung der Metaphysik zugewandt, so hätte er längst nicht solch einen Einfluss erlangen können.559 Hierin zeigt sich deutlich, dass Ġaffārī keineswegs unvoreingenommen, wie er an anderer Stelle behauptet hat, an das Werk Kants herangeht. Selbst wenn er zu diesem äußerst kritischen Schluss kommen sollte, so nimmt er ihn hier bereits vorweg. Auch geht er in seiner Deutlichkeit, selbst wenn man ihm eine gewisse rhetorische Überzeichnung zugutehalten mag, an einer sachlichen Argumentation vorbei. Das soll aber keineswegs zu dem Eindruck führen, Ġaffārīs Werk sei durchweg in einem derart polemischen Ton verfasst. Vielmehr zeugt ein Großteil seines Werkes von einer ernsthaften und textkritischen Auseinandersetzung mit den Schriften Kants, was seinen Zugang zu Kants theoretischer Philosophie lesenswert macht. Ġaffārī beendet das zweite Kapitel, indem er Kant selbst zu Wort kommen lässt, mit einer längeren Passage aus dem „Kanon der reinen Vernunft“ (B838–41), in der die Notwendigkeit Gottes betont wird. Das Zitat, beginnend mit B838, endet wie folgt:
557 Ġaffārī (2007), 52–55. 558 یکی از ناسازگارترین٬”فلسفه نظری را اگر به توجه به معیار سازگاری – که خود مأخوذ از تعلیم کانت است – بسنجیم “.نظامهای فلسفی در جهان غرب اگر نگوئم ناسازگارترین آنها است Ġaffārī (2007), 52–53. 559 Vgl Ġaffārī (2007), 54.
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Ohne also einen Gott und eine für uns jetzt nicht sichtbare, aber gehoffte Welt, sind die herrlichen Ideen der Sittlichkeit zwar Gegenstände des Beifalls und der Bewunderung, aber nicht Triebfedern des Vorsatzes und der Ausübung, weil sie nicht den ganzen Zweck, der einem jeden vernünftigen Wesen natürlichen und durch eben dieselbe reine Vernunft a priori bestimmt und notwendig ist, erfüllen.
Ohne hier genauer auf den Kontext und die Bedeutung dieser Passage im Werk Kants und deren Deutung eingehen zu wollen, so kann man doch festhalten, dass Ġaffārī allem Anschein nach mit diesem Zitat, am Ende seiner Erörterungen zur ablehnenden Haltung bezüglich der Metaphysik bei Kant, einer Lesart Vorschub leisten möchte, die letztlich den kantschen Gottesbegriff doch wieder auf den Boden der Moraltheologie als notwendige Voraussetzung von Moralität überhaupt stellen soll. Das ungeachtet der Tatsache, dass Kant genau solch einer Deutung selbst mehrfach, sowohl im ‚Kanon der reinen Vernunft‘ als auch an anderen Stellen der KrV, widersprochen hat. Im Zusammenhang mit der von Ġaffārī attestierten Schwäche der Inkohärenz, nutzt Ġaffārī solch eine Deutung als einen weiteren Beleg für jene Widersprüchlichkeit.560 Das dritte Kapitel von Ġaffārīs Monografie trägt den Titel Šarḥ va tafsīr-e pāreʾī az eṣṭelāḥāt-e bonyādī-ye falsafe-ye Kānt (Kommentierung und Deutung einiger zentraler Begriffe der Philosophie Kants).561 Hierbei handelt es sich um das erste Kapitel, in dem der Autor systematisch Begriffe Kants insbesondere unter einem komparatistischen Aspekt diskutiert, interpretiert und kritisiert. Dabei geht er in der Regel zunächst auf bestimmte Deutungen und Kritiken der von ihm verwendeten Kommentarliteratur ein, um anschließend einen Vergleich zur islamischen Tradition herzustellen und in einem Resümee sein Urteil zu begründen. Das Kapitel besteht aus vier ausführlicheren Unterkapiteln und zwei kürzeren Unterpunkten, die zur Thematik des Hauptteils (4. Kapitel) überleiten. Nachdem Ġaffārī sich in 3.1 der Unterscheidung von transzendent und transzendental (motaʿāl / esteʿlāʾī) gewidmet hat, sind die Diskussionen in den Kapiteln 3.2 zum Begriff der Anschauung (šohūd), 3.3 zur Begrifflichkeit von Objekt/Gegenstand und Objektivität (obže va obžektīv; šeyʾ va ʿeynīyat) sowie 3.4 zur kantschen Unterscheidung von Noumenon und Phänomenon (nūmen va fenūmen (šeyʾ fī nafsihī) va šeyʾ namūdārī) letztlich eine Kritik des kantschen Objekt- bzw. Gegenstandsbegriffs respektive seiner Vorstellung von Objekterkenntnis. Das vierte Kapitel Baḥs̱ī dar māhīyat va emkān-e qażāyā-ye tarkībī-ye pīšīnī (Diskussion der Beschaffenheit und Möglichkeit synthetischer Urteile a priori)
560 Zu dieser Deutungstendenz im Kontext der Moralphilosophie siehe unten Kap. 5. Knapp für eine Kritik dieser Deutung vgl. Recki (1998), 609. 561 Ġaffārī (2007), 63–124.
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stellt letztlich den Hauptteil der Monografie dar. Es gliedert sich in fünf Unterkapitel. Im ersten Unterkapitel Ārāʾ-e montaqedān dar daqīq nabūdan-e tamāyoz-e qażāyā-e tarkībī va taḥlīlī (Positionen von Kritikern bezüglich der Ungenauigkeit der Unterscheidung zwischen synthetischen und analytischen Urteilen) widmet sich Ġaffārī der Kritik leibnizscher Prägung an der kantschen Unterteilung, die diese, insbesondere was die Möglichkeit synthetischer Urteile betrifft, die zugleich apriorisch sind, für nicht zutreffend hält. Nachdem Ġaffārī diese Kritik im Großen und Ganzen zurückgewiesen hat, wendet er sich in Kapitel 4.2 Eškālāt-e manṭeqī bar taqsīm-e qażāyā be tarkībī va taḥlīlī (Logische Probleme hinsichtlich der Unterscheidung von Urteilen in synthetische und analytische) dem Kritikpunkt zu, dass diese Unterteilung nicht hinreichend sei. Das Kapitel 4.3 Rāh-e ḥall-e Kānt barā-ye gošūdan-e gere-ye qażāyā-ye tarkībī-pīšīnī (Kants Weg zur Auflösung des Problems der synthetischen Urteile a priori) diskutiert562 und kommentiert dann Kants eigenen Lösungsansatz zu dieser Kritik, wobei er sich insbesondere auf eine Untersuchung Allisons stützt. An diese Diskussion knüpft er einen erkenntnistheoretischen Exkurs über den Unterschied zwischen den maʿqūlāt-e s̱ānīye der islamischen Tradition und den Verstandeskategorien bei Kant an.563 Im vierten Unterkapitel Ārāʾ-e baʿżī ṣāḥebnaẓarān-e moʿāṣer-e falsafe-ye eslāmī darbāre-ye qażāyā-ye tarkībī-pīšīnī (Positionen einiger zeitgenössischer Vertreter der islamischen Philosophie bezüglich der synthetischen Urteile a priori) diskutiert und kritisiert Ġaffārī die Positionen von Meṣbāḥ Yazdī und von Ḥāʾerī Yazdī zum Thema.564 Im Schlusskapitel Baḥs̱-e taṭbīqī (qażāyā-e tarkībīpīšīnī az manẓare-ye fīlsūfān-e moslemān) (Vergleichende Diskussion [Synthetische Urteile a priori aus der Sicht muslimischer Philosophen]) präsentiert der Autor seine eigene vergleichende Diskussion der Frage, indem er sich insbesondere auf Mollā Ṣadrā und Ibn Sīnā bezieht.565
4.3.2.2 Kritik der kantschen Objekterkenntnis: Ġaffārīs Argumentation Im dritten Kapitel seiner Monografie äußert Ġaffārī die Absicht, einige zentrale Begriffe bzw. Begriffspaare von Kants theoretischer Philosophie einzuführen und mit Bezug auf einige seiner wichtigsten Sekundärquellen sowie im Vergleich mit Ansätzen aus der islamischen Tradition zu erläutern. Doch geht er in diesem Kapitel weit über eine erläuternde Einführung mit kritischen Anmerkungen hinaus. Es handelt sich vielmehr um eine fundamentale Kritik der Grundlagen 562 Ġaffārī (2007), 167–194. 563 Ġaffārī (2007), 194–219. 564 Ġaffārī (2007), 219–227. 565 Ġaffārī (2007), 227–250.
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des kantschen Verständnisses der Objekterkenntnis. Somit nimmt der Autor gewissermaßen in seinem Vorhaben, die theoretische Philosophie Kants sukzessive und dem Aufbau der KrV folgend schrittweise zu diskutieren und zu kritisieren, einen Schritt vorweg, denn die Problematik der Objekterkenntnis ist letztlich nichts weniger als einer der Hauptgegenstände des gesamten ersten Teils der KrV also der „Transzendentalen Ästhetik“ und „Analytik/Logik“. Zu Beginn des Kapitels behandelt der Autor die Unterscheidung der Begriffe „transzendent“ und „transzendental“. Er gibt an, dass diese in der Scholastik weitgehend synonym verwendet worden seien und erst Kant eine klare begriffliche Unterscheidung vorgenommen habe.566 Ġaffārī fährt fort, indem er anmerkt, dass es drei unterschiedliche Verwendungsweisen (kārbord) des Begriffs „transzendental“ in der KrV gebe. So sei nach einem ersten Verständnis ein Wissen „transzendental“, wenn es nicht allein apriorische Erkenntnis, sondern die Bedingungen (šarāyeṭ) von apriorischer Erkenntnis betreffe.567 Nach einer anderen Anwendung des Begriffs, sei transzendental vor allem im Kontrast zu „aus Erfahrung“ (taǧrobī) einerseits und „transzendent“ (motaʿāl) andererseits zu verstehen. Während transzendent auf etwas jenseits der Erfahrung gerichtet sei, so verweise transzendental auf Bedingungen der Erfahrung.568 Nach der dritten Verwendung beziehe sich der Begriff auf Ideen, sofern sie eine ordnende (regulative) (tanẓīmkonande) Funktion für den Verstand haben. In dieser Verwendung vermische Kant aber mitunter die Unterscheidung zwischen transzendent und transzendental.569 566 Ġaffārī beruft sich dabei in erster Linie auf Kemp Smith vgl. Ġaffārī (2007), 63f. Dass es durchaus bereits Vorläufer einer begrifflichen Unterscheidung gab, hat u. a. Ludger Honnefelder in einer Reihe von Studien nachgewiesen. Vgl. etwa Honnefelder (1990). 567 Ġaffārī bezieht sich dabei (64 Anm. 1) auf die beiden folgenden einschlägigen Stellen der KrV, in diesem Falle ohne sie selbst zu zitieren. „Ich nenne alle Erkenntnis transzendental, die sich nicht sowohl mit Gegenständen, sondern mit unserer Erkenntnisart von Gegenständen, so fern diese a priori möglich sein soll, überhaupt beschäftigt. Ein System solcher Begriffe würde Transzendental – Philosophie heißen.“ (B25) „… daß nicht eine jede Erkenntnis a priori, sondern nur die, da durch wir erkennen, daß und wie gewisse Vorstellungen (Anschauungen und Begriffe) lediglich a priori angewandt werden, oder möglich sein, transzendental (…) heißen müsse.“ (B 80). 568 Für diese Anwendung nennt der Autor keine Referenzstelle bei Kant. 569 „Īdehā agar tanẓīmkonande talaqqī šavand ‚esteʿālī’ va agar sāzande-ye tafsīr šavand ‚motaʿāl‘ ḫānde bovad“ (67). Auch hier nennt der Autor keine Referenzstelle. Es handelt sich hierbei aber offenbar um die Verwendung des Begriffs, die vor allem in der Transzendentalen Dialektik zum Tragen kommt, was Ġaffārī hier nicht eigens erwähnt. Dass Kant die Begriffe transzendent und transzendental gelegentlich synonym und damit auch missverständlich verwendet, wie Ġaffārī mit Bezug auf Ewing (1996), 25 feststellt, wird indes in der Kantforschung von vielen Interpreten beanstandet.
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Nach diesen einführenden, auch kritischen Anmerkungen zum Begriff des Transzendentalen, könnte man erwarten, dass Ġaffārī in den folgenden Abschnitten, die er dem Begriff der Anschauung (šohūd), der Begrifflichkeit von Objekt/Gegenstand und Objektivität (obže va obžektīv; šeyʾ va ʿeynīyat) sowie der Unterscheidung von Noumenon und Phänomenon (nūmen va fenūmen (seyʾ fī nafsihī) va šeyʾ namūdārī) widmet, in ähnlicher Weise vorgeht. Doch verbirgt sich hinter diesen Abschnitten vielmehr eine tiefgreifende Kritik am kantschen Verständnis der Objekterkenntnis und somit eines Kernpunktes der KrV überhaupt. Den Abschnitt über Anschauung (šohūd) beginnt der Autor, nach einer allgemeinen Begründung für die Übersetzung des Begriffs mit „intuition“ im Englischen, mit Zitaten der Anfangspassagen der Ästhetik570 (B 34/35) sowie der transzendentalen Logik,571 in denen Kant den Begriff der Anschauung einführend behandelt.572 Es folgt eine wichtige, wenn auch sehr knappe Darlegung der kantschen Unterscheidung der Begriffe Erscheinung und Phänomen, die Ġaffārī mit den Ausdrücken padīdār und namūdār wiedergibt. Er bezieht sich dabei in einem Zitat auf eine wichtige Stelle der Transzendentalen Analytik im Abschnitt „Zum Grunde der Unterscheidung aller Gegenstände Überhaupt in Phaenomena und Noumena“, in der Kant zur Unterscheidung von Erscheinung und Phänomen wie folgt aussagt: „Erscheinungen, sofern sie als Gegenstände nach der Einheit der Kategorien gedacht werden, heißen Phaenomena.“573 Mit Verweis auf Kemp Smith gibt der Autor zudem an, dass Kant dieser Unterscheidung selbst nicht immer entsprochen habe.574 Auch wenn Ġaffārī mit dieser Darlegung einen wichtigen Aspekt genannt und zudem mit dem Bezug auf das Kapitel über Phaenomena und Noumena einen insbesondere für die kantsche Objekt-Begrifflichkeit höchst relevanten Abschnitt aufgegriffen hat, fährt er hier mit seinen einführenden Erläuterungen nicht weiter fort, sondern geht im folgenden Abschnitt mit der Überschrift Eškālāt-e negārande dar bāb-e masʾale-ye šohūd (Kritikpunkte des Autors bezüglich der Frage der Anschauung)575 zu seiner Kritik nicht nur des 570 KrV, B 34–35. 571 KrV, B 74–75. 572 Im Anschluss folgt noch eine knappe Darlegung der Unterscheidung der Begriffe „Empfindung“ (engl. sensation/pers. daryāft-e ḥessī) und Gefühl (engl. feeling/pers. eḥsās), die insofern von Bedeutung ist, als Ġaffārī hier in einer Anmerkung erklärt, dass er nur im Rahmen dieser Unterscheidung den Ausdruck eḥsās für Gefühl reserviert, ihn aber ansonsten als synonym mit daryāft-e ḥessī für „Empfindung“ verwendet (71 Anm. 3). 573 KrV, A 248/9. 574 Für weitere Verwirrung habe, so Ġaffārī mit Verweis auf Kemp Smith, die Tatsache gesorgt, dass die beiden älteren Übersetzungen den Terminus „Erscheinung“ im Englischen stets mit „phenomena“ wiedergeben haben. Ġaffārī (2007), 72–73; vgl. Kemp Smith (1984), 83. 575 Ġaffārī (2007), 73–90.
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Anschauungsbegriffs, sondern des Objektbegriffs über, denn Ġaffārī sieht, wie er zu Beginn des Abschnittes deutlicht macht, eine Ursache der Schwierigkeiten in Kants Anschauungsverständnis, bzw. in dessen ungenauer Verwendung des Begriffs „object“, für den er an dieser Stelle den arabisch-persischen Ausdruck šeyʾ (eigentlich: Ding) verwendet. Der Autor diskutiert dabei drei Kritikpunkte, die er in unterschiedlicher Ausführlichkeit abhandelt. Sein erster Kritikpunkt betrifft die Schwierigkeit des kantschen Begriffs des „Dings-an-sich“ und die damit verbundene Problematik der begründeten Annahme einer wirklichen, vom Subjekt unabhängigen Außenwelt. Sein zweiter Kritikpunkt bezieht sich auf Kants Begriff des „Objekts überhaupt“ im Kontext empirischer Anschauung (74–82).576 Der dritte Kritikpunkt problematisiert den Zusammenhang empirischer Anschauung und den reinen Formen der Anschauung bei Kant.577 Zu seinem ersten Kritikpunkt merkt Ġaffārī zunächst lediglich an, es handele sich um ein Defizit (naqṣ) von Kants kritischer Philosophie, dass er die Existenz einer Außenwelt im „Ding-an-sich“ als erste Bedingung für die Anschauung und Empfindung voraussetze, ohne zu klären, auf welche Weise es auf die Sinnlichkeit wirken könne.578 Das Schema der Objekterkenntnis nach Kant stellt Ġaffārī wie folgt dar: Das Objekt I (obže I), das „Ding-an-sich“ (šeyʾ fī nafsihī) in der Außenwelt (ǧahān-e ḫāreǧ), wirkt auf den Geist/mens (ẕehn). Durch die Sinnlichkeit (qovve-ye ḥassāsīyat) wird aus der Materie der Erscheinung (mādde-ye padīdār) [gemeint ist die Empfindung, die Ġaffārī mit daryāft-e ḥessī bzw. ehsās wiedergibt] und den Formen der Erscheinung (ṣūrat-e padīdār), nämlich Zeit und Raum, die Erscheinung, der „unbestimmte Gegenstand“ (šeyʾ-e nāmotaʿayyen) – Ġaffārī nennt ihn im Schema auch Erscheinung II – konstituiert. Unter Einwirkung des Verstandes (qovve-ye fāheme) konstituiert sich aus der Erscheinung schließlich das bestimmte Objekt (obže-ye ʿeynī / šeyʾ-e motaʿayyen) bzw. Objekt III. Allein dieses werde als konkretes Objekt der Wahrnehmung bei Kant anerkannt.579 Nun aber stelle sich, so Ġaffārī, die Frage, was es mit dem Objekt I auf sich habe. Wenn man keinerlei Vorstellung (taṣavvor) oder Wissen von ihm habe, woher komme dann die Affizierung unserer Sinne? Man müsse demnach entweder annehmen, dass das Objekt III bereits drei Stufen vor seiner Erscheinung (se marḥale qabl az peydāyeš va ḥoṣūl-e ḫod) im Objekt I für uns zugänglich sei (barāye mā ḥāṣel būde ast), oder aber Objekt I verwirkliche sich für uns erst drei Stufen nach seiner Existenz (baʿd az voǧūd-e ḫod) im Objekt III. Beide Varianten aber 576 Ġaffārī (2007), 74–82. 577 Ġaffārī (2007), 84–90. 578 Ġaffārī (2007), 73. 579 Ġaffārī (2007), 82–83.
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seien in sich widersprüchlich und unmöglich.580 Ġaffārī begründet seine Position an dieser Stelle nicht weiter, sondern greift das Argument später im Abschnitt über Noumenon und Phänomenon wieder auf.
„Objekt im Allgemeinen“ Zuvor aber wendet Ġaffārī sich ausführlich einem weiteren Kritikpunkt im Kontext von Kants Vorstellung der Objekterkenntnis zu, der von einer kritischen Diskussion des Objektbegriffs im Kontext der Anschauung ausgeht, schließlich aber vor allem auf eine Kritik des Begriffs des „Objekts überhaupt“ hinausläuft, den Ġaffārī im Persischen in der Regel mit „šeyʾ/obže be ṭour-e kollī“ oder auch „šeyʾ be ṭour-e ʿāmm“ wiedergibt. Der Autor beginnt seine Diskussion damit, dass er Kant bereits unzureichende Genauigkeit in seiner Begrifflichkeit und ihrem Sinn bzw. ihrer Anwendung attestiert.581 Mit Objekt (obže) bzw. Ding (šeyʾ) seien einerseits Dinge der Außenwelt (ašyāʾ-e ḫāreǧī) gemeint, die unser Sinnesvermögen affizieren (bar ḥavāss-e ma as̱ar mīgoẕārand), andererseits wiederum finde sich die Aussage, dass Erscheinungen unbestimmte Gegenstände empirischer Anschauung (motaʿalleq-e nā motaʿayyen-e šohūd-e taǧrobī) seien.582 Dieser Ausdruck erscheint Ġaffārī als problematisch. Um das zu veranschaulichen, zitiert er eine Passage aus der Transzendentalen Analytik, genauer dem Abschnitt ‚Antizipationen der Wahrnehmung‘, in dem Kant wieder den Begriff vom „Objekt überhaupt“ verwendet: Wahrnehmung ist das empirische Bewusstsein, d. i. ein solches, in welchem zugleich Empfindung ist. Erscheinungen, als Gegenstände der Wahrnehmung, sind nicht reine (bloß formale) Anschauungen, wie Raum und Zeit (denn die können an sich gar nicht wahrgenommen werden). Sie enthalten also über die Anschauung noch die Materien zu irgend einem Objekte überhaupt (wodurch etwas Existierendes im Raume oder der Zeit vorgestellt wird), d. i. das Reale der Empfindung, als bloß subjektive Vorstellung, von der man sich nur
580 Ġaffārī (2007), 82–84. 581 „Tanāqoż va ḫodnāsāzegārī dar ḫod-e taʿbīrāt va mafāhīm va madlūlāt-e ānhā be češm mīḫorad.“ Ġaffārī (2007), 74. 582 „az digar sū īn taʿbīr dīde mīšavad ke ‚padīdārhā‘ motaʿalleq-e nā motaʿayyen-e šohūd-e taǧrobbī ʾand“ Ġaffārī (2007), 74. Der Autor gibt hier nicht an, auf welche Stelle bei Kant er sich bezieht, doch scheint er auf die vorläufige Definition von Erscheinung aus den Anfangspassagen der Transzendentalen Ästhetik (A 20/B34) Bezug zu nehmen, die er einige Seiten zuvor (69) selbst zitiert, wobei er auch dort für „Objekt/Gegenstand“ den Begriff motaʿalleq und für „unbestimmt“ nā motaʿayyen verwendet. Genauer zum Textbezug der Diskussion Ġaffārīs, siehe unten 4.3.2.3. Zu Kants Verwendung des Begriffs „Erscheinung“ vgl. insb. Rosefeldt (2007); Willascheck (1998).
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bewußt werden kann, daß das Subjekt affigiert sei, und die man auf ein Objekt überhaupt bezieht, in sich.583
Hier stelle sich, so Ġaffārī, die Frage, wie der Zusammenhang zwischen „Objekt überhaupt“ und Erscheinung auf der Ebene der Anschauung bzw. der Wahrnehmung (dar marḥale-ye šohūd va edrāk-e ḥessī) vorstellbar sei. Auf der Begriffsebene (dar marḥle-ye mafhūmī) gebe es keine Schwierigkeiten, denn wenn man die allgemeinen Begriffe eines Dings (mafāhīm-e ʿāmm-e yek šeyʾ) in Betracht ziehe und von dessen speziellen Begriffen (mafāhīm-e ǧozʾī), wie Farbe, Form, Ort, Größe, Geruch etc. abstrahiere, dann erhalte man die Vorstellung eines Dings im Allgemeinen (taṣavvor-e yek šeyʾ-e ʿāmm va be ṭour-e kollī ḥāṣel mīšavad). Das Problem dabei bestehe nun darin, dass man es, wie Kant selbst betone, bei der Anschauung und der Wahrnehmung eben gerade nicht mit allgemeinen Begriffen zu tun habe. Was aber könne dann mit „unbestimmter Wahrnehmung“ (edrāk-e ḥessī-ye mobham) gemeint sein? Im allgemeinen Sprachgebrauch spreche man von unbestimmter Wahrnehmung dann, wenn man aufgrund nicht idealer Wahrnehmungsbedingungen einige Spezifika des wahrgenommen Gegenstandes (noch) nicht wahrnehmen konnte, etwa wenn man etwas aus großer Ferne wahrnehme. Doch abgesehen von der Ungenauigkeit der Wahrnehmung sei in einem solchen Falle zumindest unbestreitbar, dass es sich um die Wahrnehmung eines objektiven und wirklichen Gegenstandes in der Außenwelt (edrāk-e yek amr-e ʿeynī va vāqeʿī dar ǧahān-e ḫāreǧ) handele. Somit könne mit „Ding im allgemeinen“ (šeyʾ be ṭour-e kollī)584 nach Kant letztlich nichts anderes gemeint sein, als dass es in Raum und Zeit einen Ort in der materiellen Welt einnehme und unser sinnliches Wahrnehmungsvermögen (qovve-ye modreke) affiziere. Somit sei es nichts anderes als das objektive Ding der Außenwelt, das sich in unserer Sinnlichkeit und unserer Anschauung wiederfinde. Das Vermögen des Verstandes könne zu diesem Grad der Objektivität demnach nichts weiter hinzufügen. Die Anschauung stelle nach Kant aber lediglich die Verbindung zu einem „Ding im allgemeinen“ bzw. einem „unbestimmten Gegenstand“ her, und erst durch die Anwendung der Verstandeskategorien und der Urteilskraft erlange man einen bestimmten Gegenstand. Das bedeute aber, dass wenn man umgekehrt von einem bestimmten Gegenstand alle spezifischen Eigenschaften abstrahiere, man letztlich zu jenem unbestimmten Gegenstand der Anschauung, dem Ding im 583 KrV, B 207/208; pers. Ġaffārī (2007), 75. 584 Ġaffārī meint hier offenkundig den Terminus des „Objekts überhaupt“, doch scheint mir die Wiedergabe mit „Ding im allgemeinen“ Ġaffārīs Verständnis des Begriffes besser zu treffen. Dieser Punkt wird in der weiteren Darstellung seines Arguments sowie in der anschließenden Diskussion noch konkreter zur Sprache kommen.
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Allgemeinen vordringe. Doch könne man sich dieses Ding nur als einen allgemeinen Begriff vorstellen und nicht als empirische Anschauung und Gegenstand der unmittelbaren sinnlichen Wahrnehmung. Hierin zeige sich demnach deutlich einer der prinzipiellen und bedeutenden Fehler, den Kant in der KrV immer wieder begehe, nämlich eine Vermischung bzw. Verwechslung von Verstandesform (ṣūrat-e maʿqūle) mit Sinnesform (ṣūrat-e maḥsūse).585 Um diese Kritik zu veranschaulichen, wendet sich Ġaffārī den vier Betrachtungsweisen von Quidditäten zu, die der Verstand bzw. Intellekt (aql) nach Ibn Sīnā zur Anwendung bringe.586 Jede dieser Betrachtungsweisen stellt der Autor in einem gleichnishaften Bild dar. Das erste Bild (1) entspreche, so das Gleichnis, etwa der präzisen Vorstellung (taṣavvor) eines Walnussbaumes, samt seiner essenziellen und akzidentellen Eigenschaften einschließlich seiner Umgebung. Das zweite Bild (2) entspreche einer ganz und gar abstrakten Vorstellung eines Baumes ohne Spezifika und ohne Einbeziehung seiner Umgebung, also ohne Kontext „die Vorstellung einer Welt, die nur Baum ist“. Im dritten Bild (3) solle man sich vorstellen, die Rolle des Baumes für die Umwelt zu ergründen, hierbei sei zunächst eine allgemeine Vorstellung von Baum zugrunde zu legen, die man auf verschiedene Kontexte anwende und somit nach Bedarf präzisiere. Das vierte Bild (4) entspreche nun der konkreten Wahrnehmung eines bestimmten Baumes, das exakt dem Bild (1) entspreche, mit dem Unterschied, dass es sich hier nicht um eine reine Vorstellung (taṣavvor), sondern um eine ‚Schau‘ (mošāhade) handele. Während es sich bei den ersten drei Bildern um intellektuelle Vorstellungen (farżīyehā-ye ʿoqalāʾī) handele, so liege das Subjekt der Vorstellung im vierten Bild gänzlich außerhalb der Kraft des Denkens (be kollī az qodrat-e andīše ḫāreǧ būd). Die gesamte Wahrnehmung sei hier eine Einheit, die auf dieser Stufe der Erkenntnis nicht in einzelne Bestandteile zergliedert werden könne.587 Diese Darstellung vergleicht Ġaffārī anschließend mit der von ihm konstatierten Ansicht Kants, derzufolge empirische Anschauungen sich allein auf ein Ding bzw. Objekt im Allgemeinen bezögen (tanhā bā obže va šeyʾ be ṭour-e ʿāmm va kollī mortabeṭ hastand) und erst nach der Anwendung der Verstandeskategorien, d. h. der Begriffsbildung (mafhūmsāzī) basierend auf diesen Anschauungen ”اکنون جای این پرسش است که «داستان ادراک حسی از یک شئ به طور کلّی» در نظر کانت چه مفهومی میتواند داشته باشد؟ آیا این «شئ کلّی» جز اینکه جائی در جهان مادّه ما را از نظر مکان و زمان اشغال کند و توسط ) پس این همان شئ عینی و...( میتواند معنای دگری داشته باشد؟، ق ّوه مدرکه ما را متأثر کرده باشد،یکی از حواس خارجی است که در قوّه حسّ و شهود حسّی ما موجود است و قوّه فاهمه در این مقدار از عینیت کار بیشتری نمیتواند ) آنچه گذاشت اشاره به یکی از مغالطات اصلی و مهمی است که کانت بارها در کتاب «نقد» مرتکب آن...( .انجام دهد “.میشود و ما از آن به عنوان خلط میان «صورت معقوله» و «صورت محسوسه» یاد خوایم کرد Ġaffārī (2007), 77–78. 586 Zum Kontext dieser Betrachtungsweisen der Quiddität bei Ibn Sīnā siehe unten 4.3.2.3. 587 Ġaffārī (2007), 78–80. 585
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eine „unbestimmte Anschauung“ (šohūd-e nāmotaʿayyen) zu einer bestimmten Anschauung (šohūd-e motaʿayyen) werde, die auf ein bestimmtes Objekt verweise. Als Ergebnis des Vergleichs hält er fest, dass jene erste Vorstellung (1) dem kantschen Begriff des bestimmten Objekts entspreche, die Vorstellung (3) wiederum dem unbestimmten Objekt. Nach der Terminologie der islamischen Philosophen (ḥokamā-ye eslāmī) stehe für (3) der Begriff māhīyat-e lā bešarṭ, in der nur die Essenz (ẕāt) einer Quiddität im Intellekt repräsentiert werde, was einem Gegenstand/Objekt/Ding im Allgemeinen entspreche. Die Vorstellung (1) stehe für den Begriff māhīyat be šarṭ šeyʾ, in der durch Begriffsbildung aus einem unbestimmten Begriff (mafhūm-e nāmotaʿayyen) ein bestimmter Begriff (mafhūm-e motaʿayyen) werde, was dem kantschen Vorgang der Bestimmung (marḥale-ye taʿayyonpaẕīrī) entspreche.588 Da es offenkundig sei, dass die sinnlich-phänomenale Wahrnehmung (edrāk-e ḥessī-ye šohūdī) bzw. die anschauliche Wahrnehmung (edrāk-e šohūdī) Kants auf einer anderen Ebene und unabhängig von der begrifflichen Wahrnehmung (edrāk-e mafhūmī) angesiedelt sei – Kant selbst habe immer wieder darauf hingewiesen –, müsse die anschauliche Wahrnehmung der Vorstellung (4) entsprechen, die auf der Ebene der Form der Sinnlichkeit liege. Bei dieser aber könne, wie erwähnt, der gesamte Wahrnehmungsinhalt nur als Einheit aufgefasst und nicht in seine Bestandteile zergliedert werden. Daraus folge aber, so Ġaffārīs Schlussfolgerung aus der kritischen Diskussion des Begriffs obže/šeyʾ be ṭour-e kollī/ʿāmm, dass die Annahme eines „Objekts im Allgemeinen“ auf dieser Ebene gar nicht vorstellbar sei. Würde man ihn auf dieser Ebene der Sinnlichkeit anwenden, so würde man sie ad absurdum führen. Es handelt sich nach Ġaffārī also um eine unzulässige Vermischung bzw. Verwechslung der sinnlichen Ebene mit der des Verstandes in der Analyse des Erkenntnisprozesses, die sein Konzept der Anschauung in Widersprüche verstricke.589 In einem weiteren Punkt führt der Autor die Kritik an Kants Anschauungsbegriff weiter, indem er, um die Stimmigkeit des Anschauungsbegriffs zu prüfen, auch die Annahme reiner Anschauungsformen diskutiert. Das Problem hierbei liege darin, dass der Begriff der Anschauung, wie Kant ihn für die empirische Anschauung verwende, von dem der „reinen Anschauung“ (šohūd-e maḥż) in einem essenziellen Punkt verschieden sei. Denn in der Definition der empirischen Anschauung habe Kant festgelegt, dass diese sich dadurch auszeichne, einen unmittelbaren Bezug auf Gegenstände herzustellen. Auf die „reine Anschauung“ aber treffe gerade das nicht zu. Vielmehr sei für diese kennzeichnend, dass sie eben gerade keines Bezugs zu Gegenständen bedürfe, sondern jedem solchen 588 Ġaffārī gibt in FN s.81 n.2 das deutsche Synonym „Bestimmung“ selbst an. 589 Ġaffārī (2007), 80–82.
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Bezug a priori vorausgehe. Nun stelle sich die Frage, inwieweit die reine Anschauung noch Kants formalen Anforderungen an den Anschauungsbegriff genügen könne, wenn für diese der unmittelbare Bezug zu Gegenständen maßgeblich sei. Auch die Unterscheidung in Anschauung auf der einen Seite und Formen der Anschauung (ṣūrat-e šohūd für reine Anschauung) helfe da nicht wirklich weiter. Denn Kant bezeichne auch jene reinen Anschauungsformen selbst mehrfach explizit als Anschauungen, somit müsse man sich fragen, was eine begriffliche Einteilung von Anschauung bedeute. Wenn man auch die reine Anschauung als Anschauung im kantschen Sinne bezeichnen wolle, dann müsse sie auch dem Kriterium gerecht werden, sich auf Gegenstände zu beziehen. Wenn sie aber als Form der Anschauung selbst nicht Anschauung im eigentlichen Sinne sei, dann wiederum müsse man sie als begrifflich auffassen, was aber dem ursprünglichen Anliegen Kants in der Transzendentalen Ästhetik, reine Anschauungen von Begriffen zu unterscheiden, den Boden entzöge.590 Zwar sei bereits die Tatsache problematisch, dass Kant offenkundig den Begriff der Anschauung in verschiedener Weise gebrauche,591 doch liege das Hauptproblem von Kants Anschauungsbegriff einerseits in seiner bereits kritisierten Einbeziehung eines „Gegenstands im allgemeinen“, im Kontext der Anschauung, und andererseits in der Tatsache, dass Kant davon ausgehe, dass die unbestimmten Empfindungen, die er die Materie der Erscheinung (mādde-ye padīdār) nenne, durch die Form der Erscheinungen „durch eine Reihe von geordneten Verhältnissen bestimmt werde“ (dar yek selsele-ye ravābeṭ-e monaẓẓam motaʿayyen mīšavad).592 Maßgeblich für diese ordnende Struktur sei die apriorische Anschauungsform des Raumes.593 Wenn man die Vorstellung (taṣavvor) des Raumes von den Dingen abstrahiere, dann bliebe nur noch eine Reihe von ungeordneten und unverbundenen Empfindungen übrig, die subjektiv und nicht objektiv (ʿeynī) seien. Somit sei es diese Vorstellung, die die Empfindungen in ein Verhältnis zueinander setze und ihnen in Bezug auf das Subjekt der Erkenntnis Äußerlichkeit und Objektivität verleihe. Für die Objektivität der Empfindungen bedürfe man demnach nichts weiter als der apriorischen Anschauungsform des Raumes, die das Verhältnis derselben zueinander und zum Wahrnehmenden bestimmten. Dann aber stelle sich die Frage, wie man überhaupt noch von unbestimmter Anschauung sinnvoll reden könne, denn durch die Anschauungsfor-
590 Ġaffārī (2007), 84–87. 591 Ġaffārī (2007), 88. Bezug: Allison (1992), 327. 592 Ġaffārī bezieht sich hier auf eine Anfangspassage der Transzendentalen Ästhetik KrV A20. 593 Vgl. A 23/24.
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men sei sie demzufolge ja bereits bestimmt. Auch hier zeige sich wiederum ein grundsätzlicher struktureller Fehler in der Lehre Kants.594 Ġaffārī beendet seine kritische Evaluation des kantschen Begriffs der Anschauung mit einem kursorischen Vergleich des Begriffs der Anschauung in der Philosophie Kants und des Konzepts der „Erkenntnis durch Präsenz“ (ʿelm-e ḥożūrī) in der islamischen Philosophie (moqāyase-ye eṣṭelāḥ-e šohūd dar falsafeye Kānt va ʿelm-e ḥożūrī dar falsafe-ye eslāmī).595 Mit ʿelm-e ḥożūrī sei im Kontext der islamischen Philosophie eine Form der Erkenntnis gemeint, die einen unmittelbaren Bezug zum Objekt der Erkenntnis gewährleiste und die sich somit von der diskursiven Erkenntnis durch Repräsentation (ʿelm-e ḥoṣūlī) dadurch unterscheide, dass es keiner Vermittlung durch eine Instanz des Erkenntnisapparates bedürfe. Ein Prinzip dieser Erkenntnisform sei die ontologische Einheit von Erkennendem und Erkanntem (etteḥād-e voǧūdī-ye ʿālem va maʿlūm). Ibn Sīnā habe diese Form der Erkenntnis nur für die Erkenntnis des Selbst (nafs) gelten lassen, wohingegen Mollā Ṣadrā sie auch für alle übrigen Erkenntnisgegenstände als grundlegend ansehe.596 Dieses Konzept habe viele dazu veranlasst, es mit dem Konzept der Anschauung (Intuition/šohūd) bei Kant zu vergleichen. Dieser Vergleich sei auch insofern naheliegend, als für beide Konzepte der unmittelbare Bezug zu den Gegenständen sowie ihr subjektiver Charakter (šaḫsī būdan) kennzeichnend seien. Jedoch laufe Kants Konzept der Anschauung auf nichts anderes als Erkenntnis durch Repräsentation hinaus, da diese auf Anschauung aufbaue, die nichts anderes als eine Form der sinnlichen Wahrnehmung sei (hame-ye ḫoṣūṣīyātī ke […] dar īn šohūd yāft mīšavad hamān ḫoṣūṣīyat-e edrāk-e ḥessī […] ast,).597 Das Konzept der Erkenntnis durch Präsenz stelle dagegen in vollem Sinne eine Form der Erkenntnis dar.
594 Ġaffārī (2007), 88–90. 595 Ġaffārī (2007), 90–95. Bei ʿelm-e hożūrī handelt es sich um ein zentrales Konzept innerhalb der Erkenntnislehre Šihāb ad-Dīn as-Suhrawardīs und Mollā Ṣadrās, für dessen Erläuterung es einer weitaus ausführlicheren Diskussion bedarf als die von Ġaffārī in besagtem Abschnitt gebotene. Es ist offenkundig auch nicht die Absicht des Autors, dieses Konzept umfassend darzulegen. Vielmehr setzt der gelieferte Vergleich, der sich vermutlich in erster Linie an Kenner der islamischen Philosophie richtet, ein Grundwissen dieses Konzepts voraus. Es handelt sich dabei, wie die obige Paraphrase andeutet, um einen unmittelbaren Erkenntnisvorgang, bei dem ein Objekt intuitiv mit allen spezifischen Merkmalen erfasst wird, diese Erkenntnisart wird von Suhrawardī und Ṣadrā der deduktiven vorgezogen. Dazu für Suhrawardī vgl. knapp Rudolph (2004), 82f., für Ṣadrā vgl. Rizvi (2009) 88–91. 596 In einer Fußnote (S. 91, Anm. 2) gibt der Autor allerdings an, dass Ibn Sīnā in seiner Schrift al-mabdʾ wa-l-maʿād diese Form der Erkenntnis auch für alle übrigen Erkenntnisbereiche gelten lasse. 597 Ġaffārī (2007), 95.
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Kritik des Objektbegriffs/Paradoxie des kantschen Begriffs vom „Ding-an-sich“ Im folgenden Unterkapitel, das Ġaffārī mit „Objekt/Gegenstand und Objektivität“ (obže va obžektīv; šeyʾ va ʿeynīyat) übertitelt, führt der Autor seine Kritik an Kants Objektbegriff fort, wobei er sich vornehmlich auf die Erläuterungen Patons bezieht, die dieser in seinem Kommentar zur KrV zum Thema anführt. Dadurch führt der Textbezug Ġaffārīs in diesem Falle über eine interpretatorische Zwischeninstanz, was nicht zuletzt auch Auswirkungen auf die Interpretation des Autors hat.598 Ġaffārī beginnt seine Diskussion in diesem Abschnitt mit einem Zitat aus Patons Kommentar, in dem dieser zur Problematik des kantschen Begriffs des Objekts angibt, er tauche bei Kant in vier verschiedenen Bedeutungen auf.599 Zunächst werde von Kant das „Ding-an-sich“ (thing in itself / šeyʾ fī nafsihī) vom „phänomenalen Gegenstand“ bzw. Phänomen (phenomenal object / šeyʾ-e namūdārī) unterschieden. Darüber hinaus sei der Begriff des Phänomens selbst aus zwei Bestandteilen zusammengesetzt, die Kant ebenfalls für sich genommen als Objekt bezeichne, nämlich einerseits die „gegebene Materie der Sinnlichkeit“ (mādde-ye dāde šode be ḥavāss) und andererseits die Form, die mittels des Denkens jene umfasse (ṣūratī ke tavassoṭ-e andīše be ān pūšānīde mīšavad). Die Erstere, die Materie der Sinnlichkeit, sei das unbestimmte Objekt (obže-ye nāmotaʿayyen) bzw. das Objekt, wie es erscheine (hamčūn padīdār ast), die zweite sei das „Objekt im Allgemeinen“ (obže be ṭour-e kollī). Dadurch sei es Kant möglich, zugleich zu behaupten, a) das Objekt sei einerseits unerkannt (nāšenāḫte) – gemeint ist wohl unerkennbar – und andererseits ein zu erkennendes sowie b) das Objekt sei unabhängig vom Denken gegeben (be mā ǧodāʾī az tafakkor dāde šode ast) und kein Objekt existiere unabhängig vom Denken (hīčgūne‚ obžeʾī’ ǧodāʾī az tafakkor voǧūd nadārad). Dieser scheinbar unlösbare Widerspruch aber sei, so zitiert der Autor Paton weiter, letztlich auflösbar.600 Ġaffārī hingegen ist der Ansicht, dass es sich bei diesem Widerspruch um einen essenziellen handele, den man nicht allein auf die ungenaue und häufig irreführende Ausdrucksweise und Begriffsverwendung Kants zurückführen könne, die zwar einen Makel aber kein grundsätzliches Problem darstelle. Der Autor fährt fort, indem er Patons Erläuterungen wiedergibt, die dieser in Kapitel IV § 2 seines Kommentars zur KrV zur Problematik des Objektbegriffs bereithält. Wir können demnach, so zitiert Ġaffārī Paton,601 nur insofern Anschauungen haben, als uns ein Gegenstand (šeyʾ/obže) gegeben ist. Ein Gegenstand aber sei uns nur insofern gegeben, als er unseren Geist (ẕehn) affiziere und eine Empfin598 Näheres dazu in der Diskussion 4.3.2.3. 599 Paton (1961/36), 50–51. 600 Ġaffārī (2007), 95–96. 601 Vgl. Paton (1961), 95–96.
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dung (eḥsās) hervorrufe. Das Problem sei hier, dass der Ausdruck „Ding/Objekt“ ambivalent sei (lafẓ-e šeyʾ (obže) dārā-ye ebhām ast). Eine Erklärung dafür sei, so Paton, die folgende: Ein Objekt „Stuhl“ sei uns nur insofern gegeben, als es unseren Geist durch den Sinnesapparat affiziere und etwa eine Farbempfindung hervorrufe. Nun könne man diesen Gegenstand analysieren in Ding-an-sich und Phänomen. Was gegeben sei, sei eine Farbe, aber nur durch das Denken werde sie zum Stuhl. Das meine Kant, wenn er sage, Anschauungen ohne Denken seien blind.602 Also könne ohne das Denken von einem bestimmten Gegenstand (šeyʾ-e motaʿayyen), d. h. von einem phänomenalen Objekt, keine Rede sein. Was gegeben sei, seien reine Sinnesdata (mere sensum / maḥsūs-e maḥż), d. h. ein unbestimmter Gegenstand (šeyʾ-e nāmotaʿayyen) im Sinne einer reinen Erscheinung (padīdār-e ṣarf) unabhängig vom Denken.603 In Kants Diskussion des Objektbegriffs werde also, so Ġaffārīs Argument, das „Ding-an-sich“ als äußere Wirklichkeit (vāqeʿīyat-e ḫāreǧī) letztlich zu einem phänomenalen Objekt umdeklariert. Um diese Kritik zu untermauern, zitiert er, wie immer in eigener Übersetzung ins Persische, folgende Absätze Patons aus Kap. IV § 2: Intuition itself may be analyzed into form and matter. The matter is the sensation or sensum, which may also be called an impression. This is the ‚effect‘ of the object which ‚affects‘ our minds. (FN A 19/B 34. The ‚object‘ here is again ambiguous. It may be taken, primarily at least, as the thing-in-itself.) The form is the space and time in which our sensations are arranged and is due, as Kant hopes to prove, not the thing affecting us, but to the nature of our minds. Intuition is immediately related to an individual object, and is distinguished from thought or conception by being so related. Thought is always mediate or discursive, always related to its object by means of intuition. Here again the word ‚object‘ is ambiguous [sic.], and Kant may be speaking on a common-sense level. If we insist on distinguishing the thing-initself from the phenomenal object, his primary concern would seem to be with the latter. It must be sufficient to say at present that the phenomenal object (such as a chair or table) is directly and immediately given to intuition. Whatever be the part played by thinking, when we feel the hardness and see the colour of a chair, our minds are in an immediate relation to the chair, and the chair is so far immediately present to or minds.604
In diesem Zitat zeige sich deutlich, dass auch Paton die Ambivalenz und Unschärfe in Kants Objektbegriff nicht aufzulösen vermag, während er noch im ersten zitierten Absatz davon gesprochen habe, dass mit dem Objekt, das unseren Geist affiziere, das „Ding-an-sich“ gemeint sein müsse, so behaupte er im zweiten 602 Vgl. KrV, A 51/B 75. 603 Ġaffārī (2007), 97–99. 604 Paton (1961), 97–98.
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Absatz, dass es das phänomenale Objekt sei, auf das sich die Anschauung unmittelbar beziehe. Dies veranschauliche sehr deutlich, wie bei Kant das Ding der Außenwelt letztlich suspendiert werde. In seiner Diskussion zur Anschauung vertrete Kant zunächst klar die Position, dass eine Anschauung nur zustande komme, wenn etwas die Sinne affiziere, das außerhalb des Subjekts der Wahrnehmung liege. Dabei könne es sich letztlich um nichts anders handeln als um ein Ding der Außenwelt, das wirklich ist (vāqeʿīyat dārad) und eine Wirkung hat (as̱ar dārad), wie ein wirklicher Stuhl oder Tisch, ob man es nun „Ding-an-sich“ nenne oder anders. An den Erläuterungen Patons könne man sehen, wie eben jenes konkrete Objekt, etwa ein Stuhl oder Tisch, das eine Wirkung auf die Sinne ausüben sollte, durch die Verstandeskategorien unversehens zu einem phänomenalen Ding (šeyʾ namūdārī) bzw. einer Erscheinung (padīdār) werde, das bedeute, der „äußere Stuhl“ (ṣandalī-ye ḫāreǧī) verschwinde und als bestimmtes Objekt (obže-ye motaʿayyen) bleibe lediglich das Phänomen übrig.605 Darin zeige sich auch der fundamentale Unterschied zwischen Kants Ansatz und dem der islamischen Philosophen (ḥokamā-ye eslāmī). Dem Anschein nach verstünden beide den Zugang zu einer Existenz der Außenwelt als eine gemeinsame Errungenschaft (maḥsūl-e moštarak) des Verstandesvermögens und des sinnlich Wahrgenommenen.606 Doch während man von den islamischen Philosophen durch den Verstand tatsächlich von der Sinneswahrnehmung über deren Verweis auf etwas außerhalb des Subjekts der Wahrnehmung zu einer wirklichen Außenwelt geleitet werde, so bewirke der Einfluss des Verstandes auf die sinnliche Erscheinung (taʾs̱īr-e qovve-ye fāheme bar ‚padīdār‘-e ḥessī) bei Kant nichts weiter als die Umwandlung einer „unbestimmten sinnlichen Form“ in eine „bestimmte sinnliche Form“ (tabdīl-e ṣurat-e ḥessī-ye nāmotaʿayyen be ṣūrat-e ḥessī-ye motaʿyyen) und das, was als bestimmter Gegenstand bezeichnet werde, gehöre lediglich einer ‚Welt der Erscheinung‘ an. Das objektiv gegebene Ding der Außenwelt sei damit durch eine mentale Entität (amrī ẕehnī) ersetzt worden. Weil aber der Ausdruck ‚mental‘ Kant und seinen ihm wohlgesinnten Interpreten unpassend erschien, verwendeten sie an seiner statt lieber den Ausdruck „objektiv“ (ʿeynī/obžektīv). Im Ergebnis könne „objektiv“ nur noch auf Bewusstseinsinhalte angewandt werden. Auf Grundlage von Kants Prinzip der Unterscheidung von Noumena und Phänomena und seinem Begriff des „Dings-an-sich“ sei der Beweis einer objektiven Außenwelt nicht möglich.607 Für die Bedeutung des Intellekts (ʿaql) habe das zur Folge, dass dieser in der islamischen Philosophie dazu in der Lage sei, von der Sinnlichkeit, von Sin605 Ġaffārī (2007), 103. 606 Vgl. Ġaffārī (2007), 9. 607 Ġaffārī (2007), 103–104.
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neseinrücken zur Erkenntnis einer Welt zu gelangen, die diese Eindrücke hervorgerufen habe. Bei Kant aber bliebe der Verstand letztlich in der Sinnlichkeit stecken. Er sei bei ihm zwar nominell von der Sinnlichkeit verschieden, tatsächlich aber nichts weiter als eine Art „höhere Sinnlichkeit“ (ḥess-e bartar), weil er nicht über sie hinausweise und damit das Sein keine primäre Rolle (voǧūd hīčgūne eṣālatī) spiele. Den Bezug auf den Seinsbegriff stellt Ġaffārī in einem weiteren Argument gegen Kants Auffassung von einem Ding-an-sich explizit her. Dieses sei, so der Autor mit Verweis auf Paton, eine Art Rest des Realismus, mit dem Kant seinen transzendentalen Idealismus von einem absoluten Idealismus unterscheiden wolle. Nur sei eben dieser Begriff des Dings-an-sich widersprüchlich, was Ġaffārī dadurch zu verdeutlichen versucht, indem er Kants Seinsverständnis auf den Begriff des Dings-an-sich bezieht. Zu diesem Zweck verweist er auf drei Prämissen, die er bei Kant ausmacht: Kant behaupte (1) in der Transzendentalen Dialektik, das Sein sei kein reales Prädikat, sondern nur die Kopula eines Urteils.608 Des Weiteren (2) gehe er davon aus, dass das Ding-an-sich für den Menschen unerkennbar ist. Zudem (3) bestehe die Unterscheidung seiner Philosophie vom Idealismus in der Annahme der Existenz eines Dings-an-sich. Diese Voraussetzungen aber stünden zueinander in Widerspruch, entweder sei Sein kein reales Prädikat, dann aber mache der Satz „Das Ding-an-sich existiert“ keinen Sinn, was wiederum zur Folge habe, dass es keinen erkennbaren Unterschied zwischen Kants Philosophie und dem Idealismus gebe. Wenn aber das Sein im Urteil „Das Ding-an-sich existiert“ Sinn ergeben solle, dann müsse das Sein doch ein reales Prädikat sein. Das aber würde bedeuten, dass einem grundlegenden Prinzip der Philosophie Kants, nämlich die beschränkte Anwendung der Verstandeskategorien auf die „mögliche Erfahrung“, der Boden entzogen würde.609 Das Argument, auf das Ġaffārī mit der Gegenüberstellung der beiden kantschen Doktrinen der „Notwendigkeit eines Dings-an-sich“ und dem Urteil „Sein ist kein reales Prädikat“ abzielt, führt er nicht weiter aus. Seine Schlussfolgerung bedürfte noch einiger Erläuterungen, um einsichtig zu sein. Seine Absicht allerdings ist klar: Sie besteht im Kontext der Gesamtargumentation darin, die Paradoxie des Begriffs vom „Ding-an-sich“ zu begründen.
Noumenon und Phänomenon Die nun folgende Diskussion der Begriffe Noumenon und Phänomenon (107–120) führt diesen Punkt weiter fort. Der Autor bedient sich dafür eingangs eines Zitats 608 Er bezieht sich auf die einschlägige Stelle B 626 „Sein ist offenbar kein reales Prädikat (…).“ 609 Ġaffārī (2007), 107.
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Friedrich Heinrich Jacobis (1743–1819), eines zeitgenössischen Kritikers Kants, der seine Schwierigkeiten mit der KrV auf die Paradoxie des Begriffs vom Dingan-sich zurückführte: Weil ich unaufhörlich darüber irre wurde, daß ich ohne jene Voraussetzung [der Annahme eines Dings-an-sich] in das System nicht hineinkommen und mit jener Voraussetzung darin nicht bleiben konnte.610
Dieses Argument, das auch unter zeitgenössischen Kantinterpreten vertreten wird,611 spiegelt Ġaffārīs Position in der Tat angemessen wider. Im Fortgang seiner Diskussion wendet er sich erneut den Erläuterungen Patons zu, die dieser in Kap. II „Appearence and Reality“ § 2 (Relation of Appearance to Reality) darlegt.612 Paton vertritt darin die Meinung, dass Kant in zweierlei Weise das Verhältnis von Ding-an-sich und Erscheinung zum Ausdruck bringt. The appearance is the thing as it appears to us, or as it is in relation to us, though it is not the thing as it is in itself. That is to say, things as they are in themselves are the very same things that appear to us, although they appear to us, and because of our powers of knowing must appear to us, as different from what they are in themselves. Strictly speaking, there are not two things, but only one thing considered in two different ways: the thing as it is in itself and as it appears to us. This view seems to be Kant’s primary view, but he also speaks, less happily, of appearances as being due to the ‚influence‘ of things in themselves; and he speaks of things in themselves as ‚affecting us‘ or ‚affecting our sensibility‘, and so producing appearances or ideas.613
Zu der Deutung, die nach Paton die eigentliche Haltung Kants bezüglich des Verhältnisses von Ding-an-sich und Erscheinung widerspiegele, äußert sich Ġaffārī dezidiert kritisch. Die Annahme, dass Noumenon und Phänomenon ein Ding seien, jedoch auf zweierlei Weise betrachtet, könne man sich nur auf zwei Arten vorstellen, die beide problematisch seien. Entweder man gehe davon aus, dass sie ihrem Sein nach (voǧūdan) eins seien, was aber von vorneherein widersprüchlich sei, denn es sei evident, dass das Phänomen etwas sei, das in uns liege. Wenn das Noumenon nun seinem Sein nach mit dem Phänomen identisch sei, so müsse es auch in uns liegen. Das aber wäre gleichbedeutend mit der Leugnung jedwe-
610 Jacobi (1815), 304. Ġaffārī gibt keine Stelle an. Vermutlich hatte er selbst eine Paraphrase des Satzes als Vorlage, wie sie in der Kantliteratur mehrfach zu finden ist. Er gibt Jacobi wie folgt wieder: „bedūn-e šey fī nafse namitavān dar neẓām-e naqqādī-ye Kānt vāred šod, va bā ān namitavān dar ān bāqī mānd.“ (107) Vgl. dazu Ficara (2006), 77–79. 611 Ähnlich sieht es Hintikka, dazu Ficara (2006), 77 Anm. 162. 612 Paton (19613), 61–62. 613 Paton (19613), ebd. Ġaffārīs Übersetzung dieser Passage Ġaffārī (2007), 108–109.
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der Wirklichkeit außerhalb der Wirklichkeit des Ich (nafī-ye har vāqeʿīyatī ǧoz vāqeʿīyat-e ‚man’ ḫāhad būd) und mithin nichts anderes als ein absoluter Idealismus (īdeʾālīsm-e moṭlaq). Oder aber, so die andere Erklärungsvariante, Phänomen und Ding-an-sich seien vom Standpunkt des Seins betrachtet zweierlei,614 ihrer Quiddität, d. h. ihrem Wesen nach aber seien sie eins. Doch auch diese Vorstellung sei nicht nur widersprüchlich, sondern auch mit dem kantschen System letztlich nicht vereinbar, denn da Anschauungsformen und Begriffe Auswirkungen auf die Struktur des Phänomens haben, könne dieses auch dem Wesen nach nicht mit dem Ding-an-sich identisch sein.615 Darüber hinaus wäre eine solche Vorstellung Ausdruck eines naiven Realismus, der von einem genauen Abbild des Gegenstandes im Geiste ausgeht, was dem kritischen Anspruch Kants aber in keiner Weise gerecht werde. Patons Versuch, die Paradoxie des Dings-an-sich aufzulösen, schlage also fehl. Ebenfalls zum Scheitern verurteilt seien Versuche, diese Paradoxie mit Rückgriff auf Konzepte und Termini der islamischen Philosophie zum Wohle der Kohärenz des kantschen Arguments aufzulösen.616 So sei es etwa irreführend, den Begriff des „Dings-an-sich“ mit dem Begriff des voǧūd-e nafsī bzw. voǧūd-e ʿeynī und den des Phänomens mit dem des voǧūd-e ẕehnī der islamischen Philosophie zu identifizieren. Insbesondere voǧūd-e ʿeynī sei vom Begriff des Dings-an-sich völlig verschieden.617
Zusammenfassung von Ġaffārīs Argumentation Ġaffārīs deklarierte Absicht in diesem Kapitel war es, einige der zentralsten (bonyādī) Begriffe der theoretischen Philosophie Kants einzuführen und zu kommentieren. Doch der Autor ging in seiner Diskussion deutlich darüber hinaus. Zusammenfassend kann man feststellen, dass seine Diskussion letztlich auf
614 Gemeint ist wohl in einem Falle äußeres Sein, im anderen Falle mentales Sein. 615 «) در ساختار درونی «شئ برای ما» یعنی «فنومن...( ”زمان و مکان از یک سوء و مقوالت فاهمه از دیگر سوء “. طوری که شئ پدیداری هرگز از نظر ماهوی معادل شئ فی نفسه نیست،دخالت دارد Ġaffārī (2007), 109–110. 616 Ġaffārī zitiert und kommentiert lange Passagen aus einem unveröffentlichten Manuskript eines befreundeten iranischen Autors, dessen Namen er vor der Veröffentlichung nicht nennen wolle, da er seine Position kritisiere. Vgl. Ġaffārī (2007), 110 Ann. 1. Ich konnte den Autor bisher nicht identifizieren und damit auch nicht in Erfahrung bringen, ob besagtes Manuskript inzwischen als Buch erschienen ist. Auf diese Diskussion werde ich daher nicht im Detail eingehen. 617 Ġaffārī bezieht sich hier auf eine Stelle des nicht genannten Autors. In seinem Kommentar dazu gibt er bezüglich der Terminologie an, dass die Gegenüberstellung von voǧūd-e nafsī und voǧūd-e ẕehnī nicht korrekt sei, da voǧūd-e nafsī beides woǧūd-e ẕehnī und voǧūd-e ʿeynī umfasse. Ġaffārī (2007), 115.
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eine Fundamentalkritik der Grundlagen bzw. der Grundbegriffe der kantschen Erkenntnislehre hinausläuft. Der Begriff der Anschauung etwa ist für ihn, so wie er bei Kant diskutiert wird, in mehrfacher Hinsicht widersprüchlich. Einerseits definiere Kant Anschauung über ihren direkten und subjektiven Bezug zu Gegenständen, behaupte aber des Weiteren, sie liefere nur die Vorstellung von einem „unbestimmten Gegenstand“ bzw. einem „Objekt im Allgemeinen“. Dieses aber mache im Kontext der empirischen Anschauung, mithin der sinnlichen Wahrnehmung keinen Sinn, da es sich vielmehr um einen allgemeinen Begriff handele, der aber eben gerade nicht zur Ebene der Sinnlichkeit, sondern des Verstandes gehöre. Zudem sei auch die Lehre von den reinen Anschauungsformen problematisch. Einerseits weil Kant sie selbst als Anschauungen bezeichne, diese aber die Kriterien der Anschauung, wie etwa direkter Bezug auf Gegenstände, nicht erfüllten, und außerdem, weil sie als Formen der Anschauung dem unbestimmten Material derselben eine Struktur geben und es damit bestimmten. Dann aber bleibe die Frage, welche Rolle dem Verstand zukommen solle, der doch für die Bestimmung erst zuständig war, und inwiefern man noch von unbestimmten Gegenständen der Anschauung sprechen könne, wenn sie bereits in der Anschauung selbst bestimmt werden. Auch der kantsche Begriff des „Dings-an-sich“ bzw. des Noumenons und seine Unterscheidung vom Phänomen werden durch Ġaffārī einer grundsätzlichen Kritik unterzogen. Ġaffārī stellt für das „Ding-an-sich“ ein unauflösbares Paradoxon fest, das den Begriff im Kontext der kantschen Argumentation letztlich unbrauchbar mache. Einerseits benötige Kant den Begriff des Dings-an-sich, um sich vom absoluten Idealismus abzugrenzen. Doch im Endeffekt sei nicht einmal klar, ob es nach Kant tatsächlich das Ding-an-sich sei, das die Sinne affiziere oder nicht doch ein Phänomen. Ġaffārīs Darstellung zufolge hat es den Anschein, dass Kant den Begriff nur noch nominell stehen lasse, ihn aber in systematischer Hinsicht gar nicht mehr zur Geltung kommen lasse, da die Dinge der Außenwelt, die doch die Phänomene verursachten, durch die Erkenntnis gar nicht zugänglich sind und somit bei Kant gar nicht mehr vorkommen. Das führt Ġaffārī auch zu dem Urteil, dass in Kants Erkenntnislehre der Verstand letztlich keine entscheidende Rolle spiele bzw. gar nicht essenziell von der Sinnlichkeit verschieden sei. Denn die Aufgabe des Verstandes sei es, das scheint Ġaffārīs Position zu sein, durch die Verarbeitung des durch die Sinnlichkeit Gegebenen den Bezug zur extramentalen Welt herzustellen. Dieser aber falle bei Kant weg, und als objektive Welt werden folglich nicht mehr die Dinge der Außenwelt, sondern nur noch die Welt der Erscheinung deklariert, also das, was in der Sinnlichkeit gegeben sei.
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4.3.2.3 Diskussion im Kontext In der nun folgenden Diskussion geht es darum, die Argumentation Ġaffārīs zu kontextualisieren. Dabei ist eine Reihe von Kontexten zu beachten. Zunächst gilt es, den Werkkontext Kants in Augenschein zu nehmen, d. h. einige einschlägige Textstellen, auf die Ġaffārī sich in seiner Argumentation bezieht, in ihrem Argumentationszusammenhang nachzuvollziehen. Darüber hinaus ist der Kontext der Sekundärquellen Ġaffārīs, vornehmlich die Kommentare zu jenen Textstellen, zu berücksichtigen sowie der Kontext der Werke islamischer Denker, auf die Ġaffārī zumeist Bezug nimmt, um seine Kritik zu begründen. Ergänzend und erläuternd werde ich auch auf den Kontext der Kantforschung zu den von Ġaffāri thematisierten Problemen eingehen. Es fällt auf, dass Ġaffārī in seiner Diskussion zentrale Begriffe der kantschen Philosophie kritisiert, die allesamt in der Geschichte der Kantinterpretation für umfangreiche Kontroversen gesorgt haben. Es gilt daher in einem ersten Schritt noch einmal zu rekapitulieren, in welcher Weise er diese Begriffe einführt, auslegt und in welchem Verhältnis sich sein Verständnis der Begriffe zur kantschen Verwendung derselben in der KrV steht. Das ist für sich genommen natürlich nicht unproblematisch. Denn tatsächlich die Sicht Kants einzunehmen, dürfte letztlich kein Interpret unkritisch für sich in Anspruch nehmen. Hinzu kommt, dass Kant mit den zentralen Begriffen seines Denkens vielfach ungenau und vor allem uneinheitlich verfahren ist. Man wird daher für Ġaffārīs Kritik, die Kant genau diese Ambivalenz im Umgang mit der Begrifflichkeit vorwirft und die er mit einem Großteil der Kantinterpreten teilt, eine Vielzahl von Belegen finden. Inwiefern sein Urteil, es handele sich letztlich auch um ein gänzlich inkonsistentes System, zutrifft, ist damit allerdings noch nicht entschieden. Doch auch im Wissen um diese Bedeutungsschwankungen der Termini im Werke Kants (ja selbst innerhalb der KrV) macht es Sinn, einen Abgleich der Deutungen Ġaffārīs mit dem kantschen Referenztext zu unternehmen, gerade weil Kant manche Begriffe in verschiedenen Kontexten unterschiedlich verwendet und es mitunter auch Bedeutungsentwicklungen im Werk gibt, die sich aus dem Fortgang seiner Argumentation erklären.
Objekt – Gegenstand – Ding Einer jener Grundbegriffe in Kants Erkenntnislehre, deren Gebrauch Ġaffārī kritisiert, ist der Begriff des Objekts. Es handelt sich dabei um einen Grundbegriff einer jeden Erkenntnislehre überhaupt, da er das zu Erkennende bezeichnet, das dem erkennenden Subjekt gegenübersteht. Das Grundproblem der Epistemologie ist also gemeinhin die Frage, wie sich Subjekt und Objekt zueinander verhalten und welcher Anteil beim Erkenntnisprozess beiden Seiten jeweils zukommt. Für
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den Begriff des Objekts finden sich bei Kant vor allem drei Termini, denen mitunter verschiedene Konzepte zugrunde liegen. Wobei Kant selbst aber bei der Verwendung dieser verschiedenen Termini nicht prinzipiell systematisch vorgeht. In der westlichen Kantforschung ist es daher umstritten, inwiefern diese terminologische Unterscheidung auch in systematischer Hinsicht tatsächlich einen konzeptionellen Unterschied macht. Auf der einen Seite gibt es Interpreten, die der Auffassung sind, dass Kant die Ausdrücke „Ding“, „Gegenstand“, „Objekt“ auch „Sache“ weitestgehend synonym verwendet.618 Auf der anderen Seite stehen Interpreten, die, durchaus mit unterschiedlichen Ergebnissen, eine Systematik in der Anwendung und Unterscheidung der Ausdrücke als voneinander abhängige Konzepte ausmachen.619 Für beide Deutungsansätze gibt es Belege im kantschen Text. Daher lässt sich eine terminologische Systematik, die Kant auch nur in der KrV durchhält, schwerlich nachweisen. Dennoch scheint mir das Urteil, die Ausdrücke seien für Kant insgesamt synonym, nicht zuzutreffen, da man zumindest für einzelne Argumentationskontexte zeigen kann, dass er die Ausdrücke in verschiedenen Bedeutungen verwendet, um verschiedene Aspekte des Objektbegriffs voneinander zu unterscheiden. Ob er aber die Ausdrücke dann immer in gleicher Weise verwendet, ist eine andere Frage, die hier offenbleiben muss.620 Für Ġaffārīs Zugang zur theoretischen Philosophie Kants kommt, neben dieser terminologischen Mehrdeutigkeit, noch erschwerend hinzu, dass er sich in seiner Analyse vor allem auf die Übersetzung von Kemp Smith stützt, die insbesondere die terminologische Unterscheidung von Gegenstand, Objekt und Ding verwischt und für Gegenstand und Objekt durchweg das englische Wort object gebraucht. Howard Caygill etwa vertritt in seinem Kant Dictionary dazu folgende Meinung: Kant’s distinction between Gegenstand and Objekt is crucial to his transcendental philosophy, although never explicitly thematized and wholly obliterated in Kemp Smith’s translation of CPR [Critique of Pure Reason].621 618 Vgl. z.B. Willaschek (2001), 684 Anm. 10. 619 Vgl. dazu etwa Chiurazzi (2006), insb. 71–90. 620 Ggf. ist diese begriffliche Ambivalenz sogar aus dem System Kants heraus zu begründen, so zumindest sieht es Chiurazzi: „Das Hin- und Herschwanken, mit dem Kant die Termini Objekt, Gegenstand, Ding, aber auch Erscheinung, Phänomenon, Noumenon und Ding-an-sich behandelt, ist (…) bis zu einem gewissen Grade gerechtfertigt – da man es bei diesen Termini nicht wirklich und lediglich mit Objekten zu tun hat, sondern mit Verhältnismodalitäten.“ Chiurazzi (2006), 72. Chiurazzi Interpretationsansatz ist es, die Modalität als zentralen Aspekt des Subjekt-Objekt Verhältnisses in Kants Erkenntnistheorie zu verstehen, er versteht somit Kants kopernikanische Wende als modale Wende. Vgl. ebd. insb. Kap. II. 621 Caygill (1995), 305 [Eintrag Object].
