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German Pages [157] Year 2019
Britta Möhring Thomas Schlüter
»Kann ich Sie mal kurz sprechen?« Impulse für gute Gespräche in der Schule
Britta Möhring / Thomas Schlüter
»Kann ich Sie mal kurz sprechen?« Impulse für gute Gespräche in der Schule
Vandenhoeck & Ruprecht
Mit 19 Illustrationen von Nele Franken Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.de abrufbar. © 2019, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Theaterstraße 13, D-37073 Göttingen Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Umschlagabbildung: © Nele Angela Franken Illustrationen: © Nele Angela Franken Satz: SchwabScantechnik, Göttingen Vandenhoeck & Ruprecht Verlage | www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com ISBN 978-3-666-70265-5
Inhalt
Vorspann . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 Hinweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 Einführung – Kann ich Sie mal kurz sprechen? . . . . . . . . . . . . . . 13
Teil A Grundsätzliches zur Gesprächsführung 1
Hoffnung stärken statt Probleme ergründen – Was soll in Zukunft anders werden? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20
2
Hier, jetzt und du! – Die günstige Gelegenheit . . . . . . . . . . . 26
3
Wenn du wenig Zeit hast, nimm dir am Anfang viel davon – Die Phasen des Gesprächs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31
4
Wenn der Berater schwitzt, hat er was falsch gemacht – Die ratsuchende Person aktivieren . . . . . . . . . . . . . . 36
5
Manchmal sind wir im falschen Film! – Wie der innere Film die Wahrnehmung beeinflusst . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43
Teil B Ein gutes Gespräch führen 6
Wie die Spitze eines Eisbergs – Die Sprache der ratsuchenden Person nutzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50
7
Das ist eine gute Frage – Fragen als Geburtshelfer . . . . . . . 57
8
Der Ton macht die Musik – Das Paraverbale bewusst nutzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 5
9 Jede Reise beginnt mit dem ersten Schritt – Ziele erkunden und realistisch planen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71
10 Verborgene Schätze – Ressourcen erkunden und nutzen 11
. . 79
Tschüss, bis morgen! – Das Ende eines Gesprächs . . . . . . . 85
12 Kleine Dinge, große Wirkung – Weitere methodische Bausteine . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90
Teil C Besondere Gesprächsanlässe 13 Andreas, du bist in letzter Zeit … – Wenn Lehrer*innen das Gespräch beginnen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98
14 Ich soll zu Ihnen kommen – Wenn Schüler*innen geschickt werden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103
15 Zu Hause ist unser Kind aber ganz anders – Gespräche mit Eltern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107
Teil D Zur Vertiefung 16 Ein Bild sagt mehr als 1.000 Worte – Bildhafte Sprache im Beratungsgespräch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114
17 Mir fällt dazu eine Geschichte ein – Geschichten strategisch erzählen und einsetzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121
18 Den Rahmen verlassen – Es gibt mehr als eine Möglichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125
6
Inhalt
19 Gesprächsbeispiele aus der Praxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Und die haben ihr das echt geschrieben, dass du schwanger bist? – Schülerin (14 Jahre) und Lehrerin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 Ich will wieder zurück zu meiner Mutter – Schülerin (15 Jahre) und Lehrerin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136 Hast du mal einen Augenblick Zeit? – Referendar und Ausbildungslehrerin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 Ella … sie ist eine Zicke und eine Vordränglerin – Schüler (8 Jahre) und Lehrerin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142 Ich kann das einfach nicht verstehen – Schülerin (16 Jahre) und Lehrerin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 Ein Kollege hat mich bei der Arbeit so blöd angemacht – Schüler (18 Jahre) und Lehrer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 Wie kann ich verhindern, dass mein Mann Tom abholt? – Mutter und Klassenlehrerin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 Mir geht es wieder schlecht – Zwei Kolleginnen . . . . . . . . . . . . . . . . 147
Abspann . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 Antwortmöglichkeiten zu den Übungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155
Inhalt
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Vorspann
Toll, dass Sie in der Schule Gespräche führen und Sie dieses spannende und facettenreiche Thema vertiefen wollen! Viele Fortbildungen mit Lehrer*innen aller Schulformen haben uns gezeigt, dass Gespräche in der Schule eine besondere Herausforderung sind. Genau deshalb haben wir uns zu dieser praxisorientierten »Anleitung« entschlossen. Wir möchten Ihnen mit diesem Buch Gedanken und Methoden – »Rüstzeug« – an die Hand geben und Ihr Interesse wecken, Bekanntes zu hinterfragen und Neues zu entdecken. Manchmal fragen uns Lehrer*innen: »Wie kann ich Gespräche möglichst schnell abwürgen?« Tun Sie das bitte nicht! Nutzen Sie vielmehr einige der vielen Möglichkeiten für ein kleines, aber gutes Gespräch, das sich an jedem Schultag ergeben kann. Sie werden damit selbst zufriedener sein und auch Ihre Schule verändern. Vieles von dem, was wir Ihnen weitergeben, haben wir von Timm H. Lohse gelernt.1 Er war und ist unser Lehrer und Gesprächspartner im »Kurzgespräch«. Ihm gilt unser besonderer Dank. Danken möchten wir auch den Trainerkolleg*innen der Arbeitsgemeinschaft Kurzgespräch für den Austausch und die Anregungen. Den Kursteilnehmer*innen aus vielen Fortbildungen gilt ebenso unser Dank, da ohne ihre Fragen, Rückmeldungen und Beispiele aus dem Schulalltag dieses Buch nicht möglich gewesen wäre.
1 Lohse, T. (2013): Das Kurzgespräch in Seelsorge und Beratung. Eine methodische Anleitung (4. Aufl.). Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht.
Alle Beispiele dieses Buches sind aus dem »wirklichen« Leben und wurden selbstverständlich anonymisiert. Leider war es uns nicht mehr bei allen Beispielen möglich, die »Einbringer*innen« persönlich zu fragen. Hierfür bitten wir um Entschuldigung. Danken möchten wir auch Lena Gaube und Claudia Maier, die das Manuskript kritisch gelesen und uns mit ihren Fragen und Korrekturvorschlägen sehr geholfen haben. Nele Franken hat das Buch illustriert. Vielen Dank für die Zeichnungen, die verdichten, worum es in den einzelnen Kapiteln geht. Claudia Peter vom Verlag Vandenhoeck & Ruprecht hat unser Buch – von der ersten Idee bis zum fertigen Produkt – verlässlich, hilfreich und unkompliziert begleitet. Auch ihr möchten wir an dieser Stelle danken. Besonders herzlich danken wir den Schüler*innen und Kolleg*innen, die sich uns im Gespräch anvertraut haben. Die vielen positiven Erfahrungen im Gespräch haben uns Mut gemacht, dieses Buch zu schreiben. Und nun wünschen wir Ihnen, liebe Leser*innen, viel Freude bei der Lektüre, hoffentlich viele »Aha-Erlebnisse« und Lust, das ein oder andere in der Praxis auszuprobieren. Und bitte, führen Sie Gespräche, denn gute Gespräche kann man nie genug führen! Dezember 2018 Britta Möhring und Thomas Schlüter
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Vorspann
Hinweise
Die folgende Symbolik gibt Ihnen im Buch Orientierung: Fallbeispiel
Zusammenfassung Übung Sehr wichtig bei Gesprächen ist die Betonung und Stimmlage der beratenden Person. Da dies in schriftlicher Form schwierig darzustellen ist, nutzen wir in den Gesprächsbeispielen folgende Zeichen: --
Eine Pause im Satz.
↓ Die Stimme senkt sich am Ende des Satzes, auch bei einer Frage. Beispiel: »Wann -- willst du dieses Buch lesen ↓« Um die Les-
barkeit mit der Senkung der Stimme zu erleichtern, haben wir an diesen Stellen auf das Fragezeichen verzichtet.
Beim Thema »geschlechtergerechte Sprache« haben wir uns für das »Gendersternchen« entschieden. Vereinzelt haben wir aus Gründen der besseren Lesbarkeit darauf verzichtet.
Einführung – Kann ich Sie mal kurz sprechen?
Kann ich Sie mal kurz sprechen? … fragt ein 13-jähriger Schüler nach der Unterrichtsstunde vorne am Lehrerpult und sagt anschließend: »Ich habe einfach nicht genug Zeit zum Lernen, seit ich in der A-Auswahl beim Fußball bin. Ich schaff ’ das alles nicht mehr.« … fragt eine Mutter, die nach Schulschluss auf die Lehrerin ihrer 9-jährigen Tochter wartet und erzählt: »Mein Mann und ich haben uns getrennt. Es wird sich jetzt viel für uns ändern.« … fragt eine 15-jährige Schülerin während der Pausenaufsicht den Lehrer und sagt: »Ich mache mir Sorgen um eine Freundin – die ritzt sich.« Und auch im Unterricht gibt es zahlreiche Anfragen, die nichts mit dem Unterrichtsthema zu tun haben: Da sagt der Klassensprecher einer 10. Klasse: »Wir kommen mit unserem Mathelehrer nicht klar. Im Unterricht ist es immer so unruhig, und darum verstehen wir nichts. Und jetzt stehen doch bald die Abschlussprüfungen an.« Oder ganz nebenbei beim Kontrollieren der Hausaufgaben sagt eine 17-jährige Schülerin: »Ich konnte meine Hausaufgaben nicht machen. Ich bin gestern zu Hause rausgeflogen.« Und auch im Lehrerzimmer in den Pausen oder Freistunden gehen die Gespräche weiter. Da sagt eine Kollegin: »Seit ich aus der Elternzeit zurück bin, habe ich das Gefühl, ich werde überhaupt nicht mehr für voll genommen.« Oder ein Kollege kommt aus dem Unterricht, sinkt auf den Stuhl und sagt: »Dass Schüler so gemein sein können. Die haben mich gerade so richtig fertig gemacht.« Der Schulalltag ist voll von solch’ »kleinen Gesprächen«. Auch wenn es sich nicht immer um ausdrückliche Anfragen im Sinne von »Kann ich Sie mal kurz sprechen?« handelt, so werden Lehrer*innen doch jeden Tag immer wieder in Gespräche verwickelt, ob sie wollen oder nicht. Und man reagiert – »irgendwie«. Denn im Sinne von Paul Watzlawick kann man nicht nicht reagieren.2 2 Die Kommunikationstheorie Paul Watzlawicks bildet eine wichtige Grundlage dieses Buches. Zur Vertiefung empfehlen wir die im Literaturverzeichnis aufgeführten Bücher von ihm.
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Einführung
Viele Lehrer*innen wissen nicht, wie sie in solchen Situationen passend reagieren können. Oft ist das Gefühl bestimmend: Ich kann das gar nicht, zumindest nicht richtig. Ich habe es nicht gelernt, Gespräche zu führen. Und manchmal denken sie auch: Ich will das auch gar nicht, ich will doch einfach nur unterrichten. Ich bin doch kein Sozialpädagoge, und ich wollte es auch nie werden. Zudem haben viele Lehrer*innen auch die Erfahrung gemacht: Wenn ich mich jetzt auf ein Gespräch einlasse, dann muss ich es irgendwann wieder abbrechen, weil es klingelt oder weil anderes zu tun ist. Denn eigentlich scheint immer zu wenig Zeit im Schulalltag zu sein, zumindest für so ernsthafte Themen. Oder sie haben schnell das Gefühl, dass sie gar nicht richtig helfen können. Zu groß scheinen viele Probleme der Schüler*innen oder ihrer Familien zu sein. Viele sind im Zweifel: Bin ich die oder der Richtige für diese Anfrage? Muss da nicht ein »Profi« her? Und dann die Sorge, wie viel Arbeit auf einen zukommt, wenn man sich auf das Gespräch einlässt: die Frage, ob man jetzt als Lehrer*in die Aufgabe hat, sich um Versöhnung in einer zerstrittenen Familie zu kümmern, oder die Frage »Können Sie nicht vielleicht mal mit dem Mathelehrer sprechen?« Viele Lehrer*innen stecken in solchen Situationen auch in einem Rollenkonflikt: Die Hausaufgaben müssen gemacht werden – aber zu Hause rausgeworfen werden, ist eigentlich viel ernster als nicht gemachte Hausaufgaben. Oder: Die Freundin der Schülerin ritzt sich. Reicht hier ein Gespräch, oder muss man sofort handeln? Gespräche zwischen Tür und Angel sind bei vielen Lehrer*innen unbeliebt. Aber die Gespräche finden trotzdem statt, Tag für Tag. Wir wollen Sie ermutigen, diese kurzen Gespräche als Chance wahrzunehmen, denn schon ein »kleines Gespräch« kann viel bewirken. Und viele kleine, gute Gespräche verändern den Schulalltag. Oft viel mehr, als man selbst denkt. Ein »gutes Gespräch« ist unserer Meinung nach ein Gespräch, bei dem sich etwas Neues »ergibt«, also ein Gespräch mit einem »Ergebnis«. Das kann ein neuer Gedanke, ein anderer Blickwinkel oder ein erster Schritt sein. Einführung
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Schon ein kleines, gutes Gespräch kann Bewegung in eine festgefahrene Situation bringen und neue Perspektiven aufzeigen. Bildlich kann man sich die Wirksamkeit eines guten Gesprächs wie folgt vorstellen: Denken Sie an ein großes Mobile in einem windstillen Raum. Wird es an einer Stelle angestoßen, kommen alle Teile in Bewegung. Übertragen auf ein Gespräch bedeutet das, dass auch kleine Impulse viel in Bewegung bringen können. Wichtig bei diesen Gesprächen ist der Grundsatz, dass die innere Haltung, mit der eine Person ein Gespräch führt, wichtiger ist als die hilfreichsten Methoden. Die Haltung ist quasi der Nährboden für ein gutes Gespräch. Die innere Haltung muss bestimmt sein vom grundlegenden Ernstnehmen der ratsuchenden Person. Jede ratsuchende Person ist ein eigenständiger Mensch mit Gaben, Fähigkeiten und Ressourcen. Im Beratungsgespräch muss dieser Mensch gesehen und gewürdigt werden und er darf nicht auf seine Probleme und Defizite reduziert werden. Zur inneren Haltung gehört auch, bescheiden zu sein. Das heißt vor allem, von der Annahme Abstand zu nehmen, man müsse oder könne die Probleme anderer Menschen lösen. Die ratsuchende Person ist und bleibt Expertin ihres Lebens und somit auch ihres Problems. Die beratende Person begleitet sie ein Stück weit auf ihrem Weg. Und das ist eine große Unterstützung! Wenn man sich so auf eine ratsuchende Person einlässt, kann Resonanz entstehen: Das Gespräch fließt hin und her und es kommt etwas zum Schwingen. »Resonanz [ist] der entscheidende Faktor eines Gesprächs« (Jonas/Daniels, 1996, S. 24). Bescheiden zu sein meint auch, nicht alles auf einmal bearbeiten zu wollen. Grundlage für diese Haltung und die Methodik ist die systemische Beratung. Gerade für engagierte Lehrer*innen bedeutet diese Erkenntnis oft eine »(Er-)Lösung« von überhöhten Erwartungen an sich selbst und ihre Beratungstätigkeit und stärkt so ihr Engagement, gute Wegbegleiter*innen für die Schüler*innen zu sein. 16
Einführung
Viele Fortbildungen3 im Bereich Schule und vor allem die Rückmeldungen der Teilnehmer*innen haben uns gezeigt: Diese Sichtweise auf Gespräche und die methodischen Bausteine, die man lernen und einüben kann, sind im Schulalltag hilfreich und »funktionieren«. Schritt für Schritt stellen wir Ihnen diese Bausteine vor. Sie können jedes Kapitel einzeln als Impuls lesen und punktuell an ihrer Gesprächsführung arbeiten oder das Buch auch in Gänze lesen. Ein Teilnehmer einer Fortbildung zum Kurzgespräch in der Schule formulierte es im Feedback einmal so: »Ich habe gelernt, dass ich nicht gleich die ganze Welt retten muss, aber ich kann jetzt ein kleines, gutes Gespräch führen.« Diese Erfahrung wünschen wir auch unseren Leser*innen!
3 Nähere Informationen zu Fortbildungen unter www.kurzgespraech.de Einführung
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Teil A
Grundsätzliches zur Gesprächsführung
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Hoffnung stärken statt Probleme ergründen – Was soll in Zukunft anders werden?
Wenn ein Mensch ein Beratungsgespräch sucht, hat er in sich eine Hoffnung. Er hofft, dass das Gespräch ihm in irgendeiner Weise hilft. Hätte er diese Hoffnung nicht, würde er kein Gespräch suchen. Oft ist diese Hoffnung zu Beginn eines Gesprächs sehr klein, zart und unscheinbar. Aufgabe der beratenden Person im Gespräch ist es, diese kleine Hoffnung zu schützen und zu stärken. Bildlich gesprochen ist die Hoffnung wie ein Pflänzchen, das behutsam gepflegt und versorgt werden muss. Es braucht Sonne, Wärme und Wasser, um wachsen und gedeihen zu können. Aber: Eine Pflanze wächst langsam. Sie wächst nicht schneller, wenn man sie besonders viel gießt, noch, wenn man an ihr zieht und zerrt. Das Gleiche gilt für die zarte Hoffnung auf Klärung, auf Veränderung, die in einer ratsuchenden Person wächst. Auch sie benötigt im übertragenen Sinn Wasser, Wärme, Sonne und Zeit, um sich zu entwickeln. Seit vier Monaten ist Svenja neu in der 6. Klasse. Sie ist aus einer anderen Stadt zugezogen. Svenja ist eine gute Schülerin, aber die Lehrerin Frau M. hat beobachtet, dass sie viel allein ist. Eines Tages kommt Svenja nach der Stunde zu Frau M. Svenja: »Ich habe immer noch keine neuen Freunde in der Klasse gefunden. Alle meiden mich, nur die Hausaufgaben wollen sie immer von mir abschreiben.«
Frau M. hat nun verschiedene Möglichkeiten zu reagieren. Sie kann entweder das Problem ergründen oder mit »guten Fragen« die Hoffnung auf Veränderung stärken: »Noch hast du keine neuen Freunde gefunden. Wie -- findest du sie ↓«/»Wo -- suchst du ↓«/»Was genau -suchst du ↓«/»Was -- versuchst du ↓« oder auch »Wer -- kann dich dabei unterstützen ↓« (vgl. Kapitel 7). Ein »gutes Gespräch« konzentriert sich auf die Zukunft und stärkt die Hoffnung, dass in Zukunft etwas anders werden und Neues entstehen kann. Frau M. verzichtet mit dieser Art zu fragen darauf, das Problem zu ergründen und auch darauf, das Problem beurteilen und lösen zu wollen. Hoffnung stärken statt Probleme ergründen
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Stattdessen knüpft sie an Svenjas Hoffnung – neue Freunde zu finden – an und fragt nach ihren Möglichkeiten und Ressourcen. Gleichzeitig aktiviert sie Svenja, weil sie Svenja nicht auf das Problem festlegt, sondern ihr zutraut, dass sie etwas ändern kann. Wenn Frau M. fragen würde: »Kannst du dir vorstellen, warum deine Mitschüler sich so verhalten?« oder »Wirst du von deinen Mitschülern auch geärgert?«, würde das Gespräch einen gänzlich anderen Verlauf nehmen. Frau M. wäre dann vielleicht genau im Bilde, aber durch das Ergründen der Ursachen kommt Svenja nicht weiter, da in der Regel durch das Ergründen der Ursachen und der Probleme keine neuen Ideen und Lösungsansätze entstehen. Es gilt der Ausspruch: »Wenn ich weiß, wie ein Karren in den Dreck gefahren wurde, weiß ich noch lange nicht, wie er wieder herauszuziehen ist.« (Weber4, 1994) Den Karren »noch weiter in den Dreck fahren« könnte Frau M., wenn sie Svenja fragt, ob sie früher an der alten Schule ähnliche Erfahrungen gemacht hat, da diese Frage einerseits für Svenja unangenehm sein kann und sie andererseits auf ihr Problem festgelegt und reduziert würde. Svenjas Hoffnung, mit der sie das Gespräch begonnen hat, und auch ihre eigene Aktivität würden hierdurch nicht gestärkt. Vielleicht würde Svenja von früheren Erfahrungen berichten. Ein solches Gespräch wäre nicht zielführend.
Blick nach vorne statt zurück Am Ende einer großen Pause betritt die Lehrerin Frau B. den Klassenraum ihrer 4. Klasse. Direkt stürmen zwei Schülerinnen, Julia und Josefine, auf sie zu und erzählen ihr – beide durcheinander –, was in der Pause passiert ist. Julia erzählt aufgeregt, dass die beiden sich gestritten haben, weil Josefine etwas Schlechtes über sie gesagt habe. Josefine bestreitet dies wortreich. Beide Schülerinnen reden sich in Rage. 4 Dr. Gunthard Weber, geb. 1940, Arzt für Psychiatrie – Psychotherapie, Systemischer Berater und Therapeut.
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Grundsätzliches zur Gesprächsführung
Frau B. könnte nun versuchen, die in der Pause vorgefallende Situation schrittweise zu ergründen und zu klären (»Julia, was hast du gemacht? Josefine, was hast du gesagt?«). Das Ergebnis von diesem Versuch würde wahrscheinlich sein, dass Julia und Josefine jeweils ihre Sicht der Dinge im Detail erläutern. Da dies einige Zeit in Anspruch nimmt und der Unterricht nicht beginnen kann, würden parallel dazu die anderen Schüler*innen der Klasse wahrscheinlich unruhig. Frau B. könnte das Gespräch auch abbrechen »Setzt euch hin!« oder verschieben »Wir sprechen am Ende der Stunde darüber.« Mit viel Glück haben sich die Gemüter am Ende der Stunde wieder beruhigt. Weil Julia und Josefine in der Klasse allerdings nebeneinandersitzen, ist es wahrscheinlicher, dass der Streit in der Stunde weitergeht und die beiden am Ende der Stunde wieder zu Frau B. kommen. In beiden Fällen würde sich Frau B. den Konflikt vermutlich schildern lassen und Julia und Josefine würden im Anschluss erwarten, dass sie ein »Urteil« fällt. Frau B. kann aber auch ganz anders reagieren. Sie kann ganz in Ruhe sagen: »Julia und Josefine, hört mir mal zu. Die Pause ist vorbei. Wie -- geht es jetzt mit euch beiden weiter ↓« Durch diese Intervention verändert sich die Rolle von Frau B., da die Verantwortung für den Fortgang des Konflikts bei den Schülerinnen liegt und Julia und Josefine nun überlegen müssen, wie es weitergehen kann. Die beiden werden vermutlich zunächst stutzen und schweigen, da sie nun selbst überlegen und aktiv werden müssen. Und dann – nach ein wenig Bedenkzeit – werden sie einen Vorschlag machen.
Zukunftsorientierung statt Problemorientierung Das Gespräch von Frau B. mit Julia und Josefine steht exemplarisch für viele Gespräche, die Lehrer*innen im Laufe eines Tages führen. Frau B. hat die Möglichkeit, die Richtung des Gesprächs zu beeinflussen: Soll es im Gespräch darum gehen, die Vergangenheit zu ergründen oder soll es darum gehen, wie es in Zukunft weitergehen kann bzw. was sich in Zukunft ändern soll. Hoffnung stärken statt Probleme ergründen
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Da Vergangenes nicht mehr rückgängig gemacht oder verändert werden kann, ist es sinnvoller, in die Zukunft und somit nach vorne zu blicken. Eine Ausnahme sind allerdings disziplinarische Fälle. Hier ist der Blick in die Vergangenheit nötig und sinnvoll, da Verantwortung für Unrecht übernommen werden muss. Ansonsten ist der Blick in die Zukunft zielführender. Hinzu kommt, dass der Blick auf Probleme oft erdrückend ist und das Gefühl von Ohnmacht – in dem die ratsuchende Person sowieso schon feststeckt – verstärkt: »Ich weiß nicht, was ich machen soll«/»Ich kann da nichts machen«/»Das ist alles so viel«. Ziel ist es, die ratsuchende Person zu aktivieren. Dass sie einen anderen Menschen angesprochen, um Rat oder Unterstützung gebeten hat, zeigt, dass ein klein wenig Hoffnung und Aktivität vorhanden sind. Konzentriert sich das Gespräch nun vor allem auf die Probleme, werden zur Ausgangsfrage schnell weitere Probleme hinzukommen und der »Problemberg« wird immer höher. Hoffnung und Aktivität werden so erdrückt. Der amerikanische Psychotherapeut Steve de Shazer bringt dies treffend auf den Punkt: »Problem-talk creates problems, solution-talk creates solutions!« (de Shazer, 2004, S. 12) Selbst die beratende Person unterliegt diesem Phänomen: Je mehr die ratsuchende Person von ihren Problemen erzählt, umso mehr hat nach und nach auch sie das Gefühl »Was kann man da schon machen?«. Im Beratungskontext wird dieses Gefühl der Ohnmacht auch »Problemtrance« oder »Problemhypnose« genannt, die sowohl die ratsuchende Person als auch die beratende Person erfasst. Die beratende Person hat in Gesprächen die Möglichkeit, die Richtung des Gesprächs zu beeinflussen. Fast immer ist es hilfreicher, in die Zukunft zu blicken statt zurückzusehen. In der Unterrichtsstunde ging es um das Thema Familie und unter anderem um das Thema Adoption. Am Ende der Unterrichtstunde bleibt Dominik (16 Jahre) im Klassenraum und wartet, bis die anderen Schüler*innen den Raum verlassen haben, und 24
Grundsätzliches zur Gesprächsführung
spricht dann den Lehrer an: »Dass die anderen sich das so einfach vorstellen mit der Adoption von Kindern – ich bin ja auch adoptiert – das wissen die andern aber nicht – manchmal erzähle ich das – wie jetzt Ihnen. Ich möchte aber nicht, dass man mich dann bemitleidet – mein Vater kommt aus Italien und meine richtige Mutter war auch Italienerin, sie hat damals Drogen genommen, deshalb konnte sie mich nicht behalten. Mann, dass die anderen sich das so einfach vorstellen.« Formulieren Sie Fragen, die in die Zukunft gerichtet sind. Vorschläge dazu finden Sie auf Seite 151.
Hoffnung stärken statt Probleme ergründen
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Hier, jetzt und du! – Die günstige Gelegenheit
Eine ratsuchende Person wählt Ort und Zeitpunkt des Gesprächs und den Gesprächspartner*die Gesprächspartnerin. Sie ergreift – oft unbewusst und trotzdem für sie ganz stimmig – »die günstige Gelegenheit«. Diese Wahl zu verstehen und zu akzeptieren, ist für ein gutes Gespräch »zwischen Tür und Angel« wichtig.
Hier – und nicht woanders! Viele gute Gespräche finden mitten im Schulalltag statt. Zum Beispiel beim Spülen am Ende des Hauswirtschaftsunterrichts – fast nebenbei, ohne sich ständig ansehen zu müssen, sehr niederschwellig. Da traut sich ein Schüler*eine Schülerin, etwas von dem zu erzählen, was ihn*sie bewegt. Einen Termin für ein Gespräch zu vereinbaren und in einen Beratungsraum zu gehen, käme ihm*ihr nicht einfach so in den Sinn, da müsste schon etwas ganz Schlimmes passiert sein. Schüler*innen sprechen Lehrer*innen auch gerne nach dem Unterricht im Klassenraum an, wenn noch andere Personen im Raum sind. Für sie ist es der richtige Ort. Vielleicht, weil er vertraut ist, und vielleicht auch, weil man jederzeit unkompliziert gehen kann. Da die Wahl des Ortes nicht zufällig ist, sollten Versuche, den Ort zu verändern – wenn möglich – vermieden werden. Zu beachten ist bei diesem Grundsatz allerdings, dass Lehrer*innen auch eine Fürsorgepflicht für ihre Schüler*innen haben. Wenn z. B. ein 12-Jähriger am Lehrerpult von häuslicher Gewalt erzählt, während noch andere in der Klasse sind, dann muss die Lehrkraft den Schüler schützen und ihm leise sagen, dass er noch einen Augenblick warten solle, bis die anderen gegangen sind. Erzählt aber eine 17-Jährige, dass gestern ihre Mutter ausgezogen ist und andere könnten »mithören«, dann akzeptiert man ihre Wahl des Ortes und des Zeitpunktes. Zu Beginn eines Gesprächs gilt es daher, schnell einzuschätzen, wie weit die ratsuchende Person die Frage der Vertraulichkeit einschätzen kann.
Hier, jetzt und du!
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Jetzt – und nicht später! Lehrer*innen werden oft »zwischen Tür und Angel« angesprochen: morgens zu Schulbeginn auf dem Schulhof, in der 5-Minuten-Pause auf dem Flur, kurz vor Stundenbeginn in der Klasse. Aus der Perspektive der Schüler*innen ist dieser Zeitpunkt genau der richtige: Hier und jetzt kann ich kurz und unkompliziert mit meinem Lehrer*meiner Lehrerin sprechen. Diese Einschätzung gilt natürlich nicht unbedingt für die Lehrkraft, die eine Klausuraufsicht hat, zu einem Elterngespräch verabredet ist oder noch andere Dinge vor Beginn der nächsten Stunde klären oder erledigen muss. Der für die Schüler*innen passende Zeitpunkt ist für die Lehrkraft manchmal ein unpassender Zeitpunkt. Zu Beginn eines Gesprächs müssen Lehrer*innen schnell entscheiden und klar sein. Entweder: »Ja, ich lasse mich auf ein (kurzes) Gespräch ein« oder: »Nein, jetzt geht es nicht, aber in der zweiten Pause habe ich Zeit«. Das muss er*sie dann klar und freundlich der ratsuchenden Person sagen. Beide Antworten sind möglich und legitim. Wenn es gar nicht geht, weil andere Dinge zu sehr drängen, ist es besser, ein Gespräch freundlich zu verschieben als unaufmerksam zuzuhören. Schüler*innen ergreifen manchmal spontan die günstige Gelegenheit (»Frau W. scheint noch einen Augenblick Zeit zu haben.«) oder sie haben sich vorher sehr bewusst überlegt, wann und wo sie eine Person gut ansprechen können (»Am Dienstag sehe ich Frau W. Nach der Stunde spreche ich sie an«). Insbesondere, wenn es um persönliche Themen geht, müssen Schüler*innen oft viel Mut zusammennehmen, um Lehrer*innen anzusprechen. Wenn sie dann zurückgewiesen werden, ist dies – trotz sicherlich berechtigter Gründe – für sie ein Rückschlag. Der Zeitpunkt eines Gesprächs sollte also – nach Möglichkeit – nicht verschoben werden, da er von der ratsuchenden Person gewählt wurde und es für sie der richtige und stimmige Moment ist. 28
Grundsätzliches zur Gesprächsführung
Bedenken sollte man bei seiner Entscheidung auch, dass alle Schüler*innen wissen, wie lang eine 5-Minuten-Pause ist. Werden Lehrer*innen in dieser kleinen Pause angesprochen, dann soll das Gespräch auch wirklich ein kurzes sein. Und auch eine Mutter, die eine Lehrkraft drei Minuten vor dem Unterricht anspricht, weiß, dass ihr Gegenüber nur zwei Minuten Zeit für sie hat. Aber auch in diesen zwei Minuten kann ein kleines, gutes Gespräch geführt werden.