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Es ist demnach anzunehmen, dass sich solche Indifferenz bezüglich der verschiedenen Termini für Objekt auch auf Ġaffārīs Diskussion des kantschen Objektbegriffs übertragen. Was, sofern für Kant die verschiedenen Termini auch tatsächlich verschiedene Konzepte des Begriffs „Objekt“ verkörpern, zwangsläufig eine Unschärfe in Ġaffārīs Umgang mit dem kantschen Objektbegriff nach sich zöge und zu Missverständnissen führen kann.622 Kommen wir nun also zu Ġaffārīs Verwendung und Interpretation des Objektbegriffs sowie zu den von ihm benutzten persisch-arabischen Termini. Ġaffārī verwendet für die Ausdrücke Objekt, Gegenstand und Ding in der Regel gleichermaßen den Terminus šeyʾ oder das Fremdwort obže, das er manchmal allein stehend verwendet oder in Klammern als Ergänzung zu šeyʾ gebraucht. Gelegentlich verwendet er auch den Begriff motaʿalleq. Der arabisch-persische Terminus šeyʾ ist ein sehr geläufiger Ausdruck, der in der Regel im Deutschen mit „Ding“, aber auch „Sache“ oder „Etwas“ wiedergegeben wird. Damit ist allerdings noch nicht viel gesagt. Denn genau wie der Ausdruck „Ding“ so hat auch šeyʾ im geistesgeschichtlichen Kontext eine Reihe von Bedeutungsvarianten. Insbesondere die Kontroverse, inwiefern der Begriff als synonym zu mauǧūd (seiend/existierend, im Sinne von außerhalb des Geistes, in der Welt) aufzufassen sei oder ob der Begriff in bestimmter Weise auch (noch) Nicht-Seiendes umfassen könne,623 macht dies deutlich. Der Ausdruck motaʿalleq ist hingegen weniger geläufig und in den klassischen Texten der islamischen Tradition in der Bedeutung für „Gegenstand“ oder „Ding“ meines Wissens nicht verbreitet. Ġaffārī verwendet ihn vor allem im Kontext der Diskussion des kantschen Begriffs vom „unbestimmten Gegenstand“. Hier verwendet er sowohl in seiner Übersetzung als auch an einer Stelle in der Diskussion als persisches Synonym den Ausdruck motaʿalleq-e nā motaʿayyen. Dabei scheint 622 Die Neuübersetzung der KrV ins Englische von Paul Guyer und Allen Wood versucht das Problem zu vermeiden, indem in Fußnoten stets angegeben wird, welcher deutsche Terminus im jeweiligen Falle gerade mit object wiedergegeben wird. Hoke Robinson vertritt in seiner Rezension zur Neuübersetzung von Guyer/Wood dazu allerdings die Auffassung, dass diese Differenzierung bei Kant keine konzeptionelle Bedeutung habe und dass diese und ähnliche Angaben die Übersetzung eher durch einen übermäßigen Anmerkungsapparat überfrachte: „Since ‚object‘ (for Gegenstand or Objekt) occurs frequently, there are pages where 10 or 12 notes are given only to indicate which German term is used in the original. The view that this difference makes much difference has faded since the early 80’s, and in any event would be pursued almost exclusively by those using the original German text.“ Robinson (2001), 113. 623 Diese Kontroverse fand insbesondere zwischen divergierenden Strömungen des kalām (diskursive Theologie) im 10. Jahrhundert statt. In der Tradition des Theologen al-Ašʿarī fallen beide Begriffe bedeutungsgleich zusammen, auch al-Ġazālī (st. 1111) vertrat diese Position, in der muʿtazilitischen Tradition wiederum umfasst šayʾ auch Nicht-Seiendes, das aber prädizierbar ist. Vgl. dazu Wisnowsky (2003), 146–153, mit zahlreichen Quellenverweisen.
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er sich an eine inzwischen in der persischen Kantliteratur gängige Übersetzung des Terminus Gegenstand/Objekt zu halten, die etwa auch von Ḥaddād ʿĀdel in seiner Übersetzung so verwendet wird.624 Insgesamt aber scheint Ġaffārī den Terminus šeyʾ zu präferieren. Die Tatsache, dass Ġaffārī jedenfalls im Prinzip nur einen Ausdruck für Objekt verwendet, den er, wie im Folgenden zu zeigen sein wird, offenbar in der Bedeutung von „wirkliches Ding in der Außenwelt“ verstanden wissen will, lässt darauf schließen, dass er auch Kants begriffliche Differenzierungen, die sich aus der „kopernikanischen Wende“ ergeben und die den Gegenstand der Erfahrung von subjektiven Voraussetzungen abhängig machen, nicht bereit ist mitzugehen und dass er an der Dichotomie „wirklicher äußerer Gegenstand“ und „mentale Repräsentation“ festhält.
Objekt überhaupt – unbestimmter Gegenstand/Anschauung – Wahrnehmung Ein Beispiel, inwiefern eine ungenaue Bezugnahme auf verschiedene Begriffe und Kontexte im Werke Kants zu Missverständnissen führen kann, ist etwa Ġaffārīs Kritik an einem kantschen Konzept, das er im Persischen mit šeyʾ/obže be ṭour-e kollī oder šeyʾ be ṭour-e ʿāmm wiedergibt und das ich mit „Objekt im Allgemeinen“ rückübersetzt habe.625 Er beginnt seine Diskussion mit dem Bezug zu dem kantschen Begriff des „unbestimmten Gegenstandes“.626 Hierbei handelt es sich um einen Terminus, der sich bei Kant gleich zu Beginn der Transzendentalen Ästhetik findet, mit der er, indem er den Begriff der Anschauung einführt, die Explikation seiner Erkenntnistheorie beginnt. Gleich im ersten Absatz der Transzendentalen Ästhetik, den auch Ġaffārī in jenem Anschnitt, in dem er den Begriff der Anschauung diskutiert, in eigener Übersetzung wiedergibt,627 scheinen sich bereits Definitionen oder zumindest nähere Bestimmungen für Anschauung und Gegenstand zu finden:
624 Der Ausdruck mutaʿalliq, Partizip aus dem V. Stamm der arabischen Wortwurzel ʿ-l-q gebildet, bedeutet so viel wie „abhängig von“, „zugehörig zu“, „verbunden mit“, „bezogen auf“. Vgl. dagegen den Ausdruck meṣdāq. 625 Dieser Ausdruck taucht so bei Kant selbst nicht auf. Ich habe den Ausdruck bewusst gewählt, nicht nur weil ich der Auffassung bin, dass er das, was Ġaffārī meint, adäquat wiedergibt, sondern, weil der Autor damit, wie noch zu zeigen sein wird, sich eben nicht eindeutig auf ein Konzept im Kontext des Objektbegriffs bei Kant bezieht. 626 Ġaffārī 2007, 74. 627 Ġaffārī (2007), 69.
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Auf welche Art und durch welche Mittel sich auch immer eine Erkenntnis (dāneš-e bašar)628 auf Gegenstände (ašyāʾ) beziehen mag, so ist doch diejenige, wodurch sie sich auf dieselbe unmittelbar bezieht, und worauf alles Denken als Mittel abzweckt, die Anschauung. Diese findet aber nur statt, sofern uns der Gegenstand gegeben wird (šeyʾ dāde šode bāšad); dieses aber ist wiederum, uns Menschen wenigstens, nur dadurch möglich, daß er das Gemüt (ẕehn) auf gewisse Weise affiziere (az ṭarīq-e yek gūne taʾs̱īr). Die Fähigkeit (Rezeptivität) (qovve-ye enfeʿālī), Vorstellungen (taṣavvorāt) durch die Art, wie wir von Gegenständen affiziert werden, zu bekommen, heißt Sinnlichkeit (qovve-ye ḥassāsīyat). Vermittelst der Sinnlichkeit also werden uns Gegenstände gegeben, und sie allein liefert uns Anschauungen; durch den Verstand (fāheme) aber werden sie gedacht, und von ihm entspringen Begriffe (mafāhīm).629
Durch den unmittelbaren Bezug zu Gegenständen bestimmt Kant hier also vorläufig den Begriff der Anschauung, doch was mit Gegenständen gemeint ist, die uns durch die Sinnlichkeit gegeben werden und die uns dadurch Anschauungen liefern, ist hier noch nicht näher bestimmt. Legt man dieses Verständnis von Gegenstand zugrunde, so bedeutet Gegenstand ein wirkliches Ding der Außenwelt jenseits unseres Geistes. Es scheint mir aber offenkundig, dass Kant hier von einem Vorverständnis von „Gegenstand“ also im vor-terminologischem Sinne ausgeht, was auch ohne Weiteres einleuchtend ist, denn der Gegenstandsbegriff wird im Fortgang der Argumentation der KrV überhaupt erst entwickelt. Kurz darauf führt Kant dann jenen speziellen Begriff von Gegenstand ein, den Ġaffārī, verstanden als „Gegenstand im Allgemeinen“, kritisiert: Die Wirkung eines Gegenstandes auf die Vorstellungsfähigkeit, so fern wir von demselben affiziert werden, ist Empfindung. Diejenige Anschauung, welche sich auf den Gegenstand durch Empfindung bezieht, heißt empirisch. Der unbestimmte Gegenstand einer empirischen Anschauung heißt Erscheinung.630
Kant verwendet hier den Begriff des „unbestimmten Gegenstandes“, um einen weiteren Zentralbegriff seiner Erkenntnislehre einzuführen, den der Erscheinung. Da diese erst durch die Anwendung der Kategorien, mithin des Verstandes, bestimmt wird, bleibt sie, allein auf der Ebene der empirischen Anschauung betrachtet, unbestimmt. Was aber soll man genau unter einem „unbestimmten
628 Ġaffārī übersetzt hier mit dāneš-e bašar, wobei bašar Menschheit bedeutet. Zwar ist es richtig, dass Kant hier von „menschlicher Erkenntnis“ spricht, allerdings im Sinne von Erkenntnis von Vernunftwesen, deren Erkenntnisapparat im Allgemeinen so wie der des Menschen beschaffen ist. Weder im Originaltext noch in der englischen Übersetzung von Kemp Smith noch in der von Max Müller kommt dieser Zusatz vor. 629 KrV A 19/B33. In Klammern Ġaffārīs persische Übersetzung einiger Termini. 630 KrV B 34.
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Gegenstand“ verstehen?631 Handelt es sich bei diesem Gegenstand selbst um eine Vorstellung, die deshalb unbestimmt ist, weil sie vom Verstand, vom Denken, unabhängig angenommen wird? Oder ist der gemeinte Gegenstand selbst ein wirkliches Ding der Außenwelt, dessen Wahrnehmung ohne das Denken noch unvollständig ist? Für erstere Deutung spricht, im hier gegebenen textlichen Zusammenhang, dass Kant von Erscheinung spricht, also von einer Art der passiven Vorstellung. Auf die zweite Deutung weist die Tatsache hin, dass Kant zuvor von jenen Gegenständen sprach, die die Sinne affizieren, also jene passive Vorstellung erst hervorrufen, somit selbst – so betrachtet – nicht Vorstellung sind. Ġaffārī hängt offenkundig jener zweiten Deutung an.632 Ausgehend von den Gegenständen als Dinge der wirklichen Außenwelt, könne es sich hierbei nur um eine unbestimmte Wahrnehmung (edrāk-e ḥessī-ye mobham)633 handeln, eine Wahrnehmung also, die, etwa aufgrund nicht idealer Wahrnehmungsbedingungen, noch unvollständig ist und die deshalb das Ding der Außenwelt noch nicht angemessen repräsentiere. Dass es sich bei jenem unbestimmten Gegenstand aber um ein Ding der materiellen Außenwelt handeln muss, ist für Ġaffārī unstrittig. In dem von ihm bei Kant ausgemachten Konzept des „Gegenstands im Allgemeinen“ (šeyʾ be ṭour-e ʿāmm), das er hier mit Kants unbestimmten Gegenstand identifiziert, sieht er nun, wie bereits dargestellt, folgenden Widerspruch: Die Anschauung stelle einen Bezug zum Gegenstand her, dieser aber sei unbestimmt, da seine Bestimmung erst durch den Verstand vorgenommen werde. Wenn man nun umgekehrt von einem bestimmten Gegenstand alle spezifischen Eigenschaften abstrahiere, erhalte man eben jenen unbestimmten Gegenstand, den Gegenstand im Allgemeinen. Das Problem dabei aber sei, dass ein solcher Gegenstand nicht sinnvollerweise das sein könne, was in der Anschauung gegeben sei, zeichne sie sich doch durch den unmittelbaren sinnlichen Bezug zu einem konkreten Einzelding aus und nicht zu einem Gegenstand im Allgemeinen. Diesen könne man sich nur als allgemeinen Begriff denken. Allgemeine Begriffe aber gehörten per definitionem gerade nicht in den Bereich der Anschauung. Kant nehme hier also eine unzulässige Vermischung der Sphären von Begriff und Anschauung vor, die mit 631 Die Tatsache, dass Kant den Ausdruck „unbestimmter Gegenstand“ nur an dieser einen Stelle verwendet, spricht dafür, dass er ihn wohl nicht als Konzept oder Terminus technicus einführen wollte, sondern ihn hier nur verwendet, um die Begriffe „Anschauung“ und „Erscheinung“ in ihrem Zusammenhang zu erläutern. 632 Vgl. Ġaffārī (2007), 77. 633 Interessanterweise verwendet Ġaffārī hier den Ausdruck mobham, was so viel wie unbestimmt, undeutlich, unklar heißt. In der Wiedergabe des kantschen Terminus für „unbestimmter Gegenstand“ spricht er von mataʿalleq-e nā-motaʿayyen, wobei der Ausdruck ( متعینmotaʿayyen) dem kantschen Terminus für „bestimmt“ näherkommt, da er, anders als mobham, auch als Antonym zu „allgemein“ verstanden werden kann.
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seinem eigenen Grundsatz der Unterscheidung der beiden Erkenntnisstämme „Sinnlichkeit“ und „Verstand“ nicht vereinbar sei. Ġaffārī spricht daher von einem grundlegenden Fehler (yekī az moġālaṭāt-e aṣlī va mohemm) in Kants KrV, den er mit „Vermischung bzw. Verwechslung von Verstandesform und Sinnesform“ (ḫelṭ mīyān-e ‚ṣūrat-e maʿqūle‘ va ‚ṣūrat-e maḥsūse‘) bezeichnet. Diese Kritik Ġaffārīs weist zwar auf eine viel diskutierte Problematik in Kants Erkenntnistheorie hin, ihrer Begründung aber wohnt selbst eine Verwechslung im Bereich der kantschen Terminologie inne. Ġaffārī nämlich bezieht sich mit dem Ausdruck „Gegenstand im Allgemeinen“ (šeyʾ be ṭour-e ʿāmm) in seiner Diskussion nicht nur auf den Begriff des „unbestimmten Gegenstandes“, wie Kant ihn in der Transzendentalen Ästhetik einführt, sondern auch auf einen anderen Begriff nämlich dem vom „Objekt überhaupt“, der in einem anderen textlichen Zusammenhang in der KrV zum Tragen kommt und von Kant, je nach Kontext, auch als „Gegenstand überhaupt“, „Etwas überhaupt“ bzw. „Ding überhaupt“ bezeichnet wird. Zwar macht es durchaus Sinn, diese Begriffe aufeinander zu beziehen – darauf werde ich weiter unten noch zurückkommen – doch scheint mir die Art, wie Ġaffārī hier beide Begriffe ohne jegliche Erläuterung gleichsetzt, fehlgeleitet zu sein. Ġaffārī verwendet den Ausdruck „Gegenstand im Allgemeinen“ an zwei Stellen mit direktem Bezug auf Kants Schriften als Übersetzung des kantschen Terminus „Objekt überhaupt“. Zunächst zitiert er einen Brief Kants an Johann Sigismund Beck634 und des Weiteren eine Stelle aus dem Abschnitt „Antizipationen der Wahrnehmung“ der KrV,635 in denen Kant diesen Ausdruck verwendet. Indem nun Ġaffārī hier „Objekt überhaupt“ im Sinne des „unbestimmtem Gegenstandes“ aus der Transzendentalen Ästhetik versteht,636 übersieht er, dass Kant mit diesem Terminus ganz explizit einen allgemeinen Begriff meint. Er versteht ihn also ausdrücklich nicht als der Sinnlichkeit, sondern dem Verstand zugehörig. Die Bedeutung von „Objekt überhaupt“ ist keineswegs identisch mit dem Ausdruck „unbestimmter Gegenstand“, zumindest in der Verwendung der Transzendentalen Ästhetik. Aus der von Ġaffārī zitierten Stelle aus der KrV etwa wird, wenn man hier statt „Objekt überhaupt“ „unbestimmter Gegenstand“ liest, nicht unmittelbar klar, dass Kant hier auf einen allgemeinen Begriff hinauswill, zumal der Begriff in den „Antizipationen der Wahrnehmung“637 nicht genauer expliziert wird. Deutlichere Aussagen dazu und zum Gegenstandsbegriff insgesamt macht Kant vor allem in der Transzendentalen Deduktion (hier unterscheiden sich die Aussagen der A- und B-Fas634 Zu diesem Brief und der Thematik des Briefwechsels, aus dem das Zitat stammt, vgl. Meyer (1991), 24-34. 635 KrV, B 207/208. 636 KrV, B 34. 637 Antizipationen der Wahrnehmung B 207 – B 218.
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sung mitunter deutlich) sowie im Abschnitt „Vom Grunde der Unterscheidung aller Gegenstände überhaupt in Phaenomena und Noumena“. Da Kant also ganz offenkundig mit „Objekt überhaupt“ einen allgemeinen Begriff im Sinn hatte, greift Ġaffārīs Kritik nicht, Kant habe mit „Gegenstand im Allgemeinen“ zwar einen Gegenstand der Anschauung bezeichnen wollen, der sich aber im Endeffekt als allgemeiner Begriff entpuppt habe. Doch die Frage nach dem systematischen Zusammenhang zwischen „Objekt überhaupt“ und „unbestimmter Gegenstand“ steht weiterhin im Raum. Die Begriffe einfach unbegründet gleichzusetzen, ist irreführend, dennoch ist eine Frage, die sich aus Ġaffārīs Kritik ergibt, damit noch nicht ausgeräumt, nämlich die Frage, wie sich nach Kant nun die Anschauung auf Gegenstände bezieht, und ob der Verstand auf der Ebene der Anschauung eine Rolle spielen kann. Es gilt also, Ġaffārīs Vorwurf nachzugehen, Kant trenne hier nicht sachgemäß zwischen Sinnes- und Verstandesebene. Der Vorwurf, Kant vermische hier die Ebenen von Sinnlichkeit und Verstand, ist dabei nur der eine Aspekt seiner Kritik an Kants Modell der Anschauung. Der andere Aspekt hängt in gewisser Weise damit zusammen. Er wirft Kant vor, dass er nicht plausibel machen könne, inwiefern die reinen Anschauungsformen Raum und Zeit als Anschauungen zu verstehen sind, da sie einem zentralen Kriterium für Anschauungen, nämlich sich unmittelbar auf Gegenstände zu beziehen, explizit nicht entsprechen. Zudem seien sie, insbesondere die Anschauungsform des Raumes, dafür verantwortlich, dass die subjektiven ungeordneten und unverbundenen Empfindungen, jene „Materie der Erscheinung“638, in ein Verhältnis zueinander gesetzt und bestimmt werden. Es scheint also, dass diese Anschauungsformen begrifflichen Charakter haben, was allerdings dem kantschen Verständnis von Anschauungen widerspräche. Auch hierin, so Ġaffārī, zeige sich ein Fehler und eine unzulässige Vermischung der Sphären. Ġaffārī vertritt also offenkundig die Auffassung, Kant habe mit Sinnlichkeit und Verstand zwei voneinander unabhängige Erkenntnisstämme bezeichnet, die zwei voneinander unabhängige Arten von Vorstellungen liefern, nämlich Anschauungen und Begriffe. Und in der Tat scheint Kant zu Beginn der Transzendentalen Ästhetik, auf die Ġaffārī mehrfach Bezug nimmt, genau das sagen zu wollen: Die Fähigkeit (Rezeptivität), Vorstellungen durch die Art, wie wir von Gegenständen affiziert werden, zu bekommen, heißt Sinnlichkeit. Vermittelst der Sinnlichkeit also werden uns Gegenstände gegeben, und sie allein liefert uns Anschauungen; durch den Verstand aber werden sie gedacht, und von ihm entspringen Begriffe.639
638 Vgl. KrV, A 20/B 34. Ġaffārī (2007), 87–90. 639 KrV, A 19/B 33.
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Ob Kant hier allerdings tatsächlich auf eine strikte Trennung hinauswill, ist damit aber meines Erachtens noch nicht ausgemacht. Aus dieser Trennung der Sphären der beiden Erkenntnisstämme scheint für Ġaffārī auch zu folgen, dass Kant der Sinnlichkeit bzw. den Anschauungen ein sowohl ursächliches wie auch zeitliches Primat vor der Anwendung des Verstandes mithin der Wirksamkeit der Kategorien einräumt. D. h. dass dem Erkenntnisvermögen zuerst eine Anschauung gegeben sein muss und erst wenn das erkennende Subjekt über diese verfügt, kann es anschließend mithilfe des Verstandes die Kategorien zur Anwendung bringen, um einen unbestimmten Gegenstand zu bestimmen. Dieses Verständnis der kantschen Erkenntnislehre scheint auf eine psychologische Deutung derselben hinauszulaufen, in der man einzelne Bestandteile des Erkenntnisvermögens als aufeinander aufbauende Bausteine des Erkenntnisprozesses versteht. Ein solches Verständnis, strikte Trennung zwischen den Sphären von Sinnlichkeit und Verstand und psychologische Deutung, vorausgesetzt wäre es – und das ist einer von Ġaffārīs Vorwürfen – tatsächlich problematisch, wenn Kant bereits bei der Anschauung dem Verstand eine Rolle zuweist bzw. Empfindungen durch die Anschauungsformen bestimmt würden. Es ist allerdings fraglich, ob Kant eine psychologische Erklärung des Erkenntnisprozesses im Sinn hatte. Kant selbst widerspricht einer solchen Deutung explizit, wenn er in den Prolegomena schreibt: Um alles Bisherige in einen Begriff zusammenzufassen, ist zuvörderst nötig, die Leser zu erinnern: daß hier nicht von dem Entstehen der Erfahrung die Rede sei, sondern von dem, was in ihr liegt. Das erstere gehört zur empirischen Psychologie, und würde selbst auch da, ohne das zweite, welches zur Kritik der Erkenntnis und besonders des Verstandes gehört, niemals gehörig entwickelt werden können.640
Somit mag Ġaffārī mit seiner Kritik zwar die eigentliche Intention Kants verfehlt haben. Doch die damit berührte Frage, welche Rolle dem Verstand bzw. den Kategorien bei der Anschauung bzw. der Wahrnehmung nach Kant zukommt, ist hoch relevant und in der Kantforschung Gegenstand kontroverser Diskussionen. Bevor ich auf diese eingehe, gilt es zunächst einmal Ġaffārīs Verständnis des Verhältnisses von Sinnlichkeit und Verstand zu diskutieren, das er selbst mit Bezug auf die islamische Tradition und als Korrektiv der von ihm dargestellten Position Kants vertritt.
640 Prol. AA, 304.
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Ġaffārīs Verständnis des Verhältnisses von Sinnlichkeit und Verstand Ġaffārī bezieht sich in seiner Diskussion und Kritik der Objekterkenntnis bei Kant an drei Stellen explizit auf die islamische Tradition in Form von kleinen Exkursen, die sich mit dem Themenkomplex „Sinnlichkeit und Verstand“ beschäftigen, um sie anschließend auf seine Kantdiskussion anzuwenden. Dabei fällt auf, dass sie insgesamt recht knapp geraten und die maßgeblichen Konzepte und Termini kaum eingeführt oder erläutert werden. Auch eine Diskussion des Argumentationszusammenhangs, aus dem Ġaffārī etwa zitierte Passagen entnimmt, fehlt meist. Das mag damit zusammenhängen, dass der Autor den Kontext, aus dem diese stammen, als bekannt voraussetzt. Es erschwert aber mitunter das Verständnis der Intention, die Ġaffārī mit dem Exkurs verbindet. Den ersten Exkurs präsentiert Ġaffārī mit jenen vier gleichnishaften Bildern, die auf je spezifische Weise die Repräsentation von „Baum“ im menschlichen Intellekt (ʿaql-e ensān) veranschaulichen sollten.641 Der Autor gibt an, er beziehe sich hierbei auf Ibn Sīnā, der verschiedene Aspekte (eʿtebārāt) unterscheide, mit denen der Intellekt sich auf eine Quiddität (māhīyat) beziehen könne.642 Der Autor macht dabei allerdings nicht explizit, auf welche Diskussion im Werk Ibn Sīnās er sich hier bezieht. Somit ist es schwierig, den Diskussionskontext eindeutig zu bestimmen, den er womöglich im Sinn hatte. Einschlägig in diesem Zusammenhang ist die Passage aus der Isagoge (madḫal) I.2 der Logik (manṭiq) von Ibn Sīnās Kitāb aš-Šifāʾ (Buch der Heilung). Dort unterscheidet er drei Aspekte bzw. Betrachtungsweisen (iʿtibārāt) von māhīya. 1) Quiddität als Universalie, die im Geist (ḏihn) existiert; 2) als „Washeit“ eines konkreten Einzeldings; 3) unabhängig von ihrer mentalen oder konkreten Existenz allein „für sich selbst betrachtet“ (min hayṯu hiya hiya).643 Die Diskussion der Betrachtungsweise von māhīya geht zweifellos auf Ibn Sīnās Unterscheidungen zurück, doch wurde sie – wie es scheint – erst in seiner Nachfolge zu einem Problem, das zu kontroversen Debatten um die Bedeutung dieser Betrachtungsweisen (iʿtibārāt) führte. Erst in dieser post-avicennischen Diskussion werden diese weiter expliziert und auch zu insgesamt vier Betrachtungsweisen erweitert. Dabei handelt es sich um 1) unbestimmte Quiddität (māhīya lā bi-šarṭ) 2) durch Negation (bzw. Privation) bestimmte Quiddität (māhīya bi-šarṭ lā), 3.) positiv (d.h. durch „Etwas“) bestimmte Quiddität (māhīya bi-šarṭ šayʾ) und als abstrakteste den drei zuvor genannten übergeordnete Stufe 4.) Quiddität nur für sich (d.h. unabhängig von jeglicher Bestimmung
641 Vgl. Ġaffārī (2007), 78–80. 642 Ġaffārī (2007), 78. 643 Vgl. dazu knapp Wisnovsky (2005), 109f.
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oder Nicht-Bestimmung gedacht) betrachtet (māhīya min hayṯu hiya hiya).644 Es ist demnach anzunehmen, dass sich Ġaffārī in seinem Baumbeispiel letztlich auf diesen Diskussionshintergrund stützt, wobei hier nicht deutlich wird, wie genau er diesen dabei vor Augen hat. Zumindest aber kann man in diesem Exkurs eine Reihe von Schlüsselbegriffen bestimmen, die für den Kontext der Argumentation Ġaffārīs von Bedeutung sind und die auch bei Ibn Sīnā eine wichtige Rolle spielen. Zur Vergegenwärtigung jenes Gleichnisses sei es hier noch einmal rekapituliert: Ġaffārī beschreibt einerseits drei verschiedene rein mentale Vorstellungen (taṣavvorāt, sg. taṣavvor) von „Baum“ (die erste ist spezifisch, konkrete bestimmende Eigenschaften mit eingeschlossen, die zweite ganz und gar abstrakt, die dritte allgemein und noch unbestimmt). Hinzu kommt ein unmittelbares Gewahrwerden, eine „Schau“ (mošāhade), wie es scheint im Kontext einer konkreten sinnlichen Wahrnehmung. Damit haben wir bereits ein zentrales Begriffspaar bestimmt, nämlich taṣavvor und mošāhade. Zwar führt Ġaffārī diese Begriffe nicht explizit als Termini ein, indem er ihre Bedeutung definiert, er spricht aber davon, dass wir in den ersten Beispielen taṣavvor vornehmen, im letzten Beispiel hingegen mošāhade. Damit will Ġaffārī offensichtlich die Unterscheidung zwischen der Sphäre der Sinnlichkeit und des Verstandes veranschaulichen, wie sie seiner Meinung nach in der islamischen Tradition vorgenommen wird und wie Kant sie in seinem Konzept der Anschauung nicht berücksichtige. Somit fielen die Formen von taṣavvor in die Domäne des Verstandes, die von diesem selbst hervorgerufen werden. Bei mošāhade hingegen habe der Verstand bzw. das Denken keinen Einfluss auf das Objekt, das repräsentiert wird. Es wird als Ganzes, so wie es die Sinne affiziert, wahrgenommen und liegt somit gänzlich außerhalb der Domäne des Verstandes. Diese Begrifflichkeit wendet Ġaffārī nun auf Kants Begrifflichkeit an, wobei er die verschiedenen Formen des taṣavvor noch näher bestimmt.
644 Zu dieser post-avicennischen Diskussion der Betrachtungsweisen (iʿtibārāt) von māhīya vgl. Izutsu (1974). Izutsu diskutiert in diesem Beitrag die Position von Naṣīr ad-Dīn aṭ-Ṭūsi in seinem Taǧrīd al-iʿtiqād sowie Reaktionen darauf von ʿAlā ad-Dīn al-Qūščī (1474) in seinem Kommentar Šarḥ Taǧrīd al-iʿtiqād, von at-Taftazānī (Šarḥ al-maqāṣid) und Ǧurǧānī (gest. 1414) in seinem Šarḥ al-mawāqif. Desweiteren behandelt er den Disput zwischen Ǧalāl ad-Dīn Dawānī (gest. 1501) und Ṣadr ad-Dīn Daštakī (gest. 1498) in dieser Frage, Izutsu scheint die Argumente gegen Dawānī fälschlicherweise dem Sohn Ṣadr ad-Dīn Daštakīs namens Ġīyāṯ ad-Dīn Daštakī zuzuschreiben, vgl. Pourjavadi (2011), 97) und schließlich einen Ansatz von ʿAbd ar-Razzāq Lāhīǧī (gest. 1640). Leider ist der Quellenbezug Izutsus nicht sehr genau. Zu diesem intellektuellen Milieu und den in diesem Kontext bedeutsamen Quellen vgl. einführend Pourjavadi (2011), 1-44; zur den zentralen Streitfragen zwischen Dawānī und den beiden Daštakīs vgl. ebd. 74-105.
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Demnach müsse das Beispiel (3), die allgemeine Vorstellung eines Baumes, Kants Vorstellung von einem „unbestimmten Gegenstand“ entsprechen. In der Terminologie der islamischen Philosophen finde sich dafür das Konzept der „unbedingten Quiddität“ (māhiyat-e lā-be-šarṭ). Das Beispiel (1), die Vorstellung eines spezifischen Baumes samt bestimmender Eigenschaften, entspricht nach Ġaffārī einer partikularen bzw. spezifischen Quiddität (māhīyat be-šarṭ-e šeyʾ) und sei somit nichts anderes als der bestimmte Gegenstand in der Vorstellung bei Kant. Doch das, was in der Anschauung bzw. der anschaulich-phänomenalen Wahrnehmung (edrāk-e šohūdī va padīdārī) gegeben sei, die nach Kant zur Sphäre der Sinnlichkeit gehöre, kann nach Ġaffārīs Auffassung nicht als taṣavvor bezeichnet werden. Denn taṣavvor falle nicht unter Sinnlichkeit, sondern unter Verstand. Hier sei vielmehr das Konzept mošāhade adäquat, also eine unmittelbare Wahrnehmung ohne Einflussnahme des Verstandes. Auf den ersten Blick ergibt dieser Vergleich der Begrifflichkeiten durchaus Sinn. Denn das Konzept des taṣavvor steht im Kontext der Tradition der islamischen Philosophie vielfach für Begriff bzw. Begriffsbildung. Einschlägig ist in diesem Zusammenhang das Begriffspaar taṣavvor und taṣdīq, wobei taṣavvor für Begriff steht und taṣdīq für ein Begriffe verknüpfendes, bejahendes oder verneinendes Urteil, unabhängig davon, ob es sich um ein Existenzialurteil handelt, also ein Urteil, das auf die wirkliche, aktuelle Existenz eines Begriffs in der Außenwelt hinauswill, oder um ein rein aussagelogisches Urteil.645 Der Terminus mošāhade (arab. mušāhada) steht im islamischen Kontext wiederum, so wie auch der Begriff der Anschauung bei Kant, tatsächlich im Zusammenhang mit „Sinnlichkeit“. Bei Ibn Sīnā, auf den Ġaffārī sich bei seinem Gleichnis beruft, bedeutet der Terminus so etwas wie „unmittelbare sinnliche Wahrnehmung bzw. sinnliche Anschauung“ und steht in gewisser Opposition zum Konzept des ḥads, womit nach Ibn Sīnā eine Verstandesleistung bezeichnet wird, die ein intuitives, also scheinbar unmittelbares, gleichwohl rationales, also reflexives Erkennen von Sachverhalten bedeutet.646 Insofern ist es zunächst einmal nicht abwegig, den Ausdruck mušāhada in einen Zusammenhang mit dem kantschen Begriff der Anschauung zu bringen. Mit Blick auf Ibn Sīnās Verwendung des Ausdrucks zeigt sich zudem, dass die Übersetzung des Begriffs „Anschauung“ mit dem Terminus šohūd, der aus derselben Wortwurzel š-h-d 645 Eine einschlägige Diskussion der Begriffe taṣavvor und taṣdīq im Kontext der islamischen Philosophie findet sich bei van Ess (1966), 95–113. Ausführlich dazu auch Lameer (2006), der Mollā Ṣadrās Abhandlung ar-Risāla fī l-Taṣawwur wa-l-Taṣdīq übersetzt, kommentiert und mit einer umfangreichen Einleitung versehen hat. 646 Zu mušāhada bei Ibn Sīnā vgl. Goichon (1938), 165; Gutas (2012), insb. 428–430. Zu ḥads vgl. Goichon (1938), 65.
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(Grundbedeutung etwa „Zeuge sein von etwas durch eigene Wahrnehmung“) gebildet ist, treffender zu sein scheint als die Übersetzung mit ḥads, die der arabische Übersetzer der KrV Mūsā Wahba gewählt hat, da es sich bei ḥads nicht um einen Akt der Sinnlichkeit, sondern um eine Verstandesaktivität handelt. Im Werkkontext Ibn Sīnās stellt das Konzept mušāhada eine Stufe des Vorgangs der Objekterkenntnis dar. Es gehört also zur Begrifflichkeit seiner Erkenntnistheorie. Diese knapp und doch hinreichend zu erläutern, ist allerdings mit einigen Schwierigkeiten verbunden, da Ibn Sinā in seinen theoretischen Schriften an verschiedenen Stellen und aus verschiedenen Perspektiven über das Problem der Erkenntnis nachgedacht hat, das hat u.a. zur Folge, dass nicht alle erkenntnistheoretisch relevanten Begriffe Ibn Sīnās stets im Zusammenhang diskutiert werden. Zudem muss man auch von Entwicklungen in seiner Doktrin ausgehen. Die folgende Erläuterung erhebt daher nicht den Anspruch, Ibn Sīnās Lehre der Wahrnehmung und Objekterkenntnis hinreichend darzustellen. Es soll vielmehr mit Bezug auf einen anderen erkenntnistheoretischen Begriff versucht werden, Ibn Sīnās Verwendung des Begriffs mušāhada zu kontextualisieren. Es handelt sich dabei um das Konzept des idrāk, wobei unter diesem Begriff sowohl die sinnliche Wahrnehmung materieller Objekte und deren rationale Verarbeitung fallen kann als auch ein von materiellen Bezügen freies Auffassen von Sachverhalten.647 Was nun die sinnliche Wahrnehmung (idrāk ḥissī) angeht, so handelt es sich dabei zunächst um die mentale Repräsentation eines Objekts während eines Akts der sinnlichen Bezugnahme auf die Welt, sie ist direkt und partikular. Das, was dabei repräsentiert wird, ist somit gänzlich abhängig von einem konkreten Objekt der Außenwelt. Die Sinneseindrücke erzeugen ein sinnliches Abbild oder, wie Ibn Sīnā es ausdrückt, die Form (ṣūra) des Objekts im Geist. Doch handelt es sich dabei noch nicht um eine Objekterkenntnis. Dafür sind weitere Schritte der Abstraktion (taǧrīd) notwendig.648 Zunächst einmal spricht Ibn Sīnā in einem weiteren Schritt von Imagination (idrāk at-taḫayyul). Hierbei handelt es sich um das Vermögen, über die mentale Repräsentation des Objekts auch bei dessen Abwesenheit zu verfügen, es handelt sich also um eine erste Stufe der Abstraktion. Nur über die Imagination ist es möglich, sich auf bestimmte Aspekte des Objekts zu fokussieren oder verschiedene Objekte der Wahrnehmung in ein Verhältnis zu setzen, denn bei der sinnlichen Repräsentation ist immer nur das aktuell Wahrgenommene präsent. Dennoch handelt es sich bei der Imagination immer noch um die Vorstellung eines partikularen Objekts und seiner materiellen Eigenschaften. In einem weiteren Schritt der Abstraktion 647 Zum Konzept des idrāk vgl. allgemein und knapp EI2 „Idrāk“, bei Ibn Sīnā vgl. Goichon (1938), 122–124. 648 Zu den Stufen der Abstraktion bei Ibn Sīnā vgl. auch D’Ancona (2008), insb. 47–58.
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wird bei idrāk al-wahm nun auch von den materiellen Eigenschaften abgesehen. Hier handelt es sich um die Vorstellung von immateriellen Eigenschaften im Partikularen. In einem letzten Schritt (idrāk al-ʿaql) wird auch von jeglicher Partikularität abgesehen und nur die allgemeinen Begriffe oder Universalien in Betracht gezogen. Erst jetzt kann man nach Ibn Sīnā in vollem Sinne von der Erkenntnis eines wahrgenommenen Objekts sprechen. Als Beispiel sei die Wahrnehmung eines konkreten Menschen genannt, eine Imagination, wenn er selbst nicht mehr anwesend ist, die Vorstellung etwa seiner partikularen Charaktereigenschaften, wie seiner Freundlichkeit, und schließlich die Vergegenwärtigung der Universalie Mensch, der man die partikulare Wahrnehmung zuordnet. Bei dieser Darstellung handelt es sich allerdings vor allem um eine aristotelische Seite von Ibn Sīnās Erkenntnistheorie, die vor allem die Begriffsbildung durch Synthese und Abstraktion der Mannigfaltigkeit von Sinnesdaten betrifft. Diesem Bild folgend, so deutet es Dimitri Gutas, der in seinem Ansatz der Ibn Sīnā-Deutung schwerpunktmäßig der aristotelischen Linie folgt, handelt es sich bei mušāhada um ein Konzept, das man, angelehnt an John Locke, am besten durch den Terminus Erfahrung (Experience) wiedergeben kann.649 Bezogen auf die kantsche Begrifflichkeit scheint mir allerdings der Begriff der Apprehension dem der Erfahrung vorzuziehen zu sein. Ruft man sich nun noch einmal Ġaffārīs Baum-Beispiel in Erinnerung, und bezieht es auf Ibn Sīnās Konzept des idrāk, so kann man zumindest zwei seiner Gleichnisse eindeutig zuordnen. So würde es sich bei mušāhada (Beispiel 4) um den ersten Schritt des idrāk handeln und bei Beispiel (1), Vorstellung des konkreten Baumes, um idrāk at-taḫayyul. Inwiefern mit Beispiel (3) eine Form des idrāk al-ʿaql oder idrāk at-taḫayyul gemeint sein könnte, scheint mir nicht eindeutig bestimmt. Ġaffārī spricht bei diesem Beispiel zwar davon, dass man von einem allgemeinen Begriff ausgehe, ihn aber in der Vorstellung auf bestimmte imaginierte Kontexte anwende. Wichtig ist für unseren Zusammenhang vor allem das Verständnis der Sinnlichkeit. Für Ibn Sīnā erzeugt diese eine vollständige Vorstellung oder Repräsentation eines Gegenstandes der Wirklichkeit, die allerdings auch eine Täuschung sein kann; sie ist somit keine Affirmation der wirklichen Existenz des Gegenstandes. Sie ist noch nicht vom Verstand durchdrungen. Letzterer kommt erst durch die in Stufen erfolgende Abstraktion zur Geltung und erst diese ermöglicht die Objekterkenntnis. Ibn Sīnā formulierte seine Doktrin der Erkenntnislehre aber auch – und das ist die andere Seite – unter platonischem und neuplatonischem Einfluss. Die kreative Kombination beider Seiten erst macht die genuin avicennische Doktrin 649 Gutas bezieht sich dabei auf John Lockes Essay Concerning Human Understandig, vgl. Gutas (2012), 396 Anm. 11.
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aus.650 Bei dieser anderen, der neuplatonischen Seite, handelt es sich um einen Vorgang, bei dem – das sei hier nun angedeutet – die Quidditäten der Dinge nicht allein durch Abstraktion, sondern durch das Mitwirken des aktiven Intellekts, der bei Ibn Sīnā wie bei al-Farābī in der kosmischen Sphäre, also außerhalb des Menschen verortet ist, quasi von oben, empfangen werden. Diese Perspektive wird insbesondere im Zusammenhang mit den Endabschnitten von Ibn Sīnās später philosophischer Summa, den Hinweisen und Mahnungen (al-išārāt wa at-tanbīhāt), in denen dieser eine an die Mystik angelehnte Sprache verwendet, von manchen, u.a. von vielen zeitgenössischen iranischen Vertretern der Tradition Mollā Ṣadrās, so gedeutet, dass Ibn Sīnā neben dem rationalen Erkenntnisweg noch einen höheren mystischen Erkenntnisweg vertrat, den dieser vor allem in der größtenteils verlorenen Schrift Die Östlichen (al-mašriqīyūn) erörtert habe.651 Darin zeigt sich allgemein eine Tendenz, Ibn Sīnā mystisch zu deuten. Eine Tendenz, der auch Ġaffārī nahesteht. Das mag auch Einfluss auf seine Deutung des Begriffs mušāhada haben. Denn im Kontext der islamischen Mystik kommt diesem Begriff eine zentrale Bedeutung zu. Hier bezeichnet er, ähnlich wie auch der Ausdruck šuhūd, der nicht selten synonym zu mušāhada gebraucht wird, so etwas wie eine „mystische Schau“ oder „spirituelle Erfahrung“, die als solche eine Form von „unmittelbarer Erkenntnis“ darstellt. Dieses Verständnis unterscheidet sich also deutlich von dem oben dargestellten Ibn Sīnās. Während es sich bei diesem zunächst nur um eine Form der sinnlichen, vorreflexiven und deshalb unmittelbaren Wahrnehmung handelte und nicht um eine Form der Erkenntnis in vollem Sinne, so ist es im Bereich der islamischen Mystik nicht eine vorreflexive, sondern vielmehr eine nicht-diskursive Form der Erkenntnis, die keiner weiteren Verstandesaktivität bedarf. Im engeren Sinne bezeichnet mušāhada im Kontext der islamischen Mystik die „Gottesschau“: eine Erfahrung, die nur den erfahrensten und frommsten Gläubigen auf dem mystischen Pfad zuteil wird.652 In einem weiteren Sinne, insbesondere im Kontext der philosophischen Mystik, kann es sich dabei auch um ein unmittelbares nicht-diskursives Erkennen von Sachverhalten oder Dingen handeln. In diesem Falle ist Erkennen ein Akt, in dem ein Gegenstand in seiner Einmaligkeit unmittelbar, samt all seiner Spezifika
650 Zu diesen beiden Seiten von Ibn Sīnās Erkenntnislehre im Kontext der Frage der Abstraktion vgl. D’Ancona (2008). 651 Kritisch zu dieser Deutung Gutas (1988), 115-130. 652 Zu den Begriffen mušāhada und šuhūd als „Gottesschau“ vgl. Marcotte (1996); EI2 „Waḥdat al- Šuhūd“; Innerhalb der Debatten islamischer Mystiker über die Gottesschau gab es – z. B. bei Ibn ʿArabī – auch erkenntnistheoretische Diskussionen etwa zur Frage, welche Rolle der Verstand bei der mušāhada spielen kann; zur Gottesschau bei Ibn ʿArabī vgl. Chodkiewicz (2006).
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erkannt wird. Diese Form der Erkenntnis ist insbesondere im Kontext der Philosophie Suhrawardīs und Mollā Ṣadrās unter der Bezeichnung „Erkenntnis durch Präsenz“ (ʿelm-e hożūrī) bekannt. Auch wenn es der textliche Zusammenhang nicht eindeutig klärt, so ist es wahrscheinlich, dass Ġaffārī, der der Tradition Mollā Ṣadrās nahesteht, diese Form der Erkenntnis als prioritär betrachtet. In seinem Exkurs, den er mit „Vergleich des Terminus Anschauung (šohūd) in der Philosophie Kants mit der Erkenntnis durch Präsenz in der islamischen Philosophie“ übertitelt, macht er auf den Zusammenhang der Konzepte šohūd und ʿelm-e hożūrī aufmerksam, indem er ausführt, dass dieser Begriff im Kontext der islamischen Geistesgeschichte insbesondere als mystischer Begriff eine spezielle Bedeutung hat.653 Im Anschluss betont Ġaffārī zu Recht, dass es zwar Gemeinsamkeiten zwischen dem Konzept šohūd als Anschauung und šohūd als „Erkenntnis durch Präsenz“ gebe, nämlich dass es sich in beiden Fällen um einen unmittelbaren Bezug zu Gegenständen sowie um einen partikularen Akt handele, dass aber eine Identifizierung beider Konzepte irreführend sei. Seine Kritik an solch einer voreiligen Gleichsetzung beider Konzepte zielt aber, wie mir scheint, nicht allein darauf, einem falschen Verständnis des kantschen Anschauungsbegriff vorbeugen zu wollen, sondern vielmehr eben jenen kantschen Begriff als defizitär zu entlarven. In zweierlei Hinsicht ist für Ġaffārī der kantsche Begriff der Anschauung im Vergleich mit den Theorien der Objekterkenntnis in der islamischen Philosophie, wie Ġaffārī sie versteht, unterlegen. Eine vollwertige Form der Erkenntnis, wie es das Konzept des šohūd als „Erkenntnis durch Präsenz“ darstellt, das jenseits der Repräsentationserkenntnis (ʿelm-e ḥoṣūlī) durch Sinnlichkeit und Verstand liege, wie sie die islamische Tradition bereithalte, konnte und wollte Kant mit der Anschauung nicht entwickeln. Doch als Produkt der Sinnlichkeit, die noch frei ist von Verstandesleistungen, so wie es letztlich Kants Intention gewesen sei, habe er die Anschauung auch nicht schlüssig darstellen können. Denn, so Ġaffārīs Argument, der unmittelbare Bezug zu den Gegenständen ist letztlich nur in zweierlei Weise vorstellbar: entweder als eine Art der sinnlichen Wahrnehmung (edrāk-e ḥessī), in der der Gegenstand in concreto durch die Sinnlichkeit im Geist des Wahrnehmenden repräsentiert werde, bevor er durch den Verstand verarbeitet wird, oder – nach dem Modell der „Erkenntnis durch Präsenz“ – unmittelbar erkannt werde. In Kants Konzept der Anschauung aber solle durch den unmittelbaren Bezug zum Gegenstand lediglich ein „unbestimmter Gegenstand“ oder, was für Ġaffārī dasselbe ist, ein „Objekt im Allgemeinen“ (Kants Objekt überhaupt) gegeben sein. Dieses sei nur als Begriff und gerade nicht als sinnliche 653 Vgl. Ġaffārī (2007), 90.
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Repräsentation eines Dings in der Außenwelt denkbar, was zeige, dass er hier die Ebenen Verstand und Sinnlichkeit nicht sachgerecht voneinander trenne. Hierin zeigt sich deutlich, dass Ġaffārī an der Dichotomie zwischen nichtphänomenalem „wirklichem Gegenstand in der Außenwelt“ und „mentaler Repräsentation“ desselben im Subjekt der Erkenntnis festhält. Nicht zu Unrecht wirft er Kant eine gewisse Ambiguität vor, was das Verhältnis von Sinnlichkeit und Verstand anbelangt. Allerdings scheint es bei ihm selbst auch nicht eindeutig bestimmt zu sein, denn es bleibt etwas unklar, ob er selbst, wenn er von mušāhada spricht, das Modell der sinnlichen Wahrnehmung Ibn Sīnās oder das der „Erkenntnis durch Präsenz“ zugrunde legt. Im ersten Falle sind zur Vervollständigung der Erkenntnis nämlich, wie anhand der Ausführungen zum idrāk erläutert, noch eine Reihe von Verstandesaktivitäten notwendig. Im zweiten Falle ist das Wahrgenommene dem Verstand in seiner Partikularität unmittelbar gegenwärtig. So bleibt sowohl für den Begriff der mušāhada als auch für den der Anschauung Kants noch zu klären, welche Rolle dem Verstand jeweils zukommt. Man kann also das mušāhada-Beispiel auch im Sinne des ʿelm-e ḥożūrī als ein unmittelbares Erfassen der Realität des „Baumes“ verstehen, das ohne die rationale Verarbeitung des in der Sinnlichkeit Gegebenen auskommt. Das würde in etwa dem entsprechen, was Kant als „intellektuelle Anschauung“ bezeichnete, die zwar eine vorstellbare, nicht-sinnliche Anschauungsart ist, die aber außerhalb unseres Erkenntnisvermögens liegt: Wenn wir unter Noumenon ein Ding verstehen, so fern es nicht Objekt unserer sinnlichen Anschauung ist, indem wir von unserer Anschauungsart desselben abstrahieren: so ist dieses ein Noumenon im negativen Verstande. Verstehen wir aber darunter ein Objekt einer nichtsinnlichen Anschauung, so nehmen wir eine besondere Anschauungsart an, nämlich die intellektuelle, die aber nicht die unsrige ist, (…). Da nun eine solche, nämlich die intellektuelle Anschauung, schlechterdings außer unserem Erkenntnisvermögen liegt, so kann auch der Gebrauch der Kategorien keinesweges über die Grenze der Gegenstände der Erfahrung hinausreichen, und den Sinnenwesen korrespondieren zwar freilich Verstandeswesen, auch mag es Verstandeswesen geben, auf welche unser sinnliches Anschauungsvermögen gar keine Beziehung hat, aber unsere Verstandesbegriffe, als bloße Gedankenformen für unsere sinnliche Anschauung, reichen nicht im mindesten auf diese hinaus;654
Es ist unklar, ob Ġaffārī diese Form der intellektuellen Anschauung im Sinn hat, wenn er von mušāhada spricht, bzw. ob er, wenn er Kants Konzept an Ibn Sīnās Vorgabe misst, die mystische oder die rationale Deutung seiner Erkenntnislehre voraussetzt. Versteht man wie Ġaffārī Kants Konzept der Anschauung als von Verstandesaktivität völlig freie „Vorstufe der Objekterkenntnis“, so scheint es 654 KrV, B 307–309.
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zunächst nicht abwegig, Anschauung mit idrāk al-ḥiss zu identifizieren. Dann ist es zudem konsequent, sich zu fragen, was mit Kants „unbestimmtem Gegenstand“ gemeint sein kann. Was ist es, was in der Anschauung tatsächlich unabhängig vom Verstand gegeben ist? Eine konkrete Repräsentation wie bei Ibn Sīnā ist es offenbar nicht. Ġaffārī schließt daraus, dass Kant letztlich bereits von einem allgemeinen Begriff ausgeht und wirft ihm deshalb Inkonsistenz vor, da er hier bereits den Verstand in die Ebene der Sinnlichkeit mit einbringe. Doch muss man sich an dieser Stelle fragen, ob es tatsächlich die empirische Anschauung oder nicht vielmehr die Wahrnehmung ist, die dem idrāk al-ḥiss ähnelt. Ġaffārī scheint nicht zwischen beiden Konzepten zu differenzieren, Kant aber nimmt durchaus eine Unterscheidung vor. Hier gelangt man in ein kontrovers diskutiertes Feld der Kantforschung, es kommt nämlich die Frage ins Spiel, ob der Verstand nicht bereits in der Wahrnehmung eine wichtige Rolle übernimmt, nämlich die der Synthesis des Mannigfaltigen des in der Anschauung Gegebenen. Die Tatsache, dass Kant offensichtlich bereits in der Anschauung eine Art der Synthesis vornimmt, war eines von Ġaffārīs Argumenten gegen die Stichhaltigkeit seines Anschauungsbegriffs. Ġaffārī zog daraus den Schluss, dass bereits in der Anschauung durch die Anschauungsformen der Gegenstand bestimmt (motaʿayyen) werde, der unbestimmte Gegenstand ein bestimmter werde, tatsächlich aber spricht Kant hier noch nicht von Bestimmung, sondern von „in gewisse Verhältnisse ordnen“.655 Nun hebt Kant durchaus hervor, dass der Verstand zwar nicht die Anschauung selbst erzeugt, diese aber ohne eine Verstandesleistung nicht einmal eine Wahrnehmung zustande brächte. Sie wäre, wie ein auch von Ġaffārī angeführtes, bekanntes Zitat Kants besagt, blind. Es bedarf also bereits einer Synthesis, um die Mannigfaltigkeit der Empfindungen, des Materials der Anschauungen, im Kontext der reinen Anschauungsformen Raum und Zeit zu ordnen, zueinander in ein Verhältnis zu setzen, wie Kant es bereits in der Transzendentalen Ästhetik ausdrückt, auf die sich auch Ġaffārī in seinem Argument bezieht.656 Diese Formen als Formen der Sinnlichkeit sind es aber nicht selbst, die das Ordnen vornehmen. Sie sind nur die Bedingung der Möglichkeit dafür.657 Es ist vielmehr der Verstand, der in einer ersten Synthesis, der „Synthesis der Apprehension“ überhaupt erst
655 KrV, B 34. 656 KrV, B34. 657 „In der Erscheinung nenne ich das, was der Empfindung korrespondiert, die Materie derselben, dasjenige aber, welches macht, daß das Mannigfaltige der Erscheinung in gewissen Verhältnissen geordnet werden kann, nenne ich die Form der Erscheinung“. B 34. Kant setzt hier in der zweiten Ausgabe das „werden kann“ kursiv, womit er womöglich zum Ausdruck bringen möchte, dass die Form der Erscheinung den Ordnungsrahmen liefert, nicht aber die Ordnung vornimmt.
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Wahrnehmung ermöglicht. Wie Kant in § 26 der B-Fassung der Transzendentalen Deduktion der Verstandesbegriffe erstmals ausführt: Zuvörderst merke ich an, daß ich unter der Synthesis der Apprehension die Zusammensetzung des Mannigfaltigen in einer empirischen Anschauung verstehe, dadurch Wahrnehmung, d. i. empirisches Bewußtsein derselben (als Erscheinung), möglich wird. Wir haben Formen des Äußeren sowohl als inneren sinnlichen Anschauung a priori an den Vorstellungen von Raum und Zeit, und diesen muß die Synthesis der Apprehension des Mannigfaltigen der Erscheinung jederzeit gemäß sein, weil sie selbst nur nach dieser Form geschehen kann. Aber Raum und Zeit sind nicht bloß als Formen der sinnlichen Anschauung, sondern als Anschauungen selbst (die ein Mannigfaltiges enthalten), also mit der Bestimmung der Einheit dieses Mannigfaltigen in ihnen a priori vorgestellt (siehe transz. Ästhet.). Also ist selbst schon Einheit der Synthesis des Mannigfaltigen, außer oder in uns, mithin auch eine Verbindung, der alles, was im Raume oder der Zeit bestimmt vorgestellt werden soll, gemäß sein muß, a priori als Bedingung der Synthesis aller Apprehension schon mit (nicht in) diesen Anschauungen zugleich gegeben. Diese synthetische Einheit aber kann keine andere sein, als die der Verbindung des Mannigfaltigen einer gegebenen Anschauung überhaupt in einem ursprünglichen Bewußtsein, den Kategorien gemäß, nur auf unsere sinnliche Anschauung angewandt. Folglich steht alle Synthesis, wodurch selbst Wahrnehmung möglich wird, unter den Kategorien, und, da Erfahrung Erkenntnis durch verknüpfte Wahrnehmungen ist, so sind die Kategorien Bedingungen der Möglichkeit der Erfahrung, und gelten also a priori auch von allen Gegenständen der Erfahrung.“658
Diese Passage kann man so interpretieren, dass der Verstand letztlich bis hin zu den Erscheinungen im Vollzug der Erkenntnis bereits eine wichtige Rolle spielt.659 Diese Deutung scheint mir die überzeugendste zu sein, auch wenn sie durchaus nicht ohne Widerspruch in der Kantforschung steht, denn es wird ebenfalls die Position vertreten, dass die Anschauung vom Verstand unberührt bleibt.660 Jene Deutung geht übrigens nicht davon aus, dass man Anschauung nicht unabhängig vom Verstand denken könne, doch im Vorgang der Erkenntnis ist sie immer schon vom Verstand begleitet. Nichts anderes bringt Kant meiner Ansicht nach zum Ausdruck, wenn er im obigen Zitat betont, die Einheit der Synthesis des Mannigfaltigen sei immer schon mit, nicht aber in den Anschauungen gegeben.661 658 KrV, B 160f. 659 Vielleicht noch deutlicher kommt das zum Ausdruck in einer Passage der A-Deduktion A 119f., in der Kant betont, dass Erscheinung ohne das Verhältnis zum Bewusstsein letztlich nichts wäre. 660 Vgl. etwa Rohs (2001). 661 Einschlägig zu dieser Diskussion neben Rohs (2001), Replik zu Rohs vgl. Wenzel (2005); vgl. auch den Ansatz von Grüne (2009). Grüne spricht in ihrer Dissertation davon, dass man beide Positionen in Einklang bringen könne, wenn man zwischen „dunklen“, „klaren“ und „deutlichen“ Begriffen unterscheide. Demnach sind für die erste Synthesis der Anschauung nur jene „dunklen Begriffe“ nötig. Was Kant mit dieser Art von Begriffen meint und wo er sie einführt,
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Diese Deutung spricht demnach nicht für eine Auflösung der Unterscheidung zwischen Sinnlichkeit und Verstand. Sie stellt sich aber gegen eine Deutung, die auf eine Art Genealogie der Erfahrung hinaus will, in der der Erkenntnisprozess nach dem Baukastensystem zunächst aus Anschauung und erst, wenn diese gegeben ist, in weiteren Schritten aus Verstandesleistungen zusammengesetzt wird. Dass sich Kant offenbar selbst gegen eine solche auch psychologisch genannte Deutung aussprach, wurde bereits angesprochen. Da Ġaffārī Kants Unterscheidung der zwei Erkenntnisstämme Sinnlichkeit und Verstand offenkundig im Sinne einer absoluten Dichotomie versteht, muss für ihn die im Werk angelegte Ambiguität der beiden Konzepte als Widerspruch erscheinen. Diese Schlussfolgerung wird zudem noch durch zwei Faktoren gestärkt. Der erste Faktor besteht darin, dass er sich in seiner hier diskutierten Argumentation vor allem auf Kants Ausführungen zur Anschauung in der Transzendentalen Ästhetik bezieht, in der dieser die Unterscheidung der beiden Erkenntnisstämme überhaupt erst einführt, indem er vor allem ihre unterschiedlichen Geltungsbereiche betont. Dass nach Kant der Verstand aber bereits für Akte der Synthesis im Bereich der Anschauung eine Rolle spielt, wird erst im Kontext der Transzendentalen Analytik verständlich. Man kann aufgrund dieses Ergebnisses durchaus die Konsistenz der Unterscheidung der beiden Erkenntnisstämme infrage stellen. Man kann sie aber auch, wie oben angedeutet wurde, mit Bezug auf Kants Argumentation systematisch begründen. Der zweite Faktor besteht darin, dass Ġaffārī, von einer realistischen Position ausgeht und das in zweifacher Hinsicht. So vertritt er offenkundig einen zum Nominalismus in Opposition stehenden Realismus, da er von der Existenz von Universalien als irreduzible Bestandteile der Wirklichkeit ausgeht. Darüber hinaus vertritt er aber auch einen in Opposition zum Idealismus stehenden Realismus. Für diesen ist die Annahme der Existenz von an sich erkennbaren Dingen in der Welt, die aber von mentalen Vorgängen seitens eines wahrnehmenden oder denkenden Subjekts (Gott ausgenommen) unabhängig sind, maßgeblich. Eine der einflussreichsten philosophischen Abhandlungen in persischer Sprache, die – ausgehend von einer solchen realistischen Position und aus Tradition der islamischen Philosophie (insbesondere Ibn Sīnās und Mollā Ṣadrās) begründet – explizit gegen materialistische und idealistische Strömungen europäischer Philosophie ins Feld geführt wurde, ist das bereits erwähnte Werk Oṣūl-e falsafe va raveš-e reʾālism von ʿAllāme Ṭabāṭabāʾī und Mortażā Moṭahharī. Es ist daher durchaus naheliegend, dass Ġaffārī, der zum engen Schülerkreis Moṭahharīs erklärt die Autorin in ihrer Arbeit u. a. mit Bezug auf das Opus Postum. Auffällig ist, dass die Autorin sich in ihrer Diskussion nur auf die A-Fassung der Transzendentalen Deduktion bezieht, aber die Überzeugung vertritt, dass ihre Deutung auch für die B-Deduktion gelte.
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gehörte und dessen Denken nach eigenem Bekunden maßgeblich von ihm beeinflusst ist,662 den transzendentalen Idealismus Kants, wie einst auch Moṭahharī, als reinen Idealismus betrachtet und die realistischen Momente im selbigen nicht gelten lässt. Das zeigt sich besonders deutlich in Ġaffārīs Kritik an Kants Begriff des „Dings-an-sich“, mit dem Kant seiner Theorie eine realistische Basis verleihen wollte.
Ding-an-sich und Erscheinung: Zur Paradoxie des Dings-an-sich Die Ambiguität, die Ġaffārī an Kants Unterscheidung zwischen Sinnlichkeit und Verstand monierte, kritisiert er, wie oben dargestellt, auch an Kants Objektbegriff. Dieser sei in sich widersprüchlich, da er einerseits davon ausgehe, es gebe Gegenstände in der Außenwelt, die die Sinnlichkeit affizierten und dadurch Anschauungen mithin Erscheinungen im Geiste hervorriefen. Andererseits betone er aber, dass sich alle Erkenntnis nur auf den Bereich der Phänomene beziehe, man also keinerlei Erkenntnis über die noumenalen Gegenstände haben könne, die doch ursprünglich Ursache der Erscheinungen gewesen seien. Ausgehend von seiner realistischen Position kommt er daher zu dem Urteil, dass Kant letztlich die wirklichen Dinge der Außenwelt, ja die reale Welt als ganze, unversehens in eine Welt der Erscheinung, eine mentale Welt umgewandelt habe. Objektivität bezeichne nun nicht mehr, was mit der Wirklichkeit, sondern was mit den Phänomenen im Einklang stehe. Damit werde die Wirklichkeit letztlich suspendiert. Der Verstand bleibe damit in der reinen Sinnlichkeit gefangen, da er keine Erkenntnis der Wirklichkeit mehr ermögliche. Er unterscheide sich damit nur noch nominell von der Sinnlichkeit und sei im Endeffekt eine Art höhere Sinnlichkeit (ḥess-e bartar). Letztendlich unterscheide sich daher Kants transzendentaler Idealismus nicht mehr vom absoluten Idealismus, da der Begriff des Dings-an-sich in sich widersprüchlich sei. Ġaffārīs realistischer Standpunkt kommt notgedrungen in Konflikt mit Kants Objektbegriff. Die von Ġaffārī angesprochene Ambiguität lässt sich kaum bestreiten und ist seit jeher Anlass für andauernde Kontroversen in der Kantliteratur. So fußt etwa der Deutsche Idealismus auf der Annahme, dass man den Begriff des Dings-an-sich fallen lassen müsse. Für die Diskussion von Ġaffārīs Kritik des kantschen Objektbegriffs macht es Sinn, sich zunächst einmal seinen Zugang zum Text zu vergegenwärtigen. Hier kommt wieder zum Tragen, dass er insbesondere von Kants Gegenstandsbegriff aus der Transzendentalen Ästhetik ausgeht. Hinzu kommt sein Zugang über
662 So Ġaffārī in persönlichem Gespräch Feb. 2008, vgl. Ġaffārī (2010), 97.
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Patons Kommentar, dessen Argumentation er kritisiert. Somit muss man zwischen diesen beiden Ebenen unterscheiden. Beginnen wir noch einmal mit Ġaffārīs Zugang zum Gegenstandsbegriff über die Aussagen in der Transzendentalen Ästhetik. Wie oben bereits erwähnt, verwendet Kant dort den Ausdruck „unbestimmter Gegenstand“, um den Begriff der Erscheinung einzuführen. Wie erwähnt, lässt sich meines Erachtens der Ausdruck entweder so verstehen, dass damit selbst ein subjektunabhängiges Ding der Außenwelt gemeint ist oder aber eine Vorstellung von einem Ding. Ġaffārī scheint den Ausdruck, wie dargelegt, als ein subjektunabhängiges Ding zu verstehen. Es spricht aber viel dafür, dass es sinnvoller ist, ihn als Vorstellung aufzufassen, und dass das, was Kant als Gegenstand begreift, über den wir Erkenntnis erlangen können, tatsächlich „nur“ Gegenstand der Vorstellung, mithin die Erscheinung ist. Das scheint zunächst Ġaffārīs Kritik geradezu zu bestätigen, denn man könnte daraus den Schluss ziehen, dass Kant die Existenz eines „wirklichen“ subjektunabhängigen Gegenstandes letztlich in Abrede stellt, er also, was Ġaffārīs Argument war, zwar zunächst behauptet, ein solcher Gegenstand affiziere die Sinne, was den ersten Schritt der Objekterkenntnis darstellt, sei aber im Endeffekt selbst gar nicht mehr Gegenstand der Erkenntnis, sondern nur noch die Erscheinung. Sodass er den konkreten Gegenstand, etwa den „wirklichen Stuhl“, der die Erscheinung des Stuhls hervorrief, letztlich suspendiert und nur noch die mentale Erscheinung als wirklich bzw. objektiv gelten lässt. Um diesen vermeintlichen Widerspruch aufzudecken, bezieht Ġaffārī sich auf den Kommentar Patons zu dieser Problematik. Ġaffārīs Kritik trifft daher eher den von ihm zitierten Deutungsversuch Patons, aber nicht unbedingt Kants Exposition des Objektbegriffs.663 Um diesem in der Tat komplizierten Begriff des Objekts auf die Spur zu kommen, ist es daher notwendig, sich auf weitere einschlägige Stellen in der Kritik zu beziehen, in denen 663 Allerdings kann man auch Patons Zugang insgesamt letztlich vor Ġaffārīs Kritik in Schutz nehmen. Zwar trifft Ġaffārīs Kritik der Widersprüchlichkeit auf die von ihm zitierte Stelle zu, doch wird schon im nächsten Absatz von Patons Kommentar (§ 3. Sense and Understanding, Paton [1951], 98), auf den Ġaffārī nicht mehr Bezug nimmt, deutlich, dass er die Unterscheidung zwischen Sinnlichkeit und Verstand keinesfalls so apodiktisch vornimmt, wie es in den zitierten Passagen scheint. Dort nämlich schreibt er: „It is an essential part of Kant’s doctrine that both sense and understanding, both intuition and conception, are necessary for knowledge of objects. (…) There is therefore an abstraction involved in dealing with sensibility itself, and the Aesthetic is a provisional and incomplete account of our knowledge of space and time. In awareness of space and time as individual objects thought is always involved. Thought gives us the synthesis without which there is no unity in any object.“ [kursiv R.S.]. Auch Paton war offensichtlich der Überzeugung, dass Sinnlichkeit und Verstand keineswegs gänzlich voneinander getrennte Bereiche sind, sondern dass der Verstand bereits im Bereich der Erscheinungen jene wichtige Aufgabe der Synthesis übernimmt.
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Kant den Begriff weiter ausführt und entwickelt. Dabei handelt es sich insbesondere um Passagen der Transzendentalen Deduktion sowie des Abschnitts „Vom Grunde der Unterscheidung aller Gegenstände überhaupt in Phaenomena und Noumena“. Die Tatsache, dass Kant insbesondere im Hinblick auf die Explikation des Objektbegriffs die Fassung der zweiten Auflage der Transzendentalen Deduktion erheblich verändert hat (so kommt der in der A-Fassung zentrale Terminus des transzendentalen Gegenstandes nicht mehr vor) sowie dass beide erwähnten Passagen zu erheblichen Kontroversen in der Kantliteratur geführt haben, zeigt, dass der kantsche Objektbegriff durchaus nicht unproblematisch ist. Dennoch will ich, mit Bezug auf bestimmte Textstellen, Ansätze einer vereinfachten Deutung versuchen, die nahelegt, dass Ġaffārīs Kritik der Widersprüchlichkeit Kants Objektbegriff bzw. den Begriff des „Dings-an-sich“ nicht zwangsläufig widerlegt, sondern als systematische Ambiguität gedeutet werden kann. Der Ansatz dieser Deutung setzt wieder bei der Frage an, welche subjektunabhängigen Entitäten nun tatsächlich unsere Sinne affizieren und was man nun tatsächlich über sie aussagen bzw. wissen kann. Offenbar handelt es sich nicht um die konkreten Objekte der Erkenntnis, denn diese werden als solche erst durch unser Erkenntnisvermögen (Sinnlichkeit und Verstand bzw. Anschauungen und Begriffe) konstituiert. Alles, was man über jene subjektunabhängigen Entitäten aussagen kann, ist zunächst einmal nur, dass sie Empfindungen hervorrufen. Vom Stuhl zu sprechen, um bei Patons Beispiel zu bleiben, macht also im transzendentalen Verständnis erst auf der Ebene der Erscheinung Sinn. Das bedeutet aber nicht, dass der Stuhl – vorausgesetzt es handelt sich bei der Stuhlwahrnehmung nicht um Einbildung, Wahn oder Sinnestäuschung – nicht wirklich existierte, sondern nur, dass das, was die Stuhlwahrnehmung hervorruft, an sich selbst betrachtet nicht Stuhl genannt werden kann. Die Stuhlwahrnehmung hervorrufende Entität ist für uns Stuhl, also für alle Vernunftwesen, die über ein ungestörtes menschliches Erkenntnisvermögen verfügen. Damit ist allerdings der Einwand, auf den Ġaffārī mit Bezug auf Jacobi verweist, noch nicht ausgeräumt. Wie nämlich kann Kant sinnvoll behaupten bzw. wissen, dass ein subjektunabhängiges „Ding-an-sich“ Empfindungen verursacht, wenn man die Kategorien mithin auch die Kategorie der Kausalität nur, wie Kant betont, auf Phänomene, nicht aber auf Noumena anwenden kann?664 Dieses Argument scheint mir in der Tat nicht ohne Weiteres abweisbar zu sein. Dennoch gibt es auch dafür in der Kantforschung Ansätze, etwa das Argument, dass man mit der Behauptung, „Dinge-an-sich“ fielen auf diese Weise gewissermaßen unter die Kategorie der Kausalität, diese Kategorie noch nicht auf ein bestimmtes „Ding“ angewendet hat, man also noch nicht behauptet hat, man würde dieses „Ding“ 664 Vgl. etwa B306–309; A 286/B 343 – A 289/B 345.
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kennen. Man könne sehr wohl wissen, dass etwas unter einen Begriff fällt, ohne dass man das Ding in jedem Falle kennen muss.665 Die Tatsache, dass man einen Stuhl an sich selbst betrachtet streng genommen nicht Stuhl nennen kann, bedeutet aber wiederum nicht, dass es keinen Sinn macht, von jenem Stuhl als wirklich existierend zu sprechen. Kant selbst spricht davon, dass wir einen Gegenstand wie etwa jenen Stuhl in einem gewissen Sinne durchaus als subjektunabhängiges „Ding-an-sich selbst“ betrachten können. Er unterscheidet nämlich zwischen einer empirischen und einer transzendentalen Version der Unterscheidung zwischen „Ding-an-sich“ und „Erscheinung“. In der empirischen Version kann man vom Stuhl-an-sich selbst sprechen. Er bezeichnet in diesem Falle, was man im empirischen Sinne subjektunabhängig bezeichnet, den Stuhl, der da ist ohne die Eigenschaften, die er für ein bestimmtes erkennendes Subjekt hat. Subjektabhängig wäre im empirischen Sinne das, was man umgangssprachlich als „subjektiv“ bezeichnet, etwa dass der Stuhl für mich hart und unbequem ist, für einen anderen aber gemütlich und bequem.666 Es bezeichnet subjektabhängige Eigenschaften, die von Mensch zu Mensch verschieden sein können, im transzendentalen Sinne ist aber bereits alles subjektabhängig, was uns durch Sinnlichkeit und Verstand gegeben ist. Denn erst durch diese, als Eigenschaften des Subjekts, werden sie konstituiert. Die alltägliche Verständigung über Dinge in der Welt findet aber immer schon auf der Ebene der Erscheinung statt. So gesehen hat Ġaffārī mit seiner Feststellung, der Verstand komme aus der Welt der Erscheinungen nicht heraus, durchaus nicht unrecht. Doch scheint es, dass damit gerade kein Widerspruch in Kants Argumentation aufgezeigt ist, sondern vielmehr die Quintessenz seiner Theorie der Objekterkenntnis, die Beschränkung des Erkenntnisvermögens auf den Bereich der Erscheinung. Dabei übersieht Ġaffārī womöglich, dass jene „Welt der Erscheinung“ im empirischen Sinne gerade nicht als subjektabhängig gilt, denn dann wäre sie in ihrer Struktur bereits von Subjekt zu Subjekt verschieden und eine sinnvolle Verständigung über die Welt wäre nicht möglich. Dies ist eine Position, die letztlich auf einen Skeptizismus oder gar Solipsismus hinausliefe, die Kant ganz ausdrücklich nicht vertritt. Die Welt der Erscheinungen ist im transzendentalen Sinne subjektabhängig und damit in ihren Grundstrukturen für alle menschlichen Vernunftwesen gleich beschaffen.
665 Um dieses keineswegs selbstevidente Argument verständlich zu machen, bedarf es allerdings weiterer Explikationen, deren Diskussion hier zu weit führen würde. Vgl. dazu Rosefeldt (2007), insb. 205–208. Vgl. knapp auch Schnädelbach (2005), 40–42. 666 Zum empirischen und transzendentalen Verständnis der Unterscheidung von „Ding-ansich” und „Erscheinung” vgl. A 29f./B 45; KrV, A 45f./B 62.
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Ġaffārī verbindet mit der eben genannten Feststellung den Vorwurf, letztlich sei der Verstand bei Kant nichts anderes als eine Art „höhere Sinnlichkeit“, da er über sinnlich Gegebenes bzw. auf Sinnlichkeit Basierendes hinaus nichts anzubieten habe. Dieser Vorwurf wirkt zunächst einmal irritierend, zumal Ġaffārī selbst Kant vorwirft, etwa mit dem Begriff des „Objekts im Allgemeinen“, Verstandeselemente in den Bereich der Sinnlichkeit eingeschleust zu haben. Dass er Kant nun vorwirft, dieser habe gar keinen eigenständigen Verstandesbegriff, sondern alles sei bei ihm nur Sinnlichkeit, muss daher, insbesondere vor dem soeben diskutierten Hintergrund der Bedeutung des Verstandes für die Synthesis schon im Bereich der Erscheinung und sinnlichen Wahrnehmung, erstaunen. Ġaffārīs Argument lässt sich, wenn man sich noch einmal sein Verständnis von Sinnlichkeit und seinen realistischen Ansatz vor Augen führt, folgendermaßen resümieren: 1.) Es gibt Dinge in der Welt, die subjektunabhängig sind. 2.) Durch die Sinnlichkeit entstehen Vorstellungen von diesen Dingen im Geiste, diese Vorstellungen sind Erscheinungen der Dinge, die passiv gegeben sind; sie sind nicht unbedingt exakte Abbilder der Dinge, das wäre ein naiver Realismus.667 3.) Der Verstand hat die Aufgabe, durch Abstraktion die Existenz und die Quiddität der Dinge zu erkennen. 4.) Wenn der Verstand die Existenz und Quiddität der wirklichen subjektunabhängigen Dinge nicht erkennen kann, dann bleibt er auf der Ebene der Erscheinungen stehen, die wiederum nichts weiter als die Ergebnisse der passiven Sinnlichkeit sind. Er unterscheidet sich nicht maßgeblich von der Sinnlichkeit, wenn er diese nicht überschreiten kann. Eine gewisse Ambiguität des „Dings-an-sich“ aber lässt sich meines Erachtens in der Tat nicht auflösen. So ist es für Kant einerseits ein realistischer, ja materialistischer Ankerpunkt seiner Erkenntnislehre, als ein Etwas, das subjektunabhängig da sein muss, um überhaupt Empfindungen im Bereich der Sinnlichkeit hervorzurufen, die dem Erkenntnisvermögen als Erscheinungen gegeben sind und aus denen dann im Akt der Erkenntnis das Objekt erst konstituiert wird. Erscheinungen aber müssen, wie Kant bereits in seiner Vorrede zur zweiten Auflage der KrV schreibt, Erscheinungen von Etwas sein. Denn es würde keinen Sinn machen, überhaupt von Erscheinungen zu sprechen, ohne etwas anzunehmen, ein „Ding-an-sich selbst betrachtet“, was erscheint.668 Zugleich aber ist es gerade das, worüber man selbst keine Erkenntnis haben kann. Es ist und bleibt gänzlich unbestimmt, etwas, das man annehmen und denken muss, aber nicht erkennen kann. Das Noumenon wird von Kant auch als Grenz-
667 Ġaffārī spricht sich explizit gegen einen „naiven Realismus“ aus, der von der Idee der Vorstellungen als exakte Abbilder der wirklichen Dinge ausgeht. Ġaffārī (2007), 110. 668 KrV, B XXVI f.
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begriff bezeichnet669 und ist damit wieder Gegenstand des Denkens und nicht der Sinnlichkeit, sondern hat vielmehr die Aufgabe, die Grenzen der Sinnlichkeit aufzuzeigen. Es hat eine gewisse Ähnlichkeit mit den Vernunftbegriffen, Ideen wie Gott, Freiheit und Unsterblichkeit der Seele, die Kant in der KpV als Postulate ausformuliert. Auch diese sind Gegenstände des Denkens, die als solche denknotwendig sein können und gleichzeitig unerkennbar.670 Die grundsätzliche Feststellung Ġaffārīs, die die Ambiguität des „Dings-ansich“ betrifft, bleibt also bestehen und ist in der Geschichte der Kantrezeption auch immer wieder betont worden. Insbesondere die Strömung des Deutschen Idealismus hat sich daran gestoßen und letztlich dafür plädiert, das Ding-an-sich fallen zu lassen. Indem Ġaffārī dieser Argumentation folgt, wird für ihn der transzendentale Idealismus zu einem absoluten Idealismus à la Fichte und Hegel, den er aus seiner philosophischen Position rundweg ablehnen muss. Das hat wiederum zur Folge, dass die Argumentationslinien Kants für einen transzendentalen Idealismus durch Ġaffārī nicht trennscharf zur Darstellung gebracht wurden.
Zusammenfassung Ġaffārīs kritische Diskussion von Kants Prinzipien der Objekterkenntnis ist in mehrerlei Hinsicht aufschlussreich. Sie zeigt beispielhaft, dass der an Moṭahharī anschließende kritische Zugang zu Kant in Iran sich seither deutlich weiterentwickelt hat, indem die Kenntnis sowohl der kantschen Schriften als auch einschlägiger Forschungsliteratur erkennbar vertieft wurde. Zwar mischt sich in die Diskussion nicht selten ein polemischer Unterton, dennoch diskutiert Ġaffārī mit seiner Kritik am Anschauungsbegriff und dem Ding-an-sich einige zentrale Punkte, die auch in der westlichen Kantforschung Gegenstand anhaltender Diskussionen sind. Durch den Bezug auf kantkritische Positionen aus der Forschung führt er diese in die iranische Kantdiskussion ein. Dass Ġaffārī dabei dahin tendiert, sich vor allem auf kantkritische Literatur zu stützen bzw. auf kritische Verweise innerhalb einzelner Zugänge der Kantforschung, ist eingedenk seiner philosophischen Verortung naheliegend, da er einen ontologischen wie erkenntnistheoretischen Realismus vertritt, der sich scharf von jedwedem Idealismus abgrenzt. Kants transzendentaler Ansatz, Idealismus und Realismus zur Synthese zu bringen, erscheint ihm daher als Widerspruch, den er nachzuweisen gedenkt, indem er ihm jeglichen Realismus abspricht. Dabei sind einige seiner Einwände bedenkenswert. Allerdings konnte auch gezeigt werden, dass 669 KrV, B 310f. 670 Ein Unterschied zu den Vernunftbegriffen besteht darin, dass sich diese zwar nicht erkennen, aber durchgängig bestimmen lassen, was beim Noumenon nicht der Fall ist.
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einige Kritikpunkte problematisch sind, was mitunter durch spezifische Übersetzungsprobleme verschärft wurde. Die Verweise auf die islamische Tradition der Philosophie sollten diesen ideengeschichtlichen Kontext, in dem Ġaffārī steht, zumindest ansatzweise veranschaulichen. Auch hier zeigt sich ein Hang zur Apologetik. Den Ansatz, die Bezüge zur islamischen Tradition konstruktiv im Sinne einer Synthese zu nutzen, beschreitet Ġaffārī nicht. Es ist ihm durchaus gelungen, die von Moṭahharī angestoßene Kantkritik, die bei diesem noch ohne Bezug zum kantschen Quellentext auskam, auf ein weitaus höheres Niveau zu bringen, während er dabei allerdings die apologetische Grundhaltung Moṭahharīs beibehält, geht ein anderer Moṭahharī-Schüler bei seinem Zugang zu Kants theoretischem Denken moderater vor, worauf im folgenden Abschnitt eingegangen wird.
4.3.3 Synthetische Urteile a priori und die kantsche Unterscheidung zwischen mathematischer und philosophischer Erkenntnis. Lārīǧānīs Borhān dar falsafe-ye Kānt 4.3.3.1 Lārīǧānīs Schriften zu Kant ʿAlī Lārīǧānī, ebenfalls Professor für Philosophie an der Universität Teheran und einflussreicher Politiker, hat bisher drei Monografien über Kant vorgelegt, die sich allesamt mit der Thematik des Verhältnisses von Kants theoretischer Philosophie (insbesondere der kritischen Periode) mit den exakten Wissenschaften, allen voran der Mathematik, beschäftigen. Dabei hat das Werk Metāfīzīk va ʿolūm-e daqīqe dar falsafe-ye Kānt (Metaphysik und die exakten Wissenschaften in der Philosophie Kants), das 2004 in Teheran erschien, den Charakter einer gewissenhaften historischen und thematischen Einführung in die Problematik. Bereits hier geht Lārīǧānī weit über eine reine Paraphrasierung kantscher Positionen hinaus, indem er unter Bezugnahme auf einschlägige Werke der Kantforschung in diesem Themenfeld kritisch Stellung nimmt etwa zu verschiedenen Ansätzen Kants bezüglich der Diskussion von Raum und Zeit. Im ersten Kapitel dieses Werkes behandelt der Autor in erster Linie die historischen Voraussetzungen Kants, die sein Verhältnis zu den Naturwissenschaften prägten, wie etwa die newtonsche Physik und die euklidische Geometrie.671 Das zweite Kapitel führt in wichtige Positionen in der Philosophie der Mathematik ein, die in der Kantliteratur für die Beurteilung der kantschen Positionen eine wichtige Rolle spielen.672 671 Vgl. Lārīǧānī (2004a), 25–95. 672 Nach allgemeinen Vorbemerkungen [Lārīǧānī (2004a), 97–111] widmet er sich der Darstellung der Grundpositionen und Probleme dreier Schulrichtungen. Zunächst geht er auf die logizistische oder analytische Schule (maktab-e manṭeq gerāʾī) insbesondere mit Bezug auf Russel und White-
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Im dritten Kapitel schließlich behandelt Lārīǧānī Kants Zugang zu den Naturwissenschaften und der Mathematik und nimmt dabei insbesondere Bezug auf den Einfluss von Leibniz und Newton auf Kant und dessen Versuch einer Synthese.673 Die Diskussion und Kritik von verschiedenen Entwicklungsstadien Kants in der Erörterung von Raum und Zeit folgt am Schluss des Werkes.674 Der Autor unterscheidet hier drei Phasen der Theoriebildung zu Raum und Zeit, wobei er noch von einer vierten spricht, die er allerdings eher als Ver feinerung der dritten Phase ansieht. Als erste Phase identifiziert Lārīǧānī Kants Position, die er in seiner Erstlingsschrift Gedanken von der wahren Schätzung der lebendigen Kräfte675 (Andīšehāʾī dar bāb-e taḫmīn-e dorost-e nīrūhā-ye zende) vertreten habe. Dabei handele es sich um eine Position zwischen Leibniz und Newton. Die zweite Position, in der er Newtons reale Gefäßauffassung des Raumes nahekommt, vertrete er vor allem in seiner Schrift Von dem ersten Grunde des Unterschiedes der Gegenden im Raume (Avvalīn mabānī-e tamāyyoz-e manāṭeq-e fażāʾī) aus dem Jahre 1768. Diese Position wiederum werde durch seine Habilitationsschrift (resāle-ye ostādī)676, die Kant zum Antritt seiner ersten Professur in Königsberg 1770 veröffentlichte, schließlich revidiert und seine Doktrin von Raum und Zeit als Vorstellungen a priori mithin Anschauungen grundgelegt. Die erste Auflage der KrV stütze sich auf diese Veröffentlichung.677 Auf die Erörterung von Raum und Zeit in der KrV selbst geht Lārīǧānī in diesem Werk nicht näher ein. Das besondere Verdienst dieser Schrift liegt nicht zuletzt darin, dem iranischen Publikum einen entwicklungsgeschichtlichen Einblick in Kants Lehre von Raum und Zeit geliefert zu haben. Ebenfalls verdienstvoll sind Lārīǧānīs gute Quellenkenntnis und seine zahlreichen Zitate aus kantschen Werken und anderen Quellen- und Sekundärtexten in persischer Übersetzung. Sein zweites Werk Raveš-e riyāżī dar falsafe-ye Kānt (Die Methode der Mathematik in der Philosophie Kants) geht dem Bekunden des Autors zufolge genauer auf Kants Zugang zur Mathematik ein.678 Noch spezieller ist schließlich Lārīǧānīs head und ihren Principia mathematica ein [Lārīǧānī (2004a), 112–131]. Anschließend wendet er sich der intuitionistischen Schule (maktab-e šohūd gerāʾī) und ihren Vertretern L. E. J. Brouwer und Kronecker zu [Lārīǧānī (2004a), 132–147]. Zuletzt behandelt er die formalistische Schule (maktab-e ṣūrat gerāʾī) und ihren wichtigsten Vertreter David Hilbert [Lārīǧānī (2004a), 148–159]. 673 Lārīǧānī (2004a), 161–196. 674 Lārīǧānī (2004a), 197–237. 675 Verfasst 1746, erschienen 1749. 676 Es handelt sich um die 1770 erschienene Schrift De mundi sensibilis atque intellegibilis forma et principiis (Von der Form der Sinnen- und Verstandeswelt und ihren Gründen). 677 Zur Entwicklung der Auffassung Kants von Raum und Zeit vgl. knapp Höffe (2003), 90–96. 678 Diese Schrift, bei der es sich offenbar um seine Doktorarbeit handelt, lag mir leider nicht vor, vgl. 8.4.3 Lārīǧānī (1374/1995).
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dritte Monografie zu Kant, die er ebenfalls im Jahr 2004 unter dem Titel Šohūd va qażāyā-ye taʾlīfī-ye mā taqaddama dar falsafe-ye Kānt (Anschauung und synthetische Urteile a priori in der Philosophie Kants) veröffentlichte. Auch in diesem Werk fällt, deutlicher noch als in Lārīǧānīs zuerst genannter Schrift, der genaue Quellenbezug und die Vielzahl von Zitaten in Übersetzung auf, die sehr wahrscheinlich, sofern keine Übersetzung als Quelle angegeben ist, vom Autor selbst stammen dürften.679 Das Buch, dem ein Vorwort von Ġolāmreżā Aʿvānī vorangestellt ist, der selbst einen Artikel zur Thematik der synthetischen Urteile a priori verfasst hat,680 gliedert sich in drei Hauptkapitel. Das erste, dem Umfang nach kürzeste Kapitel „Qażāyā-ye taʾlīfī va taḥlīlī“ (Synthetische und analytische Urteile)681 führt in die Thematik der Einteilung von Urteilen in analytische und synthetische und die These Kants, dass mathematische Urteile synthetische sind, ein. Dabei referiert Lārīǧānī zunächst einschlägige Passagen aus der Einleitung der KrV (B11; B14–16)682, in der Kant seine Position darlegt. Darüber hinaus macht er auch auf die Problematik aufmerksam, dass man anhand der kantschen Kriterien für die Unterscheidung beider Arten von Urteilen (etwa dem Satz vom Widerspruch) zunächst nur Urteile der Subjekt-Prädikat-Struktur (qażāyā-ye ḥamlī) eindeutig zuordnen kann, womit etwa Konditionalsätze aus dem Schema fielen; auch auf einen ähnlichen Einwand Freges geht er ein. Allerdings könne man, was wohl Kants Anliegen gewesen sei, letztlich auch Konditionalsätze in einer Subjekt-Prädikat-Struktur wiedergeben.683 Nach einem kurzen Abschnitt zu Charles Parsons684 Diskussion der kantschen These, mathematische Sätze seien synthetisch, geht er kurz auf eine von Kant abweichende Unterteilung von Urteilen ein.685 Des Weiteren diskutiert er Argumente und Gegenargumente zur These der synthetischen Natur mathematischer Sätze und deren Begründung auf der
679 Lārīǧānī verwendet in den Zitaten aus der KrV jedenfalls nicht die Übersetzung von Adīb Ṣoltānī, sondern wie es scheint eine eigene persische Übersetzung nach Vorlage der englischen Übersetzung von Kemp Smith, jedenfalls gibt er diese Quelle an. Die Übersetzungen sind an den von mir mit dem Original verglichenen Stellen, soweit ich das zu beurteilen vermag, gelungen und weisen eine weitgehende terminologische und semantische Konsistenz auf. 680 Vgl. ʾAʿvānī (2007). 681 Lārīǧānī (2004b), 27–51. 682 Lārīǧānī (2004b), 28f., bringt hier ein langes Zitat in persischer Übersetzung, in dem Kant argumentiert, dass es sich beim Satz 7 + 5 = 12 um ein synthetisches Urteil handelt. 683 Lārīǧānī (2004b), 32–35. Vgl. dazu Patzig (1988), 20–23. 684 Lārīǧānī (2004b), 35f. Er bezieht sich hier auf folgenden Text: Charles Parsons: „Kant’s Philosophy of Arithmetic“, in Kant on pure Reason, ed. Ralph C. S. Walker, Oxford Univ. Press, 1982. 685 Lārīǧānī (2004b), 36–38.
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synthetischen Natur von Axiomen im Lichte der Positionen Russels, Whiteheads, Hilberts und Brouwers.686 Das zweite Kapitel „Mā taqaddama būdan-e qażāyā-ye ʿolūm-e daqīqe“ (Apriorizität von Urteilen der exakten Wissenschaften) widmet sich der These Kants, dass Urteile der theoretischen Wissenschaften Urteile a priori sein müssen. Hier geht Lārīǧānī ähnlich wie im vorangegangen Kapitel vor. Er referiert maßgebliche Passagen aus der Einleitung der KrV und den Prolegomena zu den von Kant diskutierten Bedingungen der Apriorizität von Erkenntnis, ihren Merkmalen der Allgemeingültigkeit (kollī būdan) und der Notwendigkeit (żarūrat) und behandelt Diskussionen und Einwände zu diesem Thema, wie sie etwa von Dryer, Mill, Hempel, Ewing, Kripke, Plantinga, Gödel und Tarski vorgebracht wurden.687 Das dritte und umfangreichste Kapitel Šohudī būdan-e qażāyā-e riyāżī (Anschaulichkeit mathematischer Urteile) behandelt Kants These, dass Urteile der Mathematik deshalb synthetisch a priori sind, weil sie auf Anschauungen beruhen. Es thematisiert damit eine Grundbedingung der Möglichkeit synthetischer Urteile a priori überhaupt, die Kant zunächst in seiner Transzendentalen Ästhetik entwickelt. Lārīǧānī referiert und diskutiert, wieder mit engem Bezug zu den kantschen Referenzquellen, wie Kant den Begriff der Anschauung (šohūd) einführt und Raum und Zeit als reine Anschauungen (šohūd-e maḥż) herleitet. Anschließend bespricht er Kants Argumentationen, in der er die Möglichkeit synthetischer Urteile a priori in der Geometrie (hendese) und Arithmetik (ḥesāb) auf Grundlage der Anschauungsformen Raum – für Geometrie – und Zeit – für Arithmetik – darlegt. Lārīǧānī behandelt dabei nicht nur die einschlägigen Stellen in der „Ästhetik“, der „Analytik der Grundsätze“ (Axiome der Anschauung) und den „Disziplinen der reinen Vernunft“, in denen Kant mathematische Urteile diskutiert. Er bezieht auch hier wieder unterschiedliche Positionen der Kantinterpretation mit ein und macht sie auf diese Weise dem iranischen Publikum zugänglich.
4.3.3.2 Lārīǧānīs Argumentation Bei der soeben vorgestellten Monografie handelt es sich um eine sehr spezialisierte Diskussion der Problematik synthetischer Urteile a priori im Kontext der Urteile der Mathematik. Für einen näheren Einblick in die Diskussion Lārīǧānīs soll im Folgenden ein Teilaspekt seiner Argumentation näher betrachtet werden. Dabei stütze ich mich vor allem auf einen Vortrag des Autors mit dem Titel Borhān 686 Lārīǧānī (2004b), 38–51. 687 Lārīǧānī bezieht sich dabei u.a. auf folgende Arbeiten; Dryer, D.P. Kant’s Solution for Verification in Metaphysics, London 1966; Hempel (1945); Ewing (1939/40); Kripke (1972), Plantinga (1974), und Tarski (1944).
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dar falsafe-ye Kānt (Der Beweis/die Demonstration in der Philosophie Kants), den dieser auf der internationalen Kant-Tagung des Iranian Institute of Philosophy im Jahre 2004 gehalten hat und der im Proceedings-Band zur Tagung 2007 erschienen ist. Dieser Beitrag eignet sich für eine nähere Betrachtung deshalb, weil er einen Teilaspekt der Argumentation seiner Monografie geschlossen behandelt. Aus der kurzen Charakterisierung zweier Werke Lārīǧānīs wurde bereits deutlich, worin dessen primäres Interesse am Werke Kants besteht, nämlich in der Bestimmung des Verhältnisses der kantschen Transzendentalphilosophie zur Mathematik. Auch der hier diskutierte Aufsatz ist diesem Interesse gewidmet. Lārīǧānī resümiert zu Beginn die drei Prinzipien, auf denen Kants Philosophie der Mathematik basiert, nämlich 1.) dass mathematische Urteile auf Anschauungen basieren, 2.) dass mathematische Urteile synthetisch a priori sind und 3.) dass die Methode der Mathematik auf drei Grundsätzen fußt: a) Definitionen (taʿārīf), b) Axiomen (oṣūl-e motaʿārefe) und c) Demonstrationen (borhān).688 Lārīǧānī setzt seine Diskussion an einer wichtigen terminologischen Unterscheidung Kants an, die dieser an späterer Stelle in der KrV vornimmt, nämlich in der Transzendentalen Methodenlehre im Abschnitt „Die Disziplinen der reinen Vernunft im dogmatischen Gebrauche“. Dort unterscheidet Kant in einem von Lārīǧānī zitierten Abschnitt zwei verschiedene Formen des Beweises (estedlāl).689 Auf der einen Seite steht die Demonstration (borhān). Hierbei handelt es sich laut Kant um einen apodiktischen Beweis, sofern er intuitiv ist, also auf Anschauung beruht. Auf der anderen Seite steht der diskursive Beweis (estedlāl-e manṭeqī), der zwar apodiktisch und apriorisch sein kann, aber nicht anschaulich ist. Zur terminologischen Klarheit versucht Lārīǧānī „Beweis“ möglichst durchgängig mit estedlāl oder dalīl wiederzugeben, und borhān möglichst für das kantsche Verständnis von „Demonstration“ zu reservieren. Die erste Form des Beweises ist der Mathematik, die zweite der Philosophie eigen. Ausgehend von dieser Dichotomie stellt sich Lārīǧānī die Frage, worin letztlich die Unterscheidung zwischen der Erkenntnis in mathematischen und philosophischen Urteilen besteht und welche Rolle das kantsche Verständnis der Anschauungen in den beiden Arten von Urteilen spielt. Zur Erörterung dieser Frage fasst der Autor knapp, aber treffend wichtige Merkmale des allgemeinen kantschen Verständnisses von Anschauung zusammen. So handele es sich dabei nach Kant um eine „Art der Vorstellung“ (nouʿī tamas̱s̱ol), wobei auffällt, dass Lārīǧānī hier den Begriff tamas̱s̱ol verwendet, den Ausdruck tamas̱s̱ol-e ḫāṣṣ dann aber als äquivalent mit dem Begriff taṣavvor versteht, den er für den Kontext von Descartes’ und Lockes’ Philosophie gebraucht. Eine Begründung dieser terminologischen Unterscheidung liefert er indes nicht. 688 Lārīǧānī (2007), 101f. 689 KrV, B 762 – 763.
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Er zitiert die Eingangspassage der Transzendentalen Ästhetik (B33), um zu erläutern, dass für Kant der Anschauung, die dem Erkenntniszweig der Sinnlichkeit (ḥessīyat) zugehörig ist, die Aufgabe zukommt, den unmittelbaren Bezug zu den Gegenständen zu gewährleisten. Zwei Merkmale der Anschauung hebt Lārīǧānī hervor: einerseits, dass diese einen direkten Bezug zu den Dingen hat (mostaqīman be ašyāʾ marbūṭ mīšavad) und dass Anschauungen subjektiv/individuell (šaḫsī/monfared) sind. Des Weiteren erläutert er, was Kant unter reiner Anschauung (šohūd-e maḥż) versteht, nämlich Prinzipien, die die Mannigfaltigkeit der Erscheinungen (kas̱arāt-e padīdār) als Einheit (vaḥdat) gewährleistet und somit als Formen der Erscheinung (ṣūrathā-ye padīdār) a priori im Geist/Mens vorhanden sein müssen (bāyad be naḥv-e mā taqaddama dar ẕehn āmāde bāšad). Anschließend nennt er kurz Raum und Zeit als die von Kant hergeleiteten, reinen Anschauungsformen.690 Lārīǧānī resümiert in Bezug auf die Mathematik vorerst, dass Kant mithilfe der Anschauung die Objektivität (ʿeynīyat) der Mathematik zu begründen gedenkt, ohne dabei auf die Außenwelt zurückgreifen zu müssen, sondern lediglich auf Formen der Sinnlichkeit.691 In Bezug auf die Unterscheidung zwischen philosophischer und mathematischer Erkenntnis, wie Kant sie in den „Disziplinen der reinen Vernunft im dogmatischen Gebrauche“ dargelegt habe, stelle sich die Frage, ob Kant hier das gleiche Verständnis von Anschauung vertrete wie in der Transzendentalen Ästhetik. Zur Erörterung dieser Frage, wendet sich Lārīǧānī einer These Hintikkas zu, die dieser in seinem Aufsatz „Kant on the Mathematical Method“ vertritt, aus dem Lārīǧānī zwei längere Absätze in Übersetzung zitiert.692 Hintikka gehe davon aus, dass Kant in der Transzendentalen Ästhetik ein anderes Verständnis von Anschauung vertreten habe, als in den „Disziplinen“ und dass das Verständnis aus den „Disziplinen“ dem aus der Ästhetik systematisch vorgeordnet sei. Der Unterschied bestehe darin, dass sich Anschauung in der Ästhetik deutlich durch die Merkmale unmittelbar und individuell zu sein auszeichne, in den „Disziplinen“ aber habe sie eher den Charakter eines universalen Begriffs. Dadurch würden sich auch viele Schwierigkeiten in Kants Philosophie der Mathematik lösen lassen Lārīǧānī kritisiert Hintikka mit dem Argument, dass es eine Vielzahl von Stellen in den „Disziplinen“ gebe, die belegten, dass Kant dort denselben Anschauungsbegriff vertrete, wie in der Transzendentalen Ästhetik.693 Hintikka habe derart deutliche Hinweise nicht in Betracht gezogen. Zudem sei mit Hintikkas These nicht mehr klar, warum für Kant der mathematische Beweis, dem 690 Lārīǧānī (2007), 104. 691 Lārīǧānī (2007), 105. 692 Vgl. Hintikka (1967). 693 Zitiert als Beleg B747, z 13ff.
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philosophischen an Bestimmtheit überlegen sein solle. So sei es doch gerade der Charakter der Konstruktion der Begriffe basierend auf Anschauung, die diesen Vorzug der mathematischen Beweise, der Demonstration, ausmache. Ein Schlüssel zum Verständnis liege wiederum in Kants Diskussion von Raum und Zeit, wo Kant den Unterschied zwischen Begriff und Anschauung verdeutliche, den er auch in den „Disziplinen“ beibehalte. Während nämlich ein allgemeiner Begriff (mafhūm-e kollī) auf eine unendliche Menge von Begriffen gleichermaßen zutreffe (beyn-e tūdeʾī az mafāhīm moštarak ast), so beinhalte die Anschauung des Raumes etwa eine unendliche Vielzahl von Vorstellungen in sich (anbūhī az taṣavorhā dar darūn-e ḫod gonǧīde ast).694 Lārīǧānī verdeutlicht das anhand eines Beispiels. Die Anschauung eines Dreiecks sei, so Lārīǧānī, anwendbar auf unendlich viele Dreiecke, ohne dass die Anschauung selbst mit jedem Beispiel eines Dreiecks identisch sein müsse; der Begriff des Menschen aber treffe auf jedes Beispiel eines Menschen in gleicher Weise zu.695 Um der Ausgangsfrage nach der Bedeutung der Anschauung für die Demonstration weiter nachzugehen, wendet sich Lārīǧānī in seiner Diskussion wieder der Schlusspassage des ersten Abschnitts der „Disziplinen der reinen Vernunft“ zu, in der Kant in der Diskussion zu den Unterschieden philosophischer und mathematischer Erkenntnis die Begriffe Definition, Axiom und Demonstration als Grundlagen der Mathematik erörtert.696 Lārīǧānī folgt Kants Position, dass es in der Philosophie im Unterschied zur Mathematik keine Definitionen (taʿārīf) geben könne, sondern es sich dabei um Expositionen (tafsīr-e mafāhīm) handele, die vorläufigen Charakter hätten. Kant sei zwar der Ansicht, dass es Begriffe a priori gebe, die man analysieren könne, doch diese Analyse (taḥlīl) sei immer unvollendet. Im Gegensatz dazu könne es in der Mathematik Definitionen geben, weil die Begriffe dort a priori aus der Anschauung konstruiert werden, also eine vollständige Zergliederung möglich ist.697 Die Axiome, so erläutert Lārīǧānī Kants Position mit Zuhilfenahme eines einschlägigen Zitats,698 seien synthetisch a priori, ihre Gültigkeit sei unmittelbar (bāyad qaṭʿīyat-e ānhā bī wāṣete bāšad). Außerdem bedürften sie keiner Herleitung aus einem Syllogismus (Deduktion). Demnach gebe es keine Axiome in der Philosophie. Zwar könne es synthetische Urteile a priori geben, doch seien diese nicht unmittelbar evident, sondern bedürften der Herleitung. Zu Kants Position bezüglich Axiomen gebe es, so Lārīǧānī, 694 Lārīǧānī bezieht sich hier affirmativ auf Kants 4. Argument in der metaphysischen Erörterung (B40). 695 Lārīǧānī (2007), 106-7. 696 KrV, B 755-766. 697 Lārīǧānī (2007), 108/9. 698 KrV, B 761.
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zwar Anlass zur Diskussion, etwa im Hinblick auf Kants Überzeugung, dass es auch in der Arithmetik keine Axiome gebe, selbst die These, dass es Axiome in der Philosophie nicht geben könne, sei nicht unumstritten. Doch habe Kant klar darlegen können, dass die Axiomatik in der Mathematik auf Anschauung beruhe. Auch in der Frage der Demonstrationen folgt Lārīǧānī Kant darin, dass diese für die Mathematik gelten und letztlich auf Anschauung basieren. Er stellt sich allerdings die für seine Argumentation zentrale Frage, ob die Tatsache, dass sie anschaulich sind, letztlich in der Struktur des Beweises (sāḫtār-e borhān) selbst liege oder in der Tatsache, dass sich alle mathematischen Beweise letztlich auf ihre Grundvoraussetzungen, die Axiome, zurückführen lassen, also eigentlich nur auf der Anschaulichkeit der Axiome beruhen. Wenn sich nämlich herausstelle, dass die Anschaulichkeit (šohūdī būdan) der Demonstrationen sich letztlich nicht auf die Konstruktion des Beweises, sondern auf dessen Prämissen (moqaddamāt) beziehe, dann sei der Unterschied zwischen einem philosophischen/diskursiven Beweis (estdelāl-e manṭeqī) und einer Demonstration (borhān) nicht mehr essenziell (māhovī).699 Um dem weiter nachzugehen, wendet sich Lārīǧānī der Problematik der Demonstration (borhān) in der islamischen Philosophie, namentlich dem Denken Ibn Sīnās zu. Dieser habe sich im Abschnitt al-Burhān seines Werkes Kitāb aš-šifāʾ (Buch der Heilung) ausführlich mit dem Begriff der Demonstration beschäftigt. Er definiere sie als einen Syllogismus (qiyās), der zugleich synthetisch (taʾlīfī) wie auch apodiktisch gewiss (yaqīnī) sei. Apodiktisch sei die Demonstration in Bezug auf ihre Konklusion (natīǧe) wie auch auf ihre Prämissen (moqaddamāt). Doch nach Ibn Sīnā beruhe der apodiktische Charakter der Conclusio letztlich auf dem der Prämissen, sodass dieser die Demonstration als einen Syllogismus aus apodiktischen Prämissen definieren könne (borhān-e qiyāsī taʾlīf yāfte az moqaddamāt-e yaqīnī ḫāhad būd).700 Die Grundsätze (mabādī) der Demonstration, so fährt Lārīǧānī mit der Erläuterung von Ibn Sīnās Position fort, seien in zwei Arten zu unterscheiden. Die Axiome (oṣūl-e moteʿārefe) gelten allgemein für jede Wissenschaft, für sie gelte, dass die Prämisse im Syllogismus keinen Mittelbegriff habe und sie keinerlei Herleitung/Affirmation (es̱bāt) bedürftig seien. Die Postulate (oṣūl-e moużūʿe), die die gleiche Funktion (kārkard) haben wie die Axiome, gelten als apodiktisch zunächst nur je für eine spezielle Wissenschaft, in einer anderen Wissenschaft sind sie gleichwohl der Herleitung bedürftig und können zudem einen Mittelbegriff aufweisen. Sowohl Axiome wie auch Postulate seien in der Systematik Ibn Sīnās Grundlagen der Demonstration. Doch könne es durchaus Wissenschaften geben, in denen keine Postulate vorkommen. 699 Lārīǧānī (2007), 109–110. 700 Lārīǧānī (2007), 111.
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Nach diesem Exkurs zu Ibn Sīnā kommt Lārīǧānī wieder auf Kant zurück und merkt an, dass, wenn er von Axiomen in der Mathematik (aksīyūmhā-ye riyāżī) spreche, der Terminus, den er verwende, zwar sowohl Axiome (oṣūl-e moteʿārefe) als auch Postulate (oṣūl-e moużūʿe) in der Begrifflichkeit Ibn Sīnās umfasse, aber letztlich auf Postulate beschränkt sei. Zur Verdeutlichung führt er ein Zitat aus den Prolegomena (§ 2, S. 23) an:701 Einige andere Grundsätze (oṣūl), welche die Geometer voraussetzten, sind zwar wirklich analytisch und beruhen auf dem Satze des Widerspruchs; sie dienen aber nur, wie identische Sätze, zur Kette der Methode und nicht als Prinzipien (aṣl), z. B. a=a, das Ganze ist sich selber gleich, oder (a+b) > a, d. i. das Ganze ist größer als sein Teil. Und doch auch diese selbst, ob sie gleich nach bloßen Begriffen gelten, werden in der Mathematik nur darum zugelassen, weil sie in der Anschauung dargestellt werden können.
An dieses Zitat anschließend folgert Lārīǧānī, dass es klar sei, dass diese Postulate (īn oṣūl-e moużūʿe) nach Ansicht Ibn Sīnās in einer anderen Wissenschaft affirmiert werden müssen, während sie nach Kant mit Zuflucht zur Anschauung (tamassok bar šohūd) möglich (emkān paẕīr) seien. Daraus folge – und darin besteht das Hauptergebnis von Lārīǧānīs Erörterungen –, dass das Unterscheidungsmoment in der Theorie der Demonstration (noqṭe-ye efterāq dar naẓarīye-ye borhān) allein auf diese Besonderheit zurückgehe und es in der Struktur/Konstruktion (sāḫtār) der Demonstration, d. h. in der Anwendung eines apodiktischen Syllogismus, keinen Unterschied gebe. Daher, so Lārīǧānīs Schlussfolgerung, könne man sagen, dass die Unterscheidung zwischen einer Demonstration (borhān) und einem diskursiven Beweis (estedlāl-e manṭeqī) auf die Anschaulichkeit bzw. Nicht-Anschaulichkeit der Axiome (aksīyūmhā) in Mathematik bzw. Philosophie beschränkt sei. Dieser Hauptaussage seines Aufsatzes fügt Lārīǧānī noch eine spezielle Diskussion an. Er sieht eine interessante Parallele zwischen Ibn Sīnā und Kant in der von beiden geteilten Position, dass die Arithmetik (ḥesāb) keine Axiome, nach der kantschen Terminologie, bzw. Postulate, nach der Terminologie Ibn Sīnās, aufweise. In seiner anschließenden Diskussion allerdings bezieht er sich nur auf Kants Argumentation und ihrer Diskussion durch Interpreten Kants. Er beruft sich zunächst auf eine Passage aus dem zweiten Buch der Transzendentalen Analytik, d. h. der ‚Analytik der Grundsätze‘, dort aus dem 3. Abschnitt des zweiten Hauptstücks, in dem Kant über Axiome der Anschauung spricht. Dort findet sich eine Stelle, in der Kant von zwei Arten von Urteilen spricht, die in der Mathematik vorkommen, aber nicht als Axiome gelten können.702 So ist nach Kant, um nur ein 701 Lārīǧānī (2007), 111. 702 KrV, B 204–206.
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Metaphysik und Erkenntnis
Beispiel zu nennen, 7+5=12 zwar ein synthetischer Satz a priori, aber kein Axiom, sondern eine Zahlenformel. Lārīǧānī stellt sich nun die Frage, ob es mit Kant in der Arithmetik nicht doch Urteile geben könne, die als Postulate (oṣūl-e moużūʿe) gelten könnten. Das sei zwar nach allem, was Kants Schriften an Hinweisen bereitstellten, nicht der Fall. Dennoch sei es auffällig, dass Kant in den „Disziplinen“ die Axiome allgemein in der gesamten Mathematik, und nur in dieser, vorkommend dargelegt habe.703 Darauf folgt eine Diskussion, die mit Bezug auf eine Reihe von maßgeblichen Interpreten der kantschen Philosophie der Mathematik704 das Für und Wider der Frage betrifft, ob die Arithmetik Axiome habe oder nicht bzw. welche Rolle die Anschauung in derselben habe und auf welcher Anschauungsform (Raum oder Zeit oder beidem) sie beruhe.705 Dabei hebt er zwei Kritikpunkte hervor, die in Kants Argumentation unzureichend seien und deren korrekte Darlegung letztlich für eine Axiomatik in der Arithmetik sprächen. Einerseits habe Kant mit den für die Arithmetik typischen Zahlenformeln Sätze im Sinn, die nicht die gleiche Allgemeinheit hätten wie die Sätze der Geometrie. Jedoch gäbe es durchaus auch für die Arithmetik solche noch allgemeineren Regeln.706 Zudem habe er auch im Zusammenhang mit der Diskussion irrationaler Zahlen (aʿdād-e aṣam) Fehler begangen, die zum Schluss der axiomfreien Arithmetik geführt hätten. Schließlich weist Lārīǧānī darauf hin, dass Kant, hätte er sich der analytischen Mathematik Descartes bedient, die auf den Anschauungsformen Raum und Zeit beruhende Axiomatik für die Geometrie und die Arithmetik hätte nachweisen können.707 Am Ende seines Artikels kommt er zu dem Schluss, dass unabhängig davon, ob man wie Brouwer und Kant von anschaulichen Grundsätzen in der Mathematik (mabādī-ye šohūdī barāye rīyāżī) überzeugt sei oder nicht, wie die analytische Schule (Russell) und die formalistische Schule (Hilbert), so sei die Konstruktion der Demonstration von der des Beweises in der Philosophie nicht grundsätzlich verschieden und die Anschauung spiele keine essenzielle Rolle für die Demonstration, da sie letztlich nur für die Axiome der Mathematik gelte.708
703 Vgl. Lārīǧānī (2007), 112–113. 704 Gemeint sind Friedman, Gottfried Martin, Parsons, Kitcher, Brouwer. 705 Ausführlicher und mit weit mehr Verweisen und Diskussionen der Forschungsliteratur wird diese Frage in den letzten Kapiteln von Lārīǧānīs Buch über synthetische Urteile a priori und die Anschauung behandelt. Vgl. Lārīǧānī (2004b), 182–219. 706 „(…) ammā ḥesāb naẓīr-e hendese dārā-ye qawānīn-e kollītar nīz mībāšād ke az ǧonbe-ye kollīyat tamāyozī bā qāżāyā-ye hendese nadārad (…)“ vgl. Lārīǧānī (2007), 114. 707 Vgl. Lārīǧānī (2007), 115. Mit diesem Argument endet auch sein Buch Lārīǧānī (2004b), 215–219. 708 Vgl. Lārīǧānī (2007), 116.
Objekterkenntnis und synthetische Urteile a priori
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Diskussion im Kontext Die nun folgende Diskussion soll, wenn auch nicht in gleicher Ausführlichkeit wie im Zusammenhang mit Ġaffārīs Monografie, auf einige Punkte der Argumentation Lārīǧānīs eingehen, die im Kontext der KrV respektive der Prolegomena betrachtet, auffällig sind. Zudem soll nach dem Zweck der Erörterung von Ibn Sīnās Verständnis des borhān gefragt werden. Abschließend wird der Frage nach der Konsequenz, die sich aus Lārīǧānīs Schlussfolgerung, nämlich dass es keinen wesentlichen Unterschied zwischen der Struktur/Konstruktion des Beweises in der Mathematik und der Philosophie gibt, nachzugehen sein. Zunächst einmal fällt auf, dass Lārīǧānī sich in seiner Argumentation eng am Text Kants orientiert und dabei um eine möglichst einheitliche Übertragung der Terminologie bemüht ist. Eine weitere Auffälligkeit dabei ist seine Übertragung des Begriffs der Vorstellung, für die er im kantschen Kontext meist den Ausdruck tamas̱s̱ol und nicht taṣavvor verwendet. Warum er sich für diese Variante entscheidet, macht er allerdings nicht klar. Seine Widerlegung der These Hintikkas, die besage, dass Kant in den „Disziplinen der reinen Vernunft“ einen anderen Begriff der Anschauung vertrete als in der Transzendentalen Ästhetik, nämlich ein systematisch grundlegenderes Verständnis, in dem reine Anschauung letztlich auf einen allgemeinen Begriff hinauslaufe, ist mit seinen Verweisen auf Stellen in den Disziplinen sehr einleuchtend. Mit seinen Ausführungen zu Ibn Sīnā versucht Lārīǧānī das kantsche Verständnis von Axiomen zu hinterfragen. Indem er allgemeine Grundsätze vs. Axiome bzw. Axiome vs. Postulate diskutiert. Hier wäre weiter zu fragen, auf welchen Erkenntnisgewinn er hier abzielte. Auffällig in diesem Zusammenhang ist insbesondere Lārīǧānīs Bezug auf das Zitat aus den Prolegomena, und das aus zwei Gründen: Einerseits setzt er gleich im Anschluss daran eine Identität zwischen den Postulaten nach Ibn Sīnā und den Axiomen nach Kant als evident voraus und unterscheidet sie dahingehend, dass sie für Ibn Sīnā in einer anderen Wissenschaft affirmiert werden müssen, bei Kant aber auf Anschauung basieren. Doch bedürfte es, um die Signifikanz dieser keinesfalls unmittelbar einsichtigen Unterscheidung verständlich zu machen, noch einiger weiterer Erläuterungen. Andererseits erscheint eine Erläuterung umso wichtiger, als Lārīǧānī im Anschluss daran auf den zentralen Schluss seiner Ausführungen kommt, ihn quasi daraus herleitet, was ebenfalls nicht unmittelbar einsichtig ist. Interessant ist zudem, dass Lārīǧānī an Kants Ausführungen zu den Axiomen zweierlei für diskussionswürdig befindet. Einerseits die Tatsache, dass es keine Axiome in der Arithmetik gibt, andererseits dass ebenso in der Philosophie keine Axiome gegeben sind. Während er sich dem ersten Einwand sowohl im diskutierten Aufsatz als auch in der Monografie ausführlich widmet, wird die zweite Frage von ihm nicht weiter erörtert. Es wird noch nicht einmal deutlich, ob er selbst
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Metaphysik und Erkenntnis
diesen Einwand vertritt oder nur anmerken wollte, dass andere es tun. Seinen Ausführungen nach scheint er jedenfalls Kants Position so weit zu folgen, dass keine Axiome in der Philosophie möglich sind, explizit sagt er das aber nicht. Daraus lässt sich ein Spezifikum von Lārīǧānīs Zugang zu Kants Philosophie erkennen: Es geht ihm ganz offensichtlich zuallererst darum, welche Bedeutung Kants Denken für die Philosophie der Mathematik haben kann, weniger welche Konsequenz für Philosophie/Metaphysik. Das ist zwar völlig legitim, steht aber in einem gewissen Gegensatz zu seinem Hauptergebnis des Aufsatzes, denn dieses bezieht sich ja auf den Beweis in der Philosophie und darauf, dass er sich von dem in der Mathematik nicht unterscheidet. Was aber die Konsequenz daraus für die Philosophie sein könnte, darauf geht er, soweit ich sehe, auch in seiner Monografie nicht weiter ein. Die Unterscheidung zwischen der Erkenntnis in Mathematik und Philosophie ist aber für Kants Hauptprojekt, Möglichkeit der Metaphysik als Wissenschaft, von höchster Bedeutung. Dabei geht es Lārīǧānī aber weniger, zumindest nicht explizit, um die Konsequenz für Kants Projekt, nämlich die Möglichkeit und zugleich die Grenzen derselben für die synthetischen Urteile a priori in der Philosophie (Metaphysik) zu diskutieren, die Kants Ausführungen über die Mathematik zur Folge haben. Denn die Tatsache, dass synthetische Sätze auf Anschauungen, synthetische Sätze a priori auf Anschauungen a priori (mithin auf die Anschauungsformen Raum und Zeit) angewiesen sind, diese aber ein Spezifikum der theoretischen Wissenschaften, allen voran der Mathematik, sind, scheint Kants Untersuchungsziel, nämlich die Möglichkeit der Metaphysik als Wissenschaft zu begründen, zunächst enorm zu erschweren oder – und das ist auch das Ergebnis der kantschen Kritik – stark einzuschränken, denn, so erklärt Kant in den „Disziplinen der reinen Vernunft“: Der einzige Begriff, der a priori diesen empirischen Gehalt der Erscheinungen vorstellt, ist der Begriff des Dinges überhaupt, und die synthetische Erkenntnis von demselben a priori kann nichts weiter, als die bloße Regel der Synthesis desjenigen, was die Wahrnehmung a posteriori geben mag, niemals aber die Anschauung des realen Gegenstandes a priori liefern, weil diese notwendig empirisch sein muß.709
Diese Konsequenz für Kants Hauptuntersuchungsziel liegt nicht im Fokus des Interesses Lārīǧānīs. Für ihn steht die Bedeutung der kantschen Ausführungen für eine Philosophie der Mathematik, insbesondere was die Axiomatik der Arithmetik betrifft, im Vordergrund. Dabei diskutiert er eine repräsentative Auswahl von Positionen einschlägiger Interpreten der Kantforschung, die sich der kantschen Philosophie der Mathematik widmen. Er leistet damit einen Pionierbeitrag, 709 KrV, B 748.
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indem er diese spezialisierte Diskussion und deren maßgebliche Werke in den iranischen Kantdiskurs kritisch und mit präzisen Quellenbezügen einführt. Die Frage nach der Möglichkeit der Metaphysik tritt dabei in den Hintergrund.
4.3.4 Ġaffārī und Lārīǧānī – Probleme und Potentiale komparativer Zugänge zu Kants Erkenntnislehre in Iran Die beiden vorgestellten Zugänge zu Kants theoretischer Philosophie stehen beispielhaft für verschiedene Ausprägungen der Fortführung der Tradition Moṭahharīs in der Kantrezeption, die insbesondere an der Universität Teheran vorherrschend ist. Insgesamt fällt auf, dass sich die Zugänge stark weiterentwickelt haben, insbesondere der vermehrte Bezug zu Primär- und Sekundärquellen ist dabei hervorzuheben. Doch unterscheiden sich die Zugänge der beiden Denker – trotz der gemeinsamen Wurzeln in der apologetischen Komparatistik – in ihrem kritischen Duktus. Ġaffārī ist nicht bereit, den Paradigmenwechsel im Metaphysikverständnis mitzugehen. Den von Kant konstatierten Anteil subjektiver Dispositionen wie der Anschauungsformen und der Kategorien an der Konstitution der Wirklichkeit, nicht nur an deren Wahrnehmung, diskreditiert Ġaffārī als reinen Idealismus, der dem von ihm vertretenen Realismus zuwiderläuft. Bei der Begründung dieser Haltung beruft er sich vor allem auf einige kontrovers diskutierte Aspekte der kantschen Argumentation sowie auf bestimmte Doktrinen der islamischen Philosophie. Lārīǧānī wiederum scheint der Frage nach der Konsequenz für das Metaphysikverständnis als Lehre von den transzendentalen Grundlagen der Erkenntnis eher auszuweichen. Weder äußert er sich hierzu eindeutig zustimmend noch beteiligt er sich an der Fundamentalkritik der kantschen Erkenntnislehre, die Ġaffārī etablieren möchte, sondern befasst sich in seinen einschlägigen Schriften zu Kant mit einem Spezialdiskurs. Beiden Denkern kommt ohne Zweifel das Verdienst zu, die kritische Kantrezeption durch ihren Bezug auf die vor allem englischsprachige Kantforschung vertieft und durch ihre Diskussion diese Literatur für den iranischen Philosophiediskurs erschlossen zu haben. Besonders für die Frage des Verhältnisses von Kants Erkenntnistheorie mit den Naturwissenschaften und der theoretischen Mathematik ist Lārīǧānīs Zugang zur Kantforschung für den Iranischen Kontext bedeutsam. Aufgegriffen wurde er etwa von Moḥammad Mobāšerī, der in seinem 2008 erschienen Buch Naqd-e fażāzamān-e kāntī (Kritik der kantischen Raum-Zeit) einen ähnlichen Zugang wählt wie Lārīǧānī, indem er die kantsche Theorie von Raum und Zeit, die dieser im Kontext seiner Explikation der reinen Anschauungsformen entwirft, im Lichte der nach-Newtonschen Physik und der nach-Euklidischen Geometrie kritisiert, ohne
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Metaphysik und Erkenntnis
sie indes als ganze widerlegen zu wollen.710 Komparatistisch ist dieser Zugang insofern, als dass er interdisziplinär vorgeht, also philosophische Positionen mit solchen aus den Naturwissenschaften in ein Verhältnis setzt.711 Einen Vergleich mit Ansätzen der islamischen philosophischen Tradition indes strebt er nicht an. Ein solcher komparatistischer Ansatz, den Lārīǧānī und vor allem Ġaffārī in der Nachfolge Moṭahharīs und Ḥāʾerīs gewählt haben, indem sie in ihre Diskussionen der theoretischen Philosophie Kants auf die Tradition der islamischen Philosophie zurückgriffen, ist in Iran sehr viel weiter verbreitet. Die obige Diskussion konnte zeigen, dass ein solcher Zugang durchaus Potential hat, in der Ausführung aber teilweise mit deutlichen Problemen behaftet ist. Insbesondere die apologetische Grundhaltung ist für eine konstruktive Komparatistik hinderlich. Diesen komparatistischen Ansatz aber mit Verzicht auf die Apologetik weiter zu verfolgen und zu elaborieren, um einige der Ansätze aus dem Bereich der islamischen Tradition der Philosophie auch für einzelne Fragen der Kantforschung nutzbar zu machen, ist zweifellos eine vielversprechende Perspektive. So ergeben sich im Bereich des Metaphysikverständnisses, insbesondere der Ontologie, im Kontext der Gnoseologie sowie im Zusammenhang mit philosophischen Grundlagen von Mathematik und Naturwissenschaften, interessante Ansätze für vergleichende Studien, die noch längst nicht hinreichend ausgelotet sind.712 Vorraussetzung für das Gelingen solcher Ansätze ist aber, dass der Bedeutung des epistemologischen Paradigmenwechsels, der durch Kant eingeleitet wurde – bei aller notwendigen, d.h. schlüssig begründeten Kritik – deutlicher Rechnung getragen wird, als das in der Fortführung der Tradition Moṭahharīs meist der Fall ist.
710 Vgl. Mobāšerī (1387/2008), insbes. 101-112. Der Autor merkt in seiner Einleitung an, dass (Natur-) Wissenschaften und Philosophie auf Grund der immer größeren Spezialisierung der Wissensgebiete immer weiter auseinander gedriftet seien und ihre jeweiligen Ergebnisse gegenseitig nicht hinreichend beachtet hätten. Ein Manko, das man im Westen inzwischen erkannt und dessen Beseitigung man in Angriff genommen habe, währen die Spaltung zwischen Philosophen (falāsefe) und (Natur-) Wissenschaftlern (er verwendet hier den Begriff dānešmandān in diesem Sinne) nach wie vor unüberwunden sei. vgl. ebd. 11-13. 711 Die Tatsache, dass einige Positionen Kants zu Raum und Zeit sich nach neueren wissenschaftlichen Erkenntnissen nicht halten lassen, ist in der Kantforschung thematisiert worden. Die Frage, ob das die kantsche Erkenntnislehre insgesamt ins wanken bringt ist kontrovers. Vgl. dazu Höffe (2003), 90-106; 172-209. 712 Beispielsweise könnte im Zusammenhang mit Kants Philosophie der Mathematik eine vergleichende Perspektive, die sich etwa mit Ibn Sīnās Diskussion der Mathematik beschäftigt, von Interesse sein. Ein Ansatz dafür, der im Einzelnen weiter elaboriert werden könnte, findet sich etwa im Fazit eines Aufsatzes von Mohammad Ardeshir (2008) „Ibn Sīnā’s Philosophy of Mathematics“.
5 Moral, Politik und Religion Wenn auch Diskussionen zu Kants theoretischer Philosophie und seiner Metaphysikkritik am Anfang der konkreten, also textbezogenen, Kantrezeption in Iran standen und etwa an der Universität Teheran nach wie vor vorherrschend sind, so gibt es eine Reihe von Denkern, die sich inzwischen schwerpunktmäßig mit Kants praktischem Denken beschäftigen und sich teils kritisch, teils affirmativ mit dessen Moralbegründung, seiner politischen Philosophie und der Frage nach der Religion auseinandersetzen. Das folgende Kapitel widmet sich diesen Zugängen, indem es einige einschlägige Ansätze diskutiert. Anders als im vorangegangenen Kapitel werden aber nicht einzelne Ansätze im Detail analysiert, vielmehr soll hier ein kursorischer Überblick über einige bedeutende Strömungen geliefert werden. Auch dabei kann allerdings nur eine Auswahl relevanter Texte und Fragestellungen in den Blick genommen werden. Speziellere Themen, wie etwa die Rechtsphilosophie, die Pädagogik, die Ästhetik oder Geschichtsphilosophie, zu denen ebenfalls vereinzelt Schriften vorliegen, werden in der Diskussion ausgespart. Der thematische Schwerpunkt liegt auf der Diskussion zur kantschen Moralbegründung und der Freiheitsdiskussion mit einem Ausblick auf die Relevanz für den religiös-politischen Diskurs in Iran.
5.1 Vorbemerkungen zur Bedeutung der praktischen Philosophie im Denken Kants Bevor wie uns aber der Frage nach der Bedeutung der praktischen Philosophie Kants in Iran zuwenden, werde ich im Folgenden zunächst einführend auf deren Bedeutung im philosophischen System Kants selbst eingehen, indem ihr eine entscheidende Rolle zu kommt. Gleich zu Beginn sein Kant selbst zitiert: Alles Interesse meiner Vernunft (das spekulative sowohl, als das praktische) vereinigt sich in folgenden drei Fragen: 1. Was kann ich wissen? 2. Was soll ich tun? 3. Was darf ich hoffen?713
So fass Kant im ‚zweiten Hauptstück der Transzendentalen Methodenlehre‘ der KrV (‚Der Kanon der reinen Vernunft‘) drei Grundfragen philosophischen Nachdenkens zusammen. Die erste Frage betrifft den Gegenstand der reinen Vernunft. Es ist die Frage nach den Bedingungen der Möglichkeit von Erkenntnis. Sie ist, so Kant, nur 713 B 832f.
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Moral, Politik und Religion
spekulativ. Es ist diese Frage, der sich Kant in seiner theoretischen Philosophie widmet und die er, wie er in der Methodenlehre am Ende der ersten Kritik konstatiert, mit der Kritik der reinen Vernunft weitgehend erschöpfend beantwortet zu haben glaubt: Wir haben (wie ich mir schmeichele) alle mögliche Beantwortungen derselben erschöpft, und endlich diejenige gefunden, mit welcher sich die Vernunft zwar befriedigen muß, und, wenn sie nicht aufs Praktische sieht, auch Ursache hat, zufrieden zu sein;714
In dieser auf den ersten Blick recht selbstgefälligen Einschätzung der eigenen philosophischen Leistung steckt aber bereits ein maßgeblicher Vorbehalt, nämlich der, dass die vorangegangenen Erörterungen nur dann erschöpfend sind, wenn man „das Praktische“ außer Acht lässt. Dass Kant dies tatsächlich als einen Vorbehalt ansieht, mag zunächst nicht gleich einleuchten, ist doch das Praktische gar nicht Gegenstand der KrV. Geht man also von der Einteilung der Philosophie in die Bereiche des Theoretischen und des Praktischen aus, so ist man geradezu angehalten das Praktische außen vor zu lassen. Tatsächlich scheint Kant auch nicht darauf hinaus zu wollen, die beiden Bereiche miteinander zu vermischen. Die Intention des Mittelteils der „Methodenlehre“, also des „Kanons der reinen Vernunft“, ist eine andere. Es geht Kant hier offenbar darum, die erste Kritik nicht als Selbstzweck zu betrachten, denn als solche, als reine Grenzbestimmung der Vernunft, scheint sie ihm nur im negativen Sinne zu gelten: Es ist demütigend für die menschliche Vernunft, daß sie in ihrem reinen Gebrauche nichts ausrichtet, und sogar noch einer Disziplin bedarf, um ihre Ausschweifungen zu bändigen, und die Blendwerke, die ihr daher kommen, zu verhüten. (…) Der größte und vielleicht einzige Nutzen aller Philosophie der reinen Vernunft ist also wohl nur negativ; da sie nämlich nicht, als Organon, zur Erweiterung, sondern, als Disziplin, zur Grenzbestimmung dient, und, anstatt Wahrheit zu entdecken, nur das stille Verdienst hat, Irrtümer zu verhüten. Indessen muß es doch irgendwo einen Quell von positiven Erkenntnissen geben, welche ins Gebiete der reinen Vernunft gehören, und die vielleicht nur durch Mißverstand zu Irrtümern Anlaß geben, in der Tat aber das Ziel der Beeiferung der Vernunft ausmachen. (…) Vermutlich wird auf dem einzigen Wege, der ihr noch übrig ist, nämlich dem des praktischen Gebrauchs, besseres Glück für sie zu hoffen sein. Ich verstehe unter einem Kanon den Inbegriff der Grundsätze a priori des richtigen Gebrauchs gewisser Erkenntnisvermögen überhaupt.715
714 B 833. 715 B 823f. Mit „Disziplin“ bezieht sich Kant hier auf das erste Hauptstück der Methodenlehre „Die Disziplin der reinen Vernunft“, in dem er resümierend die Aufgabe der Grenzbestimmung
Vorbemerkungen zur Bedeutung der praktischen Philosophie im Denken Kants
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Für Kant – und das ist eine ganz wesentliche Aussage des „Kanons“ – hat die Kritik der theoretischen Vernunft nicht nur den Zweck der Selbstbegrenzung, sie dient, wie er im „Kanon“ betont, von Anfang an weiteren Zwecken. Nämlich dem des richtigen praktischen Gebrauchs der Vernunft und der damit verbundenen Hoffnung auf Glückseligkeit. Damit ist das Interesse der Vernunft benannt, welches Kant in der zweiten und dritten Frage formuliert. Das Projekt der Kritischen Philosophie Kants dient also, so kann man aus den Ausführungen des „Kanons“ folgern, von Anfang an auch dem Ziel einer praktischen Philosophie, d. h. einer Moralphilosophie.716 Es wäre vermessen, an dieser Stelle die Grundzüge und Entwicklung der praktischen Philosophie Kants in aller Kürze hinreichend darstellen zu wollen. Im Folgenden soll lediglich auf einige Grundbegriffe eingegangen werden, die Kant in seinen praktischen Hauptschriften systematisch entfaltet und die für das Verständnis der Diskussion iranischer Kantrezipienten grundlegend sind. Die Ausarbeitung einer Moralphilosophie beabsichtigt Kant in der Ausformulierung der Metaphysik der Sitten durchzuführen. Bevor er sich aber diesem Projekt widmet, nimmt Kant die Frage nach der Möglichkeit einer apriorischen Begründung der Moral sowie die Erörterung ihrer Prinzipien in Angriff. Diese Vorüberlegungen sind Gegenstand des ersten explizit moralphilosophischen Werks des Königsbergers, der Grundlegung zur Metaphysik der Sitten (1785). In dieser Schrift diskutiert Kant bereits die Begriffe und Prinzipien, die für seine universalistische Ethik maßgeblich sind. Allen voran wird bereits hier der kategorische Imperativ als das „oberste Prinzip der Moralität“ eingeführt und erörtert. Erneut aufgegriffen und diskutiert werden diese Begriffe und Prinzipien der Moral schließlich in Kants zweiter Kritik, der Kritik der praktischen Vernunft (1788). Kant beginnt seine Begründung der Moral in der Grundlegung mit dem Begriff des „Guten Willens“, den er als das Einzige einstuft, was als uneingeschränkt gut betrachtet werden kann.717 Von diesem Begriff ausgehend diskutiert Kant den Begriff der Pflicht, den er zunächst mit „Pflicht ist die Notwendigkeit einer Hand-
der Vernunft als Disziplin der Vernunft (in doppeltem Sinne) hervorhebt. Zur Rolle des ersten Hauptstücks der Transzendentalen Methodenlehre vgl. Rohs (1998), Gerhardt (1998). 716 Ganz explizit vertritt u. a. Höffe diese Deutung: „Nicht erst in seiner Moraltheorie, sondern schon in seiner Theorie des Wissens philosophiert Kant in praktischer, genauer: moralischer Absicht. Wer das Werk bis zum letzten Teil, der ‚Methodenlehre‘ liest, erfährt, was schon im Motto und der zweiten Vorrede [der KrV] anklingt: Die Kritik als ganze ist eine im emphatischen Sinne praktische Philosophie.“ Höffe (2003), 23. 717 So gleich zu Beginn der Schrift in seinem berühmten Diktum: „Es ist überall nichts in der Welt ja überhaupt auch außerhalb der selben zu denken möglich, was ohne Einschränkung für gut könnte gehalten werden, als allein ein guter Wille.“ GMS 393.
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Moral, Politik und Religion
lung aus Achtung fürs Gesetz“ beschreibt,718 wobei hier mit Gesetz das durch die Vernunft a priori erfassbare praktische Gesetz, das „Sittengesetz“ gemeint ist, das als „objektives Prinzip des Wollens“ gelten soll. Das subjektive Prinzip des Wollens heißt „Maxime“. Maximen sind Prinzipien oder Grundsätze, die sich das Subjekt für bestimmte Handlungszusammenhänge und Absichten setzt. Eines der Hauptanliegen der kantschen Ethik ist es, dass das moralische Gesetz für moralisch gesinnte Subjekte zugleich als subjektives Prinzip des Wollens, als Maxime also, gelten muss. Diese Maxime lässt sich in Form des kategorischen Imperativs fassen, mit dem genau das Zusammengehen von objektivem und subjektivem Prinzip des Wollens gewährleistet werden soll. Handelt man nach dem kategorischen Imperativ und zwar allein mit der Absicht, dem moralischen Gesetz Folge zu leisten, also aus Achtung vor dem Gesetz, dann handelt man „aus Pflicht“ und damit moralisch. Verfolgt man aber mit der Handlung nach dem moralischen Gesetz zugleich oder eigentlich andere Absichten, folgt einer Neigung oder äußeren Zwängen, dann ist die Handlung lediglich pflichtgemäß. Um eine Handlung als moralisch einstufen zu können, genügt es nach Kant also nicht, dem moralischen Gesetz Folge zu leisten. Es muss vielmehr auch der Grund sein, warum man ihm folgt, aus Achtung nämlich. Nur dann, und hier kommt ein weiterer Zentralbegriff ins Spiel, handelt man autonom. Folgt man aber seinen Neigungen oder anderen äußeren Beweggründen, dann handelt man heteronom, auch wenn man dem Gesetz folgt. Dass man aber überhaupt autonom handeln kann, setzt die Freiheit des Willens voraus. Diese gehört ebenfalls zu den zentralen Argumenten in Kants praktischer Philosophie. Der Begriff der Freiheit wird von Kant daher in der KpV auch als eines der Postulate der praktischen Vernunft bezeichnet, die Moralität überhaupt erst möglich machen. Weitere Postulate sind die Annahme Gottes und der Unsterblichkeit der Seele, die allesamt in der ersten Kritik als Vernunftideen bzw. – etwa im Anhang zur Transzendentalen Dialektik und in der Methodenlehre – Endabsichten der Vernunft abgehandelt wurden und denen im Rahmen der praktischen Vernunft nun konstitutive Bedeutung zukommt. Die in der Grundlegung und der KpV eingeführten und diskutierten Prinzipien der Moralität bilden die Basis für Kants weitere Schriften zur praktischen Philosophie. In der Metaphysik der Sitten geht es Kant um eine systematische und möglichst vollständige Erfassung und Einteilung der Pflichten. Hier unterscheidet Kant zwischen zwei Kategorien von Pflichten, nämlich Tugendpflichten und Rechtspflichten. Tugendpflichten sind solche, die der Moralität entsprechen bzw. Moralität fordern. Sie haben Maximen des Wollens zum Gegenstand. Ihrer Ausarbeitung und Systematisierung widmet Kant den zweiten Teil der Metaphysik der 718 GMS 400.
Iranische Zugänge zur praktischen Philosophie Kants
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Sitten, der mit Metaphysische Anfangsgründe der Tugendlehre übertitelt ist. Demgegenüber geht es bei den Rechtspflichten nicht um Moralität, sondern um Legalität, also um pflichtgemäßes Handeln und nicht um Handeln aus Pflicht. Die Rechtspflichten werden daher aus Maximen des (äußeren) Handelns abgeleitet. Der Teil der Metaphysik der Sitten, der sich mit den Rechtspflichten befasst, Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre, enthält also Kants Rechtsphilosophie, in der das Recht die Funktion erfüllt, die äußere Handlungsfreiheit der Individuen miteinander in Einklang zu bringen.719 In seiner Rechtslehre unterscheidet Kant zwischen dem Privatrecht und dem öffentlichen Recht, wobei er im Teil zum öffentlichen Recht je einen Abschnitt zum Staatsrecht, zum Völkerrecht und zum Weltbürgerrecht verfasst. Dieser Teil ist also zugleich auch zu seinen politischen Schriften zu zählen. Die vielleicht bekannteste politische Schrift aber ist sicherlich Kants Traktat Zum Ewigen Frieden, in dem er die Dreiteilung des öffentlichen Rechts wieder aufgreift und für die Möglichkeit eines dauerhaften Friedens auf Erden eintritt, sofern die Prinzipen der Moral und des Rechts zur Geltung gebracht werden. Ebenfalls zu seinen bedeutenden praktischen Schriften zählt die sog. Religionsschrift Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft. In dieser vertritt Kant letztlich die Zweckmäßigkeit eines vernunftbasierten Glaubens, der für die Moralität einsteht. Hier greift er noch einmal die dritte Frage, „Was kann ich hoffen?“ auf, indem er verdeutlicht, dass der Gottesglaube jene Hoffnung auf Glückseligkeit befördert, die mit der Orientierung an Moralität verbunden ist. Zugleich macht er aber deutlich, dass sich ein solcher Vernunftglaube an dem Begriff einer natürlichen Religion – gemeint ist eine Vernunftreligion – nicht einer gelehrten oder institutionalisierten Religion orientiert.
5.2 Iranische Zugänge zur praktischen Philosophie Kants Die Ansicht, dass Kants kritisches Projekt auf eine praktische Philosophie hin orientiert ist, vertreten auch manche der iranischen Kantrezipienten. Indes sind nicht alle von Kants Moralbegründung überzeugt. So finden sich neben wohlwollenden bis empathischen Rezeptionen auch solche, die Kants Moralphilosophie und ihren Konsequenzen für Politik und Religion kritisch bis ablehnend gegenüberstehen. Der folgende Abschnitt stellt überblicksartig einige zentrale Zugänge und Diskussionen iranischer Autoren zu den Themenfeldern Moralphilosophie, politische Philosophie und Religionsphilosophie vor. Dabei wird nicht im Detail 719 Vgl. VI 230 (MSR): „Das Recht ist also der Inbegriff der Bedingungen, unter denen die Willkür des einen mit der Willkür des andern nach einem allgemeinen Gesetze der Freiheit zusammen vereinigt werden kann.“
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Moral, Politik und Religion
auf die Diskussionsstrategien und Argumente der Interpreten eingegangen. Ziel ist es vielmehr, einen allgemeinen Eindruck der aktuellen Diskussions- und Literaturlage in Iran zum Thema zu liefern.720
5.2.1 Kritiker der kantschen Moralphilosophie Zu den vielleicht einflussreichsten Kritikern der kantschen Moralbegründung in Iran gehört der radikale Geistliche Ayatollah Moḥammad Taqī Meṣbāḥ Yazdī.721 Sein umfangreiches Œuvre philosophischer Schriften umfasst auch einige Werke zur Philosophie der Moral, in denen er u. a. auf bedeutende westliche Positionen zur Moralphilosophie eingeht. Das wahrscheinlich einschlägigste Werk in diesem Kontext ist seine 1367/1988 erschienene Monografie Dorūs-e falsafe-ye aḫlāq (Lektionen über die Philosophie der Moral), die auf einer Reihe von Vorlesungen basiert, die der Autor am in Qom ansässigen Institut „Dar rāh-e haqq“ gehalten hat.722 Das Werk wurde von einem seiner Schüler, Aḥmad Ḥoseyn Šarīfī, überarbeitet und durch, wie dieser im Vorwort anmerkt,723 weiterführende Überlegungen Meṣbāḥs ergänzt. Diese überarbeitete Fassung erschien in zwei Bänden: Der erste Band trägt den Titel Falsafe-ye aḫlāq (Philosophie der Moral), der zweite Band den Titel Naqd va barrasī-ye makāteb-e falsafe-ye aḫlāq (Kritik und Untersuchung moralphilosophischer Schulen).724 Der erste Band Philosophie der Moral, auf den sich die folgenden Ausführungen vor allem beziehen, ist als eine Art Einführung in die Moralphilosophie gedacht. Sie besteht aus neun Kapiteln, von denen die ersten vier sich der Ein720 Hier nicht besprochen ist die Arbeit von Moḥammad Aḫāvān mit dem Titel Moqāyase miyān-e aḫlāq-e Kānt va aḫlāq-e eslāmī, aus dem Jahre 1994. Diese für diesen Kontext nicht zuletzt wegen ihres komparatistischen Ansatzes einschlägige Arbeit lag mir leider bis zur Fertigstellung des Manuskripts nicht vor, vgl. Aḫāvān (1994). 721 Zu seiner Bedeutung allgemein und im Kontext der Philosophie in Iran siehe Kap. 6.1. 722 Zum Institut Moʾassase-ye Dar rāh-e haqq (Institut „Auf dem Weg der Wahrheit [als Synonym für Gott]) vgl. für eine knappe Selbstbeschreibung die Website des Instituts http://www. darrahehaq.com/about (zuletzt 15.6.2011). 723 Meṣbāḥ Yazdī (1381/2002), 12. 724 Bis zur Fertigstellung des Manuskripts lag mir weder die ursprüngliche Monografie von 1988 vor noch der zweite Band der überarbeiteten Fassung, der vermutlich für die Thematik einschlägiger sein dürfte als der erste Band, auf den sich die folgende knappe Beschreibung von Meṣbāḥs Verhältnis zu Kants Moralbegründung stützt. Inhaltsangaben der beiden mir nicht vorliegenden Bände finden sich auf der Homepage Meṣbāḥ Yazdīs: Zu Dorūs-e falsafe-ye aḫlāq vgl. http://mesbahyazdi.com/farsi/?../lib/Farsi_Abstract/book-5-1-2.htm (zuletzt 15.6.2011); zu Naqd va barresī-ye makāteb-e falsafe-ye aḫlāq vgl. http://www.mesbahyazdi.org/lib/Farsi_Abstract/ book-7-4-3.htm (zuletzt 15.6.2011).