Du – und kein anderer! Manchmal haben beratende Lehrer*innen den Eindruck, dass sie nicht die Richtigen sind, die angesprochen werden. Sie fühlen sich nicht kompetent genug (»Da muss doch ein Therapeut helfen«), sie haben das Gefühl, dass das Thema sie überfordert (»Das kann ich nicht«) oder dass es nicht ihre Aufgabe ist (»Dafür haben wir eine Schulsozialpädagogin«). Dennoch sollte man das entgegengebrachte Vertrauen nicht vorschnell enttäuschen, da sich die ratsuchende Person die Person, der sie sich anvertrauen will, mehr oder weniger bewusst ausgewählt hat. Schüler*innen haben die Möglichkeit, Lehrer*innen stundenlang zu beobachten und wissen daher oft sehr genau: Wie geht der Lehrer*die Lehrerin mit Fehlern um? Ist er freundlich, zugewandt und verlässlich? Kann man mit ihr auch über ernste Dinge sprechen? Dieses – oft über viele Stunden gewachsene Vertrauen – ist eine meist unterschätzte Möglichkeit für ein gutes Gespräch. Trotzdem sollten (und können) beratende Lehrer*innen natürlich nicht die Arbeit der Therapeut*innen übernehmen. Vielmehr ist es wichtig, zu erkennen, dass Schüler*innen und Eltern oft zu Lehrer*innen kommen, um beispielsweise für sich zu klären, ob sie zu einer Beratungsstelle oder einer therapeutischen Fachkraft gehen sollten. Die beratenden Lehrkräfte übernehmen in vielen Fällen genau an dieser Nahtstelle eine wichtige Rolle.
Hier, jetzt und du!
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Der Lehrer, Herr G., der ehrenamtlich bei der Notfallseelsorge aktiv ist, wird am Montag in der ersten Pause von der Oberstufenschülerin, Sophie, auf dem Flur angesprochen. Mit leiser Stimme fragt Sophie: »Herr G., Sie sind doch Notfallseelsorger, oder?« Bei Herrn G. schrillen bei dieser für den Schulkontext unüblichen Ansprache die Alarmglocken. Er bemerkt sofort, dass er in seiner Rolle als Notfallseelsorger angefragt wird. Gut gemeint antwortet er: »Ja, bin ich. Lass uns mal kurz in den leeren Klassenraum hier gehen, dann können wir in Ruhe reden.« Anstatt mit Herrn G. in den leeren Klassenraum zu gehen, entgegnet Sophie blitzschnell: »Ach, so wichtig ist es nicht.« und geht weiter. Am Mittag begegnen sich Sophie und Herr G. erneut auf dem Flur. Dieses Mal sucht Herr G. das Gespräch mit Sophie und fragt: »Was wolltest du eigentlich heute Morgen von mir?« Und Sophie beginnt Herrn G. leise – auf dem Schulflur – zu erzählen, dass sie am Wochenende sexuell belästigt worden ist.
Im ersten Augenblick ist man wahrscheinlich überrascht, dass Sophie so etwas Intimes scheinbar zwischendurch auf dem Schulflur erzählt und nicht in einem geschützten Raum. Aus der Perspektive von Sophie stellt sich die Situation aber ganz anders dar: Sie kennt und schätzt Herrn G. und weiß um seine Kompetenzen. Herr G. wird von Sophie bewusst ausgewählt. Aber vielleicht ist es Sophie nach den Erfahrungen des Wochenendes gerade nicht möglich, mit einem Mann allein in einem Raum zu sein. Das gut gemeinte Angebot des Ortswechsels schlägt sie aus. Sie wählt – mehr oder weniger bewusst – die Öffentlichkeit, da diese ihr Sicherheit gibt. Außerdem kann Sophie so das Gespräch mit Herrn G. jederzeit beenden, wenn sie merkt, dass er doch nicht der Richtige ist. Die ratsuchende Person sucht den Ort, den Zeitpunkt und die Person mehr oder weniger bewusst aus. Versuche, diese Variablen zu verändern, sollten daher – nach Möglichkeit – vermieden werden.
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Grundsätzliches zur Gesprächsführung
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Wenn du wenig Zeit hast, nimm dir am Anfang viel davon5 – Die Phasen des Gesprächs
5 Ruth Cohn, Begründerin der Themenzentrierten Interaktion (TZI), zit. nach Schanze/Schuster, 2014, S. 100.
Ratsuchende Personen beginnen Gespräche oft mit innerem Druck: Schon lange haben sie nachgedacht, innerlich hin und her diskutiert, aber sind nicht wirklich weitergekommen. Jetzt scheint eine günstige Gelegenheit, eine andere Person anzusprechen. Oft schwingt auch Unsicherheit auf Seiten der ratsuchenden Person mit: Hat die*der andere Zeit und ein offenes Ohr? Lässt er*sie sich auf ein Gespräch ein? Wird das Gespräch irgendwie weiterhelfen? Aus diesen Gründen ist die erste Reaktion der beratenden Person sehr wichtig: Sie lässt alles andere für einen Augenblick ruhen, wendet sich der ratsuchenden Person bewusst mit Blick, Mimik und Gestik zu, signalisiert durch ihre Körpersprache zugewandtes Interesse und spricht ruhig und langsam. Sie zeigt so: Ich höre dir zu, ich lasse mich auf das Gespräch ein – und nimmt so Druck aus dem Gespräch und damit auch Druck von der ratsuchenden Person. Viele Lehrer*innen sagen, dass die Zeit für ein Gespräch zwischendurch in der Schule häufig zu knapp sei, und dass für ein »ruhiges Gespräch« immer zu viel Unruhe sei. Wenig Zeit und Unruhe kennzeichnen den Schulalltag in der Tat, und gerade darum ist es so wichtig, ganz anders, nämlich ruhig und zugewandt auf eine Anfrage zu reagieren. Diese Reaktion ist für viele Ratsuchende überraschend und verändert von Anfang an den Verlauf des Gesprächs. Die Sorge, dass ein ruhig geführtes Gespräch zwangsläufig auch ein zeitlich langes Gespräch ist, ist oft unbegründet. Entscheidend für die Länge eines Gesprächs ist vielmehr die Richtung des Gesprächs (vgl. Kapitel 1). Die Erfahrung zeigt, dass viel Ruhe zu Beginn eines Gesprächs eine »lohnende Investition« für den weiteren Verlauf ist. Wie es die Psychologin Ruth Cohn (1910–2010) sagte: »Wenn du wenig Zeit hast, nimm dir am Anfang viel davon« (zit. nach Schanze/Schuster, 2014, S. 100).
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Grundsätzliches zur Gesprächsführung
Entschleunigen und beschleunigen Etwas vereinfacht lässt sich ein beratendes Gespräch in zwei Teile gliedern: Im ersten Teil fragt die beratende Person sehr offen, zugewandt und ruhig mit der inneren Haltung: »Ich weiß nicht, worum es geht« und »Ich biete nicht meine Lösungen an und halte mich deshalb mit Vorschlägen und Ratschlägen zurück«. Die besondere Fragetechnik hierfür, das mäeutische Fragen, wird in Kapitel 7 vorgestellt. Ziel dieser offenen Fragen ist es, die ratsuchende Person bei der Selbsterkundung zu unterstützen. Da diese Selbsterkundung Zeit braucht, muss die beratende Person das Gespräch im ersten Teil »entschleunigen«, indem sie sehr ruhig und langsam fragt und auch Nachdenkpausen aushält. Das Ende des ersten Gesprächsteils ist dann erreicht, wenn die ratsuchende Person eine vage Idee entwickelt hat. Hier enden viele Gespräche, da es der beratenden Person klar scheint, wie es weitergeht und was zu tun ist. Der ratsuchenden Person ist die Idee an diesem Punkt des Gesprächs aber oft noch zu unklar, bzw. es stehen noch Hindernisse bei der Umsetzung im Weg. Deshalb muss die Idee im zweiten Teil des Gesprächs konkretisiert und geprüft werden (vgl. Kapitel 9). In diesem Teil kann das Gespräch von Seiten der beratenden Person »beschleunigt« werden: Ein wenig in der Sprechgeschwindigkeit, aber vor allem in der Beschränkung auf das Anliegen. Die eine, noch vage Idee, wird nun in den Blick genommen, geprüft, geplant und nach den notwendigen Ressourcen für die Umsetzung gesucht (vgl. Kapitel 10). Vielleicht wird die erste Idee nach gründlicher Prüfung auch wieder verworfen, auch das gehört zum Prüfen dazu. Trotzdem ist das Gespräch nicht wieder zurück am Anfang, denn eine verworfene Idee macht Platz für eine bessere Idee. Die beiden Teile des Gesprächs können sehr unterschiedlich lang sein: Manchmal besteht der erste Teil nur aus einer einzigen guten Frage, und die Idee ist da und muss im Folgenden konkretisiert und geprüft werden. Manchmal braucht es auch einige Fragen, bis eine Idee entsteht. Und manchmal ist die Idee, wenn sie einmal »geboren« ist, so klar, dass nicht viel konkretisiert und geprüft werden muss und der zweite Teil des Gesprächs daher sehr kurz ist. Wenn du wenig Zeit hast, nimm dir am Anfang viel davon
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Frau D., Referendarin, sagt nach der Stunde zu Herrn K., einem älteren Kollegen: »Ich bin völlig fertig. Die Klasse ist schrecklich.« Teil 1 (entschleunigen): Herr K. wendet sich ihr freundlich zu und fragt ganz ruhig: »Was -erschreckt dich am meisten ↓« Frau D. nach einigen Sekunden des Überlegens: »Der Lärm. Der macht mich völlig fertig … Ich überlege schon lange, ob ich nicht doch erstmal mein Kunststudium fertig mache. Ich bräuchte nur noch ein Jahr. Finanziell würde das funktionieren.« Herr K.: »Angenommen, du machst dein Kunststudium im nächsten Jahr fertig ↓ Was -- dann ↓« Frau D.: »Das ist genau das Problem. Deshalb bin ich ja in die Schule gegangen. Ich habe Sorge, dass ich von der Kunst allein nicht leben kann.« Herr K.: »Was -- möchtest du als erstes fertig machen: das Kunststudium oder das Referendariat ↓« Frau D.: »Das Referendariat. Das wäre ja total dumm, das jetzt abzubrechen, ich bin ja schon dreiviertel durch. Und die Zensuren stimmen auch. Das Kunststudium kann ich immer noch machen.« Teil 2 (beschleunigen): Herr K.: »Was -- hilft dir, das letzte Viertel des Referendariats jetzt -fertig zu machen ↓« Frau D. (überlegt): »Die Aussicht, schon mal einen Abschluss in der Tasche zu haben.« Herr K.: »Diese Aussicht -- den Abschluss in der Tasche -- gegen den Lärm in der Klasse ↓« Frau D. (lächelt): »Vielleicht sollte ich mir ein Bild in meinen Schulplaner legen, von mir mit dem Examen in der Tasche. Und immer, wenn es wieder laut in der Klasse ist, dann schlag ich das auf … Und ich werde auch noch Frau S. fragen, die ist ja Klassenlehrerin in der Klasse, vielleicht hat die noch ein paar Tipps für mich.« Herr K.: »Wann -- wirst du das machen ↓« Frau D.: »Am besten gleich heute.« Herr K.: »Wann -- genau ↓« 34
Grundsätzliches zur Gesprächsführung
Frau D.: »Heute in der Mittagspause. Da ist sie ja auch im Lehrerzimmer. Und das Bild … da mache ich heute Abend eine Fotocollage. Hab’ schon eine Idee.« Herr K.: »Super.«
Die beratende Person kann die Dynamik eines Gesprächs beeinflussen. Sinnvoll ist es, im ersten Teil das Gespräch bewusst zu entschleunigen, um die ratsuchende Person zu entlasten und Räume zum Nachdenken zu eröffnen. Im zweiten Teil kann das Gespräch mit Beschränkung auf das Anliegen wieder beschleunigt werden.
Wenn du wenig Zeit hast, nimm dir am Anfang viel davon
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Wenn der Berater schwitzt, hat er was falsch gemacht – Die ratsuchende Person aktivieren
In Gesprächen kommt es immer wieder zu Situationen, in denen die beratende Person ins »Schwitzen« gerät, weil sie nicht weiß, wie sie reagieren soll, weil das Gespräch stockt oder weil die ratsuchende Person von der beratenden Person eine (schnelle) Lösung ihres Problems erwartet. Oft beginnen solche unangenehmen Situationen mit unscheinbaren Sätzen wie »Sie müssen mir (bitte) helfen!«/»Ich weiß nicht mehr weiter. Was soll ich denn jetzt machen?«/»Können Sie bitte …«. Je nach Betonung können diese Sätze höflich bittend, verzweifelt flehend oder auch fordernd klingen. Im Gespräch entsteht durch diese Art der Gesprächseröffnung eine Asymmetrie zwischen der ratsuchenden Person auf der einen Seite, die sich als »Opfer« sieht und schwach und hilflos fühlt und der beratenden Person auf der anderen Seite, die sich selbst als »Helfer*in« sieht oder von der ratsuchenden Person in diese Rolle gedrängt wird. In Gesprächen zwischen Lehrer*innen und Schüler*innen besteht diese Asymmetrie natürlicherweise aus verschiedenen Gründen: Die Lehrkraft ist älter, hat Berufserfahrung und vermutlich schon viele Schüler*innen beraten. Diese Asymmetrie darf von der beratenden Person nicht geleugnet, sondern muss vielmehr wahrgenommen werden. Im Gespräch geht es dann allerdings darum, die Asymmetrie möglichst auszugleichen oder zumindest nicht zu verstärken. Nur in Notsituationen sind Asymmetrien und Hierarchien sinnvoll und angebracht, wenn z. B. eine Schülerin*ein Schüler panisch, verängstigt oder unter Schock zu einer beratenden Person kommt, weil etwas Schlimmes passiert ist. Da in solchen Situationen das selbstständige Denken und das Treffen von Entscheidungen bei akuten Belastungen oft schwerfallen oder teilweise sogar unmöglich sind, können direkte Interventionen hilfreich sein.6 6 Wer sich ausführlicher mit dem Verhalten in Notsituationen beschäftigen möchte, dem sei das Buch »Notfälle in Schulen. Prävention, Intervention und Nachsorge« (2010, Stumpf + Kossendey) von Dr. Harald Karutz empfohlen. Wenn der Berater schwitzt, hat er was falsch gemacht
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In allen anderen Situationen sollte die beratende Person die Asymmetrie möglichst verlassen, denn ein asymmetrisches Gespräch verstärkt die Hilflosigkeit und Ohnmachtsgefühle der ratsuchenden Person und schwächt sie. Ziel des Gesprächs ist aber eine Stärkung der Selbstwirksamkeit der ratsuchenden Person. Hinzu kommt, dass durch unhinterfragte Übernahme der Asymmetrie beratende Lehrer*innen oft in ein Dilemma geraten: Sie wollen helfen – haben aber anschließend oft den Eindruck, dass sie jetzt die ganze Arbeit machen müssen und die ratsuchenden Personen nur wenig oder nichts tun und letztlich nicht weiterkommen. Ziel ist also nicht, der ratsuchenden Person alles abzunehmen, sondern »Hilfe zur Selbsthilfe« zu leisten und die ratsuchende Person zu aktivieren, sodass eigenständiges Handeln wieder möglich wird. Nur dann erfährt sich die ratsuchende Person als selbstwirksam – und steht nicht in zwei Wochen mit dem nächsten Problem genauso hilflos und passiv da.
Problematisch: Ja, ich helfe dir! Dem Anfang des Gesprächs kommt hierbei eine besondere Bedeutung zu, da hier die »Spielregeln« festgelegt werden. Um der Asymmetrie entgegenzuwirken, sind die ersten Reaktionen der beratenden Person entscheidend: Auf die Aufforderung bzw. die Bitte »Sie müssen mir (bitte) helfen!« sollte man nicht voller Zuversicht »Ja, ich helfe dir!« antworten, sondern deutlich bescheidener fragen: »Wobei genau -- kann ich dir behilflich sein ↓« Viele Lehrer*innen entscheiden sich nett und unterstützend gemeint für die Möglichkeit »Ja, ich helfe dir!«. Auch ein schnell daher gesagtes »Was ist los?« oder »Was kann ich für dich/Sie tun?« wird von der ratsuchenden Person schnell als Einwilligung in ihre Bitte bzw. Aufforderung verstanden. Das Resultat dieser mehr oder weniger ausdrücklich formulierten Einwilligung ist, dass die ratsuchende Person von ihrer Verantwortung entlastet wird und die beratende Person im Gegenzug ein großes Stück dieser Verantwortung übernimmt. In der Konse38
Grundsätzliches zur Gesprächsführung
quenz muss die beratende Person für die ratsuchende Person »arbeiten« und »kommt ins Schwitzen«. Erschwerend kommt hinzu, dass viele Ratsuchende die beratende Person förmlich in diese Rolle hineindrängen. Zum einen, da sie für sich selbst keine Lösung sehen oder es für sie zu anstrengend und zu unangenehm ist, an den eigenen Problemen zu arbeiten. Zum anderen, da das Abgeben der Verantwortung auch ein Schutz ist und die ratsuchende Person so nicht mehr für den Fortgang des Prozesses und auch nicht für das Ergebnis verantwortlich ist (»Herr P. konnte auch nicht helfen …« oder »Frau W. hat gesagt, ich soll …«) Da beratende Personen in der Regel helfen wollen – und das ist ja auch ihre Aufgabe –, nehmen sie diese »Helfer-Rolle« oft gerne und unhinterfragt an. Das führt allerdings leicht dazu, dass die ratsuchende Person zu passiv bleibt und zu wenig Verantwortung übernimmt. Manche beratende Personen, die sich und ihre Möglichkeiten überschätzen, fordern die »Helfer-Rolle« sogar – mehr oder weniger bewusst – heraus, da sie sich von der Anfrage und der ihnen damit zugeschriebenen Kompetenz geschmeichelt fühlen und sich und ihren Selbstwert über die helfende Rolle definieren (»Ich bin wichtig und etwas wert, weil ich gebraucht werde«). Dieses Verhalten führt langfristig leicht zu Überforderung und gesundheitlichen Beeinträchtigungen. Im Beratungsgespräch selbst führt es in der Regel dazu, dass die eigene To-Do-Liste um mindestens einen Punkt länger wird (»Ich muss für Lisa noch mit meiner Kollegin sprechen«). Alle Menschen, die in sozialen Berufen arbeiten (Lehrer*innen, Sozialarbeiter*innen, Pfarrer*innen, Therapeut*innen usw.), sind besonders gefährdet, in diese »Helferfalle« zu tappen. Auf der Seite der ratsuchenden Person führt diese vermeintlich selbstlose und nett gemeinte Fürsorge von beratenden Personen oft zu unheilvollen Abhängigkeiten. Jana, Schülerin eines Gymnasiums, hatte über Jahre hinweg eine gute Beziehung zur Beratungslehrerin Frau N. Mit all ihren Sorgen Wenn der Berater schwitzt, hat er was falsch gemacht
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und Nöten, von denen es in ihrem Leben viele gab, konnte Jana immer zu Frau N. gehen. Diese hatte stets ein offenes Ohr und unterstützte Jana, wo es nur ging. Mit dem Abitur von Jana trennten sich die Wege der beiden. Beim nächsten Problem wusste Jana weder vor noch zurück, da sie über die Jahre hinweg gelernt hatte, ihre Probleme nur mit Hilfe von Frau N. zu lösen. Durch die übermäßige Unterstützung von Frau N. wurde Jana die Chance genommen, zu lernen, ihre Probleme selbstständig und aus eigenen Kräften zu lösen. Im Kopf von Jana hat sich das Muster verankert: »Wenn ich Probleme habe, gehe ich zu Frau N. Sie hat mir immer aus der Patsche geholfen. Aber ohne sie schaffe ich das nicht«. Man kann in diesem Fall von erlernter Hilfslosigkeit sprechen.
Wobei genau -- kann ich dir behilflich sein Die zweite Möglichkeit »Wobei genau -- kann ich dir behilflich sein ↓« klingt zunächst vielleicht ein wenig befremdlich. Hier kommt es – wie eigentlich immer – auf den passenden Ton an. Freundlich und zugewandt gefragt, kann diese Frage verschiedene Dinge bewirken: ȤȤ Zunächst vermittelt die Formulierung »behilflich sein«, dass man grundsätzlich bereit ist, zu helfen bzw. zu unterstützen. Gleichzeitig wird die ratsuchende Person aber nicht aus der Verantwortung entlassen und muss selbst aktiv werden. Der Subtext dieser Frage ist: »Ich bin dir behilflich, aber ich bin nicht ›dein Retter‹. Wir arbeiten gemeinsam.« Negativ könnte man jetzt unterstellen, dass die beratende Person sich der Verantwortung entziehen will. Die positive Formulierung lautet: »Ich traue dir zu, dass du – mit ein wenig Unterstützung – dein Problem selbst lösen kannst!« ȤȤ Neben der Klärung der Verantwortlichkeiten bringt diese Frage und das Wort »genau« die ratsuchende Person auch ins Nachdenken und unterstützt die Klärung des Anliegens »Wobei genau will ich eigentlich Hilfe?« Wenn das Gespräch gut verläuft, wird die ratsuchende Person am Ende des Gesprächs wissen, welchen Schritt sie als nächstes gehen 40
Grundsätzliches zur Gesprächsführung
will. Natürlich hat die beratende Person im Gespräch die ratsuchende Person bei der Findung des nächsten Schrittes unterstützt – und das ist auch gut so. Aber die beratende Person hat das Problem nicht für die ratsuchende Person gelöst. Dies hat zur Folge, dass die Zuschreibung des Erfolgs der ratsuchenden Person selbst gebührt, da sie den überwiegenden Teil der Arbeit geleistet und selbst Verantwortung für sich und ihr Leben übernommen hat. Die ratsuchende Person hat so die Möglichkeit, sich und ihr Tun als selbstwirksam zu erfahren. Für die beratende Person gilt somit der Grundsatz: »Arbeite nie mehr als 50 %!« Als positiver Nebeneffekt ist die Gefahr, »ins Schwitzen zu geraten«, für die beratende Person deutlich geringer, da die Verantwortung bei der ratsuchenden Person liegt. Wenn Frau N., aus dem Beispiel oben, Jana weniger Verantwortung abgenommen hätte, könnte Jana vielleicht rückblickend sagen: »Ja, ich habe in meiner Schulzeit viele Probleme gehabt und Frau N. hat mich unterstützt. Aber die meisten habe ich mit ihrer Hilfe allein lösen können.« Die Art der Beratung hat also auch eine wichtige pädagogische Funktion.
Ja, aber … In einem guten Gespräch kommt es also darauf an, die ratsuchende Person zu aktivieren und ihre Selbstwirksamkeit zu stärken. Reagiert die ratsuchende Person in einem Gespräch mit den Worten »Ja, aber …« ist dies ein wichtiger Hinweis darauf, dass dieses Ziel verfehlt wurde. Gut gemeinte Ratschläge der beratenden Person (»Du könntest doch mal … versuchen«) werden von der ratsuchenden Person oft mit einem »Ja, aber …« gekontert. Durch das »Ja, aber …« wird deutlich, dass die Arbeitsanteile falsch verteilt sind: Die beratende Person zerbricht sich stellvertretend für die ratsuchende Person den Kopf und macht aus ihrer eigenen Lebenswirklichkeit der ratsuchende Person Vorschläge, die für diese jedoch nicht in ihrer Lebenswirklichkeit ohne Weiteres sinnvoll und umsetzbar sind. Um sich aus dieser Falle zu befreien und die Arbeitsanteile anders Wenn der Berater schwitzt, hat er was falsch gemacht
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zu verteilen, versucht die beratende Person, die ratsuchende Person mit einer »guten Frage« zu aktivieren (vgl. Kapitel 7). Aufgabe der beratenden Person ist es, die ratsuchende Person zu aktivieren und ihre Selbstwirksamkeit zu fördern. Die verbale Reaktion der ratsuchenden Person »Ja, aber …« oder körperliche Symptome auf Seiten der beratenden Person wie Schwitzen oder Unwohlsein sind oft Anzeichen dafür, dass die Arbeitsanteile im Gespräch falsch verteilt sind. Für die beratende Person gilt der Grundsatz: »Arbeite nie mehr als 50 %.« Denken Sie an eine Situation aus ihrem schulischen Alltag zurück, bei der Sie einer anderen Person geholfen haben und im Rückblick sagen, Sie haben zu viel Energie und Kraft investiert. Dies kann eine Situation mit Schüler*innen, Kolleg*innen oder auch Referendar*innen sein, für die Sie z. B. stundenlang einen Unterrichtsentwurf korrigiert haben. Überlegen Sie, wie Sie zu dieser Aufgabe gekommen sind und welche Möglichkeiten es gegeben hätte, die andere Person zu unterstützen, aber gleichzeitig auch zu aktivieren. Formulieren Sie schriftlich mögliche Interventionen. Ein Beispielgespräch hierzu finden Sie auf S. 139.
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Grundsätzliches zur Gesprächsführung
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Manchmal sind wir im falschen Film! – Wie der innere Film die Wahrnehmung beeinflusst
Laura (5. Klasse) kommt nach der Stunde zum Lehrer, Herrn S., nach vorne ans Pult: Laura: »Herr S. …« Herr S.: »Ja?« Laura: »Sie können mir ruhig noch eine Aufgabe mehr geben. Ich bin nämlich hochbegabt. Meine Mama hat einen Test mit mir gemacht.«
Welcher »innere Film« läuft in so einer Situation vor dem geistigen Auge eines Lehrers*einer Lehrerin ab?: ȤȤ »Noch eine Hochbegabte. Ich kann es nicht mehr hören. Im letzten Schuljahr hatte ich schon vier angeblich hochbegabte Schüler*innen.« ȤȤ »Also in meinem Unterricht habe ich davon aber noch nicht viel gemerkt.« ȤȤ »Das arme Kind. Die wird wohl zu Hause mächtig unter Druck gesetzt.« ȤȤ »Was das wohl für ein Test war?« ȤȤ »Wie großartig! Da will endlich jemand freiwillig Extraaufgaben haben.« ȤȤ »Na, mit dem Mädchen werden wir noch viel ›Freude‹ bekommen.« ȤȤ »Immer diese schrecklichen Mütter …« ȤȤ »Jetzt soll ich auf die Schnelle auch noch eine Extraaufgabe herzaubern. Dafür habe ich aber keine Zeit.« ȤȤ »Ist das eine Kritik an mir? Will sie mir sagen, dass ich das noch gar nicht gemerkt habe?« ȤȤ »Die will doch nur Aufmerksamkeit.« Schon die Fülle der Antworten zeigt: Es können ganz unterschiedliche Themen und Fragen hinter der Aussage des Mädchens stecken. Einige der »inneren Filme«, die unwillkürlich im Kopf ablaufen, haben konkret mit Laura und/oder ihrer Mutter zu tun. Andere Gedanken beziehen sich auf frühere Erfahrungen mit anderen Kindern und Müttern und wieder andere haben mit der eigenen augenblicklichen Situation zu tun. Entscheidend ist: Der »innere Film« der beratenden Person beeinflusst die Wahrnehmung und somit den Gesprächsverlauf. 44
Grundsätzliches zur Gesprächsführung
Leicht führt er zu Diagnosen, Vorschlägen und Ratschlägen, die an der ratsuchenden Person vorbeigehen. Zudem steht er einem zugewandten Gespräch oft im Weg, da durch die Erfahrungen und auch Phantasien der beratenden Person die Gefahr besteht, die ratsuchende Person vorschnell zu kategorisieren. Denn: Was kann Laura dafür, dass im letzten Jahr schon vier andere Kinder (oder deren Eltern) meinten, hochbegabt zu sein? Viele Lehrer*innen haben Erfahrungen mit »solchen Kindern«, aber hier steht ein konkretes Kind mit seiner ganz persönlichen Lebensgeschichte – und vielleicht mit einer »Not«.
Du sollst dir kein Bild machen Zu einer professionellen Gesprächshaltung gehört es daher, sich nicht vorschnell ein Bild von einer Person und ihren Sorgen oder Problemen zu machen. Spekulationen, Unterstellungen oder gar zu meinen, schon zu wissen, worum es geht, verhindern ein gutes Gespräch. Nützlich im Gespräch ist deshalb die Grundhaltung: »Ich weiß nicht, worum es diesem Menschen jetzt geht.« Diese innere Haltung hilft dabei, zugewandt und frei von Vorannahmen und Vorurteilen zuzuhören. »Innere Filme« sind menschlich und ganz normal. In einem Gespräch professionell damit umzugehen bedeutet, sie zunächst wahrzunehmen und sie dann bewusst beiseitezuschieben, damit sie dem Gespräch nicht im Wege stehen. Im Hintergrund steht das Modell des Konstruktivismus, das – vereinfacht – besagt: Jeder Mensch nimmt die Welt, die »objektive Wirklichkeit« aufgrund seiner ganz persönlichen Erfahrungen, Erlebnisse und Prägungen anders wahr. Jede und jeder erschafft durch seine Wahrnehmung seine eigene subjektive Realität. Eine objektive Sicht ist deshalb quasi nicht möglich. Diese Erkenntnis schützt auch vor Besserwisserei und vorschnellen Ratschlägen, da die Sicht der beratenden Person auf die Welt eine andere als die der ratsuchenden Person ist. Ratschläge der beratenden Manchmal sind wir im falschen Film!