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führung von Grundbegriffen der Moralphilosophie widmen, wobei sich der Autor bei seinen Definitionen der Begrifflichkeit auch auf gut zugängliche westliche Nachschlagewerke der Philosophie stützt.725 Er betont des Weiteren die zentrale Bedeutung, die der Moral im Islam zukomme, und begründet damit die Notwendigkeit, sich auch aus religiösen Motiven mit der Moralphilosophie zu beschäftigen. In der Frage der Bewertungsmaßstäbe moralischer Werte und Gebote widerspricht er prinzipiell Ansätzen eines moralischen Relativismus (nesbīyat-e aḫlāqī). Grundsätzlich seien moralische Gebote universell gültig und ihre Gültigkeit sei nicht – etwa aufgrund gesellschaftlicher Entwicklungen – dem Wandel unterworfen.726 In diesem Zusammenhang bezieht sich Meṣbāḥ explizit auf Kant, den er in Abgrenzung zu den Relativisten als Universalisten einordnet. Allerdings verkennt er, wie es scheint, die Tragweite bzw. Stoßrichtung der kantschen Maximenethik, die letztlich nicht auf die Begründung eines Katalogs universell gültiger Normen oder Regeln hinaus will, sondern auf die Begründung eines universell gültigen Bewertungsmaßstabs, den kategorischen Imperativ, mit dessen Hilfe man Handlungsmaximen, also jene subjektiven Grundsätze des Handelns, nach ihrer Moralität befragen kann. Für die Anwendung auf konkrete Handlungssituationen gibt es bei Kant daher durchaus individuellen Spielraum. Das Prinzip der Maxime aber spielt bei Meṣbāḥ offenbar keine Rolle. Auch geht es ihm nicht um individuelle Spielräume bei der Festlegung von Regeln. Er hat eindeutig eine Regelbzw. Normenethik im Sinn und er scheint auch Kants Universalismus in diesem Sinne zu verstehen. Hinzu kommt, dass Meṣbāḥ offenkundig die kantsche Unterscheidung in Tugend- und Rechtspflichten nicht vornimmt, wodurch eine weitere Unschärfe hinsichtlich seiner Einschätzung der kantschen Moralbegründung ins Spiel kommt. Dieser Punkt wird in Meṣbāḥs Diskussion um Religion und Freiheit besonders augenfällig.727 Der Unterschied zwischen der kantschen Maximenethik und der Normenethik Meṣbāḥs zeigt sich aber bereits in einem anderen Kontext, in dem er Kant einen Rigorismus in seiner Moralauffassung vorwirft. Er bezieht sich dafür auf das bekannte und viel diskutierte Problem des Lügenverbots im Kontext der kantschen Ethik. Hintergrund dieser Diskussion ist ein kleiner Aufsatz des Königsbergers mit dem Titel Über ein vermeintes Recht aus Menschenliebe zu Lügen (1797), der zu den sog. Gelegenheitsschriften Kants gerechnet wird. In dieser Schrift 725 Wie beispielsweise die von Paul Edwards herausgegebene Encyclopedia of Philosophy und die von Lawrence C. Becker herausgegebene Encyclopedia of Ethics. 726 Meṣbāḥ Yazdī (1381/2002), 151–159. 727 Zu dieser Diskussion vgl. unten 5.3.
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reagiert er auf die Kritik des französischen Politikers und Schriftstellers Benjamin Constant (1767–1830), der ihm in einem Aufsatz vorwarf, dass seine Überzeugung der unbedingten und uneingeschränkten Pflicht, die Wahrheit zu sagen, letztlich jedes gesellschaftliche Zusammenleben unmöglich mache.728 Kant wiederum hält Constant in besagter Schrift entgegen, dass nicht unbedingte Wahrhaftigkeitspflicht, sondern vielmehr ein Recht auf Lüge (auch ein eingeschränktes) die Vergesellschaftung des Menschen gefährde. Da die Pflicht zur Wahrhaftigkeit nur als unbedingte Pflicht Bestand habe, gelte sie gegenüber jedermann, sodass auch die Person – so das berühmte Beispiel der Kontroverse Constant-Kant –, die einen Freund beherbergt, sich nicht auf ein Recht auf Lüge berufen könne, wenn sie aus Menschenliebe einem Mörder gegenüber den Aufenthaltsort des Freundes verheimlicht. Vor allem diese zumindest auf den ersten Blick befremdliche Argumentation Kants hat ihm den vielfach artikulierten Vorwurf des Rigorismus eingebracht, der seiner Moralphilosophie innewohne. Auch Meṣbāḥ schließt sich diesem Vorwurf an. Für Kant, so argumentiert er, sei Aufrichtigkeit ein absoluter Wert (moṭlaqan yek arzeš ast) selbst dann, wenn sie „die Ermordung tausender unschuldiger Menschen“ zur Folge habe (garče mouǧeb-e qatl-e hezārān ensān-e bī gonāh šavad). Nach Kant müsse man der Folgen ungeachtet der Pflicht entsprechend handeln, eventuelle Konsequenzen, seien sie auch noch so verderblich, könnten den Wert einer absoluten Pflicht, wie dem Wahrheitsgebot, nicht aufheben.729 Nach Meṣbāḥ ist dieses Verständnis des Absolutheitsanspruches (moṭlaqgerāʾī) moralischer Gebote verfehlt. Seinem Verständnis nach müsse man das Lügenverbot im besagten Beispiel relativieren. Er gibt sich Kant gegenüber daher flexibler. Zwar seien moralische Gebote prinzipiell absolut, in einem gewissen Sinne könne es aber durchaus relative Gebote geben. Nicht indem ihre Relativierung von den persönlichen Einstellungen Einzelner (salīqe-ye afrād) abhänge, denn dadurch werde sie beliebig, sondern nur dann, wenn ihre Gültigkeit von bestimmten zusätzlichen Bedingungen, die ebenfalls prinzipiell seien, eingeschränkt werden könne. Das Beispiel, das Meṣbāḥ in diesem Zusammenhang anführt, lässt aufmerken. So argumentiert er, dass das moralische Urteil „Gerecht zu handeln ist gut“ universell gültig sei, wohingegen das Urteil „Einen Menschen zu töten ist schlecht“ von der Unschuld des Getöteten und der Ungerechtigkeit der Handlung abhängig sei.730
728 Constants Aufsatz findet sich zusammen mit weiterem Material und Diskussionen zum Thema des Lügenverbots bei Kant in: Geismann/Oberer (1986). Constants Aufsatz vgl. ebd. 23–25. 729 Meṣbāḥ Yazdī (1381/2002), 163. 730 Meṣbāḥ Yazdī (1381/2002), 162.
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Welche Kriterien aber führt Meṣbāḥ an, um die Gültigkeit allgemeiner Gebote zu relativieren? Zur weiteren Erörterung verlässt er die Kritik an Kants Argumentation731 und wendet sich dem Moralverständnis zu, wie es in den islamischen Quellen vermittelt werde. Demnach sei Aufrichtigkeit (rāstgūʾī) für sich genommen kein moralischer Wert (arzeš-e aḫlāqī) bzw. kein moralisches Gebot (ḥokm-e aḫlāqī), weshalb man ihr nicht per se das Prädikat (maḥmūl) „gut“ zuschreiben könne. Das allgemeine Kriterium (melāk-e kollī) für die Bewertung der Moralität einer Handlung liege in der Konsequenz (natīǧe) derselben und messe sich am Prinzip des Gemeinwohls (maṣlaḥat). Eine Handlung ist nach Meṣbāḥ also genau dann moralisch, wenn sie dem Gemeinwohl diene. Das gelte auch für Aufrichtigkeit, sie könne als moralisches Gebot nur dann gelten, wenn sie dem Prinzip des Gemeinwohls entspreche.732 Meṣbāḥs Zugang zur Moralbegründung ist also konsequenzialistisch und unterscheidet sich damit grundsätzlich von Kant, der eine deontologische Ethikauffassung vertritt. Ein noch signifikanterer Unterschied aber, der sich in Meṣbāḥs Ausführungen offenbart, besteht in der Diskrepanz zwischen seinem Zugang und der kantschen Maximenethik. Eine moralisch gültige Maxime ist nach Kant in der Tat universell gültig, ihre Gültigkeit kann nicht in bestimmten Fällen aufgehoben oder relativiert werden. Meṣbāḥ aber geht es letztlich nicht um Maximen und ihre Überprüfung auf moralische Gültigkeit, denn für sich genommen haben sie keinen moralischen Wert. Für ihn müssen allgemeine Handlungsprinzipien erst in konkrete Regeln und Normen umgewandelt werden. In seiner Moralbegründung gibt er dabei zunächst lediglich an, dass allgemeine Handlungsprinzipien konkreten, bestimmbaren Einschränkungen unterliegen und dass man sich bei der Bestimmung von Normen am Grundsatz des Gemeinwohls orientieren müsse. Zumindest im gegebenen textlichen Kontext führt Meṣbāḥ aber nicht weiter aus, wie er das Prinzip der maṣlaḥat verstanden haben will, wie man das Gemeinwohl im Einzelnen bestimmen kann, und vor allem, wer dazu befugt ist. Im ideengeschichtlichen Kontext islamischer Rechtsdiskurse kommt diesem Prinzip eine wichtige Mittlerrolle in der Frage zu, wie man gültige religiöse Normen entwickeln kann, wenn die Bestimmungen der Offenbarung keine konkreten Antworten enthalten. Die erste bedeutende Formulierung des Prinzips findet sich bei al-Ġazālī, der davon ausging, dass Gottes Absicht (maqṣad) mit der Herabsendung des religiösen Rechts eben das Gemeinwohl gewesen sei, das man daher aus den Bestimmungen herauslesen könne, und an dem man sich zu orientieren habe. Dazu zählte er insbesondere die Bewahrung fünf grundlegender 731 Diese vertiefe er im Kontext des zweiten Bandes. 732 Meṣbāḥ Yazdī (1381/2002), 164–166.
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Interessen bzw. Güter, nämlich Religion, Leben, Nachkommenschaft, Eigentum und Vernunft. Bei manchen Denkern kann das Prinzip auch in Anschlag gebracht werden, um gültige, offenbarte Gebote in bestimmten Situationen zur Wahrung des Gemeinwohls auszusetzen.733 Besonders im modernen Kontext wird auf das Prinzip des Gemeinwohls zum Zwecke der Rechtsreform und der Anpassung an sich wandelnde zeitliche Umstände Bezug genommen.734 Dass Meṣbāḥ durchaus eine klare Vorstellung davon hat, was unter dem Prinzip zu verstehen sei, und vor allem, wer es anwenden darf, zeigt sich erst im Kontext seines Verständnisses von Religion, der er, wie es scheint, das Primat unter den fünf Interessen zuweist.735 Was nun aber Meṣbaḥs Kritik an Kants Lügenverbot und den damit verbundenen Rigorismusvorwurf betrifft, so ist seine Argumentation in doppelter Hinsicht signifikant. Denn einerseits spricht er in der Tat eine problematische Argumentation bei Kant an, die auch in der westlichen Kantliteratur kontrovers diskutiert wird. Andererseits aber ist gerade seine eigene Argumentation ein besonders anschauliches Beispiel dafür, welche Konsequenzen die Relativierung einer vollkommenen Pflicht haben kann, vor denen zu warnen, wie es scheint, Kant mit seiner Replik auf Constant beabsichtigte. Die Kritik an Kants Lügenverbot und der damit verbundene Rigorismusvorwurf gegenüber seinem deontologischen Zugang zur Moralbegründung ist, wie erwähnt, Gegenstand weitreichender Kontroversen in der Kantforschung.736 Dabei geht es insbesondere um die Fragen, inwieweit es sich bei Kants Argument tatsächlich um einen Beleg für einen starren praxis- und erfahrungsfernen moralischen Rigorismus handelt, welche Absicht Kant letztlich mit seinem Argument verfolgte und inwiefern eine Ausnahme bzw. eine Modifizierung des absoluten Lügenverbots unter bestimmten Umständen in Kants Maximenethik integrierbar 733 Neben al-Ġazālī ist im Zusammenhang mit der Theoretisierung des Gemeinwohls vor allem auch Abū Isḥāq aš-Šāṭibī (st. 790/1388) zu nennen. Knapp und instruktiv zum Prinzip maṣlaḥa vgl. Krämer (1999), 58–61. Einen ausführlichen ideengeschichtlichen Überblick liefert Opwis (2005), pp. 182–223, insb. 187–198. Ein zeitgenössisches, für den iranischen Kontext maßgebliches Beispiel liefert Reissner (1988). Reissner diskutiert einen Fall, in dem Khomeini öffentlich erklärte, dass man zum Wohl des Staates in besonderen Fällen auch religiöse Pflichten aussetzen könne. Das Prinzip der maṣlaḥa wird meist, so auch von Opwis, im Kontext der sunnitischen Tradition dargestellt. Ob es sich bei Khomeinis Bezug auf dieses Prinzip zum Zwecke der Rechtsfindung und mit der Befugnis der Aussetzung religiöser Gebote tatsächlich um ein Novum im schiitischen Recht handelt, wie u. a. Reissner andeutet, sei dahingestellt. 734 Vgl. Opwis (2005), insb. 198–223. 735 Dazu unten 5.3. 736 Einen guten historischen Überblick in die Diskussion zur Problematik des Lügenverbots bei Kant einschließlich des historischen Hintergrundes bietet der Band Geismann/Oberer (1986). Zusammenfassungen einiger einschlägiger Positionen finden sich bei Grünewald (2008) und Jong-Gook Kim (2004).
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ist. Ohne dass im Einzelnen auf diese Diskussion eingegangen werden kann, sei hier lediglich auf zwei kantsche Prinzipien verwiesen, auf die, bei dem Versuch das apodiktische Lügenverbot zu relativieren, ohne Kants Moralauffassung prinzipiell zu widersprechen, Bezug genommen wird: Es handelt sich dabei einerseits um das Prinzip der Universalisierungsfähigkeit von Maximen und andererseits um das der Urteilskraft, genauer einer von Kant in seinen Grundschriften zur Ethik allerdings nicht eigens thematisierten praktischen Urteilskraft. Gestützt auf eine solche praktische Urteilskraft wäre es demnach sogar geboten, bei der Berufung auf Maximen nach „universalisierungsfähigen Ausnahmen“ zu fragen, wodurch sich die Bildung von Maximen als „historisch unabschließbarer reflexiver und diskursiver Prozeß“ erweise, der niemals endgültig eingelöst werden könne.737 Meṣbaḥ weist mit seiner Kritik an Kants Lügenverbot und der Forderung einer Folgenabwägung also auf einen diskussionswürdigen Punkt bei Kant hin.738 Auch scheint seine eigene Argumentation der Forderung nach Relativierung des absoluten Verbots angesichts besonderer Umstände gerecht zu werden. Also könnte man meinen, es entspreche dem Prinzip der universalisierbaren Ausnahme unter Zuhilfenahme der praktischen Urteilskraft. Bei genauerem Hinsehen werden aber Probleme seiner Argumentation offenbar. So ist an Meṣbāḥs Kritik, Kant nehme auch die Tötung unschuldiger Menschen in Kauf, auffällig, dass er stets das Attribut „unschuldig“ (bīgonāh) anführt, wenn er von der unrechtmäßigen Tötung spricht. Dass es nach Meṣbāḥ durchaus eine rechtmäßige Tötung geben kann, wird in seinem Beispiel der Relativierung des Tötungsverbots in eindrücklicher Weise offenbar. Die dabei zugrunde liegende Problematik besteht hier weniger in der speziellen Frage, inwiefern man mit oder gegen Kant etwa die Todesstrafe moralisch oder rechtsphilosophisch begründen könnte.739 Vielmehr stellt sich 737 Vgl. Bielefeldt (1998), 58. Ebenfalls für die Ausformulierung einer Theorie der praktischen Urteilskraft im Anschluss an Kant plädiert Höffe (1990). 738 An dieser Stelle sei darauf verwiesen, dass zum Problem der „Lüge zum Zwecke des Gemeinwohls“ (dorūġ-e maṣlahatāmīz) von Seyyid Hasan Eslāmī (1385/20062) eigens eine umfangreiche Monografie vorgelegt wurde, in der er auch auf die Problematik bei Kant eingeht. Vgl. Eslāmī (1385/2006), 152–173. Seine Argumentation kann hier nicht eigens vorgestellt werden, seine Schlussfolgerung besteht darin, dass man durchaus auch auf Grundlage der kantschen Moralphilosophie das Recht zur Lüge zum Zwecke des Schutzes des Lebens Unschuldiger (ensān-e bī gonāh) begründen könne, auch wenn Kant selbst dieses Recht nicht einräume. Ebd. 173. 739 Bei seiner eindeutig positiven Haltung zur Todesstrafe könnte sich Meṣbāḥ im Übrigen auf Kant selbst berufen, der in seiner Strafrechtstheorie ausgehend vom Talionsprinzip die Todesstrafe gegen einen Mörder explizit befürwortet: „Hat er aber gemordet so muß er sterben. Es gibt hier kein Surrogat zur Befriedigung der Gerechtigkeit. Es ist keine Gleichartigkeit zwischen einem noch so kummervollen Leben und dem Tode, also auch keine Gleichheit des Verbrechens und der Wiedervergeltung, als durch den am Täter gerichtlich vollzogenen, doch von aller Miss-
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die Frage, wie im Einzelnen Ausnahmen von vollkommenen Pflichten zu begründen wären und welche Risiken sich in einer Verrechtlichung der Ausnahmeregel verbergen können. Diese birgt nämlich die Gefahr, dass sie in konkreten Regeln Niederschlag findet, die nicht mehr dem Verallgemeinerungsgrundsatz gerecht werden und somit die Pflicht als Ganze unterwandern.740 In seinem Beispiel der Ausnahme vom Tötungsverbot macht Meṣbāḥ nicht deutlich, nach welchen Kriterien eine Ausnahme zu begründen wäre. Mehr noch: Er scheint das Begründungsverhältnis umzukehren, wenn er argumentiert, dass die Tötung eines Menschen nur dann unmoralisch sei, wenn zusätzlich weitere Bedingungen erfüllt seien. Dabei bleibt die Bestimmung dieser Bedingungen, zu denen er die Unschuld des Getöteten und die Ungerechtigkeit des Tötungsaktes zählt, äußerst vage, denn wodurch ein Mensch schuldig wird und was seine Tötung ungerecht macht, wird im gegebenen Kontext nicht problematisiert. Zudem kann man in Konsequenz nicht mehr von einem allgemeinen Recht auf Leben sprechen, wenn es an Bedingungen geknüpft ist. Auch die Berufung auf das Gemeinwohl, mit der er die Ausnahme vom Lügenverbot begründet, kann nicht als hinreichender Maßstab gelten, denn bei der Bestimmung des Gemeinwohls müsste wiederum das moralische Prinzip (kategorischer Imperativ) und der Verallgemeinerungsgrundsatz in jedem einzelnen Ausnahmefall Beachtung finden, sodass letztlich nicht das Gemeinwohl das moralische Gesetz, sondern umgekehrt das moralische Gesetz das Prinzip des Gemeinwohls näher zu bestimmen hat.741 Ebenfalls kritisch, wenn auch ausgewogener sowie mit deutlich mehr Bezug zu den kantschen Schriften und zu einigen bedeutenden Werken der Kantforschung,742 handlung, welche die Menschheit in der leidenden Person zum Scheusal machen könnte, befreieten Tod.“ MSR Kant-W Bd. 8, S. 455. 740 Diese Bedenken ließen sich auch mit Kant gegen Kants Rechtfertigung der Todesstrafe ins Felde führen. Dieser unterscheidet eine unveräußerliche angeborene Würde des Menschen von einer Würde des Staatsbürgers, die der Verbrecher durch seine Tat einbüßen kann. MS, Rechtslehre, § 49, Allg. (AA VI 329–330). Es bleibt offen, inwieweit sich diese Unterscheidung mit Kants Moralprinzipien und seiner allgemeinen Begründung der Menschenwürde in Einklang bringen lässt. Diese spezielle Problematik kann hier nicht weiter diskutiert werden. Zur Spannung zwischen Kants Begriff der Menschenwürde und seiner Begründung des Strafrechts vgl. Mohr, Georg (2009); Enderlein, Wolfgang (1985), „Die Begründung der Strafe bei Kant“, in: KS 76, 1–4, 303–327. 741 Dass Meṣbāḥs Ansatz diesem Grundsatz entgegensteht, wird in der Diskussion zu Religion und Freiheit deutlich. Vgl. unten 5.3. 742 Unter den ca. 50 englischsprachigen Titeln seien folgende erwähnt, auf die sich der Autor besonders häufig bezieht: Luis White Beck, A Commentary on Kant’s Critique of practical Reason; Howard Caygill, A Kant Dictionary, Oxford 1995; Jonathan Harrison, ‘Kant’s Examples of the First Formulation of the Categorical Imperative’, in: Kant. A Collection of Critical Essays, ed.
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ist Moḥammad Moḥammadreżāʾīs Monografie Tabyīn va naqd-e falsafe-e aḫlāq-e Kānt (Erläuterung und Kritik der Moralphilosophie Kants).743 Anders als Meṣbāḥ Yazdī widmet sich dieser Autor in seinem Werk ausschließlich und ausführlich der kantschen Moralphilosophie. Dabei verfolgt er gleichermaßen das Ziel, Kants Ansatz anschaulich darzustellen sowie denselben kritisch zu hinterfragen. Das Werk gliedert sich in eine Einleitung und 16 Kapitel, wobei die einzelnen Kapitel jeweils Zentralbegriffe bzw. Konzepte der kantschen Moralphilosophie im Fokus haben und stets mit einer Zusammenfassung, häufig zudem mit einem kritischen Resümee enden. Das Werk liest sich über weite Strecken wie eine kritische Einführung in Kants Grundlegung zur Metaphysik der Sitten. Moḥammadreżāʾī beginnt seine Ausführungen mit einigen allgemeinen begrifflichen Vorbemerkungen zur Moral und der Erläuterung der kantschen Frage nach der Möglichkeit apriorischer moralischer Grundsätze.744 Orientiert am Argumentationsgang der Grundlegung steigt er in die Erörterung der kantschen Moralphilosophie mit einer Diskussion des „Guten Willens“ (erāde-ye ḫeyr/nīk) ein.745 Es folgt ein Kapitel über den Begriff der Pflicht (taklīf)746 sowie Kapitel über den Begriff der Maxime (dastūr/mākzīm-e aḫlāq),747 des Gefühls der Achtung vor dem Gesetz (eḥsās-e eḥterām be qānūn)748 und der verschiedenen Arten von Imperativen (avāmer/sg. amr). Hierbei kommt er schließlich auf den kategorischen Imperativ (amr-e moṭlaq) zu sprechen und legt dar, dass es sich nach Kant bei diesen unbedingten (nāmašrūṭ) bzw. apodiktischen (yaqīnī) Imperativen um synthetische Urteile a priori handelt,749 die also weder aus der Erfahrung abgeleitet sind noch – wie etwa der hypothetische ImpeRobert Paul Wolff, Notre Dame, London 1968; Brendan Liddell, Kant on the Foundation of Morality, Bloomington, London 1970; H.J. Paton, The Categorical Imperative, London 1953; ders., The Moral Law, London 1972 [enthält eine Übersetzung der Grundlegung, die der Autor ebenfalls vielfach heranzieht]; Roger Sullivan, Immanuel Kant’s Moral Theory, New York 1989; ders., An Introduction to Kant’s Ethics, New York 1994. 743 Diese Publikation basiert, wie der Autor am Ende seiner Einleitung anmerkt, auf der 1378/2000 unter demselben Titel eingereichten Dissertation, die unter der Betreuung (ostād-e rāhnemā) von Aḥmad Aḥmadī an der Teheraner Tarbīyat Modarres Universität angefertigt und von Qolāmreżā Aʿvānī und Moḥammad Legenhausen begleitet (ostād-e mošāver) wurde. Der Autor macht in seiner Einleitung keine Angaben darüber, ob und inwieweit seine Dissertation für die Publikation überarbeitet wurde. Vgl. 8,4.4. 744 Moḥammadreżāʾī (2001), 13–18 Einleitung; Kap. 1 Einführendes (moqaddamāt), 19–36. 745 Moḥammadreżāʾī (2001), 36–52. 746 Moḥammadreżāʾī (2001), 53–61. 747 Moḥammadreżāʾī (2001), Kap. 4, 63–69. 748 Moḥammadreżāʾī (2001), Kap. 5, 71–78. 749 Kant nennt den kategorischen Imperativ in der Grundlegung synthetisch-praktisch: „Er ist ein synthetisch-praktischer Satz a priori, und da die Möglichkeit der Sätze dieser Art einzusehen
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rativ (amr-e šarṭī) – einem bestimmten Zweck dienen.750 In einem kurzen sich anschließenden Kapitel unterscheidet er fünf Formen bzw. Formeln (panǧ ṣūrat) des kategorischen Imperativs. Bei der Einteilung folgt er der Vorgabe Patons, die dieser in seinem auch von Moḥammadreżāʾī verwendeten Werk The Categorical Imperative vornimmt und die in der Kantforschung ausgiebig diskutiert wurde.751 Demnach gliedert der Autor wie Paton die fünf Formeln wie folgt in drei Gruppen: I) Formel des allgemeinen Gesetzes (ṣūratbandī-ye qānūn-e kollī): „Handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, daß sie ein allgemeines Gesetz werde.“752 (tanhā be ṭebq-e mākzīm yā dastūrī ʿamal kon ke be vasīle-ye ān betavānī dar ʿeyn-e ḥāl, erāde konī ke makzīm yā dastūr mazbūr-e qānūn-e kollī yā ʿomūmī bešavad).753 Ia) Formel des Naturgesetzes (ṣūratbandī-ye qānūn-e ṭabīʿat): „Handle so, als ob die Maxime deiner Handlung durch deinen Willen zum allgemeinen Naturgesetze werden sollte.“754 (čenān ʿamal kon ke gūʾī mākzīm-e ʿamal-e šomā banāst be vasīle-ye erāde, qānūn-e kollī-ye ṭabīʿat šavad.)755 II) Formel des Zwecks an sich selbst (ṣūratbandī-ye ġāyat fī nafsihī): „Handle so, daß du die Menschheit, sowohl in deiner Person, als in der Person eines jeden andern, jederzeit zugleich als Zweck, niemals bloß als Mittel brauchest.“756 (čenān ʿamal kon ke ensānīyat rā če dar šaḫs-e ḫodat va če dar šaḫs-e dīgarān hamvāre va dar ʿeyn-e ḥāl, be ʿonvān-e ġāyat be kār barī na ṣerfan be ʿonvān-e vasīle.)757 III) Formel der Autonomie (ṣūratbandī-ye ḫodmoḫtārī-ye erāde): „[Handle nur so], daß der Wille durch seine Maxime sich selbst zugleich als allgemein gesetzgebend betrachten könne.“758 (čenān ʿamal kon ke erāde betavānad
so viel Schwierigkeit im theoretischen Erkenntnisse hat, so läßt sich leicht abnehmen, daß sie im praktischen nicht weniger haben werde.“ GMS, IV, 420. 750 Moḥammadreżāʾī (2001), Kap. 6, 79–95. 751 Moḥammadreżāʾī gibt zwar nicht explizit an, dass er die Einteilung von Paton übernimmt, doch verweist er bei der Nennung jeweils auf Paton [Moḥammadreżāʾī (2001), 98 Anm. 2–7], auch entsprechen Zählung, Reihenfolge und Benennung der einzelnen Varianten/Formeln exakt derer Patons. Zur Diskussion der verschiedenen Formeln des kategorischen Imperativs und deren Einteilung vgl. Geismann (2002) 374–384; Schönecker/Wood (2008), 123–170. 752 GMS, IV, 421. 753 Moḥammadreżāʾī (2001), 98. 754 GMS, IV, 421. 755 Moḥammadreżāʾī (2001), 98. 756 GMS, IV, 429. 757 Moḥammadreżāʾī (2001), 98. 758 GMS, IV, 434.
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dar ʿeyn-e ḥāl, be vāseṭe-ye mākzīm yā dastūr-e erāde, ḫod rā vāżeʿ-e qānūn-e ʿāmm laḥāẓ konad.)759 IIIa) Formel des Reichs der Zwecke (ṣūratbandī-ye kešvar-e ġāyāt): „Demnach muß ein jedes vernünftige Wesen so handeln, als ob es durch seine Maximen jederzeit ein gesetzgebendes Glied im allgemeinen Reiche der Zwecke wäre.“760 (čenān ʿamal kon ke hamvāre be vāseṭe-ye mākzīmhāyat (dastūrhāyat), ʿożv-e qānūngoẕār dar kešvar-e ʿāmm-e ġāyāt bāšī).761 Am Ende diese Kapitels schließt sich der Autor jenen Kantinterpreten an, die in den Formulierungen des kategorischen Imperativs Einflüsse durch Ciceros De officiis erkannt haben wollen, die als eine Reaktion auf ein von Christian Grave verfasstes Buch über Cicero gedeutet wurden.762 Die folgenden fünf Kapitel (Kap. 8–12) widmet der Autor der kritischen Diskussion der fünf Formeln des kategorischen Imperativs, wobei er am Ende jeweils auf Widersprüche und Unklarheiten hinweist, die sich in Kants Argumentation fänden.763 Das sich anschließende knappe Kapitel markiert den Übergang zur Diskussion des dritten Abschnittes der Grundlegung.764 Hier macht der Autor darauf aufmerksam, dass sich Kants Ausführungen im 2. Abschnitt zunächst auf die Analyse und Darlegung des kategorischen Imperatives beschränkten, womit dessen Möglichkeit und damit erst Verbindlichkeit noch nicht bewiesen sei. Dieser Möglichkeitsbeweis sei Aufgabe des dritten Abschnittes der Grundlegung, in dem Kant die Möglichkeit des kategorischen Imperativs aus der Idee der Freiheit, bzw. der Autonomie (ḫodmoḫtārī) durch eine Deduktion demonstrieren wolle, deshalb habe sich auch in der Diskussion der Formeln des kategorischen Imperativs die Formel der Autonomie als die bedeutsamste erwiesen. Moḥammadreżāʾī weist zudem bereits an dieser Stelle darauf hin, dass Kant in seinen praktischen Schriften zwei verschiedene Zugänge zur Freiheitsdiskussion biete. Während er in der Grundlegung durch die Notwendigkeit der Annahme der Freiheit auf die Notwendigkeit des moralischen Gesetzes schließe, so sei der Argumentationsgang in der KpV umgekehrt. Dort sei es das anzunehmende Bewusstsein des moralischen
759 Moḥammadreżāʾī (2001), 98. 760 GMS, VI, 438. 761 Moḥammadreżāʾī (2001), 98. Der Autor gibt in seiner persischen Version diese von Kant in der dritten Person formulierte Variante entsprechend der vorangehenden Varianten in der 2. Person wieder. 762 Vgl. dazu Kraft/Schönecker (1999), VIII–XIII; sowie Hinweise auf weiterführende Literatur zum Thema in den Herausgeberanmerkungen: 97f. Anm. zu 393, 25. 763 Moḥammadreżāʾī (2001), 103–186. 764 Moḥammadreżāʾī (2001), 187–192.
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Gesetzes, das Freiheit voraussetze.765 Es folgt eine kritische Diskussion der kantschen Herleitung des Freiheitsbegriffs (Kap. 14)766 und ein Kapitel über Kants Erörterungen zu den Postulaten der praktischen Vernunft (oṣūl-e moużūʿe-ye ʿaql-e ʿamalī) (Kap. 15.).767 Die Schrift endet mit einem Kapitel, das sich kritisch der Thematik „Moral und Religion“ widmet.768 Ein die Hauptargumente und Kritikpunkte des Autors zusammenfassendes Resümee fehlt indes.769
5.2.2 Positionen zu Kants Philosophie der Moral und Politik Zu einer durchweg positiven Einschätzung der kantschen Moralphilosophie kommen demgegenüber Manūčehr Ṣāneʿī Darrebīdī und ʿEzzatollāh Fūlādvand, die sich beide als Übersetzer von Kantliteratur in Iran einen Namen gemacht haben.770 Fūlādvand, der sich vor allem der Übersetzung einschlägiger philosophischer Forschungsliteratur aus dem Englischen u. a. zu Kant widmet, nimmt in den Einleitungen zu seinen Übersetzungen meist ausführlich Stellung zum Gegenstand seiner Übersetzung, so auch im Falle der Übertragung von Roger Sullivans Introduction to Kant’s Ethics. Er beginnt seine Einleitung mit einigen Ausführungen zur Bedeutung der Moralphilosophie, wobei er u. a. darauf hinweist, dass ihr Gegenstand nicht in erster Linie moralische Gebote seien, sondern vielmehr die Suche nach den Prinzipien, mit deren Hilfe man solche Gebote for765 Moḥammadreżāʾī (2001), 190. Knapp und instruktiv zur Frage der verschiedenen Wirklichkeitsbeweise der Freiheit in Kants Grundlegung und KpV vgl. Klemme (2004), 54–64. 766 Moḥammadreżāʾī (2001), 193–233. 767 Moḥammadreżāʾī (2001), 235–261. 768 Moḥammadreżāʾī (2001), 263–286. Zu einigen Argumenten dieser drei letzten Kapitel siehe unten 5.3. 769 Abschießend sei zum Werk Moḥammadreżāʾīs noch angemerkt, dass es eine ähnliche Stoßrichtung zu haben scheint, wie Bruce Aune (1979) Kant’s Theory of Morals, in dem der Autor ebenfalls verschiedene Formeln des kategorischen Imperativs diskutiert und zu einer kritischen Einschätzung der kantschen Moralbegründung kommt. Dieses Werk, das Moḥammadreżāʾī zwar in seiner Bibliografie auflistet, in seinen Anmerkungen aber kaum Erwähnung findet, ist inzwischen in einer von ʿAlīreżā Āl-e Būye angefertigten Übersetzung im gleichen Verlag (Bustān-e Ketāb-e Qom) wie die Dissertation Moḥammadreżāʾīs erschienen. Vgl. Aune/Āl-e Būye (1381/2002). Für eine kritische Besprechung von Aune (1979) vgl. Albrecht, Michael (1981), in KS 72 (1981), 378–380. Der Rezensent kommt zu folgendem Urteil: „Ein Buch also, das es sich mit der Widerlegung Kants sehr leicht macht und daher [entgegen der Intention des Autors, R. S.] alles andere als geeignet ist, Anfängern einen Zugang zu Kants Moralphilosophie zu eröffnen, geschweige denn deren Begründung verständlich zu machen.“ Albrecht (1981), 380. Der Frage ob und inwieweit dieses Werk die Argumentation Moḥammadreżāʾīs beeinflusst hat, wurde hier nicht weiter nachgegangen. 770 Zu Fūlādvand und Ṣāneʿī vgl. oben 3.3.2.2.
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mulieren könne.771 Zur Verdeutlichung verweist er für den Kontext der islamischen Geistesgeschichte knapp auf die Verschiedenheit der Ansätze der Muʿtazila und der Ašʿarīya, während Erste vom Primat rationaler Prinzipien für die moralische Beurteilung von Handlungen ausgegangen seien, so bestünden Letztere auf den Vorrang des offenbarten Rechts (šarʿ).772 Des Weiteren gehe es in der Moralphilosophie um die Erörterung moralischer Begriffe, wie „Gut“ und „Böse“ oder „Pflicht“ und „Sollen“. Kant gehöre zu den bedeutendsten Vertretern einer formalistischen Moralphilosophie.773 Es sei zudem ein Charakteristikum der Entwicklung des kantschen Denkens, dass es sich zunehmend mit Fragen der praktischen Philosophie beschäftige. Angesichts dieser Tatsache sei es bedauerlich, so der Übersetzer im Jahre 2001, dass es bis dato insgesamt nur ein einziges Werk von Kant oder über Kant zur praktischen Philosophie gebe, nämlich die Übersetzung der Grundlegung von Ḥamīd ʿEnāyat und ʿAlī Gheissari.774 Aufgrund dieses Defizits habe er sich für die Übersetzung eines Werkes entschieden, das geeignet sei, aus der Perspektive eines Vertreters einer neue Epoche der Kantforschung775 (ʿaṣr-e novīnī dar kāntšenāsī), in das praktische Denken des Königsbergers einzuführen.776 Das Buch von Sullivan sei nicht nur aufgrund seiner klaren, aber nicht allzu vereinfachenden Sprache für diesen Zweck relevant, sondern auch weil es eine Art Kommentar zur Grundlegung darstelle. Ein weiterer Grund für seine Wahl ist programmatischer Natur. Das Werk führe nämlich über die politische Philosophie in die Erörterung der Moralphilosophie ein, wodurch es die Bedeutung der philosophischen Moralbegründung für die Grundlegung eines jeden Rechtssystems gleich zu Beginn vor Augen führe. Auch in anderen Zusammenhängen betont Fūlādvand die herausragende Bedeutung der kantschen Moralphilosophie im Allgemeinen sowie seines politischen Denkens im Besonderen.777
771 Sullivan/Fūlādvand (2001), 11–16. 772 Sullivan/Fūlādvand (2001), 17. 773 Sullivan/Fūlādvand (2001), 17–23. 774 Die bereits verhältnismäßig früh erschienene Übersetzung von Kants Spätschrift Über Pädagogik (Kant/Sokūhī (1362/1983) hat Fūlādvand offenbar nicht berücksichtigt. 775 Zu deren Vertretern zählt Fūlādvand neben Sullivan, Paul Guyer, Allen Wood, Karl Ameriks, Henry Allison, Gilles Deleuze und Onora O’Neil. Sullivan/Fūlādvand (2001), 25. 776 Sullivan/Fūlādvand (2001), 24–26. 777 Zu nennen wäre etwa sein Artikel Falsafe-ye siyāsī-ye Kānt sowie seine Vortragsserie Rāhnešānehā-ye falsafe-ye siyāsat.[„Wegmarken der Politischen Philosophie“, es handelt sich hierbei um eine Reihe von drei Vorträgen, die Fūlādvand im Jahre 1386/2008 an der sozialwissenschaftlichen Fakultät (Dāneškade-ye ʿolūm-e eǧtemāʿī) der Universität Teheran gehalten hat, diese Vorträge sind als Audio-Dateien online zugänglich unter: 1) http://www.bashgah.net/assets/audio/1386/3/4/fooladvand1.mp3; 2) http://www.bashgah.net/assets/audio/1386/3/7/fooladvand2.mp3;
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Manūčehr Ṣāneʿī Darrebīdī verweist in seinem Vorwort zur Übersetzung der Schrift Eine Vorlesung über Ethik auf die Bedeutung der praktischen Philosophie Kants, der er durch sein Projekt der Übertragung einer Reihe von Kants Schriften aus diesem Kontext im iranischen Diskurs mehr Aufmerksamkeit verschaffen wollte.778 Zum Zeitpunkt also als Fūlādvand sich über den Mangel an Übersetzungen beklagte, hatte sich der Zustand durch das Erscheinen der ersten Bände dieses Projekts bereits deutlich verbessert. Neben der reinen Übersetzungsarbeit aber widmet Ṣāneʿī der praktischen Philosophie Kants auch eigene Abhandlungen. Zu nennen wären hier vor allem zwei Schriften. Besonders einschlägig ist seine Monografie Ǧāygāh-e ensān dar andīše-ye Kānt [Die Stellung des Menschen im Denken Kants]. In dieser Abhandlung diskutiert der Autor nach einer kurzen begriffsgeschichtlichen Einordnung779 auf knapp 150 Seiten den Begriff des Menschen bei Kant in seinem Verhältnis zu weiteren zentralen Begriffen der kantschen Philosophie. Dies geschieht im Kontext der theoretischen und praktischen Schriften Kants,780 wobei er schließlich insbesondere auf die Bedeutung der Begrifflichkeit verweist, die mit dem Freiheitsbegriff in Verbindung stehen, wie etwa die Begriffe Spontaneität (ḫodangīḫtegī) und Autonomie (ḫodmoḫtārī).781 Des Weiteren diskutiert er vor allem mit Bezug auf die Religionsschrift das Verhältnis vom Begriff des Menschen zu Gott bei Kant,782 um schließlich die Rolle des autonomen Menschen als Gesetzgeber und die aus der Pflichtenlehre abgeleiteten Konsequenzen für ein Rechtssystem und ein politisches System zu behandeln.783 Ṣāneʿī beschließt diese Diskussion nach einem kurzen Plädoyer für ein demokratisches Rechtssystem, das die Grundsätze der Freiheit des Menschen durch die Wahrung eines freiheitlichen Rechts- und Bildungswesen schütze, mit der Überzeugung: Die Freiheit des Menschen, wie wir in den vorangegangenen Kapitel verdeutlicht haben, ist ein notwendiges Wesensmerkmal des Menschen (lāzeme-ye ẕāt-e ensān) und die Unterdrückung der Freiheit der Menschen / eines Volkes (taʿaddī be āzādī-ye mardom) kommt der Unterdrückung ihres Menschseins (taʿaddī be ensānīyat-e ānhā) gleich.784
3) http://www.bashgah.net/assets/audio/1386/3/15/fooladvand3.mp3; [zuletzt 26.6.2011].] Darüber hinaus gibt es eine Reihe weiterer Publikationen Fūlādvands, die sein Interesse für an Kant orientierte politische Theorie verdeutlichen. 778 Siehe oben 3.3.2.2. 779 Ṣāneʿī (1384/2005), 9–17. 780 Ṣāneʿī (1384/2005), insbes. 19–78. 781 Ṣāneʿī (1384/2005), 79–94. 782 Ṣāneʿī (1384/2005), insbes. 95–108. 783 Ṣāneʿī (1384/2005), 109–135. 784 Ṣāneʿī (1384/2005), 134f.
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In einem letzten Kapitel „Āyande-ye ensān“ (Die Zukunft des Menschen), kommt der Autor schließlich noch auf Kants Vorstellung einer im Fortgang der Geschichte vermuteten „Naturabsicht“ zu sprechen, der zufolge, so Kants Überlegung, die Menschen ihre Naturanlage zur Freiheit immer weiterentwickeln und schließlich in einem „weltbürgerlichen Zustand“ verwirklichen werden.785 Diesen Überlegungen Kants ist auch die zweite hier zu erwähnende Publikation gewidmet, nämlich Ṣāneʿīs ausführlicher Kommentar zur „kleinen Schrift“ Idee zu einer allgemeinen Geschichte in weltbürgerlicher Absicht, in der Kant die oben genannten Überlegungen anstellt und deren Übersetzung Ṣāneʿī zuvor selbst angefertigt und veröffentlicht hatte. Diese Schrift, die gemeinhin der kantschen Geschichtsphilosophie zugerechnet wird, lässt sich mit einigem Recht als eine Art Anhang zur praktischen Philosophie bezeichnen, da Kant mit ihrer Abfassung nicht zuletzt beabsichtigte, dem Ideal eines globalen rechtlichen Friedens, wie er es in Zum ewigen Frieden formulierte, näherzukommen.786 Erwähnenswert ist schließlich noch Ṣāneʿīs Artikel Eḫtiyār va āzādī dar falsafe-ye Kānt [„Wahl(freiheit) und Freiheit in der Philosophie Kants] in der Zeitschrift Nāme-ye falsafe, der seine positive Einstellung zu Kants Moralphilosophie und ihre Konsequenz für die politische Theorie deutlich macht.787 Eine weitere wichtige Stimme in der Frage der Vermittlung von Kants Moralphilosophie in Iran ist Šahīn Aʿvānī. Die Philosophin, die in den Jahren 2003–2011 stellvertretende Leiterin des „Iranischen Instituts für Philosophie“ (Moʾasasse-ye pažūhešī-ye ḥekmat va falsafe-ye Īrān) war, hat im Jahr 2003 in Bonn bei Ludger Honnefelder mit einer Arbeit zum Begriff der Menschenwürde promoviert, in der sie ausgehend vom kantschen Verständnis der Menschenwürde für eine philosophische Begründung, allgemeine Anerkennung und Kodifizierung der Menschenrechte argumentiert und in einem abschließenden Kapitel darlegt, dass sich auch im Kontext der islamischen Tradition „Menschenrechte (…) als universale Rechte des Menschen als Person“ begründen lassen.788 Was den iranischen Kontext anbelangt, so kritisiert sie u. a. in einem kurzen Artikel mit dem programmatischen Titel Kānt va ahammīyat-e falsafe-ye aḫlāq (Kant und die Wichtigkeit der Moralphilosophie), dass sich in Iran die Kantrezeption vor allem auf die theoretische Philosophie des Königsbergers beschrän785 Ṣāneʿī (1384/2005), 137–151. 786 Vgl. etwa Schnädelbach (2005), 103. 787 Ṣāneʿī (1378/2000). Zur Argumentation dieses Artikels vgl. unten 5.3. 788 Aawani (2003). Zu ihrer Kantdiskussion vgl. ebd. 55–109. Zur Diskussion der Menschenwürde im Islam vgl. ebd. 110–142; hier 134. Zu Aʿvānīs Diskussion der Menschenwürde vgl. auch Aʿvānī (2007), Naẓarīye-ye Kānt darbāre-ye karāmat-e ensān va ḥoqūq-e ẕātī-ye bašar. [Kants Theorie der Menschenwürde und die essentiellen Rechte des Menschen], in: Movaḥḥed, Żīyā [Ed.] (2007), 23–41.
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ke.789 Da auch sie die Ansicht teilt, dass die Endabsicht der Vernunft überhaupt im Praktischen liege, betrachtet sie diesen Zustand als Manko, da der eigentliche Zweck seiner Philosophie damit aus dem Blickfeld gerate. Im erwähnten Artikel führt sie ausgehend vom Begriff des „guten Willens“ knapp in die Moralbegründung bei Kant ein und erwähnt seine Überzeugung, dass moralische Prinzipien nicht aus der Erfahrung gewonnen werden können. Des Weiteren kommt sie auf die Bedeutung der Willensfreiheit (āzādī/erāde) und der Autonomie (ḫodbonyādī) zu sprechen. Schließlich erläutert sie kurz den kategorischen Imperativ als natürliche Pflicht, die sich von der passiven Pflicht (elzām-e monfaʿel), wie sie sich etwa in Form göttlicher Gebote zeige, unterscheide. Die Gültigkeit von Pflichten bestehe nicht darin, dass sie von einem Gesetzgeber erlassen wurden, denn dann bestünde ihre Geltung nur so lange, bis das Gesetz geändert werde. Bei moralischen Geboten aber, so resümiert Aʿvānī, handele es sich nach Kant, um innere Verpflichtung (elzām darūn ẕehnī), die absolut und für sich selbst gut sind (ʿalā eṭlāq va fī nafsihī ḫeyr va nīk). Daher gelte: Eine jede Handlung muss nicht deshalb ausgeführt werden, weil Gott es von uns verlangt bzw. weil er wollte, dass wir sie ausführen, sondern deshalb, weil sie für sich rechtens und gut ist (fī nafsihī ḥaqq va ḫeyr ast), und wenn das der Fall ist, dann will es auch Gott.790
Aʿvānīs Eintreten für Kants praktische Philosophie äußert sich nicht nur in akademischen Publikationen, der erwähnte Artikel etwa ist in einer Tageszeitung erschienen, sondern auch in ihrer Tätigkeit in Forschung und Lehre.791 Insgesamt zeigt sich in den oben kurz vorgestellten Zugängen zu Kants praktischer Philosophie, dass sie auch dann, wenn sie sich primär mit der Moralbegründung beschäftigen, stets auch auf die Bereiche der Rechtsphilosophie und der politischen Philosophie bezogen sind. Die derzeit umfangreichste iranische Studie auf dem Gebiet der politischen Philosophie Kants aber ist sicherlich Sayyed ʿAlī Maḥmūdīs Falsafe-ye sīyāsī-ye Kānt. Andīše-ye siyāsī dar gostare-ye falsafe-ye naẓarī va falsafe-ye aḫlāqī (Die Politische Philosophie Kants. Politisches Denken im Kontext der theoretischen Phi789 Vgl. Aʿvānī Kānt va ahammīyat-e falsafe-ye aḫlāq (Kant und die Wichtigkeit der Moralphilosophie) in: Rūznāme-ye Īrān (13.4.1387), Online-Version in zwei Teilen unter: http://www.bashgah.net/fa/content/show/22848 und http://www.bashgah.net/fa/content/show/22849 [zuletzt 30.6.2011]. 790 Aʿvānī Kānt va ahammīyat-e falsafe-ye aḫlāq (Kant und die Wichtigkeit der Moralphilosophie) in: rūznāme-ye Irān (13.4.1387), letzter Absatz unten. 791 Vgl. etwa ihren Vortrag Amr-e moṭlaq dar Kānt, den sie im Jahr 1386/2008 an der ʿAllāme Ṭabāṭabāʾī Universität hielt. Eine Audio-Datei des Vortrages ist online zugänglich unter: http://www.bashgah.net/assets/audio/1386/4/11/shahin-avani.mp3 [zuletzt 30.6.2011].
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losophie und Moralphilosophie).792 Der Autor erwarb 1988 seinen M. A. im Fach Politische Philosophie an der Universität York (GB) und promovierte 2002 in Politikwissenschaften am Institute for Humanities and Cultural Studies (Pažūhešgāh-e ʿolūm-e ensānī va moṭālaʿāt-e farhangī), einem dem Iranischen Ministerium für Kultur und Höhere Bildung (Vezārat-e farhang va āmūzeš-e ʿālī) angegliederten Forschungsinstitut, mit der genannten Arbeit zu Kant.793 Sein Werk, auf dessen Argumentationsgang im Folgenden nur kursorisch eingegangen wird, ist eine umfangreiche und allem Anschein nach seriöse Studie zur politischen Dimension der Philosophie Kants. Maḥmūdī betont in seinem Vorwort die Bedeutung des Politischen in der Philosophie Kants und gibt zugleich zu bedenken, dass Kant – zumindest im englischsprachigen Raum, auf den der Autor sich allein bezieht – lange Zeit nicht als politischer Philosoph wahrgenommen worden sei, auch wenn er mit Bezug auf seine Moralphilosophie allgemein als Vordenker des Liberalismus verstanden worden sei, der sein Denken an der Idee der Freiheit orientiere.794 Erst in den 1970er-Jahren habe es ein vermehrtes Interesse an Kant als politischen Philosophen gegeben.795 Der Grund für diese späte Entwicklung liege einerseits daran, dass im anglophonen Raum der Utilitarismus lange Zeit vorherrschend gewesen sei, der Bezug auf Kant sei somit auch als eine Art Gegenbewegung zu dieser Strömung anzusehen.796 Andererseits sei Kant nicht als Autor eines umfangreichen systematischen Werkes zur politischen Philosophie vom Format der drei Kritiken hervorgetreten, was die Schwierigkeit mit sich bringe, dass man eine Theorie der politischen Philosophie aus einer Vielzahl seiner Schriften rekonstruieren müsse. Dabei sei es nicht hinreichend, sich allein auf solche Schriften zu beziehen, die im engeren Sinne als politische Schriften verstanden werden können, von denen zudem ein Großteil nicht in systematischer, auf ein philosophisches Publikum gerichteter Absicht verfasst wurden, sondern eine breitere Leserschaft im Auge habe.797 Vielmehr sei für eine Rekonstruktion von Kants politischem Denken 792 Maḥmūdī (2004). 793 Die biografischen Angaben stammen von der Website Maḥmūdīs http://drmahmoudi.com/ home/fa_index.html [zuletzt 1.7.2011]. 794 Vgl. Vorwort (pīšgoftār) zu Maḥmūdī (2004), 15–47. 795 Maḥmūdī stützt sich in dieser Einschätzung insbesondere auf einen Reviewartikel von Peter P. Nicholson (1975). 796 Er nennt hier explizit John Rawls’ Theory of Justice als ein an Kants deontologische Ethik anknüpfendes, gegen den Utilitarismus gerichtetes Werk von zentraler Bedeutung. Maḥmūdī (2004), 18. 797 Maḥmūdī nennt insgesamt folgende 9 Titel (Artikel und Monografien, aus denen einzelne Kapitel relevant seien), die im engeren Sinne zu Kants politischen Schriften zu rechnen seien: 1) Idee zu einer allgemeinen Geschichte in Weltbürgerlicher Absicht (1784), 2) Beantwortung der
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auch ein Rückgriff auf seine kritischen Hauptwerke vonnöten, denn nur wenn man seine politischen Schriften im Kontext seiner kritischen Philosophie insgesamt – also sowohl der theoretischen wie der praktischen – betrachte, könne man ihre Bedeutung und mithin Kants politisches Denken angemessen verstehen und beurteilen. Für die iranische Gesellschaft, so der Autor, könne eine eingehende Beschäftigung mit Kants politischem Denken von großem Nutzen sein. Doch auch wenn es in den letzten Jahren Fortschritte in der Kantforschung gegeben habe, sei der Themenbereich Politik noch gänzlich unterrepräsentiert.798 Der Autor erläutert im Vorwort zu seiner Studie ausführlich seine Herangehensweise zur Untersuchung von Kants politischem Denken. Neben der Formulierung des Untersuchungsziels, die Rolle des Politischen im Kontext von Kants theoretischer und praktischer Philosophie zu untersuchen, legt er auch Rechenschaft über seine Herangehensweise ab. In seiner Methodenreflexion erläutert er die Schwierigkeit, sich auf eine einzige Untersuchungsmethode festzulegen, da man dadurch Gefahr laufe, bestimmte Aspekte aus dem Blick zu verlieren.799 Maḥmūdī entscheidet sich daher dafür, drei methodische Ansätze zu kombinieren. In einem ersten „hermeneutischen Ansatz“ (fahm-e tafsīrī) beabsichtigt er, die kantschen Texte auf eine Reihe von Kontexten zu beziehen, die das Verständnis ihrer Entstehung und Argumentation erhellen sollen.800 Der zweite „begriffsanalytische Ansatz“ (taḥlīl-e mafhūmī) widme sich der Erläuterung und Diskussion von für das politische Denken Kants zentralen Begriffen, wie „Recht“, „Freiheit“, „Gerechtigkeit“, „Gleichheit“, „Gesetz“, „Frieden“ etc., indem zunächst auf deren allgemeine Bedeutung und Verwendung im Werke Kants hingewiesen und anschließend deren innere Bezüge und Ambiguität diskutiert werde.801 Der dritte Ansatz schließlich bestehe in einer kritischen Evaluation (arzyābī-ye enteqādī), Frage: Was ist Aufklärung (1784), 3) Recensionen von J. G. Herders Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit (1785), 4) Mutmaßlicher Anfang der Menschengeschichte (1786), 5) Was heißt: sich im Denken orientieren? (1786), 6) Über den Gemeinspruch: Das mag in der Theorie richtig sein, taugt aber nicht für die Praxis (1793), 7) Zum Ewigen Frieden. Ein Philosophischer Entwurf (1795), 8) Metaphysik der Sitten (1797), 9) Streit der Fakultäten (1798). 798 Maḥmūdī (2004), 20. 799 „Raveš-šenāsī-ye pažūheš“, Maḥmūdī (2004), 21–36. 800 Er unterscheidet dabei explizit fünf Kontexte (zamīnehā): 1.) Sprachlicher Kontext, der Besonderheiten und Auffälligkeiten der kantschen Sprache berücksichtigt. 2) Philosophischer Kontext, der den Zusammenhang der politischen Schriften mit seiner kritischen Philosophie allgemein berücksichtigt. 3.) Ideengeschichtlicher Kontext, der den Einfluss früherer und zeitgenössischer Denker auf Kant berücksichtigt. 4.) Historischer Kontext, der historische, gesellschaftliche, kulturelle, religiöse, politische und ökonomische Entwicklungen zu Lebzeiten Kants berücksichtigt. 5.) Persönlicher Kontext, der die biografische Besonderheiten Kants berücksichtigt. Vgl. Maḥmūdī (2004), 28f. 801 Maḥmūdī (2004), 29–33.
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in der es darum gehe, Vorannahmen und Grundlagen der kantschen Begrifflichkeit aufzudecken, die Stimmigkeit des politischen Denkens Kants im Zusammenhang kritisch zu überprüfen und nach der Objektivität und Universalität seiner Positionen zu fragen.802 Diesem methodischen Dreischritt (raveš-e segāne-ye pažūheš) entspricht auch die Gliederung seines Werkes in drei Hauptteile. Im ersten Teil mit dem Titel „Kontexte“ (zamīnehā) beabsichtigt der Autor, die Voraussetzungen für Kants politisches Denken aus den Bereichen der theoretischen und praktischen Philosophie darzulegen. Der zweite und bei Weitem umfangreichste Teil mit dem Titel „politische Philosophie“ (falsafe-ye siyāsī) bildet den Kern der Studie. Hier widmet sich Maḥmūdī in zwölf Kapiteln der Darstellung, Erläuterung und Kritik verschiedener Aspekte von Kants politischem Denken. Der dritte Teil stellt ein umfassendes Resümee (barāyand) der Untersuchung dar, das der Autor in zwei Abschnitte gliedert. Der erste Abschnitt „Lehren der politischen Philosophie Kants“ (āmūzehā-ye falsafe-ye siyāsī-ye Kānt) fasst die Ergebnisse des vorangegangenen Teils entsprechend den zwölf Kapiteln in zwölf Punkten zusammen, der zweite Abschnitt „Defizite und Vorzüge der politischen Philosophie Kants“ (tangnāhā va šāyestegīhā-ye falsafe-ye sīyāsī-ye Kānt) resümiert und diskutiert die Resultate der kritischen Evaluationen, die der Autor zumeist am Ende jedes Kapitels des zweiten Teils vornahm, wobei er folgende vier Arbeitshypothesen (farżīyehā-ye pažūheš), die er bereits in seinem Vorwort artikulierte, bestätigt: 1) Das politische Denken Kants gründet auf dem Fundament seiner theoretischen und praktischen Philosophie. 2) Das politische Denken Kants ist teilweise mit Unstimmigkeiten (nāsāzegārīhā) behaftet, also widersprüchlich (motanāqeż) bzw. paradox (motanāqeżnamā). 3) Das politische Denken Kants entbehrt mitunter der Objektivität (ʿeynīyat) und der Universalität (kollīyat) und steht unter direktem Einfluss von Ereignissen (roḫdādhā) und Entwicklungen (degargūnīhā) im Europa des 18. Jahrhunderts. 4) Das politische Denken Kants kann man aufgrund seiner Disparatheit und seines unsystematischen Charakters nicht als „Herrschaftstheorie“ betrachten. Die bisher vorgestellten Schriften zu Kants praktischem und politischem Denken machen deutlich, dass es in Iran eine ganze Reihe von unterschiedlichen Zugängen gibt, die sich mit je eigenem Erkenntnisinteresse der Thematik nähern. Während Denker wie Meṣbāḥ Yazdī und Moḥammadrezāʾī dem Denken Kants mit einer Grundskepsis gegenüberstehen, wobei sie nicht selten Konflikte mit der islamischen Tradition konstatieren, verfolgen Aʿvānī und Ṣāneʿī in ihren Kantdiskussionen die Absicht, Kants praktisches Denken affirmativ als geeignete Grund802 Maḥmūdī (2004), 33–36.
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lage für ein auf Subjektivität und Menschenrechte hin orientiertes Rechts- und Staatsdenken auszuweisen, wobei sie gerade keinen grundsätzlichen Konflikt mit der islamischen Tradition ausmachen. Maḥmūdīs umfangreiche Studie hebt sich hinsichtlich ihrer Intention von diesen Zugängen ab. War es doch Maḥmūdīs Anliegen, Kants politische Philosophie in ihrem entwicklungsgeschichtlichen Kontext kritisch zu prüfen, ohne dabei auf eine Widerlegung oder eine Affirmation hinaus zu wollen.
5.2.3 Positionen zu Kants Verhältnis zur Religion Auseinandersetzungen mit dem Verhältnis des kantschen Denkens zur Religion im Allgemeinen und mit seiner Religionsschrift im Besonderen sind im iranischen Kontext vielfältig. Im weitesten Sinne ließen sich auch all jene Werke zu diesem Themenkomplex hinzurechnen, die sich speziell mit Kants Kritik des ontologischen Gottesbeweises beschäftigen. Zwar behandelte Kant diese Thematik in der Dialektik der KrV in seinem Argumentationsgang als ein Erkenntnisproblem, doch zielte die Kritik an den Beweisgängen nicht zuletzt gegen das, was er unter dogmatischer Theologie verstand. Für viele der Kantrezipienten, die dieser kantschen Kritik an den Gottesbeweisen entgegentraten, ist diese Frage durchaus nicht nur eine gnoseologische, sondern eine theologische und damit auch religiöse. Im Folgenden aber sollen diese Schriften nicht noch einmal eigens erwähnt werden.803 Hingewiesen wird vielmehr auf solche Zugänge, die konkret aus der Perspektive der Moralphilosophie die Frage nach der Religion bei Kant thematisieren. Moḥammadreżāʾī etwa wendet sich am Ende der bereits erwähnten Monografie der Frage der Stellung der Religion im Denken Kants zu. Im letzten Abschnitt des vorletzten Kapitels (faṣl-e 15/7 voǧūd-e ḫodā/Kap. 15.7. Dasein Gottes) kommt er auf die Frage der Existenz Gottes und ihrer Konsequenz für die praktische Philosophie zu sprechen.804 Das letzte Kapitel aḫlāq va dīn (Kap. 16. Moral und Religion) schließlich nimmt sich explizit der Frage nach dem Zusammenhang von Religion und Moral in Kants Denken an und endet mit einer kritischen Einschätzung.805 Auch Moḥammadreżāʾīs Aufsatz Āzādī az dīdgāh-e Kānt (Freiheit aus der Sicht Kants) widmet sich letztlich der Frage der Stellung der Religion bei Kant.806
803 Zur Gottesbeweisthematik vgl. oben 4.2. 804 Moḥammadreżāʾī (2000/1), 249–255. 805 Moḥammadreżāʾī (2000/1), 263–286. 806 Siehe dazu unten 5.3.
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Zu einer gänzlich positiven Einschätzung kommt demgegenüber Ṣāneʿī in seiner oben genannten Schrift „Die Stellung des Menschen im Denken Kants“, in deren 5. Kapitel ensān va olūhīyat (Mensch und Göttlichkeit) der Autor neben der Unerkennbarkeit Gottes für die theoretische Vernunft die Notwendigkeit der Gottesidee erörtert. Daran anschließend thematisiert er die Zweckmäßigkeit des religiösen Glaubens als Vernunftreligion und die Kritik an Kirche und „Pfaffentum“ (rūḥānīyat).807 Dies geschieht mit Bezug auf die von ihm selbst übersetzte Religionsschrift, wobei er in einer Anmerkung darauf hinweist, dass Kant mit dem Begriff „Kirche“ letztlich die Institution der Geistlichkeit (sāzemān-e rūḥānīyat) einer jeden Religion im Sinn gehabt habe.808 Auch Maḥmūdī widmet der Frage der Religion bei Kant ein eigenes Kapitel seiner Monografie, mit dem Titel Nehād-e dīn va nehād-e siyāsat (Die Stellung der Religion und die Stellung der Politik), in dem er seinem allgemeinen Untersuchungsgegenstand entsprechend, insbesondere nach Kants Position zum Verhältnis der Institutionen der Kirche und des Staates fragt.809 Eine für die Frage nach der Religion im Denken Kants ebenfalls erwähnenswerte Schrift ist die unveröffentlichte Dissertation von Aḥmad ʿAlī Akbar Mesgarī mit dem Titel Dīn dar ḥodūd-e aql tanhā dar falsafe-ye Kānt va sābeqe-ye ān dar aṣl-e roušangarī (Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft und ihre Vorläufer im Zeitalter der Aufklärung), die der heute als Philosophieprofessor an der Tehe-
807 Ṣāneʿī (1384/2005), 95–108. 808 Ṣāneʿī (1384/2005), 104 Anm. 1. Diese scheinbar beiläufige Anmerkung ist für den Diskurskontext Irans äußerst aufschlussreich. Der Autor gibt dort nämlich an, dass er selbst in seiner Diskussion, wann immer er das Wort „Kirche“ (kelīsā) verwende, damit die Institution der Geistlichkeit im Christentum meine, während Kant selbige Institution in allen Religionen gemeint habe. Damit kann er dem Vorwurf vorbeugen, dass er mit seiner Diskussion eine Kritik der Regierungsklerus in Iran beabsichtigt habe, macht aber gleichzeitig implizit deutlich, dass man sie im Sinne Kants letztlich so verstehen könne. Interessant ist auch seine Übersetzung des von Kant an sich pejorativ gebrauchten Ausdrucks „Pfaffentum“ mit dem neutralen Terminus rūḥānīyat (eigentlich „Geistlichkeit“). Auch wenn nicht geklärt ist, ob dem Übersetzer diese Nuance bekannt ist, so ist doch für den iranischen Kontext interessant, dass der Begriff rūḥānīyat für viele und gerade für religiöse Kritiker des Klerus in Iran einen eben solchen pejorativen Beigeschmack hat. Diese Wertung des Begriffs geht nicht zuletzt auf eine Kritik ʿAlī Šarīʿatīs zurück, der einen „Islam ohne Geistlichkeit“ (eslām menhā-ye rūḥānīyat) forderte, ohne damit allerdings die Notwendigkeit einer religiös-politischen Führungsperson zu bestreiten. Was Kants Verwendung des Begriffes „Pfaffentum“ betrifft, so zeigt sich den Diskurskontext betreffend eine erhellende Parallele zu Ṣāneʿī. Denn während Kant den Begriff durchweg in „tadelndem“ Sinne gebraucht, so sieht auch er sich genötigt, in einer Fußnote anzumerken, das der Begriff nicht per se „die Bedeutung eines Tadels“ enthalte. Vgl. Kant Rel. AA VI 175 Anm. 1. 809 Maḥmūdī (2004), 419–452.
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raner Šahīd Beheštī Universität tätige Mesgarī im Jahre 1378/2000 an der Uni Teheran einreichte.810 Besondere Erwähnung verdient schließlich noch die Monografie von Reżā Baḫšāyeš mit dem Titel ʿAql va dīn az dīdgāh-e Kānt (Vernunft und Religion aus der Sicht Kants).811 Diese Studie, die der Autor für das in Qom ansässige Forschungsinstitut Ḥouze va dānešgāh angefertigt hat, ist eine textnahe Interpretation der Fragen nach Gott und der Rolle der Religion bei Kant. Sie gliedert sich in zwei Teile. Der erste Teil diskutiert die Fragen im Kontext der theoretischen Philosophie. Nach einführenden Kapiteln zu einigen zentralen Begriffen der kantschen Erkenntniskritik,812 wendet sich der Autor der Diskussion der Religion insbesondere mit Bezug auf den Gottesbegriff im Kontext der theoretischen Schriften zu,813 wobei er schließlich die kantsche Kritik des ontologischen Gottesbeweises in der Kritik der reinen Vernunft814 und die kantsche Diskussion der Unterscheidung zwischen Deismus und Theismus sowie Kants Ansatz einer „Gotteserkenntnis“ als Analogie behandelt.815 Der zweite Teil ʿAqlānīyat-e ʿamalī va dīn (Praktische Rationalität und Religion) ist der praktischen Philosophie gewidmet. Hier diskutiert Baḫšāyeš den Gottes- und Religionsbegriff, nach deren vorgängiger Erörterung im Rahmen der KpV,816 vor allem mit Bezug auf die Religionsschrift und einen einschlägigen Abschnitt in Kants Vorlesung über Ethik. Er erörtert u. a. die kantsche Unterscheidung zwischen „natürlicher Religion“ (dīn-e ṭabīʿī), Offenbarungsreligion (dīn-e vaḥīyānī) und Gelehrtenreligion (dīn-e taʿlīmī) bzw. – mit 810 Diese von Moḥsen Ǧahāngīrī, Aḥmad Aḥmadī und Reżā Dāvarī betreute Dissertation lag mir leider nicht vor. Siehe unten 8.4.4, Mesgarī (1378/1999). 811 Baḫšāyeš (1385/2006-7). 812 Kap. 1 ʿAql [Vernunft] vgl. Baḫšāyeš (1385/2006-7), 21–32; Kap. 2 Obže, taqsīmbandī-ye aḥkām, ḥessīyāt-e esteʿlāʾī, raveš-e riyāżī va raveš-e falsafī [Objekt, Einteilung der Urteile, Transzendentale Ästhetik, mathematische Methode und philosophische Methode], vgl. Baḫšāyeš (1385/2006-7), 33–42; Kap. 3 ʿAql be maʿnā-ye aʿamm (fāheme) va dīn [Vernunft im weiterem Sinne (Verstand) und Religion], vgl. Baḫšāyeš (1385/2006-7), 43–62. 813 Kap. 5 ʿAql be maʿnā-ye aḫaṣṣ (ʿaql-e maḥż) va dīn [Vernunft im engeren Sinne (reine Vernunft) und Religion], vgl. Baḫšāyeš (1385/2006-7), 69–80; Kap. 6 Ǧadal-e esteʿlāʾī [Transzendentale Dialektik], vgl. Baḫšāyeš (1385/2006-7), 81–90; Kap. 7 Īde-ye maḥż-e ḫodā, borhān-e voǧūdī va borhān-e ḥekmat [Reine Idee Gottes, Ontologischer Beweis und Weisheitsbeweis (gemeint ist der physiko-theologische Beweis R.S.)], vgl. ebd., 91–98; Kap. 8 ʿAqlānīyat az rāh-e tamas̱s̱ol [Vernünftigkeit durch Analogie], vgl. ebd. 99–104. 814 Wobei er das Argument in der kantschen Kritik am ontologischen Beweis, das Sein sei kein reales Prädikat, anders als Ḥāʾrī dahingehend versteht, dass sich die Verneinung nur auf das Attribut „real“, nicht aber auf „Prädikat“ überhaupt beziehe. Vgl. Baḫšāyeš (1385/2006-7), 97. 815 Hier bezieht er sich auf Prolegomena („Der Transzendentalen Hauptfrage dritter Teil/III. Theologische Idee §§ 57f.). 816 Kap. 9 Falsafe-ye aḫlāq-e Kānt (Die Moralphilosophie Kants), vgl. Baḫšāyeš (1385/2006-7), 107–126. Kap. 10 Ḫodā-ye aḫlāqī-ye Kānt (Kants moralischer Gott), vgl. ebd. 127–134.
Iranische Zugänge zur praktischen Philosophie Kants
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Bezug auf die Vorlesung – die Unterscheidung zwischen natürlicher und übernatürlicher Religion.817 Des Weiteren geht der Autor auf Kants Interpretation christlicher Lehren und Institutionen ein, die sich sowohl in der Religionsschrift als auch in der Vorlesung finden.818 Auffällig an Baḫšayešs Diskussion ist die bereits im Vorwort angedeutete Stoßrichtung der Interpretation, in der er zwar durch den Nachvollzug der kantschen Argumentation deutlich macht, dass Kant in seiner kritischen Moral- und Religionsphilosophie explizit von einem Primat der Vernunft vor der Religion bzw. dem Glauben (īmān) oder der Frömmigkeit (taʿabbod) ausgehe, implizit aber in gewisser Weise umgekehrt die Notwendigkeit eines übernatürlichen Glaubens voraussetze. So schreibt er etwa im Kapitel Dīn az naẓar-e Kānt (Religion aus der Sicht Kants): Möglicherweise meint Kant, dass die Vernunft, vor der Stufe der natürlichen Religion (qabl az martabe-ye dīn-e ṭabīʿī) den Mangel (naqṣ) der natürlichen Religion und ihre Bedürftigkeit nach einer übernatürlichen Religion empfindet (eḥsās mikonad) und diese daher als eine notwendige Bedingung (šarṭ-e lāzem) für die natürliche Religion ansieht (…).819
Nachdem die Vernunft aber die Stufe der natürlichen Religion erreicht habe, so Baḫšāyeš weiter, sehe es die Vernunft als notwendig an, eben jene übernatürliche Religion auf Grundlage der natürlichen zu deuten, um sie in den Grenzen der reinen Vernunft zu halten.820 Im Schlusswort seiner Abhandlung geht er mit dieser eher vorsichtig formulierten Deutung noch weiter und nimmt eine Entwicklung im Denken Kants hin zu einem eigentlichen Primat der Religion vor der Vernunft an, wenn er sein Buch mit folgendem Fazit beschließt: Kant legt in seinem Buch Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft religiöse Begriffe auf Grundlage der reinen praktischen Vernunft und seines moralischen Systems aus. In der Folge kommt Kant der himmlischen Religion (dīn-e āsemānī) näher und näher bis er sich schließlich im Buch eine Vorlesung über Ethik zu einem fest an Gott und seine Eigenschaften überzeugten Menschen wandelt. Kant begründet dort, wo er von der reinen praktischen Vernunft spricht, den Vorrang der Vernunft vor der Religion, dort aber wo er Gott und seinen Eigenschaften näherkommt, neigt er zum Vorrang der Religion bzw. Religiosität vor der Vernunft bzw. Rationalität.821
817 Kap. 11 Dīn az naẓar-e Kānt (Religion aus der Sicht Kants), ebd. 135–142. 818 Kap. 12 Namūnehāʾī az āmūzehā-ye dīnī dar tafsīr-e ʿaql-e maḥż (Beispiele religiöser Lehren ausgelegt durch die reine Vernunft), ebd. 143–151; Kap. 13 Dīn-e ṭabīʿī-ye ʿaqlānī va dīn-e āsemānīye vaḥiyānī (Natürliche Vernunftreligion und himmlische Offenbarungsreligion), ebd. 152–164. 819 Baḫšāyeš (1385/2006-7), 139. 820 ebd. 821 Baḫšāyeš (1385/2006-7), 168.
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Moral, Politik und Religion
Ungeachtet der Frage, inwiefern sich eine solche Deutung begründen lässt, ist hier aber die rein äußerliche Tatsache irritierend, dass der Autor offenbar eine falsche Chronologie zugrunde zu legen scheint. Immerhin handelt es sich bei der Vorlesung nicht nur nicht um ein eigentliches Werk Kants, sondern eben um eine Vorlesungsreihe, die zudem deutlich vor der Religionsschrift, nämlich vermutlich zwischen 1773 und 1775, gehalten wurde, also noch in die ausgehende vorkritische Phase fällt.822 Dennoch ist Baḫšāyešs Deutung für den iranischen Kontext bemerkenswert, da es ihr nicht um eine radikale Kritik oder Widerlegung geht, sondern sie vielmehr den Versuch unternimmt, die kantsche Moral- und Religionsphilosophie im Sinne einer an der Offenbarung orientierten Religiosität auszulegen, ohne damit wohlgemerkt die zentrale Rolle des Vorrangs der Vernunft gänzlich widerlegen zu wollen.823
5.3 Diskussionen des kantschen Freiheitsbegriffs Die oben vorgestellte Auswahl iranischer Zugänge zur praktischen Philosophie Kants machte bereits deutlich, dass die Themen Moralbegründung, Politik und Religion meist nicht unabhängig voneinander abgehandelt werden, sondern vielfach aufeinander bezogen und verschränkt sind. Ein vergleichender Blick auf Diskussionen und Rezeptionen des kantschen Freiheitsbegriffs soll im Folgenden noch einmal exemplarisch verdeutlichen, wie der Zugang zur Moralbegründung und der Politik- und Religionsbegriff einzelner Interpreten sich wechselseitig bestimmen können. Auch hier werden nur exemplarische Positionen behandelt und es wird keine erschöpfende Darstellung angestrebt. Dass aber die Diskussion des Freiheitsbegriffs eine zentrale Rolle sowohl im intellektuellen als auch politischen Diskurs in Iran spielt, zeigt sich nicht zuletzt an einer Vielzahl von
822 Ein Umstand, der dem Autor nicht hätte verborgen bleiben müssen, da er die Übersetzung Ṣāneʿīs verwendete, der in seinem Vorwort den Zeitraum, in den die Vorlesung vermutlich fiel, erwähnt (er spricht von 1775–1780). Vgl. Kant/Sāneʿī (1378/1999), 5. 823 Baḫšāyeš Zugang zeigt damit eine gewisse Nähe zu westlichen Kantinterpreten, die Kant aufgrund seiner offenkundigen Frömmigkeit und seiner positiven Bezugnahme auf die Bibel (etwa in der Religionsschrift) als einen Philosophen im Sinne des Christentums deuten, zuweilen mit gewissen konfessionellen Untertönen. Die interessanten und sehr kenntnisreichen Arbeiten von Norbert Fischer, Professor für philosophische Grundfragen der Theologie (Eichstätt), seien hier exemplarisch genannt. Er versucht meist eine Übereinstimmung von kantschen Lehren mit dem Katholizismus (gerade nicht Protestantismus) herauszuarbeiten, ohne freilich Kant offen als „katholischen Denker“ auszugeben. Vgl. dazu beispielhaft u. a. seinen Beitrag im Tagungsband Die Gottesfrage in der Philosophie Immanuel Kants; Fischer/Forscher (2010). Nicht alle Beitragenden argumentieren indes in diese Richtung.
Diskussionen des kantschen Freiheitsbegriffs
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Publikationen, die den Begriff Freiheit im Titel führen, nicht selten in Verbindung mit dem Begriff Religion.
5.3.1 Kants Begriff der Freiheit im Kontext seiner praktischen Philosophie Die Frage, was unter dem Begriff der Freiheit zu verstehen sei und welche Konsequenzen ein spezifisches Freiheitsverständnis für den in der Welt handelnden Menschen allgemein oder in speziellen Kontexten nach sich zieht, gehören sicherlich zu den wichtigsten und kontroversesten Debatten in der Philosophie. Die seit einigen Jahren publizistisch ausgefochtenen Dispute zwischen Neurowissenschaftlern und Philosophen zur Willensfreiheit zeugen auf ihre Weise eindringlich von der Aktualität dieser Frage. Die Diskussionen zur Freiheit findet dabei zwischen zwei Grundpositionen statt: Auf der einen Seite die des Determinismus, die entweder von einer grundsätzlichen und allgemeingültigen Naturkausalität ausgeht oder – im theologischen Kontext – von einer Bestimmung allen Geschehens in der Welt durch einen allmächtigen Gott, sodass es in letzter Konsequenz nicht möglich ist, den Begriff der Freiheit zu begründen. Auf der anderen Seite steht der Indeterminismus, der die Begründung der Freiheit des Menschen für möglich, denkbar oder notwendig und die Behauptung von der durchgängigen Bestimmung allen Geschehens durch Naturkausalität bzw. durch Gott für widersprüchlich hält. Kant nimmt in dieser Frage eine Mittlerposition ein.824 Seine Überlegungen zu dieser Pattsituation zwischen Deterministen und Indeterministen präsentiert er zunächst im Kontext der Kritik der reinen Vernunft und zwar im zweiten Hauptstück der Transzendentalen Dialektik, der Antinomie der reinen Vernunft. In der Auflösung der dritten Antinomie825 bringt er das Problem auf den Punkt: Entweder es kann keine Freiheit geben, da alles durch Naturkausalität bestimmt ist, oder aber es muss noch eine zweite Art der Kausalität geben, nämlich eine Kausalität aus Freiheit. Diese, so seine These, lasse sich widerspruchsfrei denken und müsse nicht notgedrungen das Prinzip der Naturkausalität, an dem er unmissverständlich festhält, ausschließen. Wichtig sei hierbei die Perspektive, die man auf die Frage der Kausalität und der Freiheit einnehme. Auf der rein sinnlichen, phänomenalen Betrachtungsebene lasse sich das Prinzip der Freiheit nicht begründen, denn für diese sei das Prinzip der Naturkausalität uneingeschränkt gültig und somit könne Freiheit nicht Gegenstand der Erfahrung werden. Die Freiheit ist vielmehr als transzendentale Idee, als Vernunftbegriff zu verstehen. Aus dieser 824 Einführend zur Frage der Freiheit bei Kant vgl. Klemme (2004), 54–64. 825 KrV A 532/B560 – A 558/B 586.
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noumenalen Perspektive lasse sich die Freiheit als ein Vermögen denken, „einen Zustand von selbst anzufangen“.826 So betrachtet handelt es sich um das Verhältnis, in das sich der Mensch als Vernunftwesen zur Welt setzt.827 Die Argumentation Kants im Antinomiekapitel beabsichtigt zunächst lediglich, diese Denkmöglichkeit zu beweisen und damit zu verdeutlichen, dass sich Freiheit und Naturkausalität nicht grundsätzlich ausschließen. Die Frage, inwiefern Freiheit nicht bloß möglich, sondern wirklich ist, ist Gegenstand der praktischen Philosophie Kants. Im zweiten Hauptstück der Methodenlehre der KrV, „Der Kanon der reinen Vernunft“, das wie bereits erwähnt den Übergang von der theoretischen zur praktischen Philosophie im kritischen Projekt Kants markiert, hebt Kant mit dem Lehrsatz „Praktisch ist alles, was durch Freiheit möglich ist“828 die zentrale Rolle des Freiheitsbegriffs für das praktische Denken überhaupt hervor. Darauf folgend deutet er einen Wirklichkeitsbeweis der Freiheit an, der sich aber am Prinzip der Lust und Unlust orientiert, und praktische Gesetze als Mittel zum Erreichen des Glücks versteht. Kant argumentiert hier also nicht transzendental, weil er in der KrV noch davon ausgeht, dass praktische Begriffe nicht mehr eigentlich in den Bereich der Transzendentalphilosophie, die sich nur mit Erkenntnissen a priori befasst, gehörten.829 In der Grundlegung und der Kritik der praktischen Vernunft revidiert er diese Position, indem er die Moral gerade transzendentalphilosophisch, also a priori, zu begründen bestrebt ist. Kant unterscheidet dabei zunächst zwischen einer negativen und einer positiven Bedeutung der praktischen Freiheit. Wobei es sich bei der „negativen Freiheit“ um ein Distanzierungsvermögen der freien Willkür handelt, die es uns ermöglicht, uns gegen Einflüsse der Sinnlichkeit, wie Neigungen oder Leidenschaften, zur Wehr zu setzen. Dieser negative Freiheitsbegriff steht in der ersten Kritik im Fokus der Argumentation Kants.830 In der Grundlegung und der KpV steht demgegenüber die positive Freiheit im Zentrum der Argumentation. Diese geht über ein reines Distanzierungsvermögen hinaus. Sie besteht vielmehr darin, dass der Mensch in der Lage ist, sich selbst ein formales Gesetz zu geben, das den Gebrauch seiner freien Willkür bestimmt. Die positive Bedeutung der Freiheit läuft also auf den für die kantsche Ethik zentralen Begriff der Autonomie hinaus. Freiheit und das moralische Gesetz stehen für Kant also in
826 KrV A 533/B561. 827 Vgl. Klemme (2004), 57. 828 KrV A 800/B 828. 829 Vgl. KrV A 801/B 829 Anm. 1. 830 Vgl. etwa Kants „Definition“ der praktischen Freiheit in der Auflösung der dritten Antinomie: „Die Freiheit im praktischen Verstande ist die Unabhängigkeit der Willkür von der Nötigung durch Antriebe der Sinnlichkeit.“ KrV A 534/B 562.
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einem engen Begründungszusammenhang. Dabei geht Kant in der Grundlegung und KpV von zwei verschiedenen Begründungsverhältnissen, also letztlich von zwei verschiedenen Wirklichkeitsbeweisen der Freiheit aus. Während er in der Grundlegung von der Freiheit des Denkens (Spontaneität) als Erkenntnisgrund des moralischen Gesetzes ausgeht, die die Geltung des Gesetzes nicht bereits vorgängig voraussetzt,831 sondern es über die anzunehmende Freiheit beweisen will, wählt er in der zweiten Kritik den umgekehrten Weg: Den Menschen sei das moralische Gesetz als „Faktum der Vernunft“ unmittelbar bewusst, woraus sich die Freiheit des Willens begründen lasse. Kants Diskussionen der Freiheit und seine verschiedenen, hier nur kurz angedeuteten, Argumentationsansätze in ihrem Verhältnis zur Moralität sind bis heute Gegenstand kontroverser Debatten. Zudem ergeben sich zusätzlich Fragen nach den Konsequenzen, die seine Freiheitsbegriffe für die Anwendung der Moral in konkreten Handlungsfeldern wie Politik, Religion oder das zwischenmenschliche Miteinander mit sich bringen. Fragen, auf die Kant in seinen späteren praktischen Schriften nach Antworten sucht. Auch unter iranischen Kantinterpreten werden der Begriff der Freiheit und seine Implikationen für Politik und Religion kontrovers diskutiert. Das soll im Folgenden beispielhaft in zwei Schritten verdeutlicht werden. Zunächst anhand von zwei in Ansatz und Intention unterschiedlichen Diskussionen zu Kants Freiheitsbegriff selbst und anschließend durch zwei weitere, nicht mehr unmittelbar auf Kant bezogene, prominente Positionen aus dem religiös-politischen Diskurs in Iran, die sehr anschaulich zeigen, welch unterschiedliche Konsequenzen die verschiedenen Haltungen zum Freiheitsbegriff nach sich ziehen können.
5.3.2 Zwei Positionen zeitgenössischer iranischer Interpreten zur kantschen Freiheitsdiskussion (Manūčehr Ṣāneʿī Darrebīdī und Moḥammad Moḥammadreżāʾī) In einem Beitrag in der Zeitschrift Nāme-ye falsafe mit dem Titel Eḫtiyār va āzādī dar falsafe-ye Kānt (Wahl und Freiheit in der Philosophie Kants)832 erörtert Manūčehr Ṣāneʿī Darrebīdī sein Verständnis der Begründung und Bedeutung des kantschen Freiheitsbegriffs. Er beginnt seine Erörterungen mit der Feststellung, dass die Freiheitsdiskussion ursprünglich eher im Rahmen der Theologie denn der Philosophie verhandelt worden sei. So komme etwa Aristoteles 831 Der einschlägige Abschnitt in der Grundlegung trägt den Titel „Freiheit muss als Eigenschaft des Willens aller vernünftigen Wesen vorausgesetzt werden“. GMS AA IV 447f. 832 Ṣāneʿī (1378/2000).
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im dritten Buch der Nikomachischen Ethik zwar auf das Problem der Wahlfreiheit (eḫtiyār)833 zu sprechen, doch handele er es verhältnismäßig knapp ab und weise ihm keine zentrale Bedeutung in seinem moralischen System zu.834 In der „christlich-islamischen Theologie“ (elāhīyāt-e masīḥī-eslāmī) hingegen sei diese Thematik virulent: Da Gott ein Wille (erāde) zugesprochen werde, stelle sich die Frage der Wahlfreiheit (eḫtiyār) beim Menschen. Daraus sei die in der Theologie bedeutende Diskussion um Determinismus (ǧabr) und Wahlfreiheit entstanden. Hier bezieht sich Ṣāneʿī auf die im Kontext der islamischen Theologie sehr prominente Diskussion zum Verhältnis menschlicher Willensfreiheit und göttlicher Vorherbestimmung, die insbesondere zwischen den Anhängern der als rationalistischen Schule der Muʿtazila und der eher traditionalistischen Schule der Ašʿarīya ausgetragen wurde. Die Annahme der Willensfreiheit war für das allgemeine theologische Gerüst der Muʿtazila von zentraler Bedeutung. In ihrem kausal-rationalistischen Weltbild hätte es der Gerechtigkeit Gottes – die neben der Einheit (tauḥīd) Gottes zu ihren wichtigsten Prinzipien gehörte – widersprochen, wenn dieser den Menschen im Jenseits für Handlungen bestrafte, die der Mensch nicht aufgrund seines eigenen Vermögens (qudra), seiner freien Wahl (iḫtiyār) bzw. seines Willens (irāda) zur jeweiligen Handlung vollzog. Aufbauend auf diese Annahmen entwickelten die Muʿtaziliten unterschiedliche theologische Systeme, die dem Grundsatz der menschlichen Willensfreiheit gerecht werden sollten.835 Für die Ašʿariten war diese Art der Argumentation gleichbedeutend mit der Negierung der göttlichen Allmacht, was für sie inakzeptabel war. Dennoch wollten auch sie dem Prinzip Rechnung tragen, dass der Mensch für seine eigenen Taten verantwortlich sein müsse, sodass sie eine Form der Wahl für den Menschen akzeptierten. Der Ansatz Abū l-Ḥasan al-Ašʿarīs (st. 324/946), des Begründers dieser Schule, und seiner Anhänger war es, die muʿtazilitischen Lehren selbst mit rationalen Methoden zu widerlegen. In einer komplizierten Doktrin des Erwerbs (kasb) einer Handlung versuchten sie das Dogma vom ewigen göttlichen Wirken 833 Der Autor macht hier nicht deutlich, auf welchen aristotelischen Begriff er sich bezieht, infrage kommen vermutlich die Begriffe εκούσιον und προαίρεσις, die in der Regel mit Freiwilligkeit und Wahl(entscheidung) wiedergegeben werden. Zu dieser Begrifflichkeit bei Aristoteles vgl. Rapp (2010), 109–133; Ottfried Höffe (1996), 199–207. 834 Ṣāneʿī (1378/2000), 89f. Zweifellos kommt dem Freiheitsgedanken bei Aristoteles nicht die gleiche systematische Stellung zu wie in Kants Moralbegründung. Ob die Freiheitsdiskussion bei Aristoteles tatsächlich so marginal ist wie der Autor andeutet, mag dahingestellt sein. Instruktiv und mit Bezug zu Kant vgl. zum Begriff der Freiheit in der aristotelischen Ethik: Derbolav (1966). 835 Allgemein zum muʿtazilitischen Prinzip der Willensfreiheit und ihrer Ableitung aus dem Prinzip der Gerechtigkeit vgl. Gimaret (1980), 3–60; Nagel (1994), 110–114; Schmidtke (1991), 99– 135 (insbes. 125ff.); zu Willensfreiheit bei der Bahšamīya vgl. Frank (1971); Peters (1976), 194–223. Sehr ausführlich besonders für die frühe Diskussion vgl. van Ess (1991-97).
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mit der Wahlfreiheit zu verbinden, indem sie die Ansicht vertraten, dass die Freiheit allein darin bestehe, eine jeweils konkrete, dem Menschen von Gott zur Verfügung gestellte Handlungsoption zu ergreifen. Auch das Vermögen (qudra) sich diese Handlung anzueignen, werde von Gott im Moment der Wahl geschaffen, sodass die göttliche Allmacht in jedem Falle gewahrt bleibe. Die Wahl bestehe demnach nicht zwischen einer Vielzahl verschiedener Handlungsoptionen und das Vermögen bestehe nicht darin, aus sich selbst heraus Handlungen bewirken zu können.836 Ṣāneʿī wählt nun, anders als viele islamische Reformdenker, nicht die Argumentationsstrategie, seine Freiheitsvorstellungen mit Bezug auf muʿtazilitisches Denken zu begründen. Er weist lediglich auf diese Diskussion hin und ordnet sie dem theologischen Diskurs zu, um sich anschließend gleich auf Kant zu berufen. Für die Philosophie habe erst Kant die Frage der Freiheit mit aller Entschiedenheit ins Zentrum einer Moralbegründung gestellt. Wobei er sich weniger auf die theologische Diskussion bezogen habe, als auf Vorläufer aus der Philosophie der Neuzeit. Die Diskussion der Freiheit bei Kant beginnt Ṣāneʿī interessanterweise mit Bezug auf die Metaphysik der Sitten von der Perspektive des Rechts her, indem er zunächst die kantsche Unterscheidung in ein Naturrecht (ḥoqūq-e feṭrī) und ein positives bzw. statutarisches Recht (ḥoqūq-e vażʿī) nennt, um anschließend hervorzuheben, dass Kant die Freiheit als das einzige Recht bezeichne, das ihm aufgrund seines Menschseins zukomme.837 Das deutet bereits die interpretative Stoßrichtung an, die der Autor im Artikel einnimmt. Er kommt darin durchaus auf einige Grundaspekte des kantschen Freiheitsbegriffs und seiner Bedeutung für die Moralbegründung zu sprechen. So nennt Ṣāneʿī Kants Unterscheidung in zwei Formen der Kausalität – Kausalität aus Freiheit (ʿellīyat-e erāde) und Naturkausalität (ʿellīyat-e ṭabīʿī) – und Kants Ansicht, dass man Handlungen sowohl „noumenal“ bzw. für sich (fī nafsihī) als auch phänomenal betrachten könne. Auch die Unterscheidung zwischen negativer Freiheit (eḫtiyār-e manfī) und positiver Freiheit (eḫtiyār-e mos̱bat) wird vom Autor erläutert. Die positive Freiheit, die ein Spezifikum des Menschen sei, entspringe dem Willen, der nach Kant nichts anderes sei als praktische Vernunft. Das höchste Ziel der praktischen Vernunft sei der „gute Wille“, der darin bestehe, allein nach dem (moralischen) Gesetz handeln zu wollen. Die positive Freiheit bestehe also im Vermögen, sich nur durch das moralische Gesetz bestimmen zu lassen.838 Ṣāneʿīs bisweilen elliptische Darstellung dient aber insgesamt weniger dem Zweck, den systematischen Zusammenhang zwischen Freiheit und dem mora836 Zu Ašʿarīs Handlungstheorie vgl. Gimaret (1980), 61–91; Abrahamov (1989). 837 Ṣāneʿī (1378/2000), 92f. Die einschlägige Stelle bei Kant ist MS AA VI, 237. 838 Ṣāneʿī (1378/2000), 93f.
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lischen Gesetz im Detail zu diskutieren. Vielmehr will er auf eine konkrete politische Konsequenz hinaus. Da nämlich eine Handlung nur dann frei und damit vernünftig sei, wenn sie dem moralischen Gesetz entspreche, sei diktatorische Herrschaft unmoralisch. Der Diktator handle letztlich nicht frei, sondern aus Neigung: Da er die natürliche Freiheit der Menschen missachte, handle er nicht nach dem moralischen Gesetz, sondern aus Eigennutz. Diktatorische Herrschaft widerspreche also der Vernunft und da Vernunft zum Wesen des Menschen gehöre, sei eine solche Herrschaft aus Sicht Kants auch unmenschlich (leẕā īn ḥokūmathā (…) az naẓar-e Kānt żedd-e bašarī banā šodeʾand).839 Zur weiteren Begründung dieser Deutung verweist Ṣāneʿī auf die Selbstzweckformel des kategorischen Imperativs. Die politische Intention des Artikels wird weiter deutlich, wenn der Autor auf den Begriff der Autonomie zu sprechen kommt. Diese bestehe in der Unabhängigkeit (esteqlāl) des Menschen von jeglichen äußeren ihn bestimmenden Faktoren. Diese Unabhängigkeit habe zwei Aspekte: Einerseits sei damit gemeint, dass sich der Mensch nicht durch Neigungen und Gefühle leiten lasse; andererseits aber dass er auch frei sei von der Bestimmung durch den Willen eines anderen. Dieser zweite Aspekt nun sei die Grundlage für Kants politisches Denken, das jegliche totalitäre Herrschaft verbiete und letztlich nur eine bürgerliche Gesellschaft gelten lasse, in der der öffentliche Wille (erāde-ye ʿomūmī) als einzige Quelle der Gesetzgebung (tanhā marǧaʿ-e qānūngoẕārī) fungiere. Nur eine auf den öffentlichen Willen basierte Herrschaft entspreche dem Wesen des Menschen, zu dem die Eigenschaft gehöre, sich selbst ein Gesetz nach Maßgabe der praktischen Vernunft zu geben.840 Ṣāneʿī unterstreicht diese Ansicht, indem er zum Schluss noch auf Kants Schriften Zum ewigen Frieden und insbesondere Idee einer allgemeinen Geschichte in weltbürgerlicher Absicht zu sprechen kommt. In dieser letztgenannten Schrift, die der Autor wie an derer Stelle erwähnt selbst übersetzt und kommentiert hat, betone Kant, dass der Mensch zur Erfüllung seiner Zwecke nämlich der Freiheit und Rationalität erschaffen worden sei. Zur Erreichung dieses Ziels müsse der Mensch eine globale Zivilgesellschaft anstreben.841 Ṣāneʿīs Artikel liefert keine systematische Darstellung des Freiheitsbegriffs wie ihn Kant in der Grundlegung bzw. der KpV entwickelt. Er versucht weder den bzw. einen der kantschen Wirklichkeitsbeweise der Freiheit darzustellen oder zu diskutieren noch bietet er über einige Andeutungen hinaus eine umfassende Erörterung des Zusammenhangs zwischen Freiheit und Moralität. Das war aber offenkundig auch nicht die Intention des Artikels. Vielmehr ging es ihm zunächst 839 Ṣāneʿī (1378/2000), 94. 840 Ṣāneʿī (1378/2000), 95–98. 841 Ṣāneʿī (1378/2000), 98–100.
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allein darum, Handlung aus Freiheit (gemeint ist hier die innere Freiheit), also autonomes Handeln, als vernunftgemäß darzustellen und zugleich die Freiheit des Menschen (gemeint ist hier die äußere Freiheit) als ein fundamentales Naturrecht zu bestimmen, um anschließend – ohne dabei die Differenzierung zwischen Tugend- und Rechtspflichten eigens zu thematisieren – die Freiheit als oberstes Prinzip des Rechts und mithin der Rechtsstaatlichkeit zu betonen. Mit der Hervorhebung der Freiheit als politischer Freiheit des Bürgers verbindet er schließlich eine Kritik totalitärer Herrschaft und ein Plädoyer für eine bürgerliche auf Partizipation basierende zivile Staatsform, die sich am öffentlichen Willen orientiert. Somit stellt Ṣāneʿī Kant vor allem als Vordenker liberalen politischen Denkens vor. Eine andere Intention wiederum steht hinter einem Artikel von Moḥammadreżāʾī, den dieser unter dem Titel Āzādī az dīdgāh-e Kānt (Freiheit aus der Sicht Kants) in der Zeitschrift Nāme-ye mofīd veröffentlichte. In diesem Artikel geht es dem Autor letztlich um die Frage, inwiefern religiöses Recht mit den kantschen Begriffen der Freiheit und der Moralität zusammengehen könne.842 Der Autor geht in seiner Untersuchung systematischer vor als Sāneʿī im soeben vorgestellten Text, u. a. indem er sich mehr an der Argumentationsstruktur der kantschen Freiheitsdiskussion in der Grundlegung und der KpV orientiert. Er beginnt seine Diskussion zunächst mit einer Einführung in die Positionen von Determinismus und Indeterminismus843 und der Unterscheidung zwischen „negativer Freiheit“ (āzādī be maʿnā-ye salbī) bzw. „Freiheit von“ (āzādī az) und unbedingter Freiheit (āzādī be maʿnā-ye īǧābī).844 Anschließend erwähnt er knapp die Freiheitsdiskussion Kants im Antinomiekapitel der KrV, bevor er auf die Diskussion im Kontext der praktischen Philosophie zu sprechen kommt. Dafür erläutert er zunächst die Unterscheidung zwischen der Autonomie des Willens (ḫodmoḫtārī-ye erāde) und der Heteronomie (degar-āʾīnī). Unter Autonomie des Willens sei ein Gesetz (qānūn) zu verstehen, das der Mensch sich selbst gegeben habe, wohingegen Heteronomie ein Gesetz bezeichne, das den Menschen von außen bestimme. Nach Kant seien nur solche Handlungen, die auf dem Prinzip der Autonomie beruhten, moralisch zu nennen.845 Des Weiteren erwähnt der Autor die Unterscheidung der zwei Formen der Kausalität und gibt an, dass 842 Moḥammadreżāʾī (1380/2001), 121–138. Eine etwas ausführlichere Diskussion des Freiheitsbegriffs, in der er auch genauer die verschiedenen Wirklichkeitsbeweise in der Grundlegung und der KpV differenziert, liefert der Autor in seiner oben erwähnten Monografie in Kap. 14., allerdings ohne eine Diskussion des Zusammenhangs zwischen Autonomie und religiösem Recht. Vgl. Moḥammadreẕāʾī (2001), 193–233. 843 Moḥammadreżāʾī (1380/2001), 122–126. 844 Moḥammadreżāʾī (1380/2001), 126f. 845 Moḥammadreżāʾī (1380/2001), 129.
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diese zwei verschiedene Perspektiven auf Handlungen darstellten. Im Falle der Naturkausalität nehme man die „Beobachterperspektive“ (dīdgāh-e nāẓer) ein, wohingegen man im Falle der Kausalität aus Freiheit die „Akteursperspektive“ (dīdgāh-e ʿāmel) einnehme. Beachte man diese Unterscheidung, so könne man jenen Kritikern entgegentreten, die Kant unterstellten, er setze Naturkausalität letztlich mit Heteronomie gleich, wenn er behaupte, moralisch seien nur Handlungen aus Autonomie, also aus Freiheit. Dies würde in der Umkehrung bedeuten, unmoralische also heteronome Handlungen entsprängen nicht der Freiheit des Handelnden, weshalb dieser aber letztlich auch nicht für sie verantwortlich sei. Heteronomie aber bedeute nach Kant, so könne man dieser Kritik entgegnen, nicht, dass die Handlung nicht dem Willen des Handelnden entspringe. Vielmehr könne die Vernunft sich grundsätzlich als Ursache der Handlung verstehen, die selbst entscheide, nach welchem Gesetz sie handle. Somit empfinde man Verantwortung für jede eigene Handlung, andernfalls könne man die Handlung gar nicht als Handlung ansehen.846 Es ist auffällig, dass Moḥammadreżāʾī jene gegenüber Kant geäußerte Kritik erwähnt, aber sich nicht zu eigen macht, um seine kritische Haltung gegenüber Kants Moralbegründung zu untermauern, sondern sie vielmehr als bestreitbar abweist. Immerhin handelt es sich bei jenen Bedenken gegen Kant durchaus um grundsätzliche Begründungsprobleme, die zumindest eine gewisse Unschärfe in der Argumentation bzw. der Terminologie in der Frage des Zusammenhangs zwischen Determinismus/Naturkausalität und Freiheit einerseits, und zwischen der Freiheit und der Zurechenbarkeit (Imputabilität) einer Handlung zu einem Akteur und deren moralische Konsequenzen andererseits, aufweisen und die seitens der Kantforschung diskutiert wurden.847 Die Kritik, die Moḥammadreżāʾī selbst im gegebenen Artikel an Kant äußert, setzt an einer anderen Stelle an, nämlich dort, wo Kant insbesondere im Kontext seiner Religionsphilosophie behaupte, von Autonomie und Freiheit des Willens könne man nur dann sprechen, wenn die Moral allein der Vernunft selbst entspringe. Sobald wir Moral als Hingabe in den Willen Gottes verstünden, hätten wir sie nach Kant der Heteronomie preisgegeben.
846 Moḥammadreżāʾī (1380/2001), 130–134. 847 Zur Problematik des Zusammenhangs zwischen Naturkausalität und Freiheit vgl. StekelerWeithofer (1990). Zur Problematik des Zusammenhangs zwischen Freiheit und Zurechnung von Handlungen vgl. Hudson (1991). Die Autoren beider Artikel versuchen die Begründungsprobleme über die terminologische Unterscheidung zwischen Willkür und Wille bei Kant zu lösen. Diese Unterscheidung wird, soweit ich sehe, in den iranischen Zugängen nicht explizit thematisiert. Möglich wäre für den kantschen Kontext eine terminologische Unterscheidung in eḫtiyār und erāde.
Diskussionen des kantschen Freiheitsbegriffs
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Wenn wir demnach also Gott als das belohnende und strafende moralische Gesetz verstehen, dann handelten wir nach der Regel der Vorsicht und unsere Absicht in der Befolgung des moralischen Gesetzes sei die Angst vor der Bestrafung und die Hoffnung auf Belohnung, was unserer Handlung des moralischen Wertes berauben würde.848
Moḥammadreżāʾī sieht nun hinsichtlich der Moralität von Handlungen Widersprüche in Kants Zugang zum Gottesglauben und zur Religion. Denn einerseits bestehe er darauf, dass das moralische Gesetz keiner der Vernunft übergeordneten Instanz bedürfe, andererseits aber gelange Kant über den Weg der Moral zu Gott und der Religion. Auch wenn er die Religion nach Maßgabe der Vernunft deute und die historischen Zeugnisse des Christentums – z. B. die Bibel – einer vernunftgeleiteten symbolischen Deutung (tafsīr-e ramzī) unterziehe, so gehe er doch von Gott als einem Ideal aus: Gott verkörpere das höchste Gut, denke mit unendlicher Vernunft und sein Wille müsse als heilig angesehen werden. Aus diesen Vorgaben zieht der Autor nun folgenden Schluss: Wenn die Gebote der endlichen Vernunft des Menschen (aḥkām-e ʿaql-e motanāhī-ye ensān) zu befolgen notwendig (vāǧeb ol-etbāʿ) sind, so sind die Gebote eines unbegrenzt vernünftigen Seienden (mouǧūd-e ʿaqlānī-ye nāmotanāhī), das wissend und mächtig ist, ebenfalls notwendig zu befolgen. Der Gehorsam gegenüber einem unbegrenzt vernünftigen Seienden gehört also zu einem der Gebote unserer praktischen Vernunft, was in diesem Sinne keinerlei Widerspruch zu unserer Autonomie darstellt (monāfātī bā ḫodmoḫtārī-ye mā nadārad).“849
Auch die kantsche Kritik an einer religiösen Regierung, die den moralischen Wert von Handlungen unmöglich mache, da die Menschen in ihrem Falle aus Furcht vor Bestrafung und Hoffnung auf Belohnung im Jenseits handelten, lässt er nicht gelten. Denn einerseits gebe es viele Menschen, die nicht aus Furcht vor Bestrafung und Hoffnung auf Belohnung die Gebote Gottes befolgten, sondern aus dem Glauben an ihren Ursprung aus einem unbegrenzt vernünftigen Seienden. Andererseits widerspreche Furcht und Hoffnung nur dann der kantschen Moral, wenn sie nicht der Vernunft entspringe. Wenn die Vernunft diese aber ebenso wie den Glauben an das Dasein Gottes (eʿteqād be voǧūd-e ḫodā) für die Stärkung der moralischen Gesinnung (angīze-ye aḫlāqī) als zweckmäßig (mofīd) betrachte, dann bestehe darin kein Widerspruch zur Autonomie. Darüber hinaus kritisiert er auch Kants Methode einer „symbolischen Exegese“ (tafsīr-e ramzī), da sie die endliche Vernunft ins Zentrum stelle:
848 Moḥammadreżāʾī (1380/2001), 134. 849 Moḥammadreżāʾī (1380/2001), 136.
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Wenn aber die Bibel aus Gesetzen und Geboten Gottes besteht, der unbegrenzte Vernunft, Wissen und Macht besitzt, dann müssen wir versuchen die Sprache dieser Bibel zu lernen, um schließlich je besser wir die Gebote verstanden haben, diese in die Tat umzusetzen.
Eine Auslegung aber, die die Bibel nach der endlichen Vernunft deute, führe zu einer illegitimen Überhöhung dieser Vernunft über die göttliche.850 Zum Schluss betont der Autor mit Verweis auf eine Reihe von Koranzitaten als Beleg, dass der Mensch aus Sicht des Islams autonom sei, indem er sich frei zwischen verschiedenen Wegen entscheiden könne.851 Damit scheint er allerdings den Freiheitsbegriff wieder auf den Begriff der Wahlfreiheit oder freien Willkür reduziert zu haben. Eine ausführliche Diskussion, die die Deutung Moḥammadreżāʾīs etwa im Kontext der Religionsschrift beurteilt, soll hier nicht erfolgen. An dieser Stelle geht es lediglich darum, die Intention des Autors, sein Deutungsziel nochmals hervorzuheben. Der Autor beabsichtigt, eine Vereinbarkeit von Autonomie, Freiheit und Moral mit einem religiösen Glauben, der sich an geoffenbarten Geboten orientiert, zu begründen. Die Argumentation verläuft dabei bei Moḥammadreżāʾī tendenziell anders als bei Baḫšāyeš, der letztlich Kant unterstellt, doch der Religiosität den Vorrang vor der Vernunft gegeben zu haben, während Moḥammadreżāʾī aus Kants Aussagen eigene Schlüsse zieht und Kant kritisiert. Die Stoßrichtung aber ist letztlich dieselbe: Wenn man von Gott als einem Ideal ausgehe, dann müsse man auch davon ausgehen, dass er im Gegensatz zum Menschen über unbegrenzte Vernunft verfüge, weshalb seine Gebote aber denen der menschlichen Vernunft überlegen seien. Diesen Geboten Folge zu leisten, sei daher selbst ein Gebot der Vernunft. Sie nach Maßgabe der endlichen menschlichen Vernunft zu deuten, sei hingegen eine Form der Hybris. Moḥammadreżāʾīs Diskussion endet mit dem Urteil, dass der kantsche Begriff der Autonomie und geoffenbartes Recht als moralische Orientierung miteinander im Einklang stehen. Was dieser Ansatz aber konkret hinsichtlich der Befolgung religiöser Gebote bedeutet, worin diese Gebote bestehen, wer sie wie deuten darf, bleibt in dieser Diskussion wie auch in derjenigen Baḫšāyešs noch offen. Doch gerade diese Fragen nach den Konsequenzen eines solchen Ansatzes in der konkreten Anwendung auf die religiöse Rechtspraxis, scheinen mir in höchstem Maße bedeutsam zu sein. Welche radikalen Folgen sich daraus ergeben können, wird deutlich, wenn wir uns nochmals dem Denken Meṣbāḥ Yazdīs zuwenden. 850 Moḥammadreżāʾī (1380/2001), 136. 851 Moḥammadreżāʾī (1380/2001), 137. Er bezieht sich dabei auf folgende Verse 76.3; 2.23; 96.5; 2.213; 17.105. Einen offensichtlichen Beleg für die Autonomie des Menschen scheinen diese Stellen allerdings nicht zu liefern, da auch der Autor den Zusammenhang zwischen diesen Koranbelegen und der Autonomie nicht genauer erläutert, sollen sie hier nicht weiter diskutiert werden.
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5.3.3 Freie Willkür oder Autonomie innerhalb der Grenzen der Religion. Zwei Positionen aus dem zeitgenössischen religiös-politischen Diskurs in Iran Es ist offenkundig, dass die beiden oben vorgestellten Diskussionen des kantschen Freiheitsbegriffs auf zwei verschiedene Verständnisse dieses Begriffs hinauslaufen. Während Ṣāneʿī für ein liberales Freiheitsverständnis argumentiert, mit dessen Hilfe sich ein auf demokratischen Prinzipien basierendes Staatswesen begründen lässt, geht es Moḥammadreżāʾī darum, die moralische Wertigkeit offenbarter religiöser Gebote angesichts der Gültigkeit des kantschen Autonomiegedankens zu verteidigen. Auffällig ist zudem, dass Ṣāneʿī in seiner Diskussion letztlich weniger auf die moralische, denn auf die rechtliche Dimension der Freiheit hinauswill. Moḥammadreżāʾī betont demgegenüber zwar die moralische Dimension, doch es bleibt zu fragen, in welchem Verhältnis sein Deutungsansatz zur rechtlichen Dimension steht und was das ggf. wiederum für das Verständnis von Moral bedeuten mag. Im Folgenden soll, abschließend zur Frage der Freiheitsdiskussionen iranischer Kantinterpreten, nach jenen Konsequenzen gefragt werden, die die verschiedenen Zugänge zur Freiheit für das Verhältnis zwischen Religion und Moral haben können. Dafür werde ich auf zwei Argumentationswege von Meṣbāḥ Yazdī und Moḥammad Moǧtahed Šabestarī eingehen, die ausgehend von einem spezifischen Freiheitsverständnis, zu sehr unterschiedlichen Begriffen von Religion und Moral führen. Die hier diskutierten Texte können nicht im engeren Sinne als Kantinterpretationen gelten, da sie sich nicht explizit auf Schriften Kants beziehen. Doch sie schließen gewissermaßen an die beiden im letzten Unterkapitel erwähnten Diskussionen an. Beide Denker haben außerdem gemein, dass sie sich in anderen Kontexten, mit Kants praktischer Philosophie auseinandergesetzt haben und zudem aus einer explizit religiösen Perspektive argumentieren.852 Allerdings entstammen sie zwei konträren intellektuellen Lagern. Während Meṣbāḥ Yazdī, dessen Zugang zu Kant bereits thematisiert wurde, zu den radikalen Ideologen der Islamischen Republik Iran zählt, so gehört Moḥammad Moǧtahed Šabestarī zu den regimekritischen religiösen Intellektuellen (roušanfekrān-e dīnī) Irans. Nach der Diskussion der Positionen der beiden Denker werden diese zusammenfassend im Lichte der kantschen Religionsschrift betrachtet, um ihre Bedeutung sowohl für die Frage der Religion als auch für den religiös-politischen Diskurs in Iran auszuleuchten.
852 Zudem sei angemerkt, dass beide Denker eine Monografie zum Thema Religion und Freiheit vorgelegt habe. Meṣbāḥ hat eine Schrift unter dem Titel Dīndārī va Āzādī (Religiosität und Freiheit) veröffentlicht, die mir leider nicht vorlag. Šabestarīs Buch Īmān va Āzādī (Glaube und Freiheit) wird u. a. für die folgende Diskussion herangezogen.
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5.3.3.1 Meṣbāḥ Yazdī. Freiheit und Religion als Bedingung der Moral Beginnen wir mit den Erörterungen Meṣbāḥ Yazdīs zur Frage der Freiheit und Religion, die sich an seine oben bereits vorgestellte Diskussion zu Kant anschließen. In seiner bereits erwähnten Schrift Falsafe-ye aḫlāq (Philosophie der Moral) betont Meṣbāḥ mehrfach, dass nur solche Handlungen Gegenstand der Moralphilosophie seien, die auf Grundlage der Wahlfreiheit, also der Freiheit, sich für eine von mehreren Handlungsoptionen zu entscheiden, zustande gekommen seien.853 Er diskutiert dabei kurz verschiedene Ansätze des Determinismus und unterscheidet zwischen einem „philosophischen Determinismus“ (ǧabr-e falsafī), einem „natürlichen Determinismus“ (ǧabr-e ṭabīʿī) und einem „theologischen Determinismus“ (ǧabr-e kalāmī). Interessanterweise geht er – zumindest in dieser Schrift – nicht explizit auf die verschiedenen Ansätze theologischer Denkschulen für oder gegen den Determinismus ein. Er selbst jedenfalls kritisiert die Position der Deterministen, die davon ausgingen, jegliches Geschehen auf Erden und damit auch jede menschliche Handlung werde von Gott vorherbestimmt, weshalb man nicht von menschlicher Wahlfreiheit (eḫtiyār) sprechen könne. Das theologische Argument gegen die menschliche Wahlfreiheit, nämlich dass diese mit der göttlichen Allmacht bzw. dem ewigen göttlichen Wirken nicht vereinbar sei, weil man in diesem Falle die in sich widersprüchliche Position vertreten müsse, dass es für ein und dieselbe Handlung zwei Akteure gebe, lässt Meṣbāḥ nicht gelten. Dieses Argument gelte nur dann, wenn sich beide Akteure auf derselben Wirkebene befänden. Das sei hier aber offenkundig nicht der Fall, denn das Wirken des allmächtigen Gottes finde auf einer anderen grundlegenderen Ebene statt. Es sei die Voraussetzung dafür, dass es überhaupt menschliche Handlungen in der Welt geben könne und stehe der menschlichen Wahlfreiheit in keiner Weise im Wege. So gesehen sei zwar Gott der Verursacher jeder menschlichen Handlung, zugleich aber sei es der Mensch selbst, der sich frei für die Handlung entscheide.854 Meṣbāḥs Zwischenposition zwischen absolutem Determinismus und autonomer (selbstursächlicher) Handlungsfreiheit des Menschen zeigt deutlich, dass er der vorherrschenden imamitischen Doktrin zum Zustandekommen menschlichen Handelns folgt, die maßgeblich von Naṣīr ad-Dīn aṭ-Ṭūsī (gest. 1274) beeinflusst wurde. Aṭ-Ṭūsīs Position bestand– vereinfacht gesagt – darin, dass Gott als einzig notwendig Seiendes für alles übrige Seiende (einschließlich menschlicher
853 Vgl. Meṣbāḥ Yazdī (1381/2002), 93, 109–113, 126f. Meṣbāḥ scheint dabei die Begriffe eḫtiyār (Wahlfreiheit) und erāde-ye āzād (freier Wille) synonym zu gebrachen. 854 Vgl. Meṣbāḥ Yazdī (1381/2002), 128–138.
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Handlungen) die eigentliche mittelbare Ursache sei, während dem Menschen weiterhin durch seinen Willen im Handlen zukomme.855 Der Grund für Meṣbāḥs an aṭ-Ṭūsī orientiertem Beharren auf der menschlichen Wahlfreiheit besteht darin, dass für die moralische Beurteilung einer menschlichen Handlung der Mensch auch verantwortlich für seine Handlungen sein müsse. Genau das nämlich sei der Fall. Allerdings begründet er, anders als etwa die Vertreter der Muʿtazila, diese Notwendigkeit nicht auf der Basis eines wirklichen Werteobjektivismus. Meṣbāḥs Eintreten für die Willens- oder besser Wahlfreiheit führt ihn zudem gerade nicht zu einer Argumentation für die sittliche Autonomie des Willens. Freiheit bedeutet die Freiheit, sich für oder gegen Handlungen zu entscheiden. Diese Freiheit ist dem Menschen angeboren und von Gott gegeben und damit ein hohes Gut. Doch verbindet Meṣbāḥ damit keineswegs die Freiheit des Menschen, sich selbst ein Gesetz zu geben. Da nämlich der Mensch mitbestimmt von Trieben, Neigungen und Wünschen sei, würde seine Freiheit, überließe man es ihm selbst, sich Gesetze zu geben, unweigerlich zur Zügellosigkeit werden und damit letztlich wieder in Unfreiheit umschlagen. Zudem gehöre es, wie Meṣbāḥ mehrfach hervorhebt, gar nicht zum Vermögen der Vernunft (ʿaql), Gesetze zu formulieren und den Menschen zu einer Handlung zu bewegen (farmān dādan va be ḥarakat dar āvardan marbūṭ be ʿaql nīst856 / ʿaql be ʿonvān-e yek qovve, čonīn tavānāʾīhāʾī nadārad857). Die Vernunft ist für ihn ein reines Erkenntnisvermögen, sie scheint eher dem Vermögen des Verstandes bei Kant zu entsprechen.858 Der Mensch sei zwar in der Lage, mit Hilfe der Vernunft bzw. des Verstandes (ʿaql) selbstständig auf die Gültigkeit allgemeiner moralischer Begriffe zu kommen, etwa dass Gerechtigkeit ein gültiger Grundsatz moralischen Handelns sei. In diesem Falle spricht Meṣbāḥ von „praktischer Vernunft/ Verstand“ (ʿaql-e ʿamalī). Doch sei er, da der menschliche Verstand fehlbar und 855 Diese Diskussion der menschlichen Handlungsfreiheit, als deren Pole die erwähnten ašʿaritischen und muʿtazilitischen Doktrinen betrachtet werden können, hat sich in der philosophisch-theologischen Diskussion folgender Jahrhunderte deutlich weiterentwickelt, was zu komplexen Argumentationen führte, die auch Positionen von Philosophen wie etwa Ibn Sīnā mit berücksichtigte. Da Meṣbāḥ im gegebenen textlichen Zusammenhang nicht genauer auf diese hoch interessante Debatte und ihre Vertreter eingeht, wird sie hier nicht weiter erörtert. Für eine sehr erhellende und mit vielen Quellenverweisen versehene ideengeschichtliche Diskussion dieser Thematik vgl. Schmidtke (2000), 147-170. 856 Vgl. Meṣbāḥ Yazdī (1381/2002), 97. 857 Vgl. Meṣbāḥ Yazdī (1381/2002), 118. 858 Meṣbāḥ verwendet durchgängig den Terminus ʿaql, der je nach Kontext für Verstand bzw. Vernunft stehen kann. Die begriffliche Unterscheidung zwischen Vernunft und Verstand, für die sich in der iranischen Kantliteratur das Bergriffspaar ʿaql und fāheme durchgesetzt hat, wendet er – zumindest im hier zugrunde liegenden Text – nicht an.
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unvollkommen sei, was die konkrete Anwendung dieses Grundsatzes angehe – etwa was im konkreten Falle jeweils als gerecht anzusehen sei –, eben gerade nicht fähig, selbstständig gültige Gesetze zu formulieren. Daher sei der Mensch in der Frage nach gültigen Normen auf eine verlässliche moralische Richtschnur angewiesen. Was die Frage der Freiheit und des Willens betrifft, so besteht die Freiheit bei Meṣbāḥ allein in der Entscheidung für oder gegen eine Handlung und dient dem Zweck, durch die Zurechnung der Handlung zum Handelnden dessen moralische Verantwortung zu begründen. Sie bedeutet nicht Kausalität aus Freiheit. Sein Verständnis der Willensfreiheit ist demnach offenkundig nicht gleichbedeutend mit dem, was Kant unter einem freien Willen versteht, denn nach Kant ist der Wille nur dann frei und damit autonom, wenn er sich allein durch das moralische Gesetz selbst bestimmt. Das kantsche Konzept der Autonomie kommt somit bei Meṣbāḥ gar nicht vor. Für Kants Begriff des freien Willens ergibt sich, darauf wurde bereits hingewiesen, allerdings das Problem der Imputabilität: Wie soll der Mensch verantwortlich für unmoralische Handlungen sein, wenn diese gerade nicht aus freiem Willen geschehen? Diese im kantschen Begriff des freien Willens inhärente Problematik, lässt sich durch die terminologische Differenzierung lösen, die Kant explizit erst in seinen späteren Schriften vornimmt, indem er zwischen Willkür und Wille unterscheidet.859 Von der kantschen Terminologie der KpV (§ 8 Lehrsatz IV) aus gedacht, entspricht demnach Meṣbāḥs Freiheitsbegriff allenfalls dem Konzept der freien Willkür, nicht aber des freien Willens. Es handelt sich von daher allenfalls um negative Freiheit, um ein Distanzierungsvermögen. Selbstgesetzgebung durch praktische Vernunft ist nach Meṣbāḥ entweder unmöglich, weil die Vernunft dazu gar nicht fähig ist, oder aber der Versuch einer solchen Selbstgesetzgebung führt aufgrund der Unvollkommenheit der menschlichen Vernunft unweigerlich in Anomie. Meṣbāḥs Prinzip der Moralität beruht daher zweifellos auf Heteronomie.
859 Eine explizite Unterscheidung zwischen den Begriffen Wille und Willkür nimmt Kant offenbar erst in seiner Spätschrift der Metaphysik der Sitten vor. Dort unterscheidet er u. a. in der Einleitung letztlich zwischen der exekutiven Rolle der Willkür und der urteilenden bzw. legislativen Rolle des Willens. Vgl. MSR AA VI, 226. Dazu Timmermann (2003), 146f. Doch bereits in der KpV verwendet er Wille und Willkür unterschiedlich. Hier geht es ihm vor allem um das Verhältnis heteronome Willkür und autonomer Wille, vgl. KpV AA 33 (§ 8 Lehrsatz IV). Des Weiteren zur Wille-Willkür Unterscheidung vgl. Hudson (1991).
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Religion und Moral An dieser Stelle kommt für Meṣbāḥ nun der Zusammenhang zwischen Freiheit, Moral und Religion ins Spiel. Aufgrund der Unvollkommenheit der menschlichen Vernunft ist es allein die göttliche Offenbarung, die verlässliche Orientierung durch göttlich legitimierte Normen garantiert. Religion ist für Meṣbāḥ maßgeblich in allen Lebensfragen. Mit ihrer Hilfe kann der Mensch sich in der freien Entscheidung für die Religion und ihr Normensystem von der Gefahr der Fehlleitung durch materielle und sinnliche Triebe befreien. Erst die Religion also macht nach Meṣbāḥ die Disposition zur Freiheit, die dem Menschen angeboren ist, zur wirklichen Freiheit. Für Meṣbāḥ ist die Religion in Form göttlicher Normen und Gebote somit die Bedingung der Möglichkeit für Moralität überhaupt. Der Verstand kann die Normen zwar nachvollziehen, nicht aber selbst entwickeln. Moralität wird demnach durch göttliches Recht bestimmt. Die für Kants Begriff der Moral maßgebliche Unterscheidung in Tugendpflichten, die der inneren Freiheit zugehörig sind, und Rechtspflichten die der äußeren Freiheit entspringen, kommt in diesem Ansatz nicht vor. Sofern man bei Meṣbāḥ überhaupt von innerer Freiheit sprechen kann, so besteht sie allein in der Entscheidung, dem göttlichen Recht zu folgen oder nicht. Daran knüpft sich nun die Frage, wer befugt ist, religiöse Gebote zu deuten oder gar zu formulieren und etwa nach dem Prinzip des Gemeinwohls (maṣlaḥat), für dessen Anwendung Meṣbāḥ plädierte, zu entscheiden. Für Meṣbāḥ, dessen Position selbst unter konservativen Regierungsklerikern in Iran als radikal gelten kann, ist die Antwort klar: Nach allgemein schiitischer Vorstellung ging mit der Verborgenheit des letzten Imams die Deutungshoheit in die Hände der Religionsgelehrten über, unter denen sich mit der Zeit eine Hierarchie herausbildete. Nach der zuletzt von Khomeini ausformulierten Doktrin der velāyat-e faqīh, der Herrschaftsbefugnis des (obersten) Rechtsgelehrten, kommt sie letztlich dem obersten Glied dieser Hierarchie zu. Diese Doktrin, die man als Staatsdoktrin der Islamischen Republik Iran bezeichnen kann, besagt in ihrer extremen Deutung, die in Iran insbesondere durch Meṣbāḥ Yazdī propagiert wird, dass der oberste Rechtsgelehrte, der Revolutionsführer (rahbar) der Islamischen Republik, nicht nur das letzte Wort in Fragen der Staatsführung hat, sondern dass ihm überhaupt die Deutungshoheit in allen religiösen, mithin rechtlichen Fragen zukommt. Da er letztlich durch Gott auserwählt wurde, ist er diesem Verständnis nach quasi unfehlbar (nazdīk be maʿṣūm) und kommt somit im Rang den 12 Imamen der Schia als Nachfolger des Propheten nahe.860 860 Anders als im sunnitischen Islam gibt es in der Hauptströmung der schiitischen Glaubensrichtung, der 12er-Schia, eine Gelehrtenschicht, die man als Klerus oder Geistlichkeit
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Es ist auffällig, dass diese letzten Konsequenzen von Meṣbāḥs Ansatz nicht mehr Teil seiner moralphilosophischen Erörterungen sind, wie sie sich etwa in oben genannter Monografie finden. Diese Erörterungen enden dort, wo das Primat der Religion bzw. der Offenbarungsschriften konstatiert wird. Somit sind sie nicht weit entfernt von den Schlussfolgerungen Moḥammadreżāʾīs und Baḫšāyešs. Ob diese in der konkreten Ausdeutung genausoweit gehen würden wie Meṣbāḥ bzw. die Fähigkeit der menschlichen Vernunft in gleichem Maße als defizitär einstufen würden, bleibt offen. Meṣbāḥs Argumentation und deren radikale Konkretisierung, die er insbesondere in öffentlichen Reden offenbart – und die deshalb in Iran bekannter sein dürfte als seine Moralbegründung – stehen aber zumindest nicht im offenen Widerspruch zu den Deutungen Moḥammadreżāʾīs und Baḫšāyešs.
5.3.3.2 Moḥammad Moǧtahed Šabestarī. Freiheit und sittliche Autonomie als Bedingung für den Glauben Meṣbāḥs Position und die Doktrin der velāyat-e faqīh ist unter religiösen Intellektuellen nicht ohne Widerspruch geblieben. Vielmehr gab und gibt es eine breite
(rūḥānīyat) bezeichnen kann. Diese Geistlichkeit wird in ihrer Gesamtheit als Stellvertretung der Imame, der Nachkommen des Kalifen ʿAlī, und als Bewahrer und Interpreten des auf diese zurückgehenden religiösen Wissens verstanden. Innerhalb dieses Klerus hat sich mit der Zeit eine Hierarchie herausgebildet, an deren Spitze die „oberste Instanz der Nachahmung“ (marǧaʿ at-taqlīd) steht. Dabei muss es sich nicht um eine einzelne Person handeln, es können auch mehrere Geistliche vom Rang eines Großayatollas diese Stellung einnehmen, auch hat es zu bestimmten Zeiten keine „Instanz der Nachahmung“ gegeben. Dieser Status sowie auch der Rang des Ayatollahs wird in der Regel informell „vergeben“, ausschlaggebend ist dafür das Ansehen der jeweiligen Person unter Gläubigen und Gelehrten. Wichtig für den iranischen Kontext ist, dass die von Khomeini ausformulierte Idee der velāyat-e faqīh für die meisten konservativen schiitischen Geistlichen bis heute eine unliebsame Neuerung darstellt, umso mehr noch die Variante der „absoluten Herrschaft des obersten Rechtsgelehrten“. Das bedeutet für Iran, dass es keineswegs die Geistlichkeit in ihrer Mehrheit ist, die das Regime stützt. Um die Quietisten und regimekritischen Geistlichen von den Anhängern des Regimes zu unterscheiden, nenne ich diese im weiteren Sinne, also auch die innere Opposition einbeziehend, politische Geistlichkeit, und im engeren Sinne, also die dem Führungsestablishment zugehörigen, Regierungskleriker. Um die durch die velāyat-e faqīh entstandene Relativierung der traditionellen Hierarchie der Geistlichkeit zu verdeutlichen, sei darauf hingewiesen, dass der derzeitige Revolutionsführer ʿAlī Khamenei von der Mehrheit der Geistlichkeit lange Zeit nicht einmal als Ayatollah anerkannt wurde. Das führte sogar dazu, dass seinerzeit die Verfassung geändert werden musste, damit ein Geistlicher mittleren Ranges dieses Amt bekleiden konnte. Einführend zur Schia vgl. Halm (1988); ders. (2005); Buchta (2004). Zur Problematik der klerikalen Hierarchie im Kontext der Islamischen Republik vgl. Buchta (1995). Zur Verfassungsänderung vgl. Tellenbach (1990).
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Diskussion zur Staatsdoktrin mit unterschiedlichsten Ausprägungen.861 Eine Stimme, die in ihrem liberalen Ansatz sehr weit geht, ist diejenige Moḥammad Moǧtahed Šabestarīs. Šabestarī (geb. 1936) gehört zu den wichtigsten Vertretern des Reformislam in Iran. Bereits während seiner Ausbildung in islamischer Theologie und islamischem Recht in Qom hegte er Interesse sowohl an europäischem Denken sowie an neuen Ansätzen des religiösen Denkens im schiitischen Islam. Damals stand er insbesondere unter großem Einfluss Ayatollah Khomeinis und sympathisierte mit wichtigen Vertretern der religiös-revolutionären Bewegung. Anfang der 70erJahre übernahm Šabestarī die Leitung des schiitischen Islamischen Zentrums der Imam Ali Moschee in Hamburg, die nach ihm Irans ehemaliger Staatspräsident Mohammad Khatami innehatte. In seiner Hamburger Zeit setzte sich Šabestarī sehr für den christlich-islamischen Dialog ein und erweiterte den Wirkungskreis der Moschee, indem er sie für alle Muslime öffnete. Außerdem lernte er Deutsch und begann, wichtige Werke der westlichen Philosophie und christlichen, vor allem protestantischen Theologie zu rezipieren. Er beschäftigte sich mit Theologen wie Paul Tillich, Karl Barth und Karl Rahner sowie u. a. mit dem Denken der Philosophen Wilhelm Dilthey, Hans-Georg Gadamer und nicht zuletzt auch Kant. Die Rezeption vor allem der philosophischen Hermeneutik brachte er insbesondere mit Beginn der 1990er-Jahre verbunden mit seinen eigenen Reflexion zur Religiosität in den religiös-politischen Diskurs in Iran ein.862 Šabestarīs Position in der Frage der Willensfreiheit zeigt deutliche Nähe zum muʿtazilitischen Denken einerseits sowie zu Immanuel Kants Begriff der Autonomie des Willens andererseits. So ist etwa das Prinzip der Gerechtigkeit, das im theologischen System der Muʿtazila zentral ist, auch in Šabestarīs Denken von auschlaggebender Bedeutung. Sein Denken folgt allgemein dem skizzierten Zusammenhang zwischen göttlicher Gerechtigkeit und menschlicher Willensfreiheit, ohne sich dabei auf Details der theologischen Diskurse einzulassen, die diese Annahmen im Umfeld der Muʿtazila nach sich zogen. Der von Šabestarī verwendete Begriff des freien Willens, der frei sein muss von sämtlichen ihn von ‚außen‘ bestimmenden Faktoren, sodass er nur durch sich selbst bestimmt wird (āzād šodan-e erāde az ġeyr-e ḫodaš), lässt deutliche Parallelen zu Kant erkennen. Bei der Muʿtazila zielte die Idee der Willensfreiheit darauf ab, dass der Mensch frei sein muss, sich in seinem Handeln für oder gegen das göttliche Gesetz, dessen Grundprinzipien aber gemäß des Werteobjektivismus durch die Vernunft auch unabhängig von der Offenbarung erkennbar sind, 861 Zur Doktrin der velāyat-e faqīh und ihrer radikalen Deutung als „absolute Herrschaft des obersten Rechtsgelehrten“ vgl. Amirpur (2006); dies. (2010). 862 Zu Šabestarīs Werdegang vgl. Seidel (2004), 7–14.
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zu entscheiden und damit moralisch zu handeln. Kants Begriff der Freiheit geht noch einen Schritt weiter. Freiheit bedeutet hier moralische, innere Freiheit. Es ist die Autonomie des Willens, sich selbst unter das Sittengesetz zu begeben. Dort, wo Šabestarī seinen Begriff von der Freiheit des Denkens und des Willens erläutert, nimmt er nicht explizit Bezug auf Kant. In anderen Zusammenhängen aber, in denen er moderne politische Theorie bzw. die Idee der Menschenrechte und Menschenwürde und ihr Verhältnis zum Islam thematisiert, verweist er ausdrücklich auf Kants Idee der moralischen Autonomie des menschlichen Willens.863 Doch die Art, in der Šabestarī die Bestimmungsgründe beschreibt, von denen der autonome Wille frei sein muss, lässt durchaus Schlüsse auf Kant zu. So schreibt er: Jene Faktoren (ʿavāmel), die den Willen gefangen nehmen, kommen nicht nur von Außerhalb des Menschen sondern auch aus seinem Innern. Von Außerhalb des Menschen kann eine despotische Person (šaḫṣ-e ǧabbār) oder ein despotisches politisches System (neẓām-e siyāsī-e ǧabbār) oder eine schädliche und falsche Tradition (sonnat-e ziyānbār va ġalaṭ) den Willen des Menschen gefangen nehmen. Im Innern des Menschen können es Instinkte (ġarīzehā), Triebe (sāʾeqhā) und Neigungen (tamāyolāt) sein, die den Willen des Menschen knechten. Der Wille muss von jeglicher Wirkursache außer sich selbst frei sein.864
Für Kant ist der Wille nur dann autonom bzw. frei im strengsten Sinne, wenn er als Beweggrund für seine Handlungen allein das moralische Gesetz annimmt, das er sich, Kraft seiner Vernunft, selbst in Form von Maximen gibt. Weder die Vermeidung von Schmerz noch das Erreichen von Glück, noch irgendein anderer materieller Beweggrund, darf für den Willen, möchte er sich an der Moral orientieren, der eigentliche Grund seines Handelns sein. Der Mensch muss sich demnach in ein Verhältnis zu seinen Neigungen, Wünschen und Glücksvorstellungen setzen, um stets darauf hinzuarbeiten, als eigentlichen Grund für sein Handeln ein allgemeines Prinzip, eine durch die reine praktische Vernunft erschlossene Maxime zu setzen; ein Ziel, das ständige Selbstreflexion erfordert.865 Für Šabestarī ist dieses Gebot der Selbstreflexion, das die Autonomie fordert, von zentraler Bedeutung. Sie verlangt nichts weniger als eine ständige Selbstkritik bezüglich der Grundsätze – auch und gerade der religiösen –, die man sich als Maximen setzt. Nun stellt sich aber die Frage, in welchem Verhältnis ein so weitreichender Freiheitsbegriff zu Gott und den Glauben an ihn steht? Führt er nicht zu einem anthropozentrischen Weltbild, in dem Gott keinen Platz mehr hat? Was bedeutet er für die Offenbarung und ihre Gebote? Da kein Zweifel daran bestehen 863 Vgl. Šabestarī (1379/2000b), 59; Šabestarī (1379/2000b), 258f. Vgl. auch Seidel (2004), 116f. 864 Vgl. Šabestarī (1378/1999), 33. 865 Vgl. dazu Höffe (1379/2000), 196–202;
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kann, dass Šabestarī aus einer Glaubensperspektive d. h. als gläubiger Muslim argumentiert, könnte man umgekehrt fragen, ob Šabestarī seinen Begriff der Freiheit tatsächlich so weit auslegt wie Kant oder ob er den Begriff der Autonomie nicht doch vor einem durch Gott offenbarten Gesetz zurücknimmt. Wie also versteht Šabestarī den Zusammenhang zwischen Glaube und Freiheit? Welcher Stellenwert kommt der Offenbarung zu, die doch nach allgemeinem islamischen Verständnis durch den Koran als Rede Gottes für jedermann zugänglich ist? Um diese Fragen zu klären, muss man auf zwei theoretische Grundpositionen verweisen, die für Šabestarīs Denken kennzeichnend sind. Einerseits seine Überlegungen zu Prinzipien der Textexegese, die sich an Grundsätzen moderner philosophischer Hermeneutik orientieren und andererseits sein Konzept der Offenbarung und der religiösen Erfahrung. Im Bereich der Hermeneutik sind für Šabestarī zwei Prinzipien grundlegend. Einerseits der menschliche Anteil des Verstehens in der Auslegung religiöser Texte und andererseits die Historizität der Texte selbst. Unter Bezugnahme auf Denker wie Schleiermacher, Dilthey und Gadamer betont Šabestarī, dass jede Auslegung eines Textes abhängig sei von Vorwissen (pīšdāneste), Motivation (ʿalāqe), Erwartungen (enteẓārāt) und Vorannahmen (pīšfarżhā) des Exegeten. Weder könne ein Text für sich selbst sprechen noch sei Verstehen ohne diese subjektiven Voraussetzungen (moqaddamāt) überhaupt möglich. Jedes Verstehen beginne mit der Frage an den Text (fahmīdan bā soʿāl kardan āġāz mīšavad).866 So gesehen gebe es keine subjektunabhängige Deutung eines Textes. Für den Zugang zur Offenbarungsschrift bedeutet dies, dass jeder Interpret sich bewusst oder unbewusst auf eine Reihe von Vorannahmen stützt, die nicht selbst Teil der historischen Offenbarung seien, sondern vielmehr der Vernunft des Rezipienten entstammten. Sich seiner Vorannahmen bewusst zu werden und sie nach Maßgabe rationaler Prinzipien zu beurteilen und ggf. zu überdenken, sei die Aufgabe jedes Exegeten. Dabei sei die Ausformulierung und Diskussion solcher Prinzipien, wie etwa der Gerechtigkeit, die man seiner Deutung zugrunde legen sollte, Sache der Vernunft. Diese Ausformulierung sei zudem ein unabgeschlossener diskursiver Prozess, der auch unabhängig von religiösen Texten stattfinde. Darüber hinaus müsse man bedenken, dass Offenbarungsereignisse, wie dasjenige, welches Muḥammad zuteil wurde, in konkreten historischen Kontexten vonstattengingen. Wenn man also verstehen wolle, was bestimmte, etwa rechtsrelevante Aussagen des Koran oder der Prophetenüberlieferung bedeuteten, so müsse man zunächst versuchen, die Bedeutung im jeweiligen Kontext zu ergründen. Vergegenwärtige man sich die gesellschaftlichen Umstände der Zeit sowie die Tatsache, dass der Prophet Muḥammad als gesellschaftlicher Reformer 866 Šabestarī (1379/2000), 22–25.