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Person sind somit in der Regel nicht oder nur wenig anschlussfähig in der Welt der ratsuchenden Person. Hilfreich, um nicht dem eigenen inneren Film zu erliegen, ist die oben genannte Grundhaltung (»Ich weiß nicht, worum es geht.«) und – noch radikaler: »Ich verstehe nicht, worum es geht.« Die beratende Person braucht und kann oft das Problem nicht verstehen. Vielmehr hilft sie der ratsuchenden Person, sich selbst besser zu verstehen. Das gelingt, wenn sie sich auf die Worte der ratsuchenden Person konzentriert und mit diesen weiterarbeitet (vgl. Kapitel 6 und Kapitel 7). Das Gespräch von Laura und Herrn S. könnte z. B. mit den folgenden, auf den ersten Blick etwas irritierenden Fragen fortgeführt werden: Laura: »Sie können mir ruhig noch eine Aufgabe mehr geben … Ich bin nämlich hochbegabt. Meine Mama hat einen Test mit mir gemacht.« Herr S. könnte sich Laura nun ruhig zu wenden, sie ansehen und fragen: »Welche Aufgabe möchtest du -- in Ruhe machen ↓« Oder: »Wie -- kannst du deine Gaben -- hier in der Klasse einbringen ↓«
Ich hab so was schon erlebt Ein weiteres Beispiel, wie der »innere Film« ein Gespräch beeinflussen und stören kann: In der Unterrichtsstunde eines Berufskollegs ging es um sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz. Nach der Stunde bleibt die Schülerin Emily noch im Klassenraum und wartet, bis die anderen draußen sind und sagt dann zur Lehrerin, Frau K.: »Ich hab so was schon erlebt.« Und auf die Frage von Frau K.: »Was genau hast du schon erlebt?«, sagt Emily: »Eine Vergewaltigung.« Nun beginnt – verständlicherweise – »der innere Film« der Lehrerin »abzulaufen«, der je nach Lehrerin unterschiedlich sein kann: »Was soll ich dazu sagen? Was muss ich jetzt machen? Die Arme! Da muss sie Anzeige erstatten! Die braucht eine Therapie, da bin ich gar nicht die Richtige. Soll ich mit ihr zur Polizei gehen? …« Und weil die Lehrerin so sehr mit ihren eigenen Fragen beschäftigt und gleichzeitig mitfühlend ist, erkundigt sie sich aus46
Grundsätzliches zur Gesprächsführung
führlich danach, wie es zu der Vergewaltigung kam und was genau passiert ist. Im schlimmsten Fall führt dieses Nachfragen zu einer Retraumatisierung. In diesem konkreten Fall erfuhr Frau K. in einem langen Gespräch viele Einzelheiten. Sie erfuhr, dass Emily sofort Anzeige erstattet hatte, der Mann gefasst und verurteilt wurde und nun im Gefängnis sitzt. Sie erfuhr auch, dass Emily therapeutische Begleitung hatte. Erst zum Schluss des langen Gesprächs kommt Emily dazu, das Problem anzusprechen, weswegen sie die Unterstützung von Frau K. sucht: Ihr Vater lässt sie abends nicht mehr weggehen und möchte sie am liebsten »festketten«– und dass sie doch jung ist und endlich wieder ein normales Leben führen möchte. Die ausführliche Schilderung der Vergewaltigung hätte Frau K. dem Mädchen und auch sich selbst sehr wahrscheinlich ersparen können. Die vielen Fragen nach der Vergewaltigung waren vielleicht gut gemeint, aber sie waren auch übergriffig und haben Emily vermutlich nicht gutgetan. Emily geht es um »das Leben« jetzt. In abgewandelter Form hatte sie schon im ersten Satz dieses Wort benutzt. Noch einmal ein Blick auf den Anfang des Gesprächs: Emily: »Ich hab so was schon erlebt.« Frau K.: »Was genau hast du schon erlebt?« Emily: »Eine Vergewaltigung.« Schon nach diesem kurzen Wortwechsel hätte Frau K. anders intervenieren können und ruhig und zugewandt fragen können: »Und wie -- kannst du jetzt -- leben ↓« Mit dieser offenen Frage hätte Emily selbst entscheiden können, wie es weitergeht und ob und wie viel sie von der Vergangenheit erzählen will. In diesem Fall wäre sie wahrscheinlich sofort zu ihrem eigentlichen Anliegen gekommen, ohne noch einmal über die Vergewaltigung reden zu müssen.
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Professionalität in einem Gespräch bedeutet, den eigenen inneren Film wahrzunehmen und zurückzustellen. Hilfreich ist es, sich ganz auf die Worte der ratsuchenden Person zu konzentrieren und mit diesen weiterzuarbeiten. Herr K. kommt ins Lehrerzimmer. Er ist sichtlich verärgert und spricht einen Kollegen an: »Jetzt haben sie mir auch noch den Simon aus der 6c in den LRS-Unterricht gesteckt. Der stört nur. Alles ist so chaotisch! Ich kann mir schon denken, wer das mit Simon veranlasst hat, wahrscheinlich mal wieder Frau B. Die will mir einen auswischen, weil ich letztens in der Konferenz was Kritisches zu den Förderschülern gesagt habe. Aber wir haben doch gar kein vernünftiges Konzept, was wir mit den Schülern machen sollen. In der Konferenz hat sie ja schon gesagt, dass das allein die Arbeitsgruppe Inklusion entscheidet und dass die einzelnen Fachlehrer nichts dagegen machen können. Ich glaube, die kann mich einfach nicht leiden. Und ehrlich gesagt: ich sie auch nicht. Aber was soll ich jetzt machen, sag du doch mal.« a) Notieren Sie, was Ihnen spontan durch den Kopf geht, wenn Sie Herrn K. reden hören. Nehmen Sie bewusst Ihren »inneren Film« wahr. b) Notieren Sie anschließend weitere »innere Filme«, die anderen Kolleg*innen in dieser Situation durch den Kopf gehen könnten. c) Stellen Sie bewusst alle »inneren Filme« zurück, konzentrieren Sie sich auf die Sprache von Herrn K. und formulieren Sie einige Fragen. Vorschläge dazu finden Sie auf Seite 151.
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Grundsätzliches zur Gesprächsführung
Teil B
Ein gutes Gespräch führen
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Wie die Spitze eines Eisbergs – Die Sprache der ratsuchenden Person nutzen
Was ein Mensch sagt bzw. wie er sich äußert, ist nicht zufällig, sondern hängt eng mit seinem inneren Erleben zusammen, da jeder Mensch eine bevorzugte »Eigensprache« hat. Exkurs: Die Eigensprache – in der Fachsprache Idiolektik – hat in Therapie, Beratung und Coaching eine wichtige Bedeutung (Jonas/Winkler, 2010). Die Eigensprache entsteht, da es unterschiedliche Bereiche im Gehirn gibt. Früher sprach man von der linken Gehirnhemisphäre, die für digitale, kleinschrittige, logische, analytische, präzise und abstrakte Prozesse zuständig sei. Diesem Bereich im Gehirn wurde auch die Sprache zugeordnet. Seit einiger Zeit weiß man, dass auch die rechte Gehirnhemisphäre (der analoge, ganzheitliche, bildhafte, intuitive, kreative, assoziative Teil) viel zu dem beiträgt, was ein Mensch sagt. Ob ein Mensch sagt: »ich stecke fest« oder »ich weiß nicht mehr weiter« oder »ich sehe keinen Weg mehr« – liegt sachlich eng beieinander, wird jedoch im inneren Erleben der Person ganz unterschiedlich wahrgenommen. Aufgabe der beratenden Person ist es deshalb, genau hinzuhören, gerade beim »Geplauder«, denn die »Eigensprache [der ratsuchenden Person] wird alles das prägen, was er sagt.« (Jonas/Winkler, 2010, S. 26).
Wie ein Mensch sich äußert, ist wie die sichtbare Spitze eines Eisberges – nur etwa 15 % sind sichtbar und etwa 85 % sind unsichtbar unter Wasser. Die Sprache, das, was wir sagen, sind diese 15 %. Die anderen 85 % sind das innere Erleben, der innere Dialog, die Vorerfahrungen und Geschichten, die die ratsuchende Person in sich trägt. Entscheidend ist, dass der Eisberg ein Ganzes ist, der sichtbare Teil also mit dem nicht sichtbaren Teil zusammenhängt. Wenn die beratende Person nun an die Sprache der ratsuchenden Person andockt, kann diese in die eigene Tiefe gelangen, da ihre Sprache die »Verdichtung der zugrunde liegenden Wirklichkeit« (Krüger, 2010, S. 35) ist.
Wie die Spitze eines Eisbergs
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Eine Lehrerin kommt in der Freistunde auf einen Kollegen zu und sagt: »Hast du mal kurz Zeit zum Reden? Ich hatte gestern eine Stunde in der 8c. Vivien und Charleen, die zerlegen mir echt den Unterricht. Jede Stunde. Die beiden quatschen die ganze Zeit und arbeiten nicht mit. Ich komme überhaupt nicht richtig zum Unterrichten. Ich muss mich immer um die beiden kümmern. Und den anderen geht das auch schon auf die Nerven. Mir ist das richtig unangenehm. Aber ich weiß nicht, was ich mit den beiden machen soll.«
Reaktionen auf solch eine Ansprache sind häufig: »Erzähl mal, was ist denn genau passiert«/»Ach, die beiden mal wieder. Die musst du einfach ignorieren, dann hören die schon von allein auf«/»Am besten, du setzt die beiden auseinander«. Diese »üblichen Reaktionen« führen oft zu ausführlichen Erzählungen der Kolleg*innen oder sich im Kreis drehenden Erklärungen. Sprich: Sie führen nicht weiter.
Klarmachen zum Andocken! Zielführender ist es, wenn die beratende Person an der Sprache der ratsuchenden Person anknüpft und sie dadurch unterstützt, sich und ihre Ideen und Möglichkeiten selbst zu erkunden. So kann die ratsuchende Person für sich klären, worum es ihr eigentlich geht und auch, welche Ressourcen und Lösungen ihr weiterhelfen. Die Lehrerin bietet hierzu in ihrer Sprache eine Fülle von »AndockMöglichkeiten«: ȤȤ Lehrerin: »Hast du mal kurz Zeit zum Reden?« Kollege: »Worüber genau willst du jetzt -- mit mir reden ↓« ȤȤ Lehrerin: »Ich muss mich immer um die beiden kümmern.« Kollege: »Worum -- willst du dich jetzt -- kümmern ↓« oder »Was -- macht dir am meisten Kummer ↓« ȤȤ Lehrerin: »[…] die zerlegen mir echt den Unterricht.« Kollege: »Worauf legst du Wert in deinem Unterricht ↓« ȤȤ Lehrerin: »Ich komme überhaupt nicht richtig zum Unterrichten […] Mir ist das richtig unangenehm.« Kollege: »Wie wird es für dich -- wieder richtig ↓« 52
Ein gutes Gespräch führen
Durch das sprachliche Andocken signalisiert die beratende Person sehr deutlich »Ich habe dir zugehört« und die ratsuchende Person spürt (oft deutlicher, als dass es ihr bewusst ist) »Mein Gegenüber hat mir genau zugehört und mich verstanden«. Außerdem wird die ratsuchende Person nicht abgelenkt von fremden Einträgen und muss sich nicht um das Verstehen der Worte der beratenden Person kümmern. Sie muss nichts erklären, sich nicht rechtfertigen oder etwas zurückweisen, sondern kann an dem eigenen Thema und den eigenen Überlegungen weiterdenken und -arbeiten. Wichtig: Die kommentierenden Worte, die Worte, in denen die ratsuchende Person von sich selbst, ihren Gefühlen, Sorgen und Ängsten spricht (»Die zerlegen mir …«/»Ich muss mich immer um die beiden kümmern«/»Mir ist das richtig unangenehm«/»Ich weiß nicht …«), sind der ideale Punkt zum Andocken. Nicht weiterführend ist es dagegen, an Worten anzudocken, die den Konflikt schildern (z. B. »Die quatschen die ganze Zeit«), denn das führt weiter in den Konflikt hinein, der die ratsuchende Person ja gerade ratlos oder wütend macht oder gar lähmt. Oft ist es beim Andocken hilfreich, Worte »anzupassen«, das heißt, aus Verben Adjektive oder Nomen zu machen oder umgekehrt (Lehrerin: »Ich muss mich immer um die beiden kümmern.« Kollege: »Was macht dir am meisten Kummer ↓«) oder auch nur Wortteile zu nutzen (Lehrerin: »[…] die zerlegen mir echt den Unterricht.« Kollege: »Worauf legst du -- Wert in deinem Unterricht ↓«). Diese Veränderungen irritieren und verstören die ratsuchende Person – und das ist hilfreich, denn Irritation und Verstörung führen zum Nachdenken. Da jedoch weiterhin die »Eigensprache« der ratsuchenden Person genutzt wird, ist die Verstörung nicht so stark, dass die ratsuchende Person sich nicht mehr verstanden fühlt. Da die Wortwahl der ratsuchenden Person nicht zufällig ist, führen Worte mit ähnlicher Bedeutung wie z. B. »Was stört dich am meisten?« nicht weiter. Grund dafür ist, dass die ratsuchende Person so Wie die Spitze eines Eisbergs
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nicht in die eigene Tiefenstruktur gelangt, die 85 % des Eisberges, die unter Wasser sind. Genau dort, in der eigenen Tiefenstruktur, liegen aber »die Schätze« verborgen, die die ratsuchende Person braucht, um aktiv zu werden und einen Weg für sich zu suchen, zu entdecken und ihn auch zu gehen. Deutlich wird die Bedeutung der Eigensprache an folgendem Beispiel: Wenn drei Menschen zu den Worten »Freiheit«, »Krankheit« und »Glück« Assoziationen aufschreiben, wird schnell ersichtlich werden, dass jede*r etwas ganz anderes mit diesen Worten verbindet. Das bedeutet, dass man nicht davon ausgehen kann, dass alle Menschen dasselbe meinen, wenn sie von Freiheit, Krankheit oder Glück reden. Daraus ergibt sich, dass die beratende Person nicht weiß, wie die Worte der ratsuchenden Person zu verstehen sind. Deshalb ist es wichtig, die Sprache der ratsuchenden Person »zu nutzen«, sie ihr zu belassen und sie so selbst finden zu lassen, was in ihrem inneren Gespräch ansteht. Durch das Nutzen der Sprache wird auch eine große Wertschätzung der ratsuchenden Person ausgedrückt, die von ihr meist nur gefühlt und unbewusst wahrgenommen wird.
Mit sich selbst stimmig werden Oft hat eine ratsuchende Person, lange bevor sie eine andere um Rat fragt, das Problem schon hin und her gewälzt und ein inneres Gespräch geführt (»Soll ich das tun oder jenes?«/»Was oder wer könnte mir helfen?«). Im inneren Gespräch hat sie die eigene Meinung, Wahrheit und Sichtweise beständig hinterfragt. Da die ratsuchende Person allein nicht weiterkommt, spricht sie eine andere Person an. Für das Gespräch sucht sie nach Worten, nach Sprache für das, was sie beschäftigt. Allerdings machen Menschen auch die schmerzliche Erfahrung, dass sie nicht die richtigen Worte finden und dass sie nicht in Worte fassen können, was sie bewegt. Außerdem erleben sie, dass sie »nicht stimmig« – nicht im Einklang mit sich selbst – sind.
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Ein gutes Gespräch führen
Ziel eines Beratungsgesprächs ist es, dass die ratsuchende Person wieder sprachfähiger im eigenen, inneren Gespräch wird. Das bedeutet sowohl, dass sie sich selbst wieder besser versteht (»mit sich selbst stimmig wird«) als auch, dass sie sich anderen Menschen verständlich machen kann. Dieses Selbst-Verstehen wird für die ratsuchende Person die Situation verändern und sie aktivieren. Impulse von außen können helfen, das festgefahrene innere Gespräch wieder in Gang zu bringen. Wichtig ist, wahrzunehmen, dass das innere Gespräch auch im Beratungsgespräch weitergeht. Deshalb muss die beratende Person der ratsuchenden Person genug Raum und Zeit geben, das innere Gespräch zu führen. Das bedeutet, sie nicht durch neue Fragen zu unterbrechen und »Nachdenkpausen« auszuhalten (vgl. Kapitel 8). Nutzt die beratende Person die Worte bzw. die Sprache der ratsuchenden Person, ermöglicht sie der ratsuchenden Person, die eigene Tiefenstruktur zu erkunden und so neue Möglichkeiten und Perspektiven zu entdecken, die in ihr selbst liegen. Hilfreich ist es, nicht an Worten zum Konflikt oder Problem anzudocken, sondern an den Selbstaussagen bzw. den persönlichen Kommentaren zur Konfliktschilderung. Unterscheiden Sie im folgenden Beispiel zwischen Konfliktschilderung und persönlichen Kommentaren. Unterstreichen Sie die Kommentare. Knüpfen Sie dann sprachlich an die Kommentare mit einer Frage an. Der Schüler Marco, 18 Jahre, kommt zum Lehrer ins Beratungszimmer: »Kann ich Sie mal was ganz anderes fragen? Das passt hier eigentlich nicht so richtig hin. (Marco wartet ab. Als der Lehrer nickt, spricht er weiter.) Es geht um meine Freundin – und ihre Eltern. Wissen Sie, seit drei Monaten bin ich mit ihr zusammen, und sie ist erst 15. Aber mir ist es dieses Mal richtig ernst. Also: Ihre Eltern haben ihr verboten, mich zu treffen, weil wir beim ersten Treffen zu spät nach Hause gekommen sind. Aber ich wusste das gar nicht, dass sie schon um acht Uhr zu Hause sein sollte, das hatte sie mir Wie die Spitze eines Eisbergs
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nicht gesagt. Und dann waren die Eltern wohl total sauer, besonders der Vater, der scheint richtig streng zu sein. Wir treffen uns seitdem heimlich, meistens in S. (der Nachbarstadt). Das ist doch kein Zustand so. Ich hab schon überlegt, am liebsten würde ich da einfach mal auftauchen und mich der Mutter vorstellen. Dann würde sie ja sehen, dass ich kein Chaot bin. Aber meine Freundin will das nicht. Jetzt haben wir uns schon mehrmals darüber gestritten. Manchmal frage ich mich, ob es ihr auch wirklich ernst mit mir ist. Warum sonst macht sie so eine Heimlichtuerei? Ich hab sie auch schon gefragt, aber sie sagt, dass es ist ihr ernst ist. Sie hat nur Angst vor ihrem Vater.« Vorschläge dazu finden Sie auf Seite 151 f.
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Ein gutes Gespräch führen
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Das ist eine gute Frage – Fragen als Geburtshelfer
Fragen sind das wichtigste Instrument der beratenden Person, um ein Gespräch »zu führen«. Unerlässlich für eine gute Gesprächsführung ist es daher, sich die unterschiedlichen Fragemöglichkeiten zu verdeutlichen und zu bedenken, wie Fragen wirken bzw. was sie bewirken. Eine Referendarin ruft bei der Ausbildungslehrerin mit Tränen in der Stimme an: »Kann ich Sie mal kurz sprechen? Nicht als Ausbildungslehrerin. Ich muss einfach mal mit jemandem sprechen und brauche einen Rat. Ich habe mich so geärgert über Nadine, Sie wissen schon, die andere Referendarin. Die will meine Klasse für ihre Lehrprobe haben. Und sie hat das auch schon alles mit dem Ausbildungs koordinator festgemacht, dass sie in der 9c ihre nächste Lehrprobe macht. Zu mir hat sie nur gesagt, ich könnte doch auch mal in einer anderen Klasse meine nächste Lehrprobe machen, ich hätte doch noch andere gute Klassen. Aber ich hatte doch schon alles geplant für die 9c. Der Unterrichtsbesuch sollte in drei Wochen sein.«
Die Ausbildungslehrerin hat nun verschiedene Möglichkeiten, Fragen zu stellen. Sie könnte der Referendarin geschlossene Fragen, Informationsfragen oder Fragen zu Ursache und Wirkung stellen. Allerdings führen diese Fragetypen im Gespräch oft nicht weiter und sollten daher vermieden werden. Im Sinne einer Negativabgrenzung werden sie im Folgenden dennoch skizziert.
Geschlossene Fragen Geschlossene Fragen sind Fragen, die mit »Ja« oder »Nein« beantwortet werden können. Die Ausbildungslehrerin könnte beispielsweise fragen: »Haben Sie schon mit dem Ausbildungskoordinator gesprochen?« oder »Haben Sie jetzt Streit mit Nadine?« Auf diese Fragen würde die Referendarin wahrscheinlich ohne nachzudenken mit »Ja« oder »Nein« antworten. Die Wirkung von geschlossenen Fragen ist, dass die ratsuchende Person schnell mit ihrer Antwort »fertig« ist und dann die beratende Person sofort die nächste Frage stellen muss. Die ratsuchende Person wird durch diese Fragen nicht aktiviert oder gefordert. 58
Ein gutes Gespräch führen
Ähnliche Situationen kennen viele Lehrer*innen auch aus Gesprächen mit Schüler*innen: Man selbst »arbeitet«, versucht mit immer neuen Fragen, Vorschlägen und Impulsen der ratsuchenden Schülerin*dem ratsuchenden Schüler zu helfen, während diese*r passiv bleibt und »ja«, »nein« oder »weiß nicht« sagt.
Informationsfragen Informationsfragen bewirken, dass die ratsuchende Person weitere Details erzählt. Stellt die Ausbildungslehrerin die Frage: »Was hat Ihre Mitreferendarin denn genau gesagt?« oder »Wie viele Stunden haben Sie in der 9c denn schon vorbereitet?«, wird die Referendarin weitere Einzelheiten schildern. Informationsfragen werden oft gestellt, wenn die beratende Person das Problem im Detail verstehen, »übernehmen« und lösen will. Dies sollte aber vermieden werden, da die ratsuchende Person Expertin ihres Problems ist und auch bleiben sollte. Da die Antworten auf Informationsfragen in der Regel »das Problem« auch erweitern, besteht zudem die Gefahr, dass sich die ratsuchende Person in die Situation »hineinsteigert« und die beratende Person Mühe hat, die »Eskalation« zu stoppen. Ebenso wie bei geschlossenen Fragen muss auch bei Informationsfragen die ratsuchende Person nicht oder nur sehr wenig nachdenken. Da die Frage bei der ratsuchenden Person keinen neuen Denkprozess auslöst, antwortet sie in der Regel schnell.
Fragen zu Ursache und Wirkung Fragen zu Ursache und Wirkung sind in Gesprächen ebenfalls wenig hilfreich, da sie das Problem vertiefen: »Warum ist es Ihnen denn so wichtig, in der 9c ihre nächste Lehrprobe zu machen?« Jetzt könnte die Referendarin beginnen, von ihren Prüfungsängsten zu erzählen, von ihrer bevorstehenden Hochzeit und den vielen Vorbereitungen oder dem Stress und dem Erwartungsdruck im Referendariat im Allgemeinen. Mit Fragen zu Ursache und Wirkung kommen die Gesprächspartner vielleicht dem Problem auf den Grund, aber oft der ProblemDas ist eine gute Frage
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lösung keinen Schritt näher, da das Erkennen der Ursache oft noch keine Lösung generiert. Leicht kommen durch diese Fragen auch die Kategorien »Schuld« und »Fehler« ins Gespräch hinein, was deutlich wird, wenn sich die ratsuchende Person erklärt, entschuldigt und für ihr Anliegen rechtfertigt.
Mäeutische Fragen Hilfreiche Fragen hingegen sind öffnende, sogenannte systemische Fragen, die neue Möglichkeiten erkunden, die ratsuchende Person zum Nachdenken anregen und sie gleichzeitig aktivieren. Eine besondere Form der systemischen Fragen sind die mäeutischen Fragen. Die Mäeutik ist die Hebammenkunst. Die Rolle der beratenden Person ist in diesem Bild die einer »Hebamme«, die ratsuchende Person ist die »Gebärende«. Kern des mäeutischen Fragens ist die Überzeugung, dass hilfreiche neue Perspektiven und Lösungen in der ratsuchenden Person bereits selbst vorhanden sind und dass diese durch Fragen »geboren« werden und »das Licht der Welt« erblicken können. Die beratende Person kann nicht »die Geburt« übernehmen. Sie kann aber die ratsuchende Person während des Prozesses unterstützen. Etwas bescheidener ausgedrückt: Mit einem mäeutischen Impuls versucht die beratende Person, wieder Bewegung in festgefahrene Denkmuster oder Situationen zu bringen. Das mäeutische Fragen ist eine sehr alte Fragekunst, entwickelt und auch so genannt wurde sie von dem griechischen Philosophen Sokrates (469–399 v. Chr.), dessen Mutter Hebamme war. Wie einer Hebamme lag Sokrates daran, die »Wahrheit« oder einfach neue Einsichten und Erkenntnisse im Gespräch bzw. im Dialog zur Welt zu bringen. Es ging ihm darum, für selbstverständlich oder unumstößlich gehaltene Sichtweisen kritisch zu hinterfragen und sein Gegenüber durch die Art der Fragen ins Nachdenken und Überdenken zu bringen.
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Ein gutes Gespräch führen
Mäeutische Fragen helfen der ratsuchenden Person, sich selbst zu erkunden und sich selbst wieder besser zu verstehen. Da die beratende Person nicht weiß, welche »Schätze« in der ratsuchenden Person verborgen sind, kennt sie folglich auch nicht schon vorher die Antwort. Ein 18-jähriger Schüler aus dem Berufskolleg sagt seiner Lehrerin bei der Besprechung der Zensur, über die er unzufrieden ist: »Ich bin oft so lustlos, wenn ich mich ans Lernen setzen will. Und darum bin ich so schlecht in der Schule.«
Wenn die Lehrerin nun die geschlossene Frage »Und das wollen Sie jetzt ändern?« stellt, wird der Schüler wahrscheinlich schnell und ohne nachzudenken mit »Ja« antworten. Die Frage, wie er sein Verhalten ändern kann, ist damit noch nicht beantwortet. Mäeutische Fragen, die die Lehrerin stellen könnte und die den Schüler ins Nachdenken bringen, sind: ȤȤ »Wie ist das, wenn du dich -- mit Lust -- an etwas setzt ↓« ȤȤ »Wofür -- ist die gut, deine Lustlosigkeit ↓« ȤȤ »Wie lange willst du so -- lustlos -- weiterlernen ↓« Auf viele Menschen wirken mäeutische Fragen auf den ersten Blick fremd und gewöhnungsbedürftig, da sie im Alltag wenig genutzt werden. Da sie das Ziel, eine Person ins Nachdenken zu bringen und neue Perspektiven auf einen Sachverhalt zu eröffnen, wie keine andere Art des Fragens ermöglichen, sind sie für gute Gespräche bestens geeignet und unerlässlich. Um eine Atmosphäre des Nachdenkens zu fördern und das Drängende aus den Fragen zu nehmen, senkt sich die Stimme am Ende der Frage. Auch langsames Sprechen und bewusste Pausen unterstützen, dass die ratsuchende Person zum Nachdenken angeregt wird (vgl. Kapitel 8). Folgende Merkmale kennzeichnen mäeutische Fragen: ȤȤ Sie helfen der ratsuchenden Person dabei, sich selbst zu erkunden und sich selbst (wieder) besser zu verstehen. Das ist eine gute Frage
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Eine Mutter sagt über ihren 12-jährigen Sohn im Gespräch mit der Lehrerin: »Ich komme überhaupt nicht mehr an ihn heran.« Lehrerin: »Wie nah genau -- lässt ihr Sohn Sie an sich herankommen ↓« Oder: »Wie nah -- möchten Sie Ihrem Sohn kommen ↓«
ȤȤ Sie sind einfach, kurz und konkret, keine Doppelfragen und nicht verschachtelt. Eine 16-jährige Schülerin erzählt von der Trennung ihrer Eltern und beendet ihre Schilderung mit den Worten: »Ich kann das nicht verstehen.« Nicht: »Wenn du es verstehen würdest, was würde das für dich ändern, oder meinst du, dass es überhaupt etwas für dich ändern würde?« Stattdessen: »Was genau -- möchtest du verstehen ↓«
ȤȤ Sie richten den Blick auf die Möglichkeiten (und nicht auf das, was gerade nicht geht) und sind zukunftsorientiert. Sie orientieren sich an den Ressourcen der ratsuchenden Person. Eine erkundigende Frage mit Blick auf Ressourcen zum letzten Beispiel: »Wer -- kann dir helfen, das zu verstehen ↓« Wenn die Schülerin daraufhin sagt: »Niemand«, kann die Lehrerin mit den zwei kleinen Worten: »Was -- dann ↓« behutsam den Blick nach vorne richten und mit der Schülerin nach Alternativen suchen.
ȤȤ Sie bringen die ratsuchende Person ins Nachdenken. Wenn ratsuchende Personen, ohne überlegen zu müssen, sofort antworten, dann erzählen sie »Altes«, schon Dagewesenes, schon Bedachtes – was sie aber nicht weitergeführt hat. Wenn sie stocken, überlegen, nachdenken, dann entsteht Neues. Das folgende Beispiel (Möhring in: Lohse, 2013, S. 173 f.) zeigt, wie mäeutische Fragen die ratsuchende Person dabei unterstützen, einen eigenen Weg zu finden. Tim (3. Klasse) war zum Schulleiter geschickt worden, um eine Auseinandersetzung, die sich an diesem Vormittag in der Schule 62
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abgespielt hatte, zu klären. Nach der Aussprache wird Tim vom Schulleiter ermahnt und die beiden verabschieden sich. Der Schulleiter will sich wieder seinen Papieren zuwenden, aber Tim geht noch nicht, sondern ergreift die »günstige Gelegenheit« und sagt: »Kann ich Ihnen noch was erzählen?« Schulleiter (ist gedanklich schon wieder bei seinen Papieren): »Hm …« Tim: … Der Schulleiter merkt, dass Tim auf etwas wartet, und wendet sich ihm mit voller Aufmerksamkeit zu. Schulleiter: »Was -- willst du mir erzählen ↓« Tim: »Ich weiß ja, dass ich Scheiße gemacht habe.« Schulleiter wartet ab. Tim: »Ich hab aber auch nie Ruhe.« Schulleiter (ruhig und mit Pausen): »Wozu -- hast du nie Ruhe ↓« Tim: »Alle zerren immer an mir herum!« Schulleiter: »Wer -- zerrt immer an dir herum ↓« Tim: »Mama und Papa. Die streiten sich immer. Ich stehe immer dazwischen. Und Papa glaubt immer nur seiner Freundin. Neulich hat sie Wasser in mein Bett gekippt und gesagt, ich hätte ins Bett gemacht. Und dann hat sie meinen Nintendo weggenommen. Den will ich wiederhaben.« Schulleiter: »Wo möchtest du in Ruhe steh’n ↓« Tim: »Ich möchte in Ruhe mit Papa sein.« Schulleiter: »In Ruhe mit Papa -- wann ist das ↓« Tim: »Weiß nicht – Papas Freundin ist ja immer da – außer mittwochs vielleicht. Da muss die länger arbeiten. Aber mittwochs bin ich bei Mama.« Schulleiter: »Mittwochs zu Papa. Ohne die Freundin. Endlich Ruhe haben. Mit wem musst du darüber reden ↓« Tim: »Mit Mama. Und mit Papa.« Schulleiter: »Mit wem redest du zuerst ↓« Tim: »Mit Mama.« Schulleiter: »Was erzählst du deiner Mama ↓« Tim: »Dass ich nicht mehr bei Papa übernachten will. Und dass ich nur in Ruhe mit ihm alleine sein will. Und dass das nur mittwochs geht.« Das ist eine gute Frage
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Wenige Tage später kommt Tim erneut zum Schulleiter und berichtet, dass seine Mutter sich auf eine Neuregelung der Besuchszeit eingelassen hat. In einem zweiten Gespräch wird das Gespräch mit dem Vater vorbereitet.