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aufgetreten sei, so sei es möglich, einen Kern der prophetischen Botschaft (aṣl-e payām) von ihrer Form (šekl) und akzidentellen (be-l-ʿaraż) Werten (arzešhā) zu unterscheiden, die lediglich als Mittel (vasīle) zur Erreichung der Ziele (maqāṣed) erster Ordnung dienten. Nach diesem Schema könne man etwa Gerechtigkeitsstreben (ʿedālatgerāʾī) als ein zentrales Merkmal der prophetischen Mission verstehen. Was aber Gerechtigkeit in jener Zeit bedeutet habe, müsse nicht mit heutigen Gerechtigkeitsvorstellungen übereinstimmen. Demnach seien auch nicht die konkreten Gebote entscheidend und von ewiger Gültigkeit, sondern vielmehr die allgemeine Tendenz (ǧehatgīrī-ye kollī), die etwa eine rechtliche Neuregelung beinhalte. Bezug nehmend auf diese Tendenz könne man bestimmte Rechtsbestimmungen als „Aufruf des Propheten zu Gerechtigkeit und Barmherzigkeit“ (daʿvat-e ān ḥażrat [Moḥammad] be ʿedālat va raḥmat) verstehen.867 Ein Beispiel hierfür wäre etwa die islamrechtliche Erbschaftsregelung im Verhältnis der Geschlechter, in der den Frauen nur die Hälfte des Anteils zusteht wie den Männern. Ausgehend von einer Tendenz zur Gerechtigkeit, dürfe man das Ziel dieser Regelung nicht in einem ewig gültigen Gebot im Erbrecht sehen, sondern in der rechtlichen Besserstellung der Frau gegenüber dem vorherigen Zustand. Dieses Ziel, die rechtliche Situation der Frau zu verbessern, sei demnach der eigentliche Kern der Botschaft.868 Šabestarīs Reflexionen zu den Grundlagen der Hermeneutik sowie sein exegetisches Prinzip, das ich Heuristik der Tendenz nenne, machen seinen rationalen und am Subjekt orientierten Zugang zu den Offenbarungstexten deutlich. Doch was bedeutet dieser Zugang nun für ihren sakralen Charakter? Steht er nicht gerade im Widerspruch zur Doktrin, beim Koran handele es sich um die Rede Gottes? Für Šabestarī besteht in einer vernunftbasierten Deutung des Textes kein Widerspruch zur Idee der göttlichen Rede. Vielmehr besteht für ihn hier ein möglicher Zusammenhang. Der Offenbarungstext als solcher ist nämlich für Šabestarī nicht per se schon als ewige Rede Gottes zu verstehen. Rede Gottes ist er nur dann, wenn er im Rezipienten eine religiöse Erfahrung hervorruft, der sich etwa durch einen Deutungsvorgang einstellen kann. Die Rede Gottes besteht demzufolge immer nur aktuell im Rezipienten. Zudem muss eine solche Erfahrung nicht einmal auf die Lektüre sakraler Texte beschränkt sein. Während Šabestarī in seinem hermeneutischen Ansatz die Bedeutung der menschlichen Vernunft für das Verstehen der göttlichen Botschaft herausstellt, so ist es hier die religiöse Erfahrung des Menschen, die er als Kern des Glaubens 867 Šabestarī (1379/2000b), 174. 868 Für eine ausführliche Diskussion seiner hermeneutischen Prinzipien zur Deutung religiöser Texte vgl. Seidel (2004), 17–49; 93–125.
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betrachtet. In beiden Fällen ist die menschliche Subjektivität zentral für sein Denken. Während sie in seinen hermeneutischen Reflexionen aber in erster Linie als ein Vermögen des Menschen zur Geltung kommt, tritt die menschliche Subjektivität in seinen Reflexionen zum Glauben darüber hinaus als Unvollkommenheitserfahrung in den Vordergrund. Der Glaube ist für Šabestarī weder eine Überzeugung noch ein Wissen von etwas. Religiöse Überzeugungen, Meinungen, Theorien etc. können Ausdruck des Glaubens sein, sie sind aber nicht der Glaube selbst. Der Glaube ist vielmehr die völlige Hingabe an das Dasein Gottes. Er ist die Geborgenheit in Gott und demnach ein innerer Akt der Begegnung zwischen Mensch und Gott. Wie aber kommt diese Bereitschaft zur Hingabe an Gott zustande, worin besteht sie? Auch hier setzt Šabestarī wieder beim Menschen an, indem er das freie Denken und den freien Willen als essenzielle, anthropologische Wesensmerkmale des Menschseins betrachtet. Die Freiheit des Denkens und Willens sei kein einmal erreichter und beständiger Zustand, sondern müsse vielmehr ständig erneuert werden. Denn das Denken sei nur dann wirkliches Denken, wenn es sich vollziehe und somit ständig über sich selbst hinauswachse, und der Wille müsse sich, um wirklich autonom zu sein, immer wieder neu von äußeren Bestimmungsgründen befreien. Daher verweise die Freiheit des Denkens zugleich auf die Grenzen des Menschseins.869 Dadurch dass der Mensch in seinem Denken stets an seine Grenzen stoße, die er immer wieder versucht zu durchbrechen, stets drohe an den Grenzen zu scheitern und mit dem Denken aufzuhören, und dadurch, dass er die Autonomie seines Willens stets von der Heteronomie durch äußere Bestimmungsgründe gefährdet sehe, erfahre der Mensch seine Begrenztheit. Im Bewusstwerden seiner Unvollkommenheit und seiner Zeitlichkeit erfahre er darüber hinaus seine Endlichkeit, die stets drohende Gefahr des Nicht-Seins. In dieser Selbst-Erfahrung der Begrenztheit und der Endlichkeit stelle sich dem Menschen die Frage nach dem Ewigen, Unendlichen und Absoluten.870 Šabestarī drückt dies folgendermaßen aus: Wenn der Mensch in seinem Innern diese Erfahrung macht und sich selbst in Form eines sich selbst überwindenden, begrenzten und vom Nicht-Sein bedrohten (tahdīd šode be ʿadam) Denkens wiederfindet, erkennt er, dass sein Sein der Marginalie eines Textes gleicht oder einer Welle des Meeres oder auch eines Tropfens im Wasser. Dies sind Erfahrungen von der Art, dass ein absolutes Begrenzt-Sein nicht möglich ist und ein jedes vom Nicht-Sein bedrohte Sein irgendwo einen Halt finden muss, von irgendwoher gegeben worden sein muss. Es ist jenes Absolute, durch das sich das Begrenzte verwirklicht.871
869 Vgl. Šabestarī (1378/1999), 24f. 870 Vgl. Šabestarī (1378/1999), 24–27; ebd., 37–40; (1379/2000b), 402–406. 871 Šabestarī, (1378/1999), 25.
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Diese Unvollkommenheit bedeutet für Šabestarī zweierlei: Einerseits besage sie, dass der Mensch begrenzt, fehlbar und eben nicht absolut sei; andererseits bedeute sie, dass der Mensch in seinem Seinsvollzug niemals vollendet sei. Der Mensch sei im ständigen Werden begriffen, ein stets zu vollendendes und nie ein vollendetes Sein. Mit dem Gefühl und dem Bewusstsein, dass der Mensch unvollkommen (nātamām) sei, verbinde sich eine innere Unruhe. Selbst wenn er sich seiner Unvollkommenheit nicht bewusst sei, so sei diese innere Unruhe, Angst, Furcht oder Sorge (daġdaġe) doch immer gegenwärtig. „Der Ursprung einer jeden menschlichen Sorge ist eben dieses Unvollkommen-Sein (nātamām būdan).“872 In der Terminologie der Existenzphilosophie, an die sich Šabestarī hier anlehnt, gesprochen, verbindet sich mit dem Erfahren der Unvollkommenheit und der Sorge der Wunsch, diese Unvollkommenheit und die inneren Widersprüche des menschlichen Daseins zu überwinden. In diesem Wunsch zeige sich ein innerer Verweisungszusammenhang zur Transzendenz. Im Streben nach dem transzendenten, unendlichen Sein stehe der Mensch, wie Šabestarī es ausdrückt, der ‚absoluten allumfassenden Essenz‘ (ẕāt-e farāgīr-e moṭlaq) gegenüber.873 Die Erfahrung, sich von diesem absoluten Gegenüber anziehen zu lassen (rūyārūʾī-ye maǧẕūbāne), ist die Hingabe an Gott. Genau in dieser Hingabe bestehe der Glaube. Indem der Mensch den Glauben an Gott ausübt (be ḫodāvand īmān mīvarzad), will er sich in Wahrheit von dieser Unvollkommenheit erlösen (mīḫāhad ḫod rā az īn nātamāmī naǧāt dahad).874
Die Erlösung bestehe letztlich darin, dass der Mensch in der Hingabe an den absoluten transzendenten Gott, seine eigene Begrenztheit, die nach Šabestarī in vier Begrenzungen (čahār maḥdūdīyat) – nämlich Geschichte (tārīḫ), Gesellschaft (ǧāmeʿe), Sprache (zabān) und Leib (tan/ǧesm) – bestehe, transzendiere (ʿobūr mīkonad) und im absoluten Sein, also Gott, den Ursprung seines Daseins und seiner Freiheit finde.875 Diese religiöse Erfahrung der Hingabe an den absoluten Gott, bestehe immer nur aktuell, im Moment des bewussten Vollzugs dieser Hingabe. Der Glaube ist etwas, das vollzogen werden muss (yek amr-e varzīdanī ast), er muss immer lebendig (zende) und dynamisch (pūyā) sein. Ein solcher Glaube in dem von mir genannten Sinne ist die freieste Handlung, die ein Mensch vollbringen kann.876
872 Ebd. 40. 873 Vgl. Šabestarī (1378/1999), 25. 874 Šabestarī (1378/1999), 39. 875 Vgl. Šabestarī, (1378/1999), 37–40; ders. (1379/2000b), 382f. 876 Šabestarī, (1378/1999), 40.
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Der Mensch vollzieht demnach seine Freiheit, indem er im Glauben an den absoluten allumfassenden Gott seine Begrenztheit und Unvollkommenheit transzendiert, sich quasi von ihnen befreit. Im befreienden Vollziehen des Glaubens als der völligen Hingabe an Gott übergebe der Mensch sein begrenztes Selbst (ḫod-e maḥdūdaš) an Gott, um zum wahren Selbst (ḫod-e vāqeʿī) zu finden. In dieser Hingabe überwinde der Mensch seine Angst oder Unruhe und erfährt Beistand (eʿtemād), Liebe (ʿešq), Sicherheit (amnīyat) und Hoffnung (omīd).877 Dieses Absolute, dem sich der Mensch hingebe, sei zwar absolut transzendent. In diesem Sinne versteht Šabestarī auch den Begriff tauḥīd (Einheit Gottes). Doch das Absolute sei keine metaphysische, jenseitige, unerreichbare Größe, da es nach Šabestarī für den Menschen in seiner Hingabe erfahrbar wird. Für mich ist das ‚Absolute‘ offenbar geworden (ẓāher šode ast) und es ist für mich nicht unerreichbar (dastam az moṭlaq kūtāh našode ast), denn dieses Absolute ist ein Absolutes, das in meinen menschlichen Begrenzungen offenbar wird und mich derart umgreift (marā ānčenān farā mīgīrad), dass ich meine bedingte Existenz (voǧūd-e mašrūṭ-e ḫod) ihm gegenüber verliere. Wir wollen vom Absoluten keine abstrakte Vorstellung haben. [...] Das Absolute ist nicht etwas, das in einen jenseitigen [metaphysischen Raum] gehörte (ke dar ān māvarāʾhā qarār dāšte bāšad) und zu dem ich keinen Zugang hätte. Das Absolute ist etwas, das mich derart umfasst, dass ich mich nicht von ihm lossagen kann, und das ist möglich unter je aktuell-geschichtlichen Bedingungen.878
Das Absolute sei erfahrbar, indem man den Sinn der eigenen bedingten weltlichen Existenz im Fluchtpunkt der Transzendenz finde und nicht innerhalb der Grenzen seines begrenzten Selbst suche. Indem man dadurch seine Grenzen transzendiere, erfahre man das Absolute in den weltimmanenten Grenzen seines Selbst. Die Transzendenz Gottes ist Transzendenz in der Immanenz.879 Indem Šabestarī eine Selbst-Erfahrung oder Selbst-Bewusstwerdung des Menschen als Bedingung der Möglichkeit für den Glauben setzt, hebt er erneut die Subjektivität des Menschen hervor. Der Mensch ist in seinem Denken und Willen grundsätzlich frei. Diese Freiheit ist eine Freiheit des Sein-Könnens. Doch in seiner Freiheit kann der Mensch erfahren oder sich bewusst machen, dass er in seinem Können nicht unbegrenzt und in seinem Dasein vom Nicht-Sein bedroht ist. In der religiösen Erfahrung der Hingabe an Gott, in der Erfahrung der „allumfassenden absoluten Essenz“ (ẕāt-e farāgīr-e moṭlaq), wie Šabestarī es nennt, kann der Mensch sich von den unauflösbaren Widersprüchen seiner irdischen Existenz befreien. Er 877 Vgl. Šabestarī (1378/1999), 38. 878 Šabestarī (1379/2000b), 403. 879 Vgl. Šabestarī (1378/1999), 38; ders. (1379/2000b), 403). Šabestari übersetzt diese Begriffe vorläufig folgendermaßen: Immanenz: (taqrīban) darūn-ḥessī und Transzendenz (taqrīban) farāḥessī. ders. (1379/2000b), 404.
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findet seinen Sinngrund, seinen Halt in der Transzendenz, die er als Immanenz, d. h. unter den Bedingungen seiner weltlichen Existenz, erfährt. Šabestarī stützt sich mit seinem Begriff des Glaubens auf die Tradition der islamischen Mystik, allen voran Ibn ʿArabīs, sowie auf die Existenztheologie des protestantischen Theologen Paul Tillich. Worauf es ihm hier ankommt ist, den Glauben als Kern der Religion gegenüber einem legalistischen Religionsverständnisses zu rehabilitieren. Der Glaube als religiöse Erfahrung müsse Kerngedanke einer „neuen Theologie“ werden und die Überbetonung des Rechts einerseits und metaphysischer Aussagen über Gott andererseits ersetzen oder zumindest ergänzen.
Wider die Verdinglichung Gottes Šabestarīs Gottesbegriff hat zudem auch eine kritische Stoßrichtung. Diese entwickelt er aus einer Deutung des Einheitsgedankens. Sein Gottesbegriff ist stark von der Vorstellung des tauḥīd im Sinne einer absoluten Transzendenz geprägt. Hier zeigt sich wieder die große Nähe seines Denkens zu muʿtazilitischen Grundprinzipien. Die Muʿtaziliten verstanden unter tauḥīd, dass Gott allein ewig und unendlich, in keiner Weise den Menschen oder anderen irdischen Wesen ähnlich ist und es nichts gibt, was von Ewigkeit her neben ihm Bestand hätte. Wer etwas anderes behauptete, dem warfen die Muʿtaziliten die Leugnung des strikten Monotheismus vor. Diese Annahme führte zur Doktrin der Geschaffenheit des Koran und zu einem komplizierten System der Attribute Gottes, die im Koran z. T. als menschenähnliche Eigenschaften Gott zugeschrieben wurden und daher argumentativ mit dem strengen Transzendenzpostulat in Einklang zu bringen waren.880 Šabestarī betont, wie oben dargestellt, die Transzendenz Gottes, indem er ihn als „absolut“ (moṭlaq) und „allumfassend“ (farāgīr) bezeichnet, als den, der durch nichts begrenzt sein kann. Doch führt ihn der Begriff des allumfassenden, absoluten Gottes gerade nicht zur Ausarbeitung oder Diskussion eines Systems von göttlichen Attributen, vielmehr warnt er davor, dass jeglicher Wahrheitsanspruch hinsichtlich des Wissens von Gott seine Absolutheit infrage stelle. Es ist richtig, dass wir durch diese Attribute uns dem Wissen über Gott annähern, aber [...] wenn wir Gott in diesen Attributen begrenzen, dann haben wir ihn aus seinem Absolut-Sein herausgeholt. [...] Sobald wir sagen, dass das Wissen und die Attribute, die wir für Gott herausgestellt haben, die endgültige Erkenntnis (nehāyat-e maʿrefat) über Gott sind, und jeder, der etwas anderes behauptet, falsch liegt, postulieren wir, dass wir Gott umfassend
880 Vgl. van Ess (1997), 361ff.
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begriffen haben (be ḫodā eḥāṭe peydā kardeʾīm)881, all das, was er ist, gefunden haben und er sich in unseren Händen befindet (ḫodā dar čang-e mā-st).882
Nach Šabestarī kann der Mensch keine vollständige Erkenntnis (maʿrefat-e be-lǧomle) von Gott erlangen. Sein Wissen von Gott sei, da es immer nur menschlich sein könne, begrenzt und nicht ewig und absolut. Behaupte man aber, über solch ein endgültiges Wissen von Gott zu verfügen, dann begrenzt man Gott durch menschliches Wissen. Das aber widerspreche seiner Transzendenz und komme einer Verdinglichung Gottes gleich. Verehre man einen solchen begrenzten und zu einer Sache gewordenen Gott (ḫodāʾī ke maḥdūd ast va be šeyʾ tabdīl šode), dann sei es nicht wirklich Gott, den man verehre, sondern etwas, was man ihm beigeselle. Im Klartext: Šabestarī betrachtet eine derartige Verdinglichung Gottes als širk.883 Širk – nach klassischer islamischer Lehre die Relativierung der Absolutheit Gottes durch „Beigesellung“ bzw. Vielgötterei – entsteht laut Šabestarī, sobald der Mensch religiöse Institutionen, Bräuche, Traditionen, Personen oder Gesetze verabsolutiert und sakralisiert. Diese Gefahr drohe immer dann, wenn die Religion institutionalisiert, und Gott dadurch in die Grenzen von Kirche, Moschee, religiöser Philosophie oder Theologie gebannt werde. Dennoch brauche der Mensch, so wie er für sein privates, gesellschaftliches und politisches Leben bestimmter Institutionen bedarf, auch in seinem religiösen und kultischen Leben gewisse Einrichtungen, die den Alltag regulieren. Daher bestehe mehr noch als in allen anderen öffentlichen Angelegenheiten, gerade in religiösen Fragen die Notwendigkeit einer ständigen Kritik des religiösen Denkens. Denn gemäß dem, was Šabestarī zum freien Denken ausführt, muss das Denken, um nicht in Dogmen zu erstarren, ständig in Bewegung bleiben. Dafür bedarf es stets einer selbstkritischen Haltung den eigenen sowie den gängigen Überzeugungen gegenüber, um tauḥīd von širk zu unterscheiden.884 Die Verdinglichung Gottes, die Šabestarī mit širk gleichsetzt, berge nicht nur die Gefahr, dass der Mensch seine innere Freiheit aufs Spiel setze, indem er sein kritisches Denken aufgebe, sondern auch seine äußere Freiheit sei dadurch bedroht. Denn ein verdinglichter Gott, in Form von Dogmen und unhinterfragbaren Institutionen, schränke zusätzlich die Freiheit des Menschen von außen ein. Während ein absoluter und ewiger – also dem tauḥīd entsprechender – Gott 881 Das „umfassend“ ist hier durchaus bildlich gemeint. Der Begriff eḥāṭe beinhaltet sowohl die Bedeutung verstehen, begreifen wie auch umfassen, einfassen, umgreifen. 882 Šabestarī, (1378/1999), 25f. 883 Šabestarī, (1378/1999), 29f. 884 Vgl. Šabestarī (1378/1999), 29–31; ders. (1379/2000), 202.
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die Subjektivität des Menschen ermöglicht, so ist es ein verdinglichter Gott, der dessen Subjektivität verneint.885 Šabestarīs Diskussion zum Zusammenhang zwischen Glaube und Freiheit ist – im Kontext des zeitgenössischen islamischen Diskurses – ein eindrückliches Beispiel für einen Ansatz, in dem sich ein an Kant orientierter Freiheitsbegriff mit Religion nicht nur zusammen denken lässt, sondern Religion sogar, verstanden als Glaube durch religiöse Erfahrung, durch diesen Freiheitsbegriff überhaupt erst begründet wird. Zudem argumentiert Šabestarī in seinen hermeneutischen Reflexionen, dass, auch wenn oder gerade weil die religiöse Tradition keine ahistorische und überzeitliche Gültigkeit besitze, man sie nicht ad acta legen müsse, sondern dass man sie sich vielmehr immer wieder aufs Neue aneignen und damit am Leben erhalten könne. Nicht zuletzt ist seine Argumentation eine scharfe und auch rhetorisch gelungene Kritik an einem verrechtlichten Religionsbegriff, da sie dessen Vertretern etwa durch die spezifische Deutung der Begriffe tauḥīd und širk genau den Vorwurf entgegenhält, den diese selbst gern gegen diejenigen richten, die sich in ihren Augen nicht an Gottes Gebote halten, indem er ihnen vorwirft dass sie sich mit ihren Deutungen der sakralen Schriften über Gott stellten. Zu behaupten, mit Verweis auf religionsrechtliche Autorität könne man ein Deutungsmonopol der religiösen Tradition reklamieren, könne göttliches Recht bestimmen und kenne den Willen Gottes, komme der Verdinglichung Gottes gleich. Gerade dadurch erhebe man sich in einem Akt der Hybris über ihn. Ein solcher Gott kann nach Šabestarī keine religiöse Erfahrung hervorrufen. Jegliche Art von Gesetzen, also auch jede Form religiöser Gebote, stehen für Šabestarī immer auf dem Prüfstand der Vernunft. Das bedeutet, der oder die Gläubige muss sich bewusst machen, was auf seiner/ihrer freien inneren Ent885 Vgl. Sabestarī /1378/1999), 35–36. Die Frage, inwiefern in den Vorstellungen iranischer Denker die Absolutheit Gottes in einen Konflikt mit der Subjektivität des Menschen gerät, ist eine der Hauptfragen, die sich Farzin Vahdat in seinen Untersuchungen zum religiösen Diskurs in Iran stellt. Die Betonung der Absolutheit Gottes zusammen mit der Überzeugung von der Subjektivität des Menschen beschreibt er mit dem Begriff der ‚mediated subjectivity‘ (mittelbaren Subjektivität). „I define mediated subjectivity as human subjectivity projected onto the attributes of monotheistic deity – attributes such as omnipotence, omniscience, and volition – and then partially reappropriated by humans. In this scheme, human subjectivity is contingent on God‘s subjectivity. Thus, although human subjectivity is not denied, it is never independent of God‘s subjectivity, and, in this sense, it is ‚mediated‘.“ Vahdat (2002), 134. Auf höchst einleuchtende Weise legt er dar, inwieweit etwa im Denken Šarīʿatīs, Khomeinis und Moṭahharīs die Subjektivität des Menschen, die zunächst nachdrücklich bejaht wird, im Endeffekt wieder zurückgenommen wird. Vgl. Vahdat (2002), insbes. 131–181. Für Denker wie Sorūš und Šabestarī stellt er fest, dass dieses Verhältnis zugunsten der menschlichen Subjektivität anders verstanden wird. Vgl. Vahdat (2003).
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scheidung beruht und mit einer religiösen Erfahrung einhergehen kann und was letztlich rein äußerliche Nachahmung von religiösen Praktiken und Formeln ist. Dafür ist es nötig, sich ernsthaft und offen mit der Kritik am religiösen Denken – ob von muslimischer oder nicht-muslimischer Seite – auseinanderzusetzen. Šabestarī verbindet somit einen hohen selbstkritischen und emanzipatorischen Anspruch mit dem Begriff des Glaubens. Die sittliche Autonomie des Willens, um hier den kantschen Begriff zu gebrauchen, ist für Šabestarī dafür die Vorraussetzung.
5.3.3.3 Diskussion der Positionen Meṣbāḥ Yazdīs und Moǧtahed Šabestarīs im Lichte der Religionsschrift Kants Die beiden soeben vorgestellten Diskussionen zum Verhältnis von Freiheit und Religion sind, wie bereits erwähnt, nicht in unmittelbarer Auseinandersetzung mit Kants praktischen Schriften entstanden. Betrachtet man sie aber im Lichte der kantschen Religionsschrift, so werden eine Reihe von Parallelen und Anknüpfungspunkten deutlich. Šabestarī zeigt in Teilen eine deutliche Nähe zu Kants Diskussion der Freiheit und zum kantschen Religionsverständnis. Dabei ist allerdings offen, ob und inwieweit er in seinem Ansatz durch ihn beeinflusst ist. Meṣbāḥs Position steht zu derjenigen Kants in vielerlei Hinsicht in direktem Widerspruch. Dennoch oder gerade deshalb lässt sie sich auf bestimmte Passagen der Religionsschrift beziehen. Eine Diskussion der beiden Positionen mit Blick auf die verschiedenen Aspekte und Lesarten der Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft ließe sich sicherlich gewinnbringend entfalten. Im Folgenden sollen allerdings nur einige Punkte angedeutet werden. Kants Religionsschrift ist ein vielschichtiges Werk. Es beinhaltet weit mehr als eine Religionskritik durch reine Vernunft und die allgemeine Forderung einer Vernunftreligion. Sie befasst sich zwar auch und ganz wesentlich mit der Begründung und Ausarbeitung des Gedankens einer natürlichen Religion als Vernunftreligion, in der, wie Kant es ausdrückt, „ich zuvor wissen muß, daß etwas Pflicht sei, ehe ich es für ein göttliches Gebot anerkennen kann“886. Doch behandelt sie eine ganze Reihe von weiteren spezifischen Fragen, die mit Religion im Allgemeinen oder mit dem Christentum im Besonderen, verstanden und gedeutet als Ideal einer moralischen Religion, in Verbindung stehen. Zu den wichtigen Themen gehört etwa die Diskussion des menschlichen Hangs zum Bösen als ein authentischer Ausdruck des Freiheitsgebrauchs, der durch die dem Menschen ebenfalls eigene Anlage zum Guten zu disziplinieren sei. Die Schrift lässt sich auch als eine Art Philosophie des Christentums verstehen, die Kant anhand von vier christli886 Kant Religion AA VI, 154.
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chen Grundgedanken, der Sündenlehre, der Christologie, der Eschatologie und der Ekklesiologie, abhandelt. Auf diese Facetten seines Werkes wird hier nicht systematisch eingegangen. Vielmehr sollen die Diskussionen Šabestarīs und Meṣbāḥs exemplarisch auf zwei Gedanken bezogen werden, die Kant in seiner Schrift entwickelt. Einerseits die Idee der praktischen Vernunft als höherer Ausleger von Offenbarungstexten zusammen mit seiner Definition des Religionsbegriffs und andererseits die Kritik an einem Afterdienst in einer statutarischen Religion. Anders als man vermuten könnte, verbindet Kant mit seinem Eintreten für die Vernunftreligion keineswegs eine Negierung der religiösen Tradition oder eine Marginalisierung sakraler Texte, wie etwa der Bibel. Zwar macht er bereits im ersten einleitenden Satz seiner Religionsschrift unmissverständlich klar, dass für ihn die Moral „weder der Idee eines andern Wesens über ihm [bedarf], um seine Pflicht zu erkennen, noch einer andern Triebfeder als des Gesetzes selbst, um sie zu beobachten“,887 sondern sich allein durch die praktische Vernunft begründet. Dennoch geht er von der Zweckmäßigkeit der Schriftgelehrsamkeit und der Bedeutung von Offenbarungstexten für die Religion aus. Sofern sich die Deutung der Schrift dabei auf historische Zusammenhänge bezieht, mag sie in der Hand von Religionsgelehrten einer bestimmen Religionsgemeinde liegen. Sobald es aber um Fragen der Moral und der Pflicht geht, darf die Deutung allein der praktischen Vernunft gehorchen. Dieses Verhältnis zwischen Schriftgelehrsamkeit und Vernunft erörtert Kant im VI. Abschnitt des „dritten Stücks“ der Religionsschrift, mit dem Titel „Der Kirchenglaube hat zu seinem höchsten Ausleger den reinen Religionsglauben“.888 Am Ende des Abschnitts fasst er sein Überlegungen folgendermaßen zusammen: Es gibt also keine Norm des Kirchenglaubens, als die Schrift, und keinen andern Ausleger desselben, als reine Vernunftreligion und Schriftgelehrsamkeit (welche das Historische derselben angeht), von welchen der erstere allein authentisch, und für alle Welt gültig, der zweite aber nur doktrinal ist, um den Kirchenglauben für ein gewisses Volk zu einer gewissen Zeit in ein bestimmtes sich beständig erhaltendes System zu verwandeln.889
Hierin zeigen sich zwei Argumente, die auch für Šabestarī eine zentrale Rolle spielten. Der erste Punkt betrifft Šabestarīs Ansicht, dass eine Religionsgemeinschaft den Bezug zur Tradition insbesondere zu ihren Gründungstexten braucht, wobei die Bewahrung derselben aber vor allem in einer zeitgemäßen Deutung, die die Tradition erst am Leben erhalten könne, bestehe. Diese Deutungen müssen, 887 Kant Religion AA VI, 3. 888 Kant Religion AA VI, 109–114. 889 Kant Religion AA VI, 114.
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darauf legt Šabestarī in seinen hermeneutischen Überlegungen wie auch seinen Ausführungen zur Freiheit großen Wert, stets offen sein für jede Form von Kritik. Darin stimmt er mit Kant überein, der den erwähnten Abschnitt wie folgt beendet: Was aber diesen [den Kirchenglauben] betrifft, so ist es nicht zu ändern, daß der historische Glaube nicht endlich ein bloßer Glaube an Schriftgelehrte, und ihre Einsicht werde: welches freilich der menschlichen Natur nicht sonderlich zur Ehre gereicht, aber doch durch die öffentliche Denkfreiheit wiederum gut gemacht wird, dazu diese deshalb um destomehr berechtigt ist, weil nur dadurch, daß Gelehrte ihre Auslegungen jedermanns Prüfung aussetzen, selbst aber auch zugleich für bessere Einsicht immer offen und empfänglich bleiben, sie auf das Zutrauen des gemeinen Wesens zu ihren Entscheidungen rechnen können.890
Der zweite Punkt, in dem sich ebenfalls eine offensichtliche Nähe zu Kant zeigt, besteht in der oben dargestellten Überzeugung Šabestarīs, dass jegliche Form religiöser Gebote der kritischen Prüfung der Vernunft zu unterziehen seien. Šabestarī begründete das nicht allein mit dem Primat der Vernunft, sondern nicht zuletzt damit, dass die Behauptung unhinterfragbarer religiöser Gebote letztlich zu einer Verdinglichung Gottes führen. Ein ähnliches Argument kann man, das sei hier nur angedeutet, auch bei Kant finden. Kant verwendet in seinen praktischen Schriften u. a. mit Bezug auf Gott und die Bibel vielfach den Ausdruck „Heiligkeit“ bzw. das Attribut „heilig“. Doch bedeutet das für Kant nicht, dass alles heilig ist, was sich auf Gott und die Schrift beruft. Vielmehr kommen umgekehrt Gott und der Schrift diese Heiligkeit nur insofern zu, als man sie durch das moralische Gesetz bestimmt versteht. Man kann Gott und die Schrift also als heilig betrachten, indem man davon ausgeht, dass sie das moralische Gesetz wollen. Gleiches gilt auch für religiöse Gebote. Wahrhaft göttlich und damit heilig sind diese nur, wenn sie der Moral im Sinne des „heiligen moralischen Gesetzes“ entsprechen. Nichts anderes drückt Kant in seiner bekannten Definition des Religionsbegriffs aus, die er im „Vierten Stück“ der Religionsschrift formuliert: Religion ist (subjektiv betrachtet) das [sic] Erkenntnis aller unserer Pflichten als göttlicher Gebote.891
Was die Auslegung der Schrift anbelangt, bedeutet das für Kant, dass man sich zum Prinzip machen muss, Gottes Willen im moralischen a priori aus praktischer Vernunft begründeten Gesetz zu sehen. Nur in diesem Sinne kommt der Schrift Heiligkeit zu. Von diesem Prinzip ausgehend entwickelt Kant im erwähnten VI. 890 Kant Religion AA VI, 114. 891 Kant Religion AA VI, 153.
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Abschnitt des dritten Stücks der Religionsschrift sowie in einem Abschnitt des Streits der Fakultäten892 Ansätze zu einer „hermeneutica sacra“ als allgemeine Regeln zur Auslegung von Offenbarungstexten.893 Dabei macht er deutlich, dass es legitim, ja bisweilen sogar nötig ist, Sinn in den Text hineinzutragen, um ihn gemäß der Moral zu deuten. Noch einmal sei zur Verdeutlichung Kant zitiert: (…) dazu wird eine Auslegung der uns zu Händen gekommenen Offenbarung erfordert, d. i. durchgängige Deutung derselben zu einem Sinn, der mit den allgemeinen praktischen Regeln einer reinen Vernunftreligion zusammenstimmt. Denn das Theoretische des Kirchenglaubens kann uns moralisch nicht interessieren, wenn es nicht zur Erfüllung aller Menschenpflichten als göttlicher Gebote (was das Wesentliche aller Religion ausmacht) hinwirkt. Diese Auslegung mag uns selbst in Ansehung des Texts (der Offenbarung) oft gezwungen scheinen, oft es auch wirklich sein, und doch muß sie, wenn es nur möglich ist, daß dieser sie annimmt, einer solchen buchstäblichen vorgezogen werden, die entweder schlechterdings nichts für die Moralität in sich enthält, oder dieser ihren Triebfedern wohl gar entgegen wirkt.894
Dieser Ansatz zeigt eine gewisse Ähnlichkeit mit Šabestarīs Auslegungsprinzip, das ich oben als Heuristik der Tendenz bezeichnet habe. Šabestarī wendet dieses Prinzip u. a. in einem seiner Texte an, um etwa den koranischen Rechtsgrundsatz der Widervergeltung (qiṣāṣ)895 als einen Aufruf Gottes zur Vergebung zu deuten.896 In vergleichbarer Weise deutet Kant in der Religionsschrift das „Gebet um Rache“ in Psalm 59 als Ausdruck eines Verzichts auf Rache und „moralische Warnung vor Selbstrache“, indem man durch das Gebet die Rache in Gottes Hände lege.897 Man kann also festhalten, dass Šabestarī in ähnlicher Weise wie Kant davon ausgeht, dass man religiöse Texte nach Prinzipien der praktischen Vernunft zu deuten hat und nicht umgekehrt die Moral nach Rechtsbestimmungen auslegen sollte, die sich in den Texten finden. Somit vertritt also auch Šabestarī das kantsche Diktum, man solle moralische Pflichten als Gebote Gottes verstehen. Vielleicht, doch das sei hier nur angedeutet, geht er über Kant hinaus, indem er angibt, dass dieses hermeneutische „Als“ im Vollzug der Exegese zu einem Ausdruck einer „religiösen Erfahrung“ (taǧrobe-ye dīnī) werden könne, in der
892 Der Abschnitt trägt den Titel „Philosophische Grundsätze der Schriftauslegung zur Beilegung des Streits“. Vgl. Kant Streit AA VII, 38–45. 893 Zu Kants Ansätzen einer hermeneutica sacra vgl. Dörflinger (2009); Höffe (2011), 231–247. 894 Kant Religion AA VI, 110. 895 Vgl. Q 2; 178; Q 5; 45. 896 Vgl. Šabestarī (1379/2000b) , 161–183, hier 170–172. Für eine Diskussion dieser Deutung vgl. Seidel (2004), 113–115. 897 Vgl. Kant Religion AA VI, 110 Anm. 1. Dazu Dörflinger (2009), 134.
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sich Gott in einer Art aktualisiertem Zwiegespräch mit dem einzelnen Menschen offenbare.898 Kommen wir nun abschließend noch zum zweiten Gedanken Kants aus der Religionsschrift, der sich insbesondere auf die Diskussion Meṣbāḥs beziehen lässt, nämlich die Kritik an einem Afterdienst in einer statutarischen Religion. Kant formuliert diese Kritik im vierten und letzten Stück seiner Religionsschrift, das den Titel „Vom Dienst und Afterdienst unter der Herrschaft des guten Prinzips oder Von Religion und Pfaffentum“ trägt. In diesem passagenweise in sehr polemischen Ton verfassten Stück unterscheidet Kant terminologisch den Begriff der Vernunftreligion, die er auch natürliche Religion nennt, von dem der offenbarten Religion, die sich auf ein historisches Offenbarungsereignis beziehe. Eine solche offenbarte Religion kann nach Kant als natürliche Religion verstanden werden, „wenn sie so beschaffen ist, dass die Menschen durch den bloßen Gebrauch ihrer Vernunft auf sie von selbst hätten kommen können, und sollen“899 – in diesem Sinne versucht er das Christentum zu deuten. Sie kann aber auch als „gelehrte Religion“ auftreten, in der Glaubensgrundsätze vertreten werden, die in der Obhut einer Gelehrtenschicht liegen und als für alle verbindlich propagiert werden. Eine solche gelehrte Religion wird zu einer „statutarischen Religion“, wenn in ihr festgeschriebene Gebote als Ausdruck des göttlichen Willens herrschen, die als der eigentliche Kern der Religion angesehen werden. So erläutert Kant zu Beginn des zweiten Teils des vierten Stücks wie folgt: Die wahre alleinige Religion enthält nichts als Gesetze, d. i. solche praktische Prinzipien, deren unbedingter Notwendigkeit wir uns bewußt werden können, die wir also, als durch reine Vernunft (nicht empirisch) offenbart, anerkennen. Nur zum Behuf einer Kirche, deren es verschiedene gleich gute Formen geben kann, kann es Statuten, d. i. für göttlich gehaltene Verordnungen geben, die für unsere reine moralische Beurteilung willkürlich und zufällig sind. Diesen statutarischen Glauben nun (der allenfalls auf ein Volk eingeschränkt ist, und nicht die allgemeine Weltreligion enthalten kann) für wesentlich zum Dienste Gottes überhaupt zu halten, und ihn zur obersten Bedingung des göttlichen Wohlgefallens am Menschen zu machen, ist ein Religionswahn, dessen Befolgung ein Afterdienst, d. i. eine solche vermeintliche Verehrung Gottes ist, wodurch dem wahren, von ihm selbst geforderten Dienste gerade entgegen gehandelt wird.900
Kant macht in diesem Absatz, der seine darauf folgenden Erörterungen zusammenfasst, darauf aufmerksam, dass Statuten, also konkrete religiöse Gebote, sofern sie ein Mittel für die Orientierung am moralischen Gesetz darstellen, 898 Zu Šabestīs Begriff der „religiösen Erfahrung“ vgl. Seidel (2004), 62–77. 899 Kant Religion AA VI, 155. 900 Kant Religion AA VI, 167f.
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durchaus zweckmäßig sein können. Versteht man sie als den Zweck der Religion selbst, dann erliegt man einem Religionswahn. Er führt zu einer „vermeintlichen Verehrung Gottes“, die er Afterdienst nennt. Im Afterdienst wird somit ein verdinglichter Gott verehrt. Kant spricht in diesem Zusammenhang auch von „Fetischmachen“ bzw. „Fetischdienst“. Dieser besteht nach Kant in dem Wahn, „daß er vermeintlich auf Gott wirkt, und sich desselben als Mittel bedient, um eine Wirkung in der Welt hervorzubringen“.901 Führt man sich noch einmal Meṣbāḥs Religionsverständnis vor Augen, so ist es offensichtlich, dass es einer statutarischen Religion entspricht. Denn für ihn gelten ganz explizit statutarische Gebote als Kern der Religion. Die Moral muss demzufolge nach diesen Geboten ausgelegt werden und nicht umgekehrt. Dadurch – so könnte man an Kant anknüpfend urteilen – untersteht Meṣbāḥ dem Wahn, den göttlichen Willen zu kennen und daher befugt zu sein, in dessen Namen in der Welt zu wirken. Nach diesem statutarischen Religionsverständnis kann es nur eine einzige offizielle Lesart der Religion geben, nur einen Willen Gottes, der in letzter Instanz auf Erden vom obersten Rechtsgelehrten vertreten wird.902 Das diesem Religionsverständnis entsprechende streng hierarchische klerikale System erinnert nicht zuletzt an das, was Kant in seiner Religionsschrift polemisch als Pfaffentum bezeichnet: Das Pfaffentum ist also die Verfassung einer Kirche, sofern in ihr ein Fetischdienst regiert, welches allemal da anzutreffen ist, wo nicht Prinzipien der Sittlichkeit, sondern statutarische Gebote, Glaubensregeln und Observanzen die Grundlage und das Wesentliche desselben ausmachen. (…) Wo Statute des Glaubens zum Konstitutionalgesetz gezählt werden, da herrscht ein Klerus, der der Vernunft, und selbst zuletzt der Schriftgelehrsamkeit gar wohl entbehren zu können glaubt, weil er als einzig autorisierter Bewahrer und Ausleger des Willens des unsichtbaren Gesetzgebers die Glaubensvorschrift ausschließlich zu verwalten die Autorität hat, und also, mit dieser Gewalt versehen, nicht überzeugen, sondern nur befehlen darf. – Weil nun, außer diesem Klerus alles übrige Laie ist (das Oberhaupt des politischen gemeinen Wesens nicht ausgenommen): so beherrscht die Kirche zuletzt den Staat, nicht eben durch Gewalt, sondern durch Einfluß auf die Gemüter (…).903
Was die Rolle der Religion in ihrer offiziellen Lesart in der Islamischen Republik Iran und speziell die Ideologie Meṣbāḥs betrifft, so ist sie mit diesem Kantzitat 901 Kant Religion AA VI, 177f. 902 Šabestarī widmet eines seiner Bücher, in dem er sich in einem Artikel auch explizit mit Meṣbāḥ auseinandersetzt, konkret der Kritik dieses Religionsverständnisses, so trägt es auch den Titel Naqdī bar qerāʿat-e rasmī az dīn (Kritik der offiziellen Lesart der Religion). Vgl. Šabestarī (1379/2000b); zur Kritik an Meṣbāḥ, den er als einen der Theoretiker dieser offiziellen Lesart ausmacht, ebd. 30–53. 903 Kant Religion AA VI, 179f.
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treffend beschrieben. Dies mit dem bedeutenden Zusatz, dass die Kirche, hier der Regierungsklerus, nicht nur Einfluss auf die Gemüter hat, sondern den Staat eben auch mit Gewalt beherrscht, indem das Oberhaupt des Klerus mit dem Oberhaupt des politischen Gemeinwesens zusammenfällt. Meṣbāḥ ist keineswegs eine Randerscheinung im System der Islamischen Republik Iran. Er ist nicht nur Vertreter der radikalsten Auslegung der Staatsdoktrin velāyat-e faqīh,904 sondern hat zugleich einflussreiche Posten im Machtapparat inne.905 Nach seiner Auffassung der Staatsdoktrin wird dem religiöspolitischen Oberhaupt die höchste Autorität in allen politischen und religiösen Fragen nicht übertragen, auch wenn er vom Expertenrat gewählt wird, sondern es wird letztlich durch Gott erwählt und von Gott inspiriert. Das religiös-politische Oberhaupt steht demnach für die einzig wahre Auslegung der Religion und der göttlichen Gesetze. Darauf gründet er seine Befürwortung religiös legitimierter – auch und gerade physischer – Gewalt, denn wer von der offiziellen Auslegung abweicht, gegen den kann, ja muss man mit Gewalt vorgehen, um die göttliche Ordnung zu wahren.906 Damit sind wir mit der Frage nach der Rezeption der kantschen Moralphilosophie, über die daran anknüpfenden Diskussionen zu Freiheit, Politik und Religion schließlich von der rein diskursiven Ebene in der konkreten politischen Wirklichkeit Irans angelangt, in der letztlich alle bisher beschriebenen Zugänge zum Denken Kants, seine theoretische Philosophie eingeschlossen, situiert sind. Die Bedeutung dieser politischen und ideologischen Rahmenbedingungen für die Praxis der Kantrezeption bzw. des Philosophiebetriebs in Iran allgemein zu beleuchten, ist Aufgabe des folgenden letzten Kapitels dieser Arbeit.
904 Zur iranischen Kontroverse um die Auslegung der velāyat-e faqīh allgemein und der Position Meṣbāḥ Yazdīs vgl. Kamrava (2008), 93-111; Amirpur (2006), dies. (2010). 905 Siehe unten 6.1. 906 Meṣbāḥ Yazdī kann als der vielleicht einflussreichste Theoretiker religiös legitimierter Gewalt in Iran bezeichnet werden. In einer Vielzahl von Vorlesungen und Reden spricht er im Stile einer Freund-Feind-Rhetorik in zum Teil drastischen Worten von der Notwendigkeit der Gewaltanwendung gegen die sogenannten Feinde des Islams und erklärt diese Gewalt als Verteidigungsmaßnahme zur Pflicht aller Muslime. Es ließen sich unzählige Belege für gewaltbefürwortende Äußerungen Meṣbāḥs auflisten, exemplarisch sei hier nur auf seine ausführliche Diskussion zum Thema verwiesen, die auf seiner Website unter dem Titel Kālbodšekāfī-ye baḥs̱-e ḫošūnat (Autopsie des Gewaltdiskurses) zugänglich ist. Vgl. http://mesbahyazdi.ir/node/2180 [Zugriff 16.03.2014].
6 Philosophie zwischen Staatsmacht und Zivilgesellschaft in Iran Die Auseinandersetzung mit den Schriften Kants kann durchaus eine konkrete politische Dimension entfalten. Das vorangegangene Kapitel zeigte, dass man beispielsweise Kants Schrift Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft durchaus als eine unmittelbare Kritik autoritärer religiös begründeter Herrschaftsansprüche lesen kann. Die Frage liegt auf der Hand, welche politische Konsequenz sich daraus für die Rezeption seines Denkens in Iran ergibt, wo eine bestimmte Lesart des schiitischen Islam als Staatsdoktrin gilt und die religiösen und politischen Machtstrukturen bestimmt. Kann Kants kritisches Denken unter solchen Rahmenbedingungen frei diskutiert werden oder muss es nicht zwangsläufig in Konflikt mit der staatlichen Zensur geraten? Immerhin traf dieses Schicksal auch Kant selbst, der die Religionsschrift – zumindest Teile derselben – explizit als Kritik nicht nur einer denkbaren, sondern auch der existierenden Religionspolitik verfasste. Das brachte ihn schließlich in einen Konflikt mit der Staatsmacht, der in der Literatur als „Zensurkonflikt“ bekannt ist. Der Hintergrund dieser Auseinandersetzung beginnt mit dem Amtsantritt Friedrich Wilhelms II. (1786–1797) dem Nachfolger und Neffen Friedrich des Großen. Friedrich Wilhelm hegte nicht nur eine persönliche Abneigung gegen seinen Onkel, die auf Gegenseitigkeit beruhte, sondern teilte auch seine Einstellung zur konfessionellen Toleranz nicht. Mit seinem Machtantritt wurde schließlich durch seinen Minister Wöllner ein Religionsedikt verfasst, das Toleranz in Religionsfragen ein Ende machen sollte, indem es die Meinungsfreiheit in Religionsfragen einschränkte. Dieses Edikt nun wurde bald Gegenstand öffentlicher Kritik, denn es war keinesfalls Kant allein, der sich mit der angekündigten Begrenzung der Meinungsfreiheit nicht abfinden wollte. In der Folge wurde schließlich eigens eine neue Zensurkommission ins Leben gerufen, die Immediate Examinations-Kommission, die das Edikt wirkungsvoller umsetzen sollte. Dieser Kommission nun legte Kant diese Teile seiner Religionsschrift vor mit der Konsequenz, dass sie, nachdem sie den ersten Teil gebilligt hatte, dem zweiten Teil das Imprimatur verweigerte, woraufhin Kant sich an die theologische Fakultät der Universität Jena für eine Druckerlaubnis wandte, die er schließlich von der philosophischen Fakultät erhielt. Das Buch konnte erscheinen und fand großen Absatz, brachte Kant aber auch jene berüchtigte, von Minister Wöllner unterzeichnete „Königliche Kabinettsorder“ ein, in der er zu einer Stellungnahme sowie unter Androhung „unangenehmer Verfügungen“ zur Unterlassung weiterer öffentlicher „Herabwürdigungen des Christentums“ aufgefordert wurde. Kant widersprach dem Vorwurf der Her-
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abwürdigung deutlich, sicherte aber dennoch zu, dass er sich, solange der König lebe, nicht weiter zu Religionsfragen äußern werde. Ein Versprechen, an das er sich auch hielt. Seine Schrift Der Streit der Fakultäten, in der er sich wieder mit Religionsfragen befasste, erschien erst nach Ableben Friedrich Wilhelms II.907 Zensur und staatliche Einschränkung der Meinungs- und Publikationsfreiheit sind – das ist allgemein bekannt – derzeit in Iran allgegenwärtig. So sollte man annehmen, dass das Denken Immanuel Kants, das doch sowohl im Bereich der theoretischen wie auch der praktischen Philosophie zentrale Grundgedanken der religiösen Staatsideologie der Islamischen Republik infrage stellt, in Iran keinen leichten Stand hat und vonseiten staatlicher Funktionäre mit höchstem Misstrauen betrachtet wird. Man könnte daher weiter mutmaßen, dass die Fronten in Sachen Kant in Iran klar verteilt sind: Auf der einen Seite die Liberalen, die mit Kant als Gewährsmann das System – im Rahmen ihrer Artikulationsmöglichkeiten und stets vom Zensor bedroht – kritisieren. Auf der anderen Seite die Regimeanhänger und Funktionäre, die Kants Denken als Inbegriff westlicher Dekadenz oder zumindest als nicht system- bzw. islamkonform betrachten, und die durch weitreichende Publikationsverbote alles daransetzen, dass es sich in Iran nicht weiter verbreitet. Dass sich die Sache nicht so einfach darstellt, dürfte durch die Diskussionen der vorangegangenen Kapitel deutlich geworden sein. Wäre die Situation so, dann hätte es in Iran keine so vielfältige Kantrezeption geben können. Der Überblick über die Kantrezeption in Iran hat vielmehr gezeigt, dass die meisten einschlägigen Werke Kants inzwischen in persischer Übersetzung erhältlich sind. Auch bestand meines Wissens – bisher jedenfalls – nicht der Versuch, Übersetzungen von Kants Schriften von offizieller Seite zu verhindern oder deren Verbreitung zu verbieten. Zudem gibt es eine verhältnismäßig große Menge an in Iran erschienener Kantliteratur. Darüber hinaus gehört sein Denken zum festen Bestandteil des Curriculums im Studium der westlichen Philosophie oder Politikwissenschaft. Doch auch was die Frage der Zuordnung von Kantinterpreten in politische Lager angeht, ergibt sich ein durchaus komplexes Bild. Einerseits sind weder alle Kant gegenüber positiv eingestellten Interpreten Regimekritiker, die das System der Islamischen Republik Iran und deren Verfassung als unrettbar despotisch verdammen. Selbst manche liberale Denker unter ihnen waren oder sind davon überzeugt, dass man die republikanischen und partizipatorischen Elemente der Verfassung – übrigens ganz im kantschen Verständnis des öffentlichen Vernunftgebrauchs, nämlich auf dem Weg des öffentlichen und parlamentarischen Diskurses – gegenüber den autoritären Aspekten stärken könne. Genau darin 907 Die Hintergründe und komplexen Verstrickungen des Zensurkonflikts legt Stangneth (2003) in ihrer Einleitung der Edition der Religionsschrift mit umfangreichem Quellenbezug dar.
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besteht ja das Programm der Reformbewegung. Noch sehen andererseits alle Regimeanhänger in Kant einen „Teufel“, dessen Einflüsterungen man zum Wohle des Islams und der inneren Sicherheit von der Bevölkerung fernhalten müsse. Im Gegenteil, es sind z. T. nicht zuletzt hohe Repräsentanten des Regimes, die sich auch als anerkannte bzw. einflussreiche Kant-Übersetzer und -Interpreten einen Namen gemacht haben. Allerdings bedeutet das wiederum nicht, dass hinsichtlich philosophischer Literatur die Frage der Zensur und der staatlichen Einflussnahme auf Lehre, Forschung und Buchmarkt letztlich doch nur eine zu vernachlässigende Rolle spielt.908 Dass Kant sogar von ranghohen Funktionären der Islamischen Republik intensiv rezipiert wurde, ist weit mehr als ein Kuriosum, es offenbart vielmehr neben der Bedeutung, die Kants Denken inhaltlich für den politischen Diskurs entfalten kann, eine weitere Dimension des Politischen der Kantrezeption in Iran, um die es mir im Folgenden geht. Da ganz offensichtlich bisher die staatliche Einflussnahme nicht so weit geht, den Diskurs über Kant zu unterbinden oder gar Kant öffentlich als Ketzer zu brandmarken, muss sich die Einflussnahme und die Reaktion auf ihn auf einer anderen Ebene abspielen. Es geht dabei letztlich um die Frage des philosophischen Kanons und mehr noch um die der Deutungshoheit philosophischer Texte in Iran, so auch der Schriften Kants. Fragt man also danach, welche Deutungen durch wen propagiert werden, so gilt es mit zu bedenken, welchen Einfluss die jeweiligen Interpreten nicht zuletzt durch ihre institutionelle Anbindung haben und welche Grundhaltung, die nicht immer explizit sein muss, sie hinsichtlich der Bedeutung der Philosophie vertreten.
6.1 Kantrezeption und das politische Establishment In diesem Zusammenhang scheint mir eine apologetische Grundposition bezüglich des europäischen Denkens von besonderer Bedeutung zu sein, die bereits im Vorfeld der Islamischen Revolution von einem der Impulsgeber der Kantrezeption in Iran vertreten wurde. Die Rede ist von Mortażā Moṭahharī und seinem Ansatz, den er in den Werken Oṣūl-e falsafe va raveš-e reʾālīsm und Šarḥ-e mabṣūṭ vertritt, die ich zuvor als Prototypen einer Komparatistik mit dem Ziel der Apologetik der islamischen Tradition der Philosophie vorgestellt habe. Die Hauptmotivation dieser in Teilen durchaus anspruchsvollen Diskussionen bestand darin, dem 908 Die Problematik der Zensur in Iran ist ein komplexes Thema. Die Frage, was veröffentlicht werden kann und in welcher Form, lässt sich nicht einfach beantworten. Vielmehr spielen in jedem Fall verschiedenste Faktoren eine Rolle, die zur jeweiligen Entscheidung führen. Für einen Einblick in die iranische Zensurpolitik vgl. Hejazi (2011).
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Gros der europäischen Philosophie argumentative Mängel nachzuweisen und sie letztlich als idealistisch zu entlarven, um ihr im Gegenzug ein „realistisches“ Denken gegenüberzustellen, das die erkenntnistheoretischen und ontologischen Probleme der europäischen Philosophie vermeide und das in der islamischen Tradition, insbesondere in der Tradition Mullā Ṣadrās, verwirklicht sei. An dieser Stelle kommt es mir nicht darauf an, die Argumentation nachzuvollziehen und im Einzelnen zu beurteilen. Bedeutsam daran ist hier, dass diese Kritik äußerst wirkmächtig war. Moṭahharīs Vorlesungen etwa, aus denen das Werk Šarḥ-e mabṣūṭ entstand, wohnten eine Reihe von Schülern bei, die heute nicht nur die akademische Philosophie in Iran vertreten, sondern auch wichtige Funktionäre der Islamischen Republik sind. Es war nicht zuletzt Moṭahharī, der einige von ihnen davon überzeugte, sich im Studium auf „westliche Philosophie“ zu spezialisieren, womit die strikte Trennung der „philosphischen Lager“ in „westliche“ und „islamische“ Philosophie überwunden werden sollte. Die Intention aber, diese Dichotomie zu überwinden, bestand nicht vorrangig darin, der westlichen Philosophie möglichst unvoreingenommen zu begegnen oder über Möglichkeiten der Synthese nachzudenken, sondern eben in der Apologetik. Das hatte Auswirkungen, die sich auch im heutigen Philosophiebetrieb in Iran zeigen. Dieses soll im Folgenden anhand des Einflusses, der einzelnen Kantinterpreten in ihrer Rolle als Amtsträger zukommt, mit Bezug auf den Ansatz der Komparatistik als Apologetik besprochen werden. Beginnen wir mit den zwei wohl prominentesten Beispielen Ġolāmʿalī Ḥaddād ʿAdel und ʿAlī Lārīǧanī, beides Schüler von Moṭahharī.909 Lārīǧanī, dessen Zugang zur Frage der synthetischen Urteile a priori bei Kant oben diskutiert wurde, ist zudem auch Schwiegersohn Moṭahharīs. Er ist nicht nur Autor jener drei erwähnten Monografien über Kant und dessen Wissenschaftsverständnis, sondern auch Professor für westliche Philosophie an der Universität Teheran. Er fungiert seit 2008 bis heute (2014) auch als Parlamentspräsident der Islamischen Republik und hatte vor diesem Amt noch eine ganze Reihe weiterer einflussreicher Positionen innerhalb des Systems der Islamischen Republik Iran inne. So war er von 1992-94 Minister für Kultur und Islamische Rechtleitung (vazīr-e farhang va eršād-e eslāmī), anschließend leitete er von 1994-2004 die staatlichen Rundfunkund Fernsehanstalten (ṣedā o sīmā) und war zudem von 2005 bis 2007 Vorsitzender des Nationalen Sicherheitsrats, was seinerzeit auch mit dem Posten des Atomunterhändlers verbunden war, der ihm in der westlichen Öffentlichkeit u. a.
909 Zur Rolle der beiden als Politiker und Kantinterpreten vgl. auch Seidel (2012a).
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durch seine Auftritte auf der Münchner Sicherheitskonferenz einen erheblichen Bekanntheitsgrad verschaffte.910 Ein Kollege und einstiger Doktorvater Lārīǧānīs an der Universität Teheran ist zugleich sein Vorgänger im Amt des Parlamentspräsidenten (2004-2008). Gemeint ist Ġolāmʿalī Ḥaddād ʿĀdel, der bereits als Übersetzer der Prolegomena vorgestellt wurde. Ḥaddād ʿĀdel, dessen Tochter mit Moǧtabā Khamenei dem Sohn des Revolutionsführers Ali Khamenei verheiratet ist, gehörte ebenfalls zum engen Schülerkreis Moṭahharī-Schüler. Auch er vertritt das Fach westliche Philosophie an der Universität Teheran und ist außerdem Leiter der Stiftung Islamische Enzyklopädie (Dānešnāme-ye ǧahān-e eslām). Darüber hinaus hatte Ḥaddād eine ganze Reihe von hohen Ämtern vor allem im Umfeld der Ministerien für Kultur und Bildung inne. Im Rahmen dieser Tätigkeit verfasste er auch eine Reihe von offiziellen Schulbüchern zu den Themenbereichen Sozialwissenschaft, Politik und Religion.911 Von Ahmadinejad wurde er 2010 kurz vor Beginn der Veranstaltung zum wissenschaftlichen Leiter des Welttages der Philosophie in Teheran ernannt. Es lassen sich noch weitere Kantrezipienten anführen, die, wenn auch nicht auf gleicher Ebene im Machtapparat, aber doch zumindest im Bildungssektor großen Einfluss haben. Zu erwähnen ist nicht zuletzt Ḥoseyn Ġaffārī, auf dessen Zugang zur kantschen Erkenntnislehre oben eingegangen wurde. Auch er gehörte zu dem engsten Schülerkreis Moṭahharīs. Anfang der 1990er-Jahre wurde Ġaffārī akademisches Mitglied des Philosophischen Instituts der Universität Teheran, das er auch zeitweise leitete.912 Zudem hatte er eine Reihe mehr oder minder einflussreicher Posten in der staatlichen Rundfunk- und Fernsehanstalt „ṣedā o sīmā“ sowie in hohen staatlichen Gremien für Bildungs- und Forschungsfragen inne. Außerdem ist er Herausgeber der philosophischen Zeitschrift Falsafe (Philosophie) sowie Inhaber des Verlags Entešārāt-e ḥekmat, eines der wichtigsten Verlage Irans auf dem Gebiet insbesondere der islamischen Philosophie. Alle hier genannten Kantinterpreten haben als leitende Vertreter von Forschungs- und Bildungseinrichtungen mit ihrem speziellen Fokus auf „westliche Philosophie“ einen nicht zu unterschätzenden Einfluss auf die Deutungen
910 Zu Lārīǧānī, seiner Rolle als Atomunterhändler und die Hintergründe seines Rücktritts von diesem Amt, vgl. Posch (2007). 911 Einige biografische Hinweise finden sich auf der Homepage der Zeitung Hamšahrī. Dort sind auch die Titel und Jahrgangsstufen der Schulbücher aufgelistet. http://hamshahrionline.ir/ news-42821.aspx (zuletzt 21.7.2011). 912 Die biografischen Informationen stammen hauptsächlich von der Homepage des Philosophischen Instituts der Uni Teheran (http://literature.ut.ac.ir/faculty-members/index.htm).
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und die thematischen Schwerpunkte, die in Forschung und Lehre zur Geltung kommen. Hinsichtliche ihrer Beschäftigung mit Kant, gilt für sie vor allem, dass sie sich in ihren Schriften thematisch in erster Linie kritisch mit Kants theoretischer Philosophie (Erkenntnistheorie, Metaphysikkritik) auseinandersetzen. Dabei sehen fast alle von ihnen Kants Begrenzung des Erkenntnisvermögens auf den Bereich möglicher Erfahrung als Problem, aber nicht alle als Irrtum. Manche lassen demnach offen, inwieweit sie die damit verbundene prinzipielle Unterscheidung zwischen Erkennen und Denken teilen. Andere sehen in dieser Ein engung einen Denkfehler, der im Rahmen der – wie sie es nennen – „islamischen Erkenntnislehre“ vermieden werde. Zudem stehen sie Kants „Degradierung“ des Seinsbegriffs und der damit verbundenen Kritik des ontologischen Gottesbeweises kritisch gegenüber. Was Kants praktische Philosophie betrifft, so fällt vor allem auf, dass die meisten der eben genannten Interpreten diese in ihren Schriften so gut wie gar nicht thematisieren. Es ist aber anzunehmen, dass sie ihr – gemessen an ihren politischen und ideologischen Überzeugungen – eher kritisch bis ablehnend gegenüberstehen. Unter den Vertretern der apologetischen Komparatistik, die ebenfalls wichtige Funktionen im Politik- und Bildungssektor innehaben, gibt es aber auch solche, die Kants praktischer Philosophie explizit und vehement widersprechen. Zu ihnen gehört Aḥmad Aḥmadī, dessen Dissertation aus dem Jahre 1358/1979, eine nicht veröffentlichte Übersetzung der Grundlegung, eine der ersten iranischen Doktorarbeiten zu Kant darstellt. Er lehnt Kants Moralbegründung, wie es heißt, in wesentlichen Teilen ab.913 Aḥmadī ist inzwischen Professor für Philosophie an der Universität Teheran, der Teheraner Tarbīʾat modarres Universität und der Universität Qom. Außerdem ist er Direktor des SAMT (Sāzmān-e moṭālaʿe va tadvīn-e kotob-e ʿolūm-e ensānī), dem wichtigsten Publikationszentrum für Hochschulschriften in den Geisteswissenschaften in Iran. Auch wenn er nicht durch einschlägige Veröffentlichungen zu Kant hervorgetreten ist, so hat er
913 Bis zur Fertigstellung des Manuskripts lag mir allerdings weder seine Dissertation zur Grundlegung noch andere seiner Schriften zur praktischen Philosophie Kants vor. Ich stütze meine Aussage hier vielmehr auf Einschätzungen von Kennern der philosophischen Szene in Iran, mit denen ich 2008 in Teheran bzw. in Berlin Gespräche geführt habe. Folgende Personen machten dabei Aussagen zu Aḥamdī, die die obige Einschätzung nahelegen: Maḥmūd ʿEbadiyān, Aḥmad ʿAlī, Akbar Mesgarī, Manūčehr Šāneʿī Darrebīdī, Abūlqāsem Ẕākerzāde, ʿAlī Heydarī in Teheran, Reza Pourjavady in Berlin.
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beinahe alle Dissertationen, die nach seiner eigenen Promotion in Iran angefertigt wurden, entweder als Erst- oder Zweitgutachter betreut.914 Die offen ablehnende Haltung der kantschen Moralbegründung einer weiteren prominenten Figur des politischen Establishments wurde bereits diskutiert. Gemeint ist Moḥammad Taqī Meṣbāḥ Yazdī, dem ebenfalls ein erheblicher Einfluss in den Sphären von Politik und Bildung zukommt. So ist Meṣbāḥ Yazdī Mitglied des den Revolutionsführer wählenden Expertenrates (maǧles-e ḫobregān) und fungiert als einer der Freitagsprediger in Teheran. In den Medien wird er vielfach als „Chefideologe“ des Regimes und als geistiger Mentor des ehemaligen Staatspräsidenten Mahmud Ahmadinejad bezeichnet. Auch wurden ihm Ambitionen auf das höchste Staatsamt nachgesagt. Darüberhinaus ist er Leiter des ‚Imam Khomeini Education and Research Institutes’ (IKERI),915 das er 1991 unter anderem mit dem Ziel gründete, die Herausforderungen und Entwicklungen moderner Wissenschaften mit dem offiziellen Islamverständnis der Islamischen Republik in Einklang zu bringen und angehenden Religionsgelehrten zu vermitteln. Meṣbāḥ Yazdīs Lehrbücher zur Philosophie werden zudem an den religiösen Hochschulen im Land vielfach als Unterrichtslektüre verwendet. Es ist also offenkundig, dass seine Positionen, etwa seine Kritik der kantschen Moralbegründung, vor allem in konservativen regimenahen Kreisen wirkmächtig sind, nicht zuletzt weil sie institutionell protegiert werden. Diese radikale Abwehr ist allerdings nur ein Weg den Diskurs über Kants Denken zu bestimmen. Unter jenen Denkern, die der Ideologie der Islamischen Republik nahestehen und demselben u. a. von Moṭahharī beeinflussten akademischen Milieu entstammen, gibt es auch solche, die versuchen, die Notwendigkeit einer transzendenten Grundlegung der Moral mit Kants transzendentalem Ansatz zu versöhnen oder man könnte auch sagen, diesen letztlich doch in der Transzendenz Grund zu legen. Zwei Beispiele dafür wurden vorgestellt: Einerseits Moḥammadreżāʾī, dessen Dissertation zur Moralphilosophie Kants von Aḥmad Aḥamdī betreut wurde und andererseits Reżā Baḫšāyešs Monografie zu Vernunft und Religion bei Kant. Beide Arbeiten wurden von Publikationszentren bildungspolitischer Institute herausgegeben, deren Auftrag die Verbreitung und Stärkung „der Werte der Islamischen Revolution“ insbesondere an den Universitäten ist. Im Falle Muḥammadreżāʾīs handelt es sich um das „Publikationszentrum des Büros für islamische Propaganda der religiösen Zentren in Qom“ (Markaz-e entešārāt-e 914 Vgl. dazu die Bibliographie der Hoschulschriften zu Kant 8.4. Von den 14 hier aufgelisteten Dissertationen sind 12 nach seiner eigenen Promotion entstanden. Von diesen hat er 10 mitbetreut. 915 Für weitere informationen zum IKERI vgl. die Website des Instituts http://qabas.iki.ac.ir/ [Zugriff 12.4.2013].
Kantrezeption unter Reformdenkern und Liberalen
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daftar-e tablīġāt-e eslāmī-ye ḥouze-ye ʿelmīye-ye qom) und im Falle Baḫšāyešs um den Verlag des ebenfalls in Qom ansässigen Forschungsinstituts Ḥouze va Dānešgāh (Houze und Universität).916 Letztlich jedenfalls kann man davon ausgehen, dass die dem apologetischen Ansatz nahestehende Strömung der Kantinterpretation nicht zuletzt im Zeichen eines Bildungsauftrags steht, der von staatlicher Seite initiiert und gefördert wird. Jene regimenahen Kant-Interpreten verbinden also mit ihrem politischen und institutionellen Einfluss zugleich einen hohen Einfluss auf den philosophischen Diskurs in Iran insgesamt, den sie mehr oder weniger explizit auch zur Diskreditierung, Kritik oder Marginalisierung von Kants praktischem Denken nutzen.
6.2 Kantrezeption unter Reformdenkern und Liberalen Allerdings ginge es zu weit, wollte man behaupten, dass sie diesen Diskurs und speziell den Zugang zum Werke Kants gänzlich dominierten. Immerhin hat die Diskussion zu den iranischen Zugängen zu Kants praktischem Denken gezeigt, dass es durchaus Philosophen gibt, die den kantschen Autonomiegedanken stark machen. Auch unter ihnen gibt es solche, die wichtige Positionen im Bildungssektor innehaben, wie etwa Šahīn Aʿvānī, als Ko-Leiterin des Iranischen Instituts für Philosophie, oder Ṣāneʿī als Philosophieprofessor an der Šahīd Beheštī Universität. Diese Denker stehen der Islamischen Republik zwar nicht offen ablehnend gegenüber, sie sind aber politisch eher dem Spektrum der Reformbewegung zuzurechnen. Zudem gibt es auch an den Universitäten Denker, deren Haltung zwar klar regimekritisch ist, die aber gerade deshalb kaum oder gar nicht als kritische Intellektuelle auftreten, sondern ihre Ansichten vor allem in der Lehre kundtun. Zu nennen wären hier beispielsweise Maḥmūd ʿEbādiyān, Professor an der ʿAllāme Ṭabāṭabāʾī Universität, der vor allem als Hegelspezialist und Marxübersetzer bekannt ist, sowie der 2008 verstorbene Abolqāsem Ẕākerzāde.917 Er war Professor für westliche Philosophie an der Šahīd Beheštī 916 Vgl. Webseite des Instituts, http://www.rihu.ac.ir und des zugehörigen Verlags http://www. rihu.ac.ir/Portal/Home/Default.aspx?CategoryID=2bf6c051-fad7-450c-9087-52a6da47f45a (beide zuletzt 20.7.2011). Beide Institute scheinen ein gemeinsames Verlagszentrum zu haben, das den Namen Būstān-e ketāb trägt. Zum Selbstverständnis dieses Verlagszentrums vgl. die Selbstdarstellung auf der Website www.bustaneketab.com/BView/Public/Pages.aspx?LanguageID=2 (zuletzt 20.7.2011). 917 Vgl. Ẕākerzāde (1388/2010). Das Buch erschien erst nach seinem Tod. In einem persönlichen Gespräch im Februar 2008 erwähnte Ẕākerzāde, der fließend Deutsch sprach und regelmäßig für Bibliotheksaufenthalte nach Deutschland reiste, dass er davon absehe, seine liberale und regimekritische Haltung in den öffentlichen Diskurs einzubringen, sondern es vorziehe, sie an
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Universität und Autor eines Buches zum Deutschen Idealismus. Des Weiteren Mīr ʿAbdolḥoseyn Naqībzāde, der an der Freien islamischen Universität Teheran Zentrum (Dānešgāh-e āzād-e eslāmī-ye Tehrān markazī) unterrichtet und bereits 1364/1986 eine viel beachtete umfangreiche Einführung in Kants Denken unter dem Titel „Die Philosophie Kants. Erweckung aus dem dogmatischen Schlummer“ veröffentlichte.918 Es ist auffällig, dass sie zusammen mit Ṣāneʿī und dem ebenfalls an der Šahīd Beheštī Universität lehrenden Aḥmad ʿAlī Akbar Mesgarī die meisten „Masterarbeiten“ (pāyān-nāmehā-ye kāršenāsī-ye aršad) betreut haben, die sich einem Thema aus dem Bereich der praktischen Philosophie Kants widmen. Neben diesen, vor allem im Hochschulbereich tätigen Philosophen, gibt es schließlich – auch darauf wurde bereits hingewiesen – Intellektuelle wie Moǧtahed Šabestarī oder Moḥsen Kadīvar, die von Kant beeinflusst liberale Ansichten mit einer Kritik am herrschenden System verbinden und eben deshalb auch potenziell oder konkret von staatlichen Sanktionen betroffen sind. Was diesem alles andere als homogenem Spektrum an Denkern gemein ist, ist die Kritik an der einseitigen Betonung der theoretischen Philosophie Kants und die Vernachlässigung seiner praktischen Philosophie in Forschung und Lehre. Ihnen geht es darum, mit der Diskussion von kantschen Begriffen wie Freiheit und Autonomie den Diskurs um Menschenrechte und Demokratie in Iran zu stärken. Auch wenn sie nicht alle explizit auf Distanz zum Regime und den Deutungen der oben genannten regimenahen Denker gehen, so spricht die Deutlichkeit, mit der sie sich in ihren Publikationen für die Freiheit des Wortes und die allgemeine Anerkennung der Menschenrechte einsetzen, für sich. Das macht sich durchaus in den öffentlichen Medien und auf dem Buchmarkt bemerkbar. Besonders in der Zeit, an die man sich heute als Reformära erinnert, boomten Publikationen zu den Themen Autonomie und Meinungsfreiheit. War diese im politischen Alltag zwar nach wie vor beschränkt, da keine offene Kritik am System zugelassen wurde, so wurde die überdeutliche Thematisierung dieser Fragen, wie sie in der reformorientierten Presse vorgenommen wurde, sehr wohl als indirekte Kritik am System verstanden. Auch spielte hier die Symbolik eine entscheidende Rolle: Wenn etwa ein Buch zum Denken Kants mit dem an ein Kantzitat aus den Prolegomena angelehnten Titel Erweckung aus dem dogmatischen Schlummer919 veröffentlicht bzw. wiederaufgelegt wurde oder die Verteidigungsrede des ehemaligen Innenministers Abdollah Nuri vor dem Sondergericht für die Geistlichkeit mit deutlicher Anspielung auf Sokrates den Titel Der Schierling für die Reform der Universität durch die Lehre und Diskussion liberaler Denker wie Kant „wie einen Virus“ zu verbreiten. 918 Vgl. Naqībzāde (2006). 919 Vgl. Prolegomena § 50.
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(šokerān-e eṣlāḥ) trug,920 so war die regimekritische Stoßrichtung klar. Möglicherweise kann man die vermehrt auftretenden Diskussionen des Freiheitsbegriffs unter regimenahen Denkern auch als Reaktion darauf verstehen. Bis heute ist der Buchmarkt keineswegs von Veröffentlichungen bestimmt, die etwa in Bezug auf Kants praktisches Denken eine kritische oder ablehnende Position vertreten. Allerdings wird seit dem Amtsantritt Ahmadinejads die kritische Presse in starkem Maße behindert. Darüber hinaus wurden viele kritische Intellektuelle, die zuvor noch an staatlichen Bildungseinrichtungen unterrichtet hatten, von ihren Posten verdrängt. Ein Beispiel ist Moḥammad Moǧtahed Šabestarī, dessen Positionen zum Thema Religiosität und Freiheit bereits dargestellt wurden. Er wurde als Professor für Theologie an der Universität Teheran in den vorzeitigen Ruhestand versetzt und die Zeitschrift Madrese, die ihm im Jahr 2007 ein Sonderheft widmete,921 in dem u. a. seine jüngste und weitreichende These, beim Koran handele es sich letztlich um die Rede des Propheten Muhammad und damit eine prophetische Deutung der Welt und nicht um Gottes wörtliche Rede, diskutiert wurde, wurde anschließend verboten. Ein weiteres Beispiel ist der Philosoph, Historiker und Politologe Ramin Jahanbegloo, der 2006 ohne konkrete Anklage für einige Monate inhaftiert wurde; inzwischen lebt er im Exil.922 Nach den umstrittenen Präsidentschaftswahlen von 2009, auf die eine Welle des Protests folgte, hat sich die Lage für Denker, die solche Ansätze vertreten, noch einmal deutlich verschärft. Intellektuelle, die, selbst wenn sie in ihren theoretischen Ansichten weniger weit gehen als Šabestarīs, ihre politischen Ansichten konkret mit der Kritik am Regime oder gar dem Ergebnis der Präsidentschaftswahl verbanden, wurden dafür zur Rechenschaft gezogen. So wurde infolge der Proteste einer Reihe von Reformern, unter ihnen der ehemalige Vizepräsident Moḥammad ʿAlī Abṭaḥī, der Prozess gemacht. Es wurde ihnen zur Last gelegt, mit Rückgriff auf westliches Gedankengut, ja sogar in Kollaboration mit westlichen Intellektuellen eine „samtene Revolution“ (enqelāb-e maḫmalī) geplant zu haben. In der Anklageschrift wurden als Indizien für einen Komplott unter anderem angeblich konspirative Treffen mit Jürgen Habermas in Iran genannt.923 920 Vgl. Nūrī (2000). Das Buch erschien innerhalb weniger Wochen in 9 Auflagen. 921 Vgl. Madrese, Vol. 2 (1386/2007) Nr. 6. 922 Zu Jahanbegloos Position im intellektuellen Diskurs in Iran vgl. das sehr interessante Interview, das kurz vor seiner Verhaftung entstand und im September 2006 in den Blättern für deutsche und internationale Politik erschien, Jahanbegloo (2006). 923 An dieser Stelle holte die tagespolitische Dimension der Kantrezeption auch meine eigene Arbeit ein, denn unter den genannten Umständen hielt ich es für ratsam, eine geplante Forschungsreise nach Iran im November 2009 abzusagen, nicht nur weil ich im Zweifelsfall selbst mit Unannehmlichkeiten hätte rechnen können. Als ein westlicher Wissenschaftler, der sich für
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Auch für die Geisteswissenschaften an den Hochschulen hat sich die Lage seit den Protesten noch einmal zugespitzt. So wurde im Dezember 2009 seitens des Kulturministeriums und auf Geheiß Khameneis, der die vielfach vorhandene Orientierung an vermeintlich materialistischen und atheistischen Ideen an den Universitäten beklagte, angekündigt, dass eine Reihe humanwissenschaftlicher Fächer aufgrund ihrer „westlichen Orientierung“ und der verwendeten „westlichen“ Literatur einer Revision unterzogen würden.924 Verantwortlich für derartige Eingriffe in den Bildungsbetrieb ist traditionsgemäß der „Oberste Rat der Kulturrevolution“ (Šūrā-ye ʿālī-ye enqelāb-e fahangī), ein Gremium, das 1984 von Khomeini ins Leben gerufen wurde, um Zielen und Aufgaben der Kulturrevolution, die insbesondere von 1980–1983 mit der Islamisierung der Hochschulen beauftragt war, einen dauerhaften institutionellen Rahmen zu geben. Dem Obersten Rat, dem der Staatspräsident vorsteht und der aus ca. 40 Mitgliedern besteht, von denen etwa die Hälfte aufgrund ihres politischen Amtes und die andere Hälfte durch den Revolutionsführer bestimmt einen Sitz im Gremium hat, gehören einige der bereits genannten regimenahen Philosophen wie Ḥaddād ʿĀdel, ʿAlī Lārīǧānī, Aḥmad Aḥmadī an. Diese können somit theoretisch, etwa durch die Veranlassung der Schließung einzelner Fächer, der Neugestaltung der Lehrpläne und der Entlassung von Professoren, unmittelbar auf die Gestaltung der Hochschullandschaft Einfluss nehmen.
6.3 Ideologische Deutung der Ontologie Die Einflussnahme auf den Bildungs- und Hoschulsektor und damit auch auf den philosophischen Diskurs in Iran lässt sich durch eine radikale Deutung der Ideologie der Islamischen Republik und nicht zuletzt durch politische Machtinteressen erklären. Doch wäre es voreilig, diese Ideologie allein auf Machtpolitik und antiwestliche Parolen zu verkürzen. Vielmehr ist sie ihrem Anspruch nach philosophisch begründet und zwar durch eine bestimmte Deutung der Ontologie, die für sich genommen und auf den ersten Blick nichts Politisches an sich zu haben scheint. Doch hat in Iran vielfach gerade der Bezug auf die Ontologie (meist in der Ausprägung Mollā Ṣadrās) eine ideologische Stoßrichtung, auch wenn diese nicht immer explizit ist. Mit ideologischem Denken sind hier nicht nur die Vorstellundie Kantdeutungen in Iran interessiert, hätte ich angesichts der aufgeheizten Stimmung meinen Kontaktpersonen, sofern sie sich überhaupt mit mir hätten treffen wollen, Schwierigkeiten bereiten können. 924 Vgl. Chimelli (2009).
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gen gemeint, die für die herrschende Klasse charakteristisch sind, sondern – im marxschen Sinne etwas abstrakt formuliert – ein gedanklicher Überbbau, der als Zerrspiegel den Zugriff auf Ideensysteme aller Art fungiert und zwar in der Gestalt, dass sie alle auf die Legitimierung der herrschenden politischen Machtverhältnisse hinauslaufen. Die ideologische Deutung der Ontologie in Iran– das kann hier nur skizziert werden – basiert zunächst auf der Verbindung eines supranaturalistischen moralischen Realismus, der die wirkliche Existenz moralischer Werte auf eine übernatürliche Instanz zurückführt, mit der monistischen Ontologie Mollā Ṣadrās, in der letztlich alles Seiende von dem einen Seienden (Gott) abhängt und von ihm ausgeht. Daraus ergeben sich nicht nur die Existenz und der göttliche Ursprung moralischer Werte und Normen, sondern auch deren Verbindlichkeit. Die Emanation oder Herabsendung dieser Werte von Gott fand in Form der Offenbarung statt, sodass sie als Gebot zugänglich sind. Aus der Notwendigkeit dieser Gebote wird nun (und dieser Schritt wird nicht immer expliziert) die Notwendigkeit eines auf diesen Gebote beruhenden Gemeinwesens gefolgert, das wiederum – so ein weiterer Argumentationsschritt – am besten in einem islamischen Staat basierend auf der Doktrin der velāyat-e faqīh (Der Herrschaft des obersten Rechtsgelehrten) zu verwirklichen ist. Der Schluss von der Ontologie Mollā Ṣadrās zur velāyat-e faqīh wird dabei nicht zwangsläufig von allen Vertretern der ideologischen Deutung der Ontologie expliziert. Doch scheinen sich viele Diskussionen zur Grundlegung der Moral – auf Kant bezogen wurden einzelne Ansätze besprochen – letztlich an eben dieser Ideologie zu orientieren bzw. auf diese hinauszuwollen. Ob nun aus der monistischen Ontologie Mollā Ṣadrās notwendigerweise ein autoritäres Staatsdenken folgen muss, ist eine – bedenkenswerte – Frage für sich. Der entscheidende Punkt scheint aber der zu sein, dass die Tradition der islamischen Philosophie und das heißt im iranischen Falle insbesondere die Tradition Mollā Ṣadrās vielfach für eine solche Deutung vereinnahmt und damit von regimenahen Denkern eine Deutungshoheit zumindest über die islamische Philosophie insgesamt beansprucht wird.
6.4 Kritik der Ideologischen Deutung und philosophische Lagerbildung Dieser Deutungsanspruch tritt nicht immer offen zutage und betrifft nicht jeden Zugang zur islamischen Philosophie in Iran. Nach wie vor gilt, dass man nicht behaupten kann, der gesamte Philosophiebetrieb in Iran sei von dieser Ideologie abhängig. Natürlich wird gerade an staatlichen Instituten auch seriöse philolo-
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gische oder ideengeschichtliche Forschung betrieben.925 Zudem gibt es auch an den Hochschulen Denker, die dieser ideologischen Vorgabe gerade nicht folgen, sondern ihr mit Skepsis gegenübertreten. Es ist wichtig, gerade unter den aktuellen politischen Gegebenheiten diese Stimmen wahrzunehmen, zumal sie ihre Kritik nicht immer explizit als Ideologiekritik formulieren (können). Vielfach tritt sie als Kritik an den Schwerpunkten auf, die in Forschung und Publikationen zur islamischen Philosophie gesetzt werden. So äußerte Maḥmūd ʿEbādīyān etwa Kritik an der Überbetonung der Philosophie Mollā Ṣadrās im Bereich der islamischen Philosophie. Dieser habe letztlich Philosophie, Mystik und Religion miteinander vermengt, das sei bei Ibn Sīnā so nicht der Fall, weshalb er sich als nationales Vorbild für die Philosophie in Iran besser eigne.926 Eine ähnliche Stoßrichtung, nur noch deutlich kritischer, nimmt Ṣāneʿī in einem Artikel ein, den er im Jahre 1377/1998 in der Zeitschrift Nāme-ye mofīd veröffentlichte.927 Der Artikel trägt den Titel „Kritische Betrachtung der Methoden von Forschung und Denken in der islamischen Philosophie“ (Negareš-e enteqādī bar raveš-e taḥqīq va tafakkor dar falsafe-ye eslāmī). Der Autor wirft hier der islamischen Philosophie insgesamt vor, dass sie sich vor allem an der Tradition, ihrer eigenen Überlieferung, orientiere, was dazu führe, dass sie sich stets auf Bewahrung dieser Tradition (ḥefẓ-e sonnat) und der Aufrechterhaltung ihrer Einheit (vaḥdat) konzentriert habe. Das sei der Grund für ihre Rückständigkeit. Während die islamische Philosophie in die Vergangenheit blicke, so sei es ein Merkmal der modernen westlichen Philosophie, dass sie in die Zukunft denke. Ṣāneʿī argumentiert hier ganz im Stile der Reformdenker des 19. Jahrhunderts, die, wie etwa al-Afġānī, eben diesen Vorwurf an die islamische Philosophie bzw. deren zeitgenössische Vertreter richteten. Die Ursache für dieses konservative Einheitsdenken in der islamischen Philosophie bestehe zudem vor allem in ihrer Sakralisierung (taqaddos). Da in der islamischen Philosophie Religion und Philosophie von 925 Neben dem bereits mehrfach erwähnten „Iranischen Institut für Philosophie“ (Moʾasseseye pažūhešī-ye ḥekmat va falsafe) sind zumindest noch folgende Einrichtungen zu nennen: „The Encyclopaedia Islamica Foundation“ (Bonyād-e dāʾerat ol-maʿāref-e eslāmī), die unter der Leitung von Ḥaddād ʿĀdel eine Enzyklopädie mit dem Titel Dānešnāme-ye ǧahān-e eslām (Enzyklopädie der Welt des Islams) herausgibt; Markaz-e dāʾerat ol-maʿāref-e bozorg-e eslāmī, (Zentrum der „Großen Enzyklopädie des Islam“), das in einem Großprojekt ebenenfalls eine Enzyklopädie herausgibt, eine Auswahl der dort erscheinenden Artikel erscheint in englischer Übersetzung unter der Herausgeberschaft von W. Madelung sukzessive bei Brill; Institute for Humanities and Cultural Studies (pažūhešgāh-e ʿolūm-e ensānī va moṭāleʿāt-e farhangī); sowie das unter der Leitung von Moḥammadreżā Beheštī stehende Institut Nouorganon, das sich u.a. der Übersetzung von geisteswissenschaftlichen Standardwerken ins Persische widmet. 926 So ʿEbādīyān in einem Gespräch mit der Nachrichtenagentur Mehr am 15.8.2006. Vgl. Ebādīyān (1385/2006). 927 Vgl. Ṣāneʿī (1377/1998), 4–20.
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Anfang an vermischt gewesen seien, sei es zu dieser Sakralisierung der Philosophie gekommen. Das habe dazu geführt, dass man sich mehr um das Bewahren der Tradition, die unhinterfragbar sei, als um die Fortentwicklung des Denkens gekümmert habe. Ṣāneʿī urteilt dabei allgemein über die gesamte Tradition und unterscheidet hier nicht etwa wie ʿEbadiyān zwischen der peripatetischen und illuministischen Tradition. Zwar seien diese nicht identisch, aber letztlich handle es sich um ein Phänomen, das die gesamte Geschichte der islamischen Philosophie bestimme. Das Problem bestehe nun darin, dass das Sakrale nicht zur Philosophie, sondern allein zur Religion gehöre. Mag die Vermischung von Religion und Philosophie u. a. auch zu einer Art der „Vernunftreligion“ (dīn-e maʿqūl) geführt habe, so gelte es hier doch, zwei Bedeutungen von Vernunftreligion zu unterscheiden. Entweder könne damit gemeint sein, dass sämtliche angenommenen Glaubensüberzeugungen (koll-e eʿteqādāt-e paẕīrofte šode) in der Religion rational seien, oder aber, dass sich in religiösen System (neẓāmhā-ye dīnī) rationale Prinzipien finden lassen. Diese zweite Bedeutung werde etwa von Kant vertreten, die erste aber habe es bereits im Christentum gegeben, wo sie durch Leibniz zur Vollendung gebracht worden sei. In der islamischen Welt habe diese Form der Rationalisierung ihren Ursprung bei der Muʿtazila, die islamischen Peripatetiker hätten sie aufgegriffen und Mullā Ṣadrā habe sie schließlich zur Vollendung gebracht. Sabzavārī habe letztlich nichts anderes getan, als diese Tradition weiter zu pflegen, und in diesem Gewand stelle sie sich heute dar. Diese Form der Vernunftreligion aber schreibe letztlich jeder religiösen Überzeugung Rationalität zu, anstatt die Überzeugung an der Vernunft zu messen. Um die islamische Philosophie zu beleben, seien daher zumindest drei Prinzipien zu beachten. Erstens müsse der Religion und der Philosophie jeweils ein eigener Zuständigkeitsbereich zugewiesen werden. Das Sakrale sei Sache der Religion, während sich die Philosophie an den Wissenschaften orientieren solle. Zweitens dürfe man nicht weiterhin zwischen alten und neuen Wissenschaften (ʿolūm-e qadīm va ǧadīd) unterscheiden. Wissenschaft sei immer eine Frage der Aktualität, altes Denken sei keine Wissenschaft für sich, sondern gehöre in den Bereich der Wissenschaftsgeschichte. Drittens müsse auch die Religion dynamisch (pūyā) werden, denn was für die Wissenschaft gelte, dass sie sich fortentwickle, gelte auch für die Religion. Auch hier handele es sich um menschliches Wissen, das offen sein müsse für Veränderung und Entwicklung und sich nicht mit der Bewahrung von Tradition begnügen dürfe. Das Interessante an Ṣāneʿīs Diskussion ist nun weniger seine Argumentation, diese ist – wie erwähnt – nicht neu, wenig originell und vielfach vereinfachend. Doch die Tatsache, dass sie, in recht polemischem Ton übrigens, gerade in jene bekannten Muster von westlicher und islamischer Welt von Rückständigkeit und
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Fortschritt verfällt, scheint mir vielmehr für den zeitgenössischen iranischen Kontext signifikant zu sein. Dann nämlich, wenn man Ṣāneʿīs Kritik an der Sakralisierung der islamischen Philosophie mit jener Deutungshoheit in Zusammenhang bringt, die vonseiten regimenaher Denker zumindest über die islamische Philosophie beansprucht wird. Dass Ṣāneʿī eine solche Kritik im Sinne hatte bzw. dass sie zumindest den Ausgangspunkt seiner Polemik gegen die islamische Philosophie darstellt, wird deutlich, wenn man sich den Anlass vor Augen führt, der Ṣāneʿī zum Verfassen des Artikels bewog. In der ersten Anmerkung928 berichtet er davon, dass noch kurz vor Amtsantritt Muhammad Khatamis (1998) die gesamte Auflage seiner Übersetzung von Descartes Grundlage der Philosophie auf Geheiß des Kulturministeriums eingestampft werden sollte, mit der Begründung, seine Einleitung habe die „gesamte islamische Philosophie erschüttert“ (koll-e falsafe-ye eslāmī motezalzel karde ast). Ṣāneʿī bemerkt in seiner Anmerkung dazu sarkastisch, dass die islamische Philosophie wohl beständiger sei, als dass sie durch eine achtseitige Einleitung zu Fall gebracht werden könnte. Doch, so fährt er fort, sei diese Gefahr durchaus gegeben, dann nämlich, wenn ihr ein derart sakraler Status zugesprochen werde, dass ihre heutigen Verteidiger genau darauf achteten, dass bloß niemand etwas gegen die Ansichten Ibn Sīnās oder Mollā Ṣadrās vorbrächte. Solch eine Haltung sei es, die letztlich zum Verfall der Philosophie führe. Unabhängig davon also wie man die Pauschalkritik Ṣāneʿīs gegen die islamische Philosophie beurteilen mag, sie weist im gegebenen Kontext bewusst auf die Problematik der Deutungshoheit hin, die durch jene ideologische Lesart bestimmt wird. Darüber hinaus verweist Ṣāneʿīs Artikel indirekt auf ein Symptom, dass jener ideologische Zugriff auf die Philosophiegeschichte und die apologetische Komparatistik auch auf Seiten ihrer Kritiker hervorruft. Es besteht darin, dass sich jenes philosophische Lagerdenken, das die Philosophie in Iran in das „westliche“ und das „islamische“ teilt, in der Reaktion gerade konsolidiert ansatt überwunden wird. Diese Gefahr ist angesichts der Rahmenbedingungen in Iran also durchaus vorhanden, sie ist aber nicht unabwendbar. Im Gegenteil scheint mir die zunehmende Diferrenzierung des philosophischen Diskurses im Allgemeinen und der Kantrezeption im Besonderen – die Diskussion Šabestarīs war ein mögliches Beispiel dafür – Ansätze zu bieten, diese ideologischen Schranken konstuktiv zu überwinden.
928 Ṣāneʿī (1377/1998), 5 Anm. 1.
7 Resümee Die Kantrezeption in Iran, das sollte die vorangegangene Untersuchung zeigen, ist ein vielschichtiges Phänomen. Sie lässt sich einordnen in den Kontext der Rezeption europäischer Philosophie, die im 19. Jahrhundert ihren Anfang nahm und in der Kant erst verhältnismäßig spät in Erscheinung trat. Doch hat man damit nur eine Dimension des Phänomens erfasst, nämlich die historische. Es gibt heute eine Vielzahl von unterschiedlichen Zugängen, die sich ernsthaft mit dem Denken des Königsbergers auseinandersetzen, um bestimmte Grundfragen der Philosophie zu erörtern. Eine dieser Fragen etwa lautet: Wie ist Erkenntnis von der Welt möglich? Dabei fällt auf, dass diese Frage vor allem im Umfeld von Philosophen diskutiert wird, die in der Tradition der islamischen Philosophie, insbesondere einer vom Denken Mollā Ṣadrās und dessen Deutung durch Morṭaża Moṭahharī inspirierten Strömung stehen. Ihnen geht es darum, einen erkenntnistheoretischen Realismus zu begründen. Dabei sehen sie Kants transzendentalen Idealismus in der Konsequenz als einen reinen Idealismus, da sie in seinem Denken keine hinreichenden Begründungen für die reale Existenz einer Außenwelt ausmachen. Somit verstehen sie ihn letztlich als einen Skeptiker der Außenwelt, für den am Ende allein die phänomenale Welt begründbar und – ihrer Auslegung zufolge – wirklich ist. Zwar lässt sich diese Deutung sowohl ideengeschichtlich als auch ideologisch einordnen, indem sie sich durch ihre Nähe zu einer im kantschen Verständnis dogmatischen Metaphysik einerseits und zu einer theokratischen Herrschaftsordnung andererseits erklären lässt. Doch tragen diese Autoren in ihren Diskussionen (bspw. Ġaffārī) Argumente vor, mit denen Kants Denken seit jeher – auch und gerade in der westlichen Kantinterpretation – konfrontiert wurde. Stammten dabei die Argumente bei Moṭahharī noch vor allem aus der islamischen Tradition und verlief sein Zugang zu Kants Denken noch nicht über die kantschen Schriften selbst, so zeichnen sich die auf ihn folgenden Kritiker der kantschen Erkenntnislehre durch eine hohe Textkenntnis aus und stützen sich für ihre Argumentation, neben den islamischen Quellen, auch auf einschlägige Kritiken der westlichen Kantforschung. Trotz dieses Quellenbezugs muss man aber bei einem Teil der Moṭahharī-Schüler eine eindeutig apologetischen Stoßrichtung feststellen. In der es – auch wenn einige der Kritikpunkte durchaus gerechtfertigt sind – insgesamt um eine grundsätzliche Widerlegung der kantschen Erkenntnistheorie geht. Dabei werden wie etwa bei Ġaffārī die subjektiven Bedingungen von Sinnlichkeit und Verstand, die man als das zentrale gnoseologische Prinzip von Kants theoretischer Philosophie betrachten kann, als ein unhaltbarer reiner Idealismus verworfen, der letztlich jeglichen Zugang zu Wirklichkeitserkenntnis verbaue.
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Doch nicht allen Interpreten, die in der Tradition Moṭahharīs stehen, geht es um eine Fundamentalkritik. So ist etwa der Zugang ʿAlī Lārīǧānīs durchaus kritisch gegenüber Kant, doch geht es ihm weniger um die Widerlegung von Grundprinzipien der Transzendentalphilosophie. Vielmehr betrachtet er Kant vornehmlich im Kontext eines speziellen philosophischen Diskurses, nämlich der Philosophie der Mathematik und bezieht, indem er einschlägige Literatur diskutiert, innerhalb dieses Diskurses (etwa gegen Hintikka) Position. Insgesamt mag die an Moṭahharī orientierte Strömung der kantschen Transzendentalphilosophie skeptisch gegenüber stehen, ihre Auseinandersetzung mit Kant hat aber zu einer Integrierung einschlägiger Diskussionen der internationalen Kantforschung in den Kontext der islamischen Erkenntnislehre geführt und damit zu einer Weiterentwicklung dieser Diskussion beigetragen. Neben der Erkenntnislehre ist auch die Thematik der kantschen Gottesbeweiskritik in Iran aktuell. Hier scheinen sich die Kantrezipienten bisher vor allem auf einen Vergleich der kantschen Argumente mit solchen aus der islamischen Tradition – insbesondere auf Mollā Ṣadrās Gottesbeweis, in der Literatur als „Beweis der Wahrheitsliebenden“ Borhān-e Ṣeddīqīn bekannt – zu beschränken, wobei die Absicht der Widerlegung von Kants Gottesbeweiskritik dabei im Vordergrund steht. In der zeitgenössischen westlichen Forschungsliteratur ist die Kritik an Kants Gottesbeweisen ebenfalls durchaus kein Randphänomen, vielmehr gibt es eine Reihe von Ansätzen, die entweder die Kritikpunkte Kants verfeinern oder etwa den Ontologischen Beweis rehabilitieren wollen. Zumindest einige dieser Ansätze lassen sich mit der Kritik Ḥāʾerīs im Hinblick auf einzelne Argumente vergleichen. Hier eröffnen sich zudem weitere Perspektiven für die Forschung: aus systematischer Sicht könnten hier genauere, auf einzelne Argumente bezogene komparatistische Untersuchungen weitere aufschlussreiche Ansatzpunkte liefern. Aus ideengeschichtlicher Sicht scheint es zudem mehr als überfällig, die Beiträge zumindest der wichtigsten Exponenten des Gottesbeweisdenkens im islamischen Kontext – etwa Ibn Sīnā, al-Ġazālī oder Mollā Ṣadrā, die für die iranischen Kantinterpreten maßgeblich sind – in historischen Darstellungen der Gottesbeweisfrage angemessen zu berücksichtigen. Die iranischen Zugänge zur praktischen Philosophie Kants scheinen sich auf den ersten Blick eindeutig in zwei Lager aufteilen zu lassen. Doch bei genauerer Betrachtung ergibt sich auch hier ein differenzierteres Bild. Zwar bestehen die Anhänger der kantschen Moralbegründung, die für die Begründung von Rechtsstaatlichkeit und die Anerkennung allgemeiner Menschenrechte argumentieren (z. B. Ṣāneʿī/Aʿvānī), auf dem Prinzip der Autonomie des Willens und der Fähigkeit der Vernunft, apriorische Grundsätze der Moral zu bestimmen. Sie grenzen sich damit von iranischen Kantrezipienten ab, die Kants Moralbegründung ablehnen (z. B. Meṣbāḥ Yazdī). Doch bemühen sich auch diese rigorosen Kantkri-
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tiker zumindest teilweise um eine durchaus ernsthafte Diskussion, um bei Kant Widersprüche in der Argumentation nachzuweisen. Darüber hinaus gibt es auch Deutungen, die Kants Moralbegründung zwar kritisch gegenüberstehen, diese aber keineswegs pauschal ablehnen. Sie bejahen einerseits die Fähigkeit der Vernunft, moralische Grundsätze zu erkennen, und stimmen Kant in dieser Hinsicht scheinbar zu. In letzter Konsequenz argumentieren sie aber doch für eine Grundlegung der Moral in offenbartem Wissen und machen eine solche Tendenz teilweise (Bsp. Baḫšāyeš) auch bei Kant aus. Es ist zweifellos nicht von der Hand zu weisen, dass diese kantkritischen Deutungen auch im Kontext der Ideologie eines Islamischen Staates zu erklären sind. Diese Dimension des Politischen zeigt sich dann besonders deutlich, wenn man deren Protegierung durch öffentliche Institutionen und den Einfluss bestimmter Kantinterpreten auf Politik und Bildung in den Blick nimmt. Doch sollte man dabei nicht vorschnell den Schluss ziehen, dass es sich dabei um ein Spezifikum eines islamischen oder religiösen Herrschaftssystems handelt. Dass politische, ideologische und institutionelle Rahmenbedingungen auch den philosophischen Diskurs beeinflussen, ist vielmehr ein allgemeines Phänomen. So waren es vermutlich auch politische und institutionelle Hintergründe, unter denen etwa in Deutschland das Folterverbot im Rechtsstaat jüngst auch mit philosophischen Argumenten in die Kritik geriet. Demnach ist es vielmehr eine Konsequenz dieses allgemeinen Phänomens, dass die Einflussnahme unter autoritären Herrschaftsbedingungen eine andere Qualität annehmen kann. Die interessengeleitete Beeinflussung philosophischer Diskurse, darf aber auch unter liberalen Herrschaftsverhältnissen nicht aus dem Blick geraten. Was wiederum liberale Kantinterpreten in Iran betrifft, so fällt auf, dass sie sich weniger mit der Erkenntnistheorie Kants beschäftigen. Das hat zur Folge, dass diese Diskussion vor allem von Interpreten dominiert wird, die etwa in der kantkritischen Tradition Moṭahharīs stehen. Zudem bewirkt die Dominanz der tendenziell apologetischen Haltung in der Komparatistik, dass es kaum explizit vergleichende Ansätze gibt, die sich affirmativ sowohl auf die islamische Tradition als auch auf die transzendentale Erkenntnislehre und Moralbegründung Kants beziehen. Dies scheint bislang zumindest vor allem bei solcher Literatur der Fall zu sein, die sich unmittelbar und schwerpunktmäßig mit den Schriften Kants beschäftigt. Dennoch gibt es auch hier zum Teil prominente Ansätze, die sich im intellektuellen Diskurs Irans allerdings eher indirekt zeigen. Ein Bespiel wären die Arbeiten Šahīn Aʿvānīs, die zwar in ihren persischen Schriften, soweit mir bekannt, weniger Bezug auf die islamische Tradition der Philosophie im Zusammenhang mit Kant nimmt, aber in ihrer auf Deutsch verfassten Dissertation diese Verbindung explizit hergestellt hat. Als ein weiteres Beispiel ließe sich der Zugang Moḥammad Moǧtahed Šabestarīs nennen. Er betreibt zwar keine
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Kantexegese im konkreten Sinn, aber er zieht doch für die Begründung religiösen Glaubens einen an Kant orientierten Autonomie- und Freiheitsbegriff heran, der durchaus mit Kants Ansatz in dessen Religionsschrift vergleichbar ist. Das Beispiel Šabestarī macht noch zwei weitere Aspekte deutlich. So ist die Rezeption „westlicher“ Philosophie in Iran einerseits sehr vielfältig und führt zu einer Beschäftigung mit den verschiedensten europäischen Denktraditionen – Šabestarī etwa gehört zu denjenigen, die maßgeblich für die Diskussion philosophischer Hermeneutik in Iran verantwortlich sind. Andererseits verdeutlicht es die Tatsache, dass religiöses Denken in Iran offen dafür ist, sich diese Traditionen kreativ anzueignen. Darüber hinaus zeigt sich, dass abseits des politischen Diskurses – wenn auch von diesem nicht gänzlich unberührt – Denker divergierender ideologischer Lager ideengeschichtliche Forschung betreiben, deren Ergebnisse unabhängig von der politischen Zuordnung der Forscher den philosophischen Diskurs bereichern können. Die Kantrezeption in Iran ist heute hochaktuell und entwickelt sich – sowohl durch den zunehmenden Anschluss an die internationale Kantforschung, als auch durch die stetig steigende Zahl an eigenständigen Forschungsarbeiten – beständig fort. Die vorangehende Untersuchung konnte einerseits veranschaulichen, dass der ideologische Kontext für die gegenwärtige Situation der Kantrezeption sowie der Philosophie in Iran allgemein einen bedeutenden Faktor darstellt, der mitunter zu Konsequenzen führen kann, unter denen die freie akademische Forschung erheblich behindert wird. Andererseits aber zielte sie darauf ab, am Beispiel der Kantrezeption herauszuarbeiten, wie lebendig die philosophische Szene in Iran ist, sowohl was die islamische Tradition als auch was die „westlichen Philosophie“ betrifft. Auch wenn die philosophische Komparatistik derzeit weitenteils von einer apologetischen Haltung bestimmt ist, so zeigen die vielfältigen, an systematischen Fragen orientierten Diskussionen – auch solche von Apologeten –, dass es in der Argumentation selbst vielfach nicht primär um die Frage der Herkunft oder Authentizität des Denkens geht. Diese Tatsache sowie der zunehmende Bezug auf unterschiedlichste Ansätze auch der westliche Forschungsliteratur geben Grund zur Annahme, dass sich gerade die unter ideologischen Vorzeichen stehende Dichotomie zwischen „der westlichen“ und „der islamischen“ Philosophie mehr und mehr relativieren wird. Die Rezeption der Philosophie Immanuel Kants dürfte, gerade weil sie in den unterschiedlichen intellektuellen Strömungen – sowohl mit Blick auf die politische, als auch auf die philosophische Ausrichtung – gleichermaßen ernsthaft betrieben wird, einen bedeutenden Anteil an dieser Entwicklung haben.
8 Bibliographie 8.1 Chronologie der erwähnten Schriften Kants. Verwendete Ausgaben 1747:
1763: 1763: 1766: 1768: 1770: 1781:
1783:
1784:
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1786: 1786:
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1788:
1790:
Gedanken von der wahren Schätzung der lebendigen Kräfte und Beurtheilung der Beweise, deren sich Herr von Leibniz und andere Mechaniker in dieser Streitsache bedient haben, nebst einigen vorhergehenden Betrachtungen, welche die Kraft der Körper überhaupt betreffen. (AA I, 1-181) Der einzig mögliche Beweisgrund zu einer Demonstration des Daseins Gottes. (AA II, 63-163). Versuch den Begriff der negativen Größen in die Weltweisheit einzuführen. (AA II, 165-204). Träume eines Geistersehers, erläutert durch Träume der Metaphysik. (AA II, 315-373). Von dem ersten Grunde des Unterschiedes der Gegenden im Raume. (AA II, 375-384). De mundi sensibilis atque intelligibilis forma et principiis. (AA II, 385-420) Kritik der reinen Vernunft (1. Aufl.). (AA IV, 1-352 / A-Auflage) [Nach der ersten und zweite Originalausgabe hg. von Jens Timmermann. Mit einer Bibliographie von Heiner Klemme, Meiner Philosophische Bibliothek Bd. 505, Hamburg 1998] Prolegomena zu einer jeden künftigen Metaphysik, die als Wissenschaft wird auftreten können. (AA IV, 353-384) [Eingeleitet und mit Anmerkungen herausgegeben von Konstantin Pollok. Meiner PhB 540. Hamburg 2001.] Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung? (AA VIII, 15-31) [Was ist Aufklärung. Ausgewählte kleine Schriften. Mit einem Text zur Einführung von Ernst Cassirer. Herausgegeben von Horst D. Brandt. Meiner PhB 512. Hamburg 1999, 20-27.] Idee zu einer allgemeinen Geschichte in weltbürgerlicher Absicht. (AA VIII, 33-42) [Was ist Aufklärung. Ausgewählte kleine Schriften. Mit einem Text zur Einführung von Ernst Cassirer. Herausgegeben von Horst D. Brandt. Meiner PhB 512. Hamburg 1999, 3-19.] Grundlegung zur Metaphysik der Sitten. (AA IV, 385-464) [Mit einer Einleitung, Sachanmerkungen, Personen- und Sachregister sowie einer aktualisierten Bibliographie neu herausgegeben von Bernd Kraft und Dieter Schönecker. Meiner PhB 519. 1999.] Metaphysische Anfangsgründe der Naturwissenschaft. (AA IV, 465-566) Mutmaßlicher Anfang der Menschengeschichte. (AA VIII, 107-124) [Was ist Aufklärung. Ausgewählte kleine Schriften. Mit einem Text zur Einführung von Ernst Cassirer. Herausgegeben von Horst D. Brandt. Meiner PhB 512. Hamburg 1999, 28-44.] Was heißt: Sich im Denken orientieren? (AA VIII, 131-148) Kritik der reinen Vernunft (2. Aufl.). (AA III) [Nach der ersten und zweite Originalausgabe hg. von Jens Timmermann. Mit einer Bibliographie von Heiner Klemme, Meiner Philosophische Bibliothek Bd. 505, Hamburg 1998] Kritik der praktischen Vernunft. (AA V, 1-163) [Mit einer Einleitung, Sachanmerkungen und einer Bibliographie von Heiner F. Klemme herausgegeben von Horst D. Brandt und Heiner Klemme. Meiner PhB 506. 2003.] Kritik der Urteilskraft. (AA V, 165-486) [Beilage: Erste Einleitung in die ‚Kritik der Urteilskraft‘ Mit einer Einleitung und Bibliographie herausgegeben von Heiner F. Klemme. Mit Sachanmerkungen von Piero Giordanetti. Meiner PhB 507. 2009].
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Bibliographie
1790: Über eine Entdeckung, nach der alle neue Kritik der reinen Vernunft durch eine ältere entbehrlich gemacht werden soll. (AA VIII, 185-252) 1791: Über das Mißlingen aller philosophischen Versuche in der Theodicee. (AA VIII, 252-272) 1793: Die Religion innerhalb der Grenzen der blossen Vernunft. (AA VI, 1-202) [Mit einer Einleitung und Anmerkungen herausgegeben von Bettina Stangneth. Meiner PhB 545. 2004] 1793: Über den Gemeinspruch: Das mag in der Theorie richtig sein, taugt aber nicht für die Praxis. (AA VIII, 273-313). 1795: Zum ewigen Frieden. (AA VIII, 341-385). 1797: Die Metaphysik der Sitten. Erster Teil: Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre. (AA VI, 203-372) Zweiter Teil: Metaphysische Anfangsgründe der Tugendlehre. (AA VI, 373-494) 1797: Über ein vermeintes Recht aus Menschenliebe zu lügen. (AA VIII, 423-430) 1798: Anthropologie in pragmatischer Hinsicht. (AA VII, 117-334) 1798: Der Streit der Fakultäten. (AA VII, 1-116) 1803: Über Pädagogik. (AA IX, 437-500) Akademie Ausgabe: Gesammelte Schriften, begonnen im Jahr 1900 von der Königlich Preußischen Akademie der Wissenschaften, 1. Abteilung. Werke (Bd. I-IX); 2. Abteilung Briefwechsel (Bd. X-XIII); 3. Abteilung Nachlass (Bd. XIV-XXIII); 4. Vorlesungen (Bd. XXIV-XXIX). [de Gryuter, Berlin]. Werke in 12 Bänden, hg. Wilhelm Weischedel, Frankfurt a.M. 1968 [seitenidentischer Nachdruck der Ausgabe Wiesbaden 1956-1964].
8.2 Persische Übersetzungen von Werken Immanuel Kants in chronologischer Reihenfolge ihres Erscheinens in Iran Kant/Adīb Solṭānī (1362/1983): Kritik der reinen Vernunft – Sanǧeš-e ḫerad-e nāb, Übers.: Adīb Solṭānī, Mīr Šamsaddīn, Teheran (Amīr Kabīr) 1362/1983. [Die Übersetzung basiert auf der 1926 von Raimund Schmidt herausgegeben Edition nach der ersten und zweiten Originalausgabe. Mit ausführlicher Einleitung (VII-LXIX) des Übersetzers und sehr detailliertem Glossar (Anhang 1-160)] Kant/Šokūhī (1362/1983-4): Über Pädagogik – Taʿlīm va tarbīyat (andīšehāʾī darbāre-ye āmūzeš va parvareš), Ġolām-Hosseyn Šokūhī, Teheran (Entešārāt-e dānešgāh-e Tehrān) 1362/1983-4. [4. Aufl. 1374/1996 – Der ersten Auflage liegt die 4. Auflage (1981) der englischen Übersetzung von Annette Churton aus dem Jahre 1960 (Ann Arbor Paperbacks, Michigan) zugrunde. Der 4. Auflage liegt die französische Übersetzung von A. Philonenko ‚Réflexions sur l‘éducation‘ aus dem Jahre 1989 zugrunde und beinhaltet auch eine Übersetzung der Einleitung Philonenkos] Kant/Ḥaddād ʿĀdel (1367/1988-9): Prolegomena – Tamhīdāt. Moqaddameʾī barā-ye har mā-baʿd-oṭ-ṭabīʿe-ye āyande ke be ʿonvān-e yek ʿelm ʿarże šavad, Übers.: Ḥaddād Ādel, Ġolāmʿalī, Teheran (Markaz-e Našr-e danešgāhī) 1367/1988-9. [Übersetzung basiert vornehmlich auf der Englischen Übertragung ‚Prolegomena to any future metaphysics‘,
Bibliographie
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Peter G. Lucas (trans.), Manchester 1953. [2nd 1959; 3rd 1962; 4th 1966; 5th 1971. Dritte Auflage 1384/2005-6. Ausfürliche Einleitung, 1-80; Text 83-242, Glossar 243-261] Kant/ʿEnāyat/Qeyṣarī (1369/1990): Grundlegung zur Metaphysik der Sitten – Bonyād-e mā-baʿd-oṭ-ṭabīʿe-ye aḫlāq (goftārī dar ḥekmat-e kerdār), Übers.: Ḥāmīd ʿEnāyat / ʿAlī Qeyṣarī, Teheran (Ḫwāresmī)1369/1990-1. Kant/Fūlādpūr (1376/1997): „Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung“ – „Roušangarī čīst? Dar pāsoḫ-e yek porseš“, Übers. Homāyūn Fūlādpūr, in Kelk 22, 1370 Teheran. Kant/Ārīnpūr1376/1997):) „Dar pāsoḫ be porseš-e roušangarī čīst?“, Übers. Sīrūs Ārīnpūr, In: Roušangarī čīst? naẓarī-yehā va taʿrīfhā, Teheran (Āgāh) 1376/1997-8. Kant/Rašīdīyān (1377/1998): Kritik der Urteilskraft – Naqd-e qovve-ye ḥokm, Übers.: ʿAbdolkarīm Rašīdīyān, Teheran (Ney) 1377/1998-9. [4. Aufl. 1386/2007-8] Kant/Ṣāneʿī (1378/1999): Idee zu einer allgemeinen Geschichte in weltbürgerlicher Absicht – Maʿnā-ye tārīḫ-e kollī dar ġāyat-e ǧahān-e vaṭanī, Übers.: Sāneʿī Darrebīdī, Manūčehr, in Nāme-ye falsafe, Nr. 6 (1378/1999), 128-142. [Erneut abgedruckt und mit ausführlichem Kommentar In: ders.: Rošd-e ʿaql. Tarǧome va šarḥ-e maqāle-ye Kānt bā ʿonvān-e ‚ Maʿnā-ye tārīḫ-e kollī dar ġāyat-e ǧahān-e vaṭanī‘, Teheran (Naqš va negār)1383/2004-5)]. Kant/Ṣāneʿī (1378/1999) Eine Vorlesung über Ethik (Vorlesungsmitschrift hrsg. von P. Menzer 1924) – Darshā-ye falsafe-ye aḫlāq, Übers.: Sāneʿī Darrebīdī, Manūčehr, Teheran (Naqš va negār) 1378/1999. [3. Auflage 1384/2005-6] Kant/Ṣāneʿī (1380/2001b): Der Metaphysik der Sitten erster Teil. Metaphysische Anfangsgründe der der Rechtslehre. – Mā-baʿd-oṭ-ṭabīʿe-ye aḫlāq. Ǧeld-e avval. Mabānī-ye mā-baʿd-oṭ-ṭabīʿī-ye taʿlīm-e ḥaqq (falsafe-ye ḥoqūq), Sāneʿī Darrebīdī, Manūčehr, Teheran (Naqš va negār) 1380/2001-2. [2. Aufl. 1383/2004-5] Kant/Ṣāneʿī (1380/2001c): Die Metaphysik der Sitten (Metaphysische Anfangsgründe der Tugendlehre) - Mā-baʿd-oṭ-ṭabīʿe-ye aḫlāq. Ǧeld-e dovvom. Mabānī-ye mā-baʿd-oṭṭabīʿī-ye taʿlīm-e fażīlat (falsafe-ye fażīlat) Sāneʿī Darrebīdī, Manūčehr, Teheran (Naqš va negār) 1380/2001-2. [2. Aufl. 1383/2004-5] Kant/Ṣāneʿī (1380/2001a): Die Religion innerhlab der Grenzen der bloßen Vernunft – Dīn dar maḥdūde-ye ʿaql tanhā, Sāneʿī Darrebīdī, Manūčehr, Teheran (Naqš va negār) 1380/2001-2. Kant/Ṣobūrī (1380/2001): Zum ewigen Frieden – Ṣolḥ-e pāydār, Übers. Moḥammad Ṣobūrī, Teheran in: Bāwarān 1380. Kant/Allison/Ẕākerī (1383/2004)) Über eine Entdeckung – Resāle-ye kašf-e Immanuel Kant. Šarḥ va toużīḥ-e Henrī E. Allison, (Übers.) Mehdī Ẕākerī, Qom (Dānešgāh-e ʿolūm-e ensānī-e Mofīd, moʾassese-ye entešārāt 1383/2004). [Übersetzung von: Henry E. Allison: The Kant-Eberhard controversy. An English translation together with supplementary materials and a historical-analytic introduction of Immanuel Kant’s ‘On a discovery according to which any new critique of pure reason has been made superfluous by an earlier one, Baltimore/London, 1973.] Kant/Raḥmatī (1384/2005): Kritik der praktischen Vernunft – Naqd-e ʿaql-e ʿamalī, Übers.: Enšāʾallāh Raḥmatī, Teheran (Nūr aṯ-ṯaqaleyn) 1384/2005-6. [2. Aufl.1385/2006-7]. Kant/Naẓarī (1390/2011): Kritik der reinen Vernunft – Naqd-e ʿaql-e maḥż, Übers.: Behrūz Naẓarī, Kermānšāh (Bāġ-e ney) 1390/2011. [Nach Angaben im Buch nach der Übersetzung von Paul Guyer & Allen Wood, Cambridge University Press, 1998].
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Bibliographie
8.3 Persische Übersetzungen aus europäischen Sprachen von Werken über Kant Apel, Max / Beheštī, Mohammad Reżā Hoseynī (1375/1996-7): Kommentar zu Kants „Prolegomena“: Eine Einführung in die kritische Philosophie. I. Die Grundprobleme der Erkenntnistheorie, Berlin 1908 – Pers.: Āpel, Māks: Šarḥī bar ‚tamhīdāt‘-e Kānt. Moqaddameʾī be falsafe-ye enteqādī. Ǧeld-e avval. Masʾale-ye aṣlī-ye naẓarīye-ye šenāḫt, Übers., Teheran (Markaz-e našr-e dānešgāhī). [Kommentar zu Kants „Prolegomena“: Eine Einführung in die kritische Philosophie. I. Die Grundprobleme der Erkenntnistheorie.] Aune, Bruce / Āl-e Būye, ʿAlī Reżā (1381/2002-3): Kant‘s Theory of Morals, Princeton University Press, Princeton, New Jersey 1979, XII, 217 Seiten. – Kānt. Naẓarīye-ye aḫlāqī, Qom (Būstān-e Ketāb). [Kant, Theorie der Moral ]. Avey, Albert E. / ʿAlī Aṣġr Ḥalabī (1358/1979-1362/1983): Handbook in the History of Western Philosophy, 3500 BC to the Present, Barnes & Noble 1954. – Seyr-e falsafe dar orūpā (3 Bde.) [Geht im zweiten Band auf ca. 10 Seiten (293-303) knapp auf Kants Leben und Denken ein. Von mir verwendete Ausgabe (Entešārāt-e Zavvār) Teheran 1368/1989, 2. Auflage]. Copleston/Bozorgmehr (1360): A History of Philosophy, Wolff to Kant, Vol. VI, London 1964 – Kānt, Teheran 1360/1981. [Bozorgmehr übersetzte nur das Kapitel über Kant.]. Cressons, André / ʿEmādī, Kāẓem (1328/1949): Kant. Sa vie, son oeuvre, sa philosophie, (Reihe „Philosophes“ Hg. Émile Bréhier) Presses Universitaires de France, Paris 1941. – Kānt, Teheran (Entešārāt-e Ṣafā-ye ʿAlīšāh). Deleuze, Gilles/ Aṣġar Vāʿeẓī (1386/2007-8): La Philosophie critique de Kant. Doctrine des facultés, Presses Universitaires de France, Paris 1963 – falsafe-ye naqqādī-ye Kānt. Rābeṭe-ye qovvā, Übers, Teheran (Ney). [Übersetzung nach der englischen Vorlage: Kant‘s Critcal Philosophy. The Doctrin of Faculties, Transl. by Hugh Tomlinson and Barbara Habberjam, London 1993]. Durants, Will / Zaryāb-Ḫūʾī, ʿAbbās (1336/1956): The Story of Philosophy. The Lives and Opinions of the Greater Philosophers, Simon & Schuster, New York 1924 (revised edition 1933). – Tārīḫ-e falsafe, Teheran. [Das 6. Kapitel (S. 241-282) ist Kant und dem Deutschen Idealismus gewidmet. Von mir verwendete Ausgabe: Teheran (Dāneš) 1362/1983, 7. Auflage]. Ewing, Alfred Cyrill / Saʿādatī Ḫamse, Esmāʿīl (1388/2009): A Short Commentray on Kant’s Critique of Pure Reason, Univ. of Chicago Press, Chicago 1987. – Šarḥī kutāh bar naqd-e ʿaql-e maḥż-e Kānt, Teheran (Hermes). Goldmann, Lucien / Parvīz Bābāʾī (1381/2002-3): Introduction à la philosophie de Kant. – Pers.: Goldman, Lūsīyen: Kānt va falsafe-ye moʿāṣer, Teheran (Negāh). [Kant und die zeitgenössische Philosophie. Übersetzt nach der englischen Vorlage: Immanuel Kant / Lucien Goldmann. (Transl. from the French and German by Robert Black, London 1971]. Hartnack/Ḥaddād ʿĀdel (1376/1997): Naẓarīye-ye maʿrefat dar falsafe-ye Kānt, Teheran (Fekr-e rūz) – Justus Hartnack: Kant’s Theory of Knowledge, trans. M. Holmes Hartshorne – Kants Erkendelesesteori, 1967. [3. Auflage der Übersetzung erschien (1387/2008) bei Hermes, Teheran] Hartnack/Ḥaqqī (1376/1997): Naẓarīye-ye šenāḫt-e Kānt, Teheran (Šarkat-e entešārāt-e ʿelmī va farhangī) – Justus Hartnack: Kant’s Theory of Knowledge, trans. M. Holmes Hartshorne – Kants Erkendelesesteori, 1967. [Die 2. Auflage dieser Übersetzung erschien 1387/2008].
Bibliographie
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Körner, Stefan / Fūlādvand, ʿEzzatollāh (13802/2001-2): Kant, 1955. – Falsafe-ye Kānt, Teheran (Ḫwāresmī). [Die Philosophie Kants – Erste Auflage 1367/1988-9]. Ludwig, Ralf / Afšārī, Raḥmān (1387/2008): Kant für Anfänger. Die Kritik der reinen Vernunft. Eine Lese-Einführung, München 1995. – Rāhnemā-ye moṭālaʿe-ye Sanǧeš-e ḫerad-e nāb, Teheran (Mehrandīš).[Studienführer zur Kritik der reinen Vernunft]. Rauch, Leo / ʿAbdolʿalī Dastġeyb (1386/2007-8): The Philosophie of Kant, New York 1965. – Falsafe-ye Kant, Übers., Ābādān/Eṣfahān (Porseš). [Die Philosophie Kants]. Ross, Sir W. David / Kamālīnežād (1385/2007): Kant’s Ethical Theory. A Commentary on the Groundwork of the Metaphysics of Morals, Oxford University Press, Oxford 1954. – Naẓarīye-ye aḫlāqī-ye Kānt. Tafsīrī bar ketāb-e taʾsīs-e ma baʿdoṭṭabīʿe-ye aḥlāq – Dayvīd Rās [Vermutlich Übersetzung von: Sir W. David Ross ‚’ Russels, Bertrand / Daryābandī, Naǧaf (1360/1981): History of Western Philosophy, George Allen & Unwin Ltd., London 1945. – Tārīḫ-e falsafe-ye ġarb (Našr-e parvāz) Teheran. Sullivan, Roger J.: Introduction to Kant’s Ethics, Cambridge (University Press) 1994. Pers.: Sālīvān, Rāǧer: Aḫlāq dar falsafe-ye Kānt, Übers. Fūlādvand, ʿEzzatollāh, Teheran (Tarḥ-e nou) 1380/2001-2. [Moral in der Philosophie Kants. – ANN] Scruton, Roger / Pāyā, ʿAlī (1383/2004): Kant, Oxford 1982 – Kānt, Teheran (Tarḥ-e nou), [Enthält ein Vorwort des Autors zur persischen Auflage und ein Nachwort des Übersetzers zur englischsprachigen Kantliteratur im 20. Jahrhundert, 199-221].
8.4 Abschlussarbeiten iranischer Hochschulabsolventen zu Kant Die folgende Bibliographie enthält Hochschulschriften zu Kant, die von Studierenden iranischer Universitäten als Abschlussarbeiten bis zum Jahr 2004 eingereicht wurden. Sie erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit und soll lediglich einen Eindruck darüber vermitteln, welche Themen in Forschung und Lehre besonders behandelt wurden. Einige wenige dieser Arbeiten habe ich 2008 in Teheran gesichtet, in der Diskussion wurden sie, sofern nicht auch als Monographie erschienen, nicht behandelt. Berücksichtigt wurden solche Arbeiten, die einer Masterarbeit entsprechen (pāyānnāme-ye kāršenāsī-ye aršad) sowie Doktorarbeiten (pāyānnāme-ye doktorī). Genannt werden neben Verfasser, Titel und Jahr auch die jeweilige Hochschule und die Betreuer der Arbeit.
8.4.1 Abschlussarbeiten (Masterstufe) zur theoretischen Philosophie Kants und allgemeine Einführungen in sein Denken Amīrī Dāvīǧānī, Ḥoseyn (1376/1997): Naẓariye-ye aḥkām-e taḥlīlī va taʾlīfī dar nazd-e Kānt [Theorie der analytischen und synthetischen Urteile bei Kant], Šahid Beheštī Universität. Betreuer: 1. Abolqāsem Ẕākerzāde; 2. Maḥmūd Amīn. Amīrī, Żīyā (1374/1995): Barrasī va taṭbīq-e emkān dar falsafe-ye eslāmī bā falsafe-ye Kānt [Untersuchung und Vergleich des Möglichkeitsbegriffs in der islamischen Philosophie und
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Bibliographie
der Philosophie Kants]. Tarbiyat Modārres Universität. Betreuer: 1. Aḥamad Aḥmadī; 2. Reżā Akabarīyān. ʿAbdollāhnežād, Moḥammadreżā (1381/2002): Moqāyase-ye taṣvvorāt-e feṭrī-ye Dekārt bā ṣūrathā-ye ma-taqaddam-e Kānt [Vergleich der angeborenen Vorstellungen Descartes mit den apriorischen Formen Kants], ʿAllāme Ṭabāṭabāʾī Universität Teheran. Betreuer: 1. Ḥamīdreżā Āyatollāhī; 2. ʿAbdollāh Naṣrī. ʿArab Moʾmenī, Nāṣer (1371/1992): Barrasī va moqāyase-ye naẓarīyāt-e Kānt va Mollā Ṣadrā dar baḥs̱ al-maʿrefe [Untersuchung und Vergleich der Theorien Kants und Mollā Ṣadrās in der Frage der Erkenntnis], Fakultät für Theologie und Islamische Bildung der Universität Teheran. Betreuer: Mehdī Dahbāšī. ʿArab, Mahīn (1370/1991): Falsafe-ye naẓarī-ye Kānt as̱ar-e Kārl Yāspers [‚Die Theoretische Philosophie Kants‘ von Karl Jaspers], Fakultät für Literatur und Geisteswissenschaften der Universität Teheran. Betreuer: 1. Ġolāmʿalī Ḥaddād ʿĀdel; Aḥmad Aḥmadī. ʿĀšūrī, ʿAlīreżā (1377/1998): Barrasī-ye dīdgāh-e Kānt dar bāb-e aḥkām-e ʿelmī bā tavaǧǧoh be meʿyārhā-ye eṣālat-e ʿaql va eṣālat-e taǧrobe [Untersuchung der Ansicht Kants bezüglich wissenschaftlicher Urteile unter Berücksichtigung der Kriterien des Primats der Vernunft und des Primats der Erfahrung], ʿAllāme Ṭabāṭabāʾī Universität Teheran. Betreuer: 1. ʿAbdollāh Naṣrī; 2. Ḥoseyn Kalbāsī. Barǧisīyān, Rasūl (1375/1996): Naqd va Barrasī-ye qażāyā-ye ǧadalī oṭ-ṭarafeyn-e Kānt dar moqāyase bā falsafe-ye Mollā Ṣadrā [Kritik und Untersuchung dialektischer Urteile bei Kant im Vergleich zur Philosophie Mollā Ṣadrās], Freie Islamische Universität Abteilung Ḫorāsgān (Isfahan). Betreuer: 1. Mehdi Dahbašī; 2. Hāšem Golestānī. Eʿteṣāmī, Moḥammad Mehdī (1375/1996): Šākele dar falsafe-ye Kānt. [Schemata in der Philosophie Kants]. Dāneškade-ye adabīyāt va ʿolūm-e ensānī-ye dānešgāh-e Teherān [Fakultät für Literatur und Geisteswissenschaften der Universität Teheran]. Ostād-e rāhnamā [Erstbetreuer]: Ġolāmʿalī Ḥaddād ʿĀdel, Ostād-e mošāver [Zweitbetreuer]: Reżā Dāvarī Ardakānī. Fāṭemī, ʿAbbās (1381/2002): ʿAql va dīn dar ḥekmat-e motaʿālīye va falsafe-ye naqqādī (Ṣadr al-motaʾallehīn-e Šīrāzī, Immanuel Kant) [Vernunft und Religion in der Transzendenzphilosophie und der Kritischen Philosophie (Mollā Ṣadrā und Immanuel Kant)], Freie Islamische Universität (Abteilung Sabzevar). Betreuer: 1. Saʿīd Naẓarī Tavakkolī; 2. Moḥammadreżā Eršādīniyā. Fatḥ Ṭāherī, ʿAlī (1370/1991): Āšenāʾī bā Kānt as̱ar-e Ǧ. D. Broad (tarǧome-ye qesmat-e avval) [Einführung in Kant von C. D. Broad [Übersetzung des ersten Teils; vgl. Charlie D. Broad: „Kant an Introduction“ (Cambridge: CUP 1978)], Fakultät für Literatur und Geisteswissenschaften der Universität Teheran. Betreuer: 1. Ġolāmʿalī Ḥaddād ʿĀdel; 2. Reżā Dāvarī Ardakānī. Fatḥī, ʿAbbās (1373/1994): Moqāyase-ye ārāʾ-e Mollā Ṣadrā va Kānt dar mafhūm-e voǧūd [Vergleich der Ansichten Mollā Ṣadrās und Kants hinsichtlich des Seinsbegriffs], Fakultät für Literatur und Geisteswissenschaften der Universität Teheran. Betreuer: 1. Ġolāmḥoseyn Ebrāhīmī Dīnānī; 2. Reżā Dāvarī Ardakānī. Golpāyegānī, Zahrā (1376/1997): ʿAnāṣor-e esteʿlāʾī-ye ḥess va fāheme dar falsafe-e Kānt [Transzendentale Prinzipien von Sinnlichkeit und Verstand in der Philosophie Kants], Šahīd Beheštī Universität Teheran. Betreuer: 1. Mīr ʿAbdolḥoseyn Naqībzāde; 2. Aḥmad ʿAlī Akbar Mesgarī. Ḥeydarī, Moḥammad Ḥasan (1370/1991): Āšenāʾī bā Kānt as̱ar-e Č. D. Broad [Einführung in Kant von C. D. Broad; vermutlich eine Übersetzung und/oder Diskussion von Charlie D. Broad:
Bibliographie
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„Kant an Introduction“ (Cambridge: CUP 1978)], Fakultät für Literatur und Geisteswissenschaften der Universität Teheran. Betreuer: 1. Ġolāmʿalī Ḥaddād Ādel; 2. Karīm Moǧtahedī. Hodāʾī, Aḥmad (1379/2000): Taʿqīl va moqaddameʾī bar Ketāb-e ‚Falsafe-ye naqqādī-ye Kānt’ bar ḥasb-e naẓar-ye Žīl Dūlūz [Reflexion und Einleitung zu ‚La Philosophie critique de Kant‘ gemäß der Ansicht Gilles Deneuzes], ʿAllāme Ṭabāṭabāʾī Universität Teheran. Betreuer: 1. Ḥoseyn Kalbāsī; 2. Mīr ʿAbdolḥoseyn Naqībzāde. Hūšyār, Yāsaman (1369/1990): Tarǧome-ye moqaddame va panǧ faṣl-e avval-e ketāb-e ‚Kānt’ taʾlīf-e Vālker [Übersetzung der Einleitung und er ersten fünf Kapitel von Walkers Werk ‚Kant‘; vermutlich folgendes Werk: Ralph Walker: Kant, London 1978.], Fakultät für Literatur und Geisteswissenschaften der Universität Teheran. Betreuer: Aḥmad Aḥmadī. Ḥāmedī, Moǧtabā (1380/2001): Masʾale-ye šenāḫt az dīdgāh-e Mollā Ṣadrā va Kānt [Das Problem der Erkenntnis aus der Sicht Mollā Ṣadrās und Kants], Frei Islamische Universität (Naǧafābād). Betreuer: Hāšem Golestānī; 2. Raḥmatollāh Šarīʿatī. Ḥaqqī, ʿAlī (1368/1989): Naẓarīye-ye šenāḫat-e Kānt as̱ar-e Yūstūs Hārtnāk [‚Kants Erkenntnistheorie‘ von Justus Hartnack; Anm: vgl. 8.5. Hartnack/Ḥaqqī], Fakultät für Literatur und Geisteswissenschaften der Universität Teheran. Betreuer: 1. Ġolāmʿalī Ḥaddād ʿĀdel. Ḥeydarpūr Kiyāʾī, Asadollāh (o.J.): Taʿārożāt-e ǧahānšenāḫtī dar falsafe-ye Kānt [Die kosmologischen Antinomien in der Philosophie Kants], Šahid Beheštī Universität. Betreuer: 1. Abolqāsem Ẕākerzāde; 2. Maḥmūd Amīn. Ḥoseynī Ḫāmene, Moḥsen (1379/2000): ʿEynīyat (obžektivite) dar falsafe-ye Kānt [Objektivität in der Philosophie Kants], Fakultät für Literatur und Geisteswissenschaften der Universität Teheran. Betreuer: 1. Ġolāmʿalī Ḥaddād ʿĀdel; 2. Aḥmad Aḥmadī. Ḥoseynī Amīn, Ḥoseyn (1379/2000): ʿEllīyat az dīdgāh-e Kānt va Ibn Sīnā [Kausalität aus der Sicht Kants und Ibn Sinas]. Tarbīyat Modarres Universität Teheran. Betreuer: 1. Reżā Akbarīyān; 2. Aḥmad Aḥmadī. Ḫalaǧ, Šahrām (1380/2001): Barrasī-ye rābeṭe-ye ẕehngerāʾī va enqelāb-e kopernīkī-ye kānt [Untersuchung des Zusammenhangs von Subjektivismus und Kants Kopernikanischer Wende], ʿAllāme Ṭabāṭabāʾī Universität. Betreuer: 1. Hoseyn Kalbāsī; 2. Maḥmūd Ḫātamī. Kahnūǧī, Mehdī (1380/2001): Barrasī va naqd-e zamān va makān dar falsafe-ye Kānt bā taʾkīd bar dīdgāh-e Ǧānātān Benet [Untersuchung und Kritik von Zeit und Raum in der Philosophie Kants unter Rückgriff auf die Position Jonathan Bennets], Fakultät für Literatur und Geisteswissenschaften der Universität Teheran. Betreuer: 1. Ḥoseyn Ġaffārī; 2. ʿAlī Akbar Aḥmadī Aframǧānī. Karīmī Nīsīyānī, ʿAlīreżā (1381/2002): Ǧāygāh-e ḥessīyāt-e esteʿlāʾī va taḥlīl-e esteʿlāʾī-ye mafāhīm dar falsafe-ye naẓarī-ye Kānt [Stellung der Transzendentalen Ästhetik und der Transzendentalen Analytik der Begriffe in Kants theoretischer Philosophie], Šahīd Beheštī Universität Teheran. Betreuer: 1. Ḥasan Aḥmadī; 2. Abolqāsem Ẕākerzāde. Kermānī, Manṣūr (1378/1999): Ǧāygāh-e ʿaql dar falsafe-ye Kānt [Die Stellung der Vernunft in der Philosophie Kants], Šahīd Beheštī Universität Teheran. Betreuer: 1. Abolqāsem Ẕākerzāde; 2. Aḥmad ʿAlī Akbar Mesgarī. Manṣūrī, Ḥamīd (1379/2000): Barrasī-ye maʿnā-ye īdeʾālīsm dar falsafe-ye Kānt [Untersuchung der Bedeutung von ‚Idealismus‘ in der Philosophie Kants], Fakultät für Literatur und Geisteswissenschaften der Universität Isfahan. Betreuer: 1. Moḥammad ʿAlī Ežeʾī; 2. Moḥammad Ǧavād Ṣāfīyān. Morād, Aṣġar (1379/2000): Baḥs̱-e ḫerad va hastī dar falsafe-ye Yāspers ba tavaǧǧoh be zamīnehā-ye ān dar andīšehā-ye Kānt va Kīrekegūr [Zu Vernunft und Sein in der Philosophie
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Bibliographie
Jaspers’ mit Blick auf das Denken Kants und Kierkegaards], Freie Islamische Universität (Teheran Zentrum). Betreuer: 1. Mīr ʿAbdolḥoseyn Naqībzāde; 2. Ṣamad Movāhed. Morādīpūr, Farībā (1381/2002): Taḥlīl-e dīdgāh-e Kānt dar moured-e mā-baʿd-oṭ-ṭabīʿe [Analyse der Position Kants zur Metaphysik], ʿAllāme Ṭabāṭabāʾī Universität Teheran. Betreuer: 1. Moḥammad Reżā Ḥoseynī Beheštī; 2. Maḥmūd Ḫātamī. Mostašārī Rād, Abūlqāsem (1374/1995): Barrasī-ye eǧmālī-ye barḫī enteqādāt-e motafakkerān-e eslāmī-ye moʿāṣer bar ārāʾ-e Kānt [Untersuchung einiger Kritikpunkte zeitgenössischer islamischer Denker bezüglich der Lehrmeinungen Kants], Fakultät für Literatur und Geisteswissenschaften der Universität Isfahan. Betreuer: 1. Mehdī Dahbāšī; 2. Moḥammad ʿAlī Ežeʾī. Naʿīmī Gūrābī, Moḥammad Ḥoseyn (1371/1992): Zamān va makān dar falsafe-ye Kānt [Zeit und Raum in der Philosophie Kants], Fakultät für Literatur und Geisteswissenschaften der Universität Teheran. Betreuer: 1. Ġolāmʿalī Ḥaddād ʿĀdel; 2. Karīm Moǧtahedī. Neẓāmzāde, Mehdī (1372/1993): Šarḥ va tarǧome va tafsīr-e estentāǧ-e esteʿlāʾī dar falsafe-ye Kānt [Erläuterung, Übersetzung und Kommentar der Transzendentalen Deduktion in der Philosophie Kants. Fakultät für Literatur und Geisteswissenschaften der Universität Teheran. Betreuer: 1. Ġolāmʿalī Ḥaddād ʿĀdel; 2. Reżā Dāvarī Ardakānī. Nīkpūr, Reżā (1375/1996): Padīdār va ẕāt-e maʿqūl (nūmen va fenūmen) dar falsafe-ye Kānt [Erscheinung und Gedankending (Noumenon und Phaenomenon) in der Philosophie Kants, Fakultät für Literatur und Geisteswissenschaften der Universität Teheran. Betreuer: 1. Ġolāmʿalī Ḥaddād ʿĀdel; 2. Karīm Moǧtahedī. Nouẓohūr, Yūsef (1369/1990): Taqsīmbandī-ye qāżāyā dar falsafe-ye Kānt va ahamīyat-e ān dar falsafe-ye ġarb [Einteilung der Urteile in der Philosophie Kants und ihre Bedeutung in der westlichen Philosophie], Fakultät für Literatur und Geisteswissenschaften der Universität Teheran. Betreuer: 1. Ġolāmʿalī Ḥaddād ʿĀdel. Pūrǧabbār Ǧāhed, Behrūz (1380/2001): Barrasī-ye ahamīyat va Ǧāygāh-e zamān va makān (fażā) dar falsafe-ye Kānt va Ibn Sīnā (Untersuchung zur Bedeutung und Stellung von Zeit und Raum in der Philosophie Kants, Tarbiyat Maʿallem Universität Teheran. Betreuer: Ǧahāngīrī; 2. Mortażā Mīrbāqerī / Behǧat Vāḥedī. Qāsemī, Ǧalīl (1379/2000): Šenāḫt az dīdgāh-e Ṣadr al-Motaʾallehīn va moqāyase-ye ān bā Ārāʾ-e Kānt [Erkenntnis aus der Sicht Mollā Ṣadrās samt eines Vergleiches mit der Position Kants], Fakultät für Theologie und Islamische Bildung der Ferdūsī Universität Mašhad. Betreuer:1. ʿAzīzollāh Feyyāż Ṣāberī; 2. Parvīz Żīyāʾ Šahābī. Qāsemī, Aʿẓām (1376/1997): Barrasī-ye taṭbīqī-ye maʿqūlāt-e s̱ānīye-ye falsafī va maqūlāt-e Kānt [Vergleichende Untersuchung der sekundären Intelligibilia der Philosophie und der Kategorien Kants], Fakultät für Literatur und Geisteswissenschaften der Universität Teheran. Betreuer: 1. Ġolāmḥoseyn Ebrāhīmī Dīnānī; 2. Ḥoseyn Ġaffārī. Qolīzāde, Aḥmad (1380/2001): Tarǧome va taḥqīq-e baḫšī az ketāb-e ‚Taḥlīl-e Kānt‘ as̱ar-e Ǧānātān Bennet [Übersetzung und Untersuchung eines Abschnitts von Jonathan Bennets ‘Kant’s Analytics’; vgl. Bennet (1966)], Fakultät für Literatur und Geisteswissenschaften der Universität Teheran. Betreuer: 1. Ḥoseyn Ġaffārī; 2. Ḥamīd Ṭālebzāde. Raǧabī, Abūẕar (1381/2002): Taḥlīl-e enteqādī-e estentāǧ-e esteʿlāʾī dar falsafe-ye naẓarī-ye Kānt bar asās-e ketāb-e ʿaql-e maḥż [Kritischer Analyse der Transzendentalen Deduktion in der theoretischen Philosophie Kants basierend auf der ‚Kritik der Reinen Vernunft’], Tarbīyat Modarres Universität Teheran. Betreuer: 1. Moḥammadreżā Ḥoseynī Beheštī; 2. Moḥammad Saʾīdī Mehr.