Mäeutische Fragen bringen die ratsuchende Person ins Nachdenken und unterstützen sie dabei, neue Möglichkeiten zu erkunden. Sie sind in die Zukunft gerichtet und kurz und präzise formuliert. Formulieren Sie mäeutische Fragen für folgende Situation. Knüpfen Sie dabei möglichst auch sprachlich an. Isabella, 16 Jahre, sagt zur Lehrerin in einem Beratungsgespräch, in dem es um Schwierigkeiten zu Hause im Zusammenhang mit ihrem Freund Marvin geht: »Marvin ist eben außergewöhnlich. Meine Eltern haben voll das Problem damit, dass wir zusammen sind. Sie sehen überhaupt nicht, was für ein toller Mensch er ist und dass wir uns lieben. Ständig versuchen sie, ihn mir auszureden, aber das können sie sich abschminken. Am liebsten würde ich einfach ausziehen.« Vorschläge dazu finden Sie auf Seite 152.
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Der Ton macht die Musik – Das Paraverbale bewusst nutzen
Der Kommunikationswissenschaftler Paul Watzlawick bringt es im ersten Axiom seiner Kommunikationstheorie treffend auf den Punkt: »Man kann nicht nicht kommunizieren.« (Watzlawick/Beavin/ Jackson, 1974, S. 53) Jedes Verhalten, egal ob jemand redet, schweigt, erschöpft guckt, schwer beladen ist oder wartend mit dem Schlüssel in der Hand an der Tür steht, hat kommunikative Funktion und teilt dem Gegenüber eine Botschaft mit. Während Lehrer*innen in ihrer Ausbildung gelernt haben, sich über die verbalen und nonverbalen Anteile ihrer Kommunikation und deren Wirkung auf andere viele Gedanken zu machen (Was sage ich? Welchen Impuls setzte ich? Wie und wo stehe ich im Klassenraum? Was mache ich mit meinen Armen und Händen?), wird dem paraverbalen Aspekt der Kommunikation häufig wenig Beachtung geschenkt. Das Paraverbale (griechisch: bei/neben der Sprache) bezeichnet die Art und Weise zu sprechen und eröffnet zahlreiche Variationsmöglichkeiten, die in Gesprächen bewusst genutzt und eingesetzt werden können: ȤȤ Sprechtempo: Wann spreche ich langsam, wann schnell? Wann lasse ich Pausen? ȤȤ Lautstärke: Wann spreche ich laut, wann leise? ȤȤ Stimmlage: Wann spreche ich mit hoher, wann mit tiefer Stimme? ȤȤ Artikulation: Wie spreche ich klar und deutlich? ȤȤ Sprachmelodie: Wie spreche moduliert? Welche Worte oder Satzteile betone ich besonders? Die Art und Weise, wie Worte und Sätze gesprochen werden, sagt viel darüber aus, wie der Inhalt aufzufassen ist und in welcher Beziehung die Gesprächspartner*innen zueinanderstehen. Da jede Kommunikation einen Inhalts- und Beziehungsaspekt hat und diese untrennbar miteinander verbunden sind, führt eine mangelnde Stimmigkeit zwischen beiden häufig zu Missverständnissen und Störungen im Kommunikationsprozess.
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Am Ende einer Unterrichtsstunde in der 8. Klasse kramt Jonas, ein ruhiger Schüler der Klasse, so lange in seinem Rucksack, bis seine Mitschüler*innen den Raum verlassen haben und er alleine mit dem Lehrer, Herrn W., im Raum zurückbleibt. Herr W. wartet mit dem Schlüssel in der Hand und seiner schweren Ledertasche über der Schulter bereits an der Klassentür. Er ist etwas genervt und erschöpft, da die Stunde unruhig und anstrengend war. Jonas: »Herr W., ich möchte Sie noch was fragen.« Herr W.: »Was genau möchtest du mich fragen?« Jonas: »Also, ich weiß nicht …«
Je nachdem, wie Herr W. den Satz »Was genau möchtest du mich fragen?« spricht bzw. betont, entfaltet er völlig andere Bedeutungen: Schnell und im genervten, vielleicht sogar scharfen Ton gesprochen, fühlt sich Jonas wahrscheinlich getrieben, schnell seine Frage vorzubringen. Vielleicht kommt er aber auch spontan zu dem Entschluss, dass Herr W. doch nicht der richtige Gesprächspartner oder jetzt nicht der richtige Zeitpunkt für ein Gespräch mit ihm ist. Die für Jonas zunächst günstige Gelegenheit für ein Gespräch kann durch eine bestimmte Betonung – manchmal auch unbeabsichtigt – zunichte gemacht werden. Spricht Herr W. den gleichen Satz hingegen langsam, konzentriert und mit ruhiger Stimme und schaut er Jonas dabei an, signalisiert er ihm, dass er jetzt für ihn da ist. Zudem traut sich Jonas dann, sich mit seiner Antwort Zeit zu lassen, da auch Herr W. sich Zeit nimmt. Um Ruhe in ein Gespräch zu bringen, ist es sehr wirksam, die Stimme am Ende einer Frage zu senken. Für Menschen deutscher Muttersprache ist diese Art zu fragen sehr ungewohnt, da sie gelernt haben, am Ende einer Frage die Stimme zu heben. Das Abstellen der schweren Tasche oder das Wegstecken des Schlüssels können auf der Ebene des Nonverbalen weitere, hilfreiche Signale sein.
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Was genau -- möchtest du mich fragen Das bewusste Einsetzen der paraverbalen Möglichkeiten verändert auch die Bedeutung einer Nachricht. Der zunächst unscheinbare Satz »Was genau möchtest du mich fragen?« kann so folgende Bedeutung entfalten: Langsam und konzentriert gesprochen mit einer bewussten Pause hinter dem Wort »genau« entfaltet diese Frage eine ganz andere Wirkung: Die ratsuchende Person muss sich dadurch fokussieren und kommt ins Nachdenken, worum es ihr genau geht. »Was genau -möchtest du mich fragen ↓« Fragt die beratende Person ruhig und zugewandt, hat die ratsuchende Person zudem die Möglichkeit, sich mit Hilfe der beratenden Person zu beruhigen. In der Fachsprache spricht man von Ko-Regulation (Haupt-Scherer, 2016, S. 21). Besonders hilfreich ist die Ko-Regulation auch bei Gesprächen mit Eltern, die aufgebracht sind. Schafft es die beratende Person in einer solch angespannten Situation, die Ruhe zu bewahren, wird das Gespräch eine völlig andere Wendung nehmen, als wenn sie ebenfalls empört oder aufgebracht reagiert (vgl. Kapitel 15). Voraussetzung für eine beruhigende Ko-Regulation ist allerdings, dass das Gegenüber als »klüger, weiser und stärker« angesehen wird. Wenn die beratende Person zu sehr Teil des Problems ist, ist diese Voraussetzung in der Regel nicht gegeben.
Reden ist Silber, Schweigen ist Gold Hat die beratende Person eine gute Frage gestellt oder einen guten Impuls gesetzt und so die ratsuchende Person ins Nachdenken gebracht, ist es nötig, die im Folgenden entstehende Pause auszuhalten – auch wenn dies im häufig turbulenten Schulalltag schwerfällt. Die Pause benötigt die ratsuchende Person zum Nachdenken, da Gedanken, die noch nicht gedacht wurden, naturgemäß Zeit benötigen. Die Frage zu wiederholen oder zu paraphrasieren – wie es in Gesprächen oft passiert –, ist zwar gut gemeint, aber in den seltens68
Ein gutes Gespräch führen
ten Fällen produktiv, da die ratsuchende Person in ihrem Denkprozess gestört oder dieser sogar ganz unterbrochen wird. Manche ratsuchenden Personen machen es der beratenden Person leicht, indem man ihnen quasi ansieht, dass und wie sie denken: Sie gucken gedankenversunken aus dem Fenster oder der Blick wirkt entspannt und zugleich nachdenklich. Von der beratenden Person ist in dieser Situation Geduld gefragt, diese Pause auszuhalten, da gemeinsames Schweigen eine wichtige und klärende Funktion hat und zudem sehr kostbar für die Beziehung ist. Hilfreich für die beratende Person ist es außerdem, sich zu verdeutlichen, dass sich Pausen in der eigenen, subjektiven Wahrnehmung oft deutlich länger »anfühlen« als sie in der subjektiven Wahrnehmung der ratsuchenden Person sind. Gedanken, ob eine Frage verständlich war, müssen sich beratende Personen bei Pausen in der Regel nicht machen, da ratsuchende Personen meistens nachfragen, wenn sie etwas nicht verstanden haben (»Wie meinen Sie das?«/»Ich verstehe Ihre Frage nicht.«) oder die beratende Person fragend anblicken. Beratende Personen sollten sich bei alledem nicht wundern oder verunsichern lassen, falls die Antwort auf eine Frage nach einer Pause völlig anders ausfällt, als sie es erwartet haben. Die ratsuchende Person hat wahrscheinlich einen inneren Dialog geführt, den die beratende Person nicht verfolgen konnte. Die beratende Person arbeitet an der Stelle weiter, an der die ratsuchende Person nun angekommen ist. Das Anknüpfen an der Sprache der ratsuchenden Person ist hierfür wieder eine große Hilfe. Die beratende Person spricht langsam, konzentriert und ruhig, um Ruhe in das Gespräch zu bringen. Das Senken der Stimme am Ende einer Frage ist hierfür ebenfalls hilfreich. Pausen zwischen einzelnen Worten werden bewusst gesetzt, da sie »die Botschaft« eines Satzes verändern können. Kommt die ratsuchende Person ins Nachdenken und antwortet deshalb nicht sofort, darf die beratende Person das Nachdenken nicht unterbrechen.
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1. Sprechen Sie den Satz »Was genau möchtest du mich fragen?« von Herrn W. auf mindestens fünf verschiedene Arten laut aus. Bitten Sie eine andere Person, Ihnen ein Feedback zur Wirkung jeder einzelnen Variante zu geben. 2. Die Variationsmöglichkeiten des Paraverbalen sind auch anwendbar in Unterrichtsgesprächen. Probieren Sie spielerisch verschiedene Varianten aus und beobachten Sie, ob Sie bei Ihren Schüler*innen eine Wirkung wahrnehmen (»Wie schafft ihr es, euch bis Montag gut auf den Test vorzubereiten.«).
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Jede Reise beginnt mit dem ersten Schritt – Ziele erkunden und realistisch planen
Menschen nehmen sich in ihrem Leben immer wieder vor, Ange wohnheiten, Verhaltensweisen oder Dinge zu ändern. Der Klassiker im Privatleben ist – insbesondere zum Jahreswechsel – der Vorsatz, mehr Sport zu treiben, gesünder zu leben und ein paar überflüssige Pfunde zu verlieren. Meist schon nach einigen Wochen stellen viele Menschen allerdings frustriert fest, dass sie mit ihrem Vorhaben gescheitert sind und sich weder ihr Lebensstil noch ihr Gewicht zum Positiven verändert haben. Im Berufsleben nehmen sich viele Lehrer*innen beispielsweise vor, im neuen Schuljahr mehr Ordnung im Arbeitszimmer zu halten, nachdem sie es in den Sommerferien (mal wieder) mühsam aufgeräumt und sortiert haben. Ein Blick in die Arbeitszimmer vieler Lehrer*innen verrät allerdings, dass auch dieses Vorhaben oft nicht sonderlich erfolgreich ist. Viele Vorsätze scheitern, weil der Mensch von Natur aus ein »Gewohnheitstier« ist. Dies hat sowohl Vor- als auch Nachteile: Der große Vorteil ist, nicht jedes Mal neu über Alltagsroutinen nachdenken zu müssen. Das spart Energie und Zeit und gibt Struktur und Sicherheit. Der große Nachteil allerdings ist, dass sich eingeschliffene Routinen – wenn überhaupt – nur mit viel Kraft und Ausdauer verändern lassen, da sie tief im Gehirn verankert und dadurch sehr stabil sind. Angewohnheiten und Verhaltensweisen, die sich über Jahre oder gar Jahrzehnte entwickelt und etabliert haben, werden sich daher nicht »von jetzt auf gleich« verändern lassen. Für Gespräche ist es daher wichtig, bescheidene und realistische Ziele in den Blick zu nehmen. Während es einerseits in der Macht und Verantwortung des Einzelnen liegt, weniger zu essen und mehr Sport zu treiben oder das Arbeitszimmer regelmäßig aufzuräumen, ist der Mensch andererseits in (soziale) Strukturen eingebunden. Da viele Akteur*innen beteiligt sind, kommt es so zu unvorhersehbaren Wechselwirkungen. Diese kann man in der Regel nur wenig beeinflussen. Es gibt auch Situationen, die man nur sehr schwer oder gar nicht verändern kann (»Ich möchte, dass mein Vater wieder gesund wird«). 72
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In solchen Fällen stellt sich dann die Frage, wie man selbst in den vorhandenen Strukturen leben kann, will oder muss oder ob es eine Möglichkeit gibt, sie zu verlassen (vgl. Kapitel 18). Die beratende Person unterstützt die ratsuchende Person dabei, bescheidene und umsetzbare Ziele zu formulieren, da Routinen und (soziale) Strukturen stabil und hartnäckig sind und daher – wenn überhaupt – nur langfristig verändert werden können. Allerdings: Schon kleine Veränderungen bringen Bewegung in die gesamte Situation, wie bei einem Mobile: Wird ein Teil angestoßen, kommt Bewegung in das Ganze.
Klein, realistisch, attraktiv und positiv! Damit Veränderungen gelingen, ist es in Gesprächen wichtig, ein kleines, realistisches, attraktives und positives Ziel und konkrete Schritte auf dieses Ziel hin zu erarbeiten. Aufgabe der beratenden Person ist es, die ratsuchende Person hierbei durch möglichst präzises Nachfragen zu unterstützen. Die Ideen, Zielvorstellungen und Ziele entwickeln sich oft aus mäeutischen Fragen. Nachdem die ratsuchende Person im ersten Teil des Gesprächs eine erste (vage) Idee entwickelt oder ein Ziel formuliert hat, gilt es im zweiten Teil des Gesprächs, diese Idee bzw. das Ziel zu prüfen und auszuformen. Klein Oft scheitern ratsuchende Personen an »zu großen« Zielen. Das Ziel eines schlechten Schülers in Englisch, innerhalb des nächsten Halbjahrs von einer Fünf auf eine Zwei zu kommen, ist beispielsweise »zu groß« bzw. »zu weit« gesteckt und die Wahrscheinlichkeit, dass er dieses Ziel erreicht, daher sehr gering. Das Ziel, im nächsten Halbjahr von einer Fünf auf eine Vier zu kommen, ist zwar deutlich »kleiner«, aber dafür auch deutlich realistischer und für den Schüler wahrscheinlich dennoch mit einiger Anstrengung verbunden. Das Erfolgserlebnis, eine Verbesserung geschafft zu haben, wird den Schüler motivieren. Jede Reise beginnt mit dem ersten Schritt
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Werden »große Ziele« in Beratungsgesprächen benannt, ist es sinnvoll, diese in kleine Wegetappen zu zerlegen. Da jede Reise bekanntlich mit dem ersten Schritt beginnt, ist es im Gespräch wichtig, diesen ersten »kleinen Schritt« auf das »große Ziel« zu planen, sodass die Reise beginnen kann (»Was -- ist der erste Schritt hin zu deinem Ziel ↓«). Der große, aber noch sehr vage Traum einer Schülerin, nach der Schule ein Jahr ins Ausland zu gehen, kann gelingen, wenn sie sich dieses Ziel kleinschrittig erschließt (Wo kann ich mich informieren? Welche Angebote gibt es? Welches Land ist das richtige für mich? Wo bekomme ich finanzielle Unterstützung? …). Realistisch Ziele müssen realistisch gesteckt werden. Der Wunsch vieler Scheidungskinder, dass Mama und Papa wieder zueinander finden, ist beispielsweise zwar sehr nachvollziehbar, aber wenig realistisch, da die Möglichkeiten des Kindes in dieser Sache sehr begrenzt sind. Die Frage »Wie realistisch -- ist das, was du dir vornimmst ↓« bewirkt, dass die ratsuchende Person ihr angepeiltes Ziel mit der Realität abgleicht. Ziel dieser Frage ist es nicht, Wünsche oder Träume zu zerstören, sondern vielmehr, sich von unrealistischen Zielen zu verabschieden und so Raum für realistische Ziele zu schaffen. Wenn die ratsuchende Person von einem Ziel überzeugt ist, die beratende Person aber große Zweifel daran hat, können diese im Gespräch auch benannt werden. Insbesondere bei Gesprächen zwischen Schüler*innen und Lehrer*innen ist dies im Sinne der Fürsorgepflicht gelegentlich unumgänglich (»Ich halte dieses Ziel (oder diesen Plan) für unrealistisch«). Attraktiv Damit ein Ziel im Anschluss an ein Beratungsgespräch auch wirklich verfolgt wird, muss das formulierte Ziel zudem auch »attraktiv« sein. Wenn ein Ziel »unattraktiv« und ohne einen erkennbaren Mehrwert für die ratsuchende Person ist, wird die Motivation der ratsuchenden Person, sich auf den Weg zu machen, gegen null tendieren. Ein Schüler, der in der Oberstufe eine Facharbeit schreiben muss, wird diese nur mit Hingabe schreiben, wenn ihn entweder 74
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das Thema interessiert oder er einen Wissensgewinn beim Schreiben der Arbeit hat oder ihn das Ziel, eine gute Note zu erhalten, anspornt. Oder: Eine Lehrerin wird sich nur einem aufwendigen Beförderungsverfahren aussetzen, wenn das Ziel – eine interessante Position, mehr Geld usw. – den Aufwand rechtfertigt. Hilfreich, um die Attraktivität zu klären und diese in den Blick zu rücken, ist die Frage »Was hast du davon, wenn … ↓« Positiv Darum muss ein Ziel grundsätzlich »positiv« formuliert werden, da positive Ziele in die Zukunft weisen und ein Ziel beschreiben, das angestrebt werden kann. Negative Ziele im Sinne von »Ich will mich nicht mehr so aufregen« bringen hingegen nicht weiter. Ein Berufsschüler berichtet von seinem Ausbildungsbetrieb, dass er seit Monaten Handlangertätigkeiten verrichten muss und kaum etwas lernt. Seine Schilderungen enden frustriert mit den Worten »Ich mach das nicht mehr mit!« Ein »Nicht-Ziel«, das nicht angestrebt werden kann. Durch eine freundliche Nachfrage kann aus dieser negativen Formulierung ein positives, in die Zukunft gerichtetes Ziel entstehen: »Was -- machst du stattdessen ↓«
Eine Reise muss gut geplant werden! Steht eine Idee im Raum oder ist ein Ziel bestimmt, wird der erste Schritt im Detail geplant, da die bloße Beschreibung einer Idee oder eines Ziels noch lange nicht ausreicht, um »die Reise« anzutreten. Eine Schülerin, die sich vorgenommen hat, mit ihrer Mutter zu sprechen, weil es ständig Stress zu Hause gibt, wird deshalb von der beratenden Lehrerin nach und nach in Ruhe gefragt: »Wann -sprichst du mit deiner Mutter ↓«/»Wo -- passt es gut ↓«/»Was genau -sagst du ihr als erstes ↓« Im Kopf der Schülerin entstehen durch diese Fragen ein Bild und ein konkreter Plan (»So gehe ich mein Ziel an«). Auch wenn diese Jede Reise beginnt mit dem ersten Schritt
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Fragen »leicht« erscheinen und für die beratende Lehrerin vielleicht überflüssig sind, sind sie wichtig. Denn wenn es leicht wäre, mit der Mutter zu reden, hätte die Schülerin es schon gemacht. Fragen nach der Wirkung helfen ebenfalls dabei, das Bild und den damit verbundenen Plan wachsen zu lassen (»Was -- soll am Ende des Gesprächs mit deiner Mutter ›rauskommen‹ ↓«/»Woran merkst du, -- dass es ein gutes Gespräch war ↓«/»Wer -- merkt es noch ↓«). Gleichzeitig helfen diese Fragen auch zu klären, ob das Ziel und der angestrebte Weg dorthin realistisch sind oder ob Hindernisse im Weg stehen. Oft gibt es die Befürchtung, dass diese Fragen bohrend wirken. Die Erfahrung zeigt aber, dass diese Phase des Gesprächs für die allermeisten ratsuchenden Personen sehr wichtig ist und sie die Nachfragen mehr als Interesse an ihrem Plan statt als bohrend erleben. Dennoch ist in dieser Phase natürlich »Fingerspitzengefühl« gefragt, da die eine Person mehr und die andere Person weniger Begleitung bei der Planung ihrer Reise braucht. Hilfreich kann bei Schüler*innen auch eine kleine Einleitung mit Augenzwinkern sein: »Ich will dich nicht nerven. Aber weil ich möchte, dass dein Plan gelingt, möchte ich dich noch ein paar Dinge fragen.«
Wie -- dann Stellt sich bei der Detailplanung heraus, dass ein Schritt wieder verworfen werden muss, hilft ein behutsames und gleichzeitig nicht lockerlassendes »Wie -- dann ↓« weiter, da es in der Regel mehrere Wege zum Ziel gibt. Wenn sich im Gespräch herausstellt, dass es keinen umsetzbaren Weg gibt, muss noch einmal überdacht werden, ob das Ziel realistisch ist. Auch das Verwerfen des ursprünglichen Ziels kann ein wichtiger Schritt sein, da so der Weg bzw. der Blick frei wird für einen realistischen Schritt. Die beiden Worte »Wie -- dann ↓« oder in Variation das Wort »sondern …« helfen auch, wenn die ratsuchende Person immer wieder erzählt, was sie alles nicht machen will oder kann. 76
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Ein Ziel muss klein, realistisch, attraktiv und positiv sein. Die beratende Person begleitet durch erkundende Fragen die ratsuchende Person bei der Planung des ersten Schrittes. So kann bei der ratsuchenden Person ein inneres Bild entstehen. Die 17-jährige Denise wohnt bei ihrem Vater, seit die Eltern sich fünf Jahre zuvor getrennt haben. Sie erzählt der Lehrerin, Frau W., dass seit einem halben Jahr die neue Partnerin ihres Vaters mit ihrer Tochter bei ihnen wohne. Denise: »Die sind eigentlich ganz nett und wir verstehen uns auch ganz gut, aber was mich nervt ist, dass mein Vater jetzt nie mehr Zeit für mich allein hat. Immer sind die beiden anderen auch da. Ich will aber nicht alles zu viert machen, manchmal will ich auch ein bisschen Zeit mit ihm alleine haben.« Frau W.: »Wie viel Zeit -- willst du mit deinem Vater alleine haben ↓« Denise: »Ach … nur ab und zu. Ich bin ja selber viel unterwegs. (überlegt) Sonntags, da würde ich gerne manchmal was mit ihm unternehmen.« Frau W.: »Jeden Sonntag -- oder manchmal ↓« Denise: »Jeden Sonntag geht nicht, denn seine neue Freundin hat ja auch sonntags am meisten Zeit. Da wollen die ja auch was zusammen machen.« Frau W.: »Sonntags etwas allein mit deinem Vater unternehmen. Wie oft ist das realistisch ↓« Denise: »Vielleicht ein oder zweimal im Monat.« Frau W.: »Weißt du schon, was du mit deinem Vater unternehmen willst.« (Hier fragt die Lehrerin nicht direkt »Was willst du mit deinem Vater unternehmen?«, um Denise den Freiraum zu lassen, es zu erzählen oder auch nicht.) Denise: »Jetzt im Winter, da könnten wir ins Kino gehen. Das haben wir auch früher oft gemacht, als wir noch zu zweit waren.« Frau W.: »Wie -- sagst du deinem Vater, dass du gerne ab und zu sonntags mit ihm ins Kino gehen möchtest ↓« Denise: »Ich suche einfach einen schönen Film raus und schenke ihm ein Ticket.« Frau W.: »Weißt du, an welchen Sonntagen dein Vater Zeit hat ↓« (Diese Frage ist recht kontrollierend. Die Lehrerin stellt sie nur, Jede Reise beginnt mit dem ersten Schritt
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weil Denise ihr erzählt hat, dass der Vater den Sonntag auch gerne mit seiner neuen Partnerin und deren Tochter verbringt.) Denise: »Mmh … da muss ich ihn erst fragen.« Frau W.: »Wann -- fragst du ihn ↓« Denise: »Am besten per WhatsApp. Dann ist er alleine. Mach ich gleich heute Nachmittag.« Frau W.: »Ich wünsch dir, dass das mit dem Sonntag im Kino allein mit deinem Vater klappt.«
Überlegen Sie ein Ziel, das Sie persönlich anstreben und schreiben Sie dieses auf. Stellen Sie sich selbst im Anschluss verschiedene Fragen: ȤȤ »Was habe ich davon, wenn ich dieses Ziel verfolge?« ȤȤ »Wie realistisch ist mein Ziel?« ȤȤ »Welchen ersten Schritt will ich auf dieses Ziel hin gehen?« ȤȤ »Was brauche ich, um diesen Schritt zu gehen?« ȤȤ »Wen kann ich um Unterstützung bitten?« ȤȤ »Wann gehe ich am besten diesen Schritt?« ȤȤ »Woran merke ich, dass ich meinem Ziel ein Stück nähergekommen bin?« ȤȤ »Woran merkt es meine Familie/mein Freundeskreis?« ȤȤ …
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Verborgene Schätze – Ressourcen erkunden und nutzen
Eine realistische »Planung der Reise« ist nur möglich mit den Ressourcen der ratsuchenden Person. Darum werden im Gespräch die Gaben, Fähigkeiten und Möglichkeiten der ratsuchenden Person erkundet und anschließend geplant, wie sie genutzt werden können. Nur dann kann die ratsuchende Person den geplanten Weg auch wirklich gehen und aufkommende Hindernisse erfolgreich überwinden. Jeder Mensch verfügt über eine Vielzahl an Ressourcen. Allerdings sind viele dieser Ressourcen nicht direkt zugänglich, sondern liegen wie ein verborgener Schatz tief und an einer geheimen Stelle vergraben. Wären alle Ressourcen für die ratsuchende Person klar und leicht zugänglich, würden sich viele Beratungsgespräche erübrigen. Da dem nicht so ist, ist es Aufgabe der beratenden Person, mit der ratsuchenden Person gemeinsam auf »Schatzsuche« zu gehen und damit auch die Hoffnung wachzuhalten, dass es in jedem Menschen zahlreiche »Schätze« gibt. Manchmal fällt es Lehrer*innen schwer, an diese »Schätze« in »ihren Problemkindern« zu glauben. Dann hilft es, sich daran zu erinnern, dass dieses Kind, dieser Jugendliche schon vieles im Leben geschafft hat, sonst wäre er nicht da, wo er jetzt ist. Der Blick auf die Ressourcen fällt Lehrer*innen auch deshalb schwer, da sie geschult darin sind, auf Defizite zu achten. Der Blick auf Defizite führt in Beratungsgesprächen allerdings nicht weiter.
Ressourcenorientiert fragen Carmen Kindl-Beilfuß macht in ihrem Buch »Fragen können wie Küsse schmecken« sehr anschaulich deutlich, wie schon die Formulierung einer Frage entweder defizitorientiert oder eben auch ressourcenorientiert sein kann. Die Frage »Wie haben Sie sich gefühlt, als die Mutter Sie so allein ließ und anderen Dingen nachging?« (Kindl-Beilfuß, 2008, S. 17) fokussiert auf das Defizit (»allein gelassen«). Die Fragen »Womit haben Sie sich […] wenn Sie allein waren, ganz selbstständig beschäftigt? […] Welche starken Seiten haben 80
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Sie durch das Allein-sein-Können entwickelt?« (Kindl-Beilfuß, 2008, S. 17 f.) erkunden Ressourcen.
Ressourcen sind vielgestaltig Ressourcen können in der Persönlichkeit eines Menschen (Mut, Eloquenz, (Gott-)Vertrauen, Ausdauer, Konfliktfähigkeit, Spontaneität, Kreativität u. v. m.) oder in dessen Lebensbedingungen (sicherer Beruf, finanzielle Absicherung u. v. m.) begründet sein. Soziale Bezüge (Familie, Freunde, Kolleg*innen, Nachbar*innen u. v. m.) und das Wissen um Hilfen und Helfer*innen sind ebenfalls von unschätzbarem Wert. Zwei kleine Beispiele aus der Schule, wie Ressourcen bewusst genutzt werden können: Einer kreativen Schülerin, die Probleme bei der Erarbeitung und Erschließung von Texten hat, kann es beispielsweise helfen, diese zu visualisieren, da ihre Kreativität eine große Ressource für sie ist. Oder: Für eine Familie, die gerade in finanziellen Schwierigkeiten ist und daher eine Klassenfahrt nicht bezahlen kann, gibt es neben offiziellen Zuschüssen oft auch weitere Unterstützungsmöglichkeiten, wie z. B. die Diakoniekasse der Kirchengemeinde oder vielleicht auch eine entfernte Tante, die unterstützen kann.