Bibliographie
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Šarīfī, Ǧavād (1373/1994): Masʾale-ye ʿellīyat az naẓar-e Hiyūm, Kānt va Ṣadr al-motaʾallehīn [Das Problem der Kausalität bei Hume, Kant und Mollā Ṣadra], Fakultät für Literatur und Geisteswissenschaften der Universität Teheran. Betreuer: 1. Ġolāmʿalī Ḥaddād ʿĀdel; 2. Aḥmad Aḥmadī. Šarīzāde, ʿAbdolǧalīl (1379/2000): Maʿqūlāt-e s̱ānīye az dīdgāh-e Kānt va Mollā Ṣadrā [Intelligibila zweiter Ordnung aus der Sicht Kants und Mollā Ṣadrās], Cultural Studies and Research Institute Teheran. Betreuer: 1. Ġolāmreżā Aʿvānī; 2. Ġolāmḥoseyn Ebrāhīmī Dīnānī. Vāʿeẓī, Aṣġar (1375/1996): Tarǧome va moqaddame-ye ‚Falsafe-ye naqqādī-ye Kānt – Rābeṭe-ye qovvā – Žīl Dūlūz’ [Übersetzung und Einleitung in ‚La Philosophie critique de Kant. Doctrine des facultés’; Vgl. Deleuze/Vāʿeẓī (1386/2007)], Šahīd Beheštī Universität Teheran. Betreuer: 1. ʿAbdolkarīm Rašīdīyān; 2. Moḥammadreżā Šahriyār Šafaqī. Ẕākerī Aḥqar, Mehdī (1379/2000): Tarǧome va barrasī-ye baḫš-e avval-e ketāb ‚Moẕākerāt-e Kānt va Eberhard (The Kant-Eberhard Controversy) [Übersetzung und Untersuchung des ersten Teils der Monographie „The Kant-Eberhard Controversy“; Vgl. Kant/Allison/Ẕākerī (1383/2004)], Mofīd Universität. Betreuer: 1. Maḥmūd ʿEbadīyān; 2. Ḥamīd Ṭālebzāde. Żiyāʾī Naǧafābādī, Sīmīn (1379/2000): Arzyābī-ye tašāboh-e dovvom-e Naqd-e aql-e maḥż be ʿonvān-e pāsoḫ-e Kānt be Hīyūm [Einschätzung der zweiten Analogie der ‚Kritik der reinen Vernunft’ als Antwort Kants auf Hume], Fakultät für Literatur und Geisteswissenschaften der Universität Teheran. Betreuer: 1. Moḥammadreżā Ḥoseynī Beheštī; 2. Ġolāmʿalī Ḥaddād ʿĀdel.
8.4.2 Abschlussarbeiten (Masterstufe) zur praktischen Philosophie Kants Amīn Darborzī, Maryam (1381/2002): Ġāyat-engārī dar Kānt bar asās-e ketāb-e naqd-e qovve-ye ḥokm [Teleologisches Denken bei Kant gemäß der „Kritik der Urteilskraft“]. ʿAllāme Ṭabāṭabāʾī Universität. Betreuer: 1. Maḥmūd Ḫātemī; 2. ʿAbdollāh Naṣrī. ʿAlīzāde, ʿAlī Akbar (1377/1998): Tarǧome va barrasī-ye ‚Moqaddameʾī bar aḫlāq-e Kānt’ (as̱ar-e Roger J. Sullivan) [Übersetzung und Untersuchung von Roger J. Sullivans ‚An Introduction to Kant’s Ethics]. Fakultät für Literatur und Geisteswissenschaften der Universität Isfahan. Betreuer: 1. Mehdī Dahbāšī; 2. Maḥmūd Ketābī/Moḥammad Ǧavād Ṣāfīyān. Ḥaddādī, Moḥammad (1377/1998): Ḫodā/dīn dar falsafe-ye Kānt [Gott/Religion in der Philosophie Kants], ʿAllāme Ṭabāṭabāʾī Universität Teheran. Betreuer: 1. Mīr ʿAbdolhoseyn Naqībzāde; 2. Ġolāmreżā Aʿvānī. Ǧalālī, Aḥmad (1359/1980): Tarǧome-ye mabānī-ye mā-baʿd-oṭ-ṭabīʿe-ye aḫlāq-e Kānt [Übersetzung der Grundlegung zur Metaphysik der Sitten Kants]. Fakultät für Literatur und Geisteswissenschaften der Universität Teheran. Betreuer: unbekannt. Kākāvand, Šivā (1379/2000): Roušangarī dar falsafe-ye Kānt [Aufklärung in der Philosophie Kants], Šahīd Beheštī Universität Teheran. Betreuer: 1. Abolqāsem Ẕākerzāde; 2. Ḥasan Aḥmadī. Kamālīnežād, Moḥammad Ḥoseyn (1369/1990): Naẓarīye-ye aḫlāqī-ye Kānt. Tafsīrī bar ketāb-e taʾsīs-e mā-baʿd-oṭ-ṭabīʿe-ye aḥlāq – Deyvīd Rās [Vermutlich Übersetzung von: Sir W. David Ross ‚Kant’s Ethical Theory. A Commentary on the Groundwork of the Metaphysics of
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Bibliographie
Morals’, vgl. Ross/Kamālīnežād (1386/2007)], Fakultät für Literatur und Geisteswissenschaften der Universität Teheran. Betreuer: 1. Aḥmad Aḥmadī. Kāšānī, ʿAbbāsʿalī (1380/2001): Āzādī dar falsafe-ye Kānt va Espīnozā [Freiheit in der Philosophie Kants und Spinozas], Freie Islamische Universität (Teheran Zentrum). Betreuer: 1. ʿAlī Aṣġar Ḥalabī; 2. Mīr ʿAbdolhoseyn Naqībzāde. Masʿūdī, Karīm (1376/1997): Tarǧome va šarḥ-e ‚Naqd-e ʿaql-e ʿamalī-ye Īmānūʾel Kānt’ [Übersetzung und Kommentar der Kritik der praktischen Vernunft Immanuel Kants], Fakultät für Literatur und Geisteswissenschaften der Universität Isfahan. Betreuer: 1. Mehdī Dahbāšī; 2. Fatḥʿalī Akbarī/Maḥmūd Ketābī. Mesgar-Hūrī, Ṭāhere (1379/2000): Falsafe-ye aḫlāq az dīdgāh-e Kānt [Moralphilosophie aus der Sicht Kants], Freie Islamische Universität (Teheran Zentrum). Betreuer: 1. Mīr ʿAbdolḥoseyn Naqībzāde; 2. Ṣamad Movāhed. Pīšdād-Aḫgarī, Šoʿle (1380/2001): Barrasī-ye mafhūm-e āzādī va erāde az naẓargāh-e metāfīzīkī va sīyāsī dar falsafe-ye Emānūʾel Kānt [Untersuchung des Begriffs der Freiheit und des Willens in der Sicht Immanuel Kants], Freie Islamische Universität (Teheran Zentrum). Betreuer; 1. Mīr ʿAbdolhoseyn Naqībzāde; 2. Ṣamad Movāhed. Šāh Moḥammadī, Rostam (1376/1997): Ensān az dīdgāh-e Kānt dar do ḥouze-ye maʿrefatšenāsī va aḫlāq [Kants Menschenbild im Kontext seiner Erkenntnislehre und Moralphilosophie], ʿAllāme Ṭabāṭabāʾī Universität Teheran. Betreuer: 1. Mīr ʿAbdolḥoseyn Naqībzāde; 2. Maḥmūd ʿEbadiyān. Šamḫālī, Sāsān (1379/2000): Mafhūm va bonyād-e metāfīzīkī-ye āzādī az naẓar-e Kānt va ahamīyat-e ān dar aḫlāq va tarbīyat-e aḫlāqī [Begriff und metaphysische Grundlegung der Freiheit bei Kant und ihre Bedeutung für die Moral(philosophie) und moralische Erziehung], Frei Islamische Universität (Teheran Zentrum). Betreuer: 1. Mīr ʿAbdolḥoseyn Naqībzāde; 2. Ṣamad Movāḥed. Šāṭerī, Gūdarz (1381/2002): Kānt va bašar-engārī [Kant und der Humanismus], Fakultät für Literatur und Geisteswissenschaften der Universität Isfahan. Betreuer: 1. Moḥammad Ǧavād Ṣāfīyān;2. Yūsef Šāqūl. Soleymānīfar, Moḥammadʿalī (1379/2000): Mafhūm-e taklīf dar falsafe-ye Kānt va rābeṭe-ye ān bā sāḫtār-e manṭeqī-ye aḫlāq-e kāntī [Der Begriff der Pflicht in der Philosophie Kants und seine Beziehung zur logischen Struktur der kantschen Moralphilosophie], Freie Islamische Universität (Teheran Zentrum). Betreuer: 1. Yūsef Nouẓohūr; 2. Hoseyn Kalbāsī Aštarī. Ṣāberī, Mortażā (1381/2002): Ġāyat-e zendegānī az dīdgāh-e Arastū va Kānt [Zweck/ Zweckmäßigkeit des Lebens bei Aristoteles und Kant], Fakultät für Literatur und Geisteswissenschaften der Universität Teheran. Betreuer: 1. Mehdī Qavvām Ṣofrī; 2. Hoseyn Ġaffārī. Ṣabūrī, Moḥammad Ḥoseyn (1380/2001): Ṣolḥ-e pāydār dar falsafe-ye Kānt (be żamīme-ye tarǧome-ye resāle-ye Ṣolḥ-e pāydār-e Kānt) [Ewiger Friede in der Philosophie Kants (samt Übersetzung von Kants Abhandlung ‚Zum Ewigen Friden“], Šahīd Beheštī Universität Teheran. Betreuer: 1. Manūčehr Ṣāneʿī Darrebīdī; 2. Aḥmad ʿAlī Akbar Mesgarī. Ṣādeqīyān, Batūl (1379/2000): Āzādī dar falsafe-ye Kānt [Freiheit in der Philosophie Kants], Fakultät für Literatur und Geisteswissenschaften der Universität Isfahan. Betreuer: 1. Mehdī Dahbāšī. Ṣamadānī Aqdam, Mīr Aḥmad (1379/2000): Mafhūm-e āzādī dar falsafe-ye Kānt [Der Begriff der Freiheit in der Philosophie Kants], Freie Islamische Universität (Teheran Zentrum). Betreuer: 1. Yūsef Nouẓohūr; 2. Ḥoseyn Kalbāsī Aštarī.
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Tamīmī, Roqayye (1376/1997): Falsafe-ye Kānt va masʾale-ye modernīte [Die Philosophie Kants und die Frage der Moderne], Fakultät für Literatur und Geisteswissenschaften der Universität Teheran. Betreuer: 1. Reżā Dāvarī Ardakānī; 2. Karīm Moǧtahedī. Tavakkolī Dīnānī, Moḥammadreżā (1377/1998): Naẓarīye-ye aḫlāqī-ye Kānt (Dayvīd Rās) [Kants Theorie der Moral (David Ross); Anm.: Vermutlich eine Übersetzung oder Kommentar zu: Sir William David Ross: Kant’s Ethical Theory. A Commentary on the Grundlegung zur Metaphysik der Sitten. Oxford 1954], Šahīd Beheštī Univerität. Betreuer: 1. Hasan Aḥmadī; 2. Maḥmūd Amīn. Vāʿeẓī, Behrūz (o.J.): Erāde-ye ensān az dīdgāh-e do fīlsūf-e bozorg-e šarq va ġarb. Mollā Ṣadrā va Kānt [Der menschliche Wille aus der Sicht zwei großer Philosophen des Orients und des Westens. Mollā Ṣadrā und Kant], Freie Islamische Universität (Teheran Zentrum). Betreuer: Mīr ʿAbdolḥoseyn Naqībzāde; 2. Yaḥyā Yas̱rebī. Zeynalī Mehrābād, Zahrā (1375/1996): Tarǧome-e ‚Kānt‘ as̱ar-e Rāǧer Eskrūton [Übersetzung von ‚Kant“ von Rogers Scruton; vgl. Scruton/Pāyā (1383/2004).], Fakultät für Literatur und Geisteswissenschaften der Universität Teheran. Betreuer: 1. Reżā Dāvarī Ardakānī; 2. Moḥammad Saʿīdī Mehr.
8.4.3 Doktorarbeiten zur theoretischen Philosophie Kants Akramī, Mūsā (1382/2003): Kānt va mā-baʿd-oṭ-ṭabīʿe [Kant und die Metaphysik], Freie Islamische Universität (Einheit Wissenschaft und Forschung, Teheran). Betreuer: 1. Reżā Dāvarī Ardakānī; 2. Ġolāmreżā Aʿvānī / Mīr ʿAbdolḥoseyn Naqībzāde. Dīrbāz, Aşġar (1382/2003): Emkān dar Kānt va naqqādī-ye ān az dīdgāh-e Mollā Ṣadrā [Möglichkeit bei Kant und ihre Kritik aus der Sicht Mollā Ṣadrās], Tarbiyat Modarres Universität Teheran. Betreuer: 1. Aḥmad Aḥmadī; 2. Loṭfollāh Nūrī / Maḥmūd Ḫātamī. Ḥaddād ʿĀdel, Ġolāmʿalī (1365/1987): Naẓar-e Kānt darbāre-ye mā-baʿd-oṭ-ṭabīʿe bar asās-e tarǧome-ye ‚Tamhīdāt’ as̱ar-e Kānt [Kants Ansicht der Metaphysik basierend auf der Übersetzung der ‚Prolegomena’ Kants], Fakultät für Literatur und Geisteswissenschaften der Universität Teheran. Betreuer: Karīm Moǧtahedī. Hūšangī, Ḥoseyn (1379/2000): Taṭbīq va moqāyase-ye maʿqūlāt-e s̱ānīye dar falsafe-ye eslāmī va maqūlat-e fāheme-ye Kānt [Vergleich der sekundären Intelligibilia in der islamischen Philosophie und der Verstandeskategorien Kants], Fakultät für Literatur und Geisteswissenschaften der Universität Teheran. Betreuer: 1. Ġolāmʿalī Ḥaddād ʿĀdel; 2. Aḥamd Aḥamdī / Ġolāmḥoseyn Ebrāhīmī Dīnānī. Ġaffārī, Ḥoseyn (1374/1995): Naqd va barrasī-ye taṭbīqī-ye falsafe-ye naẓarī-ye Kānt (baḫš-e ḥessīyāt) [Kritik und Untersuchung der theoretischen Philosophie Kants (Abschnitt Ästhetik)], Fakultät für Literatur und Geisteswissenschaften der Universität Teheran. Betreuer: 1. Aḥmad Aḥmadī; 2. Ġolāmʿalī Ḥaddād ʿĀdel. Lārīǧānī, ʿAlī Aradšīr (1374/1995): Falsafe-ye rīyāżī-ye Kānt [Kants Philosophie der Mathematik], Fakultät für Literatur und Geisteswissenschaften der Universität Teheran. Betreuer: 1. Ġolāmʿalī Ḥaddād ʿĀdel; 2. Aḥmad Aḥmadī. Maʿṣūm, Ḥoseyn (1382/2003): Taqrīr va naqd va barrasī-ye maġālaṭāt-e ʿaql-e maḥż dar falsafe-ye Kānt [Darstellung, Kritik und Untersuchung der Irrleitungen der reinen Vernunft in der Philosophie Kants], Fakultät für Literatur und Geisteswissenschaften der Universität Teheran. Betreuer: 1. Reżā Dāvarī Ardakānī; 2. Ġolāmḥoseyn Ebrāhīmī Dīnānī.
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Mīrbāqerī, Mortażā (1375/1996): Taḥlīl-e taṭbīqī-e masʾale-ye ḥaml dar falsafe-ye eslāmī va maʿrefatšenāsī-ye Kānt [Vergleichende Analyse zur Frage der Prädikation in der islamischen Philosophie und der Erkenntnistheorie Kants], Tarbiyat Modarres Universität Teheran. Betreuer: 1. Ġolāmḥoseyn Ebrāhīmī Dīnānī; 2. Aḥmad Aḥmadī / Ġolāmreżā Aʿvānī. Vāʿeẓī, Aṣġar (1381/2002): Īdeʾāl-e ʿaql-e maḥż dar falsafe-ye Kānt va naqd-e ān az dīdgāh-e Ṣadr al-Motaʾalehīn [Das Ideal der reinen Vernunft und seine Kritik aus der Sicht Mollā Ṣadrās], Fakultät für Literatur und Geisteswissenschaften der Universität Teheran. Betreuer: 1. Ġolāmʿalī Ḥaddād ʿĀdel; 2. Ḥoseyn Ġaffārī / Moḥammad Reżā Ḥoseynī Beheštī.
8.4.4 Doktorarbeiten zur praktischen Philosophie Kants Aḥmadī, Aḥmad (1358/1979): Tarǧome-ye asās-e mā-baʿd-oṭ-ṭabīʿe-ye aḫlāq-e Kānt [Übersetzung der ‚Grundlegung zur Metaphysik der Sitten‘ Kants], Fakultät für Literatur und Geisteswissenschaften der Universität Teheran. Betreuer: Yaḥyā Mahdavī. Mesgarī, Aḥmad ʿAlī Akbar (1378/2000): Dīn dar ḥodūd-e aql tanhā dar falsafe-ye Kānt va sābeqe-ye ān dar aṣr-e roušangarī [Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft und ihre Vorläufer im Zeitalter der Aufklärung], Fakultät für Literatur und Geisteswissenschaften der Universität Teheran. Betreuer: 1. Moḥsen Ǧahāngīrī; 2. Aḥmad Aḥmadī / Reżā Dāvarī Ardakānī. Moḥammadreżāʾī, Moḥammad (1378/1999): Tabyīn va naqd-e falsafe-e aḫlāq-e Kānt [Erläuterung und Kritik der Moralphilosophie Kants], Fakultät für Literatur und Geisteswissenschaften der Universität Teheran. Betreuer: 1. Aḥmad Aḥmadī; 2. Ġolāmʿalī Ḥaddād ʿĀdel / Moḥammad Legenhausen. Ṣāfīyān Esfahānī, Moḥammad Ǧavād (1378/1999): Honar nazd-e Arastū, Kānt va Haydeger [Kunst bei Aristoteles, Kant und Heidegger], Fakultät für Literatur und Geisteswissenschaften der Universität Teheran. Betreuer: 1. Reżā Dāvarī Ardakānī; 2. Ġolāmʿalī Ḥaddād ʿĀdel / ʿAlī Lāriǧānī. Šāqūl, Yusef (1378/1999): Eḫtiyār va ḫodbonyādī-ye erāde dar falsafe-ye Kānt [Wahlfreiheit und Autonomie des Willens in der Philosophie Kants], Fakultät für Literatur und Geisteswissenschaften der Universität Teheran. Betreuer: 1. Aḥmad Aḥmadī; 2. Ġolāmʿalī Ḥaddād ʿĀdel / Hoseyn Ġaffārī.
8.5 Iranische Monographien und Sammelbände mit Kantschwerpunkt Aawani, Shahin (2003): Menschenwürde als ethisches Prinzip der Kodifikation von Menschenrechten, Univ. Diss. Bonn. Abdolkarīmī, Bīžan (1381/2002-3): Hāydeger va esteʿlā. Šarḥī bar tafsīr-e Hāydeger az Kānt, Teheran (Naqd-e farhang). [Heidegger und die Transzendentalphilosophie. Ein Kommentar zu Heideggers Kantauslegung.] Adyānī, Seyyed Yūnes (1381/2002-3): Bāz-andīšī-ye falsafe-ye Kānt. Mofāheme-ye falsafī 2, Teheran (Naqš-e ǧahān). [Revision der Philosophie Kants.]
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Personenregister ʿAbbās Mīrzā 19-25, 29 Abdorraḥīm Ṭālebof 31 Abṭaḥī, Moḥammad ʿAlī 329 Adīb Solṭānī, Mīr Šamsoddīn 61 FN143, 116-123, 125-127, 134, 139, 198, 247 FN679, 340 al-Afġānī (Sayyed Ǧamāloddīn Asadābādī) 30 FN51, 31f., 332 Aḥmadī, Aḥmad 107, 110, 130 FN353, 191, 271 FN743, 284 FN810, 325, 330, 344f., 347-350 Āl-e Aḥmad, Ǧalāl 59-62, 354 Āl-e Būye, ʿAlīreżā 141, 274 FN769, 342 Allison, Henry E. 138, 202, 275 FN775, 341, 347, 354 Amīn aż-Żarb, Ḥājj Moḥammad-Ḥassan 86, 362 Amīr Kabīr (Mīrzā Taqī Ḫān) 24-29, 354, 365 Anselm von Canterbury 156-164, 169f. 172, 185, 355-357, 366f. Apel, Karl Otto 81 Āqā ʿAlī Ḥakīm Modarres Ṭehrānī az-Zonūzī 49-51, 86-88, 104, 368 Āqā Moḥammad Qāǧār 17f., 33 Aqāʾī, ʿAbdolḥossein 58 Arānī, Taqī 58, 97 Ardeshir, Mohammad 258 FN712, 355 Ārīnpūr, Sīrūs 130, 341 Aristoteles 1 FN2, 4 FN7, 37, 53 FN120, 100, 102, 113, 116, 117 FN313, 130, 151, 158, 289, 290 FN833f., 348, 350, 356, 360 al-Ašʿarī, Abū l-Ḥasan 221 FN623, 290f. Āštīyānī, Sayyed Ǧalāl ad-Dīn 40 FN76/78, 42, 355 Aune, Bruce 141, 274 FN769, 342 Aʿvānī, Ġolāmreżā 247, 271 FN743, 347, 349f., 353 Aʿvānī, Šahīn 277f., 281, 327, 336f., 353 Averroes siehe Ibn Rušd Avey, Albert E. 92, 342 Avicenna siehe Ibn Sīnā Bacon, Francis 31, 51 Badīʿ al-Molk Mīrzā ʿEmād ad-Doule 39 FN75, 49-53, 86-88, 92, 363
Baḫšāyeš, Reżā 150 FN417, 284-286, 296, 302, 326f., 337, 351 Barth, Karl 160 FN440, 303 Baum, Manfred 1 FN1 Bax, Ernest Belfort 124 FN332 Beck, Lewis White 124 FN332, 138, 270 FN742, 355, 360 Bennet, Jonathan 81, 199, 345f., 355 Bernard, John H. 124 FN332 Berney, Emile 47 Bonaventura 162 Borūǧerdī, Großayatollah Ḥoseyn ʿAlī Aḥmadī Ṭabāṭabāʾī 95, 99 Bozorgmehr, Manūčehr 140, 342 Bréhier, Émile 92, 342 Brouwer, Luitzen E. J. 246 FN672, 248, 254 Carnap, Rudolf 81 Carus, Paul 124 FN332 Churton, Annette 129, 340 Cicero 273 Cohen, Hermann 74, 82f. Comte, Auguste 31, 68, 87, 97 FN241 Constant, Benjamin 266, 268 Copleston, Frederick Charles 140, 342 Corbin, Henry 36 FN65, 37, 39, 42 FN83, 50 FN113, 62f., 106, 356, 358, 362 Corbin, Henry 36 FN65, 37, 39, 42 FN83, 50 FN113, 62f., 356, 358, 362f. Daryābandī, Naǧaf 92, 343 ad-Daštakī, Ġiyāṯ ad-Dīn Manṣūr 36 FN65, 644 FN229 ad-Daštakī, Ṣadr ad-Dīn 36 FN65, 644 FN229 Dāvarī-Ardakānī, Reżā 60f., 127 Fn349, 284 FN810, 344, 346, 349f., 367 ad-Dawānī, Ǧalāl ad-Dīn 36 FN65, 644 FN229 Deleuze, Gilles 140, 275 FN775, 342, 347, 362 Descartes, René 31 FN52, 45-48, 51, 91, 96 FN241, 100, 141, 162-164, 168, 172, 185, 249, 254, 334, 344, 356, 359, 361, 363, 367 Dilthey, Wilhelm 303, 305 Dryer, Douglas 248
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Personenregister
Duns Scotus 109 FN285, 153 FN427, 162, 352, 360 Durant, Will 92, 342 ʿEbādīyān, Maḥmūd 110, 325 FN913, 327, 332f., 347f., 357 Eberhard, Johann August 138, 341, 347, 358 Ellington, James W. 124 FN332 ʿEmādī, Kāẓem 92, 342 ʿEnāyat, Ḥamīd 130, 275, 341 Erdmann, Benno 83 Evellin, Francoise Jean-Marie 50, 86-88, 363 Ewing, Alfred Cyrill 124 FN335, 199, 203 FN569, 342, 357, 368 Fardīd, Aḥmad 60f., 353 Fatḥ ʿAlī Šāh Qāǧār 18f., 24, 33, 50 Fichte, Johann Gottlieb 51, 68-73, 244, 367 Fischer, Kuno 74 FN177, 83 Flasch, Kurt 160 FN440, 162, 355, 357 Forūġī, Moḥammad ʿAlī 29, 89 FN226, 91f., 97, 106, 351, 358, 363 Frankena, William 100 Frege, Gottlob 81, 183 FN505, 247, 365 Friedrich Wilhelm II. 320f. Fūlādpūr, Homāyūn 130, 341 Fūlādvand, ʿEzzatollāh 140f., 274-246, 343 Gadamer, Hans-Georg 303, 305 Ġaffārī, Ḥoseyn 10, 98, 138 FN393, 149, 186, 191, 197-245, 255, 257f., 324, 335, 345f., 348-351, 353 Ǧamālzāde, Moḥammad ʿAlī 57 Gaunilo 160-162, 355 al-Ġazālī 4, 169, 221 FN623, 267f., 336, 358, Gheissari, Ali 91, 123 FN326, 130, 275, 353f., 358 Gibelin, J. 124 FN333 Gobineau, Joseph-Arthur Comte de 43-50, 52 FN118, 358 Gödel, Kurt 248 Goldmann, Lucien 140, 342 Grave, Christian 273 Gregor, Mary J. 137 Gutas, Dimitri 232f. Guyer, Paul 1 FN1, 123, 221, 275 FN775, 341, 359, 366 Ḥaddād ʿĀdel, Ġolāmʿalī 2, 98, 107, 107 FN280, 116 FN305, 124-128, 141 FN402,
191, 198, 222, 323f., 330, 332 FN925, 340, 342, 344-347, 349f., 353, 359 Ḥāʾerī Yazdī, ʿAbdolkarīm 99 Ḥāʾerī Yazdī, Mehdī 10, 90, 94, 99-106, 113-116, 121, 147, 149, 153-155, 168, 171-190, 196, 202, 258, 336, 351, 359 Ḥalabī, ʿAlī Aṣġr 92, 342, 348 Hamann, Johann Georg 68 FN160, Hartmann, Nicolai 77-80 Hartnack, Justus 127f., 141, 342, 345 Hartshorne, M. Holmes 127, 342 Hegel, Georg Wilhelm Friedrich 45, 52 FN118, 68, 70-74, 96 FN241, 117 FN313, 130, 244, 327, 355, 357, 359, 365-367 Heidegger, Martin 60f., 63, 77 FN190, 79f., 109, 142, 183, 350, 352f., 355f., 358, 360 Heimsoeth, Heinz 77 Helvétius, Claude Adrien 86 Hempel, C. G. 248, 360 Herder, Johann Gottfried 68 FN160, 280 FN797 Hilbert, David 246 FN672, 248, 254 Hinske, Norbert 67 FN158, 84, 360 Hintikka, Jaakko 81, 216 FN611, 250, 255, 336, 360 Höffe, Otfried 1 FN1-3, 66 FN 154, 68 FN160, 151 FN419, 246 FN677, 258 FN711, 261 FN716, 269 FN737, 290 FN833, 304 FN865, 316 FN839, 374 Honnefelder, Ludger 84, 203 FN566, 277, 360 Ḫorāsānī-Šaraf, Šarafaddīn 141f., 351 Hume, David 97 FN241, 100, 130, 141, 164, 347, 351, 364 Ḥusayn, Nāzilī Ismāʿīl 124 FN334 Ibn ʿArabī, Muḥīy ad-Dīn 34, 40, 63, 233 FN652, 310, 356 Ibn Rušd, Abū l-Walīd 4, 34, 62, Ibn Sīnā 4 FN7, 34, 37, 41, 44, 53 FN120, 95f., 102, 104, 111, 113-115, 152f, 156f., 164-169, 172, 187, 190, 202, 208, 211, 228-236, 238, 252-255, 258 FN712, 299 FN855, 332, 334, 336, 345f., 353, 355, 358, 361f., 364 Jacobi, Friedrich Heinrich 68 FN160, 216, 241 James, William 96 FN241, 100
Personenregister
Jaspers, Karl 140, 344, 346 Jean Chardin 43-45, 363 John Malcom 19 John, Michael 198 Kant, Immanuel passim Kāšānī, Afżal ad-Dīn 106 Kemp Smith, Norman 83f., 113 FN295, 117 FN313, 172, 198-200, 203f., 220, 223 FN628, 247 FN679 Khamenei, Ali 2, 302 FN860, 324, 330 Khamenei, Moǧtabā 324 Khomeini, Ayatollah Ruhollah 61, 95, 268 FN733, 301-303, 312 FN885, 330, 363, 365 al-Kindī, Abū Yaʿqūb 152, 354 Kingsmill, Thomas 137 Körner, Stephan 81, 140, 343, 362 Kripke, Saul A 248, 361 La Mettrie, Julien Offray de 86 Lālāzār Hamadānī, Mollā 47 Lārīǧānī, ʿAlī 2, 10, 98, 149, 186, 191f., 245-258, 323f., 330, 336, 349-351 Liebermann, Otto 73 Locke, John 31, 96 FN241, 232, 249 Lotze, Hermann 75 Lucas, Peter G. 124f., 341 Mahaffy, John P. 124 FN332 Mahdavī, Yaḥyā 106f., 350, 367 Maḥmūdī, Sayyed ʿAlī 278-283, 351 Mālekī, Ḫalīl 58f.,361 Marx, Karl 61, 75 FN181, Mayer, Toby 164-168, 362 Mendelssohn, Moses 68 FN160, 151 Menzer, Paul 131f., 135, 341 Meṣbāḥ Yazdī, Moḥammad Taqī 202, 264-271, 281, 296-302, 313-319, 326, 336, 352, 362 Mesgarī, Aḥmad ʿAlī Akbar 283f., 325 FN913, 328, 344f., 348, 350 Mill, John Stuart 31, 68 Mīr Dāmād (Mīr Muḥammad Bāqir Astarābādī) 34, 37, 40, 43 FN85, 177 FN487, 356 Mīrzā Āqā Ḫān Kermanī 31 Mīrzā Fatḥʿali Aḫondzāde 31, 55 FN125 Mīrzā Koček Ḫāns 58 Mīrzā Malkum Ḫān 31
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Mīrzā Moḥammad Ṣāleḥ Šīrāzī 21f., 25, 29 Mobāšerī, Moḥammad 257f., 352 Modarres Ṭehrānī Siehe Āqā ʿAlī Ḥakīm Modarres Ṭehrānī az-Zonūzī Moǧtahedī, Karīm 5 FN9, 20 FN22, 44-53, 86-88, 91 FN235, 94, 105-110, 141f., 345f., 349, 352, 357, 363-365 Moḥammadreżāʾī, Moḥammad 271-274, 281f., 289, 293-297, 302, 226, 350, 352f. Mollā ʿAbdollāh Zonūzī 33, 35 Mollā ʿAlī Nūrī 33 Mollā Ṣadrā 3, 5, 33-45, 48-54, 63, 80, 88, 93, 95-98, 104f., 109, 115, 150 FN418, 153, 168, 171-173, 177 FN487, 178f., 185, 189f., 196, 202, 211, 230 FN645, 233f., 238, 330-336, 344-347, 349f., 352f, 355f., 359, 363-365 Montesquieu 31 Moore, George Edward 81, 100 Mossadeq, Mohammad 58 Moṭahharī, Mortażā 94-99, 105f., 150 FN418, 153f., 191, 238f., 244f., 257f., 312 FN885, 322-324, 326, 335-337, 352-354 Müller, Max 198, 223 FN628 Nāʾīnī, Mīrzā Moḥammad Ḥussein 56 Naqībzāde, Mīr ʿAbdolḥoseyn 110, 140f., 328, 344-349, 352 Nāṣer ad-Dīn Šāh 24, 27f. Nasr, Sayyed Hossein 36f., 42 FN83, 49 FN108, 62, 99 FN255, 364 Nasr, Sayyed Hossein 62, 99 FN255, 356, 364, 367 Natorp, Paul 74 Naẓarī, Behrūz 116 FN305, 122f., 341 Neumann, Hardy 183f., 364 Nūrī, ʿAbdollāh 328, 364 Nūrī, Sheiḫ Faẓlollāh 56 Pahlavi, Mohammad Reza Schah 58 Pahlavi, Reza Schah (Reza Khan) 58f., 90f., 121 Parson, Charles 247, 254 FN704 Paton, Herbert James 120 FN318, 199, 212-217, 240f., 271f., 358, 364f., 368 Philonenko, A. 129, 131 FN358 Piaget, Jean 128 Plantinga, Alvin 248, 365 Platon 100, 117 FN313, 158
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Personenregister
Plotin 100 Prokesch-Osten, Anton Graf (Comte de) 44 FN86, 46 Qāʾem Maqām (Mīrzā Bozorg Qāʾem Maqām-e Farāhānī) 20 FN22, 24f., 29, 365 Quine, Willard Van Orman 81 Raḥmatī, Inšāʾallāh 137, 341 Rahner, Karl 303 Rašīdīyān, ʿAbdolkarīm 130f., 341, 347 Reinhold, Carl Leonhard 68 FN160, Renouvier, Charles 87, 357, 362, 368 Richardson, John 124 FN332 Riehl, Alois 75, 83 FN207 Russel, Bertrand 81, 92, 100, 102 FN265, 172, 245 FN672, 248, 254, 343 Šabestarī, Moḥammad Moǧtahed 297, 302-318, 328f., 334, 337f., 366f. Sabzavārī, Mollā Hādī 97, 104, 191, 333, 367 Sabzevārī, Mollā Ḥādī 39 FN73, 48f. Šādmān, Sayyed Faḫroddīn 60 Ṣadr al-Mutaʾallihīn siehe Mollā Ṣadrā Ṣāneʿī Darrebīdī, Manūčehr 131-137, 139 FN, 139 FN394, 274, 276f., 281, 283, 286 FN822, 289-293, 297, 325 FN913, 327f., 332-334, 336, 341, 348, 352f., 366 Šaʿrānī, Abū l-Ḥasan 89-91 Šarīʿatī, ʿAlī 62, 283 FN808, 312 FN885 Šarīfī, Aḥmad Ḥoseyn 264 Schiller, Friedrich 68 FN160, Schmucker, Joseph 84 Schnädelbach, Herbert 73f., 367 Schopenhauer, Arthur 72f., 96 FN241, 362 aš-Šībānī Aḥmad 114f., 138 aš-Šīrāzī, Ṣadr ad-Dīn siehe Mollā Ṣadrā Ṣobūrī, Moḥammad 138, 341 Šokūhī, Ġolām Ḥoseyn 128f., 275 FN774, 340
Sorūš, ʿAbdolkarīm 61 FN143, 127 FN349, 312 FN885, 359, 367 Spencer, Herbert 31, 68, 97 FN241 Spinoza 45-47, 52 FN118, 348, 367 Stegmüller, Willi 194 Strawson, Peter 80f. as-Suhrawardī, Šīhāb ad-Dīn 34, 37, 40, 62f., 104, 211 FN595, 234, 362 Sullivan, Roger J. 141, 271 FN742, 274f., 343, 347, 362, 367 Ṭabarī, Eḥsān 58 Ṭabāṭabāʾī, ʿAllāme 63, 95-97, 153f., 238, 352f. Taqīzāde, Seyyed Ḥasan 57, 357 Tarski, Alfred 248, 368 Thomas von Aquin 100, 117 FN313, 153 FN427, 162f., 169-172, 368 Tillich, Paul 303, 310 aṭ-Ṭūsī, Naṣīr ad-Dīn 34, 37, 172, 229 FN644, 298f., 361 Voltaire 31 Vos̱ūq ad-Doule, Mīrzā Hasan Ḫān 90f., 354 Wahba, Mūsā 112 FN292, 231, 361 Wahl, Jean André 106 Warnock, Geoffrey James Whitehead, Alfred North 248 Windelband, Wilhelm 75f., Wittgenstein´, Ludwig 81, 100, 116f. Wolff, Christian 83 FN208, 138, 170, 271 FN742, 342, 360 Wood, Allen 123, 221, 275 FN775, 341, 366f. Wundt, Max 77 Ẕākerī, Mehdī 138, 341, 347 Ẕākerzāde, Abolqāsem 110, 212 FN322, 142, 325 FN913, 327, 343, 345, 347, 353 Zaryāb-Ḫūʾī, ʿAbbās 92, 342
Sachregister Abstraktion (taǧrīd) 89, 155, 231-233, 243, 353 aḫlāq (Moral, auch Sitten, Ethik) aḫlāqī (moralisch, sittlich, ethisch) 129, 136, 264f., 267, 271, 277f., 282, 284 FN816, 295, 298, 341-343, 347-354, 362 Akzidenzien (aʿrāż) 39, 167, 177, 186f., 208, 306 ʿAllāme Ṭabāṭabāʾī Universität 1, 278 FN791, 344-348, 351 Apologetik (apologetische Komparatistik) 94, 98, 101, 104f., 109, 245, 257f., 322f., 325, 327, 334f., 337f. ʿaql (Vernunft, Verstand, Intellekt, Ratio) 100f., 103, 113f., 122, 137f., 174, 198f., 214, 228, 232, 274, 284f., 295, 299, 341f., 344-346, 348-352, 361 ʿaqlgerāhā siehe Rationalisten Arithmetik (ḥesāb) 248, 252-256 Ašʿarīya 34, 52, 221 FN623, 275, 290f., 299 FN855 Begriff, abstrakter (mafhūm-e entezāʿī/ moǧarrad) 152, 154f., 175 Begriff, relationaler (mafhūm-e eżāfī) 175 burhān / borhān (arab./pers. Beweis; auch Demonstration vgl. Register kantscher Termini) 114, 245, 248f., 252f., 255 burhān aṣ-siddīqīn (Beweis der Aufrichtigen) 39, 164-168, 190, 336, 362 Dār al-Fonūn 26-29, 42, 59 Dogma, Dogmatismus 68-70, 81, 101 FN259, 141, 149f., 168, 249f., 282, 290, 328, 335, 352 Donyā 58 ʿelm-e ḥoṣūlī (Erkenntnis durch Repräsentation) 90, 211, 234 ʿelm-e ḥożūrī (Erkenntnis durch Präsenz) 90, 211, 234f. Empirismus / Empiristen (taǧrobīyūn) 31, 81, 89, 194 ens necessarium (das notwendig Seinende) 163, 168f.
ens perfectissimum (das höchst Vollkommenen) 163, 168 Epistemologie / Erkenntnislehre / Erkenntnistheorie / Gnoseologie 74, 75 FN183, 77-79, 82f., 98f., 141f., 147, 149f., 154, 171, 173, 177, 183f., 188f., 191, 194, 211 FN595, 218-223, 225, 227, 231-233, 235, 243, 257f., 282, 324f., 335-337, 342, 345, 348, 350, 352, 357, 360 Erfahrung, religiöse (taǧrobe-ye dīnī) 305-313, 317f., Falsafe 137, 324 Fażīlat (Tugend) 135 FN373, 136, 353 Freiheit (āzādī) 10, 21, 31, 56, 68, 70, 87, 129, 135, 147, 173, 244, 259, 262f., 265, 273-322, 328f., 338, 348, 350, 353-357, 366-368 ġarbzadegī (Verwestlichung) 23, 59-62, 103, 109, 130, 354f. Geistesgeschichte 2-4, 6, 17, 22f., 30, 35, 45 FN91, 65, 72, 96, 101 FN259, 113, 157, 170, 221, 234, 275, Gemeinwohl (maṣlaḥat) 267-270, 301 Geometrie (hendese) 195, 245, 248, 254, 257 Gerechtigkeit (ʿedālat) 266, 269f., 280, 290, 299, 303, 305f. Glaube (īmān) 50, 158-160, 263, 283, 285, 295-297, 302-319, 333, 338, 366 Gottesbeweis (kalām-Argument) 169 Gottesbeweis, burhān aṣ-siddīqīn 39 Gottesbeweis, kosmologischer 157, 159, 163f., 167-170, 345, 356 Gottesbeweis, ontologischer (pers. borhān-e voǧūdī) 10, 51, 147, 149, 151, 155-190, 196, 282, 284, 325, 336, 353f., 356, 359f., 366f. Gottesbeweis, teleologischer 157, 170 ḥaml siehe Prädikation hastī (Sein, Existenz; pers./arab. voǧūd/ wuǧūd) 100 FN256, 101, 135, 172f., 175, 177, 345, 351 hastīšenāsī (Ontologie) 100 FN256, 101 FN257, 102, 134, 172, 354
374
Sachregister
ḥekmat-e motaʿālīye (Transzendenzphilosophie) 104, 114f., 344 (vgl. auch Mollā Ṣadrā) Ḫeradnāme-ye Ṣadrā 35, 353 Heuristik der Tendenz (exegetisches Prinzip) 306, 316 Idealismus 3, 68-74, 77f., 80, 83, 94, 97, 123, 126, 142, 188, 215, 217f., 238f., 244, 257, 328, 335, 342, 345, 353, 357, 362, 368 Ideengeschichte 3, 8f., 17, 44, 48 FN104, 53 FN119, 63f., 67, 82, 85, 86 FN219, 92, 107f., 129f., 132, 136, 141, 152 FN426, 158, 164, 169, 245, 267f., 280 FN800, 299 FN855, 332, 335-338 Identität („gleich/identisch sein, houhovīyat, īnhamānī 51f., 105, 152 FN424, 179-181, 255 Imam Khomeini Education and Research Institutes 191 FN530, 326 Intelligibila (maʿqūlāt) 165, 202, 346f., 349, 352 Iranian Institute of Philosophy 1 FN1, 173 FN472, 249, 352, 359, 362 Isfahan 5, 33f, 37f., 49 FN108, Islamische Revolution in Iran (1979) 59, 62, 65, 93, 95, 121, 128, 138f., 143, 322, 326, 356 kalām 99, 164 FN447, 169, 221 FN623, 298 Kantphilologie 67, 82 FN205, 84f., 360 Kāve 57, 357 Kelk 130, 341 Ketāb-e māh-e falsafe 91, 98 Fn249, 106 FN277, 130 Fn355, 143, 353f., 366 Kommunismus 57f. Konstitutionelle Revolution in Iran (1905-1911) 30, 32, 55f., 59, 355 Kultur (Inter-/Transkulturalität, kulturelle Identität) 2, 6-8, 22-30, 35f., 58-64, 75 FN183, 99 FN254, 102f., 110-113, 121, 124, 198, 280 FN800, 330, 356, 359, 361-363. 368 Logik (pers./arab. manṭeq/manṭiq) 66 FN154, 71 FN165, 77, 114, 118 FN314, 131, 154, 161, 175, 194, 202-204, 245 FN672, 228, 361, 368 Madrese 329
mafhūm (Begriff) 40, 115, 155, 173-176, 179, 207-209, 251, 280, 344, 348, 351 māhīya (Essenz, Quiddität) 39f., 105, 153, 164, 174-181, 186, 197, 201, 208f., 228-230, 233, 243, 351 maḥmūl siehe Prädikat maḥsūsāt (sinnlich-empirische Gegenstände) 100, 154 manṭeq/manṭiq siehe Logik maʿqūlāt siehe Intelligibila Marxsismus, marxistisches Denken 57f., 61, 67 FN157, 73 FN174, 96f., 154, 327, 331 Materialismus 3, 51, 58, 68, 71, 74f., 86, 95-97, 238, 243, 330, 361 Mathematik / mathematische Gegenstände (riyāżīyāt) / mathematische Urteile 29, 100, 117 FN313, 119 FN316, 154, 195, 245-258, 284 FN812, 336, 349, 355, 360 Menschenrechte 277, 282, 304, 328, 336, 350, 362 Menschenwürde 270 FN740, 277, 304, 350, 353, 363 Metaphysik 6, 10, 38-41, 48, 54, 63, 66 FN154, 76-80, 85, 89, 96, 100-102, 123-126, 129, 131f., 135f., 139, 142, 147, 149-155, 163f., 167, 189, 194f., 199-201, 245, 248 FN687, 251 FN694, 256-259, 309f., 325, 335, 339-341, 346-351, 353, 355f., 358-363, 365, 367f. Moʾassase-ye pažūhešī-ye ḥekmat va falsafe-ye Īrān s. Iranian Institut of Philosophy Moral, Moralität, Moralbegründung, Moralphilosophie 10, 70 FN165, 72, 98f., 131 FN363, 132, 136, 141f., 147, 156, 190, 201, 259-319, 325f., 331, 336f., 342f., 348-354, 357, 361f., 365, 367 mošāhade (Schau, unmittelbare Wahrnehmung) 208, 229f. Muʿtazila 34, 52, 221 FN623, 275, 290f., 299, 303, 310, 333, 358, 362, 365 Mystik 34, 38, 40, 95, 106, 113, 233, 310, 332, 367 Nāme-ye falsafe 277, 289, 341, 354 Nāme-ye mofīd 293, 332, 364, 366
Sachregister
Naturwissenschaften (ʿolūm) 3, 31, 38, 74, 154, 195, 245f., 257f., 339 Neukantianismus 66f., 73-77, 82, 94, 151, 362, 364 Neuplatonismus 36 FN64, 39, 104, 152, 158, 232f. notwendig Seiendes (arab. wāǧib al-wuǧūd) 40, 53, 90, 152, 155, 164-168, 173, 183, 186f., 189, (vgl. auch Gottesbeweis) Ontologie, ontologisch 39-41, 60f., 66f., 77-79, 94, 96, 100 FN256, 102, 134f., 151-156, 164, 170-173, 177, 183f., 190, 211, 244, 258, 323, 330f., 351, 357f. ontologisches Argument siehe: Gottesbeweis, ontologischer Organon 113, 116, 260 Oṣūl-e falsafe va raveš-e reʾālīsm 96f., 153f., 238, 322, 352f. Pahlavi(dynastie) 25, 29, 90, 92, 95 Partikularien (ǧozʾīyāt) 155, 232 Pažūhešgarān 109 FN285, 357 Phänomenologie 63, 72, 77 FN190, 94, 356, 367 Philosophiegeschichte 3-5, 34 FN59, 35, 42 FN83, 45 FN92, 62, 65, 66 FN154, 74 FN175, 76 FN187, 77 FN193, 78, 88f., 91f., 96, 106, 140, 333f., 357, 366f. Positivismus 3, 31, 68, 74, 76, 86-88, 362 Prädikation (ḥaml), Prädikat (maḥmūl) 41, 105, 133 FN369, 171-186, 189, 193, 196, 215, 247, 267, 284 FN814, 350 Primat des Seins (aṣālat al-wuǧūd) 39f. Qāǧāren(dynastie) 17-19, 23, 27, 29, 33, 35, 42, 50, 54-58, 88 FN225, 90f. Quiddität siehe māhīya Rationalismus, Rationalisten 71, 89, 162, 170, 194, 284f., 290, 292, 333, Realismus 77f., 80, 198, 215, 217, 238, 243f., 257, 331, 335, 352f., 359 Realität (ḥaqīqat) 40, 72, 89 FN229, 162f., 171, 173, 175, 177, 182, 235, 360 Relativismus, moralischer (nesbīyat-e aḫlāqī) 265 Religion, Religionsphilosophie 7, 10, 23f., 32, 36, 44, 56, 62, 136, 142, 147, 259, 263, 265, 282-287, 289, 294-302,
375
310-321, 324, 326, 332f., 344. 347, 351, 358, 364-367 Repräsentation, mentale siehe Sein, mentales Rezeptionsgeschichte 66 FN154, 85, 360 Rigorismus 265, 266, 268 Šahīd Beheštī Universität 121 FN322, 130f., 284, 327f., 343-345, 347-349 Schia 1, 19, 34, 36, 40, 44, 56, 59, 62, 99 FN253, 268 FN733, 301-303, 320, 356, 359, 357 Sein 39-41, 51-53, 60, 63, 78f., 100-102, 134f., 151-190, 215-217, 284 FN814, 307-310, 325, 344f., 351, 355, 360, 364 Sein (auch Existenz), extra-mentales/ konkretes / reales (arab./pers./pers. wuǧūd ʿaynī / voǧūd-e ʿeynī / hastī-ye ʿeynī) 40f., 75, 78, 153, 166, 177f., 217, 335 Sein, mentales / Existenz, mentale (al-wuǧūd aḏ-ḏihnī / pers. voǧūd-e ẕehnī), mentale Repräsentation 39, 41, 133f., 153, 155, 180, 188f., 214, 217 FN614, 222, 228-236, 238-240, Skeptizismus 89, 98, 242, 335 Subjektivität 30f., 54f., 71, 95 FN236, 150, 282, 307, 309, 312, 357 Tarbīʾat modarres Universität 325 taškīk al-wuǧūd (Modulation/Äquivozität des Seins) 40f., 173 tauḥīd (absolute Einheit Gottes) 168, 290, 309-312 Teheran 1f., 18 FN15, 26, 30, 33, 35, 42-44, 49, 62, 89f., 94f., 97, 100, 106f., 116, 125-131, 139, 143, 149, 191, 197 FN544, 245, 257, 259, 271 FN743, 275 FN777, 284, 323-329 Transzendenz 79, 200, 308-311, 326 Tūde-Partei (ḥezb-e tūde) 57-59, 96 Universität Teheran 2, 62, 90, 94f., 106f., 125, 127f., 149, 191, 197 FN544, 245, 257, 259, 275 FN777, 323-325, 329, 344-350 velāyat-e faqīh (Herrschaftsbefugnis des obersten Rechtsgelehrten) 301-303, 319, 331, 354 voǧūd-e rābeṭ siehe Kopula (Register kantscher Termini)
376
Sachregister
wāǧib al-wuǧūd (das notwendig Seiende) 152, 164, 169 Wahlfreiheit (eḫtiyār) 290f., 296, 298f., 350 Werteobjektivismus 299, 303 Wirklichkeit (vāqeʿīyat) 72, 75, 84 FN216, 101, 109, 133, 153, 155, 161, 163, 170,
173-176, 178-182, 185, 189f., 194, 213, 217, 232, 238f., 257, 274 FN765, 288f., 292f., 319, 335 ẕehn (arab. ḏihn, Geist, Mens, mind, mentales Subjekt, Bewusstsein, Gemüht, Erkenntnisvermögen) 133f., 155, 177, 180, 183, 205, 212, 214, 223, 228, 250, 278, 345
Register kantscher Termini Das folgende Register enthält die wichtigsten kantschen Termini, die in dieser Studie diskutiert wurden und ihre persischen (vereinzelt auch arabischen) Synonyme, sofern diese selbst im Text erwähnt sind. Dabei soll die Angabe der Synonyme weniger als Glossar für eine vereinheitlichte persische Kantterminologie verstanden werden. Zweck ist vielmehr die Verwendung und Übersetzung einiger Termini durch die in der Arbeit behandelten Autoren zugänglich zu machen. Daher sind, anders als im allgemeinen Sachregister, neben den Fundstellen für die einzelnen Begriffe separat auch die Fundstellen für die zum Teil verscheiden Übersetzungen angegeben, sodass der Kontext, aus dem die jeweilige Übersetzung stammt, und deren Diskussion in dieser Studie leichter auffindbar ist. Nicht immer kann trennscharf zwischen „allgemeinem“ und „kantschem“ Terminus unterschieden werden, so dass der Nutzer im Zweifelsfall auf den jeweils anderen Index verwiesen sei. a priori (pers. pīšīnī / avvalī / moqaddam bar taǧrobe / mā- taqaddama) 135, 150, 156, 163, 165f., 168, 170, 184, 187, 189f., 192f., 195f., 201, 203 FN567, 210, 237, 246, 248, 251, 254, 256, 260, 262, 271, 288, 315, 357 siehe auch: synthetische Urteile (a priori) Affektion / Affizierung (taʾs̱īr) 69, 205-207, 212-214, 218, 223f., 226, 229, 239-241 Afterdienst 314, 317f. aksīyūm (Axiom) 253 amr-e moṭlaq (kategorischer Imperativ) 271, 278 Analytik der Grundsätze 248, 253 Analytik, transzendentale 10, 74, 84, 106, 149, 183, 195, 199, 203-206, 238, 253, 345 Anschauung (šohūd) 112f., 163, 183, 188f., 195f., 201-257, 351, 358, 366 Anschauung, empirische (šohūd-e taǧrobī) 188f., 205-209, 218, 223, 236f. Antinomie (arab./pers. munāqaḍa al-aql / ǧadalī aṭ-ṭarafayn / taʿāroż) 87f., 114f., 287f., 293, 345 Apperzeption 71, 133 Apprehension 232, 236f. ʿaql-e ʿamalī 100 FN256, 274, 299, 341, 348, ʿaql-e maḥż (reine Vernunft; siehe auch Index II ʿaql) 122, 284 FN813, 285 FN818, 341f., 346, 349f.
Ästhetik, transzendentale 10, 75, 149, 183, 191, 195, 197, 200, 203f., 204 FN582, 210, 222, 225f., 236, 238-240, 248, 250, 255, 284 FN812, 345 Autonomie (ḫodmoḫtārī / ḫodbonyādī) 30f., 54, 70, 272f., 276, 278, 288, 292-307, 313, 327f., 336, 338, 350, 367 Autonomie (ḫodmoḫtārī/ḫodbonyādī) 30f., 54, 70, 272f., 276, 278, 288, 292-307, 313, 327f., 336, 338, 350, 367 Autonomie des Willens (ḫodmoḫtārī-ye erāde) 293, 299, 303f., 313, 336, 350 Axiom (oṣūl-e motaʿārefe, aksīyūm) 195, 248f., 251-256 Beweis (im Unterschied zur Demonstration, estedlāl) 249-257 Bewusstsein 68-71, 77 FN192, 80, 90, 133, 179, 180, 184, 188f., 206, 214, 237 FN659, 273 Bonyād-e mā baʿd oṭ-ṭabīʿe-ye aḫlāq (Grundlegung zur Metaphysik der Sitten) 129, 341 daryāft-e ḥessī (Empfindung) 204f. dastūr-e aḫlāq (Maxime) 271-273 De mundi sensibilis 246, 339 Deduktion, transzendentale 71 FN168, 80f., 195, 225, 237f., 241 Deduktion, transzendentale (estentāǧ-e esteʿlāʾī) 71 FN168, 80f., 195, 225, 237f., 241
378
Register kantscher Termini
Definition (taʿrīf, pl. taʿārīf) 206 FN582, 209, 222, 249, 251, 288 FN830, 314f. Demonstration (borhān) 170, 249, 251-254, 339 Der einzig mögliche Beweisgrund 170, 183 FN505, 339 Dialektik, transzendentale 10, 77, 84, 149-151, 170, 173, 175, 183, 192, 199f., 203 FN569, 215, 262, 282, 284 FN813, 287, Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft – Religionsschrift (Dīn dar maḥdūde-ye ʿaql tanhā) 132, 135f., 147, 173, 263, 276, 282-286, 296f., 313-321, 338, 340, 350, 360 dīn-e ʿaqlānī (Vernunftreligion) 285 FN818 dīn-e maʿqūl (Vernunftreligion) 333 Ding an sich 69, 75, 77 FN192, 79, 83 FN209, 205, 112-218, 220 FN620, 239-244 edrāk (Erkenntnis, Wahrnehmung) 133f., 207, 209, 211, 224, 230, 234 ehsās (Empfindung/Gefühl) 204f., 213, 271, 285 Einbildungskraft 79f., 188 Eine Vorlesung über Ethik 131f., 135, 276, 284f., 341 ʿellīyat (Kausalität) 291, 345, 347, 351 ʿellīyat-e erāde (Kausalität aus Freiheit) 291 ʿellīyat-e ṭabīʿī (Naturkausalität) 291 Empfindung (daryāft-e ḥessī / ehsās) 204-206, 210, 213, 223, 226f., 236, 241, 243 Erfahrung 68f., 72, 74f., 84 FN216, 98, 150, 162, 165, 185-189, 193-196, 203, 215, 217 FN616, 222, 227, 232f., 235, 237f., 268, 271, 278, 287, 305, 325, 344 Erkenntnis 6, 10, 68-84, 90, 97f., 100, 102, 123, 133f., 138, 141f., 147, 149-151, 156, 163, 166, 170f., 175, 177, 183f., 186, 188-260, 272 FN749, 282, 284, 288f., 299, 310f., 315, 323-325, 335-337, 342, 344-346, 348, 350, 352, 357, 359, 362, 366f. Erkenntnisstämme (Sinnlichkeit und Verstand) 79, 195, 225-228, 234f., 238-241, 335, 344
Erkenntnisvermögen 79, 133f., 138, 227, 235, 241-243, 260, 299, 325, 366 Erscheinung (padīdār) 68, 71, 74f., 79, 89, 124, 204-207, 210, 213f., 216, 218, 220 FN620, 223f., 226, 236 FN657, 237, 239-243, 250, 256, 346, 368 Erweiterungsprädikat (mafhūm-e afzāyande/ enżemāmī) 176, 182 estedlāl (Beweis) 249, 253 esteʿlāʾī (transzendental) 126, 201, 284 FN812f., 344-346 Existenzialurteil / -satz 178-183, 185f., 189, 230 Exposition (tafsīr-e mafāhīm) 240, 251 ʿeyn (Objekt, wörtl. „das Konkrete“), ʿeynī (objektiv, wörtl. „konkret“) 133f., 177, 205, 207, 210, 214, 217, ʿeyn, voǧūd-e ʿeynī (Gegenstand; konkretes Seiendes) 133f., 177f., 205, 207, 210, 214, 217 ʿeynīyat (Objektivität) 134, 201, 204, 212, 250, 281, 345 fāheme (Verstand) 205, 214, 223, 284 FN812, 299 FN858, 344, 349 Formen der Anschauung (ṣūrat-e šohūd) 205, 210, 218 Formen der Erscheinung (ṣūrat-e padīdār) 205, 250 Formen der Sinnlichkeit 236, 250 Freiheit, negative (eḫtiyār-e manf ī / āzādī be maʿnā-ye salbī) 288, 291, 293, 300 ǧadal-e esteʿlāʾī (transzendentale Dialektik) 284 FN813 ǧadalī aṭ-ṭarafayn (Antinomie) 114f. Gedanken von der wahren Schätzung 246, 339 Gegenstand (meṣdāq, obže, šeyʾ, ʿeynīyat) 69, 75, 78f., 100-102, 134, 151, 154, 174f., 178-184, 186-189, 195f., 201-244, 250, 256, 366 (vgl. auch Ding, Objekt) Gegenstand, unbestimmter 205-207, 213, 218, 221-227, 230, 234, 236, 240 Gelehrtenreligion (dīn-e taʿlīmī) 284 Gemüt 133, 223, 318f. Göttinger Rezension 117, 123
Grenzbegriff / Grenzbestimmung (der Vernunft, des Erkenntnisvermögens, der Sinnlichkeit) 74f., 132, 136, 188, 194, 235, 243f., 256, 260, 263, 283, 285, 297, 307, 309, 313, 320, 340f. Grundlegung zur Metaphysik der Sitten 129-132, 141, 147, 151, 261f., 271-275, 288f., 292f., 325f., 331, 339, 341, 343, 347-350, 360, 362, 365, 367 ḥads 112f., 230f. ḥessīyāt-e esteʿlāʾī (transzendentale Ästhetik) 284 FN812, 345 Heteronomie (degar-āʾīnī) 293f., 300, 307 ḫodbonyādī(-e erāde) 278, 350 ḫodmoḫtārī(-e erāde) 272f., 276, 293, 295 Ideal 170, 277, 295f., 313, 350 Idee (Vernunftbegriff) 150, 158f., 162f., 188, 190, 201, 203, 243f., 273, 279, 287, 303f., 306, 314, 361 Idee zu einer allgemeinen Geschichte in weltbürgerlicher Absicht 137, 277, 279 FN797, 339, 341, 352 intuitionistische Schule 246 FN672 Kanon der reinen Vernunft 200f., 259-261, 288, 365 Kategorien siehe Verstandesbegriffe Kategorischer Imperativ (amr-e moṭlaq) 129, 261f., 265, 270-274, 278, 292, 358, 360 Kausalität (ʿellīyat) 87, 89 FN229, 150, 157, 241, 287f., 290f., 293f., 300, 345, 347 Kausalität aus Freiheit 87, 287, 291, 294, 300 Kopernikanische Wende (der Denkungsart) (enqelāb-e kopernīkī) 195, 220 FN620, 222, 345 Kopula (voǧūd-e rābeṭ) 172, 176-183, 215 Kritik der Urteilskraft 130, 138, 147, 339, 341, 347 Lügenverbot 265-270, 361 mā taqaddama (a priori) 196 FN542, 247f., 250, 344, 351, 353 maḏhab istišrāfī (arab. [aš-Šībānī ] Transzendentalphilosophie) 114f., mafhūm-e nāmotaʿayyen (unbestimmter Begriff) 209 maktab-e šohūd gerāʾī 246 FN672 mākzīm-e aḫlāq (Maxime) 271-273
Register kantscher Termini
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maqūlāt (Kategorien) 150, 346, 349, 352 maʿrefat (Erkenntnis, Wissen) 98 FN249, 127, 310f., 342, 348, 350, 352 Materie der Erscheinung (mādde-ye padīdār) 205, 210, 226 Materie der Sinnlichkeit (mādde-ye dāde šode be ḥavāss) 212 Maxime / Maximenethik (dastūr/mākzīm-e aḫlāq) 262f., 265, 265-269, 271-273, 304 meṣdāq (Gegenstand, Objekt, konkrete Entsprechung [in der Außenwelt])) 174f.. 179f., 222 Metaphysik der Sitten 132, 135f., 141 FN404, 262f., 291, 300 FN859, 339, 340f. Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre 132, 135f., 263, 270 FN740, 340f. Metaphysische Anfangsgründe der Tugendlehre 132, 135f., 139 FN394, 263, 340f. Methodenlehre, transzendentale 122, 249, 259-262, 288 Möglichkeit (emkān) 75f., 78f., 89 FN229, 118 FN315, 132, 149-151, 162, 170f., 174, 180, 184-188, 190, 194-202, 236f., 248, 256-259, 261, 263, 271, 273, 288, 301, 309, 343, 349, 351 Möglichkeit synthetischer Urteile a priori / apriorischer Erkenntnis 6, 10, 79, 123, 138, 149f., 191, 197f., 201f., 248 monāqeże-ye ʿaql-e moǧarrad (Antinomie) 114f. motaʿāl (transzendent) 201, 203 motaʿalleq (Objekt, Gegenstand) 134, 206, 221 motaʿalleq-e edrāk (Objekt/Gegenstand der Erkenntnis) 134 moużūʿ (Gegenstand, Subjekt) 101, 133 FN369, 176 naqd (Kritik) 122, 130, 138 FN388, 197 FN544, 199, 257, 264, 271, 318, 341f., 344f., 347-350, 352-354, 361, 366 Naqd-e ʿaql-e maḥż (Kritik der reinen Vernunft) 122, 341f. Naturkausalität (ʿellīyat-e ṭabīʿī) 287f., 290f., 293f.
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Register kantscher Termini
natürliche Religion (dīn-e ṭabīʿī) 284f., 317 Noumenon (nūmen/šeyʾ fī nafsihī) 201, 204, 206, 214-218, 220, 226, 235, 239, 241, 243f., 288, 291, 346, 368 (vgl. auch Ding an sich) Objekt im Allgemeinen“ 206, 208, 212, 218, 222, 234 Objekt überhaupt 71, 206f., 222, 225f. Objekt, Objekterkenntnis, Objektbegriff, Objektivität, objektiv 6, 10, 60, 69-72, 78, 132-134, 147, 149, 174, 181, 184f., 187, 191f., 195-197, 201-214, 218-222, 225f., 228f., 231-235, 239-244, 250, 262, 281, 284, 345 obže 201, 204-206, 208f., 212-214, 221f., 284 FN812, obže-ye nāmotaʿayyen (unbestimmtes Objekt) 212 Offenbarungsreligion (dīn-e vaḥīyānī) 284f. oṣūl-e motaʿārefe (Axiome) 249 oṣūl-e moużūʿe (Postulate) 252-254, 274 Pädagogik 128f., 142, 259, 340 padīdār (Erscheinung) 204-206, 210, 212-214, 230, 250, 346 (vgl. Erscheinung, Noumenon, Phänomenon) Pfaffentum (rūḥānīyat) 283, 317f. Pflicht (taklīf) 98, 136, 261-278, 293, 301, 313-316 Phänomen / Phänomenon (fenūmen/šeyʾ namūdārī) 80, 201, 204, 206, 209, 212-218, 220, 230, 235, 239, 241, 287, 291, 335 (vgl. auch Ding an sich) pīšīnī (a priori) 196 FN542, 197, 201f., 351 Postulate 70 FN165, 173, 188, 195, 244, 252-255, 262, 274, 359 Prädikat, reales (mahmūl-e haqīqī) 41, 171, 174, 176, 178, 181-184, 189, 215, 284 FN814 Prolegomena – Prolegomena zu einer jeden künftigen Metaphysik, die als Wissenschaft wird auftreten können 2, 107, 117, 123-128, 141 FN404, 147, 149, 151, 192, 194, 198, 227, 248, 253, 255, 284 FN815, 324, 328, 339, 340, 342, 349, 365
qażāyā-ye taʾlīfī-ye mā taqaddama (pers. synthetische Urteile a priori) 247, 351, 353 qażāyā-ye tarkībī-pīšīnī (synthetische Urteile a priori) 197, 201f., 351 qażīye-ye taḥlīlī (analytisches Urteil) 178, 247 qażīye-ye tarkībī/taʾlīfī (pers. synthetisches Urteil) 178, 196 FN542, qovve-ye ḥassāsīyat (Sinnlichkeit) 205, 223 qovve-ye modreke (sinnliches Wahrnehmungsvermögen) 207 Raum 75, 87, 195, 205-207, 210, 226, 236f., 245-251, 254-258, 339, 345f., 352 Rechtspflichten 262f., 265, 293, 301 Relation (eżāfe) 78, 89 FN229, 155, 175f., 178, 213, 216 Religion, natürliche (dīn-e ṭabīʿī) 263, 284f., 313, 317 Religion, statutarische 314, 317f. sanǧeš (Kritik) 116f., 119, 340, 343 Sanǧeš-e ḫerad-e nāb (Kritik der reinen Vernunft) 116f., 340, 343 šenāḫt (Erkenntnis, Wissen) 102, 127, 133-135, 342, 345f., 359, šeyʾ (Ding, Gegenstand, Objekt) 134, 201, 204-209, 212-214, 221-225, 230, 311 šeyʾ be ṭour-e ʿāmm 206, 208, 222, 224f. šeyʾ fī nafsihī (Ding an sich) 201, 204f., 212 šeyʾ/obže be ṭour-e kollī 206f., 209, 212, 222, šeyʾ-e nāmotaʿayyen (unbestimmter Gegenstand) 205, 213 Sinnesform (ṣūrat-e maḥsūse) 208, 225 Sinnlichkeit (ḥessīyat, qovve-ye ḥassāsīyat, ḥess) 72, 79, 100, 123, 133, 154, 162, 186-188, 195, 205, 207-215, 218, 223-244, 250, 287f., 335, 344, 358 šohūd 113, 201, 204, 206f., 209-211, 230, 234, 246-248, 250, 252-254 šohūd-e maḥż (reine Anschauung) 209, 248, 250 šohūd-e nāmotaʿayyen (unbestimmte Anschauung) 209 šohūd-e taǧrobī 206 Spontaneität (ḫodangīḫtegī) 133, 276, 289
Streit der Fakultäten 137 FN382, 280 FN797, 321, 340, 360 Subjekt 31, 56, 60, 69-71, 75, 78f., 132-134, 174, 176-186, 193, 196, 205, 207f., 210, 214, 219f., 227, 235, 238, 242, 247, 262, 306 Synthesis 236-238, 240, 243, 256, 358 Synthetische Urteile (a priori) (pers. qażāyā-ye tarkībī-ye pīšīnī / qażāyā-ye taʾlīfī-ye mā taqaddama) 6, 10, 79, 81, 89f., 123, 138, 147, 149, 178-180, 184-198, 201f., 245, 247-252, 254, 256, 271, 323, 343, 351, 365 taʿārożāt (Antionomien) 345 taǧrobe (Erfahrung) 196 FN542, 344 tamas̱s̱ol 249, 255 Tamhīdāt – Tamhīdāt: Moqaddameʾī barāye har mābaʿdoṭṭabīʿe-ye āyande ke be ʿonvān-e yek ʿelm ʿarże šavad (persische Übersetzung der Prolegomena); s. auch Prolegomena 123, 126 FN341/FN342/ FN346, 340, 342, 349 taʿrīf (pl. taʿārīf) 130 FN357, 249, 251, 341 taṣavvor (arab. taṣawwur) 177 FN487, 205, 207f., 210, 223, 229f., 255, 359, 362 transzendental, Transzendentalphilosophie 3, 69, 75-78, 80-82, 84, 114f., 126, 134, 151, 183f., 188 FN522, 201, 203f., 215, 239, 241f., 244, 249, 257, 287f., 326, 335-337, 344, 350, 360, 368 Tugendpflichten 262, 301 Über ein vermeintes Recht aus Menschenliebe zu Lügen 265, 340 Über eine Entdeckung 138, 340f. Urteilskraft (qovve-ye ḥokm) 207, 269 Vernunftreligion (dīn-e ʿaqlānī/dīn-e maʿqūl) 70 FN165, 263, 283, 285 FN818, 313-317, 333
Register kantscher Termini
381
Verpflichtung, innere (elzām darūn ẕehnī) 278 Verstand 60, 71f., 79f., 87, 98, 101, 104 FN272, 133, 150, 157, 161, 165, 195f., 202f., 205, 207-209, 214f., 218, 223-236, 284 FN812, 288 FN830, 299, 301, 335, 344, 349, 358 Verstandesbegriffe (Kategorien, maqūlāt) 39, 71 FN168, 89, 98, 150, 182, 195f., 202, 204, 207f., 214f., 223, 227, 235, 237, 241, 257, 262, 346, 349, 352, 368 Verstandesform (ṣūrat-e maʿqūle) 208, 225 voǧūd-e rābeṭ siehe Kopula Von dem ersten Grunde des Unterschiedes der Gegenden im Raume 246, 339 Vorstellung (taṣavvor) 68f., 133, 184, 187f., 195, 201, 203 FN567, 205-210, 217f., 223-226, 229-232, 237, 240, 243, 246, 249, 251, 255, 309f., 344 Wahrnehmung 162 FN444, 165, 168, 186-189, 195, 205-211, 214, 218, 224f., 227-238, 241, 243, 256f., 358, 368 (siehe auch edrāk) Was ist Aufklärung 130, 280 FN797, 339, 341, 354 Wille (erāde) 72, 129, 261f., 271f., 278, 287, 289-295, 298-300, 303f., 307, 309, 312f., 315, 317f., 336, 348-350, 354, 361, 367f. Willensfreiheit 262, 278, 287, 289f., 294, 300, 303, 354 (vgl. auch Wahlfreiheit) Zeit 75, 79, 87, 169, 194f., 205-207, 226f., 236f., 245-251, 254-258, 307, 345f., 352, 353 Zum ewigen Frieden 138, 277, 292, 340f.