Schätze müssen gesucht, gefunden und ausgegraben werden! Da viele der »Ressourcenschätze« verborgen sind, müssen diese gezielt und mit einer gewissen Ausdauer gesucht werden. Die Frage »Wer -- kann dir helfen, dein Ziel zu erreichen ↓« ist eine sehr einfache Möglichkeit, nach sozialen Ressourcen zu suchen. Hilfreich bei der Suche nach Ressourcen sind auch rückwärtsgewandte Fragen, die in dieser Phase des Gesprächs durchaus »erlaubt« und sinnvoll sind. Die Frage »Was -- hat dir in einer ähnlichen Situation geholfen ↓« oder in Variation »Wie -- hast du das in einer ähnlichen Situation geschafft ↓« bringt die ratsuchende Person ins Nachdenken und erinnert sie an Ressourcen, die sie vor langer Verborgene Schätze
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Zeit schon einmal erfolgreich genutzt hat, die aber vielleicht in Vergessenheit geraten sind. Ist erst einmal eine Ressource gefunden, sollte die beratende Person »die Schatzsuche« nicht sofort einstellen, sondern gemeinsam mit der ratsuchenden Person nach weiteren Schätzen graben. Oft gibt es Ressourcen, die »obenauf liegen« und daher schnell und leicht gefunden werden. Von besonderem Wert sind aber gerade die »tiefer liegenden« Schätze, da durch diese das Spektrum der Optionen oft unerwartet erweitert wird. Durch freundliches Nachfragen können weitere Schätze gesucht, gefunden und ausgegraben werden (»Was kann dir noch helfen … und was noch … und was noch … ↓«). Sind mehrere »Schätze ausgegraben«, kann im nächsten Schritt der Wert der einzelnen Ressourcen eingeschätzt und die Ausnutzung geplant werden. In der Regel gibt es mehrere Optionen. Die zentrale Frage ist: »Was davon -- hilft dir jetzt am meisten ↓« Der Vater von Felix (9. Klasse) hat eine schwere Krebserkrankung. Er wird voraussichtlich nur noch wenige Wochen zu leben haben und ist bereits im Hospiz. Die Mutter von Felix ist, so viel es geht, bei ihrem Mann. Felix geht es – verständlicherweise – schlecht, da die Krankheit seines Vaters auch sehr an seinen Kräften zerrt. Er ist niedergeschlagen und seine Leistungen in der Schule haben deutlich nachgelassen. Der Kontakt von Felix zur Klassenlehrerin Frau M. ist sehr gut. Immer wieder reden die beiden miteinander. Bei einem der vielen Gespräche sagt Felix zu Frau M.: »Ich halte es zu Hause einfach nicht mehr aus. Es ist so still. Und wenn Mama abends von Papa kommt, ist sie immer so traurig.« Nach einem Augenblick des gemeinsamen Schweigens fragt Frau M. »Was hilft dir, -- wenn es still und traurig ist ↓« Felix schweigt und denkt nach. Nach einiger Zeit antwortet er: »Ich könnte richtig laut Musik hören, dann wäre es nicht mehr so still und ich bin abgelenkt.« Felix benennt hiermit eine Ressource: Musik lenkt ihn ab und hilft gegen die Stille. Freundlich und zugewandt »sucht« Frau M. nach weiteren Ressourcen: »Das ist eine Möglichkeit. Was -- hilft dir noch ↓« Felix 82
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schweigt erneut und denkt nach. Dann sagt er: »Ich könnte auch zu Jonas gehen. Mit Jonas spiele ich seit dem Kindergarten Fußball. Er wohnt nur eine Straße weiter. Ich glaube, da könnte ich einfach so vorbeigehen und anklingeln. Die Familie ist total nett. Das wäre gut, dann bin ich auch nicht so alleine.« Frau M. erkundet durch wenige Fragen zwei Ressourcen. So hat Felix, wenn er es das nächste Mal zu Hause nicht mehr aushält, mehr als eine Handlungsmöglichkeit. Frau M. hätte noch weiter fragen können. Vielleicht wären Felix noch weitere Möglichkeiten eingefallen (»Ich gehe mit Mama zu Papa«/»Ich spiele Playstation«/»Ich gehe eine Runde joggen« …). Sind mehrere Ressourcen benannt worden, sollte im Folgenden noch der Wert der einzelnen Ressourcen eingeschätzt werden (Frau M.: »Was ist besser? Laut Musik zu hören oder zu Jonas zu gehen ↓«) und die Ausnutzung der Ressourcen geplant werden (»Wie machst du das -- genau ↓«).
Meine Ressourcen sind nicht deine Ressourcen Die Ressourcen jeder ratsuchenden Person sind unterschiedlich, da jeder Mensch einzigartig ist und daher ein individuelles Leben mit unterschiedlichen Beziehungen, Möglichkeiten und auch Grenzen führt. Dass Felix sich durch Musik gut ablenken kann und einen so guten Freund hat, der in der Nachbarstraße wohnt, kann Frau M. nicht wissen. Für die beratende Person ist es im Gespräch daher unerlässlich, die ratsuchende Person zu unterstützen, die eigenen Ressourcen aufzuspüren und an diese anzuknüpfen. Oft kommen hierbei wahre Schätze zum Vorschein, die die beratende Person nicht hätte erahnen können. Für die persönlichen und die sozialen Ressourcen ist die ratsuchende Person in der Regel selbst die Expertin*der Experte. Ergänzend hinzu kommen noch systemische Ressourcen, z. B. externe Hilfsangebote. Über diese haben ratsuchende Personen oft nur wenig Überblick. Auf diese kann die beratende Person in dieser Phase des Gesprächs hinweisen: »Wir haben an der Schule eine Verborgene Schätze
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Expertin, die sich mit Suchtkrankheiten auskennt«/»Es gibt Möglichkeiten, finanzielle Unterstützung zu beantragen«/»Kennst du eigentlich das kostenlose Nachhilfeangebot ›Schüler*innen helfen Schüler*innen‹?« Aufgabe der beratenden Person ist es, die ratsuchende Person zu unterstützen, die eigenen Ressourcen zu erkunden und die Nutzung der Ressourcen zu planen. Die Suche nach Ressourcen ist wie ein »Graben nach Schätzen«. Da Ressourcen sehr individuell sind, kann die beratende Person die Ressourcen der ratsuchenden Person nicht kennen. Hinweise auf systemische Ressourcen können in dieser Phase des Gesprächs sehr hilfreich sein. 1. Erkunden Sie Ihren eigenen Ressourcenschatz. Berücksichtigen Sie hierbei personale, soziale und systemische Ressourcen. 2. Erkunden Sie sich in einem Gespräch mit einer Schülerin*einem Schüler, bewusst nach seinen oder ihren Ressourcen.
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Tschüss, bis morgen! – Das Ende eines Gesprächs
Ist ein Gespräch gut verlaufen und hat sich für die ratsuchende Person etwas Neues »ergeben«, ergibt sich das Ende eines Gesprächs oft ganz von alleine. Im Idealfall geht die ratsuchende Person am Ende des Gesprächs von allein, da sie neue Kraft und Hoffnung geschöpft hat und weiß, welchen Weg sie weitergehen will. Je nach Setting muss das Ende jedoch bewusst gestaltet werden. Bei einem Gespräch auf dem Schulflur reicht häufig ein einfaches »Tschüss, bis morgen.« Gleiches gilt für Tür- und Angelgespräche nach der Stunde in einem Klassenraum, da in diesem Rahmen das Kommen und Gehen selbstverständlich und hundertfach erprobt ist. Bei einem Gespräch in einem Beratungsraum ist die Verabschiedung oft komplizierter. Das Ende eines Gesprächs ist in Sicht, wenn sich im Gesprächsverlauf etwas Neues ergeben hat. Hilfreich für die beratende Person ist es zudem, auf die Körpersignale der ratsuchenden Person zu achten: André (6. Klasse) ist zu einem Gespräch bei Frau K. (Schulsozialpädagogin) im Beratungsraum, da er sich große Sorgen über die bevorstehende Klassenfahrt macht (»Was mache ich, wenn ich Heimweh kriege?«/»Im Bus wird mir immer so schlecht!«/»Mit wem komme ich wohl auf ein Zimmer?« …) Zu Beginn des Gesprächs sitzt André sichtlich niedergeschlagen mit gesenktem Kopf auf dem Stuhl. Im Laufe des Gesprächs ist deutlich zu beobachten, wie André neue Hoffnung schöpft. Er richtet sich auf und auch die Blicke von Frau K. und André treffen sich. Irgendwann sitzt André unruhig auf der Stuhlkante und ist bereit zu gehen. Frau K. kann in diesem Fall das Ende des Gesprächs unterstützen, indem sie sich möglichst synchron zu André verhält: Wenn André auf der Stuhlkante sitzt, setzt sich auch Frau K. aufrecht hin. Um ein deutliches Signal zu geben, dass das Gespräch zu Ende ist, kann Frau K. in diesem Fall auch aufstehen. 86
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Wenn Frau K. sich nach hinten lehnen würde und es sich auf dem Stuhl »bequem« machen würde, würde sie die Energie, die André gewonnen hat, wieder reduzieren. Ebenfalls kontraproduktiv wäre, wenn Frau K. die Ergebnisse des Gesprächs noch einmal bündeln und wiederholen würde, da auch in diesem Fall die Gefahr besteht, dass die Energie von André in dieser Zeit wieder abnimmt oder er noch einmal das Gespräch fortsetzt, weil er sich von Frau K. nicht richtig verstanden fühlt.
Insbesondere bei Kindern sind diese Signale oft sehr deutlich und kaum zu übersehen, sie warten förmlich auf »die Erlaubnis« ihres Gegenübers, wieder gehen zu dürfen. Bei Jugendlichen und Erwachsenen sind diese Signale leider oft nicht so klar zu erkennen. Aber mit etwas Übung und aufmerksamer Beobachtung durchaus wahrnehmbar: Da entspannt sich eine Schülerin*ein Schüler sichtlich, da lächelt ein Kollege*eine Kollegin und sieht die beratende Person direkt an.
Ein Händedruck verbindet! Oft enden Gespräche – nach kurzem Schweigen – mit einem einfachen »Danke«, das mit einem vom Herzen kommenden »Bitte« erwidert werden kann. Ein Blick, vielleicht ein kleines Lächeln oder Nicken unterstützen dies. Ein Gespräch in der Schule kann auch mit einem Händedruck »besiegelt« und beendet werden. Gerade zwischen Lehrer*innen und Schüler*innen ist das Händegeben etwas Besonderes, da es in der Schule unüblich ist. Kurze, konkrete Wünsche »Ich wünsche dir alles Gute für das Gespräch!« oder »Ich drücke dir die Daumen, dass dein Plan funktioniert!« sind beispielsweise Möglichkeiten das Gespräch auch verbal zu beschließen. Unpersönliche Floskeln (»Die Zeit heilt alle Wunden«/»Das wird schon wieder«/»Kopf hoch!«) sollten vermieden werden.
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Vorsicht mit: »Hast du noch was auf dem Herzen?« Immer wieder kommt es in Gesprächen vor, dass sich an das Ende eines Gesprächs ein weiteres Gespräch nahtlos anschließt. Häufig kommt es hierzu, da die beratende Person am Ende eines Gesprächs oft mit guter Absicht fragt: »Möchtest du noch was besprechen?«/»Hast du noch was auf dem Herzen?«/»Gibt’s noch was?« Diese – meist gut gemeinten – Fragen sollten am Ende eines Gesprächs vermieden werden, da die ratsuchende Person hierdurch eingeladen wird, eine weitere Frage zu formulieren oder ein weiteres Problem zu schildern und so das (manchmal mühsam) erarbeite Ergebnis des ersten Gesprächs geschmälert und überlagert wird. Hilfreich ist für die beratende Person die innere Überzeugung: »Wenn ein erster Schritt gelingt, kommt Bewegung in das Ganze.« Und: »Dieses Stück deines Weges sind wir gemeinsam gegangen. Den weiteren Weg schaffst du allein!« Geht die Initiative hingegen von der ratsuchenden Person aus und stellt diese eine weitere Frage oder formuliert ein weiteres Problem, kann dies verschiedene Gründe haben: Der erste Schritt ist noch nicht klar genug geplant, die ratsuchende Person hat zu wenig Vertrauen in die entdeckten Ressourcen oder der ratsuchenden Person ist erst durch das Gespräch deutlich geworden, worum es ihr eigentlich geht. Die beratende Person muss nun entscheiden, ob sie das Gespräch fortsetzt oder das Gespräch mit den Worten »Das besprechen wir beim nächsten Mal« beendet. Um die Selbstständigkeit der ratsuchenden Person zu stärken und um Abhängigkeiten zu vermeiden, sollte die beratende Person am Ende eines Gesprächs keine weiteren Angebote machen, mögen sie auch noch so gut gemeint sein (»Wenn du möchtest, kannst du gerne wiederkommen«). Die beratende Person kann darauf vertrauen, dass die ratsuchende Person erneut das Gespräch suchen wird, wenn das Gespräch für sie hilfreich verlaufen ist und sie Bedarf für ein weiteres Gespräch hat. Auch führt das Angebot, den Fortgang eines Problems oder einer Geschichte zu berichten (»Erzähl mir mal, wie es gelaufen ist«) zu 88
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Abhängigkeiten und ist daher – obwohl in der Regel gut gemeint – nicht hilfreich. Gelegentlich entspringt dieses Angebot aber auch der puren Neugier der beratenden Person. So verständlich diese ist – hilfreich für die Aktivierung und Selbstwirksamkeit der ratsuchenden Person ist sie nicht. Die beratende Person beschränkt sich auf ein Anliegen der ratsuchenden Person. Gut gemeinte Erweiterungen und Nachfragen am Ende eines Gesprächs helfen nicht weiter.
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Kleine Dinge, große Wirkung – Weitere methodische Bausteine
Indikativ statt Konjunktiv Der Modus, in dem die beratende Person eine Frage stellt, beeinflusst die Antwort der ratsuchenden Person. Zielführend für ein Gespräch sind Fragen im Indikativ statt im Konjunktiv. Was Fragen, die im Konjunktiv formuliert sind, bewirken können, sieht man an folgendem Negativbeispiel: Ein Gespräch am Elternsprechtag zwischen einer Mutter und einem Lehrer. Mutter: »Ich bräuchte einfach mehr Zeit für mein Kind.« Lehrer: »Wie viel Zeit hätten Sie denn gerne für Ihr Kind?« Mutter: »Am liebsten wäre ich schon um zwei zu Hause, dann könnte ich meiner Tochter bei den Hausaufgaben helfen und wir könnten anschließend auch ab und zu mal etwas Schönes unternehmen. Aber das geht wegen meiner Arbeit nicht, ich hab auch schon nachgefragt.«
Der Lehrer hat seine Frage im Konjunktiv gestellt: »Wie viel Zeit hätten Sie denn gerne für Ihr Kind?« Die Antwort der Mutter ist nachvollziehbar, allerdings im Rahmen ihrer persönlichen Möglichkeiten unrealistisch. Grund für diese unrealistische Antwort kann sein, dass der Lehrer die Frage im Konjunktiv formuliert hat und dadurch die ratsuchende Person verführt wurde, sich von der Realität zu lösen und in eine Wunschwelt abzuschweifen. Deshalb ist es weiterführender, wenn der Lehrer im Indikativ fragt: »Wie viel Zeit -- können Sie sich am Tag für ihr Kind nehmen ↓« Die Antwort der Mutter wäre wahrscheinlich anders ausgefallen, da im Indikativ formulierte Fragen den Abgleich mit der Realität erfordern und so die ratsuchende Person bei ihren Überlegungen »erdet«. Die Mutter muss bei dieser Frage sofort überlegen, wie viel Zeit sie sich realistisch nehmen kann. Vielleicht wäre ihre Antwort »Nur eine halbe Stunde« gewesen und vielleicht hätte diese Antwort den Lehrer erschreckt – aber sie wäre zumindest realistisch. Nun könnte es im weiteren Gespräch darum gehen, wie die MutKleine Dinge, große Wirkung
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ter diese halbe Stunde mit ihrem Kind gestalten und nutzen will. Und eventuell auch, wie aus diesen 30 Minuten vielleicht 45 Minuten werden können. Da der Indikativ im Gegensatz zum »vorsichtigen« Konjunktiv auf viele Menschen schroffer und direkter wirkt, muss die beratende Person hier ganz besonders auf eine sehr freundliche und zugewandte Betonung achten. Insbesondere bei den vielen kurzen Gesprächen »zwischen Tür und Angel« sind Fragen im Indikativ zielführender, da Fragen im Konjunktiv zu offen sind und man viel Zeit bräuchte, die Fülle an Ideen und Wünschen, die sich im Idealfall ergeben, wieder zu sortieren, um zu realistischen ersten Schritten zu kommen. Zudem erspart eine direkt im Indikativ gestellte Frage der ratsuchenden Person, unrealistische Ziele wieder verwerfen zu müssen. Die ratsuchenden Personen reden in den folgenden Gesprä chen im Konjunktiv. Formulieren Sie als beratende Person Fragen im Indikativ: a) Ein 15-jähriger Schüler erzählt von einem Konflikt mit einem anderen Lehrer und schließt: »Ich war so sauer. Dem hätte ich gerne mal so richtig die Meinung gesagt.« b) Eine 16-jährige Schülerin erzählt von ihren Sorgen, ihre Abschlussprüfungen zu bestehen und endet mit: »Ich müsste einfach mehr lernen.« c) Eine Kollegin erzählt von einem Konflikt mit einer weiteren Kollegin und sagt: »Das hätte ich echt von ihr nicht erwartet.« d) Ein Freund erzählt im Gespräch, dass er befürchtet, ernsthafte Probleme mit Alkohol zu haben und überlegt: »Ich könnte ja mal zu einer Beratungsstelle gehen. Aber ob die einem weiterhelfen können? Ich könnte ja auch erstmal selber versuchen, ob ich überhaupt noch eine Woche ganz ohne Alkohol schaffen würde.« Vorschläge dazu finden Sie auf Seite 153.
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In die Realität holen Die 16-jährige Schülerin Anna erzählt von vielen Schwierigkeiten zu Hause und endet mit dem Satz: »Ich würde am liebsten zu Hause ausziehen.« Um das benannte Ziel in die Realität zu holen und zu prüfen, kann die beratende Person in ruhigem Ton fragen: »Stell dir vor, du ziehst von zu Hause aus, -- was dann … ↓« Anna kann und muss nun entscheiden, an welcher Stelle sie zuerst weiterüberlegen will: Ist es »Alleine wohnen – wie geht das?« oder »Wie soll ich das finanzieren?« oder »Meine Eltern würden das nie erlauben.« oder …
Ausnahmen Ratsuchende Personen drücken ihre Ratlosigkeit bzw. Ohnmachtsgefühle oft mit Worten wie »immer« oder »nie« aus. »Nie darf ich abends raus.«/»Immer meckert der rum.« Die Erinnerung an Ausnahmen von der Regel kann eine Verstörung bewirken und wieder Energie und Bewegung in das Gespräch bringen: ȤȤ »Immer -- außer, wenn ↓« ȤȤ »Wann -- war es einmal anders ↓« ȤȤ »Welche Ausnahme -- gibt es von dieser Regel ↓« ȤȤ Auch (liebevolle) Übertreibungen können Bewegung in ein Gespräch bringen (Immer? -- 24 Stunden am Tag ↓) Bei den meisten Problemen gibt es Ausnahmen, also Zeiten oder Situationen, in denen das Problem hätte auftauchen können, in denen es aber nicht aufgetaucht ist bzw. leichter zu bewältigen war. Diese Ausnahmen gilt es im Gespräch zu erkunden, um das Schwarz-Weiß-Denken zu durchbrechen und an diese Ausnahmen anzuknüpfen. Der systemische Therapeut Günter G. Bamberger schreibt dazu: »Das in der Ausnahme sichtbar werdende Verhalten und die ihm zugrunde liegenden Fähigkeiten stellen die für die Lösung nutzbare Ressource dar. Diese Ressource hat den einzigartigen Vorteil, Kleine Dinge, große Wirkung
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dass sie für den Klienten direkt verfügbar ist.« (Bamberger, 2005, S. 79)
Nach-Stottern Manchmal ist das, was die ratsuchende Person erzählt, so schwer, traurig und niederdrückend, dass es der beratenden Person nicht gelingt, eine »gute Frage« zu formulieren – oder auch, dass eine »schön formulierte Frage« irgendwie unpassend erscheint. Hilfreich in solchen Situationen ist es, einige Worte langsam zu wiederholen. Kollege Stefan kommt zu Beginn der Pause ins Lehrerzimmer, dort findet er den Kollegen Bernd, den er gesucht hat. Stefan: »Ich weiß gar nicht, wie ich damit umgehen soll?« (Bernd sieht ihn überrascht an, weil er nicht weiß, um was es geht.) Stefan: »Du hast doch von Sebastian gehört, oder? (Stefan berichtet vom plötzlichen Herztod eines 17-jährigen Schülers während einer Notoperation.) Der war ja bei mir in der Klasse. Da wird mir ganz komisch! Da bin ich ganz unsicher … überhaupt … ich weiß so recht gar nicht, was ich tun soll?« Bernd: »Was willst du denn tun?« Stefan: »Ach, tun! Du, ich weiß einfach nicht, wie ich damit umgehen soll! Ich habe mit dem Thema Tod Schwierigkeiten, das ist so …, selbst in der Familie, vor Kurzem ist eine Tante von mir gestorben … ich kann das nicht …!« Bernd (langsam und nachdenklich): »Umgehen -- mit dem Tod ↓«
Und -- jetzt Die zwei kleinen Wörter »und jetzt« sind unendlich kostbar, wenn sie zugewandt und langsam betont werden. Sie machen deutlich, dass man manchmal nichts an dem, was geschehen ist, ändern kann, sondern dass es darum geht, »jetzt« damit zu leben.
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Die Schülerin Yvonne, 17 Jahre, im Berufsvorbereitungsjahr, traute sich tagelang nicht in die Schule, weil ihr Vater, der schon einige Jahre im Gefängnis saß, aus der JVA ausgebrochen war. Es ist das Gesprächsthema in der Schule, weil die örtliche Presse ausführlich darüber berichtet hat. Als Yvonne wieder in die Schule kommt, wird sie von vielen angesprochen, auch vom Lehrer. Lehrer: »Na, genervt?« Yvonne: »Ja und wie. Alle labern mich an.« Lehrer: »Und?« Yvonne: »Ich hasse meinen Vater!« Lehrer wartet ab Yvonne: »Jetzt ist er ganz weg!« Lehrer: »Und -- jetzt ↓« Yvonne beginnt zu überlegen.
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Teil C
Besondere Gesprächsanlässe
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Andreas, du bist in letzter Zeit … – Wenn Lehrer*innen das Gespräch beginnen
Der 15-jährige Andreas macht sich im Unterricht »unsichtbar«, so kommt es dem Klassenlehrer, Herrn K., zumindest vor: Er versteckt sich hinter Mitschüler*innen, meldet sich nie, ist auf Ansprache fast nicht zu verstehen, verzieht keine Miene und wirkt lethargisch. Der Lehrer hat schon mit anderen Schüler*innen über Andreas gesprochen. Alle sagen, dass Andreas privat ganz anders sei, er spreche ununterbrochen, sei fröhlich und seinen Eltern gegenüber sehr selbstbewusst. Herr K. spricht Andreas nach einer Stunde an: Herr K.: »Andreas, ich möchte dich gerne einmal sprechen.« Andreas: »Mmh.« Herr K.: »Ich mache mir Sorgen um dich.« Andreas: »Mmh.« Herr K.: »Fühlst du dich nicht wohl in der Klasse? Oder hast du Angst, dich zu melden?« Andreas: »Nö.« Der Klassenlehrer ist ratlos und beendet frustriert das Gespräch.
Wenn Lehrer*innen von sich aus das Gespräch suchen, kommt es immer wieder vor, dass Schüler*innen durch kurze und abwehrende Antworten – manchmal auch durch Schweigen – das Gespräch blockieren. Hierfür gibt es verschiedene Ursachen: In diesem Setting kann die beratende Person nicht davon ausgehen, dass die angesprochene Person irgendetwas will bzw. irgendeine Hoffnung auf Veränderung hat. Zudem kann es sein, dass die beratende Person nicht die »richtige« Gesprächspartnerin ist oder Zeit oder Ort aus Sicht der angesprochenen Person für ein Gespräch unpassend sind. Erschwerend kommt hinzu, dass die beratende Person das Gespräch eröffnet und mit ihren ersten Fragen viel von sich in das Gespräch einbringt und sie daher weder an der Sprache noch an einem Anliegen der angesprochenen Person anknüpfen kann.
Andreas, du bist in letzter Zeit …
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Ich mache mir Sorgen … Die zugewandte Eröffnung von Herrn K. (»Ich mache mir Sorgen um dich.«) ist vom Grundgedanken gut und hilfreich, aber zu unkonkret, da Andreas – neben dem abwartenden Schweigen – nur wenige Reaktionsmöglichkeiten hat. Er könnte erstaunt »Ja, wieso?« fragen oder mit einem »Nein, das müssen Sie nicht« antworten. Eine bessere Möglichkeit ist, dass Herr K. einen Bezug zu seiner Beobachtung herstellt und sich gleichzeitig möglichst offen erkundigt. Ziel ist es auch hier, die andere Person zum Nachdenken zu motivieren. Herr K.: »Andreas, ich möchte dich gerne einmal sprechen, weil ich mir Sorgen um dich mache und du -- so unsichtbar -- für mich im Unterricht bist ↓« Andreas (abweisend): »Ich verstehe nicht, was Sie meinen.« Herr K.: »Ich sehe wenig und ich höre wenig von dir.« (Um ein offenes Gespräch anzubahnen, muss dieser Satz sehr zugewandt und freundlich betont werden und darf auf keinen Fall vorwurfsvoll klingen.) Andreas (will nicht reden und wiegelt ab): »Ach, das meinen Sie nur.« Herr K.: »Und was -- meinst du ↓« Oder etwas verstörend: Herr K.: »Andreas, ich möchte dich gerne einmal sprechen, weil ich mir Sorgen um dich mache. Ich höre nichts von dir im Unterricht -- wobei -- hilft dir dein Schweigen ↓« Andreas (leicht aggressiv): »Das hilft mir gar nicht. Ich bekomme ja ständig schlechte Noten deswegen.« Herr K.: »Was -- hilft dir dann ↓« Auch bei diesen beiden Varianten besteht die Möglichkeit, dass Andreas das Gespräch blockiert. Wahrscheinlich wird er auch nicht begeistert sein von der Frage, denn er wird »gute Gründe« haben, sich zu verstecken (z. B.: er traut sich nicht, vor Gruppen zu sprechen; er hat den Unterrichtsstoff nicht verstanden und will das nicht zeigen; …). Deshalb muss Herr K. sehr freundlich, behutsam und gleichzeitig auch etwas beharrlich sein. 100
Besondere Gesprächsanlässe
Wenn Andreas antwortet, ist es wichtig, dass Herr K. sofort darauf achtet, wie Andreas sich ausdrückt, um im Anschluss daran sprachlich anzuknüpfen. Herr K. darf nicht bei seinen eigenen Formulierungen bleiben, da er und Andreas ansonsten auf verschiedenen Ebenen miteinander sprechen. Wenn Andreas – auch bei zugewandter Haltung und sprachlich anknüpfender Frage – nicht antworten will, dann muss Herr K. das respektieren. Er signalisiert damit, dass er den Schüler ernst nimmt und seine Autonomie achtet. Dass er sich Sorgen macht, hatte er schließlich gleich zu Beginn gesagt. Beide Signale können eine wichtige Grundlage für den Jungen sein, zu einem späteren Zeitpunkt von sich aus ein Gespräch mit genau diesem Lehrer zu suchen.
Wie geht es dir? Eine andere Möglichkeit zur Gesprächseröffnung ist – neben der Formulierung von Beobachtungen –, das Gespräch mit einer sehr offenen Frage zu beginnen. Die beratende Person signalisiert hierdurch grundsätzliche Gesprächsbereitschaft. Ob die angesprochene Person das Angebot mit einer Floskel ablehnt (»Alles gut.«) oder annimmt, entscheidet allein die angesprochene Person. Vertretungsstunde in einer 5. Klasse. Die Lehrerin, Frau R., kennt die Klasse nicht. Ihr fällt ein Schüler, Emin, auf. Er wird von den anderen offensichtlich »geschnitten«, sie wollen ihn nicht bei sich sitzen lassen und tuscheln über ihn. Emin wählt nach langem Hin und Her einen Eckplatz und arbeitet die ganze Stunde allein, obwohl auch Partnerarbeit oder Gruppenarbeit denkbar gewesen wären. Nach der Stunde kommt Emin zum Pult, um das Klassenbuch mitzunehmen. Die restlichen Schüler*innen haben den Raum bereits verlassen. Frau R. spricht Emin an: Frau R.: »Wie -- geht es dir in der Klasse ↓« (Sehr offen gefragt, kann der Schüler entscheiden, ob und was er erzählen will.) Andreas, du bist in letzter Zeit …
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Emin: »Es ist furchtbar hier. Ich hasse die Schule! Keiner mag mich! Das war schon immer so. In der Grundschule fing das schon an. Im zweiten Schuljahr. Meine Mutter und ich haben so gehofft, dass es in der neuen Schule besser wird. Aber es ist nur noch schlimmer geworden. Ich hasse die Schule!« Frau R.: »Gibt es Dinge, die du -- an der Schule magst ↓« Emin (überlegt und zögert): »Meine Klassenlehrerin, die ist eigentlich ganz ok …«
In Situationen, in denen Lehrer*innen das Gespräch eröffnen, können sie nicht davon ausgehen, dass auf der Seite der angesprochenen Person Interesse an einem Beratungsgespräch besteht. Hilfreich, um ein Gespräch anzubahnen, ist das Gespräch mit offenen Fragen oder Beobachtungen zu beginnen und – wenn möglich – dann an der Sprache der angesprochenen Person anzudocken. Wenn die angesprochene Person kein Gespräch führen will, gilt es, diese Entscheidung zu akzeptieren.
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Besondere Gesprächsanlässe
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Ich soll zu Ihnen kommen – Wenn Schüler*innen geschickt werden
Viele Gespräche in der Schule sind von Freiwilligkeit auf Seiten der ratsuchenden Person geprägt: Schüler*innen sprechen Lehrer*innen aus eigenem Antrieb heraus an, weil sie etwas fragen oder besprechen möchten. Naturgemäß ist in diesem Setting die Bereitschaft der Schüler*innen zu einem ernsthaften Gespräch gegeben. Allerdings gibt es auch Gesprächssettings, bei denen Schüler*innen zu einer beratenden Person (Beratungslehrer*in, Schulsozialarbeiter*in, Schulseelsorger*in, Klassenlehrer*in u. a.) verwiesen oder geschickt werden. Im Idealfall ist auch in dieser Konstellation die Gesprächsbereitschaft auf Seiten der zwangsläufig »ratsuchenden« Person vorhanden, sodass ein gutes Gespräch zustande kommen kann. Es kommt jedoch auch vor, dass die Bereitschaft für ein »erzwungenes Gespräch« gering ist. Frau A. ist Beratungslehrerin der Schule. Sie hat einen eigenen Beratungsraum und feste Sprechzeiten, die an der Tür ausgehängt sind. Wenn niemand zum Gespräch im Raum ist, steht die Tür immer offen. In solch einer Situation steht Paul, Schüler der 8. Klasse, lustlos im Türrahmen und sagt: »Hallo, Frau S. schickt mich.« Frau A. bittet den Schüler in den Raum, schließt die Tür, bietet ihm einen Stuhl am Besprechungstisch an und setzt sich zu ihm. Sie kennt den Schüler bislang nur vom Sehen auf dem Flur. Die Klassenlehrerin von Paul, Frau S., hat seinen Besuch bereits in der Pause angekündigt, daher kennt Frau A. seinen Namen. Frau A. eröffnet freundlich das Gespräch: »Hallo, du bist bestimmt Paul, was führt dich zu mir?« Paul: »Frau S. will, dass ich zu Ihnen komme.« Und auf die Frage »Und worum geht’s?« antwortet Paul knapp: »Weiß ich auch nicht.«
Die genauen Ursachen für Pauls abwehrendes Verhalten sind nur schwer zu ergründen und können vielfältig sein: Vielleicht spricht Paul nur so wenig, weil aus seiner Perspektive überhaupt kein Gesprächsbedarf besteht. Möglicherweise verhält sich Paul auch so abwehrend, weil es sich für ihn um ein verordnetes Gespräch und somit um einen Zwangskontext handelt. 104
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Oder: Vielleicht ist die Beratungslehrerin aus seiner Sicht auch einfach nicht die richtige Gesprächspartnerin, weil er sie nicht kennt. Die Schwierigkeit in diesem und ähnlichen Gesprächssettings ist, dass die beratende Person keinen Auftrag bzw. kein Mandat von der ratsuchenden Person hat. Denkbar wäre im oben geschilderten Fall, dass Frau A. ihren Auftrag offenlegt und Paul entgegnet: »Ich soll mit dir sprechen, weil du zum wiederholten Mal gegenüber deinen Mitschülern gewalttätig geworden bist.« Die Wahrscheinlichkeit, dass Paul sich sofort verteidigt, ist nun hoch. Eine gänzlich andere Möglichkeit ist der Versuch, zu Beginn des Gesprächs das Interesse von Paul an dem Gespräch zu klären und das Mandat mit Paul abzustimmen. Auf die Antwort von Paul »Frau S. will, dass ich zu Ihnen komme« könnte Frau A. freundlich fragen »Und was -- willst du ↓« Diese Intervention gelingt nicht immer. Sie ist aber zumindest ein Angebot, mit Paul auf Augenhöhe ein Gespräch – vielleicht über ein ganz anderes Thema – zu führen. Paul könnte z. B. auf diese Frage antworten: »Ich will nicht immer so einen Stress in der Schule haben.« Hätte Paul zu Beginn gefragt: »Haben Sie mal kurz Zeit? Frau S. will, dass ich zu Ihnen komme« könnte Frau A. antworten: »Ja, habe ich. Wofür -- willst du die Zeit nutzen ↓«. Für Frau A. ist es in den skizzierten Situationen wichtig, ihre Funktion und Rolle zu klären. Handelt sie im Auftrag der Klassenlehrerin und somit im Namen der Schule oder handelt sie als »neutrale Person« und kann somit auch auf die Interessen und Bedürfnisse von Paul eingehen. Unerlässlich ist es, die eigene Rolle und die damit verbundenen Erwartungen transparent für alle zu klären und die Verabredungen beispielsweise in einem schulischen Beratungskonzept festzuschreiben. Dies betrifft auch die Frage nach der Vertraulichkeit eines Beratungsgesprächs.
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In Situationen, in denen Personen zu einem Gespräch geschickt werden, muss zu Beginn des Gesprächs die Klärung des Mandats bzw. die Offenlegung des Auftrags erfolgen. Auf Seiten der beratenden Person bedarf es hierfür Rollenklarheit und Standfestigkeit, da oft unterschiedliche Erwartungen an sie herangetragen werden.
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Zu Hause ist unser Kind aber ganz anders – Gespräche mit Eltern
Gespräche mit Eltern gehören für Lehrer*innen genauso wie Gespräche mit Schüler*innen zum Schulalltag. Mal finden sie »zwischendurch« ohne Verabredung und Termin statt, mal im Anschluss an die Notenbesprechung am Elternsprechtag und mal verabredet. Auch Telefongespräche und E-Mails gehören dazu. Im Idealfall verlaufen die Gespräche in einer angenehmen Atmosphäre, die von Respekt und gegenseitiger Wertschätzung geprägt ist. Immer wieder sind Gespräche mit Eltern aber auch unangenehm und enden aus der Sicht von Lehrer*innen unbefriedigend oder mit gegenseitigen Vorwürfen und Forderungen: »Sie müssten zu Hause …« oder »Die Schule müsste mehr …«. Oft sind die Gespräche auch durchzogen von gegenseitigem Unverständnis, da Eltern und Lehrer*innen aus unterschiedlichen Perspektiven auf den Sachverhalt schauen und nicht immer dieselben Interessen und Ziele verfolgen. Viele Kolleg*innen sagen daher nach Elterngesprächen: »Ich hatte das Gefühl, die haben gar nicht verstanden, was ich wollte.« Und vermutlich fühlen sich auch viele Eltern unverstanden. Nils, sechs Jahre, hat in den ersten zwei Wochen der 1. Klasse viel geweint. Er wollte sich morgens nicht von seiner Mutter trennen, wollte nicht in die Pause gehen, war nicht zu bewegen, das Klassenzimmer zu verlassen. Nach etwa acht Tagen verändert sich sein Verhalten grundlegend: Die Klassenkamerad*innen beschweren sich, dass Nils sie treten und beschimpfen würde. Dieses Verhalten wird immer massiver. Die Klassenlehrerin, Frau G., hat vieles versucht: sie ist liebevoll auf Nils eingegangen, sie hat ihn ermahnt, sie hat mit ihm und den Mitschüler*innen gesprochen, sie hat gemeinsame Verabredungen getroffen. Alle Bemühungen waren jedoch erfolglos. Schlussendlich bittet Frau G. die Mutter von Nils um ein Gespräch, zu dem die Mutter auch den von ihr geschiedenen Vater mitbringt. Zu Beginn des Gesprächs schildert Frau G. die Situation mit Nils und der Klasse. Daraufhin reagiert die Mutter empört: »So kenne ich Nils gar nicht. Im Kindergarten war das nie so. Nils wird hier von den anderen Kindern gehänselt! Nils ist so ein lieber Junge! Das muss an der Schule liegen – wahrscheinlich will keiner mit 108
Besondere Gesprächsanlässe
ihm spielen, weil er am Anfang geweint hat.« Der Vater sitzt dabei und sagt nichts.
Angriff ist die beste Verteidigung Nachdem Frau G. das Problem geschildert und Nils’ Mutter ihren Sohn verteidigt und die Ursache für das Fehlverhalten den Mitschüler*innen bzw. der Schule zuweist, ist das Gespräch in einer schwierigen Phase. Die Ursache für diesen sehr typischen Gesprächsverlauf bei Gesprächen mit Eltern ist in der Eröffnung des Gesprächs zu finden: Wenn Lehrer*innen zu Beginn ausführlich die Probleme, die das Kind hat und verursacht, schildern, zeigen Eltern häufig die Reaktion, dass sie sich und ihr Kind zunächst verteidigen und die Probleme entweder ignorieren oder herunterspielen und bagatellisieren. Dies hängt u. a. damit zusammen, dass viele Eltern natürlich nicht wollen, dass ihr Kind Probleme macht oder hat. Zudem sind viele Eltern selbst hilflos und ratlos und mit der Situation überfordert und suchen daher die Schuld lieber bei den Lehrer*innen oder Mitschüler*innen. Die grundsätzliche Schwierigkeit bei Gesprächen mit Eltern ist, dass viele Eltern sich von Lehrer*innen nicht »eingeladen«, sondern »vorgeladen« fühlen und deshalb zunächst in eine Abwehr- bzw. Verteidigungshaltung gehen. Da »Angriff die beste Verteidigung« ist, gehört Kritik an Lehrer*innen, Mitschüler*innen und der Schule dazu. Durch einen problemorientierten Gesprächseinstieg des Lehrers*der Lehrerin wird dieses Muster unbewusst unterstützt.
Das Gespräch bewusst und strategisch führen Um das Gespräch erst gar nicht in dieses für Elterngespräche sehr typische Muster aus Angriff und Verteidigung zu bringen, ist es hilfreich, einen anderen Gesprächseinstieg zu wählen. Denn genau hier wird eine wichtige Richtungsentscheidung getroffen: Zu Hause ist unser Kind aber ganz anders
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Im Beispiel von Nils kann Frau G. nach der Begrüßung z. B. ganz offen fragen: »Wie -- gefällt es Nils in der Schule ↓ Was -- erzählt er zu Hause ↓« und dann nach der Antwort weiterfragen »Was genau -möchten Sie für Ihr Kind ↓« Vielleicht werden die Eltern zuerst sagen, dass Nils Probleme hat und die anderen Kinder sich ändern sollen. Die Lehrerin sollte nun »das eine tun und das andere nicht lassen«. Im ersten Schritt kann die Lehrerin die Eltern beruhigen und versichern, dass sie mit der Klasse daran arbeite. Im zweiten Schritt kann sie den Blick behutsam und dennoch beharrlich auf Nils lenken und weiter fragen: »Nils ist dabei, sich zu verändern -- das ist so, wenn ein Mensch heranwächst: Sie begleiten diese Veränderungen und ich als Lehrerin begleite diese Veränderungen. Darum: Was -soll Ihrer Meinung nach bei Nils anders werden ↓« Neben der Veränderung von Nils kann die Lehrerin aber auch die Eltern dabei unterstützen, dass sie sich gut um Nils kümmern. Das heißt in der Konsequenz aber für die Eltern auch: Die Eltern müssen arbeiten und nicht nur die Lehrerin! Aus Lehrersicht ist genau das oft das Problem mit Eltern: Sie wollen nicht mitarbeiten. Aus Elternsicht stellt sich das oft ganz anders dar. Um die Eltern zur Mitarbeit zu gewinnen, müssen Lehrer*innen daher werbend und geschickt sein: In der ersten Schulwoche hatte die Lehrerin versucht, Nils zu trösten – verständlicherweise, denn ein weinendes Kind in der Klasse ist für alle bedrückend. Das Resultat ist, dass Nils sich jetzt anders ausdrückt: mit Treten und Beschimpfen der Mitschüler*innen. Da das Weinen die Mutter und wahrscheinlich auch die Lehrerin immer noch beschäftigt, kann die Lehrerin sprachlich an »den Tränen« anknüpfen. Dies ist auch möglich, wenn die Mutter von sich aus das Problem nicht benannt hat. Eine mögliche mäeutische Frage ist: »Nils hat viel geweint. Was -sagt Nils mit seinen Tränen ↓« Diese Frage kann nacheinander an beide Elternteile gerichtet werden, da oft das Gespräch nur von einem Elternteil geführt wird. »Was -- sagt Nils mit seinen Tränen Ihnen, Frau/Herr … ↓« 110
Besondere Gesprächsanlässe
Ziel der Lehrerin im Gespräch mit den Eltern ist es, ein gemeinsames Ziel – z. B. das Wohlbefinden des Sohnes – in den Blick zu nehmen und von gegenseitigen Schuldzuweisungen Abstand zu nehmen. Viele Elterngespräche eskalieren, da die Verantwortung für »ein Problem« hin und her geschoben wird. Die beratende Person kann die Gefahr der Eskalation minimieren, indem sie sich bewusst dieser Dynamik entzieht und stattdessen ein gemeinsames Ziel – im Sinne einer Erziehungspartnerschaft – in den Fokus rückt. Der Gesprächseröffnung kommt hierbei eine besondere Bedeutung zu. Die Mutter von Justine, 15 Jahre, sagt Ihnen, nachdem Sie ihr beim Elternsprechtag die Note ihrer Tochter genannt haben, eine Fünf, und auch ihre Entscheidung kurz begründet haben: »Wissen Sie, das kann ja wohl nicht wahr sein! Letztes Schuljahr bei Frau A. hatte Justine noch eine Drei und jetzt bei Ihnen eine Fünf. Und Justine lernt dieses Jahr viel mehr als letztes Jahr. Irgendwas stimmt wohl mit Ihrem Unterricht nicht!« Überlegen Sie, wie Sie auf »diesen Angriff« – trotz allem verständlichen Ärger – besonnen reagieren. Einen Vorschlag dazu finden Sie auf Seite 153.
Zu Hause ist unser Kind aber ganz anders
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Teil D
Zur Vertiefung
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Ein Bild sagt mehr als 1.000 Worte – Bildhafte Sprache im Beratungsgespräch
Elena, 14 Jahre, immer schick angezogen, stark geschminkt, lässt sich nichts gefallen und auch nur wenig sagen, weder von den Klassenkamerad*innen noch von den Lehrer*innen. In letzter Zeit schwänzt sie häufiger. Die Beratungslehrerin, Frau S., hat die Eltern zu einem Gespräch gebeten. Die Mutter sagt wenig, sie kommt aus Russland, und es ist nicht klar, wie viel sie versteht. Der Vater kommt ursprünglich aus Afghanistan und spricht etwas holprig, aber gut verständlich Deutsch. Zunächst greift der Vater, recht lautstark und mit aggressivem Unterton, immer wieder »die Lehrer« und »die Schule« an: Das sei alles nicht die Schuld seiner Tochter, warum denn die Schule nicht mehr mache, da müssten klarere Regeln her, sie hätten die Kinder ja gar nicht im Griff, in Afghanistan liefe das ganz anders … Die Beratungslehrerin versucht die Eltern mit »ins Boot« zu holen, was ihr auch gelingt. Und auf einmal sagt der Vater etwas resigniert, aber ganz ruhig: »Hier in Deutschland fühle ich mich wie ein zahnloser Tiger.«
Mit diesem einen Satz liegt plötzlich alles »auf dem Tisch«: die Hilflosigkeit des Vaters, der seine Tochter gerne beschützen möchte, aber nicht weiß, wie.
Wie ein zahnloser Tiger Sprachliche Bilder verdichten Erfahrungen: Komplexe Zusammenhänge können durch ein kleines Detail auf den Punkt gebracht werden. Man spricht hier von der Eigenschaft des »pars pro toto« eines Bildes: Ein Teil steht für das Ganze (Watzlawick, 1991, S. 58–61). Gleichzeitig wird durch bildhafte Sprache Distanz zum Problem hergestellt: Die Beratungslehrerin und der Vater müssen jetzt nicht über die konkrete Hilflosigkeit und Verzweiflung des Vaters sprechen, sondern können mit Hilfe des Bildes über den zahnlosen Tiger und somit indirekt über den Vater reden. Das macht das Gespräch »leichter«, was nicht Oberflächlichkeit meint. In dem »leichter« liegt die Fähigkeit, sich vom Problem zu distanzieren und die Möglichkeit, so »entspannter« zu neuen, kreaEin Bild sagt mehr als 1.000 Worte
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tiven Ideen zu kommen, die man vorher, zu nah am Problem, nicht sehen konnte. Frau S. kann dem Vater folgende mäeutische Frage stellen: »Wie -kann ein zahnloser Tiger sein Junges beschützen ↓« Nun heißt es für Frau S., sich nicht zu schnell mit einem »weiß ich nicht« oder »das geht nicht« zufrieden zu geben, sondern stattdessen geduldig abzuwarten, wie das angebotene Bild »wirkt« und mit einer zugewandten Pause zu signalisieren, dass Nachdenken erlaubt und notwendig ist. Wenn die Frage etwas im Vater »berührt«, wird Frau S. das merken: durch eine nachdenkliche Pause, durch ein kleines Lächeln oder durch einen direkten Blick. Im weiteren Gesprächsverlauf muss Frau S. aufmerksam zuhören. Spricht der Vater weiter in Bildern (»Dann kann man nur einen Käfig mit hohem Zaun drum herum bauen«), dann fragt auch Frau S. weiter in bildhafter Sprache (»Wie -- kann ein Tiger noch sein Junges beschützen ↓«). Wenn der Vater nach einem neuen Bild sucht (»Natürlich bin ich kein Tiger«) kann Frau S. »sondern … ↓« fragen. Wenn der Vater die bildhafte Sprache verlässt (»Ich muss ihr einfach zeigen, dass ich sie liebe und dass ich mir Sorgen um sie mache«), dann verlässt auch Frau S. diese Ebene (»Wie -- zeigen Sie ihr, dass Sie sie lieben und sich Sorgen um sie machen ↓«). Besonders wichtig sind die Metaphern und Bilder auch für das Erkunden der Ressourcen: »Welche -- Möglichkeiten hat ein Tiger noch, außer seinen Zähnen, um sein Junges zu beschützen ↓«
Bildhafte Sprachformen haben viele Vorteile Bildhafte Sprachformen können bei der ratsuchenden Person neue Verstehensräume eröffnen, die dem logisch-analytischen Verstehen schwer zugänglich sind. »Redet man in Metaphern, erscheinen Probleme und Lösungen ›in einem anderen Licht‹, es tun sich ›neue 116
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Türen auf‹ und alles erscheint wie verwandelt.« (Lindemann/Rosenbohm, 2012, S. 7). Zudem bringt das »Arbeiten mit Metaphern […] oft auch humorvolle Aspekte und eine gewisse Leichtigkeit in den Beratungskontext. Es wird nicht mehr direkt über die schwierigen und belastenden Themen und Probleme gesprochen, […] sondern man redet über ›Hopfen und Malz‹, die verloren gegangen sind, wie man sie wiederfindet und daraus Bier braut …« (Lindemann/Rosenbohm, 2012, S. 21). Hilfreich sind innere Bilder auch bei der Beschreibung und Formulierung von Zielen. Wird ein Ziel, ein erster Schritt oder ein neuer Gedanke mit einem inneren Bild verbunden, ist es kraftvoller und konkreter: Einem Skifahrer, der oben etwas ängstlich am Berg steht, würde ein Sportlehrer, eine Trainerin oder ein Sportpsychologe nie sagen: »Vor diesen Baum dort darfst du auf keinen Fall fahren!« Stattdessen lernt man, das gewünschte Ergebnis zu visualisieren, das heißt bildhaft vor das innere Auge zu bringen: »Sieh dir den Hang an und stell dir vor, auf welchem Weg du jetzt gut nach unten ins Tal kommst.«
Bildhafte Sprache nutzen Es gibt verschiedene Möglichkeiten, mit bildhafter Sprache zu arbeiten: Sprachliche Bilder aufgreifen Oft nutzt die ratsuchende Person selbst sprachliche Bilder (»Mir ist der Kragen geplatzt«/»Ich suche die Nadel im Heuhaufen«). Diese kann die ratsuchende Person aufgreifen und in das Gespräch einbringen (»Wohin -- mit dem geplatzten Kragen ↓«/»Wer -- kann Ihnen helfen, die Nadel zu suchen ↓«). Ein Schüler, 21 Jahre, eines Berufskollegs fehlt häufig im Unterricht und hat in einigen Fächern schlechte Noten. Der Lehrer, Herr B., weiß davon, da er die Laufbahnberatung in diesem Bildungsgang macht. Beide treffen sich zufällig auf dem Flur.
Ein Bild sagt mehr als 1.000 Worte
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Schüler: »Herr B., am Wochenende bin ich NRW-Vizemeister im Boxen geworden!« Herr B.: »Mensch, ich wusste gar nicht, dass Sie boxen. Und jetzt NRW-Vizemeister, super. Gratuliere! (Pause, Herr B. merkt, dass der Schüler noch nicht geht, sondern auf etwas wartet.) Und wie -- klappt es zurzeit mit dem Durchboxen in der Schule ↓«
Nach sprachlichen Bildern fragen Die beratende Person kann die ratsuchende Person auch nach einem Bild fragen. Der 9-jährige Alex sagt: »Ich würde gerne in Ruhe meine Aufgaben machen und nicht immer mit dem Druck, den meine Mutter mir macht.« Die Lehrerin fragt: »Wenn du mir ein Bild dazu malst: ›Du -in Ruhe bei deinen Aufgaben‹, wie -- sieht das Bild aus ↓«
Sprachliche Bilder anbieten Die beratende Person kann auch ein Bild anbieten. Natürlich deutet sie damit in gewisser Weise. Jedoch wird im weiteren Gesprächsverlauf sofort ersichtlich, ob die ratsuchende Person mit dem Bild etwas anfangen kann oder nicht. Kann sie nichts damit anfangen, wird sie das Bild nicht aufgreifen oder sich auf die Suche nach einem besseren Bild machen. Da Bilder vielschichtig sind, knüpft die ratsuchende Person vielleicht anders an, als die beratende Person gedacht hat. Daher ist es sehr wichtig, das Bild nur »anzubieten« und nicht zu erklären – und zu akzeptieren, dass »dieses Angebot« auch abgelehnt werden kann. Eileen, 15 Jahre, ist bedrückt und kommt zu ihrem Klassenlehrer, Herrn L. Eileen: »Ich weiß nicht, was ich machen soll. Meine Eltern haben sich getrennt. Und Mama will ausziehen. Wo soll ich hingehen? Ich muss das ja jetzt selber entscheiden, weil ich schon 15 bin. Meine beiden kleinen Geschwister gehen ganz bestimmt mit Mama. Und wenn ich auch zu Mama gehe, dann ist Papa ganz alleine. Das geht doch nicht. Aber ich muss auch für die beiden 118
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Kleinen da sein, meine Mutter arbeitet ja. Ich bin total hin und her gerissen. Was soll ich machen?« Herr L.: »Wie ein Gummiband -- kurz -- bevor es reißt ↓« (Er zieht die Hände auseinander, als hätte er ein Gummiband dazwischen gespannt.) Eileen: »Ja, aber ich will nicht zerrissen werden. Ich muss doch für die Kleinen da sein, gerade jetzt.« Herr L.: »An welcher Seite (er zieht noch einmal die Hände auseinander) muss die Spannung nachlassen, damit du nicht zerrissen wirst ↓« Eileen: »Am besten auf beiden. (Eileen denkt nach) Aber Mama, die kann das gerade gar nicht. Die ist völlig durch den Wind. Und dann muss sie sich ja noch um die Kleinen kümmern.« Herr L.: »Und Papa … ↓« Eileen: »Der kriegt das besser hin. Glaub ich zumindest. Vielleicht kann ich ja erstmal mit Mama und den Kleinen gehen. Und wenn sich dann alles wieder beruhigt hat, dann kann ich ja immer noch zu Papa gehen. (Eileen denkt nach) Ich werde mal mit ihm darüber reden, ob das möglich ist.« Das Gespräch hätte aber auch anders verlaufen können: Herr L.: »Wie ein Gummiband -- kurz -- bevor es reißt ↓« (Er zieht die Hände auseinander, als hätte er ein Gummiband dazwischen gespannt.) Eileen: »Gummiband??? (Sie schaut Herrn L. fragend an. Herr L. wartet ab.) Ich möchte einfach, dass meine Eltern wieder zusammenkommen. Ich will nicht, dass die sich trennen. Ist doch voll ätzend.« Herr L. kann vorher nicht wissen, ob das Bild passt oder nicht. Wenn es passt, ermöglicht es der Schülerin, einen kleinen Augenblick mit etwas Distanz auf ihre Situation zu schauen. Falls nicht, verwirft sie das Bild.
Sprachliche Bilder sind wirksame Impulse in Beratungsgesprächen, da sie die logische Denkweise umgehen und den Horizont weiten. Sprachliche Bilder können von der beratenden Person Ein Bild sagt mehr als 1.000 Worte
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nur angeboten werden. Ob und wie diese genutzt werden, entscheidet allein die ratsuchende Person. Überlegen Sie mäeutische Impulse, die »im Bild« an folgenden Sätzen anknüpfen: a) »Ich sitze zwischen zwei Stühlen!« b) »Ich hab’ Mist gebaut.« c) »Ich hab’ manchmal das Gefühl, mir fehlt die Luft zum Atmen!« d) »Ich weiß nie, woran ich bei ihr bin. Das ist wie eine riesengroße Wundertüte.« Vorschläge dazu finden Sie auf Seite 154.
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Mir fällt dazu eine Geschichte ein – Geschichten strategisch erzählen und einsetzen
Durch den gezielten Einsatz von Geschichten kann die beratende Person ein Gespräch verlangsamen, entspannen und/oder einen neuen Impuls setzen. Geschichten haben ebenso wie sprachliche Bilder den großen Vorteil, dass sie sich nicht direkt auf die ratsuchende Person beziehen. So hat diese die Freiheit, sich mit den Einzelheiten der Geschichte zu identifizieren oder sich zu distanzieren. Im Idealfall helfen Geschichten der ratsuchenden Person, neue Möglichkeiten zu entdecken, da sie bei ihr eine Suche in Gang setzen, ob die Geschichte und die »Lösung«, die sie anbietet, für sie passt. Gleiches gilt auch für Filme oder Filmsequenzen. Die 18-jährige Gina bittet die Beratungslehrerin, Frau A., um ein Gespräch. Sie erzählt, dass sie sich vor vier Wochen von ihrem Freund getrennt hat, mit dem sie drei Jahre zusammen war, weil er sich in den letzten Monaten kaum noch Zeit für sie genommen hat und »immer was mit den Jungs machen wollte.« Sie hatte das Gefühl, dass er die Beziehung eigentlich nicht mehr will, hätte aber mit der Trennung am liebsten erreicht, dass ihm deutlich wird, wie wichtig sie ihm ist. Gina sagt, dass sie ihn immer noch liebt und dass er ein ganz besonderer Mensch für sie ist. Er ist in der gleichen Stufe wie sie und so sieht sie ihn jeden Tag. Gina hat den Eindruck, dass es ihm gut geht, er lacht viel und trifft sich seit zwei Wochen wohl auch mit einer gemeinsamen Freundin. Gina wiederholt mehrmals in ihrer Erzählung: »Ich weiß nicht, wie ich damit umgehen soll.« Frau A.: »Wohin -- willst du -- jetzt gehen ↓« Gina: »Ich möchte auch wieder frei sein. Irgendwann wieder glücklich werden. Und mich auch auf jemand anderes einlassen. Ich weiß ja, das braucht noch Zeit. Aber, wenn ich ihn hier in der Schule sehe, das ist so schwer. Ich hänge noch so an ihm.« Frau A.: »Mit der Zeit wieder frei werden. Welchen Schritt -- auf diesem Weg -- willst du als nächstes gehen ↓« Gina: »Die anderen sagen immer, ich hätte doch was Besseres als den verdient. Dass er jetzt gleich eine andere hat. Aber ich sehe das nicht so. Wir hatten wirklich gute drei Jahre. Und irgendwie hänge ich noch an ihm.« 122
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Frau A.: »Dazu fällt mir ein kleiner Film ein. Ich erzähl ihn dir mal kurz: Da ist ein Bergsteiger ganz alleine im Gebirge. Er klettert und hat sich mit einem Seil gesichert. Ein Gewitter zieht auf und es wird dunkel. Und dann stürzt er ab. Hängt in seinem Seil und kann nichts machen. Inzwischen ist es stockfinster. Und dann hört er eine Stimme, die sagt zu ihm: ›Kapp das Seil!‹ Und er schreit laut: ›Nein!‹, weil er solche Angst hat, abzustürzen. Als die Bergretter ihn am nächsten Morgen finden, hängt er immer noch am Seil, erfroren. Und sie wundern sich: Warum hat er das Seil nicht gekappt – er hängt nur einen Meter über der Erde.«7 Gina: »Das ist ’ne harte Geschichte.« Frau A. wartet ab. Gina: »Ich kann das noch nicht, das Seil kappen. Dafür war unsere Beziehung zu tief … und zu schön. Eigentlich will ich das auch noch gar nicht. Ich brauche einfach noch etwas Zeit. Vielleicht nochmal vier Wochen oder drei Monate oder vielleicht auch ein halbes Jahr.« Frau A.: »Wie -- willst du diese Zeit gestalten ↓« Gina: »Ich muss viel unternehmen. Wenn ich unterwegs bin, dann denke ich nicht so viel an ihn. Und ich muss alle Sachen aussortieren, die mich zu viel an ihn erinnern. Ich hab noch zwei Pullover von ihm, die geb’ ich ihm zurück. Und auch die Fotos.«
Kurz und strategisch Geschichten im beratenden Gespräch müssen kurz und strategisch erzählt werden.8 Es geht dabei nicht um Vollständigkeit der Geschichte, sondern darum, eine neue Sichtweise in eine Situation oder ein festgefahrenes Lösungsverhalten einzubringen.
7 Die erzählte Sequenz stammt aus dem Kurzfilm »Am seidenen Faden« von Juan Carlos Romera (2005, Spanien). 8 Da das strategische Erzählen von Geschichten im Beratungsgespräch nicht einfach ist, ist es hilfreich, das Erzählen zu üben und sich ein gewisses Repertoire von Geschichten zurechtzulegen. Viele schöne Geschichten finden sich z. B. im Buch »Komm, ich erzähl dir eine Geschichte« von Jorge Bucay (2013). Mir fällt dazu eine Geschichte ein
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Wenn die ratsuchende Person an der Geschichte andocken kann (oft an einer für die beratende Person unvermuteten Stelle), dann passt die Geschichte. Wenn die Geschichte nicht passt, besteht für die ratsuchende Person keine Notwendigkeit, sich auf diese zu beziehen und sie wird – für die beratende Person überraschend – manchmal nicht weiter erwähnt. Dies muss die beratende Person wahrnehmen und akzeptieren. Ob eine Geschichte passt oder nicht, entscheidet allein die ratsuchende Person. Die beratende Person sollte daher niemals erklären, warum sie diese Geschichte für passend hielt. Beim Erzählen einer Geschichte legt die beratende Person ihre Wahrnehmung und zum Teil auch ihre Deutung in die Geschichte hinein. Die ratsuchende Person dagegen entnimmt der Geschichte das, was zu »ihrer Welt« passt und gibt der Geschichte dadurch eine persönliche Bedeutung, die möglicherweise eine ganz andere ist, als von der beratenden Person gedacht. Es gilt, dass die ratsuchende Person entscheidet, wie sie die Geschichte interpretiert. Geschichten sind wirksame Impulse in Beratungsgesprächen, da sie eine neue Perspektive einbringen. Sie sollten nicht in Gänze und detailgetreu nacherzählt werden, sondern kurz und strategisch. Ob und wie eine Geschichte genutzt wird, entscheidet allein die ratsuchende Person.
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Den Rahmen verlassen – Es gibt mehr als eine Möglichkeit
Der Lehrer, Herr P., spricht eine Kollegin in der Pause auf die 11-jährigen Schülerinnen Lisa und Sarah an. Die beiden Mädchen sind schon oft Gesprächsthema gewesen, weil sie häufig den Unterricht stören und in Gesprächen völlig uneinsichtig sind. Auch alle Versuche, die beiden zu bestrafen, haben nicht zu einer Veränderung ihres Verhaltens geführt. Herr P.: »Wir müssen unbedingt hart durchgreifen bei Lisa und Sarah, ich habe gestern Abend mit ihren Müttern telefoniert, die eine hat mich ganz schön auflaufen lassen, das lasse ich mir nicht bieten. Das kommt jetzt schon zum wiederholten Mal vor, die haben schon so viel auf dem Kerbholz, da muss endlich eine deutlichere Sprache gesprochen werden.« Im Verlauf des Gesprächs wird deutlich, dass schon vieles, der Kollege sagt mehrmals »alles«, versucht worden ist, um die beiden Schülerinnen zur Vernunft zu bringen. Die Situation scheint völlig festgefahren und Herr P. mit seinen Möglichkeiten und Kräften am Ende zu sein, da er den Konflikt schon sehr lange führt.
Im Normalfall werden in solchen Situationen sogenannte »Lösungen erster Ordnung« angewendet: weitere Ermahnungen, weitere Gespräche, weitere Strafen, Konferenzen, Elterngespräche usw. Wenn die Situation sehr festgefahren ist, ist es jedoch oft nicht hilfreich, noch »mehr desselben« zu versuchen. Paul Watzlawick unterscheidet in diesem Zusammenhang zwischen »Lösungen erster Ordnung« und »Lösungen zweiter Ordnung«. Lösungen erster Ordnung versuchen »mehr desselben«, also zum Beispiel das »siebte Gespräch« oder die »dritte Konferenz«. Lösungen zweiter Ordnung dagegen liegen nach Watzlawick außerhalb des bisherigen Denk- und Lösungsrahmens. Bei Lösungen zweiter Ordnung geht es im Beratungsgespräch darum zu entdecken, was »außerhalb des Rahmens« möglich ist. Mäeutische Fragen können der ratsuchenden Person zunächst dabei helfen, sich die Wirkungslosigkeit der bisherigen Lösungsversuche einzugestehen, um dann den Blick auf Veränderungsmöglichkeiten außerhalb des »gewohnten Lösungsrahmens« zu weiten. 126
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Mögliche Fragen für das Eingangsbeispiel sind: ȤȤ »Was wird aus dir, -- wenn Lisa und Sarah so weitermachen ↓« ȤȤ »Was wird aus der Klasse, -- wenn Lisa und Sarah so weitermachen ↓« ȤȤ »Wer außer dir -- kann die Situation mit Lisa und Sarah lösen ↓« ȤȤ »Stell dir vor, nur eine der beiden sitzt in deinem Unterricht. Was -- dann ↓« ȤȤ »Was haben Lisa und Sarah davon, -- wenn sie dich so nerven ↓« ȤȤ »Mit welcher Verhaltensweise kannst du -- Lisa und Sarah überraschen ↓« Herr P. kann so erkennen, dass das Problem und sein damit verbundenes Verhalten nur eine, aber nicht die einzige Möglichkeit des Sich-Verhaltens darstellt. Im Gespräch geht es dann darum, neue Möglichkeiten zu erkunden.
Problem: Lösungsfixiertheit Was tun, wenn »alles nichts hilft«? Manche Probleme lassen sich nicht so lösen, wie man sich das gedacht hatte. Und andere Pro bleme lassen sich überhaupt nicht lösen. Paul Watzlawick nennt eine gewisse »Lösungsfixiertheit« oft das eigentliche Problem. Er fordert die ratsuchenden Personen dann auf, nicht weiter »mehr desselben« zu versuchen, sondern »weniger desselben zu tun« (Watzlawick, 2001, S. 51 ff.). Paul Watzlawick veranschaulicht das mit folgender kleiner Übung, bei der es sehr lohnend ist, sie zu allererst selbst auszuprobieren: Neun Punkte sind quadratisch angeordnet, jeweils im gleichen Abstand drei in einer Reihe, sowohl senkrecht als auch waagerecht. Die Aufgabe ist, diese neun Punkte »durch vier gerade, zusammenhängende Linien zu verbinden«, das heißt, ohne den Stift abzusetzen (Watzlawick, 2001, S. 43; die Lösung der Aufgabe ist auf S. 46 zu finden. Eine bildliche Darstellung finden Sie, wenn Sie im Internet nach dem »Neun-Punkte-Problem« suchen). Paul Watzlawick schreibt dazu: »Fast jeder, der zum ersten Mal die Lösung dieser Aufgabe versucht, führt als Teil seines LösungsDen Rahmen verlassen
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versuchs etwas ein, das die Lösung unmöglich macht. Es ist die unbegründete Annahme, dass die Lösung innerhalb des durch die Punkte gegebenen Quadrats gefunden wird – eine Bedingung, die in der Aufgabe nicht enthalten ist, sondern die sich der Problemlöser unversehens selbst auferlegt. Sein Scheitern liegt daher nicht in der Unmöglichkeit der Aufgabe, sondern in seinem Lösungsversuch begründet.« (Watzlawick, 2001, S. 44) Mit dieser Übung wird sehr anschaulich: Manche Probleme lassen sich nicht innerhalb des vorgegebenen Rahmens lösen. Manchmal muss der Rahmen bewusst verlassen werden. Denn oft liegt das Problem genau darin, dass der Lösungsversuch zu eng oder falsch ansetzt oder eine Lösung gesucht wird, wo gar keine zu finden ist. Es gibt viele Situationen im Leben, die sich nicht »lösen« lassen, mit denen man aber trotzdem weiterleben muss und die naturgemäß das Leben der Menschen stärker beeinflussen als Watzlawicks Neun-Punkte-Problem: Der Opa ist gestorben; die Eltern haben sich getrennt; den Traumberuf kann man nicht ergreifen, weil man eine Allergie hat … Manchmal ist das der ratsuchenden Person durchaus klar und trotzdem verfolgt sie unermüdlich und kräftezehrend weiterhin die unmögliche Lösung. In vielen anderen Situationen wird im Laufe des Gesprächs immer deutlicher, dass es keine Lösung innerhalb des alten Rahmens gibt: Ich will meine Freundin unbedingt zurückgewinnen, aber sie will nicht; ich komme mit dieser Klasse einfach nicht klar und habe schon alles versucht; mein Banknachbar stört so mit seinem ewigen Gequatsche, das muss endlich aufhören … Gerade dann, wenn eine ratsuchende Person ausführlich darlegt, was sie schon alles versucht hat, um das Problem – auf der Ebene »mehr desselben« – zu lösen, ist es oft hilfreich, nicht nach noch weiteren Optionen zu suchen, sondern schlicht zu fragen: »Was -dann ↓« oder etwas ausführlicher: »Wenn das jetzt nicht zu lösen ist, was -- dann ↓« 128
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Wenn die ratsuchende Person erst einmal akzeptiert, dass sie das Problem in dem von ihr gesetzten Rahmen nicht lösen kann, wird wieder Energie frei, die bisher darauf verwendet wurde, eine unmögliche Lösung zu suchen.
Veränderungen sind auf verschiedenen Ebenen möglich Oft wäre es im Leben schön, wenn die anderen sich verändern würden (z. B., wenn Lisa und Sarah aus dem Beispiel oben endlich ruhig wären), aber fast ebenso oft sind die Möglichkeiten, andere Menschen zu verändern, begrenzt. Veränderungen sind trotzdem möglich, wenn die ratsuchende Person selbst etwas ändert, denn damit verändert sich zwangsläufig das Gesamtsystem. Vereinfacht gesagt kann die ratsuchende Person drei Dinge verändern und so wieder Bewegung in eine festgefahrene Situation bringen: 1. Sie kann die problematische Situation verändern. 2. Sie kann ihr eigenes Verhalten verändern. 3. Sie kann die eigene Deutung der Situation verändern. Die problematische Situation verändern Manchmal hilft ein Zufall, eine problematische Situation zu verändern, wenn z. B. eine der beiden Schülerinnen für längere Zeit krank ist und sich dadurch die Situation in der Klasse verändert. Hilft der Zufall nicht, können nur die agierenden Personen die Situation verändern und müssen nach Wegen suchen, »den Rahmen zu verlassen«. Das kann z. B. die Versetzung einer oder beider Schüler*innen in eine parallele Lerngruppe sein, eine zweite Person in der Klasse (Sozialpädagog*in, FSJ’ler*in) oder vielleicht auch – um etwas auch für die Schülerinnen Überraschendes zu machen – eine vorübergehende Versetzung in den Jahrgang darüber. Wichtig ist, im Gespräch den Blick zu weiten und den Rahmen zu verlassen, den Rahmen, der besagt: »Ich, Herr P., muss in der Klasse mit diesen beiden Schülerinnen das Problem lösen.« Wenn einmal akzeptiert ist, dass Herr P. im Augenblick das Problem nicht lösen Den Rahmen verlassen
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kann (was natürlich nicht einfach ist), dann wird der Blick frei für »andere Lösungen«. Sich selbst anders verhalten Bewegung in eine festgefahrene Situation kommt auch, wenn sich die Lehrerin*der Lehrer anders verhält und neue, unerwartete Strategien erprobt. In einer Auseinandersetzung mit einer Schülerin, die seit Wochen immer den gleichen Verlauf nimmt, kann dies z. B. der für die Schülerin unerwartete Satz »Ich bewundere deine Kraft, die du in unseren Streit investierst«/»Ich streite mich mit dir, weil ich mir Sorgen um dich mache und du mir nicht egal bist« sein.
Die Veränderung des eigenen Verhaltens kann auch ganze Klassen beeinflussen: Die Lehrerin Frau D. ärgert sich seit Wochen in ihrer 9. Klasse, dass sich nur sehr wenige und immer dieselben Schüler*innen am Unterrichtsgespräch beteiligen. Frau D. hat sich eine Alternative überlegt: Anstatt wie bisher auf die Freiwilligkeit der Schüler*innen bei den Meldungen zu setzen, stellt sie nun immer eine Frage und gibt den Schüler*innen eine vorgegebene Bedenkzeit. Da alle Schüler*innen Zeit zum Nachdenken hatten und somit (zumindest theoretisch) vorbereitet sind, nimmt sie im Anschluss Schüler*innen einfach dran. Meldungen sind bei ihr im Unterricht nun nicht mehr nötig.
Die eigene Deutung der Situation verändern Während die erste und zweite Strategie schnell nachvollziehbar sind, hört sich die dritte Strategie zunächst nach einem »Trick« an, weil sie zunächst nichts an der Situation verändert. Sie beruht auf der Einsicht, dass problematisches Verhalten auf verschiedene Art und Weise gedeutet werden kann. In der Fachsprache spricht man von »Reframing«. Auf der einen Seite kann unerwünschtes Verhalten als persönlicher Angriff gedeutet werden. Auf der anderen Seite kann beim 130
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Gegenüber aber auch ein »guter Grund« für das Verhalten vermutet werden. Aus seiner Geschichte und seinen Erfahrungen heraus verhält er sich – aus seiner Sicht – »richtig« und »sinnvoll«, da er diese Strategie gelernt und bei sich selbst oder anderen als erfolgreich erlebt hat. Ayse und Ecem aus der 3. Klasse sind die besten Freundinnen. Ständig haben sie sich etwas zu erzählen, vor allem morgens in der ersten Stunde, wenn eigentlich im freien Lernen eine Stillarbeitsphase ansteht, reden sie fast ununterbrochen. Die Lehrerin, Frau G., hat sie auseinandergesetzt, was dazu geführt hat, dass sie jetzt Zettelchen schreiben, mit Zeichensprache kommunizieren, oft aufstehen und damit die anderen noch mehr stören. Alle Ermahnungen von Frau G. fruchten nichts. Frau G. ist mit ihren üblichen Strategien am Ende. Darum bemüht sie sich, die Situation anders zu deuten. Ihre bisherige Deutung war: Die beiden haben keine Lust zu arbeiten, und die beiden stören die anderen. Ihre neue Deutung ist: Ayse und Ecem sind so gute Freundinnen, dass sie morgens erst einmal etwas Zeit brauchen, um sich alles vom Vortag zu erzählen. Daraufhin verändert Frau G. ihr Verhalten: Sie holt die beiden zu sich, sagt ihnen, dass sie erst jetzt verstanden habe, wie wichtig ihnen ihre Freundschaft sei – und »verordnet« ihnen, sich jeden Morgen zu Anfang der ersten Stunde fünf Minuten im Vorraum alles Wichtige zu erzählen. Ayse und Ecem reagieren etwas verwirrt und verunsichert, ob Frau G. es wirklich ernst meint. Frau G. betont ganz ernst und sachlich, wie wichtig gute Freundschaften sind und wiederholt ihre »Verordnung« bzw. »Verschreibung«.9
Was auf den ersten Blick aussieht, als hätte die Lehrerin ihren Widerstand gegen die störenden Schülerinnen aufgegeben, kann aus einer anderen Perspektive durchaus als Problemlösung angesehen werden. Watzlawick weist daraufhin, dass diese Art der Problemlösung der Technik des Judo nahekommt, »in der ja auch der Stoß des Gegners 9 Die Idee stammt von Alex Molnar und Barbara Lindquist (Molnar/Lindquist, 2009, S. 65 ff.). Diese Strategie hat sich in der Praxis bewährt. Den Rahmen verlassen
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nicht mit einem Gegenstoß mindestens gleicher Stärke beantwortet wird, sondern wo die Reaktion im Nachgeben und Verstärken des Angriffs liegt.« (Watzlawick, 2001, S. 129) Beim »Reframing« werden also genau die Widerstände für eine »Lösung zweiter Ordnung« genutzt. Alina, 15 Jahre, fällt immer wieder durch lautes, störendes Verhalten auf. Viele Lehrer*innen beschweren sich über sie. Alina wiederum beschwert sich ebenfalls: sie werde ungerecht behandelt, immer sei sie an allem schuld und das stimme so gar nicht. Zur Klassenlehrerin hat Alina Vertrauen und in ihrem Unterricht läuft es auch einigermaßen gut. Zur Klassenlehrerin kommt eine Kollegin, die sich mal wieder über Alina beschwert. Alle »üblichen« disziplinarischen Maßnahmen scheinen nicht zu wirken und das Gespräch dreht sich im Kreis.
Mögliche (kreative) Impulse »mit Augenzwinkern«, die der Lehrerin helfen, den üblichen Rahmen zu verlassen können sein: ȤȤ »Stell dir vor, Alina arbeitet als Anwältin: Welche -- ihrer Eigenschaften kann sie dort sinnvoll einbringen ↓« ȤȤ »Stell dir vor, Alina leitet ein Sozialtraining für die 5. Klasse. Was -- wird sie den Fünftklässlern beibringen wollen ↓« ȤȤ »Mit welcher Reaktion -- kannst du Alina beim nächsten Konflikt richtig überraschen ↓« ȤȤ »Du kannst das Problem mit Alina nicht lösen. Was -- dann ↓« Insbesondere bei Gesprächen, die sich im Kreis drehen oder bei denen schon scheinbar alles zur Lösung des Problems versucht wurde, helfen kreative Impulse der beratenden Person, den manchmal von der ratsuchenden Person selbst zu eng gesteckten Rahmen zu verlassen. Oft muss die ratsuchende Person auch akzeptieren, dass es keine Lösung für das Problem gibt. Wenn dies gelingt, steht die Frage im Raum, wie sie mit der Situation umgehen und leben kann.
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Gesprächsbeispiele aus der Praxis
In diesem Kapitel finden Sie Gespräche aus der Praxis, die mit den vorgestellten Methoden geführt wurden. Sie sind so bunt und vielfältig wie das Leben selbst. Sie werden beim Lesen merken, dass nicht jede Intervention der »reinen Lehre« entspricht. Dies kommt in der Praxis immer wieder vor. Die grundlegende innere Haltung werden Sie dennoch bei allen Gesprächen entdecken. Die ersten drei Gespräche haben wir kommentiert. In der linken Spalte finden Sie jeweils den Gesprächsverlauf und in der rechten Spalte eine kurze Erläuterung auf der Metaebene.
Und die haben ihr das echt geschrieben, dass du schwanger bist? – Schülerin (14 Jahre) und Lehrerin Vor dem Unterricht: Die Lehrerin, Frau P., ist bereits im Raum und sortiert ihre Sachen. Zwei Schülerinnen, Katja und Sonja, beide 14 Jahre, unterhalten sich so laut miteinander, dass Frau P. das Gespräch hören kann: Katja: »Und die haben ihr das echt geschrieben, dass du schwanger bist?« Sonja: »Ja, und dabei sollte das niemand wissen. Das sollte ein Geheimnis bleiben.« Katja: »Und nun?« Sonja: »Das weiß ich auch nicht so genau.« Frau P. überlegt, ob sie Sonja ansprechen soll. Sie entscheidet sich dafür und bittet Sonja nach der Stunde, noch einen Moment zu bleiben.
Gesprächssequenz
Erläuterung zum Vorgehen/ Reflexion
Frau P.: »Ich habe vor der Stunde euer Gespräch gehört. (Pause)
Da in dieser Situation die Initiative von Frau P. ausgeht, ist ein einleitender Satz hilfreich. Die Betonung ist hier besonders wichtig, da dieser Satz nicht vorwurfsvoll klingen darf, da Sonja sich ansonsten rechtfertigen wird: Dass sie ja gar nicht laut habe sprechen wollen und dass es nur die Freundin war, die etwas ausgeplaudert hat. Sonja muss an dieser Stelle die Möglichkeit haben, zu sagen, dass sie mit Frau P. nicht sprechen möchte. Wenn Sonja sich auf das Gespräch einlässt, und das kann sie auch ohne Worte deutlich machen, indem sie Frau P. z. B. anblickt, stellt Frau P. sehr ruhig und zugewandt die mäeutische Frage. Da es um Sonja geht, dockt Frau P. hierbei an Sonjas Sprache an. In ihren Sätzen fallen einige Worte auf: »wissen«, weil es zweimal vorkommt, und »Geheimnis«, weil es für Sonja wichtig zu sein scheint und weil es mit »Wissen« bzw. »Nichtwissen« zusammenhängt. Frau P. lässt durch ihre Frage Sonja »das Geheimnis« und überlässt ihr damit auch die Entscheidung, was und wie viel sie von ihrem Geheimnis offenbaren will.
Was musst du -- jetzt -- wissen ↓« oder: »Wie -- lange soll das ein Geheimnis bleiben ↓«
Sonja: »Ich weiß ja gar nicht so genau, ob ich schwanger bin. Ich hab einfach nur Angst, dass ich es bin. Und die hat das einfach rumgeschrieben.« (Sonja fängt an zu weinen.)
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Gesprächssequenz
Erläuterung zum Vorgehen/ Reflexion
Frau P.: »Wie -- kannst du es rausfinden ↓«
Frau P. macht nicht gleich den Vorschlag, einen Schwangerschaftstest zu machen, auch wenn sie sich vielleicht fragt, ob oder warum Sonja den nicht schon gemacht hat. Nur so kann sie Sonja aktivieren.
Sonja: »Ich kann einen Test machen oder zum Arzt gehen. Aber dann kriegt meine Mutter das mit. Das will ich nicht.« Frau P.: »Was -- muss deine Mutter von dir wissen ↓«
Frau P. verbindet das »wissen« und »die Mutter« – auch, weil sie es in ihrer Fürsorgepflicht wichtig findet, die Mutter nicht außer Acht zu lassen.
Sonja: »Im Augenblick gar nichts. Solange das nicht klar ist, ob ich schwanger bin, erzähle ich das nicht. Wenn ich wirklich schwanger bin, dann muss ich es natürlich erzählen. Aber erst dann.« Frau P. knüpft sprachlich am Wort Frau P.: »Wie -- klärst du das ↓« »klar« an. Sonja (überlegt): »Ich kaufe im Drogeriemarkt einen Test und frage Katja, ob ich ihn bei ihr machen kann. Bei Katja ist nachmittags niemand zu Hause.« Frau P.: »Wann -- fragst du Katja ↓«
Aus der Fülle der möglichen Prüffragen (»Wo -- genau willst du den Test kaufen ↓« oder »Wer -- geht mit ↓«) wählt Frau P. diese aus, da Sonja mit Katja, ihrer Freundin, eine wichtige Ressource genannt hat.
Sonja: »Gleich in der Pause.«
Gesprächsbeispiele aus der Praxis
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Gesprächssequenz
Erläuterung zum Vorgehen/ Reflexion
Frau P.: »Eine gute Klärung wünsch ich dir.« (Frau P. blickt Sonja an und reicht ihr die Hand.)
Frau P. drängt es, zu fragen »Und was ist, wenn du wirklich schwanger bist?« oder ein gutgemeintes Angebot zu machen »Wenn der Test positiv ist, kannst du gerne wiederkommen.« All das ist an dieser Stelle jedoch nicht nötig und kann auch schnell übergriffig sein. Wenn Sonja niemanden hat, mit dem sie über eine mögliche Schwangerschaft reden kann oder wenn sie Angst hat, es ihrer Mutter zu sagen, dann wird sie, nach diesem kleinen, behutsamen Gespräch wiederkommen und um Hilfe bitten.
Gut gemeint, aber übergriffig wäre folgende Intervention von Frau P. gewesen: »Ich habe gehört, dass du schwanger bist. Soll ich mit dir zum Arzt gehen?« Diese Art zu intervenieren, stärkt die ratsuchende Person nicht, sondern macht sie – noch zusätzlich zu ihrem Pro blem – klein und abhängig.
Ich will wieder zurück zu meiner Mutter – Schülerin (15 Jahre) und Lehrerin Jasmin ist 15 Jahre alt und lebt seit einiger Zeit in einer Pflegefamilie. Sie wendet sich an ihre Lehrerin, Frau B., weil sie wieder zu ihrer Mutter zurück möchte. Gesprächssequenz Jasmin: »Frau B., ich muss Sie dringend sprechen, ich will wieder zurück zu meiner Mutter.«
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Erläuterung zum Vorgehen/ Reflexion
Gesprächssequenz
Erläuterung zum Vorgehen/ Reflexion
Frau B.: »Was -- drängt dich zurück zu deiner Mutter ↓«
Frau B. dockt an das Wort »dringend« mit »drängt« an.
Jasmin: »Ich habe gestern mit ihr gesprochen. Sie hat sich verändert und hat mir versprochen, dass ich nicht mehr so viel im Haushalt helfen muss. Ich habe einfach Heimweh nach ihr.« Frau B.: »Was -- möchtest du jetzt mit mir besprechen ↓«
Frau B. klärt ihr Mandat und »aktiviert« Jasmin genau zu formulieren, worum es ihr in diesem Gespräch geht.
Jasmin: »Wie das geht, dass ich wieder zurück kann zu meiner Mutter, und ich weiß nicht, was ich machen soll, wegen meinen Pflegeeltern, ich will denen nicht weh tun, sie haben so viel für mich getan. Letzte Woche haben sie erst ein neues Bett für mich gekauft.« Frau B.: »Zu deiner ersten Frage, wie das geht: Weißt du, wer wofür zuständig ist ↓«
Frau B. unterstützt Jasmin, indem sie Schritt für Schritt vorgeht.
Jasmin: »Ja, Herr M. ist mein Vormund, aber der macht sowieso nichts für mich.« Frau B.: »Du kannst dich an deinen Vormund oder an das Jugendamt wenden, die dann bei Gericht einen Antrag für dich stellen. Zu deiner zweiten Frage, wegen deiner Pflegeeltern: Was willst du -- für deine Pflegeeltern tun ↓«
Frau B. setzt ihre Kompetenzen gezielt ein, ohne über Jasmin zu »verfügen«. Anschließend dockt sie an »weh tun« an und aktiviert Jasmin, indem sie fragt, was sie sonst noch »tun« könne.
Jasmin: »Ich weiß es nicht, sie werden sauer auf mich sein und es mich spüren lassen. Sie glauben nicht, dass meine Mutter sich verändert hat.«
Gesprächsbeispiele aus der Praxis
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Gesprächssequenz
Erläuterung zum Vorgehen/ Reflexion
Frau B.: »Was ist, wenn sie sich nicht -- verändert hat ↓«
Frau B. unterstützt Jasmin darin, zu bedenken, ob die Veränderung der Mutter realistisch ist, um zu prüfen, ob der geplante Schritt realistisch und Erfolg versprechend ist.
Jasmin: »Dann sage ich es ihr und gebe ihr noch eine Chance.« Frau B.: »Und -- dann ↓«
Frau B. fordert Jasmin auf, Schritt für Schritt weiterzudenken.
Jasmin: »Dann gehe ich in eine Wohngruppe, nicht mehr in eine Familie, die so enttäuscht ist, wenn ich wieder gehe.« Frau B.: »Worin -- haben sich deine Pflegeeltern getäuscht ↓«
Frau B. dockt an das Wort »enttäuscht« an und macht daraus ein »getäuscht«.
Jasmin: »Ich bin nicht ihr Kind und ich habe immer Heimweh nach meiner Familie. Sie sind nicht meine Eltern.« Frau B.: »Und das tut ihnen weh.«
Aus: »Ich tue ihnen weh« (s. o.) macht Frau B.: »das tut ihnen weh«.
Jasmin: »Ja (denkt nach) … dann kann ich gar nichts dafür.« Frau B.: »Wofür -- kannst du etwas tun ↓«
Frau B. fragt nach den Möglichkeiten und Ressourcen von Jasmin.
Jasmin: »Ich kann mit ihnen reden und ihnen sagen, dass ich wieder zurück möchte, und mich bei ihnen bedanken für das, was sie mir gegeben haben.« Frau B.: »Ja, das kannst du tun. Wann -- wirst du das tun ↓« Jasmin: »Heute Abend.«
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Zur Vertiefung
Frau B. möchte, dass dieser Schritt gelingt; deshalb plant sie ihn mit Jasmin so konkret.
Gesprächssequenz
Erläuterung zum Vorgehen/ Reflexion
Frau B.: »Ich wünsche dir Mut für das Gespräch heute Abend und dass du offen mit ihnen reden und ihnen zeigen kannst, was sie dir gegeben haben.«
Frau B. beschließt das Gespräch mit einem guten Wunsch, der konkret bezogen ist auf den geplanten ersten Schritt.
Hast du mal einen Augenblick Zeit? – Referendar und Ausbildungslehrerin Ein Referendar, den die Ausbildungslehrerin bisher – zumindest in ihrem Fach – nicht als besonders engagiert und fleißig erlebt hat, kommt am Mittwoch in der Mittagspause zur Ausbildungslehrerin. Er bittet um Hilfe, da in der nächsten Woche ein Unterrichtsbesuch im Fach Englisch ansteht. Die Ausbildungslehrerin des Referendars ist etwas genervt, weil sie schon sehr oft von ihm nach Ideen gefragt wurde. Gesprächssequenz
Erläuterung zum Vorgehen/ Reflexion
Referendar: »Hast du mal einen Augenblick Zeit? Nächsten Dienstag habe ich ja den Unterrichts besuch, und ich weiß noch gar nicht, was ich machen soll. Irgendwie komme ich nicht voran. Hast du nicht vielleicht eine gute Idee für die Stunde?«
Schon in der Ansprache stellt sich der Referendar als hilflos dar: Er weiß nicht, was er machen soll, er kommt nicht weiter und auch die Zeit drängt.
Ausbildungslehrerin: »Ja, ich habe einen Augenblick Zeit. Welche -guten Ideen hast du ↓«
Die Ausbildungslehrerin reagiert besonnen und tappt nicht in die »Helferfalle«. Sie unterbreitet dem Referendar nicht mehrere Vorschläge für die Besuchsstunde, sondern vertraut darauf, dass der Referendar selbst »gute Ideen« hat.
Gesprächsbeispiele aus der Praxis
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Gesprächssequenz
Erläuterung zum Vorgehen/ Reflexion
Referendar: »Ich hatte schon ein paar Ideen, aber damit bin ich überhaupt nicht zufrieden. Eine gute Idee hab’ ich eigentlich gar nicht, deshalb frag’ ich ja dich.«
Der Referendar kann diese Frage nicht beantworten und bittet erneut um Hilfe. Vielleicht will er auch die Arbeit und/oder Verantwortung abschieben.
Ausbildungslehrerin: »Welche deiner Stunden bisher war gut und hat dich zufrieden gemacht ↓«
Die Ausbildungslehrerin macht auch dieses Mal keine Vorschläge. Sie versucht den Referendar ein weiteres Mal zu aktivieren, indem sie sich nach positiven Stunden in der Vergangenheit erkundigt.
Referendar: »Mmh … also … eigentlich hat doch die Stunde mit dem Lied gut geklappt, und die Schüler hatten auch ihren Spaß. Aber das dauert natürlich länger als 45 Minuten.«
Durch die Frage kommt beim Referendar etwas in Bewegung. Er kommt ins Überlegen und erinnert sich nach einiger Zeit an eine »gute Stunde«, mit der er selbst zufrieden war. Allerdings äußert er sofort wieder Bedenken.
Ausbildungslehrerin: »Wie -- kann das mit einem Lied in 45 Minuten klappen ↓«
Die Ausbildungslehrerin greift den Gedanken des Referendars auf und fragt nach Möglichkeiten, diese Idee – trotz Bedenken – umzusetzen.
Referendar: »Ich könnte nur ein paar Strophen aussuchen oder wir besprechen einzelne Aspekte des Liedes vorher und konzentrieren uns in der Besuchsstunde auf andere Aspekte.«
Dem Referendar fallen schnell zwei Möglichkeiten ein.
Ausbildungslehrerin: »Schon zwei Die Ausbildungslehrerin gibt gute Ideen. Hast du noch eine drit- sich nicht mit den ersten beiden te gute Idee ↓« Antworten, die dem Referendar schnell eingefallen sind, zufrieden. Referendar: »Also, eigentlich könn- Trotz Nachdenkens fallen ihm te ich mir eine der beiden Sachen keine weiteren Möglichkeiten ein. Beide bereits genannten Ideen schon ganz gut vorstellen.« empfindet er aber als gut.
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Gesprächssequenz
Erläuterung zum Vorgehen/ Reflexion
Ausbildungslehrerin: »Mit welcher der beiden Ideen kommst du besser -- voran ↓«
Die Ausbildungslehrerin unterstützt durch diese Frage den Klärungsprozess und dockt sprachlich am Wort »vorankommen« an, das der Referendar zu Beginn des Gesprächs genutzt hat.
Referendar: »Weiß ich nicht, weiß ich wirklich nicht. (überlegt) Beides geht, glaube ich, wenn man es gut macht.« Ausbildungslehrerin: »Möchtest du meine Meinung dazu hören ↓«
An dieser Stelle passiert etwas Besonderes: Da die Ausbildungslehrerin eine doppelte Funktion hat – beratende Person und erfahrene Fachkollegin – fragt sie, ob der Referendar ihre Meinung hören möchte. Zu beachten ist, dass die Ausbildungslehrerin hier nicht ungefragt ihre Meinung einbringt.
Referendar: »Ja, gerne …« Ausbildungslehrerin: »Besser wäre, Die Ausbildungslehrerin gibt hier glaube ich, das Lied nicht vorzuaus ihrer Unterrichtserfahrung besprechen, sondern mit dem Lied einen wichtigen Hinweis. zu beginnen, weil dann die Motivation höher ist. Dann könntest du das Lied in der Einstiegsphase zunächst anhören und gucken, was die Schülerinnen und Schüler schon verstehen.« Referendar: »Gut, dann schaue ich erst einmal nach einem geeigneten Lied und gucke, ob man das Lied sinnvoll reduzieren kann. Und dann komme ich vielleicht nochmal zu dir.«
Der Referendar beendet mit einer ersten Idee von sich aus das Gespräch.
Ausbildungslehrerin: »Gut, dann schau mal.«
Die Ausbildungslehrerin verabschiedet ihn kurz und bündig.
Gesprächsbeispiele aus der Praxis
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Ella … sie ist eine Zicke und eine Vordränglerin – Schüler (8 Jahre) und Lehrerin Gespräch mit Fynn (3. Klasse). Er ist erst seit zwei Monaten in dieser Klasse. Fynn hatte in der vorherigen Stunde einen Konflikt mit Ella, die sich vorgedrängelt hat. Er heult, mit dem Kopf auf dem Tisch liegend, murmelt er immer wieder »Vordränglerin, Vordränglerin …« Die Lehrerin, Frau V., nimmt ihn darauf kurz mit aus dem Klassenraum und setzt sich mit ihm in den angrenzenden Gruppenraum. Frau V.: »Fynn, was ist los ↓« Fynn: »Ella … sie ist eine Zicke und eine Vordränglerin.« Frau V.: »Vordränglerin ↓« Fynn: »Die haben da so einen Vertrag. Der eine lässt einen vor, und dann lässt der andere wieder einen vor. Aber ich hab ›Nein‹ gesagt.« Frau V.: »Die haben einen Vertrag. Was -- für einen Vertrag möchtest du -- haben ↓« Fynn: »Die drängeln immer vor.« Frau V. wartet ab Fynn: »Die sollen nicht mehr vordrängeln.« Frau V.: »Einen Nicht-Vordrängeln-Vertrag ↓« Fynn (lacht): »Einen Nicht-Vordrängeln-Vertrag!« Frau V.: »Einen ›Nicht-Vordrängeln-Vertrag‹ -- mit wem --schließt du den ↓« Fynn: »Mit keinem, die sind alle nicht nach meinem Geschmack.« Frau V.: »Wer -- schmeckt dir denn ↓« Fynn: »Lea und Sophie.« Frau V.: »Dann probiers doch mal mit ihnen.« Fynn: »Mit denen spiele ich auch manchmal in der Pause. Die drängeln auch nicht vor.« Frau V.: »Mit wem wäre es gut, -- einen Nicht-Vordrängeln-Vertrag zu schließen ↓« Fynn: »Dann mit Ella und den anderen.« Frau V.: »Wie ist das dann, -- wenn ihr euch alle an den Vertrag haltet ↓« Fynn: »Dann drängelt man nicht mehr vor. Wenn ich ›Nein‹ sage.« Frau V.: »Mit wem -- schließt du diesen Vertrag zuerst ↓« 142
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Fynn: »Mit Ella.« Frau V.: »Wann -- machst du das ↓« Fynn: »In der nächsten Stunde bei dir.« Frau V.: »Wann -- sagst du Ella Bescheid ↓« Fynn: »Jetzt in der Musikstunde.« Frau V.: »Was -- willst du ihr sagen ↓« Fynn: »Wenn ich ›Nein‹ sage, dann soll sie es auch nicht machen.« Frau V.: »Dann holst du Ella und kommst nach der Stunde zu mir.« Fynn: »Ja, gut.«
Ich kann das einfach nicht verstehen – Schülerin (16 Jahre) und Lehrerin Eine Schülerin des 10. Jahrgangs einer Förderschule ist in der vorangegangenen Nacht einer häuslichen Gewalttat zum Opfer gefallen, bei der deren Mutter tödlich verletzt wurde. Die Schülerin selbst wird intensivmedizinisch behandelt. Es herrscht große Aufregung und die Schüler*innen des Jahrgangs, die über die Medien von dem Fall gehört haben, sind sehr betroffen. Die Klassen werden von Lehrer*innen betreut. In der Schülergruppe, die von zwei Lehrerinnen betreut wird, weint eine Schülerin, Michelle, heftig. Michelle wirkt sehr aufgelöst. Das Mädchen wohnt in einer betreuten Wohngruppe und hat selber schwierige häusliche Erfahrungen gemacht. Sie kennt die betroffene Schülerin aus einigen gemeinsamen Kursen. Eine Lehrerin, Frau F., fragt Michelle, ob sie gemeinsam aus der Klasse gehen wollen. Beide gehen aus dem Raum und setzen sich vor dem Klassenraum auf den Boden. Michelle: »Ich kann das einfach nicht verstehen.« Frau F.: »Hmm …« Michelle: »Warum sind die Menschen so schlecht, ich kann das einfach nicht begreifen.« Frau F.: »Hmm …« Michelle: »Ich werde damit einfach nicht fertig.« Frau F.: »Wie schaffst du es, -- nicht fertig zu sein ↓« Gesprächsbeispiele aus der Praxis
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Michelle: »Weiß ich nicht.« Frau F.: »Was weißt du jetzt -- ganz sicher ↓« (lange Pause) Michelle: »Ich kann jetzt nicht alleine sein.« Frau F.: »Was machst du, -- um nicht alleine zu sein ↓« Michelle: »Jetzt bin ich ja in der Schule, da lenkt mich der Unterricht ab. Aber gleich ist die Mittagspause.« Frau F.: »Wer -- kann mit dir die Zeit verbringen ↓« Michelle: »Angelina, mit der verstehe ich mich wieder ganz gut. Wir verbringen viel Zeit zusammen. Sie ist die Einzige aus der Schule, die mich schon in meiner Wohngruppe besucht hat. Ich will da einfach nicht mehr dran denken.« Frau F.: »Wie -- kannst du dich mit Angelina verabreden ↓« Michelle: »Ich spreche sie jetzt gleich in der Stunde an, wir haben zusammen Englisch. Aber ich habe ein schlechtes Gefühl, weil heute Wochenende ist.« Frau F.: »Mit wem -- kannst du nach der Schule Zeit verbringen ↓« Michelle: »Ich verstehe mich schon besser mit meiner Mutter, die sehe ich fast jeden Freitag und dann übernachte ich bei ihr. Nur mit meinem Vater verstehe ich mich nicht gut.« Frau F.: »Seid ihr heute verabredet?« Michelle: »Ja, sie holt mich um 18:00 Uhr ab.« Frau F.: »Was -- machst du bis 18:00 Uhr ↓« Michelle: »Ich werde erst einmal meinen Putzdienst erledigen, das machen wir am Freitag immer in der Wohngemeinschaft. Dann wird meine Mutter mich schon abholen.« Frau F.: »Hilft es dir, jetzt noch ein wenig mit mir hier sitzen zu bleiben ↓« Michelle: »Ja.« Nach etwa 2–3 Minuten gehen Michelle und Frau F. wieder gemein sam in den Raum.
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Ein Kollege hat mich bei der Arbeit so blöd angemacht – Schüler (18 Jahre) und Lehrer Berufskolleg: Der 18-jährige Schüler, Philipp, spricht den Lehrer, Herrn A., nach dem Unterricht an. Philipp: »Herr A., kann ich mal mit Ihnen sprechen?« Herr A: »Ja, (wendet sich dem Schüler zu) was -- wollen Sie mit mir besprechen ↓« Philipp: »Ein Kollege hat mich bei der Arbeit so blöd angemacht und hat Kiffer zu mir gesagt. Das bringt mich immer gleich so unter die Decke. Da muss ich total aufpassen, dass ich nicht ausraste und ihn zusammenschlage. Ich wollte meiner Ausbilderin gleich was dazu sagen, aber die hört mir nie zu, die hat nur gesagt, dass ich wohl wieder unglücklich verliebt bin.« Herr A.: »Was genau -- bringt Sie gleich unter die Decke ↓« Philipp: »Dass der mich Kiffer nennt, obwohl ich gar nicht kiffe, das ist so ’n anderer Ausdruck für rauchen. Dabei hat der mir mal erzählt, dass er selber kifft, weil Checker kiffen, und er ist ein Checker und ich bin ein Nichts.« Herr A.: »Was -- kann Sie jetzt -- wieder runter bringen ↓« Philipp: »Früher ins Bett gehen. Mit meiner Mutter war ich beim Arzt, weil ich manchmal so schlecht höre. Die haben nicht richtig was festgestellt. (Bericht von mehreren Arztbesuchen und was die einzelnen Ärzte gesagt haben …) Der Arzt hat gesagt, dass ich genug schlafen soll, dann krieg’ ich alles besser mit, die Ohren sind in Ordnung.« Herr A.: »Und wie -- kriegen Sie die Situation bei der Arbeit jetzt wieder hin ↓« Philipp: »Ich rede mal mit meiner Ausbilderin, und entschuldige mich, dass ich mich gestern so unmöglich benommen habe und sage ihr, dass ich früher ins Bett gehen muss, das hätte auch der Arzt gesagt. Und dass ich nicht mit dem Kollegen zusammenarbeiten will, weil der mich so richtig aufregt.« Herr A.: »Wann -- reden Sie mit Ihrer Ausbilderin ↓« Philipp: »Gleich heute.« Herr A.: »Wann -- genau ↓« Gesprächsbeispiele aus der Praxis
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Philipp: »Nach der Pause … Ich könnte jetzt gleich hingehen, nach dem Unterricht, … ja, nach dem Unterricht, gleich wenn die Arbeit anfängt.« (Herr A. wartet in den Gedankenpausen und sagt nichts.) Herr A.: »Hört Ihnen Ihre Ausbilderin jetzt zu ↓« Philipp: »Ja, die wird mir zuhören.« Herr A.: »Was -- machen Sie mit Ihrem Kollegen ↓« Philipp: »Dem gehe ich aus dem Weg.« Herr A.: »Und wie -- gehen Sie ihm aus dem Weg ↓.« Philipp: »Ich sag nichts, wenn er mich blöd anspricht.« Herr A.: »Dann wünsche ich Ihnen gutes Gelingen.«
Wie kann ich verhindern, dass mein Mann Tom abholt? – Mutter und Klassenlehrerin Eine Mutter spricht nach dem Unterricht Frau G., die Klassenlehrerin ihres Sohnes Tom aus der 1. Klasse, an. Frau G. weiß, dass die Eltern sich gerade getrennt haben. Mutter: »Ich wollte Sie mal fragen, wie ich verhindern kann, dass mein Mann Tom abholt.« Frau G.: »Wie groß muss das Hindernis sein, -- damit ihr Mann -Tom nicht mehr abholt ↓« Mutter (schüttelt den Kopf und lächelt ein wenig): »Ja, ich weiß, ich kann das gar nicht verhindern. Aber ich mache mir solche Sorgen um Tom. Der ist so hin- und hergerissen zwischen meinem Mann und mir.« Frau G.: »Wie -- schaffen Sie es, nicht mehr an Tom zu reißen ↓« Mutter: »Wir brauchen endlich eine vernünftige Regelung, an die wir uns dann beide halten.« Frau G.: »Woran -- können Sie sich halten, wenn Sie die vernünftige Regelung machen ↓« Mutter: »Das haben wir uns immer versprochen, dass wir unsere Konflikte nicht auf dem Rücken von Tom austragen. Das gilt auch jetzt noch. Und wir reden ja zum Glück noch miteinander.« Frau G.: »Wie verabreden Sie -- jetzt -- vernünftig eine Regelung für Tom ↓« 146
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Mutter: »Ich weiß nicht, ob ich das jetzt ›vernünftig‹ kann. Ich bin oft so wütend … Ich glaube, wir brauchen Hilfe dabei.« Frau G.: »Wer -- kann Ihnen dabei helfen ↓« Mutter: »Freunde … das kann ich mir nicht vorstellen. Es müsste irgendwie jemand Neutrales sein. Vielleicht sollten wir zu einer Beratungsstelle gehen. Ja, ich glaub, da kümmere ich mich mal drum. Ich ruf da mal an und dann frage ich meinen Mann.« Frau G.: »Dann wünsche ich Ihnen, dass Sie zu einer vernünftigen Regelung kommen.« Mutter: »Danke. Danke auch für das Gespräch.«
Mir geht es wieder schlecht – Zwei Kolleginnen Montagmorgen in der 3. Stunde. Zwei Kolleginnen, Renate und Bettina, haben eine Freistunde: Renate: »Hallo, Bettina.« Bettina: »Hallo, Renate! Wie geht’s?« Renate (seufzt): »Mir geht es wieder schlecht.« (Bettina hat hier üblicherweise immer mit: »Was ist denn passiert?« reagiert und versucht es heute einmal anders.) Bettina (wendet sich ihr zu): »Was -- soll besser werden ↓« Renate (schaut ziemlich irritiert und stockt kurz): »Alles müsste mal besser werden! Schon wenn ich morgens aufstehe, hab ich keine Lust mehr. Wenn die Kinder nicht zur Schule müssten, würde ich einfach liegen bleiben. Die Papiere auf dem Schreibtisch stapeln sich und ich komme einfach nicht vorwärts.« Bettina: »Was genau -- kann heute für dich besser werden ↓« Renate: »Heute? … Ich muss nochmal mit meiner Tochter sprechen, damit wir nicht den ganzen Abend so eine giftige Atmosphäre haben. Die flippt immer so schnell aus.« Bettina: »Wie erreichst du sie, -- wenn sie ausgeflippt ist ↓« Renate: »Erstmal gar nicht. Meistens geht sie in ihr Zimmer, knallt die Tür zu und ist nicht zu sprechen. Nach einiger Zeit kommt sie dann wieder. Manchmal zieht sie noch den Rest des Tages ein grimmiges Gesicht, aber manchmal kann man auch ganz gut mit ihr reden.« Gesprächsbeispiele aus der Praxis
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Bettina: »Was genau -- willst du ihr heute -- sagen ↓« Renate (überlegt): »Eigentlich … eigentlich würde ich ihr gerne mal sagen, dass es mir auch schwerfällt, dass Papa nicht mehr bei uns ist.« Bettina: »Und -- dann ↓« Renate: »Dann warte ich erstmal ab.« Bettina: »Wie, glaubst du, -- wird deine Tochter darauf reagieren ↓« Renate: »Ich glaube, sie wird überrascht sein. Und vielleicht können wir dann auch mal in Ruhe überlegen, was wir als nächstes machen.« Bettina: »Wie -- bleibst du ruhig ↓« Renate: »Das ist eine gute Frage. Vielleicht (sie lächelt) sollte ich auch etwas in die Hand nehmen, damit ich daran denke. Einen Stein oder so was. Was wir den Schülern ja auch manchmal geben zur Erinnerung.« Bettina lächelt ebenfalls. Die beiden reichen sich die Hand.
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Abspann
Der 13-jährige Lars erzählt dem SV-Lehrer, Herrn V., ganz nebenbei, dass er nächste Woche nicht da sei, weil an seinem Gehirn ein Tumor wachse und er eine Kopf-OP habe. Herr V. erschrickt, reißt sich zusammen und fragt, wann genau die OP sei. Dann holt er seinen Terminkalender aus der Tasche, trägt den Termin ein und sagt: »Ich denke an dich und bete für dich.« Lars strahlt ihn an. Im Schulalltag gibt es immer wieder schwierige Situationen, die Lehrer*innen »kalt« erwischen. Dass einem Menschen in solchen Situationen manchmal die Worte fehlen, ist – trotz aller Kenntnis und Übung – völlig normal. Und oft geht es in solchen Situationen auch gar nicht darum, die richtigen Worte zu finden oder eine gute Frage zu stellen, sondern vielmehr darum, verlässlich da zu sein und die Situation gemeinsam auszuhalten. Wir wünschen Ihnen, liebe Leser*innen, dass Sie sich davon befreien, alles wissen und können »zu müssen«. Wir sind sicher, Sie tun Ihr Bestes, aber unser aller Möglichkeiten sind begrenzt. »Bescheiden sein« – diese Aufforderung durchzieht dieses Buch: Ein »kleines«, gutes Gespräch führen und darauf vertrauen, dass ungeahnte Möglichkeiten in Menschen schlummern und auch – neben uns – andere Menschen helfen und unterstützen können: Freund*innen, Verwandte, Kolleg*innen und »Profis«. Jeder und jede an seinem Ort – zusammen sind sie ein Netz, das die ratsuchende Person trägt. Vieles an den methodischen Bausteinen, die Sie in diesem Buch kennengelernt haben, mag Ihnen vielleicht auf den ersten Blick fremd vorkommen: »so ganz anders, als ich bisher Gespräche geführt habe«, »gegen den Strich gebürstet« oder »sehr ungewohnt und holp-
rig«. Probieren Sie es bitte trotzdem aus und beobachten Sie die Wirkung. Gerade weil vieles ungewohnt und fremd erscheint, ist das Üben wichtig. Und zu guter Letzt: Denken Sie immer auch an sich selbst und überfordern Sie sich nicht! Dazu eine Geschichte: Es war einmal ein Holzfäller. Er war neu bei der Firma und startete mit großem Elan. Am ersten Tag fällte er achtzehn Bäume. »Großartig«, sagte der Vorarbeiter zu ihm. »Weiter so!« Der Holzfäller ging früh ins Bett, weil er am nächsten Tag noch mehr schaffen wollte. Aber – am zweiten Tag schaffte er nur 15 Bäume. »Wahrscheinlich war ich noch müde vom ersten Tag«, dachte er sich, und ging am Abend noch eher schlafen. Am dritten Tag schaffte er nur neun Bäume. Und am nächsten Tag waren es nur fünf und am übernächsten brauchte er all seine Kraft und Zeit, um zwei Bäume zu fällen. Er traute sich kaum, das dem Vorarbeiter zu erzählen. Und er schwor ihm, dass er gearbeitet hatte bis zum Umfallen. Da fragte ihn der Vorarbeiter: »Wann hast du deine Axt zum letzten Mal geschärft?« Der Holzfäller antwortete: »Die Axt schärfen? Dazu hatte ich keine Zeit.« (Nacherzählt nach: Bucay, 2013, S. 126 f.)
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Abspann
Antwortmöglichkeiten zu den Übungen
Kapitel 1 Hoffnung stärken statt Probleme ergründen – Was soll in Zukunft anders werden? Mögliche Fragen: ȤȤ »Wie -- sollen die anderen sich das mit der Adoption vorstellen ↓« ȤȤ »Was -- sollen die anderen wissen ↓« ȤȤ »Wie kannst du -- den anderen vorstellen, was Adoption ist ↓« ȤȤ »Was -- möchtest du den anderen erzählen ↓« Kapitel 5 Manchmal sind wir im falschen Film! – Wie der innere Film die Wahrnehmung beeinflusst Mögliche Fragen: ȤȤ »Welches Chaos willst du als erstes -- ordnen ↓« ȤȤ »Was willst du machen -- und was willst du lassen ↓« ȤȤ »Zu was genau -- soll ich etwas sagen ↓« Kapitel 6 Wie die Spitze eines Eisbergs – Die Sprache der ratsuchenden Person nutzen Der Schüler Marco, 18 Jahre, kommt zum Lehrer ins Beratungszimmer: »Kann ich Sie mal was ganz anderes fragen? Das passt hier eigentlich nicht so richtig hin. (Marco wartet ab, als der Lehrer nickt, spricht er weiter) Es geht um meine Freundin … und ihre Eltern. Wissen Sie, seit drei Monaten bin ich mit ihr zusammen, und sie ist erst 15. Aber mir ist es dieses Mal richtig ernst. Also: Ihre Eltern haben ihr verboten mich zu treffen, weil wir beim ersten Treffen zu spät nach Hause gekommen sind. Aber ich wusste das gar nicht, dass sie schon um acht Uhr zuhause sein sollte, das hatte
sie mir nicht gesagt. Und dann waren die Eltern wohl total sauer, besonders der Vater, der scheint richtig streng zu sein. Wir treffen uns seitdem heimlich, meistens in S. (der Nachbarstadt). Das ist doch kein Zustand so. Ich hab schon überlegt, am liebsten würde ich da einfach mal auftauchen und mich der Mutter vorstellen. Dann würde sie ja sehen, dass ich kein Chaot bin. Aber meine Freundin will das nicht. Jetzt haben wir uns schon mehrmals darüber gestritten. Manchmal frage ich mich, ob es ihr auch wirklich ernst mit mir ist. Warum sonst macht sie so eine Heimlichtuerei? Ich hab sie auch schon gefragt, aber sie sagt, ja, es ist ihr ernst. Sie hat nur Angst vor ihrem Vater.«
Mögliche Fragen: ȤȤ »Welche Frage kann ich dir beantworten helfen ↓« ȤȤ »Wie -- wird es passend mit deiner Freundin ↓« ȤȤ »Ernsthaft -- einfach mal auftauchen -- wie geht das ↓« ȤȤ »Wo stehst du -- jetzt ↓« (anknüpfend an »Zustand«) ȤȤ »Auftauchen, -- statt abtauchen … ↓« Kapitel 7 Das ist eine gute Frage … – Fragen als Geburtshelfer »Marvin ist eben außergewöhnlich. Meine Eltern haben voll das Problem damit, dass wir zusammen sind. Sie sehen überhaupt nicht, was für ein toller Mensch er ist und dass wir uns lieben. Ständig versuchen sie, ihn mir auszureden, aber das können sie sich abschminken. Am liebsten würde ich einfach ausziehen.«
Mögliche mäeutische Fragen: ȤȤ »Woran -- möchtest du dich nicht gewöhnen ↓« ȤȤ »Wie können deine Eltern sehen, -- was für ein toller Mensch Marvin ist ↓« ȤȤ »Ungeschminkt -- was siehst du ↓« ȤȤ »Wohin willst du -- jetzt ziehen ↓« ȤȤ »Was ändert sich, wenn du -- einfach ausziehst ↓«
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Antwortmöglichkeiten zu den Übungen
Kapitel 12 Indikativ statt Konjunktiv a) »Ich war so sauer. Dem hätte ich gerne mal so richtig die Meinung gesagt.« •• »Was genau -- möchtest du ihm sagen ↓« •• »Was ist jetzt -- für dich richtig ↓« b) »Ich müsste einfach mehr lernen.« •• »Einfach mehr lernen -- wie geht das ↓« •• »Wie -- wird das Lernen für dich einfach ↓« c) »Das hätte ich echt von ihr nicht erwartet.« •• »Was -- erwartest du jetzt -- von ihr ↓« d) »Ich könnte ja mal zu einer Beratungsstelle gehen. Aber ob die einem weiterhelfen können? Ich könnte ja auch erstmal selber versuchen, ob ich überhaupt noch eine Woche ganz ohne Alkohol schaffen würde.« •• »Was -- kannst du -- jetzt -- schaffen ↓« Kapitel 15 Zu Hause ist unser Kind aber ganz anders! – Gespräche mit Eltern »Ich möchte auch, dass Justine wieder auf eine Drei kommt. Wie können wir -- sie dabei unterstützen ↓« Wahrscheinlich wird die Mutter als Erstes sagen, was die Lehrerin alles machen soll. Darauf kann die Lehrerin wie folgt reagieren: »Ja, ich werde Justine unterstützen [im Idealfall wird an dieser Stelle eine konkrete Hilfe benannt] und wie -- können Sie sie unterstützen ↓«
Verständlich, aber nicht weiterführend sind die folgenden Fragen: »Wie viel lernt Justine denn zu Hause?« oder »Ich habe noch gar nicht gemerkt, dass Justine sich verbessern will«, weil diese Fragen die Mutter in ihrer Verteidigungshaltung verstärken.
Antwortmöglichkeiten zu den Übungen
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Kapitel 16 Ein Bild sagt mehr als 1.000 Worte – Bildhafte Sprache im Beratungsgespräch a) »Ich sitze zwischen zwei Stühlen!« •• »Wo genau -- sitzt man zwischen den Stühlen ↓« (Diese Frage stammt aus dem Lied »Kopf hoch, tanzen« von Herbert Grönemeyer; das Wort »genau« wurde hinzugefügt.) •• »Wer sitzt -- auf den beiden Stühlen ↓« •• »Wo -- möchtest du sitzen ↓« b) »Ich hab’ Mist gebaut.« •• »Was -- willst du jetzt ausmisten ↓« •• »Wohin -- mit dem Mist ↓« c) »Ich hab’ manchmal das Gefühl, mir fehlt die Luft zum Atmen!« •• »Welches Fenster kannst du öffnen, -- um Luft hereinzulassen ↓« •• »Ohne Luft zum Atmen -- kann man nicht leben ↓« d) »Ich weiß nie, woran ich bei ihr bin. Das ist wie eine riesengroße Wundertüte.« •• »Stellen Sie sich vor, Sie schütten die Wundertüte hier vor uns beiden aus. Was -- sehen wir ↓« •• »Welches Wunder -- vermuten Sie in der Tüte ↓«
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Antwortmöglichkeiten zu den Übungen
Literatur
Bamberger, G. (2005): Lösungsorientierte Beratung (3. Aufl.). Weinheim: Beltz. Bucay, J. (2013): Komm, ich erzähl dir eine Geschichte (14. Aufl.). Frankfurt am Main: Fischer. de Shazer, S. (2004): Der Dreh. Überraschende Wendungen in der Kurzzeittherapie (8. Aufl.). Heidelberg: Carl-Auer. Haupt-Scherer, S. (2016): Traumakompetenz für die Kinder- und Jugendarbeit. Einführung in die Psychotraumatologie und Traumapädagogik. Schwerte: Amt für Jugendarbeit. Jonas, D./Daniels, A. (1996): Was Alltagsgespräche verraten. Verstehen Sie Limbisch? (3. Aufl.). Würzburg: Huttenscher. Jonas, D./Winkler, P. (2010): Die Eigensprache. In D. Bindernagel/E. Krüger/T. Rentel/P. Winkler (Hg.): Schlüsselworte. Idiolektische Gesprächsführung in Therapie, Beratung und Coaching (2. Aufl., S. 18–26). Heidelberg: Carl-Auer. Kindl-Beilfuß, C. (2011): Fragen können wie Küsse schmecken. Systemische Fragetechniken für Anfänger und Fortgeschrittene (3. Aufl.). Heidelberg: Carl-Auer. Krüger, E. (2010): Die Kunst des Fragens. In D. Bindernagel/E. Krüger/T. Rentel/P. Winkler (Hg.): Schlüsselworte. Idiolektische Gesprächsführung in Therapie, Beratung und Coaching (2. Aufl., S. 27–46). Heidelberg: Carl-Auer. Lindemann, H./Rosenbohm C. (2012): Die Metaphern-Schatzkiste. Systemisch arbeiten mit Sprachbildern. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht. Lohse, T. (2013): Das Kurzgespräch in Seelsorge und Beratung. Eine methodische Anleitung (4. Aufl.). Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht. Molnar, A./Lindquist, B. (2009): Verhaltensprobleme in der Schule. Lösungsstrategien für die Praxis (9. Aufl.). Dortmund: Borgmann. Rentel, T. (2010): Resonanz und Schlüsselworte. In D. Bindernagel/E. Krüger/T. Rentel/P. Winkler (Hg.): Schlüsselworte. Idiolektische Gesprächsführung in Therapie, Beratung und Coaching (2. Aufl., S. 47–55). Heidelberg: Carl-Auer. Schanze, J./Schuster, J. (2014): Der Weg zur Meisterschaft in der Führung. Führung und Selbst-Führung auf dem Weg zur Spitze. Wiesbaden: Springer Fachmedien. Schlippe, A. von/Schweitzer, J. (2003): Lehrbuch der systemischen Therapie und Beratung (9. Aufl.). Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht. Watzlawick, P. (1991): Die Möglichkeit des Andersseins. Zur Technik der therapeutischen Kommunikation (4. Aufl.). Bern: Hans Huber.
Watzlawick, P. (2001): Lösungen. Zur Theorie und Praxis menschlichen Wandels (6. Aufl.). Bern: Hans Huber. Watzlawick, P./Beavin, J./Jackson D. (1974): Menschliche Kommunikation. Formen, Störungen, Paradoxien (4. Aufl.). Bern: Hans Huber. Weber, G. (1994): Selbstsupervision für Therapeuten. Vortrag auf einem Fortbildungsworkshop in Heidelberg: »Systemische Supervision – Was ist das, und wie macht man das?«.
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Literatur